West Virginia University Libraries
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v.3
1859
1AJ
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in 2011 with funding from
LYRASIS Members and Sloan Foundation
http://www.archive.org/details/diekrankheitendeOOarlt
DIE
KRANKHEITEN DES AUGES.
für praktische Arzte
geschildert
Dr. Fertl. Arlt,
o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu » ien.
III. Band.
Die Krankheiten des Glaskörpers, der Netzhaut, der
Augenmuskeln, der Augenlider, der Thräneiiorgane
und der Orbita.
Zweiter unveränderter Abdruck.
Mit Abbildungen.
Prag, 1859.
V e r 1 ii g d e r k. k. H o f - P> u c h - u n d K u n s t h a n d l u n g
F. A. C'redner.
Die
Krankheiten
des
Glaskörpers, der Netzhaut, der Augenmus-
keln, der Augenlider, der Tliränenorgane und
der Orbita,
für
praktische Ärzte
geschildert
I>r. Ferd. Arlt,
o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Wien.
Zweiler unveränderter Abdruck.
Mit Abbildungen.
Prag, 1S59.
V e r 1 s g der k. k. Hof-Buch- und K unsthandlung
V. A. Crediier.
VII. Brich.
er Glaskörper, Corpus vitreum.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Der Glaskörper stellt eine farblose und vollkommen durchsichtige
Masse dar, welche den Bulbus hinter der Linse und den Ciliarfortsätzen
ausfüllt. Die ihn hauptsächlich bildende Flüssigkeit (Vitrina, Humor vi-
treus) ist in ein eigenthüinliehes loculamentöses Gewebe (Stroma corp.
vitrei) infiltrirt und von einer äusserst dünnen Hülle (Membr. hyaloidea)
umschlossen. Diese Hülle schmiegt sich vorn unmittelbar an die hintere
Linsenkapselhälfte an, bildet dann die hintere Wand des Petitschen Cana-
les, ist längs des Ciliarkörpers innigst mit diesem verwachsen — mittelst
der Zonula Zinnii, jenseits der Ora serrata einfach an die Netzhaut ange-
lagert, und erst an der Eintrittsstelle des Sehnerven wieder fest an die
Bulbuswand angeheftet.
Der Glaskörper misst beim Erwachsenen vom Centrum der teller-
förmigen Grube bis zur Macula lutea. 6% — 7"',*) in der Äquatorial-
ebene des Bulbus horizontal 10 — lO1/,/", senkrecht 9y3 — 101/4'//. Das
absolute Gewicht wird von Krause auf 65 — 75 Gran geschätzt, das spe-
cifische von Chevenix auf 1,0053. Den Brechungsindex setzte Brewster
'') Im 2. Bande S. 239 wurde der Abstand des hinlern Pules der Linse von der Macula lutea aua Versehen um I"
zu kurz angegeben.
Arlfs Augenheilkunde III, i. \
2 Glaskörper.
= 1,336—1,3394, wenn der des Wassers = 1,3358 angenommen wird. -*-
Der Glaskörper als Ganzes ist in hohem Grade elastisch -biegsam, doch
kaum mehr als Wasser compressibel, indem die Masse seiner festen Be-
standteile zu den tropfbarflüssigen versehwindend klein ist. Er ist im
Ganzen und in Stücken schlüpfrig, schwer anzufassen, gefasst aber stark
fadenziehend und dehnbar, und lässt sich durch Auspressen und Fil-
triren in eine äusserst feine hyaline Substanz und in eine klare Flüssig-
keit scheiden.
Die Glasflüssigkeit, welche nach Abscheidung aller festen Theile zu-
rückbleibt, ist dünnflüssig, nur schwach klebrig und wenig fadenziehend,
farblos und wasserklar, und enthält nach Berzelius in 100 Theileri
98,40 Wasser, 0,16 Eiweiss, 1,42 Kochsalz mit einer extraetartigen Ma-
terie, 0,02 in Wasser lösliche Substanz, und nach Millon auch etwas
Harnstoff, stimmt also in chemischer Beziehung mit dem Humor aqueus
fast überein, welchem sie auch im Brechungsindex sehr nahe steht.
Die Glashaut bildet einen äusserst dünnen und durchsichtigen , rela-
tiv ziemlich festen, vollkommen geschlossenen Sack, welcher an seiner
glatten äussern, der Netzhaut zugewendeten Fläche und nach Pappenheim
auch in. der tellerförmigen Grube 'Umrisse von sechseckigen Zellen wahr-
nehmen lässt. ähnlich denen von Pflastcrepithelien, durch deren Verschmel-
zung sie nach Brücke entstanden zu sein scheint. Ausserdem zeigt sie
gleich der Descemctschen Haut und der Linsenkapsel keine Spur we-
der von Slructur, noch von Gefässen oder Nerven (nach der Geburl).
Über ihren Zusammenhang mit dem Stroma im Innern des Glaskörpers
ist weiter nichts sicher gestellt, als dass er eben ein sehr inniger, unzer-
trennlicher ist.
Das Stroma des Glaskörpers konnte bisher vermöge seiner extremen
Feinheit und Durchsichtigkeit nicht direct beobachtet werden. Gewiss ist
nur, dass die Glasflüssigkeil nicht frei in dem Sacke der Hyaloidea einge-
schlossen ist, wie etwa das Kammerwasser in der Kammer, und dass sie
so zu sagen von einem innern Gerüste getragen und zusammengehalten
wird. Ob aber dieses Gerüste aus Zellen, Blättern, Fäden o. dgl. bestelle,
ist unbekannt. Seit Janin, Zinn und Demours, welche zur Untersuchung
gefrorne Bulbi benutzten, nahm man Zellen im Innern als Träger der Vi-
trina an ; seit Pappenheim, der den Glaskörper durch kohlensaures Kali
erhärtete , Brücke , der sich hierzu concentrirter Bleizuckerlösungen be-
diente, und Hannover, welcher Bulbi über '/„ Jahr lang in verdünnter
Chromsäure liegen liess, machte sich mehr die Ansicht einer blättrig- fä-
cherigen Slructur gellend. Virchow bezeichnet den Glaskörper als Schleim-
Anatomie. — Physiologie. 3
o-cwcbe und stellt ihn histologisch an die Seite der Whartonschen Sülze
des Nabelstranges.
Demours konnte in gefrornen und wieder etwas aufgethauten Glaskörpern von den
einzelnen Eisstücken, womit dieselben gelullt erschienen, eine feine Membran mit der
Nadel abheben. Die Eisstückchen, welche gegen die Oberfläche hin lagen, waren die
gross ten ; nach ihnen und besonders nach der tellerförmigen Grube hin lagen die kleinsten.
Die grössten waren glatt und länger als breit, ziemlich strahlig um den Mittelpunkt des
hintern Theiles der Linse gelagert, und' dicker nach aussen, als nach der Linse zu. —
Nach Janin, Zinn u. A. sind die Zellscheidewände kleine Tellerchen, deren Wölbung
nach aussen, deren Höhlung nach innen gegen die Linse hin gerichtet ist. Um den Mitttel-
punkt herum und in der tellerförmigen Grube liegen die kleinsten, an der Peripherie die
grössten. — Nach Pappenheim lässt sich der in kohlensaurem Kali erhärtete Glaskörper
fast zwiebelartig in concentrischen Schichten abblättern, welche denen von gekochtem
Eiweiss ähneln. Jede Schicht besteht aus untnessbar feinen, isolirten und etwas ge-
schwungenen Fäden oder Fasern. — Brücke fand bei den Säugethieren die Anordnung
der Blätter oder Scheidewände so wie Pappenheim, beim Menschen dagegen so wie
Hannover. Nach diesem geht eine grosse Menge seiner Häute von der Meinbr. hyaloidea
einwärts iu die Masse des Glaskörpers, ohngefähr wie die Scheidewände in einer
Orange. Die durch diese Scheidewände gebildeten Sectoren lagern sich um eine
gerade Linie, die man sich vom hintern Pole der Linse zur Eintrittsstelle der Art.
centralis retinae gezogen zu denken hat, sind jedoch gegen diese Achse hin offen
(fehlend), und übrigens so dünn und schwach lichlbrechend, dass sie sich im natür-
lichen Zustande selbst mit bewaffnetem Auge nicht erkennen lassen. Brücke bemerkt
indessen, dass diese Septa allein nicht hinreichen, die Consistenz des Glaskörpers zu
erklären, daher man denn auch annimmt, dass die einzelnen Sectoren noch unterab-
getheilt seien durch dünne Zwischenwände, welche die Sectoren quer durchsetzen,
ohngefähr so, dass sie zur hintern Kapsel concentrisch verlaufen.
Gegen alle diese Präparationen und darauf basirten Folgerungen erhebt sich das
Bedenken, ob nicht, da alle die genannten Mittel von aussen nach innen gradatim
einwirken, mechanisch-chemische Einwirkungen allein oder doch vorwaltend die Ursache
einer bestimmten Schichtenbildung seien. Es ist wenigstens auffallend, dass jede dieser
Präparationsweisen eine andere Richtung der Zwischenwände erweist. Welche Ansicht
über das Stroma des Glaskörpers man adoptiren möge, immer wird man gezwungen
sein, sich die Zwischenräume, in denen die Flüssigkeit haftet, sehr klein zu denken.
Statt mit einer Apfelsine möchte man den Glaskörper besser mit dem Parenchyme eines
Pfirsichs vergleichen, dessen Flüssigkeit von einem verschwindend zarten und spär-
lichen Stroma zusammen gehalten wird. Man kann vom Glaskörper aus den verschie-
densten Regionen immer eine einzige Portion mit einer feinen Pincette fassen und mit
einer Scheere abschneiden; jede noch so kleine Portion besteht aus einem festen und
flüssigen Theile, und das Stroma scheint in den mittlem und hintern Portionen weder
feiner noch sparsamer, als anderswo zu sein, geschweige denn zu fehlen. Nach
Rosas fülüf sich ein seiner Flüssigkeit durch rasches Verdunsten beraubter Glaskörper
gleich einem ausgedrückten Schwämme, wenn man ihn einige Stunden in Wasser liegen
lässt. — Wird bei einer Operation oder Verletzung ein Theil des Glaskörpers ans der
Wunde hervorgepresst, so besieht dieser (bei normaler Beschaffenheit des Glaskörpers
4 Glaskörper.
überhaupt) so gut aus Stroma als aus Vitrina. Ein Theil der hervorgepressten Flüssig-
keiten fliesst ab, ein anderer Theil aber, am Stroma haftend, bleibt vor der Wunde, und
wird, falls das Ganze nicht allmälig zurückgleitet, wolkig, trüb, bis es endlich erweicht,
eitrig schmilzt, und ahgestossen wird. Vergl. II. ß. S. 16.
Die Ernährung des Glaskörpers geschieht wahrscheinlich durch En-
und Exosmose vom Corpus ciliare aus, und zwar durch die mit der Hya-
loidea daselbst verschmolzene Zonula Zinnii hindurch, Wollte man auch
mit Huschke plasmaführende Yasa decolora im Glaskörper annehmen,
welche nicht sowohl aus den Ciliargefässen, als. vielmehr aus der Central-
arterie der Netzhaut entsprängen , so würde man sich doch vergeblich
nach dem zweiten Elemente der unmittelbaren Ernährung, nach Nerven
umsehen. Der Glaskörper dürfte sich hinsichtlich der Ernährung analog
dem Krystailkörper verhalten. Dort wie hier sind in der Fötalperiode
zahlreiche Gefässe vorhanden, welche von der Centralarterie der Netzhaut
gegen die tellerförmige Grube verlaufen; nach der Geburt jedoch lässt sich
keine Spur davon nachweisen, weder durch Injectionen noch durch das
Mikroskop, und es entwickeln sich auch in verschiedenen pathologischen
Zuständen mit Exsudation in dem Glaskörper niemals Gefässe, wie etwa
in der Hornhaut.
Mehrere pathologisch- anatomische Thatsachen sind es, welche dafür sprechen,
das die Ernährung des Glaskörpers vom Ciliarkörper her erfolge. Bei hochgradig Kurz-
sichtigen findet man Sclera, Ader- und Netzhaut rings um den hintern Fol rückwärts
ausgedehnt, den Glaskörper bis zur Basis dieser Ektasie normal, von da rückwärts aber
durch wässrige Flüssigkeit ersetzt; zwischen ihm und der Eintrittsstelle des Sehnerven,
ja selbst zwischen ihm und einem grossen Theile der Netzhaut ist jede Spur von Ver-
bindung aufgehoben. — Wenn in Folge weit verbreileter Chorioidits Exsudation an
der Innenfläche der Aderhaut erfolgt, so findet man das Exsudat jenseits (hinter) der
Ora serrata jederzeit zwischen Chorioidea und Betina, diessseits jedoch stets auch
•an der Innenfläche der Zonula Zinnii und der damit unzertrennlich verwachsenen Hya-
loidea, also im Glaskörper selbst ablagert, gleichwie solches Exsudat oft auch im
Pelit'schen Canale und an der Hinterfläche der Iris, selbst in der vordem Kammer vor-
gefunden wird. Vergl. Chorioidea im 2. Bande. Ich habe bei allen bisherigen Sec-
tionen niemals Exsudat im Glaskörper gefunden, ohne dass auch der Ciliarkörper mit
ergriffen war, ausgenommen bei Chorioiditis pyaemica im Beginn, wo ein einzelner
hanfkorngrosser Eiterherd durch die Netzhaut gedrungen, und dieser in den Glaskörper
hineinragende Hügel von einein trüben (wolkenähnlichen) Hofe umgeben war. Wenn,
wie so oft bei chronischer Iritis, auch das Corpus ciliare in den Entzündungsprocess
hineingezogen wird, so leidet der Glaskörper viel früher, als noch die Zeichen von
Netzhautaffection auftreten. In manchen Fällen wird der Bulbus allmälig weich und
endlich atrophisch ; in andern tritt abnorme Spannung des Bulbus und selbst Vergrös-
serung mit Ausdehnung des vordem Umfanges der Sclera ein. In diesem letzteren
Zustande nun kommen Augen vor, bei denen sich Verflüssigung de.- Glaskörpers mit
Anatomie. — Physiologie. 5
ßcsliminhcit nachweisen lässt, ohne dass das Gesicht anders, als mechanisch gestört ist^
demnach die Netzhaut als gesund oder doch relativ sehr wenig leidend angenommen
werden inuss.
Ich bin überzeugt, dass Krankheiten des Glaskörpers nur von Krankheiten der
Chorioidea, in speeie des ' Ciliarkörpers abhängen, durchaus nicht von Krankheiten der
Netzhaut, ausser diese sind selbst durh Chorioidealleiden bedingt oder mit diesen ge-
meinschaftlich einhergehend. Amaurosis, von Kindheit bis in späte Jahre bestehend,
hat auf die Integrität des Glaskörpers keinen Einilnss; man hat- bei vollständiger und
Jahre lang bestandener Atrophie des Sehnerven und consecutiv der Netzhaut den Glas-
körper normal gefunden, wenn die Atrophie nicht vom Auge selbst ausgegangen war.
Andererseits kann Verflüssigung des Glaskörpers viele Jahre lang fortbestehen, ohne
dass die Netzhaut erkrankt. Ich beobachte hier seit beinahe 2 Jahren einen Tischler,
bei welchem sich ans unbekannter Ursache die Linsen, welche ein wenig minder klar
erscheinen, gesenkt haben, und in dem verflüssigten Glaskörper floltiren. Der Mann, 48
Jahre alt, von blühend gesundem Aussehen, hatte noch während er die Schulen besuchte,
ein ganz, gutes Gesicht. Albuälig war er kurzsichtig geworden, ohne sonst etwas
Abnormes in seinen Augen zu bemerken. Im Jahre 1847 wurde er ohne bekannte
Veranlassung von Doppelsehen (diplopia monocularis oculi utr.) befallen, offenbar be-
dingt durch unvollständige Senkung der Krystallkörper. Der ihn behandelnde Arzt (Dr.
Ryba) hatte ihn besonders vor erschütternden Bewegungen des Kopfes gewarnt. Allmälig,
im Verlauf eines Jahres, verlor sich das Doppelsehen. Wenn er auf dein Rücken liegt,
bemerkt er auf jedem Auge eine runde Scheibe, fast wie einen grossen Oellropfen,
mit dunklem Rande. Convexgläser, deren er sich anfangs bediente, hat er wieder ab-
legen müssen. Dieser Mann nun steht seinem Geschäfte vor, ohne von seinem Zustande
gehindert zu werden. Er kann selbst noch zeichnen und lesen. Nur in die Ferne
sieht er minder gut. Lesen kann er selbst einen ]/.l'" hohen Druck. Druck von 1 — 5/,'"
Höhe Hess er bei 8" am besten, doch auch noch bei 5" und bis 12", etwas grösseren
Druck noch weiter (18"). Aber er kann diess nur dann, wenn er die Schrift ganz
nach unten hält, knapp vor der ßrust Man kann annehmen, dass diess daher rühre
weil bei dieser Haltung die Linsen sich wieder vorlegen und zur Strahlenbrechung
mitwirken, denn es braucht immer einige Secunden, ehe er, nach Annahme dieser
Haltung, lesen kann. Vte Untersuchung mit dem Augenspiegel wird leider nicht
gestattet. Doch konnte ich nie bemerken, dass etwa die Linse sich an die Iris anlegte
und diese vorwärts drängte. Es muss jedoch, um keine wichtige Thatsache zu über-
gehen, noch bemerkt werden, dass der Mann das Lesen, Zeichnen u. dgl. nicht mehr
so bange wie vordem aushält, dass ihm dabei auf eine kurze Zeit das Gesicht vergeht
(nudentlich wird). Den Schlüssel zur Erklärung gibt die Form der Bulbi. Die Iris
liegt tief hinter der Basis corneae und in Einer Ebene, die Pupillen sind (wie" bei
mangelnder Linse immer) relativ eng, und die Regenbogenhäute schlotlern. Beide Bulbi
sind in der Richtung der Sehachse eclatant verlängert, was man deutlich erkennt, wenn
man z. B. das linke Auge möglichst stark rechts blicken lässt, und nun die äussere Commissur
rückwärts drückt. Die Bulbi messen in der Sehachse mindestens 14'", der linke noch
etwas mehr; derselbe ragt überdiess etwas weiter aus der Orbita hervor als der rechte,
welcher durchaus nicht glotzend erscheint. Als ich diese Dimensionsabweichung er-
kannt hatte, ergab sieh, gleichsam als Rechnungsprobe, dass das linke Auge nur zwi-
schen 4 — 6" lesen kann, was der Kranke früher nicht gewusst hatte. Dass übrigens
6 Glaskörper.
die Energie der Netzhaut nicht merklich gelitten haben kann, ergibt sich abgesehen
von dem schon Mitgetheilten noch daraus, dass der Mann auch durch eine feine Öff-
nung in einem Kartenblatte lesen kann.
Dass sieh der Glaskörper regenerire, ist allgemein angenommen, aber
durchaus nicht erwiesen. Wir wissen nur, dass nach Verlust eines nicht
zu beträchtlichen Theiles davon der leer gewordene Raum wieder aus-
gefüllt wird, und dass der Bulbus dann in Bezug auf Grosse und Span-
nung nach einiger Zeit oft keine Differenz wahrnehmen lässt. Das, was
ersetzt wird, ist aber wahrscheinlich nicht Stroma, sondern bloss Humor
corporis vitrei oder wohl gar blosses Serum, Glücklicherweise geht bei
den Glaskörpervorfällen während' der Extraction in der Regel nicht so viel
Stroma verloren, als man dem Anseheine nach meinen möchte. Oft weicht
das eines Theiles seiner Flüssigkeit verlustige Stroma wieder in seine
frühere Lage zurück und füllt sich dann wieder — so hat es wenigstens
den Anschein — mit Vitrina, gleich einem sich vollsangenden ausge-
drückten Schwämme.
Ich bin oftmals in der Lage gewesen, an Augen Pupillenbilflung (durch Irideklomie)
vorzunehmen, wo nach der Extraction mit Glaskörperverlust Pupillensperre durch Ein-
löthung von Iris in die Hornhautnarbe entstanden war. In solchen Fallen stiess ich
nach Ausschneidung eines Irisstückes nicht selten auf eine dahinter gelegene trübe
Membran, gebildet durch die Kapsel und dazwischen eingeschlossene, in fibroide Masse
verwandelte Linsensubstanz. Wurde nun diese Membran mit einem Häkchen einge-
rissen, um den Lichtstrahlen freien Eintritt zu bahnen, so zeigte sich dahinter kein
normaler, sondern ganz verflüssigter Glaskörper oder vielmehr eine wasserklare und
wasserdünne Flüssigkeit, und der Bulbus fing an, mehr weniger stark einzusinken,
daher ich auch jetzt in solchen Fällen immer die Vorsicht gebrauche, den Kranken zu
chlorormiren oder doch bei der Operation liegen zu lassen, um wenigstens die Muskel-
action möglichst ausser Spiel zu bringen. Ich übersehe dabei nicht, das Glaskörper-
verflüssigung (Verlust oder Zerstörung der Stroma) auch in solchen Fällen vorgefunden
wird, wo auch ohne Glaskörperverlust nach Beseitigung oder mehr weniger vollstän-
diger Resorption der Linse Pupillensperre eingetreten ist, aber hier ist diese Ver-
flüssigung keine constante Erscheinung. — Stellwag*) vertheidigt die Regeneration des
Glaskörpers (wenn auch eine unvollkommene) mit Folgendem : „Ich schliesse dieses
aus drei von niiv sehr genau untersuchten Fällen, in welchen Cornealnarbenstaphylome
bestanden, der Krystallkörper aber in toto fehlte, an seiner Stelle die von einer ganz
normalen, keine Spur einer Trennung nachweisenden Glashaut überzogene tellerförmige
Grube mit bedeutender Convexität hervorragte und das Corpus vitmini ausser einer
kaum merklichen Consitenzabnahme seines mittlen] Theiles keine Abweichung darbot,
Es war hier sicherlich der Krystallkörper unter einem namhaften Drucke durch den
Cornealdurchhruch hindurch entleert worden, und es ist dieses ohne Entleerung der
) Die Ophthalmologie vom naturwissenaefeaftl. Standpunkte ;<u- bearbeite*, Preiburg im Breisgrau ISöLl
Anatomie — Physiologie. 7
mittlem Portionen des Glaskörpers kaum denkbar. Hat aber diese statt gefunden, so
ist auch die Regenerationsfähigkeit des Glaskörpers erwiesen, welche übrigens schon
a priori durch dieses Vermögen der Linse und Hornhaut wahrscheinlich gemacht ist." —
Ich finde in dem Gesagten keinen Beweis für das Behauptete. Zunächst gelten die
Gründe a priori nicht, denn die Linse regnerirt sich nicht, mindestens niüsste diess
erst nachgewiesen werden , und die Hornhaut hat Nerven und Gefässe, (beide jetzt
auch mikroskopisch nachgewiesen). Ferner sagt St. selbst,, es sei eine Entleerung der
Linse ohne Glaskörper doch denkbar, den das kaum negirt nicht. Sie ist aber un-
wahrscheinlich, und unwahrscheinlich ist mir auch das, dass sich der „Krystallkörper
in toto" entleert, im Auge auch keine Spur von Kapsel gefunden wurde, und doch
die Hyaloidea der tellerförmigen Grube normal, also vollständig regenerirt wieder ge-
funden werden konnte. Ich bin zwar nicht Stellwags Ansicht, dass die hintere Kapsel
unzertrennlich mit der Hyaloidea verwachsen sei, wohl aber der, dass die Zonula
Zinnii mit der vordem Kapsel ' am Rande unzertrennlich verwachsen ist. Wurde der
Krystallkörper in toto herausgepresst, so musste auch die Zonula Zinnii ringsum los
reisseu, und dann war's auch um den Petitschen Canal geschehen, welcher doch nach
St. die Strömung von den Ciliarfortsätzen zum Vordertheile des Corpus vitreum, also
die Ernährung und somit auch die Regeneration vermitteln soll. Wenn vom Krystall-
körper wirklich keine Spur vorhanden war, so ist die gewaltsame Entleerung desselben
eben nur Eine der möglichen Ursachen seines gänzlichen Mangels, und gesetzt auch
diese eine Ursache wäre wirklich die hier allein obwaltende gewesen, so folgt daraus
noch nicht, das damit Glaskürperverlust einhergeht, denn Verlust von Glasflüssigkoit
ist nicht gleichbedeutend mit Verlust von glashäutigem Fachwerk, wie St. das Stroma
eorp. vitrei benennt.
Die Venoundbarkeit des Glaskörpers ist im Allgemeinen sehr gering.
Nicht nur Stich- und Schnitt-, sondern auch Risswunden desselben pflegen
zu heilen, ohne dass eine wahrnehmbare Abnormität zurückbleibt. Es ist
bekannt, dass auf diese Eigenschaft gerechnet wird, wenn man Staare
dislocirt. Bei jeder Reclination oder Depression wird nothwendig, nebst
der hinteren Kapsel auch die Hyaloidea in der tellerförmigen Grube und
ein Theil des Fachwerkes oder Stroma corporis vitrei zerrissen. Es er-
folgt darauf in der Regel keine Entzündung, oft auch keine Verflüssigung
des Glaskörpers, und der Riss der hinteren Kapsel, also wohl auch der
Hyaloidea, verheilt ohne sichtbare Narbe. Wo auf solche Eingriffe, wie
in der Mehrzahl der Fälle, nicht die Zeichen von Verflüssigung des Glas-
körpers folgen, darf und muss man wohl annehmen, dass auch das zer-
rissene Stroma wieder vereinigt sei, und dass seine Ernährung fernerhin
ungestört vor sich gehe. Wo aber die Zeichen von Verflüssung auf-
treten, bleibt es unentschieden, ob diess die unmittelbare Folge der Zer-
reissung, oder secumlär durch einen entzündlichen Process seitens der
Chorioidea bedingt sei, welcher mit Erweichung und Aullösung des Stroma
und mit Ausscheidung von Serum einherffeht.
8 Glaskörper.
Der Glaskörper ist bestimmt, den Raum zwischen der Linse und Netz-
haut so auszufüllen, dass letztere immer gespannt erhalten werde. Wir
werden weiterhin sehen, dass der Bulbus eigentlich nicht so viel Flüssigkeit
enthält, als er seinem Lumen nach enthalten könnte, -und dass demnach'
die Spannung, die er im Leben zeigt, nicht durch die Contenta allein,
sondern erst durch Mitwirkung muskulöser Gebilde zu Stande gebracht
werde. Als biegsam elastisches und doch incömpressibles Gebilde ist es
einzig und allein der Glaskörper, welcher die zur Accommodation not-
wendigen innern Veränderungen des Auges (Verlängerung des Ab&tandes
zwischen Linse und Netzhaut) gestattet. Zerstörung seines Stroma muss
die Accommodation mehr weniger beschränken, wo nicht aufheben. Ver-
möge seiner eigenthümlichen Structur und Consistenz trägt er überdiess
zur Erhaltung des .Krystallkörpers in seiner Lage bei, und sichert sowohl
diesen als die Iris vor zitternden Bewegungen und grösseren Exemtionen,
in welche beide vermöge ihres grössern speeifischen Gewichtes bei raschen
Bewegungen und Erschütterungen des Bulbus versetzt werden müsslen.
Als vollkommen durchsichtiges und homogenes Gebilde von einem
bestimmten Brechungsverhältnisse dient der Glaskörper nicht bloss zum
gradlinigen Durchgange der in ihn eingedrungenen Lichtstrahlen, sondern
nimmt auch auf die Richtung der Lichtwellen beim Übergänge aus der
Linse in den Glaskörper einen bestimmenden Einfluss. Nehmen wir an,
was höchst wahrscheinlich ist, dass sein Brechungsindex entsprechend sei-
ner Dichtigkeit falle und steige, so ergibt sich, dass er den aus der Linse
in ihn einti-etenden Lichtstrahl um so mehr vom Einfallslose ablenken
müsse, je dünner er ist. Verflüssigung des Glaskörpers (Umwandlung in
eine dünnere, wasserähnliche homogene Flüssigkeit nach zerstörtem Stroma)
muss daher an und für sich Kurzsichtigkeit, i. e. frühere Vereinigung der
Lichtstrahlen oder kürzere Brennweite des Auges bewirken. Bei man-
gelnder Linse könnte der Glaskörper auch dann, wenn er an seiner Vor-
derfläche convex wäre, keinen erheblichen Einiluss auf den Refractions-
zustand des Auges nehmen, weil sein Brechungsindex von dem des Kam-
merwassers sehr wenig differirt. — Trübung des Glaskörpers in toto
würde die Lichtmenge , die zur Netzhaut gelangen soll , vermindern und
überdiess einen Theil des durchgehenden' Lichtes dill'mnliren. Einzelne
dunkle (kein Licht durchlassende) Partikelchen, wie etwa Pigmentklümpehen,
sind zwar im Stande, von dem Lichtkegel, den ein Object zur Netzhaut
sendet, einzelne Strahlen aufzufangen, können jedoch nur dann das Wahr-
nehmen eines oder des andern Objectpunkles aufheben, wenn sie wjegen
zu naher Lage an der Netzhaut und wegen zu grosser Ausdehnung alle
Krankheiten. 0
von jenem Objcctpunktc kommenden .Lichtstrahlen auffangen ; wohl aber
können solche einzelne, selbst kleine Parlikelehen im Allgemeinen als
dunkle Stellen des Sehfeldes wahrgenommen werden durch den Schallen,
welchen sie auf die Netzhaut bei allgemeiner Beleuchtung derselben werfen.
Siehe später : entoptische Erscheinungen.
B. Krankheiten des Glaskörpers.
Die verschiedenen abnormen Zustände des Glaskörpers sind in ihrer
Entstehung und In ihrem Fortbestande zumeist von dem Zustande der ihn
umschliessenden Gebilde abhängig. Es muss ihrer Betrachtung jedoch ein
eigener Abschnitt gewidmet werden, theils um die Umstände zu erörtern,
welche zeigen, ob und in welcher Weise der Glaskörper mitleide , theils
aber auch, um die Metamorphosen zu schildern, welche bei einmal ge-
gebener Veränderung im Glaskörper, z. B. einem Blutergusse, zu er-
warten stehen.
Mit Übergehung des Coloboma corp. vitrei, welches mit dem gleich-
namigen Bildungsfehler der Iris und Chorioidea bereits im 2. Bande S. 122
erwähnt wurde , und der verschiedenen Verletzungen des Glaskörpers,
von denen gleichfalls schon mehrmals die Rede war , werden wir gleich
zur Betrachtung jener abnormen Zustände schreiten, welche in ihren Er-
scheinungen eine gewisse Selbständigkeit darbieten, und deshalb gewöhn-
lich als eigentliche Erkrankungen des Glaskörpers beschrieben werden,
obgleich sie von Erkrankung anderer Organe abhängen. Es sind diess :
der Bluterguss, die Verflüssigung und das Vorkommen faserstoffiger Exsu-
date im Glaskörper. Die Bildung von Entozoen und in manchen Fällen
vielleicht auch das Zerfallen des Stroma mit oder, ohne Fettbildung inner-
halb der Glashaut sind wohl die einzigen Abnormitäten, welche dem Glas-
körper an und für sich zukommen. Die eitrige Schmelzung des Glas-
körpers, sowie seine Verdrängung durch Chorioidealexsudate oder durch
Pseudoplasmen, welche von den Nachbarhäuten ausgehen, sind Zustände
von so untergeordneter Bedeutung, dass sie hier keine besondere Be-
sprechung erheischen.
Die Zustände nun, welche hier zur Sprache kommen sollen, haben
ein einziges Symptom constant, wenn auch in verschiedener Weise, im Ge-
folge, nämlich Störung des Gesichtes. Veränderungen des Bulbus in Form,
Grösse und Spannung sind in der Regel die Begleiter von Zu- oder Ab-
nahme der Masse des Glaskörpers, welche meist mit Veränderung seiner
Dichtigkeit und Zerfall seines Stroma einhergeht. Die Lage der Iris und
10 Glaskörper.
der Linse erleidet nun bei höheren Graden dieser Abnormitäten eine für
die Diagnosis benutzbare Veränderung-. Die Störungen seiner Durchsich-
tigkeit lassen sich selten durch Besichtigung der Pupille, meistens nur mit-
telst des Augenspiegels sicher erkennen, oft jedoch auch aus den so-,
genannten entoptischen Erscheinungen nach der Methode von Listing,
Brewster und Bonders mit mehr weniger Verlässlichkeit in Bezug auf
Lage und Ausbreitung erschliessen.
Den Vorgang bei diesen Methoden so wie die Untersiichnngsweise mit dein Augen-
spiegel werden wir im nächsten Buche bei der Untersuchung der Netzhaut nachtragen.
I. Blutergiessungen
im Glaskörper kommen in verschiedener Ausdehnung und nach verschie-
denen Veranlassungen vor. Sie entstehen zunächst nach Verletzungen
mit momentaner Abplattung oder auch bloss mit Erschütterung des Bulbus.
Ich habe sie beobachtet, wenn ein fremder Körper, etwa ein Stück. Holz,
mit einer gewissen Gewalt an den untern oder obern Orbitalrand ange-
prallt war, ohne dass sich am Bulbus selbst äusserlich eine Verletzung
wahrnehmen Hess, ja auch ohne beträchtliche Eechymosen der Lider. Im
Momente der Verletzung pflegen feurige Erscheinungen aufzutreten, doch
nicht immer. Das Sehvermögen ist sogleich beschränkt oder aufgehoben,
oder es wird erst später mehr und mehr beeinträchtigt. Die Pupille war.
zur Zeit, wo ich solche Verletzte zu sehen bekam, der des andern Auges
gleich, oder erweitert, gleich- oder uugleichmässig (oval) und selbst bei
noch deutlicher Lichtempfindung trag oder ganz unbeweglich. Die Unter-
suchung mit dem Augenspiegel liess in einigen Fällen den Hintergrund
des Auges gar nicht wahrnehmen, offenbar wegen zu reichlichen Bluter-
gusses,-denn später, nach Senkung oder theilweiser Resorption desselben
ergab dieselbe Untersuchung den Beweis, dass Blutaustrctung statt ge-
funden hatte. Bei sehr reichlichem Blutergusse kann auch die Spannung
des Bulbus vermehrt und die Linse sammt der Iris allmälig etwas vorge-
drängt werden. — Wo die Verletzung den Bulbus direet getroffen, ist
meistens auch Blut in der vordem Kammer ergossen, offenbar durch Ber-
stung von Irisgefässen, wenn man auch einen Ouerriss oder periphere Ab-
lösuno- der Iris nicht mit den Augen auffinden kann. Solche Blutaustre-
hingen in der vordem Kammer scheinen übrigens nicht nolhwendig mit
Blutergüssen in der Tiefe des Auges verbunden zu sein ; ich schliesse
diess zwar nicht aus directer Untersuchung, vermuthe es aber aus dem
Blutergüsse. i l
Umstände, dass sich, wenigstens in einigen solchen Fallen, nachher keine
Sehstörung wahrnehmen Hess.
Blutergüsse in dem Glaskörper entstehen ferner , obgleich seltener,
nach heftigen körperlichen Anstrengungen mit momentaner Blutstauung
und synergischer Augenmuskelcontraction, wie beim Husten, beim Erbre-
chen, beim Heben schwerer Lasten u. dergl., zumal wenn diese bei er-
hitztem Körper, in berauschtem Zustande, bei Circulationsstörungen von
Seite des Herzens, der Aorta, der Lungen stattfinden.
Am häufigsten und leichtesten erfolgen kleine Blutergüsse bei krank-
haften Zuständen des Bulbus, bei activer oder mechanischer Hyperämie der
Ader- und Netzhaut und bei verminderter Besistenzkraft der Wandungen
des Bulbus (Ektasien der Hornhaut oder der Sclera im weitesten Sinne
des Wortes) spontan oder nach anhaltender Anstrengung der Sehkraft.
Dr. v. Gräfe, *) dem über Glaskörperblutungen eine ausnehmend grosse Zahl ge-
nauer Beobachtungen zu Gebote steht, bemerkt über die Disposition dazu ohngefähr Fol-
gendes : „Die Hauptursache bildet die Sclerotico-chorioiditis posterior, jene Amblyopien
so häufig zu Grunde liegende Krankheitsform, bei welcher durch chronische Entzündung
der Chorioidea die Sclerotica sich um den hintern Augenpol ausdehnt, und die ekta-
tische Partie derselben durch die atrophirte Chorioidea hindurch ein intensives weisses
Licht- hindurch wirft, wesshalb sie das Aussehen einer um den Sehnerveneintritt vor-
waltend nach aussen hin anliegenden weissen Plaque gewährt.""") — „Ich habe Kranke
behandelt, welche beinahe periodisch in den Intervallen einiger Monate durch intra-
oculare Blutungen das Sehvermögen vollkommen verloren. Auffallender Weise waren
sie - beinahe durchweg jugendliche Individuen in den 20er, 30er, höchstens 40er
Jahren. In einigen Fällen wies die Complication mit apoplektischen Anfällen nicht
ol.ine Wahrscheinlichkeit auf Gefässleiden hin ; in ziemlich vielen Fällen war früher
starkes Nasenbluten vorhanden gewesen, welches seit der Zeit sistirte ; in zwei Fällen
schien die Cessation von Hämorrhoidalblutungen, in einem andern das Ausbleiben von
Fussschweissen in einem ursächlichen Verhältnisse zu dem Übel zu stehen. Diese
Momente sind natürlich für die Behandlung von der grössten Wichtigkeit, da wieder-
kehrende Glaskörperblutungen doch sehr ernste Befürchtungen veranlassen. Es pflegen
nämlich nicht allein von jeder Blutung Glaskörperopacitäten zurück zu bleiben, sondern
die sich häufenden Perforationen der Netzhaut geben zu Defecten im. Gesichtsfelde
Anlass ; die grösste Gefahr aber ist die, dass sich bei wiederkehrenden Anfällen der
Effusion in den Glaskörper ecchyiuotische Netzhautablösung substiluirt; desshalb findet
man auch sehr häufig Erblindung auf einem Auge durch Netzhautablösung mit deren
weitern Folgen (Cataracta mollis, aecreta mit oder ohne Atrophia bulbi), während auf
*) Archiv für Ophthalmologie, Berlin 1854. I. B. 1. Abth.
'-'*) Die Thatsache ist richtig; in der Auffassung derselben jedoch kann ich Gräfe nicht beistimmen Die Ausdeh-
nung, von der hier die Rede ist, bisher gewöhnlich Slaphyloma posticum Srarpae genannt, ist nicht durch
Entzündung der Chorioidea und Sclera bedingt, wie ich in dem Capilel über Accommodation nachweisen werde,
wenigstens in der Mehrzahl der Fälle nicht. Zur Hämorrhagie im Glaskörper steh! dieser Zustand nur als
Ektasie in ursächlicher Beziehung.
12 fplaskörper.
der andern Seite Glaskörperfiocken als Residuen periodisch wiederholter Blutungen ent-
deckt werden." — »Bei für sieh bestehenden Erkrankungen der Netzhaut ist das Vor-
kommen von Blutergüssen in den Glaskörper sehr selten. Als Gelegenheitsursa* hen
werden neben Verkühlungen und Nachtwachen besonders häufig von den Kranken Ein-
fall hellen, strahlenden Sonnenlichtes und anhaltende Accommodation für die Nähe ange-
geben. Diese letztere könnte durch die ununterbrochene Muskelspannung und die hie-
mit in Verbindung stehende Behinderung im Ausflusse des Venenblutes allerdings ein
wichtiges Moment abgeben." Mir scheint es, dass nicht im Momente der Spannung,
sondern in dem darauf folgenden der Erschlaffung (zumal bei verminderter Widerstands-
fähigkeit der Bulbuswandungen, also bei Ektasien) die nächste Veranlassung zur Gefäss-
berstung gegeben sei, und zwar ob des plötzlich aufgehobenen Druckes auf die Gelasse,
welche bekanntlich so gut wie der gesaminte Inhalt des Bulbus stets unter einem nur
wenig variablen Drucke (adäquat der Spannung des Bulbus) stehen.
Woher das in den Glaskörper ergossene Blut komme, ist noch nicht
völlig- sicher gestellt. In einem Ealle, den ich zur Section bekam, war
das Blut wohl vom Corpus ciliare in den Glaskörper gelangt, denn es war
im vordem Bereiche desselben am reichlichsten ergossen und verlor sich
ganz allmälig gegen den hinteren Pol hin, in dessen Nähe keine Spur da-
von zu finden war. Mit dem Augenspiegel sieht man mitunter kleine Ex-
travasate so nahe an der Netzhaut, dass man sie wohl als von dieser her
eingedrungen betrachten muss. Ob sie aber aus den Centralgefässen der
Netzhaut stammen, oder, wie Gräfe 1. c. annimmt, aus Chorioidealgefässen
durch die Netzhaut hindurch in den Glaskörper dringen, bedarf noch wei-
' terer Bestätigung.
„Wenn intraokulare Blutungen den Ausgangspunkt zu Glaskörperopacitäten bilde-
ten, so konnte als der Quell dieser Blutung nach stattgsfundener Resorption immer die
Chorioidea nachgewiesen werden, denn es waren dann allemal Zeichen von namhaften
Circulationsanomalien in derselben, wie Reste alter Ecchymosirungen in den Intcrvas-
cularräumen u. s. w. vorhanden, ja ich konnte in einzelnen Fällen den Ort der Blutung
und der NetzJiautperforalion deutlich nachweisen. Es scheint, dass, wenn vom hintern
Theil der Chorioidea Hämorrhagien ausgehen, die Netzhaut Widerstand leistet, und
sich leichter ein ecehymotischer Sack zwischen beiden Membranen bildet, dass dicss
aber gegen die Ora serrata hin weit seltener vorkommt, als Durchbruch der Retina
und Erguss in den Glaskörper. Der Durchbruch ist für die Erhaltung des Sehver-
mögens unendlich günstiger, da der nieist beschränkte excentrische Durchbrudi, welcher
sich später nicht selten durch einen Pigmentfleck verrälh, von keinem erheblichen Ein-
fluss ist, und der übrige Theil der Netzhaut, wie es die Rückkehr des Sehvermögens
beweist, der nervösen Leitung nicht entfremdet wird, während die einmal abgelöste
Netzhautpartie meinen Erfahrungen zu Folge niemals die Leitungsfiihigkcit wieder er-
langt." Gräfe ibidem.
Das Blut im Glaskörper wird entweder vollständig, oder nach mannig-
fachen Umwandlungen nur theilweise resorbirt, Diese Zersetzung und Zu-
Blutergüsse. 13
rücklassung einzelner Bestand Iheile von der einen und die Zertrümmerung
des Glaskörpergerüstes von der anderen Seite bewirken, dass das Stroma
in mehr weniger grosser Ausdehnung bleibend zerstört, |der Glaskörper
ganz oder Iheilweise in eine einfache dünne Flüssigkeit verwandelt wird,
in welcher mehr weniger dunkle Elemente in Form von Punkten, Faden,
Flocken u. dergl. theils suspendirt, theils präeipitirt sind, und bei raschen
Bewegungen des Bulbus auf dieselbe Weise aufwallen, wie etwa Käse-
flocken in einer mit Molken gefüllten Flasche. — Bei spontan eingetre-
tenen Blutungen ist die Frognosis -minder günstig, weil sie selbst ohne
besondere Veranlassung gern wiederkehren, und weil die Resorption re-
lativ langsamer erfolgt, als nach Verletzungen, die ein gesundes Auge in
einem gesunden Individuum betroffen haben. Es sind verlassliche Beob-
achtungen bekannt, wo nach Verletzungen mit Blutergiessung, welche
das Sehen gänzlich aufgehoben hatte, vollständige oder doch nahezu völlige
Wiederherstellung des Sehvermögens (bei geeigneter Behandlung) eintrat.
Doch können reichliche Extravasate auch zu heftiger Entzündung und zu
eitriger Zerstörung des Bulbus führen.
Von den Erscheinungen, welche auf Glaskörperbluterguss nach äussern
Gewalttätigkeiten deuten, war bereits die Rede. Spontane Blutergüsse
kündigen sich gewöhnlich durch das plötzliche Auftreten eines dunkeln
Fleckes, einer Wolke oder eines Nebels im Sehfelde an, wie wenn sich
etwas vor das Auge gelegt hätte, das der Betroffene durch Reiben, Wi-
schen u. dergl. beseitigen zu müssen vermeint. Bisweilen ist auch das
Gefühl von Druck, wie von einem fremden Körper vorhanden. Später ge-
schieht es, dass das Hinderniss des Sehens seine Natur durch einen rötb-
lichen oder grünlichen Schein, durch eine gewisse Beweglichkeit im Seh-
felde und durch eine Form andeutet, welche füglich nur auf einen vor
der Netzhaut gelegenen, speeifisch schwerern und doch flüssigen Körper
bezogen werden kann. Eine solche begrenzte Blutergiessung erscheint
dein Betroffenen anfangs als eine schwarze, kreis - oder eirunde Scheibe
im Sehfelde, von verschiedener scheinbarer Grösse und Entfernung vor
dem Auge, doch im Ganzen immer dieselbe relative Stelle des Sehfeldes
einnehmend , nur mit der Zeit sich senkend (im Sehfelde höher gelegen).
Später, wenn bereits Auflösung oder Resorption im Gange ist, und der
speeifisch schwerere Theil sich senkt, oder bei raschen Bewegungen des
Bulbus nach dem Gesetze der Trägheit eine differente Geschwindigkeit er-
hält, werden die Contouren wie verwaschen , und erscheint der dünnere
(durchscheinende) Theil röthlich, röstbraun, dunkelgrün oder grau; dieser
Theil erscheint bei ruhigem Blicke im Sehfelde nach unten, weil vor einem
14 Glaskftrper.
höher {Telegenen Theile der Netzhaut befindlich, bei raschen Seitenbewe-
gtingeri schweifähnlich nachziehend (z. B. bei Einwärtsrollung des Auges
scheinbar von aussen nach innen ziehend) u. s. w.
Lässt die Blutmasse noch Raum zur Beleuchtung der Netz- und Ader-
haut frei, so zeigt der Augenspiegel bisweilen dieselbe wenigstens stellen-
weise roth (durchscheinend), meistens aber nur schwarz (dunkel); sie
durch auffallendes Licht sichtbar zu machen, ist mir bisher nicht gelungen.
Nach erfolgter Auflösung und tuen" weiser' Resorption des Blutes sieht man
Klümpchen, Flocken oder Fäden; oft entgehen diese der Beobachtung,
weil sie sich in dem verflüssigten Glaskörper zu tief gesenkt haben, und
werden erst sichtbar, wenn man sie durch eine rasche Bewegung des un-
tersuchten Auges (besonders in vertikaler Richtung) gleichsam aufrüttelt.
„Solche Patienten sehen ihre Opaeitälen beim raschen Blick nach unten, wo
sie in den obern Theil des Gesichtsfeldes treten, um bald darauf durch
eine aufsteigende Bewegung die Grenze desselben wieder zu überschreiten.
Ich sah häufig Patienten, welche nur einige Worte oder Zeilen hinter ein-
ander lesen konnten, bis sich das Gesichtsfeld mit den Schatten der Opa-
citäten verdunkelte, dann mussten sie, um weiter zu lesen, rasch und mit
einer gewissen Impetuosität nach oben sehen." (Greife.)
Bei der Behandlung wird zunächst zu unterscheiden sein, ob man
eine frische Blutung oder bloss deren Residuen und Folgezustände vor sich
habe. In letzterem Falle dürfte die Aufgabe der Therapie erschöpft sein
mit der Angabe der Momente , welche fernere Blutergüsse zur Folge ha-
ben können. Bei frischen Blutungen wird natürlich das ätiologische Mo-
ment nicht zu vernachlässigen sein, jedoch zunächst von Ruhe des Auges
sowohl als des Körpers (wobei jedoch massige Bewegung im Freien
im Allgemeinen eher als wohlthätig zu bezeichnen sein wird), von der
Anwendung kaller Wasser- oder weingeistiger Überschläge, kühlender
Abführmittel (weinsteinsaure Salze, Bitterwasser u. dergl.), besonders aber
verdünnter Tinct. arnicae auf die geschlossenen Augenlider das meiste zu
erwarten sein. Später Einreibungen von Jodkaliumsalbe an der Stirn- und
Schläl'egegend.
'o^e'
II. Verflüssigung- des Glaskörpers.
Mit dem Namen Synchysis pflegt man Zustände des Glaskörpers zu
bezeichnen, welche die gänzliche oder theilweise Zerstörung und Auf-
lösung des Fächerwerkes mit einander gemein haben, ausserdem ai»er
mehr weniger verschieden sind, man mag nun auf ihre Entstehung und
Verflüssigung — Synehysis. 15
pathologische Bedeutung- zurückgehen, oder die Menge, die Durchsichtig-
keit und sonstigen physikalischen Eigenschaften der Flüssigkeit betrachten,
welph/e die Stelle des normalen Glaskörpers vertritt.
Die Erscheinungen, aus denen man auf Synehysis schliesscn kann,
wurden bereits dort angegeben, wo ihre Erkennung von der grössten
Wichtigkeit ist, nämlich bei der Cataracta im IL Bande S. 286. Bei noch
durchsichtiger oder mangelnder (entfernter oder versenkter) Linse kom-
men der Diagnostik nebst den optischen Störungen noch jene Zeichen zu
Hülfe, welche die Untersuchung mit dem Augenspiegel in jenen Fallen ge-
währt, wo in dem aufgelösten Glaskörper dunkle Elemente schweben oder
durch rasche Bewegungen aufgerüttelt werden können. Es kommen näm-
lich, ausser den durch Blutergüsse veranlassten Trübungen, noch bei vielen
andern Zuständen, namentlich aber bei congestiven und entzündlichen Lei-
den der Retina und Chorioidea Trübungen in dem verflüssigten Glaskör-
per vor. Zur Erkennung derselben möge folgende Schilderung von Gräfe
dienen. „Am schwierigsten zu erkennen (mit dem Augenspiegel) sind die
sogenannten diffusen oder punktförmigen Glaskörperopacitäten , weil sie
einen feinen Schleier vor das Netzhautbild ziehen , welcher die scharfen
Contouren des Sehnerveneinttrites, der Gefässe u. s. verwischt. Bei ge-
nauer Untersuchung kann man aber diesen Schleier in eine Unzahl von
Punkten zersetzten, was besonders schwierig ist, wenn eben diese Punkte
nicht in einer, sondern in verschiedenen Schichten des Glaskörpers liegen;
liegen sie in einer Schicht, so stellen sie eine fein gesprenkelte, durch-
scheinende Membran vor, welche sich durch Verschiebung ihrer einzelnen
Theile bald zusammenziehen, bald ausdehnen, und vor dem Augenhinter-
grunde wie ein Netz aus zartem Gewebe hin und her zu ziehen scheinen;
liegen sie in verschiedener Tiefe, so stellt sich das Ganze wie ein un-
endlich feiner Staub oder Regen dar, der nach den Bewegungen des Auges
sich in einzelnen Theilen zu etwas dichteren Massen zusammenballt, um
dann bei fixirter Sehachse entweder gleichmässig oder in verschiedenen
Zügen, den verschiedenen Regionen des Auges entsprechend, herabzu-
sinken. Die Kranken haben entweder die Empfindung eines Nebels , der
vor den Objecten schwebt, oder von Strömungen in der Luft, wie durch
Insektensehwärme oder derlei hervorgebracht. Diese Trübungen stören
weit mehr, als grosse, aber umschriebene Trübungen, weil bei diesen letz-
teren die dazwischen liegenden Theile des Glaskörpers vollkommen trans-
parent sind. Es findet in Betreff des Sehvermögens etwas Ähnliches
statt, wie bei der Hornhaut und der Linse, in welchen auch compacte,
aber umschriebene Trübungen, wenn sie einen Theil des Pupillargebietes
16 (»laskörper.
frei lassen, weit geringere Störungen, als diffuse feinere (durchscheinende)
Trübungen hervorbringen. — Fihtmentösc Opacitäten erscheinen ophthal-
moskopisch als ziemlich dunkle, einfache oder verschlungene Fäden, die
sich bei den Bewegungen verkürzen und wieder verlängern; die Kranken
pflegen sie desshalb mit Schlangen, mit Insectenbeinen u. dgl. zu ver-
gleichen. — Nembrcmöse Trübungen bilden stark durchscheinende , zu-
weilen ebenfalls gesprenkelte Membranen, welche sich bald aufrollen, bald
entfalten, und hiedurch ein sehr polymorphes Ansehen darbieten. Bei den
Kranken erregen deren Schatten die Erscheinung eines Spinnengewebes,
was sich rasch entwickelt, und dann wieder plötzlich in einzelne Fäden
zusammenfällt. — Flockige Opacitäten bilden einzelne Pfropfe von ver-
schiedener Ausdehnung, oder sind grobem Schneeflocken, kleinen Wölk-
chen, organischen Gerinnseln u. s. w. zu vergleichen. — Ein besonders
interessantes Ansehen gewinnt der Glaskörper, wenn neben diesen oder
ganz unbestimmbar geformten Opacitäten, wie es nicht selten zu gesche-
hen pflegt, noch zahlreiche Cholestearinknjstalle suspendirt sind, welche
zum Theil diesen Opacitäten adhäriren, zum Theil sich zwischen denselben,
wie es scheint, frei befinden."*)
Uiber die Entstehung und pathologische Bedeutung der verschiedenen
Zustände des Glaskörpers mit Verlust seines Gefüges und seiner Consi-
stenz lässt sich wenig Positives angeben. In vielen Fällen ist mecha-
nische Zertrümmerung seines Gerüstes -eine nachweisbare Ursache dessen,
dass man statt des Glaskörpers bloss eine wässrige nur etwas salz- und
eiweisshaltige Flüssigkeit findet. Diese Umwandlung betrifft bald nur einen
Theil, bald die ganze Masse. Man beobachtet sie nach Vorfall und Ver-
lust eines Theiles des Glaskörpers durch die Extraction , durch zufällige
Verletzungen der Cornea oder Sclera, durch Hornhautgeschwüre mit Durch-
bruch und consecutive Berstung der Glashaut. Auch die Verflüssigung bei
Hornhautstaphylomen scheint zunächst durch Zerreissung des Glaskörpers
(temporärer oder bleibender Luxation des Krystallkörpers) eingeleitet zu
werden, obgleich hier wohl noch ein zweites Moment, wovon später, hin-
zuzutreten pflegt Synchysis tritt häufig, partiell wahrscheinlich immer ein
nach der Depression und nach der Reclination der Linse. Doch dürfte
auch an dieser Verflüssigung ein entzündlicher Process einigen Antheil
nehmen. Sie entsieht ferner in vielen Fällen nach absichtlicher oder zu-
fälliger Eröffnung der Linsenkapsel, wenn die gänzliche oder theihveise
') Dass die durch solche Opacitäten verursachten Wahrnehmungen der Kranken von den bekannten fliegende»
Mücken, die jedes gesunde Ausc sich verfahren kann, ranz verschieden Bind, ergibt äich schon aus der ehe«
gegebenen Beschreibung derselben. Wir In en später darauf zurück.
Verflüssigung — Synchysis. 17
Resorption (Verschrumpfung) der Linse unter heftigeren Zufällen (starker
Reaction) erfolgt daher man auch hinter der Cataracta aridosiliquata und
membranacea sehr oft einen wässrigen Glaskörper findet. Von der auf
Bluterguss folgenden Verflüssigung des Glaskörpers war bereits die Rede.
— In andern Fällen scheint die Verminderuny des auf den Gefässen im
Innern des Auges lastenden Druckes den ersten Anstoss zur Ausschei-
dung von Serum und zur Verflüssigung des Glaskörpers zu geben. Es ist
eine Art Hydrops ex vacuo, analog der Ansammlung von Serum in der
Schädelhöhle, wenn dieselbe durch Verdünnung der Knochen geräumiger
geworden ist. Die Gefässe des Auges stehen unter einem permanenten
Drucke, adäquat der Spannung des Bulbus. Ein wesentliches Moment zur
Erhältung dieser letzteren bilden die Wandungen, welche bis zu einem
gewissen Grade resistent und elastisch sind. Durch die Scheidewand,
welche der Krystallkörper mit dem freien Theile der Zonula Zinnii und
den Ciliarfortsätzen zwischen Humor aqueus und Corpus vitreum bildet,
und welche durch den Ciliarmuskel an die Bulbus*wand befestigt und ge*-
spannt erhalten wird, zerfällt der Bulbus in zwei isolirte Räume, von
denen ein jeder bis zu einem gewissen Grade unabhängig von dem andern
aus der eben erwähnten Ursache ausgedehnt werden kann. Geht die Re-
sistenz und Elasticität der Cornea aus was immer für einem Grunde ver-
loren, so erfolgt vermehrte Ausscheidung von Serum, und zwar zunächst
nur vor der genannten Scheidewand, so lange diese selbst noch hinreicht,
im Verein mit den Augenmuskeln den hinter ihr gelegenen Theil des Bul-
bus in gehöriger Spannung zu erhalten. So erfolgt die Ausdehnung der
Cornea in Folge von Pannus und Keratitis, beim Keratokonus und bei
manchen Fällen von Hornhautstaphylom. Analog verhält sich's mit der
Ausdehnung der Sclera, sobald diese ihre Resistenz und Elasticität stellen-
weise oder durchaus eingebüsst hat. Diess geschieht häufig partiell in
Folge umschriebener Entzündung und Verwachsung der Chorioidea und
Sclera, aber auch ohne Entzündung, und zwar in Folge anhaltenden
Druckes auf die hintere Wandung des Auges rings um den hintern Pol.
Demgemäss finden wir constant Verflüssigung mit vermehrter Ausscheidung
bei Ektasien der Sclera im Bereiche des Ciliarkörpers , und auf diese
Weise dürfte das Vorkommen rein wässriger Flüssigkeit zu erklären sein,
welche man in Augen mit Staphyloma posticum Scarpae zwischen der Netzhaut
und dem Glaskörper findet, genauer bezeichnet: in welche der Glaskörper
sich nach hinten allmälig auflöst. — In anderen Fällen bemerken wir, dass
trotz der Isolfrung durch die gekannte Scheidewand dennoch Verminderung
der Resistenz und vermehrter Erguss in den einen Raum Flüssigkeitsver-
Arlfs Augenheilkunde 111,2. O
18 Glaskörper.
mehrung in dem andern Räume zur Folge hat Ich verfolge seit Jahren
die Thatsache der Beobachtung, dass Augen mit etwas ektatischen Horn-
hautnarben bei reiner und etwas weiterer Pupille und ohne besondere Zufälle
allmälig erblinden, und sich dann abnorm gespannt anfühlen. War ich schon
vor der Anwendung des Augenspiegels zu dem Wahrscheinlichkeitsschlusse
gekommen, dass hier die Erblindung nicht von Entzündung der Netz- oder
Aderhaut ausgehe, so hat mich eine möglichst sorgfältige Untersuchung
mit diesem Instrumente in einigen mir jüngst vorgekommenen Fällen um
so mehr in der Annahme bestärkt, dass hier die Netzhautfunction nur durch
Druck von seröser Ausschwitzung im Glaskörper vernichtet werde. Unter
den hieher gehörigen Fällen waren mehrere, welche nur kleine Narben
mit vorderer Synechie nnd geringer Verziehung der Pupille darboten,- so
dass die ophthalmoskopische Untersuchung ganz gut möglich, und nur durch
die abnorme (gegen die etwas vorgetriebene Narbe aufsteigende) Wölbung
der Hornhaut etwas beeinträchtigt war. Die Abweichung der Corneal-
wölbung von der Sphärrcität liess sich bestimmt und deutlich an den Spie-
gelbildern derselben nachweisen. Das Netzhautleiden konnte nicht als
Folge des Entzündungsprocesses, welcher den Cornealdurchbruch bewirkt
hatte, betrachtet werden, weil, wie in einigen Fällen bestimmt erwiesen
war, die Kranken nach erfolgter Vernarbung noch längere Zeit gut ge-
sehen, selbst mehrere Wochen anhaltend sich mit Lesen, Schreiben u. dgl-
beschäftigt hatten, theils weil der Process ein solcher gewesen war, wel-
cher erfahrungsgemäss nicht tiefer eingreift, wie namentlich Conjunctivitis
scrofulosa und Bindehautblennorrhöe mit etwa hanfkorngrosser peripheri-
scher Hornhautdurchbohrung (letztere als sogenannte Ophthalmia militaris).
— Glaskörperverflüssigung finden wir oft in Augen nach Iritis, besonders
chronischen Verlaufes, und zwar, wenn es nicht in Folge von Erwei-
chung der vordersten Partie der Sclera zu Ausdehnung dieser letzteren
(Birnform des Auges oder Staphyloma anticum) gekommen ist, gewöhnlich
mit deutlicher Volunienabnahme oder mit verminderter Spannung des Bul-
bus. Man darf hier wohl annehmen, dass die Ernährung des Glaskörpers
in Folge dessen leidet, weil das Corpus ciliare durch Übergreifen des
Entzündungsprocesses der Iris auf dasselbe verändert worden ist. Darauf
deutet in solchen Fällen auch eine eigenthümliche Veränderung in der
Structur und Farbe der Iris, welche füglich nicht von directer Verände-
rung der Iris durch Exsudat, Bluterguss u. dergl., sondern nur von man-
gelhafter Ernährung ob des veränderten Corpus ciliare abgeleitet werden
kann Übrigens muss noch bemerkt werden, dass Bulbi, die sich wäh-
rend und noch einige Zeit nach Entzündung der Iris weicher anfühlen,
Verflüssigung — Symphysis. 19
nicht etwa durchaus immer so bleiben:, sondern in der Rege! ällmälig
wieder die normale Spannung annehmen.
Auflösung des Glaskörpers findet sich öfters bei altern Leuten, deren
Linse getrübt oder doch auf dem Wege dazu ist. Solche Leute sind
amblyopisch. Diess zeigt das Missverhältniss zwischen der Sehstörung und
der sichtbaren Trübung am besten bei der Grafischen Lichtprobe, indem
der Kranke den Schein einer Kerzenflamme bei weitem nicht auf so
grosse Distanz wahrnimmt, als es bei gesunder Netzhaut sein müsste.
Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab mir, wenigstens in einigen
Fällen, keine Veränderung der Netz- oder Aderhaut, womit freilich das
Bestehen feinerer Veränderungen nicht ausgeschlossen ist. Die Trübung
der Linse pflegt sich sehr langsam zu entwickeln, und zwar vom Kern
aus, und dieser erscheint lange Zeit hindurch grünlich, oder auch, nach
längerem Bestände mehr weniger dunkelbraun. Die Kranken pflegen, wenn
man ihnen nach der Staaroperation ein Glas Wasser, ein weisses Tuch
und dergl. vorhält, blau zu sehen. Bei der Extraction tritt bisweilen das
bekannte Collabiren ein, oder es fliesst gleich beim Hornhautschnitte mehr
Flüssigkeit ab, als in der Augenkammer allein enthalten sein konnte. Es
dürfte diese Veränderung des Glaskörpers wohl als seniler Schwund sei-
nes Gerüstes zu betrachten sein, der bald mit, bald ohne Abnahme der
Menge seiner Flüssigkeit, bisweilen auch mit Zunahme derselben oder
vielmehr mit Vertretung durch eine rein wässrige Flüssigkeit einhergeht.
Welche Veränderungen der Chorioidea und Netzhaut dabei statt finden und
in welchem Zusammenhange sie damit stehen, ist zur Zeit noch unbe-
kannt. — Mangelhafte Ernährung dürfte in jenen seltenen Fällen zu be-
schuldigen sein, wo Glaskörperverflüssigung und Amblyopie des einen
Auges sich ällmälig entwickelt, nachdem das andere durch Eiterung, be-
sonders nach Verletzungen, zerstört werden ist. Solche Bulbi werden äll-
mälig weicher und kleiner. — In andern Fällen lassen sich entschieden
die Erscheinungen von Entzündung, wenigstens von einem länger an-
dauernden congestiven Zustande der Chorioidea und Netzhaut als Ursache
der Glaskörperverflüssigung nachweisen, und ist man, wenn nicht etwa
schon Cataracta mollis hinzugetreten ist, meistens im Stande, mit dein
Augenspiegel Glaskörperopacitäten nachzuweisen. — Schliesslich muss aus-
drücklich bemerkt werden, dass diese Anführung von Ursachen der Syn-
chysis durchaus nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht.
20 Glaskörper.
III. Exsudate im Glaskörper.
Es ist durch Sectionen sicher gestellt, dass im Glaskörper Substanzen
vorkommen, welche nur als Entzündungsprodukte betrachtet werden kön-
nen. Es ist aber höchst wahrscheinlich, dass diese Substanzen nicht im
Glaskörper selbst, durch Entzündung- seines Gerüstes und seiner Umhül-
lungshaut erzeugt sondern von aussen her in denselben übergeführt wer-
den. Denn beide, das Stroma sowohl als die Hyaloidea, besitzen weder
Gefässe noch Nerven, ohne welche von Entzündung nicht die Rede sein
kann, und niemals trifft man solche Producte im Glaskörper, ohne dass die
Zeichen von Entzündung der Chorioidea vorhanden sind. Der Ausdruck
Hyalitis verdankt seine Aufstellung nicht der Beobachtung von Symptomen,
welche nur auf Entzündung des Glaskörpers bezogen werden konnten,
sondern bloss dem Streben, für jedes Gebilde des Auges eine Reihe von
Erscheinungen aufzustellen, welche den Begriff Entzündung wieder geben
sollten, um bei systematischer Vorführung der Krankheiten keine Lücke
zu lassen. Die einzige reelle Stütze fand die Lehre von der Hyalitis in
dem Vorkommen von Entzündungsproducten im Glaskörper, welches in-
dessen auch auf andere Weise erklärt werden kann, ja erklärt werden
muss. Die in Rede stehenden Substanzen sind Producte des entzündeten
Corpus ciliare der Chorioidea, und gelangen wohl auf dieselbe Weise, wie
im normalen Zustande das ernährende Plasma , in das Innere des Glas-
körpers.
Während des Lebens habe ich bisher in 4 Fällen ein Exsudat in der
tellerförmigen Grube beobachtet, an Augen , welche die Zeichen chroni-
scher Chorioiditis darboten, mit vermehrter Spannung des Bulbus. Die
Trübung erscheint bei auffallendem Lichte weiss, in der Mitte saturirt, ge-
gen die allmälich sich verwischenden Ränder hin bläulich, rundlich oder
polygonal. Die Augen waren hochgradig amblyopisch oder ganz amau-
rotisch. Zur Section habe ich noch keinen solchen 'Fall bekommen, will
demnach nicht geradezu behaupten, dass die Trübung wirklich dem Glas-
körper angehört, obwohl in dem einen mit dem Augenspiegel unter-
suchten Falle diess das Wahrscheinlichste war.
Reclinirte Staare rufen im Glaskörper einen ähnlichen Process hervor,
wie Blutextravasate im Gehirn. Man findet rings um die Linse eine etwas
dichtere trübe Masse, welche sich ringsherum allmälig im normalen Glas-
körper verliert, später eine etwas trübe, florälinlichc Kapsel, welche hie
und da einen fadenförmigen Ausläufer in den Glaskörper sendet.
Exsudate. 21
I» einem Fülle, 9 .Jiihre nach der Reclination, war keine Linse mehr vorhanden,
und die Stelle, wo sie gelegen, nur an einigen zum Theil kalkigen Fleckchen am Cor-
pus ciliare nächst der Üra serrata zu erkennen. Ich muss jedoch hinzufügen, dass in
den bisher von mir untersuchten Fallen die Linse noch vor der Ora serrata, also im
Bereiche des Corpus ciliare lag. Das aus Feinkörniger, amorpher Substanz bestehende
Exsudat war an der der Chorioidea zugewendeten Seite reichlicher, als an der entge-
gengesetzten. .Ich habe in mehreren Fällen nach der Reclination umschriebene Rölhe
der Sclera in jener Gegend beobachtet, wo der Staar liegen mussle, und zugleich die
Pupille nach dieser Richtung hin erweitert gefunden, woraus mit Rücksicht auf die gleiche
Erscheinung bei Glaucoma wohl zu folgern war, dass partielle Chorioiditis statt fand.
Auf Chorioiditis deutet auch die consecutive Netzhautablösung, welche nicht selten
nach der Reclination in etwas späterer Zeit mit dem Augenspiegel wahrgenommen
wird. Im vorigen Jahre starb hier ein Weib 36 Stunden nach der Reclination auf bei-
den Augen. Bald nach der Operation war Erbrechen aufgetreten. Auf dem rechten
Auge bemerkten wir 24 Stunden nach der Operation den Staar aufgestiegen, auf dem
linken entwickelten sich die Zeichen heftiger Iridochorioiditis mit starker Injection und
Schwellung der Conjunctiva bulbi. Auf diesem Auge zeigte die Section croupös-faser-
stoffiges Exsudat an der untern äussern Hälfte des Corpus ciliare (Innenfläche) und an
der Hinterfläche der Iris, die nächst angrenzende Partie des Glaskörpers war wolkig
getrübt, der Linsenkern von solchem Glaskörper umschlossen, und die Rindenstücke
lagen theils in der Kapsel, theils zwischen dieser und dem Linsenkerne in dem zer-
rissenen Glaskörper. •
Die Exsudate und Metamorphosen , welche im Glaskörper in Folge
von Chorioiditis überhaupt vorkommen, wurden, als consecutive Zustände,
bereits bei den Krankheiten der Chorioidea der Hauptsache nach ange-
geben und geschildert. Wir haben hier nur noch hervorzuheben , dass
der Eintritt solcher Exsudate in den Glaskörper höchst wahrscheinlich
vom Corpus ciliare aus erfolgt. In allen frischen Fällen findet sich das
Exsudat im Glaskörper zumeist nächst der Innenfläche des Corpus ciliare,
und wenn noch Partien vom Glaskörper uninfiltrirt erscheinen, so sind es
die seines hintern und um die Achse gelegenen Theiles. Falls nicht eitrige
Schmelzung eintritt, sondern Umwandlung in fasriges, sehnen- oder knor-
pelähnliches Gewebe, so übt dieser mit beträchtlicher Schrumpfung ein-
hergehende Process mehr weniger bedeutenden Einfluss auf die Lage-
veränderung der Netzhaut, welche in solchen Fällen in Form eines Trich-
ters, mit der Spitze an der Eintrittsstelle des Opticus haftend, mitten
durch den früher vom Glaskörper eingenommenen Raum verläuft. Wäh-
rend man in der hinteren Partie die Zusammenfaltung der Netzhaut allen-
falls als Verdrängung der Netzhaut durch das Chorioidealexsudat betrach-
ten darf, kann die Form der vordem Partie, welche mehr dem Saume
der Corolle von Convolvulus gleicht, nur dadurch erklärt werden, dass
man annimmt, das innerhalb des Corpus ciliare in den Glaskörper aus-
22 Glaskörper.
geschiedene Exsudat ziehe die Netzhaut gegen den Ciliarkörper hin. In
dieser Auffassung des Sectionsbefundes finden auch jene Fälle ihre na-
türliche Erklärung, in welchen die Hyaloidea der tellerförmigen Grube
rückwärts gezogen und das Innere des Bulbus (hinter der Iris) in zwei.
grosse Räume geschieden erscheint, wo in dem vordem die verschieden
veränderte Linse schwimmt, durch den hintern der strahgförmjg zusammen
gefaltete Theil der Netzhaut streicht, während die Scheidewand zwischen
beiden theils durch den vordem , zur Ora serrata verlaufenden Saum der
Netzhaut, theils durch das in die vordere Partie des Glaskörpers ergossene,
nun geschrumpfte und in knorpelähnliche Masse verwandelte Exsudat ge-
bildet wird, und unzertrennlich an dem Gebilde haftet, von dem es ausge-
schieden wurde, nämlich am Corpus ciliare. (Vergl. Seclionsbefunde bei
Chorioiditis.)
Eine sehr genaue und klare, auf anatomische und mikroskopische Untersuchungen
basirte Schilderung dieser Metamorphosen hat Dr. Stellwag von Carion 1. c. S. 697 bis
713 gegeben. Man muss ihm vollkommen beistimmen, wenn er S. 709 angibt: „Die
Masse des Blastems im Glaskörper ist in solchen Fallen eine so bedeutende, dass sie
aus der Differenziation normaler Vitrina unmöglich abgeleitet werden kann, es müssen
plastische Elemente in normwidriger Menge in den Glaskörper übergeführt worden sein,
plastische Elemente, welche in Verbindung mit dem proteinigen Antheile der Vitrina
durch Coagulation in die feste Form und aus dieser in die sehnige Textur übergehen."
Wenn er jedoch S. 703 behauptet, es liege der Schluss sehr nahe, dass der grösste
Theil dieser Exsudatmasse durch den Petit'schen Humor in den Glaskörper überführt
wurde, so verrückt er meines Erachtens den richtigen Standpunkt pathologischer Deu-
tung. Die ganze innere Flache des Corpus ciliare, von der Ora serrata bis zum Peit-
schen Canale ist es, welche das in den Glaskörper überführte Exsudat liefert. Wenn
bei allgemeiner Entzündung der Chorioidea, also auch des Corpus ciliare, Exsudat nicht
nur im Glaskörper, sondern auch im Petitsehen Canale und im Kammerwasser gefunden
wird, so zeigt dies eben nur, dass die Ciliarfortsätze an ihrer ganzen Innenfläche Ex-
sudat liefern, nicht aber bloss der in den Petitschen Canal hineinreichende Theil. Ich
habe mehrere Fälle untersucht, wo bei Thcilnahme des Corpus ciliare an der Entzün-
dung Exsudat wohl im Glaskörper, nicht aber auch zugleich im Petitschen Canale oder
im Kammcrwasser war. Stellwag behandelt übrigens auch dieses Thema in dem ihm
cigenthümlichen Tone, als wäre er der einzige, höchstens Beer ausgenommen, der solche
Augen gehörig untersucht und den Befund richtig aufzufassen vermocht habe. Wenn
ihm auch zur Zeit, wo er seine Untersuchungen über den Glaskörper niederschrieb,
meine Abhandlung über die Krankheiten der Chorioidea vielleicht noch nicht bekannt
war, so war er doch nicht berechtigt zu der Behauptung : man habe bisher <jan*
übersehen, dass sich im Innern der knorpligen und knochigen Concrementc in atro-
phischen Augen fast constant die Netzhaut knöppelförmig zusammengefaltet finde. Ich
hatte schon im Jahre 1817 im 11. Bande der in Wien gewiss bekannten Prager Viertel-
jahrschrifl wenigstens den grobem Befund phthisischer, atrophischer, glaueomatöser etc.
Augen mit richtiger, wenigstens die Grundzüge der Stellwag'schen Auffassung cn'.hal-
Cystciibilriiing. 23
tender Deutung angogeben, und der Deutlichkeit wegen einige Abbildungen beigefügt,
die man nicht so leicht überschlagen kann, ohne Notiz davon zu nehmen. Ich halle dort
auch angeführt, dass schon Dubrenil (1829) Chorioidcalcxsudate als das Substrat der
sogenannten Verknöcherungen des Glaskörpers, der Retina etc. betrachtet habe.
IV. Cystenbildung im Glaskörper.
Coccius*) theitt folgende Mitlheilung mit. „Eine Frau litt seit einem halben
Jahre auf beiden Augen an Amblyopie; diese hatte allmälig zugenommen und war auf
dem rechten Auge in dem Grade vorhanden, dass sie grosse Gegenstände nur als dunkle
Körper ohne scharfe Umrisse sah, während sie mit dem 1. A. ihre häusliche Beschäfti-
gung noch recht gut verrichten konnte. Dieses Auge wurde allmälig ebenfalls seh-
unfähig, so dass die Kranke eine Führerin bedurfte. Das linke Auge Hess noch keine
Veränderungen wahrnehmen, im rechten zeigte die Retina an einzelnen Stellen kleine
.gelbliche Erhabenheiten. Bei Wiederholung der Untersuchung kam in dem übrigens
ganz klaren Glaskörper auf einmal eine Blase zum Vorschein, die bei richtiger Beleuch-
tung weiss erschien. Sie war halbmondförmig, etwa 3 Par. Lin. lang, und lief in 2
spitze Enden aus. An der untern Spitze zeigte sich noch ein kleines Anhängsel, wel-
ches dem ganzen Körper in der Form sehr ähnlich war." Es ist wahrscheinlich, dass
dieser Körper zu den Entozoen des Glaskörpers gehört.
Einen Cysticercus im Glaskörper, der auf Greife's Klinik*'*) beobachtet wurde,
hat Dr. Liebreich genau beschrieben. Der Kranke, ein 23 Jahre alter Tischlergesell, litt
zugleich an Bandwurm. Gegen die mit dem Ophthalmoskop gestellte Diagnosis konnte
kein Zweifel mehr obwalten, nachdem von Greife an dem ovalen Ende der in einer
besondern Hülle ruhenden Cyste kleine Bewegungen mit Sicherheit erkannt hatte. Die
bläuliche graue, längliche Blase erstreckte sich vom hintern Pol der Linse, wo sich eine
eircumscripte Trübung befand, beinahe durch den ganzen Glaskörper rückwärts und
schwankte bei jeder Bewegung des Bulbus. — Da wir weiter unten eine ausführliche
Beschreibung von Cysticercus in retina zu geben gedenken, so genüge es hier vor-
läufig bloss auf dieses Vorkommen im Glaskörper aufmerksam gemacht zu haben.
*) Über die Anwendung des Augenspiegels, Leipzig 1S53 S. 93.
**J Archiv für Ophthalmologie I. Band. 2. Ablh. S. 343.
VIII. Buch.
Die Netzhaut, Retina.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Die Netzhaut kann als die häutige Ausbreitung- des Sehnerven oder
eigentlich als dessen Anfang im Auge betrachtet werden. Sie beginnt an
der Eintrittsstelle des Sehnerven (l1/^" einwärts vom hintern Pole des
Auges), und erstreckt sich, über den Glaskörper ausgespannt, zwischen
diesem und der Chorioidea bis zur Ora serrata, über welche hinaus (vor-
wärts) wenigstens ihre Nervenelemente nicht mehr verfolgt werden können.
Sie bietet in dieser Ausdehnung einen Fläehenraum von circa 300 Qua-
dratlinien (297,35) dar, während die Fläche der Eintrittsstelle des Seh-
nerven (papilla s. colliculus nervi optici) bei einem Durchmesser von nicht
ganz 3/4"/ nur 0,44 Quadratlinien, also 600 mal weniger misst. Ihre Dicke
vermindert sich von Ojl'" in der mittlem Region allmälig bis auf 0,04'"
nächst der Ora serrata.
Sie ist auch während des Lebens nicht vollkommen, sondern nur halb
durchsichtig, und mit Ausnahme eines etwa 1 Quadratlinie grossen gelben
Fleckes (Macula lutea) am hintern Pole leicht weissgrau. Die Falte,
welche an dieser gelben Stelle im todtcn Auge gefunden wird, existirt
während des Lebens nicht; das sogenannte Foramen centrale ist keine
Lücke daselbst, sondern nur eine Verdünnung, bedingt durch das Fehlen
einiger Elemente der Netzhaut in der Mitte des gelben Fleckes.
Anatomie — Physiologie. 25
Unter dem Mikroskope kann man 5 coneenlrisehe Lagen oder Schich-
ten der Netzhaut unterscheiden, und zwar von aussen nach innen: 1) die
Stabehen- und Zapfenschicht, 2) die Körnerschicht, 3) die Lage der grauen
Nervenfasern und Nervenzellen oder die Kugelschicht, 4) die Ausbreitung
der Fasern des N. opticus, und 5) die Grenzhaut oder 3Iembrana limilans.
Durch die Untersuchungen von E. H. Müller bestätigt und vervollständigt
von Kölliker, Corti und Gerlach) ist nachgewiesen, dass die Elemente der
ersten Schicht durch äusserst zarte, gleich dicht an einander gedrängten
Radien verlaufende Fasern (Müller's radiäres Fasersystem) mit der dritten
und diese wieder durch dünne Fädchen mit den Opticusfasern verbun-
den sind.
Die erste Schicht besteht aus feinen, hellen, das Licht stark reflecti-
renden Röhrchen, welche dicht aneinander senkrecht auf der 2. Schicht
stehen , und mit ihren quer abgestutzten (abgerundeten) äussern Enden
leicht in die Pigmentschicht der Chorioidea eingedrückt sind (eingreifen).
Von diesen Röhrchen, welche unter einander durch eine halbweiche hya-
line Masse verbunden sindr haben die Mehrzahl eine cylindrische Gestalt,
heissen deshalb Stäbchen (bacilli), und kommen mit Ausnahme des Seh-
nerveneintrittes und gelben Fleckes überall und in gleicher Menge vor.
Sie sind durchschnittlich 0,01 '"lang und 0,001"' dick. Die Minderzahl
schwellen gegen ihr inneres Ende hin rüben- oder spindelförmig an
{Zapfen oder Com)-, sind durchschnittlich 0,01 2'" lang und im mittleren
Theile 0,0035"' breit , und kommen zwischen den Stäbchen in verschie-
denen Regionen in verschiedener Anzahl vor. Sie fehlen gleich den Stäb-
chen an der Papilla n. opt. , vertreten die erste Schicht dagegen an der
Macula lutea ausschliesslich, und werden von hier gegen die Ora serrata
hin allmälig spärlicher, so dass sie in der Nähe dieser letzteren nur in
Entfernungen von 0,006'" — 0,007'" auftreten. Die Stäbchen sowohl als
die Zapfen laufen nach innen in dünne Fasern oder Fäden aus.
Die Körner der 2. Schicht sind 0,003'"— 0,007"' grosse, fein granu-
lirte, scharf contourirte , runde oder oblonge Körperchen ," welche in zwei
Lagen vorkommen, die jedoch gegen die Ora serrata hin mehr und mehr
an einander rücken. Die Substanz zwischen der äussern und innern Kör-
nerschicht — die Zwischenkörnerschicht — ist nichts anders, als die
dicht an einander liegenden Fasern, welche, von den Stäbchen und Zapfen
ausgehend, und in der äussern und innern Körnerschicht gleichsam durch
ein Korn durchgehend, zur Kugelschicht verlaufen. Man kann daher jedes
Korn als eine bipolare Zelle betrachten mit einem nach aussen und einem
nach innen abgehenden Faden. Die äussere Körnerschicht besteht (nach
26 Netzhaut.
Költik'er) aus den an den Zapfen sitzenden kernführenden Anschwellungen
oder den Zapfenkörnern und aus den etwas kleinern eigentlichen Körnern,
welche mit den Stäbchen in Verbindung sind, und deshalb auch Släbchen-
körner heissen können. In der innern Schicht liegen nur kleine Zellen
von 0,003'" — 0,004'" Grösse mit meist deutlichem Kern, und verbinden
sich theils mit den Ausläufern der Zapfen als innere Zapfenkörner, theils
mit den Stäbchen als innere Stäbchenkörner.
In der 3. Schicht begegnen wir den Nervenzellen der Retina, welche
in eine feinkörnige graue Masse eingebettet sind, und durch dieses Ver-
Jhalten ihre Analogie mit den Zellen der grauen Gehirnsubstanz darlhun.
Diese beiden Elemente sind so zu einander angeordnet, dass die feinkör-
nige graue Substanz mehr nach aussen (an der innern Körnerschichte) als
continuirliche Lage hervortritt, die 0,006'" — 0,008"' grossen kernhaltigen
Zellen dagegen nach innen (an der Opticusfaserschichte) 2 — 3fach über-
einander liegen. Diese Zellen verhalten sich ganz wie die multipolarert
Nervenzellen der Centralorgane und besitzen sämmtlich lange blasse Fort-
sätze, von denen immer 1 — 2 nach Aussen gerichtet sind und in die
erwähnten radiären Fasern der Körnerschichte übergehen, während die an-
dern höchst wahrscheinlich sich in ächte varicöse Opticusfasern fort-
setzen. Corti hat wenigstens in der Retina des Elephanten anastomosi-
rende Verbindungen dieser Fortsätze zweier Zellen beobachtet, und ausser-
dem gefunden, dass Fibern der Opticusfaserlage continuirlich in diese Fort-
sätze übergehen.
Die 0,0005'" — 0,002'" breiten Fasern des Opticus gehen gleich nach
ihrem Durchtritte durch die Lamina cribrosa strahlenförmig nach allen Rich-
tungen auseinander, und erscheinen in dieser Flächenausbreitung als vierte
Schichte der Netzhaut. Dieselbe ist diesem Sachverhalte gemäss in der
Umgebung der Papilla am dicksten und wird gegen die Ora serrata hin
allmälig dünner. Am gelben Flecke , wenigstens in der mittleren Partie
desselben, finden sich keine Opticusfasern, indem diese auf ihrem Wege
von der Papilla nach aussen vor der Macula lutea auseinander, jenseits
aber wieder zusammen treten. Die der Netzhaut angehörenden Nerven-
fasern des Opticus sind blass , ohne dunkle Contouren , ohne Kerne , da-
gegen mit länglichen Anschwellungen versehen. Sie unterscheiden sich
von den marklosen Fasern auch durch ihre ausserordentliche Feinheit.
Gerlach versichert, einige Male ganz bestimmt Theilungen an denselben
gesehen zu haben. Sie sind zunächst in Bündel von 0,010'" — 0,012'"
geordnet. Dass ein Theil derselben in die Ausläufer der Ganglicnkugeln
über«: ehe, ist nach Corti's Untersuchungen gewiss. Ob aber alle Fasern
Anatomie — Physiologie. 27
mit den Fortsätzen der Nervenzellen sich verbinden , ist noch nicht er-
wiesen, wenn gleich wahrscheinlich. Nach Kölliker tritt ein Thcil der ra-
diären oder Miill&if sehen Fasern zwischen den Opticnsbündeln bis zur
Membrana limitans , und endigen diese Fasern in kleine Anschwellungen ;
welche mehrere horizontal (in der Ebene der Opticusfasern) verlaufende
Fäserchen abgeben oder sich direct in ein ganzes Büschel feiner Fädeken
theilen, von denen es ungewiss . ist, ob sie sich mit den Opticusfasern
. verbinden.
Die Membrana limitans ist ein nur 0,001'" dickes, structurloses Häut-
chen, welches die Netzhaut an ihrer der Hyaloidea zugewendeten Fläche
begrenzt, und nach einigen Auetoren sich über die Ora serrata vorwärts
selbst bis auf die hintere Fläche der Iris erstrecken soll. Bei dieser An-
sicht wird angenommen, dass dies Grenzhäutchen von der Ora serrata mit
der Zonula Zinnii verschmolzen sei, an den Ciliarfortsätzen sich aber wie-
der von derselben trenne (da diese einwärts zur vordem Kapsel geht), und
als Überzug der Ciliarfortsätze und der hintern Fläche der Iris bis zum
Pupillarrande sich erstrecke.
Die Eigenthümlichkeiten der Macula lutea, der Stelle, mit welcher
wir am schärfsten sehen, bestehen darin, dass daselbst keine Stäbchen,
sondern, nur Zapfen vorhanden sind, dass die Körnerschichte eine' gelbe
Färbung zeigt und an einer punktförmigen Stelle fehlt, dass die Opticus-
fasern nur am Rande etwas hereinragen, und dass endlich auch die Zweig-
chen der Art. centr. retinae schon am Rande so fein werden, dass in der
Mitte dieser Stelle auch bei beträchtlicher Vergrösserung (20 — 25mal)
nichts davon wahrgenommen werden kann. Die gelbe Farbe, welche sich
gegen die Peripherie dieser Stelle allmälig verliert , tritt nicht unter der
Form gefärbter Moleküle, sondern diffundirt auf, und wird erst einige
Tage nach der Geburt vorgefunden.
Die Gefässe der Netzhaut sind Äste der Centralarterie , welche mit
der Centralvene in der Mitte des Sehnerven liegt, und an der Papilla n.
opt. sich strahlenförmig ausbreitet, mit vorwaltend auf- und abwärts ge-
richteten Asten. Besser als durch Beschreibung lernt man den Verlauf, die
Zahl und die Dicke dieser Äste im normalen Zustande durch Untersuchung
mehrerer gesunder Augen mit dem Ophthalmoskop kennen. Wir wollen
nur noch (nach Gerlach) hervorheben, dass sie sich bald in ausserordent-
lich feine Capillaren auflösen, welche denselben Durchmesser wie jene
des Gehirnes haben , und hauptsächlich in der Faser- und Zellenschichle
der Netzhaut, denen sie nach innen zu aufliegen, sich ausbreiten. Die
von diesen Capillaren gebildeten MascTien sind nicht sehr eng, länglich
28 Netzhaut.
und abgerundet oder ganz unregelmässig gestaltet. An der Ora serrata
befindet sich ein öfter unterbrochener venöser Ring (circulus venosus re-
tinae), in welchen die vordem Capillarien münden, und der mit der Cen-
tralvene in Verbindung steht. Am gelben Flecke fehlt, wie schon be-
merkt, mit der Faserschichte auch das Capillarnetz, und man sieh' hieran gut
injicirten menschlichen Netzhäuten eine ovale wohin msehriebene Lücke des
Capillarnetzes von 0,8'" Länge und 0.5'"- Breite. — Die Centralarterie, ein
Zweig der Arteria ophthalmica , welche an der äussern Seite des N. op-
ticus durch das Foramen opticum in die orbita eintritt, dringt 5 — 6 Linien
hinter dem Bulbus von der inneren Seite in den Sehnerven ein.*)
Der Sehnerve geht als ein gegen 2'" dicker Cylinder vom Bulbus
zum Foramen opticum, umschlossen von einer derben fibrösen Scheide, die
man als Fortsetzung der harten Hirnhaut betrachten kann, und ist in der
Orbita 13 — 14'" lang, während der Abstand der Sclera vom Foramen
opticum nur gegen 12'" misst. Er verläuft demnach stark geschlängelt:
die stärkste Krümmung bildet er (bei gerade nach vorn gestellter Pupille)
in seiner vordem Hälfte nach aussen,' i. e. mit auswärts gerichteter Con-
vexität; minder stark ist die Krümmung nach unten. Umschlossen wird
er knapp vor dem For. opticum von den Anfängen der 4 Muse, recti,
dann aber von dem ungemein elastischen Fettpolster, welches den Raum
zwischen den vorwärts divergirenden Muskeln und dem Bulbus erfüllt; in
der vordem Hälfte umgeben ihn die hinleren Ciliararterien und die Ciliar-
nerven, welche auf oder nächst seiner Scheide in dem genannten Fett-
gewebe zum Bulbus vordringen. Das Ganglion ciliare liegt an seiner
Schläfeseite 8 — 9'" hinter der Sclera. Die Art. ophthalmica schlägt sich
in seiner hintern Hälfte über ihn von der Schlafen- nach der Nasenseite
gegen die Rolle des Muse, obliq. superior, wo sie sich in die Art. fron-
talis und dorsalis nasi spaltet.
Die Schlängelung der Sehnerven ist zur freien Beweglichkeit des Bulbus um sei-
nen fixen Punkt (den Drehpunkt) unumgänglich nothwendig. Gerade gestreckt bis zur
straffen Spannung wird der Sehnerve nur dann, wenn der Bulbus von' der Mittelstel-
lung bis zu den beiden möglichen Extremen seitwärts gerollt wird, nämlich auswärts:
bis der Rand der Cornea an die äusrere Lidcommissur reicht, und einwärts: bis der
entgegengesetzte Punkt des Hornhautrandes sich hinter die halbmondförmige Falte zu
schieben beginnt. Wird der Bulbus rasch in das eine oder das andere dieser Extreme
gestellt, so nehmen wir (im Dunkeln) die Folge der plötzlicheu Zerrung des Opticus
durch eine runde lichtblitzende Scheibe im Sehfelde wahr. Bei möglichst starker Aur-
oder Abwärlsrollung des Bulbus treten keine solche Lichtringe auf. scheint demnach
*) Nach II Hüller's neuesten Untenuahungen ist aile gefässlose Stelle Her Macula lutea nicht so ;r.ns. als Cer-
lach sie angibt, und dmfien die Xcliliatiigefasse Oberhaupt vorzüglich in der Zelleuschrchl verlaufen.
Physiologie. 29
der Opticus nicht Iris zur Zerrung gestreckt zu worden. Die Kenntnis* dieses Sachver-
haltes mindert unser Verwundern darüber, dass das Sehvermögen nicht aufgehoben zu
werden pflegt, wenn der Bulbus um 2 — 3'" vorwärts ans seiner Lage verdrängt wird,
sei es plötzlich durch Verletzungen, sei es allmälig durch retrobulbäre Geschwülste. Im
Nordwesten von Steiermark soll es üblich sein, dass junge Leute einander die Augen
herauszwängen, mittelst des Daumens, der am innern Augenwinkel eingesetzt wird. Man
beabsichtigt bei dieser eigentümlichen Art, an seinem Nebenbuhler Rache zu üben, nur
Entstellung und Schmerz, -und bewirkt in der Regel auch nichts anderes, indem nach
erfolgter Reposition des vor die Lidspalte luxirten Bulbus das Sehvermögen allmälig
wiederkehrt. Bei successiver Hervortreibung der Bulbi durch Geschwülste scheint indess
nicht blossse Streckung, sondern auch wirkliche Ausdehnung des Sehnerven ohne Auf-
hebung seiner Function statt zu finden, da man Bulbi 3 — 4"' weiter vorn stehend trifft,
ohne dass das Sehvermögen ganz aufgehoben ist. — In wie hohem Grade das retrobul-
bäre Fellgewebe elastisch sein müsse, lässt sich erschliessen aus den grossen Excursio-
nen, welche das vordere Ende des Sehnerven machen muss, wenn -wir das vordere
Ende der Sehachse nach verschiedenen Richtungen stellen, wobei natürlich das hintere
Ende der Sehachse nahezu gleiche Exkursionen in entgegeagesetzter Richtung machen
miiss. — Meine Angaben über das Orbitalstück des Sehnerven sind auf Durchschnitte
festgefrorner Köpfe in den letztverflossenen beiden Wintern basirt, und theils älteren,
theils jugendlichen Individuen (worunter auch ein lOjähriger Knabe) entnommen.
Im Foramen opticum ist jeder Sehnerv, 4 — 5'" lang, von der mit der
Beinhaut daselbst fest verbundenen Scheide nur locker, innerhalb der Schä-
delhöhle aber bloss von der weichen Hirnhaut umgeben, welche ihn in
seinem ganzen Verlaufe bis zum Bulbus eng umschliesst und mit Gefässen
versieht. Schon im For. opt. ändern sie ihre Form, werden rundlich -platt
(2llo'" breit, lI/2/// hoch), und treten nach einem Verlaufe von 5 — 6'"
convergirend über dem Türkensattel zum Chiasma nerv, opticorum zu-
sammen, jenseits desselben aber etwas stärker divergirend rückwärts, um
sofort als allmälig mehr platt und zuletzt auch schmäler werdende hell-
vveisse Streifen (Traclus opticus) um die Hirnstiele herum bis zu den Knie-
höckern und Vierhügeln zu gelangen.
Das Chiasma, durch Berührung und theilweise Kreuzung der Sehner-
ven gebildet, welche als vordere und hintere Schenkel desselben betrachtet
werden können, hat vier coneave Ränder und zwei schwach-convexe Ober-
flächen, misst von vorn nach hinten 3 — 4"', von einer Seite zur andern
circa 6'", von oben nach unten i1/^'" , und ist überall, wo es nicht mit
der Hirnsubstanz zusammenhängt, von der Pia mater eng umschlossen.
Die untere, durchaus freie Fläche wiad durch die Dura mater von der
Hypophysis geschieden. Die obere, nur in den vordem zwei Dritteln freie
Fläche legt sich an die Substantia perforata media. Von den Rändern
«3»
liegt nur der hintere unmittelbar an Hirnsubstanz und verbindet sich mit
30 Netzhaut.
dem Tuber cinereum, durch welches, knapp hinter dem Chiasma, der
Trichter von der 3. Hirnkammer zur Hypopliysis hinabsteigt. Über dem
dreieckigen Raum zwischen den vordem Schenkeln liegt die Subst. per-
forata anterior mit den Anfängen der Riechnerven. An den Seitenrändern,
mitten in der Concavität ihrer Einbiegung, theilt sich die Carotis nach
ihrem Austritte aus dem Sinus cavernosus: 1. in die Art. ophthalmica,
welche unmittelbar an dem vordem Schenkel des Chiasma, und zwar mehr
unterhalb als neben demselben vorwärts dringt ; 2. in die Art. corporis
callosi, welche über die vordem Schenkel des Chiasma einwärts aufsteigt
und sich durch den Ramus communicans anterior vor und über dem
Chiasma mit dem der andern Seite verbindet; 3. in die Art. fossae Sylvii,
welche sich nach aussen und oben in diese Grube begibt, und 4. in die
Art. communicans posterior , welche unter dem hintern Schenkel des
Chiasma neben dem Trichter zur Art. basilaris verläuft.
Über den Verlauf der Fasern des Sehnerven in und jenseits des
Chiasma ist nur so viel gewiss , dass im Chiasma eine Kreuzung , jedoch
nur theilweise , die innern Fasern betreffend, statt findet, und dass sich
jenseits der grössere Theil bis zu den Kniehöckern (corpora geniculata)
und den Vierhügeln (emin. quadrigemina) verfolgen lässt, demnach eine
Verbindung zwischen den Sehnerven und der Medulla oblongata besteht.
Nicht so sicher gestellt ist der Zusammenhang der Sehnerven mit den
Sehhügeln (thalami) und mit den Grosshirnsstielen (pedunculi). — Nach
Hannover lassen sich im Chiasma unterscheiden: 1. Fasern, welche direct
aus dem einen vordem Schenkel in den hintern derselben Seite verlau-
fen (Fasciculus sin. et dexter) ; 2. Fasern, welche aus dem vordem Schen-
kel der einen Seite in den hintern der entgegengesetzten übertreten
(Commissura cruciata) ; 3. Fasern, welche von dem einen vordem Schen-
kel zu dem andern verlaufen, also gar nicht zum Gehirne jenseits des
Chiasma gelangen (Commiss. arcuata anterior) ; 4. Fasern , welche am
hintern Rande des Chiasma aus einem hintern Schenkel in den andern
umbiegen (Comm. arcuata post.); und 5. Fasern, welche von der Sub-
stantia perforata media ausgehend über die obere Fläche , den vordem
Rand und die untere Fläche zum Tuber cinereum verlaufen, und das
Chiasma gleich einer Schleife umfassen (Comm. ausata).
Die Netzhaut (das Auge überhaupt) steht in ihrer Vegetation und
Function in innigem Rapport zum Nervus sympathicus und zum Ramus I.
seu ophthalmicus N. trigemini, welcher Rapport wenigstens einigermassen
durch anatomische Verhältnisse erklärt werden kann. Vom Halstheile
(ganglion cervicale primum) des grossen sympathischen Nerven steigen
Physiologie. 31
zwei beträchtliche Äste mit der Art. carotis interna in die Schädelhöhle
und bilden im Sinus cavernosus ein Geflecht, von welchem nicht nur zum
N. oculomotorius, N. abducens und R. ophthalmicus trigemini , sondern
auch direct zum Ganglion ciliare Zweige abgehen. Theils von diesem Ge-
flechte, theils von den an der Arteria ophthälmica forllaufenden Zweig-
chen treten nun Fäden zur Chorioidea, Iris 7 Cornea und (höchst wahr-
scheinlich auch) zur Retina und üben wesentlichen Einfluss auf die Cir-
culation und den Stoffwechsel in diesen und den übrigen Gebilden.
Auf mehrere physiologische und pathologische Thatsachen, die sich
auf diesen anatomischen Sachverhalt zurückführen lassen, wurde bereits
bei Besprechung der Krankheiten der Binde- und Hornhaut, besonders aber
bei den anatomisch -physiologischen Bemerkungen über die Iris S. 29 — 35
im 2. Bande hingewiesen; hier, wo sich's um das Verständniss der Er-
scheinungen bei Krankheiten dei* Retina handelt, schien es nothwendig,
wenigstens noch mit einigen Worten auf den Einfluss hinzudeuten, wel-
chen der Sympathicus und Trigeminus, indem sie der Ernährung und all-
gemeinen Empfindung vorstehen, auf den speeifischen Sinnesnerven üben;
die pathologischen Thatsachen, welche dem anatomischen Befunde ent-
sprechen, folgen, sofern sie nicht schon früher angeführt wurden, weiter
unten bei der Lehre von der Amaurose.
Der Sehnerve vermittelt das Sehen, indem er die durch die Licht-
wellen in der Netzhaut erregten Eindrücke oder Zustände zum Central-
organe fortpflanzt. Alles, was die Leitungsfähigkeit des Sehnerven auf-
hebt, Durchschneidung, Druck u. s. w., macht auch das Sehen unmöglich.
— Das Licht wirkt auf den Sehnerven nun mittelst der Netzhaut; wo
diese nun zerstört (gegen Licht unempfindlich) ist, kann kein Licht mehr
empfunden werden; das intensivste Licht auf den vorn abgestutzten oder
bloss gelegten Sehnerven geleitet, erregt das Sensorium commune ebenso
wenig, als irgend einen andern Sinnes- oder Empfindungsnerven. — Me-
chanische Reize und der elektrische Strom können mittelst der Retina
oder des Sehnerven im Centralorgane nur die Empfindung von Licht, nie-
mals die von Schmerz, Wärme u. dergl. erregen. Wenn Kranke, denen
ein Auge exstirpirt wird, im Momente der Durchschneidung des Sehnerven
vor Schmerzen aufschreien, so darf man bei Erklärung dieser Erschei-
nung nicht übersehen, dass in demselben Momente auch die Ciliarnerven
durchschnitten werden müssen, und wenn dagegen in einem Falle die der
Theorie zufolge erwarteten Lichterscheinungen nicht wahrgenommen wur-
den, so muss man bedenken, dass möglicherweise der Kranke ob der
heftigen Schmerzen und des psychischen Zustandes gar nicht zu einer
32 Netzhaut.
solchen Wahrnehmung geeignet, oder aher, wie in solchen Fallen wohl
häufig, der vordere Theil des Sehnerven bereits leitungsunfähig sein
konnte. — In Bezug auf die Reizung durch Galvanismus ist noch zu be-
merken, dass Erregung der Netzhaut und des Sehnerven (zur Lichtempfiur
düng) auch in distans eintreten kann, durch Überspringen des zu kräfti-
gen Stromes, z. B. wenn der eine Pol an das ödere Lid oder (bei stärke-
rem Strome) an die Schläfe, der andere an die Wange oder Zunge an-
gelegt wird.
Die zum Sensorium commune fortgepflanzte Erregung des Sehnerven,
gleichviel von wo sie ausgeht, wird Gegenstand des Bewusstseins, der
Beziehung auf das Ich ,* sobald sie nicht zu schwach ist, und sobald die
Aufmerksamkeit nicht davon abgezogen wird (durch den Willen , durch
anderweite starke Erregung), vorausgesetzt, dass die Centralorgane per-
ceptionsfähig sind. Diese Beschaffenheit der Centralorgane ist demnach
für das Sehen eine Conditio sine qua non. Die Erregung ist nahezu
gleich, ob sie nun von beiden oder nur von einem Auge ausgeht, und
wir erkennen es aus der Empfindung als solcher nicht, ob wir mit einem
oder mit beiden Augen sehen, wenn die Erregung nicht sehr ungleich-
artig ist (wovon später). Es steht aber diese Erregung der Central-
organe in einem merkwürdigen Verhältnisse nicht bloss zum Bewusstsein,
sondern überdiess noch zu andern Thätigkeiten, welche mehr weniger
unabhängig vom Bewusstsein und Willen, gleichsam automatisch (reflectirt)
erfolgen. Solche Reflexwirkungen geben sich zunächst am auffallendsten in
der Iris kund. (Yergl. II. B. S. 30.) Hieher gehört auch mehr weniger
die Thätigkeit der Muskeln, welche vom N. oculomotorius, trochlearis, ab-
ducens und facialis (musc. orbicularis) versorgt werden. Die Netzhaut,
durch den N. opticus mit den Centralorganen verbunden, kann mit einem
gewissen Rechte als Regulator der zweckmässigen Thätigkeit jener Mus-
keln bezeichnet werden, welche dem Sehorgane zur Verfügung gestellt
sind, und theils in, theils ausser dem Bulbus liegen. Figürlich kann man
sagen : die Netzhaut stellt und gestaltet sich, den Bulbus so zweckmässig,
als es die obwaltenden Umstände nur irgend zulassen. Mechanische Hin-
dernisse, die sich ihrer Function entgegenstellten, z. B. partielle Trübungen
der Linse oder Hornhaut, werden auf diese Weise oft gegen alle Ge-
wohnheit und unwillkürlich die entferntere Ursache von einfachen oder
combinirlen Muskelaclionen, welche sich ohne solche Hindernisse schwer
oder gar nicht zu Stande bringen lassen. (Yergl. Krankheiten der Mus-
keln.) Diese Thätigkeit der Centralorgane, angeregt durch Lichteinfluss
auf die Netzhaut, ist offenbar schon in den ersten Lebens tagen vorhanden.
Physiologie. 33
während die des Bewusstwerdens viel später zu Stande kommt. Dass
übrigens solche Reflexthätigkeiten auch unabhängig vom Sehnerven her-
vorgerufen werden können, und zwar direct vom Centralorganer oder an-
geregt durch andere Nerven (z. B, N. acusticus), sei nur um Missver-
ständnissen vorzubeugen ausdrücklich erwähnt.
Wo die Bedingungen zur Leitung und Aufnahme im Centralorgane
vorhanden sind, können Erregungen der Netzhaut wahrgenommen werden.
Die gewöhnliche, natürliche, adäquate Erregung der Netzhaut erfolgt durch
das Licht, welches selbstleuchtende oder lichtreflectirende Körper zur
Netzhaut senden. Die Netzhaut antwortet aber auch auf Reizung durch
Elektricität, Druck, Zerrung u. dergl., und zwar mit Lichterscheinungen.
Die zum Bewusstsein gelangenden Erregungen der Netzhaut und des Seh-
nerven, welche gar nicht oder doch nicht unmittelbar durch Licht bedingt
werden, nennt man subjective Lichtempfindungen. Hiezu gehören ge-
wissermmassen auch die Empfindungen, welche nach intensiver Erregung
der Netzhaut durch Licht mehr weniger lange zurückbleiben (Nachbilder'),
während das sogenannte Sehen nicht vorhandener Objecte , welches bei
excessiver Erregung der Centralorgane vorkommt (Visio phantasmatum,
Halluciationes), gleich den Traumbildern in das Bereich der psychischen
Thätigkeit gehört. — Die zum Sensorium commune fortgepflanzte Erre-
gung der Netzhaut durch Licht, wie z. B. bei geschlossenen Augenlidern,
bei completer Linsenverdunkelung, ist im Allgemeinen Lichtempfindung;
zum Sehen wird sie erst dann, wenn sie auch der Form nach auf das
lichtsendende (oder hemmende) Object bezogen werden kann. Diess ist
nicht möglich, ohne ein Bild des lichtsendenden Objectes (oder eines
Schattens) auf der Netzhaut, wie in einer Camera obscura auf dem
Schirme. Zum Sehen gehört demnach nebst Integrität der bisher bespro-
chenen Nervenelemente noch ein dioptrischer, jenes Bild vermittelnder Ap-
parat. Die Netzhaut wird zum Sehen nicht direct durch das lichtsendende
Object erregt, sondern mittelbar durch dessen Bild. Was für den Tast-
sinn das Object selbst, das ist für das Auge (beim Sehen im eigentlichen
Sinne des Wortes) das Bild des Objectes. — Objecte, welche ganz nahe
an oder in dem Auge selbst liegen, können nicht gesehen, wühl aber
unter Umständen (wovon später) dadurch wahrgenommen werden, dass
sie Schatten auf die Netzhaut werfen. Hieher gehören die sogenannten
entoptischen Erscheinungen, von denen weiter unten die Rede sein wird.
Die gewöhnlichsten sind die unter dem Namen der fliegenden Mücken be-
kannten beweglichen Punkte, Fäden, Schnüre u. dergl., welche der davon
Gequälte vor seinen Augen zu sehen vermeint.
Arlt'b Au^enheilkdune III, 2' 3
34 Netzhaut.
Um sich von dem Zustandekommen und Verhalten des Bildes auf der Netzhaut zu
überzeugen und zu belehren, nehme man vor allem ein Menschen- oder Kaninchen-
auge, dessen Medien noch gehörig durchsichtig sind, lege es mit horizontaler Sehachse
auf einen Angeubecher, so dass seine Form möglichst unverändert bleibt, entferne durch
vorsichtige Excision ein etwa 2 Quadratlinien grosses Stück Sclera am hintern Pole
und, falls man scharf beobachten will, eben so viel Chorioidea, und richte nun die
freie Cornea einem Fenster gegenüber, vor welchem sich mit Ausnahme eines oder des
andern grossem Gegenstandes, etwa eines Thurmes, das Firmament frei darstellt. Man
sieht nun (die übrigen Fenster verdeckt) zunächst auf der blossgelegten durchscheinen-
den Netzhaut das Fenster schärft abgebildet, falls dessen Entfernung vom Auge eine
entsprechende ist, während der entferntere Gegenstand (Thurin), der gleichzeitig abge-
bildet erscheint, minder scharfe Contouren zeigt. Das Bild der Fensterrahmen erscheint
gleich dem einer andern einfachen Camera obscura dem Beschauenden relativ zum
Objecte verkehrt und verkleinert. — An dem Auge eines etwa 12jährigen Knaben, dessen
Achse 10,8'", Cornealdicke 0,5"', Augenkammer 1,2'", Linsenachse 1,7'" und Glaskör-
perachse 6,8'" betrug, zeigte das Bild eines 42" breiten Fensters bei 120" Entfernung
des Bulbus vom Fenster eine Breite von 2,1"', bei 204" Entfernung eine Breite von
1,6'", bei 288" Entfernung eine Breite von 1,1'"- Ich schreibe diesen Massen keine
mathematische Schärfe zu, da mir die zu solchen Messungen und Beobachtungen erfor-
derlichen Apparate nicht zu Gebote stehen; es Hessen sich aber auf diesem Wege, wenn
man das eine Auge zur Messung der Durchmesser und Krümmungsradien, das andere
zur Messung der Netzhautbilder bei verschiedener Übjectdistanz benützte, vielleicht brauch-
bare Resultate für die Lehre vom Sehen gewinnen.
Der Eindruck des Lichtes auf die Netzhaut wird durch die Schwin-
gungen eines elastischen Mediums (Äthers) erregt, deren Anzahl die
Farbe bestimmt, von deren Weite die Helligkeit abhangt, und deren li-
neare, kreisförmige oder elliptische Gestalt ihre Polarisation hervorbringt.
So wie das Ohr sich der Schwingungen der regelmässig erschütterten
Luft bewusst wird als eines Tones von bestimmter Höhe, so sage ich blau,
wenn meine Netzhaut eine bestimmte Zahl Schwingungen vollführt, roth
bei einer andern Zahl.*) Nach Wheatstones Versuchen vermag unser Auge
Gegenstände noch deutlich zu sehen, wenn sie auch eine kürzere Zeit als
den millionsten Theil einer Secunde beleuchtet werden. Zwischen dem
sinnlichen Eindrucke und dem Bewusstwerden derselben verfliesst aber
eine gewisse Zeit. Ein Eindruck auf das Auge dauert aber noch einige
Zeit fort, wenn die erregende Ursache bereits zu wirken aufgehört hat.
Eine rasche periodische Wiederkehr gleichartiger Eindrücke nimmt das
Auge als eine ununterbrochene Erscheinung wahr. Wenn wir einen leuch-
tenden Gegenstand (eine glühende Kohle im Kreise herumgesdiwungen)
in einer Secunde mindestens T'/otnal an derselben Stelle sehen, so sehen
wir ihn ununterbrochen an derselben. Der andauernde Lichteindruck bei
*) Dovc, Darstellung der Farbenlehre, Berlin 1853.
Physiologie. 35
sich schliessendcm Auge ist das Nach- oder Abklingen der Schwingungen,
in welche die Nervenelemenle durch die Ätherschwingungen versetzt
wurden,; er ist die allmälige Wiederkehr zur Ruhe, deren wir uns als
Dunkel bewusst werden.*)
Die Hornhaut bildet mit dem Kammerwasser und dem Krystallkörper
eine biconvexe Linse, vorn von Luft, hinten von der Glasflüssigkeit be-
grenzt. Die Achse dieser Linse fällt mit der geraden Linie zusammen,
welche den vordem mit dem hintern Pole des Auges verbindet, und die
Sehachse genannt wird. Die Brennweite derselben (Vereinigungsweite für
parallele Strahlen) ist gleich dem Abslande des hintern Linsenpoles von
der Macula lutea, welche demnach in der hintern Brennpunkts ebene liegt.
Strahlen, welche von der Netzhaut aus parallel durch den Glaskörper vor-
wärts gingen, würden sich in einem Punkte vereinigen, welcher um den
halben Durchmesser des Bulbus in der Sehachse, etwa 57r/" vor dem
Centrum der Cornealvorderfläche, mithin in der vordem Brennpunkts ebene
liegen würde. Bei einer durchaus homogenen und von gleich geAvölbten
Flächen begrenzten Linse (gewöhnliehe biconvexe Glaslinse) ist es der
Mittelpunkt ihrer Achse, durch welchen man von irgend einem Objectpunkte
eine gerade Linie zu ziehen hat, um die Richtung zu finden, in welcher
jenseits der Linse alle von jenem Punkte aus durch die Linse gegangenen
Strahlen sich vereinigen müssen. Bei der aus verschiedenen Medien zu-
sammengesetzten Sammellinse unseres Auges liegt dieser Punkt nicht, wie
man früher meinte, in der Mitte, etwa gerade in der Pupille, sondern nahe
am hintern Pole der Krystalllinse, mithin durchschnittlich zwischen 3 — S1/^'"
hinter dem Centrum der Cornealvorderfläche. Dieser Punkt, von Volkmann
Kreuzungspunkt der Richtungslinien genannt, jedoch als 3,97//; hinter der
Cornealvorderfläche liegend angegeben, ist ohngefähr dasselbe, was Listing
den mittlem Knotenpunkt genannt hat.
*) Wird der Raum zwischen Erde und Sonne (20,6S6.3'29 geographische Meilen) in 493.2 Secunden vom Lichte durchlaufen,
so ist der in einer Secunde zurückgelegte Weg 41935 geographische Meilen. Die Anzahl der Schwingungen, in
welche die Netzhaut innerhalb einer Secunde versetzt wird, um die Farbe zum Bewusstsein zu bringen, welche
im Spectrum {Frauenhofer) durch die Buchstaben B, C, D, E, F, G, "II bezeichnet wird, ist demnach folgende:
bei B. nahe dem rothen Ende 452.000000.000000
,, C. im Reih 474 000000 000000
„ D. „ Orange .... 528.000000.000000
„ E. „ Grün 591.000000.000000
„ F. ,, Blau 641.000000.000000
„ G. „ Indigo .... 724.000üd0.000000
„ U. „ Violett .... 785.000000.000000
Der tiefste Ton entsteht durch 32, der höchste noch wahrnehmbare Ton durch 73000 Schwingungen, also durch
36500 Ein- und eben so viele Ausbildungen des Trommelfelles (Dove).
3
*
36 Netzhaut.
Zum deutlishen Sehen sind bis zu einem gewissen Grade scharf
begrenzte und lichte Bilder auf der Netzhaut nothicendig. Jedes leuch-
tende oder lichtrefleotirende Object kann als eine Summe leuchtender
Punkte betrachtet werden. Von jedem solchen Punkte gelangt ein Büschel
Strahlen zum Auge in Form eines Kegels, dessen Spitze jener Punkt,
dessen Basis die Cornea ist. Ein Theil dieser Strahlen wird unregel-
mässig zurückgeworfen (zerstreut), und macht die Cornea sichtbar 5 ein
anderer wird regelmässig reflectirt (gespiegelt), und gibt die bekannten
Spiegel- oder Reflexbilder der Hornhaut; von den durchgelassenen tragen
nur so viele zur Bildung des Netzhautbildes bei, als nicht durch die Iris
abgehalten und von der vordem und hintern Kapsel auf gleiche Weise
wie von der Cornea reflectirt werden. Die durchgelassenen convergiren
nach ihrem Eintritte in den Glaskörper, wenn der leuchtende Punkt nicht
zu nahe am Auge liegt, kegelförmig nach einem Punkte, dessen Lage sich
durch Ziehung der Richtungslinie (vom leuchtenden Punkte durch den
Kreuzungspunkt) bestimmen lässt ; sie bilden einen Kegel, dessen Spitze
auf die Netzhaut fällt, wenn, wie beim deutlichen Sehen immer, der Re-
fractionszustand des Auges der Entfernung des leuchtenden Punktes an-
gemessen ist. Dieser Punkt an der Spitze des innern Kegels ist das
Bild des Punktes an der Spitze des äussern, und somit kann das ganze
Netzhautbild eines Objectes als aus so vielen Punkten zusammengesetzt
gedacht werden, als das ihm entsprechende Object lichtsendende Punkte
enthält. Je schärfer die einem jeden Objectpunkte zugehörenden Strahlen
auf einen entsprechenden Punkt der Netzhaut concentrirt 'werden, desto
genauer ist die in Rede stehende Bedingung des Deutlichsehens erfüllt,
dass nicht mehrere verschiedene Punkte des Objectes ihr Licht auf eine
und dieselbe Stelle der Netzhaut werfen. — Entspricht der Refractions-
zustand nicht der Entfernung des leuchtenden Punktes, so fällt der Ver-
einigungspunkt vor die Netzhaut, falls der leuchtende Punkt relativ zu
weit entfernt, hinter die Netzhaut, falls derselbe relativ zu nahe am Auge
liegt. In dem erstem Falle wird die Netzhaut erst von den bereits wie-
der auseinander fahrenden, in dem letzteren von den noch nicht völlig
vereinigten Strahlen, mithin von einem Lichtkreise (Kegelschnitte) statt
von einem Lichtpunkte getrotfen, und es greifen die Lichtstrahlen des
einen Kegels in das Bereich des andern über, es ist nicht jeder Object-
punkt gesondert und begrenzt auf der Netzhaut abgebildet Bis zu wel-
chem Grade eine solche Abgrenzung gefordert werde, bis zu welchem
Grade und durch welene Mittel die Bildung von Zerstreiiungskrcisen we-
gen nicht entsprechender Objec tili stanz verhütet werden könne, soll später
Physiologie. 37
noch besprochen werden. — Von dem Lichtkegel, welchen irgend ein
leuchtender Punkt ins Auge sendet, werden nur jene Strahlen, die in ge-
ringer Entfernung (Elongation) von dem in der Achse des Kegels ver-
laufenden (Achsenstrahle) auf die Cornea fallen, in einem und demselben
Punkte jenseits vereinigt; die weiter entfernt auffallenden (Randstrahlen)
werden stärker gebrochen, also früher dem Achsenstrahle des innern
Lichtkegels zugelenkt, und fahren demnach bereits wieder auseinander,
wenn die Centralstrahlen eben erst zusammentreten; sie bilden, wenn die
Netzhaut in der Vereinigungsweite der Centralstrahlen liegt, auf dieser
einen Zerstremtngskreis, bedingt durch die sogenannte sphärische Ab-
erration. Dieser Beeinträchtigung der Schärfe des Bildes ist grösstenteils
durch die Iris und die dem Bedürfnisse entsprechende Verengerung und
Erweiterung der Pupille abgeholfen. Sie würde besonders beim Betrach-
ten naher Objecte störend einwirken. — Die Zerstreuung, welche das
Licht jedes einzelnen Strahles vermöge seiner Zerlegbarheit in verschie-
den brechbare (farbige) Strahlen beim Durchgange durch die brechenden
Medien des Auges so gut wie beim Durchgange durch ein Prisma er-
leidet, macht sich beim Sehen nur dann geltend, wenn die Vereinigung
sämmtlicher Strahlen eines Kegels wegen mangelhafter Anpassung für
die Objectdistanz, wegen sphärischer Aberration oder wegen Abhaltung
eines Theiles der Strahlen mehr weniger verhindert wird. (Schiebt man
während der Fixirung eines horizontalen Fensterstabes ein Kartenblatt
knapp am Auge vor die obere Hälfte der Pupille, so erscheint am untern
Rande des Stabes ein rothgelber Farbensaum, am obern ein blauer; hat
man dagegen den untern Theil der Pupille verdeckt, so treten dieselben
Farben in umgekehrter Ordnung auf, gleichviel ob man dem Fenster nahe
oder fern steht, wenn nur hinter demselben weisse Wolken sind. Tour-
tual.) Da die blauen Strahlen des Spectrums stärker gebrochen werden,
als die gelben, und diese stärker als die rothen, so gelangen die blauen
Strahlen immer etwas früher zur Vereinigung, als die rothen; indem aber
die diametral entgegengesetzten Strahlen des innern Lichtkegels in oder
nächst der Spitze desselben zusammentreten, compensiren sie sich ohn-
gefähr in der Mitte zwischen der Vereinigungsweite der blauen und ro-
then Strahlen. (Diese^Compensation wird in Tourtuals Versuche ver-
hindert.)
Die zum Deutlichsehen erforderliche Helligkeit (scheinbarer Glanz) des
'Netzhautbildes wird durch die Menge der Lichtstrahlen bedingt, welche
an der Spitze 'einesjjeden innern Lichtkegels die Netzhaut treffen. Die
Menge der Lichtstrahlen des innern Lichtkegels hängt zunächst nicht
38 Netzhaut.
bloss von der Menge ab, welche der leuchtende Punkt ausstrahlt oder
reflectirt, sondern auch von der Entfernung dieses letztern. Je länger
der äussere Lichtkegel, also je weiter entfernt das Object, desto geringer
die Zahl der Strahlen, welche von ihm auf die Cornea fallen. Es ver-
halten sich die Summen der auf die Cornea fallenden Strahlen ceteris
paribus umgekehrt wie die Quadrate der Entfernung des leuchtenden
Punktes. Je mehr seitlich von der Sehachse der leuchtende Punkt liegt,
desto kleiner wird auch bei gleich gross bleibender Öffnung der Pupille
die Summe der Lichtstrahlen sein, welche zur Bildung des innern Licht-
kegels concurriren können; denn Strahlen, die unter einem grössern Ein-
fallswinkel als 48 Grad auf die Cornea treffen, werden reflectirt, und je
schräger die Irisebene zum Achsenstrahle des leuchtenden Punktes ge-
stellt ist, desto weniger Nebenstrahlen desselben Kegels können durch
die Pupille eindringen. Je vollständiger durchsichtig endlich die Medien,
welche das Licht vom leuchtenden Punkte bis zur Netzhaut zu durch-
dringen hat, desto vollständiger die Beleuchtung dieser letztern. Trü-
bung der Medien bewirkt überdiess auch Ablenkung (Zerstreuung) der
durchgelassenen Strahlen. (Undeutlichsehen wegen unzureichender Be-
leuchtung.)
Die Thatsache, dass wir unter Umständen, wo ganz gewiss Zerstreuungskreise
vorhanden sind, noch mehr weniger deutlich sehen, wie namentlich bei der Betrachtung
entfernterer Objecte, lässt sich kaum anders erklären, als dass wegen der überwiegen-
den Beleuchtung in der Mitte jedes Zerstreuungskreises die relativ schwächere Erregung
der Umgebung nicht wahrgenommen wird. Wird ein Gegenstand, z. B. ein Buchstabe,
so nahe vor das Auge gehalten, dass er undeutlich und farbig eingesäumt erscheint,
weil die zu stark divergirend auffallenden Strahlen erst hinter der Netzhaut zur Ver-
einigung gelangen können, so kann man bewirken, dass er in derselben Entfernung
augenblicklich rein und scharf begrenzt erscheint, wenn man ihn durch die enge
Öffnung eines Kartenblattes betrachtet, offenbar weil die Zerstreuungskreise dadurch
auf das erforderliche Minimum reducirt werden, indem durch die nahe vor der Cornea
befindliche enge Öffnung die Basis des eindringenden Lichtkegels, mithin auch sein
Durchschnitt auf der Netzhaut entsprechend kleiner geworden ist. (Ludwig.)
Die Feinheit (Schärfe) des Gesichtes, analog der Freiheit der übri-
gen Sinne, schätzen wir nach der Fähigkeit, winzige Objccte zu ernen-
nen und zwei ganz nahe neben einander befindliche leuchtende Punkte
als zwei zu unterscheiden, sobald die eben besprochenen Bedingungen
des üeutlichsehens vorhanden sind. ftiess führt uns zur Betrachtung der
Grösse der Netzhanlbilder und der Energie der Netzhaut selbst. So wie
ein feines Gehör ein Geräusch noch wahrnimmt, das von einem stumpfen
auch trotz aller Aufmerksamkeit und Anstrengung nicht mehr vernommen
Physiologie*. 39
wird, und so wie ein feines Getast zwei nahe aneinander befindliche
Spitzen noch als zwei (gelrennt) empfindet, welche dem stumpfen (gro-
ben) Gefühle nur eine einzige zu sein scheinen, zeigt sich auch die
Netzhaut in ihrer Fähigkeit, Eindrücke aufzunehmen und zu unterscheiden,
bald fein, bald stumpf, in unendlichen Abstufungen. Diese Verschieden-
heit ist theils in der primären Anlage der Netzhaut gegeben, theils von
der Übung namentlich in den ersten Lebensjahren abhängig, ausserdem
aber Folge (Symptom) mannigfacher Erkrankung. Sehen wir vorläufig
nocb von der Verschiedenheit der Energie der Netzhaut in den einzel-
nen Regionen derselben ab, und betrachten blos die Wahrnehmung von
Bildern, welche auf die empfindlichste Stelle, die Macula lutea fallen, so
sind folgende Sätze zu notiren: a) Die Grösse des Bildes auf der Netz-
haut kann um so kleiner sein, je grössere Lichtstärke es besitzt, o) Bei
gleicher Lichtstärke kann, um noch gesehen zu werden, ein weisses Bild
kleiner sein, als ein gelbes, dieses kleiner als ein rothes und dieses
kleiner als ein blaues (Plateau), c) Wenn das Bild nach der einen Di-
mension zunimmt, darf es unbeschadet seiner Deutlichkeit nach der an-
dern Dimension abnehmen, so dass ein linienförmiger Körper noch sicht-
bar ist, während ein punktförmiger von gleicher Breite schon verschwin-
det. Eine kurze Linie, welche in verticaler Richtung als Punkt erscheint,"
kann in horizontaler noch als Linie wahrgenommen werden. Diess hängt,
wie Fick nachgewiesen hat, davon ab, dass die durchsichtigen Medien in
verticaler Richtung nach einem kürzern Radius gekrümmt sind, als in
horizontaler. Wenn die Energie der Netzhaut geringer oder gesunken ist,
wird dieselbe Druckschrift noch gelesen, sobald die Buchstaben etwas
weiter von einander abstehen; von zwei Druckschriften, deren Lettern
gleiche Höhe haben, strengt diejenige mehr an, deren Lettern weniger
fett und mehr compress sind, d) Ein winziger Gegenstand, der nicht
wahrgenommen werden kann, wenn er ruhig ist, kann wahrgenommen
werden, wenn sein Bild mit einer gewissen Geschwindigkeit nach ein-
ander auf verschiedene Nelzhautstellen gebracht wird, e) Der Contrast
in der Farbe und Beleuchtung, den ein Körper zu seiner Umgebung bildet,
macht einen winzigen Körper sichtbar, der ausserdem unsichtbar ist. Ein
dunkler Punkt, der auf dunklem Hintergrunde unsichtbar ist, wird sicht-
bar auf lichtem Hintergrunde und umgekehrt. Auf diese Weise (cl und e)
werden uns die sogenannten Sonnenstäubchen bemerkbar, wenn Sonnen-
strahlen in ein nicht zu lichtes Zimmer fallen.
Die Feinheit des Gesichtes geht aber nicht bis über eine gewisse
Grenze hinaus; sie ist durch die Energie der Netzhaut als solche be-
40
Netzhaut.
schränkt ; nur bei einer gewissen Grösse des einem Objecte entsprechen-
den Netzhautbildes kann dasselbe wahrgenommen, und nur bei einer
gewissen Distanz der Bildpunkte auf der Netzhaut, welche zwei leuch-
tenden Objectpunkten entsprechen, können jene in der Empfindung als.
distinct auftreten. Wenn auch nicht genau, so doch annähernd lässt
sich angeben, wie weit zwei Bildpunkte auf der Netzhaut abstehen müssen,
um noch als zwei wahrgenommen zu werden. Zur Bestimmung der
Distanz zweier Bildpunkte auf der Netzhaut dient der Sehwinkel. Diesen
erhält man, wenn man von den zwei leuchtenden Endpunkten des Ob-
jectes gerade Linien zum Centrum der Cornealvorderfläche zieht, ge-
nauer jedoch , wenn man dieselben durch den Kreuzungspunkt der
Richtungslinien gezogen denkt, welche dann eben jene gerade Linien
selbst sind.
Sind a und c (in beistehender Figur nach Volkmann) die Endpunkte
der Dimension des Objectes, für welche die entsprechende Grösse des
Netzhautbildes zu suchen ist, so wird, falls ihre Verbindungslinie oc senk-
recht (normal) auf der Sehachse on steht, und x der Kreuzungspunkt
der Sichtungslinie ist, der Abstand zwischen 6 und d die gesuchte Di-
mension des Netzhautbildes sein. Denn wird, was ohne erhebliche Fehler
geschehen kann, bd als gerade Linie normal auf der Sehachse stehend an-
genomen, so sind die Dreiecke axc und dxb sich ähnlich, und es verhält
sich ac : db : mx : ox, mihin db =■
ac . ox
ac . ox
. Nimmt man nach
mx xn-\-nm
Volkmann ox = 6,23"' und nx =.. 3,9t" an, so ist bloss nm und ac
durch Messung zu bestimmen. Wenn jedoch, woran kaum zu zweifeln'
da auch Mosers Berechnungen dafür sprechen, der Kreuzungspunkt der
Richtungslinie (der mittlere Knotenpunkt) noch nahezu */a Linie vor
dem hintern Pole der Linse liegt, so muss bei einem Auge von 10'" in-
nerem Durchmesser (von der Macula lutea bis zum Centrum der Desce-
met'schen Haut) ox auf mindestens 6,5'", dagegen nx höchstens auf 3, 5'"
angeschlagen werden, wodurch die Dimension des Netzhautbildes merklich
grösser ausfällt. — Liegt ein Gegenstand dem Auge näher, so wird er
Pkysiolosie. 41
(wie in obiger Figur z. B. ef) trotz bedeutend geringerer Grösse dennoch
ein gleich grosses Bild entwerfen, sobald Grösse und Entfernung in einem
bestimmten Verhältnisse zu einander stehen. Bei einer Entfernung von
10 Zoll ist das Netzhautbild gegen 16mal kleiner, als das Object (Volk-
mann) , demnach bei einer Objectdistanz von 5 Zoll vor der Hornhaut
ohngefähr 8mal kleiner (linear). Ein kleiner naher Gegenstand kann dem-
nach einen entfernten grössern vollständig decken (unsichtbar machen),
wenn der Sehwinkel für den einen und den andern derselbe ist. Man sagt,
zwei Gegenstände haben dieselbe scheinbare Grösse, wenn sie unter gleich
grossem Sehwinkel erscheinen , wenn ihre Bilder einen gleich grossen
Raum auf der Netzhaut einnehmen. Ist uns die objeetive (durch Maasse,
Linien, Zolle etc.) bestimmbare Grösse eines Gegenstandes bekannt, dann
schliessen wir aus der Abnahme der scheinbaren Grösse auf die Entfer-
nung. Die scheinbare Grösse eines Gegenstandes wird aber auch kleiner,
wenn derselbe bei gleicher Entfernung des von der verlängerten Sehachse
getroffenen Punktes desselben aus der normalen in eine schiefe Stellung
zur Sehachse gebracht wird (wie in obiger Figur gh, welches eben so
lang ist, als ac). Die wahre oder objeetive Grösse eines Gegenstandes
schätzen wir daher nach der scheinbaren, i. e. nach der Grösse des Netz-
hautbildes oder der Summe der getroffenen Netzhautelemente und nach
der anderweitig ermittelten Entfernung. Werden wir über die Entfernung
getäuscht, oder fehlen uns alle Anhaltspunkte zur Ermittelung derselben,
so ist auch unser Urtheil über die objeetive Grösse sehr subjeetiv. Die
Lage des Kreuzungspunktes der Richtungslinien ist keine unveränderliche,
wenigstens nicht relativ zur Netzhaut. Beim Betrachten naher Objecte
rückt, wie wir nachweisen werden, die Macula lutea weiter rückwärts,
wird demnach in obiger Figur ox grösser. Dieser Veränderung werden
wir uns aber durch das Gefühl der zu dieser Accommodation nöthigen
Muskelanstrengung bewusst. Halten wir dagegen eine massig starke Con-
vexlinse vor das Auge , so fällt der Kreuzungspunkt der Richtungslinien
im Auge weiter vorwärts, die oben mit ox bezeichnete Grösse wächst,
mithin auch die mit bd bezeichnete Ausdehnung des Netzhautbildes, der
Gegenstand erscheint grösser, und die Correctur durch das Muskelgefühl
fehlt. Eine Concavbrille bewirkt das Gegentheil, sobald ihre (negative)
Brennweite nicht so stark ist, dass sie die einem Lichtkegel angehörenden
Strahlen zu weit hinter der Netzhaut vereinigt und zu grosse Zerstreuungs-
kreise bewirkt. Bei Kurzsichtigen ist ox- immer grösser, als im normalen
Auge, weil, wie wir unten nachweisen werden, das Centrum der Netzhaut
überhaupt weiter hinter der Cornea und Linse liegt ; ist dabei die Em-
42 Netzhaut.
pfindlichkeit der Netzhaut und die Durchsichtigkeit der Medien ungestört
(reine Kurzsichtigkeit), so ist auch bd immer grösser, als in normalen
Augen, und werden zwei Punkte, die für ein normales Auge zu nahe an
einander liegen, als dass sie noch durch gesonderte Bilder vertreten wer-
den können, im kurzsichtigen Auge noch gelrennt abgebildet und em-
pfunden, wenn nur die Netzhaut in oder doch nahe an dein Vereinigungs-
punkte der Strahlen des betreffenden Lichtkegels liegt. In diesem Sinne
hat das kurzsichtige Auge (für hinreichend nahe Objecte) ein feineres oder,
wie man gewöhnlich sagt, ein schärferes Gesicht.
Der kleinste Sehwinkel, unter welchem weisse Punkte auf schwarzem Grunde
noch sichtbar waren, betrug nach Huek 2,6 Secunden, für weisse Striche nur 1,2 Se-
cunden. Einen Spinnenfaden erkannte Huek sogar unter einem Winkel von 0,6", einen
glänzenden Draht unter 0,2". Volkmann spannte zwei Spinngewebfäden in paralleler
Richtung und in einer Distanz von 0,0052 Zoll neben einander auf, und fand, dass er
(als Kurzsichtiger) dieselbe bis auf 7 Zoll Entfernung als zwei erkannte, aber nicht
weiter. Er berechnete die Distanz der Netzhautbildchen für diesen Fall auf 0,00037"
oder 0,0()2i4'". Zwei schwarze parallele, 0,016" von einander abstehende Linien auf
weissem Grunde erkennt Volkmann mit Hilfe der Brille auf 27" Entfernung. In diesem
Falle ist die Distanz der Netzhautbildchen 0,00029". Demnach war der Diameter der
kleinsten wahrnehmbaren Distanz für sein Auge gegen lOmal grosser, als der Diameter
des kleinsten noch wahrnehmbaren Netzhautbildchens. — Fragt man, ob das Unter-
scheiden zweier Gesichtseindrücke darauf beruhe, dass zwei verschiedene Netzhaut-
elemente getroffen werden, oder ob auch, wie Volkmann anzunehmen geneigt ist. zwei
Netzhautbilder, auf dasselbe Netzhautelement fallend, noch als different unterschieden
werden können, so müssen wir die Antwort schuldig bleiben, weil wir noch nicht
wissen, welche Netzhautelemente eigentlich bei Aufnahme der Atherschwingungen zu-
nächst betheiligt sind, und weil die Feinheit des Gesichtssinnes durch Übung so gut ge-
steigert werden kann, wie die Feinheit der übrigen Sinne.
Die Energie der Netzhaut kann durch zu intensive oder über-
massig lange dauernde Erregung plötzlich oder alhnälig erschöpft, durch
entsprechende Übung bis zu einem gewissen Grade gesteigert wer-
den ; sie sinkt durch lange NichtÜbung um so mehr, je früher (in den
Kinderjahren) ihre Ausschliessung vom Sehen stall findet. Wenn das eine
Auge lange nicht zum Sehen verwendet worden ist, so vermag es weder
so feine Objecte zu erkennen und zu unterscheiden, wie das geüble, noch
hält es die Betrachtung erkennbarer kleiner Gegenstände gleich lan<>' aus;
es hält überdiess letzlere auch in der Regel für kleiner und minder hell be-
leuchtet. Ein junger Mann, als Chemiker in physicalischen Dingen wohl be-
wandert, zur Betrachtung feiner Objecte sich (wahrscheinlich von Jugend auf)
nur des rechten Auges bedienend, konnte mit dein übrigens völlig normalen
linken Auee nichl bis zu so kleiner Druckschrift aufsteigen, wie mit dem
Physiologie. 43
rechten, hielt das Lesen mit dem linken nicht so lange ans, und machte
in meiner Gegenwart die für ihn überraschende Bemerkung, dass ihm die
mit dem linken Auge allein gelesene Schritt kleiner vorkam, als wenn er
sie mit dem rechten Auge allein oder mit beiden zugleich betrachtete.
Verschiedene Farben erschienen ihm, mit dem linken Auge allein betrachtet,
weniger hell ; mit dem rechten Auge allein sah er etwas deutlicher, als
mit beiden zugleich. Die Möglichkeit, in solchen Fällen durch methodische
Übung, wenn nicht völlig, so doch nahezu gleiche Energie der Sehkraft
herzustellen, reicht wohl hin zu beweisen, dass weder in der Netzhaut, noch
in dem dioplrischen Apparat oder in den muskulösen Gebilden sogenannte
organische Veränderungen zu Grunde liegen, um so mehr, als auch die
Energie der übrigen Sinnesnerven, besonders in früher Jugend, durch
Übung bis zu einem kaum glaublichen Grade gesteigert werden kann. —
Innerhalb gewisser Grenzen wächst mit der Intensität des Lichtes die
Stärke der Lichtempfindung. Wahrscheinlich müssen die durch die Äther-
wellen erregten Netzhautschwingungen eine gewisse Stärke erreicht haben,
bevor sie im Stande sind, Empfindung zu erregen; haben sie diese er-
reicht, so erhöht sich allmälig mit der Intensität der Schwingungen die
Empfindung; bei fortgesetzter Steigerung tritt Blendung ein, analog dem
Schmerze. Die Empfindlichkeit der Retina gegen weisses Licht sowohl
als gegen farbiges nimmt mit der Dauer ihrer Einwirkung auf dieselbe
ab, und zwar um so rascher, je beträchtlicher die Intensität des Lichtes
war. Rücksichtlich des gefärbten Lichtes ist hierbei bemerkenswerth, dass
durch die anhaltende Einwirkung einer Farbe die Empfindlichkeit der
Retina nur für diese, nicht aber zugleich für andere Farben abgestumpft
wird. (Ludwig.')
Die Netzhaut ist bei offenem Auge stets mit Bildern von so viel Ob-
jecten bedeckt, als neben einander Lichtstrahlen zu ihr senden können.
Je entfernter ein Object, desto kleiner das ihm entsprechende Bild. Auf
der circa 297 Quadratlinien messenden Oberfläche der Netzhaut ist daher
immer ein aliquoter (beiläufig der dritte) Theil der uns umgebenden Ob-
jecte abgebildet, und es ist in diesen engen Rahmen stets ein Ausschnitt
bald des Firmaments und der Erdoberfläche , bald der engen Stube, die
wir bewohnen, eingezeichnet. Stellen wir uns vor eine grosse Mauer, so
können wir dieselbe ganz aufnehmen, sobald wir gehörig weit entfernt
sind; so wie wir uns nähern, den Blick unverrückt auf einen fixen Punkt
heftend, so verengert sich die Scheibe, die wir übersehen, mit allmälig
verschwindender Peripherie. Wir nennen die Summe der Objecte, welche
bei ruhig gehaltenem Auge neben und hinter einander wahrgenommen
44 Netzhaut.
werden können, das Sehfeld. Geben wir dem Auge eine solche Stellung,
dass die Pupille etwas jenseits der Mitte der Lidspalte steht, mithin der
Nasenrücken nicht hinderlich wird, so finden wir, dass das Sehfeld von
dem fixirten Punkte nach der Schläfeseite hin sich weiter ausdehnt, als
nach der Nasenseite, offenbar desshalb, weil an der Nasenseite die Netz-
haut weiter nach vorn reicht, und die Iris etwas schmäler ist, als an der
Schläfenseite. Denn die äusserste Grenze nach vorn, bis zu welcher
der dioptrische Apparat Bilder entwerfen kann, ist auch bei weiter Pu-
pille die Ora serrata ; auf das Corpus ciliare kann niemals ein durch
die Cornea und Linse entworfenes Bild fallen. Durch die Zusammen-
wirkung beider Augen erhält das gemeinschaftliche Seh- oder Gesichts-
feld eine grössere Ausdehnung nach links und rechts, so dass wir bei
gradaus gerichtetem Blicke beinahe die Hälfte des uns umgebenden Ge-
sichtskreises übersehen.
Im Sehfelde ist es immer nur ein relativ kleiner Theil, um den End-
punkt der verlängert gedachten Sehachse gelegen, den wir so deutlich
sehen, als es die Entfernung und Beleuchtung der Objecte gestattet. Der
Grund dieser merkwürdigen Thatsache liegt nicht darin, dass wir etwa die
Aufmerksamkeit nur immer einem einzigen Objecte zuwenden können,
denn wir sind im Stande, die Aufmerksamkeit gerade von dem in der
Sehachse liegenden Objecte ab- und auf ein seitlich gelegenes Object zu
lenken. Zum Theil kann man ihn darin suchen, dass für eine bestimmte
Entfernung der Objecte nur die Macula lutea in der Vereinigungsweite
liegen, also nur in und nächst der Sehachse liegende Objecte scharf be-
grenzte Bilder auf der Netzhaut entwerfen können, während mehr seitlich
gegen die Ora serrata gelegene Netzhautpartien immer nur mehr weniger
verwischte Bilder empfangen. Für diese Ansicht kann man auch geltend
machen, dass von gerade vor dem Auge befindlichen Objecten ceteris pa-
ribus mehr Licht durch die Pupille eindringen kann, als von mehr seitlich
gelegenen. Die Untersuchungen von H. Müller und Kölliker machen es
indess höchst wahrscheinlich, dass im Bau der Netzhaut selbst der wich-
tigste Grund zu suchen sei, dass die Sensibilität in der Netzhaut selbst
ungleich vertheilt sei, analog der Vertheilung des Tast- und Geschmack-
sinnes. Gleichwie nach E. H. Webers Untersuchungen z. B. zwei Zinken
einer Gabel an den Fingerspitzen schon bei sehr geringem Abstände von
einander als zwei wahrgenommen werden können, während sie immer
weiter von einander abstehen müssen, wenn sie auf dem Handrücken, am
Oberarm, am Nacken noch als getrennt empfunden werden sollen, scheint
auch die Netzhaut so organisirt zu sein , dass zwei Bildchen, von zwei
Physiologie. 45
leuchtenden Punkten im Sehfelde entworfen, auf der Manila lutea noch
als getrennt wahrgenommen werden, während sie, je weiter gegen die
Peripherie hin entworfen, desto mehr auseinander gerückt sein müssen, um
noch als zwei unterschieden zu werden.
Sind die Angaben über die Vertheilung der Zapfen in der Stäbcbenschicht richtig-,
so wäre bei Erklärung der genannten Thatsache wohl vor allem an diese zu denken.
Dass die Oplicusfascrn der Netzhaut, welche gleichfalls gegen die Peripherie hin all—
mälig abnehmen, nicht als die aufnehmenden, sondern nur als leitende Elemente in An-
spruch genommen werden können, ergibt sich aus dem Umstände, dass sie im centra-
len Theile vielfach über einander liegen, dass sie mitten in der Macula lutea fehlen, dass
die Pupilla nervi optici zur Lichtperception wenig, nach Helmhoh gar nicht geeignet
ist, und dass rein centrale Retinalamaurosen mit nachweisbarer Veränderung der Macula
lutea vorkommen. Biegen die Opticusfasern um die desorganisirte Macula lutea herum,
dann ist wenigstens begreiflich, wie in solchen Fällen jenseits (gegen die Schläfe hin)
gelegene Netzhautpartien noch fungiren können.
Auf der eben besprochenen Einrichtung des Auges beruht der Unter-
schied zwischen dem sogenannten directen und indireclen Sehen. Indem
ich schreibe oder lese, kann ich nur einen kleinen Theil der Zeile mit
Einem Blicke deutlich (direct) sehen, und muss die Macula lutea nach
und nach den Stellen, welche deutlich gesehen werden sollen, gegenüber
bringen. Dabei nehme ich die Umgebung des deutlich Gesehenen durch
indirectes Sehen wahr, welches je weiter gegen die Grenzen des Seh-
feldes desto minder deutliche Wahrnehmungen gestattet, selbst dann, wenn
ich meine Aufmerksamkeit, nicht aber die Sehachse, auf ein solches seit-
lich gelegenes Object lenke.
Das directe Sehen gibt uns das Bild eines Objectes, das indiiecte
vermittelt vorzüglich das Auffassen des Räumlichen, des Neben-, Über-
und grösstenteils auch des Hinter einander s eins der Objecte im Sehfelde.
Viele behaupten, dass wir nur das Weben- und Übereinandersein der Ob-
jecte unmittelbar mit dem Blicke auffassen, dass die Wahrnehmung der
dritten Dimension (Tiefe, Entfernung vor uns) erst durch andere Hilfs-
mittel zu Stande gebracht werde. Es ist aber die Wahrnehmung der Ent-
fernung der Hauptsache nach schon in dem directen und indirecten Sehen
in der gleichzeitigen Erregung der peripherischen Netzhautpartien gegeben,
wenn gleich in dem Muskelgefühl (behufs der Convergenz der Sehachsen
und der Accommodation) und in der Erinnerung an bereits gemachte
Wahrnehmungen wichtige Unterstützungs- und Controllmittel liegen. Was
im Sehfelde neben und übereinander liegt, ist auch auf der Netzhaut neben
und über einander abgebildet, sobald es Licht dahin senden kann, und
46 Netzhaut.
wird in dieser räumlichen Anordnung- wahrgenommen. Auf der concar>en
Netzhautfläche ist aber gleichzeitig auch die Abbildung hinter einander
gelegener Objecte , also die Abfassung der dritten Dimension möglich,
sobald der näher liegende Gegenstand nicht alles Licht, das der entferntere
zum Auge senden kann, abhält. Wäre die Netzhaut plan, statt concar,
dann würden wir in der Auffassung der dritten Dimension bloss auf
das Muskelgefühl '., die bekannte Grösse und Beleuchtung der Objecte
u. s. w. angewiesen sein.
Was unmittelbar vor meinen Füssen ist, wirft ein Bild auf den vordem Theil der
ob'ern Hälfte der Netzhaut; was einige Schritte vor mir liegt, ist auf der Netzhaut eben
daselbst etwas weiter hinten abgebildet, und so fort bis zu dem Punkte des Sehfeldes,
den ich fixire. So kann ich auf unbekanntem Wege fortschreiten, ohne meinen Blick
an den Pfad zu fesseln ; die obere Hälfte meiner Netzhaut rapportirt mir bei nur eini-
ger Aufmerksamkeit jedes Hinderniss am Wege, so wie die innere Hälfte mich augen-
blicklich zum Schliessen der Lider bestimmt, wenn etwa ein Insect von der Seite her
sich dem Auge nähert. In stockfinsterer Nacht oder in einem langen Stollen sind wir
nicht im Stande zu bestimmen, wie weit entfernt ein Licht sei, wenn die zwischen-
liegenden Objecte nicht beleuchtet sind, gleichviel ob wir ein oder beide Augen offen
haben. Selbst wenn uns die (irüsse und Helligkeit der Flamme bekannt ist, vermögen
wir mit nur geringer Wahrscheinlichkeit auf ihre Entfernung zu schliessen, sobald die
Wahrnehmung der zwischenliegenden Objecte fehlt. Dein bekannten Beispiele vom
Danebengreifen beim Lichtputzen, wenn das eine Auge geschlossen wird, lässt sich das
andere entgegenstellen, dass die meisten Jäger beim Zielen das zweite Auge schliesseti.
Stellen wir uns, ein Auge verdeckend, vor ein Doppelfenster so, dass der innere (nä-
here) verticale Stab den äussern verdeckt, so wird letzterer augenblicklich sichtbar,
wie wir das verdeckte Auge öffnen. Der entferntere Stab wird dabei nur mit dem
früher verdeckten Auge gesehen. Derselbe Versuch an den horizontalen Stäben vor-
genommen, kann diese Erscheinung natürlich nicht darbieten. Dieser Versuch zeigt,
wie viel und auf welche Weise das zweite Auge zur Beurtheilung der Entfernung bei-
tragen kann. — Am Anfange einer grossen Ebene stehend, welche am Ende durch
einen Berg begrenzt wird, sind wir nicht im Stande, die Länge der Ebene (Entfernung
des Berges von unbekannter Grösse) zu schätzen, weil gerade Linien von einzelnen
Punkten der Ebene durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinien gezogen auf eine
unverhältnissmässig kurze Strecke der Netzhaut fallen ; beschauen wir aber dieselbe
Ebene von dem Berge aus, so schätzen wir ihre Länge gewiss viel richtiger, weil jetzt
einzelne Punkte (Objecte) derselben neben, eigentlich hinter einander auf der obern
Netzhauthälfte abgebildet werden können. Stellen wir uns an das Ufer eines eben so
laugen Sees, wie die eben supponirte mit mannigfachen Objecten besetzte Ebene, so
schlagen wir auch bei gleicher Höhe unseres Standpunktes über dein Wasserspiegel
wie früher über die Ebene, die Länge des Sees geringer an, als die der Ebene. Es
mag uns diese Thatsache auf den ersten Blick vielleicht ebenso überraschen, als wenn
wir zum ersten Male hörten, es können auf der Oberfläche eines Berges nicht mehr
Bäume stehen, als auf der Ebene, welche der horizontalen Grundfläche des Berges
gleicht; und doch ist eins so richtig, als das andere. — Einen von Dave geführten
Physiologie. 47
Beweis dafür, dass wir die sogenannte dritte oder Tiel'cndimcnsion des Baumes (der
Körper) ohne Mitwirkung der Muskelthiitigkeit aufzufassen vermögen, werden wir beim
Besprechen des Einfachsehens mit zwei Augen anführen.
So wie das dircete und indirecte Sehen sich gegenseitig unterstützet
und ergänzen, so stellen sie auch in einem gewissen Gegensätze zu ein-
ander. Seilen wir durch ein dünnes Rohr, oder schliessen wir die Er-
regung der peripherischen Netzhautpartie dadurch aus, dass wir eine dunkle
Scheibe mit einer kleinen Öffnung nahe vor das Auge halten, so macht
die ausschliessliche Erregung der centralen Netzhautpartie einen viel stär-
keren Eindruck, lässt das Object nicht nur schärfer, sondern auch heller
hervortreten. Wird dagegen beim Fixiren eines Objectes eine seitlich ge-
legene Netzhautpartie durch ein stärker leuchtendes Object, z. B. ein
Kerzenlicht, eine spiegelnde Fläche angeregt, so erscheint das fixirle Ob-
ject minder deutlich. Unverhältnissmässig starke Erregung der zum di-
recten Sehen dienenden Netzhautpartie ist nicht minder nachtheilig, als das
Gegentheil. Auf dieses Gesetz basiren sich die Vorschriften über die Be-
leuchtung der Objecte des Sehfeldes, durch deren Nichtbeachtung eine
Menge gesunder Augen verdorben werden. Am meisten Verstösse gegen
diese Vorschriften werden von jenen begangen , welche ihre Augen viel
zu feinen Arbeiten verwenden, besonders bei künstlicher Beleuchtung (mit
vorwaltenden gelben und rothen Strahlen). Bald fehlt man daiin, dass
man alles Licht auf das Object des directen Sehens concentrirt und das
übrige Sehfeld nahezu dunkel lässt, bald dadurch, dass man durch zu nie-
drig gestelltes Licht, durch zur Seite oder unten befindliche, zu viel Licht
reflectirende (spiegelnde) Objecte die peripherischen Netzhautpartien zu
stark erregt. *)
Die Einrichtung des Auges, dass vermöge des dioptrischen Apparates
nur in der Gegend des hintern Poles die relativ schärfsten und hellsten
Bilder entworfen werden können, und dass die Empfindlichkeit der Netz-
haut von der Ora serrata gegen die Macula lutea hin gradatim zunimmt,
in dieser selbst aber am grössten ist, zwingt uns nach dem allgemeinen
Gesetze, dass Reflexbewegungen erfolgen, um eine Function möglichst
vollkommen vor sich gehen zu machen, schon , in früher Kindheit, den
hintern Pol des Auges jenem Objecte des Sehfeldes gegenüber zu
stellen, welches eben die Netzhaut vorwaltend erregt und Gegenstand der
Aufmerksamkeit wird. Da nun dieses in jedem Auge für sich in gleicher
*) Ob der Gebrauch der von Donders bei Hornhauttrübungen vorgeschlagenen stenopäischen Brillen, welcher mir
gegen dieses GeseU zu Verstössen scheint, nach längerer Zeit nicht etwa der Netzhaut nachtheilig werden könne,
muss vorläufig der Ermittelung durch Erfahrungen überlassen werden.
48 Netzhaut.
Weise geschieht, mithin die. Sehachse eines jeden Auges auf das Ohject
gerichtet werden muss, so ergibt sich als Folge der genannten Einrich-
tung die correspondirende Stellung und Bewegung der Augen zum Ob-
jede des directen Sehens. Schon in den ersten Lebenstagen erfolgen
concomitirende Bewegungen beider Bulbi ; beide werden gleichzeitig links,
rechts, nach oben u. s. w. gerollt. Diese Bewegungen müssen als aus einem
angeborenen Verhältnisse der betreffenden Nerven zu den Centralorganen
hervorgehend betrachtet werden. Sie erfolgen zunächst unabhängig- von
Erregung der Netzhaut durch äussere Objecte, und unabhängig vom Wil-
lenseinflusse. Reflexbewegungen, angeregt durch Sinneseindrücke (auf
das Seh- oder Hörorgan) erscheinen erst dann, wenn es bereits zur Bil-
dung von Vorstellungen, zur Erinnerung an schon gehabte Eindrücke ge-
kommen ist. Durch den Einfluss der Sinneseindrücke mittelst Reflexwir-
kung auf die Muskeln des Auges wird die Stellung und Bewegung des-
selben dem Sehen untergeordnet, die concomitirenden Bewegungen erfolgen
nicht mehr automatisch, sondern durch den Reflexeinfluss von der Netz-
haut aus beherrscht als assoeiirte, dem Sehacte dienende und durch den-
selben geregelte. Müssen aber die Sehachsen aus dem oben angegebenen
Grunde jenem Objecte , welches die Aufmerksamkeit vorwaltend erregt,
notwendiger Weise zugewendet werden , dann macht der Wechsel in
der Entfernung des Objectes nebst den assoeiirten noch eine andere Art
von Bewegungen nothwendig, die der gleichnamigen Muskeln, welche jener
der gleichseitigen (links, rechts etc.) entgegen gesetzt ist, ohne sie aus-
zuschliessen. Es ist diess die aecommodative Bewegung, welche bewirkt,
dass die Sehachsen bald näher bald weiter vor dem Auge sich in dem Ob-
jecte treffen, gleichviel ob die Bulbi vorwärts, links, rechts, auf- oder abwärts
gerichtet sind. Die concomitirenden Bewegungen sind , weil auf einem
angeborenen Verhältnisse beruhend, schon beim Neugeborenen vorhanden,
und gehen nie verloren, ausser wenn die Muskeln spastisch oder paraly-
tisch afficirt werden. Ihre Umgestaltung zu assoeiirten und das Auftreten
der aecomodativen Bewegungen hängt von der Entwickelung und Integri-
tät der Netzhautthätigkeit ab. Blindgeborene und frühzeitig Erblindete
zeigen stets nur concomitirende Augenbewegungen. Augen, deren Function
von früher Jugend an beträchtlich gestört ist, z. B. durch Hornhautnarben,
unvollständige Linsentrübung, Netzhautabnonnitäten, bieten nebst assoeiir-
ten auch aecommodative Bewegungen dar, aber beide meist ungeregelt
und unstät. Bleibt aber die Function auch nur des einen Auges intact,
so sind die assoeiirten Bewegungen beider Augen geregelt, und die hc-
conunodativen des erkrankten fehlen nur dann, wenn seine Function früh-
Physiologie. 4J)
zeitig beeinträchtigt wurde oder völlig verloren ging1. Diess beweist, <l;iss
der durch Reflex hervorgerufene Impuls zu den Bewegungen jederzeit vom
Centralorgane auf beide Augen zugleich gerichtet ist, wie wir diess be-
reits bei den Irisbewegungen kennen gelernt haben. Später , wenn der
Wille die Muskeln influenzirt, sind nicht nur die assoeiirten, sondern auch
die aecomodativen Bewegungen bereits in ein so stabiles Verhältniss zu
einander getreten, dass es ihm nur schwer gelingt, sicli gegen dasselbe
geltend zu mächen. Im Allgemeinen ist es unmöglich, ein Auge allein
nach einer andern Richtung als das andere zu bewegen. Wir können für
gewöhnlich nur , wie es nach den Gesetzen der Association und Accom-
modation gleiehsam vorgezeichnet ist, die gleichseitigen oder die gleichna-
migen Muskeln zugleich durch den Willen in Thätigkeit setzen. Indem je -
doch , wie schon bemerkt , die assoeiirte Thätigkeit die aecomodative
nicht ausschliesst, können wir auch bei links , rechts , auf- oder abwärts
gerichtetem Blicke die Convergenz der Sehachsen abändern. Wahrend es
aber dem Willenseinflusse nur in sehr beschränktem Maasse gelingt, ab-
ändernd in diese Verhältnisse einzugreifen, z. B. das eine Auge gradaus
das andere einwärts zu stellen, bewirken Störungen in der Function der
einen Netzhaut oft, und selbst in spätem Alter durch Reflexaction Abände-
rungen (Schielen), zum Zeichen, wie wichtig der Einfluss der Netzhaut auf
die Stellung und Bewegung der Augen ist. Ein analoges Verhältniss wie
zwischen der Netzhaut und den dem Sehacte dienenden Muskeln findet zwi-
schen dem Gehör und den die Sprache vermittelnden Muskeln statt.
Aus diesem Verhältnisse der Muskeln zur Netzhaut ergibt sich auch
die bündigste Antwort auf die oft gestellte Frage, warum wir die Gegen-
stände aufrecht sehen, da doch das Bild auf der Netzhaut ein umgekehr-
tes ist. Damit, dass man sagt, das Bild ist nur für das beschauende, nicht
aber für das durch die Lichtwellen selbst erregte Auge umgekehrt, ist
noch nicht erklärt, warum wir einen Eindruck, der auf einen vom Central-
punkte der Netzhaut links, oben u. s. w. gelegenen Punkt geschieht, im
Bewusstsein auf ein vom Centralpunkte des Sehfeldes (Ende der verlän-
gerten Sehachse) rechts, unten u. s. w. gelegenes Object beziehen. Wir
müssen, wie Volkmann bemerkt, um ein auf der Netzhaut links vom Cen-
truin abgebildetes, also im Sehfelde rechts liegendes Object zum Gegen-
stande des directen Sehens zu machen, das Auge rechts bewegen, und
werden uns dieser Bewegung bewusst. Eben dieses Bewusstwerden der
Bewegung ist nothwendig, wenn sich die Begriffe von rechts, links, oben
u. s. w. entwickeln sollen.
Arlfs Augenheilkunde III, 2. 4
50 Netzhaut.
Ein von Kindheit an Blinder lernte nach gelungener Beseitigung des grauen Stna-
res mit dein linken Auge sehen, welches einwärts schielte. „Für ihn lagen also die
Gegenstände des deutlichsten Sehens hei unangestrengtein Auge rechts, und es bildete
sich bei ihm erfahrungsmässig die Vorstellung : die Gegens*ände des deutlichsten Sehens
liegen auf der Seite der rechten Körperhälfte. Jetzt wurde der innere Augenmuskel
durchschnitten, und das Auge stellte sich unbewusster Weise gerade nach vorn.. Natür-
lich musste er auch jetzt meinen, der deutlichste Theil des Gesichtsfeldes läge nach
rechts, denn das Muskelgefühl war nach wie vor dasselbe, und eben das Muskelgefühl
bedingt die Vorstellung der Richtung." Volkmann.*)
Ist auf diese Weise die Notwendigkeit eingetreten, dass wir ein
Bild, unterhalb des Ceritralpunktes der Netzhaut entworfen, i. e. eine Er-
regung der Netzhaut durch Licht auf ein Object beziehen, welches im
Sehfelde oberhalb der Sehachse liegt, dann wird auch eine durch Druck
auf den Bulbus gesetzte Erregung der Netzhaut so wahrgenommen , als
ginge sie von der entgegengesetzten Seite aus. Drücken wir auf den
einen Bulbus z. B. hinter der Insertion des M, rectus internus, so gelangt
die Erregung der Netzhaut als leuchtender Kreis so zum Bewusstsein,
als schwebe derselbe an der Schläfeseite vor dem Auge im Sehfelde.
Lässt man Nachts die Strahlen einer Kerzenflamme durch eine Linse von
etwas grösserer Öffnung und massiger Brennweite (l/2 — 1") gerade in ihrer
Vereinigungsweite auf die Sclerotien vom äussern Winkel her einfallen,
jedoch etwas mehr als 3'" hinter dem Hornhautrande, so sieht das davon
getroffene (stark einwärts zu wendende) Auge einen Lichtkreis von der
Nasenseite her vorschweben , welcher auf und ab oder vor- und rück-
wärts geht, so wie die möglichst concentrirle Lichtscheibe durch Bewe-
gung des Brennglases auf der Sclera ab- oder auf-, rück- oder vorwärts
bewegt wird. — Wenn man diese Erscheinung damit bezeichnet , dass
man sagt, die Netzhaut projicire die Empfindung nach aussen durch den
Kreuzungspunkt der Richtungslinien, so darf man beim Gebrauche dieses
bequemen Ausdruckes nie vergessen, dass er ein figürlicher ist. Wer
demnach sagt, wir sehen aufrecht, weil jeder Punkt der Netzhaut durch
Licht, Druck u. s. w. erregt, die Empfindung durch den Kreuzungspunkt
nach aussen projicirt, der gib! hiermit keine Erklärung, sondern nur eine
leicht verständliche Beschreibung.
Die eben besprochene Orientirung im Sehfelde setzt voraus, was Volkmann, Bu-
rov, Valentin u. A. sichergestellt haben, dass das Auge bei seinen Bewegungen keine
Locoinotion, sondern bloss Rotationen um einen fixen Punkt erleidet, welcher sich ohn-
gefähr in der Mitte der Sehachse, zwischen dem vordem und hintern Pole des Auges
') Wagoer's Handwörterbuch, Sehen. III, B. S. 344
Physiologie. 51
befindet. Die relative Lage dieses Drehpunktes zum Knochengerüste der Orbila bleibt
sowohl bei den associirten als bei den accommodativen Bewegungen der Bulbi iinnier
eine und dieselbe. Der Absland beider Drebpunkte von einander blieb bei Volkmann's
Augen constant 2,4", während die Augen sieb den verschiedensten Entfernungen zwi-
seben der weitesten Ferne bis zu 4" aceoinniodirten. Bei verschiedenen Individuen
ist der Absland der Drehpunkte (Bulbi) von einander etwas verschieden ; bei einem
und demselben Individuum ändert sich die Lage nur in so fern, als starke Abmagerung
ein massiges Zurücksinken der Bulbi in die Orbita zur Folge hat.
Zu den eben besprochenen Verhällnissen in innigster Beziehung steht die
Thatsache, dass wir mit beiden Augen zugleich jedes Object einfach sehen,
welches uns doppelt erscheint, sobald die Sehachsen sich nicht in ihm
treffen. Dieses Doppeltsehen wird das binoculäre genannt, zum Unter-
schiede von dem monoculären, von welchem später die Rede sein wird.
Es ist Thatsache, dass wir die Objecte, welche das Sehfeld bilden, alle
einfach sehen, sobald die Augen jene Stellung zu einander behaupten,
welche sie nach dem Gesetze erhielten, dass jedes Auge mit der empfind-
lichsten Stelle dem Objecte des deutlichen Sehens zugelenkt werden
muss. Dann treffen oder kreuzen sich die Sehachsen in diesem Objecte.
Läge die empfindlichste Stelle einmal nicht im hintern Pole des Auges,
dann würde auch die gerade Linie, welche den hintern Pol mit dem vor-
dem verbindet, für dieses Auge nicht mehr die Sehachse genannt werden
können, oder man müsste sagen, dass in diesem Falle Einfachsehen beider
Augen ohne Kreuzung der Sehachsen im Objecte statt finde. Wir werden
von diesem, wenn überhaupt, so gewiss höchst selten vorkommenden Zustande
vorläufig absehen. Ist nun der hintere Pol als die zum deutlichen Sehen
geeignetste Stelle eines jeden Auges dem Objecte zugewendet, dann rei-
hen sich um das Bild dieses Objectes die Bilder der übrigen Gegenstände
des Sehfeldes so an, dass jedes seine Lage auf einer entsprechenden
Nelzhautstelle hat, auf einer Stelle, welche jene desselben Bildes in dem
zweiten Auge decken würde, wenn man die eine Netzhaut ohne sonstige
Verrückung in die andere hineingelegt denkt. Man nennt je zwei Stellen,
welche sich bei dieser Ineinanderlegung decken würden, congruent oder
identisch. Nach Volkmann sind je zwei Stellen identisch , welche nach
der gleichnamigen Richtung hin, z. beiderseits nach oben, oder beiderseits
nach links, unter demselben Längen- und Breitengrade liegen, falls man
sich jede Netzhaut gleich der Hemisphäre eines Globus vom Centrum der
Macula lutea (Pol) bis zur Ora serrata (Äquator) durch Meridiane und
Parallelkreise gleichmässig eingetheilt denkt.
Unter der Voraussetzung, dass jedes Auge mit der empfindlichsten
Stelle demselben Objecte des Sehfeldes zugelenkt ist, entsprechen sich
4*
52 Netzhaut.
aber nicht nur die zwei centralen, sondern auch immer je zwei seitliche
Bilder, durch dasselbe Object zu Stande gebracht, nebst der correspondi-
renden Lage auch in Grösse. Form, Farbe und Helligkeit , wenn das Ob-
ject zu beiden Netzhäuten Licht senden kann, und der dioptrische Ap-
parat des einen Auges dem des andern völlig gleich ist. Es ist dann
auch die Richtung der betreuenden Lichtkegel im Glaskörper relativ zur
Totalität der Netzhaut in dem einen Auge wie in dem andern. Unter
solchen Umständen entspricht demnach je einem Bilde eines Öbjcctes in
dem einen Auge ein ganz gleiches oder identisches in dem andern. Die
Empfindung wird aber erst dann identisch, wenn auch die Empfindlichkeit
der betreffenden Netzhautstellen und die Fortleituug zum Centralorgane min-
destens nahezu die gleiche ist.
Bei völliger Identität der Empfindung werden wir uns des Doppelt-
seins des Eindruckes nicht bewnsst. Je lebhafter die Erregung der Netz-
häute, desto strenger ist die Anforderung an Übereinstimmung der Bilder.
Daher je weiter von der Macula lutea ein Bild zu liegen kommt, desto
weniger streng nöthig ist die völlige Gleichheit mit dem entsprechenden
Bilde des andern Auges. Je feiner der Gegenstand, der erkannt werden
soll, desto notbwendiger ist Gleichheit der Eindrücke. Das Wegfallen der
Erregung des einen Auges wird von uns in der Regel gar nicht wahr-
genommen; wir sehen die meisten nahen Körper an einem oder dem an-
dern Theile nur mit dem einen Auge, ohne es zu wissen , bis wir das
andere Auge verdecken. Die völlige Ausschliessung des einen Auges vom
Sehacte fällt uns gar nicht oder nur durch geringe Verminderung der
scheinbaren Helligkeit oder durch Beschränkung des Sehfeldes nach der be-
treffenden Seite hin auf.
Bei ungleich starker Erregung beider Nelzhäute wird der durch das
stärker angesprochene Auge bewirkte Eindruck liald unterstützt, bald ge-
schwächt, bald ganz allein wahrgenommen (der schwächere unterdrückt).
Der Grund der Ungleichheit der Erregung liegt entweder im Netzhautbilde
(dioptrischer Apparat) oder in der Netzhaut selbst (Stumpfheit). Unter-
stützt wird das besser sehende Auge durch das schwächere im Allgemei-
nen bei jenen Functionen, Welche keine scharfen Eindrücke erfordern,
gestört hingegen dann, wenn es sich um feinere Wahrnehmungen und
Auseinanderhaltung kleinerer Netzhautbilder handelt. Die relativ zu
schwache Erregung des einen Auges kann aber auch (durch Abstraction
der Aufmerksamkeit?) ganz Unterdrückt werden, so dass sie gar nicht
Gegenstand (\cr Wahrnehmung wird. Die Unterdrückung gelingt um so
leichter, je schwächer die Erregung in dem einen relativ zu der Erregung
Physiologie. 53
in drin andern Auge ausfällt. Durch Abschwächung der stärkeren Er-
regung (z. ß. durch ein vor das stärkere Auge gehaltenes getrübtes oder
dunkelfarbiges Glas) kann die Erregung des andern Auges wieder zum
Auftauchen in der Wahrnehmung gebracht werden. — Ungleichartige
Erregung durch verschiedenfarbiges Licht (farbige Gläser, prismatische
Farben u. s. w.) zeigt je nach der Qualität und Intensität (des durch-
gelassenen Lichtes) bald eine Art von Verschmelzung der beiden Ein-
drücke, bald wechselnde oder constante Unterdrückung des einen Ein-
druckes (Weltstreit der Sehfelder). Diese Thatsachen ergeben sich theils
aus Beobachtungen an Kranken, theils aus Versuchen mit leicht und stark
angerauchten, mit farbigen, mit concaven und convexen Gläsern, mit JVTy—
driaticis (Veränderung des Refractionszustandes) , am schönsten aber in
Versuchen mit dem Wheatston sehen Stereoskop.
„Da die Ansicht eines mit dem rechten Auge betrachteten Objectes von drei Di-
mensionen, wenn dieses nicht zu entfernt ist, eine andere ist, als die mit dem linken
erhaltene, so schloss Wheatstone (1838), dass wir einen Körper als solchen sehen mit-
telst zweier verschiedener Netzhautbilder. Diese Überlegung führte ihn zu der Frage,
was geschehen würde, wenn anstatt des Objectes selbst die Projectionen seines Bildes
auf eine ebene Fläche, welche genau so nachgezeichnet werden, als sie einem Auge
allein erscheinen müssen, gleichzeitig jedem Auge dargeboten würden. Diese Frage
beantwortete das von ihm erfundene Spiegelstereoskop durch die merkwürdige Erschei-
nung, dass wir statt der beiden Projectionen nur den Körper selbst sehen." — „Gegen
die Wheatstone' sehe Erklärung machte Brücke (1841) geltend, dass das Urtheil über die
Entfernung eines Gegenstandes, wenn uns die perspectivischen Hilfsmittel für die Schäz-
zung derselben abgehen, nur aus dem Bewusstsein der Convergenz der Sehachsen sich
bildet, unter der wir denselben sehen ; die in uns hervortretende Vorstellung, dass das,
was wir sehen, als Körper erscheine, involvire daher das Factum, dass verschiedene
Punkte in dem Angeschauten unter verschiedener Sehweite gesehen werden. Wir
schliessen daher aus der Veränderung der Convergenzpunkte der Sehachsen auf einen
Körper, indem wir abwechselnd die näheren und die entfernteren Tlieile derselben ins
Auge fassen." — „In einem dunklen Zimmer stellte ich ein gewöhnliches Spiegelstereo-
skop so auf, dass die beiden Zeichnungen desselben von einer Lampe gleich hell be-
schienen waren. An die Stelle der Lampe wurde nun eine sich selbst entladende La-
«e'sche elektrische Flasche gestellt, welche bei gleichbleibendem Drehen der Elektrisir-
maschine stets nach bestimmten Zeitintervalien sich entlud. Dadurch wurde es möglich,
auf die momentane Erscheinung sich vorzubereiten. Ich sowohl als Andere, denen ich
diese Versuche zeigte, sahen vollkommen deutlich das körperliche Relief, mitunter aber
auch die beiden Projectionen, aus denen es entsteht. Nach den Versuchen von Wheat-
stone ist die Dauer des Leuchtens eines elektrischen Funkens kürzer, als der millionste
Theil einer Secunde. "Während dieser Zeit müsste also der Convergenzwinkel der Au-
genachsen mindestens einmal um mehr als vier Grade verändert werden. Ob dies wahr-
scheinlich, mögen die Physiologen entscheiden." Dove. Nach Volkmanns Versuchen
nimmt die kleinste Augenbewegung ohngefähr 0,3 Secunde in Anspruch, und nach Helm-
54 Netzhaut.
holz pflanzt sich in den empfindenden Nerven ein Eindruck mit einer Geschwindigkeit
von 180 Fuss in einer Secunde fort.
Vollständig zu erörtern, warum bei den Versuchen mit verschiedenfarbigen Gläsern
der eine Beobachter die Mischfarbe sieht, ein anderer dagegen nicht, würde uns hier
zu weit führen; es genüge, aus Dove's Schrift nur einige Stellen herauszuheben. „Wenn,
man dein rechten Auge eine andere Farbe darbietet als dem linken, sahen Einige eine
Farbe nach der andern, Einige farbige Flecken der einen neben farbigen Flecken der
andern, endlich Einige die aus beiden Farben entstellende Mischungsfarbe. Streng ge-
nommen liegt in dieser Beschreibung das Gemeinsame, das Alle zugeben, dass unter
gewissen Bedingungen eine Combination beider Farben möglich sei. denn das Nachein-
ander muss einen Durchgangspunkt haben, wo die abklingende Farbe ebenso stark 'wird,
als die in das Bewusstsein tretende, das Nebeneinander muss Stellen des Überganges
haben, da die Flecken nebeneinander sich nicht scharf gegen einander abgrenzen." —
„Aus Versuchen — in der citirten Schrift nachzulesen — folgt, dass die Convergenz-
linien beider Augen bei deutlichem Sehen für rothes Licht einen spitzem Winkel bilden,
als für blaues. Hält man daher vor beide Augen dasselbe farbige Glas, so wird sich,
wenn man mit der Farbe des Glases wechselt, die Accommodation ändern müssen. Für
die. welche mit beiden Augen gleich gut sehen, wird die Accommodation bei dem ge-
wöhnlichen Sehen für beide Augen stets dieselbe sein, proportional nämlich dem Win-
kel der Convergenzlinie beider Augen. Hält nun ein solcher Beobachter vor das eine
Auge ein farbiges Glas, vor das andere ein anderfarbiges, so stellt er den Augen die
Aufgabe, die gleiche Accommodation beider oder wenigstens das Verhältniss derselben
unter der Voraussetzunff. dass sie für beide Augen nicht gleich sei, zu verändern, und
da dieser Aufgabe nicht genügt werden kann, so werden sich die Bilder nicht decken,
sondern aus sich kreuzenden Richtungen auf eine Fläche projicirt werden, die nicht im
Durchschniltspunkte beider Richtungen liegt; und in der That dieselben Erscheinungen,
wie im Stereoskop, treten, freilich weniger deutlich, auch beim gewöhnlichen binocularen
Sehen eines mit weissen Linien auf schwarzem Grunde gezeichneten Gegenstandes her-
vor, nämlich ein paralleles Übereinanderlegen einander berührender farbiger Linien,
wenn man mit dem rechten Auge durch ein Glas ihn betrachtet, dessen Farbe eine an-
dere ist, als die des Glases, durch welches er gleichzeitig mit dem linken Auge ge-
sehen wird."
Seil dem Erscheinen von J. Müller'e genialer Abhandlung über die Physiologie des
Gesichtssinnes (Leipzig 1826) hat man sich fast allgemein gewöhnt, das Einfachsehen mit
zwei Augen aus der sogenannten Identität der Netzhäute als etwas Angeborenes zu er-
klären. Es soll immer nur je ein und dasselbe Element der einen Netzhaut mit je einem
und demselben Elemente der andern Netzhaut sich zu Einer Empfindung vereinen kön-
nen, gleichwie auf zwei gleich eingetheilten Hemisphären nur je ein Punkt unter dem
gleichen Längen- und Breitengrade liegen kann, und dieses Verhältniss soll nicht bloss
in der schon oben besprochenen, in der That nachgewiesenen und anatomisch hinrei-
chend begründeten 'verschiedenen Vertheilung der Empfindlichkeit der Netzhaut, sondern
noch in einer andern angeborenen Einrichtung bedingt sein. Nach MiiHrr'* Ansieht sol-
len nämlich immer je zwei solche Punkte oder Elemente der einen oder der andern
Netzhaut durch eine gemeinschaftliche Wurzel im Centralorgane vertreten sein, und
hätte das Ghiasma nerv. opt. diese Einrichtung zu vermitteln. Eine' jede Faser des rech-
ten Tractus opticus (heile sich im Chiasma in zwei, davon die eine, an der rechten Seite
Physiologie. 55
direct fortlaufend, zur rechten (äussern) Hälfte des rechten Bulbus gehe , während die
andere sich mit den vom linken Tractus opticus herüber kommenden kreuze und zur
rechten (innern) Hälfte des linken Bulbus verlaufe. Diese Erklärung beruht theils auf
nnerwiesenen, theils auf geradezu irrigen Voraussetzungen. Unerwiesen, wie Mütter I.
c. S. 95 selbst zugibt, ist das hier supponirte Verhalten der Opticus- und Retinafasern.
Irrig aber ist die noch in die neuesten physiologischen Abhandlungen aufgenommene Be-
hauptung, dass Erkrankung des einen (z. B. rechten) Tractus opticus Lähmung der gleich-
seitigen (rechten) Netzhauthälften bewirke. Muller wurde offenbar durch Wöllaston's
Angaben irre geführt, welcher durch Beobachtung von bilateraler Heiniopie theils an
sich selbst, theils an zwei Freunden zu einer Hypothese veranlasst worden war, welche
die Grundzüge der Müller sehen enthält. Wollaston*} war zweimal von Heiniopie be-
fallen worden, das erste Mal nach einer hastigen, 2— 3stündigen Bewegung, und etwa
20 Jahre später ohne nachweisbare Veranlassung. Das erste Mal fand er plötzlich, dass
er von einem Menschen nur die linke Hälfte des Antlitzes sehen, von dem Worte „John-
son" nur die Sylbe „son" erblicken konnte; es war einerlei, ob er mit dem rechten
oder mit dem linken Auge schaute. Diese Blindheit war nicht so vollständig, dass sie
bis zur absoluten Schwärze reichte, sie war gewisserniaassen eine schattige Dunkelheit
ohne deutlichen Umriss. Das Übel war in ohngefähr einer Viertelstunde ganz ver-
gangen. Bei dem zweiten Anfalle konnte er nur das reckte Auge einer gegenüberste-
henden Person wahrnehmen, die Blindheit erstreckte sich jetzt nach rechts von dem
Punkte, auf welche seine Augen gerichtet waren, durch etwa 20 Minuten. — Bei einein
Freunde entwickelte sich einige Tage nach heftigem Kopfschmerze gegen den linken
Schlaf hin andauernde Heiniopie ; die Blindheit war in Bezug auf alle Gegenstände voll-
ständig, welche vom Mittelpunkte des Sehfeldes rechts lagen. Die Affection war in
beiden Augen gleich und bestand in Unempfindlichkeit der Retina auf der linken Seite
jedes Auges. — Ein anderer Freund hatte an dieser Krankheit durch 16 — 17 Jahre ge-
litten, sobald sein Magen in beträchtlichem Grade gestört war; die Blindheit war jeder-
zeit rechts vom Mittelpunkte des Augns, und zwar (höchst wahrscheinlich) beiderseitig
immer durch 15 — 20 Minuten eingetreten, dann aber vollständig verschwunden. Makenzie,
aus dessen prakt. Abhandlung über die Krankheiten des Auges diese Angaben vorzugs-
weise entlehnt sind, bemerkt, dass bei dem Umstände, wo die Macula lutea jederseits
nach aussen vom Sehnerveneintiitte liegt,' eine solche Vertheilung der Fasern, wie die
hier supponirte, nicht wohl denkbar sei, man vielmehr die Retina als einen Plenus be-
trachten müsse, von welchem jeder Punkt Fasern enthält, die von jeder Seite des Ge-
hirnes herkommen. Mehr Gewicht, als auf dieses Raisonnement legte er jedoch auf den
Umstand, dass bei weitem der grössere Theil von Thatsachen, welche uns die Pathologie
und Experimenthaiphysiologie zur Lösung dieser Frage geliefert haben , zum Beweise
dienen, dass Krankheiten und Verletzungen, icelche die eine Seite des Gehirnes treffen, nur
Amaurosis in dem einen Auge, nicht aber Heiniopie in beiden Augen erzeugen. — Mag
man für die Müller sehe Hypothese was immer für Argumente anführen, die Thatsachen,
welche uns die Beobachtung am Krankenbette „und am Sectionstische rücksichtlich der
anatomischen Begründung derselben geliefert hat, sprechen entschieden nicht dafür, viel-
mehr dagegen. Wollte der Patholog in Fällen monolateraler Amaurosis, deren Ursache
erwies.enermassen nicht in der Netzhaut gesucht werden könnte, consequent der Wol-
*) Thiloaupliical rrnnsaclion's for 1821, Pari. I. p. 224.
Netzhaut.
iaston-MüUer^echen Theorie den Sitz der Krankheit im Sehnerven diesseits dos Chiasma
suchen, so würde er gewiss eben so oft fehlen, als wenn er aus Unempfindlichkeit der
gleichseitigen Netzhauthälften, selbst wenn diese permanent wäre, auf monolaterale Er-
krankungen jenseits des Chiasma schlösse. Die Veränderungen, die man in Wollastoris
Gehirne etwa 5 Jahre nach der Publication obigen Aufsatzes fand (Umwandlung des
rechten Thalamus in eine fast hühnereigrosse Geschwulst, braune Färbung und geringere
Consistenz des rechten Tractus opticus) konnten, wie Makenzie bemerkt, mit den An-
fällen von Hemiopie in Verbindung stehen, aber auch nicht; denn hei dem ersten An-
falle hatten die nach links, hei dem zweiten die nach rechts befindlichen Gegenstände
ein dunkles Aussehen. Fälle von bilateraler Hemiopie, welche zu unbestimmten Zeiten
und ohne Zeichen von Hirnleiden auftritt, zu Schlüssen auf eine anatomische Begrün-
dung zu benutzen, ist nach unseren bisherigen Kenntnissen über Nervenleiden noch
nicht gestattet.
Sehen wir aber auch ab von der Beziehung, in welche man bei dieser Theorie
des Einfachsehens die Nervenfaservertheilung in den Netzhäuten zum Chiasma und zum
Gehirne gebracht hat, so darf auch die andere Hälfte dieser Theorie noch nicht ohne
weiters und ohne alle Einschränkung aufgenommen werden, die nämlich, dass immer
nur dieseihen zwei Punkte oder Elemente der beiden Netzhäute sich zu Einer Empfindung
vereinen können. Da der Drehpunkt des Auges nicht mit dem Kreuzungspunkte der
Richtungslinic zusammenfällt, und da die Bulbi seihst in der hintern Hälfte keine regel-
mässige Gestalt besitzen, so ist schon in vorhinein nicht zu erwarten, dass bei den
verschiedenen Stellungen, in denen wir doch einfach sehen, auch die mehr periphe-
rischen Bildpunkte immer auf dieselben anatomisch correspondirenden Netzhautelemente
fallen. Für Bilder auf der Macula lutea und allenfalls noch der nächsten Umgehung
kann die Asymmetrie der innern und äussern Hälfte eines jeden Bulbus und das ISicht—
zusammenfallen des Dreh- und Kreuzungspunktes niemals von Bedeutung sein, wohl
aber für Weiter entfernt gelegene Punkte. Dass wir die theoretisch (nach der Müller-
scheu Annahme) zu erwartenden Doppclbilder im gewöhnlichen Sehen nicht wahr-
nehmen, ist schon Volkmann aufgefallen, kann aber weder aus der Schwäche der Seh-
kraft seitlicher Partien, noch aus den ungünstigen Accomniodations-Verhältnissen für die
seitlichen Bilder, noch endlich ans dem sogenannten AVettstreite anatomisch-identischer
Netzhautpunkte oder aus Mängeln in der Aufmerksamkeit erklärt werden. Fixirt man
mit beiden Augen irgend ein nicht zu weit entferntes kleines Ohject und stellt eine
Kerzehflamme so weit seitwärts auf, als nur möglich ist, ohne dass der Nasenrücken
die Flamme für das eine Auge verdeckt, so ist man nicht im Stande, irgend eine Ver-
dopplung der Flamme wahrzunehmen, mag man sie abwechselnd höher oder tiefer,
näher oder entfernter aufstellen. Hält man aber bei demselben Vorgange ein Prisma
mit einem brechenden Winkel von 5 — 7 Graden, so sieht man nicht nur das fixirte
Ohject, sondern auch die Flammen doppelt. Wenn aber zugegeben werden muss, dass
peripherisch gelegene Theile der Netzhaut beim gewöhnlichen Sehen sehr oft mit relativ
differenten Punkten demselben Objecte zugewendet sind, und wir dennoch auch bei
lebhafter, die Aufmerksamkeit gewiss weckender Erregung solcher Punkte, z. B. durch
eine seitlich befindliche Flamme, nicht doppell sehen, so lässt sich gerade für mehr
seillieh gelegene Xetzhautpartien die Müller sehe Auffassung von der Identität der Netz-
häute nicht streng durchführen.
Entoptische Erscheinungen. 57
Es ist aber zur Erklärung der Erscheinungen, welche in Bezug auf Einfach- und
Doppeltsehen vorkommen, keine andere Annahme noth wendig, als die durch den ana-
tomischen Berund hinreichend liiolivirlc, dass das Cenlrum der Netzhaut relativ am
meisten zum Deutlichsehen geeignet ist, und die erfahrungsinässig festgestellte Thal-
sache, dass wir schon zur Zeit der Entwicklung des Gesichtssinnes genöthigt sind,
immer die empfindlichste Stelle eines jeden Auges dem Objecte der Aufmerksamkeit
zuzulenken. Sowie durch diese Momente die Thätigkeit der Muskeln in ein bestimmtes
und unabänderliches Verhältuiss zur Netzhaut gebracht wird, treten auch die einzelnen
Partien jeder Netzhaut für sich und beider zu einander in eine bestimmte Beziehung
zum Bewusstsein , jede Erregung irgend eines Punktes der einen (und der andern)
Netzhaut wird auf einen bestimmten Ort des Sehfeldes bezogen, welcher in so lern
fix genannt werden kann, als der Sehwinkel immer derselbe bleibt, und auf diese
Weise werden die correspondirenden Begionen und Punkte aus einem anatomischen
Grunde, daher nothicendiyerweise identisch, mit um so schärferer Differenzirung (Ab-
grenzung gegen seitlich gelegene), je näher sie der Stelle des deutlichsten Sehens
liegen. Die Erregung eines Netzhautpunktes, welcher z. B. um zwei Grade links oder
um drei Grade aufwärts vom Centrum der Macula lutea (inneren Ende der Sehachse) liegt,
muss in jedem Auge so empfunden werden, als ob ein erregendes Object um zwei
Grade rechts oder um drei Grade abwärts vom Centrum des Sehfeldes (äussern Ende
der Sehachse) gelegen wäre. Bei der Lehre vom Schielen wird sich zeigen, dass
dieses nicht als Einwurf gegen diese Auffassung der Lehre von der Identität aufgestellt
werden kann.
