Skip to main content

Full text of "Die Krankheiten des Auges : für praktische Ärzte"

See other formats


SSW 


■ 


•A 


,«fVi^ 


•f  :•:■  Xi 


Usl 


DIE 

KRANKHEITEN  DES  AUGES, 

für  praktische  Ärzte 

geschildert 


Dr.  Ferd.  Arlt, 

o.  ö.  Professor   der  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Wien. 


I.  Band. 


Die  Krankheiten  der  Binde-  and  Hornhaut. 


Mit  eitler  lithographirten  TufeL 


Fünfter  unveränderter  Abdruck. 


Prag,  1S60. 


r? 


Verlag-   von   3F»  .A_.  C2:m?^c1_:ml4&:«?« 
k,  k.    Hof-Buch-  und  Kunsthändler. 


MAR  26  1917 


e 


Druck  der  k.  k.  Hofbuchdruckerei  von  Gotttiob  Haase  Sühne  in  Prag,  1860. 


Die 

Krankheiten  der  Binde-  und  Hornhaut, 

für 

praktische  Ärzte 

geschildert 


Dr.  Ferd.  Arlt, 

o.  ö.  Professor   der  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Wien. 


Mit  einer  lithographirten  Tafel. 


Fünfter  unveränderter  Abdruck. 


Prag,  1860. 

Verlag  von   ZBT.  JÄ_.  Cx*edmev9 

k.  k.  Hof-Buch-  und  Kunsthändler. 


Vorrede 

über  den  Zweck  und  die  Anlage  dieses  Werkes. 


Ich  schrieb  für  praktische  Ärzte,  zum  ersten  Unterrichte, 
zum  Nachschlagen  am  Krankenbette. 

Der  praktische  Arzt  hat  die  Aufgabe,  die  krankhaften  Verän- 
derungen und  Verrichtungen  der  einzelnen  Organe  zu  erkennen, 
mit  möglichster  Wahrscheinlichkeit  oder  Gewissheit  die  nach  dem 
jeweiligen  Befunde  zu  erwartenden  weitern  Veränderungen  voraus 
zu  bestimmen,  und  die  Verhältnisse  oder  die  Mittel  anzugeben, 
welche,  wo  möglich,  einen  günstigen  Ausgang  herbeizuführen 
vermögen. 

Der  sicherste  Weg  zur  Erlangung  der  hiezu  nöthigen  Kennt- 
nisse ist,  bei  gehöriger  Vorbildung  in  den  physikalischen  Wissen- 
schaften, die  eigene  Beobachtung  am  Krankenbette.     Doch  würde 


VI  Vorrede. 

die  Summe  der  eigenen  Erfahrungen  allein  viel  zu  gering  aus- 
fallen, wollte  man  nicht  zur  Belehrung,  zur  Aneignung  fremder 
Erfahrungen  greifen. 

Die  Mittheilung  bringt  aber  den  Übelstand  mit  sich,  dass  wir 
gewisse  Reihen  krankhafter  Erscheinungen  (dem  Räume  und 
der  Zeit  nach)  unter  gemeinschaftliche  Namen  zusammenfassen, 
dass  wir  uns  durch  Abstraction  gewisse  Begriffe  bilden  müssen, 
welche  demjenigen,  der  sie  nicht  durch  eigene  sorgfältige  und 
vielfache  Beobachtung  erworben,  oder  doch  geläutert  hat,  mehr 
weniger  unklar,  unrichtig  und  irreleitend  bleiben.  So  sprechen 
wir  von  Krankheit  überhaupt,  von  Fieber,  Entzündung,  Typhus 
u*  dgl. ;  wir  sind  nicht  im  Stande,  jemanden  durch  Worte  allein 
genaue  Begriffe  davon  beizubringen;  nur  wer  möglichst  viele 
und  gute  Beobachtungen  am  Krankenbette  gemacht  hat,  wird  den 
möglichst  richtigen  und  klaren  Begriff  von  dem  besitzen,  was  mit 
diesen  Worten  bezeichnet  sein  soll.  —  Ein  weiterer  Nachtheil, 
der  mit  der  Belehrung  durch  Andere  selbst  am  Krankenbette 
verbunden  ist,  ist  der,  dass,  indem  der  Lehrer  dem  Schüler 
gewisse  Gruppen  und  Reihen  abnormer  Erscheinungen  als  Krank- 
heiten und  Krankheitsprocesse  vorführen  muss,  Lehrer  und  Schü- 
ler nur  zu  leicht  sich  gewöhnen,  von  dieser  oder  jener  Krank- 
heit so  zu  sprechen,  als  ob  diese  etwas  Selbstständiges  wäre, 
indess  man  doch  jederzeit  dessen  eingedenk  bleiben  sollte,  dass 
man  es  immer  und  überall  nur  mit  krankhaften  Veränderungen 
und  Erscheinungen  eines    oder  mehrerer  Organe  zu  thun  hat.  — 


Vorrede.  VII 

Wir  werden   der  Ontologie,    wie  man  diese  Art,    in  der  Medicin 
vorzugehen,    zu  benennen  beliebte,   nie  ganz  entgehen,    so  lange 
Lehrer    und    Lernende    sich    der    Sprache    als    Mittels    zur    Mit- 
theilung  bedienen    werden.     Die    Schriften    jener,    welche  gegen 
die  verpönte    Ontologie  zu  Felde  ziehen,    liefern  die    besten  Be- 
weise   dafür.     Im    günstigsten    Falle    zergliedert    man    die    gang- 
baren   Begriffe,    indem    man    die    einzelnen    Veränderungen    und 
Erscheinungen    einer  genauem   Betrachtung  unterwirft,   und  so  an 
das  Concrete  des  Abstracten  erinnert;    am  Ende  aber  bildet  man 
doch    wieder    allgemeine  Begriffe,    und  —  schafft    allenfalls  dafür 
neue  Namen.     Man    spricht  heute    noch    so    gut    von    Pneumonie, 
wie  vor    50  Jahren;    nur  der  Begriff   ist  ein    anderer  geworden, 
und  der   Name   ist    hier   zufällig   derselbe    geblieben.     Wenn   ich 
aber     von    Pneumonie ,    deren    Behandlung ,     deren    Ausgängen, 
Arten    etc.  spreche,    so  bin   ich   nicht    weniger  Ontolog,    als  der 
Auetor,   der  vor  50  Jahren  darüber  geschrieben,    und  meine  On- 
tologie  ist   nur   in    so    fern    eine    bessere,    als    ich   mir    bei  dem 
Worte    Pneumonie   genauer    und   richtiger    alle   jene    krankhaften 
Veränderungen  und  Erscheinungen  (neben  und  nach  einander)  ge- 
genwärtig halte,    welche  das    als  pneumonisch   bezeichnete  Organ 
darbietet  und  darbieten  kann. 

Indem  ich  nun  daran  ging,  das,  was  mir  über  die  krank- 
haften Veränderungen  und  Erscheinungen  des  Auges  bekannt  ist, 
behufs  der  Belehrung  niederzuschreiben,*  suchte  ich  die  nöthige 
Übersicht    zunächst    durch    Einhaltung    der    anatomischen  Ordnung 


VIII  Vorrede. 

zu  erzielen,  und  die  Nomenclalur  vorzüglich  nach  dem  Sitze  der 
Krankheit  festzustellen.  So  entstand  die  Haupteintheilung  in 
Krankheiten  der  Binde-,  Hörn-,  Regenbogenhaut,  Linse  u.  s.  w.  — 
Da  jedoch  in  sehr  vielen  Fällen  nicht  ein  anatomisch  gegebenes 
Gebilde  allein,  sondern  mehrere  zugleich  leidend  gefunden  wer- 
den, so  musste  sofort  unterschieden  werden,  ob  in  solchen  Fällen 
mehrere  Gebilde  schon  von  vorn  hinein  gleichzeitig  erkrankt  seien, 
oder  ob  die  Totalaffection  nur  durch  consecutives  Erkranken  des 
zweiten  und  dritten  Gebildes  zu  Stande  gekommen  sei.  In  letz- 
terem Falle  galt  der  Grundsatz :  a  potiori  fit  denominatio ;  in  er- 
sterem  mussten  Doppel-  oder  allgemeine  Bezeichnungen  (z.  B. 
Keratoiritis,  Mikrophthalmus,  Scorbut,  Krebs  des  Auges  u.  dgl.) 
gewählt,  und  zur  Besprechung  allgemeiner  Zustände  eigene  Ca- 
pitel  offen  gelassen  werden.  —  Man  kann  den  bisherigen  Lehr- 
und  Handbüchern  vor  allen  den  Vorwurf  machen,  dass  sie,  irgend 
einem  künstlichen  Systeme  folgend,  sehr  oft  das  Zusammenge- 
hörende unnatürlich  trennten,  dagegen  die  heterogensten  Zustände 
und  Processe  zusammenstellten.  Ich  will  zum  Belege  für  diesen 
Ausspruch  nur  an  die  Lehre  von  den  sogenannten  Nachkrank- 
heiten der  Entzündungen,  an  die  Capitel  Adiaphanosen,  Hydro- 
psien,  Atrophien  u.  dergi.  erinnern.  Durch  solche  Systeme  wird 
dem  Lernenden  das  Versländniss  der  Krankheiten  erschwert,  und 
er  wird  unvermerkt  angeleitet,  jede  Krankheit  als  etwas  Selbst- 
ständiges  zu  betrachten,  in  jedem  Organe  gleichsam  Repräsen- 
tanten für  die  eine  oder  die  andere  Krankheitsfamilie  zu  rekru- 
tiren.     Auf   diesem    Wege    entstand    mancher   Name    und    Begriff 


Vorrede.  IX 

dem  System  zu  lieb,  wurde  mancher  Zustand  isolirt  als  Krankheit 
hingestellt,  dessen  Verständniss  dem  Leser  entgeht,  so  lange  er 
ihn  nicht  seihst  am  Krankenbette  in  seiner  Entstehung  und  Ent- 
wicklung beobachtet  und  erfasst  hat.  Man  denke  nur  an  die  Lehre 
vom  Staphyloma  corneae,  von  Xerophthalmus  u.  dgl. 

Von  den  Beobachtungen,  die  mir  zu  Gebote  stehen,  aus- 
gehend, ordnete  ich  dieselben  sodann  nach  gewissen  constanten 
Charakteren,  die  natürlich  nicht  in  dem  örtlichen  Befunde  allein, 
sondern  in  dem  umsichtigen  Auffassen  aller  abnormen  Erschei- 
nungen im  Gesammtorganismus  gegeben  und  zu  suchen  waren. 
Dabei  stellte  sich  vor  allem  heraus,  dass  gewisse  Gruppen  und 
Reihen  abnormer  Erscheinungen,  welche  vermög  ihres  constanten 
Neben-  und  Nacheinanderseins  als  in  innigem  Nexus  stehend  be- 
trachtet werden  müssen,  an  dem  Auge  oder  dessen  Nebenorganen 
einzig  und  allein  vorkommen,  in  andern  Fällen  dagegen  zugleich 
in  andern  Organen  oder  im  Gesammtorganismus  beobachtet  werden, 
mit  andern  W,orten :  es  ergab  sich,  dass  gewisse  Krankheiten  des  Au- 
ges als  rein  örtliche,  andere  dagegen  als  allgemeine  (Theilerschei- 
nung  oder  Folge  allgemeiner  Krankheiten)  zu  betrachten  seien. 
Dieses  in  die  Aufgabe  des  Arztes  (Prognosis  und  Therapie)  so 
tief  eingreifende  Verhältniss  musste  nächst  dem  Sitze  der  Affection 
vor  allem  berücksichtigt,  in  den  Begriff  der  Krankheit  mit  auf- 
genommen, und  wo  möglich  auch  durch  den  Namen  angedeutet 
werden.  Nächst  den  Amaurosen  stellte  sich  dieses  Bedürfniss 
vorzüglich  bei   jenen  Fällen  heraus,    welche  mit  vorwaltend    ent- 


X  Vorrede. 

zündlichen  Erscheinungen  verlaufen.  Hier  genügte  es  nicht,  sie 
einfach  dem  Sitze  nach  als  Conjunctivitis,  Keratitis,  Iritis  u.  s.  w. 
vorzuführen ;  hier  machte  sich  vor  allen  das  causale  Moment 
(äussere  oder  innere  Krankheitsursache)  geltend,  und  drängte 
zur  Sonderung  und  Gruppirung  der  Formen,  wenigstens  in  so 
weit,  als  aus  den  örtlichen  Erscheinungen  selbst  (dem  Raum  und 
der  Zeit  nach  aufgefasst)  mit  mehr  weniger  Sicherheit  auf  das 
causale  Moment  zurück  geschlossen  werden  kann,  die  Form  der 
Entzündung,  ihr  Entstehen,  ihr  Verlauf  und  ihr  Vorkommen,  wenn 
nicht  positiv,  so  doch  negativ  (durch  Ausschliessung)  Schlüsse 
auf  das  causale  Moment  erlaubt.  Es  konnte  hier,  wenn  dem  prak- 
tischen Arzte  mit  der  Diagnosis  auch  schon  die  Hauptmomente 
zur  Prognosis  und  Therapie  geboten  sein  sollten,  wenn  die  Termi- 
nologie nicht  ihren  Hauptzweck  verfehlen,  und  wenn  nicht  we- 
sentlich verschiedene  Zustände  unter  Einem  Namen  zusammengefasst 
werden  sollten,  durchaus  nicht  genügen,  nach  Velpeaus  Vorgange 
etwa  bloss  von  Conjunctivitis  im  Allgemeinen  oder  von  Iritis  als 
stets  einer  und  derselben  Krankheit  zu  sprechen.  Weither  hat  zu 
diesem  Vorschlage  treffend  bemerkt,  dass  man  dann  consequenter 
Weise  gegen  jede  Conjunctivitis  nichts  anzuwenden  hätte,  als 
etwa  eine  Lösung  von  Nitras  argenti  oder  eine  Salbe  mit  rothem 
Prä  dpi  tat,  und  bezüglich  der  Iritis  wurde,  was  das  Einseitige 
dieses  Vorganges  am  besten  zeigt,  gerathen,  alle  Mittel  als  unnütz 
zu  betrachten,  nur  Belladonna  gleichsam  als  Specificum  zu  geben, 
die  Iritis  möge  nun  durch  eine  Verletzung,  oder  durch  Syphilis 
oder  irgendwie  bedingt  sein.  —  Die  Beschaffenheit  des  Exsudates 


Vorrede.  XI 

allein,  so  wichtig  auch  deren  Beachtung,  konnte  ebenso  wie  irgend 
ein  anderes  Merkmal  der  Entzündung  schon  aus  dem  Grunde  nicht 
als  Eintheilungsmoment  für  die  entzündlichen  Krankheiten  ange- 
nommen werden,  weil  dieselbe  sogar  in  einem  und  demselben 
Krankheitsfalle  nicht  constant  ist,  und  wir  die  chemische  Be- 
schaffenheit desselben  nicht  eruiren  können,  um  die  Bedingungen 
zu  dessen  Metamorphosen  näher  angeben  zu  können. 

Vermög  dieser  Grundsätze  gruppirten  sich  somit  die  sämmtli- 
chen  Beobachtungen  nach  dem  ausschliesslich  oder  vorwaltend  und 
primär  ergriffenen  Gebilde  in  Krankheiten  der  Binde-,  Hörn-,  Regen- 
bogen-, Aderhaut  u.  s.  w.,  die  Krankheiten  der  einzelnen  Gebilde 
in  solche,  welche  mit  mehr  oder  weniger  oder  gar  keinen  entzünd- 
lichen Zufällen  auftreten  und  verlaufen  (ein  strenger  Unterschied 
zwischen  entzündlich  und  nicht  entzündlich  lässt  sich  am  Ende  nicht 
durchführen),  und  in  solche,  die  als  rein  örtliche  Leiden,  oder  als 
Theilerscheinung  allgemeinen  Erkranktseins  zu  betrachten  sind.  In 
der  Anwendung  am  Krankenbette  wird  auch  dieses  System,  wie 
jedes  andere,  seine  Mängel  und  Schwierigkeiten  zeigen ;  man  wird 
gar  oft  nicht  im  Stande  sein  zu  bestimmen,  welches  Gebilde  in 
vorliegendem  Falle  das  primär  und  vorwaltend  leidende  sei;  man 
wird  gar  oft  sich  begnügen  müssen,  irgend  eine  Krankheit  bloss 
als  Entzündung  der  Iris,  als  Congestion  der  Chorioidea,  als  Leiden 
der  Netzhaut  u.  s.  w.  im  allgemeinen  zu  bezeichnen,  ohne  die 
nächste  oder  die  entfernteren  Ursachen  andeuten  zu  können;  — 
dem    kann    überhaupt    durch    kein  System,    durch    keine   Art  von 


XII  Vorrede. 

Terminologie  abgeholfen  werden,  und  die  grössten  Fehler  sind  na- 
mentlich auf  Kliniken  dadurch  begangen  worden,  dass  man  glaubte, 
jeder  specielle  Fall  müsse  in  eine  oder  die  andere  Rubrik  des 
Systemes,  dem  man  eben  huldigte,  eingepasst  werden.  In  jedem 
Systeme  müssen  ferner  die  einzelnen  Zustände  oder  Erschei- 
nungen weit  mehr  differenzirt  angegeben  werden,  als  diess  in  der 
Wirklichkeit  im  Allgemeinen  vorkommt,  d.  h.  es  kann  die  Schil- 
derung der  einzelnen  Krankheiten  nur  nach  den  exquisiteren  Fällen 
entworfen  werden.  So  theilen  wir  z.  B.  die  Entzündungen  der 
Bindehaut  ab  :  in  Katarrh,  Blennorrhoe,  Trachom,  scrofulöse  Bin- 
dehautentzündung u.  s.  w.  Geben  wir  uns  nun  nicht  einer  cruden 
Ontologie  hin,  betrachten  wir  diese  Krankheiten  nicht  als  Para- 
siten, sondern  gleichsam  als  verschiedene  Richtungen,  nach  denen 
hin  der  normale  Zustand  zum  abnormen  wird :  so  werden  wir 
nicht  übersehen,  dass  diese  Richtungen  bald  mehr,  bald  weniger 
deutlich  ausgesprochen  sein,  und  dass  wir  Fälle  zu  Gesicht  be- 
kommen können,  bei  denen  sich  in  dem  Momente  der  Beobach- 
tung noch  nicht  bestimmen  lässt,  ob  diese  Art  des  Erkranktseins 
die  eine  oder  die  andere  Richtung  einschlagen  werde.  Die  Be- 
rücksichtigung der  ätiologischen  Momente  kann,  wo  der  Befund 
am  Auge  zweideutig  oder  ganz  unbestimmt  ist,  wohl  mehr  we- 
niger Wahrscheinlichkeit  für  das  eine  oder  das  andere,  niemals 
aber  für  sich  allein  den  Ausschlag  geben. 

Die  Überzeugung,  dass  ein  richtiges  Verständniss  der  Krank- 
heilen eines  Organes  nur  bei  möglichst  genauer  Kenntniss  der  Anatomie 


Vorrede.  XIII 

und  Physiologie  derselben  möglich  ist,  bestimmte  mich,  jedem 
Capitel  eine  kurze  Übersicht  unserer  anatomischen  und  physio- 
logischen Kenntnisse  des  betreffenden  Organes  vorauszuschicken. 
Diese  Trennung  der  Anatomie  schien  einerseits  durch  das  heft- 
weise Erscheinen  des  Ganzen  geboten  zu  sein,  und  dürfte  andrer- 
seits dem  praktischen  Arzte  manchen  Vortheil  gewähren,  den 
ihm  die  systematischen  Abhandlungen  über  Anatomie  und  Physio- 
logie des  Auges  in  verschiedenen  Lehr-  und  Handbüchern  nicht 
darbieten.  Mein  erster  Versuch  dieser  Art  *)  scheint  wenigstens 
Beifall  gefunden  zu  haben,  da  seitdem  mehre  ähnliche  Bearbei- 
tungen, zum  Theil  auch  Copien  dieses  Gegenstandes  erschienen  sind. 

Rücksichtlich  der  Terminologie  habe  ich  keinen  Ruhm  darin 
gesucht,  neue  Namen  einzuführen ;  ich  wollte  meinen  Lesern  das 
Verständniss  anderer,  namentlich  älterer  Auetoren  nicht  erschweren, 
noch  die  Zahl  der  auf  Hypothesen  gestützten  Namen  vermehren. 
Nur  wo  mir  eine  oder  die  andere  bisher  übliche  Bezeichnung 
irrige  Nebenbegriffe  anzudeuten  schien,  erlaubte  ich  mir  eine  Än- 
derung. So  wählte  ich*  z.  B.  den  Ausdruck  Keratoektasie  für  den 
Namen  Staphyloma  pellucidum,  da  dieser  Zustand  der  Cornea  mit 
jenem,  den  man  ursprünglich  Staphyloma  genannt  hat,  nicht  die 
entfernteste  Analogie  und,  ausser  der  Bildung  einer  Vorragung, 
nicht  ein  einziges  Merkmal  gemein  hat.  Andere  Namen,  wie : 
Taraxis,    Chemosis,    Ophthalmia    interna,    PanOphthalmitis    u.    dgl. 


*)  Physiologische   und  pathologisch-anatomische   Bemerkungen    über   die    Bindehaut, 
Prager  medicinische  Vierteljahrschrift.   12.  Band.  S.  70. 


XIV  Vorrede. 

mussten  nach  dem  obersten  Grundsätze  (Basirung  auf  Anatomie) 
theils  aufgegeben,  theils  auf  ihre  eigentliche  Bedeutung  zurück- 
geführt werden. 

Von  der  numerischen  Methode  habe  ich  absichtlich  keinen 
Gebrauch  gemacht.  Die  bisher  gelieferten  Proben  erschienen  mir 
eben  nicht  sehr  aufmunternd.  Soll  diese  in  der  Idee  allerdings  vor- 
treffliche Methode  für  die  Wissenschaft  von  Nutzen  sein,  so  müsste 
entweder  ein  Arzt  in  einem  gewissen  grösseren  Bezirke  alle  Fälle 
von  Augenkrankheiten,  welche  daselbst  vorkommen,  zu  beobachten 
Gelegenheit  haben,  oder  es  müssten  mehrere  Arzte,  welche  auf 
gleicher  Bildungsstufe  stehen,  und  eine  durchaus  gleiche  Termino- 
logie in  Anwendung  bringen,  sich  zur  Verzeichnung  sämmtlicher 
Fälle  vereinen,  und  selbst  dann  würden  die  Resultate  eben  nur 
für  diese  Gegend  und  für  diesen  Zeitraum  gelten,  wo  die  Beob- 
achtungen angestellt  wurden.  Zahlenverhältnisse,  in  einem  Spitale 
aufgenommen,  müssen  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  sehr  we- 
sentlich von  jenen  differiren,  welche  sich  dem  Privatarzte  er- 
geben, und  auch  dieser  bekommt  eine  Menge  Augenleiden,  die 
unter  dem,  Volke  vorkommen,  nicht  zu  Gesichte.  Es  darf  uns 
demnach  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  z.  B.  hier  ein  Arzt,  der 
seine  Angaben  auf  Beobachtungen  im  Spitale  stützte  ,  behauptet, 
der  Augenkatarrh  sei  eine  viel  seltenere  Erscheinung,  als  gewöhn- 
lich angenommen  werde,  und  dort  wieder  ein  anderer  sagt,  dieses 
Leiden  sei  so  häufig,  dass  man  nicht  viele  Menschen  finden  werde, 
welche  nicht  ein  oder  mehrere  Male  daran  gelitten  haben. 


Vorrede.  XV 

Dagegen  habe  ich  keinen  Anstand  genommen ,  so  oft  es 
nothig  schien,  einzelne  Beobachtungen  und  Krankengeschichten  in 
den  Context  aufzunehmen.  Ich  halte  sie  für  das  beste  Mittel  zur 
Erläuterung  des  im  Allgemeinen  Gesagten,  und  zur  Controlle  der 
Theorie ;  sie  bieten  die  Thatsachen,  welche  der  Auetor  zur 
Bildung  seiner  Ansichten  benützte,  und  machen  es  noch  dem 
späten  Leser  möglich,  die  Wahrhaftigkeit  einzelner  Angaben 
sowohl  als  des  Auetors  überhaupt  zu  beurtheilen;  sie  vor  allem 
haben  bleibenden  Werth,  denn  die  Theorie  unterliegt  einem  steten 
Wechsel.  J.  N.  Fischer's  „klinischer  Unterricht"  und  W,  Maken- 
zie's  „praktische  Abhandlung  über  die  Krankheiten  des  Auges" 
waren  mir  beim  Eintritte  in  das  praktische  ärztliche  Leben  durch 
ihre  instruetiven  Krankengeschichten  gleichsam  lebendige  Consu- 
lenten,  bei  denen  ich  mich  über  analoge  Fälle  am  leichtesten 
Rathes  erholen  konnte.  Desshalb  wird  man  mir  auch  wohl  keinen 
Vorwurf  daraus  machen,  dass  ich  hie  und  da  seltene  und  gute 
Beobachtungen  von  Andern  entlehnte. 

Endlich  glaubte  ich  da  und  dort  in  die  Erörterung  von  Streit- 
fragen näher  eingehen  zu  müssen,  als  es  vielleicht  in  ein  Lehr- 
buch gehört,  wie  z.  B.  bei  den  Krankheiten  der  Bindehaut  über 
die  Contagiosität  der  Blennorrhoe,  bei  den  Krankheiten  der  Horn- 
haut über  Staphylom  u.  dgl.  m.  Ich  hielt  es  nicht  für  genügend, 
dem  Leser  meine  Ansichten  einfach  als  Theoreme  hinzustellen ; 
er  sollte  zum  Nachdenken  und  Selbstforschen  angeregt,  er  sollte 
in  Stand  gesetzt  werden,  mich  zu  controlliren,  wie  ich  zu  dieser 


XVI  Vorrede. 

oder  jener  Ansicht  über  die  eine  oder  die  andere  Krankheit  oder 
Krankheitserscheinung  gekommen  bin,  und  ob  ich  mir  dabei  nicht 
'etwa  Fehler  im  Beobachten  oder  Fehler  im  Folgern  der  Schlüsse 
zu  Schulden  kommen  liess.  Wenn  ich  mir  dabei  mitunter  kri- 
tische Bemerkungen  über  andere  Ansichten  erlaubte,  und  dabei  die 
Namen  einzelner  Vertreter  nannte,  so  wolle  der  Leser  in  letzterem 
nicht  persönliche  Angriffe  erkennen,  und  nicht  übersehen,  dass  ich 
mir's  im  Allgemeinen  zum  Grundsatze  gemacht  habe,  so  viel  als 
möglich  und  nöthig  überall  die  Quellen  anzuführen,  auf  welche 
meine  Angaben  und  Behauptungen  gestützt  sind.  Tritt  Jemand 
meinen  Ansichten  entgegen,  so  ist  es  mir  lieber,  er  nennt  mich 
als  Vertreter  derselben,  und  gibt  somit  dem  Leser  Gelegenheit, 
das  Original  nachzuschlagen,  als  er  fertigt  diese  Ansichten,  aus 
dem  Zusammenhange  herausgerissen  und  mannigfach  entstellt,  mit 
ein  paar  vornehm   verachtenden  Worten  ab. 

Prag,  im  December  1850.  Dr.  Arlt. 


Abermals  hat  sich  die  Auflage  des  ersten  Bandes  vergriffen. 
Um  den  vielseitigen  Nachfragen  entsprechen  zu  können,  liess  die 
Verlagshandlung  einen  fünften  Abdruck  veranstalten,  der  ganz 
unverändert   und  gleichlautend  mit   der  ersten  Auflage  ist. 


I.  Buch. 

Die   Bindehaut,    Tunica   conjunctiva. 


A.  Anatomische  und  physiologische  Bemerkungen. 

Bindehaut  nennen  wir  jene  Membran,  welche,  als  Fortsetzung-  der 
allgemeinen  Bedeckung,  die  innere  Fläche  der  Lider  und  den  freien  Theil 
des  Augapfels  überzieht,  und  in  dieser  Ausbreitung'  die  Eigenschaften  der 
Schleimhäute  vollständig  oder  theilweise  darbietet. 

In  früherer  Zeit  wurde  auch  die  Scheidenhaut  des  Augapfels ,  Tunica  vaginalis 
hulbi,  als  mit  dem  Stroma  conjunctivae  innigst  zusammenhängend,  darunter  mit  inbe- 
griffen, und  noch  jetzt  nimmt  man  häufig  den  vordersten  Theil  der  Tunica  vaginalis  zur 
Conjunctiva.  Dieser  geht  zwar  mit  der  Bindehaut  eine  immer  engere  Verbindung  ein, 
je  näher  beide  der  Cornea  kommen,  und  verschmilzt  endlich  mit  derselben  am  Rande 
der  Cornea  gänzlich;  dessen  ungeachtet  aber  ist  es  naturgemässer,  beide  Membranen 
als  verschieden  zu  betrachten,  so  weit  sie  sich  mit  dem  Messer  ungezwungen  tren- 
nen lassen. 

Der  Flächenraum,  den  die  Bindehaut  einnimmt,  ist  grösser,  als  man 
gemeinhin  dafürhält.  Der  Durchmesser  vom  Rande  der  Cornea  bis  zum 
freien  Lidrande  nach  oben  und  nach  unten  beträgt  beim  Erwachsenen 
etwas  über,  der  nach  den  beiden  Winkeln  hin  etwas  unter  1  Zoll.  Man 
begreift  dieses  Verhältniss  bei  der  geringen  Breite  der  Lidknorpel  nur 
dann,  wenn  man  bedenkt,  dass  die  Bindehaut  in  jenem  Theile,  welcher 
den  Übergang  von  den  Lidern  auf  den  Augapfel  vermittelt,  mehr  weniger 

Arlt,  I.  | 


2  Bindehaut. 

beträchtliche  Falten  bildet.  Am  stärksten  tritt  diese  Faltung  im  innern 
Winkel  hervor,  bekannt  als  halbmondförmige  Falte;  diese  verliert  sich, 
immer  schmäler  werdend,  allmälig  gegen  den  äusseren  Winkel  hin,  wo 
die  Bindehaut  hinter  der  äussern  Commissur  statt  der  Faltung  buchtige 
oder  blindsackige  Erweiterungen  bildet,  welche  sich  selbst  im  Cadaver 
nicht  leicht  ausbreiten  lassen.  An  flachliegenden  Augen  stülpen  sich  die- 
selben bisweilen  bei  stärkerem  Abziehen  des  obern  Augenlides  nach 
aussen  hervor,  und  können  —  freilich  nur  auf  kurze  Zeit  - —  dem  Anfän- 
ger leicht  für  etwas  Abnormes  imponiren. 

An  dem  untern  Lide  hält  es  in  der  Regel  nicht  schwer,  die  Bindehaut  in  ihrer 
ganzen  Ausbreitung  zu  Gesichte  zu  bekommen,  bei  flach  liegenden  Augen,  indem  man 
das  untere  Lid  stark  abzieht  und  dann  gegen  den  Orbitalrand  ausdrückt,  bei  tief  liegen- 
den, indem  man  das  Lid  abzieht,  und  dann  den  Bulbus  stark  nach  unten  rollen  lässt. 
An  dem  obern  Lide  hingegen  bekommt  man  den  Übergangstheil  der  Bindehaut  sehr 
selten  zu  Gesichte,  am  wenigsten,  indem  man,  wie  gewöhnlich  gerathen  wird ,  das 
obere  Lid  einfach  umstülpt,  eher  noch,  wenn  man  das  Lid  stark  gegen  den  Augen- 
brauenbogen  hebt  und  abzieht,  und  die  Pupille  abwärts  richten  lässt. 

In  dieser  Ausdehnung  bietet  die  Bindehaut  mehrere  Verschiedenheiten 
der  Structur  dar,  nach  welchen  wir  folgende  Partien  unterscheiden: 

1.  Der  Tarsaltheil,  vom  freien  oder  Cilienrande  des  Knorpels  an 
bis  etwa  §"'  über  den  Orbitalrand  des  Knorpels  hinaus,  zeigt  alle  Elemente 
der  Schleimhäute :  «.  eine  dünne  Lage  von  Epithelium  aus  cylindrischen 
Zellen^  ß.  darunter  Papillarkörper,  bestehend  aus  grösstenteils  reihen- 
weise angeordneten  fadenförmigen  Papillen,  welche  der  Bindehaut  ihr 
ganz  feinkörniges  oder  sammetartiges  Aussehen  geben  *),  welches  unter 
der  Loupe  so  erscheint,  als  ob  die  Bindehaut  mit  einer  unzähligen 
Masse  glatter,  glänzender  Hügel  besäet  wäre,  zwischen  welchen  feine 
Gefässchen  verlaufen ;  y.  endlich  als  Grundlage  vielfach  durchschlungene 
Bindegewebsfasern,  mittelst  welcher  diese  Partie  aufs  innigste  mit  dem 
Knorpel  verbunden  ist. 

Diese  Partie  wird  von  äusserst  zahlreichen  Gefässchen  und  Nerven 
durchzogen.  Erstere  geben  ihr,  so  weit  die  Meibom'schen  Drüsen  rei- 
chen, welche  deutlich  durch  dieselbe  durchscheinen,  ein  blassrothes 
Aussehen  **) ;  letztere  sind  Zweige  des  N.  trigeminus,  und  bedingen  die 
grosse  Empfindlichkeit  dieser  Partie. 

*)  Die  Papillen  fangen  erst  1I2  Linie  hinter  der  innern  Lefze  des  Lidrandes  an,  und  erstrecken  sich  am  untern  Lide 
etwa  '/»'",  am  obern  etwas  über  1'"  über  den  Orbitalrand  des  Tarsus  hinaus,  und  sind  in  letzterer  Gegend 
am   mächtigsten. 

"*)  Gegen  die  Winkel  hin,  besonders  am  obern  Lide  ,  erscheinen  die  feinen  Wärzchen  der  Bindehaut  immer  nicht 
nur  etwas  grösser,  stärker  entwickelt,  sondern  auch  röther,    selbst  bläulich  roth. 


Anatomie  —  Physiologie.  3 

2.  Im  Übergangstheile  treffen  wir  keinen  Papillarkörper  mehr,  wohl 
aber  (nach  Krause)  gehäufte  Schleimdrüschen,  theils  einfach,  theils  traubig 
verbunden  *).  Das  zellige  Stroma  der  Conjunctiva  ist  weit  lockerer,  und 
hängt  mit  der  Fascia  tarso-orbitalis,  welche  vom  Orbilalrande  des  Knor- 
pels zu  der  Fascia  vaginalis  bulbi  übergeht,  durch  grobmaschiges,  zu  serö  - 
sem  und  blutigem  Ergüsse  sehr  geneigtes  Bindegewebe  zusammen.  Diese 
Partie  erscheint  im  normalen  Zustande  durchaus  blass,  nur  von  einzelnen 
stärkeren  Gefässen  durchzogen.  Die  Schleimfollikel  sieht  man  entweder 
gar  nicht,  oder  als  senfkorngrosse,  krystallhelle  oder  mattgelbliche  Bläs- 
chen. Sie  treten  bei  congestiven  und  entzündlichen  Zuständen  der  Binde- 
haut deutlicher  hervor,  Die  Übergangsfalte,  als  deutliche  Fortsetzung  der 
halbmondförmigen  Falte,  erscheint  bei  älteren  Individuen  als  ein  etwas 
gelblicher  und  gelockerter,  bandähnlicher  Streifen. 

Der  Übergangstheil  ist  wenig  empfindlich,  wenigstens  können  fremde 
Körper  sehr  lange  in  demselben  haften,  ohne  dass  der  Kranke  von  ihrer 
Gegenwart  weiss.  Beim  Katarrh  und  bei  der  Blennorrhoe  wird  dieser 
Theil  jedesmal  und  gleich  von  Anfang  an  ergriffen. 

Es  geschieht  bei  Hervortreihung  des  Bulbus  aus  der  Orbita  (Exophthalmus) 
z.  B.  durch  Markschwammablagerung ,  dass  die  Lider  umstülpt  und  die  Bindehaut  in 
ihrer  ganzen  Ausdehnung  bloss  gelegt  wird.  Solche  Fälle  sind  es,  welche  den  Unter- 
schied zwischen  dem  Tarsal-  und  Übergangstheil  recht  deutlich  hervorstehen  lassen.  Jener 
zeigt  stets  ein  fein  warziges,  sammetartiges  und  stärker  geröthetes  Aussehen ,  während 
dieser  bei  der  enormen  Ausdehnung  und  Spannung  der  ganzen  Bindehaut  eben  so  glat 
erscheint  als  der  Scleraltheil. 

Ich  besitze  ein  Präparat,  an  welchem  in  Folge  syphilitischer  Geschwüre  und 
Karben  fast  rings  um  die  Orbita  die  Cutis  so  von  den  Lidern  abgezogen  ist,  dass  die 
ganze  Conjunctiva  vollständig  auswärts  gewendet  und  ausgeglättet  erscheint.  Die  Grenze 
zwischen  Cutis  und  Conjunctiva  ist  nur  durch  einen  leichten  Wulst  und  einige  Cilien 
angedeutet;  der  Tarsaltheil  ist  sammt  den  Tarsis  auf  einen  sehr  schmalen  Streifen  re- 
ducirt;  der  ganz  ausgeglättete  Übergangstheil  zeigt  eine  Menge  kleiner  Grübchen,  von 
denen  ich  nicht  mit  Bestimmtheit  sagen  kann,  ob  sie  durch  Verlust  der  Follikel  ent- 
standen, oder  ob  sie  als  enorm  erweiterte  Mündungen   der  Follikel  zu  betrachten  sind. 

3.  Der  Scleraltheil  unterscheidet  sich  vom  Übergangstheile  nur 
durch  die  Abwesenheit  der  Schleimfollikel,  und  durch  den  Mangel  sicht- 
barer Gefässe  (im  normalen  Zustande). 

c)  ..In  fast  allen  Schleimbänlen  findet  man  Bläschen  oder  Zellen  von  0,012-0,03'"  Durchmesser,  welche  bald 
wasserhell,  bald  mit  einem  körnigen  Inhalt  erfüllt  sind.  Schleimhäute,  welche  man  für  ganz  drüsenlos  hält, 
sind  stellenweise  mit  solchen  Bläschen  besetzt,  aber  sowohl  ihr  Sitz  als  ihre  Zahl  sind  unbeständig;  sie  sind 
hald  einzeln  zerstreut,  bald  haufenweise  zusammengeordnet,  und  scheinen  zu  verschiedenen  Zeiten  und  an  ver- 
schiedenen Orten  zu  entstehen  und  wieder  zu  vergehen.  Sie  sind  rund  oder  oval,  vollkommen  geschlossen, 
aus  einer  structurlosen  Haut  gebildet,  und  so  iu  der  Dicke  der  Schleimhaut  vergraben,  dass  sie  diese  weder 
hügelförmig  erheben,  noch  in  der  Tunica  nervea  merkliche  Eindrücke  zurücklassen."  Henle,  allgemeine  Ana- 
tomie, Leipzig,  1841    S.  *91. 

1* 


4  Biinlehaut. 

Die  Äderchen,  welche  man  an  jedem  Auge  von  den  Fnsertionsstellen  der  geraden 
Augenmuskeln  her  gegen  die  Cornea  verlaufen  sieht,  gehören  nicht  der  Bindehaut, 
sondern  der  Tunica  vaginalis  bulbi,  oder  vielmehr,  sie  verlaufen  unter  dieser  Tunica 
zum  vordersten  Theile  der  Sclera,  wo  sie  sich  spalten,  und  theils  die  Sclera  durch- 
bohren, theils  in  den  vordersten  Theil  der  Conjunctiva  bulbi  (Limbus)  und  in  die  Cornea 
treten.  Sie  erscheinen  je  weiter  gegen  die  Peripherie  hin,  desto  mehr  bläulich,  weil  die 
Tunica  vaginalis  dorthin  immer  mächtiger  wird;  sie  lassen  sich  nicht  verschieben,  wenn 
man  die  Bindehaut  allein  oder  diese  sammt  der  Tunica  vaginalis  (was  nur  gegen  die 
Peripherie  hin  möglich  ist)  über  der  Sclera  verschiebt.  Es  sind  diess  die  vordem 
Ciliararlerien  und  die  sie  begleitenden  Venen.  Bei  etwas  glotzenden  Augen  kann  man 
durch  momentanen  Druck  mittelst  des  Fingers  auf  den  Lidrand  den  Blutstrom  in  ihnen 
unterbrechen,  worauf  sie  sich,  je  nachdem  sie  Arterien  oder  Venen  sind,  von  der  Pe- 
ripherie her  oder  umgekehrt  füllen.  Die  Venen  zeigen  einen  mehr  geraden,  die  Arterien 
einen  geschlängcllen  Verlauf. 

Die  der  Conjunctiva  selerae  angehörenden  Gefässe  werden  nur  bei 
Reizung-  der  Bindehaut  durch  fremde  Körper  und  bei  Entzündung-  dersel- 
ben, am  deutlichsten  bei  heftigeren  Augenkatarrhen  und  ßlennorrhöen 
niedern  Grades  sichtbar;  man  kann  sie  genau  aus  der  Überyangsfalte 
bis  gegen  die  Cornea  hin  und  umgekehrt  verfolgen;  sie  zeigen  immer 
eine  scharlachrothe  Färbung,  und  einen  stark  geschlängelten,  zickzack- 
artigen Verlauf. 

Das  Epilhelium  erweist  sich  im  Scleraltheile  unzweifelhaft  als  Pflaster- 
epithel ;  das  Stroma  der  Bindehaut  ist  sehr  locker,  daher  zu  serösen  und 
blutigen  Infiltrationen  sehr  geneigt,  über  der  Tunica  vaginalis  (gegen  die 
Peripherie  hin)  leicht  verschiebbar,  sehr  dünn  und  beinahe  vollkommen 
durchsichtig.  Je  näher  gegen  die  Cornea,  desto  minder  locker  wird  der 
Zusammenhang  der  Bindehaut  mit  der  Tunica  vaginalis  und  sclerotica. 
Am  Rande  der  Cornea  selbst  hängt  die  Bindehaut  fest  mit  dieser  zusammen, 
bis  endlich  bloss  ein  in  mehreren  Schichten  aufliegendes  Pflasterepithel, 
gleichsam  als  Fortsetzung    der  Bindehaut  über  die  Hornhaut,  übrig  bleibt. 

4.  Der  Epifhelialübermg  der  Cornea  besteht  aus  regelmässig  ge- 
kernten Pflasterepithelien ,  welche  in  den  obersten  Schichten  platt  und 
sechseckig,  in  den  tiefern  kleiner  und  polyedrisch  sind,  und  zunächst  den 
Hornhautfasern  eigentlich  nur  den  Umriss  des  Kernes  unterscheiden  lassen. 
Dieser  vollkommen  durchsichtige  Überzug  wird  bald  nach  dem  Tode  trüb, 
und  lässt  sich  in  Form  einer  dünnen,  leicht  zerreibliehen  membranartigen 
Schicht  ablösen  5  die  Cornea  erscheint  sodann  wieder  spiegelglatt,  wie 
im  Leben. 

Die  oberste  Lage    dieser  Epithelialschicht  löst  sich   (nach  Martini*)  wahrscheinlich 

*)  Von  dem  Einflusses   der  Seoretionsflüssitfkcitcn  auf  den  menschlichen   Körper  etc.    2.  Theil    1.  Hälfte,   Belle-Vue 
bei  Conslunz  1843. 


Anatomie  —  Physiologie.  5 

in  der  Thränenfeuchtigkeit  auf  und  wird  abgespült,  wodurch  die  ^Cornea  fortwährend 
ihren  Glanz,  ihre  Glätte  bewahrt.  In  manchen  Krankheiten  scheinen  einzelne  'Zellen 
verloren  zu  gehen,  auszufallen,  wodurch  die  Cornea  das  Aussehen  erhält,  als  I  wäre  sie 
mit  Nadeln  gestochen  worden ;  in  anderen  geht  das  Epithclium  in  grösserer  Ausdehnung 
und  Tiefe  verloren,  und  zwar  in  Folge-  mechanischer  oder  chemischer  Zerstörung,  oder 
in  Folge  flüssiger  Ergüsse  unter  dasselbe;  in  andern  erscheint  dasselbe  übermässig 
angehäuft  und  in  den  Thränen  unlöslich. 

Binddiautstroma,  als  Grundlage  dieses  Epitheliums,  lässt  sich  auf 
dem  mittlem  Theile  der  Cornea  durchaus  nicht  nachweisen,  wohl  aber 
noch  auf  dein  Rande  dieses  durchsichtigen  Gebildes,  besonders  von  oben 
und  von  unten  her. 

Wird  die  Bindehaut  etwa  in  der  Gegend  der  Augenmuskelschnen  ringsum  durch- 
schnitten, und  sodann  vorsichtig  gegen  die  Cornea  hin  lospräparirt,  so  kann  man  sie 
als  Membran  bei  den  meisten  Augen  am  obern  Rande  2/3 — 3/4'",  am  untern  '/3 — l/a"S 
zu  beiden  Seilen  '/, — 1/3'"  weit  von  der  Hornhaut  loslösen,  so  dass  der  blos  von 
Epithel  bedeckte  Theil  der  Cornea  nicht  rund,    sondern  eiförmig  erscheint. 

Wir  nennen  diesen  Theil  der  Bindehaut  Limbus  conjunctivae  corneae, 
Bindehautsaum;  er  ist  von  den  Anatomen  als  Conjunctivalwulst  der  Cornea, 
Annulus  conjunctivae,  jedoch  nicht  ganz  naturgetreu,  beschrieben  worden. 
Er  spielt  in  der  Lehre  von  den  Krankheiten  der  Binde-  und  Hornhaut 
eine  sehr  wichtige  Rolle.  Bei  älteren  Individuen  findet  man  diesen  von 
wahrer  Bindehaut  gebildeten  Saum  der  Hornhaut,  welcher  oben  einen 
breiteren,  unten  einen  schmäleren  Meniscus  darstellt,  durchaus  mächtiger, 
breiter,  deutlicher  ausgesprochen,  in  viel  geringerem  Grade  durchschei- 
nend, bisweilen  ganz  undurchsichtig,  weisslichgrau;  ebenso  bei  Augen,  die 
viel  an  congestiven  oder  entzündlichen  Zuständen  (zumal  der  Bindehaut) 
gelitten  haben;  er  ist,  wie  wir  sehen  werden,  von  dem,  was  man  Arcus 
senilis  nennt,  wohl  zu  unterscheiden. 

Bei  normaler  Spannung  der  einhüllenden  Membranen  des  Bulbus  gibt  sich  die 
Demarcationslinie  zwischen  dem  von  Epithclium  und  dem  von  Conjunctiva  bedeckten 
Curnealfelde  durch  eine  leichte  Erhabenheit  kund ,  welche  um  so  deutlicher  in  die 
Erscheinung  tritt,  je  mehr  der  von  der  Bindehaut  bedeckte  Kandtheil  deprimirt  erscheint. 
Schabt  man  von  einem  Auge  erst  die  Epithelialschichte  der  Cornea  sorgfältig  ab,  und 
präparirt  man  dann  auf  die  oben  angegebene  Weise  die  Bindehaut  so  weit  als  möglich 
von  dem  Rande  der  Cornea  weg,  so  tritt  diese  Depression  des  von  der  Bindehaut  ein- 
gesäumten Randtheües  der  Cornea  erst  recht  deutlich  hervor. 

Dieser  Bindehautsaum  ist  sehr  gefässreich;  in  ihm  stossen  die  fein- 
sten Endigungen  der  Bindehautgefässe  mit  den  zahlreichen  Ästchen  zu- 
sammen, welche  die  vordem  Ciliararterien  zu  diesem  Gebilde  liefern. 
Unter  ihm  und  durch  ihn  hindurch  treten  die  feinsten  Ästchen  der  Ciliar- 
arterien in  die  Cornea,  Gefässe,  welche  im  normalen  Zustande  kein  rothes 
Blut  führen,  daher  nicht  sichtbar  sind. 


6  Bindehaut. 

Wenn  irgendwo,  so  sieht  man  an  dieser  und  der  nächst  angrenzenden  Partie 
der  Bindehaut  und  dem  unterliegenden  Bindegewebe,  dass  es  sogenannte  Vasa  serosa 
geben  muss;  denn  kaum  hat  ein  fremder  Körper  die  Cornea  verletzt,  kaum  ist  ein 
Staubkörnchen  zwischen  das  obere  Lid  und  die  Cornea  gelangt ;  und  schon  sieht  man 
eine  Unzahl  der  feinsten  Äderchen  rings  um  die  Cornea  von  Blut  strotzen,  von  denen 
man  wenig  Minuten  vorher  keine  Spur  bemerkte.  —  Dieser  Bindehautsaum  ist  einer 
beträchtlichen  Anschwellung  fähig,  nicht  nur  durch  Blutüberfüllung,  sondern  auch  durch 
Erguss  von  serösem  oder  faserstoffigem  Exsudate  (in  umschriebener  oder  diffuser  Form). 
Er  ist  es,  auf  welchem  nicht  nur  vesiculöse  und  pustulöse  Eruptionen,  analog  denen 
auf  der  Haut,  am  häufigsten  vorkommen,  sondern  auch  die  angeborenen  Warzen  der 
Bindehaut,  welche  an  die  Bedeutung  der  Bindehaut  —  Einstülpung  der  allgemeinen 
Bedeckungen  —  mehr  als  alles  andere  erinnern. 

Die  Function  der  Bindehaut  besteht  in  der  Befeuchtung  und  in  der 
Vermittlung-  der  Beweglichkeit  des  Augapfels.  Sie  liefert  ohne  Zweifel 
einen  grossen  Theil  jener  Flüssigkeit,  welche  das  Auge  feucht  erhält. 
Wenn  man  eine  Partie  des  umstülpten  obern  Lides  sorgfältig  abtrocknet, 
wird  sie  doch  fast  augenblicklich  wieder  feucht.  Degeneration  oder  Ex- 
stirpation  der  Thränendrüse  führt  weder  beim  Menschen  noch  bei  Thieren 
zur  Vertrocknung  der  Bindehaut ;  diese  liefert  dann  —  nach  Martini  — 
noch  immer  eine  kochsalzhaltige  Flüssigkeit.  Die  obersten  Schichten  ihres 
Epifheliums  lösen  sich  fortwährend  in  der  Thränenflüssigkeit  auf.  Diese 
Auflösung  scheint  unerlässliche  Bedingung  zur  Erhaltung  der  Durchsich- 
tigkeit des  Hornhautüberzuges  zu  sein.  *::") 

Ihr  Blut  erhält  die  Bindehaut  grösstenteils  aus  Zweigen  der  Arteria 
ophthalmica  von  der  Carotis  interna,  zum  Theil  jedoch,  besonders  im 
Tarsaltheile,  auch  aus ~  der  Carotis  externa  durch  die  Art.  angularis,  tem- 
poralis  und  infraorbitalis.  Die  Art.  tarsea  superior  et  inferior  und  die 
Art.  lacrymalis  bilden  das  Gefässnelz,  welches  man  bei  katarrhalischen 
Augenentzündungen  von  der  Peripherie  gegen  die  Cornea  hin  immer 
schütterer  und  feiner  werden  sieht;  die  Art.  musculares  und  ciliares  an- 
ticae,  welche  unter  der  Scheidehaut  des  Augapfels  liegen,  und  daher 
bläulich  erscheinen,  anastomosiren  mit  jenem  oberflächlichen  Netze  in  der 
Nähe  der  Cornea. 

Die  Venen  führen  vom  innern  Theile  aus  in  die  Vena  facialis  anterior 
(profunda  et  superficialis),  vom  äussern  Theile  in  die  Venae  temporales. 
Die  Saugadern    laufen  an    den  Venen  gegen    den  Unterkiefer    herab,  und 

'')  Die  Flüssigkeit,  welche  die  freie  Oberfläche  des  Augapfels  feucht  und  glänzend  erhält,  ist  ein  Gemisch  aus  dem 
Secrete  der  Thränendrüse  und  der  Bindehaut,  und  —  nach  Martini  —  aus  dem  Altritus  dieser  letztem,  den  auf- 
gelösten Epilhelien.  Sie  besteht  —  nach  Vauquelin  —  aus  ohngefähr  99  Procent  Wasser  und  1  ProCent  fester 
Substanz  ;  letztere  enthält  Schleim,  Kochsalz,  kaustisches  Natron  und  Kalk-  und  Nalronphosphat.  Der  Schleim 
und  die  phosphoisauren  Salze  dürften  dem  aufgelösten  Epilhclium,  das  Kochsalz  und  das  kaustische  Natron  der 
eigentlichen   Thränenlliissigkeil   zukommen.     Sie   zeigt  demnach   eine  schwache  alkalische  Reactiou. 


Krankheiten.  7 

treten  in  die  obern  Halsdrüsen.  Auf  einen  hohen  Grad  von  Resorptions- 
kraft deutet  der  Umstand,  dass  Extr.  belladonnae  oder  hyosciami,  auf  die 
Conjunctiva  gebracht,  sehr  bald  seine  Wirkung    auf  die  Iris  äussert. 

Die  Nerven,  welche  im  Tarsaltheile  äusserst  zahlreich  ausgebreitet 
sind,  und  in  der  ganzen  Bindehaut  der  Empfindung,  Absonderung  und 
Ernährung  vorstehen,  sind  Zweige  vom  N.  trigeminus ,  und  zwar  vom 
Raums  ophthalmicus:  Zweigchen  des  N.  supraorbitalis,  supra-  et  infra- 
trochlearis  uud  lacrymalis,  und  vom  Raums  maxillaris  superior:  Zweigchen 
des  N.  snbculaneus  malae  und  infraorbitalis.  Die  Exstirpation  des  Ganglion 
cervicale  supremum  oder  die  Durchschneidung  des  N.  trigeminus  diesseits 
des  Ganglion  Gasseri,  und  die  darauf  folgende  Entzündung  und  Ver- 
schwärung  der  Binde-  und  Hornhaut  haben  den  Einfluss  dieser  Nerven 
auf  die  Ernährung  und  Absonderung  der  Bindehaut  zur  Evidenz  nachge- 
wiesen. Die  Lichtscheue,  der  Thränenfluss  und  die  häufige  oder  selbst 
anhaltende  Contraction  des  vom  N.  facialis  versorgten  Muse,  orbicularis 
palpebrarum,  welche  durch  Reize  auf  die  Bindehaut  oder  Entzündung  der- 
selben hervorgerufen  werden,  zeugen  von  der  nahen  Beziehung,  in  welcher 
die  Nerven  der  Bindehaut  zu  den  Ciliarnerven,  zum  Thränendrüsen-  und 
Antlitznerven  stehen,  worauf  wir  später    zu  sprechen  kommen  werden. 

B.    Krankheiten    der  Bindehaut 

Die  Bindehaut  finden  wir  sehr  häufig  in  krankem  Zustande,  und 
zwar  meistens  unter  Erscheinungen ,  welche  im  Allgemeinen  mit  dem 
Namen  Entzündung  bezeichnet  werden.  Nennen  wir  die  hieher  gehörigen 
Zustände  überhaupt  Conjunctivitis,  und  berücksichtigen  wir  die  bedeutenden 
Verschiedenheiten,  welche  die  hieher  gehörigen  Fälle  in  Bezug  auf  das 
Ensemble  der  Erscheinungen,  Sitz  und  Ausdehnung  der  Affection,  Verlauf 
und  Ausgänge,  Vorkommen  und  ursächliche  Momente  darbieten,  so  können 
wir  sie  am  natürlichsten  etwa  in  folgende  Gruppen  absondern:  Conjuncti- 
vitis catarrhalis,  blennorrhoica,  membranacea,  scrophulosa,  trachomatosa  und 
Exantheme  der  Bindehaut  (im  engeren  Sinne  des  Wortes),  denen  sich 
jene  entzündlichen  Zustände  anschliessen,  welche  durch  mechanisch- 
chemische  Verletzungen  der  Bindehaut  bedingt  werden.  Es  soll  jedoch 
mit  dieser,  die  Übersicht  im  Allgemeinen  und  die  Orientirung  in  speciellen 
Fällen  bezweckenden  Eintheilung  weder  eine  haarscharfe  Absonderung, 
noch  eine  gegenseitige  Ausschliessung  der  einzelnen  Formen  unter  ein- 
ander aufgestellt,  noch  endlich  das  gemeint  sein,  dass  jeder  specielle  Fall 


8  Bindehaut. 

gerade  in  eine  oder  die  andere  dieser  Rubriken,  wenn  man  so  sagen 
darf,  eingereiht  werden  müsse.  Die  Schilderung  der  einzelnen  Gruppen 
und  die  Beobachtung  am  Krankenbette  wird  diess    am  besten  erläutern. 

I.    Bindehautkatarrh,  Conjunctivitis  catarrhalis. 

Als  Augenkatarrh  bezeichnen  wir  jene  Entzündung,  welche  mit  ver- 
mehrter Gefässinjection,  mit  leichter  Schwellung  und  Lockerung  des  Ge- 
webes der  Bindehaut,  und  mit  Ausscheidung  eines  veränderten  eiweiss- 
oder  schleimähnlichen  Secretes  an  die  freie  Oberfläche  verläuft.  Die  Röthe, 
Lockerung  und  Schwellung  ergreift  stets  die  Bindehaut  vom  Lidrande  bis 
in  die  Übergangsfalte  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  und  zwar  am  obern 
und  untern  Lide  zu  gleicher  Zeit  und  in  gleichem  Grade,  bei  höheren 
Graden  auch  die  Conjunct.  bulbi. 

Symptome.  A.  Die  Röthe  erscheint  in  frischen  Fällen  hell,  Schar- 
lach- oder  gelblichroth,  im  Tbarsaltheile  dicht,  im  Übergangstheile  schütter 
netzförmig ,  an  der  geschwellten  halbmondförmigen  Falte  gleichmässig 
(fleischroth),  in  der  Übergangsfalte  bisweilen  ecchymotisch.  Später  wird 
die  Röthe  dunkler,  mehr  gleichförmig,  mehr  auf  den  Tarsaltheil,  nament- 
lich gegen  die  Winkel  hin  concentrirt  (daher  Ophthalmia  angularis  bei 
älteren  Auetoren"),  die  Übergangsfalte  schmutzig-  oder  röthiichgelb. 

Die  Schwellung  des  Übergangstheiles  sieht  man  am  deutlichsten  an 
der  halbmondförmigen  und  an  der  Übergangsfalte,  welche  letztere  in  Form 
eines  dunkel-  oder  gelblichrothen  lockeren  Bandes  den  Bulbus  umgibt. 
Die  Schwellung  der  Schleimfollikel  in  Form  äusserst  feiner,  krystallheller 
oder  blassgelblich-dnrchsichtiger  Bläschen  im  Tarsal- ,  vorzüglich  aber  im 
Übergangstheile  ist  ein  minder  constantes  Symptom ;  sie  sitzen  im  Paren- 
chym,  ragen  nur  wenig  über  die  Oberfläche  empor,  und  verschwinden  im 
Tarsaltheile  sehr  bald.  Sie  kommt  dem  Katarrh  nicht  ausschliesslich  zu.*) 
Die  Schwellung  des  Papülarkörpers  ist  nie  beträchtlich;  nur  nach  längerer 
Dauer  gibt  sie  dieser  Partie  ein  feinkörniges  oder  filziges  Aussehen  mit 
gleichmässiger  dunkler  Röthe.  Erst  dann  geht  das  Durchscheinen  der 
Meibom' sehen  Drüsen  verloren.  Nach  monate-,  jahrelanger  Dauer  kann 
die  Bindehaut  des  Lides  stellenweise  oder  durchaus  ein  leicht  sehnen- 
artiges Aussehen  bekommen,  so  als  ob  sie  mit  einer  dünnen  Lage  Milch 
überzogen  wäre. 

*)  Verschwürung  dieser  Follikel  konnte  ich  trotz  aller  Aufmcrksamlieit  auf  diese  Erscheinung  niemals  wahrnehmen. 
Ähnliche  staubl(ürnc|\engiosse  Erhebungen  auf  der  Conjunctiva  palp.  sind  vielleicht  durch  Erguss  von  Serum 
unter  das  Epilheliurn   bedingt,  da  sie  sehr  bald    wieder  verschwinden. 


Katarrh  -~  Symptome.  9 

Das  Secret,  anfangs  sparsamer,  später  reichlicher,  erscheint  in  Form 
lichtgrauer  oder  graugelber  Flocken  oder  eiweissähnlicher  Fäden,  welche 
sich  gern  in  den  Übergangsfalten  verbergen,  oder  in  wasserklarer  Flüs- 
sigkeit schwimmen.  Die  consistenteren  Bestandteile  legen  sich  gern  an 
die  Winkel  besonders  an  die  Karünkel  und  an  die  Cilien  an,  und  ver- 
trocknen an  der  Luft  zu  gelblichen,  spröden  Krusten,  besonders  während 
des  Schlafes  —  daher  das  Verklebtsein  der  Cilien  und  Lider  beim  Er- 
wachen. Reichlicher  ausgeschieden,  und  die  Lidspalte  überströmend,  er- 
weicht es  die  Epidermis  der  Lidränder  —  Excoriationen  —  nicht  sowohl 
durch  eine  gewisse  Schärfe,  wie  allgemein  angegeben  wird,  als  vielmehr 
durch  die  beständige  Benetzung.  Es  reagirt  nicht  stärker  alkalisch,  als 
die.  Thränenflüssigkeit  im  normalen  Zustande,  und  enthält  nur  mehr  Epi- 
thelien,  theils  aufgelöst,  theils  unzerstört  (einfach  abgestossen),  Schleim- 
und Fettkugeln  (letztere  wohl  von  den  stärker  absondernden  Meibom'schen 
Drüsen).  Auf  eine  gesunde  Bindehaut  übertragen,  ruft  es  nicht  eine  gleiche 
Reihe  von  Krankheitserscheinungen  hervor,  ist  also  nicht  ansteckend. 
So  fand  ich  es  wenigstens  in  einigen,  freilich  nicht  genug  zahlreichen 
Fällen,  welche  ich  zu  Impfversuchen  benützte.  Andere,  später  anzufüh- 
rende Thatsachen  machen  es  jedoch  sehr  wahrscheinlich,  dass  auch  ganz 
einfache  Katarrhe  durch  Überpflanzung  vervielfältigt  werden  können,  we- 
nigstens unter  gewissen  besonderen  Verhältnissen. 

Die  Bindehaut  des  Augapfels  kann  auf  doppelte  Weise  in  Mitleiden- 
schaft gezogen  werden,  theilweise  nämlich,  oder  durchaus.  Im  erstem 
Falle  bildet  sich  unweit  der  Cornea  gegen  den  äussern  Winkel  hin  eine 
partielle  starke  Gefässeinspritzung  sowohl  in  als  unter  der  Bindehaut,  und 
an  der  Spitze  derselben  eine  Pustel  mit  consecutiver  Geschwürbildung, 
mit  Auflockerung  und  Anschwellung  der  umgebenden  Bindehautpartie. 
Diese  Form  hat  man  desswegen  Ophthalmia  catarrhalis  pustularis  ge- 
nannt. Wird  hingegen  die  Bindehaut  des  Augapfels  durchgängig  ergriffen, 
so  sieht  man  mehr  weniger  zahlreiche  Gefässe  aus  dem  Übergangstheile 
gegen  die  Cornea  hin  verlaufen,  und  bei  höheren  Graden  zu  einem  grob- 
maschigen Netze  sich  ausbreiten.  Diese  Gefässe .  erscheinen  auffallend 
hochroth,  erweitert,  zickzackähnlich  verlaufend,  gegen  die  Cornea  hin 
nicht  selten  mit  kleinen  Ecchymosen  umgeben,  und  in  dem  Maasse,  als 
die  Bindehaut  serös  geschwellt  ist,  leicht  verschiebbar.  Hiedurch  sowohl, 
als  durch  ihre  Farbe  unterscheiden  sie  sich  sogleich  von  den  unter  der 
Tunica  vaginalis  bulbi  verlaufenden  vorderen  Ciliargefässen,  welche  bei 
derlei  heftigen  Augenkatarrhen  gleichfalls  stärker  injicirt  erscheinen,  und 
bisweilen   selbst   einen    rosenrothen    Saum    um    die    Cornea  herum    bilden 


10  Bindehaut. 

(da  sie  mit  den  Conjunctivagefässen  nahe  an  der  Cornea  anastomosiren). 
Solche  Formen  hat  man  Ophthalmia  catarrhalis  genannt,  zum  Unterschiede 
-von  der  auf  den  Tarsair-  und  Übergangs theil  beschränkten,  dem  einfachen 
Augenkatarrh.  Fälle  dieser  Art,  wenn  sie  mit  Ecchymosen  und  starker 
seröser  Schwellung  auftreten,  wurden  wohl  auch  als  rolhlaufartige  Binde- 
hautentzündung beschrieben. 

Die  seröse  Schwellung  des  Übergangs-  und  des  Scleraltheiles  und 
submucösen  Zellstoffes  erreicht  bisweilen,  namentlich  bei  älteren  Indivi- 
duen und  nach  plötzlicher  Verkältung  (scharfem  Wind,  kalten  Umschlägen), 
einen  so  hohen  Grad,  dass  die  Conjunctiva  bulbi  schlaffe,  gelbliche  Wülste 
oder  einen  förmlichen  Wall  um  die  Cornea  herum  bildet.  QOedema  calidum 
auct.).  In  solchen  Fällen  ist  dann  auch  ödematöse  Schwellung  der  Cutis 
an  den  Lidern,  mindestens  längs  der  Ränder,  vorhanden. 

Mit  dieser  Schwellung  der  Conjunctiva  bulbi  kommt  in  seltenen  Fäl- 
len -partielle  Erweichung  der  Bindehaut  vor.  Es  bilden  sich  nahe  an  der 
Cornea  hirse-  bis  hanfkorngrosse  weisse  Stellen,  an  denen  das  Epithelium 
abgestossen  zu  sein  scheint ;  die  Umgebung  derselben  ist  etwas  stärker 
geröthet  und  geschwellt;  zur  Eiterbildung  auf  denselben  kommt  es  nicht; 
sie  verzögern  die  Heilung,  ohne  anderweitige  nachtheilige  Folgen  zu  haben. 

Die  Hornhaut  wird  beim  Augenkatarrh  in  der  Regel  nicht  betheiligt; 
nur  bei  altern  Leuten  erfolgt  gern  Verlust  des  Epitheliums  derselben,  und 
zwar  nächst  dem  Limbus  conjunctivae,  und  in  Folge  dessen  oberflächliche 
Verschwärung  der  Hornhautfasern,  welche  dann  wohl  auch  den  centralen 
Theil  in  Form  einer  Sichel  oder  eines  Reifens  umkreist.  Durchbohrung 
sämmtlicher  Faserlagen  sah  ich  niemals  eintreten. 

B.  Unter  den  subjectwen  Erscheinungen  des  Augenkatarrhs  steht 
das  Gefühl  von  Druck,  als  ob  Staub  oder  Sand  unter  dem  obern  Lide 
läge,  obenan.  Es  kommt  besonders  in  der  ersten  Zeit,  bei  noch  nicht 
chronisch  gewordenem  Leiden  vor.  Da  fremde  Körper  übrigens  alle  Er- 
scheinungen des  Katarrhs  hervorrufen  können,  nehme  der  Arzt  in  allen 
Fällen,  wo  der  Kranke  dieses  Gefühl  angibt,  eine  genaue  Besichtigung 
der  Bindehaut  vor,  und  halte  diese  Erscheinung  erst  dann  für  ein  Symp- 
tom eines  einfachen  Katarrhes,  wenn  er  sich  von  dem  Nichtvorhandensein 
einer  solchen  mechanischen  Ursache  überzeugt  hat.  (Vergl.  über  fremde 
Körper.)  Nach  längerer  Dauer  pflegt  mehr  das  Gefühl  von  Jucken, 
Beissen,  Brennen  u.  dgl.  vorhanden  zu  sein.  Es  kommen  auch  Fälle 
vor,  wo  der  Kranke  über  gar  keinen  Schmerz  oder  lästiges  Gefühl  klagt, 
oder  blos  über  Trockenheit  der  Augen  und  Schwere  der  Lider  (Abends 
oder  Morgens  beim  Erwachen"). 


Katarrh  —  Ätiologie.  11 

Ohngefähr  dasselbe  Verhältniss  findet  statt  in  Bezug  auf  Lichtscheue 
und  Thränenfluss ;  künstliches  Licht  belästigt  derlei  Augen  weit  mehr, 
als  das  Tageslicht  (wegen  der  freien,  strahlenden  Wärme). 

Alle  diese  Sensationsanomalien  treten  in  den  Abendstunden  stärker 
hervor,  häufig  auch  schon  Nachmittags.  *)     Sie  können  auch  fehlen. 

Der  farbige  Dunstkreis,  welchen  derlei  Kranke  gewöhnlich  um  die 
Kerzenflamme  sehen ,  scheint  so  wie  das  zeitweilige  Trübsehen  durch 
dünnne  Schleimschichten  auf  der  Hornhaut  bedingt  zu  sein,  wenn  nicht 
durch  Störung  in  dem  Epithelialleben  des  Hornhautüberzuges. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Der  Augenkatarrh  kommt  bald 
als  substantives,  bald  als  consecutives  Leiden  vor;  in  andern  Fällen  stellt 
er  gleichsam  nur  eine  Theilerscheinung,  nur  die  Theilnahme  der  Schleim- 
haut des  Auges  an  gleicher  Erkrankung  der  Schleimhäute  der  Respirations- 
organe etc.  dar. 

In  letzterer  Eigenschaft  erscheint  er  bei  vielen  Blutkrankheiten, 
Typhus,  Masern,  Scharlach,  beim  acuten  Luftröhren-  und  Nasenkatarrh 
in  Folge  von  Verkältung  bei  Entzündung  der  Tonsillen ,  während  des 
Zahnens,  bei  Hydrocephalus  acutus  etc.  Nach  Professor  Fischers  Beob- 
achtung wird  der  Augenkatarrh  wenn  auch  nicht  geradezu  erzeugt,  so 
doch  begünstigt  und  unterhalten  durch  abnormen  Zustand  der  Verdau- 
ungsorgane; er  macht  insbesondere  aufmerksam  auf  den  Geuuss  von 
Branntwein,  von  sehr  fetten  oder  stark  gesalzenen  Nahrungsmitteln. 

Als  consecutive  Erscheinung  finden  wir  den  Augenkatarrh  bei  behin- 
derter Durchgängigkeit  des  Thiänennasencanales ,  bei  Entzündung  der 
Augenliderdrüsen  (sowohl  der  im  Tarsus  eingeschlossenen,  als  der  um 
die  Haarzwiebeln  gelagerten),  bei  mechanischer  Reizung  der  Bindehaut 
durch  fremde  Körper  **) ,  beim  Trachoma  zur  Zeit  frischer  Infiltration, 
bei  Hornhautentzündungen  mit  Geschwürsbildung,  bei  congestiven  und 
entzündlichen  Zuständen  der  Chorioidea.  Bei  Greisen  finden  wir  sehr  oft 
einen  dem  katarrhalischen  sehr  nahe  oder  gleichkommenden  Zustand  von 
Röthe,  Lockerung  und  abnormer  Secretion  der  Bindehaut.  Er  kommt  mit 
einem  gewissen  Grade  von  Erschlaffung  der  Haut  und  der  Muskeln  vor, 
am  Auge  namentlich  mit  starker  Runzelung  der  Haut  und  verminderter 
Energie  des   Augenlidschliessers,    daher  sich    der  Rand   des   untern  Lides 

B)  Beer  meinte,  diese  Verschlimmerung  hängt  mit  der  erhöhten  Turgescenz  aller  Schleimhäute  während  der  Ver- 
dauung zusammen.  Dass  eine  solche  Verschlimmerung  eintritt,  und  zwar  anch  dann<  wenn  der  Kranke  sicji 
keinem  künstlichem  Lichte  aussetzt,    ist  Thatsache  der  Beobachtung. 

"*)  Ein  katarrhalischer  Zustand  der  Bindehaut  wird  oft  begünstigt  und  unterhalten  durch  Chalazien,  besonders  wenn 
sie  nach  innen  aufgebrochen  sind  ;  bei  altern  Leuten  sind  häufig  Concremente,  gelbliche  harte  Körner  in  den 
.tleibom'schen  Drusen,  die  Ursache  langwieriger    katarrhalischer    Zufälle. 


12      ,  Bindehaut. 

gern  senkt,  oder  auch  mehr  oder  weniger  auswärts  umstülpt.  Er  scheint 
auf  Atomie  der  Bindehaut  und  ihrer  Gefässe  zu  beruhen;  die  Hyperämie 
ist  eine  passive  {Ophthalmia  senilis  auctorum.) 

Als  Substantive  s  Leiden  erscheint  der  Augenkatarrh  theils  allein, 
theils  neben  andern  entzündlichen  Affectionen  des  Auges  bei  Individuen 
jeden  Alters  und  jeder  Constitution  in  Folge  unreiner,  zumal  mit  anima- 
lischen Ausdünstungen  überfüllter  Luft,  und  in  Folge  plötzlich  unter- 
drückter Transpiration.  Zu  gewissen  Zeiten,  die  jedoch  nicht  an  den 
Stand  der  Erde  zur  Sonne  gebunden  sind,  wie  manche  glauben,  erscheint 
er  epidemisch ;  es  erkranken  dann  Individuen  unter  den  verschiedensten 
Verhältnissen.  Der  Umstand,  dass  dann  in  manchen  Familien  die  meisten 
oder  sämmtliche  Mitglieder  ergriffen  werden,  erregt  mindestens  gegrün- 
deten Verdacht  auf  Contagiosität,  wenn  auch  diese  bisher  nicht  direct 
(durch  Impfungen)  nachgewiesen  werden  konnte.  Die  Veränderungen 
der  Atmosphäre,  welche  das  Entstehen  der  Katarrhe  überhaupt  hegünstigen, 
kennen  wir  nicht. 

Den  Katarrh  mit  Pustelbildung  auf  der  Sclera,  gegen  den  äussern 
Winkel  hin,  sah  ich  beinahe  nur  bei  jungen  Leuten  (am  häufigsten  zwi- 
schen dem  15.  und  25.  Jahre)  vorkommen.  Ich  kenne  Leute,  welche 
durch  mehrere  Jahre  hindurch  jeden  Frühling  oder  Herbst  von  dieser 
Form  befallen  wurden,  bald  auf  dem  einen,  bald  auf  dem  andern  Auge. 
Bei  den  meisten  waren  anderweitige  Manifestationen  von  Scrophulosis 
zugegen,  oder  früher  da  gewesen. 

Vorhersage.  Der  Augenkatarrh  setzt  weniger  Exsudat  ins  Paren- 
chym,  als  vielmehr  an  die  freie  Oberfläche.  Daher  erleidet  die  Bindehaut 
nur  bei  längerer  Dauer  eine  bleibende  Veränderung,  die  oben  erwähnte 
oberflächliche  Schrumpfung,  welche  aber  weiter  keinen  Nachtheil  bringt. 
Die  wichtigste  Veränderung  ist  eine  gewisse  Erschlaffung  des  Gewebes 
und  Erweiterung  der  Blut  efässe;  sie  begünstigen  das  Fortbestehen 
der  lästigen  Secretion.  Katarrhalisch  afficirte  Augen  sind  aber  für 
äussere  Schädlichkeiten  weit  empfänglicher,  und  so  kommt  es,  dass  sie 
leicht  einerseits  von  acuter  Bindehautblenorrhöe  (siehe  diese)  befallen 
werden,  dass  der  Katarrh,  wie  man  gewöhnlich  sagt,  unter  ungünstigen 
Verhältnissen  in  acute  Bindehautblennorrhöe  übergeht,  und  dass  zum  Ka- 
tarrh andererseits  gern  Entzündung  der  Hörn-  oder  Regenbogenhaut  oder 
beider  zugleich  hinzutritt.  Letzteres  erfolgt  insbesondere  häufig,  wenn 
Vorhaltung  durch  scharfen   Wind,   Zugluft,  kalte  Umschläge,    unzeitig  oder 


Katarrh  —  Prognose.  13 

unzweckmässig   angewendete    Augenwässer    auf    ein    solches    Auge    ein- 
wirken *). 

Durch  die  Excoriationen  kann  der  langwierige  Katarrh  zu  Blepharo- 
phimosis,  durcli  die  Hornhautgeschwüre  bei  alten  Leuten  zu  peripherischen 
Trübungen  führen.  Professor  Fischer  behauptet,  in  Folge  langwieriger 
Katarrhe  wahre  Gesichtsschwäche,  —  Amblyopia  —  beobachtet  zu  haben. 

Der  Substantive  Augenkatarrh  ist  leicht  zu  heilen,  .in  6 — 10  Tagen, 
wenn  nur  die  erregenden  und  ähnlich  wirkenden  Schädlichkeiten  beseitigt 
werden  können ;  er  schwindet  dann  auch  wohl  von  selbst. 

Als  Theilausdruck  allgemeinen  Schleimhautleidens  hat  er  eine  sehr 
untergeordnete  Bedeutung,  und  wird  an  sich  wohl  nicht  leicht  ärztliche 
Obsorge  erheischen. 

Beim  consecutiven  hängt  die  Prognose  von  der  Möglichkeit  ab,  das 
Gründübel  zu  heilen.  Er  nimmt  hier  gewöhnlich  einen  chronischen  Ver- 
lauf an,  oder  kehrt  doch,  wenn  auch  für  eine  Zeit  beseitigt,  über  kurz 
oder  lang  wieder  zurück. 

Doch    hinterlässt   auch  der   ganz  einfache  Augenkatarrh   längere  Zeit 

*)  Diese  Behauptung  folgt  aus  einer  Menge  verlässlicher  Beobachtungen.  Ich  will  in  aller  Kürze  nur  einige  erwäh 
nen.  Ein  Bäcker  erkrankte  im  Sommer  1846  —  zu  welcher  Zeit  mir  ungewöhnlich  viele  Augenkatarrhe  vorka- 
men —  zuerst  auf  dem  linken,  und  nach  einigen  Tagen  auf  dem  rechten  Auge.  Seiner  Angabe  nach  war  die 
Krankheit  beiderseits  eine  Ophthalmia  catarrhalis  massigen  Grades  gewesen,  wie  ich  sie  auch  noch  auf  dem 
linken  Auge  vorfand.  Er  Hess  mich  wegen  des  rechten  Auges  rufen,  an  welchem  ich  die  Zeichen  einer  Kera- 
toiritis  fand.  Er  hatte  sich  auf  dieses  Auge  durch  2  Tage  kalte  Umschläge  gegeben,  nicht  weil  es  heftiger  er- 
krankt war,  sondern  weil  er  diese  nicht  zugleich  auf  beide  Augen  geben  konnte,  ohne  in  seiner  Beschäftigung 
unterbrochen  zu  werden.  Fast  zu  derselben  Zeit  rief  mich  ein  Beamter,  der,  wie  mir  sein  Ordinarius  sagte, 
schon  früher  an  einem  Augenkatarrh  gelitten  hatte  und  jetzt  ganz  auf  dieselbe  Weise  erkrankt  zu  sein  angab. 
Es  waren  beide  Augen  zugleich  und  in  gleichem  Grade  ergriffen  worden.  Er  hatte  sich  auf  das  rechte  ein 
Stückchen  rohes  Fleisch  über  die  Lirler  gebunden  -  auf  den  Rath  eines  Laien  —  und  mit  dem  andern  fortge- 
arbeitet. Am  andern  Tage  wurde  er  durch  Trübsehen  und  heftige  Schmerzen  auf  diesem  Auge  erschreckt.  Ich 
fand  Keratitis  (die  Cornea  durchaus  leicht  getrübt  und  gelockert,  wie  mit  Nadeln  gestochen,  ringsherum  eine 
starke  Rosenröthe,  heftige  Lichtscheue,  keine  schleimige  Secretion ,  wie  auf  dem  andern  Auge).  Im  November 
1849,  wo  mir  sowohl  im  Spital  als  in  meiner  Privatpraxis  das  häufigere  Vorkommen  von  Augenkatarrhen  auffiel, 
war  ein  Müllergesell  an  einer  Entzündung  des  rechten  Auges  erkrankt,  welche,  seinen  Angaben  zufolge,  höchst 
wahrscheinlich  nichts  anderes  war,  als  eine  Ophthalmia  catarrhalis  Er  war  in  das  Spital  der  Barmherzigen 
Brüder  gegangen,  wo  man  ihm  anfangs  einfache,  später  eiskalte  Umschläge  gegeben  hatte.  Nach  14tägiger 
energischer  Anwendung  von  diesen  Umschlägen  und  von  Abführmitteln  wurde  er  auf  die  Augenklinik  gebracht.  Die 
Hornhaut  war  in  ihrer  untern  Hälfte  eitrig  infiltrirt,  nach  unten  und  aussen  mit  einem  hanfkorngrossen  Geschwüre 
versehen,  mehr  als  die  Hälfte  der  vordem  Kammer  mit  einem  eiterähnlichen  Exsudate  angefüllt,  die  Iris  entfärbt 
und  aufgelockert. —  Ich,  nach  meinen  Erfahrungen,  begreife  nicht,  wie  Ruete  die  Anwendung  kalter  Umschläge 
bei  Augenkatarrhen  so  unbedingt  empfehlen  konnte.  Dr.  von  Hasner  meint,  „das  häufige  (?)  Entstehen  der  Iris 
beim  Katarrh  in  den  meisten  (!)  Fällen  durch  die  Fortpflanzung  der  Hyperämie  auf  die  Hornhaut,  den  Ciliarkör- 
per  und  die  Iris"  erklären  zu  können,  weil  er  in  keinem  Falle  die  geringste  Spur  von  Rheumatismus  nachwei- 
sen konnte.  Aber  wie  diese  Fortpflauzung  geschehe,  das  zu  beantworten  bleibt  er  natürlich  schuldig.  Er  will 
„die  Fortwanderung  des  Processes  auf  die  Iris  deutlich  genug   beobachtet  haben." 


14  Bindehaut. 

eine  gewisse  Empfindlichkeit    gegen  grelles  Licht,  scharfe  Luft,    Anstren- 
gung bei  Kerzenlicht,  und  eben  desshalb  zu  Recidiven.*) 

Behandlung.  Diese  ist  verschieden,  je  nachdem  wir  die  Binde- 
haut im  Zustande  der  Reizung  (activen  Hyperämie,  Congestion)  oder  der 
Erschlaffung  (passiven  Hyperämie)  finden.  Der  erstere  Zustand  pflegt  nur 
einige  Tage  (3—5)  vorhanden  zu  sein,  und  gibt  sich  durch  lebhafte 
Röthe,  Thränenfluss  und  Lichtscheue  und  drückenden  Schmerz  unter  dem 
obern  Lide  kund.  In  diesem  Stadium  wende  man  keine  örtlichen  Mittel 
an,  nur  bei  statker  ödematöser  Schwellung  der  Lider  oder  der  Con- 
junetiva  bulbi  trockene  warme  Tücher.  Allgemeine  Blutentziehungen  sind 
nie,  örtliche  wohl  nur  selten  angezeigt. 

Ist  gleichzeitig  Nasen-  oder  Luftröhrenkatarrh  da,  so  halte  man  den 
Kranken  in  gleichmässiger  Temperatur,  gebe  reichlich  Wasser  oder  Thee 
zu  trinken,  und  wirke  bei  trockener  Haut  durch  kleine  Gaben  Brechwein- 
stein oder  Brechwurzel  auf  die  Transpiration. 

Wo  keine  Anzeige  vorhanden,  auf  die  Haut  zu  wirken,  hingegen 
Stuhlverstopfung  mit  oder  ohne  erhöhten  Blutandrang  zum  Kopfe  besteht, 
reiche  man  kühlende  Abführmittel,  namentlich  Mittelsalze. 

Die  Augen  schütze  man  vor  Rauch,  Staub,  scharfer  Luft,  Anstren- 
gung bei  Kerzenlicht,  welche  sich  übrigens  gewöhnlich  von  selbst  ver- 
bietet, überhaupt  vor  reizenden  Einflüssen.  Selten  wird  es  nöthig  sein, 
den  Kranken  das  Zimmer  oder  selbst  das  Bett  hüten  zu  lassen ;  selten 
wird  eine  Beschränkung  in  den  Nahrungsmitteln,  etwa  mit  Ausnahme  von 
Bier-  oder  Weingenuss,  erforderlich  sein. 

Sind  Lichtscheue  und  Thränenfluss  sehr  heftig,  wie  diess  gewöhnlich 
bei  scrophulösen  Individuen  der  Fall  ist,  so  müssen  erst  diese  Zufälle  ge- 
mildert werden,  was  nebst  dem  bereits  Angegebenen  in  der  Regel  durch 
Einreibungen  von  Unguetitum  cinereum  mitExtr.  belladonnae  bald  erreicht 
wird.  Man  gibt  5—10  Gran  Extr.  beilad.  auf  1  Drachme  und  lässt  die 
Salbe  alle  3 — 4  Stunden  bohnengross  an  die  Stirn  und  Schläfe  aufstrei- 
chen, so  dass  die  Stirn  immer  fett  bleibt.  Darüber  kommt  ein  einfacher 
Papierschirm.  **) 

Ist    das    Stadium    der    Erschlaffung  eingetreten,    dann  sind    adstrin- 


")  Von  einer  besomlern  Modification  des  lialarrhes,  welche  sich  durch  Bildung  eigentümlicher,  fischrogen-  oder 
frosclilaichähnlicher  Exsudate  unter  dem  Epithelium  der  Bindehaut  auszeichnet,  und  welche  ich  bisher  nur  in 
geschlossenen  Körperschaften  unter  dem  Einflüsse  unreiner,  gesperrter,  durch  Uberfüllung  mit  Menschen  ver- 
derbler Luft  beobachtet  habe,   kann   füglich   erst  im  V.  Abschnitte,  bei  der    lehre  vom  Trachoma  die   Rede  sein. 

")  Ein  Viertelbogen  Papier  wird  so  zusammengelegt,  dass  er  etwas  langer  und  breiter  als  die  Slirn  ist,  um  mittelst 
eines  durchgezogenen  Bindefadens  so  befestigt  zu  werden,  dass  er  die  Stirn  und  die  Schlafen  bedeckt,  und 
etwa   1   Zoll  über  die  Augenbrauen  herabreicht. 


Katarrh  —  Therapie.  15 

girende  Augenwässer  angezeigt.  Für  einfache  frische  Fälle  sind  am  wirk- 
samsten Lösungen  von  Silbersalpeter  oder  von  Sublimat.  Argenti  nitrici 
gr.  I — IV  in  aq.  dest.  uncia,  D.  in  vitro  Charta  nigra  obducto,  S.  Täg- 
lich 1 — 2mal  einige  Tropfen  in's  Auge  zu  träufeln.  *)  Die  Sublimatlösung 
nach  Conradi  enthält  */4  Gran  Ätzsublimat  in  2  Unzen  Aq.  destill,  mit 
Y2  Drachme  Quittenschleim  und  6 — 8  Tropfen  Laudan.  liquid.  Sydenh. 
Eine  kleine  Dosis  davon  wird  erwärmt  (ungefähr  wie  frisch  gemolkene 
Milch),  und  damit  werden  die  Lidränder  2—  3mal  des  Tages  gehörig  be- 
netzt, mittelst  der  Finger  oder  mittelst  eines  Leinwandfleckchens.  Zu 
bemerken  ist,  dass  in  Fällen,  wo  deutliche  abendliche  Verschlimmerung 
auftritt,  die  Anwendung  von  Collyrien  zu  dieser  Zeit  sehr  oft  nicht  gut 
vertragen  wird,  die  Zufälle  steigert.  Andere  Ärzte  empfehlen  eine  Lösung 
von  4 — 8  Gran  Alumen  crudum,  andere  die  von  6 — 10  Gran  Sulfas  zinci 
in  4  Unzen  destillirten  Wassers  mit  oder  ohne  Opiumtinctur. 

Hat  der  Katarrh  über  die  Zeit  gedauert,  in  welcher  er  von  selbst 
zu  heilen  pflegt,  ist  die  Schleimhaut  mehr  gelockert  und  dunkler  geröthet, 
die  Secretion  reichlicher  und  consistenter,  Excoriationen  veranlassend : 
dann  sind  stärkere  Collyrien  nöthig,  Für  solche  Fälle  können  insbeson- 
dere empfohlen  werden:  Lapid.  divini  gr.  XVI,  Aq.  dest.  unc.  IV,  Tinct. 
aiiodyn.  dr.  I,  aceti  litharg.  gutt.  IV**);  oder  Collyrii  adstr.  lutei,  aquae 
dest.  ää  unc.  IL  ***)  M.  D.  S.  wie  die  Aqua  Conradi  zu  gebrauchen,  oder 
eine  stärkere  Lösung  von  Argent.  nitricum.  Solche  Kranke  mögen  wohl 
scharfen  Wind  und  Regenwetter  vermeiden,  übrigens  aber  sehr  fleissig 
sich  in  freier  reiner  Luft  bewegen.  Das  Verweilen  in  Räumen,  wo  viele 
Menschen  beisammen  sind,  wirkt  auf  katarrhalisch  afficirte  Augen  in  der 
Regel  auffallend  nachtheilig. 

Manche  Individuen  vertragen  durchaus  keine  Augenwässer,  dagegen 
recht  gut  Augensalben.  Abgesehen  von  jenen  acuten  Fällen,  wo  heftige 
Lichtscheue  und  starker  Thränenfluss  oder  Ödem  der  Lider  und  der 
Conjunctiva  bulbi  noch  jede  Art  von  Collyrium  verbieten,  sind  es  insbe- 
sondere jene  chronischen  Formen,  welche  von  einem  krankhaften  Zustande 
der    Augenliderdrüsen    unterhalten    werden,    welche    den    Gebrauch    von 


*)    Diess  geschieht  am  besten  mittelst  eines  Federkieles  ;    dieser  wird  oben  und  unten  etwas  abgeschnitten,  mit  dem 
dickern  Ende  in  die  Flüssigkeit    eingetaucht,    dann    das  dünnere  mit  dem  Zeigefinger  bedeckt,    und  letzterer,    so 
wie  die  Flüssigkeit  abtropfen  soll,    entfernt.     (Heber.) 
M)  Lapis   divinus  St.  Yvessi :    Cupri  sulphurici,  cali  nitrici,  alumin.  crudi    aa  unica  mit  1j2    Drachme  Camphora    rasa; 

Beers  Präparat  enthält  Aerugo  statt  Cuprum  sulphur. 
***)  Collyr.   adstr.    luteum  (Aqua  Horsti) :    Salis    ammon.   gr.  XV,    Sulfat,  zinci  dr.  dimid.,    solulis  in  aq.  dest.    comm. 
unciis  V  adde  Camphorae  in  uncia  una  alkoholis  grav.  specif.  0,850  solutae  gr.    IX,  Croci  austr.  gr.   duo.    Mixta 
diger    in  calore  Reaum.  30° — 35°  ad  perfectam  croci  extract.  Refrige'r.    fiitr.  et  exhib.   usui. 


16  Bindehaut. 

Augensalben  erheischen.  Hier  können  empfohlen  werden :  eine  Salbe 
aus  '/2 — 2  Gran  weissein  und  die  aus  eben  so  viel  rothem  Präcipitat  auf 
1  Drachme  Fett,  abends  an  die  Lidränder,  später  an  die  innere  Fläche 
der  Lider  erbsengross  eingestrichen;  ist  das  Auge  noch  zu  empfindlich 
dagegen,  so  streiche  man  sie,  aus  2  —  4  Gran  auf  1  Drachme  bereitet, 
an  die  äussere  Fläche  der  Lider.  Bei  stärkerer  Erschlaffung  und  reich- 
licher Seeretion  fand  ich  folgende  Mischung  sehr  vortheilhaft :  Hydr.  praec. 
rubri  gr.  II  —  IV,  Lapid.  divini  alkoholis.  gr.  IV  —  VIII,  Land.  liq.  Syd. 
gtt.  X — XV  auf  1  Drachme  Fett,  bei  Ophthalmia  senilis  noch  mit  y2  Gran 
Campher  versetzt,  den  man  übrigens  auch  der  einfachen  rothen  Präcipi- 
tatsalbe  beimischen  kann. 

Der  Katarrh  mit  Pustelbildung  an  der  Conjunctiva  bulbi  erfordert 
keine  abweichende  Behandlungsart,  ausser  dass  man,  da  man  es  gewöhn- 
lich mit  sogenannten  vollsaftigen,  torpiden  Individuen  zu  thun  hat,  die 
Cur  mit  etwas  stärkeren  Abführmitteln,  Senna  oder  Jalappa,  beginnt,  und 
sobald  die  Pustel  geborsten,  täglich  1 — 2mal  reines  Laudan.  Sydenh.  auf- 
träufelt. In  einigen  Fällen  musste  das  Geschwür  mit  Cuprum  sulphuricum 
oder  mit  Lapis  infernalis  touchirt  werden,  um  die  Heilung  zu  beschleunigen. 

Gegen  die  grosse  Empfindlichkeit  der  Augen,  welche  bis  weilen  noch 
längere  Zeit  zurückbleibt,  sind  zu  empfehlen:  die  Aqua  opii*)  oder  ver- 
dünnte Aqua  laurocerasi  zur  mehrmaligen  lauwarmen  Bähung  der  Lider 
die  Tinctura  Galbani,  mittelst  eines  mehrfach  zusammengelegten  Leinwand- 
fleckes lauwarm  auf  die  geschlossenen  Lider  zu  legen. 

Gegen  das  zurückbleibende  lästige  Gefühl  von  Trockenheit  und 
Schwere,  namentlich  früh  beim  Erwachen :  Bestreichen  der  Lidränder  mit 
Speichel  oder  abends  vorher  mit  Mandelöl,  mit  einer  schwachen  weissen 
Präcipitatsalbe.  Fischer  behauptet  in  einigen  Fällen  gegen  dieses  lästige 
Übel  nur    die  Quellen  von  Teplitz  wirksam  gefunden  zu  haben. 

Ich  habe  vorzüglich  nur  solche  Mittel  aufgeführt,  deren  Wirksamkeit  ich  durch 
vielfache  Anwendung  zu  erproben  Gelegenheit  hatte.  Erst  vor  Kurzem  behandelte  ich 
eine  Schauspielerin  an  einem  Katarrh  des  rechten  Auges,  mit  dunkelrother ,  sammet- 
artiger  Bindehaut  der  Lider,  reichlichem,  gelblich  grauen  und  ziemlich  dicken  Secrete, 
starken  Excoriationen  und  äussest  lästigem  Jucken  und  Beissen.  Zugleich  war  die 
Schleimhaut  der  rechten  Seite  der  Nase  stark  aufgelockert  und  dunkelroth,  und  sonderte 
eine  sehr  consistente,  eiterähnliche,  zu  harten  Krusten  vertrocknende  Flüssigkeit  reich- 
lich ab.  Der  Zustand  der  Nasenschleinihaut  besserte  sich  und  heilte  endlich  ganz  nach 
Anwendung  einer  starken  weissen  Präcipitatsalbe.  Das  Augenleiden  besserte  sich  auf 
eines  und  das  andere  der  oben  angeführten  Mittel,  kehrte  aber  immer  von  Zeit  zu  Zeit 
wieder.     Auch  Touchirungen  der  Bindehaut   mit  Cuprum  sulphuricum  hatten  keinen  blei- 

*)  Opii  puri  uiic.  jj,  aq.  comm.  libr.  j,  abstruhanlur  illieo  in  retorta  vilrea  lege  artis  unc.  vjjj. 


Katarrh  —  Therapie.  17 

benden  Erfolg'.  Ich  löste  nun  einen  Skrupel  Borax  in  einer  Unze  Aqua  opii  und  Aqua 
destill,  comm.,  zu  lauwarmen  Bähungen  der  Lider,  und  in  Zeit  von  14  Tagen  war  das 
Übel  bleibend  behoben ,  das  uns  über  3/4  Jahre  gequält  hatte.  Es  waren  eben  keine 
Veränderungen  in  den  Gesundheits-  oder  äussern  Verhältnissen  der  Kranken  eingetreten, 
denen  ich  die  Heilung  hätte  zuschreiben  können. 

Ich  will  demnach  nicht  gesagt  haben,  dass  man,  auch  bei  richtig  gestellter  Dia- 
gnosis,  immer  mit  diesen  Mitteln  ausreichen  werde.  Noch  weniger  aber  mag  ich  jenen 
beipflichten,  welche  aus  dem  Umstände,  dass  man  von  den  verschiedenen  Auetoren  so 
verschiedene  und  so  viele  Mittel  empfohlen  findet,  schliessen  dürfe,  sie  nützen  alle 
nichts,  die  Krankheit  heile  am  Ende  von  selbst.  Ich  habe  absichtlich  hierüber  control- 
lirende  Beobachtungen  angestellt,  unter  möglichst  gleichen  Verhältnissen,  auch  bei  dem- 
selben Individuum  nur  an  einem  der  gleich  erkrankten  Augen,  und  habe  die  Über- 
zeugung gewonnen,  dass  eines  und  das  andere  Mittel,  gehörig  angewandt,  die  Krank- 
heit schneller  behebt,  ja  auch  dass  die  Krankheit  Monate  lang  fortbesteht,  trotz  Entfer- 
nung äusserer  Schädlichkeiten,  wenn  man  auf  das  erkrankte  Gebilde  nicht  die  geeig- 
neten Mittel  anwendet.  Ehe  man  aber  über  die  Wirksamkeit  eines  Mittels  sich  ein 
Urtheil  erlaubt,  muss  man  überzeugt  sein:  a)  dass  man  dasselbe  wirklich  für  den  Zu- 
stand verordnet,  für  den  es  empfohlen  wurde,  6)  dass  nicht  äussere  oder  innere  (im 
Organismus  oder  am  Auge  selbst  vorhandene)'Verhältnisse  die  Wirksamkeit  des  Mittels 
vereiteln ""'),  und  c)  dass  der  Kranke  das  Mittel  auch  wirklich  so  anwendet,  wie  es  an- 
gewandt werden  soll ;  gar  oft  findet  man,  dass  es  der  Patient  mit  der  ärztlichen  An- 
ordnung eben  nicht  so  genau  genommen. 

Makenzie'"'"')  bemerkt  über  die  Behandlung  der  katarrhalischen  Ophthalmie  S.  325: 
„Die  katarrhalische  Ophthalmie  weicht'  leicht  einer  sehr  einfachen  Behandlung,  die 
hauptsächlich  örtlicher  und  stimulirender  Art  ist.  Ich  erstaunte  zuerst  über  die  Wahr- 
heit dieser  Thatsache,  als  ich  im  Jahre  1817  zu  Wien  Zeuge  war,  mit  welchem  glück- 
lichen Erfolge  Prof.  Beer  die  Krankheit  behandelte.  Diese  Besultate  meiner  eigenen 
Praxis  haben  in  mir  die  Überzeugung  befestigt,  ■ —  dass  eine  örtliche  stimulirende  Be- 
handlung die  zuverlässigste  sei."  „Die  Empfindung,  als  ob  Sand  im  Auge  sei,  wird 
durch  Anwendung  des  salpetersauren  Silbers  (2—4  Gran  auf  eine  Unze  täglich  einmal 
einen  grossen  Tropfen  einzuträufeln)  jederzeit  gemildert  und  die  Entzündung  gedämpft. 
Ich  habe  manchmal  andere  Ärzte  in  bedenkliche  Unruhe  versetzt,  wenn  ich  vorschlug, 
auf  die  Oberfläche  eines  so  äusserst  vasculösen  Auges  eine  Auflösung  von  Höllenstein 
zu  träufeln,  und  es  hat  mir  nicht  wenig  Vergnügen  gewährt,  sie  in  Erstaunen  zu  finden, 
wenn  den  folgenden  Tag  nach  Anwendung  dieses  Mittels  alle  Symptome  sich  sehr  ge- 
bessert hatten.  —  Ich  habe  viele  hundert  Fälle  nach  dem  oben  auseinander  gesetzten 
Plane  und  immer  mit  demselben  Erfolge  behandelt."  Makenzie  erklärt  sich  gegen  die 
Anwendung  des  essigsauren  Bleies  und  des  schwefelsauren  Zinkes.  —  Mit  Makenzie 
und   Beer   stimmen   so   ziemlich    die   meisten   Auetoren   überein.     Dagegen    entlehne  ich 

*)  Ein  Apothekergehülfe  litt  seit  mehreren  Monaten  an  Zufällen  des  linken  Auges,  wie  sie  ein  Katarrh  zu  erregen 
pflegt.  Er  hatte  verschiedene  Mittel  gebraucht,  und  war  endlich  auf  die  Vermuthung  gekommen,  ein  etwa  hirse- 
korngrosses,  hartes  Wärzchen  im  innern  Drittel  des  obern  Lides,  zwischen  der  äussern  und  innern  Lefze  des 
Randes,  möge  die  Ursache  sein;  ich  möchte  dieses  entfernen.  Ich  widersprach  dem,  fand  aber  bald  dass  er 
Recht  hatte;  nach  Abtragung  dieses  Wärzchens  wichen  jene  Zufälle  von  selbst.  Seitdem  sind  mir  noch  zwei 
Fälle  dieser  Krankheit  vorgekommen,  worauf  ich  bei  den  Krankheiten  der  Lider  zu  sprechen  kommen  werde. 
*a)    Praktische  Abhandlung  über  die   Krankheilen   des  Auges,  Weimar  1832. 

Arlt,  I.  O 


18  Bindehaut. 

aus  Dr.  Hasner's  Buche  *)  folgende  Stelle,  Seite  37:  „Wir  warnen  vor  der  Anwendung 
reizender  adstringirender  Collyrien,  welche  so  gern  die  Hyperämie  der  Scleralconjun- 
ctiva  steigern  und  zur  Iritis  Veranlassung  geben.  Zur  Heilung  dieser  Krankheit  genügte 
uns  fast  in  allen  Fällen  die  Entfernung  der  schädlichen  Potenzen,  ein  geregeltes  augen- 
diätetisches Verhalten,  Vermeidung  von  übermässigem  Lichtreiz,  von  Anstrengung  der 
Augen.  Bei  stärkerer  Hyperämie  haben  wir  nebstdem  ein  leichtes  antiphlogistisches  Salz 
als  Purgirmittel  angewendet."  —  Die  Erfahrung  wird  dem  Leser  am  besten  zeigen,  wer 
viel  und  gut  beobachtet,  wer  die  Wahrheit  gesprochen. 

II.   Blennorrhoische  Bindehautentzündung,  Conjunctivitis  blen- 
norrhoica,  Bindehautblennorrhöe. 

So  nennen  wir  jene  Entzündung-  der  Bindehaut,  welche  nicht  nur 
mit  reichlicherer  Ausscheidung  schleimig-eitrigen  Secretes  an  die  freie 
Oberfläche,  wovon  sie  ihren  Namen  erhielt,  sondern  auch  mit  Erguss 
serös-plastischen  Exsudates  in  das  Parenchym  der  Bindehaut,  nament- 
lich in  den  Tarsal-  und  Übergangstheil  verläuft. 

Sie  befällt  jederzeit  die  Bindehaut  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  und 
zwar  am  obern  und  untern  Lide  zugleich  und  in  demselben  Grade ;  nur 
die  Conjunctiva  bulbi  kann,  bei  niederen  Graden,  sehr  wenig  betheiligt 
sein.  Das  überall  gleichmässige  und  gleichzeitige  Erkranken  des  Papillar- 
körpers  und  die  Ausscheidung  des  schleimig-eitrigen  Secretes  an  die 
Oberfläche  charakterisiren  eigentlich  diese  Krankheit,  und  bald  ist  die 
eine  bald  die  andere  dieser  Erscheinungen  die  vorwaltende.  Das  Secret 
ist  ansteckend. 

Symptome.  Die  Erscheinungen,  von  denen  diese  tiefere  Erkran- 
kung des  Bindehautgewebes  begleitet  wird,  sind  verschieden  je  nach  dem 
rascheren  oder  langsameren  Verlaufe  des  Processes,  und  je  nach  dem 
Grade  von  Heftigkeit,   den  sie  erreicht  hat  oder  zu  erreichen  droht.**) 

1.  Reihe.  Fassen  wir  zuerst  jene  Fälle  in  ein  Schema  zusammen, 
welche  gleich  von  Anfang  einen  sehr  raschen  Verlauf  und  die  Tendenz, 
den  höchsten  Grad  zu  erreichen,  darbieten. 

A.  Im  1.  Grade  lässt  sich  die  Krankheit  vom  Katarrh,  als  dessen 
Polenzirung  sie  in  vielen  Beziehungen  betrachtet  werden  kann,  nur  dann 
unterscheiden,  wenn  abgesehen  von  ätiologischen  Momenten  (constatirter 
Impfung ,  massenweisem  Vorkommen)  folgende  Erscheinungen  ausge- 
prägt sind : 

*)   Entwurf  einer  anatom.  Begründung  der  Augenkrankheiten,  Prag  1847. 
***)    Die  Umstünde,    weiche  auf  den  Verlauf  und   die  Steigerung  der    Krankheit  Einfiuss    nehmen,    können   füglich  erst 
in  dem  Absätze  ober  Vorkommen  und  Ursachen  erörtert  werden. 


Blennorrhoe  —  Symptome.  19 

«)  wenn  die  Bindehaut  der  Lider  nicht  bloss  gelockert  und  ge- 
schwellt (im  Tarsaltheile  feinkörnig,  im  Übergangstheile  wulstig),  son- 
dern auch  (wenigstens  über  dem  Tarsus)  gleichmässig  geröthet  (hoch- 
oder  dunkelroth)  ist,  so  dass  die  Meibom'schen  Drüsen  nicht  mehr 
durchscheinen.  —  Ist  dabei  auch  die  Augapfelbindehaut  von  mehr  weniger 
zahlreichen,  hochrothen,  aus  der  Übergangsfalte  gegen  die  Cornea  hin 
verlaufenden  und  sich  allmählig  verlierenden,  leicht  verschiebbaren  Ge- 
fässen  durchzogen,  oder  selbst  serös  infiltrirt,  ergibt  sich  aus  dem  Be- 
funde selbst  oder  aus  anamnestischen  Momenten,  dass  dieser  Zustand 
erst  seit  kurzem  besteht,  so  hat  man  Ursache,  denselben  als  Beginn  einer 
Blennorrhoe  zu  betrachten. 

b)  Sollte  aber  die  Secretion  nicht  bloss  vermehrt  und  verändert 
sein,  nicht  bloss  in  reichlicher  wasserklarer  Flüssigkeit  mit  gelblichen 
Flocken  bestehen,  sondern  trüb,  molken-  oder  fleischwass er ähnlich  sein 
(mit  consistenteren  gelblichen  Flocken  oder  Fäden),  so  kann  man  sicher 
sein,  dass  man  es  mit  einer  Blennorrhoe  zu  thun  haben  wird,  welche 
um  so  gewisser  bald  in  den  2.  Grad  übergeht,  wenn  bereits  auch  die 
Lider  über  dem  Tarsus  angelaufen,  wärmer  oder  selbst  geröthet  sind 
(acutes  Odem). 

Bei  der  Mehrzahl  der  sporadisch  auftretenden  Blennorrhöen  ist  dieser 
Zustand  von  so  kurzer  Dauer  (12 — 36  Stunden),  dass  der  Arzt  im  All- 
gemeinen ihn  selten  zu  Gesichte  bekommt 

Im  2.  Grade  ist  die  Schwellung  der  hoch-  oder  dunkelroth  ge- 
tünchten Bindehaut  vom  Lidrande  bis  in  die  halbmondförmige  und  Über- 
gangsfalte schon  beträchtlich,  so  dass  nicht  nur  die  Meibom'schen  Drüsen 
nicht  mehr  durchscheinen,  sondern  auch  die  innere  Lidkante  nicht  mehr 
scharf  erscheint,  und  die  Aufsaugung  der  Thränen  wegen  Wegdrängung 
der  Thränenpunkte  und  Schwellung  der  halbmondförmigen  Falte  behindert 
ist.  Die  Schwellung  ist  besonders  im  Übergangstheile  auffallend.  Derselbe 
erscheint  glatt,  hell-  oder  dunkelroth,  wulstig,  weich  und  sulzartig,  oder 
derb  und  prall*);  die  hell-  oder  dunkelrothe  halbmondförmige  Falte  ragt 
bisweilen  zwischen  den  Lidern  hervor ,  und  die  ziegel-,  fleisch-  oder 
bläulichrothe  Übergangsfalte  läuft  wie  ein  Gürtel  um  den  untern  Umfang 
des  Bulbus.  —  Die  Bindehaut  der  Sclera  erscheint  schon  deutlich  serös 
infiltrirt,  von  zahlreichen ,  ziegel-  oder  scharlachrothen,  mehr  weniger 
dicht  verzweigten  und  leicht  verschiebbaren  Gefässen    (wenigstens  an  der 

-)  Die  Wülste  oder  Falten,  welche  der  Übergangstheil  bildet,  werden  bei  etwas  langsamerem  Verlaufe  manchmal 
uneben  angetroffen,  durch  etwas  erhabene,  etwas  lichtere,  fast  durchscheinend  Aussehende  Hügel,  welche  viel- 
leicht geschwellte  Follikel,    vielleicht  auch  partielle  Erhebungen   des  F.piiheliums  durch   serösen  Er^uss  sind 

2* 


20  Bindehaut. 

Peripherie)  durchzogen,  oft  auch  stellenweise  ecchymotisch.  Das  Secret 
ist  bereits  trüb,  anfangs  dünn,  lichtgraulich,  molkenähnlich  oder  gelb- 
lich-röthlich,  mit  consistenteren  gelben  Flocken,  später  dicker,  weissgelb, 
in  manchen  Fällen  als  zäher  Schleim  den  Bulbus  überziehend,  in  andern 
als  rahmähnliche  Flüssigkeit  aus  der  Lidspalte  vorquellend,  die  Haut  ex- 
coriirend.  Die  Geschwulst  der  Lider  ist  in  der  Regel  schon  so  stark, 
dass  die  Lidspalte  wenig-  oder  gar  nicht  geöffnet  werden  kann,  und  selbst 
die  Falte  der  Haut  des  obern  Lides  bisweilen  verstrichen  ist,  rosen-  oder 
violeüroth  (die  Röthe  nimmt  gegen  die  Peripherie  hin  ab),  weich,  nur 
bei  tieferem  Drucke  empfindlich,  wärmer  anzufühlen. 

NB.  In  manchen  Fällen  ist  die  innere  Fläche  der  Lider  mit  einer 
dünnen  Schichte  croupösen,  sehr  bald  zerfliessenden  Exsudates  bedeckt, 
welches  gewöhnlich  nur  bei  Blennorrhöen  des  3.  Grades,  doch  auch  da 
nicht  constant  beobachtet  wird.  Ich  sah  in  einigen  solchen  Fällen  Rück- 
bildung und  Genesung-  eintreten,  ohne  dass  es  zu  den  Zufällen  des  3. 
Grades  kam.  Ebenso  zeigt  die  Hornhaut  bisweilen  auch  schon  beim  2. 
Grade  der  Krankheit  einen  erhöhten  Glanz. 

Ist  die  Blennorrhoe  zum  3.  Grade  gestiegen,  so  sind  alle  Erschei- 
nungen des  2.  Grades,  nur  gesteigert,  vorhanden,  und  dazu  kommt  noch 
Gesehwulst  der  Conjunctiva  bulbi.  —  Die  Lider  können  wegen  der  Ge- 
schwulst selten  mehr  umsiülpt,  oder  auch  nur  so  weit  abgezogen  werden, 
dass  man  ihre  Bindehaut  ganz  zu  Gesichte  bekäme.  Die  Geschwulst  pflegt 
die  Höhe  des  Augenbrauenbogens  zu  übersteigen  und  über  das  Wangen- 
bein hinabzureichen;  sie  ist  vom  innern  bis  zum  äussern  Winkel  gleich- 
massig  (weil  seeundär  zur  Entzündung  der  Bindehaut),  und  unterscheidet 
sich  schon  hiedurch  von  der  durch  andere  Affectionen  bedingten.  —  Das 
Secret,  durchaus  trüb  und  mehr  gleichmässig,  eiterähnlich  oder  jauchig-, 
bald  dicker,  bald  dünner,  ist  reichlich,  häufig  so,  dass  es  stromweise  über 
die  Wange  herabfliesst.  —  Die  Geschwulst  der  Conjunctiva  bulbi  ist  ent- 
weder gleichmässig,  und  umgibt  die  Hornhaut  als  ein  gespannter,  derber, 
ziegel-  oder  blaurother  Wall,  oder  ungleichmässig,  in  Form  von  schlaffen, 
blasenähnlichen  Wülsten,  welche  bisweilen  die  Cornea  theilweise,  selten 
gänzlich  bedecken.  Sie  schreitet  von  der  Übergangsfalte  gegen  die  Cor- 
nea hin  vor,  und  ist  durch  seröse  Infiltration  des  submueösen  Bindege- 
webes bedingt  *). 

")  In  mnnchen  Fällen  sichl  man  beim  Beginn  des  3.  Grades,  seilen  früher,  nahe  an  der  Cornea,  und  zwar  fast  immer 
gegen  einen  oder  gegeu  beide  Winkel  hin  dreieckige  weisse  Stellen  entstellen,  welche  gegen  die  intensivere 
Rothe  ringsherum  abstechen.  Sie  haben  weder  diagnostische  noch  prognostische  Bedeutung,  indem  sie  allmälig 
spurlos  verschwinden.  Form  und  Lage  deuten  darauf  hin,  dass  der  Druck  der  I.ider  zu  ihrer  Bildung  beiträgt. 
Wir   haben   hei   der  Ophthalmia   catarrhalis  von   einer  ähnlichen  Erscheinung  gesprochen. 


Blennorrhoe  —  Symptome.  21 

Die  Cornea  zeigt  bei  diesem  Grade  meistens  einen  erhöhten  Glanz 
und  wird  später  sehr  häufig  gefährdet,  entweder  durch  Entzündung  und 
Versch wärung  (in  Folge  des  Druckes  durch  die  Geschwulst  der  Lider 
und  des  BindehautwahVs) ,  oder  durch  partiellen  Epithelialverlust  und 
seichte  Geschwüre  (Resorptionsgeschwüre);  seltener  geschieht  es,  dass 
sich  Pannus  auf  derselben  entwickelt.  —  Tritt  Entzündung  der  Cornea 
ein,  so  bekommt  dieselbe  durchaus  oder  theilweise  ein  mattes,  licht- 
graues oder  graulichweisses  Ansehen ,  wird  endlich  in  dieser  Partie 
weissgelb  und  zerfliesst  (verschwärt) ,  oder  schwillt  an  und  berstet  in 
wenig  Stunden  oder  Tagen.  Die  Zerstörung  reicht  nie  bis  in  die  Sclera 
hinein.  Die  Entwicklung  des.  Pannus  (Ausscheidung  von  Exsudat  und 
Gefässentwicklung  unter  dem  Epithelium  der  Cornea)  erfolgt  ebenfalls 
sehr  rasch,  bisweilen  selbst  binnen  12  Stunden,  indem  sich  gleichsam 
der  gelockerte,  geschwellte  und  gefässreiche  Limbus  conjunctivae  cor- 
neae von  oben  her  ausbreitet,  und  einen  mehr  weniger  weit  herab- 
reichenden Überzug  der  Cornea  bildet. 

Das  croupöse  Exsudat  auf  der  Bindehaut  der  Lider,  dessen  wir 
schon  beim  2.  Grade  erwähnten,  fehlt  bei  heftigen  Fällen  des  3.  Grades 
selten.  Wo  es  vorhanden  ist,  hat  man  Grund,  Entzündung  und  Verschwä- 
rung  der  Cornea  zu  befürchten.  Entfernt  man  dasselbe  durch  Aufspritzen 
von  Wasser  oder  durch  Abstreifen  mit  einem  Tuche,  Spatel  u.  dgl.,  so 
blutet  die  Bindehaut,  eine  Erscheinung,  die  bisweilen  auch  spontan  und 
ohne  deutlich  croupöses  Exsudat  eintritt,  und.  an  und  für  sich  ohne  Be- 
deutung für  die  Prognosis   ist. 

Dii;  Blennorrhoe  des  3.  Grades  gehört  vermög  ihrer  Heftigkeit  unter 
jene  Augenkrankheiten,  welche  Fieber  erregen,  ausgenommen  bei  sehr 
torpiden  Individuen  und  minder  stürmischem  Verlaufe  der  Krankheit. 

B.  Die  subjeetiven  Erscheinungen  sind  beim  1.  Grade  im  Ganzen 
dieselben,  wie  beim  Katarrh,  von  welchem  sich,  wie  gesagt,  die  Krankheit 
so  zu  sagen  nur  durch  das  tiefere  Erkranktsein  des  Bisidehautparenchyms 
unterscheidet. 

Beim  2.  Grade  fehlen  heftige  Lichscheue  und  starke,  reissende, 
drückende  oder  stechende  Schmerzen  nur  bei  etwas  langsamerem  Verlaufe 
oder  bei  sehr  torpiden  Individuen,  bei  welchen  diese  Erscheinungen  auch 
im  3.  Grade  und  unter  ganz  acutem  Verlaufe  häufig  in  auffallend  niedri- 
gem Grade  auftreten,  wohl  auch  fehlen. 

Bei  praller,  hochrother  und  heisser  Geschwulst  der  Lider  und  des 
Bindehautwalles  um  die  Cornea  haben  die  Kranken  in  der  Regel  fürch- 
terliche Schmerzen  zu  ertragen,    zu  welchen    noch,    wenn   die  Geschwulst 


22  Bindehaut. 

den'  Bulbus    drückt,    lästige   Lichterscheinungen   kommen,    die    Qual    des 
Übels  zu  vollenden. 

Ich  habe  diese  Krankheit,  welche  von  den  mildesten  bis  zu  den  heftigsten  For- 
men so  verschiedene  Erscheinungen  darbietet,  und  doch,  wie  die  allmäligen  Übergänge 
zeigen,  immer  einen  und  denselben  Process  darstellt,  nach  Graden  geschildert,  nicht 
etwa,  um  hiedurch  strenge  Grenzen  zwischen  den  einzelnen  Formen  zu  ziehen,  welche 
in  der  Natur  nicht  vorkommen,  sondern  nur,  um  es  mir  bei  der  Beschreibung  möglich 
zu  machen,  die  Aufmerksamkeit  auf  die  relative  Heftigkeit  der  einzelnen  Erscheinungen 
zu  lenken.  Nicht  die  Gegenwart  des  einen  oder  des  andern  Symptoms  an  und  für  sich 
entscheidet,  wenn  man  fragt,  ob  die  Krankheit  eine  Blennorrhoe  und  wie  heftig  diese 
sei,  sondern  ein  gewisses  Verhältniss  mehrerer   Symptome   neben  und    nach  einander. 

Würde  dieser  Satz  immer  fest  im  Auge  behalten,  die  acute  Bindehautblenorrhöe, 
diese  so  gefährliche  Krankheit  des  Auges,  würde  nicht  so  oft  mit  andern  ähnlichen 
Entzündungsformen  verwechselt  werden.  Es  wird  nicht  überflüssig  sein,  durch  einige 
Beispiele  anschaulich  zu  machen,  wie  wichtig  die  Festhaltung  obigen  Satzes  für  die 
Diagnosis,  und  mithin  auch  für  die  Prognosis  und  Therapie  ist. 

Ein  junger  Mann  wird  von  einem  Arzte  ins  Spital  angewiesen  „mit  acuter  ßin- 
dehautblennorrhöe."  Das  obere  Lid  des  linken  Auges  ist  so  stark  geschwollen,  dass 
die  Geschwulst  die  Höhe  des  Augenbrauenbogens  überragt,  und  die  Falte  des  obern 
Lides  verstrichen  ist ;  das  untere  Lid  ist  wenig  geschwollen,  im  innern  Winkel  ist  eine 
massige  Menge  Schleim  angesammelt,  die  Cilien  sind  in  Büschel  verklebt;  der  Kranke 
klagt  über  heftige  Schmerzen  und  Lichtscheue;  beim  Öffnen  der  Lidspalte  entleert  sich 
eine  wasserklare  Flüssigkeit.  Es  ist  der  3.  Tag  der  Krankheit.  Bei  so  starker  Ge- 
schwulst der  Lider  und  am  3.  Tage  noch  kein  gleichmässig  schleimig-eitriges,  minde- 
stens trübes  Secret;  das  kann  keine  Blennorrhoe  sein.  Die  Lider  werden  auseinander 
gezogen,  der  Kranke  jammert  dabei  vor  Schmerz;  die  Bindehaut  im  Tarsallheile  injicirt, 
im  Übergangs-  und  in  der  äusseren  Hälfte  des  Scleraltheiles  stark  ödematös.  Letztere 
Erscheinung  fordert  zur  Betastung  des  obern  Lides  gegen  den  äussern  Winkel  hin  auf; 
nahe  der  äussern  Commissur  fühlt  man  eine  erbsengrosse  Stelle  hart,  äussest  empfind- 
lich, die  Haut  darüber  etwas  mehr  geröthet.  Wir  verordnen  warme  Umschläge;  nach 
einigen  Tagen  bricht  der  Abscess  nach  aussen  auf,  der  Kranke  ist  in  kurzer  Zeit  von 
—  einem  Gerstenkorn  geheilt. 

Ein  Doctor  der  Medicin  ruft  mich  zu  seinem  4jährigen  Knaben,  der  schon  eini- 
gemale  an  scrofulöser  Augenentzündung  gelitten  hatte.  Seit  5  Tagen  klagt  der  Knabe 
wieder  über  das  linke  Auge,  ist  lichtscheu  und  hält  es  verdeckt.  Heute,  nach  besonders 
heftigen  Schmerzen,  sieht  der  Vater  das  Auge  an,  findet  die  Geschwulst  des  obern 
Lides  so  stark,  dass  es  über  das  untere  herabragt,  und  zu  seinem  grössten  Schrecken 
die  Lidspalte  voll  eitriger  Flüssigkeit.  Auf  den  ersten  Anblick  glaube  ich  ebenfalls  eine 
Blennorrhoe  vor  mir  zu  haben;  ich  öffne  die  Lidspalte,  um  die  Hornhaut  zu  sehen,  der 
Knabe  schreit  vor  Schmerz.  Es  entleert  sich  der  Eiter  und  etwas  blutige  Flüssigkeit,  aber 
die  Hornhaut  ist  rein,  und  die  Conjunctiva  bildet  keinen  Wall  um  die  Cornea,  sie  ist 
nur  etwas  stärker  injicirt;  die  Bindehaut  des  untern  Lides  ausser  netzförmiger  Röthe 
normal,  die  Meibom'schen  Drüsen  deutlich  durchscheinend.  —  Das  ist  also  bestimmt 
keine  Bindehautbleiinorrhöe.  Beim  Betasten  des  obern  Lides  fühlt  man  in  der  Gegend 
des  obern  Randes  des   Knorpels    eine    etwa    erbsengrosse,    härtere  und  sehr  empfindliche 


Blennorrhoe  —  Symptome.  23 

Stelle.     Ich    ziehe   das   Lid    etwas   vom    Bulbus   ab ,    und    sehe   nun   die  Stelle,    wo  ein 
Gerstenkorn  sich  nach  innen  entleert  hat. 

Eine  Dienstmagd  wird  von  einem  Augenarzte  wegen  Bindehautblennorrhöe  des 
linken  Auges  auf  die  Augenklinik  angewiesen.  Die  Geschwulst  der  Lider  ist  so  ,  wie 
bei  einer  Blennorrhoe  3.  Grades.  Es  ist  der  3.  Tag  der  Krankheit.  Beim  Offnen  der 
Lider  kein  Schmerz:  die  Conjunctiva  bulbi  bildet  rings  um  die  Cornea  einen  blassrothen 
Wall,  welcher  aber  in  der  innern  Hälfte  des  Bulbus  stärker  ist,  und  die  Cornea  nicht 
ganz  erreicht;  heftige  Kopfschmerzen,  massige  Lichtscheu,  reichlicher  Thränenfluss ;  im 
innern  Winkel  und  an  den  Cilien  zäher  gelblicher  Schleim;  die  Bindehaut  des  untern 
Lides  über  dem  Tarsus  gleichmässig  hellroth;  der  Übergangstheil  kann  der  Geschwulst 
wegen  nicht  besichtigt  werden.  So  heftige  Erscheinungen  und  noch  wasserklares 
Secret  (trotz  der  ziemlich  reichlichen  Schleimflocken)  am  3.  Tage  —  man  betastet  genau 
die  Gegend  des  Thränensackes  und  überzeugt  sich:  die  Affection  der  Lider  und  des 
Bulbus  ist  consecutiv  zu  einer  Thränensackentzündung. 

Und  so  können  Rothlauf  der  Lider,  Verletzungen  der  Bindehaut,  Entzündung  der 
Chorioidea  u.  s.  w.  mehr  weniger  für  Blennorrhoe  imponiren. 

Schubert  Johanna,  27  Jahre  alt,  kam  am  10.  October  1848  in  die  Anstalt.  Die 
Lider  des  linken  Auges  massig  geschwollen  (die  Falte  des  obern  Lides  nicht  verstri- 
chen), leicht  geröthet,  die  Cilien  durch  Schleim  zu  Büscheln  verklebt,  die  Conjunctiva 
bulbi  zu  einem  gleichförmigen  3/4 — 5/4';/  hohen  blassrothen  Walle  rings  um  die  Cornea 
erhoben,  auf  dieser  nach  unten  und  aussen  ein  leichtes  Resorptionsgeschwür;  die  Binde- 
haut im  Tarsal-  und  Übergangstheile  dicht  netzförmig  und  hoch  geröthet,  wenig  ge- 
lockert, nicht  mit  Schleimflocken  besetzt,  nur  über  der  Karunkel  etwas  gelblicher 
Schleim ;  brennende  und  drückende  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  entsprechenden 
Kopfhälfte.  Die  Anamnesis  gab  über  diesen  sonderbaren  Befund  Aufschluss.  Die  Kranke 
hatte  vor  5  Tagen  einen  drückenden  Schmerz  im  linken  Auge  bekommen  (sie  handelt 
mit  Holzkohlen),  und  den  Tag  darauf  das  Auge  mit  Seifenwasser  ausgewaschen;  nun 
wurde  das  Auge  röther,  die  Lider  schwollen  an,  und  die  entsprechende  Kopfhälfte 
schmerzte  heftig.  Sofort  wendete  die  Kranke  ein  Collyrium  aus  Cuprum  sulfuricum  und 
nachher  kalte  Umschläge  an,  und  da  das  Leiden  ärger  wurde,  brachte  man  sie  auf  die 
Au^enkrankenabtheilung.  Wir  hatten  es  offenbar  mit  einer  durch  chemisch  wirkende 
Schädlichkeiten  bedingten  oder  doch  gesteigerten  Bindehautentzündung  zu  thun.  Der 
Verlauf  bestätigte  diese  Ansicht. 

Auf  die  Ähnlichkeit  mit  Fällen  von  Trachoma  acutum  können  wir  erst  später  zu 
sprechen  kommen. 

2.  Reihe,  In  einer  zweiten  Reihe  von  Fällen,  welche  wir  gleichfalls 
als  Blennorrhöen  bezeichnen  müssen,  finden  wir  mehr  einen  schleppenden 
(chronischen)  Verlauf  und  nicht  die  Tendenz  zur  Ophthalmoblennorrhoe 
von  vorn  herein,  insofern  als  die  Krankheit  hauptsächlich  auf  die  Binde- 
haut der  Lider  beschränkt  bleibt  (Blepharoblenorrhöe),  und  eine  Steige- 
rung nur  durch  die  Einwirkung  neuer  Schädlichkeiten  nach  bereits  er- 
folgtem Ausbruche  der  Krankheit  eintritt.  Während  in  der  ersten  Reihe 
die  Ausscheidung  schleimig-eitriger  Flüssigkeit  an  die  Oberfläche  vorwaltet, 


24  Bindehaut. 

und  die  Infiltration  der  Gewebe  im  Allgemeinen  mehr  eine  seröse  ist, 
finden  wir  in  der  zweiten  Reihe  die  Schleim-  oder  Eitersecretion  spär- 
licher, relativ  zur  Schwellung  der  Bindehaut,  diese  hingegen  mehr  von 
plastischem  (faserstoffigem)  Exsudat  durchsetzt  und  desslialb  wuchernd, 
die  sogenannten  Granulationen  bildend*). 

Der  1.  Grad,  oder  wenn  man  will ,  das  1.  Stadium,  lässt  sich  we- 
sentlich von  einer  Ophthalmia  catarrhalis  nicht  unterscheiden,  wenn  nicht 
anamnestische  Momente  (vorzüglich  das  massenweise  Auftreten  der  Krank- 
heit) oder  das  Missverhältniss  zwischen  den  objectiven  und  subjecliven 
Symptomen,  das  rasch  eingetretene  sammetarlige  hoch-  oder  dunkelrothe 
Aussehen  des  Tar •saltheiles  und  die  stärkere  Schwellung  und  intensi- 
vere Röfhe  der  halbmondförmigen  und  der  Übergangs  falte  gegründeten 
Verdacht  erregen,  dass  man  es  mit  einer  beginnenden  Blennorrhoe  dieser 
Art  zu  thun  haben  werde.  Dieser  Zustand  kann  mehrere  Tage  andauern, 
ohne  dass  sich  das  befallene  Individuum  für  krank  hält,  zumal  wenn  es 
das  Verklebtsein  der  Augen  nach  dem  Schlafe  wenig  beachtet. 

Aufmerksame  Kranke  klagen  beim  Beginn  der  Krankheit  über  das 
Gefühl  der  Trockenheit  oder  Rauhigkeit,  später  über  Drücken  oder  Bren- 
nen, das  Auge  sieht  wie  verweint  aus,  und  geht,  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
leicht  über,  nölhigt  zum  öftern  Auswischen. 

Untersucht  man  so  eine  Bindehaut,  gut  abgetrocknet,  mit  der  Loupe,  so  sieht 
man  in  der  ersten  Zeit  wohl  noch  eine  dicht  netzförmige,  bald  aber  mehr  eine  gleich- 
massige  oder  vielmehr  aus  lauter  Punkten  oder  Gruppen  von  Punkten  bestehende 
Röthe.  Die  Anordnung  dieser  Punkte  erinnert  auf  den  ersten  Blick  an  den  warzigen 
Bau  der  Bindehaut  unter  dem  Mikroskope  betrachtet,  wie  ihn  unter  Andern  Eble  (Über 
den  Bau  der  Bindehaut,  Wien  1828)  auf  der  1.  Tafel  Fig.  4  unübertrefflich  abgebildet 
hat.  —  In  manchen  Fällen  sieht  man  einzelne  glänzende,  bläscheuähnliche  Hügel,  deren 
Deutung  ■ —  ob  Erhebungen  durch  Serum,  ob  geschwellte  Follikel  —  mir  noch  proble- 
matisch ist.  Sie  sind  jedenfalls  nichts  Charakteristisches,  da  sie  auch  bei  einfachen 
acuten  Katarrhen  beobachtet  werden. 

Im  2.  Grade  (Stadium)  ist  die  Krankheit  schon  deutlich  charakteri- 
sirt.  Die  auffallendsten  und  constantesten  Symptome  sind:  die  Schwel- 
lung, Infiltration  der  Bindehaut  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  vom  Lid- 
rande bis  in  die  halbmondförmige  Übergangsfalte ,  ihre  gleichmässige 
ziegel-,  fleisch-  oder  dunkelrothe  Färbung,  so  dass  vom  Durchscheinen 
der  Meibom'schen  Drüsen  —  ausser  etwa  in  einem  linearen  Streifen  längs 

*)  Je  nachdem  man  bald  das  eine,  bald  das  andere  dieser  3  Momente  mehr  in's  Auge  fasste,  hat  man  die  hieher 
gehörigen  Fälle  —  im  Gegensalze  zu  der  1.  Reihe,  der  acuten  Bindehautblennorrhöe  —  bald  als  chronische 
Bindehautblennorrhöe,  bald  .  als  Blepharoblennonhüe,  bald  auch  als  granulöse  Bindehautentzündung  bezeichnet. 
Von  andern  Standpunkten  aus  hat  man  für  die  hieher  gehörigen  Fälle  den  Namen  ophihalmia  militaris  aegypliaca 
u.  dgl.  gehraucht. 


Blennorrhoe  —  Symptome.  25 

des  Lidrandes  —  keine  Spur  vorhanden  ist,  und  das  gleichmässige  oder 
doch  nur  sehr  wenig  verschiedene  (in  anatomischen  Verhältnissen  be- 
gründete) Auftreten  dieser  Veränderung  auf  dem  obern  und  untern  Lide 
zugleich ;  mehr  variabel  ist  schon  die  Alienation  der  Secreiion. 

So  weit  im  gesunden  Zustande  der  Pupillarkörper  reicht,  also  am 
untern  etwa  lj&'",  am  obern  gegen  1'"  über  den  Orbitalrand  des  Tarsus 
hinaus  erscheint  die  deutlich  infiltrirte,  geschwellte,  verdickte  Bindehaut 
mit  dicht  aneinander  gedrängten,  ziemlich  gleich  hohen  und  gleich  gros- 
sen Wärzchen  besetzt,  welche  je  nach  der  verschiedenen  Dauer  bald 
feiner  (staubähnlich)  und  weicher,  bald  gröber  und  derber  sind,  mit  der 
Zeit  jedoch  an  Grösse  mehr  ungleich  werden.  Sind  sie  sehr  weich, 
ziegel-,  fleisch-  oder  bläulichroth,  so  bluten  sie  leicht  bei  Berührung, 
(nachdrücklicherem  Abtrocknen,  Bestreichen  mit  Cuprurn  sulfuricum);  nach 
monatelangem  Bestehen  werden  sie,  falls  keine  Rückbildung  (Heilung) 
eintritt,  an  der  Oberfläche  blässer,  durch  den  gegenseitigen  Druck  fast 
palissadenähnlich  aneinander  gedrängt,  wohl  auch  an  der  anfangs  glatten 
und  rundlichen  Oberfläche  durch  den  Druck  des  Bulbus  etwas  abgeplattet, 
eckig,  hahnenkammähnlich  und  knorpelhart.  Nie  kann  man  eine  deutliche 
Basis  solcher  Wärzchen  unterscheiden,  und  beim  starken  Abziehen  des 
untern  oder  beim  Umstülpen  des  obern  Lides  erscheinen  sie  wie  durch 
Einrisse  oder  Schrunden  getrennt.  Die  stärkste  Tendenz  zur  Wucherung 
zeigt  sich  immer  gegen  den  Orbitalrand  hin  und  etwas  hinter  demselben, 
besonders  am  obern  Lide,  wo  die  mit  Exsudat  durchsetzten  und  über- 
deckten Papillen  in  späterer  Zeit  manchmal  zu  einer  oder  zu  zwei  darm- 
ähnlichen (erst  rothen,  dann  grauen)    Wülsten  verschmolzen  sind. 

Indem  man  sich  gewöhnte,  so  zu  sagen  jede  Unebenheit,  jede  Erhöhung  auf  der 
Bindehaut  mit  dem  übrigens  sehr  schlecht  gewählten  Worte  Granulation  zu  bezeichnen, 
und  sofort  es  nicht  der  Mühe  werth  fand,  die  Bedeutung  dieses  Wortes  zu  erfassen, 
d.  h.  in  jedem  speciellen  Falle  sich  Rechenschaft  zu  geben,  wodurch  denn  eigentlich 
solche  Erhöhungen  bedingt  seien ,  warf  man  die  verschiedensten  Zustände  zusammen 
und  brachte,  je  mehr  man  sich  an  die  einseitig  aufgefasste  Erscheinung  hielt,  desto 
mehr  Verwirrung  in  die  Lehre  von  den  Bindehauterkrankungen.  Vier  verschiedene  Zu- 
stände sind  es  vorzüglich,  welche  uns  als  einander  mehr  weniger  ähnliche  Erhöhungen 
auf  der  Bindehaut  des  Tarsal-  und  Übergangtheiles  erscheinen,  und  wovon  2  als  Ver- 
größerung normaler  Elemente  der  Bindehaut,  2  als  Neubildungen  (katexochen)  zu  be- 
trachten sind.  Zu  den  ersteren  gehören:  «)  die  vergrösserten  geschwellten  Follikel, 
welche  vorzugsweise  im  Übergangstheil  vorkommen,  nie  eine  bedeutende  Grösse  zei- 
gen, stets  mehr  durchscheinend  und  nur  wenig  emporragend  sind,  und  bei  den  ver- 
schiedensten Zuständen  der  Bindehaut  (mit  Hyperämie  und  seröser  Schwellung)  auftreten 
können.  Wir  haben  ihrer  bereits  mehrmal  Erwähnung  gethan,  und  werden  ihnen  auch 
bei   der   Conjunctivitis  scrofulosa   wieder   begegnen.     6)    Die   vergrösserten   Pupillen    des 


26  Bindehaut. 

Tarsaltheiles  der  Bindehaut,  die  wir  so  eben  als  der  Bindehautblennorrhöe  vorzüglich 
zukommend  bezeichneten  und  beschrieben.  Sie  kommen  aber  auch,  wenn  gleich  mehr 
sammetartig,  feinzottig  oder  feinkörnig  bei  länger  dauernden  (chronischen)  katarrhali- 
schen Zuständen  der  Bindehaut,  und  mehr  als  secundäre,  keineswegs  constante  oder 
wesentliche  Erscheinung  bei  jener  Krankheit  vor,  die  wir  weiterhin  als  Trachoma  be- 
schreiben werden. 

Als  reine  Neubildungen  beobachtet  man  c)  ganz  kleine,  höchstens  mohnkorn- 
grosse  fast  krystallhelle  Bläschen,  bedingt  durch  serösen  Erguss  unter  das  Epithelium 
bei  acuten  Processen,  und  desshalb  niemals  lange  (mehrere  Tage)  bestehend,  theils  über 
den  Tarsus,  theil  im  Übergangstheile ,  wohl  auch  nächst  dem  Limbus  conjunctivae 
cornea  und  auf  der  Cornea  selbst  vorkommend,  d)  Erguss  von  eiweiss-faserstoffigem 
Blastem  m  Form  rundlicher  Körner,  theils  unter  das  Epithelium,  theils  in  das  Parenchym 
der  Bindehaut  oder  selbst  in  die  tiefen  Gebilde.  Wir  können  diese  Erscheinung  erst 
bei  der  Lehre  von  Trachoma,  bei  welcher  Krankheit  diese  Neubildung  das  primäre, 
constante  und  maassgebende  Phänomen  ist,  einer  genauen  Besprechung  in  Bezug  auf 
sein  Auftreten,  Vorkommen  und  Umwandeln  unterziehen,  und  erwähnen  hier  nur,  dass 
solche  Bildungen,  wenn  auch  nur  als  untergeordnete  und  secundäre  Erscheinung, 
nicht  nur  bei  unserer  zweiten  Reihe  von  Blennorrhöen,  sondern  auch,  wie  uns  zuverläs- 
sige Beobachtungen  belehrten,  bei  Fällen  der  ersten  Reihe,  bei  acuten  (selbst  bei  durch 
Impfung  mit  Trippersecret  entstandenen)  Schleimflüssen  der  Bindehaut  beobachtet  wer- 
den können. 

Bisweilen  schon  bald  nach  dem  Eintritte,  in  der  Regel  aber  est  nach  längerem 
(Wochen  —  Monate)  Bestehen  des  2.  Grades  dieser  Blennorrhoe,  aber  auch  nach  un- 
vollständiger Lösung  von  höchst  acut  aufgetretenen  (sogenannten  Tripper-)  Blennor- 
rhöen findet  man  ein  lichtgraues,  beinahe  durchscheinendes  Exsudat  in  Form  von  rund- 
lichen, glatten  Hügelchen ,  theils  auf  den  Papillen ,  theils  unter  dem  Epithelium  des 
Übergangstheiles  abgelagert,  bald  mehr  bald  weniger  von  Gefässchen  überschlängelf 
Oft,  wo  ich  bloss  einfache  Vergrösserung  der  Papillen  vor  mir  zu  haben  glaubte,  zeigte 
mir  die  Loupe,  dass  hie  und  da  auf  den  etwas  stärker  vorragenden  Papillen  diese 
Neubildung  begann.  Eben  dieses  genauere  Betrachten  mit  einer  möglichst  scharfen 
Loupe  überzeugte  mich ,  dass  die  Bildung  von  lichteren ,  fischrogen-  oder  froschlaich- 
ähnlichen Bläschen  oder  Hügelchen  an  und  für  sich  nicht,  wie  ich  früher  glaubte,  dem 
Trachoma  eigenthümlich  sei,  sondern,  dass  man  bei  der  Frage ,  ob  man  eine  blennor- 
rhoische  oder  eine  trachomatöse  Conjunctiva  vor  sich  habe,  noch  auf  andere  Momente 
Rücksicht  nehmen  müsse.  Von  diesen  wurden  einige  bereits  angedeutet;  die  vollstän- 
dige Diagnostik  kann  erst  bei  der  Lehre  vom  Trachoma  gegeben  werden. 

Ali  der  halbmondförmigen  und  Übergangsfalte  erscheint  die  Wul- 
stung  oder  Verdickung-  der  Bindehaut  nicht  warzig,  sondern  gleichmässig, 
beinahe  glatt,  nur  nach  längerem  Bestehen  bisweilen  etwas  uneben  (durch 
stellenweise  etwas  mehr  gehäuftes  grauliches  Exsudat),  übrigens  ebenfalls 
durchaus  fleisch-  oder  dunkelroth;  die  Übergangsfalte  läuft  wie  ein  wul- 
stiges Band  um  den  untern  Umfang  des  Bulbus.  Man  kann  in  ihr  nicht 
leicht  einzelne  Gefässe  unterscheiden;  nur  in  der  Scleralbindehaut  sind 
gewöhnlich  sehr    zahlreiche  Gelasse,    in    der    ersten  Zeit   wohl    auch  Ec- 


Blennorrhoe  —  Symptome.  27 

chymosen  oder  ein  rosenrother  Saum  urn  die  Cornea  herum  vorhanden. 
In  minder  heftigen  Fällen  oder  nach  längerer  Dauer  reicht  die  Gefäss- 
einspritzung  der  Scleralbindehaut  nicht  bis  in  den  Limbus  conjunctivae  hinein. 

In  der  ersten  Zeit  schwimmt  das  Auge  in  Thränen  —  man  sieht 
oft  deutlich,  dass  der  Lidrand  wegen  Schwellung  des  Papillarkörpers  sich 
nicht  an  den  Bulbus  anschmiegen  kann,  —  und  in  dem  klaren  Secrete 
schwimmen  mehr  weniger  zahlreiche  gelbliche  Flocken.  In  andern  Fällen 
ist  das  Secret  durchaus  trüb,  molkenähnlich,  mit  dickeren  Flocken.  Nach 
längerem  Bestände  findet  man  mehr  ein  dickes  ,  schleimig-eitrig  aus- 
sehendes, oder  auch  in  Fäden  gewalztes  Secret,  welches  oft  erst  nach 
künstlicher  Entfaltung  des  Wülste  bildenden  Übergangstheiles  sichtbar  wird, 
oder  sich  in  den  Schrunden  und  Furchen,  zwischen  den  hypertrophischen 
Papillen  verbirgt.  Die  Secretion  wird  in  dem  Maasse  sparsamer,  als  die 
Wucherungen  des  Papillarkörpers  blässer  und  derber  werden.  Bei  trocke- 
nem heiterem  Wetter  ist  die  Secretion  geringer,  der  Kranke  fühlt  sich 
wohler,  durch  Secret,  Lichtscheu  und  verschiedene  Sensationsanomalien 
weniger  belästigt  als  in  feuchter,  namentlich  aber  in  gesperrter,  durch 
Zusammenwohnen  Vieler  verunreinigter  Luft. 

Die  ödematöse  Schwellung  und  blasse  Röthe  der  Lider  (nur  über 
dem  Tarsus),  welche  hier  nie  einen  sehr  hohen  Grad  erreicht,  besteht 
nur  die  ersten  6 — 10  Tage,  falls  die  Krankheit  sich  nicht  (unter  ungün- 
stigen äussern  Verhältnissen)  zum  3.  Grade  steigert.  Die  Lidspalte  er- 
scheint dann  auch  nicht  sowohl  in  Folge  der  Lichtscheu  etwas  weniger 
geöffnet,  als  vielmehr  durch  eine  gewisse  Schwere  (vermöge  der  Binde- 
hautwucherung  des  obern  Lides.) 

In  welcher  Weise  endlich  auch  die  Cornea  betheiligt  werden  könne, 
ohne  dass  die  Krankheit  sich  zur  eigentlichen  Ophthalmoblennorrhoe  ge- 
steigert haben  muss,  werden  wir  bei  den  „Ausgängen"  dieser  Krankheit 
anführen. 

Die  Steigerung  zum  3.  Grade  ist  bei  diesen  Fällen,  die  gleich  von 
vorn  hinein  sich  mehr  durch  Infiltration  der  Bindehaut  als  durch  reich- 
liche Secretion  und  Odem  der  Lider  auszeichnen,  im  Allgemeinen  selten, 
und  erfolgt  in  der  Regel  nur  dann,  wenn  nach  erfolgtem  Ausbruche  der 
Krankheit  noch  namhafte  schädliche  Einflüsse  auf  das  Auge  einwirken. 
Ist  aber  die  Krankheit  zur  Ophthalmoblennorrhoe  gestiegen,  so  stimmen 
solche  Fälle  der  2.  Reihe  ganz  mit  denen  der  1.  Reihe  überein,  es  lässt 
sich  kein  einziges  erhebliches    Unterscheidungsmerkmal    mehr    angeben.  *) 

*)  In   die  Erörterung-  der  Frage,  ob  die  in  die  2.  Reihe  gestellten   Fälle  von  denen   der  1.  Reihe  nicht  etwa  wesent- 
lich verschieden  seien,  können  wir   erst  später    eingehen. 


28  Bindehaut. 

Aul'  die  Gefahr  hin,  weitschweifig  zu  erscheinen,  will  ich,  um  nur  meinen  Lesern 
ein  möglichst  klares  Bild  von  dem  Ensemble  der  Erscheinungen  vorzuführen, 'die  Schil- 
derung einiger  Fälle,  so  viel  als  möglich  naturgetreu  wieder  gegeben,  aus  meinem 
Tagebuche  hier  einschalten.  Sie  können  in  so  fern  als  Repräsentanten  von  mehr  als 
500  Fällen,,  welche  ich  beobachtete,  betrachtet  werden,  als  sie  keine  absichtlich  aus- 
gewählten, sondern  mehr  zufällig  herausgegriffen  sind. 

L.  Andrioli,  Gemeiner  des  Infanterieregiments  Haugwitz,  gross,  von  kräfti- 
gem und  gesundem  Aussehen,  schwarzem  Haar,  lichtgrauer  Iris,  mit  ziemlich  flach- 
liegenden Augen,  angeblich  seit  2  Monaten  krank,  kam  am  20.  September  1850 
(als  sogenannt  reeidiv  aus  dem  Filialspitale)  in  das  Artilleriespital  am  Hradschin. 
Sehr  wenig  Lichtscheue,  sehr  wenig  Thränenfluss,  keine  Schmerzen,  kein  Odem 
der  Lider,  keine  Ansammlung  von  Schleim  im  innern  Augenwinkel,  nur  zwischen 
den  Falten  des  Übergangstheiles  gelbliche  Flocken  und  Fäden.  Beide  Augen  in  glei- 
chem Grade  erkrankt,  die  Veränderungen  am  obern  und  untern  Lide  nicht  mehr  von 
einander  verschieden ,  als  es  eben  in  der  Verschiedenheit  der  anatomischen  Verhältnisse 
bedingt  ist.  Die  Lidbindehaut  ist  bis  in  den  Übcrgangstheil  gleichmässig  hochroth  und 
geschwollen,  über  dem  Tarsus  feinkörnig,  Körnchen  an  Körnchen  gedrängt.  Wird  das 
obere  Lid  umstülpt  und  sorgfältig  und  wiederholt  abgewischt,  so  erscheint  die  Binde- 
haut dennoch  fortwährend  glänzend,  glatt,  mit  einer  Unzahl  glatter  Hügelchen  besetzt. 
Vermeidet  man  bei  Anwendung  einer  Loupe  das  Spiegeln  der  eben  zu  betrachtenden 
Partie,  so  sieht  man  ein  lichtgraues  Gitterwerk,  ähnlich  den  feinsten  Blattrippen  eines 
Eichenblattes  (getrocknet  und  durch  Nadelstiche  des  Parenchyms  beraubt),  mit  dazwi- 
schen eingelagerten,  etwas  hervorragenden  Gruppen  von  rothen  Pünktchen  und  Fleck- 
chen. Nur  gegen  den  Lidrand  hin  sieht  man  senkrecht  auf  denselben  auslaufende  rothe 
Streifchen.  Bei  Betrachtung  des  Übergangstheiles  am  untern  Lide  sieht  man  die  2 
Wülste  nächst  dem  Tarsus  uneben  durch  minder  dicht  an  einander  gedrängte,  ganz 
flache,  unter  der  Loupe  graue  und  etwas  durchscheinende,  körnchenähnliche  Erhaben- 
heiten; die  Übergangsfalte  selbst  ist  gleich  der  halbmondförmigen  glatt  und  eben,  ohne 
einzelne  Exsudatkörner,  ohne  einzelne  Gefässe,  bläulichroth.  Die  Coujunctiva  bulbi  ist 
durchaus  netzförmig  geröthet,  die  Äderchen  scharlachroth,  sehr  leicht  verschiebbar,  bis 
in  den  limbus  conjunctivae  corneae  hinein  eingespitzt,  die  Bindehaut  dazwischen  gelb- 
lich; die  vordem  Ciliaraterien  sind  wenig  injicirt,  bilden  wenigstens  keinen  rosen- 
rothen  Saum  um  die  Cornea.     Die  Hornhaut  normal. 

M.  Stabe,  Gemeiner  vom  Dom  Miguel  Infanterie-Regimente,  von  gesundem  Aus- 
sehen, bereits  Ende  Juni  erkrankt,  dann  in  das  Spital  der  Reconvalescenten  transferirt, 
wurde  vor  vier  Tagen,  wie  man  sagte,  reeidiv,  und  bot  am  20.  September  1850  fol- 
gende Erscheinungen  dar.  Heftige  Lichtscheu,  starke,  drückende  Schmerzen ,  leichtes 
Odem  der  Lider  (die  Lidspalte  wird  geschlossen  gehalten,  obwohl  die  Falte  des  obern 
Lides  nicht  verstrichen  ist),  die  Cilien  durch  Schleim  in  Büschel  verklebt,  reichliche 
Absonderung  wasserklarer  Flüssigkeit  mit  einzelnen  gelblichen  Flocken,  die  Ränder  der 
Lider  etwas  geröthet  mit  Spuren  von  Excoriationen.  Die  Bindehaut  am  obern  und  untern 
Lide  beider  Augen  gleichmässig  ergriffen,  durchaus  hellroth,  geschwellt,  dicker,  grob 
sammetaitig  oder  feinkörnig,  von  Thränen  überfluthet  auch  nach  mehrmaligem  Abwi- 
schen (am  obern  Lide)  stets  feucht  und  glänzend,  hie  und  da  nebstdem  mit  feinen, 
staubähnlichen,  glatten  Erhebungen  besetzt.  Unter  der  Loupe  sieht  die  Bindehaut  licht- 
grau aus  mit  dazwischen  eingesprengten    hochrothen  Punkten    und  Gruppen   von   solchen 


Blennorrhoe  —  ,S3rmptome.  29 

Punkten;  nur  gegen  den  Lidnind  hin  kann  man  mit  der  Loupe  noch  einzelne  Gefäss- 
reiserchen  unterscheiden;  gegen  den  Orbitalrand  des  Tarsus  hin  ist  die  Wucherung  der 
Bindehaut  etwas  stärker.  Der  Übergangstheil  des  untern  Lides  bildet  4  Wülste,  davon 
die  erstem  3  mit  einzelnen,  leichten,  flachen,  nur  ein  wenig  lichteren  Erhöhungen 
durchsetzt,  die  halbmondförmige  und  Übergangs  falte  hochroth  und  eben.  Die  Conjun- 
ctiva  bulbi  massig  serös  infiltrirt,  von  einzelnen  Gelassen  durchzogen;  um  die  Cornea 
ein  schmaler,  rosenrother  Gefässsaum,  Cornea  und  Iris  normal,  die  Pupille  enger.  Vom 
20.  Juli,  also  aus  der  Zeit  der  ersten  Invasion  ,  finde  ich  folgende  Beschreibung  in 
meinen  Notizen.  Der  Mann,  24  Jahre  alt,  von  gesundem  Aussehen,  bietet  bloss  solche 
Erscheinungen  dar,  wie  man  sie  bei  gewöhnlichen  Augenkatarrhen  findet.  Keine  Licht- 
scheue, in  den  innern  Winkeln  etwas  gelblicher  Schleim  ,  zwischen  den  Falten  des 
Übergangstheiles  einige  Schleimfäden.  Die  Bindehaut  des  obern  und  untern  Lides  beider 
Augen  "blassrotb ,  wenig  gelockert ,  über  dem  Tarsus  fein  sammetartig,  die  Meibom'schen 
Drüsen  sichtbar,  die  Übergangs-  und  halbmondförmige  Falte  leicht  geschwellt.  Dieser 
Fall  wurde  damals  unter  die  Katarrhe  gerechnet;  er  wäre,  gleich  beiläufig  20  andern, 
gar  nicht  in's  Spital  gekommen,  wenn  nicht  angeordnet  gewesen  wäre,  jeden  der  so- 
genannten   Ophthalmia    militaris   Verdächtigen   sogleich    unter  besondere  Obhut  zu  stellen. 

Johann  Hoftmann,  von  Prinz  Emil  Infanterie,  kam  am  24.  Juli  1850  in's  Spital, 
nachdem  er  bereits  im  Mai  erkrankt  war.  Aufnahme  des  Befundes  am  20.  September: 
Der  Mann  ist  gross,  hat  eine  kräftige  Muskulatur,  gesundes  Aussehen,  und  fühlte  sich 
weder  vor  noch  nach  dem  Ausbruche  der  Augenkrankheit  irgendwie  unwohl.  Er  hat 
blonde  Haare,  blaue  Iris,  die  Augen  weder  flach  noch  tief  liegend.  Keine  Lichtscheue; 
beim  Anblick  der  Augen  fällt  nur  die  Vergrösserung  der  halbmondförmigen  Falte  auf; 
auf  der  Karunkel  ein  wenig  Schleim.  Das  obere  und  untere  Lid  beider  Augen  in  glei- 
chem Grade  erkrankt;  die  Bindehaut  vom  Lidrande  bis  in  den  Übergangstheil  ge- 
schwellt und  hochroth,  über  dem  Tarsus  feinwarzig  (durchaus  gleich  grosse  Wärzchen), 
unter  der  Loupe  (die  etwa  4'/2mal  vergrössert)  sieht  man  lauter  kleine  Wärzchen,  die 
bei  schief  auffallendem  Lichte  glänzen,  bei  gerader  Ansicht  als  aus  rothen  Punkten  be- 
stehend erscheinen,  und  durch  gelblichgraue,  lichte  Streifen  getrennt  sind.  Am  untern 
Übergangstheile  sieht  man  grössere  Erhabenheiten,  graulich,  etwas  durchscheinend,  hie 
und  da  von  Gefässchen  überschlängelt,  welche  erst  unter  der  Loupe  deutlich  werden, 
mit  ziemlich  deutlich  umschriebener  Basis ;  über  dem  Tarsus  fehlen  dieselben.  Zwischen 
den  Falten  des  Übergangstheiles  consistentere,  gelbe  Flocken. 

Ich  benützte  diesen  Mann ,  der  in  seiner  Muttersprache  mit  mir  reden  konnte  und 
Bildung  genug  zu  haben  schien,  seinen  Angaben  Glauben  zu  schenken,  zur  Erhebung 
anamnestischer  Momente.  Er  war  bereits  Ende  Mai  erkrankt,  und  zwar  binnen  2  Tagen 
auf  beiden  Augen,  in  einem  Dorfe  (mehrere  Meilen  von  Prag),  wo  72  Mann  lagen. 
Hievon  sollen  .7 — 8  augenkrank  geworden  sein.  Er  war  mit  noch  8  Andern  in  einem 
Hause  einquartirt,  wovon  nebst  ihm  noch  2  erkrankten,  und  beschuldigte  als  Ursache 
den  Umstand,  dass  sie  bei  grosser  Hitze  auf  einem  1  Stunde  entfernten  Ackerfelde 
exerciren  mussten ,  und  starkem  Staube  ausgesetzt  waren.  Sie  schliefen  übrigens  alle 
9  auf  einem  Boden  unmittelbar  unter  einem  Ziegeldache,  wo  die  Hitze  sehr  gross  und 
kein  Luftzug  war.  Von  den  Dorfbewohnern  war  ihm  nicht  bekannt,  dass  Jemand  er- 
krankt wäre;  auch  soll  Niemand  mit  einem  ähnlichen  Augenleiden  behaftet  unter  sie 
se kommen  sein.  Ein  Kamerad  von  ihm,  ebenfalls  noch  im  Spitale,  bestätigte  diese 
Angaben. 


30  Bindehaut. 

Johann  Muntian  ,  von  Dom.  Miguel  Infanterie,  klein,  schwarzes  Haar,  lichtbraune 
Iris,  nicht  sehr  muskulös,  ziemlich  blass  aussehend,  doch  seiner  Aussage  nach  sonst 
gesund.  Die  Lidspalte  etwas  weniger  geöffnet,  wässeriges  Aussehen  der  Augen,  ganz 
leichtes  Ödem  der  Lider,  Abstehen  der  Lidränder  vom  Bulbus  (wegen  Schwellung  der 
Bindehaut),  Schleim  im  innern  und  äussern  Winkel  und  zwischen  den  Cilien.  Beide 
Augen  am  obern  und  untern  Lide  in  gleichem  Grade  ergriffen.  Das  Secret,  welches 
beim  Abziehen  der  untern  Lider  zwischen  denselben  und  den  Bulbis  erscheint,  ist  mol- 
kenartig trüb  mit  einzelnen  zäheren  gelbgrauen  Flocken ,  welche  sich  bisweilen  auch 
auf  die  Cornea  legen.  Die  Bindehaut  von  der  innern  Lefze  des  Lidrandes  bis  in  die 
Übergangsfalte  hochroth,  über  den  Tarsus  feinkörnig,  wie  bestaubt,  unter  der  Loupe 
glatt,  glänzend,  lichtgrau  mit  Gruppen  rother  Punkte  dazwischen;  auch  gegen  die  innere 
Lefze  des  Lidrandes  hin  kann  man  keine  Gefässchen  unterscheiden.  Nach  längerer 
Umstülpung  des  obern  Lides  und  wiederholtem  Abtrocknen  (durch  8 — 10  {Minuten) 
blieb  die  Bindehaut  immer  gleich  feucht,  und  bildeten  sich  feine,  zähe,  eiweissähnliche, 
nur  sehr  schwer  mit  dem  Nagel  abstreifbare  Fäden.  Der  Mann,  im  Juni  erkrankt,  war 
mehrere  Wochen  im  Filialspitale  gewesen,  und  nach  erneuerter  Heftigkeit  des  Übels 
den  19.  September  wieder  in's  Garnisonsspital  am  Hradschin  gekommen. 

Johann  Ferensuk,  von  Dom  Miguel  Infanterie,  mit  lichtbraunem  Haar  und  blauer 
Iris  und  sonst  von  gesundem  Aussehen,  kam  Anfangs  Juli  in's  Spital ;  am  16.  Juli  notirte 
ich  folgenden  Befund.  Die  Lider  von  aussen  normal;  fast  gar  keine  Lichtscheue;  die 
Bindehaut  vom  Lidrande  bis  in  die  halbmondförmige  und  Übergangsfalte  blassroth,  ge- 
schwellt, feinwarzig;  zahlreiche  Wärzchen  bieten  an  der  Spitze  ein  gelbliches  Aussehen 
dar,  und  verleihen  der  Bindehaut  (des  obern  Lides)  ein  gelblich  punktirtes  Aussehen; 
die  Meibom'schen  Drüsen  nicht  mehr  durchscheinend,  die  halbmondförmige  Falte  massig 
gelockert  und  geschwellt,  und  gleich  der  Übergangsfalte  glatt  und  eben;  die  Conjun- 
ctiva  bulbi  fast  gar  nicht  geröthet;  die  Secretion  besteht  in  wenig  seröser  Flüssigkeit 
mit  gelblichen  Flocken  im  innern  Winkel.  —  Dieser  Zustand  wurde  als  1.  Grad  des 
fraglichen  Übels  bezeichnet.  —  Befund  am  21.  Juli.  Die  Krankheit  hat  allmälig  zuge- 
nommen, und  zwar  auf  beiden  Augen  gleich.  Die  Cutis  der  obern  Lider  ist  bis  zu 
den  Augenbrauen,  die  der  untern  bis  über  die  Wangen  herab  geschwollen,  blassroth, 
weich,  wärmer,  die  Falte  des  obern  Lides  ist  jedoch  nicht  verstrichen;  die  Lidspalte 
wird  besonders  wegen  der  heftigen  Lichtscheue  nur  von  Zeit  zu  Zeit  ein  wenig  ge- 
öffnet; am  innern  und  äussern  Winkel  und  längs  des  untern  Lidrandes  sind  ziemlich 
starke  Excoriationen  vorhanden.  Die  Bindehaut  stark  geschwellt,  vom  Lidrande  an  bis 
in  die  Übergangsfalte  hellroth,  im  Tarsaltheile  sammetartig.  mit  einer  ganz  dünnen 
Schichte  graulichen  Exsudates  belegt,  welches  sich  nur  theilweise  abstreifen  lässt;  der 
flüssige  Theil  des  Secretes  eiterähnlich,  ziemlich  reichlich ;  die  halbmondförmige  Falte 
sehr  stark  geschwollen,  besonders  am  linken  Auge.  Die  Conjunctiva  bulbi  sehr  stark 
injicirt  und  gelockert,  auf  dem  linken  Auge  einen  flachen  Wall  um  die  Cornea  bil- 
dend. Am  24.  Juli  fand  ich  bereits  in  der  linken  Cornea  einen  hanfkorngrossen  Durch- 
bmch,  die  Iris  vorgefallen,    die   vordere  Kammer    aufgehoben.  —  Blennorrhoe  3.  Grades. 

Johann  Henne ,  von  derselben  Conipagnie ,  war  einer  der  wenigen,  die  nur  auf 
Einem  Auge  erkrankten.  Das  rechte  obere  Lid  war  am  16.  Juli  massig  geschwollen, 
die  Lidränder  etwas  exeoriirt,  die  Lichtscheu  massig ;  die  Conjunctiva  durchaus  er- 
krankt, blassroth,  über  den  Tarsus  nur  wenig  sammetartig,  die  Meibom'schen  Drüsen 
nicht   durchscheinend.,    der    Übergangstheil    nicht   stark    gewulstel,    so   auch    die    massig 


Blennorrhoe  —    Verlauf  —  Ausgänge.  31 

stark  inücirte  Conjunctiva  bulbi.  Massig  reichliches  wässeriges  Secret  mit  einzelnen 
gelben  Flocken.  —  Bis  zum  21.  Juli  war  die  Krankheit  (unter  Anwendung  örtlicher 
Blutentziehungen,  Eisumschläge,  Einspritzungen  von  Nitras  argenti,  nebst  sehr  fleissi- 
ger  Reinigung  des  Auges  und  Anwendung  von  Purganzen)  so  weit  gestiegen ,  dass 
ich  die  Cornea  bereits  erweicht  und  eitrig  infiltrirt  fand.  Die  Geschwulst  des  obern 
Lides  war  bereits  wieder  geringer,  als  2  Tage  vorher.  —  Dies  war  eigentlich  der 
einzige  Fall,  der  mit  totaler  Zerstörung  der  Hornhaut  verlief,  unter  etwa  120  Soldaten, 
die  ich  im  Artilleriespitale  am  Hradschin  zu  sehen  Gelegenheit  hatte.  Das  linke  Auge 
blieb  gesund. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Die  Blennorrhoe  durchläuft,  wie  zum 
Theil  aus  dem  Vorhergehenden  erhellt,  nicht  immer  alle  3  Grade ;  sie 
kann  mit  dem  zweiten  eben  so  gut  rückgängig  werden,  wie  nach  dem 
ersten.  Wovon  diess  abhänge,  welche  Umstände  hierauf  Einfluss  nehmen, 
wird  aus  dem  weitern  Verfolge  dieser  Abhandlung  ersichtlich  werden. 
Ist  der  Grund  der  Steigerung  zum  3.  Grade  schon  gleichsam  mit  dem 
Entstehen  der  Krankheit  selbst  gegeben  (z.  B.  durch  Übertragung  von 
eiterähnlichem  Secrete  eines  blennorhoischen  Auges),  so  durchläuft  sie 
den  2.  und  vorzüglich  den  1.  Grad  so  schnell,  dass  der  Arzt  selbst  schon 
24  Stunden  nach  dem  Beginn  der  Krankheit  den  3.  Grad  völlig  ausge- 
bildet finden,  und  das  Auge  in  36 — 48  Stunden  (vom  Beginn)  unrettbar 
verloren  sein  kann,  durch  Zerstörung  der  Hornhaut. 