Entoptische Erscheinungen. Gegenstand der Wahrnehmung
durch den Gesichtssinn können auch Objecte werden, welche sich in oder
an den durchsichtigen Medien des Auges selbst befinden. Es sind diess
die ' schon oben erwähnten entoptischen Erscheinungen (Listing) , als
welche sich auch im physiologischen Zustande vorzüglich die Centralge-
fässe der Netzhaut und kleine dunkle Körperchen in den durchsichtigen
Medien geltend machen, die durch Abhaltung von Lichtstrahlen des Seh-
feldes Schalten auf die übrigens hell beleuchtete Netzhaut werfen, und
sofort durch den Contrast hiezu empfunden und für dunkle Objecte des
Sehfeldes selbst gehalten werden Die Schattenbildung setzt im Allge-
meinen die Gegenwart von Lichtstrahlen voraus, welche im Glaskörper in
einer parallelen, wenig convergenten oder aber divergenten Richtung zur
Netzhnut verlaufen ; der Schatten kann nur durch den Contrast zur Be-
leuchtung und Erregung der umgebenden Ne'zhautpartien und durch Lenkung
der Aufmerksamkeit auf die beschatteten, i. e. nicht erregten Netzhaut-
stellen wahrgenommen werden.
Wir haben oben bemerkt, dass, sobald das lichtsendende Object nicht
bis zur vordem Brennpunktsebene oder noch näher an das Auge gerückt
ist, dem äussern Lichtkegel ein innerer entspricht, dessen Spitze in der
58
Netzhaut.
entsprechenden Richtungslinie vor, auf oder hinter die Netzhaut fällt, je
nach dem Verhältnisse zwischen der Entfernung des Ohjectes von der
Hornhaut und der Entfernung der Netzhaut hinter der Linse. Betrachten
wir, was hier ohne erheblichen Fehler geschehen kann, die Vorderfläche
der Cornea als die gemeinschaftliche Basis oder Trennungsfläche beider
Lichtkegel, so kommt von dieser Vorderfläche ein etwas grösserer Kreis
als die jeweilige Pupillengrösse in Betracht. Gesetzt nun, ein Auge, wie
in Fig. A, wäre für den leuchtenden Punkt 0 aecomodirt, so würden die
bis in den Glaskörper eingedrungenen Strahlen in dem Punkte 0 ein
scharfes und helles Bild entwerfen. Befände sich aber im Verlaufe der
Bichtungslinie Oxo ein undurchsichtiger Körper aß von einem Durch-
messer, der kleiner als der der Pupille ist, so würde trotzdem durch die
Randstrahlen noch immer ein scharfes , nur weniger helles Bild ver-
mittelt werden, wenn jener Körper aß auf der Cornea, vordem oder hin-
tern Kapsel u. s. w. bis zu einer gewissen Grenze liefer sitzt, und wir
vorläufig davon absehen, dass durch Abhaltung aller Centralslrahlen die
Vereinigungsweite eigentlich etwas verkürzt wird. Je weiter rückwärts
im Ange sich derselbe dunkle Körper aß befände, desto mehr Strahlen
des immer enger werdenden Kegels würde er auffangen, endlich alle, und
nahe vor der Netzhaut würde ein ungleich kleinerer Körper hinreichen,
säinmtliche Strahlen abzuhalten. (Die punktirten Linien in Fig. A. zeigen
ohngefähr den Gano- der Lichtstrahlen von einem seitlich gelegenen Ob-
jeclpunkte U bis zu ihrer Vereinigung in u, um beiläufig ersichtlich zu
machen, bei welcher Lage und in welchem Grade dunkle Körper, die nicht
in die betreffende Bichtungslinie Uxu fallen, Einflnss auf das Netzhaulbild
eines seillich gelegenen Punktes nehmen Können.)
Wäre ein Äuge nicht für die Objectdistanz aec mmodirt, sondern
fiele die Vereinigungsstelle der Strahlen eines leuchtenden Punktes merk-
lich vor oder hinter die Netzhaut, dann würde ein dunkler Körper von
derselben Ausdehnung wie im vorigen Falle, sobald er irgendwo hinter
der Pupille lagt', ungleich mehr zur Abhaltung von Strahlen eines oder
Entopisclic Erscheinungen. 59
mehrerer Kegel wirksam sein, wie sich aus dei Betrachtung der Figur H
ergibt, wo die aus relativ zu grosser Entfernung kommenden Strahlen des
R3B
OV- —ß-
(in der Zeichnung abgestutzten) Kegels Oba sich schon in o vereinigen,
und die Netzhaut erst als Zerstreuungskreis treffen, wogegen die von dem
relativ zu nahen Punkte P ausfahrenden Strahlen Pab sich erst in p ver-
einigen könnten, daher auf der Netzhaut gleichfalls einen (durch die punk-
tirten Linien angedeuteten) Zerstreuungskreis bilden würden. Nimmt man
den dunkeln Körper aß eben so gross an, wie im vorigen Falle, und ver-
gleicht, welchen Einfluss er, bei correspondirender Entfernung von der
Netzhaut auf die Abhaltung von Strahlen eines Kegels nehmen kann, so
ergeben sich leicht die wichtigsten Anhaltspunkte für die nöthigen De-
duclionen. — Denkt man sich von « und von ß in irgend einer Lage (z. B.
grade in der Mitte der Sehachse) gerade Linien nach p gezogen, so gäbe
ihr Abstand von einander an der Stelle, wo sie die Netzhaut schneiden,
den Durchmesser des Schattens, den aß in dieser Lage auf die Netz-
haut .werfen würde, wenn wir vorläufig nicht in Anschlag bringen , wie
viel von dem beschatteten Areal im Kern- und wie viel im Halbschatten
liegen würde. Die Grösse des beschatteten Areals würde offenbar ver-
schieden ausfallen, je nach der Entfernung des dunkeln Körpers aß von
der Netzhaut und je nach der Entfernung des imaginären Vereinigungs-
punktes p von der Netzhaut (Convergenz der durch den Glaskörper zur
Netzhaut laufenden Lichtstrahlen). Gleichwie aber ein solcher Schatten
einen aliquoten (z. B. 100.) Theil der Netzhaut deckt, nimmt auch der ihm
entsprechende Eindruck, für ein reelles Object des Sehfeldes gehalten,
immer einen gleich grossen aliquoten (100.) Theil des Sehfeldes ein, wird
mithin beim Blick in die Ferne grösser angeschlagen , als beim Blick in
die Nähe, weil wir eben nur den Zustand der Netzhaut empfinden, und
weil wir anderweitig erfahren haben, dass ein fernes Object entsprechend
seiner Entfernung grösser ist, als ein nahes, sobald beide denselben ali-
quoten Theil des Sehfeldes einnehmen. — Kennen wir die Thatsache, dass.
in den durchsichtigen Medien eines jeden Auges immer einzelne elemen-
tare Körperchen vorhanden sind, welche unter entsprechenden optischen
60
Netzhaut.
Verhältnissen hinreichen, Schatten auf die Netzhaut zu werfen, und als
solche wahrgenommen werden können, so ergibt uns eine Vergleiebung
der beiden Figuren A und B beiläufig die Erklärung, warum solche Kör-
perchen, bekannt als fliegende Mücken, vorzüglich bei abnormem RefraeT-
tionszustande (ungenügender Accomodation) wahrgenommen werden, und
warum z. B. der davon gequälte Kurzsichtige dieselben momentan ver-
scheuchen kann, wenn erden Rcfractions'iistand durch eine entsprechende
loncavbrille corrigirt, mithin bewirkt, dass die Strahlen sich nicht mehr
vor, sondern erst auf der Netzhaut vereinigen.
Rücken wir den leuchtenden Punkt bis in die vordere Brennpunkts-
ebene oder noch näher an das Auge, so werden die auf dasselbe Cornea-
areal fallenden Strahlen so gebrochen, dass sie endlich durch den Glas-
körper unter einander parallel (wie in Fig. C der Cylinder cr/c/), oder
FijC
divergirend (wie der umgekekrte abgestutzte
Kegel ehcg) verlaufen. Unter diesen Verhält-
nissen können dunkle Körper in den durch-
sichtigen Medien auch dann, wenn sie sehr
weit von der Netzhaut entfernt (z. B. auf der
Cornea) sitzen und relativ klein sind, sehr
leicht Schatten werfen , dessen Areal bei di-
vergentem Lichte sogar noch grösser ausfällt, als der dunkle Körper selbst.
Da aber zur Wahrnehmung solcher Schatten helle Beleuchtung der umge-
benden Netzhautpartien erforderlich ist, so muss man, um auch ganz
kleine Körperchen zur Wahrnehmung zu bringen, in die Gegend der vor-
dem Brennpunktsebene , also 5 - 6'" vor die Hornhaut, einen stark leuch-
tenden Punkt bringen, von welchem aus die Strahlen divergirend auf's
Auge gelangen. Auf eine sehr einfache Weise erreicht man dies, wenn
man durch eine möglichst feine Öffnung eines Kartenblattes (mit einer
feinen Nadel gestochen) oder einer geschwärzten Metallplatte gegen das
Firmament oder auf die matt geschliffene Glaskugel einer Öllampe blickt;
auch das kleine Spiegelbildchen eines gut polirten Metallknopfes oder eines
Fingerringes, in der oben bestimmten Entfernung fixirt, kann hiezu benutzt
werden, oder eine Convexlinse von sehr kurzer Brennweite (wie die
Objectivgläser von Mikroskopen», wenn man sie einer lichten Fläche gegen-
über nahe vor dem Auge hält, u. m. k. Blickt man nun z. B durch
eine solche feine Öffnung, so bemerkt man zunächst eine lichte Scheibe
(df in Fig. C), welche der Form und Grösse nach der Pupille entspricht,
der Form nach jedoch umgekehrt. Wird während den Experimentes mit
dem einen Auge das andere abwechselnd beschattet und beleuchtet, wo-
Bhtoptische Erscheinungen. 61
durch bekanntlich Erweiterung und Verengerung nicht hlos einer, sondern
beider Pupillen bewirkt wird , so erweitert und verengert sich auch die in
Rede stellende lichte Scheibe. Hatte die Pupille des experimentirenden
Auges eine dreieckige Gestalt mit aufwärts gerichteter Spitze (,/\J, so
würde dasselbe die lichte Scheibe dreieckig mit abwärts gerichteter Spitze
(V) wahrnehmen, denn die Strahlen kreuzen sich nicht im Innern des
Auges (das von dein Punkte b in Fig. C rückwärts tretende Licht gelangt
zum Punkte /', wird also, falls wir b und f als oben liegend betrachten,
auf einen unten gelegenen Punkt bezogen, oder, wenn wir uns genau an
die Zeichnung halten, da /' auswärts von der Macula lutea liegt, so wird
eine Erregung der Netzhaut an dieser Stelle auf ein einwärts gelegenes
Object bezogen). Die bei schleichender Iritis fast constant vorkommenden
punktförmigen Beschläge an der hintern Wand der Cornea können auf
diese Weise dem Kranken sichtbar gemacht werden, wenn sie noch in
dem Hornhautareal liegen, von welchem Licht durch die Pupille eindringen
kann ; er sieht sie im Gesichtsfelde oben , wenn sie , wie in der Regel,
an der untern Hornhauthälfte haften. Bei diesen Experimenten muss die
Platte unverrückt am Gesichte und auch das Auge ruhig gehalten werden.
— In dieser lichten Scheibe nun sieht auch ein ganz gesundes Auge sehr
leicht die unter dem Namen der fliegenden Mücken (Muscae i'olifantes,
Myoides) bekannten Ringelchen oder Kügelchen, welche einzeln, meist je-
doch perlenschnurförmig angeordnet im lichten Sehfelde auftreten. Sie
liegen in verschiedenen Schichten oder Lagen hinter einander. Die der
Netzhaut näher liegenden erscheinen dunkler und schärfer begrenzt. Alle
bieten eine gewisse Beweglichkeit dar; nicht bloss, dass sie gleichsam
ausweichen, wenn man sie, sobald sie seitlich von der Sehachse auftreten,
in's Bereich des directen Sehens bringen (fixiren) will, sie bewegen sich
auch noch ein Moment und eine kurze Strecke im Sehfelde, wenn man
das Auge plötzlich still hält, z. B. die Spitze eines Blitzableiters fixirt.
Alles spricht dafür, dass diesen Erscheinungen elementare Körperchen der
durchsichtigen Medien, besonders des Glaskörpers zu Grunde liegen, welche
unter den gewöhnlichen Verhältnissen von einem gesunden Auge nicht
wahrgenommen werden. Ruete ist nach seinen Untersuchungen über ihre
Lage und objective Grösse geneigt, diese Körperchen für eine Art Zellen
zu halten, welche als ein normaler morphologischer Ausdruck einer im
Stoffwechsel begriffenen Substanz sich erzeugen. Vor allem möchte hier
wohl an die Epithelialgebilde des Glaskörpers, vielleicht auch der Linsen-
kapse! zu denken sein. — Durch zahlreiche Experimente der eben ange-
gebenen Art hat Listing nachgewiesen, dass sich in den durchsichtigen
C2 Netzhaut.
Medien der meisten Menschen noch andere, mehr weniger dunkle oder das
Licht anders brechende Stellen befinden , besonders in der Linse, welche
für gewöhnlich das Gesicht nicht merklick beeinträchtigen. Er hat sie als
die beharrlichen Binnenobjecte des Auges beschrieben und abgebildet!
"Sie vermitteln so zu sagen den Übergang zu den pathologischen Trü-
bungen , welche sich vermöge ihrer Grösse und Zahl durch Functionsstö-
rung kund geben, und in Bezug auf Sitz und Form dem Kranken durch
die oben erwähnten Experimente, dem Arzte aber durch die Untersuchung
mit dem Augenspiegel zur Anschauung gebracht werden können. Der Sitz
derselben lässt sich ziemlich genau bestimmen, wenn man den leuchtenden
Punkt (die Schirmöffnung) .langsam vor dem Auge verschiebt, wobei die im
Niveau der Pupille liegenden unverrückt bleiben, die vor der Pupille be-
findlichen sich bei nach rechts gehender Verschiebung nach links, die hinter
der Pupille liegenden dagegen nach der gleichnamigen Seite des lichten
Sehfeldes zu bewegen scheinen.
Von dlvergir enden Lichtstrahlen wird die Netzhaut auch dann ge-
troffen, wenn zu starkes Licht auf die Sclerotica fällt, oder wenn das Pig-
ment der Ader- und Regenbogenhaut relativ zu spärlich ist, um das in
dieselben eindringende Licht hinlänglich zu absorbiren , aber auch dann.
wenn in den durchsichtigen Medien halbdurchsichtige oder durchscheinende,
überhaupt solche Trübungen vorhanden sind, die einen relativ grossen
Theil auffallenden Lichtes durchlassen. In dem einen wie in dem an-
dern Falle wird nämlich Licht im Innern des Auges diffundirt . und trifft
die Netzhaut mehr weniger divergent. Gleichwie das auf einen undurch-
sichtigen Körper mit rauher Oberfläche auffallende Licht unregelmässig
reflectirt (zerstreut) wird, und so diesen Körper sichtbar macht, wird das
durch einen mehr weniger durchscheinenden Körper, z. B. ein transpa-
rentes Papier, eine mattgeschliffene Glasplatte u. dergl., durchgelassene
Licht unregelmässig gebrochen (diffundirt). und strahlt nun von der Rück-
seite desselben nach allen Riehtungen so aus, wie das unregelmässig ie-
fleclirte von der Vorderseite.*) Durch grössere Mengen diffusen Lichtes
auf der Netzhaut wird aber die Wahrnehmung äusserer Objecte beein-
trächtigt, weil dann theils nicht hinreichend scharf begrenzte, sondern von
") Prof. Bonäers benützte mattes Fensterglas, um ei» Zimmer, in welches wesren hoher, nahe vor dem Fenster be-
findlicher Gebäude nur schiel vipii oben Licht einfiel, in seiner ganzen Tiefe zu erhellen. Bei gewöhnlichem
durchsichtigem Fensterglase fiel das Licht nur in den Theil des Zimmers, der dem Fenster nahe wai Sohald
man die maltgeschliffenen Scheiben eingesetzt halte, «ard diess von oben kommende Lichl durch d;is gante
Zimmer diffus verbreitet; das matte Gla« wurde Lichtquelle, l>r. Wyngaarden, übei die Anwendung ilei von
Vonders entdeckten stenopöischen Brillen, in von Graefe's Archiv Cur Ophthalmologie, I Bd. 1. Abtheil. 1&54
S. 251.
Augenspiegel. 63
ZerstreTiungskreisen umgebene Objectbilder zu Stande kommen, theils der
zum deutlichen Sehen erforderliche Contrast in &er Erregung der einzel-
nen Netzhautstellen vermindert wird. Andererseils aber werden durch dif-
fuses (weil divergentes) Licht die Bedingungen zu entoptischen Erschei-
nungen gegeben. — Diese Betrachtung gibt uns den Schlüssel zur Er-
klärung, wie das Gesicht bei Pigmehtmangel, bei hälbdurchsichtigen Horn-
hauttrübungen, bei dünnen Exsudaten in der Pupille u. s. w. weit mehr
gestört sein kann, als bei partiellen undurchsichtigen Trübungen, und
warum diese Zustände so oft von Mückensehen begleitet sind. Sie gibt
uns das Verständniss der interessanten Thatsache, dass wir die Central-
gelässe der Netzhaut, welche vor den die Lichtperception vermittelnden
Netzhautelementen liegen, uns als Schatten sichtbar machen können, wenn
wir concentrirtes Licht auf eine Stelle der Slerotica fallen lassen (nach
Listing Sonnenlicht durch eine kleine Öffnung eines dunkeln Schirmes),
oder eine Kerzenflamme in einem dunkeln Räume nahe vor dem Auge
wiederholt im Kreise herum führen {Purkinje) , oder eine feine Öffnung
eines Kartenblattes nahe vor dem Auge hin und her bewegend, den Blick
auf eine lichte Wolke oder auf die matte Glaskugel einer Lampe richten.
Untersuchung mit dein Augenspiegel. Nicht alles Licht, wel-
ches bis zur Netz- und Aderhaut eingedrungen, wird daselbst absorbirt?
ein aliquoter Theil davon wird reflectirt, und zwar unregelmässig, d. h. nach
allen Richtungen durch den Glaskörper zerstreut. Demnach strahlt von
dem beleuchteten Augengrunde immer ein aliquoter Theil Licht so wie
von jedem andern sichtbaren Gegenstande aus, und hängt die Richtung der
reflectirten Strahlen nicht wie bei der regelmässigen Reflexion vom Ein-
fallswinkel der einfallenden Strahlen ab.
Von dem am Augengrunde reflectirten Lichte gelangt nur ein kleiner
Theil durch den dioptrischen Apparat vor das Auge. Ein grosser Theil
trifft auf die dunkle Wandung des hintern Augenraumes , namentlich auf
das Corpus ciliare und die Hinterfläche der Iris, und wird daselbst absor-
birt ; zum Theil auch wieder reflectirt. Die Menge der Strahlen, welche
vermöge ihrer Richtung not h durch die Pupille austreten könnten, wird
endlich noch um etwas vermindert dadurch, dass beim Übergange dersel-
ben aus dem einen in das andere Medium immer einige Strahlen theils
durch Spiegelung, theils durch Zerstreuung abgetrennt werden, mithin ver-
loren gehen. Da nun die, wenn auch nicht völlig, so doch in hohem
Gr;ide durchsichtige Netzhaut mit Ausnahme der Sehnervenpapilla und der
Centralgefässe überhaupt wenig Licht zurückwft, daher im normalen Zu-
64 Netzhaut.
stände an und für sich beinahe unsichtbar ist, da ferner die dunkelpigmen-
tirte Aderbaut den grössten Tbeil des auffallenden Lichtes absorbirt, und
da endlich die Öffnung für das einfallende und ausfahrende Licht (die Pu-
pille) immer relativ eng ist, so leuchtet von selbst ein, dass aus einem.-
gesunden Auge unter den gewöhnlichen Verhältnissen überhaupt sehr
wenig Licht herausgeworfen werden kann.
Nach Abschlag der verloren gehenden Strahlen bleibt also für jeden
beleuchteten und lichtreflectirenden Punkt des Augengrundes immer ein
Strahlenkegel übrig, dessen Spitze jener Punkt, dessen Basis ein die je-
weilige Pupillenweite etwas (an Grösse) übertreffendes Areal der Cornea
bildet. Wir können nämlich auch hier ohne beträchtlichen Fehler als
Basis dieses Kegels den mittlem Theil der Cornealvorderfläche betrachten,
da die Strahlen bei ihrem Durchgange durch die Linse und das Kammer-
wasser noch immer eine divergente Richtung zu einander haben. Ebenso
können wir, wenn sich's um die Bestimmung der Richtung der ausfahren-
den Strahlen vor dem Auge handelt, auch hier wie früher ohne erheb-
lichen Fehler von einer einfachen .Richtungslinie nach Volkmann sprechen.
Strahlen, welche vom Centrum der Macula lutea ausgehen, können daher nach
ihrem Austritte aus dem Auge, wenn überhaupt, nur in irgend einem Punkte
der betreffenden Richtungslinie, welche hier mit der Sehachse zusammen-
fällt, sich vereinigen. Sollten Strahlen, welche von der Eintrittsstelle der
Arteria centr. retinae ausgehen, vor dem Auge aufgefangen werden, so
müsste man das auffangende Object (das beobachtende Auge) in der Rich-
tung einer geraden Linie entgegenstellen, welche von jener Eintrittsstelle
durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinie auswärts verliefe.
Ob und wo die von einem Punkte des Augengrundes ausgefahrenen
Strahlen sich in der genannten Richtung vereinigen, das hängt, wenn wir
die Cornea und Linse in ihrer Form und Lage als unveränderlich voraus-
setzen, von der Lage des leuchtenden Punktes, respeclive der Netz- und
Aderhaut ab. a) Läge die Netzhaut unendlich weit hinten, d. h. gingen
die von einem Punkte derselben reflectirten Lichtstrahlen unter einander
parallel durch den Glaskörper, dann vereinigten sich dieselben vor dem
Auge in der vordem Brennpunktsebene, also 5.%'" vor der Hornhaut.
b) Läge dagegen die Netzhaut in der hintern Brennpunktsebene (ohnge-
fahr 10"' hinter der Cornealvorderfläche), dann verliefen die ausfahrenden
Strahlen vor dem Auge parallel zu einander, und bildeten einen Strahlen-
cylinder, dessen Durchschnitt etwas grösser, als die jeweilige Pupille,
dessen Achse die genannte Richtungslinie wäre, d. h. wäre ein Auge so
fernsichtig, dass nur Strahlen von unendlich fernen Objeeten gerade auf
Augenspiegel. 65
der Netzhaut, Strahlen von näher gelegenen Objecten dagegen erst hinter
derselben zur Vereinigung- kämen, dann würden die vom Augengrunde
ausfahrenden Strahlen vor dem Auge unter einander parallel verlaufen.
c) Blickte die Netzhaut vor diese Grenze näher zur Linse, so würden die
von ihr refleetirten Strahlen, woher sie aucli stammten, nach ihrem Aus-
tritte aus dem Auge noch divergiren, und einen Kegel darstellen, dessen
Spitze in dem Auge, dessen Basis in unendlicher Ferne zu suchen wäre.
d) Im Allgemeinen liegt aber die Netzhaut (der Augengrund) zwischen
a und b, und zwar nicht gar weit hinter b: bilden demnach die von ihr
ausfahrenden Strahlen vor dem Auge einen mehr weniger langen Kegel,
dessen Basis auf der Vorderfläche der Cornea, dessen Spitze bald mehr,
bald weniger weit von dieser Basis' entfernt liegt. «) Setzen wir üen
Fall, ein Auge sei für eine Objectdislanz von 12 Zoll aecommodirt, d. h.
die aus einer Distanz von 12 Zoll von einem Punkte ausgehenden Strahlen
werden genau in einem Punkte der Netzhaut vereinigt , so müssen bei
diesem Accommodations- oder Refractionszustande des Auges auch die
von einem Punkte der Netzhaut ausfahrenden Strahlen in der Distanz von
12 Zoll vor dem Auge zusammentreffen. Wäre aber ein Auge so kurz-
sichtig, dass es ein 12 Zoll entferntes Object nur durch Zerstreuungskreise
wahrnehmen könnte, i. e. dass die von dem 12 Zoll entfernten Objecte
kommenden Strahlen schon vor der Netzhaut sich vereinigten, dann würden
die von der Netzhaut aus den Augen fahrenden Strahlen nicht erst bei
12 Zoll, sondern näher an dem Auge sich vereinigen, ß) Wäre endlich
ein Auge für ein fernes Object z. B. von 20 Fuss aecommodirt, so wür-
den die von irgend einer nähern Lichtquelle stammenden Lichtstrahlen,
z. B. aus 2 Fuss Entfernung, auf ihrer Rückkehr aus dem Auge nicht bei
2, sondern bei 20 Fuss Entfernuug vor dem Auge vereinigt werden —
Die ausfahrenden Strahlen bilden daher unter den gewöhnlichen Verhält-
nissen einen Sirahlenkegel, dessen Basis ein die jeweilige Pupillengrösse
etwas übersteigendes Hornhautareal, dessen Achse die Richtungslinie des
refleclirenden Netzhautpunktes, und dessen Länge von dem jeweiligen Ac-
commodationszustande des Auges (Abstand der Netzhaut von der Cornea
und Linse, oder Länge des innern Kegels) abhängig ist.
Von der Menge, Richtung und Neigung1 der ausfahrenden Strahlen vor
dem Auge hängt die Möglichkeit ab, die Objecte, von welchen sie ausgehen,
(also die Netzhaut, Sehnervenpapille, ChorioHea u. s. w.) zu sehen, denn
nur solche Objecte können gesehen werden, die eine gewisse Menge Lichtes
und zwar in einer bestimmten Richtung in das beobachtende Auge senden,
und deren Strahlen zu einander eine bestimmte Neigung haben oder, was
Arlt's Aiizenheilkdiinc 111. 2. 5
66 Netzhaut.
dasselbe bedeutet, die unter einem bestimmten Einfallswinkel auf die Horn-
haut gelangen. Während die ersten beiden Bedingungen wohl von selbst
verständlich sind, muss in Bezug auf die dritte noch bemerkt werden, dass
nur divergent oder nahezu parallel zu unserem Auge gelangende Strahlen-
auf der Netzhaut vereinigt werden können, hingegen convergent auffallende
Strahlen durch die Hornhaut und Linse einen solchen Grad von Conver-
genz erhalten, dass sie sich schon mehr weniger nahe an der Linse ver-
einigen, und die Netzhaut erst jenseits dieser Vereinigung treffen, daher
kein Bild, nur Zerstreuungskreise auf derselben entwerfen können. Ebenso
muss ausdrücklich hervorgehoben werden, dass auch hier, wie bei jedem
Deutlichsehen überhaupt, der Winkel, unter welchem die je zwei Ohject-
punkten (des zu beobachtenden Augengrundes) zugehörenden Achsenstrah-
len (Richtungslinien) in das beobachtende Auge gelangen, i. e. der Seh-
winkel weder zu gross noch zu klein sein darf.
Unter den gewöhnlichen Verhältnissen ist die Menge der aus dem
Auge ausfahrenden Strahlen zu gering, und die Neigung derselben zu ein-
ander eine convergente, oder nahezu parallele. Solche Strahlen , in ein
beobachtendes Auge gelangend, können entweder wegen zu geringer
Menge gar keine Wahrnehmung der lichtsendenden Objecte (Netz- und
Aderhaut) erregen, — die Pupille erscheint schwarz, oder sie vermitteln
nur eine unbestimmte (formlose) Wahrnehmung, — ein rölhliches Auf-
leuchten des beobachteten Augengrundes. Die Menge der ausfahrenden
Strahlen fällt auch bei ziemlich weiter Pupille hauptsächlich dann zu ge-
ring aus, wenn die ausfahrenden Strahlen eine convergente Lage haben,
weil dann das beobachtende Auge, um sie aufzunehmen, sich dem beob-
achteten Auge gegenüber stellen, mithin jede stärkere Beleuchtung des zu
beobachtenden Augengrundes hindern muss. Könnten wir mitten durch
eine vor unserem Auge befindliche Kerzenfl.imme hindurch* in das zu
beobachtende Auge schauen, dann würden wir dessen Grund jederzeit
rotli aulleuchten sehen, und könnten wir überdiess die von demselben
ausfahrenden Lichtstrahlen eines jeden Kegels für unser Auge entsprechend
divergent, mindestens parallel machen, dann würden wir die Gebilde im
Grunde jenes Auges auch ihrer Form nach wahrnehmen , die Netz- und
Aderhaut sehen können.
Unter abnormen (krankhaften) Verhältnissen kann der Grund des Auges auch ohne
die angedeuteten Hifsniiltel leuchtend, ja selbst sichtbar werden. Dringt, wie hei den
Kakerlaken, eine grössere Menije diffusen Lichtes durch die Sclerotica und Iris in den
hintern Augenraum, so leuchtet der Au gen gm nd roth auf. sobald wir auch nur einen
Tlieil der zahlreich rellectirten Strahlen aufzufassen in die gehörige Lage (Richtung)
Augenspiegel. <i7
kommen. Dasselbe findel statt, wenn wegen stark erweiterter Pupille viel Lieh! cin-
uud ausstrahlt. Wird wegen ausgebreiteter Trübung der Netzhaut oder wegen stelicn-
weiser Pigmentlosjgkeit der Cborioidea, z. 13. bei grösserem Chorioidealspalte (Colo-
boma) ungewöhnlich viel Licht reflectirt, so leuchtet der Augengrund auch bei matter
Beleuchtung in der Farbe der vorwaltend reflectirten Strahlen. — Rückt die Netzhaut
abnorm vorwärts, wobei sie. wie bei Ablösung von der Chorioidea durch Exsudat, auch
getrübt wird, dann müssen die von ihr zahlreich reflectirten Strahlen vor dein Auge
divergent verlaufen, und können in hinreichender Menge und in bestimmter Entfernung
von einem beobachtenden Auge aufgenommen, auf dessen Netzhaut ein Bild der beob-
achteten Netzhaut erzeugen. Strahlen, aus der Gegend der hintern Kapsel reflectirt,
gehen uns, weil sie stark divergent aus dem Auge treten, ein aufrechtes und vergrös-
sertes Bild des Objectes, von dem sie ausgehen, so wie wir die Iris, die Pupille, einen
vordem Centralkapselstaar u. s. w. immer etwas vergrössert sehen, indem die von
ihnen ausfahrenden Strahlen vermöge des Durchganges durch das Kammerwasser, die
Cornea und die Luft mehr divergent zu unserem Auge gelangen, als es ohne Dazwi-
sohenkunft der Cornea der Fall sein würde. In allen Fällen, wo das die Lichtstrahlen
reflectirende Object, z. B. die vorwärts gedrängte Netzhaut, eine Trübung an der hintern
Kapsel u. dergl. innerhalb der Brennweite der vor ihm liegenden dioptrischen Medien
liegt, wirken diese so wie eine Loupe, und liefern dem beobachtenden Auge ein auf-
rechtes, mehr weniger vergrössertes Bild. — Dass bei von Cataracta Geheilten der
Grund des Auges weder leuchtend noch sichtbar, im Gegentheil die Pupille auffallend
schwarz erscheint, obwohl die Netzhaut nun, wo die Linse fehlt, so weit vor der
Vereinigungsweite für terrestrische Gegenstände liegt, dass die von ihr ausfahrenden
Strahlen vor dem Auge wenigstens parallel verlaufen, hat seinen Grund wohl darin,
dass bei fehlender Linse die Pupille immer relativ sehr eng ist, und dass, wenn sich
die Pupille ja stark erweitern lässt, in den meisten, wo nicht in allen Fällen nur ein
kleines Areal hinter ihr frei von trüben Kapsel- und Linsenresten ist, welche das Er-
kennen der tiefer gelegeneu Objecte : hindern. (Wenn wir den Gehörgang mit dem
Ohrenspiegel untersuchen, ist ein einziges Haar, welches in das Lumen des Spiegels
hereinragt, im Stande, uns in der Unterscheidung der Einzelheiten des Trommelfelles zu
hindern.) — Eine in den Glaskörper hineinragende melanotische Ablagerung könnte,
obwohl innerhalb der Brennweite der vor ihr liegenden Medien gelegen, nicht sichtbar
werden, wenn sie zu viel Licht absorbirte. Aus diesem Grunde können uns auch dunkle
Glaskörpertrübungen trotz beträchtlicher Grösse, z. B. Blutergüsse, nicht sichtbar wer-
den. — Liegt der Augengrund dagegen abnorm tief hinter der Hornhaut und Linse,
dann kann von den Strahlen, welche ein Punkt daselbst reflectirt, ceteris paribus we-
niger Licht aus dem Auge herausgeworfen werden, weil eben dieser lichtseridende
Punkt weiter von der Linse und Hornhaut entfernt ist, und die jedem Lichtkegel ange-
hörende Menge von Lichtstrahlen an der gleichen Basis des Kegels sich umgekehrt wie
das Quadrat der Entfernung derselben vom leuchtenuen Punkte verhält. Dies ist wohl
der Grund, warum die Pupille des Kurzsichligen ceteris paribus reiner schwarz erscheint,
warum Augen mit nachweisbarer auffallender Pigmentarmuth in der Gegend des hintern
Poles dennoch eine tief schwarze Pupille zeigen, sofern sie in der Richtung der Seachse
verlängert sind, was sich, wie wir in dem Capitel über Kurzsichtigkeit zeigen werden,
anderweitig constatiren lässt.
5*
68 Netzhaut.
Nachdem Brüche den Vordersatz nachgewiesen hatte, dass vom Grunde des Auges
Licht reflectirt werde, war es dem gleich genialen Königsh erger Professor Helfhhoh vor-
behalten, die Gründe zu erkennen, warum wir die Netzhaut nicht sehen, und die Mittel
zu finden, um dieses letztere zu ermöglichen. Die Aufgabe war eine dreifache : der zu beob-
achtende Augengrund musste hinreichend beleuchtet, das beobachtende Auge in die Richtung
der ausfahrenden Strahlen versetzt, und diesen selbst musste. ohne zu grosse Beeinträchti-
gung ihrer Menge und des Sehwinkels für das beobachtende Auge eine solche Neigung zu
einander fein solcher Einfallswinkel) gegeben werden, dass sie auf der beobachtenden Netz-
haut zu einem Bilde zusammen treten können, die ausfahrenden Strahlen mussten aus conver-
genten in parallele oder divergente verwandelt werden. Die Lösung war der Hauptsache nach
gegeben, wenn man das Licht einer Lampe in einem verfinsterten Zimmer so auf eine gut
polirte Glasplatte fallen Hess, dass die davon reflectirten Strahlen in das zu beobachtende Auge
gelangten, der Beobachter von der Rückseite der Glasplatte durch dieselbe in das beobachtete
Auge schaute, und vor sein Auge ein Concavglas von 6—12 Zoll Brennweite hielt.
Es sei, wie in Fig 1. G das beobachtende, D das beobachtete Auge, A die Flamme
und C die Glasplatte, alle in ziemlich gleicher Höhe über dem Fussboden in einem
finstern Zimmer. Bei einer Anordnung, wie ohngefähr in beistehender Figur, fällt von
der Vorderseite des Glases Licht in das Auge D und von der Rückseite kann das Auge
G Licht erhalten , welches vom Grunde des Auges D reflectirt wird und durch die
Glasplatte durchgeht So ist es für G möglich, in derselben Richtung in das Ausre D
zu schauen, in welcher hinreichendes Licht in dasselbe einfällt und aus demselben aus-
fährt; so empfängt G Licht aus der Tiefe von D und sieht dessen Pupille scheinbar
leuchten. Damit aber G die Einzelnheiten des Augengrundes von D zu unterscheiden
vermöge, müssen noch die von jedem einzelnen Punkte desselben ausfahrenden Strahlen-
kegel wieder in je einem Punkte der Netzhaut G vereinigt werden können, und müssen
überdiess die den zu sehenden Netzhautpunkten von /) entsprechenden Richtungslinien in
dem Auge G einen weder zu kleinen noch zu grossen Winkel (Sehwinkel) einschliessen.
Suchen wir zunächst die Vereinigungsweite und zeichnen wir uns wie in Fig. 1 den
Gang der Lichtstrahlen für einen leuchtenden Punkt von D. — Von den Strahlen,
welcher dieser Punkt aussendet, gelangt ein Kegel schräg auf die Glasplatte. Ein Theil
hieven gehl in unveränderter Richtung durch, mithin verloren ; ein Theil wird gegen D
hin reflectirt, und zwar regelmässig, mithin unter solcher Richtung und Neigung (Diver-
genz), als käme er von dem imaginären Punkte ß, welcher (wie die gestrichelten
Linien zeigen) eben so weit hinler der Glasplatte liegt, als .4 vor derselben. Von den
gegen D hin reflectirien Strahlen können nur die zwischen ac und 1><I liegenden durch
die Pupille eindringen, doch geht auch von diesen ein Theil durch Reflexion verloren,
namentlich an der Vorderfläche der Cornea, wo ein die Beobachtung mehr weniger stö-
rendes Spiegelbild entsteht. Von diesem wie von dem Verlusste durch unregelmässige
Reflexion wollen wir vorläufig absehen. Die in das Auge /) eindringenden Strahlen
werden ihrer Richtung nach durch Base, ihrer Convergenz nach durch die Entfernung
des Punktes ß (.1) von 1) bestimmt, wenn x den Kreuzungspunkt der Rieh tun gslinien
bezeichnet. Liegt /> in den Grenzen der deutlichen Sehweite für />, und ist I) für die
Entfernung von li aecommodirt. so fällt die Spitze des innern Kegels in I) auf die Netz-
haut, und zwar auf die Macula lutea (o). falls I) nach B, d. i. nach dein Spiegelhilde
auf der Glasplatte visirt, hingegen auf die Sehnervenpupille fe), falls /», wie in der
Augenspiegel.
69
Zeichnung, neben der scheinbaren Flamme nach // visirt, und// ebenso
weit von D abstellt, als B. Wäre D für einen merklich näheren oder
ferneren Punkt aceoinmodirt, so fiele der Vereinigungspunkt der Licht-
Strahlen vor oder hinter die Netzhaut, und diese würde in dein einen
wie in dem andern Falle in grösserer Ansdehuung (Zerstreuungs-
kreis), wenn auch minder intensiv beleuchtet.
Welchen Gang nehmen nun die von e refleclirten Strahlen? a)
Fällt die Spitze des inneren Kegels der einfallenden Strahlen gerade
auf die Netzhaut, d. h. ist ü für B oder // aecom-
modirt, so müssen die ausfahrenden Strahlen so-
wohl in als ausser dem Auge D genau denselben
Weg gehen, den die einfallenden hatten. Betrachten
wir zuerst diesen Fall, welcher in Fig. 1 für einen
einzigen Netzhautpunkt ausgeführt ist. Die von dem
Netzhautpunkte e aus dem Auge reflectirten Strahlen
gelangen in dem convergirenden (abgestuzten)
Kegel edab zur Glasplatte ; ein Theil davon wird
nach A reflectirt, der andere geht in unveränderter
Richtung und Neigung (Convergenz) fort,
ld würde sich demnach in B ver-
nigen darüber hinaus wieder aus-
r fahren, a) Stellt
nun das Auge G
/''. denselben noch vor die-
\ „-"'' ser Vereinigung entgegen, so er-
\''' hält es von e convergente Strah-
_-'' leri. Diese würden aber durch den diop-
,''" trisehen Apparat von G noch mehr convergent,
müssten sich mithin schon mehr weniger nahe
hinler der Linse vereinigen und würden die Netzhaut
erst jenseits dieser Vereinigung treffen, könnten mithin
wohl die Empfindung von Licht, durchaus aber kein
Bild von e im Auge G -zu Stande bringen. Halten wir
aber vor das Auge G ein Concavglas L von geeigneter
Brennweite, so können wir den convergirenden Kegel
abfg in den divergirenden fyki verwandeln, d. h. den
von e zu G strebenden Strahlen einen solchen Grad von
Divergenz geben, dass sie, den dioplrischen Apparat
70 Netzhaut.
von G passirend, genau in einem Punkte der Netzhaut (II) vereinigt werden, in k ein
Bild von e entwerfen. — ß) Das Vorhalten des Concavglases L, welches immer einen
Theil der Strahlen durch Reflexion versplittert, könnte vermieden werden, wenn sich
das Auge G erst jenseits von ß, also in einer Entfernung aufstellen würde, wo die
Sirahlen des Kegels cdfg wieder aus einander fahren, mithin divergirend auf das Auge
G fallen würden. Da aher die Pupille von D auch hei starker Erweiterung noch immer
sehr klein ist, relativ zu der Entfernung, in welcher sich das Auge G aufstellen müsste,
so würde rücksichtlich des einem leuchtenden Punkte entsprechenden Kegels die zu k
gelangende Menge von Lichtstrahlen eine relativ zu geringe sein, rücksichllich des Win-
kels aber, den die Richtungslinien von je zwei leuchtenden Punkten der Netzhaut I) in
dem Auge G bilden könnten, dieser Winkel (Sehwinkel) so klein ausfallen, dass eine
Unterscheidung von so kleinen Objecten, wie die Nelzhautgefässe etc. nicht mehr möglich
sein würde.
b. Fällt in dem Auge D die Spitze des innern Kegels der einfallenden Strahlen
nicht auf die Netzhaut, sondern vor oder hinter dieselbe, d. h. will oder kann sich das
Auge D nicht für die Distanz des leuchtenden Objectes A accomniodiren« dann nehmen
die ausfahrenden Strahlen eines lichtreflectirenden Netzhautpunktes nicht denselben Weg,
wie die einfallenden Strahlen eines entsprechenden leuchtenden Objectes, sie haben eine
andere Neigung zu einander. Um dies zu erörtern, wird es genügen, den einen Fall zu
betrachten, den nämlich, wo die einfallenden Strahlen sich merklich vor der Netzhaut
vereinigen, wie diess geschieht, wenn ein Auge D kurzsichtig ist, oder wenn (wovon
später) einem normalen Auge ein Couvexglas vorgehalten wird. — Denken wir uns in
Fig. 2 das zu untersuchende Auge D in der Sehachse merklich verlängert, übrigens vor-
läufig Alles wie in Fig. 1. Offenbar werden jetzt die von A in das Auge D gelangten
Strahlen sich vor der Netzhaut (in e) vereinigen und auf der Netzhaut rings um den
Punkt n (verlängerte Richtungslinie) einen Zerstreuungskreis bilden. (Der Gang der
einfallenden Strahlen ist in Fig. 2 durch die punktirten Linien bezeichnet.) Jeder in
diesem Zertreuungskreise gelegene Punkt der Netzhaut kann nun Licht reflectiren. Be-
trachten wir den Gang jener Strahlen, welche von dem in der verlängerten Richtungs-
linie nx gelegenen Netzhautpunkte n ausfahren, so erhalten wir den Kegel ncd (durch
die ausgezogenen Linien angedeutet), welcher also nicht mit eccl zusammenfällt. Da nun
dessen Spitze weiter hinter der Trenntingsebene cd liegt, so muss auch die Spitze des
äussern Kegels naher am Auge D liegen, also zwischen B und D, nehmen wir an in A.
Ist nun DN die Vereinigungsweite der ausfahrenden Strahlen, was so viel heisst, als das
Auge D würde ein in 0 befindliches Object deutlich sehen (I)F\—DO) in der Sehachse),
so werden die von n ausfahrenden Strahlen vor und hinter der Glasplatte gegen N hin
verlaufen. Die von der Glasplatte nicht durchgelassenen, sondern regelmässig reflec-
tiiten Strahlen würden sich in M vereinigen, wenn CM=CN, die durchgelassenen in N.
Vi enn nun JV nahe an D liegt, wie bei höheren Graden von Kurzsichtigkeit, so wird die
Entfernung, in welcher sich das Auge G hinter der Glasplatte aufzustellen hat, um hin-
reichend divergente Strahlen zu empfangen, nicht mehr zu gross sein, wie im vorigen
Falle, und es ist dann nicht nothwendig, vor G ein Concavglas zu halten, namentlich
dann nicht, wenn sich G für die Distanz von GX aecommndiren kann, wenn es, wie
wir in Kig 2 durch Verlängerung des Bulbus G anzudeuten suchten, entsprechend kurz-
sichtig ist. (Es sieht dann, wie wir später noch zeigen werden, die Objecte des Augen-
grundes von 1) verkehrt und vefgrössert)
All«€'!l*|>i«'!SI'l.
7t
A
B
72 Netzhaut.
Untersuchen wir nun, in welcher Anordnung zu einander, und unter welchem
Sehwinkel zwei Punkte einer beleuchteten Netzhaut (D) von einem Beobachter (G) ge-
sehen werden können, und wählen, wie in Fig. 1, hiezu zwei normale Augen. Es sei in
Fig. 3 kleine Flamme von dein Durchmesser «6 = 8"', die Glasplatte C einen Zoll von
D entfernt, die Distanz AC = 4 Zoll, und das beobachtete Auge D für die Distanz
der Flamme (also auf 5 Zoll) aecommodirt, so dass D die Flamme scheinbar in B
deutlich sehen würde (AB^AC). Von dem einen Punkte b gelangt ein (durch die aus-
gezogenen Linien bezeichneter) Strahlenkegel auf die Glasplatte und von da auf die
Hornhaut (cd) , und wird auf der Netzhaut von D in ß vereinigt. Um zu finden, wo
ß liegt, denke man sich eine gerade Linie von 6', welches eben so weit hinter der
Glasplatte liegt, als b vor derselben, durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinien (x)
gezogen. Auf gleiche Weise findet man, an welchem Punkte der Netzhaut/) die von
a. scheinbar von a', einfallenden Strahlen vereinigt werden, nämlich in «, wie diess
in Fig. 3 die punktirten Linien anzeigen. Denkt man sich nun mit dem rechten Auge
an die Stelle von G, und das rechte Auge des Beobachteten an die Stelle von D, so
ergibt sich nach der Zeichnung, dass auf der beobachteten Netzhaut D ein verkleinertes
Bild aß von der Flamme ab entsteht, und dass der Beobachtete (D) das Flanunenbild
wie jedes Spiegelbild überhaupt verkehrt sehen muss ; denn was dem Auge D links
liegt (6), wird auf seiner Netzhaut links (in ß) abgebildet, mithin so wahrgenommen'
als läge es rechts von dem Mittelpunkte im Sehfelde, nämlich in b'. — Ist die Distanz
zwischen a und b = 8'", der Abstand der Flamme A (oder ab) von dem Auge D =
5", dann wird die Distanz zwischen a und ß ohngefähr 1'" sein, in Übereinstimmung
mit dem früheren Satze von Volkmann, dass das Netzhautbild eines 10 Zoll entfernten
Objectes ohngefähr 16mal kleiner ist, als das Object selbst. Die ganze Flamme A wird
also in den Grenzen aß auf der Netzhaut deutlich abgebildet sein, und das ganze Netz-
hautareal ist nun hinlänglich beleuchtet. — Welchen Weg nehmen nun die von jedem
einzelnen Punkte dieses Netzhautareals ausfahrenden Strahlen bis zur Netzhaut von G,
und wo treffen sie dieselbe ? Betrachten wir von dem beleuchteten Netzhautareal aß
die beiden Grenzpunkle a und ß. Da D für die Distanz von B aecommodirt ist, so
nehmen die von ß reflectirten Strahlen in und ausser dem Auge D genau denselben
Weg, wie die einfallenden, convergiren also nach ihrem Austritte aus D gegen den
Funkt />', wie die (gezogenen) Linien elf und ce andeuten ; eben so werden die von «
reflectirten Strahlen von dem Auge D gegen a' hin verlaufen (wie die punktirten Li-
nien dg und ch anzeigen). Treffen nun die Kegel edef und edgh auf die Concavlinse L,
und werden sie durch diese dem für die Entfernung GE eingerichteten Auge G ent-
sprechend divergent gemacht, so werden die von a ausgegangenen Strahlen durch den
dioptrischen Apparat von G in dem Punkte «', die von ß ausgegangenen in dem
Punkte ß' vereinigt, so als kämen sie von a" und ß". Das Auge G sieht mithin a
links, ß rechts vom Centrum des Sehfeldes, und beide Punkte weiter aus einander
gerückt ; es sieht mithin das betrachtete Netzhautareal in der wirklichen Lage (aufrecht)
und etwas grösser als die ursprüngliche Flamme, somit die einzelnen Theile des Netz-
hautareals bedeutend vergrössert, so dass es dieselben deutlich (hinreichend beleuchtet
und unter gehörig grossem Sehwinkel) sehen, mithin unterscheiden kann. Das Auge G
sieht demnach die zwischen aß gelegenen Netzhauttheile von D in der Entfernung
von E und das ganze Areal aß in einem etwas grössern Areal als a" ß", wie sich
leicht ergibt, wenn man von a' und ß' gerade Linien durch .<•' gezogen und bis zur
Augenspiegel.
74 Netzhaut.
Entfernung von E verlängert denkt. Von « und von ß können schon nicht mehr hIIü
Strahlen nnch a' und ß' Strich gelangen, woraus man sieht, dass das Sehfeld bei dieser
Untersuchungsvveise ein ziemlich beschranktes ist.
Die Helmholz'sche Methode leidet an zwei Übelständen, an relativ
zu geringer Beleuchtuno; des Augengrundes, und an Störung des Beobach-
ters durch das oberwähnte Spiegelbild der Cornea. Der exacte Physiker
verminderte dieselben so weit, als es bei dem dieser Methode zu Grunde
liegenden Principe überhaupt möglich war; er nahm vier statt einer Glas-
platte (Polarisation des Lichtes), und fügte sie in ein innen geschwärztes
Gehäus so ein, dass beim Gebrauche des Apparates die Strahlen unter einem
Winkel von 56 Graden auffallen, und nach ihrer Rückkehr aus dem Auge
und durch die Glasplatten eine möglichst nahe hinter diesen befindliche
Concavlinse passiren müssen, welche je nach dem Refractionszustande des
beobachteten und beobachtenden Auges verschieden zu wählen sind. *) —
Das Bedürfniss, diese Übelstände weiter zu beseitigen, führte bald zu we-
sentlichen Modifikationen. Zunächst nahm unter Prof. Dunders Anleitung
der Mechanikus Epkens**) in Amsterdam einen belegten Glasspiegel, be-
seitigte an einer ohngefähr der Pupillengrösse entsprechenden Stelle in
der Mitte das Amalgam, um durch diese Öffnung in das zu untersuchende
Auge zu blicken , und Hess mittelst einer convexen Linse convergentes
Licht auf den Spiegel und in das zu beobachtende Auge fallen, Ruete***)
wählte zum Reflector einen concaven in der Mitte durchbohrten Metall-
spiegel , und gab dem von hier aus in das zu beobachtende Auge rcflec-
tirten Lichte einen erhöhten Grad von Convergenz durch eine vor das-
selbe gehaltene Convexlinse, welche zugleich dazu diente, das aus dem
Auge zurückkehrende Licht zu einem umgekehrten Netzhautbilde in oder
nächst ihrer Brennweite zu sammeln und dieses dem Beobachter in geeig-
neter Distanz als Sehobject darzubieten. Dem Epkens-Donders'schen Ap-
parate, von welchem Schauenburg (Jahr 1854J eine genaue Abbildung
und Beschreibung gegeben hat, so wie dem Ruefe' sehen, rücksichtlich
dessen näherer Schilderung wir auf Ruele's neuere Schriften verweisen
müssen, fällt bei den grossen Vortheilen, welche sie darbieten, vorzüglich
die Beschwerlichkeit ihrer Handlung für den praktiscken Arzt zur Last,
wogegen die Spiegel von Coccius , f) Zehender , ff) Ed. Jäger und
Stellwag, fff) welche im Wesentlichen auf denselben Principien Füssen,
wenig zu wünschen übrig lassen.
°) Beschreibung eines Augenspiegels, Berlin 1651. ") Neilerl. Weekblaii voor ncnccskundigen, 21. Dec 1851.
' ) Der Augenspiegel und das Optometer. Göttingen 1852. t) Über die Anwendung des Augenspiegels, Leipzig >-■■
tt) von Gracßs Archiv für Ophlhalomologie, Berlin 1Ö54. t+t) Theorie dei Augenspiegel, Wien 1654.
Aiigi'iiKjm'Kcl. 75
Ich muss, der Grenzen dieser Abhandlung eingedenk, mit' eine weilere Beschrei-
bung dieser Instrumente verzichten, und will, bevor ich zur Anleitung der Gebrauchs-
weise des CocciWschen Spiegels übergehe, der als Prototyp der späteren gelten mag,
nur noch einige Erörterungen aus einein Aufsätze von Heimholt aufnehmen, welchen
dieser ausgezeichnete Korseber 1852 in Vierordt's Archiv für physiologische Heilkunde
veröffentlicht hat.
Ist in Fig. 4 A ein leueblender Punkt, das zu beobaehlende Auge ß für die Enll'cr-
4L Fial
nung AB adaptirt, und C das Bild jenes leuchtenden Punktes A auf der Netzhaut von
ß, dann werden die von C reflectirten Strahlen wieder nach A zurückkehren, und ein
Auge D, welches neben A vorbei nach ß hinblickt, kann von dem rückkehrenden Liebte
nichts auffangen, siebt die Pupille schwarz. (Der Gang der Lichtstrahlen ist für diesen
Fall durch die ausgezogenen Linien bezeichnet.) Anders verhalt sich's, wenn B nicht
für die Entfernung des lichtsendenden Objectes adaptirt ist. Seine Sehweite bleibe wie
vorher gleich der Entfernung AB, aber der leuchtende Punkt rückt von A nach E.
Jetzt würde der Vereinigungspunkt der von E ausgehenden Strahlen hinter die Netzhaut
fallen, etwa nach F, und die Netzhaut würde in einem Kreise (von dem Durchmesser)
.aß beleuchtet. Da der Refractionszustand von ß für die Distanz AB eingerichtet ist, so
werden die Strahlen, die irgend ein beleuchteter Punkt von aß reflectirt, in der Ent-
fernung von AB vereinigt, und zwar z. B von « in der verlängerten Richtungslinie ax
also in cc', und von ß in ß'. (Der Gang der einfallenden Strahlen ist für diesen Fall
durch die punktirten, der Gang der reflectirten von a durch die gestrichelten Linien
bezeichnet: für ß ist bloss die Richtungslinie bis ß' ausgeführt.) Unter solchen Verhält-
nissen kann D einen Theil des von aß reflectirten Lichtes auffangen, so lange es sich
zwischen den Grenzen von «' und ß' befindet, und sieht die Pupillen von ß rolh auf-
leuchten. — „Dieses Aufleuchten ist um so stärker, je weniger der Reflectionszustand
des beobachteten Auges für die Entfernung des leuchtenden Körpers eingerichtet ist.
Die Verändeiungen im brechenden Apparate des Auges bei der Accommodation für die
verschiedensten Entfernungen sind aber niemals sehr bedeutend, daher die Zerstreuungs-
kreise, welche bei unpassender Adaption entstehen, stets von geringer Grösse und so-
mit das Leuchten — in dieser Art zuerst von Brcüke beobachtet — immer nur schwach.
Aber man kann die Sehweite des zu beoachtenden Auges künstlich in sehr beträcht-
lichem Grade verändern, wenn man ihm ein scharfes Convex- oder Concavglas vor-
setzt. Ebenso wie man ein weitsichtiges Auge durch ein vorgesetztes Convexglas, ein
kurzsichtiges durch ein Concavglas normalsichtig macht, wird ein normalsiehtiges durch
ein vorgehaltenes Concavglas einem weitsichtigen ähnlich, durch ein Convexglas einem
kurzsichtigen. Wenn man ein Convexglas von 1 '/2;/ Brennweite vor das Auge hält, so
kann man nur solche Gegenstände noch deutlich sehen, welche nahehin 1 1/,2" hinter die-
sem Glase liegen; alle entfernteren entwerfen Bilder mit so grossen Zerstreuungskreiseu
76
Netzhaut.
auf der Rotina, wie es sonst bei den grössten Veränderungen der Sehweite nie gesche-
hen kann. Das ist aber ausserordentlich vortheilhäft, wenn in diesem Auge das Brücke-
sche Leuchten beobachtet werden soll. Durch diese geringe Modifikation des Brüclte-
schen Versuches kann eine ganz ausreichende Beleuchtung des Augengrundes für den
Beobachter hervorgebracht werden". (Helmhoh-.) — In Fig. 5 sei A die Flamme, D das
beobachtende, B das beobachtete Auge, S ein Schirm hinter der Flamme, neben wel-
chem das Auge ü nach B hinblickt, und L eine Convexlinse von der Brennweite LF,
S
0*
A
die Distanz LB kleiner als LF. Strahlen, die von irgend einem Punkte der Flamme A
durch die Linse L, also convergent nach B gelangen, werden durch dessen dioptrischen
Apparat schon mehr weniger weit vor der Netzhaut vereinigt (etwa in 0), und treffen
die Netzhaut B erst als Zerstreuungskreis aß. Das Auge B sieht nunmehr vor sich eine
lichte Scheibe und kann sich im Allgemeinen nicht (ausser mit Hilfe des andern Auges)
für eine bestimmte Distanz accomodiren, verhält sich rücksichtlich der Accommodation
passiv, d. h. ist in einem für parallel einfallendes Licht adaptirten Refractionszustande
(wenn es nicht kurzsichtig ist). Unter solchen Umständen werden die von den einzelnen
Punkten des lichten Kreises aß reflectirten Strahlen nach ihrem Austritte aus dein Auge pa-
rallel, also als Cylinder fortgehen, deren Richtung durch den leuchtenden Punkt und durch
den Kreuzungspunkt x bestimmt wird. Die Strahlen nun, welche von irgend einem Punkte
des beleuchtenden Netzhautareals reflectirt werden und unter sich parallel aus dem Auge aus-
fahren, werden durch die Linse L in deren jenseits gelegener Brennpunktsebene F («'/?')
vereinigt. Es wird also in der Fläche a'ß' ein (verkehrtes und vergrössertes) Bild von dein
Netzhautareal aß entworfen, und wenn der Beobachter sein Auge D für die Entfernung FD
adaptirt, kann er hier in a'ß' ein deutliches (umgekehrtes) Bildeines Theiles der beleuch-
teten Netzhautpartie sehen. — Nimmt man nun statt des Schirmes S mit unmittelbar dahinter
befindlicher Flamme einen Hohlspiegel (6" Brennweite), wie C in Fig. 6, vor das beob-
Fig. 6.
-F-
a"
achtende Auge D, und versetzt die Flamme neben das zu beobachtende Auge B in eine
solche Lage, dass der Hohlspiegel Licht durch L in das Auge B weilen kann, so ist im
Wesentliche!] nichts gegen Fig. 5 geändert, werden jedoch zwei beträchtliche Vqrtheile
erlangt, nämlich, dass man jetzt nicht neben, sondern gleichsam mitten durch die Flamme
nach B blicken kann, \\\u\ das von C bereits convergenfe Licht gegen B hin verlauft
Augenspiegel. 77
demnach die Linse L nötigenfalls entl)ehrl werden kann, was unter Umständen aus
später anzugebenden Gründen sehr wiinselienswerth sein kann.
Untersuchung mit dem Spiegel von Coccius. A. im aufrechten Bilde,
was in der Regel nur in grosser Nahe oder mit Hülfe von Concavgläsern
möglich ist. Ist, wie in Fig. 7, das zu untersuchende Auge D das linke,
so setze sich der Beobachter dem Kranken an einem rechts befindlichen
Tische so gegenüber, dass er sein (rechtes) Auge G dem zu untersu-
chenden D bis auf einige (selbst unter einem) Zoll und in gleicher Höhe
über dem Fussboden vis-ä-vis nähern kann, und stellt auf dem Tische
die Lampe ebenfalls in gleiche Höhe mit den Augen D und G, vom Kran-
ken links und rückwärts. Dann richte man die Linse L (gewöhnlich von
5" Brennweite), welche so angebracht ist, dass ihre verlängerte Achse die
Mitte des Loches im Spiegel (mn) treffen würde, schräg zum Spiegel , so
dass die Linsenachse mit dem Spiegelperpendikel einen möglichst spitzigen
Winkel bildet und halte nun das Instrument so, dass der Spiegel das
durch die Linse concentrirte Licht auf die Wange unter dem zu betrach-
tenden Auge wirft. Ist die relative Stellung zwischen Flamme , Linse,
Spiegelfläche und Kranken richtig, so sieht man auf der Wange eine lichte
Scheibe mit einem scharfen runden Schatten in der Mitte , entsprechend
dem Loche im Spiegel. Nun lasse man den Kranken auf den Nasenrücken
oder gegen das linke Auge blicken, oder vielmehr in dieser Richtung vor
sich hinstarren, um die Sehnervenpapille von D ohngefähr in die Richtung
der Sehachse von G zu bringen.) Sollte der Kranke sein Auge nicht nach
dem Gesichtssinne richtig stellen können , wie diess bei ganz Erblindeten
der Fall ist, so vermag er es gewöhnlich nach dem Gefühle, wenn man
ihn seinen Finger nach jener Richtung halten lässt, wohin er sein Auge
richten soll. Nun wendet man das Instrument so, dass die lichte Scheibe
mit dem dunklen Flecke gerade mitten auf das Auge D fällt, und bringt
sein Auge G möglichst nahe gegen mn, am besten, indem man den Augen-
brauenbogen an die Spiegelplatte anlegt, um dem Instrumente zugleich die
nöthige Ruhe der Haltung zu sichern. Man wird nun die Pupille roth,
und wenn die Richtungslinie der Sehnervenpapille von D mit der Sehachse
von G wenigstens annähernd zusammenfällt, weissgelb (wie helles Lampen-
licht) aufleuchten sehen. Hat man schon die dem Rcfractionszustaiule
von D und von G angemessene Entfernung oder vielmehr Annäherung ge-
troffen (da die Distanz zwischen Spiegel und Auge D meistens nur 1 — 3
Zoll beträgt), so erkennt man bereits die Centralgefässe der Netzhaut, und
bei passender Stellung von D auch die Sehnervenpapille als lichte, scharf
von dem röthlichen übrigen Augengrunde abgegrenzte Scheibe.
78
Netzhaut.
Zum Verständniss des Vorganges mag mit Beziehung auf Fig. 7 Folgen-
des dienen : Von der Flamme, welche immer mindestens einige Zoll mehr
»ls die doppelte Brennweite der Linse ahh von dieser entfernt sein muss,
gelangt ein Kegel divergenter Strahlen auf die Linse, und wird durch diese
in einen Kegel convergenter Strahlen verwandelt, dessen Länge etwas mehr
als 5" beträgt, wenn die Linse ahh eine Brennweite von 5" hat. Die Linie
FLE zeigt die Richtung, in welcher die Spitze dieses Kegels zu suchen
wäre. Dieser Kegel wird aber durch die Spiegelfläche unterbrochen und
gezwungen, hei unveränderter Lage oder Neigung der einseinen Strahlen
Augenspiegel. 79
zu einander in anderer Richtung, nämlich nach p Fortzulaufen, welcher Punkt eben so
weit vor der Spiegelfläche liegt, als die Kegelspitze ohne Zwischenkunl't des Spiegels
dahinter liegen würde. In Fig. 7 ist der Punkt p dadurch bestimmt worden, dass von
a und b Perpendikel auf die (verlängerte) Spiegelfläche gelallt, in jedem derselhen jen-
seits der Spiegelfläche der gleich weit entfernte Punkt a' und />' verzeichnet, diese
Punkte mit den betreffenden Durchschnittspunkten der Spiegelfläche c und d verbunden,
und diese Verbindungslinien a'c und b'd verlängert wurden. Der von der Linse <iU>
ausgehende Kegel wird also an der Spiegelfläche cd gleichsam geknickt und gezwun-
gen gegen p hin zu verlaufen. Wird ihm nun das Auge D in diesem Laufe entgegen
gestellt, so trifft er dasselbe mit dem Durchschnitte ef. Das Auge D wird also von
convergirenden Strahlen getroffen, falls es sich diesseits von p, also innerhalb der Ver-
einigungsweite des Apparrtes aufstellt, und alles Licht, welches die Linse passirt hat, ist
nun auf diesen Durchschnitt ef concentrirt, wenn wir vorläufig von den Verlusten durch
Zerstreuung, durch die Distanz und durch das Loch im Spiegel absehen. In dieser Be-
ziehung wirkt also diese Combination einer Convexlinse mit einem Planspiegel ganz so
wie ein in a'b' aufgestellter Concavspiegel von entsprechender Brennweite und Spiegel-
öffnung. Diese Combination hat jedoch vor dem Concavspiegel voraus, dass das Auge
G gleichsam mitten in den Strahlenkegel hinein versetzt werden, mithin ceteris paribus
dem Auge D viel näher rücken kann, was, wie wir später sehen werden, in mehrfacher
Beziehung Vortheile gewährt ; sie hat überdies noch das für sich, dass man durch Annä-
herung der Linse ab an die Spiegelfläche erf, oder durch Einsetzen einer Linse von ande-
rer, z. B. 4" Brennweite, die Öffnung und Brennweite des Apparates (quasi Hohlspiegel)
nach Bedürfniss leicht ändern kann. Solche Veränderungen sind nämlich bis zu den
nöthigen Grenzen in der mechanischen Construction der möglichst becpiemen und com-
pendiösen Apparate von Coccius und von Zeltender auf eine sehr leichte und wohlfeile
Art ermöglicht.
Von dem Lichte, welches auf D fällt, contribuiren zu unserem Zwecke nur jene
Strahlen, welche das die Pupillengrösse von D etwas übertreffende Hornhautareal ik
treffen, also die zwischen gi und hk verlaufenden. Von diesen geht noch ein guter
Theil durch Reflexion an den Trennungsebenen, namentlich durch Spiegelung an der
Vorderfläche der Cornea verloren. Hierauf, so wie auf den Verlust durch das Loch
im Spiegel, kommen wir später zu sprechen. Die durch ik eindringenden Strahlen
werden nun durch den dioptrischen Apparat von D so gebrochen, dass sie sich mehr
weniger weit vor der Netzhaut vereinigen, etwa in </, und die Netzhaut in einem
Zerstreuungskreise treffen, welcher um so grösser ist, je weiter q vor der Netzhaut
liegt"). Man sieht, dass dieser Abstand zwischen q und der Netzhaut grösser sein
würde, wenn z. B. die Netzhaut tiefer läge oder die Hornhaut stärker gewölbt wäre,
aber auch dann, wenn p näher an D zu liegen käme; näher an D würde p zu liegen
kommen, wenn man mit demselben Apparate weiter von D rückte, die Linse in grös-
serer Entfernung vom Spiegel aufstellte, oder eine Linse von kürzerer Brennweite
einsetzte. Da es sich zunächst um gehörige Beleuchtung eines Areals der Netzhaut D
handelt, und da die Pupille (Hornhautscheihe ik) nur bis zu einer bestimmten Grösse
steigen (künstlich erweitert werden) kann, so wird mit Rücksicht auf die angegebenen
*) Wir haben in der Zeichnung weiter q vor der Netzhaut angesetzt, als es in Wirklichkeit der Fall ist, um die
Linien nicht zu eng zusammen zu drängen.
80 Netzhaut.
und noch anzugebenden Verhältnisse immer eine solche Wahl in diesen Momenten ge-
troffen werden müssen, dass durch ik hinreichend viel Licht eindringen, und dass dieses
Licht nicht auf ein zu grosses Netzhautareal vertheilt, i. e. dass q nicht zu weit von
der Netzhaut entfernt sei. Offenbar konnte man alles Licht, welches zwischen ce und
elf liegt, durch die Pupille in's Auge leiten, wenn man den Apparat so einrichtete oder
so weit von D entfernte, dass sämmtliche Strahlen in einem Querschnitte des Kegels
von dem Durchmesser ik enthalten wären, es würde aber dann einerseits der Zer-
streuungskreis auf der Netzhaut D zu gross ausfallen, mithin in einer Beziehung ver-
loren gehen , was in der andern gewonnen wurde , und anderseits würde meistens
auch der zweiten Bedingung, dass der Beobachter nicht zu weit von D sein soll —
wovon weiter unten — Eintrag gethan werden. Wollte man bei einem Abstände des
Spiegels von D wie in Fig. 7 den Kegelschnitt ef dadurch verengern (auf »7t reduciren),
dass man die Linse weiter vom Spiegel rückte, so würde man an Lichtmenge nicht
viel gewinnen', weil dann auch die Lampe weiter entfernt werden müsste, und weil
dann p, mithin auch q näher an die Linse und Hornhaut von D rücken würde. Nähme
man zu demselben Zwecke eine stärkere Linse (aLb), so würde wohl der erstere, nicht
aber der letztere Übelstand vermieden. In dieser Beziehung muss man die Wahl des
Ulittels, welche Zeltender traf, als eine eben so glückliche wie scharfsinnige bezeichnen ;
er nahm eine stärkere Linse (aLb von 3" Brennweite, welche 3/4 — l%" vom Spiegel-
centruin entfernt unter beliebiger Neigung aufgestellt werden kann, und verwandelte den
ebenen Glasspiegel in einen schwach convexen Metallspiegel (von 6" Krümmungshalb-
messer) und bewirkt hiedureb, indem er die stark convergenl, also stark Concentrin auf
den Spiegel lullenden Strahlen zwingt, etwas weniger convergent fortzugeben, dass eine
gleiche Quantität Licht durch die enge Öffnung ik eintreten kann, und trotzdem erst nahe
an der Netzhaut von D vereinigt wird. Er drängt dieselbe Lichtmenije in einen engen
Durchschnitt (für ik) zusammen, macht den Kegel bei gleicher Basis dünn, und doch
weder lichtärmer noch kürzer.
Die Rücksicht, dass selbst mittelst eines compendiösen und leicht zu gebrauchen-
den Apparates möglichst viel Licht durch die Hornhautscheibe ik eindringen könne, ohne
dass q zu weit vor die Netzhaut von D fällt, ist noch durch einen andern Umstand
dringend geboten. Bei der Beleuchtung der Netzhaut mittelst durchbohrter Spiegel
kommt nämlich noch in Betracht, dass dieses Loch, welches nicht viel weniger als 12'"
Durchmesser haben kann (wegen des Beobachters), natürlich kein Licht reflectirt, der
Lichtkegel also in der Mitte einen lichtlosen Kegel enthält, dessen Basis am Spiegel-
loche, dessen Spitze (streng genommen) an der Lichtkegelspitze liegt. Da nun zwischen
mn kein Licht nach D geworfen werden kann, so hat es den Anschein, als werde hie-
durch nicht nur die Lichtmenge für ik merklich vermindert, sondern auch als könnte
dann sjerade der in der Richtung der Sehachse von G liegende Theil der Netzhaut l>.
also gerade die Mitte des Sehfeldes für G gar nicht oder doch nicht hinlänglich be-
leuchtet werden. Diess würde auch in der That der Fall sein, wenn die von dem
Spiegel nach D geworfenen Strahlen parallel oder gar divergent auf ik auffielen. Dieser
Nachtheil wird aber durch die Oonvergenz dieser Strahlen beträchtlich vermindert. Denn
in dem Punkte q und kurz vor und hinter demselben kann (in re) kein Schauen von
dem Loche me vorhand« n, nur die Lichtmenge etwas geringer sein, als sie ohne das
Loch nie sein würde. (Vergl. über die entopischen Erscheinungen.) Wenn dabei' die
Netzhaut nicht gar weil von q liegt, so kann auch das beleuchtete Netzhautareal in der
Augenspiegel. 81
Mitte keinen Schatten zeigen und überhaupt in der Mitte nicht um vieles schwächer be-
leuchtet sein, als in der Umgebung. Nimmt man Glasspiegel, wie Coccius, dann wird
der in Hede stellende Fehler auch noch dadurch merklich corrigift, dass eine doppelte
Reflexion, an der Glas- und an der Stanniolfläche, also unter zweierlei Winkeln erfolgt,
welche Winkel um so mehr differiren, also jene Fehler um so mehr vermindern, je
dicker die Glasplatte ist. Dicke Glasplatten haben aber den Nachtheil, dass das Loch
dann einen Canal darstellt, dessen Länge gleich der Dicke der Glasplatte und der zum
Schutze des Beleges nüthigen Metallplatte. Da man nun immer mehr weniger schräg
durch diesen Canal durchsehen muss, so wird, je länger derselbe, desto beschränkter
der Raum für die von D nach G zurückkehrenden Strahlen, und entstehen überdiess
durch das von F direct nach L strahlende Licht an den Wandungen des Canales Reflex-
oder Spiegelbilder, welche den Beobachter blenden, und auch dadurch niemals ganz be-
seitigt werden können, dass die Wandungen dieses Canales möglichst rauh und dunkel
gemacht sind. In dieser Beziehung haben Metallspiegel, wie in Zehenders Apparate,
einen entschiedenen Vorzug, da man das Loch im Spiegel trichterförmig mit ganz dün-
nem Rande anbringen und den Durchmesser desselben an der polirten Fläche bis auf
1 lL"' W. M. reduciren lassen kann.
Es lässt sich jedoch die nachtheilige Folge des centralen Loches für die direct
zu sehende Stelle durch einen andern Kunstgriff beseitigen, den man zugleich an-
wendet, um das Spiegelbild auf der Hornhautfläche ik aus dem Bereiche der Sehachse
des Auges G zu bringen und mehr weniger unschädlich zu machen. Man neigt nämlich,
nach richtiger Einstellung des Apparates, denselben ein wenig nach der einen oder der
andern Seite so ab, dass der Achsestrahl Lo nicht auf die Mitte des Loches mn fällt,
sondern «in wenig links davon, wenn man einen mehr rechts gelegenen Punkt der
Netzhaut D direct sehen will, und man lässt das Auge D nach und nach seine Richtung
etwas ändern, z. B. etwas aufwärts, wenn man eine höher gelegene Stelle direct sehen
und betrachten will. Es muss nämlich der dem centralen Loche entsprechende licht-
ärinere Punkt an der Netzhaut von D jederzeit in der Richtung der Achse des Strahlen-
kegels liegen ; man muss daher, um ihm auszuweichen, den Spiegel so wenden, dass
diese Achse (und ihre Verlängerung) nicht auf die zu betrachtende, sondern auf eine
etwas seitlich gelegene Stelle der Netzhaut D fällt. — Man hält die Spiegel gewöhnlich
an einer Handhabe, welche auf entgegengesetzten Punkten angebracht werden müssen,
je nachdem man an dem rechten oder linken Auge beobachten will. Da nun oft sehr
geringe Wendungen der Spiegelfläche nöthig sind, welche leicht zu gross ausfallen,
wenn man sie durch eine solche Handhabe ausführt (besonders Wendungen nach oben
oder unten), indem diese Handhabe als Hebelarm zu betrachten ist, so habe ich an dem
Zehender'schen Spiegel, dessen ich mich in der Regel bediene, die Handhabe wegge-
lassen, und halte den Apparat an einem etwas grösseren Vorsprunge des Gewindes, das
die Linse trägt, wodurch zugleich das Etui, in dem der Spiegel zu tragen ist, kleiner,
mithin bequemer ausfällt.
Kehren wir nun zur Betrachtung der Fig. 7 zurück, um unsere Aufmerksamkeit
auf jene Momente zu lenken, welche in Anschlag zu bringen sind, sofern sich's darum
handelt, die gehörig beleuchtete Netzhaut D mit dem Auge G deutlich zu sehen. Die
wichtigsten Momente sind : der jeweilige Refractionszustand des Auges D. die bis zu
einem gewissen Grade von der Beleuchtung abhängige Entfernung zwischen D und G,
und die Accommodationsfähigkeit des Auges G.
Arll's Augenheilkunde III 2 ß
82 Netzhaut.
a. Das Auge D (in Fig. 7) kann kurz-, normal- oder fernsichtig sein, oder es
liegt das zu beobachtende Object, z. B. die von der Chorioidea abgelöste Netzhaut
innerhalb der Brennweite des dioptrischen Apparates, ein Fall, der für die Netzhaut
auch bei mangelnder Linse eintritt. In allen Fallen, wo die Netzhaut nicht jenseits
der Brennweite des dioptrischen Apparates liegt, also wo das Auge D nicht kurzsichtig
oder (als normal) nicht für ein nahe gelegenes Object aecommodirt ist, kann der diop-
trische Apparat von D als eine Loupe betrachtet werden, rriuss daher ein in der Rich-
tung der ausfahrenden Strahlen befindliches Auge G das lichtsendende Object sehen
können, sobald dieses eine hinreichende Menge Licht nach G werfen, G sich in pas-
sender Entfernung aufstellen, und parallele oder wenig divergirende Strahlen auf seiner
Netzhaut vereinigen kann. Wer aber einen Gegenstand durch eine Loupe von kurzer
Brennweite (6 '/, — 7'") deutlich sehen will, muss sich der Loupe mit seinem Auge um
so mehr nähern, je weiter hinter der Loupe, d. h. je näher gegen deren Brennweite
hin sich der Gegenstand befindet. Die Loupe zeigt uns dann den Gegenstand durch
ein virtuelles Bild aufrecht und vergrössert. Will man also die in oder diesseits der
Brennweite des dioptrischen Apparates von D liegende Netzhaut im aufrechten Bilde sehen,
so muss man sich dem Auge D jederzeit mehr weniger nähern, ausser man bewaffnet
sein Auge mit einem Concavglase oder man verlängert die Brennweite des dioptrischen
Apparates von D dadurch, dass man ihm eine Concavbrille vorhält. Concavlinsen zu
vermeiden ist aber wünschenswert!», wegen der nothwendig damit verbundenen Ver-
minderung der Lichtmenge für G und wegen der Störung des Beobachters durch Spie-
gelbilder. Indem nun die Apparate von Coccius und Zeltender, ohne sehr gross zu
sein , eine hinreichends Menge von Licht in das Auge D zu werfen und das von D
reflectirte Licht in grosser Nähe aufzunehmen gestattet, haben sie eben einen grossen
Vorzug vor andern. — Ist D kurzsichtig, oder ist es normal, aber für die Nähe aecom-
modirt. dann fahren die von der (hinter der Brennweite gelegenen) Netzhaut reflectirten
Strahlen weder parallel noch divergent aus demselben, dann kann sein dioptrischer
Apparat relativ zur Netzhaut in seiner Wirkung nicht mehr mit einer Loupe verglichen
werden, ausser man setzt ihm ein Concavglas -vor. Ist aber das Auge D nich in höhe-
rem Grade kurzsichtig, kann es z. B. noch bei 10 — 12" Entfernung lesen, so kann
seine Netzhaut von einem Normal- oder weitsichtigen Auge dennoch ohne Congavgläser,
wenn gleich nur in grosser Nähe (unter l'/.2"), betrachtet werden. Diess schein ein
Widerspruch mit den beiden Sätzen, dass die aus einem solohen Auge ausfahrenden
Strahlen convergent verlaufen, und dass solche Strahlen, in ein Auge G gelangend,
schon vor der Netzhaut vereinigt werden müssen. Wenn man sich indess von einem
leuchtenden Punkte einen Strahlenkegel durch nahe an einander befindliche Linien aus-
zieht, ohn gefähr wie lOu neben Fig. 7, und die Basis tu an die Stelle des Hornhaut-
areals ik von D versetzt denkt, so sieht man, dass wenn der Beobachter G sich nach
vx oder selbst nach yz versetzt, er, wo nicht völlig, so doch nahezu parallele Strahlen
von In bekommt, während er weiter von tu entfernt, z. B. in W, schon mehr conver-
gente Strahlen mit seiner Pupille (Hornhaut) auffangen würde. Die Erweiterung der
Pupille durch Atroph] oder Belladonna gibt uns übrigens ein treffliches Mittel an die
Hand, die Kurzsichtigkcit von D für einige Zelt zu vermindern, und auch normale Augen
an der oft unwillkürlich erfolgenden Einrichtung ihres Rcfraclionzustandes für nahe
Objecte zu hindern, mithin die aus D ausfahrenden Strahlen zu geringerer Couvergenz
zu zwingen, oder selbst parallel zu machen.
Augonspiege!. 83
b. Was die Entfernung zwischen D und G betrifft, so ergibt sich das zum Ver-
ständniss Nöthisje wohl schon aus dem bereits gesagten, und wollen wir nur noch daran
erinnern, dass sie um so grösser sein kann und muss, wenn das zu sehende Objcct von
U mehr und mehr von der Brennweite gegen die Linse und Hornhaut hervorgerückt ist.
Daraus ergibt sich, dass man sich mit demselben Apparate weiter von D halten muss,
wenn man Opacitäten im Glaskörper erkennen, als wenn mau die Netzhaut untersuchen
will, dass, wenn man von einem Auge, dem die Krystalllinse fehlt, die Netz- und Ader-
haut oder Glaskörpertrübungen sehen will, diess nur aus einer relativ grössern Entfer-
nung geschehen kann.
c. Das untersuchende Auge muss, wenn es nicht fernsichtig, also nicht fähig ist,
parallele oder schwach divergente Strahlen auf seiner Netzhaut zu vereinen, seine Ac-
cummodation für die Nähe absichtlich aufgeben, oder, falls es diess nicht kann (viel-
leicht weil es kurzsichtig ist), seinen Refractionszustand durch ein entsprechendes Con-
cavglas (6 — 12) corrigiren. In dem neuern (verbesserten) Cocc^ws'schen und in dem
Zehender'schen Apparate können solche Gläser sehr bequem in einen federnden Ring un-
mittelbar hinter dem Spiegelloche eingesetzt werden, und zwar, um die Störung durch
Spiegelung zu verhüten, etwas schräg zu demselben.
In Fig. 7 sind nun a und ß in dem Auge D innerhalb des beleuchteten Netz-
hautreales als zwei leuchtende Punkte angenommen. Der Gang der von a reflectirten
Strahlen, welche aus dem Auge hinausgelangen können, ist durch die punktirten Linien
bezeichnet. Der hier in Betracht kommende innere Lichtkegel ist also aik. Die Rich-
tung, in welcher diese Strahlen vor dem Auge D fortgehen müssen, ist bestimmt durch
ax ; ihre Neigung zu dieser verlängerten Richtungslinie vor dem Auge hängt von dem
Refractionszustande des Auges D ab (allgemein ausgedrückt: von der Entfernung des zu
sehenden Punktes hinter dem Kreuzungspunkte der Richtungslinien). Wenn nun D für
unendlich fern eingerichtet ist, und das zu sehende Object, wie hier a, im Brennpunkte
des dioptrischen Apparates von D liegt, so gehen alle Strahlen von diesem Objecte a
ausserhalb des Auges D zum Achsenstrahle parallel (bezeichnet durch die Grenzstrahlen
s' und s") fort, können jedoch nur theilweise durch das Loch mn treten, wenn a schon
ziemlich weit vom Mittelpunkte des Sehfeldes (aß) liegt, und werden in G ohngefähr in
dem Punkte a' vereinigt, wenn G für parallele Strahlen adaptirt ist. Dasselbe findet mit
den von ß und von allen zwischen a und ß gelegenen Punkten ausfahrenden Strahlen
statt, für welche nur der Achsenstrahl (durch die gestrichelten Linien) angedeutet ist;
Somit entsteht auf der Netzhaut G ein Bild a'ß' von a/5, das Auge G sieht das Netz-
hautareal aß aufrecht und vergrössert, indem die Errenung der Netzhaut G in a so
empfunden wird, als käme das Licht durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinien x\
also ohngefähr von <*" und ß" hinter dem Auge D.
B. Zu der Untersuchung mit umgekehrtem Bilde der Netzhaut be-
darf man nebst dem genannten Apparate noch eine zweite, und zwar
starke Convexlinse (von 2 — 3 Zoll Brennweite). Die Vorrichtung da-
bei unterscheidet sich von der früheren nur dadurch, dass der Beobachter
weiter von D zurückweicht und die Convexlinse dann vor letzteres vor-
schiebt.
, 6*
84
Netzhaut.
Ein Blick auf die Fig. 8 wird zur Erläuterung dienen. Ist Fab das auf die
Linse Ll fallende Lampenlicht, so trifft dieses Licht den Spiegel zwischen c und <Z, und
wird von diesem so reflectirt, dass es sich in o vor D vereinigen würde, wenn nicht
die Linse L2 vorgeschoben würde. Die Linse Ll muss beim CocctWschen Apparate
Augenspiegel. 85
mindestens 5" Brennweite haben. Durch die Linse L2 wird aber das zwischen ce und
df verlaufende Licht schon vor o zur Vereinigung gebracht, nehmen wir an in ;>, fahrt
jenseits wieder auseinander, und beleuchtet die Cornea in der Scheibe gh, welche übri-
gens auch kleiner sein könnte, als ik. Wovon es nun abhänge, ob j> dem Auge D näher
oder ferner liege, ist nach dem früher Gesagten wohl verständlich. Wir wollen nur be-
merken, dass es dem Auge D nicht zu nahe liegen dürfe, weil in demselben Masse auch
gh grösser würde, und durch ik dann weniger Licht eindringen könnte, was um so
nachtheiliger wäre, als hier ohnehin schon durch die grössere Entfernung des Spiegels
und durch L2 Licht verloren geht, sowohl für die Beleuchtung von D, als auch auf dem
Bückwege für den Beobachter G. (Wir wollen übrigens hier gleich die Bemerkung ein-
schalten, dass L2 immer etwas schräg zu x'x zu halten sei, und dass, da L2 planconvex
ist, die Convexilät zu G gerichtet werden müsse, beides aus dem Grunde, um das von
L2 entworfene Spiegelbild für das Auge G seitlich abzulenken und somit für das directe
Sehen unschädlich zu machen.) Liegt nun p, wie in Fig. 8, nicht weit vor der vordem
Brennpunktsebene des Auges D, dann werden die zwischen ik eindringenden Strahlen
durch den Glaskörper nur wenig convergent verlaufen und die Netzhaut in dem der
Pupillengrösse nahezu gleichen Areal mn beleuchten. Läge p näher als 5'" an ik, so
würden die Strahlen im Glaskörper divergiren, mn grösser, die Beleuchtung der Netz-
haut schwächer. Umgekehrt, wenn p weiter von D läge.
Betrachten wir nun den Gang der ausfahrenden Strahlen, z. B. von den Punkten
a und ß, so kann hier das Auge D in Verbindung mit der Linse L2 unter allen Um-
ständen, wo aus dem Auge D parallele oder convergente Strahlen ausfahren, als eine
Loupe betrachtet werden, und zwar als eine Loupe mit zwei Convexlinsen, welche um
weniger als die Summe ihrer Brennweiten von einander abstehen,, Die Linse L2 bringt
die durch ik ausgetretenen Strahlen, wenn diese, wie in Fig. 8, parallel sind, in ihrer
Brennweite q , wenn diese ausfahrenden Strahlen aber convergent auf L2 gelangen,
zwischen L1 und q zu Vereinigung. Der letztere Fall ist für das beobachtende Auge
G günstiger. So werden die von a ausfahrenden Strahlen in «', die von ß in ß' ver-
einigt, wenn das Auge D für die Ferne aecommadirt ist, es entsteht in ß'a' ein reelles,
aber umgekehrtes und nicht stark vergrössertes Bild von aß. Wäre D kurzsichtig,
dann würde schon dieser Umstand so gut hinreichen, dieses umgekehrte Bild näher an
D zu rücken, als z. B. eine stärkere Krümmung von L2. Je weniger aber ß'a' von D
entfernt entworfen wird, desto weniger entfernt braucht sich G aufzustellen, um die
von ß'a' wie von einem daselbst befindlichen leuchtenden Objecte ausfahrenden Strah-
len auf seiner Netzhaut zu einem Bilde zu vereinigen. Man sieht daher, dass Kurz-
sichtigkeit von D, welche die Untersuchung im aufrechten Bilde erschwert, die Unter-
suchung im umgekehrten gerade begünstigt, während für Weitsichtigkeit von D eher
das Gegentheil gilt. Bei sehr hohen Graden von Kurzsichtigkeit sieht man auch ohne
L2 ein verkehrtes Bild von D, oder braucht doch L2 nur eine geringe Brennweite zu
haben, etwa 3—4. Fehlte dem Auge D die Krystalllinse, dann könnte die Untersuchung
im umgekehrten Bilde nur noch mit einer viel starkem Convexlinse L2 vorgenommen
werden. Andererseits ergibt sich rücksichtlich des Beobachters (?, dass hier der Kurz-
sichtige besser daran ist, als der Weitsichtige, und dass letzterer, wenn er nicht zu
weit zurück weichen will, sein Auge durch Vorhalten eines Convexglases (12 — 8") in
ein kurzsichtiges zu verwandeln hat. — Betrachtet nun das Auge G das reelle Bild
ß'a\ so werden die von ß' wie von irgend einem leuchtenden Punkte ausfahrenden
86 Netzhaut.
Strahlen, welche durch das Spiegelloch durchtreten können, in ß" vereinigt, weil /?', x'
und ß" in einer geraden Linie liegen, eben so die von et' in et". G sieht also links,
was in Ö rechts liegt, doch nicht stark vergrössert, und zwar ohngefähr um so vielmal
grösser, als aß in a'ß' enthalten ist. — Die Untersuchung mit umgekehrtem Bilde hat den
grossen Vortheil, dass man mit einem Blicke einen grössern Theil der Netzhaut über-
sehen kann. Ein anderer Vortheil besteht aber darin, dass, wenn man einmal ein Objcet,
z. B. ein Gefäss der Netzhaut deutlich sieht, man, ohne seine eigenen oder des kranken
Auges Stellung wechseln und ohne die Haltung des Spiegels ändern zu müssen, wo-
durch nicht die richtige Einstellung bezüglich der deutlichen Sehweite verloren geht,
durch leichte Hin- oder Her-, Auf- oder Abwärtsbewegung der Linse L2, die man zwi-
schen Daumen und Zeigefinger der an das Gesicht des Kranken gestützten Hand hält,
seitlich gelegenen Partien zum Gegenstande des directen Sehens machen kann. Wir
brauchen wohl kaum zu erwähnen , dass diese Bewegung aufwärts geschehen müsse,
wenn man eine unter der eben gesehenen liegende Stelle betrachten will. Hat man
gerade die Papille des Sehnerven im Sehfelde, so verschiebe man, um die Macula lutea
zu sehen, die Linse L2 ein wenig gegen die Nase des Kranken.
Man wird auch bei genauer Kenntniss des Apparates und seiner Lei-
stungsfähigkeit immer viel eher zweckmässig zu Werke gehen, wenn man
noch vor Anwendung desselben eine möglichst genaue Erhebung der krank-
haften Veränderungen des Auges (und nötigenfalls des ganzen Organis-
mus) vornimmt, durch die äussere Besichtigung, Betastung, Prüfung der
Functionsstörung, Aufnahme der subjeetiven Erscheinungen und der vor-
ausgegangenen (anamnestischen) Momente , kurz wenn man den Augen-
spiegel nur als ein, nicht aber als das einzige und zuerst anzuwendende
diagnostische Hülfsmittel betrachtet. Dies ist schon darum gerathen, weil
wir bis jetzt eine verlässliche Deutung für das mit dem Augenspiegel Ge-
sehene nur bei relativ wenig Befunden besitzen. Man kann namentlich
Befunde an der Netz- und Aderhaut, die noch zum Normalen gehören,
leicht als krankhaft deuten, man kann wirklich krankhaften Veränderungen
leicht für die bestehende Functionsstörung eine viel wichtigere Bedeutung
beilegen, als sie wirklich verdienen, man kann eine Gesichtsstörung, die
von ganz andern Abnormitäten abhängt, leicht aus dem Augenspiegelbe-
funde abzuleiten versucht werden, auch abgesehen von optischen Täuschun-
gen, welche selbst einem ziemlich geübten Beobachter bei so subtilen Un-
tersuchungen leicht begegnen können. Vorläufig bleiben anatomisch-mikro-
skopische Untersuchungen von Netzhäuten, deren Augenspiegelbefund kurz
vorher notirt wurde, noch ein pium desiderium. So lange wir solche
nicht in grösserer Menge besitzen, müssen wir von dem Instrumente nicht
mehr verlangen, als es leisten kann, sonst bringen wir diese herrliche
Erfindung, im Gebiete der ophlhalmologischen Diagnostik wohl die grösste
unsers Jahrhunderts, selbst bei Verständigen in Misscredit.
Augenspiegel. 87
Rücksichtlich der durchsichtigen Medien gibt uns das Ophthalmoskop
sichere Antwort auf die Frage, ob sie durchsichtig oder von trüben Par-
tikelchen durchsetzt sind Diess ist namentlich für den Glaskörper äusserst
wichtig, obwohl es uns auch bei wenig ausgebreiteten Trübungen des
Krystallkörpers sehr zu statten kommt. Der Augenspiegel gibt dem nur
einigermaassen geübten und aufmerksamen Beobachter verlässliche Thal-
sachen zur Entscheidung der Frage, ob das untersuchte Auge kurz- oder
weitsichtig sei, sobald diese Zustände eben nicht blos die ersten Über-
gänge vom Normalen zum Abnormen bilden, sondern schon bestimmt in
das Bereich des letzteren zu zählen sind. Seit der Einführung des Augen-
spiegels in die Diagnostik ist die Lehre von den Amaurosen eine wesent-
lich andere geworden. Die Zahl der Amaurosen centralen und allgemei-
nen Ursprunges schmilzt auf eine relativ sehr geringe herab ; bei sehr
vielen Amblyopien und Amaurosen lassen sich Veränderungen in der Netz-
haut allein oder zugleich im Glaskörper und in der Aderhaut als hinrei-
chendes Substrat nachweisen, wo man ohne Hilfe des Augenspiegels kaum
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit sich entscheiden könnte, ob die
Functionsstörung durch centrale oder peripherische Veränderungen des
nervösen Apparates bedingt sei. Jeder Fortschritt in der Diagnosis ist
aber ein Gewinn für die Aufgabe des Arztes, die Prognosis und Therapie.
Das oben empfohlene, der Ophtalmoskopie vorauszuschickende Examen
wird im Allgemeinen den Gang vorzeichnen, den dieselbe zu nehmen hat. Wo
dieses Examen nicht schon bestimmt einen oder den andern Krankheitszustand
auszuschliessen berechtigt, gehe man, um nichts aus der Reihe des Möglichen
zu überspringen, in der anatomischen Ordnung von vorn nach hinten vor,
und prüfe zuerst die durchsichtigen Medien, namentlich die Linse und den
Glaskörper genau, ehe man sich an die Netz- und Aderhaut macht. Ich
erinnere mich mehrmals bei mehr weniger beträchtlicher Gesichtsstörung
keine hinreichend erklärende Veränderung der Netzhaut gefunden zu haben,
wo doch die wiederholte Untersuchung durch mich oder einen Andern
kleine aber zahlreiche Glaskörperopacitäten als genügendes Substrat erwies.
Da sich ganz kleine Trübungen der durchsichtigen Medien nur dadurch
wahrnehmen lassen, dass sie bei heller Beleuchtung des Augengrundes als
dunkle Körperchen erscheinen, gleich den vor hellem Hintergrunde herab-
fallenden Schneeflocken, so muss man, um ihre Anwesenheit nicht zu über-
sehen, das Instrument zunächst gerade so einstellen, dass der Augengrund
möglichst hell beleuchtet wird, i. e. so weit vom Auge (D) entfernt, dass
die Netzhaut in den Focus des Beleuchtungsapparates, wenigstens in keinen
grössern Zerstreuungskreis zu liegen kommt Cdass in Fig. 7 q auf den
88 Netzhaut.
Augengrund fällt, in Fig. 8 mn bis zur Grösse des Flammenbildes ver-
kleinert wird); und da die dunklen Körperchen im Glaskörper sieh bei ru-
higer Haltung des Auges (D) senken, durch rasche Bewegungen desselben
aber aufgerüttelt werden, kleine Körperchen überdiess minder leicht der
Wahrnehmung entgehen, wenn sie in Bewegung sind, so wird das Auf-
suchen derselben durch rasche Bewegungen des Auges (D) mit kleinen
Excursionen besonders nach auf- und abwärts, wesentlich erleichtert. Bei
auffallendem Lichte können undurchsichtige Partien der durchsichtigen
Medien nur dann wahrgenommen weiden, wenn sie hellfarbig (weiss, grau,
gelb) und entsprechend ihrer Lage hinter der Cornea hinreichend gross
sind. Hieher gehören namentlich pigmentlose Exsudate in der Pupille,
fleckige oder streifige Trübungen im Krystallkörper, Cysten im Glaskörper
und dergl. Um solche Trübungen bei auffallendem Lichte zu sehen, muss
man sich mit dem Apparate dem Auge nur so weit nähern, dass die Spitze
des Beleuchtungskegels auf sie fällt (also bei Verdacht auf Cataracta nicht
wie in Fig. 7 auf </, sondern etwa auf x oder auf die Ebene des Pupillar-
randes). Sind solche Körper, die nicht zu tief liegen, auf diese Art ge-
hörig beleuchtet, so kann man sie als bläulich-weisse Streifen, Flecken
und dergl. auch sehen, wenn man nicht durch das Loch , sondern neben
dem Spiegel vorbei in's Auge sieht, ja es sehen sie dann zur Seite des
Beobachters stehende Personen wohl eben so gut. Man sieht sie natürlich
aufrecht und mehr weniger vergrössert. Will man sie noch deutlicher
sehen, so kann man die Beleuchtungslinse (Ll) so umstellen (hinter das
Spiegelbild), dass sie nicht zur'Concentration des Lichtes, sondern als ein-
fache Loupe für das beobachtende Auge wirkt. — Wie man die Netz-
und Aderhaut am besten untersuche, und in welcher Beschaffenheit diese
Gebilde dem Beobachter unter dem Spiegel erscheinen sollen, das muss
man vorläufig durch Untersuchung normaler Augen kennen gelernt haben,
ehe man sich erlauben darf, ein Urlheil darüber abzugeben , ob in einem
Auge mit Gesichtsstörung diese auf eine Abnormität der Netz- oder Ader-
haut bezogen werden könne. Ein jeder kann sich zu einer solchen Un-
tersuchung leicht hergeben, da die Beleuchtung für seine Netzhaut jeden-
falls nicht nachtheiliger sein kann, als das längere Betrachten der Lam-
penflainme mit freiem Auge, ja im Allgemeinen viel weniger; nur bei
solchen Augen, welchen der Blick in eine Kerzenflamme schädlich wäre,
könnte die Untersuchung mit dem Spiegel allenfalls nachtheilig werden,
und da nur, wenn das zu untersuchende Auge (D) direct nach dem Flammen-
bilde blickte, was nicht nöthig, ja nicht einmal wünschcnswerth ist.
Krankheiten. — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen. 89
B. Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven.
Die Lehre von den Krankheiten der Netzhaut, welche in der Hauptsache mit der
Lehre von der Amaurosis zusammenfällt, ist durch die Einführung des Augenspiegels in
die ophthalmologische Praxis fast durchgehends auf einen andern, weit mehr ohjeetiven
Standpunkt versetzt worden. Es ist jedoch {mir wenigstens) zur Zeit noch nicht mög-
lich, von diesem Standpunkte aus eine Schilderung der hieher gehörenden Zustände
des Auges systematisch und so umfassend zu entwerfen, als diess bei den Krankheiten
anderer Gebilde der Fall ist. Ich muss daher den nachfolgenden Erörterungen über die
Krankheiten der Netzhaut die Bemerkung vorausschicken, man möge in denselben nicht
eine abgeschlossene Abhandlung, sondern nur einzelne feststehende Thatsachen suchen,
nebst einer Anleitung, wie in vorkommenden Fällen, allenfalls mit Hilfe dieser That-
sachen und genauer Beobachtung theils den praktischen, theils den streng wissen-
schaftlichen .Anforderungen nach Zulass der Umstände werde entsprochen werden
können.
Die Ausdrücke Amblyopia (nervöse Gesichtsschwäche) und Amau-
rosis (schwarzer Staar) sind es, deren man sich seit langer Zeit bedient,
um zu bezeichnen, dass in einem gegebenen Falle Schwäche (Abnahme)
.oder Verlust des Sehvermögens zunächst durch einen krankhaften Zu-
stand der Netzhaut, des Sehnerven oder der Centralorgane bedingt sei.
Wir werden diese bequemen Ausdrücke im Allgemeinen beibehalten dür-
fen, wenn wir ihnen keine andere als die negirende Bedeutung beilegen,
die nämlich , dass in einem so bezeichneten Falle das Hinderniss des
Sehens nicht im dioptrischen Apparate oder doch nicht in diesem allein
zu suchen sei, und wenn wir überdiess nie vergessen, dass mit der Be-
zeichnung: „dieser Kranke ist amblyopisch oder amaurotisch", eine Dia-
gnosis ebenso wenig ausgesprochen sei, als wenn wir sagen: dieser
Kranke leidet an Krämpfen, Erbrechen, u. dgl. Des geistreichen Ph. von
Walther's Phrase: „Amaurosis sei jener Zustand, wo der Kranke nichts
sieht, und — auch der Arzt nichts", kennzeichnet vollkommen — nicht
die Amaurosis, sondern die Anschauungsweise der Arzte früherer Zeiten
über dieses Leiden. Man hatte nämlich bereits angefangen, gewisse For-
men von der generellen Bezeichnung auszuscheiden, jene nämlich, welche
schon der oberflächlichen Betrachtung des Auges auffallende Veränderun-
gen darbieten , wie z. B. die acute Entzündung der Netzhaut , welche
Beer als Ophthalmia interna idiopathica, Weller, Makenzie, Wallher u. A-
als Retinitis oder Dictyitis geschildert hatten, den Markschwamm der Netz-
haut (Wardrop), das Glaucom u. s. w. Andererseits wurden aber in die
Lehre von der Amaurosis , und zwar unter dem Titel : Vitla visus als
Vorlauter oder Begleiter des Netzhautleidens Zustände beschrieben, welche
90 Netzhaut.
nicht unmittelbar auf ein solches bezogen werden können, z. B. Myodes-
opsie, Mikropsie, Megalopsie, oder nur als zufällige Begleiter auftreten,
wie: Skotomatopsie , Photopsie, Chrupsie u. dgl. Insbesondere war es
nachtheilig, dass man unter dem Namen Amblyopia ex abusu visus oder
Ilebetudo ein häufig vorkommendes Leiden der Accommodationsorgane,
zu welchem allerdings späterhin ein wirkliches Netzhautleiden hinzutreten
kann, als eine Art schon vorhandenen Netzhautleidens darstellte.
Wird dem Arzte ein gänzlich Erblindeter vorgestellt, dann kann nach
den weiter unten angegebenen objeetiven Erscheinungen wohl kaum mehr
ein Zweifel obwalten, ob die Erblindung durch ein Leiden des nervösen
oder des dioptrischen Apparates bedingt sei, und man könnte sich allen-
falls nur noch täuschen, wenn etwa eine Cataracta nigra (II. B. S. 253)
oder Simulation vorläge. Wenn aber der Kranke noch mehr weniger
sieht, dann entsteht vorerst noch die Frage, ob das Sehhinderniss wirk-
lich in mangelhafter Erregung, Fortleitung oder Perception liege (I.).
Muss man sich für Amblyopie oder Amaurosis entscheiden, und hat man
überdiess noch durch sorgfältige Sehversuche festgestellt, bis zu welchem
Grade die Sehfunction beeinträchtigt sei (II.), dann ist zu untersuchen, ob
und welche materielle Veränderungen sich nachweisen lassen , ob der
Sitz der Affection als in der Netzhaut , im Sehnerven , in den Cenlral-
organen befindlich bezeichnet werden könne oder nicht (III.). Den Schluss
der diagnostischen Untersuchung wird dann die Entscheidung der Frage
bilden, in welcher Beziehung das Leiden der nervösen zu den übrigen
Organen stehe, welche Momente dessen Entstehung bedingt oder doch
dazu beigetragen haben, welche Momente auf seinen Fortbestand Einfiuss
nehmen, wie überhaupt die innern und äussern Verhältnisse des Kranken
mit Bücksicht auf dieses Leiden gestaltet sind (IV.) — Je weniger es
gelingt, diese Fragen in einem gegebenen Falle positiv zu beantworten,
desto weniger kann von einem rationellen Vorgänge bei der Pmgnosis
und Therapie die Bede sein, wenn gleich der Fall noch Heilung zuttesse.
Im weiteren Verfolge dieser Erörterungen wird sich herausstellen, dass
schon der diagnostische Theil der Aufgabe des Arztes bei Amblyopien
und Amaurosen ungleich schwieriger ist, als bei allen andern Augenübeln.
I. Binoculare Amaurotische bieten eine eigenthümliche Physiognomie und
Haltung dar, ähnlich einein gedankenlos vor sichllinstarrenden. Bei weit geöff-
neter Lidspalte, häufig auch etwas zurückgezogenem Haupte treten die Augen
gewissermassen stärker hervor, stieren mit parallelen oder divergirenden Seh-
achsen fix oder in zwecklosem Hin- und Herschweifen gleichsam in unbestimmte
Krankheiten. — Anihlyopfe und Amaurosis im Allgemeinen. 91
Ferne hinaus, richten den Bück nicht auf die Person, die den Kranken
anspricht, und machen auf diese, indem sie ihr kein sichtbares Sehhin-
derniss und keinen Fixations- oder Rühepunkt darbieten, einen unheim-
lichen Eindruck, welcher an den erinnert, den- man bei der Unterredung
mit einem Schielenden empfindet. —» In diesen Momenten liegen für den-
jenigen, der einige Amaurotische aufmerksam betrachtet hat, benützens-
werthe Anhaltspunkte gegenüber einem Simulanten, der sich die Pupillen
künstlich erweitert hat, namentlich wenn man nicht zu nahe an ihn hin-
antritt. Denn Augen, welche zu sehen vermögen, fixiren unwillkürlich
irgend ein Object, das in den Grenzen ihrer Sehweite liegt, und dieses
Fixiren übt auf die Haltung der Augen- und Gesichtsmuskeln einen be-
stimmten Einfluss, gibt das, was man Intuitus nennt. Es gehört sehr viel
Schlauheit und Übung dazu, dieses unwillkürliche Fixiren dem Beobachter
zu verbergen, wenn dieser sich nicht näher, als die Sehweite (Mesorop-
ter) reicht, heranstellt.
Bei bilateral Amaurotischen steht die Grösse der Pupillen nicht im
Verhältnisse zur Beleuchtung, um so weniger, je vollständiger die Amau-
rosis ist. Die Pupillen sind häufig abnorm gross, seltener abnorm eng,
oft aber auch von mittlerer Weite. In letzterem Falle kann man in der
Regel nicht sagen, dass die Pupillen starr und unveränderlich seien, man
findet im Gegentheile gewöhnlich, dass sie zwischen stärkerer und gerin-
gerer Weite schwanken, jedoch nicht beim Wechsel des Lichteinflusses,
sondern beim Wechsel der Augenstellung. Sehr weite oder sehr enge
Pupillen zeigen selten solche Schwankungen, auch wenn man die Kranken
plötzlich auf ihren nahe vor ihr Gesicht gehaltenen Finger blicken heisst.
Es kann übrigens auch die eine Pupille merklich grösser und die eine
Iris mehr beweglich sein, als die andere, trotzdem die Amaurosis beider-
seits vollständig ist. Aufklärung über diese Verhältnisse haben wir im
2. Bande S. 32— 34 gegeben.
Bei mono cidär er Amaurosis muss zunächst unterschieden werden,
ob das andere Auge als sehkräftig oder als mehr weniger amblyopisch
bezeichnet wird, und ob dasselbe nicht etwa anderweitige augenschein-
liche Veränderungen darbietet, z. B. Cataracta, Pupillensperre, Zeichen
bestehender oder abgelaufener Chorioiditis u. s. w. Ist das andere Auge
gesund oder doch wenigstens noch für Lichteindrücke empfänglich, dann
muss dasselbe während der Untersuchung des fraglichen so verdeckt
werden, dass es von dem Lichtwechsel durchaus nicht berührt werden
kann, nicht etwa bloss mit den Fingern, sondern mit einem mehrfach zu-
sammengelegten Tuche. In solchen Fällen wird es öfter vorkommen,
92 Netzhaut.
dass der Kranke ein Interesse hat, den Arzt glauben zu machen, er sehe
mit diesem Auge noch, als er sehe nichts. Um so mehr hat man Ursache
sich vor Täuschung durch Milbewegung der Iris (bei Lichtwechsel und
veränderter Stellung der Bulbi) zu schützen. Bei unilateraler Amaurosis
kommt es — nach meinen Beobachtungen — nicht vor, dass die Pupille
des fraglichen Auges eng bliebe (es sei denn wegen Synechien) , sobald
man das andere verdeckt; sie erweitert sich, wenn sie nicht schon früher
grösser war, als die des sehfähigen Auges , was gleichfalls vorkommt,
ohne indess Regel zu sein. Unilaterale Amaurose verräth sich übrigens
dem Geübten häufig durch eine eigenthümlich matte Färbung der Iris,
wenn das andere Auge gesund ist, doch nur nach längerem Bestände des
Leidens. Selbst wenn das eine Auge nur in etwas höherem Grade am-
blyopisch ist, und die Affection auch nicht von der Chorioidea ausgeht,
unterscheidet sich die Farbe der Iris von der des gesunden ungefähr auf
dieselbe Weise, wie Pflanzen, die in schattigen und gesperrten Räumen
vegetiren, von Pflanzen im Freien. So habe ich's wenigstens oft gefunden.
Nicht rein schwarz, sondern von der Tiefe her verschieden getrübt (wie
bei Glaucoma) kann die Pupille bei Amblyopie oder Amaurosis erscheinen,
entweder weil sie sehr erweitert ist, oder weil von der Netz- und Ader-
haut wegen beträchtlicher Gewebsveränderungen ungewöhnlich viel Licht
reflectirt wird. In Bezug auf die Stellung des amaurotischen zu dem
andern Auge ist zu bemerken, dass sie wohl häufig eine abnorme, na-
mentlich eine mehr weniger nach aussen abweichende sei, dass aber auch
Fälle vorkommen , wo in der Stellung und Mitbewegung zum gesunden
keine Abnormität wahrgenommen werden kann, so wie andererseits Stra-
bismus oder Luscitas noch keineswegs sicher auf Amblyopie oder Amau-
rosis deuten.
Amaurosis mit mehr weniger deutlicher Lichtempfindung , gleichviel
ob uni- oder bilateral, zeigt nur dann eine ganz starre Pupille, wenn zu-
gleich im Ciliarncrvensysteme beträchtliche Veränderungen vorhanden sind,
welche natürlich ebensowohl im Bulbus selbst als ausserhalb desselben in
jenen Nerven liegen können, die das Ganglion ciliare mit motorischen
Fasern versehen. Ein Individuum, welches Amaurosis vorgibt, und die
Pupillen heimlich durch Belladonna in , erweitertem Zustande unterhält,
kann mit Berücksichtigung dieses Satzes bisweilen leicht des Betruges
überwiesen werden. Untersucht man so ein Auge mit dem Augenspiegel
und zwar absichtlich mit etwas stärkerer Beleuchtung und gerade in der
Gegend der Macula lutea, so wird man, abgesehen davon, dass der Augen-
grund normal erscheint, schon an der Unruhe des Auges, an dem öftern
Krankheiten. — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen. 93
Blinzeln, oder am Thränen bald erkennen , dass es mindestens noch sehr
deutliche Lichtempfindung haben müsse, während seine erweiterten Pupillen
unter allen Umständen starr bleiben, ein Widerspruch, der für Betrug
spricht, sobald sich nicht anderweitig ein Grund für Lähmung der Ciliar-
nerven nachweisen lässt. Wir verweisen in dieser Beziehung auf die im
2. B. S. 287—289 angeführten Thatsachen.
Gebrauchen wir den Ausdruck Amblyopie für jede Sehstörung von Seite
des nervösen Apparates, bei welcher der Kranke überhaupt noch Gegenstände
zu erkennen vermag, so leuchtet von selbst ein, dass. da diese Stellung in ver-
schiedenen Graden stattfinden kann, eine Verwechslung mit anderweitig
bedingten Sehstörungen leicht möglich ist. Diese letzteren lassen sich
sämmtlich auf Fehler der durchsichtigen Medien oder des Refractions- und
Accommodationszustandes zurückführen, und können nur dann als hinrei-
chende Ursache der Sehstörung betrachtet werden, wenn sie sich als zu
dieser in directem Verhältnisse stehend nachweisen lassen. — Abnormi-
täten der Hornhaut, und zwar zunächst Trübungen , wenn auch noch so
klein, werden dem aufmerksamen Beobachter nicht leicht entgehen, sobald
das Licht gut einfällt und die Pupille dahinter rein schwarz ist. Die Bei-
ziehung einer Loupe kann in zweifelhaften Fällen entscheiden. Facetten
der Hornhaut verräth am besten das Spiegelbild der Fensterrahmen, wenn,
man nicht zu nahe am Fenster untersucht und das Auge mittelst des vor-
gehaltenen Fingers nach und nach in verschiedene Stellungen bringt. Das-
selbe Mittel ist auch das beste, um Veränderungen in der Wölbung der
Comealvorderfläche (z. B. Keratoconus ineipiens) zu entdecken und zu
schätzen. — Dünne Exsudat- und Pigmentablagerungen in den Pupillen
(auf der Kapsel) kommen nur nach Iritis oder Erschütterung des Bulbus
vor, werden schon durch Unregelmässigkeiten des Pupillarrandes ange-
deutet, und können in Bezug auf Ausdehnung und Dicke leicht mit einer
Loupe, nöthigenfalls mit dem Augenspiegel zur Anschauung gebracht wer-
den. — Schwieriger sind diffuse Linsentrübungen zu erkennen, wenn sie
nicht intensiv sind. Diess gilt nicht nur von spinnenwebenähnlichen Be-
schlägen an der vordem Kapsel (Vergl. Catar. corticalis), sondern auch
und ganz besonders von beginnenden Kerntrübungen, zumal bei alten
Leuten. Hier erfordert selbst die Benützung des Augenspiegels viel Übung,
grosse Vorsicht und wiederholte Untersuchung. Denn es kann bei wirk-
lich nervöser Sehstörung der Augengrund gar nicht oder doch so wenig
verändert sein, dass er normal erscheint; er kann aber auch zufällige
Alienationen darbieten, welche dem minder Erfahrenen für die Ursache
einer Amblyopie imponiren, obwohl sie es nicht sind. Die Gebilde im
94 Netzhaut.
Grunde des Auges können nie verschleiert erscheinen wegen leichter
diffuser Trübung der Linse oder des Glaskörpers, aher auch — wegen
mangelhafter Einstellung des Augenspiegels. — Mangel oder Senkung der
Linse, welche auch ohne vorausgegangene Operation vorkommen und dann
leicht mit Amblyopie verwechselt werden können, verrathen sich dem auf-
merksamen Beobachter bestimmt durch tiefere Lage der Iris, durch Schlot-
tern derselben bei rascheren Bulbusbewegungen, durch aulfallend reine
Schwarze und Engheit der Pupille und dadurch, dass starke Convexgläser
(von 2 — 5" Brennweile) dieselben Dienste leisten, wie bei Staaroperirten,
vorausgesetzt, dass nicht gleichzeitig Amblyopie oder eine ungewöhnliche
Achsenverlängerung des Bulbus vorhanden ist. Denn, wurde der Mangel
oder die Senkung der Linse durch Erschütterung des Bulbus eingeleitet
— was dem Kranken auch unbekannt sein kann, z. B. wenn sie in früher
Jugend, bei Convulsionen, im Bausche u. dgl. erfolgte — so wird Am-
blyopie kaum jemals fehlen, und gab Verflüssigung des Glaskörpers mit
Auflösung der Glashäute die erste Bedingung zur spontanen Linsensenkung,
dann ist, wenn nicht zugleich merkliche Amblyopie, wohl meistens auch
Verlängerung des Bulbus in der Richtung der Sehachse vorhanden. Vergl.
II. B. S. 275 und III. B. — Bei Glaskörper- und Cliorioidealkrank-
heiten, wenn sie mit Sehstörung ohne augenscheinliche äussere Verände-
rungen des Bulbus einhergehen, kann von einer Verwechslung mit Retinal-
affection eigentlich nicht die Rede sein, indem letztere dann wohl immer
zugleich vorhanden ist; doch fordert die exacle Diagnostik auch in solchen
Fällen, dass das Übel nach dem primär und vorwaltend ergriffenen Gebilde
erkannt und bekannt werde. Nach dem, was wir über die Diagnosis der
Aderhaut- und Glaskörperkrankheiten mitgelheilt haben, dürfte es wohl in
der Mehrzahl der Fälle möglich sein, sich über den Ausgangspunkt der
Affection zu entscheiden; mit Benützung der später anzuführenden Er-
fahrungssätze über die ätiologischen Momente der Retinalaffectionen, und
nach Zuziehung der ophthalmoskopischen Untersuchung werden gewiss nur
wenige Fälle übrig bleiben, wo es unentschieden bleibt, von welchem
Organe die Affection ausgehe. — Was die fehlerhaften Zustande der Re-
fraction und Accomodation betrifft, so werden häufig Fehlschlüsse ge-
macht, theils darin, dass man Amblyopie für Kurzsichtigkeit ansieht, theils
darin, dass man mangelhafte oder fehlende Accommodalion (für die Nahe)
für Amblyopie erklärt, aber auch darin, dass man nur eines dieser wesent-
lich verschiedenen Leiden supponirt, wo doch beide zugleich, z. B. kurz-
sichtiger Bau des Auges und Amblyopie, neben einander bestehen. Wie
man sich in dieser Beziehung vor Irrthum schützen könne, lässt sich erst
Krankheiten. — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinem. 95
hei der Schilderuno- der fehlerhaften Refractions- und Accommodations-
verhältnisse verständlich machen.
In jenen Fällen, wo die Sensibilität der Netzhaut nicht in der ganzen
Ausbreitung derselben, sondern nur stellenweise, z. B. in der Mitte, in
der einen Hälfte vermindert oder erloschen ist, und wo eine solche par-
tielle Funelionsstörung, welche den Kranken nur in gewissen Richtungen
nicht sehen, oder nur einen Theil des Sehfeldes undeutlich wahrnehmen
lässt, nicht aus Abnormitäten des dioptrischen und Accommodalionsapparales
erklärt werden kann, liegt eben hierin der Beweis für das Vorhandensein
eines Leidens der Netzhaut selbst. Wir werden bei Besprechung der Kurz-
sichtigkeit zeigen, dass bei höheren Graden dieses Leidens seitlich gelegene
Objecte in gewissen Entfernungen noch eher unterschieden werden, als in
der Mitte des Sehfeldes befindliche, und verweisen rücksichtlich der par-
tiellen Sehstörungen von Seite des dioptrischen Apparates auf die Angaben
über die antoptischen Erscheinungen und über die Krankheiten des Glas-
körpers zurück.
II. Ist auf diese Weise die Gegenwart von Amblyopie oder Amaurosis
eines oder beider Augen als sicher oder doch als wahrscheinlich festge-
stellt, wobei zufällige Complicationen, z. B. eine Hornhauttrübung, gewiss
schon mit erkannt werden mussten, dann erscheint es aus mehrfachen
Rücksichten geboten, zu bestimmen, bis zu welchem Grade dicSehfunction
beeinträclttigt sei. Die Prüfung muss natürlich an jedem Auge für sich
vorgenommen werden. Für die Ermittlung der Functionsfähigkeit der
Netzhaut bei totaler Linsentrübung oder Pupillensperre hat A. von Gräfe
ein schätzenswerthes Hilfsmittel angegeben. Man hält in einem verfinster-
ten Lokale eine Kerzenflamme in allmälig steigender Entfernung vor das
fragliche Auge, und ermittelt, bis wie weit dasselbe den Flammenschein
noch wahrnimmt. Aus wiederholten Versuchen mit verschiedenen Cata-
raetösen und Amblyopischen wird man sich bald abstrahiren, wie weit die
Fähigkeit, diesen Schein wahrzunehmen, derch bloss mechanische Hin-
dernisse vermindert werden kann. Zur Bestimmung des Grades der Seh-
störung hat Ed. Jäger (über Staar und Staaroperationen, Wien 1854)
Druckschriften verschiedener Grösse in 20 Abstufungen von etwa 9'" bis
zu V^'Höhe zusammengestellt und hiemit ein jedem Arzte willkommenes,
zugleich allgemeine Verständigung und Übereinstimmung anbahnendes Mittel
an die Hand gegeben. Wenn ich finde, ein Kranker liest z. B. bei 9"
Entfernung und massigem Tageslichte oder bei einer Kerzenflamme Nr. iO
der Jö^er'schen Drucksorten (1'" hoch), Nr. 8 (etwa 4/5/;/ hoch) dagegen
96 Netzhaut.
nicht, so ist mir hiemit, abgesehen von seiner Sehweite, ein ziemlich si-
cheres und objeclives Mass für seine Sehkraft angegeben, ich bin nicht
von seinen (oft sehr unbestimmten) Angaben abhängig, und kann nach
Verlauf einiger Zeit mich leicht versichern, ob die Sehkraft zu- oder ab-
genommen habe, vorausgesetzt, dass der Versuch wieder so viel als mög-
lich unter denselben äussern Umständen vorgenommen wird. Bei Leuten,
die nicht (mehr) lesen können, wird natürlich irgend ein anderer analo-
ger Modus ausfindig gemacht werden müssen, um die Sehkraft mit Rück-
sicht auf die Accommodationsfähigkeit objectiv zu messen.
Immer, mag man nun auf diese oder jene Weise vorgehen, wird die
Anstellung verlässlicher Sehversuche bedeutende Vortheile gewähren. Sie
gibt dem Arzte nebst dem schon Angedeuteten auch häufig wichtige Auf-
schlüsse über den Sitz und die Natur des Übels. Man bemerkt dabei, ob
das Auge noch in der Richtung der Sehachse oder in einer andern Rich-
tung relativ am besten sieht, ob er stärkere oder geringere Beleuchtung
sucht, ob ihn hellfarbige und glänzende Gegenstände blenden, oder ob
er gerade solche Objecte noch eher als dunkle und matte erkennt , wie
sich sein Gesicht in Bezug auf die Unterscheidnng verschiedener Farben
— allenfalls nach einer Farbenmusterkarte — verhält, ob ihm die Objecte
in natürlicher Grösse (so wie im gesunden Zustande) und Lage erscheinen,
wie lange er das Betrachten kleiner Objecte, z. B. der Buchstaben aus-
hält, ob und wie lange der Eindruck heller Objecte nachher noch fort-
dauert, u. s. w. — Dieser Vorgang dürfte auch desslialb vortheilliaft sein,
weil er den Kranken, wenn er nur einigermaassen verständig ist, auf
die Umstände aufmerksam macht, die den Arzt von dem, was vorherging,
interessiren, und weil sich an ihn am zweckmässigsten die Erhebung über
die Dauer und Entwicklung des Übels bis zum gegenwärtigen Zustande
anknüpfen lässt, was im Allgemeinen viel zweckmässiger ist, als den Kran-
ken gleich im vorhinein ein Langes und Breites erzählen zu lassen , wo-
bei es leicht geschieht, dass die Aufmerksamkeit des Arztes auf ganz
zufällige, zum fraglichen Augenleiden in gar keiner Beziehung stehende
Umstände abgelenkt, mindestens Zeit versplittert wird. Man wird sich
überzeugen, dass nach genauer Erhebung der Functionsstörung und der
dem blossen Auge wahrnehmbaren Veränderungen mit Benützung der Ent-
wicklungsgeschichte des Augenleidens in der Regel schon der 3. Punkt,
der Sitz der Affectiun, und selbst auch die Beschaffenheit und das Ur-
sächliche derselben (IV.) bestimmt werden kann, somit für die controlli-
rende Untersuchung mit dem Augenspiegel bereits nützliche Anhaltspunkte
gewonnen sind.
Amblyopie, Amaurosis — Eiiitlicilmig. 97
III. Von einer extracten Diagnosis des in Rede stehenden Leidens
kann offenbar die Rede nur da sein, wo der Arzt im Staude ist zu be-
stimmen, welcher Theil des nervösen Apparates und in welcher Art der-
selbe leidet. Ist eine solche Localisirung zur Zeit überhaupt oder doch
in einem speciell gegebenen Falle nicht möglich, so muss wenigstens die
entferntere Krankheilsursache angegeben werden können; ist auch diess
unmöglich, dann kann von einem rationellen Vorgange bei Prognosis und
Therapie wohl nicht mehr die Rede sein, und möchte ärztliches Eingreifen
unter solchen Umstanden nur allenfalls noch in der Berücksichtigung ge-
wisser Symptomencomplexe, des sogenannten congestiven, erethischen oder
torpiden Charakters der Amaurosis, einige plausible Anhaltspunkte gewin-
nen können. Denn: „was soll das ewige blinde Curiren einer Krankheit,
die man nicht kennt?" Beer I. c. II. B. S. 420.
So naturgemäss es auch erscheint, hier wie überall, als erstes Eintheilungsprincip
den Sitz der Affection aufzustellen, so ist doch dieser Weg bisher nur wenig und mehr
nebenbei eingeschlagen worden, wohl vorzüglich desshalb, weil es viele Fälle von
Amblyopie und Amaurosis gibt, wo eine Localisirung nicht möglich ist, oder doch ohne
Zuziehung des Augenspiegels nicht möglich war. Man hat daher bald den sogenannten
Charakter der Amaurosen, bald die entfernteren Ursachen, z. B. Saburra, unterdrückte
Fussschweisse, Contusionen u. dergl., wohl auch beides zugleich (durch- und nebenein-
ander) zum Eintheilungsgrunde erwählt. — Aus dem, was wir unter II. über das Ver-
halten der Augen bei den Sehversuchen und bei der äussern Besichtigung überhaupt
angegeben haben (vergleiche auch 2. Band S. 184), ist wohl unschwer zu entnehmen,
welche Symptomencomplexe auf congestive, welche auf erethische, welche auf torpide
Amaurose (Amblyopie) zu beziehen wären ; es ist indess mit dieser Bestimmung wenig
gewonnen, so lange man ungewiss ist darüber, von welchem Theile des nervösen Ap-
parates die Sehstörung ausgehe, und welcher Proces ihr eigentlich zu Grunde liege.
Dieser letztere lässt sich oft mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit erschliessen, wenn die
sogenannten entfernlern Ursachen, die ätiologischen Momente bekannt sind. Daher fand
die Eintheilung der Amaurosen nach den Ursachen weit mehr Aufnahme, und machte
sich um so mehr geltend, als sie grossentheils schon auf anatomischer Basis beruhte,
wie z. B. Amaurosis von Druck aufs Gehirn, von Erschütterung des Bulbus u. s. w. —
Der von jeher anerkannte innige Zusammenhang zwischen Sitz und Ursache der Affec-
tion ist es, welcher uns bestimmt, bei der Schilderung nach dem Sitze der Affection
auch schon grösstentheils die ätiologischen Momente erfahrungsgemäss aufzuführen, indem
eines das andere erläutert, und eine gesonderte Aufzählung der ätiologischen Momente
für sich wenig Nutzen bringt, ausgenommen für jene Fälle, wo wir überhaupt noch
nicht im Stande sind anzugeben, welche Region, welcher Theil des nervösen Apparates
„zunächst durch die Schädlichkeit ergriffen wird, die doch erfahrungsgemäss als Ursache
der Sehstörung angenommen werden muss, wie z. B. Bleivergiftuno-.
Diq Anatomie gibt uns zunächst die Eintheilung in centrale und peri-
pherische Amaurosen (Amblyopien) an die Hand, und die Untersuchung
Arll's Aiigenhe Ikuiüie HI, 2. "J1
98 Netzhaut.
am Krankenbette sowohl als am Leichentische hat dieser Eintheilung hin-
reichende Grundlagen verschafft. Die centralen zerfallen naturgemäss in
cerebrale (Sitz der Affection im Bereiche des grossen oder kleinen Ge-
hirnes, vom Chiasma bis zu den Vierhügeln), und spinale (Medulla oblon-
gata, Rückenmark). Die peripherischen sind entweder bulbäre (innerhalb
des Bulbus) oder orbitale (vom Bulbus bis zum Foramen opticum)* und
bei den ersteren ist die Netzhaut bald das primär ergriffene Organ (eigent-
liche Relinalamaurose), oder sie leidet seeundär in Folge von Krankheiten
der Chorioidea, des Glaskörpers, mehrerer Gebilde. — Die Erfahrung weist
aber auch noch Fälle von Amaurosen nach, über deren Sitz zur Zeit noch
gar nicht bestimmt werden kann. Es sind dies Amaurosen von mehr
allgemeiner Natur. Wir werden sie vorläufig als sympathische bezeichnen,
nicht vergessend, dass wir eigentlich über das Zustandekommen solcher
Sehstörungen nichts wissen. Die Angabe und Beschreibung der einzelnen
Arten wird zeigen, was wir mit diesem Namen bezeichnet haben wollen.
Man kann den Namen leicht fallen lassen, nicht aber die Thatsachen.
A. Bulbäre Netzhautaffectionen.
mit geschwächter oder aufgehobener Sehkraft.
a) Die vom Glaskörper oder von der Chorioidea ausgehenden
Netzhautaffectionen wurden bereits besprochen.
b) Einfache oder primäre Retinal-Amblyopie oder Amaurosis.
1. Es gibt Zustände angeborener nervöser Gesichtsschwäche,
welche zunächst blos auf Abnormität der Netzhaut bezogen werden kann.
Der anatomische Befund — unbekannt. Sie geben sich functionell entweder
bloss durch geringere Energie des Gesichtes kund (angeborne Stumpfheit},
oder durch die Unfähigkeit, einzelne Farben zu unterscheiden (Daltonismus~),
oder aber durch Beschränkung des Sehfeldes mit dem Bedürfnisse stärkerer
Beleuchtung ( angeborne Hemeralopie). Dass diese Zustände angeboren sind,
lässt sich nicht absolut nachweisen, wird jedoch höchst wahrscheinlich,
wenn sie neben andern Bildungsfehlern, wie namentlich mit abnormer
Kleinheit der Bulbi, oder bei mehreren Familiengliedern zugleich vor-
kommen. Aus den Aussagen der Kranken oder ihrer Angehörigen lässt
sich meistens so viel bestimmt entnehmen, dass solche Zustände von
frühester Kindheit an bestehen ; bei geringeren Graden jedoch liegt es so
zu sagen in der Natur der Sache selbst, dass die Kranken erst in späterer
Relinalamblyopie — angeborene. 99
Zeit, wenn an das Gesicht höhere Anforderungen als beim gewöhnlichen
Sehen gestellt werden, auf solche Fehler aufmerksam werden.
a) Die Stumpfheit des Gesichtes lässt sich als angeborner Zustand
(Hebetudo retinae congenita) annehmen, wenn sie von früher Jugend an
und auf beiden Augen besteht, anderweitige Ursachen, z. B. Einwirkung
grellen Lichtes, Convulsionen, in der Kindheit nicht stattgefunden haben,
mehrere Glieder der Familie denselben Fehler an sich tragen, die Bulbi
ausserdem noch Merkmale unvollständiger Entwicklung darbieten. Bei
Leucosis mag allerdings die Einwirkung diffusen (durch die Iris und Sclera
eindringenden) Lichtes das Meiste zur Sehstörung beitragen, dürfte aber
auch geringere Energie der Netzhaut von Haus aus vorhanden sein, weil
die Sehkraft auch bei künstlicher Abhaltung des falschen Lichtes eine ge-
ringere Schärfe zeigt. Dasselbe Verhältniss zeigt sich bei unvollständiger
Entwicklung und bei Spaltung der Iris (Irideremia, Mydriasis et Coloboma
iridis congen.). Deutlich ausgesprochene Mikrophthalmie ist jederzeit mit
mehr oder weniger Stumpfheit der Netzhaut verbunden. Worauf aber hier
eigentlich aufmerksam gemacht werden soll , das ist ein Zustand binocu-
lärer angeborner Stumpfheit des Gesichtes, welcher dem Beobachter nur
bei grosser Aufmerksamkeit durch noch einige andere Merkmale bemerkbar,
und welcher gewöhnlich oder doch sehr häufig für Kurzsichtigkeit gehalten
wird. Ist kein anderer Fehler vorhanden, als der in Rede stehende, so
werden Gegenstände von bestimmter Grösse, z. B. Buchstaben von \'"
Höhe, nur in relativ geringer Distanz erkannt, weil für die stumpfe Netz-
haut relativ mehr Licht und ein grösserer Sehwinkel nöthig sind. Untersucht
man genau, so findet man, dass die Annäherung der Objecte nur bis zu
einer gewissen Grenze der Kleinheit nützt, dass bei sehr feinen Objecten
weder stärkere Beleuchtung noch grössere Annäherung im Stande ist, das
Erkennen zu vermitteln. Was das Erkennen entfernter Objecte betrifft, so
wird man es auffallend finden, dass ein solches Individuum z. B. versichert,
Personen auf 8 — 10 Schritte nicht genau auszunehmen, während es doch
mittlem Druck vielleicht noch bei 12 — 15 Zoll Abstand liest. Kurz, das
Gesicht zeigt in keiner Distanz die normale Schärfe, während es bei Ge-
genständen mittlerer Grösse und Entfernung sich von einem normalen nicht
zu unterscheiden scheint. — Lässt man ein kurzsichtiges Auge kleine Schrift
durch eine mit einer Nadel in eine Karte gestochene Öffnung betrachten,
so kann es dieselbe nicht nur ohne Anstand, sondern auch in viel grösserer
Entfernung lesen, als ohne ein solches Diaphragma, welches die Zer-
streuungskreise auf das nöthige Minimum reducirt; ist dagegen das Auge
stumpfsichtig (amblyopisch), so kann es durch eine solche Öffnung noch
7*
100 Netzhaut.
minder gut, feineren Druck wohl auch gar nicht lesen. — Bei geringeren
Graden dieses Übels, welche vorzüglich im Erkennen von mehr ent-
fernten Objecten Schwierigkeiten darbieten, leisten schwache Concavgläser
(von 20 — 30" Brennweite) mehr weniger hiezu hinreichende Dienste,
Glaser, durch welche auch ein normales und selbst ein massig pres-
byopisches Auge für die Ferne unterstützt wird ; bei höheren Graden
dienen mittelstarke Convexgläser (20 — 50") zur Unterstützung für nah
und fern , und bei noch höheren Graden müssen stärkere Convexgläser
(10 — 20") zum Lesen, Nähen u. dgl. zu Hilfe genommen werden. — Je
weiter man durch Übung vorgerückt ist in der Fertigkeit, die Lage der
Iris und die Grösse der vordem Kammer zu beurtheilen , desto sicherer
kann man diesen Zustand der Augen jugendlicher Individuen — meistens
werden Kinder von 8 — 15 Jahren vorgeführt — durch die blosse Besich-
tigung erkennen. Man findet nämlich die durchsichtigen Medien rein, die
vordere Kammer enger, die Iris in ihrer Totalität oder doch in einem
beinahe der Linsengrösse entsprechenden Areal (Scheibe von 3 — 3y2"
Durchmesser) vorwärts gelagert und aufgewölbt, in ihrer Farbe licht und
eigenthümlich matt (lichtblau, lichtgrau, gelblichgrau). Das Auge hat, um
populär zu sprechen , nicht das rechte Feuer. Oft findet man auch die
Durchmesser der Cornea an der Basis kleiner, den horizontalen unter
5'", wenn auch der Bulbus im Ganzen nicht gerade kleiner aussieht. —
Von der einfachen Schwächung der Accommodationskraft für nahe Ob-
jeete, dem Mangel an Ausdauer für Betrachtung feiner Objecte, welcher
weiter unten besprochen werden wird, unterscheidet sich dieser Zustand
durch den Abgang der Fähigkeit, solche Objecte wenigstens eine kurze
Zeit und bei etwas grösserer Entfernung zu erkennen. — Dieser Zustand
ist stationär, und scliliesst, wenn von dem Auge nicht mehr verlangt
wird, als es leisten kann, keine Gefahr der Erblindung, keine besondere
Disposition hiezu in sieh ein. Die Aufgabe des Arztes ist, das Individuum
oder seine Angehörigen in diesem Sinne aufzuklären, damit namentlich bei
der Wahl der Beschäftigung kein Fehler begangen, nötigenfalls bei Zeiten
ein anderer Beruf gewählt werde. Man wird auf diesen einzig vernünf-
tigen Rathschlag vielleicht um so eher eingehen, und nicht nach unnützen
und schädlichen Mitteln herumtappen, wenn dabei darauf hingewiesen
wird, dass das Auge so wie andere Organe durch adäquate Kraftübung
gestärkt, durch blindes Forciren geschwäeht werden kann, dass mit der
Kräftigung des ganzen Körpers durch Bewegung im Freien, Turnen, Fluss-
bäder u. s. w. auch auf Kräftigung der Augen gerechnet werden könne.
Brillen sind hier nur als Krücken, höchstens als Conservations -, niemals
Retinalaniblyopie — angeborene. 101
als Heilmittel darzustellen, — Bloss auf dem einen Auge mag die angeborne
Stumpfheit der Netzhaut wohl noch viel öfter vorkommen; hier wird es
aber, wenn nicht offenbar andere BHdungshemmungen vorkommen, im
Allgemeinen schwer sein, sie als angeboren nachzuweisen ; denn es liegt
dann ein anderer Grund sehr nahe, nämlich Mangel an Übung, worauf
wir später zu sprechen kommen. Der Zustand ist bisweilen erblich.
ß. Die Unfähigkeit, gewisse Farben zu unterscheiden, der mangelhafte
oder fehlende Farbensinn ist bisher mit wenig Ausnahmen nur als an-
geborner, oft zugleich erblicher Fehler namentlich beim männlichen Ge-
sehlechte beobachtet worden. Das Individuum sieht die verschiedenfarbigen
Objecto nur weiss oder grau, oder es fehlt bloss die Wahrnehmung des
Blauen, des Rothon (so dass z. B. Orange einfach für Gelb gehalten wird),
oder sie halten Blau für Roth, Grün für Blau u. dgl. Einige dieser Zu-
stände haben ein Analogon in dem Verhalten gesunder Augen bei der
Abenddämmerung (Dove). Dieser eben so merkwürdige als räthselhafte
Zustand — mir aus eigenen Untersuchungen nicht bekannt — ist in
neuerer Zeit besonders von Seebeck*), Sz>okalsky**~), Wartmann'***)
u. A. genauem Untersuchungen unterworfen worden. Da derselbe nicht
nur selten vorkommt, sondern auch mehr physiologisches als pathologisch^
thereapentiscb.es Interesse hat, so genüge es, auf die genannten Unter-
suchungen zu verweisen, welche sich übrigens in Ruele's Lehrbuche der
Ophthalmologie 1. Auflage S. 83 und besonders in der 2. Auflage S. 179
bündig zusammengestellt finden.
y. Eine andere Form angeborner (auch erblich vorkommender) ner-
vöser Gesichtsschwäche gibt sich vorzüglich dadurch kund, dass das Ge-
sichtsfeld, der fungirende Theil der Netzhaut, kleiner ist, der Kranke
demnach seitlich befindliche Objecte wenig oder gar nicht wahrnimmt.
Dabei kann das Sehvermögen an und nächst der Macula lutea ziemlich
gut sein, obwohl es in der Regel mehr weniger stumpf ist. In so fern
sich diese Sehstörung besonders beim Abgange gleichmässig verbreiteter
und intensiver Beleuchtung des Sehfeldes, also im Allgemeinen nach
Sonnenuntergang geltend macht, kann sie als angeborner Nachtnebel
(Hemeralopia cong.) bezeichnet werden. (Ich beobachtete unter Andern
einen Goldarbeiter, welcher sein Geschäft recht gut betreiben, Abends
aber nicht allein ausgehen kann, weil er Gefahr läuft, an etwas seitlich
liegende oder entgegenkommende Objecte anzustossen, und welcher auch
*) Poppendorfs Annalen der Physik und Chemie, 1837. Bd. 42.
**) Über die Empfindung der Farben in physiolog. und patholog. Hinsicht, Giessen 1842.
*"*) Memoire par le Daltonisme ou la Dyschromalopsie, Geneve 1841 und 1849.
102 Netzhaut.
bei hellem Tage seitliche Objecte nicht wahrnimmt; bei einem Kellner,
mit beinahe demselben Zustande von Jugend auf, zeigte die Untersuchung
mit dem Augenspiegel nur die Peripherie der Netzhaut abnorm, nämlich
von ziemlich zahlreichen dunkeln Körperchen durchsetzt (oder bedeckt?),
welche durch unregelmässige Ausläufer eine gewisse Ähnlichkeit mit Knochen-
zellen unter dem Mikroskope erhielten.)
2. Ein der angebornen Stumpfheit verwandter Zustand der Netzhaut
entwickelt sich als Hebetudo retinae acquisita in Folge mangel-
hafter Verwendung derselben zum Sehen in früher Jugend, seltener
in späteren Jahren (Amblyopia ex anopsia). Mechanische Hindernisse,
wie namentlich Cataracta, wenn sie vom zartesten Alter an bestehen,
können diesen Zustand auf beiden Augen herbeiführen, und zwar in der
ganzen Ausdehnung der Netzhaut oder nur in einem Theile (in der Mitte)
derselben (vergl. II. B. S. 258, 281 und 282). Ausserdem entwickelt sich
dieser Zustand nur auf einem Auge unter allen Verhältnissen, wo das-
selbe gar nicht oder nur relativ selten zum directen Sehen verwendet
wird. — Welche anatomische Veränderungen die Netzhaut in Folge län-
gerer Unthätigkeit erleide, ist nicht direct erwiesen; vermuthen lässt sich
ein analoger Vorgang wie in wenig oder gar nicht geübten Muskeln.
Völlige Atrophirung kann ohne Hinzutritt anderer Umstände wohl nicht
erfolgen, da solche Augen doch niemals ganz unthätig bleiben, sondern am
Schacte überhaupt immer mehr weniger Theil nehmen, wenn auch nur
durch indirectes Sehen, durch Vergrösserung des Sehfeldes. Ist kein ander-
weitiges Hinderniss vorhanden, so kann die gesunkene Energie der Netz-
haut durch methodische Übung gehoben werden, und eben der Erfolg
solcher Übung zeigt, welchen Antheil an der vorhandenen Gesichts-
schwäche eben das in Rede stehende Übel hatte. — Es ist dasselbe somit
bald als für sich allein bestehend, bald als Zugabe zu andern Sehhinder-
nissen zu betrachten, und kommt sowohl in der einen, als in der andern
Eigenschaft sehr häufig vor. Sicher vorhanden ist es an continuirlich
schielenden Augen, in um so höherem Grade, je länger der Strabismus
besteht. Es kommt aber auch ausserdem in den verschiedensten Abstu-
fungen bei Augen vor, welche für gewöhnlich oder auch selbst unter
allen Umständen keine Deviation der Sehachse von dem fixirten Objecte
wahrnehmen lassen. Es besteht bei sehr vielen Menschen auf dem einen
oder dem andern Auge, öfter auf dem linken, ohne seine Gegenwart
durch irgend eine Beschwerde zu verrathen. Ein Zufall, z. B. das Ein-
fallen eines Staubkornes in das gesunde Auge', führt zum Zuhalten des-
selben, und nun wird zum grössten Schrecken die mehr weniger gesun-
Retinalamblyopie — ex anopsia, traumatica. 103
kene Energie des andern wahrgenommen. Der desswegen consultirte Arzt
wird nun zu untersuchen und zu entscheiden haben, oh das Übel seit Kurzem
besteht, oder bloss nicht bemerkt wurde, wenn auch der Kranke wie ge-
wöhnlich meint, er habe immer mit beiden Augen gut gesehen. Sehr oft
ist es vorzeitige Ermüdung (Kopiopie, Asthenopie) des bessern Auges mit
oder ohne Myodesopsie, welche den Kranken bestimmt, den Arzt zu con-
sultiren, gleichviel, ob ihm der geschwächte Zustand des andern bekannt
ist oder nicht. Die Erörterung des gegenseitigen Verhältnisses dieser
beiden Affectionen folgt in dem Capitel über Fehler der Accommodation.
— Den Impuls zur Vernachlässigung des einen oder doch zur vorwalten-
den Benutzung des andern Auges geben: Ablenkung des einen Auges
durch primäre Muskelaffectionen (Strabismus muscularis und Luscitas),
längeres Verbinden des einen Auges bei Entzündung in früher Jugend,
bleibende oder transüorische Sehhindernisse in den durchsichtigen Medien,
angeborene oder erworbene geringere Energie der Netzhaut, Fehler in
der Verwendung der Augen in der Jugend, so dass nur das eine Auge
allein oder doch vorzugsweise in Anspruch genommen werden kann, wie
z. ß. bei zu starker Annäherung feiner Objecte, unilateraler Gebrauch von
Augengläsern , Loupen u. dergl. — Gegenstand der ärztlichen Behandlung
wird dieser Zustand fast nur dann, wenn das schwächere Auge schielt,
oder wenn das stärkere anfängt die geforderten Dienste zu versagen.
Desshalb werden wir das Notlüge über die Behandlung, welche füglich
eine gymnastische genannt werden kann, in den Capiteln über Strabismus
und Asthenopie nachtragen.
3. Traumatische Retinal- Amblyopie und Amaurose. Dass
Erschütterung des Bulbus, Druck auf denselben, heftige convulsivische
Bewegung u. dergl. an und für sich die Energie der Netzhaut herab-
setzen, selbst vernichten können, ist durch verlässliche Beobachtungen er-
wiesen. Es ist sehr wahrscheinlich , dass viele Fälle uni - und selbst bi-
lateraler Amblyopie hierher gehören, welche man, weil sich der Kranke
keines traumatischen Einflusses zu erinnern weiss, als unbestimmt hin-
stellt, für angeboren hält, oder ganz andern zufälligen Umständen zu-
schreibt. Die Combination mit Trübung, Luxation oder Verschrumpfung
des Krystallkörpers, namentlich bei unilateraler Affection gibt dieser Ver-
muthung besonderes Gewicht, denn unilaterale Linsenerkrankung ohne
entzündliche Erscheinungen kommt eben ohne Trauma nicht leicht vor.
Oft entsinnen sich die Kranken oder ihre Angehörigen erst während eines
gründlich eingehenden Examens ganz bestimmt einer traumatischen Ein-
wirkung, welche sie bloss desshalb nicht in Beziehung zu dem gegen-
i04 Netzhaut.
wärtigen Übel brachten ; weil dieselben keine anderweitigen unmittel-
baren Folgen (Schmerzen, Röthe) setzte , und die Sehstörung nicht so-
gleich bemerkt wurde. — Anatomisch lässt sich der Zustand als analog
der Commotio cerebri auffassen. Es findet entweder nur Verschiebung
der einzelnen Netzhautelemente statt, oder förmliche Zerreissung mit oder
ohne Blutaustretung aus den geborstenen Gefässen. Leidet das Sehver-
mögen erst durch die nachträgliche Reaction, so ist die Affection wohl
als Retinitis oder Chorioiditis zu betrachten. — Die Erscheinungen können
in allgemein oder partiell verminderter oder aufgehobener Netzhautenergie
allein bestehen. Wo traumatische Einflüsse rasch und stark eingewirkt haben,
wird nicht selten Erweiterung und Trägheit oder Unbeweglichheit der Pupille
bemerkt, welche besonders dann auffällt, wenn das Sehvermögen nicht ganz
erloschen ist. Die Mitleidenschaft der Ciliarnerven kann sich auch durch
Erbrechen oder Neigung dazu kund geben. Doch erreicht diese Erschei-
nung namentlich dann, wenn zugleich dumpfer Kopfschmerz, Schwindel,
Lähmung eines oder des andern Muskels u. dgl. dazu treten, oder der
Bulbus stärker hervortritt, immer mehr weniger gegründeten Verdacht auf
Fracturirung der Orbitalknochen, Bluterguss in der Orbita, in der Schädel-
höhle u. s. w. Die so gesetzte Amblyopie kann auf der einmal gege-
benen Stufe stehen bleiben, sie kann durch nachfolgende Reaction zur
Amaurosis gesteigert werden; sie kann auch ganz allmälig und unver-
merkt in complete Amaurosis übergehen. Heilung lässt sich in der Regel
nur bei geringeren Graden und in frischen Fällen erwarten, selten spon-
tan ; bisweilen kann der Arzt durch die weiter unten angegebene Be-
handlung so schnelle Besserung oder Heilung herbeiführen, dass über
deren Wirksamkeit kein Zweifel übrig bleibt; bisweilen nützt auch die
rationellste und rechtzeitige Behandlung wenig oder nichts. — Nach hef-
tigen Convulsionen bleibt nicht selten mehr weniger hochgradige Am-
blyopie zurück. Das bisweilen vorkommende allmälige Hinzutreten von
Verdunklung oder Einschrumpfung der Linse (mit oder ohne Luxation)
spricht dafür, dass es nicht in allen solchen Fällen nothwendig ist, den
Grund der Selistörung im Gehirne zu suchen, obwohl diess, wie bei der
hydrocephalischen Amblyopie, oft genug der Fall ist. Starker Druck auf
den Bulbus, ein Stoss oder Schlag, eine knapp am Auge vorbeistreichende
Kugel (Luftdruck) u. dergl. sind im Stande, die Sehkraft zu schwächen
oder aufzuheben, auch obne dass sie sonst auffallende Veränderungen her-
vorrufen. Wir haben schon früher (II. B. S. L5, 121) auf die merk-
würdige Thatsache aufmerksam gemacht, dass in Fällen, wo die Sclera
berstet, das Sehvermögen bisweilen nicht so sehr leidet, als wo diess
Retiiialaniblyopie — traumatica. 105
nicht geschieht. Beer erzählt, dass ein junger Mann blind wurde, als er
sich den Händen eines Bekannten, der ihm von rücklings die Augen zu-
hielt, entwinden wollte, und dieser immer stärker gedrückt lialle. Der
Unglückliche blieb trotz schnell gesuchter Hilfe (von Beer selbst) ganz
blind. Erschütterung der Netzhaut mit ihren Folgen kann auch eintreten,
wenn ein heftiger Stoss oder Schlag die Umgebung des Auges trifft. Die
hieher gehörigen Beobachtungen, welche bis in die Zeiten vor Hippo-
krates hinaufreichen, haben in unserem Jahrhunderte zu langen Contro-
versen Veranlassung gegeben in Bezug auf die Deutung der an sich un-
bestreitbaren Thatsache, indem einige Beobachter nebst jenen Fällen, wo
offenbar Commotio retinae oder Verletzungen in der Schädelhöhle statt
gefunden, noch solche aufstellten, wo die Verletzung zunächst nur Zweige
des Trigeminus getroffen und erst durch Druck oder Zerrung der letzteren
und durch consecutive Mitleidenschaft des Ganglion ciliare (mittelst der
Radix longa) das Netzhautleiden eingeleitet haben soll. Der Streit ist
unenlschieden, da die Möglichkeit der letzteren Annahme nicht negirt
werden kann.
Sabatier (1791) suchte die Thatsache, dass mitunter nach eben nicht sehr vehe-
menten Verletzungen am Orbilalrande Amblyopie oder Amaurosis auftritt, anatomisch
zu erklären, indem er annahm, die Quetschung oder Zerrung irgend eines Zweiges vom
Trigeminus (Rani. I. et II.) wirke mittelst der Radix longa auf das Ganglion ciliare und
durch dieses auf die Netzhaut. Beer verschaffte dieser Ansicht dadurch besonderes Ge-
wicht, dass er die von directer Erschütterung oder Zerreissung der Netzhaut, so wie
auch die von gleichzeitig verursachten Veränderungen in der Schädelhöhle abhängige
Amaurosis streng von dieser consecutiven oder sympathischen geschieden wissen wollte,
dass er angab, in letzteren Fällen trete die Erblindung oft erst während der Narben-
bildung am Orbitalrande ein, und dass er sich endlich auf (2) Beobachtungen aus seiner
Praxis berief, wo die so entstandene Blindheit nach Durchschneidung aller Zweige des N.
supraorbitalis (hinter seinem Austritte aus der Orbital verschwand (1. c. I. B. S. 171).
Andere, ebenfalls glaubwürdige Autoren (z. B. die von Makenzie citirten Dr. Hennen
und Guthrie) haben von dieser Durchschneidung keinen Erfolg gesehen, wogegen Andreae
(1. c. II. B. S. 7 — 10) einen Fall von Middlemore und einen von Waüace citirt, in wel-
chem die schon länger bestehende Blindheit durch das Ausschneiden der Narbe geheilt
wurde. Bei der einen wie bei der andern dieser sich widersprechenden Beobachtungen
ist jedenfalls zu bedauern, dass auf das Verhalten der Sensibilität in dem Gebiete des
verletzten N. supra- oder infraorbitalis keine Rücksicht genommen wurde. Diese, von
der Physiologie gebotene Untersuchung und die Anwendung des Augenspiegels werden
n künftigen Fällen dem Sachverhalte wohl eher auf den Grund sehen lassen. Die
plötzliche Entstehung einer Amblyopie oder Amaurose nach Verletzung des Trigeminus
ohne anatomisch nachweisbaren Zusammenhang würde übrigens, wie Andreae bemerkt,
a priori nicht als unstatthaft erklärt werden können, da auch Trismus z. B. nach Ver-
letzung einer Zehe entstehen kann.
106 Netzhaut.
Behandlung. In frischen Fällen : geistige und körperliche Ruhe,
Temperirung des Lichtes, Restringirung der Kost, und bei einfacher Er-
schütterung, kalte Umschläge, allmälig mehr und mehr mit Weingeist
oder Tinctura arnicae versetzt, bei Blutextravasaten im Bulbus (an der
Retina) , nebstdem örtliche Blutentziehungen und kühlende Abführmittel.
Nach längerem Bestände, wo keine entzündliche Reaction eingetreten ist:
stärkere weingeistige Umschläge, spirituös-aromatische Einreibungen an die
Umgebung, Verdunsten von äther- oder ammoniakhaltigen Collyrien vor
dem offen gehaltenen Auge, hingegen Behandlung wie bei Retinitis —
wovon später — wenn die Untersuchung mit dem Augenspiegel das Lei-
den als solche erweist. — Wie man sich rücksichtlich der etwa gleich-
zeitig vorhandenen Verletzung am Orbitalrande oder bei gleichzeitiger
Hirnalfection zu benehmen habe, gehört nicht hieher.
An die Besprechung der durch mechanische Einflüsse bedingten Re-
tinalleiden wollen wir noch die Bemerkung anreihen, dass Amblyopie und
Amaurosis auch durch heftige elektrische Ströme und Stösse bedingt
werden könne, wie uns unter andern manche der vom Blitze Getroffenen
zeigen. Wir meinen dieser , zum Glück sehr selten vorkommenden That-
sache nur desshalb erwähnen zu müssen , weil hie und da ein Wunder-
mann bei Amblyopien und Amaurosen sine discrimine et ratione die
Elektrisirmaschine anwendet, und weil dieses Agens auch da, wo es ra-
tionell und mit Erfolg angewendet wird, bei peripherischen Muskellähmungen
an oder nächst dem Auge , durch Unvorsichtigkeit für die Netzhaut Scha-
den bringen kann.
4. Amblyopie und Amaurosis in Folge von Blendung, Retinal-
leiden in Folge fehlerhaften Lichteinflusses überhaupt. Das Licht, der
adäquate Reiz und das Lebenselement der Netzhaut ist zugleich deren gefähr-
lichster Feind. Die meisten primären Netzhautleiden werden ganz allein oder
doch vorzugsweise durch fehlerhaften Lichleinfluss eingeleitet. Die Zahl
der anderweitig bedingten Amaurosen ist, wenn man die von der Cho-
rioidea ausgehenden abzieht, eine relativ kleine.
Der nachtheilige Einfluss des Lichtes auf die Netzhaut effectuirt sich
entweder in einfacher Depression oder Vernichtung ihrer Energie, oder
in Steigerung ihrer Empfindlichkeit gegen Licht und Anstrengung mit Hy-
perämie und mehr weniger Beeinträchtigung der Ausdauer und Schärfe
des Gesichtes, oder aber in Einleitung von Blutüberfüllung, Bluterguss,
Exsudation und hiedurch gesetzten mannigfachen Functionsstörungen. Der
eine oder der andere dieser Effecte zeigt sich entweder kurz; nach der
Einwirkung der Schädlichkeit, und wird dann in seiner Causalität leicht
Retinalaniblyopie — von fehlerhaftem Liehteiufltisse. 107
erkannt, oder aber er macht sich unvermerkt und allmälig mehr und mehr gel-
tend, und wird bald diesem, bald jenem zufalligen Umstände zugeschrieben. In
solchen Fällen insbesondere zeigt sich die Notwendigkeit einer umfassenden
Kenntniss der Umstände, welche von Seite des Lichtes der Netzhaut Gefahr brin-
gen können. Denn es wird dem Arzte wenig nützen genau zu wissen,, in welcher
Art die Netzhaut leidet, welche Veränderungen sie unter dem Spiegel zeigt, und
welche Folgen zu erwarten stehen, es wird ihm wenig nützen, auf dieses Er-
kennen des Zustandes sein Handeln zu basiren, wenn er nicht berücksichtigt
oder nicht erfährt, unter welchen Einflüssen sich das Leiden entwickelt hat,
wenn er den Kranken noch fort unter schädlichen Einflüssen lässt, welche dieser
nicht für solche hält, Einflüsse, aufweiche selbst der erfahrene und umsichtige
Arzt nicht selten erst dadurch geleitet wird, dass er den Kranken in seinen
gewohnten Verhält nissen beobachtet. Diese Andeutungen mögen genügen,
den nachfolgenden Betrachtungen über den Einfluss des Lichtes und der
Beschäftigung auf die Augen einen etwas grösseren Raum zu vindiciren.
Das Licht kann an und für sich oder mit Rücksicht auf die Beschäf-
tigung auf die Netzhaut in sehr verschiedener Weise nachtheilig ein-
wirken. Durch längere Entziehung dieses gewohnten Reizes wird die
Empfindlichkeit der Netzhaut so gesteigert, dass dann auch ein sonst un-
schädlicher Lichtgrad nachtheilig werden kann, zumal bei schnellem Über-
gange, bei starkem Contraste, bei oft und bald wiederkehrendem Wechsel.
Daher ist es im Allgemeinen nachtheilig, entzündete Augen zu verbinden,
oder das Krankenzimmer übermässig zu verdunkeln , aus finstern Locali-
täten schnell in helle zu treten, an Orten zu schlafen, wo directes Sonnen-
licht die Augen vor oder beim Erwachen treffen kann, Säuglinge ohne
Schutz gegen die Sonnenstrahlen ins Freie tragen zu lassen, unmittelbar
nach dem Schlafe gleich feine Arbeiten vorzunehmen u. dgl. Eine ähnliche
Wirkung auf die Netzhaut übt das Anstrengen der Augen bei unzurei-
chender Beleuchtung , Lesen, Schreiben u. dgl. in dunkeln Localitäten,
worauf wir später noch zurückkommen.
Sehr intensives Licht kann die Sehkraft sogleich, wie durch einen
Schlag vernichten, oder stufenweise, durch Apoplexie und nachfolgende
Entzündung der Markhaut. Die Erzählungen von absichtlicher Blendung
durch directes Sonnenlicht erhalten Glaubwürdigkeit durch die traurigen
Folgen, welche wissenschaftliche Beobachter nach Sonnenfinsternissen ge-
sehen haben. Unter Andern führt Sömmering (Pflichten gegen die Augen)
einige Beispiele vom Jahre 1791 an, und Ed. Jäger (über Staar und
Staaroperationen) vom 28. Juli 1851 , von welchem Datum auch mir drei
Fälle partieller Amaurosis vorgekommen sind. Einen gleichen Effect können
108 . Netzhaut.
die Sonnenstrahlen bewirken, wenn sie von einer spiegelnden Fläche ins
Auge geworfen werden, z. B. vom Wasser beim Baden, wie in einem von
Jäger erzählten Falle, welcher zugleich dadurch merkwürdig ist, dass
trotz völliger Amaurosis keine erheblichen materiellen Veränderungen
wahrgenommen werden konnten. In gleicher Weise kann ein weniger in-
tensives Licht durch Contrast zur Umgebung schaden, wenn nämlich die
davon getroffene Netzhaut in ihrer übrigen Ausbreitung nicht beleuchtet
ist. Der Blick in die Gluth eines Hochofens, wenn rings um die enge
Öffnung alles finster ist, kann dem ungewohnten Auge nahezu so gefähr-
lich werden, wie der Blick in die Sonne, während doch dieselbe^ Gluth
beim Tage oder bei künstlicher Beleuchtung der Umgebung ein gesundes
Auge kaum beleidigt. — Länger anhaltende Einwirkung starken Lichtes
auf die ganze Netzhaut bewirkt bald Abstumpfuug der Empfindlichkeit der
Netzhaut, bald Steigerung derselben, und bei wiederholter Einwirkung,
Avenn die Netzhaut sich von einem Male zum andern nicht völlig erholt
hat, bleibende Amblyopie oder Steigerung zur Amaurosis (Retinitis). Auf
diese Weise entsteht die bisweilen massenweise auftretende Hemeralopie
(Nachtnebel) und die in den Alpen- und Polarregionen wohlbekannte
Schneeblindheit, selten die sogenannte Nyktalopie (Tagnebel), welche sich
bestimmt als congestiv- entzündlicher Zustand der Netzhaut nachweisen
lässt. Länger fortgesetzte, mehr durch Contrast als durch Intensität be-
wirkte partielle Erregung der Netzhaut, wie sie z. ß. Physiologen behufs
der Erzeugung von Nachbildern, Abklingen der Farben u. dgl. bewirken, wie
sie aber auch zufällig und bei manchen Beschäftigungen fast unvermeidlich
vorkommt, steigert die Empfindlichkeit der Netzhaut um so mehr, je öfter
sie vor völliger Erholung derselben wieder vorgenommen wird, und ist
ganz gewiss die häufiste Quelle chronischer Dyctitis. Bei zureichender
und gleichmässiger Beleuchtung kam; ein gesundes Auge Erstaunliches
leisten , sowohl in der Feinheit als in der Ausdauer. (Der Grund davon,
dass z. B. Schuster häufiger von Amblyopie und Amaurosis befallen wer-
den, als Schneider, scheint mir darin zu liegen, dass bei jenen — hier-
lands wenigstens — noch immer die Concenlrirung des Lampenlichtes
auf eine kleine Stelle mittelst Glaskugeln gebräuchlich ist.) — An dem
bekannten ruichtheiligen Einfluss des Nachtwachens auf die Sehkraft dürfte
wohl auch die länger fortgesetzte ununterbrochene Einwirkung des Lichtes
grossen Antheil haben, denn das Schlafen bei hellen Nachtlampen gewährt
den Augen nicht die gleiche Erholung, und das Aullallen hellen Mond-
lichtes auf die Augen soll (wenigstens in den Tropenländern) entschieden
nacht heilig sein, seihst Erbliuduny bewirken.
Retinalamblyopie — Hemeralopie. 109
Mit Rücksicht auf die Beschäftigung mit feinen Arbeiten kann das
Licht dem Auge nachtheilig werden, wenn es relativ zu schwach (unzu-
reichend), oder zu stark (grell und blendend), wenn es ungleichmässig
tertheilt (durch Schalten unterbrochen) oder unsiät (bald schwacher bald
stärker) ist, wenn es unrein, d. h. farbig ist, und wenn es in fehlerhafter
Richtung einfällt. Auf diese Momente wird vorzugsweise bei jenen acht-
zugeben sein , welche ihre Augen viel bei künstlicher Beleuchtung zu
feinern Arbeiten in Anspruch nehmen. Doch können auch bei Tages-
lichte wichtige Fehler begangen werden, wenn feine Arbeiten bis in die
Dämmerung fortgesetzt werden, wenn die Sonnenstrahlen unmittelbar auf
oder nahe neben die Objecte fallen, wenn das Licht durch Gitterwerke
oder von entgegengesetzten Richtungen oder durch gefärbte Medien, z. B.
grüne oder rothe Fenstervorhänge einfällt, wenn Sonnenstrahlen bei feinen
Arbeiten benützt werden, welche von spiegelnden, blendend weissen,
gelben oder rothen Flächen namentlich von unten oder von der Seite her
ins Auge geworfen werden. Ausführlicheres über diese Verhältnisse, die
sich dem Physiker oder Physiologen wohl von selbst ergeben, habe ich
in einer 1846 erschienenen populären Schrift (die Pflege der Augen im
gesunden und kranken Zustande nebst einem Anhange über die Augen-
gläser) mitgetheilt.
a) Hemeralopie. Mit diesem Ausdrucke bezeichnet man eine mehr
weniger hochgradige Gesichtsschwäche, welche sich hauptsächlich in der
Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geltend macht, während des
Tages aber gar nicht vorhanden zu sein scheint. Mit dem Eintritte der
Abenddämmerung nimmt das Gesicht mehr weniger rasch ab , so dass
der Kranke noch vor dem Einbrüche völliger Dunkelheit nicht mehr allein
herumzugehen vermag. Auch Mond- und künstliche Beleuchtung sind
nicht genügend, die gleichsam in Torpor versunkene Netzhaut zum Un-
terscheiden von Objecten zu erregen; nur bei sehr intensiver künstlicher
Beleuchtung und in nächster Nähe werden lichtfarbige Objecte allenfalls
noch mehr weniger bestimmt wahrgenommen. Durch das Gebundensein
an die Abnahme und Wiederkehr des Tageslichtes erhält die Affectiou
den Typus einer intermittirenden Krankheit. Sie tritt indess ohne Ausnahme
jeden Tag und ohne alle Vorboten ein. Ausser etwas dumpfem Schmerze
in der Stirngegend, etwas weiterer und träger Pupille und etwas stärkerer
Infection der vordem Ciliararterien, welche jedoch auch fehlen können,
dürften alle andern etwa vorhandenen Erscheinungen als zufällig zu be-
trachten sein. Ob die Kranken im Stande seien, auch während des
Tages bei Kerzenlicht (mit Ausschluss des Tageslichtes) scharf zu sehen,
HO Net/haut.
ist — so viel ich weiss — noch nicht verlässlich untersucht worden.
Eben so fehlen noch genaue Bestimmungen über die Schärfe des Ge-
sichtes und über die Accommodation und Ausdauer zu feineren Arbeiten
bei vollem Tageslichte. — Anatomisch-mikroskopisch oder mit dem Augen-
spiegel nachweisbare Veränderungen der Netzhaut dürften nicht vorhanden
sein. Physiologisch lässt sich eine doppelte Deutung aufstellen : entweder
die Energie der Netzhaut ist überhaupt so verändert, dass nur das volle
und reine Tageslicht sie noch gehörig erregen kann, oder es ist die
Summe der durch den Schlaf restaurirten Sehkraft eben nur bis zum
Ablauf des Tages hinreichend. Für die blauen Strahlen ist gewissermassen
auch das gesunde Auge hemeralopisch. Wer an den Genuss geistiger
Getränke gewöhnt ist, arbeitet mit voller Kraft eben nur dann, wenn er
das gewohnte Quantum zu sich genommen hat. — Nach den Erörterungen
von Netter*) kann wohl kaum mehr daran gezweifelt werden, dass
dieser Zustand der Netzhaut durch die längere Einwirkung grellen re-
flectirten Lichtes hervorgerufen werde. Sie tritt immer nur auf beiden
Augen zugleich auf; sie ergreift bald nur einzelne Individuen, bald ganze
Massen, namentlich geschlossene Körperschaften; sie ist in manchen Ge-
genden so zu sagen einheimisch, und kehrt gewöhnlich um dieselbe
Jahreszeit wieder. Diese Umstände und das typische Auftreten der Func-
tionsstörung führten zu der Vermuthung, die Affection sei als Intermittens
oder als ein Analogon hievon anzusehen, während Andere feuchte Luft,
Erkältung, gasirische Störungen u. s. w. für die veranlassenden Momente
annahmen. Es ist jedoch nicht schwer nachzuweisen, dass diese und
manche andere Momente, z. B. Skorbut, längeres Fasten, Onanie u. dgl.,
nur zufällig vorhanden waren. Die Hemeralopie herrscht besonders in
den Tropenländern, kommt aber auch in verschiedenen Gegenden Europas
vor, besonders im Frühjahre. Auf der See sind es vorzüglich die Ma-
trosen, zu Lande die gemeinen Soldaten und die im freien Felde arbei-
tenden Landleute, welche ergriffen werden. Aus allen Beobachtungen
massenweisen Auftretens ergibt sich, dass nebst dieser oder jener ver-
meintlichen Schädlichkeit immer grelles reflectirtes Licht die Augen durch
längere Zeit getroffen hatte , dieses allein als die constante Schädlichkeit,
mithin als die eigentliche Ursache bezeichnet werden kann.
Auf Schiffen zwischen den Wendekreisen soll gewöhnlich der zwanzigste Mann
von Nachtnebel befallen sein. Die Matrosen nennen diese Krankheit Mondblindheit, weil
sie den Grund derselben darin suchen, dass der Mond auf dem Verdecke Schlu-
•) Gazelle me.licale de Paris, 1846, Nr. 9.
Retinalaniblyopie — Hemeralopie. Hl
fenden in's Gesicht scheine. Sauvagcs beobachtete die Affection sehr häufig hei Mont-
pellier besonders bei den Soldaten, welche unter freiem Himmel schliefen oder am
Flusse Wache standen ; Canon du Villards Vater sah viele Fälle unter den piemontesi-
schen Soldaten (1793), welche Tag und Nacht auf schneebedeckten Bergen bivouacquirten;
Lohmeyer schrieb den Ausbruch und das Umsichgreifen des Übels in Ehrenbreitenstein
(1834) dem ungewohnten Bergsteigen, dem blendenden Lichte beim Excrciren und den
dunkeln Casematten zu. Nach Fleury (Gaz. med. de Paris 1840 N. 4) ist die Heme-
ralopie unter dem Äquator sehr gewöhnlich. Er betrachtet klimatische Verhältnisse im
Allgemeinen als Ursache, weil auf dem Schiffe, wo er seine Beobachtungen machte,
keine Erkrankung mehr vorkam, als dasselbe sich wieder in der gemässigten Zone befand,
und weil zu Cadix und Lissabon, wo sich wieder dieselben klimatischen Verhältnisse,
wie auf den Antillen vorfanden (?) , Rückfälle wieder auftraten. „Demnach wird die
Hemeralopie nicht durch schlechte Nahrung , nicht durch miasmatischen Zustand der
Atmosphäre veranlasst, sondern durch die starke anhaltende Einwirkung der directen
oder reflectirten Lichtstrahlen auf die Retina, welche mit der Länge der Zeit und in
Folge der dadurch bewirkten übermässigen Erregung eine Atonie der Netzhaut, einen
stufenweisen Verlust des Sehvermögens bewirkt, wenn die Retina nicht mehr durch die
nämliche Kraft erregt wird." — Nach Krebel, Fuss, Lerche herrscht die Krankheit in
Kronstadt, Petersburg und Umgebung besonders während der siebenwochentlichen Oster-
fasten; nach Meissner (1819) ist dieselbe in manchen Gegenden Polens besonders gegen
Ende des Winters und bei Schnee, jedoch auch im Sommer, namentlich zur Erntezeit
bei Landleuten (Schnittern) nicht selten. Anfang Mai 1849 erkrankten hier in Prag
binnen 3 — 4 Tagen gegen achtzig Mann von einer Infanterie-Abtheilung, welche auf
einem der höchsten und ganz frei gelegenen Punkte der Stadt (auf der vom Hradschin
durch den Hirschgraben getrennten Marienschanze) campirte ; auch hier blieben die
Officiere frei, und es wurde dem fernem Umsichgreifen bald Einhalt gethan, indem der
Mannschaft streng untersagt wurde, sich frei auf die Erde hinzustrecken und dem grel-
len Lichte zu exponiren. Die Genesung erfolgte — so viel ich erfahren konnte — in
wenig Tagen und ohne Anwendung von Arzneien, nachdem die Leute in Kasernen ge-
bracht und in massig verdunkelten Zimmern gehalten wurden. Verkältung konnte hier
nicht als Ursache angenommen werden, denn die Leute waren mit Ausnahme der Augen
ganz gesund.
Die Krankheit ist nach der Angabe fast aller Beobachter leicht heilbar,
wenn gleich die Ansichten über die ätiologischen Momente und über die
Behandlung sehr differiren. Mit Ausnahme weniger Fälle, welche vielleicht
durch Fortwirkung des Causalmomentes zu bleibender Amblyopie oder
Amaurosis gesteigert wurden, ging die Affection in Zeit von wenig Tagen
oder Wochen (selten erst nach einigen Monaten) zurück, und zwar, wie
es scheint, von selbst. Bei den verschiedenen Behandlungsarten entsprach
man nämlich der Causalindication wohl meistens unwillkürlich, indem man
die Befallenen als dienstunfähig in andere Verhältnisse brachte, in ihrer
Behausung hielt, einer mehr weniger rigorosen Cur unterwarf und — dabei
auch dem grellen Lichteinflusse entzog. Scarpa, welcher gastrische Zu-
112 Netzhaut.
stände als Causalmoment annahm, empfahl Purgir - und Brechmittel ; An-
dere gaben Diaphorelica und Epispastica. Ein schon von Celsus erwähntes
Mittel sind die heissen Dämpfe, die man von einer gekochten Leber (Bock,
Rind, Schwein) gegen die offenen Augen streichen lässt. Einige reizen
die Bindehaut, indem sie Ammoniak oder camphorirten Weingeist vor den
offenen Augen verdunsten, oder reizende Collyrien einträufeln oder kaltes
Wasser an die Augen spritzen lassen; Andere reizen dagegen die Um-
gebung der Augen durch Elektricität, fliegende Vesicantien an die Stirn
und Schläfe, oder lassen Autenrieth'sche Salbe zwischen die Schulter-
blätter einreiben, selbst ein Haarseil einziehen. Wharton (the american
Journ. of med. science 1840, Mai) heilte hartnäckige Fälle durch völlige
2 — 3 Tage und Nächte lang fortgesetzte Entziehung des Lichtes. Tem-
perirung, wenn auch nicht völlige Entziehung des Lichtes und flüchtige
Reize auf die Conjunctiva; oder auf die Cutis der Stirn und Schläfe (Er-
regung sensitiver Zweige des Trigeminus) haben nicht nur die Erfahrung
für sich, sondern lassen sich auch in ihrer Wirksamkeit nach allgemeinen
physiologischen und pathologischen Gesetzen begreifen. Insbesondere ist
die Anwendung sogenannter fliegender Vesicantien an die Umgebung der
Augen empfohlen worden, namentlich von Bampßeld (medico- Chirurg.
transacl. London 1814 Vol. V.), welcher über 300 Fälle von Nachtnebel
in verschiedenen Theilen der Erdkugel, besonders aber in Ostindien be-
obachtet hat; er versichert, oft schon nach dem ersten Pflaster entschie-
dene Besserung, nach 2 — Smaliger Wiederholung aber in der Regel schon
binnen 14 Tagen völlige Heilung erreicht zu haben. Die Anwendung von
Chinapräparaten dürfte nur in so fern nützen, als sie einem etwa gleich-
zeitig vorhandenen (zufälligen) Allgemeinleiden entspricht. Ebenso möchte
der sogenannten antiscorbutischen Behandlung, auf welche Bampßeld als
Schiffsarzt besonders Gewicht legen musste, mehr ein indirecter Einfluss
auf die Beseitigung des Augenleidens zuzuschreiben sein.
ß. Unter Nykfalopie wird ein der Hemeralopie gewissermaassen ent-
gegengesetzter Zustand der Netzhaut verstanden. Die davon Befallenen
sehen nach Sonnenunlergang ziemlich gut, während des Tages dagegen
schlecht. Ihre Augen bieten bei dieser Functionsanomalie keine äusserlich
wahrnehmbaren Abnormitäten dar, welche dieselbe erklären können, wie
etwa : Mangel oder Spaltung der Iris, Mydriasis, Albinismus , partielle Ca-
taracta oder Photophobie als Symptom von Entzündung anderer Gebilde,
der Chorioidca , der Iris , der Bindehaut u. s. w. , sondern die Sehstörung
lässt sich eben nur auf ein primäres Netzhautleiden zurückführen. Nach
Ausschluss solcher Fälle, für welche man den Namen Nyklalopie gar
Retinalamblyopic — Nykfnfopie. 113
nicht gebrauchen sollte, wird wohl kaum noch einer übrig bleiben, wo
das Gesicht bei gehörig temperirtem Lichte als normal bezeichnet wer-
den könnte, so wie auch die gegenteilige Angabe vieler Auetoren, als
kämen Fälle von völliger Blindheit bei vollem Tageslichte vor, so lange
in Zweifel gezogen werden muss, als nicht verlässliche und detailirte Be-
obachtungen beigebracht werden. Es scheint überhaupt, dass die Affectiori,
welche man gegenüber der Hemeralopie füglich als Nyktalopie bezeich-
nen kann, sehr selten vorkomme, da nur sehr wenige Schriftsteller sich
bei Beschreibung derselben auf eigene Beobachtungen berufen. (Indem
ich mir vorbehalte, den einzigen mir vorgekommenen Fall weiter unten
mitzutheilen, will ich hier auszugsweise aufnehmen, was Carron du Vil-
lards *) Bemerkenswertes darüber geschrieben hat.) „Diese Krankheit ist
auch Folge der durch den Schnee bewirkten Lichtreflexe; desshalb tragen
die Esquimaux und Lappländer Hornbrillen, welche die Augen nach unten
vollkommen schützen, indem in ihrer Mitte sich eine horizontale Spalte
befindet. In den letzten Kriegen des Königs von Sardinien gegen Frank-
reich (1793), wo mehrere Regimenter auf dem Mont Cenis und dem kleinen
Set. Bernhard cantonniren mussten, wurden ganze Compagnien von Nykt-
alopie befallen. Diese Affection wurde allgemein der blendenden Weisse
des Schnees zugeschrieben, welche durch das Zurückstrahlen des Sonnen-
lichtes verstärkt wurde. Mein Vater, der die meisten von diesen Soldaten
untersuchte, fand, dass sie an einer ausserordentlichen Verengerung der
Pupille litten. Die Krankheit verschwand bei den Meisten; bei Einigen
aber blieb unheilbare Myosis zurück, welche ihr Sehvermögen sehr störte."
— „Die Nyktalopie ist in den heissen Ländern endemisch. Nach Hillary
findet man in Siam, Ostindien und selbst in Afrika sehr viele Nyktalo-
pische. Nach Lassus, Pye und Richter kann die Nyktalopie auch die Folge
eines längern Aufenthaltes an dunklen Orten sein. Larrey erzählt die Ge-
schichte eines Greises, der 33 Jahre in in einem Gefängnisse zu Brest ge-
fesselt war; dieser erkannte in der Nacht die kleinsten Gegenstände,
während er am Tage vollkommen blind war (?). Lassus erzählt die Ge-
schichte eines jungen Mannes, der in Folge einer Gehirnüberreizung
durch geschlechtliche Ausschweifungen tagblind wurde (?)." Ramaziini
(Krankheiten der Handwerker) erwähnt, er habe öfter unter den Land-
leuten und besonders bei Knaben die Beobachtung gemacht, dass zur
Äquinoctialzeit im März etwa 10jährige Knaben von Gesichtsschwäche be-
fallen wurden, so dass sie den ganzen Tag hindurch wenig oder nichts,
*) Prakt. Handbuch jur Erkenntnis.« und Heilung der Ausenkrankheiten, übersetzt von Schnackender», Quedlinburg
und Leipzig, 184). S. 346.
Arlt j Augenheilkunde II, 2. 8
114 Netzhaut.
Abends dagegen wieder deutlich sahen. Die Affection verschwand, ohne
dass etwas dagegen angewendet wurde, gegen Mitte April von selbst.
Der Umstand, dass R. die Pupillen dabei erweitert gefunden, macht es
zweifelhaft, ob hier eine ;Netzhautaflection oder bloss Mydriasis vorhanden
war. — Carron du Villards erklart die Nyktalopie für ein congestives
Leiden der Netzhaut. Nach ihm verschwindet die durch Blendung be-
dingte Nyktalopie in der Regel von selbst, wenn man die veranlassende
Ursache entfernt, das Licht gehörig temperirt. Für hartnäckige Fälle em-
pfiehlt er die schon seit Hippokrates Zeiten in grossem Rufe stehenden
warmen Dämpfe von einer gekochten Rindsleber, wie bei Hemeralopie.
Bei Nyktalopie in Folge von Congestionen (?) soll man so wie bei Am-
blyopia congestiva verfahren, bei starker Verengerung der Pupille und
übermässiger Reizung der Netzhaut innerlich und äusserlich Belladonna (?)>
bei torpiden Erscheinungen Excitanlia (?) anwenden.
N. N., ein Mann von circa vierunvierzig Jahren, von kräftiger Constitution und
gesundem Aussehen , consultirte mich Anfang Juli 1854 wegen eines eigenthümlichen
Zustandes seiner Augen. Er versicherte, dass er Ahends nach Sonnenuntergang so
wie früher sehe, selbst schiessen könne, bei Tage jedoch alles wie mit einem hellen
Nebel oder Scheine bedeckt sehe, daher Personen auf 3 — 4 Scbritte nicht mehr deut-
lich ausnehme , beim Fahren (er war gewohnt selbst die Pferde zu lenken) Gefahr
laufe, vom Wege abzukommen , überhaupt durch Licht geblendet werde. Diese Behin-
derung im Sehen hat sich in geringem Grade bereits im März oder April bemerkbar
gemacht, indem Patient, der von jeher ein besonders scharfes Gesicht hatte und als ein
ausgezeichneter Schütze bekannt war, zunächst entferntere Objecte nicht mit der ge-
wohnten Deutlichkeit wahrnahm ; erst als er einmal beim Schiessen die Mücke am Ge-
wehr nicht mehr erkannte, wurde er um seine Augen besorgt. Als er mich zu Rathe
zog, konnte er mit dem rechten Auge nur noch 2'", mit dem linken 1'" hohen Druck
lesen (Ed. Jägers 14 und 10) jedoch nur einige Zeilen, indem ihm die Augen bald
übergingen. Durch Entfernen der Schrift über 10 — 12 Zoll wurde an Deutlichkeit und
Ausdauer eher verloren, als gewonnen. Stärkere Verdunklung des Zimmers (zu einem
der Dämmerung nahen Grade) verminderte wohl das fortbestehende unangenehme Gefühl
der Blendung, vermochte aber nicht, das Erkennen kleinerer Lettern zu vermitteln.
Die Angabe des Patienten, dass er nach Sonnenuntergang ganz gut sehe, erwies sich
in so fern unrichtig, als Sehversuche herausstellten, dass er in der Dämmerung nicht
besser lesen konnte, als am Tage, dass sein Gesicht bei der Prüfung an feineren Ob-
jeeten gegen gesunde Augen immer zurückbleibe. Noch auffallender zeigte sich die
Schwächung der Sehkraft an Leseproben bei künstlicher Beleuchtung. Das directe Ein-
fallen künstlichen Lichtes war ihm übrigens nicht minder unangenehm, als das von
lichten Flächen refleetirte Sonnenlicht, daher ihn auch das Anzünden der Strassenlampen
von seinen abendlichen Spaziergängen nach Hause trieb. Beim Mondschein versicherte
er an sein Augenleiden durch gar nichts erinnert zu werden. — Die Augen boten
äusserlich durchaus nichts Abnormes dar, nur die Augapfelbindehaut war constant etwas
stärker injieirt, was jedoch vielleicht habituell ist, da Patient überhaupt lebhaft arteriell
Retiiialaniblyopic — Nyktalopie. 115
geröthet aussieht und eiue sehr zarte Haut besitzt. Ncbsldem konnten die Pupillen
durchschnittlich bei verschiedenen Lichtgraden als relativ zu eng bezeichnet werden,
obwohl die lichtgraublaue Iris sich sonst in jeder Beziehung normal verhielt. Die durch-
sichtigen Medien durchaus intact. Die Untersuchung der Netzhaut mit dem Augenspiegel
ergab keine materielle Veränderung, nur Hyperämie und grössere Empfindlichkeit gegen
den Lichtreiz. Von sogenannten subjectivcn Gesichtserscheinungen keine vorhanden,
auch keine Schmerzen und abnorme Empfindungen, ausser dem lichten Nebel oder
Scheine, der ihm bei Tageslicht alle Objecte zu überziehen schien. — Patient vvusste
über die Zeit der Entstehung des Leidens nichts Bestimmtes anzugeben, noch weniger
über die Veranlassung dazu. Er entsann sich keiner offenbaren Blendung, keiner
Verkältung, überhaupt keiner auffallenden Schädlichkeit. Er befand sich sonst durchaus
wohl, lebt in den besten Verhältnissen, hat seine Augen nie übermässig angestrengt.
Er hat vor vielen Jahren wegen einer secundären Affection wohl Mercurialcuren durch-
gemacht, doch regelrecht, und bietet keine Nachwehen weder von der einen noch von
der andern dar. Trotzdem er in venere eben nicht sparsam gelebt, ist er gut genährt
und muskulös kräftig, dabei aber sehr irritabel, physisch sowohl als psychisch. In Bezug
auf Essen und Trinken war er nie unmässig, ausser dass er vor vielen Jahren sehr
an starken Thee mit Rum gewöhnt war. Tabak zu rauchen ist ihm Bedürfniss; doch
konnte auch hierin nicht die Ursache des Augenleidens gesucht werden. Eigenthümlich
ist von Jugend auf eine grosse Neigung zum Schwitzen und eine ungewöhnliche Em-
pfindlichkeit gegen Arzneimittel, namentlich gegen Abführmittel. — Ich empfahl: Meiden
grellen Lichtes, schneller Übergänge und Contraste, jeder Anstrengung der Augen, Ex-
cesse im Essen, Trinken , in venere, Tragen rauchgrauer Gläser, massige Bewegung
im Freien, Egerer Salzquelle, und da diese Schwindel erregte, Saidschützer Wasser in
kleinen Gaben, blutige Schröpfköpfe in der Kreuz- und Lendengegend, nach denen
jedoch Hinfälligkeit mit leichten Muskelzuckungen eintrat, daher später von Zeit zu Zeit
6 — 8 Blutegel hinter die Ohren, einigemal auch circa anum, endlich kalte Augen-
douche und später kalte Fomente von Aqua dest. mit Aqua Iaurocerasi und Borax, da
ihm die örtliche Anwendung von Kälte entschieden wohl that. Es erfolgte wohl keine
Verschlimmerung, aber auch keine Heilung. Auf den Rath eines Ende September con-
sultirten Arztes wurde durch längere Zeit Chinin, sulfur. gegeben , anfangs in Pulver-
form, dann in Verbindung mit Elix. aeid. Halleri. Die Ende September von einem
andern, mit dem Ophthalmoskope sehr vertrauten Arzte vorgenommene Untersuchung ergab
gleichfalls keine sichtbare Veränderung der Netzhaut, selbst nicht mehr eine erhebliche
Hyperämie. Die durch zwei Monate fortgesetzte Anwendung des Chinins hatte keinen
günstigen Erfolg, obwohl das diätetische Verhalten erst jetzt streng eingehalten wurde.