Bleibt  die  Krankheit  auf  den  1.  Grad,  beschränkt,  so  nimmt  sie 
einen  langsamen  Verlauf  (sich  selbst  überlassen),  wird  häufig  für  Katarrh 
angesehen  und  behandelt,  häufiger  gar  keiner  ärztlichen  Behandlung  un- 
terworfen. Als  solche  liommt  sie  wohl  häufig  bei  Neugebornen  vor,  doch 
auch  bei  Erwachsenen,  wo  sie  nicht,  selten  eine  Menge  von  Individuen 
befallen  hat.  *)  ehe  der  Arzt  eines  (etwa  wegen  grösserer  Hartnäckigkeit 
oder  wegen  Steigerung  zu  höhern  Graden)  zur  Behandlung  bekommt.  Sie 
kann  unter  günstigen  Verhältnissen  von  selbst  heilen,  unter  minder  gün- 
stigen zu  leichter  Hypertrophie  des  Pupillarkörpers  ,  Erschlaffung  des 
Übergangstheiles  und  massiger  Schleimsecretion  führen,  und  durch  Ein- 
wirkung äusserer  Schädlichkeiten  (unreiner  Luft,  Verkältung)  zur  Blen- 
norrhoe 2.  oder  3.  Grades  gesteigert  werden. 

Erreicht  die  Blennorhöe  den  2.  Grad,  so  geschieht  diess  in  der 
Regel  schon  unter  so  heftigen  objectiven  und  subjecliven  Erscheinungen, 
dass  die  Kranken  bestimmt  werden,  ärztliche  Hülfe  zu  suchen.  Diese 
Steigerung    entsteht    entweder  in  Folge   von  Misshandlung  des  1.  Grades, 

')    Die  Herren  Militärarzte,    welche    beim  Ausbruche  dieser  Krankheit  unter  den  Truppen    ffanze  Bataillons   visitirten, 
wissen  dies  wohl  am  besten. 


32  .     Bindehaut. 

oder    in  Folge  heftigerer  äusserer    (innerer?)    Schädlichkeiten  gleich  von 
vorn  hinein. 

Gerade  in  den  milderen,  nicht  gleich  zum  Übergange  in  den  3.  Grad 
strebenden  Fällen  zeigt  die  Krankheit  wenig  Neigung  zur  spontanen  Hei- 
lung, im  Gegentheile  entschiedene  Tendenz  zur  Wucherung  des  Papillär- 
körpers,  und  zu  bald  sparsamer,  bald  reichlicherer  Secretion  schleimig- 
eitriger  Flüssigkeit,  so  wie  zu  hartnäckiger,  Monate,  Jahre  langer  Dauer, 
nachdem  an  die  Stelle  der  ödematösen  Geschwulst  der  Lider  eine  mehr 
weniger  beträchtliche  Verdickung  und  selbst  Vergrösserung  der  Lider 
gelreten  ist. 

Solche  wahrhaft  chronische  Blennorrhöen  können  durch  Einwirkung 
äusserer  Schädlichkeiten  jeden  Augenblick  zum  3.  Grade  gesteigert  wer- 
den, ausserdem  aber  zu  mannigfaltigen  Structurveränderungen  der  Binde- 
haut und  der  benachbarten  Gebilde   führen. 

Das  in  die  Bindehaut,  namentlich  in  und  auf  die  Papillen  abgelagerte 
Exsudat  organisirt  sich,  wenn  es  nicht  resorbirt  und  somit  die  Bindehaut 
wieder  normal  geworden  ist,  allmählig  mehr  und  mehr,  nachdem  das  nor- 
male Gewebe  durch  den  Druck  des  Infiltrates  mehr  weniger  verdrängt 
worden,  und.  so  tritt  an  die  Stelle  des  normalen  Bindegewebes  in  grös- 
serer oder  geringerer  Ausdehnung  und  Tiefe  ein  Narbengewebe.  Dieses 
erscheint  glatt,  sehnenartig-glänzend,  silber-  oder  bläulichweiss,  flächen- 
oder  streifenartig  ausgebreitet.  Bedeutende  Schrumpfung  der  Bindehaut 
in  Folge  dieses  Processes  tritt  jedoch  nicht  ein,  auch  nicht  nach  mehr- 
jährigem Bestehen  dieser  Infiltration  des  PupillarkÖrpers  (ich  kenne  Fälle 
von  mehr  als  5jähriger  Dauer),  ausser  nach  unzweckmässiger  Anwendung 
von  Atzmitteln  behufs  der  Zerstörung  dieser  sogenannten  Granulationen.*) 

Die  Exsudatablagerung  findet  nur  in  der  Bindehaut,  besonders  im 
Papillarkörper  statt,  ebenso  die  consecutive  Schrumpfung.  Verschrumpfung 
des  Knorpels  erfolgt  daher  niemals,  eher  eine  leichte  Vergrösserung,  und 
die  Krankheit  führt  demgemäss  nie  zur  Einwärtswendung  des  Lidrandes 
(Trichiasis  und  Entropium),  hingegen  durch  starke  Wucherung  der  Binde- 
haut leicht  zur  Auswärt sslülpung  des  Lides,  Ectropium,  bald  des  obern, 
bald  des  untern,  nicht  leicht  beider  zugleich,  und  dann  besonders  werden 
die  Wucherungen  gern  hart  und  trocken.  Bei  Kindern  scheint  diese  Art 
Ectropium,  nach  meinen  Erfahrungen,  leichter  zu  entstehen. 

c)  Schon  aus  diesem  Grunde  allein  sollte  mau  dieseu  unpassenden  Namen  aufgeben,  da  derselbe  immer  zu  dem 
gewohnten  Schlendrian  Veranlassung  gehen  wird,  den  hypertrophischen  Papillarkörper  s"o  wie  wuchernde  Ge- 
schwhrsgranulation  zu  behandeln. 


Blennorrhoe  —  Verlauf —  Ausgänge.  33 

In  andern  Fällen  wird  das  Lid  nicht  nur  dicker,  sondern  auch 
breiter  (von  oben  nach  unten),  besonders  das  obere,  und  hängt  dann 
vermöge  seiner  Schwere  tiefer  herab,  stellt  den  sogenannten  Vorfall  des 
obern  Lides,  Ptosis  palp.  superioris  dar. 

In  Folge  der  lang  andauernden  vermehrten  Secretion  kann  sich, 
wie  beim  Katarrh,    durch  Excoriationen  Blepharophimosis  bilden. 

In  seltenen  Fällen  entsteht  consecutive  ein  chronisch  verlaufender 
blennorrhoischer  Zustand  des  Thränenschlauches',  häufiger  kommt  aber 
das  umgekehrte  Verhältniss  vor,  nämlich  rlass  nach  lange  bestellendem 
blennorrhoisehem  Zustande  des  Thränenschlauches  sich  ein  chronisch- 
blennorrhoischer  Zustand    der  Bindehaut  entwickelt. 

Die  Hornhaut  wird  in  jenen  Fällen,  wo  die  Zufälle  des  3.  Grades 
nicht  auftreten,  nur  wenig  gefährdet,  in  der  ersten  Zeit  durch  kleine  und 
mehr  oberflächliche  Geschwüre,  nach  monatlanger  Dauer  und  öfterer  Ver- 
schlimmerung der  entzündlichen  Zufälle  durch  Pannus,  obwohl  dieser 
unter  die  seltenem  Nachkrankheiten    der  Blennorrhoe  überhaupt  gehört. 

Aus  den  vielen  Fällen  von  Blennorrhoe,  welche  uns  im  Jahre  1848  das  Findel- 
haus lieferte,  und  wovon  viele  der  ersten,  die  meisten  aber  der  zweiten  Eingangs  ge- 
schilderten Reihe  angehörten,  will  ich,  bevor  ich  diese  Endemie  ausführlicher  bespreche 
(siehe  weiter  unten),  wenigstens  einen  Fall  herausheben. 

Jos.  Spotterbach,  8  Jahre  alt,  Findling,  erkrankte  einige  Tage  vor  seiner  Auf- 
nahme auf  die  Augenkrankenabtheilung  des  allgemeinen  Krankenhauses  am  9.  April 
1848  auf  dem  rechten  Auge.  Der  Knabe  ,  für  sein  Alter  gehörig  entwickelt,  von  ge- 
sundem Aussehen,  gut  genährt,  mit  schwarzbraunem  Haar  und  blaugrauer  Iris ,  weiss 
über  das  Frühere  nichts  Verlässliches  anzugeben.  Die  Lider  des  rechten  Auges  stark 
geschwollen,  blassroth,  wärmer;  die  Cilien  durch  wässrige  Flüssigkeit  zu  Büscheln 
verklebt,  der  Lidrand  etwas  stärker  geröthet.  Die  Bindehaut,  etwa  3/4  Linien  hinter  der 
innern  Lefze  des  Lidrandes  angefangen ,  über  den  Tarsus  und  im  Übergangstheile 
gleichmässi^  hochgerothet,  mit  vielen  einzelnen  bläschenartigen  Erhabenheiten  besetzt, 
welche  auf  der  Übergan°-s-  und  halbmondförmigen  Falte  fehlen ;  die  Meibom'schen 
Drüsen  nicht  sichtbar,  ausser  längs  des  Lidrandes  in  der  oben  angegebenen  Breite  von 
'/2 — 3/4  Linien.  Die  Conjunctiva  sclerae  von  einzelnen  hochrothen,  leicht  verschieb- 
baren Gefässen  durchzogen ,  doch  nicht  geschwollen,  die  Cornea  rein,  die  Secretion 
massig,  das  Secret  serös  mit  einzelnen  Schleinillocken.  Am  linken  Auge  die  Lider 
nicht  geschwollen,  bloss  die  Lidränder  etwas  angelaufen  und  geröthet,  die  Cilien  durch 
Schleim  in  Büschel  verklebt,  die  Conjunctiva  im  Tarsal-  und  Übergangstheile  massig 
injicirt,  nur  wenig  gelockert,  die  Conjunctiva  sclerae  und  die*  übrigen  Gebilde  normal. 
Brennende  Schmerzen    im   rechten    Auge,    massige   Lichtscheu*).      Am    16.    April    war 

*)    Ich  behandelte    damals   absichtlich   bloss  mit  kalten   Umschlägen  und  leichten   Abführmitteln  bei  grösster    Sorse  füf 

Reinigung  der  Augen.     Da   diess  einer  der  ersten  Fälle  war,  so   machten  mich  die   bläschenartigen   Erhabenheiten 

auf  der   Conjunctiva   sluliig    ob   ich   es  nicht  etwa  mit  Trachomen   zu   thun   habe,    um  so   mehr,    da  fast   nur  seröse 

Serrtlion   der   Bindehaut    vorhanden     war.     Ich    wurde  inuess  bald  durch    diesen  Fall  und    Hoch  mehr  durch    das 

Arlt.  1.  3 


34  Uimlt'liaiit. 

die  Geschwulst  der  Lider  fast  verschwunden  ,  die  Cilien  durch  vertrockneten 
Schleim  verklebt,  die  Secretion  unbedeutend,  schleimig,  die  Bindehaut  dagegen 
noch  stark  infiltrit,  und  besonders  gegen  den  Übergangstheil  hin  mit  stärkeren 
Wärzchen  besetzt.  Am  19.  waren  plötzlich  wieder  die  Lider  stark  geschwollen,  die 
Geschwulst  hellroth,  die  Coijjunctiva  zeigte  eine  stärkere  Entwicklung  des  Papillarkör- 
pers,  das  Secrel  war  nicht  nur  reichlicher,  sondern  auch  molkig  trüb.  Dasselbe  Krank- 
heitsbild  entwickelte  sich  nun  auch  auf  dem  linken  Auge.  Am  25.  April  war  die  linke 
Cornea  noch  rein,  die  rechte  aber  nach  unten  etwa  V"  oberhalb  des  Randes  im  Um- 
fange eines  Hanfkornes  getrübt,  eitrig  inliltrirl.  Es  entstand  ein  Geschwürchen,  welches 
am  29.  bereits  ganz  reine  Ränder  zeigte .  trotzdem  aber  doch  zum  Durchbruche  der 
Cornea  führte.  Der  Knabe  musste,  nachdem  die  Secretion  längst  wieder  serös  gewor- 
den und  der  Irisvorfall  fest  überhäutet  war,  dennoch  wegen  der  Infiltration  des  Papil- 
larkörpers  bis  Mitte  Juni  im  Spital  behalten  werden. 

Rud.  Limbek,  21  Jahre  alt,  Corporal  von  Dom  Miguel  Infanterie,  stark  blond,  von 
gesundem,  blühendem  Aussehen,  erkrankte  bereits  den  1.  Mai  1850.  Am  15.  Juli  no- 
tirle  ich  folgenden  Befund.  Ausdruck  massiger  Lichtscheu,  ziemlich  reichlicher  Thrä- 
nenfluss,  sparsame  Schleimflocken ;  die  Bindehaut  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  ergriffen, 
und  zwar  auf  beiden  Augen ;  vom  Lidrande  bis  an  die  Übergangsfalte  gleichmässig  hell- 
roth und  stark  geschwellt,  über  den  Tarsis  feinkörnig,  feiuwarzig,  im  Übergangstheile 
wulstig,  uneben  (mit  einzelnen,  gleichsam  eingesprengten,  lichteren,  graulichen  Er- 
höhungen, deren  Basis  nicht  deutlich  begrenzt  erscheint) ,  die  halmondförmigen  Falten 
stark  geschwollen  und  dunkelroth;  die  Conjunctiva  bulbi  von  zahlreichen  Gefässen 
durchzogen,  die  vorderen  Ciliargefässe  stark  injicirt,  rings  um  die  Cornea  einen  rosen- 
rothen  Saum  bildend.  Der  Limbus  conjunctivae  deutlich  geschwellt,  mit  kleinen,  staub- 
ähnlichen lichten  Körnchen  besetzt  und  von  zahlreichen  Gefässen  durchzogen,  oben 
gegen  //",  unten  gegen  lL'"  breit.  Der  durchsichtige  Theil  der  Cornea  theils  mit 
kleinen  halbdurchsichtigen,  bläschenähnlichen  Erhabenheiten  besetzt,  theils  mit  kleinen 
Grübchen  versehen,  und  desshalb  das  Sehen  etwas  getrübt;  auf  der  rechten  Cornea  ist 
der  durchsichtige  Theil  der  Cornea  ganz  normal.  Am  24.  Juli  war  (nach  Einreibungen 
von  weissem  Präcipitat  mit  Extr.  bellad.  an  die  Stirn  und  Schläfe)  die  Besserung  der 
Zufälle  am  Bulbus  aulfallend,  die  Lichtscheu  schon  sehr  gering,  der  Thränenfluss  massig, 
die  Infiltration  der  Conjunctiva  palpebr.  fast  gleich.  Als  ich  —  nach  meiner  Rückkehr 
von  Wien  —  am  20.  September  das  Spital  wieder  besuchte,  war  der  Mann  bereits 
geheilt  entlassen. 

Fälle,  welche  die  Zeichen  des  3.  Grades  darbieten,  was,  wie  gesagt, 
bald  in  sehr  kurzer  Zeil,  bald  nach  längerem  Bestände  des  1.  oder  2. 
Grades  geschieht,  nehmen  durchgehends  einen  acuten  und  in  der  Regel 
äusserst  gefährlichen  Verlauf. 

Die  Gefahr  liegt  in  dem  Ergriffenwerden,  der  Cornea;  auf  diese  ist 
also  vor  allem  die  Aufmerksamkeit  zu  richten.  Die  Hornhaut  wird  nicht 
leicht    ergriffen,    bevor   nicht    die    übrigen   Krankheitserscheinungen    ihren 

rasche  Nachfolgen  von  nahe  an  50  Füllen  (lauter  restiluirlcn  Findlingen  aus  einem  und  demselben  Gebäude)  voll- 
kuiliincn  überzeugt,  dass  ich  es  mil  Blennorrhoe,  nicht  mit  Trachom  zu  ihun  halle;  einige  spätere  Fälle  zeigten 
sehr  reichliches,"  schleimig-eitriges,  selbst  eroupöses  Exsudat. 


Blennorrhoe  —  Verlauf —  Ausgänge.  35 

Höhepunkt  erreicht  haben.  Wenn  die  Geschwulst  des  obern  Lides  bereits 
zu  sinken  beginnt,  die  Haut  leichte  Runzeln  bekommt,  und  die  Schmerzen 
anfangen  nachzulassen:  dann  wird  man  durch  die  Affection  der  Hornhaut 
aus  dem  Wahne,  das  Ärgste  glücklich  überstanden  zu  haben,  aufge- 
schreckt. Vor  dem  Ablaufe  dieses  Zeilpunktes  und  vor  genauer  Besich- 
tigung- der  Cornea  stelle  man  also  nie  eine  günstige  Prognose.  Binnen 
wenig-  Stunden  kann  man  die  Hornhaut  ganz  rein  —  und  getrübt  oder 
schon  in  Verschwörung  begriffen  linden.  Die  Erweichung,  eitrige  Infil- 
tration und  Zerstörung-  der  Cornea  betrifft  gewöhnlich  einen  sehr  grossen 
Theil,  oft  die  ganze  Cornea,  bei  Neugebotenen  am  häufigsten  die  Mitte. 
Die  Zerstörung  trifft  die  oberen  Faserschichten  der  Cornea  in  grösserer 
Ausdehnung  als  die  tiefern,  führt  jedoch  nur  in  äusserst  seltenen  Fällen 
nicht  zur  Durchbohruno-  der  letztern  und  zur  Berstung  der  Descemel'schen 
Haut,  mithin  zum  Ausflusse    des  Humor  aqueus,    Prolapsus  iridis    u.  s.  w. 

Aus  dem  Umstände,  dass  im  Verlaufe  heftiger  Bindehautblennorrhöen  so  häufig 
Horiihautgesclncüre  und  Excorialionen  an  der  Cutis  der  Lider  entstehen,  hat  man  ge- 
schlossen, dass  die  Schärfe  des  Secretes  die  Ursache  dieser  Erscheinungen  sei,  ja  man 
hat  sogar  die  Behauptung  aufgestellt,  dass  die  Blennorrhoe  aufhören  würde  gefährlich 
zu  sein,  wenn  man  ein  Mitlei  hätte,  die  Hornhaut  vor  der  Berührung  mit  jener  Flüs- 
sigkeit zu  schützen. 

Zuvörderst  muss  bemerkt  werden,  dass  Jene,  welche  diese  Behauptung  auf- 
gestellt haben,  es  unterlassen  hatten ,  diese  Flüssigkeit  auf  ihre  chemische  Beaction  zu 
untersuchen.  Sie  hatten  sich  wohl  vorzüglich  auf  das  gleichzeitige  Vorkommen  der 
Exfoliationen  an  den  Lidrändera  gestützt.  Allein  zu  diesen  möchte  wohl  die  beständige 
Benetzung  der  Haut  weit  mehr  beitragen,  als  die  Schärfe  des  Secretes.  Anhaltende 
Benetzung  der  Epidermie  mit  einer  indifferenten  Flüssigkeit  reicht  am  Ende  auch  hin, 
diese  zu  erweichen.  Höhere  Temperatur,  und  wenn  auch  nur  schwach  alkalische 
Reaction,  oder  die  Gegenwart  von  Neutralsaizen  wird  natürlich  diese  Wirkung  beför- 
dern. Daher  kommen  auch  bei  einfachen  katarrhalischen  und  scrophulöteea  Bindehaut- 
entzündungen solche  und  oft  noch  ausgedehntere  Excoriationen  vor,  und  doch  hat 
Niemand  behauptet,  dass  bei  diesen  das  Secret  der  Cornea  ätze.  —  Vor  Kurzem  kam 
ein  übrigens  ganz  gesunder  Mann  auf  die  Augenklinik  ;  es  war  ihm  vor  3  Wochen  ein 
Steinsplitter  in's  rechte  Auge  geflogen  und  hr.tte  die  Hornhaut  durchbohrt.  Ein  kleiner 
Theil  der  Iris  war  vorgelagert,  die  übrige  Iris  grünlich,  die  Pupille  eng  und  verzogen, 
rings  um  die  Hornhaut  dunkle  Rosenröthe,  die  Bindehaut  über  dem  Tarsus  dicht-,  im 
Übergangstheile  schütter-netzförmig  geröthet.  reichliche  Absonderung  einer  ganz  wasser- 
klaren.  die  gewöhnliche  Reaction  der  Thränen  zeigenden  Flüssigkeit  —  und  doch  war 
das  untere  Lied  in  seiner  ganzen  Länge  auf  3'"  breit,  gerade  so  weit,  als  die  benetzten 
Wimpern  des  obern  Lides  über  das  untere  Verabreichten,  sehr  stark  excoriirl. —  Auch  bei 
Blennorrhöen  des  2.  Grades  kommen  eben  so  in-  und  extensive  Excoriationen  vor,  und 
dennoch  bleibt  die  Cornea  unversehrt.  Diese  wird  erst  dann  ergriffen,  wenn  die  Ent- 
zündung von  den  Lidern  auf  den  Bulbus  übergegangen,  wenn  die  Blennorrhoe,  wie  man 
sagt,  zur  Ophthalmoblennorrhoe  geworden  ist. 

3* 


3(5  Bindehaut. 

Der  Trübung  und  Verschwärung  der  Cornea  geht  ein  erhöhter  Glanz  derselben 
voraus.  Auch  nachdem  sie  trüb  geworden,  sieht  man  ihre  Oberfläche  noch  eben  und 
glatt,  mindestens  ohne  Grübchen.  In  manchen  Fällen  sieht  man  die  Trübung  wieder 
verschwinden,  ohne  dass  es  zu  einem  Substanzverinste  der  Cornea,  ja  auch  nur  ihres 
Epitheliums  kommt.  In  einigen  Fällen,  wo  das  von  acuter  Blennorrhoe  ergriffene  Auge 
an  einer  Hornhautnarbe  (aus  früherer  Zeit)  litt,  sah  ich  (beim  Eintritte  des  3.  Grades) 
mehrere  Gefassehen  in  der  Hornhaut  sichlbar  werden,  welche  zu  der  Narbe  verliefen. 
—  Ganz  anders  verhält  sich  die  Cornea,  wenn  wirklich  ätzende  Substanzen,  Mineral- 
säuren, flüssige  Alkalien  u.  dgl.  mit  ihr  in  Berührung  gekommen  sind.  In  den  gelin- 
desten Fällen  wird  wenigstens  das  Epithelium  zerstört    und  abgestossen. 

Man  nehme  das  Secret  von  einem  blennorrhoischen  Auge,  dessen  Hornhaut  eben 
in  Verschwärung  begriffen  ist,  und  bringe  es  auf  die  Hornhaut  eines  Kaninchens:  es 
wird  sich  keine  Spur  von  Ätzung  zeigen.  Prininger  hat  blennorrhoisches  Secret  in  die 
Augen  von  Amaurotischen  gebracht ;  es  erfolgte  wohl  später  eine  Blennorrhoe,  keines- 
wegs aber  augenblicklich  in  einigen  Stunden  eine  Veränderung  der  Cornea.  Tripper- 
kranke  bringen  das  Secret  von  den  Genitalien  an  die  Augen ;  es  ensteht  eine  Blennorrhoe 
der  Bindehaut,  welche  zur  Verschwärung  der  Cornea  führt,  aber  nur,  nachdem  die  Blen- 
norrhoe den  3.  Grad  erreicht  hat ;  es  ist  nicht  ein  einziger  Fall  bekannt,  wo  die  Horn- 
haut gleich  von  vorn  herein  angegriffen  worden  wäre.  Wir  kennen  keine  scharfe  Flüs- 
sigkeit, kein  Ätzmittel,  welches,  mit  einem  organischen  Gebilde  in  Berührung  gebracht, 
dasselbe  mehrere  Tage  unversehrt  Hesse,  und  erst  dann  zerstörte. 

Ferner  müsste  man  annehmen,  dass  das  blennorrhoische  Secret  seine  ätzende 
Eigenschaft  plötzlich  verliere,  während  es  alle  seine  physicalischen  Eigenschaften,  die 
Anstecknngskraft  nicht  ausgenommen,  beibehält.  Wäre  die  Zerstörung  der  Hornhaut 
Folge  der  Ätzung  durch  das  Secret,  dann  wäre  nicht  einzusehen,  warum  nicht  in 
allen  Fällen  die  ganze  Cornea  zerstört  wird,  warum  sich  das  Secret  sehr  oft  gerade 
nur  eine  kleine  Stelle  zur  Zerstörung  aussucht,  und  zwar  bis  auf  die  Descemet'sche 
Haut,  indess  doch  die  ganze  Oberfläche  der  Hornhaut  demselben  ausgesetzt  ist.  Nun 
diese  eine  Stelle  einmal  durchbrochen  ist,  bleibt  die  übrige  Cornea  unversehrt;  nicht 
einmal  von  den  Geschwürsrändern  aus,  wo  doch  das  schützende  Epithelium  fehlt,  sieht 
man  bisweilen  weiter  eine  Zerstörung  eintreten,  trotzdem,  dass  das  Secret  noch  eben 
so  reichlich,  noch  eben  so  gefärbt,  eben  so  dick-  oder  dünnflüssig  ist,  wie  zu  Anfang 
jener  Zerstörung,  und  trotzdem,  dass  das  Secret  aus  dieser  Periode  durch  Fbertragung 
auf  ein  gesundes  Auge  eine  ebenso  heftige  Blennorrhoe  hervorzurufen  vermag,  wie  das 
vom  Beginne  der  Verschwärung. 

Wir  können  demnach  die  Verschwärung  der  Cornea  nicht  als  Folge  der  ätzenden 
Eigenschaft  des  Secretes  betrachten;  sie  ist  vielmehr  durch  das  Übergreifen  der  Ent- 
zündung auf  der  Hornhaut  bedingt.  Offenbar  wird  jede  rapide  Zerstörung  der  Cornea, 
welche  die  Ophthalmoblennorrhoe  zu  den  traurigsten  Augenübeln  stempelt,  durch  ge- 
hemmten Rücklluss  des  Blutes  von  derselben  verursacht.  Die  Cornea  erhält  einen 
grossen ,  wenn  nicht  den  grössten  Theil  ihres  Blutes  aus  jenen  Zweigen  der  vordem 
Ciliararlerien ,  welche  durch  und  unter  dem  Limbus  conjunctivae  corneae  verlaufen- 
Hält  man  sich  die  anatomischen  Verhältnisse  gegenwärtig,  und  bedenkt  man,  wie  gross 
der  Druck  sein  muss,  den  nicht  nur  die  Lider,  namentlich  das  unlere  (welches  ge- 
wöhnlich  von  dem  obern  bedeckt  wird),  sondern  insbesondere  der  Bindehautwall  (die 
bis    zur   innersten  Grenzt    des  Limbus    conjunctivae  infiltrirte  Conjunctiva  bulbi)    auf  die 


Blennorrhoe  —  Verlauf  —  Ausgänge.  37 

Tunica  vaginalis  bulbi  (die  darin  und  darunter  verlaufenden  Ciliargefässe)  ausüben,  so 
müsste  man  sich  sogar  wundern,  wenn  unter  solchen  Umständen  in  der  Cornea  sich 
keine  Stasis  entwickeln  sollte.  Wir  können  demnach  den  Vergleich  dieser  Art  von 
Hornhautzerstörung  mit  dem  brandigen  Absterben  anderer  Organe  nur  für  einen  tref- 
fenden, bezeichnenden  erklären.  Die  untere  Partie  der  Cornea  wird  häufiger  von  dieser 
Yerschwärung  ergriffen;  die  ihr  entsprechenden  Gefässe  haben  aber  auch  häufiger  einen 
grösseren  Druck  zu  erleiden,  als  die  am  übrigen  'Umfange  der  Cornea  befindlichen.  Mit 
dein  Durchbruche  der  Cornea  und  dem  Ausflüsse  des  Humor  aqueus  kann  die  Span- 
nung bedeutend  gemindert  oder  ganz  behoben,  die  Circulation  in  der  Cornea  bedeu- 
tend freier  werden,  mithin  die  Entzündung  und  Verschwärung  der  Cornea  auf  eine 
kleine  Partie  beschränkt  werden,  Hierauf  können  natürlich  noch  andere  Umstände 
Einfluss  nehmen,  wie  wir  bei  der  Lehre  von  den  Hornhautgeschwüren  sehen  werden. 
Ich  habe  zwar  die  von  mehreren  Praktikern  vorgeschlagene  Punction  der  Cornea  hier 
noch  nicht  geübt;  sie  dürfte  aber,  zu  rechter  Zeit  vorgenommen,  von  grossem  Nutzen 
sein.  Aus  diesem  Grunde  erweisen  sich  auch  —  meines  Erachtens  —  Excisionen  aus 
dem  Bindehautwalle  so  nützlich,  wenn  sie  nur  zu  rechter  Zeit  und  gehörig  vorgenom- 
men werden. 

Hiemit  soll  keineswegs  gesagt  sein,  die  Cornea  werde  einzig  und  allein  nur  auf 
diese  Weise  gefährdet.  In  minder  acut  verlaufenden  Fällen  sieht  man  nicht  selten 
Hornhautgeschwüre  noch  auf  ganz  andere  Art  entstehen,  entweder  halbmondförmig 
längs  des  Randes,  innerhalb  des  Limbus  conjunctivae,  oder  rundlich  und  gleichfalls 
mehr  im  peripherischen  Theile.  Diese  entstehen,  indem  an  irgend  einer  hirse-  bis 
liasengrossen  Stelle  die  Cornea  trüb,  graulich-gelb  und  undurchsichtig,  sofort  erweicht 
und  in  Eiter  verwandelt  wird.  Die  auf  diese  Weise  entstandenen  Geschwüre  nehmen 
keinen  so  zerstörenden  Charakter  an ,  greifen  namentlich  nicht  so  weit  und  so 
rasch  in  die  Breite,  eher  noch  in  die  Tiefe,  und  führen  demnach  wohl  oft  zu  Horn- 
hautnarben, seltener  zu  Irisvorfällen,  und  noch  seltener  zu  wesentlicher  Beeinträchtigung 
des  Sehvermögens. 

Eben  so  soll  mit  obigem  Nachweise  keineswegs  gerathen  sein,  die  fleissige  Rei- 
nigung der  Augen  von  dem  blennorrhoischen  Secrete  zu  vernachlässigen ,  so  wenig 
man  rathen  könnte,  irgend  eine  andere,  dem  Auge  fremde  Substanz  zwischen  den 
Lidern  zurückzulassen.  Aber  ich  sorge  für  die  Abspülung  dieses  Secretes,  nicht  weil 
ich  diess  für  hinreichend  halte,  der  Zerstörung  der  Hornhaut  vorzubeugen,  sondern  weil 
ich  ein  blennorrhoisches  Auge  auch  vor  grellem  Lichte,  Rauch,  Staub,  unreiner  Luft  und 
dgl.  zu  schützen  Ursache  habe. 

Diese  Horiihautgeschwüre  haben  das  Eigenthümliche,  dass  nie  eine 
Eiiersenkang  zwischen  den  Faserschichlen  der  Cornea,  ein  Unguis,  dabei 
auftritt.     (Vergl.  Krankheiten   der  Cornea.) 

Hingegen  gesellt  sich,  wenn  die  Verschwärung  bis  auf  die  tiefern 
Schichten  gedrungen,  nicht  selten  Iritis  dazu,  gleichviel,  ob  bereits 
Durchbruch  erfolgt  ist,  oder  nicht.*) 

-)  Der  Grund  hievon  liegt  vielleicht  darin,   dass  die  tieferen,   nächst  der  Descemefschen  Haut  liegenden  Gelassenen 
der  Cornea   von  jenen   Zweigchen   der  vordem   Ciliararterien   kommen,   welche   dureh   die  Sclera  zur  Iris  treten. 


38  Bindehaut. 

Diese  kündigt  sich  durch  das  Auftauchen  heftiger  Schmerzen  nach 
dem  Verlaufe  der  sensitiven  Zweige  des  N.  trigeminus,  stärkere  Licht- 
scheue und  reichlicheren  Thränenfluss  an.  Wird  ein  grosser  oder  der 
grösste  Theil  der  Hornhaut  erhalten  und  mit  der  Zeit  wieder  durchsich- 
tig, so  findet  man  die  Pupille  verengert  und  mehr  oder  weniger  voll- 
ständig durch  Exsudat  verdeckt,  wenn  nicht  etwa  der  ganze  Pupillarrand 
in  die.  Hornhautnarhe  hineingezogen  erscheint 

Die  übrigen  Gebilde  des  Bulbus  nehmen  selbst  bei  der  heftigsten 
Bindehautblennorrhöe    nicht  an  der  Entzündung  Theil. 

Hornhautgeschwüre  können  endlich  im  Verlaufe  der  Blennorrhoe, 
und  zwar  nicht  bloss  im  3.,  sondern  auch  beim  2.  Grade  entstehen  durch 
partiellen  Verlust  des  Epitheliums  und  consecutive  Zerstörung  (Erwei- 
chung?) der  Hornhautfasern;  es  sind  diess  die  sogenannten  Resorptions- 
geschwüre. Sie  zeigen  weder  einen  grauen  Grund,  noch  eitrig  infiltrirte 
Rander,  können  daher  der  Beobachtung  leicht  entgehen,  wenn  man  das 
Auye  nicht  spiegeln  lässt.  Sie  sind  in  der  Rege!  klein,  i/q — 1  Linie  im 
Durchmesser,  und  führen  äusserst  selten  zur  Durchbohrung  der  Hornhaut. 

Die  weitern  Veränderungen  und  Folgen  der  Hornhaulgeschwüre 
werden  füglich  erst  bei  der  Lehre  von  den  Krankheiten  der  Hornhaut 
besprochen  werden  können,  da  sie  dieselben  sein  können,  wie  nach  an- 
derweitig entstandenen  Hornhautge.schwüren. 

So  wie  die  Blennorrhoe  gradatim  bis  zur  grössten  Höhe  steigt,  so 
erfolgt  auch  die  Rückbildung  in  Abstufungen,  die  Hornhaut  mag  nun  be- 
schädigt worden  sein,  oder  nicht.  Blieb  diese  unversehrt,  so  kann  auch 
eine  sehr  heftige  Form  in  4  Wochen  ganz  beendigt  sein,  da  die  Blen- 
norrhoe 3.  Grades  lange  nicht  die  Neigung  zum  Übergange  in  die  chro- 
nische Form,  zur  Wucherung  des  Papillarkörpers  zeigt,  wie  insbesondere 
die  des  2.  Grades.  Relativ  seilen  findet  man  an  Augen,  welche  solche 
Veränderungen  der  Hornhaut  darbieten,  wie  sie  nur  in  Folge  des  3. 
Grades  vorkommen  können,  jene  Nachkrankheiten,  welche  wir  beim  2. 
Grade  beschrieben  haben.  Doch  ist  die  Behauptung,  dass  die  eigentlichen 
Bleunorrhöen,  z.  B.  die  durch  Übertragung  mit  Tripperschleim  entstan- 
denen, keine  sogenannten  Granulationen  hinterlassen,  ganz  gewiss  irrig. 
Ich  habe  in  constatirten  Fällen  dieser  Art  nicht  nur  Hypertrophie  des 
Papillarkörpers,  sondern  auch  sogenannte  graue  Granulationen  selbst  im 
Übergangslheile   beobachtet. 

Häufiger  hingegen  kommen  hier  einige  andere  vor,  welche  nur  als 
Folgen  des  3.  Grades  beobachtet  werden,  a)  Wucherung  der  Scleral- 
bindehaut,    derart,  dass  diese  in  Form  schlaffer,    fleischrother  Wülste  die 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursache«.  39 

Cornea  zum  Theil  oder  gänzlich  verdeckt,  und  die  Lider  aus  einander 
drängt,  oder  umstülpt  (als  exophthalmia  fungosa  beschrieben).  Es  ist 
vorgekommen,  dass  man  solche  Fälle  mit  Carcinoma  bulbi  verwechselte, 
und  die  Ausrottung  des  ganz  gesunden  Augapfels  vornahm,  weil  man 
unterlassen  hatte,  sich  mittelst  einer  Sonde  von  dem  Zustande  der  Cornea 
zu  überzeugen,  b)  Wucherung  der  Bindehaut  in  Form  eines  Flüge/feiles. 
(Siehe  die  Abhandlung  über  dieses.)  c)  Wucherung  der  halbmondför- 
migen Falte  oder  lappenarlige   Verlängerung  der  Übergangsfalte. 

Manche  Auetoren  führen  unter  den  Nachkrankheiten  der  acuten 
Bindehautbleunorrhöe  3.  Grades  noch  vermehrte  Ansammlung  des  Humor 
aqueus  (Hydrops  camerae)  und  Verflüssigung  und  Vermehrung  des  Glas- 
körpers (Hydrops  corporis  vitrei,  hydrops  oculi  posterior)  oder  beides 
zugleich  (Hyilrophtbalmus  mixtus ,  Buphthalmus),  so  wie  andererseits 
Schwund  des  Augapfels  ohne  vorausgegangene  Verschwärung  der  Cornea 
(Alrophia  bulbi)  an;  aus  eigener  Beobachtung  kenne  ich  diese  Zustände 
als  unmittelbare  Folgen  der  Bindehautblennorrhöe  nicht. 

Vorkomme!!  und  Ursachen.  Die  Bindehautblennorrhöe  kommt 
am  häufigsten  vor  bei  Neugeborenen  und  bei  Erwachsenen  des  Jünglings- 
und Mannesalters,  besonders  bei  Soldaten  und  Findelhaus ammen.  Der 
Grund  hievon  liegt  nicht  in  einer  besondern  Disposition,  sondern  in  den 
Verhältnissen,  unter  den'  n  diese  Individuen  leben,  wie  wir  weiter  unten 
sehen  werden. 

Die  Blennorrhoe ,  als  eine  durch  äussere  Einflüsse  hervorgerufene 
Krankheit,  verschont,  wo  diese  einwirken ;  kein  Alter,  kein  Geschlecht, 
keine  Constitution  u.  s.  w.  Sie  wird  nur  selten  —  siehe  weiter  unten  — 
als  Ausdruck  eines  Allgemeinleidens  zu  betrachten  sein,  und  nur  insofern 
könnte  man  von  einer  gewissen  Disposition  dazu  sprechen,  als  uns  die 
Erfahrung  zeigt,  dass  äussere  Einflüsse  bei  gewissen  Individualitäten  zur 
Blennorrhoe  führen,  die  bei  andern  nur  Katarrh  erregen.  Einen  solchen 
Einfluss  der  Individualität  sehen  wir  zwar  bei  Neugeborenen,  bei  scro- 
fulösen  Kindern,  bei  schlecht  genährten,  durch  langwierige  Schleimflüsse 
und  profuse  Eiterungen  herabgekommenen  Individuen,  bei  alten  Leuten 
mit  Erschlaffung  der  Haut  und  der  Schleimhäute  sich  geltend  machen: 
wir  sind  jedoch  nicht  im  Stande,  die  besondern  Merkmale  solcher  Indi- 
vidualitäten,  das    Eigentümliche  dieser  Disposition,  näher  zu   bezeichnen. 

Die  Blennorrhoe  erscheint  theils  sporadisch,  bei  einzelnen  Indivi- 
duen und  zu  unbestimmten  Zeiten,  theils  massenweise,  zu  gewissen  Zeiten 
häufiger,  besonders  aber  in  geschlossenen  Körperschaften  in  rascher  Auf- 


40  Bindehaut. 

einanderfolge.  —    Den    näheren  Erörterungen  hierüber    müssen    wir   eine 
genauere  Betrachtung  des   blennorrhoischen  Secreles  vorausschicken. 

Das  Secret  einer  blennorrhoischen  Bindehaut  ist  in  Bezug  auf  seine 
Menge  und  sonstigen  Eigenschaften  nicht  immer  eines  und  dasselbe.  Bei 
den  Fällen  der  i.  Reihe  ist  es  nur  relativ  kurze  Zeit  nach  dem  Beginn 
wasserklar  mit  consistenteren,  gelblich  grauen  Flocken;  so  wie  die  übri- 
gen Erscheinungen  heftiger  werden,  erscheint  das  Secret  durchaus  trüb, 
graulich-gelblich,  rötblich,  dünn,  mit  consistenteren  Flocken,  molken- 
fleischwasser-ähnlieh  oder  gleichmässig  dicker,  rahmähnlich,  grünlich  gelb. 
Letztere  Eigenschaft  zeigt  es  in  der  Regel  dann,  wenn  auch  die  übrigen 
Erscheinungen  für  den  höchsten  Grad  der  Entzündung  sprechen.  Doch 
finden  in  dieser  Beziehung  sehr  viele  Ausnahmen  statt,  und  es  wäre 
durchaus  gefehlt,  die  Consistenz  und  überhaupt  das  Aussehen  des  Se- 
cretes  allein  als  Massstab  für  die  Heftigkeit  der  Entzündung  aufzustellen. 
Bei  Neugeborenen  ist  das  Secret  im  Allgemeinen  reichlicher  und  consi- 
stenter,  als  bei  Erwachsenen;  es  quillt  da,  auch  wenn  der  Bulbus  nicht 
ergriffen  und  die  Geschwulst  der  Lider  nicht  gerade  sehr  gross  ist,  sehr 
oft  als  eine  dicke,  eiterähnliche  Masse  hervor,  sobald  man  die  Lidspalte 
öffnet,  und  kann  wegen  seiner  Consistenz  gewöhnlich  nur  durch  Auf- 
träufeln oder  Einspritzen  lauen  Wassers  vollständig  entfernt  werden. 
Auch  bei  Erwachsenen  steht  seine  Menge  und  Consistenz  nicht  immer 
in   geradem  Verhältnisse  zur  Heftigkeit   und  Gefährlichkeit    der   Krankheit. 

So  wie  die  übrigen  Krankheitserscheinungen  ihren  höchsten  Grad 
erreicht  haben,  ist  in  jedem  einzelnen  Falle  auch  das  Secret  am  reich- 
lichsten und  dicksten:  von  da  an  bleibt  es  mehrere  Tage  unverändert, 
wenn  auch  die  übrigen  Zufälle,  namentlich  die  subjectiven,  und  die  Ge- 
schwulst der  Lider  schon  bedeutend  nachgelassen  haben.  Sodann  wird 
es  wieder  sparsamer  und  dünner,  wie  gewöhnlich  bei  Blennorhöen  des 
2.  Grades,  endlich  scheidet  es  sich  wieder  in  einen  wasserklaren  Theil 
und  mehr  weniger  dicke  Flocken. 

So  lange  das  Secret  trüb  ist,  zeigt  es  stets  eine  Menge  von  Eiter- 
kugeln   und    Eiterkörperchen  *) ;    rothes    Lakmuspapier   färbt  es    schneller 

")  „Die  nähere  Untersuchung  des  Entzündungsproductes  stellt  dasselbe  in  die  Classc  der  croupösen  Exsudate  als 
blassgelbes  oder  weissgraues,  opakes,  auf  der  Oberfläche  der  Bindehaut  erstarrendes  Product,  welches  in  Eiter 
zerfällt,  und  dadurch  die  Gewebe  in  einen  Schmelzungsprocess  zu  versetzen  (?)  im  Stande  ist.  Mikroskopische 
Untersuchung:  bei  dem  zu  einer'  Membran  erstarrten,  der  Bindehaut  fest  anklebenden  Exsudate,  auf  welches 
kein  Wasser  eingewirkt  halle  —  geronnener  Faserstoff  als  Stroma,  in  welchem  die  Eiterzellen  sitzen;  bei  der  Exsu- 
dalschichte,  welche  nach  der  Einwirkung  der  Douehe  abgezogen  wurde  -  Faserstroma,  Kernzellen  mit  1  —  3 
Kernen,  nackte  grosse  Kerne  und  Epithelialzellen;  nach  der  Einwirkung  einer  Hüllensleinlösung  von  2  Gran  auf 
1  Unze  —  eine  verschieden  gefaltete,  aus  Faserstoff  und  Exsudalkcruen  bestellende  iUcmbram  :  bei  dem   zerflossenen 


Blennorrhoe  — Vorkommen  —  Ursachen  —  Secret  —  Impfung.     41 

und  stärker  blau,  als  das  wasserklare  Secret.  Auf  die  Cutis  gebracht, 
bringt  es  gar  keine  Veränderung  hervor.  Auf  eine  gesunde  Bindehaut 
übertrafen,  bewirkt  es  zwar  anfangs  keine  Veränderung,  aber  nach  Ver- 
lauf von  Yjj  bis  4  Tagen  dieselben  krankhaften  Erscheinungen,  welche 
das  Auge  darbot,  von  dem  der  Impfsloff  genommen  wurde.  Das  blen- 
norrhoische  Secret  ist  also  ansteckend,  und  zwar  durch  unmittelbare 
Übertragung,  durch   Betastung. 

Diesen  Satz ,  der  sich  im  Allgemeinen  schon  aus  einer  Menge  von  Beobachtun- 
gen ergeben  hatte,  hat  Piringer  durch  eine  Reihe  von  sinnreichen  Versuchen  zur  Evi- 
denz nachgewiesen.  Nach  ihm  bewirkt  das  rein  seröse,  wasserklare  Secret  von  Blen- 
norrhoe des  1.  Grades,  so  wie  die  wasserklare  Flüssigkeit  chronisch  gewordener  Blen- 
norrhöen  gar  keine  Ansteckung.  —  Das  molkige  oder  fleischwasserähnliche  Secret  des 
1.,  so  wie  auch  des  schwach  ausgebildeten  2.  Grades,  welches  nur  wenig-  Spuren  eines 
wahren  Schleimes  (wenig  Eiterkugeln)  zeigt,  bewirkt  nur  eine  Blennorrhoe  des  1.  Gra- 
des, und  diese  bleibt  in  der  Regel  bei  diesem  Grade  stehen,  wenn  sie  nicht  durch 
äussere  Einflüsse  gesteigert  wird.  Dasselbe  gilt  von  dem  dünnen  Secrete  chronischer  Blen- 
norrhöen.  —  Hingegen  bewirkt  das  schleimige  Secret  einer  Blennorrhoe  des  2.  Grades 
so  gut  stets  eine  Blennorrhoe,  die  zum  3.  Grade  steigt,  wie  das  dicke,  eiterähnliche  Se- 
cret des  2.  oder  3.  Grades.  Eine  solche  Blennorrhoe  verläuft  immer  sehr  acut,  erreicht 
den  2.  oder  den  3.  Grad  sehr  schnell.  * 

Die  Änsteckungskrrift  kann  gemindert,  selbst  auf  gehohen  werden  durch  starke  Ver- 
dünnung mit  Wasser,  durch  Verstockung  und  lange  Aufbewahrung.  —  Der  Schleim  einer 
acuten  Blennorrhoe  3.  Grades  verliert  seine  Kraft  selbst  durch  50 — lOOmalige  Verdünnung 
nicht.  —  Ein  Leinwandläppchen,  mit  Schleim  besudelt,  und  an  der  Luft  getrocknet,  kann 
ohne  Anstand  von  nicht  blennorrhoischen  Augenkranken  zum  Abwischen  der  Augen  ver- 
wendet werden,  wenn  der  getrocknete  Schleim  bereits  über  36  Stunden  alt  ist.  So  wie 
Impfstoff  aufbewahrt,  steckt  er  nach  60  Stunden  noch  an,  nach  längerer  Zeit  nicht  mehr. 
—  Hieraus  ergibt  sich,  wie  und  wann  Waschweiber  durch  die  Wäsche,  Leute  durch  den 
gemeinsamen  Gebrauch  von  Schwämmen,  Waschschüsseln  und  Handtüchern  angesteckt 
werden  können,  und  warum  bei  der  Unreinlichkeit  der  ärmeren  Leute  und  bei  der  gros- 
sen Zahl  von  Tripperkranken  —  das  blennorrhoische  Secret  der  Genitalien  verhält  sich 
auf  gleiche  Weise  —  dennoch  die  Blennorrhoe  des  Auges  nicht  noch  häufiger  vorkommt, 
als  dies  der  Fall  ist.  Hieraus  ergibt  sich  auch  die  Nutzlosigkeit  mancher  Massregeln, 
Avelche  man  behufs  der  Verhütung  der  Weiterverbreitung  des  Übels  vorgeschlagen  und 
wirklich  ausgeführt  hat,  das  Verbrennen  der  Kleider,  Aufreissen  des  Fussbodens,  Aus- 
weissen der  Zimmer  u.  dgl. 

Je  höher  der  Grad  der  den  Impfstoff  liefernden  Blennorrhoe  ist,  je  acuter  sie 
verläuft,  desto  schneller  folgt  auf  die  Impfung  der  Ausbruch .  der  Blennorrhoe,  von 
Blennorrhoe  des  3.  Grades  schon  in  6 — 12  Stunden,  von  Blennorrhöhe  des  2.  Grades  in 
12- — 24.  längstens  36  Stunden.  Das  frische  molkige  Secret  einer  Blennorrhoe  des  1. 
Grades    wirkt    meistens    erst  nach  60  —  70  Stunden,    das    frische  schleimige  Secret  einer 

Exsudate  —  Eiterzellen;  in  dem  1 — 2  Minuten  alten  Exsudate  findet  man  rängliche,  spindelförmige  Kerne,  welche 
sogar  in  einigen  Fällen  zu  sehr  kurzen,  dünnen,  scharf  conlourirlen  Fasern  ausgezogen  erscheinen."  Dr.  Bednar 
über  Jie  Bknnurrh  uta  neonaturum  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Wiener  Ärzte,  5.  Jahrg.  2.  Heil,  S.  138. 


42  BSiidehaut. 

chronischen  Blennorrhoe  in  72  —  96  Stunden.  Schneller  wirkt  übrigens  das  Secret  aus 
dem  Stadium  der  Zunahme,  des  Steigens  der  Blennorrhoe,  langsamer  das  von  einer 
bereits  in  der  Abnahme  oder  Bückbildung  begriffenen.  Später  erfolgt  der  Ausbruch, 
wenn  das  Secret  einige  Zeit  der  Luft  ausgesetzt,  noch  später,  wenn  es  bereits  einge- 
trocknet war. 

Bei  reizbaren  Individuen  erfolgt  der  Ausbruch  früher.  Ganz  gesunde  oder  bloss 
katarrhalisch  erkrankte  Bindehäute  erkranken  viel  schneller,  leichter,  und  zum  Theil 
auch  viel  heftiger,  als  solche,  welche  durch  chronische  Entzündung  bereits  organische 
Veränderungen  erlitten  haben.  —  Gesteigert  wird  die  Empfänglichkeit  der  Augen  für 
das  Contagium  durch  den  Aufenthalt  in  gesperrter,  unreiner,  mit  animalischen  Dünsten 
geschwängerter  Luft. 

So  gut  als  ein  Handtuch,  das  Waschwasser  u.  dgl.  kann  auch  die 
Luft  zum  Träger  des  Confagiums  werden-  Das  blennorrhoische  Secret 
imprägnirt  die  Luft  durch  Verdunstung,  durch  Suspension  feiner  Parti- 
kelclien  desselben  in  der  Luft.  So  wie  aber  starke  Verdünnung  dieses 
Secretes  mit  Wasser  hinreicht,  die  Ansteckungskraft  desselben  zu  mildern 
oder  ganz  aufzuheben,  so  ivirkt  auch  nur  eine  stark  imprägnirle  Luft 
ansteckend,  und  eine  minder  imprägnirte  Luft  nur  dann,  wenn  sie  bereits 
katarrhalisch  afßcirte  Augen  trifft  oder  auf  gesunde  Augen  längere  Zeit 
einwirkt.  —  Die  Ansteckung  durch  die  Luft,  welche  durch  eine  Menge 
Beobachtungen  nicht  nur  wahrscheinlich  gemacht,  sondern  bestimmt  nach- 
gewiesen ist,  geschieht  also  hier  keineswegs  so,  wie  bei  jenen  Krank- 
heiten, welche  ein  sogenanntes  flüchtiges  Contagium  entwickeln,  wie  die 
Blattern,  die  Masern,  der  Scharlach,  der  Typhus  u  dgl.  Die  Festhaltung 
dieses  Unterschiedes  ist  natürlich  von  grössler  Wichtigkeit  in  Bezug  auf 
die  Prophylaxis,  in  Bezug  auf  medicinisch-poüzeiliche  Massregeln. 

Soll  die  Luft  hinreichend  imprägnirt  werden,  so  ist  nothwendig, 
dass  in  einem  relativ  engen  Räume  viele  an  Bindehautblennorrhöe  Er- 
krankte sich  befinden,  dass  die  Luft  wenig  erneuert  wird,  und  dass  die 
Temperatur  derselben  einen  gewissen  Grad  von  Höhe  erreicht.  Feuch- 
tigkeit der  Luft  begünstigt  diese  Weiterverbreitung  wesentlich,  und  es 
dürfte  nach  den  Thatsachen,  die  zu  diesem  Postulate  drängen,  nicht  mehr 
als  Hypothese  zu  betrachten  sein,  wenn  die  Wasserdünste,  die  feinen 
Bläschen,  welche  bekanntlich  unsere  Atmosphäre  durchtränken,  für  die 
Träger  des  Contagiums  durch  die  Luft  erklärt  werden. 

Gegen  die  Annahme  eines  flüchtigen  Contagiums  (im  gewöhnlichen  und  eigentli- 
chen Sinne  des  Wortes)  hat  bereits  Piringer  schlagende  Beweise  angeführt.  ,«)  In 
Spitälern  wurde  von  einem  hochgradig  blennorrhoischen,  und  daher  im  Bette  liegenden 
Kranken  noch  nie  ein  anderer  Kranker  angesteckt ;  wenn  ja  einmal  ein  Kranker  neben 
einem  Blennorrhoischen  diese  Krankheit  bekam,  so  Hess  sich  wenigstens  die  NichtÜber- 
tragung   niemals    nachweisen,    war    im    Gegentheil    die    Übertragung     nachweisbar    oder 


Blennorrhoe — Vorkommen  —Ursachen — Contag.  in  distans.        43 

doch  sehr  wahrscheinlich.  So  im  Spital  zu  Gratz,  wo  Piringer  zur  Zeit  der  Epidemie 
1838  unter  17  Aügenkranken  stets  8 — 11  meistens  hochgradige  Blennorrhöen  liegen 
hatte;  so  im  Jahre  1841  und  1848  zu  Prag,  wo  auf  der  Klinik  und  Abtheilung 
für  Augenkranke  ein  ähnliches  Verhältniss  stattfand,  als  das  Findelhaus  eine  Menge 
Ammen  mit  acuter  Bindehautblennorrhöe  in  die  Anstalt  lieferte.  —  Im  Jahre  1842  ent- 
stand bei  einem  Kranken,  dem  der  Assistent  Dr.  Seikora  ein  Flügelfell  abgetragen 
hatte.  3  Tage  nach  der  Operation  eine  acute  Bindehautblennorrhöe.  Durch  3  Betten 
getrennt  von  diesem  lag  ein  Kranker  mit  acuter  Bindehautblennorrhöe.  Es  entstand 
eine  kleine  Debatte  zwischen  uns,  welche  damit  endete,  dass  ich  nachwies,  die  Wär- 
terin habe  —  aus  Bequemlichkeit  denselben  hölzern  Napf,  der  für  den  Blennor- 
rhoischen  zu  den  Eisumschlägen  verwendet  worden  war,  nachher  für  den  Operirten 
gebraucht.  b)  Piringer  fand,  dass  ein  zum  Einstreichen  von  Laudanum  in  ein  blen- 
norrhoisch.es  Auge  gebrauchter  Pinsel  die  Krankheit  nicht  überpflanzte ,  wenn  er  nur 
einlach  mit  Löschpapier  abgewischt  wurde,  während  er  häufig  Ansteckung  bewirkte, 
wenn  man  diese  Abstreifung  des  Schleimes  unterlassen  hatte.  —  c)  Es  ist  auffallend, 
dass  in  Spitälern  und  Findelhäusern  Arzte  und  Wärterinnen  frei  bleiben,  wenn  nicht 
unmittelbare  Übertragung  oder  sehr  langes  Verweilen  in  den  überfüllten  Zimmern  statt 
findet.  Eben  so  bleiben  bekanntlich  unter  dem  Militär  die  Officiere,  Ärzte  und  Kran- 
kenwärter frei,  ausser  sie  stecken  sich  durch  nachweisbare  Unvorsichtigkeit  oder  über- 
mässig langes  Verweilen  in  inficirter  Luft  an.  —  d)  Die  Krankheit  wird  nie  durch 
Gesunde  in  fremde  Y\  ohnungen  verschleppt,  was  bei  den  flüchtig-contagiösen  Krank- 
heiten nachgewiesen  ist.  —  e)  Bloss  an  die  Haut,  selbst  an  die  Lider  (und  das  reich- 
lich) gebracht,  bewirkt  auch  das  eiterähnliche  Secret  keine  Ansteckung,  was  bei  nur 
einiger  Flüchtigkeit  des  Contagiums  der  Fall  sein  müsste.  —  f)  Endlich  verlaufen  alle 
Krankheiten ,  welche  ein  wichtiges  Corttagiunj  erzeugen,  stets  mit  heftigem  Fieber, 
welches  der  Entwicklung  der  charakteristischen  Zufälle  vorausgeht.  Die  Blennorrhoe 
erregt  erst  nachträglich  und  nur  dann  Fieber,  wenn  sie  sehr  heftig  und  das  Individuum 
sehr  reizbar  ist.  Was  man  zur  Vertheidigung  der  Lehre  von  einem  flüchtigen  Conta- 
gium  dieser  Krankheit  angeführt  hat,  ist  theils  unwahr,  z.  B.  dass  man  beim  Eintritt 
zu  solchen  Kranken  ein  eigenthi'unliches  Jucken  in  den  Augen  verspüre,  theils  feilsch 
gedeutet,  wie  z.  B.  dass  die  Blennorrhöen  sich  verschlimmern,  wenn  mehrere  solche 
Kranke  in  ein  Zimmer  gelegt  werden,  oder  dass  auch  andere  Bindehautkrankheiten 
bei  längerem  Verweilen  unter  Biennorrhoischen  gern  den  blennorrhoischen  Charakter 
annehmen. 

In  Bezug  auf  die  materielle  Übertragung  verhält  sich  das  blennor- 
rhoische  Secret  von  den  Genitalien  ganz  so,  wie  das  einer  blennorrhoi- 
schen Bindehaut.  Tripperschleim  auf  die  Bindehaut  gebracht,  ruft  ganz 
dieselben  Erscheinungen  hervor.  Diess  ist  durch  directe  Versuche,  na- 
mentlich von  Piringer,  nachgewiesen  worden,  abgesehen  von  zahlreichen 
(zufälligen)  Beobachtungen. 

Die  acute  Bindehautblennorrhöe  kommt  (abgesehen  von  Neugebore- 
nen und  -\om  sogenannten  epidemischen  Auftreten  —  wovon  später  — ) 
beinahe  nur  bei  Leuten  vor,  welche  bereits  mannbar  sind;  bei  Leuten, 
die  über  50  Jahre  alt  sind,  ist  die    sporadische  Blennorrhoe    eine  Selten- 


44  Bindehaut. 

heit.  Es  konnte  ferner  selbst  dem  oberflächlichsten  Beobachter  kaum 
entgehen,  dass  diese  Art  blennorhoisch  Erkrankter  fast  durchgehends  an 
Blennorrhoe  der  Genitalien  eben  gelitten  haben  oder  noch  litten.  Diese 
Thatsachen  waren  so  auffallend,  dass  sie  die  Arzte  auf  einen  ursäch- 
lichen Zusammenhang  dieser  Umstände  aufmerksam  machen  mussten. 
Aber  nur  wenige  gingen  auf  den  Gegenstand  tiefer  ein,  und  viele  be- 
gnügten sich  gar  bald  mit  der  Annahme  eines  Consensus  zwischen  der 
Schleimhaut  der  Genitalien  und  der  Bindehaut.  Andere  machten  sich  die 
Erklärung  dadurch  leicht,  dass  sie,  eben  so  willkürlich,  von  einer  Über- 
tragung des  Tripperstoffes  mittelst  des  Blutes,  von  sogenannter  Metastasis 
sprachen.  Hingegen  gingen  auch  manche  von  jenen,  welche  in  der  ma- 
teriellen Übertragung,  in  der  Verunreinigung  der  Augen  mit  dem  Secrete 
der  Genitalien  das  richtige  Verhältniss  beider  Affectionen  zu  einander 
erkannt  hatten,  in  so  fern  zu  weit,  als  sie  jede  Bindehautblennorrhöe, 
welche  sie  kurz  nach  oder  während  eines  Trippers  beobachteten,  schon 
ohne  weiteres  in  ursächlichen  Zusammenhang  mit  diesem  brachten,  nicht 
bedenkend,  dass  ja  Tripperkranke  so  gut  wie  Nichttripp er kranke  durch 
andere  äussere  Einflüsse  eine  Bindehautblennorrhöe  bekommen  können, 
weil  man  sonst  annehmen  müsste,  dass  der  Genita lienschleimfluss  vor  dem 
Bindehautschleimflusse  schütze. 

Unter  mehr  als  200  Fällen  von  acuter  Bindehautblennorrhöe  (bei 
Erwachsenen,  jedoch  ohne  Einschluss  des  Militärs,  *)  worunter  30  spo- 
radische, konnte  ich  keinen  für  consensuell  oder  metastatisch  erklären 
Die  Beweise,  welche  die  Aucloren  für  dieses  ursächliche  Verhältniss  an- 
führen, sind  durchaus  nicht  genügend. 

Feldmann  (Walther  und  Ammons  Journal  für  Chirurgie  und  Augenheilkunde. 
N.  F.  3.  J.)  beruft  sich  gegen  Riccord  auf  die  Behauptung  Trousseau's,  dass  Individuen, 
bei  denen  Hautwunden  früher  sehr  leicht  heilten,  nachdem  sie  an  Wunden  gelitten, 
deren  Heilung  nothwendig  an  langwierige  Eiterung  gebunden  war,  hiedurch  eine  solche 
Vulnerabilität  der  Haut  erhalten,  dass  von  nun  an  selbst  kleinere  Verletzungen  nicht 
mehr  ohne  Eiterung  heilen.  Auf  analoge  Weise  könne  es  auch  geschehen ,  dass  in 
Folge  eines  Trippers  eine  solche  Umwandlung  des  Blutes  eintrete,  dass  wenn  durch 
irgend  eine  Ursache  ein  Augenkatarrh  hervorgerufen  wird,  dieser  sodann  als  Blen- 
norrhoe verläuft. 

Hecher  (Erfahrungen  im  Gebiete  der  Chirurgie  und  Augenheilkunde,  Erlangen 
1845)  nimmt  sowohl  die  metastatische  als  die  consensuelle  Form  an.  Beide  sollen  sich 
rücksichtlich  der  Heftigkeit  und  schnellen  Entwickelung  von  einander  wenig  unterschei- 
den. Er  meint,  wenn  bei  einem  Tripperkranken  z.  B.  durch  Verkältung  ein  Augen- 
katarrh   entstehe,    so  nehme    dieser  eine  eigenthümliche  speeifische   Richtung,    ohngefähr 

"J  Die  beim  Militär  beobachteten   Falle  weiden  .später  besonders  besprochen. 


Blennorrhoe —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Tripper.  45 

so,  wie  bei  einem  scrophulösen  Individuum  ein  gewöhnlicher  Augenkatarrh  auch  einen 
eigentümlichen  Charakter  annehme.  Eis  sei  durch  zahlreiche  Beobachtungen  erwiesen, 
dass  nicht  iu  allen  Fällen  von  Augentripper  unmittelbare  Übertragung  des  Secretes  von 
den  Genitalien  auf  die  Augen  statt  finde,  sondern  in  vielen  Fällen  müsse  diese  (con- 
sensuelle)  Entstehungsweise  angenommen  werden.  Immer  seien  hier  beide  Augen 
ergriffen,  einige  Subjecte  bekommen  erfahrungsgemäss  bei  jedem  Tripper  die  Augen- 
entzündung und  können  diess  selbst  mit  Sicherheit  voraussagen ,  und  nicht  selten  ent- 
stehe gleichzeitig  mit  der  Augenentzündung  eine  (gleichfalls  consensuelle)  Gelenksent- 
zündnng,  welche  beide  in  unverkennbarer  Wechselwirkung  stehen  und  bei  gehöriger 
Berücksichtigung  des  Harnröhrenleidens  schnell  und  sicher  gehoben  werden  können.  — 
Ich  gestehe,  dass  ich  den  Behauptungen  Hecker's  Glauben  schenken  würde,  wenn  er 
nicht  offenbar  Falsches  als  Thatsache  angeführt  hätte,  namentlich:  „durch  Besudlung 
des  Menschenauges  mit  Tripperschleim  entsteht  gewöhnlich  nur  eine  unbedeutende, 
mehr  auf  die  Schleimhaut  der  Lider  beschränkte  Entzündung."  Diese  von  Beer  und 
Walther  aufgestellte  Behauptung  ist  längst  durch  verlässliche  Beobachtungen  und,  was 
mehr  sagen  will,  durch  directe  Versuche  widerlegt.  Das  gleichzeitige  Auftreten  der 
Entzündung  an  beiden  Augen  nimmt  Hecker  ebenfalls  nicht  so  genau,  denn  er  sagt 
später :  „nicht  selten  wandert  der  Krankheitsprocess  von  einem  Auge  zu  dem  andern 
in   12—24  Stunden." 

In  derselben  Lage  sind  wir  zu  Walther  (System  der  Chirurgie,  1848,  3.  Band 
S.  190).  „Die  Übertragung  des  Trippersecretes  pflegt  nur  eine  geringe  schnell  vor- 
übergehende Entzündung  der  Conjunctiva  bulbi  (Taraxis)  zu  erzeugen;  der  Augentripper 
(jede  durch  Suppression,  Consensus  oder  Metastasis  erzeugte  Bindehautblennorrhöe) 
sei  sogleich  in  seinem  ersten  Entstehungsmomente  Ophthalmopyorrhöe ,  ohne  voraus- 
gegangenes blepharopyorrhoisches  Stadium."  Man  trete  unbefangen  zum  Krankenbette, 
oder,  wenn  das  nicht  genügend  erscheint,  man  impfe  mit  Tripperschleim  (in  pannöse 
oder  amaurotische  Augen),  und  man  wird  sehen,  was  man  von  solchen  Angaben  zu 
halten  hat.  3Ian  versuche  nur,  ob  man  im  Stande  sei,  aus  der  Blennorrhoe  eines  Neu- 
geborenen jederzeit  und  mit  Sicherheit  anzugeben,  ob  die  Mutter  an  einem  Scheiden- 
tripper (syphilitisch)  leide,  oder  nicht;  denn  das  müsste  man,  wenn  Walthers  Behaup- 
tung wahr  wäre,  offenbar  im  Stande  sein. 

Hingegen  sind  folgende  Thatsachen  wohl  zu  berücksichtigen  :  a)  Gar  oft  besteht 
noch  ein  leichter  Ausfluss  aus  den  Genitalien,  wo  man  denselben  schon  für  beendigt 
hält,  und  gerade  wenn  der  Ausfluss  nicht  mehr  reichlich  ist,  vernachlässigt  der  Kranke 
die  Reinigung  der  Finger  leichter  als  vordem,  b)  Man  beobachtet  den  Augentripper 
(nach  Piringer  u.  A.)  häufiger  bei  Männern,  eben  weil  hier  die  Reinigung  umständlicher 
ist.  und  weil  hier  öfter  Veranlassung  zur  Besudlung  der  Finger  gegeben  Avird.  Freu- 
denmädchen werden  viel  seltener  von  acuter  Bindehautblennorrhöe  ergriffen  als  mit 
der  Gefahr  eines  Scheidenschleimflusses  Unbekannte,  c)  Meistens  wird  zuerst  das 
rechte  Auge  ergriffen,  und,  wird  der  Kranke  vor  Übertragung  gewarnt,  so  bleibt  die 
Blennorrhoe  auf  ein  Auge  beschränkt,  was  bei  der  Annahme  von  Consensus  oder  Meta- 
stasis nicht  wohl  begreiflich   wäre. 

Man  würde  sehr  irren,  wenn  man  nur  bei  jenen,  die  selbst  an 
Blennorrhoe  der  Genitalien  leiden,  diese  als  Ursache  der  Augenblennorr- 
höe     ansehen    wollte.      Nicht    selten    geschieht   die  Übertragung-   von    den 


46  Bindehaut. 

Genitalien  des  einen  Individuums  auf  die  Augen  eines  zweiten  mittelst 
des  Waschwassers,  des  gemeinschaftlichen  Gebrauches  eines  Handtuches, 
desselben  Bettes  u.  dgl. 

Eine  Dienstmagd  wusch  sich  mit  dem  Wasser,  mit  welchem  blennorrhoische 
Augen  gereinigt  worden  waren.  (Piringer.)  Aminen  im  Findelhaus  thun  dieses  bisweilen 
absichtlich,  um  wegen  „böser  Augen"  aus  der  Anstalt  entlassen  zu  werden.  Diess  ge- 
standen mir  mehrere  nachträglich  ein.  —  Ein  Kanonier  kam  mit  einem  Tripper  in  seine 
Heimat ;  sein  Bruder  schlief  mit  ihm,  und  bekam  eine  Bindehautblennorrhöe,  dann  der 
2.  Bruder,  endlich  auch  die  Mutter.     (Piringer.) 

Eben  so  braucht  wohl  nicht  erst  hervorgehoben  zu  werden,  dass 
bei  Frauen  nicht  jede  Vaginalblennorrhöe  eine  Ansteckung  voraussetzt, 
dass  bei  manchen  kurz  vor  oder  nach  der  Periode  ein  schleimiger  Aus- 
fluss  besteht  u.  s.  w.  Durch  Verunreinigung  mit  diesem  Ausflusse  kann 
eine  Bindehautblennorrhöe  hervorgerufen  werden  —  wie  ich  in  zwei 
Fällen  bestimmt  erfahren  habe  —  ohne  dass  zur  Zeit,  wo  die  Augen- 
krankheit ausbricht,  2 — 4  Tage  später,  ein  Ausfluss  aus  den  Genitalien 
mehr  besteht,  ohne  dass  die  betreffende  Person  die  darauf  gestellte  Frage 
bejahet,  im  Gegentheile  sie  vielleicht  entschieden  zurückweist. 

Fälle  dieser  Art  müssen  wohl  jeden  Arzt  zur  grössten  Vor-  und 
Umsicht  bestimmen,  wenn  es  sich  um  Erforschung  der  Ursache  einer 
sporadischen  Bindehautblennorrhöe  handelt.  Zum  Glück  liegt  hier  rück- 
sichtlich der  Prognosis  und  Therapie  weniger  an  der  Constatirung  der 
Ursache,  die  man  gar  oft  nicht  erfährt,  als  an  den  örtlichen  Erschei- 
nungen, was  allerdings  nicht  der  Fall  sein  würde,  wenn  die  Lehre  von 
der  Metastasis  des  Trippers  wahr  wäre ;  denn  dann  hätte  man,  wie  auch 
ihre  Anhänger  rathen,  nichts  Eiligeres  zu  thun,  als  den  Genitalientripper 
wieder  in  Fluss  zu  bringen.  Dann  würde  man  aber  auch  meistens  sagen 
können :  Deliberante  Roma  —   Sagunthus  perit. 

Mitunter,  wenn  auch  selten,  kommen  Fälle  acuter  Blennorrhoe  vor, 
wo  man  durchaus  nicht  im  Stande  ist,  eine  Ansteckung  von  andern  Augen 
oder  von  den  Genitalien  nachzuweisen,  wo  nicht  der  mindeste  Anlass  zu 
einem  Verdachte  hierauf  vorhanden  ist,  im  Gegentheile,  wo  man  anneh- 
men muss,  dass  sich  die  Blennorrhoe  spontan  und  primär  entwickelt 
habe.  Dieselben  Umstände,  welche  die  katarrhalische  Bindehautentzündung 
erregen,  scheinen  auch  die  blennorrhoische  Entzündung  hervorrufen  zu 
können,  sobald  sie  heftiger  einwirken,  und  das  Individuum  hiezu  disponirt 
ist.  Zwischen  heftigem  Katarrh  und  gelinder  Blennorrhoe,  Blennorrhoe 
des  1.  Grades,  kann  ohnehin  erst  dann  streng  unterschieden  werden, 
wenn    das    Secret    trüb    geworden    ist,    oder    der    Papillarkörper    deutlich 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Atmosphäre.         47 

infiltrirt  erscheint.  Das  trübe  Aussehen  des  Secretes  fehlt  aber  auch 
wieder  zu  Ende  der  Blennorrhoe,  selbst  der  heftigsten.  Es  liegt  demnach 
nichts  Widersinniges  in  der  Behauptung,  dass  Katarrhe  durch  äussere 
Einflüsse  zu  Blennorrhöen  gesteigert  werden  können ,  dass  zwischen 
Katarrh  und  Blennorrhoe  unter  gewissen  Umständen  nur  ein  Gradunter- 
schied vorhanden  sei. 

Es  ist  Thatsache  der  Beobachtung,  dass  die  Bindehautblennorrhöen 
zu  gewissen  Zeiten  häufiger  vorkommen  und  gefährlicher  verlaufen,  und 
dass  man  weder  für  die  eine  noch  für  die  andere  Erscheinung  irgend 
einen  hinreichenden  Grund  auffinden  kann.  Man  sucht  diesen  in  atmo- 
sphärischen, jedoch  nicht  näher  gekannten  Veränderungen.  Mehr  als  alles 
andere,  mehr  weniger  Hypothetische  dürfte  der  hygrometrische  Zustand 
der  Atmosphäre  zu  beachten  sein.  Wenigstens  deuten  eine  Menge  Er- 
scheinungen darauf  hin,  dass  ein  grosser  Wassergehalt  der  Atmosphäre 
die  Weiterverbreitung  des  Übels  begünstigt. 

„In  Ägypten,  wenigstens  zu  Cairo,  herrscht  das  Leiden  immer  fort,  im  Juli  und 
August  häufiger,  aber  in  manchen  Jahren  nur  wenig  und  mehr  unter  der  ärmeren  Classe, 
in  manchen  Jahren  dagegen  so,  dass  arm  und  reich,  jung  und  alt  ergriffen  wird.  In 
solchen  Zeitperioden  bemerkt  man,  dass  die  meisten  Erkrankungen  an  jenen  Individuen 
vorkommen,  die  einen  geschlossenen  Verein  bilden,  zahlreich  beisammen  wohnen,  na- 
mentlich unter  Soldaten."  Piringer.  (S.  30.)  —  Derselbe  bemerkt  hierüber  ferner:  „In 
den  Wintermonaten  1838  kamen  zu  Graz  sowohl  unter  den  Erwachsenen,  als  unter 
den  Neugeborenen  fast  gar  keine  Blennorrhöen  vor,  obgleich  das  Findelhaus  sehr  mit 
Kindern  und  Ammen  angefüllt  war,  und  wegen  strenger  Kälte  nicht  so  gut  gelüftet 
werden  konnte.  Die  einzigen  wenigen  Blennorrhöen  zeigten  sich  nur  an  den  Kindern 
blennorrhoischer  Mütter.  Kaum  trat  im  März  Thauwetter,  unstäte  Witterung,  viele 
Winde,  häufiges  Schwanken  in  der  Quecksilbersäule  ein,  so  wurde  das  für  die  blen- 
norrhoischen  Kinder  bestimmte  Zimmer  bald  überfüllt,  obwohl  die  Zahl  der  Gebärenden 
jetzt  viel  geringer  war,  und  die  Zimmer  fleissig  gelüftet  werden  konnten.  Gleichzeitig 
gab  es  in  der  Privatpraxis  sehr  viele  blennorrhoische  Neugeborene ,  und  unter  den 
Kindern  bis  zum  10.  Jahre  herrschten  ungewöhnlich  viele  Blennorrhöen  des  1.  und  2. 
Grades,  die  sich  bei  einigen  auch  zum  3.  Grade  steigerten."  —  Guillie  (Bibliotheque 
ophthalm.  Paris  1820.  Tom.  I.  *) ,  welcher  sich  durch  Einimpfung  blennorrhoischen 
Secretes  bei  4  amaurotischen  Kindern  (mit  gesunder  Bindehaut)  von  der  Ansteckungs- 
kraft desselben  überzeugt  hat,  erzählt  folgende  Thatsache:  „Das  französische  Sklaven- 
schiff Rödeur  verliess  Hävre  am  24.  Jänner  1819,  um  nach  der  Küste  von  Afrika  zu 
segeln,  erreichte  seine  Bestimmung  den  14.  März,  und  warf  ßonny  gegenüber  die  Anker 
aus.  Die  Schiffsmannschaft,  aus  22  Köpfen  bestehend,  war  die  ganze  Reise  über  und 
während  ihres  Aufenthaltes  zu  Bonny  bis  zum  6.  April  gesund.  Keine  Spur  von  Oph- 
thalmie  war   unter  den  Bewohnern  der  Küste   zu  bemerken  gewesen,    und   erst  nachdem 

der   Rödeur    15    Tage   lang   unter   Segel    war   und   beinahe  den   Äquator    erreicht    hatte, 

i 

')  Mali  enzie  1.  c.    S.  311. 


48  Bindehaut. 

brachen  die  ersten  Symptome  dieser  fürchterlichen  Krankheit  aus.  —  Man  machte  zuerst 
die  Bemerkung,  dass  die  Neger,  160  an  der  Zahl  und  zusammengedrängt  im  Schiffs- 
räume (Schiff  von  200  Tonnen)  und  zwischen  den  Verdecken,  von  einer  beträchtlichen 
Röthe  in  den  Augen  befallen  seien ,  welche  sich  rasch  von  einem  Auge  aufs  andere 
verbreitete.  Anfangs  schenkte  die  Schiffsmannschaft  dieser  Erscheinung  geringe  Auf- 
merksamkeit, in  der  Meinung,  dass  der  Mangel  an  frischer  Luft  im  Schiffraume  und 
die  spärlichen  Wasserrationen  daran  Schuld  seien;  denn  bereits  war  die  Ration  für  den 
Tag  auf  8  Unzen  beschränkt,  und  etwas  später  kam  auf  den  Mann  täglich  nur  ein 
halbes  Glas.  Man  hielt  es  für  hinlänglich,  ein  Augenwasser  aus  einem  Aufgüsse  von 
Fliederblüthen  anzuwenden ,  und  nach  dem  Rathe  eines  Mannes ,  der  den  Schiffsarzt 
machte,  die  Neger  der  Reihe  nach  auf's  Verdeck  zu  bringen.  Diese  heilsame  Mass- 
regel musste  aber  bald  aufgegeben  werden,  denn  die  unglücklichen  Afrikaner  stürzten 
sich  aus  Herzensangst  über  das  Schreck, iche  ihrer  Lage  und  aus  Schmerz  über  ihre 
verlorene  Freiheit  einander  umarmend,  über  Bord.  —  Die  Krankheit,  welche  sich  unter 
den  Negern  ebenso  fürchterlich  als  rasch  verbreitet  hatte,  fing  jetzt  an,  selbst  die 
Schiffsmannschaft  zu  bedrohen.  Der  erste  von  der  Mannschaft,  den  die  Krankheit  er- 
griff, war  ein  Matrose,  welcher  unter  dem  Verdeck,  dicht  an  der  vergitterten  Abtheilung 
schlief,  welche  mit  dem  Schiffsräume  in  Verbindung  stand.  Den  folgenden  Tag  ergriff 
die  Ophthalmie  einen  jungen  Burschen,  und  von  hier  an  innerhalb  3  Tagen  war  der 
Capitän  und  fast  die  ganze  Schiffsmannschaft  afficirt.  —  Des  Morgens  beim  Erwachen 
empfanden  die  Patienten  ein  schwaches  Prickeln  und  Jucken  in  den  Lidrändern,  welche 
roth  und  angeschwollen  wurden.  Den  folgenden  Tag  hatte  die  Geschwulst  der  Augen- 
lider zugenommen  und  war  mit  starkem  Schmerz  verbunden.  Um  denselben  zu  mindern, 
wurden  Breiumschläge  von  Reis  so  heiss  aufgelegt,  als  man  dieselben  vertragen  konnte. 
Am  3.  Tage  der  Krankheit  stellte  sich  ein  Ausfluss  von  gelblichem  Eiter  ein,  welcher 
anfangs  ziemlich  dünn  war,  aber  nachher  zähe  und  grünlich  wurde.  Er  war  dabei  so 
reichlich,  dass  die  Patienten  ihre  Augen  nur  alle  Viertelstunden  öffnen  konnten,  wo  er 
sich  in  Tropfen  ergoss.  Vom  Beginn  dieser  Krankheit  an  fand  beträchtliche  Empfind- 
lichkeit gegen  das  Licht  und  Thränenfluss  statt.  Als  endlich  der  Reis  verbraucht  war, 
wurden  gekochte  Nudeln  zu  Breiumschlägen  benutzt.  Den  5.  Tag  bekamen  einige 
Patienten  Blasenpflaster  auf  den  Nacken ;  da  aber  die  Canthariden  bald  erschöpft  wa- 
ren, so  versuchte  man  sie  damit  zu  ersetzen,  dass  man  mit  Senf  verschärfte  Fussbäder 
anwendete ,  und  die  geschwollenen  Augenlider  heissen  Wasserdämpfen  aussetzte.  — 
Der  Schmerz  nahm  von  Tag  zu  Tag  zu,  wie  auch  die  Zahl  derjenigen,  welche  ihr 
Gesicht  verloren,  so  dass  die  Schiffsmannschaft,  ausser  der  Furcht  eines  Aufstandes 
unter  den  Negern,  noch  die  schreckliche  Anwartschaft  hatte,  nicht  im  Stande  zu  sein, 
das  Schiff  bis  zu  den  Caraibischen  Inseln  zu  fuhren.  Ein  einziger  Malrose  war  der 
Contagion  entgangen,  und  auf  ihm  beruhte  die  Hoffnung  Aller.  Der  Rödeur  war  bereits 
mit  einem  spanischen  Schiffe,  dem  Leon,  zusammengetroffen,  dessen  ganze  Mannschaft 
so  sehr  an  derselben  Krankheit  litt,  dass  sie  das  Schiff  nicht  mehr  zu  führen  vermochte, 
sondern  die  Hilfe  des  Rödeur  ansprach.  Die  Matrosen  des  Rödeur  konnten  indessen 
wegen  der  Neger  ihr  eigenes  Schiff  nicht  verlassen,  und  hatten  auch  keinen  Raum,  die 
Mannschaft  des  Leon  aufzunehmen.  Die  Schwierigkeit,  so  viele  Patienten  in  einem  so 
engen  Räume  zu  verpflegen,  und  der  Mangel  an  Proviant  wie  an  Medicamenten  Hess 
die  Überlebenden  diejenigen  beneiden,  welche  starben.  —  Einige  Matrosen  tröpfelten 
Branntwein    zwischen    ihre    Augenlider    und    spürten    davon    einige    Erleichterung.      Den 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Atmosphäre.  49 

12.  Tag  kamen  die  Matrosen,  die  sich  etwas  erleichtert  fühlten,  auf  das  Verdeck,  um 
den  andern  beizustehen.  Manche  waren  dreimal  von  der  Krankheit  befallen  worden. 
—  Als  das  Schilf  Guadeloupe  am  21.  Juni  erreichte,  befand  sich  die  Schiffsmannschaft 
in  einem  traurigen  Zustande ;  aber  bald  nachher  wurde  sie  durch  den  Genuss  frischer 
Lehensmittel  und  durch  ein  einfaches  Waschmittel  von  süssem  Wasser  und  Citronensaft,. 
was  eine  Negerin  angerathen  hatte  ,  auffallend  besser.  Nachdem  sie  3  Tage  gestanden 
waren,  wurde  der  einzige  Mann ,  welcher  unterwegs  frei  geblieben  war,  nun  auch  von 
denselben  Symptomen  befallen,  und  die  Ophthalmie  hatte  denselben  Verlauf,  wie  am 
Bord  des  Schiffes.  —  Von  den  Negern  blieben  39  gänzlich  blind,  12  von  ihnen  hatten 
jeder  ein  Auge  verloren,  und  14  hatten  mehr  oder  weniger  beträchtliche  Flecken  auf 
der  Cornea.  Von  der  Schiffsmannschaft  verloren  12  ihr  Gesicht,  von  5  verlor  jeder 
ein  Auge;  4  derselben  hatten  beträchtliche  Flecken  und  Adhäsionen  der  Cornea  mit 
der  Iris.« 

Eine  Epidemie  in  der  Erziehungsanstalt  für  Soldatenkinder  zu  Chelsea  im  Jahre 
1*0  1  beschreibt  Patrick  Macgregor.  *)  —  „Zu  Anfang  April  wurden  zwei  Brüder  mit  entzün- 
deten Augen  in  die  Krankenanstalt  gebracht;  die  Entzündung  war  aber  so  unbedeutend, 
dass  ihre  Aufnahme  nicht  nöthig  war.  Sie  wurden  desshalb  ausser  der  Anstalt  behandelt, 
und  durch  die  gewöhnlichen  Mittel  binnen  8 — 10  Tagen,  hergestellt.  Zu  Ende  dieses 
Monats  wurden  6  Knaben  zu  mir  gebracht ;  drei  derselben  hatten  die  Krankheit  in  einem 
heftigen  Grade,  und  wurden  in  die  Anstalt  aufgenommen,  die  3  andern  erhielten  die 
Anweisung  täglich  zu  erscheinen,  um  ärztliche  Hilfe  zu  erhalten.  —  Im  Mai  wurden 
nicht  weniger  als  44  Knaben  und  5  Mädchen,  mit  Ophthalmia  behaftet,  in  die  Anstalt 
gebracht.  Die  schlimmsten  wurden  aufgenommen,  aber  für  alle  war  nicht  Raum,  und 
selbst  einige  von  den  aufgenommenen  mussten  unter  andern  Patienten  unterbracht 
werden.  —  Am  Morgen  des  4.  Tages  nach  ihrer  Aufnahme  wurden  2  Knaben  in  dem- 
selben Krankensaale,  die  an  andern  Krankheiten  litten,  von  Entzündung  der  Augen 
ergriffen,  und  im  Verlaufe  dieser  Woche  bekam  auch  die  Wärterin  die  Krankheit,  und 
zwar  in  einem  so  heftigen  Grade,  dass  sie  mehrere  Tage  lang  des  Gesichtes  beraubt 
und  3  W  ochen  lang  unfähig  war,  die  Geschäfte  ihrer  Stelle  zu  besorgen.  Etwa  um 
dieselbe  Zeit  bekam  ihr  Sohn,  ein  12jähriger  Knabe,  welcher  die  Wartung  der  Kranken 
besorgt  hatte,  und  einige  Tage  nachher  ihre  beiden  Jüngern  Kinder,  wie  auch  mehrere 
andere  Patienten  in  demselben  Krankensaale  die  erwähnte  Augenkrankheit.  —  Im  Juni 
wurden  58  Knaben  und  32  Mädchen  ergriffen.  Es  wurde  im  Allgemeinen  die  Bemer- 
kung gemacht,  dass  bei  ihnen  die  Krankheit  heftiger  sei  als  bei  jenen,  welche  im  Mai 
erkrankt  gewesen  waren.  Im  Verlaufe  dieses  Monats  bekam  auch  die  Wärterin  des 
Mädchenspitals  die  Krankheit,  und  ihr  Ehemann,  ein  pensionirter  Bewohner  des  Chelsea- 
Hospitals ,  der  täglich  seine  Frau  besuchte ,  wurde  auch ,  nebst  2  zuweilen  dienst- 
tuenden Wärterinnen  von  der  Krankheit  ergriffen.  Bei  näherer  Untersuchung  fand  sich, 
dass  der  eben  erwähnte  Pensionär  um  diese  Zeit  im  Chelsea-Hospital  die  einzige  an 
Ophthalmie  leidende  Person  gewesen  sei.  —  Die  Frau  eines  Feldofficiers  war  um  diese 
Zeit  im  Military-Asylum  zum  Besuche.  Sie  hatte  einen  Sohn  von  5 — 6  Jahren,  welcher 
mit  den  andern  Kindern  zu  spielen  pflegte.  Er  zog  sich  die  Ophthalmie  zu,  und  4  oder 
5  Tage  nach  dem  Ausbruche  derselben  wurde  auch  seine  Schwester ,  ein  2jähriges 
Kind,    ja  einige  Tage  später  sogar    die   Mutter  selbst  davon  ergriffen.  —  Diese  Umstände 

;)   Makenzie  c.  I.    S.   343 

Ar  lt.  J.  & 


50  Bindehaut. 

erregten  Aufsehen ,  und  es  wurden  jetzt  mit  besonderer  Aufmerksamkeit  diejenigen, 
welche  einige  Symptome  der  Krankheit  hatten,  sogieich  von  den  andern  Patienten  ge- 
trennt, und  auch  die  andern  Mittel  benützt,  welche  gewöhnlich  angewendet  werden, 
um  den  Fortschritt  einer  Contagion  zu  hemmen.  —  Im  Juli  verbreitete  sich  die  Oph- 
thalmie noch  immer,  und  mehrere  derjenigen  Kinder,  welche  die  Krankheit  gehabt 
hatten  und  genesen  waren ,  bekamen  sie  zum  2.  Male.  65  Knaben  und  30  Mädchen 
wurden  diesen  Monat  von  der  Krankheit  befallen.  Sie  schienen  die  Krankheit  heftiger  zu 
haben,  und  wurden  auch  nicht  so  leicht  hergestellt,  als  jene,  welche  in  den  vorherge- 
henden Monaten  afficirt  gewesen  waren,  obschon  die  Behandlung  bei  allen  dieselbe  blieb. 
Die  Witterung  war  jetzt  weit  wärmer,  als  im  Juni.  —  Im  August  bekamen  69  Knaben 
und  21  Mädchen  die  Krankheit;  ein  Knabe  und  ein  Mädchen  von  ihrer  eigenen  Mutter 
aus  Schottland  gebracht,  langten  eines  Abends  zu  Ende  dieses  Monats  im  Asylum  an, 
und  wurden  sogleich  aufgenommen.  Die  Kinder  wurden  von  der  Wärterin  ohne  mein 
Vorwissen  in  einen  Saal  gebracht,  in  welchem  sich  Patienten  befanden,  die  an  Oph- 
thalmie litten.  Als  ich  die  Krankenanstalt  am  nächsten  Vormittag  besuchte,  liess  ich  die 
Kinder  sogleich  in  einen  andern  Saal  bringen,  und  dennoch  hatten  beide  Kinder  am 
3.  Morgen  nach  ihrer  Ankunft  Symptome  der  Ophthalmie,  die  in  keiner  Hinsicht,  von 
jenen  verschieden  waren ,  welche  bei  den  andern  Patienten  beobachtet  wurden.  —  Alle 
Knaben  von  5 — 6'/2  Jahren  bilden  eine  einzige  Gesellschaft.  Es  wurde  die  Bemerkung 
gemacht ,  dass  im  vergangenen  und  gegenwärtigen  Monate  fast  die  ganze  Gesellschaft 
die  Ophthalmie  bekam.  Der  Fortschritt  der  Krankheit  konnte  in  den  Schlafsälen  dieser 
Knaben  in  der  Ordnung  der  Betten ,  von  einem  zum  andern,  nachgewiesen  werden, 
bis  endlich  fast  alle  afficirt  waren.  Die  zwei  Wärterinen  dieser  Gesellschaft  schliefen 
immer  in  ihren  Sälen  und  waren  die  einzigen  der  Anstalt  (diejenigen  im  Krankenhaus 
ausgenommen),  welche  an  der  Krankheit  litten.  Gegen  die  Mitte  dieses  Monats  bekam 
auch  ich  die  Ophthalmie,  und  obgleich  die  entzündlichen  Symptome  in  10  Tagen  sich 
gaben,  so  erholte  ich  mich  von  ihren  Wirkungen  doch  erst  nach  5 — 6  Wochen.  —  Im 
September  bekamen  16  Knaben  und  4  Mädchen  die  Krankheit;  im  October  16  Knaben 
und  7  Mädchen ;  im  November  9  Knaben  und  6  Mädchen,  und  vom  22.  November  bis 
Ende  December  sind  nur  2  Fälle  vorgekommen,  und  zwar  bei  2  Brüdern,  die  zusam- 
men geschlafen,  und  im  Monat  August  die  Krankheit  in  einem  heftigen  Grade  gehabt 
hatten."  —  P.  Macgregor  hebt  zum  Schlüsse  noch  hervor,  dass  die  Krankheit  ziemlich 
einen  Monat  unter  den  Knaben  geherrscht  hatte,  ehe  die  Mädchen  von  ihr  afficirt 
wurden,  dass  alle  Erwachsene  ,  die  sich  nicht  mit  den  Patienten  vermischten,  von  der 
Krankheit  frei  blieben,  während  diejenigen,  welche  mit  den  Patienten  in  Verbindung 
standen,  sämmtlich  von  der  Ophthalmie  ergriffen  wurden,  mit  alleiniger  Ausnahme  des 
Assistenzwundarztes.  „Es  schien  auch,  als  ob  eine  innigere  Verbindung  mit  der  affi- 
cirten  Person  als  bei  den  meisten  andern  contagiösen  Krankheiten  zur  Mittheilung  er- 
forderlich sei.  Diess  lässt  sich  von  den  Dienstboten  des  Krankenhauses  und  von  den 
beiden  Wärterinen  folgern,  welche  die  kleinen  Knaben  warteten,  und  die  Sache  zu 
leichtsinnig  nahmen,  wogegen  die  andern  Dienstboten  der  Anstalt  verschont  blieben." 
„Die  Krankheit  war  weit  heftiger  in  ihren  Anfällen  und  von  längerer  Dauer  bei  heisser 
und  schwüler,  als  bei  kalter,  oder  gemässigter  Witterung."  „Man  hat  Grund,  anzuneh- 
men, dass  sie  am  nieisU^fj^oiStal^El^^ÄBiCaiigsstadium  gewesen  sei,  wo  nicht  nur 
eine  active.  Enlzündu4W~p  ^sondern  auch  ein^b^trächtlicher,  purulenter  Ausfluss  vor- 
handen  war."  ^Qj 

Mftim1917 


Blennorrhoe  —  Vorkoni  men  —  Ursachen  —  Neugeborene.  51 

Was  die  Blennorrhoe  bei  Neugeborenen  betrifft,  so  müssen  die 
Fälle,  welche  in  der  Privafpraxis  vorkommen,  getrennt  betrachtet  werden 
von  jenen  in  Findclhä'usern. 

Man  hat  im  Allgemeinen  eine  Menge  Umstände  als  Ursache  der 
Blennorrhoea  neonatorum  angeführt.  —  a)  Grelles  Licht.  Es  ist  schwer 
zu  begreifen,  warum  hier  das  Licht  gerade  nur  auf  die  Bindehaut,  und 
nicht  auf  die  Netzhaut  schädlich  einwirken  soll,  da  es  bekannt  ist,  dass 
die  Sehkraft  in  Folge  solcher  Bleunorrhöen  niemals  leidet,  wenn  nicht 
durch  Hornhaut-  oder  Kapseltrübungen.  *)  —  6)  Verhältung  wird  nur  zu 
häufig  als  Ursache  angegeben,  wenn  man  es  unterlässt,  nach  andern  zu 
forschen,  oder  wenn  man  solche  nicht  sogleich  auffindet.  Man  hat  sogar 
das  Tragen  der  Kinder  zur  Taufe  beschuldigen  wollen,  und  doch  ist  die 
Krankheit  in  Ländern,  wo  diess  nicht  geschieht,  erwiesenermassen  nicht 
seltener.  Wir  wollen  nicht  in  Abrede  stellen,  dass  hie  und  da  ein  Kind 
aus  dieser  Ursache  eine  mehr  weniger  heftige  Bindehautentzündung  be- 
komme;  nur  sei  man  mit  dieser  Ursache  nicht  so  allgemein  bei  der 
Hand,  wie  es  manche  thun.  —  c)  Unreine  Luft  mag  wohl  mitunter  Ur- 
sache sein,  doch  gewiss  nicht  so  allgemein,  als  man  glaubt.  Die  Krank- 
heit müsste  sonst  bei  armen  Leuten  weit  häufiger  vorkommen,  als  bei 
wohlhabenden,  was  eben  nicht  der  Fall  ist.  So  viel  aber  ist  gewiss,  dass 
unreine  Luft  die  einmal  ausgebrochene  Krankheit  steigert  und  bösartiger 
macht.  —  d)  Jener  Einßuss  der  Luft,  den  wir  den  epidemischen  nennen, 
kann  nicht  geläugnet  werden.  Es  ist  Thatsache,  dass  zu  gewissen  Zeiten 
sowohl  in  als  ausser  den  Findelhäusern  häufiger  solche  Bleunorrhöen  vor- 
kommen. Dieser  Einfluss  dürfte  sich  jedoch  weniger  in  der  ursprüngli- 
chen Erzeugung  als  vorzüglich  durch  Verschlimmerung  der  leichteren 
Grade  dieser  Krankheit  geltend  machen,  welche  als  solche  selten  zur 
Kenntniss  der  Arzte  gelangen.  —  e)  Sichergestellt  ist  die  Ansteckung 
durch  blennorrhoisdien  Schleim  beim  Durchgange  des  Kopfes  durch  die 
Geburtswege,  wobei  man  denn  natürlich  nicht  immer  gleich  an  Syphilis 
denken  wird.  Die  Constatirung  dieser  Ursache  ist  nicht  immer  wohl  zu- 
lässig, und  erheischt  grosse  Vorsicht  von  Seite  des  Arztes.  Man  hat 
Grund,  diese  Ursache  zu  vermuthen,  wenn  die  Blennorrhoe  des  Auges  in 
Bezug  auf  die  Zeit  des  Ausbruches  sich  so  verhält,  wie  der  nach  einem 
unreinen  Beischlafe  entstandene  Tripper,  wenn  die  Bindehautblennorrhöe 
zwischen    dem    2.    und  5.  Tage    nach    der    Geburt  auftritt.     Doch    ist  zu 

e)  Chelius,  Ausenheilkunde  I.  B.  S.  121  meint,  dass  auch  bei  Erwachsenen  durch  starke  Einwirkung  des  Lichtes 
nicht  selten  „Blephnrophlhalmie"  erregt  werde.  Dieser  Ausdruck  ist  so  vag,  dass  es  unmöglich  ist,  sich  auf  eine 
Widerlegung  dieser  Behauptung  einzulassen.     Er   beweist  mindestens  für  die  in   Bede  stehende  Frage   gar  nichts. 


52  Bindehaut. 

bemerken,  dass  der  erste  Beginn  leicht  übersehen  wird,  zumal  wenn  das 
ansteckende  Secret  sehr  mild  war,  und  dass  solche  Fälle  oft  erst  später 
durch  obgenannte  (a — d)  ungünstige  Einflüsse  einen  die  Aufmerksamkeit 
oder  Besorgniss  der  Umgebung  erregenden  Grad  von  Heftigkeit  erlangen, 
daher  sehr  leicht  dafür  imponiren,  als  wären  sie  durch  starkes  Licht, 
Zugluft  u.  dgl.  hervorgerufen  worden,  erst  am  10.,  14.  Tage  oder  noch 
später  entstanden.  Bei  Schwängern  mit  Blennorrhoea  vaginae  kann  man 
mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  voraussagen,  das  Kind  werde  an  Binde- 
hautblennorrhöe  erkranken ;  wie  es  komme,  dass  dennoch  manche  Kinder 
von  solchen  Müttern  ganz  gesund  bleiben,  ist  schwer  zu  erklären.  Viel- 
leicht hat  die  schnellere  oder  langsamere  Geburt  hierauf  den  meisten 
Einfluss.  Wir  bemerken  übrigens  dasselbe  Verhältniss,  wenn  mehrere 
Männer  kurz  nach  einander  den  Coitus  mit  einer  an  Blennorrhoea  vaginae 
leidenden  Person  pflegen.  —  /)  Dr.  Em.  Mildner  (im  13.  Bd.  der  Präger 
inedicinischen  Vierteljahrschrift)  hat  meines  Wissens  zuerst  darauf  auf- 
merksam gemacht,  dass  bisher  gewöhnlich  unter  dem  Namen  Blennorrhoea 
neonatorum  eine  Menge  von  Augenentzündungen  zusammengefasst  wur- 
den, die  davon  ganz  verschieden  sind,  und,  was  nicht  minder  wichtig  ist, 
dass  diese  Entzündung  der  Bindehaut  gar  oft  nur  als  Reflex  gewisser 
Allgemeinlciden  aufs  Auge,  oder  als  Theilnahme  der  Bindehaut  an  all- 
gemeinen katarrhalischen  und  croupösen  Entzündungen  anderer  Schleim- 
häulparfien  zu  betrachten  sei. 

Dr.  Mildner  fand  im  hiesigen  Findelhause  unter  300  augenkranken  Neugeborenen 
112  mit  Katarrh  der  Luftwege  oder  des  Darmeanales,  94  mit  croupösen  Affectionen  der 
Mund-  und  Rachenschleimhaut,  6  mit  Odem  der  Unterextremitäten,  5  mit  Zellgewebs- 
sclerois,  9  mit  wanderndem  Rothlauf,  3  mit  Nagelgefässentzündung,  7  mit  Entwicklung 
acuter  Abscesse  in  verschiedenen  Gegenden.  Von  diesen  300  Augenkranken  sind  37 
gestorben.  —  Er  betrachtet  die  Bindehautblennorrhöe  bei  Neugeborenen  mit  überwie- 
gender Wahrscheinlichkeit  als  Localkrankheit,  wenn  die  Mutter  gesund  ist,  und  das 
Kind  lebenskräftig  und  gesund  aussieht,  wenn  eine  der  ohgenannten  schädlichen  Po- 
tenzen local  einwirkte,  die  Ophthalmie  nur  an  Einem  Auge  auftrat  oder  doch  viel 
früher  begann,  besonders  aber  keine  Symptome  einer  Allgemeinkrankheit,  namentlich 
keine  katarrhalischen  oder  croupösen  Processe  auf  andern  Schleimhäuten  vorhanden 
sind.  —  Eine  solche  Blennorrhoe  beginnt  immer  (primär)  in  der  Bindehaut,  erzeugt 
selten  Ulcerationen  der  Hornhaut,  und  das  gewöhnlich  nur  partielle,  und  nur  unter 
fortwährender  Einwirkung  ungünslisjer  Einflüsse  bedeutendere  Zerstörungen ;  sie  wird 
nur  bei  grosser  Heftigkeit  von  fieberhaften  Allgemeinsymptomen  begleitet;  ihre  Dauer 
ist  (relativ)  kurz;  die  Heilung  kann  mit  rein  örtlichen  Mitteln,  und  zwar  oft  binnen 
wenig  Tagen  erzielt  werden.  —  Stammt  dagegen  das  Kind  von  einer  kranken  Mütter, 
ist  es  schlecht  genährt,  leidet  es  bereits  an  katarrhalischen  oder  croupösen  Processen 
anderer  Schleimhäute,  ist  kein  local  einwirkendes  Moment  nachweisbar,  beginnt  die 
Ophthalmie    an    beiden    Augen    gleichzeitig    und    mit    gleicher    Intensität   und    ist   gleich 


Blennorrhoe  —  Vorkommen —  Ursachen —  Fintleliiäuser.         53 

anfangs  Fieber  vorhanden  oder  selbst  vorausgegangen :  so  wird  man  selten  einen 
Fehlschluss  machen,  wenn  man  die  Blennorrhoe  für  den  Ausdruck  eines  Allgemein- 
leidens  hält.  —  Verlauf,  Dauer  und  Proguosis  dieser  Art  unterliegen  so  vielen  Verschie- 
denheiten, dass  sich  keine  allgemeinen  Anhaltspunkte  angeben  lassen.  Die  zu  Grunde 
liegende  fehlerhafte  Blutmischung  bezeichnet  Dr.  Mildner  theils  als  Albuminosis,  krank- 
haftes Üherwiegen  des  Eiweissstoffes ,  welches  besonders  durch  das  Einathmen  sauer- 
stoffarmer Luft,  daher  durch  Zusammenhäufen  vieler  Menschen  in  Einem  Locale  begün- 
stigt werde,  theils  als  Pyämie,  welche  bei  Neugeborenen  häufig  durch  Entzündung  der 
Vabelii'efässe  eingeleitet  wird.  —  Diese  wären  demnach  beim  Auftreten  der  Blennor- 
rhoea  neonatorum  vor  allem  als  letzte  Ursachen  scharf  ins  Auge  zu  fassen,  und  zwar 
auch  dann,  wenn  die  Blennorrhoe  als  ein  örtliches  Leiden  begonnen,  im  weitern  Ver- 
laufe einen  schlimmen  Charakter  annimmt. 

In  Findelhäuscrn  kommt  die  Krankheit  ungleich  häufiger  vor,  als 
bei  einer  gleich  grossen  Anzahl  ausserhalb  solcher  Anstalten  Geborener, 
und  sie  verläuft  hier  im  Allgemeinen  bei  weitem  heftiger  und  bösartiger. 
Wenn  man  auch  annimmt,  was  Piringer  behauptet,  das  die  Kinder  der 
Erstgebärenden  im  Allgemeinen  leichter  an  Blennorrhöen  erkranken,  und 
dass  die  Kinder  syphilitischer  Mütter  selten  von  der  Blennorrhoe  verschont 
bleiben,  so  muss  es  doch  gewiss  ausser  diesen,  allerdings  in  Gebärhäu- 
sern öfters  vorkommenden  Umständen,  und  ausser  den  oben  erwähnten 
äussern  und  innern  Ursachen  der  Bindehautblennorrhöe  noch  andere  Ver- 
hältnisse geben,  wrelche  die  Erkrankung  so  häufig  und  so  bösartig  machen. 
Hieher  sind  zu  rechnen :  vor  allem  das  Zusammengedrängtsein  vieler  In- 
dividuen in  Einem  Hause,  in  Einem  Zimmer,  welches  sich  in  solchen  An- 
stalten oft  nicht  vermeiden  lässt,  oft  genug  aber  mehr  als  nöthig  erhöht 
wird.  Man  denke  sich  nur  Ein  Zimmer,  wenn  auch  sehr  geräumig,  mit 
10 — 12  Ammen,  jede  mit  einem,  viele  auch  mit  zwei  Kindern.  Wenn  auch 
keines  der  Kinder  bereits  blennorrhoisch  erkrankt  wäre:  schon  die  er- 
höhte Ausdünstung  der  Wöchnerinnen,  der  Loehialfluss,  die  Excremenle 
der  Kinder  müssen  die  Luft  verunreinigen ;  nehmen  wir  nun  noch  hinzu 
die  geringe  Reinlichkeilsliebe  solcher  Leute  von  Haus  aus,  und  die  Un- 
lust, mit  welcher  viele  die  Kleinen,  grossentheils  nicht  ihre  eigenen,  pfle- 
gen; und  man  wird  es  begreiflich  finden,  wie  schwer  es  für  das  Wart- 
personale und  für  die  inspicirenden  Ärzte  wird,  den  gehörigen  Grad  von 
Reinlichkeit  zu  erhalten.  Alle  diese  Umstände  müssen  um  so  nachthei- 
liger wirken,  wenn  unter  diesen  Kindern  sich  auch  nur  einige  blennor- 
rhoische  befinden:  wie  aber  erst  dann,  wenn  man  alle  blennorrhoischen 
Kinder  in  ein  sogenanntes  „Augenkrankenzimmer*  legt! 

Die   Zahl    der    Individuen    mit    acuter   Bindehautblennorrhöe,    welche  ich  theils  im 
allgemeinen    Krankenhause    (vom   April    1840   bis  April    1842,    und  vom  Anfang  Oc tober 


54  Bindehaut. 

1846  bis  Ende  1849),  theils  in  der  Stadt  genauer  zu  beobachten  Gelegenheit  hatte, 
beträgt  281. 

Hierunter  waren  107  Ammen,  4  Wärterinen  und  52  fünf-  bis  eilfjährige  Kinder 
aus  der  Findelhausanstalt,  70  sporadische  Fälle  bei  Erwachsenen,  45  Neugeborene  (aus 
der  Stadt  und  Umgebung)  und  3  scrophulöse  Kinder  von  2 — 5  Jahren. 

Diese  Krankheit,  welche  im  hiesigen  Findelhause  so  zu  sagen  nie  ausgeht,  kam 
besonders  im  Jahre  1841  und  1846  unter  den  Ammen,  im  Jahre  1848  unter  den  grössern 
Kindern  in  der  Findelanstalt  auffallend  häufig  vor. 

A.  Vom  October  1838  bis  Juli  1839  waren  11  Ammen  auf  die  Augenklinik  ge- 
bracht worden,  4  mit  Blennorrhoe,  welche  rasch  den  3.  Grad  erreichte,  7  mit  Blennor- 
rhoe des  1.  Grades,  von  Professor  Fischer  gewöhnlich  Ophthalmia  calarrhalis  in  puer- 
pcris  genannt,  und  in  seinem  Lehrbuche*)  Seite  92  beschrieben.  Die  Frage,  ob  sie 
nicht  etwa  mit  dem  Secrete  von  den  Augen  der  Kinder  an  ihre  Augen  gekommen 
wären,  verneinten  Alle.  Eine  beschuldigte  starke  Zugluft  als  Ursache ;  diese  fieberte 
gleich  zu  Anfang  der  Krankheit,  und  litt  auch  an  Nasenkatarrh.  Die  meisten  und  hef- 
tigsten Fälle  kamen  Ende  Februar,  im  März  und  Anfang  April  vor. 

Vom  October  1839  bis  Juli  1840  kamen  19  leichter  und  2  schwerer  erkrankte 
Ammen  ins  Spital.  Davon  hatten  14  in  eigens  dazu  bestimmten  Zimmern  augenkranke 
Kinder  gesäugt,  7  behaupteten,  nicht  in  die  Nähe  solche  Kinder  gekommen  zu  sein; 
einige  hievon  beschuldigten  Zugluft  (auf  den  Gängen)  als  Ursache.  Der  Ausbruch  der 
Krankheit  war  14  Tage  bis  3  Monate  nach  der  Entbindung  erfolgt.  Nur  1  erkrankte 
Ende  November,  1  im  December,  6  im  Jäner,  4  im  Februar,  1  im  März,  2  im  April,  5 
im  Mai  und  1   im  Juni. 

Im  Schuljahr  1841  stieg  die  Zahl  rasch  auf  55,  bei  30  in  der  mildern,  bei  25 
in  der  heftigem  oder  heftigsten  Form.  Im  October  erkrankten  2  (mit  sogenannten 
Puerperalkatarrh),  im  November  9  (davon  7  an  Blennorrhoe  höheren  Grades),  im  De- 
cember 8  (davon  5  heftiger),  im  Jänner  8  (davon  3  heftiger),  im  Februar  7  (davon  2 
heftiger),  im  März  5  (davon  1  heftiger),  im  April  5  (davon  1  heftiger),  im  Juni  2  (1 
heftiger),  im  Juli  1  (heftiger),  im  August  4  (3  heftiger),  im  September  4  (1  heftiger), 
und  von  da  an  bis  Ende  April  1842  Niemand.  Die  heftigsten  Formen  traten  im  No- 
vember auf,  zu  welcher  Zeit  auch  4  anderweitig  entstandene  Blennorrhöen  in  die  An- 
stalt kamen.  Mehr  als  30  waren  in  den  für  blennorrhoische  Kinder  bestimmten  Zimmern 
der  Findelhausanstalt  als  Aminen  verwendet,  einige  in  wenig  Tagen,  andere  2 — 6  Wochen 
nach  ihrem  Aufenthalte  daselbst  ergriffen  worden.  Drei  gestanden,  sich  absichtlich  mit 
dem  Wasser  gewaschen  zu  haben,  mit  welchem  die  Augen  der  Kinder  gereinigt  worden 
waren,  um  „böse  Augen"  zu  bekommen  und  desshalb  aus  der  Anstalt  entlassen  zu 
werden;  sie  büssten  leider  mit  dem  Verluste  eines,  die  eine  auch  mit  dem  Verluste 
beider  Augen.  Andere  hatten  sich  ihre  Augen  mit  dem  Leinwandflecke  gerieben,  der 
zum  Abwischen  der  blennorrhoischen  Augen  des  Kindes  benutzt  worden  war.  Mehrere 
halten  den  Ausbruch  des  Übels  bemerkt,  kurz  nachdem  sie  heftig  geweint,  einige 
nachdem  es  (bei  stürmischem  Wetter)  in  den  Zimmern  geraucht,  mehrere  nachdem  sie 
sich  (auf  den  Gängen)  heftiger  Zugluft  ausgesetzt  hatten.  Vier  meinten  sich  dadurch 
angesteckt    zu   haben,    dass    sie  das  augenkranke  Kind  des  Nachts  zu  sich  in's   Bett    ge- 


")  Lehrbuch    Her    Entzündung    und    organischen  Krankheiten    des    menschlichen  Auges,  Prag    1846,    bei  Burrosch 
und  Andre. 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Fiiulelhänser.         55 

nominell  hatten.  Die  Mehrzahl  wusste  keine  Veranlassung"  anzugeben,  und  diess  war 
auch  bei  vielen  der  Fall,  welche  weder  in  dem  Augenkrankenzimmer  verwendet  wor- 
den waren,  noch  in  andern  Zimmern  blennorrhoische  Kinder  zu  saugen  gehabt  hatten. 
Die  Zahl  der  blenorrhoischen  Kinder  war  nämlich  so  gross,  dass  fast  in  jedem  Zimmer 
der  Anstalt  einige  belassen  werden  niussten. 

Die  Findelanstalt,  im  2.  Stocke  des  Gebärhauses  auf  dem  sogenannten  „Wind- 
berge" gelegen,  bot  damalt.  mehrere  Übelslände  (in  Bezug  auf  die  Blennorrhoe)  dar, 
welche  im  Frühling  1841  von  einer  Conunission  erhoben  wurden,  und  hier  nicht  un- 
erwähnt bleiben  dürfen.  Bei  der  alljährlich  wachsenden  Zahl  der  daselbst  Aufzuneh- 
menden war  zunächst  nicht  genug  Raum  vorhanden,  so  dass  die  Zimmer  mit  Ammen 
und  Kindern  überfüllt  werden  musslen.  Die  Augenkranken  wurden  in  drei  Zimmern  un- 
terbracht, wovon  2  untereinander,  und  das  3.  mit  einem  für  Syphilitische  bestimmten 
conimunicirten.  Zu  je  zweien  führte  nur  Ein  Zugang  vom  Corridor.  In  dem  1.  Zimmer 
waren  9  Kinder  mit  6  Ammen,  in  dem  zweiten  8  Kinder  mit  6  Aminen,  in  dem  dritten 
1 1  Kinder  mit  6  Ammen,  in  dem  vierten  2  Kinder  mit  1  Amme  und  4  grössere  (re- 
stituirte)  Findlinge.  Zur  Zeit  des  grössten  Andranges  stieg  die  Zahl  der  blennorrhoi- 
schen  Kinder  in  den  beiden  ersten,  eigentlich  nur  Einen  Raum  bildenden  Zimmern  auf 
24.  in  dem  3.  auf  16  Kinder,  nebst  den  erforderlichen  Ammen.  Die  Verdunkelung 
wurde  mittelst  Fensterläden  und  Vorhängen,  die  Lüftung  mittelst  Öffnen  der  Fenster 
(im  Winter  nur  der  kleinern  Flügel)  vorgenommen.  Die  Ammen  bedienten  sich  eines 
Waschbeckens  und  Handtuches  gemeinschaftlich.  Für  sämmtliche  blennorrhoische  Kinder 
war  nur  eine  Wärterin  bestimmt,  und  ausser  dem  Primärarzte  und  dem  Hauschirurgen, 
welcher  nebstdem  andere,  viel  Zeit  raubende  Geschäfte  zu  besorgen  hatte,  kein  Arzt 
vorhanden. 

Diesen  Übelständen  wurde  sofort  möglichst  abgeholfen,  und  namentlich  ein 
eigener  Arzt  dem  Primarius  zur  Aushilfe  beigegeben.  Seitdem  ist  die  Blennorrhoe  unter 
den  Ammen  wohl  zu  verschiedenen  Zeiten  wieder  häufiger  und  heftiger  aufgetreten, 
aber  nie  mehr  in  dem  Grade,  wie  1841.  Man  ersieht  diess  aus  der  nachfolgenden 
Tabelle,  welche  ich  nach  den  Protokollen  der  Klinik  und  Abtheilung  für  Augenkranke 
und  nach  den  Monatsberichten  der  Findelanstalt  entworfen  habe,  nachdem  mir  der  Herr 
Primarius  Dr.  Böhm  und  der  Herr  Director  Dr.  Riedl  die  Einsicht  in  dieselben  bereit- 
willigst gestatteten. 


56 


Bindehaut. 


Zahl  d. 

Kinder 

über 

haupt 

Zahl  d.blenn.Kiiider 

A  m 

nen 

Aus    der  Findel- 
anstalt   kamen   | 
auf    die    Augen- 
klinik u.  Abtheil. 

ff! 

1     3    i 

3  1 
o  ~  1 

63 

o 

"1  i-s 

:5   > 

i 

S 

Q 

3  ö 

au  H3 

—   -3 

|| 

3  '£ 

3 

H 
E 

i  3 

gl 

■a   bi. 
£  3 

währ. 

d.   Wonals 

g  g  £ 


1840 


1841 


Jan  er 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

Oetober 

November 

December 


73 

135 

129 

18 

61 

152 

146 

9 

58 

170 

154 

9 

55 

179 

175 

18 

41 

156 

139 

14 

44 

166 

161 

11 

38 

166 

156 

15 

33 

156 

147 

6 

36 

16« 

127 

8 

67 

137 

117 

13 

74 

161 

142 

15 

77 

182 

162 

25 

19 
9 
14 
1d 
17 
19 
17 
13 
15 
21 
21 
23 


Ja  n  er 

72 

188 

173 

27 

Februar 

60 

173 

134 

28 

März 

71 

188 

186 

31 

April 

42 

166 

146 

22 

Mai 

39 

172 

143 

20 

Juni 

48 

185 

175 

17 

Juli 

41 

142 

139 

8 

August 

36 

153 

150 

8 

September 

31 

140 

127 

12 

Oetober 

32 

152 

152 

7 

November 

25 

150 

138 

4 

December 

33 

162 

147 

14 

20 
27 
29 
17 
18 
14 
18 
19 
14 
14 
10 
9 


9 
13 
10 

12 
6 
9 
7 
8 

18 
6 

12 

15 


4 

42 

7 

7 

— 

6 

— 

1 

— 

35 

4 

4 

— 

4 

__ 

— . 

3 

32 

2 

2 

— 

1 

— 

— 

2 

26 

2 

2 

— 

2 

— 

— 

— 

25 

6 

6 

— 

5 

— 

— 

1 

24 

5 

4 

1 

1 

— 

— 

1 

19 

1 

1 

— 

1 

— 

. — 

— 

25 

3 

3 

— 

3 

— 

— 

_ 

40 

2 

2 

— 

1 

— 

4 

39 

4 

4 

— 

2 

— 

— 

1 

43 

8 

8 

— 

8 

— 

— 

9 

43 

4 

4 

— 

4 

— 

— 

38 


12 

4 

37 

11 

11 

— 

11 

— 



12 

5 

42 

6 

6 

— 

6 

— 



14 

7 

22 

7 

7 

— 

7 

— 



18 

4 

22 

4 

4 

— 

4 

— 

— 

22 

7 

23 

2 

2 

— 

3 

— 



15 

5 

22 

2 

2 

— 

2 

— 



14 

— 

21 

— 

— 

— 

1 

. — : 

— 

10 

4 

18 

5 

5 

— 

4 

— 



11 

1 

19 

3 

3 

— 

4 

— 



6 

1 

17 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

7 

— 

19 

11 

— 

21 

42 


1842 


Jäner 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

Oetober 

November 

December 


34 
55 
68 
53 
31 
26 
31 
29 
37 
32 
25 
30 


206 

165 

20 

12 

238 

193 

32 

19 

213 

194 

34 

28 

177 

183 

16 

35 

178 

166 

17 

20 

155 

141 

9 

17 

171 

167 

6 

16 

182 

171 

3 

10 

158 

153 

10 

14 

203 

191 

19 

8 

180 

158 

17 

4 

180 

164 

22 

4 

2  138 

3  44 


43 
26 
24 
30 
23 
26 
25 
18 
20 
IS 


1843 


Jäner 

20 

223 

203 

19 

3 

21 

1 

16 

Februar 

31 

217 

204 

14 

5 

9 

1 

16 

Mär/, 

30 

200 

166 

23 

3 

21 

- 

19 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

April 

42 

229 

194 

19 

7 

25 

3 

26 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Mai 

58 

189 

182 

24 

7 

14 

-^ 

19 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Juni 

4l 

194 

182 

11 

8 

14 

— 

20 

— 

— 

— 

— 

1 

— 

Juli 

42 

154 

146 

17 

9 

9 

— 

23 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

August 

33 

148 

143 

5 

8 

8 

— 

20 

1 

1 

— 

1 

* 

i 

September 

33 

162 

150 

6 

11 

9 

— 

23 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Oetober 

39 

157 

148 

9 

13 

10 

1 

20 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

November 

39 

147 

143 

10 

;2 

16 

— 

20 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

December 

33 

157 

113 

11 

10 

13 

- 

22 

— 

— 

— 

. 

— 

— 

1S44 


Jäner 

26 

159 

149 

10 

10 

11 

— 

22 

__ 

— 

— 

— 

— 

_ 

Februar 

2;5 

152 

131 

11 

10 

13 

28 

1 

1 

— 

1 

1 

— 

März 

34 

174 

153 

16 

10 

28  • 

28 

1 

1 

— 

— 

— . 

— 

April 

39 

197 

167 

21 

13 

15 

— 

38 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

Mai 

4« 

199 

179 

19 

17 

12 

4 

38 

— 

— 

_ 

— 

— 

— 

Juni 

49 

2(10 

181 

15 

20 

18 

— 

41 

— 

Juli 

53 

159 

183 

17 

21 

16 

2 

37 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

August 

42 

171 

157 

6 

23 

21 

— 

35 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

September 

47 

179 

164 

8 

22 

21 

— 

45 

_ 

— 

— 

— 

— 

— 

Oetober 

54 

175 

181 

7 

24 

8 

1 

28 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

November 

41 

184 

169 

10 

16 

14 

2 

34 





- 

— 

1 

— 

December 

46 

199 

16S 

29 

17 

18 

7 

41 

— 

— 

- 

~ 

- 

— 

BSeiuiorrhöe  —  Vorkommen —  Ursachen  —  Fintlelhäuser. 


57 


Zahl  d. 

Kinde 

überhaupt 

Zahl  d.blenn.H 

inderl 

Ammen 

Aus    der  Findel- 

anstalt    kamen 
auf    die    Augen- 
klinik  u.  Aulheil. 

1  c~3  > 

i  =  1 

3     =    | 
Q  "**   1 

wahr. 

c 
H 

d.  ni 

onats 

E 

i  s 

E 
Q 

Geslorb.  währ, 
d.  Blennorrhoe 

Zahl  dersellien 
überhaupt 

E 

J| 

1 

E 

E" 
-< 

il 

E=  1 

1845 


Jäner 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

October 

November 

December 


48 

219 

186 

28 

23 

21 

4 

41 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

53 

209 

178 

30 

28 

20 

9 

43 

54 

223 

170 

38 

27 

16 

51 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

69 

214 

200 

31 

24 

24 

36 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

52 

230 

184 

34 

22 

18 

42 

— 

— 

— 

— 

._ 

— 

64 

200 

163 

33 

12 

28 

47 

1 

1 

— . 

1 

— 

- 

68 

223 

207 

25 

24 

17 

S 

42 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

59 

179 

169 

15 

26 

15 

3 

36 

54 

1*5 

157 

22 

25 

7 

3 

34 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

60 

225 

207 

24 

18 

12 

3' 

28 

— 

— 

— 

— 

— 

— 

54 

184 

174 

17 

19 

15 

Q- 

27 

2 

2 

— 

2 

— 

— 

57 

188 

150 

30 

21 

15 

tt> 

30 

3 

3 

— 

3 

— 

— 

1846 


Jäner 

55 

189 

165 

34 

20 

8 

* 

29 

3 

2 

1 

2 

— 

— 

Februar 

45 

214 

159 

42 

22 

14 

35 

März 

58 

255 

211 

39 

19 

16 

2 

40 

2 

2 

— 

2 

— 

— 

April 

63 

235 

183 

34 

18 

12 

B. 

42 

2 

— 

2 

— 

— 

— 

Mai 

77 

238 

216 

39 

21 

14 

" 

38 

2 

2 

— 

2 

— 

1 

Juni 

60 

207 

178 

25 

18 

16 

5" 

45 

6 

4 

2 

4 

. — 

— 

Juli 

64 

222 

187 

22 

23 

16 

£- 

46 

3 

3 

— 

3 

— 

1 

August 

77 

195 

199 

17 

26 

9 

j= 

38 

7 

7 

— 

7 

— 

1 

September 

56 

170 

155 

10 

23 

12 

» 

31 

1 

October 

61 

195 

171 

14 

15 

.20 

3 
O 

31 

1 

1 

— 

1 

— 

— 

Xovember  i 

71 

215 

206 

10 

17 

18 

3- 

29 

2 

2 

— 

2 

— 

1 

December  | 

70 

209 

183 

14 

19 

16 

» 

37 

3 

3 

— 

3 

1 

— 

26 


1847 


Jäner 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

October 

November 

December 


72 

64 

83 

54 

81 

83 

85 

103 

108 

108 

112 


211 
241 

210 
240 
250 
218 
207 
183 
190 
216 
226 


202 
202 
204 
174 
210 
186 
157 
160 
168 
183 
202 


26 
23 
19 
15 
27 
24 
27 
27 
30 
47 
32 


1       1 


19 


1848 


Jäner 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

October 

November 

December 


129 

116 

129 

144 

127 

110 

149 

102 

87 

86 

66 

48 


219 
230 
240 
214 

229 
190 

184 
139 
184 
179 
182 


209 
182 
186 
195 
209 
119 
173 
126 
167 
181 
185 


2411201 


37 
32 
30 
47 
40 
38 
30 
34 
37 
31 
12 
4 


16 


1849 


Jäner 

Februar 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

August 

September 

October 

November 

December 


70 
71 
70 
66 
73 
58 
74 
59 
51 
52 
52 


238 
215 
222 
205 
232 
222 
213 
162 
184 
203 
230 


210 

27  i 

196 

20 

193 

32 

167 

31 

208 

39  1 

174 

32  i 

202 

26 

154 

16 

266 

17 

173 

30 

188 

33 

— 

— 

12 
16 
21 
19 
19 
11 
11 
13 
14 
12 
16 


1     — 


58  Bindehaut. 

Dieses  Vorkommen  der  Bindehautblenorrhüe  unter  den  Ammen  der  Findelanstalt 
gibt  in  mehrfacher  Beziehung  Aufschluss  über  diese  Krankheit. 

1.  Eine  Quelle  derselben  liegt  in  der  unmittelbaren  Übertragung  des  Secretes 
durch  Belastung,  mittelst  der  Finger,  eines  Tuches,  des  hinreichend  gesättigten  Wasch- 
wassers u.  dgl.  Diese  Verbreitungsweise  liess  sich  bei  einigen  constatiren,  bei  vielen 
mit  überwiegender  Wahrscheinlichkeit  supponiren  (bei  jenen,  welche  die  Krankheit  vom 
Weinen,  vom  Rauche,  vom  Schlafen  mit  dem  Kinde  herleiten) ;  allein  sie  war  bei 
einer    sehr  grossen  Zahl  ganz  gewiss  nicht  vorhanden. 

2.  Das  Ergriffenwerden  so  vieler  Individuen  in  Einem  Räume,  ohne  dass  eine 
Übertragung  durch  Betastung  stattgefunden  hatte ,  führt  natürlich  zu  der  Annahme 
einer  Ansteckung  durch  die  Luft.  Ein  flüchtiges  Contagium  entwickelt  diese  Krankheit 
ganz  gewiss  nicht ,  wenigstens  nicht  so  wie  Masern,  Scharlach,  Blattern  u.  dgl.  Die 
Annahme  einer  besondern  Verderbniss  der  Luft  als  Folge  des  Zusammcnwohnens  Vieler 
in  einem  Locale  genügt  auch  nicht.  Hingegen  deuten  alle  Umstände  darauf  hin,  dass 
die  Suspension  des  eitrigen  Secrets  in  der  Luft  es  ist ,  welche  die  Ansteckung  in 
distans  bewirkt.  Nur  wo  die  Luft  wenig  erneuert,  zugleich  in  eine  höhere  Temperatur 
versetzt,  und  wo  so  viel  Secret  zur  Verdunstung  vorhanden  ist,  kann  ^die  Luft  so  mit 
demselben  imprägnirt  werden,  dass  sie  zum  Träger  des  Contagiums  wird.  So  erklärt 
sich  das  häufigere  Vorkommen  bei  strenger  Kälte  und  in  den  heissen  windstillen  Som- 
merlagen;  so  erklärt  sich,  warum  erst  längeres  Verweilen  in  derart  imprägnirter  Luft 
ansteckt;  so  erklärt  sich,  warum  die  Aminen  nicht  mehr  erkranken,  seitdem  die  Blen- 
norrhoe den  Neugeborenen  durch  Anwendung  der  ektrolischen  Methode  minder  lang- 
wierig und  minder  ergiebig  an  Secret  geworden  ist ;  *)  so  erklärt  sich  endlich,  warum 
dem  Umsichgreifen  der  Krankheit  am  sichersten  ein  Ziel  gesetzt  wird,  wenn  man  die 
Blennorrhoischen  unter  andere  Augenkranke  oder  Gesunde  vertheilt.  Wo  nicht  viel 
Secret  zur  Verdunstung  vorhanden  ist,  da  kann  die  Luft  nicht  leicht  bis  zu  jenem 
Grade  gesättigt  werden,  dass  sie  dem  gesunden  Auge  ein  gehörig  concentrirtes  Con- 
tagium zuführen  könnte.  Starke  Verdünnung  mit  Wasser  reicht  ja  auch  hin,  die  An- 
steckungskraft des  eitrigen  Secretes  aufzuheben,  oder  doch  so  zu  schwächen,  dass  es 
nur  eine  ganz  gelinde,  dem  Katarrh  mehr  weniger  nahe  stehende  Entzündung  zu  er- 
zielen vermag.  —  Hier  drängt  sich  natürlich  die  Frage  auf,  ob  bloss  das  blennor- 
rhoische  Secret  der  Bindehaut  geeignet  sei,  durch  Suspension  in  der  Luft  gesunden 
Augen  gefährlich  zu  werden,  oder  ob  auch  ähnliche  Secrete  von  andern  Schleimhäuten, 
namentlich  von  den  weiblichen  Genitalien  nach  dem  Puerperium,  eine  gleiche  Wirkung 
hervorzubringen  vermögen.  Scheint  auch  das  häufigere  Vorkommen  der  Bindehaul- 
blennorrhöe  zu  Zeiten,  wo  Puerperalfieber  herrschen,  zur  Bejahung  dieser  Frage  ein- 
zuladen, so  ist  man  doch  bei  den  gegenwärtig  vorliegenden  Prämissen  noch  nicht  zu 
einem  solchen  Schlüsse   berechtigt. 

3.  Die  Ansteckung  in  distans,  welche  unbedingt  zugegeben  werden  muss,  und  nur 
durch  Sättigung  der  Luft  mit  dem  verdünsteten  Secrete  erklärt  werden  kann,  reicht 
aber  noch  keineswegs  hin,  über  das  Vorkommen  aller,  nicht  durch  Betastung  entstan- 
denen Fälle  während  jener  Zeit  Aufschluss    zu   geben.     Wir   bekamen   viele  Ammen  aus 


Ä)  Ich  bin  überzeugt,  dass  die  seil  1848  auf  meine  Empfehlung  eingeführte  Ahorlivmelhode  nach  Chassaignac  und 
Bednar  die  Ursache  ist,  dass  1849  so  wenig  Aminen  erkrankten.  Vergl.  Dr.  Grün  in  der  Prager  medicinischen 
Vierteljahrschr.fl  B.  XXII.  S.  To  und  B.  XXIII.  S.  141,  und  Dr.  Olar  B.  XXV,  S.  112. 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Findelhäuser.        59 

der  Findelanstalf,  welche  nicht  im  Augenkrankenzimmer  gewesen,  viele,  welche  nicht 
einmal  in  die  Nähe  blennorrhoischer  Kinder  gekommen  waren,  noch  an  ßlennorrhoea 
vaginae  gelitten  hatten.  Wir  sind  genöthigt,  noch  eine  besondere  Disposition  in  der  Luft 
oder  tellurische  Einflüsse  anzunehmen,  wenn  gleich  wir  dieselben  näher  zu  bezeichnen 
nicht  im  Stande  sind.  Alle  Welt  gibt  zu,  dass  Entzündungen  gewisser  Schleimhautpartien 
zu  gewissen  Zeiten  auffallend  häufig  und  heftig  vorkommen,  und  man  war  noch  nicht  im 
Stande,  die  atmosphärisch-tellurischen  Veränderungen,  auf  die  man  zuletzt  hingewiesen 
wird,  näher  zu  bezeichnen.  Ich  will  nur  auf  die  Influenza  hindeuten,  deren  Verhältniss 
zum  gewöhnlichen  Katarrh  der  Luftwege  vor  allen  an  das  Verhältniss  zwischen  der 
Bindehautblennorrhöe  und  dem  Augenkatarrh  erinnert.    Dass  aber 

4.  die  Bindehautblennorrhöe  in  Beziehung  auf  atmosphärisch-tellurische  Einflüsse 
mit  dem  Augenkatarrh  ganz  gleiche  Bedeutung  habe ,  nur  heftigere  Formen  darbiete : 
das  sahen  wir  eben  an  den  Ammen,  welche  aus  der  Findelanstalt  in's  Spital  gebracht 
wurden.  Bei  den  sogenannten  Puerperalkatarrhen  konnte  gar  oft  nicht  bestimmt  wer- 
den, ob  die  Krankheit  auf  dieser  Stufe  stehen  bleiben,  oder  aber  zur  Blennorrhoe  des 
3.  oder  mindestens  des  2.  Grades  steigen  werde.  Oft  von  ganz  gleichen  Formen  war 
die  eine  binnen  wenig  (5 — 12)  Tagen  geheilt,  die  einfache  Versetzung  aus  der  Findel- 
in  die  Augenheilanstalt  (wo  in  einem  Saale  auch  15 — 18  Personen,  aber  mit  verschie- 
denen Augenkrankheiten  zusammen  wohnten)  hatte  zur  Heilung  der  Krankheit  hinge- 
reicht, indess  bei  andern  (auch  wenn  kein  Verdacht  auf  Ansteckung  durch  Betastung 
vorhanden  war)  das  Übel  unaufhaltsam  bis  zum  3.  Grade  stieg,  oder  doch  in  einiger 
Zeit  die  bekannte  Wucherung  des  Papillarkörpers  und  schleimig-eitriges  (zur  Impfung 
geeignetes)  Secret  zeigte.  Man  hatte  die  Nützlichkeit  dieser  einfachen  Entfernung  aus 
der  Findelanstalt  sehr  bald  erkannt,  und  desshalb  auch  einige  leichtere  Fälle  geradezu 
in  ihre  Heimat  entlassen.  Von  diesen  nun  kam  eine  Amme,  welche  bereits  8  Tage  zu 
Hause  gewesen  war,  und  in  dieser  Zeit  nur  an  den  Erscheinungen  eines  einfachen 
Augenkatarrhs  gelitten  hatten,  mit  einer  heftigen  Bindehautblennorrhöe  auf  die  Augen- 
klinik, nachdem  sie  2  Tage  vorher  bei  stürmischem  Wetter  eine  Fussreise  gemacht  hatte 
(Mai  1841). 

B.  Noch  mehr  bestärkt  in  diesen  Ansichten  wurden  wir  durch  die  Bindehaut- 
blennorrhöe, welche  im  Jahre  1848  unter  den  restituirten  Findlingen  herrschte.  (Vergl. 
obige  Tabelle.) 

Findlinge,  welche  verschiedenen  Parteien  auf  dem  Lande  zur  Verpflegung  über- 
lassen worden  waren,  werden  aus  verschiedenen  Ursachen  der  Findelanstalt  zurückge- 
geben, namentlich  in  jenem  Alter,  wo  die  Anstalt  die  geringste  Vergütung  für  dieselben 
leistet,  also  besonders  zwischen  dem  5.  und  10.  Jahre,  und  zwar  mehr  Knaben  als 
Mädchen,  welche  letztere  man  in  Haushaltungen  eher  verwenden,  nutzbar  machen  kann. 
Die  Zahl  dieser  restituirten  Kinder  in  der  Findelanstalt  kann  demnach  leicht  auf  20—30 
männliche  und  10  —  20  weibliche  Individuen  steigen.  Von  diesen  Findlingen  nun,  wel- 
chen in  der  Anstalt  einige  Zimmer  zugewiesen  sind,  kamen  im  Jahre  1848  allein  46 
mit  acuter  Bindehautblennorrhöe  in  die  Augenheilanstalt.  Die  Zahl  der  Erkrankten  war 
aber  weit  grösser,  wie  ich  mich  bei  der  im  Sommer  1848  abgehaltenen  Commission 
überzeugte;  denn  nur  die  heftiger  erkrankten   waren  in's  Spital  übersetzt  worden. 

Die  Blennorrhoe  unter  den  restituirten  Findlingen  verlief  im  Allgemeinen  viel 
milder  als  bei  den  Ammen.  Nur  bei  3  von  jenen  46  Erkrankten  entstand  Hornhaut- 
Entzündung  mit  Verschw  ärung.  und  nur  1  Auge  hievon  erblindete.  Die  Krankheit  blieb  bei 


60  Bindehaut. 

den  meisten  auf  den  2.,  bei  sehr  vielen  auf  den  1.  Grad  beschränkt,  und  die  Steige- 
rung zum  3.  Grade  erfolgte  meistens  erst  nach  längerem  Bestehen  des  1.  und  2.  Grades. 
Sie  charakterisirle  sich  mehr  durch  Schwellung  der  Lidbindehaut,  als  durch  reichliche 
Seeretion,  und  führte  desshalb  in  einigen  Fällen  zu  Ektropium.  Der  Verlauf  war  dem- 
nach minder  gefährlich  als  hartnäckig ;  nur  wenige  der  Kranken  konnten  schon  nach 
einigen  Tagen  entlassen  werden,  wie  diess  bei  den  leicht  erkrankten  Ammen  sehr  häutig 
der  Fall  gewesen  war;  viele  mussten  bloss  wegen  Hartnäckigkeit  der  Wucherungen 
des  Papillarkörpers  und  der  schleimig -eitrigen  Secretion  4 — 5  Monate  im  Spitale  zu- 
rückbehalten werden. 

Wenn  man  auch  annimmt,  der  Keim  zu  diesen  zahlreichen  Erkrankungen  sei 
durch  einen  oder  einige  Findlinge  in  die  Anstalt  gebracht  worden ,  welche  von  der 
in  der  ersten  Kindheit  überstandenen  Blennorrhoe  vielleicht  niemals  völlig  befreit,  oder 
später  zufällig  daran  erkrankt  gewesen  waren;  wenn  man  auch  annimmt,  dass  das 
Übel  sich  von  einem  Kinde  auf  das  andere  verbreitet  habe,  sei  es  durch  Betastung  oder 
durch  die  imprägnirte  Luft  (die  Kinder  schliefen  zu  6' — 8 — 10  in  kleinen  Zimmern  eines 
wegen  Platzmangel  gemietheten  Privatgebäudes) ,  so  bleibt  es  doch  noch  immer  un- 
erklärt, warum  die  Krankheit  gerade  in  diesem  Jahre  eine  solche  Ausbreitung  gewann, 
wie  nie  zuvor,  niemals  nachher.  Wie  viel  aber  die  Ansteckung  durch  tastbare  Gegen- 
stände und  noch  mehr  durch  die  Luft  in  den  Wohn-  und  Schlafzimmern  zur  Verbrei- 
tung der  Krankheit  beigetragen  hatte,  das  zeigte  der  Erfolg  der  Massregeln,  welche 
die  Commission  in  dieser  Beziehung  anordnete,  und  welche  vorzüglich  die  Sonderung 
der  Gesunden  von  "den  Kranken,  fortwährende  Sorge  für  Erneuerung  der  Luft  und  eine 
gehörige  Dislocation  und  ärztliche  Pflege  auch  jener  bezweckten,  deren  Übersetzung 
in's  Spital  nicht  für  nothwendig  befunden  wurde.  (Anwendung  von  Cuprum  sulfur.  in 
Substanz,  von  Argent.  nitricum  in    mehr  weniger  concentrirter  Lösung.) 

C.  Sporadische  Fälle  bei  Erwachsenen  kamen  mir  theils  im  Spitale,  theils  in 
der  Privatpraxis  70  vor,  29  bei  männlichen,  41  bei  weiblichen  Individuen.  (Ich  zähle 
nur  die  acuten  Fälle  und  nur  jene,  welche  wegen  der  Blennorrhoe  selbst,  nicht  wegen 
der  einen  oder  der  andern  Nachkrankheiten,  z.  B.  Staphyloma  corneae,  Cataracta  centralis 
u.  dgl.  zur  Behandlung  kommen.)'") 

«)  Von  den  29  Männern  litten  16,  von  den  41  Weibern  14  zur  Zeit  der  Ent- 
stehung der  Augenblennorrhöe  an  Blennorhöe  der  Genitalien  in  verschiedenen  Stadien. 
Das  Übel  befiel  in  den  meisten  Fällen  nur  Ein  Auge,  wenn  der  Kranke  gleich  in  den 
ersten  Tagen  in  ärztliche  Behandlung  gekommen  war;  es  trat  20mal  zuerst  am  rechten, 
lOmal  zuerst  am  linken  Auge  auf;  nur  in  6  Fällen  wurde  auch  das  2.  Auge  ergriffen. 
Nur  wenige  wussten  sich  zu  erinnern,  dass  sie  bei  dieser  oder  jener  Gelegenheit  mit 
dem  Secrete  der  Genitalien  an  die  Augen  gekommen  sein  könnten.  Viele ,  von  den 
weiblichen  Individuen  die  meisten,  läugneten  ganz  dreist  jede  Aftection  der  Genitalien; 
wo  sich  die  Untersuchung  der  Genitalien  nicht  Avohl  vornehmen  liess,  wurde  die  Wäsche 

*)  Dr.  von  Hasner,  welcher  seine  Beobachtungen  ebenfalls  grösslentheils  im  hiesigen  Spital  machte,  vom  Juli  1S44 
bis  Oclober  1846,  bezeichnet  das  Verhältniss  der  weiblichen  Individuen  mit  Bindehautblennorrhöe  zu  den  männ- 
lichen mit  den  Zahlen  6  :1  (98:15),  ohne  hervorzuheben,  dass  dieses  Verhältniss  in  unserer  Anstalt  durch  be- 
sondere Umstände  bestimmt  werde,  nämlich  dadurch,  dass  das  Spital  die  meisten  Blennorrhoischen  aus  dem 
Findelhause  erhält  (in  jenem  Zeiträume,  laut  obiger  Tabelle  mindestens  30),  und  dass  übrigens  von  den  Hand- 
werkern, welche  Zünfte  bilden,  fast  nur  die  Schlosser  und  Tischler  in's  Spital,  die  übrigen  aber  zu  den  „Barm- 
herzigen"  gebracht  werden. 


Blenori'höe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Sporadisch.  61 

besichtigt,  und  diese  gab  uns  oft  ganz  unzweideutige  Beweise,  dass  eine  Blennorrhoe 
der  Genitalien  vorhanden  war.  Aus  dem  Status  praesens  jedoch,  und  auch  aus  dem 
Verlaufe  Hess  sich  niemals  bestimmen,  ob  die  Bindehautblennorrhöe  durch  Übertragung 
von  den  Genitalien  oder  auf  irgend  eine  andere  Art  entstanden  war. 

b}  Bei  6  Individuen  (2  männlichen,  4  weiblichen)  hatte  Ansteckung  von  andern 
Kranken  bestimmt  oder  höchst  wahrscheinlich  statt  gefunden.  Ein  Knabe  von  8  Jahren 
kam  mit  seinem  Vater,  welchem  beide  Hornhäute  in  Folge  von  Blennorrhoe  (aus  nicht 
ermittelbarer  Ursache)  zerstört  waren,  1840  (Juni)  in's  Spital,  und  ein  Knabe  von  14 
Ja  Inen,  dessen  älterer  Bruder  an  einem  Tripper  litt,  bekam  im  Juni  1849  eine  Blen- 
norrhoe 3.  Grades,  nachdem  auch  mehrere  Geschwister  an  Blennorrhoe  1.  Grades  er- 
krankt gewesen  waren.  Die  Frau  eines  Schlossers  ,  welche  ein  an  Blennorrhoe  er- 
kranktes Kind  säugte,  erkrankte  kurz  nach  einander  auf  dem  rechten  und  linken  Auge, 
und  3  Dienstmädchen  waren  in  Verkehr  mit  Personen  gestanden,  welche,  der  Beschrei- 
bung nach ,  an  chronischer  Bindehautblennorrhöe  litten.  So  war  z.  B.  die  eine  auf 
Besuch  zu  ihren  Verwandten  nach  Hause  gegangen,  welche  sämmtlich  schon  länger  an 
Böthe  und  vermehrter  Absonderung  der  Augen  litten,  und  war  schon  den  2.  Tag, 
nachdem  sie  mit  ihnen  gemeinschaftlich  ein  Handtuch  gebraucht  hatte,  von  Drücken 
und  Schneiden  und  heftigem  Thränen  der  Augen,  und  den  4.  Tag  von  allen  Symptomen 
einer  Blennorrhoe  befallen  worden,  welche  jedoch  im  Ganzen  einen  milden  und  kurzen 
Verlauf  (3  Wochen)  machte. 

c)  Bei  40  Individuen,  4  männlichen  und  6  weiblichen,  musste  Verhüllung  als 
alleinige,  oder  doch  wesentlich  beitragende  Ursache  angenommen  werden.  Ich  will  2 
Fälle  dieser  Art  etwas  genauer  anführen.  S.  E.,  34  Jahre  alt,  verheirathet,  kam  am  11. 
October  1847  auf  die  Augenkrankenabtheilung.  Die  Lider  beider  Augen  geschwollen, 
doch  die  Falte  des  obern  Lides  nicht  verstrichen,  die  Lidränder  gleichmässig  geröthet, 
die  Cilien  durch  Schleim  in  Büschel  verklebt.  Die  Bindehaut  der  untern  Lider  gleich- 
massig  hochroth.  leicht  geschwollen,  feinkörnig,  im  Übergangstheile  wulstig ;  auch  der 
Baum  zwischen  der  äussern  und  innern  Lefze  (Kante)  des  Lidrandes  hochroth  und  fein 
granulirt;  die  Bindehaut  über  dem  Tarsus  überdiess  mit  einer  dünnen,  florähnlichen 
Läse  weisslieh  grauen  Exsudates  bedeckt;  die  Bindehaut  des  obern  Lides,  so  weit 
man  sie  untersuchen  kann,  von  derselben  Beschaffenheit.  Die  Conjunctiva  bulbi  zu 
einem  schlaffen,  blassrothen  Walle  rings  um  die  Hornhaut  erhoben.  Die  Hornhaut  des 
linken  Auges  nach  innen  von  einem  hanfkomgrossen  Geschwüre  eingenommen,  dessen 
Mitte  weissnrau  und  etwas  hervorgetrieben  erscheint ;  die  vordere  Kammer  aufgehoben. 
Die  rechte  Hornhaut  nach  innen  und  unten,  !/2'"  vom  Rande  entfernt,  gleichfalls  ein 
durchbohrendes  Geschwür  darbietend,  die  Öffnung  durch  die  Iris  verlegt,  die  vordere 
Kammer  nur  etwas  kleiner.  Massig  reichliches  molkenartiges  Secret  mit  dicken  gelben 
Flocken.  —  Die  Kranke  hat  vor  2  Jahren  einen  Rheumatismus  im  Kniegelenk  über- 
standen; die  Fragen  nach  verschiedenen  Affectionen,  welche  auf  das  Augenleiden  Bezug 
haben  konnten ,  beantwortete  sie  verneinend ;  man  überzeugte  sich ,  dass  keine  Blen- 
norrhoe der  Genitalien  vorhanden  war;  sie  war  mit  keinem  Augenkranken  in  Berührung 
gekommen.  Sie  war  als  Wäscherin  häufig  dem  Einflüsse  der  feuchten  und  ziehenden 
Luft  ausgesetzt.  Vor  10  Tagen  trat  ohne  Veranlassung  ein  Gefühl  von  Druck  im 
äussern  Winkel  des  rechten  Auges  ein ,  dann  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  und 
etwas  Röthe;  früh  war  dasselbe  durch  Schleim  verklebt.  Da  auch  Kopfschmerzen  hin- 
zutraten ,   räucherte   sie   Tücher   mit   Flussrauch   und   band    sie    über   die   leidende    Seite. 


02  Bindehaut. 

Die  Zufälle  wurden  ärger;  dessen  ungeachtet  beschäftigte  sich  die  Kranke  den  3.  Tag 
mit  Wäsche  und  Fussboden-YYaschen,  wobei  sie  starker  Zugluft  ausgesetzt  war.  Die 
Menstruen,  welche  sonst  immer  regelmässig  durch  8  Tage  flössen,  und  jetzt  ungefähr 
um  dieselbe  Zeit  eingetreten  waren,  wo  das  Auge  zu  leiden  anfing,  wurden  von  diesem 
Tage  an  sparsamer,  und  hörten  schon  den  5.  Tag  ganz  auf.  Am  4.  Tage  hatten  sich  die 
Zu  (alle  am  rechten  Auge  verschlimmert,  und  am  5.  erkrankte  auch  das  linke  Auge,  auf 
beiden  gesellte  sich  alsbald  starke  Geschwulst  der  Lider,  Ausfluss  einer  eiterähnlichen 
Flüssigkeit  und  zuletzt  Unmöglichkeit,  Gegenstände  wahrzunehmen,  hinzu.  Wir  fanden 
beiderseits  eine  Blennorrhoe  3.  Grades. —  Z.  J.,  Kellner,  24  Jahre  alt,  erkrankte  am  26. 
Jäner  1842  auf  dem  linken  Auge;  er  empfand  leichte  drückende  Schmerzen,  und  be- 
merkte, dass  es  thränte.  Denselben  Tag  Abends  musste  er  sehr  häufig  bald  in  einen 
mit  xWenschen  überfüllten  und  hell  beleuchteten  Saal,  bald  in's  Freie.  In  der  Nacht  schwoll 
das  Auge  an,  die  Schmerzen  wurden  heftiger,  das  Thränen  reichlicher.  Am  27.  über- 
schlug er  kaltes  Wasser,  jedoch  nur  kurze  Zeit,  da  Geschwulst  und  Schmerzen  dabei 
ärger  wurden.  Abends  gesellte  sich  Fieber  dazu.  Am  28.  verordnete  ein  Arzt,  ein 
gelbes  Augenwasser;  das  Übel  wurde  ärger,  der  Ausfluss  aus  dem  Auge  reichlich, 
weisslich.  Am  29.  fanden  wir  die  Lider  gleichmässig  ödematös  bis  zur  Höhe  des  Augen- 
brauenbogens  geschwollen,  etwas  empfindlich,  wärmer,  gegen  den  Rand  violett;  die 
Lidspalte  konnte  spontan  nicht  geöffnet  werden,  die  Cilien  waren  in  Büschel  verklebt; 
die  Conjunctiva  palpebr.  bläulichroth,  geschwollen,  die  Übergangsfalte  wulstig;  die 
Conjunctiva  bulbi  bildete  einen  3'"  hohen  Wall  rings  um  die  Cornea;  diese  rein  und 
glänzend;  auf  der  Bindehaut  zahlreiche  Flocken,  zum  Theil  in  einer  molkenähnlichen 
Flüssigkeit  schwimmend.  Brennende  Schmerzen  im  Auge,  Lichtscheue,  abendliche 
Exacerbation ,  massiges  Fieber.  —  Der  Kranke  ist  von  zarter  Constitution ;  er  soll  im 
18.  und  19.  Jahre  an  Lungenentzündung,  im  21.  an  Bluthusten  gelitten  haben.  Nebstdem 
litt  er  zu  verschiedenen  Zeiten  an  reissenden  Schmerzen  in  verschiedenen  Partien,  zur 
Zeit,  als  das  Auge  erkrankte,  in  der  Gegend  des  rechten  Musculus  sternocleidoma- 
stoideus,  so  dass  er  den  Kopf  schief  halten  musste.  Er  gestand  offen,  wohl  in  früherer 
Zeit  an  Tripper  gelitten  zu  haben,  jetzt  aber  seit  mehr  als  einem  Jahre  sei  er  ganz 
gesund,  auch  mit  Niemandem,  von  dem  er  sich  hätte  anstecken  können,  in  Berührung 
gekommen ;  er  sei  bloss  in  Folge  der  Verkältung  erkrankt,  und  zwar  so  bedeutend, 
weil  er  sich,  bereits  erkrankt,  nicht  habe  schonen  können.  Da  wir  keine  Ursache 
hatten,  gegen  die  Angaben  des  Kranken  Zweifel  zu  hegen,  auch  keine  Spur  von  Tripper 
fanden,  setzten  wir  10  Blutegel  an  die  Schläfe  und  gaben  4  Gran  Tart.  stibiatus  in  3 
Unzen  Aq.  dest.,  alle  10  Minuten  1  Esslöffel,  fleissige  Reinigung  des  Auges  mit  lauem 
Wasser,  strenge  Diät,  gleichmässige  Temperatur.  Es  erfolgte  4mal  Erbrechen  und  eini- 
gemal Stuhl.  Am  30.  war  die  Geschwulst  der  Lider  um  die  Hälfte  kleiner,  das  Secret 
weniger  reichlich,  der  Puls  normal.  Unter  Fortsetzung  des  Tart.  stib.  r.  d.  bis  zum. 2. 
Februar  gingen  alle  Symptome  gleichmässig  zurück,  nur  die  Schwellung  der  Conjunctiva, 
namentlich  des  Papillarkörpers  blieb  bis  gegen  Ende  Februar.  Am  4.  Februar  Abends 
traten,  ohne  dass  man  eine  Veranlassung  eruiren  konnte,  heftige  Schmerzen,  vom  Auge 
sich  über  den  Kopf  verbreitend,  ein,,  verloren  sich  jedoch  nach  Anwendung  eines  Bla- 
senpflasters auf  den  Nacken  .  und  eines  Abführmittels,  und  am  22.  Februar  stellte  sich, 
gleichfalls  ohne  bekannt  gewordene  Ursache,  eine  heftige  Angina  tonsillaris  mit  Fieber- 
bewegungen ein,  wesshalb  der  Kranke  erst  am  2.  März  als  völlig  gesund  erklärt  werden 
konnte. 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  63 

d)  Von  den  24  Fällen,  wo  durchaus  nichts  über  die  Ursache  ermittelt  werden 
konnte,  kommen  die  meisten  auf  die  Jahre  1847  und  1848.  Von  den  7  Männern  hievon 
war  der  jüngste  20,  der  älteste  40  Jahre  alt,  jener  ein  Schullehrergehilfe,  dieser  ein 
Bauer  (Vater  des  eben  erwähnten  8jährigen  Knaben).  Unter  den  andern  5  waren  4 
Taglöhner  und  ein  Pferdeknecht,  von  24 — 30  Jahren.  Unter  den  17  weiblichen  Indi- 
viduen mit  gänzlich  zweifelhafter  oder  unbekannter  Ursache  war  ein  11  jähriges 
Mädchen  mit  Blennorrhoe  mildern  Verlaufes  (seit  6  Wochen)  auf  beiden  Augen,  und  eine 
12jährige  Taglöhnerstochter  mit  hochgradiger  Blennorrhoe  des  rechten  Auges,  dann  eine 
ledige  Taglöhnerin  von  46  Jahren  mit  hochgradiger  Blennorrhoe  (seit  14  Tagen),  und 
eine  36jährige  ledige  Person,  welche  bereits  mehrere  Wochen  lang  wegen  eines  Vitium 
org.  cerebri  auf  der  Internabiheilung  behandelt  und  daselbst  auf  dem  linken  Auge  an 
einer  Blennorrhoe  höhern  Grades  erkrankt  war.  Unter  den  übrigen  13  waren  7  ledige 
dienstlose  Mädchen,  2  Nähterinnen,  1  Nadelstechers-,  1  Schmiedstochter  und  eine  Fa- 
briksarbeiterin, alle  im  Alter  von  18  —  27  Jahren,  endlich  ein  Ziegeldeckerseheweib, 
letztere  zur  Zeit  der  Aufnahme  bereits   14  Tage  krank. 

Dreimal  wurde  ich  zu  Kindern  (Mädchen  von  2 — 5  Jahren  gerufen),  welche  an 
acuter  Bindehautblennorrhöe  erkrankt  waren,  ohne  dass  man  eine  äussere  Ursache,  am 
wenigsten  Ansteckung,  supponiren  konnte.  Es  waren  blonde  Kinder  mit  dünnem  Kno- 
chenbau, zarter  Haut,  leichten  gerötheten  Wangen,  lebhaftem  Wesen.  Das  Leiden  war 
mehr  eine  heftige  Blepharoblennorrhöe,  und  zwar  beider  Augen;  in  allen  diesen  Fällen 
war  die  Conjunct.  palp.  mit  einer  mächtigen  croupösen  Exsudatschichte  belegt,  welche 
sich  bei  zweien  erst  nach  einigen  Tagen  durch  Erweichung  und  Zerfliessung  ablöste. 
Trotzdem  die  Geschwulst  der  Lider  gross  und  das  Secret  dann  reichlich  und  dickflüssig 
war,  blieb  doch  in  allen  Fällen  die  Conjunctiva  bulbi  von  Geschwulst  und  somit  auch 
die  Cornea  von  Entzündung  frei ;  die  Kranken  genasen  bei  fleissiger  Reinigung  der 
Augen  unter  Anwendung  gelinder  Abführmittel  und  Einreibungen  von  Unguentum  cine- 
reum  mit  etwas  Extr.  belladonnae  an  Stirn  und  Schläfe. 

Unstreitig  in  der  grössten  Ausbreitung  und  Heftigkeit  ist  die  Binde- 
liautblennorrhöe  unter  dem  Militär  in  den  stehenden  Heeren  des  jetzigen 
Jahrhunderts  vorgekommen. 

Nach  dem  Berichte  Larrey 's, *)  obersten  Militärarztes  des  französischen  Heeres, 
entwickelte  sich  diese  Augenentzündung,'  welche  in  Ägypten  einheimisch  ist,  bald  nach 
der  Landung  der  Truppen  daselbst  (2.  Juli  1798),  und  verbreitete  sich  so  schnell  unter 
denselben,  dass  schon  in  den  letzten  Monaten  dieses  und  in  den  ersten  des  folgenden 
Jahres  fast  alle  Soldaten  (das  ganze  Heer  bestand  aus  etwa  32000  Mann)  davon  ergriffen 
waren.  Nach  Assalini,  einem  der  ausgezeichnetsten  Ärzte  bei  dieser  Expedition,  wurden 
jedoch  diejenigen  Truppen,  welche  längs  den  Ufern  des  Nils  aufgestellt  waren,  ferner 
jene,  die  im  Delta  verblieben,  dann  die  Division  Desaix,  welche  den  Nil  in  Oberägypten 
besetzt  hielt,  und  besonders  die  Sappeurs,  welche  man  bei  dem  Bau  der  fliegenden 
Brücke  zwischen  Gizeh  und  der  Insel  Raoudah  verwendete,  vorzüglich  mitgenommen. 
Larrey  leitet  die  ungeheuer  schnelle  Ausbreitung  dieser  Entzündung,  oder,  besser  ge- 
sagt,  das  schnelle  Ergriffenwerden  fast  aller  Soldaten,  von  den  beschwerlichen  Märschen 

'")  Die  geschichtlichen  Bemerkungen   sind   entlehnt  ans  B.  Eble's    Monographie  über  die  sogenannte   contagiose    oder 
ägyptische  Augenentzändung,   Stuttgart    1839,  bei   Imle  und  T.iesching. 


64  Bindehaut. 

her,  welche  die  Truppen  in  jener  Zeit  mitten  durch  dürre,  wasserleere  Sandwüsten 
machen,  und  sich  hier  nun  auf  einmal  erst  der  glühenden  Tageshitze,  dann  der  feuchten 
Kälte  in  der  Nacht  Preis  geben  mussten,  ohne  sich  dagegen  schützen  zu  können.  In 
dem  folgenden  Feldzuge,  1800,  hatten  Ruhe,  die  nöthige  Vorsicht  auf  den  Märschen 
und  die  Acclimatisirung  das  Übel  fast  unmerklich  gemacht.  Als  aber  die  Armee  im 
Anfang  des  Jahres  1801  gegen  die  bei  Abukir  gelandeten  Engländer  marschiren  mussle, 
und  am  21.  März  die  Schlacht  bei  Alexandrien  geliefert  hatte,  bewirkten  diese  Um- 
stände, dann  die  Hitze,  die  beschwerlichen  Schanzarbeiten  und  die  kalten  Nächte  den 
abermaligen  Ausbruch  des  Übels,  welches  jetzt  die  schwächsten  Individuen,  z.  B. 
Blessirte  und  solche,  die  schon  einmal  daran  gelitten  hatten,  befiel.  Ein  grosser  Theil 
der  Truppen,  welche  in  den  feuchten  Gegenden  campiren  mussten,  wurden  aügenkrank, 
und  in  2'/2  Monaten  wurden  mehr  als  3000  Mann  in 's  Spital  geschickt.  Die  Krankheit 
yynrde  von  Larrey,  Assalini  und'  den  andern  Ärzten  als  katarrhalische  Ophthalmie 
(Fluxion  catarrhale)  behandelt,  und  scheint  nur  in  sehr  wenig  Fällen  schlimme  Folgen 
hinterlassen  zu  haben.  Nachdem  der  Rest  der  Armee  (13000  Mann)  nach  Frankreich 
zurückgekehrt  war,  nahm  diese  Augenentzündung  bedeutend  ab,  und  es  ist  seitdem  in 
den  verschiedenen  Armeen  Frankreichs  nie  mehr  eine  solche  Augenentzündungsepi- 
demie vorgekommen. 

Dagegen   wurde   die   italienische  Armee,   welche  einen  Theil   des    grossen   franzö- 
sischen  Heeres   bildete,   seit  dem  Jahre  1805   bis  zu    ihrer   Auflösung    1815   von   diesem 
furchtbaren    Übel   in   verschiedenen    Garnisonen    häufig,    und   zwar   jederzeit   epidemisch 
heimgesucht.     Zuerst  trat    die  Krankheit  bei  der   italienischen   Legion,    dem    nachmaligen 
6.   Infanterieregiment,   welche    1803  die   Insel    Elba  gemeinschaftlich   mit   dem   früher   in 
Syrien    gestandenen    6.    französischen  Regimente  besetzte,    auf.     Weil  nun,    wie  Laverini 
berichtet,    unter   dem    letzten   Regimente,   welches   schon  in   Syrien   Augenkranke    dieser 
Art   gehabt   haben   soll,   auch    während   seines  Aufenthaltes   auf  Elba  immer   solche   Au- 
genkranke   vorkamen,   und   seitdem   die   Augenkrankheit   auch   unter   dem  6.  ital.  Regi- 
mente  um    sich   griff,    so   behaupteten    Omodei  u.   A.,    die  Krankheit  sei  aus  dem  Orient 
aus  Ägypten  eingeschleppt  worden.  Omodei  und  die  Anhänger  seiner  Ansicht  behaupten, 
dass    diese   Krankheit   durch   3   Bataillons    des    6.    italienischen   Regiments,    welche  1808 
nach   Spanien    geschickt   wurden,   nach  Spanien,  durch  die  übrigen   Bataillons   aber   von 
Elba    aus  1810   nach  Mantua  und  1811    nach  Ancona  verpflanzt,   und   so  auch  den  übri- 
gen hier   befindlichen  Truppenabtheilungen    mitgetheilt  worden.     Indessen  herrschte   nach 
Assalini    die    Krankheit    schon    im   Mai    1791    unter    einigen    Bataillons    modenesischer 
Truppen,    welche   nach   Reggio   geschickt    wurden,    und    beschränkte    sich   auch    später 
keineswegs  auf  das  6.  italienische  Regiment  und  die  mit  ihm  in  Berührung  gekommenen 
andern   Regimenter,   sondern  es  befiel  1808   auch  das    1.  leichte   italienische    Infanterie- 
regiment  zu   Vicenza   so    stark,   dass,   nach   Assalini,    600  Mann  erkrankten,  nach  Cimba 
1809   die    italienischen    Garde-Grenadiere   auf  ihrem   Marsche   nach  Ungarn,  nachdem  sie 
schon    2  Jahre    früher   in    Mailand   viele    derlei  Augenkranke  hatten,  und  1809  die  Zög- 
linge   der  Militärschule   zu   Mailand,   welche  Assalini   speziell   untersuchen    musste.      Am 
heftigsten   wüthete    die  Krankeit   in  Ancona.     Zuerst  brach   die    Epidemie    1811    in    dem 
6.   Regimente    aus,   und   erreichte    1812    eine   solche    Stärke   und   Bösartigkeit,    dass  von 
1500  Soldaten  97    auf  einem  und  49  auf  beiden  Augen  erblindeten.     Auch  1813  dauerte 
das   Übel   noch   fort,   so    dass   in   diesem  Jahre  noch  65  Mann   das   Augenlicht   verloren. 
In   allen    diesen    Epidemien   unter   den   italienischen    Truppen    zeigte   sich    übrigens   sehr 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  65 

auffallend,  dass  die  Infanterie  vorzugsweise  vor  der  Cavallerie,  und  dass  die  Rekruten 
am  häufigsten  ergriffen  wurden.  Bis  1817  kam  in  Oberitalien  unter  dem  Militär  weiter 
keine  Epidemie  vor ;  Ende  dieses  und  Anfangs  des  folgenden  Jahres  erschien  die 
Krankheit  in  dem  Militärspitale  zu  Livorno,  und  von  da  bis  1824  hörte  sie  daselbst  nie 
ganz  auf,  doch  nahm  ihre  Verbreitung   von  Zeit  zu  Zeit  ab. 

Die  englische  Armee,  welche  1800  bei  Abukir  landete,  wurde  nach"  Larrey's 
Angabe,  gleichzeitig  mit  den  Franzosen  und  auch  eben  so  häufig  von  dieser  Augen- 
krankheit befallen.  Auch  ergriff  das  Übel  die  Bemannung  einzelner  vor  Anker  liegender 
Kriegsschiffe  in  Masse,  und  brach  nach  der  1803  erfolgten  Räumung  Ägyptens  durch 
die  nach  Malta,  Sicilien,  Gibraltar  und  England  zurückkehrenden  Truppen  unter  der 
Garnison  dieser  Orte  wieder  aus.  In  Gibraltar,  dessen  Garnison  eine  Zeit  lang  fast 
ganz  aus  Regimentern  bestand,  welche  in  Ägypten  gewesen  'waren,  und  mehr  oder 
weniger  an  der  Augenentzündung  gelitten  hatten,  herrschte  dieselbe  sehr  häufig,  und 
ergriff  später  nicht  nur  die  übrigen  Regimenter,  welche  den  ägyptischen  Feldzug  nicht 
mitgemacht  hatten ,  sondern  auch  die  Civilbewohner  von  Gibraltar.  Nach  J.  Vetch 
stimmten  alle  englischen  Militärärzte  darin  überein,  dass  alle  Regimenter  der  englischen 
Armee ,  welche  mit  jenen  in  Garnison  zu  liegen  kamen,  die  an  dieser  Krankheit  in 
Ägypten  oder  auf  dem  mittelländischen  Meere  gelitten  hatten,  von  derselben  heimge- 
sucht wurden;  doch  gesteht  er  selbst  ein,  dass  jene  Soldaten  seines  (52.  Infanterie-) 
Regiments,  bei  welchem  die  Krankheit  zuerst  erschien,  früher  an  derselben  in  Irland 
bereits  gelitten,  und  sie  von  da  unter  die  Freiwilligen  der  irländischen  Miliz,  welche 
zu  diesem  Regimente  gestossen  waren,  verpflanzt  hatten.  Vom  2.  Bataillon  dieses  Re- 
gimentes, welches  aus  mehr  als  700  Mann  bestand,  sind  vom  August  1805  bis  August 
1806  allein  663  mit  dieser  Krankheit  in's  Spital  aufgenommen  worden,  und  hievon  40 
auf  einem,  50  auf  beiden  Augen  erblindet.  Nach  Adams  hat  diese  Augenkrankheit  seit 
der  Zeit,  als  die  brittische  Armee  in  Ägypten  war,  in  England  unter  den  Regimentern 
die  schrecklichsten  Verheerungen  angerichtet.  In  dem  52.  Regimente  sollen  vom  Juli 
1805  bis  Mai  1806  im  Ganzen  1341  Mann  augenkrank  geworden  sein,  und  das  Übel 
bis  zum  December  desselben  Jahres  mit  gleicher  Heftigkeit  fortgedauert  haben,  ja  das 
Regiment  noch  in  den  Jahren  1809  und  1810  nicht  ganz  davon  befreit  gewesen  sein- 
in Malta  erlosch  die  Krankheit  erst  1805,  und  in  Sicilien,  wo  sie  1806  nach  der  Lan- 
dung der  Engländer  ausgebrochen  war,  dauerte  sie  fast  stationär  fort  bis  zum  Abzug 
der  Truppen.  Später  hat  sich  die  Krankheit  vorzüglich  unter  den  in  Frankreich  stehen- 
den Truppen  häufig  gezeigt.  Im  Jahre  1815  wurden  300 — 400  Mann  von  einem  Garde- 
Regiment  bei  Waterloo  augenkrank ;  in  andern  Regimentern  herrschte  das  Übel  nur  etwas 
gelinder ;  aber  zu  Cambrai,  wo  die  Engländer  ein  Spital  errichtet  hatten,  belief  sich 
die  Zahl  solcher  Augenkranken  täglich  auf  150  —  250  Mann,  so  dass  kein  Mann  der  in 
dieser  Stadt  einquartirten  Coldstream-Garden  verschont  blieb.  Unter  dem  Civile  jedoch 
verbreitete  sich  die  Krankheit  nicht.  In  dem  Militär-Asyl,  einer  Anstalt  für  Soldaten- 
waisen, welche  gewöhnlich  1200  bis  1400  Kinder  enthält,  kamen  vom  Jahre  1804,  wo 
die  Krankheit  zum  ersten  Male  beobachtet  wurde,  bis  zum  Jahre  1811  beinahe  1500 
Krankheitsfälle,  die  Recidiven  mitgerechnet,  vor.  Doch  war  das  Übel  nicht  so  bös- 
artig, als  unter  den  Soldaten.  Im  Jahre  1818  gab  es  mehr  als  500  blinde  Invaliden 
in  England. 

Was  das  österreichische  Militär  betrifft,  so  liegt,  nach  Eble,  bis  zum  Jahre  1822 
nicht  eine  einzige  Thatsache  vor,  woraus  man  auf  eine  unter  denselben  epidemisch 
Arll,  I.  5 


66  Bindehaut. 

herrschende  Augenlidblennorrhöe  schliessen  könnte.  Im  Jahre  1822  — 1823  trat  dieselbe 
zu  Klagenfurt  im  13.  Infanterieregimente  auf,  welches  1814  aus  den  Überresten  der 
ehemaligen  französisch-italienischen  1.,  2.,  4.  und  6.  leichten  Infanteriereginlenter  ge- 
bildet worden  war,  und  in  welchem  sich  bei  seiner  Zusammensetzung  mehrere  Indivi- 
duen befanden,  die  theils  wirklich  unter  der  Armee  in  Ägypten  gedient  hatten  und 
daselbst  sogar  augenkrank  gewesen  waren,  theils  die  Epidemie  zu  Ancona  mitgemacht, 
oder  auf  Elba,  Palma  nouva,  in  Spanien,  Sicilien,  Mantua  und  zu  Vicenza  dieselbe  oder 
eine  ähnliche  Augenkrankheit  überstanden  hatten  ;  es  sollen  sogar  einige  derselben  noch 
augenkrank  zum  Regiment  gekommen  sein.  Diese  Umstände  zusammen  genommen  gaben 
Veranlassung  zu  der  Behauptung,  die  im  Jahre  1822  epidemisch  ausgebrochene  Augen- 
krankheit stamme  aus  Ägypten.  Diese  Behauptung  erhielt  neue  Stärke  durch  den 
Umstand,  dass  dieses  Regiment  schon  1815  zu  Brunn  und  1816  zu  Klagenfurt  viele 
Augenkranke  hatte,  worunter  selbst  3  Unterärzte,  und  dass  überhaupt  dieses  Übel  bis 
zum  Jahre  1822  niemals  ganz  getilgt  wurde.  Das  Regiment  verlor  vom  Jahre  1815  bis 
1822   im    Ganzen   52   Mann    durch   theilweise   oder    gänzliche   Erblindung.     Im  Frühjahr 

1822  steigerte  sich  die  Krankheit,  begünstigt  durch  die  strengen  Waffenübungen,  die 
ausserordentlich  heisse  und  sehr  oft  plötzlich  wechselnde  Witterung,  so  wie  durch  die 
häufigen  Orkane.  Im  April  erkrankten  plötzlich  12  Mann,  und  nun  nahm  die  Zahl  bis 
Ende  August  immer  mehr  zu,  dann  bis  Ende  December  wieder  ab,  so  dass  von  402 
Augenkranken  nur  noch  27  Mann  verblieben.  Als  man  aber  auf  Veranlassung  des  hiezu 
eigens  nach  Klagenfurt  abgeschickten  Dr.  Wernek  im  Jänner  1853  das  ganze  Regiment 
in  seinen  verschiedenen  Stationen,  so  wie  auch  die  Knaben  des  dortigen  Militärerzie- 
hungshauses einer  genauen  Untersuchung  unterzog,  erwies  sich  die  Zahl  der  Kranken 
als  492,  wozu  im  Februar  weitere  131,  im  März  30,  im  April  102,  im  Mai  113,  im 
Juni   59,    im   Juli    19,   im   August   5  und   im  September  10  kamen,    so  dass  seit  Anfang 

1823  zusammen  961,  und  während  der  ganzen  Epidemie  1300  Individuen,  worunter 
über  200  mit  acuter  Blennorrhoe,  erkrankt  waren.  Dennoch  war  der  Ausgang  über- 
haupt günstig  zu  nennen,  besonders  von  dem  Augenblicke  an,  als  man  die  Krankheit 
zweckmässiger  behandelte  und  für  ansteckend  betrachtete.  Die  Zahl  der  ganz  und 
theilweise  Erblindeten  war  76,  und  davon  fallen  72  ganz  allein  in  die  Zeit  vor  dem 
Jäner  1823.  —  Nach  einer  10jährigen  Pause,  während  welcher  die  ganze  österreichi- 
sche Armee  von  jeder  epidemischen  Augenentzündung  frei  blieb,  brach  an  demselben 
Orte  und  fast  unter  gleichen  atmosphärisch-tellurischen  und  Militärdienstes-Verhältnissen 
(1832)  eine  der  eben  beschriebenen  an  Stärke  nicht  viel  nachstehende,  aber  doch 
nicht  so  bösartige  Epidemie  aus.  Diesmal  waren  es  nicht  Italiener,  sondern  das  2. 
Bataillon  vom  Peterwardeiner  und  das  1.  und  2.  Bataillon  vom  Grasdiner  Grenzregi- 
ment und  1  Bataillon  des  7.  Infanterieregimentes,  welche  in  und  um  Klagenfurt  kaser- 
nirten.  Die  Erziehungskuaben  blieben  diesmal  verschont.  Man  war  durchaus  nicht 
im  Stande,  einen  ursächlichen  Zusammenhang  der  jetzigen  mit  der  früheren  Epidemie 
nachzuweisen.  Diesmal,  wo  man  die  früheren  Erfahrungen  verständig  benützte,  er- 
blindete von  946  Augenkranken,  worunter  gegen  100  acute  Blennorrhöen,  kein  einziger 
ganz,  2  nur  einerseits,  und  5  wurden  wegen  unheilbarer  Nachkrankheiten  für  dienst- 
untauglich erklärt.  Vom  2.  Bataillon  des  Peterwardeiner  Grenzregimentes,  also  von 
1238  Mann,  erkrankten  920,  vom  Gradiscaner  Regiment  nur  13,  vom  Bataillon  des  7. 
Infanterieregiments  ebenfalls  nur  13  Mann.  Die  Epidemie  dauerte  vom  Juli  bis  De- 
cember,  und    erreichte    ihre    grösste   Höhe   am   3.  October.     Das   hauptsächlich  ergriffene 


Blennorrhoe  — Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  67 

Bataillon  lag  in  der  Waisenhauskaserne,  und  die  Epidemie  begann,  nachdem  kurz  vor- 
her die  Kaserne  gereinigt  und  geweisst  worden  war,  was  bei  sehr  ungünstiger  Witte- 
rung geschah.  Im  Juli  und  August  überschritt  die  Krankheit  nie  den  niedern  Grad, 
wurde  daher  auch  für  eine  gewöhnliche  katarrhalische  gehalten  und  als  solche  be- 
handelt. Erst  im  September  erreichte  das  Übel  mit  steigender  Extensität  auch  eine 
immer  grössere  Intensität,  nämlich  den  2.  und  in  ein  paar  Fällen  den  3.  Grad. 

Die  grösste  Ausbreitung  erlangte  die  Krankheit  unter  den  preussischen  Truppen 
vom  Jahre  1813  bis  1820.  Unter  dem  Armeecorps,  mit  welchem  General  York  die 
ans  Russland  fliehenden  Franzosen  verfolgte,  nahm  die  früher  herrschende  Nervenfieber- 
Epidemie  im  Frühjahre  1813  bedeutend  ab ;  dagegen  zeigten  sich  die  ersten  Spuren 
einer  Augenentzündung  in  den  verschiedenen  Truppenabtheilungen,  vorzüglich  bei  der 
Infanterie  des  3.  Armeecorps ,  welches  die  Franzosen  bis  Magdeburg  verfolgt  hatte. 
Dr.  Krantü  zählte  bei  dem  1.  ostpreussischen  Infanterieregiment  von  seinem  Marsche 
aus  Königsberg  bis  zur  Schlacht  bei  Leipzig  an  700  Augenkranke  (katarrhalische  *f)\ 
welche  sämmtlich  ohne  üble  Folgen  wieder  hergestellt  wurden.  Vom  Infanterieregiment. 
Kolberg,  welches  ebenfalls  bei  mancherlei  Mängeln  und  Noth  den  grössten  Mühselig- 
keiten ausgesetzt  war ,  wurden  1813  im  Mai  250  Mann  von  einer  (katarrhalischen) 
Augenentzündung  befallen,  und  auch  diese  sollen  alle  beim  Regimente  glücklich  be- 
handelt und  geheilt  worden  sein.  Nicht  minder  erfreuliche  Berichte  erhielt  man  vom 
2.  Ostpreussischen  Grenadierbataillon,  welches  vom  1.  Mai  bis  Ende  August  desselben 
Jahres  185,  vom  13.  Infanterieregimente,  welches  in  diesem  Jahre  267,  dann  vom  1. 
Landwehr-Infanterieregimente,  welches  binnen  Jahresfrist  1500,  und  vom  1.  ostpreussi- 
schen Infanterieregimente,  welches  während  der  Belagerung  von  Torgau  an  200  derlei 
.Augenkranke  hatte.  Fast  auf  gleiche  Art  lauten  die  Berichte  "von  den  übrigen  Infan- 
terieabtheilungen; nur  bei  dem  6.  Reserve-Infanterieregimente,  welches  bei  den  Bela- 
gerungen von  Stettin,  Torgau  und  Wittenberg  verwendet  und  ebenfalls  von  dieser 
Krankheit  epidemisch  heimgesucht  wurde ,  'steigerte  sich  dieselbe  öfters  bis  zur  Oph- 
thalmoconjunctivitis  (Chemosis  und  Phlegmone),  wurde  aber  doch,  bis  auf  sehr  wenige 
Fälle,  eben  so  leicht  und  vollständig  wie  bei  den  andern  Regimentern  bezwungen. 
Die  sämmtlichen  Cavallerieregimenter  blieben  fortan  von  der  Epidemie  verschont,  und 
die  katarrhalische  Augenentzündung  kam  bei  ihnen  höchstens  sporadisch,  und  da  ver- 
hältnissmässig  selten  vor.  Die  preussischen  Mililitärärzte  dieser  Zeit  machen  auf  ein 
gewisses  Wechselverhältniss  der  Augenepidemie  mit  der  Typhusepidemie  unter  den 
Truppen  aufmerksam.  Mit  dem  Herbste  1813  zeigte  sich  diese  Augenkrankheit  bald 
bei  einzelnen  Individuen ,  bald  bei  mehreren  zugleich ,  und  vorzugsweise  bei  einer 
beträchtlichen  Anzahl  von  Individuen  bestimmter  Truppengattungen  in  sehr  heftigem 
Grade  und  mit  nicht  selten  sehr  unglücklichen  Ausgängen,  daher  man  sie  denn  auch 
Ophthalmia  maligna  vel  perniciosa  nannte.  Als  solche  trat  dieselbe  vorzüglich  auf, 
nachdem  die  Armee  während  des  Waffenstillstandes  die  Gegenden  von  Dresden,  Torgau, 
Wittenberg  und  Magdeburg  eingenommen  hatte.  In  den  Jahren  1814  und  1815  mehrte 
sich  die  Zahl  der  perniciösen  Angenentzündungen  am  stärksten  bei  den  Infanterie- 
abtheilungen,  namentlich  bei  dem  1.  und  3.  Bataillon  des  5.  ostpreussischen  Landwehr- 
regiments, beim  16.  Infanterieregiment,  welche  beide  früher  immer  verschont  geblieben, 
ferner  in  dem  Füselirbataillon  des  1.  westpreussischen  Infanterieregiments  zu  Kosel. 
Als  die  preussische  Armee  in  Eilmärschen  nach  Frankreich  rücken  musste,  liess  sie  in 
Münster .    Mainz .    Koblenz .    Düsseldorf.    Wesel,    Aachen.    Lüttich.   Namur    und    Mastricht 


68  Bindehaut. 

viele  Blennorrhoische  zurück,  welche  in  die  Behandlung  von  Gräfe  kamen.  Nach  def 
Schlacht  bei  Waterloo  schien  die  Krankheit  als  Seuche  unter  der  preussischen  Armee 
ihre  grösste  Höhe  erreicht  zu  haben.  Mit  dem  eintretenden  2.  Frieden  und  der  kalten 
Jahreszeit  nahm  das  Übel  bedeutend  ab,  zeigte  sich  jedoch  unter  einzelnen  Truppen- 
körpern noch  immer  vorherrschend,  und  wüthete  namentlich  1818  am  vorherrschendsten 
im  2.  Garderegiment  zu  Berlin  selbst.  Ungeachtet  sich  die  Anzahl  der  von  1813 — -1817 
von  dieser  Augenentzündung  Befallenen  nicht  genau  bestimmen  lässt,  lässt  sich  jedoch 
annehmen,  dass  sie  20.000  bis  25.000  betrug.  Hievon  sind  ungefähr  150  ganz  und 
250  halb  blind  geworden.  Merkwürdig  ist ,  dass  die  fliehenden  Franzosen  nur  vom 
Typhus,  nicht  aber  von  der  Augeneutzündung  heimgesucht  wurden,  und  ferner  dass, 
nach  Dr.  Balte,  die  Krankheit  unter  den  Soldaten  zuerst  in  den  östlichen  Gegenden, 
namentlich  in  Königsberg,  Danzig  und  Breslau,  welche  zu  Sammelplätzen  des  Heeres 
dienten,  zum  Vorschein  kam.  Auch  wurden  vorzüglich  die  Rekruten,  besonders  jene 
der  Landwehr-  und  der  Reserveregimenter  und  die  Reservelazarethe  in  Pommern  und 
Brandenburg  davon  heimgesucht.  So  wie  die  Sammel-  und  EinÜbungsplätze  nach  dem 
Innern  des  Landes  hin  sich  mehrten,  und  wie  die  schon  formirten  Truppentheile  von 
Ostpreussen  und  Schlesien  sich  der  Oder  und  Elbe  näherten,  so  vermehrte  sich  auch 
unter  ihnen  die  Zahl  der  Augenkranken,  welche  übrigens  bei  den  Belagerungstruppen 
am  grössten  war,  wogegen  die  Artillerie  meist  verschont  blieb.  Im  Jahre  1818  erschien 
das  Übel  mit  seiner  alten  Bösartigkeit  unter  den  preussischen  Besatzungstruppen  von 
Mainz,  während  die  Österreicher  gänzlich  davon  frei  blieben.  Es  ergriff  zuerst  das  34. 
Infanterieregiment,  welches  aus  Schlesien  nach  Mainz  gekommen  war,  dann  auch  die 
andern  preussischen  Regimenter  daselbst.  Die  Augenkrankheit  entwickelte  sich  im 
Juni  und  Juli,  wurde  im  August  und  September  höchst  bösartig,  zeigte  diesen  Charakter 
im  October  und  November  nicht  mehr  so  allgemein,  legte  ihn  im  December,  Jäner  und 
Februar  1819  gänzlich  ab,  und  gab  so  Hoffnung,  den  gelindesten  Grad  anzunehmen. 
Aber  bald  stieg  sie  wieder  zum  2.  und  3.  Grade,  und  übte  ihre  ganze  Bösartigkeit 
vorzüglich  an  den  während  des  Winters  eingetroffenen  Rekruten,  welche  sie  fast  ohne 
Ausnahme  ergriff.  Als  im  März  und  April  1819  das  Übel  immer  mehr  wuchs,  wurde 
Piust  nach  Mainz  geschickt.  Damals  war  bereits  der  3.  Theil  von  dem  preussischen 
Antheil  der  Besatzung  ergriffen,  also  1146  Mann:  am  letzten  April  belief  sich  die  ganze 
Zahl  der  Augenkranken  auf  329,  am  9.  Mai  auf  529.  Rust  ordnete  sehr  gut  combinirte, 
sowohl  auf  Zerstörung  des  Contagiums,  als  auf  Verhinderung  seiner  Wiedererzeugung, 
Fortpflanzung  und  Übertragung  abzweckende,  medizinisch-polizeiliche  Massregeln  an, 
und  regelte  die  Behandlung  durch  eine  eigene  ärztliche  Instruction.  Im  Juni  wuchsen 
201,  im  Juli  63,  im  August  54,  im  September  noch  53  Augenkranke  zu.  Mit  der  Zahl 
des  Zuwachses  verminderte  sich  auch  die  Intensität,  so  dass  die  letzten  Zuwächse 
schon  binnen  einigen  Tagen  das  Spital  wieder  verlassen  konnten.  Im  October  war  die 
Epidemie  als  beendigt  anzusehen.  Die  Gesammtzahl  aller  von  dieser  Epidemie  ergriffen 
gewesenen  Soldaten  belief  sich  sonach  auf  1798  Mann,  worunter  jedoch  250  Recidive. 
Üherdiess  waren  1  Regimentsarzt,  2  Lazarethchirurgen  und  12  Krankenwärter  erkrankt. 
Zu  den  11  gänzlich  Erblindeten  und  38  mit  mehr  weniger  Störung  des  Gesichtes  davon 
Gekommenen  waren  seit  der  Ankunft  Rust's  nur  8  unglücklich  endende  Fälle,  worunter 
2  mit  bedeutenden  Fehlern  auf  beiden  Augen,  hinzugekommen.  —  Nach  Baltz  hat  man 
die  Gesammtzahl    der    vom  Jahre    1813 — 1821    von    dieser  Augenentzündung    ergriffenen 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  69 

preussischeu   Soldaten    auf   30.000    und    die    der   Erblindeten    auf  1100  gesetzt;    erstere 
scheint  ihm  zu  hoch,  letztere  zu  niedrig  angesetzt  zu  sein. 

Die  Schilderung  des  Auftretens  dieser  Krankheit  unter  den  schwedischen, 
neapolitanischen,  russischen  und  belgischen  Truppen  etc.  kann  füglich  übergangen 
werden,  da  sie  zur  Erörterung  der  hier  in  Rede  stehenden  Fragen  kaum  neue  Belege 
liefern  dürfte. 

Die  Schilderung  der  Augenentzündung  unter  dem  Militär,  wie  sie 
uns  die  verschiedenen  Auetoren  überliefert  und  zum  Theil  durch  Abbil- 
dungen *)  dargestellt  haben,  beweist,  dass  diese  Entzündung  theils  als 
Katarrh,  theils  als  Blennorrhoe  niedem  und  höhern  Grades  angesprochen 
werden  muss,  und  mit  der  katarrhalischen  und  blennorrhoischen  Entzün- 
dung, wie  wir  sie  in  Findelhäusern  beobachten,  in  allen  wesentlichen 
Zufällen  übereinstimmt.  **)  Der  Name  Ophthalmia  militaris  ist  demnach 
ganz  zu  verwerfen.  Dasselbe  gilt  von  dem  Ausdrucke  Ophthalmia  aegy- 
ptiaca,  welcher  seit  Omodei  gang  und  gäbe  geworden  ist.  Abgesehen 
davon,  dass  sich  ein  objeetiver  Unterschied  zwischen  einer  durch  Impfung 
von  Blennorrhoea  neonatorum  oder  Tripperschleim  erzeugten  Blennorrhoea 
conjunctivae  und  einer  sogenannten  Ophthalmia  aegyptiaca  durchaus  nicht 
nachweisen  lässt,  konnte  auch  der  vermeintliche  ägyptische  Ursprung  bei 
verschiedenen  Epidemien  gar  nicht  nachgewiesen  werden,  es  waren  im 
Gegentheile  Momente  genug  vorhanden,  welche  die  spontane  Entwicklung 
der  Krankheit  als  Ophthalmia  catarrhalis  und  deren  Steigerung  zur  Blen- 
norrhoea leicht  begreiflich  machen,  und  diess  rasche  Umsichgreifen  der- 
selben einzig  und  allein  erklären.  Epidemien  von  Augenentzündungen  — 
und  epidemisch  können  nur  Bindehautentzündungen  auftreten  —  wurden 
übrigens  schon  im  17.  und  18.  Jahrhunderte  beobachtet  und  beschrieben 
(z.  B.  1565  in  Holland,  1699  und  1701  in  Schlesien,  1703  zu  Rom,  1712 
zu  Ferrara,  1761  unter  den  Soldaten  in  Westphalen,  1777  in  Wien), 
wenn  auch  zu  unvollständig,  als  dass  sich  aus  der  Beschreibung  selbst 
der  Idenditätsbeweis  herstellen  liesse;  Epidemien  einfach  katarrhalischer 
Augenentzündung  kommen  auch  heut  zu  Tage  an  verschiedenen  Orten 
vor;  die  Steigerung  solcher  Fälle  zu  Blennorrhöen  möglich  zu  finden 
braucht  man  in  der  That  nicht  die  Zuflucht  zu  einem  aus  Ägypten  stam- 
menden Stoffe    zu    nehmen,    man    sieht   sie  oft    genug  erfolgen   auch  bei 


-)  J.  B.  Müller,  „Erfahrungen  über  die  contagiöse  Augenentzündung,  Mainz  1821"  und  „die  neuesten  Resultate 
über  die  ansteckende  Augenliderkrankheit  am  Niederrhein,  Leipzig  1823;"  Eble,  „Bau  und  Krankheiten  der 
Bindehaut,  Wien  1828"  und  „Die  contagiöse  oder  ägyptische  Augenentzündung,  Stuttgart  1839;"  Gräfe,  „Die 
epidemische  contagiöse  Augenblennorrhöe  Ägyptens,  Berlin  1823"  u.  A.  m. 
c-)  In  wie  fern  auch  Fälle,  welche  als  Trachoma  anzusprechen  sind,  mit  in  jene  Schilderungen  einbezogen  wurden, 
soll  später,  wo  vom  Trachoma  die  Rede  sein  wird,    erörtert  werden. 


70  Bindehaut. 

sporadischen  Fällen,  sobald  nur  einzelne  der  Übelstände  einwirken,  denen 
das  Militär,  namentlich  die  Infanterie,  in  dem  ersten  Viertel  dieses  Jahr- 
hunderts so  reichlich  ausgesetzt  war. 

Mit  meiner  Arbeit  über  die  Krankheiten  der  Bindehaut  beinahe  zum  Abschluss 
gekommen,  erhielt  ich  endlich  auch  Gelegenheit,  die  sogenannte  Ophthalmia  militaris 
contagiosa  seu  aegypliaca  selbst  in  grossen  Massen  zu  beobachten.  Nachdem  mir  An- 
fang Juni  1850  auffallend  viele  Leute  aus  der  Stadt  mit  Ophthalmia  catarrhalis  zuge- 
kommen waren,  so  dass  ich  auch  meine  Schüler  auf  diesen  Umstand  aufmerksam  zu 
machen  veranlasst  war,  sagte  mir  Anfang  Juli  der  Stabsarzt  Dr.  Metzler  von  Andelberg, 
dass  nun  seit  einigen  Wochen  auch  in  der  Prager  Garnison  die  bereits  seit  mehren 
Monaten  in  Galizien  herrschende  Augenkrankheit  sich  zu  zeigen  anfange,  und  zwar  bei 
dem  ungarischen  Regimente  Dom  Miguel,  welches  in  der  Karolinenthaler  Kaserne  auf 
einem  Dachboden  einquartirt  war.  Durch  die  Güte  des  Regimentsarztes  Dr.  Bleyle 
erhielt  ich  Gelegenheit,  die  im  Artilleriespital  am  Hradschin  unterbrachten  Augenkranken 
so  oft  und  so  viel  ich  wollte  zu  untersuchen  und  zu  beobachten.  Eine  Menge  Um- 
stände jedoch  —  worunter  Mangel  an-  der  nöthigen  Zeit  und  Unkenntniss  der  unga- 
rischen, walachischen  etc.  Sprache  nicht  die  geringsten  —  machten  es  mir  unmöglich, 
die  Krankheit  in  ihrem  ganzen  Auftreten  und  in  allen  ihren  Beziehungen  zu  den  äussern 
Verhältnissen  so  zu  beobachten,  dass  ich  eine  streng  wissenschaftliche  und  umfassen- 
dere Schiiderung  dieser  Epidemie  —  wenn  man  so  sagen  darf  —  zu  liefern  im  Stande 
wäre.  Es  möge  hier  vorläufig  genügen,  dass  ich  hier  in  Prag  im  Ganzen  etwa  ISO 
Fälle  von  verschiedener  Heftigkeit  und  Dauer  zu  sehen  bekam,  in  Salzburg  15,  und  in 
Wien  beiläufig  370  (229  in  der  Rennwegkaserne  durch  die  Güte  der  Herren  Doctoren 
Opitz  und  Low,  140  im  Josephinum  durch  die  Güte  des  Hrn.  Stabsarztes  Dr.  Brmn 
und  der  Herren  Doctoren  Kolarschik  und  Gernath~).  Nebstdem  sah  ich  Leute,  grössten- 
theils  Invaliden,  welche  in  den  letzten  3  Jahren  in  Italien  (Florenz),  in  Ungarn  (Te- 
mesvar),  in  Galizien  (Cernovic,  Lemberg,  Krakau),  in  Mähren  (Olmütz)  und  in  Böhmen 
(Königgrätz)  erkrankt  waren. 

Ich    gewann    zunächst    die    Überzeugung,     dass    an    diesen    Orten    ganz    dieselbe 
ie  herrscht    oder    herrschte,    welche  nebst  vielen  Andern  Müller  in  Mainz,  Eble 
'in  Wien,    Wernek  und  von  Rosas    in  Klagenfurt  beobachtet  und  beschrieben  haben,    und 
dass  diese  Ophthalmie  von  jener,    welche   ich  1848  unter  den  restituirten  Findlingen  ge- 
sehen, in  keinem  wesentlichen  Punkte  differirt. 

1.  Es  kamen,  wenigstens  zu  Anfang  hier  in  Prag,  zahlreiche  Fälle  vor,  welche 
man,  hätte  man  sie  isolirt  im  Civile  gesehen,  ganz  gewiss  nur  für  Ophthalmia  catar- 
rhalis erklärt  haben  würde.  Mehrere  davon  blieben  als  solche  stehen,  und  konnten  nach 
mehreren  Tagen  für  geheilt  erklärt  werden. 

2.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  waren  die  Erscheinungen  vorhanden,  welche  ich 
oben  als  den  ersten  oder  den  zweiten  Grad  der  Blennorrhoe  minder  schnellen  Verlaufes 
(Liepharoblennorrhöen)  bezeichnend,  angeführt  habe.  Im  Allgemeinen  war  die  Infil- 
tration der  Augenlidbindehaut  vor  der  Production  schleimig-eitriger  Flüssigkeit  an  der 
freien  Oberfläche  vorherrschend  ;  doch  fehlte  es  nicht  an  Fällen,  wo  das  Secret  nicht 
nur  sehr  reichlich,  sondern  auch  durchaus  trüb,  molken-  oder  fleischwasserähnlich 
erschien. 

3.  Die    Infiltration    der   Bindehaut    gab    sich   in    solchen    Fällen    nicht   nur   durch 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  71 

gleichmässige  hohe  oder  dunkle  Röthe  und  Undurchsichtigkeit  der  Bindehaut,  sondern 
auch  durch  deutliche  Schwellung  derselben  kund.  Bald  sah  man  den  Tarsaltheil  sam- 
metaftig,  wie  mit  dicht  an  einander  gedrängten  Stauhkürnchen  hesäet,  bald  fein-,  bald 
grobkörnig,  die  einzelnen  Erhabenheiten  dicht  an  einander  gedrängt,  hoch-  oder  dun- 
kelroth,  von  ziemlich  gleicher  Grösse.  Der  Übergangstheil  erschien  entweder  einfach, 
wulstig  und  glatt  (ohne  körnige  Erhabenheiten),  oder  er  war  durch  Einsprengung  licht- 
grauer Körner  zugleich  etwas  uneben. 

4.  Das  Vorkommen  lichtgrauer  oder  gelblicher  bläschen-  oder  körnchenähnlicher 
Exsudate,  sogenannter  grauer  Granulationen,  welche  nicht  als  einfach  vergrösserte  Pa- 
pillen, sondern  als  selbstständige  Ablagerungen  auf  oder  neben  die  Papillen  betrachtet 
werden  mussten,  war,  ohne  Zuziehung  einer  Loupe,  nur  als  relativ  seltene  Erscheinung 
zu  betrachten.  In  der  Rennwegkaserne,  wo  ich  in  Bezug  auf  dieses  Symptom  eine 
Zählung  vornahm,  fand  ich  dasselbe  nur  bei  25  von  228  Kranken.  —  Unter  der  Loupe 
betrachtet,  zeigten  die  etwas  mehr  vergrösserten  Papillen  gleichsam  die  Anfänge  sol- 
cher Neubildungen,  massenhaft  auf  die  Papillen  aufgelagertes  Exsudat.  Oft  schienen 
mehrere  Papillen  durch  solche  Exsudate  in  Eins  verschmolzen  zu  sein.  Eine  solche 
Verschmelzung  war  oft  schon  mit  freiem  Auge  über  dem  Orbitalrande  des  Knorpels 
zu  erkennen,  wodurch  1  —  2  graue  Wülste  entstanden.  Man  erinnere  sich  der  S.  28 
mitgetheilten  Krankheitsgeschichten.) 

5.  Viele  Fälle,  welche  heute  noch  als  Ophthalmia  catarrhalis  gelten  konnten, 
zeigten  nach  2 — 3  oder  mehr  Tagen  die  Erscheinungen,  welche  das  tiefere  Erkrankt- 
sein der  Bindehaut  nicht  mehr  verkennen  Hessen.  In  einem  solchen  Falle  entwickelten 
sich  unter  unsern  Augen  in  5 — 6  Tagen  die  Erscheinungen  einer  exquisiten  Blennorrhoe 
(3.  Grades)  auf  beiden  Augen. 

6.  Die  Steigerung  zum  3.  Grade  war  im  Allgemeinen  sehr  selten ;  ich  sah  in 
Prag  nur  3,  in  Wien  nur  5  heftigere  Fälle.  Unter  den  Invaliden,  die  ich  in  Prag 
sah,  waren  8,  welche  nach  den  Veränderungen  der  Cornea  und  nach  ihren  Beschrei- 
bungen zu  schliessen,  die  Krankheit  im   3.  Grade  überstanden  haben  mussten. 

7.  Auf  100  Kranke  kamen  nur  2 — 3,  welche  zur  Zeit,  wo  ich  sie  sah,  bloss 
auf  einem  Auge  erkrankt  waren;  bei  den  übrigen  waren  beide  Augen  zugleich,  oder 
binnen  wenigen  Tagen   ergriffen  worden. 

8.  Alle  boten  daher  nicht  nur  an  dem  obern  und  untern  Lide,  sondern  auch 
auf  beiden  Augen  im  Ganzen  dieselben  Erscheinungen  (bis  auf  die  Hornhaut)  und  in 
demselben  Grade  dar. 

9.  In  keinem  einzigen  Falle,  auch  nicht  bei  den  Invaliden,  wovon  einige  bereits 
vor  2'/2  Jahren  erkrankt  waren,  sah  ich  Verschrumpfung  der  Bindehaut  —  ausser  nach 
intensiven  Ätzungen  mit  Lapis  infernalis  —  niemals  eine  Spur  von  Verschrumpfung 
oder  Verbildung  des  Knorpels,  oder  eine  Einwärtswendung  der  Wimpern  oder  des 
ganzen  Lidrandes.  Ich  sah  hier  aber  auch  kein  Ectropium,  wie  ich  es  unter  den  re- 
stituirten  Findlingen  doch  2mal  zu  Gesicht  bekommen  hatte.  Von  den  Invaliden  litten 
2  an  Pannus. 

10.  Der  Grund,  dass  ich  unter  den  500  Fällen  in  Prag  und  Wien  so  selten  die 
Erscheinungen  der  Ophthalmoblennorrhoe,  und  im  Ganzen  darunter  nur  4  Augen  un- 
rettbar (durch  Verschwärung  der  Cornea)  verloren  zu  sehen  bekam,  liegt  wohl  nicht 
so  sehr  in  dem  mildern  Auftreten  der  Krankheit  an  und  für  sich,  als  vielmehr  in  den 
zeitig  genug    eingeleiteten  entsprechenden  Sanitäts-Massregeln,   im   Verein   mit   einer    im 


72  Bindehaut. 

Allgemeinen  sehr  zweckmässigen  Behandlung.  Man  Hess  es,  wenn  man  so  sagen  darf, 
gar  nicht  zur  höhern  Potenzirung  des  Contagiums  kommen.  Die  weitern  Sätze  werden 
diesen  Ausspruch  rechtfertigen,  wenn  wir  uns  gegenwärtig  halten,  dass  wir  uns  unter 
Krankheit  nicht  überhaupt  etwas  zu  denken  haben,  das  gleichsam  als  etwas  Selbst- 
ständiges seinen  Sitz  da  oder  dort  im  Organismus  aufschlägt,  sondern  nur  eine  Reihe 
zusammenhängender  abnormer  Erscheinungen,  deren  Auftreten  entweder  in  der  ur- 
sprünglichen Form  und  Mischung  der  organischen  Materie  selbst,  oder  in  der  Einwir- 
kung abnormer  äusserer  Verhältnisse,  oder  in  beiden  zugleich  gegeben  ist,  und  deren 
Weiterentwicklung  nebst  ihren  ursächlichen  Momenten  überdiess  noch  von  den  bereits 
hiedurch  eingeleiteten    Veränderungen  eines  oder  mehrer  Organe  abhängt. 

11.  Die  Augenkrankheit  unter  den  Soldaten  musste  .als  durch  äussere  Momente 
bedingt  und  zwar  als  bloss  auf  das  Auge  beschränkt,  als  ein  rein  örtliches  Leiden  be- 
zeichnet werden.  Ich  sah  Leute  von  allen  Nationen  von  den  verschiedensten  Körper- 
constitutionen  u.  s.  w.  ergriffen.  Ich  konnte  keinen  Unterschied  finden  in  Bezug  auf 
die  Farbe  des  Haares  oder  der  Iris,  in  Bezug  auf  die  Beschaffenheit  der  Haut ;  auch 
Individuen  mit  deutlichen  Attributen  der  Scrofulosis  litten  nicht  an  heftigeren  Zufällen, 
als  andere  kerngesund  aussehende.  Die  Leute,  wenn  nicht  von  heftigen  Schmerzen 
oder  von  der  Furcht  \or  Erblindung  gequält,  befanden  sich  körperlich  ganz  wohl; 
diejenigen,  welche  ich  genauer  um  ihr  gegenwärtiges  und  früheres  Befinden  befragen 
konnte,  sprachen  nie  von  Störungen  der  Gesundheit  im  Allgemeinen,  welche  mit  dem 
Augenleiden  auch  nur  im  Entferntesten  hätten  in  ursächlichen  Zusammenhang  gebracht 
werden  können.  Auch  von  katarrhalischen  Affectionen  anderer  Schleimhautpartien, 
namentlich  des  Tractus  respiratorius,  war  im  Allgemeinen  keine  Rede.  Ein  gleiches 
Verhältniss  hatte  ich  1848  unter  den  restituirten  Findlingen  beobachtet.*) 

12.  Eine  besondere  Beschaffenheit  der  Atmosphäre  als  begünstigendes  iMoment 
zur  Hervorrufung  dieser  Krankheit  ist  möglich,  selbst  wahrscheinlich,  jedoch  nicht 
nachweisbar.  Wir  dürfen  sie  daher  bei  dem  gegenwärtigen  Standpunkte  unseres  Wis- 
sens weder  negiren,  noch  in  den  Vordergrund  stellen.  Vor  allem  darf  der  Umstand 
nicht  übersehen  werden,  dass  die  Krankheit  mitten  in  dichtbevölkerten  Städten  unter 
den  Soldaten  auftrat,  ohne  dass  das  Civile  in  einer  auch  nur  proportionirten  Anzahl 
erkrankte.     Man    kann    diese    Krankheit  daher  keineswegs   eine   epidemische,   streng  ge- 


Wenn Dr.  Gulz ,  der  uns  in  seiner  Monographie  über  die  sogenannte  ägyptische  Augenentzündung,  Wien  1850 
(Keck  &  Sohn),  eine  so  treffliche  Abhandlung  über  diese  Krankheit  geliefert,  dass,  wenigstens  was  die  beiden 
ersten  Abschnitte  (Katarrh  und  Blennorrhoe)  betrifft,  ihm  wohl  jeder  Sachverständige  darüber  die  vollste  Aner- 
kennung zollen  wird,  sich  veranlasst  sieht,  eine  besondere  Dyskrasie,  eine  allgemeine  Krankheit  als  Ursache  des 
massenweisen  Auftretens  der  Ophthalmie  unter  dem  Militär  anzunehmen,  und  somit  diese  Ophthalmie  in  3  Formen 
zu  scheiden,  wovon  die  im  3.  Abschnitte  besprochene,  das  Trachoma,  von  den  beiden  ersten  —  Katarrh  und 
Blennorrhoe  —  keineswegs  graduell,  sondern  wesentlich  verschieden  sein  soll,  so  kann  ich  ihm  in  dieser  Hin. 
sieht  durchaus  nicht  beistimmen.  Meines  Erachtens  sind  wir  nicht  berechtigt,  eine  Dyskrasie  anzunehmen,  welche 
sich  einzig  und  allein  an  der  Bind.ehaut  und  sonst  nirgends  am  ganzen  Körper  offenbart.  Wir  sind  nicht  be- 
rechtigt anzunehmen,  dass  Jemand,  der  sich  ein  paar  Stunden  in  einer  mit  „Trachomatöseu"  angefüllten,  schlecht 
gelüfteten  Localität  aufhält  und  nun  eine  Ophthalmie  bekommt,  die  sich  von  der  bei  den  bereits  Erkrankten  nicht 
unterscheiden  lässt,  plötzlich  auch  die  Dyskrasie  eingeimpft  erhalten  habe.  Oder  soll  man  in  allen  solchen 
Fällen  —  und  deren  sind  eine  Masse  constatirt  —  annehmen,  sie  haben  jene  Dyskrasie  latent  in  sich  getragen? 
Freilich  gibt  es  da  einen  Ausweg,  man  sagt:  derart  entstandene  Fälle  seien  nur  Katarrh  oder  Blennorrhoe. 
Dann  möchte  ich  aber  doch  lieber  sagen:  die  Fälle,  welche  den  Stoff  hiezu  lieferten,  waren  wohl  auch  nur 
Katarrhe  und  Bleiinorrhöeii  mit  dem  vorwaltenden  Symptome  der  sogenannten  Granulation. 


Blennorrhoe —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  73 

nominen  auch  nicht  eine  endemische  nennen.  —  Zwar  ist  es  Thatsache,  dass  entzünd- 
liche Affectionen  der  Schleimhäute  und  katarrhalische  Erscheinungen  der  Bindehaut 
insbesondere  zu  gewissen  Zeiten  auffallend  häufig  vorkommen,  so  dass  man  am  Ende 
auf  atmosphärische  Abnormitäten  als  bedingende  Momente  nothwendig  hingewiesen 
wird,  doch  würde  man  gewiss  sehr  fehlen,  wenn  man  diesem  unbekannten  Etwas  alles 
in  die  Schuhe  schieben,  es  als  den  allgemeinen  Sündenbock  hinstellen  wollte.  Wir 
müssen  das  epidemische  Auftreten  von  Bindehautkatarrhen  zugeben ,  weil  es  That- 
sache der  unmittelbaren  Beobachtung  ist;  die  Steigerung  katarrhalischer  Bindehaut- 
entzündungen zu  Blennorrhöen  und  deren  massenhaftes  Auftreten  jedoch  ist  zunächst 
durch  das  Hinzukommen  anderer  Momente  bedingt, 

13.  Der  Soldat  lebt  unter  mancherlei  Einflüssen,  welche  seine  Augen,  in  specie 
die  Bindehaut  um  so  mehr  zu  reizen  im  Stande  sind,  je  weniger  er  daran  gewöhnt  ist. 
Es  dürfte  vielleicht  nicht  so  viel  Gewicht  auf  ungewohnte,  den  Rückfluss  des  Blutes 
vom  Kopfe  behindernde  Kleidung,  nicht  so  viel  Gewicht  auf  den  Einfluss  grellen  Lich- 
tes, als  vielmehr  auf  den  Staub,  den  Rauch  und  die  verschiedenen  scharfen  Dünste, 
so  wie  auf  den  oft  grellen  Temperaturwechsel  zu  legen  sein,  welchem  der  Soldat  theils 
beim  Exerciren,  theils  beim  Kasernenleben,  theils  beim  Beziehen  mancher  Wachtposten 
ausgesetzt  ist.  Diese  Umstände  vermögen  schon  an  und  für  sich,  wie  factisch  erwie- 
sen, Bindehautkatarrhe  zu  erregen,  sie  vermögen,  wie  nicht  minder  constatirt,  das 
einmal  ausgebrochene  Leiden  zu  steigern.  Bindehautkatarrhe,  auf  diese  Weise  entstan- 
den, kommen  unter  dem  Militär  wohl  eben  so  häufig,  wenn  nicht  öfter  «vor,  wie  unter 
dem  Civile.  Sie  imponiren  aber  nicht  als  Epi-  oder  Endemie,  so  lange  sie  vereinzelt 
dastehen,  so  lange  nicht  noch  Umstände  hinzugekommen  sind,  welche  das  massenweise 
Auftreten  bedingen. 

14.  Die  Bedingungen  zum  massenweisen  Auftreten  sind  aber  gegeben,  wenn, 
vorläufig  abgesehen  von  dem  Einflüsse,  welchen  vielleicht  eine  specielle  Luftconsti- 
tution  gibt,  die  Soldaten  ungewöhnlich  zahlreich  zusammengedrängt  werden,  und  das 
(bei  sich  durch  Übertragung  weiter  verbreitet.  Mit  der  Zusammendrängung  ist  schon 
die  stärkere  und  leichtere  Einwirkung  der  unter  12  angeführten  Schädlichkeiten  im 
Allgemeinen  gegeben;  für  sich  allein  würde  dieser  Umstand  das  so  häufige  Erkranken 
nicht  erklären,  wenn  wir  nicht,  durch  andere  Umstände  belehrt,  die  Überzeugung  ge- 
wonnen   hätten,    dass    das  Übel    unter  den    bestimmten  Verhältnissen  ein  contagiöses  sei. 

15.  Ich  war  zwar  nicht  in  der  Lage,  beim  Militär  mich  direct  von  der  Conta- 
giosilät  dieses  Leidens  zu  überzeugen ,  bin  aber  von  dieser  vollkommen  überzeugt 
durch  folgende  Thatsachen :  a~)  Dass  nicht  nur  die  aar'  et-o/r/v  sogenannte  acute  Binde- 
hautblennorrhöe,  sondern  auch  das  Secret  der  chronischen,  wie  sie  unter  dem  Civile 
mitunter  vorkommt ,  ansteckend  sei ,  darüber  kann  nach  den  Versuchen  von  Jäger? 
Piringer  u.  A.  kein  Zweifel  mehr  obwalten ;  ich  habe  mich  selbst  durch  Impfungen 
überzeugt.  —  6)  Die  unter  den  Findlingen  1848  herrschende  Bindehautkrankheit, 
welche  ich  anfangs  für  Trachoma  zu  halten  geneigt  war,  später  aber  nothwendig  als 
Blennorrhoe  mildern,  im  Allgemeinen  mehr  durch  Infiltration  der  Lidbindehaut  als  durch 
reichliches  Secret  charakterisirten  Verlaufes  anerkennen  musste,  war  offenbar  anstek- 
kend,  und  sie  war,  nach  allen  Erscheinungen  zu  schliessen,  in  keinem  wesentlichen 
Punkte  von  dieser  Ophthalmia  militaris  verschieden.  —  c)  Unter  den  Leuten,  welche 
sich  im  Juni  1850  in  auffallender  Zahl  mit  Ophthalmia  catarrhalis  bei  mir  Rathes  er- 
holten,   war   auch   ein  Einnehmer    von    der  Kettenhrücke.     Die   Zufälle  twaren  so  heftigi 


74  Bindehaut. 

dass  ich  ihm  rieth,  zunächst  einige  Tage  zu  Hause  zu  bleiben,  fleissig  Bitterwasser  zu 
trinken,  und  ein  entsprechendes  Verhalten  zu  beobachten;  nach  Besänftigung  der  Zu- 
fälle —  in  4 — 5  Tagen  —  gab  ich  ihm  ein  Collyrium  aus  1 — 2  Gran  Nitras  argenti  auf 
1  Unze.  Der  Zustand  besserte  sich  mehr  und  mehr,  und  nach  10 — 12  Tagen  erschien 
er  nicht  mehr  bei  der  Ordination.  Ich  hielt  ihn  für  geheilt.  Nach  ohngefähr  14  Tagen 
kam  er  wieder,  mit  dem  Bilde  einer  Blennorrhoe  2.  Grades.  Die  Bindehaut  war  durch- 
aus hochroth,  stark  geschwellt ,  grobsammetartig,  im  Übergangstheile  wulstig,  die  Se- 
cretion  reichlich,  etwas  trüb  mit  zahlreichen  gelben  Flocken,  am  linken  Auge  auch  die 
Conjunctiva  bulbi  deutlich  serös  geschwellt.  Er  schrieb  diese  Verschlimmerung  dem 
Umstände  zu,  dass  er,  noch  nicht  völlig-  geheilt,  seinem  Amte  wieder  vorgestanden, 
und  dass  ihm  der  Wind  vielleicht  den  Kalkstaub  (von  einem  Baue  in  der  Nähe)  in  die 
Augen  getrieben  habe.  Ich  stellte  ihm  nun  die  Gefahr  vor,  und  besuchte  ihn  in  seiner 
Wohnung.  Dort  fand  ich  seine  Frau  bereits  an  demselben  Übel  erkrankt,  und  ebenso 
sein  3 — 4jähriges  Kind,  nur  dass  bei  diesen  beiden  das  Secret  bloss  wässrig  mit  gelben 
Flocken  und  die  Conjunctiva  bulbi  bloss  leicht  injicirt  war.  Sie  wussten  nicht,  wie 
sie  zu  diesem,  seit  einigen  Tagen  allmälig  entstandenen  Übel  gekommen  waren,  und 
genasen  unter  derselben  Behandlung,  wie  der  Mann,  ohne  dass  die  Erscheinungen 
früher  ärger  wurden.  —  d)  Im  Winter  1850  herrschte  dasselbe  Übel  unter  den  Militär- 
Erziehungsknaben  am  Slup  (in  dem  Thale,  welches  den  Wysehrad  von  Prag  trennt). 
Kunde  davon  erhielt  ich  durch  2  Knaben,  welche  des  Augenleidens  wegen  von  ihren 
Angehörigen  rfcich  Hause  genommen  und  zu  mir  gebracht  worden  waren.  Die  Er- 
scheinungen waren  dieselben,  wie  ich  sie  später  so  oft  unter  dem  Militär  sah,  als  2. 
Grad  des  Übels  mit  trübem  Secrete.  Es  sollen  damals  über  20  Knaben  solche  „böse 
Augen"  gehabt  haben.  Bevor  ich  mir  Gelegenheit  verschafft,  die  Anstalt  selbst  zu  be- 
suchen, waren  leider  die  Kinder  schon  zu  den  Faschingsferien  nach  Hause  entlassen 
worden,  und,  wie  man  mir  sagte,  das  Übel  bereits  grösstentheils  behoben.  Nur  2  Zu- 
rückgebliebene zeigten  noch  die  bekannte  feinkörnige  und  wulstige  Beschaffenheit  der 
Bindehaut.  Von  den  oben  genannten  beiden  Knaben  nun  machte  ich  die  Angehörigen 
auf  die  Gefahr  der  Ansteckung  aufmerksam.  In  dem  einem  Hause  wurde  alles  befolgt, 
in  dem  andern  liess  man  einen  Bruder  in  demselben  Zimmer  schlafen,  und  nach  wenig 
Tagen  kam  dieser,  und  etwas  später  auch  die  Schwester  mit  demselben  Übel  behaftet 
zu  mir.  —  e)  Unter  den  Invaliden  ,  welche  mich  wegen  verschiedenen  Nachkrankheiten 
an  der  Cornea  consulirten,  waren  mehrere,  welche  wegen  Blessuren ,  Wechselfieber 
u.  dgl.  in's  Spital  gekommen,  in  sogenannte  Augenkrankenzimmer  gelegt  worden,  und 
nach  kürzerem  oder  längerem  Aufenthalte  daselbst  von  demselben  Übel  wie  ihre  Ka- 
meraden ergriffen  worden  waren,  ohne  über  das  Wie  und  Warum  irgend  Rechenschaft 
geben  zu  können.  Von  einem  Artilleriecorporal ,  welcher  mit  einem  partiellen  Horn- 
hautstaphylome  des  rechten  und  völliger  Genesung  des  linken  Auges  (nach  3monatIi- 
cher  Dauer)  davon  gekommen  war ,  erhielt  ich  folgende  Angaben.  Seine  Compagnie, 
aus  180  Mann  bestehend,  war  am  29.  September  1849  zusammengesetzt,  und  mit  einer 
Division  von  Bainer-Infanterie  (über  500  Mann)  in  einer  Kasemattenkaserne  einquarlirt 
worden.  Dieses  Locale  war  zwar  geräumig,  aber  sehr  feucht  und  kalt,  und  konnten 
bei  der  später  eintretenden  strengen  Kälte  die  Fenster  sehr  wenig  geöffnet  werden. 
Die  ganze  Compagnie  hatte  nur  einen  Ausgang  aus  den  Zimmern.  Nach  und  nach 
erkrankte  wenigstens  die  halbe  Compagnie  an  den  Augen,  aber  nur  20 — 30  Mann  so 
stark,  dass    sie    in's    Spital   gebracht    werden    mussten.     Von    der   Infanterie    sollen    nur 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  75 

wenige  erkrankt  sein.  Dieser  Corpora!  selbst  hatte  das  Übel  in  einem  sehr  hohen 
Grade,  die  Lider  zwar  nicht  gar  stark  geschwollen,  aber  sehr  roth,  beständiger  Ansiluss 
von  wässriger  Flüssigkeit  und  Eiter,  fürchterliche  Schmerzen,  besonders  Brennen, 
so  dass  er  durch  5  —  6  Wochen  Tag  und  Nacht  nicht  geschlafen  zu  haben  versichert. 
Um  die  Ursachen  des  Augenleidens  befragt,  wusste  er  ausser  den  oben  erwähnten 
Umstanden  nichts  anzugeben,  und  bemerkte,  es  sei  möglich,  das  dasselbe  durch  einen 
eben  auf  diese  Art  an  den  Augen  leidenden  Kanonier  eingeschleppt  worden  sei,  wel- 
cher mit  Transport  aus  Galizien  angekommen  und  unter  sie  eingereiht  worden  sei, 
wenigstens  seien  in  der  nächsten  Umgehung  dieses  Mannes  die  ersten  Erkrankungen 
vorgekommen.  —  f)  Alle  Thatsachen,  welche  sowohl  bei  dem  gegenwärtig  als  bei 
dem  seit  Anfang  dieses  Jahrhunderts  an  verschiedenen  Orten  massenweise  aufge- 
tretenen Augenübel  in  Bezug  auf  Contagiosität  und  Nichtcontagiosität  angeführt  worden 
sind,  linden  ihre  einfache  Erklärung  in  dem,  dass  man  zugibt,  auch  dieses  Übel  sei 
ansteckend,  und  zwar  nicht  bloss  durch  Contaet,  sondern  auch  in  distans,  letzteres 
jedoch  nur  dann ,  wenn  gewisse  Bedingungen  hiezu  vorhanden  sind.  Ich  muss  hier, 
um  unnothige  Wiederholung  zti  vermeiden,  auf  das  zurückweisen,  was  ich  S.  40  über 
das  blennorrhoisehe  Secret  überhaupt,  und  S.  54  über  meine  Beobachtungen  im  hiesigen 
Gebär-  und  Findelhause  bereits  angeführt  habe,  und  hebe  nur  noch  hervor,  dass  man, 
um  die  graduelle  Verschiedenheit  der  einzelnen  Fälle  sowohl  als  der  einzelnen  Epide- 
mien (ich  bediene  mich  dieses  Wortes  nur  der  Kürze  wegen)  zu  begreifen,  aller  jener 
Umstände  eingedenk  bleiben  muss,  welche,  wenn  ich  so  sagen  darf,  auf  die  Potenzi- 
rung  des  Contagiuins  erfahrungsgemäss  Einfluss  nehmen.  Ich  sehe  in  Bezug  auf  die 
Weiterverbreitung  dieser  Bindehautentzündung  unter  dem  Militär  die  grösste  Analogie 
dieses  Processes  mit  dem  Hospilalbrande  und  mit  dem  Puerperalfieber.  —  Diese  Au- 
genkrankheit kommt  unter  der  Infanterie  nur  desshalb  ungleich  häufiger  vor,  weil  bei 
dieser  die  Momente  theils  zur  Entstehung,  theils.zur  Verbreitung  in  distans  am  häufig- 
sten gegeben  sind,  vor  allem  in  der  massenhaften  Zusammenhäufung.  Lassen  wir 
andere  Truppenkörper  in  gleiche  Verhältnisse  treten,  und  sie  sind  weder  durch  ihre 
Kleidung  noch  durch  ihre  Nahrung  u.  dgl.  geschützt.  —  Anfüllung  der  Luft  mit  Was- 
serdünsten, sei  sie  nun  allgemein  in  dem  Zustande  der  Atmosphäre,  .oder  durch  Bezie- 
hen feuchterer  Gegenden  und  Wohnungeu ,  oder  endlich  durch  Zusammenleben  in 
relativ  engen  und  wenig,  gelüfteten  Localiläten  gegeben,  begünstigt  die  Verbreitung  in 
distans  mehr  als  alles'  Andere.  So  sehen  wir  die  Franzosen  in  Ägypten  an  den  Nie- 
derungen des  Nils,  im  Delta,  die  Sappeurs  (beim  Brückenschlagen)  vorzüglich  leiden, 
so  die  Engländer  in  ihren  Schiffräumen,  so  die  Preussen  am  meisten  an  der  Elbe,  am 
Niederrhein  u.  s.  w.  So  sehen  wir  die  Krankheit  in-  und  extensiver  sich  entfalten,  wenn 
die  Atmosphäre  schwül  ist,  wenn  Gewitter  im  Anzüge  sind.  So  sehen  wir  strenge  Kälte 
der  Krankheit  Einhalt  legen,  falls  die  Truppen  nicht  in  enge,  wenig  gelüftete  Räume 
zusammengedrängt  werden.  Je  mehr  die  Luft,  die  den  Mann  umgibt,  mit  Wasserdünsten 
gefüllt  ist,  welche  in  Form  der  kleinen  Bläschen  in  derselben  schweben,  je  mehr 
Partikelchen  des  Secretes  von  der  erkrankten  Bindehaut  mit  diesen  Bläschen  in  der 
Lull  suspendirt  sind,  eine  desto  kürzere  Zeit  des  Verweilens  in  solcher  Luft  reicht  hin, 
die  Krankheit  an  gesunden  und  um  so  leichler  an  gereizten  Augen  hervorzurufen.  Je 
heftiger  die  Blennorhöe.  deren  Secret  zur  Imprägnirung  der  Luft  dient,  desto  leichter 
die  Infection  und  desto  heftiger  die  dadurch  hervorgerufene  Krankheit.  —  </)  Und  so 
begreifen  wir  endlich  auch,    wie  alle  sanitäts-polizeilichen   .Massregeln,    welche  .sich    bei 


76  Bindehaut. 

den  verschiedenen  Epidemien  (sit  venia  verbo)  heilsam  erwiesen,  endlich  darauf  hinaus- 
laufen, dass  sie,  nebst  der  unmittelbaren  Übertragung  durch  tastbare  Gegenstände,  die 
Imprägnirung  der  Luft  mit  dem  Secrete  solcher  Augen  möglichst  verhindern.  Man  hebe, 
sobald  sich  die  ersten  Erkrankungen  in  einem  Truppenkörper  zeigen,  alle  Leute,  die 
auch  nur  katarrhalische  Erscheinungen  darbieten,  aus  den  gesunden  heraus ;  man  prüfe 
die  Quartiere,  in  welchen  die  ersten  Erkrankungen  vorkamen,  in  Bezug  auf  die  hier 
wichtigen  Momente,  und  dringe  auf  die  gehörige  Abstellung  der  Übelstände ;  man  son- 
dere die  leichter  Erkrankten  von  den  schweren  Fällen,  und  sorge  in  dem  Masse,  als 
das  Secret  reichlicher  und  mehr  eiterähnlich  ist,  um  so  mehr  für  relativ  grosse  Locali- 
täten  zur  Unterbringung  derselben  ;  und  endlich,  man  lasse  in  den  Krankenzimmern  lieber 
Licht  und  frische  Luft,  als  Finsterniss  und  allerhand  Dünste  herrschen ;  und  ich  zweifle 
nicht,  dass  man  auch  künftighin  dasselbe  günstige  Resultat  überall  erreichen  wird,  wel- 
ches diessmal  hier  in  Prag  und  in  Wien  erreicht  wurde. 

16.  Schliesslich  will  ich  noch  bemerken,  dass  ich  mich  mit  der  in  neuester 
Zeit  geltend  gemachten  Ansicht,  diese  Krankheit  sei  „Trachoma  oder  granulöse  Oph- 
thalmie" zu  nennen,  durchaus  nicht  einverstanden  erklären  kann,  einmal,  weil  ich  zwi- 
schen dieser  Krankheit  und  dem,  was  man  allgemein  Blennorrhoe  zu  nennen  überein- 
gekommen ist,  durchaus  keinen  wesentlichen  Unterschied  finden  konnte ,  und  dann, 
weil  ich,  anf  den  Sprachgebrauch,  wenigstens  auf  Celsus  und  Rosas  gestützt,  *i)  den 
Namen  Trachoma  für  eine  ganz  andere  Reihe  krankhafter  Veränderungen  und  Erschei- 
nungen gewählt  habe.  Sorgfältige  Beobachtung  und  Vergleichung  jener  Bindehaut- 
krankheiten, welche  mit  sogenannten  Granulationen  verlaufen,  und  von  meinem  Lehrer 
Professor  Fischer  und  Andern  im  Allgemeinen  nur  als  Blennorrhöen  (acuten  oder  chro- 
nischen Verlaufes)  bezeichnet  wurden,  hatte  mich  bereits  im  Jahre  1844  zu  der  Über- 
zeugung gebracht,  dass  hier  zwei  ganz  verschiedene  Krankheiten  zusammen  geworfen 
wurden,  verschieden  in  Bezug  auf  die  ätiologischen  Momente,  verschieden  in  Betracht 
des  jeweiligen  Ensemble  und  der  Reihenfolge  der  Erscheinungen,  verschieden  endlich 
in  Bezug  auf  die  Folgen  für  die  der  Bindehaut  benachbarten  Gebilde,  und  somit  auch 
verschieden  in  Bezug  auf  Prognosis  und  Therapie  im  weitesten  Sinne  des  Wortes. 
Professor  Fischer  nahm  in  sein  zu  Ende  1845  erschienenes  Lehrbuch  wohl  die  beiden 
Namen  Trachoma  und  Blennorrhoe  auf,  ohne  jedoch  die  Unterscheidungsmerkmale  ge- 
nauer anzugeben.  Nun  schrieb  Dr.  Hasner  von  Artha,  welcher  mich  jene  Unterschei- 
dung am  Krankenbette  (während  meiner  Supplirung  als  Primärarzt  im  Herbste  1844) 
praktisch  durchführen  gesehen  hatte,  1846  seinen  „Entwurf  zur  anatomischen  Begrün- 
dung der  Augenkrankheiten",  und  stellte  darin  die  Behauptung  auf,  die  sogenannte 
Ophthalmia  militaris  seu  aegyptiaca  sei  nichts  Anderes,  als  Trachoma.  Da  ich  bis  dahin 
ebensowenig  wie  er  Gelegenheit  gehabt  hatte,  das  fragliche  Übel  unter  dem  Militär 
selbst  zu  beobachten,  so  begnügte  ich  mich,  jenen  Aufsatz  über  Trachoma  zu  veröffent- 
lichen, es  der  Zukunft  überlassend,  ob  mir  Gelegenheit  würde,  mich  mit  eigenen  Augen 
zu  überzeugen.  Diese  hatte  ich  nun,  und  ich  würde  über  diesen  Punkt  weiter  kein 
Wort  verloren  haben,  wenn  nicht,  wie  ich  aus  den  in  Wien  erschienenen  Schriften 
ersehe,   Hasner's   Ansicht*'"")  —  obwohl   stark  modificirt  —   adoptirt   worden,    und  somit 


*")   Siehe  meinen  Aufsatz  über  Trachoma  in  der  Prager  medicinischen   Vierteljahrschrift,  1848,   IS.   B.  S.  41   etc. 
**)  Hasner  hat  uns  nicht  gesagt,  was  er  unter  Granulationen  versiehe.     Er  lässt    dieselben  auch  aus  andern  patholo- 
gischen   Processen  entstehen,  erklärt  sie  aber  doch  für  ein  substanlives   Erkranken,   soll  wohl  hcissen  :    für  eine 


Blennorrhoe  —  Vorkommen  —  Ursachen  —  Militär.  77 

wieder  die  alte  Begriffsverwirrung  in  dieses  Feld  gezogen  worden  wäre.  Nach  meinen 
Ansichten  über  Terminologie  thut  man  sehr  unrecht,  wenn  mann  diese  Krankheit  unter 
dem  Militär  „granulöse  Ophthalmie  oder  Trachoma"  nennt.  Mir  ist  der  Käme  für  irgend 
eine  Krankheit  das  Mittel,  eine  gewisse  Reihe  krankhafter  Veränderungen  und  Erschei- 
nungen zu  bezeichnen,  welche  neben  und  nach  einander  vorkommen  und  in  einem 
gewissen  Verhältnisse  zum  Organismus  und  zu  den  Aussendingen  stehen,  und  deren 
notwendiger  (sich  gegenwärtig  bedingender)  Zusammenhang  entweder  bereits  als  sol- 
cher erkannt  und  in  einzelnen  Fällen  nachweisbar  ist,  oder  doch  aus  dem  mehr  we- 
niger constanten  Vorkommen  neben  und  nach  einander  postulirt  werden  muss.  Soll 
der  Ausdruck  „granulöse  Ophthalmie,  Trachoma"  bloss  anzeigen,  dass  bei  der  in  Rede 
stehenden  Ophthalmie  die  Bildung  sogenannter  Granulationen  ein  hervorragendes  — 
denn  constant  ist  es  offenbar  nicht  —  Symptom  sei,  will  man  jeden  Complex  von  Er- 
scheinungen ,  bei  welchen  dieses  zweideutige  Symptom  auftreten  kann,  Granulations- 
process  oder  Trachoma  nennen,  so  habe  ich  nichts  einzuwenden,  als  dass  man  eben 
nur  ein  Symptom ,  nicht  aber  eine  Krankheit  damit  bezeichnet.  Man  stellt  sich  dann 
auf  denselben  Standpunkt,  wie  jene,  welche  den  Ausdruck  „Diarrhöe,  Erbrechen, 
Hornhautfleck"  u.  dergl.  als  Krankheitsnamen  gelten  lassen  wollen.  Man  wende  nicht 
ein,  dass  ich  in  denselben  Fehler  verfalle,  wenn  ich  diese  Krankheit  „Blennorrhoe" 
nenne.  Uns  ist  der  Ausdruck  „Blennorrhoe,"  wenn  gleich  in  Ermangelung  eines  bes- 
sern, das  Wesen  vielleicht  näher  bezeichnenden ,  nur  von  einer  Erscheinung  ent- 
lehnt, gleich  vielen  andern ,  durch  den  Sprachgebrauch  sanctionirten ,  z.  B.  Typhus, 
Scharlach,  Brechruhr  u.  dgl.  nicht  mehr  die  blosse  Bezeichnung  eines  Symptomes,  son- 
dern einer  Reihe  von  neben  und  nach  einander  bestehenden  Erscheinungen,  geknüpft 
an  bestimmte,  nur  nach  dem  Grade  und  der  raschern  oder  langsamem  Aufeinanderfolge 
verschiedene  Veränderungen  der  Bindehaut  und  ihrer  Nachbarorgane,  welche,  einmal 
vorhanden,  nur  auf  eine  bestimmte  Reihe  ätiologischer  Momente  zurück  -  und  auf  eine 
bestimmte  Reihe  nachfolgender  Veränderungen  und  Erscheinungen  weiter  schliessen 
lassen.  Und  das  ist  ja  am  Ende  die  Aufgabe  ^der  Terminologie.  Bedient  man  sich 
aber  des  Ausdruckes  „Trachoma"  zur  Bezeichnung  der  unter  dem  Militär  herrschenden 
Ophthalmie,  so  gebe  man  entweder  zu,  dass  man  damit  nur  ein  Symptom  bezeichnen 
will,  welches  bei  dieser  Krankheit  nebst  andern  auch  vorkommt,  aber  auch  bei  andern, 
vermög  des  Vorkommens,  der  Ursachen,  der  consecutiven  Veränderungen  etc.  als  von 
dieser  ganz  verschiedenen  Krankheiten  vorkommen  kann ,  oder  man  wähle  dann  für 
diese,  und  zwar  für  jene  Krankheit  einen  andern  Namen,  welche  ich  nach  Celsus  und 
Rosas  als  selbstständig  und  von  der  Blennorrhoe  verschieden  nachgewiesen  habe,  und 
auf  welche  ich  im  Verlaufe  dieser  Abhandlnng  noch  ausführlich  zu  sprechen  kommen 
werde.  —  Wenn  man,  wie  diess  in  Wien  geschehen,  sagt,  diese  Krankheit  unter  dem 
Militär  erscheine  theils  als  Katarrh,  theils  als  Trachoma,  theils  als  Blennorrhoe,  so  sin- 
ken diese  Namen  zur  blossen  Symptombezeichnung  herab.  Es  kommt  mir  gerade  so 
vor,  als  wenn  man    zur    Zeit   einer  Epidemie   die    leichteren    und    schwereren  Fälle   als 

eigenthümliche,  selbständige  Krankheit.  Ihm  ist  es  über  jeden  Zweifel  erhaben,  dass  die  Krankheit  epidemisch, 
endemisch  und  sporadisch  auftreten  könne  —  was  versteht  er  wohl  unier  Epidemie  ?  —  Über  die  Contagfosität 
dagegen  konnte  er  zu  keinem  bestimmten  Resultate  kommen,  gibt  dieselbe  jedoch,  um  nicht  in  Widerspruch  zu 
gerathen,  halb  und  halb  zu,  und  erwähnt  dann  noch  einer  besondern  KörperbeschafTenheit,  selbst  einer  besondern 
ElutbeschafJenheit  als  disponirender  Ursache.  Diejenigen,  welche  dies  fragliche  Übel  jetzt  beim  Militär  beobach- 
teten, werden  am  besten  beurlheilen,   was  von  diesen  Angaben  zu  halten  ist. 


78  Bindehaut. 

verschiedene  Krankheiten  aufstellen,  z.  B.  bei  einer  Ruhrepirlemie  von  Diarrhöen  und 
Dysenterien  sprechen  wollte.  Eine  solche  Auffassung  kann  nicht  ohne  wichtige  Conse- 
quenzen  bleiben,  weder  für  die  Wissenschaft,  noch  für  die  Praxis.  Hier  sehe  ich  ein 
Individuum  mit  den  sogenannten  Granulationen  der  Bindehaut  Monate,  Jahre  lang  unter 
den  Mitgliedern  einer  zahlreichen  Familie  leben,  entweder  ohne  Ahnung  von  demsel- 
ben, oder  mit  bald  mehr  bald  weniger  entzündeten  Augen,  am  Ende  wohl  auch  (durch 
Pannus  u.  dergl.)  erblinden,  und  keines  der  im  nächsten  Verkehr  mit  ihm  stehenden 
Individuen  erkrankt  an  denselben  Zufällen;  dort  trägt  auch  ein  oder  das  andere  Indi- 
viduum die  sogenannten  Granulationen  mit  bald  mehr  bald  weniger  entzündlichen  Zu- 
fällen der  Bindehaut  an  sich,  und  kaum  ist  es  in  einen  Verein  von  Individuen  einge- 
treten, so  bekommen  schon  mehrere  derselben  die  nämlichen  Erscheinungen.  Was 
nützt  mir's,  den  granulösen  Zustand  der  Bindehaut  zu  kennen ,  wenn  ich  mir  nicht 
Rechenschaf!  zu  geben  weiss,  warum  in  dem  einen  Falle  Ansteckung  erfolgt,  in  dem 
andern  nicht,  und  warum  auch  Augen,  die  keine  Granulationen  darbieten,  anstecken 
können. 

Die  Prognosis  ist  verschieden,  je  nach  dem  Grade  und  Stadium, 
so  wie  nach  dem  rascheren  oder  langsameren  Auftreten  der  Krankheit, 
und  nach  deren  sporadischem  oder  massenweisem  Vorkommen;  bei  Kin- 
dern ist  vor  allem  darauf  Rücksicht  zu  nehmen,  ob  das  Leiden  local  oder 
als  Ausdruck  eines  Allgemeinleidens  zu  betrachten  ist.  —  Dass  äussere 
Verhältnisse,  insbesondere  die  Möglichkeit  für  reine  Luft  zu  sorgen,  und 
die  Kranken  zu  dislociren,  sehr  wohl  zu  berücksichtigen  sind,  ergibt  sich 
aus  dem  über  die  Ätiologie  Bemerkten.  —  Kennt  man  die  Quelle  der 
durch  Betastung  entstandenen  Blennorrhoe,  dann  kann  man  sich  bei  der 
Prognosis  zum  Theil  auch  nach  der  Qualität  des  Impfstoffes  richten. 

Wo  die  Krankheit  nur  den  2.  Grad  erreicht,  bloss  als  Blepharoblen- 
norrhöe  verläuft,  ist  für  das  Sehvermögen  wenig,  oder  nichts  zu  fürchten; 
solche  Fälle  sind  eher  hartnäckig,  als  gefährlich.  —  Croupöses  Exsudat 
auf  der  Bindehaut  der  Lider  deutet  beim  3.  Grade  der  Krankheit  immer 
auf  grosse  Gefahr  für  die  Hornhaut.  —  Spontane  Blutungen  an .  und  für 
sich  haben  weder  eine  günstige  noch  eine  ungünstige  Bedeutung.  — 
Starkes  Überragen  des  Bindehautwalles  über  die  Cornea  oder  grosse  Derb- 
heit desselben,  lässt  Zerstörung  derselben  durch  Druck  befürchten. 

Die  verschiedenen  Ausgänge  haben  wir  bereits  bei  der  Schilderung 
der  einzelnen  Grade  kennen  gelernt,  theils  werden  wir  sie  bei  der  Lehre 
von  den  Krankheiten  der  Hornhaut  noch  näher  besprechen.  —  Wo  die 
Hornhaut  nicht  ergriffen  wird,  wo  keine  Geschwüre  auf  derselben  ent- 
stehen, gefährdet  die  Krankheit  das  Sehvermögen  nicht. 

Die  Dauer  der  Krankheit  ist  sehr  verschieden;  Fälle  des  1.  Grades 
können  in  5 — 8  Tagen  geheilt  sein;  Fälle  des  2.  Grades  können  in  2—3 
Wochen  verschwinden,  aber  auch  eben  so  viele  Monate  —  Jahre  dauern; 


IlfcnnorBiiöe  —  Prognosis  —  Behandlung.  79 

Fälle    des    3.  Grades    werden    in    der  Regel    nur   durch    Krankheiten  der 
Cornea  langwierig,  seltener  durch  Wucherung  des  Papillarkörpers. 

Die  Behandlung  erfordert: 

/.  Berücksichtigung  der  ätiologischen  Momente. 

a)  Im  Allgemeinen  sind  schädliche  Einflüsse  möglichst  zu  beseiti- 
gen;  grelles  Licht,  Zugluft,  Rauch,  Staub,  Verunreinigung  der  Luft  durch 
Zusammenhaufen  vieler  Kranken,  Trocknen  der  Wäsche  im  Zimmer  u.  dgl., 
damit  die  Krankheit  nicht  gesteigert  werde.  Neugeborene  sollen  gar  nicht, 
oder  nicht  viel  gebadet  werden.  Die  schwer,  Erkrankten  sind  von  den 
leicht  Erkrankten  und  Reconvalescenten  zu  sondern.  Die  Augen  sind 
fleissig  von  dem  Secrete  zu  reinigen,  alle  1/4 — 1/<i  Stunden,  je  nach  der 
Reichlichkeit  und  Consistenz  desselben.  Bleibt  es  zwischen  den  Lidern 
zurück,  so  wirkt  es  reizend,  steigernd  auf  die  Krankheit  der  Bindehaut. 
Das  Reinigen  geschieht  durch  Einträufeln  oder  Einspritzen  lauen  Wassers ; 
letzteres  muss  sehr  vorsichtig  geschehen,  am  besten  mit  der  Mildner'- 
schen  Glasspritze,  welche  einen  vorn  abgerundeten  und  am  Halse  leicht 
gekrümmten  Schnabel  hat. 

b)  Die  Weiterverbreitung  ist  möglichst  zu  verhüten,  sowohl  die  durch 
Betastung,  als  die  durch  die  Luft.  Es  ist  weit  mehr  Gewicht  zu  legen 
auf  die    fleissige  Erneuerung    der  Luft,    als  —  wie  man   gewöhnlich  thut 

.  —  auf  die  Verdunklung  des  Zimmers ;  die  Temperatur  ist  eher  etwas  nied- 
riger, als  höher  zu  halten.  —  Der  Kranke  und  die  Wärtersleute  müssen 
auf  die  ansteckende  Beschaffenheit  aufmerksam  gemacht  werden,  welche 
so  lange  fortdauert,  als  das  Secret  noch  trüb,  schleim-  oder  eiterähnlich 
ist,  —  Bei  reichlichem  Secret  kann  es  geschehen,  dass  dasselbe  unver- 
merkt über  den  Nasenrücken  fliesst,  zumal  während  des  Schlafes. 

c)  Dem  zu  besorgenden  Ausbruche  der  Krankheit  ist  möglichst  vor- 
zubeugen, bei  Kindern  blennorrhoischer  Mütter  durch  augenblickliche  Aus- 
spülung der  Augen  mit  lauem  Wasser,  nach  zufälliger  Impfung  durch 
energische  Anwendung  eiskalter  Umschläge.  Nach  Piringers  Versuchen 
kann  der  Ausbruch  der  Blennorrhoe  hiedurch  sicher  verhindert  werden, 
auch  wenn  zur  Impfung  das  Secret  einer  höchstgradigen  Blennorrhoe 
verwendet  wurde,  sobald  nur  bald  nach  der  Impfung  energisch  kalte  Um- 
schläge angewendet  werden. 

2.  Berücksichtigung  des  Grades  der  Krankheit,  ihres  mehr  acuten 
oder  mehr  chronischen  Verlaufes  und  des  Stadiums,  so  wie  einzelner 
besonderer  Zufälle  und  Ausgänge  (symptomatische  Behandlung). 

a)  Mittel,  um  die  Entzündung  zu  dämpfen  : 
«.   Ein   Aderlass    kann    nöthig    werden    nur   bei    erwachsenen    und 


80  Bindehaut. 

kräftigen  Individuen,  wenn  die  Entzündung  rasch  zunimmt,  oder  bereits 
den  3.  Grad  erreicht  hat  und  Fieber  erregt,  mit  intensiver  Rölhe,  hoher 
Temperatur,  Prallheit  und  Empfindlichkeit  der  Lidgeschwulst  und  des  Bin- 
dehautwalles,  und  mit  heftigen  anhaltenden  Kopfschmerzen  verläuft  (sy- 
nochöser  Charakter).  Die  Menge  des  Blutes:  8 — 12  Unzen;  zu  wieder- 
holen :  wenn  diese  Erscheinungen  zwar  nachgelassen,  aber  bald  wieder- 
kehren. Der  Aderlass  hat  nur  symptomatischen  Werth;  nie  glaube  man, 
durch  die  Reichlichkeit  oder  Häufigkeit  desselben  der  Blennorrhoe 
Meister  werden  zu  können.  Man  bedenke  stets,  dass,  wenn  die  Krankheit 
trotz  des  Aderlasses  zu  Hornhautgeschwüren  führt,  die  Verschwärung  um 
so  rascher  und  ausgedehnter,  und  die  Heilung  um  so  langsamer  erfolgt, 
je  mehr  man  den  Kranken  durch  zu  reichliche  Antiphlogose  herunter 
gebracht  hat. 

ß.  Unter  den  örtlichen  Blutentziehungen  ersetzen  Blutegel  bei  Neu- 
geborenen die  Stelle  des  Aderlasses,  sind  also  nur  bei  kräftigen  Kindern 
anzulegen,  zu  i  höchstens  2  Stück,  ohngefähr  1  Zoll  vom  Auge  entfernt, 
über  dem  Jochbogen.  Auch  bei  Erwachsenen  sind  sie  an  die  Schläfe- 
gegend und  so  weit  als  möglich  vom  Auge  entfernt  anzulegen,  und  zwar 
mindestens  6  Stück,  sonst  nützen  sie  nichts.  Sie  passen  nach  voraus- 
geschicktem Aderlass,  oder,  wo  dieser  nicht  nothwendig  erschien,  wenn 
die  entzündlichen  Zufälle  rasch  zuzunehmen  drohen,  oder  wenn  bei  schon 
ausgebildeter  Blennorrhoe  des  2.  oder  3.  Grades  die  Geschwulst  der 
Lider  derb,  heiss,  hellroth,  empfindlich,  das  Auge  sehr  lichtscheu,  die 
Schmerzen  im  Auge  und  Kopfe  heftig  sind.  Ihre  Wirkung  fand  ich  in 
vielen  Fällen  auffallend,  nicht  nur  in  Bezug  auf  Erleichterung  des  Kran- 
ken, sondern  auch  in  Bezug  auf  die  Verminderung  der  Augenlidgeschwulsl. 
—  Keinen  Nutzen  sah  ich  in  dieser  Beziehung  von  Scarißcationen  der 
Bindehaut,  ,  öfters  dagegen  eclatanten  Erfolg  vom  Ausschneiden  kleiner 
Stückchen  aus  dem  Bindehautwalle,  wenn  sich's  darum  handelte,  die  Cor- 
nea von  dem  Drucke  zu  befreien,  welchen  der  Bindehautwall  auf  diese 
und  deren  Rand  ausübt. 

Martini'")  hat  dieses  Mittel  verworfen,  weil  er  seiner  Theorie  zufolge  befürchtete, 
das  scharfe  Secret  der  Bindehaut  könne  dann  um  so  leichter  auf  die  tiefern  Gewebe 
zersetzend  einwirken.  Ich  fand,  dass  die  dadurch  gesetzten  Wunden  im  Gegentheilc 
sehr  rasch  heilen,  in  24 — 48  Stunden.  Auch  die  Furcht  vor  nachfolgender  Verkürzung 
der  Bindehaut  wird  durch  die  Erfahrung  widerlegt;  ohnehin  ist  ja  die  zu  einem  Wall 
erhobene  Bindehaut  so  ausgedehnt,  dass  ein  2  Linien  breiter  Streifen,  aus  der  ge- 
dehnten Bindehaut  ausgeschnitten,  gewiss  nicht   '/2  Linie  der  normalen  Bindehaut  beträgt. 

*)  Über  den  Einfliiss  der  Secretionsflüssigkeiten. 


Blennorrhoe  —  Behandlung.  81 

y.  Knappe  Diät  ist  bei  den  ßlennorrhöen  der  1.  Reihe  nothwendig, 
so  lange  die  entzündlichen  Zufälle  noch  steigen  und  in  hohem  Grade 
anhalten ;  doch  hüte  man  sich,  die  Reproduction  zu  weit  herabzudrücken, 
aus  demselben  Grunde,  der  unter  a.  angegeben  wurde.  Bei  nicht  stür- 
mischem Auftreten  der  Krankheit  ist  eine  merkliche  Beschränkung  in  der 
Nahrung  ganz  überflüssig. 

d.  Derselbe  Gesichtspunkt  gilt  für  den  Gebrauch  von  Abführmitteln, 
Ein  wohlthätiger  Einfluss  derselben  auf  das  entzündete  Auge  überhaupt 
kann  nicht  in  Abrede  gestellt  werden.  Es  liegen  zahlreiche  und  un- 
zweifelhafte Beobachtungen  hierüber  vor.  Doch  wird  man  nie  eine  Binde- 
hautblennorrhöe  durch  Purgirmittel  allein  heilen. 

s.  Brechmittel  und  schw  eis  streib  ende  Mittel  werden  insbesondere  in 
solchen  Fällen,  wo  Yerkältung  zur  Entstehung  beigetragen  hat,  von 
Anfang  zu  versuchen  sein,  ohne  dass  man  indess  darüber  die  rechte  Zeit 
zu  wirksameren  Mitteln  zu  versäumen  hat.  Von  allgemeinen  Bädern  sah 
ich  keinen  Nutzen ,  sie  können  leicht  schaden ,  besonders  bei  Neu- 
geborenen. Professor  Fischer  *)  sah  guten  Erfolg  von  Spiritusbädern 
nach  Dzondi. 

s.  Die  energische  Anwendung  eiskalter  Umschläge,  so  lange  die 
entzündlichen  Zufälle  der  Bindehaut  und  der  Lider  zunehmen,  gehört  zu 
den  wichtigsten,  wirksamsten  Mitteln.  Wo  die  Anzeige  zu  Blutentzie- 
hungen vorhanden  ist,  müssen  diese  voraus  geschickt  werden. 

Man  nimmt  4 — 6fach  zusammengelegte  Leinwandflecke,  so  gross,  dass  sie  ein 
wenig  über  den  Augenhöhlenrand  hinausragen;  vom  Eise  genommen,  müssen  sie 
so  weit  ausgedrückt  werden,  dass  sie  nicht  triefen.  Sie  sollen  das  Auge  nicht  drücken, 
aber  überall  gut  anliegen.  Sie  müssen,  je  nach  der  Wärmeentwicklung,  selbst  alle 
3 — 5  Minuten  gewechselt  werden,  und  zwar  Tag  und  Nacht.  Wo  man  sie  nicht  gehörig 
geben  kann,  fange  man  lieber  gar  nicht  damit  an.  Wo  die  Cutis  gegen  die  fortwährende 
Benetzimg  sehr  empfindlich  ist,  schütze  man  sie  durch  ein  Stückchen  Wachstaffet.  Mit 
dem  Nachlass  der  Wärmeentwicklung  werden  diese  Umschläge  dem  Kranken  gewöhnlich 
lästig,  wenigstens  nicht  mehr  angenehm;  dann  sind  sie  wegzulassen.  Bei  Neugeborenen 
genügt  kaltes  Wasser;  doch  dürfte  auch  dieses,  nach  meinen  Erfahrungen  zu  schliessen, 
bei  Kindern  in  der  Regel  entbehrt  werden  können.  Hat  man  kein  Eis,  so  setze  man 
zu  1  Pfund  Wasser  '/2  Drachme  Bleizucker  oder  %  Unze  Bleiessig,  oder  gebe  Aqua 
Goulardi.  Lerche  hat  eine  Mischung  aus  1  Theil  Branntwein,  1  Theil  Essig  und  12 
Theilen  Wasser  empfohlen,  besonders  für  jene  Kranken,  welche  Eis-  oder  einfache 
Wasserumschläge  nicht   gut  vertragen. 

rj.    Hautreize    sind  unnütze    Plagen    für    den  Kranken,    sowohl   beim 
acuten,  als  beim  chronischen  Verlaufe. 


')  Lerbueh  der  Entzündungen  und   organischen   Krankheilen,   S.   130 
Arlt,  I. 


82  Bindehaut. 

Es  ist  unbegreiflich ,  wie  Ärzte  bei  dieser  Krankheit  noch  Vesicantien  an  den 
Nacken  oder  hinter  die  Ohren  legen  können ;  sie  nehmen  auf  die  Blennorrhoe  nicht  den 
geringsten  Einflnss.  Ebenso  weiss  man  nicht,  was 'man  zu  dem  Rathe  jener  sagen  soll, 
welche  auf  die  äussere  Fläche  der  Lider  ein  Vesicans  legen,  oder  durch  Anwendung 
des  Höllensteines  daselbst  einen  Brandschorf  erzeugen.  Nützen  etwa  solche  Mittel  beim 
Harnröhren-  oder  Scheidentripper? 

&.  Einreibungen  von  Unguentum  cinereum  an  die  Stirn  und  Schläfe 
erweisen  sich  in  gelinderen  Fällen  bei  Neugeborenen  sowohl  als  bei  Er- 
wachsenen sehr  wohllhätig,  allein  oder  mit  Opium  oder  Extr.  belladonnae, 
je  nachdem  Lichtscheu  und  erhöhte  Empfindlichkeit  oder  Schmerzen  ner- 
vöser Art  da  sind.  Im  2.  Stadium  und  bei  mehr  torpidem  Auftreten 
nimmt  man  lieber  eine  Salbe  aus  3 — 6  Gran  weissem  Präcipitat  auf  1 
Drachme  Fett.  Diese  Salbe,  etwas  schwächer,  wird  auch  mit  gutem  Erfolg 
an  die  Lider  äusserlich  2 — 5mal  täglich  aufgestrichen,  wenn  die  Krank- 
heit mit  starker  Wucherung  der  Bindehaut  und  reichlicher  dicker  Secre- 
tion  mehr  chronisch  verläuft.  *) 

b)  Mittel  gegen  die  nervösen  Schmerzen.  Die  heftigen  Schmerzen, 
welche  die  acute  Bindehautblennorrhöe  begleiten,  sind  nicht  immer  durch 
die  Entzündung  der  Bindehaut  oder  —  bei  tiefer  dringenden  Hornhaut- 
geschwüren —  der  Iris  bedingt.  Bei  reizbaren  Individuen  treten  nicht 
selten  äusserst  heftige  Schmerzen  im  Auge  und  der  entsprechenden  Kopf- 
hälfte ein;  sie  sind  nicht  anhaltend,  kommen  mehr  anfallsweise,  besonders 
in  der  Nacht;  sie  dauern  fort,  auch  nachdem  die  Heftigkeit  der  Entzün- 
dung gebrochen  ist,  werden  durch  Anlegung  von  Blutegeln  und  Eis- 
umschlägen nicht  gemildert,  oft  im  Gegentheile  gesteigert.  Am  hilfreichsten 
erwies  sich  mir  das  von  Fischer,.  Gobee  und  A.  empfohlene  Pulver  aus 
2  Gran  Sulfas  chinini  mit  */„  Gran  Opium,  nächst  dem:  Pulvis  Doveri  oder 
Einreibungen  von  Ung.  cinereum  mit  Opium  (6 — 10  Gran  auf  1  Drachme) 
oder  Mandelöl  mit  Morphium  aceticum  (4 — 6  Gran  auf  1  Drachme);  bis- 
weilen sind  trockene  warme  Tücher  an  die  entsprechende  Kopfhälfte  von 
guter  Wirkung.  Rust  und  Müller  haben  die  China  in  Pulverform,  alle  2 
Stunden  */„  Drachme,  als  das  wirksamste  Mittel  empfohlen. 

c)  Mittel  gegen  die  Wucherung  des  Papillarkörpers,  der  Übergangs- 
falte und   der  Scleralbindehaut,    welche  nach  gebrochener    Heftigkeit  der 

*)  Das  Aufsireichen  von  Ungucnt.  cinereum  mil  2—4  Gran  extract.  hyosciami  an  die  Stirn  und  Schläfe,  alle  2 — 3 
Stunden  wiederholt,  scheint  mir  bei  den  Fällen  von  Blennorrhoea  neonatorum,  welche  ich  in  der  Privatpraxis  zu 
behandeln  halte,  nächst  dem  fleissigen  Reinigen  der  Augen  mit  lauem  Wasser  und  der  Sorge  für  reine  Luft  das 
wirksamste  Mittel  zu  sein.  Erst  dann,  wenn  die  Geschwulst  der  Lider  zu  sinken  begann,  habe  ich  eine  Lösung 
von  1j2 — 2  Gran  Arjenl.  nitricum  in  1  Unze  Wasser  oder  slark  verdünnte  Oniumtinotur  eingeträufelt,  innerlich 
nichts,  ausser  ein  leichtes  Abführmittel  verordnet,  und  ich  habe  in  der  Tbat  nicht  Ursache,  mit  den  Resultaten 
unzufrieden  zu  sein.     Ich  werde  bei  den  Horuhaulkrniikhcilcn    auf  diesen    Gegenstand  zurückkommen. 


Blennorrhoe  —  Behandlung.  83 

Entzündung  gern  zurückbleiben.  Oben  an  steht  die  Tinctura  opii  crocata, 
welche  schon  sehr  bald  nach  dem  Eintritte  des  2.  Stadiums  angewandt 
werden  kann,  anfangs  verdünnt,  später  rein.  Ihr  zunächst  stehen  Einrei- 
bungen der  Salbe  aus  weissem  Präzipitat  (3 — 6  Gran  auf  1  Drachme) 
an  die  äussere  Fläche  der  Lider,  oder,  halb  so  stark,  an  die  innere 
Fläche.  Sind  "einzelne  Wucherungen  so  gross,  dass  man  sie  mit  der 
Scheere  abtragen  kann,  so  zögere  man  nicht,  es  zu  thun,  zumal  wenn 
sie  nicht  bald  dem  Bestreichen  mit  Laudanum  weichen.  Sind  sie  nicht 
so  gross,  locker,  leicht  blutend,  so  touchire  man  sie  mit  Cuprum  sulfu- 
ricum  oder  mit  einer  Pasta  aus  Lapis  infernalis  und  Gummi  arabicum 
(z.  B.  1  Scrupel  Argent.  nitricum  und  2  Scrupel  Gummi  mit  Aq.  dest. 
angemacht  und  in  Stängelform  gebracht) ;  oder  nach  Demarres  Vorschlag 
Argentum  nitricum  mit  Kali  nitricum  (in  verschiedenen  Proportionen)  zu- 
sammengeschmolzen; sind  sie  härter,  so  nehme  man  Lapis  infernalis  in 
Substanz,  doch  ohne  zu  tief  einzuwirken. 

d)  Die  Behandlung  der  verschiedenen  Hornhautgeschwüre  und  ihrer 
Folgen,  so  wie  auch  des  Pannus  folgt  bei  der  Lehre  von  den  Krankheiten 
der  Cornea. 

3.  Nebst  dieser,  im  Allgemeinen  den  Symptomen  angepassten  Be- 
handlung sind  noch  mehrere  sogenannte  specifische  Methoden  vorgeschla- 
gen worden.     Hieher  gehören: 

a)  Die  Touchirung  mit  Lapis  infernalis  in  Substanz,  zuerst  von 
englischen  Ärzten,  dann  aber  besonders  von  den  Niederländern  Kerst 
und  Gobee  empfohlen,  und  zwar  nicht  nur  bei  chronischen,  sondern  auch 
bei  ganz  acuten  und  bei  den  heftigsten  Fällen.  Selten  wird  ein  Aderlass 
vorausgeschickt,  noch  seltener  Blutegel.  Beim  2.  Grade  touchirt  man 
bloss  die  Bindehaut  der  Lider,  beim  3.  auch  die  des  Bulbus,  bis  ein 
weisser  Brandschorf  entsteht;  dann  wird  Milch  eingeträufelt,  bei  heftiger 
Geschwulst  ein  Aderlass  gemacht,  bei  heftigen  Schmerzen  Chinin  mit 
Opium  verabreicht.  Der  Schorf  löst  sieh  in  1  —  2  Tagen,  und  die  Tou- 
chirung wird  dann  wiederholt,  wenn  nicht  die  Geschwulst  der  Bindehaut 
und  die  Secretion  merklich  abgenommen  haben.  Selten  ist  eine  dritte  Tou- 
chirung nothwendig.  Nach  gebrochener  Heftigkeit  der  Entzündung  wird 
die  Goulhriesche  Salbe  eingestrichen,  aus  2 — 6  Gran  x\rgent.  nitricum  auf 
1   Drachme  Fett. 

Ich  habe  diese  Methode  in  6  Fällen  3.  Grades  angewandt;  bei  4  Individuen 
war  der  Erfolg  überraschend  .  namentlich  in  Bezug  auf  das  schnelle  Sinken  der  Lid- 
geschwulst und  Nachlassen  der  Kopfschmerzen ;  bei  2  traten  aber  so  gut  wie  bei  der 
symptomatischen    Behandlung  Hornhautgeschwüre    ein.     Für  die  Privatpraxis  dürfte  diese 

6* 


84  Bindehaut. 

Methode   am  wenigsten   passen,    da  sie    einen   so    energischen    Eingriff  erheischt,   ohne 
völlige  Sicherheit  zu  gewähren.  , 

ö)  Auflösungen  von  Lapis  infernalis  in  verschiedener  Stärke  wurden 
von  verschiedenen  Auetoren,  namentlich  von  Engländern  als  speeifisch 
empfohlen.  In  neuester  Zeit  legte  Chassaignac  *)  besonders  Gewicht 
darauf,  dass  vor  der  Anwendung  der  Silberlösung  das  croupöse  Exsudat, 
welches  die  Bindehaut  in  allen  Fällen  überziehen  soll,  durch  kräftiges 
Aufspritzen  kalten  Wassers  mittelst  eines  Douche- Apparates  zu  entfernen 
sei.  Bednar  **)  in  Wien  überzeugte  sich,  dass  warmes  Wasser  dieselben 
Dienste  leiste,  ja  zu  diesem  Zwecke  noch  besser  sei,  und  Grün  ***)  in 
Prag  führte  statt  des  Doucheapparates  die  Mildner'' sehe  Glasspritze  ein. 
Je  heftiger  der  Fall,  desto  stärker  muss  die  Silberlösung  sein,  5 — 10 
Gran  Argent.  nitricum  auf  1  Unze  Aquae  dest.;  Primarius  Böhm  lässt 
selbst  15  Gran  auf  1  Unze  zu  diesen  Einspritzungen  nehmen,  und  zwar 
bei  Neugeborenen.  Wesentlich  noth wendig  ist,  dass  die  Bindehaut  vor 
der  Anwendung  der  Silberlösung  genau  gereinigt  werde,  und  dass,  wenn 
die  Bindehaut  nach  der  Anwendung  der  Silberlösimg  abermals  einen 
grauen  Überzug  zeigt,  dieser  neuerdings  mittelst  eines  kräftigen  Wasser- 
strahles oder  selbst  mittelst  einer  Pincette  entfernt  werde.  Dieses  Manöver 
wird  2 — 3mal  in  24  Stunden  wiederholt. 

Die  Resultate,  welche  Bednar  im  Wiener  und  Grün  im  Prager  Findelhause  mit 
dieser  Methode  erzielten,  lauten  überraschend  günstig.  Nach  den  wenigen  Fällen,  welche 
ich  bisher  auf  diese  Weise  zu  behandeln  Gelegenheit  hatte,  muss  ich  annehmen,  dass 
man  bei  Erwachsenen  mit  dieser  Methode  auch  kein  günstigeres  Verhältniss  erzielen 
werde,  als  bei  der  sogenannten   symptomatischen  Behandlung. 

c)  Varlez's  Methode  f),  eine  filtrirte  Lösung  von  1  Scrupel  bis  1  Drachme  Chlor- 
kalk auf  1  Unze  Aq.  destill,  zwei-  bis  dreimal  des  Tages  einzuträufeln,  scheint  wenig 
Aufnahme  gefunden  zu  haben.  Ammon  empfahl  l/2  Drachme  Chlorkalk  auf  6  Unzen 
Wasser,  später  Chlorwasser  mit  Belladonnaextract  in  destillirtem  Wasser  vorzüglich  bei 
Blennorhoea  neonatorum  ff). 

d)  Hanke  f  f  f )  rühmt  vorzüglich  das  Jod  als  gegen  die  Wucherung  und  Secretion 
der  Bindehaut  wirksam.  Er  wendet  verschiedene  Jodpräparate  theils  zu  Fomentationen 
der  Lider,  theils  zu  Injectiouen  zwischen  die  Lider,  theils  auch  innerlich  an.  —  Ich 
habe  diese  Methode  so  genau  als  möglich  nach  Hanke's  Angabe  in  4  Fällen  angewen- 
det, bin  jedoch  eben  nicht  zu  weiteren  Versuchen  aufgemuntert  worden.  Bloss  die  von 
Hanke  empfohlenen    Einspritzungen   von    1 — 2    Gran    Zincum    muriat.    in  einem  Infusum 


")  Gazette  roedio.  1847  N.  35.  Prag.    Vjschr.  18.  B.  AnaleUten. 

»»)  Zeilschr.  d.  Gesellschaft  d.  Ärzte  in  Wien,  5.  Jahrg.   2.  Heft.  S.  138.  Prag.   Vjschr.  2t.  B.,  Analeklen,  S.  88. 
***)  Die  Abortivmethode  bei  Ophth.  neonat..   Prager  Vjschr.  22.  B.,  Originalaufs.    S.  25,  u.  23.   B.  Orig.  S.  MI. 
t)  Gerson  und  Julius  Magazin,    1828,    S.  132. 
ff)  v.  Walther's  und  Ammon's  Journal.  I.  B.   1.  St. 
+tf)  Die  contagiöse  Augenblennorrhöe,  Leipzig,  1840. 


Blennorrhoe  —  Behandlung.  85 

herbae  hyosciami    schienen  mir   eine  wohlthätige  Wirkung    durch   Beschränkung  der  Se- 
cretion  zu  üben. 

e)  Vom  Einblasen  fein  gepulverten  Calomels  nach  Dupuytrens  und  Fricke's  Vor- 
gang, so  wie  von  dem  von  Mayor  in  Lausanne  (wohl  mehr  für  chronische  Fälle)  em- 
pfohlenen Einführen  eines  mit  Calomelpulver  gepuderten  Baumwollbäuschchens  zwischen 
den  Bulbus  und  die  Lider  erhielt  ich  nicht  den  gerühmten  Erfolg,  von  ersterem  in  zwei 
Fällen  sogar  entschiedenen  Nachtheil,  starke  partielle  Enzündung  der  Conjunctiva  bulbi 
da,  wo  sich  zufällig  etwas  Pulver  angehäuft  hatte. 

f)  Nicht  glücklicher  war  ich  mit  dem  Einstreuen  von  1  — 2  Gran  feingepulvertem 
Plunibum  aceticum  neutrum,  welches  Dr.  Buys  in  Bruges  und  Cunier  in  neuester  Zeit 
so  bewährt  gefunden  haben  wollen.  Ich  habe  es  gleichfalls  nur  bei  chronischen  Fällen 
(eigentlich  bei  Trachoma)  gegen  die  sogenannten  Bindehautgranulationen  versucht.  Ich 
sah  bei  einem  Soldaten,  dem  dieses  Pulver  in  Mainz  aufgestreut  worden  war,  dasselbe 
nach  4  Monaten  noch  an  der  Bindehaut  des  obern  Lides  haften,  ohne  dass  desshalb 
die  Granulationen  beseitigt  werden. 

Eine  für  alle  Fälle  und  für  jeden  Zeitraum  passende  specifische 
Methode  haben  wir  Bisher  trotz  den  Lobpreisungen  so  Vieler,  nicht  er- 
hallen, und  —  wir  werden  sie  auch  nie  erhalten.  Das  sehlendrianmässige 
Handhaben  der  einen  oder  der  andern  Methode,  wie  sich  ein  solches 
namentlich  da  gern  einschleicht,  wo  Kranke  in  grossen  Massen  zu  be- 
handeln sind,  wird  immer  möglichst  zu  vermeiden  sein.  Vergessen  wir 
nie,  dass  wir  es  nicht  mit  einem  Parasiten,  mit  der  personificirten  Krank- 
heit, zu  thun  haben,  den  wir  gleichsam  ausrotten  müssen,  sondern  mit 
einem  Organe,  dessen  Structur  und  Function  in  Folge  abnormer  äusserer 
—  vielleicht  auch  innerer  —  Einflüsse  verändert  sind,  und  dass  auf  das 
hiedurch  veränderte  Sein  dieses  Organes  nicht  bloss  äussere,  sondern 
auch  innere,  im  Organismus  selbst  gelegene  Momente  einen  sehr  wich- 
tigen Einfluss  nehmen  können,  welche  bei  der  Prognosis  und  Therapie  — 
der  Aufgabe  des  Arztes  —  sehr  zu  berücksichtigen  sind. 


III.  Conjunctivitis  membranacea. 

Diese  Form  von  Entzündung  der  Bindehaut  steht  —  morphologisch 
betrachtet  —  der  Conjunctivitis  blennorrhoica  seu  pyorrhoica  in  so  fern 
sehr  nahe,  als  sie  gleichfalls  faserstoffiges  Exsudat  nicht  nur  in's  Paren- 
chym,  sondern  vorwaltend  an  die  freie  Oberfläche  setzt,  unterscheidet 
sich  jedoch  von  dieser  dadurch,  dass  dieses  Exsudat  an  der  Oberfläche 
nicht  bald  in  Eiter  übergeht,  sondern  in  Form  einer  Membran  gerinnt, 
und  selbst  Verwachsung  der  Conjunctiva  bulbi  mit  der  Conjunctiva  palpe- 
brarum herbeiführen  kann.    Ich  hatte  noch  nicht  Gelegenheit,  diese  wenig- 


86  Bindehaut. 

stens  in  ihrer  exquisiten,  durch  den  höchsten  Grad  von  Plasticilät  des 
Exsudates  ausgezeichneten  Form  deutlich  von  der  Blennorrhoe  verschie- 
dene Krankheit  hinreichend  oft  zu  beobachten,  um  selbständig  eine  Schil- 
derung derselben  entwerfen  zu  können.  Bei  Kindern,  sowohl  bei  neu- 
geborenen, als  bei  mehrjährigen,  habe  ich  Fälle  beobachtet,  welche  man 
zwar  noch  als  Blennorrhoe  gelten  lassen  konnte,  welche  aber  doch  vor- 
waltend durch  die  Bildung  eines  sehr  plastischen  Exsudates  an  der  freien 
Oberfläche  der  Bindehaut  ausgezeichnet  waren.  Ich  möchte  auch  hier, 
wie  bei  allen  andern  Entzündungsformen  der  Bindehaut,  welche  wir 
gleichsam  als  verschiedene  Species  hinstellen,  in  Erinnerung  gebracht 
wissen,  dass  nur  extreme  Fälle  sich  auf  den  ersten  Blick  als  der  einen 
oder  der  andern  Reihe  (Species)  angehörend  kundgeben,  dagegen  überall 
Fälle  vorkommen,  bei  denen  man  nur  unter  Berücksichtigung  aller  Mo- 
mente (auch  der  anamnestischen)  mit  mehr  weniger  Wahrscheinlichkeit, 
oft  aber  auch  gar  nicht,  sich  für  das  eine  oder  für  das  andere  ent- 
scheiden kann.  —  Folgender  Fall,  den  uns  Dr.  Bouisson  in  Cunier's 
Annales  d'oeulist.  T.  XVII.  S.  100  mitgetheilt  hat,  möge  als  Repräsentant 
exquisiter  Fälle  von  Conjunctivitis  membranacea  dienen.  —  Ein  Mann  von 
46  Jahren  kam  Ende  November  1845  in's  Spital  zu  Montpellier.  Man  fand 
nicht  nur  die  Conjunctiva  palpebr.  et  bulbi  heftig  entzündet,  sondern  auch 
das  den  Bulbus  umgebende  Zellgewebe  der  Orbita,  indem  der  Bulbus 
etwas  nach  vorn  gedrängt  erschien,  und  das  obere  Lid  stark  anspannte. 
Zugleich  war  die  chemotisch  angeschwollene  Conjunctiva  bulbi  in  Form 
hochrother  Wülste  zwischen  den  Lidern  vorgetrieben,  und  ergoss  sich 
eine  reichliche  Menge  eitrigschleimiger  Flüssigkeit  aus  der  Lidspalte ;  von 
der  Cornea  konnte  man  wegen  der  Grösse  der  Geschwulst  nichts  wahr- 
nehmen. Dabei  heftiger  Schmerz  und  Gefühl  von  Pulsation  im  Auge, 
Kopfschmerzen,  Fieber,  gänzliche  Schlaflosigkeit.  Dieses  Übel  war  in 
Folge  von  Verkältung  entstanden,  und  scheint  Anfangs  für  eine  acute 
Bindehautblennorrhöe  gehalten  worden  zu  sein.  Trotz  einem  reichlichen 
Adeilasse,  20  Blutegeln  an  die  Schläfe,  und  Einreibungen  von  Ung.  cinereum 
mit  Bellad.  an  die  Umgebung  des  Auges  stieg  die  Entzündung  noch  immer. 
Den  30.  wurden  die  Blutegel  wiederholt,  Pillen  aus  Calomel  mit  Opium 
verordnet  und,  da  die  Conjunct.  bulbi  sehr  stark  geschwollen  war,  eine  Par- 
tie derselben  ausgeschnitten.  Hierauf  wurde  die  Absonderung  etwas  spar- 
samer, aber  eine  graue  Exsudatschichte  überzog  nun  die  Bindahaut,  und 
wurde  immer  dicker.  Den  31.  wurde  wegen  der  beträchtlichen  Spannung 
der  Lider  die  Lidspalte  erweitert,  was  dem  Kranken  Erleichterung  ver- 
schaffte.    Allmälig  verdickte  sich   jene  grauliche  Membran  so,  dass  sie  B. 


: 


Conjunctivitis  naenibranacea.  87 

für  abgestorbene  Bindehaut  hielt  und  dieselbe  mit  einer  Pincette  anzog, 
um  sie  zu  entfernen.  Sie  folgte  dem  Zuge  leicht,  und  bot  zur  nicht  gerin- 
gen Überraschung  des  Arztes  die  Merkmale  einer  mit  Eiter  infiltrirten  Pseudo- 
membran dar;  die  Bindehaut  darunter  erschien  roth,  sehr  gefässreich 
und  empfindlich.  Tags,  darauf,  den  3.  December,  hatte  sich  wieder  eine 
ähnliche  Membran  gebildet,  welche  am  4.  abermals  abgezogen  wurde. 
Sie  bot  das  Aussehen  einer  fest  gewordenen  Fibrin  dar,  und  war  in  den 
Maschen  der  untern  Fläche  mit  Eiter  infiltrirt;  nach  ihrer  Entfernung, 
welche  sich  ohne  Schmerz  und  leicht  bewerkstelligen  Hess,  blutete  die 
Bindehaut  ein  wenig.  Ins  Wasser  gelegt,  um  den  Eiter  abzuspülen,  nahm 
sie  ein  filziges  und  gefranztes  Aussehen  an.  Am  Auge  bildete  sich  als- 
bald wieder  eine  Pseudomembran,  so  wie  auch  die  Stelle  am  Nacken, 
welche  einige  Tage  vorher  mittelst  eines  Vesicators  entblösst  worden 
war,  mit  sehr  dicken  plastischen  Gerinseln  bedeckt  erschien.  Am  5. 
December  drohte  auch  das  rechte  Auge  von  demselben  Processe  ergriffen 
zu  werden,  was  jedoch  durch  ein  Collyrium  aus  Nitras  argenti  verhindert 
wurde ;  als  man  vom  linken  Auge  die  Pseudomembran  zum  3.  Male  ab- 
löste, zeigte  sich  die  Cornea  theilweise  durch  Eiterung  zerstört.  Das  Ca- 
lomel  musste  ausgesetzt  werden,  da  bereits  Salivation  eingetreten  war. 
Es  bildete  sich  nun  keine  Pseudomembran  mehr,  und  der  Bulbus  schrumpfte 
unter  reichlicher  schleimigeitriger  Absonderung  mehr  und  mehr  zusammen, 
nachdem  sich  ein  grosser  Tlieil  seines  Inhaltes  entleert  hatte.  Die  Binde- 
haut der  Lider  war  verdickt ,  stark  gewulstet ,  und  veranlasste  ein 
Ektropium,  das  nach  ungefähr  1  Monat  von  selbst  zurückging.  Ende 
Jäner  verliess  der  Mann  das  Spital.  Später  sah  B.  denselben  zu  wieder- 
holten Malen.  Die  Bindehaut  war  nun  trocken,  gleichsam  in  Cutis  um- 
gewandelt, und  mit  einer  leichten  Schichte  kleienartiger  Schüppchen  be- 
deckt. (Xerophthalmus.)  —  Dr.  Guersant  fils  veröffentlichte  in  der  Gaz. 
des  höpit.  1845'  Nr.  41  eine  Beobachtung,  welche,  wenn  auch  unvollstän- 
dig, doch  in  mehrfacher  Beziehung  höchst  interessant,  und  über  die 
Bildung  faserstoffigen  Exsudates  auf  der  Conjunctiva  Aufschluss  gebend 
erscheint.  Ein  Mädchen  von  3  Jahren  wurde  in  das  Kinderspital  zu  Paris 
aufgenommen.  Sie  bot  eine  in  ihren  äussern  Erscheinungen  nur  wenig 
heftige  Ophthalmie  dar.  Obwohl  die  Lider  nur  wenig  geschwollen,  und  nur 
ein  leichter  Ausfluss  eiterförmigen  Secretes  vorhanden  war,  nahm  man 
doch  eine  zweimalige  Cauterisalion  der  Palpebralbindehaut  vor.  Während 
dem,  den  2.  oder  3.  Tag  nach  der  Aufnahme  des  Kindes,  zeigten  sich 
die  Prodrome  von  Scarlatina,  und  das  Kind  erlag  nach  einigen  Tagen 
dieser  Affection  in  einem  Zustande   von  Schwäche  und  äusserster  Nieder- 


88  Bindehaut. 

geschlagenheit.  Die  Untersuchung  des  Rachens  hatte  keine  Zeichen  von 
Angina  membranacea  geboten;  die  Sprache  war  etwas  behindert  gewesen; 
das  einzige  beunruhigende  Zeichen  war  der  Zustand  allgemeiner  Schwäche 
gewesen.  Die  Autopsie  aber  zeigte  auf  den  Tonsillen  eine  Lage  eines 
graulichen  Breies,  welche  auch  die  ganze  hintere  Partie  des  Gaumen- 
segels bedeckte,  und  von  da  in  die  Choannen,  vielleicht  auch  noch  weiter 
vorwärts,  was  man  nicht  untersuchen  konnte,  sich  erstreckte.  Eine  Pseudo- 
membran bedeckte  die  Bindehaut  sowohl  an  den  Lidern  als  auch  auf 
dem  ganzen  Bulbus.  Dieselbe  war  sehr  dick,  wenigstens  l1/,,  Millimeter, 
und  konnte  mit  einer  Pincette  fas.t  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  ohne 
einzureissen,  abgezogen  werden.  G.  behauptet,  dass  diese  Membran  nicht 
als  Product  der  Cauterisation  betrachtet  werden  könne;  dass  sich  diese, 
nach  seinen  Erfahrungen,  ganz  anders  verhalten,  lange  nicht  eine  so  hohe 
Consistenz  und  Cohäsion  darbieten.  Guersant  der  Vater  versicherte,  dass 
er  während  seiner  langjährigen  Praxis  in  mehreren  (5 — 6)  Fällen  die  Bil- 
dung solcher  Pseudomembranen  auf  der  Conjunctiva  bei  Kindern  auch  ohne 
jene  AiFection  der  Rachenschleimhaut  beobachtet  habe.  Jene  Pseudomem- 
bran, in  Weingeist  aufbewahrt,  zeigt  ohngefähr  1  Millim.  Dicke,  eine  gelb- 
lichweisse  Farbe,  und  die  Form  eines  eingestülpten  Blindsackes,  welche 
gegeben  ist,  wenn  man  sich  denkt,  dass  die  Membran  nicht  nur  die  Binde- 
haut in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  sondern  auch  die  Cornea  als  ein 
dunkler  und  dichter  Schleier  überzog. 

Die  Conjunclivis  membranacea  scheint  zuerst  von  Prof.  Fr.  Jäger  als  eine  be- 
sondere Form  der  Bindehantentzündung'  unterschieden  worden  zu  sein  (Babor.  disser. 
tatio  inaug.  de  conjunetivide  membranacea,  Viennae  1835).  Einzelne  Beobachtungen 
finden  sich  bei :  Joann.  Seikora,  dissertatio  inauguralis  medica  de  Xerophthalmo,  Pragae 
1842;  Rifjler,  Augenkrankheiten  des  Orients,  in  der  Zeitschrift  der  Gesellschaft  der 
Wiener  Ärzte,  1849,  Märzheft  S.  726 ;  D.  Pilz,  Prager  inedicinische  Vierteljahrschrift , 
1850,  27.  Band,  S.  14;  D.  Guh,  die  sogenannte  ägyptische  Augenentzündung,  Wien 
1850,  S.  34  u.  m.  A. 

IV.    Conjunctivitis  scrofulosa. 

Die  scrofulöse  Bindehautentzündung  charakterisirt  sich  im  Allgemei- 
nen durch  umschriebene  Exsudation  unter  das  Epithetium  der  Conjunctiva 
sclerae  oder  der  Cornea  in  Form  von  Bläschen,  Pusteln  oder  Knötchen, 
und  durch  Gefässentwicklung  in  der  Conjunctiva  bulbi,  welche  dieser 
Exsudation  in  Bezug  auf  Sitz  und  Ausdehnung  entspricht,  also  eigentlich 
partiell  ist  und  nur  bei  zahlreicher  Eruption  ausgebreitet,  selbst  allge- 
mein wird. 


Conjunctivitis  serofulosa  —  Symptome.  89 

Sie  kommt  vorzüglich  im  Kindes-  und  Knabenalter,  ziemlich  häufig 
im  Jünglingsalter,  seltener  in  spätem  Jahren  vor.  Sie  zeigt  entschiedene 
Tendenz  zur  Eiter-  und  Geschwürbildung.  Die  Reactionser  scheinungen 
(Röthe,  Schmerz,  Lichtscheu)  stehen  in  keinem  Verhältnisse  zur  Product- 
bildung,  sind  bald  ungemein  heftig,  bald  auffallend  gering  und  in  ersterem 
Falle  offenbar  des  Morgens  heftiger,  als  Abends. 

Sie  zeigt  überdiess  die  Charaktere  scrofulöser  Entzündungen  überhaupt;  ein  von 
äussern  (unmittelbar  auf's  Auge  wirkenden)  Schädlichkeiten  mehr  weniger  unabhängiges 
Auftreten  und  häufiges  Recidiviren,  hartnäckige  Dauer  der  einzeln  Anfälle,  Übersprin- 
gen von  einem  Auge  zum  andern,   und  Wechseln  mit  andern  scrofulösen  Affectionen, 

Symptome.  Sitz  der  Entzündung  ist  die  Bindehaut  des  Augapfels, 
und  zwar  vorzüglich  der  Bindehautsaum  der  Hornhaut;  selten  erfolgt 
die  Exsudation  diesseits,  in  der  Scleralbindehaut,  häufig  dagegen  jenseits 
im  Bereiche  der  durchsichtigen  Hornhaut,  deren  Epithelium,  wie  man  hier 
deutlich  sieht,  als  Fortsetzung  der  Bindehaut  auf  die  Hornhaut  zu  be- 
trachten ist  *).  —  Gewöhnlich  erscheint  die  Exsudation  nur  an  Einer 
Stelle;  seltener  erscheinen  mehrere  Bläschen  oder  Pusteln  zugleich,  und 
nur  ausnahmsweise  geschieht  die  Exsudation  so,  dass  der  ganze  Binde- 
hautsaum infiltrirt  oder  der  ganze  Epithelialüberzug  der  Cornea  dadurch 
emporgehoben  und  uneben  (hügelig)  erscheint. 

Das  Exsudat  ist  niemals  wasserklar,  und  bildet  entweder  grauliche 
halbdurchsichtige  Bläschen  auf  der  Cornea,  welche  allmälig  verschwinden, 
oder  in  kurzer  Zeit  bersten  und  seichte  Geschwürchen  mit  graulichem 
oder  fasl  reinem  Grunde  hinterlassen,  —  oder  es  bildet  gelbliche,  oft 
sehr  wenig  erhabene  Pusteln,  welche  bisweilen  nicht  aufbrechen,  ge- 
wöhnlich aber  früher  oder  später  tiefere  Geschwüre  mit  eifrig  inßltrirlem 
Grunde  und  Rande  zur  Folge  haben,  und  welche  im  Bereiche  der  Sclera 
so  gut ,  wie  in  dem  der  Cornea  vorzukommen  pflegen,  —  oder  endlich 
das  Exsudat  ist  consistenter,  und  erscheint  in  Form  von  Knötchen  auf  der 
Cornea,  von  wulstigen  Erhabenheiten  auf  dem  Rande  derselben,  oder  in 
Form  eines  staubähnlichen,  graulichen,  von  zahlreichen  Gefässen  durch- 
setzten Überzuges  der  ganzen  Hornhaut,  als  sogenannter  Pannus 
scrofulosus. 


'J  )Iau  hat  die  Krankheit,  wenn  die  Eruption  über  der  Sclera  erfolgt:  Conjunctivitis,  wenn  über  der  Cornea: 
Keratitis  genannt,  und  beide  getrennt  abgehandelt.  Die  Exsudalion  findet  indess  so  oft  zu  gleicher  Zeit  oder 
kurz  nach  einander  auf  der  Cornea  und  über  der  Sclera  statt,  dass  eine  solche  Trennung  ganz  unnatürlich  er- 
scheint. Der  Krankheitsprocess  erscheint  als  ein  der  Conjunctiva  angehüriger,  und  die  Affection  der  Cornea  als 
eine  secundäre  ;  diese  als  eine  „superfizielle"  zu  bezeichnen,  und  demgemäss  der  „parenchymatösen'1  gewisser- 
massen  entgegen  zu  setzen,  ist  unrichtig,  weil  der  Process  oft  sehr  tief  eingreift,  selbst  das  ganze  Parenchym 
der  Cornea  zerstören  kann. 


90  Bindehaut. 

Die  Gefässeinspritzwig  ist  partiell,  bündeiförmig,  wenn  die  Exsuda- 
tion  partiell  ist;  sie  verbreitet  sich  mehr  weniger  auf  die  ganze  Con- 
junctiva  bulbi,  wenn  mehr  weniger  ausgebreitete  Bläschen-,  Pustel-  oder 
Knötchen-Eruption  statt  findet.  Zur  Zeit  und  kurz  vor  der  ersten  Ex- 
sudation erscheinen  gewöhnlich  nur  die  entsprechenden  vordem  Ciliar— 
arterien  stärker  injicirt,  und  man  sieht  desshalb  nicht  selten  eine  hiedürch 
bedingte  Rosenröthe  rings  oder  zum  Theil  um  den  Rand  der  Cornea 
herum;  die  Gefässe  der  Bindehaut,  die  eigentlich  das  bilden,  was  die 
Auetoren  als  charakteristisch  (bündeiförmig)  beschrieben  haben,  erscheinen 
gewöhnlich  erst  einige  Zeit  nach  schon  erfolgter  Exsudation.  Sie  laufen 
wie  Besenrüthchen  aus  der  Übergangsfalte  gegen  die  Exsudate  hin,  selbst 
wenn  diese  auf  der  Hornhaut  sitzen.  Auf  der  Cornea  verlaufen  sie  bis- 
weilen in  Form  eines  Bändchens,  vom  Limbus  conjunctivae  aus  gegen  die 
Mitte,  indem  sie  ein  grauliches  oder  gelbliches  Exsudatkügelchen  gleich- 
sam vor  sich  her  drängen,  und  eine  gerade  Linie  oder  einen  Bogen,  wie 
ein  Hufeisen,  beschreiben,  Formen,  welche  Prof.  Fischer  als  scrofulöses 
Gefässbändchen  und  Pseudogefässbändchen  zu  bezeichnen  pflegte.  Ihre 
Bahn  bleibt  noch  lange,  nachdem  dieses  Exsudatknötchen  verschwunden 
ist,  als  linearer  graulich  weisser  Streifen  auf  der  Cornea  zurück. 

Die  Bindehaut  der  Lider  kann  bei  der  Conjunctivitis  scrofulosa  sich 
ganz  normal  verbalten ;  in  der  Regel  findet  man  sie  jedoch  im  Tarsal- 
theile  netz-  oder  selbst  gleichförmig  geröthet,  wohl  auch  serös  ge- 
schwellt, und  mit  äusserst  feinen,  krystallhellen  Bläschen  (serösen  Erguss? 
geschwellten  Follikeln?)  durchsetzt,  letzteres  besonders  im  Übergangs- 
theile.  Nach  lange  dauernden  oder  nach  wiederholten  Anfällen  kann  die 
Bindehaut ,  wenigstens  über  den  Tarsis ,  -  ganz  dieselbe  Beschaffenheit 
zeigen,  welche  wir  beim  chronischen  Katarrh  geschildert  haben. 

Veränderung  der  Secretion  der  Bindehaut  kommt  der  Conjunctivitis 
scrofulosa  als  solcher  nicht  zu;  hingegen  findet  vermehrte  Thränenabson- 
derung  und  hiemit  parallel  gehende  Lichtscheu  sehr  häufig  statt.  Ist  die 
Lichtscheu  heftig,  dann  pflegen  mich  die  Lider  krampfhaft  geschlossen 
zu  werden,  dann  klagen  die  Kranken  auch  gewöhnlich  über  heftige,  die 
Augen  von  Zeit  zu  Zeit  durchzuckende,  flüchtige  Stiche,  selbst  in  der 
Nacht. 

Diese  Zufälle  (Thränen,  Lichtscheu,  Augenlidkrampf  und  Schmerzen) 
stehen  nicht  in  geradem  Verhältnisse  zur  In-  and  Extensität  der  Af- 
fection  des  Bulbus,  fehlen  oft,  wo  letztere  einen  hohen  Grad  erreicht  hat, 
sind  oft  unglaublich  gross,  wo  man  die  partielle  Entzündung  am  Bulbus 
kaum    auffinden    kann,    und    unterscheiden    sich    von    den    gleichnamig-on 


Conjunctivitis  scrofulosa  —  Vorkommen  —  Ursachen.  91 

Erscheinungen  bei  andern  Bindehautentzündungen  durch  ihre  morgendliche 
Exacerbation  und  abendliche  Re-  oder  Iniermisston, 

Neben  den  Symptomen  der  Conjunctivitis  scrof.  können  zugleich  die 
des  Augehkat'arrhes  vorhanden  sein.  Dann  ist  letzterer  gewöhnlich  das 
zuerst  auftretende  Übel,  seltener  das  hinzutretende;  letzteres  geschieht 
besonders  dann,  wenn  am  Bulbus  Geschwürbildung  entstanden  ist. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Diese  Form  von  Entzündung  kommt 
so  häufig  mit  anderweitigen  Erscheinungen  von  Scrofulosis  (Tubercu- 
losis) vor,  dass  man  alle  Ursache  hat,  dieselbe  als  Theilerscheinung 
dieses  Allgemeinleidens  zu  betrachten.  Bisweilen  bildet  sie  das  erste 
Glied  in  der  Reihe  jener  Erscheinungen,  deren  Grund  man  allgemein  in 
jener,  leider  nicht  näher  gekannten  Blutmischling  sucht,  welche  die  scro- 
fulöse  genannt  wird. 

Die  Scrofulosis  ist  entweder  als  Anlage  ererbt  oder  angeboren,  oder 
sie  ist  erworben,  durch  mancherlei  schädliche  Einflüsse  nach  der  Geburt 
hervorgebracht  *).  Verschiedene  äussere  Einflüsse  sind  im  Stande,  die 
fehlerhafte  Blutmischung  früher  und  stärker,  als  es  unter  andern  Verhält- 
nissen geschehen  würde,  durch  mancherlei  krankhafte  Processe  in  die 
Erscheinung  treten  zu  machen.  Dieselben  Schädlichkeiten  sind  im  Stande, 
die  fehlerhafte  Blutmischung  bei  ganz  gesunden  Kindern  zu  erzeugen,  so 
wie  wir  täglich  unter  Vermeidung  dieser  Schädlichkeiten  die  bereits  er- 
worbene, ja  selbst  die  bestimmt  ererbte  oder  angeborene  krankhafte  Dia- 
thesis  auf  Jahre  oder  für  immer  zurücktreten  und  verschwinden  sehen. 

Zu    diesen    Schädlichkeiten    gehören    laut    Erfahrung    vor    allen :     1. 

*)  Diese  Anschauungsweise  hat  besonders  in  neuerer  Zeit  manchen  Widerspruch  gefunden.  Einige  meinen,  man 
solle  überhaupt  gar  nicht  von  Scrofulosis  und  scrofulösen  Krankheitsformen  als  Ergebniss  einer  besondern  Blut- 
mischung sprechen,  weil  wir  nicht  wissen,  worin  diese  bestehe.  Wir  werden  diese  Meinung  bejptlichten,  sobald 
man  überhaupt  nicht  mehr  von  fehlerhafter  Blutmischung  als  Grundursache  gewisser  Krankheiten,  z.  B.  des 
Typhus,  des  Scorbutes,  der  Tuberculosis  u.  dgl.  sprechen  wird.  Eine  gewisse  Reihe  von  krankhaften  Erschei- 
nungen, als  deren  Grund  wir  bei  dem  gegenwärtigen  Standpunkte  der  Wissenschaft  eine  fehlerhafte  Mischung 
des  Blutes  zu  bezeichnen  angewiesen  sind,  nennen  wir  Scrofulosis,  Tuberculosis,  Syphilis,  Krebs  u.  s.  w.,  gleich- 
wie wir  eine  gewisse  Reihe  von  Erscheinungen  als  elektrische,  magnetische  u.  s.  w.  bezeichnen,  ohne  am  Ende 
den  letzten  Grund  dieser  Erscheinungen  anders  als  mit  dem  Namen  Elektricität,  Galvanismus  u.  s.  w.  angeben  zu 
können. —  Andere  erklären  sich  dagegen,  dass  man  sagt,  gewisse  Krankheiten  oder  Anlagen  hiezu  seien  erblich. 
Die  Erscheinungen,  welche  zur  Annahme  dieser  Erblichkeit  geführt  haben,  Hessen  sich  ganz  einfach  und  einzig 
und  allein  aus  der  Einwirkung  der  Aussendinge  auf  den  menschlichen  Organismus  erklären.  Diess  heisst  ohnge- 
fähr  so  viel,  als  sagen:  Jedes  Ding  ist  das,  was  es  ist,  nur  durch  das,  was  ausser  ihm  ist,  was  auf  dasselbe 
einwirkt.  Es  wird  hiebei  Wirkung  ohne  Gegenwirkung  als  möglich  supponirt.  Gibt  man  aber  zu,  dass  die  Materie, 
welche  bei  der  Zeugung -den  Stoff  zur  Weiterbildung,  zum  künftigen  Organismus  gibt,  nicht  stets  eine  und  die- 
selbe sei,  dann  muss  man  auch  zugeben,  dass  sie  gegen  das,  was  ausser  ihr  ist,  verschieden  reagiren  werde, 
und  dass  ihr  späteres  Sein,  ihre  materielle  Beschaffenheit  (ihre  Anlagen,  ihre  Kräfte)  als  Product  aus  2Factoren, 
dem  -Urslofle  und  den  äussern  Einflüssen,  zu  betrachten  sei.  Zeigt  dieses  Product  krankhafte  Erscheinungen,  so 
kann  die  Ursache  in  dem  einen  Factor  so  gut  wie  in    dem  andern   zu  suchen  sein. 


02  Bindehaut 

Ungesunde,  insbesondere,  feuchte  und  dumpfige  Luft  in  den  Wohnzimmern, 
wenn  die  Wände  feucht  sind,  wie  so  häufig  in  ncugebaulen,  zu  früh  be- 
zogenen Häusern,  oder  in  den  gegen  Norden  gelegenen,  oft  halb  unter- 
irdischen S.tuben  armer  Stadtbewohner  oder  in  Zimmern,  welche  mit 
Menschen  überfüllt  sind  und  wenig  gelüftet  werden,  zumal  wenn  zugleich 
darin  gekocht,  gewaschen  und  Wasche  getrocknet  wird,  und  wenn  die 
Kinder  wenig  Gelegenheit  haben,  sich  im  Freien- m  bewegen.  —  2. 
Schlechte  Nahrung,  Unordnung  im  Essen.  Nicht  so  sehr  an  und  für 
sich,  als  vielmehr  in  Verbindung  mit  Mangel  an  frischer  Luft  und  freier 
Bewegung,  wirken  schwer  verdauliche  Speisen  nachtheilig  auf  die  Ulut- 
bereitung,  und  auch  die  besten  Nahrungsmittel  führen  zu  schlechter  Blut- 
bildung,  wenn  die  Kinder  überfüttert  werden,  und  so  oft,  als  es  ihnen 
eben  einfällt,  Ess-  oder  Nascljwaaren  bekommen.  —  3.  Harte  Behandlung 
so  wie  vorzeitige  und  übermässige  Anstrengung  der  Geisteskräfte  schei- 
nen nicht  ohne  begünstigenden  Einlluss  auf  die  Entwicklung  der  Scro- 
fulosis  zu  sein.  —  4.  Nach  schweren  Krankheiten,  namentlich  nach  Blat- 
tern, Masern,  Scharlach  u.  dgl.  bemerkt  man  häulig  die  Zeichen  der  Sero- 
fulosis  bei  früher  anscheinend  ganz  gesunden  Kindern. 

Das  scrofulöse  Allgemeinleiden  gibt  sich  durch  verschiedene  Er- 
scheinungen kund.  Man  unterscheidet  gewöhnlich  den  sogenannten  tor- 
piden  und  den  erethischeu  scrofulösen  Habitus.  In  der  Wirklichkeit  kommt 
der  eine  wie  der  andere  selten  so  rein  ausgeprägt  vor,  wie  sie  die  ab- 
Stracte  Schilderung  darstellt;  von  einem  Extrem  zum  andern  gibt  es  all— 
mälige  Übergänge.  Als  Attribute  des  erethischen  bezeichnet  man:  schlan- 
ken Körperbau,  dünne  Knochen,  langen  Mals,  schmalen  Brustkorb,  dünne 
/arte  Haut  mit  leicht  gerötheten  Wangen,  lebhaftes  Temperament,  frühe 
lünlwieklung  der  geistigen  Anlagen.  Den  torpiden  eharakterisiren:  ein 
mehr  schwerfälliger  Körperbau  mit  kurzem  Halse  und  grossem  Unter- 
leibe,  blasse,  mehr  aufgedunsene  als  gut  genährte  Maul  und  Muskulatur, 
dicke,  wulstige,  baldig  exeoriirle  Nasenflügel  und  Oberlippe,  Anschwellung 
der  llalsdrüsen,  verschiedene  chronische  Hautausschläge,  schwerfälliger 
(Jang,  träges  Temperament,  geringe  oder  verspätete  Entwicklung  der 
geistigen  Anlägen. 

Hei  solchen  Individuen  nun  entwickeln  sich,  theils  auf  äussere  Ver- 
anlassungen, theils  ohne  solche,  Bindehautentzündungen  mit  den  oben  be- 
schriebenen Merkmalen,  und  zwar  bei  den  erelhisch-scrofulösen  gewöhn- 
lich mit  Bläschenbildung,   heftiger  Lichtscheue  und   starkem  Thränenflusse-, 

selbst    mit  Augenliderkrampl'e,    bei    den    torpiden    hingegen  mehr    mit  Pu- 


Conjunctivitis  scrofulosa  —  Vorkommen  —  Ursachen.  93 

Stelbildung  und  relativ  geringen  oder  gar  keinem  der  oben  genannten 
Zufälle. 

Den  Anstoss  zu  solchen  Entzündungen  pflegen  zu  geben:  1.  acute 
oder  chronische  Hautausschläge,  Masern,  Scharlach,  Milchschorf  u.  dgl.  — 
2.  Katarrhalische  Augenentzündungen,  oder  vielmehr  die  Veranlassungen 
zu  diesen;  bei  scrolulösen  Individuen  verläuft  der  Katarrh  gewöhnlich 
nicht  wie  bei  andern,  sondern  combinirt  sich  meistens  mit  der  als  Con- 
junctivitis serofulosa  geschilderten  Form.  —  3.  Verletzungen  der  Augen  ; 
ein  Staubkorn,  das  in's  Auge  geräth,  ein  leichter  Sloss  mit  dem  Finger 
u.  dgl.  reicht  oft  hin,  diese  Form  hervorzurufen.  —  4.  Starke  Anstrengung 
der  Augen,  zumal  bei  künstlichem  Lichte,  bewirkt  oft  dasselbe.  —  5. 
Sehr  häufig  entsteht  sie  ohne  äussere  Veranlassung,  vorzüglich  zur  Zeit 
des  Zahnens,  zur  Zeit  der  Pubertät.  —  6.  Unverkennbar  ist  der  Einfluss 
der  Jahreszeiten;  am  häufigsten  kommt  diese  Form  im  Spälherbste  und 
zeilig  im  Frühlinge  vor;  besonders  wenn  die  Witterung  feucht  und 
s  für /irisch  ist. 

Sie  befällt  seilen  beide  Augen  zugleich,  gewöhnlich  eines  nach  dem 
andern,  wechselt  oft,  indem  sie  auf  dem  schon  für  genesen  gehaltenen 
Auge  mit  erneuerter  Heftigkeit  ausbricht,  und  kehrt  oft  durch  viele 
Jahre  um  dieselbe  Zeit  wieder.  —  Sie  wechselt  bisweilen  mit  andern 
scrolulösen  Affeetionen,  namentlich  mit  Ohrenilüssen,  Beinhautentzündung 
und  Hautausschlägen,  am  Auge  selbst  mit  Augenliderdrüsenenlzündung  und 
sogenannten  Gerstenkörnern,  kommt  übrigens  auch  mit  diesen  und  andern 
acuten  Eruptionen,  namentlich  mit  Schwellung  der  Oberlippe  und  Nasen- 
katarrh zugleich  vor.  —  Den  Ausbruch  der  Augenkrankheit  kündigen, 
namentlich  bei  reizbaren,  schlecht  genährten  Kindern,  nicht  selten  Fie- 
bererscheinungen an,  und  diese  dauern  dann  mehr  oder  weniger  lange 
fort.  Die  Kinder  sind  besonders  in  der  Nacht  unruhig,  schreien  oft  aus 
dem  Schlafe  auf,  zeigen  verminderte  Esslust,  vermehrten  Durst,  erhöhte 
Temperatur,  sehr  frequenten  Puls,  Sluhlverstopfung,  trüben  Urin  u.  dergl. 
—  Sie  erscheint  am  häufigsten  in  der  Zeit  zwischen  dem  1.  und  2.  Zah- 
nen (inclusive),  häufig  um  die  Zeit  der  Pubertät,  und  da  ist  sie  gewöhn- 
lich am  hartnäckigsten  und  gefährlichsten,  seltener  im  Mannes-  und  hö- 
hern Alter.     Sie  ist  überhaupt  eine  der  häufigsten  Augenkrankheiten. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Beim  ersten  Beginn,  bevor  man  noch 
deutliche  Exsudate  an  der  Conjunctiva  bulbi  wahrzunehmen  vermag,  be- 
merkt man  stärkere  Turgescenz  und  lebhafte  Rölhe  der  Bindehaut  über 
den  Meibom'schen  Drüsen.  Gehört  das  Individuum  zu  den  reizbaren, 
oder    tritt    die    Conjunctivitis    zugleich    mit   Hautausschlägen    (chronischen 


94  Bhfidehaut. 

oder  acuten)  auf,  so  kündigt  die  Krankheit  ihren  Ausbruch  zugleich  durch 
heftige  Lichtscheue  und  reichlichen  Thränenßuss,  häufig  auch  durch  mehr 
weniger  anhaltenden  Augenliderkrampf  und  flüchtige  Stiche  im  Auge  an. 
Diese  Erscheinungen  stehen,  wie  schon  bemerkt  wurde,  in  keinem  geraden 
Verhältnisse  zur  Heftigkeit  der  Affection  des  Bulbus,  im  Gegentheile:  gerade  bei  dem 
heftigsten  Blepharospasmus  pflegt  der  Bulbus  sehr  wenig  zu  leiden.  Sie  sind  nichts 
anderes,  als  Folgen  des  Reflexes,  welchen  die  Reizung  der  im  Tarsaltheile  verzweigten 
sensitiven  Äste  des  Trigeminus  auf  die  Ciliar-  und  den  Thränendrüsennerven  und  auf 
den  Nervus  facialis  ausüben.  —  Man  hat  diese  Erscheinungen  bald  von  Mitleidenschaft 
der  Sclera  und  Retina,  bald  von  gleichzeitiger  Entzündung  des  Corpus  ciliare  herzu- 
leiten versucht.  Die  beste  Widerlegung  finden  diese  Hypothesen  darin,  dass  ein  Staub- 
körnchen, an  die-  innere  Flache  der  Lidknorpel  gerathen,  dieselben  Erscheinungen  au- 
genblicklich hervorruft,  und,  bald  entiernt,  eben  so  schnell  wieder  verschwinden  lässt, 
so  wie  ferner  darin,  dass  die  Conjunctivitis  scrofulosa,  auch  wenn  diese  Erscheinungen 
im  höchsten  Grade  und  selbst  Monate  lang- vorhanden  waren,  dem  Sehvermögen  nie- 
mals Gefahr  bringt,  ausser  durch  Trübungen  der  Hornhaut  in  Folge  von  Exsudation  auf 
derselben.  Wenn  wir  aber  bei  Ophthalmia  catarrhalis,  und  noch  mehr,  wenn  wir  bei 
Blennorrhoea  acuta,  wo  doch  die  Bindehaut  des  Tarsaltheiles  noch  mehr  leidet,  diese 
Erscheinungen  lange  nicht  in  so  hohem,  nicht  in  entsprechendem  Grade  auftreten  sehen, 
so  dürfen  wir  nicht  übersehen,  dass  wir  hier  Individuen  vor  uns  haben,  bei  denen  das 
Nervensystem,  namentlich  im  Bereiche  des  Sympathicus,  noch  auf  andere  Reize  krank- 
haft erhöht  reagirt.  Unter  den  vielen  Erscheinungen,  welche  auf  diese  krankhafte 
Reizbarkeit  hindeuten ,  will  ich  nur  an  die  bei  scrofulösen  Kindern  so  häufig  vorkom- 
mende Erweiterung  der  Pupille  erinnern ,  welche  man  gewöhnlich  dem  Wurmreize 
zuschreibt,  wenn  auch  Jahre  lang  keine  Spur  von  Enthelminthen  in  den  Excrcmenten 
bemerkbar  wird.  Schon  das  Typische  in  dem  Auftreten  - —  die  ganz  gewiss  nicht  von 
der  Dämpfung  des  Lichtes  allein  abhängige -abendliche  Remission  —  hätte  den  Finger- 
zeig geben  sollen,  da  man  es  hier  nicht  mit  einer  rein  durch  Entzündung,  sondern 
durch  Affection  des  vegetativen  Nervensystems  bedingten  Erscheinung  zu  thun  habe' 
abgesehen  von  der  Wirkung  der  Heilmittel  —  auf  welche  wir  weiter  unten  zu  spre- 
chen kommen  werden. 

Es  geschieht,  dass  man  Tage-,  ja  Wochen  -  lang  die  Augen 
nicht  zu  sehen  bekommt,  wenn  man  nicht  zum  gewaltsamen  Öffnen  der 
Lider  sich  entschliessen  will.  Man  vermeide  dieses,  wo  man  nicht  Ur- 
sache hat,  zu  vermuthen,  es  möchte  dem  Kinde  ein  fremder  Körper 
zwischen  die  Lider  gerathen  sein.  So  lange  der  Rand  des  obern  Lides 
nicht  geschwollen  und  geröthet  erscheint,  und  in  der  Lidspalte  sich  nicht 
ein  schleimigeitriges  Secret  ansammelt,  kann  man  sicher  sein,  dass  sich 
keine  grösseren  Hornhautgeschwüre  entwickelt  habenj  mithin  dem  Sehver- 
mögen noch  kein  Nachlheil  erwachsen  ist.  Wo  aber  diese  Erschei- 
nungen eingetreten  sind,  ist  die  Untersuchung  des  Auges,  selbst  wenn 
sie  einige  Gewalt  erforderte,  dringend  nothwendig,  nicht  nur  wegen  der 
Prognosis,    sondern    auch,    um    sich    vor   Verwechslung    mit   andern   Zu- 


Conjunctivitis  scrofulosa  —  Verlauf  —  Ausgänge.  95 

ständen,    namentlich    mit    acuter    Bindehautbleimorrhöe    oder    einem    nach 
innen  aufgebrochenen  Gerstenkorn  zu  sichern. 

Die  passendste  Zeit  zur  Untersuchung-  sehr  lichtscheuer  Augen  ist  gegen  die 
Abenddämmerung.  Solche  Kinder  fürchten  sich  in  der  Regel  sehr  vor  der  Berührung, 
ja  schon  vor  der  Besichtigung  ihrer  Augen.  Man  thue  gar  nicht,  als  ob  man  ihr  Auge 
untersuchen  wolle,  unterrede  sich  anscheinend  mit  der  Mutter  oder  einem  der  Geschwi- 
ster, nehme  eine  der  Spielsachen  in  die  Hand  u.  dgl.  So  bekommt  man  bei  Benützung 
eines  günstigen  Augenblickes  am  ehesten  Gelegenheit,  das  Auge  des  Kindes  zu  sehen. 
Zureden  nützt  nichts;  gutmüthige  Kinder  bemühen  sich  oft  auf  eine  Mitleid  erregende 
Art  vergebens,  sich  absichtlich  in's  Auge  sehen  zu  lassen;  furchtsame  oder  verwöhnte 
gerathen  in  den  Zustand  der  grössten  Aufregung,  wenn  man  gleich  brevi  manu  über 
sie  herfällt,  auch  nachher  noch,  so  oft  man  nur  in's  Zimmer  tritt,  so  oft  sie  nur  vom 
Arzte  hören.  Ich  bin  zu  Kindern  gerufen  worden,  deren  Altern  mich  gleich  im  voraus 
baten,  ich  möchte  nur  nichts  merken  lassen,  dass  ich  der  Doctor  sei.  Hat  man  sich  das 
Zutrauen  des  Kindes  auf  obige  oder  ähnliche  Weise  gewonnen,  dann  ist  die  genauere 
Untersuchung  selten  schwierig.  Wo  nicht  Gefahr  im  Verzuge,  warte  man  lieber  einige 
Tage  zu.  Später,  wenn  im  Verlaufe  der  Behandlung  grössere,  durchbohrende  Horn- 
hautgeschwüre  entstehen,  kommt  es  dem  Arzte  gar  sehr  zu  Gute,  das  Kind  ohne  ge- 
waltsames Sträuben  untersuchen  zu  können.  Schreitet  man  hiezu,  so  thue  man  es  in 
einer  solchen  Lage  des  Kindes,  dass  man  wo  möglich  gleich  beim  ersten  Emporziehen 
des  obern  Lides  die  Hornhaut  mit  Einem  Blicke  übersehen  könne.  Nie  ziehe  man  beide 
Augenlider  gleichzeitig  ab,  aus  einander,  am  Avenigsten  dann,  wenn  im  äussern  Winkel 
Excoriationen  vorhanden  sind.  Dass  man  bei  kleineren  Kindern  auf  unvermuthete  Wen- 
dungen des  Kopfes,  bei  grösseren  auf  unwillkürliches  Abwehren  mit  den  Händen,  und 
dadurch  mögliches  Anstossen  des  Auges  an  die  Finger  gefasst  sein  müsse,  braucht  wohl 
nur  für  den  Anfänger  in  der  Praxis  bemerkt  zu  werden. 

Die  Conjunctivitis  scrofulosa  ist  bald  ganz  ohne,  bald  wieder  von 
der  grössten  Gefahr  für  das  Sehvermögen.  Diess  hängt  ab:  von  dem 
Sitze  des  Exsudates,  von  dessen  Beschaffenheit  und  von  den  hiedurch  be- 
dingten Folgezuständen;  nebstdem  sind  die  Körperbeschaffenheit  des 
Kranken  und  die  Verhältnisse,  unter  denen  er  lebte  oder  leben  inuss, 
jederzeit  mit  in  Anschlag  zu  bringen.  —  Erfolgt  die  Exsuclalablagerung 
bloss  über  der  Sclera  oder  knapp  am  Rande  der  Cornea,  im  Limbus  con- 
junct.  corneae,  so  ist  das  Sehvermögen  niemals  gefährdet,  das  Exsudat 
mag  wie  immer  beschaffen  sein.  Geschah  die  Exsudatablagerung  im  cen- 
tralen Theile  der  Cornea,  gegenüber  der  Pupille  oder  nahe  daran,  dann 
sind  temporäre  oder  stationäre  Störungen  des  Gesichtes,  in  argen  Fällen 
selbst  gänzlicher  Verlust  des  Sehorganes  zu  fürchten.  —  Erscheint  das 
Exsudat  auf  der  Cornealoberfläche  diffus,  in  Form  zahlreicher  Körnchen, 
von  Gefässen  durchsetzt,  als  Pannus  scrofulosus,  so  ist  die  Krankheit 
nicht  so  sehr  gefährlich,  als  langwierig.  Eine  stationäre  Beeinträchtigung 
des  Gesichtes  ist  hiebei  nur  nach  längerer  Dauer  zu  besorgen,  und  zwar, 


69  Bindehaut. 

wenn  entweder  die  Cornea  an  Elasticität  und  Resistenz  verloren  und  dess- 
halb   eine  stärkere  Wölbung  angenommen  hat,    was  fälschlich  als  Hydrops 
camerae  bezeichnet  wurde,  oder  wenn  das  zwischen  die  Cornea  und  deren 
Epithelialüberzug    abgelagerte    Exsudat    bereits    so    fest    (organisirt)    ge- 
worden ist,    dass   es   nicht  mehr   durch  Resorption  eliminirt  werden  kann 
(Vergl.   Lehre    von  den   Hornhautkrankheiten.)  —  Erscheint    die   Conjun- 
ctivitis   als    sogenanntes   scrofulöses   Gefässbändchen,    so  bringt    sie  dem 
Gesichte  nur    in  so  fern  Gefahr,   als  sie  eine  bandartige  Trübung  zurück- 
lässt,  welche  in  der  Regel  sehr  hartnäckig  ist,   viele  Monate,  selbst  Jahre 
lang  fortbesteht.    Völlig  stationär  ist  jedoch  eine  solche  Trübung  nicht.  — 
Erscheint    die   Conjunctivitis   mit   Rläschen-   oder  Pustelbildung,    so  hängt 
die    Redeutsamkeit    derselben   von    dem    Umstände   ab ,    ob    sie    zur    Ge- 
schwürsbildung  auf   der    Cornea    führt,    oder    nicht.     Je    deutlicher    das 
Exsudat   über   die  Umgebung   sich   erhebt,    desto    sicherer   kommt   es  zur 
Schmelzung,  zur   Geschwürsbildung.     Je    staturirter,  je  mehr  gelb   (eiter- 
ähnlich) das  Exsudat  aussieht,    desto  leichter  führt    es  zu  tiefer   und  aus- 
gebreiteter Zerstörung  der  Hornhautfasern.     Daher  wird  die  Conjunctivitis 
mit   Bläschenbildung    im  Allgemeinen   für  weniger   gefährlich  geschildert, 
als  die  mit  Pustelbildung.  Risweilen  findet  man  bloss  einen  kleinen,  grau- 
oder  weissgelben  Punkt   auf  der  mittlem  Partie   der  Cornea,    vielleicht  in 
einer  Zeit,    wo  die    partielle  Gefässeinspritzung,    die  bei  seinem  Entstehen 
vorhanden  war,    bereits   wieder    verschwunden  ist;    derselbe  führt  weder 
zu  tieferem,    noch    zu   ausgebreitetem   Substanzverluste,    und  doch  hinter- 
lässt  er    eine    Trübung,    welche   Monate  —  Jahrelang  fortbestehen   kann. 
Die  Trübungen,  welche  zurückbleiben,  nachdem  die  Rläschen  oder  Pusteln, 
ohne  zu  bersten,  resorbirt   worden  sind,  pflegen  nur  transitorisch  zu  sein. 
Wenn  das  Exsudat  zur  Geschwürsbildung  Veranlassung  gegeben  hat, 
dann  können  die  Folgen    sehr  verschieden  sein.     War  das  Exsudat  wenig 
saturirt  (Rläschenform),  so  führt  es  in  der  Regel  nur  zu  seichtem  und  we- 
nig ausgebreitetem  Substanzverlusle.    Solche  Geschwürchen  können  leicht 
übersehen  werden,  weil  ihr  Grund  wenig  oder  gar  nicht  getrübt  erscheint. 
Erst    mit    der    Zeit,    wenn    die    zum    Ersätze    ausgeschwitzte     Substanz 
fester   zu    werden    beginnt,   pflegen   solche    Stellen    trüb   zu   werden;    es 
entwickelt    sich    eine    Narbe,    halbdurchsichtig,    graulich    oder    milchblau, 
mit    verwaschenen  Rändern.     Es   sind  mir   Kinder  vorgeführt  worden,   bei 
denen  die  vorausgegangene  Entzündung,   Rläschen-  und  Geschwürsbildung 
nicht   beachtet,    oder   fast  vergessen    worden   war,   und  wo   die  auf  diese 
Weise    sich    kundgebende   Heilung    für    eine   besondere   neue    Krankheit, 
für  das  Wachsen   eines  Fleckes   auf  dem    Auge  gehalten   wurde.     Selten 


Conjunctivitis  serofulosa  —  Folgen  —  Prognosis.  97 

führen  solche  Geschwüre  (nach  Bläschenbildung)  zu  tieferem  Substanz- 
Verluste  oder  gar  zur  Durchbohrung  der  Hornhaut.  Die  Folgen  der 
tiefern  Hornhautgeschvvüre  werden  wir  bei  den  Krankheiten  der  Hornhaut 
näher  angeben. 

Hornhautgeschwüre  mit  deutlich  grauem  oder  gelbem  Grunde,  in 
der  Regel  die  Folge  von  Pustelbildung  bei  dieser  Ophthalmie,  zeigen  weit 
mehr  Tendenz,  sowohl  sich  auszubreiten,  als  auch  die  Hornhaut  zu  durch- 
bohren. Die  Zerstörung  der  Hornhaut  gewinnt  aber  hier  nicht  bloss  durch 
eitrige  Infiltration  der  Ränder  an  Ausdehnung,  sondern  bisweilen  auch 
dadurch,  dass  der  Eiter  sich  zwischen  den  Faserschichten  der  Hornhaut 
senkt,  und  in  Gestalt  der  Lunula  am  Nagel  in  der  untersten  Partie  der 
Cornea  ansammelt,  was  man  Unguis  genannt  hat.  In  glücklichen  Fällen 
wird  ein  solcher  Congestionsabcess  durch  Resorption  entfernt;  in  andern 
erfolgt  Erweichung  und  Zerstörung  der  untern  Hornhautpartie.  —  Bei 
grösseren  und  tieferen  Eiterherden  in  der  Cornea  tritt  bisweilen  Iritis 
mit  Exsudatbildung  in  der  vordem  Kammer  (Hypopiuni)  hinzu.  Wenn  die 
Symptome  der  Iritis,  wie  gewöhnlich,  nicht  deutlich  ausgesprochen  sind, 
•fcder  wenn  der  Zustand  der  Iris,  wegen  Trübung  der  Cornea  nicht  sicher 
beurtheilt  werden  kann,  ist  es  schwer,  Hypopium  von  Unguis  zu  unterschei- 
den. Die  Anhaltspunkte  für  die  Diagnosis  können  erst  später  angegeben 
weiden.  —  Auf  welche  Weise  derlei  Geschwüre  die  -Veranlassung  zu  gros- 
sen Hornhautnarben,  Hornhautfisteln,  Staphylomen  u.  s.  w.,  so  wie  zu  Ent- 
zündung und  Zerstörung  des  ganzen  Augapfels  führen  können,  lässt  sich 
ebenfalls  erst  später  erörtern.  —  Eben  so  kann  auf  andere,  mehr  indi- 
rect  bedingte  Nachübel  vorläufig  nur  nominell  hingedeutet  werden.  Hieher 
gehören :  Einwärtsstülpung  des  Lidrandes  in  Folge  anhaltenden  Augen- 
lidkrampfes  (sehr  selten),  Verwachsung  der  Cutis  des  obern  Lides  mit 
der  des  untern  vom  äussern  Winkel  her  (Blepharophimosis)  in  Felge 
anhaltender  Benetzung  durch  die  Thränen  (Excoricationen) ,  Schielen, 
Kurzsichtigkeit,  Schwäche  der  Retina  (in  Folge  dessen,  dass  der  Kranke 
sich  gewöhnt,  nur  Eines  Auges  sich  zu  bedienen),  Verkrümmung  der 
Wirbelsäule  (in  Folge  der  wegen  Lichtscheue  fehlerhaften  Haltung  des 
Kopfes)  u.  dgl. 

Bei  der  Stellung  der  Prognosis  sind  überdiess  sowohl  die  äussern 
als  die  innern  Verhältnisse  des  Kranken,  und  die  Möglichkeit  oder  Un- 
möglichkeit, hierauf  günstig  einzuwirken,  wohl  in  Anschlag  zu  bringen. 
Wo  das  scrofulöse  Allgemeinleiden  ererbt  oder  angeboren,  oder  wo  es 
durch  unabänderliche  Schädlichkeiten  erworben  ist  und  fort  genährt  wird, 
da    sind    nicht    nur    die    einzelnen   Anfälle    der    Conjunctivitis    hartnäckig, 

Arlt,     I.  7 


98  Bindehaut. 

sondern  kehren  auch  häufig-  bald  auf  dein  einen,  bald  auf  dem  andern 
Auge  zurück,  namentlich  im  Frühlinge  und  Herbste.  Durchaus  hartnäckiger 
und  gewöhnlich  auch  gefährlicher  sind  jene  Anfälle,  welche  um  die  Zeit 
eintreten,  wo  das  Individuum  mannbar  werden  soll,  oder  einige  Jahre 
später.  Weibliche  Individuen  derart  bekommen  ihre  Menstruation  ge- 
wöhnlich sehr  spät,  um's  17.  —  20.  Jahr  herum,  und  sehr  unregel- 
mässig. Je  mehr  die  Attribute  des  sogenannten  torpiden  Habitus  ausge- 
prägt sind,  desto  langwieriger  pflegt  der  Verlauf,  desto  schwieriger  die 
Cur  zu  sein;  den  günstigsten  Einfluss  pflegt  auf  das  Ausbleiben  der  Re- 
cidive  der  Eintritt  gewisser  Lebensepochen  zu  nehmen,  der  Zahnwechsel 
um's  7.  Jahr,  der  Eintritt  der  Pubertät,  die  erste  Schwangerschaft.  —  Auf 
gleiche  Weise  überraschend  wirkt  oft  der  gänzliche  Wechsel  der  Le- 
bensweise und  Lebensverhältnisse,  die  Übersiedlung  in  eine  andere  Ge- 
gend ,  der  Besuch  eines  Badeortes ,  längerer  Aufenthalt  auf  dem 
Lande  u.  dgl. 

Die  Behandlung  muss  eben  so  gut  auf  das  allgemeine  als  auf 
das  örtliche  Leiden  gerichtet  werden,  sonst  würde  gar  oft  nicht  nur  eine 
Recidive  nach  der  andern  erscheinen,  sondern  auch  der  einzelne  Anfall 
sehr  in  die  Länge  gezogen  und  gesteigert  werden.  Sie  erfordert 
zunächst : 

Ä)  Besondere  Rücksicht  auf  die  oben  erwähnten  disponirenden  und 
excilirenden  Momente,  die  Krankheit  mag  nun  erblich,  angeboren  oder 
erworben  sein. 

1.  Sorge  für  gesunde  Luft.  In  feuchten,  dumpfigen,  überfüllten, 
zumal  gegen  Norden  gelegenen,  Jahr  aus  Jahr  ein  den  Sonnenstrahlen  ent- 
zogenen Zimmern  wird  man  nicht  leicht  einen  Anfall  scrofulöser  Augen- 
entzündung schnell  und  sicher  beheben,  geschweige  denn  das  Übel  von 
Grund  aus  heilen.  Wo  es  die  Umstände  nicht  erlauben,  eine  bessere 
Wohnung  zu  beziehen,  oder  einige  Monate  auf  dem  Lande  zuzubringen, 
lasse  man  so  viel  als  möglich  die  Zimmer  lüften,  und  die  Kinder  in's 
Freie  bringen,  wenn  nicht  gerade  nasskaltes  oder  stürmisches  Wetter  ist. 
Einem  Kinde3  wegen  einfacher  Conjunctivitis  scrofulosa  den  Genuss  der 
frischen  Luft  zu  versagen,  ist  mindestens  unnöthig. 

2.  Sorge  für  zweckmässige  Nahrung.  Diese  bestehe,  im  Allgemeinen 
gesagt,  in  einfachen  und  leicht  verdaulichen  Speisen. 

Sauere,  sehr  feite,  sehr  gewürzte  Speisen  und  Zuckerwerk  müssen  vermieden 
werden,  chcnso  Hülsenfrüchte;  Gemüse  (ausgenommen  die  gclhcn  Rüben  und  die  grü- 
nen Ebsen  gekocht  oder  gedünstet,  Spinat  und  Spargel),  so  wie  Erdäpfel  und  ßrod 
dürfen    nur  in  geringer  jffenge  gegeben   werden,    besonders    wenn  das  Kind    wenig  Be- 


Conjunctivitis  serofulosa  —  Therapie.  99 

wegung  im  Freien  machen  kann.  Obst  reiche  man  mir  in  ganz  ausgereiftem  Zustande, 
sauere  Äpfe!,  Johannes-  und  Stachelheeren,  Birnen,  Nüsse,  Kastanien,  Mandeln  u.  dgl. 
lieher  gar  nicht.  Die  Entzündung  am  Auge  ist  keineswegs  der  Art,  dass  man  Ursache 
hätte,  den  Genuss  von  Fleischspeisen  zu  untersagen.  Den  sogenannten  Erethischen 
sagt  im  Allgemeinen  eine  reizlose,  kühlende,  mehr  aus  Vegetabilien  bestehende  Kost 
zu,  während  Torpide  mehr  animalische  Kost,  selbst  mit  Zusatz  von  etwas  Gewürz,  besser 
vertragen.  Zum  Getränke  in  der  Regel  Wasser,  für  schlecht  genährte,  jedoch  nicht  zu 
reizbare  Kinder  etwas  Bier,  wenn  sonst  keine  Gegenanzeige  vorhanden  ist. 

Eine  Hauptsache  ist  strenge  Ordnung.  Nichts  stört  die  Verdauung  und 
Chylusbildung  mehr,  als  das  fortwährende  Vollstopfen  mit  Ess-  und  Nasch- 
waaren.  Lieber  lasse  man  die  verwöhnten  Kinder  durch  einige  Tage 
trotz  der  Augenentzündung  weinen ;  diess  schadet  ihnen  lange  nicht  so 
sehr,  als  die  alte  Unart ;  in  wenig  Tagen  sind  sie  anders  gewöhnt,  wenn 
man  sich's  nur  angelegen  sein  lässt. 

3.  Wohl  zu  berücksichtigen  sind  ferner  der  Einfluss  des  Lichtes,  der 
Wärme  und  der  Reinlichkeit.  In  Bezug  auf  das  Licht,  dessen  wohlthä- 
ligen  Einfluss  auf  die  Vegetation  wohl  Niemand  verkennt,  soll  hier  nur 
bemerkt  werden,  dass  man  dem  Streben  solcher  Kranken,  sich  dem  Lichte 
zu  entziehen,  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  nachgeben  darf;  sonst 
wird  die  Lichtscheue  nur  um  so  heftiger  und  hartnäckiger.  Insbesondere 
schadet  es,  derart  entzündete  Augen  zu  verbinden.  Das  Auge  wird  unter 
dem  von  Thränen  durchfeuchteten  Verbände  förmlich  gebrüht  und  dem 
Lichte  noch  mehr  entwöhnt;  eine  häufige  Folge  des  Verbindens  ist  das 
Schielen,  oder  auch  die  Gewohnheit,  sich  nur  eines  Auges  zum  genaueren 
Sehen  zu  bedienen.  —  In  Bezug  auf  die  Pflege  der  Reinlichkeit  muss 
bemerkt  werden,  dass  Bäder  nicht  gut  vertragen  werden,  so  lange  die 
Augen  noch  lichtscheu  sind;  später  können  sie,  nach  allgemeinen  Regeln, 
bald  mit  Malz,  bald  mit  Steinsalz  oder  andern  Mitteln  versetzt,  bald  auch 
einfach  und  zwar  warm  oder  kalt  verordnet,  von  entschiedenem  Nutzen 
gegen  das  Allgemeinleiden  sein. 