Ja Patient war so weit gekommen, dass er auch mit dem linken Auge nur Nr. 14 lesen
konnte. Ich kehrte daher zu zeitweiligen kleinen Blutentzündungen zurück, und liess
durch vier Wochen Pillen von Polygala senega nehmen und etwas später nebenbei
Veratrinsalbe an die Stirn und Schläfe einreiben. Keine Besserung, keine Verschlim-
merung. Dasselbe Resultat nach wiederholter Application kleiner Vesicantien an die
Schläfe und' endermat. Amvendung von Strychnin. Auch Extr. conii macul. mit magnes.
carbon. in steigender Dosis blieb ohne Erfolg. Ich entschloss mich d:\her Anfangs März
zu einer Sublimatcur in Pillenform ('/20 Gran), konnte jedoch wegen Empfindlichkeit
des Magens bloss auf acht Pillen steigen. Als der Pitient wieder bis zu einer Pille
zurückgegangen war, trat zuerst Abnahme der Empfindlichkeit gegen das Licht ein,
116 Netzhaut.
daher ich nach einiger Zeit noch einmal bis auf zehn Pillen stieg. Nach Beendigung
der Cur (gegen Ende April) war der lichte Nebel nicht mehr vorhanden, Physiognomien
wurden auf 5 — 6, nicht mehr bloss auf 2 — 3 Schritte und viel deutlicher und reiner
ausgenommen, und von den Jäger'schen Lettern konnte wieder Nr. 1 1 mit jedem Auge
gelesen werden. Im Mai wurden noch zwei Arzte consultirt, nach Erwägung ihrer
Rnthschläge jedoch und Berücksichtigung des bisherigen Erfolges noch einmal zu einer
etwas modificirten Sublimatcur geschritten (Mitte Juni). Ende Juli, wo ich den Patien-
ten das letzte Mal (vor Abdruck des Manuscriptes) sah, war die Sehkraft so weit ge-
bessert, dass von Jägers Musterschriften N. 7 ganz leicht gelesen wurde. Die Besserung
hatte sich zuerst im Erkennen entfernter Objecte und durch entschiedene Verminderung
der Empfindlichkeit gegen das Licht bemerkbar gemacht. Dieser Erfolg spricht meines Er-
achtens dafür, dass in diesem Falle eine chronische Retinitis bestand, wenngleich in der
Retina noch keine Productbildung nachgewiesen werden konnte. Ob nun alle Fälle von
Nyktalopie als congestiv-cntziindliches Netzhauleiden aufzufassen seien, bleibt fernein
Beobachtungen anheimgestellt.
y. Entzündung der Netzhaut. Dirtyitis (Retinitis). Dieser Terminus
wurde bisher meistens zunächst auf einen gewissen Symptomencomplex
gestützt, und demgemäss, da chronische Fälle ausser der Sehstörung keine
verlässlichen Erscheinungen darbieten, beinahe nur bei sehr acut auftre-
tenden Fällen gebraucht. Veränderungen der Netzhaut, welche als Pro—
ducl von Entzündung derselben aufgefasst werden mussten, waren nur au
Leichen gefunden worden, von denen man im günstigsten Falle etwa
wusste, dass Amaurosis vorhanden gewesen war. Die Anwendung des
Augenspiegels gestattet uns nun, schon während des Lebens anatomische
Veränderungen der Netzhaut zu erkennen, zu den anderweitigen Sympto-
men in Beziehung zu bringen, und somit Entzündung der Netzhaut auch
bei subacutem und chronischem Verlaufe zu diagnosticiren. Nur bleibt
noch immer zu bedauern, dass uns genauere und feinere anatomische
Untersuchungen der durch Entzündung veränderten Netzhaut beinahe
durchaus fehlen, somit eine nur einigermassen genügende Schilderung
der anatomischen Veränderungen zur Zeit noch nicht gegeben- werden
kann, und dass die feineren mikroskopischen Veränderungen der Netzhaut
auch dem Ophthalmoskope entgehen. Die älteren Angaben über partielle
oder universelle Trübungen, Verfärbungen, Verdickungen, Verhärtungen
u. s. w. können nur zum Theil als Beweise betrachtet werden, dass die
Netzhaut primär durch Entzündung verändert werden kann; viele der-
selben beruhen auf Verwechslung mit melamorphosirten Chorioidealexsu-
daten und Extravasalen. Die Augenspiegelbefunde sind im Allgemeinen
in Verbindung mit anderweitig constatirten Momenten hinreichend, die
Existenz von Netzhautentzündung sicher zu stellen ; doch ist dieser Nach-
weis in speciellen Fällen nicht immer leicht, selbst bei völliger Ver-
Entzündung der Netzhaut. 117
•rautheit mit der Anwendung dieses Instrumentes. Man hat nämlich zu
bestimmen: ob wirklich vorhandene Abnormitäten des Augengrundes auch
als Ursache der anderweitig conslatirten Sehstörüng angenommen werden
können, ob dieselben in der Netz- oder Aderhaut oder in beiden zugleich
ihren Sitz haben, und von welcher Natur dieselben seien. Aber auch
wenn mit dem Augenspiegel keine Veränderungen wahrgenommen werden,
und überhaupt nicht wahrgenommen werden können, so folgt daraus noch
nicht, dass di*e Ursache der Sehstörung anderswo als in der Netzhaut
gesucht werden müsse, denn es gibt Veränderungen der Netzhaut, in
specie entzündliche, welche nur mittelst des Mikroskopes ermittelt werden
können. Als Beleg hiefür mag die Untersuchung der amblyopischen Augen
eines in Folge von Morbus Brighti Verstorbenen dienen , in welchen Türk
(Zeitschr. der Wiener Ärzte, 1850, Nr. 4) im hintern Abschnitte der Netz-
häute bis zu einer Entfernung von 3 — 4'" von der Eintrittsstelle des
Sehnerven das Gewebe derselben unter dem Mikroskope von Körnchen-
zellen durchsetzt fand, und offenbar ein Exsudationsprocess in der Netz-
haut als Ursache der Amblyopie angesehen werden musste. Eine ähnliche'
also bestätigende Beobachtung hat Prof. Treifz, bei Diabetes mellitus ge-
macht ; es Hess sich Netzhautentzündung unter dem Mikroskope bestimmt
nachweisen, ohne dass die Netzhaut dem freien Auge merklich verändert
erschien (mündliche Mittheilung).
Die ophthalmoskopisch erkennbaren und durch Entzündung gesetzten
Veränderungen der Netzhaut sind: 1. Hyperämie allein oder mit Ecchi-
mosirung in frischen, Verminderung des Calibers und dunklere Färbung
der Gefässe bei inveterirten Fällen ; 2. dunkel- oder hellfarbige Trübung
der Netzhaut an einer oder an mehreren Stellen, in einzelnen Regionen
oder in der ganzen Ausdehnung; 3. Veränderungen der Sehnervenpapille
in Bezug auf Farbe, Grösse und Abgrenzung von der Umgebung. Ad 1.
Wenn das eine Auge gesund ist, kann man durch aufmerksame Ver-
gleichung die capilläre Blutüberfüllung leicht nach der stärkeren Röthe
des Augengrundes beurtheilen, ausserdem aber muss auf das Alter des
Individuums, auf die Farbe der Iris , auf die Reinheit der Flamme, auf
die Durchsichtigkeit der Medien und auf den Refractionszustand des unter-
suchten Auges (relativ zum Instrumente und zum Beobachter) Rücksicht
genommen werden; man muss überhaupt viele und verschiedene Augen
mit normaler Netzhaut untersucht haben. Am leichtesten ist die Hyper-
ämie zu erkennen, wenn im Bereiche des Sehnervenquerschnittes abnorm
viele, namentlich feine Gefässehen vorkommen, wenn derselbe ein förm-
lich röthliches Aussehen hat, wenn hier oder im weitem Verlaufe läno-s
118 Netzhaut.
derselben keine Ecchymosen oder röthlich punktirte Fleckchen sitzen.
Die gleichzeitige Verminderung der Energie der Sehkraft supplirt -bei
solchem Befunde gewissennassen das Auffinden von Exsudaten, welche
nämlich noch so fein sein können, dass die -beim Ophthalmoskop zulässige
Vergrösserung und Beleuchtung nicht hinreicht , sie wahrnehmbar zu
machen. Doch ist zu bemerken, dass es auch Fälle gibt — weiter unten
wird ein solcher angeführt — wo der Exsudationsprocess zunächst in
der Peripherie der Netzhaut auftritt, die Schärfe des directen Sehens
mithin gar nicht oder kaum merklich beeinträchtigt erscheint. — Nach
längerem Bestände der Entzündung ist es nicht sowohl abnorme Röthe
des Augengrundes und grössere Zahl von Gefässen , welche auffällt, als
vielmehr Erweiterung, besonders der Venen, und dunklere Färbung dieser
sowohl als der Arterien. Zahl und Lumen der Centralgefässe können in
diesem Stadium übrigens sogar vermindert sein, und der Augengrund
erscheint in solchen Fällen unter dem Spiegel oft auffallend licht, während
die Pupille beim Tageslichte schon mehr weniger unrein , grau oder
grünlich aussieht, was theils von der Trübung der Netzhaut, theils von
der Verminderung der Pigmentunterlage (und allenfalls auch von gelb-
licher Färbung der Linse) abhängt. — Ad 2. Die Trübung der Netzhaut
erscheint der Farbe nach röthlich, grau-, gelblich- oder bläulich-weiss,
oder dunkel (pigmentirt). Die röthlichen Flecke , von denen schon die
Rede war, sind nicht so intensiv und nicht so dunkelroth, überdiess auch
nicht so scharf markirt, wie die Ecchymosen, welche auch ohne Ent-
zündung, namentlich bei Verletzungen, vorkommen. Sie lassen sich bis-
weilen bei starker Vergrösserung (im aufrechten Bilde) als fein punktirte
oder fein gestrichelte Röthe erkennen. Die lichten Trübungen sind meistens
auf grössere Strecken ausgebreitet, schleierähnlich, mehr weniger stark
durchscheinend, sich gegen die gesunde Umgebung allmälich verlierend,
dalier relativ am schwersten zu erkennen, zumal bei minder reichlichem
Pigmentgelialte der Chorioidea. Man hat sich zu hüten, dass man nicht
diffuse Glaskörper- oder Linsentrübung damit verwechselt. Auch ausge-
breiteter Pigmentmangel kann für Netzhauttrübung gehalten werden. Man
miiss daher stets auf das Verhalten der Netzhautgefässe, auf das reine
Hervortreten des Sehnervenquerschnittes und auf die Sehstörung Rücksicht
nehmen. Die pigmentirten Netzhauttrübungen geben der Netzhaut meistens
ein geflecktes oder getigertes Aussehen, und zwar in mehr weniger
grosser Ausdehnung und in verschiedenen Regionen. Sie kommen nicht
bloss in Folge von Entzündung, sondern auch in Folge von einfachen
Blutaustretungen vor, und können meist nur mit Rücksic ht auf ihre Lage
Entzündung der Netzhaut. 119
zu den Netzhautgefässen von partiellem Pigmentmangel unterschieden
werden. Rareficirung der Chorioidea (Durchscheinen der Sclera) zeigt
gewöhnlich einen silberartigen Glanz. (Siehe spater: KurzsichTigkeit!) —
Ad 3. Die Sehnervenpapille zeigt bei Retinitis wahrend des Congestions-
und Exsudationsprocesses nebst den gewöhnlichen Gefässstämmchen noch
zahlreiche abnorme Zweigchen, wohl auch feine Capillaren, welche der-
selben bei minder starker Yergrösserung (im umgekehrten Bilde) oft ein
röthliches Aussehen geben, das allmälig einem schmutzigen Teint Platz
macht. Weiterhin erscheint die Grenze des Sehnervenquerschnittes nicht
scharf abgesetzt, sondern durch lichte und pigmentirte Trübung der näch-
sten Umo-ebuno- unres-elmässig erweitert oder vielmehr verwischt. Doch
hat man sich zu •hüten, einen halbmondförmigen dunkeln oder lichten
Reifen an der einen oder andern Seite der Sehnervenpapille ohneweiters
für Entzündungsproducte zu halten. Es ist hier sowohl Schattenbildung
als auch stärkerer Reflex möglich, da die Papille wie ein stumpfer Hügel
mehr weniger stark in den Glaskörper hereinragt und der Bulbus meist
etwas von der Seite her beleuchtet wird. Auch kommt es in ganz nor-
malen Augen vor, dass an einer oder der andern Partie der Sehnerven-
peripherie Pigmentanhäufung einen dunkeln Streifen oder Reifen bewirkt,
so wie andrerseits auch Pigmentmangel und Rareficirung der Chorioidea
in mehr weniger grosser Ausdehnung um die Papille herum vorkommen
kann, ohne Netzhautentzündung, z. B. bei Staphyloma posticum Scarpae.
Ablösung der Netz-haut; von der Chorioidea dürfte wohl nie als Folge von Entzün-
dung der I\etzhaut>selbst zu betrachten sein. Wo ich diesen eben nicht gar seltenen Zu-
stand sah, halte ich;;Ursache anzunehmen, dass dieselbe durch serösen Erguss in Folge
von Chorioiditis oder in Folge von Apoplexia chorioidea entstanden war. Der seröse Er-
guss entwickelt sich bald plötzlich nach offenbarer Verkältung, bald allmälig bei schlei-
chender Entzündung der Chorioidea (Vergl. Krankheiten der Chorioidea). Dieser Zustaud
ist nicht leicht zu übersehen und auch nicht schwer zu erkennen, wenn man bei Unter-
suchung mit dem Augenspiegel damit beginnt, dass man zunächst die durchsichtigen
Medien auf ihre Durchsichtigkeit prüft. Die abgelöste Partie (ich sah sie bisher nur in der
untern Hälfte) erscheint bläulich weiss, uneben, bei jeder Bewegung des Auges schwan-
kend, flatternd oder aufwallend, hie und da von einem dünnen dunkelrostbraunen Ge-
fässchen durchzogen, sonst wie beschneite Hügel oder wie Gletscher bei Abendbeleuch-
tung das Lampenlicht reflectirend. Dabei kann totale oder partielle Erblindung vor-
handen sein ; in letzterem Falle fungirt entweder die ganze obere Hälfte der Netzhaut,
oder nur ein mehr weniger kleiner Theil derselben. Abgelöste Netzhautpartien legen
sich, wag Graefe zuerst bestimmt ausgesprochen hat, niemals wieder an und werden
nie mehr funetionsfähig ; aber auch die nicht abgelösten Partien, namentlich die zu-
nächst gelegenen, sind nicht bloss mit Ablösung bedroht, sondern auch mit Structur-
veränderung durch Entzündung, und in so fern, als diese Entzündung gleichsam als
^20 Netzhaut.
Reactionsprocess in der Umgebung der abgelösten Partie betracbtet werden kann, mag
dieser Zustand ein Plätzchen zur . Besprechung bei der Entzündung der Netzhaut ge-
funden haben.
Die acute Nelzhautentzündung wird als fulminant auftretender Proeess
geschildert. Bald nach der Einwirkung intensiven Lichtes entwickeln sich
heftige und anhaltende Schmerzen im Auge und Vorderhaupte, Vorschwe-
ben verschiedenfarbiger feuriger Erscheinungen, enorme Empfindlichkeit
gegen jeden Lichtreiz, reichlicher Thränenfluss und allgemeine Unruhe und
Aufregung oder auch Abspannung bei rasch verminderter Sehkraft. Ver-
engerung der Pupille dürfte stets in auffallend hohem, Gefässinjection auf
der Sclera in relativ geringem Grade vorhanden sein.
Diese Affection kann bei rechtzeitiger und zweckmässiger Hilfelei-
stung vollständig zurückgehen, führt aber gewöhnlich in kurzer Zeit zu
mehr weniger ausgebreiteter Amblyopie oder Amaurose. Nach einigen
Beobachtern können auch die Zeichen von Iritis oder Chorioditis hinzu-
treten, und die Prognosis noch mehr trüben. Die Erscheinungen allge-
meiner Augapfelentzündung (panophthalmitis) dürften wohl nur dann zu
besorgen sein , wenn die Netzhaut von andern Schädlichkeiten getroffen
wurde, wenn nebst intensivem Lichte noch andere Momente das Auge
verletzt haben.
Wie man bei dieser, glücklicherweise nur selten vorkommenden Er-
krankung vorzugehen habe, möchte hinreichend aus folgenden Beispielen
entnommen werden können.
„Ein junger Staatsbeamte in Wien*), von gesunder starker Körperbeschaffenheit,
hatte den ganzen Tag über Kopf und Augen durch Schreiben und Lesen sehr ange-
strengt; gegen Abend wohnte er optischen Vorstellungen eines Künstlers bei, unter
welchen ihm der Sonnenaufgang vorzüglich gefiel, den er lange durch ein convexes
Glas mit dem rechten Auge betrachtete. Als er sich entfernte, that ihm dieses Auge
weh. Den übrigen Abend brachte er unter Freunden in einem hell erleuchteten Salon
zu. und trank denselben Abend auch ein Glas Punsch. Nach Mitternacht erwachte er
unter betäubenden Kopfschmerzen, Vollheit und drückenden Schmerzen im rechten Auge
mit flüchtigen Stichen. Der Schmerz wurde immer heftiger, Blitze, Flammen u. dgl.
feurige Erscheinungen vermehrten sich mehr und mehr, die Lichtscheu wurde immer
stärker, so dass er endlich die Nachtlampe auslöschen musste. Beer wurde sehr zeitig
früh gerufen; er fand das Auge äusserst empfindlich bei der leisesten Berührung; die
geringste Bewegung der Bulbus steigerte den Schmerz. So viel Beer in der Dämme-
rung sehen konnte, war am Auge keine Böthe, die Pupille sehr verengert. Der Patient
versicherte, er sehe mit dem rechten Auge viel weniger. Der Körper war von Fieber
entzündlicher Art ergriffen. Beer liess auf der Stelle einen sehr starken Aderlass ma-
*) J. N. Fischer Lthibuch, Prag 1» 16 S. 59.
Entzündung der Netzhaut — aeute. i2i
rhcn, eine grosse Menge Blutegel theils an die Stirngegend , theils hinter das rechte
Ohr setzen, eiskalte Fomente über den Kopf legen, Ung hydr. einer, alle Stunden in
die Augengegend einreiben, und verordnete ein purgans nntiphlogisticum, dann, nachdem
dieses letztere mehrere Stühle hervorgebracht, Caloinelpulver. Ungeachtet der bedeu-
tenden Erleichterung nach den Blutentleerungen liess Beer gegen Mittag den Adcrlass
und die Blutegel wiederholen. Auf diese Art gelang es ihm die Entzündung zu brechen
und das Sehvermögen zu erhalten, welches eine Stunde spater vielleicht unrettbar ver-
loren gewesen wäre. Die zurückgebliebe Amblyopie behandelte Beer bloss durch diäte-
tisches Verhalten."
Folgende Beobachtung hat W, Cooper9) veröffentlicht: „Herr G. war am 29. März
1844 beschäftigt, die Nerven der Zunge unter einem starken Mikroskope darzustellen,
und besah das fertig gewordene Präparat eben, als plötzlich die Sonne mit aller Kraft
darauf zu scheinen begann. Sogleich entstand über den ganzen Bulbus ein so heftiger
Schmerz, dass G. aufsprang und einen heftigen Schrei ausstiess. Durch etwa zwanzig
Minuten sah er nichts als das Spectrum der Sonne ; nachher verlor sich dieses und
auch der Schmerz, und er konnte sein Werk wieder fortsetzen, wenn auch das Auge
bis zum Abend empfindlich blieb. Tags darauf war aller Schmerz weg und G. ging
an die Vollendung seiner Arbeit. Da trat derselbe Zustand wie Tags zuvor wieder
ein ; die plötzlich zwischen den Wolken hervorbrechenden Sonnenstrahlen wurden vom
Reflector des Mikroskopes concentrirt ins Auge geworfen. Ein starker und tiefgehender
Schmerz durchzuckte den Augapfel, grosse Lichtscheue und dasselbe Sehen des Sonnen-
bildes stellten sich ein. Den ganzen Abend und die ganze Nacht blieb der Schmerz
sich gleich und nahm Tags darauf zugleich mit einem Gefühle von Vollheit und Span-
nung bedeutend zu. Kalte Umschläge brachten keine Erleichterung. Ausser dem
Schmerze fand Cooper grosse Lichtscheue, die obere Hälfte des Bulbus besonders sehr
empfindlich, Thränenfluss , Funkensehen bei jedem Sehversuche, die Iris normal, die
Pupille verengert, die Conjuctiva wenig geröthet, den Puls schwach und beschleunigt,
allgemeine Schwäche und geistige AbgespanntheiU Patient wurde sogleich in ein ver-
dunkeltes Zimmer gebracht, zwölf Blutegel um das Auge gelegt, kalte Fomente und
ein Abführmittel verordnet. Tags darauf befand er sich etwas besser. Einreibung
von ' Mercurialsalbe mit Opium, innerlich Pillen von Hydrarg mit Conium, in der
Zwischenzeit Tart. emet. und eine Mixt, salina besserten den Zustand bedeutend.
Nach vierzehn Tagen war das Auge schmerzlos, bloss das Sonnenlicht wurde noch
nicht gut vertragen. Doch blieb die allgemeine Schwäche noch bedeutend , so dass
!/2 Gran Chinin 2mal des Tages und etwas Fleischdiät verordnet wurde ; die Mercurial-
einreibung wurde fortgesetzt. Bei dieser Behandlung im Verein mit einem Deriyans
hinter dem Ohre und einem leicht adstringirenden Augenwasser war das Auge bis auf
Funkensehen bei Anstrengung desselben nach einer Woche vollkommen frei. Nach und
nach verlor sich auch dieses Symptom, und die Kräfte nahmen wieder zu, so dass G.
jetzt wieder vollkommen wohl ist.
Eine ähnliche Beobachtung machte ich im April 1847 an einem etwa 16jährigen
Mädchen, welchem ein Soldat, als sie in seiner Nähe im Schatten der Häuser vorüberging
(morgens gegen 10 Uhr), mit einem Spiegel (Hohlspiegel ?) das grelle Sonnenlicht in
das rechte Auge geworfen hatte. Der Fall war durch fast gleichmässige blasse Bosen-
*) London medical Gazelle, 1S44. Juli. Oeler. medic. Wochenschrift 1845 Nr. 4ö.
122 Netzhaut.
rölhe der A'buginea, ziemlich starke ödematöse Schwellung der Conjuctiva bulbi (am 3.
und 4. Tage), sehr enge Pupille, vehemente Lichtscheue, Thränenfluss, Vorschweben
feuriger Scheiben und getrübtes Sehen charakterisirt. Die Behandlung bestand in ent-
sprechender Verdunklung, Ruhe im Bette, örtlicher Blutentziehung, kühlenden Abführ-
mitteln und eiskalten Umschlägen, denen späterhin Fomente mit verdünnter Tinct. arni-
cae substituirt wurden. Die völlige Genesung erfolgte erst nach 6 Wochen.
Bei der subacut oder chronisch verlaufenden Netzhautentzündung
ist die successive Abnahme des Sehvermögens wenn auch nicht gerade
das einzige, so doch immer das hervorstechende Symptom. Sie wurde
demnach vor Einführung des Augenspiegels gewöhnlich als Amblyopie
oder Amaurosis überhaupt aufgefasst, und je nach anderweitigen Zu-
fällen bald als congestives oder erethisches, bald als torpides Leiden ohne
nähere Bezeichnung des Sitzes und Ausgangspunktes geschildert.
Die Sehstörung gibt sich bei der chronischen Netzhautentzündung auf
verschiedene Weise kund, und zwar zunächst nach der Gegend und Aus-
breitung der Affection. Bald ist es nämlich vorzüglich die Peripherie der
Netzhaut, welche durch Hyperämie und Exsudation in der Function be-
einträchtigt wird, bald das Centrum (die Gegend der Macula lutea), bald
irgend eine oder mehre Partien der mittlem Region, während in zahl-
reichen Fällen das ganze Gesichtsfeld als umflort oder verdunkelt bezeich-
net wird. Wo eine centrale Partie allein, oder vorwaltend afficirt ist,
fehlt im Sehfelde der entsprechende Theil, sieht das Auge seitlich von
der zu dieser Stelle gehörenden Achse noch relativ gut oder am besten.
Der Kranke sieht z. B. auf einem Blatte Papier einen dunklen Fleck,
einem vis-ä-vis befindlichen Gesichte fehlt die Nase oder ein Auge u. dgl.,
während die lichte Fronte eines etwas entfernteren Hauses vielleicht noch
ohne Unterbrechung, nur minder deutlich wahrgenommen wird. Innerhalb
der Grenzen der deutlichen Sehweite steigt und fällt die scheinbare
Grösse des dunkeln Fleckes mit der Grösse des Horopters, nimmt immer
einen aliquoten, z. B. den 100. Theil des jeweiligen Sehfeldes ein, und
wird demnach bei einem grössern Sehfelde auch als grösser angeschlagen.
Ist die funetionsunfähige Netzhautpartie von gesunder Netzhaut scharf
abgegrenzt, so erscheint auch der dunkle Fleck innerhalb der deutlichen
Sehweite scharf markirt, darüber hinaus allmälig verwischt, endlich ver-
schwunden (Visus interruptus, und bei mehreren solchen isolirten Flecken
visus reticulalus). Denselben Effect können natürlich auch umschriebene
Blutextravasate, partielle Emporhebungen durch Chorioidealexsudate u. dgl-
bewirken. Unempfindlichkeit einzelner, umschriebener Stellen der Netz-
haut, z. B. durch Extravasate oder Exsudate, veranlasst die Kranken auch
Entzündung «1er Netzhaut — chronische. 123
bisweilen zu der Angabe, dass sie die Gegenstände, z. B. die Nase, den
Mund einer Person verzerrt, verschoben, breiter, grösser u. dgl. sehen
(Ungestaltetsehen, Metamorphopsie). Ein sehr häufiges Symptom centraler
Retinalaffection ist das sogenannte Vorbeischiessen der Sehachse neben
dem Objecte, welches gesehen werden will. Es kommt diess, abgesehen
von Hindernissen in den durchsichtigen Medien, ausserdem auch bei in-
veterirtem Strabismus und bei höheren Graden von Kurzsichligkeit (mit
Ausbuchtung des Bulbus um den hintern Pol herum) vor, und wird dess-
halb bei diesen Zuständen noch besprochen werden. — Bei vorwaltend
oder ausschliesslich in der Peripherie der Netzhaut auftretendem Exsu-
dationsprocesse ergreift die allinälig auftretende Umflorung oder Verdunk-
lung das ganze Gesichtsfeld, oder sie engt dasselbe auf einen mehr we-
niger beschränkten Raum ein, selbst bis zu etwa einem Viertelzoll beim
Lesen u. dgl. Dieser Zustand ist wenig berücksichtigt worden. Ich will
ihn daher durch einige authentische Beobachtungen erörtern, aus denen
zugleich das Eigenthümliche dieses Processes erhellen wird.
Ein Hauptmann, 40 Jahre alt, von kräftiger Constitution und ganz gesundem Aus-
sehen klagt über Abnahme seiner Sehkraft seit Juni 1853. Die Inspection ist nicht im
Stande, einen Fehler im dioptrischen Apparate aufzufinden ; auch von fehlerhafter Re-
fraction oder Accommodation kann keine Rede sein, was in dem Nachfolgenden seine
weitere Bestättigung findet. Ich merkte, dass er etwas unsicher auf mich zuschritt, ob-
wohl sich später ergab, dass er ganz gut lesen konnte und auch nicht etwa doppelt
sah. Er kann die feinste Schrift lesen (selbst Nr. 1 von Jäger), doch nicht mit Aus-
dauer. Er kann nicht mehr dienen, weil er vor der Fronte wohl in der Ferne sieht,
nicht aber, was ihm zunächst ist. Er sah Tags vor seinem Besuche bei mir (am 3. Juni
1855) im Theater wohl alles auf der Bühne, nicht aber seinen etwas kleinern Vorder-
mann, den er erst wieder suchen musste. Er kommt beim Herabgehen über eine
Stiege immer in Gefahr zu stürzen, besonders bei der letzten Stufe ; ebenso geht er im
Freien abwärts viel schlechter als eben oder aufwärts ; hat er über einen Graben zu
schreiten, so kann er dessen Breite nicht ermessen ; er findet überhaupt, dass er Ent-
fernungen nicht mehr richtig schätzen kann, obwohl er als Officier hierin grosse Übung
hatte. Beim Gehen auf der Strasse längs einer Mauer geschieht's ihm leicht, dass er „an die-
selbe anschiebt", an einen Entgegenkommenden anstösst, an einen vorbeifahrenden Wa-
gen anrennt. (Er wurde auf diese Weise schon bedeutend verletzt.) Objecte, die schnell
an ihm vorübergehen oder fliegen, z. B. Vögel, nimmt er oft nicht wahr, obwohl er ein an-
dermal solche und noch viel feinere Gegenstände und in grösserer Entfernung recht gut sieht.
Indem ich ihm etwa 4 Fuss weit gegenüber sitze und seinen Zustand notire, sieht er mein
Gesicht, wenn er dieses fixirt, nicht aber meine schreibende Hand ; fixirt er die Feder, so
sieht er nur den untersten Theil meines Gesichtes. Die Peripherie seines Gesichtsfeldes ist
nicht scharf markirt, sondern wie verschwommen. Ging er früher, wo sein Zustand noch
etwas schlimmer war, auf einem Fahrwege, so konnte er nie dessen beide Ränder zu-
gleich sehen. Der Blick auf unmittelbar von der Sonne beschienene lichte Stellen ist
124 Netzhaut.
ihm unangenehm, obwohl er versichert, hei stärkerer Beleuchtung, z. B. hei Lampenlicht
besser zu sehen, als bei Kerzenlicht. Tritt er aus einem lichten in einen etwas dunkeln
Raum, z. B. in eine Hausflur, so dauert es länger, ehe ihm die Objecte deutlich werden,
als sonst im gesunden Zustande der Fall war. Gegen Abend, jedoch auch schon vor
Sonnenuntergang, sieht er besser, angeblich wegen der kühlem Temperatur, doch war's
auch im Winter so. Nach Tische oder wenn er sich durch Gehen erhitzt hat, sieht er
stets schlechter. Er hat zuerst im Juni vor 2 Jahren bemerkt, dass er zu Pest auf der
Promenade die Bäume nicht mehr deutlich erkannte, Grüssende nicht immer gleich
wahrnahm, beim Eintritte in die Hausflur oft Mühe hatte, den Thürgriff oder die ersten
Stufen der Stiege zu finden. Da er sich Abends — er meint wegen der Abkühlung der
Lull — regelmässig besser befand, hielt er den Zustand anfangs gar nicht für ein Augen-
leiden, sondern bloss für Blutandrang und beschäftigte sich desshalb auch Abends noch
viel mit Lecture. Indess wurde der Zustand bei den Exercirübungen am Rakosfelde in
der heissen Jahreszeit ärger, so dass er „in Reih' und Glied seinen Nebenmann nur
durch die Fühlung wahrnahm, sein Vordermann ihm manchmal verschwand." Seine
Ärzte hatten das Leiden als Blutandrang aufgefasst und demgemäss behandelt. Schröpf-
kopfe, Mineralwässer, kalte Bäder kamen ihm gut zu statten, so dass er im Mai 1854
den Marsch nach der Bukowina mitmachen konnte. Doch wurde sein Zustand bedeu-
tend verschlimmert, indem er durch 3 Monate in der Regel jeden Vormittag und bei
jeder Witterung im Freien und auf schlechten Wegen marschiren musste. Der Aufenthalt
in einer Kaltvvassercuranstalt hat nun den Zustand wieder etwas gebessert. Die Unter-
snchung mit dem Augenspiegel ergibt unzweifelhaft Hyperämie der Netzhaut und in der
Gegend des Äquator bulbi eine Art Marmorirung derselben , indem theils dunklere
Punkte und Fleckchen (Pigment ?), theils einzelne lichte, gelbliche, fast hyalyne Pünkt-
chen auf hochrothem Grunde eingesprengt erscheinen. Ich nahm demnach keinen An-
stand, diesen Befund als Retinitis peripherica zu betrachten, und hierauf Prognosis und
Therapie zu stützen. Doch konnte sich dieser Herr einer consequenten Behandlung vor-
läufig noch nicht unterziehen, und ist mir über den weiteren Verlauf noch nichts bekannt
geworden.
Ein Eisenbahnbeamter von 45 Jahren klagte über schlechtes Sehen und beschrieb
seinen Zustand — durch einige Fragen geleitet — ohngefähr folgendennassen. Ich sehe
weder rechts noch links, auch nicht abwärts; zeitweise gerathe ich in einen Zustand
gänzlicher Verwirrung, z. B. wenn ich von der Bahn auf ein Feld treten oder zu einem
Wächterhaus gehen will, verliere ich auf einmal den Weg, und muss mich führen lassen,
obwohl ich gradaus ganz gut sehe. Mit dem Lesen und Schreiben geht's schlecht, wenn
ich eine Zeile geschrieben, so vergeht mir alles, und immer muss ich. um zu lesen,
den Kopf stark vorwärts neigen. In der Stadt oder auf der Strasse laufe ich Gefahr
zu stolpern oder überfahren zu werden, weil ich nicht sehe, was seitlich und unmittel-
bar vor mir ist. Ich sehe in der Ferne, wenigstens mit dem rechten Auge sehr scharf,
z. B. auf 500 Schritte einen kleinen Vogel, in der Nähe jedoch nicht, da verschwimmt
mir alles; vor dem linken ist auch beim Fernblick gleichsam ein Schleier. Ich kann
über keinen Graben springen, von weitem sehe ich, wie breit der Graben, welchen
Anlauf ich etwa nehmen müsste, wenn ich aber nahe daran gekommen, verläset mich
das Unheil über die Breite. Mond und Sterne kann ich ausnehmen ; nach Sonnenunh r-
gang sehe ich schlechter, und wenn Buch der Widerschein vom Firmament \erschwuu-
Entzündung der Netzhaut — chronische. 125
den ist, muss ich mich führen lassen ; oh ich hei Mondschein sehen würde, weiss ich
nicht, weil ich aus Furcht~vor einem Unglück mich immer heeile, mit Sonnenuntergang
zu Hause zu sein. Komme ich von der Gasse in ein Vorhaus, welches nicht sehr licht
ist, so sehe ich ungewöhnlich lange gar nichts, bin ganz gehlendet. Das volle Sonnen-
licht beleidigt meine Augen, so dass ich starkblaue Gläser tragen muss ; auch muss ich
von Zeit zu Zeit meine Augen schliessen, um sie wieder zu Kräften kommen zu lassen.
Meine Nahrung muss ich beinahe kühl zu mir nehmen, weil der Genuss heisser Speisen
meinen Zustand entschieden verschlimmert. — Die äussere Besichtigung entdeckt nichts
Abnormes, ausser etwas minder lebhaften, jedoch nicht gerade stieren Blick. Will er
etwas genau sehen, z. B. lesen, wozu sich nur das rechte Auge noch eignet, so muss
er das linke schliessen. Er vermag höchstens 2 Seiten mittlem Druckes in conlinuo zu
lesen, und hat sich desshalb in der letzten Zeit nur auf die unabweislichen Schreibe-
reien beschränkt. Er vermag von der Jäger'schen Druckschrift Nr. 5 zu lesen, zwischen
10 — 20 Zoll Entfernung, lieber bei 15 — 20", schwer bei 8", gar nicht bei 6", mit
einiger Mühe auch bei 24". Mit dem rechten Auge allein (bei verdecktem linken) liest
er noch Jäger Nr. 2, jedoch nur bei 14", Nr. 3 dagegen zwischen 12 — 15", bei 20"
dagegen nicht. Die Pupillen — wie im vorigen Falle — dem Lichtgrade adäquat, die
Iris graublau, ziemlich stark vorgewölbt. Er hatte früher ein sehr scharfes Auge, und
war auch vor Entstehung dieses Zustandes weder kurz- noch fernsichtig. — Erkrankt war
er im Juli 1854; als er sich beim Schienenlegen mit dem linken Auge knapp an die
von der Sonne erhitzte Schiene legte (auf den Boden gestreckt), um zu sehen, ob die-
selbe ganz gradlinig gelegt sei, fielen ihm die Sonnenstrahlen direct in die Augen;
augenblicklich empfand er so heftige stechende Schmerzen, dass er die Hände vor die
Augen hielt ; dann war er eine knrze Zeit wie geblendet und betäubt. Diese Zufälle
verschwanden, nachdem er sich Gesicht und Kopf mit kaltem Wasser gewaschen und
tüchtig abgekühlt hatte. Nach etwa 3—4 Tagen stellte sich Doppelsehen und Schwindel
ein, indem er über jedem Gegenstande noch einen zweiten minder deutlichen sah. Er
versah trotzdem seinen Dienst als Bahnaufseher, obwohl mit grosser Anstrengung, indem
er von dem Scheinobjecte allmälig abstrahiren lernte, und gebrauchte auf Anrathen sei-
nes Arztes bloss Bitterwasser,. Nach etwa 2 Monaten war er den Winter über wieder
gesund; nur gegen Abend merkte er, dass seine Sehkraft nicht mehr so scharf wie
früher war, auch übergingen (thränten) ihm die Augerr oft, wenn er mehr zu thun hatte.
Im April aber trat wieder — ohne bekannte Veranlassung — Doppelsehen ein, er meint
gerade zur Zeit des Vollmondes. Er gebrauchte zunächst wieder Bitterwasser, dann
Seidlitzpulver, und da keine Besserung eintrat, auf ärztliche Ordination Blasenpflaster,
die er durch 48 Stunden an der Schläfe liegen lassen sollte. Er legte diese des Mor-
gens auf; den andern Tag früh, als er erwachte, bemerkte er, dass er beinahe blind
war. Das Pflaster an der Schläfe soll sich in der Nacht verschoben haben, und nur
das linke 24 Stunden liegen geblieben sein. Auf dem linken Auge sah er anfangs gar
nichts, nach und nach erholten sich beide Augen ohngefähr gleichen Schrittes, so dass
er jetzt mit dem linken noch immer nicht lesen kann. Ich fand mit dem Augenspiegel
deutlich ausgesprochene Hyperämie der Papille ; die Netzhaut in ihrer ganzen Ausdeh-
nung zu untersuchen, war nicht möglich, da der Kranke bald wieder abreisen musste
(10. Juni 1855) und künstliche Erweiterung der Pupille unter solchen Umständen nicht
räthlich erschien.
126 Netzhaut.
So lange der entzündliche Process noch im Gange ist, sind solche
Patienten immer gegen stärkeres Licht abnorm empfindlich ; sie fühlen
sich bei temperirtem Lichte behaglich oder doch minder unwohl. Diese
Empfindlichkeit tritt besonders bei refleetirtem Lichte (von lichten oder
glänzenden Objecten), bei ungleicher Vertheilung desselben und bei
schnellen Übergängen oder Contrasten hervor. — Die Meisten klagen
auch über feurige Erscheinungen, besonders im Dunkeln, die sie bald als
rothe, gelbe, blaue oder weisse Fläminchen, oder Funken oder Blitze, bald
als eine Art Gold- oder Silberregen (namentlich beim Lidschlusse) be-
zeichnen. Viele entsinnen sich erst während eines genaueren Examens,
dass diese oder ähnliche Erscheinungen, wenn auch nur durch eine kurze
Zeit, doch ganz gewiss vorhanden waren. Seltener sind verlässliche Angaben
über die Gegenwart von mehr weniger deutlich ausgesprochenem Schmerze
über den Augenbrauen, in der Stirn, in der Tiefe des Vorderhauptes, welche
indess bisweilen so stark hervorgehoben werden, dass sie als dem Augenleiden
vorangegangen, ja als Ursache desselben bezeichnet werden, und der Arzt ver-
leitet werden kann, die Ursache anderswo als im Auge selbst zu suchen. Alle
diese Zufälle werten gesteigert durch excitir ende Momente, echauffante Bewe-
gung, geistige Getränke, heisse Speisen, Anstrengung der Augen, intensiveres
Licht u. dgl. Eine nicht seltene Erscheinung, vorzüglich bei der aus über-
mässiger Anstrengung der Augen bei unzweckmässiger Beleuchtung allmälig
entstehenden Netzhautentzündung ist in der ersten Zeit ein Gefühl von
Trockenheit und Schwere der Lider oder von Druck, wie bei Katarrh ;
die Kranken können des Morgens die Augen nicht öffnen, ohne sie früher
(allenfalls mit Speichel) benetzt zu haben. — Zu den objeetiven äussern
Erscheinungen dieses Stadiums gehören: leichte Röthe der Lidränder, mehr
weniger bestimmt als abnorm zu bezeichnende Injection der vordem Ci-
liararterien und relativ engere Pupille. — Alle diese subjeetiven und ob-
jeetiven Erscheinungen sind zwar weder einzeln noch zusammengenommen
beweisend, schon desshalb nicht, weil sie einzeln und zusammen fehlen
oder auch anderweitig bedingt sein können; aber es ist nöthig zu wissen,
dass sie durch Retinitis erregt werden können; sie müssen den Arzt auf
die Möglichkeit dieses ernsten Leidens leiten, schon zu einer Zeit, wo
die Hauptsache, die Abnahme der Sehkraft, vielleicht noch gar nicht vom
Kranken wahrgenommen wird, wo erst genaue Versuche die Schwächung
des Gesichtes constatiren, wo der Kranke vielleicht nur eine passende
Brille sucht, ein calmirendes Mittel wünscht, u. dgL
Nach mehr weniger langem Bestände dieses Stadiums, welches man
füglich als das cretisch-congestive bezeichnen kann, treten allmälig, selten
Entzündung der Netzhaut — chronische. 127
rasch die Zeichen eines torpiden oder paralytischen Zustandes der Netz-
haut auf. Die Empfindlichkeit gegen das Licht nimmt ab und weicht zu-
letzt einem gewissen Bedürfnisse nach heller Beleuchtung der Gegenstände,
und die feurigen Erscheinungen machen allmälig der Wahrnehmung dunk-
ler Flecke, Wolken, allgemeiner Umneblung oder • Verdunklung des Ge-
sichfes Platz. Dabei wird (an dem betroffenen Auge) gewöhnlich die
Pupille etwas weiter, die Iris träger, der Augengrund minder rein, bis-
weilen zeigen sich auch Spuren chronischer Iritis (braune Zacken am
Pupillarrande) und zahlreichere oder doch stärker entwickelte Ciliarge-
fässe, schmutzige Farbe der Sclerotica, seltener Veränderungen in der
Spannung des Bulbus.
Die chronische Netzhautentzündung entwickelt sich bald nur auf einem
Auge, bald auf beiden zugleich oder kurz nach einander. Sie kann in
jedem Alter auftreten, kommt aber im Allgemeinen am häufigsten im Mannes-
alter vor, was wahrscheinlich mit den erregenden Momenten zusammen-
hängt. Selten kommt sie im höhern Alter, noch seltener in früheren Jahren
vor. Als besonders disponirend dazu möchten vor allem höhere Grade
von Kurzsichtigkeit, frühzeitig eingetretene Accomodationsbeschränkung für
nahe Objecte, Störung des Gesichtes durch leichte Hornhauttrübungen zu
betrachten «ein, insofern diese Zustände leicht Veranlassung zu relativ
übermässiger Anstrengung der Augen geben. — Unsere Kenntnisse über
die Ursachen der chronischen Netzhautentzündung müssen als noch sehr
mangelhaft bezeichnet werden. Nur Einiges lässt sich mit Sicherheit an-
geben. Retinitis entwickelt sich, wie schon bemerkt wurde, bisweilen nach
Verletzungen. Ebenso nach Blutaustretungen in oder an der Retina, sie
mögen wodurch immer veranlasst sein. Eine häufige Ursache ist die Ein-
wirkung intensiven Lichtes, momentan wie beim Anblick der Sonne, oder
anhaltend — von lichten Flächen oder glänzenden Objecten reflectirt. Den
Beobachtungen von Ed. Jäger kann ich einen mit dem Augenspiegel un-
tersuchten Fall beifügen, wo nach dem Betrachten der Sonnenfinsterniss
am 28. Juli 1851 chronische Retinitis entstanden war. Coccius und Raete
haben einen von mir früher beobachteten Fall von Retinitis in Folge von
Insolation ophthalmoskopisch untersucht und beschrieben. *) Weit häufiger
jedoch führt übermässige Anstrengung der Sehkraft bei Betrachten feiner
Objecte direct oder indirect (mittelst kleiner Blutaustretungen) zu einem
schleichenden Exsudationsprocesse in der Netzhaut, namentlich dann, wenn
*) Coccius über die Anwendung des Augenspiegels, Leipzig 1853 S. 111. Abgebildet in einer Dissertation von
Erdmann und von Ruete Bildliche Darstellung der Krankheiten des menschlichen Auges, 1. Band, Seite 50.
lab. IV. Fig. 3.
i 28 Netzhaut.
die Beleuchtung dabei in irgend einer der oben angegebenen Beziehungen
ungehörig ist, wenn das Auge wegen Fehler in den durchsichtigen Medien
oder im Aecommodationsapparate sich relativ mehr anstrengen muss, wenn
Blutandrang zum Kopfe überhaupt durch fehlerhafte Lebensweise oder
durch Krankheiten begünstigt wird (üppige Nahrung, geistige Getränke,
sitzende Lebensweise, u. s. w.)
Die weiter unten zu schildernde Kopiopie oder Asthenopie, welche in
früherer Zeit als Amblyopia erethica, in neuerer Zeit jedoch mit Recht
zunächst als Leiden der Accommodationsorgane aufgefasst und beschrieben
wurde, kann in der That bei Forcirung der Augen zum Arbeiten allmälig
zu Hyperämie, zu Blutaustretungen und zu wirklicher Entzündung der
Netzhaut führen. Ob die Abnahme des Sehvermögens bei manchen Fällen
von Morbus Brighti immer, wie in dem von Türk untersuchten Falle,
durch Retinitis bedingt sei, bedarf noch zahlreicherer Beobachtungen.
In einem von mir ophthalmoskopisch untersuchten Falle war es wahrschein-
lich, dass Lues den Anstoss zum Exsudationsprocesse in der Netzhaut gegeben
hatte. Die Ablagerung tuberculöser und medullärer Masse in die Netzhaut kann
füglich als von eigentlicher Entzündung verschieden betrachtet werden. — Es
ist nicht zu läugnen, dass viele Fälle von Amblyopie und Amaurosis vorkommen,
welche man als durch Retinitis bedingt erklären muss, von denen sich aber die
entferntere Ursache nicht weiter angeben lässt, wenn man sie nicht in dem
ersten besten, vom Kranken beschuldigten Momente anzunehmen beliebt;
ich glaube indess nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, dass in der
Mehrzahl der Fälle die Retinitis als Folge grellen Lichteinflusses und fehler-
haften Gebrauches der Augen zu betrachten sei. Was mich zu diesem
Ausspruche bestimmt, ist das bisherige Resultat meines Krankenexamens.
Nur darf man, wenn sich's um Constatirung der veranlassenden Momente
handelt, nicht ausser Acht lassen, dass man bei inveterirten Fällen und bei
ungebildeten oder unachtsamen Leuten selten etwas Verlässliches über die
Momente erfährt, welche vor und während der Entstehung der Krankheit,
die sich eben nur allmälig entwickelt, zugegen waren.
Auch rücksichtlich der Prognosis können vor der Hand nur einige
Andeutungen gegeben werden. Die peripherische Retinitis ist minder un-
günstig als die centrale ; sie bleibt auf die Peripherie beschränkt, oder
schreitet doch nur sehr langsam vor. Vor einigen Jahren starb hier eine
Dame in hohem Alter, welche — nach dem was ich erfuhr — höchst
wahrscheinlich an diesem Übel gelitten: ihre Sehkraft war im Verlauf vie-
ler Jahre allmälig bis auf eine etwa erbscnorosse Stelle des Sehfeldes
Entzündung der Nefzhant — chronische. 129
beim Lesen eingeschränkt worden, in dieser Ausdehnung aber gut geblie-
ben. Centrale Aufhebung der Sehkraft durch Entzündung der Netzhaut be-
dingt sah ich noch nie in völlige Genesung übergehen; sie greift mehr
weniger rasch um sieh; im günstigsten Falle behalt die nächste Umgebung
und Peripherie einen leidlichen Grad von Sehkraft. — Man muss sich sehr
hüten, die Prognosis. wenn auch nur vielleicht für sich im Stillen — auf
den Befund mit dem Augenspiegel allein zu basiren. Die Sehslörung sieht
in den meisten Fallen gar nicht in Proportion zu den ophthalmoskopisch
wahrnehmbaren Nelzhautveränderungen. Einmal sind bei unbedeutender
Amblyopie beträchtliche, wenn gleich disseminirte (nicht continuirliche) Trü-
bungen vorhanden, wahrend ein andermal bei förmlicher Amaurosis ausser
der Hyperämie kaum einige oder nur unbedeutende Veränderungen wahr-
genommen werden können, welche die Diagnosis Retinitis im Verein mit
andern Momenten stützen.
Wo nebst Amblyopie und allenfalls noch einem oder dem andern sub-
jeetiven Symptome bloss Hyperämie der Netzhaut vorhanden ist, lässt sich
wohl eher Besserung, vielleicht auch Heilung erwarten, als wo bereits mehr
weniger beträchtliche Veränderungen der Netzhaut sichtbar sind. Wichtige
Aidialtspunkte für die Prognosis liefern ferner die Dauer der Affection, die
Entstehungsweise, die disponirenden, excitirenden und unterhaltenden Mo-
mente. Die meisten Kranken wenden sich erst in einem schon viel zu
wreit vorgerückten Stadium an den Arzt; die wenigsten besitzen die ge-
hörige Geduld und Ausdauer ; viele können ihrer Verhältnisse wegen beim
besten Willen den vorgeschriebenen Bedingungen nicht nachkommen; an-
dere befinden sich bereits in einer viel zu gedrückten Gemülhsstimmung,
welche ihnen so zu sagen das Blut in den Adern stocken macht, Mehr
aus diesen Gründen, als an und für sich und ihrer selbst wegen scheint
uns die Netzhautentzündung im Allgemeinen eine wenig günstige Prognosis
zuzulassen.
Bei der Behandlung der chronischen Nefahautenlzündung ist vor allem
auf entsprechende Temperirung des Lichtes und auf Enthaltung der Augen
von jeder Anstrengung zu sehen. Diese Indication ist schon durch das
analoge Verfahren bei Pneumonie, Gastritis u. s. w. gerechtfertigt, Die
Temperirung des Lichtes erfordert das Vermeiden stark reflectirten Lichtes,
des Ausgehens bei Sonnenschein oder auch selbst bei hellem Tageslichte,
das Tragen hinreichend grosser blauer Plangläser u. s. w. Am wenigsten
aufregend wirkt bekanntlich das Verweilen des Blickes auf matten, grün
Arli's AueenheilliunHe II, 2. 9
130 Netzhaut.
oder blau gefärbten Objecten. Sehproben, womit die Kranken sich häufig
zu quälen pflegen, sind nur von Zeit zu Zeit, etwa von 8 zu 8 Tagen
und vom Arzte vorzunehmen. — Positiv nützlich sind lokale Blutentzie-
hungen an der Schläfe, am Zitzenfortsatze, am innern Augenwinkel , mit-
telst Blutegeln oder kleinen Schröpfapparaten (z.B. von Heurteloup), nicht
zu reichlich auf einmal, lieber öfter in kurzen Zwischenräumen wieder-
holt. Nach jeder Blutentleerung durch einige Stunden kalte Umschläge
auf die geschlossenen Augen, stärkere Verminderung des Lichtes und
stundenlange Ruhe des Körpers, daher am besten einige Stunden vor dem
Schlafengehen. Von Zeit zu Zeit blulige Schröpfköpfe längs der Wirbel-
säule, Blutegel am Mittelfleische. Kühlende Abführmittel, gelind solvirende
Mineralwässer, kleine Gaben von Tartarus stibiatus, bei entsprechend re-
guürter Diät im weitesten Sinne des Wortes. — Reizende, doch nicht er-
hitzende Fussbäder mit Senfmehl, Kochsalz, Lauge, Aqua regia. Die
Nützlichkeit künstlicher Geschwüre am Nacken oder Oberarme scheint mir
wenigstens noch nicht erwiesen zu sein. Gegenreize in der Nähe des
Auges (Schläfe, Stirn, Bindehaut) sind gewiss naehtheilig. — In weiter
vorgerückten oder harlnäc kigen Fällen ist es völlig gerechtfertigt, die Con-
stitution unter den Einfluss des Quecksilbers zu setzen , Sublimat- oder
Inunctionscur, Ziltmann'sches Decoct. — Von den narkotischen Mitteln, zu
deren Anwendung die Empfindlichkeit gegen das Licht einladet, möchte
Belladonna nur mit grösster Vorsicht anzuwenden sein, damit nicht etwa
durch Erweiterung der Pupille die Netzhaut noch mehr dem Leichteinflusse
preisgegeben werde, eher Conium maculatum, und bei gesteigerter Herz-
action Digitalis und Aqua laurocerasi. — Bei der dem Auge meistens wohl-
thuenden Anwendung kalter Fomente oder einer ganz milden und feinen
Regendouche (Staubregen-Douche) ist die gehörige Vorsicht bezüglich der
erregenden Nachwirkung nicht ausser Acht zu lassen. — Die Anwendung
erregender Mittel, sowohl innerer als äusserer, ist auch dann, wenn die
Krankheit bereits unter dem Bilde der sogenannten torpiden Amaurose fort-
besteht, positiv schädlich, mindestens unnütz. Es gilt diess wenigstens vom
Strychnin, von der Pulsatilla, vom Phosphor, von der Elektricität, vom
Ammonium, von den Naphthen, von den ätherischen Ölen. Diese und ähn-
liche Mittel dürften ihre Aufnahme in die Therapie gegen Amaurosis gröss-
tenteils der Annahme verdanken, dass dieser letztern eine Art von Schwäche
oder Lähmung der Netzhaut zu Grunde liege. Die sorgfältige Benützung
des Augenspiegels wird wohl bald im Stande sein, den alten Schlendrian
auszumerzen, dass man bei jeder Amblyopie gleich mit äussern oder
Entzündung der Netzhaut — chronische. 131
selbst innern Reizmitteln bei der Hand ist. — Nach einigen Beobachtun-
gen von Ruele (Bildliche Darstellung der Krankheiten etc.) dürfte nach
vorausgeschickter Antiphlogose die vorsichtige Verabreichung von Eisen-
oder Chinapräparaten von Autzen sein. In einem Falle glaube ich durch
die nachträgliche Anwendung des Elixir. aeid. Halleri einige Besserung
erzielt zu haben. — Einreibungen von Jodkalium- oder Morcurial-
salben an die Stirn und Schläfe sind , wenn auch vielleicht ohne
Nutzen (?), doch mindestens nicht schädlich, ausser sie werden zu lange
fortgesetzt.
J. N., 50 Jahre alt, Tischler, früher angeblich stets gesund, jetzt aber (durch
Kummer und Nahrungssorgen ?) sehr herabgekonnnen, wurde am 21. December 1854
als erblindet vorgeführt. Blick und Haltung eines Amaurotischen, Divergenz der Seh-
achsen, die ziemlich rein schwarzen Pupillen weiter, als bei gleicher Beleuchtung im
normalen Zustande. Der Mann kann nicht mehr allein gehen. Er nimmt, mit dem
Rücken zum Fenster gewendet, grössere und hellfarbige Objecte, z. B. die Hand, das
Gesicht, das weisse Halstuch einer vor ihm stehenden Person wahr ; dabei bemerkt man
aber, dass er nicht die Macula lutea, sondern eine seitlich gelegene Partie dem Objecte
gegenüber stellt. Auf dem linken Auge ist von der Sehkraft nicht viel mehr als deut-
liche Lichtempfindung übrig. Iris lichtgraublau, trag beweglich ; Pupillen rund, circa
2 '/2 — 3'" Durchmesser, verengen sich beim Blick gegens Fenster höchstens auf 2'".
Auf der Sclera einige schiefergraue Punkte an den Eintrittsstellen früher erweiterter
Ciliararterien. — Anfang der Sehstörung vor 3'/2 Jahren. Er bemerkte an einem hellen
Fiühlingsmorgen bei einer Militärparade, dass er Personen auf höchstens 15 — 20 Schritte
gut erkennen konnte, auf grössere Distanz aber alle Objecte wie durch Nebel sah. In
seiner Arbeit war er noch nicht gehindert , bloss stärkeres Licht musste er meiden.
Im September war er bereits genöthigt, einen Arzt zu consultiren, welcher das Übel
für beginnende Cataracta gehalten zu haben scheint, weil er ihm nichts ordinirte, und
ihn im Frühlinge wieder kommen hiess. Allniälig erstreckte sich die Trübung auch auf
das Erkennen naher Objecte, so dass er nur gröbere Arbeiten verrichten konnte. An
trüben Tagen sah er besser, als wenn die Sonne schien. Im nächsten Frühlinge (1853)
war jedoch diese Verschlimmerung wieder zurückgegangen, so dass er jenen Arzt erst
im Herbtte aufsuchte, als das Übel neuerdings ärger geworden war. und zwar ärger
als im Herbste 1852. Er konnte nur bloss bei Tageslicht noch etwas arbeiten, und
bemerkte besonders Morgens beim Erwachen Funkensehen, welches immer einige Mi-
nuten andauerte, ausserdem auch beim Husten, Niesen, Lastenheben u. dgl. hervor-
gerufen wurde. Manchmal kam es ihm vor, als senkten sich glühende Sägespäne vor
seinen Augen in der Luft herab. Allmälig war es so weit gekommen, dass er ;ille
Arbeit aufgeben musste, ja dass er endlich (im Sommer 1854) nur nach Sonnenuntergang
noch allein auszugehen was;te. Nun hatte sich nebst der Photopsie auch das Vor-
schweben dunkler Flecke und Streifen oder Wolken eingestellt, und er sah jetzt an
hellen Tagen besser, als an trüben, nur durften die Objecte nicht von der Sonne be-
schienen und nicht glänzend sein, weil ihm sonst die Augen leicht übergingen und
9*
132 Netzhaut.
schmerzten. Lichte Gegenstände schienen ihm mit einem Spinnengewebe überzogen zu
sein. — Diagnosis mich diesen 'Erhebungen allein : Amblyopie, höchst wahrscheinlich
Retinitis chronica. Die Untersuchung mit dem Augenspiegel bestätigte diese Annahme'
Die durchsichtigen Siedien normal. Die Sehnervenpapille nicht scharf begrenzt, mit
verwaschenen Rändern, schmutzig röthlich; in der nächsten Umgebung einige Gefäss-
zweigehen durch graubraune Trübungen unterbrochen, die Gegend der Macula lutea
licht- und schwarzgrau marmorirt. Kein ätiologisches Moment mit Bestimmtheit zu
ermitteln. Der Kranke will früher stark an Fussschweissen gelitten haben, die olm-
gelahr seit eben so langer Zeit nachgelassen haben sollen. Anfangs Blutegel an die
Schläfe und innerlich Tart. stibiatus refr. dosi, und durch längere Zeit die Füsse in
trockne warme Tücher und in Wachstaffet eingehüllt, dann Veratrinsalbe an die Stirn
und Schläfe eingerieben. Nicht eine Spur von Besserung. Mitte Jänner Sublimatcur
nach Dzondi. Als der Kranke bis auf 12 Pillen des Tages gestiegen war, erfolgte Ab-
nahme der Photopsie, Zunahme des Gesichtes ; er konnte bereits die vorgehaltenen
Finger in grösserer/ Distanz gut zählen. Die nun wieder mehr hervortretende Empfind-
lichkeil gegen das Licht machte das Tragen blauer Brillen räthlich. Bei der Anwendung
von lauen Bädern nach beendeter Cur trat wieder Verschlimmerung ein, wesshalb nach
einiger Zeit dieselbe Cur noch einmal wiederholt wurde. Die jetzt eintretende Besserung
ging so weit, dass der Mann selbst die Zeiger einer kleinen Taschenuhr richtig- angeben,
und die mit Kreide auf schwarze Tafeln geschriebenen Buchstaben auf 10—12 Schritte
erkennen konnte. Nun wurde noch durch einige Zeit ein Decoctum chinae bei guter
Kost verabreicht, zuletzt wegen noch immer anhaltender Empfindlichkeit gegen stärkeres
Licht Conium maculatum. Mitte April verliess der Kranke die Anstalt. Anfangs Juni
(1855) besuchte er die Anstalt wieder, uns zu zeigen, dass die erzielte Besserung In-
stand habe. Auffallend und mir unerklärlich war, dass er im Allgemeinen entfelntere
Gegenstände besser erkannte, als nahe. Versuche mit Convexgläsern habe ich leider
nicht angestellt. Etwas Ähnliches bemerkte ich auch bei G. K., dessen Krankengeschichte
oben bei der Nyktalopie (S. 114) mitgetheilt wurde, als er mich Ende Juli 1855 besuchte.
Er war in Bezug auf das Erkennen sehr ferner Objecte mit seinem Sehvermögen fast
vollkommen zufrieden, nur Physiognomien von mehr als 5 — 6 Sehritte entfernten Perso-
nen vermochte er noch nicht auszunehmen.
Folgende 2 Beobachtungen sind aus Puiete's letzt citirtem Werke entlehnt : „Ein
zart gebautes, etwas chlorotisehes Mädchen von 21 Jahren, welches sich mit Weissnähen
ernährte, hatte ohne nachweissbare Schädlichkeit, ohne Schmeszen und sonstige Er-
scheinungen zuerst am linken und später auch am rechten Auge eine Abnahme des
Sehvermögens verspürt, die es ihr unmöglich machte, ihr Geschäft fortzusetzen. Das Auge
zeigte nichts Abnormes, die Pupille war normal und vollkommen beweglich beim Lichtreize.
Bei der Untersuchung des linken Auges mit dem Spiegel bei erweiterter Pupille sah
man die Sehnervenpapille gesund, die Retina aber in ihrem ganzen Umfange getrübt,
daher die Centra Ige fasse etwas verschleiert. Nebst passender Diät einige Schröpfköpfe
an die Schläfe und innerlich Tart. tarlaris. mit Extr. taraxaei. Nachdem die Kranke dieses
Mittel etwa 8 Tage genommen hatte, wurden 14 Tage hindurch Einreibungen von Jod-
kalisalbe in die Umgegend der Augen gemach! und innerlich Jodkali gegeben. Unter
der Einwirkung dieser Mittel besserte sich das Sehvermögen . ohne dass die Trü-
Apoplexie der Netzhaut. 133
bung der Retina, welche mit dem Augenspiegel zu verschiedenen -Zeiten unter-
sucht wurde, sich vermindert hatte. Didier winde jetzt zum Gebrauche des Eisens
geschritten , nach dessen längerer Anwendung sieh das Sehvermögen bedeutend ver-
besserte, aber die Retina niehl wieder aufgehellt wurde. „Ahnliche Zustände habe
ich (Ruetc) sehr häufig beobachtet und dabei leider die Erfahrung gemacht, dass selten
eine bleibende Heilung zu erzielen ist. Gar häufig erfolgen nämlich, meistens ohne
besondere auffallende Schädlichkeiten, lleeidive, die dann immer schlimmer sind, als der
erste Anfall."
„Ein 3S Jahre alter Schriftsetzer behauptete seit einigen Wochen eine bedeutende
Abnahme seines Sehvermögens des linken Auges, ohne dass er davon eine besondere
Ursache anzugeben vermochte, bemerkt zu haben. Auch uns war es unmöglich, bei dem
anscheinend guten Gesundheitszustande des Kranken eine ausreichende constitutionelle
Ursache aufzufinden. Das Ansehen des Auges war, bis auf eine geringe Erweiterung
und Trägheit der Pupille und rauchige Farbe des Augenhintergrundes, vollkommen
normal. Bei der Untersuchung mit dem Augenspiegel fand sich die Retina stark nebel-
förmig getrübt, so dass sie die Gentralgefässe etwas umschleierte ; die Papilla';" nervi
optici war verhältnissmässig gross, hatte ganz in der Mitte einen schwarzen Fleck, auf
diesen folgte eine kleine weisse Scheibe, auf diese ein breiter grauröthlicher Ring, der
an der äussern Grenze von einem weissen Ringe eingeschlossen wurde ; die Gentral-
gefässe verzweigten sich in der Peripherie sehr frühzeitig mit zahlreichen Ästen. Die
Diagnose wurde auf Retinitis gestellt, in der Mitte des Sehnerven mit einem etwas ver-
alteten kleinen Blutextravasate, und mit einem entzündlichen Exsudate in der Substanz
des Nerv, opticus, wovon der graurothe Ring abzuleiten war. Eine strenge Antiphlogose
mit der entsprechenden Diät, zur Nachcur Chinin und Eisen stellten den Kranken in
wenigen Wochen vollkommen wieder her, wobei auch der graurothe Ring fast ganz
verschwand "
5. Amblyopie (Amaurosis) in Folge von Netzhatitbluturig,
Apoplexia retinae. Die Retinalupoplexie tritt nach Verletzungen, nach
Blendung und übermässiger Anstrengung der Augen, aber auch ohne
diese und überhaupt ohne bestimmt nachweisbare Ursachen auf. Ich beob-
achtete sie öfter an kurzsichtigen Augen. Ob Rigidität der Arterien dazu
besonders disponire, konnte ich nicht eruiren, obgleich sich dieses Leiden
in einigen Fällen als gleichzeitig vorhanden constatiren Hess. Mecha-
nische Hyperämie und Blutaustretung in der Netzhaut kommt auch bei
Krankheüen in der Schädelhöhle vor, wenn der Rücklluss des Blutes durch
die Vena ophlhalmica erschwert ist, wovon später. — Bei einem Knaben
von etwa 14 Jahren, welcher in Folge schlechter und unzureichender
Nahrung sehr herabgekommen und an zahlreichen Stellen der Körper-
oberfläche mit kleinen Ecchymosen bedeckt war, fand ich auch an den
Netzhäuten viele kleine Blutaustretungen, welche ich als Ursache der sehr
weit vorgeschrittenen Amblyopie betrachten mtisste, um so mehr , als die
134 Netzhaut.
Sehstörürig und das Allgemeinleiden nach dem Gebrauche von China mit
Elixir. acid. Hallcri bei besserer Kost in Zeit von einigen Wochen fast
ganz behoben wurde. Überhaupt kann über das Auftreten der Retinal-
apoplexie im Allgemeinen dasselbe gesagt werden, wie über Choiioidal-
blutungen und über Blutergüsse im Glaskörper. *)
Blutaustretungen in der Netzhaut verursachen Sehstörung entweder
an und für sich, durch die Grösse, Lage oder Zahl der Herde, oder
aber durch die nachfolgende Reaction. Die Sehstörung kann demnach
fehlen oder relativ gering sein ; sie kann plötzlich — wie mit einem
Schlage, — aber auch allmalig mehr und mehr hervortreten. Plötzlich
auftretende Sehstörung erregt stets Verdacht auf Apoplexie im Auge oder
in den Centralorganen. Kleine Extravasate stören das Gesicht an und
für sich nur dann, wenn sie in oder nahe an dem Centrum der Netzhaut
auftreten; peripherische werden erst bei grösserer Ausdehnung nach-
theilig. Was solche Blutungen bedenklich macht, ist theils die Wieder-
kehr an verschiedenen Stellen, zu verschiedenen Zeiten, selbst ohne weitere
äussere Veranlassung, theils die reactive Entzündung in mehr weniger
grosser Ausdehnung.
Rücksichtlich der Behandlung können wir füglich auf das über Blut-
ergüsse in den Glaskörper Gesagte (2. Bd. S. 132 und 3. Bd. S. 1 0 j
verweisen.
Folgende Beobachtung von Ruete (bildl. Darst.) mag als Beispiel dienen : „Ein
Schriftsetzer von 36 Jahren, etwas hagerer Constitution und von blassem Aussehen, be-
hauptete, in einer Nacht plötzlich mit dem linken Auge fast erblindet zu sein, nachdem
er in Folge einer heftigen Gemüthsbewegung an Kopfschmerz und etwas Schwindel ge-
litten hatte. Bei der Untersuchung zeigte sich die Pupille etwas erweitert und träge ;
die Farbe des Augenhintergrundes aber und die übrigen Gewebe des Auges, selbst die
Blutgefässe der Conjunctiva boten nichts vom gesunden Zustande Abweichendes dar;
auch hatte der Kranke durchaus nicht an subjeetiven Licht- und Farbenerscheimingen
gelitten, sondern klagte nur über einen dicken schwarzen Nebel vor dem Auge, der ihn
verhinderte, auch selbst helle grosse Gegenstände deutlich zu sehen. Bei der Unter-
suchung mit dem Augenspiegel zeigten sich die brechenden Medien normal, eben so der
N. opticus und die dort hervortretenden Centralgefässe. In einiger Entfernung aber von
diesem, namentlich in der Gegend des direeten Sehens lagen im Niveau der Retina eine
grosse Zahl kleiner, unregelmässig begrenzter rother Flecken, unter denen in der Mitte
') liei Amblyopie unil Amaurosis nach heftigem Zorne oder Schrecken, wovon bei altern Schriftstellern Beobach-
tungen nullit sin , durfte wohl Blutaustretnng im Auge oier auch im Gehirne zu Grunde liegen. In einem ton
Rosina nutuetheilten Falle fand man im srossen Gehirn lahlteiche Bluipunkte i Erweichung des kleinen
Gehirnes
Apoplexie der Netzhaut. 135
ein verhältnissmässig grosser und dunkler Fleck zu sehen war. Nach ol>en hin verlief
noch ein dunkles Gefiiss, dessen feinere Aste von den Flecken bedeckt wurden. Es
unterlag keinem Zweifel, dass man hier eine frisch entstandene Capillarapoplcxie in der
Netzhaut vor sich hatte. Zur Beseitigung des Ühels wurden Schröpf köpfe, halte Über-
schläge, kühlende Abführungsmittel, Schonung der Augen, geistige und körperliche Ruhe
und eine massige Diät anempfohlen. Unter dieser Behandlung hesserte sich das Seh-
vermögen allmälig. und als das Auge nach 2 Monaten von mir wieder untersucht wurde,
waren die rothen Flecken fast ganz verschwunden. Jetzt wurden zur Nachcur Martialia
empfohlen, unter deren Einwirkung das Sehvermögen beinahe ganz wieder hergestellt
ist." „Derartige feine apoplektische Ergüsse könnten bei oberflächlicher Bet achtung
allenfalls mit einer Capillarhyperämie verwechselt werden. Berücksichtigt man aber, be-
sonders bei Anwendung stärkerer Vergrösserungen, den Gefässcharakter der letzteren,
so wird ein solcher Fehler in der Diagnose nicht so leicht vorkommen."
Dass Hämorrhagie der Netzhaut und die hiedurch zunächst bedingte Erblindung,
welche man nach dem Augenspiegelbefunde für eine peripherische halten möchte, auch
durch ein Leiden der Centralorgane, und zwar durch Druck auf die Hirnblutleiter bedingt,
sein könne, hat Dr. Türh * durch eine eben so sorgfältige und verlässliche, als anato-
misch wichtige und interessante Beobachtung nachgewiesen.
Eine 37jährige Kranke, welche in den letzten 10 — 11 Monaten amaurotisch gewe-
sen war, starb in Folge einer etwas mehr als wallnussgrossen Krebsgeschwulst an der
obern Fläche des linken Vorderlappens vom grossen Gehirn. Die Geschwulst hatte, ins-
besondere auch durch consecutive Schwellung des Gehirnes, einen vorwaltend linkerseits
tiefgreifenden Detritus der innern Schädelfläche bewirkt. Der Druck, den die Sehnerven,
namentlich das Chiasma, an der Schädelbasis erlitten, musste als Ursache der Amaurosis
angenommen werden. Die mikroskopische Untersuchung der Sehnerven zeigte dieselben
Veränderungen, wie in andern Fällen, wo dieselben gleichfalls eine Compression erlitten
hatten. (Grosse Körnchenzellen im Chiasma, von da gegen die Netzhaut hin allmälig
an Zahl gering, rückwärts dagegen bis zum Corpus geniculatum sehr zahlreich.) In der
Netzhaut beider Augen fand T. sehr zahlreiche, kleine, hellrothe Blutextravasate von der
Grösse der kleinsten, dem freien Auge noch wahrnehmbaren Punkte bis zu der eines
Hirsekornes. Diese Extravasate fanden sich am vordem Abschnitte der Retina bedeu-
tend zahlreicher und grösser als am hintern, und im linken Auge an Jrösse und Zahl
überwiegend über jene des rechten. Die Gefässe der Netzhaut waren kaum blutreicher
als gewöhnlich; wenige derselben iu einer kurzen Strecke zu beiden Seiten von kleinen
Blutpunkten umgeben. Die Stäbchenschicht war verschwunden, die Körnerschicht noch
ziemlich deutlich. Neubildungen zeigten sich nirgends. In der Chorioidea war nach
Entfernung der Retina keine Spur von Extravasat, auch beim ungewöhnlichen Blut-
reichthuni wahrnehmbar. Linse und Glaskörper normal. Dieser Hämorrhagie lag weder
ein dyskrasischer Process, Scorbut u. dgl., noch Entzündung, noch atheromatöse Erkran-
kung der Netzhautgefässe, welche bekanntlich in andern Geweben nicht selten Veran-
lassung zur Blutung gibt, zu Grunde, und T. kommt so zu dem Schlusse, dass der
') ZeUselir. d. Wiener Ante, 1Ö53, Nr. 3. Prag. Vierteljalirschr. B 39.
136 Netzhaut.
erschwerte Rückiluss des venösen Blutes von der Retina zum Gehirn d;is veranlassen de
Moment war. Denn durch den Druck der Aftermasse war die Sattellehne grösslentiteü'
xersiürt, dadurch «las Band niedergedrückt, welches die AusführungssteUe des Sinus
petrosus superior in den Sinus basilaris brückenartig überwölbt, mithin den Rückfluss
des Blutes behindert oder erschwert.
Ich war voriges .Jahr nicht wenig überrascht, in einem Falle completer Amaurosis
bei einem Mädchen von 22 Jahren die Netzhäute von zahlreichen kleinen Ecchyinosen
durchsetzt zu linden (mit dein Augenspiegel), nachdem die Erhebung des Status praesens
und der Anamnesis zur Diagnbsis eines Centralleidens mit Druck wahrscheinlich Me-
ningitis ad basin cerebri — geführt hatte. Ich erwähne dieses Falles nur, um die Be-
merkung zu machen, dass der ophthalmoskopische Befund, wenn er auf Hyperämie,
Apoplexie oder Entzündung der Netzhaut deutet, an und für sich noch nicht zu dem
Schlüsse berechtigt, man habe es mit einer peripherischen Amaurosis zu thun ; das
peripherische Leiden kann eben Folge eines centralen sein. Es dürfte diese Bemerkung
besonders für jene riothwendig sein, welche die ophtha Imos ;opische Untersuchung, wo
nicht überschätzen, doch dem anderweitigen Examen vorausschicken und eben desshalb
leicht davon präoecupirt werden.
6. Amblyopie (Amaurosis) in Folge von Verkiiltiing — Amb'yopia
rheumatica. Wenn in Folge von Verkantung Trübung oder .Verlust des
Sehvermögens auftritt, und nach dem Ensemble der Erscheinungen blo.-s
auf ein Leiden des Auges , in specie der Netzhaut geschlossen werden
kann, so ist allerdings a priori nicht in Abrede zu stellen, dass die Af-
fection auch auf die Net '.haut allein beschränkt sein könne, und es lassen
sich Gründe für die Annahme anführen, dass dieselbe in Hyperämie und
seröser Durchleuchtung oder Ausschwitzung bestehe; es wird indess aus
der Zusammenhaltung hieher gehörender Beobachtungen, namentlich aus
dem Verlaufe und den Ausgängen sehr wahrscheinlich, dass die Chorioidea
jederzeit, wenn nicht vorwaltend? so doch gleichzeitig mitergriffen sei.
Desshalb habe ich die Atlection als Chorioiditis rheumatica im 2. Bande
S. 218 geschildert, und füi>e nur noch hinzu, dass dieses Leiden eine
nicht seltene Quelle der gleichfalls schon geschilderten Netzhautablösung
(III. B. S. 119) bildet. — In andern Fällen dagegen liegt der durch Yer-
kältung veranlassten Erblindung ein krankhafter Process nicht am Bulbus,
sondern in der Schädelhöhle zu Grunde. Es nutss hier ausdrücklich be-
merkt werden, dass bei rein peripherischer rheumatischer Amblyopie
nicht selten Lähmung des Levator palpebrae sup., des Muse, rectus exler-
nus, irgend eines oder mehrerer anderer Augenmuskel und davon ab-
hängig: Doppeltsehen , Schwindel, Eingenommenheit des Kopfes, Üblig-
keiten vorhanden sein, und den minder geübten und minder aufmerk-
samen Beobachter leicht zur Annahme eines centralen Leidens verleiten
Retiialanibivopie von — Verkaltuiii; — Cynteubildung. 137
können. Ist der Schwindel bloss vom Doppeltsehen abhängig', so ver-
schwindet er sammt den Brechneigung heim Verbinden des afficirten Auges.
Ist bloss der Levator palpebrae gelahmt, so ist die Afiection als periphe-
risch anzusehen. Ebenso spricht Ödem des Lides oder der Conjunctiva
bulbi, stärkere Injection der Ciliargefässe u. dgl. für bloss peripherische
Afiection. Wenig verlässlich, wenn auch immer beachtenswerlh, dürfte
der Umstand sein, ob die Verkühlung eine rein locale oder eine allge-
meine war.
7. Cystenbildung in der Netzhaut. Dr. von Gi*aefe*) hat vier
Fälle von Cysticercus der Netzhaut beobachtet. Es wird genügen, eine
dieser exäeten Beobachtungen hier auszugsweise aufzunehmen.
Fine Fnm, 28 Jahre alt, von gesundem Aussehen, ohne Cfstic.erk.en an der Körper-
oberflache und ohne Bandwurmbeschwerden (welche in einem andern Falle vorhanden
waren), hatte 3 Wochen vor ihrem Erscheinen auf Grafts Klinik einen Nebel vor dem
linken Auge bemerkt, welcher zuerst den mittlem Theil des Gesichtsfeldes einnahm, und
sich dann allmälig nach den Seiten ausbreitete. Unter dem Ophthalmoskop zeigten sich
Linse und Glaskörper klar, aber, den mittlem Theil der Netzhaut bedeckend, erschien ein
glänzend grüner Körper, welcher mit einem überall nach aussen convexen kreisrunden
Grenzrande gegen die benachbarte, vollkommen gesunde Netzhaut scharf abschnitt. Bei-
der Untersuchung im umgekehrten Bilde zeigte sich derselbe als eine vollkommen runde,
grünliche Blase, im Durchmesser etwa 4mal so gross, als der Sehnerveneintritt, der
Netzhaut fest aufsitzend, und mit der vordem Wand in den Glaskörper hineinragend. Aus
den unigebenden normalen Netzhautpartien zogen sich einige spitzenförmig endigende
Gefässe auf die seitlichen Theile der Blase in die Höhe. In der Mitte der vordem Wand
gewahrte man einen mehr undurchsichtigen und weissen knopfartigen Appendix. Derselbe
sprang mehr als die übrigen Theile der vordem Wand in das Innere des Auges hervor,
obwohl der Grad dieses Hervortretens in verschiedenen Momenten der Beobachtung etwas
variirte. Ebenso konnte einige Verschiebung des Knopfes an der Blase selbst deutlich
nachgewiesen werden, vom Centrum der Blase nach der Seite hin. Ich bemühte mich
vergeblich, einzelne Theile von dem Knopfe oder wo möglich einen denselben tragenden
Halstheil zu entdecken , und konnte desshalb zu keinem positiven Resultate gelangen,
weil das Bild überhaupt wie leicht verschleiert erschien, ein Anblick, welcher mich im
Verein mit dem Vorhandensein der oben geschilderten aufsteigenden Gelassäste zu der
Überzeugung brachte, dass die ganze Blase noch mit einer feinen Umhüllungsmembrart
bekleidet sei, was sich später noch klarer herausstellte und auch in andern Fällen
beobachtet wurde. Bei vollständig fixirter Sehachse sah ich an einzelnen, oft gleichzeitig an
mehreren Theilen der Blase Abflachungen oder napfförmige Vertiefungen entstehen, welche
die im Ruhezustand sphärische Form mannigfach veränderten — Drei Wochen später halte
sich die Blase ungefähr '/3 diametral vergrössert. Der Knopf sass jetzt nicht mehr im
*> Archiv für Ophthalmologie 1. B. 1 Ahth. S. 457 u. 2. Aöth. S. 3^6.
138 Netzhaut.
Centrum, sondern dicht unter dem obern Rande , und zwar inmitten eines blasigen Vor-
sprunges , welcher wie eine zweite kleinere Blase aus der frühem hervorgewachsen zu
sein schien. Der Kopf des Entozoon war also durch die Umhüllungsmembran heraus-
getreten, und man erkannte an ihm jetzt nicht allein deutliche seitliche Anschwellungen,
sondern auch den früher vermissten Halstheil, welcher bald gestreckt, bald eingezogen
wurde. Das Sehen war jetzt bis auf einen schwachen Lichtschein nach aussen und unten
erloschen. — Zehn Wochen später hatte die Blase ihr grünliches Aussehen verloren und
war stärker durchscheinend , die Gefässe waren zum Theil spurlos verschwunden. Da-
gegen war der blasenförmige Appendix vergrössert, so dass er ungefähr das Volumen
der ursprünglichen Blase erreicht hatte, eine grünliche Farbe darbot und von der frühern
Blase durch eine Einschnürung abgegrenzt erschien. — Fünf Monate nach der 1. Beob-
achtung war die erste Blase vollständig zerfallen, und sah man an deren Stelle nur eine
faltige, auf- und abschwankende, durchscheinende Membran ohne bestimmte Contouren.
Auch die zweitentwickelte Blase war mit ähnlichen Membranen bedeckt. Trotzdem war
das Thier nicht abgestorben; der Kopf mit dem Halstheil lag jetzt ganz gegen die Nase
zu, so dass man die Kranke stark nach rechts blicken lassen musste , um ihn zu sehen.
— Von dem ursprünglich projeetirten Einstiche durch die Sclera stand Gräfe später ab, weil
das Sehvermögen nicht zu retten war. Die örtliche Anwendung von wnrmwidrigen
Mitteln (Einträuflungen von filicinsaurem Kali, 4 Gran auf 1 Unze, später von einem
Santoninpräparate) hatte selbst nach monatelanger Fortsetzung keinen Erfolg auf die
Tödtung des Thieres. Der Wurm zeigte sich noch 8 Monate nach der 1 . Beobachtung
lebendig.
8. Amaurosis von Markschwammablagerung in der Netz-
haut. Die primitive Ablagerung von Krebs, und zwar als Medullar-Carcinom
oder als Melanose in der Netzhaut ist durch genaue Leichenuntersuchungen
nachgewiesen. Der Ausgangspunkt ist bald die flache Ausbreitung in mehr
weniger grosser Ausdehnung, bald die Papille des Sehnervens; in
mehreren Fällen wurde gleichzeitig Ablagerung im Stamme der Seh-
nerven gefunden.
Die Ablagerung erfolgt in den meisten Fällen ganz unvermerkt, in
andern nach leichten Irritationszufällen am Bulbus. Die Abnahme der Seh-
kraft, obwohl der Natur der Sache nach einer der ersten Zufälle, wird
desshalb meistens erst bei zimlicher Ausbreitung des Übels wahrgenommen.
Die an die Ablagerung gebundene Sehstörung kann eine Zeit lang auch
bloss auf einen Theil der Netzhaut beschränkt sein, daber z. B. auch als
Hemiopie auftreten, wie ich es in einem Falle bestimmt beobachtet habe.
Dagegen machen sich der Umgebung des Kranken, namentlich bei Kindern,
die bekanntlich am häufigsten davon befallen werden, zwei andere Er-
scheinungen sehr bald bemerkbar: Erweiterung der Pupille und ein eigen-
thumliches Leuchten oder Funkeln des Augengrundes. Die Erweiterung der
Retinalamaurose — Markschwaiiim der Netzhaut. 139
Pupille ist hier nicht einfach von der Aufhebung der Perceptionsfähigkeit der
Netzhaut abhängig, denn sie macht sich auch bei bloss monolateraler Allection
geltend; sie ist wenigstens mitbedingt durch gehinderte Leitungsfähigkeit
der Ciliarnerven, durch Druck auf dieselben (Infiltration der Chorioidea?),
daher auch die Farbe und Beweglichkeit der Iris in ähnlicher Weise wie
bei Chorioiditis verändert erscheint. Das Funkeln oder Leuchten des Augen-
grundes, bald gold- oder pomeranzengelb, bald grau- oder silberweiss,
bei Kindern gewöhnlich der erste Verräther des Übels, und anfangs nur
bei gewissen, dem Einfallen und der Reflexion des Lichtes günstigen Stel-
lungen bemerkbar, wird in dem Masse auffallender , als die Netzhaut in
grösserer Ausdehnuno- infiltrirt wird und weiter und weiter vor die Brenn-
weite der durchsichtigen Medien des Auges rückt. Der Arzt kann dann
auch schon mit freiem Auge mehr weniger deutlich die unebene Oberfläche
der Masse und die Gefässe unterscheiden, welche derselben den röthlichen
Anstrich geben; es sind diess entweder die Centralgefässe der Netzhaut
— wenigstens zu Anfang — oder aber neuentwickelte Ramificationen im
Pseudoplasma selbst. Wie dick oder mächtig die Masse sei , lässt sich
mit blossem Auge kaum ermessen; gewöhnlich wird man nach dem blossen
Anblicke verleitet, die Masse noch tief hinten befindlich anzunehmen, wo
sie doch schon weit nach vorn vorgerückt ist. Der Augenspiegel wird
über beides, das Verhalten der Gefässe und das Vorgerücktsein des Pseu lo-
plasma, gewiss verlässliche Aufschlüsse geben. Mir ist indess seit zwei
Jahren kein Fall dieser Krankheit vorgekommen. Die Unterscheidung dieser
Krankheit von Vorwärtsdrängung der Netzbaut durch serösen Erguss (siehe
oben : Netzhautablösung) oder durch feste Exsudate (Chorioiditis traumatica,
tuberculosa etc.), welche bisher nur in einzelnen Fällen und da oft bloss
mit Wahrscheinlichkeit gemacht werden konnte, dürfte von nun an wohl
viel leichter und sicherer möglich sein.
Diese Unterscheidung fällt leider wieder weg, wenn bei dem allmä-
ligen Vorwärtsdriugen des Parasiten die Linse getrübt und mehr weniger
vorwärts gedrängt worden ist, wenn Blut oder eiterartiges Exsudat in die
vordere Kammer ergossen worden ist. Hiezu bedarf es bald nur einiger
Wochen, bald vieler Monate. Aber nach und nach wird auch die Linse
gleich dem Glaskörper zum Schwinden gebracht oder seitwärts gedrängt.
Dabei ist der Bulbus mehr weniger hart, vergrössert und schmerzhaft
geworden, bietet das Auge überhaupt die Erscheinungen dar, welche im
II. B. S. 212 angeführt wurden Endlich wird auch die Hornhaut getrübt,
von Gefässen durchzogen, dann erweicht und durchbrochen, oder aber die
140 Netzhaut.
schon früher an einer oder der andern Stelle ihres vordem Umganges
staphylomatös hervorragende Sclera gestattet dein Sarcome Durchtritt nach
aussen unter die Bindehaut, wobei die Cornea nach der entgegengesetzten
Seite hin verdrängt wird.
Nach erfolgtem Durchbruche der Cornea oder Sclera tritt der Mark-
schwamm als eine weiche, dunkelgelbe oder livide, bucht blutende, bis-
weilen fluctuirende , einen Abscess vortäuschende, endlich exulcerirende
oder vielmehr verjauchende Masse hervor,- der längst heräbgekommeue
Kranke verfällt nun zusehends und wird von hektischem Fieber vollends
consumirt. Er erliegt den Folgen dieser Ablagerung aufs Auge, oder
neuen, kurz nacheinander dazu tretenden Ablagerungen im Gehirn, in den
Lungen, u. s. w.
Der Miirkschwamm der Netzhaut kommt am häufigsten im Kindes-,
am seltensten im Mauiiesalter vor. Nach FtitsckFs*~) Zusammenstellung
der bis zu seiner Zeit bekannten Beobachtungen fällt die grosse Zahl der
Erkrankungen zwischen das 3. und 5. Jahr, die kleinste zwischen das
20. und 30. Jahr. Das Übel befällt meistens nur Ein Auge, und zwar
häufiger das linke als das rechte. Eine auffallend grosse Zahl der Befal-
lenen (26 unter 72) wurde als scrophulös bezeichnet, doch ist die Zahl
derer, von denen ausdrücklich gesagt wird, sie seien übrigens gesund
gewesen, weit grösser (38). Als excitirende Momente sind die verschie-
densten Dinge bezeichnet worden. Rücksichllich der ziemlich oft beob-
achteten und desshalb auch beschuldigten traumalischen Einwirkungen be-
merkt Mahenzie, es möge wohl auch das der Fall sein, dass die bereits
Erkrankten, namentlich Kinder, wegen des mangelhaften Gesichtes sich
an's Auge stossen. Interessant sind zwei Beobachtungen von Ed. Jäger
(über Staar und Staaroperationen), wo die Entwicklung von Markschwamm
unmittelbar nach Blendung durch intensives Licht auftrat. Die Ablagerung,
welche in beiden Fällen durch längere Zeit mit dem Spiegel beobachtet
und verfolgt wurde, ging in beiden zwar nicht von der Retina, sondern
von der Chorioidea aus (der eine Fall wurde gleich nach der Exstirpatio
bulbi anatomisch-mikroskopisch untersucht), und zwar in beiden genau
von der Gegend des directen Sehens. Im Ganzen genommen müssen
wir gestehen, dass wir über die Hauptsache der Ätiologie, über die
Disposition nicht mehr wissen, als dass ein Allgeineinleidcn überhaupt
*j Die bosttrtigoa Schwanimjeschwülsle 'le» Augapfels, Freiburir im Rms^an ls:'l
Retinalaniaurose — Markschwamni der Netzhaut. 141
ati^enornmen werden muss, weil auch dann, wenn die Exstirpation des
Bulbus zu einer Zeit vorgenommen wird, wo das Übel anatomisch noch
rein auf den Bulbus beschrankt erscheint, nachträglich Ablagerungen in
der Orbita oder in andern, selbst entfernten Organen auftreten.
Die Prognosis ist demnach jederzeit traurig. Makenzie hat bemerkt,
rdass die Affection auf dem Boden des Auges wohl drei Jahre lang
gleichsam geschlafen hat, aber binnen einigen Wochen, nachdem sie ein-
mal vorwärts zu schreiten begonnen hatte, die ganze Cavität des Bulbus
einnahm, denselben um mehr als das Dreifache v ergrösser te," und dann
rasch in Verjauchung überging. Derselbe Auetor führt auch einige
Sectionsergebnisse an, welche völlig für die Ansicht sprechen, dass auch
i\\e zeitig vorgenommene Exstirpatio bulbi nicht im Stande sein würde,
das Individuum zu retten.
Er untersuchte ein von Dr. Montealh im ersten Stadium dieser Krankheit exstirpirles
Auge von einem etwa 3jährigen Kinde unmittelbar nach der Operation. Iris und Chorioidea
unversehrt ; die Netzhaut, obgleich hie un da mangelhaft und zerrissen, doch noch so
weit ganz, dass sie der ganzen innern Oberfläche der Chorioidea einen weissen Überzug
gab : die Markschwammmasse, welche den ganzen Raum der Glasfeuchtigkeit und Linse
einnahm, halte sich von der Sehnervenpapille aus entwickelt und aller Wahrscheinlichkeit
nach die Hyaloidea vor sich her gedrängt, denn „sie war in eine Membran eingehüllt,
wie die der Membrana hyaloidea." Der Sehnerve ausserhalb der Sclerotica schien nicht
krank zu sein. Einige Monate nach der Operation hatte sich die Augenhöhle mit einer
neuen Geschwulst gefüllt, und das Kind starb bald nachher. In der Augenhöhle sass
eine kranke Masse, welche sich aus dem Schnittende des Sehnerven erhoben hatte, und
dieselbe Beschaffenheit zeigte, wie die früher im Bulbus vorgefundene. In der Schädel-
höhle fanden sich die Sehnerven von ihrem Ursprünge bis zum Chiasma gesund, vor
demselben aber war der der kranken Seite bis zum foramen opticum so dick wie ein
Mittelfinger; im for. opt. war er wie durch eine Ligatur eingeschnürt, bei seinem Eintritte
in die Oibita jedoch breitete er sich wieder aus, so dass er den Zwischenraum zwischen
den M. rectis ausfüllte. — Mahenzip bemerkt noch, es seien Fälle vorgekommen, wo sich
die Geschwulst, vom Ende des Opticus ausgehend, zwischen die Sclerotica und Chorioidea
gedrängt hatte, während in andern Fällen der Schwamm aus dem Sehnerven noch vor
seinem Eintritte ins Auge entstanden war, und die Zerstörung dieses Organes durch sei-
nen Druck von aussen her bewirkt hatte. Er spricht überdiess von dem Entstehen meh-
rerer schwammiger Gewärhse nach einander an verschiedenen Stellen, z. B. eines hinter
der Sclerotica, ein anderes zwischen dieser und der Chorioidea und ein drittes zwischen
dieser und der Retina, welche dann zusammen fortschreiten.
Unter etwa 7 Fällen, wo ich Markschwatnin der Netzhaut in früheren Stadien mit
Sicherheit diagnosticirt hatte, weiss ich von fünfen, dass sie gestorben sind. Ein Kind
erlag, nachdem ein anderer Arzt die von mir verweigerte Exstirpation vorgenommen halte.
Ein Fall ist in Professor Fischers Lehrbuch S. 353 beschrieben. „B. Caroline, 7 Jahre
142 Netzhaut.
alt, von sehr zartem Körperbau, erethisch-scrofulöser Constitution, Kind gesunder Land-
lente, war von Geburt an stets sehr schwächlich, aber ausser öfterem Abgang von Peit-
schen und Spulwürmern hatte man an ihr nichts von Krankheit bemerkt. Von ihren 2
Geschwistern hatte blos die ältere eine Drüsengeschwulst am Halse. Das Augenleiden
begann vor 10 Wochen; ihre Schwester hatte sie beim Spielen mit dem Finger in's rechte
Auge geslossen. Darauf Schmerz von kurzer Dauer, am andern Tage geringe Röthe im
innern Winkel ; das Mädchen lief wieder munter wie früher herum. Am 3. Tage gleichmäßige
starke Röthe des Auges, leichte Geschwulst der Lider und dumpfer Schmerz. Aufschlagen
kalten Wassers. Nach einigen Tagen waren Röthe und Geschwulst verschwunden. Etwa
14 Tage später fiel dem Vater eine Entfärbung des Auges auf, und es zeigte sich, dass
das Kind das Sehvermögen, selbst die Lichtempfindung verloren hatte, obschon sie etwas
lichtscheu war. Während dieser ganzen Zeit hatte sie zeitweilig dumpfe Schmerzen im
Auge gehabt. Ein Arzt ordinirte eine weisse Salbe und braune Tropfen. Die Steigerung
der Schmerzen bestimmte den Vater, das Kind auf die Augenklinik zu bringen (27. Oct.
1841). Wir fanden unter der Conj. bulbi rings um die Cornea ein schütteres Gefässnetz,
Sclera und Cornea normal, die früher blaue Iris schmutzig grau, unbeweglich, die Pupille
stark und ungleichniässig erweitert. Man konnte durch die vollkommen durchsichtigen
Medien in die Tiefe des Auges sehen. Dort bemerkte man eine ziemlich senkrecht auf
der Sehachse stehende runde, im Ganzen flache, doch durch Erhabenheiten unebene,
ockergelbe Fläche, deren innerer Rand weiter nach vorn stand, als der äussere. Auf
dieser Fläche schwebten leichte orangegelbe Flocken, welche beim Bewegen des Auges
sich ebenfalls zu bewegen schienen. Sah man gegen die der Nase zugekehrte Wandung
des Augapfels, so schien sich jene gelbliche Platte auf dieselbe fortzusetzen, doch so,
dass sie hier etwas coucav, mehr uneben, stellenweise unterbrochen aussah, während die
äussere Wandung ein mehr dunkles, fast meergrünes Aussehen darbot. Bei den verschie-
denen Bewegungen zeigte jene Platte einen ei^enthümlichen, opalähnlichen Glanz. Das
Allgemeinbefinden Hess keine Störung wahrnehmen. Das linke Auge gesund, doch em-
pfindlich gegen stärkeres Licht. Heilversuche mit Jodkali äusserlich und innerlich blie-
ben fruchtlos. Nachdem das Mädchen in ihre Heimat zurückgekehrt war, entwickelte
sich das Übel allmälig weiter bis zum Durchbruche, worauf Verjauchung, Zehrfieber und
ohngefähr im 11. Monate der Tod eintrat."
Der einzige Fall, in welchem es mir erlaubt wurde, nach dem Tode das Auge zu
exstirpiren, betraf ein Mädchen von 3 '/2 Jahren (Petrak Anna). Die Mutter hatte es am
26. März 1853 auf die Klinik gebracht, weil ihr ein gewisses Funkeln des Ausres im
Dunkeln und Erblindung desselben aufgefallen war Die Dauer wurde auf etwa 6 Monate
angegeben. Sehr zarter Kürperbau, keine deutlichen Merkmale von Scrofulosis ; die Iris
grau, die Haare blond, das rechte Auge gesund. Am linken die objeetiven Erscheinungen
ohngefähr wie im vorigen Falle. Der Tod erfolgte am 20. Juni fB53 unerwartet nach
Convulsionen, ehe die Geschwulst noch bis an die Linse herangerückt war Untersuchung
30 Stunden nach dem Tode. Der am Bulbus sitzende etwa 4'" lange Stumpf des Seh-
nerven nächst dem Bulbus etwas dicker, als weiter hinten, ohne dass deutliche Infiltration
nachgewiesen werden konnte. Der Bulbus wurde durch einen Schnitt von vorn nach
hinten in eine obere und untere Hälfte zerlegt. Die Iris auf einen schmalen Saum ge-
schrumpft, die Linse etwas vorwärtsgedrängt, dahinter eine kleine Portion durchsichtigen
Orbitalamniirose. 143
Glaskörpers ; der Raum zwischen der Linse und der Chorioidea mit Ausnahme dieses
Glaskörperrestes ausgefüllt von einer gelhlich-weissen, von zahlreichen Gefässreiserchen
durchsetzten .Masse ausgefüllt; diese Masse, im Allgemeinen breiartig, gleichsam in ein
Gerüst oder Flechtvverk von Gefässchen inliltrirt, war nach vorn bis zum Ausfliessen
erweicht, nur vor der Sehnervenpapille etwas consistenter ; von der Netzhaut keine Spur.
Die Chorioidea zum Theil ohne Pigment, 2'" nach aussen vom hintern Pole in einer
Ausdehnung von 2 — 3 Quadratiinien von derselben Masse infiltrirt und daselbst auch mit
der unterliegenden Sclera verwachsen. Die Besichtigung des Präparates selbst, welches
in der hiesigen Sammlung der Augenklinik aufbewahrt wird, lässt keinen Zweifel übrig,
dass in diesem Falle die Infiltration von der Sehnervenpapille ausgegangen war, die Un-
tersuchung des übrigen Körpers wurde verweigert.
B. Orbitalamaurose.
Die Erkrankung- des Sehnerven in der Orbita vom Bulbus bis zum
Chiasma) geht entweder von ihm selbst (Nervenmark, Central-Arterie
und Vene, Nervenscheide), oder von den umgebenden Gebilden (Orbital-
fett, Muskeln, Beinhaut etc.) aus. Die selbständigen Affectionen lassen
sieh während des Lebens wohl kaum jemals mit Sicherheit erkennenf
Heister sah complete Amaurose bei einem Soldaten, dem eine Bleikugel
von der einen Schläfe zur andern mitten durch den Kopf gegangen war.
die Wunde heilte, die Blindheit blieb, die Bulbi zeigten sonst keine merk-
liehe Veränderung. Nach Makenzie besitzt Prof. Schmidler zu Freiburg ein
Präparat, welches ein Aneurysma der Arteria centr. retinae darstellt, ent-
nommen von einer Badenschen Prinzessin, welche lange Zeit blind war,
und Plenk, Richter und A. zu Hilfe gerufen hatte; sie sah ein wenig,
wenn sie abwärts schaute ; die Aneurysmen compriinirten die Sehnerven.
Beer bezieht sich auf Sectionen , welche ihm Verhärtung und Verwach-
sung der Sehnerven mit ihren Scheiden als Ursache der Amaurosis er-
wiesen hatten; in drei Fällen fand er Hydatiden zwischen den Scheiden
des Sehnerven, von deren Vorkommen auch andere Beobachter sprechen.
Demours fand eimal einen Tuberkel, einmal einen Eiterherd im Seh-
nerven. Böhm (das Schielen und der Sehnenschnitt, Berlin 1845, S. 448)
fand bei einem an Lungenschwindsucht gestorbenen 19jährigen Jünglinge
dessen rechtes Auge vom 6. Lebensjahre an nach aussen und oben ab-
gelenkt, allmälig aus der Orbita vorgetreten und zwar amblyopisch, je-
doch durchaus nicht amaurotisch gewesen war, den Sehnerven um das
Mehrfache verlängert und zu einem spindelförmigen Neuroma angeschwollen
(nach der Zeichnung gegen 2 Zoll lang und an 3/4 Zoll dick). Nur der
144 Netzh-uit.
vorder- te, dem Bulbus zunächst befindliche Theil erschien eine kurze
Strecke von natürlicher Beschaffenheit, ebenso der hinterste nächst dein
gleichfalls normalen Chiasma. Die weisse, spindelförmige, namentlich in
der Peripherie hart anzufühlende Nervengeschwulst sah auf dem Quer-
dmehschniUe fein maschenartig aus und bestand wesentlich aus dem ver-
dickten Neurilem. Durch die mikroskopische Untersuchung Hessen sich
noch bestimmter der in die Geschwulst eintretende Nerve und die krank-
haft vermehrten fibrösen Fascikeln des Neurilems unterscheiden, deren
dichteres Gewebe nach dem Umfange der Geschwulst hin die Oberhand
gewann. Der Atrophie des Sehnerven gedenken viele Aticioren, doch wit
dieselbe wohl jederzeit conseculiv, häufig nach Phthisis bulbi, seltener
nach Krankheiten der Netzhaut oder nach Affectionen in der Schädelhöhfe.
Die Atrophie erstreckte sich meistens nur bis zum Chiasma, nach Einigen
auch darüber hinaus, und zwar auf derselben Seite, obwohl auch Beob-
achtungen bekannt sind (>on Sömmering, Ackermann, Michaelis, Wenzel
und A.), wo die Atrophie jenseits des Chiasma auf der entgegengesetzten
Seite bis zu den knieförmigen Körpern fortgegangen sein soll.
Von den Krankheiten der Augenhöhle , welche durch Compression
oder Zerrung des Sehnerven störend auf dessen Function einwirken und
sich bei höheren Graden vorzüglich durch veränderte Lage und Beweg-
lichkeit des Bulbus verrathen, werden wir in einem spätem, eigens hiefiir
bestimmten Abschnitt sprechen. Es musste ihrer an dieser Stelle bloss
desshalb gedacht werden, weil Amaurosis eine Zeit lang das einzige oder
doch vorwaltende Symptom sein kann, das sie verursachen.
C. Cerebralamaurose.
Amblyopie und Amaurosis sind oft Symptome von anatomisch nach-
weisbarer Erkrankung sowohl des grossen ah des kleinen Gehirnes oder
ihrer Hiil/en, von Erkrankung des Sehnerren im. erhall) der Sritadel-
höhle In der Regel sind dann nebsMem noch andere Symptome vor-
handen, welche wenigstens so weit zu schüessen erlauben, dass der Sitz
des Grundleidens in der Schädelhöhle zu suchen sei. Hoch kommen auch
Falle vor, wo durch mehr weniger lange Zeit solche anderweitige Zufälle
fehlen oder sehr unbestimmt ausgesprochen sind. So wie demnach das
Nichtauffinden von Netzhautveranderungen mit dem Augenspiegel nicht zu
dem Schlüsse berechtigt, in einem speciellen Falle könne die Amblyopie
Cerebralaniaurose. 145
oder Amaurose nicht durch primäre AfFection der Netzhaut allein bedingt
sein, und so wie selbst bei ophthalmoskopisch wahrnehmbaren Verände-
rungen des Auges immer noch in Erwägung zu ziehen ist, ob dieselben
nicht als secundäre zu betrachten seien, wie z. B. Atrophie der Retina
in Folge von Compression des Chiasma, oder mechanische Hyperämie der
Netzhaut in Folge von Compression des Sinus cavernosus u. s. w. , so
erlaubt dagegen auch das Fehlen der anderweitigen sogenannten ence-
phalischen Erscheinungen noch nicht die Ausschliessung von Cenlralleiden,
selbst nicht von anatomisch nachweisbaren.
Die Erscheinungen, auf welche man zu achten hat, wenn sich's darum
handelt, zu bestimmen, ob die Sehstörung von einem Leiden der Central-
organe herstamme, sind sehr zahlreich und mannigfaltig. Man hat dafür
zu sorgen, nicht nur dass man keine derselben übersieht, sondern auch
dass man sie in ihrer Reihenfolge, wie sie nach einander auftreten, und
in ihrer Beziehung zum Augenleiden gehörig auffasse. Nirgend weniger
als bei den Amaurosen kann allgemein medicinische Bildung in Bezug
auf Diagnosis, Prognosis und Therapie entbehrt werden; der Oculist hört
hier auf, Specialist zu sein. Die Lehre von den Amaurosen fällt mit der
Lehre von den Krankheiten des Nervensystems zusammen. Demnach
wird man auch in einer Abhandlung über die Amaurosen nicht eine förm-
liche Darstellung der Lehre von den Krankheiten des Gehirnes suchen,
deren Kenntniss hier, als anderweitig erworben, vorausgesetzt werden
muss. Eine gedrängte Schilderung der Erscheinungen jedoch, welche bei
encephalischer Amaurosis vorkommen, und ebenso eine übersichtliche Zu-
sammenstellung der Affectionen, als deren vorwaltendes Symptom Am-
blyopie oder Amaurosis beobachtet wurde, erläutert durch verlässliche
Kranken- und Sectionsbefunde, dürfte zur leichteren Orientirung in diesem
weiten Gebiete dem Leser einigen Nutzen gewähren.
Die Erscheinungen am Sehorgane selbst sind, wenn auch nicht pa-
thognomonisch, doch in vielen Fällen immerhin eigenthümlich genug, um
einige diagnostische Anhaltspunkte zu gewähren. — a) zunächst ist zu
bemerken , dass die Sehsiörung bei centralen Amaurosen sich immer auf
das ganze Gesichtsfeld bezieht. Amblyopie oder Amaurosis, welche bloss
auf das Centrum oder bloss auf die Peripherie der Netzhaut bezogen
werden kann, ist sicher niemals centralen Ursprunges. Es ist auch
keine verlässliche Beobachtung bekannt, wo Hemiopie von einer ana-
tomisch nachweisbaren Veränderung- der Centralorg-ane hätte abgeleitet
O o O
Arlfs Augenheilkunde III, 2. 10
146 Netzhaut.
werden können. Ruete's Ausspruch (Seite il9), dass Krankheiten des
Sehhügels oder der einen Hälfte der Vierhügel fast immer eine Stö-
riuiof der Function der Retina derselben Seite in beiden Augen zur
Folge haben, muss jedenfalls erst durch Thatsachen erwiesen wer-
den. — Die Sehstörung tritt bald plötzlich, bald allmälig auf, in
der Regel zunächst nur auf Einem Auge; sie bleibt selten auf Ein
Auge beschränkt, auch wenn die encephalische Affection zunächst nur
die eine Hemisphäre betrifft. Sie kann trotz des Fortbestandes der
Hirnkrankheit mit deutlichen Re- und selbst mit Intermissionen auftre-
ten, was seine Erklärung in der bald mehr bald weniger hervor-
tretenden, die Hirnaffection begleitenden Hyperämie finden dürfte. —
Sie ist nicht sowohl von Scotomen (dunkeln oder hellen) als vielmehr
von Hallucinationen begleitet; auch ist die Empfindlickheit der Augen
gegen das Licht im Allgemeinen eher vermindert, als vermehrt, ausser
bei Hyperämie, bei Meningitis ad basin und bei Hydrocephalus acutus in
der ersten Zeit.
6) Im Allgemeinen hat der alte Erfahrungssntz seine Giltigkeit, dass
bei Hirndruck die Pupille erweitert ist, doch kann auch bei completer en-
cephalischer Amaurose der Durchmesser der Pupille ein mittlerer sein,
und während des unstäten Hin- und Herbewegens der Bulbi — wie bei
chronischem Hydrocephalus so oft — selbst Schwankungen zwischen Er-
weiterung und beträchtlicher Verengerung darbieten. Die Erweiterung ist
eine gleichmässige, wobei freilich nicht übersehen werden darf, dass leichte
Abweichungen von der Kreisform, namentlich bei nicht zu enger Pu-
pille, häufig auch an ganz gesunden Augen beobachtet werden können.
Die Schwärze der Pupille leidet nur im Verhältniss zur Erweiterung der-
selben , erst nach langem Bestände encephalischer Amaurosen scheint
die Durchsichtigkeit der Netzhaut und der Pigmentgehalt der Chorioidea
so zu leiden, dass der Grund des Auges mehr Licht als im normalen
Zustande reflectirt.
c) Die Stellung und die Beweglichkeit der Augen kann in ein-
zelnen Fällen viel zur Entscheidung der Frage über den Sitz des Leidens
beitragen. Geht die Sehkraft des einen Auges rasch verloren, so bleibt
die Stellung und Beweglichkeit normal, ausser es leidet ein oder der an-
dere Muskel wegen primärer oder vom Gehirn ausgehender Affection.
Erblindet ein Auge allmälig, während das andere gesund oder doch relativ
besser ist, so reicht dieser Umstand allein hin, eine instinctinässige (re-
Cerebralaiiiaurose. 147
flectirle) Ablenkung des schwächeren Auges zu bewirken. Bei Erwachsenen
erfolgt diese Ablenkung meistens auswärts als Strabismus divergens; es
tritt dasselbe ein, wie bei Hornhaut- oder Linsentrübungen (I. B. S. 262
und II. B. S. 281). Ist die Sehkraft beiderseits gleichmässig erloschen
oder hochgradig geschwächt, gleichviel ob langsam oder schnell, so ist die
Stellung der Sehachsen parallel oder blos ein wenig divergent, und die
weit geöffneten Augen irren entweder unstät umher oder stieren in un-
bestimmte Ferne hinaus. Unter Berücksichtigung dieser Momente deutet
Ablenkung eines oder beider Augen von der gewöhnlichen Haltung, ins-
besondere aber Unbeweglichkeit nach einer oder der andern Richtung
(Muskella'hmung) in allen Fällen auf centrale Ursache der Amblyopie oder
Amaurose, wenn nicht etwa wie bei rheumatischer Bulbär- oder bei Or-
bitalamaurose, die Muskelaffection aus einem peripherischen Leiden abge-
leitet werden muss.
Die Erscheinungen, welche bei encephalischer Amblyopie und Amau-
rosis in den übrigen Organen vorkommen, sind leider (für den Diagno-
stiker) in vielen Fällen namentlich zu Anfang noch nicht vorhanden, zum
Theil auch zweideutig. Um so sorgfältiger müssen sie aufgesucht, um .so
schärfer aufgefasst und in ihre wahre Beziehung zum Augenleiden gabracht
werden, a) Die geistigen Functionen, Gedächtniss, Urtheil, u. s. w. sind
bei Kindern rücksichtlich ihrer Entwicklung, bei Erwachsenen rücksichtlich
ihrer Störung zu berücksichtigen. Veränderung der Gemüthsstimmung,
des Gesichtsausdruckes, Theilnahmlosigkeit , Schlafsucht u. dergl. b) Be-
sichtigung und Betastung des Schädels. Bei Amaurosis von chronischem
Hydrocephalus fand ich am häufigsten den queren Durchmesser des Schä-
dels (von einem Schläfetheil des Felsenbeines zum andern) auffallend ver-
grössert ; seltener ist das Cranium an der Stelle der grossen Fontanelle
stark hervorgetrieben; in diesem letzteren Falle sind bisweilen auch die
Bulbi glotzend (Herabdrückung der obern Orbitalwand). — Krankheiten
der Schädelwandungen^ welche durch Druck nach innen nachtheilig wirken,
lassen sich bisweilen auch durch Hervorragungen an der Aussenfläche er-
kennen. Andere, zum Beispiel Tophi, geben vielleicht Anhaltspunkte für
die Existenz ähnlicher Affectionen, die nach innen wirken. Spuren von
vorausgegangenen Verletzungen des Kopfes verdienen besonders dann Be-
rücksichtigung, wenn seit der Verletzung irgend welche Gesundheitsstö-
rungen bestehen, die darauf bezogen werden können. Doch ist zu bemer-
ken, dass erfahrungsgemäss Jahre vergehen können, ehe der Verletzte von
deutlichen Zufällen einer Hirnkrankheit befallen wird. Der Kranke denkt
10*
148 Netzhaut.
zur Zeit, wo sein Gesieht gestört wird, vielleicht gar nicht mehr an die
Verletzung. — c) Kopfschmerzen (Eingenommenheit, Schwere des Kopfes
u. dgl.), verschiedenartig nach Intensität, Qualität und Typus sind ein häu-
figer Vorläufer und Begleiter von Amblyopie und Amaurosis. Zu bemerken
ist, dass auch die chronische Retinitis häufig von mehr weniger lebhaften
Schmerzen in der Stirn - oder Scheitelgegend begleitet wird , und dass
manche Individuen die Krankheit (Erblindung) dem Symptome (den Kopf-
schmerzen) zuschreiben, weil sie die Kopfschmerzen früher bemerkten, als
die noch in zu geringem Grade vorhandene Abnahme des Gesichtes. —
d) Schwindel, bald mit Hyperämie, bald mit Anämie im Zusammenhange
stehend, ist häufig auch bloss durch Lähmung eines geraden oder schiefen
Augenmuskels bedingt, fordert daher jederzeit zur genauesten Prüfung der
Muskelfunctionen auf. Mehr hierüber bei den Krankheiten der Augen-
muskel. — e) Störungen in andern Sinnesorganen, Gehör, Geruch, der
Sensibilität im Bereiche des Trigeminus u. s. w. — f) Störungen der Mo-
tilität im Bereiche des Facialis, Trigeminus u. s. w. Bei rechtsseitiger
Affection des N. opticus und des Oculomotorius oder Abducens treten die Läh-
mungserscheinungen am Gesichte, an der Zunge, am Zäpfchen, an den
Extremitäten linkerseits auf. Epileptische Anfälle, Contracturen, Lähmungen.
— g) Gehemmte peristaltische Bewegung, Torpor in der Entleerung der
Fäces oder des Harnes u. dgl. — h) Gastrische Erscheinungen, Erbrechen,
Üblichkeiten u. dergl. sind theils Vorboten, theils Begleiter encephalischer
Amaurosen.
Die krankhaften Vorgänge und Veränderungen im Gehirne und in
seinen Hüllen, welche Amblyopie oder Amaurosis im Gefolge haben, sind
ausserordentlich mannigfaltig und verschieden in Bezug auf ihren Sitz
(Knochen, Meningen, Schlagadern an der Basis, Hirnanhang, einzelne Re-
gionen des grossen und kleinen Gehirnes), auf ihre Natur und anatomische
Beschaffenheit (Veränderungen des Zusammenhanges , des Volumens, der
Textur, Neubildungen u. s. w.), und in Bezug auf die entfernteren Veran-
lassungen dazu (Störungen der Kreislaufsorg ane, äussere Gewaltthäligkei-
ten, Dyskrasien, namentlich Lues, Krebs, Tuberkel u. s. w.). Diese letz-
teren insbesondere sind geeignet, Licht auf die Natur des krankhaften
Vorganges im Gehirne zu werfen. Schon dieser Umstand allein fordert
bei jeder Amaurosis zu einer vollständigen Durchmusterung des ganzen
Körpers, aller Organe, Systeme und Functionen, sowie zu einer scrupu-
lösen Erhebung der amunnetischen Momente vor, während und nach dein
Cerebralaiiiaurose. 149
Eintritte des Augenleidens auf. Leider müssen wir bei deirf gegenwärti-
gen Stand der Diagnostik der Gehirnkrankheiten uns nur zu oft begnügen,
zu wissen, dass überhaupt ein solches Centralleiden vorhanden ist; auf
die Bestimmung des Sitzes der Aflection müssen wir meistens verzichten;
auf die Natur derselben Iässt sich grösslenlheils nur mit Wahrscheinlich-
keit schliessen; eher noch lässt sich angeben, diese oder jene Affection
könne nicht zu Grunde liegen. Immerhin ist auch damit schon Einiges
gewonnen, das uns bestimmte Anhaltspunkte zur Prognosis gibt, und, wo
nicht directe, so doch indireete Indicationen zum therapeutischen Ver-
fahren. Wer durch seine Behandlung nicht schadet, hat viel voraus nicht
nur vor Demjenigen, der blindlings eingreift,, sondern auch vor dem, der
nichts thut.
Die Literatur ist reich an Beobachtungen über Amaurosen, leider
arm an verlässlichen und vollständigen. Den einen fehlt die anatomische
Begründung, welche vor Erfindung des Augenspiegels zum Theil unmög-
lich war; die andern liefern wohl mitunter gute Sectionsbefunde, aber —
mit wenig Ausnahmen — keine gehörige Angabe der Erscheinungen wäh-
rend des Lebens.
Über Aufforderung meines verehrten Lehrers Fischer hatte ich zum Gegenstande
meiner Inauguraldissertation (1839) einige Beobachtungen sogenannter organischer Amau-
rosen gewählt und daran eine übersichtliche Zusammenstellung der mir zugänglichen
Beobachtungen früherer Zeiten gereiht. Die nachfolgenden Fälle sind grösstenteils
dieser Schrift entlehnt.
1. Amaurosis, in Folge von Verletzungen am Kopfe.
In Folge von Verletzungen nicht bloss des Auges und seiner nächsten
Umgebungen, sondern auch von entfernteren Regionen des Kopfes ist
Amaurosis als erstes oder doch eminentes Symptom bald sogleich , bald
erst nach längerer Zeit beobachtet worden. In manchen Fällen entwickelt
sich die Hirnkrankheit, deren Symptom die Amaurosis ist, unmittelbar aus
der Verletzung; in andern gibt diese gleichsam nur den Impuls zur Ent-
wicklung einer Hirnkrankheit, auf dieselbe Weise, wie wir schon beim
Markschwamm der Netzhaut bemerkt haben. Zu den ersteren gehören
Knocheneindrücke, Fissuren an der Schädelbasis (Keilbein), Blutauslretung,
Aneurysma, Entzündung der Hirnhäute, des Gehirnes mit ihren verschiedenen
Ausgängen, zu den letzteren die Entwickelung von Markschwamm und
von Processen , denen Tuberculosis zu Grunde liegt. Zur Erläuterung
einige Beispiele.
150 Netzhaut.
Eine zweiundvierzigjährige gesunde und klüftige Frau fiel rücklings auf der Strasse
nieder, indem sie, ein Brett voll gebackenen Brotes nach Hause tragend, auf den glatten
Steinen ausglitt. Man brachte sie scheintodt nach Hause. Nach einer Stunde war das
Bewusstsein und die Bewegung zurückgekehrt, das Gesicht beider Augen verloren ; nur
mit dem linken Auge glaubte die Kranke, wenn sie es nach oben wandte, eine geringe
Lichtempfindung zu verspüren. Die erweiterten Pupillen waren nur wenig beweglich
und etwas unregelmässig verzogen ; sonst an den Augen keine Veränderung wahrnehm-
bar. Zugleich heftiger drückender Kopfschmerz in der Stirn, und andere Symptome
eines Extravasates in der Schädelhöhle. (?) Tod nach vierundzwanzig Stunden. Bei
der Section eine kleine sugillirte Stelle unter der Galea aponeurotica an der Stelle
des Hinterhauptes , auf welche die Frau gefallen war. Bei der Herausnahme des
Gehirnes kam, als die grossen vordem Lappen aufgehoben wurden, eine wullnussgrosse,
blaurolhe Geschwulst zum Vorschein, tcelche den Türkensättel bedeckte, nach dem rechten
Schläfenbein hin sich erstreckte, und in den Boden der dritten Hirnhöhle und das Tuber
cinereum eine Vertiefimg eingedrückt hatte. Ebenso wurden das Chiasma und die Seh-
nerven, doch mehr der rechte, als der linke, zusammengedrückt. Nach Herausnahme
des Gehirns zeigte sich, dass die Geschwulst aus dem Canalis caroticus dexter heraus-
kam, und aus einem, von der äussern Haut der geborstenen Carotis gebildeten Sacke
bestand, der geronnenes Blut enthielt; nach Abspülung des Inhaltes entdeckte man, dass
die Carotis dextra da, wo sie aus dem Sinus cavernosus heraustrat, geborsten war.
Sonst war nirgends etwas Krankhaftes zu finden. (Slilling in Amnions Zeitschr. III. B.
S. 465.)
Ein alter Mann, welcher mit einem Karren überfahren worden war, wurde in's
Spital aufgenommen. Es war eine Fractur nebst einer Depression des einen Scheitel-
beines vorhanden. Der Mann besass sein Bewusstsein, gab aber langsam Antworten,
war stöckisch und gänzlich blind. Herr Gunning entfernte eine Portion des Scheitel-
beines mit der Trephine, und hob den deprimirten Knochen empor. Die Operation be-
wirkte indessen keine Änderung in den Symptomen. Etwa 36 Stunden nach dem
Ereignisse wurde der Puls häufig, und der Patient begann irre zu reden. Er blieb
des Sehvermögens gänzlich beraubt, glaubte eingebildete Gegenstände zu scheu, war
sich aber der vor seinen Augen befindlichen gänzlich unbewusst. Tod nach Ablauf des
fünften Tages. Man fand die Hirnhäute entzündet und mit Eiter und Lymphe verun-
reinigt. An der Basis des Schädels war eine Querfractur , welche sich durch das
Keilbein erstreckte, mit so verschobenen Bruchrändern, dass sie auf die Sehnerven
unmittelbar hinter den Augenhöhlen drückten, und sich so der gänzliche Verlust des
Gesichtes erklärte. (Brodie , bei Make/nie , Krankheiten des Auges , Weimar 1832
S. 771.)
Ein zwölfjähriger Knabe empfing in der Schule mit der Schärfe eines breiten
Lineals wegen Trägheit im Lernen einen Schlag auf des rechte Seilenwandbein. Die
Wunde war klein , heilte aber erst nach sechs Jahren ganz zu. Bald nachher nahm
das Sehvermögen ab, allmälig bis zur völigen Blindheit. In der letzten Zeit traten auch
epileptische Anfälle ein. Man versuchte die Trepanation , fand jedoch den Knochen
an der Stelle der Narbe nicht einmal missfähig, geschweige denn krankhaft. Nach
Entfernung des mit der Trephine abgelösten Knochenstückes trat etwas Blut und seröse
Cerebralnmaiiroso. 151
Flüssigkeit zwischen dein Knochen und der harten Hirnhaut hervor. Letztere schien
nicht verändert zu sein. Den nächsten Tag hatte die Pupille jedes Auges ihre natür-
liche Sensibilität wieder erlangt, indem sie sich je nach dem Grade dos Lichtes erwei-
terte und zusammenzog, aber die Blindheit blieb absolut, wie vor der Operation. Drei
Tage nach der Operation starb der Patient. — Man fand den Knochen und die dura
mater überall gesund. Unter dem Theile, wo letztere durch die Trephine blossgelegt
worden war, also unter der Stelle der ursprüglichen Verwundung bot die pia mater
die Zeichen chronischer umschriebener Entzündung dar. Als in das Gehirn eingeschnitten
wurde, fand man es bis zu einem beträchtlichen Grade verhärtet, und diese Verhärtung
halle sich auf den ganzen mildem Lappen des Gehirnes ausgebreitet, begann auf der
Oberfläche, und setzte sich durch das Gehirn bis zur Basis des Schädels fort. (Howship,
bei Makenz-ie I. c. 782.)
Bei einem 44 Jahre allen Manne stellte sich nach einem Falle auf das Hinter-
haupt allmälig Gesichtsschwäche und Schielen (Schiefsehen ?) ein ; nach drei Jahren
kam dazu heftiger Schmerz im Hinterhaupte, stierer Blick, Erweiterung der rechten
Pupille, endlich gänzlicher Verlust des Gesichtes und der Sprache bei ungestörter
Geistesthätigkeit. — Man fand zwei Drittel vom linken Lappen des kleinen Gehirnes
in einen Brei verwandelt, die umgebende Arachnoidea zerstört, die dura mater
innen braunroth , aussen vom Knochen abgelöst. (Monod in Andrals Clinique me-
dicale, T. V. p. 496.)
Ein Frauenzimmer hatte in ihrem 15. Jahre einen nicht gerade heftigen Schlag
auf die rechte Seite ihres Kopfes erhalten. Er verursachte augenblicklich sehr heftigen
Schmerz, wurde aber nicht weiter berücksichtigt, weil man weiter keine Folgen beob-
achtete, nur stellte sich öfter Kopfweh ein, welches immer in dem geschlagenen Theile
begann. — Nachdem sie solchen Anfällen über dreissig Jahre ausgesetzt gewesen war,
wurde sie trag und manchmal stupid und schläfrig, ohne dass man dafür eine andere
Ursache hätte angeben können. Dieser Zustand verschlimmerte sich, so dass es in den
letzten 1 '/2 Jahren ihres Lebens sehr schwer war, sie wach zu erhalten ; wenn sie aber
einmal wachte, und sollte es auch nur auf '/2 Stunde sein, so entfaltete sie den ganzen
natürlichen Glanz ihrer Unterhaltung; dann verfiel sie wieder in Schlaf, ohne dass man
sie aus demselben aufrütteln konnte. Ihr Sehvermögen hatte allmälig abgenommen, so
dass sie einige Zeit vor dem Tode fast in gänzliche Dunkelheit gehüllt war. Sie starb
unter Convulsionen. — Eine Portion des rechten Seitenwandbeines von der Grösse eines
Kronthalers gerade da, wo der Schlag eingewirkt und der Kopfschmerz immer begon-
nen hatte, zeigte eine sehr dunkle Farbe. Der Knochen war von innen aus fast gänz-
lich absorbirt und durchsichtig ; die dura mater daselbst durch Absorption verschwun-
den; die Hirnportion darunter verhärtet, scirrhös und dunkellivid, und zwar durch den
ganzen mittlem Lappen des Gehirnes ; die Sehnerven an ihrem Ursprünge zusammenge-
drückt wie ein Band. Sonst weder in der Schädelhöhle noch im Thorax oder Unter-
leibe eine erhebliche Abnormität. (Hoicship bei Mäkenzie 1. c. S. 783.)
Ein eilfjähriges Mädchen, lange Zeit zu Kopfweh mit Schwäche des Sehvermögens
und einer eigenthümlichen Empfindlichkeit der Bedeckungen des Kopfes geneigt, ver-
letzte sich durch einen Fall (Herbst 1814) an der Stirn, und litt seitdem an Kopfweh
152 Netzhaut.
und häufigem Nasenbluten. Einige Monate später (Ende December) kamen zu dem ge-
steigerten Kopfweh noch Fieber, Empfindlichkeit gegen das Licht und gegen Geräusch,
Schielen und convulsivische Paroxysmen, die eine Zeit lang alle halbe Stunden zurück-
kehrten. Im März 1815 trat auffallende Besserung bezüglich der Kopfsymptome ein,
wogegen sich scrofulöse Geschwülste am Hals und Beine entwickelten. Nach etwa
einjährigem Bestände dieser Besserung (im Mai 1816) bemerkte man wieder Verschlim-
merung, namentlich Steigerung der Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch, Schielen
und allmälige Abnahme der Sehkraft bis zur völligen Blindheit (im Juli). Tod im October ;
die Geisteskräfte waren ungeschwächt geblieben. — Bei der Section fand man eine
tcalhtussgrosse Geschwulst auf dem Türkensattel sitzen, welche das Chiasma comprimirte;
sie bestand aus einer Marksubstanz von gelblicher Farbe und war von einer dünnen
und feinen Haut bedeckt. (Tuberkel?) (Beob. v. Dr. Hay, aus Abercrombie's patholog.
und praktischen Untersuchungen über die Krankheiten des Gehirns entlehnt von Mahenzie
1. c. S. 797).
Bei einem siebenjährigen Kuaben stellten sich nach einem Falle auf die Stirn
Kopfschmerzen ein, nach einigen Monaten Amblyopie und Amaurosis, dann auch Epi-
lepsie, allmälig zunehmende Schwäche der Extremitäten, endlich Lähmung derselben,
Coma und Tod ; die Geisteskräfte waren bis auf die letzten Tage ungestört. Dauer
der Krankheit fünf Vierteljahre. — Eine weisse, flache, fesie, bohnengrosse Geschwulst
unter dem Chiasma; in den Ventrikeln 12 Unzen klarer Flüssigkeit; der rechte Lappen
des kleinen Gehirnes verhärtet, der linke in eine eiterfönnige scrofulöse Masse ver-
wandelt. (Abercrombie, des malad, de l'enceph., trad. de l'anglais par Gendrin, Brux.
1837. Edit. III. p. 210.)
2. Amaurosis in Folge von Circulationsstörungen im Kopfe.
Schwächung der Sehkraft ist ein häufiges Symptom von activer, pas-
siver oder mechanischer Hyperämie in der Schädelhöhle; zur vollständi-
gen und anhaltenden Erblindung jedoch kommt es in der Regel nur dann,
wenn Hämorrhagie mit Zertrümmerung oder Compression der betreffenden
Fasern eingetreten ist, wenn erweiterte uud rigide Gefässe oder förmliche
Aneurysmen auf den Sehnerven drücken, wenn nebst der Hyperämie be-
reits Ausscheiduug von Serum zwischen den Meningen, in den Ven-
trikeln oder Entwickelung von Neoplasmen u. dergl. besteht. Bei be-
trächtlicher Hyperämie des Gehirnes sind in der Regel auch die Zeichen
von Hyperämie am Bulbus, namentlich an der Binde-, Netz- und Aderhaut
nachweisbar, und bei der acliven und mechanischen sind zugleich mehr
weniger deutlich ausgesprochene subjeelive Erscheinungen vorhanden,
welche auf Erregung der Fasern des Opticus deuten , Empfindlichkeit
gegen das Licht, Sehen von Flammen, Funken, Blitzen u. dergl, oder
förmliche Hallucinationen, Sehen von äusserlich nicht vorhandenen Gegen-
ständen. Dieser innige Zusammenhang lässt sich, wo nicht völlig, so
Cercbralaniaiirosc. 1 53
doch grösstenteils schon aus der nahen und innigen Beziehung erklären,
in welcher die Arteria Ophthalmien zu den Hirnarterien und die Vena
ophthalmica zu den Hirnblutleitern, namentlich zum Sinus cavernosus
steht. — Was die Apoplexie betrifft, so ist zu bemerken, dass Schwächung
oder Aufhebung der Sehkraft bisweilen eine Zeit lang das eminente, wenn
auch nicht gerade einzige Symptom eines kleinen Extravasates sein, und
in sofern als Vorbote der Apoplexie betrachtet werden kann, als über
kurz oder lang an mehreren Stellen oder in grösserer Menge Hämorrhagie
mit eclatanlen anderweitigen Zufällen dazu tritt. — Sorgfältiges Forschen
nach primären oder consecutiven Gefässerkrankungen und Circulations-
störungen, z. B. Druck auf die Jugular- oder absteigende Höhlvene, Krank-
heiten der Aorta, des Herzens, der Lunge u. s. vv. wird demnach in allen
Fällen von Amaurosis nothwendig sein, wo die Ursache derselben nicht
schon klar zu Tage liegt.
Eine 53jährige Stubenmagd, seit 4 Jahren nicht mehr menstruirt, litt schon vor 20
Jahren an Blutungen aus den Mastdannvenen. Vor 10 Jahren ohngefähr erkrankte sie
angeblich an einem biliösen Fieber, seit welcher Zeit heftige Kopfschmerzen, grosse Mat-
tigkeit, Herzklopfen imd Abnahme des Sehvermögens die Patientin quälten. Bei der
Untersuchung fand man : das Aussehen beider Augen matt, die obern Lider etwas herab-
hängend, schwer beweglich, die Scleralbindehaut von einigen Gefässen durchzogen, die
Sclera schmutzig, bleifarben, die braune Iris wie ausgewaschen, am rechten Auge
ganz unbeweglich, am linken auf starkes Licht schwach reagirend , die weiten Pupillen
eckig, rauchig, das Sehvermögen des rechten Auges aufgehoben, das des linken bis auf
undeutliches Wahrnehmen grösserer Gegenstände beschränkt. Zeitweiliges Funkensehen,
heftige drückende Schmerzen im Vorderkopfe, gestörte Verdauung, Stuhlverstopfung. Bei
der Untersuchung des Herzens fand man die Erscheinungen von Insufficienz der Aorta-
klappen mit Erweiterung des linken Ventrikels. Man behandelte die Kranke durch einige
Wochen mit Tonico-solventibus, bis sie ohne bekannte Ursache von einem Erysipel be-
fallen wurde,- das am linken obern Lide mit Abscessbildung endete. Nach einigen Tagen
magerte die Kranke zusehends ab, litt an anhaltenden Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit,
und war psychich sehr verstimmt. Endlich verfiel sie in Geistesabwesenheit mit zeit-
weiligen heftigen Delirien und starb. Sectionsbefund : Insufficienz der Aorlaklappen in
Folge von Verknöcherung derselben, Erweiterung des linken Ventrikels, Erweiterung der
rechten Carotis um beiläufig ein Drittel, atheromatöse Ablagerungen an ihrer innern
Fläche; die Art. ophthalm, rechterseits gleichfalls erweitert, ihre Glashaut auf ähnliche
Weise verändert, der Sehnerve dieser Seite vom Chiasma bis zum Bulbus in einen dünnen
Strang verwandelt, der Sehnerve dieser Seite anscheinend unverändert. Ausserdem im
linken vordem grossen Gehirnlappen in der Gegend des Corpus striatum ein anscheinend
einige Wochen alter apoplektischer, wallnussgrosser Herd. In der Leber eine taubenei-
grosse Angiotelektasie. Die Untersuchung der Augen wurde leider nicht gestattet. (Bfadig
Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Ärzte, 1851, 6. Heft S. 423).
154 Netzhaut.
Ein Herr von 48 Jahren, stark und plethorisch, Gastronom und fröhlicher Lebemann,
litt seit einigen Tagen an congestiver Amblyopie. Diese offenbarte sich durch die ge-
wöhnlichen Symptome, und der Kranke sah ausserdem alle Gegenstände roth. Drei Tage
hindurch stellte ihm Carron du Villards die Nothwendigkeit eines reichlichen Aderlasses
vor; er aber weigerte sich hartnäckig. Als sich einige apopleklische Erscheinungen (?)
zu denen der Amaurose gesellten, Hess er sich 8—10 Blutegel an den After setzen. Als
diese eine halbe Stunde gesogen hatten, rief er aus, er sehe nur Blut, und fiel bewussl-
los nieder. C. liess ihm sogleich zur Ader; er erhielt sein Bewusstsein wieder, allein
das Sehvermögen auf dem rechten Auge war durch ein Blutextravasat in dem Humor
aqueus getrübt (?), und kehrte nicht wieder. In der Nacht erfolgte ein zweiter Anfall;
es wurde ein zweiter Aderlass gemacht; der Mund war etwas verzerrt und die Bewe-
gung der Zunge gehemmt. Diese Symptome verschwanden nach einiger Zeit bei einer
zweckmässigen Behandlung. Das extravasirte Blut wurde resorbirt, und die andern
amaurotischen Erscheinungen sind jetzt alle verschwunden , nur sieht der Mann auf dein
rechten Auge etwas schlechter, als auf dem linken. (Carron du Villards prakt. Handb.
der Augenkrankh. übers, von Schnackenberg, 1841 S. 352.) — Diese Beobachtung, wie
viel sie auch zu wünschen übrig Iässt, scheint doch desshalb beachtenswerth, weil hier
höchst wahrscheinlich Apoplexie im Auge mit Apoplexie, wenigstens mit bedeutender
Hyperämie des Gehirnes zugleich statt gefunden hat.
Ein 67 Jahre alter Mann war vor 21 Jahren zuerst am rechten, dann am linken Auge
erblindet, allmälig, ohne Schmerzen an den Augen, jedoch unter Kopfschmerzen. Später
traten zuweilen arthritische Augenentziindungen ein, welche jedoch immer behoben wur-
den, ohne dass die Augen dadurch eine merkliche Veränderung erlitten. Als Professor
Beck (ohngefähr im 4. Jahre) die Augen sah, fand er rechterseits die Cornea und Iris
normal, die Pupille erweitert und starr, die Conjunctivalgefässe varicös, die Sclerotica
schmutzig gelb, die Linse weiss und an die Iris angedrückt, das Auge hart anzufühlen,
frei beweglich; linkerseits dieselben Veränderungen, nur die Linse grünlich, und das Auge
nicht härter. Der Zustand änderte sich, zeitweilige entzündliche Zufälle an den Augen
abgerechnet, im Verlaufe vieler Jahre nicht; auch das Allgemeinbefinden war im Ganzen
gut, bis etwa '/4 Jahr vor dem Tode, wo sich bedeutende Abnahme der Kräfte, Appetit-
losigkeit, Schwerathmigkeit, Anschwellung der Füsse und Herzklopfen bei ungestörter
Gehirnthätigkcit und ohne Fieber einstellten. Es bildeten sich Aphthen und zuweilen trat
Erbrechen einer schwärzlichen Flüssigkeit ein. Erst einige Tage vor dem Tode zeigte
sich die geistige Thätigkeit auffallend gesunken. — In der Bauchhöhle fand man: Über-
füllnng der Venen, des Darmcanals und der Pfortaderzweige der sonst nicht veräederten
Leber, den sehr ausgedehnten Magen mit einer dünnen schwarzen Flüssigkeit gefüllt, seine
Wandungen verdünnt und mürbe, ohne Ulceration oder Gangrän, die Venen an seiner
innern Fläche varicös, die Milz etwas vergrössert. In der Brusthöhle: die Lungen
normal, die Vorkammern des Herzens von geronnenem Blute stark ausgedehnt, die Sub-
stanz des Herzens welk, die Semilunarklappen der Aorta verknöchert. In der Schädel-
höhle: hochgradiger Hydrops membranaruin cerebri, die Venen mit Blut überfüllt, die
Hirnsubstanz etwas verweicht, die Art. carotis int. in ihrem Verlaufe unter den Sehnerven
und im fjanz-en Sinus cavernosus beiderseits verknöchert und in ihrem Lumen erweitert,
beide Sehnerven atrophisch, um die Hälfte dünner, welk, grau, und so weich, wie sonst
Cercbralamniirose. 155
die Geruchsnerken. — Das rechte Auge zeigte verminderte Wölbung der Cornea, keinen
Humor aqueus (?), die Iris braungelb, sonst normal, eben so die Pupille; die Chorioidea
auf beiden Flächen gelbbraun, aber pigmentlos, sehr verdickt, auf der Schnittfläche sil-
bergrau. Von der Retina konnte keine Spur aufgefunden werden, und es war höchst
wahrscheinlich, dass sie mit der Chorioidea verwachsen war. Die Hyaloidea stellte sich
in der ganzen Ausbreitung bis in die tellerförmige Grube verknöchert dar, die Hyaloidea
cellularis war verdickt, partienweise verknorpelt und verknöchert, die Zellen mit einer
weiss geronnenen Masse angefüllt. Die Linse undurchsichtig, weiss, fest, die Kapsel an
ihrer hintern Wand stellenweise ossificirt. Am linken Auge: die Hornhaut flach, die
Augenkammer klein, wenig Humor aqueus ; Iris, Chorioidea und Sclera normal. Zwischen
Sclera und Chorioidea eine ungewöhnliche Menge Flüssigkeit. Kein Scleralstaphylom.
Die Retina fester und dicker; auf ihrer äussern Oberfläche viele rothe Flecke, welche
nnter der Loupe etwas erhaben, gleichförmig, im Centrum dichter waren, und sich un-
merklich in einzelne dünne Fädchen verloren. Die Retina sonst von mehreren Blutge-
fässen durchzogen. Die Glasfeuchtigkeit im Auge grünlich, nach ihrer Entleerung voll-
kommen durchsichtig, hell und farblos. Die Linse etwas vergrössert und meergrün. Der
Sehnerve in beiden Augenhöhlen so wie in der Schädelhöhle. — Diese Beobachtung ist
leider sehr unvollständig, und in Bezug auf den Augenbefund gewiss irrig aufgefasst.
Am rechten Auge hatte man offenbar den Ausgang von Chorioiditis mit verkalktem Ex-
sudat vor sich. Dennoch ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Erkrankung im Gefäss-
system der Augenkrankheit vorausging und zu Grunde lag. (Amnion Zeitschr. V. B. S.
191.) Eine ähnliche Beobachtung findet sich bei Mahenzie I. c. S. 777 betreffend einen
57 Jahre alten blinden Taglühner, beobachtet von Spurgin. Die Section ergab ein Aneu-
rysma am circulus arter. WUlisii, welches auf den rechten Sehnerven drückte, nebstdem
einen Eiter- und einen apoplektischen Herd im grossen Gehirne, Verdickung der Scheide
des rechten Sehnerven. Auch hier bot die Retina eine röthlich-graue Farbe dar und war
von zahlreichen Gefässverästlungen der Centralvene durchzogen, dabei die hintere Kapsel
der Krystalllinse ganz, die Linse halb verdunkelt und letztere bis auf die Hälfte ihres
natürlichen Volumens geschwunden. Zu bemerken ist noch, dass kurz vor dem Tode
bei völliger Blindheit und bei völliger Unbeweglichket der Pupillen die des rechten Auges
erweitert, die des linken verengert war, wofür in dem Sectionsbefunde kein Erklärungs-
grund aufzufinden war.
Bei einem im 68. Jahre apoplektisch gestorbenen Manne hatte sich 14 Jahre vorher
Abnahme der Sehkraft gezeigt, welche sich bestimmt als Amblyopie kund gab, und sich
allmälig zu völliger Amaurose steigerte. Später wurde auch das Gehör auffallend schwä-
cher. Drei Jahre vor dem Tode wurde ein apoplektischer Anfall beobachtet, nach
welchem Lähmung der Gliedmassen, vorzüglig auf der rechten Seite, zurückblieb.
Die Sprache war lallend und unverständlich ; über Kopfschmerzen klagte er niemals.
An den Augen und Lidern war nie etwas Abnormes in Bezug auf Bau, Stellung oder
Bewegung zu bemerken: die Pupille verharrte in einem Mittelzustande zwischen Veren-
gerung und Erweiterung. Eine speeifische Dyskrasie als auf die Krankheit Einfluss
nehmend konnte nicht vorgefunden werden ; man nahm an , das die ausschweifende
Lebensweise, die der Mann geführt (in Venere et Baccho) , besonders der Missbrauch
geistiger Getränke bei dem Mangel körperlicher Thätigkeit zur Entstehung des Übels
Anlass gegeben habe. — Es wurde nur die Untersuchung des Kopfes und der Augen
156 Netzhaut.
gestattet, obgleich die Untersuchung des ganzen Körpers zu wünschen war, da die
Zeichen allgemeiner Wassersucht sich vorfanden. Die Schädelknochen ungewöhnlich
dick und ohne Diploe; Wasseranhäufung zwischen den Hirnhäuten; Verknöcherung an
der Art. vertebralis, basiliaris , fossae Sylvii und Carotis cerebralis ; keine Hirnhöhlen-
wassersucht. Der rechte Thalamus opt. war durch eine trichterförmige Höhle, welche
harte, callöse, gelblichbraune Ränder und Wände hatte, und weder Eiter noch Blut ent-
hielt, grösstenteils zerstört. Diese Höhle setzte sich, schmäler werdend, bis auf die
Corpora geniculata fort. Der linke Sehhügel war verkleinert, von der weissen Substanz
kaum noch eine Spur vorhanden. (Offenbar Folgen früherer Apoplexie.') Die Sehnerven
beiderseits geschwunden, auf der linken Seite mehr, als auf der rechten, und zwar vor
ihrem Ursprünge über das Chiasma fort bis zu den Bulbis, in der Augenhöhle am mei-
sten. In den Bulbis keine besondere Veränderung, ausser dass in der Retina des rech-
ten Auges die Macula lutea nicht wahrgenommen werden konnte. Professor Beck, der
diese Beobachtung mittheilt, bemerkt noch, der schnelle Tod möge wohl nicht allein
vom Gehirn, sondern vom Herzen oder von den Lungen ausgegangen sein. {Amnion
1. c. V. B. S. 447.)
Ich wurde vor Kurzem von einem alten, übrigens sich ganz wohl befindenden Herrn
wegen plötzlicher Erblindung des rechten Auges consultirt. Da ich keine Veränderung
im Auge und aucli sonst keine Veranlassung zur Blindheit auffinden konnte, aber stark
rigide Arterien bemerkte, so zog ich aus diesen Umständen die Vermuthung, es sei die
Blindheit wohl Folge einer kleinen Hämorrhagie im Gehirn und stützte hierauf meine
Ordination ; vierzehn Tage darauf las ich in der Zeitung, dass der Mann an Apoplexie
gestorben sei.
3. Amaurosis in Folge von Lues.
Besonderen Schwierigkeiten unterliegt die Diagnosis syphilitischer Lei-
den der Centralorgane dann, wenn die Affection als umschriebene Entzün-
dung- der Hirnmasse mit consecutiver Selerosirung und Atrophirung auftritt,
wenn die anderweitigen Manifestationen der Syphilis in den allgemeinen
Decken, in den Schleimhäuten, im Knochengerüste nie eminent auftraten,
nicht beachtet wurden, oder auch fehlten, wenn die Merkmale der pri-
mären Infection (Narben) nicht aufzufinden sind, wenn die Infectioii auf un-
gewöhnlichem Wege (nicht von den Genitalien aus) erfolgte, wenn die Lues
angeboren ist. Möge das Gesagte genügen, den Praktiker aufmerksam zu
machen, dass er bei unklaren Fällen nicht vergesse, an Syphilis zu denken.
Ein Übersehen dieser Art möchte um so mehr bedauerlich sein, als ge-
rade solche Fälle in der Regel noch Heilung gestalten, sich selbst über-
lassen dagegen wohl immer traurig enden.
Ein Mann von 43 Jahren, welcher in Folge von Lues und Mercurialkachcxie bereits
die Knochen der Nasenhöhle verloren hatte, erblindete nach heftigen Kopfschmerzen auf
beiden Augen nach und nach gänzlich. Die Untersuchung nach mehrmonatlichem Bestände
Ccrcbralaniaurose. 157
des Augenleidens zeigte: die Bulbi und die Iris frei beweglich, die Pupillen erweitert, in
der Tiefe eigentümlich getrübt, die Thränenfortleitung ungestört. Der Tod erfolgte ohn-
gefähr 4 Jahre später, in Folge von Entzündung der Schleimhaut des Darmcanalcs. Bei
Eröffnung der Schädelhöhle und der Augen fand man : die Schädelknochen sehr dick,
vorzüglich in der Gegend der Glahella; auf der innern Fläche der linken Seite eine
nicht unbedeutende Exostose; die Crista galli durch Caries gestört, vom Siebbein fast
keine Spur, auch der Türkensattel bereits von Caries angegriffen ; die harte Hirnhaut
verdickt, die Gehirnmasse härter als gewöhnlich, die Sehnerven hinter dem Chiasma
dünner, vor demselben dagegen auffallend dicker durch Volumszunahme ihrer Hülle; die
fibröse Scheide des Sehnerven in der Orbita sehr verdicht und härter ; zwischen der fibrösen
Hülle und dem eigentlichen Neurilyma starke lymphatische Ausschwitzungen , das Neu-
rilyma glänzender und härter, als gewöhnlich ; die einzelnen Nervenfäden der Nerven-
masse mehr auseinander gedrängt; die Art. centralis nächst dem Bulbus erweitert und
mit Blut überfüllt. Im Bulbus ausser Pigmentarmuth der Chorioidea und Verdünnung
der Netzhaut keine erhebliche Abnormität. (Amnion, Zeitschrift, II. B. S. 285.)
Ein 38 Jahre alter Mann, welcher sehr kachektisch aussah, über heftige Kopf-
schmerzen und allgemeine Kraftlosigkeit klagte, wandte sich an Amnion (ibid. S. 290)
wegen Trübung seiner sonst immer gut gewesenen Sehkraft. Amnion überzeugte sich,
dass der Mann syphilitisch gewesen war, und fand eine ziemlich grosse Perforation des
harten Gaumens. Dem Tode gingen die Erscheinungen von Meningitis vorher. Die Hirn-
schale an einigen Stellen ungewöhnlich dick, an andern regelwidrig dünn. Auf dem Türhen-
sallel der Knochen mürb, cariös, von Jauche durchdrungen; die Glandula pituitaria fast
ganz zerstört. Auf der Schädelbasis ungefähr 3 Unzen röthlich gefärbter Flüssigkeit;
die ganze Oberfläche der Arachnoidea mit plastischem Exsudate bedeckt, das Gehirn un-
gewöhnlich weich, die 3. Hirnhöhle und der Zugang zur Sylvischen Wasserleitung sehr
erweitert, in den erweiterten Seitenventrikeln mehrere Unzen hellgelber Flüssigkeit. Die
Sehnerven hinter dem Chiasma sehr dünn und weich, ebenso dieses selbst, vor demselben
jedoch voluminös, und zwar durch Verdickung der fibrösen Hülle, die man als Fortsetzung
der dura mater zu betrachten pflegt; zwischen der fibrösen Hülle und dem Neurilyma kein
Exsudat. In den Bulbis — mit erweiterter Pupille — nichts Abnormes.
Wilson in London wurde zu einem Kranken gerufen, über welchen er folgende
Mittheilung erhielt. Im Frühling 1803, als die Influenza sehr herrschend war, wurde
Hr. C, ein muskulöser Mann von 28 Jahren , von einem sehr heftigen tiefsitzenden
Schmerze in der Höhle des linken Auges befallen. Ein streng antiphlogistisches Ver-
fahren, von einem ausgezeichneten Arzte empfohlen, wurde eine beträchlliche Zeit ohne
Erfolg fortgesetzt. Nachher wurden Medicamente, welche in nervösen Krankheiten Er-
leichterung zu verschaffen geeignet sind, in grossen Quantitäten angewendet. Diess sowohl
als Veränderung des Wohnortes und verschiedene andere Mittel blieben fruchtlos. All-
mälig wurde linkerseits das Ohr taub, der M. levator palpebrae und der rectus internus
paralytisch, und das Auge bei stark erweiterter Pupille blind. Dazu kam Verziehung des
Mundes nach der rechten Seite, ausserordentliche Heiserkeit und bis zur Unverständlichkeit
bebinderte Aussprache. Endlich verlor er die Fähigkeit, feste Substanzen zu schlucken,
konnte selbst Flüssigkeiten nur mit grosser Schwierigkeit zu sich nehmen und musste
den Speichel, den er weder zu schlucken noch auszuwerfen vermochte, mit der Zunge
158 Netzhaut.
aus dem Munde zu fördern trachten. Dabei die hartnäckigste Stuhlverstopfung. — Als
Wilson den Kranken besuchte, fand er auch die rechten Extremitäten vollständig gelähmt.
Nebst sehr heftigem Schmerze in der linken Augenhöhle bestand auch noch beträcht-
licher Schmerz in den Halswirbeln und auf der Höhe der Schulter. Lag der Kranke im
Bette, so war er nicht im Stande, seinen Kopf vom Kissen zu erheben; er konnte fast
gar nicht schlafen, und der quälende Schmerz liess nicht einen Augenblick nach, man
sah seinem Tode stündlich entgegen. — Wilson erfuhr, dass der Patient vor ^Anfang der
Krankheit zu 2 — 3 31alen Chancres und beginnende ßubonen gehabt hatte, dass ihm da-
gegen Quecksilber verordnet worden war, bis die örtlichen Zufälle verschwanden, und
dass der behandelnde Arzt die Heilung dann für vollständig erklärt hatte. Den Sommer
vor seiner Krankheit hatte er sich beim Springen im Rücken Weh gethan. und eine kurze
Zeit darauf entstand ein Bubo in der rechten Leiste. Dieser Wurde mit besonderer
Sorgfalt behandelt, und zwar unter der Voraussetzung, dass er venerischer Art sein
könnte. Er suppurirte und heilte endlich, ohne dass Quecksilber angewendet worden
war. — Da Wilson in der Gestalt des einen Beines des Patienten etwas Eigenthüm-
liches bemerkte, so bat er um Erlaubniss, dasselbe untersuchen zu dürfen, und als der
Strumpf abgenommen war, bemerkte er nicht nur eine Narbe von beträchtlicher Aus-
breitung, sondern auch, dass die Tibia sehr aufgetrieben sei. Der Patient empfand aber
in diesem Knochen keinen Schmerz. Er schrieb mit seiner linken Hand nieder, dass er
mehrere Jahre vorher einen heftigen Schlag auf dieses Bein bekommen habe, und dass
ein grosses Knochenstück abgegangen sei ; er konnte sich indess nicht entsinnen, ob er
damals Quecksilber bekommen; er glaube nicht, dass die Knochenkrankheit damals für
venerisch gehalten worden sei. Er erinnerte sich nicht, jemals Flecken auf der Haut
oder Geschwüre im Schlünde gehabt zu haben, und sein gegenwärtiges Übel sei noch
von keinem der consultirten Arzte jemals für venerisch gehalten worden. — Als Wilson
den Nacken des Patienten untersuchte, fand er mehrere Wirbelbeine sehr aufgetrieben ;
er entdeckte auch eine grosse Geschwulst am Acromion der rechten Scapula und eine
beträchtliche Auftreibung längs der Spina dieses Knochens. Die rechte Clavicula war
wenigstens 3mal so dick als im natürlichen Zustande, und auch am Oberarmknochen
konnte man, da die Muskeln geschwunden waren, ein wenig über der Insertion des M.
deltoideus eine Anftreibung wahrnehmen. Da diese Geschwülste venerischer Natur sein
konnten, so hielt Wilson die Anwendung des Quecksilbers für gerechtfertigt. Die Ver-
wandten befürchteten , dass die ausserordentliche Schwäche und der allein Anscheine
nach baldige Tod den Versuch nutzlos machen würden , willigten endlich doch ein,
indem der Tod, wenn nicht etwas gethan und zwar schnell gethan wurde, unvermeidlich
zu sein schien. Demgemäss wurde 1 Drachme starke Mercurialsalbe mit 5 Gran Campher
jeden Abend in die Haut eingerieben. Nach 4 Tagen wurde der Mund vom Quecksilber
afficirt ; nach 10 Tagen war das Schlucken schon nicht mehr so schwierig, der Patient
hatte guten Schlaf, und nach 14 Tagen waren seine Schmerzen beinahe vergangen, die
Geschwulst der Clavicula hatte sichtlich abgenommen, und die Muskeln des Patienten
waren weit voller und fester ; der Patient konnte sich wieder durch die Sprache ver-
sländlich machen. Jetzt wurde die Salbe auch des Morgens zu 1 Drachme eingerieben,
und ihr Gebrauch durch 11 Wochen fortgesetzt. Gegen den letzteren Theil dieser Zeit,
als Patient ganz bequem schlucken konnte, nahm er täglich etwa 8 Unzen der Decoctio
SarsapariHae composita und dann und wann irgend ein China prä'parat. — Obschon während
Cerebralaniaurose. 159
dieser Cur der Mund beträchtlich afficirt war, so nahm der Patient doch taglich an
Kräften zu und war vor Beendigung der Cur fett geworden. Seine Muskeln hatten bei-
nahe ihre ursprüngliche Stärke, seine Glieder ihre frühere Bewegungsfähigkeit erhalten;
die Schmerzen waren ganz beseitigt, und die Verdickung der Knochen hatte sehr ab-
genommen. Seine Heilung war mit folgenden Ausnahmen vollkommen und halte sich
— zur Zeit der Veröffentlichung des Falles — über 2 Jahre so erhalten. Die Pupille
des I. A. blieb etwas erweitert und das Lid konnte nicht so hoch wie ehedem gehoben
werden; aber der Patient konnte Gegenstände und Farben einigermassen mit diesem
Auge erkennen, und selbst kleine Gegenstände, wenn er sich einer grünen Planbrilte
bediente und nur dieses eine Auge anwendete. Bei gleichzeitigem Gebrauch beider
Augen sah er noch doppelt. Er sprach immer mit einer sehr heisern Stimme, aber
seine Aussprache war ziemlich deutlich. (Makenzäe, Krankh. des Auges, Weimar 1832,
S. 806.)
4. Amaurosis nach Unterdrückung der Transpiration, Men-
struation, purulentcr Ausflüsse u. dergl.
Die nachstehenden Beobachtungen haben den Zweck, aufmerksam zu
machen, dass bestimmte Angaben der Kranken über unterdrückte Ausschei-
dungen, sie mögen nun von selbst oder auf besonderes Nachfragen gemacht
werden, immerhin volle Beachtung verdienen. Man wird sich allerdings
hüten müssen, dass man nicht ohne weiteres post hoc propter hoc schliesse,
denn es kann ein Hirnleiden ganz unabhängig von einem solchen Momente
entstanden, ja es kann sogar das Ausbleiben einer Ausscheidung Folge der
bereits bestehenden Encephalopathie sein ; nichts desto weniger bleibt es
Thatsache , dass in einzelnen Fällen z. B. Verkältung ebenso gut Ursache
des Hirnleidens wird, als eine traumatische Einwirkung, und es wird die
richtige Auffassung des ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem in
Rede stehenden Momente und der Krankheit, als deren Symptom Amau-
rosis besteht, offenbar von grösstem Einflüsse auf die Prognosis und The-
rapie sein. Von minderem Einflüsse, wenn gleich an und für sich wichtig»
ist die Frage , ob die Amaurosis , wenn sie in der That als Folge der
unterdrückten Ausscheidung zu betrachten ist, in einem speciellen Falle
durch primäre oder secundäre Netzhautaffection bedingt sei. Dass Me-
ningitis , Encephalitis , besonders aber Hydrocephalus in manchen Fällen
das Mittelglied ist, steht fest; dass in andern Fällen Entzündung der Netz-
und Aderhaut die Folge solcher Unterdrückungen sei, kann auch kaum
bezweifelt werden. Ob und auf welche andere Weise sonst noch Amaurosis
durch Suppression hervorgerufen werde, bleibt ferneren Beobachtungen
und Untersuchungen anheimgestellt.
160 Netzhaut.
Ein etwa 30 Jahre alter Schriftsetzer litt seit 4 Jahren an Amaurose, die sich, an-
geblich nach starkem Tanzen und Erkältung des schwitzenden Kopfes, allmälig auso-e-
bildet halte. ' Das Gesicht verlor sich in einen immer dichter werdenden Nebel; kein
Ungestaltet- kein Funkensehen; Zufalle der Reizlosigkeit, keine Entwicklung von Blut-
gefässen; träge, massig erweiterte, kreisrunde, etwas rauchige Pupille. Periodisches
heftiges Kopfweh , besonders in der linken Seite über der Stirn ; Schielen ; die linke
Augenbraue höher gezogen. Spater Anfälle von Krämpfen in den Extremitäten mit ße-
wusstlosigkeit, zuweilen unfreiwillige Ausleerung des Urins und des Stuhls, beständiges
Gefühl von Taubheit in der linken Seite. Doch ging Patient noch am Tage vor seinem
Tode aus, welcher nach einem heftigen Krampfanfalle plötzlich erfolgte. — Sehr dünner
Schädel, der Schuppentheil des linken Schläfebcines wie ein Kartenblatt. Der Kranke
halte ein Cauterium von Höllenstein nach Gräfe auf den Scheitel gelegt, und oft noch
geargwöhnt, die immer wachsenden Kopfschmerzen möchten von einer zu tiefen Ein-
wirkung des Mittels herrühren. Es fand sich aber kaum in der Kopfschwarte eine Spur
davon, im Schädel und innerhalb desselben gar nichts, was darauf hingedeutet hätte.
Die Hirnhäute waren sehr blutreich, das Gehirn quoll stark hervor. Als man durch Ho-
rizontalschnitte bis in die Nähe der Decke des linken Seitenventrikels kam, hob sich
dasselbe beträchtlich, platzte und entleerte eine grosse Menge (11 '/2 Tassen voll) bräun-
lichrothen, schmutzigen Wassers. Der linke Seitenventrikel übermässig ausgedehnt; der
ganze linke verdere Lappen erstreckte sich weit über die Mitte nach der rechten Seite,
beengte den rechten vordem Lappen, und hatte ihn zum Theil aus seiner Lage gedrängt.
Das Pavimentum, besonders nach vorn zu, der gestreifte Körper und ein Theil des Seh-
hügels auf der linken Seite waren zerstört, und in eine gelbbräunliche schmierige Masse
verwandelt. Die Marksubstanz des ganzen linken Hirnlappens war viel dünner, als im
natürlichen Zustande, und zum Theil, besonders nach unten zu, in jene gelbbraune Masse
verwandelt. An der Basis cerebri erstreckte sich diese Entartung bis zur Gland. pitui-
taria , welche sehr klein war. Das Ghiasma war bräunlich , an der Oberfläche sowohl
als im Innern fast ohne Marksubstanz, platt, zusammengeschrumpft und wie durch-
löchert; ebenso die Sehnerven sowohl hinter dem Ghiasma als bis zu den Bulbis faden-
artig, nicht zum 4. Theile so dick als im gesunden Zustande, ohne deutliche Marksub-
stanz; der linke war noch dünner und zugleich länger, indem das Ghiasma etwas nach
der rechten Seite hinüber gedrängt lag. Der rechte Seitenventrikel war ebenfalls mit
Wasser gefüllt, welche nur eine leise bräunliche Färbnng hatte, aber nicht so ausge-
dehnt. Diese Section der Augen wurde nicht gestattet. [Andrea bei Amnion 1. c*
V. B. S. 409.)
Eine ähnliche Beobachtung machte Kölscher (Annalen, 2. Band) bei einem 2?jährigen
starken und sonst ganz gesunden Mädchen. Sie hatte in Folge einer starken Erkältung
unter heftigen Kopfschmerzen ihr Gesicht verloren, schien aber ausserdem eine untadel-
hafte Gesundheit zu gemessen. Die Pupillen stark erweitert, und bei starkem Licht-
reize sich langsam contrahirend, der Blick stier, sonst nichts Abnormes. Setaceum am
Nacken, dann die Scluniercur; am 7. Tage, als erst 3 Drachmen ung. cincreum einge-
rieben waren, starb die Kranke plötzlich. Gehirnhäute, Mark- und Uindcnsubstanz des
Gehirnes normal; in beiden Seitenventrikeln 12 — 14 Unzen klares Serum. Weder die
Thalami noch die Optici selbst zeigten eine pathologische Veränderung.
Cerebraläftiaürosisi 1 63
Mttkenzie I. c. S. 787 beruft sich auf zwei Beobachtungen von Arrachart, welche
W'ohl kaum anders gedeutet werden können, als dass die Erblindung durch ein Hirn-
leiden in Folge unterdrückter Transpiration gewesen sei, wenn gleich keine Seclion
zum Beweise des ersten Theiles dieser Behauptung vorliegt. Eine junge Frau hatte
wahrend der höchsten Sommerhitze eine Last Wasche nach dem Flusse getragen, und
von Schweiss triefend ihre Hände in'e Wasser getaucht. Es üherfiel sie halle, ihre Haut
wurde augenblicklich trocken, und binnen einer Viertelstunde war sie blind. Der zweite
Fall betrifft einen sehr corpulenten jungen Mann, der eine Zeit lang in einem stark ge-
heizten Zimmer sich aufgehalten, und dasselbe dann mit Schweiss bedeckt verlassen
hatte. Die kalte Luft unterdrückte plötzlich den Schweiss. Er legte sich mit heftigen
Kopfschmerzen zu Bette und erwachte den andern Morgen blind. In beiden Fällen
blieben die Pupillen schwarz, erweitert und unbeweglich, die Augen stier, die Haut
trocken.
In einem von tlotcship erzählten Falle war beinahe völlige Blindheit bei einem al-
ten Manne, welcher stark an Fussschwcissen litt und auf den Bath eines Nachbars die
Blätter von Bumex auf die Fusssohlen gelegt halte, noch während der Anwendung die-
ses Mittels, und zwar binnen einer Stunde eingetreten. Dieser raschen Abnahme der
Sehkraft war grosse Übligkeit und heftiger Schmerz über der Stirn vorangegangen, wel-
che sich schon eine halbe Stunde nach dem Gebrauche des Bumex eingestellt hattent
Der Mann wurde wieder gesund, nachdem man Blasenpflaster hinter die Ohren und an
die Seitentheile der Füsse gelegt, kleine Gaben Calomel in Zwischenräumen verabreich,
und die Füsse früh und Abends in warmes Wasser gesetzt und darauf sehr warm in
Flanell gewickelt hatte. Kopfschmerz und Amblyopie nahmen schon 24 Stunden nach
Legung der Vesicalore merklich ab, und wichen endlich vollständig, als die Mercurialcur
den Mund im hohen Grade zu afliciren begonnen hatte.
Ein Frauenzimmer von etwa 40 Jahren bekam während einer Fussreise bei sehr
warmer Witterung die Katamenien und trank, während sie sehr erhitzt war, reichlich
kalte saure Milch. Fast augenblicklich darauf entstand Beklemmung in der Präcordinl-
gegend, Kopfweh und gänzliches Ausbleiben des Blutflusses, einige Stunden später Stei-
gerung des Kopfschmerzes, Zeichen von Hemiplegie und Amaurosis des linken Auges.
Durch reichlichen örtlichen und allgemeinen Aderlass, durch Blasenpflaster und Purgan-
zen wurde beträchtliche Erleichterung erlangt, aber die Affection des Auges blieb die-
selbe. Die Menstruation blieb aus, als sie sich der Zeit nach halle einstellen sollen. Dr.
Brown, der Beobachter dieses Falles, richtete nun seine Behandlung auf Wiederherstel-
lung des Monatflusses ; nach 6 Monaten kam derselbe wieder zum Vorschein, und bald
darauf war das Sehvermögen vollkommen wieder hergestellt.
Eine Dame von 30 Jahren war während der Menstruation Strapatzen Und der Kälte
ausgesetzt , so dass dieselbe zu zeitig aufhörte. Nachher fand sie sich einige Tage
ausserordentlich matt, schwerfällig und niedergeschlagen. Der Puls war natürlich ; sie
klagte über schwaches Kopfweh ; ihr Aussehen Hess mehr eine Seelenstörung als ein
körperliches Leiden befürchten. Dr. Abercrombie sah die Frau den 15. Tag; sie war in
ihrem Benehmen wunderlich, schroff und geistesabwesend, aber immer noch dafür em-
pfänglich, wenn sie angeredet wurde; sie klagte über schwaches Kopfweh; der Puls
^Arlt's Augenheilkunde III, 2. 11
162 Netzhaut.
war etwas häufig. Den 16. war sie sehr herabgestimmt, den 17. und 18. in einem Zu-
stande von fast vollständigem Coma. Nachdem sie den 19. reichlich mit Crotonöl pur-
girt worden war, war sie für Alles empfänglich, und es blieb kein beunruhigendes
Symptom zurück, als dass sie zuweilen die Gegenstande verdreht und doppelt sah ; ein
andermal war ihr Sehvermögen ganz natürlich ; der Puls häufig, die Zunge belegt. Nach
emigen Tagen klagte sie wieder über Kopfweh, sprach bisweilen unzusammenhängend,
und sah undeutlicher bei erweiterter Pupille; endlich wurde der Puls immer frequenter,
die Kräfte nahmen ab, und sie starb ohne Coma. Man fand die Ventrikel durch Fl üs-
sigkeit ausgedehnt, Septum und Fornix erweicht, sonst keine krankhafte Veränderung.
(Makenzie I. c. S. 785 und 786.)
Beer (Lehre der Augenkrankheiten, Wien 1792, II. B. S. 57) erzählt, dass ein 18jäh-
riges Mädchen, welche eines Morgens im Winter während ihrer Periode mit blossen
Füssen in die Küche geeilt war, die einen marmornen Fussboden hatte, in 10 Minuten
so blind wurde, dass sie nicht die mindeste Empfindung von der hellbrennenden Flamme
auf dem Herde halle, jedoch durch Wiederherstellung der Menstruation wieder vollkom-
men geheilt wurde.
Oslander (Nachrichten von Wien , Tübingen 1817 S. 76) erzählt folgende Be-
obachtung von Beer. Ein Fuhrmann von 45 Jahren machte bei nasser und kalter Wit-
terung eine Heise. Der Ausfluss aus Fussgeschwüren, die seit vielen Jahren offen ge-
wesen waren, wurde unterdrückt, und der Mann in Folge dessen blind. Nach 14 Tagen
wurde er in's Spital gebracht. Er sah nicht einmal ein helles Fenster; die Pupille war
länglich und ausserordentlich erweitert. Beer stellte eine günstige Prognose, besonders
da der Patient inwendig im Auge Lichtempfindungen halte (?) und zwar ohne Varico-
sität und ohne Veränderung in den Feuchtigkeiten. Er hatte mehr als 20 solcher Amau-
rotischer dadurch geheilt, dass er den purulenten Ausfluss wieder herstellte, und ver-
ordnete deingeiuäss Senfpflaster von der Grösse einer Hand auf die Geschwüre an bei-
den Unterschenkeln, Fussbäder mit Senf geschärft, und innerlich Pulver aus : sulfur.
aurati antim. gr. unum, Camphorae gr. duo, Flor, sulfuris gr. sex, Sacchari gr. decem,
täglich 3 Stück. Die Senfpflaster wurden täglich erneuert, und den 10. Tag begann das
Sehvermögen zurückzuckehren. Nach 30 Tagen war das Sehvermögen fast vollständig
wieder hergestellt. (Makenzie I. c. S. 786.)
5. Amaurosis in Folge von GesehwüBsten in der Scbädei-
liölile, Tuberkeln, Sarkomen, Fibroiden, Cyste».
Verschiedene Geschwülste und Neubildungen in der Scha'delhohle,
bald aus dyskrasischen Leiden hervorgehend (Tuberkel, Medullarsarkorn,
Lues), bald spontan, bald nach den verschiedensten äussern Veranlassun-
gen (Trauma, Verkältung), bald endlich so zu sagen proprio motu sich
entwickelnd, wirken störend auf die Fortleitung und Peffeeption des Re-
tinaleindruckes entweder dadurch, dass sie einen permanenten Druck aus-
üben, oder dadurch, dass sie zu activer oder mechanischer Hyperämie mit
Ue - oder Intermissionen, oder aber zu Exsudationen an der Basis des Ge-
Cerebralaniaiii-ose. 163
hirnes , am Chiasma , in den Ventikcln u. s. w. die nächste Veranlassung
abgeben. Schon dieser allgemeine Gesichtspunkt, von welchem man bei
den Geschwülsten in der Schädelhöhle als Ursache von Amaurosis aus-
zugehen hat, mag genügen, die Schwierigkeiten anzudeuten, mit welchen
hier die Diagnostik im Allgemeinen zu kämpfen hat.
H. Anna, 26 Jahre alt, von zarter Constitution, litt in ihren Kinderjahren an einem
Ausflüsse aus dem rechten Ohre, welcher allmälig verschwand, in den letzten 3 Jahren
jedoch wieder auftrat und noch fortbesteht, Von 3 verschiedenen Wechselfieberanfällen
im 16., 17. und 18. Jahre blieben keine Folgen zurück. Die Periode stellte sich vom
15. Jahre bis zur ersten Schwangerschaft im 25. Jahre immer regelmässig ein. Die
Entbindung war leicht, die Lochien flössen durch 3 Wochen gehörig, die Milchsecretion
war spärlich. Am 3. Tage nach der Entbindung verliess sie das Bett, um wieder zu
arbeiten. Koch denselben Tag stellte sich heftiges Erbrechen ein, ohne Schmerzen im
Unterleibe, und kehrte durch 14 Tage mehrmals wieder. Dazu gesellten sich reissend-
stechende, remittirende Schmerzen, bald in der Stirn, bald im Scheitel, bald in der
Schläfe, sich bisweilen his zum Unterkiefer erstreckend; ähnliche Schmerzen zeigten
sich auch in den obern Extremitäten. Als endlich das Erbrechen aufhorte, bemerkte die
Kranke Abnahme des Gesichtes auf dem rechten , und nach fünf Wochen auch
auf dem linken Auge; drei Wochen später erblindete sie auf beiden Augen gänzlich,
ohne Störung der Beweglichkeit der Augen oder der Lider. In der li. Woche nach
der Entbindung wurde auf der Klinik von Prof. Fischer folgender Zustand aufgenommen :
Gänzlicher Verlust des Sehvermögens, die Pupillen gleichmässig und stark erweitert, die
Iris völlig unbeweglich, der Blick eigenthümiieh stupid, sonst an den Augen nichts Ab-
normes; Forldauer der Schmerzen mit nächtlicher Verschlimmerung, serös-puriformer
Aiisfluss aus dem rechten Ohre. Im übrigen Körper keine merklichen Gesundheitsstö-
rungen, doch wurde die physicalische Untersuchung der Brustorgane damals (1837)
nicht vorgenommen. — Man glaubte Verkältung als Ursache des Leidens annehmen zu
dürfen, und leitete eine dieser Voraussetzung entsprechende Behandlung ein. (Anfangs
Tart. stibiatus, dann Vesicantien, Dzondische Schwitzbäder, u. dgl.) Der Zustand änderte
sich nicht wesentlich, bis zu Ende der 4. Woche der Behandlung in einer Nacht nach
enormer Steigerung der Kopfschmerzen ßewusstlosigkeit , Convulsionen , beständiges
Schreien, dann aber ein Zustand allgemeiner Lähmung eintrat, und nach mehrmaliger
Wiederholung solcher Anfälle der Tod in der 8. Woche erfolgte. — Die Schädelknochen
dünn; im hintern Theil der dura mater über der linken Hemisphäre an einer handteller-
grossen Stelle, und in einer kleinern Strecke auch an der rechten Hemisphäre zahl-
reiche, kleine, ziemlich feste Erhabenheiten, denen kleine Grübchen an der Glastafel
entsprachen. Die linke Hemisphäre sah schon von aussen grösser aus, als die rechte,
die dura mater daselbst straff gespannt, ihre Gefässe von Blut strotzend. In den Seiten-
ventrikeln eine massige Menge trüben Serums, Septum und Fornix erweicht. Im hintern
Kappen der linken Hemisphäre eine mehr als hühnereiijrosse Geschwulst (Tuberkel), ein-
gesenkt in die Hirnsubstanz, an der Oberfläche nueben, innen fest, gelblich, homogen,
ohne Spur von Gelassen, mit dem Messer in Form schmieriger Körner abkratzbar. Beim
Einschneiden der kleinen an der Oberfläche befindlichen Höcker fand man ihre Substanz
fr*
1G4 Netzhaut.
in der Mitte erweicht und in eine grünliche dicke Flüssigkeit verwandelt. In der Hülfe
dieser Geschwult befand sieh eine fast thalergrosse Stelle, wo die etwas verdickten
Hirnhäute bloss und deutlich unterscheidbar da lagen. Die angrenzende Hirnsubstanz
war im Zustande der weissen Erweichung. Diese Ablagerung hatte bereits die äussere
Grenze des linken Sehhügels erreicht. In der Umgebung des Trichters und des Chiasma
fand sich plastisches Exsudat in solcher Menge, dass die Hypophyse stark niedergedrückt
und athrophisch erschien; eine geringe Exsudatmenge befand sich in der Syl vischen
Grube und nach hinten an den Schenkeln des grossen Gehirns und am Föns Varoli. —
In beiden Lungenspitzen mehrere haselnussgrosse Cavernen , in der übrigen Lun°;e
gruppenweise zerstreute Irische Tuberkelinfiltrate. Auch in der Leber und im untern
Theile des Ileuin Tuberkel, theils erweicht, theils roh. Geringe Abmagerung des
Körpers.
Ein Knabe von 7 Jahren, von einem phthisischen Vater gezeugt und deutliche Merk-
male der Scrufolosis darbietend, litt nach einem Falle auf den Kopf seit längerer Zeit
an Schmerz im Kacken und an zeitweiliger Steifheit der Extremitäten ; dazu gesellten
sich allmälig langsame Sprache, Schielen, Gesichtsschwäche und Lähmung der linken
Körperhälfte, dann leichter Husten, später Diarrhöe, reichliche Schweisse und Abmage-
rung. Am 10. Juni 1839 fanden wir nebst dein Erwähnten die Pupille des nach innen
abgelenkten rechten Auges sehr erweitert und unbeweglich, das Gesicht völlig erloschen;
mit dem linken Auge wurden noch grössere Gegenstände wahrgenommen ; das Gehör
ungestört; der rechte Mundwinkel nach abwärts gezogen, die Zunge beim Vorstrecken
links abweichend, häufiges Ächzen, Stirnkopfsclunerzen, der Kopf nach links gezogen;
die linken Extremitäten gelähmt, in der rechten Contracturen ; Lungentuberkel durch
Percussion und Ausculation nachweisbar ; leichter Husten, häufige Diarrhöe. Bis zum
Tode am 10. August keine wesentlichen neuen Erscheinungen. Die pia mater stark serös
inhltrirt, die Wandungen der mit Serum reichlich angefüllten Ventrikel fast breiartig er-
weicht. Im vordem Lappen der linken Hemisphäre nahe an der Sichel ein haselnuss-
grosser, in der Mitte erweichter Tuberkel; im hinlern Lappen drei solche Tuberkel; im
rechten Lappen des kleinen Gehirnes ein hühnereigrosser, im Schenkel des Gehirnes zur
Varolsbrücke ein wallnussgrosser Tuberkel. Die Lungen von unzähligen theils aggregir-
ten, theils solitären frischen Tuberkeln durchsetzt; in Leber, Milz und Nieren gleichfalls
Tuberkel u. s. w. Die Sehnerven in der Schädelhöhle ohne merkliche Veränderung;
die Augen durften nicht untersucht werden.
„Juvencula 20 annorum gutta serena laboraverat a line anni 1759. post vomitum
spontaneum 14 dieruni postque trimestrem defectuni catameniorum. Datis purgantibus vo-
mitus ecssaverat, redierant menses visusque. Toto anno optime valuit. Sub linein anni
1760. menses deüciunt, vomitus redit, perit visus. Eo in statu in nosocomiuin iuferlur.
Video amaurosin, quae cum iminobili utraquae pupilla inter diein noctemque, inio posthac
de die album inter nigrumque distingueret. Cum anno elapso purgantibus sanitatem et
visionem recuperasset, eadem ipsi, sed jam incassuni, praescripsi. Cuinquc demum pur-
gantibus opio interposito vomitum superassem, menses et visus deficere pergehant.
Amaurosis jain bis vomitum dititurnum atque violentum, vomilus jam bis retardatos in-
sequebatur menses ; unde in mensium defectuin, si uon omnis, saltem aliqua causa vomitus
viderelur refundenda. Quare postquam appetitus bonos rediisset, methodica ad menses
CerchralamauroMC 1 R5
revocändos cura, eapuenorijuvante, quaevis empyrica prudenter adhibita fnit. Cum demum
niliil juväret, nisi quod semel iterumque levc quöddam inilium mensium vid-ecetur con-
snici, tandcm post nloeticum purgans balneaque vaporis machinae tortilis ad arterias
durales admotae auxilium ad trcs usque varias vices adhibui circa id tempus, quo men-
ses redire debuissent. Sed frustra. Diu demum post menses rediere, sed irregulariter
semper, vomilus nonnisi raro rediit, passirn adhuc bonus appetitns, bona digestio, ^gestio
commoda, virium torositatisquc incrementum. Ast vero omnin hacc cum perseverante
amaurosi et eonlinuo repetcntibus capitis atque oculorum doloribus. Videbatur c\ hisce
concludi oporlcre, quod visus olim rediisset ad catameniorum rcstilutionem, quia necdum
quid nolabiliter aut laesi aut impacti obtructique in cncephalo erat, jain vero ex vomi-
luum tum repetitioue, tum diuturnitate Vitium topicum in cranio foret, proptcr quod gutta
sereua ad restitutos menses percnnasset: quodque proinde occnsio opportuna ad esset
ejus curam cauterio acluali tcutandi, id quod lutum, quod securum quod nunquam ooxium,
saepc vero efficacissimum hucusque credideramus. Die 4. er<jo Junii haue opcrationem
fecimus. Prima nocte vix dormivil et dolorem in utroque cervicis latere conquesta est;
altera die melius, tertia bene se habuit excepta febricula, quarta pejus. Sanguinem misi-
iiius. Jamque vox deficere incepit et caput liebes fieri. Medio die 5. periit. Praeter
seqnelas ustionis reperta est peculiaris infundibuli mutatio. Infundibülum maximum fuit,
8 — 9 linearum diametrum Habens ; rephtum fnit materia g'risea, quae partim pullacca,
partim calcaria fnit; concretum erat cum pia matre optieos insolvente; insidebat preme-
bafque ipsum opficorum coalitum, non quidem ita, ut n. optici post coalitum marcescerent,
sed saltem sie, ut videretur illorum actio interturbata fuisse, puellaque caeca fuisse man-
sura, etiamsi male band successiset operatio. Pulmones ubiqne, ne minima quidem plaga
excepta, indissolubiliter cum omnibus in thorace partibus mutuisque inter se lobis con-
nati erant." (De Haen, ratio medendi. Edit. II. Vindob. 1763. P. VI. pag. 264.)
Im Juni 1829 kam eine 35 Jahre alte Bauersfrau von robuster Constitution wegen
einer schnell entstandenen Amaurose des rechten Auges, begleitet von starken Kopf-
schmerzen auf der rechten Seite, zu Dr. Wedeland. Ihre Periode, seit mehreren Jahren
allinälig immer spärlicher, war seit einigen Wochen ausgeblieben. Nach Aderlässen,
Blutegeln und Vesicatoren daselbst und Verabreichung drastischer Purgirmittel schien sie
fast völlig hergestellt zu sein. Im October kam sie ins Hospital zurück, mit massig ge-
schwächtem Sehvermögen, aber heftigen Kopfschmerzen. Blutegel um das rechte Auge,
nach und nach spanische Fliegen, Einreibungen von Belladonnasalbe, ein Haarseil am
Nacken, Eisumschläge auf den Kopf, innerlich Eisen- und Aloepräparate, zuletzt Mer-
curialeinreibungen bis zur Salivation — dessen ungeachtet Abnahme der Sehkraft, Stei-
gerung der Kopfschmerzen, nach einigen Monaten totale Erblindung, erst auf dem linken
dann auf dem rechten Auge. Als sie im Juni 1830 zum 3. Male in's Spital kam, klagte
sie nebst wüthenden Kopfschmerzen noch über heftige Schlingbeschwerden, die sie einer
vermeintlichen Geschwulst am Halse zuschrieb; überdiess waren die Augen und Augen-
lider völlig gelähmt. In Kurzem trat der Tod ein. — Unter der dura mater am hinter-
sten Theile des Seitenvvandbeines und dem vordersten des Hinterhauptbeines längs des
Sichelblutleiters viele weisse Drüsen, welche mit der Gehirnsubstanz unzertrennlich fest
zusammenhingen; auf der linken Seite in der Mitte einer ähnlichen Adhärenz sass ein
Knochensplitter von '/2 Zoll Länge, welcher das Gehirn mit seinen entblössten Enden
Ifiß Netzhaut.
berührte. In eleu Ventrikeln die gewöhnliche Menge Feuchtigkeit. Der rechte Sehnervc
ziemlich rund, der linke dagegen ganz flach, klein, leer, die thalam. nerv, oplic. dünn
und klein. Die Glandula piluitaria bis zur Grösse eines Eies angeschwollen ; bei ihrer
Durchschneidung wurden grössere und kleinere Knochens tu cke, welche durch ihre ganze
Texlur hindurch incrustirt waren, und sehr viel Eiter mit Blutwasser gemischt, in und unter
derselben gefunden. Die Seih» turcica war an ihrer Basis vom Knochenbrand ergriffen.
Der Eiter, welcher den linken Augennerven umgab , hatte seinen Ursprung von dein
letztgenannten Eiterherde. — Ausserdem fand man die rechte Lunge überall durch
eine Pseudomembran mit der pleura costalis vereinigt. (Neaermann bei Amnion 1. c. 5.B.
S. 36«.)
Andral (Krankh. der Nervenh., übersetzt von Behrend p. 274) bemerkt, dass unter
zwanzig von ihni beobachteten Füllen von Tuberkeln im kleinen Gehirne das Gesicht
siebenmal geschwächt oder aufgehoben, der Sitz der Tuberkel jedoch ein sehr ver-
schiedener war. — Bei einem Manne von neunundzwanzig Jahren trat zuerst heftiger
Kopfschmerz auf, dann allmälige Beeinträchtigung des Gesichtes und der Bewegung in
den linken Extremitäten, ein Jahr spater Anäthesie in der linken Gesichtshälfte, welche
jedoch nur durch zwei Monate anhielt, im dritten Jahre fast vollständige Amaurosis mit
ziemlich engen Pupillen, Schmerz im Hinterhaupte, Lähmung der linken Kürperhälfte,
häufiger Husten und anhaltende Dyspnoe, Blässe der Haut, Abmagerung, zeitweilig
Diarrhöe, zuletzt plötzlich Peritonitis mit tödtlichem Ausgange. — Im grossen Gehirne
nichts Krankhaftes; im rechten Lappen des kleinen Gehirnes eine harte, weissgelbliche,
nirgends erweichte Masse, welche alle Charaktere eines Tuberkels darbot. In den
Lungen Miliartuberkeln; im Ileuni Tuberkelgeschwüre und Perforation. {Andral. Clin,
niedic. T. V. p. 506.)
Ein Mächden von 1 ;!/4 Jahren, welche an crusta lartea gelitten und davon in
kurzer Zeit durch Waschungen befreit worden war, fin<j bald darauf an mit dem rech-
ten Auge nach aussen zu schielen; einige Tage später trat vollkommene Lähmung des
obern Lides dazu, so dass man wohl auf Lähmung des Nervus oculomotorius zu schliessen
berechtigt war. Auf die Anwendung wurmtreibender Mittel waren vier Spulwürmer
abgegangen, die Ptosis jedoch nicht gehoben. Professor von Amman, dem die Kranke
jetzt vorgestellt wurde, fand ausser der Ptosis und der Ablenkung des Bulbus nach
aussen nichts Krankhaftes am Auge. (Erweiterung der Pupille dürfte wohl übersehen
worden sein.) Das Kind, welches früher laufen konnte, war jetzt nicht mehr dazu zu
bringen, war verdriesslich, wollte immer getragen sein, und liess dabei den Kopf auf
die Seite hängen. Sie schlief mit an den Leib angezogenen Beinen, bohrte sich mit
dein Kopfe in die Kissen, und erschrack oft im Schlafe; dabei das Aussehen inunter, die
Wangen geröthet, der Appetit gering, die Verdauung in Ordnung. Man schloss auf
Hydrocephalns chronicus mit Druck auf den N. oculomotorius, und verabreichte unter
andern Calomel, Magnesia, aethiops antimonialis, rheuni, lihrillae artemisiae, Zug-
pflästerchen hinter die Ohren. Nach 3 — i Wochen hatten sich die Zeichen des Turgors
zum Kopfe gemindert, das Kind fing an zu laufen und zu spielen, und abermals vier
Wochen später ülFnele sie auch das Auge beinahe vollkommen, ohne indess den geraden
Blick wieder erlangt zu haben. Verlässliche Sehpioben waren bei dem Kinde unmöglich.
Als man sich der Hoffnung völliger Genesung hingab, traten auf einmal heftige Convul-
*
Olchi'alamaurosc. 167
sinnen »'in, und das Kind erlag in wenigen Stunden. — Die Gefässe der Hirnhäute und
de* Uirnsubstanz von Bltit strotzend, die Seitenventrikel mit Wasser gefüllt, der plexus
chorioideus erweicht,, auch an der Basis cerebri viel wässrige Flüssigkeit. Daselbst
ein wallnussgrosser Tuberkel, hinter dem Chiasma zwischen den beiden Sehnerven,
mehr auf der rechten Seite; diese Geschwulst halle den rechten Sehnerven, welcher
dicker war, als der linke, ganz auf die Seite gedrängt. Weder bei der Seclion des
Auges noch des übrigen Körpers fand sich etwas Krankhaftes. „Der der Geschwulst
nach zu urtheilen gewiss sehr bedeutende Druck, welchen der rechle Sehnerve erlitt,
fand hinler dem Chiasma statt; dass aber die kleine Patientin mit dem linken Auge
sehr gut sehen konnte, unterlag keinem Zweifel. Ob neben der Muskellähmung am
rechten Auge auch Amaurosis bestand, konnte nicht bestimmt ermittelt werden, war
jedoch schon nach einigen Andeutungen der Pflegerin des Kindes sehr wahrscheinlich."
{Zeis bei Amnion I. c. IV. B. S. 169.)
Ein Mädchen von 24 Jahren, von gesundem Aussehen, seit dem 17. Jahre immer
regelmässig menstruirend, war ohne bekannte Veranlassung in ihrem 19. Jahre von
Kopfschmerzen befallen worden, welche sie von Zeit zu Zeit zwangen, durch einige
Tage liegen zu bleiben. Zu Anfang ihres 23. Jahres stellte sich bei gesteigerten Kopf-
schmerzen Abnahme, endlich völliger Verlust der Sehkraft ein. Seitdem verloren sich
die Kopfschmerzen. An den Augen Hess sich ausser starker Erweiterung der unbeweg-
lichen Pupillen nichts Abnormes wahrnehmen. Einige Monate vor dem Tode traten von
Zeit zu Zeit epileptische Anfälle ein, welche Anästhesie der linken Gesichtshälfte bei
ungestörter Motilität, dagegen Schwäche der rechten Oberextremität bei ungestörter
Sensibilität daselbst, endlich Unvermögen, den Harn und bisweilen den Stuhl zurück-
zuhalten, hinterliessen. Ausser Schwäche des Gedächtnisses waren die geistigen Func-
tionen ungestört. In den übrigen Organen und Functionen keine Abnormität zu eruiren,
der Puls jedoch immer klein, schwach, beschleunigt. Der Tod erfolgte plötzlich nach
einem Anfalle mit Lähmung sämmtlicher Extremitäten, Turgor des Gesichtes', weit ge-
öffneten Augen, Schaum vor dem Munde, äusserst schwachem , frequentem und unregel-
mässigein Pulse u. s. w. — Der Körper nicht abgemagert, die Haut weder rauh noch
schuppig, die Jugularvenen slrotzenil, die Lippen blau, der linke Mundwinkel nach
unten gezogen. Die Schädelhöhle geräumig, die Knochen dünn, besonders linkerseits;
zahlreiche Pacchionische Drüsen. Mitten in der linken Hemisphäre eine ganseigrosse
Geschwulst, beim Einschneiden resistent und fast knirschend, in der Mitte weissgrau,
knorpelartig hart, an der Peripherie weich, theils gelblich, theils weissgrau, von Ge-
lassenen durchzogen , an der Oberfläche mit einer dünnen gefässreichen Membran um-
hüllt {Medullär -Sarkom). Die angrenzende Hirnmasse im Zustande der gelben und
weissen Erweichung. Die linke Heinisphäre erschien durch diese Geschwulst vergros-
sert, die Meningen darüber straff ausgespannt, die Hirnmündung verstrichen, die Sichel
rechts gedrängt. Die Wandungen der Seitenventrikel zäh, von klarem Serum stark
ausgedehnt, rechts weit mehr als links. Der linke Thalamus ganz nach vorn gedrängt
und das Corpus geniculatum stark eingedrückt. Im Tractus opticus ausser leichter Atrophie
keine Veränderung. In den Eingeweiden der Brust- und Bauchhöhle keine bemerkens-
werthe Abnormität.
Dupetu (Revue med. Juni 1835) beobachtete einen Fall, in welchem Erblindung
zuerst eintrat, dann Verlust des Geruches und unvollständige Lähmung der empfinden-
168 Netzhaut.
den und bewegenden Thätigkeit in den obern Extremitäten. Äusseriich auf der rechten
Seite, dem Seitenwandbein entsprechend, war eine Geschwulst wahrzunehmen. Die
intellectuellen Functionen niedergedrückt, nicht aufgehoben. Apoplektischer Tod. Das
rechte Seitenwandbein emporgehoben, von innen verdünnt und theilweise zerstört. An
der innern Fläche der dura ma'er daselbst eine scirrhöse Geschwulst , welche theils nach
aussen, theils nach innen auf das Gehirn gedrückt hatte. Sie hing fest an der Innen-'
flache der dura mater, und war unten von der Arachnoidea und pia mater bedeckt,
(Amman 1, c. V. B. S. 198.)
D. Spinalamaurose.
Amblyopie und Amaurose, abhängig von Tabes dorsualis, bietet so
eigenthümliche Erscheinungen am Auge dar, dass man in Fällen, wo das
Augenleiden zeitig auftritt, schon durch dasselbe allein zur Vermuthung,
wo nicht zur Gewissheit des Grundleidens geführt wird. Immer sind beide
Augen zugleich und in völlig oder beinahe gleichem Grade ergriffen ;
immer entwickelt sich die Abnahme der Sehkraft allmälig, und steigert
sich nach Verlauf von vielen Monaten oder Jahren stetig und unaufhaltsam
zur completen Amaurosis, Die weit geöffneten Augen bieten schon früh-
zeitig das Eigenthümliche des amaurotischen Blickes, des nicht gehörigen
Fixirens der Objecte dar, und immer betrifft die Abnahme der Sehkraft
die ganze Netzhaut, wird das Sehfeld in seiner ganzen Ausdehnung gleich-
massig dunkler. Je weniger der Kranke sieht, desto enger sind die Pu-
pillen; ich sah sie in einigen Fällen von nur etwa 1/2//' Durchmesser.
Immer ist die vordere Kammer auffallend klein , die Linse und die Iris
sind nahe an die Cornea gerückt, letztere demnach stark nach vorn ge-
wölbt. Mydriatica, selbst in starker Dosis, sind nicht im Stande, die Pu-
pille zu dem gewöhnlichen Grade zu erweitern. Alle Erscheinungen von
Reizung, Congestion oder Entzündung am Auge fehlen; die Anwendung
der Loupe und des Augenspiegels sichert vor Verwechslung mit chroni-
scher Regenbogen- oder Netzhautentzündung. Sorgfältige Untersuchung
und Beobachtung des Verhaltens der Unterextremitäten beim Stehen, Gehen
u. s. \v., der Function der Harnblase, des Darmcanals u, s. w, geben bald
Aufschluss^ von wo das Augenleiden eigentlich ausgeht.
Nach Romberg,*) dem wir eine ausgezeichnet treue Schilderung der
Tabes dorsualis verdanken, fand sich in den Fällen, wo Amaurose vor-«
) Lehrbuch .ler .Ncrvmikratililieitcu des Mcnsuli« i, Berlin 13115, I. S. 799.
Spina!- Sympathische Amaurose. 169
banden war, fast immer Atrophie des Sehnerven, des Chiasma und der
Sehstreifen; auch die Thalami, einer oder beide, waren entweder ge-
schwunden oder zeigten Veränderungen ihres Gefüges oder ihrer Farbe.
,,Bei einem Arzte, welcher nach heftigen Gemütlisaffecten und starken Er-
kältungen auf seinen Berufsreisen im 40. Jahre von Paresis der untern
Extremitäten und von Amblyopie befallen, und unter zunehmenden Er-
scheinungen von Tabes dorsualis endlich ganz amaurotisch geworden war,
fand Froriep in Gegenwart Rombergs das Rückenmark auf "/3 vom Volumen
eines damit verglichenen Rückenmarkes von einem gleich alten Manne (52
Jahre) geschwunden. Die Atrophie war auf den untern Theil der hintern
Stränge und Nervenwurzeln beschränkt. Die Marksubstanz der ersteren
war fast ganz geschwunden, so dass sie wie durchsichtig von graugelber
Farbe erschienen; die hintern Wurzeln waren des Nervenmarkes verlustig
und hatten ein wässriges Aussehen." Speciell sind von diesem Falle die
Veränderungen des Sehorganes nicht angegeben.
Ätiologie, Prognosis und Therapie dieses Augenleidens sind leider
die des Rückenmarkleidens. Der Augenspiegelbefund ist zur Zeit noch
unbekannt. Meine Beobachtungen dieses Leidens fallen in die früheren
Jahre.
E. Sympathische Amaurosen.
Es liegen verlässliche Beobachtungen von Amblyopie und Amaurose
vor, wo man nicht im Stande war, anato?nische Veränderungen in der
Netzhaut, im Sehnerven, in den Centralorganen nachzuweisen, und wo
man eine solche Veränderung auch während des Lebens schon aus dem
Grunde nicht supponiren kann, weil die Sehstörung nur transitorisch auf-
tritt, oder weil die Beseitigung der Ursache in zu kurzer Zeit auch Be-
seitigung der Augenaaffection zur Folge hat. Man denke nur an die Störung
der Sehkraft bei gewissen AfFectionen sensitiver Zweige des Trigeminus,
an Amblyopie und Amaurosis bei Vergiftungen, in gewissen Zeitabschnitten
der Schwangerschaft u. s. w., und man wird den Gebrauch des Ausdruckes
sympathische Amaurosis vorläufig wohl unentbehrlich finden. Wir müssen
es spätem Forschungen überlassen, den Zusammenhang nachzuweisen.
In vielen Fällen, die man bisher als zu dieser Gruppe gehörig bezeichnen
konnte , wird wohl die Ophthalmoskopie noch Aufschluss über den Sitz
170 Netzhaut.
und die Natur dos Leidens geben; ob in allen, bleibt dahingestellt. So
gut als die Amaurose bestehen auch andere Neurosen, ohne dass man
auf eine anatomisch nachweisbare centrale oder peripherische Veränderung
der betroffenen Nerven hinweisen kann. Wir müssen uns in den ein-
zelnen Fällen vorläufig begnügen, wenn es gelingt, die entfernteren Ur-
sachen zu erkennen, weil dann öfters wenigstens auf empirische Weise
Anhaltspunkte für das ärztliche Handeln gewonnen werden können. Zur
Erläuterung einige hierher gehörige Arten.
1. Amaurosis in Folge von Irritationen im Bereiche des I.
oder 2. Astes des Trigemiims. „Es sind zahlreiche Fälle bekannt,
in welchen die Exstirpation von Geschwülsten , welche mit den Zweigen
des V. Nervenpaares in Berührung standen, und das Ausziehen cariöser
Zähne die Mittel gewesen sind, das Sehvermögen plötzlich herzustellen."
Makenzie 1. c. S. 8 18.
Ein gesunder Mann von mittleren Jahren eonsultirte Herrn Howship we<jen einer
kleinen Geschwulst auf dein Scheitel. Es waren wenigstens 10 Jahre her, dass er die-
selbe bemerkt hatte, und er hielt es für die Folge eines Schlages. Sie war nie
schmerzhaft gewesen, aber seit einigen Jahren wurde er von Kopfweh geplagt, welches
allmalig häufiger wurde; überdiess war er seit 2 Jahren nicht im Stande, selbst die
grösste und deutlichste Schrift zu lesen. Drückte man auf die Geschwulst in der
Kopfhaut, so verursachte diess weder Schmerz noch irgend eine Empfindung. H. rieth
zur Exstirpation, welche mittelst zweier elliptischer Schnitte durch die Bedeckungen
und jenseits der Basis der Geschwulst ausgeführt wurde. Die eingeschlossene Portion
Kopfhaut nebst der Geschwulst selbst wurde sodann vom Pericranium, mit welchem sie in
Berührung stand, lospräparirt. Zwei kleine Gefässe wurden unterbunden, und die Be-
deckungen mit Heftpflastern ziemlich aneinander gebracht. Nach 3 Wochen lösten sich die
Ligaturen, und die Wunde heilte vollständig. Die Geschwulst war ein starker knorpeliger
Balg gewesen, welcher in der Zellhaut unter der Cutis gesessen hatte; innen war sie
mit einer gelben purulenten Flüssigkeit gefüllt, deren dicke Theile einen käseartigen
Niederschlag an den Wandungen gebildet hatten. — Der Patient hatte bei der Operation
nicht über 1 Unze Blut verloren, fühlte aber ganz unerwartet am folgenden Abende
seinen Kopf mehr erleichtert, als viele Monate vorher. Er fand, dass sein Unwohlsein
und sein Kopfschmerz von Tag zu Tag abnahmen und behauptete auch, worüber mau
sich einiger maass'en wunderte, dass sein Sehvermögen weit heller und deutlicher werde.
Als die Wunde geheilt war, hatte er alle Reste des Kopfschmerzes verloren, und sein
Sehvermögen hatte sich in solchem Grade gebessert, dass er jetzt abermals im Staude
war, so kleine Schrift wie vor 10 Jahren zu lesen; auch ist weder der Kopfschinerz
noch die Alfection des Sehvermögens nach dieser Zeit wieder zurückgekehrt.
Ein .Mann von 30 Jahren wurde plötzlich von heftigem Schmerze ergriffen, welcher
von der linken Schläfe nach dem Auge und nach dem Antlitze auf derselben Seite
Sympathische Amaurose. 171
schoss, und einer Erkältung zugeschrieben wurde. Dieser Schmerz dauerte mehrere
Tage, gab sieh dann, kehrte aber periodisch zurück. Wach Verlauf von 2 Monaten
hatten die Anfälle eine solche Heftigkeit erreicht, dass der Patient glaubte, das Auge
werde aus der Höhle herausgedrängt. Da Patient zugleich bemerkte, dass er auf
diesem Auge sein Sehvermögen verloren habe, suchte er ärztliche Hilfe. Nach ßiuonal-
licher fruchtloser Behandlung begann die linke Wange zu sehwellen, und in der Nacht
flössen mehrere Löffel voll blutigen Eiters zwischen der Conjuncliva und dem untern
Augenlide aus. Hierauf gab sich die Geschwulst, und der Schmerz nahm ab, aber die
Blindheit blieb so vollständig wie zuvor. Nach 3 Wochen fand ein ähnlicher Auslluss
statt, und während der nächsten 6 Monate kehrte er zuweilen zurück. Zu Anfang des
3. Jahres war die Affection so arg geworden, dass der Patient sich das Auge exslir-
piren lassen wollte. Dr. Gälenzowski fand die Pupille des gänzlich erblindeten Auges
erweitert. Er glaubte, dass sich in der Kieferhöhle Eiter gebildet habe und sich längs
des Augenhöhlenanlheiles des Oberkieferknochens fortpflanzte. Diese Annahme bestimmte
ihn zu genauer Untersuchung der Zähne, und diese erwies einen der Kieferhöhle ent-
sprechenden cariösen Zahn. Dieser wurde sofort ausgezogen und man fand an seiner
Wurzel einen Holzsplitter von 3'" Länge, der wahrscheinlich von einem Zahnstocher
zurückgeblieben war. Nachdem nun eine Sonde in die Kieferhöhle eingeführt und
wieder herausgenommen worden war, ergossen sich einige Tropfen einer serös-puru-
lenten Flüssigkeit, und 9 Tage nachher hatte der Patient sein Sehvermögen vollständig
wieder erlaugt.
Es linden sich hie und da in der Literatur verschiedene ähnliche
Beobachtungen, wie die beiden vorstehenden, aus Makenzie I. c. S. 818
entlehnten, nur lassen viele derselben auch eine andere Deutung- zu, wie
namentlich die, wo Sehstörung nach Verletzungen sensitiver Zweige des
Trigeminus beobachtet wurde , wovon wir schon oben gesprochen haben,
in diesen beiden Fällen, wenigstens in dem Howship'schen kann aber
kaum bezweifelt werden, dass die Amaurosis rein sympathisch war. Die
Empirie wendet seit undenklichen Zeiten eine Menge Mittel im Bereiche
der Ausstrahlungen der sensitiven Zweige des Trigeminus an , um Am-
blyopie und Amaurose zu beheben , und gewiss nicht jederzeit ohne Er-
folg. Die meisten dieser gegen Amaurosis empfohlenen und zum Theil
auch wirksamen örtlichen Reizmittel (an die Stirn, Schläfe, Bindehaut
u. s. w.) können wohl nur dadurch ihre Wirksamkeit auf den Sehnerven
und die Netzhaut entfalten , dass sie den Trigeminus peripherisch erregen.
Es wird hier ein Sinnesnerve erregt , gleich wie in motorischen Nerven
Reflexaction auf peripherische Reizung sensitiver Nerven auftritt.
Auf ähnliche Weise sind meines Erachtens wohl auch manche Fälle von
Amaurosis nach unterdrücktem Schnupfen, von Entzündung der Schleimhaut
in der Highinors-, Stirn- oder Keilbeinshöhle zu erklären, jene Fälle natürlich
172 Netzhaut.
abgerechnet , wo gleichzeitig entzündliche Proeesse im Auge, in der Or-
bita oder in der Schädelhöhle bestehen. Es verdient der Zustand der
Schleimhaut in diesen Höhlen die volle Aufmerksamkeit des Arztes bei
Amaurosen unbekannten Ursprunges gewiss in eben so hohem Grade, als
der Zustand der Cutis und der übrigen Gebilde, in welchen die sensitiven
Zweige des Trigeminus ausstrahlen. Der günstige Erfolg bezüglich der
Sehstörung, welcher durch die Behandlung der in Rede siehenden Schleim-
hautpartien erzielt wurde, dürfte zugleich als Beweis für ein bloss sym-
pathisches Mitleiden des Sehnerven zu betrachten sein.
Wahrscheinlich gehört hierher auch jene Form von Amaurosis, welche
sich auf dem einen Auge entwickelt, wenn das andere durch heftige
Entzündung und Eiterung verloren gegangen ist. (Vergl. Iritis und Cho-
rioditis.) Die starke Erweiterung der Pupille und der Mangel aller ent-
zündlichen Erscheinungen am Auge schon zu Anfang der allmälig und
unaufhaltsam erfolgenden Erblindung macht diess wahrscheinlich; doch
fehlen einerseits noch Untersuchungen mit dem Augenspiegel, andererseits
noch genaue mikroskopische Zergliederungen des Seh- und der Ciliar-
nerven in solchen Fällen.
2. Amaurosis in Folge abnormer Zustände der Xer-
dauungsorgane (Würmer, Gastricismen , Fäcalmassenanhäufung u. dg].).
Was bei 1. der Trigeminus, ist bei 2. vielleicht der Sympathicus, während
in andern Fällen die Unterleibsaflection wahrscheinlich dadurch Sehstörung
bewirkt, dass sie Hyperämie oder Entzündung in den Centralorganen oder
im Bulbus veranlasst. Amaurosis in Folge von Würmern dürfte bei
weitem nicht so häufig vorkommen , als man in früheren Zeiten anzu-
nehmen pflegte; doch liegen keine hinreichenden Gründe vor, dieses Mo-
ment als Ursache von Amaurosis in vorhinein in Abrede zu stellen,
spricht im Gegentheile die Analogie mit andern nervösen Zufällen als
Symptomen von Helminthen, besonders bei Taenia , nebst mehr weniger
verlässlichen Beobachtungen dafür. Auf eine gewisse Eigentümlichkeit
der Symptome am Auge , welche man sonst wohl der Amaurosis ex hel-
minthiasi zuschrieb, dürfte indess kein Gewicht zu legen sein, da der-
selbe Symptomencomplex nach anderweitig bedingt sein kann; ja es darf
selbst der Abgang von Würmern (Theilen davon) noch nicht als sicheres
Moment zu der Annahme leiten, dass in einem gegebenen Falle die Seh-
störung durch Würmer im Dannkanale bedingt sei, weil immer noch der
Fall denkbar ist, dass trotz jener Anwesenheit von Enlozoeu die Amaurosis
Sympathische Am «tu rose. 173
durch Hirnhiberkel, Hydrocephalus u. s. w. , oder durch krankhafte Pro-
cesse im Bulbus (z. B. Cysticercus , Retinitis u. dergl.) bedingt werde.
Es wird daher , ehe man eine rigorose anlhelmintische Behandlung gegen
Amaurosis eiideitet, jederzeit nothwendig sein, nicht nur dass der Abgang
von Würmern wirklich beobachtet wurde, sondern auch, dass man minde-
stens gute Gründe hat, anderweitige Ursachen der Sehstörung als nicht
vorhanden anzunehmen. — Auch für die sogenannte gastrische Amaurosis
gibt es keine pathognomonischen Erscheinungen am Auge selbst, und kann
die Diagnosis gleichfalls nur unter Berücksichtigung aller Momente mit
mehr weniger AVahrscheinlichkeit gestellt werden. — Dasselbe gilt von der
Sehstörung in Folge angehäufter Fäcalmassen im Dickdarme Qamaurosis
e viscerum obstrucüone) , bei welcher übrigens, so wie bei der vorher-
gehenden Art, alle Sorgfalt anzuwenden ist, dass man nicht die Wirkung
oder das Coexistens (die Indigestion und Obstipation in Folge von Erkran-
kung der Centralorgane) für die Ursache annehme.
Eine besondere Erwähnung verdient hier wohl die Hemiopie, welche
beinahe in allen Fällen , die ich bei verschiedenen Auetoren notirt fand
oder selbst beobachtete, mit Störungen in den Unterleibsorganen, nicht
aber mit nachweisbaren Veränderungen in den Centralorganen oder im
Auge selbst, zusammenvorkam. Vergl. das in den physiologischen Bemer-
kungen S. 55 hierüber Gesagte. Schon das momentane Auftreten und
Wiederverschwinden der Anfälle von Hemiopie lässt kaum eine andere
Deutung zu, als dass hier eine rein sympathische Einwirkung zu Grunde
liege, und das Auftreten nach Diätfehlern nach Gemüthsaffecten bei hy-
sterischen, hypochondrischen, übermässig reizbaren Individuen ist gewiss
geeignet , dieser Deutung vor allen andern Wahrscheinlichkeit zu ver-
schaffen.
3. Amaurosis in Folge von Affectionen des Uterus , na-
mentlich in den ersten Monaten der Schwangershaft, scheint bisweilen
bloss auf einem sympathischen (durch die Nerven vermittelten) Leiden
des Sehuerven zu beruhen. Nach Beobachtungen von Sennert, Beer u. A.
tritt Amaurosis bisweilen gleich zu Anfang der Schwangerschaft auf, und
verschwindet dann wieder von selbst. In einem von Beer beobachteten
Falle stellte sich Amaurosis in drei nach einander folgenden Schwanger-
schaften bald nach der Conception ein, verschwand nach der Entbindung
das 1. und 2., nicht aber das 3. Mal. Dieser letztere Umstand erregt
Verdacht, ob hier der Amaurosis nicht ein directes Leiden im Sehnerven
174 Netzhaut.
oder im Gehirne zu Grunde gelegen sei , welches durch die Gravidität
jedesmal gesteigert wurde, bis es endlich bleibende Erblindung zur Folge
hatte. Beer bemerkt übrigens ausdrücklich, dass man jene Amaurose,
welche bei Schwangern oft nach und nach und meistens erst gegen das
Ende der Schwangerschaft und bei der Entbindung entsteht, nicht hierher
rechnen dürfe, indem diese, wie schon Morgagni bemerkt, offenbar durch
Anhäufung des Blutes im Kopfe und in den Augen veranlasst werde. Er
betrachtet die Amaurosis von Schwangerschaft in der ersten Zeit als eine
Art Indiosynkrasie, und erwähnt in einer Anmerkung, dass „er eine Frau
gesehen habe, welche, so oft sie Chocolade trank, sich heftig erbrechen
musste, und auf einige Stunden stockblind war; das Gesicht kam sogleich
wieder, sobald die Neigung zum Erbrechen verschwand. Ich hielt diesen
Zufall für eine Folge der Anstrengung beim Brechen ; da ich aber bei
andern Gelegenheiten die Kranke erbrechen sah , ohne dass sich dieser
Zufall ereignete, so untersagte ich die Chocolade, und seither blieb der An-
fall auch ganz aus." (1. c. 1792 S. 44.)
4. Amaurosis in Folge von Giften. Ob der von Beer ange-
schuldigte Missbrauch bitterer Mittel (Quassia, Centaureum , Cichoreum
und dergi.) Amaurosis bedinge , möchte wohl noch weiterer Bestätigung
bedürfen , da trotz des Fortbestandes solchen Missbrauches in späteren
Zeiten weiter keine derartigen Beobachtungen gemacht worden zu sein
scheinen,*) Dasselbe gilt meines Erachtens auch vom Tabak, welchem
Makenzie eine direct nachtheilige Einwirkung auf die Sehkraft zuzu-
schreiben geneigt ist, während Beer das Vorkommen von Amaurosis bei
Tabakrauchern von dem Speichelverlusle ableiten will. Letzterer gedenkt
u. A. eines Falles bei Amaurosis von einer alten Frau, welche täglich
4 Lolh Tabak zu schnupfen pflegte. Exacte Beobachtungen liegen keine
vor. Belladonna, Hyosciamus und Datura slramonium wirken speeiüsch
auf die Ciliar-, nicht aber auf die Sehnerven; sie bewirken nur Mydriasis,
nicht aber Amaurosis, es sei denn nach innerlichem Gebrauche, durch
Hyperämie der Centralorgane. Ebenso dürften wühl auch andere Narco-
tica nur durch active oder passive Hirnhyperämie und durch De'ijd^sion der
Hirnthätigkeit überhaupt wirken. Beer erzählt, dass er selbst im Jahre
1804 in Folge einer zufälligen Vergiftung mit Opium durch mehrere
'') Die Erscheinungen nach übermässigen Galicn von Chinin, als : Ohrensausen, Schwindel, Schwerhörigkeil, Ver>
minderung 'ler Sehkran n. s. w. sind wohl durch Htpcritmie in dei Schidethühle bcdingl.
Sympathische Amaurose. 175
Stunden ausser Stand gesetzt blieb, die ihn umgebenden Objecte zu er-
kennen. Sicher gestellt und höchst wahrscheinlich specifisch ist die lah-
mende Einwirkung des Bleies auf die Sehkraft. Die Amaurosis durch
Bleivergiftung tritt nach Guepin*^ bald allein, i. e. noch vor Entwickelung
der übrigen Erscheinungen der Bleivergiftung, und zwar allmälig auf, bald
rasch mit den gewöhnlichen Zufällen der Bleikolik und auch mit Hirn-
zufallen. Man findet nebst mehr weniger hochgradiger und completer
Sehstörung die Pupillen sehr stark erweitert, die durchsichtigen Medien
normal, weder Schmerzen noch abnorme Injeclion an den Augen. Bei
Anwendung der gegen die Intoxication angezeigten Behandlung verschwin-
det diese Amaurosis (nach Guepin und Deval) leicht und in wenig Tagen,
bisweilen selbst in einigen Stunden.
5. Amaurosis als Symptom allgemeiner Erschöpfung und
Entkräftung lässt sich gleichfalls rücksichtlich ihrer nächsten Ursache vor-
läufig noch nicht genauer bestimmen. Es liegen verlässliche Beobachtungen
vor, wo man starken Blutverlust, erschöpfende Diarrhöe, Speiehelfiuss, wider-
natürlichen Samenverlust, zu langes Säugen, anhaltendes Fasten, Kummer
und Nahrungssorgen , Typhus u. dergl. als die entfernteren Ursachen von
Amblyopie oder Amaurosis annehmen musste. Der Beweis dafür wurde
dadurch geliefert, dass die Sehstörung unmittelbar nach einem der ge-
nannten Momente auftrat, durch Beseitigung desselben allein oder doch
unter Beihilfe roborirender Behandlung behoben wurde , und wohl auch
nach Wiederkehr solcher Momente neuerdings auftrat. Fälle, wo während
oder unmittelbar nach starken Aderlässen Amaurosis eintrat, scheinen in frü-
heren Zeilen oft vorgekommen zu sein, und finden sich zahlreich in Trnka
de Krzowitz historia amauroseos aufgeführt. Unter den spontanen Blut-
verlusten sind es besonders die Metrorrhagien, nach welchen Amaurosis
temporär oder bleibend beobachtet wurde. Carron du Villards erzählt
von einer Frau mit Gebärmutterkrebs, welche nach jeder Blutung durch
8 — 10 Tage blind wurde, und zuletzt, einige Wochen vor dem Tode,
blind blieb. In einem von mir beobachteten Falle erfolgte die Erblindung
successiv nach mehrmals wiederholter Metrorrhagie in Zeit von 6 Tagen
und blieb die der Anämie entgegen gestellte Behandlung fruchtlos, ob-
wohl ich weder in der Netzhaut (bei sehr oft und zu verschiedenen Zeiten
— im Verlaufe eines Jahres — wiederholter Ophthalmoskopie) noch in den
'-") Annales cTocuIist. par Fl. Cuvier 1847, T. XV.
176 Netzhaut.
Centralorganen ein Leiden objeetiv nachzuweisen vermochte. Die Pupillen
waren gleich von Anfang- an starr und auffallend erweitert. Es muss je-
doch noch hervorgehoben werden, dass nach den obgenannten und ähn-
lichen schädlichen Einflüssen weit häufiger blos Schwächung der Accoin-
modationsthätigkeit als wirkliche Amblyopie und Amaurosis beobachtet
wird, ein Zustand, der in früheren Zeiten gewöhnlich als Amblyopie oder
Hebetudo visus aufgefasst wurde. (Siehe später: Kraekheiten der Mus-
keln). Ebenso muss noch ausdrücklich bemerkt werden, dass jene Fälle
nicht hieher gehören, wo sich bei Individuen, die durch deprimirende Ein-
flüsse in der Ernährung sehr herabgekommen sind , allmälig schleichende
Entzündung in der Netz-, Ader- oder Regenbogenhaut entwickelt, wie
z. B. in den von Makenzie nach dem Hungertyphus beobachteten Fällen
von Erblindung. (Yergl. Iritis chronica im 2. Bande.)
ix. asncii.
Die Organe der Bewegung und der Accom-
modation.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Der Bulbus eines Erwachsenen mis'st vom vordem bis zum hintern
Pole 10,5'" — 11'" (äussere Augen- oder Sehachse), vom Centrum der
Descemet'schen Haut bis zur Macula lutea 9,5'" — 10'" (innere Augenachse),
im Äquator von aussen nach innen meistens eben so viel wie in der
äussern Augenachse (horizontaler Querdurchmesser), von oben nach unten
dagegen selten eben so viel, meistens l/s"(, selbst \"' weniger (verticaler
Querdurchmesser). Doch gibt es auch Bulbi, an denen der verticale
Äquatorialdurchmesser grösser ist, als der horizontale, ohne dass man
dieses Verhältniss zu irgend einem Momente in Beziehung bringen kann.
Er stellt demnach nicht sowohl eine Kugel, als vielmehr ein Ellipsoid dar,
und erscheint überdies da, wo sich die M. recti anlegen und inseriren,
mehr weniger abgeplattet oder flach gedrückt, so dass eigentlich die schrä-
gen Querdurchmesser (von oben -aussen nach innen -unten, besonders
aber der von oben -innen nach unten - aussen) die grössten sind.
Er liegt oder schwebt als ein ohngefähr 120 — 130 Gran schwerer
Körper frei im Eingange der Orbita, nirgends fest an's Knochengerüst ge-
heftet, ringsum von weichen, nachgiebigen, elastisch -dehn- und drück-
baren und von muskulösen Gebilden umgeben , und dennoch seine Lage
mit einer gewissen Beharrlichkeit behauptend. Von Natur aus bald tiefer
Arll's Angenh.illuinde 111, 2. 12
178 Augenmuskeln.
bald flacher liegend, trilt er momentan bei erhöhtem Gefässturgor stärker
hervor, bei reichlichem Säfteverluste (Hämorrhägie, Diarrhöe u. dgl.) merk-
lich zurück, wogegen mechanische Hyperämie in dem retrobulbären Fett-
polster mehr eine habituelle stärkere Vorlagerung (Glotzauge), starke
Abmagerung aber ein mehr weniger auffallendes Zurücksinken in die
Orbita (Hohlauge) bewirkt. Durch die Muskeln scheint eine Veränderung
der Lage des Bulbus in toto nicht bewerkstelligt, vielmehr gerade das
Balancement in loco vermittelt zu werden (Antagonismus zwischen den
geraden und schiefen) ; nur heftige Contraction des M. orbicul. palp. ver-
mag den Bulbus etwas rückwärts zu drängen. Von der Veränderung d<?r
Lage des Bulbus bei Strabismus , Luscitas u. dgl. wird weiter unten die
Rede sein. — Als mittlere Lage in Bezug auf die Tiefe kann jene be-
zeichnet werden, wo eine gerade Linie, vom obern zum untern Augen-
höhlenrande gezogen, gleich einer Tangente das an den Bulbus ange-
schmiegte obere Lid berührt, während eine gerade Linie, von der Inser-
tion des äussern Augenlidbandes zur Insertion des innern Augenlidbandes
gezogen, den gerade nach vorn gerichteten Bulbus etwas hinter der An-
heftungslinie des M. rect. externus und internus durchbohren und knapp
hinter der Linse vorbeistreichen würde. — Der Abstand des hintern
Poles vom vordem Umfange des Foramen opticum beträgt im Mittel V".
Der Abstand vom obern Orbitalrande beträgt circa 3'", vom untern etwa
2 — 21/2"/; ebenso ist der Abstand vom äussern Orbitalrande jederzeit
merklich (um 2'") grösser, als der vom innern. (Der Eingang der Orbita
misst von oben nach unten circa 15'", von aussen nach innen circa 18"').
Unter ihm liegen, abgesehen vom Orbitalfette, der untere gerade und
schiefe Augenmuskel, welche ihn, bei einem gewissen Grade von Span-
nung sämmtlicher Muskeln, gleichsam tragen oder stützen; über ihm liegt
zunächst die Sehne des Muse, obliquus superior, dann der M. rectus supe-
rior und der M. levator palp. superioris, überdiess gegen die Schläfe hin
die untere und obere Thränendrüse, gegen die Nase hin die Rolle des
M. obliquus superior, von welcher eine Art Sehnenscheide oder zellig
fibröses Gewebe zur Tunica vaginalis bulbi herabsteigt, in dieselbe pinsel-
förmig ausstrahlt, und gewissermaassen als lockeres Aufhängeband des
Bulbus betrachtet werden kann. Dieses ziemlich feste, jedoch elastisch -
dehnbare Gewebe verschmilzt nicht nur mit der Tunica vaginalis bulbi,
sondern auch mit der Scheide des Muse, rectus superior, und erschwert
dessen Durehschneidung, wenn man den Schnitt nicht knapp durch dessen
Insertion am Bulbus führt. Will man die Sehne des Obl. suj>. von der
Rolle bis zum Bulbus präpariren, so muss man dieses Gewebe, welches
Anatomie — Physiologie. 179
nächst der Rolle eine förmliche Scheide bildet, aufschlitzen; nächst dem
Bulbus tritt dann die dünne Sehne aus demselben heraus, um zwischen
dem Reclus super, und dem Bulbus durch die Tunica vaginalis bulli an
die Sclera zu gelangen. — An der Schläfeseite bedeckt ihn der Muse,
rectus externus und gleich darüber ein Theil der Thränendrüse , an der
Nasenseite dagegen der M. rectus internus. Auch hier findet man eine
Art lockerer Befestigung des Bulbus an den Orbitalrand, indem sowohl
am äussern als am innern Augenwinkel noch eine Strecke rückwärts vom
Augenlidbande ein zellig- fibröses Gewebe von der Periorbita zum Bulbus
hinüberstreieht, und sich mit der Tunica vaginalis bulbi und deren Fort-
sätzen (zu den Muskeln und zu den Augenlidern) verbindet, während
sonst ringsum der Raum zwischen den Augenmuskeln und der Periorbita
einfach mit Fettgewebe ausgepolstert erscheint. Durch diese zeilig-fibrösen
Fortsätze zur Beinhaut ist eigentlich das Gehäuse des Bulbus, die Tunica
vaginalis , und somit auch der Bulbus selbst bis zu einem gewissen Grade
in seiner Lage gesichert, ohne dass der Bulbus heftigen Erschütterungen
(z. B. beim Springen, Reiten u. dgl.) ausgesetzt wird. — Die Spalte,
welche die innig an ihn angesehnüegten und gewölbt über ihn verlaufen-
den, weil innen und aussen an den tiefer gelegenen Orbitalrand gehef-
teten Lider zwischen sich lassen , und welche bald enger bald weiter ge-
schlitzt erscheint, ist jederzeit noch etwas enger, als dass der Bulbus frei
durchschlüpfen könnte; es bedarf selbst nach Durchschneidnng des Opticus
und der Muskeln einer gewissen Gewalt, ihn durch diesen Isthmus heraus
zu zwängen und ebenso, ihn durch denselben wieder zu reponiren. —
In seinem hintern Umfang inseriren sich nebst dem Oplibus die Enden
der Muse, obliqui (in dem Zwischenräume zwischen dem Rectus super,
und externus), im übrigen umgibt ihn daselbst das Orbitalfett, auf dessen
eminente Zusammendrückbarkeit und Elasticität wir schon bei den anatom.
Bemerkungen über den Sehnerven aufmerksam gemacht haben.
Die vier geraden Augenmuskeln entspringen sämmtlich am Umfange
des Sehnervenloches, welches nächst der Spitze der Orbita schief durch
die innere Wandung derselben heraustritt, und zwar in dem Winkel, wo
die obere Wand der Orbita an die innere stösst. Denkt man sich den
Kopf in aufrechter Haltung, so würde eine Nadel, 2 — 3'" über dem innern
Augenlidbande eingestossen, und einerseits horizontal, andererseits parallel
zur vertikalen Medianebene des Kopfes (also längs der innern Wandung
der Orbita) fortgeführt, über i1//' (meistens l%") tief eingedrungen sein
müssen, ehe sie den Opticus bei seinem Austritte aus den Foramen opti-
cum träfe. Die Entfernung der äussern Lidcommissur vom Sehnervenloche
i o*
1 ~
180 Augenmuskeln.
ist nahezu dieselbe, weil der äussere Orbitalrand weiter rückwärts liegt,
als der innere. Kennt man nun die Lage des Bulbus am Eingänge in die
Orbita und die Insertionslinien der geraden Augenmuskeln am Bulbus selbst'
so kennt man auch ihre Länge, da sie bis zum grössten Umfange des
Bulbus geradlinig verlaufen, und es ergibt sich von selbst, da der Bulbus
der innern Wandung etwas näher liegt und die Pupille nach vorn gerich-
tet ist,'dass, wenn der R. internus l%" lang ist, ihm der ziemlich hori-
zontal nach vorn verlaufende R. superior an Länge olmgefähr gleich kommt,
der ziemlich stark abwärts abweichende inferior 1 — 2'", und der am wei-
testen hinten entspringende und am stärksten nach aussen abweichende
R. externus mindestens 3'" länger ist. Rücksichtlich der Dicke steht der
R. internus oben an, dann folgt der externus, dann der inferior, zuletzt
der superior, ein Verbältniss, welches wohl mit dem Überwiegen der
Function im Einklänge stellt, da der superior relativ am wenigsten in
Anspruch genommen wird.
Die Recti inseriren sich in die Selera mit kurzen, aber breiten und
dünnen Sehnen rings um die Cornea in einer Entfernung vom Rande der-
selben, welche im Mittel 3"' angeschlagen werden kann. Die Sehnen
sind im Allgemeinen 3 V2'" — 4'" breit, die des externus um ife'a schmäler,
dagegen aber auch die längste. Die Insertionslinien sind flach bogen-
förmig geschweift, in der Mitte weiter nach vorn reichend, als zu beiden
Seiten. Der Scheitel oder Mittelpunkt dieser Insertionslinie liegt beim
internus höchstens 2,/2/", beim externus mindestens 3'" vom Rande der
Cornea entfernt. Beim superior und inferior steht dieser Mittelpunkt fast
constant 3"' vom Hornhaulrande ab (in der Richtung eines Meridianes,
den man sich vom Centrum der Cornea durch diesen Mittelpunkt zum
hintern Pole gezogen denkt), während das innere Ende der Insertionslinie
der Cornea fast um V" näher liegt als das äussere. Die Mittelpunkte der
Inser.tionslinien des in- und externus liegen im horizontalen Meridiane,
ebenso der des superior im vertiealen, der des inferior weicht jedoch
um beiläufig 1/„'" nach der Nase zu von letzterem ab. Ein Reifen, durch
fliese Mittelpunkte um den vordem Umfang des Bulbus gelegt, würde irn
vertiealen Durchmesser etwa 8'", im horizontalen etwa 9'" messen, wenn
ein Reifen um den grössten Umfang des Bulbus (Äquator) gelegt, verti-
•al 9 — IOYjj'", horizontal 101/,, — ll'" messen würde. Dieser Reifen.
Mich die Insertionslinien gezeichnet, fällt nahezu mit dem hintern Ende
'es Corpus ciliare (an der Innenfläche) zusammen, und verläuft Ohngefähr
1 der Mitte zwischen dem Äquator bulbi und dem Hornhantrande.
Anatomie — Physiologie. 181
Diese Verhältnisse suchte ich so gut sich's hei einer einfachen schematischen Plan-
zeichnung ihun licss, durch die beisleliende Figur anschaulich zu machen. Sie müssen
nicht nur bei den Betrachtungen über die Function
der Augenmuskeln wohl erwogen werden, sie sind
auch von grossem praktischen Werlhe bei der zu
thcrapeutischcnZwccken npthigen Muskeldurchschnei-
dung. Die geraden Linien ab und cd stehen senk-
- - ," -,i.>_ :■: [•;,...• recht aufeinander und schneiden sich in o, dein
1. \ ' S Mittelpunkte der Hornhaut fg-h.i; der punktirte
Kreis abcd ist um den Punkte, '/„'" auswärts von
o beschrieben. Die Mittelpunkte der geschweiften
Insertionslinieu des in- und externus liegen im ho-
rizontalen Durchmesser ab, der Mittelpunkt der In-
sertionslinie vom superior c fällt in den verticalen Durchmesser, der vom inferior dagegen
etwa %'" einwärts davon, d. h. der internus und inferior liegen einander näher, als di
übrigen Muskeln. Wenn ich an gefrorenen Köpfen mit einer feinen Säge einen Durch-
schnitt durch die Mittelpunkte der Insertionslinien des superior und inferior bis zu ihrem
Ursprünge am Sehnervenloche führen , also diese Muskeln ihrer ganzen Länge nac "
halbiren wollte, so durfte derselbe an der Gesichtsfläche nicht vertical herablaufen, son-
dern es musste der untere Orbilalrand näher an der Nase durchschnitten werden, als de
obere (etwa uns 2'"). Während in obiger Figur die Breite der Sehnen, ihre Entfernung
vom Hornhautrande und ihre relative Lage zu diesem durch die dicken Linien bezeichnet
wurden , mussten ihre gegenseitigen Abstände von einander oder ihre Zwischenräume
wegen der horizontalen Projection beinahe um das Doppelte zu gross ausfallen.
Indem die geraden Augenmuskeln von der Spilze der Orbita diver-
girend vorwärts treten, verlaufen sie ausserhalb der Tunica vaginalis bulbi
und sind, so wie hinten yom Opticus, so vorn vom Bulbus durch das Or-
bitalfett geschieden. Erst vom Äquator bulbi an schmiegen sie sich an
denselben an, liegen jedoch noch immer ausserhalb der Scheidenhaut,
welche sie erst knapp vor ihrer Insertion so schräg durchbohren, dass sie
eine kurze Strecke in (nicht innerhalb) derselben verlaufen, daher einen
Überzug von ihr erhalten, welcher mit dem Perimysium musc. ein Con-
tinuum bildet. Kur die bald mehr bald weniger kurzen sehnigen Enden
der Recti liegen bereits innerhalb der Scheidenhaut, welche sich über den-
selben nach vorn fortsetzt, um sich im Verein mit der äarüber befindlichen
Tunica conjunetiva am Rande der Hornhaut anzuheften. Wenn Einige
meinten, dass die sehnigen Enden der Recti mit ihren Seitenrändern bo-
genförmig unter einander zusammenhängen, so halten sie wohl die Tunica
vaginalis bulbi vor Augen, welche allerdings eine gewisse Verbindung der
Muskelsehnen unter einander vermittelt (seitliche Imagination). Wird die
Sehne eines Rectus durchschnitten, dann ist es eben diese Invagination,
dieser namentlich an den Seitenrändern noch unverändert fortbestehende
182 Augenmuskeln.
Zusammenhang mit der Scheidenhaut, welcher den Muskel noch bis zu
einem gewissen Grade an den Bulbus bindet. Die Angabe, dass die Recti
noch hinter der Einpflanzung ihrer Sehnenfasern in die Sclera, welche
allerdings nicht in einer mathematischen Linie stattfindet, sondern oft noch
Nebenausläufer zeigt, durch kurzen Zellstoff straff angeheftet sei, und
zwar bis zum Äquator bulbi, ist eben so unrichtig, als wenn man eine
solche Anheftung von der Tunica vaginalis behaupten wollte. Hat man
die Binde- und Scheidehaut in einer den Muskelinscrtionslinien entspre-
chenden Kreislinie, und hierauf auch die Muskelsehnen selbst mit möglich-
ster Schonung aller übrigen Verbindungen durchschnitten — wie bei der
Exstirpatio bulbi nach Bonnet — so kann man mit einem dünnen Scalpell-
hcfte den Bulbus aus einer innen ganz glaten Schale lösen, welche nur
im hintern Umfange noch durch die M. obliqui und den N. opticus mit
demselben zusammenhängt (rings um den Opticus noch durch die Ciliar-
nerven und hintern Ciliargefässe), Nichts ist leichter, als sich davon zu
überzeugen, dass der Muskelbauch selbst bis gegen den Äquator hin —
an seiner Innenfläche von einer ganz glatten Membran — der Scheiden-
haut — überzogen ist.
Die Conjunctiva bulbi erstreckt sich am obern und untern Umfange
des Bulbus noch circa 1 1/2"', am innern und äussern noch mindestens 2"'
über die Muskelenden rückwärts, und man kann besonders bei etwas
flacher liegenden Augen sehr leicht die Muskelfasern des in- und exter-
nus durch die Binde- und Scheidenhaut durchscheinen sehen; dass man den
silberartigen Glanz der Sehnen nicht sieht, kann als Beweis dienen dafür,
dass sie nicht bloss durch die durchsichtige Binde- sondern auch durch
die bloss durchscheinende Scheidenhaut gedeckt sind. Die Lage der Mus-
keln lässt sich übrigens leicht nach den gleichfalls von der Scheidenhaut
gedeckten vordem Ciliargefässen erkennen, welche aus den Muskelbäu-
chen heraus unter die Scheiden- und Bindehaut treten, ein Merkmal,
welches sich bei der Myotomie besonders dann als sehr schätzbar erweist,
wenn der Patient das Auge sehr stark verdreht.
Die fixen Punkte der beiden schiefen Augenmuskeln liegen an der
Basis orbitae, also den fixen Punkten der Recti entgegengesetzt. Über
die Lage der Rolle, durch welche der vom Sehnervenloche herkommende
Obliquus snperior mit seiner dünnen und glatten Sehne verläuft, kann
man sich leicht unterrichten, wenn man einen Finger knapp hinter dem
Eingange der Orbita gegen den innersten Theil der obern Orbitalwand
drückt. Von hier steigt die runde Sehne in der oben beschriebenen Scheide
nach hinten und aussen herab, wird vor ihrem Eintritte zwischen den
Anatomie — Physiologie. 183
Rectus superior und den Bulbus flach und fächerartig, dringt dann durch
die Scheidenhaut, und verschmilzt mit der Sclerotica in einer gegen 3'"
angen Bogenlinie, deren Convexität nach hinten und aussen sieht, deren
inneres Ende etwas weiter hinten liegt und vom N. Opticus 3V2 — 4'" ab-
steht, wahrend der Abstand des äussern (mehr nach vorn gelegenen)
Endes vom Opticus 6 — T" beträgt. — Der Obliquus inferior entspringt
vom Orbilalrande des Oberkiefers unmittelbar nach aussen vom Thränen-
sacke, läuft von da zwischen dem Orbitalfett über dem Boden der Augen-
höhle aus - und ein wenig ab - und rückwärts, bis er unter dem Rectus inferior
zu liegen kommt, wo er sich ohngefähr 3'" hinter dem Orbitalrande befindet.
An der Kreuzungsslelle mit dem R. inferior hängt er mit der Scheide des-
selben durch ein zellig -fibröses Gewebe zusammen, jenseits dessen, er
seine Richtung ändert, indem er sich nicht nur stark aufwärts, sondern
auch merklich rückwärts krümmt, um dann an der Schläfeseite des Bul-
bus, unmittelbar an dessen Scheidehaut anliegend, zwischen dieser und
dem Rectus externus zum hintern und obern Umfange des Bulbus zu gc-
langen. Sein an Dicke beinahe den Rectis gleichkommender Muskelbauch
wird zwischen dem R. externus und Bulbus auffallend breit und dünn,
durchdringt die Scheidenhaut in der Gegend des obern Randes des R.
externus, und inserirt sich mit unmerklich kurzen Sehnenfasern in die
Sclera in einer mindestens 5'" langen Bogenlinie, deren Convexität nach
oben und vorn gerichtet ist, und deren vorderes Ende etwa T" vom Opti-
cus absteht, während das hintere etwa 2 — 3'" davon entfernt ist.
Während sich durch die Mittelpunkte der Insertions- und Ursprungsstellen des R.
superior und inferior einerseits, und durch die gleichen Punkte des R. internus und
externus andererseits bequem eine Ebene legen lässt, wovon die letztere so ziemlich
durch die Mitte der Pupille, die erstere aber daneben (an der Nasenseite) vorbeistreicht,
lässt sich für die Sehne des Obliqus superior und für den Muskelbauch des Obliqus
inferior durchaus keine solche Ebene finden. Es war diess wenigstens an Chromsäure-
präparaten sowohl als an festgefrornen Köpfen durchaus unmöglich, und eine aufmerk-
same Vergleichung des Verlaufes liess auch weiter keine Hoffnung auf eine solche Mög-
lichkeit aufkommen. *) Gibt es aber keine gemeinschaftliche Ebene für die Obliqui,
*) Ruete Lehrbuch der Ophlh. 2. Aufl. S. 34 sagt: „Geht man in der Richtung, welche die Sehne des Obl. zu-
perior von der Trochlea bis zur Insertion am Bulbus verfolgt, weiter nach unten und hinten, so trifft man etwas
über dem obern Rande des R. externus auf die Insertion des Obl. inferior. Von der Insertion setzt sich die
Sehne dieses Muskels schräg nach unten und vorn in derselben Richtung, wie die Sehne des Obl. superior,
aber in umgekehrter Ordnung nach unten und vorn in den Muskel fort, der, unter dem R. inferior liegend, vom
Buden der Orbita, nahe dem Ausgange zwischen dem Cnnalis infraorbitalis und dem Thränenbein entspringt.
Zieht man vom Ursprünge des Obl. inferior eine Linie anfwärts bis zur Trochlea, von dieser bis zus Insertion der
Sehne der Obl. superior, und von da zur Insertion des Obl. inferior bis zu seinem Ursprünge, so beschreibt man
eine ziemlich regelmässige Ellipse. Der Durchmesser des Auges, welcher normal zu der Ebene dieser Ellipse steht ,
184 Augenmuskeln.
dann gibt es meines Erachtens auch keine gemeinschaftliche Achse, um welche die
Obliqui den Bulbus drehen könnten, sondern es muss, nachdem die Unverrückbarkeit
des Drehpunktes des Bulbus anderweitig constatirt ist, für jeden Obliquus für sich erst
die Achse gesucht werden, um welche er den Bulbus zu drehen vermag. So wie der
Obl. superior in der Rolle unter einem spitzigen Winkel umbiegt, nimmt auch der Obl.
inferior nach dem Durchgange durch die zellig- fibröse Masse, welche ihn an den R.
inferior heftet, eine andere Richtung an, wenn gleich unter einem sehr stumpfen Winkel.
Wird die erste Portion des Obl. inferior (vom Ursprünge bis zum R. inferior) durch
eine Durchschnittsebene in eine vordere und hintere Hälfte getrennt, so liegt die zweite
Hälfte jederzeit hinter dieser Durchschnittsebene, und wird der Schnitt so geführt, dass
er diese halbirt, so trifft dieser Durchschnitt auch niemal mit dem Verlaufe der Sehne des
Obl. superior zusammen. Der Obl. inferior bietet demnach eine doppelte Krümmung dar
einmal nach der Fläche (die Concavität zum Bulbus gerichtet) , und das andere Mal
nach den Rändern (die Concavität rückwärts gerichtet). — Denkt man sich den Bulbus
durch den Äquator in eine vordere und hintere Hälfte getrennt, so liegen die Insertious-
linien beider Obliqui in der hintern Hälfte, doch so, dass die vordem Enden der Inser-
tionslinien nur wenig vom Äquator abstehen. Denkt man sich den Bulbus in eine äus-
sere und innere Hälfte geschieden (mittelst eines Meridians durch den vordem und hin-
tern Pol), so liegen die Inserlionslinien in der äussern Hälfte, doch so, dass die des
Obl. superior nahe an den Meridian fällt. Denkt man sich endlich den Bulbus in eine
obere und untere Hälfte getheilt, so fallen die beiden Inserlionslinien in die obere Hälfte1
doch so, dass die des Obl. inferior nur mit ihrer grössern hintern Hälfte in die obere
Hemisphäre fällt. Die Mittelpunkte der Insertionslinien der beiden Obliqui liegen dem-
nach in dein hintern, äussern und obern Viertel des Bulbus, und sind von einander nur unge-
fähr 4'" weit entfernt. Ihre hintern Enden liegen einander etwas näher, ihre vordem
beträchtlich weiter von einander.
Die Nerven, welche für die Bewegungsorgane des Bulbus bestimmt
siud, sind bekanntlich der 3., 4. und 6. Hirnnerve. Der N. oculomotorius
versieht den R. internus, superior, inferior und den Obl. inferior (nebst-
dem den levator palpebrae superioris und mittelst der radix brevis
des Ganglion ciliare die Iris und den Ciliarmuskel) ; der N. trochlearis
ist für den Obl. superior, der N. abduecns für den R. externus allein be-
stimmt. — Die Arterien der Muskeln des Augapfels kommen durchaus
von der Art. ophthalmica, und geben nach vorn die bereits beschriebenen
vordem Ciliararterien ab. Sie sind sammt und sonders viel zu dünn, als
dass von ihrer Durchschneidung eine .stärkere Blutung zu besorgen wäre.
Der Oculomotorius , welcher an der Basis encephali zwischen den Himschenkcln zu
Tage tritt, und dann an der Seite des Türkcnsattels in einer Falte der harten Hirnhaut
über dem Sinus cavernosus, wo er 1 — 2 Fädchen vom Carotidengeflecht aufnimmt, zur
Fissura orbit. superior verläuft, kann mit seine Wurzeln im Gehirne weit rückwärts
ist die Drehungsachse für die M. obliqui." Ich bin nach meinen Untersuchungen durchaus nicht im Stande, für
die beiden Obliqui eine gemeinschaftliche Khunc zu linden, welche zugleich, wi« Ruete will, durch den Dreh-
punkt des Auges ginge.
Physiologie. 185
verfolgt werden, nach Sömmering bis fast auf die Wand der Ilirnhohlcn', nach Gull bis
unter den Pons Varoli, nach Malacarne kommt er vom obern Schenkel des kleinen Gehirnes
und von der Seite der Valvula cercbelli, wo auch der N. trochlearis entspringt. — Der Tro-
chlearis s. pathetiens entspringt hinter den Vierhügeln aus der markigen Querstreifnng
der Hirnklappe, steigt an den Schenkeln des grossen Gehirnes zur Basis cerebri hinab,
und läuft in einer Falte der harten Stirnbaut über dein Sinus cavernosus zur obern Au-
genhöblenspalte. — Der N. ahducens kommt zwischen der Pyramide, Olive und dem Pons
Varoli zum Vorschein , dringt hinter dem processus clinoideus posterior durch die harte
Hirnhaut in den Sinus cavernosus, wo er mit Zweigen vom Sympathicus in Verbindung
steht, und tritt an der äussern Seite des Oculomotorius und des Raums I. seu Ophthal-
mitis trigemini in die obere Augenhöhlenspalte. — Nach Faesebech soll der N. oculomo-
torius auch zum M. obliq. superior und zum M Rectus externus feine Zweigchen senden. —
Alle diese Nerven und nebstdem noch der Rani, ophth. trigemini treten durch die obere
Augenhöblenspalte in die Orbita, während die Vena ophthalmica durch diese Spalte rück-
wärts zum Sinus cavernosus verläuft.
Die Function der Augenmuskeln ist eine mehrfache. Sie erhalten den
Bulbus in einem gewissen Grade von Spannung-, sie verlängern ihn behufs
der Einrichtung fürs Erkennen naher Objecte in der Richtung der Seh-
achse durch seitliche Compression, und sie verändern die Stellung der
Sehachsen derart, dass sie, bald mehr bald weniger zu einander geneigt,
jedem beliebigen Punkte im Horopter zugewendet werden können. Dass
die Netzhaut als eigentlicher Regulator ihrer Function betrachtet werden
müsse, haben wir bereits S. 48 angegeben.
Jeder Muskel wird im Momente der erhöhten Contraction kürzer,
dicker, und falls er gekrümmt verläuft, der geraden Richtung mehr weniger
genähert. Da nun sämmtliche Recti und Obliqui (der Obl. superior von
der Rolle an) bogenförmig über eine mehr weniger grosse Strecke des
Bulbus verlaufen, so ist an die Spannung jedes einzelnen sowohl als aller
zusammen zugleich ein gegen den Bulbus gerichteter Druck gebunden,
entsprechend der Kraft, mit welcher die Spannung geschieht, und der
Krümmung, welche zwischen den Anhaltspunkten statt findet. Dieser Druck
geht offenbar, da die Muskelkrümmung über den Äquator bulbi streicht,
von diesem aus gegen das Centrum (Drehpunkt), so dass also bei erhöh-
ter Muskelcontraction die Durchmesser des Bulbus im Äquator verkürzt
werden müssen, wenn eine Formveränderung des Bulbus überhaupt mög-
lich ist.
Der Bulbus enthält im normalen Zustande nicht so viel Flüssigkeit,
als er seinem Lumen nach enthalten könnte. Er enthält jenen Grad von
Spannung, den er darbietet, nicht durch sein Contentum allein, sondern
erst unter Beihülfe der muskulösen Gebilde, welche theils in, theils ausser
ihm liegen. Sein Lumen wird durch den Ciliarkörper, die Zonula Zinna
186 Augenmuskeln.
und die vordere Kapsel samtnt der Krystalllinse wie durch ein Diaphragma
in einen vordem und hintern Raum geschieden, wovon der erstere das
Kammerwasser, der letztere den elastisch biegsamen Glaskörper enthält.
Beide Contenta sind gleich andern Flüssigkeiten incompressibel. Das ge-
nannte Diaphragma steht nur durch die sehnige Anheftung des Ciliarmus-
kels an den vordersten Rand der Sclera und an den hintersten Rand der
Cornea mit der Wandung des Bulbus in fester Verbindung , und diese
Wandung zeigt daselbst an ihrer Ausseiiseite eine kreisförmige Einschnü-
rung, indem die Cornea gleich einem Kugelsegmente von kleinerem Ra-
dius aus dem Ellipsoitle , welches die Sclera darstellt, sich emporwölbt.
Diese Scheidewand kann durch den an ihrer Peripherie zwischen sie und
die Bulbuswandung eingeschobenen Ciliarmuskel in eine der jeweiligen
äussern Muskelspannung adäquate Spannung versetzt werden , und sichert
eben durch den Zug nach innen den Fortbestand jener kreisförmigen Ein-
schnürung, mithin auch die Wölbung der Cornea, trotzdem dass, wie wir weiter-
hin sehen werden, der Bulbus durch die Recti und Obliqui seitlich! comprimirt
werden kann. Ohne eine solche Stütze von innen müsste die besondere
Wölbung der Cornea gleichsam in der allgemeinen des Bulbus aufgehen^
Dass aber der Bulbus seine gewöhnliche Spannung erst durch die
Beihilfe der genannten Muskel erhält, ergibt sich aus mehren Thatsachen.
Schon unmittelbar nach dem Tode, wo höchstens von vermindertem Blutge-
halte, durchaus aber noch nicht von erheblichem Flüssigkeitsverlust durch Ver-
dunstung die Rede sein kann, erscheint der Bulbus weniger gespannt, das
Auge gebrochen. Lässl man einen frischen Bulbus einige Zeit im Wasser
liegen, so imbibirt er in den hintern Augenraum so viel Flüssigkeit, als
er überhaupt in sein Lumen aufnehmen kann, und erscheint dann hart, wie
eine aufs höchste gr füllte Blase. — Wird das genannte Diaphragma zer-
stört, wie bei der Reclination, so erscheint der Bulbus unmittelbar dar-
nach, auch wenn kein Tröpfchen Contentum ausgeflossen ist, minder ge-
spannt und bleibt (auch nach andern Stäaroperationen) so lange etwas
weicher, bis ein neues Diaphragma zwischen Humor aqueus und vitreus
hergestellt ist und dem Ciliarmuskel von innen her die gehörige Stütze
gibt. Coccius überzeugte sich (nach mündl. Mittheilung) von der Ver-
minderung der Spannung des Bulbus bei Kaninchen nach Erschlaffung der
Muskeln durch Chloroformnarkose. Aus diesen Thatsachen ergibt sich
auch, dass die natürl. Spannung des Bulbus nicht etwa ein Ergebniss der
Elasticität der Sclera und Cornea ist, welche überhaupt, was Ausdehnbar-
keit betrifft, nach vollendetem Wachsthum nicht buch angeschlagen werden
kann. Übrigens ist es eine bekannte Sache, dass der Bulbus beim Be-
Physiologie. 187
tasten im normalen Zustande bei weitem nicht hart oder prall erscheint,
wie eine vollständig gefüllte Blase, und der praktische Arzt hat so zu
sagen taglich Gelegenheit, aus erhöhter Resistenz oder einer gewissen
Prallheit des Bulbus auf Exsudation im hintern Augenrauine (Chorioiditis?
Hydrops corporis vitrei) zu schliessen.
Thatsachen, welche beweisen, dass die geraden Augenmuskeln im
Verein mit den schiefen im Stande sind, bei durchbrochener oder nach-
giebiger Wandung des Bulbus oder bei Verminderung seines Inhaltes
(Phthisis et atrophia bulbi) einen bedeutenden Druck auf den Bulbus
auszuüben, haben wir bereits im 1. Bande S. 225, 238 und 245, zum
Theil auch im 2. Bande an verschiedenen Stellen angeführt. Dass aber
die Recti im Verein mit den Obliquis auch im normalen Zustande einen
mehr weniger starken Druck auf den Bulbus auszuüben vermögen, ergibt
sich schon aus der einfachen Betrachtung der fixen und der Insertions-
punkte dieser Muskeln. Diese verhalten sich zum Bulbus nicht wie Tan-
genten, wie noch immer behauptet wird, sondern verlaufen, noch ehe sie
sich fest mit ihm verbinden, eine mehr weniger lange Strecke gekrümmt
über seine grösste Wölbung am Äquator, wo die Sclera zugleich auf-
fallend dünn ist. Wer nicht Gelegenheit hat, an hart gefrorenen Köpfen
die geeigneten Durchschnitte mit einer dünnen Säge zu machen, sehe sich
getreue Abbildungen an, namentlich die auf der 8. Tafel von Sömmering
(Abbildungen des menschl. Auges, Frankfurt a. M. 1801), und die Zie-
hung gerader Linien vom Ursprünge der Recti bis zu ihren Insertions-
stellen beantwortet diese Frage so zu sagen von selbst. Eine seitliche
Compression des Bulbus durch die Recti würde jedoch nicht möglich sein,
wenn nicht die Obliqui, mit ihren fixen Punkten am Eingange der Orbita
gelegen, sich am hintern und äussern Umfange des Bulbus inserirten, und
dem Zuge der Recti nach hinten widerstrebend, gleichzeitig auch vermöge
ihres bogenförmigen Verlaufes über die grösste Wölbung des Bulbus die
comprimirende Wirkung unterstützen müssten. Die Obliqui sind ohne
Zweifel Antagonisten der Recti, so fern sie die Zurückziehung des Bulbus
durch letztere verhindern. Dieser Gegensatz und somit auch der daran
gebundene seitliche Druck auf den Bulbus ist (mindestens im wachen Zu-
stande) ein permanenter. Er steigt, wie wir später zeigen werden, bei
der Einrichtung des Auges für nahe Objecte, und lässt sich dann , wie
Gräfe zuerst beobachtet hat, direct an der Steigerung des Centralvenen-
pulses mit dem Augenspiegel nachweisen.
Die Spannung des Bulbus im normalen Zustande ist jederzeit viel zu
gross , als dass eine Abplattung desselben durch das ihn hinten umfan-
18S Augenmuskeln.
geiule Fettgewebe bewirkt werden könnte, wenn es auch wirklieh mög-
lich wäre, dass der Bulbus gegen dasselbe angedrückt werden könnte
Ein harter Körper kann durch Andrücken an einen weichen nicht abge-
plattet werden. Die merkwürdig hohe Zusammen drückbarheit und Elasti-
cität des retrobulbären Fettgewebes ist uns ein Postulat aus der freien
Beweglichkeit des Sehnerven in demselben. Vermöge dieser Eigenschart
gestattet dieses Fettgewebe ganz gewiss ein eben so leichtes und freies
Rück- und Vorwärtstreten der hintern Bulbuswand , ohne welches — da
ein Ausweichen der Cornea nach vorn laut Beobachtung nicht stattfindet,
und die Contenla bulbi so gut als gar nicht compressibel sind — eine
seitliche Compression des Bulbus durch die Recli und Obliqui nicht ge-
dacht werden könnte. Um so viel als der Bulbus von den Seiten her com-
primirt wird, um so viel oder doch nicht um viel weniger muss derselbe
in der Achse verlängert werden, durch Rückwärtsweichen seiner hintern
Wandung. Mehr hierüber bei der Besprechung der Accommodation, Kurz-
und Weitsichtigkeit.
Das Studium der Function der einzelnen Augenmuskeln wird wesent-
lich erleichtert, wenn man eine alte irrige Vorstellung aufgibt, die nämlich,
dass bei erhöhter Wirkung (Verkürzung) des einen die übrigen oder doch
seine Antagonisten erschlafft seien, statt dass man sagen sollte, sie wer-
den bei gleicher Spannung nur um so viel länger, als die Verkürzung des
die Ablenkung vermittelnden es nach der jeweiligen Lage des Bulbus er-
heischt. Das Irrige dieser Vorstellung tritt scharf hervor in dem daraus
consequent gefolgerten Schlüsse, dass, wenn man den Muskeln überhaupt
eine comprimirende Wirkung auf den Bulbus einräume, dann bei Contrac-
tion des einen und Erschlaffung der übrigen Muskeln dieselbe Erscheinung
eintreten müsse , wie beim Drucke des Fingers auf eine hinter der Ora
serrata gelegene Partie , nämlich subjective Lichtempfmdung. Wenn aber
ein Muskel, z. B. der R. externus, durch den Nerveneinfluss verkürzt wird,
um das Hornhautccntrum nach seiner Seite hin zu rollen, so darf man
sich nicht vorstellen, dass sein Antagonist (der R. internus) erschlafft,
minder gespannt werde. Er wird diess in diesem Momente eben so we-
nig als alle übrigen; alle beharren in dem gleichen Grade der Spannung,
nur dass, wenn wir bei obigem Beispiele bleiben, der R. internus in dem-
selben, und der R. superior und inferior in etwas geringerem Masse län-
ger werden, während der externus und mit ihm zugleich, nur in geringe-
rem Masse, die beiden Obliqui kürzer werden. Der Bulbus dreht sich um
den in seinein Centrum gelegenen Drehpunkt (um eine durch denselben
laufende Achse) wie eine Rolle um die Spindel. Die Spannung des ver-
Physiologie. 189
kürzten Muskels und folglich auch sein Druck gegen den Bulbus ist nicht
grösser als die des länger werdenden Antagonisten, sonst könnte der Bul-
bus nicht in jedem Momente des Überganges von einer Stellung zur an-
dern (vom inriern zum äussern Augenwinkel) als ruhend betrachtet wer-
den, wie er es doch offenbar ist, wenn ich z. B. diese Zeile von Anfang
bis zu Ende lese. Es ist ein stetes Fortschreiten von einem Punkte zum
andern, etwa so, wie wenn an einem über eine Rolle verlaufenden Seile
jederseits ein gleich schweres Gewicht hängt, die Gewichte auf- und ab-
steigen können , ohne dass die Spannung des Seiles auf der einen Seite
ab-, auf der andern zunimmt, und ohne dass der Druck, den das Seil
gegen den fixen Punkt der Rolle hin ausübt, auf der einen Seite grösser
wäre, als auf der andern.
Jeder Bulbus für sich kann mit einem Fernrohre verglichen werden,
welches für verschiedene Entfernungen eingestellt (eingeschoben oder aus-
gezogen), übrigens aber , in seinem Schwerpunkte befestigt, bei jeder be-
liebigen Einstellung oder Länge mit dem Objectivglase nach verschiedenen
Richtungen (innerhalb eines gewissen Kreises) gelenkt werden kann, je-
doch so, dass dabei sein Schwerpunkt immer nahezu an derselben Stelle
im Räume bleibt. Man denke sich nun zwei solche für beliebige Distan-
zen einstellbare (aecomodirbare) und um je einen fixen Punkt bewegliche
Fernröhre nebeneinander auf einen z. B. 100 Fuss entfernten Punkt ein-
gestellt und gerichtet, und in dieser Einstellung und Neigung zu einander
verharrend, nach und nach auf andere, in der Horizontalen links und
rechts gelegene Punkte gelenkt, so werden diese Punkte offenbar in einer
krummen Linie liegen, welche man erhält, wenn man durch die beiden
fixen Punkte der Fernrohre und durch den Punkt, auf den sie ursprüng-
lich gerichtet wurden, einen Kreis beschreibt. Die Distanz der beiden
fixen Punkte der Fernröhre bildet dann eine Sehne dieses Kreises. Es
können aber die beiden Fernröhre unbeschadet ihrer Einstellung und ge-
genseitigen Neigung zu einander nicht bloss in der Horizontalen bis zu
einer gewissen Grenze links und rechts herumbewegt werden, sondern
auch in der Verticalen auf- und abwärts, und der Kreuzungspunkt ihrer
verlängert gedachten Achsen wird jetzt ebenfalls eine Kreislinie beschrei-
ben. Den Radius dieses Kreises bildet aber eine gerade Linie, welche man
erhält, wenn man jenen Kreuzungspunkt verbindet mit dem Mittelpunkte
der Distanz zwischen den fixen Punkten der Fernröhre. Würde man nun
noch unter Beobachtung derselben Bedingungen die Fernröhre so lenken,
dass der Kreuzpunkt ihrer verlängerten Achsen nach und nach auf ver-
schiedene Punkte in den dazwischen liegenden Quadranten, z. B. links und
190 Augenmuskeln.
oben oder rechts und unten u. s. w. zu liegen käme, so würden sämmtliche
Tunkte, welche jener Kreuzungspunkt nach und nach (sowohl in den hori-
zontalen, als in den verticalen und in den schiefen oder Zwischenrichtun-
gen) durchlaufen hat, die Oberfläche eines Sphäroides darstellen, oder
gleichsam eine hohle Schale, deren Gestalt sich mathematisch bestimmen
lassen würde. Diese sphäroidale Fläche oder Schale mag dem Leser einen
ungefähren Begriff geben von dem, was man Horopter nennt. Stellen wir
die Fernröhre ceteris paribus für 500 statt für 100 Fuss ein, so werden
bloss die beschriebenen Kreise grösser, wir erhalten statt des engeren
einen weiteren Horopter. Da die Augen gleich den supponirten Fernroh-
ren für verschiedene Distanzen eingestellt und dann unter einer sich stets
bleibenden Neigung der Sehachsen zu einander herum bewegt werden
können , so gibt es für jedes Individuum (mit gleichen Augen) so viele
Horopter, als Distanzen der Sehweite. Die Sehweite ist aber bei allen
Individuen auf einen gewissen Spielraum angewiesen; sie reicht z. B.
beim normalen Auge nicht unter 5", bei Kurzsichtigen wohl näher, z. B.
bis auf 3", dann aber auch nicht so weit, z. B. nur auf 9". Die mittlere
Sehweite bezeichnet man dann der Kürze halber wohl auch mit dem Aus-
drucke Mesoropter. Näheres hierüber bei der Kurz- und Weitsichtigkeit.
Wir wollten hier vorläufig nur so viel erörtern, als zum Verständniss der
Bewegung der Augen und ihrer Beziehung zur Aceomodation erspriess-
lich und nothwendig erschien.
Durch die Augenmuskeln kann die Stellung der Bulbi mit der gröss-
ten Leichtigkeit und Behendigkeit so verändert werden, dass jederzeit nicht
nur das Centrum einer jeden Netzhaut der Reihe nach irgend einem und
demselben Punkte des Gesichtsfeldes zugewendet wird, sondern auch zu-
gleich die übrigen Partien der Netzhaut eines jeden Auges dieselbe rela-
tive Lage zu je einem Objecte des Gesichtsfeldes einnehmen. Das Erslere
wird vorzugsweise durch die Recti, das Letztere vorzugsweise durch die
Obliqui bewirkt. Die Bewegungen, welche zum Zwecke haben, das Gen-
tium der Netzhäute je einem beliebigen Punkte des Gesichtsfeldes gegen-
über zu stellen, sind Gegenstand des Bewusstwerdens, sie mögen nun di-
rect vom Willen oder als Reflexbewegungen von der Netzhaut aus ange-
regt werden; sie treten theils als assoeiirte, theils als aecomodative Be-
wegungen in die Erscheinung (Bewegungen in demselben, Horopter, Richt-
bewegungen und Abänderung des Horopters). Die dabei nothwendig und
unabhängig vom Bewusstsein stattfindende Thätigkeil der Obliqui, sofern
sie nicht etwa die Wirkung der Recti unterstützt, erscheint gleichsam als
coordinirte Correction ; sie verhindert, dass bei den asso ehrten oder aeco-
Physiologie. 191
modativcn Bewegungen nicht etwa relativ verschiedene peripherische Par-
tion der einen und der andern Netzhaut einem und demselben seillichen
Objecte des Sehfeldes zugewendet werden; sie erhält so zu sagen die
correspondirende Lage der correspondirenden Meridiane der Netzhaut auf-
recht. Die Recti können nämlich vermöge ihres Ursprunges und vermöge
ihrer Insertion am Bulbus, wenn wir uns diesen als nur in seinem Mittel-
punkte unverrückbar, übrigens aber in jeder Richtung um denselben dreh-
bar denken, wie er es in der That auch ist, höchstens so viel bewirken,
dass sie jederzeit die Macula lutea jedes Auges einem und demselben be-
liebigen Objecte gegenüber stellen , d. h. dass sich beide Sehachsen bald
in einem nahen, bald in einem fernen, bald in einem gradaus, bald in einem
links, rechts, oben u. s. w. gelegenen Objecte treffen; sie können aber nicht
verhüten, dass sich der Bulbus bei diesen Übergängen zugleich um die
Sehachse drehe, was bei dem raschen Wechsel der Objecte in ihrer Di-
stanz unvermeidlich sein würde, wenn nicht gleichzeitig die Obliqui in
Thätigkeit treten, um einer jeden Netzhaut dieselbe relative Stellung zum
Sehfelde zu sichern. Man wird die Notwendigkeit einer solchen Correc-
tion leicht einsehen, wenn man bedenkt, dass die Lage der Recti um den
Bulbus keine symmetrische ist, und dass die Sehachse nicht mit der Achse
des pyramidalen Baumes zusammenfällt, an dessen Spitze die Ursprünge,
an dessen Basis die Insertionen der Becti liegen.
Denjenigen, welche sich aus eigener Anschauung eine klare Ansicht über die hier
in Betracht kommenden mechanischen Verhältnisse machen wollen, empfehle ich, sich
Bulbi in Chromsäure zu erhärten (altmälig, damit sie nicht einschrumpfen), an denen
die Recti etwas bis zum Äquator, die Obliqui bis zur Kreuzung mit den Rectis gelassen
sind, jedoch so, dass sie bis genau zu ihren Insertionslinien von der übrigens ganz rein
präparirten Sclera nach Bedarf abgehoben werden können. Durch jeden der so zubereite-
ten Bulbi steche man eine etwa l'/2" lange Nadel vom Hornhautcentrum zum hintern
Pole durch, um sich die Sehachse genau vorstellen zu können. Ebenso führe man eine
zweite Nadel im Äquator horizontal mitten durch den Bulbus. Eine dritte, vertical im
Äquator durchgeführt, dürfte schon überflüssig sein, um sich die nöthigen Durchschnitls-
ebenen durch den Bulbus richtig vorstellen zu können. Mittelst Wachskugeln an der in-
nern und äussern Wandung der Orbita eines Schädels befestige man nun die von den
Schläfen- nach der Nasenseite durchgeführte Nadel im Eingange der Augenhöhle, und
schütze den Bulbus gegen Drehung allenfalls noch durch eine Wachsunterlage am untern
Orbitalrande. Kann man sich die Insertionslinien der Obliqui bei dieser nun möglichst
naturgetreuen Lage des Bulbus nicht klar vorstellen, so nehme man einen aufgesägten
Schädel und entferne die obere Wandung der Orbita. Damit die Nadel, welche die
Sehachse vorstellt, parallel zur verticalen Medianebene des Kopfes gehe, demnach bei
horizontalem Verlaufe von vorne nach hinten senkrecht auf der verticalen Antlitzfläche
stehe, muss die Wachskugcl zur Aufnahme der zweiten Nadel an der Schläfseite v o r
dem Orbilalrande angebracht werden.
192 Augenmuskeln.
Die Bestimmung des Antheiles, welchen jeder einzelne Muskel an den
verschiedenen Bewegungen und Haltungen des Augapfels nimmt, ist un-
erlässlich zur Beurtheilung von Krankheitsfällen , z. B. bei Lähmung eines
oder mehrer Augenmuskeln; sie ist aber äusserst schwierig und bis jetzt
nur bis zu einem gewissen Grade möglich, weil kein Muskel für sich
allein wirkt, sondern immer alle zugleich thätig sind, weil die Abände-
rung in der Stellung des Bulbus, wenn auch vorzüglich durch Verkürzung
eines oder zweier Muskeln bewirkt, dennoch immer durch Mitwirkung
eines oder mehrer Muskeln unterstützt, und durch entsprechende Verlän-
gerung nicht bloss eines , sondern zweier oder dreier zugleich antagoni-
stisch moderirt wird, weil dabei immer die frühere Stellung von mehr
weniger bedeutendem Einflüsse ist, und endlich weil überdiess die Grup-
pirung der verkürzten Muskeln und der Grad ihrer Verkürzung verschieden
ausfallen muss, je nachdem dieselbe Bewegung in einem engen oder in
einem weiten Horopter ausgeführt wird. — Die wichtigsten Momente zur
Beurtheilung der Betheiligung eines Muskels sind: die Stelle des Ursprun-
ges (eigentlich des fixen Punktes) und der Insertion, die Richtung der
Insertionslinie und die Lage ihres Mittelpunktes , die Krümmung des Mus-
kels oder der Sehne zwischen dem fixen Punkte und der Insertion, die
Dicke, Breite und Länge der Muskelbäuche und Muskelsehnen, und die
relative Lage longitudinaler und transversaler Durchschnittsebenen der
Muskeln und ihrer Endsehnen zum Drehpunkte und zu gewissen, durch
denselben geführten' Durchschnittsebenen des Bulbus. Mit Rücksicht auf
diese Momente lässt sich über die Wirkung jedes einzelnen Muskels, je-
doch ganz im Allgemeinen, ohngefähr Folgendes mit Bestimmtheit angeben.
Der R. internus rollt das vordere Ende der Sehachse (Hornhaut-
centrum) horizontal ein-, der Ft. externus dagegen auswärts, vorausgesetzt,
dass die Obliqui und die andern beiden Recti dabei einander das Gleich-
gewicht halten. Denn würde in demselben Momente, wo der R. internus
kürzer wird, z. B. der R. superior kürzer, als der R. inferior, so müsste
die Pupille nach innen und oben gerollt werden. — Ebenso würde, da bei
Verkürzung des R. internus, mit welchem immer auch eine mehr weniger
geringe Verkürzung des R. superior und inferior zugleich erfolgt, das
Gegengewicht durch den R. externus im Verein mit den beiden Obliquis
hergestellt wird, der Ausfall eines Obliquus, z. B. des Obl. superior, das
bewirken, dass der Bulbus nicht bloss ein wenig um die Sehachse gedreht
würde, wobei der R. superior etwas gegen die Schläfe hin verrückt wer-
den müsste, sondern auch, dass die Pupille stärker nach innen und zu-
gleich ein wenig nach oben abgelenkt werden würde, als wenn der Rectws
Physiologie. 193
externus in seinem Antagonismus gegen den R. internus durch beide
Obliqui zugleich unterstützt wird. — Eine Ebene, mitten durch die Inser-
tionslinien dieser beiden Recti und durch den Bulbus bis zum Sehnerven-
loche geführt, geht durch den Drehpunkt des Auges, trennt den Bulbus
in eine untere und obere Hälfte, und die durch den Drehpunkt verlau-
fende vertikale Äquatorialachse, steht senkrecht auf dieser Ebene ; wenn
sich demnach die Pupille in dieser Ebene links oder rechts wendet, so
ist jene vertikale Äquatorialachse seine Drehungsachse, d. h. die Drehungs-
achse für den R. internus und externus.
Der R. superior rollt das Hornhautcentrum nach oben, jedoch nicht
vertikal, sondern ein wenig zur vertikalen Medianebene des Kopfes zunei-
gend ; bei der Abwärtsrollung des Bulbus durch den R. inferior tritt die
Zuneigung zur vertikalen Medianebene noch etwas stärker hervor. Eine
Ebene, mitten durch die Insertionslinien und weiterhin mitten durch die
Muskelbäuche des R. superior und inferior bis zum Sehnervenloche gelegt,
geht nicht durch den Drehpunkt, sondern streicht an der Nasenseite neben
ihm vorbei : sie steht überdiess nicht vertikal auf der Horizontalen, son-
dern neigt sich unten etwas zur Nase herüber. Hienach lässt sich die
gemeinschaftliche Drehungsachse für diese beiden Recti an und für sich
so wie bei den andern beiden bestimmen. Soll der Bulbus um eine von
der Nasen- zur Schläfeseite parallel zur Anllitzfläche durch den Dreh-
punkt verlaufende Achse gerollt werden (vertikal auf- und abwärts), so
kann diess durch die in Rede stehenden Recti allein nicht bewirkt werden;
es ist diess nur dann möglich, wenn zugleich die beiden Obliqui und der
R. externus verkürzt werden, was — relativ zum R. internus — natür-
lich in verschiedenem Grade statt finden wird, je nachdem die Pupille da-
bei in der Mitte der Lidspalte oder in der Nähe des innern oder äussern
Augenwinkels auf- und abwärts steigen soll.
Der Obl. superior rollt das Hornhautcenlrum nach unten und aussen,
dreht aber zugleich den Bulbus ein wenig oben herüber, so dass das
obere Ende der vertikalen Äquntorialachse etwas zur Nase zugeneigt, der
Bulbus in dieser Richtung ein wenig um die Sehachse gedreht werden
kann; der Obl. inferior rollt das Hornhautcentrum nach oben und aussen,
und kann zugleich eine Drehung des Bulbus um die Sehachse in ent-
gegengesetzter Richtung bewirken, wenn ihm nämlich der Obl. suerior
hierin nicht als Antagonist entgegentritt. Diese Wirkungsweise ist con-
statirt durch die unmittelbare Beobachtung, für den Obl. superior bei Läh-
mung des Nerv, oculomotorius, für den Obl. inferior bei Lähmung des
Arifs AuecnlieiRun.le II, 2. 13
194 Augenmuskeln.
N. troehlearis. Ist der Reclus externus vollständig- gelähmt- oder so durch-
schnitten, dass er auch nicht mittelst der seitlichen Invaginalion in der Tunica
vaginalis auf den Bulbus wirken kann, dann kann der Bulbus niemals über
die Mitte der Lidspalte hinaus nach aussen gerollt werden. Rücksichtlich
der Drehungsachsen für die Obliqui wage ich keine bestimmte Ansicht
auszusprechen; es finden in ihren Insertionslinien, welche ziemlich bogen-
förmig und überdiess schräg verlaufen (nicht quer auf die Richtung der
Muskel- und Sehnenfasern), sowohl in Bezug auf die durchschnittliche
(mittlere) Richtung als in Bezug auf die relative Lage und Distanz vom
hintern Pole bei verschiedenen Individuen sehr erhebliche Variationen
statt. Macht man keinen Anspruch auf grosse Genauigkeit, so kann man
sich eine gerade Linie, vom äussern Rande der Cornea zum irihern Rande
des Sehnerveneintrittes durch den Drehpunkt gezogen, als gemeinschaft-
liche Drehungsachse der Obliqui denken.
Bei der Betrachtung des Antheiles, welchen die verschiedenen Mus-
keln zusammen an der Hervorrufung und Erhaltung einer bestimmten
Stellung des Blickes nehmen, muss jederzeit zugleich auf den jeweiligen
Horopter Rücksicht genommen werden. Bei den bisherigen Angaben über
die Wirkungsweise der einzelnen Muskeln haben wir auf den Horopter
keine Rücksicht genommen, oder vielmehr wir haben von der accommo-
dativen Thätigkeit des Sehorganes vorläufig Umgang genommen. Unser
Blick wechselt aber beständig nicht nur in Bezug auf rechts, links, oben,
unten, und die Zwischenrichtungen, sondern auch in Bezug auf die Distanz
in jeder möglichen Richtung. — Der Blick gradaus und in weitem Horop-
ter, wie etwa in einer Ebene nach den Grenzen des Horizontes , dürfte
wohl als Mittelstellung, als jener Stand des Auges betrachtet werden
können, bei welchem sämmtliche Recti und Obliqui in gleicher Weise in
Anspruch genommen werden, d. h. das Mittel zwischen äusserster Ver-
kürzung und Verlängerung darbieten. Er wird kurzweg auch als Zustand
der Ruhe bezeichnet, was nur in Bezug auf die Accommodationsthätigkeit
als richtig zugegeben werden kann. — Je enger der Horopter wird, desto
kürzer werden die beiden Recti interni, zugleich auch , nur in minderern
Grade, der R. superior und inferior, während der R. externus in gleichem,
die Obliqui dagegen in viel geringerem Masse länger werden, überdiess
aber sämmtliche Recti und Obliqui in erhöhte Spannung gerathen. Das
Gesammtergebniss ist nicht nur Näherung der Pupillen zu einander, son-
dern auch — wovon wir später noch sprechen werden — Erhöhung der
seitlichen Compression des Bulbus und entsprechende Verlängerung der
Sehachse. In diesem Zustande nun kann der Blick in demselben Horop-
Physiologie 195
ter herumgeführt werden, und geschieht diess in der Horizontalen, d. h.
gerade von links nach rechts oder umgekehrt, so wird in dein relativen
Verhältniss der oben als Antagonisten bezeichneten Muskelgruppen nichts
verändert, als dass die einen kürzer, die andern länger werden. Wird der
Horopter noch enger, so steigt die Zuneigung der Pupillen zu einander
und die Spannung sännntlicher Muskel noch mehr, ohne Behinderung der
Beweglichkeit der Bulbi nach der einen oder der andern Seite hin. —
Beim Blicke des einen Auges nach innen und oben ist der Blick des an-
dern entweder gleichfalls nach innen und oben gerichtet (enger Horopter),
oder aber nach aussen und oben. Das eine wird zunächst durch
den R. internus und superior, das andere durch den R. exlcrnus und s;u-
perior bewirkt ; die Wirkung- der Obliqui dabei ist theils eine die Richtung-
unterstützende, theils eine die relativ gleiche Stellung der Netzhäute ver-
mittelnde. Da die Verkürzung- des R. internus und superior eine soh-he
Drehung des Bulbus zur Folge haben müsste, dass das obere Ende der
vertikalen Äquatoriale chsc (oder des vertikalen Meridianes) sich der ver-
tikalen Medianebene des Kopfes nähern müsste, so muss die gleichzeitig
eintretende Verkürzung des Obl. inferior diese Drehung verhindern oder
doch so moderiren , dass jene Annäherung der obern Achsenenden auf
beiden Augen in gleichem Maasse statt findet. Die Verkürzung des Obl.
inferior muss um so stärker sein, je mehr der R, internus und superior
contrahirt sind, d. h. je näher das oberhalb der Horizontalen befindliche
Objeet an das Auge herangerückt wird. Geht aber der Blick des einen
Auges nach innen und oben, der des andern nach aussen und oben, so
wird diese Correctur auf dem zweiten Auge (die Verhinderung der zu
starken Ablenkung des obern Endes der vertikalen Achse) durch den Obl.
superior vermittelt, — Beim Blicke des einen Auges nach innen und
unten nimmt das zweite Auge dieselbe Stellung an, oder die nach unten
und aussen. Die gleichzeitige Verkürzung des R. internus und inferior
bei entsprechender Verlängerung des R. externus und superior müsste aber
das untere Ende der vertikalen Augenachse näher an die vertikale Me-
dianebene bringen; es wird daher die Aufgabe des Obl. superior, die
Rollung nach unten zu unterstützen, zugleich aber auch, unter entspre-
chender Gegenwirkung des Obl. inferior, die genannte Drehung der ver-
tikalen Achse zu moderiren, indem er das obere Ende derselben zur Me-
dianebene herüber hält. Geht aber der Blick des zweiten Auges nach
unten und aussen, so übernimmt auf diesem Auge der Obl. inferior in
entsprechender Gegenwirkung gegen den Obl. superior die Correctur der
verticalen Achse (der Meridiane),
13*
196 Augenmuskeln.
I\aoh meiner Überzeugung bleiben die vertikalen Äqnatorialachhsen, oder, was auf
Eins hinauskommt, die vertikalen Meridiane der beiden Netzhäute einander nicht bei allen
Stellungen der Bulbi parallel. Sie verlaufen beide zu einander parallel, mithin beide
vertikal, wenn wir auf entfernte Objecte gerade vor uns blicken; sie treten oben etwas
auseinander, wenn wir in die Ferne aufwärts blicken; sie neigen sich unten zu einan-
der beim Blicke nach unten, und zwar um so mehr, je näher an die Augen das fixirte
Objcc.t gerichtet wird. Da die Durchführung dieses Thema, welches mit der Lehre von
der Identität der einzelnen Netzhautpunkte als etwas Angeborenem innigst zusammenhängt,
hier zu weit führen würde, so genüge es, bloss darauf hingewiesen zu haben, und noch
einige darauf Bezug habende Thatsachen in Kürze anzuführen. Beim Blicke nach unten
waltet eine entschiedene Tendenz zu stärkerer Convergenz der Sehachsen ob. Wollen
wir in die Ferne blicken, so neigen wir, falls das Object nicht über der Horizontalen
liegt, den Kopf ein wenig vorwärts, wodurch die Stellung der Sehachsen relativ zur
Orbita eine aufwärts gerichtete, also der geringeren Convergenz der Sehachsen günsti-
ger wird. Hingegen halten wir alle feinen, nur in grosser Nähe deutlich erkennbaren
Objecte unterhalb der Horizontalen vor die Augen, weil bei vorwaltender Thätigkeit
(Verkürzung) der untern geraden Augenmuskeln ein gewisser Grad von Convergenz der
Sehachsen eo ipso gegeben ist. Wird von den Augen gefordert, nach unten in grosse
Ferne zu schauen, z. B. von einem Thurme, also die Sehachsen bei abwärts gerichtetem
Blicke mehr auseinander zu halten, so müssen nicht nur beide Obliqui superiores, sondern
auch wahrscheinlich beide Recti externi in viel mehr erhöhte Thätigkeit treten, als wenn
dasselbe Object in gleicher Entfernung gerade vor den Augen läge. Es ist wahrschein-
lich, dass hierin der Grund des Schwindels liegt, wenn beim Herabblicken von einer
steilen Höhe diese ungewohnte Stellung und Haltung von den Augen verlangt wird.
Die betreffenden Muskeln gerathen bei dieser ungewöhnlichen Combination und Kraft-
anstrengung in zitternde Bewegungen, was den Eindruck macht, als bewegten sich die
Objecte des Sehfeldes.
Diese kurzen und mehr allgemein gehaltenen Andeutungen über die Function der
Augenmuskeln überhaupt und im Besondern mögen vorläufig genügen. Die nachfolgenden
Erörterungen über die Accomodation, über Kurz- und Weitsichtigkeit, über Muskelläh-
mungen u. s. w. werden ohnehin noch erheischen, hie und da genauer darauf einzugehen.
Über die Accommodation, das Eiiirichtungsveriiiügeii der Augen.
Unser Auge stellt eine Camera obscura vor. Die Hornhaut mit dem
Krystallkörper und dem zwischen beiden eingeschlossenen Kammerwasser
bildet das Objectiv oder Sammelglas, die Netzhaut den Schirm und der
Glaskörper das Zwischenmedium zwischen beiden. Unter die wesentlichen
Bedingungen des deutlichen Sehens gehört die, dass die auf der Netzhaut
entworfenen Bilder der Objecte bis zu einem gewissen Grade scharf be-
grenzt sind, dass die Netzhaut jederzeit in der der jeweiligen Object-
distanz entsprechenden Vereinigungsweite liegt. Sollen Objecte von sehr
diiferenter Entfernung auf dein Schirme einer Camera obscura scharf ab-
gebildet werden, so kann diess nur nach und nach und nur mittelst Ver-
änderungen in der Camera selbst geschehen ; denn die Bilder naher Ob-
Physiologie — Accomiliodatron. 197
jecte werden weiter hinter der Sammellinse entworfen, als die von ent-
fernteren Ob jeden. Dieser Anforderung kann auf mehrfache Weise Ge-
nüge geleistet werden: a) indem, wenn nahe Objecto abgebildet werden
sollen, der Schirm zurückgestellt oder das Objectiv vorgerückt, überhaup
die Distanz zwischen Objectiv und Schirm vergrössert wird; fr) indem zu
demselben Zwecke eine Linse von kleinerem Radius gewählt, die Wöl-
bung der Sammellinse erhöht wird ; oder c) indem in den Breehungsver-
hältnissen zwischen der Sammellinse und den Medien vor oder hinter der-
selben entsprechende Veränderungen angebracht, z. B. behufs der Abbildung
naher Objecte eine Linse von einem grösseren Brechungsindex (grösserer Dich-
tigkeit) eingesetzt oder die Brechungskraft (Dichtigkeit) des vor oder hinter
der Linse gelegenen Mediums nach Erforderniss vermindert wird. Bei
gleichzeitiger Anwendung zweier dieser Mittel würde natürlich von jedem
derselben viel weniger gefordert werden, um dasselbe Resultat zu erzielen.
Seit Kepler nachgewiesen hat, dass im Auge dieselben dioptrischen
Verhältnisse obwalten, wie in einer Camera obscura, wurde ziemlich all-
gemein angenommen, dass im Auge behufs des Deutlichsehens naher und
ferner Objecte auch Veränderungen der einen oder der andern Art vor
sich gehen, dass das Auge ein Accommodationsvermögen besitze. Nur
wenige Forscher meinten, das Auge sei schon an und für sich so beschaf-
fen, dass eine Änderung seines Refractionszustandes zu diesem Behufe
nicht nothwendig sei. So meinte Treviranus in dem geschichteten Baue
der Krystallinse, in ihrer gegen den Kern hin schichtenweise zunehmen-
den Dichtigkeit das Mittel gefunden zu haben, dass sowohl nahe als ferne
Objecte auf der Netzhaut deutlich abgebildet werden könnten. Diese An-
sicht ist theils theoretisch — von Kohlrausch — theils factisch durch
Beobachtungen (wovon später) widerlegt worden. Eben so ist die An-
nahme, dass die Netzhaut im hintern Pole eine nach innen hervorsprin-
gende Falte darbiete, und die Bilder entfernter Objecte auf, die Bilder
naher Objecte neben dieser Falte (also weiter hinten) entworfen würden,
schon dadurch widerlegt worden, dass man die Nichtexistenz einer solchen
Falte während des Lebens nachgewiesen hat (durch Untersuchung von
Hingerichteten unmittelbar nach dem Tode, durch den Augenspiegel). Die
Abänderung des Refractionszustandes behufs des Deutlichsehens von Ob-
jecten sehr differenter Entfernung, schon früher aus den Versuchen von
Scheiner, Mile, Volkmann u. A. bestimmt gefolgert, ist seit der Erfindung
des Augenspiegels Thatsache der unmittelbaren Beobachtung, und es kann
von nun an nur noch die Frage sein, auf welche Weise die Accomoda-
tion des Auges für verschiedene Sehweiten vermittelt werde, für welche
198
Augenmuskeln.
Distanzen der Objecte und bis zu welchem Grade solche Veränderungen
gefordert werden.
„Man lasse, indem man ein normales Auge mit dem Augenspiegel untersucht, das-
selbe einen Gegenstand lixiren, der von ihm eben so weit entfernt ist, als ein Faden,
den man quer vor dem Glase der Beleuchtungslampe aufgespannt hat. Der Beobachter
sieht alsdann die Elemente der Netzhaut und das Bild des Fadens gleich deutlich. Rückt
man nun, während der Beobachtete fortwahrend jenen Gegenstand fixirt, den Faden
seinem Auge näher oder ferner, so wird er im Netzhaulbilde undeutlich, oder verschwin-
det gänzlich, während die Retinatheile deutlich bleiben, Man ersieht daraus, dass Netz-
hautbilder von verschiedenen entfernten Gegenständen in der That nicht gleich deutlich
sind. Alsdann stelle man den Faden wieder so. dass man ihn im Netzhautbilde gleich-
zeitig mit den Gelassen deutlich erscheinen sieht, und lasse das beobachtete Auge einen
Funkt fixiren, welcher (in derselben Richtung) entweder viel weiter oder viel näher ist,
als der, auf den es vorher gerichtet war; sogleich sieht man Netzhaut und Flammenbild
verschwimmen und undeutlich werden." {Helmhoh, Augenspiegel, 1851 S. 37.)
Hält man eine undurchsichtige Platte (Kartenblatt) mit zwei feinen Offnungen (Na-
delstichen), welche nicht ganz so weit von einander abstehen, als der Durchmesser der
Pupille beträgt (also etwa 1'"^ nahe vor das Auge (weniger als 5y2'"), und visirt nun
durch diese Öffnungen in einer Linie gerade vor sich hin auf einen feinen Gegenstand,
etwa eine Nadel vor einem lichten Hintergründe, welche in dieser Linie fortbewegt
werden kann, so erscheint die Nadel, nahe hinter der Plattte gehalten : doppelt, dann,
bis zu einer gewissen Entfernung fortgerückt: einfach, endlich, über eine gewisse Grenze
entfernt : wieder doppelt. Der Raum, in welchem die Nadel einfach erscheint, heisst
die deutliche Sehweite ; sein GrenzpunUt gegen das Auge her: der Nahepunkt) der ent-
gegengesetzte : der Fernpunkt. Die Lage des Nahepunktes ist in der Regel 5 (4 — 6)
Zoll vor dem Hornhautcentruin, ausnahmweise (bei sehr Kursichtigen) jedoch bis auf 2
und seihst 1 Y, Zoll herangerückt. Der Ort des Fernpunktes Iässt sich nur an solchen
Augen genau bestimmen, an welchen er abnorm nahe gerückt ist (bei Kurzsichtigen),
indem bei beträchtlicher Entfernung eines so kleinen Objectes, wie bei diesem Versuche,
nicht nur der Sehwinkel (Netzhautbild), sondern auch die Lichtmenge (scheinbarer Glanz
des Netzhauthildes) und die Energie der Netzhaut (Feinheit des Gesichtes) von bedeu-
tendem Einflüsse auf die Wahrnehmung des Doppelbildes sind.
„Betrachtet man nach Scheiner 's Angabe durch eine solche Platte mit 2 Öffnungen
zwei Nadeln, deren eine näher, die andere ferner aufgesteckt ist, so nämlich, dass beide
in die Sehachse und innerhalb der Grenze des deutlichen Sehens zu stehen kommen, so
erscheinen zunächst zwei lichte Kreise, welche sich zum Thcil dechen, und in diesem
mittlem (lichteren) Theile die Nadeln. Fixirt man nun beliebig die eine ober die an-
dere Nadel, so erscheint jedesmal die nicht fixirte doppelt und nur die fixirte einlach.
Der Grund ist Folgender. Es sei in Fig. 1
&
Physiologie
Acoomnioriatioii.
199
a die entferntere Stecknadel und das Auge auf diese gerichtet. Es sei ferner b die
zu nahe gelegene Nadel, und Im das doppelle Kartenloch. Die von a ausgehenden
Strahlen al und am werden auf der Netzhaut bei a' vereinigt, die von b einfallenden
Strahlen bl und bm vereinigen sich dagegen erst hinter derselben bei b'. Daher treffen
die Strahlen von 6, welche durch l ins Auge dringen, die Netzhaut bei s, wahrend die
durch m auffallenden dieselbe bei r treffen. So entstehen zwei blasse Bilder bei s und r,
statt eines einzigen und intensiv beleuchteten bei a'. — Fixirt man dagegen 6, so er-
scheint dieselbe einfach und a wird doppelt. Der Grund hievon ergibt sich aus Fig. 2.
Rj:z
(b~~. :z>^~
Da das Auge für b passend eingerichtet ist, so vereinigen sich die Lichtbündel bl
und bin auf der Netzhaut und fonniren ihr Bild im Achsenpunkte des Auges bei b'. Un-
ter diesen Umständen liegt a zu fern , die Strahlen am und al haben ihren Focus bei x
und der ausfahrende Strahl Ix geht weiter nach s, desgleichen geht mx weiter nach r,
so dass sich zwei blasse Bilder bei r und s statt eines einzigen bei b gestalten. — Die
Richtigkeit dieser Deutungen ergibt sich aus Folgendem. Verschliesst man während der
Beobachtung das eine der Kartenlöcher, so verschwindet im ersten Experimente, bei un-
gehöriger Nähe der Nadel, das Bild der entgegengesetzten Seite, im 2. Versuche dagegen,
wo die Nadel zu fern steht, das Bild der entsprechenden Seite. Man erinnere sich zu-
nächst an die Erfahrung, dass die Lage, in welcher uns Gegenstände erscheinen, die um-
gekehrte von der ist, in welcher ihr Bild auf der Netzhaut sich wirklich darstellt. Ver-
schwindet bei unpassender Nähe der Nadel das gegenüber liegende Bild , so musste das
Netzhautbildchen auf der Seite des verschlossenen Loches liegen, eine Anordnung, welche
nur möglich ist, wenn die gebrochenen Lichtstrahlen erst hinter der Netzhaut vereinigt
werden, wie Fig. 1 angibt. Wenn dagegen bei ungeeigneter Entfernung des Objectes
Verschluss eines Kartenloches das Bild der entsprechenden Seite verschwinden macht,
so müssen diessmal Kartenloch und Netzhautbildchen auf entgegengesetzten Seiten gele-
legen sein. Fig. 2 zeigt, dass dieser Fall durch eine Kreuzung der Lichtstrahlen vor der
Netzhaut bedingt ist. Beide Fälle beweisen also , dass das Licht zu naher und zu fer-
ner Objecte nicht auf der Netzhaut, sondern respective hinter nnd vor ihr vereinigt wird,
und zwar nach Gesetzen, welche durch die Theorie der Linsengläser gegeben sind."
(Vpikmann in Wagners Handwörterbuch III. B. S. 207).
Durch Anwendung des Scfeewiej-'schen Versuches auf das exstirpirte Auge eines
weissen Kaninchens hat Volkmauti (Neue Beitr. zur Physiol. des Gesichtssinnes, 1836
S. 109) nachgewiesen, dass Magendie, Bitter, Haiddt u. A. Unrecht hatten, wenn sie
behaupteten, dass selbst im todten Auge die Bilder von Objecten der differentesten Di-
stanzen gleich deutlich entworfen werden. Er Hess Licht aus verschiedenen Entfernun-
gen durch zwei solche Öffnungen, wie beim Schei?ier' sehen Versuche in die Pupille
fallen und beobachtete die Lichtbilder am hintern Umfange des Bulbus. Bei einer be-
stimmten Entfernung des Lichtes vom Auge saben die beiden Öffnungen nur Ein Licht-
200
Aiiiieiiiiiu.skeln.
bild; bei Annäherung des Lichtes bis auf nur einige Zoll, so wie bei beträchtlicher Ent-
fernung desselben entstanden zwei Lichtbilder. — Im Jahre 1850 habe ich mit meinem
Assistenten Dr. Seydl ähnliche Versuche, jedoch mit Menschenaugen vorgenommen. Der
Bulbus — nach Abstreifung des Epithels der Cornea — wurde auf einen Ring gelegt, dann
in der Gegend des hintern Poles ein Stück Sclera und Chorioidea entfernt. Zum Ob-
jecte wurde grosse, von der Sonne beschienene Druckschrift gewählt; nur bei bestimm-
ter Distanz derselben von der Cornea, zwischen 5 und 9 Zoll, konnte der Beobachter
die Buchstaben von der Netzhaut ablesen.
„Es sei in Fig. 3 kk eine Karle, in welche man ein feines Loch bei b gestochen,
und l und m zwei Stecknadeln, welche man, in einiger Entfernung' hinter einander, in
der Visirlinie aufgerichtet hat. (Miles Versuch.) Befindet sich nun //* in passender Seh-
weite, und folglich / in zu grosser Ferne, so bemerkt man bei seitlicher Verschiebung
der Karte, dass die sich anfänglich deckenden Nadeln aus einander treten. Die in pas-
sender Sehweite aufgesteckte Nadel m behauptet bewegungslos ihren Stand, die zu fern
liegende Nadel / dagegen bewegt sich mit dem Diopter in entsprechender Richtung. — >
Befindet sich aber die entferntere Nadel in passender Sehweite und steht m dem Auge zu
nahe, so dreht die Erscheinung sich uin, die entfernte Nadel bleibt, wenn der Diopter
verschoben wird, ruhig, und bloss das Bild der zu nahe gelegenen Nadel bewegt sich,
diessmal in der entgegengesetzten Richtung des Kartenloches. — Die Erklärung des
Phänomens liegt offenbar in Folgendem. Abstrahirt man vom Einflüsse der Karte, welche
einen Theil des Lichtes auffängt, so sendet jede Nadel einen divergirenden Lichtkegel
ins Auge, dessen Basis die Weite der Pupille rs ist. Gesetzt, / hefinde sich in passen-
der Sehweite, so würde das divergirende Strahlensystem vis bei e vereinigt. Hier kann
Verschiebung der Karte keine Verrückung des Netzhautbildes und folglich auch keine
Bewegung der durch dasselbe bedingten Gesichtserscheinung veranlassen. Denn wenn
die Diopteröffnung in der Weise verrückt würde, dass nur der Strahl Ir ins Auge fallen
könnte, so müsste, weil e der Focus aller Strahlen ist, auch Ir nach c kommen, wie die
Figur angibt. Anders verhält es sich mit dem zu nahe liegenden Lichtpunkte m. Indem
das von ihm ausgehende Licht erst hinter der Netzhaut bei x vereinigt wird, bildet sich auf
dieser ein Zerstreuungskreis vom Durchmesser tu. Befindet sich nun das Kartenloch in der
Verlängerung der Sehachse, so gelangt der Lichtstrahl mb nach e und die Bilder der Na-
deln decken sich; verschiebt man nun die Karte so, dass nur der Strahl i»r von m aus
ins Auge gelangt, so schneidet der ausfahrende Strahl rx die Netzhaut bei / und die
Nadelbilder trennen sich. Der Grund, warum in dem einen Falle die Bewegung des
Bildes der des Diopters folgt, in dem andern entgegengesetzt, ergibt sich aus dein, w as
bei Erörterung des ScAemer'schen Versuches angegeben wurde." (Vulkmann ibid. S. 299.*)
') Sehr ausfuhrlilii-h, klar und t: i'iia hat mein, ilcr W'isscnsoliifi leider zu früh entrissener Freund I>r. Herrn Mayer
in Komotttu die Erscheinungen In im ScAemer'schcu und IrYfe'schen Versuche «ls Beweismittel Inr das Bestehen
einer willkürlichen Accomodiition in der Prager medic. Vierletiehrschrift lt. 28 | 1850) u i:. 3'^ (l&äl) erörtert.
Physiologie — Acroiimiodutioii. 201
Jedes Auge hat vermöge seines Baues einen bestimmten Refractions-
zustand, gegeben durch die Krümmungs- und Brechungsverhaltnisse sei-
ner durchsichtigen Medien und durch die Distanz der Netzhaut von dem
Objective (Hornhaut, Kammerwasser und Linse). Verschiedenheiten hierin
bezeichnen wir mit den Ausdrücken : kurzsichtiger, normaler und fernsich-
tiger Bau des Auges, ohne vorläufig anzugeben, worin speciell diese Ver-
schiedenheiten begründet sind. Ehe wir demnach in Betrachtung ziehen
können, worin die jeweilige temporäre Abänderung des Refractionszustandes
behufs des Deutlichsehens für verschiedene Distanzen — die Accomoda-
tion — bestehe, müssen wir erst untersuchen, für welche Distanz das
normale Auge an und für sich, d. h. vermöge seines Baues eingerichtet
sei. Man könnte sich nämlich denken, der Refractionszustand des norma-
len Auges entspreche einer gewissen mittlem Distanz, und es müsse der-
selbe verändert werden, nicht nur wenn nähere, sondern auch wenn ent-
ferntere Objecte deutlich gesehen werden sollen ; oder es könnte sich er-
geben, dass das Auge im ruhenden Zustande — ohne Zuthun der accomoda-
tiven Thätigkeit — für parallele Strahlen , mithin für unendlich oder doch
sehr ferne Objecte eingerichtet sei, und eine Accommodation nur für näher
gelegene Objecte gefordert werde. Wir werden aber nachzuweisen ver-
suchen, dass der Refractionszustand normaler Avgen für mittlere Di-
stanzen eingerichtet ist, dass für grössere Distanzen eine Abänderung
nicht stattfindet, sehr entfernte Objecte demnach nicht auf, sondern ein
wenig vor der Netzhaut abgebildet werden, und dass eine Abänderung im
Refractionszustande nur behufs des Deutlichsehens näher gelegener Ob-
jecte erfolgt, so dass demnach der Ausdruck: „das Auge accommodirt sich"
nichts anderes bedeutet, als : das Auge ändert seine dioptrischen Verhält-
nisse behufs des Deutlichsehens naher Objecte.
Die Brennweite der Hornhaut sammt dem Kammerwasser und der
Linse beträgt im normalen Auge kaum jemals weniger als 6'", niemals
mehr als 7"'. (Achse des Glaskörpers.) Das Objectiv des normalen Men-
schenauges ist demnach eine Sammellinse von kurzer Brennweite. Bei
Linsen von kurzer Brennweite tritt aber eine merkliche Zunahme der Ver-
einigungsweite oder Bilddistanz nur bei kürzeren Objectdistanzen hervor,
werden demnach auch erhebliche Veränderungen in dem Refractions-
zustande, z. B. erhebliche Rückstellung des Schirmes, nur behufs der Ab-
bildung naher und sehr naher Objecte nothwendig. Hätte das Objectiv
des menschlichen Auges eine noch kürzere Brennweite, etwa nur von 3"',
dann würde die Vereinigungsweite für Objecte sehr verschiedener Distan-
zen einen noch viel geringeren Spielraum darbieten, es würden, wie
202 Augenmuskeln.
H. Mayer durch Versuche ermittelt hat, die Bilder von Objccten aus 7" Di-
stanz nur etwa 710"' weiter rückwärls entworfen werden, als die Bilder
von unendlich entfernten Objeeten. Bei einer Linse von 61/,,'" Brenn-
weite ist aber eine Veränderung der Vereinigungsweite (Verschiebung des
Schirmes der Netzhaut; von nicht viel über %M hinreichend, wenn so-
wohl von solchen Objeeten, deren Strahlen als nahezu parallel betrachtet
werden können, als auch von solchen, die nur 5" entfernt sind, deutliche
Bilder entworfen werden sollen. Nennen wir in der bekannten Formel
J i_ _ j_ die Bilddistanz a, die Objectdistanz «, und b = %%'"
a b a
die Brennweite der Sammellinse unseres Auges, und substituiren wir in
_ 1_ ab
der Gleichung a ~~ d\ jv — a_b nach und nach verschiedene
yib ~~aj
Werthe von a, so erhalten wir beispielweise folgendes Schema :
Ist a ==
CO
so
ist
a = 6,5000'"
Ist
a =40" SO
ist
a = 6,5881'"
000'
n
55
a z= 6,5003'"
,,
« =20" „
55
« = 6,6809'"
500'
n
„
a = 6,5005'"
J7
^=15" „
57
a = 6,7435'"
100'
i)
57
a = 6,5029'"
n
« = 10"
55
a zz 6,8722'"
20'
55
n
a =6,5146'"
55
« = i%* »
55
a = 7,0059"'
10'
55
»
et = 6,5294"'
55
«== 5" „
JJ
a = 7,2897 "
5'
n
n
a == 6,5592'"
ist « = 4" so ist «
== 7,5180'"
»
Cl __ ö „ .
a
= 7,9322"'
„ « = 2" ., „ a = 8,9428'"*)
Für alle über 5 Fuss betragenden Objectdistanzen ist der Durchmes-
ser der Pupille relativ so klein, dass die Strahlen, welche von irgend
einem Punkte aus solchen Entfernungen auf das entsprechende Hornhaut-
areal fallen, als zu einander (zum Achsen- oder Richtungsstrahle) nahezu
parallel betrachtet werden können. Dass dem wirklich so sei, zeigt schon
die Möglichkeit, ein Auge, welches auf mindestens 5 Fuss Distanz aecom-
modirt ist, mit dem Augenspiegel im aufrechten Bilde ohne Concavglas zu
untersuchen. (Vergl. III. B. S. 83 und die zugehörige Fig. auf S. 78.)
Richten wir den Blick auf ein nahes kleines Object, z. B. auf einen
Buchstaben, so liegt es in unserer Willkür, bei unveränderter Distanz ihn
deutlich oder undeutlich zu sehen, sobald die Distanz nicht weniger als 5
*) 0,4555 Wiener Linien = 1 Millimeter; 12'" = 1", 12" == 1'. Dieses Schema kann allerdings nicht slreug
auf das Auge angewendet werden, da dessen Sammellinse eine zusammengesetzte i-t. es handelt sich hier aber
auch nur um eine annäherungsweise Angabc oder um eine Hinweisung ,ml cm Analogun.
Physiologie — Aecommotlcifion. 203
und nicht mehr als 12 — 15 Zoll beträgt. Es wird diess dadurch ermög-
licht, dass man bei unverrücktem Blicke auf das Object sein Auge in jenen
Zustand versetzt, in welchem es sich beim gedankenlosen Yor-sich-hin-
starren befindet; hiebei wird das Object undeutlich, auch wenn es in der
gehörigen Distanz, z. ß. 8 Zoll, und gegenüber der Macula lutea liegt, es
bekommt prismatische Farbensäöme, erscheint wohl auch 2 — 3fach.
Auf eine sehr einfache Weise lassen sich die dabei vorkommenden Phänomene an
einem einfachen vertikalen oder horizontalen feinen Striche (mit Tinte auf weissem Pa-
piere beobachten. ( | [•) Zuerst betrachte man eine jede dieser Figuren in zu
grosser Nähe , etwa bei 4 Zoll Distanz. An der Stelle des vertikalen Striches sieht man
jetzt 5 Streifen, in der Mitte einen ziemlich schwarzen, dann zwei orangengelbe, zu
äusserst 2 blaue, alle ohne scharfe Begrenzung. Mit dem rechten Auge sehe ich nur
den einen blauen Streifen (links), und glaubte, ehe ich auf die blaue Färbung gehörig
aufmerkte, zwei dunkle Streifen zu sehen, besonders wenn ich mein Auge nur auf etwa
5 Zoll näherte. Je näher man dem Objecte rückt, desto breiter und undeutlicher wer-
den die Streifen, je weiter man sich entfernt, desto schmäler und markirter, bis man
endlich zu einer Distanz (5 Zoll für das normale Auge) kommt, wo man im Stande ist,
den schwarzen Strich einfach und deutlich zu sehen. Nun kommt ein gewisser Spiel-
raum (bei meinem Auge zwischen 6 und 12 Zoll), wo man nach Willkür die eine oder
die andere Erscheinung hervorrufen kann, nämlich den Strich deutlich oder mit Farben-
säuinen (scheinbar doppelt oder 3fach) zu sehen , je nachdem man scharf fixirt oder
den Blick gleichsam vor sich hinstarren lässt. Bei 8 Zoll Distanz kann ich die Streifen
viel weiter auseinander treten machen, als bei 10 Zoll, und bei mehr als 12 Zoll bin ich,
ohne die Sehachse zu verrücken, auf keine Weise mehr im Stande, das Phänomen des
Undeutlich-, Farbig- und Mehrfachsehens hervorzubringen. Ich kann von da ab bis zu
20 Zoll und darüber den Strich immer nur einfach und schwarz sehen , bis er endlich
bei circa 30 Zoll trotz aller Anstrengung constant undeutlich zu werden anfängt. —
Befindet sich das fixirte Object, z.B. ein Punkt (.), näher als 5 Zoll vor dem Auge, so fällt
die Vereinigungsweite der von ihm ins Auge gelangenden Strahlen hinter die Netzhaut,
diese wird mithin nicht von der Kegelspitze, sondern von dem Kegelquerschnitte, also
von einem Zerstreuungskreise getroffen, welcher farbig erscheint, weil eben die ver-
schieden brechbaren blauen, gelben und rothen Strahlen noch nicht wieder vereinigt sind.
Wenn aber drr fixirte Punkt sich in einer Distanz befindet, in welcher unter Zuthun der
aecommodativen Thätigkeit Deutlichsehen stattfinden kann, z. B. bei 7 Zoll, der Expe-
rimentator aber absichtlich die Accommodationsorgane nicht in Wirksamkeit treten lässt,
so fällt die Vereinigungsweite gerade so wie im vorigen Falle hinter die Netzhaut, (das
Object liegt relativ zu dem jetzigen Refractionszustande des Auges zu nahe), und es
tritt dieselbe Erscheinung auf, die am meisten brechbaren blauen Strahlen erscheinen
an der Peripherie des Kegelquerschniltes. Das Auge hat sich dabei freiwillig der
Adaptation begeben. Wird nun das Object so weit gerückt, dass die von ihm ausge-
henden Strahlen schon vermöge des Baues des Auges ihre Vereinigungsweite in der
Netzhant finden, so hört der Einfluss der Willkür auf, das Auge müsste denn im Stande
sein, sich für eine geringere Distanz einzurichten, was ich nicht kann, ohne ein ande-
res Object, etwa eine Nadelspitze, zwischen jenes Object und das Auge einzuschieben.
Die Strahlen des in Rede siebenden Punktes würden sich dann vor der Netzhaut ver-
204 Augenmuskeln.
einigen, und die Regenbogenfarben müssten in umgekehrter Ordnung auftreten, die
blauen nach innen, die rothen nach aussen.
Ich halte diesen Versuch, bei welchem sich ein nebenstehender Beobachter leicht
überzeugen kann, dass die Sehachse des e.\|>erimentirenden Auges nicht verrückt wird,
und bei welchem die Pupille wahrend des Deutlichsehens etwas enger, während des
Undeut'ichsehens etwas weiter wird, für mindestens eben so beweisend, dass wir eine.
Aceommodation und zwar eine willkürliche besitzen, als die Versuche von Scheiner und
Nile, bei welchen noch manche andere Verhältnisse in Betracht kommen. Er zeist uns
unter ganz natürlichen Verhältnissen an, bis zu welcher Grenze ein Object, so fern es
nicht an und für sich zu gross ist, dem Auge genähert werden kann, bevor es anf'ä gt
(wegen fehlerhafter Vereinignngsweite) undeutlich zu werden; er zeigt uns die durch
die dioptrischen Verhältnisse gezogene diesseitige Grenze oder den ISahepunkt des deut-
lichen Sehens. Nach einer andern Richtung hin lehrreich finde ich Versuche mit einer ein-
fachen Kerzenflamine. Diese sehe ich nicht nur bei 5, sondern auch noch bei 3 Zoll Dislnnz
einfach und scharf begrenzt. Diess enthält einen Widerspruch mit dem Vorhergehen-
den, jedoch nur scheinbar. Die Pupille wird nämlich bei dieser Annäherung des (star-
ken) Lichtes so eng, dass die Spitze des innern Lichtkegels hinter die Netzhaut fällt,
doch sein Querschnitt auf der Netzhaut sehr klein ausfällt, auf dieselbe Weise, wie wir
durch Vorhalten einer kleinen KartenblattöfFnung vor die Hornhaut sogleich bewirken
können, dass ein zu nahe, z. B. 3 Zoll vorgehaltener Buchstabe vollkommen deutlich
wird (Einschränkung der Zerstreuungskreisc). Wahrscheinlich kommt hier auch der
Umstand in Anschlag, dass das Bild einer Kerzenflamme bei so grosser Nähe bereits
einen so grossen Theil der Netzhaut einnimmt, dass seine Per pherie bereils auf Netz-
hautp.'itien fällt, welche schon weit von der Macula lutea entfernt sind, für welche mit-
hin die Erregung durch den Zerstreuungskreis schon viel zu schwach ist, als dass sie
sich im Bewusstseiu gegenüber der ungleich stärkern Erregung des Ccntrunis der Netz-
haut geltend machen könnte. Trete ich nun allmälig von der Flamme zurück, so bleibt
sie deutlich (scharf begrenzt) bis zur Distanz von 5 Fuss. Will ich während dieses Ztt-
rückweichens das Phänomen des Undeutlichsehens hervorrufen, so bringe ich es bei
7 — 10 Zoll wohl zu Stande, jedoch nur so, dass ein schwacher Hof erscheint, offenbar
desshalb, weil bei so naher Lichtquelle die Netzhaut von der intensiv beleuchteten Mitte
des Kegelquerschnittes zu stark erregt ist, als dass die schwächer beleuchtete Periphe-
rie eine hinreichend starke Empfindung bewirken könnte, wobei wohl auch noch in
Betracht kommt, dass beim künstlichen Lichte die Zahl der brechbarsten blauen Strah-
len eine relativ sehr geringe ist. Bin ich über 5 Fuss Distanz weg gerückt, so werden
die Contouren der Flamme verwischt und die schmale Spitze erscheint zwieselig, dann
(weiter) wird die Flamme von zwei matten seitlichen Nebenflammen, später aber ringsum
von einem immer breiteren Hofe umgeben, bis endlich ein förmlicher Strahlenkranz (wie
bei den Sternen) erscheint, der die nun kleiner erscheinende Klamme speichenartig um-
gibt. Dass diese Erscheinungen um die Flamme Zerstreuungskreisc wegen nicht ent-
sprechender Vereinigungsweite sind, scheint mir dadurch bewiesen zu werden, dass sie
nicht auftreten, sobald man vor das Auge die enge Öffnung eines Kartenblattes oder
ein entsprechendes (schwaches) Concavglas vorhält.
Der Versuch mit einer Kerzenflamme ist meines Erachtens geeignet
zu zeigen, dass unser Auge an und für sich nicht für völlig parallele
Physiologie — Aecoiiiii9od;tHoii. 205
Strahlen oder für unendlich weite Distanzen eingerichtet ist, sondern für
Strahlen, die noch ein wenig divcrgiren , für Strahlen ans ungefähr 5 — (5
Fnss Entfernung, und dass alle weiter entfernten Objecte streng genom-
men schon mit mehr weniger beträchtlichen Zerstreuungsareisen gesehen
werden, d. h. dass Strahlen, Welche von einem über diese Distanz ent-
fernten Punkte in unser Auge gelangen, schon mehr weniger weit vur der
Netzhaut vereinigt werden. Bei sehr grossen Distanzen fallen die Zer-
streuungskreise schon so beträchtlich aus, dass sie stark in einander grei-
fen und das Deutlichsehen verhindern; bei geringeren Distanzen, z. B. 20,
15 Fuss , ist die lichtärmere Peripherie relativ zum helleren Mittelpunkte
des Kegelquerschnittes nicht nur viel zu schmal, sondern auch viel zu
lichtarm, als dass die durch diese Peripherie gesetzte Erregung der Netz-
haut sich neben der durch das Centrum gesetzten in der Wahrnehmung
geltend machen könnte.
Wir dürfen übrigens bei unseren Betrachtungen über die Accommo-
dation und das deutliche Sehen einen Umstand nicht ausser Acht lassen
der bei allen Sammellinsen stattfindet. Die Vereinigungsweite der Licht-
strahlen kann nämlich streng genommen nicht als ein Punkt, sondern muss
als eine Linse (die Brennlinie) aufgefasst werden, als eine Reihe hinter
einander gelegener Punkte, welche bei ein und derselben Linse um so,
länger ausfällt, je grösser die Öffnung der Linse (Pupille) ist, und je mehr
sich die einfallenden Lichtstrahlen dem Parallelismus nähern, d.h. je grösser
die Objectdistanz ist. Anschaulich machen kann man sich die hier obwal-
tenden Verhältnisse, welche sich übrigens streng mathematisch nachweisen
lassen, in dem von Czermak angegebenen Experimente mit einein hori-
zontal vor dem Auge aufgespannten weissen Faden. Fixirt man an die-
sem z. B. einen 10" entfernten Punkt, so erscheint der Faden eine kurze
Strecke vor und eine merklich längere Strecke hinter diesem Punkte noch
einfach; weiter von jenem Punkte entfernt, und zwar sowohl diess- als jen-
seits erscheint dann der Faden doppelt (in Zerstreuungskreisen), und wei-
chen die Doppelbilder diesseits sehr rasch , jenseits sehr allmälig ausein-
ander. Wird ein nur 6" entfernter Punkt fixirt, so erscheint der Faden
nicht nur diess-. sondern auch fenseits viel früher doppelt, als im vorigen
Falle. Auf demselben Gesetze beruht auch die bekannte Erscheinung, dass
man in einem Zimmer die Brennweite eines starken Convexglases viel
leichter bestimmen kann, als die von schwachen Nummern, wenn man das
Bild der Fensterrahmen auf der gegenüberstehenden Zimmerwand benützt.
Es ist somit dem normalen Auge ohne alles Zuthun der accommodati-
ven Thätigkeit schon durch die angegebenen physikalischen Verhältnisse
20G Auseiimuskt'Iii.
ein grosser Spielraum in der Weite des deutlichen Sehens dargeboten,
indem 1. sein Objectiv von kurzer Brennweite für die Distanzen von 5'
bis oo nicht einmal 6 Hundertstel einer Linie Abänderung- in der Ver-
einigungsweite verlangen würde, 2. Strahlen von einem über 5' entfernlen
Punkte auf ein relativ so kleines Hornhautareal fallen, dass sie bereits als
zum Achsenstrahle nahezu oder völlig parallel betrachtet werden müs-
sen , 3. die Vereinigung der Lichtstrahlen streng genommen nicht in
einem Punkte, sondern in einer Reihe hintereinander gelegener Punkte stalt
findet, welche um so länger ausfällt, je grösser die Objectdistanz ist, und 4. die
Zerstreuungskreise, welche bei grösseren Distanzen der leuchtenden Punkte
auf der Netzhaut entstehen, für massige Entfernungen verschwindend klein
und matt ausfallen, daher nicht empfunden werden.
In diesem letzteren Momente ist nun auch die Fähigkeit gegeben, im
Fernsehen eine Schärfe zu erlangen, welche das normale, jedoch im Fern-
sehen nicht geübte Auge nicht besitzt. Diese Schärfe im Fernsehen setzt
nicht nur die grösste Feinheit des Gesichtssinnes voraus, d. h. die Fähig-
keit, zwei nahe an einander abgebildete Punkte noch als getrennt aufzu-
fassen, welche wir auch für\s Nahesehen bei verschiedenen Individuen
verschieden ausgebildet finden (theils durch die Organisation der Netz-
haut, theils durch Übung), sondern auch die Fertigkeit von Zerstreuungs-
kreisen %u abstrahiren, die Wahrnehmung derselben zu ignoriren (unter-
drücken), nur die relativ am intensivsten beleuchteten Centra der Kegel-
querschnitte allein zur Wahrnehmung gelangen zu lassen. Die oben an-
gegebene Distanz von beiläufig 5 — 6' ist demnach nicht der Fernpunkt
des ruhenden (nicht in accomodative Thätigkeit versetzten) Auges, son-
dern gewissermassen der Mittelpunkt des deutlichen Sehens der durch den
Bau des Auges gegebenen Sehweite. Die Lage des Fernpunktes der deut-
lichen Sehweite hängt nicht bloss von der Vereinigungsweite der Licht-
strahlen ab, sondern auch von der Grösse und Beleuchtung der Objecto
und von der Fähigkeit der Netzhaut, Objecte unter einem möglichst klei-
nen Sehwinkel noch zu unterscheiden und von Zerstreuungskreisen zu ab-
strahiren. Ein Auge, welches in allen Distanzen zwischen 5 und 45 Zollen
Druckschrift von V" Höhe deutlich und sicher lesen kann, hat gewiss
eine ganz gute Sehweite , aber vielleicht nur für's Erkennen kleiner und
naher Objecte; denn es kann trotzdem seine Sehweite für grössere Ent-
fernungen eine mittelmässige sein, und es vermag vielleicht die Zeiger
einer Thurmuhr auf 2000 Schritte nicht zu erkennen, während ein anderes,
das beim Lesen auch nicht mehr leistet, dieselbe Uhr unter denselben
Verhältnissen auf 3000 Schritte bestimmt erkennt.
Physiologie — Aeeoniniodaiion. 207
Die Accommodalion oder Einstellung des Auges für nahe Objecfe
geschieht durch Verlängerung des Bulbus in der Sehachse, durch Zurück-
drängung der hintern Wand des Bulbus, durch Rückstellung der Macula
lutea und ihrer Umgebung, Die vermittelnden Organe hiezu sind einer-
seits die geraden und schiefen Augenmuskeln, andererseits der Ciliar-
muskel, indem sie gleichzeitig in erhöhte Spannung versetzt werden. In
dem Momente, wo der Impuls zum Nahesehen vom Sensorium commune
ausgeht, gerathen sämmtliche Recti und Obliqui in erhöhte Spannung und
comprimiren den Bulbus so , dass seine Äquatorialdurchmesser entspre-
chend kürzer werden. Der zum Ausweichen bestimmte, weil incompres-
sible Glaskörper drängt rück- und vorwärts. Sein Andrang nach vorn
wird aber verhindert oder ausparirt, indem das vor ihm befindliche Dia-
phragma durch den gleichzeitig in erhöhte Contraction versetzten Ciliar-
muskel in adäquate Spannung gebracht wird. Also muss der gesammte
Druck nach hinten gehen, die Retina sammt der Chorioidea und Sclera
zurückweichen. Die Hornhaut bleibt dabei gewiss, die Linse höchst wahr-
scheinlich in ihrer Form und Lage unverändert. Ist letzteres richtig, dann
bleibt der optische Mittelpunkt oder Kreuzungspunkt der Richtungslinien
dabei unverrückt. Die gleichzeitig erfolgende Verengung der Pupille ist
eine einfach concomitirende Erscheinung, welche die Accommodation nicht
vermittelt, nur begünstigt.
Diese Ansicht über die Accommodation ist der Hauptsache nach nicht neu. Schon
Kepler scheint sich für Verlängerung der Sehachse behufs des Nahesehens entschieden
zu haben. Hätte man die Anwesenheit und Function des Ciliarmuskels früher gekannt,
und hätte man sich über Lage und Thätigkeit der geraden und schiefen Augenmuskeln
nicht irrige Vorstellungen gemacht, so würde man sich wohl die mannigfachen Einwen-
dungen dagegen erspart haben. — Wenn man meinte , die Recti müssen bei vereinter
Wirkung den Bulbus zurückziehen, so übersah man die antagonistische Wirkung der
Obliqui. Von einer Abplattung des Bulbus durch das retrobulbäre Fellpolster könnte,
auch wenn man eine Zurückziehung zugäbe, dennoch nicht die Rede sein, da jenes
elastische Gewebe jedenfalls viel weniger resistent ist, als der Bulbus. — Dass der
Bulbus durch die vereinte Wirkung der Obliqui der vertikalen Medianebene genähert
werden könne, ist unmöglich, weil die Obliqui sich unweit vom hintern Ende der Seh-
achse inseriren, also nur dieses, nicht aber die ganze Achse und mit ihr den Mittelpunkt
des Auges einwärts rücken können. — Die Veränderlichheit der Form des Bulbus
konnten nur jene in Abrede stellen, welche sich denselben als bis aufs Höchste gefüllt
dachten , und selbst die bekannte Thatsache nicht beachteten , dass man die Hornhaut
schon durch einen leichten Druck mit dem- Finger abplatten, und auf diese Weise den
Refractionszustand ändern kann , wie diess Kurzsichtige in Ermanglung einer Brille zu
thun pflegen. — Die Möglichkeit einer Compression des Bulbus durch die Recti und
Obliqui konnte man nur dann bezweifeln, wenn man die Ursprungs- und Anheftungs-
stellen dieser Muskeln und ihren gekrümmten Verlauf zum Bulbus nicht genau kannte,
208 Augenmuskeln.
und demgemäss von tangentialer Richtung derselben zum Bulbus sprach, oder wenn
man sich, wie z. B. Stellwag gethan,*) eine ganz unrichtige Zeichnung vom Bulbus
und den Muskeln machte, in dieser das Parallelogramm der Kräfte verzeichnete, und
daraus mittelst Rechnung folgerte: die hier geforderte Formveränderung des Bulbus
sei unmöglich. — Einseitiger Druck auf die Bulbuswand und Retina , und sofort Ent-
stehen subjeetiver Lichterscheinungen war bei zugestandener Einwirkung der Muskeln
auf den Bulbus nur für jene zu besorgen, welche meinten, es könne ein Muskel allein
oder überwiegend auf den Bulbus drücken, es könne z. B. während der Verkürzung
des R. internus der R. externus erschlafft sein und somit der R. internus allein auf den
Bulbus drücken. — An Form - und Lageveränderung der Cornea und selbst der Linse
war allerdings zu denken, so lange man nicht, wusste, dass der Ciliarinuskel durch
adäquate Spannung der Scheidewand zwischen Humor aqueus und H. vitreus den Ein-
fluss der Recti und Obliqui auf dieselben aufwiegt, oder doch auf ein Minimum reducirt.
A priori musste man dann aber, wenn eine solche adäquat gespannte Scheidewand
nicht angenommen wurde, wohl eher an Abplattung als an erhöhte Wölbung der Cor-
nea denken; denn nach Wegfall jener Scheidewand müsste die besondere Wölbung
der Cornea in die allgemeine des Bulbus, der Sclera übergehen. — Ein von Ruete vor-
gebrachter Einwurf, dass nämlich nach Aufhebung der Accommodation in Folge von Bella-
donna oder trotz plötzlich eingetretener Kurzsichtigkeit dennoch die Bewegungen des
Bulbus vollkommen frei von statten gehen, würde auch dann, wenn man annähme, dass
die das Auge bewegenden Muskeln ganz allein die Accommodation vermitteln, durchaus
nichts beweisen, weil Herabsetzung oder Steigerung des Tonus der Muskeln ihre Ver-
kürzungs- und Verlängerungsfähigkeit nicht aufhebt. Um bei einem schon einmal ge-
brauchten Vergleiche zu bleiben: wennj zwei Gewichte an einer über eine Rolle ver-
laufenden Schnur befestigt sind, so können sie in jeder beliebigen Stellung stehen blei-
ben, gleich hoch, eines tiefer, eines höher, sofern sie gleich schwer sind; ob jetzt jedes
Gewicht = 1 Loth oder = 1 Pfund, das ändert in der Beweglichkeit nichts, wenn wir
von der Reibung zwischen Spindel und Rolle absehen ; im ersten Falle ist die Span-
nung der Schnur und somit auch der Druck auf die Rolle geringer ; die Drehung der Rolle
erheischt in dem einen Falle nicht mehr Kraft als in dem andern. — Auch das angeb-
lich unveränderte Fortbestehen der aeeoinmodativen Thätigkeit nach Durchschneidung
eines oder des andern Augenmuskels kann nicht als Beweis gegen den Einfluss der
Augenmuskeln auf die Accommodation dienen, denn niemals ist es ein Muskel alleii^
der in erhöhte Spannung geräth, und wird der Ausfall des einen noch immer mehr
weniger genügend durch andere gedeckt, wie aus dem früher Gesagten hinreichend er-
hellt, und zweitens wird der Bulbus dem Einflüsse des durchschnittenen Muskels nicht
so leicht ganz entzogen, wie wir bei der Betrachtung der Schieloperation sehen wer-
den. Übrigens hat A. von Gräfe, an dessen exaeter Beobachtung wohl niemand zweifeln
wird, im Archiv für Ophthalmologie I. B. I. Abth. sich über den Einfluss der Rcct'
und Obliqui auf die Spannung des Bulbus so klar und bestimmt ausgesprochen, dass ich
hier kaum etwas Besseres thun , als einige Stellen wörtlich citiren kann. „Bei den ae-
eoinmodativen Bewegungen treten alle Augenmuskeln mehr in Wirksamkeit und wenn
der eine oder der andere für die Stellung der Hornhaut den Ausschlag gibt, so ist diees
die Folge der überwundenen, aber dennoch fortexistirenden Resistenz seitens der andern
*) Denkschriften der kuiserl . Acndemic der Wissenschaften, Wien, lt<j.'* Julf, Bd. \.
Physiologie — Acconimodation* 209
Muskeln. Iliefür geben namentlich P"ällc von Muskcllähmiiiigen schöne Reiche. Während
in solchen Fällen die Einrichtung des Auges bei der assoeiirten Bewegung nach einer
gewissen Richtung vollkommen normal sein kann , weicht nicht selten das Auge ab,
wenn wir ganz dieselbe Richtung behufs der Acconimodation für einen nahe liegenden
Gegenstand in Anspruch nehmen, weil sich bei höherer Spannung säinintlicher Augen-
muskeln der ausbleibende Zug des gelähmten Muskels störend für die Stellung des
Auges herausstellt, während derselbe Muskel bei den seitlichen Bewegungen im Zustande
physiologischer Erschlaffung ist, und desshalb die aufgehobene Innervation desselben
keine Störungen macht. Ebenso habe ich neuerdings durch Beobachtungen des Vcnen-
pulses auf der Netzhaut Gelegenheit gehabt , mich davon zu überzeugen, dass dieser
Puls bei Acconimodation in die Nähe zunimmt, was entschieden für die Vermehrung des
seillichen Muskeldruckes spricht." (S. 36). — „Handelt es sich einfach um die Richtung
der Sehachse, so ist hiezu keine besondere Energie seitens der Augenmuskeln nöthig,
denn das Auge ist eine leicht bewegliche, um ihr Centrum drehbare Kugel. Handelt es
sich dagegen um die Acconimodation für die Nähe , so gerathen alle Muskeln , wenn
auch in verschiedenem Grade, in Spannung und üben einen seitlichen Druck auf den
Bulbus aus. Hierbei zeigt sich nicht selten die Insuffizienz des paretisehen Muskels ; so
kommt es zuweilen bei pathologischer Schwäche des Abducens vor, dass beim gleich-
zeitigen Gebrauch beider Augen ein geradeaus vor dem Kranken liegender entfernter
Gegenstand richtig fixirt wird, während bei Annäherung desselben auf dem erkrankten
Auge pathologische Convergenz sich einstellt. Noch beweisender sind Experimente
mit Brillengläsern , weil hiebei auch die Sehachse des gesunden Auges nicht verrückt,
demnach auch jede synergische Muskelcontraction an dem erkrankten Auge vermieden
wird; setzt man z. B dem erwähnten Kranken eine Concavbrille auf und zwingt hie-
durch die Augen, bei gleichbleibender Stellung des Objectes einen höhern ßrechzustand
anzunehmen, so sieht man die pathologische Ablenkung eintreten, oder eine vorhandene
sich vermehren. Dasselbe sah ich einige Male bei Lähmung des R. superior oder infe-
rior, wo für ein entferntes geradeaus liegendes Object ebenfalls die Sehachse eingerich-
tet werden konnte, während sie bei Annäherung desselben an das kranke Auge dem
paralysirten Muskel entgegengesetzt abwich." (S. 53.)
Eine merkliche Einschränkung oder selbst Aufhebung der Acconimodation ist demgemäss
bisher bloss bei Lähmung mehrerer Muskeln beobachtet worden. Dass bei Lähmung
säinintlicher vom N. oeulomotoriüs versorgten Muskeln die Acconimodation aufgehoben oder
doch sehr geschwächt sei, darin stimmen alle bisher bekannt gewordenen Beobachtungen
überein; nur Ruete will in einem Falle das Gegentheil beobachtet haben, und beruft sich
in der 2. Auflage seines Lehrbuches S. 179 auf eine gleiche, noch nicht veröffentlichte
Beobachtung von //. Müller. Wenn ich recht verstehe, so ist der Fall, auf den sich
Ruete bezieht, derselbe, welchen R. Ulrich in seiner Prof. Ruete gewidmeten Schrift:
„De catoptrices et dioptrices in oculoruni niorbis cognoseentis usu atque utililatc" als
Beweis anführt, dass die Acconimodation nicht von den Augenmuskeln abhänge. Ein 22
Jahre alter Schuster bot angeblich seit seinem 3. Lebensjahre nach überstandenen Ma-
sern eine vollständige Lähmung säinintlicher Augenmuskeln mit Ausnahme des Obl. su-
perior dar. „Praeter musculos levatores palpebrarum ceteri quoque musculi, qui nervi
oculomotorii ramis gaudent et musc. recti externi in amböbüs oculis paralysi . erant
affecti. Axes optici in parallelismum atque etiaiu in divergentiam erant direeli, nc-
que reeta intrörsüm aut exlrorsum aut sursum aut denique deorsum, neque deorsmn
Arlfs Augenheilkunde lil, 2. 14
210 Augenmuskeln.
et introrsiuu mit sursum et introrsuin ant denique sursum et extrorsum pupilla volvi
poterat, Bulbus oculi , id, quod ex experhnentis saepissime institutis patefactum est
atque aperte poterat distingui, circa euni solum axin, qui oblique ab exteriore cor-
neae parte ad inlerioia et posteriora horizontal iter tendit , musculi obliqui superioris
actione deorsum et extrorsum circumgyrabatur, qua in rotatione sentper segmentum
circuli , qui ex centro pupillae oblique extrorsum actus potest cogitari , sequi vide-
batur. Pupula non solum propriis motibus normalibus gaudebat atque extracto belladonnae
instillalo justo modo poterat dilatari, sed vel potius tarn vivaces prae se ferebat oscilla-
tiones, ut bippum fere aequarent. Neque vero oculorum sensibilitas optica, neque facul-
tas illa peculiaris variis rerum distantiis sese aecommodandi ullo modo pertubata ac di-
ininuta erat; imo vero tanta aderat, ut aciculam Hin"»- tantnin ob oculis remotam probe
posse discerni, experimenta Myopometri ope instiluta palam facerent. Objecta, quae pro--
pius oculis adinovebantur, geminata apparebant; omnia vero et cominus et eminus collo-
cata, eo situ, quo revera utebantur, in conspectum veniebant, ita ut ereeta erecto quo-
que situ, inversa inverso pereiperentur. — Quae omnia quum ita se haberent, paralyseos
causam in cerebro esse sitam, nemo est, qui lieget. Hac autem ex morbi historia multa
eaque gravissima , quae pbysiologiam informent, possunt repeti et concludi: I. Repugnat
baec observatio eorum opinioni, qui mutationes illas oculorum internas in bulbi musculo-
tum actione positas esse volunt. II. Neque minus eorum conjeeturam refutat, qui eorun-
dem musculorum opem requiri opinantur. ut res eo situ, quo revera gaudent, pereipiau-
tur. III. Maxiine probabile reddit, indem ad motum incitari haud fibris crassioribus, sed
potius fibrillis tenuioribus nervi oculomotorii, quae radice brevi ganglii ciliaris interce-
dente, a nervo sympathico in ipsum immittuntur."
Diese Beobacbtung scheint mir bei weitem nicht exaet zu sein , um für das in Rede
stehende Thema überhaupt benutzt werden zu können. Zunächst ist es durchaus uner-
wiesen, dass die Ursache der Lähmung im Gehirne lag, müsste sogar, wenn man diess
annähme, ein anderweitig erwiesener Satz aufgegeben werden, der nämlich, dass die
Kreisfasern der Iris unter dem Einflüsse des N. oculomotorius stehen, denn, wie war
es möglich, dass die Bewegungen der Iris sich in jeder Beziehung normal verhielten.
wenn eine centrale Lähmung des N. oculomotorius stattfand? Lag aber, und das ist ge-
wiss, kein Centralleiden zu Grunde, dann fragt sich's , ob die Bulbi fix standen wegen
Muskellähniuug oder wegen eines andern, vielleicht mechanischen Hindernisses in der
nächsten Nähe des Bulbus. Wir wollen hier noch nachholen , dass der Kranke angeb-
lich während der Masern an einer Entzündung der Augen gelitten hatte. Ich wüsste
nicht, wo und was für ein Leiden in der Schädelhöle im Stande wäre, eine beidersei-
tige Lähmung gerade nur des 3. und 6. Hirnnervens bei Integrität aller übrigen sensitiven
und motorischen Nerven und der Geislesfunctionen etc. hervorzurufen. — Der Kranke
konnte aecommodiren; wir haben keine Ursache diess zu bezweifeln. Die Acconnnoda-
tion ist ein Act der Willkür. Wenn nun der N. oculomotorius central gelähmt war, wo-
durch sollte noch eine, die Accoinmodation vermittelnde Veränderung im Innern des Bul-
bus bewirkt werden können, da nun in den Ciliarnerven keine dem Willenseinflusse ge-
horchenden Fasern mehr thätig sein konnten ? Schliesslich wollen wir nur noch hervorheben,
dass auch das unter II. aufgestellte Corollarium von Ulrich unrichtig ist; denn wenn im
normalen Zustande die Augen nach links bewegt werden, und hieraus die Vorstellung
entsteht, dass das übjeet, dem die Macula lutea jetzt zugelenkt wird, links von der senkrech-
ten Medianebene gelegen war, so musste hier zu demselben Behufe der ganze Kopf
Physiologie — Arcoiiimotlatioii. 211
links bewegt worden, blieb somit das Verhältniss zur Vorstellung im Wesentlichen das-
selbe. (Vergl. III. ß. S. 49.)
Übrigens ist aus Ruete's Angaben, wenn er behauptet, eine Schwächung des Accom-
modationsvermügens nach vollkommener Lähmung aller Äste des N. oculomotorius sei
kaum wahrzunehmen, und beziehe sich auf die Accommodation für nahe Objecte, nicht
recht zu entnehmen, was er eigentlich von der Accommpdationsthätigkeit verlangt, um
so mehr als er selbst in der 2. Auflage S. 207 noch anführt: „Hält man ein kleines Lü-
chelchen eines Kartenblattes unmittelbar vor das Auge, so ist man doch noch im Stande,
Objecte in verschiedener "Entfernung deutlich zu erkennen." Ein solches Diaphragma
leistet dieselben Dienste ja auch an einer Glaslinse, also ganz gewiss ohne Muskelthätig-
keit. Durch eine solche Öffnung kann nicht nur ein normales, sondern auch ein fern-
sichtiges, also der Accommodation mehr weniger verlustiges Auge bei 2 — l'/2Zoll Di-
stanz noch lesen — wegen Reduction der Zerstreuungskreise auf Punkte.
Eine andere Beobachtung von Lähmung sämmtlicher vom N. oculomotorius versehe-
nen Muskeln hat Ruete selbst in seinen 1843 erschienenen klinischen Beiträgen veröffent-
licht, und darauf die Behauptung aufgestellt, „dass das Accommodationsvermögen durch
vollständige Lähmung aller Aste des N. oculoiuot. nur so wenig geschwächt werde, dass
diess kaum wahrnehmbar sei." Cramer (über das Accommodationsvermögen, übersetzt
von Doden, S. 166) hat gegen diese Beobachtung Bedenken erhoben, welche gewiss
alle Beachtung verdienen. „Dass eine Frau aus der Arbeiterclasse im Alter von 44 Jah-
ren noch ein solches Accommodationsvermögen besessen haben sollte, wie Ruete angibt,
grenzt fast an's Unglaubliche. Sie war nicht kurzsichtig — denn sie sah eine Nadel
deutlich in der Entfernung von 4 Meter vom Auge — und ihr kürzester Gesichtsabstand
sollte 100 Millimeter, nicht ganz 4 Zoll, betragen haben." — „Bei Menschen von gerin-
ger Bildung wird man in der Regel nicht im Stande sein, allein durch das Beschauen
einer Nadel — wie bei Ruete — mit völliger Sicherheit den kürzesten Gesichtsabstand
zu ' ermitteln." (Vergl. Prag. Vierteljahrschr. I. B. 2. Quartal, S. 285). — „Bei den
Prüfungen der Sehweite, sei es durch die gewöhnlichen Leseproben, oder durch die Be-
stimmung des Minimum im Netzhaulwinkel oder durch optometrische Instrumente, gelingt
es uns freilich für Paralysen einzelner Augenmuskel im Allgemeinen nicht, erhebliche
Veränderungen im Nah- und Fernpunkte nachzuweisen ; dennoch finden Störungen in
der Accommodation statt. Wird das Auge nach der Seite des geschwächten Muskels
gerichtet, so finden wir die Accommodation allemal etwas beschränkter und unstät,
mühsam." {Gräfe, Archiv I. B. 1. Abtlu 7—16.)
Positiv beweisend für unsere Ansicht ist die durch Sectionen von mir
nachgewiesene Verlängerung des Bulbus in der Richtung der Sehachse
bei reiner oder mit centralen Hornhautflecken complicirter Kurzsichtigkeil.
Vielfältige und aufmerksame Beobachtung und Vergleichung kurzsich-
tiger und fernsichtiger Augen mit normalen führte mich zunächst zur
Überzeugung, dass die Hornhaut bei jenen nicht stärker, bei diesen nicht
schwächer gewölbt sei. Den vorzüglichsten Anhaltspunkt hiefür lieferte
die Betrachtung und Vergleichung der Cornealspiegelbilder, welche ich auch
bei eclatanter Kurzsichtigkeit nicht kleiner fand, als hei Fernsichtigkeit.
14*
212 Augenmuskeln.
Die vorläufige Andeutung dieses Sachverhaltes, welche ich im 1. Bande auf S 175
kurz hingeworfen hatte, hat Herrn SteHwag i^on Carion zu einer Bemerkung veranlasst,
zu der er in Bezug auf Form sowohl als Inhalt gewiss nicht berechtigt war. Nach dci
i ,i i .
Formel = — I 4- - — 1 berechnet St., dass ein 1000'" entfernter Fenster-
« V P a 7
balken von 576'" Länge ein Spiegelbild von 1,005'" geben würde, wenn mau den Ka-
dius der Cornealvorderflächc auf '5,195'" annimmt, dagegen nur 1,149'", wenn mau —
„was sicherlich eine relativ ungeheure Differenz ist" — den Radius der Cornealvordcr-
fläche auf 4'" steigen lässt. „Das Spiegelbild der Cornea von 4'" Radius erscheint um
0,144'" länger, als bei gleichen Umständen das Spiegelbild einer Cornea von 3,495'"
Radius. — Wer mit freiem Auge, oder doch ohne zusammengesetzte Apparate und Berech-
nungen Grbssenunlerschie.de von 0,144'" schätzen kann, muss jedenfalls ein mehr als ge-
wöhnliches Beurtheilungsver mögen hüben, ich traue diese Schärfe weder mir, noch IL Prof
Arlt zu, und muss daher das Spiegelbild der Cornea bezüglich seiner Grösse jedenfalls
als ein ganz unbrauchbares diagnostisches Hilfsmittel erklären." Don der s erzählt in seiner
Abhandlung über die Nahrungsstoffe (übersetzt von Bergralh) S. 28, „er sei einmal zu-
gegen gewesen, als ein Alathematiker wissenschaftlich bewies, dass ein Tisch auf einer
Treppe unmöglich nach oben getragen werden könne, während ein anderer, wenig hie.
durch abgeschreckt, es inzwischen einmal versuchte und — ihn hinauf brachte. Ubi re-
rum testimonia adsunt, muss sogar die Mathematik nachgeben." Ich that ohngefähr das-
selbe, Hess mir Metallconvexspiegel von 3'/2'" und 4'" Radius schleifen, und dann,
als sogar Kinder die Differenz in der Grösse der Spiegelbilder wiederholt und bestimmt
unterschieden, zum Überfluss noch einen von S3/,'" Radius, und auch da lässt sieh mit
völliger Bestimmtheit angeben, welches Bild kleiner, welches grösser sei. Das kann
Jeder nachmachen ; darüber gibt's weiter keine Polemik. Hat Stellwag vielleicht schlecht
gerechnet? oder sind seine Suppositionen unpassend gewählt?
Einen weitern Anhaltspunkt gab die Lage der Iris relativ zur Cornea,
und daraus liess sieh auch leicht erklären, wie sich die Ansicht, Kurz-
sichtigkeit beruhe auf stärkerer Wölbung, Fernsichtigkeit auf Verflachung
derselben, halte entwickeln und so lange erhalten können. Um die Lage
der Iris richtig zu beurtheilen, muss man das Auge gerade von vorn, nicht
von der Seite her betrachten. Man lege ein Planconvexglas mit der ebe-
nen Fläche auf ein Blatt Papier, allenfalls auf einige Zeilen eines Buches,
und man wird ans Experimenten hieunt leicht entnehmen, was obiger Rath
bedeuten will. In der angegebenen Stellung nun denke man sich Ebenen
gelegt: 1. durch die Basis der Cornea oder den vordersten Band der
Sclera, etwa wie wenn man ein Staarmesser durchführen wollte; 2. durch
den grössten Kreis oder den Ciliarrand, und 3. durch den kleinsten Kreis
oder den Pupillarrand der Iris, üiess thue man nun a) bei eclatanter
reiner Kurzsichligkeit, b) bei einem in höherem Grade fernsichügen, und
c) bei einem normalen Auge. Man wird nun leicht bemerken, dass bei
einem exquisit kurzsichtigen Auge die 1. und 2. Ebene weit, die 2. und
3. dagegen wenig oder gar nicht von einander abstehen, d. h. dass die
Physiologie — Accoiuniodation. 213
Iris (der grosse und kleine Kreis) auch bei ziemlich enger Pupille nahezu
in Einer Ebene, aber tief hinler der Hornhaut liegt, dass hingegen bei
einem exquisit weitsichtigen Auge die 1. und 2. Ebene einander sehr
nahe liegen, die 3. dagegen merklich vor der 2., d. h. die Iris des weit-
sichtigen Auges in toto, besonders aber mit ihrem Pupillarrande weit nach
vorn liegt, und stark nach vorn ausgebaucht ist. — Richtig ist, dass bei
Kurzsichligkeit die vordere Kammer grösser, bei Weitsichtigkeit dagegen
kleiner ist; nur liegt der Grund davon nicht in veränderter Wölbung oder
Lage der Cornea, sondern in veränderter Lage und Wölbung der Iris,
und die Alleren haben etwas, das der Schärfe ihrer Beobachtung nicht
entgangen war, blos.-; irrig gedeutet.
Die Lage des Ciliarrandes der Iris ist gegeben durch die Dicke oder
Mächtigkeit des Ciliarmuskels (des Ligamentum ciliare früherer Auetoren)?
denn es ist gewiss, dass die Iris mitten aus demselben herauskommt dass
die Iris mit der Cornea nicht unmittelbar zusammenhängt, dass mithin, je
stärker entwickelt der Ciliarmuskel ist, desto weiter hinten auch der Ci-
liarrand der Iris liegt. Wo der Ciliarmuskel wenig entwickelt ist, da legt
sich auch der grösste Kreis der Iris mehr weniger nahe an die Peripherie
der Descemet'schen Haut .an.
Die Lage des Pupillarrandes der Iris zeigt uns jederzeit auch die
Lage der vordem Kapsel , sobald die Linse nicht aus ihrer Befestigung
gelöst oder in ihrem Volumen geschrumpft ist. Tiefe Lage des Pupillar-
randes deutet demnach, falls die Pupille nicht über 2 — 21/2"/ erweiter
ist, jederzeit auf tiefe Lage der Linse, und umgekehrt, so dass wir also
— mit Bezug auf das Frühere — sagen dürfen: Bei Kurzsichtigkeit liegt
die Linse (vordere Kapsel) tiefer, bei Weitsichtigkeit näher hinter dem
Hornhautcentrum.
Es ist eine allgemein bekannte und anerkannte Thatsache, dass durch
anhaltendes Betrachten naher kleiner Gegenstände (insbesondere beim Ge
brauche des Mikroskopes) normale Augen Erwachsener vorübergehend —
auf Minuten oder Stunden, jugendliche Augen (bis zu den Pubertätsjahren)
bleibend kurzsichtig werden. Man kann nicht anders, als annehmen, dass
die Behufs des Nachsehens eingeleitete Veränderung in den dioplrischen
Verhältnissen des Auges so lange fortbestehe, als die Kurzsichtigkeit an-
hält, also bei permanenter Kurzsichtigkeit stationär geworden sei. Sind
diese Sätze richtig, dann müsste, wenn die Accommodation durch stärkere
Wölbung der Cornea vermiltelt würde, an Augen, welche auf diese Weise
kurzsichtig geworden sind, auch die Cornea stärker gewölbt gefunden
werden. Dasselbe mit auch in Bezus- auf die Form- und La^everände-
214 Augenmuskeln,
ruiig- der Linse. Ist aber unsere Ansicht über die Aeeuminodation richtig,
dann mnss in solchen Augen der Durchmesser des Auges in der Seh-
achse verlängert, die hintere Wandung des Bulbus zurückgedrängt gefun-
den werden. Und so ist es in der That. Bei allen rein Kurzsichtigen,
welche nur bei höchstens 6 Zoll Distanz noch lesen können, besonders
aber bei jenen, welche bereits Glaser unter 6 Zoll Brennweite nöthig
haben, lässt sich die Verlängerung des Bulbus nach hinten schon während
des Lebens bestimmt nachweisen, indem man das Auge möglichst stark
nach innen und oben wenden lässt , und nun das untere Lid nächst der
äussern Commissur mittelst des Zeige- oder kleinen Fingers so weit als
möglich hinter den Bulbus drängt. Auf diese Weise ist bloss eine bei-
läufige Schätzung möglich, welche nur durch Vergleich mit normalen
Augen Werth erhält. An den Augen verstorbener kurzsichtiger Personen
lässt sich aber eine genaue Messung anstellen, wenn man die Augen mög-
lichst bald herausnimmt. Ich werde weiter unten den Befund solcher
Augen, von deren Kurzsichtigkeit im Leben ich mich überzeugt hatte,
ausführlich mittheilen, und will nur noch hervorheben , dass eben dieser
Befund auch das letzte Bedenken beseitigt , welches sich allenfalls noch
gegen das Rückwärtsweichen der hintern Bulbuswand bei der Aeconimoda-
tion erheben Hesse. Es ist diess das Bedenken, ob nicht etwa die bei
dieser Rückwärtsdrängung noth wendig stattfindende Compression und Ver-
schiebung der Netzhautelemente der Function derselben nachtheilig wer-
den möchte. Dass die Contenta des Bulbus bei der Accommodation unter
erhöhten Druck versetzt werden, ist durch den Augenspiegel nachgewie-
sen. Dieser Umstand ist weit entfernt, die Sensibilität der Netzhaut zu
vermindern, scheint sie im Gegcntheil sogar zu erhöhen, eine Ansicht,
die, wenn ich mich recht erinnere, schon Brewster in den dreissiger Jah-
ren ausgesprochen hat, und welche mit Stromeier's Behauptung, dass die
optische Sensibilität mit der Muskelaction steige und falle, *) völlig im,
Einklänge steht. Dass aber eine Verschiebung der Netzhautelemente
welche, wenn auch in noch so geringem, dennoch in einigem Grade stall
finden zu müssen scheint, ohne Störung der optischen Sensibilität der
Netzhaut statt finden könne, ist eben factisch nachgewiesen durch den
wirklichen Bestand einer solchen Ausbuchtung oder Verlängerung an
Augen, welche in jeder Beziehung normal sind — bis auf den Refrac-
tionszustand — welche sogar ein noch feineres (schärferes) Gesicht dar-
zubieten pflegen, als Augen ohne solche Ausbuchtung. Kann nun diese
nicht als Vitium primae formalionis angenommen werden, so musste eine
*) De cumhiiiatione actioms nervorum et molonorum et sensoiioniin eto. hilangac 18.59.
Physiologie — Aceoiiiniodation. 215
solche Verschiebung auch ohne Nächtheil für die optische Sensibilität er-
folgen können.
In welcher Beziehung stehen nun die angeführten Thatsachen der Beobachtung an
kurz- und weitsichtigen Augen zu einander und zur Accominodation ? — Ein Knabe
beschäftigt sich wiederholt und anhaltend mit der Betrachtung kleiner Gegenstände, und
hält, entweder weil es der Sehwinkel oder die Beleuchtung erheischt, oder auch nur aus
üliler Gewohnheit dieselben so nahe, dass die Accommodatiönsorgane in erhöhten An-
spruch genommen werden. Erhöhte Spannung der Becti und Obliqui sowohl als des
Ciliarmuskels dauern länger an und kehren öfter wieder. Die hintere Wandung des
Bulbus in einem Umkreise, dessen Centruin die Macula lutea, dessen Peripherie ohnge-
t'ähr die Gegend der Insertion der beiden Obliqui bezeichnet, mnss dabei rückwärts ge-
drängt werden, im Gentium am meisten, gegen die Peripherie hin weniger und weniger.
Die Locomotion, welche die Macula lutea zu inachen hat, wenn sie aus der Lage, die
der Buhe der Accoimriodaüonsoi'gane entspricht, in jene übergeht, die dein höchsten
Grade ihrer Spannung entspricht, wird, aufs Höchste angeschlagen, nicht viel über eine
halbe Linie betragen. Besitzt die Sclera bereits ihren gehörigen Grad von Festigkeit,
so weicht die hintere Wandung eben nur um so viel zurück, als der seitliche Druck er-
heischt; sie tritt sodann in ihrer frühere Lage zurück, in demselben Masse, als die seit-
liche Compression nachlässt. Diese Wiederherstellung der normalen Form ist theils in
der Dicke und Elasticität der Sclera selbst, theils in der Elasticität des incrompressibeln
Glaskörpers und des compressibeln retrobulbären Fettgewebes gegeben; wenn aber
die Sclera noch weich und nachgiebig ist, wie vor der völligen Entwicklung der Bulbi
(zur Zeit der Pubertät), so kann die häufige Wiederkehr und stundenlange Andauer hö-
herer Spannung leicht eine Ausdehnung derselben zur Folge haben, welche nach dem
Aufhören des erhöhten Druckes nicht mehr zurückgeht. Da aber die Gefässe im Innern
des -Auges unter einem permanenten Drucke stehen, entsprechend der Spannung der
Wandungen des Bulbus, so ist mit obigem Momente der Anstoss zum Ausscheiden von
Serum aus den Gefässen gegeben, und es wird einerseits in den Glaskörper, anderer-
seits in die Augenkammer so viel Flüssigkeit mehr ausgeschieden, als die Baumerweite-
rung eben gestattet. So entsteht Vermehrung der Glasfeuchtigkeit und bei höheren
Graden von Ectasie der hintern ßulbuswand (Staphyloma posticum Scarpae) auch Ver-
flüssigung des Glaskörpers, zunächst in der Gegend des hintern Poles, allmälig weiter
und weiter nach vorn vorschreitend, endlich wohl auch den ganzen Glaskörper bis auf
eine wenig mächtige Lage an der vordem Peripherie nächst dein Corpus ciliare betref-
fend. — Hält die Scheidewand zwischen Kammerwasser und Glaskörper gehörig Stand,
wenn nämlich der Ciiiarmuskel gehörig entwickelt ist, dann steht während der erhöhten
Spannung der Accommodatiönsorgane der hintere Augenrauin unter etwas grösserem Drucke,
als der vordere, der Bückfluss durch die hintern Ciliarvenen wird etwas beeinträchtigt,
die vordem Ciliarvenen erscheinen etwas stärker injicirt — eine Erscheinung, die man
während der Entwicklung und des Fortschreitens der Kurzsichtigkeit häufig sehen kann
— und die Menge des Kammerwassers steigt, die vordere Kammer wird grösser,
die Cornea und Linse rücken allmälig weiter von einander. Die Vergrösserung der
vordem Kammer wird überdiess noch dadurch befördert, dass sich der Ciiiarmuskel
in Folge der häufigeren Übung mehr entwickelt. Die Vergrösserung der vordem
Kammer ist somit etwas Consecutives oder Secundäres , daher auch nicht absolut
216 Augenmuskeln.
Notwendiges, weil nur von einem der Momente, nämlich von der kräftigen Gegen-
wirkung des Ciliarmuskcls abhängig. Dennoch wird sie bei hinterer Ectasie des Bulbus
selten vennisst. Wo sie aber — bei unveränderter Wölbung der Cornea und unab-
hängig von entzündlichen Leiden der Iris oder Chorioidea, so wie von Krankheiten dir
Linse und des Glaskörpers mit Schrumpfung vorhanden ist, gestattet ?ie mit grosser Wahr-
scheinlichkeit den Rückschluss auf hintere Ausdehnung der Sclera. Ich bin auf diese Weise
in der Leichenkainmer in den Besitz einiger Bulbi mit hinterer Ectasie gekommen, von denen
sich auch bei zweien nachher eruiren liess, dass Kurzsichtigkeit vorhanden gewesen war.
Man könnte gegen die Beweiskraft der hintern Ectasie für unsere Ansicht vielleicht
noch einwenden, dass Augen, an denen man dieselbe beobachtet, allerdings kurzsich-
tig sein müssten, dass aber der Ectasie wohl andere Ursachen, als die von uns suppo-
nirte, zu Grunde liegen. Es könnte vielleicht diese Ectasie schon ein Vitium primae
formationis sein, oder es könnte dieselbe in einer angeborenen mangelhaften Resistenz
der Sclera gleichsam vorbereitet sein, wofür sich das oft beobachtete gleichzeitige Vor-
kommen von Kurzsichtigkeit in Familien geltend machen Hesse, oder endlich es könnte,
wie A. von Gräfe anzunehmen scheint, dieselbe die Folge eines entzündlichen Leidens
der Sclera und Chorioidea — (Sclerotico-chorioiditis posterior) sein. — Folgendes ist's,
was ich diesen Annahmen entgegen zu setzen habe. Zunächst kann durchaus nicht zuge-
geben werden, dass der hintern Ectasie des Bulbus immer ein entzündlicher Process der
Sclera und Chorioidea als Ursache oder auch nur als vorhergehendes und disponirendes
Moment zu Grunde liege, kann vielmehr mit Bestimmtheit behauptet werden, dass die
entzündlichen Erscheinungen im Grunde des Auges, welche in manchen solcher Fälle
entweder mit dem Augenspiegel oder am Leichentische nachgewiesen werden können,
etwas Accessorisches oder Consecutives sind. Der Augenspiegel kann natürlich nur
nachweisen, dass ein Auge kurzsichtig ist, nicht aber, wodurch die Kurzsichtigkeit be-
dingt sei. Ich habe an zahlreichen Individuen mit Kurzsichtigkeit höheren Grades die
Verlängerung des Bulbus in der Sehachse auf die oben angegebene Weise constatirt,
darunter aber viele gefunden, bei denen die optische Sensibilität vollkommen intacl war,
welche sich in der ihrem Refraclionszustande angemessenen Sehweite des besten Ge-
sichtes erfreuten, bei denen durch die Probe mit einer Kartenblattöffnung jeder Verdacht
auf Amblyopie ausgeschlossen werden konnte. Und das bei Individuen, die seit 20—3')
Jahren ohngefähr in gleichem Grade kurz- und dabei scharfsichtig geblieben waren.
Da kann ich unmöglich annehmen, dass ein entzündliches Leiden der Sclera u. Chorioidea
in der Gegend der Macula lutea statt gefunden habe. Die Ophthalmoskopie ergab in den
von mir untersuchten Fällen dieser Kategorie gar nichts oder die Zeichen von Rareüci-
rung des Chorioidealgewebes. Wahr ist es, mau trifft an Augen mit eclatanter hinterer
Ectasie und Kurzsichtigkeit nicht selten die Erscheinungen von Amblyopie, unter dein
Augenspiegel von Apoplexie oder Entzündung im Grunde des Auges; diese sind aber
später aufgetreten, als die Kur/sichtigkeit; sie sind consecutiv, in so fern die Disposition
zur Blutaustretung in der Ectasie gegeben ist. Diese Disposition liegt nicht nur in der
bei solchen Augen zum Sehen nöthigen erhöhten Ausdehnung und unzureichenden Re-
sistenz der Bulbuswand, welche um so geringer sein muss, je weiter die Ectasie bereit
gediehen ist; sie liegt auch in der Verödung zahlreicher Gcfässslämmchen von den hin-
tern Ciliargefässen, welche bei hochgradiger Rareficirung der Retina, Chorioidea und Sclera
(Ausdehnung auf einen grossem Flächenraum) unter Mithilfe der Senescenz des Indi-
viduums dazulritt. — Ein angeborener Zustand kann die in Rede stehende Ectasie dess-
Physiologie — Accommodation. 217
halb nichl sein, weil sie ohne h'urzsichligkeit nicht gedacht werden kann, and bei In-
dividuen beobachte! wird, die erst mit der Zeit kurzsichtig geworden sind. Eben so
wem'«' ist man berechtigt , eine besondere Disposition dazu anzunehmen, ausser der
Weichheit und Nachgiebigkeit der Sclera im jugendlichen Alter, man nuisste denn aus
Vorliebe für diese Idee die Thatsachen ignoriren, welche statistische Beobachtungen
über das Vorkommen der Kurzsichtigkeit bei den verschiedenen Völkern und Stünden
geliefert haben. — Ein Umstand ist es noch, welcher gegen alle die genannten drei
Annahmen spricht, nämlich das durch Sectionen sowohl als durch Beobachtung an Le-
benden constatirte Vorkommen der in Bede stehenden Ectasie an AugenK welche um-
schriebene centrale Trübungen in den durchsichtigen Medien darbieten. Ich besitze
mehrere solche Präparate, welche mir völlig unverständlich sein würden, wenn ich nicht
wüsste, dass Individuen mit solchen Trübungen genöthigt sind, alle kleineren Objeete,
welche sie deutlich sehen wollen, relativ näher an das Auge zu bringen, als ceteris
paribus andere, dass sieh mithin zu der Trübung des Gesichtes noch Kurzsichtigkeit ge-
sellt. (Vergl. I. B. S. 260.)
Eine Thatsache müssen wir endlich noch hervorheben, welche zwar nicht direct
als Beweis für unsere Theorie angeführt werden kann, welche aber, da sie mit der-
selben in vollem Einklänge steht, dazu beiträgt, selbe plausibel zu machen. Das anhal-
tende und oft wiederholende Betrachten naber Objeete führt in späteren Jahren nicht nur
nicht zu stationärer Kurzsichtigkeit, sondern sogar entweder einfach zu Ermüdung und
Augenmattigkeit oder selbst zu Fernsichtigkeit, zu insufficienter oder gänzlich mangeln-
der Accommodation. So lange die Sclera noch nachgiebig ist, kann übermässige und
anhaltende Spannung bleibende Ausdehnung derselben zur Folge haben; ist aber die
Sclera einmal gehörig resistent geworden, dann wird, wenn anhaltend erhöhte Span-
nung der Muskeln eintritt, eher Ermüdung und Nachlass der Muskelspannung eintreten,
als Ausdehnung der Sclera, und dieses Nachlassen erfolgt zunächst in jenem Accommo-
dationsorgane, welches nicht direct vom Willen abhängig ist, in dem Ciliarmuskel. So
wie diess erfolgt, leistet die Scheidewand zwischen Humor aqueus und vitreus nicht mehr
den gehörigen Widerstand, und es kommt consecutiv zur Abnahme des Humor aqueus,
zur Verkleinerung der vordem Augenkammer, ein Zustand, der, wenn er nur einiger-
niassen bestimmt ausgesprochen ist, ohneweiters und sicher zu schliessen gestattet, dass
die Accommodation entweder geschwächt oder aufgehoben sei. Die senile Presbyopie
ist nicht Folge mangelhafter Ernährung und dadurch bedingter Abnahme der Angenr
(luida. sondern Folge der zunehmenden Bigididät der Sclera einer- und der abnehmen-
den Muskelenergie andererseits.
Indirect wird die Richtigkeit unserer Theorie dadurch bewiesen, dass
keine andere Theorie der Accommodation weiter möglich ist. Die Mo-
mente, an die man appelliren könnte, sind: Verengerung der Pupille, er-
höhte Wölbung der Hornhaut oder der Linse, Vorwärtsrückung der Linse
und allenfalls eine Combination von zweien dieser Momente. Von Ver-
änderung der Brechungsverhältnisse kann nicht die Rede sein, da wir
kein Organ kennen, welches den hiezu nölhigen Druck zu liefein im
Stande wäre. Welchen Antheil die Iris etwa an der Accommodation haben
könne, werden wir weiter unten erörtern: dass die blosse Verengerung
2!8 Augenmuskeln.
der Pupille beim Nahesehen nicht den nöthigen dioplrisehen Anforderun-
gen genügen kann, bedarf keines weitem Nachweises. Auch an erhöhte
Krümmung der Cornea denkt heut zu Tage wohl Niemand mehr, nachdem
das Nichteintreten derselben wiederholt durch verschiedene Methoden, und
von den tüchtigsten Beobachtern, Senf, Cramer, Hetmhoh, constatirt ist
Die auf Lage- oder Formveränderung der Linse basirten Theorien schei-
tern vor allem an der constatirten Beobachtung, dass manche Augen,
bei denen die Linse fehlte und durch ein entsprechendes Convexglas
ersetzt wurde, Accommodation zeigten. Diese Fälle beweisen wenigstens
so viel mit Bestimmtheit, dass, wenn 'ja Veränderungen der Linse (in
Form oder Lage) einen Antheil an der Accommodation haben, dieser ein
relativ sehr geringer sei, dass man somit vollkommen zu der Behauptung
berechtigt ist, die geraden und schiefen Augenmuskeln im Verein mit dem
Ciliarmuskel seien wahrscheinlich die einzigen, sicher jedoch die bei
weitem überwiegenden Organe der Accommodation.
Sollte die Vorrückung der Linse allein den optischen Anforderungen genügen, so
inüsstc die Excursion nach den Berechnungen von Olbers, Moser und Senff \'2'" oder
noch etwas mehr betragen. Mit der Linse niüsste dann natürlich auch die Iris, wenig-
stens der Pupillarrand derselben beim Nahesehen vorwärts rücken. Wenn aber bei der
Accotninodation Form und Lage der Hornhaut unverändert bleiben, so ist auch ein
solches Vorrücken der Linse in toto unmöglich, weil der Humor aqueus incompressibel
ist, und ein leerer Raum, wohin das Kammerwasser etwa entweichen könnte, nirgends
existirt. Weder der PeftYsche noch der vermein! liehe Fontanasehc Kanal (Iluek's) kön-
nen dieser Ansicht den gewünschten Dienst erweisen. Übrigens führt diese Ansicht zu
einer Consequenz, welche deren Absurdilät handgreiflich macht. Gibt man nämlich zu,
dass anhaltendes und öfter wiederkehrendes Nahesehen kurzsichtig macht, dann muss in
jedem auf diese Weise kurzsichtig gewordenen Auge die Linse weiter vorn liegen, die
vordere Kammer kleiner sein. Ullrich hat keinen Anstand genommen, offen auszuspre-
chen, was bei Andern eben nur zwischen den Zeilen zu lesen ist. „Myopiae causae
variae possunt afferri. Subita musculi tensoris chorioideae eontraelione spastica, et nervi
sympathici irritatione et ad nervorum ciliarium systema irradiatione orta, lens crystallina
nonnunquam nimis antrorsum agilur, ita ut radiorum ex rebus Ionginquis emanantiinn
focus ante retinam cadat." — „Occurrunt praeterea saepe, teste experienlia quolidiana,
qui longa continua consuetudine propiora et subtiliora ferc sola inspiciendi, remotiora
distinete visendi facultatem sensim amittant, itaque myopiam acquirant." — „Si haec
myopia jam diu in veter ayit, nulla oculi exercilatione distantia visus polest pfolongari.
Namque tensoris chorioideae fibrae musculares hoc in myopiae genere in continua cön-
tractione perdurantes, magis magisque abbreviantur et intumeseunt, quo fit, ut lens cry-
stallina in perpcluum nimis antrorsum prolnidatur." (I. c. p. 58 et 59.) Wenn nun
auch Volkmann, auf Sturm's theoretische Deductionen sich stützend, und nach ihm Knete
eine viel geringere Excursion der Linse nach vorn genügend finden (etwa nur ',„'" wie
Valentin angegeben hat), so macht diess den Widerspruch mit der Beobachtung au
kurzsichtigen Augen nur geringer, ohne ihn aufzuheben. Dasselbe Argument müssen
Physiologie — Accoinmoclatioii. 219
wir auch der Theorie Stellwags (Ophthalmologie, S. 431) entgegenstellen, welcher be-
rechnet, dass eine Vorwärtsrückung «ler Linse um :t/, „'" allen Anforderungen genügen
würde, und den Schwierigkeiten rucksichtlich des Kammer wassers dadurch zu entgehen
nieint, dass er annimmt, die vordere Kammer werde, indem die Linse in der ."Mitte vor-
gedrängt werde, an der Peripherie dadurch grosser, dass die Iris seitlich auf die Linse
drücke. Letzlere Annahme werden wir bei Besprechung der Theorie von Gramer in Be-
zug auf ihre Haltbarkeit untersuchen, und begnügen uns hier nur nachzuweisen, dass
Stellwäg consequenter Weise, und mit noch bestimmteren Ausdrücken, dieselbe absurde
Behauptung wie Ullrich aufstellt, indem er S. 439 sagt : „Die dioptrisehen Verhältnisse
des Auges machen es für den ersten .Augenblick wahrscheinlich, dass die Weitsichtig-
keit in einer normwidrigen Vorrückung der Linse begründet sei. Eine nähere Betrach-
tung der Dinge lehrt jedoch, dass die der Presbyopie entsprechende Stellung nicht als
eine abnorme gelten könne, dass die Weitsichtigkeit nur auf dem Unvermögen des Ac-
commodationsmuskcls beruhe, den Krystalllibrper in die für geringere Sehweiten erforder-
tliche vorgerückte (!) Lage zu versetzen. Wohl aber steht es fest, dass hohe Grade
von Kurzsich ligkeit in normwidrigen Sellungen der Linse begründet seien, auf Fixation
des Krystallk'örpers in einer abnorm vorgerückten Lage beruhen, und sofort bedingt wer-
den durch widernatürliche Länge der Glaskörperachse bei normwidrig kleinem Ab-
stände der Linse von der Hornhaut (!). Es können diese Missverhältnisse zwi-
schen den Achsen des Kanimermeniscus und des Glaskörpers- acquirirt werden, sind mit-
unter jedoch auch angeboren."
In neuester Zeit haben Cramer in Groningen'") und Helmholz'""') unabhängig von
einander die auch schon in früheren Zeiten namentlich von Huek ausgesprochene An-
sicht wieder aufgenommen, dass die Linse behufs des Nahesehens convexer werde. Sie
stützen dieselbe auf die Messung der Purkinje-Sanson'schen Spiegelbilder. Diese erhält
man bekanntlich, wenn man in einem dunkeln Räume ein Licht, z. B. eine Kerzenflainme
in der Entfernung von 1 — 2 Fuss seitlich vor ein Auge hält, und von der andern Seite
in die Pupille blickt. Um jedoch nicht durch andere Spiegelbilder gestört zu werden,
muss der Beobchter an der seinem Gesichte zugewendeten Seite der Flamme einen
schwarzen und matten Schirm so anbrigen, dass sein Gesicht dabei völlig beschattet er-
scheint, und der Schirm kein Licht auf das Auge reflectirt. Lä'sst man jetzt das zu beob-
achtende Auge (in gleicher Höhe mit dem des Beobachters und mit der links oder rechts
zur Seite befindlichen Flamme) eine solche Stellung annehmen, dass das Spiegelbild der
Cornea, welches nicht bloss die Flamme, sondern auch den obersten Theil der Kerze
deutlich wiedergibt (verkleinert und aufrecht), noch im Bereiche der Pupille und zwar
nächst dem Rande derselben (z. B. nächst dem äussern) zu stehen kommt, so wird man
diametral entgegengeselzt (also nächst dem innern Pupillarrande) einen zwar relativ sehr
kleinen, doch ziemlich hellen und scharf begrenzten Beflex bemerken, welcher sich als
das der hintern Kapsel angehörige Flammenbild erweist (daher verkehrt erscheint). Min-
der leicht ist es , das der vordem Kapsel angehörende Reflexbild zu erkennen , denn es
tritt nur als ein matter (lichtarmer) länglicher Lichtschein ohne deutliche Begrenzung auf,
weicher seine relative Stellung zu den beiden andern bei der leisesten Bewegung des
') Tyilsuhnft der Maalschnmiy vor Genceskunde, und Physiolog. Abhandlung über das Accßmmodalionsvermügen der
Augen, deutsch von Duden, T.eer l &5 "■.
'") Monatsberichte der Berliner Akadem e .1853 i-'ehruar, und : Über die Accominodation des Auge- im Archiv für
Ophthalmologie I. ß. 1!. Abtiicil. .1855, S. 1- 71.
220 Augenmuskeln.
Bulbus in entgegengesetzter Richtung ändert, und sich demnach bald hinter dein Cor-
neal- bald hinter dem Hinterkapselreflexe verbirgt. Streicht die Sehachse des beobach-
teten Auges nicht um viele, sondern nur am wenige Grade neben der Flamme vorbei,
so erscheinen die genannten 3 Bilder nicht so sehr neben-, als vielmehr hinter einander,
und man sieht dann deutlich, dass das Cornealbild am weitesten vorn, das Vorderkapsel-
bild am weitesten hinten, das Hinterkastelbild dazwischen (näher dem Cornealbilde) liegt.
— Kennt man diese Erscheinungen aus vielfältiger Betrachtung mit freiem Auge, dann
wird es auch nicht schwer halten, sie mit einer Brücke" sehen Loupe oder mit einem
Fernrohre unter 10 — 20facher Vergrösserung zu beobachten. Cramer und Helmholz, jeder
in einer andern Weise, haben nun eigene Apparate construirt, um diese Bilder bei sol-
cher Vergrösserung und bei möglichster Ruhe des beobachteten sowohl als des beobach-
tenden Auges wahrnehmen und in Bezug auf relative und absolute Lage und Grösse
während verschiedener Refraction des beobachteten Auges messen und vergleichen zu
können. Rücksichtlich der Beschreibung derselben müssen wir auf die oben citirten
Schriften verweisen, und uns hier auf auszugsweise Mittheilung der Beobachtungsresul-
tate beschränken. Nach dem, was ich gesehen, freilich nur mit Hilfe einer Brücke'schen
Loupe, möchten die Schlüsse in Bezug auf Lage- und Grösseveränderung des Vorder-
kapselbildes wohl nicht mit so viel Bestimmtheit und Präcision zulässig sein, als Cramer
und Helmhoh sie aufgestellt haben.
Das Hornhautbild erleidet bei der Accommodation durchaus keine Veränderung. Hierin
stimmen beide Auetoren überein, und Cramer konnte auf diese Weise auch im Radius
der vordem Corncalfläche keinen Unterschied zwischen kurz- und weitsichtigen Augen
finden. Hiedurch erhielt der bereits anderweitig gefundene Satz, dass die Accommodation
nicht durch Veränderung der Cornealvvölbung vermittelt werde, eine neue Stütze. — Bei
der Einrichtung des Auges für die Nähe rückt, nach Cramer, das Vorderkapselbild in die
Mitte zwischen das Gorneal- und das Hintei kapselbild, wenn es beim Fernsehen nahe
an dem letzteren lag; zugleich wird es heller und kleiner, woraus sich ergibt, dass beim
Nahesehen die vordere Kapsel gewölbter wird. Nach Helmhoh' rücken zwei Spiegel-
bildchen, welche der vordem Kapsel angehören (durch eine eigene Vorrichtung des Ap-
parates erzeugt), näher aneinander und werden kleiner, was auf dieselbe Ursache, stär-
kere Wölbung der Vorderkapsel, und zwar mit viel mehr Sicherheit deutet: — Rück-
sichtlich des Bildes an der hintern Kapsel ist Cramer geneigt, anzuehmen, dass dasselbe
bei der Accommodation weder in Bezug auf die Lage, noch in Bezug auf die Grösse eine
Änderung erleidet, ohne das Gegentheil bestimmt auszuschliessen ; Helmhoh dagegen
nahm in beiden Beziehungen eine Veränderung wahr und erklärt nach Berücksichtigung
aller hier in Rechnung kommender Momente, dass durch die Accommodation der wahre
Ort des mittlem Theiles der hintern Kapsel nicht merklich verrückt werde, die bestimmt
wahrgenommene Grösseveränderung des betreffenden Bildchens jedoch wenigstens zum
Theil auf Verkleinerung des Krümmungsradius oder hinlern Linseiifläehc bezogen werden
müsse. Siel/war/ (in einem an Cramer gerichteten und von diesem milgclhcillcn Schrei-
ben) folgert aus physikalischen Gesetzen, dass eine vermehrte Wölbung der vordem
Kapsel allein, ohne gleichzeitige stärkere Wölbung der hintern Kapsel nicht vorkommen
könne, was also für Helmholzens Beobachtung spricht. Helmhoh fand mit Hilfe der
Spiegelbilder den Radius der Vorderfläche der Linse in Millimetern: bei 0. II. = 11,9,
bei B. P. -= 8,8, bei I. II. — 10.4, bei zwei todten Linsen == 10,2 und 8,9, den Ra-
dius der Hinlerfläche bei 0. IL = 5,83, bei B. P. — 5,13, bei I. II. 5,37, bei den
Physiologie — Aecommodation. 221
Indien = 5,86 und 5, «9. Die Dicke der Linse in der Achse berechnete er bei
0. 11. auf 3,148, bei B. P. auf 3,635, bei I. II. auf 3,402 Millimeter. Addirt man hiezu
die Höhe, welche die Wölbung der Linse in der Pupille beim Nahesehen beträgt, so er-
hält man für 0. H. 3,414, für B. P. 3,801, für I. II. 3,555 Millimeter Dicke der Linse,
welche bei den Todten ■= 4,2 und 4,3 Millim. gefundeil wurde. — Stelltoag (in obigem
Schreiben) geht von folgenden Prämissen aus. Die innere optische Achse =9,534'", Tiefe
der Augenkammer in der Sehachse = 0,8'", Brennweite der Cornea = 13,35'", Bre-
chungsexponent des Kammerwassers = 1,337, des Glaskörpers = 1,339, und des Kry-
stallkörpers = 1,418 (Totalindex, durch Rechnung bestimmt), ferner Radius der vordem
Linsenfläche = 3,071'", der hintern Linseufläche = 2,2'", Achsenlänge oder Dicke der
Linse = 2,0'", und die Vereinigungsvvcite des Auges für parallele Strahlen = 6,731"'
hinter dem hintern Scheitelpunkte der Linse. Damit nun Krümmungsänderungen der bei-
den Convexitäten des Krystallkörpers die Aecommodation des Auges für ein Object von
100"' (8'/^") bewerkstelligen können, muss der Radius der vordem Linsenfläche sieb
auf 2,517'", der Radius der hintern auf 1,762"' verkürzen, die Achse des Krystallkörpers
mithin sich auf 2,48'" verlängern, vorausgesetzt, dass mit dem Wechsel der Krümmungen
der einzelnen Krystallschichten der imaginäre Totalindex der Linse derselbe bleibt.