4.  Geistige  Anstrengung  und  moralische  Behandlung  sind  nicht 
ausser  Acht  zu  lassen.  Kinder  mit  solchen  Augenentzündungen  werden, 
weil  man  ihnen  des  Augenleidens  wegen  alles  gewährt,  gern  so  verzogen, 
dass  sie  die  Tyrannen  ihrer  Umgebung  spielen.  Andererseits  ist  man  oft 
hart  gegen  sie,  indem  man  sie  zum  Lernen  anhält,  ehe  noch  die  über- 
mässige Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  ganz  beseitigt,  und  ehe  heilbare 
Hornhautflecke  geheilt  sind.  Die  Folgen  davon  sind  Kurzsichtigkeit,  Schie- 
len, baldige  Recidive  der  Entzündung. 

5.  Dass  äussere  Schädlichkeiten,  welche  im  Allgemeinen  zu  katar- 
rhalischen Bindehautentzündungen  Anlass  geben,  bei  Kindern  mit  scrofulöser 


110  Bindehaut. 

Augenentziindung  oder  besonderer  Neigung  hiezu  insbesondere  zu  meiden 
sind,  braucht  wohl  kaum  erst  erörtert  zu  werden. 

B)   Würdigung  der  Erscheinungen  am  Auge  selbst. 

1.  Ist  Lichtscheu  und  Thränenfluss  in  hohem  Grade  vorhanden,  oder 
sogar  Augenliderkrampf,  so  müssen  diese  Zufälle  vor  allem  gemildert 
werden.  Ist  dabei  das  Kind  ohne  Fieber,  und  keine  Diarrhöe,  im  Ge- 
gentheile,  wie  gewöhnlich,  Stuhlverstopfung  vorhanden,  so  beginne  man 
die  Cur  mit  einem  Abführmittel,  bei  reizbaren  Individuen  mit  einem  ecco- 
proticum.  bei  torpiden  mit  einem  drasticum,  bei  letzteren  wohl  auch  mit 
einem  Brechmittel  Diese  Mittel  sind  auch,  falls  keine  Gegenanzeige  vor- 
handen, im  weitern  Verlaufe  der  Behandlung  von  Zeit  zu  Zeit  zu  wieder- 
holen. Blutentziehungen,  selbst  örtliche,  sind  mindestens  überflüssig,  bei 
Kindern  geradezu  schädlich. 

Als  die  wirksamsten  Mittel  gegen  Lichtscheue  und  Augenlidkrampf 
kann  ich  nach  vielfältiger  Erfahrung  empfehlen : 

a)  Einreiben  oder  vielmehr  Aufstreichen  einer  Salbe  aus  4 — 6 
Gran  Präcipitatus  albus  und  6 — 12  Gran  Extractum  belladonnae  mit  1 
Drachme  Fett  gut  verrieben,  an  die  Stirn  und  Schläfe,  von  den  Augen- 
brauen bis  zum  Kopfhaar,  alle  2 — 4  Stunden  erneuert,  so  dass  die  Haut 
immer  gehörig  fett  bleibt.  Das  Abwischen  verhindert  man  durch  einen 
einfachen  Papierschirm.  *)  Ist  das  Präparat  gut,  und  wird  es  fleissig  aufge- 
strichen, so  bewirkt  es  binnen  wenig  Tagen  einen  pustulösen  Ausschlag 
auf  der  Stirn  5  dann  ist  es  wegzulassen,  ingleichen,  wenn  die  Pupille 
anfängt,  weiter  zu  werden.  Hiemit  ist  auch  die  Lichtscheu,  sehr  oft  auch 
grösstenteils  die  Entzündung  behoben.  Wirkt  es  nach  8 — lOtägigem 
Gebrauche  nicht,  so  bestehe  man  nicht  länger  darauf,  und  wähle  an- 
dere Mittel. 

6)  Nächstdem  erwiesen  sich  mir  besonders  wirksam  Einreibungen 
der  Autenrieth' sehen  Salbe  zwischen  die  Schulterblätter,  l/<i  Drachme 
Tartarus  stibiatus  auf  2  Drachmen  Fett,  und,  um  den  Schmerz  zu  mildern 
und  minder  grosse  Pusteln  hervorzurufen,  mit  1  Scrupel  Pulv.  corticis 
mezerei  versetzt.  Bei  fieberhafter  Aufregung  dürfen  sie  gar  nicht,  bei 
reizbaren  Individuen  müssen  sie  sehr  vorsichtig  angewendet  werden ;  bei 
Kindern  unter  5 — 6  Jahren  werden  sie  nicht  leicht  nothwendig.  Man  setze 
sie  nicht    zu  lange    fort,   damit    keine   zu    tiefen   Geschwüre    oder  Intoxi- 


")  Augenschirme    aus    Karlenpapier    oder  aus  Taflet  über  Draht  gespannt  werden   von  den  Kindern  nicht  wohl    ver- 
■    tragen.    Ich   lasse  ein  Elatt  weisses  oder  wenn  mau  will  grünes  Papier  so  zusammenlegen,  dass  es  etwas  breiler 
wird,  als   die   Stirn,  und  etwa  so  lang,    als  der  Abstand   von  einem   Ohr  zum  andern.     Dieses  wird  miltelst  eines 
oben  durchlaufenden  Fadens  so  um 'den  Kopf  befestigt,    dass    es  etwas   über  die  Augen  herabragt. 


Conjunctivitis  scrofulosa  —  Therapie.  101 

cationserscheinungen  eintreten.  Ich  würde  einem  so  unliebsamen  Mittel 
nicht  das  Wort  führen,  wenn  ich  nicht  durch  bestimmte  Thatsachen  von 
seiner  Wirksamkeit  tiberzeugt  worden  wäre. 

c)  Ein  vorzügliches  Mittel  besitzen  wir  in  dem  Conhim  maculatum 
{Cicuta  virosa).  Dasselbe  wird  innerlich  verabreicht,  als  Pulvis  herbae  zu 
2 — 5  Gran,  oder  als  Extractum  zu  % — 1  Gran,  oder  als  Alkaloid,  Coniin 
zu  Y10 — 7S  Gran  täglich  2 — 3mal,  bei  anhaltendem  Augenlidkrampfe  am 
besten  in  allmälig  gesteigerter  Gabe.  Man  beginnt  z.  ß.  mit  1  Gran  Extr. 
conii,  gibt  den  2.  Tag  2,  den  3.  Tag  3mal  1  solches  Pulver,  den  4.  Tag 
nichts,  den  5.  Tag  3,  den  6.  Tag  4,  den  7.  Tag  5  Stück,  den  8.  Tag 
nichts,  den  9.  Tag  5  u.  s.  w.  Man  wird  nicht  leiclit  nöthig  haben,  und 
es  wäre  auch  nicht  gerathen,  auf  mehr  als  8  Gran  in  24  Stunden  zu 
steigen.  Bei  Säurebildung  in  den  ersten  Wegen  verbinde  man  es  zweck- 
mässig mit  Maynesia  carbonica  oder  mit  Baryta  muriatica.  Die  Anwen- 
dung dieses  letzteren  Mittels  erheischt  jedoch,  wie  bekannt,  grosse  Vorsicht. 
Eine  zweckmässige  Formel  ist  z.  B.  Barytae  muriaticae,  Extracti  conii  ma- 
culati  a'a  scrupulum,  solve  in  aquae  dest.  vel  aquae  cinnamoni  et  Syr. 
cort.  aurant.  ä~a  unica  dimidia,  täglich  2 — 3mäl  20 — 30  Tropfen,  allmälig 
steigend  zu  nehmen.  Ein  verlässlicheres  Präparat  ist  das  Coniin.  Coniin 
grana  duo ,  solve  in  spiritus  vini  scrupulo  et  aquae  dest.  unc.  quatuor 
täglich  2 — 3mal  20 — 40  Tropfen,  allmälig  steigend;  oder:  Coniini  %0 
Gran  mit  Eleosacch.  cort.  aurant.    Charta  cerata,  täglich  1 — 2mal. 

d)  3Ian  wird  nicht  leicht  nöthig  haben,  nach  andern  Mitteln  sich  umzusehen; 
dennoch  wird  es  gut  sein,  deren  mehrere  zu  kennen.  Fomente  mit  einer  Lösung  aus 
72  —  1  Drachme  Borax  und  eben  so  viel  Aqua  laurocerasi  in  7  Unzen  dest.  Wassers 
täglich  2  —  3mal  durch  l/2  Stunde  lauwarm  angewandt  leisteten  mir  in  den  paar  Fällen, 
wo  ich  sie  verordnete,  ganz  gute  Dienste.  Prof.  Fischer  (Win.  Unterr.  'S.  273  und 
Lehrbuch  S.  213)  sah  gute  Wirkung  von  der  Tinctura  bignoniae,  mit  2  —  3  Theilen 
Wasser  verdünnt,  täglich  2  —  3mal  lau  in's  Auge  geträufelt.  Derselbe  empfiehlt  auch 
die  Tinclura  Galbani,  mittelst  eines  Leinwandbäuschchens  einige  Male  des  Tages  durch 
einige  Minuten  lauwarm  über  die  Lider  zu  legen,  oder  innerlich  einige  Tropfen  der 
Tinctura  Fabae  Ignalii  oder  der  Tinctura  Rhois  toxicodendri  in  Zuckerwasser  zu  ver- 
abreichen. Cunier  (Annales  d'Ocul.  T.  lo.  p.  62)  rühmt  die  Blausäure,  namentlich  ein 
Collyrium  aus  3  Unzen  Aqua  belladonnae  dest.  mit  %  Drachme  Acidum  hydrocian. 
medicin.  (Acidi  prussici  puri  pars  1  in  aq.  part.  8)  zu  Einträuflungen  oder  zu  Wa- 
schungen und  Bähungen  der  Lider,  letztere  alle  20  —  30  Minuten  vorzunehmen,  oder  6 
Gran  Cyanuretum  potassae  in  2  Unzen  Aq.  belladonnae.  Deval  (Ann.  d'Oc.  T.  13.  p. 
71)  lässt  nach  Demours  das  Kerbelkraut  (Chaerophyllum  sativum  Lam.)  durch  10  Mi- 
nuten kochen  und  die  Nacht  hindurch  in  Form  von  Cataplasmen  auf  die  Lider  anwen- 
den, sodann  das  Auge  oft  mit  einer  concentrirten  Abkochung  desselben  waschen.  Vom 
Eiublasen   oder  Einstreuen    des  Kalomelpulvers    nach  Flicke    u.  A.    bin  ich  durch  einige 


102  Bindehaut. 

Fälle,  wo  es  sich  über  der  Conjunctiva  bulbi  in  Klümpchcn  angesammelt  und  partielle 
Entzündung  erregt  hatte,  abgeschreckt  worden.  —  Zu  Jüngkens  Methode,  die  licht- 
scheuen Kinder  gewaltsam  starkem  Tageslichte  auszusetzen,  oder  mit  dem  Kopfe  mo- 
mentan in  ein  Gefass  voll  kalten  Wassers  einzutauchen,  konnte  ich  mich  bisher  eben 
so  wenig  entschliessen,  wie  zu  Ruele's  Verfahren,  kalte  Umschläge  anzuwenden;  am 
wenigsten  scheinen  mir  diese  Behandlungsweisen  für  die  Privatpraxis  zu  passen.  Kalte 
Umschläge  ordinären  sich  hierorts  die  Laien  von  selbst,  und  man  kann  so  zu  sagen 
täglich  beobachten,  wie  viel  damit  Unheil  gestiftet  wird,  auch  in  Fällen,  wo  sie  nach 
Ritete  angezeigt  wären. 

2.  Ist  die  Heftigkeit  der  Lichtscheue  gebrochen,  dann  kommt  es  auf 
den  Zustand  der  Cornea  an,  welche  Behandlung  einzuleiten  ist. 

a)  Bei  den  sogenannten  scrofulösen  Gefässbändchen,  welche  Form 
nur  mit  sehr  geringer  oder  gar  keiner  Lichtscheu  verläuft,  besteht  die 
örtliche  Behandlung  in  der  Einreibung-  einer  Salbe  aus  3 — 6  Gran  weissem 
Präcipitat  auf  1  Drachme  Fett,  3— 4mal  in  24  Stunden,  an  die  äussere 
Fläche  der  Lider.  Ist  das  Kind  nicht  verständig  genug,  nachher  mit  ge- 
schlossenen Augen  Y2 — 1  Stunde  liegen  zu  bleiben,  so  wähle  man  die 
Zeit  des  Schlafes  hiezu. 

6)  Beim  Pannus  scrofufosus  sind  Einträuflungen  von  lauwarmer 
Aqua  Conradi,  von  Laudanum  liq.  Sydenh.,  in  hartnäckigen  Fällen  von 
Collyrium  adstr.  luteum,  die  wirksamsten  der  örtlichen  Mittel. 

c)  Jene  seltene  Form,  welche  mit  der  Bildung  eines  gelblich-  oder 
graulich -sulzigen  Exsudates  in  Form  von  Knötchen  oder  Wülsten  im 
Limbu&  conjunet.  corneae  auftritt  (Vergl.  Prager  Vjschr.e12.  Band,  Seite  73), 
und  sehr  langsam  verläuft,  erfordert  das  Bestreichen  mit  Laudanum  Syd., 
Cuprum  sulfur.  oder  gummirtem  Lapis. 

d)  Bei  der  Bildung  kleiner  Bläschen  oder  Pusteln  ist  oft  schon  das 
leichte  Abführmittel  oder  die  Mercurialsalbe  an  die  Stirn  und  Schläfe  hin- 
reichend, die  Rückbildung  einzuleiten;  nach  gemilderter  Lichtscheue  mag 
man  eine  schwache  Lösung  von  Sublimat,  von  Nitras  argenti  oder  Lau- 
danum einträufeln;  in  der  Regel  aber  ist  dann  der  rothe  Präcipitat,  1 — 2 
Gran  auf  1  Drachme,  vor  dem  Einschlafen  an  die  Lidränder  eingerieben, 
das  beste  Mittel,  die  Resorption  zu  beschleunigen.  —  Sind  die  Bläschen 
oder  Pusteln  etwas  grösser,  namentlich  erhabener,  so  erfolgt  die  Abstos- 
sung  des  überkleidenden  Epitheliums,  und  somit  die  Umwandlung  in  ein 
Geschwür  bald  früher,  bald  später  von  selbst.  Ich  habe  das  Betupfen 
solclier  Pusteln  mit  einem  zugespitzten  Lapis  inf.  in  zahlreichen  Fällen 
angewendet,  kann  ihm  aber  nicht  das  günstige  Zeugniss  geben,  das  ihm 
gegeben  worden  ist.  Einreibungen  von  Unguentum  ciiiereum  oder  von 
einer    etwas    stärkern    weissen    Präcipitatsalbe    an    die  Stirn    und   Schläfe 


Conjunctivitis  scrofulosa  —  Therapie.  103 

und  Verabreichung-  gelinderer  oder  stärkerer  Abführmittel,  je  nachdem 
die  einen  oder  die  andern  sonst  zulässig-  oder  angezeigt  waren,  schienen 
mir  noch  am  ehesten  geeignet,  der  Vergrösserung  solcher  Exsudationen 
Schranken  zu  setzen.  Auch  den  Einträuflungen  von  verschieden  starken 
Lösungen  des  Argentuni  nitricum,  des  Sublimates,  des  Cadmium  sulfuricum 
u.  s.  w.  kann  ich  in  dieser  Beziehung   durchaus  nicht  das  Wort  reden. 

e)  Seichte  Geschwürchen  mit  reinem  oder  nur  wenig  trübem  Grunde 
erfordern  in  der  Regel  keine  andere  Behandlung,  als  die  eben  angege- 
bene. Greifen  sie  aber  weit  um  sich  oder  in  die  Tiefe,  oder  bleiben  sie 
Tage-,  Wochenlang  stationär,  dann  ist  zu  unterscheiden,  ob  diess  unter 
Forlbestehen  oder  Steigerung  der  Gefässeinsprilzung,  des  Thränenflusses 
und  der  Lichtscheu,  oder  aber  unter  Nachlass  oder  völliger  Abwesenheit 
dieser  Erscheinungen  geschieht,  mit  andern  Worten,  ob  ihre  Zunahme, 
ihr  Bestand  mit  entzündlichen  Zufällen,  oder  mit  einem  sogenannten  tor- 
piden Zustande  des  Auges  und  Gesammtorganismus  einhergeht.  Im 
erstem  Falle  sind  Abführmittel  zu  reichen,  die  Nahrung  einzuschränken, 
31ereurialeinreibungen  an  die  Umgebungen  der  Augen  vorzunehmen ;  im 
letzteren  Falle  ist  durch  örtliche  Beizmittel,  durch  kräftige  Kost,  durch 
tonische  und  erregende  Arzneimittel  der  zur  Narbenbildung  uöthige  Grad 
von  Reaction  anzustreben.  —  Unter  die  örtlichen  Reizmittel  gehören 
a)  trockene  warme  Tücher  oder  Kräutersäckchen  (Flor,  chamomillae,  flor. 
sambuci  a~a  unc.  dimid.,  farin.  fabarum  vel  secalin.  unciam,  in  doppelte 
feine  Leinwand  eingenäht  und  gut  durchsteppt),  wenn  bei  eitriger  Infil- 
tration ödematöse  Schwellung  der  Bindehaut  oder  der  Lider  auftritt; 
ß)  Einträuflungen  von  verdünntem  oder  selbst  reinem  Laudanum  liq.  Syd., 
1— 2mal  in  24  Stunden,  oder  von  einer  Lösung  aus  1 — 5  Gran  Nitras 
argenti  in  1  Unze  Wasser,  oder  von  2 — 4  Gran  Lapis  divinus  mit  Y2 — 1 
Scrupel  Tinctura  opii  simpl.  in  1  Unze  Wasser;  y)  selten  wird  man  in 
die  Lage  kommen,  ein  Geschwür  wegen  Mangel  an  Reaction  mit  Tinctura 
jodinae  oder  mit  Lapis  infernalis  in  Substanz  betupfen  zu  müssen;  mit 
letzterem  sei  man,  besonders  in  der  Privatpraxis,  namentlich  als  Anfänger, 
nicht  zu  schnell  bei  der  Hand. 

f)  Sind  die  Hornhautfasern  bis  auf  die  tiefsten  oder  bis  auf  die 
Descemet'sche  Haut  zerstört,  und  diese  in  Form  eines  durchsichtigen 
Bläschens  vorgetrieben,  Keratokele,  oder  ist  bereits  völliger  Durchbruch 
der  Cornea,  einfach  oder  mit  Vertreibung  der  Iris  erfolgt,  dann  ist  nebst 
dem  unter  e~)  auseinander  gesetzten  Verfahren  noch  ruhige  Lage  des 
Kranken,  mindestens  Vermeidung  jeder  stärkeren  Muskelanstrengung  und 
heftigem   Bewegung  nothwendig,  um  so  strenger,  je  mehr  dadurch  Gefahr 


104  BindeBiaut. 

zur  Verziehung  oder  gar  Schliessung  der  Pupille  gesetzt  ist,  und  sich 
Staphyloma  partiale  oder  totale  zu  entwickeln  droht.  Die  Begründung 
dieser  Vorsichtsmaassregel,  so  wie  die  weitere  Behandlung  des  Irisvor- 
falles und  der  Folgezustände  können  füglich  erst  bei  der  Lehre  von  den 
Hornhautkrankheiten  gegeben  werden. 

C)  Auswahl  der  Arzneimittel,  welche  theils  zur  Beseitigung  des 
einzelnen  Anfalles  von  Conjunctivitis,  theils  zur  Verbesserung  des  con- 
stitutionellen  Übels  innerlich  zu  geben  sind. 

Der  angehende  Praktiker  findet  eine  Menge  Mittel  gegen  die  Scrofulosis  empfoh- 
len. Es  würde  voreilig  sein ,  daraus  den  Schluss  zu  ziehen,  dass  eigentlich  keines 
etwas  tauge.  Allerdings  besitzen  wir  kein  Mittel,  das  in  allen  Fällen  hilft,  aber  es 
gibt  Mittel  von  ausgezeichnetem,  erprobtem  Nutzen.  Die  Kunst  des  Arztes  besteht 
hier  im  Individualisiren  und  in  der  gehörigen  Beharrlichkeit.  Eigene  sorgfältige  Beob- 
achtung am  Krankenbette  muss  hier  das  Meiste  thun ;  die  Erfahrung  Anderer  kann  nur 
die  allgemeinsten  Anhaltspunkte  geben.  Wenn  irgendwo,  so  scheint  es  hier  nothwendig, 
vor  dem  Schlendrian  so  mancher  Arzte  zu  warnen,  welche,  so  oft  ihnen  ein  Kind  mit 
scrofulöser  Augenentzündung  vorkommt,  nach  gewohnter  Weise  das  Mittel  verschreiben, 
das  in  ihrer  Feder  steckt,  ohne  Wahl,  selbst  ohne  Rücksicht  auf  die  Dosis.  Kinder, 
zum  Skelett  abgemagert,  werden  ohne  weiters"  mit  Abführmitteln  oder  Vesicantien 
hinter  den  Ohren  tractirt,  während  Andere  nichts  zu  kennen  scheinen,  als  irgend  ein 
Collyrium,  dessen  Formel  ihnen  noch  von  der  Schule  her  geläufig  ist. 

1.  Salzige  Abführmittel  bekommen  den  scrofulösen  Kindern  im 
Allgemeinen  nicht  gut;  man  sei  also  damit  eben  so  vorsichtig,  wie  mit 
Blutentziehungen.  Für  Reizbare  passen:  ein  leichter  Aufguss  von  Senna,*) 
Aqua  laxativa  Viennensis,  für  kleinere  Kinder  Hydromel  infantum,  Syrup. 
cichorei  cum  rheo,  für  Torpide  ein  stärkeres  Infusum  sennae  oder  Ele- 
cluarium  lenitivum,  Kalomel  mit  Jalappa  in  Zwischenräumen  von  einigen 
Tagen.  Abführmittel  sind  besonders  bei  torpiden  Individuen,  namentlich 
wenn  chronische  Hautausschläge  im  Gesichte  oder  am  Kopfe  vorhanden 
sind ,  von  Zeit  zu  Zeit  etwas  stärker  anzuwenden.  Bei  Crusta  lactea 
habe  ich  den  Thee  aus  Herba  jaceae  mit  Milch,  und  damit  es  die  Kinder 
leichter  nehmen,  mit  ein  wenig  Caflee,  oder,  wo  ich  zugleich  purgiren 
wollte,  mit  Sennesbtättern,  oft  mit  augenscheinlich  gutem  Erfolge  ange- 
wandt. —  Bei  Zeichen  von  Magensäure  verbinde  man  mit  dem  Abführ- 
tränkchen  Bicarbonas  sodae,  Lapis  cancrorum,  oder  Magnesia,,  oder  reiche 
diese  Mittel,  falls  die  Kinder  sie  nehmen,  in  Pulverform,  allein  oder  mit 
Rheum. 

«)  Um  da»  Leibschneiden,  welches  sie  verursachen,  zu  vermeiden,  lasse  man  die  miltelst  Alkohol  entharzten  Blätter 
nehmen.  Sehr  gut  genommen  und  vertragen  werden  sie  auch,  wenn  man  sie  nach  Beseitigung  der  Stiele  mit 
dem  CulTee  infundirl,  den  man  zum  Frühstück  gihl. 


Conjunctivitis  scrofulosa  —  Therapie.  105 

2.  Brechmittel  zu  Anfang  der  Cur,  wohl  auch  später  immer  nach 
einigen  Tagen  wiederholt,  fand  ich  oft  von  entschieden  guter  Wirkung 
bei  torpiden  Individuen,  namentlich  wenn  grosse  Hornhautpusteln  oder 
Geschwüre  mit  gelben,  wulstigen,  oder  von  zahlreichen  Gefässen  über- 
zogenen Rändern  —  jedoch  ohne  Durchbruch  oder  Gefahr  hiezu  —  oder 
wenn  Eiter  zwischen  den  Hornhautfasern  oder  in  der  vordem  Augenkammer 
angesammelt  war.  —  Tartarus  stibiatus  r.  d.  passt  besenders,  sobald  es 
die  Verdauungsorgane  zulassen,  bei  frequentem  Pulse  und  leicht  erreg- 
barem Blutandrange  zum  Kopfe.  Den  Aethiops  antimonialis  habe  ich 
(nach  von  Walthers  Rath  bei  schlecht  genährten  torpiden  Individuen, 
besonders  wenn  gleichzeitig  chronische  Hautausschläge  vorhanden  sind) 
theils  allein,  theils  mit  Conium,  Magnesia  oder  Rheum  verabreicht;  ich 
sah  zwar  niemals  eine  eclatante  Wirkung,  glaube  jedoch  die  Beobach- 
tungen noch  weiter  fortsetzen  zu  müssen.  Aethiops  mineralis,  Pulvis 
Plumeri,  so  wie  überhaupt  stärkere  Mercurialpräparate,  bei  Serofulösen 
durch  längere  Zeit  anzuwenden,  halte  ich  wenigstens  bei  Conjunctivitis 
scrof.  nicht  für  angezeigt. 

3.  Die  Hauptrolle  bei  der  arzneilichen  Behandlung  spielen  die 
tonischen  Mittel,  deren  viele  als  Specißca  empfohlen  wurden.  Hieher  ge- 
hören der  Eichelcaffee,  die  grünen  Schalen  und  Blätter  von  Nux  juglans 
regia,  der  Calamus  aromaticus  u.  dgl.  Die  China,  welche  von  Kindern 
am  besten  als  Infus  um  oder  Extractum  frigide  paratum  vertragen  wird; 
das  Chinin,  bei  Kindern  zu  1,  bei  Erwachsenen  zu  2  Gran  2 — 3mal  des 
Tages  verabreicht,  hat  Makenzie  als  ein  vorzügliches  Mittel  empfohlen, 
wenn  nach  Vorausschickung  eines  Abführ-  oder  Brechmittels  Lichtscheu 
und  Thränenfluss  noch  heftig  sind,  der  Puls  jedoch  nicht  sehr  rasch  ist, 
in  welchem  Falle  kleine   Gaben  von    Brechweinstein   angewendet  werden 

sollen.  Das  Eisen,  am  besten  als  Ferrum  carbonicum  sacharatum 
allein  oder,  wenn  es  gelind  eröffnend  wirken  soll,  mit  Rheum;  letztere 
Eigenschaft  hat  auch  die  Verbindung  von  weinsteinsaurem  Eisen  und  Kali 
(Ferri  tartrici,  Kali  tartrici  et  Elaeosacch.  aurant.  a~a  Drachmam  D.  in 
dos.  aeq.  XII,  täglich  2-3  Stück).  Das  Jod,  Jodkali ,  Jodeisen,  bei 
möglichster  Vermeidung  stärkmehlhaltiger  Nahrungsmittel  in  entsprechender 
Gabe  angewandt,  ist  unstreitig  eines  der  wirksamsten  Mittel  gegen  Scro- 
fulosis  im  Allgemeinen.  Es  eignet  sich  mehr  für  torpide  Individuen,  und 
kann  meistens  erst  nach  behohenem  Anfalle,  oder  bei  sehr  schleppendem 
Verlaufe  der  Conjunctiwitis  angewendet  werden.  Dasselbe  gilt  von  der 
Adelheidsquelle  und  dem  Haller  Wasser.  Ein  unschätzhares  Mittel  bei 
erethischen  (atrophischen)    serofulösen  Individuen  ist  der  Leberthran.     Er 


10G  Bindehaut. 

kann  ohneweiters  schon  während  des  Anfalles  der  entzündlichen  Zufälle 
am  Auge  in  Anwendung  gezogen  werden.  Man  gibt  ihn  täglich  zweimal 
zu  1  Kaffee  -  Kinder  -  Esslöffel ,  zur  Milderung  des  unangenehmen 
Geschmackes  mit  etwas  Syrupus  emulsivus  oder  mit  etwas  Citronensaft. 
Kinder,  welche  ihn  nicht  nehmen  wollten ,  Kinder,  welche  bei  äusserster 
Abmagerung  zugleich  an  erschöpfendem  Durchfalle  litten,  liess  ich  vor  dem 
Schlafengehen  am  ganzen  Körper  damit  einreiben  und  in  ein  Leintuch 
einwickeln ;  es  gibt  wenig  Mittel,  von  denen  ich  so  entschieden  gute 
Wirkung  gesehen,  wie  von  diesen  Einreibungen.  Ob  die  Baryta  muria- 
tica  wirklich  die  Heilkräfte  habe,  die  man  ihr  gegen  die  Scrofulosis  zu- 
geschrieben, muss  ich  nach  meinen  Erfahrungen  noch  dahin  gestellt  sein 
lassen.  Ich  reichte  sie  selten  allein,  meistens  in  Verbindung  mit  der 
Cicuta,  deren  bereits  oben  Erwähnung  geschah,  oder  mit  Eisen  (Terrae 
ponderosae  saht,  et  ferri  muriat.  a~a  dr.  semis,  Aq.  dest.  com.  et  Syr, 
aurant.  a~a  unciam,  M.  D.  S.  Täglich  2 — 3mal  ]/2 — 1  Kaffeelöfel  voll 
zu  nehmen). 

4.  Zum  Schlüsse  erwähnen  wir  noch  der  Gegenreize,  Vesicantien, 
Fontanelle,  Haarseile.  Erstere  fand  ich  meist  unnütz,  letztere  beide 
geradezu  schädlich.  Wann  Gegenreize  anzuwenden  sind,  und  dass  hiezu 
die  Authenrieth'sche   Salbe    wohl  das  beste  Mittel,  wurde  bereits  erörtert. 

V.    Conjunctivitis    trachomatosa,  Trachoma  s.  asperitudo 

conjunctivae. 

Die  irachomatöse  Bindehautentzündung  charakterisirt  sich  durch 
Ablagerung  eines  sulzigen  Exsudates  in  Form  isolirter,  selbstständiger 
Körner  oder  Hügel,  nicht  bloss  unter  das  Epithelium  der  Bindehaut  der 
Lider  und  (bei  höhern  Graden)  selbst  des  Bulbus,  sondern  auch  in  das 
Parenchym  der  Bindehaut  und  in  die  tiefern  Gebilde  (Knorpel  und  Zell- 
stoff), und  durch  Einleitung   von  Schrumpfung  der  infiltrirfen  Gewebe. 

Sie  besteht  nicht  in  primärer  Erkrankung  des  Papillarkörpers,  geht 
nicht  nothwendig  und  nicht  gleich  von  Anfang  mit  Schwellung  der  ganzen 
Bindehaut  und  Ausscheidung  flüssigen  Exsudates  an  die  freie  Oberfläche 
einher,  und  ist  nicht  ansteckend,  wie  die  Blennorrhoe,  mit  der  sie  bisher 
so  häufig  verwechselt  oder  für  gleichbedeutend  gehalten  wurde.  Die 
Ursache  der  Ablagerung  jener  umschriebenen,  gelblichen,  sulzigen  Exsudate 
unter  das  unversehrte  Epithelium  und  in  die  tiefern  Gebilde  muss  zuletzt 
in  einem  Allgemeinleiden,    in  Krankheit   des    ganzen    Organismus  gesucht 


Trachoma  —  Symptome.  107 

werden.     Das  Vorhandensein    vermehrter   und  unveränderter    Secretion  ist 
hier  nicht  wesentlich,    und   findet  nur  unter  besondern  Verhältnissen  statt. 

Eine  gewisse  Rauhigkeit  oder  vielmehr  Unebenheit  der  Lidbindehaut, 
welche  eben  durch  den  Namen  angedeutet  wird,  bleibt  immer  eine  her- 
vorstehende Erscheinung  dieser  Krankheit  in  allen  ihren  Formen  und 
Stadien,  wenn  sie  auch  derselben  nicht  ausschliesslich  zukommt.  Diese 
Rauhigkeit  ist  bedingt  durch  die  Exsudate,  welche  in  Bezug  auf  ihre 
Form  (Kugelform)  und  ihren  Sitz  (unabhängig  von  einem  bestimmten 
Elemente  der  Bindehaut,  Papillarkörper  oder  Schleimfollikel)  eine  gewisse 
Selbstständigkeit  darbieten,  und  durch  die  Veränderungen,  welche  die 
davon  infiltrirten  Gebilde  durch  diese  Exsudate  und  deren  Metamorphosen 
erleiden. 

Die  Ausscheidung  der  Exsudate  kann  ohne  merkliche  Röthe, 
Schwellung  und  Secretionsveränderung  der  Bindehaut  vor  sich  gehen; 
sie  beginnt  in  der  Regel  am  untern  Lide,  und  kann  von  da  auf  das  obere, 
zuletzt  auch  auf  die  Conjunctiva  bulbi  und  auf  die  Cornea  übergehen. 
Die  Krankheit  ist  an  keinen  bestimmten  Verlauf  gebunden,  kann  Jahre 
lang  dauern,  von  Zeit  zu  Zeit  frische  Nachschübe  bildend.  Sie  com- 
binirt  sich  häufig  mit  den  Zufällen  der  Conjunctivitis  scrofulosa,  häufiger 
noch  mit  denen  der  Conjunctivitis  catarrhalis,  und  schliesst  die  Erschei- 
nungen der  Blennorrhoe  nur  in  so  fern  aus,  als  diese  durch  rasche  Ent- 
wicklung und  Heftigkeit  des  entzündlichen  Processes  Resorption  der  das 
Trachom  charakterisirenden  Exsudate  herbeiführen. 

Die  Symptome  sind  verschieden,  je  nachdem  die  Exsudate  bloss 
an  der  Oberfläche  der  Bindehaut,  unter  dem  Epithelium  —  aufgelagert  — 
oder  auch  zugleich  im  Parenchym  —  inßltrirt  —  erscheinen,  ferner  je 
nachdem  die  Exsudate  rasch,  unter  heftigen  Reactionserscheinungen  oder 
allmälig  und  unvermerkt  abgelagert  werden,  endlich  je  nach  den  Meta- 
morphosen, welche  die  Exsudate  selbst  und  die  davon  infiltrirten  Gewebe 
bereits  erlitten  haben. 

1.  Grad.  Auflagerung.  Auf  der  Bindehaut  im  Tarsal-  und  im  Über- 
gangstheile,  bisweilen  auch  an  der  Peripherie  des  Scleraltheiles  sieht  man 
mohn-  bis  hirsekorngrosse,  grauliche  oder  gelbliche,  glatte,  etwas 
durchsichtige,  hügelartige  oder  halbkugliche  Erhabenheiten  mit  deutlich 
begrenzter  rundlicher  Basis  emporragen.  —  Diese  Exsudathügel  erscheinen 
zuerst  im  Tarsaltheile  der  Bindehaut,  mit  Ausnahme  eines  ohngefähr  1 
Linie  breiten  Streifens  längs  der  innern  Lefze  des  Lidrandes,  welcher 
nur  selten,  und  zwar  erst  nach  Monate  langer  Dauer  hie  und  da  von 
einem   solchen    Korne    eingenommen    erscheint.     Alsbald    treten    sie    im 


108  Bindehaut. 

Übergangs theile  auf,  dessen  lockeres  Bindegewebe  ihrer  Ausbreitung  viel 
günstiger  zu  sein  scheint.  Oft,  wo  die  über  dem  Tarsus  sitzenden  sehr 
klein  und  flach,  oder  aber  bereits  wieder  verschwunden  sind,  ist  der 
Übergangstheil  bis  zur  Sclera  hin  mit  zahlreichen,  weit  grösseren,  aber 
auch  in  der  Regel  blasseren  und  etwas  tiefer  eingesenkten  Körnern 
besetzt.  Doch  gibt  es  auch  Fälle,  wo  der  Übergangstheil  beinahe  oder 
ganz  verschont  bleibt,  selbst  nach  langer  Dauer,  (bei  der  Infiltration); 
worauf  wir  später  zu  sprechen  kommen  werden.  —  Niemals,  sie  mögen 
noch  so  gedrängt  an  einander  sitzen,  verlieren  sie  die  rundliche  Form 
des  Scheitels ;  sie  werden  nie  eckig,  nie  palissaden-  oder  hahnenkamm- 
ähnlich  angeordnet ;  im  Übergangstheile  jedoch  verschmelzen  sie  durch 
Aneinanderstossen  gern  zu  2 — 3  Wülsten  mit  transversalen  Einschnü- 
rungen, nachdem  sie  oft  lange  reihenweise  an  einander  gestellt,  gleich 
Perlenschnüren  bestanden  haben.  —  Solche  Ablagerungen  können  nicht 
nur  an  der  halbmondförmigen  Falte  und  an  der  Thränenkarunkel,  sondern 
auch  an  der  Scleralbindehaut  vorkommen,  und  zwar  in  letzterer  anfangs 
einzeln  und  fast  krystallhell ,  später  confluent,  drüsenartig  und  gelblich- 
sulzig,  wie  gekochter  Sago*). 

Geschieht  der  Erguss  des  dieselben  bildenden  Blastems  unter  das 
Epithelium  allmälig,  so  erscheint  die  Bindehaut  zwischen  diesen  isolirt 
stehenden  Hügeln  selbst  über  dem  Tarsus  nur  wenig  injicirt  und  noch 
so  durchscheinend,  wie  im  normalen  Zustande ,  nur  gleichsam  etwas 
schlaffer  und  mehr  gelblich,  oder  blass  gelblichroth,  und  von  veränderter 
oder  vermehrter  Seeretion  ist  dann  gewöhnlich  keine  Spur  vorhanden. 
Sehr  oft  wissen  die  Kranken  gar  nicht,  dass  sie  ein  Augenleiden  an  sich 
tragen ;  man  bekommt  daher  die  Krankheit  in  dieser  Form  nur  selten 
zu  Gesichte. 

Zu  2  Mädchen  von  8  bis  10  Jahren  (beide  aus  wohlhabenden  Familien)  wurde 
ich  gerufen,  weil  sie,  wie  die  Altern  sagten,  sich  ein  häufiges  Zwinkern  angewöhnt 
hatten,  und  selbes  nicht  lassen  wollten;  ein  Mädchen  von  9  Jahren  kam  mit  ihrer  au- 
genkranken Pflegemutter  zu  mir,  und  ich  wurde  nur  nebenbei  befragt,  wie  es  komme, 
dass  die  Augen  des  Mädchens,  wenn  sie  weine,  immer  längere  Zeit  roth  bleiben ;  von 
3  im  Jünglingsalter  stehenden  Individuen  consultirten  mich  2  wegen  Kurzsichtigkeit, 
und  1  befragte  mich  wegen  Drücken  in  den  Augen    nach    längerem  Lesen    oder  Schrei- 


*)  Diese  auf-  oder  oberflächlich  eingelagerten,  sulzigen  Exsudate  müssen  unterschieden  werden  nicht  nur  von  jenen 
winzigen,,  fast  nur  staubkorngrossen,  durchsichtigen  Erhebungen  des  Epitheliums  im  Tarsaltheile,  welche  nach 
2 — 3  Tagen  wieder  verschwinden,  sondern  auch  von  den  ebenfalls  kryslallhellen  oder  matlgrauen,  höchstens 
mohnsamengrossen  Erhabenheilen  im  Übergangstheile,  welche  durch  Schwellung  der  Follikel  bediugl  sind.  Wir 
haben  von  beiden  bereit»  in  den  früheren  Abschnitten  gesprochen. 


Traehonia  —  Symptome.  109 

ben.     Alle,  bis  auf  das  9jährige  Mädchen,    boten  diese    Erscheinung    nur   an  den  untern 
Lidern  dar. 

In  andern  Fällen  bietet  die  Bindehaut  der  Lider  nebst  diesen  Ex- 
sudaten noch  die  Zeichen  der  katarrhalischen  Entzündung  dar,  namentlich 
die  Schleimsecretion  und  Hyperämie,  und  der  Kranke  klagt  über  das  Ge- 
fühl eines  fremden  Körpers  unter  dem  obern  Lide,  auch  wenn  dieses 
sowohl  im  Tarsal-  als  im  Übergangstheile  von  solchen  Auflagerungen 
noch  ganz  frei  ist.  'Die  Zufalle,  welche  wir  dem  Katarrh  (sensu  stricto) 
zuschreiben,  können  beseitigt  werden,  sobald  der  Kranke  aus  der  ge- 
sperrten unreinen  Luft  entfernt  wird,  und  etwa  noch  ein  adstringirendes 
Collyrium  anwendet:  jene  Exsudate  aber  bestehen  fort  (wochenlang), 
und  geben  der  Bindehaut  ein  lockeres,  unebenes,  gelblichrotb.es  Aus- 
sehen. —  Von  Aussen  erscheinen  die  Lider  ein  wenig  angelaufen,  die 
Lidspalte  wird  nicht  gehörig  geöffnet,  das  Auge  ist  empfindlicher  gegen 
grelles  Licht,  gegen  scharfe  Luft,  Staub,  Rauch,  Anstrengung  der  Seh- 
kraft u.  dgl.,  die  Lider  können  nach  dem  Schlafe  schwerer  geöffnet  wer- 
den, auch  wenn  sie  nicht  gerade  verklebt  sind ,  und  ermüden  besonders 
bei  künstlicher  Beleuchtung  so,  als  ob  man  nicht  ausgeschlafen  hätte. 

Geschieht  hingegen  die  Ausscheidung  rasch,  so  erscheint  die  Binde- 
haut durchaus  serös  geschwellt  und  mehr  weniger  hyperämisch,  mit  den 
genannten  Körnern  besetzt,  und  von  Thränen  überfluthet,  in  welchen  hie 
und  da  Schleimflocken  schwimmen.  Die  seröse  Schwellung  ist  natürlich 
im  Übergangstheile  am  stärksten ;  in  heftigeren  Fällen  schwillt  auch  die 
Conjunctiva  bulbi  und  die  Cutis  der  Lider  stärker  an  (ödematös).  Dabei  ist 
der  Kranke  sehr  lichtscheu,  und  wird  gewöhnlich  von  heftigen,  drückenden 
oder  reissenden  und  stechenden  Schmerzen  gequält. —  Ist  das  umgebende 
Gewebe  stark  hyperämisch,  dann  sieht  man  ganz  feine  Gefässreiserchen  von 
demselben  auf  diese  Exsudathügel  emporsteigen,  und  ihnen  eine  röthlich- 
gelbe  Farbe  verleihen;  der  Scheitel  derselben  bleibt  jedoch  immer  noch 
durchscheinend,  opalartig  glänzend:  mittelst  der  Loupe  sieht  man  um  die 
noch  immer  deutliche  Basis  herum  nicht  selten  kleine  Ecchymosen.  — 
Diese  Hyperämie  tritt  von  Zeit  zu  Zeit,  wenn  frische  Nachschübe  erfol- 
gen oder  die  Bindehaut  sonst  gereizt  wird,  stärker  auf;  man  bemerkt 
sie  aber  auch  oft,  wenn  Resorption  jener  Exsudate  statt  findet.  Bei  län- 
gerer Dauer  macht  sie  den  Papillarkörper  über  den  Tarsus  intensiv  roth, 
fein  zottig  oder  fein  warzig,  selbst  deutlich  hypertrophisch,  ein  Zustand, 
der  noch  fortbestehen  kann,  nachdem  jene  Exsudatkörner  grösstentheils 
oder  ganz  verschwunden  sind,  oder  bloss  noch  im  Übergangstheile  oder 
am  obern   Lide  aufgefunden    werden   können.     Mit   diesem    Zustande    der 


110  Bindehaut. 

Hyperämie  und  der    Schwellung-    des  Papillarkörpers    ist   dann   auch   Ver- 
mehrung und  Veränderung  der   Secretion,   wie  beim  Katarrh,    vorhanden. 

Ich  war  lange  der  Ansicht,  dass  der  bisher  geschilderte  Befund-,  stets  nur  als 
erster  Grad  des  Trachoma  zu  betrachten  sei,  indem  ich  oft  genug  darauf  die  weitern 
Veränderungen  der  Bindehaut  und  Nachbargebilde  eintreten  sah,  welche  mit  jenen  zu- 
sammengenommen uns  eben  den  Begriff  dieser  Krankheit  geben,  und  indem  ich  auch 
in  zahlreichen  Fällen  auf  jene  ursächlichen  Momente  zurückgeführt  wurde,  welche  das 
weiter  vorgeschrittene  Übel  voraussetzt.  Allein  unbefangen  und  sorgfältig  fortgesetzte 
Beobachtungen  überzeugten  mich,  dass  man  auch  hier,  wie  überall,  sich  nicht  an  eine 
Erscheinung  allein  halten  dürfe,  dass  es  kein  an  und  für  sich  pathognomonisches  Sym- 
ptom gebe,  kurz,  dass  diese  sulzigen,  rundlichen  Exsudate  nicht  bloss  bei  der  in  Rede 
stehenden  Krankheit  (Trachoma)  vorkommen,  sondern  auch  als  Theilerscheinung,  wenn 
gleich  ungleich  seltener  und  nur  unter  gewissen  Verhältnissen,  bei  Katarrh  und  bei  der 
Blennorrhoe  nieder«  Grades  und  langsameren  Verlaufes.  Hatten  mich  früher  einzelne 
Fälle  auf  die  Vermuthung  geführt,  es  können  wohl  auch  bei  rein  örtlichen  Krankheiten, 
beim  Katarrh  und  bei  der  Blennorrhoe  unter  gewissen  Verhältnissen  ganz  gleiche  Exsudate 
auftreten,  so  wurde  ich  endlich  durch  die  Beobachtung  der  sogenannten  Ophthalmia  mili- 
taris  (vergl.  S.  70)  und  durch  nachfolgende  Beobachtung  über  dieses  Verhältniss  aufgeklärt. 

Aus  dem  hiesigen  Waisenhause  zu  Set.  Johann,  welches  ohngefähr  80  Knaben 
im  Alter  von  6 — 13  Jahren  versorgt,  wurden  mir  vom  Med.  Ordinarius  des  Hauses, 
Dr.  Junyk,  seit  dem  Sommer  1849  mehrere  Zöglinge  zugeschickt,  welche  auf  beiden 
Augen  jenen  Zustand  darboten,  den  ich  oben  als  Trachoma  1.  Grades  mit  katarrhali- 
schen Zufällen  beschrieben  habe.  Der  Umstand,  das  bis  Mitte  Jänner  1850  bereits  5 
derart  erkrankte  Knaben  mich  besuchten,  bestimmte  mich,  das  ganze  Institut  zu  unter- 
suchen. Ich  fand  Anfang  Februar  unter  78  Zöglingen,  welche  eben  zu  Hause  waren, 
nur  39  ganz  gesund ;  von  den  erkrankten  zeigten  9  bloss  eine  mehr  weniger  dicht 
netzförmige  Injection  und  Lockerung  oder  leichte  Schwellung  der  Bindehaut  über  dem 
Tarsus  und  im  Übergangstheile,  und  nur  geringe,  eiweiss-  oder  schleimähnliche  Se- 
cretion  (in  Form  eines  halbdurchsichtigen  Fadens  oder  einer  blassgelblichen  Flocke), 
ohne  dass  sie  übrigens  von  Lichtscheu,  Thränenfluss ,  Druck  unter  dem  obern  Lide 
u.  dgl.  merklich  belästigt  wurden.  Bei  den  übrigen  (30)  sassen  theils  über  dem  Tarsus 
(mit  Ausschluss  eines  etwa  1  Linie  breiten  Saumes  längs  der  innern  Lefze),  theils  im 
Übergangstheile  und  besonders  in  der  Übergangsfalte,  bei  vielen  aber  auch  in  der 
Coiijunctiva  bulbi  (nächst  der  Concavität  der  halbmondförmigen  Falte  und  im  oberen 
Umfange  der  Scleralbindehaut)  gelbliche,  sulzige,  halbdurchsichtige,  glatte  Körnchen 
oder  Hügel,  welche  in  der  Übergangsfalte  häufig  zu  länglichen,  darmähnlichen  Wülsten 
verschmolzen  waren.  Diese  Hügel  konnten  weder  für  hypertrophische  Papillen ,  noch 
für  geschwellte  Follikel  gehalten  werden,  weil  sie  auch  an  der  Conjunctiva  bulbi  be- 
obachtet wurden.  Sie  erschienen  in  allen  Fällen  über  dem  Tarsus  viel  kleiner,  als  im 
Übero-ano-stheile.  Die  Bindehaut  selbst  war  in  mehreren  Fällen  auffallend  bla^s  (bei 
schwächlicheren,  schlechter  aussehenden  Kindern),  in  andern  dicht  netzförmig  und  hell 
geröthet,  in  den  meisten  gelblich  roth,  und  im  Allgemeinen  etwas  schlaffer  und  locke- 
rer aussehend,  wenigstens  im  Übergangstheile;  rücksichtlich  der  Secretion  und  der 
Sensationsanomalien  verhielten  sich  diese  Fälle  im  Allgemeinen  nicht  anders,  als  die, 
welche    (\tn    Zustand    eines    einfachen    Kalarrhes    darboten.      Nur   eine   geringe   Zahl  der 


Trachoma  —  Symptome —  Diagnosis.  111 

Kinder  war  iür  auffenkrank  gehalten  worden;  man  war  daher  nicht  wenig  üherrascht, 
dass  ich  so  viele  für  krank  erklärte.  Es  konnten  mir  daher  auch  üher  die  Dauer,  Ent- 
stehung und  Ausbreitung  des  Übels  keine  Aufschlüsse  gegeben  werden.  —  Die  Kinder 
wohnen  seit  dem  Herbste  1849  im  Piaristenkloster,  nachdem  das  für  sie  bestimmte,  viel 
gesünder  gelegene,  mit  einem  grossen  Hofraume  und  Garten  versehene  und  geräumige 
Zimmer  enthaltende  Waisenhaus  anfangs  zu  einem  Choleraspilal,  später  zu  einer  Militär- 
Kaserne  bestimmt  worden  ist.  Die  im  Piaristenkloster  ihnen  zugewiesenen  Zimmer  sind 
niedrig,  relativ  klein,  für  Licht  und  frische  Luft  wenig  zugänglich;  auch  bei  offenen 
Fenstern  (in  den  Frühlings-  und  Sommermonaten)  kam  mir  die  Luft  darin  noch  immer 
dunstig  und  dumpfig  vor.      -» 

Zunächst  drang  sich  die  Frage  auf,  ob  das  Übel  ansteckend  sei,  oder  ob  so 
viele  Individuen  zugleich  (oder  doch  kurz  nach  einander)  nur  desshalb  ergriffen  wor- 
den waren,  weil  sie  alle  denselben  schädlichen  Einflüssen  ausgesetzt  waren.  Stellte 
sich  das  Übel  als  ansteckend  heraus,  so  war  zu  ermitteln,  ob  das  Contagium  von 
aussen  eingeschleppt  oder  in  der  Anstalt  selbst  sich  entwickelt  hatte.  Leider  war  ich 
nicht  in  der  Lage,  alle  notwendigen  Erhebungen  zur  Beantwortung  dieser  Fragen 
pflegen  zu  können.  So  viel  aber  kann  ich  in  Bezug  auf  die  Contagiosität  mit  Be- 
stimmtheit versichern,  dass  von  dem  Lehr-  und  Dienstpersonale  des  Institutes  Niemand 
erkrankte  (und  die  Lehrer  waren  doch  viele  Stunden  des  Tages,  4 — 5,  in  den  gedrängt 
vollen  Lehrsälen),  dass  auch  von  Verschleppung  der  Krankheit  durch  die  Kinder  zu 
ihren  Altern  oder  Geschwistern  trotz  der  öfter  stattfindenden  Besuche  kein  Fall  aus- 
findig gemacht  werden  konnte,  dass  trotz  der  Einführung  von  Vorsichtsmaassregeln, 
welche  geeignet  waren,  die  Ansteckung  durch  Übertragung  (Betastung)  zu  verhüten, 
dennoch  in  den  nächsten  6  Wochen  noch  viele  Knaben  (zusammen  über  50)  erkrank- 
ten, und  dass  mehrere  Impfungen,  welche  ich  mit  dem  schleimigen  Secrete  vornahm, 
keinen  Ausbruch  der  Krankheit  bewirkten.  —  Musste  nun  der  Grund  des  Übels  mit 
grösster  Wahrscheinlichkeit  nicht  in  Ansteckung,  sondern  in  Einwirkung  schädlicher 
Einflüsse  gesucht  werden ,  welchen  diese  Kinder  sämmtlich  ausgesetzt  waren,  und 
welchen  nur  die  geringere  Zahl  widerstand,  so  f'rug  sich's,  ob  diese  Einflüsse  sich  nur 
bei  jenen  geltend  machen  konnten,  welche  schon  eine  krankhafte  Disposition  in  sich 
trugen,  oder  auch  bei  ganz  gesunden  Kindern,  und  ob  diese  Einflüsse  auf  die  ganze 
Consituation  einwirkten,  oder  aber  ob  sie  bloss  die  Augen,  die  Bindehaut  trafen"")-  — 
Eine  genaue  Untersuchung  sämmtlicher  (78)  Zöglinge  nach  den  Ferien  (am  12,  Octo- 
ber)  ergab  folgenden  Befund.  Von  23  Neuaufgenommenen  hatten  nur  15  noch  ganz 
gesunde  Augen;  bei  1  zeigte  bloss  das  linke,  bei  2  das  rechte  und  linke  Auge  netz- 
r  förmige  Röthe  und  Lockerung  der  Bindehaut  mit  sparsamer  Schleimsecretion,  und  bei 
5  waren  nebstdein  an  den  untern  Lidern  staub-  und  mohnkorngrosse,  gelbliche  Hügel- 
chen vorhanden,  welche  sich  bei  dem  einen  auch  bereits  an  den  obern  Lidern  zeigten. 
Von  diesen  8  Knaben  war  nur  der  eine  (und  zwar  der,  welcher  bereits  oben  und 
unten    solche   Exsudate    darbot)  erst   8  Tage,  die    andern    aber  2  bis   8   Wochen   in    der 

°)  Zwischen  Luft  und  Bindehaut  iindet  ohne  Zweifel  eine  Wechselwirkung  slalt,  welche  für  die  Vegetation  der  Bin- 
dehaut von  grossem  Einflüsse  ist.  Die  Qualität  der  Lull  dürfte  für  die  Function  der  stets  feuchten  Bindehaut 
eben  so  wenig  gleichgültig  sein,  als  für  die  Schleimhaut  der  Respirationsorgane.  Übermässig  langes  Wachen 
führt  zu  stärkerer  Injectiou  der  Bindehautgefässe  ;  aber  auch  nach  dem  Schlafe  sind  dieselben  mehr  injicirt;  wer- 
den viele  Personen  längere  Zeit  in  einem  engen  Räume  eingeschlossen,  so  wird  die  Bindehaut  des  Augapfels 
gleichfalls  riilher  und  schlaffer. 


112  Bindehaut. 

Anstalt;  von  den  15  Gesunden  war  nur  Einer  14  Tage,  die  andern  alle  eine  kürzere 
Zeit  daselbst.  Von  den  übrigen  (55)  Kindern,  welche  bereits  länger  (1 — 5  Jahre)  in 
der  Anstalt  waren,  konnten  nur  5  für  ganz  gesund  erklärt  werden;  2  zeigten  bloss 
netzförmige  Injection,  Lockerung  und  sparsame  Schleimsecretion  der  Bindehaut;  48 
boten  nebstdem  die  Bildung  jener  Exsudate  in  den  mannigfachsten  Abstufungen  (nach 
Grösse,  Zahl  und  Ausbreitung)  dar.  —  Als  ich  nun  am  22.  December  d.  J.  wieder  alle 
Kinder  durchmustert,  und  den  Befund  mit  der  Beschreibung  vom  12.  October  verglich, 
ergab  sich,  dass  von  jenen  23  Neulingen  seitdem  wieder  5  erkrankt  waren,  1  mit  ein- 
fach katarrhalischen  Erscheinungen,  4  überdiess  mit  jenen  kleinen  solitären  Exsudaten-; 
dagegen  waren  von  den  früher  Kranken  2  genesen,  und  1  zeigte  nun  auch  an  den 
obern  Lidern  solche  Körnchen.  Der  Zustand  der  altern  55  Zöglinge  war  im  December 
im  Allgemeinen  besser,  als  im  October,  wobei  übrigens  nicht  unbemerkt  bleiben  darf, 
dass  man  in  der  Zwischenzeit  alle  mögliche  Sorgfalt  angewandt  hatte,  die  Luft  in  den 
Zimmern  rein  zu  erhalten,  und  die  Kinder  in's  Freie  zu  schicken.  Wir  fanden  nament- 
lich bei  allen  die  Injection  und  die  Schleimproduction  der  Bindehaut  viel  geringer,  bei 
vielen  Fällen  mit  Granulationen  letztere  ganz  fehlend ;  die  5  im  October  gesund  Be- 
fundenen waren  es  noch,  die  2  mit  einfach  katarrhalischen  Erscheinungen  waren  jetzt 
ganz  genesen,  7  mit  leichter  Exsudatbildung  waren  nun  auch  von  dieser  befreit,  und 
bei  5  waren  die  Granulationen  sparsamer  und  flacher  (selbst  nur  als  gelbe  Flecke 
wahrnehmbar)  geworden;  nur  bei  3  erschienen  die  Exsudate  grösser,  und  bei  1  hatten 
sie  sich  auch  an  den  obern  Lidern  stark  entwickelt. 

Zur  Erläuterung  möge  die  specielle  Beschreibung  einiger  Fälle  dienen.  Kallas 
A.,  1  Jahr  in  der  Anstalt,  von  gesundem  Aussehen,  leidet  seit  unbestimmt  langer  Zeit 
an  beiden  Augen.  Befund  am  12.  October.  Die  Bindehaut  der  Lider  gelblich  roth, 
gelockert,  die  Meibomschen  Drüsen  deutlich  durchscheinend;  etwa  V"  hinter  der  innern 
Lefze  des  Lidrandes  beginnen  zahlreiche ,  kaum  mohnkorngrosse ,  fischrogenähnliche 
Körnchen ;  der  Tarsaltheil  das  obern  Lides  zeigt  denselben  Zustand,  nur  sind  diese 
Körnchen  gegen  den  Winkel  und  gegen  den  Orbitalrand  des  Tarsus  hin  gedrängter  und 
grösser ;  der  Übergangstheil  frei  von  solchen  Körnern ,  nur  leicht  geschwellt ;  keine 
Schleimsecretion  (wenigstens  nicht  im  Momente  der  Untersuchung) ,  keine  Klage  über 
Drücken,  Lichtscheu  u.  dgl.  Unter  der  Loupe  erschien  die  für  das  freie  Auge  gelblich 
röthliche  Bindehaut  massig  dicht  injicirt,  hie  und  da  röthlich  punktirt,  und  darauf  opal- 
artig glänzende,  halbdurchsichtige,  ganz  glatte  Hügelchen.  Am  22.  Dezember  war  der 
Befund  im  Ganzen  derselbe,  nur  der  Übergangstheil  bereits  auch  mit  solchen  Körnchen 
besetzt.  - —  Hepncr,  2  Jahre  in  der  Anstalt,  hatte  im  Herbste  1849  dasselbe  Leiden  mit 
exquisit  grossen  Körnern  gehabt,  und  mich  desshalb  durch  einige  Monate  besucht,  um  _ 
mit  Cuprum  sulfuricum  touchirt  zu  werden.  Nachdem  die  Exsudate  grösstentheils  resorbirt 
waren,  war  er  nicht  mehr  bei  mir  erschienen.  Wir  fanden  am  12.  October  1850  die 
Exsudate  bis  auf  kleine  lichte  Stellen  verschwunden ,  nur  im  Übergangstheile  noch 
zahlreiche,  hirschkorngrosse  Körner ,  und  am  22.  December  waren  auch  diese  völlig 
verschwunden,  die  Bindehaut  durchaus  normal,  nur  etwas  mehr  gelblich  uad  schlaffer, 
als  gewöhnlich.  —  Martinovsky,  4  Jahre  in  der  Anstalt.  Am  12.  October :  Die  Binde- 
haut schütter  netzförmig  injicirt,  über  dem  Tarsus  zerstreute  und  kleine,  im  Übergangs- 
theile etwas  grössere  und  mehr  gedrängt  stehende  Körnchen;  der  Befund  an  den  obern 
Lidern  beinahe  derselbe,  nur  die  Exsudate  kleiner  und  sparsamer;  im  obern  Umfange 
der    Conjuncliva    bulbi   zahlreiche,     halbdurchsichtige    gelbliche    Hügel ;    zwischen     den 


Ti'ciehoina  —  Symptome  —  Diagnosis.  113 

Cilien  einige  Schleimkrusten.  Am  22.  December  konnte  der  Knabe  unter  die  Gesunden 
gezählt  werden.  —  Seidl,  1  Jahr  in  der  Anstalt,  von  blühend  gesundem  Aussehen.  Am 
12.  October  gleichfalls  beide  Augen  ergriffen;  zwischen  den  Cilien  ein  wenig  Schleim, 
alle  4  Lider  leidend,  die  obern  jedoch  relativ  wenig;  die  Bindehaut  überall  vollkom- 
men durchscheinend ,  schütter  netzförmig  geröthet ,  an  den  untern  Lidern  über  dem 
Tarsus  kleine  und  solitäre,  im  Übergangstheile  und  an  der  halbmondförmigen  Falte 
hirschkorngrosse,  gelbliche,  sulzige,  rosenkranzähnlich  an  einander  gereihte  Körner;  an 
dem  linken  Auge  auch  auf  der  Conjunctiva  bulbi  einige  solche  Exsudate.  Am  22. 
December  waren  auch  an  den  obern  Lidern  namentlich  gegen  die  Winkel  hin  ziemlich 
grosse  Körner  zu  bemerken. 

Alle  Thatsachen,  welche  ich  an  den  Zöglingen  des  Waisenhauses  im  Verlauf 
von  fast  1  Va  Jahren  wahrgenommen,  bringen  mich  zu  dem  Schlüsse,  bei  diesen  Kin- 
dern habe  sich  in  Folge  der  Verhältnisse,  unter  denen  sie  leben,  namentlich  in  Folge 
der  gesperrten  Luft  eine  eigenthümliche  Vegetationsanomalie  der  Bindehaut  erzeugt, 
welche  jenem  Zustande,  den  wir  Katarrh  nennen,  noch  am  nächsten  steht.  Ich  sah 
mehrmals  in  Fällen,  wo  anfangs  nur  rein  katarrhalische  Zufälle  an  der  Bindehaut  wahr- 
genommen worden  waren,  jene  eigenthümliche  Exsudate  auftreten,  und  dabei  die 
übrigen  Zufälle  fortbestehen  oder  auch  mehr  weniger  zurücktreten.  Ich  möchte  diesen 
Zustand  nicht  zu  den  Blennorrhöen  rechnen ;  es  fehlte  das  primäre  Schwellen  des  Pa- 
pillarkörpers ,  es  fehlte  die  Production  schleimig  eitrigen  Secretes,  oder  dieses  war 
doch  auffallend  spärlich,  es  fehlte  endlich  die  Contagiosität,  oder  musste  wenigstens 
sehr  in  Zvveifel  gezogen  werden.  Ich  kann  diese  Krankheit  aber  auch  nicht  als  Tra- 
choma  bezeichnen,  weil,  ausser  der  Bildung  jener  eigenthümlichen  Exsudate  die  übri- 
gen Erscheinungen,  welche  zusammen  genommen  uns  eben  den  Begriff  des  Trachoma 
geben,  nicht  vorhanden  waren ,  und  namentlich  die  consecutiven  Zufälle  in  keinem 
Falle  beobachtet  wurden.  Ich  habe  bei  einigen  Knaben  hirse-,  ja  beinahe  hanfkorn- 
grosse  Auflagerungen  durch  mehr  als  6  Monate  beobachtet,  und  demnach  weder  eine 
Infiltration  des  Knorpels,  noch  auch  nur  eine  nachträgliche  Schrumpfung  der  Bindehaut 
eintreten  sehen.  Ich  habe  in  keinem  einzigen  der  mitunter  sehr  heftigen  Fälle  den 
Bulbus  auf  andere  Weise  mitleiden  sehen,  als  dass  in  der  Sclerabindehaut  sich  ein- 
zelne derlei  Exsudate  zeigten.  Ich  fand  durchaus  keinen  wesentlichen  Unterschied  am 
Auge;  ob  nun  das  Kind  ganz  gesund  oder  schwächlich  oder  manifest  scrofulös  aussah. 
Ja  gerade  zwei  Kinder,  die  lange  an  Conjunctivitis  scrofulosa  litten,  zeigten  auch  nach 
mehrmonatlichem  Aufenthalte  unter  den  übrigen  Kindern  keine  Spur  jener  sogenannten 
Granulationen. 

Ich  betrachte  demnach  die  Bildung  dieser  eigenthümlichen  Exsudate  als  etwas 
Accessorisches,  um  so  mehr,  nachdem  ich  mich  überzeugt  habe,  dass  solche  graue  Gra- 
nuletionen ,  wie  man  sie  auch  genannt  hat,  auch  bei  Blennorrhoe  auftreten  können, 
und  zwar  nicht  blos  bei  Blennorrhöen,  welche  unter  dem  Militär  und  andern  geschlos- 
senen Körperschaften  massenweise  auftreten ,  sondern  auch  bei  isolirt  vorkommenden, 
z.  B.  durch  Impfung  mit  Triperschleim  erzeugten  Blennorrhöen.  Nur  durch  diese  An- 
schauungsweise glaube  ich  der  Anforderung  genügen  zu  Können,  dass  man  jede  Krank- 
heit und  jedes  Glied  derselben  nach  allen  Beziehungen  auffasse,  nicht  aber  eine  Erschei- 
nung allein  aus  der  ganzen  Reihe  herausgreife,  und  sodann  als  Krankheit  hinstelle.    Wer 

aber  jede  Krankheit  der  Bindehaut,  welche  jene  „grauen  Granulationen"  darbietet,  ohne- 
Arli,  i.  o 


114  Bindehaut. 

weiters  Trachoma  nennt,  der  hat  einen  andern  Standpunkt  gewählt;  er  nennt  mit  diesem 
Worte  ein  Symptom,  nicht  eine  Krankheit. 

Um  in  jedem  speciellen  Falle  zu  bestimmen,  ob  dieser  Befund  die 
Bedeutung  eines  rein  örtlichen,  bloss  durch  aussetze  Verhältnisse  bedingten 
Leidens  habe,  oder  aber  als  Ergebniss  eines  Allgemeinleidens,  als  erste 
Reihe  jener  Erscheinungen  zu  betrachten  sei,  welche  wir  als  dem  Tra- 
choma zukommend  noch  weiterhin  angeben  werden,  hat  man  jedesmal 
nebst  dem  örtlichen  Befunde  auch  alle  die  Momente  zu  berücksichtigen, 
welche  auf  die  Herbeiführung  dieses  Zustandes  Einfluss  genommen  haben 
konnten,  und  welche  wir  theils  im  I.  und  II.  Abschnitte  angeführt  haben, 
theils  in  diesem  Abschnitte  (über  Verlauf — Ursachen  und  Vorkommen  des 
Trachoms)  noch  anführen  werden.  Wir  werden  auch  hier  gar  oft  nicht 
im  Stande  sein,  eine  bestimmte  Diagnosis  zu  stellen,  wie  wir  bei  Blen- 
norrhöen  minder  heftigen  Verlaufes  gleichfalls  oft  nicht  sogleich  zu  ent- 
scheiden vermögen,  ob  wir  einen  Katarrh  oder  eine  Blennorrhoe  vor  uns 
haben  (nach  dem  momentanen  Befunde). 

Anders  verhält  sich's,  wenn  die  Krankheit  bereits  den  2.  Grad 
erreicht  hat.  —  Im  Stadium  der  Infiltration  der  Exsudate  in  das  Pa- 
renchym  der  Bindehaut  und  der  unterliegenden  Gebilde  sind  die  Erschei- 
nungen am  Auge  selbst  schon  so  charakteristisch,  dass  gewöhnlich  schon 
aus  ihnen  allein  die  Diagnosis  „Trachoma"  gestellt  werden  kann. 

Nebst  den  Auflagerungen,  welche  wohl  auch  schon  grösstentheils 
resorbirt  sein  können,  sieht  man  entweder  im  Tarsal-  oder  im  Über- 
gangstheile,  in  der  Regel  aber  in  beiden  zugleich  ganz  dieselben  gelb- 
lichen, sulzigen,  etwas  durchsichtigen  Körner  tief  eingebettet,  und  zwar 
stellenweise,  einzeln  oder  gruppenweise  (Aggregate  von  gelatinähnlichen 
Kugeln)  oder  durchaus  als  mehr  gleichmässige,  nur  durch  flache  Erhe- 
bungen unebene  sulzige  Infiltration  der  ganzen  Bindehaut,  und  dabei  auch 
die  Lidknorpel  dicker,  minder  geschmeidig,  derb  und  prall. 

Untersucht  man  die  Bindehaut  zur  Zeit  der  eben  stattfindenden  Abla- 
gerung oder  zur  Zeit  eines  frischen  Nachschub es  von  Exsudaten,  was  bei 
etwas  acuterem  Vorgange  des  Processes  unter  starker  Hyperämie,  Lichtscheu, 
Thränenfluss  und  heftigen  Schmerzen  geschieht,  so  erscheint  der  zwischen  den 
Infiltraten  befindliche  Papillarkörkörper  blutreich  (hell-  oder  dunkelroth)  und 
stark  geschwellt,  der  Übergangstheil  licht-  oder  schmutzig-roth,  von  den  ger- 
nannten Körnern  durchsetzt,  und  in  dem  reichlichen  wasserklaren  Secrete 
schwimmen  hie  und  da  gelbliche  Flocken.  Tritt  nun  auch  noch  seröse  Schwel- 
lung der  Bindehaut  des  Augapfels  und  Ödem  der  Lider  dazu,  so  könnte  die 
Krankheit  wohl   mit  einer  Blennorrhoe   des  2.  oder  3.  Grades  verwechselt 


Trachoina  —  Symptome  —  Diagnosis.  115 

werden;  doch  steht  die  Menge  des  consistenten  Secretes  hier  in  keinem 
Verhältnisse  zur  Schwellung  der  Bindehaut  und  der  Lider,  und  die  Be- 
achtung der  Entwicklung,  des  Verlaufes  und  des  eigentümlichen  Ver- 
haltens jener  selbstständigen  Exsudate  vermag  die  Diagnosis  zu  sichern. 
Das  eigenthümliche  Verhalten  der  Exsydate  liegt  eben  darin,  dass  sie 
auch  im  Tarsaltheile  tief  eingebettet,  wenn  nicht  als  gleichmässig  tiefere 
Infiltration,  und  nicht,  wie  bei  Blennorrhöen  langsameren  Verlaufes,  als 
mächtiger  aufgelagertes  Exsudat  auf  den  vergrößerten  Papillen  erscheinen. 

Erfolgte  diese  Ablagerung  allmälig,  oder  ist  die  damit  auftretende 
Blutüberfüllung  und  seröse  Schwellung  bereits  zurückgegangen,  so  findet 
man  weiter  keine  oder  nur  sehr  wenig  Absonderung  schleim-  oder 
eiweiss-ähnlieher  Materie,  und  die  Bindehaut  erlangt  allmälig  nicht  nur 
ein  zur  Schwellung  (Verdickung)  auffallend  blasses  (gelblichtroth.es),  son- 
dern auch  ein  relativ  mehr  trockenes  Aussehen.  Die  den  Tarsus  über- 
ziehende Partie  erscheint  gewöhnlich  durchaus  graugelblich,  aufgewulstet, 
wie  sulzig,  doch  derb,  anämisch,  und  auf  dieser  ziemlich  gleichmässig 
verbreiteten  Wulstung  sieht  man  hie  und  da  noch  sagoähnliche  Erhö- 
hungen. In  andern  Fällen  erscheinen  nur  einzelne  Partien  so  verändert, 
und  zwischen  denselben  sieht  man  Papillarkörper  in  hypertrophischem,  hy- 
perämischem  und  geschwelltem,  oder  auch  in  ziemlich  normalem  Zustande. 
Die  Übergangsfalte  ist  blassroth  oder  gelblichroth,  von  sulzigen  Körnern 
wie  von  gekochtem  Sago  durchsetzt,  nach  längerem  Bestände  des  Übels 
oft  in  eine  Art  Wulst  erhoben,  welche  bei  starkem  Abziehen  des  untern 
Lides  frei  emporragt,  und  auch  durch  die  stärkste  Ausdehnung  sich  nicht 
verschwinden  machen  (ausglätten)  lässt.  In  solchen  Fällen  ist  auch  die 
Veränderung  der  Lidknorpel  bereits  deutlich  ausgesprochen.  Besonders 
ist  es  das  obere  Lid,  welches  dicker,  minder  geschmeidig  und  schwerer 
umstülpbar  wird. 

Mit  dieser  Infiltration  der  Bindehaut,  des  Knorpels  und  des  sub- 
mueösen  Bindegewebes  (im  Übergangstheile)  tritt  nun  in  der  Regel  auch 
Exsudation  an  der  Conjunctiva  bulbi,  namentlich  am  Limbus  conjunctivae 
und  von  da  auf  der  Cornea  ein.  Letztere  ist  unter  dem  Namen  Pannus 
beschrieben  worden.  Die  Bildung  des  Pannus  erfolgt  gleichfalls  entweder 
allmälig,  unvermerkt,  oder  stürmisch,  unter  heftigen  Zufällen.  Sie  hat  die 
grösste  Ähnlichkeit  mit  dem  Vorgange  bei  Conjunctivitis  scrofulosa,  welche 
in  vielen  Fällen  auch  schon  früher,  gleichsam  als  Vorläufer,  intercurrirt. 
Es  wird  nämlich  das  Bindehautblättchen  (die  Epithelialschicht)  der  Cornea 
—  gewöhnlich  vom  obern  Rande  her  —  trüb,  mattgrau,  sueculent,  und 
allmälig   von  Gefässen    durchzogen,    welche  deutlich  als  Fortsetzungen  der 

8* 


116  Bindehaut. 

Gefässe  der   Conjunctiva  bulbi,    zum   Theil  auch  der   vordem  Ciliargefässe 
erscheinen;    weiterhin    wird    das  Epithelium   hie    und    da  durch    grauliche 
Exsudate    in  Form    kleiner  Hügelchen    emporgehoben,    die   Oberfläche  der 
Cornea  deutlich  uneben,    wie  mit  Staub  oder   Gries  bestreut.     Dabei  kann 
die    Gefässentwicklung   so   reichlich    sein,    dass    die  Cornea,   ja  der  ganze 
Bulbus    wie    mit  einem    rothen  Tuche    belegt  aussieht    (Pannus  vasculosus 
s.  tenuis).     In    andern  Fällen   wird  die  Cornea    mit  einer    dicken  Schichte 
graulichgelben    Exsudates    —    stellenweise     oder    durchaus    —    und    von 
mehr   weniger  zahlreichen    Gefässen  tiberzogen,    so    dass   die   tiefern  Ge- 
bilde gar   nicht   mehr  durchscheinen    (Pannus    carnosus    s.    crassus),    und 
bleibt     Wochen-,     Monate -lang    in     diesem     Zustande.       Die    Exsudate 
durchlaufen    dann    ähnliche  Metamorphosen,   wie    die    an    den   Lidern    ab-, 
gesetzten,  worauf  wir  später   zu  sprechen  kommen  werden.     Es  geschieht 
aber  auch,    dass  solche  umschriebene  Exsudate    auf  der  Cornea  sich  ganz 
so  verhalten,  wie   jene   bei  der   Conjunctivitis    scrofulosa,   zur    oberfläch- 
lichen oder  tieferen  Geschwürsbildung  führen.     Das  Nähere  hierüber  kann 
erst  bei  der  Schilderung    des  Verlaufes  und   der  Ausgänge   dieser  Krank- 
heit gegeben  werden. 

Der    folgende   Fall  mag   zur   Erläuterung   des  acuten  Auftretens    tieferer  Infiltration 
dienen.  —  F.  E.,    20  Jahre   alt,  Ladendienerin  in   einer  Schnittwaarenhandlung,  schlief  in 
einer    engen,   finstern,   mit   Menschen    überfüllten    Wohnung   der   Judenstadt,    war   aber 
stets    gesund   und   seit   3  Jahren   regelmässig   menstruirt.     Sie    ist    kräftig   gebaut,    üppig 
genährt,  mit  lebhaft  gerötheten   Wangen.     Vor   3   Monaten  erkrankte    sie  an  den  Augen- 
ohne    bekannte  Ursache,    ohne   in    die  Nahe  eines  Augenkranken    (mit  Verdacht  auf  An, 
steckung)     gekommen    zu   sein,    unter     drückenden   Schmerzen   in   beiden   Augen,    mit 
Lichtscheu,  Thränenfluss    und   starker   Röthe    des  Weissen  im  Auge;    die  ersten  Erschei- 
nungen waren  constant  am  Morgen   intensiver,    und  Hessen  von  circa  3  Uhr  Nachmittags 
in  der  Regel    nach.     Das  Übel    wechselte   unter   der  Behandlung  mit  Blutegeln,    Augen- 
salben,  Vesicantien   und   Purgirmitteln ,   wurde  "bald    geringer,    bald     heftiger.     Am   30. 
September  kam    die   Kranke   in's    Spital.   —  Ausdruck   heftiger   Lichtscheu,    so    dass   die 
genauere*   Untersuchung    erst   den   3.  Tag   vorgenommen    werden  konnte.     Die  Lidränder 
etwas    angelaufen    und    geröthet,     reichlicher    Thränenfluss,    keine    Schleimansammlung- 
Die    Bindehaut   im    Tarsal-   und   Übergangstheile   des   rechten  Auges    gleichmässig  gerö- 
thet,   in  letzterem   geschwellt,    die    Meibom'schen    Drüsen   nur    gegen    den   Lidrand    her 
etwas  durchschimmernd;   ohngefähr   V"   hinter  dem  Lidrande   und    weiterhin   bis  in  die 
Übergangsfalte  sieht  man  in  der   stark  gelockerten  Bindehaut  zahlreiche,    mohn-,  hirsen- 
korngrosse,    sulzige,   froschlaichähnliche,    durchscheinende,     hügelartige    Auflagerungen, 
die  Conjunctiva    sclerae   von    der   Peripherie    her   von    zahlreichen   Gefässen   durchzogen 
(wovon   einzelne   wie    Besenrüthchen    zur   Cornea    streichen),   aufgelockert,    hie   und  da    I 
mit   ähnlichen  Exsudaten   durchsetzt;   der  Limbus    conjunctivae    von  oben  und  von  innen 
her    stark    injicirt,    infiltrirt,    wie   bestaubt;    im   Bereiche   der    durchsichtigen    Hornhaut 
einige   punktförmige,    gelblichgraue,    ganz   wenig   erhabene    Exsudate,   zu    welchen   sich 


Trachoma  —  Symptome  —  Diagnosis.  117 

einige  Gefässchen  vom  benachbarten  Limbus  conjunctivae  erstrecken.  Brennende  und 
reissende  Schmerzen  in  den  Augen.  —  Massige  Verdunklung,  Infus,  sennae  c.  sale 
aniaro,  6  Gran  weissen  Präcipitates  mit  10  Gran  Extr.  beilad.  auf  1  Drachme  Fett  alle 
3  Stunden  an  die  Stirn  und  Schläfe  abzustreichen,  die  Nahrung  auf  Suppe  und  Obst- 
speise beschränkt.  —  Bis  zum  6.  October  war  die  Lichtscheu  grösstenteils  behoben, 
am  10.  konnten  die  Auflagerungen  der  Bindehaut  bereits  mit  Cuprum  sulphuricum  tou- 
chirt  werden,  nachdem  die  Schwellung  des  Limbus  conjunctivae  zurückgegangen  und 
die  Exsudate  auf  der  Cornea  grössentheils  resorbirt  waren.  Am  21.  waren  auch  die 
Exsudate  im  Tarsal-  und  Übergangstheile  schon  bedeutend  kleiner,  und  am  26.  befand 
sich  die  Kranke  bereits  so  wohl,  dass  wir  keinen  Anstand  nahmen,  sie  zu  entlassen. 
Das  linke  Au°-e  hatte  ausser  Hyperämie  der  Bindehaut  keine  merklichen  krankhaften 
Erscheinun°en  dargeboten.  —  Am  20.  November  kam  die  Kranke  wieder  in  die  An- 
slalt.  Angeblich  nach  Verkühlung  hatten  sich  brennende  und  stechende  Schmerzen  in 
den  Augen  und  heftige  Lichtscheu  eingestellt;  diese  Symptome  waren  auch  diesmal 
des  Morgens  viel  heftiger  gewesen.  Wir  fanden  das  obere  Lid  des  rechten  Auges 
stark  geschwollen,  den  Augenbrauenbogen  etwas  überragend,  blassroth,  weich,  nicht 
besonders  empfindlich,  noch  wärmer;  das  untere  Lid  minder  stark  geschwollen;  Aus- 
druck der  heftigsten  Lichtscheue,  beim  gewaltsamen  Offnen  der  Lidspalte  entleert  sich 
ein  Strom  heisser,  wasserklarer  Flüssigkeit.  Die  Bindehaut  über  dem  Tarsus  des  untern 
Lides  nicht  netzförmig  geröthet,  gelockert  und  geschwellt;  hie  und  da  sieht  man  gegen 
den  Rand  her  die  Meibom'schen  Drüsen  durchschimmern;  weiterhin  sieht  man  hirse- 
korngrosse,  gelbe,  von  Gefässchen  überschlängelte  Körnchen  auf  der  Bindehaut  sitzen, 
am  zahlreichsten  in  dem  stark  geschwellten  Übergangstheile.  Die  Bindehaut  des  obern 
Lides,  so  weit  sie  besichtigt  werden  konnte,  ebenso  beschaffen.  Die  Conjunctiva  bulbi 
grobmaschig  injicirt,  in  einzelnen  Fällen  mit  mohnkorngrossen,  blassgelblichen,  halb- 
durchsichtigen Bläschen  versehen,  besonders  nach  oben  und  innen.  Der  Limbus  con- 
junctivae von  oben  her  stärker  injicirt;  im  Bereiche  der  durchsichtigen  Cornea  mehrere 
gelblichweise,  hirsekorngrosse ,  ein  wenig  erhabene  Flecken  (flache  Pusteln).  —  Am 
linken  Auge  die  Cornea  und  Conjunctiva  bulbi  frei,  die  Bindehaut  der  Lider  fast  eben 
so  beschaffen,  wie  auf  dem  rechten  Auge.  Dumpfer  Kopfschmerz,  glühend  heisse  und 
rothe  Wangen,  beschleunigter  Puls ,  zeitweise  Schwindel.  —  Behandlung  wie  beim  1. 
Anfalle  ;  gar  keine  Linderung.  Am  25.  Eintritt  der  Menstruation,  hierauf  Linderung  der 
Kopf-  und  Augenschmerzen  und  der  qualvollen  Lichtscheue.  Vom  29.  an  wurde  %  Gran 
Coniin  täglich  2mal  verabreicht,  musste  jedoch  bald  mit  einem  kühlenden  Abführmittel 
vertauscht  werden.  Die  Exsudate  auf  der  Cornea  erweichten,  und  es  entstanden  kleine 
Geschwürchen  mit  zahlreicher  Gefässentwicklung;  die  Lichtscheu  dauerte  in  gleichem 
Grade  fort,  mit  unbedeutenden  Schwankungen.  Am  12.  December  setzten  wir  8  blutige 
Schröpfköpfe  in  die  Kreuz-  und  Lendengegend,  und  rieben  die  Brechweinsteinsalbe 
mit  Seidelbast  zwischen  die  Schulterblätter  ein,  während  innerlich  Decoct.  graminis  mit 
Kali  tartaricum  fortgesetzt  wurde.  Vom  16.  an  besserte  sich  der  Zustand  täglich  mehr 
und  mehr;  nicht  nur  Lichtscheu  und  Schmerzen  wurden  geringer,  sondern  auch  die 
Exsudate  in  der  Conjunctiva  nahmen  merklich  ab.  Jetzt  erst  konnten  wir  die  Binde- 
haut in  ihrer  ganzen  Ausbreitung  untersuchen.  Die  beinahe  farblosen  Exsudatkörnchen 
in  der  Conjunctiva  bulbi  waren  grösstentheils  verschwunden ;  wurde  das  obere  Lid  stark 
aufwärts  gezogen,  und  zugleich  der  Bulbus  abwärts  gerollt,  so  bemerkte  man  eine 
gegen    2    Linien   breite    und   an    3/4    Linien  dicke  Wulst,    die  geschwellte  und  von  zahl- 


1 1 8  Bindehaut. 

reichen,  hirsrkorngrossen,  gelblichen,  su!zi»en  Exsudatkugeln  durchsetzte  Übergangs- 
falle,  welche  den  Bulbus  oben  gürtelförmig  umfassle.  Unter  Fortsetzung  der  Medicin 
wurde  durch  mehrere  Tage  die  Salbe  von  weissem  Präzipitat  und  Extr.  beilad.  an  die 
Stirn  eingerieben,  und  tätlich  ein  Tropfen  laudanum  liq.  in's  Auge  geträufelt.  Dabei 
verlor  sich  die  Lichtscheu  gänzlich,  die  Lockerung  und  der  Gefässreichthum  der  Binde- 
haut nahmen  zusehends  ab,  die  seichten  Hornhatitgeschwüre  wurden  reiner.  Vom  3. 
Jüner  konnten  bereits  die  Touchirungen  der  Lidbindehaut  und  jenes  wulstigen  Gür- 
tels am  oben)  Unifange  der  Sclera  vorgenommen  werden.  Die  Verabreichung  von 
Medicamenteri  erschien  weiter  nicht  nothwendig,  die  Kranke  wurde  so  viel  als  möglich 
in's  Freie  geschickt ;  am  5.  Februar  konnte  sie  entlassen  werden.  Die  rechte  Hornhaut 
bot  nun  an  der  Stelle  der  früheren  Exsudate  und  Geschwürchen  leichte  Trübungen,  die 
Conjnnctiva  palpebr.  nur  im  Übergangstheile  leichte  Schwellung  mit  kleinen  Resten  der 
kornigen  Exsudate  dar.  Das  linke  Auge  hatte  keine  ortliche  Behandlung  erfordert. 
Die  Exsudatkörner  im  Tarsal-  und  Übergangstheile  waren  hier  allmälig  verschwunden, 
die  Conjunctiva  bulbi  und  die  Cornea  nie  afficirt  worden.  Von  Schleimsecretion  war 
während  der  ganzen  Krankheit  äusserst  wenig  zu  bemerken,  nur  Verklebung  der  Cilien 
in  Büschel  war  durch  längere  Zeit  vorhanden  gewesen. 

In  wie  fern  der  jeweilige  Symptomencomplex  durch  die  Metamorphosen, 
welche  die  Exsudate  selbst  und  die  davon  infiltrirten  Gebilde  erleiden, 
und  welche  oft  an  dem  einen  Lide  oder  auch  nur  an  einem  Theile  eines 
Lides  bereits  eingetreten  sind,  während  an  andern  Partien  noch  frische 
Infiltration  statt  findet,  mit  der  Zeit  verändert  wird,  kann  erst  im  nächsten 
Absätze  auseinander  gesetzt  werden. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Die  Krankheit  zeigt  im  Allgemeinen 
einen  chronischen  Verlauf,  selbst  wenn  sie  unter  acuten  Zufällen  aufge- 
treten ist;  sie  dauert  Monate-,  in  der  Regel  Jahre-lang,  und  setzt 
auch  der  rationellsten  Behandlung  nicht  selten  die  grösste  Hartnäckigkeit 
entgegen,  sei  es  nun  dadurch,  dass  von  Zeil  zu  Zeit  wieder  frische  Ex- 
sudate nachkommen,  oder  dadurch,  dass  die  Resorption  der  vorhandenen 
nicht  vor  sich  gehen  will.  Sie  führt  sehr  häufig  zu  mehr  weniger  be- 
trächtlicher Beeinträchtigung  des  Sehvermögens,  selten  jedoch  zu  gänz- 
lichem (und  unheilbarem)  Verluste  desselben. 

Die  Krankheit  entwickelt  sich  oft,  nachdem  die  Erscheinungen  der 
Conjunctivitis  scrofnlosa  längere  Zeit  oder  zu  wiederholten  Malen  vor- 
ausgegangen sind,  seltener  nach  Blepharadenitis.  Die  entzündlichen  Zufälle? 
Virelche  die  raschere  und  namentlich  die  tiefere  Infiltration  begleiten, 
zeichnen  sich  häufig  durch  enorme  Lichtscheu  und  Thränenabsonderung, 
durch  morgendliche  Exacerbation,  nicht  selten  mit  Bläschen-  oder  Pustel- 
eruption  auf  der  Cornea  oder  deren  Linibus  aus.  Diese  Erscheinungen 
treten  oft  ohne  äussere  Veranlassung  auf,  machen  bei  der  sorgfältigsten 
Pflege   und  Behandlung    bald  auf   dem  einen,    bald  auf  dem  andern  Auge 


Traelioma—  Verlauf — Ausgänge..  119 

Recidive,  am  häufigsten  im  Spätherbste  oder  zeitig  im  Frühlinge,  und 
dauern  mit  einer  Hartnäckigkeit  an,  die  den  Kranken,  wie  den  Arzt  muth- 
los  machen  kann.  Solchen  Anfällen  geht  manchmal  ohne  alle  andere 
Ursache  Fieber  voraus.  Der  1.  Grad  lässt  vollständige  Heilung  zu,  von 
selbst  oder  durch  Unterstützung  von  Seite  der  Kunst.  Die  Exsudate 
werden  allmälig  resorbirt.  Die  Körner  werden  flacher,  und  es  erscheint 
dann  an  der  Stelle  des  gelben  Hügels  (über  dem  Tarsus)  bloss  ein  gelb- 
licher lichter  Fleck,  bisweilen  selbst  eine  lichte  Vertiefung,  welche  allmälig 
kleiner  wird,  wohl  auch  ein  schiefergraues  Pünktchen  (durch  einige  Zeit) 
hinterlässt.  Allmälig  wird  dann  auch  die  umgebende  Bindehaut  wieder 
blässer  und  durchscheinend ,  endlich  durchaus  normal.  —  Piringer  *), 
welcher  diesen  Zustand  der  Bindehaut  ganz  naturgetreu  beschrieben  hat? 
sah  denselben  durch  5  Jahre  an  einem  15jährigen  scrofulösen  Militär— 
erziehungsknaben  unverändert  fortbestehen.  —  Vereiterung  oder  Ver- 
jauchung dieser  Exsudathügel  sah  ich  nie  eintreten;  nur  in  einem  Falle 
erfolgte  eine  Art  Zerfallen  des  Exsudates,  jedoch  ohne  consecutive  Ge- 
schwürsbildung in  der  Bindehaut. 

J.  B.,  36  Jahre  alt,  Schneider,  früher  Soldat,  kam  am  5.  November  1849  wegen 
Entzündung  des  rechten  Auges  auf  die  Augenklinik.  Beide  Augenlider  geschwollen, 
die  Geschwulst  blassroth,  wenig  empfindlich,  wenig  wärmer,  höher  als  der  Augen- 
brauenbogen.  Die  Lidspalte  kann  kaum  auf  1  Linie  weit  geöffnet  werden;  die  Cilien 
durch  etwas  gelblich-schleimiges  Secret  und  Thränen  in  Büschel  verklebt,  in  dem 
reichlichen,  wasserklaren  Secrete  der  Bindehaut  (Thränen  ?)  schwimmen  einzelne  gelb- 
liche Flocken.  Die  Bindehaut  über  dem  Tarsus  leicht  geschwellt,  netzförmig  injicirt, 
durchscheinend  (die  Meibom'schen  Drüsen  sichtbar),  dagegen  im  Übergangstheile  stark 
geschwollen,  wulstig,  gleichmässig  geröthet,  hie  und  da  ecchymotisch,  mit  zahlreichen 
Erhabenheiten  bezetzt,  welche  sich  zum  Theil  in  den  Tarsaltheil  herein  erstrecken. 
Diese  Erhabenheiten  oder  Körner  sind  mohn-,  hirsekorngross,  durchscheinend,  gelblich 
grau,  einige  davon  gelblich  weiss  und  matt,  wie  erweichter  Tuberkel;  die  meisten 
dieser  Körner  sitzeji  gleichsam  im  Parenchym,  ragen  wenig  über  die  Oberfläche  der 
gelockerten  und  gewulsteten  Bindehaut  empor.  Die  Conjunctiva  bulbi  stark  geschwol- 
len, einen  gegen  1  Linie  hohen  schlaffen  Wall  um  die  Cornea  bildend,  gelblich  blass- 
roth (serös  infiltrirt  und  von  zahlreichen  Gefässen  durchzogen),  auf  dem  Bande  der 
Cornea  (limbus  conjunctivae)  als  weisslicher  Beifen  noch  fest  anliegend.  Die  Cornea 
und  die  übrigen  Gebilde  des  Auges  normal.  Massige  Lichtscheu,  Gefühl  und  Druck 
unter  den  Lidern,  zeitweise  Stechen  im  Auge,  über  Tag  fehlend  oder  nur  gering, 
Abends  und  in  der  Nacht  ziemlich  stark  vorhanden.  —  Das  linke  Auge  wird  als  ge- 
sund bezeichnet,  doch  findet  man  seine  Bindehaut  etwas  mehr  injicirt,  den  Übergangs- 
theil  mit  zahlreichen,  mohnkorngrossen ,  graugelben,  glatten,  etwas  durchscheinenden 
Körnchen   besetzt,    am   untern   Lide   zahlreicher   und    mächtiger,    als    am  obern,  übrigens 

•)  Die  Blennorrhoe  am  Slensehenau^e,  Gratz  1851,  S.  278. 


120  Bindehaut. 

durchaus  keine  Abnormität  an  diesem  Auge.  —  Der  Kranke  gibt  an,  er  sei  vor  8  Jah- 
ren an  Tuberculosis  pulmonum  erkrankt,  und  nach  3wochentlicher  Behandlung  ziemlich 
gesund  aus  dem  Mililärspital  entlassen  worden.  Vor  3  Jahren  erkrankte  er  an  Hämoptoe 
und  in  der  letzten  Zeit  wurde  er  in  der  Stadt  an  Husten  und  Brustschmerzen  ärztlich 
behandelt.  Er  ist  schlecht  genährt,  die  Haut  blass,  die  Muskulatur  schlaff,  in  der  Spitze 
der  rechten  Lunge  etwas  gedämpfter  Percussionsschall.  —  Vor  3  Jahren  nun  traten 
zum  ersten  Male  Zeichen  eines  Augenleidens  auf,  wie  bei  einem  Augenkatarrh,  verlo- 
ren sich  jedoch  bald  wieder  von  selbst,  und  der  Mann  hielt  seitdem  seine  Augen  nicht 
für  krank,  obwohl  er  zu  verschiedenen  Zeiten  ein  leichtes  Drücken  unter  dem  obern 
Lide  und  manchmal  etwas  Verklebtsein  der  Cilien  beim  Erwachen  bemerkte.  Als  Ur- 
sache der  gegenwärtigen  Entzündung  des  rechten  Auges,  welche  vor  6  Tagen  begann, 
bezeichnet  der  Kranke  eine  Reise  bei  starkem  Winde,  welche  er  vor  8  Tagen  zu  Fuss 
gemacht  hatte.  —  Den  Befund  des  rechten  und  linken  Anges  zusammen  haltend,  und 
die  sonstigen  positiven  und  negativen  Angaben  des  Kranken  und  seinen  allgemeinen 
Zustand  berücksichtigend,  konnten  wir  diese  Affection  als  Trachoma  bezeichnen,  wenn 
gleich  wir  keine  völlige  Sicherheit  hatten ,  ob  die  auf  beiden  Augen  bestehenden  Ex- 
sudate nicht  etwa  bloss  als  Folge  von  äusseren  Schädlichkeiten,  das  ganze  Leiden 
mithin  als  ein  rein  örtliches  (katarrhalisehes,  mit  dieser  eigenthümlichen  Modifikation)  zu 
betrachten  seien.  Die  heftigen  Zufälle  am  rechten  Auge  konnten  sofort  als  Folge  der 
Verkältung,  aber  auch  als  Zeichen  frischer  Infiltration  zu  betrachten  sein.  Wir  ent- 
schieden uns  für  letzteres,  weil  diese  Zufälle  bloss  auf  dem  rechten  Auge  auftraten, 
und  weil  relativ  zu  ihnen  die  Production  schleimigen  Secretes  sehr  gering  war.  Durch 
die  Aufnahme  in's  Spital  war  mehreren  Anzeigen  entsprochen ;  wir  legten  8  Blutegel 
an  die  rechte  Schläfe,  reichten  ein  Purganz  aus  Senna  und  Glaubersalz,  und  machten 
Einreibungen  von  Ung.  einer,  auf  die  Stirn  und  Schlafe.  Die  meisten  Exsudatkörner 
wurden  weiss,  erweichten  und  zerfielen  in  eine  schleimige  Masse,  wie  Tuberkel  ohne 
Geschwürbildung ,  die  übrigen  schwanden  durch  allmälige  Resorption.  Nachdem  die 
Geschwulst  der  Lider  und  der  Conjunctiva  bulbi  binnen  4  Tagen  zurückgetreten  war, 
wurde  Laudan.  liq.  Syd.  eingeträufelt,  und  vom  8.  Tage  der  Behandlung  an  die  Binde- 
haut der  Lider,  und  diess  auch  auf  dem  linken  Auge,  mit  Cuprum  sulfuricum  touchirt, 
Diese  Touchirungen  wurden  nach  dem  15.  Tage,  an  welchem  der  Mann  die  Anstallt 
verliess,  in  Zwischenräumen  von  einigen  Tagen  fortgesetzt,  und  in  Zeit  von  6  Wochen 
war  die  Bindehaut  zum  normalen  Zustande  zurückgeführt.  —  Es  muss  noch  bemerkt 
werden,  dass  nachträglich  auch  die  Frau  dieses  Mannes  unsere  Hilfe  in  Anspruch  nahm. 
Sie  hatte  in  der  letzten  Zeit  beim  Nähen  öfters  ein  lästiges  Drücken  in  ihren  Augen 
empfunden,  jedoch  niemals  entzündliche  Zufälle  an  denselben  bemerkt.  Das  Leiden  auf 
dem  linken  Auge  ihres  Mannes  hatte  sie  auf  die  Vermuthung  geführt,  ob  sie  nicht 
ebenfalls  an  ihren  Augen  denselben  Zustand  habe.  Sie  bot  auf  beiden  Augen  den- 
selben Befund  dar,  wie  der  Mann  auf  dem  linken,  und  wurde  durch  die  Touchirungen 
mit  Cuprum  sulfur.  in  Zeit  von  7  Wochen  geheilt.  Es  liess  sich  auch  bei  ihr  das  Leiden 
nicht  mit  Gewissheit  als  Trachoma  erklären;  wenn  Jemand  behauptet  hätte,  dass  gleiche 
Vorkommen  bei  beiden  deute  auf  Ansteckung  oder  auf  gemeinschaftliche  Einwirkung 
äusserer  Schädlichkeiten,  etwa  feuchter,  gesperrter  Luft  u.  dgl.,  so  hätten  wir  ihn  nicht 
widerlegen  können;  das  aber  muss  auf  der  andern  Seite  auch  angeführt  werden,  dass 
sie  an  deutlich  nachweisbarer  Tuberculosis  pulmonum  litt  und  sehr  schlecht  aussah, 
obwol    die  Leute   gerade   nicht    unter    den   schlechtesten    Verhältnissen    lebten.     Sei  dem 


Trachoma  —  Verlauf  —  Ausgänge  —  Schrumpfung.  121 

nun,  wie   immer,   ich   wollte  hier  nur  auf  eine   eigenthümliche   Metamorphose  jener   Ex- 
sudate aufmerksam  gemacht  haben. 

Unter  dem  fortwährenden  Einflüsse  ungünstiger  Umstände  allmälig 
oder  nach  Einwirkung  heftig  excitirender  Momente  auch  plötzlich  geht 
die  Krankheit  in  den  2.  Grad  über.  Dann  ist  völlige  Heilung  in  dem 
Maasse  weniger  möglich,  als  die  Infiltration  tiefer  eingedrungen  ist,  und 
weiter  um  sich  gegriffen  hat,  oder  als  sie  länger  fortbestanden  und  ver- 
schiedene consecuüve  Zustände  eingeleitet  hat. 

Die  tiefere  Ablagerung  dieser  körnigen  Exsudate  scheint  gar  nicht 
erfolgen  zu  können,  ohne  dass  die  davon  infiltrirten  Gewebe  blutreicher, 
und  namentlich  von  Serum  durchfeuchtet  und  erweicht  werden.  Mehrere 
Erscheinungen  deuten  darauf  hin,  dass  durch  diese  infiltrirten  Exsudate 
das  Gewebe  nicht  nur  der  Bindehaut,  sondern  auch  des  submucösen  Zell- 
stoffes und  der  Lidknorpel  sammt  den  Meimbomschen  Drüsen  allmälig  ver- 
drängt werde,  und  dass  die  Exsudate  endlich  selbst  zum  Theil  resorbirt, 
zum  Theil  in  Fasergewebe  umgewandelt  werden,  welches  nach  und  nach 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  schrumpft,  und  der  verkürzten  Bindehaut 
durchaus  oder  stellenweise  ein  sehnenartiges  Aussehen  gibt. 

Waren  die  Ablagerungen  im  Tarsaltheile  sehr  mächtig,  dazwischen  jedoch  noch 
immer  Papillarkörper  frei  geblieben,  so  erhält  die  Bindehaut  nach  dieser  Umwandlung 
ein  unebenes  und  geflecktes  Aussehen,  durch  sehnenartige  Streifen  und  dazwischen 
befindliche  erhabene  oder  vertiefte  dunkelrothe  Stellen.  Die  erhabenen  sind  entweder 
hypertrophischer  oder  hyperämischer,  massig  geschwellter  Papillarkörper,  welcher  all- 
mälig zur  Normalität  zurückkehren  kann,  oder  aber  es  sind  Reste  der  auf  und  in  die 
Bindehaut  abgelagerten  Exsudate,  welche  durch  Absonderung  des  übermässig  angehäuf- 
ten Epitheliums,  durch  Aufsaugung  der  flüssigen  Theile .  und  Umwandlung  derselben  in 
Fasergewebe  (Exsudatfaser,  Bindegewebsfaser)  ihre  Form  eingebüsst  haben,  unregel- 
mässig zackig,  blass,  grau  und  gelblich,  hie  und  da  ecchymotisch  gesprenkelt  aus- 
sehen (im  Bereiche  des  Knorpels),  und  nach  unsanfter  Berührung  oder  nach  Umstülpung 
des  Lides  wohl  auch  ein  wenig  Blut  ergiessen.  —  Die  Vertiefungen  zwischen  den  ge- 
nannten sehnigen  Streifen  scheinen  dadurch  bedingt  zu  sein,  dass  einzelne  der  tiefer 
eingebetteten  Körner  abgestossen  oder  resorbirt  wurden.  Niemals  fsah  ich  an  demselben 
eine  Blutung,  niemals  eine  Secretion  wie  bei  Geschwüren.  Solche  Grübchen  erschei- 
nen fein  punktirt,  fein  warzig,  und  werden  allmälig  von  einer  feinen,  glatten  Membran 
ausgekleidet,  die  noch  lange  Zeit  etwas  deprimirt  bleibt.  —  Da  sehr  häufig  an  einer 
Stelle  noch  frische  Exsudation  geschieht,  während  an  andern  bereits  Abstossung,  Re- 
sorption und  Schrupfung  eingetreten  ist,  so  bemerkt  man  oft  dunkelrothe,  erhabene 
oder  vertiefte  Stellen  wie  Inseln  zwischen  sehnenartig  glänzenden  Streifen  oder  Elek- 
ken,  und  daneben  noch  hie  und  da  fischrogen-  oder  froschlaichähnliche  Körner  zu- 
gleich auf  demselben  Lide.  —  Die  Bildung  solcher  sehnigen  Streifen  oder  Flecke  ist 
keine  Erscheinung,  welche  in  allen  Fällen  eintreten  muss.  Auch  nach  ziemlich  reich- 
licher Durchsetzung  der  Bindehaut  und  der  tiefern  Gebilde  mit  solchen  Exsudaten  kann 
der    Process    ohne   bedeutende   bleibende    Structurveränderung   rückgängig   werden.     Die 


122  Bindehaut. 

Bindehaut  bleibt  dann  während  und  oft  noch  lange  nach  der  Beseitigung  jener  Exsu- 
date in  einem  Zustande  von  Wulstung,  dunkler  Röthe  und  Absonderung  mehr  weniger 
reichlichen  und  consistenten  Schleimes,  und  nur  die  Vergleichung  des  Zustandes  beider 
Lider  vermag  in  der  Regel  da,  wo  die  eigenthümlichen  Exsudate  bereits  verschwunden 
und  nicht  durch  sehnige  Streifen  versehen  sind,  die  Diagnosis  zu  sichern,  da  der  Pro- 
cess,  wie  wir  weiterhin  sehen  werden,  wenigstes  beim  chronischen  Verlaufe,  niemals 
beide  Lider  zugleich  und  in    gleichem  Grade  ergreift. 

Dichte  sehnige  Streifen  entstehen  nur  im  Bereiche  des  Knorpels, 
viel  häufiger  und  mächtiger  am  obern  als  am  untern  Lide.  Der  mäch- 
tigste läuft  gewöhnlich  ohngefähr  1  Linie  hinter  der  innern  Lefze  des 
Lides,  und  ist  von  dieser  durch  einen  dunkelrothen,  feinwarzigen  Saum 
getrennt.  Diese  Erscheinung  fällt  zusammen  mit  der  oben  angeführten 
Thatsache,  dass  die  Infiltration  der  genannten  Körner  den  Lidrand  fast 
niemals  erreicht,  sondern  erst  ohngefähr  1  Linie  hinter  demselben  be- 
merkt wird.  Von  diesem  Streifen  rückwärts,  gegen  den  Übergangstheil 
hin,  erscheint  dann,  nachdem  die  Exsudate  in  Fasergewebe  umgewandelt 
sind,  die  Bindehaut  entweder  von  einzelnen,  netzartig  angeordneten 
sehnigen  Streifen  durchsetzt,  oder  durchaus  glatt,  blutarm,  nur  von  ein- 
zelnen, tiefer  gelegenen  Gefässen  durchzogen,  bläulichweiss  glänzend 
(wie  mit  einer  dünnen  Schichte  Milch  überzogen),  ohne  Spur  von  Pa- 
pillarkörpern,  ohne  Spur  von  Schleimfollikeln,  und  in  ihrer  Flächenaus- 
breitung mehr  weniger  verkleinert.  Auch  die  Meibom'schen  Drüsen  gehen 
nach  und  nach  verloren. 

Im  Jahre  1848  starb  J.  S.,  welchen  wir  auf  der  Augenkrankenabtheilung  in  den 
Jahren  1846  und  1847  zu  wiederholten  iMalen  mit  Trachoma  cum  panno  behandelt 
hallen,  endlich  im  allgemeinen  hrankenhause  an  Tuberculosis  pulmonum.  Auf  dem 
rechten  Auge  war  die  Cornea  und  die  angrenzende  Partie  der  Scleralbindehaut  xero- 
tisch;  aus  Rücksicht  auf  die  Glaubensgenossen  des  Todten  konnte  ich  bloss  die  Tarsi 
der  obern  Lider  extirpiren.  Die  Conjunctivalfläche  der  Tarsi  erschien  glatt,  glänzend, 
hie  und  da  mit  kleinen  Grübchen  besetzt.  Die  hintere  Hälfte  der  Tarsi  war  dünner, 
während  die  vordere  fast  die  normale  Dicke  hatte ;  in  jener  war  die  Bindehaut  sammt 
dem  Tarsus  in  ein  festes,  glänzendes,  weisses  Narbengewebe  umgewandelt,  welches 
auf  der  dem  Bulbus  zugekehrten  Fläche  deutlich  einige  strahlige  und  unregelmässig 
verzweigte  ästige  Ausläufer  besass,  und  ein  Netz  bildete,  welches  zwischen  sich  die 
obbemerklen  Grübchen  erkennen  liess.  Hier  war  von  einer  Meibom'schen  Drüse  keine 
Spur  zu  sehen.  Die  vordere  (untere)  Hälfte  zeigte  bis  zum  Rande  noch  deutlich  das 
Fasergevvebe  der  Augenlidknorpel;  die  in  ihm  sitzenden  Meibom'schen  Drüsen  fehltan 
an  zahlreichen  Stellen ,  nur  hie  und  da  waren  noch  einige  erhalten ,  welche  beim 
Drucke  eine  spiralförmig  gewundene,  weisslichc  Schmeermasse  austreten  Hessen.  Keine 
reichte  über  die  Mitte  des  Knorpels  hinaus.  Die  innere  Kante  des  Lidrandes  war  we- 
niger scharf,  hie  und  da  ganz   verwischt. 

Dieser  Ausgang   an   und    für   sich,    wenn    nicht    zugleich  einer    oder 


Trachoma  — Verlauf  —  Ausgänge  —  Schrumpfung.  123 

der  andere  von  den  übrigen  Folgezuständen  (die  wir  eben  anführen 
wollen)  mit  vorhanden  ist,  kann  als  ein  relativ  günstiger  betrachtet  wer- 
den. Die  also  veränderte  Bindehaut  scheint  die  Fähigkeit  zu  Recidiven 
verloren  zu  haben,  und  dennoch  die  wesentlichen  Eigenschaften  zu  ihrer 
Function  wieder  zu  besitzen.  Der  folgende  Fall  scheint  mir  vor  vielen 
andern  diess  insbesondere  darzuthun. 

B.  Z.  kam  in  ihrem  18.  Jahre,  den  10.  Jäner  1839,  auf  die  Augenklinik  mit 
chronischer  Bindehaulblennorrhöe,  wie  wir  damals,  unter  Prof.  Fischer,  die  Krankheit 
nannten.  (Ich  will  zunächst  einen  getreuen  Auszug  aus  der  damals  abgefassten  Kran- 
kengeschichte liefern,  und  erst  dann  den  weitern  Verlauf  und  Befund  angeben.)  Sie 
hatte  in  Gemeinschaft  mit  vielen  Andern  ein  feuchtes,  in  einer  sumpfigen  Gegend  ge- 
legenes Zimmer  bewohnt,  und  als  Kind  lange  an  Kopfgrind  und  Anschwellungen  der 
Lymphdrüsen  des  Halses  gelitten.  Die  Katamenien  traten  im  16.  Jahre  ein,  flössen  aber 
unregelmässig,  setzten  mehrmals  durch  viele  Monate  aus;  dabei  hatte  sie  häufig  an 
Kopfschmerzen,  Herzklopfen  und  stechenden  Schmerzen  in  den  Waden  gelitten,  war 
bei  jeder  körperlichen  Anstrengung  sehr  leicht  ermüdet ,  und  hatte,  so  wie  auch  itzt, 
in  der  Regel  blass  ausgesehen.  Das  Augenleiden  begann  in  ihrem  14.  Jahre  auf  dem 
rechten  Auge  mit  Thränenfluss  und  Lichtscheu ;  dazu  kam  das  Gefühl  von  Druck  unter 
dem  obern  Lide,  Verklebtsein  der  Lider  beim  Erwachen,  und  abendliche  Verschlimme- 
rung. Dieser  Zustand  dauerte  durch  etwa  ein  halbes  Jahr,  bald  mit  Verschlimmerung, 
bald  mit  Nachlass  der  genannten  Zufälle,  wobei  jedoch  das  Weisse  des  Auges  beständig, 
obgleich  nicht  in  gleichem  Grade,  roth  gewesen  sein,  und  das  Sehvermögen  nach  und 
nach  abgenommen  haben  soll,  so  dass  endlich  die  Kranke  nur  noch  grössere  Gegen- 
stände, und  zwar  wrie  durch  einen  dichten  Nebel  wahrnehmen,  weder  lesen  noch  nähen 
konnte.  Nach  '/.2  Jahre  wurde  das  linke  Auge  auf  dieselbe  Weise  ergriffen.  Es  inter- 
currirten  häufige  Vasenkatarrhe.  Als  das  Übel  unter  Anwendung  verschiedener  Mittel 
über  1  Jahr  gedauert  hatte,  wurde  sie  im  Jahre  1838  auf  die  Augenklinik  aufgenom- 
men, wo  man  wegen  Einwärtswendung  der  Cilien  zuerst  am  rechten,  bald  aber  auch 
am  linken  obern  Lide  die  Abtragung  des  Lidrandes  nach  Heister  vornahm,  und  sodann 
eine  Salbe  aus  weissem  Präcipitat  an  die  innere  Fläche  der  Lider  einstrich.  Nach 
20wöchentlicher  Behandlung  w7urde  sie  entlassen.  Nachdem  sie  sich  längere  Zeit  für 
geheilt  gehalten  hatte,  wurde  sie,  ihrer  Beschreibung  nach,  wieder  häufig  von  Katar- 
rhen der  Augen  und  der  Nase  befallen.  Während  der  jedesmaligen  Dauer  solcher 
Entzündungen  soll  jedoch  das  Weisse  des  Auges  immer  roth,  in  der  Zwischenzeit  nur 
von  einzelnen  Gefässen  durchzogen  gewesen  sein.  Nach  der  mehrmaligen  Wiederkehr 
solcher  Entzündungen  bemerkte  sie  abermals  am  rechten  Auge  allmälige  Abnahme  des 
Gesichtes,  welche  sich  Anfangs  December  1838  auch  auf  dem  linke  Auge  einstellte : 
auch  sah  sie  jetzt  manche  Gegenstände  doppelt.  Anfang  Jäner  setzte  sie  sich  bei 
schwitzendem  Körper  starker  Zugluft  aus ;  bald  darauf  wurden  die  entzündlichen  Er- 
scheinungen an  den  Augen  heftiger;  dazu  kamen  stechende,  aussetzende  Schmerzen  in 
der  Umgebung  des  rechten  Auges  und  heftige  Lichtscheu.  —  Befund  am  10.  Jäner 
1839.  An  beiden  obern  Lidern  fehlt  der  Rand  —  in  Folge  der  Operation;  an  beiden 
untern  ist  die  innere  Kante  abgerundet.  Die  Bindehaut  des  rechten  untern  Lides  gleich- 
förmig   dunkelroth,    geschwellt,    über   dem     Tarsus   sammetaitig,    die    des   linken    untern 


142  Bindehaut. 

Lides  gleichförmig  blassroth;  der  Übergangstheil  beiderseits  eingeschrumpft;  die  Binde- 
haut der  obern  Lider  dunkelroth,  sammetartig,  gegen  den  obern  Rand  des  Tarsus  und 
im  Übergangstheile  mit  zahlreichen  körnigen  Exsudaten  besetzt,  der  Knorpel  schmäler 
(von  oben  nach  unten)  und  dicker,  wulstig.  Die  rechte  Hornhaut  von  aussen  her  ge- 
trübt, wie  mit  Staub  bestreut  und  von  einzelnen  Gefässchen  durchzogen;  die  angren- 
zende Partie  der  Scleralbindehaut  aufgelockert,  von  zahlreichen  Gelassen  durchsetzt, 
welche  einzelne  Ästchen  auf  die  Cornea  abgeben,  und  deutliche  Falten  bilden,  wenn 
die  Kranke  dieses  Auge  nach  aussen  wendet ;  nach  innen  sitzt  in  der  Hornhaut  am 
Rande  ein  rundlicher,  undurchsichtiger  Fleck  (Narbe).  Die  linke  Hornhaut  in  der  Mitte 
leicht  getrübt  in  Folge  oberflächlicher  Geschwürchen ;  am  innern  Rande  derselben  ein 
sehnenartig  glänzender,  undurchsichtiger  Fleck,  zu  welchem  einige  erweiterte  Gefässe 
aus  der  Scleralbindehat  verlaufen ;  mit  diesem  Auge  allein  werden  einzelne  Gegen- 
stände doppelt  gesehen.  —  Im  Verlaufe  der  Behandlung  intercurrirten  mehrmals  Ver- 
schlimmerungen der  entzündlichen  Zufälle  am  Auge,  einige  Male  mit  der  Eruption 
eines  Bläschens  am  Rande  der  Cornea  und  partieller  Gefässentwicklung,  so  dass  das 
Einstreichen  der  weissen  Präcipi talsalbe  zeitweise  ausgesetzt  werden  musste.  Ferner 
mussten  mehrmals  aus  den  untern  Lidern  einzelne  Cilien,  welche  sich  gegen  den  Bul- 
bus gekehrt  hatten,  ausgezogen  werden.  Nach  und  nach  wurde  die  Bindehaut  blässer; 
man  sah  aber,  dass  sie  einschrumpfte  und  stellenweise  ein  glattes,  sehnenartig  glän- 
zendes Aussehen  bekam.  Am  16.  Juni  1839  glaubte  man  die  Kranke  als  geheilt  ent- 
lassen zu  können.  Allein  schon  am  25.  August  kehrte  sie  in  die  Anstalt  zurück  unter 
der  Diagnosis  ;  Blennorrhoea  chronica  oc.  utr.  cum  panno.  oc.  sin.  et  intercurrente  ca- 
tarrho.  Ihr  Zustand  scheint  diessmal  nicht  nur  sehr  hartnäckig,  sondern  auch  mit  der 
Zeit  schlimmer  geworden  zu  sein;  denn  als  ich  Anfang  April  1840  als  Assistent  in 
die  Anstalt  kam,  war  auf  beiden  Augen  ein  sehr  dicker  Pannus  vorhanden,  wie  ich 
ihn  seither  nie  mehr  in  solcher  Ausdehnung  zu  sehen  bekam.  Auf  der  einen  wie  auf 
der  andern  Cornea  lag  eine  dicke,  gegen  1  Linie  hohe  Exsudatschichte,  von  sehr  zahl- 
reichen Gefässen  durchzogen,  hie  und  da  gleichsam  speckig.  Das  Exsudat  erstreckte 
sich  nach  oben  noch  über  die  Cornea  hinaus ,  unten  jedoch  blieb  ein  kleiner  Theil 
Cornea  noch  sichtbar,  obgleich  auch  getrübt  und  von  Gefässen  überzogen.  —  Die 
Fruchtlosigkeit  der  bisherigen  Behandlung  —  Einstreichen  einer  weissen  Präcipitalsalbe 
und  Einträufeln  von  Laudanum  liq.  Sydenh.  —  bald  einsehend,  entschloss  ich  mich, 
diesen  Ülierzug  der  Hornhäute  mit  Lapis  infernalis  in  Substanz  zu  entfernen.  Das 
Mittel  wurde  in  Zwischenräumen  von  2  —  3  Tagen  sehr  gut  vertragen ;  Exsudate  und 
Gefässe  schwanden  bis  auf  eine  leichte  Trübung,  gegen  welche  Laudanum  eingeträufelt 
wurde.  Aber  nach  einigen  Wochen  erfolgte  eine  Recidive  der  Art,  dass  jene  Entar- 
tung noch  ärger  war.  Nach  fruchtlosen  Einträuflungen  von  Solutio  sulfatis  zinci  wurde 
der  Lapis  infernalis  abermals  angewandt,  bis  die  Hornhaut  sichtbar  wurde,  dann  aber 
Solutio  argenti  nitrici  —  2 — 4  Gran  auf  1  Unze  —  durch  mehre  Wochen  fortgesetzt. 
Bei  einem  ziemlich  guten  Zustande  der  Augen  musste  die  Kranke  am  10.  August  we- 
gen einer  Intermittens  zu  den  Internisten  transferirt  werden ;  nach  ihrer  Genesung  hie- 
von,  am  18.  August,  wurden  Tonica  angewendet  und  die  Kranke  fleissig  in's  Freie 
geschickt.  Den  4.  October  konnte  sie  als  geheilt  entlassen  werden.  An  den  Lidern 
zeigte  sich  keine  Spur  von  Granulationen,  auch  nicht  im  Übergangstheile  ;  die  Binde- 
haut war  im  Ganzen  massig  geschrumpft,  überall  glatt,  stellenweise  sehnenartig  glän- 
zend.    Wegen  Neigung  des    untern  Lidrandes  zur  Einwärtswendung   war   beiderseits    die 


Traehonia  —  Verlauf —  Ausgänge  —  Symblepharon  poster.      125 

Ausscheidung  einer  Hautfalte  gemacht  worden.  —  Am  23.  November  1840  kam  die 
Kranke  abermals  in  die  Anstalt.  An  der  Bindehaut  war  nichts  Abnormes,  ausser  einer 
eigentümlich  schwäralichen  (bleigrauen)  Farbe  über  der  Sclera,  welche  dieselbe  in 
Folge  der  langen  Anwendung  der  Lapislösung  angenommen  halte.  Aber  die  Kranke 
konnte  das  rechte  Auge  nicht  schliessen.  Es  war  Lagophthalmus  eingetreten,  theils  in 
Folge  der  Abtragung  des  Lidrandes,  theils  in  Folge  der  Schrumpfung  des  Knorpels  und 
der  Bindehaut;  in  einem  geringen  Grade  war  dieses  Übel  auch  auf  dem  linken  Auge 
vorhanden.  Die  Augen  wurden  durch  Licht,  scharfe  Luft,  Staub  u.  dgl.  sehr  belästigt, 
so  dass  sie  ihrer  Arbeit  als  Dienstmädchen  bei  einem  Bauer  nicht  wohl  vorstehen 
konnte.  Der  Versuch,  am  linken  obern  Lide  Cilien  durch  Transplantation  einzuheilen, 
blieb  ohne  Erfolg.  Ich  schob  nun  eine  Hornplatte  unter  das  rechte  obere  Lid,  und 
führte  parallel  dem  Lidrande  und  2  Linien  von  demselben  entfernt  einen  Schnitt  durch 
die  Cutis  und  alle  Gebilde  darunter,  die  Conjunctiva  mit  begriffen.  Der  Schnitt  begann 
am  äussern  Orbitalrande  über  den  Knochen,  und  endete  am  innern  Ende  des  Tarsus ; 
in  diese  horizontale  Spalte  pflanzte  ich  ein  entsprechendes  Hautstück,  welches  aus  der 
Wangenhaut  gebildet  und  an  der  Basis  umgebogen  wurde,  mittelst  der  umschlungenen 
Naht.  Die  Einheilung  desselben  gelang,  nur  an  der  Spitze  (nach  innen)  starb  ein 
kleiner  Theil  ab.  Der  Lagophthalmus  war  dadurch  gehoben  und  blieb  es,  obwohl  in 
der  Folge  (nach  einigen  Jahren)  das  eingepflanzte  Hautstück  in  Form  einer  dicken 
Wulst  etwas  vorsprang.  Die  Kranke  ist  nun  seit  ihrer  Entlassung  am  24.  März  1841 
ganz  gesund  geblieben.  Erst  im  Jahre  1850  kam  sie  wieder  in  die  Anstalt,  wegen 
Einwärtswendung  einiger  Cilien  der  untern  Lider,  welche  die  Ätzung  mit  Schwefelsäure 
erheischte.  Beide  Hornhäute  sind  fast  ganz  rein,  die  Kranke  kann  wieder  nähen,  lesen 
u.  dgl.  Ihre  Bindehäute  sehen  wie  gegerbt  aus,  glatt,  feucht,  glänzend,  blass ;  die 
Ubergangsfalten  fehlen,  die  Conjunctiva  bulbi  bildet  bei  stärkeren  Bewegungen  des 
Bulbus  leicht  Falten. 

Der  Übergangstheil  wird  in  Folge  des  Processes  eigenthümlich  glatt, 
minder  durchsichtig,  in  ein  dichtfasriges,  fibroides  Gewebe  verwandelt. 
Zunächst  sieht  man  die  Übergangsfalte  verstrichen;  weiterhin  entstehen, 
wenn  man  das  untere  Lid  abwärts  zieht,  während  man  den  Kranken  auf- 
wärts blicken  lässt,  senkrecht  (von  oben  nach  unten)  verlaufende  Fältchen; 
in  einem  noch  höhern  Grade  der  Schrumpfung  fehlt  der  ganze  Über- 
gangs-, und  im  höchsten  Grade  auch  der  Scleraltheil  der  Bindehaut.  Auf 
diese  Weise  führt  die  Krankheit  zu  dem  Zustande,  welchen  von  Ammon 
Symblepharon  posterius  genannt  hat,  und,  wenn  wegen  gänzlicher  Ver- 
schrumpfung  (gleichsam  Verzehrung)  der  Bindehaut  der  Lidrand  mit  dem 
Cornealrande  unmittelbar  verbunden  erscheint,  und  desshalb  der  Augapfel 
von  den  Lidern  nicht  mehr  bedeckt  werden  kann,  zu  dem  Zustande,  den 
man  Legophthalmus  nennt. 

Es  gibt  Fälle,  in  welchen  die  Infiltration  und  consecutive  Schrumpfung  mehr 
oder  ganz  allein  im  Tarsaltheile  und  Tarsus  mit  den  Meibomschen  Drüsen,  und  andere, 
in   welchen   sie    vorzugsweise    im    Übergangstheile    der   Bindehaut    in    die    Erscheinung 


126  Bindehaut. 

tritt ;    in    der   Regel    tritt    die   Schrumpfung  in    beiden  Theilen  zugleich  oder    kurz  nach 
einander  und  in  ziemlich  gleichem  Grade  auf. 

Dieses  Verdrängtwerden  des  normalen  Bindegewebes  durch  das 
infiltrirte  Exsudat,  und  das  nothwendig  darauf  folgende  Umgewandelt- 
werden der  Bindehaut  in  eine  einfache  Zellenmembran,  welche  mit  der 
Zeit  mehr  und  mehr  in  sich  zusammenschrumpft,  kann  endlich  auch  zur 
Störung  der  Thränenabsonderung  führen.  Abgesehen  davon,  dass  die 
Ausführungsgärige  der  Thränendrüse  verengert  und  endlich  verschlossen 
werden  müssen,  wenn  dieser  Process  die  betreffende  Partie  der  Bindehaut 
des  obern  Lides  ergreift,  kann  auch  die  grossentheils  oder  durchaus 
in  ihrer  Struetur  veränderte  Bindehaut  ihren  Beitrag  zur  Thränenflüssigkeit 
nicht  mehr  liefern,  und  das  gleichfalls  veränderte  Epithel  an  ihrer  Ober- 
fläche löst  sich  nicht  mehr  in  der  allenfalls  noch  vorhandenen  Thränen- 
flüssigkeit auf,'  sondern  erscheint  trocken,  anfangs  fettglänzend,  später 
ganz  matt,  rauh,  und  mit  trockenen  Schüppchen  belegt.  Mit  einem  Worte : 
es  entwickelt  sich  partieller  oder  totaler  Xerophthalmus.  Während  der 
partielle  Xerophthalmus  auch  in  Folge  anderer  Krankheitsprocesse  be- 
obachtet wird,  namentlich  bei  Hornliautslaphylomen,  sah  ich  den  totalen 
mit  Ausnahme  einiger  seltenen  Fälle ,  wo  wahrscheinlich  Conjunctivitis 
membranacea  vorangegangen  war,  nur  in  Folge  von  Trachoma  mit  allge- 
meiner Schrumpfung  der  Bindehaut,  also  mit  Symblepharon  totale  und 
Lagophthalmus. 

J.  P.,  19  Jahre  alt,  Schlossergesell,  klein  und  schwächlich  gebaut,  von  einem 
tuberculosen  Vater  abstammend,  und  selbst  die  Attribute  der  Scrofulosis  darbietend, 
leidet  seit  drei  Jahren  an  den  Augen.  Als  Ursache  bezeichnet  er  Sand,  der  ihm  vom 
Winde  in's  rechte  Auge  getrieben  worden  sei.  —  Als  besonders  hervorstechende 
Erscheinungen  werden  Lichtscheu  und  Thränenfluss  und  heftige  stechende  Schmerzen, 
welche  besonders  in  den  Morgenstunden  stark  auftraten,  bezeichnet.  Das  Übel  war 
bald  besser,  bald  schlimmer  gewesen;  nach  ungefähr  1 '/2  Jahren  fand  sich  ein  Arzt 
bestimmt,  am  rechten  untern  Lide  einen  Theil  des  Haarzwiebelbodens  abzutragen.  Aber 
auch  nachher  war  er  von  seinem  Übel  nicht  befreit,  bis  es  ihn,  Anfang  Jäner  1845, 
zwang,  in's  allgemeine  Krankenhaus  zu  geben.  Ich  notirte  damals  folgenden  Status 
praesens""):  „An  seinen  Augen  sieht  man  den  Process  der  Schrumpfung  der  Conjun- 
ctiva  ganz  so,  und  zwar  in  verschiedenen  Stufen,  wie  ich  ihn  in  dem  Aufsatze  über 
Trichiasis  und  Entropium  (7.  Band  S.  46)  geschildert  habe.  Das  linke  Auge  scheint 
dem  Ansehen  nach  ganz  gesund  zu.  sein,  aber  die  innere  Fläche  des  untern  Lides  er- 
scheint glatt,  milchweiss,  serös  glänzend,  gegen  den  Lidrand  und  gegen  den  äussern 
Winkel  hin  noch  wie  eine  Mucosa  aussehend,  fein  warzig,  dunkelroth  und  aufgelockert ; 
die    Uhergangsfalte    und    die    halbmondförmige  Falte  geschwunden ;    am  obern  Lide  sieht 

man    (innen)    einige   sehnige   Streifen,   ziemlich    parallel    dem     Lidrande,     durch    einige 

• 

*)  Siehe  meinen  Aufsalz  über  das  Flügelfell,    in  der   Prager  Vierleljahrschrift,    8.  Ed.,  S.  90. 


Trachonia  —  Verlauf  —  Ausgänge  —  Xerophothalmus.       127 

Zwischenstreifen  unregelmässig  verbunden,  und  dazwischen,  wie  Inseln,  einige  dunkel- 
rothe  Stellen,  davon  3  deutlich  vertieft,  im  Grunde  glatt:  der  Knorpel  von  oben  nach 
unten  höchstens  2l/i'"  breit,  minder  geschmeidig  als  im  normalen  Zustande.  Am  rech- 
ten Auge  wurde  wegen  partieller  Trichiasis  bereits  ein  Theil  des  untern  Lidrandes  ab- 
getragen. Die  Bindehaut  ist  hier  so  stark  geschrumpft,  dass  sie  als  glatte,  sehnen- 
artige  Membran  beinahe  unmittelbar  von  der  Narbe  am  Lidrande  auf  den  Bulbus  über- 
geht, besonders  in  der  Mitte  des  Lides  ;  auch  am  obern  Lide  ist  die  Schrumpfung  so 
bedeutend,  dass  gegen  den  innern  Winkel  hin  eine  vom  Lide  auf  den  Bulbus  gehende 
Falte  entsteht,  sobald  man  das  Lid  ein  wenig  aufwärts  zieht;  der  Knorpel  ist  sehr 
schmal  und  muldenförmig  gerollt,  von  dichten,  glänzenden,  weissen  Streifen  an  der 
Innenfläche  durchzogen,  am  Rande  wulstig;  die  initiiere  Partie  des  Lidrandes  einwärts 
gewendet,  so  dass  die  Wimpern  den  Bulbus  berühren.  Im  innern  Winkel  ist  die  Scle- 
ralbindehaut  ganz  so  beschaffen,  wie  bei  einem  gewöhnlichen  Flügelfelle,  und  zwar 
von  der  Hornhaut  an  bis  zu  der  ganz  zerstrichenen  halbmondförmigen  Falte  (oder 
vielmehr  bis  zur  Karunkel  hin),  nämlich  etwas  verdickt  und  sehnenartig  glänzend.  Auf 
der  Hornhaut  sieht  man  gegen  den  innern  Winkel  hin  eine  flache  Narbe,  rundlich,  von 
etwa  ll/2"'  im  Durchmesser,  ziemlich  tief  in  die  Hornbautsubstanz  hineinragend.  Die 
genannte  Entartung  der  Bindehaut  erstreckt  sich  noch  auf  einen  Theil  dieser  Narbe  ; 
lässt  man  den  Kranken  nach  innen  oder  schief  nach  unten  und  innen,  oder  aber  schief 
nach  oben  und  innen  sehen,  so  sieht  man,  dass  die  verdickte,  sehnenartige  Bindehaut 
auf  dem  innern  Theile  der  Narbe  nicht  so  fest  aufsitzt,  indem  sie  Falten  bildet.  Der 
Streifen,  an  welchem  die  entartete  Bindehaut  so  locker  auf  der  Cornea  sitzt,  ist  etwas 
über  xi,1'"  breit.  Auf  ähnliche  Art  ist  die  verdickte  und  sehnenartige  Bindehaut,  welche 
sich  von  der  Mitte  des  untern  Lides  auf  den  Bulbus  fortsetzt,  von  dem  untern  Theile 
des  Hornhautrandes  losgelöst  (darüber  in  Falten  verschiebbar),  nur  bemerkt  man  hier 
keine  Narbe  in  der  Bindehaut.  Der  übrige  Umfang  d  er  Cornea,  mit  einem  leichten 
Pannus  überzogen,  wurde  ganz  rein,  nachdem  die  einwärts  gewendeten  Wimpern  waren 
abgetragen  worden."  —  Der  Kranke  wurde  am  13.  März  1845  in  einem  leidlichen 
Zustande  seiner  Augen  entlassen,  und  betrieb  wieder  seine  Profession.  Am  21.  No- 
vember 1848  starb  derselbe  auf  der  Abtheilung  für  Brustkranke  an  Tuberculosis  (acute 
Infiltration  in  den  Lungen  mit  Cavernenbildung  und  im  Darmkanale  mit  Geschwürsbil- 
dung). Das  rechte  Auge,  welches  ich  sammt  der  Thränendrüse  und  dem  Thränensacke 
aufbewahre,  bietet  nun  die  Erscheinungen  eines  vollständig  ausgebildeten  Xerophthal- 
mus  dar.  An  dem  untern  Lide  fehlen  die  Cilien  im  mittlem  Theile  —  da  wo  früher 
ein  Arzt  den  Haarzwiebelboden  abgetragen  hatte;  am  obern  Lide  fehlen  sie  in  den 
äussern  2  Dritteln  —  da,  wo  auf  der  Klinik  dieselbe  Operation  gemacht  worden  war. 
Die  noch  übrigen  Cilien  stehen  äusserst  verworren,  nach  den  verschiedensten  Rich- 
tungen hin.  Am  obern  Lide  ist  der  Knorpel  kaum  noch  2  Linien  breit,  am  untern  ist 
er  auf  einen  etwa  1,2//'  breiten  Saum  geschwunden.  Die  Bindehaut  geht  am  untern 
Lide  fast  unmittelbar  vom  Rande  des  Lides  auf  den  Bulbus  über,  am  obern  überzieht 
sie  den  Knorpel  in  einem  etwas  über  1  Linie  breiten  Streifen  (rückwärts  vom  Lid- 
rande), und  hängt  dann  ebenfalls  mit  dem  Bulbus  zusammen.  Von  der  halbmondiör- 
migen  Falte  ist  keine  Spur  vorhanden ,  auch  die  Thränenpunkte  und  die  Thränen- 
karunkel  lassen  sich  nicht  mehr  auffinden.  Die  Bindehaut  selbst  erscheint  ganz  trocken, 
grau,  nur  wenig  durchscheinend,  fein  runzlich  und  mit  kleinen  Schüppchen  bedeckt. 
Sie  lässt  sich    von    der   Sclera   und   selbst    von  der  Cornea   bis  zum  Umfange  der  obge- 


128  Bindehaut. 

nannten  Narbe  als  eine  zähe  Membran  lospräpariren.  Die  Peripherie  der  Cornea  dar- 
unter erscheint  fast  normal,  nur  etwas  weniger  durchsichtig.  —  Der  Thränensack  ist 
zu  einem  übergrossen  durchscheinenden  Säckchen  ausgedehnt,  mit  Flüssigkeit  gefüllt, 
seine  Mündung  in  den  Thränennasenkanal  obliterirt.  Die  Thränendrüse  ist  kaum  als 
solche  zu  erkennen,  hat  nur  '/3  der  normalen  Grösse,  und  ist  in  eine  fettähnliche  Masse 
umgewandelt.  (Weiter  wurde  das  Präparat,  um  es  für  weitere  Demonstrationen  zu  er- 
halten, nicht  untersucht.)  An  dem  linken  Auge  kann  man  an  der  nur  wenig  kleinern 
Thränendrüse  deutlich  die  einzelnen  Acini  unterscheiden.  Der  Tarsus  des  obern  Lides 
ist  3"-  breit,  innen  ganz  glatt,  sehnig  glänzend;  nach  aussen  hin  sieht  man  einige  ver- 
tiefte Pünktchen,  welche  mir  die  Mündungen  der  Thränengänge  zu  sein  schienen;  von 
den  Meibom'schen  Drüsen  sieht  man  nur  am  Rande  kurze  Spuren.  Der  Knorpel  ist  in 
eine  fibroide  Platte  umgewandelt. 

Die  Infiltration  und  nachträgliche  Schrumpfung  des  Knorpels,  deren 
wir  bereits  mehrmals  erwähnt  haben,  führt  sehr  häufig  zur  Einwärtswen- 
dung der  Cilien  als  Distichiasis  oder  als  Trichiasis,  oder  des  ganzen 
Lidrandes,  als  Entropium.  *) 

In  Folge  der  Infiltration  allein  schon,  oft  ehe  es  noch  zu  merk- 
licher Schrumpfung  der  Bindehaut  und  des  Knorpels  gekommen  ist,  bemerkt 
man,  dass  mehr  weniger  Wimpern  den  Lidrand  in  abnormer  Richtung 
durchbohren,  mehr  gegen  die  innere  Kante  hin  hervorsprossen,  und  so 
gleichsam  eine  2.  Reihe  von  Cilien  —  Distichiasis  —  bilden.  Diese,  in 
abnormer  Richtung  und  an  abnormer  Stelle  wachsenden  Cilien  sind  ge- 
wöhnlich dünner  und  blässer,  als  die  in  der  äussern  Kante  sitzenden,  und 
deuten  hiedurch  sowohl  als  durch  ihre  Verkrümmung  auf  Erkrankung  des 
Haarzwiebelbodens  hin. 

Zur  Einwärtswendung  der  an  normaler  Stelle  hervorsprossenden 
Cilien  —  Trichiasis  —  oder  endlich  selbst  der  Cutis  des  Lidrandes  — 
Entropium  —  tragen  mehrere  Umstände  bei.  Wir  haben  bemerkt,  dass 
die  Bindehaut  längs  des  Lidrandes,  ohngefähr  \'"  breit,  von  den  ge- 
nannten sulzigen  Exsudaten  frei  zu  bleiben  pflegt.  Hat  aber  die  Krank- 
heit den  2.  Grad  erreicht,  so  erscheint  dieser  Saum  geschwellt,  fein 
warzig,  dunkelroth,  daher  die  innere  Kante  des  Lidrandes  minder  scharf, 
gleichsam  abgerundet;  so  wie  aber  diese  Hypertrophie  des  Papillarkörpers 
endlich  zurückgeht,  schrumpft  auch  diese  Partie  zusammen,  und  die 
innere  Lidkante  geht  verloren,  erscheint  wie  abgeschliffen.  Die  Folge 
davon  ist,  dass  die  äussere  Kante  mit  den  Cilien  ihre  Lage  zum  Bulbus 
ändert,  und  dass  letztere  allmälig  dem  Bulbus  zugewendet  werden,  längs 
des  ganzen  Lidrandes  oder  an  einem  grösseren  Theile  desselben.  —  Hat 
der  Knorpel   bedeutend    gelitten,    so    schrumpft    er  von  oben   nach  unten, 

")  Vergl.  meinen  Aufsatz  hierüber  in  der  Prager  Vierteljahrschrift,   1845,   3.  Heft. 


Trachoma  —  Verlauf  —  Ausgänge  —  Entropium  —  Pannus.      129 

wird  schmäler,  und  zugleich  muldenförmig  gekrümmt.  Diess  begün- 
stigt nun  die  Einwärtswendung  des  Lidrandes  noch  mehr.  Dazu  kommt 
noch,  dass  an  solchen  Augen  die  innere  Portion  des  musculus  orbicularis 
palp.  (Muse.  Albini)  in  Folge  der  häufigen,  selbst  krampfhaften  Schliessung 
der  Lidspalte  bei  den  von  Zeit  zu  Zeit  heftiger  auftretenden  entzündlichen 
Zufällen  in  einen  Zustand  habitueller  Contraction  geräth,  und  den  Lidrand 
auch  wenn  die  innere  Kante  nicht  abgerundet  wäre,  einwärts  drängt,  so 
wie  endlich  die  Blepharophimosis,  welche  als  Folge  der  Excoriationen 
bei  den  einzelnen  entzündlichen  Anfällen  sehr  häufig  zu  diesen  Übeln 
hinzutritt,  und  schon  an  und  für  sich  geeignet  ist,  Entropium  zu  bewirken, 
bei  inveterirten  Trachomen  selten  fehlt. 

Die  gegen  den  Bulbus  gerichteten  Cilien  reizen  denselben  fort- 
während, unterhalten  und  steigern  die  Entzündung  der  Bindehaut  und 
gefährden  das  Gesicht  durch  ihre  Wirkung  auf  die  Cornea.  Sie  erregen 
oder  steigern  den  schon  vorhandenen  Pannus;  noch  mehr  aber  schaden 
sie  dadurch,  dass  sie  Verschwörung  der  Cornea,  theilweis  oder  durchaus, 
und  deren  weitere  Folgen  einleiten;  in  seltenen  Fällen  bildet  sich, 
gleichsam  zum  Schutze  der  Cornea,  eine  Art  Schwiele  oder  Verdickung 
des  Epithelialilberzuges,  welche  so  aussieht,  als  ob  man  ein  Stückchen 
Papier  oder  ein  dünnes,  fettglänzendes  oder  trocknes  Häutchen  auf  einen 
Theil  der  Cornea  angeklebt  hätte,  ein  wenig  erhaben  ist,  und  scharf 
begrenzte  Ränder  zeigt.  Solche  schwielige  Partien  können  auch  im  Be- 
reiche der  Scleralbindehaut  entstehen,  wenn  diese  lange  einen  solchen 
mechanischen  Reiz,  Druck  oder  Reibung  zu  ertragen  hat.  Sie  werden 
mit  der  Zeit  ganz  trocken  (partieller  Xerophthalmus),  auch  wenn  sonst 
der  ganze  Bulbus  gehörig  feucht  und  glänzend  erscheint. 

Jene  Form  des  Pannus,  welche  einzig  und  allein  Folge  der  mechanischen  Rei- 
zung ist.  und  eigentlich  als  Keratitis  traumatica  bezeichnet  werden  muss,  lässt  sich  in 
der  Regel  leicht  von  dem  eigentlichen  Pannus,  welcher  die  Bedeutung  der  Conjuncti- 
vitis scrofulosa  oder  des  Trachoma  hat,  unterscheiden.  Der  Pannus  (als  Theilerschei- 
nung  des  Trachoma)  entwickelt  sich  immer  vom  Limbus  conjunctivae  aus,  und  charak- 
terisirt  sich  durch  Auflagerung  von  Exsudaten  auf  die  Cornea  ;  er  ist  nie  auf  die 
Cornea  allein  beschrankt,  sondern  erscheint  nur  als  Fortsetzung  der  Entzündung  von 
der  Conjunctiva  bulhi  auf  das  ßindehautblättchen  der  Cornea,  welches  —  physiologisch, 
sowohl  als  pathologisch  —  nur  als  Fortsetzung  der  Scleralbindehaut  auf  die  Cornea  zu 
betrachten  ist.  Jene  Keratitis  hingegen,  welche  einzig  und  allein  durch  einwärts  ge- 
wendete Wimpern  erregt  wird,  zeigt  nicht  Auflagerung,  sondern  Infiltration  des  Exsu- 
dates in  das  Cornealgewebe  selbst;  die  Gefä'sse,  welche  man  dabei  bemerkt,  kommen 
gleichsam  unter  dem  Linibus  conjunctivae  hervor,  oder  gehen  unter  demselben  weg  zu 
den  Zweigen  der  vordem  Ciliargei'ässe.  Haben  solche  Trübungen  längere  Zeit  bestan- 
den, so  widerstehen  sie  lange  oder  für  immer  jeder  Behandlung. 

Arlr,  i.  9 


130  Bindehaut. 

Der  Pannus  ist,  wie  bereis  erwähnt  wurde,  nur  als  Fortsetz  nng  des 
Krankheitsprocesses  von  den  Lidern  auf  den  Bulbus,  in  specie  auf  die 
Cornea,  zu  betrachten.  Dieselbe  Affection,  wie  auf  der  Cornea,  kann 
immer  auch  in  der  Conjunctiva  sclerae  nachgewiesen  werden,  namentlich 
unter  dem  obern  Lide,  wo  die  Bindehaut  dann  gelblich,  uneben  und  von 
zahlreichen  Gebissen  durchzogen  erscheint.  Geschieht  die  Exsudatabla- 
gerung  rascher,  und  unter  zahlreicher  Gefässenlwicklung,  so  wird  die 
Substanz  der  Cornea  serös  durchfeuchtet  und  erweicht;  sie  verliert  ihre 
Elasticität,  gibt  dem  Drange  des  Humor  aqueus  nach,  und  wölbt  sich 
stärker  nach  vorn.  So  entsteht  jener  Folgezustand,  welchen  man,  wie 
von  selbst  einleuchtet,  ganz  unrichtig  Wassersucht  der  Augenkammer 
genannt  hat  (Hydrops  anterior  oder  Hydrops  camerae).  Der  Name  Kcrat- 
ektasia  ex  panno  dürfte  die  Natur  dieses  Übels  besser  bezeichnen.  Der- 
selbe entsteht  häufiger  bei  Pannus  vasculosus  als  bei  Pannus  crassus. 

Der  Pannus  erscheint  sehr  häufig  im  Gefolge  des  Trachoma.  Er  entwickelt  sich 
beinahe  immer  von  oben  her.  Es  lag  demnach  sehr  nahe,  die  Ursache  desselben  in 
den  sogenannten  Granulationen,  in  der  Reizung  der  Hornhaut  durch  dieselben  zu  su- 
chen, und  ihn  desshalb  als  traumatisch  zu  bezeichnen.  Das  mechanische  Moment  mag 
vielleicht  einigen  Einfluss  auf  die  Entstehung,  wenigstens  auf  die  Unterhaltung  dieses 
Zustandes  üben,  gewiss  aber  einen  sehr  untergeordneten.  Er  kommt  nicht  bloss  da  vor, 
wo  solche  Granulationen,  einwärts  gewendete  Cilien  u.  dgl.  vorhanden  sind,  sondern  auch 
bei  bereits  glatt  gewordener  Bindehaut;  er  steht  in  keinem  geraden  Verhältnisse  zu 
der  Grösse,  Härte  und  Dauer  der  sogenannten  Granulationen ;  er  tritt  bald  ganz  allmä- 
lig,  bald  aber  auch  rasch,  gleichzeitig  mit  andern  entzündlichen  Erscheinungen  auf, 
welche  jede  frische,  durch  äussere  oder  innere  Ursachen  erregte  Infiltration  begleiten, 
und  welche  die  Auetoren  als  scrofulöse,  katarrhalische  oder  katarrhalisch-rheumatische 
Ophthalmien  bezeichnet  haben.  "")  Ich  sah  dieselben  mehrmals  ohne  alle  äussere  Ver- 
anlassung in  der  grössten  Heftigkeit,  selbst  mit  fieberhafter  Aufregung  des  Gesainmt- 
organismus  auftreten,  **)  und  dabei  den  Pannus  selbst  in  24  Stunden  über  die  Hälfte, 
über  die  ganze  Cornea  sich  ausbreiten.  Vom  Limbus  conjunctivae  corneae,  welcher 
bekanntlich  oben  an  3/4'"  breit  ist,  geschieht  an  der  Spitze  der  allmälig  vorrückenden 
Gefässe- Ablagerung  organisationsfähigen  Blastem-  unter  das  Epithelium  der  Cornea. 
Sehr  häufig  sieht  man  die  Cornea  mit  ähnlichen  Bläschen  oder  vielmehr  Körnern  be- 
deckt, wie  die  trachomatöse  Conjunctiva  palpebrarum ;  in  andern  Fällen,  namentlich 
bei  stürmischer  Ausscheidung,  berstet  das  Epithelium,  und  es  kommt  zur  oberflächli- 
chen   Geschwürsbildung.      Bei    Trichiasis   und    Entropium ,     wo    erwiesener    Massen    die 


•)  l'iiinqi:r  1.  c.  S.  161.  „Auf  unserer  Abtheilung  war  mehrmals  ein  Srhuslergesell  mit  einer  katarrhaliseh-rheuma- 
lischen  Augenentzündung,  bei  deren  Abnahme  sich  jederzeit  ein  leichter,  bald  wieder  schwindender  Pannus  ein- 
gestellt halle.  Diessjährig  sahen'  wir  bei  demselben  im  Laufe  eines  solchen  Entzündunganfalles  in  der  Tiefe 
der  nur  weniir  katarrhös  ergriffenen,  blassrolhen  und  kaum  aufsrelockerlen  Bindehaut  des  linken  Auges  drei 
solche  Bläschen"  —  wie  heim  Trachom  —  „entstehen  und  verschwinden.  Es  folgte  aber  keine  Blennorrhoe, 
wohl  aber  kam  wieder  ein  Pannus   nach." 

'"")  Vergl,  Fischer  klin.  Unterricht,  S.  60. 


Trachoma — Verlauf — Ausgänge— Pannus — Cornealgesclnv.     131 

Cilien  und  der  Lidrand  die  Cornea  anhaltend  reiben  und  drücken,  'sehen  wir"  endlich 
ganz  andere  Folgen  auf  der  Cornea  auftreten,  A\ie  bereits  S.  129  angegeben  wurde. 
Wäre  der  Pannus  Folge  des  Druckes,  der  Reibung  der  Cornea"  durch  die  Granulatio- 
nen, dann  Hesse  sich  in  der  That  das  Auftreten  des  sogenannten  Hydrops  camerae 
nicht  begreifen. 

Wenn  der  Pannus  nicht  zur  Ausdehnung  der  Cornea  führt,  so  lässt 
er  eine  Restitutio  ad  integrum  zu,  vorausgesetzt,  dass  er  einerseits  nicht 
zu  tieferer  Geschwürsbildn.ng,  anderseits  nicht  zur  Umwandlung  des  Exsu- 
dates in  stationäres  Narben-  oder  Fasergeivebe  geführt  hat.  Nach  län- 
gerem Bestände  organisirt  sich  nämlich  das  Exsudat,  und  schrumpft  zu 
einem  dünnen,  halbdurchsichligen,  sehnenartig  glänzenden,  unveränder- 
lichen Überzuge,  welchen  schon  Piringer  als  unheilbar  erkannt,  und 
Pannus  siecus  genannt  hat.  Zum  Glück  reicht  derselbe  selten  bis  vor  die 
Pupille  herab. 

Dieselbe  Form,  welche  wir  als  Conjunctivitis  scrofulosa  beschrieben 
haben,  pflegt  nicht  selten  dem  Auftreten  des  Trachoma  vorauszugehen, 
und  noch  häufiger  während  der  verschiedenen  Grade  und  Stadien  des- 
selben zu  intercurriren.  Oft  lange,  nachdem  der  grösste  Theil  des  Ex- 
sudates und  der  Gefässe  von  der  Oberfläche  der  Cornea  verschwunden 
sind,  sieht  man  leichte  Abschliffe,  sogenannte  Resorptionsgeschwüre  fort- 
bestehen, welche  oft  nur  beim  Spiegeln  der  Cornea  wahrnehmbar  werden, 
sich  äusserst  langsam  ausfüllen,  und  oberflächliche  Trübungen  für  lange 
oder  für  immer  zurücklassen.  In  andern  Fällen  führt  die  rasche  Schmel- 
zung dieser  umschriebenen  Exsudate  ganz  auf  dieselbe  Weise,  wie  bei 
der  Conjunctivitis  scrofulosa,  zu  tieferen,  selbst  durchbohrenden  Geschwü- 
ren und  deren  Folgezuständen. 

Auf  andere,  als  die  bisher  besprochene  Weise,  bringt  das  Trachoma 
an  und  für  sich  dem  Auge  keine  Gefahr. 

Zerstörung  der  Cornea  durch  Malacie  oder  eitrige  Infiltration  wie  bei  der  acuten 
Bindehautblennorrhöe  habe  ich  auch  bei  den  heftigsten  Fällen  nicht  beobachtet.  Schwä- 
chung der  Sehkraft  durch  Beeinträchtigung  der  Ernährung  des  Auges,  veränderte  Pi- 
smentalablaijerunff  u.  s.  w.,  wie  Dr.  Hasner  angibt,  ist  weder  durch  untrügliche  Zeichen 
an  Lebenden,  noch  durch    Sectionen  nachgewiesen. 

Die  Krankheit  beginnt  im  untern  Lide.     Man   trifft  sehr    oft  Kranke, 

bei    denen  bloss    das  untere    Lid    leidet,    das  obere    (bis  etwa    auf  leichte 

Hyperämie    und  Schwellung    der   Bindehaut)    ganz  gesund    befunden  wird, 

hingegen    wohl  nie    einen    Fall,    wo    bei  Auflagerung    oder    Infiltration  an 

dem  obern  Lide  das  nntere    normal  gefunden  würde.     Die   Krankheit  geht 

aber   auch  am   untern   Lide    früher    zurück,    und    scheint  überhaupt,    nach 

den    consecutiven  Veränderungen   zu  schliessen,    hier  öfters    sich  mehr  in 

q* 


132  Bindehaut. 

oberflächlicher  Exsudalion  zu  erschöpfen,  als  in  die  Tiefe  zu  greifen. 
In  der  Mehrzahl  inveterirter  Fälle,  die  dem  Arzte  zu  Gesichte  kommen, 
sind  die  Körner  am  untern  Lide  bereits  geschwunden,  die  Bindehaut  er- 
scheint dann  über  dem  schmalen  Knorpel  entweder  gleichmässig  dunkel- 
roth  und  sammtartig  aufgelockert,  allenfalls  gegen  die  Winkel  hin  noch 
mit  einem  oder  dem  andern  blassen  Korne  versehen,  oder  stellenweise 
wie  mit  Milch  überzogen,  und  der  Übergangstheil  ist  verstrichen,  wenn 
nicht  schon  Symblepharon  posterius  beginnt.  In  solchen  Fällen  kann  man 
leicht  glauben,  man  habe  einen  chronischen  Katarrh  vor  sich,  wenn  man 
das  obere  Lid  nicht  umstülpt,  und  auch  hier  seine  Aufmerksamkeit  vor- 
züglich auf  den  Übergangstheil  richtet,  denn  auch  hier  können  die  ge- 
nannten Körner  über  dem  Tarsus  bereits  geschwunden  sein,  während  sie 
im  Übergangstheile  noch  fortbestehen. 

Nur  in  Fällen,  welche  mehr  acut  aufgetreten  zu  sein  scheinen, 
findet  man  die  genannten  Körner  und  die  dadurch  eingeleiteten  Ver- 
änderungen am  obern  und  untern  Lide  so  ziemlich  auf  gleicher  Entwick- 
lungsstufe. 

Niemals,  die  Körner  mögen  noch  so  gross  und  zahlreich  sein,  ent- 
steht in  Folge  dieser  Krankheit  Ektropium,  sehr  leicht  dagegen,  wenn 
spontane  Schrumpfung  eintritt,  Trichiasis  oder  Entropium,  häufig  Symble- 
pharon posterius,  in  seltenen  Fällen  selbst  Xerophthalmus. 

Dieses  verschiedene  Verhalten  in  Bezug  auf  Verlauf  und  Ausgänge 
bietet  eines  der  wesentlichsten  Unterscheidungsmerkmale  dieser  Krankheit 
von  der  Blennorrhoe,  mit  welcher  sie  so  häufig  zusammengeworfen  wurde. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Das  Vorkommen  des  Trachoma, 
dieser  zusammenhängenden  Beihe  krankhafter  Erscheinungen,  welche  wir 
in  den  vorhergehenden  beiden  Absätzen  beschrieben  haben,  steht  in  einem 
so  auffallenden  Verhältnisse  zu  dem  Vorkommen  der  Scrofulosis  und  Tu- 
berculosis, dass  eine  innigere  Beziehung  zu  diesem  Allgemeinleiden  nicht 
in  Abrede  gestellt  werden  kann. 

Es  soll  hieniit  nicht  gesagt  sein,  dass  solche  Exsudate,  wie  wir  sie  so  eben 
kennen  gelernt,  unmittelbar  das  Ergebniss  einer  fehlerhaften  Blutmischung  seien;  es 
soll  nicht  gesagt  sein,  dass  diese  Exsudate  selbst  vielleicht  scrofulöse  oder  tuberculöse 
Ablagerungen  in  der  Bindehaut  seien,  denn  sie  kommen  erwiesener  Maassen  auch  bei 
solchen  Individuen  vor,  bei  denen  sich  nie,  weder  zur  Zeit,  noch  vor,  noch  nach  dem 
Auftreten  des  Augenleidens  eine  solche  Dyskrasie  anderweitig  nachweisen  lässt,  und 
wir  sind  weder  mit  freiem  Auge,  noch  mit  der  Loupe  oder  mit  dem  Mikroskope  im 
Stande,  in  der  Form,  Structur,  oder  den  Metamorphosen  einen  namhaften  Unterschied 
dieser  sogenannten  Granulation  anzugehen,  gleichviel  ob  sie  bei  innerlich  gesunden 
Individuen    (bei    Katarrh    und    Blennorrhoe)    oder   bei    ausgesprochenem    A'llgenieinleiden 


Trachoma  —  Vorkommen  —  Ursachen.  133 

vorkommen.  Aber  der  Grund,  dass  diese  anfänglich  so  wie  heim  Katarrh  und  der 
Blennorrhoe  nur  oberflächlich  abgelagerten  Exsudate  endlich  auch  das  Farenchym  der 
Bindehaut,  den  Knorpel,  den  submucösen  Zellstoff  und  die  Cornea  einnehmen,  liegt 
eben  in  dem  Umstände,  dass  die  Augenentzündung'  zuletzt  durch  ein  Allgemeinleiden 
bedingt  ist  Und  eben  das  auf  diese  Weise  zu  •Stande  gekommene  entzündliche  Bindc- 
hautleiden  mit  diesen  körnigen  Exsudaten  und  seinem  immer  eigenthümlicher  gestalte- 
tten  Verlaufe,  je  weiter  es  gediehen  ist,  haben  wir,  um  es  als  von  andern  ähnlichen 
wesentlich  verschieden  zu,  bezeichnen,  Trachoma  genannt.  Will  man  aber  den  Aus- 
druck Trachoma  überall  in  Anwendung  bringen ,  wo  man  die  in  Rede  stehenden  Ex- 
sudate vorfindet,  dann  unterscheide  man  nur,  ob  das  Übel  bloss  durch  äussere  Momente 
(unreine  Luft,  Contagium  etc.)  allein,  oder  durch  innere  Ursachen  vorwaltend  bedingt 
sei;  man  bediene  sich  dann  etwa,  um  diesen  für  den  Arzt  gewiss  wichtigsten  Unter- 
schied anzudeuten,  allenfalls  der  Ausdrücke:  Trachoma  catarrhale,  blennorrhoicum, 
scrofulosum,  und  füge  noch  hinzu,  dass  die  erstem  beiden  erfahrungsgemäss  jene  Me- 
amorphosen  nicht  herbeiführen,  welche  das  letztere  bei  langer  Dauer  fast  constant 
nach  sich  zieht. 

Das  Trachoma  entwickelt  sich  beim  Vorhandensein  dieser  Anlage 
spontan,  in  Folge  des  Allgemeinleidens  allein,  oder  auf  verschiedene 
äussere  Veranlassungen,  welche  theils  auf  das  Auge,  theils  auf  den  Ge- 
sammtorganismus  nachtheilig  einwirken. 

Bisweilen  geben  traumatische  Eingriffe  den  Anstoss  zur  Entwick- 
lung desselben,  häufiger  Verkältung,  am  häufigsten  unreine  Luft,  der 
Aufenthalt  in  feuchten,  dumpfigen,  wenig  gelüfteten,  mit  Menschen  über- 
füllten Localitäten,  dürftige  und  schlechte  Nahrung,  kümmerliche  Lebens- 
verhältnisse überhaupt.  Die  Krankheit  kommt  unverkennbar  unter  Leuten, 
die  in  dürftigen  Umständen  leben,  bei  weitem  häufiger  vor,  als  bei  wohl- 
habenden, obwohl  auch  diese  nicht  davon  verschont  bleiben,  sobald  sie 
Einflüssen  ausgesetzt  werden,  welche  die  Constitution  des  Körpers  her- 
unterbringen. 

Rücksichtlich  des  Alters  fällt  die  Zeit  der  Entstehung  am  häufigsten 
mit  den  Jahren  des  Mannbarwerdens  zusammen,  und  zwar  vor  dem  Zu- 
standekommen desselben.  Bei  Kindern  unter  5  Jahren  kommt  es  —  nach 
meinen  bisherigen  Beobachtungen  —  gar  nicht,  und  von  da  bis  zum  12. 
Jahre  auch  nur  ausnahmsweise  vor.  Im  Mannes-  und  Greisenalter  ent- 
wickelt es  sich  sehr  selten ;  bei  Individuen  dieses  Alters  datirt  es 
meistens  aus  einer  früheren  Periode  ;  doch  kommen  mitunter  Fälle  vor,  wo 
das  erste  Auftreten  in  die  Zeit  der  Involution  (der  klimakterischen  Jahre) 
fällt.  —  Es  liegen  mir  mehrere  Beobachtungen  vor,  aus  denen  ich,  theils 
nach  den  consecutiven  Veränderungen  am  Auge,  theils  nach  den  An- 
gaben der  betreffenden  Kranken  annehmen  muss,  dass  diese  in  den 
Jünglingsjahren   an  Trachoma    litten,  denn  durch  15—20  Jahre  von  dem- 


134  Bindehaut. 

selben  wenigstens  scheinbar  geheilt,  i.  e.  von  entzündlichen  Zufällen  ver- 
schont blieben,  und  erst  zur  Zeit  der  Involution  neuerdings  von  solchen 
Zufällen,  namentlich  von  Ablagerung  auf  der  Cornea  (Pannus)  befallen 
wurden.  Es  kehrten  Leute,  welche  in  der  hiesigen  Klinik  vor  15 — 20 
Jahren  an  sogenannter  chron.  Blennorrhoe  (Fischer)  behandelt  und  nach 
Abtragung  des  Haarzwiebelbodens  (wegen  Trichiasis  oder  Entropium)  ge- 
heilt entlassen  worden  waren,  und  sich  Jahre  lang  wohl  befunden  hatten, 
in  ihrem  spätem  Alter  mit  Trachoma  cum  panno  in  die  Anstalt  zurück. 

Es  erscheint  eniwecler  auf  beiden  Augen  zugleich,  und  schreitet  auch 
auf  beiden  in  ziemlich  gleichem  Grade  vorwärts,  oder  es  befällt  das  2. 
Auge  erst  nach  längerer  Dauer  auf  dem  erst  ergriffenen.  Nur  selten 
bleibt  es  Monate  lang  auf  ein  Auge  beschränkt,  und  niemals  noch  kam 
mir  ein  Fall  von  weit  gediehenem  Trachom  (mit  Schrumpfung)  des  einen 
Auges  bei  noch  ganz  frei  gebliebener  Bindehaut  des  andern  Auges  vor. 

Bei  mehr  als  zwei  Dritteln  der  Kranken,  welche  ich  an  Trachoma 
zu  behandeln  hatte,  und  von  denen  mir  genaue  Erhebungen  vorliegen, 
bot  entweder  der  Status  praesens  oder  die  Anamnesis  unzweideutige 
Merkmale  der  Scrofulosis  dar.  Bei  vielen  der  Erwachsenen  Hess  sich  Tu- 
berculosis pulmonum  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit,  bei  mehreren  mit 
Bestimmtheit  nachweisen.  Aber  auch  die  übrigen  zeigten  fast  durchge- 
hends  eine  blasse  und  aufgedunsene,  oder  erdfahle  und  welke  Haut,  ge- 
ringe und  schlafFe  Muskulatur,  Trägheit  in  den  Bewegungen  des  Körpers, 
Trägheit  in  den  Verrichtungen  des  Unterleibes.  Bei  der  Mehrzahl  der 
weiblichen  Individuen  war  die  Menstruation  ungewöhnlich  spät,  meistens 
erst  nach  dem  17.  Jahre,  eingetreten,  und  erfolgte  sofort  sparsam  oder 
unregelmässig.  Nur  eine  sehr  geringe  Zahl  konnte  für  relativ  gesund 
erklärt  werden. 

Es  findet  bei  dieser  Krankheit,  wenigstens  im  Stadium  der  Infiltration  und  noch 
mehr  in  dem  der  Schrumpfung-,  ein  gleiches  Yerhältniss  statt,  wie  bei  der  Conjuncti- 
vitis scrofulosa,  bei  der  Iritis  syphilitica  u.  s.  w.  Es  gibt  Formen,  welche  so  charak- 
teristisch sind,  dass  man  nur  das  Auge  zu  sehen  braucht,  um  zu  wissen,  was  für 
einem  Individuum  es  gehört,  dass  man  aus  den  Produkten  am  Auge  mit  Sicherheit 
auf  das  bedingende  Allgemeinleiden  zurückschliessen  kann.  Ist  aber  umgekehrt  das 
Augenleiden  weder  in  Bezug  auf  den  Befund,  noch  in  Bezug  auf  den  bisherigen  Ver- 
lauf und  die  Entstehungsweise  so  charakterisirt,  dass  man  Grund  hat,  auf  das  fragliche 
Allgemeinleidcn  als  bedingendes  Moment  zuriickzuschliessen ,  dann  können  gleichzeitig 
vorhandene  oder  vorhergegangene  sonstige  Merkmale  der  Scrofulosis  oder  Tuberculosis 
wohl  mehr  weniger  Verdacht  auf  einen  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen  dem 
örtlichen  und  diesem  allgemeinen  Leiden  erregen,  nie  aber  für  sich  allein  den  Aus- 
schlag geben. 