Als Organ, welches diese nicht unbeträchtliche Veränderung der Form der Linse (Ab-
nahme der Durchmesser im Äquator, Zunahme des Durchmessers in der Achse) zunächst
vermitteln soll, wird die Iris im Verein mit der Ciliarnuiskel (Bri cke's tensor chorioideae) be-
zeichnet. Diese Ansicht wird theils auf anatomische Verhältnisse, theils auf Thatsa eben der Be-
obachtung bei obigen Untersuchungen und bei Experimenten an Thieraugen gestützt. Cra-
mer behauptet zunächst, es liege die Iris nicht nur im kleinen Kreise, sondern durchaus
— vom Pupillar- bis zum Ciliarrande an der vordem Kapsel, Zonula Zinnii und den
Ciliarfortsätzen an, so dass eine hintere Augenkammer nicht existire, und es liege' in
normalen Augen der Pupillarrand (eine Ebene durch denselben gelegt) um 0,44 Par.
Linien weiter vorn, als der Ciliarrand (Ebene durch denselben gelegt) sei demnach die
Iris kuppelartig vorwärts gewölbt, so dass ihre Radinifasern bogenförmig gekrümmt über
die Linse verlaufen, daher bei gleichzeitiger Contraction der Girculärfas'ern, in denen sie
den zweiten Stützpunkt fänden, auf den peripherischen Theil der Vorderfläche der Linse
drücken können. Übrigens sei die Lage der Fasern des Cilürmuskcls so, wie Brücke sie an-
gegeben, daher Verkürzung derselben im Stande sei, den Ciliarrand der Iris rückwärts- zu
ziehen, wodurch zugleich die Ciliarfortsätze einwärts gedrängt, und mittelst des im Petifsbhea
Canale enthaltenen Wassers ein Druck auf den Raud der Linse ausgeübt werden könne.
— Nach Helmhoh kann man sich durch Versuche mit seinem Ophthalmometer überzeu-
gen, dass der peripherische Theil der Iris beim Nahesehen sich nach hinten bewege,
während der Pupillarrand deutlich nach vorn weiche. Dagegen soll ein Vorwärtsrücken
des Pupillarrandes bei einfacher Verengerung der Pupille durch Lichtreiz (ohne Accom-
modationsänderung) in normalen Augen gar nicht eintreten, bei Augen mit etwas weite-
rer Pupille, wie bei Kurzsichtigen, nur in geringem Grade. — Um nachzuweisen, dass
im Auge selbst gelegene Muskelfasern es seien, welche die Aecommodation vermitteln,
nahm Gramer das Auge eines so eben durch Hängen getödteten, etwa 5 Wochen allen
Seehundes (phoca litoreus), entfernte von demselben alle Muskeln, legte hinten einen
Theil Glaskörper durch vorsichtige Beseitigung einer Partie Sclera, Chorioidea und Re-
tina bloss, und brachte das so präparirte Auge, mit der Cornea auf einem hölzernen Ringe
ruhend, über die Öffnung der Objectiv- Platte eines Mikroskopes. Mittelst einer genau
222 Augenmuskeln.
richtigen Stellung dos Mikroskdpes und des Spiegels konnte er nun die Flnmme eines
ungefähr 35 Centimeter entfernten Lichtes auf der hintern Fläche des Glaskörpers sehr
deutlich vergrössert wahrnehmen. Liess er nun auf beide Seiten der Cornea den Strom
eines elektro-magnetischen Rotationsapparates einwirken, und beobachtete während dessen
die Flamme auf der hintern Fläche des Glaskörpers bei lüfacher Vergrösserung , so
wurde jedesmal hei der Durchströmung die Flamme breiter, undeutlicher und weniger
begrenzt, was man übrigens auch mit freiem Auge bemerken konnte. Wenn ein so be-
handeltes Auge nach sehr lange fortgesetzten Versuchen untersucht wurde, so zeigte die
Linse eine Kriimmungs Vermehrung in solchem Grade, dass die Form der Pupille, wie sie
selbe während des Contractionszustandes erhielt, als eine Erhöhung auf der Linsenvor-
derfläche vollkommen sich ausdrückte. Wenn er an frischen und noch nicht viel zu die-
sem Experimente verwendeten Augen durch die Cornea eine Staarnadel bis zur Pupille
in's Auge geführt, sodann unter die Iris durch bis zu ihrem Ursprungscirkel gedrungen,
und im Zurückziehen den ganzen von der Staarnadel getroffenen Irisbogen durchschnit-
ten (ein Coloboma totale gebildet) hatte, so bewirkte der elektr. Strom nicht mehr wie
früher eine Verengerung der Pupille noch Veränderung des Refractionszustandes. — Bei
einem fernem Versuche bewirkte der elektr. Strom nach Entfernung der Cornea und
Iris so gut wie gar keine Veränderung in der Refraction , doch war selbst dem blossen
Auge während der Dauer des elektr. Stromes jedesmal eine Anspannung der Ciliarfort-
sät/e bemerklich, wodurch nach Crainers Dafürhalten der Anlheil des M. tensor chorioi-
deae an der Accommodation nachgewiesen erscheint.
Ich habe die Versuche weder mit dem Cramer'schen noch mit dem Helmhofo' sehen
Apparate nachgemacht. Was sie also über die Veränderung der Lage und Form der Spie-
gelbilder bei der Accommodation angeben, muss ich gelten lassen, obgleich die beidersei-
tigen Angaben einige wesentliche Widersprüche enthalten. Dass durch die aus jenen
Beobachtungen gefolgerte Veränderung der vordem und hintern Linsenoberfläche allein
oder auch nur vorzüglich die Accominodation vermittelt werde, halte ich für unmöglich.
Es spricht dagegen alles, was ich bisher über die Accommodation und ihre Abnormitäten
erfahren und beobachtet habe.
Nach Stellwag's Berechnung, wenn wir deren oben mitgetheilte Prämissen als rich-
tig annehmen, müsste die Linsenachse schon behufs der Accommodation für 8" um '/.2"J
verlängert werden, vorausgesetzt, dass mit dem Wechsel der Krümmung der einzelnen
Krystallschichten der imaginäre Totalindex"- der Linse derselbe bleibe. Da aber die er-
höhte Wölbung der Linse offenbar nur durch die weiche, kalbflüssige, im Brechungsindex
vom Humor aqueus und vitreus gewiss nur wenig abweichende Rindensubstanz vermit-
telt werden kann, so ist eben diese Voraussetzung noch sehr in Frage gestellt. Stellir«*?
hat bereits in seiner 1853 erschienenen Ophthalmologie S. 431 die unseres Erachtens
ganz richtige Behauptung aufgestellt, „dass wegen der grossen Übereinstimmung der
Brechungsverhältnissc in den äussern Krystalllagen und den umgebenden Medien unge-
heuere Verkürzungen und Verlängerungen der Radien erforderlich wären, um merkbare
Differenzen in der Brennweite des dioptrischen Apparates zu bedingen."
Aber angenommen, es genügten die aus der Veränderung der Rcflexbilder gefolger-
ten Veränderungen in der Wölbung der Linse dem dioptrischen Bedürfnisse, dann muss
consequenter Weise auch angenommen werden, dass bei Myopia acquisita die Linse
wegen übermässig langer seitlicher Compfession ihre Elasticität zum Theil eingebfiest
habe, dass dieselbe nicht mehr zu ihrer normalen Form zurückkehre, mithin in den Aqua-
Physiologie — Acroiiiinoilnfsoii. 223
korialdnrchmessern verkürzt, im Äfchsendurchniesser verlängert bleibe. Diess will Cramer
(S. 180) auch wirklich so gefunden haben. „In Betreff der La ige der Linsenachse, so
wie der Entfernung ihrer vordem Fläche von der Cornea, habe ich ebenfalls bei Kurz-
sichtigen vielfach exptrimenlirt. Hier ergab der Apparat auf's Deutlichste, dass: a) die
Entfernung des Cornealbildchens von dein von der hinlern Linsenflache erzeugten, wie-
wohl darin das Lebensalter u. s. vv. einigen Unterschied begründet, bei Kurzsichtigen,
bei normalem Gesichte und bei Fernsichligen sich ganz gleich verhalt; dass b) die Ent-
fernung des Cornealbildchens von dem von der Vorderfläch« der Linse erzeugten, bei
Kurzsichtigen sehr klein sich darstellt, im Vergleich zu Personen mit normalam Auge,
oder, wo der Unterschied noch etwas beträchtlicher sich zeigt, zu Fernsichtigen, und
endlich c) dass die Entfernung des von der Vorderfläche der Linse herrührenden Spie-
gelbildchens bis zu dein von deren hinteren Fläche erzeugten, in den auf diese Weise
angestellten Versuchen bei Kurzsichligen im Verhältnisse zu Personen mit normalem Ge-
sicht und noch etwas mehr bei Ferusichtigkeit, als sehr gross sich darstellt." Das heisst
mit wenig Worten : bei Kurzsichtigen liegt die vordere Fläche der Linse näher an der
Cornea, weil die Achse der Linse viel länger ist. — Diese Angaben stehen im directen
Widerspruche mit der Beobachtung an Lebenden, mit den Sectionsergebnissen, mit den
Angaben von Heimhole. Ich will kein Gewicht auf den Umstand legen, dass ich in kei-
nem der von mir anatomisch untersuchten kurzsichtigen Augen den Achsendurchmesser
der Linse = 2'", sondern mehr weniger darunter gefunden habe; die Beobachtung an
Lebenden reicht hin, das zu widerlegen, nnd ich brauche desshalb hier wohl einfach auf
das über die Lage der Iris Gesagte surückzuweisen. Helmholz selbst fand bei der etwas
kurzsichtigen 0. H. den Abstand der Pupillarebene vom Scheitel der Hornhaut — 4,024mm,
während die andern beiden, ziemlich gleich alten Individuen (B. P. und I. H.) nur 3,507
und 3,739mm- zeigten. Ausserdem aber ergibt sich, völlig im Widerspruche mit Cramers
Angaben, aus den oben mitgetheilten Ziffern von Heimholt, dass gerade bei der etwas kurz-
sichtigen 0. H. die Linse die kürzeste Achse zeigte, und sowohl die vordere als die hintere
Linsenfläche die relativ geringste Wölbung erwiesen. Wenn aber Cramers und Helmhohens
Angaben sich widersprechen, so muss die Beobachtung des einen oder des andern falsch
sein, und scheint auch ihre Untersuchungsmethode noch beträchtliche Fehler zuzulassen.
Was nun die Organe betrifft, welche die Linse seitlich comprimiren sollen, so steht
die Cramer'sche, von Helmhoh gebilligte Theorie in directem Widerspruche mit erwiese-
nen Thatsachen. — Die Lage der Iris , wie sie uns durch das Kammerwasser und die
Hornhaut gerade von vorn angesehen erscheint, weicht von der wirklichen nicht viel ab.
Dass das Weitervorwärtsliegen des Pupillarrandes relativ zum Ciliarrande bei der Betrachtung
gerade von vorn nicht ein blos scheinbares (vom Austritte der Lichtstrahlen aus der Cor-
nea in der Luft abhängiges) ist, ergibt sich schon aus dein Umstände, dass man die Iris
bei Mangel oder Verschrumpfung der Linse vollkommen in Einer Ebene liegen sieht. Eine
deutliche Wölbung der Iris zwischen Ciliar- und Pupillarrand sieht man aber an norma-
len Augen nicht. Sie streicht vielmehr auch bei enger Pupille geradlinig vom Ciliarrande
bis zu dem Wulste, der den Annulus minor und die äussere Grenze des Schädelmuskels
bezeichnet, oder sie zeigt sogar nicht weit vom Ciliarrande, ungefähr da, wo hinter ihr
die Firsten der Cilarfortsätze liegen, eine ringförmige Vertiefung oder Furche, welche
sich bei seitlich einfallendem Lichte auf der einen Seite durch Schaltenbildung, auf der
andern durch hellere Beleuchtung kund gibt. Dieses Verhalten zeigt die Iris, sobald die
Pupille nicht sehr weit ist, gleichviel, ob das Auge für die Nähe oder für die Ferne ein-
224 Augenmuskeln
gerichtet ist. Zur Beurtheilung der Lage der Iris, n;mientlie!i ihres milderen Theiles. ist
die Betrachtung des Auges von der Seite her eben so schlecht, als zur Entscheidung der
Frage, ob Exsudatpunkte in der Substanz der Hornhaut oder an der Desceinet'chen Haut
sitzen. Wenn man ein Planconvexglas auf eine gerade Linie legt (einen etwa 1" langen
Strich mit Tinte auf weissem Papier), und nun von der Seite her darauf sieht, so er-
scheint der Strich bogenförmig gewölbt, sein mittlerer Theil scheint sich gegen den Schei-
tel der convexen Fläche zu erheben. Dieser Unistand muss bei der Beobachtung des
Vorwärtstreten s des Pupillarrandes wohl erwogen werden, wenn man das Auge von der
Seite her betrachtet. Ich finde, wenn ich einen jungen nicht kurzsichtigen Mann unver-
riiekt auf einen etwa 12 Fuss entfernten Punkt blicken lasse, wobei die Pupille bei seit-
lich gestelltem Lichte etwa 3'" im Durchmesser hat, dass Verengerung der Pupille durch
blosses Annähern des Lichtes auf das zweite Auge bis auf etwa 1 1/2'" Durchmesser ein
sehr deutliches Vorrücken der Iris wahrnehmen lässt, was mit der Angabe von Helm-
hoh nicht übereinstimmt. Dieses Vorrücken ist zum Theil reell, weil der an der flach
gewölbten Kapsel anliegende Pupillarrand offenbar aufsteigen muss, theils ein schein-
bares, durch die Strahlenbrechung wie in dem Versuche mit dem Glase bedingtes.
Gegen die Angabe , dass bei der Einrichtung des Auges für die Nähe der grosse
Kreis ein wenig rückwärts gezogen wird, habe ich nichts einzuwenden, ich glaube die-
ses Zurückweichen bei forcirter Accommodation selbst mit freiem Auge wahrgenommen
zu haben, und finde in der mit der Pupillenverengerung beim Accommodiren gleichzeitig
erfolgenden Contraction des Ciliarinuskels, aus dessen Mitte die Iris heraustritt, die hin-
reichende Erklärung dafür.
Die Behauptung Cramer s, dass es keine hintere Kammer gebe, ist irrig. Die Iris
liegt weder auf der Zonula Zinnii an, noch auf den Firsten der Ciliarfortsätze; erst gegen
den Pupillarrand hin nähert sie sich der Kapsel mehr und mehr, bis sie völlig an ihr
anliegt. Ich zweifle, dass irgend Jemand zahlreichere Achsendurchschnitte des Auges in
möglichst frischem und im gefrornen Zustande gemächt hat, als ich. Cramer will zwischen
Iris und Zonula Zinnii kein Eis gefunden haben ; ich habe es gefunden. Bei der Durch-
schneidungsmethode, die ich im 1. Bande angeführt habe, fand ich nicht nur die vordere,
sondern auch die hintere Kammer in dem Masse geräumig, als der Ciliarmuskel mehr
entwickelt war. Auch an Chromsäurepräparaten fand ich die Iris nicht an der Zonula
anliegen, obwohl man auf diese Präparate in Bezug auf die Lage der Iris wenig Gewicht
legen darf, da die Linse immer stark aufgequollen oder aber bereits so hart geworden
ist. dass sie beim Versuche der Durchschneidung meistens in den Glaskörper hineinge-
drängt wird. Cramer hätte offenbar besser gethan, statt eines schematischen, seiner
Theorie zu Liebe nur zu sehr idealisirten Durchschnittes lieber einen möglichst getreuen,
nach der Natur gezeichneten abzubilden. Leider ist auch die von Hclmhoh gelieferte
Abbildung rücksichtlich des Corpus ciliare von der Art, dass ich bis jetzt noch nicht im
Stande war, einen solchen oder auch nur einen ähnlichen Durchschnitt des Bulbus zu
erhalten. — Ausserdem gibt es noch eine Erscheinung während des Lebens, die ich mir
nicht erklären kann, wenn zwischen Iris und Zonula Zinnii nicht eine gewisse Menge
wässriger Flüssigkeit vorhanden ist. Wir haben ihrer bereits im 2. Bande bei der Pupil-
lenbildung erwähnt. Wenn man in einem Falle, wo die Pupille durch eine centrale Horn-
hautnarbe verdeckt, und der Pupillargrund ganz oder doch theilweise frei ist. behufs der Pupil-
lenbildung einen etwa 2'" langen Einstich in die Cornea macht, und das Messer beim
Zurückziehen etwas dreht, so dass die Wunde momentan klall't und der Humor aqueus
Physiologie — A< commorintion. 225
ausströmt, so wird in der Reggj die nächste Partie Iris mit berausgestülpt, und zwar
blasenartig, wenn nicht auch der Pupillarrand mit in die Wunde vorfällt. Woher diese
längst gekannte Erscheinung, wenn die Iris überall an der gespannten Zonula Ziunii und
Kapsel anliegt? Müsste die Iris nicht nach dein Gesetze der Attraction zwischen zwe
feuchten Platten an der Zonula halten bleiben? Wenn aber Wasser dahinter ist, dann
ist's begreiflich, warum sie überhaupt und in specie blasenartig vorgedrängt wird. Etwa*
Ähnliches findet statt, wenn man den Durchbruch eines nahe am Rande der Cornea
sitzenden kleinen Geschwüres beobachtet, wozu namentlich bei Conjunctivitis scrof'ulosa
sich oft Gelegenheit darbietet. Das Geschwür durchbohrt die Desceinet'sche Haut ; kaum
entleert sich ein Theil des Kammerwassers, wird auch schon die Öffnung durch die bla-
senartig hineingeschobene Iris verstopft, die sich sofort bis zur Grösse einer Erbse er-
hebt u. s. w. — Beim normalen Auge ist gewiss eine hintere Augenkammer vorhanden,
liegt nur der kleine Kreis der Iris an der Kapsel an. Bei Augen, deren Accomniodation
verloren oder doch nicht ausdauernd ist (Fernsichtigkeit und Augenmattigkeit) und deren
Pupille immer relativ sehr eng erscheint, scheint die Iris bis gegen den Rand der Linse
hin (Insertion der Zonula in die Kapsel) an derselben anzuliegen, da man in dein Grade
der Wölbung, den die Iris dann darbietet, so ziemlich den Grad der Wölbung und die
Grösse der Linse erkennt.
Die Annahme, dass die Iris durch seitlichen Druck auf die Linse zur Accommoda-
tion beitrage, steht mit Thatsachen der Beobachtung in directem Widerspruche. Nicht
bloss bei vollständigem Coloboma iridis, sondern auch bei Synechia anterior und nach
künstlicher Pupillenbildung besteht entschieden noch die Fähigkeit, sich für nahe Ob-
jecte einzurichten. Wenn die Iris seitlich auf die Linse drückt, welche Gestalt nimmt
denn die Linse an, sobald die Iris wie beim Coloboma totale an einer Stelle fehlt? Wie
können Augen, an denen ein Theil des Pupillenrandes in eine seitliche Hornhautnarbe
eingewachsen ist, noch ein ganz gutes Gesicht für nah und fern besitzen? In diesen
Fällen mangelt ja der Druck der Iris auf der einen Seite ; muss da die Wölbung der
Linse nicht unregelmässig werden? Ich habe bereits früher (S. 136, B. II.) eines Beam-
ten erwähnt, dem ich auf beiden Augen eine künstliche Pupille nach innen und unten
angelegt habe, welcher aber trotzdem selbst bei 6 Zoll Distanz ganz kleinen Druck mit
Ausdauer lesen kann, und, wenn er auf die Jagd geht, bloss Nr. 20 concav braucht,
wesshalb ihn wohl Niemand für kurzsichtig erklären oder ihm die Accommodationsfähig-
keit absprechen wird.
Cramer's Versuche an Seehundsaugen beweisen eben nichts weiters als dass Iris
und Ciliarmuskel durch den elektrischen Strom noch eine Zeitlang nach dem Tode in
Contraction versetzt werden können. Wurde durch diese Contraction blos die Linse
verändert? behielt dabei die hinten (respective oben) blossgelegte Glaskörperflüssigkeit
dasselbe Niveau und dieselbe Wölbung? Gewiss liegt die Annahme viel näher, dass
durch Contraction der iris und des Ciliarmuskels eher der Humor vitreus verdrängt als
die Linse in ihrer Form verändert wurde. Wenn nachträglich in einer Anmerkung ge-
sagt wird, er habe an Augen, mit denen er durch lange Zeit experimentirt hatte, einen
förmlichen Abdruck des Pupillarringes bemerkt, so weiss man wieder nicht, ob nicht
an einem hinten geöffneten Auge schon der blosse Druck des Glaskörpers und der
Linse, welcher jetzt von der durch den elektrischen Strom gespannten Iris durch längere
Zeit allein getragen werden musste, Schuld jenes Abdruckes war. Mir ist Letzteres allein
das Wahrscheinliche, denn wenn die Linse allmälig ihre Elasticität verloren hatte, warum
Arlt's Augenheilkunde III, 2. J^3
226 Augenmuskeln.
fand man denn dann blos, jenen Andruck, warum denn nicht die Äquatorialdurchmesser
kleiner und den Achsendurchmesser grösser, wie es doch erwartet werden musste, wenn
die Accommodation seitliche Compressiun der Linse erfordert? — Wie aber das Experi-
ment nach Durchschneidung der Iris vom Ciliar- bis zum Pupillarrande in der von Gra-
mer angegebenen Weise zu Gunsten dieser Theorie sprechen soll, ist noch weniger zu
begreifen, da die Angabe fehlt, ob der Humor aqueus erhalten oder abgeflossen war
Aber auch zugegeben, das Karamerwasser war da, und blieb auch beim Elektrischen ganz
erhalten: war auch die Zonula Z. unverletzt geblieben? Man hat alle Ursache zu ver-
mnthen, dass bei dieser Operation auch die vordere Wand des Petit'schen Canales ver-
letzt wurde, somit auch die Function des Ciliarmuskels nicht mehr eintreten konnte.
Am wenigsten Vertrauen erregend für seine Theorie ist das, was Gramer über die
Anatomie der Chorioidea und des Ciliarmuskels und über die Erscheinungen nach der
Anwendung von Belladonna angegeben hat. Er behauptet S. 97 : „das Stroma der Cho-
rioidea sei hinten im Auge bis an die Ora serrata innig mit der Sclerotica verwachsen-
von der Ora serrata an aber sei die Verbindung der Chorioidea, folglich auch des 51.
tensor chorioideae mit der Sclerotica viel lockerer, bis zu der Stelle, wo sich der M.
tensor chorioideae an die Hinterwand des Canalis Schlemmii inserirt." Diese Angabe ist
grundfalsch ; man braucht eben nur Augen zu seciren, sich davon zu überzeugen. Was
den Verlauf der Muskelfasern in dem sogenannten Ciliarbande (vergl. II. B. S. 149) be-
trifft, so ist nach dem, was ich gesehen, die von Kölliher fast unverändert wiedergege-
bene ßoicw(an'sche Abbildung am meisten der Natur getreu, und sehe ich nicht ein, was
Gramer bestimmen konnte, dieselbe zu tadeln. Der Ciliermuskel entspringt mit einer
doppelten Wurzel, die man wohl als seine Sehne und seinen einzigen fixen Punkt be-
trachten darf, theils von der Sclera (nach hinten und aussen vom Schlemm'schen Ca-
nale), theils von elastischen Fasern, welche zwischen der Cornea und der Descemet'-
schen Haut (an der Innenseite des Schient /tischen Canales) herkommen, und strahlt von
da theils nach innen (gegen die Iris), theils nach hinten (gegen die Ciliarfortsätze), theils
endlich nach aussen und hinten (gegen die Ora serrata hin) gleichsam fächerförmig aus
(auf einer von vorn nach hinten geführten Durchschnittsfläche). Ist die Boirman-Köl-
liker'sche Abbildung richtig, dann lässt der Faserzug nur die Deutung zu, dass Verkür-
zung der Fasern die Ciliarfortsätze etwas nach aussen zieht, mithin die fest damit ver-
wachsene Zonula Z. in eben dieser Richtung anspannt, und da diese unelastisch und un-
nachgiebig ist, die Linse, während des Andranges des Glaskörpers von hinten, in ihrer
Lage zum Corpus ciliare und zur Cornea sichert.
Über die Wirkung der Belladonna auf das Accommodationsvermögen bemerkt Gra-
mer, „dass nach Application derselben an dem mittelsten Bilde, bei dem Sehen in mög-
lichster Nähe oder in die Ferne eine unbeträchtlichere Verrüekurtg als unter andern Um-
ständen wahrgenommen werde;" er findet darin einen Beweis, dass das Aoeomtnodations-
r er mögen auf Anwendung eines Mtjdriaticum sich um ein Weniges verringert. So viel ich,
gehört und selbst erfahren habe, nimmt aber die volle Einwirkung der Belladonna (bis
weiter keine Ausdehnung der Pupille mehr erfolgen kann) dem Auge die Fähigkeit, sich
für nahe Gegenstände einzurichten, fast ganz. Wenn nun dennoch eine solche Verrük-
kung des der Vorderfläche der Liuse angehörigen Reflexbildes beobachtet wurde, dass
man sie nur als eine minder beträchtliche bezeichnen musste, so erregt dieses gegründeten
Verdacht, ob nicht diese Verrückung durch irgend einen andern Umstand bewirkt wurde.
Gramer schliesst aus Versuchen mit seinem Apparate, dass der Relraclionszusland des
Physiologie — Acfonmiodntioii. 227
Auges im Zustande der Buhe (d. h. ohne dass die Accoiumodationsorgane in Anspruch
genommen werden) für etwa 43 Centimeter eingerichtet sei. Bei einem Militärärzte nun,
dessen Nahepunkt 25 Centimeter vor dein Auge lag, bewirkte Einträuflung eines Tropfens
Solut. extr. bellad. die Hinausrückung bis auf <10 Centini. Somit war offenbar, wenigstens
in diesem Falle, die Accommodation so gut als aufgehoben. — Für sehr beachtenswerth
halte ich eine Angabe von A. v. Graefe (Archiv I. B. 1. Abth. S. 315) über das Ver-
hältniss zwischen Mydriasis und Accommodation. „Zuweilen sehen wir die Accommo-
dationslähmung theils spontan, thcils durch therapeüt. Agentia verschwinden, wahrend
doch die Mydriasis gar nicht oder nur unvollkommen zurückgeht, u. umgekehrt habe ich
einen Kranken beobachtet, bei welchem die Mydriasis verschwand, aber die Accommo-
dationslähmung nur eine geringe Besserung erfuhr." — Wenn Leute, deren Pupille durch
Belladonna stark erweitert ist, auch nicht mehr in so weite Ferne sehen, wie vordem,
so ist diess nicht ein Zeichen, dass eine Beschränkung der Accommodationsthätigkeit
nach dieser Richtung eingetreten sei, denn eine solche existirt nicht, sondern es ist das
schlechtere Sehen in grösseren Distanzen lediglich dadurch zu erklären, dass bei relativ
zu weiter Pupille die Zerstreuungskreise zu gross ausfallen, als dass sie noch in der
Empfindung unterdrückt werden könnten.
Indirect dient auch die Untersuchung mit dem Augenspiegel zum Be-
weise für unsere Theorie. Wird der untersuchte Bulbus mit dem Finger
comprimirt, so tritt dieselbe Erscheinung auf, wie bei forcirler Accommo-
dation, nämlich Pulsation der Centralavene, wie bereits oben erwähnt
wurde. Dieses Phänomen zeigt, dass in dem zweiten Falle so gut wie
in dem ersten erhöhter Druck statt findet. Nun meint Stellwag und Helm-
holz, es könne der Glaskörper durch erhöhte Spannung der Iris und des
Ciliarmuskels unter grössern Druck versetzt werden (Gräfes Archiv S.
68); diess ist jedoch nicht möglich, ohne dass die Form des Bulbus ver-
ändert, d. h. ohne dass der Bulbus seiflich durch die Recti comprimirt,
mithin in der Richtung der Sehachse verlängert wird; denn der Glaskörper
müsste, falls ihn der Ciliarmuskel seitlich comprimirte, um eben so viel in
der tellerförmigen Grube oder nach hinten ausweichen, und die Sclerotica
müsste dem Ciliarmuskel folgen, also durch die Luft einwärts gedrückt werden.
Einen schlagenden Beweis gegen alle auf Lage- oder Formverände-
rung des Krystallkörpers basirten Accommodationshypothesen liefert die
Thatsache, dass mitunter Staaroperirte vorkommen, welche mit einer und
derselben Brille sowohl in der Nähe als in der Ferne deutlich sehen, bei
denen sich durch Versuche nachweisen lässt, dass sie einen mehr weniger
hohen Grad von Accommodationsvermögen besitzen. Man hat die Beweis-
kraft dieser seit geraumer Zeit zur Sprache gebrachten Thatsac he au
mehrfache Weise zu beseitigen gesucht, indem man die Thatsache selbs
läugnete, sie auf Täuschung zurückführen wollte, oder für Fälle, wo diess
nicht wohl möglich war, annahm, dass entweder die Linse regenerirt
15*
228 Augenmuskeln.
worden sei, oder dass der nach vorn gewölbte Glaskörper die Rolle der
Linse übernommen habe.
Beobachtungen, wo ein mehr weniger gutes Accommodationsvermögen
nach Staaroperationen bestand, finden sich nach Cramer bei Haller, Janin,
Pellier, Gleise, Hichfer und Andern. Home stellte an einem durch die
Extraction vom Staare befreiten 21jährigen Matrosen zahlreiche Beobach-
tungen (mit Engte field und Ramsden) an, bei denen sich unter andern
auch herausstellte, dass derselbe im Sc/ie^er'scheh Versuche einen aufge-
spannten Faden zwischen 83/,0 und 13'/, „Zoll Entfernung einfach sehen konnte,
folglich ein ziemlich bedeutendes Einrichtungsvermögen entschieden nachwies
— Maunoir*) hatte einen Jüngling von 17 Jahren 1834 auf dem linken,
1835 auf dem rechten Auge durch Discission operirt; dieser erhielt ein
so gutes Sehvermögen, dass er mit einem und demselben convexen
Glase in den verschiedensten Entfernungen deutlich sah." Er Hess
sich sogar in ein Wettschiessen ein; das Ziel war 200 Schritte ent-
fernt; er machte 4 Schüsse, welche alle die Scheibe trafen, und er
gewann einen Preis. Das Glas , dessen er sich beim Schiessen be-
diente, und das er auch auf der Jagd trägt, war dasselbe , mit dem er
bei Maunoir einen sehr kleinen Druck mit der grössten Leichtigkeit
las." Auch Stellwag von Carion**) macht eine hierauf bezügliche Mit-
theilung. „Besonders auffallend war mir das Accommodationsvermögen
eines vor der Trübung seiner Krystallkörper sehr kurzsichtigen jüdi-
schen Religionslehrers. Nach der Operation las er klein gedruckte
Schrift prompt, unterschied aber auch weit entfernte Gegenstände , z. B.
das Fensterkreuz eines gewiss 300 Schritte entfernten Flügels des hie-
sigen Krankenhauses ganz deutlich und rein." Zwei von mir gemachte
Beobachtungen habe ich bereits im 2. Bande S. 347 angedeutet. Der
Mann, welcher mit einer Brille von 3" Brennweite nach der Natur zeich-
nete (ich besitze noch eine solche Zeichnung), war früher kurzsichtig ge-
wesen; diese Beobachtung schliesst sich somit an die Stellwag* sehe an
Der andere, ein Jüngling von 19 Jahren, einer Familie angehörend, von
der noch 2 Mitglieder ohngefähr in demselben Alter Cataracta bekommen
hatten, konnte Druckschrift von nicht ganz V" Höhe (wie ohngefähr
Jägers Nro. 8 — 9) mit einem Glase von 3'/a Zoll Brennweite in den Di-
stanzen von 6" bis 24" bequem, mit Anstrengungung, und wie es schien
mehr errathend, auch noch bei 30 Zoll lesen, und gab die Zeiger einer
mindestens 500 Schrille entfernten Thurinuhr richtig an. Er war früher
•) Annales d'oculisl. par. Fl. Cunier T. IX. y. 14.
**) Zeitschrift der Wiener Aule 1650, 3. H. S. »95.
Physiologie — Acroniniodatioii. 229
nicht kurzsichtig gewesen und hatte bis in sein 16. Jahr überhaupt nichts
von einem Augenübel gewussl. Die Probe mit dem Scheiner'schen Ver-
suche habe ich nicht gemacht. Ich halte sie nicht für untrüglich, wie ich
spater noch nachweisen werde. Dagegen habe ich die Seliproben nicht
nur auf der Klinik, sondern auch in Gegenwart des Herrn Prof. Ryba
öfters wiederholt. Zur Zeit dieser Proben war das eine Auge 1 y2, das
andere gegen 3/4 Jahre operirt. Der junge Mann befindet sich jetzt in
Amerika. Dieser Fall reiht sich an den von Maunoir und von Home an.
— Volkmann (W. Hnndw. S. 305), der wenigstens in dem Home'schen
Falle Accommodation zugeben muss, sucht die auf Linsenveränderung
basirte Hypothese nun dadurch zu retten, dass er sagt, da die Sehproben
erst 4 Jahre nach der Operation angestellt wurden, so sei hier wohl an
Regeneration der Linse zu denken. Dasselbe Bedenken treffe auch zwei
von ihm selbst gemachte Beobachtungen, wo nach der Staaroperation Ac-
commodation bestand. Ich glaube im 2. Bande S. 246 — 249 hinreichende
Gründe dafür angeführt zu haben, dass man durchaus nicht berechtigt ist,
an eine Regeneration der Linse nach Staaroperationen zu glauben. Man
verlangt nicht weniger, als dass die eingerollte und eingeschrumpfte Kap-
sel wieder normal werde. Man vergisst , dass bei solchen Operationen
ein Zeitpunkt hätte eintreten müssen, wo sie, ob der vom Rande her vor-
rückenden frischen Linsensubstanz, die doch wohl nicht gleich regelmässig
begrenzt sein konnte, alles undeutlich und verworren sahen. Die Unter-
suchung mit dem Augenspiegel wird dem Streite bald ein Ende machen. —
Für den Fall, als man dennoch zugeben müsste , dass Accommodation
trotz nicht regenerirter Linse bestehe, hat man endlich noch in vorhin-
ein an eine Erklärung gedacht, die nicht nur der Beobachtung, sondern
auch den einfachsten physikalischen Gesetzen widerspricht, nämlich dass
der Glaskörper nach Verlust der Linse sich in der tellerförmigen Grube
vorwärts wölbe, und unter dem Drucke des Ciliarkörpers eine bald mehr
bald weniger starke Convexität annehmen könne. Stellwag (Ophthalmologie)
hält sich nach Untersuchungen am Cadaver zu der Annahme einer solchen
Convexität der tellerförmigen Grube für berechtigt. Allerdings, wenn man
die Hornhaut und Iris beseitigt hat, und nun den hinten anfliegenden Bul-
bus betracliet, wird man die tellerförmige Grube vorwärts gewölbt finden-
So verhält sich's aber nicht während des Lebens. Die Untersuchung mit
freiem Auge und mit dem Augenspiegel kann das nachweisen. Wenn nach
einer Staaroperation Heilung eingetreten ist, so streicht eine Scheidewand,
gebildet von der hintern Kapselwand und gegen die Peripherie hin von
Zipfeln der vordem Kapsel (mit mehr weniger Linsenresten, zwischen
230 Augenmuskeln.
Vorder- und Hinterkapsel eingeschlossen) in einer Ebene zwischen Glas-
körper und Kammerwasser quer durch das Auge, mit ihrer Peripherie
mittelst der Zonula Zinnii an den Firsten der Ciliarfortsätze haftend. Diese
ebene Scheidewand bietet dem Ciliarmuskel den Angriffspunkt nach innen,
und bildet so das Mite!, der Cornea ihre specielle Wölbung- zu sichern,
wenn aecommodative Bewegungen eintreten. Erst wenn diese Scheide-
wand einen gewissen Grad von Festigkeit erlangt hat, sind die Accomo-
dationsorgane im Stande, den Glaskörper, somit die hintere Bulbuswand,
zum Ausweichen nach hinten zu bringen. Hierin, nicht in der restituirten
Linse, liegt der Grund des allmäligen Besserwerdens des Gesichtes, respec-
tive des Wiedereintretens des Accommodationsvermögens bei Staaroperir-
ten. Hierin findet die alte Begel, Staargläser erst nach Verlauf von eini-
gen Monaten zu erlauben, ihre rationelle Begründung; denn Accommoda-
tionsbestrebungen in zu früher Zeit würden nachtheilig einwirken, die
Cornea verflachen. Übrigens, wenn auch der Glaskörper nach vorn eine
convexe Oberfläche annähme, das könnte in der Vereinigungsweite der
Lichtstrahlen keinen Unterschied von irgend einer Bedeutung bewirken.
Denn der Brechungsindex des Kammerwassers ist = 1,337, der des Glas-
körpers = 1.339, mithin wird es ziemlich gleiehgiltig sein, ob die Tren-
nungsfläche zwischen beiden plan oder mehr weniger convex ist. Jeder
Versuch, einen noch nachweisbaren Grad von Accommodation auf diese
Weise zu erklären, verstösst demnach gegen die Gesetze der Physik.
Die Ergebnisse an Staaroperirten sind von hohem Werthc für die Lehre von der
Accomodation. In der Regel findet man, dass auch nach vollkommen gelungener Staar-
operation wenig oder kein Accomtnodationsvermöcren besteht. Es besitzen aber auch die
meisten Staarkranken, weil über das 40. Jahr mehr weniger weit hinaus, schon vor der
Staarbildung bereits sehr wenig oder gar keine Accommodation. Datirt die Staarbildung
von den Kinderjahren, so ist die Prüfung des Sehvermögens schon in Bezug auf die
Schärfe, wie denn erst in Bezug auf die Accommodation eine missliche Sache; sie müs-
sen das genauere Sehen erst lernen. Demnach resullircn nur jene wenigen Individuen,
welche im Kindes- und Knabenalter gut sahen und noch vor Eintritt des 40. Jahres von
Cataracta befallen wurden. Deren Zahl, an sich schon gering, wird noch vermindert
dadurch, dass nicht bei allen die Pupille ganz frei und rein wird, und dass auch von
diesen nicht alle die zu x erlässlichen Sehproben gehörige Bildung besitzen. — Ganz ent-
gangen scheint den Vertheidigern der Linsenveränderungstheorie der allbekannte Aus-
spruch der Augenärzte, dass Individuen, welche vor der Cataractabildung kurzsichtig
waren, im Allgemeinen nach der Operation ein besseres Sehvermögen darbieten. Beer
1. c. IL B. S. 338 spricht diese Thatsache in Folgendem aus : „Staarblinde, welche vor
der Entstehung der Cataracta schon sehr Cernsichtig waren, werden es nach der Opera-
tion noch mehr sein. Desto mehr erfreuen sich diegenigen ihres wiedererhaltenen Ge-
sichtes, welche vor der Entstehung des Stnares sehr kurzsichtig waren." Will man etwa
Physiologie — Aecommoriation. 231
Beer nicht glauben, weil er alt ist, so überzeuge man sich doch selbst; auch Stetlwag's
auf Ziffern gestützte Beobachtung an dem jüdischen Religionslehrer besagt ja dasselbe.
Warum sehen aber Kurzsichtige nachher besser als solche, die nicht kurzsichtig waren?
Weil sich bei ihnen die Linse regenerirt, oder die tellerförmige Grube vorwölbt ? oder
— weil der Bulbus in der Sehachse verlängert ist? — Ich halte es vorläufig nicht für
einen blossen Zufall, dass die Beobachtung von Hunte, Maunoir und die zweite von mir
gerade junge Leute zwischen dem 17. und 21. Jahre betreffen ; ob auch die Operations-
methode einen Einlluss habe, ist zweifelhaft ; Maunoir will der Discission in dieser Be-
ziehung einen Vorzug einräumen; Hume hatte aber extrahirt.
Nachträglich muss ich noch bemerken, das Volkmanris Behanptung. „nur Versuche
nach dem Principe des Scheiner'schen gäben über die Gegenwart des Accommodations-
vermögens sichere Auskunft," keineswegs als massgebend betrachtet werden kann. Hat
doch Volhmann selbst in seinen neuen Beiträgen zur Physiologie des Gesichtssinnes
(Leipzig 1836 S. 161) angeführt, „er kenne kein besseres Mittel, um die Weit- oder
Kurzsichtigkeit zu schätzen, als das Auge an einer wohlgedruckten Schrift unter verschie-
denen Entfernungen zu erproben. Die verschiedenen Optometer haben sich auch in dem
optischen Institute von Tauber als unpraktisch erwiesen. Ein sehr auffallendes Beispiel
lieferte mir ein Mann von vortrefflichem Gesicht, der in Porterfields Versuch (Optometer)
die aufgesteckte Nadel durchaus nur zwischen 5 und 7 Zoll einfach sehen konnte. Da-
gegen vermochte ich mit meinem sehr kurzen Gesichte die Nadel in einer Distanz von
3 '/2 — 15 Zoll einfach zu sehen. Offenbar hindert das Optometer gewisse Augen in der
freien Ausübung der Accommodationskraft." Gewiss ist, dass wenn durch ein doppeltes
Kartenloch eine Nadel in verschiedenen Entfernungen einfach gesehen werden kann; an
dem Vorhandensein des Accommodationsvermögens nicht gezweifelt werden kann ;
gewiss aber auch, dass wenn ein zu diesem Experimente Verwendeter die Nadel nicht
in verschiedenen Distanzen einfach sehen kann, derselbe dennoch ein gutes oder doch
ziemlich gutes Accommodationsvermögen besitzen kann. Ich bediene mich daher zur Be-
urtheilung des Refractionszustandes und der Accommodationskraft seit mehreren Jahren
nur noch ausnahmsweise eines Optometers, und zwar eines nach Volkmanris Angabe
höchst zweckmässig in Halle angefertigten.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass die Thatsachen, welche uns die vergleichende
Anatomie in Bezug auf das Accommodatii>nsvermögen bietet, ganz geeignet sind, die hier
entwickelte Theorie vor allen andern plausibel erscheinen zu machen. Indem wir in die-
ser Beziehung auf die vergleichende Anatomie und Physiologie von Bergmann und Leuckarl
(Stuttgart 1855) verweisen, können wir nicht umhin, wenigstens eine Stelle (S. 478)
wörtlich hier anzuführen. „Für die Ansicht, dass Formveränderung des Auges im All-
gemeinen als Mittel der Anpassung bei den Wirbelthieren vorkommt, sprechen besonders
einige Beobachtungen an Säugethieren. Thiere, welche abwechselnd in dor Luft und im
Wasser leben, wie die Seehunde, müssen entweder in der Luft sehr kurzsichtig und im
Wasser sehr weitsichtig sein, oder die Anpassungsfähigkeit in sehr hohem Grade haben.
Wenn wir bei diesen also eine ganz eigenthümliche Einrichtung finden, welche auf Form-
veränderung des Auges deutet, so dürfen wir wohl darin einen Fingerzeig sehen. Es
ist aber bekannt, dass bei Seehunden der vorderste Theil der Sclera, an welchen sich
die Hornhaut setzt, einen breiten festen Gürtel bildet, welcher durch eine weit schmälere
Portion (ebenfalls einen Gürtel um das Auge bildend) mit der derben Sclerotien des Au-
gengrundes verbunden ist. An den festen vordem Gürtel setzen sich die geraden Augen-
232 Augenmuskeln.
muskeln an. Durch deren Mitwirkung kann sowohl eine Fonnveränderung des Bulbus
bewirkt werden, bei welcher die nachgiebige Zone der Sclera entweder mehr hervor-
gepresst wird, so dass das Auge sich verkürzt, oder es wird vielleicht durch die auf-
liegenden Muskeln diese nachgiebigere Stelle nach innen gedrückt und dadurch das Auge
verlängert. Ganz besonders geeignet zur Formänderung dürften aber die beiden Obliqui
sein. — Zu Gunsten der Fonnveränderung des Auges durch die Muskeln spricht auch,
dass man bemerkt hat, wie die Muskeln des Meinen Elephantenauges bedeutend ausge-
bildet sind, so dass ihre Stärke mehr im Verhältniss zur Dicke der Sclera als zur Grösse
des Auges abgemessen zu sein scheint."
B. Abnormitäten und Krankheilen.
Kurzsichtigkeit (Myopia).
Die Myopie lässt sich füglich als jener bleibende B efractionszustand
des Auges bezeichnen , bei ivelchcm der optische Mittelpunkt seines Ob-
jectives (Kreuzungspunkt der Richtungslinien) und der Schirm (Macula
lutea und Umgebung) abnorm tceit von einander abstehen. Der Grund
hievon liegt nach unserer Überzeugung- in stationärer Verlängerung des
Bulbus in der Sehachse auf Kosten der hintern Wand, nicht aber in stär-
kerer Wölbung der Hornhaut, wie man früher meinte, noch in Vorwärts-
lagerung oder vermehrter Convexität des Krystallkörpers, wie man nach
den Acconnnodationstheorien von Huek, S/ellivag, Cramcr und Heiniholz
annehmen müsste. Diesen Fehler von Erhöhung des Brechunosindex der
Hornhaut oder Linse abzuleiten, dazu fehlen die Prämissen der Beobach-
tung; ob Verflüssigung des Glaskörpers (Herabsetzung seines Brechunos-
index) an und für sich Kurzsiclitigkeit erzeuge, ist gleichfalls nuch nicht
direct nachgewiesen; sie scheint aber an der frühern Vereinigung der
Lichtstrahlen (durch Vorwärtsrückung des optischen Mittelpunktes) einigen
Antheil zu nehmen, und demnach da, wo sie vorkommt (bei höheren Gra-
den von Kurzsiclitigkeit), in Anschlag gebracht werden zu müssen.
Abnorm grosser Abstand des optischen Mittelpunktes von der Ma-
cula lutea lässt sich an jedem normalen Auge erzielen, wenn man ihm ein
Convexglas vorhält. Der optische Mittelpunkt fällt bei der Combination
der Sammellinse des Auges mit einer Glaslinse nicht mehr in die Nähe
des hintern Poles des Krystallkörpers, sondern weiter vorwärts, und zwar
je nach der Stärke des Convexylases, in die Mitte des Krystallkörpers oder
selbst mitten in die Pupille. Der optische Mittelpunkt des so bewaffne-
ten Auges steht demnach abnorm weit von der Netzhaut ab. Auf diese
Weise kann ein Jeder durch Vorhalten eines Convexglases die Erschei-
nungen der Kurzsichtigkeit an sich selbst sludiren, und zwar in allen
Kurzsichtigkeit — Kennzeichen. 233
Abstufungen, wenn er von den schwächsten Nummern, etwa 80" oder 60"
Brennweite, zu immer stärkeren aufsteigt.
Das nothwendige und unmittelbare Ergebniss dieses abnorm grossen
Abstandes zwischen dem optischen Mittelpunkte und der Netzhaut ist, dass
die Distanz der Objecte, welche auf der Netzhaut abgebildet werden sol-
len , eine kürzere sein muss , als beim normalen Auge, und zwar unter
übrigens gleichen Umständen um so kürzer, je länger jener Abstand, je
kurzsichtiger das Auge ist. Ein Kurzsichtiger sieht daher Objecte von
einer gewissen Entfernung, in welcher sie einem normalen Auge noch
deutlich oder doch ohne merklich störende Zerstreuungskreise erscheinen,
bereits undeutlich oder gar nicht, weil die je einem leuchtenden Punkte
des Objectes entsprechenden Strahlen schon mehr weniger weit vor der
Netzhaut vereinigt werden und die Netzhaut erst als Kegelquerschnitte
treffen, welche mehr weniger in einander übergreifen oder auch schon je
auf ein so grosses Netzhautareal vertheilt werden, dass jedes empfindende
Netzhautelement viel zu wenig Licht von dem betreffenden Sirahlenkegel
erhält, als dass es noch zur Empfindung angeregt werden könnte. Die
Kurzsicht ig Iteit schliesst demnach die Wahrnehmung unendlich weit ent-
fernter Objecte nicht aus, wenn dieselben nur ein hinreichend intensives
Licht liefern, und der Sehwinkel nicht zu klein ist. (Sterne.)
Bei Myopie müssen die Objecte relativ näher an das Auge gebracht
werden, als im normalen Zustande, wenn die ihnen entsprechenden Bilder
nicht vor, sondern auf der Netzhaut entworfen werden sollen. Es gibt
aber noch andere Zustände, welche eine abnorme Annäherung der Objecte
behufs des Deutlichsehens erheischen. Die vorzüglichsten sind: vermehrte
Wölbung der Cornea, centrale Trübungen der durchsichtigen Medien, ge-
ringere Energie der Netzhaut. Diese Zustände können vorhanden sein,
ohne dass der Befractionszustand des Auges eine bleibende Umwandlung
in den der Myopie erlitten hat; sie können aber auch bereits zu dieser
geführt haben, oder sie können später zu dieser hinzugetreten sein. Dann
hat man es aber nicht mit einfacher oder reiner, sondern mit complicirter
Kurzsichtigkeit zu thun, und muss das gegenseitige Verhältniss erst durch
ein genaues Examen vermittelt werden. Die Nichtbeachtung dieses Verhältnis-
ses ist Schuld, dass noch immer nicht nur Laien, sondern selbs Arzte und
Schriftsteller keinen klaren Begriff von der Kurzsichtigkeit haben, und Augen
für kurzsichtig halten, welche nichts weniger als kurzsichtig sind. Wir
werden zunächst nur von der einfachen oder reinen Kurzsichtigkeit handeln.
Die Kurzsichtigkeit kommt in sehr verschiedenen Graden vor. Von den
exstremsten Fällen, wo z. B. Buchslaben mittlerer Grösse nur bei 2" Distanz ge-
234 Augenmuskeln.
lesen werden können, gibt es allmälige Übergänge bis zu solchen Fällen,
wo man in Zweifel kommt, ob man ein normales oder ein kurzsichtiges
Auge vor sich habe. Niedrige Grade werden bei dem gewöhnlichen Seh-
bedürfnisse gar nicht bemerkt, während höhere Grade unter allen Verhält-
nissen — mit Ausnahme weniger Verrichtungen — das Mangelhafte des
Gesichtes fühlbar machen. Druckschriften von bestimmter Grösse können
als das einfachste Mittel zur Beurtheilung der Sehweite benützt werden.
Doch ist zu bemerken, dass es Leute gibt, welche bei den Proben mit
dem Lesen mittelgrossen Druckes sowohl als mit Optometern eine geringe
Sehweite ausweisen , und dennoch in mittlem und grössern Entfernungen
nicht so schlecht sehen , als andere , welche bei diesen Proben in einer
viel grösseren Entfernung deutlich sehen. *) — Augen, welche bis zu 24
Zoll Distanz noch mittelgrosse (circa 3/^'J hohe) Druckschrift lesen können,
reichen für die gewöhnlichen Anforderungen an das Gesicht bequem aus,
und lassen ihre Mangelhaftigkeit im Vergleich zu völlig normalen Augen
nur dann bemerken, wenn es sich um das Erkennen und Unterscheiden
sehr entfernter Objecte handelt, wie etwa beim Schiessen, beim Erkennen
einer Thurmuhr u. dgl. (Niedrige Grade von Kurzsichtigkeit). Leute, welche
höchstens bis zur Distanz von circa 14 Zoll lesen können, fühlen das Be-
dürfniss, ihr Gesicht durch Gläser zu unterstützen, bereits beim Herum-
gehen auf der Gasse, beim Erkennen von Personen auf 15 — 20 Schritte,
beim Blicke auf die Tafel in Hörsälen u. s. w. (Mittlere Grade). Doch kann
der Gebrauch von Augengläsern noch immer ohne Gefahr der persönli-
chen Sicherheit im Freien umgangen werden, sobald der Kurzsichtige noch
auf mehr als 8 Zoll Distanz Mitteldruck lesen kann. (Hohe Grade.) Solche
endlich, die nur bis auf höchstens 4 Zoll noch lesen können, sehen selbst
grössere Gegenstände undeutlich, sobald sie über 2 — 3 Schritte entfernt
sind, und eine grosse Zahl solcher Augen ist bereits zugleich amblyopisch.
(Höchster Grad.)
Je bestimmter die Kurzsichtigkeit ausgesprochen ist, desto sicherer
lassen sich auch die Grempunkte des deutlichen Seitens angeben, und
zwar nicht bloss der Nahe-, sondern auch der Fcrnpunht. In Bezug auf
die Objecle, welche in Distanzen zwischen diesen Grenzpunkten Haien,
verhält sich das kurzsichtige Auge im Allgemeinen genau so wie das
") Man hat den Znsland, wo ein Auge relativ zu seinem Verhalten gegen kleine Objecte in naher und massiger
Entfernung selbst grössere Gegenstände auffallend schlecht oder gar nicht sieht, sobald diese über eine gewisse
Grenze hinausgeruckt sind, Dlyopia in Distans genannt, und A. von Graefs (Archiv f. Ophth. II. B. 1. Ablh. S. 159)
hat denselben durch den Nachweis erklärt, dass ein solches luge, sobald ihm eine scharfe Accommodation un-
möglich ist, nicht mehr den relativ günstigsten, sondern gerade den conträren ReFrartionnziistand annimmt, also
bri der Bemühung, /.» weit entfernte Objecle tu erkennen, unwillkürlich für die Nähe eingerichlel wird
Kurzsichtigkeit — Kennzeichen. 235
normale; es sieht dieselben unter den allgemeinen Bedingungen deutlich,
ja es zeigt im Allgemeinen sogar eine grössere Schärfe (Feinheit) des
Gesichtes, indem dasselbe Object bei der gleichen Distanz auf seiner Netz-
haut ein grösseres Bild entwirft, als im normalen Auge, weil eben die
Netzhaut weiter vom optischen Mittelpunkte absteht (III. B. S. 41). Zu die-
sem auf der Strahlenbrechung beruhenden Momente kommt noch, dass in
solchen Augen häufig die Energie der Netzhaut (durch Übung) beträcht-
lich gesteigert ist. Daher sehen Kurzsichtige winzige Objecte in gehöriger
Nähe oft schärfer, als Normalsichtige selbst mit Hilfe einer Loupe. —
Gleichwie der Fernpunkt des deutlichen Sehens beim kurzsichtigen Auge
in einer bestimmten, dem Auge näher gerückten Entfernung liegt, ist in
der Begel auch der Nahepunkt demselben genähert bis auf 4, 3, selbst
2 Zoll. Da aber der Nahepunkt schon im normalen Auge nur etwa 5'"
vor dem Hornhautcentrum liegt, und da derselbe auch beim höchsten Grade
von Kurzsichtigkeit bis auf höchstens l^'Nähe herangerückt erscheint, so
ergibt sich, dass Augen, deren Fernpunkt nur 2 — 3" weit absteht, der
accommodativen Thätigkeit keinen Spielraum mehr gestatten, Augen da-
gegen, deren Fernpunkt z. B. 14", Nahepunkt 4" oder 3" absteht, noch
ein beträchtliches Accommodationsvermögen besitzen. Im kurzsichtigen
Auge sind demnach der accommodativen Thätigkeit im Allgemeinen um
so engere Schranken gesetzt, je näher der Fernpunkt herangerückt, d. A#
je kurzsichtiger es ist. Doch kommen Fälle vor, wo der Nahepunkt nicht
so nahe liegt, als man nach der Heranrückung des Fernpunktes erwar-
ten sollte, wo das Auge z. B. nur zwischen 6 und 5 Zoll mittleren Druck
lesen kann, während andere zwischen 6 und 3 Zoll lesen.
Durch Vorhalten eines entsprechenden Concavglases vor das kurz-
sichtige Auge kann der Abstand des optischen Mittelpunktes von der Netz-
haut verkleinert, mithin dem des normalen Auges gleich gemacht werden.
Ist nun der accommodativen Thätigkeit noch ein grosser Spielraum gelas-
sen, wie in der Begel in Augen, deren Fernpunkt nicht unter 8 Zoll ab-
steht, so kann ein so bewaffnetes Auge fast für alle Distanzen mit einem
normalen in Concurrenz treten, und es kommt mit dieser Correction sei-
nes Bcfractionszustandes dem normalen Auge um so näher, je weniger
kurzsichtig es ist, und je grössere Excursionen seiner Netzhaut (hintern
Wand) noch gestattet sind.
Beim Vorhalten einer dunklen Metallplatte oder eines Kartenblattes
mit einer engen Öffnung nahe vor der Cornea kann das rein kurzsichtige
Auge die zu Leseproben verwendete Schrift eben so weit wie ein nor-
males Auge lesen, oder doch in viel grösserer Distanz, als ohne dieses
236 Augenmuskeln.
Hilfsmittel. Der Grund hievon liegt darin, dass die Zerstreuungskreise auf
Minima reducirt werden. Dasselbe suchen Kurzsichtige, wenn sie in Ent-
fernungen noch deutlich sehen wollen, wo die Zerstreuungskreise bereits
zu gross ausfallen, durch Verengerung der Lidspalle {Blinzeln, fiveivj zu be-
werkstelligen. Der Nutzen des Blinzeins sowohl als der engen Diopteröffnun-
gen ist jedoch ein sehr beschränkter, da mit der Enge der Öffnung aucMdie
Abnahme der Lichtmenge steigt , welche von je einem Punkte des licht-
sendenden Objectes zur Netzhaut gelangen kann, mithin bei grösseren Entfer-
nungen das Netzhautbild um so lichtärmer wird, je enger die Diopteröffnung ist.
Mit Hilfe der eben besprochenen Merkmale lässt sich die reine Kurz-
sichtigkeit leicht von den obgenannten Zuständen unterscheiden , welche
mit derselben eben nichts gemeinschaftlich haben, als dass die betreffende
Person die Objecte , die sie noch relativ gut sehen will , abnorm nahe an
das Auge bringen muss. Das rein kurzsichtige Auge sieht die Objecte,
die ihm hinreichend genähert sind ; eben so deutlich und im Allgemeinen
noch schärfer, als das normale Auge; sein Gesicht kann durch entspre-
chende Concavgläser für dieselben Distanzen wie das normale adoptirt
werden, und enge Öffnungen, nahe vor das Auge gehalten, erweitern die
Sehweite für massige Distanzen um ein Beträchtliches. Ich habe noch nie
eine Person mit anderweitig nachweisbarer vermehrter Wölbung der Cornea
gefunden, welche ein auch nur dem normalen Auge an Schärfe gleich-
kommendes Gesicht gehabt hätte, auch nicht bei beliebig grosser Annähe-
rung der Objecte. Dass Leute mit centralen Hornhaut- oder Linsentrübun-
gen keine Gläser finden, welche der Mangelhaftigkeit ihres Gesichtes ab-
zuhelfen vermöchten, weiss jeder Optiker. Selbst wenn zugleich Kurzsich-
ti^keit neben einer solchen Trübung vorhanden ist, leisten Concavgläser
nicht den gleichen Dienst, wie bei reiner Kurzsichtigkeit. Die geringere
Energie der Netzhaut verräth sich besonders bei der Probe mit einer engen
Öffnung. (Vergl. III. B. S. 99.)
Der Kurzsichtige (mittlem und höhern Grades) blickt im Allgemeinen
mit etwas mehr convergenlen Sehachsen herum. Gibt man ihm ein Buch
zum Lesen, so hält er es im Gegensätze zum Weitsichtigen nicht unter,
sundern mehr gerade vor oder selbst etwas über den Augen, zumal wenn
er angewiesen wird, in grösstmöglicher Entfernung zu lesen. Er neigt
daher auch den Kopf eher etwas vor- als rückwärts. Seine Bulbi fühlen
sich (bei höheren Graden) härter an. zeigen besonders zur Zeit, wo das Übel
noch im Entstehen und Zunehmen begriffen ist, stärkere Inject ion der Ciliar-
gefässe, selbst der Conjuncliva bulbi et palpebrarum, und relativ (zum Lichte in-
ilusse und zur Distanz der iixirten Objecte) grössere Pupillen; ihre \ er-
Kurzsichtigkeit — Kennzeichen. 237
länge rung in der Sehachse, welche sich oft schon aus dem Hervorragen aus
der Orbita (Glotzen) vermuthen Iässt , kann bei den höhern und höchsten
Graden auf die oben angegebene Weise bestimmt nachgewiesen werden.
Ist ein Auge in höherem Grade kurzsichtig als das andere, so kann
man diess bei nur einigermassen erheblicher Differenz schon vor Anstellung
der Sehproben an der Verlängerung in der Sehachse und an der dadurch
bedingten Prominenz dieses Bulbus erkennen. Über die Lage der Iris in
kurzsichtigen Augen haben wir das Nöthige bereits auf S. 212 angegeben.
Da nur mittlere und höhere Grade von Kurzsichtigkeit Untauglichkeit
zu gewissen Beschäftigungen und Dienstleistungen (ohne Unterstützung
durch Concavgläser) untauglich machen, so sind dem Arzte schon in dem
bisher geschilderten Verhalten kurzsichtiger Augen wohl hinreichende und
verlässliche Mittel gegeben, um mit Bestimmtheit ein Gutachten abgeben
zu können. Es bietet aber auch noch die Untersuchung mit dem Augen-
spiegel einen Anhaltspunkt von objectiver Giltigkeit dar, zumal wenn man
demjenigen, der ein normales Auge besitzt und während der Unter-
suchung mit möglichster Anstrengung für die Nähe accommodirt, diess
letztere durch ein Mydriaticum unmöglich macht. Ausserdem liefern auch
Augengläser ein Mittel, Simulanten zu entlarven. Hält man demjenigen,
welcher sich anstellt, als könne er z. B. nur bis 8 Zoll Distanz lesen,
ein Concavglas vor, etwa von 8 — 10 Zoll Brennweite, so wird er, falls
er wirklich kurzsichtig ist, mit dieser Unterstützung nahezu eben so gut
sehen, wie ein Normalsichtiger, falls er aber normalsichtig ist, das Vor-
halten eines solchen, und selbst eines schwächeren (etwa bis zu Nr. 12)
nicht lange aushalten. Es kann aber ein normales Auge durch methodishe
Übung mit Concavgläsern sich in kurzer Zeit einüben, auch mit Concav-
gläsern ziemlich gut zu sehen, ohne desshalb bleibend kurzsichtig zu werden.
Daher ist die Probe mit Concavgläsern nicht allgemein verlässlich. Setzt
man aber einem wirklich kurzsichtigen Auge eine massig convexe Brille
vor, und zwar von solcher Convexität, dass ein normales Auge damit
noch in einer bestimmten Distanz lesen kann, wie etwa mit den Nummern
zwischen 15 und 20", so wird es damit nicht lesen können, ausser in sehr
grosser Nähe, und es wird gewiss nie einen Betrüger geben, der die Probe
mit coik aven und die Gegenprobe mit convexen Gläsern zu bestehen vermöchte.
Sectionsbefunde kurzsichtiger Augen haben bisher ganz gefehlt. Bloss Prof. Ritter-
rich*) führte in der medicinischen Gesellschaft zu Leipzig (Sitzung vom 26. Februar
1839) den Sectionsbefund der Augen eines stets kurzsichtig gev\esencn Buchdruckers an,
der sein Leben durch Selbstmord geendet halte. Die Augapfel waren birnförrnig, vorn
*) Schmidt's Jahrb. 1842 Bd. 36, S. 138.
238
Augenmuskeln.
breit, hinten schmäler gestaltet, und die hintere Hälfte der Sclerotica verdünnt. Ob der
gelehrte Beobachter, welcher diesen Zustand für einen angeborenen zu halten geneigt
ist, den Befund irgendwo anders ausführlich notirt habe, ist mir unbekannt.
Ich besitze jetzt die Augen von vier Kurzsichtigen. Zwei davon kannte ich wäh-
rend des Lebens sehr gut, den Kreisarzt Seh., der im 72., und die Witwe meines Leh-
rers F., die im 53. Jahre starb. Die beiden andern waren Männer von 30 und 38 Jah-
ren; auf ihre Augen wurde ich bei meinen Operationscursen durch die auffallende Tiefe
der vordem Augenkammer aufmerksam, was mich zur Herau snahme der Bulbi bestimmte;
beide hatten, wie ich nachher erfuhr, Concavgläser getragen, welche ich mir verschaffte,
um ihre Brennweite zu erfahren; diese betrug bei dem einen 7, bei dem andern 10 Zoll.
Die Section fand bei allen zwischen 30 — 40 Stunden nach dem Tode statt.
Kamen und
Alter
I.
F. Seh. 72 J.
II.
F. Macha, 38 J.
III.
Jos. Fabian, 36 J.
IV.
Anna F., 53 J.
Stand II Medic. Doctor Kattundrncker
Zimmerwichser Professorsgaltin
Nummer der
letzt benutzten
Gläser
14"
10"
7"
3%"
Äussere Augen-
achse (Sehachse)
R— 12'/a'"
L-13'"
ru.l— 12 y2'" r— 14 ir-isy,"1
1
Äquatorial-
durchmesser
Hör. und vertic.
beiders. — 11 1/3'"
Hör. und Vert.
R-ny2<»,
L-ll3//"
R bor. — 11 '/3'"
vert. — 12"',
L hör. — 11 »/,"'
vert. — 12'"
Hör. und vert.
R - ll3//"
L - 11%'"
Tiefe der
Aiigenkammer
R ii. L - 1'"
R - 1 y4"'
L nicht gemessen
r - v/r
L nicht gemessen
R - VW"
L nicht gemessen
Achse der Linse
nicht gemessen R — l3/,'" R — l7/8'" R — '7s'"
Bei keinem dieser Augen bot die Hornhaut eine Abnormität in Bezug auf Dicke,
Durchsichtigkeit oder Wölbung (nach den Spiegelbildern geschätzt) dar. Die Lage der
Bulbi konnte nur bei IV. als glotzend bezeichnet werden, und hier hatte ich die Ver-
längerung der Bulbi schon während des Lebens mit Sicherheit erkannt. Auffallend war
mir die Dicke der Augenmuskeln, besonders des Rect. internus und des Obl. inferior be1
III., welcher an Tuberculosis pulm. gestorben, und bei IV., welche nach mehrjährigem
Leiden zum Skelett abgemagert war. Der Ciliarinuskel war bei IV. circa %"*, bei III. aber
nahezu '/2"'dick (an der dicksten Stelle, von aussen nach innen). Bei III. betrug der Absland
einer durch den Ciliarrand der Iris gelegten Ebene vom Centrum der Descemet'schen Haut
1 y3'", so dass demnach Ciliar- und Pupillarrand der Iris in einer und derselben Ebene lagen.
Was nun die Sclera betrifft, so erschien diesselbe bei I. auch im hintern Umfange
normal, und konnte die Achsenverlängerung nur durch die Messung erkannt werden,
während bei den übrigen die Bulbi nicht nur durch ihre bimförmige Gestalt, sondern
auch durch bläuliche Färbung in der Umgebung des hintern Poles auffielen. Die Zer-
legung der Bulbi in eine obere und untere Hälfte, welche bei den letzten 3 Indiv. nur
an dem rechten Auge vorgenommen wurde, erwies alsbald, dass diese Verfärbung nur
Kurzsichtigkeit — Kennzeichen. 239
vom Durchscheinen der verdünnten und ausgedehnten Sclera herrührte. Mit der Sclera
waren auch die Chorioidea und Retina ausgedehnt, indem sie sehr einfach anlagen, ohne
mit ihr verwachsen zu sein. Die Macula lutea fehlte in keinem Falle, stand aher etwas
weiter vom Eintritte der Centralarterie ab ; bei IV. betrug der Abstand des Foramen
coeciun vom Centrum der Sehnervenpapille 2 '/,'". Mikroskopisch hübe ich diese Par-
tien nicht untersucht. Bios bei IV. bot die Netzhaut ein etwas abnormes, punkt- oder
fleckweise etwas trüberes Aussehen dar, und erschien die Mitte der Macula lutea braun-
schwarz, beim Abheben von der Chorioidea durchlöchert.
Bei A. F. (IV.) bot die bedeutend verdünnte und ausgedehnte Chorioidea in der Ge-
gend des hintern Poles ein marmorirtes Aussehen dar, bedingt durch beinahe gänz-
lichen Mangel des Pigmentes an einer rundlichen Stelle von etwas über 2'" Durchmes-
ser, welche sich unmittelbar an die Schläfeseite der Sehnervenpapille anschloss, und
nur hie und da Punkte, Streifen und Fleckchen braunen Pigmentes zeigte. Der grösste
Pisrmentfleck haftete in der Chorioidea gerade an der Stelle der Macula lutea. In der
nächsten Umgebung dieses Fleckes erscheint die in dieser ganzen Gegend halbdurch-
sichtige Chorioidea unter derLoupe leicht getrübt, bläulich weiss, wahrscheinlich von Exsu-
dat durchsetzt, doch mit der Sclera nicht verwachsen, bloss durch die ein- und austre-
tenden Nerven und Gefässe (wie gewöhnlich) verbunden. Ich hatte, um diese Verhält-
nisse im Zusammenhange gehörig überblicken zu können, das linke Auge so geöffnet,
dass ein senkrecht auf die Sehachse durch den Bulbus durchgeführter Schnitt nur die
staphylomatös vorgetriebene Partie des Bulbus abtrennte, und somit das Präparat noch
heute bequem von vorn angesehen werden kann. Ich muss zum Verständniss dieses Befun-
des noch anführen, dass A. F. durch viele Jahre Nr. 4 concav getragen, in den letzten
6—7 Jahren aber zu Nr. 3 l/2 gegriffen hatte. Sie war von früher Jugend an, wo sie
die Blattern überstanden hatte, in hohem Grade kurzsichtig gewesen, und hatte nament-
lich nach zurückgelegtem 30. Jahre wegen congestiv-entzündlicher Erscheinungen, wel-
che Amaurosis befürchten Hessen, oft ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Auf dem
linhen Auge hatte sie in den letzteren 4 — 5 Jahren die Zeichen centraler Netzhautamau-
rosis dargeboten, indem sie auch bei grösster Annäherung der Objecte nur mit den seit-
lichen Partien der IVetzhaut sah, und weder Concavgläser noch feine Kartenblatlöffnun-
gen das directe Sehen mit der Macula lutea ermöglichten. Ich hatte ihr desshalb auch
in den letzten 3 Jahren das Tragen von Augengläsern gänzlich untersagt, obwohl sie
dadurch in einen Zustand von Unthätigkeit versetzt war, der ihrem regen Geiste grosse
Opfer kostete. Während der Krankheit, der sie nach anderthalbjährigem Leiden unter-
lag, hatte sich der Zustand ihrer Augen — mit Ausnahme der centralen Lähmung am
linken Auge — merklich gebessert, indem sie namentlich nicht mehr so sehr von feu-
rigen und farbigen Erscheinungen und von zeitweiligem Halbsehen geplagt wurde, eine
Besserung, die ich dem Unistande zuzuschreiben geneigt bin, dass die Patientin sich
jetzt auch des Schreibens, Strickens u. dgl. beinahe gänzlich enthalten musste. Ich
will noch hinzufügen, dass A. F. in ihrer Kinderjahren gleich ihren 3 Geschwistern sich
eines normalen Gesichtes erfreut hatte, und dass von diesen nur ein Bruder (Med.
Doctor) kurzsichtig ist. Soll ich nun meine Ansicht über diesen Fall abgeben, so lautet
sie dahin, dass A. F. nicht desshalb kurzsichtig wurde, weil Chorioiditis in der Gegend
des hintern Poles statt gefunden hatte, sondern dass in ihren Augen, nachdem sie in
höherem und höchstem Grade kurzsichtig geworden waren, partielle Chorioiditis, an der
Macula lutea zuletzt auch Retinitis aufgetreten ist, höchst wahrscheinlich bedingt durch
240 Augenmuskeln.
zeitweilig auftretende kleine Apoplexien, welche ihren Grund entweder darin fanden,
dass bei der starken Rückwärtsdrängung der hinter Wandung der Rückfluss durch die
hintern Ciliarvenen behindert war, oder darin, dass nach Momenten stärkerer Ausdeh-
nung der aller Elasticität verlustigen hintern Wandung ein Moment eintrat, wo die
Gefässe der Chorioidea und Retina unter geringerem Drucke standen. Nachzutragen
habe ich noch, dass der Glaskörper ohngefähr in seiner hintern Hälfte verflüssigt war,
und zwar in beiden Augen, und dass die Kranke sich häufig nicht bloss über fliegende
Mücken, die sie nie verliessen, sondern auch — wenigstens in den letzten Jahren —
über dunkle und feurige Scotome beklagt hatte.
Ich sehe demnach in den genannten 4 Fällen ein und dasselbe Grundleiden, nur
in sehr verschiedenem Grade ausgesprochen, und diess ist ein Grund mehr, der mich
bestimmt, das Vorhandensein von Veränderungen in der Chorioidea und Retina nicht als
das primäre, sondern nur als etwas zu den höchsten Graden von Kurzsichtigkeit zufällig,
nicht nothwendig Hinzutretendes zu betrachten. Ich habe in der Zeit von 10 Jahren
an vielen Augen zufällig (in der Leichenkammer) Ausbuchtungen der hintern Wandung
gefunden, ihre Bedeutung aber viele Jahre nicht gekannt. Unter den Präparaten, wel-
che ich als Staphyloma posticum Skarpae aufbewahre, finden sich mehrere mit centra-
len Hornhautnarben, eines auch mit Centralkapselstaar grösserer Ausdehnung (Pyrami-
denstaar). Bei einem der ersten dieser Präparate*) war ich geneigt, den nächsten Grund
dieser Ausbuchtung in senilem Schwunde der Sclera zu suchen, weil der Zufall mich
diesen Befund gerade bei sehr alten Individuen hatte finden lassen. Später aber, als
ich ihn mehrmals mit centralen Trübungen der durchsichtigen Medien und auch bei jün-
geren Individuen gefunden hatte, musste an einen Zusammenhang dieser Momente ge-
dacht werden, und jetzt, wo ich das Staphyloma posticum in verschiedenem Grade be
erwiesener Massen Kurzsichtigen gesehen habe, bleibt nichts übrig, als anzunehmen,
dass jene centralen Trübungen zu Kurzsichtigkeit führten, und somit dasselbe bewirkten,
was an andern Augen einfach durch unzweckmässige Verwendung der Augen in der
Jugend zu Stande gebracht worden war.
Wir können nun noch ein objeetives Merkmal der Kurzsichtigkeit aufstellen, doch
nur für die höheren und höchsten Grade. Es ist diess die Rareficirung der Chorioidea
und ihres Pigmentes in der Gegend des hintern Poles, welche sich mit dem Augenspie-
gel nachweisen lässt. Solche Augen lassen sich bequem im umgekehrten Bilde ohne
Hilfe eines Convexglases in der Distanz von 12—8 Zoll untersuchen. Man kann diese
Veränderung des Augengrundes auch an Augen finden, welche — abgesehen von der
Kurzsichtigkeit — ein ganz gutes Gesicht besitzen.
Ätiologie. Die Kurzsichligkeit ist bekanntlich in civilisirten Ländern
eine sehr häufige Erscheinung-, und auch da unter gewissen Ständen ungleich
häufiger, als unter andern.**) Sie kommt unstreitig am häufigsten bei jenen
Individuen vor, welche im Knaben- oder selbst schon im Kindesalter an-
haltend und vorwaltend mit der Betrachtung feiner Objecte (Lesen, Schrei-
*) Prager medie. Vierteljahrschrifl 1817, 2. B. S. 58.
*') Furnari (Ann. d'Oculisl. T. X. p. 115) fand bei den Kabylen fast durchaus grosse, hervorragende Augen, doch
keine Kurzsichtigen. Er fand die Pupille bei diesen Völkerschaften relativ enge und die Iris vorwärts gewölbt,
daher die vordere Kammer kleiner, Ins und Cornea haben einen kleinem Umfang als bei den Europaern.
Ktirzsichtigki'it — Ätiologie. 241
ben, Zeichnen, Sticken, Nähen u. dgl.) beschäftigt wurden, und tritt mei-
stens erst um das 12. — 16. Jahr herum so deutlich in die Erscheinung,
dass sie bemerkt wird. Vor dem 7. Jahre habe ich noch keinen Fall
reiner Kurzsichtigkeit zu beobachten Gelegenheit gehabt, gleich wie mir nur
selten ein Fall von Kurzsichligkeit höheren Grades vorgekommen ist, welche
sich in Augen entwickelt halte, wo sie nicht schon vor dem Eintritte der
Pubertät in einem gewissen Grade bestanden hatte. Manche betrachten
ihre Kurzsichtigkeit als erblich , weil Eltern oder Geschwister gleichfalls
kurzsichtig waren , oder weil sie ihr Übel schon zur Zeit des ersten
Schulbesuches bemerkt haben wrollen. Mir fehlen hierüber verlässliche
Beobachtungen. Wenn übrigens bei Kindern kurz- oder schwachsichtiger
Eltern Kurzsichtigkeit auftritt, so ist wohl auch an unwillkürliches Nach-
ahmen der Manieren der Eltern zu denken, und wenn Kurzsichtigkeit bei
mehreren Geschwistern vorkommt, so wird noch untersucht werden müssen,
ob nicht alle eben solchen Verhältnissen bei der Erziehung ausgesetzt
waren, von denen es erwiesen ist, dass sie Kurzsichtigkeit herbeizuführen
vermögen. Wir wollen demnach Erblichkeit der Kurzsichtigkeit oder doch
eine gewisse Disposition hiezu nicht gerade in Abrede stellen, glauben
jedoch, dass Fälle, wo es den Anschein dazu hat, mit grosser Vorsicht
aufzunehmen sein werden. Das jugendliche Alter bietet in der Weich-
heit und Dehnbarkeit der Sclerotica an sich schon die hinreichende Dis-
position zu diesem Zustande, der sich im Mannesalter, wenn das Auge bis
dahin völlig frei geblieben, nur nach ganz besonderen Veranlassungen ent-
wickeln kann. Ich habe von einigen Collegen die Klage gehört, dass sie,
obwohl sie sich noch in den zwanziger Jahren des besten Gesichtes für
nah und fern erfreut hatten, später durch anhaltende Studien, besonders
aber durch Arbeiten mit der Loupe oder mit dem Mikroskope kurzsichtig
geworden seien , indem sie bei weitem nicht mehr in so grosse Ferne
deutlich sähen, wie vordem. Wenn ich aber den Refractionszustand unter-
suchte, so zeigte sich's, dass keine Kurzsichtigkeit eingetreten war, son-
dern nur Abnahme der Schärfe des Gesichtes für grössere Distanzen, dass
sogar der Nahepunkt nicht mehr 5 , sondern 6 Zoll und darüber vor der
Hornhaut lag. Bei vernachlässigter Übung in Fernsehen kann die Schärfe
des Gesichtes in dieser Richtung sehr bedeutend abgenommen haben, ob-
wohl das Auge fernsichtig geworden ist. — Die grössere Zahl der Kurz-
sichtigen gehört dem männlichen Geschlechte an, was sich aus den (spä-
ter angeführten) äussern Veranlassungen erklärt. Oft ist nur das eine
Auge kurz-, das andere normal- oder weitsichtig; sind beide Augen kurz-
sichtig, so sind sie es selten in ganz gleichem Grade.
Arll'« Augenheilkunde III, 2. 16
242 Augenmuskeln.
Anhaltende, oder oft, lange und in kurzen Zwischenräumen wieder-
kehrende Accommodation (Anstrengung- zum Erkennen naher kleiner Ob-
jecte) und jugendliches Alter sind die Factoren der Kurzsichtigkeit. Die
Veranlassungen hiezu sind mannigfaltig und theils in , theils ausser dem
Auge gelegen. Zu den ersteren gehören: centrale Trübungen der durch-
sichtigen Medien und angeborene oder erworbene geringe Energie der
Netzhaut, zu den letzteren: übermässiges Beschäftigen mit kleinen Objec-
ten, unzeitiger und unzweckmässiger Gebrauch von Brillen, Loirpen, Mikro-
skopen, unzureichende Beleuchtung, zu grosse Annäherung der Objecte
u. dgl. — Centrale Hornhaut- oder Linsentrübungen geben Veranlassung
zur Kurzsichtigkeit, wenn sie — ohne Bücksicht auf Ausdehnung und Be-
grenzung — halbdurchsichtig oder stark durchscheinend sind , oder aber
wenn sie völlig oder nahezu undurchsichtig, dabei jedoch kleiner als die
Pupille sind. Im letztem Falle benehmen sie nicht nur eine Quantität
Licht, sondern verkürzen auch durch Ausschluss der Achsen- und nächst
gelegenen Strahlen die Brennweite des Auges, und machen aus diesen
Gründen ein stärkeres Annähern aller Gesichtsobjecte , mithin Forcirung
der Accommodationsorgane nothwendig; in ersterem Falle wirken sie theils
durch Abhaltung von Lichtstrahlen auf die Helligkeit des Netzhautbildes,
theils durch Zerstreuung eines Theiles der durchgelassenen Strahlen (Dif-
fusion) auf die scharfe Begrenzung desselben beeinträchtigend, und laden
hiedurch zu stärkerer Annäherung der feinern Gesichtsobjecte ein. Sind
beide Hornhäute getrübt , so können beide Augen den Befractionszustand
und die Merkmale kurzsichtiger Augen acquiriren , sobald das betreffende
Individuum noch jung ist und einem oder dem andern der äussern Ver-
anlassungsmomenle ausgesetzt wird; ist nur das eine Auge getrübt, oder
das eine wenig, das andere mehr, so wird, wenn überhaupt Kurzsichtig-
keit eintritt, gewöhnlich das reine oder weniger getrübte kurzsichtig, und
das andere, falls nicht etwa Schielen oder einfache Vernachlässigung des-
selben (Abstrahiren von seiner Erregung) erfolgt , wird nur für mittlere
und grössere Distanzen benützt. Doch können in Fällen monolateraler
Trübung auch beide Augen kurzsichtig werden. Man mag sich diess er-
klären, wie man will, das Factum ist richtig; ich habe es — anfangs zu
meiner Verwunderung — oft genug beobachtet. Ich will jedoch nicht
behaupten, dass , wenn ich das maculöse Auge presbyopisch , das kurz-
sichtige dagegen rein fand, dieses letztere auch zur Zeit der Entwicklung
der Kurzsichtigkeit von jeder Trübung frei gewesen sei, da bekanntlich
nicht gar tief greifende Hornhautnarben bei jugendlichen Individuen bis-
weilen von selbst spurlos verschwinden. — Unter den äussern Veranlas-
Kurzsichtigkeit — Verlauf — Felgen — Behandlung. 243
sungen ist wohl übermässige Beschäftigung mit Lesen, Schreiben u. dgl.
in früher Jugend die häufigste, zumal wenn die Kinder dazwischen wenig
ins Freie kommen. Viele bringen die Gesichlsobjecte, z. B. das Papier,
näher, als zum Deutlichseilen nothwendig ist, entweder einfach, weil sie
es bei andern so sahen, weil sie gleich beim ersten Unterrichte nicht an
die zweckinässigste Distanz (10 — 12") gewöhnt wurden, weil sie schon
von der Beschäftigung mit feinen Spielsachen in den Kinderjahren an zu
starke Annäherung der Ohjecle gewohnt sind, oder dcsshalb, weil sie
dazu genöthigt sind: durch die relativ zu grosse Höhe des Tisches, durch
zu geringe Beleuchtung der Objecte (in dunklen Lehrsälen, bei unzuläng-
lichem künstlichem Lichte), blasse Tinte, schlechte Druckerschwärze, zu
kleine oder zu eng an einander gedrängte Buchstaben, zu fein geschnit-
tene Federn, zu wenig lichtes Papier, oder durch bereits eingetretene Er-
müdung des Auges und momentane Schwächung der Sehkraft wegen be-
reits zu lange fortgesetzter monotoner Beschäftigung (ohne Abwechslung,
ohne gehörige Pausen). Gesunkene Energie der Netzhaut scheint auch
die Ursache zu sein, dass sich die Kurzsichtigkeit — auch ohne voraus-
gegangene Entzündung an den Augen — nach Scharlach, Masern, Blattern,
Typhus u. dgl. leicht entwickelt, wenn die Kinder noch vor völliger Er-
holung zu angestrengtem Betrachten naher Objecte zugelassen oder an-
gehalten werden. Hier tritt indess, wie wir später sehen werden, häufi-
ger Augenmattigkeit ein.
Dass wiederholte und anhaltende Beschäftigung mit dem Mikroskope
oder mit Loupen temporär oder bleibend zu Kurzsichtigkeit führt oder die
schon vorhandene mehr weniger steigert, ist Thatsache der Beobachtung.
Dasselbe gilt vom unzeitigen und unzweckmässigen Gebrauche coneaver
Brillen. Auf welche Weise diess geschehe, werden wir weiter unten bei
Besprechung des Brillengebrauch.es erörtern.
Verlauf, Folgen. Die Kurzsichtigkeit entwickelt sich wahr-
scheinlich immer nur allmälig und stufenweise bis zu einem gewissen
Grade, wie er eben durch die genannten ätiologischen Momente bedingt
wird. Dass Congestionen zum Kopfe und zu den Augen die Entwicklung
begünstigen oder gar herbeiführen sollten, halte ich für eben so wenig
erwiesen, als Ruete's Annahme, dass ein Krampf im Ciliamervensysteme
plötzlich oder periodisch Kurzsichtigkeit bewirken könne. Die Hyperämie,
die sich namentlich während der Entwicklung und des Fortschrittes
der Kurzsichtigkeit in den Conjunctival- und Subconjunctivalgefässen
zeigt, ist das Consecutive und Begleitende, nicht aber Theilerschei-
nung einer als Ursache supponirten Congestion. — Wo ' die genann-
16*
244 Augenmuskeln.
ten ursächlichen Momente vermieden werden können, macht das Übel
weiter keine Fortschritte, und die Kurzsichtigkeit gehört unter dieser
Bedingung durchaus nicht zu den Übeln, welche schlimme Folgen für das
Sehvermögen in sich einschliessen. Eine Ausnahme machen vielleicht nur
die höhern und höchsten Grade, und das in der Regel nur im höhern
Alter oder bei irrationellem Gebahren. Was man den kurzsichtigen Augen
allgemein nachrühmt, dass sie bei angestrengten feinen Arbeiten ungewöhn-
lich lange ausdauern und Erstaunliches leisten, ist für niedere, mittlere
und selbst höhere Grade nach meinen Beobachtungen vollkommen richtig.
Sie verfallen in spätem Jahren weder der Weitsichtigkeit noch — bei
gleicher Anstrengung — der Augenmattigkeit (Kopiopie). — Niedere und
selbst mittlere Grade verlieren oder vermindern sich bisweilen bei ver-
nünftigem Gebrauche der Augen in den Jahren, wo das normale Auge
für sehr nahe Distanzen mehr weniger zu verlieren pflegt (nach dem 40.
Jahre). Höhere Grade bleiben stationär oder nehmen um diese Zeit selbst
etwas zu. Bei den höchsten Graden tritt bisweilen centrale Netzhaut-
amblyopie hinzu, leidet überhaupt das Sehvermögen leicht durch Glaskör-
per-Verflüssigung und Opacitäten, durch Pigmentabnahme in der Gegend
des hintern Poles (Blendung, Lichtscheue) und selbst durch mehr weniger
ausgedehnte Netzhaut- und Chorioidealapoplexien.
Behandlung. Von Heilung der Kurzsichtigkeit kann mit Berücksichti-
gung aller Umstände, der Veränderungen im Auge und der Verhältnisse der
betreffenden Individuen, nur in sehr beschränktem Maasse die Rede sein. Bei
minderen und selbst vielleicht auch noch bei mittlem nicht inveterirten Graden
liesse sich wohl vom theoretischen Standpunkte aus eine Retablirung der
normalen Form erwarten, an welche bei höhern Graden gar nicht zu den-
ken ist; allein man wird in der Wirklichkeit wohl selten ein Individuum
finden, welches die nöthige Zeit, Geduld und Ausdauer hätte, das hiezu
Nöthige zu unternehmen. Zur Durchschneidung eines oder mehrerer Mus-
keln, welche übrigens schon a priori manches Bedenken gegen sich hat,
wird sich wohl kaum Jemand entschliessen, der nicht in sehr hohem Grade
kurzsichtig ist, und in letzterem Falle kann sie offenbar wenig oder nichts
leisten. Das länger fortgesetzte Aufbinden eines mit Eisenfeilspänen ge-
füllten Säckchens auf das Auge bei Rückenlage des Kranken hat mir in
einem Falle von Keratokonus, trotzdem ich die Cur durch oft und in kur-
zen Zwischenräumen wiederholte Entleerung des Kammerwassers zu unter-
stützen bemüht war, nicht den geringsten Dienst geleistet, daher ich schon
vermöge der Analogie von einem ähnlichen Verfahren bei Kurzsichtigkeit
nichts erwarte. Das von Berthold in Göttingen vorgeschlagene Myopo-
Kurzsichtigkeit — ConcavbriMrn. 245
diorihoticon — berechnet auf suceessive Weiterrückimg des Buches beim
Lesen — scheint Andern eben so wenig- genützt zu haben, wie mir bei
einigen mit hinreichender Beharrlichkeit fortgesetzten Versuchen, denn man
hat seit der Bekanntgebung desselben weiter nichts davon gehört. Kurz-
sichtige entsprechende Convexgläser tragen zu lassen, was ebenfalls em-
pfohlen worden ist, habe ich noch nicht versucht. Von länger fortgesetz-
ter, jedoch massiger Anwendung des Atropinum sulfuricum (etwa 1
Gran auf 1 Drachme Fett, täglich 2 — 3mal erbsengross an die Stirn ein-
gerieben) stünde allerdings ein Erfolg wenigstens gegen das Fortschreiten
des Übels bei sonst zweckmässigem Verhalten zu erwarten, falls sich die
Angabe A. v. Gräfe 's weiter bestätigen sollte, dass dieses Mittel nicht
bloss auf die in, sondern auch auf die ausser dem Bulbus gelegenen
Muskeln erschlaffend einwirkt. Ein Nachtheil steht davon nicht zu be-
sorgen, da ich dieses Mittel in der angegebenen Art wegen beginnender
Cataracta bei einigen Individuen ohne allen Nachtheil durch 2—3 Jiihre
angewendet habe. Ich gedenke die Versuche bei Kurzsichtigkeit vorzu-
nehmen, sobald mir dazu geeignete Individuen vorkommen.
Können wir auch die Kurzsichtigkeit nicht heilen, so können wir doch
— wie wir bereits gethan — auf jene Umstände aufmerksam machen
durch deren Vermeidung sich das Entstehen und Fortschreiten dieses
Übels verhindern lässt, und es erübrigt nur noch, jenes Mittel, welches
gewissermassen zur Unschädlichmachung dieses Übels angewendet wird,
die Concavbrillen und ihr Verhältniss zum Auge einer nähern Betrachtung
zu unterwerfen.
Die Erfindung der Brillen ist unstreitig eine der folgenreichsten und wohlthätigsten,
die je gemacht worden sind. Der gelehrte Franziskanermönch Roger Bäcon (geh. 1214),
der die Verwendung convexer Linsen als Vergrösserungsgläser zuerst einführte, scheint
auch die Wirkung der concaven und convexen Glaser als Brillen bereits gekannt zu
haben, obwohl man ihre Erfindung gewöhnlich dem Mönche Alex, de Spina zu Pisa zu-
schreibt, welcher ' 1313 starb, und auf einer Grabschrift in Florenz der Edelmann Sal-
viano degli Armati (gest. 1317) als Erfinder der Brillen genannt wird. Um dieselbe Zeit
sollen jedoch die Berylle (Brillen) in Flandern schon längst im Gebrauche gewesen
sein .*) Sie blieben aber mehrere Jahrhunderte lang der Gegenstand der Bewunderung,
bis Kepler (1604) ihre Wirkungsweise untersuchte, und darüber Aufschluss gab. „Kepler n
war von seinem Patron Dielrichstein die Frage vorgelegt worden, auf welche Weise
Brillen das Sehen unterstützen. Die erste Antwort, welche er gab, lief darauf hinaus,
der Nutzen der convexen Gläser bestehe darin, dass sie die Gegenstände grösser er-
*) Nach Ceesemaeker (Cunier annal. d'oculisl. T. XVII. Splbr. 1S4<>) war Bacon in der belgischen Landschaft
Wallonien zu Antin geboren, und kannte die in seinem Vatertande gemachte Erfindung der Brillen wahrschein-
lich schon vor seiner Versetzung an die Universität zu Oxford; gewiss ist, dass er das Glas zu stinen opti-
sche [uslrünraenten aus Belgien nach England bezog
246 Augenmuskeln.
scheinen Hessen. Aber sein P;itron bemerkte ihm dagegen, wenn die Gegenstände mit
Hilfe dieser Gläser deutlicher gesehen werden in Folge der Vergrösserung, so konnten
coneave Gläser keinen Nutzen bringen, indem sie die Gegenstände verkleinerten. Die auf-
fallende Ähnlichkeit zwischen Versuchen mit der Camera obscura und der Art, wie das
Sehen im Auge vermittelt wird, ist von Baph'sta Porta hervorgehoben worden, welcher
die Pupille dem Loch im Fensterladen verglich, aber in den Irrthuin verfiel, anzunehmen,
dass die Krystalllinse der Hand entspreche, auf welche die Bilder fallen. In den Para-
lipomena ad Yitellionem zeigte nun Kepler, dass diese Function von der Retina ausgeübt
wird, und gab zuerst ein deutliche Erklärung von der Wirkung der Linsen, sowohl in-
nerhalb als ausserhalb des Auges, dass sie nämlich die Strahlen von einem Lichtbüschel
convergirend oder divergirend machen. Er erklärte jetzt, dass convexe Gläser dem Seh-
vermögen fernsichtiger Personen zu Hilfe kommen, indem sie die Richtungen divergi-
render Strahlen von einem nahen Gegenstande so verändern, dass sie nachher auf das
Auge so fallen müssen, als ob sie von einem entfernten Gegenstande ausgegangen seien,
und dass coneave Gläser den Kurzsichtigen unterstützen, indem sie eine entgegenge-
setzte Wirkung auf Strahlen hervorbringen, welche von einem entfernten Gegenstande
kommen." {Makenzie 1. c. S. 700.)
Ein Concavglas, 5 — 6"' vor der Hornhaut angebracht, bildet mit der
Sammellinse des Auges eine Combination, deren optischer Mittelpunkt wei-
ter hinter der Cornea, also näher gegen die Retina hin liegt. Wenn also
die von einem Objectpunkte ausgehenden Strahlen vermöge relativ zu
grosser Objectdistanz sich schon vor der Netzhaut vereinigen müssten,
so vereinigen sie sich, falls das Concavglas entsprechend gewählt ist, bei
dieser Combination auf (in) der Netzhaut. Die Concavgläser nutzen also,
indem sie die zu wenig divergent zum Auge gelangenden Strahlen jedes
Lichtkegels so stark divergent machen (zerstreuen), dass dieselben dann durch
die Medien des Auges in der zum Deutlichsehen nöthigen Concentration
gerade auf oder in der Netzhaut vereinigt werden. Je näher demnach
das zu sehende Object liegt, d. h. je mehr divergent die von ihm
ausfahrenden Strahlenkegel auf die Hornhaut gelangen, desto schwächer
muss das Concavglas, desto länger seine (negative) Brennweite sein, und
denken wir uns ein kurzsichtiges Auge aller aecommodativen Thittig-
keit verlustig, so muss dasselbe successiv mit Gläsern verschiedener
Brennweite bewaffnet werden, wenn die Bilder verschieden entfernter
Objecte auf seiner Netzhaut scharf abgebildet werden sollen. Indem aber
diese Combination gestattet, die Vereinigungsweite durch verschieden starke
Gläser beliebig — bis zu gewissen Grenzen — abzuändern, kann auch
die Thätigkeit der hiezu bestimmten Accommodationsorgane leicht mehr
weniger beschränkt werden, und muss es um so mehr, je stärker die
Concavgläser sind, je weiter rückwärts die Vereinigungsweite durch die-
selben bereits verrückt ist. — Nach dem eben Gesagten wird es nicht
Kiirzsichtigkeit — Concavbrillen. 247
schwer sein, einzusehen, auf welche Weise Cqncavbrillen leicht ein nor-
males Auge, das sich ihrer häufig bedient, kurzsichtig, und ein kurzsich-
tiges, das dieselben für relativ zu nahe Distanzen benutzt (relativ zu scharfe
Gläser trägt) , noch mehr kurzsichtig machen müssen, mindestens können.
Jede solche Brille rückt nothwendig nicht nur den Fern- sondern auch
den Nahepunkt weiter vom Auge. Soll man dieses mit der Brille noch in
eben solcher Nähe deutlich sehen, wie ohne dieselbe, so müssen die
Accommodationsorgane in erhöhte Thätigkeit gesetzt werden, mithin eben
so wie bei angestrengtem Sehen in die Nähe überhaupt wirken. — Ein
anderer, notwendiger, jedoch minder erheblicher Nachtheil ist der, dass
jede Concavbrille in dem Masse, als sie zerstreut, auch weniger Licht-
strahlen von jedem leuchtenden Punkte in's Auge gelangen lässt, und über-
diess noch eine gewisse Menge davon durch Reflexion an ihrer Oberfläche
versplittert. Daher sind diejenigen, welche längere Zeit Concavbrillen ge-
tragen haben, nach Ablegimg derselben eine Zeit lang etwas empfindli-
cher gegen denselben Grad von Beleuchtung, den sie mit den Brillen gut
vertrugen. — Ein dritter Übelstand, dass die Objecte verkleinert gesellen
werden, tritt nur dann hervor, wenn die Brillen zu scharf sind oder für
relativ zu geringe Distanzen gebraucht werden.
Brillen dürfen im Allgemeinen nur bei einfacher (nicht complicirter)
Kurzsichtigkeit getragen werden. Bei Trübungen in den durchsichtigen
Medien ist die Lichtmenge ohnehin schon beschränkt, und wird, wenn noch
das Tragen von Brillen dazu kommt, die Anstrengung der Netzhaut leicht
zu einer gefährlichen Höhe hinaufgeschraubt. Ebenso ist bei sehr hohen
Graden von Kiirzsichtigkeit (Fernpunkt für Lesen mittlem Druckes 4" oder
darunter) das Tragen einigermassen scharfer Gläser um so gewagter, je
mehr bereits die Zeichen von Glaskörperverflüssigung, Netzhauthyperästhesie,
intraoculärer Apoplexie u. dgl. ausgesprochen sind, und kann im Allgemei-
nen bloss das Tragen einer relativ zu schwachen Brille gestattet werden.
Bei der Frage, ob überhaupt eine Brille gebraucht werden soll, wird übri-
gens noch zu erwägen sein, ob die Kurzsichtigkeit nicht erst im Entste-
hen begriffen ist, ob eine Retablirung zum normalen Zustande nicht durch
Ruhe des Auges (Abänderung der Verhältnisse, unter denen das Übel ent-
stand) noch erwartet werden könne, ob nicht wenigstens auf Abnahme des
durch übermässige Anstrengung in jüngster Zeit gesteigerten Übels ge-
rechnet werden dürfe. Denn bei geringen Graden ist entweder gar keine
Brille oder nur zu besondern Zwecken und bloss auf die Zeit solcher
Zwecke zu gestatten.
248 Augenmuskeln.
Wie stark (von welcher Brennweite) soll die Brille sein?*) Diess
hängt ab von dem Grade der Kurzsichtigkeit und von dem Zwecke (der
Distanz, in welche sie tragen soll). Dass hiebei zugleich auf die Grösse
der Objecte und auf die Beleuchtung Rücksicht zu nehmen sei, versteht
sich gewissermassen von selbst. In einem zu dunklen Lokale wird man
eben so leicht einen Missgriff begehen, als in einem zu lichten, oder un-
zweckmässig (durch Doppel- oder stark reflectirtes u. dgl. Licht) erhell-
ten. — Der Fernpunkt des deutlichen Sehens ist der Ruhepunkt des kurz-
sichtigen Auges; er bezeichnet den in dem Baue begründeten Refractions-
zustand desselben , der eben durch die Brille corrigirt werden soll. Man
kann ihn auf verschiedene Weise ermitteln, am einfachsten und im Allge-
meinen mit hinreichender Schärfe und Verlässlichkeit durch Leseproben mit
3/4- — V" hoher Druckschrift. Man gibt dem Brillencandidaten das Buch in die
Hand, lässt ihn dasselbe so weit von den Augen halten, als es ohne merk-
liche Beeinträchtigung der Deutlichkeit und ohne Blinzeln geschehen kann,
und misst während dem mit einem Zollstabe die Distanz zwischen Auge
und Druck (in der Richtung der Sehachse). — Die Distanz des Fernpunktes
multiplicirt mit der Distanz, in welcher deutlich gesehen werden soll, und
dividirt durch die Differenz derselben, gibt im Allgemeinen die Brennweite
des gesuchten Glases. Wenn nun ein Kurzsichtiger bis auf höchstens 5"
Distanz lesen kann, aber bei ungefähr 10'' Distanz lesen oder eine
ähnliche Beschäftigung vornehmen will, so braucht er hiezu Nro. 10, weil
5.10
ttz v = 10. Soll er Noten lesen, also etwa bei 15", so braucht
10 — 5
*) Die Oplilier bezeichnen heutzutage die Brillen ziemlich allgemein nach der Brennweile in Zollen (in Österreich
nach dem Wiener Masse), und halten von Concavgläsern die Nummern von 2" bis 36" vorräthig. Zwischen 2
und 7 findet man Abstufungen zu «/,, selbst zu •/, Zoll, von 7—18 zu 1 Zoll, dann 20, 22, 24, 27, 30, 33, 36.
Die letztern 6 kommen indessen selten in Anwendung (oder doch nur als sogenannte Conservationshrillen mehr
als Luxus- und Modeartikel), und die unter 4" könnten füglich gestrichen werden, Handelt es sich um die Be-
stimmung der Brennweite irgend eines vorliegenden Concavglases, so kann man dieselbe annähernd schützen
nach dem Grade, iu welchem es Gegenstände von bestimmter Entfernung verkleinert zei<rl ; man kann durch
Vergleichung mit coneaven Gläsern von bekannter Brennweite der Wahrheit sehr nahe kommen; die nothwendige
Genauigkeit lässt sich jedoch nur dadurch erhallen, wenn man das Concavglas an ein stärkeres Convexglas von
bekannter Brennweile anlegt und nun die Brennweite dieser Combination nach der bei Convexgläsern üblichen
Methode ermittelt, was jedoch ziemlich schwierig und umständlich ist. Am besten ist, man hält das fragliche
Concavglas, dessen Brennweite man nach dem Grade der Verkleinerung beiläufig ennitUlt hat, .in ein Com-exs;lns
von nahezu derselben Brennweite, visirt durch diese Combination nach einer fernen Thurmspilze , und gibt Acht,
ob die Thurmspilze fest an demselben Orte gesehen wird, wenn man die Combination leicht vor dein Auge hin
und herschiebt. Gesetzt, man hätte aus dem Grade der Verkleinerung crmessen, dass die Brennweite nicht slär
ker als 7, nicht schwächer als 9 sei; man lege nun $ convex an das fragliche Concavglas ; hat diess die Brenn-
weite von 8", so wird die visirte Tlmrnispitzc sich bei raschem Hin- und Herschieben der Combination VOI dem
Auge eben so wenig bewegen, als wenn man ein Planglas zu diesem Experimente benutzte. Von der Hichtigkeil
dieser Angabe kann man sich überzeugen, wenn man ein ganz schwach coneaves Glas, das gar keine Verklei-
nerung mehr wahrnehmen lässt, etwa 36 odor 48 vor dem Auge hin und her bewegt
Ktirzsichtigkeit — Concavbrillen. 249
5.15
er hiezu Nro. 7V23 weil ' == 71/». Für die Distanz von 12 Fuss, etwa
12.12.5 720
um in einem Hörsaale auf die Tafel zu sehen, ist ■ — —^-. = 5,18".
Für alle grösseren Distanzen kann dieser Factor =r oo angesehen werden,
gibt mithin die Distanz des Fernpunktes der deutlichen Sehweite auch die
C£r-V>
Brennweite des zu wählenden Glases I =5 I. Es ist je-
derzeit gerathen, die Brille um einen halben oder ganzen, und wenn über-
haupt nur schwächere Gläser gefordert werden, selbst um einige 5 Zoll
schwächer zu geben, als die Rechnung ausweist, weil dann der Brillen-
träger weniger Gefahr läuft, sein Auge kurzsichtiger zu machen, wenn er
das Glas auch für etwas nähere Distanzen benützt. Gleichwie ein norma-
les Auge durch Übung im Fernsehen eine grössere Schärfe hierin erlan-
gen kann durch die Fertigkeit, von Zerstreuungskreisen zu abstrahiren,
kann auch ein kurzsichtiges Auge, welches diese Fertigkeit durch Nicht-
übung eingebüsst hat, dieselbe wieder allmälig erlangen, nachdem ihm
die Möglichkeit hiezu durch die Correction seines Refractionszustandes
wieder gegeben ist. Man wird demnach auch finden, dass bei zweck-
mässigem Gebrauche concaver Brillen die Fähigkeit, entferntere Objecte
auszunehmen, allmälig erstarkt, ohne dass die Kurzsichtigkeit abgenommen
hat, und es ist somit dem Kurzsichtigen überhaupt und dem Brillenträger
insbesondere zu empfehlen, sein Auge so viel als möglich im Fernsehen
zu üben.
Sollen die Gläser, welche doch eigentlich nur zur Unterstützung des
Auges für die Ferne bestimmt sind, beständig getragen oder beim Nahe-
sehen abgelegt werden ? Es scheint ganz von selbst verständlich , dass
letzteres der Fall sein müsse. Diess ist jedoch nicht allgemein der Fall.
Ich habe über diesen Punkt die Äusserungen von sehr vielen Kurzsichti-
gen, namentlich auch von Ärzten, denen ich eine genaue Selbstbeobach-
tung zutrauen durfte, eingeholt, aber durchaus widersprechende Angaben
erhalten. Die Einen behaupten, dass sie das beständige Tragen der Bril-
len nicht aushalten, dass sie die Brille, auch wenn sie damit lesen können,
dennoch ablegen müssen, um einem gewissen Gefühle von Angegriffensein
der Augen zu entgehen , und dass sie desshalb dieselbe nur gerade da
tragen, wo sie ihnen unentbehrlich oder doch bequem ist. Andere nicht
minder achtbare Gewährsmänner versicherten mich., dass sie mit ihrem
Gesichte weit besser daran seien, seit sie die Brille von Früh bis Abends
250 Augenmuskeln.
conlinuirlicli tragen, indem sie nicht nur das früher beim Wechseln ge-
fühlte Missbehagen verloren, sondern auch an Ausdauer, ja selbst an Seh-
weite gewonnen haben. Ich könnte hier Männer von bekanntem Namen
nennen. Eine Zeit lang meinte ich, diess könne nur bei schwachen Glä-
sern (über Nro. 10 aufwärts) der Fall sein, doch fand ich mehrere dar-
unter, welche stärkere Gläser, selbst bis zu Nr. 6 trugen. Da ich keinen
Grund kenne, warum in dem einen Falle das continuirliche, in dem andern
das unterbrochene Brillentragen besser ist, so kann ich auch keinen an-
dern Rath geben , als durch Selbstbeobachtung den Modus ausfindig zu
machen, der in jedem speciellen Falle dem Auge zuträglicher ist. . Häu-
figer Wechsel ist jedenfalls nicht nur unbequem und für die Accommo-
dationsorgane, denen immer ein anderer Grad von Spannung aufgedrun-
gen wird1, ermüdend, sondern auch für die Netzhaut, die bald mehr bald
weniger Licht erhält, nicht ohne allen Nachtheil. Wer seine Brillen be-
ständig tragen will, nehme die Gläser etwas schwächer, als er sie für die
Ferne eigentlich braucht, und halte dann die nahen Objecte (das Buch
beim Lesen) so weit als möglich entfernt. Die Frakliii sehen Brillen , in
der obern Hälfte des Rahmens ein stärkeres, in der untern ein schwäche-
res Glas enthaltend, dürften auch nur wenigen Augen zusagen, daher es
wohl kommt, dass sie heutzutage gar nicht mehr gebräuchlich sind. Häu-
figer findet man, dass Kurzsichtige ziemlich schmale ovale Brillen tragen,
und behufs des Lesens oder Schreibens über oder unter dem Rahmen
wegsehen, wenn sie dazwischen wieder in die Ferne zu blicken haben.
Andere halten, wenn sie in ungewöhnliche Entfernungen sehen wollen,
vor die Brille noch eine Lorgnette von minder starken Gläsern.
Eine ebenso schwierig zu entscheidende Frage ist die , ob bei ver-
schiedenem Refraclionszustande beider Augen verschiedene Gläser getra-
gen werden sollen. Geringe Differenzen in der Lage des Fernpunktes
kommen bei den meisten Kurzsichtigen vor. Dass diese keine differenten
Gläser erfordern, leuchtet von selbst ein. Dann gibt es bekanntlich Leute,
die sich für die Nähe des einen, für die Ferne des andern, und für mitt-
lere Distanzen beider Augen bedienen. Diese brauchen keine Gläser. Wenn
aber die Differenz in der Kurzsichtigkeit mehrere Zoll beträgt (bei hohen
Graden von Kurzsichtigkeit kann eine Differenz von 1, selbst */„ Zoll rela-
tiv eben so beträchtlich sein), so ist es der Theorie angemessen, Gläser
von verschiedener Brennweite zu geben. Es sind mir aber in frühern Jah-
ren, wo ich streng nach der allgemein gegebenen Regel verfuhr, viele
Individuen vorgekommen, die sich mit so gewählten Gläsern durchaus nicht
zurecht finden konnten, und ich bin daher bald zu dem Verfahren über-
Kurzsichtigkcit — Concavbrillen. 251
gegangen, dass ich für beide Augen in der Regel gleiche Nummern gehe, und
zwar ohngefähr dem Mittel entsprechend, wenn die Sehkraft der in der Seh-
weite beträchtlich differirenden Augen ziemlich gleich ist, bei ungleicher Seh-
kraft dagegen mich nach dem Refractionszustand des bessern Auges richte.
Nicht ohne Einfluss, wenn gleich minder wichtig, ist die Stellung der
Gläser vor den Augen, ihre Centrirung, Grösse, Form, Reinheit u. s. w.
Ob die Gläser biconcav oder convex -concav (periskopisch) seien, macht
bei Kurzsichtigen wenig Unterschied, wenn sie nur aus krystallheller,
durchaus homogener Glasmasse, nach regelrechten Kugelflächen und so
geschliffen sind, dass die grösste Wölbung der einen Fläche der grössten
Wölbung der andern entspricht, und wenn überdiess die auf diese Weise
entstandene dünnste Stelle des Glases relativ zum Rande gerade in der
Mitte liegt (Centrirung). Letztere Eigenschaft kann auch bei ganz guten
Gläsern leicht verloren gehen, wenn beim Einschleifen (Anpassen für den
Rahmen) an einer Seite mehr abgenommen wird, als an der andern. Ist
auf diesen Umstand, gegen welchen beim Einschleifen in ovale Rah-
men viel leichter Verstössen wird, die gehörige Rücksickt genommen wor-
den, dann stehen — für Kurzsichtige — die ovalen Gläser den kreisrun-
den an Güte nicht nach, nur dürfen sie nicht gar zu klein sein. Nur
wenn der Kurzsichtige die Gläser auch zum Lesen, Schreiben u. dgl. be-
nützen will, sind runde, oder doch hübsch gross ovale und zugleich pe-
riskopische Gläser vorzuziehen. Auch das beste und passendste Glas ver-
stösst gegen seinen Zweck, das Auge so viel als möglich ohne nachthei-
lige Nebenwirkungen zu unterstützen, wenn es vor dem Auge zu nahe
oder zu fern oder schräg steht, oder wenn die Centra der beiden Gläser
erheblich weniger oder mehr von einander abstehen, als die Centra der
Pupillen beim Blicke in mittlere Entfernungen (etwa 5 — 10 Fuss), oder
endlich wenn das eine Glas hoch (nächst dem Augenbrauenbogen) , das
andere tiefer (nächst der Wange) vor dem Auge steht, wie man diess
leider so häufig sieht. Ein gut gewähltes Glas wirkt zu scharf, wenn es
dem Auge näher gebracht wird, als bei der Probe, daher auch Kurzsich-
tige, wenn sie etwas weiter sehen wollen, ihre Brille gewissermassen un-
willkürlich gegen die Augen drücken. Bei schiefer Stellung des Gestelles
wird immer ein Glas mehr, das andere weniger vom Auge abstehen. Je
weiter vom Centrum des Glases ab die verlängert gedachte Sehachse durch
das Glas streicht, desto mehr wirkt das Glas wie ein Prisma, also das einfal-
lende Licht von dem brechenden Winkel (Centrum des Glases) ablenkend, so
dass das Auge, um dem Doppeltsehen zu entgehen, durch excessive Contraction
des betreffenden Muskels nach seiner Seite hin gedreht, in widernatürliche
252 Augenmuskeln.
Spannung versetzt werden muss. (Siehe prismatische Gläser bei Muskelläh-
mung.) Am leichtesten werfen sich die Gestelle von Hörn , so dass dio
anfangs richtige Stellung der Gläser bald eine fehlerhafte wird. Oft genug
aber nehmen sich die Optiker nicht die Mühe, Gestelle auszusuchen, welche
der Gesichtsbildung der Brillenbedürftigen entsprechen. Der Arzt wird
daher im Interesse des Consulenten in der Regel nichts Überflüssiges thun,
wenn er ihn auf die genannten Umstände aufmerksam macht, oder wenn
er die nöthigen Masse selbst vornimmt, als: Abstand zwischen den Pu-
pillen, Lage der Augen (flach oder tief), Höhe des Nasenrückens, Breite
des Gesichtes (Abstand der einen Schläfe von der andern) , und wenn er
überdiess denselben nach geschehener Wahl noch zur Prüfung aller Ver-
hältnisse zu sich bestellt. Die Brille, fortan ein integrirender Bestandtheil
des Gesichtsorganes, steht wohl dafür, dass Arzt und Optiker nicht mit
ein paar Minuten , die Candidaten nicht mit ein paar Groschen kargen.
Werden die besprochenen Rücksichten eingehalten, dann sind Con-
cavbrillen nicht nur nicht schädlich, sondern eine wahre Wohlthat für den
Kurzsichtigen. Ein passendes Glas zeigt die Objecte in der Distanz , für
welche es gewählt ist, deutlich, scharf begrenzt , ohne Farbensäume, und
erst dann kleiner, wenn die Objecte näher gebracht werden, als der Refrac-
tionszustand und die Accommodationsthäligkeit es gestatten. Sind die Glä-
ser zu scharf, schlecht geschliffen oder schlecht gestellt, so machen sie
beim Tragen ein Gefühl von Unbehagen, Schwindel, Schmerzen in der
Supraorbitalgegend und werden desshalb nicht vertragen, ausser das Auge
bringt es dahin — womit man gewöhnlich über den Fehler hinwegzugleiten
sucht — sich daran zu gewöhnen, d. h. durch mannigfache reactive Thä-
tigkeit, welche nicht immer ohne erheblichen Nachtheil bleibt, die Fehler
gewissermassen auszupariren. An passende Brillen braucht sich das Auge
nicht erst zu gewöhnen.
Weitsichtigkeit (Presbyopia).
Die Weitsichtigkeit beruht auf dem Unvermögen, das Auge, icelches
entfernte Objecte deutlich zu sehen vermag, für das Sehen näherer Objecte
einzustellen, und gibt sich demnach durch abnorm weiten Abstand des
Nahepunktes der deutlichen Sehweite von dem Auge kund. Der Grund
hievon liegt nicht in einer Formveränderung des Auges , sondern in Rigi-
dität der Sclera und verminderter Energie der Accommodalionsorgane,
besonders des Ciliarmuskels. Hält man vor ein normales Auge ein Con-
cavglas, durch welches der Nahepunkt mehr weniger weit vom Auge weg-
Weitsichtigkeit — Kennzeichen. 253
gerückt wird, so kann man sich vom Verhalten des fernsichtigen Auges
in optischer Beziehung leicht eine richtige Vorstellung machen. Nur pa-
rallel oder wenig divergent, mithin aus grösserer Entfernung kommende
Strahlen werden auf der Netzhaut, stärker divergirende, von nahen Objec-
ten ausgehede dagegen werden hinter der Netzhaut vereinigt, treffen
diese mithin als Kegelquerschnitte, weil die Netzhaut nicht der optischen
Anforderung entsprechend rückwärts gedrängt werden kann.
Die Weitsichtigkeit wird gewöhnlich erst dann Gegenstand der Wahr-
nehmung, wenn der Nahepunkt des deutlichen Sehens bereits weiter vom
Auge absteht, als es die gewöhnlichen Beschäftigungen erheischen, also
wenn z. B. das Buch beim Lesen bereits weiter als 10 — 12 Zoll entfernt
gehalten werden muss, oder wenn Gegenstände, welche selbst ein norma-
les Auge vermöge ihrer Feinheit näher bringen muss, undeutlich oder gar
nicht erkannt werden können, z. B4 beim Nadeleinfädeln, Federschneiden.
Es sind aber auch jene Augen bereits weitsichtig, welche z. B. mittleren
Druck nicht mehr bei 5", sondern erst bei 6", 7" u. s. w. deutlich und ohne
Farbensäume sehen. Andrerseits gehört es keineswegs zum Begriffe der
Fern- oder Weitsichtigkeit, dass das Gesicht auch für sehr grosse Distan-
zen ein scharfes sei; es ist sogar nicht selten der Fall, dass Personen,
deren Nahepunkt 6, 7, 10" u. s. w. vom Auge absteht, auch in grossen,
selbst in mittelgrossen Distanzen weit schlechter sehen, als früher, wo der
Abstand des Nahepunktes noch normal war, und es findet sich diess auch
bei Leuten, welche z. B. bei 7 — 10 Zoll vollkommen deutlich und scharf
sehen, wo also weder an eine Trübung der durchsichtigen Medien noch
an eine Affection der Netzhaut gedacht wrerden kann.
Da die Menge der von einem leuchtenden Punkte in das Auge ge-
langenden Lichtstrahlen (bei gleich grosser Pupillenöffnung) abnimmt, wie
die Quadrate der Entfernung desselben zunehmen, so ist dem Weitsich-
tigen starke Beleuchtung der Objecte, eben weil er sie abnorm weit vom
Auge halten muss, ein wesentliches Bedürfniss zum Erkennen derselben.
Desshalb verräth sich das Übel gewöhnlich zuerst während des Arbeitens
bei künstlicher Beleuchtung. Das Arbeiten strengt mehr an , feinere Ar-
beiten können wohl noch bei Tages- aber nicht mehr bei Kerzenlicht ver-
richtet werden. Der Weitsichtige stellt sich beim Lesen gern mit dem
Bücken an's Fenster, um das Buch in stärkere Beleuchtung, die Augen
dagegen in Schatten zu bringen und die ohnehin gewöhnlich engeren Pu-
pillen zu erweitern ; aus demselben Grunde pflegen Weitsichtige bei künst-
licher Beleuchtung das Buch hinter das Kerzenlicht zu halten, und die
Augen von oben mit der Hand zu beschatten. Gibt man dem Weitsichti-
254 Augenmuskeln.
gen, der nur noch etwa bei 14 — 16 Zoll und darüber lesen kann, und
sich noch keiner Brillen bedient hat, ein Buch zum Lesen frei in die Hand,
so wird man, wenn er seine gewohnte Haltung annimmt, hierin das Ge-
gentheil von der des Kurzsichtigen finden ; er hält das Buch nicht nur weit
entfernt, sondern auch mehr nach unten, der Brust genähert; heisst man ihn
das Buch so weit als möglich nähern, oder ist er bereits so weitsichtig, dass
er nur noch mit Mühe ohne Brillen lesen kann, so wird man bemerken,
dass dieses Abwärtshalten des Buches nicht zufällig geschieht, sondern zur
Weitsichtigkeit in Beziehung steht, dass die Person nämlich die Lider fest
zusammenkneift, und dieselben an den Bulbus andrückt und daher runzelt,
wohl desshalb , weil es bei dieser Position dem Orbicularis möglich wird,
den Bulbus mittelst des obern Lides von oben her zu comprimiren und
hiedurch zur Verlängerung der Sehachse behilflich zu sein. Der Beweis
für diese Deutung lässt sich in einzelnen Fällen dadurch herstellen, dass
der Kranke, der bei 14 Zoll liest, wenn er das Buch vor die Brust hält,
bei derselben Distanz nicht zu lesen vermag, sondern erst bei einer merk-
lich grössern, sobald man das Buch gerade dem Gesichte gegenüber oder
etwas höher vorhält. Das Blinzeln der Kurzsichtigen behufs des Fern-
sehens erfolgt ohne gewaltsame Contraction des M. orbicularis ; das Zu-
kneipen der Weitsichtigen verräth die gewaltsame Intention deutlich durch
die Bunzelung der Lider und durch die baldige Ermüdung. Diese gibt
sich in manchen Fällen auch durch ein rasches Zucken oder Vibriren
(Muskelspiel) an den Lidern kund. Ich habe übrigens auch Weitsichtige
beobachtet, welche mittlem Druck ohne Anstrengung bei 16 — 20 Zoll Di-
stanz , denselben oder feineren Druck aber auch bei 6 — 7 Zoll, doch nur
auf kurze Zeit und unter sichtlich gewaltsamem Zukneipen der Lider lesen
können. Ob sie hiedurch die rigide hintere Wandung temporär zum Zu-
rückweichen oder die Cornea zu stärkerer Krümmung zwingen, weiss ich nicht.
Auf Beschränkung der Zerstreuungskreise kann es dabei nicht abgesehen
sein, denn die Verengerung der Lidspalte bleibt noch immer weit hinter
der in solchen Fällen stets auffallend engen Pupille zurück, was beim Blin-
zeln der Kurzsichligen nicht der Fall ist. — Durch entsprechende Convex-
gläser kann das weilsichtige Auge behufs des Erkennens naher und fei-
nerer Objecte dem normalen um so mehr nahe gebracht werden, je gerin-
ger die Weitsichtigkeit und je grösser somit der Spielraum ist, welcher
der aecommodativen Thäligkeit übrio- blieb. Je schärfere Gläser bereits
nothwendig sind, desto näher liegen der Nah- und Fernpunkt des deutli-
chen Sehens für das bewaffnete Auge an einander.
Nach den eben genannten Merkmalen wird es nicht schwer sein, die
Weitsichtigkeit — Kennzeichen — Ätiologie. 255
Weitsichtigkeit von jenen Zuständen zu unterscheiden, welche in funetio-
neller Rücksicht einige Ähnlichkeit damit haben, nämlich Schwäche des
Gesichtes wegen Trübungen in den durchsichtigen Medien oder wegen
Retinalleiden, und einfache Augenmattigkeit oder Kopiopie. (Vergl. die be-
treffenden Abschnitte.)
Die am Auge sichtbaren Merkmale der Weitsichtigkeit sind so charak-
teristisch, dass man beim Anblicke solcher Augen, ohne über die Sehweite
auch nur ein Wort gehört zu haben, nur an Weitsichtigkeit, Kopiopie oder
angeborene Retinalamblyopie denken kann. Im weitsichtigen Auge liegt
die Linse der Cornea näher, als im normalen, um so mehr, je höher der
Grad von Fernsichtigkeit ist (3/4/y/ — Vs*"0' Auch die Iris liegt weiter vorn
(relativ zur Basis corneae), und zwar in toto , nicht bloss mit dem Pupil-
larrande, sondern auch mit dem Ciliarrande. Ein Staarmesser, an der Grenze
zwischen Cornea und Sclera durch das Auge geführt (senkrecht auf die
Sehachse), würde knapp vor dem Ciliarrande vorbeistreichen, und je nach
dem Grade der Wölbung der Iris mehr weniger von dieser wegnehmen.
Man sieht, dass sich die Iris schon bald innerhalb des Ciliarrandes an die
Linse anschmiegt, viel früher als in normalen oder kurzsichtigen Augen,
indem der kuppelartig gewölbte Theil derselben die Krümmung der Linse
gleichsam im Abdrucke wieder gibt, wie ein feuchtes Tuch, das sich an
einen festen Körper anlegt und dessen Form erkennen lässt. Die Iris
zeigt daher bald ferner, bald näher dem Ciliarrande einen zu diesem con-
centrischen Ring, welcher namentlich bei dunkelbraunen Regenbogenhäuten
hellgelb und gewissermassen glänzend aussieht, und sich durch die Con-
touren bei seitlich einfallendem Lichte als seichte Furche erweist, dadurch
entstanden, dass die früher (nach aussen) an den Ciliarkörper geheftete
Iris plötzlich durch die Linse vorwärts gedrängt, gleichsam geknickt wird.
(Vergl. II. Band, Seite 23, Anmerk.) Ein solcher Ring, nur gewöhnlich
von kleinerem Diameter, kommt übrigens auch an vielen nicht weitsich-
tigen Augen vor. — Die Pupille zeigt einen auffallenden Grad habitueller
Verengerung (l1/« — 1'") trotz freier und lebhafter Beweglichkeit und bei
prompter und hinreichender Erweiterbarkeit durch Belladonna. Dass das
presbyopische Auge mit dem Augenspiegel leichter im aufrechten Bilde
untersucht werden könne, wurde bereits erwähnt.
Ätiologie. Die Beschränkung oder Aufhebung der Accommoda-
tionsthätigkeit behufs des Sehens naher Objecte tritt im höhern Alter so
gewöhnlich ein, dass in dieser Beziehung der Name Presbyopie (jiQsgßvg,
Greis) gerechtfertigt ist. Mit Ausnahme der Kurzsichtigen gibt es nur we-
nig Augen , welche nach dem 40. längstens 50. Jahre noch feine Objecte
256 Augenmuskeln-
bis zu 5 Zoll nahe bringen können. Durch dieses Verhalten schliesst sich
die Presbyopie an andere senile Erscheinungen an, Rigidität der Arterien,
Greisbogen der Hornhaut, Abnahme der Muskelkräfte u s. w., und sie
zeigt in Bezug des frühern oder spätem Eintrittes und der raschern oder
langsamem Entwicklung ganz dieselben Schwankungen, wie die genannten
und andere Zufälle der Senescenz. Sie kommt aber auch, weil von der
Muskelthätigkeit abhängig, in früheren Jahren vor, wenngleich selten im
hohen Grade und selten stationär. Die Ursachen vorzeitiger Entwicklung
sind: vorwaltende Verwendung des Gesichtes für die Ferne, wie bei Jä-
gern, Seeleuten, unzweckmässiger oder übermässiger Gebrauch von Con-
vexgläsem (Loupen), anhaltendes Weinen, Kummer, Sorgen und deprimi-
rende allgemeine Einflüsse überhaupt, so wie andererseits forcirte Muskel-
anstrengungen im Allgemeinen, und übermässige Anstrengung der Accom-
niodationsorgane insbesondere, letztere beiden jedoch nur dann, wenn die
Sclera bereits zu resistent ist, als dass ein entsprechendes Nachgeben der-
selben stattfinden könnte. Die frühere Entwicklung der Weitsichtigkeit
bei Leuten, welche sich von Jugend auf wenig mit der Betrachtung naher
feiner Gegenstände befassten, beruht wohl darauf, dass die Fertigkeit, das
Auge für solche Objecte einzustellen , nie recht zur Ausbildung kam. Auf
ähnliche Weise wirkt der anhaltende Gebrauch von Loupen oder Convex-
brillen beim Arbeiten, wenn dabei die Accommodationsorgane gleichsam
überflüssig gemacht werden. Denn indem das Convexglas Strahlen, die
sich ausserdem erst hinter der Netzhaut vereinigen würden, so bricht, dass
sie sich eben auf der Netzhaut vereinigen, wird die aecommodative Thätig-
keit der Anstrengung überhoben, welche sie bei unbewaffnetem Auge
machen müsste , um die Netzhaut gerade in die Vereinigungsweite zu
stellen. Ist aber ein Convexglas nicht zu stark, leistet es eben nur das,
was das Auge durch seine aecommodative Thätigkeit nicht bewirken kann,
enthebt es somit das Auge nicht jeder Anstrengung, dann wirkt das Con-
vexglas auch nicht nachtheilig auf die Accommodationsfähigkeit. Nehmen
wir an, es müsse, damit ein Object von bestimmter Grösse, Beleuchtung
und Distanz deutlich gesehen werden könne, die Netzhaut um 1/,i'" zurück-
gestellt werden. Besässe nun das hiezu verwendete Auge die Fähigkeit»
durch die aecommodative Thätigkeit die Netzhaut um xjJ" zurückzustellen,
so würde jedes Convexglas bei anhaltendem Gebrauche die aecommoda-
tive Thätigkeit ausschliessen; vermöchte das Auge aber die Netzhaut nur
um y4'" zurückzudrängen, so wird ein Glas, welches die Vereinigungs-
weite um 1/4'" verkürzt, diesem Auge das Deutlichsehen ermöglichen, aber
auch der aecommodativen Thätigkeit noch zu thun überlassen, was sie
Weitsichtigkeit— Ätiologie. 257
leisten kann, nämlich die Netzhaut um lj4"' zurückzulsellen , und das Auge
lauft auch bei fortwährendem Gebrauche eines solchen Glases zu obigem
Zwecke nicht Gefahr, seine Accoinmodationskraft durch Unthätigkeit ein-
zubüssen. In der Behauptung, dass der Gebrauch von Loupen Veranlas-
sung gebe einmal zu Weit-, ein andermal zu Kurzsichtigkeit, liegt kein
Widerspruch. Ist eine Loupe zu dem Zwecke, für welchen sie angewen-
det wird, hinreichend stark, so wird sie nie Veranlassung zu Kurzsichtig-
keit geben; ist sie aber relativ zu schwach, so dass der aecomodativen
Thätigkeit noch immer viel übrig bleibt, um das Auge richtig einzustellen,
so kann anhaltende Arbeit trotz der Loupe zur Kurzsichtigkeit führen, so-
bald die Sclera noch die zu bleibender Formveränderung nöthige Biegsam-
keit und Dehnbarkeit besitzt. Ist jedoch unter denselben äussern Verhält-
nissen die hintere Bulbuswand bereits so resistent , dass die zum Deut-
lichsehen erforderliche Rückwärtsdrängung derselben nur mit grossem
Kraftaufwande bewirkt und unterhalten werden kann, so werden die Accom-
modationsorgane , besonders die Ciliarmuskel zunächst ermüdet , allmälig
geschwächt, so dass die Accomodation für grössere Nähe immer nur auf
eine kurze , nach und nach immer kürzere Zeit , endlich gar nicht mehr
ausgehalten wird. Ist nun die Kraft des Ciliarmuskels vermindert, so ver-
mag er das Diaphragma zwischen Glaskörper und Kammerwasser nicht mehr
in der gehörigen Spannung zu erhalten, steht somit bei forcirtem Accom-
modationsbestreben das Kammerwasser unter höherem Drucke, und nimmt
allmälig ab, Linse und Iris bekommen eine weiter nach vorn gerückte Lage,
und die Accommodation für grosse Nähe wird in demselben Grade weni-
ger lang ausgehalten. Die Abnahme des Kammerwassers ist demnach
nicht Ursache der Weitsichtigkeit, sie ist nur Folge der verminderten
Energie des Ciliarmuskels. Daher kann Weitsichtigkeit, wenigstens tem-
porär, uud in geringerem Grade auch eine Zeit lang anhaltend ohne Ver-
engerung der vorderen Augenkammer bestehen. — Hiemit haben wir auch
die merkwürdige Thatsache begreifen gelernt, auf welche Sichel zuerst
aufmerksam gemacht hat, dass nämlich Knaben, welche bereits im 14. oder
15. Lebensjahre stehen, und früher sich wenig mit anhaltendem Nahe-
sehen beschäftigten, wie namentlich Knaben vom Lande, selten kurz-, son-
dern meistens weitsichtig werden, und an den Erscheinungen der Amblyopie
presbyticrae (Kopiopie) zu leiden anfangen, wenn sie plötzlich zu anhalten-
dem Betrachten naher und feiner Objecte als Lehrlinge, z. B. bei Uhrmachern,
Goldarbeitern, Graveuren u. dgl. angehalten werden, während Knaben aus
der Stadt und überhaupt solche, die schon früher sich vorwaltend mit Nahe-
sehen beschäftigten, eher der Kurzsichtigkeit verfallen. Betrachten wir
Arlt's Augenheilkunde 111,2. 17
258 Augenmuskeln.
die Sclera jugendlicher Individuen, so finden wir, dass sie nahezu bis zum
Eintritte der Pubertät ein mehr bläuliches Aussehen hat, weil sie noch
dünn und daher durchscheinend ist; später wird sie im Allgemeinen mehr
weiss , also wohl auch dichter und resistenter. — Wie es kommt , dass
anhaltendes, durch längere Zeit häufig wiederkehrendes Weinen die Accom-
modationskraft temporär oder bleibend schwächt, weiss ich nicht. Thatsache
ist, dass man nach dieser Ursache oft bei noch sehr jugendlichen Individuen
die Augenkammer auffallend eng findet. Wahrscheinlich ist es die schwächende
Kraft, welche die gedrückte Gemüthsstimmung auf die muskulösen Gebilde,
insbesondere auf den Ciliarmuskel ausübt. Ist diess richtig , dann reiht
sich diese Ursache in ihrer Wirkungsweise an andere ähnliche Momente
an, schwere Krankheiten (Typhus, Scharlach etc.), erschöpfende Diarrhöen,
reichlichen Blutverlust, Ausschweifungen, Onanie, anhaltendes Nachtwachen
(auch ohne Anstrengung der Sehkraft).
Die Entwicklung der Weitsichtigkeit ist meistens eine langsame, stu-
fenweise fortschreitende, es müssten denn besondere Ursachen heftig ein-
wirken, und in solchen Fällen kann man wohl meistens — nach Besei-
tigung dieser Ursachen — wieder alltnälige Erstarkung der Accomoda-
tionskraft bis zu einem gewissen Grade erwarten , es müsse denn das
Individuum schon sehr gealtert sein. Eine merkwürdige, bisher noch nicht
erklärte, vielleicht weil zu selten vorkommende Erscheinung ist die, dass
bisweilen Personen im hohen Greisenalter die Convexgläser zum Lesen,
Schreiben u. dgl. nicht mehr bedürfen, die ihnen durch viele Jahre hin-
durch dazu unentbehrlich gewesen waren. Sollte etwa Verflüssigung des
Glaskörpers oder vermehrte Dichtigkeit der Linse bei ungestörter Durch-
sichtigkeit hievon die Ursache sein? Ich kenne diese Thatsache Mos aus
einigen verlässlichen Erzählungen ; sie ist übrigens auch schon von Makenzie
I. c. S. 707 bemerkt worden. — An und für sich bereitet die Weitsichtigkeit
dem Sehvermögen keine Gefahr; sie kann aber bei unzweekmäsigem Ge-
bahren, namentlich durch unzweckmässig gewählte und gebrauchte Convex-
gläser zur Hyperpresbyopie (Übersichtigkeit) gesteigert werden, welche nur
bei beständigem Gebrauche solcher Gläser noch ein leidliches Sehen gestat-
tet, gleichwie sie andrerseits bei forcirter Accommodalion ohne gehörige
Unterstützung indirect zu Hyperästhesie , Hyperämie , Apoplexie und Ent-
zündung der Netzhaut Veranlassung gibt. Mehr hierüber bei der Kopiopie.
Hyperpresbyopie ist jener Refractjonszuständ des Auges, bei welchem weder diver-
gent, noch parallel , sondern bloss convergent zum Auge gelangende Strahlen eines
lichtsendenden Punktes auf der Netzhaut in einem Punkte derselben vereinig! werden
können, daher das Sehen nur durch Vorhallen eonvexer Glaser vermittelt werden kann,
Weitwichtigkeit — Übersichtigkett — Convexbrillen. 259
welche so stark sind, dass sie auch die divergent auffallenden Sirahlen in eonvergenlc
verwandeln. In diesem Zustande befinden sich bekanntlich alle Augen, denen die Kry-
stalllinse fehlt, und zwar, falls nicht früher bedeutende Kurzsichtigkeil bestanden hatte,
in sehr hohem Grade. Niedrigere Grade, wo z. B. für gewöhnliche Verrichtungen, auf
der Gasse u. dgl. massig starke (10 — 30"), zum Lesen dieselben oder stärkere Gläser
(bis zu 6") getragen werden müssen, trifft man mitunter bei älteren Personen, welche
sich nach und nach an immer stärkere Gläser gewöhnt haben. Seltener kommen Hyper-
presbyopische jugendlichen Alters vor; hier ist der Fehler wohl meistens als angeboren
zu betrachten; er zeigt sich wenigstens schon zur Zeit, wo die Kinder zu lernen anfan-
gen sollen. Er kann leicht mit Stumpfheit der Netzhaut verwechselt werden. Versuche
mit engen Diopteröffnungen können A'ifschluss geben. Mit dem Augenspiegel ist die
Untersuchung im aufrechten Bilde schon bei 5 — 6" Distanz möglich. Zu empfehlen ist
das Tragen convexer Brillen, deren Stärke durch Versuche ermittelt werden muss.
Hyperpresbyopische halten gleich jenen, die an Amblyopie oder Stumpfheit der Netz-
haut leiden, die Objecte, die sie besser sehen wollen, nicht wie man nach dem Refra-
ctionszustande erwarten sollte, weiter, sondern näher, gleich sehr Kurzsichtigen, und
kneifen die Lider dabei stark zusammen. Für sie gibt es überhaupt keine Distanz, in der
sie deutlich sehen könnten; immer sehen sie nur mittelst Zerstreuungskreisen. Demnach
gibt nebst der Lichtmenge, welche das jeweilige Sehobject ins Auge senden kann, mit-
hin dessen Annäherung und die relativ geringste Grösse der Zerstreuungskreise, den
Ausschlag für die Haltung der Objecte, zumal die Accommodation nicht fehlt. Ihre
Netzhaut liegt vor der Brennweite des dioptr. Apparates.
Nach A. von Gräfe (Archiv IL B. 1. Abth. S. 181) kann man durch Vorhalten eines
starken Concavglases (5 — 6") vor ein gesundes Auge den Zustand der Hyperpresbyopie
studiren. „Nimmt man eine grössere Druckschrift recht nahe an das so bewaffnete Auge,
so kann man dieselbe entziffern, freilich der mangelnden Übung wegen nicht so gut als
Hyperpresbyopische; entfernt man sie aber über 8, 12, 16 Zoll, so breiten sich die Zer-
streuungskreise der einzelnen Buchstaben über die Intervalle aus, und die Schrift läuft
undeutlich durch einander. Wir überzeugen uns hiebei, dass die relative Grösse der Zer-
streuungskreise zu dem Bilde wächst, wenn das Object über die genannte Gränze ent-
fernt wird, ein Resultat, das auch a priori voraus zu sehen war. Jeder Punkt der Aussenwelt
gibt offenbar, je näher er bei einem Hyperpresbyopischen ans Auge gebracht wird, auch
einen desto grösseren Zerstreuungskreis. Aber diese Vergrösserung der Kreise geschieht
nicht in dem umgekehrten Verhältnisse der Quadrate der Entfernungen, d. h. in dem
Verhältnisse, in welchem die Flächenausdehnung der Bilder auf der Netzhaut steigt, son-
dern in einem langsameren Verhältnisse." Bei sehr grosser Annäherung (4 — 5") des
Sehobjectes (Druckschrift) sind also die Zerstreuungskreise relativ zu den stark erleuch-
teten Centris der Netzhautbilder nicht so gross, wie bei geringer Annäherung (z. B. 8 — 10").
Von Heilung der Weitsichtigkeit kann keine Rede sein , sobald sie
ausschliesslich oder vorwaltend Folge der Senescenz ist. Von der Be-
handlung der anderweitig bedingten , welche meistens noch als Kopiopie
zur Beobachtung kommt, wollen wir weiter unten sprechen. Nebst ratio-
nellem Gebrauche der Augen sind Convexgiäser alles, was wir dem Pres-
byopischen empfehlen können. Convexgiäser sollen das Auge beim Lesen,
Schreiben u. dgl. unterstützen, ohne es aller aecommodativen Thätigkeit
17*
260 Augenmuskeln.
zu überheben, wenn solche noch vorhanden ist. Sie wirken dadurch, dass
sie die von relativ zu nahen Objectpunkten ausfahrenden, mithin relativ zu
divergent zum Auge gelangenden Lichtstrahlen minder divergent machen,
oder, was die Sache allgemeiner bezeichnet, in Combination mit der Sam-
mellinie des Auges dessen Brennweite verkürzen, dabei mehr Licht von
jedem einzelnen leuchtenden Punkte ins Auge gelangen und die Objecte
vergrössert erscheinen lassen, sobald diese etwas weiter entfernt liegen,
als die Focaldistanz dieser Combination eigentlich gestattet. Sie schrän-
ken demnach die accommodative Thätigkeit des Auges um so mehr ein,
je weniger sie dieselbe nöthig machen , d. h. je mehr sie die Focaldistanz
verkürzen (den Nahepunkt an das Auge heranrücken), und können der
Sehkraft einerseits durch Zuführung von relativ zu viel Licht und Über-
reizung der Netzhaut, andererseits aber auch dadurch nachtheilig werden,
dass das Auge die Fähigkeit verlernt, in weite Ferne deutlich zu sehen
(Objecte unter kleinem Sehwinkel und relativ matter Beleuchtung zu er-
kennen , und von Zersreuungskreisen zu abstrahiren). Alle diese nach-
theiligen Nebenwirkungen werden durch gehörig gewählte Brillen bei
rationellem Gebrauche der Augen vermieden.
Um dem Fernsichtigen eine angemessene Brille zu wählen, muss man
die Grenze kennen", bis zu welcher heran er noch deutlich sieht, und die
Distanz , in welcher er seine Arbeilen verrichten will oder muss. Bei
12 Zoll Abstand des Nahepunktes vom Auge ist eine schwächere Brille
ausreichend, als bei 16 oder 20 Zoll.v Wer schreiben oder lesen will,
was recht gut bei 10 — 12 Zoll geschehen kann, braucht eine schwächere
Brille, als wer mit Objecten arbeitet , die wegen grosser Feinheit oder
wegen mechanischer Verhältnisse mindestens auf 8 Zoll genähert werden
müssen. Den Nahepunkt bestimmt man am bequemsten und im Allge-
meinen auch mit hinreichender Sicherheit durch Leseproben mit mittlerem
oder etwas grösserem Drucke. Die Brennweite (Nummer) des zu wählen-
den Glases wird auf dieselbe Weise wie bei Kurzsichtigen berechnet. Ein
Witsichtiger, der nur bei 14", nicht aber bei 13" lesen kann, braucht demnach,
14.10 140
um bei 10" lesen zu können, Nr. 36, weil -r-. — 77— = — -. — — 35*)
' 14 — 10 4 J
'■) Für Weitsichtige führt Plössl in Wien folgende Nummern: 80, 60, 48, 40, 36, 33, 30, 27, 24, 22, 20, 18, 17,
16, u. s. w. bis 7, von da immer zu Vj Zoll bis Vj2, dann zu '/,, Zoll bis 2, welche letzteren Reihen jedoch
nur bei Hyperpresbyopiseheu, namentlich bei Staaroperirten in Anwendung kommen.
Die Brennweite eines convexen Glases lasst sich bis zu der hier erforderlichen Genauigkeit leicht ermitteln,
wenn man in einem Zimmer mit einem einzigen Fenster, welchem einerseits der freie Himmel, andererseits eine
weisse glatte Wand (Fläche) mindestens 20 Fuss gegenübersteht, das fragliche Glas in allmiilig steigender Ent-
fernung senkrecht vor iliese Wand hält, und die Distanz mit dem Zollstabe miss», bei welcher das auf dir Wand
entworfene Fensterbild in den schärfsten Umrissen erscheint, nichtig geschliffene, aus reinem Glas bestehende
Weitsichtigkeit — Convexb rillen. 261
Bei Weitsichtigen ist die Rücksicht auf die Beleuchtung; und Grösse der
Objeete bei den Sehproben noch viel wichtiger, als bei Kurzsichtigen. Bei
matter Beleuchtung und bei zu feinein oder blassem Drucke wird der
Nahepunkt leicht zu fern angenommen , ebenso wenn der Brillencandidat
sich einige Stunden oder Tage vorher sehr angestrengt hat , durch depri-
mirende Einflüsse herabgestimmt oder geschwächt ist. Die Folge der
Nichtbeachtung dieser Umstände ist die Wahl eines mehr als nothwendig
starken Glases. Andrerseits kann aber auch eine Brille, welche zur Ar-
beit bei Tageslicht eben hinreicht , zur Arbeit bei künstlichem Lichte zu
schwach sein. Man hat daher Tag- und Nachtbrillen , jene schwächer,
diese stärker gegeben. Ich bin von diesem theoretisch gerechtfertigt
scheinenden Usus seit langem abgegangen, ausser in jenen seltenen Fäl-
len, wo so zu sagen gar kein Accommodationsvermögen mehr besteht.
Wenn der Brillenträger für eine helle Flamme sorgt und sich den Ob-
jecten weniger nähert, kann er auch bei künstlicher Beleuchtung mit dem-
selben Glase auskommen, wie bei Tage. Leute, welche Nachts mit einer
stärkern Brille arbeiten , müssen sich derselben in kurzer Zeit auch
bei Tage bedienen , während sie — nach Beobachtung an andern zu
schliessen , — mit der schwächern Tagesbrille jahrelang ausgekommen
sein würden, wenn sie sich immer nur einer und derselben Brille bedient
hätten. Ein anderer Umstand, welcher in kurzer Zeit den Gebrauch stär-
kerer Brillen nothwendig machen kann, ohne dass eine oder die andere
der obgenannten Veranlassungen zur Weitsichtigkeit eingewirkt hat, liegt
darin , dass diejenigen , welche ihrem Auge die Unterstützung durch eine
Brille zu lange versagt haben, die Gewohnheit, die Objeete in grösserer
Entfernung zu halten, nachher beim Brillengebrauche nicht wieder ablegen,
somit die aecommodative Thätigkeit gar nicht oder viel zu wenig in An-
spruch nehmen. Wrir haben aber bereits früher auf das allgemeine Gesetz
hingedeutet , dass muskulöse Organe durch Unthätigkeit oder zu geringe
und gut polirte Gläser geben, wenn sie nicht zu klein sind, auch in den niedrigeren Nummern (von 36—60)
noch hinreichend deutliche Bilder, wenigstens an hellen Tagen; doch lassen sich bei diesen Nummern einige
Zoll Abweichungen von der Brennweite nicht erkennen, und man muss sich begnügen, zu bestimmen, ob die
Brennweite z. B. näher an 60 oder näher an 48 liegt. Da das Fenster nicht paralleles, sondern noch divergi-
rendes Licht zum Glase sendet, so gibt der Abstand desselben von der Wand natürlich auch dann nicht genau
die Brennweite , wenn das Bild in den schärfsten Umrissen erscheint. Will man diesen Fehler vermeiden, so
nehme man sich die verschiedenen Nummern von einem verlässlichen Optiker und einen Stab yon 60 Zoll Länge,
den man wagrecht (also senkrecht auf die Wand) gerade der Mitte des Fensters gegenüber hält, nehme nun ein
Glas nach dem andern und notire an dem Stabe die Distanz, bei welcher Nr. 10, 12, 15, 20 u. s. w. das
schärfste Bild zeigt. Durch wiederholte Versuche kann man sich einen ziemlich genauen Massstab verfertigen. —
Die Prüfung der Convexgläser mittelst direct auffallenden Sonnenlichtes (Strahlen) ist nicht leichter, dagegen
nothwendig, wenn sich's um die Entfernung der Centrirung handelt ; nur bei regelmässig geschliffenen und gut
centrirten Gläsern erscheint die lichte Scheibe (in der Focaldistanz) vollkommen rund (auf einem normal stehen-
den Schirme), scharf begrenzt und in der Mille des dunklen Hofes.
262 Augenmuskeln.
Übung ebenso geschwächt werden , wie übermässige Anstrengung ihre
Kräfte erschöpft, hingegen massige, adäquate Thätigkeit , unterstützt durch
Abwechslung und Ruhe, dieselben stärkt oder doch in ihrer Kraft erhält.
Rücksichtlich der Form, Fassung. Stellung etc. gelten für die Con-
vexgläser im Ganzen dieselben Vorschriften, wie bei den Concavbrillen.
Die concav-convexen (periskopischen) verdienen hier unbedingt den Vor-
zug vor den plan- oder doppelt-convexen. Ebenso sollten diese Gläser
stets kreisrund, oder, wenn ja oval,, mindestens so gross sein, dass sie
unten völlig oder nahezu an die Wange anliegen , damit bei abwärts ge-
wendetem Blicke die Sehaxe durch das Centrum gehen könne. Desshalb
muss auch der Steg über die Nase stark gebogen sein, und zwar bei sehr
hoher Nasenwurzel nicht blos mit aufwärts, sondern zugleich auch mit
vorwärts gerichteter Convexität, weil sonst die Gläser zu weit von den
Augen entfernt stehen würden. Der Abstand der Pupillen von einander,
nach welchem sich der Abstand der Mittelpunkte der Gläser richtet . ist
nicht beim Blick in die Ferne, sondern beim Blicke auf 10 — 12 Zoll Di-
stanz zu messen. Die Bügel müssen so schliessen, dass die Gläser immer
in gleichem Abtande vor den Augen erhalten werden; je weiter sich das
Glas vom Auge entfernt , desto stärker wirkt es. Für Weitsichtige sind
Lorgnetten und die leider wieder in Aufnahme gekommenen Nasenzwicker
durchaus verwerflich, denn beim Lesen , Schreiben u. dgl. ist eine regel-
rechte und stets gleichmässige Stellung der Gläser vor den Augen von
ungleich wirksamerem Einflüsse , nls beim Betrachten entfernter Objecte
durch Concavgläser.
Augenmattigkeit, Kopiopie, Languor oeuli.*)
Dieser Zustand äussert sich zunächst durch den Mangel an Ausdauer,
vorzeitige Ermüdung der Augen beim Betrachten naher Gegenstände. Das
Auge, welches übrigens vollkommen gesund sein kann , in die Ferne gut
oder doch leidlich gut sieht, und die Accommodationsfähigkeit noch in
mehr weniger hohem Grade besitzt , hält blos die Accommodation für
nahe und feine Objecte nicht lange genug aus , und zwar wegen ver-
minderter, unzureichender Energie der Accommodationsorgane : diese kön-
nen die zum Naheschen nöthige Spannung nicht hinreichend lange auf
der gehörigen Höhe erhalten ; das Auge muss einige Zeit ausruhen , um
•) Von früheren Auetoren Amblyopie ex abusu visus (Beer), von spätem Hebetudo visus (Jungken, Böhm) genannt,
nach Sichel Amblyopie prcsbylifjuc , nach Vclrequin Kopiopie (von y-07TC(XO) ich ermüde, lasse nach), nach
Makenzie Asthenopie. Das Übel ist zunächst nicht ein Leiden der Netzhaut, sollte daher auch nicht Amblyopie
genannt werden. Das Gesicht kann dabei vollkommen scharf sein, dalier auch nicht stumpf (hebes) genannt
werden, was doch visus vel audilus hebes bei den Classikern bedeutet.
Aiigenmattigkcit — Ätiologie. 263
wieder zu Kräften zu kommen , oder es muss durch Convcxgläser der
Mühe überhüben werden , sich für die relativ zu grosse Nähe zu accom-
modiren.
Die Kopiopie gibt sich dem Kranken gewöhnlich durch das Gefühl
von Spannung oder Druck in oder über den Augen kund , anfangs nur
nach tagelanger Anstrengung, bei Professionisten, Schustern, Schneidern
u. dgl. die letzten Tage der Woche, später schon jeden Abend, wenn
viel bei künstlichem Lichte gearbeitet werden muss, endlich auch selbst
schon unter Tags, nach einigen Stunden, und beim höchsten Grade des
Übels ist das Auge zu jeder Arbeit unfähig. Seltener und nur nach den
bei der Ätiologie der Weitsichtigkeit angeführten deprimirenden Einflüssen,
wird der Verlust der Accommodationsenergie gleichsam plötzlich in mehr
weniger hohem Grade entwickelt bemerkt. Besteht die Kopiopie ohne
eigentliche Stumpfheit der Sehkraft und in sonst gesunden Augen, so er-
kennt das Auge die Gegenstände anfangs der Arbeit recht gut, und wenn
nicht bereits ein höherer Grad von Presbyopie eingetreten ist, auch in
der gewohnten Entfernung. Zunächst sucht sich der Kranke durch stär-
kere Beleuchtung und durch Wegrückung der Objecte über die gewohnte
Distanz zu helfen; allein über kurz oder lang stellt sich das Gefühl von
Ermüdung, Abspannung, Druck in den Augenhöhlen ein, der Blick wird
unsicher, allmälig getrübt. Mnn meint, man müsse etwas vom Auge weg-
wischen, und in der That, die hiezu nöthige Pause reicht anfangs hin, das
Auge wieder für einige Zeit zur Arbeit tauglich zu machen. Bei fortge-
setzter Anstrengung, besonders bei reizbarem Nervensysteme, gesellt sich
alsbald ein bedeutender , zusammenziehender Schmerz über den Augen-
brauen dazu , die Augen fangen an öfter zu übergehen , zu thränen und
zu zittern , gleich dem ausgetreckten Arme, der eine relativ zu schwere
Last halten soll. Das Zittern nimmt der Kranke nicht als solches wahr,
sondern als Hin- und Herschwanken oder Durcheinanderschwirren der
Buchstaben, Noten u. dgl. Endlich erscheinen die Gegenstände farbig ein-
gesäumt, doppelt, theilweise verwischt oder wie in Nebel eingehüllt. Bei
fortgesetzter Anstrengung können auch Schwindel , Brechneigung , Er-
brechen auftreten. Mückensehen in verschiedener Form begleitet sehr
häufig auch diesen Zustand, wie überhaupt alle Abnormitäten des Refraclions-
zustandes und ungenügende Accommodation. In die Ferne sehen solche
Kranke nach wie vor, und im Freien fühlen sie überhaupt von ihrem Leiden
nichts. (Ist Ungleichheit der Sehkraft, z. B. wegen leichter Hornhautrübung
des einen Auges, die Ursache der Kopiopie, so treten die genannten Zu-
fälle nur in dem bessern, zum Naheselien benützten Auge auf.)
264 Augenmuskeln.
Der Blick solcher Augen ist matt (langitfdus), des gewöhnlichen Gra-
des von Glanz und Feuer mehr weniger verlustig. Sind die Augen durch
Arbeit überreizt, so erscheinen die Lider an den Rändern leicht geröthel,
wohl auch etwas angelaufen, die Episcleralgefässe stärker injicirt ; sie sind
gegen grelles, namentlich reflectirtes Licht, gegen raschen Wechsel
zwischen Licht und Schatten , gegen kalte Luft, Tabakrauch u. dgl. ab-
norm empfindlich, und thränen leicht, wogegen sie des Morgens beim Er-
wachen wie ausgetrocknet erscheinen, so dass die Lider, obwohl nicht
verklebt, nur mühsam und unter Schmrez geöffnet werden können. Diese
Zufälle deuten mehr weniger schon auf Hinzutreten von Reizung und Hy-
perämie der Netzhaut. — Rücksichtlich der Lage der Iris und Linse ver-
halten sich solche Augen meistens so wie weitsichtige, auch in jenen Fäl-
len, wo sie noch im Stande sind, selbst bei 5 Zoll Distanz feine Objecte
deutlich zu erkennen. Die Pupille ist im Allgemeinen enger, auch wenn
noch keine Zeichen von Netzhautreizung vorhanden sind.
Häufig kommt dieser Zustand bei Leuten vor, bei denen sich Pres-
byopie wegen Senescenz entwickelt ; er erreicht indess hier nicht so ott
einen hohen Grad, weil solche Leute bald darauf kommen, dass sie ihre
Augen zur Arbeit durch Brillen unterstützen müssen, und weil bei höheren
Graden von Weitsichtigkeit sich das Lesen, Schreiben u. dgl. ohne Brillen
von selbst verbietet. Wenn jedoch die Senescenz etwas früher eintritt,
wenn man den Gebrauch der Brillen aus Eitelkeit verschmäht oder aus
dem sonderbaren Grunde, weil man dieselben dann nie wieder werde ab-
legen können, oder wenn relativ zu schwache Brillen gewählt wurden, so
geschieht wohl auch hier dasselbe, was sonst nur dann der Fall ist, wenn
jüngere Leute davon befallen werden. Die Ursachen sind dieselben, welche
wir bei der Presbyopia praematura angegeben haben, übermässige Anstren-
gung, deprimirende Einflüsse , Weinen , Nachtwachen u. s. w. Nebstdem
aber gibt Ungleichheit der Sehkraft beider Augen häufig Veranlassung
zu diesem Zustande. Vergl. Hornhauttrübung I. B. S. 261 und Amblyopie
III. B. S. 103. — Bei Kurzsichtigen können wohl in Folge übrrmässiger
Anstrengung die Zufälle von Überreizung und Hyperämie (selbst Apoplexie
und Entzündung) der Netzhaut auftreten ; von einem Nachlassen der Ac-
commodationskrafl, von einem Zurückgehen auf grössere Entfernung beim
Arbeiten habe ich nie etwas gehört, noch beobachtet. Bei Schielenden
wird die Accommodation für feinere Objecte sehr häufig nicht lange ab-
gehalten ; doch waltet hier nicht einfache Schwäche der Accommodations-
organe ob, sondern müssen noch andere (später erörterte) Momente mit
in Anschlag gebracht werden.
Aiigeiuuattigkeit — Prognosis — Therapie. 265
Die Prognosis ist im Allgemeinen günstig zu stellen, was die Erhal-
tung der Sehkraft betrifft, unter Umständen auch günstig rücksichtlich der
völligen Wiederherstellung des normalen Zustandes. Die Heilung ist müh-
sam, erfordert von Seite des Kranken viel Ausdauer. Gefährlich wird der
Zustand nur durch das seeundäre Netzhautleiden. Bei Weitsichtigkeit wegen
Senescenz lassen sich die Zufälle durch passende Convexgläser und eine
vernünftige Augendiätetik beseitigen. Bei einfacher Kopiopie jugendlicher
Individuen in Folge übermässiger Anstrengung der Augen oder deprimi-
render Einflüsse lässt sich an völlige Behebung denken, sobald — was
freilich oft unmöglich — den Augen und dem Körper die nöthige Buhe
und Erholung verschafft werden kann. Bei Kopiopie wegen Ungleichheit
der Sehkraft fragt sich's nebstdem , ob diese beseitigt werden kann ; wo
nicht, so kann meistens nur von Besserung oder temporärer Beseitigung
der Zufälle die Rede sein.
Die Behandlung erfordert zunächst Eruirung und gehörige Würdigung
der ätiologischen Momente. Bald ist die übermässige Anstrengung , bald
die Senescenz, Depression der Körperkräfte, oder Ungleichheit der Seh-
kraft der vorwaltende Factor. In allen Fällen besteht demnach die erste
Indication darin, dass dem Auge durch Wochen — Monate Ruhe und Fr-
holung gestattet werde. Dieser Indication wird bald schon durch Ein-
schränkung, bald auch nur durch gänzliche Enthaltung vom Lesen, Schrei-
ben u. dgl. genügt werden können. Ein vortreffliches Mittel, solche Augen
trotz Beschäftigung nicht anzutsrengen, bieten Convexgläser, nur müssen
sie, wenn sich das Auge noch aecommodiren kann , schwach sein. Zu
diesem Behufe ist es wünschenswerth, Gläser von 100, 90, 80, 75, 70,
65 u. s. w. bis 40 zu besitzen, um auch den geringsten Abstufungen der
Accommodationskraft gebührend Rechnung tragen zu können. Wird das
Auge eben hinreichend, aber auch nicht mehr, unterstützt, dann kann
massige, lieber öfter als länger vorgenommmene Übung sogar wohlthätig
auf die geschwächten Accommodationsorgane einwirken, gleichwie der
Reconvalescent von einer schweren Krankheit seine Muskelkräfte durch
massige, nicht zu einförmige und nie bis zur Ermüdung fortgesetzte Übung
stärkt, durch Unthätigkeit hingegen ebenso wie durch forcirte Anstren-
gung schwächt. Besonders wohlthätig sind die meines Wissens zuerst
von Böhm empfohlenen blassblauen schwachen Convexgläser , besonders
in jenen Fällen , wo sich bereits ein mehr weniger hoher Grad von Ere-
thismus der Netzhaut dazu gesellt hat. In dem Masse, als die Accom-
modationsorgaae erstarken , geht man von stärkeren zu schwächeren
Nummern über. Am fühlbarsten macht sich der Nutzen entsprechender
266 Augenmuskeln.
Convexgläser bei jenen, welche durch die Verhältnisse gezwungen sind, zu
arbeiten. Man muss aber diejenigen, welche über die Wirkung dieser Unter-
stützung entzückt sind, ausdrücklich ermahnen, sich nicht zu vergessen,
und bei der Arbeit es nie bis zur Ermüdung kommen zu lassen , sondern
gleich jenen, die keine Brillen brauchen, öfter kleine Pausen und Ab-
wechslung im Arbeiten eintreten zu lassen. Auch sollen sie allmälig wie-
der anfangen, zeitweise ohne Brillen zu arbeiten, falls sie dieselben nicht
etwa wegen Presbyopie bleibend bedürfen. Fleissige Bewegung im Freien,
wo möglich Aufenthalt auf dem Lande, in Gebirgsgegenden. Öfteres
Waschen oder Anspritzen der Augen mit frischem Wasser. Augendouche
mittelst besonderer Apparate. Ein sehr einfacher Apparat ist eine Bohre
von Glas oder Blech, an beiden Enden umgebogen, im geraden Mittelstück
etwa 30 — 36 Zoll lang, das eine Ende in eine aufwärts gerichte Spitze
zulaufend, und mit einer Öffnung versehen, welche etwa eine Stricknadel
aufnehmen könnte, das andere Ende schräg abgestuzt und dem Mittel-
stücke parallel abwärts gerichtet, so dass es etwa 6 Zoll tief in ein
Gefäss voll Wasser eingetaucht, das Ganze somit als Heber benützt
werden kann, den man durch Ansaugen der Luft am spitzigen Ende in
Thätiffkeit setzen kann. Will man statt eines etwa strohhalmdicken Strah-
les mehre feine haben (Regendouche) , so verbindet man einen an einer
Wand aufgehängten Wasserbehälter mit einem etwa 4 — 5 Fuss langen
Rohre, welches durchaus oder doch unten biegsam (von Kautschuk, Gutta-
percha) ist, und unten mit einem Hahne (zum Absperren) und einer Brause
versehen ist. Der Wasserstrahl wird an die geschlossenen Lider durch
2 — 5 Minuten, mehrmals des Tages geleitet. Wird die Douche nicht ver-
tragen, oder liegen sonst Gründe dagegen vor, so vsähle man Waschun-
gen mit Wasser und Branntwein (Franzbranntwein oder Cognac mit 4 — 2
Theilen Wasser) oder mit Spir. roris marini , mit Oleum foeniculi aetbe-
reum in Weingeist gelöst *) und mit Wasser verdünnt, oder bestreiche die
Umgebung der Augen mit Himly's Balsamum ophthalmieum,**) mit Cölner
Wasser oder ähnlichen Mitteln. — Die allgemeine Behandlung erfordert
unter Berücksichtigung des ätiologischen Momentes fleissige Bewegung im
Freien, Aufheiterung des Gemülhes (wozu die Prognosis wesentlich bei-
tragen wird), gute Kost , nach Zulass des allgemeinen Befindens und der
sonstigen Verhältnisse Fluss- oder Seebäder, Mineralsäuren, Eisen- oder
Chinapräparate, u. dgl.
*) Der wesentliche Bcslandtlieil des Romer shausen sehen Augenwassers.
•*) Rpe : Biils. peruviani gult. sex, Olei lavendulae, olei caryophyiloram, olei succini rectiffc. ana galt, quatuor Spir.
villi rctilic. unc. ilimidiani. M. el posl sulTic mareral. ultra per gOMyp. D. 5. LllgeDbllsdm.
Augenmattigkcit — Therapie — Beispiele. 267
„Ein verdienstvoller Mann wurde am Ende eines heftigen und langwierigen Nerven-
fiebers von einer solchen Augenschwäche befallen, dass er einige Zeit hindurch in der
schrecklichsten Besorgniss lebte, sein Gesicht völlig zu verlieren ; diese An^st wurde
noch üherdiess durch das Achselzucken der Ärzte und durch die tätliche Abnahme der
Sehkraft mächtig unterstüzt, so dass ich den Leidenden in der traurigsten, mitleidswür-
digsten Stimmung antraf, als ich gerufen wurde. Man rieth ihm Dunkelheit des Zim-
mers, den Dunst des Cülner "Wassers, und ein Augenwasser aus gleichen Theilen Brun-
nenwasser und Weingeist, wobei er sich aber sehr übel befand. Ich empfahl leicht zu
verdauende Nahrungsmittel in massigen, vertheilten Mahlzeiten, ein Gläschen guten Wein,
Bewegung des Körpers in freier, reiner Luft, Übung der Augen in einem ganz gleich-
massig vertheilten hellen Lichte, und endlich besonders öfters flüchtiges Anschauen feiner
Kupferstich- und Mineraliensammlungen, welchen Bath der Leidende auch sehr gern
befolgte, weil er mit seinen Neigungen, vor welchen man ihn doch ernstlich warnte,
übereinstimmte. Der gute Mann unterhielt sich nun mit seinen Freunden täglich über
verschiedene Stücke seiner trefflichen Sammlungen und vergass bald seinen Kummer ;
denn die Gesichtsschwäche, von welcher man schon einen schwarzen Staar prophezei-
hen wollte, verschwand in weniger als 3 Wochen so vollkommen, dass der Wieder-
genesene seine Augen wie vor der Krankheit gebrauchen und anhaltend anstrengen
konnte." (Beer, Pflege gesunder und geschwächter Augen. S. 143.)
Im November 1842 kam ein Fräulein von beiläufig 20 Jahren zu mir, mit der Klage,
dass sie seit einigen Wochen nicht mehr im Stande sei, längere Zeit zu nähen oder zu
lesen, was sie doch bis tief in die N'-tcht hinein zu thun gewohnt gewesen sei; es fange
ihr das rechte Auge an weh zu thun und zu thränen, und bei fortgesetzter Anstrengung
verwirren sich ihr die Gegenstände so durcheinander, dass sie die Arbeit längere Zeit
bei Seite zu legen genöthigt sei ; sie bat um so dringender um Hilfe, da sie mit dem
linken Auge ohnehin wenig sehe, selbst einen '/2 Zoll hohen Druck nur mit Mühe lesen
könne. Wie lange sich das linke Auge in diesem Zustande befinde, wisse sie nicht; sie
habe es vor einigen Wochen beim Schliessen des rechten bemerkt, da ihr die Augen
matt zu werden anfingen. Nachdem der erethisehe Zustand des rechten Auges durch
entsprechende Diät und Behandlung beseitigt war, begann ich die Behandlung des lin-
ken Auges nach Cuniers Vorschlage mit einem coneav-convexen Glase von 3 Zoll Brenn-
weite, durch welches sie deu Titel der Prager Zeitung gut zu lesen vermochte. Da
selbst durch viertelstundenlange Übung keine Beizungssymptome herbeigeführt wurden,
verminderte ich die Brennweite täglich um '/2 Zoll bis zu Nro. 7, dann in grössern
Zwischenräumen um einen ganzen Zoll bis zu Nro. 17, endlich um 3—4 Zoll bis zu
Nro. 27. Den 20. December las sie bereits einen Druck von nicht ganz 1 Linie Höhe,
und zwar ohne Glas und bei 9 — 10 Zoll Distanz. Die Heilung ist dauerhaft ; sie ver-
trägt jetzt (mehrere Jahre später) wieder stundenlang Anstrengung der Augen.
Ein Mädchen von ungefähr 26 Jahren consultirte mich wegen Schwäche des rech-
ten Auges ; mit dem linken, sagte sie, habe sie von Jugend auf nicht gut gesehen. Sie
klagte über Erscheinungen, die ich damals (im Jahre 1840) auf Amblyopia eretisthico-
congestiva hohen Grades bezog, welche aber, wie mir erst im spätem Jahre klar wurde,
zunächst von Asthenopie ausgingen. Sie hatte im 16. Jahre an Bleichsucht gelitten und
bot den sogenannten Habitus leucophlegmaticus dar; die Menstruation war sparsam, die
Leibesöffnung habituell sehr träge. Sie war in der grössten Angst zu erblinden, da die
Mittel, die ihr ein berühmter Augenarzt gerathen (zeitweilig Schröpfköpfe an die Wir-
268 Augenmuskeln.
belsäule, Pillen mit Aloe und Castoreum), nicht die geringste Besserung, erstere sosjar
vorübergehende Verschlimmerung herbeigeführt, und ein zweiter Arzt ihren Verwandten
erklärt hatte, es sei schwarzer Staar zu befürchten. Ich fnnd die linke Hornhaut (in
Folge einer in früher Jugend überstandenen Entzündung) nur ganz wenig getrübt, un-
gefähr so, wie wenn sie mit einer ganz dünnen Lage Milch überzogen wäre. Sie hatte
vor dem Entstehen dieser Gesichtsschwäche (des rechten Auges) viele Nächte hindurch ge-
wacht und vorgelesen — bei einer schwer kranken Mutter — und anhaltend feine
weibliche Arbeiten verfertigt. Ich liess mich bei der Behandlung besonders durch diesen
letztern Umstand bestimmen, ohne genauere Einsicht in die Natur des Übels am rechten
Auge gewinnen zu können, schlug mehrere Curmethoden ein, darunter auch die zu
Marien- und das Jahr darauf zu Carlsbad, und nachdem Pillen mit Sulfas ferri und Aloe
einige Besserung bewirkt zu haben schienen, Franzensbrunnen beim Aufenthalte in einer
amnuthigen Gebirgsgegend. Ich hatte aber der Kranken wohl am meisten dadurch genützt,
dass ich ihr die Furcht vor Erblindung benommen, die sie Tag und Nacht gequält, und
durch eine zweckmässige Augendiätetik. Erst im Verlaufe der Zeit sah ich ein, dass
Enthaltung der Augen von Anstrengung die Hauptsache war. Es sind nun 15 Jahre
verflossen, und die Kranke, mittlerweile auc h in bessere Verhältnisse gesetzt, muss wohl
auf jede längere Anstrengung der Augen verzichten, erfreut sich aber forwährend eines
ungetrübten Gesichtes. — Die vorstehenden beiden Beobachtungen habe ich 1844 in der
Prager Vierteljahrschrift auf S. 60 und 61 des 4. Bandes mitgetheilt. Einige andere,
zum Theil hieher gehörende Beobachtungen folgen in dem Abschnitte über Strabismus.
Als Beispiel plötzlich entstandener Accommodationsparesis mag folgender Fall dienen.
Kohn M., 37 Jahre alt, Buchhalter in einem Handlungshause, consultirte mich am 2. Mai
1854, weil er seit einigen Tagen nicht mehr lesen oder schreiben konnte, obwohl er
bis in die jüngste Zeit den ganzen Tag zu schreiben und bis spät in die Nacht zu lesen
pflegte, und diess auch ohne alle Beschwerde und Anstrengung konnte. — Er hatte vor
5 Tagen seiner Gewohnheit gemäss nach dem Mittagessen sich eine Cigarre angezündet ;
kaum hatte er '/3 davon geraucht, als ihm unwohl wurde, so dass er beinahe vom Stuhle
gefallen wäre. Da er ganz blass und kalt geworden war, hatte man ihn mit kaltem
Wasser bespritzt, und ihm dann Brausepulver verabreicht. Er versichert einige Minuten,
ang gar nichts gesehen und irre geredet zu haben. Nachdem er sich in Zeit von drei
Stunden wieder völlig erholt hatte, ging er auf die Schreibstube, fand aber zu seinem
Schrecken, dass er die eigelaufenen Briefe nicht lesen konnte. Er ging also nach Hanse
und legte sich nieder. Es erfolgten einige diarrhoische Entleerungen bei anhallender Nei-
gung zum Erbrechen und Eingenommenheit des Kopfes, und der Schlaf war unruhig.
Bis zum 4. Tage hatten sich die Zufälle allmälig verloren, mit Ausnahme von Appetit-
losigkeit; er konnte auch wieder etwas lesen, aber nur wenige Minuten und mit Anstren-
gung. Experimente bestätigten, dass er in die Ferne, so wie früher, ganz gut sah, und dass
sich die Störung des Gesichtes bloss auf das Erkennen und Betrachten naher Objechte
bezog. Er las Druck von 1'" Höhe bei 12 — 15 Zoll, doch nur ganz kurze Zeit, und je
näher desto schlechter; convex 60 und noch mehr 48 erleichterten das Lesen und ge-
statteten Annäherung bis auf 8 Zoll, Objectiv boten die Augen nichts Abnormes dar
als matten Blick, starke Wölbung der im Ganzen weit vorn liegenden Iris und Einheit
der Pupillen. Wurde ein Finger bis auf 3" genähert, so stellten sich beide Bulbi
gehörig einwärts und konnten auch eine geraume Zeit lang in dieser Stellung erhalten
werden. Wurde ihm convex 9 vorgehalten, so musste er die Schrift bis auf mindestens
Lähmung im Allgemeinen. 269
7" nähern, um sie noch lesen zu können. Durch eine etwa '/,/" grosse Kartenblatt-
Öffnung las er mit jedem Atiiie zwischen 5 und 12" auch den feinsten Druck. — Ich
Hess den Mann bloss viel in's Freie gehen, diät leben und nichts arbeiten. Nach 8 Ta-
gen konnte er wieder wie früher lesen und schreiben. Sein Nahepunkt lag jetzt 6" vor
den Augen.
Augenmuskellähmung, Paresis et Paralysis niuscul. bulbi.
Die hieher gehörenden Zustände wurden in früherer Zeit, je nachdem
man die eine oder die andere hervorstechende Erscheinung vorzüglich in's
Auge fasste, bald als Luscitas (Schiefstehen des Auges) oder Strabismus
usciosus (unbewegliches Schielen), bald als Dipliopia (binoculares Dop-
peltsehen), wohl auch einfach als Strabismus (bewegliches oder concomi-
tirendes Schielen, z. B. die Trochlearislähmung) aufgefasst und beschrie-
ben. Wir können hier diese generellen, auf viele unter sich ganz ver-
schiedene Zustände anwendbaren Namen nur in so fern zulassen, als sie
sich bloss auf verminderte oder aufgehobene Contractionsfähigkeit (Inner-
vation) der Muskeln des Bulbus beziehen. Von jener Diplopie oder Unbe-
weglichkeit des Bulbus , welche z. B. auf Anwachsung desselben an ein
Augenlid u. dgl. beruht, kann demnach hier eben so wenig die Rede sein,
als von der durch Verdrängung des Bulbus aus seiner Lage (z. B. durch
Geschwülste in der Orbita) bedingten.
Die Lähmung tritt in sehr verschiedenen Graden auf, für welche die
Ausdrücke Paresis und Paralysis nur annäherungsweise genügen. Die Ab-
stufungen von der leichtesten noch wahrnehmbaren Insufficienz bis zur
completen Aufhebung der Function eines Muskels sind so zu sagen un-
endlich. Auch rücksichtlich der Zahl der ergriffenen Muskeln kommen
mannigfaltige Combinationen vor. Die einfachsten Fälle sind die, wo bloss
einer der Recti gelähmt ist, doch kommt dies gewöhnlich nur beim R.
externus vor; complicirter sind schon die Fälle, wo die vom N. oculo-
motorius versehenen Recti sammt dem Obl. inferior gelähmt erscheinen ;
grosse diagnostische Schwierigkeiten bietet die Lähmung des Obl. superior
dar,' zumal wenn sie noch mit Lähmung irgend eines andern Muskels, z. B-
des R. externus zugleich vorkommt, und am schwierigsten sind jene Fälle»
wo an beiden Augen zugleich Lähmung einzelner, ungleichnamiger Mus-
keln vorkommt. Die richtige Auffassung solcher Fälle , sie mögen nun
einfach oder combinirt sein, wird übrigens häufig, zumal nach längerem
Bestände, noch dadurch erschwert, dass mannigfache Reflexwirkungen und
secundäre Contracturen in andern Muskeln auftreten. So leicht es dem-
nach in einzelnen Eällen ist, die Lähmungeines oder mehrerer Muskeln zu
erkennen, so schwierig ist in andern schon die Bestimmung, ob Muskel-
270 Augenmuskeln.
lähmung überhaupt , an welchem Auge , in welchen Muskeln und in wie
hohem Grade vorhanden sei, an welche sich dann erst die im Allgemeinen
noch viel schwierigere Eruirung des ursächlichen Momentes anreihen kann.
Die eminenten Erscheinungen der Muskellähmung sind im Allgemeinen :
gehinderte Beweglichkeit des Bulbus nach einer oder der andern Richtung,
bald mit bald ohne Abnormität in der Stellung desselben, und Doppeltsehen
beim Gebrauche beider Augen, woran sich noch Schwindel, unsichere Orien-
tirung, ungenügende Accommodation und Sensibilitätsslörungen anreihen.
Abnormitäten in der Stellung und Beweglichkeit des Bulbus, an wel-
chem ein oder mehrere Muskeln insufficient sind, geben sich überhaupt nur
bei Affeetation der Recti, und auch da nur bei höheren Graden und bei ge-
wissen Richtungen der Sehachsen kund, da nämlich, wo die einfache oder
die erhöhte Mitwirkung des betroffenen Muskels in Anspruch genommen
wird. „Um die ausbleibende Wirkung eines Augenmuskels kenntlich zu
machen, müssen wir das Auge derjenigen Stellung zuführen, in welcher
die Zusammenziehung des afficirten Muskels beansprucht wird." Dieser
Ausspruch A. von Gräfe s enthält den leitenden Grundsatz, von dem man
bei Beui'theilung sowohl der Stellung der Cornea als des Auftretens der
Doppelbilder auszugehen hat.
Das Gefühl von Schwindel fehlt bei frischen Fällen von Muskelläh-
mung selten, und zwar nicht nur 'beim monoculären Sehen (mit dein affi-
cirten Auge) , sondern auch beim binoculären. Der Kranke hat auf dem
betroffenen Auge die feste Haltung und die richtige Orientirung im Seh-
felde mehr weniger verloren ; er irrt sich im Urtheile in Bezug auf die
Lage (rechts, links, oben, unten) oder Richtung (grad oder schräg), mitunter
auch in Bezug auf die Entfernung und auf die Grösse der Objecte. Man
kann das eine durch Vorhalten eines Prisma, das andere durch Vorhalten
eines coneaven oder convexen Glases leicht an sich nachmachen. — In
manchen Fällen von Muskellähmung findet man die Sensibilität der Haut
in der Umgebung des Auges oder auch an der Hornhaut verminder.t, je-
doch, wie es scheint, nicht als Effect oder Symptom, sondern vielmehr
als Coexistenz. In andern leidet consecutiv die Sensibilität der Netzhaut,
und es muss, da diese auch aus andern Ursachen gesunken sein kann,
jederzeit das gegenseitige Verhalten erst eruirt und constatirt werden.
Unter den Zufällen, durch welche sich die Verminderung oder Auf-
hebung der Function eines Augenmuskels kundgibt, nimmt das Doppelt-
sehen beim binoculären Sehacte die erste Stelle ein. Der von Paresis
oder Paralysis eines (mehrerer) Augenmuskels Befallene bemerkt zu seinem
Schrecken, dass er beim Gebrauche beider Augen doppelt, beim Verschluss
Lähmung im Allgemeinen — Diplopie. 27i
des einen oder fies andern Auges einfach sieht. Er bemerkt diess bald
unter allen Umständen, bald nur beim Anblick entfernter und heller, bald
nur beim Betrachten naher Objecto, ein andermal nur, wenn die Objecto
des directen Sehens sich rechts oder links von der vorticalen Merid ian-
ebene des Kopfes, oder aber nur wenn sie sich unter oder über der Hori-
zontalen befinden (z. B. beim Stiegensteigen1, beim Blick auf die Zimmer-
decke, eine Thurmspitze). In Fällen geringer Affection tritt die Diplopie
beim gewöhnlichen Sehen bisweilen nicht als solche deutlich auf, indem
sich die Doppelbilder noch mehr weniger decken, daher der. scheinbar
noch einfach gesehene Gegenstand nur auf der einen Seite wie von
einem Schalten oder Farbenstreifen eingesäumt oder wie verunstaltet (in
die Breite oder Länge gezogen) erscheint. Wo immer ein Kranker über
solche Zufälle klagt, hat man Ursache, an insuff'iciente Wirkung eines oder
mehrerer Muskeln behufs der richtigen (correspondirenden) Stellung des
Bulbus zu denken, vorausgesetzt, dass keine Diplopia monocularis oder
eine Krankheit in dem einen Bulbus selbst (Keratokonus , Luxation der
Linse, beginnende Netzhautablösung) vorwaltet.
Obwohl unsere frühern Erörterungen über das Sehen bei nicht adaptirtem Refra-
ctionszustande genügen dürften, begreiflich zu machen, dass Zerstreuungskreise unter ge-
wissen Umständen Doppeltsehen (mit einem Auge) veranlassen können, so halte ich es
doch nicht für überflüssig, hier noch einige Bemerkungen über die Diplopia und Polyopia
monocularis einzuschalten, zumal der Gegenstand in früherer und späterer Zeit zu man-
nigfachen irrigen Deutungen und Hypothesen Veranlassung gegeben hat. — Das Dop-
peltsehen mit Einem Auge kommt vor bei rein Kurz- oder Weitsichtigen, bei Hyperpres-
byopischen, bei leichten Trübungen in den durchsichtigen Medien, mithin immer nur
unter Umständen, wo die Bedingungen zu Zerstreuungskreisen in nicht entsprechender
Vereinigungsweite oder in Diffusion der von den Objecten kommenden Lichtstrahlen
vorhanden sind. Demgemäss kann auch jeder Normalsichtige die Phänomene des mon-
oculären Doppelt- und Mehrfachsehen leicht an sich beobachten, wenn er sein Auge
durch Vorhalten eines entsprechend -starken Concav- oder Convexglases weit- oder
kurzsichtig macht. Mir gelingt insbesondere das Doppeltsehen entfernter Thurmspitzen,
Blitzarbeiter u. dgl. sehr leicht durch Convexgläser von 30 — 36 Zoll. Das Doppeltsehen
macht sich, wenn nicht Diffusion des Lichtes obwaltet, nur bei nicht adaptirtem Refra-
ctionszustande geltend, also bei Kurzsichtigen nur an Objecten, welche jenseits des Fern-
punktes der deutlichen Sehweite liegen, bei Fernsichtigen an zu stark genäherten Obje-
cten (und somit kann auch ein Normalauge bei zu grosser Annäherung feiner Objecte die-
selben doppelt sehen), bei Hperpresbyopischen in allen beliebigen Distanzen, vorausgesetzt,
dass noch die anderweitigen Bedingungen vorhanden sind. Die letzteren beziehen sich
nebst der leichten Erregbarkeit der Netzhaut als Grundbedinnung auf die Helligkeit, den
Sehwinkel, die Dimensionen und die Richtung der Objecte. Was die Helligkeit betrifft,
so kommt es nicht sowohl auf die Menge des Lichtes an, welches ein Object zum Auge
sendet, als vielmehr auf den Contrast zur Umgebung oder Unterlage. Daher eignen sich
272 Augenmuskeln.
verticale und horizontale Tintenstriche auf weissem Papier, Blitzableiter oder Thurinspilzen
vor dein Firmamente so gut zu diesen Experimenten, wie eine schmale Goldleiste oder
eine Millykerze auf mattem Hintergrunde. Sind die Netzhaulbilder zu gross , so treten
die Doppelbilder nicht genug aus einander. Lange und schmale Objecto werden leich-
ter doppelt gesehen, runde dagegen vielfach oder bloss einfach und von einem Hofe
oder Farbenkranze umgeben. Die Verdopplung eines langen Objectes gelingt leichter,
wenn dasselbe senkrecht steht, und die Doppelbilder treten caeteris paribus weiter aus
einander, als wenn dasselbe Object eine horizontale Lage hat. Die Erklärung hievon
liegt in dem von Moser, Meyer, Fick u. A. nachgewiesenen Umstände, dass die Hornhaut
von oben nach unten stärker als von einer Seite zur andern gewölbt ist. — Kurzsich-
tige sehen den Mond doppelt, aber nur den Halb- nicht den Vollmond, nicht den Abend-
oder einen andern hellen Stern. Leute ohne Krystalllinse beschweren sich gewöhnlich,
dass sie glänzende Objecte, z. B. Metallknöpfe, Goldleisten , entfernte Kerzenlichter dop-
pelt oder mehrfach sehen. Ebenso fällt Leuten mit beginnender Cataracta häufig zuerst
auf, dass sie die Kerzen am Altare vervielfältigt sehen. Exudatstreifen oder Membranen
in der Pupille bewirken Doppelt- oder Mchrfachsehen nicht durch Zerfällen der Licht-
kegel in mehrere, ausser unter Verhältnissen, die wir bei den entoptischen Erscheinun-
gen angegeben haben, sondern analog den durchscheinenden oder halbdurchsichtigen
Hornhaut- und Linsentrübungen durdi Diffusion des Lichtes und Zerstreuungskreise.
Die aus der insuffieienten Wirkung eines oder mehrerer Muskeln her-
vorgehenden Zufalle werden mannigfaltig modificirt und mehr weniger
verwischt dadurch, dass die Affection bald plötzlich in hohem Grade, bald
unvermerkt und alltnälig mehr und mehr auftritt, dass sie auf einem ge-
wissen Grade stehen bleibt oder ganz von selbst wieder abnimmt , haupt-
sächlich aber dadurch, dass nach längerem Bestände bald Reflexwirkung
in andern Muskelgruppen , bald Sinken der Energie der Netzhaut oder
beides zugleich eintritt. Vermöge des unwiderstehlichen Dranges, der vor
allem durch das Doppeltsehen lästigen Functionsstörung abzuhelfen, das
Doppeltsehen zu elidiren oder unschädlich zu machen, entstehen alsbald
Reflexbewegungen, bald in dem Antagonisten desselben Auges , damit das
Doppelbild auf eine mehr peripherische Stelle der Netzhaut falle und so-
mit leichter unterdrückt werden könne, bald in dem gleichnamigen oder
gleichseitigen Muskel des andern Anges, gleichsam als ginge der vom
Sensorium ausfahrende, bald für die gleichnamigen (bei den Accommoda-
tivbewegungen), bald für die gleichseitigen (bei den Richtbewegungen) be-
stimmte Gesainmlimpuls jetzt, wo der eine davon gelähmt ist , auf den
andern allein über. Hier wirkt meines Wissens vorzüglich der Umstand
entscheidend, ob beide Augen in der Sehkraft und Refraction beträchtlich
differiren oder mehr weniger gleich sind. So fand ich bei einigen Kran-
ken mit Lähmung des Rect. externus an dem Auge, dessen sie sich zum
schärferen Sehen bedienten, dass sie nach einiger Zeit anfingen,] mit dem
Lähmung im Allgemeinen — Doppeltsehen. 273
schwächern Auge einwärts zu schielen, also das . Bild des nicht affieirlen
Auges unterdrücken lernten. Ausserdem aber wird das Doppellsehen ge-
wöhnlich durch erhöhte Contraction des Antagonisten auf dein afiicirten
Auge elidirt, das Hornhautcentrum z. B. bei Lähmung des R. externus
endlich über die Mitte der Lidspalte gegen den innern Winkel abgelenkt
ein Effect, der nur durch Hinzutreten excessiver Contraction des R. iu_
lernus, nicht aber durch Lähmung des R. externus allein bedingt werden
kann. — Andere Kranke beseitigen das Doppeltsehen und den Schwindel
durch Zukneipen der Lider. Fast ohne Ausnahme wird man aber bemerken
dass solche Kranke durch schiefe Haltung des Kopfes dem Doppeltsehen
so viel als möglich zu entgehen suchen, indem sie ihn bald um die ver-
tikale, bald um die horizontale quere Achse oder um beide zugleich dre-
hen. (Am besten beurlheilt man diess nach dem Stande des Kinnes zum
Brustbeine.) So hält z. B. ein Kranker, dem der R. externus des linken
Auges gelähmt ist, und der desshalb alle Objecte doppelt sieht, welche
gerade vor ihm (in der vertikalen Medianebene) und von da im Sehfelde
links liegen, sein Gesicht links gedreht, damit beide Augen mehr weniger
rechts gerichtet seien , um die gerade vor dem Körper befindlichen Ob-
jecte einfach sehen zu können. Ist aber bereits excessive Contraction des
Antagonisten, im obigen Falle Einwärtsschielen des linken Auges einge-
treten, dann hält der Kranke den Kopf entgegengesetzt, im obigen Falle
etwas rechts gedreht, weil so die Elidirung des dem linken Auge ange-
hörenden Bildes leichter gelingt. — Das Doppelbild kann aber auch aus
andern Gründen der Wahrnehmung entgehen, und zwar entweder weil es
mit dem des gesunden Auges noch theilweise zusammenfällt (bei gewissen
Distanzen und Richtungen, bei geringer Musl-.elinfficienzj, oder weil es be-
reits einer sehr peripherischen Netzhautstelle angehört (bei completer Läh-
mung und in Folge von Reflexwirkungen), oder weil die Energie der
Netzhaut des afficirten Auges zu gering ist, als dass sich die schwache
Erregung des Sensorium von hier und im Gegensatze zu der vom nor-
malen Auge ausgehenden Erregung geltend machen könnte. Im Allge-
meinen wird man jedoch finden, dass bleibende und unter allen Umstän-
den herrschende Unterdrückung des Doppelbildes bei passiver Ablenkung
der Sehachse (Luscitas, Muskellähmung) weit seltener und erst nach sehr
langer Dauer zu Stunde kommt, während bei der (später zu besprechen-
den) activen Ablenkung (Strabismus, excessive Muskelcontraction) Doppelt-
sehen gar nicht oder nur unter besondern Verhältnissen vorkommt. Das
binoculäre Doppeltsehen bildet somit das coiislanteste Symptom und em-
pfindlichste Reagens für Muskelinsufficienz, respective Lähmung.
ArlfsÄujreiilieilliiiiuk- HI, 2. "IS
274 Augenmuskeln.
Unter Berücksichtigung des eben Gesagten wird es in jedem spe-
ciellen Falle möglich sein, auch solche Muskellähmungen zu erkennen, die
sich nicht sogleich durch abnorme Stellung der Hornhaut und gehinderte
Beweglichkeit das Bulbus verrathen , wenn man ohngefähr folgendermassen
vorgeht. Zunächst lasse man den Kranken den Kopf ganz gerade halten
(am besten durch einen Gehilfen fixiren) , so dass sowohl die vertikale
Median - als die Gesichts - oder Antlitzebene senkrecht auf der Hori-
zontalen stehen ; sodann halte man die Objecte , mit denen man auf Dop-
peltsehen reagiren will, vorerst dem Gesichte gerade gegenüber, und
zwar in einer Entfernung, in welcher solche Objecte vermöge ihrer Grösse
und Beleuchtung und vermöge des Refractionszustandes der Augen ohne
besondere Anstrengung der Accommodationsorgane noch deutlich gesehen
werden können (ohngefähr im Mesorocter). Zu den Proben wähle man
Objecte, welche lang und schmal, scharf begrenzt und hell oder glänzend
sind, und sorge dafür, dass sie zur Unterlage (dem Hintergründe) gehörig
contrastiren. Das Gesichtsfeld des Kranken für die angegebene Entfer-
nung (also die Horopterfläche oder vielmehr Schale) denke man sich in
4 Quadranten getheilt, durch Verlängerung der vertikalen Medianebene und
einer auf der Antlitzfläche senkrecht stehenden horizontalen Ebene in der
Höhe der Auy enlidspalte. Den Punkt im Gesichtsfelde , wo diese beiden
Ebenen sich schneiden, welcher mithin gerade mitten vor dem Kranken
und in gleicher Höhe mit seinen Augen liegt, wählen wir als Mittel- oder
Ausgangspunkt, und führen das Probeobject von da zuerst in der Hori-
zontalen (wo die Horopterschale von der Horizontalebene getroffen wird)
links und rechts so weit, als es ohne Ausschluss des einen oder andern
Auges durch den Nasenrücken geschehen kann, dann in der Vertikalen
(Durchschnitt des Horopters und der vertikalen Medianebene) auf- und
abwärts, endlich in den Zwischenrichtungen (Quadranten) nach rechts und
oben, links und oben u. s. w. Sind die Erscheinungen , welche sich hie-
bei in Bezug auf die Stellung des vordem Poles der Hornhaut und auf
die Lage der Doppelbilder ergeben , für die gewählte mittlere Sehweite
erhoben, dann prüfe man das Verhalten der Augen nach denselben Merk-
malen in grösserer Nähe und Ferne, je nach Zulass des Refractionszustandes.
Wo man Grund hat, theil weise Deckung der Doppelbilder anzunehmen,
kann man ein Auseinandertreten derselben dadurch bewirken, dass man
mit dem Objecte weiter oder näher rückt, dass man es aus dem Centrura
des Gesichtsfeldes rechls, links u. s. \v. bringt, die horizontale Richtung
desselben in die vertikale verwandelt, und wo diess alles nicht ausreicht,
vor das eine Auge ein violettes Piano las hält. Wo das Doppelbild wegen
Lähmung im Allgemeinen — Doppeltsehen. 275
relativ zu schwacher Erregung- der einen Netzhaut nicht wahrgenommen
wird, kann man dasselbe in der Wahrnehmung dadurch auftauchen machen,
dass man vor das seh kräftigere Auge ein hinreichend dunkelfarbiges (blaues)
Planglas hält. (Böhm, Gräfe.)
Wenn sich die Doppelbilder in Bezug auf Helligkeit und Deutlichkeit
nahezu oder völlig gleichen , wie bei geringer Insuffieienz eines Rectus
oder bei Lähmung eines Obliquus, so lässt sich durch Vorhalten irgend
eines farbigen Glases vor das eine Auge leicht bemerkbar machen, welches
Bild dem rechten . welches dem linken Auge angehöre. Ausserdem aber
lässt sich das Bild des afficirten Auges leicht daran erkennen , dass es
minder hell und scharf erscheint, weil es einer mehr gegen die Peri-
pherie gelegenen Netzhautstelle angehört, oder schief gestellt ist, wenn
die Thätigkeit eines Obliquus gestört ist (wegen Insuffieienz eines der
Obliqui oder eines Antagonisten derselben bei einer bestimmten Stellung).
Doch kann schon durch abwechselndes Verdecken bald des einen bald
des andern Auges und Angabe des Kranken, welches der Bilder ver-
schwindet, in den meisten Fällen, falls nicht schon die falsche Stellung
der Hornhaut und die gehinderte Beweglichkeit des Bulbus nach irgend
einer Richtung hin ausreicht, ermittelt werden, ob die Muskelinsufficienz
am linken oder rechten Auge hafte. Man wird bei Verdeckung des ge-
sunden Auges die Bemerkung machen, dass dasselbe hinter der Hand eine
abnorme Stellung annimmt und behält, so lange das afficirte zum Fixiren
verwendet wird. Es stellt sich auswärts : wenn an dem afficirten Auge
der R. externus , einwärts : wenn der R. internus, nach innen und unten :
wenn der Trochlearis, aufwärts: wenn der R. superior des andern Auges
gelähmt ist. Ist auf diese Weise sichergestellt, welches Auge leidet, so
ergibt sich aus dem Verhalten des Doppelbildes , welcher Muskel leidet
und bis zu welchem Grade. Man braucht sich dann nämlich nur gegen-
wärtig zu halten, dass jede Erregung der Netzhaut so empfunden wird,
als ginge sie von einem Punkte des Gesichtsfeldes aus , welcher in der
Richtung einer Linie liegt, die man sich von der getroffenen Netzhaut-
stelle durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinien gezogen und bis zum
Gesichtsfelde verlängert zu denken hat (Projection der Empfindung). Wenn
daher z. B. das linke Auge nach innen abgelenkt ist, während das rechte
seine Sehachse auf das zur Probe dienende Object richtet, so wird, weil
jetzt im linken Auge das Bild dieses Objectes auf eine von der Macula
lutea einwärts gelegene Stelle fällt, das Object von dem linken Auge
weiter links gesehen , als von dem rechten. Mithin lässt sich schliessen,
dass wenn das Doppelbild als dem linken Auge angehörig und als gegen
18*
276 Augenmuskeln.
die linke Seite des Kranken gerückt erkannt wird, das linke Auge ein-
wärts gelenkt sein müsse, und zwar um so viele Grade, als die Mes-
sung und Berechnung nach der Verrückung des Doppel büdes ergibt. (Dop-
p eltsehen mit gleichnamigen Bildern.) Wenn dagegen dasselbe Auge nach
aussen abgelenkt ist, demnach das Bild des von dem rechten Auge fixir-
ten Objeeles in dem linken Auge auf eine von der Macula lutea aus-
wärts gelegene Stelle fällt, so wird dieses Auge die Empfindung weiter
rechts versetzen , als das direct sehende rechte Auge , das dem linken
Auge angehörende Bild erscheint somit rechts gelegen. (Doppeltsehen mit
gekreuzten Bildern.) Erscheint der vordere Pol des einen Auges tiefer
gestellt, als an dem andern Auge, so wird das diesem Auge angehörende
Bild, weil auf einem unter dem hintern Pole gelegenen Punkte entworfen,
im Gesichtsfelde höher als das des andern Auges erscheinen. Gräfe
(Archiv f. Ophth. I. B. I. Abth. S. 85) hat zuerst angegeben, wie man sich
mittelst Prismen (mit brechenden Winkeln von 3, 4 — 12 Grad) die Ver-
hältnisse des Doppeltsehens auf exacte Weise versinnlichen kann. „Da ein
Prisma das Licht nach seiner Basis hin ablenkt, so wird es, vor ein Auge
gehalten, den Lichteinfall gerade in derselben Weise verändern, als wenn
das Auge mit seinem vordem Pole gegen die Basis des Prisma abgelenkt
wäre, wobei das Doppelbild nach der entgegengesetzten Seite pro-
jicirt wird."
„Die Berechnung der pathologischen Stellung des Au^es und der Lage des Doppel-
bildes, welche oft von hohem physiologischen und diagnostischem Interesse ist, pflege ich
auf folgende Weise vorzunehmen. Eine grosse Tafel, welche in sehr viele numerirte
Quadrate getheilt ist, wird in einer möglichst weiten Entfernung vom Kranken aufge-
stellt. Vor derselben ist auf einer entsprechenden Vorrichtung ein scharf begrenzter,
leuchtender Körper, am besten ein kleines Licht, verschiebbar. Der Kopf des Kranken
wird nun genau so fixirt, dass die Angesichtsflache der Tafel parallel bleibt und hierauf
das Licht vom Centrum der Tafel allmälig nach oben, unten und beiden Seiten bewegt;
für eine jede Stellung des Lichtes wird das Quadrat markirt, in welche das Doppelbild
hält. Da nun die Entfernung der Tafel vom Kopfe gegeben ist, so liisst sich die Excen-
tricität des Netzhautbildes (Entfernung desselben vom Netzhautcentrum) im kranken Auge
leicht bestimmen, denn es verhält sich die scheinbare Disianz der beiden Bilder zu dieser
Excentricität, wie sich die Entfernung der Tafel vom Auge verhält zur Entfernung des
Kreuzuugspunktes der Richtstrahlen von der Netzhaut. Die gefundene Excentricität des
Netzhauthildes gibt uns, auf den Drehpunkt bezogen, den Bo<jen der Drehung ; über die
Richtung derselben kann kein Zweifel existiren, da sie den Gesetzen der Protection <>'e-
mäss immer der scheinbaren Verrückung des Doppelbildes entgegengesetzt sein muss,
und zwar diametral entgegengesetzt, weil Ohject und Netzhautbild genau in eine Meri-
dianebene fallen. — Ist die Abweichung der Sehachse im paralysirlen Auge von der
Sehachsenstelluiig des gesunden bestimmt, diese letztere aber durch die Verhältnisse der
Fixation gegeben, so können wir auf die absolute Lage der Sehachse im paralysirlen
Lähmung im AlIgemtMueu — Ätiologie — Therapie. 277
Auge, d. h. deren Abweichung von der ursprünglichen Gleichgew ichtsstellungj als welche
die auf der Angesichtsflüche senkrechte Richtung angesehen wird. Die Neigung des Dop-
pelbildes eines vertikalen Gegenstandes nniss in entgegengesetzter Richtung auf den vei-
tikalen Meridian des paralysirten Auges übertragen werden, so dass auch für jede Stel-
lung der Sehachse die Richtung der Meridiane ermittelt werden kann, vorausgesetzt, dass
der vertikale Meridian des gesunden Auges in vertikaler Richtung verharrt, das gesunde
Auge also ein in der Mittellinie (vertikalen Meridianebene) liegendes Ohject. gleichviel
ob nach oben oder unten, nur nicht seitlich nach oben oder unten liegendes fixirt. *) —
Ein anderes Mittel, die Excentricität der Bilder direct zu bestimmen, besteht in der An-
wendung prismatischer Gläser. Die Stärke des Prisma, welches die Doppelbilder an ein-
ander bringt, wird direct zu dieser Bestimmung benutzt ; doch ändert jede Verschiebung
des Prisma gegen die Achse der einfallenden Strahle dessen Brechkraft, und werden die
nahe an einander gebrachten Bilder durch willkürliche Muscelcontractionen im kranken
oder gesunden Auge leicht verschmolzen, daher dieses Mittel nur zur approximativen
Schätzung geeignet ist. Wegen Vermeidung des letztgenannten Übelstandes verdient daher
eine andere Anwendungsweise der prismatischen Gläser den Vorzug. Nachdem die Distanz
der Doppclbilder an der Tafel für eine bestimmte Stellung markirt ist, wird das kranke
Auge geschlossen und die Ermittlung der Excentricität auf das gesunde Auge übertra-
gen, welches in der frühem Fixation verharrte. Ein Prisma wird nun so vor das Auge
geschoben, dass es mit seiner Basis die Hälfte der Pupille deckt, während die andere
Hälfte frei ist; hiedurch entsteht Diplopia mouocularis; das eine Bild rührt von dem
frei durch die Pupille einfallenden Lichte, das andere von dem im Prisma gebrochenen
Lichte her. Es ist leicht, dem Prisma durch Drehung eine solche Stellung zu geben,
dass das excentrische Bild nach Richtung des früher gesehenen, auf der Tafel markirten
Doppelbildes projicirt wird ; dass es vollends mit diesem zusammenfalle, hängt nur von
der Stärke des gewählten Prisma ab, und diese bestimmt den Grad der Excentricität."
(A. von Gräfe Archiv für Üphth. I. B. 1. Abth. S. 13-16.)
Die Muskellähmungen sind keine häufige, wenn gleich auch nicht gar
seltene Erscheinung. Ihr Vorkommen ist weder an ein Geschlecht, noch
an ein bestimmtes Alter, oder an eine Körperhälfte besonders gebunden.
Ihre Ursachen, noch lange nicht hinreichend bekannt, und in speciellen
Fällen bald sehr leicht, bald sehr schwer oder gar nicht bestimmbar,
machen desshalb zunächst die Eintheilung in Lähmungen centralen (von
den Nerven innerhalb der Schädelhöhle ausgehenden) und peripherischen
(in der Orbita oder im Muskelbauche selbst gelegenen) Ursprunges prak-
tisch brauchbar. Genaue Kenntniss der Anatomie überhaupt, so wie des
Ursprungs, Verlaufes und der Verzweigung der Nerven insbesondere thut
hier ebenso noth, wie richtige und vollständige Erhebung aller krankhaf-
ten Zufälle nicht nur am Auge, sondern auch im übrigen Körper. Vergl.
über Cerebralamaurosen S. 144 — 149. Was die peripherischen Augen-
muskellähmungen betrifft, so gilt von ihnen besonders obige Behauptung.
*) Meines Erachtens darf das vom gesunden Auge fixirte Object auch nicht bedeutend über oder unter derHorizun-
talen (höher oder tiefer als die Augen) liegen, wenn der vertikale Meridian streng senkreclil bleiben soll.
278 Augenmuskeln.
dass wir ihre nächsten Ursachen im Allgemeinen noch wenig kennen.
Viele Fälle sind rheumatischen Ursprunges, namentlich durch Zugluft auf
die Augengegend bedingt; es sprechen dafür Beobachtungen, wo die be-
stimmte Angabe des Patienten, die unmittelbare Aufeinanderfolge und der
Erfolg der auf diese Voraussetzung gestützten Therapie vorliegen. Das-
selbe gilt auch in Bezug auf Syphilis , welche , wenn gleich selten , Läh-
mung eines oder des andern Augenmuskels zur Folge hat, ohne dass der
Sitz des Processes allemal in die Schädelhöhle verlegt werden kann. Die
Symptomatologie der Entzündung eines Muskels oder seiner Zellscheiile
ist noch nicht bekannt, wenigstens nicht hinreichend sichergestellt. Un-
erwiesen, wen gleich nicht unwahrscheinlich, ist die Lähmung eines und
des andern Augenmuskels in Folge übermässiger Anstrengung , nach for-
cirler Hallung des Bulbus in einer ungewöhnlichen Richtung. Ich kenne
einige Fälle, wo Kranke diess als Ursache bezeichneten. Zu erwähnen ist
endlich noch der progressiven Muskeliusuffieienz, welche den Antagonisten
eines habituell excessiv contrahirlen Muskels vermöge mangelhafter Übung
und Ernährung trifft, besonders den Rectus externus bei inveterirtem Stra-
bismus convergens continuus. Unter den Weingeistpräparaten der Prager
Augenklinik befindet sich auch ein Auge mit einer erbsengrossen melano-
lischen Ablagerung im Muskelbauche des Rectus externus ; doch ist mir
über den Fall nichts bekannt, da das Präparat aus früheren Zeiten stammt.
Viele Muskellälimungen verlieren sich allmälig von selbst oder unter
entsprechender Behandlung; andere sind schon vermöge der sie bedingen-
den Ursache unheilbar. Alter auch an und für sich heilbare Muskelläli-
mungen können unheilbar werden, wenn der Muskel in Folge länger auf-
gehobener oder beträchtlich verminderter Thätigkeit bereits atrophisch ge-
worden oder fettig entartet ist. Hiezu gibt nicht nur der (Monate, Jahre)
lange Fortbestand der Lähmung selbst, sondern auch erhöhte Conlraction
des Antagonisten, Veranlassung, wie wir weiter unten bei Besprechung
des Strabismus sehen werden.
Bei der Behandlung wird man sich zunächst an die Behebung der
Ursachen zu hallen haben, wenn solche noch fortwirken und sich über-
haupt beseitigen lassen, wie z. B. Syphilis, Blutergüsse u. dgl. Sodann ist
auf Anregung der Function des Muskels hinzuwirken. Diess können wir
auf doppeltem Wege: a~) indem man das gesunde Auge schliessen und
mit dem erkrankten Bewegungen nach der Seite des afficirten Muskels in-
tendiren lässl; b) indem man die Cutis der Umgebung des Auges durch
verschiedene Mittel reizt. Das erstere Mittel wird besonders dann zu
versuchen sein, wenn der afficirle Muskel einige Thätigkeit noch besitzt
Lähmung des M. r. externus. 279
oder bereits wieder erlangt hat. Massige, der Krall des Muskels entspre-
chende und methodisch fortgesetzte Übung vermag dieselbe zu starken,
und andererseits wird auf diese Weise zugleich dein Eintreten bleibender
Contra ctur des Antagonisten vorgebeugt. Wo bereits Contra ctur des An-
tagonisten eingetreten und noch einigermassen Hoffnung auf Wiederher-
stellung der| Function des gelähmten Muskels vorhanden ist, wird durch
die Durehschneidung des ersteren wenigstens ein unüberwindliches Hin-
derniss der letzteren beseitigt. Dr. A. von Gräfe hat , so viel ich mich
auf mündliche Mittheilungen hierüber erinnere, auf diese Weise sehr be-
friedigende Resultate erhalten. Die Anwendung äusserer Reizmittel ist
von altersher in Gebrauch, und namentlich gegen rheumatische Lähmungen
empfohlen worden. Die vorzüglichsten sind : trockene warme Tücher oder
Säckchen mit aromatischen Kräutern, Einreibungen von Veratrin- oder
Mercurdeuterojoduretsalbe, an die Stirn und Schläfe, fliegende Vesicantien
(täglich ein Stück von der Grösse des Nagelgliedes des Daumens an eine
andere Stelle der Stirn und Schläfe angelegt), Einstreuen von Strychnin
(Y16 — Vi 2 Gran) an eine der Epidermis entblösste Stelle, Anwendung des
magneto-elektrischen Stromes an verschiedenen Stellen des obern Augen-
höhlenrandes und an den Augenwinkeln , Ammoniakdämpfe an die Binde-
haut bei offen gehaltenem Auge u. dgl. Ich habe Lähmungen verschie-
denen Grades, besonders die am häutigsten vorkommenden des R. exter-
nus unter Anwendung eines und des andern der genannten Mittel in Zeit
von einigen (2 bis 10) Wochen zurückgehen sehen, weiss indess auch,
dass mitunter solche Fälle ohne alle Behandlung mit der Zeit von selbst
zurückgehen, bin somit nicht im Stande, für die Wirksamkeit derselben
direet einzustehen , obwohl mir ihre Anwendung durchaus rationell er-
scheint, indem wir durch Erregung sensitiver Nerven (des Trigeminus)
auf motorische einzuwirken suchen. Mit Ausnahme des Strychnin und der
Elektricität, bei deren Anwendung jederzeit grosse Vorsicht nöthig ist,
kann man mit den genannten Mitteln wohl nie schaden. Von der Acu-
punetur, welche bisweilen zu Neuralgien Veranlassung geben soll, habe
ich seit vielen Jahren keinen Gebrauch mehr gemacht, da ich dabei in
einigen Fällen keine Besserung hatte eintreten sehen.
Bei Lähmung des ML reetus externtis s. ahdneens steht,
wenn sie vollständig und noch nicht mit Contractur oder excessiver Con-
traction des R. internus complicirt ist, der vordere Pol des Auges nahe-
zu in der Mitte der Lidspalte , sobald das gesunde Auge ein Object im
Mittelpunkte des seiner Antlitzfläche gerade gegenüber liegenden Gesichts-
feldes fixirt. Bei engem Horopter werden also gelegene Objecte einfach.
280 Augenmuskeln.
bei weitem dagepen doppelt gesehen. Hat man das Object unter der an-
gegebenen Bedingung so weit vom Antlitze entfernt, dass es bereits an-
fängt doppelt oder breiter (durch theilweise Deckung) zu ersehenen, und
führt man es in der Vertikalen aufwärts, so nähern oder decken sich die
Doppelbilder, wogegen sie beim Abwärtsführen des Objectes (in der ver-
tikalen Medianebene und in gleicher Distanz vor den Augen) weiter aus-
einander weichen. Geht man , sich in der Horizontalen (d. h. stets in
gleicher Höhe mit den Augen über dem Fussboden) haltend, mit dem Ob-
jeete von der Medianebene nach der entgegensetzten Hemisphäre des
Gesichtsfeldes, z. B. bei Lähmung des R. externus der linken Seite rechts
von der vertikalen Medianebene), so wird das Object einfach gesehen,
hingegen doppelt mit immer weiter auseinander tretende« Bildern, sobald
man in der gleichnamigen (linken) Hemisphäre sich mehr und mehr von
der Medianebene entfernt.*"') Hat man einen langen geradlinig begrenzten
Gegenstand gewählt, z. B, eine Stricknadel, und wird derselbe immer senk-
recht auf der Horizontalen gehalten , so nimmt der Kranke leicht wahr,
dass das Doppelbild dem wahren parallel und zur gleichnamigen (linken)
Seite steht. Dabei sieht man, dass das betroffene Auge dem Objecte bei
der Bewegung nach der gleichnamigen Seite um so weniger folgt, je
ärger die Affection des R. externus ist. Bei sehr geringem Grade der
Affection kann das Auge noch so weit auswärts gerollt werden , dass
der Hornhautrand an die äussere Commissur zu stehen kommt, somit die
Muskelinsuflicienz sich nur durch das Dopfteltsehen kund gibt. Wählt man
(bei richtig gehaltenem Kopfe des Kranken) in der gleichseitigen (linken )
Hemisphäre einen Punkt, etwa 20 oder 30 Grad von dein Mittelpunkte des
Gesichtsfeldes abstehend und in gleicher Höhe mit demselben , d. h. in
der Horizontalen, so erscheinen die Bilder vertikal neben einander und
um ein Bestimmtes, z. B. 6 Zoll von einander abstehend; geht man aber
in unverändertem Abstände von der Antlitzfläche sowohl als von der Me-
dianebene der Horizontalen aufwärts, so rückt das Doppclbild dem wahren
näher (als 6 Zoll) und neigt sich überdiess mit seinem obem Ende zu
demselben; bringt man dagegen das vertikal gehaltene Object unter den-
selben Bedingungen tiefer und liefer unter die Horizontale, so treten die
Bilder weiter auseinander, und die untern Enden der Bilder stehen weiter
von einander ab, als die obern.
'") Trilt hit-bei die frappante Erscheinung ein, dass, wenn man sich dem Extrem der seitlichen Verschiebung nähert.
die Doppelbilder nicht mehr propui lionirt auseinander «eichen, so ist diess wahrscheinlich dadurch bedingt, das*
der R. internus dci gesunden Auges, indem er sich dem Summum der Contracliun nähert, so wie alle an. lern
Muskeln, sich relativ weniger verkürzt, daher das wahre Bild dem Falschen naher rückt, trotzdem man weiter
nach aussen gehl.
Lähmung «los M. r. externus. 281
Nehmen wir an, der R extern us des linken Auges wäre gelähmt. Reim Beilliclien
Blick nach oben soll rler vordere Pol dieses Auges nach aussen und oben, also die Ma-
cula lutea nach innen und unten gewendet werden. Dieser Effect wird im normalen Zu-
stande erzielt durch erhübte Contra etion des R. externus, R. superior und 01)1. inferior
unter entsprechender Gegenwirkung des R. internus, R. inferior und Obl. superior. Fällt
nun der Zug des R. externus ganz (oder theilweise) weg, so ist die Wirkung des R.
internus relativ prävalirend, die Einwärtsroll an g der M. lutea ungenügend, das Lichtbild
trifft also eine von der M. lutea einwärts gelegene Stelle, erregt somit die Empfindung,
als befände sich das Objcct weiter links von der Medianebene. Dasselbe wird der Fall
sein beim seitlichen Blick nach unten, wo der R. externus, R. inferior und Obl. superior
die Ablenkung bewirken, und zwar wegen Ausfall des R. externus ungenügend. Das
Ungenügende der Ablenkung, mithin auch die Excentricität des Lichtbildes wird aber in
letzterem Falle beträchtlicher sein, als in ersterem, weil der R. internus als Antagonist
des R. externus und Obl. superior in Bezug auf die Einwärtsrollung der Macula lutea
durch den ihm näher liegenden R. inferior weit mehr unterstützt wird, als beim Blick
nach oben und aussen durch den R. superior. Zugleich muss aber in dem einen wie
in dem andern Falle eine Drehung um die Sehachse erfolgen. Denn eine Ebene, durch
die Ursprünge des R. superior und inferior am Sehnervenloche und durch die Mittelpunkte
ihrer Insertionslinien in der vordem Hemisphäre des Bulbus gelegt, streicht an der In-
nenseite des Drehpunktes vorbei, und muss, wenn die Obliqui den hintern Pol einwärts
zu rollen streben, die verstärkte Wirkung des R. inferior den untersten Punkt des Bul-
bus (das untere Ende der vertikalen Achse) weiter nach innen ablenken, als der R. su-
perior beim Blick nach oben, weil die Insertion des R. inferior näher am R. internus
liegt, als die des R. superior.
Über den Einfiuss der Abducenslähmung auf die aecommodative Thä-
tigkeit des Auges, welcher bisher unbeachtet geblieben war, bemerkt A.
von Gräfe (Archiv I. B. I. Abth. S. 53): „Da bei der Accomniodation
(für die Nähe) alle Muskeln in (erhöhte) Spannung gerathen, so zeigt sich
hiebei nicht selten die Insuffizienz des parethischen Muskels. So kommt es
zuweilen bei pathologischer Schwäche des Abducens vor, dass beim gleich-
zeitigen Gebrauche beider Augen ein gradaus vor dem Erkrankten liegen-
der entfernter Gegenstand richtig iixirt wird, während bei Annäherung des-
selben auf dem erkrankten Auge pathologische Convergenz sich einstellt,
Noch beweisender sind Experimente mit Brillengläsern, weil hierbei auch
die Sehachse des gesunden Auges nicht verrückt, demnach auch jede
synergische Muskelcontraction an dem erkrankten Auge vermieden wird ;
setzt man z. B. dem erwähnten Kranken eine Coneavbrille auf und zwingt
hiedurch die Augen , bei gleich bleibender Stellung des Objectes einen
höhern Brechzustand anzunehmen, so sieht man oft die pathologische Ab-
lenkung eintreten oder eine vorhandene sich vermehren."
Anfang März 1850 consultirte mich eine circa 2R Jahre alte Frau vom Lande we-
gen Doppellsehen, welches seit Weihnachten bestand. Sie war von kräftigem Korper-
282 Augenmuskeln.
bau und gesundem Aussehen. Als sonderbar hob sie hervor, dass sie mit jedem Auge
für sich einfa'h. mit beiden Augen zugleich doppelt sehe. An der Stellung ihrer Augen
war keine Abnormität wahrzunehmeil. Hielt ich ihr einen Finger vertikal gerade dem
Gesichte gegenüber, etwa 20 Zoll entfernt, so bemerkte sie einen zweiten, etwa 2 Zoll
rechts davon abstehend, ziemlich gleich deutlich. Erst vor einigen Tagen war sie an
einen Wagen angerannt, das Doppelbild für das wahre haltend. Ging ich mit dem Fin-
ger weiter zurück, so traten die Bilder weiter auseinander, und das rechte wurde un-
deutlicher. Bei der Prüfung der Beweglichkeit der Bnlbi zeigte sich, dass das linke
vollkommen frei war, das rechte dagegen nicht gehörig gegen den äussern Win-
kel hin gestellt werden konnte. Rückte ich nun mit dem Finger bei 20 Zoll Enlfernung
von der Medianebene in die linke Hälfte des Sehfeldes der Kranken, so näherten sich
die Bilder mehr und mehr bis zur völligen Deckung; rückte ich dagegen in die rechte
Hemisphäre des Sehfeldes, so traten die Bilder auf 3 — 4 Zoll auseinander. Sie konnte
mit jedem Auge allein lesen, doch mit dem rechten nicht lange. Die Sehweite dieses
Auges schien nicht verändert zu sein , doch gab die Kranke an, dass sie mit demselben
die Lettern etwas kleiner und minder schwarz sehe, als mit dem linken. In der Horn-
haut, Iris, Pupille u. s. w. konnte ich keine Abnormität wahrnehmen. Es war nun ge-
wiss, dass ich es mit Paresis des R. externus am rechten Auge zu tliun hatte. Damit
stimmten nun auch die anderweitigen Angaben der Kranken zusammen. Die Frau war
zuerst von heftigen Kopfschmerzen in der rechten Seite, dann von Schwindel, Üblich-
keiten und Erbrechen, endlich von Doppeltsehen befallen worden. Da sie habituell an
Stuhlverstopfung litt und sehr spärlich menstririrte, so waren ihr Blutegel und Abführmittel
verabreicht worden. Die Kopfschmerzen verminderten sich jedoch erst dann merklich, als
die Frau eine Änderung in ihrer Wohnung hatte vornehmen lassen. Sie, die schon frü-
her einmal an acutem Rheumatismus gelitten hatte und endlich durch die Moorbäder in
Marieubad gänzlich davon befreit worden war, hatte im Herbste ein neugebautes Zimmer
bezogen, welches mit einem daranstossenden durch einen gemeinschaftlichen Ofen be-
heizt wurde, und daher ausserordentlich feucht war. Nach Beseitigung dieses Übel-
slandes waren, wie gesagt, die Kopfschmerzen viel gelinder und seltener geworden, aber
das Doppeltsehen bestand fort, obwohl das rechte Auge, welches eine Zeit lang (im
Jäner) ganz gegen den innern Winkel verdreht gewesen war, sich allmälig wieder bes-
ser stellte. Von einem allgemeinen oder centralen Leiden liess sich nichts nachweisen.
Die auf die Annahme, dass hier einfach Paresis rheumat. vorhanden sei, gestützte The-
rapie hatte bald complete Heilung zur Folge.
Mitte Ocloher 1849 consultirte mich ein Student, 17 Jahre alt, gut gewachsen, von
gesundem Aussehen, bisher stets gesund und unter günstigen Verhältnissen lebend, we-
gen Doppeltsehen, welches sich zu Ende der Ferienzeit ohne bekannte Veranlassung
eingestellt hatte, sowohl an nahen als fernen Ohjeclen bemerkt wurde, und durch com-
plete Lähmung des R. externus am rechten Auge bedingt war. Di sich durchaus keine
anderweitigen krankhaften Erscheinungen, als das Doppeltsehen, die Unbeweglichkeit des
Bulbus nach aussen und zeitweilig etwas dumpfe Kopfschmerzen nachweisen Hessen,
giipponirte ich Verkältung als die wahrscheinliche Ursache, und wandte durch einige Zeit
erst Elektricität, dann Slrychnin endermatisch an. Wegen Nichterfolg von Besserung blieb
der Kranke aus, und ich sah ihn erst wieder, als er am 4. Jäner unter der Diagnosis
Vitium organ. cerebri auf eine Internabtheilung des Spitales aufgenommen worden war.
Es war nämlich im Spätherbste unter anhaltenden dumpfen Schmerzen im Hinterhaupts
Lähmung «los M. r. extern US. 283
Stottern und bald darauf Schwache der linken obern und untern Extremitateil eingetre-
ten, welche um Weihnachten in förmliche Paresis übergangen war. Mitte Jäner stellte;
sich Fieber ein, der Kopfschmerz wurde viel heftiger, das Sprechen sehr erschwert, in der
rechten Gesichtshälfte traten bisweilen Zuckungen ein und die Zunge wich beim Iler-
vorstrecken merklich nach rechts ab. Nach Anlegung von Blutegeln hinter den Ohren
am 20. Jäner und spontaner Blutentleerung aus der Nase am 22., traten die Kopfschmer-
zen bloss bei Bewegung ein, und lobte der Kranke seinen Zustand Ende Jäner jedoch
kehrten sowohl der Kopfschmerz als häufige Convulsionen zurück, der Kranke verlor am
4. Februar das Bewusstsein und starb am 5. Die Pupille des stark einwärts gewende-
ten rechten Auges war stets enger, als die des linken, das Sehvermögen bestand, wurde
jedoch in der letzten Zeit nicht näher geprüft. Die von Prof. Engel vorgenommene
Seclion ergab eine fibröse Geschwulst an der Basis cerebri mit Meningitis und Apople-
xie als Ursache der Erscheinungen. Diese Geschwulst bestand aus einem weichfa^rigen,
dichten blutgefässreichen Stroma mit peripherisch eingelagerten rundlichen und geschwänz-
ten Zellen. Sie war wallnussgros, an der Oberfläche gelappt, hart, fest, dem Anscheine
nach fasrig, weiss, blutleer, und lag rechterseits an der Medulla oblongata längs dersel-
ben. Sie ging von der Medulla oblongata und zwar von der Gegend des Corpus rhom-
boid. und olivare dextrum aus, so dass die Pyramiden und Oliven sammt den Hülsen-
strängen und dem obersten Theile des Corpus restiforme, und ein grosser Theil der
Brückenarme und der brückenförmigen Rindenschicht in dieselbe entartet erschienen.
Die Dura mater der Schädelbasis daselbst verdünnt. Die innern Hirnhäute an der Schä-
delbasis, besonders rechterseits vom Pons Varoli und zwar vom vordem Ende desselben
bis zum hintern Ende des Olivenkernes und von da 1 Zoll auswärts gegen das kleine
Gehirn sehr verdickt, hart, theils gelb, theils weiss gefärbt, mit einer festen gelben Ge-
rinnung und Serum infihrirt. Unter und zwischen denselben an der rechten Seite des
Pons ein scharf abgegrenztes dunkles Blutgerinnsel.
Lähmung der vom -N. oculomotorius versorgten Muskeln.
Bei peripherischen Anlässen kann ein und der andere Rectus für sich er-
griffen sein, der R. internus, superior oder inferior, doch auch zwei oder
drei zugleich. Öfters geschieht es, dass der Levator palpebrae superioris
allein ergriffen wird. Von isolirter Lähmung des Obliquus inferior ist mir
kein Fall bekannt. Lähmung centralen Ursprunges erstreckt sich immer
auf alle vom Oculomotorius versehenen Muskeln, demnach auch mittelst
der Radix brevis ganglii ciliaris auf die Iris und den Ciliarmuskel, nur ist
sie nicht immer complet und dann nicht in allen Zweigen (Muskeln) gleich
stark ausgesprochen (nicht gleich stark in die Erscheinung tretend). Wenn
noch einige Contractionsfähigkeit besteht, so kann es leicht den Anschein
haben , als sei der R. superior , besonders aber der R. inferior nicht so
sehr afficirt, wie der R. internus, weil jener durch den Obl. inferior, dieser
durch den ganz unversehrten Obl. superior theilweise unterstützt wird.
Ich halte es für hinreichend , hier nur die Erselieinumen bei cujnpleter
Lähmung der vom N. oculomotorius versehenen Muskeln zu besprechen,
2M Augenmuskeln.
weil, wer diese kennt, auch im Stande sein wird, die Lähmung einzelner
Muskeln zu erkennen und richtig zu beurtheilen.
Zunächst hängt das obere Lid schlaff vor dem Auge herab , und die
Lidspalte erscheint geschlossen. Bemüht sich der Kranke , sie zu öffnen,
so klafft dieselbe noch etwa auf 2 — 3 Linien , doch nicht wegen Contra-
clion des Levator, sondern wegen Nachlass in der Wirkung des Orbicularis
palpebrarum. In der Regel werden hiebei auch die Augenbrauen etwas
emporgehalten. Hebt man das Lid empor — am besten bei Verdickung
des nicht afficirten Auges — so steht die Pupille in der Mitte der Lid-
spalte oder weiter nach aussen, und kann nur wenig oder gar nicht ein-
wärts, dagegen vollständig auswärts gestellt werden. Ist noch keine ex-
cessive Contraction, Contractur des R. externus, eingetreten, so ist der
Pupille noch ein ziemlicher Spielraum zu Excursionen zwischen der Mitte
der Lidspalte und dem äussern Winkel gestattet , indem sie bei Nachlass
der erhöhten Contraction des R. externus, wenn man den Blick nach innen
anstreben lässt, vermöge der Elasticität der Umhüllungen des Bulbus und
des Sehnerven gegen die Mitte der Lidspalte zurückkehrt. Die Beweg-
lichkeit nach oben und gerade nach unten erscheint beschränkt oder auf-
gehoben. Beim Versuche, gerade abwärts zu blicken, wird die Pupille
etwas nach unten und aussen bewegt, doch mehr ruck- oder stossweise,
als gleichmässig fortschreitend. An den Episcleralgefässen in der Gegend
des R. internus lässt sich leicht bemerken , nach der Veränderung ihrer
relativen Richtung und Stellung zu den Lidern, dass dabei der Bulbus um
eine von vorn nach hinten laufende Achse gedreht wird , so dass der
oberste Punkt der Cornea etwas zu, der unterste etwas von der vertikalen
Medianebene abgelenkt wird, Erscheinungen, welche durch die Wirkung
des Obl. superior zu Stande gebracht werden, welcher durch den Impuls,
das Auge abwärts zu stellen , allein in Thätigkeit versetzt werden kann,
ohne dass ihm der Obl. inferior das Gleichgewicht zu halten vermag.
Eine andere und zwar CO ntinuir liehe Folge der alleinigen Wirkung des
Trochlearis , der tiefere Stand der Hornhaut relativ zu der des gesunden
Auges, lässt sich selten unmittelbar wahrnehmen, weil die Hornhaut hiezu
meistens zu weit über die Mitte der Lidspalle hinüber abgelenkt ist.
Sie lässt sich aber, gleich der continuirlichen Drehung des Bulbus um die
Sehachse, an dem Stande des Doppelbildes nachweisen. — Die Lage des
Bulbus erscheint etwas flacher, indem von der rückhaltenden Krall (den
Rectis) drei Viertel , von der entgegenwirkenden (den Obliquis) die
Hälfte ausfällt.
Lähmung der vom IV. oeulomot. versehenen Muskeln. 2*5
Das Doppelbild erscheint auf der dein afficirten Auge entgegenge-
setzten Seite (wegen Divergenz der Sehachsen") etwas höher als das
wahre und schräg. Diess ergibt sich im Allgemeinen aus der dreifachen
Drehung, welche der afficirte Bulbus erfahren hat, Am meisten ist er
um die vertikale Achse gedreht, der vordere Pol aus-, der hintere ein-
wärts; sodann um die horizontale gerade oder die Sehachse, und zwar
mit Herüberneigung des obern Endes der verticalen Achse (oder ^cs ver-
ticalen Netzhautmeridian es) zur Medianebene; endlich um die horizontale
Transversalachse, so dass das Hornhautcentrum etwas tiefer steht als
die Mac. lutea. Die Lage des Doppelbildes lässt sich am besten mit einem
dünnen lichten Stabe wahrnehmbar machen. Zunächst halte man ihn ver-
tical und in gleicher Höhe mit den Augen in der mit dem afficirten Auge
gleichnamigen Hälfte des Sehfeldes. Sobald die Pupille nicht über die;
Mittellinie einwärts gestellt weiden kann, wird auf der entgegengesetzten Seite
des wahren ein Doppelbild erscheinen, um so weiter von demselben ab-
stehend, je weiter man ihn nach dem entgegengesetzten Ende des Sehfeldes
hin bewegt, oder je weiter man sich mit demselben von dem Antlitze ent-
fernt. Überdiess steht das Doppelbild schief, oben zu dem wahren zuge-
neigt, weil der Obl. superior, seines Antagonisten (des Obl. inferior) ver-
lustig, das obere Ende des vertikalen Netzhautmeridianes zur vertikalen
Ebene zuneigt, das Lichtbild des obern Stabendes mithin auf eine relativ
weniger auswärts gelegene Netzhautstelle fällt, mithin auch auf eine dem
wahren Bilde nähere Stelle des Sehfeldes bezogen wird. Fixirt der Kranke
statt des Stabes eine lange Stange, so bemerkt er auch, dass das obere
Ende des Doppelbildes seinem Antlitze näher gelegen erscheint, als das
untere. Diese Erscheinung hängt meines Erachtens damit zusammen, dass
der Bulbus beim Ausfall des Obl. inferior durch den Obl. superior zu-
gleich um die transversale horizontale Achse gedreht steht, so dass, wäh-
rend beim Blick nach dem Centrum des Sehfeldes an dem gesunden Auge
Hornhautcentrum und Macula lutea in der Horizontalen liegen, an dem
afficirten Auge ersteres etwas unter, letztere etwas über derselben liegt,
was für die Empfindung bei dem Abgange des leitenden Maassstabes (des
Muskelgefühles im R. inferior, der sonst diese Lage bewirkt) dasselbe ist^
als ob der Stab der Netzhaut schräg gegenüber gestellt wäre, mit dem
einen Ende näher, mit dem andern weiter. Ganz dasselbe bewirken wir
an einem gesunden Auge durch Vorhalten eines Prisma; auch hier wird das
Auge gewissermassen dem Objecte schief gegenüber gestellt, und wer
es nicht wüsste, dass ein vorgehaltenes Glas prismatisch geschliffen sei,
würde ein hierauf betrachtetes Object für schief öder anderswo stehend
Ü86 Augenmuskeln.
halten, weil die Veränderung- der Stellung seines Auges zum Objecte nicht
durch Muskelaetion zum Bewusstsein gebracht wurde. — Dass das Doppel-
bild etwas höher erscheint, bemerkt der Kranke leichter, wenn man ihm
den Stab horizontal vorhält, und nicht weit von der Horizontalen abweicht;
geht man tiefer herab, so kommt man auf einen Punkt, wo das Doppel-
bild mit dem wahren gleich hoch steht, dann aber, beim weitern Herab -
gehen auf Punkte, wo es relativ tiefer steht, indem die Pupille des affi-
cirten Auges durch den Obl. superior allein nicht so tief herabgerollt
werden kann, wie die des gesunden Auges durch den R. inferior und
superior, mithin das Object in demselben auf einer höhern Netzhautstelle
abgebildet wird. Kranke mit Oculomotoriuslähmung kommen daher, falls
das affieirte Auge nicht geschlossen gehalten wird, besonders beim Stiegen-
steigen in Verlegenheit; doch machen auch im Zimmer die Wandungen,
auf der Strasse die Gebäude auf sie den Eindruck, als hingen sie oben
herüber und drohten mit Einsturz.
Die Sinnestäuschung ist hier so unerträglich, dass, wenn man das
affieirte Auge behufs der Aufnahme der Erscheinungen offen halten lässt,
der Kranke bald das affieirte, bald das gesunde Auge, so gut es eben
geht, verdreht, sich dem Doppeltsehen unwillkürlich entzieht, und die
Untersuchung überhaupt nicht lange aushält. Er bekommt Schwindel, wird
blass, hinfällig, zur Ohnmacht geneigt. Meistens wird das befallene Auge
über den Mittelpunkt der Lidspalte auswärts gelenkt, so dass das Bild von
Objecten in der Medianebene schon auf eine sehr peripherische Stelle der
Netzhaut fällt, zumal bei engem Horopter. Überdiess kann das Auge nur
ungenügend oder gar nicht für die Nähe eingerichtet werden, erscheinen
die Bilder naher Objecte auch aus diesem Grunde undeutlich. Wenn aber
auch der Kranke seine Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung des afficir-
ten Auges lenkt, so hält er die gleichzeitige Fixirung des Objectes mit
dem gesunden Auge meistens nicht lange aus und verdreht dasselbe ver-
schiedenartig, meist nach dem äussern Winkel hin.
Die Pupille des afficirten Auges erscheint bei vollständiger Oculomo-
toriuslähmung massig erweitert, gewöhnlich Vl^" im Durchmesser,*)
rund oder ein wenig oval (von oben nach unten länger), durchaus starr
und unbeweglich. Sie verengert sich nicht, wenn man auf dasselbe oder
auf das aridere Auge nach längerer Beschattung volles Licht einwirken
lässt, wogegen die des andern Auges normal reagirt , wenn das kranke
Auge abwechselnd Licht und Schatten ausgesetzt wird. Sie verengert sich
") Ohngefahr eben »o gross, wie caeleiia pnriLus auf dem ji.dcni (gesondeu) Auge beim Bl.ck in die Ferne.
Lähmung der vom IN', oculomot. versehenen Muskeln. 28*7
nicht, wenn man den Kranken ein nalies, und erweitert sieh nicht, wenn
man ihn ein entferntes Object fi.xiren heisst. Aber sie erweitert sich in
der gewöhnliehen Stärke (auf 4'" und darüber) nach Einträuflung von
Atropin. *)
Das von completer Oculomotoriuslähmung befallene Auge ist der
Accommodation mehr weniger verlustig, es ist eine Abänderung seines
Refractionszustandes, wie sie das Erkennen feiner Gegenstände bis zur
Annäherung auf 5 Zoll erfordert, nicht mehr möglich; der Nahepunkt isl
auf 8", 10" u. s. w. hinausgerückt. Ich zweifle, dass man jemals Fälle
von Oculomotoriumslähmung mit unversehrter oder auch nur relativ guter
Accommodation finden werde; nur muss man nicht Fälle als Gegenbeweis
benützen, wo die Muskeln durch mechanische Hindernisse, Krankheiten in
der Orbita, in der Rollung des Bulbus gehindert sind. Gerade wenn ein
Bulbus völlig starr steht und nach keiner Richtung hin bewegt werden
kann, liegt die Annahme viel näher, dass sie nur mechanisch gehindert
sind, ohne desshalb auch ihren Tonus und ihre Contractionsfähigkeit ver-
loren zu haben, als die Annahme, dass eine wirkliche Lähmung sämmtlicher
Muskeln obwalte, welche nicht nur jede Ablenkung der Sehachse, sondern
allerdings auch jede erhöhte Spannung, mithin auch die Accommodation
unmöglich machen muss.
Hiemit im Einklänge steht die Thatsache der Beobachtung, dass in
solchen Fällen die optische Sensibilität, die Energie der Netzhaut eine
Zeit lang etwas vermindert erscheint. Zwei Facta sind es, welche diess
direct anzeigen: Der Kranke sieht Objecte in der deutlichen Sehweite
etwas kleiner, und er sieht ferne Objecte minder deutlich, als mit dem
gesunden Auge. Ich weiss bestimmt, dass einige Kranke ein Zweigroschen-
stück (Kupfer) für ein Groschenstück hielten, welches sie bei derselben
Distanz (15—25") nachher mit dem gesunden richtig erkannten. Entweder
es verhält sich mit der Sensibilität der Netzhaut so wie mit der Empfind-
lichkeit der Cutis oder Cornea, welche bisweilen bei Muskellähmungeu
vermindert ist, oder es hängt dieses Phänomen von der geringern Span-
nung der Netzhaut ab, wenn unsere oben ausgesprochene Vermuthung
f) Diese Erscheinung ist zu Gunsten der Ansicht aufgeführt worden, dass die Belladonna reizen I auf die vom N.
sympathicns versehenen Radialfaseru der Iris wirke; sie beweist jedoch nichts weiter, als dass die Kreisfaseni
der Iris nach Lähmung des Nerven, der ihre Contraction bis zum höchsten Grade vermittelt, nicht auch schon
alle ihre Spannkraft verloren haben. Nimmt man Aufhebung der Spannkraft in den Ciliarfasem der Iris als die
eigentliche Wirkung der Belladonna an, so wird nicht nur die Erscheinung erklärt, dass erst nach dem Eintreten
dieser Erschlaffung die Radialfasern sich frei und ohne Gegenzug conlrahiren können, sondern auch die Wirkung
der Belladonna auf die Iris in Einklang gebracht mit der Wirkung derselben auf andere Sphinktern!. Donders
hat bekanntlich nachgewiesen, dass die in den Bindehaulsack eingeträufelte Atropinlösung in das Kammerwasser
aufgenommen und demnach mit der Iris in unmittelbaren Contact gebracht werde.
288 Augenmuskeln.
g
richtig ist, dass durch Erhöhung der Spannung der Netzhaut bis zu einem
gewissen Grade die Schärfe des Gesichtes gesteigert wird.
Folgende Bemerkung', obwohl in mehrfacher Beziehung Unvollständig (aus dem
Jahre 1844), dürfte trotzdem in andern Beziehungen heinerkenswerth sein, wenigstens
zur Anreihung analoger Fälle. Eine 35 Jahre alte Witwe, übrigens ganz gesund, litt
seit einigen Wochen, als sie zu mir kam, an Doppeltsehen, dessen Entstehen sie anhal-
tender Anstrengung mit Handschuhnähen, da sie drei Kinder enähren musste, zuschrieb
Ich notirte folgenden Zustand. Die Lidspalte beiderseits gleich; steht die linke Pupille
in der Mitte der Lidspalte, so steht die rechte auswärts, und der innere Band der Cornea
in der Mitte der Lidspalte. Die Bulhi von normaler Grosse und Lage. Wird beim Blicke
gradaus das linke Auge mit der Hand verdeckt, so stellt sich das rechte Auge grade,
kann aber bei der grössten Anstrengung nicht gehörig einwärts gestellt werden, immer
bleibt der innere Comealrand noch mindestens 2"' von der halhinondl'ärbigen Falte entfernt.
JVflc/t aussen kann das rechte Auge so vollkommen bewegt werden, wie das linke, in
allen Bewegungen ganz freie ; nach oben kann dasselbe so weit bewegt werden, wie
das linke, nur weicht es dabei etwas nach aussen ab ; nach unten kann es nicht gestellt
werden, es hleibt beim stärksten Abwärtswenden des linken Auges um mindestens I"'
zurück und weicht dabei etwas nach aussen ab. Ist die Pupille des linken gradaus ge-
richtet, so steht die Pupille des rechten nicht bloss auswärts, sondern auch zugleich ein
wenig höher, was sich nach dein Stande des untern Lides leicht erkennen lässt. — Die
Pupille des rechten Auges ist immer etwas grösser, als die des linken, etwa ls/,"'— 2'",
wenn diese 1'/,"' — 1 '/2'" misst, übrigens vollkommen rund und schwarz, die Iris bei-
derseits etwas trag beweglich. Hält die Kranke das linke Auge zu, so drehen sich alle
Gegenstände, so dass sie nicht gehen kann ; mit beiden Augen zugleich sieht sie dop-
pelt, mit gekreuzten Bildern, doch nur in der Ferne und hei gewissen Stellungen naher
Gegenstände. (Dieses .Verhalten bedaure ich nicht näher ermittelt zu haben.) Sie kann
sich auch des rechten Auges allein bedienen, wenn sie das linke auswärts ablenkt, hält
diess jedoch nicht lange aus. Bei zugehaltenem linken Auge sieht sie übrigens alle
Objecte so rein, wie mit dem linken, liest auch mit dem rechten, aber die Buchstaben
erscheinen ihr etwas kleiner; sie liest einen '//" hohen Druck mit dem rechten, wie
mit dem linken Auge allein, doch nicht anhaltend und zwar bei 5" so gut wie bei 12".
(Weiter wurde die Sehweite nicht geprüft.) — Ich wandte einige Zeit Reizmittel in der
Umgebung des Auges an, und schritt endlich (im October 1844) zur Durchschueidung
des R. externus am rechten Auge. Dieses stellte sich nun gerade, aber nun schielte
das linke auswärts, ohne Doppeltsehen. Nach einigen Wochen, als in den gelähmten
Muskeln des rechten Auges (R. internus und inferior) einige Beweglichkeit eingetreten
war, durchschnitt ich den R. externus am linken Auge. Die Sehachsen konnten sich nun
im Objecte kreuzen, ohngefähr zwischen 8 — 40 Zoil. Aber die Kranke kam schon wenige
Tage nach der Operation nicht mehr zu mir, bis Ende Mai 1846, um sich neuerdings
operiren zu lassen. Ich erfuhr nun, dass sie nach der Operation des linken Auges die-
ses fortwährend verbunden getragen hatte, um mit dem rechten, eUnt&lig ganz <>'ut ge-
wordenen, so wie vordem arbeiten zu können. Sie wollte jetzt wieder mit beiden ar-
beiten, um das rechte nicht für immer allein zu gebrauchen und anzustrengen. — Ich
fand das rechte Auge etwas mehr vorstehend, als das linke, scheinbar grösser, seine
Bewegliehkeil nach allen Richtungen frei , nur nach innen und aussen ein wenig
Lähmung der vom N.ociilomot. versehenen Muskeln. 289
•
beschränkt, beim stärksten Einwärtswenden mit dem Corncahande noch gegen V" von der
halbmondförmigen Falte abstehend, die Sehkraft und alle Gebilde desselben normal. Das
linke Auge durch das herabgesunkene obere Lid verdeckt, stand zu meinem Erstaunen
ganz unbeweglich mit der Pupille in der Mitte der Lidspalte, konnte weder ein- noch aus-,
weder auf- noch abwärts bewegt werden. Wenn die Kranke gradaus blickt, so schielt
sie nicht und sieht einfach; wenn sie nach irgend einer andern Richtung blickt, sieht
sie doppelt. Bemüht sie sich, mit dem linken Auge grade auswärts zu blicken, so wen-
det sich die Pupille ein wenig nach unten und aussen, ohne jedoch in dieser Lage fixirt
zu werden ; sie kehrt bald wieder in ihre frühere Stellung zurück. Bei dieser Wendung
nach unten und aussen dreht sich der Bulbus um die Sehachse. Die Iris hat nämlich
unter der Pupille einen dunkelbraunen Punkt. Bei ruhiger Stellung steht dieser Punkt
ohngefähr '/,'" einwärts von dem verticalen Durchmesser der Irisebene. Bei der ge-
nannten Bewegung steht dieser Punkt einige Augenblicke senkrecht unter dem Centrum
der Pupille. Diese Achsendrehung ist offenbar Folge des Obl. superior. Heisst man die
Kranke aufwärts blicken, so rollt sich der Bulbus ein wenig (kaum merklich) in entge-
gengesetzter Richtung (wohl in Folge der Erschlaffung des Obl. superior). Über den
Stand des Doppelbildes habe ich leider nichts notirt, als dass das dem linken Auge an-
gehörige etwas höher stand, als das des rechten. Die Iris war trag beweglich, die
Pupille etwas grösser, als auf dem rechten Auge, überdiess oval, im senkrechten Durch-
messer 2 '4'", im queren 2'". Mit diesem Auge allein konnte Druckschrift von 1'" Höhe
mühsam bei circa 7", ziemlich gut von 9 — 15 Zoll gelesen werden, während das rechte
Auge denselben Druck schon von 5, mit Anstrengung selbst von 4 Zoll an lesen konnte.
Verschiedene Heilversuche mit Veratrin, Strychnin, Acupunctür und Elektricität blieben
ohne Erfolg und die Kranke wurde am 20. März 1847 aus der Behandlung entlassen.
Elisab. V., 37 Jahre alt, consultirte mich wegen Doppelsehen. Ich fand das linke
Auge in jeder Beziehung normal. Rechts wird die Lidspalte bis auf etwa 3'" geöffnet,
die Falle des oberen Lides ist verstrichen. Die Pupille weicht, wenn das linke Auge
grädaus sieht, etwa l'"-nach aussen ab. Doppeltsehen mit gekreuzten Bildern. Bei Ver-
schluss des linken Auges kann die rechte Pupille noch etwas über die Mittellinie ein-
wärts gerollt werden. Lässt man die Kranke mit beiden Augen aufwärts blicken, so
bleibt das rechte Auge etwas zurück, und die Divergenz tritt deutlicher hervor; ebenso
bleibt das rechte Auge beim Blicke nach unten etwas zurück, und die Divergenz ist
ebenfalls deutlicher. Die Pupille des rechten Auges misst etwa 1 '/3 — 1 '/2 , wenn die des
linken 1'" Durchmesser zeigt. Bei Verschluss des linken Auges kann sie mit dem rech-
ten lesen, am besten zwischen 15 — 20", weniger gut bei 10 — 12", gar nicht mehr un-
ter 7". Durch eine Kartenblattöffnung von 1'" Durchmesser liest sie bei 5", durch en-
gere Offnungen noch näher. Beim Blick auf Gegenstände im Zimmer befällt sie Schwin-
del, und sie kann, wenn das rechte Auge geschlossen wird, nicht über's Zimmer gehen,
wird selbst beim Sitzen schwindlich. Hält sie beide Augen offen, so vermischen sich
ihr alle Gegenstände, und das rechte Auge schliesst sich unwillkürlich. Sie meint —
wenn beide Augen geöffnet sind — der Fussboden erhebe sich je weiter je mehr, glaubt
auf ebener Strasse die Füsse mehr heben zu müssen, wie beim Bergsteigen. — Sie ist
von schwächlicher Constitution, blass, doch sonst angeblich gesund. Sie führt eine siz-
zende Lebensweise, indem sie sich durch Handschuhnähen ernährt. Sie gibt an, dass
sie an demselben Zustande schon vor 5 Monaten gelitten habe, nur in geringerem Grade,
und dass sie von selbst nach etwa 6 Wochen davon genesen sei. Der jetzige Anfall
Arll's AuScnUeilliunde III, 2. 19
290 Augenmuskeln.
besteht seit 8 Tagen, ohne dass man im Stande ist, ein bestimmtes Moment als Ur-
sache bezeichnen zu können. Das erste Symptom war Schwindel. — Ich ordinirte vor-
läufig nichts, indem ich die Kranke erst beobachten wollte ; sie kam jedoch nicht mehr
zu mir.
Lähmung des Trochlearis kommt relativ am seltensten vor, und
ist am schwierigsten zu erkennen. Die wichtigsten Vorarbeiten zur Dia-
gnosis dieses Leidens verdanken wir Szokalsky, Ruete und Donders, die
förmliche Diagnostik aber A. von Gräfe im Archiv für Opth. I. B. I. Abth.
S. 1 bis 81. Die hier folgende Darstellung ist der eben genannten Ab-
handlung entlehnt.
Die Stellung der Hornhaut scheint beim Blick geradeaus ziemlich
normal zu sein, erweist sich jedoch bei genauer Prüfung, während ein
bestimmter Punkt scharf angesehen wird , als etwas höher und um eine
Spur nach innen gelenkt. Wird während des Fixirens vor das gesunde
Auge die Hand vorgeschoben, so bemerkt man, dass die Hornhaut des affi-
cirten Auges aus ihrer frühern Lage ein wenig nach unten und aussen
rückt, also früher unrichtig stand. (Beobachten wir, was während dieses
Vorganges die Hornhaut des gesunden Auges unter der deckenden Hand
thut, so sehen wir, dass dieselbe etwas nach innen und unten steht, so
lange das kranke Auge fixirt, nach dem bekannten Gesetze, dass, wenn
auf dem einen Auge der afficirte Muskel in erhöhten Anspruch genommen
wird , auf dem andern Ablenkung nach der Seite der associirten Muskel
eintritt.) Wird das Object in der Medianebene nach unten geführt , so
bleibt das afficirte Auge mehr und mehr zurück und weicht mehr und
mehr nach innen ab. Gehen wir dagegen mit dem Objecte in der Me-
dianebene nach oben , so verschwindet entweder hart an der Horizontal-
ebene oder ein Weniges über derselben jede Spur von fehlerhafter Stel-
lung. Dasselbe findet statt, wenn wir in dem obern Theile des Sehfeldes
nach rechts oder links herüber gehen. Verrücken wir ihn aber in der
untern Hälfte des Gesichtsfeldes seitlich, so treten verschiedene Stellungen
auf. Rückt der Gegenstand nach der dem betroffenen Auge entgegen-
gesetzten Hälfte des Gesichtsfeldes, so bleibt das Auge in Bezug auf die
Senkung der Cornea immer mehr zurück , in Bezug auf die Einwärtsrol-
lung immer weniger; wird hingegen das Object nach unten und aussen
von dem afficirten Auge gebracht , so weicht die Stellung des afficirten
Auges von der des gesunden sowohl in der einen als in der andern Be-
ziehung allmälig immer weniger ab.
Beim Blick nach oben findet Einfachsehen statt; so wie aber der Ge-
genstand in der Medianebene sich der Horizontalen nähert, tritt Diplopie
Lähmung des Trociilearis. 291
-.
ein, mit gleichnamigem, also durch Convcrgenz der Sehachsen bedingtem
Doppelbilde. Zugleich steht das Bild des kranken Auges beträchtlich tiefer,
als das des gesunden, und überdicss schief gestellt. Ein vcrlical vorge-
haltenes schmales und langes Objcct erscheint nämlich mit dem obern
Ende zur Medianebene (einwärts) geneigt, überdiess «her auch weiter
von der Antlitzebene entfernt , als mit dem untern Ende (umgekehrt wie
bei Lähmung des Oculomotorius , respective des R. inferior). Geht man
mit dem Objecte in der Medianebene unter die Horizontale hinab, so tre-
ten die Doppelbilder sowohl in ihrem seitlichen Intervall als im Höhen-
unterschied immer mehr auseinander , und auch die Schiefheit nimmt um
Einiges zu. Geht man ferner mit dem stark unter der Horizontalen be-
findlichen Gegenstande nach der Seite des gesunden Auges über die Me-
dianebene hinüber , so nimmt sowohl die Schiefheit als der seitliche Ab-
stand mehr und mehr ab, der Höhenunterschied wird aber immer beträcht-
licher , so dass für die äusserste Stellung des Objectes , in welcher ge-
meinschaftlich gesehen werden kann, die Doppelbilder beinahe gerade über
einander liegen. Geht man dagegen mit dem unter der Horizontalebene
befindlichen Objecte auf der Seite des kranken Auges weiter und weiter
von der Medianebene seitlich herüber , so nimmt der Höhenunterschied
rasch, der seitliche Abstand langsamer ab, und die Schiefheit wird immer
beträchtlicher, doch nur in der Zuneigung zur Medianebene, nicht in der
Abneigung von der Antlitzebene. Bei den Versuchen über der Horizon-
talen lässt sich das Doppellsehen in der dem gesunden Auge entsprechen-
den Hälfte des Gesichtsfeldes noch um einen geringen Winkel hinauf ver-
folgen, dann verschwindet es; auf der dem kranken Auge entsprechenden
Hälfte schneidet es , je weiter man seitlich vorrückt , desto genauer mit
der Horizontalen ab.
Die spontane Kopfhaltung der Kranken ist ziemlich charakteristisch.
Anfangs tragen sie den Kopf gerade nach vorn (um die transversale Achse
gedreht), um alle Objecte möglichst in den obern Theil des Gesichtsfeldes
zu bringen und so das Doppeltsehen zu umgehen. Sehr bald jedoch
drehen sie den Kopf gleichzeitig auch um die verticale Achse nach der
entgegengesetzten Seite, damit sie die Gegenstände nicht bloss nach oben,
sondern, auch in der mit dem afficirten Auge gleichnamigen Hälfte des
Gesichtsfeldes sehen, denn für diese Stellung fühlen sie sich im Einfach-
sehen am sichersten , und zwar um so mehr , wenn durch beginnende
Secundärcontractur des Obl. inferior die Grenze des Doppeltsehens sich
auf der gesunden Seite über die Horizontalebene erhebt. Je entschie-
dener die Vermehrung in der Spannung des Obl. inferior wird, desto aus-
19*
292 Augenmuskeln.
geprägter Wird auch die Kopfdrehung um die verticale Achse. Später wenn
die schielende Stellung durch das ganze Gesichtsfeld geht, pflegt auch die
angenommene Kopfhaltung in gewissem Grade aus Gewohnheit fortzube-
stehen, wird aber doch weniger forcirt, da ihre Zweckmässigkeit für den
Sehact mehr und mehr erlischt. Der Kranke kann nun die Doppelbilder
nicht mehr in eins zusammenschmelzen , und muss sich dadurch helfen,
dass er entweder ein Auge schliesst, oder dass er ein Doppelbild physio-
logisch unterdrückt, oder dadurch, dass er es durch die Contraction eines
andern Augenmuskels so weit ablenkt , bis es der grossen Excentricität
wegen an störendem Einfluss auf das Sehvermögen verliert.
„Das Sehvermögen war in keinem unserer Fälle erheblich gestört, so
dass die Tragweite selbst für die kleinsten Objecte von der des gesunden
nicht wesentlich abwich. Die Accommodation zeigte sich ziemlich normal;
nur in der Richtung nach unten und innen schien sie weniger andauernd
und weniger excursiv, offenbar wegen der mühsamen Einstellung der Seh-
achsen." (Gräfe.)
Zur beispielweisen Erläuterung will ich, obwehl mir zwei eigene Beobachtungen
zu Gebote stehen, einen von A. v. Gräfe (Archiv. I. B. 2. Abth. S. 313) beschriebenen
Fall wählen, da derselbe nicht nur wegen exaeter Beobachtung, sondern auch wegen
Complication der Trochlearislähninng mit Abducenslähmung ein ganz besonderes Inter-
esse hat.
„Ein Kleidermacher von 49 Jahren hatte vor geraumer Zeit einen Chanker gehabt,
der schnell und ohne Spuren zu hinterlassen heilte. In seinem 36. Lebensjahre hatte er
abermals einen Chanker, welcher längere Zeit bestand, und dem, wie er angibt, nach
Jahresfrist andauernde Hautausschläge folgten. Diese haben sich in den letzten Jahren
wiederholt, auch sind mehrere Abscesse am Halse vorhanden gewesen, die eröffnet wer-
den mussten. Der letzte derselben bestand vor einem Jahre, mit ihm zugleich ein an-
derer über der Articulatio sternoclavicularis. Vor 4 Jahren hatte Pat. zuerst Taubheit
des Gefühls in der rechten Schulter bemerkt, so wie Schmerzen im rechten Arm mit
bedeutender Schwäche bei der Arbeit. Vor 3 Jahren fing das jetzige Augenleiden mit
Blendung und mangelhafter Ausdauer bei der Arbeit an; Doppeltsehen will der Kranke
zuerst vor 5 Monaten beobachtet haben.
Bei der Untersuchung fand ich den rechten Arm nur um weniges schwächer, als
den linken, dagegen ausgeprägte paralytische Erscheinungen in den Augenmuskeln. Am
auffallendsten war zunächst die Lähmung im linksseitigen M. abducens ; die Cornea konnte
nur um einen geringen Winkel (etwa 10 Grad) über die Mittellinie nach aussen gerich-
tet werden und auch diess geschah unter zuckenden, zum Theil auch unter rollenden
Stössen. Mit den objeetiven Zeichen übereinstimmend war die Diplopie ; je mehr das
Qbject auf die linke Seite des Gesichtes herüber bewegt wnrde, desto mehr wuchs die
Entfernung des gleichnamigen Doppelbildes. Höhenunterschied und Schiefheit wurden
in der horizontalen Visirebene nicht angegeben. Bewegte ich das Object nach unten,
so zeigten die Doppelbilder die Eigenschaften, welche auf die linksseitige Paralyse des
M. abducens nicht zu beziehen waren, es trat nämlich ein namhafter Höhenunterschied
Lähmung des Trochlearis. 293
zwischen den beiden Bildern auf, so dass das linke Bild höher, das rechte tiefer stand ,
da vollends die Diplopie im ganzen untern Theil des Gesichtsfeldes, selbst wenn man
ziemlich stark nach rechts hinüberging, vorhanden war, so musste noch eine andere
Affection, als die linksseitige Abducenslähmung aufgesucht werden. Ich hielt das Objecl
nach unten und etwas rechts herüber, um dem linken Auge die Fixation zu ermöglichen,
und glaubte mich schon bei aufmerksamer Inspection der Sehachsenrichtung zu über-
zeugen, dass nun das rechte Auge nach innen und oben vom Objecl vorbeischoss. In
der That ergab sich, dass beim Schluss des linken Auges die Cornea des rechten sich
nach aussen und unten verrückte. Im obern Theile des Gesichtsfeldes standen, wenn
das Object rechts gehalten wurde, die beiden Sehachsen richtig und es fand Einlach-
seheu statt. So konnte kein Zweifel bestehen, dass eine Parese in den nach unten
ziehenden Muskeln des rechten Auges vorhanden sei, und es fragte sich nur noch, ob
der R. inferior oder der Obl. superior betheiligt war. Die pathologische Convergenz,
welche beim Blick nach unten statt fand, sprach schon von Anfang an für eine Affe-
ction des Trochlearis, und doch hätte dieses Symptom hier wegen der linksseitigen Ab-
ducenslähmung tauschen können, da bekanntlich auch bei Abducenslähmutig mehr Nei-
gung zur Convergenz der nach unten als der nach oben gerichteten Sehachsen vorhan-
den ist. Freilich war bei dem Kranken die Zunahme der Convergenz, wenn man in
der 31edianebene das Object herabsenkte, zu auffallend, als dass man dieselbe hätte auf
Abducenslähmung gründen können, sofern nämlich bei letztgenannten Lähmungen wohl
oberhalb der horizontalen Visirebene ein erhebliches Schwanken der Convergenz (je
nach der Höhe), unterhalb der horizontalen Visirebene aber nur eine geringfügige und
zuweilen gar keine Zunnahme der Convergenz (nach unten hin) nachweisbar ist. Auch
hätte sich füglich die Convergenz nicht bis gegen den äussersten Theil des Gesichtsfel-
des nach rechts, wenn auch in abnehmender Weise wie hier, erhalten können. Trotzdem
lag die Idee einer seeundären Contractur im R. internus des rechten Auges, wie solche
so häufig bei Paralyse des Antagonisten im andern Auge vorkommt, immer noch nahe
genug, um positivere Beweisgründe wünschen vverth zu machen. Zum Glück für die
Diagnose gab der Kranke eine deutliche Schiefheit des rechten Bildes an ; dasselbe war
mit seiner obern Extremität nach links geneigt, also ganz conform einer Trochlearis-
parese, entgegengesetzt einer Parese des R. inferior. Um nun die weitern controlliren-
den Merkmale zu gewinnen, ging ich mit dem Objecte im untern Theil des Gesichts-
feldes von rechts nach links herüber, erwartend, dass die Schiefheit in dieser Richtung
continuirlich abnehmen würde. Dem war nicht so; freilich gab Pat. zuweilen auf der
erstem Hälfte der Bahn (von rechts bis zur .Medianebene) einige Verringerung der Schief-
heit an, aber von der 31ittellinie bis zur äussersten Haltung nach links wurde gar keine
Abnahme, zuweilen sogar eine Zunahme der Schiefheit bemerkt. Diese Störung der Symp-
tomengruppe hätte ich auf Grund der linksseitigen Abducenslähmung voraussehen sollen,
denn auch Paralysen des R. internus und des R. externus bedingen bei diagonaler Stel-
lung des Objectes Schiefheiten, welche mit der physiologischen Neigung der Meridiane
in Zusammenhang gebracht werden müssen. Demzufolge hätte bei beschränkter Beweg-
lichkeit nach aussen und unten eine scheinbare Schiefheit des linken Bildes nach rechts
herüber stattfinden müssen, welche die scheinbare, durch Trochlearislähmung bedingte
entgegengesetzte Schiefheit des rechten Bildes nothwendig steigern müsste. Diess, glaube
ich, erklärt genügend die ausbleibende Abnahme der Schiefheit nach links und hat diese
Ansicht im weitern Verlaufe der Krankheit ihre Bestätigung gefunden. - Vollständig
294 Augenmuskeln.
charakteristisch war das Wachsen des Höhenunterschiedes der Bilder, wenn man mit
dem Objecto von rechts nach links herüberging, und konnte schon durch Inspection an
der Sehachsenrichtung erkannt werden. Ebenso fehlt das Näherliegen des rechten Bil-
des nicht. Die Beweglichkeit der Sehachse nach innen — unten war beim Verschluss
des linken Auges bedeutend verringert. Die Kopfhaltung zeigte sich etwas anders, als
bei einfacher Trochlearislähmung. Während sonst die Kranken den Kopf nach der affi-
cirten Seite und gleichzeitig nach vorn drehen, war bei diesem Pat. der obere gleich-
namige Theil des Gesichtsfeldes dem Einfachsehen erhalten, und er trug den Kopf etwas
nach vorn geneigt, aber gleichzeitig nach links um die Vertikalachse gedreht. — Das
Sehvermögen zeigte sich auf beiden Augen gleich; ein gewisser Grad von Accommoda-
tionsparese mit Erweiterung des Mesoropter schien schon von früher her vorhanden zu
sein. — Das Allgemeinbefinden war sehr gestört ; Pat. klagte über fortwährendes Brau-
sen im Kopfe, grosse Schwäche und Abnahme des Körpervolums.
Als Grund der beiderseitigen Lähmung wurde die inveterirte Lues aufgefasst; ob
eine materielle Veränderung an der Basis cranii zugegen war, und welche, blieb unent-
schieden, weil die nöthigen Anhaltspunkte für die Bestimmung fehlten. Ich verordnete
Kali jodatum, und schon nach einigen Wochen zeigte sich eine Besserung beider Muskel-
lähnmngen, so jedoch, dass die Lähmung des Abducens schneller rückgängig wurde, als
die des Trochlearis. Als mich kürzlich der sich für vollständig geheilt ansehende Kranke
besuchte, war die Abducenslähmung verschwunden, das Doppeltsehen nach unten jedoch
noch künstlich (durch viollete Gläser) nachweisbar. Jetzt zeigte sich zu meiner grossen
Freude eine volle Übereinstimmung der Symptome mit den für Trochlearis-paralyse als
charakteristisch angegebenen, denn trotz des geringen gegenseitigen Abstandes der Dop-
pelbilder, der noch übrig war, konnte nun die früher durch Abducenslähmung gestörte
continuirliche Zunahme der Schiefheit von links nach rechts deutlich genug nachgewie-
sen werden. — In therapeutischer Beziehung war es erfreulich, dass alle übrigen Krank-
heitserscheinungen, die Schwäche im Arm, das Brausen im Kopf mit der Augenmuskel-
lähinung vollständig rückgängig wurden, dass das Aussehen und Befinden des Kranken
sich bedeutend besserte und das Körpergewicht erheblich zunahm. Das Kali jodatum
(gegen 2 Unzen) wude mit kurzen Unterbrechungen circa 8 Wochen gebraucht.
Schielen (Strabismus).
Schielen heisst ein Auge (dessen Sehachse') von dem Gegenstände
ablenken, welchen das andere fixirt. Die Ablenkung ist activ, beruht
auf cxcessiver Contraction (später auf Confractur) eines oder mehrerer
Muskeln, und erfolgt im Allgemeinen unwillkürlich und trotz alles An-
kämpfens des Willens dagegen. Mit dieser activen Ablenkung zugleich
erfolgt Unterdrückung der Wahrnehmung des Gegenstandes, den das
andere Auge fixirt.
Willkürlich zu schielen vermögen nur wenige, und das meist jugend-
liche Individuen. Wenn Jemand, wie diess gewöhnlich zu physiologischen
Zwecken geschieht, seine Aufmerksamkeit auf einen entfernteren Gegen-
Schielen — Kennzeichen. 295
stand richtet, aber die Sehachsen in einem naher gelegenen Punkte sich
schneiden lässt, indem er sich einen solchen imaginirt, so kann man nicht
sagen, er schiele, sofern er nämlich jenen Gegenstand weder mit dem
einen noch mit dem andern Auge fixirt, sondern denselben beiderseits auf
excentrischen Netzhautstellen zur Abbildung bringt, daher mit keinem Auge
direct sieht. Auch das kann man nicht Schielen nennen, wenn Jemand
die Sehachse des einen oder des andern Auges nicht auf das Object rich-
tet, welches gesehen werden soll, sondern neben demselben aus dem
Grunde vorbeischiessen lässt, weil das directe Sehen unmöglich ist. z. B.
wegen centraler Undurchsichtigkeil der Medien oder wegen centraler Un-
tauglichkeit der Netzhaut. Es ist diess nur dann möglich , wenn das an-
dere Auge nicht zum Sehen verwendet wird oder ganz erblindet ist.
Einigen wir uns endlich dahin , dass wir das Zurückbleiben des einen
Auges hinter den Bewegungen des andern wegen mechanischer Hinder-
nisse (Verwachsung, Muskellähmung), mithin die passive Ablenkung des
einen Auges von dem Gegenstande, den das andere frei bewegliche Auge
verfolgt, nicht unter einem gemeinschaftlichen Namen mit der activen Ab-
lenkung zusammenfassen, so haben wir für den Ausdruck Schielen oder
Strabismus einen ganz bestimmten Begriff festgestellt, einen Begriff, wel-
cher im Wesentlichen das enthält, was seit J. Müller*} als Strabismus
concomitans beschrieben wurde, in welchen dagegen das, was man über
Strabismus lusciosus gesagt hat, nicht gehört.
Das Schielen tritt entweder nur zeitweilig auf, und zwar nicht bloss
das will- sondern auch das unwillkürliche, oder — wie in den meisten
Fällen — conlinuirlich. Auf das zeitweilige Auftreten des unwillkürlichen
Schielens übt bald die Accornmodation, bald der Wille, bald auch das All-
gemeinbefinden bestimmend ein. Manche schielen nur beim Betrachten
naher, andere nur beim Betrachten entfernter Objecte. Manche können
(namentlich dann, wenn sie auf schärferes Sehen verzichten) das Schielen
durch erhöhten Willenseinfluss auf mehr weniger lange Zeit vermeiden;
andere verfallen in diesen Zustand gerade, wenn sie ihn zu vermeiden
bemüht sind, und noch andere dann, wenn sie sich unwohl, verlegen
u. dgl. fühlen. — Das conünuirliche Schielen tritt entweder immer an dem-
selben! Auge in die Erscheinung (Str. non-alternans) , oder bald an dem
einen, bald an dem andern, jedoch in letzterem Falle immer in derselben
Richtung (niemals z. B. auf dem einen Auge ein-, dann auf dem andern
auswärts) und in demselben Grade (Str. alternans). Die häufigste Rich-
tung ist die nach innen, Str. convergens (als alternans oder non-alternans),
*) Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes, Leipzig, Ib^ti.
296 Augenmuskeln.
bedingt durch exeessive Contraetion oder Contractur des R. internus allein,
oder des R. superior oder R. inferior zugleich, wodurch das Schielen nach
innen- oben oder nach innen -unten zu Stande kommt; seltener ist das
Auswärtsschielen , Str. divergens (gleichfalls als alternans oder non-alter-
nans), bedingt durch exeessive Contraetion des R. externus, am seltensten
die Ablenkung nach oben, Str. sursum vergens, und die nach unten,
Str. deorsum vergens. In Folge von Lähmung des Obl. superior oder des
Obl. inferior kann durch seeundäre Contractur des Antagonisten (Obl. in-
ferior, respective superior) das von Einigen beobachtete Radschielen (mit
Drehung des Bulbus um die Sehachse) zu Stande kommen.
Jedes Schielen höheren Grades verräth sich durch die abweichende
Stellung der Cornea zu dem fixirten Objecte. Wo die fehlerhafte Stel-
lung wegen geringer Abweichung nicht sogleich augenfällig wird, braucht
man nur, während der Kranke zur Fixirung eines Objectes angewiesen
wird, vor das eine Auge die flache Hand vorzuschieben; das gesunde
Auge bleibt dabei ganz ruhig, das schielende verlässt aber seine fehler-
hafte Stellung zu dem Objecte augenblicklich, und stellt sich mit der Seh-
achse auf dasselbe ein, falls es überhaupt noch zum directen Sehen und
zum Wahrnehmen jenes Objectes geeignet ist. Hiebei ist jedoch nöthig,
dass der Kopf des Schielenden früher in die normale Stellung gebracht
und während der Proben darin erhalten werde. Auf die im Ganzen ge-
nommen seltenen Fälle , wo sich das schielende Auge nach Verdeckung
des gesunden nicht mit der Sehachse zum Objecte einstellt, sondern mit
derselben gleichsam daneben vorbeischiesst, werden wir später zu spre-
chen kommen. — Ein anderes Merkmal des schielenden Auges besteht
darin, dass es nach allen Richtungen hin frei bewegt leerden kann, be-
sonders wenn das gesunde Auge mit den Fingern zugedrückt wird. Auch
hievon gibt es Ausnahmen, theils bei frischen, theils bei inveterirten Fäl-
len des alternirenden und nicht-alternirenden Schielens. Wenn sich näm-
lich Schielen (z. B. einwärts) in Folge von Lähmung eines Muskels (des
R. externus) entwickelt, so kann zur Zeit, wo die Lähmung noch nicht
völlig verschwunden ist, die Beweglichkeit des Bulbus nach dieser Seile
noch beschränkt oder aufgehoben sein. Eben so wird, wenn die exees-
sive Contraetion des ablenkenden Muskels lange bestanden und zu förm-
licher Contractur (mit bleibender Verkürzung und Rigidität) geführt hat,
die Beweglichkeit nach der entgegengesetzten Seite theils hierdurch, theils
aber auch und zwar in noch höherem Grade dadurch beschränkt, dass
der Antagonist in Folge geringerer Übung atrophisch geworden ist. Nur
wo diese Momente wegen hochgradiger und viele Jahre lang andauernder
Schielen — Kennzeichen. 297
Ablenkung stark entwickelt sind, kann das schielende Auge nicht über die
Mitte der Lidspalte nach der entgegengesetzten Richtung hinübergestellt,
oder auch selbst nicht in der Mitte erhalten werden. — Hieran reiht sich
ein drittes Merkmal, nämlich dass das schielende Auge dem gesunden bei
allen Bewegungen folgt, und zwar unter gleicher oder doch nahezu glei-
cher Neigung seiner Sehachse zu der des gesunden Auges, so lange dieses
sich in demselben Horopter bewegt (seinen Refractionszustand nicht ändert).
Im gesunden Zustande schneiden sich die Sehachsen in dem fixirten Ob-
jectpunkte unter einem bestimmten Winkel, welcher für denselben Horop-
ter derselbe bleibt, für jeden weitern Horopter spitziger, für jeden engem
minder spitzig wird. Reim Einwärtsschielen schneidet die Sehachse des
schielenden Auges die des fixirenden vor dem Objecte, und zwar unter
einem um so weniger spitzigen Winkel, je höher der Grad der Ablen-
kung ist; wird das Object in demselben Horopter hin und her bewegt,
so folgt ihm auch das schielende Auge unter demselben Winkel. (Beim
Übergänge des Sehobjectes in die obere oder in die untere Hälfte des
Gesichtsfeldes ändert sich der Neigungs- oder Schielwinkel trotz dem,
dass der Horopter nicht geändert wird.) Wird das Object weiter entfernt,
so bleiben die Verhältnisse dieselben, nur ist der Winkel, unter dem sich
die Sehachsen schneiden, ein mehr spitziger. Ausnahmen hievon kommen
nur dann vor, wenn Rigidität des ablenkenden Muskels oder Paresis des
Antagonisten besteht. Rei Str. divergens liegt der Winkel, unter dem
sich die Sehachsen schneiden, hinter den Augen. Die Sehachsen sind also
bei einem und demselben Kranken für eine bestimmte Sehweite des fixi-
renden Auges an eine bestimmte Neigung zu einander gebunden, welche
sich — mit Ausnahme der angedeuteten Complicationen — nur mit der
Zu- oder Abnahme des Übels selbst ändert (Schielwinkel). — Hieraus er-
gibt sich ein viertes Merkmal des Strabismus. Wenn man einem Schie-
lenden, während er angewiesen wird, ein bestimmtes Object zu fixiren,
die Hand vor das ßxirende Auge schiebt, und nun, während das schie-
lende Auge ßxirt, den Stand des hinter der Hand befindlichen Auges
beobachtet, so findet man, dass dieses aus der normalen in eine fehler-
hafte Stellung übergegangen ist. Es steht einwärts: wenn das nun fixirende
Auge früher einwärts stand, auswärts: wenn dieses auswärts stand,
dagegen abwärts : wenn das andere Auge früher aufwärts schielte,
und aufwärts : wenn das andere abwärts schielte. Wird nämlich das
gesunde Auge verdeckt, so muss, um dem für gewöhnlich excessiv
contrahirten Muskel entgegenzuwirken, der Antagonist des schielenden
Auges in erhöhte Thätigkeil versetzt werden; der hiezu nöthige verstärkte
298 Augenmuskeln.
Impuls trifft aber immer zugleich auch den associirten Muskel des andern
Auges, springt gleichsam auf denselben über, da wir nicht im Stande
sind, diesen Impuls willkürlich auf ein Auge allein wirken zu lassen.
Schielt demnach z. B. das linke Auge auswärts, so muss der R. internus
desselben in erhöhte Thätigkeit versetzt werden, um das Auge dem Ob-
jecte gerade gegenüber zu stellen (und zu erhalten), und der Impuls hiezu
geht gleichzeitig und unwillkürlich auf den R. externus des rechten
Auges über. Schielt das linke Auge aufwärts, so sind die beiden R. in-
feriores in derselben Lage, wie früher der linke R. internus und der rechte
R. externus. Zu bemerken ist noch, dass das Auge hinter der Hand genau
oder doch nahezu um eben so viele Grade abgelenkt erscheint, als früher
das schielende. — Ein Kranker, der mit dem linken Auge einwärts schielt,
erhält aber auch schon bei beiderseits offener Lidspalte nicht bloss an
dem linken, sondern auch an dem rechten Auge den R. internus in ex-
cessiver Contraction, und bei einem Kranken, der auswärts schielt , Xindet
dasselbe Verhältniss in Bezug auf die beiden R. externi statt. Beim Aus-
oder Einwärtsschielen leiden immer beide gleichnamige Muskeln, nicht
bloss der des abgelenkten Auges. Beim wechselnden Schielen gibt sich
diess kund, eben weil die Sehkraft einen solchen Wechsel gestattet, ent-
weder rein nach Willkür oder nach Zulass der Sehweite des einen und
des andern Auges. Auch beim nicht-wechselnden Schielen ist es möglich,
das für gewöhnlich schielende Auge eine Zeit lang grade zu halten, doch
nur unter der Bedingung, dass das andere jetzt in derselben Richtung
und in demselben Grade abgelenkt wird. Ist jedoch die Sehkraft des be-
ständig schielenden Auges sehr gesunken, so vermag sich dasselbe nur
auf kurze Zeit oder gar nicht mehr in die Einstellung zum Objecte zu
behaupten. Aber gerade in solchen Fällen zeigt sich das Mitleiden des
gleichnamigen Muskels an dem andern Auge besonders eclatant an der
Kopfhaltung des Schielenden. Ein Kranker, der mit dem linken Auge
einwärts schielt, hält, um Objecte in der Medianebene seines Gesichtsfel-
des zu fixiren, den Kopf um die verticale Achse rechts gedreht. Gibt man
ihm ein Buch in die Hand, so hält er es nicht gerade dem Gesichte gegen-
über, sondern etwas schräg, mit der linken Seite zur Antlitzfläche geneigt.
Umgekehrt ist dieses Verhalten bei einem mit dem linken Auge auswärts
Schielenden. Hiedurch wird erreicht, dass der ablenkende Muskel des
schielenden Auges nicht so stark contrahirt zu werden braucht, wie wenn
die Antlitzfläche dem Objecte gerade gegenüber gehalten werden muss.
Führt man diese letztere Lage durch Correction der Haltung des Kopfes
oder des Objectcs herbei, so findet man, dass beim Einwärtsschielen z. B.
Schielen — Kennzeichen. 299
des linken Auges die Cornea desselben weiter einwärts gerollt wird, weil
jetzt die Cornea des rechten Auges ganz oder nahezu in der Mitte der
Lidspalte stehen muss, um das Object zu fixiren. Bei der spontanen Rechts-
drehung des Kopfes oder bei Herüberrückung des Objectes in die linke
Hälfte des Gesichtsfeldes ist demnach der R. internus des linken (schie-
lenden) Auges nur wenig oder gar nicht mehr contrahirt, als der R. in-
ternus des rechten Auges, während bei gezwungener Haltung des Kopfes
oder des Objectes die erhöhte Contraction des R. internus am linken
Auge allein die Ablenkung der Sehachse (Erhaltung des Schielwinkels)
vermitteln muss. Der Kranke überlässt sich aber der spontanen Kopf-
drehung oder Objectverschiebung um so lieber, als er dadurch nicht
nur grössere Freiheit in den assoeiirten und besonders in den aecom-
modativen Bewegungen erhält, sondern auch das Entstellende seines Feh-
lers bis zu einem gewissen Grade maskirt, i. e. die relativ stärkere Ab-
lenkung der linken Hornhaut gegen den innern Winkel verhindert oder
doch vermindert. Laien lassen sich auch auf diese Weise täuschen, und
meinen, das Schielen sei manchmal gar nicht oder nur in geringem Grade
vorhanden, auch in Fällen, wo dasselbe ganz gewiss continuirlich besteht.
Wenn wir einen Schielenden (bleiben wir bei dem gewählten Beispiele :
mit dem linken Auge einwärts) längere Zeit bei seinem Thun und Lassen
(unvermerkt) beobachten, so werden wir auch finden, dass er den Kopf
noch nach einer andern Richtung dreht, nämlich etwas zur Schulter der
betreffenden (linken) Seite neigt, ein Beweis mehr dafür, dass auch an
dem andern (rechten) Auge der gleichnamige (innere) Muskel excessiv
contrahirt ist. Es tritt hier dasselbe Verhalten ein, wie wenn der Anta-
gonist (R. externus) des nicht schielenden (rechten) Auges insufficient ist.
Die Haltung eines continuirlich Schielenden ist eine ganz andere als die
eines Einäugigen, selbst dann, wenn das schielende Auge sich gar nicht
mehr zu deutlichen Wahrnehmungen eignet. — Aus diesem Verhalten re-
sultirt aber auch, dass nach längerem Bestände des continuirlichen Schie-
lens nicht nur an dem schielenden, sondern auch an dem ßxirenden Auge
excesswe Contraction, endlich Contractur des betreffenden (gleichnamigen)
Muskels und Atrophie des Antagonisten eintritt, wenn gleich auf dem
fixirenden Auge in geringerem Grade, als auf dem schielenden. Leute,
welche durch viele Jahre mit dem einen Auge stark einwärts geschielt
haben, können daher auch das fixirende nicht gehörig auswärts stellen.
Dieser für die Operationslehre wichtige Satz erhält eben durch die un-
mittelbaren Ergebnisse der Muskeldürohschneidung selbst weitere Be-
stätigung. Es liegt demnach kein Widerspruch in der Behauptung, das
300 Augenmuskeln.
Schielen könne immer nur an einem Auge auftreten, aber die nächste Ursache
davon, die Muskelcontraction, bestehe immer an beiden Augen zugleich.
Das schielende Auge wird nicht zum directen, sondern nur zu in-
directem Sehen verwendet. Der Schielende gebraucht zum Betrachten der
Objecte jederzeit nur das eine Auge, und nimmt dieselben nur mit dem
fixirenden Auge wahr; er sieht daher auch niemals doppelt, selbst nicht
in der ersten Zeit der Affection, wenn man jene Fälle richtig auffasst,
wo Doppeltsehen die Veranlassung zum Schielen gibt. In diesem letzten
Falle befinden sich nicht nur jene, welche von Lähmung irgend eines
Augenmuskels befallen wurden, sondern gewissermassen auch jene, bei
denen die Wahrnehmung des jeweiligen Gesichtsobjectes mit dem einen
Auge durch undeutliche Wahrnehmung desselben mit dem andern Auge
gestört wird, wegen Trübung in den durchsichtigen Medien, wegen Dif-
ferenz im Refractionszustande oder wegen Netzhautaffection. Beim Dop-
peltsehen wegen Muskellähmung treten die Bilder in der Wahrnehmung
räumlich getrennt, im Gesichtsfelde auseinander gehalten auf, beim Dop-
peltsehen aus den letztgenannten Ursachen decken sich dieselben, werden
nicht als neben, sondern gleichsam als auf oder in einander liegend
wahrgenommen. In dem einen wie in dem andern Falle kann Schielen
eintreten, damit das Doppelbild unterdrückt werde. Das Doppeltsehen ist
nicht ein Symptom, welches das Schielen begleitet, sondern ein Act, wel-
cher leicht zum Schielen Veranlassung gibt,, wie wir bei der Ätiologie
unten zeigen werden. — Dass das schielende Auge nicht zum directen
Sehen verwendet werde , sieht man schon aus der Stellung desselben zu
dem Objecte, welches eben betrachtet wird. Dass es aber auch nicht
durch indirectes Sehen Kenntniss von den Gegenständen bringt, welche
das andere Auge sieht, ergibt sich leicht aus dem momentanen Ver-
schwinden der Wahrnehmung des fixirten Objectes, sobald man vor das
frxlrende Auge die Hand vorschiebt. Erst wenn das schielende Auge sich
zum Objecte eingestellt hat, wird dieses wieder wahrgenommen. Wie es
komme, dass das von dem gesunden Auge fixirte Object von dem schie-
lenden nicht wahrgenommen werde, trotzdem es auch auf diesem ein
Netzhautbild entwirft, wissen wir nicht. Wenn wir sagen, die Wahrneh-
mung werde unterdrückt, so ist diess nur ein figürlicher Ausdruck, wel-
cher insofern gut gewählt erscheint, als er gewissermassen das Active
dabei anzeigt. Denn auch bei Lähmung eines und des andern Muskels
wird auf dem Auge, dessen Achse nicht auf das Object gerichtet ist,
irgendwo seitlich von der Macula lutea ein Bild des Objectes entworfen,
aber dennoch wahrgenommen, und zwar trotz oft sehr bedeutender Ex-
Schielen — Kennzeichen. 301
centricität, merklich gesunkener Netzhautenergie und langem Bestände
des Leidens. Man muss demnach annehmen, dass die active Ablenkung
des Auges zugleich eine Bedingung für die Unterdrückung der Wahr-
nehmung der von dem andern Auge gesehenen Objecte in sich einschliesst.
So lange ein von Muskellähmung oder mechanischer Ablenkung eines
Auges Befallener es nicht zur activen Ablenkung des betroffenen (oder
des andern) Auges gebracht hat, gelingt es ihm nicht, der Wahrnehmung
des Doppelbildes zu entgehen, ausser durch Zukneipen oder erst nach
sehr langer Zeit, wenn die Netzhautenergie sehr gesunken ist. Beim
Schielen hingegen findet selbst bei einer sehr geringen Ablenkung, also
bei sehr geringer Excentricität des Netzhautbildes, schon keine Wahrneh-
mung des Objectes (kein Doppeltsehen) statt, auch in Fällen, wo die
Energie der Netzhaut des abgelenkten Auges der des fixirenden völlig
gleich geschätzt werden muss, und wo überhaupt kein Grund vorliegt,
eine merkliche Differenz in dem Netzhautbilde des einen und des andern
Auges (in Bezug auf Begrenzung und Helligkeit) anzunehmen. Schielende
können es bisweilen dahin bringen, dass sie doppelt sehen, d. h. auch
mit dem abgelenkten Auge das von dem andern fixirte Object wahrnehmen,
aber nur dann , wenn sie mit der Schärfe der Fixation nachlassen , auf
dieselbe Weise, wie Gesunde doppelt sehen können, sobald sie ihre Auf-
merksamkeit auf Objecte lenken, welche diess- oder jenseits ihres Ho-
ropters liegen, oder wenn sie, wie Böhm *) zuerst gezeigt hat , vor das
bessere Auge ein dunkelfarbiges Glas halten, oder endlich, wenn sie ihre
Aufmerksamkeit auf ein in der Richtung der Sehachse des schielenden
Auges gelegenes Object zu lenken im Stande sind. Auch nach der Mus-
keldurchschneidung sieht man bisweilen bei Fortbestand von wirklichem
Schielen Doppeltsehen auftreten, wenn nämlich die Durchschneidung insuf-
ficient ist, das Auge wohl noch in der frühern Richtung, aber nicht mehr
so stark wie früher abgelenkt erscheint. (Dem nach excessiver Rück-
lagerung des Muskels entstehenden Doppeltsehen liegt nicht Schielen zu
Grunde, sondern Luscitas, gleichbedeutend mit Muskelinsufficienz.) — Das
schielende Auge ist aber nie völlig unthätig, sobald es überhaupt noch
sehfähig ist. Es vermittelt durch indirectes Sehen die Erweiterung des
Sehfeldes nach der gleichnamigen Seite hin. Ein Schielender hat ein
weiteres Gesichtsfeld als ein Einäugiger. Zur Erweiterung des Sehfeldes
kann natürlich nur die innere Netzhauthälfte des schielenden Auges dienen,
gleichviel ob dasselbe ein- oder auswärts abgelenkt wird. Man lasse ein
(» Das Schieleuund der Seheinschniü in seinen Wirkungen auf Stellung und Sehkraft der Augen, Berlin 1855.
302 Augenmuskeln.
Object, z. B. einen Finger auf der Seite des schielenden Auges allmälig
von rückwärts vorrücken ; er wird wahrgenommen noch bevor er in jenen
Theil des Gesichtsfeldes vorgerückt ist, wo ihn das gesunde Auge sehen
kann. — Aus dem Gesagten erklären sich nun einige interessante That-
sachen der Beobachtung beim anhaltenden und nicht-alternirenden Schielen.
So wie in andern Sinnesorganen sinkt auch die Energie der Netzhaut
durch Mangel an Übung, und das schielende Auge wird nach lange be-
stehendem häufigen oder continuirlichen Ausschluss vom directen Sehen
amblyopisch. Die Amblyopie kann durch methodische und länger fortge-
setzte Übung wieder behoben werden, falls sie nicht schon so lange be-
steht, dass in der Netzhaut bereits bleibende Veränderungen (Gewebsum-
wandlungen) eingetreten sind. Für die Netzhaut ist aber nicht bloss das
directe, sondern auch das iudirecte Sehen eine, wenn gleich ungenügende
Übung. Daher versinkt jene Partie der innern Netzhauthälfte, welche
zu indirectem Sehen verwendet wird, nicht in so bedeutenden Torpor;
daher kommt es bei inveterirten und aus früher Jugend datirenden Fällen,
dass ein solches Auge — nach Verdeckung des gesunden — nicht mit
der Mac. lutea, sondern mit einer einwärts von derselben liegenden Stelle
dem Objecte, das gesehen werden soll, zugewendet wird. — Diese That-
sache gibt uns auch Aufschluss über das Verhalten des schielenden Auges
beim gemeinschaftlichen Sehacte. Wenn man nämlich bei inveterirtem
Einwärtsschielen findet, dass eine von der Macula lutea einwärts gelegene
Netzhautstelle noch die relativ grösste Empfindlichkeit bewahrt hat, und
desshalb dem zu sehenden Objecte gegenüber gestellt werden muss, so
könnte man meinen, das Einfallen des Lichtes von den Objecten des di-
recten Sehens, die Formation von Bildern der Objecte des directen Sehens
auf dieser Stelle sei es, welche derselben diese überwiegende Empfäng-
lichkeit bewahrt habe, weil eben diese Partie beim Einwärtsschielen am
meisten Licht erhalte und am meisten angeregt, in Thätigkeit erhalten
werde. Dem kann aber nicht so sein, weil auch bei inveterirtem Aus-
wärtsschielen, wo eine von der Mac. lutea auswärts gelegene Stelle in
derselben Lage zu den direct gesehenen Objecten sein musste, dennoch
die relativ grösste Empfänglichkeit der Netzhaut gleichfalls an einer ein-
wärts von der Mac. lutea gelegenen Stelle erscheint, und ein solches
Auge, wie Böhm zuerst hervorgehoben hat, wenn es bei Verschluss des
andern ein Object fixiren soll, jene einwärts gelegene Stelle dem Ob-
jecte zuwendet. Es ist einleuchtend, dass der Grund hievon nur darin
liegen kann, dass auch beim Auswärtsschielen eine von der Mac. lutea
einwärts gelegene Stelle es ist, welche fungirt, d. h. welche das indirecte
Schielen — Kennzeichen. 303
Sehen nach der betreffenden Seite hin, i. e. die Erweiterung des Sehfel-
des vermittelt, Das schielende Auge, in Bezug auf die Objecto des direc-
ten Sehens völlig unthätig, fungirt also nur mit einer kleinen Partie der
Wem Netzhauthälfte, mit jener nämlich, welche jenem Theile des ge-
sammten Gesichtsfeldes gegenüberliegt, der von dem schielenden Auge
allein beherrscht werden kann. Dieser Theil des Sehfeldes liegt natür-
lich in der gleichnamigen Hälfte des Gesichtsfeldes, beginnt von der Me-
dianebene bald mehr bald weniger entfernt je nach der Höhe des Nasen-
rückens (der Grenze für das Sehfeld des gesunden Auges) und erstreckt
sich von da auswärts. Demnach hat der Einwärtsschielende ein kleineres,
der Auswärtsschielende ein grösseres Gesichtsfeld als der Nichtschielende.
Beim Nichtschielenden zerfällt das Gesichtsfeld in drei Regionen, eine
mittlere grösste, die von beiden Augen zugleich beherrscht wird (ge-
meinschaftliches Sehfeld), und zwei kleinere seitliche, deren jede nur dem
betreffenden Auge allein angehört. Beim Schielenden fungirt das abge-
lenkte Auge bloss in der ihm allein angehörenden Region. Merkwürdig
bleibt hiebei, dass beim Schielenden für diese Region eine andere Netz-
hautpartie fungirt, als beim Nichtschielenden, und zwar beim Einwärts-
schielen eine relativ zum Gesunden weiter vorn, beim Auswärtsschielen
eine relativ weiter hinten (gegen die Mac. lutea hin) gelegene, dass aber
trotzdem eine Beirrung der Orientirung im Gesichtsfelde nicht beobachtet
wird. Hält man einem mit dem linken Auge continuirlich einwärts Schie-
lenden ein Object in der Mitte des Gesichtsfeldes gegenüber, so sieht er
es einfach, und zwar mit dem rechten Auge; geht man nun mit dem Ob-
jeete in der linken Hälfte des Gesichtsfeldes weiter und weiter von der
Medianebene seitlich ab, bis endlich das rechte Auge durch den Nasen-
rücken vom Sehen ausgeschlossen wird, so wird das Wahrnehmen des
Objectes nicht unterbrochen, sondern durch indirectes Sehen des schie-
lenden Auges vermittelt. Wo das eine Auge aufhört, fängt das andere
an, und bei stetigem Fortschreiten des Objectes erfolgt auch die Wahr-
nehmung stetig, ohne Absatz oder Sprung, ohne Beirrung in der Orien-
tirung im Gesichtsfelde. Ist die Sehkraft des schielenden Auges nicht sehr
gesunken, so tritt in dem Momente, wo das gesunde wegen des Nasen-
rückens nicht mehr fixiren kann, plötzlich eine Veränderung in der Stel-
lung beider Augen ein; das gesunde flieht in den innern Winkel, das
früher schielende stellt sich, so lange es noch möglich ist, in die visio
direeta, bis endlich, bei noch weiter gehender seitlicher Ablenkung des
Objectes, auch mit diesem Auge nur noch eine immer schwächer wer-
dende Wahrnehmung des Objectes möglich wird.
304 Augenmuskeln.
Das Sinken der Sehkraft des schielenden Auges erfolgt in sehr vielen
Fällen, die man als nicht-alternirende bezeichnen muss, lange nicht in so
hohem Grade, als es nach dem Gesagten geschehen sollte. Der Grund
davon liegt darin, dass das Auge, welches jedesmal abgelenkt wird, so
oft es sich um genaues Erkennen handelt, beim gewöhnlichen Sehen noch
mehr weniger oft zum directen Sehen benützt wird, d. h. dass der Kranke
unter Umständen sich des in Rede stehenden Auges bedient, während er
das bessere ablenkt. Wenn Objecte, welche in der betreffenden Hälfte
des Gesichtsfeldes so weit seitlich liegen, dass sie nur von dem schie-
lenden Auge wahrgenommen werden können , die Aufmerksamkeit des
Kranken erregen, so muss vermöge des Dranges, dieselben hinreichend
deutlich zu sehen, entweder der Kopf so gedreht werden, dass der Nasen-
rücken dem andern Auge nicht entgegentritt, oder es muss das betref-
fende Auge auswärts gerollt, mit der relativ empfindlichsten Stelle dem
Objecte zugewendet werden. Da aber jetzt ein sehr starker Impuls auf
den R. externus ausgesendet werden muss, um den excessiv contrahirten
R. internus zu überwinden, und da ein solcher Impuls nie auf den R. ex-
ternus allein gehen kann, sondern immer auch auf den R. internus des
andern Auges, so erfährt dieser gleichfalls einen stärkern Impuls, und das
früher gerad stehende Auge muss jetzt einwärts schielen, so lange, als
sich das schielende Auge in der Visio directa zu behaupten vermag.
Dass diess sich so verhalte, sieht man bei Paresis des R. externus, z. B. des lin-
ken Auges. Hält man den Augen ein Object in der rechten Hälfte des gemeinschaftli-
chen Sehfeldes vor, so verhält sich der Kranke in jeder Beziehung wie ein Gesunder.
Geht man aber in die Medianebene, oder bei sehr geringer InsufTicienz des R. externus
oc. sin. in die linke Hälfte des gemeinschaftlichen Sehfeldes, so entsteht Doppeltsehen,
indem die Cornea des linken Auges nicht genügend auswärts rückt. Verdeckt man nun
das rechte Auge durch Vorschieben der Hand, so wird das afficirte Auge augenblick-
lich so weit auswärts gerollt, dass directes Sehen möglich ist. Der R. externus, bei
Öifnung beider Augen insufficient, erhält jetzt gleichsam Kraft genug, das Auge mit der
Sehachse einzustellen; wenn man aber das rechte Auge hinter der Hand beobachtet, so
findet man, dass es nicht in der Visio directa, sondern nach innen abgelenkt steht, ein-
wärts schielt, und ist der Kranke im Stande, das linke Auge eine Zeit lang in der Visio
directa zu erhalten, so bleibt das rechte in der fehlerhaften Stellung und gibt (bei glei-
cher Sehkraft beider Augen) das schwächere (rechts gelegene) Doppelbild. Das Sen-
sorium commune, um das Object mit dem linken Auge direct zu sehen, sendet auf den
geschwächten äussern Muskel des linken, unwillkürlich aber auch auf den R. internus
des rechten Auges einen stärkern Impuls. Machen wir dasselbe Experiment in der rech-
ten Gesichtshälfte des Kranken, wo von dem R. externus des linken Auges keine erhöhte
Thätigkcit in Anspruch genommen wird, so tritt in dem verdeckten rechten Auge keine
solche Ablenkung ein.
Schielen — Kennzeichen. 305
In den eben erörterten Verhältnissen liegt bei sehr vielen Schielen-
den der Grund , dass sie sich mehr weniger häufig und auf eine mehr
weniger lange Zeit nicht des gesunden , sondern des schielenden Auges
zum directen Sehen bedienen, sobald die Sehkraft dieses letzteren es ge-
stattet. Ein anderer Grund liegt darin, dass das gesunde Auge bei vielen
Schielenden ob der excessiven Contraction des gleichnamigen Muskels nur
mit Anstrengung in der zum directen Sehen nöthigen Stellung erhalten
werden kann, daher das directe Sehen wegen Ermüdung des Antagonisten
zeitweilig aufgeben, und seine Rolle auf einige Zeit dem andern Auge,
falls diess hiezu lauglich ist, überlassen muss. Allerdings wird, wenn der
Kranke eine beliebige Stellung zum Objecte annehmen kann, der Anta-
gonist des excessiv contrahirten Muskels unterstützt durch die Drehung
des Kopfes; doch ist auch diese Aushilfe nicht unbeschränkt, namentlich
da, wo das Object nicht beliebig gestellt werden kann. Von der Richtig-
keit des Gesagten kann man sich leicht überzeugen, wenn man einen
Schielenden zwingt, bei streng normal gehaltenem Kopfe einem Objecte
gerade in der Medianebene oder in der dem gesunden Auge entsprechen-
den Hälfte des Gesichtsfeldes durch längere Zeit seine Aufmerksamkeit zu
widmen. Ein drittes, im Ganzen seltenes Moment zum Vertauschen der
Rolle des directen Sehens liegt in der Ungleichheit des Refractionszu-
standes der beiden Augen, welche, wie wir weiterhin sehen werden, ent-
weder schon vor dem Schielen bestand , und als Ursache desselben zu
betrachten sein kann, aber auch oft genug erst in Folge des Schielens
entsteht oder doch durch dasselbe vermehrt wird. Hier wirkt dann die
Distanz des Gegenstandes der Aufmerksamkeit, nicht seine Lage in der
rechten oder linken Hälfte des Gesichtsfeldes, massgebend.
Über das Accommodationsvermögen des schielenden Auges kann ich nicht viel Po-
sitives angeben, da ich auf diesen Punkt in früherer Zeit nicht genug aufmerksam war.
Aus dem über das Verhalten beim gemeinschaftlichen Sehacte Gesagten ergibt sich, dass
sich das Accommodationsvermögen bei verschiedenen Individuen verschieden verhalten
werde. Im Allgemeinen lässt sich wohl sagen, dass mit der Abnahme der Sehkraft des
schielenden Auges wegen mangelhafter Übung auch die Accommodationskraft all—
mälig erlahme. Wenn man behauptet, in Folge von Strabismus convergens entwickle
sich Myopie, in Folge von Strab. divergens Presbyopie, so habe ich dagegen nur zu
erinnern, dass ich bestimmte Beobachtungen habe, wo auswärts Schielende auf beiden
Augen kurzsichtig waren (ohne Trübung der durchsichtigen Medien). Böhm, welcher
dem Verhalten des schielenden Auges in Bezug auf den Refractionszustand zuerst beson-
dere Aufmerksamkeit gewidmet hat, hat sich durch das Verhalten solcher Augen zu Con-
vexgläsern zu der unhaltbaren Ansicht verleiten lassen, dass das schielende Auge pres-
byopiscb sei, nicht bedenkend, wie A. v. Q-räfe bemerkt, dass solche Augen schon wegen
der gesunkenen Energie der Netzhaut durch Convexgläser im Erkennen naher Gegen-
Arlt» Augenheilkunde III, 1. 20
306 Augenmuskeln.
stände unterstützt werden können. Nicht die Stellung des Auges ist es, welche den
Refractionszustand des abgelenkten Auges ändern kann, sondern nur die Art und Weise,
wie dasselbe noch von Zeit zu Zeit gebraucht wird. Dass Differenz in der Sehweite
beider Augen auch ohne Strabismus und bloss in Folge fehlerhafter Verwendung des
einen und des andern vorkommt, ist ein eben nicht seltener Fall. — Auch über den
Einfluss des Schielens auf die Acconunodationsthätigkeit des andern, für gewöhnlich nicht
schielenden Auges, orlaube ich mir kein bestimmtes Urtheil, obwohl einige Beobachtun-
gen dafür sprechen, dass ein solcher Einfluss — wenigstens in manchen Fällen —
bestehe.
Ätiologie. Die Entstehung des Schielens fällt meistens in das Kin-
des- und Knabenalter. Angeboren kann man höchstens die Ursache, z. B.
Sehschwäche, nicht aber das Schielen selbst nennen; es kann erst wäh-
rend oder nach der Regelung der associirten, und accommodativen Bewe-
gungen, also wohl nicht leicht vor der zweiten Hälfte des ersten Lebens-
jahres in Erscheinung treten. Seltener entwickelt sich Schielen im Jüng-
lings-, Mannes- oder Greisenalter. — Die Veranlassungen zum Schielen
sind mannigfaltig. Wir theilen sie (mit Guerin)*) in solche, welche zu-
nächst die Muskeln treffen, und in solche, welche vom Auge, von Hin-
dernissen in der Function desselben ausgehen, und unterscheiden in diesem
Sinne Str. muscularis und Str. opticus. Der Umstand, dass das durch
längere Zeit constant oder vorwaltend häufig abgelenkte Auge an Sehkraft
einbüsst, macht in vielen Fällen die Entscheidung der Frage schwierig,
in einzelnen selbst unmöglich, ob das abgelenkte Auge schon vorher func-
tionsuntüehlig war, zumal von den Kranken als Entstehungsursache oft
rein zufällige und unwesentliche Momente bezeichnet zu werden pflegen.
Strabismus opticus. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt die Ablenkung
des einen Auges desshalb, weil dasselbe dem andern in der Sehkraft oder
Sehweite beträchtlich nachsteht, und das bessere Auge in seiner Function
beirrt. Dieser Fall kann eintreten bei massigen Trübungen der durch-
sichtigen Medien, bei Amblyopie, bei relativer Kurz- oder Weitsichtigkeit
d^s einen Auges. Wenn unter solchen Umständen das eine Auge einen
deutlichen , das andere einen undeutlichen Eindruck auf das Sensorium
commune liefert, fällt der Gesammteindruek geringer aus, als der des
bessern Auges allein. Vergl. Hornhauttrübungen, I. B. S. 259 — 265. Das
schwächere Auge wird im Dienste des gemeinschaftlichen Sehactes abge-
lenkt, um dem bessern allein das Sehen zu überlassen. Man muss anneh-
men, dass die active Ablenkung zur Erleichterung der Unterdrückung des
schwächeren Eindruckes diene. Offenbar wird der Eindruck, den das von
dem bessern Auge fixirte Object in dem schwächern Auge hervorrufen
*) Gaz. med. de Hans, 1841, Nr. 6. "
Schielen — Ursachen. 307
kann, vermöge der Ablenkung- des Bildes auf eine excentrische , mithin
stumpfere Netzhautpartie mehr weniger abgeschwächt, so dass es schon
aus diesem Grunde leichter wird, von ihm zu abstrahiren. Es muss aber
dem Acte der Ablenkung noch ein anderer directer Einfluss auf die Unter-
drückung der Wahrnehmung zugeschrieben werden. Denn wir sehen, dass
bei passiver Ablenkung (luscitas) das Doppelbild sich dennoch dem Kran-
ken aufdrängt, trotzdem das betreffende Netzhautbild auf eine sehr weit
gegen die Peripherie hin gelegene Stelle fällt, und dass selbst bei Monate
langer Dauer dieses Zustandes das Abstrahiren von dem Doppelbilde nicht
gelingt; hingegen finden wir Fälle von Schielen, wo der Eindruck in dem
schielenden Auge vermöge der Beschaffenheit der durchsichtigen Medien,
der allgemeinen Energie der Netzhaut und vermöge relativ sehr geringer
Excentricität des Netzhautbildes ein sehr lebhafter, und von dem des
andern Auges bezüglich der Intensität nur wenig verschiedener sein
müsste, aber trotzdem — ohne besondere Hilfsmittel — nicht wahrge-
nommen wird. Bei den nach oben oder unten Schielenden beträgt die
Ablenkung äusserst wenig, nach dem relativen Stande der Pupille höch-
stens 1'", mehr schon (1 — 3'") bei den Auswärts-schielenden; die höch-
sten Grade von Ablenkung kommen beim Einwärtsschielen vor. Auch die-
ser Umstand zeigt, dass der Grad der Ablenkung allein nicht das Mass-
gebende für die Unterdrückung der Wahrnehmung sei. Die Annahme,
dass der Sehnerve geknickt oder gedrückt und hiedurch die Unterdrückung
des Doppelbildes vermittelt werde, ist durch gar nichts erwiesen, hat so-
gar von Seite der Anatomie und Physiologie entschiedene Gründe gegen
sich. Wenn wir auch nicht angeben können , auf welche Weise es ge-
schehe, dass mit der activen Ablenkung die Unterdrückung des Doppel-
bildes ipso actu zu Stande kommt, so darf uns das doch nicht bestimmen,
die Thalsache selbst in Zweifel zu ziehen, oder sogar uns vorzuspiegeln
die Schielenden sähen, wenigstens anfangs, doppelt. Es ist wahr, der Arzt
ist im Stande, den Schielenden unter Verhältnisse zu bringen, wo es sich
durch die Wahrnehmung des Kranken bestätigt, dass beide Netzhäute ein
Bild von je einem Objecte erhalten, i. e. wo Schielende doppelt sehen,
gleichwie eines und das andere dieser Verhältnisse und hiemit auch Dop-
peltsehen dem Schielenden bisweilen vom Zufalle dargeboten werden. Aber
man verdrehe doch die Thatsachen nicht, indem man behauptet, der Schie-
lende sehe unter allen Umständen doppelt, müsse doppelt sehen, falls er
darauf achte, und es könne demnach auch ein Auge nie zu dem Behüte
der Förderung des gemeinschaftlichen Sehactes abgelenkt werden, weil
sonst Doppellsehen, mithin noch ärgere Sehstörung eintreten müsste. Eine
20*
308 Augenmuskeln.
solche Argumentation kann man höchstens jenen vorhalten , welche noch
nicht Gelegenheit hatten , Schielen so zu sagen unter ihren Augen ent-
stehen zu sehen. — Wenn man eine grössere Zahl von Schielenden genau
untersucht, so fällt schon das auf, dass relativ viele noch Hornhauttrübun-
gen darbieten, und dass auch unter den übrigen noch einige sind, bei
denen es, wo nicht gewiss, so doch höchst wahrscheinlich ist, dass sie
früher an leichten Hornhauttrübungen litten. Diesem Ergebnisse lässt sich
allerdings entgegenhalten, dass viele Individuen mit ein- oder beider-
seitigen Hornhauttrübungen nicht schielen. Hier kommen aber mehrere
Umstände in Erwägung zu ziehen. Erstens finden wir oft ein erstaunlich
gutes Gesicht bei Hornhautflecken, welche andern, ganz gewiss störenden,
ganz ähnlich sehen. Zweitens kann eine Trübung so stark sein, dass
sie aufhört, eine Störung für die Function des andern Auges zu setzen.
Je stärker die Trübung, desto schwächer die Wahrnehmung, desto ge-
ringer also auch die Störung für die Function des andern Auges. Viele
Trübungen sind anfangs so in - und extensiv, dass sie gar keine oder nur
sehr schwache Wahrnehmungen zu Stande kommen lassen ; werden sie
auch mit der Zeit kleiner und dünner, so geschieht diess so allmälig, dass
das Auge längst vom gemeinschaftlichen Gebrauche ausgeschlossen und
amblyopisch geworden sein kann, wenn endlich die Cornea die Theil-
nahme am Sehen wieder gestatten würde. Andrerseits ist nicht zu über-
sehen, dass bei Schielenden mit bedeutender, selbst undurchsichtiger und
ausgedehnter Hornhauttrübung das Schielen trotzdem von der Hornhaut
aus veranlasst worden sein kann, indem anfangs nur leichte Trübung oder
Facettirung durch längere Zeit bestand. Drittens muss die Beschäftigung
die Gebrauchsweise der Augen , während der ersten Zeit des Bestandes
solcher halbdurchsichtiger Trübungen berücksichtigt werden. Es ist klar,
dass sie nur dann störend auf die Function des andern Auges einwirken,
wenn sich's um deutliches Erkennen feiner oder aber entfernter Objecte
handelt. Desshalb kommt auch Schielen im 1. Lebensjahre so selten vor,
und auch da nur in der 2. Hälfte. Desshalb schielen auch viele nur dann,
wenn sie etwas genauer sehen wollen, besonders in der ersten Zeit. Dess-
halb kann man auch in solchen Fällen die Entwicklung oder doch das
Bleibendwerden des Schielens verhindern, wenn man die Kinder fleissig
in's Freie bringen, nicht mit winzigen Suchen spielen, nicht lesen lernen
u. s. w. lässt, bis solche Trübungen behoben oder bis die Sehachsen zu
einander in ein festeres Verhältniss getreten sind. Denn es ist viertens
nicht zu verkennen, dass dieselbe Veranlassung bei Erwachsenen nicht so
leicht zu Schielen führt, als bei Kindern. Es ist bekannt, dass Kinder
Schielen— Ursachen. 309
leichter willkürlieh schielen können, als Erwachsene. Gleichwie dem
AVillen, ist auch^später der von der Netzhaut und dem Sensorium com-
mune angeregten Reflexthätigkeit ein geringerer Einiluss auf die Abände-
rung in der Stellung der Augen zu einander gestattet. An diese That-
sache schliesst sich auch die analoge an, dass bei Kindern leicht Schielen
durch unwillkürliches Nachahmen zu Stande kommt, was bei Erwachsenen
nicht der Fall ist. Der fünfte Punkt endlich, der hier in Erwägung zu
ziehen kommt, ist der, dass die Ablenkung des störenden Auges nicht das
einzige Hilfsmittel ist, welches dem Organismus zu Gebote steht, um den
störenden Einfluss zu beseitigen, sondern dass wir auch ganz einfach von
demselben abstrahiren lernen können. Das schwächere Auge folgt dann
dem bessern in allen seinen Bewegungen entsprechend, nimmt aber doch
keine Notiz von dem fixirten Objecte. Demgemäss gibt es viele Indivi-
duen mit ungleicher Sehkraft beider Augen, denen man nicht das Ge-
ringste ihres Zustandes anmerkt , welche wohl selbst auch sich desselben
gar nicht bewusst sind, welche aber ganz gewiss zu feinern Arbeiten,
zum genauen und scharfen Sehen, sich nur des einen Auges bedienen.
Hievon kann man sich leicht überzeugen, wenn man findet, dass sie, wäh-
rend sie z. B. lesen, durch plötzliches Vorschieben der flachen Hand vor
das bessere Auge einen Augenblick unterbrochen werden , bis sich das
schwächere Auge etwas genauer mit der Sehachse einstellt. Es ist näm-
lich bei vielen solchen Individuen das schwächere Auge zwar nicht merk-
lich abgelenkt, aber doch auch — wie die momentane, wenn auch äusserst
geringe Änderung seiner Stellung zeigt, nicht ganz genau mit seiner Seh-
achse eingestellt, oder, wie die momentane Unterbrechung im Sehacte
zeigt, nicht für dieselbe Distanz eingerichtet, also wohl am genauem Sehen
nicht direct betheiligt gewesen. Wenn man dasselbe Experiment bei In-
dividuen mit völlig oder nahezu gleicher Seh- und Accommodationskraft
beider Augen vornimmt, so bemerkt man nichts von einer solchen mo-
mentanen Unterbrechung des Sehactes oder von Abänderung in der Stel-
lung des frei bleibenden Auges. — Dass es unter den Individuen mit un-
gleicher Sehkraft und Sehweite beider Augen einige gibt, welche mit dem
bessern Auge besser sehen, wenn auch das schwächere geöffnet ist, kann
nicht als Einwurf gegen die obige Behauptung dienen. Es ist gewiss, dass
das Sensorium stärker angeregt wird, wenn Licht durch zwei, als wenn
es bloss durch ein Auge einwirkt. Bei sehr grellem Lichte, z. B. Sehen
gegen die untergehende Sonne oder in einen Hochofen , temperiren wir
die Erregung sogar unwillkürlich durch Verschluss des einen Auges. Wenn
wir also finden, dass das Öffnen des schwächern Auges das Sehen des
3 1 0 Augenmuskeln.
bessern unterstützt, so muss jedenfalls dabei auf den Grad der Beleuch-
tung Rücksicht genommen werden, und ist schon a priori wahrscheinlich,
dass es Verhältnisse gibt, wo der Function des bessern Auges die stär-
kere Erregung des Sens. commune durch das Einfallen des Lichtes von
dem schwächern Auge her zu Guten kommt. — Bei all dem bleibt es
Thatsache, dass bei weitem die meisten Individuen mit frischen (noch nicht
seit langer Zeit bestehenden) leichten Trübungen der Hornhaut oder der
Linse sich über Blendung des gesunden Auges durch das kranke bekla-
gen; auch bei älteren Trübungen gilt diess von einer relativ grossen,
wenn auch vielleicht nicht von der Mehrzahl. Blendung durch das diffuse
Licht solcher Trübungen kann es nicht sein, denn ganz in derselben Weise
beklagen sich auch jene, deren Sehkraft auf dem einen Auge in Folge
von Netzhautleiden geschwächt ist, auch wenn die Amblyopie ohne ge-
steigerte Empfindlichkeit des kranken Auges besteht. — Sind die voran-
stehenden Sätze richtig, so ist Schielen sehr häufig die Folge von Trü-
bung der durchsichtigen Medien, von Amblyopie oder relativer Kurz-
oder Weitsichtigkeit des Auges; es ist eine Reflexbewegung , im Dienste
des Sehactes hervorgerufen; das schwächere Auge wird abgelenkt und
hiemit von der unmittelbaren Betheiligung am directen Sehen ausge-
schlossen , damit das Sehen mit dem gesunden Auge besser von statten
gehen könne.
Die eben aufgestellte Ansicht über die Entstehung des Schielens ist nicht neu. Sie
wurde der Hauptsache nach bereits von Buffon vertreten. „Nach Buffon*) erzeugt die
Ungleichheit der Augen in 8 Fallen im Durchschnitte dreimal Strabismus. Da alsdann
der Eindruck auf das eine Auge beträchtlich schwächer ist, als auf dein andern, so kann
er leicht gänzlich vernachlässigt werden, und statt dass das schwächere Auge auf die
Gegenstände, welche sich ihm darbieten, fixirt sein sollte, schweift es umher und weicht
von der richtigen Sehachse ab. In manchen Fällen scheint sogar ein ins tinc (massiges Be-
streben vorhanden zu sein, das schwache Auge noch viel weiter zu verdrehen, und es so
weit nach einwärts nnter das obere Augenlid zu wenden, dass es keinen Eindruck mehr
empfangen kann, und dass desshalb das gesunde Auge allein noch Eindrücke aufnimmt."
(Makenzie 1. c. S. 244.) Enthält auch diese Anschauung noch manches Inthümliche, so
hat sie doch nach unserer Ansicht die Hauptsache angedeutet, nur nicht richtig forniulirt.
Was von Makenzie als instinetmässiges Bestreben bezeichnet wird, ist die Zweckmässig-
keit der reflectirten Bewegungen, welche nach uns unbekannten Gesetzen erfolgen,
sobald es sich darum handelt, Hindernisse einer Function zu beseitigen oder möglichst
unschädlich zu machen, und welche uns am Auge nicht minder in Staunen zu versetzen
im Stande sind, wie in andern Organen. Ich sah einen Kranken, dem linkerseits das
obere Lid fehlte, jedesmal beim Lidschluss den linken Bulbus abwärts rollen und die
Hornhaut unter dem untern Lide bergen, während das rechte Auge mit normalen Lidern
") Dissertation Mir la cause du slraiusme. Memoire« de l'andfmie de« sci»uces pour 1713. Ainstrrdjiu 1*43.
Schielen — Ursachen. 31)
sich ganz normal verhielt, i. e. beim Lidschiusa sich mit der Pupille nach oben — innen
stellte. Diese gegen alle Gewohnheil vorkommende Rollung, noch dazu der des andern
Bulbus entgegengesetzt, die kein Mensch sonst zu Stande bringen würde ; sie war un-
willkürlich erfolgt, sei es, um dem Lichte den Zutritt während des Schlafes zu wehren,
oder um beim Lidschlage die Cornea rein zu fegen und zu benetzen, und somit vor
Trübung und Zerstörung zu sichern. Es ist diess derselbe Kranke, den ich zur Aufl'an-
gung des Secretes der Thränendrüse — ohne Beimischung von Bindehautsecret — be-
nützt habe, und dessen ich bei den Krankheiten der Thriinenorgane noch gedenken werde.
Einen ähnlichen Fall erzählt A. v. Gräfe (im Archive für Ophthalmologie I. B. IL Abth.
S. 290). — Ich bekam diese Tage zufällig Gelegenheit, einen Mann zu untersuchen, wel-
cher mich durch die Zweckmässigkeit reflectirter Bewegungen der untern Lider in Stau-
nen versetzte. Er hatte in früher Jugend an Augenenlzündungen gelitten, und bot in
Folge derselben auf beiden Augen leichte Hornhauttrübungen dar, welche meine Auf-
merksamkeit erregten, als er mir einen Kranken vorführte. Die Trübungen waren halb
durchsichtig und bedeckten beiderseits ohngefähr die untere Hälfte der 1 '/2 — 1'" grossen
Pupillen. Meine Frage, wie er sehe, beantwortete er damit, dass er, bereits 45 Jahre
alt, noch immer gut zeichnen und graviren könne, und auch so ziemlich in die Ferne
sehe. Als ich nun Sehproben mit den Jäger sehen Schriftmustern vornahm, und ihn zu
immer feineren Drucksorten übergehen Hess, erhob er die untern Lider so weit in die
Höhe, dass sie die Trübung fast ganz verdeckten, was besonders dann auffiel, wenn er
das Buch über der Horizontalen halten musste. Was sonst kein Mensch bei allem Auf-
wände von Fleiss und Anstrengung zu bewirken im Stande sein würde, war hier im
Dienste des Sehactes, um die Blendung durch die Hornhauttrübungen zu beseitigen, von
selbst eingetreten. — In neuerer Zeit hat besonders Böhm auf eine sehr einleuchtende
Weise nachgewiesen, dass die Ungleichheit des Eindruckes, i. e. die Störung der Func-
tion des bessern Auges durch das schwächere es ist, welche die Ablenkung des schwä-
cheren Auges bedingt, indem er zeigte, dass durch Vorhalten eines entsprechend getrüb-
ten (blauen) Planglases vor das gesunde Auge, also gleichsam durch Ausgleichung der
Sehkraft beider Augen das Schielen behoben werden kann, wenn die consecutive Mus-
kelerkrankung noch nicht weit gediehen ist. Bekanntlich hatte Buffon zu demselben
Zwecke ein Convex- oder Concavglas vor. dem gesunden Auge tragen zu lassen empfohlen.
Die Ablenkung des schwächern Auges von dem Gegenstande, welchen das stärkere
fixirt, ist zunächst nur eine gegen die gewöhnlichen Gesetze der Muskelthätigkeit auf-
tretende Reflexaction. Sie erfolgt vorerst nur dann, wenn es sich um Erreichung des
Zweckes handelt, tritt aber späterhin meistens permanent auf, d. h. auch dann, wenn
sie nicht nothwendig wäre. Sie erfolgt nach jener Richtung, wo der Zweck am leich-
testen erreicht wird. Fast alle Fälle von Str. opticus, welche aus früher Jugend datiren,
zeigen Convergenz, die später entstandenen (namentlich bei Erwachsenen) dagegen
Divergenz , ausser die von Sehstörung des einen Auges Befallenen sind kurzsichtig
oder beschäftigen sich vorwaltend mit der Betrachtung naher Objecte. Dass das diver-
girende Schielen eines contraetös oder amblyopisch werdenden Auges aus einer
Art Vernachlässigung, aus einem gewissen Gehenlassen des schwächern Auges hervor-
gehen könne, halte ich für unwahrscheinlich, Die Kranken müssten eine Zeit lang dop-
pelt sehen, wovon selbst Aufmerksame und Verständige nichts bemerken. Zwischen dem
Blick eines Schielenden und eines Cataractösen oder Amaurotischen ist ein grosser Un-
terschied. Wenn letztere nicht fixiren können, in's Unbestimmte hinausstarren, und da-
312 Augenmuskeln.
her die Sehachsen in keinem Punkte zur Kreuzung bringen, so ist diess noch kein Schie-
len. Leute, welche beiderseits Cataracta oder Amaurosis darbieten, können trotzdem
noch die Sehachsen in dem eigenen Finger, in verschiedenen Entfernungen vorgehalten,
sich kreuzen lassen, was Schielende nicht vermögen. Man kann nur dann sagen, ein
unilateral Cataractöser oder Amblyopischer schiele, wenn das gesunde Auge abgelenkt
wird, sobald dasselbe durch die vorgeschobene Hand verdeckt und somit das an Amblyo-
pie oder unvollständiger Cataracta leidende Auge gezwungen wird, sich dem Sehobjecte
gerade gegenüber zu stellen. — Dass nur gewisse Grade von Schwäche des einen Au-
ges zu Strabismus führen, hat schon Makenzie (1. c. S. 243) bemerkt. „Die häufigste
Ursache von Strabismus scheint unvollkommenes Gesicht (wegen Kurzsichtigkeit oder
wegen eines angeborenen Fehlers der Retina) zu sein. Das verdrehte Auge steht fast
in jedem Fall an Reizempfänglichkeit dem andern beträchtlich nach. Ich bediene mich
des Wortes beträchtlich, weil man viele Individuen trifft, deren Augen nur etwas un-
gleich sind, und die nicht schielen, dagegen auch wieder andere, welche von Geburt
an eine vollständige, oder fast vollständige Amaurosis des einen Auges ghabt haben,
und doch ganz frei von Strabismus sind." In dem einen Falle ist die Differenz in der
Erregung zu gering, in dem andern zu bedeutend, als dass sich die schwächere neben
der stärkern geltend machen könnte. Man sieht aber leicht ein, dass es hiebei auch auf
die Verwendung der Augen ankommt. So lange nicht scharfe Bilder gefordert werden,
gibt die schwächere Erregung keinen Grund zur Ablenkung, ja es kann das Schielen so-
gar auf Kosten der Deutlichkeit noch vermieden werden, wenn nicht bereits habituelle
Contraction oder förmliche Contractur des ablenkenden Muskels eingetreten ist. — Sehr
geeignet, dieses Verhältniss klar darzustellen, sind Fälle von Schielen, wo das eine Auge
merklich kurz-, das andere weitsichtig ist. Solche Individuen lenken beim Betrachten
naher Gegenstände, z. B. beim Lesen das weit-, beim Blick in die Ferne dagegen das
kurzsichtige Auge ab. Die Ablenkung erfolgt bei der Mehrzahl nach innen, seltener nach
aussen, vielleicht desshalb, weil der Zustand meistens aus früher Jugend datirt. Es gibt
aber darunter einige, welche bei mittleren Distanzen nicht schielen, sondern beide Augen
richtig einstellen und zugleich zum Fixiren verwenden. Sehr bestimmt konnte ich mich
von diesem Vorkommen bei einem Mitschüler überzeugen, den ich vom Gymnasium her
als einwärts schielend kannte. Ich traf ihn zu einer Zeit, wo ich mich ganz besonders
für die Schieloperation interessirte, auf der Gasse, und meinte während der Unterredung
mit ihm, er habe sich operiren lassen, denn er bot keine Spur von Schielen dar. Er
war aber über meine Frage verwundert, und erklärte mir, dass er noch immer schiele,
aber nur manchmal. Sehproben an nahen und fernen Objecten stellten nun klar heraus,
dass er nur beim Sehen auf Objecte von mittlerer Entfernung nicht schielte, dagegen
schielen musste, wenn er den Stand der Zeiger auf meiner Taschen- oder auf der ge-
rade in der Nähe befindlichen Thurmuhr angeben sollte, u. dgl. Weitere Versuche
ergaben, dass das eine Auge massig kurz-, das andere weitsichtig war. — Zur weitern
Erörterung und Nachweisung der vorstehenden Behauptungen mögen noch folgende Be-
obachtungen dienen.
Ein Mädchen, das ich zufällig traf, klagte, dass ihr beim Nähen oder Lesen die
Augen leicht ermüden, so dass sie niemals lange arbeiten könne ; wolle sie aber einen
feineren Druck lesen, oder z. B. eine Nadel einfädeln, so müsse sie schielen, das rechte
Auge nach innen ablenken, obwohl sie ausserdem einen ganz geraden Blick hat. Sie
konnte in meiner Gegenwart auch mit richtig gestellten Augen mittlem Druck (1'" hoch)
Schielen — Ursachen — Beispiele. 313
lesen ; dabei verwirrten sich ihr aber die Buchstaben bald durch einander, so dass sie
entweder aufhören oder das rechte Auge ablenken musste. Während sie auf dem linken
Auge sich einer sehr guten Sehkraft erfreut, vermag sie mit dem rechten allein nur einen
2'" hohen Druck zu lesen. Sie ist weder kurz- noch weitsichtig ; man bemerkt sonst
nichts Abnormes an ihren Augen; über die Entstehung weiss sie nichts Verlässliches an-
zugeben, da das Übel seit früher Jugend besteht.
Th. R. wurde 1842 von mir an Strab. converg. oc. sin. operirt, und durch die
Durchschneidung beider Recti interni so geheilt, dass die Augen ihre normale Beweg-
lichkeit behielten und bei allen Richtungen gehörig standen. Aber sie vermochte Monate
lang nicht anhaltend zu nähen oder zu lesen, die Augen fingen an zu thränen, die Buch-
staben verwirrten sich, und in der Superorbitalgegend traten drückende Schmerzen ein.
Später verlor sich diess, aber die Kranke sah manchmal entfernte Gegenstände doppelt,
und die Mutter bemerkte, dass das Mädchen beim Arbeiten wieder etwas schielte. Die
Untersuchung ergab, dass sie bald ein- bald auswärts schielte, und zwar mit dem lin-
ken Auge, an dessen Cornea ich jetzt eine leichte Trübung von der Pupille (die Folge
einer scrofulösen Augenentzündung) bemerkte. Wenn sie einen entfernten Gegenstand
genauer sehen wollte, erschien das mattere Bild links, beim Betrachten eines nahen Ob-
jeetes dagegen rechts; für gewöhnlich aber, wenn man mit ihr sprach, schielte sie nicht.
Ein Candidat der Medicin, auf dem rechten Auge kurz-, auf dem linken weitsichtig,
und dem gemäss alternirend auswärts schielend, war desswegen von einem Arzte ope-
rirt worden, doch ohne Erfolg. Ich rieth ihm die Sehweite durch entsprechende Gläser-
für mittlere Distanzen auszugleichen und dann sich zu bemühen, mit beiden Augen die
Objecte zu fixiren (nach Jurin's Methode — s. weiter unten). Durch Beharrlichkeit hierin
hatte er es nach mehreren Monaten so weit gebracht, dass er mit beiden Augen zugleich
lesen konnte, aber er sah dann nicht so gut, als wenn er eines der Augen allein be-
nützte und das andere ein wenig (kaum merklich) abweichen Hess. Am 26. März 1843,
anderthalb Jahre nach der Operation, nolirte ich folgenden Zustand. Die Differenz in der
Sehweite scheint geringer zu sein, als früher. (Ich habe leider weder die Nahe- und
Fernpunkte, noch die Brennweite der Gläser verzeichnet.) „Lasse ich ihn die Augen-
gläser ablegen, die er seit Ertheilung meines Rathes auf der Gasse zu tragen pflegt, so
kann er in der Eutfernung von 8" Druck von nicht ganz l'"Höhe nicht lesen, so lange
er (wie ich sehe und er selbst angibt) die Sehachsen im Objecte sich kreuzen lässt; !er
kann aber sogleich lesen, wenn er entweder die linke Pupille etwas über l\"' aus-
wärts ablenkt oder aber die rechte beiläufig %'". Liest er mit dem linken Auge, so
sieht er viel deutlicher, wenn er das rechte Auge circa 1%'", als wenn er es nur etwa
%'" ablenkt; bei dieser Ablenkung geht die rechte Pupille nach aussen — oben. Zur
Fixirung ferner Gegenstände kann nur das linke Auge verwendet werden, indem dabei
das rechte jederzeit noch um beiläufig '/2'" auswärts gelenkt wird. Wird aber vor das
rechte Auge ein Concavglas (von 16 — 20") vorgehalten, so kann er mit diesem Auge
auch ferne Objecte fixiren, muss aber, um sie deutlich zu sehen, das linke noch gegen
1/.i'" ablenken ; mit beiden Augen zugleich kann er ferne Gegenstände auch bei Armi-
rung des rechten mit dem Concavglase nicht deutlich sehen." Bei einer spätem Unter-
suchung machte derselbe die Bemerkung, dass wenn er eine Zeit lang mit beiden Augen
zugleich gelesen, was er nur mit Anstrengung und auf Kosten der Deutlichkeit konnte,
zunächst neben dem wahren Bilde ein Schattenbild auftrete, welches erst langsam, dann
aber mit beschleunigter Geschwindigkeit wegrückt, um endlich plötzlich zu verschwin-
314 Augenmuskeln.
den; nun wusste er, dass er wieder schiele, indem er wieder ganz deutlich — mit dem
linken Auge allein sah. Die Geschwindigkeit des Auseinanderweichens der Doppelbilder
verglich er mit der Geschwindigkeit der Annäherung einer Luftblase auf einer Flüssig-
keit nahe am Rande des Gefässes, die sich erst ganz allmälig, dann aber in raschem
Fluge demselben nähert und verschwindet. Sobald er die dem Schielen entgegenstre-
bende Anstrengung aufgeben musste , verschwand die Undeutlichkeit und ein Moment
darauf das Doppelbild.
Am 8. Juni 1841 operirte ich einen Candidaten der Rechtswissenschaft*) wegen
Strab. conv. des linken Auges, mit welchem er kleineren Druck nicht lesen konnte. Die
Ablenkung betrug gegen 3'"; er war etwas kurzsichtig und schielte, gleich seiner Schwe-
ster, ohne bekannte Veranlassung von Jugend auf. Die Muskeldurschneidnng wurde
beiderseits vorgenommen, am linken Auge mit etwas stärkerer Lösung. Unmittelb;ir darauf
entstand leichte Divergenz; der Kranke sah rechts vor dem vorgehaltenen Objecte ein
zweites minder deutliches, dem linken Auge angehörend. Nach Vernarbung der Wunden
wich das linke Auge sogar wieder ein wenig einwärts ab. Fleissige Übung im Fern-
sehen behob diesen Übelstand in Kurzem. Ende Juni waren die Wunden ganz vernarbt,
die Beweglichkeit und Stellung beider Augen ganz normal ; nur zu lesen vermochte der
Pat. noch nicht mit beiden Augen, weil ihm immer über der wahren eine Schattenzeile
schwebte, welche jene zum Theil verdeckte. Ich rieth dem Kranken auf's Land zu ge-
hen, viel in die Ferne zu schauen, und vorzugsweise das linke Ange zu üben. Anfang
August fand ich eine geringe Abweichung des rechten Auges nach aussen, aber nur dann,
wenn der Pat. mit dem linken deutlich sehen wollte ; hingegen stellte sich das linke etwas ein-
wärts, wenn das rechte einen feinern Gegenstand fixirte ; geschah das Fixiren mit bei-
den Augen — was dem Pat. bei einiger Bemühung möglich war —so war der Gesannnt-
eindruck weniger deutlich wegen eines über und neben , und zum Theil auch auf dem
deutlichen Bilde schwebenden Schattenbildes. Die linke Pupille stand ein wenig höher,
als die rechte (das Schielen hatte eigentlich nach innen — oben stattgefunden) ; die
Augen waren nach allen Seiten frei beweglich und die Sehkraft des linken um Vieles
verbessert. Anfang März 1843 notirte ich folgenden Befund :**) „Im gewöhnlichen Zu-
stande erkennt man jetzt an der relativen Stellung der Augen kein Schielen, aber man
muss wenigstens einen geringen Grad supponiren, weil er doppelt sieht, und zwar er-
scheint das mattere, dem linken Auge angehörende Bild rechts von dem deutlichen (also
Divergenz des linken Auges). Der Kranke wird aber von demselben jetzt nicht mehr
belästigt, wenigstens im Arbeiten nicht mehr behindert, da er das Schattenbild nur dann
wahrnimmt, wenn er seine Aufmerksamkeit darauf lenkt. Je ferner der fixirte Gegen-
stand liegt, und je weniger der Kranke sich bemüht, denselben genau zu sehen, desto
weiter treten die beiden Bilder auseinander. Bemüht er sich, einen nahen Gegenstand,
z. B. ein Wort, eine Ziffer, getiau zu sehen, so sieht er auch doppelt, aber dann liegt
das dem linken Auge angehörende Bild lins von dem deutlichen (des rechten Auges).
Er zeichnete mir bei diesen Versuchen Folgendes auf: 909090. Liest er die Zahl 90 so,
wie er gewöhnlich zu lesen pflegt, so erscheint noch ein undeutlicher 90, ein Schatten-
bild rechts — oben von dem wirklichen; beim genaueren Betrachten aber erscheint es
*) Beiträge zur Lehre vom Schielen und Messen Heilung durch den Muskelschnitl von Dr. Arlt, medic. Jahrb. de»
österr. Staates, 1842, »., 2., 3. Heft.
*') Vergl. Präger Vieilelj.ihrschnft, IV. Band, S. H5
Schielen — Ursachen — Beispiele. 315
links — oben, und bei einem mittleren Grade von Anstrengung füllt es auf das deut-
liehe, doch so, dass es dieses nur zum Theile deckt, indem es blos etwas höher steht.
Beim Übergange vom gewöhnlichen zum aufmerksamen Betrachten, wo also das Schatten-
bild von rechts nach links rückt, sehe ich — bei unveränderter Lage des Buches — die
linke Pupille deutlich von aussen nach innen rücken. Das Höherstehen des matteren
Bildes, seine Distanz von dem deutlichen in verticaler Richtung, ist bedeutender, wenn
er aufwärts gelegene Gegenstände betrachtet, geringer, wenn er nach unten befindliche
Objecte ansieht, wird also durch übermässige Contraction des M. rectus superior bewirkt.
Wäre diese Complication mit Strab. sursum vergens nicht vorhanden, so musste bei mitt-
lerer Intention das matte Bild mit dem deutlichen congruiren, mithin die Perception mit
beiden Augen minder klar und deutlich als mit dem bessern Auge allein sein. Wir sahen
diess in dem vorhergehenden Falle; wenn sich die Bilder ganz decken, kann sie der
Kranke nicht mehr als zwei, sondern nur als eins wahrnehmen.
Ein 31ädchen, bei welchem in Folge acuter Bindehautblennorrhöe ein durchbohren-
des, jedoch ohne Synechie wieder vernarbendes Hornhautgeschwür am rechten Auge
entstanden war, fing an, mit diesem Auge auswärts zu schielen während der Zeit, als
das grösstentheils vor der Pupille sitzende, flacher und rein gewordene, mithin das Ge-
sicht nur wenig störende Geschwür allmälig vernarbte. Wer die Kranke nach vollende-
ter Vernarbung sieht, findet die Pupille bis auf einen nach innen und oben befindlichen
kleinen Theil verdeckt durch eine beinahe ganz undurchsichtige Narbe, zu welcher ein
Flügelfell vom innern Winkel her verläuft. Es gab demnach eine Zeit für diese Kranke,
wo das Sehvermögen des rechten Auges noch nicht sozusagen aufgehoben war, sondern
noch in einem hohen Grade bestand, mithin störend auf das Gesicht des linken Auges
einwirkte, und desshalb die Ablenkung desselben eine gleichsam instinetmässig herbeige-
geführte Abhilfe war; nachdem diese Ablenkung einige Zeit behufs des Deutlichsehens
mit dem andern Auge nothwendig gewesen war, blieb sie stationär auch dann, als die
Trübung intensiv geworden, mithin das Schielen nicht mehr nothwendig war. So wie in
diesem, verhält es sich auch in vielen andern analogen Fällen, namentlich bei allmälig
entwickelter Cataracta. Andererseits ist es gewiss, dass Hornhauttrübungen, namentlich
in früher Jugend entstanden, allmälig geringer werden und selbst verschwinden ; das Schie-
len aber, durch dieselben eingeleitet, besteht fort, weil die Muskelcontraction einmal
habituell geworden ist.
Ein Schuhmacher wurde von einem Epitelialkrebs nächst dem äussern Winkel des
linken Auges durch Pasta muriatis zinci geheilt. Die äussere Hälfte des untern Lides
war nun durch die Vernarbung aus- und abwärts gestülpt, die äussere Commissur nach
unten — aussen abgezogen. Der früher ganz gesunde Bulbus wurde in der Folge öfters
von Entzündungen befallen und die Hornhaut in ihrer ganzen Ausdehnung leicht getrübt.
Nach Beseitigung der entzündlichen Zufälle wurde der Kranke aus der Anstalt entlassen,
kam aber bald wieder, weil die Augen bei der Arbeit bald mit Thränen überliefen und
ermüdeten. Es wurde desshalb die Tarsoraphie nach Walther gemacht, das Ectropium
gehoben, und die Commissur schloss wieder an den Bulbus an, nur stand das obere
Lid ein wenig tiefer, als das des rechten Auges. Der Mann kehrte abermals zu seiner
Arbeit zurück, bemerkte aber bald, dass er, wenn er etwas genauer sehen wollte, das
linke Auge zukneipen oder verbinden musste. Eine Zeit lang — wo er viel arbeiten
musste, hatte er das linke Auge bei der Arbeit immer verbunden gehalten ; dann aber
fand er, dass diess nicht mehr nöthig sei. Als ich ihm zufällig einmal begegnete, etwa
316 Augenmuskeln.
% Jahr nach der Operation, fand ich Strabismus sursum vergens oc. sin. Er hatte also
unwillkürlich das Auge allmälig ein wenig aufwärts unter das obere Lid stellen gelernt,
um mit dem rechten Auge allein zu sehen , und diese, zunächst nur für's Arbeiten er-
forderliche und erspriessliche Stellung blieb nun auch beim gewöhnlichen Sehen. Der
Mann hatte niemals die Erscheinung von Doppeltsehen bemerkt und wusste nicht, dass
er schiele. Ich habe ihn noch durch einige Jahre in diesem Zustande beobachtet.
Ein Candidat der Chirurgie, dem ich wegen Str. divergens oc. dextri amblyopici bei-
derseits den R. externus durchschnitten hatte, wurde längere Zeit als geheilt betrachtet,
da er nicht schielte. Nach etwa '/4 Jahre, wo ich ihm mehrmal auf der Gasse begeg-
nete, fiel mir auf, dass er das rechte Auge zuzudrücken pflegte. Er sagte, er thue es,
um die ihm Entgegenkommenden schon aus der Ferne zu erkennen. Genaue Untersu-
chung stellte heraus, dass er nicht kurzsiehtig war, und dass ihn das rechte Auge auch
im Erkennen naher Gegeustände, wenn sie etwas feiner waren, hinderte. Ich munterte
ihn auf, sich trotzdem zu bemühen, beide Augen zu gebrauchen, und damit sich das
rechte Auge durch Übung stärke, das linke bisweilen zu verschliessen. Doch fand ich,
etwa '/i ^anr später, Strab. converg. des rechten, noch immer merklich schwächern
Auges. Die Ablenkung nach aussen war wegen starker Rückwärtslagerung des R. ex-
ternus nicht leicht möglich; des Zukneipens suchte sich der junge Mann zu enthalten;
also wurde — zur Reseitigung des störenden Eindruckes — das Auge unbewusst und
unwillkürlich nach innen abgelenkt.
Strabismus muscularis. Wir wählen diesen Ausdruck nur, um damit
anzudeuten, dass die Veranlassung- zum Schielen nicht von fehlerhafter
Beschaffenheit des Auges selbst ausgeht. Die entfernteren Ursachen sind
mannigfaltig-, d) Zunächst gehört hierher das willkürliche oder absicht-
liche Schielen. Kinder bringen diess bisweilen zu Stande, zur Unterhal-
tung ihrer Gespielen oder aus Muthwillen, um Schielende zu verspotten.
Leider werden manche davon nach öfterer Wiederholung mit unwillkürli-
chem Schielen gestraft. Ich kenne wenigstens zwei Fälle, wo diess ganz
bestimmt der Fall war; bei beiden war das rechte Auge das continuirlich
oder doch für gewöhnlich abgelenkte, in dem einen Falle ein-, in dem
andern auswärts, b) Hieran reiht sich zunächst das Schielen aus Nach-
ahmung , ohne Absicht, ohne Willenseinfluss , als eine Art Chorea minor.
Ob die Einwirkung der Phantasie das Mittelglied sei, wie Ritterich*) in
seiner an positiven Thatsachen reichen Schrift über das Schielen meint,
wagen wir nicht zu entscheiden. Wer die Geschichte der Chorea kennt,
wird wenigstens die Zulässigkeit der Annahme dieses Momentes als Ur-
sache des Schielens nicht in vorhinein bestreiten, c) Desshalb nahm ich
auch keinen Anstand, der Angabe einiger Kranken, dass sie in Folge von
Schrecken oder Furcht schielend geworden seien, Glauben zu schenken,
weil auch andere Muskeln und Muskelgruppen durch solche Aflecte zu
') Das Schiele» und sein« Heilung, Leipzig 181M.
Schielen — Ursachen. 317
regelwidrigen Actionen gebracht werden, d) Nicht minder schwierig zu
erklären und constatiren ist das Entstehen des Schielens von fehlerhafter
Verwendung der Augen, vom Sehen nach der Quaste einer Mütze, der
Masche eines Häubchens, dem Perpendikel einer Wanduhr u. dpi. , oder
vom Zunahehalten kleiner Objecte, Spielsachen u. s. w. , welche Momente
namentlich von altern Beobahtern angeführt werden. Es bleibt dabei
immer zu bedenken, was Böhm dagegen einwendet, nämlich ob nicht zur
Zeit, wo das eine oder das andere stattfand, beretis eine andere Ursache,
namentlich Schwäche der Sehkraft des einen Auges bestand, und das Fixi-
ren von Objecten nur die entfernte, die Ungleichheit der Sehkraft aber die
nächste Veranlassung zur Ablenkung des Auges abgab. Was mir aber
trotzdem die ältere Ansicht als haltbar erscheinen lässt, ist der Umstand,
dass ich in solchen Fällen, wo diese oder ähnliche Momente beschuldigt
wurden , beinahe immer., das rechte Auge schielend fand , und dass sogar
die Richtung der Ablenkung mit der Angabe der Kranken übereinstimmte.
(Vergl. meinen Aufsatz über das Schielen in den österr. Jahrbüchern, S. 98.)
Besonders auffallend war mir, dass ein junger Mann, welcher angab, er
sei in seinem 6. Jahre in Folge dessen schielend geworden, weil er immer
nach der Bandage seines linken gebrochenen Unterschenkels hinabgesehen
habe, mit dem rechten Auge nach innen — unten schielte, also gerade in
einer Richtung, die der Angabe entsprach, obwohl der Kranke nichts davon
wissen konnte, dass sein Auge nicht wie gewöhnlich nach innen, sondern
zugleich nach einer äusserst seltenen Nebenrichtung abwich. Ich konnte
es nun wohl auch nicht mehr als zufällig betrachten, wenn Leute nach
innen und oben schielten, welche das Schielen vom Schauen nach der
Quaste einer Mütze ableiteten. Es sind verschiedene Erklärungen versucht
worden, um den Zusammenhang zwischen der Ablenkung des Auges und
den Angaben der Kranken oder ihrer Eltern begreiflich zu machen (Beer,
3 oh. Müller, Ritterich). Wenn sich auch keine derselben als haltbar er-
wies, so war man doch desshalb noch nicht berechtigt, den Knoten zu
zerhauen, um sich aller Unbequemlichkeit dadurch zu entheben, dass man
die Möglichkeit der Entstehungsweise in vorhinein negirte. Die Angaben
denkender Männer ohne weiteres unter die Ammenmärchen verweisen,
heisst wohl sich selbst den Weg der weitern Beobachtung und Forschung
versperren, möglicherweise auch den praktischen Arzt verleiten, dass er,
beim Entstehen des Übels consultirt, Umständen kein Gewicht mehr beilegt,
welche am Ende doch Einfluss auf das Übel haben können. Nach meiner
Meinung lässt sich die Entstehung des Schielens in Folge der obgenannten
Veranlassungen mit unsern bisherigen physiologischen Kenntnissen leicht
318 Augenmuskeln.
in Einklang bringen. Die Kreuzung der Sehachsen in beträchtlich seitlich
von der Medianebene gelegenen Objecten kann nur mit grosser Anstren-
gung längere Zeit erhalten werden. Wird aber die Aufmerksamkeit lange
oder oft und in kurzen Zwischenräumen auf so gelegene Objecte gerich-
tet, und können die Sehachsen, respective Bulbi wegen Ermüdung der Mus-
keln nicht mehr in der zur Kreuzung im Objecte nöthigen Richtung er-
halten werden, so tritt die Kreuzung vor oder hinter dem Objecte ein,
je nach dem Verhalten des Refractionszustandes und der Accommodations-
organe (für die betreffende Entfernung des Objectes), und es tritt Undeut-
lichsehen durch theilweises Aliseinanderweichen, später selbst Doppeltsehen
mit völlig gelrennten Doppelbildern ein. Diese , aus ungenauer oder gar
nicht erfolgender Kreuzung der Sehachsen im Objecte entstehende Func-
tionsstörung zu beseitigen, wird das eine Auge abgelenkt, damit das an-
dere ungestört die Betrachtung des Objectes fortsetzen könne *). Es tritt
hier etwas Ähnliches ein, wie — nach A. v. Gräfe1 s stricter Nachweisung
— bei Myopia in distans**), wo der Kurzsichtige beim Blick auf Objecte,
die weit jenseits seines Fernpunktes liegen, wenn also eine scharfe Accom-
modation unmöglich ist, sein Auge nicht mehr für die grösste, ihm noch
mögliche Ferne einrichtet, sondern für grössere Nähe, demnach bei Rich-
tung des Blickes auf zu ferne Objecte denselben Refractionszustand an-
nimmt, wie bei Accommodation für grosse Nähe. Ist aber diese Erklä-
rung für stark excentrisch vom Mittelpunkt des Gesichtsfeldes gelegene
Objecte richtig, dann begreifen wir auch, warum bei Kurzsichtigkeit leicht
Schielen entstehen kann, denn nämlich, wenn die Objecte so nahe ge-
halten werden, dass bei Kreuzung der Sehachsen im Objecte nicht so
lange ausgehalten werden kann, als das Individuum es von seinen Augen
fordert, mithin die Netzhautbilder nicht auf völlig correspondirenden Stellen
erhalten werden können. Hierin fände denn auch die Beobachtung ihre
Erklärung, /") dass Kinder besonders nach schweren Krankheiten durch
Anstrengung der Augen mit Lesen, Schreiben, feinen Spielsachen u. dgl'
leicht schielend werden. Wir wiederholen , dass in solchen Fällen auch
Ungleichheit der Sehkraft oder der Sehweite zu Grunde liegen kann , da-
mit man nicht meine, wir wollen die eben genannte Erklärungsweise auf
alle solche Fälle angewendet wissen. Es ist eben Sache des praktischen
*) Wenn ein nahes Objecl stark seillich abliegt, so wird zur PixirUDg desselben auch von jedem Auge ein anderer
Grad von Spannung der Accommoilationsorgane gefordert ; es wäre wohl möglich, dass dieser Umstand an sick
schon hinreicht, Undeutlichsehen tu bewirken, und somit auch Schielen als Abhilfe gegen die Funclionsstorung
einzuleiten.
•c) Archiv für Ophthalmologie, II. C. 1. Abth. S. 158 (16H — 163.)
Schielen — Ursachen. 319
Arztes in jedem speziellen Falle so sicher als möglich, die Ursache der
Krankheit zu ermitteln, weil diess ein reeller Gewinn für die Behandlung
ist, zu welcher ja auch die Prophylaxis gehört, g) Über die Entstehung des
Schielens in Folge von Muskellähmung haben wir uns bereits ausgespro-
chen, h) Minder sicher gestellt ist die Entstehung desselben aus Con-
vulsionen, aus tonischen oder klonischen Krämpfen eines oder mehrerer
Muskeln des Augapfels , weil es in solchen Fällen immer schwer zu ent-
scheiden sein wird, ob nicht vielmehr Paresis des (der) Antagonisten schuld
sei. A priori ist wohl nichts gegen den Übergang temporärer Ablenkung
in bleibende einzuwenden, zumal wenn jene länger angedauert hat oder
häufig und in kurzen Zwischenräumen wiedergekehrt ist.
Ausser den genannten sind noch mehrere andere Momente als Ursachen des Schie-
lens angenommen worden, meines Erachtens jedoch theils mit Unrecht, theils ohne ge-
nügende Gründe. Mangel, Zerreissung, normwidrige Anheftung oder Degeneration eines
Muskels durch Entzündung, melanotische Ablagerung u. dgl. vermag niemals direct zu
Strabismus zu führen, bloss zu gehemmter Beweglichkeit des Bulbus (luscitas), welche
allerdings unter besondern Umständen (wegen Doppeltsehens) zu activer Ablenkung nach
der entgegengesetzten Seite Anlass geben kann. Ebenso ist Schiefstellung der Linse,
wenn auch an schielenden Augen nachgewiesen, gewiss nicht als Ursache des Strabis-
mus zu betrachten. Eher möchte sie als Folge zu betrachten sein, da es nicht unwahr-
scheinlich ist, dass der Bulbus durch einseitig prävalirenden Zug und Druck der Mus-
keln in seiner Form auf ähnliche Weise verändert wird, wie das Knochengerüst in Folge
ungehöriger Muskelthätigkeit, und dann wohl auch die Linse, relativ zur Hornhaut sowohl
als zum hintern Pole (der Mac. lutea), anders gelagert sein könnte. Die Schiefstellung
der Linse kann übrigens aus andern Ursachen, z. B. in Folge eines seitlichen Corneal-
durchbruch.es, an schielenden Augen so gut vorkommen, wie an nicht schielenden, mit-
hin als zufällige Complication. Schiefstellung der Linse kann den Kranken nicht bestim-
men, eine andere Stelle, als die Macula lutea dem Objecte, das gesehen werden soll,
gegenüber zu stellen. Man vergesse nicht, dass das Auge abgelenkt wird, nicht um mit
demselben zu sehen, sondern um dasselbe von der Theilnahme am Sehacte des andern
Auges auszuschliessen. — Gründe welche gegen J. Müller 's Annahme von angeborner
Incongruenz der Netzhäute als Ursache des Schielens sprechen, haben wir bereits im
2. Bande S. 282 angeführt. In neuester Zeit hat A. v. Gräfe (Archiv. I. B. I. Abth.
S. 105) einen exact beobachteten Fall von Strabismus beschrieben, welcher allerdings ge-
eignet erscheint dafür su sprechen, dass die Macula lutea vermöge primärer Bildung nicht im
hintern Pole, sondern excentrisch, in specie nach innen von der Sehnerveneintrittsstelle
gelegen sein könne. Wenn man aber diesen Fall mit jenen vergleicht, in welchen der
Umstand, dass die relativ empfindlichste Stelle der Netzhaut einwärts vom hintern Pole liegt,
offenbar als Folge des seit früher Jugend bestehenden Schielens erklärt werden muss,
wie diess Gräfe in mehreren genau beobachteten Fällen auch selbst erklärt, so findet —
meines Erachtens — doch nur ein Gradunterschied statt. Mir ist es nicht wahrschein-
lich, dass ein so wichtiger Bildungsfehler, wie Ektopie der Mac. lutea, ohne alle ander-
weitigen Bildungsfehler vorkommen könne. Bedenken erregt es auch, dass ein solcher
320 Augenmuskeln.
Fehler bloss an Einem Auge auftreten soll. Und zugegeben, die Macula lutea, mithin
gewissermassen die ganze Netzhaut, habe von Geburt aus eine andere Lage, so begreifen
wir die Ablenkung der geraden Augenachse, welche jetzt nicht mehr zugleich Sehachse
ist, nur dann, wenn man dasselbe Gesetz für die Augenbewegungen annimmt, wie im
normalen Zustande, nämlich dass das Auge mit der relativ empfindlichsten Stelle dem
Objecte der Aufmerksamkeit zugelenkt werden muss. Oder soll man annehmen, die
zweckmässige Bewegung der Bulbi, die bald als associirte, bald als accommodative auf-
tritt, beruhe nicht auf der Sensibilitätsvertheilung in der Netzhaut, sondern sei schon in
der Innervation der Muskeln präformirt? Wird aber das mit Ektopie der Netzhaut be-
haftete Auge abgelenkt, um die empfindlichste Stelle dem Objecte gegenüberzustellen,
also um mit beiden Augen zu sehen, so könnte man nicht von Schielen sprechen. Und
doch fand in allen den Fällen, die man auf Incongruenz der Netzhaut beziehen wollte,
weder gleichzeitiges Fixiren mit beiden Augen, noch eine solche Stellung des betreffen-
den Auges statt, dass die empfindlichste Stelle dem Objecle gegenüber zu liegen kam,
sondern das Auge wurde so gestellt, dass seine empfindlichste Stelle nicht am Sehacte
des andern Auges participiren konnte. Es bleibt also noch immer am wahrscheinlich-
sten, dass eine vom hintern Pole einwärts gelegene Stelle der Netzhaut die grösste Em-
pfindlichkeit nicht wegen primärer Bildung besass, sondern vermög Übung durch indirec-
tes Sehen in der oben angegebenen Weise acquirirte. Dass aber, wenn die Mac. lutea
aus was immer für einem Grunde am Sehen verhindert wird, irgend eine seitliche, na-
mentlich eine einwärts von ihr oder selbst von der Sehnervenpupille gelegene Netzhaut-
stelle einen staunenswerthen Grad von Empfänglichkeit acquiriren könne, sobald das Hiu-
derniss von der ersten Jugend auf besteht, dafür kann ich besonders mit einer bereits
vor 10 Jahren gemachten Beobachtung einstehen. G. E. v. W., 12 Jahre alt, auf beiden
Augen an Cat. nucl. Station, leidend , deren Gegenwart erst zur Zeit des Zahnens
nach Convulsionen bemerkt worden war, hatte unter ganz besonderer Bemühung eines
Arztes lesen und schreiben gelernt (Anfangs mit fast zollhohen Charakteren), und konnte,
bevor ich die Cat. des linken Auges durch Discission operirte, selbst Buchstaben von 2'" Höhe
und entsprechender Dicke lesen, besonders mit dem rechten, mehr geübten Auge. Sie
musste aber jedesmal, wenn sie etwas genau sehen wollte, das betreffende Auge stark
einwärts rollen, um neben der Linsentrübung vorbei zu sehen. Desshalb konnte man
eigentlich auch nicht sagen, sie schiele, und wenn sie eben nichts fixirte, so boten ihre
Augen einen leichten Grad von Nystagmus, wenigstens nicht jene Buhe und symmetrische
Stellung dar, die wir an normalen Augen zu finden gewohnt sind. Um zu lesen, musste
sie die Schrift auf beinahe zwei Zoll nähern und das betreffende Auge so stark in den
innern Winkel stellen, dass man annehmen musste, das Netzhautbild falle auf eine 1 — l1//"
einwärts von der Sehnervenpapille gelegene Stelle. Dieses Verhältniss blieb dasselbe,
als die Pupille vollkommen schwarz geworden war, und durch mehrere Jahre schien
es, dass durch die Operation nichts gewonnen worden sei, indem zum genauem Sehen
naher Objecte das operirte Auge immer wie früher einwärts gestellt wurde (bei Ver-
schluss des rechten). Erst im Verlaufe mehrerer Jahre gewann die Sehkraft in der Rich-
tung der Sehachse, und somit für das Erkennen entfernter Objecte. Convexgläser von
allen möglichen Brennweiten vermochten nicht, die Sehkraft zu heben, auch nicht nach
methodischer Übung. Der Erfolg der Operation des linken Auges war eben nicht hin-
reichend, die ängstliche Mutter des Mädchens zur Operation des rechten Auges aufzu-
muntern. Vergl. II. B. S. 282. — Halten wir die für und wider die Miilhvache Hypo-
Schielen — Behandlung — orthopädische. 321
these zur Zeit vorliegenden Gründe einander gegenüber, so erscheint es bei aller Ach-
tuno- vor den von Gräfe dafür aufgeführten Gründen vorläufig nicht gerechfertigt, sie
als feststehend anzunehmen, bis nicht die Autopsie (am Cadaver oder mittelst des Augen-
spiegels) ihr entscheidendes Wort abgegeben haben wird.
Die nächste Ursache des Schielens besteht in der excessiven Con-
traction eines oder zweier Muskeln. Ein gewisser Grad von Rigidität,
von bleibender Verkürzung und Mangel an Ausdehnungsfähigkeit tritt erst
nach langem Bestände anhaltenden Schielens ein. Die nachtheilige Wir-
kung dieses Zustandes wird bei inveterirten Fällen noch unterstützt und
gesteigert durch das gegenteilige Verhalten des Antagonisten. Desshalb
sind Fälle mit freier Beweglichkeit des Bulbus nach der entgegengesetzten
Richtung ceteris paribus leichter zu heilen. — Zu berücksichtigen ist ferner
der Zustand der Sehkraft und Sehweite des schielenden Auges (relativ
zum andern). Wo man erwarten darf, die Sehkraft und Sehweite des
schielenden Auges der des andern völlig oder doch nahezu gleich zu
brino-en, lässt sich viel sicherer auf Besserung oder Behebung der fehler-
haften Stellung, wo nicht auf gänzliche Heilung rechnen. Wo hingegen
die Sehkraft bedeutend gesunken ist, und besonders da, wo nur eine ein-
wärts vom hintern Pole gelegene Netzhautstelle noch ein leidliches Sehen
vermittelt, ist höchstens auf Verbesserung der Stellung zu rechnen. : —
Viel kommt auch auf Verständigkeit und festen Willen des Schielenden
an, wenigstens da, wo der Einfluss des Willens nicht durch optische Hin-
dernisse oder durch Erkrankung der Muskel paralysirt wird. Mit Recht
bemerkt Ritterich, dass Mädchen, welche das Interesse für ihr Äusseres
weit mehr spornt (und wohl auch ihre Erzieher), das Schielen häufiger
wieder ablegen, als Knaben.
Seit Dieffenbach's genialer Anwendung der Myotomie auf das Auge *)
ist die Heilung des Schielens durch die Durchschneidung des verkürzten
Muskels eine Thatsache, glänzend gegenüber den schwierigen und so oft
erfolglosen Methoden, welche die frühere Zeit diesem so arg entstellen-
den Übel entgegen zu setzen vermochte. Sie ist im Stande, dem Unglück-
lichen die richtige Stellung des Auges so zu sagen augenblicklich wieder-
zugeben, und meistens auch ohne weitere Bemühung zu sichern. Einen
directen Einfluss auf die Sehkraft, wie man anfangs hoffte, hat sie jedoch
nicht, und ebenso wenig kann und darf sie auch heutzutage als das ein-
zige Mittel gegen das Schielen erklärt werden, wozu es eine Zeit lang
den Anschein hatte, denn nicht jeder Fall von Strabismus erheischt die
Myotomie, und nicht alle Fälle, welche nicht ohne Myotomie geheilt wer-
**) Im December 1839. Medicia. Zeitung vom Vereine für Heilkunde in Preussen Nr. 51.
Arlt'i Augenheilkunde III. 2. 21
322 Augenmuskeln.
den können, lassen Heilung durch dieselbe zu. Dass durch ungehörige
Anwendung derselben der Zustand schlimmer, statt besser gemacht werden
kann, wird ihr als solcher Niemand zur Last legen.
Wo das Schielen eben im Entstehen begriffen ist, und noch nicht
als continuirlich bezeichnet werden kann, lässt sich seine Etablirung bis-
weilen dadurch verhüten , dass man die entfernteren Ursachen beseitigt
oder unschädlich macht, und auf die Willenskraft des Kranken einzuwir-
ken sucht. Zunächst untersuche man, ob nicht etwa optische Hindernisse
vorhanden seien und sich beseitigen lassen. Kann man hierüber nicht
in's Klare kommen, wie so häufig bei kleinen Kindern, wenn sie keine
sichtbaren Abnormitäten darbieten, und liegen nicht etwa ganz bestimmte
und glaubwürdige Anschuldigungen von enlfernbaren Momenten (Willkür,
Nachahmung, fehlerhafter Verwendung) vor, so lasse man fleissig acht
geben, unter welchen Verhältnissen die Ablenkung auftritt oder gesteigert
wird, und empfehle die Fernhaltung solcher Verhältnisse nach Möglichkeit.
Je öfter das Auge in die fehlerhafte Stellung geräth, und je länger es
jedesmal in derselben verharrt, desto mehr droht Gefahr, dass es endlich
beständig in derselben verbleibe. So oft das Kind in der fehlerhaften
Stellung des Auges betreten wird, suche man es derselben zu entreissen.
In manchen Fällen genügt es, das Kind einfach anzureden und zum rich-
tigen Blick aufzumuntern, in andern muss man das Fixiren von Objecten
dadurch unterbrechen, dass man mit der Hand vor dem Gesichte vorbei-
streicht oder die Augen einigemal nach einander schliessen und öffnen,
und dann den Blick auf andere Objecte lenken und für einen andern Ho-
ropter einrichten lässt, bei Convergenz für einen weitern, bei Divergenz
für einen engern. In manchen Fällen, namentlich bei optischen Hinder-
nissen, müssen gewisse Beschäftigungen (mit feinen Spielsachen, Lesen?
Stricken u. dgl.) für eine Zeit lang ganz untersagt werden; in andern,
namentlich bei Neigung zur Kurzsichtigkeit oder bei angeborener Stumpf-
heit der Netzhaut oder bei allgemeiner Muskelschwäche (nach schweren
Krankheiten) erweist es sich nützlich, die Kinder häufig in's Freie zu
bringen und überhaupt Einförmigkeit in der Beschäftigung (im Gebrauche
der Augen) nach Möglichkeit zu verhüten. — Der Einfluss des Willens
kann bisweilen, wie Jurin empfohlen hat, dadurch angeregt und zweckmässig
geleilet werden, dass man das gesunde Auge durch die vorgehaltene
Hand verdeckt, und den Schielenden, der nun das kranke Auge gerad
stellt, anweist, dieses Auge auch nach Entfernung der Hand auf das Ob-
jeet zu richten. Hat er hierin einige Fertigkeit erlangt, so steht zwar
das gesunde Auge fehlerhaft; manche bringen es aber doch dahin, dass
Schielen — Behandlung — orthopädische. 323
sie. indem sie mit der Schärfe der Fixation nachlassen, das rasche Fliehen
des einen Auges in den Winkel temperiren und dann — zunächst eine
kurze Zeit — beide Augen richtig einstellen. Besonders gelingt diess,
wenn nach der Muskeldurchschneidung noch ein geringer Grad von Schie-
len fortbesteht. Verständige Patienten nehmen diese Übungen selbst vor,
mit Hilfe eines Spiegels.
Wo Ungleichheit der Sehkraft zu Grunde liegt, erweist sich der eben
besprochene Vorgang häufig als ungenügend, auch wenn er gehörig durch-
geführt wird, dann nämlich, wenn der schwächere Eindruck schon beim
gewöhnlichen Sehen und nicht bloss beim Fixiren und genauem Betrach-
ten von Objecten sich geltend macht. In solchen Fällen sind Versuche mit
Schielbrillen zu empfehlen. Es sind deren 3 verschiedene Arten bekannt.
Die ältesten sind ein Paar dunkle Kapseln, nussschalenähnlich, jede in der Mitte mit
einer kleinen Öffnung oder mit einer horizontalen Spalte versehen , welche an normalen
Augen gerade vor die Pupillen zu stehen kommen würden. Diese Brillen sind verworfen
worden, indem man, und zwar mit Recht, behauptete, das einmal schielende Auge
könne dadurch nicht gezwungen werden, seine fehlerhafte Stellung zu verlassen und
durch die Öffnung durchzusehen. Vielleicht wirken sie aber auch nicht auf diese, ihnen
zngemuthete Weise. Es fordert immerhin zur Vorsicht auf, wenn genaue Beobachter,
wie Ritterich , sich für deren Wirksamkeit aus Erfahrungsgründen erklären. Seit der
Einführung der stenopäischen Brillen von Ponders möchte wohl die Wirkungsweise der
alten Schielbrillen anders zu interpretiren sein. Es liegt wenigstens sehr nahe, anzu-
nehmen, dass die Schielbrillen, die wenigstens doch nichts anderes sind, als stenopäische,
geeignet seien, das schielende Auge zum Mitsehen geeignet zu machen, indem sie die
Differenz der Sehkraft beider Augen mehr weniger ausgleichen. Es ist wenigstens auf-
fallend, dass Rilterich ausdrücklich bemerkt, er habe bei Hornhauttrübungen Nutzen von
Schielbrillen beobachtet. Es Hesse sich aber auch denken, dass Kinder durch Schiel-
brillen gezwungen werden, das Schielen aufzugeben, weil sie durch dieselben gezwungen
sind, das nicht schielende Auge immer in der Mitte der Lidspalte zu halten, somit
alle Objecte geradeaus anzusehen, und die Schiefhaltung des Kopfes zu vermeiden.
Dann würden sich diese Schielbrillen in ihrem Wirkungskreise an einige andere mecha-
nische Vorrichtungen anschliessen, deren wir weiter unten gedenken werden, und zu
denen besonders das bekannte Volksmittel gehört, die gerade Haltung des Kopfes durch
eine steife Cravatte zu erzwingen. Wie dem auch sei, das steht fest, dass es verschie^
dene Mittel gibt, welche ganz gewiss nützlich sind, trotzdem wir nicht wissen, wie sie
nützen. — Die zweite Art von Schielbrillen ist von Böhm angegeben und wenigstens in
einigen Fällen mit Erfolg angewendet worden. Es wird in einem gewöhnlichen BriU
lengesteile vor dem schielenden schwächern Auge ein farbloses, vor dem gesunden ein
mehr weniger intensiv blaues Glas getragen, um den Eindruck des gesunden Auges
abzuschwächen und hiedurch Gleichheit der Eindrücke zu erzielen. „Da es sich nicht
ausführen lässt," — wie Böhm meint — „die gesunkene Sehkraft des erkrankten
Auges zur Zeit in ein gleiches Verhältniss mit der des andern Auges zu erheben,
so steht es uns doch frei, in umgekehrter Weise die Sehkraft des gesunden Auges
2i*
324 Augenmuskeln.
auf unschädliche Weise vorläufig in so weit herahzuslimnien, dass beide Netzhäute von
einem lichlgebendcn Punkte wieder in gleicher Weise gereizt, mithin heide Bulbi
einem gleichen Reflexeinflusse auf die Muskelgruppen ausgesetzt werden." Die blaue
Farbe des einen Glases muss um so intensiver sein, je bedeutender der Unterschied
in der Sehkraft der Augen ist, und die Objecte müssen in einem gemilderten blauen
Lichte erscheinen. „Erscheinen die Gegenstände noch in demselben Grade blauer Fär-
bung, den man dem Glase des gesunden Auges gegeben hat, so ist der Reflexeinfiuss
auf diesem Auge noch nicht genügend herabgestimmt, und muss eine intensivere Fär-
bung gewählt werden, bis durch die möglich werdende Mitlhätigkeit des schwächern
Auges eine ungefähre Ausgleichung zur mittlem Helligkeit beider Gläser erfolgt." Er-
scheinen dagegen die Objecte in ihrer natürlichen Farbe, so ist das Glas zu intensiv
blau, fungirt bloss das schwächere Auge , und wird das gesunde vom Sehact ausge-
schlossen." — Eine dritte Art von Brillen, welche ich bei A. v. Gräfe nach verrichteter
Schieloperation behufs der völligen Geradestellung des Bulbus mit Nutzen anwenden
sah, besteht in gewöhnlichen Brillen mit Plangläsern, welche zum vierten oder dritten
Theil, zur Hälfte oder zu 2 Dritleln (von der Schläfen- oder Nasenseite her) undurch-
sichtig gemacht werden können. Wenn Jemand mit dem linken Auge einwärts schielt,
und das rechte Auge an der Nasenseite zum Theil verdeckt wird, so kann dieses die
betreffende Region des Gesichtsfeldes nicht mehr beherrschen, und das linke Auge wird
häufiger veranlasst, für die linke Hälfte des Gesichtsfeldes zu fungiren. Zugleich wird
der Kranke zur geraden Kopfhaltung gezwungen. Dieses Mittel ist meines Erachtens
nicht nur bequemer, sondern auch zweckmässiger, als die von Darwin empfohlene künst-
liche Papiernase, ein senkrechter Steg auf dem Nasenrücken, welcher jedes Auge so
ziemlich auf die gleichnamige Hälfte des Gesichtsfeldes anweist und das Vorherrschen des
einen in dem Gebiete des andern verhindert." *) Darwins Patient war ein fünfjähriges,
äusserst fügsames und gescheidtes Kind. Es schielte einwärts, bald mit dein einen, bald
mit dein andern Auge. Wenn der Gegenstand ihm auf der rechten Seite vorgehalten
wurde, so sah es denselben mit dem linken Auge, und umgekehrt. Wurde ihm ein Ge-
genstand in gerader Richtung vorgehalten, so drehte es den Kopf ein wenig auf die eine
(rechte) Seile, betrachtete ihn nur mit dem entfernteren (rechten) Auge, und schielte mit
dem andern. War es endlich müde, den Gegenstand mit diesem Auge zu betrachten,
so drehte es den Kopf auf die entgegengesetzte Seite (links), und betrachtete nun den
Gegenstand eben so leicht mit dem andern (linken) allein. Das Kind erkannte und
nannte Buchstaben in gleichen Entfernungen mit dem einen Auge so leicht, wie mit dem
andern , und es liess sich überhaupt kein Unterschied zwischen beiden Augen wahr-
nehmen. Man betrachtete das Übel als Folge übler Gewohnheit. Darwin gab den Rath,
eine künstliche Papiernase, einen Zoll über der natürlichen emporragend, tragen zu
lassen. Das Kind fing an, statt den Kopf zu drehen , um nach seitlichen Gegenständen
zu schauen, dieselben mit dein betreffenden, nicht wie früher mit dem entfernteren Auge
zu fixiren. Der Heilplan wurde jedoch nicht beharrlich ausgeführt, und nach 5 Jahren
fand ' Darwin den Zustand wie früher. Nun wurde eine Scheidewand von Messingblech,
mit schwarzer Seide überzogen, auf der Nase befestigt, mittelst Spangen, welche von
der Nasenwurzel um den Kopf liefen. Sie erhob sich gegen 2'/2" hoch über der Nase.
Beim Tragen derselben fand es die Patientin bald weniger unbequem, seitlich gelegene
Gegenstände mit dem Auge zu beti achten, welches denselben am nächsten lag, statt dass
") Makenzie 1 .-. S, 247.
Schielen — Behandlung — Operation. 325
sie früher das entferntere dazu verwendet hatte. Nachdem diese Gewohnheit durch wo-
chenlangen Gehrauch des Instrumentes geschwächt worden war, wurden der Patientin
zwei Stückchen Holz von der Dicke eines Federkieles, ganz geschwärzt bis auf '/,' von
der Spitze aus, häufig vorsehalten, um darnach zu sehen. Das eine wurde auf die eine
Seite der Extremität des Instrumentes , das andere auf die andere Seile desselben ge-
halten. Auf diese Weise gelang es, dass die Patientin in der nächsten Woche eine halbe
Minute lang beide Sehachsen auf denselben Gegenstand richten konnte. Indem sie diese
Übung vor einem Spiegel fast jede Stunde des Tages wiederholte, war sie in der 3.
Woche im Stande , eine ganze Minute lang mit beiden Augen zugleich zu lesen. Nach
länger fortgesetzter Übung erlangte sie die Fähigkeit, auch entferntere Objecte (bis zu 4 oder 5')
mit beiden Augen zugleich zu fixiren, wesshalb Daripin vollständige Heilung vorhersagte."
Über die Anwendung prismatischer Gläser, von denen sich in vielen Fällen Nutzen
erwarten lässt , besitze ich noch keine eigenen Erfahrungen. Vielleicht dass Gräfe uns
bald mehr hierüber mittheilt.