Bisher   habe    ich   zwar    nur    fünfmal    Gelegenheit    gehabt.    Individuen 


Trachoma  —  Vorkommen' —  Ursachen.  135 

zu  seciren.  an  denen  ich  im  Lehen  Trachoma  diagnoslicirt  hatte,  aber  alle 
zeigten  Tuberculosis  pulmonum,  oder  waren  geradezu  in  Folge  dieses 
Leidens  gestorben. 

Zu  diesen  gehören  der  oben  erwähnte  J.  Peter  (S.  126)  und  J.  S.  (S.  122).  Aus 
dem  Jahre  1844  bewahre  ich  ein  Präparat  von  Xerophthalinus  als  Ausgang  von  Tra- 
choma; es  stammt  von  einem  Maane,  bei  welchem  nebst  andern  auch  obsolete  Lungcn- 
tuberculosis  gefunden  worden  war.  —  A.  Jelinek,  45  Jahre  alt,  Taglöhnerin  aus  Kosir 
starb  am  15.  Mai  1846  an  Tuberculosis  pulm.  Ich  hatte  sie  nur  einige  Tage  vor  dem 
Tode  gesehen,  und  aus  den  consecutiven  Veränderungen  am  linken  Auge  geschlossen, 
dass  der  partielle  Xerophtalmus  des  rechten  Auges  nichts  anderes,  als  das  Ergebniss 
von  Trachoma  sein  könne.  —  An  Tuberculosis  starb  auch  der  ßuchbinderssohn  Dvorsky 
(in  der  Stadt),  bei  welchem  ich  im  Jahre  1842  wegen  Pannus  als  Folge  mehrjährigen 
Trachomas  die  Einimpfung  der  acuten  Bindehautblennorrhöe  unternommen,  jedoch  nur 
vorübergehende  Besserung  erzielt  hatte.  Seine  Mutter  und  seine  Schwester  litten  gleich- 
falls an  Trachoma  ;  bei  ersterer  waren,  als  ich  sie  in  Behandlung  nahm,  Bindehaut  und 
Lidknorpel  bereits  so  weit  geschrumpft,  dass  nach  und  nach  an  sämmtlichen  Lidern 
der  Haarzwiebelboden  hatte  abgetragen  werden  müssen  (theils  von  Herrn  Dr.  Ryba, 
theils  von  mir),  letztere  genas  unter  Touchirungen  mit  Cuprum  sulfuricum  und  ent- 
sprechender Allgemeinbehandlung  (welch  letztere  namentlich  Eisen-  und  Chinapräparate 
erforderte)  in  Zeit  von  4—5  Jahren,  und  befindet  sich  jetzt  tm  Allgemeinen  so  wohl, 
dass,  wer  ihr  jahrelanges  Kranksein  nicht  selbst  beobachtet,  kaum  glauben  würde,  sie 
sei  früher  scrofulös  (tuberculös)  gewesen,  und  nur  die  sehnigen  Streifen  der  verkürzten 
Bindehaut  und  die  Verschmälerung  der  Lidknorpel  verräth  dem  Sachkundigen  das  vor- 
ausgegangene örtliche  Uebel. 

Hat  man  Gelegenheit,  Leute  mit  Trachoma  zu  Hause,  als  Familien- 
mitglieder zu  beobachten,  so  wird  man  nicht  selten  überrascht  durch  die 
Bemerkung,  dass  mehrere  Mitglieder  der  Familie  an  Trachoma  leiden, 
oft  ohne  es  zu  wissen,  und  es  kommen  Fälle  vor,  welche  man  weder 
durch  Supponirung  eines  Contagiums,  noch  durch  die  Annahme,  dass 
dieses  Übel  durch  gemeinschaftliche  äussere  Schädlichkeiten  erzeugt  oder 
unterhalten  worden  sei,  erklären  kann,  im  Gegentheile,  man  wird  zur 
Annahme  einer  innern  Disposition  gedrängt,  welche  selbst  als  ererbt  oder 
angeboren  betrachtet  werden  muss. 

So  litt  in  der  Familie  Dworsky  auch  der  Vater,  ein  Buchbinder,  an  den  Augen, 
aber  das  Uebel  gab  sich  hier  nur  als  chronischer  Katarrh  kund,  und  obwohl  ich  den 
Mann  durch  mehr  als  6  Jahre  beobachtete ,  konnte  ich  doch  nie  solche  Exsudate,  wie 
beim  Trachoma,  und  noch  weniger  die  consecutiven  Erscheinungen  wahrnehmen.  — 
Eine  Frau  von  30  und  etlichen  Jahren,  welche  seit  beiläufig  20  Jahren  zu  verschiedenen 
Malen  durch  Zufälle  belästigt  wurde,  wie  sie  die  Leute  gewöhnlich  bei  katarrha- 
bscher  Bindehautentzündung  angeben ,  consultirte  mich  vor  4  Jahren  wege  dieses 
Übels.  Ich  fand  Trachoma,  die  Bindehaut  bereits  merklich  geschrumpft.  Nach  einiger 
Zeit  brachte  sie  mir  ihre  1 1  '/Jährige  Tochter,  welche  öfters  an  Conjunctivitis  scrofu- 
losa  leidet.      Diese   bot   an    den    untern    Lidern    das    Stadium    der    tiefern,    an  den  obern 


136  Bindehaut. 

das  der  oberflächlichen  und  solitären  Exsudatablagerung  dar.  Mit  den  Entzündungs- 
zufällen  am  Auge,  welche  sich  deutlich  als  Conjunctivitis  scrofulosa  erwiesen,  und  oft 
von  sehr  heftiger  und  hartnäckiger  'Lichtscheu  begleitet  waren ,  traten  gewöhnlich 
starke  Anschwellung  der  Oberlippe,  Excoriationen  an  den  Nasenlöchern  und  stärkere 
Anschwellung  der  Lymphdrüsen  am  Halse  ein.  Die  2.  Tochter  dieser  Frau  kam  in 
spälerer  Zeit  einmal  mit  der  älteren  Schwester  zu  mir,  „weil  ihre  Augen  auch  etwas 
roth  wären",  mit  oberflächlichen  Exsudaten  an  den  untern  Lidern ;  weiterhin  wurde 
mir  die  dritte  Tochter  wegen  einer  Struma  vorgeführt,  und  endlich  auch  die  jüngste,  6 
Jahre  alt,  beide  mit  geringer  oberflächlicher  Ablagerung.  Die  Mutter  war  erstaunt, 
dass  ich  auch  diese  beiden  für  angenkrank  erklärte.  Der  Vater  ist  gesund,  ebenso  der 
Dienstbote,  welchem  die  Kinder ,  da  die  Mutter  wenig  zu  Hause  ist,  den  ganzen  Tag 
überlassen  sind.  —  In  andern  Fällen  leidet  ein  und  das  andere  Glied  der  Familie  an 
Trachoma,  andere  dagegen  an  andern  krankhaften  Erscheinungen,  welche  wir  als  Aus- 
druck der  Scrofulosis  zu  betrachten  berechtigt  sind.  —  Eine  Jüdin  vom  Lande  litt  seit 
einer  langen  Reihe  von  Jahren  an  ihren  Augen;  beim  Herrannahen  der  klimakterischen 
Jahre  wurde  sie  häufiger  von  entzündlichen  Zufällen  belästigt.  Allmälig  war  Schrum- 
pfung der  Bindehaut  und  der  Knorpel  eingetreten,  und  mussten  die  Cilien  von  Zeit  zu 
Zeit  ausgezogen,  endlich  sammt  den  Zwiebeln  entfernt  werden.  Vor  3  Jahren  brachte 
sie  ihre  17jährige  Tochter  wegen  hartnäckiger  Blepharadenitis  und  theilweiser  Madarosis 
zu  mir,  und  nach  einiger  Zeit  ihren  15jährigen  Sohn,  welcher  bereits  seit  2  Jahren  bei 
einem  Kaufmann  in  der  Lehre  stand,  und  nun  wegen  beginnendem  Pannus  (Trachoma 
im  Stadium  der  tiefern  Infiltration  und  theilweise  Schrumpfung)  sich  gleichfalls  längerer 
Behandlung  unterziehen  musste.  —  Von  3  Schwestern  aus  der  Gegend  von  Pilsen  kam 
die  eine  vor  2,  die  andere  vor  1  Jahre  mit  Trachoma  und  consecutiver  Trichiasis  in's 
allgemeine  Krankenhaus.  Die  Eltern  sind  längst  todt;  die  jüngste  Schwester,  20  Jahre 
alt,  diente  bereits  seit  ihrem  14.  Jahre  in  Marienbad;  erst  dort  erkrankten  ihre  Augen, 
und  zwar  fand  ich  bei  ihr  dasselbe  Leiden,  wie  bei  ihren  beiden  altern,  ihr  übrigens 
so  ähnlichen  Schwestern,  dass  ich  sie  anfangs  mit  der  einen  verwechselte.  Sie-  war 
seit  ihrem  14.  Jahre  mit  ihre  Schwester  nicht  in  Berührung  gekommen,  und  versi- 
cherte, auch  in  Marienbad  mit  Niemanden  zusammen  gekommen  zu  sein,  von  dem  sie 
sich  etwa  hätte  anstecken  können. 

Bei  Leuten  aus  der  ärtnern  Classe,  wo  das  Trachoma  ungleich  häu- 
figer beobachtet  wird,  kann  man  leicht  auf  die  Vermuthung  kommen,  ob 
nicht  Unreinlichkeit,  dürftige  Nahrung,  Kummer  und  Elend  die  Ursachen 
seien,  dass  diese  Kranken  im  Allgemeinen  so  schlecht  aussehen.  Ich 
habe  indessen  die  Krankheit  auch  oft  bei  wohlhabenden  Leuten  gefunden, 
die  in  durchaus  günstigen  Verhältnissen  lebten,  und  diese  insbesondere 
waren  es,  welche  mich  aufmerksam  machten,  dass  ein  von  äussern  Ver- 
hältnissen mehr  weniger  unabhängiges,  ein  constitutionelles  Leiden  als 
letzte  Ursache  dieser  Augenkrankheit  angenommen  werden  müsse.  Die 
ungünstigen  äusseren  Verhältnisse,  welche  die  Armuth  mit  sich  bringt, 
wirken  theils  direct  auf  die  Bindehaut  (unreine  Luft  u.  dgl.),  theils  indi- 
rect,  durch  ihren  Einfluss  auf  die  ganze  Constitution. 


Traf  homa  —  Vorkommen  —  Ursachen.  137 

Den  Antheil,  welchen  das  innere,  constitntionelle  Leiden  an  der  Er- 
zeuouno-  dieses  Auoenübels  hat.  finden  wir  bereits  von  sehr  vielen  ßc- 
obachtern  anerkannt,  und  mehr  weniger  deutlich  bezeichnet.  So  finden 
wir  bei  Celsus  *)  folgende  denkwürdige  Stelle  :  „Haec  autem  (asperitudo) 
inflammationem  oculorum  fere  sequitur,  interdum  major,  interdum  levior; 
nonnunquam  etiam  ex  asperitudine  lippitudo  fit;  deinde  asperitudinem 
ipsam  äuget  fitque  ea  in  aliis  brevis,  in  aliis  longa,  et  quae  vix  unquam 
finiatur.  In  hoc  gener e  valetudinis  quidam  crassas  durasque  palpebras 
et  ßculneo  folio  et  asperato  specillo,  et  interdum  scalpello  eradunt,  ver- 
sasque  quotidie  medicamentis  suffricant.  Quae  neque  nisi  in  magna  ve- 
tustaque  asperitudine,  neque  saepe  facienda  sunt.  Nam  melius  eodem  ratione 
virtus  et  idoneis  medicamentis  pervenifur."  Diese  Stelle  enthält  unsere 
Lehre  vom  Trachoma  gleichsam  in  nuce.  Wer  nur  einige  Übersicht  über 
die  Krankheiten  hat,  welche  am  Auge  vorkommen,  kann  nicht  verkennen, 
dass  die  Palpebrae  durae,  crassae  et  intus  asperae  nichts  anders  bedeuten 
können,  als  Trachom  im  Stadium  der  tiefern  Infiltration.  Auch  das  Ver- 
halten der  Krankheit  in  Bezug  auf  die  entzündlichen  Zufälle  ist  in  dieser 
Stelle  genau  so  angedeutet,  wie  wir  es  heute  bei  den  Fällen  finden,  die 
wir  als  Trachoma  bezeichnen.  Und  bei  dieser  Krankheit  wird  nun  ge- 
warnt, sich  zu  viel  auf  örtliche  Mittel  zu  stützen;  es  wird  die  Diät  (im 
weitern  Sinne  des  Wortes)  und  die  Verabreichung  passender  Arznei- 
mittel als  wichtiger,  zweckmässiger  erklärt,  der  Einfluss,  den  ein  Allge- 
meinleiden auf  das  örtliche  Übel  übt,  bestimmt  anerkannt.  Kann  man 
nicht  läugnen,  dass  Celsus  die  Krankheit  in  Bezug  auf  ihre  Erscheinungen 
und  auf  ihren  Verlauf  der  Hauptsache  nach  richtig,  ich  möchte  sagen 
classisch,  gezeichnet  habe,  so  darf  man  wohl  auch  annehmen,  dass  seine 
Worte  über  die  Therapie  auf  richtige  Beobachtungen  gestützt  seien;  und 
könnte  man  auch  die  Worte  „ratione  victus"  anderweitig  deuten,  die 
Worte  „idoneis  medicamentis"  können  nur  auf  ein  inneres  Leiden  als 
Ursache  dieses  Augenübels  bezogen  werden.  Rosas  **)  unterscheidet  das 
secundäre  Trachom  von  dem  primären,  und  bezeichnet  letzteres  als  ein 
kacheklisches  Leiden,  welches,  sobald  es  bei  kachektischen  Individuen 
vorkomme,  leicht  wiederkehre,  so  lange,  als  der  allgemeine  krankhafte 
Zustand  fortbestehe. 

Wer  durch  eine  Reihe  von  Jahren  Gelegenheit  hatte,  verschiedene 
Augenkrankheiten    zu   beobachten,    der    wird    finden,    dass    das,    was    die 


")  De  "re  medica,    1.  VI. 
•*)   Handbuch   der  Augenheilkunde.  Wien   1-530,    II.    S.  300. 


138  Bindehaut. 

Auetoren  Pannus  genannt  haben,  im  Allgemeinen  am  häufigsten  als 
Symptom,  als  Theilerscheinung  des  Trachorna  vorkommt,  und  dass  somit, 
wenn  dieselben  von  Allgemeinleiden  als  Ursache  des  Pannus  sprechen, 
diese  Behauptung  vorzugsweise  auf  das  Trachom  zu  beziehen  ist.  *) 

Bei  der  Prognosis  kommen  jederzeit  alle  die  Momente  zur  Be- 
rücksichtigung und  Combination,  welche  wir  in  Bezug  auf  den  Grad,  den 
Verlauf  und  die  Ausgänge,  so  wie  auf  die  disponirenden,  excitirenden  und 
unterhaltenden  Verhältnisse  besprochen  haben.  Bei  keiner  andern  Krankheit 
der  Bindehaut  wird  es  in  der  Regel  so  schwer  sein,  sich  über  die  wahr- 
scheinliche Dauer  auszusprechen,  wie  hier,  wo  man  gar  oft,  wenn  die 
Beseitigung  der  entzündlichen  Zufälle  und  der  Exsudate  an  den  Lidern, 
auf  der  Cornea,  nach  Wochen-,  Monate-langer  Behandlung  gelungen  ist, 
trotz  der  sorgfältigen  Regelung  und  Überwachung  der  diätetischen  Ver- 
hältnisse plötzlich  durch  einen  frischen  Nachschub  (an  den  Lidern,  auf  der 
Cornea)  auf  den  alten  Standpunkt  zurückgeworfen  wird.  Ist  man  nun  selbst 
unter  den  günstigsten  äussern  Verhältnissen  vor  Rückfällen  nicht  sicher, 
so  ist  man  es  im  Allgemeinen  um  so  weniger,  wenn,  wie  das  am  häu- 
figsten der  Fall  ist,  es  absolut  unmöglich  ist,  die  Diät  —  im  weitern 
Sinne  des  Wortes  —  gehörig  zu  reguliren.  Leute,  die  mit  ganz  glatter 
Binde-  und  Hornhaut  aus  der  Behandlung  entlassen  wurden,  kehren  nicht 
selten  über  kurz  oder  lang  mit  dem  frühem  Zustande,  oder,  wenn  -die 
geschrumpfte  und  verkürzte  (grösstenteils  oder  ganz  in  Narbengewebe 
verwandelte)  Bindehaut  zu  neuen  Ablagerungen  gleichsam  unfähig  ge- 
worden ist,  mit  einem  mehr  weniger  ausgebreiteten  und  mächtigen  Pannus 
zurück.  Nur  mit  dem  Eintreten  eines  bessern  Aussehens  des  Kranken, 
mit  den  Zeichen  der  Besserung  oder  Behebung  des  Allgemeinleidens 
kann  man  auf  dauernde  oder  bleibende  Beseitigung  des  örtlichen  Übels 
rechnen.  Andererseits  ist  nicht  zu  übersehen,  dass  der  einmal  eingeleitete 
örtliche  Process,  auch  wenn  die  äussern  und  innern  Verhällnisse  des 
Kranken  sich  günstiger  gestaltet  haben,  an  und  für  sich  von  der  Art  ist, 
dass  er  Wochen,  Monate  zur  Rückbildung  erfordert,  und  dass  sich  diese 
Rückhildung  nur  gleichsam  reguliren  und  befördern,  keineswegs  erzwingen, 
präeipitiren  lässt.  Bei  der  Stellung  der  Prognose,  bei  der  Belehrung,  dass 
diese  Krankheit  einer  sorgfältigen  Bflege  und  ärztlichen  Behandlung  be- 
dürfe,   wenn    sie    ohne  Gefahr   für  das   Auge  ablaufen  soll,    vergesse  der 


*)  Vcrgl.  Walther  Lehre  von  den  Augenkrankheiten,  1819,  I!.  S.  312,  Andrae  Augenheilkunde,  1946,  II.  S.  414. 
Fischer  ktin.  Unterricht,  1832,  S.  t'<$,  Piringer  I.  ovo.  121,  Beer  Lehre  von  den  Augenkrankheiten,  1817,  S. 
031   II.  m.    A. 


Trachoma  —  Prognosis  —  Therapie.  139 

Arzt  nie,  dass  es  mitunter  Fälle  gibt,  wo  selbst  der  2.  Grad  der  Krank- 
heit am  Ende  von  selbst  und  ohne  wesentliche  bleibende  Naehtheile 
verschwindet. 

Behandlung.  So  wie  man  einen  Kranken  mit  Trachoma  in  Be- 
handlung nimmt,  lenke  man  sein  Augenmerk  vor  allem  auf  die  Verhält- 
nisse, unter  deren  Einflüsse  derselbe  lebt.  Welche  Momente  hier  vorzüglich 
zu  berücksichtigen  seien,  bedarf  nach  dem  bisher  Gesagten  wohl  keiner 
weitern  Auseinandersetzung,  und  es  möge  hierüber  nur  noch  das  reca- 
pitulirt  werden,  was  bei  der  Behandlung  der  Conjunctivitis  scrofulosa  in 
dieser  Beziehung  bemerkt  wurde.  Insbesondere  aber  will  ich  noch  darauf 
aufmerksam  machen,  dass  nächst  der  Regulirung  der  Diät  im  weitesten 
Sinne  des  Wortes,  so  weit  sie  nur  zulässig  ist,  die  Aufheiterung  des  Ge- 
rn Utk  es  eine  Hauptsache  für  die  Behandlung  bildet.  Diese  Kranken,  welche 
gewöhnlich  erst  nach  Monate-,  Jahre-langer  Dauer  zum  Arzte  kommen, 
und  zwar  erst  dann,  wenn  sie  durch  wiederholte  entzündliche  Anfälle  oder 
durch  pannöse  Trübung  der  Hornhaut  in  ihren  Verrichtungen  gehindert 
werden,  oder  wenn  sie  bereits  nicht  mehr  ohne  Führer  herumgehen 
können,  sind  in  der  Regel  theils  äusserst  kleinmüthig,  theils  in  Folge  von 
allerhand  fruchtlosen  Heilversuchen  höchst  unschlüssig  und  unbeständig. 
Man  mache  also  einem  solchen  Kranken  vor  allem  andern  begreiflich,  wie 
das  Eine  nicht  minder  als  das  Andere  jeden  Heilversuch  paralysire,  man 
fordere  Zutrauen  und  Ausdauer  auch  für  den  Fall,  dass  die  Cur  länger 
dauern,  die  Heilung  durch  unverschuldete  Rückfälle  verzögert  werden  sollte. 

Das  zweite  Moment  der  Behandlung  bildet  die  genaue  Berücksich- 
tigung des  Allgemeinbefindens  des  Kranken,  welches  dann  theils  für  die 
Diät,  theils  für  die  zu  verabreichenden  Medicamente  maassgebend  sein 
wird,  wenn  irgend  Abnormitäten  vorhanden  sind,  welche  auf  das  örtliche 
Leiden  einen  Einfluss  nehmen  können.  Die  allgemeine  Behandlung  wird 
sich  nach  dem,  was  über  die  Beziehung  des  Trachoma  zum  Gesammt- 
organismus  und  zu  den  Schädlichkeiten,  welche  diesen  treffen,  gesagt 
wurde,  im  Allgemeinen  und  im  Besondern  dem  praktischen  Arzte  von 
selbst  ergeben.  Bald  wird  Entfernung  aus  ungünstigen  Verhältnissen  das 
Wirksamste  sein,  bald  werden  Purgantia  oder  Solventia  speciellen  Indi- 
cationen  entsprechen,  bald  endlich  die  sogenannten  Emenagoga  oder  Ro- 
borantia,  namentlich  Tonica  am  ehesten  den  Zustand  des  Gesammtorga- 
nismus  zu  verbessern  die  meiste  Aussicht  geben.  (Vergl.  das  über  die 
Behandlung  der  Scrofulosis  S.  98 — 106  Gesagte.) 

In  Bezug  auf  die  örtlichen  Erscheinungen  ist  zu  unterscheiden,  ob 
entzündliche  Zufälle    als  Begleiter    frischer   Infiltration    oder    als    zufällige 


140  Bindehaut. 

Complicalionen  vorhanden  sind.  Erstere  vertragen  durchaus  keine  ört- 
lichen Mittel,  namentlich  keinerlei  Augenwässer.  Am  besten  werden  sie 
durch  Darreichung  entsprechender  Abführmittel  und  durch  Einreibungen 
von  Mercurialsalben  an  die  Stirne  und  Schläfe,  der  Lichtscheu  entspre- 
chend mit  Extr.  hyosciam.  oder  beilad.  versetzt,  beschwichtigt.  Örtliche 
Blutentziehungen  werden  selten,  allgemeine  niemals  noth wendig;  kalte 
Umschläge  habe  ich  nie  versucht,  wohl  aber  von  Laien  oft  fruchtlos  an- 
wenden sehen.  Diese  Erscheinungen,  namentlich  Lichtscheu.  Thränenfluss 
und  Schmerzen  im  Auge  und  im  ganzen  Kopfe,  sind  bisweilen  nicht  nur 
äusserst  heftig,  sondern  auch  so  hartnäckig,  dass  am  Ende  kein  Mittel 
anschlägt,  wie  z.  B.  in  dem  Falle,  den  Professor  Fischer  in  seinem  Lehr- 
buche, Prag  1846  S.  141,  beschrieben  hat,  oder  der,  den  Eble  (1.  c. 
1828)  S.  82  anführt.  Man  hüte  sich  in  solchen  Fällen,  das  constitutio- 
nelle  Leiden  über  dem  örtlichen  ausser  Acht  zu  lassen,  dieses  auf  Kosten 
des  Gesammtorganismus  durch  stark  eingreifende  Mittel  brechen  zu  wollen. 
—  Man  überzeuge  sich  überdiess  jedesmal,  ob  solche  heftige  Zufälle 
nicht  etwa  durch  die  Einwärtswendung  von  Cilien,  oder  durch  einen 
fremden  Körper  erregt  und  unterhalten  werden,  oder  ob  etwa  eine  Com- 
plicalion,  z.  B.  Iritis  vorhanden  sei.  —  Sind  diese  heftigen  Zufälle  so 
weit  gemildert,  dass  es  möglich  wird,  das  obere  Lid  zu  umstülpen,  so 
nehme  man,  wenn  nicht  etwa  Hornhautgeschwüre  mit  heftig  entzündlichem 
Charakter,  oder  frischer  Durchbruch  der  Hornhaut  und  Irisvorfall  vor- 
handen sind,  keinen  Anstand,  die  Körner  mit  einem  Stück  Lapis  oder  Cu- 
prum sulfuricum  zu  touchiren,  da  die  Erfahrung  gezeigt  hat,  dass  man 
dadurch  den  Rest  jener  Zufälle  oft  schnell  beseitigt. 

Beim  Bestreichen  der  Exsudathügel  auf  und  in  der  Bindehaut  mit 
Lapis  infernalis  oder  mit  Cuprum  sulfuricum  darf  man  nie  ausser  Acht 
lassen,  dass  man  nicht  so  sehr  durch  Ätzung  zerstören,  als  vielmehr 
durch  einen  gewissen  Grad  von  Reizung  schnellere  Resorption  einleiten 
will.  Ob  man  täglich  touchiren  soll,  und  wie  stark,  das  kann  immer 
nur  nach  der  Wirkung  der  letzten  Application  des  Mittels  bestimmt  werden. 
Das  Auge  muss  sich  von  der  jeweiligen  Reizung  stets  wieder  erholt 
haben,  und  es  müssen  während  des  Zeitraumes,  wo  die  Touchirungen  vor- 
genommen werden,  die  entzündlichen  Zufälle,  namentlich  die  Röthe,  Licht- 
scheu u.  dgl.,  von  Zeit  zu  Zeit  merklich  abnehmen,  sonst  hat  man  Grund 
zu  vermulhen,  dass  man  zu  slark  oder  zu  oft  touchirt.  Nicht  immer  ist 
es  nothwendig,  die  ganze  Lidfläche  zu  touchiren ;  oft  wird  es  gerathen 
sein,  nur  das  eine  Lid  zu  bestreichen.  Es  gibt  Fälle,  in  welchen  das 
Touchiren    weder    mit   Lapis    noch    mit    Cuprum,    vertragen*   wird,    und  in 


Trachoma  —  Therapie.  141 

andern  Fällen  kann  der  Arzt  nicht  hinreichend  oft  zum  Kranken  kommen, 
um  die  Touchirungen  vorzunehmen.  In  solchen  Fällen  lasse  man  eine 
Salbe  aus  3 — 6  Gran  weissem  Präcipitat  (auf  1  Drachme)  an  die  äussere 
Fläche  der  Lider,  oder  eine  aus  1 — 4  Gran  (allmälig  steigend)  an  deren 
innere  Fläche  einstreichen,  was  am  besten  mittelst  des  Fingers  geschieht. 
Dieses  Mittel  führt  jedoch  im  Allgemeinen  langsamer  zum  Ziele,  nützt 
wohl  auch  gar  nichts,  selbst  bei  gehöriger  Anwendung.  Etwa  vorhan- 
dener Pannus  contraindicirt  diese  Salbe  keineswegs,  wie  man  behauptet 
hat.  Ich  habe  namentlich  auf  Professor  Fischer's  Klinik  unläugbare  Wir- 
kung davon  gesehen,  bediene  mich  jedoch  im  Allgemeinen  am  liebsten 
des  Cuprum,  oder  des  mit  Gummi  arab.  vermischten  Lapis. 

Der  Nutzen  dieser  Behandlung  der  mit  Exsudaten  durchsetzten  Binde- 
haut besteht  darin,  dass  so  rasch  als  möglich  Resorption  derselben 
(thejlweise  auch  Zerstörung)  eingeleitet,  mithin  (abgesehen  von  der  Ab- 
wendung der  Gefahren,  welche  der  Cornea  aus  -dem  langen  Bestehen  der 
Krankheit  erwachsen)  die  Verdrängung,  die  Atrophirung  der  Elemente  der 
Bindehaut  durch  diese  Neugebilde  so  viel  und  so  zeitig  als  möglich  ver- 
hütet, und  hiermit  die  traurigen  Folgen  dieser  Verschrumnfung  der  Binde- 
haut und  des  Knorpels  (Trichiasis,  Entropium,  Xerophthalmus)  möglichst 
abgehalten  oder  beschränkt  werden. 

Der  Pannus,  in  der  Regel  das  Übel,  das  den  Kranken  trieb,  ärzt- 
liche Hilfe  zu  suchen,  weicht  im  Allgemeinen  mit  den  Exsudaten  in  der 
Lidbindehaut  gleichen  Schrittes  zurück,  besteht  indess  manchmal  hart- 
näckig fort,  oder  entwickelt  (verschlimmert)  sich  von  neuem,  auch  wenn 
die  Lider  bereits  glatt  geworden  sind.  Ich  habe  bereits  einen  Fall  an- 
geführt, wo  ich  keinen  Anstand  nahm,  die  Exsudate  auf  der  Cornea  selbst 
mit  dem  Lapis  zu  ätzen  und  nachträglich  Nitras  argenti  einzuträufeln.  In 
der  Regel  reichen  die  Touchirungen  der  Lider  hin,  auch  den  Pannus 
schwinden  zu  machen.  Einträuflungen  von  Laudanum  liq.  Sydenh.,  z.  B. 
Abends,  wenn  man  Morgens  touchirt  hat,  pflegen  die  Heilung  des  Pannus 
sehr  vortheilhaft  zu  unterstützen.  Scarificationen  der  zur  Cornea  lau- 
fenden Gefässe  hielt  ich  a  priori  für  unnütz ,  und  Circumcisionen  der 
Cornea  für  zu  wenig  gleichgiltig ,  als  dass  ich  mich  dazu  hätte  ent- 
schliessen  können,  ohne  vorher  alles  Andere  versucht  zu  haben.  Die 
Bindehaut  schrumpft  ohnehin  leider  nur  zu  oft;  wie  könnte  man  sich  da 
ohne  die  grösste  Noth  entschliessen,  Stücke  aus  der  Bindehaut  auszu- 
schneiden oder  durch  Umkreisen  der  Cornea  mit  Lapis  zu  zerstören? 
Dagegen  habe  ich  auf  Fr.  Jägers  und  besonders  auf  Piringers  Versuche 
und    genaue   Angaben    gestützt,    mich    nicht  gescheut,    die  Heilung   ver- 


142  Bindehaut. 

zweifelter  Fälle  von  Pannus  durch  Impfung-  blennorrhoischen  Secretes  zu 
versuchen,  und  in  den  3  Fällen,  wo  ich  sie  vorgenommen,  nicht  Ursache 
gehabt,  dieses  Mittel  als  zu  riskant  zu  verwerfen.  Man  sei  nur  vorsichtig 
in  Bezug  auf  die  Wahl  des  Impfstoffes.  (Vergl.  S.  41,  über  die  Eigen- 
schaften des  blenn.  Secretes.)  Die  Impfung  nützt  nichts,  wenn  nicht  eine 
Blennorrhoe  höhern  Grades  hervorgerufen  wird,  doch  würde  es  auch  ge- 
fehlt sein,  den  Impfstoff  von  einer  Blennorrhoe  zu  nehmen,  die  eben  zum 
3.  Grade  steigt,  oder  mit  Zerstörung  der  Cornea  verläuft. 

Nachdem  der  Pannus  der  Hauptsache  nach  verschwunden  ist,  bleiben 
oft  durch  längere  Zeit  leichte  Trübungen  oder  kleine  Tacetten  zurück, 
welche  das  Gesicht  mehr  weniger  beeinträchtigen.  Man  lasse  die  Kranken 
so  viel  als  möglich  sich  im  Freien  bewegen,  wie  überhaupt  während  der 
ganzen  Cur,  und  setze  entweder  die  zeitweiligen  Einträufelungen  von 
Laudanum  liquid.  Sydenh.  oder  Lapis  inf.  fort,  oder  lasse  eine  massig 
starke  weisse  Präcipitatsalbe  an  die  äussere  Fläche  der  Lider  einstreichen. 
—  Entstehen  im  Verlaufe  des  Trachoma  mit  Panuusbildung  tiefere  oder 
selbst  durchbohrende  Geschwüre  der  Hornhaut,  so  ist  der  Fall  nach  den 
S.  103  gegebenen  Momenten  zu  beurtheilen  und  zu  behandeln. 

Der  sogenannte  Pannus  siccus  widersteht  selbst  der  Impfung.  Die 
callöse  Verdickung  des  Epitheliums  nach  anhaltender  Reibung  der  Cornea 
habe  ich  in  2  Fällen  durch  Abtragung  mit  dem  Staarmesser  unschädlich 
zu  machen  gesucht;  doch  blieb  die  Stelle  nachher  trüb;  hingegen  hellte 
sich  in  einem  Falle  (der  Zustand  kommt  eben  nur  sehr  selten  vor)  eine 
derartige  Trübung  bedeutend  auf,  und  dürfte  vielleicht  mit  der  Zeit  ganz 
geschwunden  sein  unter  dem  fortgesetzten  Gebrauche  der  weissen  Prä- 
cipitatsalbe an  die  Lidränder. 

Unheilbar  ist  die  consecutive  Ausdehnung  der  Cornea,  sobald  sie 
einigermassen  beträchtlich  geworden  ist.  In  zwei  solchen  Fällen  trat  beim 
Einreiben  von  Veratrinsalbe  (2 — 3  Gran  auf  eine  Drachme)  an  die  Stirn 
und  Schläfe,  in  einigen  andern  beim  Gebrauche  der  Jodkalisalbe  (4 — 6 
Gran)  an  derselben  Stelle,  und  in  einem  Falle  unter  Anwendung  der  Ma- 
gnetelektricität  merkliche  Abnahme  der  Cornealwölbung  ein;  doch  sind 
meine  diessfälligen  Beobachtungen  noch  zu  wenig  zahlreich,  als  dass 
ich  diese  Veränderung-  geradezu  jenen  Mitteln  zuschreiben  dürfte,  um  so 
mehr,  da  diese  mich  in  einigen  andern  Fällen  im  Stiche  Hessen.  Fruchtlos 
dagegen  erwies  sich  die  Punction  der  Cornea,  auch  wenn  ich  sie  mehrmal 
und  in  kurzen  Zwischenräumen    (2—3  Tagen)  nach  einander  vornahm. 

Die  Blepharophimosis,  welche  in  Folge  von  Excoriationen  der  Cutis 
vom  äussern  Augenwinkel  her  enthteht,  unterhält  durch  den  häufigem  Augen- 


Traehonia —  Therapie  —  Blepharophimosis  —  Trichiasis.       143 

lidschlag  eine  beständige  Reizung  der  Bindehaut,  macht  das  so  noth- 
wendige  Umstülpen  des  obern  Lides  *)  sehr  schwierig  oder  unmöglich, 
und  kann  endlich,  auch  wenn  Bindehaut  und  Knorpel  nicht  merklich  oder 
gar  nicht  geschrumpft  sind,  zur  Einwärts  Wendung  der  Wimpern,  wenig- 
stens im  äussern  Winkel  führen.  Sie  lässt  sich  durch  ein  sehr  einfaches 
operatives  Verfahren  beheben.  Es  handelt  sich  darum,  die  abnorme  Ver- 
wachsung zu  trennen  und  die  Wiedervereinigung  zu  verhüten.  Das  Erstere 
erreicht  man  durch  Einführen  eines  gekrümmten  Spitzbistouri's  zwischen 
den  Bulbus  und  die  äussere  Commissur  bis  zum  Orbitalrande  hin  (bei 
sehr  unruhigen  Kranken  auf  einer  als  Leiter  vorgeschobenen  Hohlsonde), 
Ausstechen  in  der  Gegend  des  Orbitalrandes  und  Trennen  der  Verwach- 
sung sammt  der  äussern  Commissur  beim  Vorschieben  des  Messers 
Ist   nun   auf  diese   Weise  sowohl   am    obern    als    am   untern    Lide    eine 

a  b 

^\™^/ förmige   Wunde   gebildet,    deren    Spitze   a   nach    innen,    und 

c 

deren    Schenkelenden    b   und  c   nach  aussen  gerichtet  sind,    so    dass    die 
Wundfläche  bei  stark  auseinander   gezogenen  Lidern  etwa  folgende  Figur 

c  e , 

^i  -y6 

beschreibt       %2\S.     und    die    Blutung    gestillt,    so  erreicht  man  den    2. 


y 

Zweck  durch  Anlegung  der  blutigen  Naht,  derart,  dass  man,  wo  möglich, 
zuerst  die  Bindehaut  in  dem  Punkte  a  fasst  und  mit  b  zusammen  zu  heften 
sucht,  oder,  wo  diess  nicht  möglich,  sich  begnügt,  blos  c  mit  d,  e  mit  f, 
i  mit  k  und  g  mit  h  durch  Hefte  zu  vereinen.  Die  Punkte  f  und  g  sind 
gewöhnlich  so  gelegen,  dass  man  die  Nadel  durch  die  Bindehaut  führen, 
mithin  die  Conjunctiva  an  die  Cutis  heften  muss,  was  bekanntlich  die 
Vereinigung  per  primam  intenlii  nein  nicht  hindert.  Sollte  diess  auch  nur 
an  einem  Schenkel,  z.  B.  in  %  k  und  g  h  gelingen,  so  ist  dem  Wieder- 
eintritte der  Blepharophimosis  hinlänglich  vorgebeugt,  wie  ich  nach  zahl- 
reichen Beobachtungen   versichern  kann. 

Bei    Distichiasis,    Trichiasis    oder    Entropium    hat   die    Ausdehnung 

*)  Wenn  ich  mich  von  dem  Zustande  der  Bindehaut  am  obern  Lid  einmal  überzeugt,  und  Touchirungen  mit  Cnprum 
sulf.  für  nothwendig  erkannt  habe,  so  umstülpe  ich  das  obere  Lid  nicht  zu  jeder  Touchirung,  sondern  nnr  von 
Zeit  zu  Zeit,  um  mich  von  dem  Fortschritte  der  Heilung  zu  überzeugen.  Ich  ziehe  nämlich,  um  zu  touchiren, 
das  obere  Lid  stark  vom  Bulbus  ab,  die  Cutis  über  den  Orbitalrand  aufwärts  rollend,  und  bringe  das  etwa  1  Zoll 
lange,  3 — 4  Linien  breite  und  beiläutig  2  Linien  dicke,  vorn  wohl  abgerundete  und  geglättete  Stück  Kupfervitriol 
zwischen  Bulbus  und  Cornea  so  bis  zum  Cbergangslheile  hinauf,  dass  ich  es  beim  langsamen  Hin-  und  Herbe- 
wegen immer  gegen  das  Lid  aneedrückt  halte.  Auf  diese  Weise  werden  immer  auch  die  Exsudate  im  Ühergangs- 
theile  berührt.  Will  man  sich  dieses,  allerdings  einige  Fertigkeit  erfordernden  Manövers  nicht  bedienen,  und 
dennoch  auch  den  Übergangstheil  des  obern  Lides  touchiren,  so  fahre  man,  wie  im  12.  Bande  der  Prager  medic. 
Vjschr.  angegeben,  mit  dem  Ätzmittel  zwischen  dem  Orbitalrande  des  umstülpten  Lides  und  dem  Bulbus  2— 3mal 
von   eitlem  Winkel  zum  andern  hin  und  her. 


144  Bindehaut. 

und  der  Grad  des  Übels,  sein  Vorkommen  an  dem  obern  oder  untern 
Lide,  und  die  Bereitwilligkeit  des  Kranken,  sich  dem  einen  oder  dem 
andern  Verfahren  zu  unterziehen,  einen  wichtigen  Einfluss  auf  die 
Wahl  dieses  letztern;  nicht  minder  ist  auch  der  jeweilige  Zustand 
der  Bindehaut  zu  berücksichtigen.  —  Erscheint  die  Distichiasis  oder 
Trichiasis  partiell,  nur  auf  wenige  Cilien  beschränkt,  so  ist  wohl  im 
Allgemeinen  das  öftere  Ausziehen  derselben  mit  der  Beer'schen  Cilien- 
pincette  das  Beste,  ausser  der  Kranke  kann  dasselbe  nicht  oft  genug  vor- 
nehmen lassen  oder  selbst  vornehmen,  oder  will  ein  für  alle  Mal  davon 
befreit  sein.  Dieses  Ausziehen  kann  übrigens  auch  bei  ausgedehnter  ab- 
normer Richtung  der  Cilien  (aus  was  immer  für  Ursache)  vorge- 
nommen werden,  sobald  die  Radicalhilfe  verschmäht  wird,  oder  noch 
nicht  räthlich  erscheint ;  man  kann  20  und  mehr  Cilien  in  einer  Sitzung 
ausziehen,  ohne  dass  man  sich  vor  zu  heftiger  Reizung  zu  fürchten 
braucht.  Nach  Monate-,  Jahre-lang  wiederholtem  Ausziehen  werden  die 
nachwachsenden  Cilien  immer  dünner  und  sparsamer,  bleiben  wohl  auch 
ganz  aus.  —  Das  Abhalten  der  Cilien  mittelst  eines  gut  klebenden  Gold- 
schlägerhäutchens  oder  mittelst  Collodium  nützt  bei  dieser  Art  von  Tri- 
chiasis und  Entropium  nichts.  Wir  werden  später  darauf  zurückkommen. 
—  Radicale  Hilfe  gewähren  nur  einige  operative  Eingriffe.  Bevor  man  sich 
bei  Distichiasis,  Trichiasis  oder  Entropium,  durch  Trachoma  bedingt,  zu 
irgend  einer  Operation  entschliesst,  muss  man  den  Zustand  der  Bindehaut 
und  des  Knorpels  in  Bezug  auf  die  bereits  eingetretene  oder  mit  Grund 
noch  zu  fürchtende  Schrumpfung  und  Verkürzung  sehr  genau  prüfen. 
Hievon  hängt  zum  Theil  die  Wahl  der  Methode,  zum  Theil  auch  die  Art 
der  Ausführung  jeder  einzelnen  Methode  ab.  —  Die  hier  anwendbaren 
Operationen  haben  den  Zweck,  entweder  die  Cilien  sammt  dem  Haar- 
zwiebelboden zu  entfernen,  oder  ihnen  sammt  dem  Lidrande  eine  andere 
Stellung  zum  Bulbus  zu  geben. 

Die  älteste  Methode,  schon  von  Bartisch  und  Heister  geüht,  bestellt  in  der  Ab- 
tragung des  Haarzwiebelbodens  sammt  dem  ganzen  Lidrande,  vom  Thräncnpunkte  bis 
zur  äussern  Commissur.  Sie  setzt  somit  nocb  stärkere  Versclimälerung  des  ohnehin 
geschrumpften  Augenlides,  führt  nachträglich  leicht  zu  Lagophthalnius,  und  befreit  den 
Bulbus,  auch  wenn  dieser  Nachtheil  nicht  eintritt,  von  einem  Reize,  um  ihn  in  der 
Regel  einem  andern ,  nicht  minder  gefährlichen  auszusetzen.  Diesen  übt  theils  die 
scharfe  Kante  ,  welche  die  Narbe  bildet,  theils  die  Cutis,  welche  relativ  zur  Bindehaut 
viel  zu  lang,  sich  gern  über  den  Lidiand  gegen  den  Bulbus  überschlägt,  und  überdiess 
noch  in  Folge  der  beständigen  Befeuchtung  exeoriirt  und  mehr  schmerzhaft  wird.  — 
Beer  und  Fr.  Jäger*)  verschonten   die    Knorpel   und  die  Conjitnctiva  hei  der  Abtragung 

")  llo.sp,  iliss.   de  diagnosi  et  cura  radic.  Trfch.,   Dislich.  el  Enlröpif,  Viennae   1618. 


Trachoma  —  Therapie  —  Trichiasis.  145 

des  Haarzwiebelbodens,  indem  sie,  den  Bulbus  gleichfalls  durch  eine  unter  das  Lid  ge- 
schobene Hornplatte  schützend,  einen  etwa  1  % — 2  Linien  breiten  Hautstreifen  vom  Thrä- 
nenpunkte  bis  zur  äusseren  Commissur  mit  einem  Bauchscalpell  umschrieben,  und  den- 
selben, an  dem  einen  Ende  mit  einer  Pincette  gefasst,  sammt  den  Haarzwiebeln  in  rasch 
auf  einander  folgenden  Messerzügen  vom  Knorpel  lospräparirten.  Hiedurch  wurde  zwar 
die  Verschmälerung  des  Augeulides  und  die  nachfolgende  Einwärtswendung  der  Narbe 
vermieden,  doch  der  untere  Wundrand  oft  sehr  ungleichmässig,  leicht  zackig,  und 
die  exacte  Entfernung  aller  Haarzwiebeln  äusserst  shhwierig.  —  Flarer  in  Pavia"*) 
half  diesen  Übelständen  dadurch  ab,  dass  er,  nach  eingeführter  Hornplatte,  ein  Spitz- 
bistouri in  den  Lidrand  einsticht  (nahe  am  Thränenpunkte)  und,  den  Mündungen  der 
Meibom'schen  Drüsen  folgend,  das  etwa  1 V2  Linien  tief  eingesenkte  Messer  bis  zum 
äussern  Ende  des  Lidrandes  führt.  Er  spaltet  durch  diesen  Schnitt  den  Lidrand  auf 
1  '/j  Linien  tief  in  2  Platten,  deren  innere  die  Conjunctiva  und  den  Lidknorpel  mit  den 
Meibom'schen  Drüsen,  deren  äussere  die  Cutis,  die  Fasern  des  Muse.  Albini  und  die  Cilien 
sammt  ihren  Zwiebeln  in  sich  fasst.  Nun  führt  er,  gleich  Jäger,  einen  Schnitt  durch 
die  äussere  Platte,  zu  Anfang  und  zu  Ende  in  den  Lidrand  ausmündend ,  fasst  den 
Lappen  an  dem  einen  Ende  mit  der  Pineete,  und  hebt  ihn  einfach  ab,  oder  trennt, 
was  wohl  fast  immer  nöthig  ist,  die  noch  gebliebenen  Verbindungen  mit  dem  Messer 
oder  mit  der  Scheere.  —  Ich  habe  dieses  Verführen,  seit  es  mir  bekannt  geworden^ 
immer  dem  Beer'schen  unbedingt  vorgezogen.  Bisweilen  wird  es  nothwendig,  in  Bezug 
auf  die  eine  oder  andere  Cilie  nach  gestillter  Blutung  noch  eine  Nachlese  zu  halten ; 
die  allenfalls  zurückgebliebenen  Bulbi  verrathen  sich  auch  schon  dem  sanft  über  die 
Wunde  hinstreifenden  Finger.  —  Fröbelius  in  Petersburg'""")  verfuhr  im  Wesentlichen 
auf  dieselbe  Weise,  nur  führte  er  den  ersten  Schnitt  weiter  rückwärts,  schon  in  der 
Conjunctiva,  und  den  zweiten  halbmondförmigen  in  der  Mitte  mehr  aufwärts,  so  dass 
er  ein  2 — 3  Linien  breites  Hautstück  umschrieb,  welches  er  dann  vom  Muse,  orbicularis 
mittelst  Pincette  und  Scalpell  löste,  worauf  er  dann,  gegen  den  ersten  Schnitt  vor- 
rückend, die  Exstirpation  der  Bulbi  nach  Jäger's  Manier  vollendete.  Sofort  heftete  er  die 
Conjunctiva  an  die  Cutis,  und  versichert,  auf  diese  Weise  dem  Übelstande  des  Jäger'- 
schen  Verfahrens,  nämlich  der  bisweilen  nachfolgenden  Einwärtswendung  der  schar- 
fen Narbe,  sicher  vorgebeugt  zu  haben.  —  Vacca  Berliitghieri  führte  vom  Thränen- 
punkte bis  zum  äussern  Ende  des  Knorpels  einen  Schnitt  durch  die  Cutis,  parallel  dem 
Lidrande  und  etwa  2  Linien  von  demselbem  entfernt  und  führte  sodann  vom  innern 
und  äussern  Ende  dieses  Schnittes  je  einen  senkrechten,  also  etwa  2  Linien  langen 
Schnitt  bis  zum  Lidrande;  sodann  drang  er,  diesen  Lappen  zurückschlagend,  bis  auf 
die  Bulbi  ein,  "exstirpirte  jeden  derselben,  und  brachte  die  Cutis  wieder  in  ihre  Lage 
"zurück.  Die  ihrer  Zwiebel  beraubten  Cilien  wurden  nach  geschehener  Vertheilung 
ausgezogen,  wenn  sie  nicht  von  selbst  ausfielen.  Wie  sinnreich  auch  dieses  Verfahren, 
so  scheint  es  doch  eben  eine  nur  gut  ausgedachte,  wohl  aber  schwerlich  ausführbare 
Methode  zu  sein. 

Alle  diese  Methoden  haben  leider  den  Nachtheil,  dass  sie  das  Auge  des  Schutzes 
und  der  Zierde  berauben,  welche  die   Cilien  demselben  bieten. 

Das    schon    von  Celsas    geübte    Ausschneiden   einer   Falte   aus  der  Haut  der  Lider, 


*)  Zanerini,  dissert.  sopra  Trichiasi,    Pavia  1829. 

*)   Caspers   Wochenschrift  für  die  ges,   Hcilkde.    1845  N.    4. 

AHI,     1.  l(j 


146  Bindehaut. 

so  wie  das  Zerstören  einer  Partie  derselben  durch  Schwefelsäure  (nach  Callisen,  Hel- 
ling u.  A.)  kann  bei  der  durch  Schrumpfung  der  Bindehaut  und  des  Knorpels  beding- 
ten Einwärtswendung  der  Cilien  im  Allgemeinen  nur  einen  sehr  geringen  und  unbe- 
ständigen Pfützen  gewähren,  wenigstens  an  den  obern  Lidern,  wo  selbst  der  breiteste 
Substanzverlust  in  der  Cutis  den  vermeintlichen  Zweck,  das  Gleichgewicht  in  der 
Spannung  zwischen  Cutis  und  Conjunctiva  wieder  herzustellen,  nicht  verwirklichen 
würde.  An  den  untern  Lidern  sah  ich,  wenn  die  Knorpel  nicht  bedeutend  verbildet 
war,  mehrmals  guten  und  bleibenden  Erfolg  von  dem  einen  wie  von  dem  andern.  — 
Bei  starker  Verbildung  des  Knorpels  (am  obern  Lide)  hat  Adams  dem  Crampton'schen 
Verfahren,"")  bei  welchem  der  Augenlidrand  nächst  dem  Thränenpunkte  und  nächst 
der  äussern  Commissur  auf  2  Linien  hoch  senkrecht  gespalten,  das  Mittelstück  nach 
Aussen  gebogen ,  und  durch  Heftpflaster  bis  zur  Heilung  jener  Wunden  in  der  ge- 
hörigen Lage  erhalten  werden  soll,  dadurch  mehr  Sicherheit  des  Erfolges  zu  geben 
gesucht,  dass  er  jene  senkrecht  durch  alle  Schichten  des  Lides  geführten  Schnitte  mit- 
telst eines  Querschnittes  durch  die  Augenlidbindehaut  bis  tief  in  den  Tarsus  vereinigt, 
und  so  fort,  um  die  Auswärtsrollung  zu  bewirken  und  zu  erhalten,  eine  mehr  weniger 
breite  Falte  aus  der  Haut  des  obern  Lides  ausschneidet.  Ich  kann  aus  eigener  Erfah- 
rung kein  Urtheil  über  die  Wirksamkeit  dieeses  Verfahrens  abgeben,  da  ich  mich  seit 
dem  Jahre  1844  eines  eigenen  Verfahrens  bediene,  und  noch  nicht  Ursache  hatte,  von 
demselben  wieder  abzugehen.  Ich  habe  dasselbe  als  eine  Modification  der  von  Jäsche 
angegebenen  Methode""*)  bereits  in  der  Prager  medicinischen  Vierteljahrschrift,  1845, 
im  7.  Bande  beschrieben ;  es  besteht  in  Folgendem.  Nachdem  man  eine  Hornplatte 
unter  das  obere  Lid  gebracht,  und  selbe  einem  Gehilfen  übergeben  hat,  rollt  man  das 
obere  Lid  auf  derselben  aufwärts,  so  dass  der  Lidrand  so  weit  als  nöthig  von  der 
Platte  absteht,  sticht  ein  Spitzbistouri  nächst  dem  Thränenpunkte  mit  auswärts  gerich- 
teter Schneide  mitten  zwischen  der  äussern  und  innern  Lefze  des  Lidrandes  (da,  wo  die 
Mündungen  der  Meibom'schen  Drüsen  erscheinen)  auf  1 1/2  Linien  Tiefe  ein,  und  spaltet 
das  Lid  durch  Fortführen  des  Messers  auf  die  Art  in  eine  innere  und  äussere  Platte,  wie 
oben  bei  der  Flarer'schen  Methode  angegeben  wurde.  Alsdann  führt  man,  die  Haut 
des  Lides  über  der  Platte  gehörig  spannend ,  parallel  dem  Lidrande  und  etwa  1 V2 
höchstens  2  Linien  über  demselben,  einen  Schnitt  durch  die  äussere  Platte,  welcher  so- 
wohl nach  innen,  als  nach  aussen  um  wenigstens  eine  Linie  länger  sein  soll,  als  der 
am  Lidrande  geführte.  Indem  die  zweite  Wunde  senkrecht  auf  die  erste  geführt  wird, 
soll,  wie  bei  Flarer's  Verfahren,  die  äussere  Platte,  welche  die  Cutis,  die  Fasern  des 
Orbicularis  und  die  Cilien  sammt  ihren  Zwiebeln  zu  enthalten  hat,  falls  die  Schnitte 
gehörig  geführt  sind,  in  eine  förmliche  Brücke  verwandelt  sein,  welche  nur  zu  beiden 
Seiten  mit  dem  Lide  noch  verbunden  ist.  Wäre  diess  nicht  der  Fall,  die  Brücke,  we- 
nigstens in  der  Mitte,  nicht  verschiebbar,  so  führe  man  das  Spitzbistouri  durch  die 
obere  Wunde  so  ein,  dass  die  Spitze  in  der  untern  zum  Vorschein  kommt,  und  be- 
werkstellige durch  Fortschieben  des  Messers  die  Communication  beider  Wunden.  Ist 
diess  erreicht,  so  schreitet  man  zur  Ausschneidung  eines  halbmondförmigen  Hautstückes, 
dessen  Breite  verschieden  gross  zu  sein  hat,  je  nach  dem  Grade  der  Einwärtswendung 
des  Lidrandes    und   je    nachdem    die  Haut  mehr  weniger  schlaff  und  ausgedehnt,  gleich- 


•)  Essay  of  the  Enlropion,  London    1805 
")  MediC.  Zeit.   Russlands,   1S11   N.  9. 


Traehoiua  —  Therapie  —  Tricliiasis.  147 

sam  überschüssig  ist.  Die  Secante  des  Halbmonds  bildet  der  oben  genannte  zweite 
Schnitt;  die  Bogenlinie  beschreibt  man  als  3.  Schnitt  mit  dem  Messer,  vom  Anfange 
des  2.  Schnittes  ausgehend  und  am  Ende  desselben  endend.  Hierauf  fasst  man  die  Cutis 
an  einem  Ende  mit  der  Pincette,  und  präparirt  sie  mit  einer  krummen  Scheere  oder  mit  dem 
31esser  von  M.  orbicularis  los.  Sollte  letzterer  muthmasslicher  Weise  in  Folge  der  habituellen 
Contraction  zur  Unterhaltung  des  Entropiums  beitragen ,  stärker  entwickelt  sein,  so 
durchschneide  man  die  innern  (gegen  den  Lidrand  hin  liegenden)  Fasern  desselben 
senkrecht,  und  schreite  dann  zur  Anlegung  der  blutigen  Naht,  wobei  dann  das  mittelste 
Heft  zuerst  anzulegen  ist.  Bei  Ausschneidung  einer  Falte  aus  der  ganzen  Länge  des 
Lides  ist  die  Anlegung  von  5  Heften  nothwendig  und  hinreichend.  So  wie  die  Naht 
vollendet  ist,  klafft  die  erste  Schnittwunde  stark,  und  man  sieht  die  Meibom'schen 
Drüsen  im  Knorpel  bloss  liegen,  indem  die  äussere  (obere)  Pfatte  des  Lidrandes  höher 
hinaufgerückt  und  so  gestellt  ist,  dass  die  Cilien  wagrecht  oder  selbst  etwas  aufwärts 
gerichtet  stehen.  Überschläge  von  kaltem  Wasser  werden  mehr  zur  Linderung  des 
brennenden  Schmerzes  als  wegen  zu  besorgender  heftiger  Reaction  gegeben.  Nach 
30  —  36  Stunden  können  und  müssen  die  Hefte  entfernt  werden.  Die  Wunde  am  Lid- 
rande bedeckt  sich  mit  einer,  sehr  plastischen,  röthlichgelblichen  Substanz,  und  heilt  in 
3  —  6  Tagen  ohne  Eiterung.  Der  schlimmste  Zufall  ist,  dass,  wenn  man  nicht  sehr 
vorsichtig  operirt,  manchmal  die  Hautbrücke  an  einer  oder  der  andern  Stelle  durch 
Eiterung  zerstört  wird;  vielleicht  auch  dass  manchmal  die  Ursache  der  Eiterung  im 
Individuum  selbst  liegt.  Es  gehen  dann  die  Cilien  verloren,  oder  man  muss  nach- 
träglich die  Abtragung  des  Haarzwiebelbodens  vornehmen.  Wenn  man  die  Narkoti- 
sirung  durch  Schwefeläther  oder  Chloroform  vornimmt,  ist  die  Operation  einerseits 
leichter  und  genauer  ausführbar,  andererseits  nicht  so  abschreckend  für  die  Kranken, 
wie  sie  es  sonst  sein  müsste.  Ausser  der  Eiterung  kann  kein  schlimmer  Zufall  ein- 
treten, es  müssten  denn  einige  Cilien  wieder  in  nachtheiliger  Richtung  nachwachsen, 
was  indess  fast  immer  durch  die  sich  bildende  Narbe  später  verhindert  wird,  oder  es 
wendet  sich  der  Lidrand  wieder  einwärts,  uud  erfordert  dann  die  Abtragung.  Diejeni- 
gen, welche  im  Verlaufe  der  letzten  4  Jahre  meine  Klinik  besuchten,  werden  mir  be- 
zeugen, dass  ich  genug  befriedigende  Resultate  erhielt,  um  diese  Methode  auch  ferner 
vor  allen  andern  zu  versuchen  und  zu  üben. 

Ich  hatte  erwähnt ,  dass  man ,  bevor  man  zu  einer  oder  der  andern  Operation 
schreitet,  den  Zustand  der  Bindehaut  genau  prüfen,  und  bedeutende  Exsudate  so  gut 
als  möglich  früher  zur  Resorption  zu  bringen  trachten  solle,  weil,  wenn  die  Operation 
dem  gegenwärtigen  Zustande  angepasst  wird,  später,  wenn  beträchtliche  Schrumpfung 
nachfolgt,  auch  der  günstigste  Erfolg  vereitelt  werden  kann.  Ich  hatte  diese  Warnung 
bereits  in  meinem  oben  citirten  Aufsatze  über  Trichiasis  und  Entropium  ausgesprochen, 
besonders  für  jene  Fälle,  wo  man  die  Abtragung  des  Haarzwiebelbodens  vornimmt, 
schon  auch  aus  dem  Grunde,  weil  sich  dann  das  Lid  schwer  oder  gar  nicht  umstülpen, 
mithin  die  Krankheit  sich  nicht  in  ihrem  Heerde  angreifen  Iässt.  Dr.  von  Hasner  hat 
darüber  bemerkt,  er  habe  auch  nach  abgetragenen  Cilien  die  Lider  sehr  leicht  um- 
stülpt. Trotzdem  kann  ich  nicht  umhin,  meinen  Rath  zu  wiederholen,  und  gestehe 
offen,  dass  ich  wenigstens  nicht  in  allen  Fällen  im  Stande  war,  derlei  verstümmelte 
Lider  zu  umstülpen. 


10* 


148  Bindehaut. 

VI.  Exantheme  der  Bindehaut. 

Wenn  schon  die  in  den  beiden  vorhergehenden  Abschnitten  bespro- 
chenen Krankheiten  mehr  weniger  Analogie  mit  jenen  Erkrankungen  der 
allgemeinen  Bedeckungen,  die  wir  exanthematische  Processe  nennen,  dar- 
bieten, so  ist  diess  noch  viel  mehr  der  Fall  bei  jenen,  welche  wir  in 
diesem  Abschnitte  erörtern  wollen,  und  bei  denen  wir  keinen  Anstand 
nehmen,  sie  geradezu  als  Exantheme  der  Bindehaut  zu  bezeichnen.  Sie 
stellen,  wenn  man  die  Bindehaut  als  Fortsetzung,  als  Einstülpung  der 
Cutis  betrachten  will,  nur  eine  Theilerscheinung  der  allgemeinen  Haut- 
krankheil dar.  Es  muss  jedoch  in  Bezug  auf  die  acuten  Exantheme  gleich 
in  vorhinein  bemerkt  werden,  dass  nur  jene  Eruptionen  auf  der  Binde- 
oder Hornhaut  als  Exantheme,  als  Theilerscheinung  der  Hautkrankheit 
betrachtet  werden  können,  welche  mit  der  Efflorescenz  der  Hautkrankheit 
zugleich  auftreten,  jene  Eruptionen  dagegen,  welche  z.  B.  bei  Blattern  im 
Stadium  der  Abtrocknung  oder  nach  gänzlich  vollendetem  Krankheits- 
process  der  Cutis  auf  dem  Auge  vorkommen,  eine  ganz  andere  Bedeu- 
tung, namentlich  die  der  Conjunctivis  scrofulosa  haben,  da  es  bekannt  ist, 
dass  nach  Scharlach,  Masern,  Blattern  u.  dgl.  gar  oft  in  verschiedenen 
Organen  Manifestationen  der  Scrofulosis  auftauchen,  von  denen  man  vor 
jenen  Krankheiten  keine  Ahnung  hatte. 

Die  Blattern  (Variola,  Variolosis)  schlagen  ihren  Sitz  nicht  nur  an 
der  Cutis  der  Lider,  nicht  nur  in  dem  Zwischenräume  zwischen  der 
äussern  und  innern  Lefze  des  Lidrandes;  besonders  des  untern,  sondern 
auch  an  der  Conjunctiva,  und  zwar  nächst  der  innern  Lefze  des  Lidrandes 
(etwa  1  Linie  weit),  oder  nächst  dem  Limbus  conjunctivae  corneae  oder 
auf  der  Cornea  selbst  auf.  —  An  dem  Lidrande  werden  sie  leicht  den 
Haarzwiebeln  und  den  Meibom'schen  Drüsen  gefährlich,  hinterlassen  Ma- 
darosis  (bleibenden  Verlust  einzelner  Cilien),  Distichiasis,  partielle  Tri- 
chiasis,  Verwachsung  einer  oder  der  andern  Mündung  der  Meibom'schen 
Drüsen,  Stockung  des  Secretes  in  den  letzteren,  Bildung  von  harten,  kalk- 
artigen, die  Bindehaut  mehr  weniger  reizenden  Concrementen,  kleine  rölh- 
liche  Vertiefungen  und  Einkerbungen  des  Lidrandes  (Narben),  und  somit 
gewöhnlich  auf  die  eine  oder  die  andere  Weise  einen  gereizten  Zustand 
des  Auges,  welcher  dasselbe  zu  grösserer  Anstrengung  unfähig  und  über- 
haupt für  äussere  Schädlichkeiten  empfänglicher  macht.  —  Blattern  in  der 
Gegend  des  Limbus  conjunctivae  werden  nur  in  dem  Maasse  gefährlich, 
als  sie  weiter  in  die  Cornea  hineingreifen.  Ich  sah  sie  in  mehreren  Fällen 
sehr  zeitig  bersten,  durch  baldigen  Durchbruch  des  Epitheliums  gleichsam 


Exantheme  —  Blattern  —  Masern  —  Scharlach.  149 

abortiv  zu  Grunde  gehen.  —  Blattern  auf  der  Cornea  selbst  sollen, 
wenn  sie,  ohne  zu  bersten  grösser  werden,  mit  einer  Staarnadel  oder  mit 
einem  fein  zugespitzten  Lapis  infern,  geöffnet  werden,  um  der  tiefern  und 
weitern  Infiltration  der  Cornea  vorzubeugen.  Die  nach  denselben  entste- 
henden Geschwüre  sind  nach  den  bei  der  Lehre  von  den  Krankheiten  der 
Cornea  gegebenen  Momenten  zu  beurtheilen  und  zu  behandeln. 

Da  mir  nicht  hinreichende  Erfahrungen  zu  Gehote  stehen,  so  nehme  ich  keinen 
Anstand,  der  Vollständigkeit  wegen  einige  mir  wahr  und  wichtig  scheinende  That- 
sachen  aus  Beer  L.  c.  II.  S.  517  etc.  zu  entlehnen.  „So  lange  hloss  vermehrter  Thrä- 
nenfluss,  aber  keine  merkliche  Lichtscheu  mit  der  variolösen  Augenlidentzündung  ver- 
bunden ist,  darf  man  versichert  sein,  dass  die  Bindehaut  des  Augapfels  von  dem  Reflexe 
der  Entzündung  noch  völlig  unangetastet  ist;  findet  der  Arzt  aber  Trockenheit  des 
Auges  und  Lichtscheue,  eine  Empfindung,  als  ob  Sand  oder  ein  fremder  Körper  im 
Auge  wäre,  so  muss  er,  so  gut  es  sich  thun  lässt,  mit  möglichster  Schonung  die 
Augenlidspalte  öffnen,  um  sich  von  dem  Zustande  des  Bulbus  zu  überzeugen."  „Die 
Pocken  der  Augenlider  müssen,  sobald  sie  vollgefüllt  sind,  mit  einer  Staarnadel  ge- 
öffnet werden ;  die  Lidränder  müssen  von  dem  Eiter  und  später  von  den  Borken  ge- 
reinigt und  jedesmal  gut  abgetrocknet  werden ;  dem  Lichte  und  der  trockenen,  wo 
möglich  warmen  Luft,  -  muss  (während  der  Eiterung  und  Abtrocknung)  freier  Zutritt 
gestattet  werden."  Beer  hat  beobachtet,  dass  vorzüglich  bei  scrophulösen  Kindern  mit 
der  Blatterneruption  sich  nicht  selten  eine  Blepharo-,  selbst  Ophthalmoblennorrhoe 
entwickelt,  welche  fast  immer  mit  Zerstörung  der  Cornea  verläuft.  —  Auf  das  Mit- 
leiden des  Thränenschlauches  bei  der  Blatternkrankheit  werden  wir  später  zu  sprechen 
kommen.  —  Droht  Blatterneruption  auf  dem  Bulbus,  namentlich  auf  der  Cornea,  so 
empfiehlt  Beer  kalte  Umschläge  auf  das  Auge.  Trifft  der  Arzt  bereits  gefüllte  Pusteln, 
so  räth  Beer  sie  mit  einer  Staarnadel  oder  Lanzette  zu  öffnen.  Dieselben  Mittel,  welche 
man  zur  Verhütung  von  Blatternarben  im  Gesichte  empfohlen  hat,  können  auch  an  den 
Lidern  versucht  werden,  als :  Bestreichen  derselben  mit  einer  Mischung  von  gelbem 
Wachs  und  Baumöl;  Auflegen  eines  Goldblättchens  mittelst  Gummiwassers,  früh  und 
Abends  erneuert,  vom  1.  Tage  der  Eruption  bis  zum  Eintritt  des  Eiterungsfiebers;  Be- 
streichen mit  Ung.  hydr.  cinereum;  Auflegen  des  Emplastr.  de  Vigo  (empl.  ammon. 
cum  hydrarg.)  beim  ersten  Erscheinen  des  Exanthemes,  wodurch  alle  damit  bedeckten 
Pusteln  in  kleine  Tuberkel  verwandelt  werden  sollen,  die  durch  Abschuppung  schwinden. 
Alle  (Ost.  Wochenschr.  1842,  N.  50)  hat  eine  Mischung  aus  10  Gran  Campher  mit  2 
Drachmen  Schwefeläther,    mittelst  Compresschen  auf  die  Lider  gelegt,  bewährt  gefunden. 

Bei  Masern  und  Scharlach  participirt  die  Bindehaut  an  dem 
Leiden  des  Haut-  und  Schleimhautsystemes  bald  in  Form  von  Hyperämie, 
bald  in  Form  von  Katarrh,  seltener  in  Form  von  Katarrh  mit  unge- 
wöhnlich starker  Lichtscheu,  starker  Injection  der  vordem  Ciliararterien 
(rosenrothem  Gefässsaum  um  die  Cornea),  erhöhtem  Glanz  und  nach- 
folgender Bläscheneruption  auf  der  Cornea.  (Acutes  Odem  der  Cornea,  Kera- 
titis serosa?).  Dieses  Augenleiden  verdient  daher  .  im  Allgemeinen  keine 
besondere  Berücksichtigung,  ausser  der  nöthigen  Temperirung  des  Lichtes 


lö( )  Bindehaut. 

und  Entfernung  des  Secretes  mit  lauem  Wasser.  Bei  zu  heftiger  Licht- 
scheu werden  Einreibungen  von  Unguent.  cinereum  mit  Extr.  beilad.  an 
die  Stirn  und  Schläfe  Linderung  verschaffen.  Sind  in  Folge  der  klehien, 
bald  berstenden  Wasserbläschen  auf  der  Cornea  Geschwürchen  entstanden, 
so  hat  man  sich  nach  den  Regeln  zu  benehmen,  welche  weiter  unten  bei 
den  Krankheiten  der  Cornea  gegeben  werden.  Treten  andere,  als  die  ge- 
nannten Erscheinungen  auf,  so  sind  sie  gewiss  nicht  in  dem  exanthema- 
tischen  Processe  als  solchem  allein,  sondern  durch  andere  Verhältnisse 
bedingt.  Diese  müssen  eruirt,  und  darnach  Prognosis  und  Terapie  ein- 
gerichtet werden.  —  Auf  die  Malacia  corneae,  welche  sich  bisweilen  nach 
solchen  Ophthalmien  entwickelt,  werden  wir  bei  den  Krankheiten  der 
Cornea  zu  sprechen  kommen. 

Bei  Leuten,  die  an  chronischen  Hautausschlägen  litten,  habe 
ich  einige  Male  Bindehautentzündungen  beobachtet,  welche  in  Bezug  auf 
die  Form  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  Conjunctivis  scrofulosa  darboten, 
jedoch  rücksichtlich  des  Verlaufes  und  des  Vorkommens  durchaus  nicht 
für  solche  gehalten  werden  konnten,  im  Gegentheil  als  gleichbedeutend 
mit  der  Hautkrankheit  betrachtet  werden  mussten.  Leider  ist  die  Zahl 
meiner  Beobachtungen  zu  gering,  und  da  einige  in  die  erste  Zeit  meines 
ärztlichen  Wirkens  fallen,  zum  Theil  auch  zu  wenig  exact,  als  dass  ich 
hierüber  eine  selbstständige  Schilderung  zu  entwerfen  vermöchte.  Ich  er- 
wähne dieser  Affection  keineswegs,  um  die  mit  Recht  aufgegebene  Lehre 
von  der  Psorophthalmie,  von  den  Augenentzündungen  nach  unterdrückten 
Hautausschlägen  u.  dgl.  wieder  aufzunehmen,  sondern  nur  um  anzudeuten, 
dass  über  das  Vorkommen  von  Bläschen,  Pusteln  u.  dgl.  an  der  Conjun- 
cliva  bulbi,  als  in  ursächlichem  Zusammenhange  mit  Hautkrankheiten  stehend, 
die  Acten  noch  lange  nicht  als  geschlossen  betrachtet  werden  können. 

Im  Jahre  1840  kam  ein  20j  ähriges  Mädchen  auf  die  Augenklinik,  welche  in 
ihrem  12.  Jahre  an  einem  Kopfausschlage  gelitten  hatte,  übrigens  aber  gesund  gewesen 
war,  obwohl  sie  unter  sehr  ärmlichen  Verhältnissen  gelebt  hatte.  Im  16.  Jahre,  einige 
Monate  nach  ihrer  ersten  Entbindung,  hatte  sie  sich  durch  Ansteckung  die  Krätze  zuge- 
zogen, von  welcher  sie  sich  in  einigen  Tagen  durch  eine  Salbe  befreite  und  geheilt 
blieb.  Im  20.  Jahre  erkrankte  das  rechte  Auge;  es  zeigten  sich  einzelne  Pusteln  an 
den  Augenlidern  und  deren  Umgebung,  welche  allmälig  in  Krusten  übergingen;  dazu 
gesellte  sich  Druck  unter  dem  obern  Lide,  reichlicher  Thränenfluss,  Verklebung  der 
Lider  beim  Erwachen  und  starkes  Jucken  an  den  mit  Pusteln  besetzten  Partien.  Sie 
wurde,  wie  ich  nachträglich  aus  dem  Protokoll  ersah,  damals  mit  Ophthalmia  impeti- 
nosa  auf  die  Klinik  genommen,  und  erst  nach  einer  halbjährigen  Behandlung  mit  Sub- 
limatwaschungen  und  Schwefelpulvern  geheilt  entlassen.  In  ihrem  23.  Jahre  kam  sie 
wieder  auf  die  Augenklinik.  Wir  fanden  die  Lidränder  des  rechten  Auges  etwas  an- 
gelaufen,  stellenweise  excoriirt,    £egen  den   innern  Winkel   hin  der    Cilien  verlustig,    die 


Verletzungen  —  Zufälle.  151 

vorhandenen  Cilien  an  der  Basis  mit  kleinen,  harten  Krusten  umgeben,  die  Haut  des 
untern  Lides  verkürzt  (ohne  sichtbare  Narbe),  daher  der  Lidrand  etwas  auswärts  ge- 
wendet (leichtes  Ectropium),  die  Bindehaut  gleichförmig  geröthet,  aufgelockert,  sam- 
metartig;  die  Conjunctiva  im  äussern  Drittheil  netzförmig  injicirt,  die  Sclera  darunter 
rosenroth,  in  der  Bindehaut  etwa  1  Linie  nach  aussen  vom  Hornhautrande  eine  gelbe, 
hirsekorngrosse  Pustel,  welche  durch  viele  Tage  unverändert  fortbestand ;  nächst  dem 
Augenbrauenbogen  in  der  Schläfe  zwei  gelbliche,  zugespitzte,  mit  einem  rothen  Hof 
umgebene,  stark  juckende  Pusteln ;  eine  solche  auch  am  rechten  Oberarme.  Gefühl, 
als  läge  Sand  unter  dem  obern  Lide,  massige  Lichtscheu,  häufiges  Thränen,  festes  Ver- 
kleben der  Lider  am  Morgen.  Es  wurde  ein  Purgans  und  sodann  täglich  2mal  5 
Gran  flor.  sulfuris  gegeben,  örtlich  Waschungen  mit  1  Gran  Sublimat  und  1  Skrupel 
Laudan.  liq.  in  4  Unzen  Wasser;  die  Kranke  verliess  nach  14  Tagen  die  Anstalt 
ganz  gesund. 

VII.  Verletzungen  der    Bindehaut. 

Die  Bindehaut  kann  durch  fremde  Körper  mechanisch  oder  chemisch 
verletzt  werden.  —  Mechanisch  wirkende  Körper  erregen  entweder  bloss 
die  Zufälle  der  Reizung,  Schmerz,  Thränenfluss,  Lichtscheue  und  Gefäss- 
injection,  oder  Entzündung,  also  überdiess  Lockerung  des  Gewebes  und 
Exsudation  mit  oder  ohne  consecutive  Wucherung  oder  Verschwäruno- 
der  Bindehaut,  oder  endlich  Trennung  des  Zusammenhanges,  Blutung, 
Ecchymosen,  Verschwärung  oder  abnorme  Verwachsung.  —  Die  chemisch 
wirkenden  haben  je  nach  dem  Grade  ihrer  Einwirkung  bald  oberfläch- 
lichen, bald  tiefem  Substanzverlust,  weiterhin  Verschwärung,  Schrumpfung 
und  gegenseitige  Verwachsung  der  sich  berührenden  Bindehautplatten 
zur  Folge. 

Die  gewöhnlichsten  fremden  Körper,  welche  in's  Auge  zu  gerathen 
pflegen,  sind:  kleine  Stückchen  von  Steinen,  Glas,  Kohlen,  Eisen,  Stroh, 
Federn,  Nägel,  Holz  oder  Knochen,  ferner  Insecten  (oder  Theile  davon), 
Wimper-  oder  Kopfhaare,  Grannen,  Samenhülsen,  Tabak,  Pfeffer,  Schiess- 
pulver, endlich  Asche,  Kalk  oder  Mörtel,  Ätzkali,  Lapis  infernalis,  sie- 
dendes Wasser,  Mineralsäuren,  glühende  oder  geschmolzene  Metalle. 

Die  Zufälle  nach  der  Einwirkung  einer  solchen  Schädlichkeit  sind 
in  der  Regel  so  heftig,  dass  der  Kranke  bald  ärztliche  Hilfe  sucht,  und 
die  Ursache  ausdrücklich  bezeichnet.  Dann  ist  nichts  nöthig,  als  dass 
der  Arzt  weiss,  wie  er  den  fremden  Körper  aufzusuchen,  zu  entfernen, 
und  die  Folgen  desselben  zu  behandeln  hat.  Es  geschieht  aber  auch, 
dass  diese  heftigen  Zufälle  erregt  werden,  und  der  Kranke  sich  der  Ver- 
anlassung dazu  nicht  im  mindesten  bewusst  ist,  oder  dass  der  fremde 
Körper  erst   in  sehr   später  Zeit  Zufälle  erregt,    welche    den  Kranken  be- 


1$2  Bindehaut. 

stimmen,  ärztliche  Hilfe  zu  suchen,  nachdem  er  auf  das  Eindringen  eines 
fremden  Körpers  ganz  vergessen  hat,  oder  gar  nicht  meint,  dass  zwischen 
diesem  uud  seinem  gegenwärtigen  Augenleiden  ein  ursächlicher  Zusam- 
menhang statt  finden  könne.  Dieser  letztere  Fall  kommt  besonders  dann 
vor,  wenn  der  fremde  Körper  in  den  faltigen  Übergangstheil  gerathen  ist. 
Er  gibt  dann  entweder  zu  hartnäckiger  Lichtscheu  mit  Augenlidkrampf, 
oder  zu  partieller  Wucherung  der  Bindehaut  und  Einkapselung,  oder  bloss 
zu  den  Erscheinungen  eines  chronischen  Augenkatarrhes  Veranlassung. 
In  allen  diesen  Fällen  muss  man  oft  die  Gegenwart  eines  fremden  Körpers 
als  möglich  voraussetzen,  und  genau  untersuchen;  und  anderseits  muss 
wieder  in  Erwägung  gezogen  werden,  dass  diese  Zufälle  oft  noch  fort- 
dauern können,  nachdem  der  fremde  Körper  längst  durch  Zufall  entfernt 
wurde,  und  dass  eine  mechanische  Verletzung  nicht  selten  den  ersten 
Anstoss  zu  einer  Augenentzündung  gibt,  welche  in  ihrem  weitern  Be- 
stehen durch  ein  Allgemeinleiden  bedingt  wird,  wie  z.  B.  Conjunctivitis 
scrofulosa,  Trachoma,  Iritis  syphilitica. 

Wenn  man  Verdacht  auf  die  Gegenwart  eines  fremden  Körpers  hat, 
so  untersuehe  man  die  Bindehaut  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung.  Augen- 
lidkrampf oder  sehr  heftige  Lichtscheu  können  vorher  die  Anwendung 
eiskalter  Umschläge  oder  lauwarmer  Fomente  aus  Infusum  herbae  hyos- 
ciami  und  Temperirung  des  Lichtes  notbwendig  machen.  Nie  setze  man 
den  Kranken  gerade  dem  Licht  gegenüber,  sondern  so,  dass  dieses  von 
der  Seite  her  einfällt.  Man  weiss  ferner  aus  Erfahrung,  dass  der  Kranke 
das  eine  Auge  viel  leichter  offen  halten  und  beliebig  dirigiren  kann, 
wenn  er  das  andere  mit  der  Hand  oder  mittelst  einer  Binde  geschlossen 
hält.  —  Zuerst  ziehe  man  das  untere  Lid  abwärts,  und  mache  den  Über- 
gangstheil dadurch  vortreten,  dass  man  das  abgezogene  Lid  ein  wenig 
gegen  den  untern  Orbitalrand  rückwärts  drückt,  und  den  Kranken  nach 
oben  sehen  lässt.  Bei  etwas  tiefer  liegenden  Augen  wird  der  Übergangs- 
theil leichter  sichtbar,  wenn  man  den  Kranken  bei  fixirtem  Lide  das 
Auge  stark  abwärts  rollen  lässt.  Iudem  man  sofort  den  Kranken  nach 
aussen  blicken  heisst,  sei  man  zugleich  auf  die  halbmondförmige  Falte 
aufmerksam,  hinter  welcher  sich  bisweilen  der  fremde  Körper  verbirgt. 
—  Am  häufigsten  jedoch  sitzen  kleine  fremde  Körper,  die  durch  den 
Wind  oder  auf  Eisenbahnen  in  die  Augen  getrieben  werden,  an  der 
innern  Fläche  des  obern  Lides,  etwa  1  Linie  hinter  der  innern  Lefze 
desselben.  Man  umstülpe  daher  das  Lid,  und  benutze,  um  auch  durch- 
sichtige Theilchen,  Kiesel-  oder  Glassplitterchen  zu  entdecken,  das  Spie- 
geln   der   Conjunctiva    bei   seitlich    einfallendem  Lichte,    oder    man    fahre 


Verletzungen  —  Fremde  Körper.  153 

sanft  mit  dem  Finger  über  diese  Stelle  hin.  Ist  die  Umstülpung  nicht 
möglich,  so  kann  man  versuchen,  den  fremden  Körper  dadurch  zu  besei- 
tigen, dass  man  das  obere  Lid  über  das  untere  herabzieht  und  schnell 
auslässt;  nicht  selten  streifen  die  Cilien  des  untern  Lides  denselben  ab. 
—  Um  fremde  Körper  im  Übergangstheile  des  obern  Lides  zu  erkennen, 
ziehe  man  dessen  Haut  stark  gegen  den  Orbitalrand  an,  und  lasse  den 
Bulbus  abwärts  rollen,  oder  man  fasse  die  Cilien  des  obern  Lides  mit 
Daumen  und  Zeigefinger,  und  ziehe  sie  ein  wenig  abwärts  an  und  vom 
Augapfel  ab,  indem  man  den  auf  einem  Stuhle  sitzenden  Kranken  den 
Kopf  stark  zurückbeugen  lässt.  In  manchen  Fällen  kann  noch  das  Ein- 
gehen mit  einer  Knopfsonde  oder  mit  einem  Daviel'schen  Löffel  nöthig 
werden.  Häufig  fällt  der  fremde  Körper  bei  diesen  Manövern  von  selbst 
heraus,  und  man  merkt  diess  wohl  auch  aus  dem  plötzlichen  Verschwinden 
des  Druckes,  Stechens  u.  dgl. 

Bleiben  fremde  Körper  längere  Zeit  im  Tarsaltheile  sitzen,  so 
werden  sie  gewöhnlich  durch  Eiterung  flott  gemacht,  und  durch  das 
reichlichere  Secret-der  Bindehaut  fortgespült.  Bisweilen  geschieht  es 
jedoch  auch,  dass  die  Entzündung  ringsum  zur  Wucherung  der  Bindehaut 
oder  zur  förmlichen  Einkapselung  des  fremden  Körpers  führt.  Letztere 
beiden  Folgen  treten  weit  häufiger  in  dem  lockeren  und  weniger  em- 
pfindlichen Übergangstheile  ein. 

Makenzie "")  S.  186  erzählt  Fälle  von  Monteath,  einen,  wo  ein  Strohhalm  von 
y.2  Zoll  Länge  im  Übergangstheile  einen  sogenannten  Schwamm  der  Bindehaut  von  der 
Grösse  einer  Haselnuss  hervorgerufen  hatte,  und  erst  nach  wiederholter  Exstirpation 
entdeckt  wurde ,  und  einen  zweiten,  wo  ein  Baumzweig  von  3/4  Zoll  Länge  und  der 
Dicke  eines  Rabenfederkieles  durch  5  Monate  eine  Entzündung  unterhielt,  die  mit  den 
verschiedensten  Mitteln  behandelt  worden  war.  Der  Kranke  war  beim  Herabgehen  von 
einem  steilen  Berge  in  ein  Gesträuch  gefallen;  in  dem  Augenblicke  hatte  er  die  Em- 
pfindung gehabt,  als  ob  irgend  ein  Theil  seines  Auges  verletzt  worden  sei;  das  Auge 
war  seitdem  immer  empfindlich  geblieben.  Monteath  umstülpte  endlich  das  obere  Lid, 
und  fand  hoch  oben  im  Übergangstheile  einen  schwammigen  Zustand  der  Bindehaut; 
durch  Untersuchung  mit  einer  Sonde  gewann  er  die  Überzeugung  von  der  Gegenwart 
des  fremden  Körpers.  —  Prof.  Fischer**)  zog  einer  Frau  ein  langes,  zusammenge- 
rolltes Hauthaar  aus,  welches  in  der  Gegend  des  äussern  Augenwinkels  nur  mit  der 
Spitze  aus  der  partiell  angewulsteten  Bindehaut  hervorragte,  und  von  welchem  früher 
Niemand  eine  Ahnung  gehabt  hatte.  Derselbe  erzählt  S.  10  folgenden  Fall.  Ein  Forst- 
mann kam  auf  die  Klinik,  weil  er  das  rechte  Auge,  an  dem  er  sonst  keine  Schmerzen 
hatte,  nicht  öffnen  konnte;  er  stemmte  sich  gegen  jeden  Versuch,  es  zu  öffnen,  wegen 
heftiger  Schmerzen.  Es  hatte   ihn  drei  Wochen  vorher   ein  Zweig   ins   Auge   geschlagen, 


*")   Prakt.  Abhandlung-  über    die   Krankheiten   des  Auges,  Weimar  1822. 
•*)  Lehrbueh  der  Entrundungen    etc.  Prag  1846,   S.  9. 


154  Bindehaut. 

als  er  durch's  Geslripp  eilte.  Als  nun  die  Lider  mit  Gewalt  geöffnet  wurden,  fiel  ein 
y4  Zoll  langes,  dürres  Stück  eines  Fichtenzweiges,  grösstentheils  in  Schleim  gehüllt, 
aus  dem  sonst  ganz  gesunden  (?)  Auge.  —  Zweier  Fälle,  wo  Krebsaugen  unter  das 
obere  Lid  geschoben  und  langst  vergessen  (oder  vielmehr  für  wieder  herausgefallen 
erachtet)  worden  waren,  habe  ich  in  der  Prager  Vierteljahrschrift  im  12.  Bande  Seite 
76  erwähnt. 

Ist  der  fremde  Körper  vermöge  seiner  spitzigen  Oberfläche  oder 
vermög  der  Gewalt,  mit  welcher  er  namentlich  die  Conjunct.  bulbi  traf, 
in  die  Substanz  der  Bindehaut  oder  noch  tiefer  eingedrungen,  so  erregt 
er  entweder  Eiterung  und  Ausstossung,  oder  auch  Einkapselung  und  Ein- 
heilung. Makenzie  1.  c.  S.  187  erzählt,  dass  Wardrop  ein  Stückchen  Ba- 
salt  in  einer  Zellenmenibran  dicht  an  der  Sclera  eingeschlossen  fand, 
welches  bereits  vor  10  Jahren  eingedrungen  war. 

Sitzen  fremde  Körper  derart,  dass  sie  die  Cornea  reiben  oder 
drückene,  so  führen  sie  entweder  eine  Art  Hornhautschwiele  herbei,  oder 
eine  pannöse  Trübung  (Keratitis  superficialis),  gewöhnlich  aber  Verschwä- 
rung  und  die  traurigen  Folgen  der  Hornhautgeschwüre.  Diese  treten  ins- 
besondere häufig  ein,  wenn  Grannen  oder  die  Spelzen  von  gewissen  Ge- 
treidearten ins  Auge  gerathen,  und  gar  nicht  oder  nur  unvollständig  ent- 
fernt werden.     (Vergl.  den  Artikel  Hornhautentzündung.) 

Im  Jahre  1845  wurde  ich  zu  einem  Mädchen  von  4  Jahren  gerufen,  Niemand 
hatte  eine  Ahnung,  dem  Kinde  könne  Etwas  in's  Auge  gefallen  sein.  Das  Kind  litt  sein 
3  Tagen  au  heftigem  Blepharospasmus,  und  konnte  nicht  wohl  näher  untersucht  wer- 
den ;  da  es  in  der  linken  Achselgrube  einige  geschwollene  Drüsen  hatte,  glaubte  ich 
ein  scrofulöses  Augenleiden  vor  mir  zu  haben,  und  leitete  demgemäss  die  Behandlung 
ein.  Nach  3  Tagen  nahm  man  einen  andern  Arzt,  weil  das  Kind  noch  immer  nicht 
besser  werden  wollte.  Etwa  '/2  Jahr  später  bekam  ich  das  Kind  zufällig  zu  sehen, 
und  bemerkte  ein  Staphylom,  welches  die  untere  Hälfte  der  Cornea  einnahm.  Jetzt 
erfuhr  ich,  dass  ungefähr  14  Tage  nach  meinem  Ausbleiben  ein  Stückchen  Stroh  aus 
dem  Auge  gekommen,  welches  dem  Kinde  wahrscheinlich  in  der  Nacht  in's  Auge  ge- 
rathen war. 

Die  Beschaffenheit  der  fremden  Körper  und  ihr  Sitz  gibt  im  Allge- 
meinen an,  wie  man  sie  zu  entfernen  habe.  —  Bei  oberflächlichen  sitzenden 
reicht  das  Abstreifen  mit  dem  Zipfel  eines  leinenen  Tücheis  oder  mit  einem 
Daviel'schen  Löffel  u.  dgl.  hin ;  in  andern  Fällen,  namentlich  bei  Tabak 
oder  Pfeffer  ist  das  Einspritzen  lauer  Milch  oder  lauen  Wassers  das 
zweckmäsigste.  —  Feine  Glassplitterchen  bleiben  am  leichtesten  an  einem 
mit  Leinwand  umhüllten  Griffel  haften.  —  Tiefer  sitzende  und  längere 
Körper  müssen  oft  mit  einer  Pincette  gefasst  werden.  Pulverkörner,  Glas- 
spliltcr  u.  dgl.,  wenn  sie  in  die  Conjunctiva  bulbi  eingedrungen,  fassl 
man    sammt    einem    möglichst   kleinen    Theile  der  Bindehaut  mit  der  Pin- 


Verletzungen  —  Fremde  Körper —  Atzung.  155 

cette  und  entfernt  sie  mittelst  der  Scheere.  So  kleine  Substanzverluste 
werden  von  der  nachgiebigen,  durch  Beiziehung  der  Wundränder  verhei- 
lenden Bindehaut  ohne  Nachtheil  ertragen ;  die  Narbe  wird  unsichtbar, 
während  z.  B.  eingeheilte  Pulverkörner  sehr  entstellen. 

Mit  der  Entfernung  des  fremden  Körpers  schwinden  in  der  Regel 
auch  die  Folgen,  die  Zufälle  der  Reizung  und  Entzündung  zum  Verwun- 
dern schnell,  und  man  hat  im  Allgemeinen  dem  Kranken  nichts  zu  sagen. 
als  dass  er  sich  bis  zur  völligen  Erholung  des  Auges  vor  Anstrengung 
desselben,  Staub,  Rauch,  Zugluft  u.  dgl.  hüte.  War  die  Verletzung  in- 
und  extensiver,  so  bilden  kalte  Umschläge  in  frischen  Fällen  das  sou- 
veraine  Mittel ,  neben  welchem  nur  ausnahmsweise  die  Vorausschickung 
einer  örtlichen  Blutentziehung  und  kühlender  Abführmittel  bei  Ruhe  des 
Körpers  und  beschränkter  Kost  nothwendig  werden  dürfte.  Fand  zugleich 
beträchtliche  Quetschung  statt,  so  setze  man  zu  den  kalten  Umschlägen 
bald  etwas  Weingeist  oder  spir.  roris  marini,  spir.  serpylli  u.  dgl.  zu,  und  bei 
grössern  Blutaustretungen  Tinctura  arnicae.  —  Ist  aber  das  Stadium  der 
Reizung  und  Ausschwilzung  vorüber,  ist  bereits  Eiterung,  schleimig- 
eitrige Secretion,  dunklere  Röthe  und  mehr  Erschlaffung  der  Bindehaut  ein- 
getreten, dann  dassen  kalte  Umschläge  nicht  mehr,  und  man  hat  den 
Fall  nach  den  bei  der  Ophthalmia  catarrhalis  gegebenen  Grundsätzen  zu 
behandeln.  —  Partielle  Wucherungen  der  Bindehaut  werden  mit  der 
Scheere  abgetragen,  oder  mit  Lapis  geätzt,  wenn  ihre  Heilung  mittelst 
Laudanumaufträuflungen  nicht  zu  erreichen  sein  sollte. 

Die  Einwirkung  ätzender  Stoffe  pflegt  den  Kranken  in  der  Regel 
sogleich  zur  ärztlichen  Hilfe  zu  treiben.  Man  überzeuge  sich  zunächst, 
ob  nicht  noch  etwas  davon  zurückgeblieben  sei  und  noch  fortwirke.  Kalk, 
Mörtel,  Asche,  Lapis  u.  dgl.  müssen  sogleich  durch  Einspritzen,  Einträu- 
fein oder  Einpinseln  von  Flüssigkeiten  entfernt  werden,  welche  sie  nicht 
chemisch  lösen,  sondern  wo  möglich  zersetzen  oder  mindestens  einhüllen, 
wie  Öl,  zerlassene  Butter,  Rahm,  Milch;  ist  nichts  dergleichen  bei  der 
Hand,  so  suche  man  sie  durch  einen  raschen  Wasserstrahl  rasch  abzu- 
spülen, ehe  sie  sich  noch  auflösen  können. 

Die  darauf  folgende  Entzündung  pflegt  in  der  Regel  sehr  heftig  zu 
sein,  und  erheischt  strenge  Antiphlogose.  Nebstdem  aber  ist  wohl  zu  be- 
rücksichtigen, ob  nicht  in  Folge  der  Anätzung  Verwachsung  der  Lider 
untereinander,  Anchyloblepharon,  oder  der  Lider  mit  dem  Bulbus,  Sym- 
blepharon (anterius),  oder  beides  zugleich  zu  besorgen  sei.  Diess  ist 
beinahe  immer  der  Fall,  wenn  Mineralsäuren  oder  geschmolzene  Metalle 
in's    Auge   gespritzt    sind.     Nebst    der   energischen    Anwendung  eiskalter 


156  Bindehaut. 

Urnschläge  ist  dann  das  wiederholte  Einträufeln  schleimiger  oder  öliger 
Mittel  und  häufiges  Abziehen  der  sich  berührenden  Flächen  von  einander 
nothwendig,  leider  aber  oft  genug  erfolglos.  Jeder  Fall  will  hier  indivi- 
duell aufgefasst  sein.  Bisweilen  kann  die  Unterhaltung  eines  künstlichen 
Ectropiurns  mittelst  Heftpflasterstreifen  oder  mittelst  auf  die  Haut  ge- 
strichenen Collodiums  von  Nutzen  sein,  bisweilen  das  Einlegen  einer 
dünnen  Schale  von  Wachs,  wie  ein  künstliches  Auge  geformt.  Jede  Linie 
Raum,  die  man  der  um  sich  greifenden  Verwachsung  abtrotzt,  ist  Gewinn 
für  die  nachträglich  vorzunehmenden  Operationsweisen  des  Anchylo-  und 
Symblepharon. 

Ist  bei  Verwachsung  des  Bulbus  mit  der  innern  Lidfläche  die  Cor- 
nea ganz  oder  grösstentheils  (wenigstens  so  weit,  dass  noch  nötigenfalls 
eine  künstliche  Pupille  gebildet  werden  könnte)  frei  geblieben,  und  nimmt 
die  Verwachsung  nicht  mehr  als  höchstens  die  Hälfte  des  obern  oder  des 
untern  Lides  ein,  so  kann  man  noch  mit  Aussicht  auf  günstigen  Erfolg 
ein  operatives  Verfahren  zur  Behebung  dieses  Zustandes  in  Anwendung 
bringen.  Das  Schwierige  der  Aufgabe  liegt  nicht  so  sehr  in  der  Trennung 
der  Verwachsung,  als  vielmehr  in  der  Verhütung  der  Wiederverwachsung. 

Dr.  Gulz  hat  meines  Wissens  zuerst  darauf  aufmerksam  gemacht, 
dass  es  auch  hier,  wie  bei  ähnlichen  chirurgischen  Fällen,  z.  B.  bei  ver- 
wachsenen Fingern,  vor  allem  darauf  ankomme,  die  Wiederverwachsung 
von  der  Stelle  aus,  wo  die  beiden  Wundflächen  in  einem  Winkel  zusam- 
menstossen,  dadurch  zu  verhindern,  dass  man  jener  Stelle  früher  einen 
Epithelialüberzug  zu  verschaffen  sucht.  Wenn  demnach  die  Verwachsung 
bis  zur  Übergangsfalte  rückwärts  reicht,  und  nicht  mit  einer  Sonde  um- 
gangen werden  kann,  so  führe  man  einen  dünnen  Bleidraht  mittelst  einer 
krummen  Nadel  so  durch  die  Basis  (den  hintersten  oder  tiefsten  Theil) 
der  Verwachsung  zwischen  Lid  und  Bulbus  durch,  dass  derselbe  ohn- 
gefähr  in  der  Gegend  und  der  Richtung  der  Übergangsfalte  verläuft. 
Die  beiden  Enden  des  Bleifadens  werden  dann  entweder  auf  die  äussere 
Fläche  des  Lides  geführt  und  angeklebt,  oder  auch  früher  einmal  ge- 
kreuzt, so  als  ob  man  die  Verwachsung  abbinden  wollte.  Nun  bleibt  der 
Faden  so  lange  (8 — 14  Tage)  liegen,  bis  er  sich  sehr  leicht  hin  und  her 
bewegen  und  auch  vor-  und  rückwärts  schieben  lässt,  kurz  bis  man  an- 
nehmen kann,  dass  der  Kanal,  in  welchem  er  verläuft,  callös,  mit  Epi- 
thelium  überkleidet,  in  eine  Art  Fistelgang  verwandelt  sei.  Man  kann 
den  Bleidraht  so  anfertigen  lassen,  dass  ein  Theil  dünner,  der  andere 
allmälig  dicker  wird,  und  dass  man  durch  Weiterziehen  desselben  jenen 
Kanal  allmällig  weiter   und  weiter  macht.     Erst  dann  darf  man  zur  Tren- 


Verletzungen  —  Symblepharon  — Anchyloblepharon.  157 

nung  der  Verwachsung  schreiten,  und  von  der  Anwendung  der  oben 
angegebenen  Mittel  Erfolg  erwarten.  —  Ist  die  Verwachsung  brei- 
ter (in  der  Richtung  von  einem  Winkel  zum  andern),  so  dass  die 
Durchführung  des  Fadens  durch  die  ganze  Länge  der  Basis  unmöglich 
wird,  so  fasse  man  nur  einen  Theil  derselben  in  die  Ligatur,  und  nehme 
bei  der  2.  oder  3.  Partie  dasselbe  Manöver  vor.  Ich  habe  in  drei  Fällen 
durch  dieses  Verfahren  den  günstigsten  Erfolg  erreicht,  und  würde  das- 
selbe allen  andern  vorziehen. 

Angedeutet,  wenn  man  will,  findet  man  dieses  Verfahren  in  der  Idee  schon  bei 
Fabric  von  Hilden  (Observat.  chirurg.  Centur.  VI.  p.  503.  Francofurti  ad  Moenum  1646), 
welcher  bei  Verwachsung  der  Augenlider  unter  einander  einen  seidenen  Faden  von 
einem  Augenwinkel  zum  andern  unter  der  Verwachsung  durchführte,  die  Enden  des 
Fadens  sodann  zusammen  knüpfte,  ein  Gewicht  daran  hing,  jmd  binnen  8  Tagen  die 
Verwachsung  gehoben  sah.  —  Nach  Ruete*')  hat  bereits  Himly  die  Einführung  eines 
Bleidrahtes  oft  mit  dem  günstigsten  Erfolge  angewendet ;  er  drehte  den  Bleidraht  täglich 
enger  zusammen  (die  Schlinge  verkleinernd),  uud  Hess  denselben  bis  zur  Durchschnei- 
dung der  Adhäsionen  liegen.  —  Amnion  verfuhr  bei  kleineren  Verwachsungen  in  dem 
mittlem  Theile  des  Lides  derart,  dass  er  mittelst  einer  Scheere  an  jeder  Seite  der  Ver- 
wachsung einen  Schnitt  führte,  welcher  den  andern  so  traf,  wie  die  beiden  Schenkel 
eines  V,  und  sodann  die  Wunde  wie  bei  einem  Coloboma  oder  wie  bei  einer  Hasen- 
scharte vereinigte,  wobei  das  aus  dem  Lide  excidirte  Vförmige  Stück  auf  dem  Bulbus 
sitzen  blieb.  Nach  geschehener  Vereinigung  der  Wundränder  unter  einander  soll  das 
am  Bulbus  zurückgelassene  Stück  abgetragen  werden.  —  Dieffenhach  verfuhr  derart, 
dass  er  zuerst  die  Verwachsung  trennte,  dann  den  der  Gilien  beraubten  Lidrand  (mittelst 
einer  durch  das  Augenlid  bis  auf  dessen  Cutis  gegen  den  Orbitalrand  durchgeführten 
Schlinge)  nach  innen  umklappte,  und  auf  diese  Art  der  Wundfläche  am  Bulbus  die 
Cutis  gegenüber  zu  stehen  brachte ,  bis  die  Wundränder  der  Conjunctiva  bulbi  ein- 
ander verwachsen  waren.  —  dinier  '""*)  will  einen  Fall  von  Symblepharon,  wo  das 
obere  Lid  nach  Verbrennung  mit  einem  glühenden  Eisen  in  grosser  Ausdehnung  mit 
dem  Bulbus,  znm  Theil  auch  mit  der  Cornea  verwachsen  war,  dadurch  geheilt  haben, 
dass  er,  nachdem  er  die  Verwachsung  mit  dem  Messer  getrennt  hatte,  die  Wundfläche 
des  Lides  und  des  Bulbus  mit  Lapis  infernalis  in  Substanz ,  und  die  folgenden  Tage 
abwechselnd,  bald  die  erstere,  bald  die  letztere,  mit  einer  Lösung  von  10  Gran  Argent. 
nitricum  in  1  Drachme  Wasser  bestrich. 

Die  Beseitigung  des  Anchyloblephwon  ist  wohl  nur  dann  anzu- 
streben, wenn  der  Bulbus  noch  zum  Sehen  geeignet  ist  oder  doch  ge- 
macht werden  kann  (was  durch  umsichtige  Untersuchung  mit  der  Sonde 
und  mittelst  Sehversuchen  nicht  minder  als  durch  genaue  Erhebung  der 
Anamnesis  möglichst  sicher  zu  stellen  ist),  oder  wenn  der  Kranke  die 
Einlegung    eines    künstlichen   Auges    wünscht,    und  Hoffnung  ist,    die  Be- 


*)  Lehrbuch   der  Ophthalmologie,  Braunschweig   1846,   S.   395. 
*■)  Annales  d'oculisl.    B.  XI.  S.  270. 


158  Bindehaut. 

dingungen  hiezu  zu  erreichen.  Es  versteht  sich  übrigens  hier  wie  überall, 
dass  die  allgemeinen  Bedingungen  zu  operativen  Eingriffen  gegeben  sein 
müssen.  Ist  mit  dem  Anchyloblepharon  nicht  zugleich  Symblepharon  vor- 
handen, so  wird  die  Trennung  auf  einer  untergeschobenen  Halbsonde 
oder  mittelst  eines  Knopfbistouris  nicht  so  schwierig  sein,  und  die  Wie- 
derverwachsung dadurch  am  besten  verhindert  werden  können,  dass  man 
an  dem  obern  oder  an  dem  untern,  wo  möglich  an  beiden  Lidern  zugleich 
die  Conjunctiva  an  die  Cutis  durch  feine  Nähte  anheftet,  wenigstens  gegen 
den  äussern  Winkel  hin,  und  die  Lider  möglichst  von  einander  entfernt 
zu  halten  sucht. 

Nach  diesen  Regeln  mag  man  beurtheilen,  ob  etwas,  und  was  bei 
Fällen  von  Complication  des  Ankylo-  und  Symblepharon  noch  mit  Wahr- 
scheinlichkeit auf  günstigen  Erfolg  zu  thun  sei. 


VIII.    Flügelfell,    Pterygium. 

So  nennt  man  eine ,  durch  Entzündung  bedingte,  partielle ,  dem 
Flügel  einer  Fliege  nicht  unähnliche  Entartung  der  Conjunctiva  bulbi,  deren 
Basis  gegen  die  Peripherie  des  Bulbus  gerichtet  ist,  deren  Spitze  über 
den  Limbus  conjunctivae  in  die  Cornea  hineinreicht,  und  deren  Ränder, 
wenigstens  nahe  an  der  Hornhaut,  nicht  nur  scharf  begrenzt,  sondern 
auch  deutlich  umstülpt  erscheinen.  Es  fällt  in  der  Regel  sogleich  durch 
seinen  Reichthum  an  erweiterten  Blutgefässen  auf,  welche  von  der  Peri- 
pherie convergirend  gegen  die  Cornea  verlaufen,  und  erst  nach  dem  Er- 
löschen aller  entzündlichen  Thätigkeit  in  dieser  Partie  verschwinden.  Je 
nach  dem  Blutreichthume  und  der  Menge  des  in  diesem  Theile  abgela- 
gerten Exsudates  hat  man  ein  Pt.  lernte  und  crassum  s.  carnosum 
unterschieden. 

Sein  Sitz  entspricht  im  Allgemeinen  der  Richtung  eines  der  geraden 
Augenmuskeln  ;  am  häufigsten  kommt  es  im  innern,  seltener  im  äussern 
Winkel,  noch  seltener  nach  oben  oder  unten  vor.  —  Die  Basis  des 
Flügelfelles  liegt  vom  Rande  der  Hornhaut  mehr  weniger  entfernt,  je 
nach  der  Dauer  und  Ausbildung  der  Krankheit.  Sie  verliert  sich  bis- 
weilen kaum  l1/^  Linien  von  der  Cornea  entfernt  allmälig  in  gesunde 
Bindehaut.  Bei  weiterer  Entwicklung  reicht  es  bis  an  die  halbmondför- 
mige oder  Übergangsfalte,  bei  noch  höherem  Grade  sieht  man  namentlich 
die  erslere   ganz    verstrichen,    selbst  die   Drüschen  der  Karunkcl   auf  den 


Flügelfell  —  Diagnosis  —  Entwicklung.  159 

Bulbus  herübergezerrt,  und  zuletzt  wohl  auch  die  ganze  betreffende  Partie 
des  Übergangstheiles  so  geschrumpft,  dass  der  Lidknorpel  an  den  Bulhus 
angeheftet  erscheint  (Symblepharon  posterius  wie  bei  Trachoma).  — 
Die  Ränder  des  auf  der  Sclera  befindlichen  Theiles  (Rumpfes)  sind  ge- 
wöhnlich ein  wenig  über  die  Umgebung  erhaben,  doch  nicht  immer 
scharf  markirt;  beide  Erscheinungen  treten  gegen  die  Cornea  hin  immer 
deutlicher  hervor,  und  in  der  Gegend  des  Limbus  conj.  erscheinen  die 
Ränder  in  der  Regel,  wenigstens  der  eine,  so  stark  umstülpt,  dass  man 
mit  einer  Sonde  oder  Borste  %  —  1  Linie,  selbst  noch  tiefer  darunter 
eindringen  kann.  —  Der  Hals  des  Flügelfelles  (über  dem  Hornhautrande), 
dessen  Breite  von  der  Breite  der  Entartung  auf  der  Cornea  abhängt,  lässt 
sich  in  der  Regel  mit  einer  Blömerschen  Pincette  leicht  von  seiner  Un- 
terlage emporheben,  und  nach  Abtragung  desselben  erscheint  in  der 
sonst  unveränderten  Cornea  eine  Art  Furche  oder  Eindrückung.  Er  ist 
anfangs  graulich  und  weich,  bei  älteren  Pterygien  weisslich,  sehnenartig, 
glänzend  und  derb,  nicht  selten  von  knorpelähnlicher  Beschaffenheit.  Er 
zeigt,  wenn  er  etwas  breiter  ist,  centripetale  Vertiefungen  und  Erhö- 
hungen, Riefen,  welche  fächerartig  gegen  die  Basis  hin  verlaufen  und 
sich  allmälig  verflachen.  —  Die  Spitze  des  Flügelfelles  ist  in  der  Regel 
nicht  spitzig,  wie  man  sie  gewöhnlich  abgebildet  findet,  sondern  rundlich, 
oder  vieleckig,  zackig,  und  stellt  mehr  einen  unregelmässigen,  etwas  er- 
habenen Fleck,  bisweilen  selbst  von  2  Quadratlinien  Umfang  dar.  Sie  ist 
im  Allgemeinen  grauliehweiss,  bisweilen  stellenweise  mehr  gesättigt  und 
undurchsichtig,  nächst  dem  Hornhautrande  deutlich  erhaben  und  begrenzt, 
im  übrigen  Umfange  allmälig  abgeflacht  und  in  gesunde  Substanz  über- 
gehend. —  So  lange  das  Flügelfell  lebhaft  geröthet  erscheint,  findet  man 
auf  der  Cornea  nächst  der  Spitze  der  Trübung  oder  auf  derselben  ein 
oder  einige  kleine,  ziemlich  reine  Geschwürchen ;  sie  werden  oft  erst 
dann  sichtbar,  wenn  man  das  Spiegeln  der  Cornea  benützt,  und  können 
Wochen-,  Monate-lang  in  derselben  Form  und  Lage  beobachtet  werden. 
Sind  sie  geheilt,  so  sieht  man  an  ihrer  Stelle  entweder  eine  flache  Narbe 
oder  eine  seichte  Vertiefung  mit  glatter  Oberfläche. 

Die  Entwicklung  des  Flügelfelles  erfolgt  vom  Limbus  conjunctivae 
aus ;  es  vergrössert  sich  von  hier  allmälig  gegen  die  Peripherie  hin,  und 
andererseits  rückt  die  Spitze  allmälig  gegen  das  Centrum  der  Cornea  vor. 
Mit  Ausnahme  der  nach  acuter  Bindehautblennorrhöe  entstandenen,  immer 
sehr  rasch  entwickelten  Flügelfelle  findet  man  allgemein,  dass  nur  lange 
bestehende  Pterygien  weit  in  die  Cornea  hineinragen.  Der  Process  kann 
nicht  nur  die    Mitte  der  Cornea  erreichen,    sondern   auch    dieselbe    über- 


160  Bindehaut. 

schreiten.  *)  Das  Flügelfell  ist  als  eine  Herbeiziehung  oder  Herein- 
zerrung der  Bindehaut  auf  die  Cornea  zu  betrachten,  seine 'Entstehung  setzt 
zunächst  seichte  Geschwürchen  auf  dem  Rande  der  Cornea  und  Herbei- 
ziehung des  Limbus  conjunctivae  zur  Vernarbung;  weiterhin  eine  gestei- 
gerte Nachgiebigkeit  der  Bindehaut  (Erschlaffung),  anhaltende  und  doch 
nie  über  einen  gewissen  Grad  gesteigerte  Reizung  derselben,  und  dadurch 
bedingte  Durchtränkung  der  Bindehaut  mit  Exsudat,  Verdrängung  ihres 
Gewebes  und  endliche  Schrumpfung  der  also  erkrankten  Partie  voraus. 

Das  Flügelfell  kommt  fast  nur  bei  Leuten  vor,  welche  bereits  ein 
höheres  Alter  erreicht  haben  und  vermög  ihrer  Beschäftigung  häufig 
mechanisch-chemisch  wirkenden  Schädlichkeiten  ausgesetzt  sind.  Aus  dem 
Umstände,  dass  Flügelfelle  meistens  im  innern  Winkel,  welcher  solchen 
Einflüssen  besonders  zugängig  ist,  und  grösstenteils  nur  bei  Leuten  vor- 
kommen, welche  dem  Einfallen  von  Kalktheilchen,  Steinsplitterchen,  Staub 
u.  dgl.  ausgesetzt  sind,  zog  bereits  Beer  den  Schluss,  dass  die  Entste- 
hung des  Flügelfelles  hauptsächlich  durch  dieselbe  bedingt  werde,  ohne 
übrigens  anzugeben,  wie  diess  geschehen  möge.  Benedict  (Abhandlungen 
aus  dem  Gebiete  der  Augenheilkunde)  beschuldigt  nebstdem  hauptsächlich 
scharfe,  ammoniakalische  Ausdünstusigen,  weil  er  dieses  Leiden  besonders 
bei  Leuten,  die  sich  viel  mit  der  Pferdezucht  abgeben,  häufig  beobachtet 
habe.  Wenn  Jüngken  (Lehre  von  den  Augenkrankheiten,  Berlin  1832) 
katarrhalische  Augenentzündungen  mit  abdomineller  Complication  als  Ur- 
sache ansieht,  und  meint,  das  Flügelfell  müsse  eigentlich  im  Unterleibe 
curirt  werden,  so  scheint  diese  Ansicht  einzig  und  allein  auf  das  vor- 
zugsweise Vorkommen  bei  altern  Leuten  und.  auf  das  Vorhandensein  er- 
weiterter Gefässe  basirt  zu  sein.  Ich  habe  zu  den  allgemeinen  bekannten 
(oben  genannten)  Ursachen,  welche  auch  mir  ein  sorgfältiges  Examen  in 
mehr  als  50  Fällen  nachwies,  nur  noch  die  Explosion  und  den  Dampf 
von  Schiesspulver,  so  wie  das  Einspritzen  verdünnter  Mineralsäuren  ins 
Auge  hinzuzufügen. 

Unter  36  genauer  aufgezeichneten  Fällen  war  die  Krankheit  nur  bei  3  Weibein 
und  2  Männern  unmittelbare  Folge  von  acuter  Bindehautblennorrhöe  mit  Hornhaut- 
geschwüren ;  von  den  übrigen  25  Männern  und  6  Weibern  war  das  jüngste  Indivi- 
duum 36,  die  meisten  über  50  Jahre  alt.  Der  Beschäftigung  nach  befanden  sich 
darunter:  3  Maurer,  1  Töpfer,  1  bei  einer  Kalkbrennerei  Beschäftigter,  1  Müller, 
1  Strassenmeister,  1  Schneider,  1  Seiler,  3  auf  Schüttböden  mit  ;Getreide  Beschäftigte, 
1  Bräuergesell,  1  Bürstenbinder,  2  Viehhirten,  1  Kutscher,  1  Jäger,  1  Bergmann  und  13 
Taglühner.     Die   Entartung   kam    bei    allen   im   innern   Winkel    vor,   bei    10  Individuen 

*)  Yergl.  meinen  Aufsatz  über  Pleryyium  in  der  Prager  medic.  Vierleljahrschrift,   1845,  VIII.  B.  S.  73. 


Flügelfell  —  Ätiologie.  161 

bloss  am  rechten,  bei  6  bloss  am  linken,  bei  15  an  beiden  Augen;  nur  bei  einem  Tag- 
löhner  war  zugleich  am  äussern  Winkel  des  rechten  Auges  ein  Flügelfell,  während  in 
jedem  Innern  Winkel  ein  stärker  entwickeltes  sass.  Von  gleichzeitigen  Krankheiten  am 
Auge  kamen  vor:  12mal  chronischer  Katarrh  oder  Trachom  (darunter  3mal  mit  Tri- 
chiasis  oder  Distichiasis  an  demselben  oder  an  dem  andern  Auge),  7mal  Cataracta  (dar- 
unter 3mal  mit  hintern  Synechien),  3mal  mit  Hornhautflecken  ausser  dem  Bereiche  des 
Flügelfells,  lmal  Glaucom,  lmal  Amblyopia  congest.  Bei  vielen  waren  Augenentzün- 
dungen (nach  ihrer  Aussage)  vorausgegangen,,  ohne  dass  die  Patienten  sie  mit  der  in 
Rede  stehenden  Folgekrankheit  in  unmittelbaren  Zusammenhang  zu  stellen  wussten,  da 
diese  sich  unbemerkt,  ohne  viel  Schmerz  und  Röthe  entwickelt  hatte. 

Als  Folge  acuter  Bindehautblennorrhöe  sieht  man  das  Flügelfell  nur  dann,  wenn 
Hornhautgeschwüre  entstanden  waren.  Hier,  wo  die  Ausbildung  der  äussern  Umrisse 
viel  rascher  zu  Stande  gekommen  ist,  sieht  mau  oft  geradezu  einen  Theil  der  sonst 
nicht  sehr  veränderten  Bindehaut  in  die  Hornhautnarbe  hineingezogen.  Wenn  ich  recht 
beobachtet,  so  trägt  zu  dieser  Herüberziehung  der  Bindehaut  über  den  unzerstörten 
Hornhautrand  vor  allem  der  Umstand  bei ,  dass  die  Bindehaut,  nachdem  sie  früher 
wallartig  geschwellt  war,  nun  bei  beginnender^  Hornhautvernarbung  schlapp  sich  über 
den  Cornealrand  hereinschlägt  und  mit  dem  zur  Deckung  des  Cornealsubstanzverlustes 
abgesetzten  Exsudate  wahrscheinlich  desshalb  verwächst,  weil  sie  selbst  noch  an  einer 
oder  der  andern  Stelle  des  Epithels  verlustig,  excoriirt  ist.  Desshalb  entstehen  auch  in 
Folge  von  Ophthalmoblennorrhoe  relativ  zu  andern  Stellen  Flügelfelle  am  häufigsten 
nach  oben,  und  ich  habe  einen  Fall  gesehen,  wo  die  Conjunctiva  bulbi  mit  einer  Stelle 
des  Obitalrandes  des  obern  Knorpels  (nach  Touchirungen)  verwachsen  und  gegen  diese 
Stelle  so  hingezogen  war,  wie  sonst  gegen  den  Cornealrand. 

Fragen  wir  uns,  wie  es  komme,  dass  mechanisch-chemisch  wirkende  Schädlich- 
keiten es  sind,  welche  als  veranlassende  Momente  zur  Bildung  des  Flügelfelles  be- 
trachtet werden  müssen,  so  liegt,  die  Annahme  sehr  nahe,  dass  oberflächliche  Verlez- 
zung,  Zerstörung  des  Epitheliums,  seichte  Geschwürsbildung  die  nächste  Folge  dersel- 
ben sei,  und  dass  auf  diese  Weise,  wenn  die  Bindehaut  etwas  schlafler  ist,  wenn  sie, 
nächst  dem  Limbus  conjunctivae  excoriirt,  sich  über  den  angrenzenden,  gleichfalls  ex 
coriirten  Cornealtheil  hereinlegt,  Verwachsung  der  Bindehaut  mit  der  Hornhaut  einge- 
leitet werde.  —  Diess  zugegeben,  erklären  sich  die  weiteren  Folgen  sehr  einfach.  Die 
wenn  auch  geringe  Hereinzerrung  der  Bindehaut  zur  Cornea  setzt  an  und  für  sich 
schon  Reitzung  der  betreffenden  Partie;  wirken  nun,  wie  in  der  Regel,  noch  fortwäh- 
rend äussere  Reize  auf  diese  Partie  ein,  so  geräth  diese  in  Entzündung,  wird  gefäss- 
reicher,  lockerer,  von  Exsudat  durchtränkt.  Das  also  veränderte  Gewebe  unterliegt 
nach  Resorption  der  flüssigen  Theile  des  Exsudates  einer  um  so  stärkeren  Schrumpfung, 
je  mehr  es  durch  die  Entzündung  in  ein  Neugebilde  verwandelt  ist,  je  mehr  das  nor- 
male Gewebe  verdrängt,  durch  Exsudat  ersetzt  worden  ist.  Ist  auf  diese  Art  nur  die 
dem  Hornhautrande  nächste  Partie  verändert  worden,  so  reicht  diess  hin,  die  entfern- 
tem Partien  nach  und  nach  in  denselben  Process  zu  ziehen,  indem  durch  die  Schrum- 
pfung der  zuerst  ergriffenen  Stelle,  die  nächst  angrenzende  von  ihrer  Unterlage  gegen 
die  früher  erkrankte  Stelle  herübergezogen  wird.  Andererseits  kann  die  Heilung  der 
oberflächlichen  Geschwürchen  an  der  Cornea  nicht  leicht  zu  Stande  kommen,  theils 
weil  die  Reaction  zu  unbedeutend  ist,  theils  weil  wohl  in  den  meisten  Fällen  immer 
wieder  ähnliche  schädliche  Einflüsse  einwirken,  ohne  heftigere  Zufälle  zu  erregen. 

Arlt,  I.  11 


162  Bindehaut. 

Untersucht  man  abgetragene  Flügelfelle  mikroskopisch,  so  findet  man,  je  nach 
dem  Alter  und  der  Consistenz  derselben,  nebst  mehr  weniger  Bindegewebsfasern  Ex- 
sudat auf  verschiedenen  Stufen  der  Organisation,  bis  zum  förmlichen  Faser-  oder  Nar- 
bengewebe, als  welches  sich  übrigens  wenigstens  der  Halstheil  schon  mit  freiem  Auge 
an  seinem  sehnigen  Glänze  und  seiner  Knorpelhärte  oft  deutlich  erkennen  lässt.  Hält 
man  bei  Flügelfellen,  welche  bereits  Ausglättung  der  halbmondförmigen  Falte  herbei- 
geführt haben,  den  Augenlidschlag  einige  Zeit  ab,  so  werden  die  sehnenartigen  Partien 
desselben  mehr  weniger  trocken.  —  Breitet  man  ein  Taschentuch  über  ein  Bett  oder 
Canape,  fasst  es  an  einer  Seite  mit  2  Fingern,  und  zieht  es  dann  in  der  Richtung 
der  Ebene,  in  der  es  liegt,  an,  so  entsteht  eine  fächerähnliche  Faltung,  welche  die 
Form  des  Flügelfelles  vollkommen  repräsentirt. 

Wenn  bei  vielen  Entzündungen,  namentlich  bei  der  Conjunctivitis  scrofulosa,  Ge- 
schwürchen auf  dem  Hornhautrande  vorkommen,  und  dennoch  keine  Flügelfelle  ent- 
stehen, so  darf  man  nicht  vergessen,  dass  hier  auch  die  übrigen  Bedingungen  nicht 
vorkommen,  nämlich:  dass  der  Substanzverlust  nur  oberflächlich  und  daher  keine  ge- 
hörige Reaction  vorhanden  ist,  und  dass  die  Scleralbindehaut  theils  wegen  höhern  Alters, 
theils  wegen  wiederholter  Reizungszustände  (in  Folge  der  chemisch-mechanischen  Schäd- 
lichkeiten, denen  solche  Leute  in  der  Regel  Jahre  lang  ausgesetzt  waren)  in  einen  Zu- 
stand von  Erschlaffung  (Faltung  beim  Einwärtswenden  des  Bulbus)  und  theilweiser 
Excoriation  nächst  dem  Bulbus  conjunctivae  gerathen  ist.  Stärkere  Anätzungen,  oder 
tiefere  Geschwüre  geben  aber  desshalb  keinen  Anlass  zur  Bildung  ejnes  Flügelfelles, 
weil  sie  tiefer  eindringen,  mit  heftigerer  Reaction  in  der  Umgebung  verlaufen,  und  zur 
festen  Verwachsung  mit  der  Sclera  oder  mit  dem  Rande  der  Cornea  führen,  wodurch 
dem  Verzerren  der  Bindehaut  vorgebeugt  wird.  Die  glaubwürdigsten  Auetoren  ver- 
sichern, dass  das  Flügelfell  ,  wenn  es  noch  nicht  zu  weit  gediehen,  in  der  ferneren 
Entwicklung  gehemmt  (geheilt)  werden  könne,  bald  durch  Scarificationen,  bald  durch 
Einträufeln  von  Laudanum ,  beld  durch  stark  adstringirende  oder  ätzende  Mittel.  Die 
Wirkung  kann  wohl  keine  andere  sein,  als  dass  durch  Erregung  eines  gehörigen  Gra- 
des von  Reaction  rasche  Vernarbung    des  Cornealgeschwüres  herbeigeführt  wird. 

Das  Flügelfell  gehört  mehr  unter  die  entstellenden  als  unter  die 
gefährlichen  Krankheiten  des  Auges;  doch  ist  es  eben  nicht  ohne  Gefahr 
für  die  Functionen  desselben.  Bisweilen  heilt  es  von  selbst,  wahrscheinlich, 
wenn  das  Auge  weiterhiu  den  erregenden  schädlichen  Potenzen  nicht 
mehr  ausgesetzt  wird.  Das  Geschwürchen  auf  der  Hornhaut  vernarbt, 
die  flügelähnliche  und  mehr  weniger  entartete  Falte  der  Bindehaut  wird 
blass,  gefässarm.  Hat  das  Flügelfell  eine  beträchtliche  Grösse  erreicht 
und  ist  es  sehr  dick  und  blutreich,  dann  bietet  auch  die  übrige  Binde- 
haut die  Zeichen  der  (katarrhalischen)  Entzündung  dar.  Ist  es  bereits 
zur  Verzerrung  der  halbmondförmigen  Falte  gekommen,  dann  wird  auch  die 
Aufsaugung  der  Thränen,  und  weiterhin  selbst  die  freie  Beweglichkeit 
des  Bulbus  mehr  weniger  behindert.  —  Dass  das  Flügelfell  (mittelst  der 
Geschwürchen)  bis  zur  Mitte  der  Hornhaut  und  selbst  darüber  hinaus 
vorrücken    kann,    wurde   bereits   früher   erwähnt.     Hiemit    droht    es    auch 


Flügelfell  —  Prognosis  —  Therapie.  163 

dem  Gesichte  nachtheilig  zu  werden.  Es  versichern  aber  glaubwürdige 
Auetoren  (Prof.  Fischer  in  seinen  Vorlesungen,  und  Chelius*),  dass  bei 
Flügelfellen,  welche  noch  nicht  bis  in  die  Gegend  der  Pupille  reichen, 
das  Gesicht  oft  merklich  beeinträchtigt  sei.  Es  lässt  sich  diese  Beobach- 
tung auf  zweierlei  Weise  erklären:  a)  entweder  haben  diese  Beobachter 
kleine  Facetten  an  der  Spitze  des  Flügelfelles  übersehen,  oder  &)  was 
mir  wahrscheinlicher  ist,  das  Flügelfell  wirkt  mittelst  Druck  auf  die 
Cornea  störend  auf  deren  Wölbung  ein.  Wenn  wan  nämlich  Flügelfelle 
mit  etwas  härterem  Halse  abträgt,  so  kann  man  sie  auf  der  Cornea  nächst 
dem  Rande  förmlich  wie  aus  einer  Grube  herausheben;  sie  hängen  nur 
am  Umfange  der  Spitze  fest  mit  der  Cornea  zusammen. 

Die  Behandlung  des  Flügelfelles  richtet  sich ,  abgesehen  von  der 
Abhaltung  äusserer  Schädlichkeiten,  sofern  solche  möglich  ist,  vorzüglich 
nach  dem  Grade  der  Entartung.  Sie  ist  nicht  bloss  aus  kosmetischen, 
sondern  auch  aus  prophylaktischen  Rücksichten  einzuleiten,  wenn  gleich  in 
der  Regel  nur  erstere  es  sind,  die  den  Kranken  zur  ärztlichen  Hilfe  drängen. 
Bei  noch  wenig  grossen  und  frischen  Flügelfellen  versuche  man,  durch 
Betupfen  der  Spitze  mit  laudanum  liquidum,  mit  Cuprum  sulfur.  oder  mit 
Lapis  infernalis  einen  hinreichenden  Grad  von  Reaction,  Vernarbung  ein- 
zuleiten. Wo  diess  erfolglos  bleibt,  wegen  Verhältnissen  des  Kranken  nicht 
anwendbar  erscheint,  oder  wegen  längeren  Bestandes  und  grösserer  Aus- 
dehnung der  Entartung  nicht  den  gehörigen  Erfolg  (wenigstens  in  Bezug 
auf  die  Entstellung)  verspricht,  schreite  man  zur  Abtragung. 

Indem  der  Gehilfe  das  obere  und  das  untere  Lid  gehörig  fixirt,  und 
der  Kranke  das  Auge  nach  der  entgegengesetzten  Seite  wendet,  fasse 
man  das  Flügelfell  über  dem  Rande  der  Cornea  mit  einer  anatomischen, 
oder,  was  viel  zweckmässiger,  mit  einer  etwas  stärkeren  Blömer'schen 
Pincette,  und  ziehe  den  gefassten  Theil  etwas  gegen  sich  an.  Hierauf 
stosse  man  ein  feines  Spitzbistouri  oder  ein  Staarmesser  zwischen  den 
Hals  des  Flügelfelles  und  die  Cornea,  und  präparire,  gegen  das  Centrum 
der  Cornea  hin,  die  Spitze  (den  Kopf)  des  Flügelfelles  so  rein  als  möglich 
von  der  Cornea  los,  was  bisweilen  in  1 — 2  Zügen  gelingt.  Sodann  ziehe 
man  den  auf  einer  Seite  frei  gewordenen  Hals  etwas  stärker  gegen  sich 
an,  und  trenne  den  entarteten  Theil,  den  Rändern  folgend,  mit  einer 
geraden  oder  nach  der  Fläche  gekrümmten  Scheere  auf  1 — 2  Linien  über 
den  Hornhautrand  hinaus  (gegen  die  Peripherie  hin)  so  knapp  als  möglich 
von  der  Sclera  los,  und  vereine  die  beiden  divergirenden  Schnitte  sodann 


*)  Handbuch  der  Augenheilkunde,    Stuttgart  1839,  S.  410. 

11* 


164  Bindehaut. 

durch  2  convergirende  derart,  dass  die  ganze  Wundfläche  ein  Rhomboid 
darstellt,  von  welchem  der  eine  spitzige  Winkel  gegen  die  Mitte,  der 
andere  gegen  die  Peripherie  des  Bulbus  gerichtet  ist.  Für  die  Errei- 
chung des  Zweckes  ist  es  nicht  nothwendig,  und  in  anderer  Beziehung 
sogar  nachtheilig,  sehr  grosse  Flügelfelle  bis  zur  Peripherie,  z.  B.  bis  zur 
halbmondförmigen  Falte  oder  Karunkel  hin  abzutragen;  nur  von  dem 
Rande  der  Cornea  und  von  dem  angrenzenden  Theile  der  Sclera  (bis  auf 
wenigstens  1  Linie  weit  von  der  Cornea  weg)  muss  alles  Krankhafte 
sorgfältig  entfernt  werden,  und  wo  diess  nicht  sogleich  gelungen,  muss 
man  entweder  noch  mit  Scheere  oder  Messer  nachhelfen,  oder  nachträg- 
lich mit  Lapis  infernalis  ätzen.  Ist  es  gelungen,  in  der  Gegend,  wo  der 
Limbus  conjunctivae  sein  sollte,  eine  feste  Verwachsung  der  Wundränder 
unter  sich  und  mit  der  Sclera  und  Cornea  zu  bewirken,  so  hat  man 
auch  keine  Recidive  zu  fürchten.  —  Die  Weisung,  die  Wunde  nicht  drei- 
eckig, sondern  rhomboidal  zu  formen,  beruht  auf  der  Beobachtung,  dass 
Substanzverluste  der  Scleralbindehaut  durch  Beiziehung  von  der  Seite  her 
gedeckt  werden.  Nach  2—3  Tagen  erscheint  die  Wunde  mit  weissem 
plastischem  Exsudate  bedeckt,  die  angrenzende  Bindehaut  lebhaft  injicirt 
und  geschwellt.  Allmälig  zieht  sich  jene  Exsudatmasse  gleichsam  auf  das 
Centrum  zurück,  und  die  angrenzende  Bindehaut  rückt  über  die  lebhaft 
gerötheten  (fein  granulirenden)  Ränder  gegen  dasselbe  vor:  es  entsteht 
eine  strahlige  Narbe,  welche,  wenn  der  Substanzverlust  nicht  zu  gross 
war,  immer  weniger  und  weniger  bemerkbar  wird,  doch  nie  ganz  ver- 
schwindet. Hat  man,  nach  obiger  Angabe,  die  Sclera  gehörig  bloss 
gelegt,  so  erscheint  die  Narbe  etwas  vertieft,  i.  e.  die  Bindehaut  an  die 
Sclera  angeheftet,  und  eine  fernere  Verzerrung  der  Bindehaut  an  dieser 
Stelle  unmöglich.  Hat  man  aber  auch  diese  Vorsicht  beobachtet,  aber, 
wie  gewöhnlich  gerathen  wird,  der  Wunde  eine  dreieckige  Form  gegeben, 
so  ist  nicht  nur  der  Substanzverlust  unnöthig  grösser,  sondern  es  bildet 
sich  die  Narbe  auch  derart,  dass  gleichsam  ein  zweites,  wenn  auch  kür- 
zeres, die  Cornea  nicht  erreichendes  Flügelfell  (Pterygium  secundarium) 
entsteht.     Nachstehende    Figuren  werden   die  Sache  besser  erläutern,    als 

Worte.      Fig.  1    e\  1 )        )  Fig.  2.  eT"jp       )  Wenn  bei  Fig.  1.  Heilung 


d  Ty^^s  a 


eintritt,  so  wird  a  mit  b  und  c  mit  d  vereint,  die  Narbe  mehr  linear; 
wenn  bei  Fig.  2  Heilung  eintritt,  so  wird  zwar  a  mit  b  vereint,  bei 
c  und  d  aber  entstehen  spitze  Winkel,  indem  die  Linien  ac,  bd,  cd  mit 
ihrem  mittleren  Theile  gegen  das  Centrum  der  Wundfläche  vorrücken, 
und   namentlich    der    Punkt  e  stark    gegen    die  Cornea  hingedrängt  wird. 


FHig-elfell  —  Therapie.  165 

Die    Figur  bekommt    vor  noch    erfolgter    Vernarbung    ohngefähr    folgende 

c 

Gestalt   B^-i    und  nacn  derselben  liegt   e  als  Spitze    eines  einem  Fliigel- 

d 

feile  nicht  unähnlichen  Dreiecks  nahe  am  Hornhautrande. 

Sinnreich  ist  Szokalsky's  Verfahren.*)  Er  nimmt  einen  seidenen  Faden,  und  führt 
jedes  Ende  in  eine  besondere  krumme  Nadel,  sticht  die  eine  im  innern  Winkel  am  obern 
Rande  des  Flügelfelles  ein,  führt  sie  zwischen  dem  Flügelfelle  und  der  Sclera  abwärts, 
und  unter  dem  untern  Rande  demselben  aus.  Die  Spitze  der  Nadel  wird  mit  der  Pin- 
cette  gefasst  und  aus  der  Wunde  gezogen,  so  dass  der  doppelte  Faden  ungefähr  4  Zoll 
lang  zum  Vorschein  kommt.  Die  2.  Nadel  wird  auf  dieselbe  Weise  nächst  dem  Horn- 
hautrande durchgeführt,  und  der  hier  ebenfalls  doppelte  Faden  eben  so  lang  durch- 
gezogen. Durch  Abschneiden  der  Nadeln  zerfällt  der  Faden  in  3  Theile.  Mittelst  des 
ersten  wird  durch  Verknüpfung  des  obern  und  untern  Endes  die  Basis,  mittelst  des 
3.  die  Spitze  zusammengeschnürt ;  der  mittlere,  welcher  nach  oben  eine  Schlinge  bildet, 
wird  langsam  angezogen,  und  am  untern  Rande  des  Flügelfelles  zugebunden,  so  dass 
durch  diese  Ligatur  der  zwischen  der  1.  und  3.  Ligatur  befindliche  Theil  des  Flügel- 
felles von  der  Sclera  abgeschnürt  wird,  und  die  gesunde  Conjunctiva  oberhalb  des 
Flügelfelles  mit  der  unterhalb  desselben  in  Berührung  kommt.  Die  Fäden  dieser  3 
Ligaturen  werden  unter  dem  Augenlide  mit  Heftpflaster  befestigt,  die  Lider  verklebt  und 
kalte  Umschläge  gegeben.  Nach  4  Tagen  wird  der  Verband  abgenommen,  der  zwi- 
schen den  Ligaturen  eingeschnürte  Theil  mit  der  Pincette  gefasst,  und  aus  dem  Auge 
entfernt.  Die  Vernarbung  soll  iu  kurzer  Zeit,  und  niemals  sollen  Recidiven  erfolgen. 
—  Hasner  1.  c.  S.  78,  die  Thatsachen,  welche  für  das  Weiterschreiten  des  Flügelfelles 
und  die  ähnliche  Gefährdung  des  Gesichtes  sprechen,  ignorirend,  und  dazu  noch  die 
ganz  irrige  Behauptung  aufstellend,  bei  jeder  Operatio  pterygii  „müsse  ein  beträcht- 
liches Stück  der  gesunden  Bindehaut  entfernt  werden,"  hat  den  originellen  Rathschlag 
gegeben,  jedes  Pterygium  ohne  Unterschied  sich  selbst  zu  überlassen.  Über  den  Werth 
solcher  Vorschläge  können  nicht  Worte,  nur  unparteiische  Beobachtungen  und  Versuche 
am  Krankenbette  entscheiden.  Ein  einziger  Fall  von  Heilung  durch  die  Operation  be- 
weist mehr,  als  die  sogenannte  „tägliche  Erfahrung"  misslungener  Fälle,  sobald  diese 
nicht  umständlich  angeführt  werden. 

Mit  dem  Flügelfelle  nicht  zn  verwechseln  ist  der  sogenannte  Fettfleck,  Pingue- 
cula, Pterygium  pingue.  Man  findet  diese  Erscheinung  sehr  häufig  bei  Leuten  mittlem 
und  höhern  Alters  ohne  alle  Beschwerden,  ohne  alle  krankhafte  Erscheinungen  weder 
am  Auge,  noch  sonst  wo  im  Körper,  ohne  nachweisbare  Veranlassung.  Sie  besteht  in 
einem  gelblichen,  gewöhnbch  dreieckigen,  mit  der  Basis  zur  Cornea,  mit  der  Spitze 
gegen  den  innern  und  äussern  Winkel  hin  gerichteten  Flecke,  welcher  gerade  so  aus- 
sieht, als  ob  die  Bindehaut  hier  mit  Fett  unterpolstert  wäre,  und  kommt  stets  nur  in 
der  Richtung  der  Lidspalte,  gerade  zu  einer  oder  zu  beiden  Seiten  der  Hornhaut  vor 
Ausser  der  partiellen  Entfärbung  des  Weissen  des  Auges  bringt  der  Fettfleck  niemals 
einen  Nachtheil.  Nach  Wellers  chemischer  Untersuchung  soll  dieses  Gebilde  kein  Fett, 
sondern  Eiweissstoff  und  Gallerte  enthalten.  Es  wird  wohl  kaum  je  ein  3Iensch  so  eitel 
sein,  dass  er  sich  zur  Exstirpation  dieses  Fleckes  entschlösse,  und  von  andern  Mitteln 
dürfte  gar  nichts  zu  erwarten  sein. 

Archiv  für  physiologische  Heilkunde,  von  Roser  und   Wunderlich,  1845,  N.    2. 


166  Bindehaut. 


IX.  Partielle  Wucherung  der  Bindehaut. 

a)  Partielle  Wucherungen,  analog  den  Wundgranulationen,  bemerkt 
man  am  häufigsten  im  Tarsaltheile  der  Bindehaut,  und  zwar  in  Folge  von 
Abscessen  (Gerstenkörnern),  welche  sich  nach  innen  (durch  die  Binde- 
haut) entleert  haben.  Oft  findet  man  zwischen  den  warzen-  oder  poly- 
penähnlichen  dunkelrothen  Auswüchsen  mittelst  einer  Sonde  noch  den 
Eingang  in  die  Abscesshöhle.  An  den  Bestand  dieser  Granulationen  (im 
eigentlichen  Sinne  des  Wortes)  knüpft  sich  in  der  Regel  ein  Zustand  der 
Bindehaut,  welcher  dem  als  Katarrh  beschriebenen  mehr  weniger  nahe 
oder  gleich  kommt;  diesen  letzteren  gründlich  zu  beseitigen,  müssen  jene 
Karunkeln  abgetragen  oder  abgeätzt,  und  etwaige  Reste  des  Hagel-  oder 
Gerstenkorns  nach  den  (weiter  unten  anzugebenden)  Regeln  beseitigt 
werden.  Von  ähnlichen  Wucherungen  als  Hüllen  fremder  Körper  in  oder 
unter  der  Bindehaut  haben  wir  bereits  Seite  153  gesprochen. 

b)  In  dem  innern  Augenwinkel  habe  ich  bei  3  Individuen,  einem 
Goldarbeiter  von  42,  einem  Lederlakirer  von  45,  und  einem  Dienst- 
mädchen von  20  und  etlichen  Jahren  eine  eigenthümliche  Form  schwam- 
miger Excrescenz  der  Bindehaut  gesehen.  Bei  dem  Mädchen,  welches 
ein  Jahr  vorher  an  einem  äusserst  heftigen  (acuten)  Gelenksrheumatismus 
gelitten  hatte,  übrigens  aber  stets  gesund  gewesen  war,  hatte  sich  im 
innern  Winkel  eine  erbsengrosse  Warze  gebildet,  welche  mit  einem  sehr 
dünnen  Stiele  zwischen  der  Thränenkarunkel  und  der  halbmondförmigen 
Falte  fest  sass,  und  sehr  oft  reichlich  blutete.  Nachdem  ich  den  Stiel 
knapp  an  seinem  Ursprünge  mit  einer  Scheere  durchschnitten  hatte,  musste 
ich  den  Stumpf  wiederholt  mit  Lapis  infernalis  betupfen,  um  die  Blutung 
zu  stillen.  Bei  den  zwei  Männern  war  die  ebenfalls  auf  einem  dünnen, 
aber  sehr  kurzen  Stiele  sitzende  Wucherung  der  Form  nach  blumenkohl- 
ähnlich,  blassroth  und  feinwarzig,  wie  eine  Walderdbeere,  weder  blutend 
noch  schmerzend;  nur  nach  der  Abtragung  erfolgte  auffallend  reichliche 
Blutung,  so  dass  ich  jedesmal  Lapis  oder  Cuprum  sulfur.  anwenden 
musste.  Überdiess  hatten  diese  Fälle  das  Eigenthümliche,  dass  bei  dem 
einen  durch  iy2,  bei  dem  andern  durch  zwei  Jahre  die  Abtragung  und  die 
Atzung  der  Basis  von  Zeit  zu  Zeit  wiederholt  werden  musste,  da  immer 
wieder  an  irgend  einer  andern  Stelle  ein  neuer  Schwamm  emporschoss 
und  wucherte,    bis    endlich  die    ganze  Partie    vom  Thränenpunkte    bis  zur 

albmondförmigen    Falte  und    Thränenkarunkel  in    Folge  der   wiederholten 


Polypöse  und  schwammige  Excrescenzen  —  Krebs.  167 

Touchirung  ein  glattes,    gleichsam  gegerbtes  Aussehen   bekam.  Der  Gold- 
arbeiter ist  jetzt  gegen  2,  der  Lakirer  über  4  Jahre  geheilt  geblieben. 

c)  Der  Markschwamm  der  Bindehaut  (den  ich  nach  eigenen  Be- 
obachtungen wenig  kenne)  entsteht  nach  Chelius  *)  entweder  unter  der 
Form  von  blass-  oder  gelblichrothen,  den  gewöhnlichen  Schleimpolypen 
ähnlichen  Geschwülsten,  welche  einzeln  oder  zu  mehreren  von  der  Con- 
junctiva bulbi,  vorzüglich  an  der  untern  Übergangsfalte  sich  entwickeln, 
verschiebbar  und  schmerzlos  sind,  und  bei  ihrer  Vergrösserung  sich  über 
die  ganze  Bindehaut  ausbreiten ;  oder  es  bildet  sich  ein  rother  oder 
bläulicher  Fleck  in  der  Conjunctivae  welcher  sich  zu  einem  Knötchen 
erhebt,  und  in  kürzerer  oder  längerer  Zeit  sich  zu  einer  weichen  schwam- 
migen Masse  vergrössert;  oder  es  entsteht  in  dem  wuchernden  Knötchen 
ein  Geschwür,  aus  dem  sich  die  fungöse  Masse  erhebt.  —  In  dem  einen 
wie  in  dem  andern  Falle  vergrössert  sich  die  Masse  oft  sehr  rasch,  und 
treten  dann  die  Charaktere  solcher  Geschwülste  und  Geschwüre  deut- 
licher hervor,  während  zu  Anfang  eine  Unterscheidung  von  den  soge- 
nannten gutartigen  Geschwülsten   und  Wucherungen   oft  nicht  möglich  ist. 

Chelius  erzählt  S.  488  folgenden  Fall.  „Bei  einem  50  Jahre  alten,  dem  Anscheine 
nach  völlig  gesunden  Manne  entstanden  auf  beiden  Augen  hohnengrosse,  in  ihrer  Be- 
schaffenheit den  Schleimpolypen  vollkommen  ähnliche ,  schmerzlose  und  bewegliche 
Geschwülste  in  der  Conjunctiva  sclerae,  welche  ausser  einer  höchst  unbedeutenden 
Beschwerde  bei  den  Bewegungen  der  Augenlider  und  des  Augapfels  mit  gar  keiner 
weitern  Veränderung  des  Auges  verbunden  waren.  Die  Geschwülste  wurden  mitttelst 
Pincette  und  Scheere  vollständig  exstirpirt,  und  die  Wunden  heilten  schnell  ohne  irgend 
einen  Zufall.  —  Nach  einiger  Zeit  entstanden  wieder  ähnlische  Geschwülste  in  der 
Conjunctiva,  zugleich  aber  auch  eine  Anschwellung  der  linken  Mandel  und  Beschwerde 
beim  Schlingen.  Nachdem  diese  wieder  abgetragen  waren,  wurde  der  Kranke,  da  jetzt 
der  bösartige  Charakter  des  Übels  sich  offenbar  zeigte,  der  Schmier-  und  Hungercur 
unterworfen,  welche  kräftig  einwirkte,  den  Kranken  in  den  höchsten  Grad  von  Abma- 
gerung versetzte,  und  die  Anschwellung  der  Mandel  völlig  entfernte.  Der  Kranke  er- 
holte sich  bald  und  gewann  ein  gutes  Aussehen;  es  wurde  ihm  ein  Haarseil  in  den 
Nacken  gesetzt.  Da  das  Wohlbefinden  lange  Zeit  ganz  ungestört  blieb,  und  keine  Spur 
der  früheren  Geschwülste  sich  zeigte,  so  liess  der  Kranke  das  Haarseil  eingehen  — 
und  nun  dauerte  es  nicht  lange,  so  stellten  sich  ähnliche  Anwüchse  in  beiden  Nasen- 
höhlen ein,  welche  sich  schnell  vergrösserten,  so  dass  ich  eine  Masse  derselben  mit 
der  Polypenzange  auszog ,  welche  eine  ganze  hohle  Hand  füllte.  Nach  einiger  Zeit 
entstand  Auftreibung  der  Nasenwurzel,  die  Knochen  wurden  durchbrochen,  und  es  ent- 
wickelte sich  ein  Schwammgewächs,  welches  die  Grösse  einer  Faust  erreichte,  häufig 
blutete,  und  plötzlich  unter  den  heftigsten  Schmerzen  sich  abstiess.  Der  Krake  erholte 
sich  wieder,  und    es   hatte  den  Anschein,   als    weun    die    eiternde  Stelle    sich  vernarben 

*)  Handbuch  der  Augenheilkunde,  Stuttgart  1839,  II.  B.  S.  166. 


168  Bindehaut. 

wollte.     Allein    die    Wucherung   des    Schwammgewächses    begann    wieder,    und     führte 
später  den  Tod  durch  Hirnaffection  herbei. 


X.  Ergüsse  unter  der  Bindehaut. 

1.  Blutergüsse  (Apoplexie)  unter  die  Conjunctiva,  namentlich  am 
Bulbus,  kommen  dem  praktischen  Arzte  ziemlich  häufig-  zu  Gesichte  wegen 
des  Schreckens,  in  welchen  sie  den  Betroffenen  zu  versetzen  pflegen. 
Sie  haben  indessen  in  der  Regel  sehr  wenig  zu  bedeuten,  und  erfordern 
an  und  für  sich  kaum  jemals  eine  ärztliche  Behandlung.  Sie  entstehen 
theils  nach  Schlägen  auf  die  Augen  und  deren  Umgebung,  theils  nach 
forcirtem  Blutandrange  und  gehemmtem  Rückflusse,  wie  z.  B.  beim  Heben 
schwerer  Lasten,  beim  Erbrechen,  schwerer  Stuhlentleerung,  Niesen, 
Husten,  besonders  Keuchhusten  u.  dgl.,  theils  auch  ohne  äussere  Veran- 
lassung, namentlich  bei  älteren  Personen,  und  in  Folge  allgemeiner  Blut- 
erkrankung, beim  Scorbut.  Will  man  ihre  Aufsaugung  beschleunigen,  oder 
den  etwa  misstrauischen  Kranken  von  andern  Mitteln  abhalten,  so  gebe 
man  Einreibungen  von  Tinct.  arnicae  mit  Spir.  roris  marini  an  die  äussere 
Fläche  der  Lider.  Dem  massenhaft  angehäuften  Blute  durch  einen  Ein- 
schnitt in  die  Bindehaut  einen  Ausweg  bahnen  zu  müssen,  wird  wohl 
selten  angezeigt  sein.  Der  Ecchymosen  bei  Entzündungen  der  Bindehaut 
wurde  bereits  oben  erwähnt. 

Lufterguss  (Emphysem)  unter  der  Bindehaut  soll,  als  äusserst 
seltene  Erscheinung,  bei  Knochenbrüchen,  namentlich  des  sinus  front,  vor- 
kommen. Sollte  derselbe  grosse  Spannung  verursachen,  so  mache  man 
einen    feinen  Einstich,    und  lasse  den  Kranken    das  Schneuzen  vermeiden. 

Seruinerg&iss  (Ödem)  kommt  als  selbstständige  Krankheit  wohl 
selten  vor,  meistens  symptomatisch,  und  zwar  bei  Hydrops  anasarca,  mit 
Ödem  der  Lider  zugleich,  bei  Ophthalmia  catarrhalis,  namentlich  bei  altern 
Leuten,  wo  das  Oedema  conjunctivae  bulbi  bisweilen  auffallend  in  den  Vor- 
dergrund der  Erscheinungen  tritt,  bei  Erysipelas  faciei  et  palpebr.,  bei 
rheumatischer  Hörn-  und  Regenbogenhautentzündung,  insbesondere  aber 
bei  Entzündungen  mit  Eiterbildung,  diese  mag  nun  in  den  Lidern,  im  Thränen- 
sacke,  in  den  Gebilden  des  Bulbus  oder  in  den  demselben  benachbarten  tie- 
fern Organen  ihren  Sitz  haben.  Das  Ödem  der  Conjunctiva  bulbi  erscheint 
in  Form  gleichmässiger,  weicher,  mehr  weniger  hoher  durchscheinender 
und  blasser  Schwellung  und  Lockerung  der  Bindehaut,  oder  in  Form 
blassgelber    oder    blassrother    (von    feinen    Gefässchen    überschlängelter) 


Ödem— Abscess  —  Einfache  Cysten.  169 

Wülste  zuerst  an  der  Peripherie,  dann  auch  nächst  der  Cornea  —  dem 
Sitze  des  Abscesses,  wenn  es  durch  einen  solchen  bedingt  ist,  im  Allge- 
meinen immer  zunächst,  oder  daselbst  doch  früher  und  stärker  ent- 
wickelt. Es  ist  bisweilen  das  erste  -Symptom,  welches  den  Arzt  auf  einen 
benachbarten  Entzündungs-  oder  Eiterherd  aufmerksam  macht.  Nach  dem 
Schwinden  desselben  bleiben  gern  ecchymotische  Stellen  zurück.  Es  er- 
fordert an  und  für  sich  keine  Behandlung,  nur  verbietet  es,  es  mag  was 
immer  für  eine  Bedeutung  haben,  jederzeit  die  Anwendung  kalter  Um- 
schläge, und  ebenso  alle  Arten  von  Augen  wässern,  Tropfen,  Salben  u.  dgl. 
aufs  Auge.  Trockene  warme  Tücher,  leicht  über  das  Auge  herabhängend, 
ohne  es  ganz  zu  verdecken  oder  zu  drücken,  sind  im  Allgemeinen  das 
Mittel,  welches  die  Gegenwart  dieses  Zufalles  erheischt. 

Eine  Art  chronischer  seröser  Infiltration  der  Bindehaut  rings  um 
die  Hornhaut,  als  ein  l1/^ — 2  Linien  breiter  flacher  Wulst  kommt  bisweilen 
in  Folge  von  Entzündung  der  vordem  Partie  der  Selera  vor,  welche  bald 
mit  Keratitis,  bald  mit  Iritis  combinirt  auftritt,  und  später  besonders  be- 
sprochen werden  soll.  Die  Kunst  scheint  nichts  beitragen  zu  können, 
diesen  Zustand  rückgängig  zu  machen. 

Eitererguss  (Abscesse)  unter  der  Bindehaut  habe  ich  einige  Male 
bei  scrofulösen  Kindern  gegen  den  äussern  Augenwinkel  hin  gesehen, 
ohne  ermitteln  zu  können,  welche  Erscheinungen  vorausgegangen  waren. 
Ich  halte  die  Bildung  solcher  umschriebener  Eiterherde  für  analog  der 
Bildung  von  Gerstenkörnern  in  den  Lidern,  und  glaube,  das  Makenzie, 
1.  c.  S.  189  solche  Fälle  vor  sich  gehabt  habe,  als  er  die  Schilderung 
der  „phlegmonösen  Entzündung  unter  der  Bindehaut"  entwarf.  Ich  füge 
nur  noch  hinzu,  dass  der  Eiter  in  einigen  Tagen  verschwand,  ohne  dass 
es  zu  irgend  einem  Durchbruche  der  Bindehaut  kam,  welche  überhaupt 
wenig  (nur  durch  Hyperämie)  an  dem  Processe  Antheil  zu  nehmen  schien. 

Cystenbildung  unter  der  Conjunctiva  bulbi  gehört  unter  die  sel- 
tensten Erscheinungen.  Die  Bildung  einfacher  seröser  Cysten  unter  der 
Bindehaut  habe  ich  in  Folge  von  Stössen  auf  den  Bulbus  beobachtet.  *) 
Einen  Fall  dieser  Art,  den  ich  im  Jahre  1841  auf  der  Klinik  beobachtete, 
hat  Prof.  Fischer  in  seinem   Lehrbuche  S.  23  beschrieben. 

Eine  Frau  von  43  Jahren  stiess  sich  mit  einem  Baumaste  an  das  rechte  Auge 
(s/4  Jahre  vor  ihrer  Aufnahme) ,  worauf  sich  Verlust  des  Gesichtes  und  heftige  ent- 
zündliche Zufälle  einstellten.  Nach  Verlauf  einiger  Tage  sah  sie  wieder,  jedoch  doppelt. 
(Das  linke  Auge    war  von  Jugend   auf    phthisisch.)     Wir  fanden   unterhalb    der  Cornea 

*)  Vergl.  Schön,  pathologische  Anatomie  de»  Auges,  Hamburg   1828,  S,  166. 


170  Bindehaut. 

eine  zuckererbsengrosse,  weisslichgraue,  elastische,  verschiebbare,  unschmerzhafte,  von 
den  Lidern  nicht  ganz  bedeckbare,  mit  einer  klaren,  eiweissähnlichen  Flüssigkeit  ge- 
füllte Blase ,  welche  zwischen  der  Conjunctiva  und  der  Sclera  sass,  und  nach  Auf- 
schlitzung der  erstem  leicht  angeschält  werden  konnte.  Die  Iris  war  nach  oben  und 
innen  vom  Ciliarbande  in  mehr  als  l/4  ihres  Umfanges  losgetrennt,  und  dieser  Streifen 
so  gelagert,  dass  neben  der  in  einen  schmalen  Streifen  verwandelten  natürlichen  Pupille 
noch  eine  grosse,  dreieckige,  künstliche  Pupille  (nach  innen  und  oben)  bestand,  und 
nur  durch  letztere  das  Sehen  vermittelt  wurde.  Theils  nach  diesem  Befunde,  theils 
nach  den  Angaben  der  Kranken  musste  man  annehmen,  dass  der  Stoss  das  untere  Lid 
und  durch  dasselbe  den  Bulbus  gerade  da  getroffen  hatte,  wo  sich  später  jene  Cyste 
entwickelte.  —  Auf  welche  Weise  solche  Cysten  von  der  durch  einen  Riss  der  Sclera 
unter  die  Conjunctiva  bulbi  vorgefallenen  Krystalllinse  unterschiedeu  werden  können, 
kann  erst  bei  den  Krankheiten  der  Krystalllinse  angegeben  werden. 

Spontan  entwickelt  sich  unter  der  Conjunctiva  bulbi  der  Cysticercus 
cellulosae  (Finnenwurm).  Ich  fand  in  den  zwei  Fällen,  die  ich  beobach- 
tete, eine  erbsengrosse  Blase  mit  fast  durchsichtigen  Wandungen  und 
fast  wasserklarem  Inhalte;  an  der  Basis  erschien  die  Hervorragung  etwas 
eingeschnürt;  die  Cyste  liess  sich  auf  der  Sclera  hin  und  her  schieben, 
und  die  sie  bedeckende  Bindehaut  war  von  einzelnen  Gefässen  überzogen. 
Sicher  stellen  liess  sich  die  Diagnosis  erst  nach  dem  Ausschälen  der 
Cyste,  aus  dem  Auffinden  der  eigenen  Hülle,  der  Saugnapfe  und  des 
Hakenkranzes.  Die  Cyste  hatte  sich  ohne  bekannte  Veranlassung  unter 
geringen  entzündlichen  Zufällen  entwickelt,  und  in  Zeit  von  einigen  Mo- 
naten die  genannte  Grösse  erreicht.  Eine  besondere  Disposition  liess 
sich  nicht  nachweisen,  die  Individuen  waren  jugendlich,  das  eine  32,  das 
andere  26  Jahre  alt.  Sichel  (Gaz.  d'Hop.  1845  N.  55)  beobachtete  einen 
Cysticercus  subconjunctivalis  bei  einem  l1^  Jahre  alten  Knaben  mit  scro- 
fulöser  Anlage.  Baum  (Ammons  Monatschr.  1838  H.  1)  und  Höring  (ibid. 
1839  H.  5)  haben  ähnliche  Beobachtungen  veröffentlicht. 

In  den  Tropenländern  hat  man  nicht  selten  Gelegenheit,  Augenentzündungen  zu 
beobachten,  welche  durch  die  Gegenwart  von  Filaria  medinensis  unter  der  Conjunctiva 
(im  Übergangs-  und  Scleraltheile)  erregt  und  unterhalten  werden.  (Vergl.  Mongin  in 
Richter's  Chir.  Bibl.  I.  B.  S.  90,  Bajon  über  die  Krankh.  auf  der  Insel  Cayenne  1781, 
Gärtner  in  Schön's  pathol.  Anat.  1828,  S.  226,  Larrey,  der  die  Filaria  mehrmals  in 
Ägypten  beobachtete,  u.  m.  A.) 


XI.    Warzen  der  Bindehaut. 

Die  hier   zu  besprechende,    meines    Erachtens  stets    angeborene  Ab- 
normität   ist  unter   den   verschiedensten  Namen   beschrieben  worden,    von 


Verruca.  171 

Himhj*)  als  Chondroma  conjunctivae,  auch  als  Lipoma  crinosum,  von 
Gräfe**)  als  Trichosis  bulbi,  von  Makenüe  (Wardrop)  einfach  als  Ge- 
schwülste oder  Sarkome  d.  r  Conjunctiva,  von  fiyba  ***)  als  behaarte 
Muttermäler  u.  dgl.  m.  f)  Man  findet  an  der  Conjunctiva  bulbi  dieselbe 
Missbildung,  welche  an  der  Cutis  unter  dem  Namen  Warze,  Verruca  be- 
kannt ist.  Ihr  Sitz  ist  zum  Theil  auf  der  Cornea,  zum  Theil  auf  der 
Sclera,  also  eigentlich  in  der  Gegend  des  Limbus  conjunctivae,  da,  wo 
wir  auch  die  an  die  Analogie  der  Conjunctiva  mit  der  Cutis  erinnernde 
Bläschen-  und  Pustelbildung  am  häufigsten  bemerken.  Unter  5  Fällen, 
wozu  noch  2  an  Thieraugen  kommen,  war  der  Sitz  des  Gewächses  nur 
ein  einziges  Mal  nicht  gegen  den  äussern  Winkel  hin,  sondern  nach  innen 
und  unten.  Die  Haarbildung  auf  demselben  wird  entweder  gleich  in  der 
ersten  Jugend  oder  erst  zur  Zeit  der  Mannbarkeit  bemerkt. 

Anna  Hrba,  24  Jahre  alt,  trägt  am  rechten  Auge  eine  Warze,  genau  so  beschaf- 
fen, wie  die  gewöhnlichen  angeborenen  Warzen  z.  B.  in  der  Gesichtshaut  vorkommen. 
Dieses  Gebilde  sitzt  zum  grössern  Theile  über  der  Sclera,  zum  Theile  über  der  Cornea, 
gegen  den  äussern  Winkel  hin.  Es  ist  von  aussen  nach  innen  etwa  b'"  lang,  von 
oben  nach  unten  fast  4'"  breit,  an  der  erhabensten  Stelle  etwas  über  2'"'  hoch,  von 
der  Farbe  der  allgemeinem  Bedeckung,  mit  vielen  kurzen,  braunen  Härchen  besetzt, 
gegen  die  Spitze  hin  trocken,  beim  Anfühlen  derb,  elastisch,  nicht  schmerzhaft,  ein 
wenig  verschiebbar.  Auf  der  Cornea  steiler,  gegen  den  äusseren  Winkel  hin  sich  all— 
mälig  abflachend,  geht  es  unmerklich  in  die  Cornea  und  in  die  Conjunctiva  bulbi  über ; 
aus  letzterer  sieht  man,  besonders  vom  äussern  Winkel  her,  viele  erweiterte  Gefässe 
zu  demselben  hinstreichen.  Beim  Schliessen  der  Lider  wird  es  nicht  völlig  bedeckt. 
Von  der  Hornhaut  sind  etwa  3/4  frei,  vollkommen  durchsichtig,  und  normal  gewölbt' 
sonst  sind  alle  Theile  des  Auges  gesund,  das  Sehvermögen  etwas  schwächer.  Das 
Gewächs  besteht  von  Geburt  an,  und  soll  in  den  letzten  6 — 7  Jahren  merklich  an 
Grösse  zugenommen  haben.  —  Ich  nahm  die  Abtragung  mittelst  Pincette,  Scalpell  und 
Scheere  vor;  Blutung  und  Schmerz  waren  ziemlich  stark;  Sclera  und  Cornea  zeigten 
sich  darunter  unversehrt;  mit  ersterer  hing  die  Geschwulst  durch  kurzes  und  derbes 
Zellgewebe  so  fest  zusammen,  dass  ich  Mühe  hatte,  diese  Membran  rein  zu  präpariren; 
auf  der  letzteren  war  die  Verbindung  bloss  an  der  Peripherie  der  Geschwulst  inniger, 
sonst  liess  sich  diese  hier  leicht  ablösen,  und  die  Cornea  erschien  darunter  rein, 
durchsichtig,  weder  merklich  vertieft,  noch  erhaben,  und  an  der  Trennungsfläche  von 
der  Warze  mit  zahlreichen  Blutpunkten  besetzt.  Unter  Anwendung  von  kalten  Um- 
schlägen bedeckte   sich   die   Wundfläche    mit    einer    weisslichen,    dicken,    eiterähnlichen 


*)  Die  Krankheiten  und  fllissbildungen  des  menschlichen  Auges,   Berlin   1632,    B.  II.  S.  15  u.   19 
••)  Gräfe  und  Walther's  Journal,  3.  u.  4.  B. 
*")  Ryba  in  Ammon's  Monatsehrift,  I.  B.  G.  H. 