Wo die Sehkraft des Auges in Folge von Unthäligkeit gesunken ist,
versuche man dieselbe erst durch methodische Übung so weit als möglich
zu heben, ehe man irgend ein Heilverfahren gegen das Schielen selbst
einschlägt. Das gesunde Auge werde mehrmals des Tages auf einige Zeit
wohl verschlossen, mittelst der Finger oder eines gut anliegenden Verban-
des, anfangs nur 3 — 4mal des Tages und auf einige Minuten, später gra-
datitn öfter und länger. Bei hochgradiger Amblyopie gelingt es meistens
nur mittelst convexer Gläser, das Auge noch zur Thäligkeit anzuregen,
oder doch in relativ kürzerer Zeit. Ist es gelungen, die Sehkraft völlig
oder doch nahezu wieder herzustellen, dann darf man erwarten, das Schie-
len auf orthopädischem Wege zu beheben. Die Angabe glaubwürdiger
Auetoren, wie Beer, dass Schielen auf diese Weise geheilt worden sei,
lässt sich durch Gründe a priori nicht widerlegen, und diejenigen, welche
dagegen eifern, dürften bei Empfehlung orthopädischer Regeln nach ver-
richteter Muskeldurchschneidung wohl etwas inconsequent werden. Wenn
aber auch die Beseitigung des Schielens auf diesem Wege allein nicht ge-
lingt, so hat man durch diese Übungen gleichsam der Operation schon
vorgearbeitet. Denn je mehr das Auge zum directen Sehen geeignet wurde,
desto leichter kann es, der Fessel des verkürzten Muskels durch die Ope-
ration entledigt, zu den Objecten richtig eingestellt werden, weil eben die
Netzhautfunction der Regulator der Muskelthätigkeit ist ; und je mehr es
gelungen ist, die freie Beweglichkeit des schielenden Auges vor der Ope-
ration wieder herzustellen, durch Übung und Kräftigung des Antagonisten,
desto sicherer wird man bemessen können, bis zu welchem Grade man
bei der Operation von den — später anzugebenden — Mitteln Gebrauch
machen darf, das Auge nach der entgegengesetzten Seite beweglich zu
machen. Die Complication des continuirlichen Schielens mit Insuffieienz
326 Augenmuskeln.
des Antagonisten wegen Mangel an hinreichender Übung desselben musä
vor der Operation so viel als möglich beseitigt werden. Denn, wenn der-
selbe erst nach der Operation wieder zu voller Thätigkeit gelangt, kann
seine Wirkung leicht zu beträchtlich ausfallen; das Auge steht dann nach
der Operation eine Zeit lang richtig, wird aber allmälig nach der ent-
gegengesetzten Seite abgelenkt, vielleicht nur desshalb, weil die Durch-
schneidung und Rücklagerung des Muskels nach der zur Zeit der Opera-
tion vorhandenen Contractionskraft des Antagonisten berechnet Wurde.
Je mehr das Auge von jeder anderweitigen Abnormität als der der
Ablenkung frei ist, mit desto mehr Aussicht auf günstigen Erfolg kann die
Operation unternommen werden. Als völlige Heilung kann, streng genom-
men, nur jener Zustand bezeichnet werden, wo sowohl die associirten als
die accommodativen Bewegungen wieder zur Norm zurückgeführt wurden.
Diess ist im Allgemeinen nur dann möglich , wenn das früher schielende
Auge unter allen Verhältnissen am Sehacte Theil nehmen kann, und wenn
es die Function des andern Auges nicht durch Lieferung eines schwächern
Eindruckes stört. Wo demnach beträchtliche Differenz in der Sehkraft oder
Sehweite beider Augen besteht, wird man sich häufig bloss mit Verbesse-
rung der Stellung des Auges begnügen müssen; das Auge weicht dann
unter allen Umständen in der frühern Richtung, nur in geringerem Grade
ab, oder es stellt sich bei gewissen Richtungen des Blickes und Distanzen
der Objecte gehörig ein, bei andern nicht. Man kann aber auch, und das
bei ganz gehörig ausgeführter Operation, in solchen Fällen beträchtlich
differenter Sehkraft oder Sehweite eine mehr weniger penible Verschlim-
merung herbeiführen, wenn nämlich nach erfolgter richtiger Einstellung
der durch das gesunde Auge zu Stande kommende Eindruck durch den
des kranken geschwächt, mithin der gemeinschaftliche Sehact unerträglich
wird. Unter solchen Umständen ist es als ein Glück zu betrachten, wenn
der Operirte allmälig von dem Eindrucke des schwächern Auges abstra-
hiren lernt, ohne das Auge neuerdings zu verdrehen ; aber nicht selten
erfolgt letzteres, nach der frühem oder nach der entgegengesetzten Rich-
tung, bald mit, bald ohne Doppeltsehen. Letzleres kann die Operirten Mo-
nate, Jahre-lang belästigen. — Bei ungehörig verrichteter Operation bleibt
die Ablenkung in der frühern Richtung zurück (Schielen), oder erfolgt ge-
hinderte Beweglichkeit nach dieser Richtung mit beständiger oder mit tem-
porärer, nur bei gewissen Richtungen und Distanzen hervortretender Ab-
lenkung nach der entgegengesetzten Seite (Luscitas). — Dem Auge selbst
bereitet die Operation keine Gefahr; wenn hie und da ein Fall mit Ge-
fährdung oder Verlust des Sehvermögens oder Augapfels vorgekommen ist.
Schielen — Behandlung — Operation. 327
so müssen ganz absonderliche Fehler von Seile des Arztes oder des Kran-
ken vorgefallen sein. Am Ende kann seihst eine leichte Schnittwunde
eines Fingers gefährlich werden, die in tausend und abermals tausend Fäl-
len ohne alle Gefahr verläuft. Der operative Eingriff, den die Muskel-
durchschneidung setzt, soll und kann jederzeit so geringfügig sein, dass
die Heilung in 8—14 Tagen ohne weiteres Zuthun erfolgt.
Vor der Operation muss nebst der Sehkraft, Sehweite, Beweglich-
keit der Bulbi u. s. w. auch noch der Grad der Ablenkung bei mittleren
Distanzen ermittelt werden, um zu bestimmen, ob man die Durchschnei-
dung auf beiden oder nur auf dem einen Auge, und in welcher Ausdeh-
nung man dieselbe werde vorzunehmen haben. Den Grad der Ablenkung
zu bestimmen , kann man sich füglich an den Stand des Hornhautrandes
relativ zum innern oder äussern Augenwinkel halten , wenn die Hornhaut
des andern Auges in der Mitte der Lidspalte steht {bei gerade gehalte-
nem Kopfe). Im normalen Zustande kann der Hornhautrand einwärts bis
zur halbmondförmigen Falte, auswärts bis zur Commissur gestellt werden
Beim Schielen, besonders beim convergirenden, kann der Rand, selbst die
Hälfte der Hornhaut verborgen werden. Diese excessive Bewegbarkeit soll
bis auf die Norm (nie viel darüber) beschränkt werden. Als leichte Grade
kann man beim Strab. convergens jene Fälle bezeichnen, wo bei oben be-
zeichnetem Stande des andern Auges der Hornhautrand des schielenden
höchstens 2'" weiter einwärts steht; als mittlere Grade , wo derselbe an
die halbmondförmige Falte zu stehen kommt; als höchste Grade, wo von
der Hornhaut schon ein Theil verborgen ist. Zwei Linien Ablenkung nach
aussen sind ohngefähr so hoch anzuschlagen wie eine Linie nach innen,
wenn sich's um den Einfluss der Ablenkung auf das Operationsverfahren
handelt. Bei geringer Ablenkung ist nämlich meistens schon die unilate-
rale Operation hinreichend, und muss der Schnitt auf die Sehne des Mus-
kels beschränkt werden ; bei mittlem Graden ist es in der Regel besser,
beide Augen zu operiren , und auch hier zunächst nur die Sehnenfasern
zu durchschneiden ; man kann zwar durch ausgiebige Erweiterung der Wunde
(Schlitzung der T. vaginalis bulbi nach oben und unten) Geradstellung des
Bulbus erzielen, doch nur für gewisse Richtungen und Distanzen, und riskirt
unvollständige Beweglichkeit nach Seite des durchschnittenen Muskels oder
Abweichung nach der entgegengesetzten Seite mit Doppeltsehen. Bei höhern
Graden lässt sich auch diese Geradstellung durch unilaterale Operation nicht
mehr erzielen, geschweige denn das Schielen beheben. Betrüge z. B., wenn
bei gerader Kopfhaltung die Pupille des im Mesoropter und in der Median -
ebene fixirenden Auges nahezu in der Mitte der Lidspalte steht, die Ab-
328 Augenmuskeln.
weiclmng des schielenden Auges , nach dem Stande des Hornhautrandes
vergleichungsweise gemessen , drei Linien , so kann die Correction nur
durch bilaterale Durchschneidung exact und ohne Nachtheil für die nor-
male Beweglichkeit erzielt werden , und es darf die Stellung des erst-
operirten nur um \ '/2 , höchstens 2'" verbessert werden , damit für das
andere noch mindestens i'" zur Correction übrig bleibt. Es ist aber viel
schwieriger, hierin zu wenig, als zu viel zu thun. Zu bewirken, dass das
Auge nur um i'" nach der entgegengesetzten Seite gelenkt, werde, erfor-
dert vom Operateur weit grössere Dexterität , als grössere Ablenkungen
herbeizuführen. Ich zweifle, dass es möglich ist, das Auge weniger als
s/4/" abzulenken. Das einzige Mittel, geringere Effecte zu erzielen, wäre
vielleicht, nur einen Theil, etwa 3/4 der Sehne, und nach einigen Tagen
den Rest zu durchschneiden. Doch fehlen .mir hierüber Versuche. (Vom
horizontalen Einschneiden der Bindehaut oder von der sogenannten sub-
conjunctivalen Muskeldurchschneidung habe ich a priori wegen der Dehn-
barkeit der Bindehaut nichts erwartet.)
Dicffenbach operirte ohngefähr «auf folgende Weise. Ein hinter dem
Kranken stehender Gehilfe fixirte die Lider, und zog sie besonders in dem
betreffenden Winkel aus einander. Ein zur Seite stehender Gehilfe über-
nahm die Haltung eines spitzen Häkchens , welches der Operateur nächst
dem betreffenden Hornhautrande in die Bindehaut eingesenkt hatte, um den
Bulbus nach der entgegengesetzten Richtung zu fixiren. Der Operateur
setzte ein zweites solches Häkchen über dem betreffenden Muskel, etwas
rückwärts von dessen Insertion, in die Bindehaut ein, und durchschnitt nun mit
einer nach der Schneide (rabenschnabelähnlich) gekrümmten Scheere die
durch die Spannung zwischen den Häkchen entstandene , horizontal ver-
laufende Bindehautfalte etwas hinter der Insertioiislinie des Muskels. Nach
Stillung der Blutung (oder Abtupfung mittelst eines Schwämmchens) um-
ging er den Muskel mit einem bogenförmig gekrümmten stumpfen Haken
(Krümmungsradius circa 21/„///), zog den Muskel hervor, und durehschnit1
ihn nun quer (von unten nach oben) mit der neben dem Haken eingeführ-
ten Scheere. — Dieser Vorgang erlitt mannigfaltige Modifikationen, welche
aufzuzählen höchstens historisches Interesse halten Würde. Als Nachtlieile
kann man bezeichnen: dass zwei geübte Gehilfen nothwendig sind, dass
sie leicht Ecchymosen veranlasst, dass sie beim Hervorziehen des Muskels
mit dem Haken starke Schmerzen erregt, und dass der Muskel leicht zu
weit von seiner Insertionsstelle durchschnitten wird. Ich beschränke mich
auf die Angabe des Verfahrens . welches ich seit dem Jahre 1840 an-
wende, und für ebenso zweckmässig als einfach halte.
Schielen — Behandlung — Operation. 329
Ich lasse das (zunächst) nicht zu operirende Auge mit der Hand zu-
halten oder fest verbinden, damit der Kranke das andere besser in seine
Gewalt bekomme und nach der entgegengesetzten Seite richten könne.
(Der leichtern Verständlichkeit wegen nehmen wir an, es sei der R. in-
ternus des linken Auges zu durchschneiden.) Während nun der Kranke
ein links gelegenes Object fixirt, und der Assistent mit der linken Hand
das obere , mit der rechten das untere Lid fixirt , besonders den innern
Winkel bloss legend, fasse ich mit einer mittelgrossen 2?/ö/«er'schen Pin-
cette (in der linken Hand , mit auf- und abwärts federnden Armen) die
Bindehaut höchstens 3"' vom Hornhautrande entfernt*), hebe die Binde-
haut etwas vom Bulbus ab, dass sie eine Falte bildet, schneide diese knapp
an der Pincette (an der der Cornea zugewandten Seite) mit einer Dieffen-
&«cÄ'schen Scheere, die Convexität nach unten gerichtet, vertikal ein, und
erweitere die Wunde auf- und abwärts bis auf etwa 4'" Länge. Sofort
setze ich die Pincette in derselben Haltung senkrecht oder unter einem
wenig spitzigen Winkel zwischen den Wundrändern vor dem bloss noch
von der T. vagin. umhüllten Muskel auf die Sclera auf, gehe mit der Pin-
cette , sie allmälig bis auf 4'" öflhend und dabei an den Bulbus andrük-
kend, ein wenig rückwärts, gleichsam um den Muskel aus der Wunde her-
vorzuholen, und fasse ihn nun wie ein Flügelfell durch Schliessen der
Pincette. Unmittelbar darauf schiebe ich das untere Blatt der Scheere,
welches nicht scharf spitzig ist, gleich einem Haken von unten zwischen
der Sclera und dem Muskel bis zu dessen obern Ende hinauf, drehe die
Scheere nun so, dass beide Blätter (das eine vor, das andere hinter dem
Muskel) flach am Bulbus liegen, und durchschneide somit in 1 — 2 Zügen
den Muskel in seiner Sehne und so knapp als möglich an der Sclera. Hie-
mit kann die Operation — in Zeit von 1 Minute — beendet sein. Wenn
man jedoch die Arme der Pincette nicht genug öffnete, oder wenn man
die Scheere nicht hinter der Muskelsehne hinauf, sondern unten oder oben
durch dieselbe durchführte, so sind Fasern ungetrennt geblieben, und
machen noch die Einführung eines stumpfen Häkchens (halb so gross als
das Die ffenbacV 'sehe) notwendig. Wo man Ursache hat, unvollständige
Trennung anzunehmen, vertausche man sofort die Pincette mit diesem in
Bereitschaft liegenden Häkchen, und sondire, von der Mitte der Wunde,
wo die Sclera bloss liegt, knapp an dieser auf- und abwärts streifend, wo
die noch zu durchschneidende Partie sitzt, was man leicht an dem Wider-
) Nach manchen, selbst noch In neuester Zeit erschienenen bildlichen Darstellungen der Operation möchte man
glauben, der R. internus müsse nicht 2% höchslens 3, sondern mindestens 4 " weit vom Hornhaulrandc durch-
schallen werden.
330 Augenmuskeln.
stände erkennt, auf den das Häkchen beim Anziehen nach vorn stösst.
Wo diess der Fall ist, führe man die Scheere neben dem Häkchen wie
an einer Leitungssonde ein, und durchschneide jedoch nur die Sehnenfasern,
die man mit dem Häkchen hervorholt, ohne die Wunde bis in die seitliche
Invagination des Muskels zu erweitern. — Ob man am rechten oder am
linken Auge, im innern oder im äussern Winkel zu operiren hat, das
ändert weder die Rolle der Hände, noch die Haltung der Instrumente, nur
dass beim R. externus des linken und beim R. internus des rechten Auges
Scheere und Pincette beim Muskelschnitte sich kreuzen müssen, damit der
Muskel zwischen der gefassten Stelle und der Sclera, nicht aber auf der
andern Seite der Pincette (im Muskelfleische) durchschnitten werde.
Möge man aber auf diese oder eine andere Weise operiren: wesent-
lich ist nur das , dass der Muskel so knapp als möglich am Bulbus , also
in seiner Sehne durchschnitten werde, und dass man die T. vagin. weder
nach oben noch nach unten hin zu weit schlitze. Das vordere Ende des
Muskels steckt in der von ihm äusserst schräg durchbohrten T. vagin.
wie in einer Scheide, und hängt mit derselben so fest zusammen, dass
sich der Muskel nicht aus dieser Invagination herausziehen kann. Die eben
gegebene Vorschrift gründet sich auf dieses anatomische Verhalten und
auf den Vorgang der Heilung der Wunde, wie man ihn theils während
des Lebens, theils bei der Section von Operirten beobachtet hat. (Zu
letzterer halte ich 2mal Gelegenheit.) Die Muskelvvundränder, man möge
nun in dem sehnigen oder im fleischigen Theile durchschnitten haben, tre-
ten nicht mehr mit einander selbst in Verbindung, weder unmittelbar, noch
durch eine Zwischenmasse, wie man in früherer Zeit meinte , sondern das
hintere Stück zieht sich, so weit es eben die Verhältnisse gestarffen, zu-
rück und verwächst mit den nächst angrenzenden Gebilden, während das
vordere Stück, falls ein solches sitzen geblieben , allmälig schrumpft, oder
aber wuchert und nachträglich abgetragen werden muss. Den Muskel
nicht knapp an der Sclera abschneiden, heisst also eigentlich so viel, als
vorn ein Stück von ihm excidiren, mithin den ohnehin kürzern (contra-
hirten) Muskel noch kürzer machen. Wird aber der Muskel knapp an der
Sclera abgeschnitten, so hängt er durch die ihn hier fest umhüllende T.
vagin. beiderseits (oben und unten) mit dem Bulbus zusammen, und kann
sich an diesem nur so weit zurückziehen , als es eben die Dehnbarkeit
der T. vagin. und die Grösse der Eröffnung derselben gestattet. Wurde
die T. vagin. so weit geschlitzt, dass der darin haftende Muskel sich bis
zum Äquator bulbi zurückziehen kann, und dort anheilt, so sinkt der Ein-
fluss, den dieser Muskel fernerhin noch auf den Bulbus üben kann, so
Schielen — fletraiidlurfg — Operation, 331
ziemlich auf Null herab, trotzdem der nächste Zweck, Wiedervereinigung
des vordem Muskelendes unmittelbar mit dem Bulbus, erreicht ist. — Wird
aber der Muskel dort durchschnitten, wo er bereits aus der T. vagin. heraus-
getreten ist, so hängt er mit derselben höchstens noch durch das in
die T. vagin. übergehende Perimysium zusammen, und kann nur mit die-
sem und mit dem benachbarten fettreichen Bindegewebe verwachsen. Die
Folge davon ist zunächst eine mehr weniger starke Beeinträchtigung der
Beweglichkeit des Bulbus nach dieser Seite, und gibt sich bald unmittel-
bar nach der Operation, bald erst nach erfolgter Veranlassung kund. Ein
geringerer, wenn gleich noch immer beachtenswerther Übelstand ist — ■
nach solcher Durchschneidung des R. internus — Rückwärtsziehung der
Caruncula und der halbmondf. Falte.
Die nächste Aufgabe der Operation, zu bewirken, dass der Muskel
Um ein Gewisses C3//" bis 172"') weiter rückwärts an die Sclera an-
heile, wird nicht erreicht, wenn auch nur einige Fasern (oben oder unten)
ungetrennt blieben. Dass der Muskel vollständig getrennt sei, erkennt man
häufig noch vor Anwendung der Hakensonde an dem Klaffen der Wunde
bei Wendung des Auges nach der entgegengesetzten Seite. Wo die
Sclera — nach Beseitigung des Blutes — mitten in der Wunde rein weiss
zu Tage liegt, kann man überzeugt sein, dass der Muskel völlig durch-
schnitten ist. Wo hingegen die Beweglichkeit nach der betreffenden Seite
zu sehr beschränkt erscheint, hat man gewiss die T. vagin. zu reichlich
geschlitzt.
Nach vollendeter Durchschneidung lasse man das andere Auge öffnen,
um die Stellung beider Bulbi zu prüfen. Nach Durchschneidung eines
R. internus wird man zunächst finden, dass der Bulbus etwas aus der
Orbita vorgetreten ist. War die Ablenkung gering, so stehen vielleicht
schon jetzt die Bulbi für alle Richtungen und Distanzen richtig oder doch
zu Objecten, welche in Distanz von 1 — 3 Fuss in der Medianebene vor-
gehalten werden. Tritt für grössere Entfernungen noch etwas Convergenz
ein, so darf man bei entsprechender Nachbehandlung völlige Heilung er-
warten; tritt hingegen sichtliche Divergenz oder doch Doppeltsehen mit
gekreuzten Bildern auf, so hat man zu viel gelöst, und muss von den —
weiter unten angegebenen — Mitteln gegen das weitere Zurückweichen
des Muskels bei der Anheilung Gebrauch machen. War die Ablenkung
hochgradig, so wird, falls man mit der Trennung nicht zu freigebig war,
das operirte Auge noch schielen, oder aber, falls dieses sich in der Visio
directa zu behaupten vermag, das andere, nur das eine sowohl als das
andere in geringerem Grade, als vordem. Diess ist's, was man in solchen
332 Augenmuskeln.
Fällen eben zunächst anzustreben hatte. Denn wird nun an dem zweiten
Auge die Durchschneiduno- dem Reste der Ablenkung (dem jetzigen Schiel-
winkel) entsprechend vorgenommen, so ergänzt dieser Act den ersten.
Wem dieses etwa nicht glaubwürdig erscheint, der versuche es nur ein-
mal, die Tenotomie blos an dem nicht schielenden Auge vorzunehmen;
bei geringen Graden von Schielen kann hiedurch allein schon Heilung be-
wirkt werden. — Allerdings könnte man die richtige Einstellung der Seh-
achsen dadurch erzwingen, dass man an dem eben operirten Auge die
Trennung der T. vagin. noch in ausgedehnterem Masse vornähme; hie-
durch würde man aber eben nicht eigentliche Heilung, sondern höchstens
Verbesserung des Schielens erzielen; es würde das operirte Auge höch-
stens für einige, niemals aber für alle Richtungen und Distanzen richtig
eingestellt werden können. — Wenn man mit der Durchschneidung an
dem 2. Auge wartet, bis am 1. feste Vernarbung eingetreten ist, so wird
man meistens finden, dass entweder dieses noch einmal operirt werden
muss (falls sich noch ein hoher Grad von Schielen erhalten hat), oder dass
die Operation des 2. Auges sehr schwierig wird, weil sie (wenn nur noch
ein geringer Rest von Schielen geblieben) auf das Minimum der Ablösung
beschränkt werden muss. Falls aber auch durch die unilaterale Operation
bei höheren Graden von Schielen der Zweck rücksichtlich der Stellung der
Sehachsen so weit erreicht worden ist, dass man sich damit begnügen
kann, so wird doch dem kosmetischen Zwecke immer mehr weniger Ein-
trag gethan durch die ungleiche Lage der Bulbi , die hier immer schon
auffallend hervortritt, und durch die fortbestehende Schiefhaltung des
Kopfes, welche oft nur mit grosser Mühe abgelegt werden kann', während
sie bei der bilateralen Operation so zu sagen durch den Operationsact
selbst beseitigt wird.
Bei der völligen Gefahrlosigkeit der Operation stellt der beiderseitigen Durchschnei-
dung in einer Sitzung (oder wenig Tage nach einander) nichts entgegen, als die Furcht,
das Einwärtsschielen in Auswärtsschielen mit Doppelsehen zu verwandeln. Dass diesem
üblen Zufalle vorgebeugt werden könne, ergibt sich wohl aus dem bereits Gesagten;
dass ihm aber auch wieder abgeholfen werden könne, hat A. von Gräfe durch eine Reihe
glänzender Erfolge bei inverterirtem Auswärtsstehen der Bulbi nach excessiver Internus—
durchschneidung dargethan. So viel ich weiss, war die Mehrzahl in diesem schlimmen
Zustand nicht durch die bilaterale, sondern durch unilaterale Internusdurchschneidung ver-
setzt worden. Das Umschlagen in luseiöse Auswärtsstellung dürfte demnach mindestens
eben so oft nach unitaleraler Durchschneidung zu fürchten sein, ja noch öfter, indem
man, um die (jleradestelluiig zu erzwingen, den Muskel zu weit zurücklagern, das Auge
dem Einflüsse des Muskels zu viel entziehen und dasselbe somit gleichsam verstümmeln
muss. Übrigens liegt der Grund des Umschlagcns in Sirabismus nach der entgegen-
gesetzten Richtung in vielen Fällen gewiss nicht in fehlerhafter Verrichtung der Opera-
Schielen — Behandlung — Operation. 333
tion, oder doch nicht vorzüglich in dieser, sondern vielmehr darin, dass Augen opcrirt
werden, die überhaupt durch die Operation nicht geheilt werden können, weil Compli-
cationen (optische Hindernisse, IVluskelinsufficienz) vorhanden sind, welche erst halten
beseitigt werden müssen, wenn die Operation nicht so zu sagen „auf gut Glück"
unternommen werden sollte. Es gibt Leute, welche nach vollkommen richtig ver-
übter Operation wieder schielen müssen, wenn sie mit dem andern Auge gut sehen
wollen ; ist die Ablenkung nach der frühem Richtung unmöglich, so erfolgt sie nach
der entgegengesetzten Seite um so leichter, je weiter der Muskel rückwärts gelauert
worden war.
Die Wunde bedarf kaum einer Nachbehandlung. Zur Linderung des
brennenden oder drückenden Schmerzes mag man durch einige Stunden
kalte Überschläge machen lassen. Einschränkung des Kranken auf's Zimmer
wird höchstens aus Rücksicht auf die Stellung der Bulbi nothwendig. Be-
deutende Ecchymosen habe ich nicht mehr gesehen, seit ich in der oben
beschriebenen Weise und ohne Lidhalter operire. Wenn man an der
Sclera einen Stumpf zurückliess, bei Durchschneidung im Muskelfleische,
so heilt die Wunde langsam , und es erheben sich dann häufig von dein
Stumpfe aus Wundgranulationen, welche man zu ätzen empfohlen hat.
Wenn mir dieser Zufall — wie in der ersten Zeit mehrmal — begegnete,
so wartete ich , bis die Wucherung an der Basis durch die immer näher
zusammenrückende Bindehaut bis auf einen dünnen Stiel eingeschnürt
worden war, wo sie sich dann leicht mit einer flach gebogenen oder
geraden Scheere abtragen Hess. — Wichtiger ist die sogenannte ortho-
pädische Nachbehandlung. Die Grundsätze derselben sind im Wesentlichen
dieselben, wie die, welche wir der Operation vorauszuschicken empfohlen
und oben angegeben haben. Wer sich die Mühe genommen , Schielende
ohne Operation zu heilen, wird sich im Allgemeinen auch zu helfen wissen,
wenn nach der Operation noch ein geringer Grad von Schielen zurück
bleibt. Nur gegen geringe Reste hilft die Orthopädie in Fällen, wo sie
nicht auch ohne Operation ausreichend gewesen wäre. Wo dem Erfolge
der Operation nicht schon in vorhinein eine zweifelhafte Prognosis zu
stellen war (wegen Complicationen , von denen oben die Rede war), und
wo dieselbe richtig ausgeführt wurde, da stehen die Bulbi meistens schon
unmittelbar nach der Operation richtig, und das Verhalten der Kranken
muss in Bezug auf den Gebrauch der Augen in den ersten Tagen und
Wochen nur so eingerichtet werden, dass die richtige Einstellung nicht
durch fehlerhafte Verwendung wieder verrückt werde. Bei insufficienter
Wirkung der Operation hat man empfohlen, das noch fehlerhaft stehende
Auge fleissig so verwenden zu lassen, dass der Antagonist mehr in An-
spruch genommen werde, die Wunde mehr klaffe, und der Muskel weiter
334 Augenmuskeln.
li inten anheile. Dagegen ist nichts einzuwenden, sobald nicht zu viel ver-
langt, andrerseits aber auch die Sache nicht zu weit getrieben wird. Wie
aber bei excessiver Wirkung der. Operation das Zu-weit-zurückweichen
des durchschnittenen Muskels dadurch verhindert werden soll, dass man
den Kranken anweist, nach der Seite des durchschnittenen Muskels zu
schauen (bei Durchschneidung des linken R. internus nach rechts), ist mir
unbegreiflich. Denn hiedurch wird offenbar die Zurückziehung des abge-
lösten Muskels eher begünstigt (indem ja der R. internus jetzt den Bulbus
einwärts rollen, mithin in erhöhte Thätigkeit gerathen muss, wie er es
denn auch thut, so gut es eben seine Verbindung mit dem Bulbus noch
gestattet.) Will man das Zu-weit-zurückweichen des abgelösten Muskels
durch Orthopädie verhüten, so muss man überhaupt jede Seitenbewegung
und jeden Gebrauch sowohl für grössere als für nähere Distanzen (accom-
modative Bewegung) verbieten. Am ehesten, wenn überhaupt etwas, kann
noch das helfen, dass man beide Augen durch einige Tage wohl ver-
schlossen halten lässt. Bedeutendes darf man aber auch von diesem Ver-
fahren nicht erwarten, und es wird bei offenbarer Divergenz unmittelbar
nach der Operation besser sein, statt die beste Zeit zu erfolgreichem Han-
deln verstreiehen zu lassen, lieber sogleich zu einem operativen Verfahren
zu schreiten, indem man entweder das vordere Ende des abgelösten Mus-
kels mittelst eines oder zweier Hefte an die Binde- und Scheidenhaut
nächst der Cornea befestigt, oder indem man überdiess den R. externus
mit möglichst geringer Wundgrösse durchschneidet. — Bei veralteter Aus-
wärtsstellung des Bulbus hat A. v. Gräfe das Guerin'sche Verfahren, zweck-
mässig modificirt, mit dem besten Erfolge angewendet. Zunächst wird im
innern Winkel die Bindehaut eingeschnitten, und der zu weit rückgelagerte
oder mit dem Bulbus gar nicht in directe Verbindung getretene Muskel
präparirt, um ihn zur Wiedervereinigung mit der Sclera geeignet zu
machen. Sodann wird der R. externus durchschnitten und der hiebei ab-
sichtlich (in der Sclera) sitzen gelassene Stumpf mit einer Fadenschlinge
gefasst, um hiemit den Bulbus bis zur Wiederanheilung des R. internus
genügend einwärts gelenkt zu erhalten. Nach 2 — 3 Tagen wird der
Faden entfernt.
Augenzittern (Nystagmus bulbi).
Mit diesem Terminus pflegt man jenen Zustand der Bulbi zu bezeich-
nen, wo dieselben in beständiger oscillirender oder rotirender Bewegung
Augenzittern. 335
sind, welche nicht nur unwillkürlich fortbesteht, sondern auch beim Bestre-
ben, den Blick fest auf irgend ein Object zu heften, noch stärker in die
Erscheinung tritt. Manche Augen bieten nur oscillirende Bewegungen
dar, d. i. eine Reihe ganz kleiner und rascher Schwankungen oder Dre-
hungen um eine durch den Äquator bulbi gehende Achse, demnach wohl
vermittelt durch kurz auf einander folgende kleine Contractionen und Ex-
tensionen gerader Augenmuskeln, besonders des R. internus und R. exler-
nus (Nystagmus oscillatorius). An andern bemerkt man beständig, beson-
ders aber beim Bestreben, irgend ein Object genauer zu sehen, kleine
rotirende Bewegungen um eine ohngefähr vom vordem zum hintern Pole
verlaufende Achse, also wohl durch die M. obliqui vermittelt (Nyst. rota-
torius), während noch andere gewissermassen ein Gemisch von beiden
darbieten, doch so, dass bald das eine, bald das andere vorherrschend in
die Erscheinung tritt. — Dieser Zustand ist an und für sich kein Gegen-
stand der Behandlung, denn er ist immer nur die Folge anderer Übel ;
aber seine Betrachtung ist so sehr geeignet, auf den Act des Sehens über-
haupt Licht zu werfen, dass wir nicht umhin können, ihn einer etwas
weitläufigeren Erörterung zu unterwerfen, als bisher geschehen ist.
Man wird diesen Zustand niemals treffen, wenn auch nur eines der
beiden Augen ein vollkommenes Gesicht besitzt. Das Gesicht ist aber nicht
fehlerhaft, weil Nystagmus vorhanden ist, sondern der Nystagmus ist ganz
bestimmt jederzeit die Folge mangelhaften Gesichtes. Der Nystagmus wird
— mit sehr wenigen Ausnahmen — nur an Individuen beobachtet, welche
Fehler des Gesichtes beider Augen seit der Zeit des 1. Lebensjahres an
sich tragen, Trübungen der durchsichtigen Medien oder Amblyopie aus
was immer für Ursachen. Wenn sich solche Zustände in späterer Zeit
entwickeln, namentlich wenn beiderseitige Cataracta oder Amaurosis ent-
steht, so pflegen die Bulbi wohl auch häufig in Schwankungen zu gera-
then; diese erfolgen jedoch bei weitem nicht so rasch und sind vielmehr
dem stets unbefriedigt bleibenden Drange zu sehen zuzuschreiben. Wenn
das Sehhinderniss, die Hornhauttrübung, die Cataracta bei Zeiten, ehe noch
unheilbare Abstumpfung der centralen Netzhautpartie dazugetreten ist, be-
seitigt wurden, so schwindet der Nystagmus, und zwar auch dann, wenn
die Functionsfähigkeit bis zu einem gewissen Grade auch nur auf dem
einen Auge wieder hergestellt wurde.
Obwohl es bei Nystagmus schwer ist zu bestimmen, ob beide Augen
zugleich richtig zu den Objecten eingestellt werden, so gibt es doch Fälle,
wo wenigstens keine merkliche Ablenkung des einen Auges stattfindet.
Wenn aber auch das eine Auge entschieden abgelenkt wird, so partieipirt
336 Augenmuskeln.
es doch an den oscillirenden oder rotirenden Bewegungen des andern.
Auch ein ganz erblindetes, z. B. phthisisches Auge participirt am Nystag-
mus des andern. In den meisten Fällen wird aber, wenn beide sehfähig
sind, auch das zum Betrachten von Objecten verwendete bessere Auge
nicht mit dem Netzhautcentrum dem Objecte zugewendet, sondern mit einer
excentrischen Region. Der Nystagmus hindert übrigens nicht, dass sowohl
assoeiirte als aecommodative Bewegungen auftreten, wenn auch nicht mit
jener Ruhe und Stetigkeit im Fortschreiten, wie im gesunden Zustande.
Vergl. III. B. S. 48.
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, der Nystagmus erfolge
im Dienste des Sehactes. Dieser kann nicht gehörig erfolgen, weil ent-
weder ein unvollständiges, zu lichtarmes Bild entworfen wird, oder weil
durch eine ausgedehnte centrale Trübung die Mac. lutea vom Sehen aus-
geschlossen wird, oder wegen Blendung (durch diffuses oder reflectirtes
Licht, bei durchscheinenden Trübungen, bei Chorioidealspaltung — Colo-
boma, bei Pigmentmangel — Albinismus) oder endlich wegen Netzhaut-,
Sehnerven-, Hirnleiden — Hydrocephalus chronicus. Ist nun die Netzhaut
aus was immer für einer Ursache schon in früher Jugend in ihrer Function
gehindert, und zwar auf beiden Augen, ist der Eindruck, den sie dem Sen-
sorium bringt, ungenügend, so tritt Nystagmus auf, als eine Reihe rasch
auf einander folgender Reflexbewegungen, um dadurch, dass dieselbe Netz-
hautstelle rasch nach einander wieder von denselben Lichtstrahlen getrof-
fen wird, ehe noch die Schwingungen von der nächst vorhergehenden Erre-
gung verschwunden sind, zu potenziren. Die Schwingungen oder Rotati-
onen erfolgen meines Erachtens rascher, als man eine Flamme im Kreise
herumzudrehen im Stande ist. Vergl. III. B. S. 34. So wie ein gesundes
Auge ein Object, das wegen zu geringer Erregung der Netzhaut schon
jenseits der Gränze der Wahrnehmung liegt, noch wahrnehmen kann, so-
bald dieses in rasche Bewegung geräth, so möchte ich sagen, erkennt das
mit unvollständiger Sehkraft ausgerüstete Auge Objecte oder sieht sie doch
besser, sobald dieselben rasch hinter einander demselben vorgeführt wer-
den. Denn es ist wohl eins, ob das Object sich so bewegt oder das
Auge. Desshalb, wenn ich nicht irre, tritt der Nystagmus besonders dann
auf, wenn siclvs darum handelt, irgend ein Object genauer zu erkennen.
Gäbe es also auch ein Mittel, den Nystagmus zu heben : könnte ich nicht
zugleich das Sehhinderniss beseitigen, so würde ich auch jenes Mittel un-
benutzt lassen.
i — <x>o§goo«>
X. Buch.
Die Augenlider, palpebrae,
A, Anatomisch - physiologische Bemerkungen.
Die conslituirenden Theile der Augenlider sind: die Haut, der Kreis-
oder Schliessmuskel , die beiden Lidknorpel, welche die Meibom' sehen
Drüsen in sich einschliessen , innen mit der Bindehaut überzogen sind,
und durch die obere und untere Augenlidbinde (fascia tarso-orbitalis sup.
etinf,), so wie durch das innere und äussere Augenlidband (ligamentum
canthi seu palp. intern, et extern.) mit dem Orbitalrande des Knochen-
gerüstes verbunden werden ; längs ihres freien Randes sind die Haar-
zwiebeln der Cilien zwischen dem Schliessmuskel und dem Knorpel ein-
gepflanzt, und in den convexen Rand des oberen Knorpels inserirt sich
(mittelbar) der Aufheber des oberen Lides , welcher hinter der obern
Augenlidbinde auf- und rückwärts verläuft (zur Spitze der Orbita). Im
innern Augenwinkel liegen die Thränenröhrchen,
1. Lage. Die Haut, in der Gegend der Augenbrauen ungewöhnlich
dick, und unterhalb des untern Augenhöhlenrandes besonders fettreich, ist
im Bereiche der Augenhöhlenöffnung ungemein dünn (gegen die Lidränder
hin wie Papier), fettlos, sehr dehnbar und mit der 2. Lage (dem Orbicular-
muskel) durch ein sehr lockeres Bindegewebe verbunden; bloss an den
Augenlidbändern, besonders am innern, dem sie unmittelbar aufliegt, und
an den Lidrändern haftet sie fest; sonst lässt sie sich überall leicht in
Falten erheben und isoliren, ist zu blutigen und serösen Infiltrationen sehr
geneigt , dagegen der Entwicklung von Furunkeln und Balggeschwülsten
Arlfs Augenheilkunde III, 2. 22
338 Augenlider.
nur noch in der Nähe des Orbitalrandes günstig. Durch zahlreiche , nur
äusserst feine Schmeerdrüschen wird die Cutis der Lider nicht nur geschmei-
dig erhalten, sondern auch in demselben Maasse, wie die Cutis überhaupt,
gegen Benetzung geschützt. Dass der Augenlidhaut auch die Schwciss-
kanälchen nicht abgehen, sieht man beim Schwitzen. Die Haarbildung ist
nur durch äusserst dünne und farblose Härchen vertreten , welche vom
Orbitalrande gegen die Cilien hin allmälig an Zahl und Grösse abnehmen.
2. Lage. Der Augenlidschliessmuskel reicht als ein membranartig
dünner Kreismuskel , dessen Fasern grösstenteils zu demselben Gebilde
zurückkehren, von dem sie entspringen, mit seinen peripherischen Fasern
oben bis unter die Augenbrauen, unten bis vor die Fossa canina, aussen
etwa Y2" UDer den Orbitalrand hinaus, während die innersten (kürzesten)
Fasern längs der Lidränder und knapp an denselben verlaufen. Die mei-
sten Fasern desselben entspringen vom Ligatn. palpebr. internum , einem
dichten, zelligfibrösen Bändchen, welches knapp vor der Thränensackrinne
vom Stirnfortsatze des Oberkieferknochens entspringt, mit auf- und abwärts
gerichteten Flächen circa 3'" lang horizontal auswärts verläuft, und an
eben diesen Flächen den Muskelfasern zur Anheftungsstelle dient, während
der vordere, etwas abwärts gerollte Rand mit der Cutis, der hintere dage-
gen mit dem Thränensacke fest zusammenhängt. Obwohl dieses Rändchen
von vorn nach hinten l1/« — 2'" breit ist, reichen seine Flächen doch nicht
hin, die zahlreichen Muskelfasern alle aufzunehmen, sondern es inseriren
sich viele derselben noch an der Leiste des Oberkieferknochens vor dem
Thränensacke, während andere vom Thränenbeinkamme (hinter und beson-
ders über dem Thränensacke) aus der Tiefe kommen , um an dem Ver-
laufe der mehr oberflächlich entsprungenen Theil zu nehmen. An seiner
Peripherie hängt er oben mit Fasern des Muse, frontalis und Corrugator
superciliorum, unten mit dem M. zygomaticus minor und levator alae nasi
et labii superioris zusammen. Die über den Orbitalrand hinausragenden
Fasern liegen nicht dicht aneinander , sondern lassen Lücken zwischen
sich, durch welche dichtere Bindegewebfasern vom Corium und Panniculns
adiposus der Cutis zu der Unterlage des Muskels streichen. Diese Binde-
gewebsfasern heften den Muskel gewissermassen an die Cutis, und ver-
mitteln die Hereinziehung der benachbarten Cutis über den Orbitalrand,
sobald die peripherischen Fasern des Kreismuskels sich stark verkürzen.
Besonders zahlreich und viel straffer angezogen sind die genannten Binde-
gewebsfasern in der Gegend der äusseren Commissur der Lider zwischen
der Cutis und den unter den Muskelfasern liegenden fibrösen Gebilden
(Ligamentum palp. externum und Periosteum), so dass die zwischen ihnen
Anatomie. 339
durchgehenden Muskelfasern an ihrer Umhiegungsstelle vom obern zum
uniern Lide sich nie weit von ihrer Unterlage entfernen, also auch die
Cutis, in welche sich übrigens manche Fasern zu inseriren scheinen, hier
nie so bedeutend verschieben können, wie oben und unten. — Über der
obern und untern Augenlidbinde und über dem Knorpel liegen die Muskel-
fasern mehr gedrängt aneinander, aber sehr dünn; erst gegen den Lidrand
hin, besonders am untern Lide, liegen sie nicht nur dicht, sondern auch
dicker oder mächtiger, und wurden desshalb vom Albinus als eigener
Muskel beschrieben. Diese Lage (portio minor) ist es, welche den Lid-
schluss zunächst bewirkt, während die peripherische Cportio major) mehr
die Herbeiziehung der Cutis und der Augenbrauen behufs kräftigeren Lid-
schlusses und stärkerer Beschattung des Auges vermittelt. Längs des Lid-
randes von der äusseren Commissur bis zu den Thränenpunkten bedecken
die innersten Fasern zunächst das dunkelfarbige Bindegewebe, in welchem
die Haarzwiebeln der Cilien eingebettet sind, dann streichen sie quer über
das vertikale Anfangsstück der Thränenröhrchen, und umhüllen dann diese
letzteren von drei Seiten, bloss deren Innenseite zur unmittelbaren Anlage-
rung der Bindehaut an dieselben frei lassend, bis diese Kanälchen kurz
vor ihrer Einsenkung in den Thränensack endlich ringsum von ihnen um-
fangen werden.
3. Lage. Diese Lage, welche hauptsächlich von der obern und untern
Augenlidbinde, von dem äussern und innern Augenlidbande und von den
Knorpeln gebildet wird , und vermöge ihres unmittelbaren Überganges in
die Beinhaut am Orbitalrande gewissermassen als Ergänzung des Knochen-
gerüstes betrachtet werden kann, Iässt sich trotz des sehr lockeren, dnreji
äusserst dehnbares Bindegewebe vermittelten Zusammenhanges der Muskel-
schicht mit derselben desshalb nicht gar leicht bloss legen und als Conti-
nuum präpariren, weil die Augenlidbinde nicht straff gespannt igt und
stellenweise nicht nur sehr dünn , sondern auch durchbrochen, oder doch
bloss von Bindegewebe gebildet erscheint. In der Nähe des Orbitalrandes
jedoch, besonders vor der Thränendrüse, und an einzelnen breiteren, sehnen-
artig glänzenden Streifen ist die fibröse Natur dieser Fascie nicht zu ver-
kennen. Man kann diese Fascie gewissermassen als Fortsetzung der
Beinhaut betrachten, indem man sich vorstellt, die Beinhaut steige vom
Orbitalrande herab, um den Knorpel an seiner Aussenfläche als Perichon-
drium zu überziehen, schlage sich auf dessen Innenfläche um, und streiche
dann, mit dem absteigenden Blatte verschmolzen, wieder aufwärts, jedoch
nicht um wieder zum Orbitalrande zurückzukehren, sondern um zur Fascia
s. tunica vaginalis Bulbi zu gelangen. Über dem Orbital- oder convexen
22*
340 Augenlider.
Rande des Tarsus trennt sich nämlich von der in Rede stehenden Augenlid-
fascie eine zellig-fibröse Membran als Unterlage der Conjunctiva palp. ab,
schlägt sich mit derselben auf den Bulbus und verschmilzt hier mit der
T. vaginalis. Nebstdem aber geht von der Innenfläche der Augenlidfascie,
wo hinter ihr die Thränendrüse liegt, ein Ausläufer ab, welcher sich zwi-
schen die obere und untere Thränendrüse einschiebt, und erstere stützt,
indem er sich hinter ihr in die Periorbita inserirt. In der Mitte des oberen
Lides, wo sich der M. levator palp. super, in die Augenlidfascie mit einer
gegen xj<1" breiten dünnen Sehne inserirt, schickt sie einen ziemlich star-
ken, zellig-fibrösen Überzug für diesen Muskel ab, so wie sie endlich
weiter einwärts (gegen die Nase) durch eine solche Fortsetzung mit der
Scheide zusammenhängt, welche die Sehne des M. obl. super, umhüllt. Im
Bereiche des untern Lides verhält sie sich zur Bindehaut und T. vagin#
bulbi so, wie oben; unter ihren äussern drei Viertheilen birgt sie blos
Orbitalfett, gegen den Thränensack her aber bedeckt sie unmittelbar den
Ursprung des M. obl. inferior, und dann die äussere (kleinere) Hälfte des
Thränensackes , mit dessen fibrösem Überzuge sie einwärts einer schräg
aufsteigenden Linie verschmilzt, welche vom Ansatzpunkte des innern
Randes des Obl. inf. bis zum Ligam. palp. internum aufsteigt. — Sowohl
hinter dem bereits beschriebenen inneren Augenlidbande als auch hinter
dem etwas dichteren, zellig-fibrösen Gewebe, welches als Continuum der
genannten Fascie zwischen den äussern Enden der Lidknorpel und dem
benachbarten Theile des Orbitalknochenrandes ausgespannt ist, und das
äussere Augenlidband genannt wird , befindet sich eine ziemlich mäch-
tige Lage dichten und fettlosen Bindegewebes, welches zur Befestigung des
genannten Fasciengerüstes an das Skelett bestimmt zu sein scheint, ohne
die Beweglichkeit des von demselben getragenen Bulbus zu beeinträchtigen.
Die Knorpel können füglich als elastisch-biegsame Träger der Mei-
bom'schen Drüsen betrachtet werden, indem gerade nur so viel Bandfaser-
knorpelmasse vorhanden zu sein scheint, als zum Binden dieser Drüsen
erforderlich ist. In der Mitte ist der obere 4'" (3l/2 — 4V2), der untere
2'" breit. Ihre Länge beträgt mehr als 1". Gegen die Schläfe hin enden
sie mehr zugespitzt; unmittelbar an ihr inneres, quer abgestutztes Ende
legt sich das Anfangsstück eines jeden Thränenröhrchens. Die Acini der
Meibom' sehen Drüsen, mitten in der Knorpelsubstanz eingebettet, daher an
der Aussenfläche (nach Beseitigung der Cutis und des Muskels) so gut wie
an der Innenfläche durch die (beinahe durchsichtige) Bindehaut als gelb-
liche Körnchen sichtbar, sind reihenweise von oben nach unten um je
einen Ausführungsgang gruppirt. Die Ausführungsgänge münden in einer
Anatomie. 341
Reihe neben einander am Lidrande, welche der innern scharfen Kante des-
selben näher liegt, als der äussern stumpfen, und theils durch die blosse
Ansicht, theils durch Ausquetschen des wasserhellen flüssigen, doch fetti-
gen Secretes leicht erkannt werden kann. Fest oder talgähnlich wird das
Seeret dieser Drüsen nur durch Vertrocknen an der Luft oder nach lan-
ger (krankhafter) Zurückhaltung im Ausführungsgange. Die Linie, in wel-
cher die Mündungen der Meibom'schen Drüsen liegen, ist zugleich die
Marke zwischen Cutis und Conjunctiva. Die Follikel sowohl als die Aus-
fiihrungsgänge sind mit Pllaslerepitelium ausgekleidet.
Der Lidrand zeigt sowohl an dem untern als an dem obern Lide
deutlich eine innere scharfe , vom Knorpel gebildete , und eine äussere
mehr stumpfe von der Cutis gebildete Kante, aus welcher die Wimpern
in einer Reihe längs derselben, doch nicht einzeln, sondern immer zu meh-
reren über einander stehend (besonders am obern Lide) hervorsprossen.
Sind die Lider geschlossen, so berühren sie sich mit ihren linearen Rand-
flächen (zwischen der äussern und innern Kante) vollkommen , ohne zwi-
schen sich und dem Rulbus einen Raum (dreikantigen Kanal, Thränenbach)
übrig zu lassen, wie ich nach Durchschnitten an gefrornen Köpfen mit
Restimmtheit behaupten darf. Die Zwiebeln der Wimperhaare liegen am
obern Lide etwa 1"', am untern 3j4c'" tief (von der Randfläche des Lides
an gerechnet) in einem etwas dunkelfarbigen Rindegewebe eingebettet,
zwischen dem Knorpel und den Schliessmuskelfasern , daher das Lid , so
weit die Cilien hinreichen, auch etwas dicker ist, als höher oben (respect.
tiefer unten). An den Zwiebeln befinden sich zahlreiche Talgdrüschen.
4. Lage. Der Aufheber des obern Augenlides (M. levator palp. su-
per.) entspringt am obern Umfange des Sehnervenloches , hängt Anfangs
noch mit dem M. r. internus und r. superior zusammen, trennt sich von
letzterem, den er in seinem Laufe nach vorn von obenher bedeckt, erst
in der Gegend des Bulbus, und breitet sich dann, ringsum von einem ziem-
lich mächtigen Fettlager eingehüllt, fächerartig aus, und verliert sich mit
einer dünnen breiten Sehne in die oben beschriebene Augenlidfascie, welche
somit seine Verbindung mit dem Lidknorpel vermittelt. Er steht demnach
mittelst dieser Fascie auch mit den obgenannten Ausläufern derselben in
Verbindung.
Ihre Arterien erhalten die Lider theils von der Carotis interna (vor-
züglich von der Nasenseite her) durch die Art. ophthalmica mittelst der
art. supraorbitalis, palpebralis (interna), frontalis und lacrymalis, theils von
der Carotis externa (vorzüglich von aussen und unten her) durch die
Art. maxillaris externa s. facialis mittelst der Art. angularis , durch die
342 Augenlider.
Art. temporalis (superficialis) mittelst der art. transversa faciei und zygo-
niatico-orbitalis (s. supraorbitalis externa), endlich durch die Art. maxil-
laris externa mittelst des Ram. temporalis profundus und der art. infra-
orbitalis. So wie an der Iris kann man auch den Lidern einen äussern
grössern und innern kleinern Gefässkranz unterscheiden, gebildet durch
directe und anastomosireude Zweige der genannten Arterien. Der grössere
entspricht der Lage nach ohngefähr dem Orbitalrande, und ist besonders
oben (unter den Augenbrauen) deutlich als Kranz ausgesprochen; der
kleinere schlingt sich nahe um die Lidspalte, verläuft dem Lidrande pa-
rallel Und nur 1 — l1/»'" davon entfernt, mithin nächst dem Haarzwiebel-
boden zwischen dem Tarsus und M. orbicularis. Vom innern Winkel her
wird er durch zwei Endäste der Art. ophthalmica gebildet. Da, wo die
Art. ophthalmica unterhalb der Trochlea aus der Orbita heraustritt, sendet
sie die art. palpebr. interna seu tarsea superior ab , welche alsbald den
genannten Verlauf nimmt, während der zweite Ast, die art. palp. interna
seu tarsea inferior erst unter dem innern Theile des Ligam. palp. inter-
num abwärts dringen muss, um an den Lidrand zu gelangen. Diesen
beiden Asten kommen vom äussern Winkel her verschiedene Zweige ent-
gegen, vorzüglich aber zwei Endzweige der art. lacrimalis als art. palp.
externa s. tarsea superior und inferior, und schliessen den ziemlich spiz^
zigen Bogen etwa 2'" jenseits der äussern Commissur (dem dünnen Haut-
bändchen zwischen den Lidknorpeln). — Die Venen der Augenlider, flacher
und grösstenteils unmittelbar unter der Haut gelegen, und in ihrem Ver-
laufe den Muskelfasern viel weniger als die Arterien entsprechend, tre-
ten erst gegen den Orbitalrand hin in grosse Äste zusammen , welche
bereits unter der Fascie liegen und daselbst eine Art Kranz bilden , aus
welchem ihr Blut theils in die Tiefe zur Vena ophthalmica fliesst ^ welche
im innern Augenwinkel beginnt und durch die obere Augenhöhlenspalte
zum Sinus cavernosus führt, theils zur Vena facialis mittelst der Vena
supraorbitalis (längs des Augenbrauenrunzlers) , der Vena angularis (die
mit der ophthalmica anastomosirt) , Vena temporalis superficialis, trans-
versa faciei und andere kleinere Zweige. — Die Saugadern folgen dem
Verlaufe der Venenstämme.
Mit sensitiven Nervenfasern werden die Lider sehr reichlich ver-
sehen vom 1. und 2. Aste des Trigeminus, mit motorischen der Aufheber
des Obern Lides vom Oculomotorius^ der Schliessinuskel vom Facialis; mit
den Gefässen verbreiten sich Fasern vom Sympalhicus.
Die Augenlider dienen den Augen nicht bloss zum Schutze gegen
fremde Körper, grelles Licht, grosse Hitze oder Kälte u. dgl.. sie stehen
Physiologie. 343
auch zur Secretion, Verkeilung und Fortschaffung der Thränen in naher
Beziehung, und vermögen seihst den Sehact direct zu beeinflussen, theils
durch Temperirung des Lichtes, theils durch Druck auf den Bulbus. So
lange der Bulbus nicht so weit in die Orbita zurücksinkt, dass eine gerade
Linie, vom äussern Orbitalrande bis zur Anheftungsstelle des innern Au-
genlidbandes am Oberkieferknochen gezogen, durch oder gar über die
Cornea hinwegstreicht — und ein so starkes Zurücksinken kommt wohl
nur bei äusserster Abmagerung vor — so lange muss auch der Muse,
orbicularis mit seiner innern Portion gewölbt (die Convexität nach vorn
gerichtet) über den Bulbus verlaufen. Demnach schmiegen sich die Lider
stets an den Bulbus an, und kann niemals Luft zwischen ein Lid und den
Bulbus eindringen, ausser bei sehr tiefliegenden Augen während rascher
Lidbewegungen, was dann ein klackendes oder quatschendes Geräusch
(Schotengeräusch) erzeugt. Da nun der höchste Punkt des Augapfels
höher (weiter vorn) liegt, als die fixen Punkte des Orbicularis, und dem-
nach die Lider beim Schlüsse durch den Orbicularis am Bulbus aufsteigen
müssen, so erhellt, dass, wenn ein Lid aus was immer für einer Ursache
umstülpt ist, die Umstülpung bei jeder stärkern Contraction des Schliess-
muskels stärker hervortreten müsse. — Zurückdrücken kann der Schliess-
muskel den Bulbus nur bei geschlossenen Lidern und excessiver Con-
traction ; eine Compression (Formveränderung) des Bulbus kann hiebei
wahrscheinlich nicht statt finden, weil das retrobulbäre Fettgewebe com-
pressibel ist. Wenn aber der Bulbus bei offener Lidspalte abwärts ge-
richtet ist, kann der Orbicularis allem Anscheine nach wohl mittelst des
obern Lides auf den Bulbus so drücken, dass derselbe in der Sehachse
etwas verlängert wird. Vergl. oben über Weitsichtigkeit. — Zu bemerken
ist, dass wir willkürlich und je nach Bedürfniss bald die Portio major,
bald die Port, minor s. interna vorzugsweise in Wirksamkeit treten lassen
können, indem wir bei relativ geringer Contraction des Muse. Albini die
Stirn-, Schläfen- und Wangenhaut stark hereinziehen, oder aber gewisser-
massen nur den M. Albini wirken lassen. Wollen wir ein Auge allein
schliessen, so ist diess wohl immer nur mittelst der Portio major und
minor zugleich möglich. Zu bemerken ist ferner, dass wir, wenn wir bei
Fixirung eines Gegenstandes die Lidspalte verengern wollen , nur das
untere Lid hinaufziehen, dass wir diess wenigstens thun können, ohne
den Stand des obern Lides merklich zu ändern. Es ist also bis zu einem
gewissen Grade eine selbständige und isolirte Bewegung des untern
Lides gestattet. — Die Hebung des obern Lides wird durch den vom N.
oculomutorius versehenen Augenlidheber vermittelt; zur Senkung des untern
344 Augenlider.
Lides ist kein eigener Muskel vorhanden. Die Hebung des obern und die
Senkung des untern Lides ist aber bis zu einem gewissen Grade auch
vom M. rectus sUperior und inferior abhängig. Sobald der M. orbicularis
nicht entgegenwirkt, muss bei Abwärtsrollung der Hornhaut durch den R.
inferior auch das untere Lid abwärts gezogen werden, weil die Tunica
vaginalis bulbi durch die unter der Lidbindehaut fortgehende Fascie mit
der Fascia tarso-orbitalis in Verbindung steht. Auf gleiche Weise, nur
in geringerem Grade, muss auch das obere Lid schon vermöge dieses
Zusammenhanges der Fascien etwas gehoben werden, sobald der R. superior
die Pupille aufwärts rollt, und auch das untere Lid folgt dem Zuge dieses
Muskels. Desshalb kann die Stellung des Bulbus nur bei gelindem Wech-
sei zwischen Öffnung und Schliessung der Lidspalte ruhig bleiben, hat
jeder starke Lidschlag auch momentane Bewegung des Augapfels zur Folge.
— Da ferner die Augenlidbinde auch mit jener Fascie, welche die Thrä-
nendrüse stützt, in continuirlichem Zusammenhange steht, so wirkt der Lid-*
schlag in ähnlicher Weise bethätigend auf die Thränensecretion ein, wie
die Thätigkeit der Kaumuskeln auf die Speichelsecretion. Auf den durch
die Thätigkeit des Schliessmuskels in Gang gesetzten und erhaltenen
Mechanismus der Fortleitung der Thränen können wir erst im nächsten
Buche eingehen, und begnügen uns vorläufig nur mit der Bemerkung, dass
insufficiente oder aufgehobene Action des M. orbicularis jederzeit Thränen-
träufeln — von gehinderter Ableitung der Thränen im Gefolge hat. —
Wenn bei Ectropium von Substanzverlust der Cutis die Fascia tarso-orbi-
talis unversehrt ist, so ist Heilung viel leichter möglich, als wenn wegen
Zerstörung und Verschrumpfung dieser Fascie der convexe Rand des
Knorpels gegen den Orbitalrand gezogen oder gar mit demselben ver-
wachsen ist. — Wenn excessive Contraction des Orbicularis durch längere
Zeit besteht oder häufig nach einander erfolgt, so wird der Rückfluss des
Blutes aus den Hautvenen behindert ; die Folgen davon sind : Austritt von
Serum (Ödem) und Erweiterung der Venen (oder beides). Daher findet man
bisweilen schon nach anhaltendem Weinen die Lidränder etwas angelau-
fen. — Das Überfliessen der Thränen wird bis zu einem gewissen Grade
verhindert durch die BeÖlung des Lidrandes mittelst der Meibomschen
Drüsen. Wo deren Mündungen obliterirt oder durch ein operatives Ver-
fahren zerstört sind, leiden die Kranken häufig an Excoriationen der Lid-
ränder. Ob sich die Thränen mit dem Secrete der Meibom'schen Drüsen
mischen, ist meines Wissens noch unerwiesen. — Indem die Fasern des
Schliessmuskels bis zur äussern Kante des Lidrandes reichen, würden sie
die unter ihnen liegenden Wimpern gegen den Bulbus drücken, wenn nicht
Krankheiten — Entzündungen. 345
die innere scharfe, vom Knorpel gebildete Kante eine stützende Unterlage
gewahrte; wo demnach diese Kante abgeflacht ist, erhalten die Cilien eine
einwärts gekehrte Richtung. — Wenn bei Personen, deren Bulbi von Natur
aus eine mehr flache Lage hatten, Abmagerung, Zurücksinken der Bulbi
und Runzelung der Haut eintritt, so sind die Lider (von einem Winkel
zum andern) relativ zu lang und können sich längs der Ränder nicht mehr
genau an den Bulbus anschmiegen, besonders in der innern Hälfte; die
Bindehaut der Lider, nicht für den Contact mit der Luft geschaffen, er-
leidet zunächst vom Lidrande aus dieselben Veränderungen, wie aus ihren
Höhlen vorgefallene Schleimhäute (Vagina, Rectum) und wird eben dess-
halb und wegen Verlängerung des Lidrandes auswärts gestülpt, während
in andern Fällen unter den gleichen mechanischen Verhältnissen heftigere
Contractionen des M. orbicularis, durch Reizung der Bindehaut oder des
Bulbus (fremde Körper, Verwundungen, Entzündungen) angeregt, zu Ein-
wärtsstülpung des verlängerten Lidrandes führen. Diese Verhältnisse machen
sich jedoch nur an dem untern Lide geltend. — Soll dem Streben des M.
orbicularis und corrugator superciliorum entgegengewirkt, das obere Lid
behufs einer Operation am Bulbus mit den Fingern fixirt werden, so muss,
da der Muskelzug nach unten und einwärts geht, der Gegenzug die Rich-
tung nach oben und einwärts nehmen. Vergl. II. B. S. 305. — Sind in
der Gegend der Augenlider Einschnitte zu machen oder Hautstücke aus-
zuschneiden, so macht es schon die Kosmetik wünschenswerth, sich wo
möglich nach dem Verlaufe der Muskelfasern zu halten.
B. Krankheiten der Augenlider,'"'')
I. Entzündliche Zustände.
1. Die phlegmonöse und erysipelatöse Hautentzüudung kommt selten
auf die Lider allein beschränkt vor, und bietet, auch wenn dieses der Fall
ist, keine Besonderheiten dar. Man hat eben nur Acht zu geben, dass
man die entzündlichen Erscheinungen nicht auf eine blosse Hautaffection
bezieht, wo dieselben durch anderweitige Affectionen (Thränensackentzün-
dung, Bindehautblennorrhöe, Gerstenkorn, heftige Chorioiditis u. dergl.)
bedingt sind. Ist Eiterung eingetreten, so mache man Incisionen nach dem
Verlaufe der Fasern des Schliessmuskels , bevor es noch zu Eitersenkung
oder ausgebreiteter Zerstörung der Cutis gekommen ist, — Nach Erysipel
*). Dasjenige, was sich bei Kennlniss der Anatomie schon nach den allgemeinen mcdicinisch-chirurgischen Grundsäz-
zen erkennen und behandeln lässt, z. B. Verletzungen, Verbrühungen, Rothlauf der Lider u. s. w, glaube ich
hier füglich übergehen zu dürfen.
346 Augenlider.
bleibt besonders bei scrofulösen Individuen gern eine blasse, schmerzlose,
pastöse Anschwellung der Lider zurück, bisweilen so bedeutend, dass die
Lidspalte kaum geöffnet werden kann. Einreibungen von Jodkaliumsalbe,
besonders aber Aufstreichen von Jodtinctur erwiesen sich — bei allge-
meiner Behandlung — als die wirksamsten Mittel gegen dieses lästige
und hartnäckige Übel.
2, Furunkeln entwickeln sich, so viel ich bis jetzt beobachten konnte,
nur in der Gegend des Orbitalrandes, namentlich unterhalb der Augen-
brauen, und bieten nichts besonders dar. Man hat sich nur zu hüten, dass
man diese umschriebene Entzündung, die sehr bald zugespitzt erscheint
und an der Spitze einen gelben Punkt wahrnehmen lässt, nicht mit um-
schriebener Hautentzündung als Folge von Periostitis und Caries verwech-
selt, welche besonders in der äussern Hälfte des Orbitalrandes gern ihren
Sitz aufschlägt. Auch hier erfordert die Gefahr der Eitersenkung bei
Zeiten eine hinreichend ausgiebige Incision. Carbunkeln an den Lidern
sah Carron du Villards nach der Aufnahme deletärer Stoffe in die Haut-
follikel entstehen.
3. Grosse Ähnlichkeit mit der eben besprochenen Form bieten um-
schriebene Entzündungen des Unterhautzellgeivebes dar, welche besonders
in der Nähe des obern Augenhöhlenrandes vorkommen und bedeutende
Schwellung des ganzen Lides verursachen. Ich sah diese Form bis jetzt
nur bei jungen Leuten. Meistens bildet sich sehr bald über der zuerst
infillrirten Stelle ein gelber Fleck, wo der massenhaft angesammelte Eiter
durchscheint. Näher gegen den Lidrand hin oder in der Gegend der
Commissuren führt die Entzündung des subcutanen Bindegewebes nur zu
kleinen oberflächlichen Eiterherden ohne beträchtliche Infiltration der Um-
gebung. Einfache Incision reicht hin , dem Processe ein Ende zu machen.
1. Als Entzündung der Meibom' sehen Drüsen fassen wir die unter
dem Namen Gersten- und Hagelkorn (Hordeolum et Chalazion) bekannte
Affection der Lider auf. — Das Gerstenkorn wird seit Himly gewöhnlich
als Furunkel des Lides betrachtet. Wenn man jedoch Gelegenheit hat,
diese Affection vom ersten Beginn an zu beobachten, so überzeugt man
sich bald, dass dieselbe nicht von der Cutis ausgeht, und noch weniger
von einem Hautfollikel, wie der Furunkel, sondern dass die Cutis erst
consecutiv ergriffen wird, in Folge von Ablagerung eines umschriebenen
Exsudates am Knorpel selbst, welches im Allgemeinen um so früher
schmilzt, je rascher die Setzung desselben erfolgte , und je näher die
Cutis demselben liegt. Das Gerstenkorn sowohl als das Hagelkorn kommt
jederzeit nur im Bereiche oder zunächst des Knorpels vor. Erfolgt die
Entzündungen — Gersten- Hagelkorn. 347
Exsudalablagerung an der äussern Fläche des Knorpels nahe am Lid-
rande oder nächst der äussern oder innern Commissur, und in kurzer Zeit,
so verräth sie sich zunächst durch leichte Rölhe und ödematöse Schwel-
lung der darüber liegenden Cutis, begleitet von um so heftigem stechen-'
den oder drückenden Schmerzen, Thränenfluss und Lichtscheu, je weni-
ger die Cutis wegen Raschheit der Ablagerung oder wegen Fixirung an
der Knorpel und das Augenlidband nachgeben kann. Längs des Lidran-
des, wo die Cutis am dünnsten ist und am wenigsten ausweichen kann,
wird demnach die über dem Exsudate liegende Partie sehr bald hoch-
uud dunkelroth , dann in der Mitte gelb, zugespitzt und in 3 — 5 Tagen
durchbrochen; in der Gegend der Augenlidbänder dagegen, wo die Cutis
dicker und minder straff angeheftet ist kommt es erst nach stärkerem
Ödem der Umgebung und unter heftigen Schmerzen zum Durchbruche der
Cutis und Entleerung des Abcesses (ohne Pfropf, und ohne bleibend sicht-
bare Narbe wie beim Furunkel). Mitunter erfolgt auch Resorption ohne
Entstehung eines gelben Punktes. Man kann dann eben nur durch Beta-
sten mit dem Finger an der Empfindlichkeit und Härte einer umschriebe-
nen Stelle erkennen, woher die Zufälle stammen. Dasselbe ist der Fall,
wenn die Ablagerung des Exsudates höher oben (respective unten) oder
an der Innenfläche des (obern) Lides stattfand, und entweder Resorption,
oder aber Durchbruch durch die Bindehaut erfolgt. Dann pflegt die Affec-
tion scheinbar an Wichtigkeit noch dadurch zu gewinnen, dass wohl auch
Odem der Conj. bulbi dazu kommt, wenn das Exsudat rasch in Schmel-
zung geräth. Beim Furunkel ist die Stelle (der Follikel), von welcher
die Affection ausgeht, gleich beim Beginn der Zufälle an der Haut sicht-
bar, und bleibt es bis zur Ausstossung durch Eiterung.
Nicht selten kommt es nicht zum Durchbruche, weder nach aussen,
noch nach innen, und auch nicht zu baldiger Resorption. Diess geschieht
in einigen Fällen wahrscheinlich desshalb, weil die Setzung des Exsuda-
tes allmälig und ohne beträchtliche Erweichung und seröse Durchfeuch-
tung der Umgebung erfolgt und zunimmt; in andern Fällen scheint die
Nachgiebigkeit der das Infiltrat bedeckenden Gebilde die Ursache zu sein,
dass weder heftige Schmerzen noch bedeutende Schwellung auftreten,
Muskel und Cutis darüber bloss verdrängt, nicht aber durchbohrt werden.
Diess ist der Fall, wenn die Infiltration etwas weiter vom Lidrande ent-
fernt oder nächst des convexen Knorpelrandes stattfindet. Hier werden
die Muskelfasern erst dann auseinander gedrängt und die Cutis darüber
geröthet und gespannt, wenn die Geschwulst die Grösse einer halben
Zuckererbse oder Haselnuss erreicht hat. Nur wenn das Infiltrat nicht über
348 Augenlider,
2"' Weit vom Lidrande sein Centrum hat und eine beträchtliche Grösse
erlangt, geschieht es bisweilen nach langem Bestände, dass die darüber
gespannte und dunkelroth gewordene Haut an der erhabensten Stelle ver-
schwärt. Dieser Ausgang, der übrigens nicht nothwendig völlige Entlee-
rung oder Resorption des Infiltrates zur Folge hat, kann auch durch Auf-
legen von Pflastern oder Cataplasmen herbeigeführt werden. Diess sind
die sogenannten Hagelkörner. Wir halten sie nach der Ansicht der mei-
sten Beobachter, wenn auch nicht für verhärtete, so doch für solche Ger-
stenkörner, welche weder durch Resorption, noch durch Eiterung und
Ausstossung bald beseitigt wurden. Andere haben sie für Balggeschwülste
oder für ein Product chronischer Entzündung des Lidknorpels erklärt.
Ganz analog ist der Process, wenn die Entzündung von Meiboiri sehen
Follikeln ausgeht, welche an der Innenfläche des Knorpels und nahe an
der Bindehaut liegen. Der Ausgangspunkt liegt hier wegen der Durch-
sichtigkeit der Bindehaut klar zu Tage. Auch hier tritt der doppelte
Fall ein, dass entweder rasche Ablagerung, Eiterung und Entleerung oder
aber allmälige Ausscheidung und Anhäufung von Exsudat mit Verdrän-
gung und Wucherung der Bindehaut erfolgt. Letzteres findet besonders
dann statt, wenn der Sitz der Exsudation an oder unweit von dem Lid-
rande ist. Bei Untersuchung des schmerzhaften , lichtscheuen und häufig
thränenden Auges findet man, dass hinter einer Stelle, wo der Lid-
rand etwas röther und wohl auch dicker erscheint , ein Follikel oder
ein Ausführungsgang mit Eiter gefüllt ist, falls man die Aftection nicht
schon so zeitig zu Gesicht bekommt, wo bloss Röthe und Schwellung der
afficirten Stelle zu sehen ist. Später sieht man wohl auch die Ausmiin-
dungsstelle des betroffenen Drüsenstranges als weissen Punkt an der dun-
kelrothen und geschwellten Stelle des Lidrandes. Man kann dann der
Aftection rasch ein Ende machen, indem man, scheinbar noch untersu-
chend, den Lidrand zwischen die Daumen bringt, und den Eiter aus dem
Ausführungsgange ausdrückt. Liegt der Eiterherd weiter hinter dem Lid-
rande, so ind^cire man die ihn bedeckende Bindehaut. — In andern Fäl-
len kommt es nicht zur Eiterung oder doch nicht zur Beendigung des
Processen trotz theilweiser eifriger Schmelzung, sondern es wird die Binde-
haut an der betreffenden Stelle allmälig emporgehoben, wohl auch ver-
dickt, und es bildet sich, wenigstens am Lidrande, eine dem äussern
Hagelkorn ganz analoge Erscheinung. Es erhebt sich nämlich von der
innern Lidkante eine dunkelrothe Geschwulst oder Excrescenz, welche an
der innern (dem Bulbus zugewendeten Fläche) platt, an der in die Lid-
spalte hereinragenden Seite etwas gewölbt, und an dem convexen Rande
Entzündungen — Gersten- Hagelkorn. 349
dazwischen scharfkantig ist. Trägt man eine solche Excrescenz mit einer
Seheere ab, was im Allgemeinen das beste Mittel zu ihrer Beseitigung ist,
so erhält man eine ähnliche Masse als Inhalt derselben , wie wenn man
die als Chalazien bekannten Geschwülste untersucht. Hinter solchen Ex-
crescenzen findet man dann den entsprechenden Drüsenstrang noch von
gerötheter und geschwellter Bindehaut bedeckt, oder schiefergrau, später
obliterirt. Überhaupt findet man bei Individuen , welche an äussern oder
innern Gersten- oder Hagelkörnern gelitten haben, selten einmal alle Mei-
bom'schen Drüsen normal. Eine häufige Folge solcher Exsudationen sind
die an der Innenfläche des Tarsus sitzenden Kalkconcremente, welche man
wohl auch als Thränensteine beschrieben hat , oder noch immer für
Product eingedickten Drüsenschmeeres hält. Sie sind an der Innenfläche
dasselbe, was die verkalkten Chalazien an der Aussenfläche.
Balggeschwülste habe ich wohl ziemlich oft über oder nächst dem Orbitalrande,
niemals aber im Bereiche der Lidknorpel gefunden. Die Geschwülste, welche von jeher
Chalazien genannt wurden, kommen aber immer nur im Bereiche des Tarsus vor. Sie
sitzen jederzeit mit breiter Basis (wie eine halbirte Kugel) fest auf dem Knorpel, und
lassen sich nur mit diesem zugleich verschieben. Sie zeigen nie eine besondere, innen
glatte Hülle , nie einen honig- oder breiartigen Inhalt, niemals Haarbildung, die in den
am Orbitalrande sitzenden häufig vorkommt. Öffnet man eine solche Geschwulst, so
findet man, falls sie noch nicht über 3 — 4 Wochen besteht, eine doppelte Masse als In-
halt, nämlich eine citerartige Flüssigkeit, und eine halbfeste, sulzartige, lichlgraue Sub-
stanz, welche sich jedoch nur durch Druck aus der Wunde ausquetschen lässt, und etwas
körnig ist, ähnlich dem Parenchym einer weichen Pflaume oder weissen Kirsche. Diese
Masse zeigt unter dem Mikroskope nebst Exsudatkörnern und Fettkugeln zahlreiche Epi-
telialzellen. Öffnet man später, etwa bis zur 8. Woche, so findet man neben dieser
Masse nur noch ein wenig Flüssigkeit, und zwar trüb , nur wenig Eiterkugeln enthal-
tend, oder auch klar und dünn. Noch später ist auch von dieser nichts mehr vorhanden,
umschliesst das etwas verdichtete umgebende Bindegewebe bloss die genannte sulzige,
jedoch etwas derbere und schwerer ausdrückbare Masse. Oft kann man sie nicht ganz
entfernen. Diess ist indess kein Hinderniss gegen die Heilung. Die auf den Einschnitt
und das Ausdrücken folgende Reaction reicht in der Regel hin, völlige Resorption der
zurückgebliebenen Reste in 8 — 14 Tagen einzuleiten. Bei Balggeschwülsten genügt be-
kanntlich die einfache Incision und Entleerung des Inhaltes nicht. Wenn aber solche
Geschwülste sich viele Monate lang überlassen bleiben, und nicht entweder spontaner
Durchbruch und Entleerung durch die Cutis oder Conjunctiva, oder spontane gänzliche
Resorption eintritt, so pflegt der Rest des Infiltrates endlich zu verkalken. Dass solche
Geschwülste jemals den Herd zur Krebsablagerung abgeben, ist unwahrscheinlich; das
Infiltrat ist und bleibt structurlos.
Umstülpt man ein Lid, welches eine solche Geschwulst darbietet, so wird man häufig
finden , dass die Bindehaut an der entsprechenden Stelle und in demselben Umfange,
wie aussen die Basis derselben, geröthet und sammtartig aufgelockert erscheint. Hat
die Geschwulst schon lange gedauert, so findet man wohl auch mitunter den Rand dieser
350 Augenlider.
gerütheten und gewilisteten Partie etwas über die nächste Umgebung umgeschlniren.
In vielen Fällen erscheint die Mitte dieser Stelle längs eines Drüsenstranges livid ; sel-
tener geschieht es, dass man daselbst eine kleine Öffnung findet, durch welche man mit
einer Sonde in das Innere der Geschwulst eindringen kann. Auch kommt es vor, dass
am Rande einer solchen Öffnung oder mitten darin eine polypenähnliche Excrescens
sitzt. — Diese Befunde erklären sich auf folgende Weise. Das in einem der äussern
Knorpelfläche näher liegenden Follikel abgelagerte Exsudat wird durch die Muskelfasern
an den Knorpel angedrückt, und verursacht, so wie äusserlich an der darüber gespannten
Cutis, so innen an der Bindehaut Hyperämie und Lockerung; allmälig scheint auch der
Tarsus in der Mitte erweicht zu werden, und es kommt dann endlich zum Durchbruche
desselben und zur Entleerung des flüssigen Antheiles der Exsudatmasse. Blitlels solchen
Durchbruches scheint bisweilen völlige Resorption des Exsudates eingeleitet zu werden.
Diesen Vorgang führen wir sicherer und schneller herbei, wenn wir, wie Makenzie 1. c.
S. 139 zuerst empfohlen, das unistülpte Lid mitten in der afficirten Stelle incidiren,
durch den Knorpel und in der Richtung des entsprechenden Drüsenstranges, sodann das
Lid zwischen den Fingern von oben nach unten zusammendrücken, und den festen Theil
des Inhaltes auspressen. Man überzeugt sich dabei leicht, dass der Knorpel in der Mitte
der afficirten Stelle nicht verdickt oder verhärtet, eher verdünnt und (in früherer Zeit)
etwas erweicht ist. Der oben erwähnte reichliche Gehalt an Pflasterepitelien dürfte wohl
von der Innenfläche eines Drüsenfollikels herrühren; ich habe mich versichert, dass sie
nicht von der Bindehaut durch Abstreifung kommen konnten. Wo es gelingt , den ge-
nannten festweichen Theil des Inhaltes ganz oder grösstentheils zu entfernen, ist auch
der Process beendet; die Wunde vernarbt in wenig Tagen, und in Zeit von 2 — 3 Wo-
chen ist in manchen Fällen keine Spur der Affection mehr vorhanden. Niemals, auch
dann nicht, wenn grosse Chalazien viele Monate lang bestanden hatten, sah ich weder
merkbaren Substanzverlust des Knorpels, narbige Einziehung oder Verschrumpfung, noch
Vergrüsserung oder Verdickung des Knorpels zurückbleiben, gleichviel ob bereits Durch-
brucb nach innen erfolgt war oder nicht. Alle diese Umstände sind wohl hinreichend,
zu zeigen, dass hier keine Entzündung der Knorpelsubstanz stattfinde, sondern Ablage-
rung von Exsudat an der Oberfläche, oder was am wahrscheinlichsten ist, in einen
Meibom'schen Follikel selbst.
Ich kann zwischen Gersten- und Hagelkorn untereinander, und zwischen diesen und
den an der Innenfläche des Tarsus vorkommenden Abscesschen und kleinen Geschwül-
sten, die sichtlich von den Drüsenfollikeln ausgehen, keinen wesentlichen Unterschied
finden. Si alle lassen sich auf eine umschriebene Ablagerung eines Exsudates zurück-
führen, welches nicht organisationsfähig ist und bald rasch, bald langsam schmilzt, so-
fern es nicht durch Resorption beseitigt wird, oder aber verkalkt. Nicht äussere Unir
stände, wie namentlich die oft beschuldigte Einwirkung von Kälte, sondern die mehr
weniger schnelle Setzung des Exsudates und die anatomischen Verhältnisse bestimmen
die fernere Gestallung des Processes und dessen Ausgänge.
Die Behauptung, dass die Bildung- von Gersten- und Hagelkörnern
mit Scrofulosis (Tuberculosis) in ursächlichem Zusammenhange stehe, hat
zwar mehrseitigen Widerspruch erfahren , ist aber trotzdem in der gan-
zen bisher aufgestellten Ätiologie die einzig haltbare und auf wirkliche
Beobachtungen gestützte. Die Beschuldigungen von Unreinlichkeit, Trunk-
Entzündung der Ilnarzwiebeldrüspn. .351
sucht u. s. vv. beruhen auf Verwechslung des Zufälligen mit dem Wesent-
lichen. Die in Rede stehenden, von den Meibom'schen Drüsen ausgehen-
den Affectionen, und in specie die Gersten- und Hagelkörner kommen bei
Individuen vor, die unter den günstigsten Verhältnissen und aufs zweck-
mässigste leben, kehren oft, hartnäckig, und wohl auch zu bestimmten
Zeiten wieder, wechseln mit einander und mit andern offenbar scrofulö-
sen Affectionen, und treten überhaupt von äussern Einflüssen unabhängig
auf. Um diess zu constatiren, genügt es natürlich nicht, dass man solche
Individuen etwa ein- oder zweimal im Leben sieht ; man muss sie viele
Jahre, in ihren häuslichen Verhältnissen und als Familienglieder beobachten.
Ob wir im Stande seien, Resorption einzuleiten, etwa durch kalte
Umschläge, ist wohl dadurch noch nicht bewiesen, dass es bisweilen nach
Anwendung derselben nicht zum Aufbruche kommt; denn diess geschieht
— vielleicht eben so oft — auch ohne alles Zuthun, und noch öfter tritt
ungeachtet gehörig angewandter Umschläge Durchbruch ein. Will der
Kranke gerade etwas thun, so mag er sich warme Breiumschläge (Sem-
mel in Milch) auflegen ; sie lindern den Schmerz , und befördern wohl
auch die Eiterung. Bei starkem Ödem lasse man das Auge einfach oder
mit erwärmten trockenen Compresschen bedecken. Sobald der Eiter durch-
scheint, kann man ihn durch einen Einstich oder auch durch Druck ent-
leeren. Gegen die öftere Wiederkehr scheint das Einreiben von rother
Präcipitatsalbe (1 — 3 Gran auf 1 Dr.) an die Lidränder einigen Nutzen zu
gewähren; doch bleibt immer die Allgemeinbehandlung zu diesem Zwecke
das wirksamste. Bei Chalazien können sich die Kranken nicht immer so-
gleich zur Incision entschliessen. Man versuche Einreibungen von Salben
mit rothem Präcipitat, Jodkalium, Mercurdeuterojoduret (l/3 — % Gran auf
1 Dr.) In den meisten Fällen reicht man damit nicht aus , verlieren die
Kranken die Geduld und entschliessen sich zu der anfangs proponirten
Incision. Das Auflegen von Pflastern oder Cataplasmen bei Chalazien
führt leicht zu partieller Schmelzung des Exsudates und zum Durchbruch
der Haut, bevor noch das ganze Infiltrat zur Elimination geeignet ist, und
der Kranke muss lange mit einem geschwürigen Augenlide herumgehen.
Das Eindringen mit einem zugespitzten Lapis infernalis in die Öffnung
kann dann noch am ehesten die Schmelzung und die Heilung be-
schleunigen.
5. Als Lidrandentzündung (Blepharadenitis ciliaris) bezeichnet man
gewöhnlich eine längs des Augenlidrandes sich zeigende Entzündung, für
deren Ausgangspunkte oder Herde man die um die Haarzwiebeln gele-
genen Drüschen hält; frühere Auetoren beschrieben die hieher gehörigen
352 Augenlider.
Formen unter den Namen Psorophthalmia, Lippitudo ulcerosa. Tinea, Her-
pes oculi inflamm., Ophthalmia tarsi u. s. w.
Wenn gleich die am Lidrande selbständig vorkommenden entzündlichen Affeclionen,
sowohl in Bezug auf den Sitz oder Ausgangspunkt, als auch in Bezug auf ihre ätiologi-
schen Momente nicht als ein und derselbe Process zu betrachten sind , so getraue ich
mich doch in Ermanglung genügender Untersuchungen zur Zeit noch nicht, eine streng
nosologische Sonderung derselben zu unternehmen, und will demnach nur beschreiben,
was ich beobachtet, und sondern, was schon jetzt behufs der Prognosis und Therapie
gesondert werden kann und muss. Ich wähle den Namen Blepharadenitis, weil es am
wahrscheinlichsten ist, dass die um die Haarzwiebeln der Cilien gelegenen Drüschen
(Zeis) der gemeinschaftliche Krankheitsherd sind, und weil ich die Zahl der Benennungen
nicht ohne gute Gründe vermehren mag. Die verschiedenen Formen von Entzündungen
am Lidrande gehören im Allgemeinen nicht nur unter die häufigsten, sondern auch unter
die hartnäckigsten Augenkrankheiten und verdienen nicht nur wegen ihrer Rückwirkung
auf die Bindehaut, sondern auch wegen mannigfacher Entstellung, zu der sie führen,
dass sie fernerhin einer grösseren Aufmerksamkeit und strengeren Forschung gewürdigt
werden, als bisher leider geschehen ist.
Eine Form von Blepharadenitis ciliaris kommt am häufigsten mit Con-
junctivitis scrofulosa, doch auch ohne diese vor. An einer oder an meh-
reren isolirten Stellen des obern oder untern Lides oder beider zugleich
sieht man eine leichte knotige Schwellung und Röthung des Lidrandes,
und darüber an der Basis der Cilien eine Kruste, welche fest an der Cutis
haftet. Sucht man diese Kruste abzustreifen, was oft schwierig und nur
mittelst der Nägel oder eines zugeschärften Hölzchens (Zahnstochers)
möglich ist, so erscheint die Cutis darunter ganz dünn und roth, oder der
Epidermis verlustig, oder auch mit einem Grübchen versehen, welches oft
noch mit etwas Eiter gefüllt ist. Diese Krusten hängen geAvöhnlieh so
fest an den sie durchbrechenden Cilien, dass bei Entfernung derselben ein
und das andere Wimperhaar mitgeht; sie sind keineswegs bloss vertrock-
neter Schleim oder Drüsensecret, sondern führen namentlich an der Basis
immer eine Menge Epidermiszellen mit sich. — Ganz dieselbe Form findet
man auch häufig bei Leuten, die an Thränensackblennorrhöe leiden, und
zwar hier fast immer nur an den Lidern derselben Seite.
An diese Form (die solitäre) schliesst sich eine andere, seltener vor^
kommende an, die nämlich, wo Schwellung, Röthung, Eiter- und Krusten-
bildung längs des ganzen Lidrandes auftreten, und wo besonders die Ver-
dickung des Lidrandes (Fylosis) stark ausgesprochen erscheint. Nach
dieser oft Monate, Jahre lang und ganz für sich allein bestehenden Form
entsteht leicht Distichiasis und nehmen manchmal die Wimpern, wenn auch
nicht gegen den Bulbus hineinsprossend, doch eine sehr sparrige Rich-
tung an. Verlust der Cilien erfolgt hier selten, und zwar desshalb, weil
Entzündung des Augenlidrandes. 353
es nicht zur Vereiterung, sondern zur Hyperfrophirung und Sclerosirung
des die Haarzwiebel umgehenden Bindegewebes kommt.
Die gefährlichste, hartnäckigste und leider auch nicht die seltenste
Form ist die zur Vereiterung des Haarzwiebelbodens führende Form. Diese
Affection findet sich immer an beiden Lidern, längs des ganzen Randes, und
auch immer auf beiden Augen zugleich. Sie besteht in der Bildung kleiner
über die Umgebung gar nicht oder kaum merklich emporragender Eiter-
punkte, meist so gelegen, dass mitten aus je einem solchem Abscesscheri
ein Wimperhaar hervorsprosst ; seltener sitzen welche an der linearen
Fläche des Lidrandes selbst. Die frisch entstandenen liegen, wenn der
Lidrand nicht schon mit Krusten b%deckt war, frei zu Tage ; andere sind
durch Krusten verdeckt. Beim Versuche, solche Krusten abzuheben und
zu beseitigen, folgen oft ganze Schollen von Epidermis längs eines grossen
Theiles des Lidrandes und bis über den Haarzwiebelboden hinauf (hinab);
darunter erscheint dann die Cutis nur von dünner Epidermis bedeckt und
roth, nächst den Wimpern oft ohne Epidermis, leicht blutend, an der Basis
einer und der andern Cilie selbst (nach Beseitigung des Eiters) mit einem
mehr weniger tiefen und breiten Grübchen versehen. Wird eine aus
einem Abscesschen hervorsprossende Cilie ausgezogen, so entleert sich
der Eiter; das Ausziehen selbst ist für das Nachwachsen einer Cilie an
derselben Stelle nicht hinderlich, befördert aber auch die Heilung nicht.
Die Cilien gehen erst nach langer Dauer der Krankheit und oft wieder-
holter Eiterbildung an derselben Stelle bleibend verloren (Madarosis), doch
immer nur theilweise; die durch Nachwuchs ersetzten sind dann dünner,
kürzer, blässer, und meist in einzeln stehende Büschel zusammengedrängt
(wohl durch die Narbenbüdung). Noch bevor diess eintritt, sieht man
schon, dass längs der Linie, in welcher die Abscesschen nach einander
zu wiederholten Malen gesessen, eine Art von Furche oder seichter Ver-
tiefung entstanden ist. Gleichzeitig bemerkt man auch, wie die Bindehaut
über die andere Kante des Lidrandes gegen jene Furche hingezogen wird
(Ectropium conjunctivae), demnach die Lidränder gleichsam roth einge-
säumt erscheinen. Wenn die Krankheit einmal so weit gediehen ist, wird
man auch meistens schon die Mündungen der Meibom'schen Drüsen nicht
mehr auffinden können, und hiemit ist bereits ein Zustand eingetreten,
welcher keine Restitutio ad integrum (nach meinen bisherigen Erfahrungen)
mehr zulässt. Die Lidrander schliessen nicht mehr genau an den Bulbus
an, der Kranke leidet nebst der abscheulichen Entstellung auch noch fort-
während an Thränenträufeln, an Excoriationen und an grosser Empfind-
lichkeit der Augen. Immer findet man bei dieser Form die Coujunct,
Arli's Augenheilkunde, 111. 2. 23
354 Augenlider.
palp. über dem Tarsus sammtartig aufgelockert und gleichmässig geröthet,
im Übergangstheile dagegen und am Bulbus normal. Umschriebene Exsu-
dationen an der Conjunet. bulbi gehören hier zu den Seltenheiten. Nach
sehr Janger Dauer wird die Conj. palp. oberflächlich sehnenartig glänzend
(wie mit Milch übergössen), öfter jedoch punktförmig marmorirt (durch
verkalkte Exsudate in den Meibom'schen Follikeln.)
Nicht gefährlich, nur äusserst lästig ob Unterhaltung eines gereizten
Zustandes der Bindehaut und hartnäckig ob häufiger Rückfälle sind jene
Formen von Augenlidrandentzündung, welche sich durch die Bildung fei-
ner Schüppchen und leichte Röthung der Haut längs der äussern Lidkante
manifestirt. Bläschenbildung oder andofe Erscheinungen als die eben ge-
nannten zu beobachten ist mir nie gelungen.
Ein unbedeutendes Leiden ist die Bildung kleiner Bläschen an der
linearen Fläche des Lidrandes, deren ich nur desshalb erwähne, weil sie
Empfindlichkeit der Augen und selbst Schmerzen verursachen, und als
Ursache dieser Zufälle leicht übersehen werden können. Ich fand sie bei
sonst ganz gesunden Individuen, die mich bloss desshalb consultirten, viel
öfter jedoch bei Katarrh, chron. Blennorrhoe und Trachom. Es sind halb-
kugliche. höchstens mohnkorngrosse, hyaline oder auch etwas trübe Er-
höhungen mit flüssigem Inhalte auf der innern Kante oder an den Aus-
mündungsstellen der Meibom'schen Drüsen. Ich drücke sie gewöhnlich
dadurch aus, dass ich den Nagel des Daumens anlege und auswärts streife.
Schmerzen, Lichtscheu und Thränenfluss sind nun bald vorüber. Selten
sind mehr als 1 — 2 solche Bläschen zugleich vorhanden; aber bei man-
chen Individuen kehren sie eine Zeit lang öfter und an verschiedenen
Stellen wieder.
Die ersten 3 Formen (die solitäre, hypertrophirende und exuleerirende)
sind nach ihrem Vorkommen, wenn nicht immer, so gewiss in den meisten
Fällen scrofulösen Ursprunges ; die 4. Form hängt vielleicht mit abnorm
zarter Organisation der Haut zusammen, indem sie oft bei Individuen vor-
kommt, die sonst gesund sind, besonders wenn sie blond sind oder mehr
flach liegende Augen haben ; doch habe ich sie auch bei offenbar scrofu-
lösen Individuen ohne diese Beschaffenheit der Haut und ohne Glotzaugen
gesehen. Ungeregelte Lebensweise, Nachtwachen, Arbeiten beim Feuer.
Aufenthalt in staubiger oder sonst verunreinigter Atmosphäre u. dgl. Kön-
nen wohl den Zustand verschlimmern, schwerlich aber die Krankheit
selbst jemals — bei sonst gesunden Individuen — erzeugen.
Bei der Behandlung muss vor allein für Beseitigung der eben er-
wähnten und ähnlicher Schädlichkeiten gesorgt, und nach Möglichkeit auf
Entzündung des Augenlidrandes — Phthiriasis. 355
das etwa zu Grunde liegende Allgemeinleiden eingewirkt werden. Die
örtliche Behandlung erfordert zunächst sorgfältige Entfernung des Eiters
und der Krusten, so oft sich solche gebildet haben. Diese halten den
darunter gebildeten Eiter zurück, und verhindern auch die Application der
nöthisren Arzneistoffe auf die erkrankten Stellen selbst. Die der Ablösung
vorauszuschickende Erweichung durch Kataplasmen oder durch Anhalten
eines feuchlwannen Schwammes erfolgt leichter, wenn man den Abend
vorher die Lidränder mit Ol oder Fett bestreichen liess. Bei der solitären
und selbst bei der tylolischen oder hypertrophirenden Form reicht in der
Regel das Einreiben (nicht blosses Aufpinseln) einer Salbe aus 1 — 3 Gran
rolhen Präcipitates auf 1 Dr. Fett an die Lidränder (vor dem Einschlafen)
zur Heilung hin, bei grosser Empfindlichkeit mit einigen Tropfen Tinct
opii crocata, bei starker Wulstung mit 1 Gran Camphora rasa vermischt.
Reaction, des Morgens durch Röthe und grössere Empfindlichkeit der
Augen sich kund gebend , ist erwünscht, und darf nicht sogleich zur
Schwächung der Dosis, sondern zunächst nur zur seltenern Anwendung,
jeden 2. oder 3. Tag, bestimmen. Sind starke Excoriationen vorhanden,
so schicke man den Gebrauch einer Salbe von 2 — 3 Gran weissen Prä-
cipitats allein oder mit eben so viel Zinkblumen voraus, oder bestreiche
die wunden Stellen mit einer schwachen Lösung von Sublimat oder Sal-
peters. Silber. Bei förmlicher Induration des Lidrandes bediene man sich
einer Salbe aus 1/3 — 1/Q Gran Mercurdeuterojoduret, doch vorsichtig, dass
nichts davon zwischen die Lidspalte eindringe. — Bei der exculceriren-
den Form leistet unter den genannten Mitteln der weisse Präcipitat (allein
oder mit Zinkblumen) noch am meisten, wenn überhaupt nicht schon Obli-
teration der Meibom'schen Drüsenmündungen eingetreten ist; weit wirk-
samer, und selten im Stiche lassend, ist seine Verbindung mit Theer (nach
Emery: praeeip. albi gr. 4 — 6, picis liq. scr. i, ung. comm. dr. 1) täg-
lich 2 — 3mal auf die sorgfältig gereinigten Lidränder aufgepinselt. ..Wo
grössere Abscesse und Excoriationen vorhanden, habe ich Mäkenzie's
Ralh, diese Stellen nachdrücklich mit Lapis inf. zu touchiren, mehrfach
bewährt gefunden. Das oben erwähnte Ectropium conjunctivae habe ich
in einigen Fällen vermindert oder beseitigt durch Bestreichen des sammt-
artig aufgelockerten Tar.saltheiles der Bindehaut mit reinem oder durch
Kali nitricum geschwächtem Höllenstein. — Bei der Form, welche durch
die Bildung kleiner Schüppchen an den Cilien und durch fortwährende
Empfindlichkeit gegen kalte Luft, Staub, Kerzenlicht u. s. w. lästig wird,
erzielt man Heilung — wenigstens für einige Zeit oder doch Linderung
durch schwache Präcipitatsalben oder durch Waschungen mit einer
23*
356 Augenlider.
schwachen Sublimatsolution oder einer Mischung von Franzbranntwein
und Wasser.
Ob es eine primäre Entzündung des Knorpels gebe, ist unerwiesen ; wenigstens sind
uns die Symptome derselben noch nicht bekannt. Wir wissen, dass in Folge von Tra-
choma der Knorpel nach merklicher Verdickung oft sehr bedeutend einschrumpft, in
Folge von Blennorrhoe dagegen breiter, länger und dicker wird; ich habe auch einige
Fälle gesehen, wo der Knorpel ohne vorausgegangene Blennorrhoe nach allen Dimen-
sionen fast um die Hälfte vergrössert war; trotzdem war es mir bisher nicht möglich,
genauere Einsicht in den Process zu gewinnen, und lasse ich die Frage lieber offen. Ich
zweifle, dass heutzutage noch jemand die Ansicht verfechten werde, die Bildung der so-
genannten Hagelkörner gehe aus Entzündung der Knorpelsubstanz hervor. In dem Falle,
den Hasner 1. c. S. 243 als Ausgang von Knorpelentzündung in Hypertrophie und Yer-
knöcherung angesehen hat, ist ein diagnostischer Irrthum unterlaufen, wie ich bereits in
der Prager Vierteljahrschrift 18. B. S. 51 nachgewiesen habe. (Vergl. auch Pih über
Keratitis, Pr. Vlljschr. 20. B. S. 39.)
6. Eine Entzündung- des Augenlidrandes kann leicht vorgetäuscht,
vielleicht auch wirklich hervorgebracht werden durch das Vorkommen von
Läusen an den Cilien, weil dieselben, wie ich gesehen, ausserordentlich
klein sind und für Schüppchen imponiren, oder weil sie sich, wie Chelius
angibt, tief in die Haut eingraben. Ich wurde zuerst durch den sparrigen
Stand der Cilien auf diese Thierchen aufmerksam gemacht. Mit Hilfe
einer Loupe, und bei guter Beleuchtung und aufmerksamer Betrachtung
auch mit freiem Auge, erkennt man bestimmt, was man vor sich hat. In
einem Falle war bloss der linke obere Augenlidrand inficirt ; in einem
andern beide obere Lider. In diesem wurde in Zeit von 10 Tagen Hei-
lung erzielt durch Einreibung von Ung. cinereum; in jenem erfolgte einige
Tage, nachdem ich ihn gesehen, der Tod in Folge von Medullarsarkom
der Leber. Scarpa entdeckte mittelst einer Loupe Läuse an der Basis
der Cilien als Ursache einer hartnäckigen Ophthalmie, und Chelius führt
an, dass er zwei ähnliche Fälle beobachtet habe.
IL Pseudoplasmen.
1. Cysten werden am Lidrande als Hirsekorn (milium) und als Was-
serbläschen (hydatis), gegen den Orbitalrand hin als Breigeschwülste
(atheroma) beobachtet. Erstere sitzen unmittelbar unter oder in der Cutis,
letztere in den meisten Fällen (nach meinen Beobachtungen in allen) an
der Augenlidfascie oder an der Beinhaut. — Das Wasserbläschen sitzt
immer irgendwo nahe am Lidrande als eine ganz ohne Zufälle entstandene
und fortbestehende helle Cyste von der Grösse eines Hirse- oder Hanf-
Pseiirioplasiiien — Cysten — Warzen — Teleangiektasie. 357
korns. Zur bleibenden Beseitigung genügt vielleicht die einfache Incision ;
ich pflege nachher noch ein Stückchen zu cxcidiren. — Das Hirsekorn
erreicht gewöhnlich nur am Lidrande die Grösse der Frucht, der es an
Farbe gleicht; kleinere solche Körner entwickeln sich oft in grosser An-
zahl weiter entfernt vom Lidrande hei Individuen, welche dieselbe AlFection
der Talgdrüsen auch an andern Stellen der allgemeinen Bedeckung dar-
bieten; selten kommen linsengrosse vor. Nach Einritzung der sie um-
gebenden dünnen Hülle kann man ihren Inhalt ausdrücken. — An diese
Affection reiht sich eine Art diffuser, flächenartig ausgebreiteter Schmeer-
ansammlung unter der äusserst dünnen Cutis ober- und unterhalb des
innern Augenwinkels. Ich habe diese in hohem Grade entstellende AlFec-
tion bisher nur bei älteren fettleibigen Individuen beobachtet, und keinen
Anstand genommen, da die Haut bereits sehr runzlig war, ganze Stücke
derselben sammt der Schmeermasse zu excidiren, elliptische, nach der
Richtung der Orbicular fasern laufende Falten bis zu 2 und 3'" Breite ent-
fernt, und den kosmetischen Zweck ohne Nachtheil und vollständig er-
reicht. — Die Ausschälung der Balggeschwülste geschieht nach den von
der Anatomie und Chirurgie gegebenen Vorschriften. Wenn die Ge-
schwülste grösser als ein Taubenei waren, gleichviel ob sich die Cutis
darüber noch in Falten fassen liess oder nicht, und ob sie von ausge-
dehnten Gefässen mehr oder weniger geröthet war, so glaubte ich immer
im Interesse der Heilung zu handeln, wenn ich vor der Ausschälung ein
elliptisches Stück Haut ausschnitt, nach der Richtung der Muskelfasern;
die einsinkenden Wundränder lassen sich dann leichter (ohne Einrollung)
vereinigen, und man erspart sich das nachträgliche Excidiren einer
Hautfalte.
2. Warzen bieten an der Augenlidhaut die gewöhnlichen Merkmale
dar, und sind mit den Knoten bei beginnendem Epitelialkrebs nicht zu
verwechseln. Ganz kleine warzenähnliche Excrescenzen habe ich mehr-
mal an der linearen Fläche des Lidrandes als Ursache einer beständigen
Reizung des Auges, namentlich der Bindehaut beobachtet. Es sind kleine,
unebene, harte, weiss aussehende Erhöhungen mit scharf abgegrenzter
Basis. Ich trug sie mit einer flach gebogenen dünnen Scheere ab; sie
bestanden grösstentheils aus Epidermis. Zur Stillung der "Blutung und
zur sicherern Verhütung der Wiederkehr betupfte ich die Wunde mit
Hollenstein. Die Bildung von Condylomen bei Lues dürfte unter die Sel-
tenheiten gehören.
3. T eleaiujyektasien in der Haut kommen an den Lidern nicht gar
selten vor, bald flach (Feuermäler), bald erhaben (Blutschwamm, Maul-
358 Augenlider.
beergeschwulst), bald klein in der Fläche der Haut oder am Lidrande, bald
ausgebreitet und über den Lidrand bis zur Innenfläche des Lides über-
greifend. In andern Fällen entwickelt sich die erectile Geschwulst unter
der Haut, und greift erst nach beträchtlicher Vergrösserung in diese über.
Die Grundsätze der Diagnostik und Therapie als aus der Chirurgie bekannt
voraussetzend, will ich bloss bemerken, dass mir die Heilung flacher
Angyektasien durch Aufschlagen von Aqua Goulardi mittelst Leinwand-
bäuschehen gelungen ist, wenn dieselbe frühzeitig (vor Ablauf der dritten
Woche nach der Geburt) und fleissig vorgenommen wurde, und dass ich
mich bei grösseren und tiefer eingreifenden Ektasien der Unterbindung
mittelst zweier durch die Basis durchgeführter (stärkerer) Insektennadeln
mit dem gewünschten Erfolge bedient habe. Die grosse Dehnbarkeit der
Haut gestattet die Anwendung dieses Mittels hier wohl bei grösserem Um-
fange, als an andern Körperstellen. Für efd- oder maulbeerartige Ekta-
sien empfiehlt Chelius die einfache Unterbindung oder auch die Abtragung
mit der Scheere. Zur Einimpfung der Kuhpocken bei noch nicht geimpf-
ten Kindern (nach Carron du Villards) hatte ich noch keine Gelegenheit.
Es versteht sich übrigens von selbst, dass man, wo ein Wachsen der
Affection bemerkt wird, und nicht dringende Gegenanzeigen da sind, die
Operation durchaus nicht verschieben darf. Eine ausgezeichnete Abhand-
lung über Naevus maternus und Aneurysma per anastomosin an den Augen-
lidern und in der Orbita, mit trefflichen Beobachtungen von Hodijson
Young, John Bell, Allan Bums, Travers und Wardrop findet man bei
Maken%ie 1. c. S. 148—157.
4. Der Krebs ist an den Augenlidern — meines Wissens — nur als
Epitelialkrebs beobachtet worden, *) und zwar als flacher, als drusiger
und als warziger. Die Stellen , wo ich ihn (seinen Ausgangspunkt) sah,
waren: unterhalb der äussern Commissur, in der Mitte des untern Lides
nächst dem Sande , tiefer unten gegen den Orbitalrand hin , unter- und
oberhalb des innern Augenlidbandes.
a) Der flache Epitelialkrebs beginnt bekanntlich mit der Bildung klei-
ner lichter Knötchen in der Haut, die sich verschieden an einander rei-
hen (zu kleinen Wülsten), und bisweilen eine inselförmig eingeschlossene
gesunde Partie umfassen, durch zahlreiche venöse Gefässchen ein röth-
lich-marmorirtes oder gestreiftes Aussehen bekommen, dann sich bald mit
gelben Borken belegen, unter welchen man zunächst bloss eine exeoriirte,
*) Ich fuljre in der Terminologie und Beschieiluing der h i <• h c r gehörenden AlTeclionen der Darstellung von iWm/j .
Pathologie und Therapie der Pseiidoplumtn. Wien 1854.
Pseiidoplnsmeii — Krebs. 359
weiterhin eine geschwürige Fläche findet, welche eine dünneitrige Flüssig-
keit absondert, harte Ränder zeigt, zeitweilig wohl scheinbar sich schliesst
(durch ein dünnes Häutchen), bald aber wieder aufbricht, und in diesem
Zustande Monate, ja Jahre lang verharren kann, ohne beträchtlich grösser
oder tiefer zu werden. Dabei ist die Afleotion fast Schmerzlos, oder tre-
ten bloss flüchtige Stiche ein. Erst nach jahrelangem Bestände greift die
ÄfFection theils tiefer, theils weiter um sich, und zerstört nicht nur die
Haut durch Schmelzung des immer wieder mit solchen Tuberkeln iuliltrir-
ten Randes, sondern auch alle unterliegenden Gebilde des untern, dann
auch des obern Lides, endlich selbst den blossgelegten Bulbus und die
knöcherne Wandung der Orbita (bis zur Communicalion mit der Nasen-,
Highmors-, selbst der Schädelhöhle). Erst wenn die ÄfFection über die
Haut hineingegriffen hat, pflegen heftige Schmerzen einzutreten, und erst,
wenn eine beträchtliche Geschwürsfläche vorhanden ist, schwellen die
Lymphdrüsen (um die Parolis) an. Dann entsteht auch Schlafmangel, Ab-
magerung, üble Gesichtsfarbe, Zehrfieber. „Innere Organe werden von
diesem Processe nie ergriffen: auch findet man bei den Leichenuntersu-
chungen nie an einem Eingeweide irgend eine andere Krebsform." (Schuh.)
„Die Ursachen der Entstehung sind selten klar. Meistens Iässt sich
keine äussere Veranlassung auffinden; das innere ursächliche Moment ist
in der Regel vorwaltend und liegt in einer eigentümlichen Blutmischung,
die sich nur bei Menschen über 40 Jahren entwickelt. Hier kann die
geringste mechanische Reizung hinreichen, um in einer exeoriirten oder
in Granulation begriffenen Stelle eine solche Umstimmung im Bildungs-
processe hervorzurufen, dass es zum Hautkrebse kommt. Es lässt sich
aber nicht läugnen, dass die Krankheit nicht selten rein örtlich sei, indem
sie gegen die Regel bei blühenden Männern und Weibern in den zwan-
ziger Jahren vorkommt, und aus zufälligen Wunden durch mechanische
oder dynamische Misshandlung sich herausbildet." (Schuh.) In einigen
von mir beobachteten Fällen hatte sich das Übel bei Individuen, die sonst
für gesund erklärt werden konnten, und noch nicht über 36 Jahre alt
waren, ohne bekannte Veranlassung entwickelt.
„Da der flache Krebs am häufigsten unter allen bösartigen Geschwül-
sten als örtliche Krankheit auftritt und immer einen sehr langsamen Ver-
lauf beobachtet, so leistet die chirurgische Behandlung sehr oft (?) radi-
cale Hilfe. Hat man alles Krankhafte beseitigt, so sind Recidiven selten,
falls noch keine Drüsenanschwellungen bestehen. Die Beseitigung ge-
schieht durch Ätzmittel oder durch Exstirpation." (Schuh.) Am Auge habe
ich auch unter den günstigsten Ätispicien nicht so glückliche Resultate
360 AugeiDlider.
erhalten, auch nicht von Andern trotz Beobachtung aller Regeln der Kunst
erhalten sehen.
In dein 1. Falle (1841) trat nach vollkommener Zerstörung durch Chlorzink (Pasta
aus 7 Gran mit 1 Skr. Mehl nach Canquoiri) Heilung ein, und hatte auch die Beseiti-
gung des durch Zerstörung der äussern Commissur entstandenen Ectropium palp. infer.
mittelst der Tarsorapie nach Wallher (etwa i/.i Jahr später) keine Rccidive zur Folge ;
diese trat erst 3/., Jahre später ein, konnte aber trotz nochmaliger energischer Zerstörung
durch obige Pasta und trotz allgemeiner Behandlung nicht für die Dauer verhütet wer-
den. Als ich den Mann in seinem 42. Jahre (9 Jahre nach der 1. Behandlung) das letzte
Mal sah, bot er durch Blosslegung und theilweise Zerstörung der Orbitalwandung (untere
und innere) einen fürchterlichen Anblick dar. — In zwei andern Fällen, wo die Affec-
tion noch auf eine so kleine Partie beschränkt war, dass Prof. Pilha, der die Exstir-
patioti vornahm, nicht nur diese, sondern auch die Vereinigung der Wunde so gut, als
man nur wünschen konnte, durchzuführen vermochte (bei einem Manne von etwa 36
und einer Frau von 50 Jahren), trat ebenfalls nach Jahresfrist abermals Infiltration ein.
— Die von mir im August 1844 nicht bloss durch Exstirpation, sondern auch durch
Transplantation eines Hautstückes operirte 36jährige Bäuerin Marek Katharina, deren
Krankengeschichte aasner I. c. S. 258 mitgetheilt, um ein neues Verfahren der Blepharo-
plastik zu beschreiben, war im Jahre 1847 nicht mehr geheilt, denn sie kam am 1.
December 1846 reeidiv auf die Augenklinik und wurde von da an Dr. Hasner gewiesen,
der die Exstirpation und Blepharoplastik am 14. December 1845 vorgenommen hatte.
Wie Hasner diese Kranke, deren Rccidive auch von Dr. Pih constatirt wurde, noch im
Jahre 1847 „vollkommen hergestellt1' linden konnte, ist mir unbegreiflich. — Ob in zwei
andern Fällen die Heilung dauerhaft gewesen, weiss ich nicht; die Kranken sind mir
nicht mehr zu Gesicht gekommen.
b) Der drusige oder alveolare Epilelialhrebs, welcher sich nicht bloss
nach der Flache, sondern auch nach der Tiefe ausdehnt, und nicht nur in
der Haut, sondern auch im Unterhautzellgewebe und in den Muskelfasern
abgelagert wird, kommt bald als umschriebene Geschwulst, bald auch in-
filtrirt vor. Es bilden sich in oder unter der Haut ein oder mehrere
runde, harte und bei stärkerem Drucke schmerzhafte Knötchen, welche an
und für sich oder durch Verschmelzen mehrerer zur Grösse einer Erbse'
höchstens einer Wallnuss anwachsen, bevor sie aufbrechen, was in Zeit
einiger Wochen oder Monate geschieht. Nach dem Wundwerden zeigt
sich keine Höhle, da die Haut sehr allmälig durch den Krebs verdrängt
wurde, welcher früher keine Verjauchung einging. Die offene Stelle ist
dunkel- bisweilen braunrolh und ziemlich eben. Wenn das sehmutzig-
weisse , dünne Secret nicht fleissig abgespült wird , verbreitet es einen
üblen Geruch oder vertrocknet zu Krusten. Bisweilen bilden sich strei-
fenweise Überhäutungen oder wirkliche grubige Narben. Die Ränder
sind aufgeworfen, mehr weniger nach aussen gekehrt, und rundliche Wülste
darstellend oder rundlich eingekerbt. Die benachbarten Lymphdrüsen wer-
Paralystische Affectioncn. 361
den hier gewöhnlich sehr bald in dieselbe Metamorphose gezogen. Dann
ist die Aussicht auf günstigen Erfolg der Exslirpatiön sehr gering. „Unter
den Krebsformen am Auge ist der Epitelialkrebs (als flacher und alveo-
larer) der einzige, den ich ausser dem Marksehwamme beobachtete. Er
entsteht immer an der vordem Gegend der Schleimhaut des Augapfels,
der Lider , oder von der Caruncula in Form eines oder mehrerer Knöt-
chen." (Schuh J Ich habe in 2 Fällen von solcher Infiltration des untern
Lides die Exstirpation und darauf die Blepharoplastik nach Dieffenbach
vorgenommen, vor 2 und vor 1 Jahr, bis jetzt jedoch noch nichts über
das fernere Verhalten erfahren.
cj In früheren Jahren glaube ich auch den warzenähnlichen Epitelial-
krebs nach der Schilderung, die Schuh davon entwirft, beobachtet zu
haben, und zwar am obern Lide. Da ich indessen weder eine Operation
noch eine genauere Untersuchung vornahm , so will ich für dieses Vor-
kommen nicht einstehen. Nach Schuh erscheint derselbe in Form von
einfachen warzenähnlichen Kolben , welche Epitelialzellen als Belegmasse
und eingeschlossen enthalten, und kommt vorzüglich in der Haut des Ge-
sichtes, seltener in andern Gegenden vor. Schuh beobachtete diese Affec-
tiou an der Ober - und an der Unterlippe , am Nasenflügel und an der
Wange, in 4 Fällen nach Verletzungen, im 5. ohne äussere Veranlassung.
Das rasche Wachsen bestimmte ihn bei Zeiten zur Operation.
III. Motilitätsstörungen.
1. Ich wurde mehrmals wegen unwillkürlichen Zittems der Augen-
lider um Rath gefragt. Bei genauerer Nachforschung erfuhr ich, dass
dasselbe vorzüglich nach angestrengtem Sehen bemerkt worden war; doch
trat es, einmal entstanden, auch ausser der Zeit der Beschäftigung ein,
nicht continuirlich, nur weilenweise. Wo ich einen solchen Anfall zu
beobachten Gelegenheit halte, konnte ich leichte vibrirende Bewegungen
oder Zuckungen bemerken, doch nur an den untern Lidern, einer- oder
beiderseits. Das häufige Vorkommen dieses Zustandes an Augen mit un-
genügender Accommodationskraft und nach übermässig langer Anstrengung
der Sehkraft liess den ursächlichen Zusammenhang hiemit nicht verkennen
und bezeichnete mir dieses Übel als relative Insufßcienz des Orbicular-
muskels. Nur in einigen wenigen Fällen schien Verkältung, namentlich
Zugluft die Veranlassung dazu gegeben zu haben. Übergang in förmliche
Paresis oder Paralysis habe ich nie beobachtet. Das Übel schwindet bei
362 Augenlider.
einem den ursächlichen Momenten entsprechenden Verhalten und Heilver-
fahren. (Viel Bewegung im Freien, Waschen mit spirituös- aromatischen
Flüssigkeiten, kalte Douche — trockne Wärme, aromat. Kräuterkissen.)
2. Ein gewisser Grad von Insuffizienz des Schliessmuskels wird nicht
selten bei alten Leuten bemerkt, welche früher fettreich waren, mehr flach
liegende Augen hatten, und nun starke Faltung oder Runzelung der Lid-
haut darbieten. Der Arzt wird entweder wegen Thränenträufeln oder
wegen Zufällen chronischen Bindehäutcatarrhes oder endlich wegen Aus-
wärtsstülpung des Lidrandes, selbst des ganzen untern Lides consultirt.
Diess ist nämlich die Reihenfolge der Zufälle , welche daraus entstehen,
dass die Fasern des Muse. Albini nicht mehr im Stande sind , beim ge-
wöhnlichen Lidschlage das untere Lid gehörig an den Bulbus anzudrücken.
Spirituös-aromatische Einreibungen in die Cutis , mit Kampher bestrichene
Kräuterkissen, Waschungen mit Solul. Lapid. divini oder Collyr. adstr. lu-
teum wie bei chronischem Catarrh, und ähnliche Mittel können bloss
zu Anfang nützen; wo bereits Ektropium besteht, vermag nur die Tarso-
raphie nach Wal/her abzuhelfen ; weniger zu empfehlen ist hier das Aus-
schneiden eines keilförmigen Stückes aus dem relativ zu langen Lide
nach Adams.
3. Die von mangelhafter Innervation abhängige Lähmung des Schliess-
muskels gibt sich in den geringsten Graden bloss durch Thränenträufeln,
in mittleren Graden überdiess durch insufficiente Wirkung beim Versuche,
das Auge fest zu schliessen , in den höchsten Graden durch beständiges
Offenstehen der Lidspalte (Mangel des Lidschlages) und Abstehen oder
vielmehr Nicht-anschliessen des untern Lides an den Bulbus kund; später
kann auch Umstülpung dieses Lides dazu treten. Je nach der Stelle, wo
der Nerv, facialis ergriffen ist, beschränkt sich die Lähmung bloss auf den
Schliessmuskel (selten) , auf mehrere oder auf alle von diesem Nerven
versehene Muskeln, erscheint der Stand der Augenbraue höher , der Mund
nach der andern Seile verzogen, der Nasenflügel eingesunken, u. s. w.
— Von peripherischen Veranlassungen kennen wir nur: Verkältung, Ver-
letzungen, Druck durch Geschwülste oder infütrirte Drüsen (an der Paro-
tis, zwischen Unterkiefer und Zitzenfortsatz), Knochenerkrankung im Ver-
laufe des Fattopischen ('anales. Die centralen Ursachen sind die in der
Schädelhöhle gelegenen Veränderungen. — Die günstigste Prognosis ge-
statten die Fälle von Verkältung oder von Druck, der sich beseitigen lässt.
— Rücksichtlich der Behandlung können wir füglich auf das bei der Läh-
mung der Augenmuskeln Gesagte verweisen.
Spastische Affectionen* 363
4. Wenn der Aufheber des obe.rn Lides insnfßcient ist, weil dieser
für ihn zu schwer geworden, so hat mau den Zustand Vorfall des obern
Lides, ptosis palp. genannt, wahrend man die xun mangelhafter Innervation des
Aufhebemuskels abhängigen Zustande als Atoriie und als Lähmung- desselben
bezeichnet. — Um diese Zustände, welche beim ersten Anblicke bloss ein
Herabhängen des Lides über den Bulbus darbieten, nicht zu yerwechseln,
untersuche man zunächst, ob nicht eine mechanische Ursache davon auf-
gefunden werden könne, in Vergrößerung des Lides (seiner einzelnen
Gebilde) oder in abnormen Adhäsionen. Bei chronischen Bindehautentzün-
dungen (Blennorrhoe, Trachom, umschriebenen Bindehautwucherungen, z. B.
um fremde Körper) wird das Lid in der Regel nicht zur normalen Höhe
emporgehoben. Bei manchen Individuen kommt eine so starke Faltung
der Haut des obern Lides vor, dass sich dieselbe förmlich über den Lid-
rand herablegt, und zwar nicht bloss nach entzündlichen Affectionen, son-
dern auch ohne bekannte Veranlassung oder als Vitium primae formalio-
nis. Dieser Übelstand lässt sich durch Ausschneiden einer entsprechen-
den Falte (nach der Richtung der Muskelfasern) beseitigen. Bei der an-
geborenen Ptosis, die ich in hohem Grade nur auf einem, in massigem
Grade auch auf beiden Augen beobachtet habe, kann durch Excision einer
solchen Hautfarbe nur Verbesserung des Lidstandes erreicht werden, wenn
die Bewegungen des Lides ganz fehlen (Mangel des Levator?) oder nur
in sehr beschränktem Masse gestaltet sind. — Geringere Energie (Atonie)
des Augenlidhebers beobachtet man nach langwierigen Augenentzündun-
gen mit anhaltender oder häufiger excessiver Action des Schliessmuskels
und bei alten Leuten. Die Behandlung ist analog der bei Insuffizienz
des Schliessmuskels angegebenen. — Lähmung des Augenlidhebers kommt
meistens mit Lähmung der übrigen vom N. oculomotorius versehenen Mus-
keln, doch auch für sich allein vor. Sie kann rheumatischer Natur sein und
lässt sich dann noch am leichtesten heilen, kommt aber auch nach Ver-
letzungen oder bei Druck auf den Levator in der Orbita vor.
5. Spastische Cuntractionen des Schliessmuskels sind am häufigsten
bedingt durch Reizung der sensitiven Zweige des Trigeminus, welche das
Auge und die Lider versorgen. Sie kommen demnach in verschiedenem
Grade und in verschiedener Dauer vor: bei Reizung durch fremde Körper,
durch Entzündung, durch Pseudoplasmen oder Entozoen, sind immer von
Lichtscheu und Thränenfluss , meistens auch von Schmerzen begleitet, und
bieten, wenn nicht einen continuirlichen, so doch mehr einen re- als inler-
mittirenden Typus dar. Hiedurch unterscheiden sie sich zunächst von den
Conlractionen, welche die Anfälle von Neuralgien des Trigeminus beglei-
364 Augenlider.
ten, deren Sitz meistens der Rani, supraorbitalis oder infraorbitalis ist.
Falle von Neuralgia ciliaris , der mehrere Auctoren erwähnen , habe ich
bisher noch keine beobachtet. Ohne Schmerzen und ohne Lichtscheue
bestehen jene Contractionen , welche die Bedeutung' der Chorea minor
haben, und selten auf den Schliessmuskel allein beschränkt sind. Sie
treten auch, was ich gesehen, nur auf einer Gesichtshälfte auf. Hievon
verschieden ist eine eigenthümliche Art von Blepharospasmus , welche ich
bisher bei vier Individuen beobachtet habe. Plötzlich und ohne alle Vor-
oder Nebenerscheinungen werden die Augen auf einige Secunden , höch-
stens auf 2 — 3 Minuten krampfhaft geschlossen, und der Betroffene ist um
keinen Preis im Stande, sie zu öffnen, ausser mit den Fingern, ja biswei-
len auch da nur mit Mühe und Anstrengung. Ist der Anfall vorüber, so
fühlt der Kranke sich auch wieder völlig wohl. Nach häufiger und inten-
siver Wiederholung, wobei das Auge etwas mehr thränt, stellt sich ein
hyperämischer Zustand der Bindehaut ein, und die Hautvenen der Lider
erscheinen etwas erweitert. Sonst ist weder an den Lidern noch an den
Bulbis irgend eine Abnormität wahrnehmbar, auch keine Sensibilitätsstörung-
nachweisbar, weder während, noch ausser der Zeit der Anfälle. Auf die
Häufigkeit und Intensität der Anfälle scheinen auch äussere Einflüsse nicht be-
stimmend einzuwirken; sie kommen auf der Gasse — und der Kranke muss
stehen bleiben, beim Essen, beim Lesen, beim Niehtstliun. Die Individuen
waren alle zwischen 55 und 72 Jahre alt, 3 Kl an n er (1 Jude, 2 Beamte), 1 Frau
(Jüdin), hager, gesund aussehend, ohne erhebliche Gesundheitsstörungen.
Bei dem 1. Kranken, einem Handclsmanne von 65 Jahren, versuchte ich nach ein-
ander Flores zinci, Valerianas zinci, Magist. bismuthi, Cupr. ammoniacale, ohne Erfolg,
bis ich endlich — nach .4c/. Schmidt — in der Gegend des Zitzenfortsatzes ein Causti-
cum anwandte, Pasta von Chlorzink. Die Anfälle blieben durch beinahe 3/4 Jahre gänz-
lich aus, kehrten allmälig wieder, und wurden durch Wiederholung desselben Mittels
bleibend — bis zu dem 5 Jahre später erfolgten Tode — beseitigt. Der eine von den
beiden Beamten (aus Graz) consultirte mich auf seiner Durchreise nach Karlsbad ; ich
rieth ihm dasselbe Mittel, habe aber weiter nichts erfahren. Der Andere leitete sein
Leiden von anstrengenden Arbeiten bei grellem Lichte und von Blendung durch Schnee-
licht ab; doch war die Sehkraft gut, und ein Netzhautleiden nicht nachzuweisen. Er
war etwas empfindlich gegen grelles Licht, trug aber, als ich ihn sah, bereits längere
Zeit blaue Brillen. Merkwürdig war bei diesem Manne, dass er die Anfälle abkürzen,
meistens im Entstehen ersticken konnte, wenn er anfing zu pfeifen; auch das Violin-
spielen hatte denselben Effect, nicht aber das blosse Anhören von Musik (was ich ver-
suchsweise vornehmen liess). Er war ohngefähr 6 Wochen nach Entstehung des Übels
nach Wien gegingen und dort durch 3 Wochen mit Belladonnasalhcn, Valeriana, Tinct.
oastorei und einigen andern Mitteln behandeil worden, ohne Besserung, und kam im fi.
Monate der Krankheitsdauer nach Frag, wo auch wir mehrere Mittel (Veratrinsalbe, Flor.
Entropium. 365
zinci, con. maculatum) ohne Erfolg; anwandten. Zur energischen Anwendung obiger
Ätzpasta konnte er sich nicht entschliessen, da sein Zustand schon durch da» blosse
Auflegen der Kantharidenpflästerchen, wie er angab , bedeutend verschlimmert worden
sei. — Der Frau ordinirte ich Ferrum carbon. sachar. mit extr. conii macul. Dass nach
8 "Wochen Besserung eingetreten war, berichtete mir ihr 3Iann; ob Heilung erfolgte, ist
mir unbekannt geblieben.
Einen eigenthümlichen Fall von Blepharospasmus bei einem jungen Manne, dem
ein Apfel auf das linke Auge geworfen worden war, hat A. v. Gräfe im Archiv f. 0.
I. B. 1. Abth. S. 440 beschrieben. Ein Theil des Aepfelstieles war in den Bindehautsack
eingedrungen gewesen und daselbst '/, Stunde geblieben. Unmittelbar darauf war an
der betroffenen Seite permanenter Lidkrampf aufgetreten, welcher nur für eine kurze
Periode eine Unterbrechung erlitten hatte. In jener Periode, wo er allein fähig gewesen
war, die Lider zu öffnen , versichert er zwar alle Gegenstände mit diesem Auge er-
kannt, aber dabei eine durch das ganze Gesichtsfeld verbreitete rothe Färbung wahr-
genommen zu haben. Als ihn Gräfe einige Monate nach Entstehung des Übels sah,
waren die Lider des linken Auges fest geschlossen ; das rechte Auge, für gewöhnlich
frei von spastischen Anfällen, zeigte nur während des Heftigwerdens der Contractionen
an dem linken einiges Zucken an den Lidrändern. Suchte man die Lider des linken
Auges zu öffnen, so äusserte Pat. den lebhaftesten Schmerz, und fing unwillkürlich
an, nicht bloss die Gesichtszüge stark zu verzerren, sondern auch die Extremitäten
convulsivisch zu bewegen. Dagegen konnten die Lider in einer der Lidspalte zuführen-
den Richtung (der Wirkung des Orbicularis conform) dislocirt und an einander ge-
schoben werden , ohne dass Pat. dadurch im mindesten belästigt wurde, wie auch die
einfache Berührung der Hauptpartien keineswegs von Hyperästhesie derselben zeigte.
Während der Chloroformbetäubung hörte der Krampf vollkommen auf, und Hessen sich
die Lider leicht öffnen. Der Bulbus erschien gesund, die Pupille normal gross und
beweglich , nirgends war eine Spur eines fremden Körpers oder einer Texturverände-
rung wahrzunehmen. Kurz nach dem Zurückkehren des Bewusstseins stellte sich der
Krampf ganz unverändert wieder ein. Nach Anwendung verschiedener äusserer und
innerer Mittel trat statt Besserung Verschlimmerung des Zustandes ein, indem namentlich
auch allgemeine Convulsionen nicht nur auf Versuche, die Lider auseinander zu ziehen,
sondern auch von selbst anfallsweise sich einstellten. Anfangs wollte Gr. die subcutane
Durchschneidung der zum Orbicularis gehenden Facialäste vornehmen, entschloss sich
jedoch , nach einer Consultation mit Romberg, zur subcutanen Durchschneidung des
Superorbitalnerven , indem das Übel als ein von pathologischer Erregung der Gefühls-
nerven ausgehender Reflexkrampf aufgefasst wurde. Der Erfolg entsprach der Erwartung
vollständig und bleibend. Gräfe erklärt sich nach Erwägung aller hier denkbaren Deu-
tungen für die, dass durch Trennung des Superorbitalnerven und Aufhebung der von
diesem abhängigen Empfindlichkeit der Muskelfasern, welche durch jede Dehnung des
Muskels gesteigert wurde, die Hyperästhesie des M. orbicularis und somit auch die hievon
abhängigen Reflexvvirkungen behoben wurden.
IV. Fehlerhafte Lage, Verwaltung, Trennung, Zerstörung.
1. Entropium, die Umstülpung des Lidrandes nach innen, so dass die
Cutis den Bulbus berührt, kommt häufiger an dem untern als an dem obenr
366 Augenlider.
Lide vor. Sie ist nicht zu verwechseln mit der blossen Einwärtswendung
der Cilien, welche entweder blos auf abnormen! Hervorsprossen der Cilien
beruht (Distichiasis) , wobei die Lage des Lidrandes ganz normal sein
kann, oder auf Verlust (Abschliff) der innern Kante (Trichiasis) , welche
allerdings bei weiterer Entwicklung des Übels zur Einstülpung des Lid-
randes seihst führen kann. Auf die Zufalle und ühlen Folgen der Einwärts-
wendung des Lidrandes haben wir bereits im I. Bande S. 128 aufmerksam
gemacht.
Das wichtigste Moment zur Einwärtsstülpung der Lider bildet lange,
anhaltende oder häufig wiederholte, excessive Contraction des Schliess-
muskels, in specie der innern Portion (Muse. Albini). Für sich allein
jedoch scheint dieses Moment, das bei jeder Art von Entropium eine wohl
zu berücksichtigende Rolle spielt , Entropium nicht bewirken zu können.
Die mitwirkenden Momente sind: Verschrumpfung der Bindehaut und des
Tarsus mit Abrundung der innern Kante, Verengerung der Lidspalte vom
äussern Winkel her (Blepharophimosis) , ödemalöse Schwellung der Cutis,
oder endlich Zurücksinken des früher flach gelegenen Bulbus , wobei das
Lid relativ zu lang ist und die Cutis stark gerunzelt erscheint.
Von der Einwärtswendung des Lidrandes , welche in Folge von Ver-
schrumpfung der Bindehaut und des Tarsus mit Verlust der innern Lid-
kante, also nur als höherer Grad von Trichiasis auftritt, und welche man
Entr. organicum genannt hat, war bereits im I. Bande S. 128 die Rede,
und wurde eben daselbst S. 144 — 147 das dagegen anzuwendende Heil-
verfahren angegeben.
Ebenso wurde dort S. 129 der Blepharophimosis und S. 143 der da-
gegen anzuwendenden Operation gedacht.
Blepharospasmus allein scheint nur dann Entropium bewirken zu können,
wenn er durch Behinderung des Blutrüektlusses starke ödematöse Schwel-
lung der Cutis bewirkt hat, und auch diese Fälle sind — nach meinen
Beobachtungen — äusserst selten, und betreffen nur das untere Lid. Man
hat diese Form Entr. spasticum genannt. Sollten die gegen den Blepharo-
spasmus empfohlenen Mittel bei fleissiger Reposition des Lides nicht aus-
reichen, so wäre wohl die von Heidenreich empfohlene subcutane Durch-
schneidung des Schliessmuskels gerechtfertigt, welche nach Einschiebung
einer Hornplatte keine Schwierigkeiten macht, auf die über dem Tarsus
gelegenen Fasern zu beschränken ist, und der Sicherheit wegen an zwei
Stellen (gegen die Enden des Knorpels hin) vorgenommen wird.
Die Ursache des sogenannten Entr. senile hat man wohl vorzuglich
desshalb in Erschlaffung der Haut cresucht. weil die Ausschneidung einer
Entropium. 367
Hautfalte genügt, dasselbe zu beseitigen. Das Missverhältniss Zwischen
Cutis und Bindehaut , wie man sich ausgedrückt hat, ist nur ein coexisti-
rendes Moment. Es kommt dieses Entropium immer nur an dem untern
Lide vor, wo man, wenn die Ursache in der Haut läge, eher ein Herab-
sinken des Lides und Auswärtsstülpung erwarten sollte. Man sieht es, wo
die oben bezeichneten Momente vorhanden sind, also meistens nur bei
alten Leuten, nicht selten entstehen, wenn solche Individuen durch Einfallen
eines fremden Körpers, nach einer am Bulbus vorgenommenen Operation,
durch eine anderweitig entstandene Entzündung oder Reizung zu öfterem
oder vehementerem Lidsclilusse veranlasst wurden. Allerdings kommen
auch Leute vor, die von einer solchen Veranlassung nichts wissen. Nach
längerem Verbinden des Auges findet man eine solche Einwärtsstülpung
mitunter auch bei jüngeren Individuen, wenn auch nicht gerade Blepharo-
spasmus vorhanden war. — Oft genügt die Beseitigung der Veranlassung,
das Entfernen eines Staubkornes , einer am äussern Winkel eingebogenen
Cilie u. dgl., und das nachträglich eine Zeit lang fleissig vorgenommene
Reponiren des fehlerhaft gestellten Lides. Oder man fixire eine Falte der
dünnen überschüssigen Haut durch Collodium oder ein Englischpflaster.
Bei inveterirten Fällen hilft nur ein operativer Eingriff radical. — a) Will
man nach dem Vorgange von CaUisen, Helling u. A. ein lang-elliptisches
Hautstück durch Bestreichen mit Nordhäuser Schwefelsäure zerstören , so
lasse man einen Gehülfen dafür sorgen (mittelst Anhalten von Löschpapier),
dass keine Thränen auf die betreffende Stelle fliessen , und fahre mit dem
getränkten Asbestpinsel oder Besenrülhchen 2 — 3mal über die Haut, pa-
rallel dem Lidrande und so, dass der obere Rand des zu verschorfenden
(2 — 3'" breiten) Streifens höchstens 2'", aber auch nicht weniger als
\'" von der Cilienreihe entfernt sei. Nur messerscheue Individuen dürf-
ten dieses Verfahren dem Ausschneiden der Hautfalte vorziehen. — h~) Zum
Fassen eines 3 — 5'" breiten und 10— 14"' langen Hautstreifens haben
Himly, Beer, La?igenbeck u. a. die sogenannten Entropiumzangen ange-
geben. Jüngken hat gezeigt, dass diese Instrumente entbehrlich sind.
Man fasst je nach der Erschlaffung der Haut und dem Grade der Ein-
wärtswendung des Lidrandes eine mehr weniger breite Hautfalte mit Dau-
men und Zeigefinger jener Hand, mit der man später die Scheere (eine
gerade) führen will, überzeugt sich durch Rollen zwischen den Fingern,
dass man keine Muskelfasern mitgefasst habe, legt dann an der Nasenseite
der Finger eine Pincette an, die man dem hinter dem Kranken stehenden
Gehilfen übergibt, an der Schläfenseite eine zweite, die man mit der an-
dern Hand hält, ergreift nun mit der früher zur Faltenbildung verwende-
368 Augenlider.
ten Hand die Scheere und excidirt die jetzt durch die Pincetten gespannte
Hautfalte in einem Zuge, die Scheere beim Schneiden etwas nachschie-
bend. Die Pincetten müssen so angelegt und die Scheere muss so ge-
führt werden, dass der obere Wundrand zum Lidrande nahezu parallel
und von demselben weder über 2'" noch unter i'" entfernt verläuft. Die
Wunde wird dann durch 4 — 5 blutige Hefte vereinigt. Kommt die Narbe
weiter als %"' vom Lidrande zu liegen, so nützt die Excision gewöhnlich
nichts, wegen der grossen Dehnbarkeit der Cutis. Damit man kein zu
breites Stück excidire , überzeuge man sich vor Anlegung der Scheere,
ob der Kranke das Auge noch zu schliessen vermöge. — c) Statt dieser
Methode habe ich in neuester Zeit das von Rau *) empfohlene Gaillard'sche
Verfahren, etwas modificirt, angewendet, und zwar mit dem besten Er-
folge. Man fasst eine Hautfalte mit Daumen und Zeigefinger der linken
Hand, mitten unter dem Lidrande, sticht an der Nasenseite der Finger eine
leicht gekrüminte Nadel mit einem Faden von unten nach oben (an der
Basis der Falte), und 1 — 2'" davon entfernt wieder von oben nach unten,
nimmt dann dasselbe Manöver mit einer zweiten Nadel an der Schläfen-
seite der Finger vor, und knüpft nun die Enden des 1. und 2. Fadens,
je für sich, fest zusammen, wodurch die Falte an 2 Stellen (4 — 6"' von
einander entfernt) fixirt und abgeschnürt erscheint. Nach 48 — 60 Stun-
den werden die Ligaturen entfernt. Die Fäden dürfen nicht zu dünn sein
und nicht zu knapp abgeschnitten werden , damit sie nicht zu bald durch-
schneiden und damit ihre Entfernung nicht durch das Anschwellen der
Cutis zu sehr erschwert werde. Nach einigen Tagen verliert sich die
Schwellung und allmälig auch die Faltung der Cutis, und die Heilung
ist erreicht.
2* Die Umstülpung des Lides nach aussen, ectropium, findet entwe-
der längs des ganzen Lidrandes statt oder vorzugsweise an einem Winkel,
gegen den andern hin sich allmälig verlierend. Diess kann sowohl an
dem obern als an dem untern der Fall sein. Dieser Zustand ist jederzeit
entstellend und durch beständige Reizung lästig; in gewissen Fällen sehliesst
er auch die Unmöglichkeit in sich, den Bulbus zu bedecken (Lagophthal-
mus). — Bei jedem Ectropium, es mag wodurch immer bedingt sein, sind
3 Momente ins Auge zu fassen: 1. dass die Bindehaut der Lider, nicht
für den Contact mit der Luft geschaffen, wenn auch anfangs gesund, all-
mälig dieselben Veränderungen erleidet, wie die Schleimhaut der Vagina.
des Uterus, des Rectums bei Vorfall dieser Organe aus ihren Höhlen. 2. dass
) Gräfes Archiv fur Ophth. I. B. II Vblh S. 176.
Ectropium. 369
der Knorpel (oft mich die äussere Commissur), sei es durch diesen Vor-
gang in der Bindehaut, sei es durch Zerrung, verlängert wird, wenigstens
am Lidrande, was man durch vergleichende Messung des andern Lides
leicht constatiren kann, und 3. dass die innere Portion des Schliessmus-
kels (M. Albini), welche bei jedem vollständigen Ectropium den Lidrand
mit jedem Augenlidschläge an die Cutis andrückt, somit am Bulbus ab-
wärts (rückwärts.) anstatt aufwärts (vorwärts) streift, in permanente Con-
traction, endlich wohl auch in Contractur und Verkürzung geräth. Wenn
gleich der Entwurf des Heilplanes vorzüglich durch Berücksichtigung der
sogenannten entfernteren Ursache bestimmt wird, so muss doch jedem die-
ser Momente dabei Rechnung getragen werden, um so mehr, je stärker
dasselbe ausgesprochen ist.
«) Die günstigste Prognose gestattet das Ectropium als Folge chro-
nischer oder chronisch gewordener Bindehäulblennorhöe, gewöhnlich
als Ectr. sarcomatosum beschrieben. Es kommt häufiger an dem untern,
als an dem obern Lide, selten an beiden zugleich vor. — Bei frisch ent-
standenen Fällen (nach Weinen, ungeschicktem Abziehen der Lider vom
Bulbus u. dgl.) 'genügt oft die einfache Reposition, indem man das Lid
an den Cilien oder an der Cutis nächst derselben fasst , und den Kran-
ken nach der entsprechenden Richtung blicken lässt, nöthigenfalls noch
den kleinen Finger der andern Hand behufs der Rückdrängung auf die
jiitte des convexen Lidrandes aufsetzt. — Auch bei länger dauernden und
allmälig entstandenen Ectropien dieser Art genügt bisweilen die Reposi-
tion, doch geschieht es hier leicht, dass nach einigen Augenlidschlägen
die Umstülpung wieder da ist. Dann lasse man nach vorgenommener Re-
position beide Augen geschlossen halten , bedecke das Auge noch vor
Entfernung des Fingers mit Charpie, bis zur völligen Ausfüllung der Au-
gengrube und führe, um einen permanenten Druck zu erhalten, eine Binde
um den Kopf. Sollte sich zeigen , dass trotzdem das Lid sich unter dem
Verbände wieder umstülpte, so verklebe man vor Anlegung desselben nicht
nur das kranke , sondern auch das gesunde Auge mit Englischpflaster.
Wo starke Wucherung dor Bindehaut nicht nur im Tarsal- sondern auch
im Übergangstheile besteht, kann man die Reposition leichter bewerkstel-
ligen und erhalten, wenn man vorher zahlreiche seichte Einschnitte macht,
stark wuchernde Papillen mit einer flach gebogenen Scheere abträgt, und
das Ganze recht ausbluten lässt. Mit Excisionen aus dem Übergangstheile
sei man vorsichtig, weil Substanzverluste der unter der Bindehaut liegen-
den Fascie später leicht zu Entropium führen können. Dasselbe gilt auch
von der intensiven Atzung mit Lapis infernalis, welche überhaupt so lange,
Arlt's Augenheilkunde IH, 2. 24
370 Augenlider.
als Verbinden des Auges noth thut, nicht wohl anwendbar ist (wegen der
Sehorfbildung). Diese oder auch andere Mittel anwenden und dabei die
Bindehaut nicht vor dem Contact mit der Luft bewahren, heisst ohngefahr
so viel, als ein aus seiner Höhle vorgefallenes Organ auf solche Weise
zum Zurückweichen bestimmen wollen. — Wo Reposition und Druckver-
band, unterstützt durch Touchiren mit Cuprum sulfur. in der Zwischenzeit,
nicht genügen, weil der Knorpel wegen langen Bestandes bleibend verlängert
ist, wo wenigstens eine Rccidive zu besorgen steht oder eintritt, weil trotz
längerer Behandlung in der eben angegebenen Weise das Lid sich nicht
gehörig an den Bulbus anlegte, bleibt nichts übrig, als die Excision eines
keilförmigen Stückes nach Adams oder, falls Ausdehnung der äussern Com-
missur üderwiegend Schuld wäre, die Tarsoraphie nach Ph. von Walther
zu machen. Wie breit der zu excidirende Keil am Lidrande sein soll,
ergibt sich, wenn man die Länge des betreffenden Lidrandes vom Thränen-
punkte bis zur äussern Commissur mit einem längs der Cilien angelegten
Faden misst, und mit dem andern Lide vergleicht. Dann fasst man mit
einer Pincette oder Kornzange, einen Arm an die Cutis, den andern an
die Bindehaut gelegt, das Lid unweit der äussern Commissur, führt mit
einem bauchigen Messer zwei Schnitte vom Lidrande gegen die Wange,
deren Anfänge so weit von einander abstehen, als das Lid zu lang ist,
deren Enden etwa 5 — 6"' vom Lidrande entfernt in der Cutis zusammen-
stossen, fasst hierauf eine gerade Scheere, und schneidet mit dieser, einen
Arm in die Hautwunde, den andern an tue Bindehaut angelegt, diese und
die zwischenliegenden Gebilde auf der einen wie auf der andern Seite
der Kornzange durch. Das ausgeschnittene Stück bildet gewissermassen
ein Tetraeder. Um die Entstehung eines Coloboms zu verhüten, excidire
man kein zu breites Stück (am Lidrande), verrichte den Schnitt durch die
Haut lieber mit dem Messer, obwohl er gleich auch mit der Scheere ge-
macht werden könnte, lege stets die umschlungene Naht an, und führe
die oberste Nadel knapp an den Cilien nicht etwa bloss durch die Cutis,
sondern knapp vor dem Knorpel, nicht durch diesen selbst. Es eignet
sich übrigens dieses Verfahren auch für manche Fälle von Ectropium wegen
Verkürzung der Cutis oder der Augenlidbinde, so wie für Fälle, wo ein
Krebs oder eine Teleanyyektasie von geringem Umfange, aber bis auf
den Knorpel oder die Conjuncl. eingreifend excidirt werden soll. —
Die Tarsoraphie nach Walther ist gewissermassen nur eine Übertragung
des Adams'' sehen Verfahrens auf die äussere Commissur. Die mit dein
Messer zu führenden Schnitte haben den Zweck, sowohl vom obern als
vom untern Lide nächst des äussern Knorpelendes einen Streifen, etwa
Ectropium — Operation. 371
2'" lang, 1''/ breit, abzutragen und convergiren gegen die Schläfe hin; die
auf diese Weise wund gemachten Lidränder, an denen keine Haarzwiebeln
sitzen geblieben sein dürfen, werden durch die umschlungene Naht ver-
einigt, um das früher umstülpt gewesene Lid an das andere zu heften,
dadurch zu spannen und an den Bulbus zu ziehen. Bei beiden Methoden
dürfte die Durchschneidung des M. orbicularis einen wesentlichen Anlheil
an der Heilung haben.
b) An die eben besprochene Form reiht sich das Ectropium von in-
sufficienter oder fehlender Muskelaction, ectrop. senile et paralyticum,
von welchem bereits oben die Rede war. Es kommt nur am untern Lide
vor. Bei der einen wie bei der andern Art ist das Verfahren nach
Walther oder auch nach Adams anzuwenden, sobald keine Aussicht mehr
vorhanden ist, das Grundleiden zu beheben, oder wenn das Ectropium
trotzdem fortbesteht.
c) Das durch Zerstörung der äussern Commissur eingeleitete Ectr.
palp. inferioris wird, falls nicht mit zu bedeutendem Hautverluste verbun-
den, einfach durch die Tarsoraphie beseitigt werden können, wenn man
die beiden Schnitte durch die Haut so lang und allenfalls geschweift führt,
als es die Excision einer Narbe oder eines Krebsinfiltrates erheischt, uud
nöthigenfalls die Wundränder unterminirt, um sie zur Vereinigung nach-
giebig zu machen.
d) Die grössten Schwierigkeiten setzen der Heilung die durch Ver-
kürzung der Lidhaut bedingten Ectropien entgegen. (Diese Bezeichnung
ist nicht genau ; ich behalte sie bei, weil sie bequem und durch langen
Usus eingebürgert ist.) Bei der ungewöhnlichen Verschieb- und Dehn-
barkeit der Augenlidhaut können Streifen von 3 — 4"' Breite (von oben
nach unten) verloren gehen , durch Verbrühung, Ätzung, Verletzungen
u. dgl., ohne dass Ectropium entsteht. Es pflegen aber viel kleinere
Substanzverluste der Haut Ectropium zu erzeugen, wenn die Verletzung,
Eiterung und Narbenbildung tiefer, bis auf die Fascia tarso-orbitalis ein-
gegriffen hat, wenn diese verkürzt, und somit der convexe Rand des
Knorpels gegen den Orbitalrand hingezogen ist. Darum führt Caries am
Orbitalrande in der Gegend der Thränendrüse oder am Jochbeine, was
von Ammon *) zuerst mit klaren Worten auseinander gesetzt hat, so leicht
zu einer der schlimmsten Formen von Ectropium, wenn auch gerade nicht
viel Cutis verloren ging. Man muss demnach unterscheiden, ob bloss die
Cutis, oder zugleich auch die Augenlidbinde verkürzt ist, in welchem
'•) Zeitschrift für Ophthalmologie, I. B. S. 36—51. (1830.) .
24*
372 Augenlider.
Falle die Cutis an einer Stelle an den Orbitalrand fixirt erseheint. —
Ectfopien von blossem Hautverluste können sich allmälig von selbst ver-
lieren, wie ich nach ziemlich ausgebreiteten Substanzverlusten in Folge
von Thränensackentzündung einige Male beobachtet habe. Ob die von
hichter, Beer u. A. empfohlenen Einreibungen der verkürzten Haut mit
Öl , so wie das Sireichen und Dehnen derselben von directem Nutzen
seien, ist noch nicht entschieden; jedenfalls sind sie gut, den Kranken zu
beschäftigen, bis die letzten Nachklänge der Entzündung vorüber sind, da
operative Eingriffe vor vollkommen, beendetem Vernarbungsprocesse leicht
zu Eiterung, Ausreissen der Hefte, Absterben von Hautzipfeln u.dgl. füh-
ren. — Ectropien mit Verkürzung der Augenlidbinde und Fixirung einer
Hautpartie an den Orbitalknochenrand sind immer schwieriger zu heben,
nicht sowohl desshalb , weil die genannte Fascie und die Cutis in hin-
reichendem Umfange getrennt werden müssen, um den Knorpel mobil zu
machen, sondern vielmehr desshalb, weil nachträglich der Knorpel leicht
wieder gegen den Knochen hingezogen wird. — Die Verhältnisse gestal-
ten sich hier nach Sitz und Umfang der Zerstörung und Verwachsung so
mannigfaltig, dass wir es nicht wagen, in Delailschilderungen einzugehen.
Wer mit den Grundsätzen der Chirurgie überhaupt und den plastischen
insbesondere vertraut ist, für den dürfte eine Übersicht der vorzüglichsten
bisher versuchten Methoden genügen , um in jedem speciellen Falle eine
derselben unverändert, oder den Umständen gemäss modiiieirt, anzuwenden.
Der Kürze und leichtem Verständigkeit wegen wollen wir den Vorgang bei Ectr.
des untern Lides schildern; es wird nicht schwer sein, bei Ectr. des obern Lides die
nöthigen Änderungen zu trefFen. Die hier zu besprechenden Methoden datiren aus den
letzten 24 Jahren, indem alle frühern Heilversuche, auf die Erzielung breiter Narben be-
rechnet, als illusorisch mit Recht verlassen worden sind.
1. Verfahren nach Sanson. Man führt mit einem bauchigen Scalpell zwei Schnitte
senkrecht durch die Cutis und die Fasern des Schliessmuskels. Der eine beginnt unter-
halb der äussern Cominissur ; beide vereinigen sich, V-förmig convergirend. etwa3/, 1"
unter der Mitte des Lidrandes. Der Lappen wird an der Spitze mit einer Pincette ge-
fasst, und bis gegen den Tarsus hin lospräparirt. Könnte jetzt das Lid noch nicht leicht
und vollständig reponirt werden, wegen Verkürzung der Augenlidbinde oder wegen zu
starker Bindehautwucherung, so müsste erstere knapp am Orbitarlrande eingeschnitten,
aus letzterer eine Partie excidirt werden. Durch die Reposition wird der V-förmige,
aus Cutis und Muskelfasern bestehende Lappen hinaufgezogen; ihn in dieser Lage zu
fixifen, vereinig! man die Wunde unterhalb der Spitze desselben durch die umschlungene
Naht (2 Nadeln), die Seitenränder durch Knopf- oder fortlaufende (Kürschner-) Nähte.
Ist ihr Tarsus beträchtlich verlängert, und lässt sich wegen langer Dauer dieses Zu-
standes nicht auf baldige Rückbildung dieser Verlängerung rechnen, so beginne mau
diu Schnitt an der Schläfenseite1 nicht unterhalb dei Commissur, sondern \om Lidrande
Ectropium — Blepharoplastik. 373
selbst, und excidire ejn Stück aus dein Lide, wie bei Adnrn's Verfahren, um das Lid
durch Verkürzung in transversaler Richtung gespannt zu erhalten.
2. Methode von Chelius. *) Mit einem nahe am Lidrande und längs desselben ge-
führten Schnitte trennt man die Haut, und unterminirt diese von hier aus gegen den
Orbitalrand hin. bis der Tarsus frei emporgezogen und in die gehörige Lage gebracht
werden kann. Durch einige senkrechte Schnitte wird die innere Portion des Sehliess-
muskels nachgiebig gemacht; sollte Wucherung der Bindehaut die Resorption erschwe-
ren, so werden longitudinalc Stücke excidirt ; zuletzt wird noch die äussere Commissur
einige Linien weit in horizontaler Richtung eingeschnitten. Um nun das Lid in der na-
türlichen Lage zu erhalten, soll man zwei Fadenschlingcn durch den am Lidrande
sitzenden Hautstreifen ziehen und mittelst Heftpflastern an der Stirne befestigen, und die
bloss gelegte Stelle des Lides mit Charpie bedecken. Nach Chelius nützt dieses Ver-
fahren hauptsächlich desshalb, weil die Lidhaut mit andern Stellen des unterliegenden
Zellgewebes in Berührung gebracht und durch die Vernarbung der Wunde im äussern
Winkel das Lid transversal gespannt werde. Er bemerkt, dass die durch dieses Ver-
fahren erzielten Resultate selbst in Fällen höchst bedeutender Hautverkiirzurig über alle
Erwartung glücklich waren. Eine zweckmässig erscheinende Modifikation hat liuete **)
angegeben, indem er, statt die äussere Commissur einfach zu spalten, empfiehlt, ohnge-
fähr wie bei der Tarsoraphie, vom äussern Ende des Schnittes an bis etwa 2 — 3 Linien
in den Tarsalrand des obern und untern Lides ein Stückchen mit der Scheere abzu-
tragen, wodurch das Lid schon eine bessere Stellung erhält. Die Fadenschlingen, die
auch Ruete trotzdem noch anwendet, werden nach 3 — 4 Tagen entfernt.
3. Fr. Jägers Verfahren. ***) Mit einem convexen Scalpell wird ein Schnitt, pa-
rallel dem Lidrande und 2 — 3'" davon entfernt, von der Cutis aus durch das ganze Lid,
nötigenfalls auf einer untergeschobenen Hornplatte , geführt, so dass gleichsam eine
zweite Lidspalte entsteht. Von der dem Orbitalrande zugewendeten Wundlefze aus
dringt man nun mit einem Messer unter die an den Knochen fixirte Haut und löst die
Adhäsionen, wo und soweit solche bestehen, bis die Haut nachgiebig erscheint. Dann
excidirt man aus der Brücke , welche der Lidrand bildet, ein Stück, so lang als die
Differenz gegen die Länge des andern Lides beträgt, wodurch die zwischen der natür-
lichen und künstlichen Lidspalte bestandene Brücke in eine äussere und innere Portion
zerfällt wird. Beide werden nun auf's Sorgfältigste durch die umschlungene Naht ver-
einigt, somit die Brücke wieder hergestellt, aber nicht, mehr schlaff, sondern über den
Bulbus gespannt. Durch Vereinigung der horizontalen Wunde mittelst Khopfnähten wird
die nachgiebig gemachte Haut vom Orbitalrande gegen die Brücke hergezogen. — Die-
ses Verfahren schliesst grosse Gefahr in sich, ein Coloboma palpebrae zu erhalten, daher
bei der Excision des Stückes aus der Brücke und bei der Wiedervereinigung wohl die
grösste Vorsicht nöthig ist. — Die Ablösung der Haut vom Knochen ist übrigens nicht
immer möglich, wie von Amnion in dem oben citirten Aufsatze bereits bemerkt hat. Es
bleibt dann nichts übrig , als die in die Knochennarbe hineingezogene Hautpartie mit
zwei Schnitten zu umfassen , welche gegen die Peripherie der Orbita hin convergiren,
diese Partie abzutragen oder doch wund zu machen, und die angrenzende Haut nach
gehöriger Unterminirung über dieser Partie zusammen zu heften.
*) Handbuch der Augenheilkunde, 1838 S. 157, und Fischer, dissertatio de eclropiu, Heidelberg 1830.
"*) Lehrbuch der Ophthalm. 2. Aufläse, 2. B. S. 58.
***) J. G. Dreyer, nova blejiharoplastices melhodus, Vinbob. 1831.
374 Augenlider.
4. Nach Fricke *) werden stärkere Narben mit zwei Schnitten umgangen, schmale
und feine Narben mit leichten Messerzügen durchschnitten. Der Schnitt muss parallel
mit dem Tarsus über das ganze Augenlid geführt werden, und man muss sich mit dem-
selben möglichst fern vom Lidrande halten, um Haut zur Anheftung des einzupflanzenden
Stückes zu ersparen. Die Ränder der durchschnittenen Haut werden von einem Gehilfen
sorgfältig von einander gezogen , und man trennt das Zellgewebe und den Orbicular-
muskel bis zur Conjunctiva selbst, ohne diese zu verletzen. (Ich habe in einem Falle
auch die Bindehaut durchschnitten, wie bei Jäger's Methode, ohne Naehtheil.) — Die
Wunde wird nun genau gemessen, und ihre Dimensionen auf jenen Theil der Stirnhaut,
der sich etwas nach aussen, zwei Linien oberhalb des Orbitalrandes befindet, übertragen,
und die Haut mit genau in einander fallenden Schnitten bis zum Muskel getrennt. Das
einzupflanzende Stück muss mit Berücksichtigung der nachträglichen Schrumpfung der
Haut eine Linie länger und ebensoviel breiter sein. Der Haullappen wird nun losgelöst
und der nach aussen geführte Schnitt in dem Grade weiter nach unten und aussen ge-
führt, dass beim Einpassen des Lappens in die Lidwunde keine Zerrung oder Faltung
der Haut stattfindet. Die zwischen dem innern Schnitte, welcher den Lappen bildet, und
dem äussern Winkel der Wunde des Augenlides bestehende Brücke wird nun durch-
schnitten und ein so grosses Hautstück herausgenommen, dass nächstdem der Hautlappen
genau in den dadurch entstandenen Zwischenraum passt. Am untern Augenlide wird
das Hautstück in derselben Entfernung und Richtung wie beim obern Lide von der
Wange genommen. Nach Stillung der Blutung wird der Lappen in die Wunde gelegt
und die Vereinigung zuerst am obern durch 8 — 10, dann am untern Rande durch 6 — 8
Knopfnähte auf das Genaueste bewerkstelligt. Das Augenlid wird locker mit Charpie
bedeckt, und diese mit schmalen Heftpflasterstreifen befestigt, die äussere Wunde mit in
Ol getauchter Charpie belegt. Die Nähte werden nach 2mal 34 Stunden entfernt, die
Vereinigung durch Heftpflaster geschützt. (Nach Bedürfniss modificirt, lässt sich dieses
Verfahren — das zu Grunde liegende Princip — auch zum Ersätze gänzlich oder theil—
weise verlorener Lider verwenden. Hasner **) hat auf diese Weise in einem Falle die
innere Partie des obern und untern Lides zugleich aus der Haut der Nase, in einem an-
dern Falle mehr als die Hälfte des untern Lides aus der Haut der Stirnglatze ersetzt.)
5. Das von Dieffenbach ***) aufgestellte Verfahren ist, wenn eine zu bedeutende
Zerstörung diese Behandlungsweisen nicht zulässt oder ein völliger Verlust eines Augen-
lides besteht, offenbar das zweckmässigste, sowohl hinsichtlich des leichteren Gelingens,
als auch der geringen Deformität, welche zurückbleibt. Man beginne mit der Exstirpa-
tion der Narbe (des Krebses) durch eine dreieckige Wunde, wobei man den Lidrand
oder doch von der Lidbindehaut so viel als möglich erhält. Die Basis des Dreieckes
bildet die Wunde längs des Lidrandes (in der Cutis oder bei Zerstörung des Lides in
der Bindehaut) von einem Winkel zum andern ; die Spitze liegt unter der Mitte des Lid-
randes auf der Wange, etwa 1 Zoll davon entfernt, und wird durch zwei dahin conver-
girende Schnitte gebildet, welche nebst dem Narben- (oder krebsig-inßltrirten) Gewebe
auch gesunde Cutis mit fortnehmen werden, da sie gradlinig verlaufen müssen.
*) Die Beschreibung dieser und der folgenden Methode ist nach Chelins gegeben, nach dessen Ansahen Ick muh
bei meinen Operationen gehalten habe. Eine treffliche Abhandlung über Blepharoplastik von Prof. Beck Rudel
man in Ammons Monatschrift, 1. B. S. 24—50. (INÜS.)
; ) Entwurf zu einer anatom. Begründung der Augenkrankheiten, S. 248.
•*') Caspar'« Wochenschrift 1855, Nr. 1.
Verwachsung — Spaltung — Mangel — Epicanthus. 375
Hat man nun eine ganz reine V-förmige Wunde vor sich, so Führl man vom äussern
Augenwinkel aus einen Schnitt nach der Schläfe ohngefähr in der Richtung der Lid-
spalte, um etwa 2'" länger als diese. Vom Ende dieses Schnittes wird nun parallel zu
dem äussern, jenes Dreieck begrenzenden Schnitte ein fünfter Schnitt geführt, und eben
so weit oder noch etwas tiefer herab, als die Spitze des Dreiecks herabreicht. Der
hiedurch entstandene viereckige, an seiner untern Seite allein nicht umschriebene Lap-
pen wird nun mit Zurücklassung der Fettlage durch flach geführte Messerzüs>e getrennt,
und nach Stillung der Blutung und Reinigung der früher entblössten dreieckigen Stelle
auf diese so herüber gelegt, dass sein oberer Rand jetzt die Stelle des Augenlid-
randes einnimmt, oder, wo dieser noch vorhanden ist, sich an denselben anlegt, sein
innerer Rand aber an den längs der Nase herablaufenden Rand des obgenannten Drei-
ecks zu liegen kommt. Man heftet ihn nun zuerst am innern Augenwinkel mit einer
Knopfnaht, vereinigt hierauf den Wundsaum der Conjunctiva mit dem obern Rande
des Hautlappens (oder, wenn Lidrand erhalten worden war , an die Cutis desselben)
durch feine Knopfnähte oder eine fortlaufende Naht und dann eben so an dem innern
Rande, nachdem man zuvor den entsprechenden Rand der Dreieckwunde eine Linie
breit vom Grunde gelöst hat. Der äussere Winkel wird durch keine Naht befestigt,
sondern man legt den äussern Theil des herübergezogenen Lappens hier nur an. Die
auswärts vom Lappen unbedeckt bleibende dreieckige Wunde wird mit Charpie bedeckt,
und über das Ganze legt man mehrere Heftpflasterstreifen, um den Lappen gehörig an-
zudrücken. — Die Nachbehandlung wird nach den allgemeinen Grundsätzen der Trans-
plantation geleitet.
Chelius bemerkt, dass er die unbedeckt bleibende Wunde mit Vortheil durch die
Naht vereinigt habe. Ich fand diess bestätigt und verkleinere sie immer nur durch 1 — 2
Insektennadeln von dem Winkel her, den der obere und äussere Wundrand bilden-
Hiedurch wird die Basis des Lappens dem Auge etwas genähert, die Spannung desselben
bis zu einem gewissen Grade (zum einfachen Anliegen) gemindert. Ich führe den in
der Richtung der Lidspalte gegen die Schläfe hin zu machenden Schnitt nicht horizontal,
sondern immer etwas abwärts geneigt, damit der Zipfel, welcher dann gegen den Thrä-
nensack hin zu liegen kommt, weniger stumpfwinklich ausfalle. Auch fand ich, dass es
sehr zweckmässig ist, den in die Gegend des äussern Augenwinkels zu liegen kommen-
den Zipfel an das nöthigenfalls etwas aufzufrischende obere Lid oder doch an die Cutis
auswärts von demselben sehr genau durch Hefte zu befestigen. Für Unterhaltung des
Anliegens der transplantirten Partie sorgt man wohl besser durch einen leichten Verband
mit Charpie als durch unmittelbar auf die Haut gelegte Heftpflaster.
3. Von der Verwachsung eines oder beider Lider mit dem Bulbus
(Symblepharon) und von der Verwachsung- der Lider unter einander
{Auch y lob lepharon) haben wir bereits im I. B. S. 125 und 155 das Nöthige
mitgetheilt. Da es sich nach der Trennung des Lides vom Bulbus darum
handelt, die eine Wundflache zu decken, besonders dort, wo beide an
einander stossen, also dort, wo die Übergangsfalte verlaufen sollte, so
kann man, wie ich mit bleibendem Erfolge gethan, *) bei nicht gar zu
breiter Verwachsung nach vollendeter Trennung die Wiederverwachsung
*) Prager Vierteljahrschnfl 1854, ß. 41, S. 165.
376 AügiMiäMler.
leicht dadurch verhüten, dass man die Wunde am Bulbus heftet, indem
man mittelst einer krummen Nadel einen Faden durch die Bindehaut und
die subconjunctivale Fascie von dem einen Wundrande zu dem andern
durchführt. Gegen die Cornea hin kann die Wunde ungedeckt bleiben,
wenn nur in der Tiefe (gegen die Peripherie hin) die Vereinigung durch
ein oder zwei Hefte vollständig ist.
4. Spaltung des Lides (coloboma) ist als angeborener Zustand nur
an dem obern Lide beobachtet worden (von mir am linken Auge). Hey-
fehle?' (Amnions Zeitschr. I. S. 480) sah bei einem 3monatlichen Kinde
eine Spalte der Oberlippe, des obern Lides und der Iris zugleich (auf
der linken Körperhälfte). Sie kann auch in Folge von Verletzungen oder
Operationen zurückbleiben, wenn die schnelle Vereinigung nicht zu Stande
kam. Das Verfahren dagegen ist analog dem bei der Hasenscharte.
Die verschiedenen Verletzungen der Lider, mit oder ohne Trennung
des Zusammenhanges, erheischen wohl für denjenigen, der die Anatomie
kennt und allgemeine chirurgische Bildung besitzt, keine besondere Bespre-
chung. Nur das sei noch besonders hervorgehoben, dass auch scheinbar
geringfügige Verletzungen dieser Gegend eine sehr genaue Untersuchung
erheischen, damit man nicht etwa gleichzeitige Verletzungen des Bulbus
oder der Orbitalwandungen übersehe. (Vergl. über Amaurosis und Krank-
heiten der Orbita.)
5. Mangel der Lider ist selten als angeborener Zustand beobachtet
worden; Zerstörung derselben kann auf verschiedene Weise zu Stande
kommen, nach Verletzungen, durch Krebs, durch Lupus, durch Lues. Nach
den letztern beiden Affeetionen und nach Verbrühungen wird auch die
Blepharoplastik, das einzige noch übrige Mittel, nicht selten unausführbar,
weil die Haut weit über den Orbitalrand hinaus zerstört erscheint.
6. Einen angeborenen Fehler au den Lidern hat von Amnion (Zeit-
schrift, I. S. 533) unter dem Namen Epicanthus (y.avO-og der Winkel) be-
schrieben. Er kommt — nach meinen Beobachtungen — nur bei sehr
flachem Nasenrücken vor, und besteht darin, dass vor jedem innern Augen-
'winkel eine Hautfalte vom obern zum untern Lide gespannt verläuft. Will
das Individuum von dieser Entstellung befreit sein, so excidire man, nach
Amnions Angabe, mitten auf der Nase einen Hautstreifen, vertical, etwa
1" lang und 3 — 5'" breit, und vereinige die Wunde durch die blutige
Naht, wodurch die Hautfalte vor dem innern Augenwinkel ausge-
glättet wird.
XI. Buch.
Die Thränenorgane«
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Ausschliesslich zur Bildung- und Fortleitung- der Thränen dienen die
Thränendrüse mit ihren Ausführungsgängeri und der Thränenschlauch mit
den Thränenröhrchen ; die zwischen beiden Organen eingeschobenen Lider
betheiligen sich durch das Bindehautsecret an der Bildung, und durch die
Form, Lage und Bewegung der Lider an der Fortleitung der Thränen-
flüssigkeit.
I Die Thränendrüse gehört zu den acinösen Drüsen und stimmt
im Baue mit den Speichel- und Milchdrüsen überein. In der Thränen-
drüsengrube und unmittelbar hinter der Augenlidbinde gelegen , wird ihr
oberer, bei weitem grösserer Theil durch eine von der Audenlidbinde rück-
wärts laufende Fascie (Lig. Sömmeringi) an den Stirnknochen befestigt,
während der unter dieser Fascie gelegene kleinere Theil bis zum con-
vexen Rande des Knorpels herabreicht und von der Bindehaut nur durch
jene dünne Fascie getrennt wird, die als Unterlage der Bindehaut vom
Lide zum Bulbus streicht. Die obere Partie misst von vorn nach hinten
9'", in der Breite 5—6'", in der Dicke 21/„///, die untere ist 4— 5'" lang
(von der Schläfe gegen die Nase), 3'" breit (von vorn nach hinten), \'"
dick. Hat man die Lidbinde längs des Orbitalrandes (in der äussern Hälfte)
eingeschnitten, so kann man die obere Drüse mit dem Scalpellhefte leicht
von der Beinhaut ablösen, wenn man die Vertiefung, die hier der Knochen
bildet, gehörig berücksichtigt. — Die grösstenteils für diese Drüse be-
378 TliräiBeiiorgaiie.
stimmte Thränendrüsenarterit kommt von der Art. ophthalmiea, ausnahms-
weise durch die obere Augenhöhlenspalte von der Art. meningea media,
und dringt in die obere Drüse von deren unteren, etwas concaven Fläche,
in die untere vom hintern Rande her ein. Die Vena labrym. führt in die
Vena ophthalmiea. Der Nerv, lacrym. ist ein Zweig vom 1. Aste des N.
trigeininus. — Die Ausführungsgänge, wegen ihrer Feinheit erst in spätem
Zeiten mit Sicherheit nachgewiesen, 6 — 10 an Zahl, münden in den Binde-
hautsack nächst dem convexen Rande des obern Lidknorpels (im äussern
Drittel desselben).
Die Thränendrüse liefert wahrscheinlich den grössten Theil der Flüs-
sigkeit, welche den Bulbus befeuchtet. (Vergl. I. B. S. 6.)
Ich habe im Sommer 1854 Gelegenheit gehabt, einen jungen Mann zu beobachten,
bei welchem eine wahre Thränendrüsenfistel bestand. Die Bindehaut war in Folge von
Lupus grösstentheils zerstört; in der Gegend des äussern Augenwinkels bestand eine
kleine, von Schleimhaut eingesäumte Öffnung, aus welcher beständig eine wasserklarc
Flüssigkeit aussickerte. Diese wurde mittelst kleiner Sauggläschen aufgefangen; man
konnte in einer halben Stunde, besonders wenn man den Bulbus an der mit trockenen
Borken besetzten Hornhaut rieb, beinahe 10 Gran Flüssigkeit gewinnen. Dieselbe re-
agirte schwach alkalisch, schmeckte salzig, und hatte ein speeifisches Gewicht von 1,0086
bei 20° Celsius. Das Mikroskop zeigte in derselben ausser einer geringen Menge von
Epitelien keine andern morphologischen Bestandteile. Die qualitative Analysis, unter
der Leitung des Herrn Dr. Lerch vorgenommen, ergab: Wasser, Chlornatrium, Albumin-
natron und Spuren von Fett. Der von Chlornatrium befreite Rückstand enthielt nach dem
Verbrennen: kohlensaures Natron, schwefelsauren und phosphorsauren Kalk und Magnesia
Die quantitative Analyse gab in 100 Tbeilen: 98,223 % Wasser, 1,257 % Chlornatrium
n ton o/ I Albumin = 0,504 %, c v ,.
O,o20 % > i/o? Spuren von rett.
i Salze = 0,016 %,
II. Der Thräiienschiaucli, ein häutiger Kanal von 3/4 — 1 Zoll
Länge, vermittelt im Verein mit den Thränenröhrchen die Communication
des Bindehautsackes mit dem untern Nasengange. Er verläuft vom innern
Augenwinkel zur Seite der Nasenhöhle zwischen dieser und dem vorder-
sten Theile der Augen- und Highmorshöhle beinahe gradlinig herab, je-
doch nicht senkrecht, sondern stark nach hinten und ein wenig nach
aussen abweichend.*) Er wird durch eine deutliche Einschnürung, oll
durch eine förmliche Falte, in eine obere weitere und untere engere Partie,
den Thränemack und Thränennasengang geschieden.
Der Thränemack liegt in der Thränonsaekiinne, welche vom Thra-
nenbein und vom Stirnfortsatze des Oberkieferknochcns gebildet wird, und
*) Der Winkel, den der Thränenschlauch durch seine Abweichung nnoh hinten mit dem Boden dei Nasenhöhle bil-
det, l.eirrigt im Mittel 6.S"; der durch die seitliche Dcclination gebildete Winkel Mir verticalen Hedianebene
schwankt zwischen o und 10°
Anatomie. 379
ist in der vordem Hälfte seines Ümfanges bloss von Weichgebildeh be-
deckt. Indem die Beinhaut sich von der vorspringenden Leiste des ge-
nannten Fortsatzes über die vordere äussere Wand desselben bis zum Thrä-
nenbeinkamme fortsetzt, und mit der eigentümlichen Haut des Thränen-
sackes innigst zusammenhängt, umschliesst sie denselben ringsum, hält ihn
am Knochengerüste fest und verstärkt seine Resistenz. Nur nach unten-
aussen entfernt sich die Beinhaut von dem in den Nasengang hinabstei-
genden Thränenschlauche , indem sie auf die genannte Leiste übergeht;
auf diese Weise entsteht ein mehr weniger grosser , bloss von lockerem
Bindegewebe ausgefüllter Raum zwischen Beinhaut und Thränenschlauch,
gegen welchen hin der Thränensack bald mehr bald weniger ausgestülpt
erscheint, und eine Art Sinus oder Blindsack bildet. An der vordem oder
Antlitzfläche wird die Wandung des Thränensackes noch durch Fasern der
Augenlidbinde verstärkt , welche sich in einer von unten-aussen schräg
nach oben-innen aufsteigenden Linie anheftet. Der hinter der Augenlid-
binde liegende Theil der bloss häutigen Wandung des Thränensackes sieht
gegen das Auge hin. Auf der Antlitzfläche des Thränensackes liegt der
M. orbicularis, dessen Sehne etwa 1 — l1/»"' unterhalb seines obern Endes
(Kuppel) quer über ihn wegstreicht und mit ihm fest zusammenhängt. Die
von der obern und untern Fläche dieses sehnigen, mit dem vordem Rande
etwas abwärts gekrempten Bändchens von circa 3'" Länge entspringenden
Muskelfasern sind auf dem Thränensacke in der Regel {'" mächtig, wäh-
rend die darüber liegende Cutis fettlos und fast papierdünn ist. Die Augen-
höhlenfläche des Thränensackes wird von jenen Muskelfasern bedeckt,
welche von der Crista lacrymalis aus vorwärts verlaufen, die Thränen-
röhrchen zwischendurch treten lassen, und mit den weiter vorn entsprun-
genen Fasern des Orbicularis sich vereinen; sie sind von Homer als be-
sonderer Muskel (des Thränensackes) beschrieben worden. An dieser
Fläche ist der Thränensack vom Bindehautsacke und von der Thränen-
karunkel durch Orbitalfett geschieden. Die Durchmesser der länglich-ei-
förmigen , jedoch von vorn-aussen nach hinten-innen abgeplatteten Höh-
lung des Thränensackes sind: von oben nach unten 5'", von vorn nach
hinten-aussen 2'", von aussen nach innen-hinten V". Bei hohem Nasen-
rücken ist der Thränensack geräumiger und die Antlitzfläche desselben
schmäler, als bei Plattnasen; bei jenen ist die Abdachung der vordern-
äussern Wandung von der Leiste des Oberkiefernasenfortsatzes steil, bei
diesen mehr flach. Da wo die Antlitz- und Augenhöhlenfläche zusammen-
stossen, und zwar hinter dem Augenlidbande, inseriren sich die Thränen-
röhrchen. Die hintere und innere Wandung des Thränensackes geht un-
380 Thräiienui-gaiie.
mittelbar in den Thränennasengang über, die vordere und äussere erst
nach Bildung eines mehr weniger tiefen Sinus oder Blindsackes , dessen
wir schon erwähnten. Der Durchmesser der Ausmündting in den Nasen-
gang variirt zwischen 3/4 und 5/4'", während der Nasengang unterhalb
dieser Stelle allinälig weiter wird.
Der Thränennasengang ist die unmittelbare, zunächst durch die eben
angedeutete Verengerung oder Einschnürung abgegrenzte Fortsetzung des
Thränensackes. Sie ist mehr walzenförmig, wenn gleich noch immer etwas
seitlich abgeplattet, und grösstentheils in dem 3 — 4"' langen Knochen-
kanale eingeschlossen , welcher im Oberkiefer zwischen der Nasen- und
Kieferhöhle herabsteigt. Unterhalb der Anlagerung der untern Nasen-
muschel, wo der Knochenkanal endet, erstreckt sich der häutige Nasen-
gang, beträchtlich weiter werdend , an der äussern Wandung der Nasen-
höhle zwischen Knochen und Schleimhaut noch eine Strecke von 2 — 4"'
herab, und durchbohrt letztere unter einem mehr-weniger spitzigen Winkel
mit einer relativ engen Öffnung, welche, wenn sie sehr eng ist, das blind-
sackige Ende des Thränennasen ganges vor dessen Mitte durchbohrt. Die
innerste Portion des Nasenganges ist demnach an der Innenfläche von einer
mehr weniger breiten Schleimhautfalte gebildet, während sie an der Aussen-
seite am Knochen liegt und ohne Faltung in die Nasenschleimhaut übergeht.
Die Nasenmündung des Thränenschlauches liegt 1 — l1/**" rückwärts
vom Eingänge in die Nase (unten vom Nasenloche gerechnet), und 3 — 5"'
über dem Boden der Nase. Sie ist jederzeit von oben nach unten länger,
als in die Quere f uncj varjjrt zwischen einer Art Ritze oder Spalte von
3/4/// Länge und 2/5"' Breite bis zu einem Oval von %'" Länge und 1 bis
1 1/,2'" Breite. Je kleiner diese Öffnung, desto tiefer liegt sie (und umge-
kehrt), und desto breiter und dünner ist die Schleimhautfalte, welche den
untersten Theil der innern Wandung bildet. Diese Duplicatur oder Klappe
liegt, wenn die Mündung nicht hoch oben und von V" Durchmesser oder
darüber ist, immer an der äussern Wandung an, weil sie selbst sehr dünn
(bisweilen wie feines Papier), und weil die Schleimhaut hier stets mit einer
zähen, eiweiss- oder sulzähnlichen Flüssigkeit überzogen ist. Man ist da-
her an Cadavern auch nach Entfernung der untern Nasenmuschel sehr oft
nicht im Stande, die Mündung zu sehen, wenn mau nicht erst jenes Seeret
sorgfältig abgewischt hat. In mehreren Fällen fand ich eine Furche oder
Rinne in der Schleimhaut der äussern Nasenwand , welche gleichsam als
Fortsetzung des Thränennasenganges, erst abwärts, dann bogenförmig vor-
wärts gegen das Nasenloch verlief; in einigen Fällen war diese Rinne
gegen %'" tief.
Anatomie. 381
Der Thronen schlauch wird von einer eigenthi&nlichen, weissen, ziem-
lich festen, aus Iongitudinal , quer und spiralförmig verlaufenden Binde-
gewebsfasern zusammengesetzten Membran gebildet, welche innen mit der
Schleimhaut verschmilzt, aussen mit der Beinhaut verbunden ist. Die Bein-
haut hängt fesler am Thränenschlauche, als am Knochen, daher Sunden
selir leicht zwischen ihr und dem Knochen fortgeschoben werden können.
Die innere Wandung der in die Nasenhöhle hinabreichenden Portion be-
steht bloss aus einer dünnen Schleimhautduplicatur. Die Schleimhaut zeigt
im Wesentlichen dieselben Eigenschaften, wie die Schneider'sche Haut der
Nasenhöhle; sie ist überall7 mit Ausnahme der genannten Duplicatur, ohn~
gefähr 72"- dick, sehr gefässreich und daher röthlich, weich, gleichsam
schwammig und mit kleinen Hügelchen besetzt, mit zahlreichen Schleim-
drüschen versehen. Im Thränensacke zeigt sie hie und da kleine Fält-
chen und erscheint in den meisten Cadavern etwas blasser; im Nasengang
sieht man oft grössere Follikel, deren Mündung, mitunter bis i'" lang,
meistens ab-, selten aufwärts gerichtet ist.
Um sich üher die' anatomischen Verhaltnisse am Thränensacke zu unterrichten, ent-
ferne man zuerst ein Stück Haut, etwas grösser, als der Umfang des Thränensackes,
dann die Fasern des M. orbiculaiis, unterhalb der Sehne desselben. Nun hat man eine
weisse sehnige Membran vor sich, welche die Antlitzflache des Thränensackes deckt.
Von der Mitte des Augenlidbandes sieht man eine weisse Linie nach unten-aussen bis
zum scharfen Orbitalrande nächst der Insertion des M. obl. inferior streichen. An die-
ser Linie hängt die Fascia tarso-orbitalis mit dem Thränensack zusammen. Hinter ihr
streicht die Orbitalfläche der häutigen Wandung des Thränensackes rückwärts zur Crista
lacrymalis. An der Antlitzfläche ist der sehnige Überzug des Thränensackes, den
man uls Fortsetzung der Beinhaut über den Thränensack betrachten kann, stärker als
an der Orbitalfläche. Schneidet man die Sehnenhaut der Antlitzfläche in der Richtung
der genannten Linie ein, so kann es leicht geschehen, dass man mit dem Messer wohl
durch die genannte Sehnen-, nicht aber durch die Schleimhaut des Thränensackes
eindringt, besonders in der untern Hälfte dieser Strecke, denn in dieser ist der Zusam-
menhang zwischen der Sehnen- und Schleimhaut oft ein sehr lockerer , weil sich letz-
tere von ersterer entfernen muss , um in den weiter hinten gelegenen Eingang zum
Thränennasencanale zu gelangen. Eben dieses Auseinanderweichen der beiden Mem-
branen scheint die buchtige Erweiterung des Thränensackes nach unten, vorn und aussen
zu begünstigen, bisweilen zu einem förmlichen Divertikel, ohne dass man berechtigt
ist, diess schon als krankhaft anzusehen, weil geringere Grade davon fast constant vor-
handen sind.
Um den Thränenschlauch in seinem ganzen Umfange ohne Formveränderung über-
sehen zu können, muss man ihn von seiner Innenseite aus bloss legen und öffnen.
Nach Entfernung des Schädelgewölbes sammt dem Gehirne, des Unterkiefers und der
hintern Schädelhälfte durchsäge man den Kopf von vorn nach hinten. Zuerst führe man
einen Schnitt durch die Weichtheile an der Antlilzfläche in einer geraden Linie, welche
von der Stirnglatze am innern Ende des Ligam. palp. intern, und knapp am Nasenflügel
3S2 Thräiienorgane.
herahstreicljt, also oben der Medianebene näber liegt, als unten. Dann führe man die
in diesem Schnitte angelegte Säge so, dass sie beim tiefern Eindringen knapp an der
innern Wandung des Thränenschlauches vorbeistreicht. Es wird nun nicht schwer sein,
mit Meisse! und Knochenscheere die dünne Knochenplatte zu entfernen, welche den
Thränenschlauch von innen deckt, und den blossgelegten Schlauch dann aufzuschlitzen,
zunächst nur von oben bis zur Ansatzlinie der Nasenmuschel. — Ist letztere nicht schon
beim Durchschneiden mit fortgenommen worden, so excidire man ihre vordere Hälfte
bis an die Wurzel, deren Beseitigung man lieber erst später vornimmt.
Ich finde die alte Eintheilung des Thränenschlauches in Thränensack und Nasengang
trotz des Widerspruches von Osborne *) und Hasner **) gerechtfertigt, weil ich mich
durch eigene Untersuchungen überzeugt habe, dass u. A. Huschke's ***) Angabe ganz
richtig ist: „Die Stelle des Überganges des Thränensackes in den Thränennasengang
wird durch eine schwache Verengerung, zuweilen auch durch eine im Innern hervor-
springende Falte der Schleimhaut, aus welcher beide gebildet sind , bezeichnet." Um
ganz sicher zu gehen , ersuchte ich Herrn Prof. Bochdalek, mir den ganzen Thränen-
schlauch sammt den Thränenröhrchen mit Wachs zu injiciren. Mehrfache Injectionen
bestätigten genau , was ich auch ohne sie oft gesehen hatte. Eben so haben mir auch
Durchschnitte von gefrornen oder in Chromsäure erhärteten Köpfen sehr instruetive Prä-
parate geliefert, welche den Vergleich des Thränenschlauches mit einem umgestürzten
Flaschenkürbis (Hasner) als völlig unpassend darthun. Der Thränennasengang, deutlich
vom Thränensacke durch eine mehr weniger beträchtliche Einschnürung abgeschieden,
wird abwärts allmälig weiter und bildet vor seiner relativ engen Ausmündung in die
Nase in den meisten Fällen eine bedeutende Erweiterung oder Tasche , welche sich be-
sonders nach hinten weit ausdehnt, und gegen welche die Öffnung in die Nasenhöhle
sehr klein erscheint. Manchmal ist der Nasengang unten viel weiter, als der Thränensack.
In den Thränensack münden sich die Thränenröhrchen, ein oberes
und unteres, dünne häutige Canälchen von 3 — 4'" Länge und etwa 1/3">
im Lichten. Jedes derselben beginnt am Nasenrande des Lidknorpels mit
einer punktförmigen Öffnung, dem Thränenpunkle, mitten in einer kleinen
warzenähnlichen Erhabenheit, dem Thränenwärzchen , dringt zuerst senk-
recht zwischen der Cutis und Conjunctiva etwa 3/4"' tief ein, genau an
das Ende des Lidknorpels angefügt, durch denselben steif erhalten, und
vor Compression geschützt, wendet sich dann, etwas weiter werdend, fast
rechtwinklich einwärts, den Schenkeln der hufeisenähnlichen Hautfalte fol-
gend, welche die Thränenkarunkel umschliesst, und senkt sich sofort hinter
der äussern Hälfte des Augenlidbandes in den Thränensack ein, gemein-
schaftlich mit dem andern, meistens jedoch durch eine Schleimhauldupli-
catur getrennt. Indem sie die Thränensackwandung schief durchbohren,
erscheint ihre Mündung, von innen her angesehen, durch ein Schleiinhaut-
fällchen gedeckt, auf ähnliche Weise, wie die Harnleiter beim Einmünden
") Darstellung des Apparates der Thränenableilunff, Prag 1835.
*•) Beiträge zur Physiologie and Pathologie des Thränenableitungsappamles, Prag 1850.
•**) Gingeweidelehre, Leipzig 1814.
Physiologie. 383
in die Harnblase. Ihre Öffnung am Thränenwärzchen ist stets dein Bulbus
zugewendet, und wird erst bei etwas abgezogenem Lide sichtbar.
Die Thränenröhrchen werden von einer ähnlichen, jedoch viel dünnern
Membran wie der Thränensack gebildet, welche in den Thränenwärzchen
zu einem derben weissen Ringe anschwillt, wodurch ihre Mündung stets
rund und offen erhalten wird. Ihre schleimhäutige Auskleidung ist analog
der Bindebaut äusserst dünn, glatt und blass, ohne Flinnnerepitel. Aussen
sind die Thränenröhrchen von Fasern des M. orbicularis (et Hörnen) um-
geben, an welche sich die Cutis anschmiegt; nur hinten-oben scheint
die Bindehaut (so weit sie reicht) unmittelbar an ihnen anzuliegen. Eine
schwarze Borste, in dieselben eingeführt, scheint besonders durch die
Bindehaut deutlich durch.
Durch die Thränenröhrchen und den Thränenschlauch treten fort-
während Thränen in den untern Nasengang. Blut oder andere gefärbte
Flüssigkeiten gelangen in kurzer Zeit aus dem Bindehautsacke in die Nase.
Das Secret der Thränendrüse und der Bindehaut ist auch im ruhigen
Zustande, d. h. wenn die Secretion nicht durch besondere Reize gestei-
gert wird, immer in grösserer Menge vorhanden, als durch Verdunstung
und Absorption an der Bindehaut verbraucht wird. Immer ist ein Über-
schuss zur Aufnahme für die Thränenpunkte vorhanden.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass an dem stets feuchten Bulbus beständig eine ge-
wisse Menge von Flüssigkeit verdunstet, um so mehr, je trockener die Luft ist, und je
mehr frische Luftschichten rasch nach einander mit dem Bulbus in Berührung kommen.
Es "ist auch nach den lebhaften Resorptionserscheinungen, welche die Bindehaut zeigt,
anzunehmen, dass ein Theil derselben von ihr absorbirt werde. Es lässt sich aber auch
bestimmt nachweisen, dass immer noch ein Überschuss zur Absorption für die Thränen-
punkte übrig bleibt. Bevor wir die beweisenden Thatsachen hiefür anführen, müssen wir
noch erinnern, dass die Secretion der Thränen nicht nur durch gewisse Gemüthsaffecte,
sondern auch durch Reizung der Bindehaut, der Cutis an den Lidern, der Schleimhaut
in der Nase und im Thränenschlauche, durch grellen Lichteinfluss und Reizung des Tri-
geminus gesteigert werde; wir müssen insbesondere noch hervorheben, dass der Augen-
lidschlag selbst in directer Beziehung zur Thränensecretion steht, so dass häufiges Blin-
zeln oder anhaltend spastische Contractionen des Orbicularis auf ähnliche Weise ver-
mehrte Secretion bewirken, wie das Kauen und Saugen bei den Speicheldrüsen. — Das
Thränenträufeln bei Blennorhöe des Thränensackes, bei Thränensackfistel u. s. w. kann
nicht als Beweis für die oben aufgestellte Behauptung benutzt werden, weil dasselbe
ebensowohl von Hypersecretion in Folge des gereizten Zustandes als von gehinderter
Fortleitung der Thränen abgeleitet werden kann. Aber es sind Fälle bekannt, wo die
thränenableitenden Organe ohne alle Spur von Reizung undurchgängig waren und Thrä-
nenträufeln bestand. So habe ich einen Fall beobachtet, wo die Thränenröhrchen von
einer Glasscherbe durchschnitten worden und sofort verwachsen waren, und wo ohne alle
Spur von Reizung nach mehreren Monaten noch Thränenträufeln den Verwundeten be-
384 Thräiieiiorgane.
lastigte. — Eine viel öfter vorkommende und meines Erachtens völlig eempetonte Tat-
sache ist das Vorkommen von Thränenträufeln bei Lähmung des N. facialis. Ich bin von
Kranken wegen Thränenträufeln consultirt worden, bei denen ich durchaus keine Ursache
dieses Übels auffinden konnte, bis ich die Lider fest schliessen liess und fand, dass der
Orbicularis zwar noch nicht seine ganze Function, aber doch bereits an Energie einge-
büsst hatte. Noch erfolgte der Schluss des Auges, noch schlössen die Lider an den Bul-
bus, und doch war bereits Thränenträufeln vorhanden , weil — wie wir später zeigen
werden — wegen Paresis des Orbicularis die Thränen nicht mehr fortgeleitet weiden
konnten. Hier kann durchaus von keiner Hypersecretion , sondern nur von gehinderter
Fortleitung die Rede sein. — Man kann übrigens bei jedem Menschen, sowohl am obern
als am untern Lide eine Flüssigkeitssäule sehen, welche in der Rinne steht, die durch
das Anliegen des Lidrandes an den Bulbus gebildet wird. Sie reicht vom äussern Winkel
bis zur halbmondförmigen Falte, z. B. bei gradaus gerichtetem Blicke bis zu den Thrä-
neii punkten, welche sich bei dieser Stellung gerade an die Rinne legen, die durch das
Anschmiegen der halbmondförmigen Falte an den Bulbus gebildet wird. Ebenso sind
die halbmondförmige Falte und die Karunkel immer nicht bloss feucht, sondern deutlich
mit Flüssigkeit bedeckt, was dieser Gegend schon in alten Zeiten den Namen Thränensee
verschafft haben mag. — Ich kann demnach der Annahme von Ihjrtl u. A., dass der
Thränenahleitungsapparat nur bei erhöhter Thränensecretion, beim Weinen, beim Über-
gänge in die Kälte u. dgl. in Anspruch genommen werde, durchaus nicht beistimmen,
und bin überzeugt, dass fortwährend nicht nur Secretion, sondern auch Fortleitung
überschüssiger Thränen stattfinde. Es fragt sich nur, tote die Fortleitung erfolge.
In die Flüssigkeitssäulen längs des obern und untern Lides und im
innern Winkel sind die stets offenen Thränenpunkle continuirlich einge-
taucht, dalier auch die kapillären Thränenröhrchen stets mit Flüssigkeit
gelullt. Luft, mit Gewalt in diese Röhrehen eingepresst, muss schon nach
einigen Contraetionen des orbicularis et Horneri ausgetrieben werden, und
im normalen Zustande lässt sich niemals Luft in den Thränenröhrchen auflinden.
Die senkrechten Anfangsstücke der Thränenröhrchen werden vermög ihrer Fügung
an das quer abgestützte Knorpelende durch die darüber laufenden Muskelfasern wohl au
den Bulbus angedrückt, niemals jedoch conipriuiirt. Es ist irrig, wenn man angibt, beim
Lidschlusse werden die Thfänenwärzchen vorgeschoben, etwa wie die Fühlhörner einer
Schnecke. Ein solches scheinbares Hervortreten bewirkt man nur , wenn das Lid mit
dem Finger abgezogen, und nun der Versuch gemacht wird, die Lider zu schliessen.
Eben so wenig, wie von einem isolirten Hervortreten, konnte ich mich je von einer
spontanen oder durch Reizung bedingten Verengerung oder Erweiterung der Thränen-
punkte überzeugen. Die Tlräneuwärzchen verhalten sich bei dem Acte der Thränen-
fortleitung rein passiv, wie die Enden von Capillarröhrchen. Wenn auch die Thiäncii-
röhrchen besonders an der knieförmigen Umgebung etwas weiter werden, selbst bis zu
2/3'" im Lumen, so bleiben sie trotzdem immer noch einfache Capillarröhrchen, stets von
Flüssigkeit gefüllt und dieselbe festhaltend, so lange ihnen ihr Contenttim nicht von
aussen her oder durch Compression entzogen wird. Eine solche Compression können
die unmittelbar auf ihnen liegenden Fasern des Seh liess- und Horner'schen Muskels in
ihrer mittleren Portion üben, indem sie beim Lidschlusse kürzer und dicker werden. Die
Ausmündung der Thränenröhrchen in den Thränensack, hinter oder etwas unterhalb der
Physiologie. 385
innen) Hälfte des Augenlidbandes gelegen, kann beim Lidschlusse nicht coniprimirt wer-
den. Es ist wenigstens Thatsache, dass manche Menschen durch heftiges Schneuzen
Flüssigkeit und seihst Luft durch die Thränenpunkte austreiben können (bei offenen oder
doch nicht fest verschlossenen Lidern), ohne Zeichen eines Thränenschlauchleidens dar-
zubieten, und dass bei Blennorhöe des Thränensackes in der Regel das trübe Conlentum
desselben durch die Thränenröhrchen in den Bindehautsack gedrückt werden kann. Ein
ventilähnlicher Verschluss des Thränensackes durch die Schleimhautfalte an der Einmün-
dung der Thränenröhrchen in denselben kann also nicht angenommen werden, und die
Thränenrührchen sind somit als beiderseits stets offene, in der Mitte etwas weitere und
comprimirbare Capillarröhfchen zu betrachten.
Auch der Thränenschlauch, von der Kuppel des Thränensackes bis
hinab zur Naseninündung, ist gewiss nicht mit Luft, sondern mit Flüssig-
keit gefüllt. Diese besteht nicht bloss aus Thränen, sondern auch aus einer
ziemlich dicken, der Schleimhaut anhaftenden Lage eiweissähnlichen Secretes.
Es existirt demnach vor der Nasenmündung des Thränenschlauches bis zu
den Thränenpunkten und von da bis zum äussern Winkel (längs der Lid-
ränder) eine continuirliche Flüssigkeitssäure, welche, wie wir weiter zeigen
werden, durch den Lidschlag zum allmäligen Weiterrücken gegen die Nase
hin bestimmt wird.
Von dem Vorhandensein eines schleim- oder eiweissähnlichen Überzuges imThränen-
schlauche kann man sich an jedem Cadaver überzeugen. Sehr oft fand ich auch noch
Thränenflüssigkeit in dem Thränensacke, wenn ich ihn so eröffnete, dass er dabei nicht
coniprimirt wurde. Man hat bisher bei Aufstellung physicalischer Theorien über die
Fortleitung der Thränen weder das continuirliche Vorhandensein fortzuleitender Flüssig-
keit durch Thatsachen nachzuweisen unternommen, noch auch die Frage, ob der Thränen-
schlauch Luft oder Wasser enthalte, bestimmt aufgeworfen, geschweige denn zu beant-
worten gesucht. Gleichsam als selbstverständlich setzen die Einen Wasser voraus (Heber-
theorie), die Andern Luft (Aspirationstheorie). Schon aus den oben angeführten Dimen-
sionen des Thränenschlauchlumens ergibt sich als höchst wahrscheinlich, dass derselbe
mit Flüssigkeit gefüllt sein werde. Das im Cadaver gemessene Lumen muss wohl wäh-
rend des Lehens, wo die sehr blutreiche, gegen V2'" dicke Schleimhaut turgescirt, noch
als etwas geringer angenommen werden. Durch die an der Schleimhaut haftende zähe
Schleimschicht wird es noch mehr vermindert, so dass man den ganzen Canal als ein
so enges Rohr zu betrachten berechtigt ist, in welchem sich die Attraction fester auf
flüssige Theile geltend macht. Die Nasenmündung ist wahrscheinlich immer durch Flüs-
sigkeit geschlossen, was jedoch nicht hindert, dass bei extrem-heftiger Exspiration (Mund
und Nase verschlossen) ein oder das andere Luftbläschen durchgetrieben werden kann.
Diess sind jedoch nur Ausnahmen, vielleicht nur bei etwas weiterer oder krankhaft ver-
änderter Nasenmündung möglich. — Direct beweisend, dass im Thränensacke keine Luft
sei, scheint mir ein Experiment, dessen Hasner im gegenteiligen Sinne erwähnt. Wenn
man bei festem Verschlusse des Mundes und der Nase möglichst stark inspirirt, so sinkt
die Gegend des Thränensackes nicht ein, und sie erheht sich nicht bei eben solchem
Exspiriren. Ich habe viele Ärzte zu diesem Experimente aufgefordert; wir konnten nie
weder ein Sinken noch Heben wahrnehmen. Auch empfand keiner von uns in dieser
Arlfs Augenheilkunde III, 2. 25
386 Tliräneiiorgane.
Gegend ein Gefühl von Spannung wie etwa am Trommelfelle. Man muss aber bei die-
sem Experimente die Augen offen halten und auf einen bestimmten Punkt richten lassen,
weil sonst synergische Contractionen des M. orbicularis oder Bewegungen des Bulbus
Täuschungen veranlassen können. Bei Einigen trat während forcirter Exspiration ein
oder das andere Luftbläschen (nie ein Luftstrom) unter hörbarem Knistern aus dem Thrä-
nenpunkte, bei dem einen links, bei dem andern rechts, obwohl durchaus kein Unter-
schied zwischen beiden Augen, überhaupt keine Abnormität in der Thränenleitung wahr-
genommen werden konnte.
Der M. orbicularis, der Augenlidschlag ist das Agens und der Regu-
lator für die Fortleitung der Tliränen in die Nase. Im Momente des
Augenlidschlusses wird der Thränensack sammt den Thränenröhrchen etwas
comprimirt durch die Anschwellung der contrahirten Muskelfasern des^ Or-
bicularis und durch die gleichzeitig erfolgende rückwärts ziehende Wir-
kung des Horner'schen Muskels. Sind die Wandungen des Thränensackes
hinreichend resistent, und ist das Contentum desselben incompressibel, so
muss eine entsprechende Menge davon entweichen, natürlich dorthin, wo
gar kein oder ein relativ geringerer Widerstand obwaltet. Diess geschieht
im normalen Zustande nach dem Thränennasengange hin, in welchem also
die Flüssigkeit fortrücken, und aus welchem ein Tröpfchen in die Nase
treten muss. In dem Momente, wo mit der Öffnung der Lidspalte die
Compression der Thränenröhrchen und des Thränensackes nachlässt, und
der Thränensack sein eigentliches Lumen wieder gewinnt, muss Flüssig-
keit aus dem Thränensee nachrücken, um den leeren Raum zu füllen. Es
ist einleuchtend, dass ein Zurücktreten von der Nase her nicht statt linden
kann, weil sonst eine lange Flüssigkeitssäule gehoben werden, und die
bereits in die Nasenhöhle gelangte Portion wieder eindringen müsste. Auf
diese Weise werden die Thränenwärzchen zu Saugwärzchen. Die in der
Rinne zwischen jedem Lidrande und dem Augapfel befindliche und durch
Adhäsion an den festen Theilen festgehaltene Flüssigkeit kann nur durch
die angegebene Assuction der Thränenröhrchen, niemals aber, wie ge-
wöhnlich angenommen wird , durch die Bewegung der Lider als solche,
durch Erfolgen des Abschlusses der Lidspalte vom äussern zum Innern
Winkel hin und zum Fortrücken gegen den innern Winkel gebracht, ge-
schweige denn in die Thränenröhrchen, welche gefüllt und capillär sind,
hineingepresst werden.
Dass der Thränensack im Momente des Lidschlusses comprimirt werde, folgere ich
nicht bloss aus anatomischen Thatsachen als möglich und wahrscheinlich, sondern auch
aus vielfältigen Beobachtungen von Thränenfisteln als wirklich. Befindel sich in einer
Fistelöffnung Flüssigkeit^ so sieht man sie im Momente des Lidschlusses steigen, im Mo-
mente der Lidöffnung fallen. Besonders instruetiv sind Fälle, wo die Grösse der Öffnung
gestattet, in die Tiefe, bis an die Öffnung der häutigen Wandung des Thränensackes
Physiologie. 387
selbst zu blicken. Man übersehe dabei nicht, dass im Momente des Lidschlusses auch
die Thranenrührchen comprimirt werden müssen , demnach in diesem Momente keine
Flüssigkeit vom Bindehautsacke nachrücken oder gar hineingepresst werden kann. Dass
der Lidschluss vom äussern zum innern Winkel erfolge, ist eine blosse Annahme; eben
so wem'"" lässt sich beweisen, dass die Lidspalte dabei vorn hermetisch abgeschlossen
werde. Das Eintreten von Flüssigkeit in die Thranenrührchen kann absolut erst nach
vorübergegangenem Lidschlusse erfolgen, nicht während desselben.
Dass aber die Fortleitung der Thränen von der Action des M. orbicularis abhänge,
zeigen Fälle von Lähmungen desselben. Bei Lähmung des Orbicularis ist Thränenträu-
feln eine constante Erscheinung. Sie tritt früher auf, als die Veränderung der Stellung
der Augenlider und Thränenpunkte. Sie war in einigen Fällen das erste Symptom und
machte mich erst aufmerksam auf die übrigen Erscheinungen, welche die unvollständige
Lähmung des N. facialis beurkunden. Erst der Umstand, dass der über Thränenträufeln
klagende Kranke die Lidspalte der betroffenen Seite nicht so kräftig zu schliessen ver-
mochte, wie die andere, bestimmte mich, die Haltung der Gesichtsmuskeln genau zu
controlliren. Gerade diese Fälle sind es, in welchen das Thränenträufeln nicht als Folge
von Hypersecretion betrachtet werden kann, da die Lider noch an den Bulbus an-
schliessen ; sie sind es, welche sowohl die Heber- als die Aspirationstheorie als unhalt-
bar erweisen. — Der Bespiration kann nur insofern ein Einfluss auf diesen Vorgang zu-
geschrieben werden, als sie durch Verdampfung von Flüssigkeit an der Nasenmündung
des Thränenschlauches auf den Stand der Flüssigkeitssäule in diesem engen Canale ein-
zuwirken vermag. Wird an einem Capillarrohre der unterste Tropfen entfernt, sei es
durch Verdunstung, sei es durch Abwischen o. dg!., so muss die ganze Flüssigkeits-
säule nachrücken. Während des Schlafes scheint dieser Einfluss allein hinzureichen,
das Hinabrücken der ohnehin geringeren Menge von Secret zu bewirken, wiewohl es
noch nicht ausgemacht ist, ob nicht auch während des Schlafes von Zeit zu Zeit Con-
tractionen des M. orbicularis erfolgen. Bei kleinen Kindern habe ich mich von deren
zeitweiligem Eintreten überzeugt.
Gegen die von E. H. Weber angedeutete und von Hasner weiter ausgeführte Theorie
der Aspiration hat Hyrtl mit Becht bemerkt, dass die Thranenrührchen zu wenig steif
seien, um durch Luftdruck nicht comprimirt zu werden. Nach Hasner sollen bei jeder
Einathmung, welche mittelst der Nase zu Stande kommt, zugleich mit der Luft auch die
Thränen in den luftverdünnten Baum des Schlauches eingezogen werden. „Durch Er-
weiterung der Lungenhöhle im Moment der Inspiration wird die Luft in dem gesammten
Schlauche verdünnt, und es drängt die äussere Luft auf die Thränen im See, welche
somit in den Schlauch gelangen. Sowohl durch die aus dem Thränenschlauche in die
Nasenhöhle drängende Luft, als durch die eigene Schwere wird die Klappe (an der
Nasenmündung) bei jeder Inspiration geöffnet." „DieThränenableitung kann natürlich nur
dann vor sich gehen, wenn der Mund geschlossen ist; jedes Offnen des Mundes schliesst
die Nasenhöhle ganz von der Bespiration aus." „Das Schliessen der Lider ist zur Auf-
saugung der Thränen nicht nothwendig, schon bei massiger Verengerung der Lidspalte
tauchen beide Thränenpunkte in den See, und es steht besonders der untere jederzeit
zur Absorption der geringen Menge Flüssigkeit, welche sich an dem Lidrande angesam-
melt hat, bereit." „Im Momente der Exspiration wird die Verschliessung der am Über-
gange des Thränenschlauches in die Nasenhöhle befindlichen Klappe eine vollkommene
Isolirung beider Cavitäten von einander zu Stande gebracht." — Gegen diese Sätze s pre-
25*
388 Thräiienorgane.
chen mehrere Tbatsacben. Wir können Stunden lang bloss durch den Mund athnien,
ohne dass Thränenträufeln eintritt, während längere Unterbrechung des Augenlidschlages,
absichtlich oder bei anhaltendem Betrachten eines Gegenstandes, die Augen übergehen
macht. Ich kenne eine Frau, deren Nasenhöhle vollständig und luftdicht von der Ra-
chen- und Mundhöhle abgeschlossen ist (in Folge von Narben nach syphilitischen Ge-
schwüren), welche aber keine Spur von Thränenträufeln darbietet, obwohl kein Grund
vorhanden ist, bei ihr eine Verminderung der Thränensecretion überhaupt anzunehmen.
Nasenpolypen , welche den Luftstrom hermetisch abschliessen , machen kein Thränen-
träufeln, so lange sie nicht bis zur Conipression des Thränennascnganges vorgerückt
sind. — Ich habe mich bei einer Menge von Thränensackfisteln durch Einträufeln von
Cochenilletinclur in den Bindehautsack überzeugt, dass diese Flüssigkeit nach einigen
Augenlidschlägen in der Fistelöffnung zum Vorschein kam, obgleich die sorgfältigste
Sondirung sowohl, als gehörig angestellte Injectionen (so wie auch heftige In- und Ex-
spirationen bei Verschluss des Mundes und der Nase) völlige Undurchgängigkeit des
Thränennasenganges erwiesen. Also bei sicher gestelltem Ausschlüsse des Einflusses der
Respiration gelangt das Contentum des Bindehautsackes dennoch nicht nur in den Thrä-
nensack , sondern auch bis vor die äussere Fistelöffnung. Hierin liegt auch zugleich —
nebenbei gesagt — eine Widerlegung der Pitit'schen, auf verschieden lange Arme ge-
stützten Hebertheorie und gegen die Annahme, dass der Horner'sche Muskel den Thrä-
nensaek während des Lidschlusses erweitere. Bei der Thränensackfistel mit hermetischem
Verschlusse des Thränennasenganges sind die Verhältnisse wie im normalen Zustande,
mit dem Unterschiede , dass an die Stelle des Thränennasenganges der Fistelgang ge-
treten ist ; wie früher in die Nase, kommen jetzt die Thränen auf die Wange. — Be-
kanntlich gibt es auch Thränensackfisteln, wo sich, bei Abwesenheit jeder Spur von Ent-
zündung, aus einer haarfeinen Öffnung von Zeit zu Zeit ein Tröpfchen klarer und dün-
ner Flüssigkeit entleert, welche sich als Thränenflüssigkeit erweisen lässt. An diese
scheint Hastier nicht gedacht zu haben, als er 1. c. S. 47 behauptete: „Die dauernde
Thränensehlauchfistel sei niemals das Symptom einer Verwachsung oder Undurchgängig-
keit des Schlauches, sondern stets nur jenes der Caries des Thräncnbeins." Wenigstens
bei den längst bekannten Haarfisteln kann man mit Bestimmtheit die Anwesenheit von
Caries in Abrede stellen, obwohl auch von einer Menge anderer, lange dauernder Fi-
steln dasselbe behauptet werden muss.
Hyrll's Ansicht geht dahin, dass der Horner'sche Muskel und der M. orbicularis bei
jedem Augenlidschlage den Thränensack erweitern, und dadurch ein- Nachrucken der
Flüssigkeit bedingen, wobei noch Absperrung von der Nasenhöhle durch die Klappe am
untern Ende des Nasenganges vorausgesetzt wird. Wäre diese Ansicht richtig, so müsste
man bei Thränensackfisteln im Momente des Lidschlusses die Flüssigkeit in der Haut-
öffnung sinken sehen. Irrig ist übrigens die von Hyrtl aufgestellte Behauptung, dass bei
Dncryocystoblennostasis in der Hegel kein Thränenträufeln vorhanden sei, und dass die
Thränenröhrchen nur während des Weinens beschäftigt werden. Nach dem , was ich
beobachtet habe, kommen die Kranken mit Dacryocystoblennostasis eben nicht wegen
Schmerzen oder wegen der Geschwulst, sondern lediglich oder doch vorzüglich wegen
der Belästigung durch Thränenträufeln beim Arbeiten, Ausgehen u. dgl. zum Arzte. Dem-
nach müssen die Fälle, in welchen kein Thränenträufeln stattfindet, wohl als Ausnahmen
betrachtet werden, vielleicht dadurch bedingt, dass alimälig weniger Thränen ausgeschie-
den werden. — Mit Unrecht zeiht Hasner den Veteranen .1. 0, Richter eines Irrthums,
Physiologie. 389
wenn dieser behauptet, dass bei Blennorrhoe des Thranensackes dieser immerfort noch
durch frisch nachrückende Thränen ausgedehnt werde, „indem das Contentum des Thrä-
nenschlauches bei Dacryocyslestatis nur aus dem Schleimsecret des Schlauches selbst be-
stehe, welches hei Verschliessung der Nasalöffnung nicht ahflicsseii könne." Mir scheint,
dass der alte Richter viel genauer beobachtet und untersucht hat. Das Contentum blen-
norhöischer Thränensacke besteht in der That aus einem Gemenge von Secret des Thra-
nensackes und von Thränen. Dass trotz hermetischen Abschlusses des Thränennasen-
ganges auch bei Blennorrhoe des Thranensackes noch Flüssigkeit aus dem ßindehaut-
sacke aufgenommen werden könne, davon kann man sich überzeugen, wenn man in
solchen Fällen Cochenillentinctur in den Bindehautsack einträufelt, diese nach einiger
Zeit rein ausspült , und nun das Thiäncnsackconlcntum durch die Thränenpunkte aus-
drückt. — Nach Ross soll der Lidschluss vom äussern zum innern Winkel erfolgen , die
Flüssigkeit gegen den Thränensee und aus diesem in die Thränenröhrchen u. s. w. ger
presst werden. Wir haben schon oben bemerkt, dass diess unerwiesene Annahmen sind,
die sich wohl auch kaum je beweisen lassen werden. Beim gewöhnlichen Lidschlage
wird übrigens die Lidspalte gar nicht völlig geschlossen ; das obere Lid nähert sich dem
untern, ohne es völlig zu erreichen.
Schliesslich will ich noch hervorheben, dass die Anwesenheit von etwas Luft im
Thränensacke den oben dargestellten Mechanismus der Thränenfortleitung nicht unmög-
lich mache. Ich hatte, als ich diess niederschrieb, eben eine Patientin vor mir — und
ich erinnere mich , in einigen Fällen Ahnliches beobachtet zu haben — welche nicht
im mindesten von Thränenträufeln belästigt wird, und ihre Augen überhaupt jetzt für
vollkommen gesund erklärt, bei welcher jedoch das Entweichen von Luft aus dem Thrä-
nensacke in die Nase deutlich fühlbar ist, wenn ich den Thränensack mit dem Fh;ger
coinprimire. Diese Patientin, vor 14 Jahren von mir von einer beiderseitigen Thränen-
sackfistel nach der gewöhnlichen Methode geheilt — (Dauer der Behandlung durch 2
Jahre , zuletzt Tragen \on Bleinägeln durch beinahe 1 '/2 Jahre), — wandte sich jetzt
nicht wegen der Augen an mich, sondern wegen Tuberculosis pulmonum. Links war
ausser der Narbe keine Spur von dem frühern Leiden aufzufinden ; rechts bestand an der
Stelle der Fistel eine schon von weitem auffallende trichterförmige Einziehung der Cutis"
Aber auch hier ist kein Thränenträufeln vorhanden und auch der Thränensack ganz ge-
wiss nicht obliterirt. Das Eintreten von Luft in den Thränensack erfolgt beim Schneu-
zen, Husten u. dgl., da aller Wahrscheinlichkeit nach die Nasenüffnung des Thränen-
schlauches durch das längere Tragen der Stifte so erweitert worden ist, dass der Luft-
eintritt nicht mehr völlig abgehalten werden kann. Die zu dein oben beschriebenen
Mechanismus erforderliche Flüssigkeitssäule existirt demnach, sobald Luftblasen im Thrä-
nensacke sind, noch längs der Wandungen desselben. Es besteht keine solide, sondern
eine im Innern mehr weniger Luftbläschen haltende Flüssigkeitssäule, und diese Luft—
bläschen entweichen bei Compression der Thränensacke unter leichtem Knistern und Ge-
fühl von Prickeln im Finger. Ich selbst bin im Stande, beim starken Schneuzen Luft
durch die Thränenröhrchen auszupressen, wenn ich an heftigem Schnupfen leide, und
doch halte ich meine Thränenorgane für ganz gesund. — Ich würde diesem Gegenstande
nicht so viel Raum gewidmet haben, wenn nicht die Ansichten, die man über die Fun-
ction des Thränenschlauches hat, von so bedeutendem Eiuflusse auf die Behandlung seiner
luankheilen wären.
390 Thrfuienorgane.
B. Krankheiten.
a. Der Thränendrüse und ihrer Ausführungsgänge.
1. Die Entzündung der Thränendrüse ist mir nicht aus eigener Be-
obachtung bekannt. Ausser Joh. Ad. Schmidt*') äussern sich alle Schrift-
steller dahin, dass diese Affection eine sehr seltene sei. Die acute Form
soll sich durch Trockenheit des Auges, heftigen, tiefgreifenden Schmerz,
entzündliche Geschwulst des obern Lides und Verdrängung des Augapfels
nach vorn, innen und unten kundgeben, und mit Eiterung und Durehbiueh
des obern Lides enden. Wenn diese oder ähnliche Erscheinungen auf-
treten, wird man jedenfalls wohl zu untersuchen haben, ob sie nicht bloss
von Zellgewebs- oder aber von Beinhautentzündung und nachfolgender
Caries bedingt seien, welche gerade in dieser Gegend nicht selten vor-
kommt. Nach Makenzie (I. c. S. 89) hat Todd auch chronische Thränen-
drüsenentzündung beobachtet, mit allinäliger Vergrösserung der Drüse,
welche leicht für krebsige Entartung gehalten werden könne. Bei scro-
fulösen Individuen soll spontane, chronisch-entzündliche Vergrösserung der
Thränendrüse vorkommen. In 4 von Makenzie ausführlich mitgeth eilten
Beobachtungen (von Todd, O'Beirne, Lawrence und Daniel) wurde die
Diagnosis durch Exstirpation der taubenei- bis wallnussgrosseu Geschwulst
constatirt. In 3 Fällen davon waren heftige Schläge auf die Gegend der
Thränendrüse vorausgegangen. In keinem dieser Fälle hatte weder die
Entartung noch auch die Entfernung der Drüse Trockenheit des Auges
zur Folge; in dem letzlern soll das Auge (nach radicaler Heilung durch
die Exstirpation) fähig gewesen sein, eben so viel Timmen zu vcrgiessen,
wie das andere.
2. Schwund der Thränendrüse und fettige Entartung habe ich nur ein-
mal im Cadaver gefunden, und zwar wohl als Folge von Obliteration
ihrer Ausführungsgänge bei Trachoma. Siehe I. B. S. 128. Dass Trocken-
heit der Conjunctiva Folge von Erkrankung dieser Membran selbst, nicht
aher der Thränendrüse sei, ergibt sich aus dem, was wir S. 126,
B. I. über Xerophthalmus bemerkt haben. Vergl. unten Verödung des
Thn nensäckes.
3. Als Thränensackgeschwul.st, dacryops, haben Ad. Schmidt und
J. G. Beer eine mit wasserklarer und salzig schmeckender Flüssigkeil ge-
füllte Geschwulst an der innern Fläche des obern Lides beschrieben,
welche selbst die Grösse einer Wallnuss erreichen können soll, und beim
J I ii i rlic Krankheiten .!".-• Tnr&neiiorgans, Wien 1803.
Krankheiten der Thränendrüse. 391
Weinen grösser wird. Diese Umstände und der Sitz in der Gegend , wo
die Aüsführungsgänge der Thränendrüse liegen, bestimmten zu der An-
nahme, dass die Geschwulst als Ausdehnung eines Ausführungsgano-es in
Folge von Obliteralion seiner Mündung, oder als Ergnss von Tliränen-
flüssigkeit in das umgebende Bindegewebe nach Zerreissung eines Aus-
führungsganges zu betrachten sei. „Wenn die Geschwulst von aussen
künstlich geöffnet worden ist, und der Kranke weint, so lliesst eine be-
deutende Menge reiner Thränenfeuchligkeit aus der Öffnung, und erweist
sieh als solche durch ihren salzigen Geschmack." (Beer I. c. IL B. S. 593.)
Nach Beer ist die Krankheit nicht leicht zu heilen, weil leicht — nach
absichtlicher oder zufälliger (?) Eröffnung von aussen ein Haarfistel zu-
rückbleibe, wenn der Sack nicht vernichtet wird. Beer empfiehlt die
Blosslegung von der Bindehaut aus und das Durchziehen eines dicken
Seidenfadens. Beer führte die Enden desselben durch die Cutis und be-
festigte sie auf der Stirn; es dürfte wohl auch zulässig sein, den Faden
durch die Bindehaut ein- und wieder auszustechen, die Enden zum äussern
Winkel herauszuleiten und daselbst zu befestigen, bis die beabsichtigte
Reaetion erfolgt ist.
4. Als Eydatide der Thränendrüse beschreiben dieselben Auetoren
eine im Parenchym der Drüse sitzende Cyste, welche durch rasches
Wachsthum und Druck nicht nur dem Augapfel Gefahr bringt, sondern
selbst den Tod herbeiführen kann (eine Beobachtung von Schmidt, eine
von Beer). Vergl. Cysten in der Orbita im XII. Buche.
Eie Soldat bekam nach überstandenem Typhus stumpfen, tiefsitzenden Druck im
Auge. In der 3. Woche wurde der Schmerz heftig, erstreckte sich auf die Hälfte des
Kopfes, das Auge wurde roth und vorgetrieben. In der 4. Woche Schlaflosigkeit wegen
unerträglicher Schmerzen, Erblindung des noch stärker vorgetriebenen Auges, Vordrän-
gung der nicht geschwollenen Lider, in der Gegend der Thränendrüse eine harte Ge-
schwulst, die man für einen Steatom halten konnte. Nach einigen Tagen, ehe es noch
zu der von Ad. Schmidt beschlossenen Exstirpation kam, verfiel der Patient in einen
Zustand kvon Schlafsucht, Bewusstlosigkeit, unwillkürlicher Entleerung von Urin und
Stuhl ; einige Stunden später erfolgte der Tod. Bei der Section : die Venen und Sinus
des Gehirnes mit Blut überfüllt ; kein Erguss in den Ventrikeln. Als der Augenhöhlen-
fortsatz des Stirnbeins ohne Verletzung des Periosteums weggenommen wurde, drang
eine schwappende Geschwulst aus dem Schläfewinkel der Augenhöhle hervor. Man fand
die 3Iuskeln , den Sehnerven und die übrigen Nerven gezerrt und verlängert, die Vena
ophth. sehr ausgedehnt, die Thränendrüse kleiner als gewöhnlich, die Acini auf der Ge-
schwulst kleiner und auseinander gedrängt, die vor der Geschwulst liegenden grösser
und mehr zusammenhängend. Die Geschwulst hatte, von hinten nach vorn gemessen,
1" Durchmesser, senkrecht und transversal etwas weniger als 1". Sie drängte sich auf
das äussere Segment des Augapfels und hatte ihn gegen die Nase hin und vorwärts
392 Thräiienorgane.
verschoben. Sie hatte eine äussere und eine innere Hülle. Die äussere bestand aus
dicker Zellmembran. Zwischen ihr und der innern Hülle befand sich eine Quantität ln-
terstitialflüssigkeit. Die innere Hülle war sehr zart, halb durchsichtig und enthielt eine
klare Flüssigkeit. Die äussere Membran konnte nicht leicht von den gestreuten Acinis
getrennt werden. Die innere konnte recht gut von der äussern Hülle weggenommen •
werden. (Entlehnt aus Mahenzie 1. c. S. 103.)
b. Der 'I 'Iiräiienröhrchen und Tliränenpunkte.
Die Zeichen von Entzünditng kommen an den Thränenröhrchen sehr
selten zur Beobachtung. Nur in einigen Fällen sah ich die schleimhäutige
Auskleidung derselben an der Mündung geröthet, aufgelockert und ge-
schwellt, so dass die Thränenwärzchen merklich vergrössert und die Thrä-
nenpunkte verengert erschienen. In allen diesen Fällen war zugleich Blen-
norrhoe des Thränensackes zugegen, und die Bindehaut bot die Erschei-
n ingen von Trachoma oder von chronischer Blennorhöe dar; nur in' einem
einzigen Falle schien dieses Leiden auf die Thränenwärzchen allein be-
schränkt zu sein.
Vor Wunden sind die Thränenröhrchen vermöge ihrer Lage ziemlich
geschützt. Ad. Schmidt, J. N. Fischer u. A. erzählen Fälle, wo quer ver-
laufende Schnittwunden wieder so verheilten, dass die Durchgängigkeit der
Canälchen nicht aufgehoben wurde. Ich habe einen Fall beobachtet, wo
beide Thränenröhrchen von einer Glasscherbe durchschnitten worden wa-
ren, und die Vernarbung zu Undurchgängigkeit derselben führte, welche
sich noch mehrere Monate nachher durch Thränenträufeln kund gab. —
Bei unvorsichtigem Sondiren dieser dünnen Schläuche soll auch Zerreis-
suiig derselben vorgekommen sein.
Ich habe einen jungen Mann gesehen, bei dem in Folge heftigen Schmerzens bei
zugepressten Augenlidern Luft in das subcutane Bindegewebe ausgetreten war, unmittel-
bar nachdem er sich an einen Nagel gestossen hatte. Eine leichte, gegen 4'" lange
Hautaufschärfung, schräg von unten und innen nach oben und aussen über die innere
Hälfte des Ligam. palp. intern, streichend , deutete die Richtung an, in welcher der Na-
gel den innern Augenwinkel getroffen hatte. Es war kein Knochenbruch, auch keine
Blutunterlaufung aufzufinden. Die das untere Lid bedeutend aufblähende Luft, welche
sich unter einem eigentümlich prickelnden Gefühle (für den betastenden Finger) seit-
wärts verdrängen Hess, hatte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht den viel resistenteren
Thränensack, sondern das dünne untere Thränenröhrchen irgendwo durchrissen, als der
Verletzte bei den reichlich zuströmenden Thränen heftig schneuzte. Einen ähnlichen Fall
hat A. v. Gräfe (Archiv I. B. I. Ahth. S. 288) beschrieben. — Bei eiriem an Trachoma
conjunctivae und Blennorrhoca sacri lacrimalis leidenden alten Weibe, deren Thränen-
wärzchen die obgenannte Schleimhautwulstung darboten, riss, als ich laues Wasser in
das untere Röhrchen einspritzte, dasselbe ein und Wesa das Wasser unter die Haut des
Lides austreten. Sowohl die Luft in dem eisten, als das Wasser in dein zweiten Falle
sind nach einigen Tagen ohne weilern Nachtheil allmälig verschwunden.
Krankheiten der Thröuenröhrchen. 393
Verstopfung der Tliränenröhrchen durch kalkige Concremente, deren
Tracers u. A. gedenken, ist mir bisher nicht vorgekommen. Hasner fand
einmal im untern Tliränenröhrchen eine Cilie, welche noch so weit her-
ausragte, dass er sie mit einer Pincette fassen konnte. Convolute von
verfilzten Fadenpilzen in dem zu einer Höhle erweiterten untern Tliränen-
röhrchen, ohne anderweitige Erkrankung des Thränenschlauches fand A. v.
Gräfe (1. c. S. 284) bei einer jungen Frau. Die erbsengrosse Geschwulst
konnte für ein Gerstenkorn oder Alherom gehalten werden; die Heilung
wurde durch Incision vom Bindehautsacke aus bewirkt. Mit einer dicken,
grüngelben, schme er ähnlichen Materie ausgefüllt fand ich das untere Thrä-
nenröhrchen bei einem Manne, der seit mehr als einem Jahre an Thrä-
nenträufeln des rechten Auges litt, und fruchtlos mit verschiedenen Mit-
teln behandelt worden war.
Als ich nach der Ursache des von einer merklichen Injection der Bindehaut im in-
nern Winkel begleiteten Thränenträufelns forschte, fiel mir zunächst das Weitoffenstehen
des Thränenpunktes und weiter eine abnorme Dicke des Lides an der Stelle auf, wo
das Tliränenröhrchen senkrecht in das Lid eindringt. Indem ich nun den Zeigefinger an
die äussere Fläche anlegte , und mit einem Daviel'schen Löffel an der innern Seite
gegen den Thränenpunkt streifend drückte, entleerte sich ein dünner Cylinder der ge-
nannten Materie. Dieses Manöver wurde immer nach einigen Tagen wiederholt und
darauf jedesmal eine Injection lauen Wassers gemacht, in der Zwischenzeit aber eine
Salbe von rothem Präeipitat, nach einigen Wochen von Deuterojodur. hydrarg. an die
äussere Lidfläche dieser Gegend eingerieben. Nach und nach nahm die Menge dieser
Masse ab, und nach 10 Wochen war der Mann vollständig geheilt. Diese Masse war
wohl kein Product des Thränenröhrchens selbst ; mir ist es am wahrscheinlichsten, dass
sie von einem Follikel einer Meibom'schen Drüse ausging, welcher, durch Ansammlung
seines Secretes ausgedehnt und verdünnt, endlich eine Öffnung in das Thränenröhrchen
erhalten hatte.
Verwachsung der Mündung findet man nicht selten nach chemischen
Verletzungen, nach Blattern, besonders aber bei Individuen, welche lange
an jener Form von Blepharadenitis gelitten haben, die sich durch Bildung
kleiner Abscesse an der Basis der Cilien, bleibenden Verlust derselben,
lineare Einschrumpfung der Cutis, Obliteration der Mündungen der Mei-
bom'schen Drüsen und Ectropium conjunctivae charakterisirt. Am untern
Lide ist dieser Zustand häufiger, als am obern. - Die Function des obern
Thränenröhrchens reicht dann bisweilen hin, das Thränenträufeln zu ver-
mindern oder zu verhüten. Bei Xerophthalmus in Folge von Trachoma
habe ich auch die Tliränenröhrchen in ihrer ganzen Ausdehnung oblite-
rirt gefunden. Nach Bowman lässt sich die Fortleitung der Thränen bei
Verschluss der Thränenpunkte wieder herstellen, wenn man das Thränen-
394 Thräiieuorgane.
röhrchen vom Bindehautsacke aus aufschlitzt; die Spalte schliesst sich auch
ohne Einlegung des von Jüngken hiezu vorgeschlagenen Bleidrahtes nicht.
Veränderte Stellung der Thränenpunkte (relativ zum Bulbus) kann
bei verschiedenen Abnormitäten der angrenzenden und benachbarten Ge-
bilde vorkommen, bei En- und Ectropium der Lider, bei stärkerer In-
filtration der Bindehaut, bei Volumenzu- oder Abnahme der Karunkel, der
halbmondförmigen Falte, oder des Bulbus, bei Pterygium und Symblepha-
ron , nach ausgedehnter Verschwörung der Cutis über dem Thränensacke
u. s. w. — Geschwülste, welche die Stellung der Thränenpunkte verän-
dern, können eines oder das andere zugteich comprimiren.
c. Des Thränensackes und Thränennasenganges.
Ein entzündlicher Zustand der Schleimhaut des Thränenschlauches
kommt wahrscheinlich sehr, oft vor, ohne dass wir ihn erkennen. Es
liegt sehr nahe, anzunehmen, dass bei jedem heftigen Nasenkatarrh auch
die Schleimhaut des Thränenschlauches mitleidet, sobald Thränen trau fein,
stärkere Injection der Bindehaut im innern Augenwinkel und ein Gefühl
von Drücken und Spannen in der Gegend des Thränensackes hinzutreten.
Doch können alle diese Erscheinungen sowohl einzeln als zusammen auch
anders gedeutet, mithin nicht als beweisend für Katarrh des Thränen-
schlauches aufgestellt werden. Sicher lässt sich die katarrhalische Affec-
tion des Thränenschlauches wohl erst dann erkennen, wenn sie chronisch
geworden ist, als sogenannte
I. Blennorrhoe des Thränensackes.
Symptome. In der Begel ist es das Thränenträuj'eln, welches den
Kranken bestimmt, einen Arzt zu consultiren; sehr oft auch sind die Be-
schwerden vorhanden, welche chronischer Bindehautkatarrh dem Kranken
zu verursachen pflegt. (Vergl I. B. S. 11.) Die objecliven Merkmale dieses
letzteren fehlen fast niemals; die Bindehaut bietet durchaus oder bloss im
innern Winkel abnorme Injection, meistens auch Lockerung, Schwellung
und abnorme Secretion dar. Untersucht man genauer, so findet man schon
nach kurzem Bestände dieser Ail'ection den Thränensack erweitert, daher
die Cutis über ihm mehr weniger deutlich emporgehoben, was sich bei
unilateraler Ail'ection leicht durch Vergleich mit der andern Seile erkennen
lässt. Bald früher, bald später steigt die Geschwulst so hoch, dass sie
dem Kranken selbst auffällt; sie bildet dann eine erbsen-, bohnen- bis
haselnussgrosse Geschwulst, welche entweder bloss unterhalb des Augenlid-
bandes oder auch oberhalb desselben hervortritt, und nach Massgabe
Blennorrhoe des Thränenschlauches — Sympt. — Verl. 395
ihrer Grösse und Dauer endlich wohl auch eine bläulich-rothe Farbe an-
nimmt. Die Geschwulst entspricht nach Lage und Form im Allgemeinen
dem Thränensacke, lässt sich weder verschieben noch umgreifen, und sitzt
mit breiter Basis auf. Drückt man auf dieselbe, ohne die Thränenröhrchen
zu verschliessen, so kann man eine trübe, schleimig-eiterige, mitunter
auch theilweise klare und eiweissähnliche Flüssigkeit gegen die Bindehaut
hin entleeren. Seltener ist es möglich, das Contentum in die Nase zu
drangen. Nach längerem Bestände und bei grösserer Ausdehnung des
Thränensackes gelingt jedoch bisweilen die Entleerung weder nach der
einen noch nach der andern Richtung. Um die Entleerung durch das obere
oder durch das untere Thränenröhrchen zu bewirken, muss man die ana-
tomischen Verhältnisse genau berücksichtigen.
Verlauf und Ausgänge. Die Schleimhaut des Thränenschlauches
wird bei diesem Zustande dunkelroth, dicker, wulstiger, dabei anfangs
lockerer und mürber, später aber rostbraun oder schiefergrau, derb, dichter,
bisweilen warzig oder drüsig. Ihre Schwellung oder Hypertrophirung kann
im Thränennasengange schon an und für sich zur unmittelbaren Berührung
ihrer- Wandungen, somit zur Impermeabilität für Flüssigkeiten führen,
welche nicht mit ungewöhnlicher Kraft hindurch getrieben werden. Eigent-
liche Stricturen und Verwachsungen kommen erst in Folge von Geschwürs-
bildung zu Stande, wovon wir weiter unten sprechen werden. Diese
Schwellung und Hypertrophirung kann einfach zurückgehen, aber auch,
namentlich im Thränensacke, wenn dieser stark ausgedehnt wurde, einer
Art von Atrophie weichen; die Mucosa wird alsdann dünn, glatt und blass,
serösen Häuten ähnlich.
Mit der Schleimhaut wird allmälig auch die eigenthümliche Haut des
Thränenschlauches und die damit innig zusammenhängende Beinhaut an-
fangs lockerer und weicher , so dass beide an Resistenz verlieren. In
manchen Fällen partieipiren diese auch an der entzündlichen Infiltration,
und tragen wesentlich zur Erzeugung der Geschwulst in der Gegend des
Thränensackes bei. Diese pflegt dann minder scharf abgegrenzt zu sein,
als wenn sie bloss durch Ausdehnung des Thränensackes bewirkt wird,
und verschwindet nur zum Theil, wenn man auch alles Contentum aus
dem Thränensacke entleert. (Vergl. Polypenbildung weiter unten.)
Aus der entzündlichen Erweichung der die Schleimhaut umschliessen-
den Weichgebilde erklärt sich die allmälige Erweiterung des Thränen-
sackes selbst bei noch nicht völlig aufgehobener üurchgängigkeit des
Tiiränennasenganges. Wenn nämlich im Momente des Augenlidschlusses
der Muse, orbicularis die Thränenröhrchen und den Thränensack couipri-
396 Thränenorgane.
mirt, und das Contentum wegen verminderter oder aufgehobener Durch-
gängigkeit des Thränennasenganges schwer oder gar nicht entweichen
kann, so gibt zunächst die bloss von Weichtheilen gebildete (erweichte)
Wand des Thränensackes nach, und wird, da sie sich (wegen Mangel an
Elasticilät) nicht auf ihr früheres Lumen zusammenzieht, allmälig ausge-
dehnt. So entsteht nach jedem Augenlidschage etwas Raum in dem mo-
mentan erschlafften Thränensacke, in welchen ein entsprechendes Quantum
von Flüssigkeit nachrücken kann, und so sammeln sich Schleimhautsecret
und Thränenflüssigkeit im Thränensacke an, und füllen denselben wieder
völlig aus. — Diese Ausdehnung erfolgt vorzugsweise nach vorn (unten
und aussen). Die anatomischen Verhältnisse gestatten zunächst eine Er-
weiterung des Sinus oder Recessus , welcher sich nach vorn, unten und
aussen von der Einmündung in den Thränennasengang befindet. Ist diese
Erweiterung erfolgt, dann ist auch die Lage dieser Mündung relativ zum
Hohlräume des Thränensackes eine andere, eine mehr schräge geworden,
und die Entleerung- vielleicht schon hiedurch erschwert. — Der Druck,
den diese Erweiterung nach vorn, unten und aussen ausübt, ist in man-
chen Fällen so gross, dass die Knochenleiste des Nasenfortsatzes vom
Oberkiefer, welche die Thränensackgrube bilden hilft, verdrängt und theil-
weise resorbirt wird ; sie steht dann deutllich weiter vor und fühlt sich
scharfkantig und zackig an. — In andern, selteneren Fällen vergrössert
sich der Thränensack vorzüglich nach hinten und aussen, so dass die
Fossa sacci lacrym. allmälig verstreicht, und man nach Aufschlitzung der
vordem Wandung in eine zwischen dem Bulbus und der innern Orbital-
wand rückwärts reichende, in dieser Richtung bis 9'" tiefe Höhle gelangt,
welche überdiess wohl auch noch ein oder das andere Divertikel zeigt.
— Nach der Kuppel hin erweitert sich der Thränensack immer relativ
am wenigsten. Auch auf Kosten der Thränenröhrehen wird man kaum
jemals eine erhebliche Erweiterung wahrnehmen können.
Wir müssen, da die gegentheilige Behauptung aufgestellt worden ist,
ausdrücklich wiederholen, dass zur Entwicklung dieser oft enormen Aus-
dehnung des Thränensackes keineswegs eine völlige Undurch gängigkeit
des Thränennasenganges, wenigstens keine bleibende erforderlich sei. Es
kommen, wenn auch seltener, dennoch ganz bestimmt Fälle vor, wo sich
die Kranken von den Beschwerden, welche die Geschwulst erregt, und
wozu selbst mechanische Behinderung des Sehens naher Objecte kommen
kann, von Zeit zu Zeit dadurch befreien, dass sie — ohne ärztliche An-
leitung oder anatomische Kenntnisse — die Geschwulst mit dem Finger
zusammendrücken, und den Kopf vorwärts neigend einen Strom zäher,
Blennorrhoe des Thräiiciischlauches — Folgezustände. 397
eivveiss- oder gallertähnlicher und eitrig untermischter Flüssigkeit durch
die Nase entleeren. Hierzu ist nicht sowohl Gewalt, als nielmehr Einhal-
tung einer gewissen Richtung erforderlieh. Wahrscheinlich ist in solchen
Fällen nur in früherer Zeit eine so starke entzündliche Schwellung der
Schleimhaut im Thränennasengange vorhanden, dass derselbe schwer oder
gar nicht durchgängig ist, und tritt allmälig mit Atrophirung der Schleim-
haut im Thränensacke auch Anschwellung im Thränennasengange ein. Ist
dann der Thränensack einmal auf das Drei- und Mehrfache seines Lu-
mens ausgedehnt, so reicht die nun relativ viel zu geringe Compression,
welche der Muse, orbic. allenfalls noch auszuüben vermag, durchaus nicht
hin, den Thränensack so weit als nothwendig zu entleeren, wenn gleich der
Ausweg jetzt nicht mehr versperrt ist. Für solche Fälle wählte man in
früherer Zeit den Namen Atonia oder Hernia sacci lacrimalis (Heister 1716),
einen Ausdruck, der heutzutage wohl nur in so fern beibehalten werden
könnte, als man dabei den Verlust der Contractilität und Resistenz der sub-
mueösen Fasern des Thränensackes vor Augen hat, falls nicht etwa auch
wirkliche Muskelatrophie (durch Druck) nachgewiesen werden sollte.
Ist aber das Schleimhautgewebe allmälig durch Atrophirung ganz ver-
ändert, blass, glatt und derb geworden, dann sondert es nicht mehr eine
schleimig-eitrige, sondern eine vorwaltend oder ausschliesslich synovia-
oder gallertähnliche Flüssigkeit ab. Diese Umwandlung des Thränensackes
in eine Art seröse Blembran und diese Veränderung der Secretion ist es,
welche dem von Ariel (1712) eingeführten Namen Hydrops sacci lacry-
malis dieselbe Berechtigung gibt, mit welcher man auch bei der Gallen-
blase, den Muttertrompeten etc. unter gleichen Verhältnissen von Hydrops
spricht. Beer reservirte diesen Terminus bloss für jenen Zustand, wo der
stark ausgedehnte Thränensack weder nach dem Auge noch nach der Nase
hin entleert werden kann.
Zu dem Processe der Hypertrophirung der Schleimhaut gesellt sich
in seltenen Fällen die Bildung von kleinen Wärzchen und Polypen, wel-
che in den Thränensack hineinwuchern, und denselben sogar beträcht-
lich ausdehnen können. In einem von Walther beobachteten Falle hatte
ein solcher Polyp die Grösse einer Haselnuss, und Blasius exstirpirte
einen wallnussgrossen, welcher nächst dem Eingange in den Thränen-
nasengang mit einer dünnen Wurzel aufsass , und die häutige Wandung
sammt der Cutis bis gegen das Wangenbein hin ausgedehnt hatte. In
neuester Zeit hat A. von Gräfe (Archiv) 2 Fälle von Thränensackpolypen
beobachtet.
Weit häufiger als die eben genannten consecutiven Zustände der
398 Thränenorgane.
Thränenschlauchblennorrhöe ist die katarrhalische Vereiterung oder Phthise
der Schleimhaut. *) Die chronische katarrhalische Entzündung geht hier
wie in andern Schleimhäuten bisweilen an und für sich und ohne weitere
Veranlassung allmälig, öfters aber nach Einwirkung äusserer Schädlich-
keiten unter den Erscheinungen einer acuten Entzündung in Vereiterung
und Verschwörung über. Das erkrankte Gewebe wird an einer oder der
andern Stelle eitrig infiltrirt und schmilzt. Dieser Schmelzungsprocess be-
grenzt sich entweder in dem submucösen Gewebe, und führt dann zur
narbigen Einziehung und Verengerung (Stricturen) , oder bei grösserer
Ausdehnung zur Verwachsung des Canales (Obliteration, Verödung), oder
der Process greift bis auf die Beinhaut, die Muskelschicht und die Cutis
über, und veranlasst Blosslegung des Knochens oder Durchbruch der häu-
tigen Wandung des Thränensackes unter den Erscheinungen der soge-
nannten Dacryocystitis, deren Folge dann gewöhnlich durch mehr weniger
lange Zeit eine Thränensackßstel ist. Da von diesen beiden letzteren Zu-
ständen weiter unten ausführlicher gesprochen werden muss, so genüge
es indessen, ihren Zusammenhang mit der Blennorrhoe vorläufig angedeu-
tet zu haben. — Die Stricturen des Thränennasenganges kommen an ver-
schiedenen Stellen vor, am häufigsten an der Einmündung in den Thränen-
sack oder in den untern Nasengang. Auf die totale Verwachsung des
Thränennasenganges und auf die spontane Verödung des Thränensackes
kommen wir gleichfalls später zurück.
Es gibt Individuen, bei denen die Blennorrhoe des Thränenschlauches
mit bald geringerer bald stärkerer Erweiterung Jahre lang fortbesteht,
ohne andere Beschwerden mit sich zu führen , als die der Blennorrhoe an
und für sich zukommenden, i. e. ohne zeitweilig auftretende ThränensacR-
entzündung. Viele derselben fühlen sich bei trockenem heiterem Wetter
minder oder gar nicht belästigt, halten sich wohl auch eine Zeit lang für
geheilt, oder sie helfen sich, so gut es eben geht, durch Entleerung nach
oben oder unten. Bei manchen vermindert sich selbst das Thränenttäufein
bis zu einem wenig und selten incommodirenden Grade, und die Blennor-
rhoe mit oder ohne sichtbare Geschwulst bleibt bei wechselnder Besserung
und Verschlimmerung Jahre lang auf einer gewissen Stufe stehen. —
Fälle, wo die Ausdehnung noch nicht so weit gediehen ist, dass sich die
Einschnürung durch das Augenlidband bemerklich macht, wo die Blennor-
rhoe nicht aus unbeseitigbaren Hindernissen der Thränenableilung (/.. B.
Verwachsung der Nasenmündung in Folge von Lues) hervorgegangen ist.
oder bereits selbst zu solchen geführt hat (durch katarrhalische Yerschwä-
°) VeYgl. Rokitansky Handbuch der patholug Vnalomie. Wien, i^ll li. I S- fi'J 55.
Blennorrhoe des Thränenschlauches — Ätiologie. 399
rung). und wo die (spater zu erörternden) entfernteren ätiologischen Mo-
mente keine unüberwindlichen Hemmnisse entgegensetzen, lassen unter
entsprechender Behandlung und bei zweckmässigem Verhalten des Kranken
völlige oder doch temporäre Heilung zu. Ich habe einige Fälle beobachtet,
wo die Individuen nach dem Auftreten einer verschärften Entzündung unter
den Erscheinungen der Dacryocystitis mit oder ohne Durchbruch der vor-
dem Wandung des Thränensackes wenigstens für lange Zeit (ob bleibend,
weiss ich nicht) von den seit Monaten — Jahren bestehenden Zufällen
einfacher Thränenschlauchblennorhöe befreit wurden. Es scheint hier
dasselbe vorzugehen, wie beim Pannus nach Einimpfung blennorrhoischen
Secretes. Die acute Entzündung bewirkt Verflüssigung und Resorption
des erstarrten Exsudates.
Vorkommen und Ursachen. Vor dem 7. Lebensjahre scheint die
Blennorrhoe des Thränenschlauches sehr selten zu sein, ausser bei here-
ditärer Syphilis; später entsteht sie bei beiden Geschlechtern in verschie-
denen Perioden, beim weiblichen etwas häufiger. Ich habe die schon von
Platner gemachte Bemerkung bestätigt gefunden, dass die Mehrzahl der
von Krankheilen des Thränenschlauches Befallenen eine flache Nasen-
wurzel darbieten : doch habe ich auch bei normaler und gerade entgegen-
gesetzter Nasenbildung oft genug solche Leiden beobachtet. Die Zahl der
linkerseits Erkrankten überwiegt die der andern nicht beträchtlich. Beider-
seitiges Leiden kommt relativ selten vor.
In seltenen Fällen ist die Blennorhöe des Thränenschlauches nach-
weisbar Folge blennorrhoischer, durch Infection erzeugter Erkrankung der
Bindehaut; das oben geschilderte Bindehaulleiden ist meistens als conse-
cutiv, mitunter auch als coexistirend zu betrachten. Ziemlich oft kommt
Thränenschlauchblennorrhöe bei Individuen vor, welche an Trachoma con-
junctivae leiden. Eine auffallend häufige gleichzeitige Aftection ist Blephara-
denitis , mit Bildung kleiner Abscesschen oder blosser Knötchen am Lid-
rande, und zwar meistens unilateral, wenn das Thränenschlauchleideu uni-
lateral ist.
Am häufigsten findet man die Thränenschlauchblennorhöe (und ihre
Folgezustände) bei Individuen, bei denen die Schleimhaut der Nasen- und
Rachenhöhle in ähnlicher Weise leidet, wovon man sich leicht überzeugen
kann, wenn man bei jedem Thränensackkranken diese Höhlen genau unter-
sucht. Es ist eine durchaus irrige Auffassung des Verhältnisses beider Affec-
tionen zu einander, wenn man behauptet, die Affection des Thränenschlauches
sei durch das Leiden der Nasenhöhle bedingt; „diess mag wohl in einzel-
nen Fällen stattfinden, im Allgemeinen aber müssen beide Affeclionen
400 Thränenorgane.
als neben einander bestehend und durch eine gemeinschaftliche Ursache
bedingt und unterhalten betrachtet werden. Gleichwie die meisten und
hartnäckigsten Fälle von Schwerhörigkeit in Folge von chronischem Katarrh
des Mittelohres entstehen, welcher nur als Theilerscheinung gleicher Affee-
tion der Schleimhaut des Rachens, der Nasen-, Keilbeins- und Highmors-
höhle zu betrachten ist, wird man auch die Blennorrhoe des Thränen-
schlauches und ihre Folgen selten für sich isolirt antreffen. Bei Gehör-
leiden ist man geneigt, die Ursache ihrer Hartnäckigkeit in der wenig zu-
gänglichen Lage der Organe zu suchen; der Thränenschlauch steht örtli-
chen Mitteln hinreichend ofTen, und dennoch hat man sich hier nicht weniger
über die Unzulänglichkeit der örtlichen Behandlung zu beklagen. Der ge-
meinschaftliche Grund unserer Ohnmacht gegenüber diesen Schleimhaut-
leiden der Nasen- und ihrer Nebenhöhlen liegt darin, dass dieselben fast
ohne Ausnahme mit allgemeinen Gesundheitsstörungen und mit unzweck-
mässigen Lebensverhältnissen zusammenhängen, somit vorzugsweise eine
allgemeine pharmaccutische und diätetische (leider oft nicht mögliche)
Behandlung erfordern. — Man findet solche Schleimhautleiden dieser Re-
gionen bekanntlich am häufigsten bei Scrofulosis ; sie bleiben auch bei
früher Gesunden oft nach acuten Exanthemen (Blattern, Masern, Scharlach)
zurück; sie entwickeln sich, wenn sonst gesunde Individuen zur Zeit, wo
sie von einfachem Nasenkatarrh befallen sind , den regelmässigen Verlauf
und Ausgang in Genesung durch unzweckmässiges Verhalten, namentlich
durch wiederholte Verkältung dieses Leiden in einen chronischen Zustand
überführen; sie stellen sich allmälig ein beim Bewohnen feuchter, beson-
ders neugebauler oder frisch ausgeweisster Stuben. Daher dürfte auch
das ganz entschieden häufigere Vorkommen von Thränensackfisteln bei der
ärmeren Volkseiasse zu erklären sein.
Blennorrhoe des Thränenschlauches und ihre Folgezustände können
endlich bedingt sein durch mechanische Verstopfung der Nasenmiindung
desselben, durch Polypen, durch Narben- und Geschwürsbildung, nament-
lich in Folge von Syphilis und von ßlatterneruption, durch fremde Körper
(z. B. eine Erbse) im untern Nasengange u. dgl. Dasselbe kann gesche-
hen, wenn der in dünnen Knochen eingeschlossene Thränennasengarig
durch Pseudoplasmen im mittlem Nasengange oder in der HighmorshöbJe
durch Schleimanhäufung in dieser, durch Knochenauflreibung u. dgl com-
primirt wird. (Ich habe in mehreren Ca da v er n mit Verlust der Nasen-
knorpel und Blennorhöe des Thränenschlauches den untern Theil desselben
in einen fibroiden Strang verwandelt gefunden.)
Entzündung des Thränensackes — Symptome. 401
IL Entzündung des Thränensackes, Dacryocystitis.
Symptome. Dieser Ausdruck wurde für jenen Zustand eingeführt,
wo nebst der Schleimhaut und der Tunica propria des Thränensackes auch
die über demselben gelegene Cutis entzündet ist. Sie charakterisirt sich
jederzeit durch eine der Lage und der Form des Thränensackes entspre-
chende, mehr weniger deutlich umschriebene, und mehr weniger empor-
ragende rothe, wärmere, gegen Druck empfindliche und anfangs pralle
Geschwillst Niemals lässt sich, sobald die entzündlichen Zufälle einiger-
massen heftig sind, der Thränensack gegen die Nase, meistens auch nicht
gegen das Auge hin entleeren.
Bei acutem Verlaufe wird sie durch starke ödematöse (daher weiche
und unschmerzhafte, weder von merklicher Temperaturerhöhung noch von
erheblicher Röthe begleitete) Anschwellung der nächsten Umgebung, na-
mentlich der Augenlider begleitet. Sehr oft ist auch die Conjuncliva bulbi
besonders in der innern Hälfte gerölhet und stark serös infiltrirt Da ein
solches Odem auch bei acuten Bindehautentzündungen, bei Periostitis, bei
Hordeolum und bei subcutaner oder in der Orbita sitzender, eitrig schmel-
zender Bindegewebsinfiltration vorkommt, und da auch das Erysipel die-
ser Gegend ähnliche Erscheinungen erregt, so kann eben nur eine genaue
Untersuchung des Thränensackes vor Verwechslung schützen. Denn die
übrigen Zufälle, als : Thränenträufeln, Schmerz in der betreffenden Ge-
gend (gewöhnlich als tiefsitzend, bohrend und äusserst heftig bezeichnet),
Gefühl von Trockenheit der entsprechenden Nasenhälfte und Fiebererschei-
nungen sind nicht constant und auch nicht ausschliesslich dieser Affeetion
zukommend.
Verlauf und Ausgänge. Je rascher und heftiger sich diese Zu-
fälle entwickeln, desto sicherer und früher kommt es zum Durchbruche.
Die Geschwulst wird an einer unterhalb des Aug-enlidbandes gelegenen
Stelle erhabener, dann weich und schwappend und lässt allmäüg den in
der Tiefe gebildeten Eiter durchscheinen, der sich endlich entleert. —
Bei minder stürmischem Auftreten geschieht es bisweilen, dass die Er-
scheinungen allmälig zurückgehen und entweder völlige Genesung eintritt
oder über kurz oder lang die Zeichen einfacher Blennorhöe (wieder) auf-
tauchen. Auch nach erfolgtem Durchbruche kann, selbst wenn vor der
Dacryocystitis Blennorrhoe bestanden hatte, permanente oder doch tempo-
räte Heilung eintreten, obwohl die Hinterlassung einer Thränensackßstel
der häufigere Ausgang ist.
Afll's. Augenheilkunde, HI.2. 26
402 Thräiienorgane.
In andern Fällen entwickelt sich die obgenannte Thränensackenlzün-
dung langsam und ohne heftige Zufälle, namentlich ohne beträchtliches
Odem der Umgebung. Diess geschieht nur dann, wenn schon längere Zeit
Thränenschlauchblennorrhöe bestanden hat und die katarrhalische Ver-
schwörung an der vordem Wandung spontan auftritt. Die Haut über dem
Thränensacke wird, gleichviel ob dieser schon beträchtlich ausgedehnt war
oder nicht, unterhalb des Augenlidbandes dunkelroth, livid. wärmer und
schmerzhaft; dabei erhebt sich die Geschwulst mehr und wird bald weich,
teigig anzufühlen; sofort zeigen sich ein oder mehrere Eilerherde unter
der unterminirten Cutis, durchbrechen jedoch diese gar nicht, oder esst
spät und nicht immer an diesen Stellen, die dann einsinken, sondern bis-
weilen weit davon entfernt im Bereiche des untern Lides oder selbst erst
vor dem Oberkiefer- oder Wangenbeine, einen oder mehrere fistulöse
Gänge bildend, welche unter dem Muse, orbicularis verlaufen.
Solche Fälle sind — meines Erachtens — seit Richter und Beer als Anchylops (ro-
senartige Nasenwinkelgeschwulst, Zellgewebsentzündung über dem Thränensacke) auf-
gefasst und beschrieben worden. Es genügt, die betreffenden Beschreibungen z. B.
von Beer *) genau durchzugehen, um diese Behauptung so zu sagen zwischen den Zei-
len seihst herauszulesen. Ich habe noch nie einen Fall von sogenanntem Ankylops ohne
Erkrankung des Thränenschlauches zu sehen bekommen. Andreae **) und andern scheint
es ebenso gegangen zu sein.
Der Durchbruch des Thränensackes erfolgt in der Regel nach vorn unterhalb des
Augenlidbandes; doch sind auch Fälle bekannt, wo die Entleerung durch das Thränen-
bein geschah, und Beer ***) citirt einen Fall von Vogel, wo sich das Contentum des
Thränensackes durch die äussere Wandung unter der Cutis und dem Schliessinuskel ent-
eerte und bis unter den äussern Augenwinkel hin vordrang.
In Folge dieses Vorganges bleiben gern schwer oder gar nicht heil-
bare Thränensackfisteln zurück. Da derselbe ohne Zweifel oft das Re-
sultat spontaner katarrhalischer Verschwärung der Schleimhaut ist, und
diese nicht selten an mehreren isolirten Herden nach einander oder zu-
gleich auftritt, so darf es uns nicht wundern, dass wir bei den betreifen-
den Individuen nach diesem Vorgange theils Stricturirung oder wirkliche
Verwachsung im Thränennasengange, theils auch Blosslegung des Kno-
chens (Thränenbeins oder Oberkiefers) finden. Die letztere Complication
hat man insgemein als cariöse Thränensackfistel (mit Caries complicirte)
bezeichnet, obgleich Blosslcffiino- des Knochens noch nicht Caries ist. Die
Blosslegung des Knochens ist demnach in der Regel der consecutive,
durch die katarrhalische Phthlsis und durch die corrodirende Jauche be-
") I. c. B. I. S. 331-339.
''*) Grundriss der Augenheilkunde, Leipzig, 1846, II. Th. S. 99.
"**) I ehre von den Augenkrankheiten, Wienj 1792, I l li S. 131.
Entzündung des Thränensackes — Ausgänge — Ätiologie. 403
dingte Zustand. Nur bei Syphilis und bei Tuberculosis ist bisweilen wahre
und vom Knochen selbst, nicht vom Thränensack aus entstehende Caries
vorhanden, der Thränensack möglicherweise consecutiv ergriffen.
Ein viel seltenerer Ausgang der Thränensackentzündung ist der in gegen-
seitige Verwachsung seiner Wandungen und theilweise oder gänzliche
Verödung des Thränensackes. Sie erfolgt auf dieselbe Weise, wie die
Stricturirung und Verwachsung des Thränennasenganges, in Folge oft
wiederkehrender und ausgebreiteter Geschwürsbildung; daher geht ihr ge-
wöhnlich der Bestand einer Thränensackfistel oder öfter wiederkehrende
Thränensackentzündung voraus. Bei der totalen findet man den Sack
einige Zeit von einer harten oder doch prallen Masse ausgefüllt, allmälig
eingezogen, bisweilen trichterförmig (an der frühern Fistelmündung). Ein-
spritzungen in die Thränenröhrchen gehen weder in die Nase, noch be-
wirken sie Aufblähung des Thränensackes; ist die oberste Partie noch
frei, so können sie durch das andere Thränenröhrchen regurgitiren. Das
anfangs starke Thränenträufeln vermindert sich mit der Abnahme der ent-
zündlichen Erscheinungen und Consolidirung des Narbengewebes, tritt je-
doch hei gesteigerter Thränenabsonderung immer mehr weniger belästi-
gend wieder auf. Ob diese Erscheinung von verminderter Absonderung
der Thränen oder aber von vermehrter, gleichsam vicarirender Aufsau-
gung durch die Bindehaut herrühre, wissen wir nicht.
Die Ätiologie der Thränensackentzündung ist im Allgemeinen die der
Thränenschlauchblennorrhöe. Sie entsteht wahrscheinlich niemals, ohne
dass Katarrh oder Blennorrhoe durch einige Zeit vorausgegangen ist und
ist dann nur als Steigerung dieser erstem , als Übergreifen der Entzün-
dung auf die Cutis zu betrachten; sie entwickelt sich, wie gesagt, entwe-
der spontan durch Entstehung kleiner Eiterherde in der blennorrhoisch-
afficirten Schleimhaut, oder als Steigerung durch das Hinzutreten äusserer
Schädlichkeiten, vielleicht auch in Folge übermässiger Ausdehnung, wenn
diese rascher erfolgt. Auch in Folge von Entzündung der Schleim- und
Beinhaut der Highmorshöhle, bedingt durch Zahncaries, sah icJi Entzün-
dung des Thränensackes entstehen.
III. Thränensackfistel, Fistula sacci lacrimalis.
minder richtig Thränenfistel nennen wir jede Öffnung, welche vom Thrä-
nensacke nach aussen durch die Cutis führt, und entweder ein erst vor
Kurzem nach Dacryocystitis entstandenes Geschwür darstellt, oder an der
Cutis bereits mehr weniger callöse Ränder oder Wucherungen zeigt.
26*
404 Thränenorgane.
Symptome. Die Thränensacköffnung befindet sieh jederzeit unter-
halb des Augenlidbandes, bald gerade nach vorn, bald mehr zur Seite
nach Aussen; die Hautöffnung liegt der Thränensacköffnung gegenüber
oder tiefer unten, bisweilen auch weit nach aussen, gegen das Wangen-
bein hin. Es können übrigens auch mehrere Hautöffnungen und Hohl-
gänge zur Thränensacköffnung führen. Dte Hautöffnung bildet ein ver-
schieden grosses offenes oder durch Borken verdecktes Geschwür, mit
frisch-infiltrirten oder bereits callösen Rändern umgeben; die sogenann-
ten Haarfisteln zeigen bloss eine haarfeine, nur durch das Aussickern
einer wasserklaren Flüssigkeit erkennbare Mündung.
Wenn die Hautöffnung nicht zu weit vom Thränensacke entfernt liegt,
und die Infiltration der Umgebung nicht mehr beträchtlich ist, wird man
immer finden, dass die in derselben stehende Flüssigkeit mit dem Auo-en-
lidschlage steigt und fällt. Wird der Thränensack von oben her mit dem
Finger comprimirt, so entleert sich sein Contentum durch die Hantöffnung.
Träufelt man nach solcher Entleerung in den Bindehautsack eine gefärbte
Flüssigkeit (Cochenilletinctur, Safranwasser u. dgl.), so tritt diese nach
mehrmals erfolgtem Augenlidschlage zur Hautöffnung heraus; dasselbe ge-
schieht mit Injectionen durch die Thränenröhrchen. Diese Zeichen setzen
die Durchgängigkeit der Thränenröhrchen voraus. Ist die Hautöffnung nicht
zu weit unten oder seitlich, so kann man mit einer Sonde nicht nur in
den Thränensack eindringen, sondern auch seine Dimensionen , namentlich
über das Augenlidband hinauf ermitteln, und befindet sich die Hautöffnung
nicht zu tief unten, so gelingt auch die Einführung der Sonde in den
Thränennasengang, falls dieser nicht verwachsen ist. Mit Hilfe eines und
des andern dieser Kennzeichen wird man jederzeit im Stande sein, zu
bestimmen, ob eine in dieser Gegend befindliche Hautöffnung in den
Thränensack führe oder nicht. Die Angaben des Kranken über das Vor-
ausgegangene können wohl in der Regel nützliche Fingerzeige geben,
aber auch leicht irre leiten.
Ätiologie. Eine Thränensackfislel entsteht immer nur in Folge von
Thräncnsackentzündung. Es ist weder wahrscheinlich, noch durch sichere
Beobachtungen constatirt, dass einfache Verwundungen der vordem Wand
des Thränensackes ein solches Leiden bedingen können. Auch die Ent-
stehung aus Entzündung des benachbarten Bindegewebes (Anchylops), ja
selbst die aus Caries am Thränenbeine ist problematisch, mindestens viel
seltener, als Einige angenommen haben. Wenn bei Syphilitischen oderScro-
fulösen neben Caries am Thränen- oder Oberkieferbeine eine Thränen-
sackfistel vorkommt, so ist noch nicht erwiesen, dass diese die Folge von
Thräiiciisarklistcl — Dklgnosis — Ätiologie. 405
joner sei; die Caries hindert nicht, dass eine Thränensaekaffection auch
ans einer andern Ursache, z. B. allgemeiner Schleimhauterkrankung der
Nasen- und ihrer Nebenhöhlen entstehe. Die Caries kann auch seeundär,
Folge länger dauernder Knochenenthlössung durch das Schleimhaut»
geschwür sein.
Nicht jede Thräncnsackentziindung hinterlässt, auch wenn es zum
Aufbruche des Thränensackes gekommen ist, desshalb schon eine Fistel.
Diess geschieht nur dann, wenn die Durchgängigkeit des Thränennasen-
canales nicht bald wieder hergestellt wird. In manchen Fällen von Dacryo-
cystitis schliesst sich die Öffnung wohl auch bei verminderter Weg-
samkeit des Thränennasenganges , aber es kommt nach kürzern oder län-
gern Pausen immer wieder zum Aufbruche, bis endlich die Öffnung blei-
bend wird, oder der Thränensack verödet. Der eigentliche Grund des
Fortbestandes der Thränensacköffnung ist demnach, falls nicht etwa über-
diess Caries vorhanden ist, in der verminderten oder aufgehobenen Durch-
gängigkeit des Thränennasenganges zu suchen. Auf welche Weise diese
herbeigeführt und unterhalten werden könne, ergibt sich aus dem, was
wir über die Ätiologie und den Verlauf der Thränenschlauchblennorrhöe
gesagt haben. Zur Eruirung des Zustandes des Thränennaseneanales ist
die Untersuchung desselben mit einer Sonde nothwendig, wovon wir weiter
unten sprechen werden.
Behandlung. Bei einer grossen Zahl von Thränenschlauchleiden
lässt sich auf Wiederherstellung des normalen Zustandes gar nicht rech-
nen; man muss sich begnügen, schlimmeren Zufällen vorzubeugen, oder
an die Stelle des grösseren Übels ein kleineres zu setzen. So z. B.
können wir viele Fälle von Blennorrhoe nicht heilen , aber wir können
viel Erspriessliches thun und rathen, um den Übergang in Ektasie und in
Fistelbildung zu verhüten ; wir können manche Thränensackfistel nicht
heilen, aber durch Verödung des Thränensackes so weit unschädlich ma-
chen, dass dem Kranken bloss das weit weniger lästige ThränenträufeJn
übrig bleibt.
Bei jedem Thränenschlauchleiden muss vor allem auf's Sorgfältigste
erhoben werden, wodurch dasselbe bedingt und unterhalten werde, um
sich und den Kranken nicht unnöthig zu plagen. Man begnügt sich nur
zu leicht mit der Erkenntniss der am Thränenschlauche vorhandenen Ab-
normitäten und einer dagegen gerichteten örtlichen Behandlung; es muss
aber jedenfalls nicht nur die Nasen- und Rachenhöhle genau untersucht,
sondern es muss auch weiterhin so viel als möglich eruirl werden, ob
und welche Regelwidrigkeilen im Allgemeinbefinden und in den diäleti-
406 Thränenorgane.
sehen Verhältnissen des Kranken vorkommen, die mit der örtlichen Affec-
tion in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden können und müssen.
Welche Momente hier vorzüglich in Betracht zu ziehen seien, wurde be-
reits bei der Ätiologie der Thränenschlauchblennorhöe angedeutet. Es
ist einleuchtend, dass ohne Beseitigung derselben auch durch die zweck-
mässigste örtliche Behandlung an eine dauerhafte Heilung nicht zu den-
ken sei. Leider ist eine der Causalindication entsprechende allgemeine,
diätetische und pharmaceutische Behandlung bei vielen Individuen un-
möglich oder aber fruchtlos, wenn auch keine an und für sich unbesei-
tigbaren örtlichen Hindernisse, wie z. B. Strictuirung oder Obliteration des
Thränennasenganges vorhanden sind.
a) Bei Blennorrhoe des Thränenschlauches überzeuge man sich zu-
nächst, ob sie etwa durch rein locale Hindernisse bedingt ist, z. B. Nasen-
polypen, fremde Körper, und entferne dieselben. Sind solche mechanische
Hindernisse von der Art, dass sie nicht beseitigt werden können, wie z. B.
Narben nach Syphilis, so kann die Blennorrhoe nicht anders als durch
Verödung des Thränensackes gehoben werden. Bei syphilitischer Schleim-
oder Beinhautentzündung muss erst der Erfolg einer entsprechenden all-
gemeinen Behandlung abgewartet werden. Ebenso muss bei Scrofulosis
und bei andern, durch regelwidrige diätetische Verhältnisse herbeigeführ-
ten Schleimhautlciden vor allem diesen Momenten nach allgemeinen thera-
peutischen Grundsätzen Rechnung getragen werden.
Sodann suche man so viel als möglich zu eruiren , ob nicht etwa
durch die Blennorrhoe selbst schon unheilbare Veränderungen herbei-
geführt worden seien, Stricturen oder Verwachsung des Thränennasen-
ganges, starke Ektasie des Thränensackes mit mehr weniger Atrophirung
der Schleimhaut, Obliteration der Thränenröhrchen. Die Möglichkeit, den
Thränensack nach der Nase hin zu entleeren, schliesst Stricturen des Thrä-
nennasenganges nicht aus, und die Unmöglichkeit setzt noch keineswegs
nothwendio- Verwachsung; voraus. Ohne Anwendung der Sonde nach künst-
lieber Eröffnung des Thränensackes können wir oft nur mit Wahrschein-
lichkeit auf die Beschaffenheit der Schleimhaut schliessen. Wenn die
Blennorrhoe schon lange bestanden hat, wenn beim Ausdrücken längere
Zeit ein sehr dickes und eiterförmiges oder ein blutstriemiges, oder gar
ein übelriechendes Secret sich zeigt, wenn der Thränensack bereits eine
deutlich umschriebene bohnenförmige oder noch grössere Geschwulst bil-
det, wenn seine häutige Wandung und die nächste Umgebung chronisch
infiltrirt und indurirt erscheint, besonders aber, wenn bereits Dacryo-
cystitis und temporäre Fistelbildung ein oder mehrere Male intercurrirle :
Behandlung der ThräneiischlauchbJennorrhöe. 407
dann kann man mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit annehmen, das§
nicht mehr einfache Aufwulslung der Schleimhaut, sondern schon katarrha-
lische Verschwörung, Stricturirung oder selbst Obliteration des Thränen-
nasenganges eingetreten sei.
Stellt sich die Wahrscheinlichkeit überwiegend für einfache Blennor-
rhoe {mit blosser Schwellung oder llypeiirophirung) heraus, so lasse man
bei der allgemeinen diätetischen und (wo solche nölhig erscheint) pharma-
ceutischen Behandlung das Contentum fleissig ausdrücken und 3 — 4mal
des Tages unmittelbar nach möglichst vollständiger Entleerung ein Colhj-
rium icie beim chronischen Bindehautkalarrh in den innern Winkel träu-
feln. Dabei muss der Kranke einige Minuten eine solche Lage annehmen,
dass das Collyrium von den Thränenröhrchen gut aufgenommen werden
könne. Vor dem Einschlafen lasse man Unguentum cinereum an die Ge-
gend des Thränensackes und die nächste Umgebung einreihen; zu länge-
rem Gebrauche eignet sich besser eine Salbe aus 3 — G Gran weissem Prä-
cipitat oder Jodkalium auf 1 Drachme Fett. In einigen Fällen hat mir das
Aufstreichen von Tinct. jodinae auf die Gegend des Thränensackes treff-
liche Dienste geleistet, wie diejenigen wissen, welche in den letztverflos-
senen Jahren meine Klinik besuchten.
Ich ziehe die Einträuflung adstringirender Collyrien nach jedesmaliger Ausdrückung
des Thränensackes den Einspritzungen durch die Thränenröhrchen vor. Eine hinreichend
feine Spritze , dass die Thränenröhrchen nicht zu sehr ausgedehnt werden, und die ge-
hörige Eertigkeit, dass weder Zerrung und Schmerzen, vielwenigcr denn Zerreissungen
bewirkt werden, kann und soll sich jeder aneignen, der Augenheilkunde betreihen will;
aber die Einspritzungen müssen , wenn man damit etwas ausrichten will, mindestens des
Tages einmal gemacht werden, und das ist bei einer Cur, die im Allgemeinen auf Mo-
nate, nicht auf Wochen zu berechnen ist, wohl in Anschlag zu bringen. Da die Binde-
haut ohnehin fast ohne Ausnahme die Zeichen chronischen Katarrhes darbietet, so wird
ihr Zustand solche Einträuflungen kaum je contraindiciren. Ich bediene mich meistens
des Lapis divinus oder des Sullas zinci ; die Lösungen von Arg. nitricum zersetzen sich
vor der Aufsaugung und verursachen leicht die bekannte Verfärbung nicht nur der Cutis,
sondern auch der Bindehaut.
Zur Injection nimmt man eine AneVsche Spritze, am besten mit einem geraden An-
satzrohr, das wenigstens vorn nicht über l/3 Pariser Linie dick sein darf, daher aus Gold
angefertigt wird. Um dieses Rohr bequem einzubringen, ist es bisweilen nöthig, den
Thränenpunkt durch vorläufige Einführung einer dünnen ungeknöpften Sonde etwas aus-
zudehnen. Die zur Sondirung vorgeschlagenen Schweinsborsten können meines Erach-
tens vorn nie so abgerundet werden , dass sie nicht kratzen. — Man wählt zum Ein-
spritzen gewöhnlich den untern Thränenpunkt, nicht weil er weiter, sondern in der
Regel bequemer gelegen ist. Will man das untere Thränenröhrchen der linken Seite
sondiren oder injiciren , so setze man den Kranken so, dass sein Kopf mit der linken
Hand leicht an eine Wand oder Sessellehne angedrückt werden kann , ziehe das untere
408 Thräneiiorgane.
Lid mit dem Zeigefinger der linken Hand aus-, mit dem Mittelfinger etwas abwärts, und
führe die Sonde (Spritze) etwa eine halbe Linie tief ein, in einer Position, welche o-e—
stattet, die Richtung der Sonde (Spritze) sofort so zu ändern, dass sie dem ferneren Verlaufe
des Thränenröhrchens entspricht. Behufs der Einspritzung soll man nicht bis unter das
Augenlidband, sondern nur etwa 2 — 3'" weit vordringen.
Hat man nach längerer Fortsetzung dieser Behandlung (einige Mo-
nate) oder gleich anfangs (aus den oberwähnten Zufällen) die Überzeu-
gung gewonnen, dass dieselbe nicht ausreicht, und wünscht der Patient
von den lästigen Zufällen der Blennorrhoe befreit zu sein, selbst auf die
Gefahr hin, dass ihm möglicherweise für immer etwas Thränenträufeln
zurückbleibe, so schreite man zur Eröffnung des Thränensackes, und ver-
suche, ob nicht jetzt sich der normale Zustand des Thränenschlauches
wieder herstellen lasse, ehe man zum letzten Mittel, der Verödung schrei-
tet. Dieser Eingriff wird in den Augen des Patienten besonders dann ge-
rechtfertigt erscheinen, wenn bereits Dacryocystitis und temporäre Fistel-
bildung vorhanden waren, oder wenn der Thränensack sehr stark ausge-
dehnt ist.
Die Eröffnung des Thränensackes ist nicht schwer, sobald derselbe von Schleim
mehr weniger ausgedehnt ist. Da man sie aber doch vorher an Cadavern geübt haben
mnss, besonders um das Sondiren zu lernen , so will ich hier die von mir schon 1841
angegebene und seitdem geübte Methode der Eröffnung und Sondirung beschreiben.
Das Messer, dessen ich mich bediene, ist ein einfaches Spitzbistourie ; die Sonde ist
nicht geknöpft, sondern stellt einen langgestreckten , an der Spitze und Basis wohl ab-
gerundeten Kegel dar; sie ist ohngefähr 4" lang, an der Spitze etwa '/3, an der Basis
3/4" im Durchmesser, am besten von Silber. Beide Instrumente können immer mit der
rechten Hand geführt werden.
Soll der linke Thränensack eröffnet werden, so greife man, wenn der Kopf hinten
gestützt ist, mit der linken Hand über die Stirn des Kranken so herüber, dass man <*ie
Augenlider mit dem an die äussere Commissur angelegten Daumen stark aus- und etwas
aufwärts ziehen kann, um das Augenlidband zu spannen und vortreten zu machen. Um
die Führung des Messers nicht zu hindern, muss der Vorderarm oberhalb der Stirn zu
liegen kommen. Wer diess nicht gut zu Stande bringt, kann die Hand auch vor
der Wange so anlegen , dass er die äussere Commissur mit dem Mittel- oder Zeige-
finger auswärts ziehen kann. (Bei der Operation auf der rechten Seile legt man die
Finger der linken Hand an das Seilenwnndbein und spannt die Lider mit dem Daumen
nach aussen und oben.) Hierauf nimmt man das Messer, dessen Klinge nicht über 1 '/'
lang sein soll, so in die rechte Hand, dass der Daumen auf die eine, Zeige- und .Mittel-
finger (mit der Pulpa) auf die andere Seite zu liegen kommen, die Schneide zur Holil-
hand gerichtet, und führt dasselbe in einer Ebene, die ich die Operationsebene zu nen-
nen pdege. Um diese zu bestimmen, denke man sich eine Linie (Sonde) von der Spitze
der Nase zur äussern Commissur gezogen, und durch den Punkt, der diese halbirt, so
wie durch den Halbirungspuirfct der gespannten Sehne des Orbieularmuskels eine Ebene
so gelegt, dass dieselbe senkrecht auf jener Linie (Sonde) stehen würde. Ist mm das
Behandlung der Thriineiischlatiehblennorrhöe. 409
Messer so mit der Spitze unter dem Mittelpunkte der genannten Sehne angesetzt, dass
seine Schneide (verlängert gedacht) die gedachte Linie (Sonde) halhiren würde, so stösst
man , die Hand mit dem kleinen und Ringfinger an die Wange stützend •), dasselbe
senkrecht (d. i. bei verticaler Haltung des Kopfes mit horizontal verlaufendem Kücken)
etwa 2'" tief ein, hebt nun , ohne aus der Operationsebene zu weichen, und ohne tiefer
einzudringen oder die Spitze zurückzuziehen, das Heft so weit empor (gegen den ober-
sten Theil der Nasenwurzel), bis der Rücken der Klinge beinahe an der Cutis anliegt,
und stösst es etwa 2 — 3'" abwärts (mit nach unten , ein wenig nach hinten und aus-
wärts gerichteter Spitze), so dass die Hautwunde 2 — 3'" lang wird. Ist das Messer
richtig geführt , so bleibt es , falls es noch tiefer hinabgestossen wird, frei stehen, und
seine Schneide sieht gegen die genannte Halbirungslinie hin. Will man die Hautwunde
grösser haben , so bewirke man diess durch Senkung des Heftes beim Zurückziehen,
nicht durch tieferes Hinabstossen.
Man kann sich den Einstichspunkt auch dadurch ermitteln, dass man bei angespannter
Orbicularmuskelsehne mit dem Finger die Leiste des Oberkiefernasenfortsatzes aufsucht,
welcher die Thränensackgrube bilden hilft. Jene Sehne und diese Leiste bilden einen
Winkel, in dessen Spitze man das Messer ansetzen, und dessen Raum man durch die
Schnittlinie halbiren soll. Schlemm empfiehlt das Messer nach gehörig angesetzter Spitze
mit ab- und auswärts gewendeter Schneide gleich von oben nach unten so einzusenken,
als wollte man mit derselben auf den Winkel des Unterkiefers der entgegengesetzten
Gesichtshälfte vordringen. Hyrtls Rath, den Thränensack unterhalb des Augenlidbandes
quer, d. i. parallel diesem Rande aufzuschlitzen , scheint keinen Anklang gefunden zu
haben, die Wunde würde alsdann die Muskelfasern quer vom Augenlidbande trennen.
Bei unserer Methode werden die Muskelfasern nur getrennt, nicht quer durchschnitten.
Pouteaus Vorschlag, die Eröffnung vom Bindehautsacke aus vorzunehmen, ist mit Recht
verworfen worden. Das Augenlidband mit zu durchschneiden, wie Richter gethan, ist
mindestens überflüssig, wenn auch vielleicht nicht direct nachtheilig; wir glauben nicht,
dass dabei die Thränenröhrchen durchschnitten werden möchten, weil sie sich nie bis
zur Mitte des Augenlidbandes hin erstrecken. — Wir rathen, mit dem Messer nicht gleich
ab- sondern erst rückwärts einzustechen, weil man sonst leicht ausserhalb des Thränen-
sackes herabgleiten kann. Dass man die vordere Wand des Schlauches durchbohrt habe,
erkennt man bei einiger Übung am Gefühle, so gut jeder Geübte es fühlt, ob er mit dem
Keratom in die Augenkammer oder bloss in die Cornea eingedrungen ist. — Die Abda-
chung der häutigen Wandung des Thränensackes von der Oberkieferleiste zum Thränen-
kainm ist steiler bei hoher, flacher bei niedriger Nasenwurzel ; unsere Methode berück-
sichtigt diese anatomische Verschiedenheit, indem sie die Lage der Operationsebene vom
Bau der Nase abhängig macht. Das Messer wird somit immer senkrecht auf die Wan-
dung des Thränensacks (die tangirende Ebene) aufgesetzt, und gleitet demnach weder
nach aussen noch nach innen davon ab, was bei der geringen Breite des Thränensackes
leicht geschehen könnte, wenn man z. B. gerade von vorn nach hinten (also parallel der
Medianebene des Kopfes) einstechen würde.
Ist der Thränensack eröffnet, so nimmt man die Sonde so wie früher das Messer
zwischen die Finger, und führt, sich auf dieselbe Weise an die Wange stützend, ihr
dickeres Ende in derselben Richtung ein, wie beim Einstiche das 31esser. So wie man
;') Wird die Hand frei gehalten, so kann man die Kraft, mit der man sticht, nicht so gut bemessen.
410 Thräiiennrgane.
fühlt, dass man an die hintere (harte) Wand des Thränensackes anstösst, hebt man ihr
dünneres Ende, die Operationsebene verlassend, so gegen den Orbita Irand empor, das«
sie ohngefähr 2 — 3'" einwärts von der Incisura supraorbitalis knapp an die Cutis anzu-
liegen kommt. Hat man bei dieser Bewegung die hintere Wandung nicht mit der Sonde
verlassen, so braucht man sie jetzt nur in der gegebenen Richtung an der hintern Wand
ohne allen Druck herabgleiten zu lassen, und ist mit ihr sicher im Thränennascngange.
Die Stelle, wo der Nervus supraorbitalis aus der Orbita heraustritt, lässt sich auch in
jenen Fällen, wo derselbe durch einen förmlichen Canal verläuft, jederzeit an einer
Einkerbung des Orbitalrandes erkennen, wenn man diesen von unten her betastet. — ■
Bei hohem Nasenrücken und stark vorspringendem Augenbrauen bogen muss man die
Sonde ein wenig krümmen und bei rückwärts gewendeter Convexität einführen, weil
man sonst sich leicht an der bisweilen ziemlich stark entwickelten Falte zwischen Thrä-
nensack und Thränennasengang verfangen , die Schleimhaut und selbst den Knochen
durchstossen konnte. Bei der entgegengesetzten Gesichtsbildung kann man, wenn man
die Sonde nicht an der hintern Wandung anliegen und herabgleiten lässt, leicht in den
nach vorn und aussen gelegenen Sinus des Thränensackes kommen, und dieser unan-
genehme Zufall ereignet sich noch leichter , wenn man der Sonde eine zu starke Ten-
denz nach aussen gibt, sie oben weiter als höchstens 3"' von der genannten Einker-
bung einwärts anlegt. — Stösst man auf ein Hinderniss, so wende man ja keine Ge-
walt an, sondern ziehe die Sonde ein wenig zurück und corrigire ihre Richtung ; man
konnte sonst leicht nach durchstossener Wandung des Thränenschlauches zwischen ihm
und dem Knochen in die Nasenhöhle dringen. Geschähe eine solche Forcirung bei zu
weit vorwärts gerichtetem oder gar nicht im Thränensacke befindlichen untern Ende
der Sonde, so könnte man — wie es wirklich geschehen ist — vor dem Thränensacke
und selbst vor dem Oberkieferknochen hinab dringen, gleichwie man bei zu starker Ab-
lenkung nach aussen in die Augenhöhle gelangen würde.
Die Sonde genau und sicher in der Richtung des Thränenschlauches einführen zu
können, ist von grösster Wichtigkeit. Denn käme man bei einem Kranken nicht bis in
die Nase, ohne Weichtheile zerrissen zu haben, so kann man rur dann auf Verwach-
sung schliessen, wenn man sicher ist, dass man die Sonde nicht nur iniThränensehlauche,
sondern auch in der gehörigen Richtung bewegt. Diese Sicherheit lässt sich nur durch
vielfache und wiederholte Übung gewinnen. Mir sind einige Fälle vorgekommen , wo
man Undurchgängigkeit des Thränennasenganges angenommen hatte , und dennoch die
Sonde ohne Zerreissung von Weichtheilen durchgeführt werden konnte.
Statt der von Stahl (1702) zuerst vorgeschlagenen und von Louis Petit geübten
Eröffnung des Thränensackes empfahl Anel (1712) das obere Thränenröhrchen zur Ein-
führung einer dünnen Sonde in den Thränenschlauch zu benützen, und La Forest (1730)
führte eine ohngefähr S-förmige gekrümmte Sonde durch die Nase ein , welches Ver*
Fahren später von Dubais und von Gensoul (in Lyon) nach zweckmässiger Verbesserung
der Sonde mehr in Aufnahme gebracht wurde. — AneTs Methode lässt sich nicht ohne
bedeutende, und daher leicht nachtheilige Zerrung der Thränenröhrchen, wenn auch ohne
Verletzung der häutigen Wandung des Thränenschlauches, ausführen ; diese Anwendung
der Sonde gibt uns nie einen sichern Aufschluss über die Beschaffenheit des Thränen-
nasencanales und kann auch dem therapeutischen Zwecke (der mechanischen Dilatation)
niemals entsprechen, da eine viel zu dünne Sonde genommen werden muss. — Die
Einfuhrung der Gensouf sehen Sonden und Katheter kann an Cadavern leicht so ein-
Behandlung der Thränenschlauehbk'iinorrhöc. 411
geübt werden, dass man darin nicht nur Fertigkeit, sondern auch eine gewisse Sicher-
heit erlangt. Wer indess die Nasenmündimg des Thränenschlauclies aus vielfacher An-
schauung kennen gelernt hat, wird es begreiflich finden, dass diese Methode so un-
schuldig nicht ist, als manche glauben machen wollen. Diese Mündung ist oft so klein
und dazu noch durch ein papienlünnes Schleimbautfältchen gedeckt, dass man, selbst
wenn sie dem Auge zugänglich wäre, beim Eindringen mit den genannten Instrumenten
noch oft genug gewaltsame Zerrung, wo nicht Zerreissung bewirken würde. Wenn wir
nurh dieser Schleimhautfalte nicht die Bedeutung eines Luftventils zuschreiben können, so
halten wir doch schon die gewaltsame Ausdehnung, geschweige denn Einrisse dersel-
ben für nichts weniger als gleichgiltig. Überdiess kann eine stark nach der betreffen-
den Seite herüberstehende Nasenscheidewand, abnorme Gestalt der Nasenmuskel, vor
allem aber Schwellung und Verdickung der Schneidcr'schen Haut bedeutende, selbst
unüberwindliche Hindernisse entgegensetzen. Und ist man glücklich eingedrungen, so
fehlt ein Hauptvortheil der durch die künstliche Öffnung von oben eingeführten Sonde,
man kann nicht wie dort das Gefühl des Widerstandes zur Beurlheilung der Beschaffen-
heit der Schleimhaut benützen. Die von oben frei eingeleitete Sonde versetzt so zu
sagen unsern Tastsinn mitten in den Thränenschlauch.
Desshalb hat die Sondirung durch eine von selbst erfolgte oder absichtlich gemachte
Öffnung an der vordem Wand des Thränensackes unläugbare Vortheile. Hasner, 1. c. S.
61, welcher der Ansicht ist, „dass man die Zerreissung der Klappe an der Nasenmün-
dung bei vorsichtiger Führung des Gensoul' sehen Cylinders stets vermeiden könne," be-
hauptet, dass man durch die Führung der Sonde von Oben nach Abwärts dieses Organ
selbst bei der vorsichtigen Führung unter 20 in 19 Fällen perforiren oder spalten müsse.
Die Klappe sei nämlich schräg über den Thränenschlauch gespannt, und jedes Instrument,
welches in dem letztern abwärts geführt werde, müsse dieselbe vor sich her drängen,
spannen und zerreissen." Es ist nicht schwer, an Cadavern den Beweis zu führen, dass
diese Angabe ganz irrig ist. Legt man den obern Theil der Sonde 2 — 3'" einwärts
von* der Incisura supraorbitalis an den Augenhöhlenrand, so gleitet ihr unteres Ende
immer an der äussern Wandung des untern Nasenganges herab, und man wird bei die-
sem Vorgange die Klappe kaum in 1 von 20 Fällen verletzen. — Wenn Hasner S. 90
sagt, „er sondire nur m solchen Fällen, wo die Dacryocystitis eine Complication ande-
rer Krankheiten des Thränenschlauclies sei, z. B. bei Verwachsung des Maxillarstückes,"
so ist wohl nur die Einführung der Sonde von oben gemeint, die doch verworfen wird ;
wir begreifen übrigens nicht, wie man z. B. Verwachsung des Maxillarstückes schon vor
der Anwendung der Sonde diagnosticiren könne, um sich erst durch eine solche Com-
plication zur Anwendung der Sonde bestimmen zu lassen.
. Unmittelbar nach der Eröffnung des Thränensackes schreite man noch
nicht zur Untersuchung mit der Sonde, sondern bloss zu Einspritzungen
lauen Wassers, um das in demselben angesammelte Secret völlig zu be-
seitigen. Das Engerwerden und Verwachsen der Öffnung verhindere man
durch Einlegen von Charpie, welche jedoch gerade nur so tief eingescho-
ben werden darf, als der Zweck erheischt. Ist die Absonderung der
Schleimhaut des Thränensackes sehr reichlich, so dass sie denselben in
24 Stunden wieder beträchtlich ausdehnen oder gar den Charpiepfropf
412 Thränenorgane.
herausdrangen würde, so muss die Einspritzung täglich 2inal vorgenom-
men werden. Nach einigen Tagen gehe man zu adstrtnjßr enden, allmälig
stärkeren Einspritzungen über (mit Zincum aceticum oder sulfuricum,
Lapis divinus, Argentum nitricum). — Ist die Secretion minder reichlich
und minder dick geworden, so lege man bei abwärts gerichtetem Spritzen-
schnabel den Finger so an, dass nichts neben der Spritze oder durch die
Thränenpunkte zurück kann, um die Flüssigkeit wo möglich in die Nase
zu treiben, falls dieselbe nicht schon auch ohne diese Beihilfe dahin ab-
geflossen sein sollte, was in vielen Fällen gleich bei den ersten Ein-
spritzungen geschieht. Erst jetzt ist es erlaubt, den Thränenschlauch mit
der Sonde zu untersuchen. In Fällen, wo die Injection gleich anfangs
oder doch in kurzer Zeit frei in die Nase abfloss, und wo man nicht
Ursache hat, Stricturen zu vermuthen, ist es gar nicht nothwendig zu
sondiren. Wenn dann der Thränensack zum normalen Volumen zurück-
gekehrt ist und seine Wandung nicht mehr infillrirt erscheint, wenn sein
Secret nicht mehr trüb , sondern eiweissähnlich ist, und auch der Zustand
der Schleimhaut der Nase keine weitem Befürchtungen erregt, so lege
man keine Charpie mehr in die Öffnung, sondern bedecke diese bloss
mit englischem Pflaster, und lasse sie sich allmälig schliessen. Sollten
die Ränder callös geworden sein, so werden sie durch Scarification oder
einen dünnen Cylinder von Lapis infernalis wund gemacht. In sehr kleine
Öffnungen schiebe man ein Splitterchen Lapis oder einen in Salpetersäure
getauchten Silberdraht.
Zu den Einspritzungen bediene ich mich einer durchaus gläsernen Spritze, welche
ohngefähr einen Esslöffel Flüssigkeit fasst, 3/4" dick und 4 — 5" lang ist, und in ein etwa
Rabenfeder-dickes, leicht gebogenes, gut abgerundetes Rohr endet. Die Charpiewieken
schiebe ich, wenigstens später, nicht mit der Sonde ein, um jede Verletzung und Zer-
rung fern zu halten. Ich bilde etwa 7 — 8 " lange und 1"' dicke, fest zusammengedrehte
Cylinder aus Charpie, welche (durch das Umschlagen) vorn gut abgerundet sind, und
mache sie durch wiederholtes Eintauchen der vordem Hälfte in eine Gummilösung hart
und glatt, so dass sich diese steife Hälfte bequem einlegen, die biegsame mit engli-
schem Pflaster an die Haut wohl befestigen lässt.
Zeigt sich die Untersuchung mit der Sonde nothwendig, so lasse
man den Kranken so sitzen, dass man seinen Kopf mit der linken Hand
fixiren kann, und sorge dafür, dass er nicht während des Sondirens,
gegen welches Manche ausserordentlich empfindlich sind (bis zum Ohn-
mächtigwerden), in die Hand greife. Auch in krankhaft erweiterten
Tliränensäcken liegt der Eingang in den Nasencanal zu unters t nach hin-
ten und innen, daher man sich immer an die Rinne des Thränenbeines zu
halten hat. Stosst man auf Hindernisse, so ziehe man die Sonde ein
Behandlung der Thränensaekentzündung. 413
wenig- zurück, und corrigire nötigenfalls ihre Richtung. Bei Verengerung
durch einfache Hypertrophirung lässt sich die Sonde hinabschieben, aber
unter dem Gefühle, als würde sie etwa zwischen zwei Fingern gehalten.
Stricturen fühlen sich hart an. Polypöse Excrescenzen am Eingange in
den Nasencanal lassen sich umgehen. Entblösste oder cariöse Knochen-
partien sind rauh, letztere zugleich mürb; bei Caries pflegt die silberne
Sonde schwarz zu werden. Ob eine Verwachsung häutig oder cylindrisch
sei, dürfte sich durch die Sonde kaum ermitteln lassen, hat auch, da beide
unheilbar sind, nichts zu bedeuten.
Schwankt man zwischen Stricturirung und einfacher Hypertrophie
so führe man sogleich, oder bei grosser Empfindlichkeit erst nach einigen
Tagen eine Darmsaite ein, Violin E oder A. Ein gradgestrecktes Stück,,
gegen l'/a" lang, wird an dem einen Ende gut abgerundet, an dem
andern hakenförmig umgeknickt, so dass 4 — W" zur Befestigung ausser-
halb des Thränensackes abgebogen erscheinen. Dickere Saiten müssen
an der Einknickungsstelle zugleich mit einem Messer etwas eingekerbt
werden , damit sie die Knickung behalten , weil sie sonst beim Erweichen
mit in den Thränenschlauch hineingezogen werden. Die Saite kann 24
Stunden liegen bleiben; neben ihr muss noch eine Charpiewieke einge-
legt werden, damit sich die HautölFnung nicht vor der Zeit verengere.
Vor ihrer Entfernung lasse man laues Wasser in die Nase ziehen, um den
an ihrem untersten Ende etwa angetrockneten Nasenschleim zu erwei-
chen, damit er nicht beim Zurückziehen der Saite die Schleimhaut aufritze.
Sind Stricturen vorhanden, so erscheint die Saite an den betreffenden Stel-
len minder aufgequollen oder eingeschnürt. An stärkeren Saiten (A und D)
treten solche Einschnürungen deutlicher hervor.
Nur bei einfacher Hypertrophie kann man auf Wiederherstellung
des normalen Zustandes rechnen. Blosslegung des Knochens im Thrä-
nennasengange ist der Stricturirung gleich zu achten, im Thränensacke
kann sie ohne erheblichen Nachtheil heilen , obwohl sie die Prognosis im
Allgemeinen trübt. Die Sorge für Entfernung des Secretes durch die
Hautöffnung ist (nebst der etwa nöthigen allgemeinen Behandlung) das
Beste und Einzige, was hier zunächst geschehen kann, und schon dieser
Umstand zeigt die Überlegenheit dieser Methode (der Eröffnung des Thrä-
nensackes) über alle andern. Bei Verwachsungen, bei deutlichen Strictu-
ren, bei Geschwüren im Thränennasencanale verzichte man auf Wieder-
herstellung der Durchsichtigkeit desselben, wenigstens auf bleibende, und
schlage dem Krankdn die Verödung des Thränensackes vor.
Ist Aussicht vorhanden, die Schleimhaut (wenigstens im Nasengange)
414 Thräiienorgane.
zum normalen Zustande zurückzuführen, und ist diess bei gehöriger all-
gemeiner diätetischer und pharmaceutischer Behandlung (wo solche nöthig)
nicht schon unter einfachen Einspritzungen gelungen, so wende man ge-
gen die Hypertrophie der Schleimhaut noch mechanische Qdilatirende, com-
primirende) Mittel an. — Das zweckmässigste unter den zahlreichen hiezu
vorgeschlagenen Mitteln dürften Bleidrähte sein, wenn man von dünneren
Cla!" Durchmesser) allmälig zu dickeren (1'") übergeht. Man nimmt ein
Stück von beinahe t%" Länge, rundet es an dem einen Ende glatt ab,
und biegt es an dem andern hakenförmig um, so dass der kürzere Schen-
kel etwa */«," lang wird. Das Ende dieses Schenkels muss bis über den
Orbitalrand hinabreichen, damit es an diesem eine feste Stütze finde. Die-
ser Draht kann mehrere Tage liegen bleiben. Fände man sein unteres
Ende mit vertrockneten S.chleimkrusten belegt, so müsste es etwas verkürzt
werden. Der Übergang zu stärkeren Drähten kann in Zeit von 8 — 14
Tagen gemacht werden , bei geringeren Dickenunterschieden auch früher.
Der stärkste Draht muss in der Regel mehrere Monate lang getragen, je-
doch von 8 zu 8 Tagen immer untersucht, und falls er rauh (erodirt oder
incrustirt) befunden würde, mit einem frischen vertauscht werden. Wenn
dann durch die Hautöffnung kein schleimig-eitriges Secret mehr zum Vor-
schein kommt, lasse man, bevor man zur Verschliessung der Hautöffnung
schreitet, erst noch einige Zeit wieder einen dünnem Stift tragen, um zu
sehen , ob dann auch der dickere wieder ohne Hinderniss durch den Na-
sencanal geführt werden kann. Immer wird man aber jetzt die Hautöffnung
zu eng finden, daher durch ein Stückchen Pressschwamm erweitern müs-
sen. Noch besser ist es, einige Tage vor Verschliessung der Öffnung gar
nichts in den Thränennasengang einzulegen, dabei aber die Hautöffnung mit
englischem Pflaster und Collodium luftdicht verschlossen zu halten. Zeigt
sich dann der Thränennasengang nicht nur offen , sondern auch noch hin-
reichend weit, so schreite man zur bleibenden Verschliessung der künst-
lichen Ölfnung. — Der andern Mittel werden wir weiter unten (beim ge-
schichtlichen Überblicke) gedenken.
Ist endlich auf bleibende Wiederherstellung der Durchgängigkeit des
Thränennasenc anales nicht zu rechnen, so schlage man dem Kranken die
Verödung des Thränensackes vor. Behufs dieser muss zunächst für eine
grössere Öffnung gesorgt werden, durch Einlegen von Pressschwamm oder
durch Schlitzung, selbst bis über das innere Augenlidband hinauf. Will
man sich zur Verödung des Lapis bedienen, so wird eine wiederholte
nachdrückliche Touchirung der ganzen Schleimhautfläche nölhig und auch
da ist der Erfolg noch nicht ganz sicher. Veilässlicher wirken Mineral-
Behandlung der Thränensaekfistel. 415
säuren, deren Einführung (mit einem Asbestpinsel oder Tropfgläschen)
jedoch grosse Vorsicht erheischt. Das gebräuchlichste Mittel ist das Glüh-
eisen, das beste der Middeldorpf1 sehe galvanokaustische Apparat, welcher
in neuester Zeit von Gräfe zu diesem Zwecke angewendet wurde.
6) Bei der Thränensackentzündung kann man auf Zertheilung nur
dann hoffen, wenn sie noch nicht bis zur Eiterbildung vorgeschritten ist.
Örtliche Blutentziehungen und kalte Umschläge habe ich zu diesem Zwecke
fruchtlos angewandt ; hingegen sah ich mehrmals beim Gebrauche trockener
warmer Tücher die Erscheinungen in wenig Tagen zurückgehen und den
frühern Zustand wiederkehren. Ob das Einziehen von warmem Wasser
oder von Wasserdämpfen in die Nase von Nutzen sei, blieb mir unent-
schieden. Andrea *) empfiehlt bei minder stürmischem Auftreten Fomen-
tationen mit in Bleiessig getränkten Bäuschchen. — Ist die Entzündung so
weit vorgeschritten, dass der in der Tiefe gebildete Eiter durchzuscheinen
beginnt, so ist es das beste, den Thränensack an der erhabensten Stelle,
doch nicht zu tief unten, mit einer Lanzette zu eröffnen. Man erspart
dem Kranken die an den spontanen Durchbruch der Haut gebundenen
Schmerzen und man erhält statt einer mehr weniger grossen, unregel-
mässigen und wohl auch noch unbequem gelegenen Öffnung eine lineare,
3— 4'" lange Wunde, welche man nachträglich, falls es nöthig werden
sollte, zu Einspritzungen und zum Sondiren benützen kann. — Hat man ge-
öffnet, oder war bereits spontaner Durchbruch erfolgt , so entleere man
den Thränensack durch allmälig verstärkten Druck von oben und von der
Seite her und durch Einspritzen lauen Wassers, und bedecke die Öffnung
mit etwas Charpie und einem Heftpflaster. Sind die Wund- oder Ge-
schwürsränder noch stark infiltrirt, roth und empfindlich, so lasse man
noch durch einige Tage Cataplasmata einollientia anwenden oder doch das
Auge trocken verbunden tragen. — Nach einigen Tagen wird sich dann
nach der Beschaffenheit des Thränensackinhaltes, nach dem freien oder
gehinderten Abflüsse der Injectionen nach der Nase, vorzüglich aber aus
genauer Würdigung der anatomischen und ätiologischen Momente bestim-
men lassen, ob man die Wunde sich schliessen lassen oder aber durch Ein-
legen von Charpiewieken offen erhalten soll, um weiterhin ganz so zu ver-
fahren, wie bei Blennorrhoe nach geschehener Eröffnung des Thränensackes.
c) Bei der Thränensaekfistel entsteht zunächst die Frage, wodurch
dieselbe erhalten werde, ob bloss durch verminderte oder aufgehobene
Durchgängigkeit des Thränennasencanales, oder zugleich durch Blosslegung
*) Grundriss.der Augenheilkunde, Leipzig, 1846, II. B. S, 106.
416 Thränenorgane.
oder wirkliche Caries des Knochens. Zur Beantwortung dieser Frage wird
die Anwendung der Sonde nöthig, auch dann, wenn ein manifestes Hin-
derniss der Durchgängigkeit, z. B. ein Nasenpolyp vorliegt. Wäre dem-
nach die Hautöffhung nicht bequem gelegen, so müsste entweder dieselbe
entsprechend erweitert werden (am besten durch Schützling gegen das
Augenlidband hin), oder man müsste einen frischen Einstich so wie bei
Blennorrhoe machen (bei zu entfernt gelegenen FistelöfFnungen). Weiter-
hin kommt in Bezug auf Diagnosis, Prognosis und Therapie derselbe Vor-
gang, wie wir ihn bei der Blennorrhoe nach Eröffnung des Thränensackes
angegeben haben, in Anwendung.
d) Die Complication mit Caries erfordert rücksichtlich der örtlichen
Behandlung vorzüglich Sorge für möglichst freien Abfhiss des Secretes
und fleissige Beseitigung desselben durch Einspritzungen mit lauem Was-
ser. Die allgemeine, diätetische und pharmaceutische Behandlung des zu
Grunde liegenden Allgemcinleidens ist wenigstens nicht minder wichtig.
C, Geschichtliche Bemerkungen.
Bis zu Ende des vorigen Jahrhundertes gebrauchte man für die verschiedenen krank-
haften Zustande des Thränenschlauches im Allgemeinen den Namen Thränenfistel , die
man in mehrere Grade eintheilte. Als 1. Grad bezeichnete man ohngefähr das, was wir
als Blennorhöe besprochen haben; der 2. Grad kam mit dem iiberein, was wir als Thra-
nensackentzündung geschildert haben. Diese beiden Grade (mit Einschluss der Hernia
nach Heister, und des Hydrops nach Ancl) wurden auch unechte oder verborgene Fistel
genannt. Den 3. Grad bildete die wirkliche Fistel als echte und einfache, und den 4.
Grad (nach Einigen) die mit Caries verbundene , als coniplicirte Fistel. — Diese allge-
meine Benennung scheint sich theils wegen mangelhafter Kenntniss der Anatomie —
obwohl schon Vesale und Fallopius den Thränenschlauch genau kennen gelehrt hatten —
theils aber und vorzüglich dcsshalb so lange erhalten zu haben, weil man das aus den
Thriinenpunkten oder der Fistel entleerte Secret für das Product eines im Thräoensacke
sitzenden Geschwüres hielt. Erst die Arbeiten von Ad. Schmidt und J. G. Beer zu An-
f
fang des jetzigen Jahrhundertes brachten mehr Einsicht in die Nosologie des Thranen-
schlauches, obgleich auch sie noch manches zu wünschen übrig Hessen.
Rücksichtlich der Therapie sah man, wie Himhj bemerkt, diese Krankheiten na-
mentlich im vorigen Jahrhunderte noch zu viel von einem mechanischen Gesichtspunkte
an, indem man nur Eröffnung oder Erweiterung des Thränennascncanales durch mecha-
nische Mittel zu erreichen suchte; in spaterer Zeit verfielen Manche in den entgegenge-
setzten Fehler, sahen bloss auf kranke Erregung, gar nicht auf mechanische Verenge-
rung; in der neuesten Zeit ist man wieder zur bloss mechanischen Auflassung einseitig
zurückgekehrt. „Die allgemeine Behandlung der Grundkrankheiten ist sehr häufig die
Hauptsache; doch können Wir durch örtliche Mittel allerdings bedeutend mitwirken, und
in manchen Fällen durch sie allein helfen." *)
*) Himly, die Krankkeiten und Misaliildmitj des menschlichen Auges, Ppus poslhamiun. Berlin 1S43. I. Tli. S 323.
Geschichtliche Bemerk tuigcn über Tliriinriisackkrankheitcn. 417
Das älteste Verfahren, das man der Thränensackfistcl (den Thräncnschlauchleiden
überhaupt) entgegensetzte, ist die von Cehus beschriebene Ausrottung oder Verödung
des Thräueiisackes mit dem Messer oder dem Glüheisen.
Sodann (zur Zeit des Archigenes , Paul von Aegina, Rkaz-es) verfiel man auf den
Versuch, mittelst Durchbohrung des Thränonbciiies einen neuen Weg für die Thränen
zu gewinnen. Doch unterschied Rhazes bereits zwischen verschiedenen Zustünden, und
empfahl nebst der Cauterisation und der Thränenbeindurchbohrung für besondere Fälle
die Compression des ausgedehnten Thränensackes, für andere dagegen Injectionen in
denselben. — Neben diesem Verfahren, welches bis zu Anfang des vorigen Jahrhunder-
tes am meisten geübt wurde, wandte man bei Ausdehnung des Thränensackes continuir-
liche Compression an (Verduc 1685), wozu von Stahl, Sharp, Hennemann u. A. eigene
Instrumente erfunden wurden.
Die 3. Hauptmethode hat die Wiederherstellung der Durchgüngigkeit des
Thränenschlauches zum Ziele; wir finden sie bereits in Avicenna's Verfahren, Ein-
ziehen eines Fadens in den Canal vertreten, doch erst seitAnel (1712) weiter ausgebildet.
Durch beinahe anderthalb Jahrhunderte ging das Streben der tüchtigsten Chirurgen dahin,
zu diesem Zwecke geeignete Mittel und Methoden aufzufinden. — Anel führte täglich
eine silberne oder goldene Sonde durch das obere Thränenröhrchen bis in die Nase hinab,
und machte durch das untere Einspritzungen mit der nach ihm benannten Spritze. Mä-
jean führte auf demselben Wege mittelst einer geöhrten Sonde, die er mit einer Sonden-
platte in der Nase auffing und hervorzog, einen Faden durch den ganzen Canal, mittelst
dessen er eine Charpiemesche in den Thränennasengang hinaufleitete, die er dann mittelst
eines zweiten, an dieselbe angeknüpften Fadens wieder herausbeförderte, um sie täglich
durch eine neue , allmälig dickere zu ersetzen. Cabauis benützte einen auf gleiche
Weise eingeführten Faden zur Einziehung einer biegsamen Röhre in die Nasenmündung,
um durch diese die Einspritzungen zu machen. — Mejean's Verfahren führte zur Erfin-
dung der sogenannten Sondenfänger, um die Sonde aus der Nase hervorzuziehen, und
wurde mit wenig Abänderungen, wovon die wesentlichste die, dass man statt des Thrä-
nenpunktes die künstliche Öffnung an der vordem Wand des Thränensackes benutzte,
bis in die neuere Zeit geübt. Cabanis Vorgang wurde bald durch die folgende (La
Forest'sche) Methode überflüssig. — Diese Methoden trifft mindestens der Vorwurf, dass
sie die Thränenröhrchen mehr als zulässig ausdehnen und leicht zerreissen«
La Forest (1739) und fast 100 Jahre später Dubois und Gensoul schoben eine
eigentümlich gekrümmte Sonde durch die IVöse bis in den Thränensack hinauf, um den
Nasengang zu erweitern; zu Injectionen bedienten sie sich ähnlich geformter Röhrchen.
Gensoul gab der Sonde die doppelte Krümmung, welche die jetzt üblichen Instrumente
besitzen und verband sie auch, wenn bedeutende Verengerungen gehoben werden sollten,
mit einem Ätzmittelträger. Über den diagnostischen und therapeutischen Werth dieser
Methode haben wir uns oben ausgesprochen.
J. Louis Petit (1734) brachte die von Stahl (1702) vorgeschlagene Eröffnung des
Thränensackes unter dem Augenlidbande in Aufnahme. Er drang mit einem einerseits
gefurchten Bistourie unterhalb des Augenlidbandes in den Thränensack, stiess an der
Furche eine Hohlsonde nach , und schob nach Entfernung des Messers in der Sonden-
rinne eine Rougie in den JSasengang hinab. Die Modifikationen dieses Verfahrens bezie-
hen sich hauptsächlich auf die sogenannten Dilationsmiltel und auf die Art ihrer Ein-
führung. Sein Schüler Desault (1770) leitete über einer in den Canal eingeführten Sonde
Arlt's Augenheilkunde III, 2. 27
418 Thräiicnorgane.
ein silbernes Röhrchen in denselben, in welchem er dann mit der Sonde einen Faden
hinnbscbob, den der Kranke hervorschneuzen musste; diesen Faden benützte er so wie
Mejean zur Einführung allmälig verstärkter Meschen. Giraud bediente sich zur Einfüh-
rung des Fadens durch jenes Röhrchen einer dünnen, unten mit einem Knöpfchen, oben
mit einem Öhr versebenen Stahlfeder (Bellocq sc\\e Röhre). Dieses Verfahren fand trotz
seiner Schiuerzhaftigkeit viel Aufnahme , wurde namentlich auch von Walter und Chelhts
zu dem Zwecke adoptirt, um mittelst des Fadens nach und nach stärkere Fadenbüscheln
von der Nase aus in den Nasengang hinaufzuziehen. Himly wählte zur Einführung des
leitenden Fadens eine etwa spannenlange Darmseite, oder wo diese nicht durchdrang'
die Mc/can'sche Sonde, was denn auch Walthcr und Chelius annahmen, und J. N. Fischer
leitete eine etwas dickere , jedoch locker gedrehte Seidenschnur mittelst einer E-Darm-
saite durch den Thränenschlauch , welche (an dem täglich einzuziehenden Stücke) mit
Flüssigkeiten oder Salben imprägnirt wurde. — Diese Methoden müssen wohl alle die
an der Nasenmündung befindliche Falte mehr weniger verletzen.
Die Benützung von Darmsaiten zur Dilation des Nasenganges, schon von Stahl ein-
geführt, kam erst durch Richter (1770), noch mehr aber durch Beer (1790) in Ge-
brauch. Ihre Anwendungsweise haben wir bereits oben angegeben. Man verband damit
Einspritzungen oder bestrich die Saite mit Salben. Beer bediente sich bloss langer Sai-
ten ; Andere Hessen nachträglich noch durch längere Zeit Bleinägel tragen. — Das täg-
lich nothwendige Zurückziehen und Einlegen frischer Saitenstücke ist unbequem und
leicht verletzend ; zum Tragen langer Saiten , welche über die Stirn herablaufen müssen,
wie die Fischer sehe Seidenschnur, entschliessen sich die wenigsten Kranken.
Die schon seit früheren Zeiten üblichen Bleidrähte versah Scarpa (1801) oben mit
einer Platte, welche nicht nur das Hinabsinken des Stiftes bis auf den Nasenboden ver-
hindern, sondern auch auf den ausgedehnten Thränensack comprimirend wirken soll
Der ziemlich schwere und bloss durch die Platte gestützte Stift macht durch anhaltenden
Druck die Muskelfasern allmälig atrophisch, und bewirkt leicht die Bildung einer trichter-
förmigen Grube.
Endlich wurden silberne, goldene oder bleierne Röhrchen, wie solche schon in frühern
Zeiten, namentlich von Plattner (1724) nach Durchbohrung des Thränenbeins eingeheilt
worden waren, später von Faubert (1750), Walther, Ware, besonders aber von Du-
puytren (1812) in den Thränennasencanal eingelegt (allenfalls auch mit Gewalt einge-
trieben) und eingeheilt.
Wie früher das eben beschriebene, der Kunst und Wissenschaft wahrlich nicht zur
Ehre gereichende Verfahren schien in neuester Zeit die Verödung des Thränensttckes zur
allgemeinen Methode erhoben werden zu wollen, nachdem P. Biagini den noch weiter
durch Beobachtungen zu bestättigenden Satz aufgestellt hat, dass nach Verödung des
Thränensackcs sich auch die Absonderung der Thränenflüssigkeit vermindere , und die
Thränendrüse atrophisch werde. Biagini fand bei einem von Camici durch Verödung
des Thränensackes von einer Thräncnsackfistel geheilten Individuum bei der Section den
saecus und duetus lacryni. obliterirt, in zcllig fibröses Gewebe verwandelt, nnd die Thrä-
nendrüse an dieser Seite viel kleiner, atrophisch. Zur Untersuchung der Thränendrüse
hatte ihn der Umstand bewogen , dass der von der Thräneusackfistel Gebeilte nur höch-
stens an einem geringen und nicht lästigen Thränenflussc gelitten halle.
XII, Blich.
Die Augenhöhle, Orbita.
A, Anatomisch -physiologische Bemerkungen,
Das Knochengerüst der Augenhöhle kann als eine Pyramide betrach-
tet werden, deren Basis von oben nach unten circa 15'", von innen nach
aussen circa 18'" misst, und deren Spitze ohngefähr 21'" hinter der Basis
liegt. Im Kindesalter ist die Achse der Orbita relativ zu den Durch-
messern der Basis unverhältnissmässig kurz. Die Basis bildet der Orbital-
rand, welcher an der Schläfenseite weiter hinten liegt, als an der Nasen-
seite. Die obere Wand wird vom horizontalen Theile des Stirnbeines,
nächst der Spitze jedoch vom kleinen Flügel des Keilbeines gebildet; sie
ist stark ausgehöhlt, besonders gegen die Schläfenseite hin, wo sie die
Thränendrüsengrube bildet, und trennt die Augenhöhle von der vordem
Schädelgrube. Der Stirnbeinknochen ist hier meistens sehr dünn, häufig
stark durchscheinend, bisweilen selbst durchlöchert. Die Anheftungsstelle
der Trochlea am Übergange der obern in die innere Orbitalwand bezeich-
net ohngefähr die Mitte der Stirnhöhle, welche sich von da aus-, ab-,
rück- und vorwärts erstreckt. Die äussere ziemlich senkrecht stehende
Wandung wird grösstenteils durch den grossen Flügel des Keilbeines,
vorn jedoch vom Jochfortsatze des Stirnbeines (oben) und vom Joch-
beine (unten) gebildet. Der grosse Flügel des Keilbeines trennt die Augen-
höhle durch eine meist bis zum Durchscheinen dünne Platte von der
mittlem Schädelgrube , vorn aber gemeinschaftlich mit dem Joch- und
Stirnbeine von der Schläfengrube. Die innere Wand, grösstenteils von
27*
420 Augenhöhle.
der Papierplatte des Siebbeins gebildet, vorn aber vom Augengrubenlheile
des Thränenbeins, hinten vom kleinen Flügel des Keilbeines (bisweilen
auch von einem Theile des Gaumenbeines) ergänzt, dacht sich vom Stirn-
beine angefangen allmälig nach aussen ab, so dass sie ohne Bildung eines
besondern Winkels in die untere Wand übergeht. Sie trennt die Augen-
von der Nasenhöhle und ist unter allen die dünnste. Die untere, von vorn
nach hinten allmälig aufsteigende Wand wird grösstentheils vom Ober-
kieferknochen gebildet, hinten von einem kleinen Theile des Gaumenbei-
nes, vorn und aussen vom Jochbeine ergänzt, und trennt die Augen- von
der Highmorshöhle. An ihr verläuft der Canal, der den Nervus und die
Arteria infraorbitalis von der untern Augenhöhlenspalte zur Antlitzfläche
leitet, und in seinem hintern Theile bisweilen nicht gedeckt, sondern als
Furche erscheint.
An der Spitze der Orbita, und zwar in dem Winkel, wo die obere
und innere Wand zusammenstossen, tritt das Schnerrenloch durch den
kleinen Flügel des Keilbeines zur Orbita herab. Auswärts davon, wo die
obere und äussere Wandung an einander stossen sollten, befindet sich
zwischen den Keilbeinflügeln die gegen 3/4" lange und 1 — 2"' breite obere
Augenhöhlenspalte,, durch welche die bereits früher erwähnten Nerven aus
der mittlem Schädelgrube in die Orbita treten, die Vena ophthalmica da-
gegen zurück läuft. Die äussere und untere Wand sind in ihren hintern
zwei Dritteln durch die zwischen dem grossen Flügel des Keilbeines und
dem Oberkieferknochen verlaufende untere Augenhöhlenspalle von einander
geschieden. Die Orbita communicirt durch diese Spalte mit der Flügel-
gaumengrube, und erhält durch sie von dem aus dem Foramen rotundum
der mittlem Schädelgrube austretenden 2. Aste des Trigeminus den Haut-
wangen- und den Unteraugenhöhlen-Nerven, so wie von der Carotis ex-
terna (mittelst der innern Kieferarterie) die Art. infraorbitalis, an welcher
die gleichnamige Vene zurückläuft. Sie ist länger und breiter als die obere.
An der Bildung des Augenhöhlenrandes betheiligen sieh drei Knochen.
Der dem Stirnbein angehörende Theil beginnt nahe über der Kuppel des
Thränensackes ziemlich abgerundet, bietet dann eine mehr weniger tiefe
Einkerbung dar, welche die Austrittsstelle des Nervus und der Art. supra-
orbitalis bezeichnet, wird von da auswärts immer schärfer, und ragt vor
der Thränendrüsengrube am weitesten herab. Der Jochbeintheil beginnt
ohngefähr 1/<i" oberhalb der äussern Commissur, geht erst ziemlich flach
(ohne einen Vorsprung zu bilden) in die äussere Orbitalwand über, springt
dann, an den untern Umfang der Orbita gelangt, stark vor, so dass hinter
ihm eine seichte Grube entsteht, und endet ohngefähr in der Mitte des
Anatomie — Physiologie. 421
untern Augenhöhlenumfanges oder noch etwas weiter nach innen. Der
Orbitalrand des Oberkieferknochens ist nur im Bereiche des untern Orbi-
talumfanges und vor der untern Hälfte der Thränensackrinne einigermassen
scharf, an der Innenseite der Orbita durch eine bisweilen sehr stumpfe
Leiste angedeutet, und verflacht sich in die innere Wand.
Die Beinhaut der Augenhöhle (Periorbita) bildet nicht nur eine un-
mittelbare Fortsetzung der Beinhaut des Gesichtes, sondern erhält gewis-
sennassen noch einen verstärkenden Überzug von der harten Hirnhaut
durch das Sehnervenloch und die obere Augenhöhlenspalte. Sie ist be-
trächtlich dick und fest, an der freien Fläche platt, an der andern Fläche
mit den Knochen, wo diese platt sind, nur locker verbunden ; nur an den
Rändern, Nähten und Spalten der Knochen, und an den Insertionsstellen
der Muskeln, der Rolle und über der Thränendrüse lässt sie sich nicht
leicht vom Knochen abschaben. Der Thränensack ist gleichsam zwischen
zwei Platten derselben eingeschoben. In der hintern Hälfte liegen die
Muskeln (der Levator palpebrae oben, der Obl. super, und R. internus
innen, u. s. w.) unmittelbar an der Periorbita; erst in ihrem weitern Ver-
laufe nach vorn ist eine mehr weniger mächtige Lage fettreichen Binde-
gewebes (Orbitalfett) dazwischen eingeschoben.
Das Fettgewebe der Orbita, welches gleichsam zur Ausfüllung der
Zwischenräume zwischen den Wandungen und den einzelnen Gebilden der
Orbita dient, ungemein weich, in grossen Zellen eingeschlossen und ela-
stisch ist, kann füglich in eine centrale und peripherische Lage geschie-
den werden, welche in den Zwischenräumen der R. recti mit einander
zusammenhängen. Die centrale Lage wird seitlich von den geraden Au-
genmuskeln, vorn vom Bulbus begrenzt, in der Mitte vom Sehnerven
durchbohrt. Die peripherische Lage, vorn durch die Augenlidbinde und
Augenlidbänder begrenzt, schiebt sich zwischen die Orbitalwand und die
von dieser an den Bulbus tretenden Muskeln ein, und hat ihre grösste
Mächtigkeit unmittelbar hinter dem Orbitalrande und hinter der Augenlid-
binde, oben besonders zwischen dem Levator palp. und dem Knochen von
der Thränendrüse bis zur Trochlea, unten vorn Ursprünge des M. obliquus
inf. bis zu dem zelligfibrösen Gewebe, welches hinter dem Ligatn. palp.
extern, zur Periorbita streicht. — Wo es gilt, ohne Verletzung wich-
tiger Gebilde in das Bereich des Orbitalfettes einzudringen, führe man
oben zwischen der Thränendrüse und Trochlea, unten zwischen dem Ur-
sprünge des M. obl. inf. und der äussern Commissur einen Schnitt nahe
am Orbitalrande und längs desselben durch die Cutis, den M. orbicularis
und die Augenlidbinde. Es wird dann in der Regel möglich sein, mittelst
422 Augenhöhle.
dünner Platten oder stumpfer Haken oben die Thränendrüse, den Levator
palp. oder die Sehne des Obl. superior, unten den Obl. inferior und den
Bulbus zur Seite zu schieben und vor Verletzung zu schützen. Auch
dann, wenn z. B. eine Geschwulst zwischen R. sup. und Levator palp. zu
beseitigen wäre, halte ich diesen Weg für besser, als dass man nach
Schlitzung der äussern Commissur vom Bindehautsacke aus eindringt, es
müsste denn das Augenlid durch die orbitale Geschwulst umstülpt und die-
ser Weg gleichsam durch die Hervortreibung der Bindehaut selbst als der
leichtere angedeutet sein.
Diese Andeutungen dürften hinreichen zur Orientirung bei Verletzun-
gen und Krankheiten der Orbita und der Organe in den angrenzenden
Höhlen, Dem Anatomen sind auch die undurchsichtigen Theile durchsich-
tig. Die Anatomie ist die Fackel der Chirurgie.
B. Krankheiten der Orbita.
Die Affcctionen, welche hier zu besprechen sind, gehen aus: a) von
den knöchernen Wandungen, ihrem fibrösen Überzuge, oder den angren-
zenden Höhlen ; b) von dem Fett- und Bindegewebe ; c) von den Gefäs-
sen, welche durch diese Gebilde zum Bulbus verlaufen. Sie gefährden je
nach ihrer Beschaffenheit und Ausbreitung bald nur die Lage und Func-
tion des Auges oder seiner Hilfsorgane, bald auch die Existenz des Bul-
bus, ja des Individuums. Ihre Diagnosis ist, im Allgemeinen, um so schwie-
riger, je tiefer die Affection sitzt, und je weniger sie noch an Ausbrei-
tung gewonnen hat. Die Erscheinungen, welche die Aufmerksamkeit des
Arztes auf eine Affection in der Tiefe der Orbita zu lenken vermögen,
sind im Allgemeinen: Schmerzen daselbst oder im Verlaufe von Zweigen
des 1. und 2. Astes des Trigeminus, welche die Orbita passiren oder zum
Bulbus treten; Doppeltsehen mit verminderter oder aufgehobener Action
eines, mehrerer, aller Muskeln; Verdrängung des Bulbus aus seiner Lage,
nach vorn, nach der der Affection entgegengesetzten Seite, oder beides
zugleich ; Zeichen von Druck auf den Sehnerven oder die Netzhaut, durch
Abnahme der Sehkraft oder durch Lichterscheinung-en. So lang-e nicht
einer und der andere dieser Zufälle vorhanden ist, wird man kaum eine
Ahnung von einer tiefern Orbitalaffection haben können. Es kann aber
auch jeder derselben, mit Ausnahme der wirklichen Verdrängung des
Bulbus, anderweitig bedingt sein, und es wird bei der Diagnosis nur das
Vorhandensein von mehreren und zugleich der Umstand entscheiden kön-
nen, dass dieselben nicht auf eine Affection des Bulbus oder der Organe
in den Nachbarhöhlen der Orbita bezogen werden können.
Krankheiten — Aneurysma — Teleangyektasie. 423
Da die Verdrängung des Bulbus aus seiner Lage ein Symptom der meisten Orbit;« I-
affectionen ist, so erscheint es schon desshalb nothwendig, zu untersuchen, ob dasselbe
oder ähnliches nicht auch anderweitig bedingt werden könne. Flachcrc Lage des Bul-
bus kann den minder Geübten leicht zur Annahme von Vergrösserung desselben ver-
leiten , und umgekehrt kann Verlängerung des Bulbus in der Richtung der Sehachse für
einen leichten Grad von Exophthalmus imponiren. Flachere Lage beider Bulbi kann
ohne alle anderweitigen Abnormitäten als einfaches Glotzauge bestehen, aber auch Symp-
tom sein von Herabdrängung der obern Orbitalwand durch Hydrocephalus (connatus
chronicus), von Hypertrophie und Sclerosis der Orbitalknochen, oder von Hyperämie und
Hypertrophie des Orbitalfetlgewebes bei Struma und Herzkrankheiten. In welcher Weise
die Muskeln die Lage des Bulbus beeinflussen , haben wir bereits im 9. Buche angege-
ben. Zu erwähnen ist hier noch der sogenannte Prolapsus bulbi (ptosis), welcher nur
auf gewaltsame Weise zu Stande kommt. „Ein auf einem kleinen Handschlitten sitzen-
der Knabe rannte im Herabfahren über eine Anhöhe seinen aufwärts kriechenden Kame-
raden mit der Deichsel des Schlittens über den Haufen. Man trug den bewusstlosen
Knaben mit blutendem Gesichte nach Hause. Die dünne Deichsel hatte, durch das obere
Lid in die Augenhöhle gedrungen, den rechten Bulbus luxirt. Der gerufene Wundarzt
war eben im Begriffe, den auf der Wange liegenden Augapfel wegzuschneiden, als er
durch einen Laien daran gehindert wurde, welcher meinte, dazu wäre noch immer Zeit.
Das getrennte Lid wurde geheftet und der Bulbus durch eine Art Suspensorium mit Heft-
pflasterstreifen gehoben. Diesen Vorgang erzählten uns mehrere verlässliche Augenzeu-
gen. Nach etwa 12 Jahren sahen wir den Verletzten selbst. Ausser einer bedeuten-
den, wagrechten Narbe am obern Lide fanden wir am Auge nichts Abnormes ; er konnte
es frei nach allen Richtungen bewegen, und las damit den kleinsten Druck." (J. JV. Fi-
scher, Lehrbuch, 1846, S. 35.) Makenzie erzählt in der London med. Gaz. 1838 einen
Fall von Ophthalmoptosis bei einem Manne , welche vor 5 Jahren entstanden war, als
derselbe eine schwere Last auf dem Rücken trug. Er wurde Gegenstand der Beobach-
tung, als er sich wegen einer katarrhalisch-rheumatischen Augenentzündung im Spitale
befand. Man bemerkte, dass der Augapfel auf der Wange vorgefallen war, als der
Kranke einmal abwärts blickte, und dass derselbe wieder zurückgebracht wurde, indem
dfr Kranke den Kopf in die Höhe hob und das Auge rieb. Das Merkwürdigste war,
dass bei diesem Vorfalle die Retina fortwährend ihre Function erfüllte. (Chelius Hand-
buch, 1839, II. B. S. 185.) Der Wiederholung solcher Vorfälle Hesse sich wohl durch
Verengerung der Lidspalte (Tarsoraphie) vorbeugen. (Vergl. III. B. 8. Buch. S. 29.)
Dass endlich der Bulbus auch durch Ödem seiner Umgebung hervorgedrängt werden
könne, wenn acute Ablagerung namentlich von eitrigem Exsudate, in demselben statt-
findet, wurde bei den Krankheiten der Chorioidea bemerkt.
I. Krankheiten der Gefässe.
a) Aneurysma der Art. ophthalmica wurde durch Section constatirt
von Guthrie und Carron du Villards. In Guthrie's Fall bestand das Übel
auf beiden Seiten, hatte Verdrängung der Bulbi, doch keine Blindheit be-
wirkt, und ein zischendes Geräusch (wohl auch Pulsation?) wahrnehmen
lassen. Die nussgrossen Geschwülste hatten auch den Rückfluss des Blutes
durch die Vena ophthalmica sehr behindert. Wodurch der Tod veranlasst
424 Augenhöhle.
wurde, und wie die übrigen Kreislauforgane beschaffen waren, findet sieh
bei Makenzie (1. c. S. 291, von wo diese Notiz entlehnt ist), nicht ange-
geben. Burk (the lancet, Manch. 136) unterband bei einem Aneurysma,
welches nach einem Schlage auf den Kopf entstanden war, die Carotis mit
glücklichem Erfolge. QChelius 1. c. S. 459).
6) Von Teleancjyektasia oder Aneur. per anastomosin in der Tiefe
der Orbita findet man bei Makenzie (1. c. S. 283) zwei vollständige und
genaue Beobachtungen von Travers und Dalrymple. Die Krankheit ent-
wickelte sich plötzlich und ohne bekannte Veranlassung bei Frauen von
34 und 44 Jahren, bei der einen in den ersten, bei der andern in den
letzten Monaten der (sechsten) Schwangerschaft, bei beiden auf der linken
Seite. Den Beginn der Krankheit bezeichneten plötzlicher Eintritt heftiger
Schmerzen im Auge und in der entsprechenden Kopfhälfte und eine ei-
genthümliche Empfindung- von Knallen, Krachen oder Rauschen in der
Orbita ; dazu traten bald Odem der Lider, Hervortreibung derselben und
des Bulbus, starke Injection an letzterem, Abnahme der Sehkraft und ge-
hinderte Function einzelner Muskeln. Entscheidend für die Diagnosis war
das Auftreten pulsirender Geschwülste zwischen dem vor- und seitwärts
gedrängten Bulbus und dem Orbitalrande (in T. Falle unterhalb des Bul-
bus und über dem innern Augenlidbande, in D. Falle im Bereiche des untern
Lides), deren Grösse und Pulsation durch jede Aufregung gesteigert wurde.
Diese Geschwülste, allmälig an Grösse zunehmend, und von verdickter
Haut überzogen, waren theils weich wie lockere Wolle, theils derb und
elastisch anzufühlen, licssen sich durch Rückwärtsdrücken compriiniren,
und.gaben dann deutlich das Gefühl der Pulsation. Druck auf den Stamm
der gemeinschaftlichen Carotis machte die Pulsation gänzlich verschwin-
den ; Compression der Art. temporalis, angularis und maxillaris hatte keinen
Einfluss auf die Geschwulst. Die Venen des obern Lides und an den
Seiten der Nase waren varicös. — Da rasches Wachsen und Gefahr für
das Leben zu besorgen stand, wurde die Unterbindung der Carotis — in
beiden Fällen mit glücklichem Erfolge — unternommen. — Wegen einer
crcctilen Geschwulst in der rechten Orbita eines 5 Monate alten Kindes
unternahm Walton (Med. Tim. Juli 1852) die Unterbindung der Car. cotnm.
d. ohne nachtheiligen Einfluss (?) auf die Gesundheit des Kindes. Pulsa-
tion war nicht deutlich, aber mit dem Stethoskope hörte man ein Blasen
in den Arterien (?) der Augenhöhle. — Carron du ViUards erwähnt einer
vorwaltend durch Venenerweiteruiig: bedingten, daher nicht pulsirenden Ge-
schwulst in der Orbita eines 8 Monate allen Kindes, die er durch Exstir-
Entzündung des Oibitnläettgewebes. 425
palion und Unterbindung- von 3 ziemlich grossen Arlericnzweigen glücklich
beseitigte (1. c. S. 319.)
II. Krankheiten des Fettgewebes.
a) Entzündung des Fett- und Bindegewebes kommt meistens mit
Periostitis, doch auch für sich allein vor, und zwar sowohl in acuter als
in chronischer Form. So lange die AfFeclion noch auf einen kleinen Herd
beschränkt ist, können die Erscheinungen auch durch den Sitz (im retro-
bulbären oder im peripherischen Fettgewebe) modificirt werden. — Die
selbstständige acute Form ist entweder traumatischen Ursprunges, beson-
ders wenn fremde Körper eingedrungen sind, oder metastatisch, bei Pyämie,
nach Typhus. Das letztere Vorkommen versichert Carron d. V. bei der
österreichisch-sardinischen Armee 1818 beobachtet zu haben. Heftiger
Schmerz und Gefühl von Druck in der Tiefe der Orbita, Vordrängung des
Bulbus, Abnahme und Erlöschen des Sehvermögens unter Lichterscheinun-
gen, ödematöse Schwellung der Conj. bulbi und der Lider, dabei heftige
Fieberzufälle, wohl auch Delirien, entwickeln sich rasch nach einander und
verkündigen den Ausgang in Eiterung, der vielleicht nur bei zeitig und
energisch angewandter Antiphlogose verhütet werden kann. Entwickelt
sich die Entzündung in dem peripheren Fettgewebe, unweit von der Lid-
binde, so tritt die Schwellung zunächst an einem Lide und viel früher auf,
wird der Bulbus mehr nach der Seite als nach vorn verdrängt, und ge-
staltet sich die Prognosis für die Erhaltung des Sehvermögens und des
Bulbus günstiger. In beiden Fällen muss man dem Eiter so bald als mög-
lich freien Abfluss zu verschaffen suchen. — In einem von Deval*) nach
Scharlach beobachteten Falle von schnell aufgetretenem Exophthalmus scheint
acutes Ödem des Orbitalfettgewebes statt gefunden zu haben. — Bei
scrofulösen Kindern bildet sich bisweilen Eiferansammlung hinter dem
Bulbus unter minder stürmischen Zufällen, namentlich ohne heftige Schmer-
zen und ohne Fieber; da man, wenn der Eiter sich selbst einen Ausweg
durch die Cutis nächst dem Orbitalrande gebahnt hat, oder wenn die Er-
öffnung vorgenommen wurde, in solchen Fällen fast immer mit der Sonde
auf entblössten, necrotischen oder cariösen Knochen stösst, so bleibt es
unentschieden, ob diese Affection nicht gleich vom Knochen ausgegangen
sei. Doch versichert Carron d. F., solche kalte Abscesse, wie er sie nennt,
auch ohne Knochenleiden beobachtet zu haben. Vielleicht, dass die Ab-
lagerung und Schmelzung von Tuberkeln im Orbitalfette die Ursache sol-
cher Abscesse ist. — Je tiefer die Affection sitzt und je acuter sie auf-
*) Cunier annales iP'icul. Th. 21.
426 Augenhöhle.
tritt, desto mehr droht Gefahr der Erblindung und Zerstörung des Bulbus,
der consecutiven Erkrankung des Knochens, des Ergriffenwerdens der
Hirnhäute.
Auf eine Hervordrängung des Bulbus durch chronische Entzündung
und Hypertrophirung des Fett- und Bindegewebes der Orbita hat Sichel*)
aufmerksam gemacht. Wir theilen, statt der allgemeinen Schilderung, lieber
zwei seiner Beobachtungen mit.
Ein Frauenzimmer von 22 Jahren halte Hervortreten des linken Auges seit etwa 1
Jahre bemerkt ; in den letzten 6 Wochen hatte das Übel rascher zugenommen. Das Auge
war gerade nach vorn vorgetrieben, etwa 1 — 3'", weniger frei, doch nach allen Rich-
tungen beweglich, beim Anführen etwas resistenter. Die Augenhöhle Hess ihren Inhalt
rings um das Auge wulstig vorragen, die Falte des obern Lides war zum Theil verstrichen,
doch konnte man nirgends eine härtere oder erhabenere Stelle entdecken ; das Sehen
war nur wenig gestört (wie ?). Die Kranke war von lymphatischer Constitution, zu
Kopfcongcstionen geneigt, sonst gesund. Sichel diagnosticirte Hypertrophie des Zell-
Fcltgewcbes mit leichter chronischer Entzündung und seröser Infiltration. Blutegel aus
Perinäum, ein Purgans mit Scaminonium, Fussbäder mit Salz und Asche, reichliche Ein-
reibungen von Ung. neapol. an die Stirn und Schläfe, dann Calomel bis zur Salivation.
Anfangs nahm der Exophthalmus noch beträchtlich zu, die Lider wurden roth und etwas
ödemalös, ebenso die Conj. bulbi, und die Kranke hatte heftige Schmerzen in der Or-
bita. Nach einem Aderlasse und 20 Blutegeln vor dem linken Ohre beim Fortgcbrauche
der Quecksilbersalbe und des Calomels nahmen alle Erscheinungen allmälig ab, und die
Kranke wurde nach längerem innerlichen und äusserlichen Gebrauche von Jodkalium
ganz gesund, und war es noch ein Jahr später. — Bei einer 38jährigen Frau ragte der
linke Augapfel bedeutend mehr hervor als der rechte, war hart anzufühlen, und schein-
bar grösser. Die starke Erweiterung der Pupille erwies sich beim Versuche mit einer
engen Kartcnblattöffnung bloss als Mydriasis, indem die Kranke durch dieselbe fast ganz
deutlich sah. Man konnte keine umschriebene Geschwulst zwischen Bulbus und Orbi-
talwand, noch in der Tiefe entdecken ; der nach keiner Richtung hin abgelenkte Bulbus
liess sich weniger leicht rückwärts drängen, als im normalen Zustande, doch leichter,
als in Fällen, wo umschriebene und harte Geschwülste in der Orbita sitzen. Die Falte
des obern Lides war fast ganz verstrichen. Zugleich war Hypertrophie des Herzens zu-
gegen, die Schläge heftig, aussetzend, der Herzstoss fühl- und sichtbar. Aderlass, Ca-
lomel mit Digitalis, 3Iercurialeinreibungen. Mit dem Eintritte der Salivation auffallende
Besserung. Schon nach 8 Tagen war die Mydriasis verschwunden, der Bulbus fast in
die normale Lage zurückgekehrt. Sichel sah sie nach 6 Jahren noch vollkommen geheilt.
b) Das mehr weniger starke Hervortreten der Bulbi bei Individuen,
welche an Struma und excentrischer Hypertrophie des linken Herzventri-
kels leiden, dürfte zunächst auf Blutüberfüllung und Hypertrophie des
Orbitalfeltgewcbes beruhen. Dafür spricht wenigstens ein Sectionsbericht
von Ileussinger **), welcher die hinter den sonst normalen Bulbis befind-
| Bullet. gen. de ihcr Hai 1846.
"*) Casper'n Wochenschrift 1851, Nr. I
Apoplexie und Geschwülste in der Orbita. 427
liehe Fettmasse um mehr als das Doppelte vermehrt, eompacter, mehr dem
Rindertalge ähnlich und von gesättigter gelber Farbe, dabei die Thränen-
drüsen fast um die Hälfte kleinerfand, als im Normalzustände. Dr. Hel/J'l *),
der die bisher bekannten Beobachtungen zusammenstellte, bemerkt, dass
Antiphlogosis, namentlich Blutentziehungen, zu denen man sich durch die
Gehirnerscheinungen und Athmungsbeschvverden eingeladen sehen könnte,
durchaus verderblich wirken, dagegen der lange fortgesetzte Gebrauch
von Eisenpräparaten (bei Menstruationsanomalien mit Aloe und Myrrha) bei
Fleischkost und Aufenthalt im Freien entschieden nützen. Heussinger sah
Heilung (?) nach der Cur in Driburg, in einem andern Falle nach Ferrum
carbon. saccharatum.
c) Bluterguss m das retrobulbäre Fettgewebe kommt meistens nur
in Folge tief eindringender Verletzungen, doch auch spontan vor. Letzteres
ist constatirt durch eine Beobachtung von J. N. Fischer (Lehrbuch S. 359).
Bei einer sonst ganz gesunden Frau war seit dem Aufhören der Men-
struation allmälig Hervortreibung des linken Bulbus, ohne Aufhebung des
Sehvermögens eingetreten. Nach mehrjähriger Dauer dieses Zustandcs
bildete der des Sehvermögens allmälig beraubte Bulbus sammt den blau-
rothen Lidern hervorgetrieben, eine hühnereigrosse, aus einzelnen Knollen
zusammengesetzt erscheinende Geschwulst. Wegen heftiger Schmerzen
schritt man zur Ausleerung der Orbita. Die eine Zeit lang für melanotisch
gehaltene Geschwulst wurde später von Rokitansky als aus einzelnen (zu
verschiedenen Zeiten erfolgten) apoplektischen Herden des Orbitalzellge-
webes bestehend erklärt. — A. von Gräfe (Archiv I. B. 1. Abth. S. 424)
diagnosticirte Bluterguss in der Nähe der Spitze der Orbita bei einem
19jährigen Handwerksburschen, welcher nach anhaltender Feuerarbeit
plötzlich von Doppeltsehen befallen worden war (4 Tage vor der Con-
sultation).. Ein sehr genau angestelltes Examen ergab : vollkommene Läh-
mung des M. rect. inferior, superior und obl. superior, unvollkommene
des M. rect. internus und externus, Integrität des Obl. inferior; dabei
Verminderung der Sehkraft, und leichte Vorwärtslagerung des linken Bul-
bus. Gänzlicher Mangel von Gehirnerscheinungen ; Gefühl von Druck in
der Tiefe der Orbita ; Schmerz nur beim Versuche, den Bulbus zurückzu-
drücken, wobei die Resistenz ergab, dass die Vorlagerung nur durch Ver-
drängung, nicht durch Muskellähmung bedingt sein konnte. Alle diese Um-
stände, zusammengehalten mit einander und mit dem plötzlichen Auftreten
und dem Mangel aller entzündlichen Zufälle berechtigten zur Diagnosis
*J Ibid. 1*49, Nr. 30
428 Augenhöhle.
auf Bluterguss, welche überdiess in der raschen Rückbildung aller Zufälle
(binnen 14 Tagen) weitere Bestätigung fand. Verordnet wurden: Ruhe
des Auges und des Körpers, Blutegel, kühlende Abführmittel. — Bei reich-
lichen Orbitalblutergiessungen nach dem Eindringen fremder Körper in die
Orbita oder nach Fissuren der Orbitalvvandung in Folge von heftigen
Stössen oder Schlägen an den Kopf, empfiehlt Carron du Villards bei
Zeiten durch tiefe und gehörig breite Einstiche zwischen Bulbus und Or-
bital wand und durch Einspritzungen das Blut zu entleeren, bevor es noch
durch Zersetzung und Erregung von Entzündung, Eiterung u. s. w.
schlimmere Folgen herbeiführt. Carron d. V. fand in einem Falle, wo er
nach einer Schädelfractur Bluterguss in die Orbita diagnosticirt hatte, nahe
am Sehnervenloche eine Fractur und die Art. und Vena ophth. zerrissen.
— Wenn die Blutung noch fortbesteht, soll man sie durch Kälte und Druck-
verband zu beschränken suchen. Wo starke Reaction droht oder schon
da ist: rigorose Antiphlogose.
d) Balggeschwülste, Lipome, Sarkome, verschiedene Formen von
Krebs (Gallert-, Faser- und melanotischer) und Hydatiden (Echinococcus,
Acephalocystis) im Orbitalfette sind durch Beobachtungen constatirt. Die
Erscheinungen sind die der Verdrängung des Bulbus und der Lider, und
werden zunächst durch den Sitz (im retrobulbären oder im peripherischen
Fellgewebe), weiterhin durch die Grösse, die Consistenz (Inhalt) und das
mehr weniger langsame Wachen mannigfach modificirt. Eine exacte diffe-
rentielle allgemeine Diagnostik ist wohl zur Zeit noch nicht möglich. Wer
das Verhalten dieser Geschwülste in andern Körperregionen kennt, wird
bei genauer Untersuchung in einzelnen Fällen die Diagnosis mit mehr we-
niger Wahrscheinlichkeit, in andern höchstens bis zur Ausschliessung einer
und der andern Form stellen können. — Von welcher Natur die Geschwulst
auch sei : immer kann nur das Messer noch Hilfe leisten. Je länger
die Operation aufgeschoben wird, desto schwieriger wird dieselbe. Auch
ist zu bemerken, dass durch Vcrgrösserung dieser Geschwülste vorzugs-
weise die obere Wand der Orbita der Gefahr der Verdünnung und Durch-
bohrung ausgesetzt wird. Ob der Bulbus werde erhallen werden können,
lässt sich oft erst während der Operation bestimmen, je nachdem die Ge-
schwulst in die Tiefe greift, und von welcher Beschaffenheit sie ist. Bei
Hydatiden genügt die einfache Incision und Entleerung. Nicht immer ge-
hen die einzelnen Cysten gleich nach Eröffnung der gemeinschaftlichen
Hülle ab. Bei Balggeschwülsten kann, falls sich die Hülle nicht ganz be-
seitigen lässt, die Verödung durch Eiidegen von Charpie, Atzen mit Lapis
u dgl. noch erzielt werden ; doch hüte man sich, zu heftige Reaction her-
Knochen- und BcinhautafTectioiien. 429
beizuführen, nicht nur wegen des Bulbus, sondern auch wegen Meningi-
tis. Das durch Zerrung des Sehnerven aufgehobene Sehvermögen kann
allmälig wiederkehren; doch sind auch Fälle bekannt, wo das noch vor-
handene Sehvermögen durch die nachfolgende Entzündung zu Grunde ging.
Auch ist die Exstirpation nicht immer ohne Gefahr für das Leben (durch
Meningitis). Eine Sammlung instruetiver Beobachtungen findet man bei
Mäkemie 1. c. S. 260—283.
III. Krankheiten der Periorbita und der Knochen.
a) Die Entzündung des Knochens und der Beinhaut, sowohl die acute
als die chronische, lässt sich bei nur einigermassen tieferem Sitze bloss
nach den Erscheinungen kaum jemals von der Fettgewebsentzündung unter-
scheiden. Glücklicherweise kommt sie meistens am Orbilalrande oder
doch nicht weit hinter demselben vor. Sie entsteht bald primär, nach
Verwundungen und Stössen, nach Verhüttung, bei Syphilis, bei Scrophulosis
(Tuberculosis), bald seeundär in Folge von Krankheiten der in der Orbita
liegenden Organe oder bei Krankheiten der Nachbarhöhlen. (Einen Fall
von Periostitis an der untern Wand der Orbita in Folge von Entzündung
in der Highmorshöhle hat J. N. Fischer — Lehrb. S. 70 — beschrieben;
ich habe zwei solche Fälle beobachtet. Fälle von Periostitis und Caries
der Orbita nach Entzündung der Schleimhaut der Stirnhöhlen sind von
Richter, Beer u. A. veröffentlicht worden. — Die Ausgänge sind die
der Knochen- und Beinhautentzündung überhaupt, Zertheilung, meistens
Eiterung mit Blosslegung , Caries und Necrosis der betroffenen Partie,
selten Hyperostosis und Exostosis. In einem von A. v. Gräfe beobach-
teten Falle von Caries an der obern Wand erfolgte Tod durch Zerstörung
derselben und Vorfall von Hirnsubstanz in die Orbita.) Rücksichtlich der
der Prognosis und Behandlung können wir auch hier füglich auf die all-
gemeinen medicinischen und chirurgischen Grundsätze verweisen. Ammon's
Rath, bei Abscessen von Caries am Orbitalrande die Hautöffnung nicht ge-
rade über der cariösen Partie, sondern etwas entfernt vorzunehmen, hat
den Zweck, zu verhüten, dass späterhin Haut und Knochennarbe nicht auf
einander fallen, und die Haut nicht so tief in die Knochengrube hineinge-
zogen werden könne. (Gute Beobachtungen hieher gehöriger Affectionen
findet man bei Makenzie 1. c., und zwar einen Fall von Periostitis, Hype-
rostosis und Verlust beider Augen, beobachtet von Howskip und Ware,
mehrere Fälle von Exostosis von Lukas, Anderson, Jourdain, Acrel u. A.,
von Ostcosarcoma von Astley Cooper und CramptonJ)
h) Verletzungen der Knochen der Orbita sind nicht selten bei un-
scheinbaren Verletzungen der Lider beobachtet worden.
430 Augenhöhle.
Contusioiten, bewirkt durch einen Fall. Stoss, Schlag ü. dgl. auf den
Orbitalrand, oder auch selbst auf eine andere Gegend , namentlich auf das
Hinterhaupt, können zu einer Reihe krankhafter Veränderungen in der
Orbita Veranlassung geben, welche von Verletzung des Knochens direct
(Quetschung, Fractur) oder indirect (Fractur durch Contrecoup) ausgehen.
Diese Veränderungen bestehen in der Entwicklung von Balggeschwülsten
(nächst der gequetschten Stelle), von Periostitis und Ostitis mit dem Aus-
gange in Genesung, Hyperostosis , Exostosis , Caries und Necrosis (letzte-
res besonders bei scrofulösen Kindern), Aneurysma oder von Bluterguss in
die Orbita (bei Fracturen). Zu bemerken ist überdiess, dass nach heftigen
Contusionen , nicht nur des obern, sondern auch des untern Orbitalrandes
Fracturen des Augenhöhlentheiles, des Stirnbeines mit Bluterguss in die
Schädelhöhle, die Entstehung von Meningitis oder von Abscessen im Ge-
hirne beobachtet worden sind. Vergl. Retinalamblyopie S. 103 — 106. Das
Vorliegen solcher Thatsachen ist wohl hinreichend, den Arzt bei derlei
Verletzungen zur genauesten Untersuchung und zur grössten Vorsicht bei
der Prognosis, so wie zur sorgfältigsten Überwachung und Behandlung des
Verletzten aufzufordern. Da die genannten Veränderungen nicht immer
der Verletzung auf dem Fusse folgen, die Verletzten sich mitunter längere
Zeit wohl fühlen können, kann der Nachweis des Zusammenhanges für
den Gesichtsarzt grossen Schwierigkeiten unterliegen. Rücksichtlich der
Behandlung verweisen wir auf das S. 106 Gesagte und auf die allgemei-
nen Regeln der Therapie.
Bei Wunden der Augenhöhlen- oder Schläfengegend (in der Rich-
tung gegen die Orbita) wird zunächst untersucht werden müssen, ob der
verletzende Körper in die Orbita oder noch tiefer eingedrungen, und ob
derselbe ganz, oder theilweise (abgebrochen) oder gar nicht entfernt wor-
den sei. Hiebei ist zu erinnern, dass der gespannte Bulbus in dem wei-
chen Fettpolster leicht ausweichen konnte, dass mithin Unversehrtheit des-
selben noch nicht zu dem Schlüsse berechtigt, der fremde Körper könne
nicht tiefer, selbst bis zur entgegengesetzten Wand vorgedrungen sein, weil
etwa nach der Richtung, den der fremde Körper von aussen her nahm,
der Bulbus hätte durchbohrt werden müssen. Obwohl Fälle bekannt sind,
wo fremde Körper (selbst spitzige) jahrelang oder zeitlebens in verschie-
denen Gebilden, selbst im Gehirne getragen wurden, erscheint es doch
gerathen, dieselben, sobald sie nur zugängig sind , selbst mit Gewalt aus-
zuziehen, nöthigenfalls mit Aufopferung des Augapfels, weil die Fälle der
Einkapslung doch ungleich seilen sind gegenüber jenen, wo durch die
nachfolgende Entzündung nicht nur das Auge zerstört, sondern auch der
Druck auf die Orbital Wandungen. 431
Tod herbeigeführt wurde. (Gern würde ich eine Reihe von Beobachtun-
gen, durch die man sich am besten instruiren kann , hier anführen , wenn
mich nicht der Raum drängte. Auch über dieses Capitel findet man bei
Mahenzie 1. c. S. 6 — 30 eine Sammlung lehrreicher Beispiele.)
c) Formvieränderungen betreffen die ganze Orbita als Verengerung
oder Erweiterung, oder nur die eine und die andere Wand durch Ver-
drängung des Knochens von innen oder von aussen her. — Vergrösse-
rung der Orbita und Zurücksinken des Bulbus, analog der Vergrösserung
der Schädelhöhle, kann wahrscheinlich auch durch senilen Knochenschwund
bedingt werden; durch Druck von Seite ihres Inhaltes wird sie herbeige-
führt bei beträchtlicher Vergrösserung des Bulbus, Hypertrophirung des
Fettgewebes, Entwicklung von Geschwülsten in der Orbita. Wir haben
schon früher bemerkt, dass es vorzüglich die obere (coneave) Wandung
ist, welche verdrängt wird, und fügen nur noch hinzu, dass nicht die
Usur des Knochens und der Druck auf das Gehirn allein es ist, was Ge-
fahr bringt, sondern dass oft schon früher Periostitis, Eiterung oder Me-
ningitis auftritt. — Verkleinerung entwickelt sich,, wenigstens bei jugend-
lichen Individuen, nach Verlust oder Schwund des Bulbus, bei Hypertrophie
und Sclerosis des Knochens, welche indess wohl nur selten auf die Or-
bitalwandungen beschränkt auftritt, am häufigsten bei chronischem und
angeborenem Hydrocephalus (Verkürzung und Compression von oben nach
unten). Am häufigsten erfolgt Verdrängung und Usur der einen und der
andern Orbitalwand (mit oder ohne Caries) in Folge von Ausdehnung der
Nachbarhöhlen, besonders aber in Folge von Geschwülsten, die sich da-
selbst entwickeln. Diese sind an der innern Wand: die Nasen- und Stirn-
höhle, welche letztere sich zugleich an der obern Wand aus- und rück-
wärts ausbreitet; an der untern Wand: die Oberkiefer- und gegen die
Spitze hin die Keilbeinshöhle; an der äussern Wand: die Schläfen-, die
Flügelgaumen- und die mittlere Schädelgrube, welche gerade hinter der
Orbita liegt; an der obern Wand die Schädelhöhle mit der vordem Grube.
Die Erscheinungen im Bereiche der Orbita sind in der Regel die des
Druckes auf die Muskeln oder ihre Nerven (luscita, ptosis), auf den Opti-
cus, Bulbus, die Ciliarnerven (Abnahme des Sehvermögens, Exophthalmus,
Mydriasis), auf Zweige des Trigeminus (Neuralgie, neuroparalitische Er-
scheinungen an der Binde- Hornhaut u. s. w); es können aber auch die
Zufälle von Entzündung der Periorbita und des Orbitalfettgewebes auf-
unil in den Vordergrund treten. In dem einen, wie in deni andern Falle
werden daher die Nachbarhöhlen und Organe einer genauen Durchmuste-
432 Augenhöhle.
rung zu entwerfen sein. (Lehrreiche Beispiele hieber gehörender Aflec-
tionen findet man bei Makenzie 1. c. S. 59 — 84.)
C. Operationen in der Orbita.
Die manuellen Eingriffe bei Abseessen in der Augenhöhle, bei durch
Caries und Necrosis bedingten Fisteln, behufs der Abstemmung von Exo-
stosen, der Ausrottung von Geschwülsten u. s. w. gestalten sich nach dt n
individuellen Verhältnissen so verschieden, dass sich ausser den bereits
gegebenen Andeutungen keine allgemeinen Vorschriften oder Normen auf-
stellen lassen. Wir beschränken uns daher bloss auf die Beschreibung
des Verfahrens bei der Ausrottung des Bulbus und bei der Ausrottung
des gesammten Inhaltes der Orbita. Beide, obwohl wesentlich verschie-
den, wurden bisher unter dem gemeinschaftlichen Namen Exstirpatio bulbi
zusammengefasst.
Die Ausrottung des Bulbus allein genügt und ist nothwendig, wenn die Ablage-
gerung medullärer oder nielanotischer Krebsniasse bloss auf die Gebilde des Bulbus be-
schränkt ist, oder nach Durchbruch der Sclera doch nicht weit rückwärts gedrungen
ist. Die Lage und Beschaffenheit des Bulbus und die Ananmesis kann hierüber wohl
meistens Aufschluss geben. Zeigt sich während der Operation, dass die Krebsniasse
weiter rückwärts greife, als man angenommen hatte, so lässt sich das Entartete noch
immer nachträglich entfernen. Die Beschränkung der Ausrottung auf den Bulbus hat
aber nicht bloss den Vortheil der leichtern Ausführbarkeit, sie bringt auch das Leben
des Kranken nicht so leicht in Gefahr, wie die Ausrottung des gesammten Orbitalinhal-
tes. Wo es sich bloss um Volumensverminderung des übermässig ausgedehnten (staphy-
lomatösen) Bulbus handelt, wird man besser thun, bloss die l'unction, oder die partielle
Abtragung (vergl. Hornhautstaphylom) oder, wie ich in neuester Zeit mit dem besten
Erfolge gethan, die Einziehung eines Fadens und Belassung bis zu hinreichender Reaction
vorzunehmen (nach Flarer).
Behufs der Ausschälung des Bulbus aus der Tunica vaginalis (nach
BonneV) wird der Kranke narkotisirt und bequem gelagert. Der Operateur
stellt sich an die rechte Seite des Kranken, ein Gehilfe, der das obere
und untere Lid mit hakenförmig gekrümmten, an die innere Fläche der
Lider einzusetzenden Platten (Elevateurs nach Desmarres} auseinander
zu ziehen hat, zur Kopfseite, und ein zweiter Gehilfe, der das Abtupfen
des Blutes besorgt, zur linken Seite des Bettes. Der Operateur fasst den
Bulbus mittelst eines spitzigen (einfachen oder doppelten) Hakens, so dass
er nicht leicht ausreissen kann, und führt mittelst eines bauchigen MeS-
sers einen Bogenschnitt von einem Winkel zum andern erst am untern,
dann am obern Umfange des Bulbus, um die Binde- und Scheidenhaut in
der Gegend hinter der Insertion der M. recti zu trennen, ergreift sodaun
Operationen in der Orbita. 433
eine flach gebogene Scheere, durchschneidet die Recti nahe an ihrer In-
sertion, lost nun mit der Scheere (geschlossen) oder mit dem Sealpell-
hei'le die Sclcrotica ringsum von der T. vaginalis bis zum hintern Umfange
des Bulbus, wo er nun bloss die beiden M. obliqui und den N. opticus
mit der Scheere (vom äussern oder innern Winkel aus) zu durchschnei-
den hat. Die Blutung ist in der Regel unbedeutend und wird leicht durch
Einspritzen kalten Wassers gestillt. So wie diess geschehen, wird es leich
sein, mit dem Auge oder doch mit dem Finger zu erkennen, ob man alles
krankhaft Entartete mit weggenommen, worüber in der Regel auch die Be-
sichtigung des Exstirpirten Aufschluss gibt. Sollte die Blutung stärker
sein, so fülle man die Grube mit Charpie aus, einfach oder mit einer Lö-
sung von Hesselbach'schem Pulver getränkt, und führe dann eine Binde
über die Lider um den Kopf. Die Charpie wird nach 24 Stunden entfernt
und die Wunde dann einfach gereinigt und verbunden.
Die Entfernung sämmtlicher Weichtheile aus der Orbita (mit Ein-
schluss der Thränendrüse) wird nothwendig, wenn bösartige Pseudoplas-
men sich über den Bulbus hinaus oder bis zum Sehnervenloche er-
strecken. Vorbereitung, Gehilfen und. Instrumente wie bei der Ausschä-
lung. Das erste Operätionsmoment besteht hier in der Spaltung der
äussern Commissur durch einen horizontalen Schnitt bis über den Orbital-
rand hinaus. Sind die Lider dicht über den stark hervorgetriebenen, von
harten Geschwülsten umgebenen Bulbus gespannt, so löse man sie von
diesem Schnitte aus gegen den innern Winkel hin los, mit möglichster
Schonung ihrer Bindehaut, oder trage am äussern Winkel ein Stück ab,
wie bei der Tar.soraphie, um die Lider dann freier auseinander drängen
lassen zu können. Der Bulbus muss hier meistens mit den Fingern nach
der andern Seite gedrängt werden, wenn man mit dem Messer zwischen
der harten, hühnerei- bis faustgrossen Geschwulst und dem Orbitalrande
in die Tiefe dringen will. Der Blutung wegen beginne man am untern
Rande. Ob man nun zum weitern Eindringen das Messer oder die Scheere
gebrauchen soll, wird sich im Momente des Operirens selbst ergeben
nur halte man sich die Lage und Richtung der Orbitalwandungen gegen-
wärtig und verletze nicht unnöthiger Weise die Bindehaut. Wo und so-
bald es nur thunligh ist, führe man den Finger als Leitungssonde und an
diesem das schneidende Instrument ein. Ist es möglich, das Pseudoplasma
sammt seiner Umhüllungsmembran (von verdichtetem Bindegewebe) ohne
Zerstücklung auszuschälen, oder unmittelbar längs der glatten Beinhaut
vorzudringen, so erleichtert man sich das Beseitigen des gleichsam den
Stiel des Pseudoplasma bildenden tiefsten Theiles, welcher oft mürb und
Arll's Augenheilkunde 111, 2. 28
434 Augenhöhle.
brüchig ist, und sich nicht gut mit Pincetten fassen lässt. Für den Fall,
als die Entartung irgendwo fest am Knochen sässe, soll man Meissel und
Schabeisen in Bereitschaft haben. Ganz in der Tiefe kann man wohl nur
mit der Scheere an dem als Leitungssonde eingeführten Finger operiren.
Man erinnere sich der Entfernung des Sehnervenloches von der Orbital-
öffnung und der Lage der obern Augenhöhlenspalte. — Die Blutung sucht
man zunächst durch Einspritzen von Eiswasser zu stillen ; sollte die Art.
ophth. (die weit hinten noch an der Schläfeseite des Opticus liegt) stark
spritzen, so würde man sie torquiren müssen, was indess wohl nicht leicht
vorkommen wird. Die Blutung ist meistens venös, oft sehr reichlich. Ich
bin ihrer immer, wenn nicht einfach durch Eiswasser und Tomponade, so
mit Hesselbach'' schem Pulver Herr geworden. Sollte das Glüheisen not-
wendig werden, so sei es von kleinem Umfange und werde weder der
obern Wand noch der obern Augenhöhlenspalte nahe gebracht, weil sonst
leicht Meningitis entstehen kann. — Die Thränendrüse zurückzulassen ist
nur dann zulässig, wenn man nicht wegen Krebs exstirpirt. — Schliess-
lich wird die Wunde am äussern Winkel durch die Naht vereinigt und
die Orbita schichtenweise mit kleinen Charpieballen ausgefüllt. Wegen der
Gefahr nachträglicher Blutung muss der Kranke durch 24—48 Stunden
unter steter Obsorge bleiben.
Systematische Übersicht.
Diiideliant.
I. Anatomie und Physiologie I. 1
Entzündung: Cataniius (Ophthalmia catarrhalis) — 8
(ophth. cat. pustularis) — 9
(ophth. erysipelatosa) — 10
(ophth. senilis) — 11
ßSennorhoca (acuta, Ophthalmoblennorrhoe:!) — 18
(chron., blepharobletinorrhoea) — 23
(gonorrhoica) — 43
(neonatorum) — 51
(sporadica) — 46
(atmosphaerica) — 47
(militaris, aegyptiaca, contag.) — 63
Conjunctivitis membranacea — 85
Conjunctivitis scrofulosa — 88
Trachoma (Conjunctivitis trachomatosa)... — 106
Symblepharon posterius — 125
Xerophthalmus — 126
. (87)
Distichiasis ) — 128
Trichiasis \ — (\i7>)
Entropium — 128
(141)
Blepharophimosis — 129
(143)
Pannus — 130
(33, 89)
Keratektasia (hydrops canierac,
staphyloma pelluc. sphaer.). — 130
C'onjunct. bei Exanthemen, Blattern, Masern,
Scharlach, chronisch. Hautaus-
schlägen — 148
28*
436
Systematische Übersicht
ISänfieliaut.
fremde Körper,
Trennung,
Verwachsung :
Erguss : von
Pseudoplasmen
'Flii'ässeiitiariicikeS.
II. Hornhaut.
Anatomie und
Entzündung :
Verletzung,
fremde Körper,
Erweichung :
Geschwüre :
^ Laesiones traumaticae
) — cliciuicae
Blut.
Luft,
Serum,
Eiter,
Symblepharon! anterius
Anchyloblepharon
Pterygium
eccbymoma conj
emphysema conj
oedema conj
abscessus conj
Partielle Wucherung'
Cysten und Entozoen
Warzen (Verrucae conj.) .
Krebs (Carcinoma conj.).
Krankheiten derselben
Physiologie..
Keratitis
Trübungen :
scrofulosa
K. rheumatica
K. traumatica
mechanische Verletzungen
Fremde Körper
chemische Verletzungen
Malaria corneae
(Neuroparalyt. Affectionen) ...
Vlcera corneae
(Regeneration de' Hornhaut)...
(Narbenbildung)
Unguis (onyx)
Hypopium (Vergl. Iritis)
K eratokele
Perforatio corneae
Fistula corneae
Prolapsus iridis (clavus)
Synechia anterior (atresia pup.)
Catar. caps. centr. anterior
Staphyloma corneae (opacum)
Phthisis ei applanatio corneae
Pbthisis bulbi
(Sectionsbef.J
Defectus pelluciditatiscongen
Arcus senilis (Geroutoxon)
Entzündungsresiduen an der Wasserhaut...
am Kpithclium
in der Horiihautsuhstauz
151
155
156
157
158
168
168
168
169
166
169
170
167
172
174
183
192
203
203
•203
207
211
180
213
215
221
222
222
224
225
227
229
2m
232
236
214
245
245
(II 171)
252
253
^54
255
256
Systematische Übersieht.
437
Band. Seite.
Hornhaut.
Formfehler: Abnorme Wölbung, (Staphyloma pelhcidum.)
Keratoconus I. 278
Keratoectasia ex panno — 130
Kerntoectasia ex ulcere corneae — 224
Abnorme Grösse — 284
III. Leder- und Sclieideliaut. (Sclera et Tunica vaginalis bulbi.)
Anatomie und Physiologie II. 1
Entzündung: Sderitis simplex et substant — 4
complic. et conseeul — 11
Verletzung: Vulnera — 15
Rupturae — 16
Ausdehnung: Staphyloma sei. posticuin — 19
(III. 215 u. 237
anticum lt. 20
OL 46, 7 5)
laterale — 21
(II. 160, 175)
Pseudoplasmen: Krebs (sarcom. medull. et mellan.)... (II. 237)
IV. Regenbogenhaut.
Anatomie und Physiologie — 22
Entzündung: Iritis im Allgemeinen — 35
(Synechia posterior) — 41
(Atresia pupillae — 42
(Catar. aecreta) — 43
(Hypopium) — 43
(209, 229)
(Hydromeningitis) — 45
I. traumatica — 55
I. rheumatica — 62
I. syphilitica — 65
I. scrofulosa — 71
I. innominata (chronica) — 78
Lagen- und Farbenveränderung (Schlottern, Vorfall etc.) — 104
(I. 229)
Atrophie: Atrophia iridis (atroph, bulbi) — 105
(47)
Pseudoplasmen: Krebs sarcoma medull. et melan — 106
Cysticercus (iridis, camerae ant.) — 108
(110)
Motilitätsstörung Mydriasis (paralytica et spastica) — 112
Myosis paralytica et spastica) — 118
Mangel,Spalte: Irideremia (congenita, acquisita) — 119
Coloboma (congenitum, acquisitum) — 122
Pupillenbildung — 131
V. Ader haut (Ciliarkörper).
Anatomie und Physiologie — 147
438
Aderliaut.
Entzündung:
Systematische Übersicht.
Chorioiditis
Verletzung:
Bluterguss :
Apoplexia
im Allgemeinen
(Sectionsergebnisse)
Ch. simplex (ex congest.)
Ch. arthritica, Glaucoma...
Ch. pyaemica (metast.) ...
Ch. syphilitica
Ch. scrofulosa (tubercul.)
Ch. rheumatica
Ch. traumatica
(panophthalmitis)
externa et interna
Band.
II.
Seite.
Serumerguss : Hydrops
Pseudoplasmen : Cysticercus
Krebs
Spaltung: Coloboma
Pigmentmangel : Leucosis
inter scler. et chor. . .,
echinococcus (?)
sarc. medull. et melan
(siehe Col. iridis)
congenita
acquisita (atroplüa chorioidae).
158
— 159
— 184
— 190
— 209
— 210
— 212
— 218
— 224
— 228
— 231
(III. 10)
— 234
— 235
— 236
— 238
(122)
— 238
(III. 240)
VI. Hrystallkörper.
Anatomie und Physiologie II.
Entzündung der Linsenkapsel (?) —
Cataracta
Trübung :
Schrumpfung: Catar. vieta
Dislocirung:
lenticularis
capsularis
spuria (Auflagerung)
membranacea (secundaria). . .
arida siliquata
cystica (tremula, natalitis) ...
Prolapsus lentis per scleram
in cameram
Luxatio caps. et lentis. (Senkung der Linse)
Verletzung: Verwundung der Kapsel, Erschütterung (s. cat. vieta)
Staaroperation : Extractio
Dislocatio
Discissio
(totatalis, parital.)
(reclinatio, depressio)
(Keratonyxis, Scleronyxis)
(Anzeigen, Folgen)
VII. (Glaskörper.
Anatomie, Physiologie III.
Entzündung (?) Exsudate im Glaskörper —
Bluterguss
Verflüssigung
Cysticercus
239
263
250
260
264
267
269
270
271
271
275
(111. 5)
245
(267)
298
326
335
338
1
20
11
15
23
Systematische Übersicht. 439
* III. Netzhaut und Sehnerve. Band. Seite
Anatomie U*. 24
Physiologie (Theorie des Sehens) — 31
(Entoptische Erscheinungen) — — 57
(Augenspiegel) — 63
Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen... — 89
Retiualleidcn angeborene Schwäche — 99
mangelhaftnr Farbensinn — 101
angeborner Nachtnebel — 101
Mangel an Übung — 102
(320)
Erschütterung — 103
Blendung — 106
Hemeralopie — 109
Nyktalopie — 112
Entzündung der Netzhaut — 116
(Ablösung der Netzhaut) — 119
Bluterguss — 133
Verkältung (Serumerguss) — 136
Cystenbildung — 137
Markschwamm — 138
Orbitalamaurose im Allgemeinen — 143
(Krankheiten der Orbita) — 422
Cerebralamaurose im Allgemeinen — 144
Verletzungen am Kopfe — 149
Circulationsstörungen — 152
Syphilis — 156
Unterdrückte Ausscheidungen.. — 159
Geschwülste in der Schädel-
höhle — 162
Spinalamaurose — 168
Sympathische Amaurose im Allgemeinen — 169
Vom Trigeminus — 170
von Unterleibsleiden — 172
von Uterusleiden — 173
in Folge von Giften — 174
von Erschöpfung — 175
IX. Augenmuskeln (Accommodation).
Anatomie — 177
Physiologie — 185
(Accommodationstheorie) — 196
Accmmoda- Kurzsichtigkeit (Myopia) — 232
tionsfehler: Weitsichtigkeit (Presbyopia) — 252
Übersichtigkeit (Hyperpresbyopia) — 258
Augenmattigkeit (Kopiopia, Asthenopia) — 262
Brillen concave — 245
convexe — 259
4W
Systematische Übersicht.
Aug-eumuskeln.
.Motilitätsstörung : Paralysis
Lähmung der Augenmuskeln...
(Doppeltsehen, binoculäres
— tnonoculäres)
Lähmung des musc. r. externus
Oculomotoriuslähmung
Trochlearislähmung
Schielen (Operation)
Augenzittern
Strabismus
Nystagmus
\. Augenlider.
Anatomie, Physiologie
Entzündung : Hautentzündung Phlegmone
Erysipel ,
Chron. Ödem
Furunkel ,
Zellgewebsentzünduiig', Ahscess
Drüsenentzündung Hordeolum ...
Chalazion
Pseudoplasmen
Motilitätsstör,
Lähmung
Krampr
Fehlerh. Lage: Entropium
Ectropium
Verwachsung : Symblepharon
Blepharitis marginal is
(Phthiriasis)
Milium i
Hydatis
Atheroma l
Warzen ( Verruca)
Teleangyektasia
Krebs (epitelioma)
Zittern der Lider
Insufficienz des Schliessmuskels
Lähmung des Schliessmuskels .
blepharoptosis paralyt l
mechan. (ptosis) \
Spastische Contraction
(blepharospasinus)
von Bindehautschrumpfung ...
von Blepharospasmus
senile
sarcomatosuni
senile et paralyticum .
von Hautvcrlust ,
(Blepharoplastik)
posterius
anterins
Anchyloblepharoo
land. Sejle.
III. 269
— 270
— 271
— 279
— 283
— 290
— 294
— 334
— 337
— 345
— 346
— 346
— 346
— 347
— 351
— 356
— 356
— 357
— 357
— 358
— 361
— 362
— 362
— 363
— 3G3
(I. 91)
— 366
(I. 118, 143)
— 366
— 366
— 368
— 371
— 371
— (374)
— 375
(I 125)
— 375
(I. 155)
— 375
(I. 157^
Systematische Übersicht. 441
Band. Seile.
Augenlider.
Spaltung: t'olohoina congenitum III. 376
Mangel: Defcctus et destrnetio pafp — 376
(Epicanthus) — 376
XI. 'flTEiräiienorg-nnt'.
Anatomie: der ThränendrQse — 377
des Thränenschlauches — 378
der Thränenröhrchen - 382
Physiologie (Theor.d. Fortleitung d.Thränen) — 383
Krankheiten: der Thräiiendrüse — 390
der Thränenröhrchen — 392
des Thränenschlauches — 394
Blennorrhoea sacci lacrym — 394
(Atonia sacci 1.) , qq»
(Hydrops sacci 1.) j
Dacryocystitis — 401
(Anchylops) — (402)
Fistula sacci lacrym — 404
(Geschichtliche Notizen : — (416)
XII. Orbita.
Anatomie, Physiologie — 419
Krankheiten der Orbita im Allgemeinen — 422
(Exophthalmus! — 423
(Prolapsus s. ptosis hulbij - 423
der Gefässe aneurysma arter ophth — 423
teleangyektasia orh — 424
des Fettgewebes Entzündung — 425
% (acutes Odem)
(Eiteransammlung)
(Tuberkelablagerung)
(Hypertrophie) — 426
Hyperämie
Apoplexie — 427
Geschwülste — 428
der Knochen und Beinhaut — 429
Entzündung — 429
(Caries, Necrosis;
(Hyperostosis, Exostosis)
(Osteosarcoma)
Verletzungen — 429
Formveränderung (l'sur) — 431
Operationen in der Orbita (exstirpatio bulbij — 432
29
Prag,
Druck der k. k. Hofhnchdnickerei von Göltlieb II ;ase Söhne
1859.
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