•y  Vergl.  meinen  Aufsatz  in  der  Prager  Vierteljahrschrift,  1846,  B.  12,  S.  78;  ferner  Dusensy  Dissertation  über  die 
Krankheiten  der  Hornhaut,  Prag  1833  ;  Fronmüller  in  Walter  und  Ammon's  Journal,  N.  F.  II.  B.  S.  180,  und 
Küchler  ibid.  III.  B.  S.  58 ;  Pluskai  österreichische  medicinische  Wochenschrift,  1843,  S.  48,  und  Fischer 
Lehrbuch,  1846,  S.  303. 


172  Bindehaut. 

Masse,  und  nach  einigen  Tagen  mit  lebhaft  rothen  Granulationen ;  nach  etwa  6  Tagen 
rückte  die  Conjunctiva  bulbi  von  den  Rändern  her  allmällig  gegen  das  Centrum  der 
Wunde,  und  umschnürte  den  14.  Tag  die  indess  hoch  emporwuchernden  Granulationen, 
welche  sofort  mit  Lapis  infirnalis  touchirt  werden  mussten.  Die  entblösstc  Stelle  der 
Cornea  wurde  allmälig  weisslich,  sehnig  glänzend,  doch  nicht  kleiner.  Die  Kranke 
ging  Ende  der  4.  Woche,  noch  vor  gänzlicher  Vernarbung,  nach  Hause.  —  Die 
abgetragene  Warze,  einer  genauen  Untersuchung  unterworfen ,  zeigt  alle  3  Schichten 
der  allgemeinen  Bedeckung,  Epidermis,  Corium  und  Panniculus  adiposus,  und  ist 
zahlreich  mit  Haaren  besetzt.  Die  Grösse  dieser  Warze  war  besonders  durch  reiche 
Fettablagerung  in  das  grobmaschige  Zellgewebe  ihrer  untersten  Lagen  gegen  den 
äussern  Augenwinkel  hin  bedingt.  Ich  bewahre  dieselbe  nebst  einem  von  Dr.  Ryba 
dem  pathologisch-anatomischen  Cabinete  übergebenen  Auge  von  einem  Rinde  mit  einer 
ähnlichen  Bildung  auf. 


Anhang*. 

XII.  Krankheiten  der  Thränenkarunkel, 

Die  Thränenenkarunkel  erscheint  als  ein  röthlichgelbes  feinkörniges 
Hügelchen  auf  dem  innern  Rande  der  halbmondförmigen  Falte,  umgeben 
von  dem  hufeisenförmigen  Wall,  welchen  die  Cutis  bei  ihrem  Übergange 
in  die  Bindehaut  zwischen  den  Thränenpunkten  und  dem  Ligamentum 
palpebr.  internum  bildet.  Sie  besteht  aus  Talgdrüsen,  welche  durch 
lockeres  Bindegewebe  verbunden  sind,  und  trägt  an  der  Oberfläche  feine, 
oft  kaum  bemerkbare  Härchen.  Die  ziemlich  regelmässig  geordneten 
Drüsen  sind  (nach  Huschke)  kegelförmige,  überall  mit  Acinis  besetzte 
Körper,  die  an  der  Seite  jedes  Haares  zu  2 — 4,  mit  ihrem  acinösen  Aus- 
führungsgange allmälig  zugespitzt  nach  der  Oberfläche  laufen,  und  sich 
in  der  Haarscheide  öffnen.  Das  Secret  ist  talgartig,  und  bestimmt,  das 
Überfliessen  der  Thränen  über  die  umgebende  Cutis  zu  verhindern. 

Die  Entzündung  der  Karunkel  findet  man  unter  dem  Namen  En- 
kanthis  inflatn.  beschrieben.  Ich  habe  nur  Einen  Fall  beobachtet,  den 
ich  nach  den  Angaben  der  Äuctoren  für  dieses  Leiden  halten  konnte  und 
inusste.  Ein  ganz  gesund  aussehendes,  jedoch  von  einer  in  hohem  Grade 
scrofulösen  Mutter  geborenes  Kind  von  3/4  Jahren  bekam  binnen  24 
Stunden  nach  einem  Spaziergange  Röthe  im  innern  Augenwinkel,  Licht- 
scheu und  Thränenfluss,  und  äusserte  starken  Schmerz.  Den  3.  Tag  war 
das  Auge  (das  linke)  stark  nach  aussen  gedrängt;    im  innern  Winkel  sah 


Caruncula  lacrymalis  —  Enkanthis  inflammata.  173 

man  eine  hellrothe ,  bohnen- ,  später  haselnuss  -  grosse  Anschwellung 
statt  der  halbmondförmigen  Falte  und  Thränenkarunkel.  Da  ich  an  die 
Lehre  von  der  Enkanthis  nicht  recht  glaubte,  weil  ich  in  der  Zeit  von 
mehr  als  6  Jahren  nie  etwas  dergleichen  gesehen  hatte,  so  dachte  ich 
an  die  Ablagerung  von  Krebsmaterie  in  dieser  Gegend,  und  ordinirte 
nichts,  ausser  entsprechende  Diät.  Nach  5  Tagen  ging  die  Geschwulst 
zurück;  es  schien  an  einer  Stelle  sich  etwas  Eiter  entleert  zu  haben ; 
der  Augapfel  kehrte  in  seine  gehörige  Lage  zurück,  und  es  blieb  zuletzt 
keine  Spur  der  Krankheit  übrig. 

Beer  1.  c.  I.  B.  S.  377  sah  diese  Entzündung  ^nach  dem  Eindringen 
fremder  Körper,  Monteath  (bei  Makenzie  1.  c.  S.  198)  in  Folge  einwärts 
gewendeter  Wimpern,  Makenzie  nach  Verkältting  entstehen;  Benedikt 
eHandb.  Thl.  I.  S.  266)  und  Weller  (Augenkrankh.  1830.  S.  169)  sahen 
sie  überdies  in  Folge  griesartiger  Concremente  der  Karunkel  selbst 
entstehen. 

Als  Ausgänge  dieser  Entzündung  führen  die  Auetoren  an :   a)  eitrigen 
Schwund,  Rhyas,    und  b)  bleibende  Vergrösserung  oder  Wucherung,    En- 
kanthis.    Letztere   soll    dem  Bestreichen   mit  Laudanum  Sydenh.  weichen 
und    ist   wohl    zu   unterscheiden    von    der  medullären   und  melanotischen 
Infiltration  dieses  Gebildes,  welche  nicht  so  selten  vorkommen  sollen. 

Überdiess  ist  zu  bemerken,  dass  sich  auf  der  Thränenkarunkel  bis- 
weilen stärkere  und  längere  Wimperhaare  entwickeln,  welche  die  Binde- 
haut beständig  reizen,  und  desshalb  fleissig  ausgezogen  werden  müssen 
Trichiasis  s.  Trichosis  caruneulae,  und  dass  sich  in  derselben  so  wie 
in  den  Meibom'schen  Drüsen  nicht  selten  kalkige  Concremente  bilden 
lithiasis  caruneulae,  die  man  einfach  anszuschälen  hat.  Auch  Filaria 
medinensis  und  Cysticercus  wurden  in  dieser  Partie  beobachtet. 


II.  Buch. 

Die  Hornhaut,    Tunica  cornea. 


A.  Anatomisch-physiologische   Bemerkungen*^) 

Die  Hornhaut  bildet  etwas  mehr  als  den  6.  Theil  der  heutigen 
Kapsel  des  Bulbus,  und  kann  füglich  mit  einem  Uhrglase  verglichen  werden. 
Ihre  vordere  Fläche  ist  spärlich  gewölbt  (nach  einem  Radius  von 
3,495'"  im  Mittel),  ihre  hinlere  ausgehöhlt  (nicht  sphärisch,  sondern  para- 
bolisch, nach  einem  Parameter  von  5  —  6'"  —  Krause).  Die  Basis 
der  vordem  Fläche  ist  nicht  kreisrund,  sondern  oval,  und  misst  von 
einer  Seite  zur  andern  5"',  (42/3 —  51//"),  von  oben  nach  unten  41/0/", 
(475 — 44/5"") ;  die  Basis  der  hintern  Fläche  ist  kreisrund,  und  misst 
5 — ÖVg'"  im  Durchmesser.  Die  Dicke  der  Hornhaut,  zwischen  0,3 — 0,7'", 
also  im  Mittel  l/a'"j  ist  in  der  Mitte  nicht  dieselbe,  wie  gegen  die  Peri- 
pherie hin,  und  zwar  bei  Erwachsenen  in  der  Mitte  relativ  geringer,  beim 
Kinde  dagegen  relativ  grösser  als  am  Rande  (Rosas),  wo  sie  stets  we- 
nigstens 7,2 "'  beträgt. 

Die  Wichtigkeit  der  Kenntniss  dieser  Grösrenverhältnisse  kann  erst  bei  der  Lehre 
von  den  Krankheiten  der  Linse,  insbesondere  bei  der  Lehre  von  der  Operation  des  grauen 
Slaares  gehörig  gewürdigt  werden.  Rücksichtlich  der  regelmässig  sphärischen  Wölbung  der 

")  Hiezu  wurden  vorzüglich  benützt :  Rosas  Augenheilkunde,  1S30,  B.I.,  -Hyrtl  Anatomie,  Huschke  in  Sömmering's 
Anatomie,  Leipzig  1844,  Pappenheim  Gewebelehre  des  Auges,  Breslau  1842  und  E.  Brücke  Anatomische  Be- 
schreibung des  menschlichen  Augapfels,  Berlin    1847, 


Anatomie  —  Physiologie.  175 

Cornea  soll  hier  nur  in  vorhinein  bemerkt  werden,  dass  uns  die  spiegelglatte  Ober- 
fläehe  der  Cornea  ein  Mittel  an  die  Hand  gibt,  jene  zu  beurtheilen.  Die  Cornea  stellt 
nämlich  einen  Convexspiegel  dar,  welcher  uns  die  vorgehaltenen  Gegenstände  in  ver- 
kleinertem Maassstabe  zeigt.  Die  Grösse  des  Spigelbildes  auf  der  Cornea  wird  bei  glei- 
cher Grösse  und  gleicher  Entfernung  des  leuchtenden  Objectes,  wozu  man  am  besten 
die  Rahmen  eines  Fensters  wählt,  offenbar  von  der  grössern  oder  geringern  Wölbung 
der  vordem  Fläche  der  Cornea  abhängen,  und  zwar  wird  eine  stärker  gewölbte  Cornea 
(ceteris  paribus)  ein  kleineres  Bild  geben.  Wir  werden  auf  dieses  diagnostische  Hilfs- 
mittel bei  der  Lehre  von  der  Accomodation  des  Auges,  von  der  Kurz-  und  Weitsichtig- 
keit zurückkommen,  und  erwähnen  nur  noch,  dass  uns  die  Abspiegelung  der  Fenster- 
rahmen auf  der  Cornea  zugleich  das  sicherste  und  bequemste  Mittel  bietet,  die  Regel- 
mässigkeit der  Cornealoberfläche,  die  Gegenwart  kleiner  Erhöhungen  öder  Vertiefungen 
zu  erkennen  und  zu  beurtheilen.  Ich  weiss,  dass  Fälle  mit  leichten  Vertiefungen  (Re- 
sorptionsgeschwürchen),  oder  mit  leichter  Erhebung  des  Centruins  der  Cornea  (Kerato- 
konus  im  ersten  Beginn)  für  Schwäche  der  Sehkraft  selbst,  für  Amblyopia  amaurotica 
gehalten  und  behandelt  wurden,  welche  mich  das  Prüfen  des  Spiegelbildes  der  Cornea 
sogleich  als  Cornealleiden  erkennen  Hess. 

Um  sich  von  dem  Rande  der  Cornea  und  seiner  Vereinigung  mit 
der  Sclera  eine  richtige  Vorstellung  zu  machen,  denke  man  sich  den- 
selben beinahe  parallel  zur  Sehachse  abgeschnitten.  (Vergl.  Fig.  7  u.  8  der 
beigegeb.  Tafel).  Indem  sich  die  etwas  dünnere  Sclera  an  diesen  schiefen 
Rand  anschmiegt,  oder  vielmehr,  indem  die  Comealfasern  in  dieser  Gegend 
plötzlich  ihre  Natur  ändern,  in  Scleralfasern  übergehen,  reichen  die  ober- 
flächlichen Faserlagen  der  Sclera  weiter  nach  vorn,  als  die  tiefern.  Dieses 
Übergreifen  der  Sclera  über  den  Rand  der  Cornea  hat  im  obern  und  im 
untern  Umfange  der  Cornea  eine  grössere  Ausdehnung,  als  zu  beiden 
Seiten,  gegen  welche  hin  es  allmälig  geringer  wird.  Und  hiemit  erklärt 
sich  die  obige  Angabe,  dass  nur  die  hintere  Fläche  der  Cornea  durch 
eine  Kreislinie,  die  vordere  dagegen  durch  eine  (ziemlich)  ovale  Linie 
begrenzt  sei.  Denkt  man  sich  die  Scheibe  oder  Ebene,  welche  die  Iris 
bildet,  vergrössert,  so  würde  sie  von  dem  vordersten  Theile  der 
Sclera  einen  Reifen  abschneiden,  dessen  äussere  Fläche  zu  beiden  Seiten 
mindestens  eine  halbe,  oben  nahezu  eine  ganze,  unten  etwa  3/4  Linie 
breit  sein  würde.  Bei  Kindern  tritt  das  Übergreifen  der  Sclera  über  die 
Cornea  weniger  (im  horizontalen  Durchmesser  fast  gar  nicht),  bei  Greisen 
dagegen  stärker  hervor ;  bei  Kindern  erscheint  daher  auch  die  vordere 
Fläche  der  durchsichtigen  Hornhaut  beinahe  kreisrund,  bei  Greisen  stets 
eiförmig  (das  stumpfere  Ende  von  innen,  das  minder  stumpfe  nach  aussen). 

Die  Hornhaut  besteht  aus  2  Membranen,  der  eigentlichen  Hornhaul- 
s-ub  stanz  und  der  Descemet' 'sehen  Haut,  und  hat  sowohl  an  ihrer  vordem 
als    an    ihrer   hintern   Fläche    einen   Epithelialüberzug.     Den    der    vordem 


176  Hornhaut. 

Fläche  haben  wir  gleichsam  als  Fortsetzung  der  Binde-  über  die  Horn- 
haut bereits  kennen  gelernt;  der  der  hintern  Fläche  besteht  aus  einer 
einfachen  Lage  dünnwandiger  sechseckiger  Pflasterzellen  mit  runden 
Kernen,  und  geht  nach  dem  Tode  sehr  bald  verloren. 

Die  eigentliche  Hornhautsubstanz  liegt  zwischen  dem  sogenannten 
Bindehautblättchen  und  zwischen  der  Descemet'schen  Haut.  Sie  besteht 
aus  Bindegewebsfasern,  welche  sich  netzförmig  kreuzen,  und  mehr  in  die 
Breite  als  in  die  Tiefe  verflechten,  so  dass  man  die  Cornea  leicht  in  Fa- 
serschichten oder  Blätter  zerlegen  kann,  welche  deren  Fläche  parallel 
verlaufen.  Die  Primitivfasern  (von  0,005  Millim.  Breite  und  0,003  Millim. 
Dicke)  sind  glatt,  farblos  und  durchsichtig,  und  liegen  in  den  einzelnen 
Bündeln  regelmässig  neben  einander.  Im  Wasser  werden  sie  opalartig 
getrübt,  und  schwellen  rosenkranzähnlich  an.  Sie  schliessen  viel  farblose, 
durchsichtige,  wässrige  Flüssigkeit  zwischen  sich  ein,  nach  deren  gewalt- 
samer Auspressung  die  Cornea  welk,  matt  und  undurchsichtig  erscheint ; 
sie  wird  aber  wieder  hell,  wenn  man  sie  in  Wasser  legt.  Durch  längeres 
Kochen  löst  sich  das  Hornhautgewebe  in  Chondrin  (Knorpelleim),  also 
nicht  wie  die  Sclera  und  anderes  Bindegewebe  in  Leim  (Tischlerleim) 
auf;  durch  Mittel,  welche  Eiweiss  und  Gallerte  gerinnen  machen  (Wein- 
geist, Mineralsäuren,  siedendes  Wasser),  verliert  sie  ihre  Durchsichtigkeit. 
Das  Gewebe  der  Hornhaut  muss  daher  als  ein  eigenthümliches,  von  dem 
der  Sclera  in  vielen  Beziehungen  verschiedenes  bezeichnet  werden.  — 
Das  Gewebe  der  Hornhaut  geht  unvermerkt  in  das  der  Sclera  über.  Die 
Faserbündel  schieben  sich  gleichsam  in  einander.  Die  Verbindung  der 
Sclera  mit  der  Cornea  ist  eine  unzertrennlich  feste,  und  die  Grenzlinie 
ist  an  der  vordem  Fläche  nur  durch  die  Durchsichtigkeit  und  Undurch- 
sichtigkeit  der  Fasern  angegeben.  An  der  hintern  Fläche  dagegen  be- 
findet sich  eine  Furche,  welche,  indem  sie  durch  die  Descemet'sche  Haut 
gedeckt  wird,  ein  Kanälchen,  den  Canalis  Schlemmii  *)  darstellt,  bei  Er- 
henkten oft  mit  Blut  gefüllt,  und  ungefähr  so  geräumig  sein  soll,  um 
eine  dünne  Borste  aufzunehmen  (Brücke).  (?) 

An  die  Hornhautsubstanz  hinten  angelagert,  und  mit  ihr  fest,  wenn 
auch  nicht  unzertrennlich  vereinigt,  ist  die  Descemet'sche  Haut,  schon 
1729  von  Buddel  zu  London,  später  (1758)  von  Descemet  und  Demours 
beschrieben.  Nach  Henle  hat  sie  mit  der  Linsenkapsel  ganz  gleiche  phy- 
sikalische Eigenschaften    und    wird   als    „Glashaut"    beschrieben,    weil  sie 

a)  Der  Canalis   Schlemmii  scheint  eine  Art   Sinuj    venosus  für  die    Cornea  zu  sein;    Brücke  gelang  es,  von  demsel- 
ben aus  die  Venen  zu  injiciren ,  welche  die  vordem  Ciliararterien  begleiten.  I.  c.  S.  50 


Anatomie  —  Physiologie.  177 

farblos  und  so  gleichförmig  durchsichtig  ist,  wie  Glas.  Sie  lässt  durchaus 
keine  Faserung,  höchstens  eine  leichte  Streifung  wahrnehmen*),  kann 
vermög  ihrer  Brüchigkeit  und  festen  Vereinigung  mit  der  eigentlichen 
Cornea  von  dieser  nur  in  kleinen  Partien  gelöst  werden,  und  rollt  sich 
sogleich  wie  Papier,  welches  lange  zusammen  gerollt  war.  Nur  nach 
längerer  Maceration  der  Cornea  in  Wasser  wird  ihre  Verbindung  mit 
dieser  so  gelockert,  dass  man  sie  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  ablösen 
kann.**)  Sie  selbst  wird  weder  durch  diese  Maceration,  noch  durch 
Aufbewahrung  in  Weingeist  oder  in  Säuren  getrübt.  Sie  reicht  etwas 
weiter  rückwärts,  als  die  Cornea,  endet  ringsum  (Henle)  mit  einem  zu- 
geschärften Rande  zwischen  Cornea  und  Ligamentum  ciliare  da,  wo  von 
diesem  die  Iris  nach  dem  Centrum  hin  abgeht,  hängt  mit  jenem  Liga- 
mentum fest  zusammen,  und  bedeckt  somit  den  Canalis  Schlemmii  von 
innen  her.  Gefässe  und  Nerven  sind  in  ihr  ebenso  wenig  nachgewiesen, 
als  deutliche  Faserung.  Sie  ist,  wie  wir  sehen  werden,  einer  bedeu- 
tenden Ausdehnung  fähig,  wen  diese  allmälig  erfolgt. 

Huschke  betrachtet  diese  Membran,  welche  nach  Henle  l/l43'",  nach  Krause  y2So'" 
dick  ist,  als  Fortsetzung  der  Lamina  fusca,  etwa  in  der  Art,  wie  man  die  Cornea  als 
Fortsetzung  der  Sclera  betrachten  kann.  „Untersucht  man  die  Haut  kurz  vorher,  ehe 
sie  sich  mit  dem  Ciliarband  verbindet,  so  wird  man  sehen,  dass  sie  die  glasartige  Be- 
schaffenheit verliert,  und  die  beginnende  zellfaserige  Textur  nicht  verkennen.  Sie  wird 
zugleich  hier  locker,  dicker,  und  zieht  man  sie  an,  und  hebt  das  Ligamentum  pecti- 
natum  iridis  mit  ab,  so  kann  man  sie  über  den  Boden  der  Scleroticalfurche  weg  ver- 
folgen, und  es  werden  Stücke  von  der  innern  Hautschicht  der  Sclerotica  {Lamina  fusca) 
mit  abgelöst." 

Die  Hornhaut  ist  farblos,  vollkommen  durchsichtig,  sehr  fest  und 
dicht,  biegsam  und  elastisch.  Nach  Rosas  ist  sie  in  spätem  Jahren  dichter, 
als  bei  Kindern,  wo  sie  dafür,  wenigstens  in  der  Mitte,  relativ  dicker  ist. 
Sie  ist  einer  sehr  starken  momentanen  Abplattung  fähig,  ohne  zu  bersten : 
diess  beweisen  jene  Fälle,  wo  die  Iris  theilweise  oder  ringsum  vom  Ciliar- 
bande  losreisst,  wenn  ein  Stoss  die  Hornhaut  trifft.  Eher  berstet  die 
Sclera  an  irgend  einer  Stelle  ihres  vordem  Umfanges  und  lässt  die  Con- 
tenta  des  Bulbus,  namentlich  die  Iris  oder  die  Linse  unter  die  Bindehaut 
austreten;  Rupturen  der  Cornea  gehören  zu  den  grössten  Seltenheiten. 


5)  Dr.  von  Hessling  in   Jena    (Froriep's  Notizen,   1848,    N.  111)  will    in  der  Descemefschen  Haut  des   Ochsenauges 
deutliche  Faserung  gesehen  haben,   was  auch  Pappenheim  und   Valentin   behaupten. 

-~)  An  einem  Kaninchenauge,  an  welchem  ich  10  Tage  vorher  die  Discissio  capsulae  lentis  per  corneam  gemacht 
hatte,  und  massige  Entzündung  der  Iris  eingetreten  war,  blieb,  als  Prof.  Bochdalek  die. Sclera  in  der  Gegend 
der  Insertionsstellen  der  31.  recti  durchschnitten  hatte,  und  diese  sammt  der  Cornea  nun  vorsichtig  abzog,  die 
ganze  Descemet'che  Haut  iu  ihrer  Verbindung  mit  dem  Ligamentum  ciliare  zurück,  offenbar  weil  ihre  Verbindung 
mit  der  Curnea  locker  geworden  war.  Ich  bewahre  das  Präparat  in  Weingeist. 
Arlt,  I.  f2 


178  Bindehaut. 

Ein  Fall  dieser  Art  soll  von  St.  Yves  beschrieben  worden  sein;  Dr.  Müdner 
schildert  einen  Fall  in  der  Prager  Vierteljahrsschrift,  13.  B.  S.  65.  Der  Riss  ging  in 
beiden  Fällen  von  der  Descemet'schen  Membran  aus,  und  betraf  jedenfalls  nur  die 
tiefern  Schichten,  wenn  nicht  vielleicht  die  Wasserhaut  allein. 

In  den  ersten  Monaten  des  Fötuslebens  ist  die  Hornhaut  undurch- 
sichtig, opalartig;  eine  solche  Trübung  bleibt  bisweilen  nach  der  Geburt 
Monate-  Jahre-lang  zurück.  —  Andrerseits  tritt  im  hohem  Alter,  aus- 
nahmsweise schon  ums  40.  Jahr  herum,  eine  Trübung  der  Hornhaut  ein, 
welche  von  eigentlich  krankhaften  Zuständen  wohl  unterschieden  werden 
muss.  Es  ist  diess  der  unter  dem  Namen  Greisbogen  (Gerontoxon,  Arcus 
senilis)  bekannte  graue  Streifen,  welcher  den  Kand  der  Hornhaut  in  Form 
eines  Regenbogens  ganz  oder  zum  Theil  einnimmt,  und  worauf  wir  später 
zurückkommen  werden. 

Die  Hornhaut  besitzt  bei  ihrer  bekannten  geringen  Empfindlichkeit 
dennoch  nicht  nur  Nerven,  welche  Bochdalek,  Schlemm,  Pappenheim  u.  A. 
als  Zweige  der  Ciliarnerven  ziemlich  weit  über  den  Rand  hinein  ver- 
folgt haben,  sondern  auch  Gefässe,  und  zwar  Vasa  serosa,  welche  für 
gewöhnlich  nur  Blutplasma,  bei  congestiven  und  entzündlichen  Zuständen 
aber  auch  Blutkügelchen  führen.  Römer,  Schröter,  van  der  Kolk,  Hyrll 
und  J.  Müller  haben  Blutgefässe  der.  Cornea  injicirt,  und  Huschke  glaubt 
wenigstens  beim  Pferdeauge ,  durch  vordere  Ciliararterien  Leimmasse 
in  die  Hornbautgefässe  getrieben  zu  haben.  —  Beobachtungen  am  Kran- 
kenbette haben  mich  überzeugt,  dass  es  eine  doppelte  Lage  von  Blut- 
gefässen in  der  Cornea  gibt,  nämlich  eine  oberflächliche,  nahe  unter  dem 
Eptlhelium  der  Cornea,  und  eine  tiefere,  nächst  der  Wasserhaut.  —  Die 
oberflächlichen  Gefässe  kommen  ganz  gewiss  von  den  vordem  Ciliar— 
und  den  Muskelästen  der  Arteria  ophlhalmica.  Diese  werden  bekanntlich 
in  der  Gegend  der  Sehnen  der  geraden  Augenmuskeln  als  bläulich  rolhe 
Äderchen  auf  der  Sclera  sichtbar,  laufen  geschlängelt  gegen  die  Cornea 
hin  und  spalten  sich  hier  in  oberflächliche  und  tiefere  Zweige.  Die  tiefern 
dringen  1 — 2"  hinter  der  vordem  Grenzlinie  der  Sclera,  durch  diese  in  die 
Tiefe  zur  Iris  und  zum  Corpus  ciliare.  Sie  sind  nicht  an  allen  Augen 
gleich  mächtig  und  zahlreich,  und  werden  manchmal,  auch  nachdem  sie 
längere  Zeit  sehr  stark  ausgedehnt  gewesen  waren,  wieder  unsichtbar; 
rostfarbige  oder  schiefergraue  Punkte,  wie  Stecknadelstiche  bleiben  dann 
als  Spuren  an  den  Durchbohrungsstellen  der  Sclera  zurück.  Die  ober- 
flächlichen lösen  sich  in  jenes  feine  Gefässnetz  auf,  welches  im  vor- 
dersten Theile  der  Tunica  vaginalis  bulbi  mit  jenem  Gefässnetze  anasto- 
mosirt,    welches    die  von  der  Arteria  larsea  superior   et  inferior  und  Art. 


Anatomie  —  Physiologie.  179 

lacrymalis  kommenden  Gefassehen  der  Conjunctiva  bulbi  bilden.  Dieses 
Gefässnetz  der  vordem  Ciliararterien  ist  im  normalen  Zustande  nicht 
sichtbar,  tritt  aber  oft  wie  mit  einem  Schlage,  nach  Einwirkung  eines 
heftigen  Reizes  auf  den  Augapfel,  noch  deutlicher  bei  acuten  Entzün- 
dungen der  Cornea,  Iris  oder  Chorioidea  als  die  feinste  Injection,  als 
rosenrother  Saum  rings  um  die  Cornea  in  die  Erscheinung.  Aus  diesem 
Netze  nun  entwickeln  sich  ringsum  zahlreiche  Gefässreiserchen,  welche 
theils  in  den  Limbus  conjunctivae  corneae  eintreten,  theils  unter  demselben 
wie  unter  einem  Gürtel  in  die  Substauz  der  Cornea  oberflächlich  ein- 
dringen, und  dort  centripetal  verlaufen.  (Nach  Römer  theilt  sich  jedes 
solches  Gefässreiserchen  in  der  Cornea  in  2 — 3  sehr  feine  Ästchen,  deren 
Ende  sich  in  der  Mitte  der  Cornea  deutlich  in  die  Tiefe  senken,  und  in 
deren  Substanz  verlieren.)  —  Die  tiefere  Gefässlage  der  Cornea  erhält 
ihre  Zweigchen  wahrscheinlich  aus  dem  Circulus  arteriosus  iridis  major, 
also  von  den  hintern  langen  Ciliararterien,  und  wohl  zugleich  auch  viele 
von  jenen  Zweigchen  der  vordem  Ciliargefässe,  welche  die  Sclera  nahe 
an  der  Cornea  durchbohren ;  erstere  dürften  die  Ciliarnerven,  welche  vom 
Ligamentum  ciliare  zur  Cornea  treten,  in  ihrem  Laufe  begleiten. 

Man  sieht  häufig  Zweigchen  der  vordem  Ciliararterien  so  nahe  am  Rande  der 
Cornea,  kaum  V2'"  weit  von  der  Grenzlinie  der  vordem  Cornealfläche  entfernt,  sich 
durch  die  Sclera  in  die  Tiefe  senken,  dass  sie,  ohne  unter  einem  spitzigen  Winkel 
rückwärts  zu  gehen  - —  was  jeder  Wahrscheinlichkeit  entbehrt  —  gar  nicht  zur  Iris 
gelangen  könnten.  —  Alan  kann  die  Gefässe,  welche  man  am  Krankenbette  in  der 
Cornea  beobachtet,  und  deren  mehr  weniger  tiefe  Lage  sich  am  besten  nach  ihrem 
Abstände  vom  Limbus  conjunctive  schätzen  lässt,  keineswegs  sammt  und  sonders  für 
neugebildete  halten;  man  wird  sich  bald  überzeugen,  dass  sich  in  sehr  vielen  Fällen 
das  Dasein  von  blutführenden  Gefässen  nicht  als  Neubildung,  wohl  aber  als  Erweite- 
rung schon  bestehender  Kauälchen  deuten  und  begreifen  lässt;  man  wird  diese  Deu- 
tung einzig  und  allein  -zulassen  müssen,  wenn  man  findet,  dass  der  Verlauf  solcher 
Gefässe  ein  bestimmter,  centripetaler  ist,  wenn  man  sie  in  ganz  durchsichtiger  Substanz 
und  zwar  sehr  bald  — ■  2  bis  3  Tage  — ■  nach  dem  Beginn  der  Entzündung  verlaufen 
sieht,  wenn  man  sie  an  Augen  findet,  welche  die  Zeichen  von  Iris  oder  Chlorioiditis, 
keineswegs  aber  deutliche  (plastische)  Exsudation  in  der  Cornea  darbieten.  —  Ich  sah 
mehrere  Male  nach  Beendigung  des,  noch  ganz  im  Bereiche  des  durchsichtigen  Theiles 
der  Cornea  geführten  Hornhautschnittes  (behufs  der  Extractio  cataractae)  eine  leichte 
Blutung  eintreten,  welche,  da  auch  die  Iris  nicht  im  mindesten  verletzt  worden  war, 
sich  nur  dann  begreifen  liess,  wenn  man  annahm,  es  seien  mit  dem  Durchschneiden 
der  Cornea  zugleich  Gefässchen  durchschnitten  worden,  welche  etwas  Blut  austreten 
lassen  konnten.  *)  —  Mit  der  Breite  des  für  den  Eintritt  der  Ciliararterien   in  die  Cornea 

*)  Dr.  Pilz,  welcher  zu  der  Zeit,  wo  ich  diesem  Gegenstände  speciell  meine  Aufmerksamlieit  widmete,  mein  Assistent 
war,  und  gemeinschaftlich  mit  mir  Beobachtungen  und  Untersuchungen  darüber  anstellte,  hat  bereits  im  Jah 
181S  im  20.  Bande  der  Prager  Vierteljahrschrift   einen  grossen    Theil  derselben  veröffentlicht. 

12* 


180  Hornhaut. 

bestimmten  Saumes  der  Sclera  und  Conjunctiva  stimmt  auch  die  Zahl  und  Mächtigkeit 
der  vordem  Ciliararterien  überein.  Die  stärksten  und  zahlreichsten  Ästchen  derselben 
kommen  von  oben,  wo  jener  Saum  bekanntlich  am  breitesten  ist;  von  der  Sehne  des 
M.  rectus  externus  her  kommt  nur  eine  vordere  Ciliararterie,  und  dem  entsprechend  ist 
auch  jener  Saum  gegen  den  äussern  Winkel  hin  am  schmälsten.  '  Wie  die  Iris  ihre 
mächtigsten  Blutgefässe  (die  hintern  langen  Chiliararterien)  im  horizontalen,  so  erhält 
die  Cornea  ihren  Nahrungsstoff  vorwaltend  im  verticalen  Durchmesser  ihrer  Basis. 

Was  den  Einfluss  der  Nerven  auf  das  Leben  der  Cornea  betrifft,  so  ist  derselbe 
bekanntlich  durch  Fodera,  Mayo,  Magendie  u.  A.  hinreichend  nachgewiesen  worden, 
und  ich  erlaube  mir,  die  Resultate  der  Versuche,  welche  Szokalsky  *)  mit  Longet  und 
Pappenheim  hierüber  angestellt  haben,  in  Kürze  mitzutheilen.  Nach  Durchschneidung 
des  Trigeminus  diesseits  des  Ganglion  Gasseri  geht  zunächst  das  Tastgefühl  im  Bereiche 
der  durchschnittenen  Nerven  verloren,  und  es  wird  somit  auch  die  Bindehaut  un- 
empfindlich. Die  Pupille  verengert  sich  stark,  ohne  ihre  Veränderlichkeit  bei  verschiede- 
nen Lichteindrücken  einzubüssen.  Einige  Stunden  nachher  fängt  die  Pupille  an,  weiter 
zu  werden,  ohne  ihre  Beweglichkeit  zu  verlieren.  Um  dieselbe  Zeit  den  2.  Tag  fängt 
die  Hornhaut  an,  undurchsichtig  zu  werden,  und  zwar  zuerst  in  ihrer  Mitte,  ohne  ihre 
Glätte  an  der  Oberfläche  zu  verlieren.  Die  Cornea  erscheint,  wenn  man  sie  jetzt  ana- 
tomisch untersucht,  an  der  Stelle  der  Trübung  dicker,  ohne  dass  man  in  derselben 
Spuren  einer  Neubildung  nachweisen  kann.  —  Lässt  man  das  Thier  länger  leben,  so 
merkt  man,  dass  die  Hornhauttrübung  sich  gleichmässig  von  der  Mitte  nach  der  Peri- 
pherie verbreitet.  Am  8.  oder  10.  Tage  ist  sie  milchweiss,  und  sieht  wie  angeschwollen 
(erhaben)  aus.  Anatomisch  untersucht  erscheint  die  Hornhaut  jetzt  noch  mehr  verdickt, 
und  zwar  nicht  bloss  wie  früher  durch  wässerigen  Erguss,  sondern  auch  durch  ein 
organisationsfähiges,  körniges  Exsudat.  —  Bleibt  das  Thier  noch  länger  am  Leben,  so 
fängt  die  Cornea  an,  sich  in  der  Mitte  zu  erweichen,  das  Bindehautblättchen  fällt  ab, 
und  die  Cornealsubstanz  löst  sich  schichtenweise  auf.  Durchlöcherung  der  Cornea  und 
Entleerung  der  Contenta  des  Bulbus  sind  die  weitern  Folgen.  —  Wenn  man  den 
Krankheitsprocess,  welcher  in  der  Hornhaut  nach  der  Durchschneidung  des  N.  trige- 
minus statt  findet,  in  nähere  Erwägung  bringt,  so  sieht  man,  dass  er  sich  wesentlich 
von  dem  Entzündungsprocesse  unterscheidet.  „In  den  zahlreichen  Untersuchungen, 
welche  ich  mit  Dr.  Pappenheim  gemacht  habe,  hat  keiner  von  uns  in  der  entarteten 
Hornhaut  weder  Entzündungskugeln  noch  Eiterkörperchen  gefunden;  der  aus  der  Ver- 
wesung der  Cornea  hervorgegangene  Detritus  bestand  aus  dem  körnigen  Exsudat  und 
den  in  kleinere  Theilchen  zerfallenen  Hornhautfasern."  Es  muss  übrigens  noch  bemerkt 
werden,  dass,  wenn  die  Durchschneidung  zwischen  dem  Ganglion  Gasseri  und  dem 
Gehirn  vorgenommen  wird,  wohl  das  Tastgefühl  verloren  geht,  die  Hornhaut  aber  ihre 
Durchsichtigkeit  behält,  mithin  die  Trübung  und  Zerstörung  der  Cornea  eigentlich  von 
der  Zerstörung  des  Ganglion  Gasseri  und  des  grossen  sympathischen  Nerven  abhängt, 
welcher  mit  diesem  Ganglion  und  mit  dem  Ramus  ophthalmicus  trigemini  in  nähere 
Vcrhindung  tritt.  Welchen  Einfluss  die  Durchschneidung  des  Halstheiles  des  Sympath. 
inagnus  auf  die  Ernährung  des  Auges,  in  specie  der  Cornea  nehme,  hat  bereits 
Poürfour  du  Petit  1712  durch  Experimente  an  Hunden  gezeigt. 


'■)   Ruscr  un.l    Wim. Ii-rliu'li   Aichiv,  b.  Jalll 


Anatomie  —  Physiologie.  181 

Der  Stoffwechsel  in  der  Cornea  muss  ein  sehr  lebhafter  sein,  weil 
beträchtliche  Wunden  derselben  in  kurzer  Zeit  per  primain  intentionem 
heilen,  weil  selbst  bedeutende  Substanzverluste  vollkommen  (ohne  blei- 
bende Narben)  gedeckt  werden  können,  und  weil  ausgebreitete  Exsudate 
in  derselben  von  selbst  (oder  unter  Anwendung  reizender  Mittel)  zur 
Resorption  gebracht  werden.  Diejenigen,  welche  der  Cornea  Blutgefässe 
(Vasa  serosa)  absprechen,  suchen  die  Quelle  ihrer  Ernährung  im  Humor 
aqueus.  Dieser  kann  aber  zu  diesem  Zwecke  nicht  bestimmt  sein,  weil 
die  Cornea  von  ihrer  Durchsichtigkeit  nichts  verliert,  wenn  der  Humor 
aqueus  durch  irgend  eine  Öffnung  (Fistel)  der  Cornea  Tage-  Wochen-lang 
aussickert,  oder  wenn  die  Iris  und  die  Cornea  durch  faserstofl'iges 
Exsudat  so  mit  einander  verklebt  sind,  dass  die  Durchtränkung  der  Cor- 
nea mit  Humor  aqueus  nichts  weniger  als  wahrscheinlich  ist. 

Die  Function  der  Cornea  besteht  vorzüglich  in  der  Aufnahme  und 
Brechung  der  Lichtstrahlen,  welche  unter  einem  kleineren  Winkel  als 
48°  auf  ihre  Oberfläche  gelangen.  Sie  wirft  jedoch  nicht  nur  die  unter 
einem  grössern  Winkel,  sondern  auch  einen  Theil  der  unter  einem  kleinern 
Winkel  auffallenden  Strahlen  zurück,  da  sie  gleich  andern  durchsichtigen 
Medien  nicht  absolut  für  alles  Licht  permeabel  ist;  hierauf  beruht  das 
Phänomen  der  Spiegelung  der  Cornea.  —  Wenn  wir  auch  nicht  im 
Stande  sind,  die  Strahlenbrechung  durch  die  Cornea  und  den  Humor 
aqueus  mathematisch  nachzuweisen,  da  uns  hiezu  nicht  nur  mathematisch 
scharfe  Angaben  über  die  Krümmungshalbmesser  der  Cornealoberflächen 
und  über  die  Dicke  der  Cornea,  sondern  auch  über  die  Brechungs- 
exponenten (Dichtigkeitsverhältnisse)  dieser  durchsichtigen  Medien  fehlen  : 
so  sind  wir  doch  im  Besitze  positiver  Thatsachen,  welche  beweisen,  dass 
Cornea  und  Humor  aqueus  vereint  die  Lichtstrahlen  convergent  zum 
Achsenstrahle  brechen,  und  dass  namentlich  die  Krümmung  (Wölbung) 
der  Cornea  für  den  Refractionszustand  des  Auges  nichts  weniger  als 
gleichgiltig  ist.  Vorläufig  möge  es  genügen,  zu  bemerken,  dass  Leute, 
denen  die  Krystalllinse  mangelt  (nach  Staaroperationen  —  wo,  wie  wir 
nachweisen  werden,  von  einer  Regeneratio  lentis  keine  Rede  sein  kann), 
mit  freiem  Auge  noch  so  feine  Gegenstände  in  verschiedenen  Distanzen 
zu  unterscheiden  vermögen,  dass  eine  Vereinigung  der  Lichtstrahlen  auf 
der  Netzhaut  nothwendig  vorausgesetzt  werden  muss. 

Dr.  Meyer  *)  fand  an  Ochsenaugen  die  Brennweite   länger,    wenn    er   Cornea   und 
Humor    aqueus    entfernt    hatte,    und   vindicirt    der    Cornea    im   Verein    mit    dem    Humor 

-)  Prager  medic.  Vierteljahrschrift,    28.  Band,  ausserordentliche  Beilage,    S.   1. 


182  Hornhaut. 

aquens  als  einen  Sammelmeniscus  einen  wesentlichen  Antheil  an  der  Strahlenbrechung. 
Wenn  dagegen  Professor  Engel  *)  die  Linse  als  das  einzige  lichtbrechende  Medium 
angesehen  wissen  will,  so  kann  seinen  Angaben  schon  darum  kein  Vertrauen  geschenkt 
werden,  well  er  einen  der  wichtigsten  Umstände  ganz  übersehen  hat,  nämlich  dass 
die  Linse  im  Auge  nicht  wie  bei  seinen  Experimenten  von  Luft,  sondern  von  Medien 
umgeben  ist,  welche  die  Brechung  der  Lichtstrahlen  beim  Ein-  und  Austritte  aus  der 
Linse  wesentlich  modificiren  müssen.  „Es  beruht  auf  einem  Irrthume,  wenn  man  glaubt, 
die  Krystalllinse  müsse  die  stärkste  Brechung  einleiten,  weil  sie  den  höchsten  absoluten 
Brechungscoeflicienten  (=  1,47)  hat.  Sie  wirkt  vielmehr  schwächer,  als  die  Hornhaut, 
weil  diese  ihren  absoluten  (=1,33),  jene  dagegen  nur  ihren  verhältnissmässigen  Bre- 
chungscoefficienten  (=  1,102)  in  Rechnung  bringen  kann."     Valentin.  **) 

Wenn  aber  die  Cornea  als  ein  zur  Strahlenbrechung  wesentliches 
Organ  des  Auges  erklärt,  und  ihr  somit  ein  entschiedener  Einfluss  auf 
den  Refractionszustand  des  Auges  (Kurz-  oder  Weitsichtigkeil)  vindicirt 
wird,  so  soll  damit  keineswegs  behauptet  sein,  dass  die  momentanen  Ver- 
änderungen, welche  man  mit  dem  Worte  Accomodation  des  Auges  an- 
zudeuten pflegt,  irgendwie  in  der  Cornea  zu  suchen  seien,  im  Gegentheil 
wir  werden  bei  der  Lehre  von  der  Accomodation  beweisen,  dass  die 
Cornea  an  dieser  Function  sich  durchaus  nicht  betheilige,  nicht  betheiligen 
könne.  —  Nicht  nur  die  Durchsichtigkeit,  sondern  auch  die  Glätte  und  der 
Glanz  der  Cornea  setzen  zunächst  die  normale  Erzeugung  des  Epitheliums 
auf  der  Cornea  und  dessen  beständige  Auflösung  in  der  Thränenflüssigkeit 
voraus.  Hiezu  ist  vor  allem  die  öftere  Wiederholung  des  Augenlidschlages 
nothwendig,  und  das  Mattwerden  der  Cornea  der  Sterbenden  ist  gewiss 
vor  allem  dem  längeren  Offenstehen  der  Augen  zuzuschreiben.  Die  An- 
nahme, dass  die  Cornea  durch  das  Durchdringen  des  Humor  aqueus  feucht 
erhalten  werde,  lässt  sich  nicht  rechtfertigen,  am  wenigsten  durch  die 
Erscheinungen,  die  man  an  todten  Augen  hiefür  angeführt  hat.  Somit  kann 
man  auch  nicht  behaupten,  dass  die  Cornea  ihren  Antheil  zur  Thränen- 
feuchtigkeit  liefere.  Hiemit  soll  übrigens  nicht  gesagt  sein,  dass  die  Cornea, 
wenn  sie  nicht  von  den  Thränen  befeuchtet  würde,  schon  an  und  für 
sich  trocken  erscheinen  müsste. 


*)  Prager  medic.  Viehteljahrschrift,  25    B.  S.  167  u.  f. 
**)  Lehrbuch  der  Physiologie,  Braunschweig  1818,  B.   II.   S.   105. 


Entzündung  —  scrofulöse  —  Symptome.  183 

B.  Krankheiten  der  Cornea. 

I.  Entzündung  der  Hornhaut.    Keratitis. 

Die  Entzündung  der  Hornhaut  kommt  entweder  selbstständig  und  für 
sich  allein,  oder  in  Folge  von  Entzündungen  anderer  Gebilde  und  ge- 
meinschaftlich neben  diesen  vor. 

Sie  gibt  sich  im  Allgemeinen  kund :  durch  Trübung  und  Lockerimg 
des  Gewebes  der  Hornhaut,  und  durch  stärkere  Injection  der  vordem 
Citiararterien  (Bildung  eines  mehr  weniger  breiten  und  intensiven  rothen 
Saumes  um  die  Cornea). 

Symptome,,  Verlauf,  Ausgänge  und  Verhalten  gegen  die  Therapie  sind 
auch  bei  den  selbstständigen  Formen  sehr  verschieden,  je  nach  den 
ursächlichen  Momenten.  Daher  unterscheiden  wir  eine  Keratitis  scrofu- 
losa,  rheumatica  und  traumatica.  —  Von  dem  Antheile,  welchen  die 
Substanz  der  Cornea  an  den  Entzündungen  der  Bindehaut  nehmen  kann, 
haben  wir  bereits  im  I.  Buche  gesprochen ;  ihre  Mitleidenschaft  bei  Ent- 
zündung der  tiefern  Gebilde  des  Auges  werden  wir  bei  diesen  kennen 
lernen. 

1.  Scrofulöse  Hornhautentzündung,  Keratitis  scrofulosa. 

Die  scrofulöse  Hornhautentzündung  oharakterisirt  sich  im  Allge- 
meinen durch  die  Ablagerung  plastischen,  nie  zu  Eiterung  führenden 
Exsudates  in  die  Substanz  der  Cornea,  mit  mehr  wetiiger  deutlicher  Ge- 
fässentwicklung  in  derselben,  durch  ihr  von  äussern  Schädlichkeiten  zu- 
nächst unabhängiges  Auftreten,  hartnäckiges  Fortbestehen  und  Wiederkehren 
(Bedingtsein  im  Allgemeinleiden),  und  durch  die  Notwendigkeit  einer 
allgemeinen  Behandlung.  Sie  ist  vorzugsweise  eine  Krankheit  des  Jüng- 
lings- und  Knabenalters. 

Symptome.  Die  Trübung  der  Hornhaut  erscheint  gefleckt  (wenig- 
stens stellenweise  gesättigter) ,  wolkig  (mit  verwachsenen  Rändern), 
weisslich-  oder  gelblichgrau  und  matt;  nur  selten  und  da  nur  auf 
kurze  Zeit  wird  die  Cornea  durchaus  und  fast  gleichförmig  getrübt, 
gelblich  weiss  oder  grau  und  undurchsichtig.  —  Die  Lockerung  des  Ge- 
webes gibt  sich  dadurch  kund,  dass  die  Cornea  minder  glatt  und  glänzend, 
wie  mit  äusserst  zahlreichen  und  feinen  Nadelstichen  getupft  erscheint, 
ohne  jedoch  irgend  beträchtliche  Erhabenheiten  oder  Verliefungen  (Ge- 
schwüre) zu  zeigen;    nur  bei    höheren  Graden    und  nach    längerer  Dauer 


184  Hornhaut. 

wird  der  mittlere  Theil  der  Cornea  etwas  prominenter.  —  Die  Gefäss- 
einspritzung betrifft  nicht  nur  das  capillare  Netz  rings  um  die  Cornea 
und  die  Stämmchen  der  Ciliararterien,  sondern  auch  die  Gefässe  im  Be- 
reiche der  Cornea  selbst,  und  zwar  die  in  und  unter  dem  Limbus  con- 
junctivae verlaufenden,  oft  auch  die  tiefern  (nächst  der  Descemet'schen 
Membran). 

In  manchen  Fällen  tritt  die  Exsudatablagerung,  in  andern  die  Gefässeinspritzung 
mehr  in  den  Vordergruud  des  Eindruckes,  den  der  erste  Blick  auf  den  Beobachter 
macht;  aber  nie  fehlt  die  eine  oder  die  andere  dieser  Erscheinungen  gänzlich,  wenn 
man  die  Krankheit  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  zu  beobachten  Gelegenheit  hat.  Es  scheint 
demnach  weder  nothwendig,  noch  zweckmässig,  diese  Fo.rm  mit  Fischer,  Schindler 
u.  A.  in  Keratitis  vasculosa  und  lymphatica  zu  trennen.  So  lange  noch  Lockerung  der 
Cornea  besteht,  wird  man  auch  die  Gefässeinspritzung  in  derselben  (oberflächlich  oder 
tief)  kaum  jemals  vermissen.  Die  Trübung  (das  Exsudat)  besteht  aber  oft  noch  sehr 
lange  (Monate  —  Jahre)  fort,  wenn  der  exsudative  Process  längst  erloschen  ist.  Solche 
Fälle  können  aber,  wenigstens  vom  prognostischen  und  therapeutischen  Standpunkte 
aus,  nicht  mehr  als  Entzündungen  betrachtet  werden.  —  Man  wird  die  Eigentümlich- 
keit in  den  Erscheinungen  dieser  Form  von  Keratitis  leicht  begreifen,  wenn  man  be- 
denkt, dass  die  Exsudation  ursprünglich  nicht  diffus,  sondern  circumscript,  in  lauter 
kleinen  Herden  neben  einander  geschieht,  daher  nur  bei  grösserer  Menge  confluent 
wird,  und  dass  bei  einem  exsudativen  Processe,  welcher  Tage-,  Monate- lang  dauert, 
ohne  das  Gewebe  der  Cornea  total  zu  verändern,  die  Erweiterung  und  Überfüllung  der 
Gefässe  kaum  fehlen  kann. 

Diese  Form  kann  mit  bedeutender  Exsudation  auftreten,  ohne  erheb- 
liche nervöse  Zufälle,  Schmerzen,  Lichtscheu  und  Thränenfluss  zu  erregen 
Trübung  des  Gesichtes  ist  nicht  selten  die  erste  Erscheinung,  die  den 
Kranken  zum  Arzte  treibt.  Die  Schmerzen  bestehen  meistens  nur  in 
leichtem  Drücken  oder  Stechen.  Wenn  aber  die  Exsudation  unter  stär- 
kerer Gefässeinspritzung  rascher  erfolgt,  dann  sind  auch  diese  Zufälle 
ausserordentlich  heftig,  und  der  Kranke  jammert  vor  Schmerzen  nicht  nur 
im  Auge,  sondern  auch  in  der  entsprechenden  Jyopfhälfte,  und  hält  die 
(bisweilen  leicht  ödematösen  und  durch  die  beständige  wässrige  Secretion 
excoriirten)  Lider  wegen  enormer  Lichtscheu  krampfhaft  geschlossen.  In 
der  Mehrzahl  solcher  Fälle  ist  eine  Verschlimmerung  dieser  Zufälle  in 
den  Morgenstunden  manifest. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Verlauf  ist,  auch  wenn  die  Krank- 
heit mit  heftigen  Reaclionserscheinungen  auftritt,  immer  ein  äusserst  lang- 
samer, Wochen,  ja  viele  Monate  lang  andauernd,  continuirlich  oder  mit 
wechselnder  Besserung  und  Verschlimmerung. 

Zunächst  zeigt  sich  bei  erhöhtem  Glänze  der  Cornea  (Congestion  ?) 
eine  mehr  weniger    intensive  und  ausgebreitete  Röthe   auf  dem  vordersten 


Entzündung  —  scrofulöse  —  Verlauf  —  Ausgänge.  185 

Theile  der  Sclera  (manchmal  nur  in  der  obern  oder  untern  Hälfte); 
sofort  erscheinen  die  unter  dem  Limbus  conjunctivae  zur  Cornea  tre- 
tenden Gefässchen  injicirt,  in  der  Regel  bloss  im  obern  Umfange  der 
Hornhaut,  selten  bloss  im  untern,  öfter  an  beiden  zugleich.  Man  sieht  an 
der  ergriffenen  Partie  einen  von  äusserst  dicht  neben  einander  liegenden 
Gefässchen  gebildeten  Meniscus  von  %  —  73'"  Breite,  und  darüber  auch 
den  Linibus  conjunctivae  selbst  injicirt  und  etwas  geschwellt.  Die  con- 
cave  Seite  jenes  Meniscus  erscheint,  indem  die  centripetal  verlaufenden 
Gefässchen  alle  in  der  Bogenlinie  wie  abgeschnitten  endigen,  scharf,  be- 
grenzt, die  convexe  stösst  unmittelbar  an  das  capillare  Netz  über  der 
Sclera.  Alsbald  sieht  man  an  den  Spitzen  der  Gefässe  ein  lockeres  grau- 
liches Exsudat  in  Form  kleiner  Körnchen  oder  Fleckchen  in  die  Substanz 
der  Cornea  abgelagert  werden.  Dieses  wird  allmälig  oder  plötzlich  (über 
eine  Nacht)  mächtiger,  und  breitet  sich,  bald  mit,  bald  ohne  gleichzei- 
tiges Vorrücken  jener  Gefässchen,  bis  in  oder  über  das  Centrum  der 
Cornea  aus.  Zugleich  entwickeln  sich  nun  auch  in  der  Tiefe  der  Cornea 
Gefässchen  gleichfalls  centripetal  verlaufend,  und  manchmal  so  dicht  an 
einander  gedrängt,  dass  man  glauben  könnte,  der  dadurch  bedingte  tiefere 
Meniscus  sei  durch  Blutaustritt  in  der  Cornea  nächst  der  Descemet'schen 
Haut  bedingt.  Bisweilen  sieht  man  ein  oder  das  andere  tiefere  Gefäss 
in  noch  ganz  durchsichtiger  Substanz  verlaufen.  Ihre  tiefe  Lage  kann 
man  am  besten  nächst  oberflächlichen  Gefässchen  oder  nächst  dem  Horn- 
hautrande nach  ihrem  Abstände  von  jenen  oder  vom  Limbus  conjunctivae, 
besonders  mit  Hilfe  einer  scharfen  Loupe,  bemessen.  In  Fällen,  die 
mit  heftigen  subjectiven  Zufällen  un<l  stürmischer  Gefässinjection  ver- 
laufen, rücken  endlich  die  oberflächlichen  und  die  tiefen  Cornealgefässe 
von  allen  Seiten  her,  am  weitesten  jedoch  von  oben  und  von  unten  her 
gegen  das  Centrum  der  Cornea  vor,  und  drängen,  der  Cornea  das  Aus- 
sehen eines  rothen  Tuches  gebend,  das  Exsudat  gleichsam  vor  sich  her. 
Haben  die  Gefässe  den  centralen  Theil  der  Cornea  noch  frei  gelassen, 
und  ist  dieser  stark  von  Exsudat  durchsetzt  und  daher  gelblichweiss  und 
mehr  weniger  prominirend:  so  glaubt  man  jeden  Augenblick,  es  müsse 
zur  Verschwärung  dieser  Partie  kommen,  was. ich  indessen  bei  mehr  als 
100  Fällen  (von  Keratitis  scrofulosa  überhaupt)  nur  zwei  Mal,  und  zwar 
bei  sehr  vernachlässigten  und  äusserst  herabgekommenen  Kranken  ein- 
treten sah. 

Anfang  Oclober  1848  wurde  ein  9jähri^es,  äusserst  blass  und  abgemagert  aus- 
sehendes Mädchen  (mit  dünnen  Knochen  und  sehr  aufgetriebenem  Unterleibe)  zu  mir 
gebracht.     Beide    Augen    boten    das    Bild    einer    Keratis    scrofulosa    dar,    so    ausgeprägt, 


186  Hornhaut. 

wie  ich  es  bis  dahin  noch  nie  beobachtet  hatte.  Nebst  der  Rosenröthe  auf  dem  vor- 
dem Theile  der  Sclera  war-  die  Cornea  ringsum  von  äusserst  zahlreichen  Gefässen 
durchzogen,  röthlich  aussehend,  in  der  Mitte  dagegen  graulich  weiss  und  stärker  vor- 
ragend, übrigens  durchaus  gelockert,  wie  mit  Nadeln  gestochen,  matt  und  glanzlos- 
Ich  ordinirte  Einreibungen  von  weissem  Präcipitat  mit  Extr.  belladonnae  an  die  Stirn 
und  Schläfe  (wie  bei  Conjunctivitis  scrofulosa  mit  starker  Lichtscheu),  innerlich  Ma- 
gnesia mit  Coniiun  maculatum,  entsprechende  Diät.  Am  12.  October  war  der  Zustand 
des  rechten  Auges  besser,  der  des  linken  schlimmer.  Die  Cornea  sah  hier  einem  ab- 
gestutzten Kegel  ähnlich.  Die  Abstutzungsfläche,  i.  e.  der  centrale  Theil  der  Cornea, 
von  ungefähr  1V2'"  Durchmesser,  war  seicht  gewölbt,  gelblich  weiss,  stark  aufge- 
lockert, wie  zum  Verschwären  angeschickt;  der  Mantel  (der  peripherische  Theil)  stieg 
vom  Rande  ziemlich  steil  empor  (der  mittelste  Theil  der  Cornea  konnte  gut  2"'  über 
die  Basis  der  Cornea  emporgehoben  sein),  war  ziemlich  glatt,  von  zahlreichen'  Gefässen 
durchzogen,  beinahe  blutroth  aussehend.  Nebst  obigen  Mitteln  Einreibungen  des  gan- 
zen Körpers  mit  Oleum  jecoris  aselli.  Am  16.  October,  der  Zustand  des  rechten  Auges 
viel  besser,  die  Hornhaut  gegen  die  Peripherie  hin  schon  stellenweise  durchsichtig » 
am  linken  Auge  fast  derselbe  Zustand.  Am  20.  October.  Rechts  nur  noch  wenige  Ge- 
fässe  im  Bereiche  der  Cornea,  und  das  Exsudat  viel  sparsamer;  links  fast  keine  Än- 
derung des  Zustandes ,  nur  weniger  Gefässe.  Die  Salbe  musste  wegen  Ekzem  der 
Stirnhaut  ausgesetzt  werden ;  die  Einreibungen  von  Oleum  jecoris  werden  fortgesetzt, 
innerlich:  Decoct.  taraxaci  ex  unc.  dimid.  unc.  quatuor,  Melag.  graminis  et  syr.  eich.  c. 
rheo  ä~a  unciam ,  extracti  conii  scrupulum,  bicarb.  sodae  scr.  duos.  M.  D.  Alle  3  Stun- 
den 1  Esslöffel.  Am  28.  October.  Rechts  auffallende  Besserung;  keine  Lichtscheue; 
die  Kranke  erkennt  einen  kleinen  Schlüssel,  Kupfer-  und  Silbermünzen  selbst  am  Ge- 
präge; links  ist  der  weisse  Pfropf  aus  dem  Centrum  der  Cornea  gleichsam  heraus- 
gefallen, die  Öffnung  durch  die  Iris  verstopft,  die  Iris  an  die  bereits  halb  durchsichtige 
Peripherie  der  Cornea  angelegt.  Am  7.  November  war  die  rechte  Hornhaut  beinahe 
ganz  rein,  links  dagegen  eine  centrale  Grube,  von  etwa  V"  im  Durchmesser,  die  Iris 
noch  nicht  ganz  überhäutet,  wesshalb  Einträuflungen  verdünnter  Opiumtinctur  ordinirt 
wurden.  Weiterhin  wurde  die  Kranke  nicht  mehr  zu  mir  gebracht.  *)  Erst  im  Jahre 
1850  kam  der  Vater  mit  diesem  Kinde  wieder  zu  mir.  Ich  erkannte  dasselbe  anfangs 
nicht,  denn  es  hatte  ein  viel  gesünderes  Aussehen  gewonnen,  und,  was  mich  am  mei- 
sten überraschte,  das  linke  Auge  zeigte  bloss  eine  kleine,  halbdurchsichtige  Narhe  ohne 
Spur  einer  vordem  Synechie.  Hätte  ich  mir  den  Befund  vom  November  1848  nicht 
genau  aufgeschrieben  und  aufgezeichnet  gehabt;  ich  würde  jetzt  es  für  unmöglich  hal- 
ten, dass  an  dieser  Stelle  die  Cornea  durchbohrt  und  die  Iris  bloss  gelegt  gewesen  war. 
Die  Ursache,  wesshalb  das  Kind  neuerdings  zu  mir  gebracht  wurde,  war  eine  Recidive 
am  rechten  Auge. 

So  wie  der  eigentlich  exsudative  Process  aufhört;  sieht  man  die 
Besserung  damit  eintreten,  dass  zunächst  die  oberflächlichen,  der  Corneal- 
gefässe  sparsamer  werden,  und  hiemit  auch  der  peripherische  Theil  der 
Cornea  sich  aufhält;  im  mittleren  Theile  dagegen  bleibt  die  Cornea  in  der 
Regel  am  längsten  getrübt.     Das    Zerfallen  gleichmässig   trüber  Flecke   in 

'■')  Znrda,  tlc  Keratitide  scro,fulosa,  Ticini  regii  1824,  eiwähiil   HtfiLjchp  Beobachtungen! 


Entzündung  —  scrofulose  —  Verlau  f —  Ätiologie.  187 

einzelne  kleinere  ist  immer  ein  günstiges  Zeichen.   Mit  dem  Beginn  dieser 
Resorption  scheinen  bisweilen  in  der  Tiefe  neue  Gefässe  aufzutauchen. 

In  andern  Fällen  findet  nur  geringe,  bisweilen  kaum  merkliche  Ge- 
fässentwicklung  bei  relativ  reichlicher  Exsudation  statt;  dann  pflegen  auch 
die  übrigen  Zufälle  sehr  gelind,  der  Verlauf  aber  um  so  hartnäckiger  zu 
sein.  Stets  wird  man  auch  hier  die  Injection  in  der  Gegend  des  Limbus 
conjunctivae  und  ein  oder  dss  andere  tiefere  Gefässchen  mittelst  der 
Loupe  auffinden  können,  und  die  stärkere  Injection  der  Ciliararterien  über 
der  Sclera,  selbst  ein  rosenrother  Gefässsaum,  wird  wenigstens  nach 
etwas  längerer  Besichtigung  des  Auges  bemerkbar  werden.  Die  voraus- 
gegangene Erweiterung  der  Ciliargefässe  lässt  sich  oft  lange  nach  dem 
Erlöschen  des  exsudativen  Processes  noch  an  rostfarbigen  oder  schiefer- 
grauen Punkten  in  dem  vordem  Theile  der  Sclera  erkennen.  —  Die  Trü- 
bung wird,  wenn  sie  auch  einige  Zeit  beinahe  gleichmässig  gesättigt  aus- 
sah, bald  wieder  wolkig  und  fleckig,  *)  und  in  manchen  Fällen  zeigen  sich 
dann  kreideähnliche  Stellen,  offenbar  durch  Verkalkung  des  Exsudates 
entstanden;  diese  widerstehen  zwar  der  Resorption  sehr  lange,  doch 
selten  für  immer.  Nur  dann ,  wenn  solche  Exsudate  überhaupt  sehr  lange 
(viele  Monate-  Jahre-lang)  fortbestanden,  und  die  Hornhautfasern  durch 
Druck  in  grösserer  Ausdehnung  zum  Schwinden  gebracht  haben,  bleibt 
die  Hornhaut  daselbst  unheilbar  getrübt.  Sonst  aber  hellen  sich  derart 
getrübte  Hornhäute  zum  Verwundern  vollständig  auf,  und  die  Krankheit 
gehört  somit  im  Allgemeinen  unter  die  wenig  gefährlichen.  —  Auch 
stärkere  Wölbung  der  Cornea  sieht  man  höchst  selten,,  und  bei  weitem 
nicht  so  oft,  wie  nach  Pannus  zurückbleiben.  Nur  der  Limbus  conjun- 
ctivae bleibt  oft  zeitlebens  als  ein  mehr  weniger  breiter  und  langer  trüber 
Bogen  oder  vollständiger  Kreis  zurück,  und  in  Fällen,  wo  diese  Keratitis 
mit  Iritis  oder  Scleritis  zugleich  verlief  —  worauf  wir  später  zurück- 
kommen werden  —  sehen  wir  eine  mehr  weniger  breite,  weiter  gegen 
das  Centrum  der  Cornea  hineinragende  Trübung  (die  sogenannte  Sclero- 
sirung  der  Cornea)  zurückbleiben,  jedoch  an  und  für  sich  das  Sehver- 
mögen nicht  beeinträchtigen. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Diese  Krankheit  kommt  im  Allge- 
meinen eben  nicht  häufig  vor.  In  der  Art,  wie  sie  eben  geschildert  wurde, 
erscheint  sie  nur  bei  scrofulösen  (tuberculösen)  Individuen. 

*)  Fr.  Järjrr  (in  Rohm's  Dissertation  de  scrofuloseos  ad  oculum  formis,  Vindobouae  1838)  erinnert  an  die  Ähnlich- 
keit der  Trübungen,  welche  der  Randtheil  df-r  Cornea  nach  Rückgang  der  GfTjSseinsjjntzun^  zeigt,  mit  dem  aus 
Fibrillen  zusammengesetzten  Barte  einer  Schreibfeder ;  man  sieht,  wie  das  Exsudat  längs  der  Wandungen  der.  Ge- 
fäschen   ahselagert    wurde. 


188  Hornhaut. 

Sie  erscheint  am  häufigsten  um  die  Jahre  der  Pubertät,  selten  vor 
dem  12.,  selten  nach  dem  25.  Jahre;  niemals  sah  ich  sie  vor  dem  6. 
Jahre  auftreten;  bei  Weibern  sah  ich  sie  bei  Annäherung  der  klimakte- 
rischen Jahre  wiederkehren,  wo  sie  um  die  Zeit  der  Pubertät  schon  vor- 
handen gewesen  war. 

Die  davon  befallenen  Individuen,  wenn  sie  nicht,  wie  in  der  Regel, 
deutliche  Zeichen  der  Scrofulosis  an  sich  tragen,  sind  im  Allgemeinen 
schlecht  genährt,  haben  eine  schlaffe  Musculatur,  blasse,  spröde  und 
trockene  Haut,  und  leiden  an  habitueller  Trägheit  der  Leibesöffnung.  Bei 
weiblichen  Individuen  sind  gewöhnlich  Störungen  der  Menstruation  vor- 
handen. —  Zur  Section  habe  ich  bisher  nur  ein  Individuum  bekommen, 
welches  unzweifelhaft  diese  Form  gehabt  hatte ;  die  Untersuchung  der 
Lungen  wies  Tuberculosis  nach. 

Diese  Krankheit  befällt  ihre  Individuen  bald  ohne  wahrnehmbare  äus- 
sere Veranlassung,  bald  nach  dieser  oder  nach  jener  Schädlichkeit,  wofür 
u.  A.  in  Fischer' s  klin.  Unterrichte  S.  307 — 321  die  lehrreichsten  Beispiele 
angeführt  sind.  Beinahe  oder  völlig  schon  beseitigt,  kehrt  sie  bald  auf 
demselben,  bald  auf  dem  andern  Auge  wieder.  Meistens  befällt  sie  beide 
Augen  kurz  nach  einander,  selten  eins  im  Knaben-,  das  andere  erst  im 
Mannesalter  u.  s.  w.  —  Unter  den  sogenannten  äussern  Veranlassungen 
nehmen  jene  den  ersten  Platz  ein,  welche  das  Auge  mehr  indirect  treffen ; 
wir  müssten  in  dieser  Beziehung  nur  die  beim  Trachom  erörterten  Mo- 
mente wiederholen. 

Prognosis.  Diese  ergibt  sich  im  Allgemeinen  aus  der  Würdigung 
der  örtlichen  Erscheinungen,  mit  Berücksichtigung  dessen,  was  über  den 
Verlauf,  die  Ausgänge  und  die  ätiologischen  Momente  gesagt  wurde.  — 
Fälle  mit  vorwaltender  Gefässeinspritzung  nehmen  im  Allgemeinen  einen 
minder  schleppenden  Verlauf.  —  Fälle,  die  um  die  Zeit  der  Pubertät  oder 
später  auftreten,  sind  im  Allgemeinen  hartnäckiger,  als  die  im  Knabenalter. 
—  Nach  eingetretener  Schwangerschaft  sah  ich  das  Leiden  von  selbst  zu- 
rückgehen, nachdem  es  Monate-lang  der  arzneilichen  und  diätetischen  Be- 
handlung widerstanden  hatte. — Gleichzeitige  Affection  der  Iris  oder  Sclera 
lässt  rücksichtlich  der  Cornea  unheilbare  Trübung  befürchten. 

Behandlung.  Das  Leiden  ist  in  zweifacher  Beziehung  aufzufassen, 
als  Entzündung  mit  mehr  weniger  heftigen  Reactionserscheinungen,  und 
als  Ausdruck  eines  im  ganzen  Organismus  haftenden  Übels. 

Bei  starkem  Blutandrange  zum  Auge,  Schinerzen,  Lichtscheu  und 
Thränenflnss  beginne  man  die  Behandlung  mit  einer  örtlichen  Blutent- 
ziehimg   an  der  Schläfe    oder  hinter  dem  Ohre  und    mit  einem  kühlenden 


Entzündung  —  scrofulöse —  Therapie.  189 

Abführmittel.  Den  bereits  \on  Makenzie  empfohlenen  Tart.  stibiatus,  be- 
sonders in  Verbindung  mit  Glaubersalz  fand  ich  unter  solchen  Umständen 
auch  hier  besonders  nützlich.  Die  antiphlogistische  Behandlung  ist  zu 
wiederholen,  so  oft  die  Zeichen  stärkeren  Blutandranges  neuerdings  auf- 
treten ;  nur  vergesse  man  nicht,  dass  derlei  Individuen  die  schwächende 
Behandlung  nicht  in  dem  Grade  wie  Andere  vertragen,  und  die  mehr 
chronische  Affection  vehement  eingreifende  Mittel  gar  nicht  erfordert. 
Nur  bei  reichlichem  Exsudate,  wo  Gefahr  bleibender  Trübung  oder  ab- 
normer Wölbung  der  Cornea  droht,  mag  man  Calomel  oder  Sublimat  mit 
Opium  bis  zu  den  Vorboten  der  Affection  des  Zahnfleisches  reichen :  je 
schlechter  das  Individuum  aussieht,  und  insbesondere  bei  Frauenzimmern 
mit  Menstruationsanomalien,  hüte  man  sich  vor  innerlichem  Mercurialge- 
brauch.  Diese  fordern  im  Gegentheile  Mittel  aus  der  Reihe  der  sogenann- 
ten Solventia  und  Tunica.  Die  Präparate  von  China,  namentlich  Extractum 
frig.  par.,  und  Sulfas  chinini,  yon  Ferrum,  besonders  Carbonas,  Tartras  und 
Melas  ferri  mit  Rheum,  Extractum  conii  macul.,  bei  Menstruationsanomalien 
mit  Aloe,  Mirrha,  Frond.  sabinae  u.  dgl.  verbunden,  können  in  dieser  Be- 
ziehung als  wahre  Antiphlogistica  betrachtet  werden.  Bei  altern  Individuen 
sind  vorzüglich  Solventia  angezeigt,  namentlich  Mineralwässer:  Kreuz- 
brunnen, Ragozi,  Salzquelle,  die  kühlem  Quellen  von  Karlsbad  u.  dgl.  In 
Bezug  auf  die  allgemeine  Behandlung  rnuss  überhaupt  auf  das  bei  den 
Abschnitten  über  Conjunctivitis  scrofulosa  und  Trachoma  Gesagte  zurück- 
gewiesen werden.  —  Örtlich  werden,  sobald  der  eigentlich  exsudative 
Process  nachlässt,  sehr  bald  Stimulantia  vertragen,  Einträuflungen  von  Lau- 
danum  liquidum,  von  Aqua  Conradi,  Cadmium  sulfuricum;  weiterhin  der 
rothe  Präcipitat.  das  Jodkali  in  Salbenform  (letzteres  besonders  an  die 
Stirn  und  Schläfen),  die  Elektricität. 

Der  Lehrer  wird  aus  dieser  Darstellung  entnehmen,  dass  meine  Angaben,  auf 
sorgfältige  und  vielfache  Beobachtungen  gestützt,  im  Wesentlichen  mit  denen  von 
Flarer  (in  Zardas  oben  citirter  Dissertation,  welche  die  erste  Abhandlung  über  diese 
Form  bildet),  Cheliiis  (1.  c.  I.  B.  S.  187),  Rosas  (S.  435),  Makenzie  (S.  407)  und 
Fischer  (klin.  Unterr.  S.  307)  übereinstimmen.  Amnion  (bei  Wendler)  hat  die  Formen, 
welche  zu  kalkartigen  Trübungen  führen,  Keratitis  phosphotica,  Walther  jene,  welche 
bei  weiblichen  Individuen  mit  Monstruationsanomalien  auftritt,  Keratitis  amenorrhoica 
genannt.  Andere  haben  jene  Fälle,  welche  mit  stärkerer  Gefässeinspritzung  verlaufen, 
als  Pannus  beschrieben,  mithin  ganz  verschiedene  Processe  unter  einem  Namen  zusam- 
mengefasst.  Zur  Erläuterung  des  Ganzen  mögen  hier  noch  einige  meiner  Beobachtun- 
gen einen  Platz  finden. 

Ein  Lehrergcl.ilfe  von  30  Jahren  wurde  im  Schulj;hre  1847  auf  die  Augenklinik 
aufgenommen,  wegen  einer  Entzündung  auf  dem  rechten  Auge.  Wir  fanden  rings  um 
die  Cornea  einen  gegen  1'"  breiten  Gefässsaum,   die  Stämmchen   der  Ciliararterien    etwas 


190  Hornhaut. 

erweitert,  die  Cornea  im  obern  Drittel  leicht  getrübt,  graulich,  wolkig,  an  der  Ober- 
fläche fein  gestichelt,  nebstdem  noch  2  grössere  graue  Fleckchen  mit  verwachsenen 
Rändern  beinahe  der  Pupille  gegenüber;  das  Sehvermögen  getrübt,  so  dass  er  Buch- 
staben von  s/4"' Höhe  nur  mühsam,  von  2//"  Höhe  gar  nicht  erkannte:  Lichtscheu  und 
Thränenfluss  gering;  die  übrigen  Gebilde  des  Auges  normal.  Der  Kranke  sah  schlecht 
aus,  hatte  eine  luride  Gesichtsfarbe,  trockene,  spröde  Haut,  geringe  Muskulatur.  Er 
hatte  das  Sehvermögen  des  linken  Auges  —  das  weiter  unten  beschrieben  werden  soll 
—  bereits  durch  eine  Entzündung  in  seinem  8.  Jahre  verloren,  lebte  in  dürftigen  Ver- 
hältnissen, musste  z.  B.  durch  Abschreiben  (in  den  Abendstunden  bei  Kerzenlicht)  sich 
einen  Theil  seiner  Lebensbedürfnisse  decken,  und  wohnte  seit  einem  Jahre  in  einer 
feuchten  und  kalten  Stube.  Schon  im  vorigen  Winter  hatte  sich  mehrere  Male  eine 
Entzündung  beider  Augen  eingestellt,  welche  mit  partieller  Röthe  und  Pustelbildung 
nächst  dem  Cornealrande  verlaufen  war.  Endlich  war  er  durch  eine  mehrtägige  Hä- 
moptoe sehr  herabgekommen,  und  bald  nachher  hatte  das  jetzige  Übel  begonnen,  mit 
lebhaftem  Brennen  im  innern  Winkel  des  rechten  Auges,  mit  zeitweiligen  flüchtigen 
Stichen,  und  mit  Lichtscheue,  welche  ihn  besonders  in  den  Morgenstunden  belästigte; 
in  der  dritten  Woche  dieser  Krankheit  begann  auch  das  Gesicht  trüb  zu  werden,  und  in 
der  6.  Woche  kam  er  zu  uns  mit  obigem  Zustande.  Obwohl  nun  das  Übel  dem  Grade 
nach  unbedeutend  erschien,  so  zeigte  es  sich  äusserst  hartnäckig,  und  fing  erst  dann 
an ,  den  örtlichen  Mitteln  (Einträuflungen  von  Aqua  Conradi ,  rother  Präcipitatsalbe, 
endlich  Jodkalisalbe  an  Stirn  und  Schläfe)  zu  weichen,  als  der  Kranke  beim  Gebrauche 
des  Oleum  jecoris  aselli,  bei  einer  nahrhaften  Kost  und  fleissiger  Bewegung  im  Freien 
ein  auffallend  besseres  Aussehen  bekam.  Er  konnte  nach  10  Wochen  entlassen  wer- 
den, jedoch  noch  mit  merklichen  Trübungen  im  obern  Segmente  der  Cornea.  Im  Jahre 
1850  besuchte  mich  derselbe  wieder,  sich  zu  zeigen,  wie  gut  er  aussehe,  und  wie 
ungestört  er  nun  sein  Auge  brauchen  könne.  Die  damals  auch  durch  Percussion  nach- 
weisbare Tuberculosis  pulmonum  scheint  seitdem  rückgängig  geworden  zu  sein.  — 
Das  linke  Auge  befindet  sich  noch  wie  damals  in  folgendem  Zustande.  Es  ist  grösser 
als  das  rechte  (in  der  Achse),  birnförmig,  härter  anzufühlen;  die  Cornea  ist  "rings  um 
verdunkelt,  von  oben  und  von  unten  auf  beinahe  2'"  Breite,  in  der  Mitte  durchsichtig 
(der  durchsichtige  Theil  4'"  lang,  1V2";  breit);  der  verdunkelte  Theil  der  Cornea  ist 
bläulich  weiss,  porzellainartig;  durch  den  durchsichtigen  Theil  erkennt  man  die  etwa 
1 \l2'"  hinter  der  Cornea  gelegene  gelbbräunliche  Iris,  in  deren  Pupille  eine  dünne 
Membrann  ausgespannt  erscheint.  Die  bimförmige  Gestalt  des  Bulbus  ist  dadurch  be- 
dingt, dass  die  Basis  der  Cornea  nach  vorn  gerückt  ist,  durch  Ausdehnung  des  vor- 
dersten Theiles  der  Sclera,  was  man  auch  den  Einmündungsstellen  der  erweiterten 
vordem  Ciliararterien  in  der  Sclera  beurtheilen  kann.  —  Aus  diesem  Befunde  ergibt 
sich,  dass  dieser  Kranke  in  seinem  8.  Jahre  dieselbe  Krankheit,  Keratitis  scrofulosa, 
jedoch  im  Verein  mit  Scleritis  und  Iritis  gehabt  habe  —  was  übrigens  in  der  Abhand- 
lung über  die  Krankheiten  der  Sclera  seine  volle  Begründung  erhalten  wird  —  dass 
derselbe  sodann  von  Augenentzündungen  frei  blieb,  bis  endlich  missliche  Verhältnisse 
neuerdings  die  Manifestation  des  Allgemeinleidens  am  Auge  hervorriefen,  erst  als  Con- 
junctivitis, dann  als  Keratitis  scrofulosa.  —  B.  Th.,  26  Jahre  alt,  in  früher  Jugend 
scrofulös,  später  jedoch  meistens  gesund,  kam  Ende  December  1847  auf  die  Klinik. 
Auf  beiden  Augen  waren  die  Augenlidränder  leicht  geröthet  und  geschwellt,  die  untern 
gegen  den  äussern  Winkel   exeoriirt,    die   Conjuncliva    im  Tarsaltheile   netzförmig  injicirt, 


Entzündung  —  scrofulüse  —  Therapie.  191 

im  Übergangstheile  etwas  gelockert,  im  Scleraltheile  normal.  Unter  letzterem  sieht 
man  am  linken  Ange  die  stark  injicirten,  dunkelrothen,  vordem  Ciliargefässe  gegen  die 
Cornea  hin  verlaufen,  und  rings  um  diese  dann  einen  l'/o'"  breiten  rosenrothen  Saum 
bilden.  Oben  und  unten  an  der  Cornea-  erscheint  der  Linibus  conjunctivae  stark  injicirt, 
etwas  geschwellt  und  gelockert,  grauroth  (durch  Exsudat  und  äusserst  zahlreiche  Ge- 
fässchen);  die  unter  dem  Limbus  verlaufenden  (oberflächlichen)  Gefässe  der  Cornea 
siud  nach  oben  und  aussen  so  gedrängt,  dass  sie  dem  freien  Auge  als  ein  blutrother 
Meniscus  erscheinen ;  einzelne  Gefässchen  ziehen  in  der  Oberfläche  der  Cornea  gegen 
deren  Mitte  hin.  Die  Cornea  ist  (mit  Ausnahme  des  4.  Theiles  nach  innen  und  unten) 
durchaus  wollkig  getrübt,  lichtgrau,  aufgelockert,  fein  punktirt,  nach  oben  und  aussen 
auch  etwas  prominent  (geschwellt?);  durch  den  nach  innen  und  unten  befindlichen 
durchsichtigen  Theil  der  Cornea  kann  man  sich  überzeugen,  dass  die  Iris  nicht  mit- 
leidet. Geringe  Schmerzen,  geringe  Lichtscheu,  massiger  Thränenfluss  ,  bedeutende 
Störung  des  Sehens.  Die  Kranke  schreibt  dieses  Übel,  welches  vor  4  Wochen  be- 
gonnen, dem  Unistande  zu,  dass  sie  vor  8  Wochen  eine  feuchte  Wohnung  bezogen,  in 
welcher  sie  sich  auch  sonst  unwohl .  wenn  nicht  gerade  krank  befand.  Sie  sieht 
blass  und  etwas  gedunsen  aus,  zeigt  eine  dicke  Oberlippe,  breite  Nasenflügel,  schlaffe 
Muskulatur.  Das  Augenleiden  begann  mit  drückenden  Schmerzen  im  linken  Auge,  wozu 
sich  später  Röthe  des  Weissen  und  Thränen  gesellten ;  nachdem  diese  Erscheinungen, 
welche  immer  des  Morgens  bis  gegen  die  9.  Stunde  heftiger  gewesen,  allmälig  zuge- 
nommen hatten,  bemerkte  die  Kranke  zu  Ende  der  3.  Woche,  dass  sie  wenig  sah,  und 
suchte  desshalb  ärztliche  Hilfe.  Wir  legten  8  Blutegel  an  die  linke  Schläfe,  liessen 
alle  3  Stunden  Ung.  Cinereum  an  die  Stirn  und  Schläfe  aufstreichen,  verabreichten  ein 
Decoct.  graminis  mit  kali  tartr.,  tinct.  rhei  und  malago  gram.,  und  erlaubten  eine  leichte 
Fleischkost.  Nach  einigen  Tagen  mussten  abermals  Blutegel  gesetzt  und  ein  infus, 
sennae  gegeben  Averden.  Hierauf  ordinirten  wir  Pulver  aus  l/3  Gran  Calomel,  l/4  Gran 
Digitalis  (pulv.  fol.)  und  2/3  Gran  Extr.  conii  macul.  mit  Magnesia,  und  entliessen  die 
Kranke  über  dringendes  Verlangen  in  bedeutend  gebessertem  Zustande,  jedoch  mit 
noch  ziemlich  starken  Hornhauttrübungen.  —  Ein  Zufall  liess  mich  dieselbe  etwa  '/2 
Jahr  später  wieder  sehen;  ich  erkannte  sie  nicht  sogleich:  sie  hatte,  da  sie  nun  in 
bessern  Verhältnissen  lebte,  ein  blühend  gesundes  Aussehen  erlangt,  und  sah  ganz  gut; 
nur  eine  ganz  kleine  maculöse  Trübung  der  Cornea  nach  oben  und  aussen,  und  einige 
schiefergraue  Punkte  in  der  Sclera  (etwa  1 1/%"  von  der  Cornea  weg)  liessen  mich  das 
vorangegangeue  Leiden  noch  erkennen.  —  Kr.  F.,  8  Jahre  alt,  kam  am  17.  Jäner  1848 
auf  die  Klinik.  Links  die  Conjunctiva  im  Tarsaltheile  netzförmig  injicirt,  sonst  normal ; 
die  Cornea  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  durch  weisslich  graue,  wolkige  Flecke  ge- 
trübt, normal  glänzend,  normal  gewölbt;  man  sieht  die  Pupille  durchscheinen;  die 
Ciliargefässe  sind  noch  etwas  ausgedehnt.  Rechts  sind  die  Lidränder  leicht  ödematös, 
die  Conjunctiva  tarsi  netzförmig  injicirt;  die  Conjunctiva  bulbi  zeigt  nach  innen  und 
oben  3.  nach  unten  und  aussen  2  stärker  injicirte ,  scharlachrothe,  verschiebbare  Ge- 
fässe; unter  derselben  sieht  man  eine  Menge  bläulich  rother  Gefässe  von  den  Muse, 
rectis  aus  der  Tiefe  kommend,  die  sich  gegen  die  Cornea  hin  verzweigen,  und  einen 
etwa  1  i/2'"  breiten,  rosenrothen  Saum  bilden.  In  der  Mitte  der  Cornea  ein  gelblich 
weisser,  unregelmässijrer  und  nicht  scharf  begrenzter  Fleck,  gegen  2'"  im  Durchmesser, 
die  Cornea  daselbst  undurchsichtig,  matt,  gelockert,  etwas  prominirend  (bei  der  Seiten- 
ansicht deutlich   erkennbar) ;    der   peripherische   Theil    der   Cornea,    mit   Ausnahme  einer 


192  Hornhaut. 

Stelle  nach  innen  und  oben  blntroth,  wie  von  ausgetretenem  Blute  durchsetzt;  die 
genauere  Besichtigung  zeigt,  dass  diese  Färbung  durch  eine  Menge  feiner,  dicht  neben 
einander  liegender  Gefässchen  bedingt  ist,  welche  vom  Rande  der  Cornea  sich  in  deren 
Substanz  gegen  die  Mitte  hin  verzweigen.  Die  Schmerzen  nicht  bedeutend,  Morgens 
und  Abends  stärker;  die  Lichtscheu  heftig,  das  Sehvermögen  besonders  auf  dem  rech- 
ten Auge  sehr  getrübt.  —  Der  Kranke  ist  körperlich  wenig  entwickelt,  schlecht  genährt, 
von  torpid-scrofulösem  Habitus.  Das  Augenleiden  begann  vor  10  Wochen  (Anfang 
November  1847)  links  mit  Schmerzen,  Lichtscheu,  Thränenfluss  und  allmäligem  Trüb- 
sehen; 14  Tage  später  erkrankte  das  rechte  Auge  unter  denselben  Zufällen.  Ein  Arzt 
hatte  ein  Vesicans  an  die  Schläfe,  später  an  den  Nacken,  und  ein  Augenwasser  ver- 
ordnet; nach  Anwendung  des  letzteren  soll  sich  das  Leiden  auffallend  verschlimmert 
haben.  — ■  Wir  ordinirten  Einreibungen  von  Ung.  cinereum  an  die  Stirn  und  Schläfen, 
Pulver  wie  im  vorigen  Falle,  leichte  Fleischkost,  Nach  eiuigen  Tagen  minderte  sich 
die  Röthe  der  Sclera,  das  Exsudat  in  der  Cornea  wurde  jedoch  mehr  von  Gefässen 
eingeengt ;  statt  jener  Pulver  gaben  wir  tart.  stib.  d.  refr.,  und  gingen  Anfang  Februar 
zu  einem  Decoct.  graminis  mit  Syr.  eich.  c.  rheo,  Ende  Februar  zum  Jodkali  (1  Dr. 
in  6  Unzen,  täglich  2  Esslöffel)  über.  Allmälig  begann  die  Aufhellung  der  Cornea  unter 
Abnahme  der  Gefässe  daselbst  von  der  Peripherie  her,  was  wir  (vom  26.  Februar  an) 
durch  Einreibungen  einer  Jodkalisalbe  an  die  Stirn  und  Schläfe  (5 — 7  Gran  auf  1  Dr.) 
zu  befördern  suchten.  Mitte  März  war  die  Peripherie  der  Hornhäute  fast  ganz  rein, 
die  Centra  zeigten  jedoch  weissliche,  kalkige  Trübungen.  Auch  diese  nahmen  allmälig 
ab,  und  waren  zur  Zeit  der  Entlassung,  welche  den  18.  Mai  geschehen  musste,  bis 
auf  ganz  kleine,  das  Gesicht  wenig  störende  Fleckchen  geschwunden. 

2.  Rheumatische  Hornhautentzündung^  Keratitis  rheumatica. 

Soll  V  er  kältung  am  Auge  eine  Entzünduno;  der  Hornhaut  erregen 
—  denn  nur  diess  wollen  wir  durch  den  Beisatz  „rheumatica"  bezeichnet 
wissen  —  so  muss  sie  schon  heftiger  eingewirkt  haben,  und  eben  desshalb 
erscheint  die  Cornea  selten  ganz  allein  ergriffen.  Es  leidet  fast  immer 
die  Conjunctiva,  insbesondere  aber  die  Tunica  vaginalis  bulbi;  bei  höheren 
Graden  auch  der  vorderste  Theil  der  Sclera,  und  noch  häufiger  die 
Iris  mit. 

Diess  gibt  uns  Aufschluss,  warum  die  Beschreibung  dieser  Form  bei  den  ver- 
schiedenen Auetoren  unter  verschiedenen  Namen  (rheumatische,  rheumatisch-katarrha- 
lische oder  katarrhalisch-rheumatische)  Ophthalmie  zu  suchen  ist,  und  warum  dieselben 
von  der  Affeclion  der  Cornea  oder  der  Iris  nur  nebenbei  und  als  von  etwas  Accesso- 
rischem  Erwähnung  thun.  Häufig  sind  wohl  auch  Fälle  von  acutem  Auftreten  des  Tra- 
chöma  und  von  Keratitis  scrofulosa,  wenn  sie  gerade  mit  Lichtscheu,  Thränenfluss  und 
reissenden  oder  stechenden  -Schmerzen  höheren  Grades  verliefen,  für  Keratitis  rheuma- 
tica oder  Ophthalmia  catarrhalis-rheumatica  genommen  worden,  wie  sich  diess  z.  B.  in 
den  Schriften  von  Fischer,  Sichel  u.  A.  nachweisen  lässt.  Ich  behielt  aber  den  Aus- 
druck „rheumatisch"  bei,  weil  man  ihn  einmal  für  Krankheiten,  die  durch  Verkältung 
entstehen,   angenommen    hat,    und    weil   diese   Ophthalmie    mit  jenen  Affectionen   andere 


Entzündung  —  rheumatische  —  Symptome.  193 

Oreane.  die   man    rheumatische  nennt,   in   Bezug   auf  Symptome,    Verlauf,   Ausgänge  und 
Therapie  die  grösste  Ähnlichkeit  zeigt. 

Die  hielier  gehörigen  Fälle  zerfallen  ohne  Zwang  in  zwei  Reihen 
oder  Formen,  die  sich  zu  einander  ohngefähr  so  verhalten,  wie  Katarrh 
und  Blennorrhoe;  eine  strenge  Sonderung  ist  nicht  möglich.  Zum  An- 
haltspunkte dient  das  Exsudat,  welches  bei  der  einen  Form  vorwaltend 
serös  oder  serös-albuminös,  bei  der  andern  vorwaltend  faserstoffig  ist 
und  zur  Eiterung   führt. 

Allgem.  Charakter.  Die  durch  Verkältung  herbeigeführte  und  hie- 
durch  einzig  und  allein  (nicht  gleichzeitig  durch  Aligemeinleiden)  be- 
dingte Hornhautentzündung  tritt  im  gelinderen  Grade  mit  gleichmässig 
verbreiteter  graulicher  Trübung  der  Hornhaut,  im  höhern  Grade  mit 
Abscessbiklung  in  derselben  auf.  Gefässentwicklung  in  der  Cornea  zeigt 
sieh  nie,  ausser  bei  längerem  Bestände  oder  nach  bereits  erfulgtem 
Aufbruche  des  Abscesses.  Sie  ist  immer  von  einiger  seröser  Schwellung 
der  'Scleralbindehaut  begleitet,  so  wie  auch  von  heftigen  subjectiven  Er- 
scheinungen, Schmerz  und  Lichtscheu.  Der  mindere  Grad  gehört  zu  den 
leichtesten,  in  kurzer  Zeit  vollständig  heilbaren  Formen,  da  bloss  vor- 
waltend seröses  Exsudat  ins  Parenchym  gesetzt  wird;  der  höhere,  mit 
eitrigem  Exsudate  auftretende  Grad  gehört  zu  den  gefährlichsten,  theils 
wegen  Zerstörung  der  eitrig  infiltrirten  Hornhautpartie,  theils  wegen  Eiter- 
senkung, theils  endlich  wegen  der  fast  constant  hinzutretenden  Iritis  mit 
reichlichem  Exsudaterguss  in  die  vordere  Kammer  und  in  die  Pupille. 
Der  Verlauf  ist  im  Allgemeinen  sehr  acut  (wenn  man  die  Folgen  der 
Eiterung  nicht  mit  einrechnet).  *) 

Symptome,  a)  Bei  der  rheumatischen  Hornhautentzündung  mit 
vorwaltend  serösem  Exsudate  erscheint  die  Trübung  über  die  ganze  Horn- 
haut oder  doch  über  den  grössten  Theil  derselben  ausgebreitet,  fast 
durchaus  gleich  gesättigt,  lichtgrau,  halbdurchsichtig,  wie  ein  ange- 
hauchtes Glas,  die  Cornea  an  der  Oberfläche  matt  und  eben,  oder  hie 
und  da  mit  kleinen  Wasserbläschen  oder  nach  deren  Berstung  mit  kleinen 
Facetten  versehen;  der  Limbus  conjunctivae  von  zahlreichen,  hellrothen 
fast  parallelen    Gefässchen   injicirt,    welche  sich  meistens    über   den    Cor- 

-')  Die  hieher  gehörige«  Fälle  in  dieser  \rt  auffassen!,  werden  wir  nicht  genö  hig't  sein,  zur  Erklärung  iler  Eigen- 
tümlichkeiten in  Bezug  auf  Symplome  and  Verlauf  irgend  etwas  Specilisches,  etwa  eine  besondere  Blutmischung 
u.  dgl.  zu  supponiren.  Die  besondere  Veranlassung  macht,  dass  mit  der  Cornea  zugleich  die  Conjuncliva  und 
die  Tunica  vaginalis  bulbi  mit  erkrankt,  dass  serös  albuminöses  oder  eitriges  Exsudat  und  zwar  sehr  rasch  aus- 
geschieden wird,  und  eben  hieraus  resulliren  Erscheinungen,  welche  in  exquisiten  Füllen  so  einzig  in  ihrer  Art 
sind,  dass  man  aus  ihnen  wieder  auf  die  Ursache  zurück,  und  auf  den  weitern  Verlauf  vorwärts  schliessen  kann, 
während  sie  in  audern  Fällen    dagegen  sehr  wenig   Charakteristisches   zeigen. 

Arli,    i.  i3 


194  Hornhaut. 

nealrand  hinaus  verfolgen  lassen,  die  Cornea  selbst  von  jeder  Gefässein- 
spritzung  frei,  dagegen  von  einem  blass-rosenrothen  Gefässsaume  rings 
über  dem  vordem  Theile  der  Sclera  (gewöhnlich  über  \'"  breit)  umgeben, 
die  Conjunctiva  bulbi,  wenn  nicht  von  scharlachrothen  Gefässchen  durch- 
zogen, .so  doch  ödematös  gelockert  oder  geschwellt.  Bei  dieser  an- 
scheinend geringen  Affection  klagt  der  Kranke  über  heftige  Schmerzen 
in  der  Umgebung  des  Auges,  in  der  ganzen  Kopfhälfle;  er  bezeichnet 
dieselben  in  der  Regel  von  selbst  als  ziehend,  reissend,  aussetzend, 
Abends  und  in  der  Nacht  gesteigert;  ebenso  pflegen  Lichtscheu  und 
Thränenßuss  in  auffallend  hohem  Grade  vorhanden  zu  sein ,  und  bei 
schneller  auftretenden  Fällen  werden  häufig  auch  febrile  Erscheinungen 
wahrgenommen,  namentlich  in  den  ersten  Tagen.  Vermehrte  Schleim- 
secretion  der  Bindehaut  kommt  dieser   Form  an  und  für  sich  nicht  zu 

6)    Der   rheum.    Hornhautentzündung   mit    eitrigem  Exsudate    gehen 
entweder   die    eben    genannten    Erscheinungen    durch    einige  Zeit  voraus, 
oder   die  Entzündung  tritt  sehr  bald  mit    der  Bildung  eines  Abscesses    in 
der  Substanz  der  Hornhaut   auf.     Man  sieht  dann  im  mittlem  Theile   der 
Cornea  im  Umfange  eines  Hanfkornes  und   darüber  einen  Eiterherd,  diese 
Partie  weissgelb,  undurchsichtig,  wohl  auch  prominirend,  oder  die  vordem 
Blätter    schon   zerstört,    den  Abscess    in    ein    Geschwür   mit    eitrig   infil- 
trirtem  Grunde  und    eben  solchen  Rändern  verwandelt,    oder   endlich    die 
Stelle    des   Abscesses    grau,    eingesunken ,    und    den    Eiter   zwischen  den 
Faserschichten   der    Cornea    gesenkt,    an   der    untersten    Stelle    in    Form 
eines    Mensicus    oder   unregelmässig   begrenzten    Klumpens   angesammelt, 
Congeslionsabscess   (Unguis,    Onyx).     So    lange  nicht    bereits   Resorption 
(Reinigung  des  Geschwüres)  und   Wiederersatz  des  Substanzverlustes  be- 
gonnen hat,  sieht  man  keine  Gcfässe  im  Bereiche  der  Cornea;   rings  um 
die  Cornea  sieht   man  eine    doppelte  Gelasslage,    eine  tiefere,   welche   als 
violett  roiher  Saum  uro  die    Cornea  erscheint  (Injection  der  Ciliaraterien) 
und  eine  oberflächliche,    Scharlach-    oder  blutrothe,    welche  der  Coniun- 
ctiva    angehört    und    bis   zum    coneaven    Rande   des    Limbus  conjunctivae 
reicht ;    die    Conjunctiva    ist  überhaupt  in   ihrer  ganzen   Ausdehnung  ge- 
lockert,  geschwellt,    von  hoch-  oder    dunkelrolhen  Gefässen  durchzogen, 
an    den  Lidern  gleichmässig    mth    und    eine    schleimig-eitrige  Flüssigkeit 
absondernd.     Fast    immer    erscheint   auch   die  Cutis  längs  des  Lidrandes 
serös  geschwellt  und  blass-  oder   bläulichroth.     Schmerzen,    wie  die  bei 
a)  beschriebenen,  Lichtscheu  und  Thränenfluss  sind  von  Anfang,  zur  Zeit 
der  Exsudation,    in    sehr  hohem,    später  oft  in  auffallend  niedrigem  Grade 


Eidzündiiug — rheumat. — Verlauf—  Ausgänge— Prognosis.     195 

vorhanden.     Dasselbe  gilt    von    der  Beschleunigung   des   Pulses,    der  er- 
höhten Temperatur  der  Cutis,  und  den  übrigen  febrilen  Erscheinungen. 

Verlauf,  Ausgänge,  Prognose.     Der   Verlauf  ist    im  Ganzen  ge- 
nommen ein  sehr  rascher;  die  Krankheit  hat  in  wenig  Tagen  ihren  Höhe- 
punkt erreicht,  und  es  hängt  sodann  von  äussern  Verhältnissen  des  (übri- 
gens   gesunden)    Individuums    ab,    ob    das   Auge    früher   oder   später    der 
Genesung  zugeführt  wird.     Hat  man  Gelegenheit,  die  Krankheit  im  Beginn 
zu  beobachten,  so  kann  man  sie  noch  nicht  mit  Bestimmtheit  als  Keratitis 
diagnosticiren.      Durch    kürzere    oder   längere    Zeit,    selbst    5 — 6    Tage, 
sieht    man  nämlich    noch  keine  Trübung,    im  Gegentheile    bisweilen  sogar 
einen    erhöhten  Glanz    der    Cornea,    wohl    aber  jene    lebhafte  Rosenrölhe 
über  dem  vordersten  Theil  der  Sclera    und  jene  fein  in  den  Limbus  con- 
junctivae hereinsprilzenden  Gefässchen,  dabei  Lichtscheue,  Thränenfluss  und 
Schmerzen    im  Auge    und    in  der    entsprechenden    Kopfhälfte  in  auffallend 
hohem  Grade.     Da  nun  nach  diesem  Befunde  eben  so  gut  Iritis  als  Kera- 
titis oder    beides    zugleich  auftreten    kann  und    aufzutreten  pflegt,    so  be- 
greift   man   leicht,    warum    ältere    Auetoren    denselben    eigens    als    Oph- 
thalmia   rheumatica  abhandelten,    deren  Sitz    in  die    Sclera  verlegten,    und 
von    Keratitis    oder    Iritis     als    etwas    zufällig    Hinzutretendem    sprachen. 
Möglich,  dass  sie  Fälle  beobachteten,  wo  es  nicht  zur  deutlichen  Trübung 
der   Cornea  oder   zu  deutlichen  Zeichen    der  Iritis  kam.     (Ich   sah  jeder- 
zeit das  eine  oder  das  andere  nachkommen.) 

Die  Keratitis  rheumatica  mit  lymphatisch-serösem  Exsudate  gehört, 
für  sich  allein,  nicht  unter  die  gefährlichen  Krankheiten;  sie  bewirkt  nur 
eine  leichte  Trübung,  welche  in  der  Regel  von  selbst  verschwindet,  oder 
mehr  weniger  zahlreiche  und  grosse  Facetten,  welche  gleichfalls,  freilich 
oft  erst  nach  Wochen,  von  selbst  heilen. 

Die  Hornhautentzündung  mit  Abscessbildung  hingegen  gehört  zu  den 
gefährlichsten  Augenübeln.  Sie  zerstört  die  Faserschichten  der  Hornhaut 
in  verschiedener  Ausdehnung  und  Tiefe.  Im  günstigsten  Falle  bilden  sich 
oberflächliche  Narben,  welche  jedoch  nur  bei  jugendlichen  und  sonst  ge- 
sunden Individuen,  und  da  nur  so  lange,  als  sie  noch  nicht  zu  fest  ge- 
worden sind,  eine  Aufhellung  durch  Ersatz  normaler  Hornhautsubstanz 
zulassen.  Der  Hornhautabscess  hat  aber  gewöhnlich  auch  Eitersenkung 
zwischen  den  Faserschichten  zur  Folge,  und  führt  hiedurch  nicht  selten 
zu  weit  ausgedehnterer  Zerstörung,  als  man  befürchtet  hatte.  —  Es  ist 
ferner  bekannt,  dass  er,  wenn  er  in  ein  Geschwür  übergegangen,  gern 
tiefer  dringt,  und  endlich  Blosslegung  und  Berstung  der  Descemet' sehen 
Haut  und  deren  Folgen   einleitet.  —  Aber  auch  schon  vor  einem  solchen 

13* 


196  Hornhaut. 

Durchbruche,  und  selbst  wenn  es  nicht  zu  diesem  kommt,  pflegt  zugleich 
die  Iris  in  Entzündimg  versetzt  zu  werden,  sobald  ein  tieferer  Eiterherd 
in  der  Hornhaut  zu  Stande  kommt,  und  es  erscheint  dann  in  Folge  dieser 
Iritis  in  der  vordem  Augenkammer  ein  gelbliches  eiterähnliches  Exsudat 
angesammelt  —  eine  Erscheinung,  welche  man  Hypopium  spurium  ge- 
nannt hat,  weil  man  glaubte,  diese  Flüssigkeit  sei  Eiter,  welcher  in  die 
vordere  Kammer  gelange,  wenn  so  ein  Abscess  nicht  nach  vorn,  sondern 
rückwärts  in  das  Kammerwasser  sich  entleere. 

Ich  konnte  mich  von  dieser  Entstehungsweise  des  sogenannten  Hypopium  niemals 
überzeugen,  eben  so  wenig,  als  davon,  dass  der  Eiter  die  Descemet'sche  Haut  rück- 
wärts drängen,  und  also  nur  scheinbar  in  der  vordem  Kammer  gelagert  sein  sollte 
(wie  Dr.  Pilz  meint) ;  wohl  aber  weiss  ich  aus  genauen  Beobachtungen,  dass  in  Fällen, 
die  sich  auf  diese  Weise  hätten  erklären  lassen,  diese  Annahme  durch  kein  Zeichen  be- 
gründet werden  konnte,  hingegen  anderweitige  Zeichen  offenbar  auf  Iritis  hinweisen.  — 
Eben  so  wenig  konnte  ich  mich  jemals  von  der  sogenannten  Eintrocknung  eines  Cor- 
nealabscesses  überzeugen,  und  glaube,  man  habe  hievon  dann  gesprochen,  wenn  der 
Eiter  allmälig  resolbirt  worden  war,  und  einer  dichten  gelblichen  Narbe  Platz  gemacht 
hatte.  —  Ich  betrachte  diese  Iritis  als  Folge  der  Keratitis ,  weil  ich  sie  auch  bei  Blen- 
norrhoe mit  tieferer  Hornhauteiterung,  und  was  noch  klarer  für  diese  Ansicht  spricht, 
weil  ich  sie  in  Fällen  beobachtete,  wo  die  Hornhaut  z.  B.  durch  ein  Stückchen  Ätzkalk 
in  Eiterung  versetzt,  die  Iris  ganz  gewiss  nicht  verletzt  worden  war. 

Als  erstes  Zeichen  der  Resorption  und  der  beginnenden  Vernarbung 
sieht  man  gewöhnlich  zahlreiche  oberflächlich,  und  einzelne  tief  in  der 
Cornealsubstanz  verlaufende  Blutgefässe  auftreten ,  welche  häufig  noch 
lange  fortbestehen,  nachdem  rings  um  die  Cornea  alle  abnorme  Gefäss- 
injection  verschwunden  ist.  Die  weitern  Folgen  dieser  Hornhautabscesse 
werden  wir  in  dem  Abschnitte  über  die  Hornhautgeschwüre  näher 
erörtern. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Diese  Krankheit  kommt  eben  nicht 
häufig  vor,  wenigstens  ungleich  seltener,  als  die  durch  atmosphärische 
Einflüsse  bedingte  Conjunctivitis.  Sie  setzt  keine  besondere  Disposition 
voraus,  wenn  man  auch  zugeben  muss,  dass  Individuen,  die  einmal  daran 
gelitten,  leichter  als  andere  wieder  davon  befallen  werden.  Wenn  sie  im 
Kindesalter  nie,  im  Knabenalter  selten  beobachtet  wird,  so  liegt  der 
Grund  wohl  darin,  dass  Individuen  dieses  Alters  nie  oder  selten  den  be- 
treffenden Gelegenheitsursachen  ausgesetzt  werden.  Als  Veranlassung 
bezeichnen  die  davon  Befallenen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  Verkältung, 
namentlich  schnelle  Abkühlung,  scharfen  Wind  oder  Zugluft  hei  schwiz- 
ztiidem  Kopfe.  Insbesondere  pflegen  diese  Schädlichkeiten  dann  zu  jenem 
Zustande    zu   führen,    wenn    sie    auf  bereits   katarrhalisch   affieirte    Augen 


Entzündung  —  rheumatische  —  Behandlung.  197 

einwirken.  Ingleichen  entsteht  diese  Form  gern,  wenn  auf  derlei  Augen 
kalte  Umschläge,  Augenwasser  u.  dgl.  unzeitig  und  unzweckmässig  an- 
gewendet werden.  (Vergl.  S.  13.)  bei  alten  Leuten  bedarf  es  im  Allge- 
meinen eines  weit  geringeren  Grades  von  Verkältung,  diese  Krankheit 
zu  erregen,  und  bei  diesen  vor  allen  kommt  es  gern  zur  Abscessbildung. 
—  Die  Krankheit  ergreift  selten  beide  Augen  zugleich,  und  wenn  auch 
beide  Augen  ergriffen  sind,  so  findet  man  das  Leiden  doch  selten  auf 
beiden  Augen  in  gleichem  Grade  ausgesprochen. 
Die  BehandSnng  erfordert: 

1.  Strenge  Abhaltung  der  Gelegenheitsursache  und  ähnlich  wirkender 
Potenzen,  so  wie  alles  dessen,  was  bei  acuten  Augenentzündungen  über- 
berhaupt  zu  meiden  ist,  wie :  grelles  Licht,  Anstrengung  des  andern  Auges, 
erhitzende  Getränke  u.  dgl.  Der  Kranke  muss  das  Zimmer,  wenn  nicht 
selbst  das  Bett  hüten. 

2.  Antiphlogose.  Ein  Aderlass  ist  bei  einfacher  Keratitis  nicht  noth- 
wendig;  Blutegel  hingegen  werden  bei  einigermassen  starken  Reactions- 
erscheinungen  nicht  leicht  umgangen  werden  können;  dasselbe  gilt  von 
kühlenden,  salzigen  Abführmitteln. 

3.  Die  nach  hinreichender  Blutentziehung  noch  vorhandenen  Schmer- 
zen werden  am  besten  durch  trockene  warme  Tücher  (6 — 8fach  zusam- 
mengelegte Leinenservietten)  um  die  entsprechende.  Kopfhälfte  (etwas  über 
das  Auge  herabhängend)  und  reichliche  Einreibungen  von  UnguenL  einer- 
mit  Opium  (5 — 8  Grad  auf  1  Dr.)  an  die  Stirn  und  Schläfe  gemildert. 
Das  Aufstreichen  dieser  Salbe  soll  vor  dem  Eintritte  der  abendlichen 
Exacerbation  geschehen 

4.  Nach  gebrochener  Heftigkeit  der  entzündlichen  Zufälle  Diaphore- 
tica:  tart.  stibiatus  r.  d.,  Pulv.  Doveri,  infusum  ipecac,  spir.  Minderen, 
roob  sambuci.  Hautreize  (Kren-  oder  Senfteige,  Kantharidenpflaster  am 
Nacken)  können  sodann  viel  zur  Linderung  der  Kopfschmerzen  beitragen, 
und  letztere  zeigen  sich  namentlich  zur  Abstumpfung  der  durch  längere 
Zeit  zurückbleibenden  Empfindlichkeit  der  Augen  gegen  Licht  und  scharfe 
Luft  sehr  erspriesslich.  Bäder  sind  erst  beim  Eintreten  der  Reconvales- 
cenz  zulässig,  und  besonders  bei  etwas  mehr  protrahirtem  Verlaufe  der 
gelindern  Form  (a)  oder  bei  entschiedener  Neigung  zu  Recidiven  sehr 
wohlthätig. 

5.  Ist  viel  Eiter  zwischen  den  Faserschichten  der  Hornhaut,  oder 
viel  Exsudat  in  der  Augenkammer  angesammelt,  so  sind  Brechmittel  am 
geeignetsten,  die  Resorption  zu  bethätigen,  falls  nicht  die  Entzündung 
noch    so  heftig  ist,    dass    fortwährend  noch    reichliche  Exsudatioa  erfolgt. 


198  Hornhaut. 

Wo  jedoch  die  Cornea  nahe  daran  ist  zu  bersten,  sind  Brechmittel  wegen 
der  dadurch  herbeigeführten  Anstrengung  gegenangezeigt.  Von  Dr. 
Schmalz  wurde  die  Polygala  senega  (Decoct.  ex  dr.  jj  —  dr.  jjj)  vorge- 
schlagen; sie  wirkt  jedenfalls  nur  s^hr  langsam.  Mit  Abführmitteln  muss 
man  in  solchen  Fällen,  namentlich  bei  minder  jugendlichen  und  kräftigen 
Individuen,  vorsichtig  sein. 

6.  Die  künstliche  Entleerung  des  in  der  Augenkammer  reichlicher 
angesammelten  Exsudates  durch  einen  gegen  3"'  langen  Einstich  am  untern 
Rande  der  Cornea,  ist  bisweilen  das  einzige  Mittel,  das  Sehvermögen 
ganz  oder  doch  zum  Theil  zu  retten,  oder  doch  den  Kranken  wenigstens 
von  den  wüthenden  Kopfschmerzen  zu  befreien. 

So  sehr  ich  früher  gegen  diesen  Eingriff  war,  so  haben  mich  einige  eclatante 
Erfolge  nun  von  der  Vortrefflichkeit  desselben  überzeugt;  nur  darf  man,  sobald  das 
Exsudat  mehr  als  l/3  der  vordem  Augenkammer  ausfüllt,  und  den  unter  5)  angeführten 
Mitteln  nicht  in  2 — 3  Tagen  zu  weichen  beginnt,  nicht  lange  damit  zögern,  und  muss 
die  völlige  Entleerung  dadurch  vermittelt  werden,  dass  man  entweder  beim  Herausziehen 
des  lanzenförmigen  Messers  oder  nachträglich  die  Wunde  gehörig  klaffen  macht. 

7.  Mercurialmittel  sind  behufs  der  Resorption  innerlich  nicht  anzu- 
wenden, bei  a  nicht  nothwendig,  bei  b  leicht  schädlich.  Örtlich  dagegen, 
an  die  Stirn  und  Schläfe  erweisen  sich  Einreibungen  von  Ung.  cinereum 
allein  oder  mit  Opium  oder  Hyosciamus  selbst  während  des  exsudativen 
Processes  als  sehr  willkommene  Mittel  zur  Unterstützung  der  Cur. 

8.  Die  fernere  Behandlung  des  Abscesses  oder  Geschwüres  der 
Hornhaut  folgt  in  dem  Abschnitte  über  „Hornhautgeschwüre  und  Horn- 
hauttrübungen." 

9.  Alle  Mittel  aufs  Auge  selbst  sind  schädlich,  so  lange  noch  ent- 
zündliche Reizung  besteht  und  frische  Exsudation  geschieht;  den  Über- 
gang zu  der  unter  8  angedeuteten  Behandlung  macht  man  am  besten  mit 
Einträuflungen  von  verdünnter  Tinctura  opii  crocata,  oder  von  Lapislösung. 

Postmeister  W.,  circa  50  Jahre  alt,  von  sehr  gesundem  und  kräftigen  Aussehen, 
kam  Ende  Juni  zu  mir  mit  einer  Entzündung  des  linken  Auges.  Der  Rand  des  obern 
Lides  war  etwas  ödematös  angelaufen,  die  Conjunctiva  palpebr.  dicht  netzförmig  inji- 
cirt,  die  Conjunctiva  bulbi  von  ziemlich  zahlreichen,  leicht  verschiebbaren,  hochrothen 
Gefässchen  durchzogen,  die  vorderen  Ciliararterien  stark  injicirt;  rings  um  die  Cornea 
einen  gegen  2  Linien  breiten,  bläulichrothen  Saum  bildend,  die  Cornea  und  die  Iris  voll- 
kommen normal,  das  Sehen  ungetrübt,  der  Kranke  nur  durch  Lichtscheu  und  Thränen, 
vorzüglich  aber  durch  heftige,  reissende  Schmerzen  in  der  Umgebung  des  Auges  be- 
lästigt ;  im  innern  Winkel  war  ein  Klümpchen  gelblichen  Secretes  angelagert.  Der 
Mann  war  sehr  ängstlich,  weil  er  bereits  vor  2  Jahren  auch  eine  Augenentzündung 
mit  ähnlichen  Erscheinungen  gehabt,  lange  damit  zugebracht,  und  doch  noch  einen 
bedeutenden    Fleck    fetwa    eine    linsengrosse.    halbdurchsichtige   Narbe)    fast    mitten    auf 


Entzündung  —  rheumatische  —  Behandlung.  J99 

der  Cornea  davongetragen  hatte;  er  war  um  so  mehr  besorgt,  weil  er  schon  zu  ver- 
schiedenen Malen  an  Gichtanfällen  gelitten  hatte.  Dieses  letztere  Leiden  hatte  ihn  be- 
stimmt nach  Karlsbad  zu  gehen,  und  dort  hatte  ihn  eben,  als  er  mit  der  Cur  ziemlich  zu 
Ende  war,  die  Augenentzündung  befallen.  Wenn  ich  nun  auch  seine  Furcht  in  Bezug 
auf  eine  gichtische  Affection  des  Auges  nicht  theilte  ,  so  konnte  ich  mich  bei  mir  selbst 
doch  nicht  ganz  beruhigen ,  weil  ich  nicht  recht  wusste,  was  jene  starke  Rosenröthe 
und  die  heftigen  Schmerzen  eigentlich  bedeuten  sollten.  Hatte  gleich  die  Krankheit 
mit  den  gewöhnlichen  Erscheinungen  einer  Conjunctivitis  catarrhalis  begonnen,  so  war 
sie  diess  gegenwärtig  offenbar  nicht  mehr.  Ich  hielt  daher  den  Kranken  streng  im 
Zimmer,  bei  temperirtem  Lichte,  etwas  restringirter  Kost  und  völliger  Ruhe,  und  ordi- 
nirte  ein  trockenes,  gewärmtes  Leintüchel  über  die  entsprechende  Kopfhälfte,  und  ein 
leichtes,  kühlendes  Abführmittel,  nach  2  Tagen  Einreibungen  von  Ung.  cinereum  mit 
Opium  an  die  Schläfegegend,  und  den  3.  Tag  Kren  (Meerrettig)  mit  Mehl  und  warmem 
Essig  gemischt,  handtellergross  zwischen  die  Schulterblätter.  Nachdem  hierauf  jene 
Zufälle  merklich  abgenommen,  stellte  sich  den  6.  Tag  eine  leichte  Trübung  der  Cornea 
ein.  wie  wenn  man  ein  Glas  angehaucht  hätte,  und  hiemit  leichtes  Trübsehen.  Beides 
verlor  sich  nach  4  Tagen,  und  der  Kranke  war  somit  den  10.  Tag  der  Behandlung 
reconvalescent.  Jetzt  verdiente  wohl  auch  die  Angabe  des  Kranken,  dass  er  sich  sein 
Übel  durch  die  nächtliche  Reise  von  Karlsbad  hieher  verschlimmert  habe,  mehr  Berück- 
sichtigung, als  ich  ihr  Anfangs  zu  schenken  geneigt  gewesen  war. 

Ein  Bäckergesell  von  46  Jahren  und  gesundem  Aussehen  kam  am  12.  Mai  1850 
auf  die  Klinik.  Beide  Augen  werden  wegen  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  nur  halb 
geöffnet;  gegen  den  äussern  Winkel  hin  leichte  Excoriationen,  im  innern  Winkel  etwas 
Schleim.  —  Am  rechten  Ange  die  Conjunctiva  palp.  netzförmig  blass  geröthet,  leicht 
geschwellt,  die  Meibom'schen  Drüsen  undeutlich  durchscheinend;  der  Übergangstheil 
blassroth,  wulstig,  mit  einigen  Schleimfäden  belegt;  die  Conjunctiva  bulbi  von  sehr 
sparsamen  und  wenig  ausgedehnten  Gefässen  durchzogen,  serös  iniiltrit,  leicht  in 
Falten  verschiebbar.  Die  Cornea  zeigt  beinahe  in  der  Mitte  zwei  etwa  hirsekorngrosse, 
an  der  Oberfläche  glatte  und  glänzende  Flecke  (Narben  nach  einer  Entzündung  im  5. 
Lebensjahre).  Des  Morgens  sind  die  Lider  verklebt ;  sonst  ist  dieses  Auge  normal. 
(Conjunctivitis  catarrhalis  —  maculae  corneae.)  —  Auf  dem  linken  Auge  bietet  die 
Conjunctiva  palp.  dieselben  Erscheinungen  dar;  die  Conjunctiva  bulbi  ist  von  zahlrei- 
chen hochrothen  Gefässen  durchsetzt,  bedeutend  serös  geschwellt ;  die  Cornea  beinahe 
durchaus  leicht  getrübt,  graulich  matt,  minder  glänzend,  etwa  2'"  vom  äussern  Rande 
einwärts  mit  einem  seichten  graulichen  Grübchen  versehen;  der  Limbus  conjunctivae 
ringsum  fein  injicirl,  auf  dem  vordem  Theile  der  Sclera  ein  rospnrother  Gürtel.  Das 
Sehvermögen  bedeutend  getrübt;  Lichtscheu  und  Thränenfluss  heftiger,  als  rechts, 
nebstdem  drückende  und  reissende  Schinerzen  im  Auge  und  dessen  Umgebung.  —  Der 
Kranke  soll  in  seinem  5.  Jahre  eine  Augenentzündung  mit  heftiger  Lichtscheu  über- 
standen, und  nach  mehrmonatlicher  Dauer  einen  Fleck  auf  dem  rechten  Auge  behalten 
haben.  Vor  10  Tagen  bekam  er  drückende  und  brennende  Schmerzen  in  beiden  Au- 
gen, welche  roth  wurden,  das  Licht  nicht  gut  vertrugen,  und  des  Morgens  verklebt 
waren.  Zur  Linderung  wandte  er  kalte  Umschläge  an,  wobei  sich  das  Übel  jedoch 
steigerte,  und  Trübung  des  Gesichtes  (auf  dem  linken  Auge)  auftrat.  —  Wir  setzten 
S  Blutegel  vor  das  linke  Ohr  und  verabreichten  '/2  Gran  Tart.  stib.  in  6  Unzen  Eibisch- 
decoct  bei  übrigens  gehörigem  Verhalten.     Es    erfolgte  keine  Erleichterung;    wir  setzten 


200  Hornhaut. 

zu  derselben  Medicin  eine  halbe  Uuze  Glaubersalz,  und  Hessen  Ung.  einer,  mit  Opium 
(6  Gran  auf  eine  Drachme)  an  die  Umgebung  aufstreichen.  Schon  den  |5.  Tag  der  Be- 
handlung war  die  Gefässinjection  sehr  gering,  das  Cornealgeschwürchen  ganz  rein,  die 
katarrhalischen  Symptome  ganz  gewichen,  und  der  Kranke  genas  binnen  12  Tagen  bis  auf 
eine  leichte  Facette  der  Cornea,  deren  Heilung  der  Kranke  nicht  abwartete. 

Ein  38  Jahre  alter,  rüstig  gebauter  und  gut  genährter  Müllerbursch ,  welcher 
früher  nie  krank  gewesen  zu  sein  versichert,  erkrankte  den  20.  November  1849  auf 
dem  rechten  Auge ,  angeblich  in  Folge  von  Zugluft  bei  schwitzendem  Körper.  Er 
bemerkte  des  Morgens  leichten  Schmerz  und  bedeutende  Röthe  dieses  Auges ;  da  der 
Schmerz  bald  sehr  heftig  wurde,  ging  er  in's  Spital  der  Barmherzigen,  wo  man  ihm 
bloss  eiskaltes  Wasser  überschlug.  Da  er  nebst  Steigerung  der  übrigen  Zufälle  endlich 
auch  Abnahme  des  Gesichtes  bemerkte,  kam  er  den  2.  December  auf  die  Klinik.  — 
Hier  fanden  wir:  die  Lider  normal,  nur  rechts  die  Hautvenen  etwas  ausgedehnt,  die 
Conjunctiva  im  Tarsal-  und  Übergangstheile  netzförmig  injicirt,  stark  gelockert  (die 
Meibom'schen  Drüsen  wenig  durchscheinend),  die  Conjunctiva  bulbi  besonders  in  der 
untern  Hälfte  stark  injicirt,  serös  infiltrirt,  den  Limbus  conjunctivae  ringsum  von  zahl- 
reichen Gefässen  eingespritzt  und  .  etwas  geschwellt ,  den  vordem  Theil  der  Sclera 
violettroth,  die  Cornea  getrübt  und  gelockert,  wie  mit  Nadeln  gestochen.  Unterhalb 
der  Mitte  der  Cornea  sieht  man  einen  hanfkorngrossen  Substanzverlust,  an  welchen 
nach  oben  und  aussen  eine  etwas  seichtere ,  jedoch  breitere  Vertiefung  der  Cornea 
stösst.  Während  man  durch  die  obere  Hälfte  der  Cornea  noch  die  Iris  und  die  Pupille 
wahrnehmen  kann,  erscheint  die  untere  Hälfte  überdiess  durch  ein  gelblich  graues  Ex- 
sudat getrübt.  Die  Iris  ist  entfärbt,  gelblich  röthlich ,  von  der  Pupille  nur  die  Hälfte- 
sichtbar, die  untere  Hälfte  der  Augenkammer  mit  einer  eiterähnlichen  Materie  angefüllt. 
Die  Lichtempfindung  undeutlich,  kein  Schmerz,  geringe  Lichtscheu,  massige  Thränen- 
secretion  mit  etwas  Schleim.  —  Wir  stellten  die  Prognosis  zweifelhaft  und  ordinirten 
ein  Emeticum  und  Ung.  cinereum  an  die  Stirn  und  Schläfe.  Da  sich  keine  Besserung 
zeigte,  öffnete  ich  am  4.  December  die  vordere  Kammer  durch  einen  gegen  3'"  langen 
Einstich  knapp  am  untern  Rande  der  Cornea.  Gleich  nach  der  Operation  entleerte  sich 
nur  wenig  von  der  Flüssigkeit,  und  wie  es  schien,  grösstenteils  nur  der  zwischen 
den  Faserschichten  der  Cornea  angesammelte  Theil,  denn  die  Cornea  wurde  daselbst 
sogleich  durchscheinend,  und  das  Exsudat  in  der  vordem  Kammer  verlor  nicht  seine 
convexe  Oberfläche.  Am  5.  December  jedoch  war  beinahe  alles  Exsudat  bis  auf  eine 
geringe  Spur  au-;  der  vordem  Kammer  verschwunden,  und  nur  eine  Art  Pfropf  in  der 
Pupille  zurück,  welcher  diese  ausfüllte.  Die  Cornea  war  auffallend  reiner,  bis  auf  die 
Stelle  des  tiefern  Geschwüres,  dessen  Grund  und  Ränder  noch  getrübt  erschienen.  Der 
heftige  Schmerz,  der  bisher  jede  Nacht  eingetreten  war,  war  die  letzte  Nacht  ausge- 
blieben ,  die  Lichtempfindung  deutlicher  geworden.  Den  6.  December.  Der  obere  und 
äussere  Theil  des  Pupillenrandes  hat  sich  von  dem  geschrumpften  und  weniger  gelb 
aussehenden  Exsudate  zurückgezogen;  der  Kranke  kann  die  Zahl  der  vorgehaltenen 
Finger  richtig  angeben.  Die  Injection  der  Ciliargefässe  ist  noch  bedeutend,  von  neuer 
Exsudation  jedoch  nirgends  eine  Spur  vorhanden.  Einreibungen  von  Ung.  einer,  wie 
früher,  trockene,  wanne  Tücher  über  das  Auge  leicht  herabhängend,  innerlich  Decoct. 
graminis  mit  '/^  Unze  Kali  tart.  und  Melago  graminis.  Den  7.  December.  Die  obere 
Hälfte  <ltr  Cornea  normal;  man  sieht  die  untere  Hälfte  der  Iris  mit  einem  leichten 
Grau  belegt,  den  kleinen  Kreis  dunkler  gefärbt.     Vom  8.  December    an    wurde    folgende 


Entzündung  —  rheumatische  —  Behandlung.  20t 

Mixtur  verordnet:  Decocti  rad.  polyg.  senegae  ex  dr.  jj.  unc.  V,  Kali  tart.,  mucil.  gummi 
arab.  et  melag.  gramin.  a*a  unc.  ß.  Alle  3  Stundqn  2  Esslöffel.  Von  nun  an  nahm  die 
Injection  allmälig  so  ab,  dass  wir  am  17.  December  bereits  Laud.  liq.  Sydenh.  einträu- 
feln konnten.  Wir  Hessen  nun  den  Kranken  ohne  Medicin,  verabreichten  ihm  nahr- 
haftere Kost,  und  Hessen  ihn  herumgehen.  Den  29.  December.  Die  Injection  der  Con- 
jnnctival-  und  Ciliargcfässe  sehr  gering,  das  Hornhautgeschwür  flach,  ohne  Gefässe, 
leicht  getrübt,  die  übrige  Cornea  rein,  die  Iris  der  Farbe  nach  der  andern  gleich.  Der 
Pupillarrand  nach  innen  und  unten  durch  hintere  Synechien  fixirt,  nach  oben  und 
aussen  mit  Einträuflungen  von  Belladonna  stark  zurückweichend.  Einträuflungen  einer 
schwachen  Lösuug  von  Lapis  infernalis.  —  Zustand  bei  der  Entlassung  am  11.  Jäner- 
Der  Kranke  erkennt  mit  diesem  Auge  nicht  nur  grössere  Gegenstände,  sondern  auch 
die  Zeiger  einer  kleinen  Taschenuhr,  er  kann  selbst  Druckschrift  von  V"  Höhe  lesen, 
wenn  die  Pupille  durch  Belladonna  erweitert  wird.  Die  Iris  ist  nämlich  in  2/s  ihres' 
Umfanges  (nach  innen  und  unten)  fixirt,  durch  graubraune  Fäden,  welche  von  ihr  zu 
ei  nein  inohnkorngrossen  Exsudate  auf  der  Kapsel  verlaufen.  Die  Cornea  zeigt  an  der 
Stelle  des  Geschwüres  eine  seichte,  durchscheinende,  noch  nicht  ausgeglättete  Vertie- 
fung, welche  ringsum  von  einer  sich  allmälig  verwischenden,  bläulich  grauen  Trübung 
umgeben  wird.  Die  Stelle  des  Einstiches  ist  nur  undeutlich  erkennbar.  Man  sieht 
nirgends  Gefässe  in  der  Cornea;  der  Zustand  des  Bulbus  ist  im  Allgemeinen  durchaus 
nicht  gereizt. 

Ein  Fiacre  von  54  Jahren ,  dem  Branntweintrunke  ergeben,  früher  angeblich  nie- 
mals krank,  bemerkte  den  vorletzten  December  1848  drückende  Schmerzen  in  den 
Augen  und  etwas  Röthe  derselben.  Am  Sylvesterabend  musste  er  bei  heftig  entgegen 
wehendem  kaltem  Kordostwinde  vor  die  Stadt  fahren  (nach  Karolinenthal).  Der  Wind 
traf  vorzüglich  das  linke  Auge,  er  konnte  dasselbe  vor  Schmerz  nicht  offen  halten* 
von  Zeit  zu  Zeit  entleerte  sich  ein  Strom  von  Thränen.  Als  er  spät  in  der  Nacht  nach 
Hause  kam.  bemerkte  er,  dass  ihm  zwar  nicht,  wie  er  geglaubt  hatte,  etwas  ins  Auge 
gefallen,  dasselbe  jedoch  geröthet  sei.  Er  band  es  daher  mit  einem  Tuche  zu  und 
legte  sich  nieder,  konnte  jedoch  vor  heftigen  Schmerzen  nicht  schlafen.  Trotzdem  sass 
er  am  Neujahrstage  wieder  auf  dem  Bocke,  musste  jedoch,  da  die  Schmerzen  und  die 
Lichtscheu  unerträglich  wurden,  die  folgenden  3  Tage  zu  Hause,  theils  im  Stalle,  theils 
in  der  Stube  zubringen ,  und  am  4.  Jäner  Abends  ins  Spital  gehen.  Wir  fanden  am 
5.  Jäner  das  linke  obere  Augenlid  leicht  ödematös  geschwollen,  an  den  Cilien  und  im 
äussern  Winkel  einen  weissiiehen  Schaum,  ziemlich  reichlichen  Thränenfluss,  starke 
Lichtscheu.  Die  Conjunctiva  bulbi  stark  netzförmig  injicirt,  leicht  verschiebbar;  dar- 
unter die  Ciliargefässe  blauroth,  rings  um  die  Cornea  einen  violettrothen  Gürtel  bil- 
dend, bis  in  den  Limbus  conjunctivae  eingespritzt.  Die  Cornea  nur  in  der  Mitte  deut- 
lich getrübt,  mitten  in  der  trüben  Stelle  des  Epitheliums  verlustig  (wie  abgeschliffen). 
Die  Iris  leicht  entfärbt,  minder  lebhaft  beweglich,  die  Pupille  enger,  doch  ohne  Ex- 
sudat. Umflortes  Sehen,  Lichtscheu,  Thränenfluss,  über  Tag  zeitweilig-,  in  der  Kacht 
anhaltend -stechende  Schmerzen,  welche  sich  über  die  entsprechende  Kopfhälfte  aus- 
breiten. Der  Puls  etwas  beschleunigt,  die  Temperatur  der  Haut  erhöht,  die  übrigen 
Functionen  ungestört.  Nebst  entsprechender  Regulirung  der  Diät  und  des  Lichtes: 
Ruhe  im  Bett,  10  Blutegel  an  die  linke  Schläfe,  Einreibungen  von  Ung.  einer,  mit 
e\tr.  opii  aquos..  darüber  trockene  warme  Tücher ,  und  infus,  sennae  cum  sale  Glaub. 
Den    6.  Jänner.    Das    Geschwür    auf  der    Cornea   grösser,   die  Iris  mehr  beweglich,  die 


202  Hornhaut. 

Pupille  gleich  contrahirt;  die  übrigen  Erscheinungen  unverändert.  Den  7.  Jäner.  Die 
Schmerzen  in  der  Nacht  geringer,  ebenso  die  Injection  der  Scleralbindehaut.  Das  Ab- 
führmittel bleibt  weg.  Vom  8.  bis  14.  Jäner  keine  merkliche  Veränderung  am  Auge; 
Abnahme  des  Appetites.  Den  15.  Jäner.  In  der  Nacht  geringere  Schmerzen,  wenig 
Schlaf,  über  Tag  nur  Gefühl  von  Druck  im  Auge;  die  Conjunctiva  bulbi  gegen  den 
äussern  Winkel  hin  stärker  serös  infiltrirt,  das  Cornealgeschwür  tiefer,  breiter  und 
trüber,  die  Ins  in  ihrer  Bewegung  freier.  Infus,  sennae  c.  sale  Glaub.,  Ung.  einer,  c. 
opio.  Den  17.  Jäner.  Diarrhöe.  Ein  lauwarmes  Bad.  Den  18.  Jäner.  Im  untern 
Umfange  der  Cornea  erscheint  eine  Eitersenkung,  mit  horizontaler  Begrenzung  nach 
oben;  wie  der  Kranke  seine  Lage  wechselt,  ändert  sich  bald  auch  die  Lage  dieser 
Flüssigkeit.  Fortdauer  der  Diarrhöe.  Ein  warmes  Bad.  Den  19.  Jäner.  Im  Bade  war 
der  Kranke  ohnmächtig  geworden,  hierauf  ein  reichlicher  Schweiss  am  ganzen  Körper 
ausgebrochen.  Der  Kranke  versichert,  die  erste  Nacht  gut  geschlafen  zu  haben.  Als  er 
des  Morgens  aufstehen  wollte,  empfand  er  einen  stechenden  Schmerz  im  linken  Kniegelenke, 
so  dass  er  nicht  gehen  konnte.  Das  Auge  fanden  wir  bedeutend  besser,  die  Röthe  der 
Conjunctiva  und  Sclera  geringer,  das  Geschwür  reiner,  den  Onyx  jedoch  unverändert. 
Das  Kniegelenk  war  leicht  geschwollen,  besonders  über  dem  untern  Ende  des  innern  Con- 
dylus  femoris,  bei  Berührung  schmerzhaft.  Die  Diarrhöe  hat  aufgehört.  Blutegel  an 
diese  schmerzhafte  Stelle,  Einreibungen  von  Ung.  cinereum,  Umhüllung  mit  Cumpressen. 
Den  20.  Jäner.  Die  Geschwulst  am  Knie  grösser,  jede  Bewegung  unmöglich.  Abermals 
8  Blutegel  an  die  äussere  Seite,  und  Einwicklung  in  Werg.  Den  22.  Jäner.  -Der  Onyx 
ist  breiter  geworden,  das  Geschwür  länger  und  tiefer,  sein  Grund  ziemlich  rein.  Der 
Eiter  zwischen  den  Hornhautfasern  stellt  einen  Halbmond  dar,  und  nimmt  die  innere 
Partie  ein,  da  der  Kranke  nur  auf  der  rechten  Seite  liegen  kann ;  dass  aber  der  Eiter 
wirklich  nur  in  der  Cornea  sich  befinde,  lässt  sich  bei  Besichtigung  der  vordem  Kam- 
mer von  oben  und  aussen  her  erkennen.  Das  Exsudat  in  der  Kniegelenkskapsel  ver- 
mindert, aber  der  ganze  Unterschenkel  bis  zum  Fussriicken  geschwollen,  an  letzterem 
ödematös,  an  der  Wade  geröthet  und  derb  anzufühlen.  Der  Puls  beschleunigt,  voll, 
die  Zunge  trocken,  belegt,  der  Durst  erhöht,  Aufstossen,  nach  reichlicherem  Trinken  selbst 
Erbrechen,  Meteorismus,  Diarrhöe,  mit  vielen  flüssigen  Stühlen  ohne  Blut,  ohne  Schleim- 
flocken. Mixt,  gummosa  mit  extract.  opii  aquos.  Den  24.  Jäner.  Des  Nachts  Deliriren, 
häufige  Entleerungen,  oft  ohne  dass  es  der  Kranke  meldet,  dunkler,  sparsamer  Urin ; 
früh  ein  starker  Schüttelfrost,  und  im  Allgemeinen  ein  Krankheilsbild  von  Pyämie,  mit 
Metastase  auf  die  Lunge,  zwei  Tage  später  auch  mit  Bildung  von  Eiterpusteln  über  die 
ganze  Cutis.  Im  Auge  füllte  sich  die  vordere  Kammer  mehr  als  zur  Hälfte  mit  Eiter, 
die  Iris  wurde  entfärbt,  die  Cornea  aufgelockert  und  getrübt,  die  Conjunctiva  bulbi 
stark  ödematös.  Der  Kranke  starb  auf  der  Internabtheilung,  wohin  wir  ihn  am 
28.  Jäner  transferirt  hatten.  —  Scctionsbefund,  Auf  der  Cornea  fehlt  das  Epithelium  in 
der  nächsten  Umgebung  des  Geschwüres;  dieses  ist  etwa  2'"  lang,  1 '/2'"  breit,  und  reicht 
in  der  Mitte  bis  nahe  an  die  Descemefsche  Haut;  diese  selbst  ist  unversehrt,  nirgends 
durchbrochen.  In  der  vordem  Kammer  theils  flüssiges,  theils  festes  Exsudat,  letzteres 
sowohl  an  der  Iris  als  an  der  Cornea  locker  haftend,  und  unter  dem  Mikroskope  Eiter- 
kugeln zeigend.  Eine  grauliche  Exsudatschichte  soll  auch  auf  der  Zonula  Zinii  gelegen 
haben  *).     Die  Kniegelenkskapsel  mit  Eiter  gefüllt,   in   der  Scheide  des  M.  gastrokuemius 

*)  Ii'h  war  rin  Zeil  dieser  Section  erkrankt,   und  kann  demnach  nur  lias   mitlheilen,    was   mir  mein   Assistent  adnotirl  hat. 


Entzündung  —  traumatische  —  Verletzungen.  203 

namhafte     Eiterablagerungen;     im    rechten    Pleurasäcke    sulziges    Exsudat,    entsprechend 
dem  untern  Lungenlappen,  der  sich  im  Zustande  schlaffer  Hepatisation  befand. 

5.    Traumatische  Entzündung  der  Hornhaut,   Keratitis  traumatica. 

Von  einem  Zusammenfassen  der  hieher  gehörigen  Fälle  unter  eine 
gemeinschaftliche  Schilderung  kann  keine  Rede  sein,  nachdem  die  Ver- 
letzung der  Art  und  dem  Grade  nach  unendliche  Verschiedenheiten  dar- 
bieten kann,  und  somit  auch  die  Reaction  als  Folge  derselben  schon  bei 
ein  und  derselben  Individualität  sehr  variiren  müsste.  Dennoch  lassen 
sich  diese  Fälle  ohngefähr  in  zwei  Reihen  ordnen,  je  nachdem  die  Ein- 
wirkung des  fremden  Körpers  blosse  Ausschwilzung  plastischen  Exsudates 
zur  Wiedervereinigung  der  Wunde  oder  zum  Wiederersatz  der  Hornhaut- 
substanz herbeiführt,  oder  aber  Vereiterung  der  betroffenen  und  angren- 
zenden Partie.  Bloss  objeetiv  aufgefasst,  werden  sich  die  hieher  gehö- 
rigen Fälle  von  der  Keratitis  rheumatica  nicht  durchgehends  unterscheiden 
lassen,  wrenn  nicht  etwa  die  Einwirkung  eines  fremden  Körpers  an  be- 
sondern Merkmalen,  z.  B.  linearem  Verlaufe  der  Trennung  des  Zusam- 
menhanges u.  dgl.  zu  erkennen  ist.  Im  Allgemeinen  müssen  demnach 
die  anamnestischen  Momente  genau  erhoben,  und  wo  diese  unglaubwürdig 
erscheinen  (z.  B.  bei  Simulanten,  in  gerichtlichen  Fällen)  der  weitere 
Verlauf  abgewartet  werden.  Die  nähere  Belehrung  hierüber  lässt  sich 
erst  in  dem  folgenden  Abschnitte  geben. 


II.  Verletzungen  der  Hornhaut. 

1.  Durch  mechanisch  wirkende  Schädlichkeiten. 

a)  Quetschung  der  Hornhaut  verursacht  in  der  Regel  eine  heftige 
Entzündung  derselben  mit  Abscessbildung  und  deren  Folgen,  der  fremde 
Körper  mag  nun  in  die  Substanz  eingedrungen  (gequetschte  Wunde),  oder 
sogleich  abgeprallt  sein. 

b)  Kleinere  fremde  Körper  haften  bisweilen  oberflächlich  an  der 
Cornea,  und  erregen  gewöhnlich  so  heftige  Zufälle,  dass  der  Betroffene 
so  bald  als  möglich  Hilfe  sucht.  Dennoch  geschieht  es,  dass  der  fremde 
Körper  Tage-,  Wochen-lang  sitzen  bleibt,  und  erst  später  heftige  Ent- 
zündung der  Hornhaut,  gewöhnlich  mit  Eiterbildung  erregt. 

So  wird  ein  Fall  von  Morgagni  erzählt,  wo  der  Flügel  eines  kleinen  Insektes,  in 
der  Cornea  zurückgeblieben  war,  und  ein  Geschwür  erzeugte,  welches  augenblicklich 
besser  wurde,    als   man    die  Ursache    erkannt   und  entfernt   hatte.     Nach   Wenzt  blieb  die 


204  Hornhaut. 

Hülse  eines  Samenkorns  4  Monate  auf  der  Cornea  eines  Kindes  sitzen,  und  wurde 
für  eine  Pustel  gehalten.  Es  waren  aber  rings  um  die  Cornea  eine  Menge  varicöser 
Gefässe  vorhanden ,  die  wie  die  Radien  eines  Kreises  nach  allen  Seiten  verliefen. 
Wetizl  überzeugte  sich,  dass  die  vermeintliche  Pustel  nichts  anderes  war,  als  die  harte 
Schale  eines  Hirsekorns,  welche  auf  der  Cornea  dergestalt  sass,  dass  ihr  scharfer  Rand 
sich  an  die  Cornea  angelegt,  ihre  glatte,  convexe  Oberfläche  wie  eine  Pustel  ausge- 
sehen hatte  ""')•  Salomon  **)  beschreibt  einen  Fall,  wo  ein  feines  Häutchen  von  Hafer- 
stroh beinahe  ein  Jahr  auf  der  Cornea  haftete,  bis  er  es  erkannte  und  entfernte. 

c)  Andere  fremde  Körper  dringen  in  die  Substanz  mehr  weniger 
tief  ein,  z.  B.  Funken  glühenden  Eisens,  Stein-  oder  Glassplitterchen, 
Pulverkörner  u.  dgl.  Dieselben  erregen  augenblicklich  stärkere  Injeetion 
der  vordem  Ciliararterien,  Thränenfluss,  Lichtscheu,  Schmerz,  seihst  Au- 
genlidkrampf. Eben  dieses  plötzliche  Auftreten  der  Zufälle  muss  den  Arzt 
auf  die  Vermuthung  eines  fremden  Körpers  führen,  wenn  nicht  schon  die 
Aussage  des  Kranken  ihn  darauf  leiten  sollte.  —  Wird  die  Ursache  nicht 
bald  erkannt  und  entfernt,  so  dauern  nicht  nur  jene  Zufälle  fort,  sondern 
es  kommt  auch  zur  Ausschwitzung  plastischen  und  noch  häufiger  eitrigen 
Exsudates  in  die  angrenzende  Partie  oder  in  die  ganze  Hornhaut.  Die 
Eiterung  führt  entweder  einfach  zur  Flottmachung  und  Abstossung  des 
fremden  Körpers,  oder  zur  Senkung  des  Eiters  zwischen  die  Faser- 
schichten der  Cornea,  und  falls  sie  tiefer  greift,  auch  gern  zu  Iritis  mit 
eitrigem  Exsudat  in  der  Augenkammer.  Solche  Fälle  verhalten  sich  dann 
im  Allgemeinen  so  wie  die  von  Keratitis  rheumat.  mit  Abscessbildung. 
Seltener  geschieht  es,  dass  der  fremde  Körper  in  eine  Schicht  plastischen 
Exsudates  eingehüllt  wird,  fortan  keine  entzündlichen  Zufälle  erregt, 
und  für  immer  sitzen  bleibt,  oder  erst  nach  langer  Zeit,  wenn  neuerdings 
Schädlichkeiten  auf  die  Hornhaut  einwirken,  zur  Entzündung  mit  Eiterung 
führt.  Pulverkörner  wachsen  noch  am  ehesten  ohne  weitere  Zufälle  ein. 
—  Wenn  der  fremde  Körper  bereits  von  selbst  oder  durch  Eiterung  ent- 
fernt, wenn  er  sehr  klein  oder  durchsichtig,  oder  endlich,  wenn  er  durch 
Exsudat  und  Gefässentwicklung  verdeckt  ist,  dann  kann  die  Diagnosis  in 
Ermanglung  verlässlicher  Angaben  von  Seite  des  Kranken  sehr  schwierig, 
und  oft  nur  mittelst  Ausschliessung  auf  überwiegende  Wahrscheinlichkeit 
gestellt  werden.  Hiebei  ist  nicht  zu  übersehen,  das  eine  Verletzung  des 
Auges  z.  B.  bei  scrofulösen  Individuen  nicht  selten  den  ersten  Anstoss  zur 
Localisirung  eines  Allgemeinleidens  abgibt,  und  dass  bei  ganz  gesunden  in 
Folge    verkehrten   Verhaltens   nach    einer    Verletzuno;    eine    Hornhautent- 


*)  Mnltcnzie  1.  c.  S    294. 
■ro)  Atomon'«  Zeitschrift,   ii.  S.  332. 


Verletzungen  —  Fremde  Körper.  205 

Zündung-  entstehen  kann,  welche  nicht  Folge  der  Verletzung;  sondern  von 
Verkühlung  oder  von  Misshandlung  mit  allerhand  widersinnigen  Mitteln  ist. 

Kleine  Körper,  die  nicht  zu  tief  eingedrungen  sind,  lassen  sich 
meistens  mit  dem  Spatel  des  Daviel'schen  Löffels  oder  mit  der  convexen 
Seite  einer  Rosas'schen  Sichelnadel  absireifen;  selten  wird  es  nöthig, 
sie  mit  einer  Staarnadel  herauszugraben.  Man  hüte  sich,  die  Reizung-  und 
Verletzung  der  Cornea  unnöthig-  zu  vermehren.  —  Man  setze,  wenn  man 
keinen  geeigneten  Gehülfen  zur  Hand  hat,  den  Kranken  so,  dass  dessen 
Kopf  eine  feste  Lehne  finde,  und  das  Licht  so  einfalle,  dass  es  den 
Kranken  möglichst  wenig  blendet,  und  das  Spiegeln  der  Cornea  die  ge- 
naue Einsicht  auf  den  betroffenen  Fleck  nicht  hindert.  Der  Kranke  schliesse 
mit  der  einen  Hand  das  andere  Auge,  und  werde  angewiesen,  mit  der 
andern  nicht  nach  der  des  Operateurs  zu  greifen.  Je  nachdem  es  be- 
quemer ist,  bald  mit  der  rechten,  bald  mit  der  linken  Hand,  fasst  nun  der 
Operateur  das  Instrument,  und  versucht  die  Entfernung  des  fremden 
Körpers,  indem  er  mittelst  des  Daumens  einer-  und  mittelst  des  Zeige- 
fingers andererseits  die  Lider  auseinander  zieht  und  leicht  an  den  Bulbus 
andrückt.  (Zieht  man  die  Lider  stark  vom  Bulbus  ab,  so  wird  derselbe 
sehr  unruhig.)  Hat  man  ein  spitziges  Instrument,  so  sei  man  auf  un- 
vermuthete  Bewegungen  des  Bulbus  um  so  mehr  gefasst,  als  die  Gefahr 
der  Verwundung  der  Cornea  grösser  ist.  Der  braune  Beschlag-,  welcher 
nach  dem  Eindringen  von  Eisenfunken  zurückbleibt,  soll  abgekratzt  werden, 
wenn  es  ohne  Gefahr  übermässiger  Reizung  geschehen  kann.  Leichter 
füllt  sich  das  dadurch  bewirkte  Grübchen  wieder  aus,  als  ein  solcher  Be- 
schlag verschwindet.  Es  versieht  sich,  dass  man  dabei  auf  die  geringe 
Dicke  der  Hornhaut  nicht  zu  vergessen  hat.  —  Den  Vorschlag,  Eisen- 
splitter mittelst  eines  starken  Magnetes  anzuziehen,  oder  mittelst  gehörig 
verdünnter  Essigsäure  aufzulösen,  wird  man  wohl  selten  in  Anwendung 
zu  bringen  nöthig  haben. 

Ist  der  fremde  Körper  tiefer  eingedrungen,  oder  läuft  er  schief 
zwischen  den  Hornhautfasern  fort,  wie  z.  B.  Holz-  oder  Glassplitter,  dann 
hat  man  zu  berücksichtigen,  ob  man  ihn  noch  fassen  kann,  oder  nicht. 
Darnach  wird  man  ihn  entweder  mit  einer  Pincette  fassen,  oder  den 
Wundkanal  mit  einem  Staarmesser  erweitern.  Man  hat  sich  weniger  zu 
scheuen,  eine  etwas  grössere  Schnittwunde  zu  machen,  als  durch  ver- 
gebliche Versuche  den  spröden  Körper  abzubrechen  oder  noch  tiefer 
hineinzutreiben,  oder  durch  Zerrung  und  Zerreissung  die  Wunde  zu  ver- 
grössern.  Nicht  gar  zu  fest  sitzende  Glassplitter  lassen  sich  oft  mittels 
eines  mit  Leinwand  umhüllten  Griffels  abstreifen. 


206  Hornhaut. 

d.  Wunden  der  Cornea,  ohne  Gegenwart  fremder  Körper,  erregen 
verschiedene  Zufälle,  je  nachdem  sie  rein  geschnitten,  oder  zugleich 
gequetscht  sind,  wie  die  meisten  Stich-  und  die  Risswunden,  und  je  nach- 
dem sie  durchbohrend  sind,  oder  nicht,  ersteres  mit  oder  ohne  Verlust 
d^s  Humor  aqueus,  mit  oder  ohne  Vorfall  der  Iris.  —  Wunden  mit 
Quetschung  der  Ränder  oder  Erschütterung  der  ganzrn  Cornea  führen 
sehr  leicht  zu    mehr  weniger   ausgebreiteter  Entzündung   und  Vereiterung. 

—  Reine  Schnittwunden  bedingen  diese  Folgen  nur  dann,  wenn  sie  kleine 
Lappen  bilden,  oder  wenn  die  Vereinigung  per  primam  intentionem  durch 
schlechtes  Verhalten  gehindert  wird,  oder  wenn  das  Individuum  sonst 
krank  ist,  insbesondere,  wenn  es  stark  herabgekommen,  an  Lues  gelitten 
und  viel  Merkur  gebraucht,  öftere  Anfälle  von  Rothlauf  gehabt  hat,  über- 
haupt zu  Eiterung  einfacher  Hautwunden  disponirt  ist.  Es  versteht  sich 
übrigens  von  selbst,  dass  auch  die  Grösse  der  Wunde  und  das  unge- 
störte Anliegen    der  Wundränder    an  einander    von  grossem    Einflüsse  ist, 

—  Durchdringende  Hornhautwunden  setzen  theüweisen  oder  gänzlichen 
Verlust  des  Kammerwassers,  häufig  auch  Vorfall  der  Iris  und  dessen  wei- 
tere Folgen.  Wir  werden  darauf  in  dem  Abschnitte  über  „Hornhautge- 
schwüre"  zurückkommen,  und  erwähnen  nur  in  voraus,  dass  in  Fällen 
durchdringender  Hornhautwunden  überhaupt  ruhige  Lage  des  Kranken  die 
erste  Bedingung  zur  Heilung  ist.  —  Entsteht  die  Frage,  was  mit  der 
vorgefallenen  Iris  zu  geschehen  habe,  so  muss  man  wissen,  dass  die 
Entfernung  derselben  aus  der  Hornhautöffnung  nur  dann  wünschenswerth 
und  zulässig  erscheint,  wenn  sich  letztere  nachher  durch  Berührung  der 
Wundränder  völlig  schliessen  kann.  Das  Zurückgehen  der  Iris  wird 
begünstigt:  durch  Abhaltung  aller  Muskelanstrengung,  durch  sanftes  Hin- 
und  Herstreichen  mit  dem  Daumen  über  die  geschlossenen  Lider  und 
dann  rasches  Öffnen  der  Lidspalte,  durch  Anwendung  des  Galvanismus 
nach  Schindler  (mittelst  einer  Pincette,  deren  einer  Arm,  von  Silber,  an 
den  prulapsus,  der  andere,  von  Kupfer,  an  die  Sclera  angehalten  wird), 
oder,  bei  mehr  centralen  Vorfällen  durch  Einträuflung  von  Belladonna 
Wollte  man  die  prolabirte  Iris  mit  dem  Daviel'schen  Löffel  zurück- 
schieben, so  müsste  man  wenigstens  sehr  vorsichtig  zu  Werke  gehen. 
Wäre  ein  Theil  der  Iris  fest  eingeklemmt  und  nur  sehr  schwer  oder  gar 
nicht  zurückschiebbar,  so  würde  ich  ihn  lieber  mit  einer  Scheere  ab- 
schneiden, als  reponiren  oder  mit  Lapis  infernalis  ätzen. 


Verletzungen— Chemische  Substanzen.  207 

2.  Durch  chemisch  wirkende  Substanzen. 

Verbrühung  der  Hornhaut  mit  siedendem  Wasser  bewirkt,  bei  leich- 
terem Grade,  nur  TriÜ  ung  und  Abstossung  des  Epitheliums,  welches  sich 
unter  gelinden  Zufallen  bald  wieder  ersetzt.  —  Verbrühung  mit  Mineral- 
säuren oder  geschmolzenen  Metallen  führt  in  der  Regel  nicht  nur  zu 
Verwachsung  des  Bulbus  mit  den  Lidern  (vergl.  S.  155),  sondern  auch 
zu  unheilbarer  Trübung  der  etwa  frei  gebliebenen  Cornea,  und  zwar 
mittelst  Suppuraiion  oder  Sphacelus.  —  Gerieth  ungelöschter  Kalk  oder 
Mörtel  auf  die  Cornea,  so  kann  man  sicher  sein,  dass  eine  heftige  sup- 
purative  Entzündung  nachfolgt,  und  dass,  auch  wenn  es  nur  zu  ober- 
flächlicher Veischwärung  kommt,  eine  niemals  völlig  aufhellbare  Narbe 
zurückbleibt.  Greift  aber  die  Veischwärung  etwas  tiefer,  so  tritt  Iritis  und 
Hypopium  hinzu.  Das  Anschlagen  von  Feuerflammen  an  die  offenen  Augen 
versetzt  nicht  nur  die  Hornhaut,  sondern  gewöhnlich  den  ganzen  Bulbus 
in  suppurative  Entzündung. 

Rücksichtlich  der  Folgezustände  nach  den  verschiedenen  mechanisch- 
oder  chemisch  wirkenden  Schädlichkeiten  ist  noch  zu  bemerken,  dass, 
wenn  fremde  Körper  nicht  bei  Zeiten  entfernt  werden,  wenn  die  Ver- 
letzung mit  einer  gewissen  Erschütterung  erfolgte,  die  Wunde  gerissen 
oder  stark  gequetscht  ist,  wenn  nachher  nicht  bald  entsprechende  Hilfe 
geleistet  wird,  oder  das  Individuum  überhaupt  sehr  vulnerabel  ist:  die 
Entzündung  nicht  nur  die  Cornea,  sondern  mehrere  Gebilde,  namentlich 
die  Conjunctiva  bulbi  und  die  Iris,  ja  selbst  die  Chorioidea,  den  ganzen 
Bulbus  ergreifen,  die  sogenannte  Chemosis  oder  Panophthalmitis  trauma- 
tica vorstellen  !<ann. 

Chemosis  nannte  man  jede  Entzündung  am  Augapfel,  welche  mit  starker  Infiltra- 
tion der  Conjunctiva  bulbi,  so  dass  dieselbe  einen  förmlichen  Wall  um  die  Cornea  bil- 
dete, und  mit  hinzutretender  Entzündung  der  Cornea,  häufig  auch  der  Iris  verlief,  und 
entschiedene  Tendenz  zur  Vereiterung  der  Cornea  zeigte.  Nach  dieser  Anschauungs- 
weise war  die  Bindehautblenorrhöe  3.  Grades  so  gut  eine  Chemosis,  wie  die  Keratitis 
rheumatica  oder  traumatica  mit  Eiterung.  —  Panophthalmitis  nannte  man  die  Augen- 
entzündung dann,  wenn  nebst  Entzündung  der  Cornea  und  Iris  und  der  wallähnlichen 
Geschwulst  der  Conjunctiva  auch  heftigere  Entzündung  der  Chorioidea  mit  plastischem 
oder  eitrigem  Exsudate  auftrat,  und  wegen  der  damit  verbundenen  serösen  Infiltration 
der  Tunica  vaginalis  bulbi  im  hintern  Umfange  des  Bulbus  (analog  der  Schwellung  der 
Conjunctiva  im  vordem  Bereiche)  der  Augapfel  unter  heftigen  Schmerzen  und  feurigen 
Erscheinungen  aus  der  Orbita  vorwärts  gedrängt  wurde. 

Behandlung  der  consecutiven  Zufälle.  Ist  der  fremde  Körper  ent- 
fernl,    oder    war   ein  solcher    gar    nicht   zurückgeblieben,    dann  hängt  es 


208  Hornhaut. 

von  den  bereits  eingetretenen  oder  mit  Wahrscheinlickeit  zu  erwar- 
tenden Zufällen  ab,  welche  Behandlung-  einzuleiten  sei.  —  Dauern  Licht- 
scheu, Tliränenfluss  und  Schmerzen  nach  Entfernung  des  fremden  Körpers 
noch  fort,  so  gebe  man  kalte  Umschlüye ;  steigen  sie  noch,  so  sind  über- 
diess  örtliche  Blutentziehungen  und  starke  salzige  Abführmittel  angezeigt; 
fangt  die  Conjunctiva  bulbi  noch  vor  dem  Eintritte  der  Eiterung  an  zu 
schwellen,  womit  gewöhnlich  auch  Anschwellung  und  stärkere  Wärme 
des  obern  Lides  und  heftige  Schmerzen  im  Auge  und  der  Umgebung  ver- 
bunden sind,  so  kann  bei  kräftigen  Individuen  und  raschem  Steigen  der 
Zufälle  selbst  ein  Aderlass  nöthig  werden.  —  So  wie  aber  Eiterung  ein- 
getreten ist,  was  gewöhnlich  unter  dunklerer  Böthe  und  schleimig  eitriger 
Absonderung  der  Bindehaut,  so  wie  unter  zeitweiligem  Nachlasse  der 
Schmerzen  geschieht,  dann  sind  weder  allgemeine  ßlutentziehungen  noch 
starke  Purganzen,  am  wenigsten  aber  kalte  Umschläge  angezeigt ;  im  Ge- 
gentheile,  der  Kranke  fühlt  sich  nach  vorausgeschickter  örtlicher  Blut- 
entziehung, wo  diese  wegen  starker  Congestion  nöthig  erschien,  bei 
Anwendung  trockener  warmer  Tücher  und  Einreibungen  von  Ung.  cinereum 
mit  Opium  an  die  Stirn  und  Schläfe  wohler.  —  Dass  übrigens  Ruhe  des 
Körpers  und  Gemüthes,  restringirte  Diät,  so  wie  Abhaltung  aller  reizenden 
Einflüsse  um  so  strenger  zu  beachten  sind,  je  grösser  die  In-  und  Exten- 
sität der  Verletzung,  braucht  wohl  kaum  erst    näher  erörtert  zu  werden. 

Zur  leichtern  Orientirung  mögen  folgende  Beispiele  dienen.  ■ —  Einem  jungen 
Manne  war,  als  er  seinen  Zögling  mit  einer  dürren  Rathe  züchtigte,  ein  Stückchen 
derselben  ins  rechte  Auge  gesprungen.  Er  empfand  sogleich  lebhaften  Schmerz,  als 
ob  etwas  im  Auge  läge,  Lichtscheu  und  Tliränenfluss  und  kam  3  Stunden  darauf  zu 
mir.  Ich  fand  keinen  fremden  Körper,  nur  die  Cornea  oberflächlich  verletzt,  das  Epi- 
thelium  an  einer  hanfkorngrossen  Stelle  unterhalb  der  Pupille  abgestreift,  rings  um  die 
Hornhaut  einen  sehr  stark  injicirten  Gefässsaum,  die  Pupille  ausserordentlich  eng.  Unter 
Anwendung  von  kalten  Umschlägen,  Ruhe  und  etwas  Bitterwasser  war  der  Kranke  den 
4.  Tag  vollkommen  genesen.  —  Eine  Frau  von  50  Jchren  hatte  sich,  4  Stunden  bevor 
ich  sie  sah,  an  ein  heisses  Ofcnthürl  gestossen,  derart,  dass  die  Kante  desselben  mitten 
über  den  Nasenrücken  und  die  rechte  Cornea  (bei  offenem  Auge)  gegangen  war.  Ich 
fand  auf  dem  Nasenrücken  einen  röthlichen  Streifen  (1.  Grad  von  Verbrennung),  auf 
der  Cornea  vom  innern  bis  zum  äussern  Bande  einen  etwa  1'"  breiten,  weissgrauen, 
weder  erhabenen,  noch  vertieften  Streifen,  die  übrige  Cornea  rein,  die  Bindehaut  nir- 
gends verletzt,  weder  unter  dem  obern,  noch  unter  dem  untern  Lide  einen  fremden 
Körper,  dennoch  das  Auge  ungemein  lichtscheu,  von  Thränen  überströmt,  und  anhal- 
tend heftig  schmerzend,  die  Lider  leicht  angelaufen.  Buhe,  Eisumschläge,  Diät,  ein 
Eccoproticum.  Den  3.  Tag  war  die  Trübung  der  Cornea  verschwunden,  das  mittler- 
weile abgestossene  Epilhelium  vollständig  ersetzt,  die  Iris  frei,  aber  dennoch  Lichtscheu 
und  Thränenfluss  heftig.  Den  5.  Tag  konnte  die  Verletzte  wieder  ausgehen.  —  Bei 
einem  jungen  Manne    fanden    wir  24  Stunden,   nachdem  ihm  frisch   angemachter  Mauer- 


Verletzungen.  —  Beispiele.  209 

kalk  ins  linke  Auge  gespritzt  war,  die  Lider  massig  geschwollen,  die  Conjunctiva 
palp.  nächst  dem  Rande  der  Lider  in  einer  Ausdehnung  von  3'"  Länge  und  V"  Breite 
mit  graulich  weissem,  fest  aufsitzendem  Exsudate  überzogen,  in  der  Umgebung  gleich- 
förmig hochroth  und  aufgelockert,  die  Conjunctiva  bulbi  dicht  netzförmig,  gegen  den 
innern  Winkel  hin  stellenweise  ecchymotisch  geröthet,  und  die  Cornea  in  der  untern 
Hälfte  ihres  Epithelialüberzuges  beraubt.  Der  Fall  wurde  interessant  dadurch,  dass 
sich  das  Epithelium  der  Cornea  binnen  24  Stunden  bis  auf  eine  hirsekorngrosse  Stelle 
ersetzte.  Schon  den  6.  Tag  der  Behandlung  verlangte  der  Kranke  entlassen  zu  werden, 
da  die  Trübung  des  Gesichtes  schon  den  4.  Tag  völlig  verschwunden,  und  die  Re- 
actionserscheinungen  von  der  Anätzung  der  Conjunctiva  palpebr.  bis  auf  ein  Minimum 
herabgesunken  waren.  —  Eine  Dienstmagd,  welche  bereits  mehrmals  an  Augenentzün- 
dungen und  an  Anschwellungen  der  Halsdrüsen  gelitten  hatte,  wurde  Anfang  Septemcer 
1846  von  einer  Kuh  mit  dem  Schweife  in  das  linke  Auge  geschlagen.  Die  nächsten 
Folgen  waren  brennender  Schmerz,  Röthe  des  Weissen,  später  Gefühl  von  Druck  unter 
dem  obern  Lide,  Lichtscheu  und  Thränenfluss.  Dennoch  blieb  die  Kranke  bei  ihrer 
Beschäftigung,  und  kam  erst  7  Wochen  später,  als  nämlich  auch  auf  dem  rechten 
Auge  Röthe,  Schmerz  und  Lichtscheu  auftraten,  auf  die  Klinik.  Das  rechte  Auge  bot 
das  gewöhnliche  Bild  einer  Ophthalmia  catarrhalis  pustularis  dar,  nebst  mehrern  Horn- 
hautflecken als  Folge  vorausgegangener  scrofulöser  Bindehautentzündungen.  Auf  der 
linken  Hornhaut  bemerkte  man  nach  unten  und  aussen  einen  erbsengrossen,  schmutzig- 
geblichen, undurchsichtigen  Fleck.  Auf  den  ersten  Blick  konnte  man  ihn  für  eine 
Pustel  halten ;  bei  näherer  Untersuchung  ergab  sich,  dass  er  durch  Eindringen  eines 
fremden  Körpers  und  die  dadurch  gesetzte  Reaction  bedingt  war.  Mit  dem  Spatel  des 
Daviel'schen  Löffels  wurde  ein  gelbliches,  sprödes,  etwas  knirschendes  Klümpchen 
entfernt,  worauf  ein  hanfkorngrosses  Grübchen  mit  grauem  Grunde  sichtbar  wurde. 
Man  hätte  nun  erwarten  sollen,  dass  die  Reaction  abnehmen,  und  das  Geschwür  ver- 
heilen-würde.  Im  Gegentheile,  trotz  energischer  Antiphlogose  kam  es  zum  Durch- 
bruche der  Hornhaut  an  der  verletzten  Stelle.  Leider  entzog  sich  die  Kranke  der  weitern 
Beobachtung,  da  indessen  das  rechte  Auge,  dessentwegen  sie  in's  Spital  gekommen 
war,  vollkommen  genesen  war.  —  Ein  achtjähriger  Knabe  hatte  sich  mit  der  Spitze 
eines  Messers  in's  rechte  Auge  gestochen.  Man  hatte  einige  Stunden  kalte  Umschläge 
gegeben,  und,  da  der  Kleine  weiter  über  nichts  klagte,  ihm  erlaubt,  vor's  Thor  zu 
gehen,  wo  er  sich  tüchtig  herumtummelte,  so  dass  er  ganz  erhitzt  nach  Hause  kam. 
In  der  Nacht  waren  Schmerzen  eingetreten.  Als  ich  den  2.  Tag  Morgens  gerufen 
wurde,  fand  ich  eine  etwa  V"  lange  Stichwunde  unterhalb  der  Pupille,  wahrscheinlich 
nicht  durchdringend,  weil  weder  Humor  aqueus  fehlte,  nocK  die  Iris  gegen  jene  Stelle 
verzogen  war.  Das  Auge  war  nur  massig  lichtscheu,  in  der  Umgebung  der  Wunde 
leicht  geröthet.  Ich  verordnete  Ruhe  und  kalte  Umschläge,  alle  5  Minuten  zu  wech- 
seln, und  stellte  die  Prognosis  günstig.  Der  Knabe  war  zwar  schwächlich  und  mager, 
hatte  eine  sogenannte  Vogelbrust,  sah  jedoch  übrigens  gesund  aus.  Den  3.  Tag  fand 
ich  die  Cornea  durchaus  matt  und  trüb,  in  der  Peripherie  nur  undeutlich  durchschei- 
nend, die  Ciliargefässe  stark,  die  Conjunctivalgefässe  massig  injicirt,  die  Lider  etwas 
angelaufen,  Lichtscheu  und  Thränenfluss  heftig.  Ich  liess  die  kalten  Umschläge  aus- 
setzen, dafür  Ung.  einer,  mit  Opium  an  die  Stirn  und  Schläfe  aufstreichen  und  gab 
ein  Infusum  sennae  mit  syr.  cichorei  c.  rheo.  Am  4.  Tage  keine  Änderung;  am  5.  die 
Hornhaut  in  der  Mitte  heller,  so  dass  der  Kranke  die  Finger  wieder  zählen  konnte; 
Arlt,    i.  14 


210  Hornhaut. 

an  der  Stelle  der  Verletzung  klafft  die  Hornhaut,  so  dass  man  einen  linearen  Streifen 
der  Iris  bloss  liegen  sieht.  Dieselbe  Therapie.  Am  6.  Tage  fand  ich  Alles  verändert, 
die  Hornhaut  in  voller  Eiterung,  nach  unten  und  aussen  bereits  erweicht,  wie  in  Fetzen 
zwischen  den  Lidern  vorragend,  starkes  Odem  der  Conjunctiva  bulbi  und  der  Lider. 
Man  hatte  wider  mein  Gebot  den  lebhaften  Knaben  nicht  nur  aufstehen,  sondern  auch 
auf  den  Gang  gehen  lassen.  Von  nun  an  trat  unaufhaltsam  Vereiterung  der  Cornea, 
Blosslegung  der  Iris  und  Verlust  der  Linse  ein,  und  durch  etwa  14  Tage  ragte  selbst 
eine  Flocke  Glaskörper  vor,  die  sich  durch  Vereiterung  abstiess.  Die  Verletzung  hatte 
Anfang  September  statt  gefunden ;  die  Vernarbung  mit  massiger  Verminderung  der 
Grösse  des  Bulbus  war  erst  Ende  October  vollendet.  —  Prof.  Fischer  (Lehrbuch  S.  45) 
beschreibt  folgenden  Fall  als  Chemosis.  Ein  40jähriger  Schnitter  von  starker  Körper- 
constitution  hatte  sich  zur  Zeit  der  Ernte  mit  einer  Kornähre  das  rechte  Auge  verletzt. 
Trotz  Schmerz,  Lichtscheu  und  Röthe  arbeitete  er  nicht  nur  denselben  und  den  fol- 
genden, sondern,  mit  verbundenem  Auge,  auch  den  3.  Tag  noch  fort.  Am  4.  Tage 
musste  er  vor  Schmerzen  in  dem  Dorfe  bleiben,  wo  man  ihm  ein  Krebsauge  unter  das 
Augenlid  schob,  und  mancherlei  Hausmittel  gebrauchen  liess.  Da  die  Zufälle  täglich 
ärger  wurden,  ging  der  Kranke  den  8.  Tag  nach  Prag,  wo  das  verletzte  Auge  den 
28.  Juli  in  folgendem  Zustande  gefunden  wurde:  die  Lidränder  stark  angelaufen;  unter 
der  Mitte  der  Hornhaut  ein  Geschwür,  dessen  Umgebung,  besonders  nach  unten,  grau- 
lich weiss  und  aufgelockert;  die  übrige  Hornhaut  matt,  grau  getrübt,  doch  noch  durch- 
sichtig, besonders  nach  oben,  von  wo  man  erkennt,  dass  in  der  vordem  Kammer  eine 
gelbe,  eiterähnliche  Flüssigkeit  bis  zum  Pupillenrande  herauf  angesammelt  ist;  die 
Pupille  selbst  und  die  Regenbogenhaut  bieten  keine  merklichen  Veränderungen  dar; 
rings  um  die  Hornhaut  ist  die  Scleralbindehaut  in  einen  hochrothen  Wall  erhoben, 
welcher  in  der  untern  Hälfte  viel  höher  ist,  als  in  der  obern.  Der  Patient  klagt  nebst 
Blindheit  des  Auges  über  anhaltende,  drückend-spannende,  stechend-reissende  Schmer- 
zen im  Auge  und  im  Kopfe,  welche  ihn  schon  mehrere  Nächte  nicht  schlafen  Hessen; 
er  hat  kein  Verlangen  nach  Speisen,  erhöhten  Durst,  frequenten  Puls,  Stuhlverstopfung. 
Ordination :  ein  Aderlass  auf  12  Unzen,  ein  Purgans  antiphlog.,  ruhige  Lage,  strenge 
Diät.  Den  29.  Juli.  Nach  dem  Aderlass  hat  der  Kranke  fast  die  ganze  Nacht  geschla- 
fen; es  sind  2  Stühle  erfolgt;  der  Eiter  in  der  vordem  Kammer  hat  auffallend  abge- 
nommen; übrigens  keine  Änderung.  Mittags  nahmen  die  Schmerzen  im  Auge  und 
Kopfe  wieder  zu,  und  gegen  Abend  sah  man  wieder  mehr  Exsudat  in  der  vordem 
Kammer;  es  wurde  desshalb  wieder  ein  Aderlass  gemacht  und  das  Purgans  fortgesetzt. 
Darauf  erfolgte  eine  ruhige  Nacht,  des  Morgens  4  Stühle.  Am  31.  Juli.  Des  Niveau 
des  Eiters  wieder  niedriger,  als  am  30.,  doch  nicht  so,  wie  am  29.  Am  2.  August 
wurde  neuerdings  zur  Ader  gelassen;  die  darauf  folgende  Erleichterung  der  Schmer- 
zen war  unbedeutend  und  der  Eiter  erreichte  gegen  Abend  schon  den  Pupillarrand, 
wesswegen  wir  die  Hornhaut  an  ihrem  untersten  Ende  öffneten;  der  Eiter  entleerte 
sich  ganz,  und  der  Schmerz  im  Auge  und  Kopfe  verschwand  augenblicklich.  Am 
3.  August  war  der  Kranke,  der  die  Nacht  sehr  gut  geschlafen  hatte,  ganz  neberlos.  Am 
5.  August  musste  die  Hornhaut  neuerdings  punktirt  werden,  um  den  wieder  angesam- 
melten Eiter  zu  entleeren.  Vom  6.  August  an  erfolgte  keine  solche  Ansammlung  mehr 
und  bedeutende  Besserung,  so  dass  vom  7.  August  an  bereits  eine  schwache  Lösung 
von  Lapis  divinus  cum  laud.  Sydenh.  eingeträufelt  werden  konnte,  der  Zustand  des 
Kranken  bei  nahrhafter  Kost  von  Tag  zu  Tag   besser  wurde,    und    derselbe  Ende  August 


Malacie.  211 

mit  gerettetem   Sehvermögen   entlassen   werden   konnte,    da   die  Hornhautnarbe   nicht  im 
Bereiche  der  Pupille  lag. 


III.  Malacie  der  Hornhaut 

Auf  diese  seltene  Affection  hat  meines  Wissens  zuerst  Prof.  Fischer 
in  seinem  Lehrbuche  S.  275  aufmerksam  gemacht.  Er  bezeichnet  sie 
als  Folge  unterdrückter  Masern,  und  erinnert  an  die  Ähnlichkeit  mit  der 
Versehwärung  der  Cornea,  welche  nach  Durchschneidung  des  Ganglion 
cervicale  supremum  oder  des  Trigeminus  diesseits  des  Ganglion  Gasseri 
bei  Thieren  beobachtet  wird.  *)  Er  beobachtete  diese  Form  3mal  bei 
Kindern  unter  grosser  Unruhe  und  Gehirnaffection  nach  einem  heftigen 
Fieber,  die  Hornhaut  wurde  in  Folge  des  gehemmten  Nerveneinflusses 
auf  die  Ernährung  ergriffen,  bei  normalen  Augenlidern,  auffallender 
Anästhesie  der  Augen  und  erweiterten  Blutgefässen  der  ConjuncL  bulbi 
trüb,  vollkommen  undurchsichtig,  aufgelockert,  weich,  und  in  24 — 48 
Stunden  durch  Exulceration  zerstört;  die  Kinder  starben  in  kurzer  Zeit 
nach  dem  Ausbruche  des  Übels  an  den  Augen. 

Da    meine    diessfälligen    Beobachtungen    gleichfalls    nicht    zahlreich 
sind,    so  ziehe  ich  es  vor,    statt  einer    allgemeinen  Schilderung   dieselben 
speciell   anzuführen.  —  Dr.  K.  Hess   mich  in  ein  Haus  rufen,   in  welchem 
im  August  1847  drei  Kinder  an  Scarlatina  erkrankt  waren.  Zwei  derselben 
waren  bereits  reconvalescent,    das  dritte,  ein  Knabe  von  47a  Jahren,    war 
vor  8  Tagen  von  Fieber  und  darauf  von   sehr  reichlichem  Exanthem  be- 
fallen worden.   Seit  einigen  Tagen  hatte  man  ein  leichtes  Verklebtsein  der 
Augen,  seit  gestern  eine    leichte  Trübung  der  rechten    Hornhaut  bemerkt. 
Ich  fand    (am  8.  Tage  der  Krankheit)    den  Knaben  sehr  abgemagert   (seit 
etwa  3  Tagen),    die  Haut   durchaus    auffallend  Mass,    brennend  heiss,   die 
Lippen  trocken,    rissig,   den   Athem  übelriechend,   die  Stimme  heiser,    das 
Athmen  beschleunigt,    den  Unterleib  eingesunken,    den  Stuhlabgang  häufig 
und  sehr  dünnflüssig;    der  Knabe   lag  wie  betäubt,   ohne  Theilnahme,   bei 
jeder  Berührung  ächzend,  übrigens  oft  sich  unruhig  hin  und  her  werfend. 
—  Die    rechte   Hornhaut    war    durchaus    gleichmässig    getrübt,    undurch- 
sichtig,   aufgelockert,   erweicht ;    die   linke   Hornhaut  matt,    leicht  getrübt, 
ohngefähr   so  wie   bei  einem   Cadaver  36    Stunden  nach    dem  Tode.     Die 
Bindehaut   war  auf  beiden  Augen   blass,    nur  im    untern  Theile    über  der 
Sclera  von  einigen    Gefässchen  mit    einzelnen  Ecchymosen   versehen  und 

*•)  Vgl.   Slilling  über  Spinalirration,  Leipzig  1840,  und   SrokaUki    in   Rojcr    und   Wunderlich1»  Archiv,  1846,    S.    I o3. 

14* 


212  Hornhaut. 

etwas  aufgelockert.  Wir  verabreichten  eine  Medicin  mit  Extr.  chinae 
frig.  par.  Am  9.  Tage  erschien  die  linke  Hornhaut  eben  so  verändert, 
wie  am  8.  die  rechte;  der  Zustand  dieser  war  im  Ganzen  derselbe.  Wegen 
profuser  Diarrhöe  wurde  nebstdem  Plumb.  acet.  verordnet.  10  Tag: 
rechts  die  Cornea  in  eine  Masse  wie  Schmierkäse  erweicht,  in  der  Mitte 
bereits  abgestossen ,  daher  die  unverletzte  Descemet'sche  Haut  als 
durchsichtige,  krystallhelle  Blase  in  der  Grösse  einer  Linse  (Ervum  lens) 
sichtbar;  links  die  Hornhaut  undurchsichtig,  aufgelockert,  doch  noch  ganz 
vorhanden.  Die  Injection  der  Conjunctiva  bulbi  noch  immer  auffallend 
gering.  11  Tag:  die  Descemet'sche  Haut  ist  geborsten,  etwas  später 
die  Linse  abgegangen,  eine  klare  durchsichtige  Masse  (Glaskörper)  ragt 
aus  der  Öffnung  hervor;  das  linke  Auge  heute  so,  wie  gestern  das 
rechte.  Die  Conjunctiva  bulbi  etwas  mehr  aufgelockert,  doch  nur  sparsam 
von  Gefässen  durchzogen.  Bis  zum  14.  Tage  waren  beide  Hornhäute 
ganz  abgestossen,  die  Conjunctiva  bulbi  zu  einem  flachen  und  leicht  ge- 
rötheten  Walle  erhoben.  Am  15.  Tage  zeigten  sich  Eiterablagerungen 
an  der  rechten  Handwurzel,  und  am  17.  Tage  erfolgte  nach  einem  mehr- 
tägigen gänzlich  soporösen  Zustande  der  Tod.  Die  Section  wurde  nicht 
gestaltet.  —  Am  18.  October  1847  wurde  ich  zu  einem  Bäcker  gerufen, 
dessen  7  Monate  altes  Kind  vor  3  Wochen  abgestillt,  und  wenige  Tage 
darauf  von  Diarrhöe  und  Aptlien  befallen  worden  war.  Dasselbe  schien 
von  Natur  aus  stark  zu  sein,  sah  aber  jetzt  ganz  anämisch  aus,  wie  aus 
weissem  Wachs  geformt,  war  trotz  der  sorgfältigen  Einhüllung  am  ganzen 
Körper  kühl,  machte  nur  selten  eine  geringe  Bewegung  mit  den  Extre- 
mitäten, hielt  die  tief  eingefallenen  Augen  halb  geöffnet,  lag  ganz  apa- 
thisch da,  und  gab  nur  manchmal  einen  leisen,  kreischenden  Laut  von 
sich.  Der  behandelnde  Arzt  hatte  die  Ursache  in  unzweckmässiger  Er- 
nährung des  Kindes  erkannt,  und  bereits  seit  einigen  Tagen  geeignete 
Anordnung  getroffen,  um  diesem  Übelstande  abzuhelfen.  Seit  4  Tagen 
hatte  man  etwas  Schleimabsonderung  an  den  Augen,  doch  ohne  erheb- 
liche Röthe  derselben  bemerkt;  Tags  vorher  waren  dem  Arzte  kleine 
Flecke  auf  den  Hornhäuten  aufgefallen.  Ich  fand  auf  jeder  Hornhaut  ein 
Hanfkorn-,  beinahe  Linsen-grosses  Geschwür,  oder  vielmehr  die  Hornhaut 
war  in  der  Mitte  in  eine  eiterähnliche  Masse  verwandelt  und  durch- 
brochen, denn  die  Iris  war  an  die  Cornea  angelagert,  der  Humor  aqueus 
also  ausgeflossen.  Diese  Stelle  war  auf  dem  rechten  Auge  etwas  unter- 
halb des  Centrum  der  Cornea,  auf  dem  linken  etwas  auswärts  davon  ge- 
lagert, beinahe  cirkelrund,  und  von  der  umgebenden,  übrigens  vollkommen 
durchsichtigen    und    glatten    Hornhautsubstatiz     scharf    abgegrenzt.      Die 


Geschwüre  —  Vorkommen  —  Ursachen.  213 

Augen  boten,  indem  der  Lidsehlag  sehr  selten  und  langsam  erfolgte,  ein 
eigenthümliches  befremdendes  Aussehen  dar.  Die  Conjunctiva  bulbi  war 
nicht  im  mindesten  von  Gefässen  durchzogen,  die  Ciliargefässchen  nicht 
abnorm  injicirt;  die  Lider  weder  geschwollen,  noch  geröthet;  keine  Spur 
von  Lichtscheu  oder  Schmerz;  man  konnte  die  Augen  ganz  bequem 
untersuchen.  Wir  verordneten  nebst  der  sorgfälltigsten  Pflege  Kukuruz- 
wasser mit  Milch  zur  Nahrung,  und  Extr.  chinae  frig.  par.  mit  Acid.  phos- 
phor.  in  einer  M.  gummosa.  Schon  den  20.  ging  es  dem  Kinde  im  Allge- 
meinen auffallend  besser.  Die  Diarrhöe  war  gering,  der  Mund  reinigte 
sich;  die  Haut  wurde  wärmer  und  besser  gefärbt,  die  Extremitäten  mehr 
bewegt.  Die  Hornhautgeschwüre  waren  nicht  nur  nicht  grösser,  sondern 
auch  reiner,  die  kleine  Öffnung  in  der  Descemet'schen  Haut  durch  die  Iris 
verlegt,  die  Augenkammer  wieder  hergestellt.  Am  22.  sah  man  deutlich, 
dass  das  Kind  nun  bei  zweckmässiger  Pflege  und  Nahrung  gedieh ;  die 
Hornhautgeschwüre  fingen  an  kleiner  zu  werden.  Von  nun  an,  schritt 
die  Besserung  sichtlich  vorwärts,  und  das  Kind  kam  mit  leichten  Horn- 
hautnarben davon.  Anfangs  Jäner  1851  suchte  ich  dieses  Kind  auf;  es 
sieht  blühend  gesund  aus,  und  hat  auf  jedem  Auge  eine  etwa  hirsen- 
grosse  Hornhautnarbe  .  mit  vorderer  Synechie,  welche  das  Gesicht  nicht 
stört.  Die  Cornealwölbung  ist  weder  an  der  Stelle  der  Narbe,  noch  in 
der  Umgebung  verändert.*) 


IV.  Geschwüre  der  Hornhaut.""""*) 

In  Folge  verschiedener,  meistens  entzündlicher  Affectionen  des  Auges 
bemerkt  man  Vertiefungen  in  der  Hornhaut,  durch  mehr  weniger  bedeu- 
tenden Substanzverlust  bedingt,  und  noch  nicht  mit  Epithelium  überzogen. 
Diese  Vertiefungen,  im  Allgemeinen  Geschwüre  genannt,  zeigen  entweder 
den  Grund  und  die  Ränder  grau  oder  gelblichweiss,    eitrig  infiltrirt,    bald 

*)  Dieser  Fall  erinnert  unwillkürlich  an  Hagendie's  bekannte  Versuche  an  Hunden,  bei  welchen,  nachdem  er  sie 
bloss  mit  Zucker  und  destillirtem  Wasser  gefüttert  hatte,  vordem  Tode  centrale  durchbohrende  Hornhautgeschwüre 
entstanden.     Memoire  sur  les  Propietes  nutritives  des  Substances,  qui  ne  contiennent  pas  d'Azote,  Paris  1816 

**)  Wenn  ich  dem  aufgestellten  Systeme  nicht  streng  folgend,  der  Besprechung  der  hieher  gehörigen  Zustände  der 
Cornea  einen  eigenen  Abschnitt  widme,  somit  dieselben  gleichsam  als  selbständig,  als  Krankheiten  hinstelle,  so 
geschiet  diess  nur  der  Kürze  und  der  Deutlichkeit  wegen.  Diese  Zustände  stellen  nur  Mittelglieder  dar,  denen 
verschiedene  andere  vorausgehen  und  nachfolgen  können.  Sie  bieten  aber,  gleichviel  ob  auf  diese  oder  auf  jene 
Weise  entstanden,  so  viel  gemeinschaftlich  zu  Bosprechendes  dar,  dass  ihnen  ein  eigener  Abschnitt  gewidmet 
werden,  und  aus  den  einzelnen  Capiteln  darauf  hingewiessen  werden  musste,  wenn  nicht  häufig  dasselbe  wieder- 
holt werden  wollte,  und  ebeu  durch  diese  Zusammenfassung  konnte  ihre  Schilderung  nur  an  Klarheit  und  Deut- 
lichkeil gewinnen. 


214  Hornhaut. 

mit,  bald  ohne  Blutgefässentwickelung  in  der  Umgebung,  und  heissen  dann 
Eitergeschwüre,  oder  sie  erscheinen  ganz  rein,  oft  nur  durch  die  Seiten- 
ansicht (beim  Spiegeln  der  Cornea)  erkennbar,  stets  ohne  Gefässentwick- 
lung,  als  sogenannte  Resorptionsgeschwüre.  Letztere  erscheinen  entweder 
gleich  von  vornherein  als  solche,  oder  als  Folgezustand  der  ersteren;  nicht 
leicht  (ohne  besondere  Veranlassung)   findet  der  umgekehrte  Fall  statt. 

Hornhautgeschwüre  überhaupt  kommen  vor:  1.  Bei  Conjunctivitis 
catarrhalis;  diese  sind  peripherisch  gelagert,  gewöhnlich  sichelförmig, 
innerhalb  des  Limbus  conjunctivae  verlaufend,  haben  meistens  die  Charak- 
tere der  Resorptionsgeschwüre,  und  werden  daher  selten  gefährlich.  — 
2.  Bei  Conjunctivitis  blennorrhoica.  Hier  entstehen  entweder  Resorptions- 
geschwüre (bei  minder  acutem  Verlaufe),  oder  Eitergeschwüre  durch 
partielle  Entzündung  mit  Eiterbildung,  oder  durch  Verschwärung, 
Nekrosirung  eines  mehr  weniger  grossen  Theiles,  selbst  der  ganzen 
Cornea.  Die  Eitergeschwüre  haben  hier  das  Eigentümliche,  dass  sie 
nie  zur  Eitersenkung  zwischen  den  Faserschichten  der  Cornea  führen, 
und  dass  sie,  auch  wenn  sie  weit  um  sich  greifen,  nie  ganz  bis  zur  Sclera 
hinreichen.  —  3.  Vielleicht  die  häufigste  Quelle  von  Hornhautge- 
schwüren ist  die  Conjunctivitis  scrofulosa  mit  Bläschen-  oder  Pustel- 
bildung auf  der  Cornea,  so  wie  auch  das  ihr  nahe  stehende  Trachom  auf 
gleiche  Weise,  und  Exantheme,  namentlich  die  Blattern,  durch  Eruption 
auf  der  Cornea  zu  Geschwüren  Anlass  geben.  Diese  Geschwüre  sind  im 
Allgemeinen  rund,  bald  rein,  mehr  oberflächlich  und  daher  ohne  Gefahr 
(Resorplionsgeschwüre,  besonders  bei  Conjunctivitis  scrofulosa  und  Tra- 
choma  mit  Bläschenbildung),  bald  eitrig  infiltrirt,  Grund  und  Ränder  grau 
oder  gelblichweiss,  tiefer  dringend,  und  alle  hiemit  verbundenen  Gefahren 
einleitend.  Diese  Geschwüre  sitzen,  gleich  den  Pusteln,  bisweilen  halb  auf 
der  Cornea,  halb  auf  der  Sclera  und  zerstören  bisweilen  auch  den  Rand- 
Iheil  der  letzteren.  —  4.  Der  Resorplionsgeschwürchen  beim  Pterygium 
wurde  bereits  Erwähnung  gethan.  —  5.  Die  Keratitis  rheumatica  setzt 
bald  ganz  oberflächliche,  reine  und  gefahrlose  Geschwürchen,  bald  aus- 
dehnte und  in  die  Tiefe  oder  ganz  durchdringende  Geschwüre,  welche 
fast  immer,  wenn  nicht  die  Folgen  des  Durchbruches,  so  doch  unheil- 
bare Trübungen  zurücklassen.  —  6.  Dasselbe  gilt  von  Substanzverlusten, 
welche  durch  mechanisch-  oder  chemisch-wirkende  Schädlichkeiten  ein- 
geleitet werden.  —  Eitergeschwüre,  durch  Conjunctivitis  scrofulosa,  Va- 
riola, Keratitis  rheumatica  oder  traumatica  eingeleitet,  vergrössern  die 
Zerstörung  der  Hornhaut  sehr  gern  durch  Senkung  des  Eiters  zwischen 
den  Fiiserschichten  der  Cornea.  —    7.  Die    spontane   Verschwörung  oder 


Geschwüre  —  Folgen  —  Heilung.  215 

Malacie  der  Cornea  endlich  gebort,  wie  wir  gesehen  haben,  an  und  für 
sich  in  der  Regel  unter  die  gefährlichsten  Zerstörungen  der  Hornhaut- 
substanz.  —  8.  Nicht  übergangen  werden  dürfen  endlich  jene  Hornhaut- 
geschwüre, welche  bei  schwer  erkrankten  Individuen  (an  Typhus,  Cholera, 
Puerperalfieber  u.  dgl.)  in  dem  untern  Segmente  der  Cornea  entstehen, 
wahrscheinlich  in  Folge  des  mehr  weniger  aufgehobenen  Augenlidschlages. 
Zuerst  wird  bei  solchen  Kranken  die  Bindehaut,  namentlich  in  der  untern 
Hälfte  des  Bulbus,  stärker  injicirt,  und  sondert  eine  sehr  bald  zu  gelben 
Krusten  vertrocknende  Flüssigkeit  ab;  sofort  sieht  man  eine  solche  gelb- 
liche Kruste  längs  des  Randes  des  untern  Lides  über  die  Cornea  streichen, 
und  gleichsam  an  diese  angetrocknet ;  entfernt  man  dieselbe,  so  findet 
man  die  Cornea  darunter  bereits  mehr  weniger  getrübt,  selbst  schon 
erweicht,  und  in  ein  Geschwür  mit  grauem  Grunde  verwandelt.  Wenn 
der  Kranke  dem  Allgemeinleiden  nicht  erliegt,  so  kann  dieser  Zustand 
der  Cornea  viele  Tage  lang  unverändert  bleiben,  ohne  Durchbruch  der 
Cornea  und  mit  Hinterlassung  einer  unbedeutenden  Narbe  heilen. 

Sobald  ein  Hornhautgeschwür  Gegenstand  der  Prognosis  und  The- 
rapie wird,  genügt  es  nicht,  bloss  dessen  Sitz,  Ausdehnung  und  Tiefe, 
die  Beschaffenheit  seines  Grundes,  seiner  Ränder  und  Umgebung,  seiner 
Entstehungsweise  aus  diesem  oder  jenem  Krankheitsprocesse  u.  s.  w. 
möglichst  genau  zu  eruiren  —  man  muss  überhaupt  wissen,  auf  welche 
Weise  der  Substanzverlust  wieder  gedeckt  werden  kann,  welche  Folge- 
zustände durch  Geschwüre  eingeleitet  werden  können,  und  welche  Um- 
stände auf  dieses  verschiedene  Verhalten  Einfluss  zu  nehmen  pflegen. 

Wo  immer  eine  Vertiefung  in  der  Cornea  durch  Substanzverlust 
entstanden  ist,  da  wird  diese  niemals  durch  Beiziehung  der  benachbar- 
ten Partien  gedeckt,  sondern  dureh  plastisches  Exsudatf  welches  jene 
Vertiefung  mehr  weniger  vollständig  ausfüllt,  und  welches  die  Eigen- 
schaften jener  Elemente,  zu  deren  Ersatz  es  geliefert  wurde  (der  Horn- 
hautfasern und  Epithelien),  in  mehr  weniger  Zeit  und  in  mehr  weniger 
Vollkommenheit  oder  aber  niemals  wieder  erlangt. 

Denken  wir  ans,  um  das  Gesagte  mehr  in  concreto  zu  betrachten,  z.  B.  ein 
Hornhautgeschwür  von  etwa  1 1/2'"  Durchmesser,  trichterförmig  wie  gewöhnlich,  in  der 
Mitte  etwa  V3'"  tief,  Grund  und  Ränder  grau,  letztere  etwas  geschwellt,  weil  von  Ex- 
sudat infiltrirt.  Soll  ein  solches  Geschwür  nicht  weiter  um  sich  greifen,  so  muss  zu- 
nächst die  Schmelzung  der  Ränder  und  des  Grundes,  die  Eiterbildung  aufhören,  Grund 
und  Ränder  müssen  ein  reineres  Aussehen  annehmen.  So  wie  diess  geschehen  ist, 
finden  wir  eine  allmälige  Abnahme  sowohl  der  Tiefe  ab  des  Umfanges.  Nach  und 
nach,  wie  diess  Grübchen  kleiner  geworden,  erscheint  die  betroffene  Stelle  nicht  mehr 
so  rein    und    hell,    sondern   mehr   weniger  getrübt,    und   diese    Trübung    kann    in    dem 


216  Hornhaut. 

Maasse  zunehmen,  wie  die  Vertiefung  endlich  ausgefüllt  wird.  Diese  Erscheinung  ist 
selbst  Laien  bekannt;  sie  bezeichnen  sie  oft  als  eine  neu  entstehende  Krankheit,  als 
das  Wachsen  eines  Fleckes  oder  Felles  auf  dem  Auge,  in  dem  sie  die  das  Geschwür 
einleitende  Krankheit  bereits  verschwunden  wähnen.  Sobald  nun  kein  eigentliches 
Grübchen  mehr  vorhanden  ist,  sobald  die  afficirte  Stelle  wieder  glatt,  mit  Epithelium 
überkleidet  erscheint,  findet  man  die  mehr  weniger  trübe  Stelle  entweder  vollkommen 
gewölbt,  das  Spiegelbild  z.  B.  von  den  Fensterrahmen  regelmässig,  wie  auf  gesunden 
Hornhautpartien,  oder  diese  Stelle  erscheint  leicht  aufgeflacht,  wie  wenn  man  die  Horn- 
haut daselbst  abgeschliffen  hätte.  Diess  hängt  nämlich  davon  ab,  ob  das  plastische 
Exsudat,  welches  zum  Ersatz  geliefert  wurde,  vor  dem  völligen  Abschlüsse  durch  Epi- 
thelium in  hinreichender  oder  in  zu  geringer  Menge  gesetzt  wurde.  Nur  selten,  unter 
weiter  unten  zu  erörternden  Umständen,  geschieht  es,  dass  der  Callus,  wenn  man  so 
sagen  darf,  in  excessiver  Menge  abgelagert  wird  und  eine  Erhöhung  an  dieser  Stelle 
bewirkt.  In  dem  Falle,  wo  der  Substanzverlust  nicht  vollkommen  gedeckt  wurde, 
bleibt  dann  in  der  Regel  jener  leichte  Abschliff  zurück.  Wurde  die  Grube  gänzlich 
und  gehörig  ausgefüllt,  so  hängt  es  zwar  zunächst  von  der  Beschaffenheit  des  Exsu- 
dates ab,  ob  dasselbe  nach  längerem  Bestände  trüb  und  undurchsichtig,  als  einfaches 
Faser-  oder  Narbengewebe  stehen  bleibt,  oder  ob  es  allmälig  in  ein  den  Cornealfasern 
völlig  analoges,  homogenes  Gewebe  verwandelt  werde  oder  nicht;  es  haben  aber  auf 
die  Möglichkeit  dieser  Umwandlung  noch  eine  Menge  Umstände  Einfluss,  welche  wir 
zum  Theil  in  diesem,  zum  Theil  aber  auch  erst  in  dem  folgenden  Abschnitte  (über 
Hornhauttrübungen)  ausführlicher  besprechen  können. 

Es  ist  Thatsache  der  Beobachtung,  dass  mehr  weniger  grosse  Par- 
tien der  Hornhaut,  welche  durch  Eiterung  zerstört  und,  gleichsam  pro- 
visorisch, durch  ein  mehr  weniger  trübes  Gewebe  ersetzt  worden  waren, 
nach  einiger  Zeit  wieder  vollkommen  durchsichtig,  gewölbt  und  glatt 
werden  können.  Man  sieht  in  den  Fällen,  wo  diese  Metamorphosen  auf 
einander  folgen,  niemals  weder  eine  Spur  von  Beiziehung  der  Geschwürs- 
ränder, wie  z.  ß.  nach  Substanzverlusten  in  der  Cutis  oder  in  einer 
Schleimhaut,  daher  auch  niemals  strahlige  Narben,  noch  ein  einfaches 
Nachwachsen  gesunder  Hornhautsubstanz  vom  Cornealrande  her  (als  Ma- 
trix), wie  bei  den  Horngebilden  (Nägeln  oder  Haaren).  Man  muss 
demnach  obigen  Vorgang  als  wirkliche  Regeneration  verloren  gegangener 
Hornhautpartien  betrachten,  man  muss  zugeben,  dass  die  Hornhaut,  we- 
nigstens unter  gewissen  Bedingungen,  regenerationsfähig  sei. 

Ich  hatte  diesen  Satz,  über  dessen  Richtigkeit  man  mit  sich  im  Reinen  sein 
muss,  bevor  man  in  die  Lehre  von  den  Cornealgeschwüren  und  deren  Folgen  weiter 
eingehen  kann,  zuerst  in  meinem  Aufsatze  über  das  Hornhautstaphylom  (Prag.  Vjchr. 
1844,  B.  II.)  und  über  Centralkapselstaar  (Österr.  med i ein.  Woehenschr.  1845,  N.  10 
und  11)  durch  Beobachtungen  nachzuweisen  versucht.  Dr.  Hasner  1.  c.  S.  97  fertigt 
meine  Behauptung,  ohne  auf  jene  Beobachtungen  hinzuweisen,  mit  der  einfachen  Ver- 
dächtigung ab,  „sie  beruhe  auf  Täuschung."  Er  gibt  dagegen  folgende  Erklärung:  „Wenn 
ein  Theil   des  Hornhautparenchyms   durch  Vereiterung   zu  Grunde  gegangen   ist,   so  ent- 


Geschwüre— Regeneration.  217 

wickeln  sich  in  der  Tiefe  des  Geschwüres  Gefässe,  welche  die  Ansetzung  des  pla- 
stischen Exsudates  vermitteln,  das  in  Fasern  umgewandelt  wird.  Diese  Fasern  an  die 
Geschwürsränder  geheftet,  bringen  bei  ihrer  Contraction  Schrumpfung,  eine  Dehnung 
der  Hornhaut  (!)  hervor.  In  eben  dem  Maasse,  als  demnach  die  Narbe  kleiner  wird, 
gewinnt  der  durchsichtige  Theil  der  Hornhaut  an  Breite;  wenn  zudem  noch  das  paren- 
chymatöse Exsudat  in  der  Umgebung  des  Geschwüres  resorbirt  wird,  so  erscheint  nach 
vollendeter  Vernarbung  ein  grösserer  Theil  der  Hornhaut  durchsichtig,  als  bei  der  um- 
fangreichen Zerstörung  hätte  vermuthet  werden  können.  Dass  eine  Dehnung  der  Horn- 
haut, besonders  so  lange  sie  infiltrirt  ist,  leicht  möglich  ist,  beweist  der  oben  ange- 
führte Fall  (mit  Ausdehnung  der  Cornea  in  Folge  entzündlicher  Infiltration)  und  die  Ver- 
grösserung  der  Hornhaut  bei  der  Kammerwassersucht.  Aus  denjenigen  Fällen  übrigens, 
welche  zum  Beweise  der  Regeneration  der  Hornhaut  angeführt  werden,  ergibt  sich  leicht, 
dass  keine  andern,  als  die  angeführten  Umstände  im  Spiele  waren."  —  Die  Dehnbarkeit 
der  Cornea  hat  Niemand  geläugnet.  Hasner  hat  nur  ignorirt  oder  übersehen,  dass  die 
Hornhaut  1.  an  Stellen,  wo  sie  in  beträchtlicher  Ausdehnung  und  Tiefe  (selbst  mit 
Durchbruch  zerstört  war,  in  manchen  Fällen  wieder  vollkommen  durchsichtig,  und  2. 
auch  wieder  vollkommen  gewölbt  vorgefunden  wird,  und  3.  dass  man  auch  die  unver- 
sehrt gebliebenen  Partien  .in  Bezug  auf  ihre  Wölbung  nicht  im  mindesten  verändert  fin- 
det, seihst  wenn  die  Cornea  z.  B.  in  der  Mitte  eine  sehr  dichte  und  unheilbare  Narbe 
darbietet.  —  Ist  auch  Hasner 's  Angabe,  dass  sich  in  der  Tiefe  des  Geschwüres  Gefässe 
entwickeln,  sehr  ungenau,  selbst  unrichtig,  weil  nicht  allgemein  giltig,  so  ist  doch  so 
viel  wahr,  dass  im  Grunde  des  Geschwüres  plastisches  Exsudat  abgelagert  wird,  sobald 
die  Yernarbung  beginnt.  Man  denke  sich  nun,  naeh  Hasner's  Angabe,  es  beginne  die 
Organisirung  dieses  Exsudates,  die  Bildung  von  Fasern  und  sofort  Schrumpfung 
derselben;  man  denke  sich  eine  solche  Faser,  mit  beiden  Enden  an  gegenüberstehende 
Punkte  des  Geschwürsrandes  geheftet,  allmälig  contrahirend ,  mit  solcher  Kraft, 
dass  die  umgebende  gesunde  Partie  nachgeben,  sich  ausdehnen  muss.  Die  fixen  Punkte 
sind  die  Anheftungsstellen  an  den  Geschwürsrand.  Könnte  bei  diesem  Vorgänge  jene 
schrumpfende  Faser  wohl  jemals  in  der  Mitte  vorwärts  gewölbt  werden?  müsste  sie 
nicht  vielmehr  stets  in  gerader  Linie  verlaufen?  Und  doch  sehen  wir  in  jenen  Fällen, 
wo  Hornhautnarben  mit  der  Zeit  spurlos  verschwanden,  die  Wölbung  der  Cornea  da- 
selbst nicht  im  mindesten  verändert.  - —  Hasner's  Erklärung  geräth  aber  auch  in  direk- 
ten Widerspruch  mit  der  Erfahrung,  dass  man,  und  zwar  eben  nicht  selten,  von 
offenbaren  Cornealgeschwüren  nach  mehr  weniger  langer  Zeit  gar  keine  Spur  mehr 
vorfindet.  Hasner's  Erklärung  liesse  sich  noch  annehmen  bei  Hornhautnarben,  welche 
durch  das  ganze  Leben  hindurch  bleiben,  und  nur  allenfalls  mit  der  Zeit  kleiner  wer- 
den. Was  ist  aber  aus  jener,  die  angebliche  Dehnung  der  Cornea  vermittelnden  Ex- 
sudatfaser geworden,  wenn  endlich  keine  Spur  des  Geschwüres  und  der  consecutiven 
Narbe  mehr  vorhanden  ist?  Ist  diese  etwa  spurlos  verschwunden,  oder  endlich  auch 
durchsichtig  geworden?  Und  endlich,  hat  man  denn  je  eine  positive  Erscheinung 
wahrgenommen,  welche  jene  Dehnung  der  umgebenden  Partie  nachwiese?  Hat  man 
je  beobachtet,  dass  die  umgebende  Cornealpartie  eine  Andeutung  von  Faltung  darbiete, 
wie  wir  bei  Narben  der  Cutis  oder  einer  Schleimhaut  bemerken.?  Faltung  der  Cornea 
wird  allerdings  beobachtet,  aber  nie  bei  einfachen  Hornhautnarben;  immer  wird  man 
finden,  dass  die  Cornea  dann  gegen  einen  peripherischen  fixen  Punkt  hingezogen  ist, 
wie   z.   B.    wenn    die   Hornhautwunde   nach    dem    Schnitte   behufs    der   Extraction   durch 


218  Hornhaut. 

Eiterung  heilt.  —  Ich  kann  demnach  heute  noch  nicht  anders,  als  vor  mehreren  Jah- 
ren mir  die  Thatsachen  des  spurlosen  Verschwindens  von  Hornhautgeschwüren  und 
Narben  erklären;  ich  muss  annehmen,  dass  das  zur  Deckung  des  Substanzverlustes 
gesetzte  plastische  Exsudat  unter  gewissen  Bedingungen  in  ein  den  Cornealfasern  völlig" 
homogenes  Gewebe  umgewandelt  werden  könne,  und  diese  Erklärung  scheint  mir  auch 
richtiger,  als  die,  zu  welcher  Demours  durch  jene  überraschende  Erscheinung  de* 
spurlosen  Verschwindens  von  Hornhautnarben  bestimmt  wurde.  Dieser  Auetor  meinte- 
nämlich,  die  Cornea  wachse  vom  Rande  her  nach,  wie  der  Nagel  von  der  Matrix,  und 
auf  diese  Weise  werden  bisweilen  Hornhautnarben  völlig  eliminirt.  Ich  brauche  wohl 
kaum  zu  erwähnen,  dass  diese  Erklärung  mit  unsern  Kenntnissen  über  Anatomie  und 
Physiologie  der  Cornea  durchaus  nicht  im  Einklang  steht,  und  dass  dann  kleine  peri- 
pherische Cornealtrübungen  oder  eingeheilte  fremde  Körper,  z.  B,  Rostflecke,  Pulver- 
körner, allmälig  von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  vorrücken  müssten.  Wollte 
man  jene  Erscheinung  des  endlichen  Verschwindens  von  Narben  ja  als  Nachwachsen 
gesunder  Cornea  betrachten,  so  müsste  wenigstens  die  von  den  tiefern  Cornealgefässer» 
durchzogene  tiefste  Schicht  der  Cornea  als  Matrix  angenommen  werden. 

Die  vorzüglichsten  Bedingungen  zur  Regeneration  zerstörter  Horn- 
hautpartien sind: 

1.  Dass  die  Descemet'sche  Haut  unversehrt  geblieben,  nicht  bleibend 
vorgewölbt  noch  eingerissen  wurde ;  wenn  letzteres  statt  gefunden,  so 
darf  der  Riss  nicht  gross  gewesen  sein,  und  es  müssen  sich  die  Zipfel 
derselben,  welche  beim  Einreissen  entstanden,  nachträglich  wieder  voll- 
kommen mit  einander  vereinigt  haben.  Wo  immer  die  Descemet'sche 
Membran  in  ihrer  Continuität  bleibend  gestört  ist,  z.  B.  durch  Einheilung 
eines  Theiles  der  Iris  in  die  Cornealöffnung,  da  kann  von  einer  Wieder- 
aufhellung der  Cornea  an  dieser    Stelle  keine  Rede  sein. 

2.  Jugendliches  Alter  des  Kranken  und  günstiger  Zustand  der  Er- 
nährung überhaupt.  Die  schlagendsten  Fälle  von  Regeneration  der  Cornea 
findet  man  unstreitig  bei  Kindern,  welchen  in  Folge  von  Blennorrhoe  eine 
mehr  weniger  beträchtliche  Partie  der  Cornea  zerstört  worden  war.  Bei 
herabgekommenen,  namentlich  bei  alten  Individuen  hinterlassen  relativ 
kleine  Geschwürchen  der   Cornea  bleibende  Trübungen. 

3.  Ein  gewisser  Grad  von  Reaction  (Vergl.  S.  103).  Nicht  nur  die 
Ausfüllung  der  Vertiefung  mit  plastischem  Exsudate,  sondern  auch  dessen 
Umwandlung  in  Fasern,  welche  der  Cornea  homogen  sind,  kann  durch 
äussere  Einflüsse  bald  befördert,  bald  behindert  und  vereitelt  werden. 
Der  alte  Erfahrungssatz,  dass  unter  Anwendung  von  Bleisalzen  Hornhaut- 
geschwüre zwar  leichter  vernarben,  aber  auch  unheilbare  Trübungen  hin- 
terlassen, ist  eben  so  wahr  als  bekannt.  —  Die  nähere  Erörterung  dieser 
und  ähnlich  wirkender  Umstände  kann   erst  später  gegeben  werden. 

a)  Blosse    Erosionen    oder  Epithelialverluste,    wie    wir  sie  in  Folge 


Geschwüre —  Erosionen  —  Resorptionsgeschwüre.  219 

von  katarrhalischen  und  rheumatischen  Entzündungen,  am  reinsten  aber 
nach  leichten  Verletzungnn  mit  mechanisch-  oder  chemisch-wirkenden 
Substanzen  beobachten,  ersetzen  sich  in  jedem  Alter  ohne  erhebliche 
Reaction  vollständig,  selbst  wenn  sie  über  einen  grossen  Theil  der  Cornea 
sich  ausdehnen.     Sie  erfordern  keine  besondere  örtliche  Behandlung. 

b)  Sogenannte  Facetten  oder  Resorptionsgeschwüre  erstrecken  sich 
nicht,  wie  man  fälschlich  angegeben,  bloss  auf  das  Epithelium,  sondern 
stets  auch  auf  die  obersten  Schichten  der  Cornealfasern.  Hieven  kann 
man  sich  überzeugen,  wenn  man  eine  derart  facettirte  Cornea  aus  dem 
Cadaver  nimmt,  und  das  Epithelium  überall  abstreift;  an  der  Stelle  der 
Facette  bleibt  ein  mehr  weniger  tiefes  Grübchen  in  der  Hornhautsubstanz 
zurück.  Diese  Resorptionsgeschwüre,  welche  am  häufigsten  nach  Con- 
junctivitis scrofulosa  mit  Bläschenbildung  zurückbleiben,  werden  bei  eini- 
germassen  lebenskräftigen  Individuen  in  kurzer  Zeit  unter  den  Erschei- 
nungen eines  wenig  oder  gar  nicht  gereizten  Zustandes  des  Auges  von 
plastischem  Exsudate  ausgefüllt,  welches  in  der  Tiefe  Hornhautfasern,  an 
der  Oberfläche  Epithelium  bildet,  und  in  relativ  kurzer  Zeit  vollkommen 
durchsichtig  wird.  Sie  können  aber  auch  Monate  lang  ziemlich  unver- 
ändert fortbestehen,  bevor  es  zu  dieser  Umwandlung  kommt.  Findet  hin- 
gegen übermässige  Reizung  statt,  wird  das  Anschiessen  plastischen  Stoffes 
gleichsam  präeipitirt,  so  bleibt  derselbe  längere  Zeit  trüb,  es  bildet  sich 
eine  grauliche,  später  bläuliche  und  halbdurchsichtige  Narbe,  welche 
jedoch,  wenn  sie  noch  nicht  Jahre  lang  bestunden  hat,,  und  das  Indivi- 
duum nicht  zu  sehr  herabgekommen  ist,  von  selbst  verschwinden  oder 
durch  örtliche  Reizmittel  zum  Schwinden  gebracht  werden  können.  — 
Sie  erfordern  nur  dann  die  Anwendung  leichter  Reizmittel,  wenn  sie  ohne 
Zeichen  von  Reizungen  des  Bulbus  lange  Zeit  unverändert  fortbestehen. 
Eine  schwache  Lösung  von  Nitras  argenti  oder  das  Betupfen  mit  anfangs 
verdünntem,  später  mit  reinem  Laudanum  liq.  Sydenh.  schienen  mir  die 
zweckmässigsten  örtlichen  Mittel,  den  Ersatz  des  Substanzverlustes  zu  be- 
günstigen. 

Ich  habe  einige  Male  derlei  kleine  Trübungen  im  Cadaver  zu  untersuchen  Gele- 
genheit gehabt  und  gefunden,  dass  wenn  ich  die  Cornea  mit  einem  Scalpell  abgeschabt 
hatte,  um  den  Epithelialüberzug  vollständig  zu  entfernen,  an  der  Stelle  der  Trübung 
nur  eine  seichte  Depression  oder  ein  leichtes  Grübchen  zurückblieb,  woraus  ich  schlies- 
sen  möchte,  dass  daselbst  wegen  unzureichender  Reaction  die  Cornealfasern  nicht  er- 
setzt, und  die  Vertiefung  durch  dicker  aufgehäuftes  Epithel  ausgefüllt  wurde;  denn 
vor  dem  Abschaben  hatte  ich  in  mehreren  Fällen,  wo  ich  genau  darnach  forschte,  daselbst 
nicht  die  mindeste  Vertiefung  wahrnehmen  können.  Solche  Trübungen  Hessen  sich  im 
Leben    vielleicht   dadurch   beseitigen,    dass    man    das  Epithelium  abschabte,    und  hiedurch 


220  Hornhaut. 

zugleich  das  Anschiessen  plastischen  Exsudates  und  die  Bildung  von  Cornealfasern  an 
jener  Stelle  einleitete.  Es  ist  jedoch  mehr  als  wahrscheinlich,  dass  man  diesen  Zweck 
auch  durch  andere  Mittel  erreichen  kann,  wie  wir  in  dem  Abschnitte  über  Hornhaut- 
trübungen nachweisen  werden. 

c)  Die  Eitergeschwüre  sind  bald  sehr  klein,  wie  häufig  bei  Con- 
junctivitis scrofulosa,  bald  sehr  gross,  selbst  über  die  ganze  Cornea  aus- 
gedehnt, wie  bei  der  Bindehautblennorrhöe.  —  Die  Ränder  sind  entweder 
sehr  steil  oder  terrassenförmig;  sie  sind  nur  dann  unterminirt,  wenn  das 
Geschwür  aus  einem  Abscess  entstanden  ist,  oder  wenn  der  Eiter  sich 
zwischen  den  Faserschichten  der  Cornea  senkt;  sie  erscheinen  dann  ein 
wenig  eingesunken,  während  sie  sonst  gewöhnlich  etwas  erhaben  oder 
aufgeworfen  erscheinen  (durch  Erweichung  und  Infiltration).  —  Das 
Wichtigste  dabei  ist,  zu  bestimmen,  ob  sie  noch  den  entzündlichen  Char- 
akter an  sich  tragen,  oder  mehr  in  einem  torpiden  Zustande  verharren, 
oder  aber  zur  Heilung  sich  anschicken,*}  Im  ersteren  Falle  erscheint 
die  nächste  Umgebung  leicht  getrübt  und  gelockert  oder  geschwellt,  der 
Process  von  Thränenfluss,  Lichtscheu,  lebhafter  Injection  der  entspre- 
chenden vordem  Ciliar-  und  ßindehautgefässe,  wohl  auch  von  mehr  we- 
niger lebhaften  Schmerzen  im  Auge  und  dessen  Umgebung  oder  selbst 
von  ödematöser  Schwellung  des  obern  Augenlides  begleitet,  und  der  Sub- 
stanzverlust greift  sichtlich  (in  wenig  Tagen)  in  die  Tiefe  oder  Breite, 
allein  oder  zugleich,  um  sich.  —  Im  2.  Falle  fehlen  die  genannten  Re- 
actionserscheinungen  ganz  oder  grösstenteils  ;  es  können  sich  wohl  auch, 
wie  im  1.  Falle,  eine  Menge  von  erweitesten  Gefässen  entwickeln,  welche 
vom  Limbus  conjunctivae  zum  Geschwüre  laufen,  aber  die  Grösse  des 
Geschwüres  und  die  Infiltration  der  Ränder  nimmt  sichtlich  weder  zu 
noch  ab,  der  Zustand  bleibt  viele  Tage,  ja  Wochen-lang  ziemlich  unver- 
ändert, bis  endlich  Durchbruch  der  Cornea  und  hiemit  stärkere  Reaction 
eintritt.  Diesen  Charakter  zeigen  die  Geschwüre  gern,  wenn  sie  klein 
aber  tief  sind,  und  etwas  weiter  vom  Rande  der  Cornea  entfernt  sitzen. 
—  Tritt  Heilung  ein,  so  werden  die  Ränder  und  allmälig  auch  der  Grund 
reiner,  und  es  schiesst  plastische  Lymphe  an,  welche  die  Vertiefung 
allmälig  ausfüllt.  Dieses  Anschiessen  plastischer  Lymphe  ist  nicht  selten 
von  Gefässentvvicklung  in  der  Tiefe  der  Hornhautsubstanz  begleitet,  oder 
vielmehr  diese  geht  demselben  schon  voraus.  Bei  grösseren  Geschwüren, 
namentlich  wenn  sie  nahe  an  den  Hornhautrand  reichen,  entwickeln  sich 
oft,    als  Zeichen    der    beginnenden    Vernarbung,    auch   an   der  Oberfläche 

*)  Ich  brauche  woh!  kaum   zu   erinnern,  dass  mit  dieser  Unterscheidung  nur  einige   Anhaltspunkte,   keine  haarscharfe 
Sunderuug  gegeben  sein  seil. 


Geschwüre —  Eitergeschwüre  —  Heilung  —  Narben.  221 

eine  Masse  Gefässe,  vom  Limbus  conjunctivae  und  unter  demselben 
hervor  kommend,  dicht  an  einander  gedrängt,  und  einen  förmlichen*  Wulst 
bildend,  oder  einzeln;  endlich  nehmen  diese  Gefässe  an  Zahl  und  Umfang 
ab,  und  in  demselben  Maasse  erscheint  die  ausgeschwitzte  Lymphe  minder 
klar,  wird  graulich,  allmälig  dichter  und  trüber,  von  einzelnen  Gefässchen 
durchzogen,  zuletzt  auch  eben,  sich  dem  Niveau  der  unversehrten  Um- 
gebung anschliessend,  oder  etwas  deprimirt,  selten  darüber  erhaben  und 
höckerig.  Jene  Partien  der  Cornea,  welche  unter  starker  Gefässentwick- 
lung  restituirt  werden,  erlangen  weit  seltener  einen  so  hohen  Grad  von 
Durchsichtigkeit,  wie  die  durch  Anschliessen  von  Lymphe  unter  minder 
heftigen  Erscheinungen  ersetzten.  Doch  hat  auf  die  Möglichkeit  der  nach- 
folgenden Aufhellung  auch  der  Umstand  Einfluss,  ob  die  tiefern  Hornhaut- 
schichten ihre  normale  Wölbung  beibehalten  oder  nicht ;  wo  diese  stär- 
ker vorgetrieben  wurden,  erlangt  das  die  oberflächlichen  Schichten  er- 
setzende Exsudat  nie  völlig  die  Eigenschaften  normaler  Hornhautsubstanz. 
In  Bezug  auf  die  Behandlung  solcher  Hornhautgeschwüre  an  und 
für  sich  kann  füglich  auf  das  bei  Besprechung  der  Conjunctivitis  scro- 
fulosa  S.  103  lit.  e  Gesagte  verwiesen  werden.  Prognosis  und  Therapie 
können  jedoch  durch  mancherlei  Folgezustände  der  Cornealgeschwüre 
wesentlich  modificirt  werden,  und  desshalb  müssen  wir  diesen  letzteren 
eine  ausführlichere  Betrachtung  widmen. 

1.  Der  Substanzverlust  wird  vollständig  durch  plastisches  Exsudat 
gedeckt ,  welches  früher  später  in  vollkommen  durchsichtige  Horn- 
hautsubstanz mit  normalem  Epithelium  an  der  Oberfläche  umgewandelt 
werden  kann,  mithin,  wenigstens  mit  der  Zeit,  völlige  Heilung  zulässt. 
Das  den  Übergang  bildende  trübe  Gewebe  kann  als  eine  Art  von  provi- 
sorischem Callus  betrachtet  werden.  Unter  welchen  Bedingungen  dieser 
Ausgang  zu  erwarten  stehe,  wurde  bereits  (S.  218)  angegeben.  Welche 
Mittel  anzuwenden  sind,  um  diese  Aufhellung  zu  begünstigen,  werden  wir 
in  dem  nächsten  Abschnitte  (über  Hornhauttrübungen)  erörtern. 

2.  Ersatz  des  Substanzverlustes  durch  Exsudat,  welches  als  Nar- 
bengewebe gleichsam  auf  einer  niedrigeren  Organisationsstufe  stehen 
bleibt,  und  nie  mehr  eine  Aufhellung  zulässt.  Dieses  einfache  Faser- 
oder Narbengewebe  füllt  entweder  die  Grube  vollständig  aus,  oder  un- 
vollständig, mit  einer  Depression  oder  Abplattung  (ein  sehr  häufiger  Fall), 
oder  es  ragt  etwas  über  das  Niveau  der  nicht  zerstörten  Umgebung 
empor,  auch  bei  unveränderter  Wölbung  der  tiefsten  Schichten  und  der 
Wasserhaut.  Der  erste  und  zweite  Zustand  können  zugleich  vorkommen, 
dieser  in   der  Mitte    oder  nach  der    einen  Seite  hin,   jener  in  der  Umge- 


222  Hornhaut. 

bung  oder  überhaupt  da,  wo  die  Zerstörung  minder  tief  eingedrungen 
war;  der  letzte  Befund  ist  immer  mit  krankhafter  Epithelialproduotion 
vereint,  und  relativ  selten.  —  Solche  unheilbare  Trübungen  stehen  zu 
befürchten,  wenn  der  Substanzverlust  (auch  ohne  Durchbruch)  sehr  tief 
geht,  namentlich  bei  sehr  steilen  Geschwürsrändern,  wenn  torpide  Eiter- 
geschwüre sehr  lange  fortbestehen,  wenn  das  Individuum  älter  oder  sehr 
herabgekommen  ist,  wenn  das  Auge  durch  örtliche  Mittel  überreizt  wird; 
namentlich  sind  es  die  bleihaltigen,  nach  Kunier  auch  die  aus  Kupfer-, 
Zink-  oder  Kadmium-Salzen  und  Opiumtinctur  bereiteten  Augenwässer, 
welche  in  dieser  Beziehung  nachtheilig  wirken. 

3.  Der  Eitersenkung  {Unguis,  Onyx)  zwischen  den  Faserschichten 
der  Cornea  wurde  bereits  mehrmal  Erwähnung  gethan.  Beim  Bestände 
eines  Eitergeschwüres  in  der  Cornea  sieht  man  nicht  selten  einen  gelben 
Streifen,  ähnlich  der  Lunula  am  Nagel  oder  einem  Halbmonde,  an  der 
tiefsten  (abhängigsten)  Stelle  der  Cornea,  einen  kleinen  Congestions- 
abscess,  welcher  indess  nach  oben  nicht  immer  durch  eine  gerade  oder 
regelmässig  gekrümmte  Linie  begrenzt  ist. 

4.  Eiterbildung  in  der  vordem  Augenkammer  (Hypopium),  welche 
höchst  wahrscheinlich  das  Ergebniss  von  Iritis  ist.  Wir  haben  bereits 
mehrmal  erwähnt,  dass  bei  grösseren,  und  namentlich  bei  tieferen  Horn- 
hautgeschwüren und  bei  Hornhautabscessen  (Vergl.  S.  37,  196)  die  Zeichen 
von  Iritis  bemerkt  werden.  Diese  Iritis  tritt  nur  bisweilen  mit  der  Bildung 
reichlichen  eiterähnlichen  Exsudates  in  der  vordem  Augenkammer  auf, 
welches,  indem  es  die  unterste  (abhängigste)  Stelle  einnimmt,  zu  oberst 
durch  eine  gerade  oder  Bogenlinie  begrenzt  erscheint,  und  in  seltenen 
Fällen  sogar  mehr  als  die  Hälfte  der  Augenkammer  einnimmt. 

Wenn  die  Eiteransammlung  nicht  sehr  bedeutend  ist,  kann  die  Be- 
antwortung der  Frage,  ob  man  Unguis  oder  Hypopium  vor  sich  habe, 
sehr  schwierig,  selbst  unmöglich  sein,  wenigstens  für  den  Augenblick. 
Der  Eiter  senkt  sich,  er  mag  zwischen  den  Faserschichten  der  Cornea 
oder  zwischen  Cornea  und  Iris  eingeschlossen  sein,  stets  nach  der  tiefsten 
Stelle,  und  wechselt  somit  seinen  Ort  je  nach  der  Stellung  oder  Lage 
des  Kranken.  Auf  die  Zeit,  binnen  welcher  diese  Ortsveränderung  er- 
folgt, darf  man  desshalb  nicht  viel  Gewicht  legen,  weil  ein  dünner  Eiter 
zwischen  den  Hornhautfasern  früher  seine  Lage  ändern  wird,  als  ein 
dicker  Eiter  in  der  Augenkammer,  und  weil  wir  eben  ein  anderweitiges 
Kennzeichen  für  die  Consistenz  des  Eiters  nicht  besitzen.  Zudem  macht 
sich  die  Attraction  der  festen  Wandungen  der  Augenkammer  auf  dieses 
Contentum    um  so  mehr   gegen  das  Gesetz   der  Schwere  geltend,   je  ge- 


Geschwüre  —  Unguis —  Hypopium.  223 

ringer   dessen   Menge   ist.     Ingleichen   kann   eine   kleine  Quantität   in  der 
Cornea    eingeschlossenen   Eiters  sich    dem   Auge    des  Beobachters,    wenn 
er  die  Cornea    gerade   von    vorn  betrachtet,    ebenso  leicht  entziehen,    als 
Eiter  in   der   Augenkammer,    wenn    er    zwischen    den    hintersten    Faser- 
schichten  der  Cornea    gelagert  ist,   und   somit  durch    die  Scleralfalze  ge- 
deckt wird.     Eher  noch  kann  eine  scharfe  Loupe  Aufschluss  geben.    Sitzt 
nämlich    der    Eiter    zwischen    den    Faserschichten,     so    erscheint    er    der 
Oberfläche  der  Cornea  näher,  und  für  die  Oberfläche  der  Cornea  gibt  der 
Limbus    conjunctivae    einen    Anhaltspunkt,    wenn   nicht!  oberflächliche  Ge- 
fässchen,   welche    aus    dem  Limbus    in's  Bereich    der  Cornea  hineinragen. 
Ganz  sicher  aber  kann    man   über   den   Sitz    der  Eiteransammlung   in  der 
Cornea    dann  sein,    wenn  sich    von  dem    Geschwüre  bis    zum  Unguis  ein 
trüber  Streifen    gleichsam    als  Bahn    des  Eiters    zwischen    den  Faserlagen 
der  Cornea  verfolgen  lässt,  was  indessen  nur  selten  der  Fall  ist.  Dennoch 
habe    ich  es  beobachtet,   und  begreife  desshalb  nicht,    wie  man  überhaupt 
an    der  Eitersenkung  in    der   Cornea,    an    dem    Vorkommen    der    Unguis 
zweifeln     konnte.    —    Andererseits    kann     bei     geringer     Eiteransamm- 
lung  nur  die    Gegenwart   von   unzweifelhaften    Symptomen    der  Iritis  den 
Ausschlag    für  Hypopium    geben.     Die    Verengerung    der   Pupille   und  die 
geringere  Beweglichkeit   der  Iris   können    jedoch  hier   nichts  entscheiden, 
da  beide  Symptome  auch  bei  einfachen  Hornhautgeschwüren  (ohne  Unguis 
oder  Hypopium)    vorzukommen   pflegen.     Ist   aber   mehr  Eiler  vorhanden, 
dann    kann    man    sich    hinreichende    Gewissheit    über    dessen    Sitz    ver- 
schaffen,  wenn    noch   eine    Partie    der    Cornea  so   weit  durchsichtig   ge- 
blieben ist,    dass  man    durch  dieselbe   zwischen  der   Iris  und  Cornea  hin- 
einsehen kann,   was  in  der  Regel   von  oben  her  am    ehesten  möglich  ist. 
Unguis  und  Hypopium    bilden  sich  jederzeit    nur  bei  jenem  Zustande 
der  Eitergeschwüre,  welchen  wir  als  den  entzündlichen  geschildert  haben. 
Beide,    insbesondere   aber   das   Hypopium,    bestehen    aber   bisweilen   noch 
fort,   wenn    der  Zustand    des    Cornealgeschwüres    mehr   ein    torpider  ge- 
worden ist.     In    Bezug  auf  die  Behandlung    müssen  wir  daher    auf  die  S. 
103  und  197    gegebenen  Anhaltspunkte   verweisen.     Am  schwierigsten  ist 
es  zu  bestimmen,   wenn  man  von  der   antiphlogistischen  zu  der  reizenden 
Behandlung  zu  übergehen  habe.   Es  ist  mir,  zur  grossen  Belehrung  meiner 
Kliniker  widerfahren,    dass  der  bereits  verschwundene  Unguis    wieder  er- 
schien, nachdem  ich  (vorzeitig)  Laudan.   liq.  eingeträufelt,    oder  die  Wu- 
cherungen der  Bindehaut  (bei  Trachoma)  mit  Cuprum  sulfur.  touchirt  hatte, 
und  zwar  in  demselben  Falle  2— 3mal.     Sie  konnten  so  am  besten  durch 
eigene    Anschauung  kennen    lernen,    wie   vorsichtig   man   mit   den  gegen 


224  Hornhaut. 

Hornhautgeschwüre  viel  zu  allgemein  empfohlenen  örtlichen  und  allge- 
meinen Reizmitteln  sein  müsse.  —  Die  Folge  des  Unguis  ist,  sobald  man 
nicht  vorsichtig  zu  Werke  geht,  Zerstörung  der  Cornea  in  grossem  Um- 
fange. Die  Folgen  des  Hypopium  sind  zunächst  fürchterliche  Schmerzen, 
wie  bereits  auseinandergesetzt  wurde,  weiterhin  Zerstörung  der  Cornea, 
selbst  des  ganzen  Bulbus,  aber  auch  in  günstigeren  Fällen  die  Ausgänge 
der  Iritis,  wovon  später. 

5.  Wenn  die  tiefsten  Schichten  in  etwas  grösserer  Ausdehnung 
bloss  gelegt  sind,  #und,  bevor  sie  noch  durch  Exsudat  gedeckt  wurden, 
dem  Andränge  des  Kammerwassers  nachgeben,  oder,  wenn  diess  mit  der 
allein  noch  unversehrten  Wasserhaut  geschieht,  so  entsteht  der  Zustand, 
welchen  man  Keratokele  genannt  hat.  Es  erhebt  sich  aus  dem  Grunde 
des  Geschwüres  ein  krystallhelles  Bläschen,  oder  es  wird  der  mehr  we- 
niger umfangreiche  und  früher  concave  Grund  des  Geschwüres  in  Form 
einer  kleinen  Kuppel  convex.  Die  weitern  Folgen  sind  verschieden,  je 
nachdem  diese  Keratokele  berstet  oder  nicht. 

Die  Folgen  des  Durchbruches  werden  wir  unter  6.  betrachten.  Ent- 
steht kein  Durchbruch,  was  nur  selten  geschieht,  so  wird  das  jene  Vor- 
treibung allmälig  überkleidende  Exsudat  in  der  Regel  in  eine  undurch- 
sichtige und  stationäre  Narbensubstanz  verwandelt.  Als  seltener  Ausgang 
kommt  hier  das  vor,  dass  die  in  grösserem  Umfange  (auf  1"'  Durch- 
messer und  darüber)  bloss  gelegten  und  kuppelartig  über  das  Niveau  der 
Umgebung  vorgewölbten  tiefern  Faserlagen  einen  Überzug  von  Exsudat 
erhalten,  welches  stellenweise  oder  durchaus  einen  sehr  hohen  Grad  von 
Durchsichtigkeit  erlangt,  nachdem  es  fest  geworden  und  mit  Epithel  über- 
zogen ist;  nur  rings  herum  bezeichnet  constant  ein  permanent  undurch- 
sichtiger Reifen  die  Stelle,  wo  die  vorgewölbte  Partie  mit  den  oberfläch- 
lichen Faserlagen  der  Umgebung  verwachsen  ist.  Dieser  Zustand,  der 
eigentlich  nichts  anders  als  eine  stationär  gewordene  Keratokele  ist, 
wurde  bisher  in  seiner  Bedeutung  und  Entstehung  meistens  verkannt. 
Einige  Auetoren  rechneten  ihn  zu  den  Staphylognen,  und  nannten  ihn 
Staphyloma  pellucidum,  und  zwar  je  nach  der  Form  bald  conicum,  bald 
globosum;  andere  hielten  ihn  mit  dem,  was  man  Keratokonus  oder  Hy- 
perkeratosis genannt  hat,  für  identisch,  worauf  wir  später  zurück  kommen 
werden;  nur  Prof.  Rosas  (Lehrb.  S.  738)  hat  denselben  unter  dem 
Namen  Keratokele  seu  Uvalio  corneae  ziemlich  getreu  beschrieben.  Die 
grösste  stationäre  Keratokele,  welche  ich  gesehen,  glich  der  Hälfte  einer 
Zuckererbse;  die  hemisphärische  Vortreibung  war  nicht  central,  mehr 
nach   oben   und   aussen   gelesen,    ringsum    von   einem    schmalen   weissen 


Geschwüre  —  Keratokele  — Durchbruch.  225 

Reifen  umgeben,  an  der  Oberfläche  vollkommen  glatt  und  glänzend,  stel- 
lenweise halb-,  grösstenteils  aber  ganz  durchsichtig,  die  vordere  Kammer 
entsprechend  vergrössert,  in  der  Pupille  einige  Exsudatfäden.  —  Der  Vor- 
schlag, dieser  Vorwärtswölbung  dadurch  zuvorzukommen,  dass  man  den 
Humor  aqueus  durch  einen  seitlich  gemachten  Einstich  abzapft,  verdient 
gewiss  Beachtung.  Nach  eigener  Erfahrung  kann  ich  indess  noch  kein 
Urtheil  darüber  abgeben.  Man  wird  in  jedem  speciellen  Falle  in  Er- 
wägung ziehen  müssen,  ob  ein  solcher  Einstich  ohne  Gefahr,  starke  Re~ 
action  zu  erregen,  geschehen  könne  oder  nicht.  Ist  die  Keratokele  einmal 
fest  geworden,  dann  nützt  weder  die  Punction  noch  die  Ätzung  derselben 
mit  Lapis. 

6.  Wenn  in  Folge  eines  tiefer  dringenden  Geschwüres  die  Desce- 
mefsche  Haut  berstet,  so  fliesst  zunächst  der  Humor  aqueus  aus,  und  der 
Bulbus  ändert  seine  Form.  Zwischen  den  Wandungen  und  dem  Inhalte 
des  Bulbus  findet  nämlich,  da  beide  elastisch  sind,  permanent  ein  ge- 
wisser Grad  gegenseitigen  Druckes  statt.  Wird  dieser  plötzlich  an  einer 
Stelle  gehoben,  so  muss  das  Kammerwasser  schon  aus  dieser  Ursache 
allein  nach  dieser  Stelle  gedrängt  werden  und  ausfliessen,  selbst  dann, 
wenn  die  Öffnung  nach  oben  gerichtet  ist.  Das  Gesetz  der  Schwere 
kommt  hier  gar  nicht  in  Betracht.  Wohl  aber  kann  eine  verstärkte  Cou- 
traction  der  Augenmuskeln  sowohl  das  Bersten  der  Wasserhaut  als  auch 
den  Ausfluss  des  Kammerwassers  begünstigen  und  beschleunigen. 

Die  Augenmuskeln  sind  im  Stande,  einen  Einfluss  auf  die  Hülle  und  den  Inhalt 
des  Bulbus  zu  üben,  sobald  erstere  in  ihrer  Integrität  (Continuität,  Elasticität  und  Re- 
sistenz) gestört  ist.  —  Denken  wir  uns  den  Bulbus  durch  eine  Kreislinie  in  eine  vor- 
dere und  hintere  Halbkugel  geschieden,  und  nennen  wir  jene  Linie  den  Äquator,  das 
Centrum  der  Cornea  den  vordem,  das  der  Sclera  den  hintern  Pol,  so  liegen  die  In- 
sertionsstellen  der  Muse,  recti  einige  Linien  diesseits,  die  der  Muse,  obliqui  mehrere 
Leuen  jenseits  des  Äquators.  Die  fixen  Punkte  der  M.  recti  liegen  rings  um  das  Fora- 
m  n  optieum.  die  der  M.  obliqui  am  Orbitalrande  (ohngefahr  in  gleicher  Ebene  mit  der 
Basis  corneae).  Denken  wir  uns  nun  den  Bulbus  fix,  sein  Centrum  (den  Drehpunkt) 
unverrückbar;  so  sind  auch  die  Insertionsstellen  jener  Muskeln  am  Auge  fixe  Punkte 
(im  Momente  simultaner,  gleichmassiger  Contraction) ,  und  dieselben  müssen,  da  sie 
offenbar  krumme  Linien  beschreiben  (mit  der  Concavität  sich  an  den  grössten  Umfang 
des  Bulbus  am  Äquator  anschmiegen),  bei  jeder  simultanen  stärkern  Contraction  einen 
erhöhten  Druck  auf  die  Sclera  und  hiemit  auch  auf  den  Glaskörper  ausüben,  sobald 
der  Bulbus  überhaupt  compressibel  ist.  Compressibel  ist  er  aber  ganz  gewiss,  sobald 
seine  Hülse  (Cornea  oder  Sclera)  ihre  Resistenz  und  Elasticität  verloren,  und  noch 
mehr,  sobald  die  Cornea  durchbrochen  ist.  —  Es  ist  klar,  dass  man  über  diese  Frage 
im  Beinen  sein  muss.  wenn  man  die  consecutiven  Zustände  tieferer  oder  durchboh- 
render Cornealgeschwüre  deuten  will.  Ich  hatte  desshnlb  in  meinem  oben  citirten 
Aufsatze  über  das  Hornhautslaphyloni  diesen  Einfluss  der  Muskeln  auf  die  Contenta  des 
ah.,  l.  \  5 


226  Hornhaut. 

Bulbus  aus  pathologischen  Beobachtungen  nachzuweisen  versucht,  und  ihn  kurzweg  als 
Vis  a  tergo  bezeichnet.  Szokahki*)  gebührt  das  Verdienst,  denselben  im  Wege  des 
Experimentes  erwiesen  zu  haben.  „Vor  der  Entdeckung  der  erschlaffenden  Eigenschaft 
des  Äthers  und  des  Chloroforms  gelang  es  mir  in  nieinen  ophthalmologischen  Vorle- 
sungen nie,  die  Extraction  der  Cataracta  an  Kaninchen  zu  demonstriren ;  unmittelbar 
nach  dem  Hornhautschnitte  sprang  die  Linse  aus  dem  Auge  heraus."  „Schneidet  man 
an  einem  Kaninchen  alle  geraden  Muskeln  des  einen  Auges  durch,  und  öffnet  man 
dann  die  Hornhaut  auf  beiden  Augen  so,  wie  man  es  bei  der  Extraction  der  Cataracta 
zu  machen  pflegt,  so  stürzt  die  Linse  aus  dem  Auge  vor,  dessen  Muskel  unberührt 
blieben,  während  sie  in  dem  vorher  präparirten  Auge  ganz  ruhig  an  ihrer  Stelle  bleibt. 
Dieser  Umstand  zeigt  augenscheinlich,  dass  es  die  geraden  Augenmuskeln  sind,  welche 
die  Linse  nach  vorn  drängen."  Jener  Einfluss  der  Augenmuskeln  macht  sich  insbeson- 
dere geltend,  so  oft  andere  Muskelgruppen  in  erhöhter  Thätigkeit  sind;  so  beim  Hu- 
sten, beim  Erbrechen,  bei  stärkerer  Wirkung  des  Preliun  abdominale,  beim  Heben 
schwerer  Lasten  u.  dgl.  Sie  erfolgt  gegen  unsern  Willen,  synergisch.  —  Halten  wir 
uns  diese  Thatsachen  gegenwärtig,  so  werden  wir  leicht  begreifen,  warum  Ruhe  des 
Körpers  vor  Allem  nothwendig  ist,  wenn  durchdringende  Geschwüre  oder  Wunden  der 
Hornhaut  heilen  sollen.  Es  ist  eine  bekannte  Sache,  dass  man  Leuten,  denen  die  ver- 
dunkelte Linse  extrahirt  wurde,  in  den  ersten  Tagen  nichts  Hartes  zum  Kauen  gibt, 
dass  man  ihnen  verbietet,  sich  z.  B.  mit  den  Füssen  anzustemmen,  um  sich  auf  ihrem 
Lager  höher  hinaufzuschieben  u.  s.  w. ;  es  ist  eine  bekannte  Sache,  dass  wenn  ein 
derart  Operirter  vom  Niesen  oder  Husten  befallen  wird,  die  bereits  verharschte  Horn- 
hautwunde leicht  wieder  aufreisst,  gleichviel,  ob  der  Schnitt  nach  oben  oder  nach  unten 
geführt  wurde. 

So  wie  der  Humor  aqueus  ausfliesst,  erfolgt  weder  ein  merkliches 
Einsinken  der  Cornea,  noch  Eintritt  von  Luft  in  die  Kammer,  sondern 
Iris  und  Linse  rücken  vorwärts,  und  somit  auch  der  Glaskörper,  was 
nicht  gedacht  werden  kann,  ohne  dass  die  Sclera  mit  der  Neiz-  und  Ader- 
haut letzterem  folgen;  mit  andern  Worten:  der  Bulbus  wird  in  seinem 
Umfange  kleiner,  seine  Durchmesser  im  Äquator  werden  relativ  kürzer, 
itidess  die  Achse  von  einem  Pole  zum  andern  dieselbe  bleibt.  Erfolgt 
der  Abiluss  des  Kammerwassers  mit  einer  gewissen.  Rapidität,  was  nur 
bei  grössern  Hornhautöffniingen  und  unter  gesteigerter  Contraction  der 
Augenmuskeln  zu  geschehen  pflegt,  so  kann  in  diesem  Momente  zugleich 
die  Zonula  Zinnii  einreissen,  und  Glaskörper  ausfliessen,  oder,  was  sel- 
tener geschieht,  die  vordere  Kapsel  bersten,  worauf  wir  später  zurück- 
kommen. —  Ob  bei  diesem  Vorgänge  sogleich  oder  erst  später  auch  ein 
Theil  der  Iris  mit  in  die  Hornhautöffnung  hineingedrängt  werde,  hängt 
theils  von  der  Lage  und  Grösse  dieser  letzteren  ab,  theils  von  der  Ge- 
schwindigkeit des    Stromes,  mit  welcher   das    Kammerwasser   ahfliesst,  **) 

-)  II. .»er  und  WunderKch's  Archiv,  7.  Jahrgang  S.  »595. 
"')  Di-ui   Voi fallen   rler  Iris  beim   Hqri\uaii(schnilte  behufs   ilcr  Extractian   ISssl  sich     bekanntlich    am   beste«  vorbeugen. 


Geschwüre  —  Diirchhruch  —  Fistel.  227 

theils  endlich  von  dem  Einflüsse,   welchen  die  Augenmuskeln  nachträglich 
ausüben. 

Fragen  wir  uns  nun,  ob  unter  solchen  Umständen  noch  Heilung 
möglich  sei,  unter  welchen  Bedingungen,  und  wie  sie  zu  Stande  kommen 
könne,  überhaupt  welche  Folgezustände  zu  erwarten  stehen,  so  müssen 
wir  vor  allem  unterscheiden:  an  welcher  Stelle  der  Durbruch  erfolgte, 
wie  gross  die  Öffnung  in  der  Descemet' sehen  Haut,  wie  weit  die  Zer- 
störung der  Hornhaulfasern  in  den  oberflächlichen,  wie  weil  in  den  tie- 
fem Schichten  um  sich  gegriffen  habe,  ob  eine  weitere  Zerstörung 
noch  ferner  zu  besorgen  sei,  ob  auf  lebhaften  Stoffwechsel  und  auf  Ruhe 
van  /Seite  des  Kranken  -zu  rechnen  sei,  ferner  ob  die  Iris  bloss  ange- 
lagert oder  in  die  Öffnung  mehr  weniger  stark  hineingetrieben  sei,  ob 
ein  so/elter  Vorfall  seif  kurzem  oder  schon  lange  bestehe,  ob  die  vor- 
gefallene Iris  entzündet  sei,  und  endlich  ob  dem  Abflüsse  des  Kammer- 
wassers Schranken  gesetzt  seien,  oder  nich}. 

Jeder  sieht  ein,  dass,  wenn  das  Auge  nicht  zu  Grunde  gehen  soll, 
dem  Aussickern  des  Humor  aqueus  zuerst  bleibende  Schranken  gesetzt 
werden  müssen.  Dieser  Zweck  wird  zunächst  durch  mechanische  Ver- 
legung oder  Verstopfung  der  Ausflussöffnung,  weiterhin  aber  durch  or- 
ganische Schliessung,  durch  Verwachsung  mittelst  plastischen  Exsudates 
vermittelt.  Zur  Verlegung  oder  Verstopfung  der  Öffnung  dient  in  den 
meisten  Fällen  die  Iris,  selten  die  Kapsel  allein,  bisweilen  beide  zugleich. 
Dieser  mechanische  Abschluss  der  Atigenhülse  ist  unerlässliche  Bedin- 
gung zu  dem  nachfolgenden  organischen.  Würde  das  Kammerwasser  fort- 
während aussickern  können,  so  würde  eine  Vereinigung  der  Geschwürs- 
ränder durch  plastisches  Exsudat  niemals  zu  Stande  kommen.  Das  erste 
günstige  Zeichen  nach  erfolgtem  Durchbruche  der  Cornea  ist  demnach 
das,  dass  sich  zwischen  der  Iris  und  Cornea  wieder  Humor  aqueus  an- 
sammelt, und  zwar  nicht  bloss  auf  einige  Stunden,  sondern  bleibend. 
Letzteres  findet  nur  dann  statt,  wenn  von  Seite  der  Geschwürsränder 
plastisches  Exsudat  geliefert  wird,  und  den  Grund  der  Öffnung  ausfüllt 
oder  überzieht,  oder  wenn  die  Iris  förmlich  in  die  Öffnung  eingeklemmt 
wird.  Den  Zustand  permanenter  oder  häufig  wiederkehrender  Entleerung 
des  Kammerwassers  durch  eine  solche  Hornhautöffuung  nennt  man  Horn- 
hautfistel.    Wenn    er  Wochen-  Monate-lang  besteht,    so  führt  er  endlich 


wenn  man  den  Schnilt  nicht  zu  rasch  beendig!,  und  umgekehrt  lässt  sich  bei  der  Beer'schen  Irideklomie  das 
hier  erwünschte  Vorfallen  der  Ins  g;e«öhnlich  dadurch  erzielen,  dass  man  das  pyramidale  Messer  tiefer  einstössl 
und    sehr  ra  ch   zurückzieht. 

15* 


228  Hornhaut. 

zu  bleibender  Lageveränderung  der  Linse  und  der  Iris  mit  mehr  weniger 
deutlicher  Abplattung  der  Cornea,  oder  Verkleinerung  des  ganzen  Bulbus, 
wenn  nicht  —  auf  gewisse  Veranlassungen  —  zu  heftiger,  mit  Eiterung 
verlaufender  Entzündung  sämmtlicher  Gebilde  {?  anophthalmitis)  und  end- 
lich zu  Phthisis  bulbi. 

Von  der  grössten  Wichtigkeit  ist  das  Verhalten  der  Descemet'schen 
Haut.  Dieselbe  reisst  im  Momente  der  Berstung  in  Zipfel,  und  diese 
schlagen  sich  nach  aussen  um  den  Geschwürsrand  um.  Wird  demnach 
die  Iris  nicht  weit  in  die  Öffnung  hineingetrieben,  so  kommt  sie  mit  den 
Geschwürsrändern  gar  nicht  in  Berührung.  Das  fernere  Verhalten  ge- 
staltet sich  nun  verschieden  je  nach  der  Grösse  des  Einrisses  und  der 
hiedurch  gebildeten  Zipfel  der  Wasserhaut. 

Ist  die  Öffnung  central  gelagert,  oder  peripherisch,  aber  so  klein, 
dass  die  Iris  gleichfalls  nicht  stark  in  dieselbe  hineingedrängt  werden 
kann,  so  können  jene  Zipfel  allmälig  wieder  in  ihre  ursprüngliche  Lage 
zurückgedrängt  werden,  und  zwar  dadurch,  dass  von  den  Geschwürs- 
rändern plastisches  Exsudat  abgelagert  wird.  Während  nun  der  Abfluss 
des  Kammerwassers  noch  rein  mechanisch  abgehalten  wird,  werden  jene 
Zipfel  einfach  wieder  an  einander  gelegt  und  durch  mehr  weniger  mächtig 
aufgelagertes  Exsudat  in  ihrer  Lage  erhalten.  Hiernit  ist  der  organische 
Ahschluss  der  Augenhülse  gegeben,  und  zwar  bleibend,  wenn  die  zarte 
Exsudatschichte  nicht  durch  wiederholten  stärkern  Andrang  des  Kammer- 
wassers durchbrochen  wird.  Ist  aber  dieser  Abschluss  geschehen,  dann 
ist  auch  der  physicalische  Grund  entfallen,  durch  welchen  Iris  oder  Kapsel 
an  die  Cornea  angedrängt  wurden,  der  Humor  aqueus  sammelt  sich  zwi- 
schen Iris  und  Kapsel  einerseits  und  •  zwischen  der  Cornea  anderseits 
wieder  an,  und  der  weitere  Verlauf  ist  von  nun  an  derselbe,  wie  bei 
tiefern  Hornhautgeschwüren  überhaupt.  Das  Merkwürdige  dabei  aber  ist 
das,  dass  es  Fälle  gibt,  wo  sowohl  der  Einriss  der  Descemet'schen  Haut 
als  die  darüber  gebildete  provisorische  Hornhautnarbe  mit  der  Zeit  spurlos 
verschwinden,  dass  somit  nicht  jeder  Hornhautdurchbruch  eine  unheil- 
bare Trübung  hinterlassen  muss. 

Diese  Behauptung,  so  paradox  sie  auch  erscheinen  mag,  besonders  den  Ansichten 
gegenüber,  die-  wir  in  verschiedenen  ophlhalniologischen  Schriften  hierüber  finden, 
ist  nichts  desto  weniger  wahr  und  auf  unzweifelhafte  Beobachtungen  gestützt.  Den 
Satz,  dass  die  Dcscemet'sche  Haut  in  Zipfel  reisst,  und  sich  gleichsam  als  schützender 
Überzug  (gegen  Berührung  der  Iris  mit  den  Geschwürsländern  bis  zu  einem  gewissen 
Grade)    über   die    Geschwür»riinder   nach   aussen    umschlägt,    hat   zuerst    mein    verehrter 


Geschwüre  —  Durchbrach  —  Heilung  —  Prolapsus  iridis.       229 

Freund  Dr.  Müdner*)  durch  zahlreiche  Untersuchungen  an  Leichen  nachgewiesen,  und 
ich  habe  mich  von  der  Richtigkeit  seiner  Angahen  hierüber  oftmals  überzeugt.  Ich  habe 
ferner  Fälle  beobachtet,  wo  längere  Zeit  nach  constatirtem  Durchbrucoe  der  Hornhaut 
diese  nicht  die  geringste  Spur  einer  Trübung  darbot;  ich  habe  Fälle  beobachtet,  wo 
man  die  Stelle  des  Einschnittes,  den  man  behufs  der  Extraction  oder  der  Künstlichen 
Pupillenbildung  in  der  Cornea  gemacht  halte,  nach  einiger  Zeit  nicht  mehr  aufzufinden 
vermag;  ich  habe  überdiess  Augen  anatomisch  untersucht,  und  ohne  Spur  einer  Narbe 
in  der  Wasserhau!  gefunden,  obwohl  aus  anderweitigen  Veränderungen  (Trübung  der 
Cornea  gegenüber  einem  Ceutralkapselstaare)  angenommen  werden  musste,  dass  die 
Cornea  an  dieser  Stelle  durchbrochen  gewesen  war.  Da  man  jedoch  diesen  letzteren 
Schluss  als  einen  Circulus  vitiosus  bezeichnen  könnte,  so  will  ich  vorläufig  nur  anfüh- 
ren, dass  auch  in  der  Linsenkapsel,  welche  bekanntlich  ganz  gleiche  Eigenschaft«* 
zeigt,  wie  die  Descemet'sche  Haut,  kleinere  Wunden  spurlos  vernarben  können.  Als 
Beleg  für  diese  Behauptung  führe  ich  einen  von  mir  genau  beobachteten  Fall  an,  wel- 
chen Professor  Fischer  in  seinem  Lehrbuche  (S.  324).  veröffentlicht  hat.  Ein  junger  Mann 
starb  (1840)  den  17.  Tag,  nachdem  ich  die  Zerstücklung  eines  weichen.  Staares  durch  die 
Cornea  vorgenommen  hatte.  Wir  hatten  deutlich  einige  Stückchen  der  Linse  in  die 
vordere  Kammer  treten  und  nach  mehreren  Tagen  verschwinden  gesehen ;  die  Kapseln 
waren  also  ganz  gewiss  eröffnet  worden.  Bei  der  Section,  welche  Professor  Bochdalek 
mit  seiner  bekannten  Genauigkeit  vornahm,  und  bei  welcher  insbesondere  die  Kapseln 
näher  untersucht  wurden,  weil  der  Staar  so  ausgesehen  hatte,  wie  ihn  ältere  Auetoren 
als  Kapsellinsenstaar  schildern,  fand  sich,  dass  die  Kapseln  wohl  schlaff,  etwas  eingesun- 
ken, aber  nirgends  getrübt  waren,  ja  es  Hessen  sich  sogar  die  Stellen  der  Einschnitte 
nicht  auffinden,  die  Kapseln  waren  ohne  Spur  einer  Narbe  wieder  völlig  geschlossen, 
und  die  scheinbare  Trübung  der  Kapsel  erwies  sich  als  ein  feiner,  leicht  abschabbarer 
Beschlag  ihrer  Innenfläche  mit  trüber  Rindensubstanz. 

Ist  die  Öffnung  in  der  Wasserhaut  etwas  grösser,  so  wird,  selbst 
wenn  sie  ziemlich  central  liegt,  gewöhnlich  ein  mehr  weniger  grosser 
Theil  der  Iris  in  dieselbe  hineingedrängt,  sogleich  oder  nach  einiger 
Zeit ;  es  entsteht  das,  was  man  Vorfall  der  Iris  nennt.  Auch  durch  eine 
nicht  gar  grosse  Öffnung  kann  ein  relativ  grosser  Theil  der  Iris  heraus- 
gedrängt werden;  die  Grösse  des  Vorfalles  ist  also  nicht  nach  der  Basis 
allein  zu  beurlheilen.  In  der  Regel  spricht  man  von  Prolapsus  iridis  nur 
da,  wo  noch  mindestens  1/3  der  Hornhaut  nicht  geöffnet  ist;  diesem 
Theile  entsprechend  ist  dann  auch  noch  vordere  Augenkammer  und,  we- 
nigstens nach  einiger  Zeil,  wieder  Humor  aqueus  vorhanden,  wenn  nicht 
dessen  Ausfliessen  neben  der  blossgelegten  Irispartie  noch  gestattet  ist. 
Von  der  totalen  Blosslegung  der  Iris  werden  wir  erst  später  sprechen 
können.  —  Kleinere  und  frische  Irisvorfal'e  können  wieder  zurückgehen, 
ohne  r'ass  eine  Verwachsung  zwischen  Iris  und  Cornea  zurückbleibt,  ja 
es  kann  selbst  die  Hornhaut    an  einer   solchen  Stelle    wieder  vollkommen 

£J  Präger  medicinisohe  Vierteljahrschriil.   13.  B    S    56. 


230  Hornhaut. 

durchsichtig  werden,  wenn  sonst  die  Bedingungen  hiezu  vorhanden  sind. 
Der  grösste  Prolapsus,  welchen  ich  (ohne  Synechie)  heilen  sah,  war  ohngefähr 
hanfkorngross.  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  so  ein  Vorfall  weder 
eingeklemmt  noch  entzündet  sein  darf.  Die  Iris  muss  durch  die  nach 
aussen  umgeschlagenen  Zipfel  der  Wasserhaut  vor  Verwachsung  mit  den 
Geschwürrändern  der  Cornea  geschützt  sein,  und  sie  muss,  so  wie  von 
diesen  plastisches  Exsudat  abgelagert  wird ,  zurückgedrängt  werden 
können.  Ich  kann,  auf  unzweifelhafte  Beobachtungen  gestützt,  gegen 
Ruete,  von  Walther  u.  A.  ganz  bestimmt  behaupten,  dass  nicht  jeder 
Prolapsus  iridis  eine  vordere  Synechie  hinterlassen  müsse. 

Wenn  hingegen  die  Iris  eingeklemmt  oder  entzündet  ist,  so  ist  auf  die 
Heilung  ohne  bleibende  Merkmale  der  frühern  Vereinigung  nicht  zu  rechnen. 
Einklemmung  erfolgt,  wenn  eine  grössere  Irispartie  in  eine  relativ  enge 
Öffnung  der  Wasserhaut  hineingetrieben  wurde,  Entzündung  des  vor- 
gefallenen Theiles  erfolgt  fast  immer,  wenn  die  Basis  des  Vorfalles 
grösser  ist,  mehr  als  l'/2///  im  Durchmesser  beträgt;  doch  können  auch 
kleinere  Vorfälle  sich  entzünden,  wenn  sie  stark  eingeklemmt  sind,  oder, 
wenn  sie  von  aussen  stark  gereizt  werden,  durch  Collyrien,  Salben,  Be- 
tupfen mit  Lapis,  durch  Staub  u.  dgl.  Dann  schwillt  die  blossgelegte  Iris- 
partie an,  wird  dunkler  gefärbt,  später  bJass-  oder  fleischrolh,  oft  deut- 
lich granulös,  und  hie  und  da  von  Gefässchen  durchzogen.  Eine  solche 
Entzündung  bleibt  in  der  Begel  auf  die  blossgelegte  Partie  beschränkt? 
und  geht  nur  unter  besonders  ungünstigen  Verhältnissen,  bei  neuerdings 
auf  das  Auge  einwirkenden  Schädlichkeiten,  auf  die  ganze  Iris  über.  Der 
entzündete  Prolapsus  bedeckt  sich  mit  einer  Schicht  plastischen  Exsudates, 
welches  mit  dem  von  der  Cornea  ausgeschwitzten  in  Eins  verschmilzt, 
und  nach  erfolgter  Organisation  unzertrennliche  Verbindung  zwischen  Iris 
und  Cornea  bedingt.  Diesen  Zustand  hat  man  im  Allgemeinen  Synechia 
anterior  genannt ;  man  gebraucht  jedoch  diesen  Namen  gewöhnlich  nur 
zur  Bezeichnung  kleinerer  Verwachsungen.  Wenn  nämlich  die  Hornhaut- 
narbe endlich  völlig  consolidirt ,  und  die  Augenkammer  wieder  herge- 
stellt erscheint,  so  nimmt  die  nicht  betheiligt  gewesene  Irispartie  wieder 
ihre  normale  Lage  ein,  und  nur  der  getroffene  Theil  streicht  zur  Horn- 
hautnarbe vorwärts.  In  seltenen  Fällen  sieht  man  die  Iris  durchaus 
wieder  in  ihrer  normalen  Lage,  und  nur  ein  Faden  fest  gewordenen  Ex- 
sudates, welcher  von  der  Hornhautnarbe  zu  dem  gegenüber  liegenden 
Punkte  der  Iris  verläuft,  deutet  auf  den  vorausgegangenen  Zustand;  mit- 
unter trifft  man  auch  einen  Fall,  wo  auch  diese  fadenförmige  Verbin- 
dung   zerrissen    ist    (durch    Schrumpfung    des    Exsudates  ?)     und    einige 


Geschwüre  —  Durchbrucli  —  Vord.  Synechie.  231 

Parlikelchen  vom  Pigmente  der  Iris  in  die  Hornhautnarbe  eingeheilt  sind, 
ein  Befund,  welcher  um  so  gewisser  als  Rest  der  ehemaligen  Verbindung 
zwischen  Iris  und  Cornea  gedeutet  werden  kann,  wenn  die  gegenüber- 
liegende Partie  der  Iris  noch  in  ihrer  Farbe  und  Structur  verändert  er- 
scheint. Häufiger  geschieht  es,  dass  ein  Theil  der  Iris  ganz  in  die  Horn- 
hautuarbe  einheilt,  und  man  denselben  als  einen  bräunlich-  oder  bläu- 
lich-grauen oder  schwarzen  Fleck  mitten  in  der  Hornhautnarbe  erkennt. 
Die  altern  Auetoren  nannten  diesen  Zustand  nach  der  Ähnlichkeit  mit 
dem  Kopfe  eines  in  ein  Brett  geschlagenen  Nagels  Clavus.  —  Je  nach- 
dem nun  solche  Narben  mit  verderer  Synechie  verschieden  gelagert  sind, 
oder  verschieden  grosse  Stellen  einnehmen,  setzen  sie  mehr  weniger 
Nachtheil  für  das  Sehvermögen.  Sitzen  sie  peripherisch,  so  schaden  sie  nur 
dann,  wenn  sie  grösser  sind,  und  eine  merkliche  Verziehung  der  Pupille 
nach  dieser  Gegend  hin  verursachen.  Sehr  hohe  Vorfälle  können,  auch  wenn 
sie  keinen  grossen  Umfang  an  der  Basis  haben,  selbst  völlige  Verschlies- 
sung  der  Pupille  bedingen,  indem  ein  zu  grosser  Theil  der  Iris  in  die 
Narbe  eingelöthet  wird.  Die  schlimmsten  Fälle  sind  aber  jene,  wo  das 
Cornealgeschwür  mehr  central  sitzt,  und  der  Pupillarrand  theilweise  oder 
total  mit  der  Hornhaut  verwächst;  bleibt  auch  noch  ein  Theil  des  Pupil- 
larrandes  frei,  so  wird  diese  Öffnung  doch  gewöhnlich  durch  die  Narbe 
verdeckt,  welche  sich  eben  nicht  bloss  auf  die  Stelle  der  Verwachsung 
selbst  beschränken  muss,  sondern  sich  in  der  Regel  noch  darüber  hinaus 
erstreckt.  Narben,  welche  die  Spuren  von  vorausgegangener  oder  noch 
bestehender  Verwachsung  der  Iris  mit  der  Cornea  in  sich  tragen,  sind 
absolut  nie  mehr  aufhellbar,  wenigstens  so  weit  nicht,  als  die  Ver- 
wachsung oder  deren  Spur  sich  erstreckt. 

Den  Vorgang,  wo  ein  Vorfall  spurlos  zurücktritt,  oder  wo  derselbe  ohne  blei- 
bende Vortreibung  über  das  Niveau  der  Umgebung  in  die  Wunde  einheilt,  bezeichnet 
man  gewöhnlich  mit  dem  Ausdrucke:  „die  vorgefallene  Iris  ziehe  sich  zurück."  Diese 
Bezeichnung  ist  in  so  fern  unrichtig,  als  dadurch  der  Iris  eine  gewisse  Activität  bei- 
gelegt wird,  indess  sie  sich  dabei  doch  mehr  passiv  verhält,  ihre  Contractionen  auf 
den  geschilderten  Vorgang  wenig  oder  gar  keinen  Einfluss  nehmen.  Die  eingeklemmte 
oder  entzündete  Iris  wird  allmälig  mit  Exsudat  überdeckt,  welches,  wenn  nicht  von 
der  Iris  zugleich,  so  doch  von  den  Geschwürsrändern  der"  Cornea  geliefert  wird. 
Dieses  den  Vorfall  überkleidende  Exsudat  wird  allmälig  fester  und  dichter,  und  ver- 
wandelt sich  in  eine  anfangs  durchsichtige,  später  graue  oder  bläulich-weisse  Mem- 
bran, welche  mit  dem  Hornhautgewebe  ein  Continuum  bildet,  und  in  dem  Maasse 
schrumpft,  als  sie  fester  und  resistenter  wird.  Dieses  Exsudat  ist  nicht  immer  gleich- 
massig  verbreitet,  indem  es  stellenweise  mächtiger  ist;  besonders  da,  wo  der  Ge- 
schwürsrand vorspringende  Winkel  (Vorsprünge  in  die  Hornhautgrube)  bildet,  entstehen 
einzelne   balkenähnliche  Verbindungen    gegenüberstehender  Punkte   des  Geschwürsrandes 


232  Hornhaut. 

welche  den  Prolapsus  in  zwei,  drei  und  mehrere  Abtheilungen  theilen.  Hiedurch  er- 
halten grössere  Vorfälle  einige  Ähnlichkeit  mit  einer  Brombeere  oder  mit  einer  Wein- 
traube- Wir  werden  diesen  Zustand,  welcher  tu  dem  Namen  Staphyloma  racemosum 
Veranlassung  gegeben  hat,  weiterhin  noch  einmal  besprechen-  —  Nach  dem  Gesagten 
mag  der  Leser  beurtheilen,  was  von  dem  allgemein  aufgestellten  Rathschlage  zu  halten 
sei,  bei  Irisvorl'allen  Mydriatica  anzuwenden,  den  Vorfall  mechanisch  zurückzuschieben, 
ihn  mit  Lapis  infernalis  zu  ätzen,  mit  der  Scheere  abzuschneiden  u.  dgl.  Wenn  irgend 
wo,  so  gilt  wohl  hier  der  Satz:     „Qui  bene  distinguit,  bene  medcbitur." 

7.  Ist  das  durchbohrende  Geschwür  mehr  central  gelegen,  so  wird 
es,  je  nach  der  Lage  und  Ausdehnung  der  Öffnung  in  der  Wasserhaut, 
entweder  durch  die  Kapsel  allein,  oder  durch  diese  und  die  Iris  zugleich 
verlegt.  Die  Folge  davon  kann  einfache  Heilung  mit  oder  ohne  statio- 
näre Hornhautnarbe  sein,  oder  es  entsteht  nebstdem  eine  Art  Cataracta 
capsulae  centralis,  oder  permanente  Verwachsung  der  tordern  Kapsel 
mit  der  Hornhautnarbe  (mit  oder  ohne  gleichzeitige  Synechia  anterior), 
oder  es  kommt  zur  Berstung  der  Kapsel  und  deren  weiteren  Folgen, 
die  wir  später  erörtern  werden.  —  So  wie  der  Humor  aqueus  abfliesst, 
und  Iris  und  Linse  an  die  Cornea  rücken,  wird  auch  die  Pupille  constant 
verengert,  und  bleibt  eng,  bis  die  Cornealöffnung  wieder  geschlossen  ist. 
Diess  erklärt  uns,  warum  die  Kapsel,  wenn  sie  bei  Hornhautgeschwüren 
in  Mitleidenschaft  gezogen  wird,  stets  nur  in  ihrem  Centrum  oder  doch 
nicht  weil  davon  erkrankt.  Es  ist  übrigens  eine  interessante  Erscheinung, 
dass,  wie  früher  die  Wasserhaut,  so  nach  erfolgtem  Durchbruche  auch 
die  Kapsel  ihre  Integrität  oft  durch  viele  Tage  behauptet.  *)  Dieses  Durch- 
sichtigbleiben der  Kapsel  setzt  bekanntlich  Kranke,  deren  Hornhaut  durch 
Eiterung  mehr  weniger  zerstört  ist,  für  eine  Zeit  in  den  Wahn,  sie 
werden  wieder  selten^  weil  sie,  nachdem  die  Kapsel  bloss  gelegt  ist, 
wieder  Gegenstände  wahrnehmen.  —  Kehren  wir  indess  zum  eigent- 
lichen Gegenstande  unserer  Betrachtung  zurück.  War  die  Durchbruchstelle 
sehr  klein,  und  beginnt  in  der  Cornea  der  Process  der  Heilung  mit  der 
Reinigung  des  Geschwüres  und  dem  Ansätze  plastischer  Lymphe,  so  kann 
bei  Verlegung  der  Öffnung  durch  die  Kapsel  ganz  dasselbe  eintreten, 
was  wir  bei  einfacher  Verlegung  durch  die  Iris  beobachten.  Wir  sehen 
aber  auch,  namentlich  bei  etwas  grösserer  Öffnung,  bisweilen  eine  andere 
Folge  eintreten.  Es  bleibt  nämlich  auf  der  Kapsel,  in  oder  nahe  am 
Centrum  derselben,  ein  Klümpcheh  Exsudat  zurück,  welches  nach  und  nach 
durch  Abschluss   der  Öffnung   in  der  Wasserhaut   von    dieser  abgeschnürt 


Wollte    man    die    Zerstörung    der  Cornea  bei    der  acuten  Bindeh.itithlennorrhoe  der    „Schärfe   des    Secretes"     zu- 
schreiben, so  müssle  muu  annehmen,  dass  Wjsscrltaut  und  Kapsel  dieser  atzenden  Pjteuz  sehr  lange  widerstehen 


Geschwüre  —  Durchbruch  —  C'entralkapselstaar.  233 

wird,  und  nach  Wiederherstellung  der  Augenkammer  als  ein  mehr 
weniger  erhabenes  Hügelchen  auf  der  Kapsel  sitzen  bleibt.  Hellt  sich 
dann  die  restituirte  Cornea  wieder  auf,  so  wird  derjenige,  welcher  diese 
Krankheit  nicht  in  mannigfaltigen  Übergangsgliedern  gesehen  hat,  an  jede 
andere  Ursache  eher  denken,  als  an  die  wahre,  das  durchbohrende  Horn- 
hautg-eschwür. 

Diese  Ansicht  über  das  Eitstehen  dieser  Form  von  Cataracta  centralis  capsnlae 
anter.  habe  ich  bereits  1845  in  der  österreichischen  Wochenschrift  Nr.  10  und  11  aus- 
gcspiochen.  Ich  habe  sie  seitdem  nicht,  nur  durch  zahlreiche  Beobachtungen  an  Le- 
benden, sondern  auch  durch  mehrere  Sectionen  ergänzt  und  bestätigt  gefunden.  Am 
häufigsten  ist  es  die  Blennorrhoe  der  Neugeborenen,  welche  zur  Entstehung  derselben 
Veranlassung  gibt  ;  doch  sah  ich  sie  auch  in  Folge  von  Pustel-  und  Geschwürsbildung 
bei  Blattern  und  bei  Conjunctivitis  scrofulosa.  Sobald  durch  den  oben  geschilderten 
Vorgang  die  Hornhautöffnung  völlig  geschlossen  ist,  und  das  Auge  durch  den  Wieder- 
ersatz des  Humor  aqueus  seine  normale  Spannung  erlangt,  weicht  auch  die  Kapsel  mit 
der  Linse  wieder  in  ihre  Lage  zurück.  In  der  Regel  bleibt  nun  keine  Spur  von  der 
Anlagerung  der  Kapsel  an  die  Wasserhaut  übrig,  als  ein  Klümpchen  jenes  Exsudates, 
welches  die  Cornea  lieferte,  auf  der  Kapsel;  ausnahmsweise  sieht  man  jedoch  diesen 
Klumpen  noch  durch  einen  Exsudatfaden  mit  der  HornKautnarbe  in  Verbindung  bleiben, 
ja  in  einem  Falle  sah  ich  die  Kapsel  mittelst  dieses  Exsudates  mit  der  Hornhautnarbe 
enj  verwachsen,  und  dadurch  das  ganze  Linsensystem  vorwärts  gezogen.  Dieser  Fall 
betraf  einen  13jährigen  Kaufmannslehrling,  welchen  ich  auch  meinen  Zuhörern  auf  der 
Klinik  vorführte.  Die  linke  Hornhaut  ist  in  Folge  einer  in  der  ersten  Kindheit  über- 
sttndenen  Augenentzündung  in  der  Mitte  in  eine  undurchsichtige  Narbe  verwandelt, 
und  diese  steht  mittelst  eines  weissen  Pfropfes,  welcher,  ohne  den  ringsum  freien  Pu- 
pilarrand  zu  berühren,  durch  den  humor  aqueus  rückwärts  verläuft,  mit  der  Kapsel  in 
Verbindung.  Die  Basis  dieses  Pfropfes  auf  der  Kapsel  hat  2/3— 3/4'"  im  Durchmesser; 
dit  Iris  bewegt  sich,  wie  gesagt,  ganz  frei;  die  vordere  Kammer  ist  natürlich  sehr 
enff.  der  Pupillenrand  von  der  hintern  Wand  der  Cornea  etwa  '/2'"  weit  entfernt.  — 
W'ller  hat  diesen  Vorgang  nach  Blennorrhoea  neonatorum  ganz  richtig  aufgefasst  und 
beschrieben;  nur  meinte  er,  das  Exsudat  auf  der  Kapsel  werde  durch  Entzündung 
di«ser  letztern  und  von  dieser  selbst  geliefert.  Bei  dieser  Ansicht  ist  aber  schwer  zu 
begreifen,  warum  das  Exsudat,  welches  nicht  seiten  auf  der  Kapsel  in  Form  einer  Py- 
ranide  aui'<jethürmt  ist,  sich  auf  einen  so  kleinen  Funkt  beschränkt,  warum  keine  hin- 
tere, im  Gegentheil  häufiger  vordere  Synechien  zugleich  angetroffen  werden,  und 
A\arum  die  Stelle  des  Exsudates  auf  der  Kapsel  in  Fällen,  wo  noch  eine  Hornhautnarbe 
schtbar  ist.  auch  immer  genau  dieser  letztern  entspricht.  —  Hmcranek  (Österreichische 
Vochenschrift.  1847,  Nr.  35)  nimmt  an,  „dass  das  Exsedat  auf  der  Kapsel  von  der 
entzündeten  Hornhaut  geliefert  werde,  aber  ohne  Durchbruch  dieser  letztern;  er  meint, 
das  gelockerte  und  poröser  gewordene  Cornealgewebe  lassen  den  Humor  aqueus  durch- 
treten, mithin  Kapsel  und  Cornea  in  Berührung  treten;  wegen  starker  Verengerung  der 
Pupille  werde  nur  auf  den  centralen  Theil  der  Kapsel  Exsudat  abgelagert ;  werden  nun 
mit  dem  Nachlasse  der  Entzündung  die  exsudirten  Massen  resorbirt,  erscheine  mit  dem 
V\  iedereintreten   der  vitalen  und  physicalischen  Eigenschaften    der  Humor  aqueus    in    der 


234  Hornhaut. 

Augenkammer,  lasse  der  Druck  der  Sclera  in  Fol^e  des  festeren  Haltpunktes  am  Cor- 
nealrande  nach,  und  nehme  mit  dem  Umfange  dieses  auch  der  Raum  des  Bulbus  zu: 
so  trete  die  Kapsel,  sich  von  der  Innenfläche  der  Cornea  ablösend,  in  ihrer  Mitte  mit 
einem  Theile  der  anklebenden  Exsudatinasse  belegt,  zurück  und  stelle  auf  diese  Weise 
die  centrale  Kapselcataracta  dar."  Diese  Ansicht  bedarf  wohl  kaum  einer  Widerlegung; 
sie  beruht  auf  einer  Menge  viel  zu  unwahrscheinlicher  Voraussetzungen.  —  Dr.  von 
Hasner,  1.  c.  S.  185,  findet  es  unbegreiflich,  wie  man  Cornealgeschwüre  zum  Entstehen 
des  centralen  Kapselstaares  für  nöthig  halten  konnte;  er  habe  denselben  sehr  häufig 
im  Verlaufe  der  Iritis  vor  seinen  Augen  entstehen  sehen ;  auch  der  angeborene  Cen- 
tralstaar,  wenn  er  überhaupt  vorkomme,  dürfte  durch  eine  fötale  Iritis  entstehen."  Man 
möchte  nach  diesen  Worten  fast  zweifeln,  ob  Hasner  wisse,  was  die  Auetoren  lisher 
Centralkapselstaar  genannt  heben.  Er,  der  sonst  die  Angaben  „sehr  häufig,  oft  etc." 
tadelt,  gibt  uns  hier  keine  numerischen  Verhältnisse.  Mit  diesr  allgemeinen  Redensart 
sind  die  bestimmten  Beobachtungen,  welche  ich  in  dem  oben  citirten  Aufsatze  um- 
ständlich angeführt,  weder  widerlegt,  noch  anders  erklärt.  Wenn  aber  Iritis  die  Ur- 
sache dieses  Staares  ist,  warum  entsteht  derselbe,  wie  allgemein  bekannt,  beinahe  nur 
im  Kindesalter,  und  am  häufigsten  nach  Blennorrhoea  neonatorum?  warum  kommt  Jer- 
selbe  dann  so  oft  mit  Hornhauttrübungen  und  mit  vordem  Synechien,  und  warum  nie 
mit  hintern  Synechien  vor?  warum  findet  man  so  häufig  an  demselben  oder  an  dem 
andern  Auge  anderweitige  Folgen  durchbohrender  Hornhautgeschwüre,  dagegen  riienals 
die  Folgen  primärer  und  substantivier  Iritis?  Gefährdet  etwa  die  Blennorrhoe  mehr  die 
Iris  als  die  Cornea?  Die  Iritis  erzeugt,  wie  jedermann  weiss,  Exsudat  am  Pupillm- 
rande  und  in  der  Pupille;  diese  Exsudate  werden  wohl  theilweise,  nie  aber  ringsum 
von  dem  Pnpillenrande  frei.  Die  Wissenschaft  würde  übrigens  dem  Dr.  Häsner  Dnik 
schulden,  wenn  er  auch  nur  einen  jener  zahlreichen  Fälle,  von  denen  er  spricht,  ge- 
nau beschrieben  und  allenfalls  abgebildet  hätte.  So  lange  diess  nicht  geschehen,  müssen 
wir  seine  Angaben  als  unbegründet  zurückweisen.  —  Beck  (Ammon's  Zeitschrift,  I.  B. 
I.  H.)  hat  einen  Fall  beschrieben  und  abgebildet.  Ein  20jähriger  Mann  gab  das  Leiden 
seines  linken  Auges  als  angeboren  an;  genauere  Nachforschung  machte  es  wahr- 
scheinlich, dass  er  an  Ophthalmia  neonatorum  gelitten  hatte.  Beck  sah  „in  der  Pup.lle 
eine  Cataracta  caps.  centr.  anterior,  und  dieser  entsprechend  eine  Trübung  der  Des;e- 
mel'schen  Haut,  etwas  unter  der  mittlem  Höhe  der  Pupille;  weiter  nach  unten  waen 
noch  einige  trübe  Stellen  in  dem  Descemet'schen  Homhaultheile.  Von  der  obersen 
Hornhauttrübung,  welche  dem  untern  Pupillarrande  (bei  massig  verengerter  Pupile) 
gegenüber  lag,  ging  ein  Gefäss,  welches  unter  der  Loupe  sehr  deutlich  wurde,  duich 
den  Humor  aqueus  nach  oben  und  rückwärts  zum  obern  Pupillarrande ;  dieses  Gefass 
spaltete  sich  auf  der  Mitte  des  Weges  in  5  kleine  Ästchen,  welche  sich  in  die  vorda-e 
Fläche  des  kleinen  Iriskreises  inserirten  und  verloren;  wurde  die  Pupille  künstlich  er- 
weitert, so  bildete  sie  in  dieser  Gegend,  wo  die  Gefässe  in  die  Iris  mündeten,  einm 
Vorsprung."  —  Ich  halte  diesen  Fall  nicht  für  angeboren,  wie  Beck,  welch»r 
die  hier  bemerkten  Gefässe  für  Reste  der  Pupillarmembran  hält;  mir  ist  es  wahr- 
scheinlicher, dass  in  Folge  von  Blennorhöe  die  Hornhaut  durchbohrt  war,  und  einer- 
seits Hornhautnarben  zurückblieben,  andererseits  eine  Auflagerung  auf  der  Kapsel,  unci 
als  Rest  der  frühern  Synechie  zwischen  Iris  und  Cornea  die  genannte  Gefässverbin- 
dung.  —  Es  würde  mich  zu  weit  führen,  die  von  mir  genau  beobachteten  Fälle  an 
Lebenden    hier    zu  beschreiben  ;    mehrere    der   instruetivsten   sind   in    dem   oben    citirten 


Geschwüre  —  Durclibrudt  —  Centralkapselstaar.  235 

Aufsätze  angegeben.  Seit  jener  Zeit  habe  ich  überdiess  6mal  Gelegenheit  gehabt, 
vordere  Centralkapselstaare  im  Cadaver  zu  untersuchen.  Ich  lasse  hier  die  Beschrei- 
bung von  zweien  Folgen.  Am  20.  März  1849  untersuchte  ich  das  linke  Auge  einer 
auf  der  Frauenabtheilung  gestorbenen  Wöchnerin.  Das  stark  nach  innen  abgelenkte 
(schielende)  Au<je  bot  eine  Hornhautnarbe  in  der  innern  Hälfte  der  Cornea  dar ;  das 
Centrum  dieser  Narbe  entsprach  ohngefähr  dem  innern  Pnpillarrande  bei  mittlerer 
Weite  der  Pupille.  Diese  Narbe  war  mit  der  entsprechenden  Partie  der  Iris  verwach- 
sen, und  dadurch  die  Pupille  etwas  nach  innen  verzogen ;  auf  der  vordem  Kapsel 
sass,  etwas  einwärts  vom  Centrum,  ein  mohnkorngrosser,  kreideweisser,  scharf- 
begrenzter Hügel;  er  Hess  sich  mit  einem  Scalpelle  ablösen,  ohne  dass  die  Kapsel  ein- 
riss.  Diese  erschien  aber  an  dieser  Stelle  ein  wenig  eingedrückt,  und  die  Rindensub- 
staiiz  der  Linse  war  unter  diesem  Grübchen  ein  wenig  getrübt.  Jener  Hügel  verhielt 
sich  unter  dem  Mikroskope  ganz  wie  fibroides  oder  Narben-Gewebe.  —  Am  1.  iMärz 
1850  untersuchte  ich  das  linke  Auge  eines  auf  der  chirurgischen  Abthcilung  verstor- 
benen 16jährigen  Jünglings.  Die  Cornea  schien  vollkommen  durchsichtig  und  glatt  zu 
sein :  bei  genauerer  Besichtigung  bemerkte  man  vom  Centrum  nach  innen  eine  leichte 
Trübung.  Es  wurde  nun  das  Epithelium  von  der  ganzen  Cornea  sorgfältig  abgestreift, 
und  nun  sah  man  in  der  Mitte  der  Cornea  eine  leichte  Depression,  und  da,  wo  man 
den  Fleck  bemerkt  hatte,  also  etwas  mehr  nach  innen,  eine  zweite,  etwas  grössere 
und  tiefere  Depiession.  Es  schienen  die  obersten  Faserschichten  zu  fehlen,  und  die 
Grübchen  oder  Abschliffe  durch  mächtigeres  Epithel  ausgeglichen  gewesen  zu  sein. 
Diese  Abschliffe  waren  übrigens  vollkommen  glatt,  der  grössere  leicht  getrübt.  Die 
vordere  Kammer  normal,  die  Farbe  der  Iris  matter,  ihre  Structur  unverändert;  die 
Pupille  vollkommen  rund,  etwas  über  2'"  im  Durchmesser  haltend;  mitten  auf  der 
Kapsel  ein  knorpelähnlicher  Kegel  mit  einer  warzenähnlichen  Spitze,  welche  in  die 
vordere  Kammer  hereinragt.  Die  Basis  etwa  3/t'"  im  Durchmesser  scharf  begrenzt, 
nicht  regelmässig  rund.  Hinter  diesem  Kegel  sieht  man  den  Kern  der  Linse  getrübt, 
mattgrau,  etwa  2'"  im  Durchmesser.  Nach  Eröffnung  des  Bulbus  fand  man  die  hintere 
Wand  der  Cornea,  die  Wasserhaut  vollkommen  normal,  auch  da,  wo  man  vorn  die 
vertiefte  Trübung  bemerkt.  Die  vordere  Kapsel  durchaus  undurchsichtig,  eben  so  die 
Zonula  Zinnii.  An  der  Linse  Hessen  sich  3  Regionen  unterscheiden;  die  äusserste, 
l/3'"  breit,  war  vollkommen  durchsichtig,  normal;  die  zweite,  '/2'"  breit,  war  durch- 
scheinend, nur  sehr  wenig  getrübt;  die  dritte  war  eben  der  oben  besprochene  ganz 
trübe  Hern  von  etwas  über  2'"  Durchmesser.  31itten  auf  der  Kapsel  sass  jene  pyra- 
midenförmige Erhabenheit.  Die  warzenähnliche  Spitze  wurde  mit  einer  Pincette  ge- 
fasst ;  sie  löste  sich  los.  doch  riss  die  Kapsel  dabei  von  einer  Seite  zur  andern  ein, 
und  man  konnte  nicht  unterscheiden,  ob  ein  Stückchen  von  der  Kapsel  mit  der  Pyra- 
mide in  Verbindung  geblieben  war,  oder  nicht.  Nach  Entfernung  der  Pyramide  sah 
man  eine  Grube  in  der  Linsensubstanz  an  dieser  Stelle.  —  In  einem  dritten  Falle 
zeigte  die  liapsel  rings  um  diesen  Hügel  eine  leichte  Runzelung.  im  zweiten  konnte  ich 
keine  Depression  der  Kapsel  bemerken;  es  waren  Augen  von  Kindern,  die  erst  kurz 
vorher  an  Blennorrhoe  gelitten  hatten.  In  keinem  Falle  war  ich  im  Stande,  Spuren 
der  Pupillarmembran  oder  Spuren  von  Iritis  aufzufinden,  ausgenommen  die  Stelle,  wo 
die  Iris  mit  der  Hornhaut  verwachsen  war.  In  jenen  2  Fällen  von  Kindern  war  das 
Exsudat  auf  der  krystallhellen  Kapsel  noch  ziemlich  weich  und  auch  nicht  so  gesättigt 
weiss,   sondern  an    den    Rändern    etwas   durchscheinend.      In  allen  Fällen,    die    ich   zur 


23(3  Hornhaut. 

Section  bekam,  waren  die  Hornhäute  in  der  mittlem  Partie  getrübt,  und  war  die  frü- 
here Durbruchsstelle  der  Descemet'schen  Membran  in  4  Fällen  noch  deutlich  zu  er- 
kennen. Im  Jahre  1849  kam  ein  Mann  von  30  Jahren  auf  die  Klinik..  In  Folge  einer 
in  den  ersten  Lebenslagen  überstandenen  Augenentzündung  war  das  linke  Auge  phthi- 
sisch, das  rechte  bot  beim  Bestände  einer  Cataracta  capsularis  centralis  (pyramidalis) 
mit  Nystagmus  ein  so  unvollständiges  Gesicht  dar,  dass  der  Mann  genöthigt  war,  als 
herumziehender  Musiker  sich  sein  ßrod  zu  suchen.  In  der  letzten  Zeit  war  ihm  auch 
das  Alleingehen  beschwerlich  geworden ;  ein  Grund  dieser  Verschlimmerung  konnte 
nicht  aufgefunden  werden.  Ein  Arzt,  der  diesen  Mann  von  Jugend  auf  genau  kannte, 
versicherte  mich,  diese  Trübung  im  rechten  Auge  ganz  gewiss  schon  von  jeher  bemerkt 
zu  haben.  Die  Hornhaut  erschien  vollkommen  normal,  die  Iris  frei  beweglich;  auf  der 
Kapsel  sass  ein  alabasterähnlicher  Zapfen,  an  der  Basis  etwa  2/3'"  im  Durchmesser;- 
ob  die  Spitze  bis  an  die  Cornea  reiche,  Hess  sich  nicht  bestimmen.  Ich  betäubte  den 
Kranken  durch  Chloroform,  um  das  beständige  Hin-  und  Herrollen  des  Bulbus  zu  be- 
seitigen, machte  am  äussern  Hornhautrande  einen  3"'  langen  Einschnitt,  und  zog  den 
nächst  der  Spitze  mit  einer  feinen  Pincette  gefassten  Zapfen  leicht  heraus.  Die  Wunde 
war  bald  geheilt  ;  aber  es  trübte  sich  die  Linse,  weil  die  Kapsel  trotz  aller  Vorsicht 
geborsten  war.  Nachdem  nun  die  Linse  a  ina  *%  resorbirt  worden  und  die  Pupille  voll- 
kommen schwarz  geworden  war,  entdeckten  wir,  was  unserer  Forschung  früher  ent- 
gangen war,  nämlich  eine  leichte  diffuse  Trübung  des  mittlem  Theiles  der  Cornea, 
offenbar,  weil  jetzt  der  Grund  hinter  dieser  Trübung  schwarz  war. 

8.  Eine  nicht  seltene  Folge  grösserer  und  zugleich  durchbohrender 
Hornhautgeschwüre  isl  das  sogenannte  Hornhaut* taphylom.  Die  Alten 
gebrauchten  diesen  Namen  nur  zur  Bezeichnung  jener  krankhaften  Zu- 
stände des  Auges,  namentlich  der  Cornea,  welche  eine  gewisse  Ähnlich- 
keit mit  einer  Weinbeere  darbieten.  Eist  in  späterer  Zeit  wurd'  n  auch 
andere  Zustände  so  benannt,  und  die  verschiedenartigsten  Krankheiten 
unter  einen  Namen  zusammengefasst.  Wir  können  nur  jene  Krankheits- 
formen mit  dem  Namen  Staphyloma  belegen,  welche  folgende  Merkmale 
darbieten:  a)  Hervorragung  der  Hornhaut  über  die  natürliche  Wölbung, 
so  dass  diese  Erhabenheit  mindestens  dem  Drittel  (Segmente)  einer  mehr 
weniger  grossen  Beere  gleicht;  ß)  Trübung  mit  Struclurveränderung  der 
vorragenden  Partie,  wenn  nicht  durchaus,  so  doch  im  grössteu  Theile, 
und    y)  Verwachsung  der  getrübten  Partie  mit  der  Iris. 

Beinahe  alle  spätem  Auetoren  sprechen  auch  von  einem  Staph^Ioina  pellucidum, 
und  setzen  dann  zur  Bezeichnung  der  eigentlichen  und  ursprünglich  so  genannten  Krank- 
heit das  Beiwort  opacum  zu.  Auf  diese  Weise  wurden  die  heterogensten  Zustände 
zusammengeworfen,  so  dass  am  Ende  jede  partielle  Vorragung  am  Bulbus  als  Staphy- 
loma angesprochen  werden  müsste.  So  figurirt  der  sogenannte  Hydrops  camerae,  auf 
den  wir  später  noch  zurückkommen,  als  Staphyloma  pellucidum  sphacricum  ;  so  jene 
seltene  Form,  die  man  Kerakotpnus  oder  Hyperkeratosis  nennt,  als  Staphyloma  pellu- 
cidum conicum ;  jene  Keraloektasie  endlich,  welche  wir  als  stationär  gewordene  Kera- 
tokele    kennen    gelernt    haben,    wird,  je  nach  der  rein  zufälligen  Form,  bald  als  kugel-, 


Geschwüre  —  Durchbruch  —  Staphylom.  237 

hafd    als  kegelförmiges  durchsichtiges   Staphylom  aufgeführt,    obgleich   es  manchmal  eher 
ein  opakes  zu  nennen  wäre. 

Das  nach  diesen  Merkmalen  charakterisirte,  eigentliche  Hornhaut- 
staphylom  ist  entweder  ein  totales,  wenn  die  Verbildung  die  Hornhaut 
ganz  oder  beinahe  ganz  betrifft,  oder  ein  partielles,  wenn  mindestens 
noch  ein  Drittel  der  Cornea  normal  ist;  bei  totalen  wird  sich  zeigen, 
dass  der  Befund  nicht  nur  äusserlich,  sondern  auch  im  Innern  des  Auges 
ein  verschiedener  ist,  je  nachdem  es  als  globosum  (sphaericum)  oder 
conicum  erscheint. 

Dieses  Staphylom  nun  ist  eigentlich  nichts  anderes,  als  die  theil- 
weise  oder  durchaus  mit  Narbengewebe  überzogene  und  vorwärts  'ge- 
drängte Regenbogenhaut.  Ein  etwas  grösserer  (breiterer)  Clavus  z.  B., 
zugleich  stark  nach  aussen  gewölbt,  gibt  ein  partielles  Staphylom;  die 
Veränderung,  welche  wir  beim  Clavus  finden,  über  die  ganze  Hornhaut 
verbreitet,  und  dabei  merklich  ausgedehnt,  (kegel-  oder  kugelförmig  vor- 
wärts getrieben),  gibt  das  Bild  eines  totalen  Staphyloms.  In  der  That 
kommen  am  Krankenbette  zwischen  Clavus  und  Staphylom  so  verschie- 
dene Zwischenglieder  vor,  dass  der  eine  Diagnostiker  einen  Fall  noch 
als  Clavus  bezeichnen  wird,  den  der  andere  schon  Staphyloma  nennt. 

Das  Staphylom  entsteht  niemals,  ohne  dass  Entzündung  der  Cornea 
vorausgegangen,  und  zwar  Entzündung  mit  Geschwürsbildung  in  der 
Cornea.  Sämmtliche  Angaben  der  Auetoren  über  die  Ätiologie  dieser 
Krankheit  führen  uns  auf  Entzündungen  zurück,  welche  zu  ausgedehnterer 
Verschwärung  der  Cornea  zu  führen  pflegen.  Soll  aber  ein  Geschwür 
der  Cornea  zu  Staphylombildung  führen  können,  so  müssen  deren  Faser- 
schichten nicht  nur  in  die  Tiefe,  sondern  auch  in  die  Breite  auf  mindestens 
2  Quadratlinien  Umfang  zerstört  sein.  Nach  kleineren  Zerstörungen  der 
Hornhautfasern  sah  ich  nie  ein  Staphylom  sich  entwickeln.  Der  physi- 
kalische Grund  hievon  soll  später  angegeben  werden.  Es  muss  ferner 
die  Wasserhaut  nicht  nur  eingerissen,  und  somit  der  Humor  aqueus  ab- 
geflossen sein,  sondern  es  muss  auch  die  Iris  in  einiger  Ausdehnung 
bloss  gelegt,  und  mit  dem  an  die  Stelle  der  Cornea  tretenden  Narben- 
geicebe  verwachsen  sein.  Wo  ein  beständiges  oder  zeitweises  Aussickern 
des  Humor  aqueus  gestattet  ist,  bildet  steh  niemals  ein  Staphylom.  Mit 
andern  Worten:  nur  bei  grösseren  und  die  Hülse  des  Bulbus  völlig  ab- 
schliessenden Irisvorfällen  steht  die  Bildung  eines  Staphyloma  überhaupt 
zu  besorgen,  und  wo  diese  Bedingungen  nicht  vorhanden  sind,  kann  alles 
andere,    nur  kein  Staphylom  entslehen.     Die  Gefahr   der  Staphylombildung 


238  Hornhaut. 

besteht  aber  auch  nur  unter  diesen  Verhältnissen  nur  so  lange,  als  das  die 
Iris  bereits  überkleidende  Exsudat  noch  weich  und  dehnbar  ist.  Ein  mit 
schon  völlig  organisirtem,  dichtem,  sehnenartig  glänzend  aussehendem 
Exsudate  überzogener  Irisvorfall,  ein  förmlich  ausgebildeter  Clavus  kann 
nie  in  ein  Staphylom  übergehen,  er  müsste  denn  abgetragen  oder  durch 
Ulceration  zerstört  werden.  Die  letzte  Bedingung  zur  Slaphylombilduno- 
ist  endlich  die,  dsss  ein  solcher  Vorfall  durch  momentanen  oder  anhal- 
tenden Druck  von  hinten  wirklich  ausgedehnt  werde,  was  in  der  Recrel 
durch  stärkere  Contraction  der  Augenmuskeln  eingeleitet  wird. 

Den    ersten   Anstoss   zur    Staphylombildung    gibt    unter    den    eben    angegebenen 
Verhältnissen    eine    momentane    Vorwärtsdrängung    der  flüssigen    Contenta   des     Bulbus. 
Das   noch   nicht   hinreichend   resistent    gewordene    Exsudat    über   der   Iris,    welches  den 
Bulbus   im    Verein   mit    dieser   nach    vorn  abschliesst,    gibt  in  diesem  Momente  den  An- 
dränge von   hinten  nach,    und    zieht  sich,    da  es  natürlich  der  gehörigen  Elasticität  ent- 
behrt,   nicht    wieder   auf  das  frühere   Volumen   zusammen.      Der    leere   Raum,   welcher 
nun    beim    Nachlass    der   stärkeren   Muskelcontraction   in    dem   Auge    entstehen    müsste, 
wird   allmälig    durch    Erguss    seröser   Flüssigkeit   ausgefüllt.      Dieser   Erguss  findet    ent- 
weder bloss  in    der  hintern  Augenkammer,    zwischen  der  vorgefallenen  Iris,  der  Kapsel, 
der   Zonula   und    dem  Corpus   ciliare    statt,    oder   er    erfolgt,    wenn    der    Glaskörper  bei 
jener    Ausdehnung   stark   mit   beiheiligt    wurde,   in   diesem.     Wir    werden  darauf  später 
zurückkommen,    und   wollen   nur   erst    die   Veränderungen    in    der   Iris    und  Cornea  be- 
trachten.    Jenem  Andränge  wird  nicht    nur  die   von  nachgiebigem   Exsudate   überzogene 
Iris,    sondern    auch  die  Cornea,  so  weit  ihre  Resistenz   durch  Vereiterung  der  oberfläch- 
lichen   und  Erweichung  der    allenfafls    noch    übrig    gebliebenen   tiefern    Schichten    ver- 
mindert   ist,    mehr    weniger  nachgeben,   und    wegen    mangelnder   Elasticität    auch  nicht 
mehr    zu   ihren)    früheren  Umfange   zurückweichen.     Die   ganze    Vortreibung  wird  durch 
den    nachdrückenden   serösen   Erguss    allmälig    wieder    gespannt.     Übersehen    wir  dabei 
nicht,    dass  jene  momentane  Einwirkung   auf  das  ohnehin  noch  greeizte  oder  entzündete 
Auge    wohl    kaum    ohne   Einfluss    auf  gesteigerte   Ausschwitzung   in    demselben    bleiben 
kann:     so   werden    wir   begreifen,    wie   von    nun    an    die  einmal  über    das  Niveau    der 
Umgebung    vorgetriebene     Partie    durch    letzteren    Vorgang    allein     allmälig    mehr    und 
mehr    ausgedehnt    werden    kann ,    wie    von    nun   an    die   Hervortreibung    allmälig    zu- 
nehmen  kann.      Bei    dem    anhaltenden    Reizungszustande,    in  welchem    der   Vorfall    und 
sein    Überzug    durch    diese    fortwährende    Ausdehnung    und    durch    den  Druck  von  Seile 
der  Lider,  so  wie  durch  den  Reiz  der  Luft   u.  dgl.  versetzt  wird,   ist    es  ferner  begreif- 
lieh,   dass    fortwährend  nicht    nur  seröser  Erguss  im  Innern  des  Auges    erfolgt,    sondern 
dass    auch    in    den   vorgetriebenen    Geweben    selbst    Ausschwitzungen    erfolgen.     Diese 
verlaufen  theils  mit  weiterer  Lockerung  und  Erweichung  der  betroffenen    Gewebe,    theils 
mit   Blulgc Tassentwicklung    in    der  Umgebung  und  in  der  Pseudomembran«    selbst,    theils 
endlich  mit  Verstärkung  der  letztern  durch  Ansatz  von  .Faserstoff,    welcher  sich    allmälig 
organisirt.     Auf  diese  Weise  geschieht  es,  dass  Staphylome,    welche    in    der   ersten   Zeit 
nach    ihrem    Eitstehen    durch   enorme    Ausdehnung    der   blossgelegten    Iris  und  Rarefici- 
rung    ihrer   Fasern    förmlich    durchsichtig    waren    (von  der  Seite  her,  bei  durchfallendem 
Lichte  angesehen),    nach    längerer    Zeit  völlig  undurchsichtig    werden.  —     Trägt  man  in 


Geschwüre  —  Purchlmich  —  Staphylom.  239 

diesem  Zeitpunkte  so  ein  Staphylom  ab,  so  findet  man,  dass  es  aus  einem  weichen, 
succulenten ,  wenig  elastischen ,  hie  und  da  von  erweiterten  Gefässen  durchzogenen, 
gegen  den  Rand  und  gegen  die  hintere  Fläche  hin  wohl  auch  noch  ziemlich  unver- 
änderte Hornhautfasern  zwischen  sich  einschliessenden  Faser-  oder  Narbengewebe 
besteht,  bisweilen  dünner,  bisweilen  aber  auch  2  —  3mal  so  dick,  als  die  normale 
Hornhaut.  An  der  vordem  Fläche  findet  man  eine  mächtige  Lage  mehr  weniger  ver- 
änderter Epithelialzellen.  Dieses  Epithelium  von  einer  abnormen  Matrix  geliefert, 
wird  gewohnlich  stellenweise  abgestossen ,  wodurch  kleine  Excoriationcn  entstehen, 
indess  es  an  andern  Stellen  übermässig  angehäuft  wird,  sich  in  den  Thränen  nicht 
mehr  auflöst,  und  mehr  weniger  trocken  erscheint.  An  der  hinteren  Fläche  sieht  mau 
stellenweise  noch  Reste  der  Wasserhaut  und  darüber  Hornhautfasern.  Diese  Reste  er- 
scheinen manchmal  als  Zipfel  oder  Balken,  an  der  Innenfläche  und  an  den  Seitenrän- 
dern (durch  Umschlagen  der  Descemet'chen  Haut  über  die  unzerstörten  Hornhaut- 
partien) glatt,  und  von  den  Rudimenten  der  enorm  ausgedehnten  Iris  leicht  (durch 
Abstreifen)  zu  befreien.  Wo  aber  die  Wasserhaut  fehlt,  da  erscheint  die  hintere  Fläche 
der  Pseudocornea  rauh,  uneben,  durch  Querbalken  auf  grubenähnliche  Vertiefungen 
netzähnlich,  mit  den  Irisfasern  und  Pigmentzellen  innigst  A'ereint.  Mit  diesem  Befunde 
stimmt  der  Vorgang  überein,  welchen  wir  am  Krankenbette  bei  der  Überhäutung  grös- 
serer Irisvorfälle  beobachten,  dass  nämlich,  wie  bereits  oben  bemerkt  wurde,  von  den 
Geschwürsrändern  der  Cornea  durch  Anschiessen  plastischen  Exsudates  sich  Vorsprünge 
bilden,  welche ,  wenn  zwei  gegenüberstehende  sich  endlich  erreichen,  gleichsam  Brük- 
ken  oder  Bänder  darstellen,  die  den  Vorfall  einschnüren,  in  mehrere  kleinere  Vorfälle 
abtheilen,  während  die  zwischenliegenden  Inseln  erst  später  mit  einer  dünnern  Mem- 
bran überzogen  werden.  Jene  Bänder  nun  stellen  beim  ausgebildeten  Staphylom  die 
genannten  balkenähnlichen  Vorragungen  der  hintern  Fläche  vor.  Wenn  es  geschieht, 
dass  anfangs  diese  dickern  Streifen  der  Vis  a  tergo  widerstehen,  die  dazwischen  be- 
findlichen Partien  dagegen  nachgeben,  so  bekommt  das  Ganze  eine  Ähnlichkeit  mit 
einer  Brombeere,  und  wurde,  wie  schon  bemerkt,  von  den  altern  Staphyloma  race- 
mosum  genannt.  Es  liegt  am  Tage,  dass  dieser  Zustand  leicht  in  ein  Staphyloma  ve- 
rum übergehen  kann.  —  Die  Pseudomembran,  welche  die  Stelle  der  Cornea  ganz  oder 
theilweise  vertritt,  schrumpft  wie  alle  derlei  Neugebilde  mit  der  Zeit  etwas  zusammen ; 
sie  wird  dichter  und  derber,  und  setzt  dann  dem  Andränge  der  Contenta  des  Bulbus 
einen  festen  Widerstand  entgegen.  In  ihr,  wie  in  allen  solchen  Neugebilden,  sieht 
man  hie  und  da  bisweilen  fettige  und  kalkige  Ablagerungen.  Die  Abschieferung  des 
krankhaften  Epitheliunis ,  vielleicht  auch  die  übermässige  Spannung,  und  hie  und  da 
wohl  auch  die  mangelhafte  Ernährung  bewirken  bisweilen  kleine  Verschwärungen;  in 
Folge  derselben  wird  an  dieser  Stelle  das  Gewebe  so  dünn,  dass  es  durchscheinend, 
ja  beinahe  durchsichtig  wird,  und  der  Kranke  vermag  dann,  wenn  sonst  keine  Hinder- 
nisse da  sind,  selbst  Gegenstände  grösseren  Umfanges  zu  unterscheiden.  In  andern 
Fällen  erfolgt  Durchbruch,  Ausfluss  wässeriger  Flüssigkeit  und  Znsammensinken  der 
Geschwulst  bis  zu  einem  gewissen  Grade.  Diese  Öffnung  schliesst  sich  dann  wieder, 
bricht  abermals  auf,  und  so  wiederholt  sich  der  Process  durch  Monate,  Jahre,  bis 
bleibende  Schliessung  oder  Panophthalmilis  (wovon  später)  eintritt.  Ah  den  meisten 
alten  Staphylomen  lässt  sich  eine  oder  die  andere  dünne,  durchscheinende,  bläulich- 
schwarze Stelle  auffinden.  —  Wir  haben  bei  der  Schilderung  der  Entwickelung  des 
Staphyloms   von    serösem   Ergüsse  im    Innern    des    Auges    gesprochen,     Derselbe    erfolgt 


240  Hornhaut. 

entweder  unmittelbar  hinter  der  Iris,  oder  in  die  Zellen  des  Glaskörpers,  oder  an  bei- 
den Orten  zugleich.  Denken  wir  uns  a)  den  Fall,  dass  eine  mehrere  Quadratlinien 
grosse  Partie  der  Hornhaut  bis  auf  die  tiefsten  Schichten  oder  auch  gänzlich  zerstört, 
und  dass  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus  die  Öffnung  bloss  durch  die  Iris  und  Exsudat 
verlegt  sei.  In  einem  solchen  Falle  besteht  die  hintere  Augenkainmer,  und  vielleicht 
theilweise  auch  die  vordere.  Der  Umstand,  ob  beide  noch  communiciren  (durch  die 
mehr  weniger  beschränkte  Pupille)  oder  nicht,  hat  auf  die  weitern  Folgen  keinen  Ein- 
fluss,  wohl  aber  der,  ob  unter  diesen  Verhältnissen  die  Linse  momentan  stärker  vor- 
getrieben oder  selbst  die  Zonula  zerreissen  wird,  ä)  Wird  die  Linse  einfach  vorgetrie- 
ben, ohne  dass  ihr  Aufhängeband  (die  Zonula)  oder  die  Hülse  (die  Kapsel)  berstetl 
so  drängt  sie  einfach  den  Humor  aqueus  und  durch  diesen  den  nachgiebigen  Theil  der 
vorderen  Wand  des  Bulbus  auswärts,  und  weicht  beim  Nachlass  der  stärkern  Muskel- 
wirkung wieder  in  ihre  Lage  zurück.  Geschieht  diess  plötzlich,  so  fällt  der  ausge- 
dehnte Prolapsus  etwas  zusammen,  und  wird  erst  in  dem  Maasse  wieder  gespannt,  als 
die  den  Humor  aqueus  separirenden  Gebilde  serösen  Erguss  liefern;  erfolgt  das  Zu- 
rücktreten der  Kapsel  und  Zonula  in  ihre  normale  Lage  allmälig,  so  wird  der  Prola- 
psus durch  den  Humor  aqueus  in  gleicher  Spannung  erhalten.  ß~)  Riss  wegen  stärkeren 
Andranges  des  Corpus  vitreum  die  Zonula  ein ,  so  tritt  Glaskörper  in  die  hintere 
Kammer,  und  es  kann  nun,  je  nachdem  mehr  seröses  oder  mehr  faserstoffiges  Exsudat 
geliefert  wird,  zu  zellig-fibröser  Verwachsung  der  Glashaut  mit  dem  Prolapsus  kommen, 
oder  zu  einfach  serösem  Ergüsse,  bald  in  die  hintere  Augenkammer,  bald  in  das  Cor- 
pus vitreum.  y)  Riss  endlich  die  Kapsel  ein,  so  wird  die  Linse  allmälig  resorbirt,  oder 
sie  schrumpft  sammt  der  Kapsel  zu  einem  Klumpen  zusammen,  welcher  entweder  mit 
der  Zonula  und  Hyaloidea  noch  verbunden  bleibt,  oder  von  beiden  mehr  weniger  iso- 
lirt  wird.  Diess  ist  nun  der  Befund  partieller  oder  totaler  Staphylome,  bei  welchen  die 
Vergrösserung  des  Bulbus  allein  oder  vorzugsweise  durch  serösen  Erguss  zwischen 
Prolapsus  und  Corpus  vitreum  gebildet  ist.  —  b)  Wenn  dagegen  die  Hornhautöffnung 
so  gelagert  oder  so  gross  ist.  dass  zu  ihrer  Verlegung  nothieendig  auch  die  vordere 
Kapsel  beitragen  muss,  dann  wird  der  Umstand,  ob  bloss  das  Centruin  oder  die  ganze 
Kapsel  mit  der  Iris  und  Pseudocornea  verwächst,  zunächst  von  Einfluss  auf  die  weitern 
Metamorphosen  sein.  Dann  wird  relativ  wenig  oder  gar  kein  seröser  Erguss  zwischen 
Iris,  Kapsel  und  Zonula  entstehen  können,  und  wir  finden  die  Vergrösserung  des  Bulbusl 
ausschliesslich  oder  vorwaltend  durch  Vermehrung  und  Verflüssigung  des  Glaskörpers 
bedingt,  offenbar  desshalb,  weil,  wenn  durch  momentan  stärkere  Wirkung  der  Augen- 
muskeln die  mit  der  Pseudocornea  verwachsene  Linse  mit  vorwärts  gedrängt  wurde, 
die  Zellen  des  Glaskörpers  einreissen  und  hiemit  der  Anstoss  zur  Erkrankung  des  Glas- 
körpers gegeben  wurde.  —  Wir  haben  oben  der  Thatsache  erwähnt,  dass  nur  grössere 
Irisvorfälle  die  Gefahr  der  Staphylombildung  einschliessen ,  kleinere  niemals.  Nach 
meiner  Ansicht  liegt  die  Ursache  in  einem  physikalischen  Gesetze.  Wenn  bei  stärkerem 
Andränge  der  Contenta  des  Bulbus  (durch  Muskeleinwirkung)  der  Druck  auf  eine  klei- 
nere Partie  gerichtet  ist,  so  widersteht  sie  demselben  nicht  und  reisst  ein ;  es  kommt 
zur  Berstiing.  nicht  aber  zur  Ausdehnung  jener  Partie,  welche  nicht  den  entsprechen- 
den Widerstand  zu  leisten  vermag.  Wenn  der  Druck  hingegen  auf  eine  grössere  nach- 
giebige Partie  gerichtet  ist,  so  kommt  es  nur  zur  Ausdehnung,  und  erst  bei  ungleich 
höherer    Kraft    des   Druckes   zur    Berstung,      Eben   so    wird,    wenn   das   den    Irisvorfall 


Geschwüre —  Durchbruch — Staphylom.  241 

überkleidende  Exsudat    bereits    fest  geworden,   in  stationäres  Fasergewebe  unigewandelt 
ist,  dasselbe  eber  bersten,  als  sich   ausdehnen. 

Hat  der  ausgedehnte  Irisvorfall  sammt  seiner  Bedeckung  einen  ge- 
wissen Grad  von  Festigkeit  erlangt,  so  dass  er  nicht  weiter  ausgedehnt 
werden  kann,  und  erfolgt  ob  der  Fortdauer  des  Congestions-  und  Reizungs- 
zuslandes der  Ciliargefasse  vermehrte  Ausscheidung  von  Humor  aqueus: 
so  wird  auch  der  vorderste  Theil  der  Sclera,  da,  wo  ihn  die  Ciliar- 
gefasse zahlreich  durchsetzen,  in  Mitleidenschaft  gezogen.  Nachdem  die 
Cornea  lange  von  einem  violetten  Saume  in  dieser  Gegend  umgeben 
war,  bei  strotzender  Überfüllung  der  Ciliargefasse,  erweicht  dieser  Theil 
der  Sclera,  gibt  dem  Drange  des  Humor  aqueus  nach,  und  wird  in  Form 
bläulicher  Wülste,  ähnlich  den  Hügeln  varicöser  Hautvenen,  hervorge- 
trieben. Man  hat  solche  Staphylome  varicöse  genannt,  weil  man  diese 
Ausdehnung  für  Varices  des  Corpus  ciliare  hielt.  Diese  Wülste  liegen 
aber,  wie  mich  Sectionen  gelehrt  haben,  immer  noch  diessseits,  i.  e.  vor 
dem  Corpus  ciliare,  und  müssen  wohl  unterschieden  werden  von  jenen, 
welche  bei  Erkrankung  des  Glaskörpers  oder  der  Chorioidea  beobachtet 
werden.  Ihre  Lage  lässt  sich  am  besten  nach  den  Eintrittsstellen  der 
vordem  Ciliararterien  in  die  Sclera  beurtheilen.  Bläuliche  Wülste,  welche 
diesseits  jener  Eintrittsstellen  sich  befinden,  deuten  jederzeit  nur  auf 
vermehrte  Ansammlung  des  Humor  aqueus,  auf  einen  wahren  Hydrops  ca- 
merae  posterioris.  Wir  sehen  ihn  bisweilen  auch  in  Folge  chronischer 
Iritis,  worauf  wir  später  zu  sprechen  kommen  werden.  Die  Basis  der 
Cornea  oder  Pseudocornea  ist  dann,  wenn  die  Sclera  ringsum  jenem 
Drucke  nachgegeben  hat,  vom  hintern  Pole  des  Augapfels  weiter  ent- 
fernt, als  bei  einem  einfachen  Staphylome.  —  War  die  Muskelcontraction, 
welche  den  ersten  Anstoss  zur  Vorwärtswölbung  gab,  heftiger,  so  kommt 
es  nicht  immer  zur  einfachen  Ausdehnung  des  Vorfalles  und  zum  Serum- 
erguss  hinter  demselben,  sondern  es  kann  auch  geschehen,  dass  die  Lin- 
senkapsel berstet,  oder  dass  die  Zonula  Zinnii  und  die  Zellen  des  Glas- 
körpers einreissen.  Daher  finden  wir  bei  Totalstaphylomen  nicht  selten  die 
Linse  fehlen  ;  sie  wird,  nachdem  die  vordere  Kapsel  geborsten,  resorbirt, 
und  der  Raum  durch  seröse  Flüssigkeit  gefüllt;  in  seltenen  Fällen 
schrumpft  die  blossgelegte  Linse  zu  einem  unförmlichen,  mitunter  auch 
Kalkconcremente,  selbst  Knochenbildung  enthaltenden  Klumpen  sammt  der 
Kapsel  zusammen,  oder  man  findet  sie,  in  der  Kapsel  eingeschlossen  und 
von  der  Zonula  sowohl  als  von  der  Hyaloidea  isolirt,  frei  in  der  Höhle 
des  Staphylomes  schwimmend.  Doch  kann  die  Linse  auch  schon  vor  dem 
Abschluss    des   Auges    durch    die    Iris    und   die   sie    bedeckende  Pseudo- 

Arlt,    i.  \  Q 


242  Hornhaut. 

membran  abgegangen  sein,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  ein  Zufall,  der 
vor  der  Slaphylombildung  keineswegs  sichert.  —  Die  Einreissung  der 
Zonula  und  der  Glashaut  pflegt  einen  hydropischen  Zustand  des  Glas- 
körpers, Verflüssigung  und  Vermehrung  der  Glasfeuchtigkeit,  zur  Folge 
zu  haben.  In  Folge  dessen  wird  der  Augapfel  in  seinem  hintern  Um- 
fange vergrössert,  die  Sclera  wird  durchaus  oder  stellenweise  verdünnt 
und  ausgedehnt,  die  Netzhaut  gelähmt;  es  entstehen  die  sogenannten 
Varices  chorioideae  oder  Staphyloma  cum  varicositate  bulbi,  wie  sich  die 
Altern  auszudrücken  pflegen.  —  Die  Berstung  der  Kapsel  oder  der  Zo- 
nula kann  übrigens  bei  Totalstaphylomen  noch  durch  einen  Umstand  be- 
günstigt werden,  den  wir  besonders  hervorheben  müssen.  Wenn  bei  aus- 
gedehnter Yerschwärung  der  mittlere  Theil  der  Cornea  zerstört  wurde, 
so  wird  die  Öffnung  nicht  durch  die  Iris  allein,  sondern  auch  durch  die 
vordere  Kapsel  verlegt,  oder,  wenn  Iritis  entstand,  durch  einen  Exsudat- 
pfropf in  der  Pupille.  Die  Folge  hievon  ist  Verwachsung  der  Kapsel 
mit  der  Iris  und  Pseudocornea.  Tritt  nun  eine  stärkere  Muskelcontraction 
ein,  bevor  die  Pseudocornea  noch  das  hinreichende  Widerstandsvermögen 
erlangt  hat,  so  muss  entweder  die  Kapsel  bersten  oder  die  Zonula,  und 
hiemit  sind  dann  die  Bedingungen  zu  den  genannten  krankhaften  Ver- 
änderungen solcher  Augen  gegeben. 

Wir  haben  Eingangs  erwähnt,  dass  wir  ein  allgemeines  und  ein 
theilweises  Hornhautstaphylom  unterscheiden.  Beim  partiellen  ist  noch 
mindestens  V3  der  Cornea  vollkommen  gesund,  und  dem  entsprechend 
auch  vordere  Augenkammer  vorhanden.  Nimmt  das  partielle  Staphylom 
weniger  als  %  der  Hornhaut  ein,  so  ist  in  der  Regel  auch  noch  Pupille 
vorhanden,  nur  ein  Theil  des  Pupillarrandes  der  Iris  mit  der  Pseudo- 
cornea verwachsen.  Doch  pflegt  beim  partiellen  Staphylom  auch  der 
gesunde  Theil  der  Cornea  nicht  die  normale  Wölbung  zu  besitzen,  son- 
dern dachförmig  zu  der  vorgetriebenen  Pseudocornea  aufzusteigen.  Der 
Sitz  des  partiellen  Staphyloms  ist  gewöhnlich  in  der  untern  Hälfte  der 
Hornhaut,  selten  in  der  obern;  der  Grund  liegt  darin,  dass  Hornhaut- 
geschwüre an  und  für  sich  in  der  obern  Partie  nicht  so  häufig  vorkom- 
men, und  dass  die  im  horizontalen  Durchmesser  sitzenden  sich  gern 
durch  Eitersenkung  nach  untenzu  vergrössern;  vielleicht  auch,  dass  das 
obere  Augenlid  der  Vis  a  tergo  einigen   Widerstand  entgegensetzt. 

Treten  die  Bedingungen  zur  Staphylombildung  bei  centralen  Horn- 
hautgeschwüren auf,  so  entwickelt  sich  gern  Totalstaphylom,  und  zwar, 
wenn  ringsum  noch  ein  breiter  Saum  Hornhaut  unversehrt  ist,  ein  kegel- 
förmiges.   Es  verwächst  dann  die  Pseudocornea  gewöhnlich  nicht  nur  mit 


Geschwüre  —  Durchbrach  —  Staphylom.  243 

dem  ganzen  Pupillarrande,  sondern  auch  mit  dem  Centrum  der  vordem 
Kapsel,  und  die  Muskelcontraction,  welche  eben  den  ersten  Anstoss  zur 
Vorwärtsfcreibung  der  Pseudocomea  gibt,  bewirkt  Zerreissung  der  Zellen 
des  Glaskörpers  und  der  Zonula  durch  Vorwärtszerrung  der  Kapsel  und 
Linse,  wenn  nicht  etwa  die  Kapsel  selbst  berstet.  Das  Staphylom  muss  aber 
in  solchen  Fällen,  wo  noch  ringsum  ein  Saum  von  unversehrter  Cornea 
besteht,  und  nur  der  centrale  Theil  derselben  bis  auf  die  Wasserhaut  zer- 
stört ist,  eine  kegelförmige  Gestalt  annehmen,  weil  die  Vis  a  tergo  nur 
in  der  mittlem  Partie  nicht  den  gehörigen  Widerstand  findet.  Ringsum, 
nächst  der  Basis  corneae,  erscheint  dann  die  Iris  einfach  an  die  Cornea 
angelagert.  Dass  aber  der  Vorgang  wirklich  so  ist,  wie  wir  eben  an- 
gegeben haben,  beweist  der  übereinstimmend  gleiche  Befund  bei  allen 
kegelförmigen  Totalstaphylomen.  Bei  allen  diesen  findet  man  die  Kapsel 
mit  der  Pseudocomea  verwachsen,  und,  wo  sie  nicht  geborsten  ist,  auch 
die  Linse  mit  vorwärts  gezogen;  bei  allen  findet  man  den  Glaskörper 
verflüssigt  und  vermehrt.  Daher  ist  es  auch  das  kegelförmige  Total- 
staphylom  insbesondere,  welches  zu  Ektasien  der  Sclera  im  hintern  Um- 
fange des  Bulbus  führt. 

Das  partielle  Staphylom  an  und  für  sich  stört  das  Sehvermögen 
nur  in  so  fern,  als  es  die  Pupille  verzieht  oder  aufhebt,  oder  als  es 
den  unversehrten  Homhauttheil  in  eine  schiefe  Fläche  verwandelt.  Den 
Inhalt  der  kuppelähnlichen  Vortreibung  bildet  seröse  Flüssigkeit,  Humor 
aqueus;  in  manchen  Fällen  mag  wohl  auch  durch  die  an  einer  Stelle 
eingerissene  Zonula  etwas  Glaskörper  in  diesem  Raum  eingedrungen  sein : 
in  solchen  Fällen  dürfte  auch  das  Linsensystem  eine  mehr  weniger 
schiefe  Lage  einnehmen.  Beim  totalen  pflegt  die  Lichtempfindung  nur 
dann  aufgehoben  zu  sein,  wenn  der  Glaskörper  bedeutend  verflüssigt 
und  vermehrt,  und  die  Sclera  ektatisch  ist. 

Diese  Ansichten  über  das  Hornhautstaphylom ,  im  Wesentlichen  bereits  in  dem 
oben  citirten  Aufsatze  enthalten,  sind  seitdem  der  Hauptsache  nach  angenommen  wor- 
den, wie  die  Aufsätze  von  Sichel,  Frerichs.  Hasner.  Hawranek  u.  A.  zeigen.  Die  Lehre 
vom  Staphylom  ist  somit  heutzutage  wesentlich  verschieden  von  der,  w.elche  Beer  und 
nach  ihm  Viele  aufgestellt  hatten.  Hifr  von  einem  Punkte  der  Ueer'schen  Theorie 
konnten  sich  mehrere,  namentlich  Chelius  jun.  und  Hasner  nicht  trennen,  nämlich  da-  l 
von .  dass  Abschluss  der  vordem  Augenkammer  von  der  hintern  (Pupillensperre)  zur 
Staphylombildung  nothwendie  sei.  Dr.  Hasner.  eine  Vis  a  tergo  nicht  zugebend,  er- 
klärt „die  Vortreibung  der  Iris  einfach  durch  die  hebende  Wirkung  der  im  Auge  ange- 
sammelten Flüssigkeit."  —  ^Die  Regenbogenhaut,  im  normalen  Zustande  eine  per- 
forirte  Membran  kann  leicht  durch  pathologische  Zustände  zur  imperforirten  werden, 
wo  sodann  die  hintere  Augenkammer  einen  vollkommen  geschlossenen  Sack  darstellt. 
Es  ist    leicht    erklärlich,    welchen  wesentlichen    Einfluss    auf  das    Entstehen    von  Form- 

16* 


244  Hornhaut. 

fehlem  des  Auges  ein  solcher  Abschluss  der  mit  Flüssigkeit  gefüllten  Aucrenkammer 
haben  muss,  besonders  in  solchen  Fällen,  wo  die  vordere  Kammer  durch  Zerstörung 
der  Hornhaut  vernichtet  wurde.  Die  dehnbare  Iris  muss  sodann  durch  die  Flüssigkeit, 
welche  sie  einschliesst  und  deren  Secretion  fortwährt,  immer  mehr  hervorgedrängt, 
und  auf  diese  Art  die  Höhle  des  Auges  bedeutend  vergrössert  werden."  —  „Die  den 
Vorfall  von  einigem  Umfange  überkleidende  Pseudomembran  vermag  nur  dann  dem 
Drucke  des  Humor  aqueus  zu  widerstehen ,  wenn  die  Iris  mit  ihrer  hintern  Wand 
gleichzeitig  an  die  Kapsel  geheftet  ist;  ist  eine  solche  Verwachsung  nicht  vollständig 
eingetreten,  dann  wird  häufig  nach  einiger  Zeit  die  Secretion  des  Humor  aqueus  wieder 
bedeutender,  und  es  tritt  eine  neue  Vorbauchung  auf.  Auch  die  Entfernung  der  Linse 
schützt  nicht  immer;  nur  dann,  wenn  die  Verwachsung  der  Iris  mit  der  vordem  Kapsel 
fest  geworden  ist,  sind  wir  vor  Recidiven  sicher."  —  Nach  diesen  Angaben  muss  ich 
annehmen,  dass  Hasner  wenig  oder  gar  kein  staphylomatöses  Auge  anatomisch  unter- 
sucht habe.  Ich  will,  um  nicht  meine  Untersuchungen  als  maassgebend  aufzustellen, 
nur  auf  Frerichs  *)  Angaben  verweisen,  welche  sich  auf  17  Objecte  beziehen,  und 
denen  wohl  Niemand  Wahrhaftigkeit  absprechen  wird.  „Unter  17  Fällen  von  Staphy- 
loma  war  lOmal  die  Linsenkapsel  sammt  der  verdunkelten  Linse  durch  Exsudat  fest  an 
die  Iris  angeklebt,  die  hintere  Augenkammer  also  verschwunden,  in  1  Falle  fehlte  die 
Linse  ganz,  in  den  6  übrigen  Eällen  war  sie  in.  ihrer  Stellung  geblieben,  und  hier  er- 
schien die  hintere  Augenkammer  geräumiger,  als  gewöhnlich."  —  „Der  Glaskörper  war 
in  mehreren  Fällen  über  das  Corpus  ciliare  vorgefallen,  und  durch  bandartige  Adhäsionen 
fest  mit  der  hintern  Fläche  des  Staphyloms  verwachsen."  Mit  Frerichs  Angaben  stimmen 
auch  die  von  Rosas  u.  A.  überein,  wenigstens  in  Bezug  auf  das  kegelförmige  Staphylom, 
von  welchem  ausdrücklich  gesagt  wird,  „dass  nicht  allein  die  verbildete  Cornea  mit 
der  Iris  ganz  oder  theilweise  verwachsen,  sondern  auch  die  Iris  mit  dem  Krystallkörper 
und  dieser  mit  den  Nebengebilden  fest  verbunden,  somit  die  Secretion  der  wässrigen 
Feuchtigkeit  unterdrückt,  die  hintere  Augenkammer  völlig  aufgehoben,  und  der  Glas- 
körper entmischt  und  angehäuft  sei."  Von  Ammons  **)  acht  genaue  Krankengeschichten 
dienen  gleichfalls  zur  Bestätigung  des  Gesagten.  —  Zum  Schlüsse  sei  nur  noch  an  die 
bekannte  Thatsache  erinnert,  dass  auch  bei  noch  offener  Pupille  sich  ziemlich  grosse 
Staphylome  entwickeln,  und  dass  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille,  wo  solche 
noch  anwendbar,  weder  das  Entwickeln  noch  das  Weiterschreiten  der  staphylomatösen 
Verbindung  zu  hindern  im  Stande  ist. 

9.  Als  Folgen  durchbohrender  Hornhautgeschwüre  sind  endlich  jene 
Zustände  zu  bezeichnen,  welche  im  Allgemeinen  unter  den  Namen: 
Phthisis  corneae,  applanatio  corneae,  und  phthisis  bulbi  bekannt  sind.  Mit 
dem  Namen  Phthisis  corneae  belegt  man  jenen  Zustand  der  Hornhaut,  wo 
dieselbe  in  Folge  von  Eiterung  ganz  oder  grösstentheils  zerstört  und 
mehr  weniger  durch  stationäres  Narbengewebe  ersetzt,  letzteres  jedoch 
nicht  beträchtlich  vorwärts  gewölbt,  sondern  eher  platt  oder  selbst  vertieft 
erscheint.  Abplattung  der  Cornea  nennt  man  gewöhnlich  jenen  Zustand, 
wo  die  Cornea  nur  theilweise  durch  Eiterung  zerstört,  sonst  aber  normal, 

*)  Hannov.  Annat.   1847,  H.  4. 
**)  Zeilschr.  für  Ophlhalm.  1.  B.  S.  80  —  102. 


Geschwüre  —  Phthisis  corneae  —  Phthisis  bulbi.  245 

nur  platt  oder  selbst  runzlich  eingezogen  erscheint.  Hiebei  können  selbst 
noch  2/3  der  Hornhaut  durchsichtig  und  durch  eine  geringe  Menge  Humor 
aqueus  von  der  Iris  geschieden  sein;  aber  es  fehlt  die  Wölbung  der 
Hornhaut,  und  die  Pupille  ist  durch  Verwachsung  des  Pupillarrandes  mit 
der  Hornhautnarbe  aufgehoben.  Die  Iris  hat  in  solchen  Fällen  immer 
ihre  normale  Structur  und  Farbe  mehr  weniger  eingebüsst.  Man  kann 
leicht  verleitet  werden,  in  solchen  Fällen  auf  Anlegung  einer  künstlichen 
Pupille  anzutragen,  weil  dieser  Befund  an  und  für  sich  die  sonstigen  Be- 
dingungen zur  Pupillenbildung  nicht  ausschliesst.  Es  nützt  jedoch  die 
Operation  nichts,  weil  (wie  ich  mich  in  einigen  Fällen  überzeugt  habe) 
der  Kranke  auch  durch  die  schönste  Pupille  nicht  mehr  sehen  kann,  als 
vordem.  Der  Grund  davon  liegt  wahrscheinlich  nicht  so  sehr  in  dem 
Verluste  der  Wölbung  der  Cornea,  als  vielmehr  darin,  dass  ein  solcher 
Zustand  eigentlich  dadurch  zu  Stande  kommt,  dass  dem  Humor  aqueus 
vor  der  völligen  Vernarbung  durch  längere  Zeit  das  Aussickern  gestattet 
war,  und  hiedurch  die  Ernährung  des  Auges  zu  stark  beeinträchtigt 
wurde.  Es  muss  übrigens  bemerkt  werden,  dass  Bulbi,  welche  äusserlich 
nur  die  Merkmale  von  Phthisis  oder  Applanatio  corneae  (ohne  Verklei- 
nerung des  hintern  Umfangs  des  Bulbus)  darbieten,  bei  der  Eröffnung 
bisweilen  dieselben  Erscheinungen  zeigen,  wie  phthisische  Bulbi.  —  Die 
Phihisis  bulbi,  schon  äusserlich  durch  mehr  weniger  beträchtliche 
Schrumpfung  des  ganzen  Augapfels  und  in  der  Begel  auch  durch  Ein- 
kerbung in  der  Gegend  der  Muse,  recti  (viereckige  Gestalt)  leicht  erkenn- 
bar, bietet  bei  der  Section  im  Allgemeinen  die  Folgen  von  Chorioiditis 
und  Schwund  des  Glaskörpers,  oft  auch  Verlust  der  Linse  dar,  und  wird 
demnach  bei  den  Krankheiten  der  Chorioidea  erst  ausführlich  besprochen 
werden.  Hier  kann  zunächst  nur  angedeutet  werden,  auf  welche  Weise 
diese  Folgen  durch  Hornhautgeschwüre  eingeleitet  werden.  —  Ich  glaube 
diess  am  füglichsten  durch  einige  Krankengeschichten  erörtern  zu  können. 

Eine  Frau,  28  Jahre  alt,  welche  in  Folge  von  Hornhautgeschwüren  auf  der 
rechten  Hornhaut  mehrere  übernarbte  Irisvorfälle  hatte,  wovon  der  grösste,  etwas  un- 
terhalb und  vor  der  beinahe  aufgehobenen  Pupille,  ein  wenig  (etwa  1/4  Linie)  über 
das  Niveau  der  Umgebung  vorragte,  fühlte  beim  Zerbrechen  eines  Holzastes  (über's 
Knie)  in  ihrem  Auge  eine  Veränderung;  es  thränte,  wurde  roth,  schmerzte  mehr  und 
mehr,  und  wurde,  da  sie  ihre  häuslichen  Geschäfte  fort  verrichtete,  binnen  wenig 
Tagen  in  einen  Zustand  versetzt,  den  ich,  als  ich  gerufen  wurde,  als  beginnende  Pan- 
ophthalmitis  erkannte.  Jener  Vorfall  war  geborsten,  die  Iris  in  die  Öffnung  einge- 
klemmt, die  Conjunctiva  bulbi  ringsum  in  einen  Wall  erhoben,  der  Bulbus  aus  der 
Orbita  vorgedrängt.  Der  Ausgang  in  Phthisis  bulbi  war  nicht  mehr  zu  verhüten.  — 
Ich  trug  ein  nach  acuter  Blennorrhoe  entstandenes  zuckererbsengrosses ,  nach  unten 
und    innen    von    der   etwas   verzogenen    Pupille   sitzendes    Staphylom   wegen  Entstellung 


246  Hornhaut. 

und  wegen  Reibung  am  untern  Lide  hei  einem  19jährigen  Mädchen  ah;  nach  Abnahme 
des  Verbandes  (am  5.  Tage)  hatten  sich  die  Wundränder  nach  Wunsche  genähert,  und 
das  Übrige  war  durch  eine  durchscheinende  Membran  verschlossen,  welche  die  nächsten 
Tage  dicker  und  fester  zu  werden  schien,  aber,  nachdem  wir  der  Kranken  am  8. 
Tage  erlaubt  hatten,  ein  wenig  aufzusitzen,  sich  vorwärts  wölbte,  wesshalb  wir  die 
Kranke  abermals  5  Tage  ruhig  liegen  Hessen,  und  eine  Lösung  von  Lapis  divinus  ein- 
träufelten. Die  Narbe  schien  nun  hinlänglich  fest  zu  sein ,  um  die  Kranke  nicht  nur 
sitzen,  sondern  auch  herumgehen  zu  lassen.  Aber  schon  nach  einigen  Tagen ,  als  die 
Kranke  trotz  unserer  Warnung,  nichts  Schweres  zu  heben,  sich  selbst  aufbettete  und 
die  Matratze  hob,  trat  Berstung  und  Ausfluss  eines  guten  Theiles  vom  Glaskörper  ein. 
Das  so  glücklich  wieder  hergestellte  Sehvermögen  (die  gegen  das  Staphylom  schief 
aufsteigende  Hornhaut  vor  der  Pupille  hatte  wieder  die  gehörige  Lage  erhalten)  wurde 
leider  bei  der  darauf  folgenden  Vernarbung  sehr  beschränkt,  sei  es  nun  durch  Verlust 
des  Glaskörpers,  oder,  was  mir  wahrscheinlicher,  durch  Verrückung  der  Linse.  — 
Anfang  Juni  1840  wurde  ich  zu  einem  13jährigen  Knaben  gerufen,  welcher  seit  4 
Wochen  an  einer  Augenentzündung  litt.  Ende  Mai  hatten  mehrere  Kinder  der  zahl- 
reichen Familie  an  Augenentzündung  gelitten,  welche  der  Beschreibung  nach  ein  etwas 
heftiger  Katarrh  gewesen  zu  sein  scheint.  Anfang  Juni  war  auch  dieser  Knabe  so 
erkrankt;  bei  ihm  soll  jedoch  das  Übel  heftiger  geworden  sein,  nachdem  er  an  einem 
heissen  Tage  1  Stunde  Weges  sehr  schnell  gegangen,  und  noch  vom  Schweisse  trie- 
fend, den  Rückweg  in  einem  offenen  Wagen  gemacht  hatte.  Der  Umstand,  dass  bei  den 
übrigen  Kindern  das  Übel  unter  der  Behandlung  eines  Wundarztes  mit  Augenwässern 
und  kalten  Umschlägen  zurückgegangen  war,  hatte  die  Altern  zu  der  Meinung  gebracht, 
es  werde  auch  hier  nichts  zu  bedeuten  haben,  obwohl  der  Knabe  bereits  4  Wochen 
krank,  die  Lider  stark  geschwollen,  und  der  Ausfluss  eiterähnlich  war,  bis  ein  be- 
kannter Arzt  zufällig  in's  Haus  kam,  und  sie  auf  die  Grösse  der  Gefahr  aufmerksam 
machte.  —  Ich  fand  die  Lider  bereits  massig  geschwollen,  bläulich -roth,  runzlich 
die  Lidbiudehaut  hochroth ,  stark  geschwollen ,  die  Scleralbindehaut  nur  einen  flachen 
Wall  bildend,  das  Secret  eiterähnlich  und  ziemlich  reichlich;  die  rechte  Hornhaut  war 
unterhalb  des  Centrums  durchbrochen,  das  Geschwür  etwa  hanfkorngross  mit  gelblich- 
grau  infiltrirten  Rändern,  die  Iris  an  die  Cornea  angelagert,  die  Pupille  von  oben  her 
sichtbar,  hirsekorngross  ;  links  war  nur  die  untere  Hälfte  der  Cornea  erhalten,  die 
obere  Hälfte  zerstört,  die  Iris  blossgelegt,  die  Pupille  durch  Verziehung  der  Iris  ge- 
schlossen. Der  Knabe  war  übrigens  gesund,  eine  Vergrösserung  der  Geschwüre  war 
nicht  leicht  zu  besorgen ,  auf  gehörige  Pflege  war  zu  rechnen ;  ich  stellte  also  die 
Prognosis  bezüglich  des  rechten  Auges  günstig,  bezüglich  des  linken  zweifelhaft, 
ordinirte  ruhige  Lage,  fleissige  Reinigung  der  Augen  mit  lauem  Wasser,  Einträuflungen 
einer  Lösung  von  Nitras  argenti,  Einreibungen  von  weissem  Präcipitat  mit  Extr.  bella- 
donnae  an  die  Stirn  und  Schläfe,  und  eine  leichte,  nahrhafte  Kost.  Bald  reinigten  sich 
die  Geschwüre,  und  der  Humor  aqueus  sammelte  sich  wieder  an;  rechts  heilte  nur 
eine  ganz  kleine  Partie  der  Iris  in  die  Narbe  ein,  links  wurde  der  Vorfall  von  Exsudat 
und  allmälig  von  einer  dünnen  Membran  überzogen.  Ende  August  war  das  rechte 
Auge  so  gut  als  möglich  geheilt,  nämlich  mit  einer  etwa  1'"  im  Durchmesser  haltenden 
Narbe,  welche  nur  mit  ihrem  obern  Rande  einen  kleinen  Theil  der  Pupille  deckte  ,  und 
mit  einer  die  Rundung  und  Beweglichkeit  der  Pupille  kaum  störenden  vordem  Syne- 
chie; an   dem   linken    Auge  war   die   untere    Hälfte   der    Hornhaut   vollkommen    gewölbt 


Geschwüre  —  Phthisis   bulbi.  247 

und  durchsichtig,  die  obere  Hälfte  durch  eine  bläulich-weisse  Membran  ersetzt,  welche 
die  Iris  deckte  und  fast  im  Niveau  der  normalen  Wölbung  zurückhielt,  die  Pupille  war 
jedoch  aufgehoben ,  indem  der  Pupillarrand  durchaus  in  jene  Narbe  hineingezogen,  und 
die  untere  Hälfte  der  Iris  sehr  ausgedehnt  erschien.  Da  der  Knabe  nun  beinahe  12 
Wochen  das  Zimmer  und  grösstentheils  auch  das  Bett  gehütet  hatte,  liess  ich  ihn  an- 
fangs im  Zimmer  und  nach  8  Tagen  auch  im  Garten  herumgehen.  Ende  September 
wurde  ich  plötzlich  gerufen.  Der  muntere  Knabe ,  den  man  schon  für  genesen  hielt, 
war,  trotzdem  ich  ihm  wiederholt  Vorsicht  rücksichtlich  stärkerer  Muskelanstrengung 
dringend  empfohlen  hatte,  auf  einen  Baum  geklettert,  und  hatte  darauf  Schmerzen  im 
linken  Auge  bekommen.  Man  hatte  ihn  in's  Bett  gelegt,  und  kalte  Umschläge  gegeben. 
Ich  fand  den  3.  Tag  den  Vorfall  so  stark  ausgedehnt,  dass  er  schon  von  aussen  an 
der  Wölbung  des  obern  Lides  sichtbar  war.  Zugleich  waren  die  Lider  etwas  ange- 
laufen, die  Conjunctiva  bulbi  ödematös  geschwellt,  die  Ciliargefässe  stark  injicirt. 
Nachdem  diese  consecutiven  Erscheinungen  unter  Anwendung  von  Blutegeln  und  Eis- 
umschlägen bei  ruhiger  Lage  zurückgegangen  waren ,  blieb  der  Zustand  des  Vorfalles 
(Staphyloms)  unverändert,  und  ich  nahm  mir  vor,  dasselbe  später  abzutragen,  weil 
die  Familie  in  Kurzem  in  die  Stadt  übersiedeln  sollte.  Ehe  es  noch  hiezu  kam,  überass 
sich  der  Knabe  (am  Kirchweihfeste)  und  bekam  Erbrechen.  Den  2.  Tag  gerufen,  fand 
ich  die  rechte  Cornea  an  der  Stelle  der  Narbe  geborsten,  aus  der  Öffnung  etwas  Glas- 
körper heraushängend ,  die  Lider  und  die  Conjunctiva  bulbi  ziemlich  stark  ödematös 
geschwollen.  Man  kann  sich  meinen  Schrecken  denken ;  der  Knabe  hatte  mit  diesem 
Auge  bereits  wieder  gelesen  und  geschrieben,  und  nun  musste  ich  es  gleichfalls  für 
verloren  halten.  Trotzdem  that  ich,  was  zu  thun  war,  suchte  der  weitern  Ausbildung 
von  Entzündung  des  Glaskörpers  und  der  Chorioidea  mit  dem  Ausgange  fin  Eiterung 
und  Phthisis  bulbi  (denn  dieser  Gang  war  nach  den  vorhandenen  Zufällen  offenbar 
zu  befürchten)  durch  örtliche  Blutentziehungen,  Eisumschläge,  Diät  u.  s.  w.  vorzu- 
beugen, und  war  in  der  That  so  glücklich,  das  Auge  mit  unversehrtem  Sehvermögen 
genesen  zu  sehen,  Nachdem  diess  geschehen,  der  Riss  wieder  vernarbt  und  der  Knabe 
in  die  Stadt  gebracht  worden  war,  nahm  ich  gegen  Ende  November  die  Abtragung  des 
Staphyloms  an  dem  linken  Auge  vor.  So  wie  ich  den  Hornhautschnitt  vollendet  hatte, 
trat  die  krystallhelle  Linse  sammt  der  Kapsel  heraus.  Da  ich  den  Kranken  im  Bette 
operirt  hatte,  ging  wenig  Glaskörper  verloren,  und  nach  14  Tagen  war  an  die  Stelle 
des  Staphyloms  eine  ziemlich  feste  Narbe  getreten ,  der  Bulbus  nur  wenig  kleiner  als 
der  andere.  Von  nun  an  sah  ich  den  Knaben,  der  wieder  anfing,  seine  Studien  fort- 
zusetzen, selten,  bis  zwei  Tage  nach  Weihnachten.  Das  rechte  Auge  war  abermals  an 
derselben  Stelle  geborsten;  die  Veranlassung  wnrde  mir,  wahrscheinlich  aus  Furcht 
vor  neuerlichen  Vorwürfen,  verborgen  gehalten;  ein  Mitschüler  gab  nachträglich  an, 
der  Knabe  habe  einen  schweren  Schubladkasten  vorgezogen.  Diessmal  entwickelten  sich 
unaufhaltsam  die  bekannten  Symptome  der  sogenannten  Panophthalmilis ,  und  endeten 
mit  Phthisis  bulbi,  nachdem  die  Cornea  vereitert  und  die  Linse  abgegangen  war.  So 
gingen  durch  eine  Reihe  unvorhergesehener  Zufälle  beide  Augen  eines  hoffnungsvollen 
Knaben  zu  Grunde;  denn  der  Hoffnung,  durch  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille  im 
untern  Theile  des  linken  Auges  das  Gesicht  wenigstens  theilweise  herzustellen,  gebe 
ich  selbst  fast  keinen  Raum. 

Mit    der  Kenntniss    der    Folgen,    welche  Hornhautgeschwüre   je  nach 
ihrem  Sitze,  ihrer  Grosse  und  Tiefe  haben  können,    und    der  Bedingungen 


248  Hornhaut. 

unter  denen  Heilung-  oder  doch  Abhaltung-  schlimmerer  Ausgänge  möglich 
ist,  haben  wir  auch  die  wichtigsten  Anhaltspunkte  für  die  Proynosis  und 
Therapie  gewonnen.  Durchbohrende  Geschwüre  sind  zunächst  wie  alle 
Hornhautgeschwüre  nach  ihrem  Charakter  zu  behandeln,  welcher  bald  ent- 
zündlich, bald  torpid  ist  oder  eben  den  zum  Ersätze  des  Substanzverlustes 
hinreichenden  Grad  von  Reizung  zeigt.  (Vergl.  S.  96,  103  u.  220.)  —  So- 
dann ist  alles  zu  vermeiden,  was  die  Augenmuskeln  primär  oder  synergisch 
zu  stärkerer  Contraction  anregen,  die  bereits  verlöthete  Öffnung  wieder 
sprengen  oder  die  Iris  vorwärts  drängen  und  einklemmen  könnte.  Alle 
andern  Mittel,  die  Iris  zurückzubringen,  sind  fruchtlos  oder  geradezu 
schädlich.  Das  Atzen  mit  Lapis  infernalis  ist  nur  dann  zulässig,  wenn 
eine  Fistel  besteht,  und  selbst  da  wird  man  es  nicht  selten  umgehen 
können,  wenn  es  gelingt,  auf  die  Reproduction  im  Allgemeinen  durch 
gute  Kost,  frische  Luft,  Aufheiterung  des  Gemüthes  u.  dgl.  günstig  ein- 
zuwirken, und  örtlich  den  gehörigen  Grad  von  Reizung  durch  Einträufeln 
einer  elwas  stärkern  Lösung  von  Lapis  infernalis,  Lapis  divinus,  Alumen, 
besonders  aber  von  Opiumtinctur  zu  erregen. 

Bei  frischen,  nicht  entzündeten  oder  eingeklemmten  Vorfällen  lasse 
man  den  Kranken  nicht  bloss  strenge  Rückenlage  beobachten,  sondern 
auch  die  Augen  geschlossen  halten,  nöthigenfalls  durch  Verkleben  der 
Lider.  —  So  lange  der  Irisvorfall  die  Zeichen  von  Entzündung  darbietet, 
muss  mehr  weniger  antiphlogistisch,  mindestens  nicht  reizend  verfahren 
werden.  —  Ist  der  Vorfall  höher  und  breiter,  so  dass  sich  Staphylom  zu 
entwickeln  droht,  so  trage  man  den  erhabensten  Theil  desselben  mit 
einer  nach  der  Fläche  gekrümmten  Scheere  vorsichtig  ab.  Die  hinter  dem 
Prolapsus  angesammelte  wässrige  Flüssigkeit  entweicht,  und  ehe  die 
Schnittwunde  heilt,  hat  das  den  Vorfall  überkleidende  Exsudat  in  der 
Regel  die  gehörige  Consistenz  gewonnen,  um  dem  weitern  Andränge  der 
Flüssigkeit  entsprechenden  Widerstand  zu  leisten.  Die  blosse  Punction 
gewährt  nicht  diesen  Erfolg,  wenigstens  nicht  so  sicher,  und  muss  ge- 
wöhnlich oft  wiederholt  werden.  Die  Atzung  mit  Lapis  infernalis  oder 
mit  Butyrum  antimonii  mittelst  eines  Pinsels  erregt  leicht  zu  starke  Rei- 
zung; es  kann  heftige  Entzündung  darauf  folgen,  selbst  eitrige  Zerstö- 
rung der  ganzen  Cornea  oder  des  Bulbus.  Bei  messerscheuen  Indivi- 
duen begnüge  man  sich  damit,  dass  man  täglich  1 — 2mal  einen  Tropfen 
anfangs  verdünnter,  später  reiner  Tinct.  opii  crocata  mittelst  eines  Haar- 
pinsels auf  den  Prolapsüs  träufelt.  Der  Erfolg  tritt  langsamer,  aber 
dennoch  ziemlich  sicher  ein.  Ist  aber  der  Überzug  eines  grössern  und 
stärker    vorgetriebenen  Prolapsus    bereits    in    eine  dichte    Pseudomembran 


Geschwüre  —  IJeliandlung  nach  erf.  Durchbruche.         249 

umgewandelt,  dann  nützt  weder  das  Einträufeln  von  adstringirendreizenden 
Mitteln,  noch  die  Excision;  man  hat  dann  ein  förmliches  Staphylom  vor 
sich,  und  muss  unterscheiden,  ob  es  partiell  oder  total  ist. 

Beim  partiellen  Staphylom  fragt  sich's,  ob  noch  Pupille  vorhanden 
ist,  oder  nicht,  und  ob  dieselbe  nicht  etwa  durch  Verziehung  bis  zu  einer 
für  die  Lichtstrahlen  kaum  durchgängigen  Spalte,  oder  durch  Verziehung 
hinter  die  das  Staphylom  umgebende  Hornhauttrübung,  oder  endlich  durch 
dachförmiges  Aufsteigen  des  gesunden  Hornhauttheiles  unbrauchbar 
gemacht  ist.  Wo  keiner  dieser  Fälle  statt  findet,  sei  man  mit  jedem 
operativen  Eingriffe  sehr  vorsichtig,  wohl  bedenkend,  dass  der  Erfolg 
jeder  Operation  (auch  unter  den  günstigsten  Bedingungen  unternommen) 
durch  unvorhergesehene  und  unvermeidliche  Zufälle  vereitelt  werden 
kann,  und  dass  der  Kranke  hier  nichts  Geringeres  riskirt,  als  die  Function 
eines  Auges.  Ist  das  Sehen  durch  dachförmiges  Aufsteigen  der  gesunden 
Hornhautpartie  beeinträchtigt,  so  entferne  man  das  Staphylom  nach  den 
weiter  unten  angegebenen  Regeln.  Ist  die  Pupille  gesperrt,  zu  einer 
feinen  Spalte  verzogen,  oder  durch  unheilbare  Hornhauttrübung  verdeckt, 
so  ist  die  Bildung  einer  künstlichen  Pupille  allein  oder  zugleich  mit  der 
Abtragung  des  Slaphyloms  angezeigt,  vorausgesetzt,  dass  die  übrigen  Be- 
dingungen hiezu  vorhanden  sind  (Yergl.  Krankheiten  der  Iris).  Letztere 
ist  dann  nöthig,  wenn  das  Staphylom  das  Auge  in  gereiztem  Zustande 
erhält,  sich  an  den  Lidern,  reibt,  Lichtscheu,  Thränenfiuss,  Schmerzen  u. 
dgl.  unterhält,  noch  fortwährend  zunimmt,  oder  von  Zeit  zu  Zeit  berstet. 
Ob  nun  die  Abtragung  des  Staphylomes  oder  die  Anlegung  der  Pupille 
früher  zu  geschehen  habe,  das  muss  der  individuellen  Beurtheilung  jedes 
speciellen  Falles  überlassen  bleiben.  Da,  wo  nur  noch  die  Iridodialysis 
möglich  ist,  kann  man  vielleicht  unmittelbar  nach  der  Abtragung  des 
Staphyloms  durch  die  Öffnung  mit  dem  Häkchen  eingehen,  die  Iris  vom 
Ciliarbande  lösen,  hervorziehen  und  abschneiden. 

Beim  Totalstaphylom  hat  man  verschiedene  Heilmethoden  vorge- 
schlagen, die  Compression,  die  wiederholte  Punction,  die  Einziehung 
eines  Seidenfadens  durch  die  Basis  (mit  oder  ohne  Abbindung),  die 
Atzung  der  erhabensten  Partie  mit  Lapis  infernalis  oder  mit  Spiessglanz- 
butter,  die  Ausschneidung  einer  kleinen  Partie  an  der  grössten  Wölbung, 
und  die  gänzliche  Abtragung  mit  Messer  und  Scheere.  Nur  diese  letzte, 
besonders  von  Beer  gewählte  und  empfohlene  Methode  hat  sich  bewährt ; 
die  andere  wendet  heutzutage  kaum  noch  Jemand  an.  Man  unternimmt 
diese  Operation,  entweder  weil  man  den  Kranken  von  den  lästigen  Zu- 
fällen,   welche  das  Wachsthum   der  Geschwulst   und  deren  Reizung  durch 


250  Hornhaut. 

die  Lider,  Staub  u.  dgl.  mit  sich  bringt,  befreien,  oder  weil  man  die 
dadurch  gesetzte  Entstellung  beseitigen  will.  Von  einer  Wiederherstellung 
des  Gesichtes  kann  natürlich  keine  Rede  sein.  Man  hat  wohl  vorge- 
schlagen, in  die  durch  die  Abtragung  entstandene  Wunde  die  frisch  aus- 
geschnittene Hornhaut  eines  Thieres  einzuheilen ;  allein  schon  die  Ver- 
suche der  Einheilung  bei  Thieren  selbst  sind  misslungen ;  die  transplan- 
tirte  Hornhaut  verdunkelte  sich  und  verschrumpfte,  auch  wenn  sie  wirk- 
lich eingeheilt  war.  *)  —  Die  Abtragung  geschieht,  indem  man  ein  etwas 
stärkeres  Staarmesser  an  einer  Seite  der  Basis  des  Staphyloms  ein-  und 
an  der  entgegengesetzten  aus-sticht,  so  dass  man  beim  Fortschieben  der 
Klinge  die  Hälfte  oder  zwei  Drittel  der  Basis  durchschneidet.  Den  hie- 
durch  gebildeten  Lappen  fasst  man  mit  einer  gutgezähnten  Pincette,  zieht 
ihn  etwas  an,  und  führt  dann  eine  hinlänglich  starke,  am  besten  eine 
etwas  nach  der  Fläche  gekrümmte  Scheere  so  ein,  dass  man  mit  einem 
Schnitte  die  ganze  Pseudomembran  abtragen  kann.  Es  versteht  sich  von 
selbst,  dass  in  diesem  2.  Momente  ein  Gehilfe  beide  Lider  fixiren  muss, 
während  im  1.  der  Operateur  selbst  das  untere  abziehen  kann.  Es  ist 
besser,  den  Schnitt  mit  dem  Messer  nach  unten  zu  führen;  man  kann 
dann  den  Lappen  leichter  fassen  und  den  Bulbus  fixiren,  der  sich  gerne 
nach  innen  und  oben  unter  das  Lid  verbirgt.  Es  ist  wichtig,  den  Schnitt, 
wo  möglich,  genau  an  der  Grenze  zwischen  dem  etwa  noch  vorhandenen 
gesunden  Gewebe  an  der  Peripherie  und  der  Pseudomembran  zu  führen, 
nicht  tiefer,  weil  sonst  unnöthig  eine  grössere  Wunde  gebildet  wird,  aber 
auch  nicht  im  Bereiche  der  Pseudomembran,  weil  diese,  besonders  wenn 
sie  bereits  sehr  fest  geworden  ist,  weniger  fähig  ist,  die  zur  Deckung 
des  Substanzverlusles ,  zur  Schliessung  der  AVunde  nöthige  plastische 
Lymphe  auszuschwitzen,  und  sich  gehörig  zusammen  zu  ziehen.  Aus 
diesem  Grunde  ist  auch  die  blosse  Excision  gewöhnlich  erfolglos,  we- 
nigstens bei  älteren  Slaphylomen.  Man  lasse  den  Kranken  schon  vor  der 
Operation  sich  ins  Bett  legen,  besonders  wenn  man  Ursache  hat,  Aus- 
fluss  des  Glaskörpers  zu  befürchten.  Wo  nach  Abtragung  des  Staphyloms 
die  Linse  vorwärts  gedrängt  erscheint  (die  vordere  Kapsel  soll  mit  den 
Ciliarfortsätzen  beinahe  in  einer  Ebene  liegen),  bewirke  man  deren  Aus- 
treten sogleich  durch  einen  Kreuzschnitt  in  die  vordere  Kapsel,,  sonst 
heilt  die  Wunde  sehr  schwer,  und  die  dieselbe  mit  der  Zeit  deckende 
Pseudomembran  kann  neuerdings  vorwärts  gedrängt  werden.  —  Die 
Wunde  heilt  durch  Anschiessen   plastischer  Lymphe,    welche  ringsum  von 

j  Suhr  den  nächsten  Abschnitt. 


Geschwüre  —  Behandlung  nach  erf.  Durchbruche.         251 

dem  Stumpfe  der  Cornea  und  Iris  geliefert  wird.  In  dem  Maasse,  als 
dieses  Exsudat  sich  organisirt,  wird  die  Öffnung  enger,  nach  Verlust  der 
Linse  bisweilen  etwas  vertieft.  Nach  Abtragung  von  Totalstaphylomen 
wird  die  Basis  corneae  durch  Schrumpfung  des  Narbengewebes  kleiner, 
wenigstens  dann,  wenn  die  Linse  oder  ein  beträchtlicher  Theil  des  Glas- 
körpers verloren  gingen.  —  Im  Allgemeinen  muss  man  den  Kranken  selbst 
nach  der  Abtragung  eines  partiellen  Staphyloines  durch  8 — 12  Tage  ruhig 
und  mit  verklebten  Augen  auf  dem  Rücken  liegen,  und  nur  nach  den 
ersten  4 — 6  Tagen  etwa  zum  Essen  sitzen  lassen.  So  lange  die  vordere 
oder,  nach  Abgang  der  Linse,  die  hintere  Kapsel  noch  krystallhell  zu 
Tage  liegt,  ja  so  lange  dieselbe  nicht  von  einer  Pseudomembran  tiber- 
zogen ist,  welche  graulich  getrübt,  und  etwas  derber  aussieht,  muss  der 
Kranke  jede  die  Muskeln  mehr  in  Anspruch  nehmende  Bewegung  unter- 
lassen. Wo  immer  die  neugebildete  Pseudomembran  sich  merklich  über 
das  Niveau  der  Umgebung  erhebt,  ist  man  nicht  sicher,  dass  nicht  Ber- 
stung oder  neue  starke  Hervortreibung  derselben  eintritt. 

Die  Vorsichtsmaassregeln,  welche  man  bei  Irisvorfällen  überhaupt  zu 
beobachten  hat,  sind  in  noch  grösserer  Strenge  und  Umsicht  einzuhalten, 
wenn  rasche  totale  Vereiterung  der  Cornea  eintritt,  weil  hier  um  so 
leichter  Berstung  der  Kapsel  oder  Zonula  und  hiemit  Verlust  der  Linse 
und  eines  Theiles,  ja  des  ganzen  Glaskörpers  erfolgt.  In  manchen  Fällen, 
wenn  der  Druck,  den  die  gespannten  Wandungen  des  Bulbus  auf  den 
flüssigen  Inhalt  üben,  plötzlich  aufgehoben  wird,  wie  dieses  unter  andern 
auch  nach  Abtragung  von  Staphylomen  geschieht,  bersten  die  Gefässe  der 
Chorioidea,  und  es  erfolgt  ein  so  starker  Bluterguss  entweder  zwischen 
Sclera  und  Chorioidea,  oder  zwischen  Chorioidea  und  Retina,  dass  die 
von  dem  apoplektischen  Herde  einwärts  gelegenen  Gebilde  vorwärts 
und  durch  die  Öffnung  mehr  weniger  herausgedrängt  werden.  Diess  ge- 
schieht gewöhnlich  unter  fürchterlichen  Schmerzen  und  lästigen  Licht- 
entwicklungen, oft  mit  Erbrechen,  welche  Zufälle  oft  durch  nichts  zu 
stillen  sind,  als  dadurch,  dass  man  die  durch  die  Hornhautöffnung  hervor- 
gepressten  Gebilde  mit  einer  Scheere  abträgt,  und  den  Kranken  unter 
Anwendung  kalter  Umschläge  ruhig  liegen  lässt.  Die  Erscheinungen,  die 
darauf  folgen,  sind  fast  immer  die  der  Panophthalmitis  und  endlich  die  der 
PlUhisis  bulbi.  —  Schliesslich  wollen  wir  noch  bemerken,  dass  in  Fällen, 
wo  die  Cornea  so  gut  als  verloren  ist,  dennoch  alles  aufgeboten  werden 
muss,  die  Bildung  eines  Staphylomes  oder  den  Ausgang  in  Phthisis  bulbi 
zu  verhüten ;  für  die  Kranken  wird  es  nicht  gleichgiltig  sein,  ob  sie  sich 
nachträglich    noch   der   Operation    des   Staphyloms    zu   unterwerfen  haben 


252  Hornhaut. 

oder  nicht,  und  für  die  meisten  wird  es  auch  als  Gewinn  zu  betrachten 
sein,  wenn  der  Stumpf  des  Bulbus  wenigstens  so  gross  bleibt,  djss  nach 
Eiulegung  eines  künstlichen  Auges  dieses  noch  eine  gewisse  Beweglich- 
keit erhalten  könne.    Wir  werden  darauf  noch  zurückkommen. 


V.  Trübungen  der  Hornhaut.  *) 

Störung  der  Durchsichtigkeit  der  Cornea  pflegt  man  nur  dann  mit 
diesem  allgemeinen  Namen  zu  bezeichnen,  wenn  dieselbe  nicht  als  Theil- 
erscheinung  der  noch  bestehenden  Entzündung  wahrgenommen  wird. 
Wenn  demnach  eine  trübe  Stelle  der  Cornea  noch  deutlich  gelockert 
oder  geschwellt  erscheint,  wenn  die  Injection  der  vordem  Ciliargefässe 
noch  auf  Fortbestand  des  exsudativen  Processes  deutet,  oder  wenn  noch 
die  Merkmale  eines  Geschwüres  oder  einer  Wunde  vorhanden  sind, 
spricht  man  nicht  von  Trübung,  sondern  von  Entzündung,  Geschwürs- 
bildung u.  s.  w. 

Bei  den  hieher  gehörigen  Zuständen  ist  es  nothvvendig,  nicht  nur 
auf  die  physicalischen  Merkmale,  In-  und  Extensität,  Farbe,  Oberfläche 
u.  s.  w.,  sondern  auch  insbesondere  auf  den  Sitz  der  Trübung  und  auf 
deren  Entstehungsweise  genauer  einzugehen,  wenn  sich's  um  die  Feststel- 
lung der  Prognosis  und  der  Therapie  handelt.  Rücksichtlich  des  Sitzes 
werden  wir,  um  uns  die  übersichtliche  Schilderung  zu  erleichtern,  zu- 
nächst jene  Trübungen  besprechen,  welche  ausschliesslich  oder  vorwal- 
tend das  Epithelium  betreffen,  daran  die  an  der  Wasserhaut  haftenden 
reihen,  und  mit  der  Betrachtung  jener  enden,  welche  das  Parenchym 
allein  oder  nebst  diesem  noch  das  eine  oder  beide  der  ebengenannten 
Gebilde  zugleich  betreffen.  —  In  Bezug  auf  die  Entstehung  werden  wir 
auf  Trübungen  stossen,  welche  als  Folgen  von  Entzündung,  Geschwürs- 
bildung,  Verletzung  etc.  zu  betrachten  sind,  und  auf  solche,  bei  welchen 
abnorme  Ernährung  mit  mehr  weniger  Wahrscheinlichkeit  als  Ursache 
angenommen  werden  kann.  —  Beginnen  wir  unsere  Betrachtungen  so- 
gleich mit  den  letztgenannten. 

1.     Es  gibt  eine    angeborene  Trübung  der  Hornhaut.     Bis  jetzt  lässt 

*)  Ks  erschien  mir  zweckmässig,  auch  diesen  Zustünden  der  Hornhaut,  gleich  den  Geschwüren,  einen  eigenen  Ab- 
schnitt zu  widmen.  Sind  sie  auch  grösstentheils  nur  als  Mittel-  oder  als  Endglieder  von  Krankheitsprocassen  zu 
betrachten,  welche  in  andern  Abschnitten  besprochen  werden,  und  somit  dorthin  gehörig,  so  wird  doch,  wie  ich 
mich  heim  Unterrichte  am  Krankenbette  überzeugte,  ihr  Studium  durch  eine  gemeinschaftliche  und  übersichtliche 
Betrachtung  wesentlich  erleichtert. 


Trübung  —  angeborene  —  Arcus  senilis.  253 

sich  noch  nicht  entscheiden,  ob  die  Ursache  davon  Entzündung  im  Fötus, 
oder  Hemmung  in  der  Entwicklung  ist.  In  dem  Falle,  den  ich  als  an- 
geboren constatiren  konnte,  waren  die  Hornhäute  durchaus  getrübt,  stellen- 
weise etwas  intensiver,  besonders  gegen  die  Mitte  hin,  an  der  Peripherie 
noch  so  weit  durchscheinend,  dass  man  sich  von  der  Gegenwart  der 
vordem  Kammer  und  der  Pupille  überzeugen  konnte.  Die  Hornhäute 
waren  wie  aus  Milchglas  gebildet,  an  der  Oberfläche  ganz  glatt  und 
glänzend,  doch  matt,  ehvas  weniger  gewölbt,  etwas  kleiner,  nicht  rund,  und 
zwar  nicht  oval,  sondern  an  ihrer  Basis  eine  Art  von  Trapezoid  darstel- 
lend. Der  Knabe  war  10  Jahre  alt,  und  hatte  deutliche  Lichtempfindung, 
ohne  Gegenstände  unterscheiden  zu  können.  Er  ist  leider  späterhin  nicht 
mehr  zu  mir  gekommen.  Schön  *)  beschreibt  einige  vielleicht  hieher  ge- 
hörige Fälle,  unter  welchen  besonders  die  von  Ferrar  interressant  sind, 
indem  derselbe  bei  neugebornen  Kindern,  3  Geschwistern  eine  sonder- 
bare Undurchsichtigkeit  der  Hornhaut  beobachtete,  welche  nach  und  nach 
vom  äussern  Winkel  her  von  selbst  verschwand."  Der  eben  daselbst 
erzählte  Fall  von  Kieser  erinnert  durch  die  rhomboidale  Form  der  Horn- 
haut sehr  an  meine  Beobachtung,  und  gewinnt  dadurch  an  Bedeutung, 
dass  „die  Mutter  des  Kranken  an  einem  ähnlichen  Bildungsfehler,  jedoch 
in  viel  geringerem  Grad,  auf  beiden  Augen  gelitten  haben  soll."  Leider 
ist  die  Beschreibung  viel  zu  unvollständig,  um  eine  nähere  Deutung  zuzu- 
lassen. Maclagan  **)  beschreibt  in  der  London  medical  Gazette  fol- 
genden Fall  bei  einem  Neugeborenen:  Keine  Spur  von  Entzündung  oder 
eitrigem  Ausfluss;  die  linke  Hornhaut  ganz  undurchsichtig,  die  rechte 
bloss  in  den  untern  zwei  Dritteln  so  beschaffen,  indem  die  Trübung  sich 
allmälig  nach  oben  verliert;  die  Trübung  veränderte  ihre  Lage  nicht, 
war  also  nicht  durch  den  Humor  aqueus  bedingt;  einige  Wochen  nach- 
her hellte  sich  die  rechte,  3  Monate  nach  der  ersten  Untersuchung  auch 
die  linke  Hornhaut  von  oben  herauf,  und  zwar  von  selbst.  Sechs  Monate 
nach  der  Geburt  war  am  rechten  Auge  nur  noch  ein  sehr  kleiner  Fleck 
übrig,  und  die  obere  Partie  des  linken  so  durchsichtig,  dass  das  Kind 
die  Pupille  den  Objecten  gerade  gegenüber  stellen  konnte,  um  sie  zu 
sehen.  Später  wurde  das  Kind  der  Beobachtung  entzogen.  Tavignot***) 
hat  einen  Fall  von  angeborener  Hornhauttrübung  mit  gleichzeitig  man- 
gelhafter Entwicklung  der  Iris  beschrieben. 

2.     Ganz    gewiss    ohne    allen  Zusammenhang    mit   vorausgegangenen 

*)  Palholos.  Anatomie  des  Auses,  S.  67. 
**)  Pra?er  medic.  Vierteljabrsclirift,  17.  B.  Aoal    S.  66. 
'•*)  Gaz.  med.  1847.  X.  29. 


254  Hornhaut 

congestiven  oder  entzündlichen  Zuständen  der  Cornea  entwickelt  sich  auf 
dem  Randtheile  der  Cornea  eine  Trübung,  welche  man  wegen  ihrer 
bogenförmigen  Gestalt  und  wegen  ihres  Vorkommens  im  höhern  Alter 
Greisbogen,  Arcus  senilis  s.  Gerontoxon  genannt  hat.  Diese  lichtgraue 
Trübung  nimmt  den  peripherischen  Theil  der  Cornea  in  Form  eines 
Bogens  oder  eines  Ringes  ein.  Sie  ist  nach  aussen,  gegen  den  Limbus 
conjunctivae  hin,  scharf  begrenzt,  und  von  diesem  stets  durch  einen 
schmalen,  vollkommen  durchsichtigen  Streifen  getrennt;  nach  innen  ver- 
liert sie  sich  allmälig  gegen  den  mittlem  Theil  der  Cornea,  ohne  deren 
Centrum  jemals  zu  erreichen.  Daher  wirkt  diese  Trübung  an  und  für 
sich  auch  niemals  störend  auf  das  Sehvermögen.  Da  der  Limbus  con- 
junctivae (zumal  bei  Älteren)  im  obern  und  im  untern  Segmente  der 
Cornea  breiter  ist,  als  zu  beiden  Seiten,  so  erscheint  der  Arcus  senilis, 
wenn  er  rings  herum  geht,  nicht  kreisrund,  sondern  eiförmig.  Im  Ca- 
daver findet  man  sowohl  das  Epithelium  als  die  Descemet'sche  Haut 
normal;  nur  die  Hornhautfasern  erscheinen  unter  dem  Mikroskope  etwas 
breiter,  zeigen  schärfere  und  dunklere  Contouren  und  einen  mehr  ge- 
schlängelten Verlauf.  —  Der  Greisbogen  kommt  nur  im  höhern  Alter  vor, 
ausnahmsweise  schon  um's  36. — 40.  Jahr;  man  trifft  aber  auch  Leute 
von  70 — 80  Jahren,  welche  diese  Erscheinung  nicht  darbieten.  Ich  kenne 
eine  Dame,  welche  höchstens  40  Jahre  alt  ist,  ihrem  Aussehen  nach 
jedoch  auf  30  geschätzt  werden  könnte,  und  doch  auf  beiden  Augen 
einen  vollständig  ausgebildeten  Arcus  senilis  darbietet.  Sie  hat  nie  an 
den  Augen  gelitten,  ist  jedoch  in  hohem  Grade  weitsichtig.  Auffallend 
ist,  dass  Leute  mit  Gerontoxon  stets  zugleich  an  Weitsichtigkeit  leiden 
(nicht  aber  umgekehrt) ;  ja  ich  habe  Fälle  beobachtet,  wo  das  Gerontoxon 
bloss  an  einem  Auge  vorkam,  und  auch  nur  dieses  eine  Auge  an  Weit- 
sichtigkeit litt.  Worin  aber  der  letzte  Grund  dieser  Trübung  endlich  zu 
suchen  sei,  wissen  wir  nicht.  Sie  lässt  sich,  wenn  man  will  in  Parallele 
setzen  mit  dem  Ergrauen  der  Haare  und  mit  dem  Trübwerden  der  Linse 
(Cataracta  senilis),  mit  welchen  Erscheinungen  sie  häufig  zugleich  vor- 
kommt. Doch  erscheint  sie  auch  ganz  für  sich  allein.  (Vergl.  den  Ab- 
schnitt der  Cataracta.) 

3.  Punkt-  oder  fleckenartige  Trübungen  an  der  hintern  Wand  der 
Cornea  sind  als  Exsudate  zu  betrachten,  welche  in  Folge  von  Iritis  durch 
Präcipitation  aus  dem  Humor  aqueus  dorthin  abgelagert  werden.  Ihren 
Sitz  erkennt  man  nicht  sowohl  durch  die  Seitenansicht,  wie  gewöhnlich 
angegeben  wird,  als  vielmehr  aus  der  Art  ihres  Entstehens  (anderwei- 
tigen Spuren    vorausgegangener  Iritis),    und  aus  ihrem  Abstände   von  der 


Trübung  —  der  Wasserhaut  —  des  Epitheliums.  255 

vordem  Fläche,  namentlich  wenn  sie  mehr  gegen  die  Peripherie  hin 
liegen,  wo  der  Limhns  conjunctivae  einen  guten  Anhaltspunkt  für  die 
vordere  Cornealfläche  abgibt  Wir  werden  von  diesen  Trübungen  erst 
bei  der  Besprechung  der  Iritis  ausführlicher  handeln  können. 

4.  Trübungen  des  Epithelialüberzuges  der  Cornea  erscheinen  theils 
für  sich  allein,  theils  mit  Trübungen  des  Parenchyms  der  Hornhaut.  Die 
häufigste  Veranlassung  dazu  gibt  der  Pannus  (vergl.  Conjunctivitis  scro- 
fulosa  und  Trachoma),  sodann  die  Einwärtswendung  von  Cilien  oder  die 
Gegenwart  kleiner  fremder  Körper  j  wenn  nach  Resorptionsgeschwüren 
Trübungen  zurückbleiben,  so  ist,  wie  wir  sehen  werden,  schon  das  Pa- 
renchym  der  Cornea  selbst  mehr  weniger  dabei  betheiligt. 

ä)  Wenn  der  Pannus  lange  fortbesteht,  und  endlich  das  unter  das 
Epilhelium  der  Cornea  abgelagerte  Exsudat  nach  dem  Verschwinden  der 
sichtbaren  Gefässe  in  ein  fibroides  Gewebe  umgewandelt  worden  ist,  so 
findet  man  die  Cornea  durchaus  oder  theilweise  (besonders  in  der  obern 
Hälfte)  getrübt,  durchscheinend  oder  halbdurchsichtig,  eben  und  glatt,  aber 
sehnenartig  glänzend,  wie  mit  einer  dünnen  Aponeurose  überzogen.  Pi- 
ringer  scheint  diesen  Zustand  unter  Pannus  siccus  verstanden  zu  haben. 
Er  ist  unheilbar;  nur  in  zwei  Fällen  sah  ich  einige  Besserung  nach  be- 
harrlicher Anwendung  der  weissen  Präcipitatsalbe  (auf's  Auge)  ein- 
treten. —  Hat  man  Gelegenheit ,  so  ein  Auge  am  Cadaver  zu  unter- 
suchen, so  findet  man,  dass  zwischen  Cornea  und  Epithelium  eine  Art  von 
Bindegewebe  eingeschoben  ist,  welches  als  Neugebilde,  als  organisirtes 
Exsudat,  betrachtet  werden  muss.  Man  kann  dann  eine  dünne  Membran 
als  unmittelbare  Fortsetzung  der  Bindehaut  über  den  Limbus  conjunctivae 
herein  präpariren,  unter  welcher  die  Cornea  mehr  weniger  unversehrt  zum 
Vorscheine  kommt.  Demnach  könnte  man  diesen  Zustand  auch  als  Über- 
häutung der  Cornea  bezeichnen.  Ich  besitze  mehrere  Präparate,  welche 
diesen  Befund  sehr  schön  nachweisen. 

6)  In  Folge  partieller  Reizung  durch  einwärts  gekehrte  Cilien  findet 
man  bisweilen  eine  schwielenähnliche  Verdickung  des  Epitheliums  auf 
der  Hornhaut.  Es  sieht  so  aus,  als  ob  man  ein  Stück  dünnes  Häutchen 
auf  die  Hornhaut  aufgelöthet  hätte.  Die  mehr  weniger  unebene  Ober- 
fläche solcher  Plaques  erscheint  seidenartig  —  oder  fettglänzend,  oder 
ganz  trocken,  wohl  desshalb,  weil  sich  das  massenweise  angehäufte  und 
in  seinen  Zellen  (welche  mehr  epidermisartig  sind)  veränderte  Epithe- 
lium nicht  mehr  in  der  Thränenflüssigkeit  auflöst.  Eine  ähnliche  Epithe- 
lialwucherung  kommt  übrigens  auch  nicht  selten  bei  tiefern  und  grössern 
Hornhautnarben,  insbesondere  aber  bei  Staphylomen  vor.     Sie  ist  gleich- 


256  Hornhaut. 

falls  unheilbar,  und  die  dagegen  vorgeschlagene  Abtragung  der  Entartung 
erwies  sich  (mir  wenigstens)  erfolglos. 

c)  Ich  habe  mehrmals  in  Cadavern  kleine,  halbdurchsichtige,  nebel- 
ähnliche Trübungen,  sogenannte  Nebelflecke  der  Cornea  untersucht.  Nach- 
dem ich  das  Epithelium  von  der  ganzen  Oberfläche  sorgfältig  mit  einem 
Scalpell  abgeschabt  hatte,  zeigte  sich  die  Cornea  an  jener  Stelle  voll- 
kommen rein  und  glänzend,  aber  deutlich  vertieft  oder  wie  abgeschliffen. 
Die  Trübung  war  also  in  solchen  Fällen  ganz  oder  grösstenteils  durch 
reichlicher  angehäuftes  (mehr  weniger  verändertes?)  Epithelium  bedingt, 
welches  den  Verlust  der  Hornhautsubstanz  verdeckt  hatte.  Die  Trübungen 
setzten  mithin  offenbar  Substanzverlust  der  Cornea  voraus,  und  gehören 
demnach  füglich  zu  den  in  dem  folgenden  Absätze  zu  besprechenden. 

5.  Die  Trübungen,  welche  in  Folge  von  Entzündung  der  Corneal- 
substanz  selbst  (mit  oder  ohne  Geschwürsbildung  primär  oder  secundär) 
zurückbleiben,  sind  bei  weitem  die  häutigsten,  und  sie  sind  es  vorzugs- 
weise, welche  gewöhnlich  unter  dem  allgemeinen  Namen  „Hornhaut- 
trübungen" aufgeführt  werden. 

Man  hat  diesen  Trübungen  von  Alters  her  die  verschiedensten  Namen  beigelegt, 
als  :  Macula,  Nephelium,  Nebula ,  Nebecula ,  Achlis ,  Aegis  seu  Aegias  seu  Macula  nu- 
bosa ;  Leucoma ,  Margarita  seu  Perla,  Albugo  seu  Paralampsis;  Cicatrix  u.  s.  w.  — 
Beer  suchte  die  Lehre  von  den  Hornhauttrübungen  besser  zu  begründen  und  zu  ver- 
einfachen, indem  er  sie  dem  Grade  nach  in  Maculae,  Leucomata  und  Cacatrices  unter- 
schied, und  dabei  zugleich  auf  die  verschiedene  Entstehungsweise  und  auf  die  ver- 
schiedenen anatomischen  Veränderungen  hindeutete.  Maculae  nannte  er  halbdurchsich- 
tige Trübungen  mit  verwachsenen  Rändern ;  er  bezeichnete  sie  als  meistens  nur  ganz 
oberflächlich  sitzend,  und  leitete  sie  von  „der  Gerinnung  des  zwischen  den  Lamellen 
der  Hornhaut  in  dem  äusserst  zarten  Bindungsgewebe  befindlichen  lymphatischen  Dun- 
stes" her.  Leucoma  nannte  er  undurchsichtige  Trübungen ,  die  sich  gegen  die  Peri- 
pherie hin  allmälig  verlieren;  er  meinte,  in  solchen  Fällen  habe  sich  der  lymphatische 
Dunst  schon  zu  einer  Pseudomembran  umgebildet,  daher  erscheine  die  Trübung  weiss, 
kreideweiss  oder  perlmutterartig  glänzend,  über  das  Niveau  mehr  weniger  sanft  auf- 
gewölbt, beim  Berühren  mit  der  Sonde  hart,  callös,  Cicatrix  s.  Oule  hingegen  nannte 
er  undurchsichtige  Trübungen  mit  scharf  begrenzten  Rändern ;  sie  erscheinen  nach  ihm 
immer  perlenmutterartig  glänzend  und  bei  der  Berührung  mit  der  Sonde  hart,  abge- 
plattet oder  deutlich  vertieft,  häufig  mit  vordem  Synechien  vereint;  er  leitete  nur  diese 
Trübungen  von  wirklicher  Zerstörung  der  Hornhautfasern  durch  Eiterung  und  von  un- 
mittelbarer Verwachsung  der  Hornhautfasern  unter  einander  ab.  —  Auf  diese  einfache 
Diagnostik  nun  stützte  Beer  seine  prognostischen  und  therapeutischen  Regeln.  Er  er- 
klärte die  Narben  für  absolut  unheilbar,  die  Leucoma  für  bedingt  heilbar,  die  einfachen 
Flecke  (Maculae)  für  in  der  Regel  leicht  und  vollständig  heilbar ,  und  theilte  seinen 
Ansichten  über  die  pathologisch-anatomischen  Veränderungen  gemäss  auch  die  von  der 
Empirie  gebotenen  Heilmittel  in  2  Hauptclassen ,  welche  wir  weiter  unten  ausführlich 
besprechen    werden. 


Trübung  —  Einlaches  Exsudat  —  Narben.  257 

Diese  Trübungen  können  bedingt  sein :  a)  durch  Ablagerung-  faser- 
sloffigen  Exsudates  zwischen  die  mehr  weniger  unversehrten  Fasern  der 
Cornealsubstanz;  b)  durch  Exsudat,  welches  an  die  Stelle  der  durch  Ei- 
terung-, Atzung  u.  dgl.  zu  Grunde  gegangenen  Cornealfasern  getreten  ist, 
und  entweder  «)  noch  einer  weitern  Umwandlung  (in  wahre  Corneal- 
fasern) fähig  ist,  oder  /?)  bereits  unveränderliches  Faser-  oder  Narben- 
gewebe darstellt;  c)  durch  a  und  b  zugleich  und  zwar,  wie  gewöhnlich, 
b  in  der  Mitte,  a  in  der  Peripherie  der  getrübten  Stelle. 

Trübungen,  einzig  und  allein  durch  Exsudat  zwischen  den  Hornhaut- 
fasern bedingt,  sind  meistens  die  Folge  jener  Form  von  Keratitis,  die 
wir  als  scrofulosa  geschidert  haben.  Sie  sind  in  der  Regel  heilbar,  selbst 
wenn  sie  undurchsichtig  sind,  hie  und  da  wohl  auch  ein  kreideartiges 
Aussehen  zeigen.  Nur  nach  längerem  Bestände  reichlicher  Exsudate  ge- 
schieht es,  dass  die  davon  eingeschlossenen  Hornhautfasern  durch  Druck 
zu  Grunde  gehen ,  und  eine  solche  Stelle  nie  mehr  völlig  durchsichtig 
wird.  Die  genannte  Hornhautentzündung  combinirt  sich  ferner  zuweilen 
mit  Entzündung  der  Iris  und  des  vordersten  Theiles  der  Sclera,  und  nach 
dieser  Combination  bleibt  nicht  selten  eine  opalartige  Trübung  des  peri- 
pherischen Theiles  der  Cornea  (ringsum  oder  stellenweise)  zurück,  ein 
Zustand,  den  man  Sclerosirung  der  Cornea  genannt  hat.  Diese  letzt- 
genannte Veränderung  der  Cornea  ist  jederzeit  unheilbar;  es  scheint,  dass 
sie  mit  Obliteration  der  unter  dem  Limbus  conjunctivae  zur  Cornea  tre- 
tenden Zweige  der  vordem  Ciliararterien  complicirt  ist. 

Die  häufigste  Quelle  der  Hornhauttrübungen  im  engern  Sinne  dieses 
Wortes  sind  Geschioüre  oder  Abscesse  der  Hornhaut.  Man  kann  sich 
davon  überzeugen,  entweder  indem  man  Kranke  mit  Hornhautgeschwüren 
oder  Abscessen  hinreichend  lange  beobachtet,  oder  wenn  man  sich  die 
Mühe  nimmt,  bei  den  verschiedenen  Hornhauttrübungen  auf  die  Art  ihrer 
Entstehung  genau  zurückzugehen.  Man  wird  sich  so  am  besten  üher- 
zeugen,  dass  man  es  in  den  meisten  Fällen  mit  Narben  (im  wahren  Sinne 
des  Wortes)  zu  thun  habe,  mit  Trübungen,  welche  dadurch  bedingt  sind, 
dass  an  der  betreffenden  Partie  Hornhautfasern  verloren  gegangen  waren, 
und  an  ihre  Stelle  Exsudat  getreten  ist,  welches  den  Substanzverlust 
mehr  weniger  vollständig  deckt,  und  welches  die  Wiedererzeugung  nor- 
maler Hornhautfarern  an  dieser  Stelle  vermittelt  (provisorischer  Callus), 
oder  förmlich  unmöglich  macht  (Narbengewebe).  In  nicht  gar  lange  be- 
stehenden Fällen  findet  man  auch  die  umgebenden  unversehrten  Horn- 
hautfasern noch  von  Exsudat  durchsetzt. 

Bevor  wir  nun  zur  näheren   Betrachtung  dieser  Zustände   übergehen, 
Arie,  i.  17 


258  Hornhaut. 

erscheint  es  nolhwendig,  auf  die  Functions  Störungen,  welche  dadurch  be- 
dingt werden  können,  aufmerksam  zu  machen,  damit  die  Wichtigkeit  der 
nachfolgenden  Erörterungen  um  so  klarer  hervortrete.  —  Jede  noch  so 
geringe  Hornhauttrübung  setzt,  sobald  sie  der  Pupille  gegenüber  liegt, 
eine  Störung  des  Gesichtes.  Man  hat  gesagt,  ganz  kleine  (punktförmige)  Trü- 
bungen stören  das  Sehvermögen  nicht.  Als  Beweis  hat  man  angeführt, 
dess  viele  Augen  mit  derlei  kleinen,  ja  selbst  mit  merklich  grössern 
Trübungen  ein  vollkommenes  Gesicht  besitzen,  und  dass  solche  trübe 
Stellen  auf  die  Klarheit  des  Netzhautbildes  keinen  Einfluss  nehmen  können, 
weil  sie  der  Linse  zu  nahe  liegen  5  man  solle  nur  ein  Convexglas,  z.  B. 
von  1  Zoll  Brennweite  nehmen,  es  dem  Fenster  gegenüber  vor  eine 
weisse  Wand  halten,  und  man  werde  keinen  Unterschied  in  dem  Licht- 
kreise (focus)  bemerken,  ob  man  nun  vor  dem  Glase  einen  Stecknadel- 
kopf vorhalte,  oder  nicht.  Dieser  Vergleich  passt  offenbar  nicht  hieher, 
denn  am  Auge  ist  die  Linse  nicht  das  einzige,  ja  sogar  das  untergeord- 
nete Organ  für  die  Strahlenbrechung.  Fleckchen  auf  der  Cornea  sind  also 
vielmehr  mit  Fleckchen  oder  Schrammen  auf  Glaslinsen  (Loupen  oder 
Brillen)  zu  vergleichen.  Wie  nachtheilig  aber  selbst  die  feinsten  Schrammen 
oder  Flecke  auf  Augengläsern  wirken,  wissen  die  Brillenträger  am  besten. 
—  Es  ist  allerdings  wahr,  dass  Viele  von  der  Gegenwart  einer  kleinen 
Trübung  an  einem  oder  an  beiden  Augen  gar  nichts  wissen,  ja  dass  Viele 
trotz  dem  ganz  gut  sehen.  Das  zeigt  aber  nur,  dass  dem  Auge  Mittel 
zu  Gebote  stehen,  jene  Störung  mehr  weniger  unschädlich  zu  machen. 
Diese  Mittel  liegen  theils  in  unwillkürlicher  (durch  Reflex  angeregter) 
Abänderung  des  Refractionszustandes ,  theils  in  psychischer  Intention, 
welche  gleichsam  instinktmässig  von  gewissen  störenden  Eindrücken  ab- 
strahiren  lehrt. 

Dass  grössere  und  dichtere  Hornhauttrübungen  das  Gesicht  stören,  und  zwar  um 
so  ärger,  je  mehr  sie  den  Lichtstrahlen  den  Zutritt  zu  der  Pupille  verwehren ,  ist  all- 
gemein bekannt  und  anerkannt.  Um  den  Einfluss  kleiner  und  unscheinbarer  Trübungen 
kennen  zu  lernen,  stehen  uns  zwei  Wege  zu  Gebote  :  der  des  Experimentes,  und  der 
der  Beobachtung  an  Kranken.  —  Da  die  Cornea  (im  Verein  mit  dem  Kammerwasser) 
eine  Sammellinse  darstellt,  so  können  wir  aus  Experimenten  mit  Convexgläsern  wohl 
auf  das  Verhalten  der  Cornea  unter  «ähnlichen  Verhältnissen  zurückschliessen.  Bringen 
wir  Jemanden,  der  zu  feinem  Arbeiten  Convexgläser  nöthig  hat,  auf  dem  einen  oder 
auf  beiden  Gläsern  im  mittlem  Theile  kleine  Flecke  oder  Schrammen  an,  so  sieht  er 
nicht  mehr  so  gut,  wie  durch  das  reine  und  unversehrte  Glas.  Muss  er  sich  dennoch 
dieses  Glases  weiter  bedienen,  so  reichen  seine  Augen  zu  jenen  Arbeiten  nicht  so  aus' 
wenigstens  nicht  so  lange,  als  vordem,  sie  ermüden  leicht,  oder  er  muss  die  Brille 
twas  weiter  vom  Auge  rücken,  oder  das  Object  etwas  entfernter  halten,  oder  aber 
stärkeres  Licht    suchen.     Sein  Auge  wird   also,  wo   nicht    ganz   unfähig,    mit  einem  sol- 


Trübung  —  Folgen  —  Gesichtsslürnng.  259 

eben  Glase  zu  arbeiten,  entweder  vorzeitig  ermüdet,  oder  es  ändert  seinen  Refractions- 
zustand,  und  wird  nach  langer  fortgesetztem  Gebrauche  solcher  Gläser  weitsichtiger, 
d.  h.  es  bedarf,  wenn  die  beschädigten  Gläser  erst  nach  längerer  Zeit  mit  reinen  ver- 
tauscht werden,  schon  etwas  mehr  gewölbte  Gläser,  um  wieder  so  klar  und  in  der- 
selben Nähe,  wie  früher,  zu  sehen,  während,  wie  man  aus  andern  Fällen  ersieht, 
wenn  das  beschädigte  Glas  bei  Zeiten  mit  einem  reinen  von  derselben  Brennweite 
vertauscht  wird,  das  Auge  in  gleichem  Refractionszustande  verbleibt.  —  Wenn  Jemand, 
der  gewohnt  ist,  sich  beider  Augen  zu  bedienen ,  und  der  auf  beiden  Augen  nicht  nur 
die  gleiche  Energie ,  sondern  auch  denselben  Refractionszustand  besitzt,  ein  leicht  ge- 
trübtes (z.  B.  blassblaues  oder  über  einer  Kerzenflamme  leicht  angerauchtes)  Glas  vor 
das  eine  Auge,  z.  B.  vor  das  linke  hält,  und  nun  mit  beiden  Augen  liest,  so  wird  er 
bemerken,  dass  er  das  Lesen  auf  diese  Art  nicht  so  lange  aushält,  als  wenn  er  mit 
beiden  Augen  frei  oder  mit  dem  reehten  Auge  allein  (bei  völlig  verdecktem  oder  zu- 
gehaltenem linken)  liest.  Er  wird  finden,  dass  er  bei  diesem  Experimente  die  Schrift 
nicht  so  rein  erkennt,  dass  bei  längerer  Fortsetzung  des  Experimentes  das  freie  Auge 
sich  mehr  anstrengen  muss,  dass  endlich  die  Buchstaben  anfangen  Farbensäume  zu 
bekommen,  zu  schwanken,  zu  verschwimmen  u.  s.  w.  Woher  diese  Erscheinung? 
Wir  sehen  mit  beiden  Augen  zugleich  bekanntlich  nur  Ein  Bild  des  Objectes,  so  lange 
die  Lichtstrahlen  identische  Netzhautstellen  treffen.  Wie  das  eine  Auge  seitlich  ab- 
gelenkt wird,  somit  die  Lichtstrahlen  von  demselben  Objecte  nicht  auf  correspondirende 
Netzhautstellen  fallen,  erscheint  ein  Doppelbild  jenes  Objectes.  Sollen  wir  aber  scharf 
sehen,  so  muss  das  Bild,  das  dein  einen  Auge  angehört,  dem  des  andern  auch  an 
Deutlichkeit  völlig  oder  nahezu  gleich  kommen ,  i.  e.  der  Gesichtseindruck  muss  auf 
beiden  Augen  die  gleiche  Energie  besitzen,  die  Bilder,  welche  durch  Deckung  in 
Einen  Eindruck  verschmelzen,  müssen  auch  eine  gleiche  oder  nahezu  gleiche  Deutlich- 
keit besitzen.  Wenn  demnach  auf  dem  einen  Auge  das  Netzhaulbild  minder  deutlich 
ist,  als  auf  dem  andern,  so  entsteht  die  Wahrnehmung  eines  Doppelbildes,  welches 
jedoch  vermög  der  Deckung  nicht  als  ein  getrenntes,  sondern  als  Mischung  aus  einem 
deutlichen  und  undeutlichen  wahrgenommen  wird.  Dieser  Gesammteindruck  hält  dann 
das  Mittel  der  Deutlichkeit,  welches  eben  aus  jener  Mischung  resultirt.  Ich  kenne 
einen  Collegen,  welcher  ein  sehr  scharfes  Gesicht  beider  Augen  besitzt,  mit  der  Eigen- 
thümlichkeit,  dass  ihm  das  rechte  Auge  allein  die  Gegenstände  etwas  röthlich,  das 
linke  allein  etwas  grünlich  erscheinen  lässt ;  mit  beiden  Augen  zugleich  sieht  er  die 
Gegenstände  in  der  natürlichen  Farbe.  Diesen  Zustand,  welcher  die  Deckung  der 
Netzhautbilder,  ihre  Verschmelzung  in  Einen  Gesammteindruck  am  besten  zeigt,  kann 
man  künstlich  nachmachen,  wenn  man  vor  das  eine  Auge  ein  röthliches,  vor  das  aiv5- 
dere  Auge  ein  grünes  Glas  hält,  oder  auch  andere  complemenläre  Farben  wählt;  man 
wird  dann  beim  Gebrauche  beider  Augen  das  Object  weder  roth  noch  grün,  sondern 
in  der  natürlichen  Farbe  erkennen.  Während  dieses  Experiment  die  Qualität  betrifft, 
zeigen  uns  andere  Experimente  mehr  den  Einfluss  der  Quantität  oder  Itensität.  Man 
träufle  Jemanden,  der  auf  beiden  Augen  gleiche  Sehkraft  und  gleiche  Refraction  be- 
sitzt, in  das  eine  Auge  einige  Tropfen  gelösten  Belladonnaextractes  ein.  So  wie  sich 
die  Pupille  dieses  einen  Auges  erweitert  hat ,  mithin  der  Refractionszustand  desselben 
geändert  ist,  sieht  derselbe  namentlich  nahe  Gegenstände  undeutlich;  so  wie  man  das 
veränderte  Auge  zuhält,  sieht  er  wieder  so  gut,  wie  vorher.  Die  Schwäche  des  Ge- 
sammteindruckes    ist    offenbar   das  Resultat    aus     der    Mischung   des   deutlichen   und   un- 

17* 


260  Hornhaut. 

deutlichen  Eindruckes.  Dasselbe  Resultat  erhalt  man,  wenn  man  ein  schwach  con- 
caves  oder  ein  schwach  convexes  Glas  vor  das  eine  Auge  hält,  und  auf  demselben 
physiologischen  Gesetze  beruht  die  oben  angegebene  Erscheinung  bei  dem  Experimente 
mit  einem  vor  das  Auge  gehaltenen  schwach  getrübten  Glase.  So  wie  man  aber  ein 
stark  convexes,  oder  ein  stark  coneaves,  oder  ein  sehr  trübes  Glas  vor  das  eine  Auge 
hält,  also  die  Formirung  eines  die  Netzhaut  noch  hinreichend  anregenden  Bildes  ver- 
hindert, ist  man  in  derselben  Lage,  wie  wenn  man  dieses  Auge  ganz  verdeckt.  — 
Wenden  wir  das  Gesagte  auf  die  Hornhauttrübungen  an  (in  dem  Abschnitte  über  die 
Trübungen  der  Linse  werden  wir  ganz  dasselbe  wiederfinden),  so  finden  wir,  dass 
bei  grössern  und  dichtem  Hornhautflecken  des  einen  Auges  gar  kein  oder  nur  ein  so 
undeutliches  Bild  erzeugt  wird,  dass  es,  falls  das  andere  Auge  gesund  ist,  ganz  ver- 
nachlässigt wird,  dass  es  die  Netzhaut  zu  schwach  anregt,  um  wahrgenommen  und  be- 
achtet zu  werden.  Geringere  Trübungen  der  einen  Hornhaut  wirken  aber  gerade  da- 
durch störend  auf  die  Function  des  andern  (gesunden)  Auges  ein,  dass  sie  ein  nicht 
genug  deutliches  Bild  zulassen,  welches  mit  dem  des  andern  (gesunden)  Auges  ver- 
schmelzend, den  Gesammteindruck  schwächt.  Wir  finden  in  der  That  diese  Erscheinung 
am  Krankenbette  so  oft,  dass  sie  wohl  jedem  aufmerksamen  Beobachter  bekannt  sein 
dürfte.  Insbesondere  sind  es  Leute  mit  frisch  entstandenen  leichten  Hornhauttrübungen 
(oder  Resorptionsgeschwüren) ,  und  noch  öfter  Leute  mit  beginnender  und  langsam 
vorschreitender  Linsenverdunklung  des  einen  Auges ,  an  Avelchen  man  diese  Wahrneh- 
mung machen  kann.  Sie  müssen,  wenn  sie  mit  dem  gesunden  Auge  feinere  Gegen- 
stände genauer  betrachten  wollen,  das  kranke  Auge  förmlich  zuhalten ;  sie  sagen :  das 
kranke  Auge  blende  sie  ;  Cataractöse  wünschen  sich  ordentlich  die  völlige  Verdunklung 
desselben.  Nicht  selten  berichten  solche  Cataractöse  dann ,  wenn  die  Trübung  des 
einen  Auges  hinreichend  dicht  geworden  ist,  dem  Arzte  mit  einer  gewissen  Freude^ 
dass  sie  nun  mit  dem  andern  Auge  wieder  besser  sehen.  Und  auf  gleiche  Weise  fand 
ich  Patienten,  welche  in  Folge  überstandener  Hornhautentzündung  Flecke  behielten, 
darüber  in  Bestürzung  gerathen,  dass  sie  durch  den  nach  und  nach  dünner  und  kleiner 
gewordenen  Fleck  im  Sehen  mehr  genirt  waren,  als  früher  durch  die  grössere  Trü- 
bung,  indem  sie  diese  Erscheinung  natürlich  auf  Rechnung  des  bisher  gesund  geblie- 
benen Auges  schreiben  zu  müssen  glaubten. 

Nicht  minder  interessant  ist  es,  die  Mittel  kennen  zu  lernen,  durch  welche  diese 
Störung  ausgeglichen  zu  werden  pflegt.  Viele  Erscheinungen,  die  nichts  als  Folgen 
leichter  Hornhauttrübungen  des  einen  oder  beider  Augen  sind,  werden  nur  dann  ver- 
ständlich, wenn  man  das  so  eben  erörterte  Gesetz  der  Deckung  eines  vollkommen 
klaren  und  eines  undeutlichen  Bildes  und  der  dadurch  gesetzten  Verschmelzung  in 
einen  minder  deutlichen   Gesichtseindruck  kennt. 

Kleinere  Trübungen  des  mittlem  Theiles  der  Cornea  führen,  zumal 
bei  jugendlichen  Individuen ,  zur  Kurzsichligheit.  Wird  ein  Gegenstand 
dem  Auge  näher  gebracht,  so  gelangen  relativ  mehr  Lichtstrahlen  von 
demselben  zum  Auge,  als  dann,  wenn  er  entfernter  gehalten  wird.  Die 
Menge  der  Lichtstrahlen,  welche  —  bei  gleich  gross  gedachter  Pupille  — 
von  ein  und  demselben  Gegenstande  aus  verschiedenen  Entfernungen  zur 
Netzhaut  gelangt,   verhält   sich    bekanntlich    umgekehrt   wie   die    Quadrate 


Trübung  —  Folgen  —  Kurzsiöfitigkeit  —  Ermüdung.         261 

dieser  Entfernungen.  Da  ferner  die  Lichtstrahlen'  von  einem  nahen  Ge- 
genstände mehr  divergent  zum  Auge  gelangen ,  als  die  von  einem  ent- 
fernten ,  so  werden  von  einem  nahen  Gegenstande  auch  aus  diesem 
Grunde  mehr  Lichtstrahlen  neben  einem  kleinen  Hornhautflecke  zur  Pu- 
pille gelangen,  als  von  einem  entfernten.  Aus  diesen  Gründen  nun  ge- 
schieht es,  dass  ein  Kranker  mit  solchen  Trübungen  sich  gewöhnt,  alle 
Gegenstände  relativ  näher  zu  bringen ,  als  ein  Gesunder ,  und  diese  Ge- 
wohnheit führt,  wie  wir  in  dem  Abschnitte  „über  die  Krankheiten  des 
Accommodationsvermögens"  nachweisen  werden ,  wenigstens  in  früheren 
Lebensjahren  zu  einer  bleibenden  Veränderung  des  Refractionszustandes, 
zur  Kurzsichligkeit,  welche  auch  nach  dem  Verschwinden  der  Ursache 
(der  Hornhauttrübung)  fortzudauern  pflegt.  Der  Veränderung  des  Re- 
fractionszustandes kommt  noch  der  Umstand  zu  Gunsten,  dass  bei  cen- 
tralen Hornhauttrübungen  die  Pupille  caeteris  paribus  etwas  grösser  zu 
sein  pflegt.  —  Ob  nun  die  Trübung  auf  beiden  oder  nur  auf  einem  Auge 
vorhanden  ist,  das  pflegt  in  Bezug  auf  dieses  Endresultat  gleich  zu  sein; 
dennoch  kommen  Fälle  vor,  wo  bloss  das  eine  Auge  kurzsichtig  wird 
und  bleibt,  das  andere  dagegen  den  normalen  Refraclionszustand  nicht 
einbüsst.  Dieses  hängt  vorzüglich  von  der  Art  und  Weise  ab,  wie  der 
Kranke  seine  Augen  zur  Zeit  der  Dauer  der  Trübung  verwendete.  Wir 
müssten ,  um  diesen  Ausspruch  schon  hier  vollständig  zu  rechtfertigen, 
das  ganze  Capitel  über  die  Accommodation  ausführlich  besprechen,  wess- 
halb  wir  lieber  auf  dasselbe  verweisen.  —  Entstehen  leichte  Hornhaut- 
trübungen in  spätem  Jahren ,  wo  eine  Abänderung  des  Refractions- 
zustandes in  den  Zustand  der  Kurzsichtigkeit  nicht  so  leicht  möglich  ist, 
so  pflegen  andere  Störungen  einzutreten ,  welche  wir  so  eben  besprechen 
wollen.  Die  gewöhnlichste  ist  Mangel  an  Ausdauer  beim  Betrachten 
naher  und  kleiner  Objecte,  und  Unfähigkeit,  entferntere  Gegenstände 
deutlich  wahrzunehmen. 

Der  Zustand  vorzeitiger  Ermüdung  der  Augen,  des  Mangels  an 
Ausdauer  beim  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  ist  häufig  die  Folge  kleiner  und 
unscheinbarer  Hornhautflecke.  Man  sieht  diesen  Zustand  nicht  bloss  dann 
eintreten,  wenn  Erwachsene ,  deren  Beruf  grössere  Anforderungen  an  die 
Sehkraft  stellt,  von  solchen  Trübungen  befallen  werden,  sondern  er  ent- 
wickelt sich  auch  bei  Leuten,  welche  derlei  Flecke  vielleicht  seit  der 
ersten  Jugend  an  sich  tragen ,  sobald  sie  in  die  Lage  kommen ,  ihre 
Augen  mehr  als  früher  zur  anhaltenden  Betrachtung  winziger  Gegen- 
stände verwenden  zu  müssen.  Dieser  Zustand  entwickelt  sich  nicht  etwa 
bloss  bei  beiderseitigen  Trübungen,   sondern  auch,  wenn  die  eine  Cornea 


262  Hornhaut. 

allein  betroffen  ist,  und  die  Kranken  kommen  dann  gewöhnlich  den  Arzt 
zu  consultiren ,  nicht  wegen  des  einen  Auges ,  das  die  ohnehin  ge- 
wöhnlich als  von  lange  her  schwächer  bezeichnen,  sondern  wegen  des 
andern,  bisher  gesunden,  nun  aber  die  Dienste  bei  der  Arbeit  versagenden 
Auges.  Man  kann  sich  in  den  Zustand  solcher  Leute  leicht  versetzen, 
wenn  man  sich  selbst  vor  das  eine  Auge  ein  leicht  getrübtes  Glas  hält, 
und  nun  längere  Zeit  liest.  Das  unverdeckte  Auge  hält  die  Anstrengung 
nicht  lange  aus.  Es  sucht  nämlich  —  um  figürlich  zu  sprechen  —  gleichsam 
das  an  Deutlichkeit  des  Gesammteindruckes  zu  ersetzen,  was  demselben 
durch  die  Mischung  mit  dem  undeutlichen  Bilde  des  nndern  Auges  ent- 
zogen wird,  und  die  Retina  und  die  Aceommodationsorgane  halten  diesen 
Zustand  nicht  lange  aus.  Es  kommt  dabei  häufig  zu  der  bekannten  Er- 
scheinung des  Mücke ns ehe ns  —  auf  die  wir  in  dem  Capitel  über  das  Aecom- 
modationsvermögen  zurückkommen  —  und  zu  den  Erscheinungen  der 
Ermüdung,  welche  unter  den  Namen  Asthenopie,  Hebetudo  visus,  Ambly- 
opia  ex  abusu  visus  u.  dgl.  beschrieben  worden  sind. 

Bei  bloss  einseiliger  Trübung,  oder  bei  einerseits  etwa  stärkerer 
Trübung  erfolgt  in  Fällen,  ico  die  Trübung  in  der  Jugend  entsteht,  die 
Gewohnheit  zu  schielen,  in  Fällen  späterer  Erkrankung  die  des  zeitwei- 
ligen Zukneipens  der  Lider  des  schlechteren  Auges.  Es  geschieht  diess 
unwillkürlicb ,  instinktmässig,  durch  Reflex  auf  einen  der  Musculi  recti 
oder  auf  den  Muse,  orbicul.  palpebrarum.  So  wie  bei  andern  nicht  allzu- 
bedeutenden Störungen  des  Gesichtes,  geschieht  es  auch  bei  leichten 
Hornhauttrübungen,  dass  der  Kranke,  der  gewohnt  ist,  zur  Betrachtung 
der  gewöhnlichen  Gegenstände  sich  beider  Augen  zu  bedienen  (weil  bei 
diesen  die  Ulideutlichkeit  des  einen  Bildes  nicht  so  sehr  in  Anschlag 
kommt),  das  schwächere  Auge  zukneipt,  und  zwar  je  nach  dem  Refrac- 
tionszustande  dieses  und  des  gesunden  Auges  entweder  bei  Betrachtung 
eines  winzigen  und  nahen  Gegenstandes,  oder  so  oft  er  mit  dem  bessern 
Auge  deutlich  in  die  Ferne  sehen  will.  Leute,  die  es  in  diesem  Zukneipen 
noch  nicht  zu  einer  gewissen  Fertigkeit  gebracht  haben ,  pflegen  das 
schwächere  Auge  geradezu  mit  der  Hand  zu  verdecken.  —  Die  Ablen- 
kung des  Auges  durch  einen  der  geraden  Augenmuskel,  das  Schielen, 
erfolgt  in  der  Regel  nach  innen,  seltener  nach  aussen,  ausnahmsweise 
uach  oben  oder  nach  unten.  Ist  das  Individuum  zur  Zeit  der  eintreten- 
den Gesichtsslürung  noch  jung,  werden  seine  Augen  ausschliesslich  oder 
vorwaltend  für  nahe  Gegenstände  in  Anspruch  genommen ,  so  erfolgt 
beinahe  conslant  die  Ablenkung  nach  innen,  Strabismus  internus  s.  con- 
vergens.     Tritt   die   Gesichtsstörung    (aus   was    immer   für   einer  Ursache, 


Trübung  —  Schielen)  —  Nystagmus  —  Eins.  Sehen.  263 

also  nicht  bloss  hei  Hornhautflecken)  erst  in  spätem  Jahren  ein,  so 
kommt,  es  fast  ausschliesslich  nur  zur  Ablenkung  nach  aussen,  Strabismus 
ext  rem  US  s.  divergens.  Die  Intention  zu  dieser  Ablenkung  geht  eben  von 
jener  Störung  des  Gesainmleindruckes  durch  das  undeutliche  Bild  des 
schwächeren  Auges  aus.  Sie  tritt  anfangs  nur  vorübergehend,  nur  beim 
genauem  Betrachten  eines  Gegenstandes  ein ,  wird  aber  später  gewöhn- 
lich permanent.  Doch  gibt  es  Leute,  welche  nur  dann  schielen ,  wenn  sie 
etwas  genauer  betrachten  wollen.  Dieses  Schielen  hat  demnach  ganz 
denselben  Zweck,  wie  das  Zukneipen  oder  Zuhalten  des  schwächern  Au- 
ges, nämlich  den  störenden  Eindruck,  das  Nebelbild  zu  beseitigen,  um 
dann  mit  einem  Auge  allein  und  somit  besser,  deutlicher  zu  sehen.  Es 
ist  unbegreiflich,  wie  ein  Wal/her  u.  A.  behaupten  konnten,  das  mit  einem 
Hornhautflecke  versehene  Auge  werde  abgelenkt,  damit  neben  einem  Flecke 
vorbei  die  Lichtstrahlen  zur  Netzhaut  gelangen  können.  Wenn  man  auch 
aller  Kenntnisse  über  die  Physiologie  des  Auges  und  namentlich  über 
das  Einfachsehen  mit  zwei  Augen  bar  wäre:  die  einfache  Beobachtung 
allein  müsste  diesen  Männern  Fälle  genug  vorführen ,  wo  das  Auge  ge- 
rade so  abgelenkt  wird ,  dass  ein  Wahrnehmen  des  Objectes  dann  um  so 
weniger  möglich  wird.  Da  wir  jedoch  den  Erörterungen  über  das  Schie- 
len überhaupt  in  dem  Abschnitte  „über  die  Krankheiten  der  Augen- 
muskelu  nicht  unnöthig  vorgreifen  wollen,  so  genüge  das  Gesagte  zum 
Nachweise,  dass  Hornhautrübungen  nicht  selten  zu  Strabismus  führen, 
und  dass  diese  seeundäre  Affeclion  der  Augenmuskeln  fortbestehen  kann, 
auch  wenn  die  Ursache,  die  Hornhauttrübung,  längst  verschwunden  ist. 

Bestehen  bedeutendere  centrale  Hornhauttrübungen  von  der  ersten 
Kindheit  an,  so  werden  sie  Ursache  des  beständigen  Oscitlirens  der 
Bulbi,  des  Nystagmus.  Da  hier  nur  von  den  geringeren  Hornhauttrü- 
bungen die  Rede  sein  soll,  um  die  Wichtigkeit  der  folgenden  Erörterun- 
gen (über  die  Behandlung  derselben)  hervorzuheben,  so  muss  rücksicht- 
lich dieses  Folgezustandes  gleichfalls  auf  den  Abschnitt  „über  die  Krank- 
heiten der  Augenmuskeln"  verwiesen  werden. 

Man  kann  diesen  Ansichten  über  die  genannten  conseculiven  Ge- 
sichtsfehler entgegenstellen,  dass  eine  Ungleichheit  der  Sehkraft  (mit  oder 
ohne  Hornhauttrübungen)  und  ein  ungleicher  Refractionszusland  bei  sehr 
vielen  Menschen  wahrgenommen  wird ,  ohne  dass  jene  Zustände,  die  wir 
als  Folgen  jener  Ungleichheit  bezeichneten,  vorkommen.  Wir  kennen 
diese  Thatsache,  und  sind  weit  entfernt,  sie  im  mindesten  in  Abrede  zu 
stellen.  Aber  sie  zeigt  uns  eben  nur,  dass  im  Organismes,  wo  jederzeit 
so   viele   Momente   zugleich   in   Anschlag   zu   bringen    sind,    wenn    sich's 


264  Hornhaut. 

darum  handelt,  aus  Wirkungen  auf  Ursachen  zurückzuschliessen,  eben  ein 
Moment  für  sich  allein  nicht  hinreicht,  eine  genügende  Erklärung  zu 
geben.  So  gut  wir  nicht  wissen ,  warum  es  in  dem  einem  Falle  bloss 
zum  zeitweiligen  Schielen  oder  Zukneipen  der  Lider ,  in  dem  andern  zur 
Kurzsichtigkeit,  und  in  einem  dritten  zum  Mangel  an  Ausdauer  im  Sehen 
kommt,  können  wir  auch  nicht  bestimmen,  warum  in  andern  Fällen  keine 
dieser  Folgen  eintritt.  Mancher  Mensch  gewöhnt  sich,  nur  mit  dem  bessern 
Auge  zu  sehen,  wenigstens  zu  genauerem  Unterscheiden  sich  bloss  des 
bessern  zu  bedienen,  ohne  dass  es  zu  einer  Ablenkung  etc.  des  schwä- 
chern Auges  kommt ;  ein  anderer  arbeitet  mit  dem  einen  Auge ,  ohne 
dass  ihn  das  schwächere  Bild,  welches  das  andere  liefert,  nur  im  min- 
desten stört.  Es  darf  uns  bei  Beurtheilung  solcher  Fälle  nicht  entgehen, 
dass  man  —  bald  mit,  bald  ohne  Bewusstsein  oder  Absicht  —  von  ge- 
wissen störenden  Sinneseindrücken  abstrahiren  lernen  kann.  Wer  sich 
mit  dem  Mikroskope  beschäftigt,  weiss,  dass  ihn  der  feinste  Ritz  des 
Glases,  welches  das  Object  trägt  oder  deckt,  anfangs  beträchtlich,  allmälig 
aber  gar  nicht  beirrte ;  er  weiss,  dass  es  ihn  anfangs  viele  Mühe  kostete, 
den  Eindruck  auf  das  linke  (offen  gehaltene)  Auge  zu  vernachlässigen, 
während  er  mit  dem  rechten  in  das  Instrument  sah.  —  Wenn  man  übri- 
gens Leute  mit  nur  wenig  differenter  Sehkraft  oder  Sehweite  beider 
Augen  aufmerksam  beobachtet  und  examinirt,  so  wird  man  finden,  dass 
es  doch  gewisse  feine  Arbeiten  oder  gewisse  Distanzen  gibt ,  bei  denen 
ihre  Augen  nicht  jene  gehörige  Schärfe  und  Ausdauer  zeigen,  welche  sie, 
nach  dem  bessern  Auge  allein  zu  schliessen,  zeigen  sollten.  (Ich  ver- 
weise in  dieser  Beziehung  auf  meine  Abhandlung  über  Amblyopie  im  4. 
Bande  der  Prager  Vierteljahrschrift.)  Die  meisten  Leute  mit  ungleicher 
Sehkraft  oder  Sehweite  bedienen  sich  zu  dem  gewöhnlichen  Sehen  beider 
Augen;  so  wie  sie  aber  eine  feinere  Arbeit  verrichten  oder  in  die  Ferne 
sehen  wellen,  bedienen  sie  sich  nur  des  einen,  hiezu  allein  geeigneten 
Auges ,  und  abstrahiren  von  dem  schwächeren  Eindrucke  des  andern. 
Wo  aber  der  Gesichtseindruck  des  einen  Auges  überhaupt  ein  sehr 
schwacher  ist,  da  ist  eine  solche  Abstraction  gar  nicht  nolhwendig.  Diess 
ist  z.  B.  der  Fall  bei  Schielenden,  und  hierin  liegt  der  Grund,  dass  sie 
in  späterer  Zeit  nicht  doppelt  sehen. 

Man  wird,  wenn  ich  mich  klar  ausgesprochen  habe,  aus  dieser  Dar- 
stellung ersehen,  wie  wichtig  es  ist,  dass  man  der  kleinsten  Hornhaut- 
trübung, sobald  sie  im  Bereiche  der  Pupille  liegt,  seine  tolle  Aufmerk- 
samkeit schenke,  dass  man  bei  allen  solchen  Hornhauttrübungen  jede 
grössere  Anstrengung  der  Sehkraft  untersage,  so  lange  es  nicht  gelungen 


Trübung  —  Prognosis.  2(55 

ist,  die  Aufhellung  der  Hornhaut  zu  bewerkstelligen,  falls  diess  überhaupt 
möglich  ist,  namentlich  bei  Kindern,  und  dass  es  gewissenlos  ist,  die 
Ellern  nicht  hierauf  aufmerksam  zu  machen.  Man  nehme  sich  nur  die 
Mühe,  alle,  die  an  Ermüdung  der  Augen  (Asthenopie),  an  Schielen,  an 
Kurzsichtigkeit  leiden,  genau  zu  examiniren  und  zu  untersuchen,  und  man 
wird  sich  überzeugen,  dass  das,  was  soeben  über  Hornhauttrübungen 
gesagt  wurde,  eben  so  wahr  als  wichtig  ist. 

Es  fragt  sich  nun :  kann  der  Arzt  bei  Hornhauttrübungen  etwas  zum 
Besten  des  Kranken  thun,  oder  hat  er  diesen  ohneweiters  seinem  Schick- 
sale zu  überlassen?  —  Schon  Beer  beklagte  sich,  dass  viele,  selbst  be- 
rühmte Augenärzte  dieser  wichtigen  Frage  nicht  die  gehörige  Aufmerk- 
samkeit schenken,  daher  es  komme,  dass  nicht  selten  Quacksalber  manchen 
als  unheilbar  erklärten  Augenkranken  heilen.  Trotz  den  seither  ge- 
machten Erfahrungen  hat  man  in  neuester  Zeit  wieder  behauptet,  die 
Hornhauttrübungen  heilen  entweder  von  selbst,  oder  gar  nicht;  es  be- 
ruhe auf  Täuschung,  wenn  man  glaube,  die  Kunst  vermöge  etwas  dagegen. 
Allein  dadurch,  dass  man  die  Ansichten  älterer  Arzte  bespöttelt,  ohne  die 
von  ihnen  aufgestellten  Behauptungen  mit  wissenschaftlichen  Gründen  zu 
widerlegen,  wird  der  Wissenschaft  und  Kunst  kein  Dienst  erwiesen.  Wir 
haben  gerade  bei  Hornhauttrübungen,  wenn  sie  bei  einem  und  demselben 
Individuum  auf  beiden  Augen  in  ganz  gleicher  Weise  vorkommen,  was  doch 
nicht  selten  der  Fall  ist,  die  schönste  Gelegenheit  zu  prüfen,  ob  die  so- 
genannten „Hornhaut-aufhellenden  Mittel"  etwas  zu  leisten  im  Stande 
sind,  oder  nicht.  Meine  Versuche  hierüber  haben  mich  zu  dem  Resultate 
geführt,  dass  die  von  Beer  u.  A.  aufgestellten  Grundsätze  der  Hauptsache 
nach  richtig  sind. 

Wir  kennen  nur  zwei  wesentlich  verschiedene  Formen  von  Trü- 
bungen des  Hornhautparenchyms  (in  Folge  von  entzündlichen  Zuständen), 
nämlich:  Exsudate  zwischen  den  noch  bestehenden  Hornhautfasern,  und 
Exsudate  an  der  Stelle  der  durch  Eiterung  oder  mechanisch  -  chemisch 
wirkende  Einflüsse  zerstörten  Hornhautfasern.  Es  braucht  wohl  kaum 
wiederholt  zu  werden,  dass  beide  Formen  neben  einander  zugleich  vor- 
kommen können,  ja  dass  die  letztere  fast  nie  ohne  die  erstere  (in  der 
Umgebung  der  Narbe)  vorkommt.  Man  hat  sich  somit  bei  jeder  Horn- 
hauttrübung zu  fragen,  ob  zur  Beseitigung  derselben  einfache  Resorption 
des  Exsudats  oder  wirkliche  Regeneration  der  betroffenen  Partie  not- 
wendig sei ,  und  weiterhin ,  ob  auch  die  Bedingungen  %u  der  einen  oder 
zur  andern  vorhanden  seien.  —  Trübungen  der  ersten  Art  schwinden  in 
der  Regel  von   selbst,   sobald   der  exsudative  Process  erloschen  ist,    und 


266  Hornhaut. 

man  hat  sich  hier  sehr  zu  hüten,  dass  man  nicht  vorzeitig  örtliche  Reiz- 
mittel anwende.  Sie  schwinden  um  so  leichter,  je  mehr  das  Exsudat  ein 
seröses  ist;  doch  gehen  auch  sehr  faserstoffreiche,  ein  gelblichweises  Aus- 
sehen darbietende  Trübungen  nicht  selten  von  selbst  zurück.  Wir  sind  jedoch 
durch  bestimmte  Beobachtungen  zu  der  Einsicht  gekommen,  dass  sich 
die  Aufhellung  solcher  Hornhäute  durch  entsprechende  Behandlung  be- 
schleunigen lässt,  und  dass  derlei  Trübungen  nach  Jahre-langem  Bestände 
oft  in  kurzer  Zeit  durch  die  Kunst  beseitigt  werden  können.  Eine  Aus- 
nahme findet  nur  dann  statt,  wenn  nach  langem  Fortbestehen  reichlichen 
Faserstoffexsudates  die  eigentlichen  Hornhautfasern  atrophirt  sind,  was 
sich  nach  vorausgegangener  merklicher  Schwellung  der  Cornea  dadurch 
kund  gibt,  dass  die  von  dem  allmälig  schrumpfenden  Exsudate  durchsetzte 
Hornhautpartie  etwas  platter  und  flacher,  sehnen-  oder  porzellanartig  glän- 
zend aussieht  oder  bei  Berührung  mit  einer  Sonde  derb  und  hart  erscheint. 
Bei  den  durch  Substanzverlust  der  Cornea  und  unvollständige  Re- 
generation gesetzten  Trübungen  fragt  sich's ,  abgesehen  von  der  Compli- 
calion  mit  der  durch  einfache  Exsudation  gesetzten  Trübung  der  Um- 
gebung, zunächst,  wie  tief  die  Zerstörung  reichte.  Eine  oberflächliche 
Trübung  dieser  Art  erscheint  in  der  Regel  halbdurchsichtig  oder  stark 
durchscheinend ,  nebel-  oder  rauchähnlich  mit  verwachsenen  Rändern. 
Solche  Trübungen  sind,  wenn  sonst  die  Bedingungen  von  Seite  des  Ge- 
sammtorganismus  günstig  sind,  leicht  heilbar.  Doch  lasse  man  sich  nicht 
täuschen;  bisweilen  bietet  eine  solche  Trübung  durchaus  ein  solches  Aus- 
sehen dar,  und  reicht  doch  sehr  tief;  diess  ist  der  Fall,  wenn  die  ge- 
trübte Stelle  zugleich  vertieft  oder  abgeschliffen  erscheint,  weil  das  zur 
Deckung  des  Substanzverlustes  gesetzte  Exsudat  schon  mit  Epitheliuin 
überzogen  wurde,  bevor  es  noch  das  Niveau  der  Umgebung  er- 
reichte. Solche  vertiefte  Hornhauttrübungen  sind  schwer  oder  gar  nicht 
heilbar.  —  Tiefere  Geschwüre  lassen  gerne  das  zurück,  was  Beer 
Leucoma  nannte ,  nämlich  eine  in  der  Mitte  undurchsichtige ,  weisse 
oder  gelblichwcisse  Trübung  von  glattem  dichtem  Aussehen.  Solche 
undurchsichtige  Trübungen  mit  verwachsenen  Rändern  sind  bald  heilbar, 
bald  unheilbar.  Diess  hängt  hauptsächlich  von  dem  Zustande  des  Ge- 
sammtorganismus  und  von  der  Dauer  dieser  Krankheit  ab.  Bei  Kindern, 
welche  in  Folge  von  Blennorrhoca  neonatorum  sehr  bedeutende  Leu- 
come  darboten,  sah  ich  die  Cornea  allmälig  maculös  (halbdurchsichlig) 
und  endlich  wohl  auch  vollkommen  durchsichtig  werden.  —  Trübungen, 
welche  nach  durchbohrenden  Hornhautgescliwüren  oder  Wunden  mit 
vordem  Synechien  entstanden,  sind  wenigstens  so  weil,  als  die  Yerwach- 


Trübung  —  Prognosis.  2(37 

sung  mit  der  Iris  reicht,  absolut  unheilbar.  —  Derb  aussehende  undurch- 
sichtige Trübungen  mit  deutlicher  Vertiefung  oder  Abflachung  in  der 
Mitte  sind  unheilbar.  —  Trübungen  mit  vermehrter  Wölbung  des  getrübten 
Theiles  hellen  sich  niemals  auf.  Stellen  sie  eine  geheilte  Keratokele  dar, 
so  bleibt  das  Gesicht  permanent  gestört,  auch  wenn  der  centrale  Theil  einen 
ziemlich  hohen  Grad  von  Durchsichtigkeit  erlangt.  —  Trübungen,  welche 
wegen  abnorm  angehäuften  und  veränderten  Epitheliums  über  die  Wöl- 
bung der  Cornea  emporragen,  lassen  sich  wahrscheinlich  auch  durch 
Abtragung  desselben  nicht  beheben.  —  Der  Umfang  der  Trübung  hat 
wohl  einigen,  aber  lange  nicht  so  viel  Einfluss  auf  die  Heilbarkeit,  als 
man  glauben  sollte;  gerade  ganz  kleine,  aber  tief  reichende  Trübungen 
sind  oft  weit  hartnäckiger,  als  ausgedehntere,  aber  mehr  oberflächliche. 

Eine  zweite  Frage  bei  dieser  Form  von  Hornhauttrübungen,  den 
eigentlichen  Hornhautnarben,  ist  die,  wie  lange  die  Trübung  bereits  be- 
stehe, und  welchen  Grad  von  Festigkeit  oder  Dichtheit  sie  bereits  an- 
genommen habe.  Das  an  die  Stelle  der  verloren  gegangenen  Hornhaut- 
fasern getretene  Exsudat  wird,  wenn  es  nicht  in  normale  Hornhautfasern 
umgewandelt  worden  ist,  mit  der  Zeit  immer  dichter  und  fester,  und 
bekommt  ein  silber-  oder  sehnenartig  glänzendes,  mitunter  auch  kreiden- 
weisses  oder  fettartiges  Aussehen.  Der  Grad  seiner  Consistenz  lässt  sich 
auf  diese  Art  nicht  bloss  mit  der  Sonde,  sondern  auch  schon  durch  den 
einigermassen  geübten  Blick  beurtheilen.  Bisweilen  bilden  sich  selbst 
Kalkconcremente,  nach  einigen  Beobachtern  auch  wahre  Verknöcherungen 
in  denselben.  Je  weiter  nun  diese  Metamorphose  gediehen  ist,  desto 
schwieriger  wird  die  Elimination  und  der  Ersalz  durch  neues  Exsudat, 
welches  in  normale  Hornhaut  umgewandelt  werden  kann. 

Die  3.  Frage  endlich  betrifft  den  Zustand  des  Gesammtorganismus 
überhaupt,  und  den  des  Auges  insbesondere.  Je  jünger,  je  gesünder, 
lebenskräftiger  das  Individuum  überhaupt,  desto  mehr  kann  man  auf  Eli- 
mination des  Exsudates  und  auf  Umwandlung  des  an  seine  Stelle  tre- 
tenden frischen  Ergusses  in  homogenes  Hornhautgewebe  rechnen.  Bei 
Individuen,  die  das  40.  Jahr  überschritten,  bei  Individuen,  die  vor  der 
Zeit  gealtert,  sehr  herabgekommen  sind,  können  auch  kleine  und  un- 
scheinbare Hornhauttrübungen  jedem  Heilversuche  widerstehen.  Bei 
Kindern,  deren  Cornea  ihr  Wachsthum  noch  nicht  vollendet  hat,  sieht 
man  Farben,  die  bis  in  die  tiefsten  Schichten  reichen,  selbst  solche,  die  nach 
durchbohrenden  Geschwüren  entstanden  waren,  wenn  nur  die  Wölbung 
der  Cornea  nicht  gelitten,  und  die  Iris  nicht  mit  der  Cornea  in  Verbin- 
dung  geblieben,    in  Zeit    von    einigen    Monaten    oder   Jahren    sogar    von 


2G8  Hornhaut. 

selbst     spurlos     oder     bis     auf    leichte     unscheinbare     Trübungen     ver- 
schwinden. 

Beer  1.  c.  II.  B.  S.  91  erzählt  folgenden  Fall.  „Ich  hatte  ein  Sjähriges  Mädchen, 
welches  durch  eine  von  Seite  des  Augenarztes  vernachlässigte  scrofulöse  Augenentzün- 
dung  des  Gesichtes  vollkommen  beraubt  war,  indem  die  rechte  Hornhaut  gänzlich  Ieuco- 
matös.  in  der  Hornhaut  des  linken  Auges  aber  ein  ungeheurer,  vertrockneter,  leuco- 
matöser  Abscess  *)  zurückgeblieben  war,  durch  volle  7  Jahre  in  der  Cur ;  aber  es 
wurde  auch  für  seine  unerschöpfliche  Geduld  so  reichlich  belohnt,  dass  das  rechte 
Auge  kaum  eine  merkliche  Spur  des  Leucoms  am  untersten  Rande  der  Hornhaut  und 
das  linke  Auge  eine  ldeine,  dem  Gesichte  gar  nicht  hinderliche  JVarbe  trägt."  S.  93. 
,.E>  ist  für  denjenigen,  der  es  nicht  selbst  erfahren  hat,  oder  der  wenigstens  nie 
Augenzeuge  davon  war .  wirklich  unglaublich,  xcie  viel  Gutes  der  Arzt  in  derlei  Fällen 
oft  für  die  gerne  Zukunft  seines  Kranken  thuii  kann,  wenn  er  seinen  mit  ungetrübter 
Einsicht  regulirten  Heilplan  auch  mit  ausharrender  Geduld  durchführt.  Es  stiessen  mir 
in  meiner  Praxis  mehrere  Fälle  auf,  in  welchen  ich  durch  die  völlige  Beseitigung  des 
maculösen  oder  leucomatösen  Umfanges  von  Hornhautnarben  dem  Kranken  das  Gesicht 
an  diesem  Auge,  das  er  schon  seit  seiner  Kindheit  für  verloren  hielt,  vollkommen 
wieder  gab.  und  somit  den  Unglücklichen  von  gänzlicher  Blindheit  rettete,  welcher  so 
eben  durch  Eiterung  das  andere  Auge  plötzlich  verloren  hatte,  das  er  bis  dahin  allein 
gebrauchen  konnte.  —  In  andern  Fällen  dieser  Art,  in  welchen  es  nur  auf  Wiederher- 
stellung des  Gesichtes  in  Einem  Auge  ankam,  indem  das  andere  verloren  war,  gelang 
es  mir  durch  die  völlige  Beseitigung  des  maculösen  oder  leucomatösen  Umfanges  der 
Hornhautnarbe,  in  der  Hornhaut  einen  so  bedeutenden  Terrain  zu  gewinnen,  dass  ich 
nachher  mit  dem  glücklichsten  Erfolge  zunächst  der  Xarbe  eine  künstliche  Pupille  an- 
legen konnte."  Man  mag  allerhand  gegen  Beers  Theorien  einzuwenden  haben;  aber  Wahr- 
heitsliebe und  die  Gabe,  gut  zu  beobachten,  wird  ihm  gewiss  Niemand  absprechen  können. 

Welche  Miffel  man  nun  zu  wählen  habe,  um  derlei  Trübungen  zu 
beseitigen,  dazu  hat  uns  Beer  folgende  Anhaltspunkte  gegeben:  1.  Je 
mehr  die  Farbe  der  Verdunklung  oder  des  Fleckes  der  Hornhaut  ins 
Dunkelgraue  fällt,  2.  je  mehr  sich  die  verdunkelte  Stelle  an  ibrem  Um- 
fange verwäscht,  folglich  je  weniger  sichtbar  ihre  angeblichen  Grenzen 
sind,  3.  je  matter  die  verdunkelte  Stelle  aussieht,  je  weniger  sie  irgend 
einen  Glanz  zeigt,  und  endlich  4.  Je  mehr  feine,  kaum  sichtbare  Blut- 
gefasschen  aus  der  zunächst  angrenzenden  Bindehaut  der  Sclera  gegen 
die  getrübte  Stelle  der  Hornhaut  hinlaufen,  ohne  diese  wirklich  zu  er- 
reichen,   und  noch    viel  weniger    zu    überströmen:    desto  bestimmter  sind 

'")  An  eine  Eintrocknung  des  F.ilers  im  Siune  Beer's  u.  A.  glaubt  heut  zu  Tage  natürlich  Niemand  mehr;  dass  aber 
diesem  schlecht  gewählten  Ausdrucke  wirklich  eine  eigenlliümllche  Trübung  der  Hornhaut  zu  Grunde  liegt,  welche 
sich  nach  Abscessen  entwickelt,  ist  nicht  zu  läugnen.  Es  durfte  nicht  ohne  Interesse  sein,  zu  hören,  wie  sich 
ein  Mikroskopiker  unserer  Tage,  nämlich  Szokalski,  in  Roser  und  Wunderlich'*  Archiv,  ls46,  S.  227,  hierüber 
ausspricht.  „Der  zwischen  den  Homhaulfasern  gebildete  Eiler  kann  sich  im  weitern  Verlaute  entweder  entleeren, 
oder  er  vertrocknet  in  der  Hornhaulsubslanz.  Sein  Eiterserum  verschwindet  durch  Resorption,  die  Eiterkürperchcn 
verschmelzen  zu  einer  gelblichen  Masse,  und  verbinden  sich  organisek  mit  der  Hornheulsubslanz,  in  Jcrcii  Mille 
sie  einen  äusserst  schwer  beilbaren  Flecken  bilden." 


Trübung  —  Therapie.  269 

sogleich  mischungsändcrnde  Mittel  angezeigt,  welche  nach  Maassgabe 
ihrer  Wirksamkeit  stufenweise  verstärkt  werden  müssen.  —  Hingegen 
1.  je  weisser,  je  undurchsichtiger  die  getrübte  Stelle  der  Hornhaut  ist, 
je  mehr  sich  ihre  Farbe  dem  Kreidenweiss  nähert,  je  mehr  der  Fleck 
dabei  glänzt,  3.  je  mehr  sich  die  getrübte  Stelle  über  die  Oberfläche  der 
Hornhaut  aufwölbt,  und  4.  je  reiner  von  Blutgefässen  die  zunächst  an- 
grenzende Bindehaut  der  Sclera  ist,  desto  weniger  sind  gleich  anfangs 
mischungsändernde  Mittel  angezeigt,  desto  mehr  muss  man  anfangs  die 
schwächsten  mischungsändernden  Mittel  mit  den  vorbereitenden  (öligen, 
schleimigen,  erweichenden)  vermengen.  —  Man  mag  von  Beer's  Theorie 
über  das  Wesen  der  Hornhauttrübungen  und  über  die  Wirkung  der 
Mittel  dagegen  denken,  was  man  will  :  praktisch  bleiben  die  von  dem- 
selben gegebenen  Anhaltspunkte  für  die  Wahl  der  Medicamente  unter 
allem,  was  seine  Nachfolger  hierüber  gesagt  haben,  noch  immer  die  ver- 
lässlichsten und  brauchbarsten. 

Wollen  wir  nicht  annehmen,  dass  alle  die  Männer,  welche  verschie- 
dene Mittel,  ursprünglich  meistens  den  sogenannten  Volks-  und  Geheim- 
mitteln  angehörig,  als  in  der  That  heilsam  und  bewährt  anempfohlen 
haben,  sich  selbst  täuschten,  oder  Andere  absichtlich  täuschen  wollten, 
so  bleibt  nichts  übrig,  als  dieselben  am  Krankenbette  selbst  zu  ver- 
suchen, und  mit  Hilfe  unserer  gegenwärtigen  medicinischen  Kenntnisse 
und  Ansichten  eine  rationelle  Anschauung  über  deren  Wirkungsweise  an- 
zustreben ;  denn  nur  das  auf  bestimmte  Grundsätze  gestützte  Handeln 
kann  den  Arzt  von  dem  einfachen  Empiriker  unterscheiden.  Zunächst 
erscheint  demnach  die  Kenntniss  dieser  Mittel  und  ihrer  Anwendungsweise 
nothwendig.  Alle  diese  Mittel  zerfallen  in  solche,  welche  die  allmälige 
Umwandlung  der  trüben  Stelle  in  eine  durchsichtige  anstreben,  und  in 
solche,  welche  die  Trübung  mehr  weniger  rasch  (durch  chemische  oder 
mechanische  Zerstörung)  beseitigen.  Die  vorläufige  Aufzählung  der  ge- 
rühmtesten dieser  Mittel  und  ihrer  Anwendungsweise  wird  dem  Pharmako- 
dynamiker und  Pathologen  die  Würdigung  ihres  Heilwerthes  wesentlich 
erleichtern.     Beginnen  wir  mit  der  ersten  Reihe. 

A)  Zu  den  Mitteln,  welche  allmälige  Umwandlung  der  getrübten  in 
durchsichtige  Hornhaut  bewirken  sollen,  gehören: 

1.  Die  Elektricität  und  die  Acupunctur.  Bei  Anwendung  der  ersteren 
wird  der  Strom,  so  stark  ihn  der  Kranke  verträgt,  durch  das  obere  Augen- 
lid und  irgend  eine  andere  Stelle  des  Körpers  durch  5  —  10  Minuten  ge- 
leitet, bis  das  Auge  reichlich  thränt  und  die  Bindehaut  sich  stark  injicirt ; 
die  letztere  besteht  in  der    schrägen  Einführung  einer  feinen  Acapunctur- 


270  Hornhaut. 

nadel  mitten    in    die    trübe  Stelle    und  Belassung   in  dieser,   bis  dieselben 
Zufälle  eintreten. 

2.  Wasserdämpfe,  mittelst  eines  engen  und  langen  Trichters  un- 
mittelbar auf  den  Augapfel  geleitet,  ingleichen  warmer  Malvenaufguss 
oder  gewärmter  Quittenschleim.  10  — 12mal  des  Tages  in's  Auge  zu  träu- 
feln. Beer,  der  diese  Mittel  empfiehl,  macht  aufmerksam  darauf,  dass 
bei  Anwendung  dieser  Mittel,  besonders  wenn  letztere  nicht  gewärmt 
oder  (relativ)  zu  häufig  gebraucht  werden,  leicht  bedeutende  Auflocke- 
rung und  Ödem  der  Conjunctiva  bulbi,  selbst  Ödem  der  Lidränder  ent- 
stehen. Die  Hornhauttrübungen  selbst  sollen  dadurch  ein  mehr  lockeres 
und  sulziges  Aussehen  bekommen. 

3.  Ölige  Mittel,  wie :  Axungia  viperina,  Liquamen  hepatis  muslelae 
fluviatilis  (Aalrutenleberöl),  Oleum  jeeoris  asselli,  reine  Ochsen-  oder 
Fischgalle,  Nussöl  und  ähnliche  bekannte  Volksmittel,  täglich  2 — 4mal 
mittelst  eines  Pinsels  wo  möglich  auf  die  Cornea  selbst  aufgetragen,  und 
mittelst  des  obern  Lides  gut  verrieben,  haben  nach  Beer  u.  A.  im  frischen 
Zustande  mehr  eine  erweichende,  im  ranzigen  Zustande  mehr  eine  rei- 
zende, die  Resorption  direct  betätigende  Wirkung.  Den  ranzigen  Ölen 
und  dem  (r»ur  in  geringer  Dosis  zur  Fisch-  oder  Ochsengalle  beizumen- 
genden) Honig  anzureihen  sind  die  brenzlichen  Öle,  z.  B.  Papieröl,  und 
einige  ätherische  Öle,  z.  B.  Wachholderöl,  welche  das  Auge  auch  in 
kleiner  Dosis  stark  reizen. 

4.  Verschiedene  Substanzen  in  Wasser  gelöst,  täglich  1 — 2mal 
mittelst  eines  Pinsels  einzuträufeln.  Setzt  man  bei  jenen,  deren  Vehikel 
nicht  speciell  genannt  ist,  eine  Unze  Aqua  destill,  als  Suscipiens  voraus, 
so  können  sie  rücksichtlich  der  Intensität  ihrer  Wirkung  ohngefähr  in 
nachstehende  Reihenfolge  gebracht  werden. 

a)  Extr.  cicutae  (ein  Scrupel  in  zwei  Drachmen  Wasser  gelöst); 

b)  Extr.  chelidonii  majoris  oder  Extr.  aloes  aquos.  (zehn  Gran  auf 
zwei  Drachmen),  mittelst  eines  Pinsels  einzuträufeln ; 

c)  Laudanum  liquid.  Sydenh.,  anfangs  mit  Wasser  verdünnt,  später 
unvermischt ; 

d)  Sublim,  corros.  ein  Viertel  Gran  mit  vier  —  acht  Tropfen  Lau- 
danum liquid,  oder:  sublim,  corros.   gr.  dimid.  cum  opii  colati  gr.  quatuor ; 

e)  Argenti  nitrici  gr.   */a — 2  ;  *) 

*)  Die  unter  c,  d  und  e  genannten  Mittel,  namentlich  das  Laudantim,  sind  besonders  bei  frisch  entstandenen  Trü- 
bungen, sobald  nur  der  exsudative  oder  ulcerüse  Process  aufgehört  hat,  unschätzbare  Mittel,  die  Resorption  zu 
belhätigcn.     Vgl.   über  Hornhautentzündung  und   Horiihaiit<reschv.nre. 


Trübung  —  Therapie.  271 

f)  Cadmi  sulfurici  gr.  1—2; 

g~)  Salis  ammon.    et  sacch.  albi  a~a   scrup.  in  aquae  menlhae    unica  ; 

h)  Boracis  venetae  et  sacch.  albi  a~a  gr.  quindeeim  cum  extraet. 
aloes  aquos.  et  extr.  opii  aq.  a~a  gr.  tribus; 

i)  Aquae  benedict.  Rulandi  (Vini  slibiali)  uncia  cum  essentiae  aloes 
et  liquam.  myrrhae  a~a  drachma  ; 

/r)  Barylae  muriaticae  gr.  quinque  in  aquae  laurocer.  uncia,  alle  2 
Stunden  zu  1  Tropfen  ; 

/)  Kali  caustici  oder  Kali  carbonici  (Salis  tartari)  gr.  duo ; 

tri)  Salis  volat.  cornu  cervi  (Carbon,  ammon.  pyro-oleosi)  dr.  decem 
cum  salis  tartari  dr.  una  et  melis  despum.  dr.  tribus,  mittelst  eines  Pin- 
sels aufzutragen. 

5.  Mittel  in  Salbenform.  Als  Vehikel  nimmt  man  frische  unge- 
salzene Butter,  frisches  Schweinfett,  Cacaobutter,  eine  Mischung  von 
Wachs  und  Mandelöl,  oder  eine  Mischung  aus  4  Theilen  Wallralh,  2 
Theilen  weissem  Wachs,  16  Theilen  Mandelöl  und  12  Theilen  Rosen- 
wasser (Ung.  anglican.  album  nach  Wendler*). 

Da  bei  diesen  Salben  aber  viel  darauf  ankommt,  dass  die  festen  Bestandteile  immer 
sehr  gut  vertheilt  sind  und  bleiben,  so  wird  man  nicht  nur  den  Apotheker  hiezu  durch 
den  Beisatz  „51.  exaetissime"  oder  „-M.  F.  ung.  ophthalm."  anzuweisen,  sondern  auch  bei 
der  Wahl  des  Vehikels  die  Temperatur,  die  Jahreszeit  zu  berücksichtigen  haben.  Bei  den 
folgenden  Formeln  wird  eine  Drachme  Excipiens  als  Normale  vorausgesetzt.  Diese 
Salben  werden  am  besten  vor  dem  Schlafengehen,  bei  Kindern,  welche  sich  dawider 
strauben,  während  des  ersten  festen  Schlafes  linsen-,  erbsen-gross  zwischen  die  Lider 
gebracht,  mittelst  eines  Pinsels  oder  mit  der  Spitze  eines  Fingers,  und  dann  durch 
sanftes  Reiben  der  geschlossenen  Lider  möglichst  gut   verlheilt. 

a)  Merc.  praec.  rubri  gr.  unum  —  quatuor ; 

Merc.  praec.   rubri  gr.  sex   et  tutiae  praepar.  (oxydi  zinci)   gr.  tritt ; 

Praecip.  rubri  gr.  sex,  vitrioli  cyprini  pulveris.  gr.  quinque  et  cam- 
phorae  oleo  ovor.  subact.  gr.  duo. 

Praecip.  rubri,  cerae  flavae  et  butyri  rec.  a~a  drachma  una. 

Praecip.  rubri  gr.  octo,  flor.  zinci  gr.  tria,  axung.  et  liquam.  hepat. 
mustel.  fluviat.  a~a  drachma  una,  nach  Beer,  wenn  man  die  Wirkung  noch 
steigern  will,  noch  mit  einigen  Granen  zum  feinsten  Staub  gepulverten 
Glases  (Yitrum  alkoholisat.)  vermischt; 

6)  Unguentum  citrinum  Ph.  Lond.  (Ware); 

c)  Kali  hydrojodici  gr.  duo  —  quatuor  Chelius)  ;  **) 


*)  Wallher  und   Ammon's  Zeitschrift  für  Augenheilkunde,   8.  B.   4.   St. 
•")  Ich  wende  dieses  Präparat  lieber  zu  zehn  -  fünfzehn  Gran  auf  zwei  Drachmen  Fett  zu  Einreibungen  auf  die  Slirne 


272  Hornhaut. 

d)  Salis  volat.  cornu  cervi  gr.  quinque,  felis  tauri  inspiss.  dr.  unam 
et  extr.  chelidonii  dr.  duas,  M.  exactiss.  (bei  Rosas) ; 

e)  Kali  canstici  gr.  tria  cum  olei  nucis  jugland.  drachma  (bei 
Rosas). 

6.  Pulver,  theils  aus  löslichen,  Iheils  aus  unlöslichen  Bestandtheilen, 
mittelst  eines  Pinsels  auf  die  Hornhaut  aufzustreuen  (von  Laien  mittelst 
einer  Federspule  eingeblasen).  Ihre  Anwendung  erheischt  in  Bezug  auf 
die  gleiehmässige  Vertheilung  grosse  Vorsicht,  wenigstens  bei  den  wirk- 
sameren. Beispielsweise  nur  einige  derselben ,  als  :  Fein  gepulverter 
Zucker,  fein  gepulvertes  Glas ;  eine  Drachme  Natrum  muriat.  mit  einer 
halben  Drachme  Lapis  cancrorum  ;  eine  Drachme  Weinstein  und  Zucker 
mit  einer  halben  Drachme  pulv.  oss.  sepiae ;  eine  Drachme  Borax  mit 
zehn  Gran  limat.  stanni  alkoholis.  und  zwei  Drachmen  Zucker,  allenfalls 
auch  noch  mit  etwas  Bimsstein  gemischt  u.  s.  w. 

Die  meisten,  vielleicht  alle  diese  Mittel  wirken  dadurch,  dass  sie 
einen  gewissen  Grad  von  Entzündung  erregen.  So  weit  uns  der  Vorgang, 
den  wir  Entzündung  nennen,  überhaupt  bekannt  ist,  wissen  wir,  dass  mit 
dem  Momente  der  Erweiterung  der  Gefässe  und  mit  der  Verlangsamung 
des  Blutstromes  darin,  zugleich  Durchschwitzung  des  Blutserums  in  das 
umgebende  Parenchym,  somit  Lockerung  und  Durchfeuchtung  desselben, 
und  erst  bei  höheren  Graden  und  längerer  Dauer  des  Processes  auch 
Austretung  von  Faserstoff  statt  findet.  Wenn  demnach  die  genannten 
Mittel  wirklich  einen  gewissen  Grad  von  Entzündung  (nach  Rosas  „einen 
an  Entzündung  grenzenden  Reizungszustand"  der  Binde-  und  Hornhaut) 
erregen,  so  lässt  es  sich  recht  gut  denken,  dass  sie,  indem  sie  serösen 
Erguss  bewirken,  dadurch  einerseits  Erweichung,  Auflösung  und  Resorp- 
tion fest  gewordener  Exsudate  vermitteln,  anderseits  das  Anschiessen 
plastischen  Exsudates  und  Umwandlung  desselben  in  normale  Hornhaut- 
fasern möglich  machen,  falls  sonst  die  Bedingungen  hiezu  vorhanden  sind. 
Dass  aber  die  meisten  jener  Mittel  einen  gewissen  Grad  von  Entzündung 
erregen,  wenn  sie  „lege  artis"  angewendet  werden,  sieht  man  nicht  nur 
aus  ihren  pharmakodynamischen  Eigenschaften,  sondern  auch  aus  den 
Vorschriften,  wie  sie  angewendet  werden  sollen.  Es  wird  ausdrücklich 
bemerkt,  dass  sie  auch  beim  Vorhandensein  aller  sonstigen  Bedingungen 
nichts  nützen,  wenn  sie  nach  der  jedesmaligen  Anwendung  nicht  einen 
gewissen  Grad  von  Reaction  hervorrufen,  und  dass  sie  geradezu  schaden, 

und  Schlafe  an,  alle  3 — 4  Stunden  bohnen-gross.  und  verstärke  die  Wirkung  durch  Zusatz  von  1 — 2  Gran  reiner 
Jodine,  Auf  diese  Weise  kann  es  schon  sehr  bald  nach  beendigter  Entzündung  ungewandt  werden,  und  isl,  wie 
ich   oft  beobachtete,   von  entschiedener  Wirkung. 


Trübung   —   Therapie.  273 

wenn  diese  Reaetion  zu  bedeutend  wird.  Wir  werden  auf  diese  Vor- 
schriften noch  zurückkommen,  und  bemerken  nur,  dass  es  von  wenig 
Consequenz  zeugt,  wenn  man  behauptet,  fest  gewordene  Exsudate  (Gra- 
nulationen) in  der  Bindehaut  lassen  sieh  durch  Bestreichen  mit  Cuprum 
sulfurieum,  durch  Scarificationen,  durch  Einstreichen  von  Mercurialsalben 
iL  dgl.  zur  Resorption  bringen,  dieselben  oder  ähnliche  Mittel  seien  da- 
gegen unnütz  bei  fest  gewordenen  Exsudaten  der  Cornea.  Diese  solle 
man  sich  selbst  überlassen,  während  jene  mit  allerhand  Mitteln  anzu- 
greifen seien.  Auch  gegen  fest  gewordene  Bindehautexsudate  sind  eine 
„Unzahl  von  Mitteln"  empfohlen  worden,  aber  hier  hat  man  Anstand  ge- 
nommen, jene  beliebte  Beweisführung  in  Anwendung  zu  bringen.  Die 
Hervorrufung  eines  acuten  Processes  durch  Einimpfung  blennorrhoischen 
Secretes  bei  inveterirtem  Pannus  ist  gewiss  die  klarste  und  bestimmteste 
Antwort,  welche  uns  die  Natur  auf  die  Anfrage  gibt,  auf  welche  Weise 
bereits  fest  gewordene,  mehr  weniger  organisirte  Exsudate  eliminirt  werden. 

Meduna  Franziska,  24  Jahre  alt,  kam  Ende  Juli  1850  in's  Krankenh'aus.  Das 
rechte  Auge  bot  nebst  Erweiterung  der  vordem  Ciliargefässe  eine  allgemeine  Trübung 
der  Cornea  dar;  die  Cornea  war  gehörig  gewölbt,  an  der  Oberfläche  glatt,  bläulich 
weiss,  in  der  untern  Hälfte  undurchsichig,  in  der  obern  etwas  durchscheinend.  Durch 
letztere  konnte  man  noch  wahrnehmen,  dass  die  Iris  wenigstens  hier  nicht  mit  der 
Cornea  verwachsen  sei  und  eine  dunkle  Farbe  habe;  auch  deutete  eine  dunklere  Stelle 
darauf  hin,  dass  die  Pupille,  wenn  auch  eng,  doch  wahrscheinlich  nicht  völlig  gesperrt 
sei.  Die  Kranke,  auf  dem  linken  Auge  völlig  und  unheilbar  erblindet,  hatte  auf  dem 
rechten  Auge  noch  deutliche  Lichtempfindung,  konnte  jedoch  nicht  einmal  die  Zahl  der 
vorgehaltenen  Finger  bestimmen,  und  musste  geführt  werden.  —  Dieses  Auge  befand 
sich  angeblich  seit  10  Jahren  in  diesem  Zustande,  und  zwar  in  Folge  einer  Entzün- 
dung, welche  ohne  manifeste  Veranlassung  entstanden  war  und  allmälig  zur  Erblindung 
geführt  hatte.  Das  linke  Auge  war  2  Jahre  später  (im  16.  Lebensjahre)  erkrankt,  nach 
Angabe  der  Kranken  auf  dieselbe  Weise,  jedoch  unter  ärztlicher  Hilfe  wieder  besser 
geworden,  so  dass  sie  wieder  arbeiten  konnte  (als  Taglöhnerin)  ;  heftiges  und  anhal- 
tendes Weinen  soll  vor  5  Jahren  Verschlimmerung  und  Erblindung  des  (linken)  Auges 
herbeigeführt  haben,  wahrscheinlich  durch  Keratoiritis.  Im  Jahre  1846  hatte  der  Assi- 
stent der  Augenklinik  zu  wiederholten  Malen  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille, 
jedoch  ohne  Erfolg,  vorgenommen;  jetzt  ist  mit  diesem  Auge  absolut  nichts  mehr  anzu- 
fangen. —  Den  Befund  des  rechten  und  linken  Auges  und  die  freilich  sehr  mangelhaften 
Angaben  über  dessen  Zustandekommen  mit  dem  Aussehen  der  Kranken  und  deren  sonstigem 
Befinden  zusammenhaltend,  konnten  wir  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  annehmen,  die 
Trübung  der  rechten  Hornhaut  sei  einfach  durch  Ablagerung  von  Exsudat  zwischen  die 
Hornhautfasern  (Keratitis  scrofulosa)  zu  Stande  gekommen,  und  versuchten  es,  dieselbe 
aufzuhellen.  Wir  begannen  die  Cur  mit  Einträuflungen  von  Oleum  jecoris  aselli, 
und  mit  einer  Einreibung  aus  5  Gran  Jodkali  an  die  Stirn  und  Schläfe.  Diese  Mittel 
hatten  bis  Mitte  September  keinen  andern  Erfolg,  als  dass  die  Kranke  angab,  sie  nehme 
Licht  und  Schatten  deutlicher  wahr,  und  dass  der  obere  Theil  der  Cornea  mehr  licht— 
Arlt,  I.  18 


274  Hornhaut. 

grau  wurde.  Die  Cur  wurde  nun  auf  einige  Wochen  dadurch  unterbrochen,  dass  die 
Kranke  einen  Abortus  erlitt;  Anfang  October  setzten  wir  dieselbe  damit  fort,  dass  wir 
2  Gran  Jodkali ,  mit  einer  Drachme  Fett  verrieben,  täglich  2mal  zwischen  die  Lider 
einstrichen.  Am  14.  November  fanden  wir  plötzlich  bei  der  Morgenvisite  die  Lider 
ödematös  geschwollen,  die  Bindehaut  der  Lider  dicht  netzförmig  injicirt  und  aufgelockert, 
die  Conjunctiva  bulbi  zu  einem  blassrothen  Wall  rings  tun  die  Cornea  erhoben,  die  Cornea 
durchaus  stärker  getrübt  und  sulzig  aufgelockert,  wie  zur  Verschwörung  bereit,  die  Kranke 
von  Lichtscheu,  Thränenfluss  und  heftigen  Schmerzen  gequält.  Ungewiss,  woher  diese 
Erscheinungen,  ordinirten  wir  ein  starkes  Abführmittel,  Blutegel  an  die  Schläfe,  Ruhe 
Diät.  Bei  genauerem  Nachforschen  zeigte  sich's,  dass  die  Jod  kalisalbe  durch  Ranzig- 
werden des  Fettes  zersetzt  worden  war,  und  das  Auge  zu  heftig  gereizt  hatte,  wie  ich 
schon  einige  Male,  wenn  auch  nicht  in  so  hohem  Grade,  beobachtet  habe.  (Die  Fett- 
säure verbindet  sich  mit  dem  Kali,  und  Jod  wird  frei.)  Nachdem  nun  diese  Zufälle  bis 
am  22.  October  wieder  verschwunden  waren,  zeigte  sich  die  obere  Hälfte  der  Cornea 
so  bedeutend  aufgehellt,  dass  der  Fall  Alle,  die  ihn  beobachteten,  überraschte. 

Ob  die  von  Beer  als  vorbereitende,  als  einfach  Erweichung  und 
Auflösung-  der  Exsudate  bewirkende  Büttel  bezeichneten  Arzneistoffe,  wie 
z.  B.  der  Wasserdunst,  die  fetten  Öle  u.  dgl.  wirklich  bloss  diese  Wir- 
kung haben,  müsste  erst  durch  vielfältige  umsichtige  Beobachtungen  und 
Versuche  noch  weiter  bestätigt  werden.  Vorläufig  kann  man  bloss  auf 
die  analoge  Wirkung  dieser  Mittel  in  andern  Organen  hindeuten. 

Mit  dem  bisher  Gesagten  glauben  wir  im  Allgemeinen  den  Weg,  den  man  bei 
heilbaren  Hornhauttrübungen  einzuschlagen  hat,  so  weit  als  möglich  vorgezeichnet  zu 
haben.  Möglichst  genaue  Kenntniss  des  pathologisch -anatomischen  Zustandes  der 
Cornea  und  der  Bedingungen,  unter  denen  Aufhellung  der  getrübten  Cornea  'zu  er- 
warten steht,  ist  das  erste  Erforderniss,  welches  der  Arzt  zum  Krankenbette  mitbringen 
muss,  Dieselbe  nützt  ihm  jedoch  wenig,  wenn  er  nicht  durch  die  nöthige  Ausdauer 
und  durch  die  Kunst,  gut  zu  beobachten,  unterstützt  wird.  Man  kann  z.  B.  recht  gut 
wissen,  wann  eine  Operation  vorzunehmen  oder  zu  unterlassen  sei;  man  kann  recht 
gut  gelernt  haben,  welcher  Vorgang  bei  einer  Operation  einzuhalten,  welche  Instru- 
mente, welche  Gehilfen  etc.  nöthig,  und  welche  Zufälle  einen  überraschen  können, 
ohne  desshalb  schon,  auch  bei  grosser  manueller  Fertigkeit,  ein  guter  Operateur  zu 
sein.  Was  der  Anfänger  oder  der  Stümper  mit  den  gerühmtesten  und  künstlichsten 
Instrumenten  nicht  zu  bewirken  vermag,  erreicht  der  Gebüte,  der  Meister  mit  einer 
einfachen  Klinge.  So  auch  der  Heilkirnstier  bei  Hornhauttrübungen;  er  braucht  nicht 
viele  der  Mittel,  aber  er  versteht  es,  die  wenigen  zu  rechter  Zeit  und  in  rechter  Form 
und  Dosis  anzuwenden,  weil  er  weiss,  welche  Gegenwirkung  er  von  Seite  des  Orga- 
nismus zu  erwarten  hat.  —  Obwohl  wir  nun  überzeugt  sind,  dass  jeder  Arzt  sich  hier 
seinen  Weg  selbst  bahnt,  und  der  denkende  und  beharrliche  Beobachter  der  Natur  die 
rechte  Bahn  am  Ende  von  selbst  findet,  so  mögen  doch  einige  specielle  Andeutungen 
hier  noch  ein  Plätzchen  finden. 

1.  Sich  selbst  und  dem  Kranken  einen  sichern  Anhaltspunkt  zur 
Beurtheilung  des  Erfolges  der  Cur  zu  verschallen,  stelle  man  nicht  nur 
beim    Beginn,    sondern  auch    während   der   Dauer    derselben  von  Zeit    zu 


Trübung  —  Therapie.  275 

Zeit  genaue  Sehversuche  an,  der  Art,  dass  man  den  Kranken  Gegen- 
stände von  verschiedener  Grösse  bestimmen  lässt.  Gesetzt,  er  unter- 
scheide noch  Buchstaben  von  %'"  Höhe  und  xjtl4"  Dicke,  so  zeigt  man 
ihm  auch  kleinere  Lettern,  etwa  von  1  a/2"'  Höhe;  erkennt  er  auch  diese 
noch,  so  gehe  man  zu  noch  kleineren  über,  so  lange,  bis  man  zu  solchen 
kommt,  welche  er  nicht  mehr  zu  unterscheiden  vermag.  Werden  dann 
nach  einigen  Wochen  wieder  Sehversuche  gemacht,  und  erkennt  der 
Kranke  unter  übrigens  gleichen  Verhältnissen  den  Gegenstand,  den  er 
früher  nicht  erkannte,  so  wird  ihm  das  der  beste  Sporn  zum  Ausharren 
und  zur  gewissenhaften  Befolguno-  des  ärztlichen  Rathes  sein.  Arzt  und 
Kranker  läuschen  sich  nur  zu  leicht  mit  dem,  was  sie  hoffen,  oder  ver- 
lieren die  Geduld,  wenn  nicht  bald  eclatante  Veränderungen  eintreten. 

2.  Wenn  bei  der  Anwendung  der  sogenannten  vorbereitenden  oder 
erweichenden  Mittel  sich  weder  die  Farbe  noch  die  Consistenz  des 
Fleckes  ändert,  so  soll  man  nach  Beers  Rathe  nicht  nur  mit  den  Mitteln 
wechseln,  sondern  selbst  die  trübe  Stelle  mit  einer  Staarnadel  seicht  sca- 
rißciren,  und  nach  neuerlichem  Gebrauche  jener  Mittel  diese  Operation 
nach  Umständen  wiederholen,  versteht  sich,  wenn  man  es  nicht  mit  einem 
absolut  unheilbaren  Flecke  zu  thun  hat. 

3.  Wenn  das  Auge  nach  einiger  Zeit  sich  gleichsam  an  den  Reiz 
des  einen  oder  des  andern  Mittels  gewöhnt  hat,  so  soll  man  entweder 
vorerst  mit  den  wirksamen  Bestandtheilen  in  der  Dosis  steigen,  oder  zu 
stärkern  Mitteln  übergehen.  Oft  wird  es  gerathen  sein,  die  Receptivität  des 
Auges  durch  mehrtägige  Pausen  zu  steigern.  Mittel  in  Pulverform  wirken 
im  Allgemeinen  heftiger,  als  die  Mittel  in  Salbeform,  und  diese  heftiger 
als  Lösungen.  —  Als  Zeichen,  aus  denen  man  auf  den  gewünschten 
Grad  von  Reaction  schliessen  kann,  gelten :  massiger  Thränenfluss,  leichte 
Röthe  und  Schwellung  der  Lidränder  oder  wenigstens  der  Bindehaut,  er- 
höhte Empfindlichkeit  gegen  das  Licht,  mehr  weniger  lebhafter  Schmerz 
—  welche  Zufälle  jedoch  nicht  über  eine  Stunde  anhalten  sollen  (Rosas). 
Je  nach  dem  Grade  und  der  Dauer  dieser  Zufälle  mag  man  dann  beur- 
theilen,  ob  man  die  Dosis  vermindern,  oder  ein  milderes  Mittel  wählen, 
oder  dasselbe  Mittel  nur  jeden  2.  oder  3.  Tag  anwenden  solle. 

4.  In  wie  fern  das  diätetische  Verhalten,  nahrhafiere  Kost,  Bewegung 
in  Freien,  Anregung  des  Auges  zum  Sehen  u.  s.  w.  die  Cur  unterstützen 
können,  dürfte  sich  nach  den  früher  gegebenen  Andeutungen  beurtheilen 
lassen.  Durch  innere  Mittel  direct  auf  Hornhauttrübungen  wirken  zu 
wollen,  hat  man  theils  als  fruchtlos,  theils  als  zu  gewagt  längst  aufge- 
geben.    Ein    gleiches  Loos    dürfte  auch    der  Rath  verdienen,    die  Cur  der 

18* 


276  Hornhaut. 

Hornhauttrübungen  durch  Etablirung  von  künstlichen  Geschwüren  u.  dgl. 
zu  unterstützen.  —  Beim  Gehrauche  der  Karlsbader  Mineral-Wässer  hat 
man  (Dr.  Ryba,  Wagner,  Fleckles)  öfters  zufällig  die  Wahrnehmung  ge- 
macht, dass  Hornhautflecke  abnahmen  oder  verschwanden. 

B.  Trübungen,  welche  auf  die  genannte  Weise  gar  nicht  oder  nur 
sehr  langsam  behoben  werden  können,  suchte  man  mehr  direct,  theils 
auf  chemischem,  theils  auf  mechanischem  Wege,  und  in  kürzerer  Zeit 
zu  beseitigen. 

G.  Crusell  *)  Hess  den  negativen  Pol  einer  aus  4 — 6  vierzölligen  Plat- 
tenpaaren bestehenden  galvanischen  Säule  mittelst  einer  stumpfen  Spitze  oder 
eines  metallenen  Knöpfchens   an  die   getrübte  Stelle   der  Hornhaut  halten. 

Richter  u.  A.  riethen,  in  der  getrübten  Stelle  eine  kleine  Grube 
zu  machen,  und  in  diese  etwas  Butyrum  antimonii  oder  Lapis  infernalis 
zu  bringen. 

Das  Ausschneiden  oder  Abtragen  der  verdunkelten  Partie,  schon  zu 
Galens  Zeiten  gekannt,  später  mit  verschiedenen  Modificationen  von  Mead, 
Larrey,  Wardrop,  Darwin  u.  A.  wieder  geübt,  wurde  in  neuester  Zeit 
über  Dr.  Gulz's  **)  Anregung  besonders  von  französischen  Ärzten,  na- 
mentlich von  Malgaigne  ***)  empfohlen. 

Ich  war  nicht  so  glücklich,  weder  mit  dem  Galvanismus,  noch  mit  der  viel- 
besprochene Abrasio  corneae  erfreuliche  Resultate  zu  erzielen.  Fast  alle  Auetoren, 
welche  diese  Methoden  mit  Glück  geübt  haben  wollen,  haben  die  Hauptsache,  um  die 
sich's  hier  handelt,  übersehen  oder  nur  nebenbei  erwähnt.  Die  einfache  Entfernung 
der  getrübten  Partie  wird  nichts  nützen,  wenn  an  die  Stelle  der  entfernten  Substanz 
nicht  normales  Hornhautgewebe  erzeugt  wird.  Die  Frage  über  die  Regeneration  der 
Hornhaut  und  deren  Redingungen  hätte  vor  allem  erörtert  werden  müssen.  Nur 
Malgaigne  spricht  von  Wiederersatz  der  Cornea ,  und  darum  trägt  der  von  ihm  ver- 
öffentlichte Fall  noch  am  ehesten  die  Charaktere  der  Glaubwürdigkeit  in  sich.  Er 
stellte  der  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Paris  ein  18jähriges  Mädchen  vor,  welches 
er  durch  Abtragung  der  vordem  Hornhautlamellen  von  einer  anderweitig  unheilbaren  (?) 
Verdunklung  geheilt  hatte.  Diese  hatte  in  ihrem  13.  Jahre  wiederholt  an  Augenent- 
zündungen gelitten,  und  seitdem  bestand  auf  dem  rechten  Auge  ein  Fleck,  der  das 
Gesicht  bedeutend  störte,  und  bis  zum  16.  Jahre  stationär  blieb.  Diesen  zu  entfernen, 
wurde  derselbe  mit  einem  Kreisschnitte,  etwa  2'//"  im  Durchmesser,  umschrieben,  und 
die  vordem  Blätter  der  Cornea  (bis  zur  Hälfte  ihrer  Dicke)  abgetragen.  Der  Erfolg 
war  nicht  bloss  bis  zum  Austritte  aus  dem  Spitale  befriedigend,  sondern  auch  noch 
2  Jahre  später,  im  Mai  1845,  obwohl  das  Auge  bei  unzweckmässiger  Beschäftigung 
neuerdings  mehrmal  von  Entzündungen  heimgesucht  worden  war.  Es  hatte  sich  der 
Substanzverlust    allmälig   wieder   ersetzt,    und     die    Kranke    konnte   nun    ohne    Anstand 

*)  Über  den  Galvanismus  als  chemisches  Heilmillel  gegen  örtliche  Krankheiten,  Petersburg  1811. 
"")  Österreichische  Wochenschrift,   1842,  N.  24. 
•••)  Cunier  Ann.  d'Ocul   T.  X1I1 ,  und  Journal  de  Chirurgie,  par  Malgaigne,  T.  V.,  1845. 


Abiioriiitäteii  der  Wölbung.     ,  277 

nähen  und  lesen.  —  Wenn  Dieffetibaoh  *)  ein  hervorragendes  Centralleucom  bei  einem 
2jährigen  Kinde  entfernt  haben  will,  indem  er  dasselbe  aus  der  ganzen  Dicke  der  Horn- 
haut herausschnitt,  und  die  Wunde  durch  einen  Faden  heftete,  so  ist  ein  Zweifel  gegen 
das  glückliche  Resultat  wohl  erlaubt,  um  so  mehr,  da  derselbe  Auclor  z.  B  auch  be- 
hauptet, Strabismus  nach  innen  und  oben  durch  die  Durchschneidung  des  M.  obliquus 
superior  geheilt  zu  haben.  —  In  gleicher  Lage  sind  wir  zu  Hasuers  **)  Vorschlag  der 
Keratektomie.  „Ich  verrichte  diese  Operation,  welche  nur  in  Fällen  hartnäckiger,  be- 
sonders verkalkter  Exsudate  an  der  Hornhautoberfläche,  niemals  aber  bei  Trübungen  der 
Hornhautsubstanz  angezeigt  ist,  mit  dem  Staarmesser,  der  Fischer'schen  Pincette  und 
Louis'sehen  Scheere.  Vorerst  wird  das  Messer  zur  Seite  der  Trübung  in  die  Hornhaut 
eingestochen,  unmittelbar  zteischen  dem  Cornealüberzuge  und  der  Cornea  selbst  durch- 
geführt, und  an  der  andern  Seite  der  Trübung  ausgestochen.  Der  durch  Fortbewegung 
des  Mcs;>ers  gegen  die  Nase  hin  gebildete  oberflächliche  Lappen  wird  nun  mit  der  Pin- 
cette gefasst  und  an  seinem  Grunde  mit  der  Scheere  scharf  abgeschnitten.  Sorgfältig  muss 
hiebet  die  Verletzung  der  Hornhaut  selbst  vermieden  werden,  indem  eine  Abtragung  ihrer 
Fasern  selbst  eine  neue  Verdunklung  herbeiführen  könnte."  —  Mehr  kann  man  von  der 
Kunst  (oder  von  der  Gläubigkeit  des  Lesers?)  nicht  verlangen. 

Reisinger,  Himly,  Stilling  u.  A.  versuchten  bei  total  und  unheilbar 
getrübter  Hornhaut  diese  rein  abzutragen,  und  in  die  Öffnung  die  Horn- 
haut eines  Thieres  einzuheilen.  Allein  die  transplantirte  Hornhaut  wurde, 
auch  wenn  die  Einheilung  erfolgte,  in  kurzer  Zeit  trüb  und  schrumpfte 
zusammen,  f) 

Autenrieths  ff)  Idee ,  bei  unheilbarer  Hornhautverdunklung  eine 
künstliche  Pupille  in  der  Sclerotica  anzulegen,  führte  zwar  zu  zahlreichen 
Versuchen  an  Thieren,  jedoch  nie  zu  einem  auch  nur  einigermassen  ent- 
sprechenden Resultate. 

Unter  welchen  Umständen  bei  theilweisen  unheilbaren  Hornhautver- 
dunklungen  dem  Kranken  durch  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille  noch 
zu  einem  mehr  weniger  guten  Gesichte  verholfen  werden  könne,  wird 
bei  der  Lehre  von  den  Krankheiten  der  Iris  angegeben  werden. 


VI.    Abnormitäten  in  der  Wölbung  der  Cornea. 

Die    meisten    der    hieher   gehörigen    Zustände    der    Cornea   sind    als 
Folgen   der   bisher   besprochenen   Krankheiten    der   Binde- .  und   Hornhaut 

*)  Über  Excision  ron  Cenlralleucomen,  in  AtnmoiTs  Zeitschrift  für  Ophthalmie.   1831.  B.   I. 
**)  1.  c.  S.  123. 
t|  Über  Keratoplastik,  siehe  nebstdem  Ttwme  dissert.    de   corneae   Iransplant.   Bonae  1 S34,  Slrauah  in   Kasper's  Wo- 
chenschrift, 1S40,    X.  '23,    Feld nann    in  Walther  und    Ammon's   Journal  für  Chirurgie,    1844,    B.  III    oder  Gaz. 
med.  de  Paris,  1842,  Pf.   45  und  51. 
ii)  Tübinger  Blätter  für  Naturwissenschaft,    B.  I.  S.  83,  Amman,  die  Sclerektomie  in   dessen  Zeitschrift  für  Augen- 
hei.kuade,lS3l,B.  I. 


278  Hornhaut. 

zu  betrachten,  und  wurden  demnach  gehörigen  Ortes  bereits  erwähnt  und 
erörtert.  Bisweilen,  wenn  gleich  selten,  finden  wir  jedoch  die  Wölbung 
der  Cornea  auch  ohne  vorausgegangene  Entzündung  verändert.  Hieher 
gehören : 

1.    Die  kegelförmige  Verbildung   der  Hornhaut,   Keratoconus,   von 

Himly  als  Hyperkeratosis,  von  Andern  als  Staphyloma  pellucidum  conicum 
beschrieben. 

Man  sieht  den  mittlem  Theil  der  Cornea  kegelförmig  erhaben;  der 
Randtheil  hat,  wenigstens  so  lange  der  Zustand  noch  nicht  zu  einem 
höheren  Grade  entwickelt  ist,  seine  normal»'  Wölbung;  der  Übergang  in 
den  Kegel  ist  kein  plötzlicher,  sondern  ein  allmäliger :  die  Spitze  des 
Kegels  ist  mehr  weniger  abgerundet,  wie  ein  Zuckerhut,  und  entspricht 
nicht  immer  streng  dem  Centrum  der  Hornhaut.  Die  Durchsichtigkeit  der 
Hornhaut  ist  eben  so  wenig  gestört,  als  ihre  Glätte  und  ihr  Glanz ;  man 
erkennt  daher  die  Krankheit  nur  dann,  wenn  man  die  Cornea  von  der 
Seite  her  ansieht,  oder  wenn  man  das  Bild  betrachtet,  welches  die  Cornea 
vermög  ihrer  spiegelnden  Oberfläche  von  den  gegenüber  befindlichen  Ob- 
jeeten  entwirft;  die  queren  und  senkrechten  Balken  eines  gegenüber  be- 
findlichen Fensters  erscheinen  nicht  mehr  als  regelmässig  krumme  Linien. 
Das  eigenthümliche  Funkeln  und  Opalisiren,  welches  man  als  charakteristisch 
angegeben  hat,  ist  nicht  immer  vorhanden,  mag  nur  bei  höheren  Graden 
und  bei  gewissen  Wendungen  des  Auges  gegen  das  Licht  vorkommen. 
Dasselbe  gilt  von  der  Trübung  an  der  Spitze  des  Kegels,  welche  nach 
Einigen,  z.  B.  Sichel,  constant  vorkommen  soll.  —  Die  subjeetiven  Er- 
scheinungen werden  sehr  verschieden  beschrieben.  Im  Allgemeinen  lässt 
man  diese  Kranken  kurzsichtig  sein,  weil  sie  aufhören,  fernere  Gegenstände 
unterscheiden  zu  können.  Diess  gibt  jedoch  den  Begriff  dessen,  was  wir 
Kurzsichtigkeit  nennen,  durchaus  nicht ;  es  fehlt  hier  ein  wesentliches 
Merkmal  dieses  abnormen  Refractionszustandes ,  nämlich  die  Fähigkeit, 
nahe  und  kleine  Gegenstände  mit  gehöriger  Schärfe  und  Ausdauer  be- 
trachten, und  mit  Hilfe  entsprechend  coneaver  Gläser  auch  entfernte  Ob- 
jecto deutlich  wahrnehmen  zu  können.  Die  Störung  des  Gesichtes  ist  ver- 
schieden, je  nach  dem  Sitze  und  der  Grösse  jener  kegelförmigen  Vorra- 
gung. Einige  sehen  gewisse  Gegenstände  doppelt,  oder  mehrfach,  Andere 
sehen  die  Objecte  mit  Farbenkreisen  umgeben,  Andere  verworren,  Andere 
endlich  überhaupt  Undeutlich  oder  auch  gar  nicht.  Die  Erscheinung  des 
Doppelt-  oder  Mehrfachsehens  tritt  insbesondere  bei  leuchtenden  oder 
glänzenden    Gegenständen    hervor;    eine    Kerzenflamme,    ein    Metallknopf 


Keratocoiius.  279 

wird  10 — 20  und  mehrmach  bemerkt.  Brewster  *)  erklärt  diese  Erschei- 
nung durch  feine  Unebenheiten  an  der  Oberfläche  des  Kegels ;  er  will 
dieselben  an  einer  grossen  Menge  von  Fällen  constant  beobachtet  haben  ; 
Andere  konnten  sich  von  deren  Gegenwart  nicht  überzeugen. 

Die  übrigen  Gebilde  des  Auges  können  dabei  vollkommen  normal 
sein  und  bleiben.  Das  Hornhautübel  selbst  entwickelt  sich  öfters  nur 
auf  einem,  seltener  auf  beiden  Augen  zugleich  oder  bald  nach  einander. 
Die  Entwicklung  erfolgt  in  der  Regel  langsam  und  unvermerkt,  ohne 
Schmerz,  ohne  Röthe,  ohne  Lichtscheu  u.  dgl.  Es  macht  sich  nur  durch 
Störung  des  Gesichtes  bemerkbar.  Zu  einem  gewissen  Grade  gediehen, 
bleibt  es  dann  Jahre-lang,  selbst  zeitlebens  unverändert ;  nur  die  Spitze 
pflegt  mit  der  Zeit  trüb  zu  werden.  Spontane  Berstung  einer  solchen 
Cornea  ist  bisher  nie  beobachtet  worden. 

Die  Cornea  scheint  an  der  betroffenen  Stelle  verdünnt  und  hervor- 
getrieben, nicht  aber,  wie  Adams,  Himly,  Rosas  u.  A.  meinten,  verdickt 
zu  sein.  M.  Jage?'  **)  und  Walker  f)  fanden  nach  dem  Tode  den  Kegel 
verdünnt.  Die  Vortreibung  der  Cornea  ist  wahrscheinlich  durch  partielle 
Erweichung  des  Gewebes  derselben  bedingt,  deren  Grund  man  mit 
Pickford  ff)  in  mangelhaftem  Nerveneinflusse  auf  die  Ernährung  der 
Cornea  suchen  kann. 

Es  gibt  wenig  Krankheitsformen  am  Auge,  über  welche  so  verschiedene  An- 
sichten aufgestellt  wurden,  wie  über  diese.  Wir  werden  der  Erörterung  derselben 
einige  verlässliche  Beobachtungen  vorausschicken;  dadurch  dürften  wir  am  ehesten  in 
Stand  gesetzt  werden,  jene  verschiedenen  Ansichten  zn  würdigen.  —  Den  1.  Fall  von 
Keratocoiius  sah  ich  bei  Prof.  Fr.  Jäger  in  Wien  an  einem  chlorotischen  Mädchen  von 
15 — 16  Jahren.  Genau  beobachtet  habe  ich  jedoch  nur  einen  2.  Fall  hier  in  Prag. 
Fräulein  von  Gr.,  18  Jahre  alt,  wurde  im  Jahre  1846  von  Dr.  Friedr.  Bach  zu  mir 
gebracht.  Dieser  Arzt,  welcher  seit  Jahren  fast  täglich  in  das  Haus  dieses  Mädchens 
kam.  befürchtete  die  Entwicklung  einer  Amaurosis  des  linken  Auges,  indem  das  Mädchen 
seit  beiläufig  8  Wochen  über  Abnahme  des  Sehvermögens  auf  diesem  Auge  und  über 
Blendung  des  rechten  Auges  durch  das  linke  klagte.  Er  hatte  das  Aiige  von  Anfang 
an  wiederholt  und  sorgfältig  besichtigt,  jedoch  kein  Zeichen  von  Entzündung  des 
Auffes  oder  von  Trübung  der  durchsichtigen  Medien  wahrnehmen  können.  Als  ich  nun 
das  Auge  untersuchte,  und  namentlich  die  Cornea  in  Bezug  auf  ihre  physicalischen 
Eigenschaften  prüfte,  fanden  wir  zu  nicht  geringer  Überraschung,  dass  das  Bild  der 
Fensterrahmen  auf  der  linken  Cornea  sich  nicht  regelmässig  abspiegelte ,  und  die  An- 
sicht von  der  Seite  her  verschaffte   mir    Gewissheit,    was  ich    vor    mir    hatte.     Die   voll- 


-')  Makenzie  1.  c.  S.   512. 

"p  Schmidt,   Dissertation   über  Hyperkeratosis,   Erlangen   1830. 

f)  Principles  uf  Ophthalmie  surgery,   London    1834,   S.   80. 

James  Picktord,  ou  the  con  cal  Cornea.  Dublin   1844. 


280  Hornhaut 

kommen  durchsichtige  und  spiegelglatte  Cornea  ragte  in  ihrem  Centrum  (ein  klein  wenig 
nach  aussen  und  oben  vom  mathematischen  Mittelpunkte)  gegen  '/2  Linie  mehr  vor- 
wärts, und  zeigte,  von  der  Seite  betrachtet,  einige  Ähnlichkeit  mit  einer  Fenster- 
scheibe, die  einen  kleinen  durchsichtigen  Wirbel  enthält.  Von  einer  Trübung,  von 
einem  Substanzverluste  oder  von  einer  Lockerung  des  Gewebes  der  Cornea  war  eben 
so  wenig  eine  Spur  vorhanden,  wie  von  Thränenfluss,  Lichtscheu,  Schmerz  und  In- 
jeetion  der  vordem  Ciliargefässe.  Die  Kranke  war  einfach  im  Lesen,  Nähen  u.  dgl. 
gehindert,  und  musste,  um  feinere  Sachen  länger  gut  auszunehmen,  das  linke  Auge 
verdeckt  halten.  Nähere  Gegenstände  unterschied  sie  zwar  (mit  dem  linken  Auge) 
noch  eher,  als  entfernte,  aber  doch  auch  nicht  deutlich,  und  das  Auge  ging  ihr  bald 
über  (fing  an  zu  thränen).  Das  Mädchen  hatte  durch  mehr  als  3  Jahre  an  Chlorosis 
gelitten,  und  litt  unzweifelhaft  an  Tuberculosis,  welcher  Krankheit  auch  bereits  ihre  2 
Brüder  erlegen  sind.  Kurze  Zeit  vor  dem  Auftreten  des  Augenleidens  war  sie  durch 
mehre  Wochen  von  einer  äusserst  heftigen  Prosopalgie,  angeblich  Folge  von  Ver- 
hältung, geplagt  worden.  Ich  wendete  örtlich  keine  vehementen  Mittel  an,  nur  Ein- 
träuflungen von  Laudanum  Syd. ,  und  später  von  einer  schwachen  Silberlösung,  und 
leitete  vielmehr  eine  gegen  das  Allgemeinleiden  gerichtete  diätetische  und  arzneiliche 
Behandlung  ein,  liess  die  Kranke  namentlich  längere  Zeit  und  zu  wiederholten  Malen 
Eisenpräparate  nehmen,  und  die  bessere  Jahreszeit  beim  Gebrauche  des  Giesshübler 
und  des  Liebwerder  Wassers  auf  dem  Lande  zubringen.  Ohngefähr  2  Jahre  nach  dem 
Beginn  des  Augenübels  bildete  sich  an  der  Spitze  des  Kegels  eine  leichte  Trübung 
(man  könnte  sie  mit  einem  Fixsterne  am  Firmamente  vergleichen,  wenn  man  sich  statt 
des  Glanzes  ein  mattes  oder  bläuliches  Weiss  denkt),  und  zwar  ohne  Spur  von  Ent- 
zündung oder  von  Substanzverlust,  und  diese  Trübung  besteht  nun  beiläufig  3 
Jahre  unverändert  fort.  Sie  ist  jetzt  durch  das  Leiden  des  linken  Auges  im 
Arbeiten  mit  dem  rechten  viel  weniger  behindert,  jedoch  noch  immer  nicht  im  Stande, 
feinere  Gegenstände  mit  Ausdauer  zu  betrachten.  Mit  dem  linken  Auge  allein  kann 
sie  den  feinsten  Druck  lesen,  wenn  sie  ihn  auf  3  Zoll  nähert;  Personen  kann  sie  bei 
einer  Entfernung  von  mehr  als  4  Schritten  nicht  mehr  genau  unterscheiden.  Ihr 
Allgemeinbefinden  ist  seit  einem  Jahre  ziemlich  gut,  wenigstens  besser  als  in  früheren 
Jahren. 

Dr.  Heyfelder  "")  hat  folgenden  Fall  veröffentlicht.  „Bei  einem  32  Jahre  alten  Manne 
von  scrofulösem  Habitus  und  auffallend  flacher  Stirnbildung  zeigte  die  Hornhaut  beider  Augen 
jene  konische  Hervortreibung,  welche  von  einigen  Hyperkeratosis,  von  Andern  Cornea 
conica,  von  noch  Andern  Staphyloma  conicum  genannt  worden  ist.  Auf  dem  rechten  Auge 
bildete  die  vorzugsweise  stark  ausgesprochene  Hervortreibung  eine  zuckerhut-ähnliche 
Pyramide,  deren  Spitze  dem  Centrum  der  Pupille  und  der  Hornhaut  entsprach,  auf  dem 
linken  Auge  war  die  Hervorragung  weniger  scharf  gezeichnet,  und  glich  mehr  einem 
Maulwurfshügel,  aber  auch  hier  entsprach  der  höchste  Punkt  dem  Centrum  der  Cornea. 
Auf  beiden  Augen  war  die  Hornhaut  vollkommen  durchsichtig.  Das  Licht  reagirte  nur 
wenig  auf  die  Regenbogenhaut;  die  Pupille  erweiterte  sich  jedoch  auf  Anwendung  von 
Belladonna,.  Von  vorn  beobachtet  erschienen  beide  Augen,  wie  wenn  sie  der  Pupille 
gegenüber  Peilen  trügen;  von  der  Seite  betrachtet,  hatte  die  konische  Hornhaut  einen 
krystallartigen ,    opalisirenden    Schein.     Das    Sehvermögen    des  linken   Auges   war    nicht 

*)   Aninioc"a  Zeibcfirifl  lur  Ophthalmie.  IV.  B.   S,   1>9. 


Keratoconus.  281 

in  dem  Grade  schwach  als  auf  dem  rechten;  dennoch  konnte  der  Mann  auf  6  Schritte 
nicht  mehr  unterscheiden.  Genau  erkannte  er  nun  diejenigen  Dinge,  welche  er  nicht 
gerade  den  Augen  gegenüber,  sondern  seitwärts  oder  unter  die  Nase  hielt.  Besser 
ging  dicss  einige  Minuten  nach  dem  Eintröpfeln  der  Bilsenkrautauflösung  von  statten. 
—  Der  Kranke  hatte  dieses  Augenübel  seit  seiner  frühesten  Kindheit.  Nach  den  Ver- 
sicherungen seiner  Mutter  ist  er  nicht  mit  demselben  auf  die  Welt  gekommen,  sondern 
hat  es  im  2.  Lebensjahre  während  des  Keuchhustens ,  an  welchem  er  ungewöhnlich 
litt,  unter  einem  heftigen  Hustenanfalle  bekommen.  In  wie  fern  diess  richtig  ist,  muss 
dahin  gestellt  bleiben."  —  Walther  *)  fane  einen  „Keratoconus  bei  einem  21jährigen 
scrofulösen  Manne  nach  einer  heftigen  Blepharophthalmie.  Nach  2jährigem  Bestehen 
des  Übels  sah  man  am  rechten  Auge  eine  halbkugliche  Hervorragung  der  Cornea, 
welche  im  ganzen  Umfange  krystallhcll  und  durchsichtig,  an  der  Spitze  aber  weiss- 
grau  getrübt  war.  Die  Hervorragung  hielt  die  Mitte  zwischen  der  Kegel-  und  Kugel- 
form,  und  war  an  der  höchsten  Stelle  etwa  1'"  höher  als  die  Cornea  im  gewöhnlichen 
Zustande.  Die  Kegelspitze  entsprach  nicht  dem  Centrum  der  Cornea,  sondern  sass  von 
diesem  nach  unten  und  innen.  Das  Verhalten  der  Iris  in  jeder  Beziehung  normal.  Von 
dem  Leuchten  und  Funkeln  der  Cornea  konnte  man  bei  keiner  Stellung  etwas  be- 
merken. Der  Kranke  sah  alle,  auch  entfernte  Gegenstände  deutlich  (?),  doch  wie 
durch  einen  Nebel.  Dreiecke,  Vierecke  und  andere  geometrische  Figuren  unterschied 
er  als  solche,  aber  mehrere  etwas  fein  und  in  einander  gezogene  Linien  flössen  ihm 
gleichsam  zusammen.  Um  die  Kerzenflamme  sah  er  prismatische  Farben.  —  Der  Fall, 
den  Schön  **J  beobachtete,  „betraf  einen  31jährigen  Mann  von  kachektischem  Äusseren, 
der  schon  von  seiner  frühesten  Kindheit  mit  grosser  Kurzsichtigkeit  behaftet  war,  wel- 
cher später  eine  wirkliche  Amblyopie  folgte,  die  sich  jetzt  zur  fast  vollkommenen 
Amaurose  ausgebildet  hat,  so  dass  der  Mann  nur  noch  sehr  schwach  sehen  kann.  Die 
ersten  Spuren  der  kegelförmigen  Hervortreibung  der  Hornhaut  beider  Augen  zeigten 
sich  vor  ohngefähr  8  Jahren,  und  sie  hat  sich  jetzt  so  weit  ausgebildet,  dass  ihre 
Höhe  auf  dem  rechten  Auge  l'/2'",  auf  dem  linken  fast  2'"  beträgt.  Der  Mittelpunkt 
des  durchsichtigen  Hornhautkegels  befindet  sich  etwas  unterhalb  des  queren  Durch- 
messers der  Hornhaut,  und  ist  an  der  äussersten  Spitze  am  linken  Auge  etwas  getrübt, 
während  der  am  rechten  noch  vollkommen  durchsichtig  ist.  Beide  Hornhäute  funkeln 
wie  ein  Krystall,  so  dass  man  die  Pupille  nicht  sehen  kann.  Die  blaue  Iris  ist  noch 
etwas  beweglich,  die  Pupille  nicht  verzogen  und  schwarz."  —  Ammon  ***)  will  das 
Übel,  welches  übrigens  schon  Taylor  1766  unter  dem  Namen  Ochlodes  beschrieben, 
als  angeboren  beobachtet  haben.  „Im  Juli  1830  kam  ein  junger  21  jähriger  Mann  zu 
mir.  der  auf  beiden  Augen  eine  Cornea  conica  hatte.  Dieses  Übel  war,  so  viel  ich 
erfahren  konnte,  angeboren.  Der  Mensch  war  blond,  und  ausser  seinem  Augenleiden 
gesund  :  nur  der  Schädel  war  oben  sehr  schmal  (Spitzkopf);  er  hatte  im  16.  Lebens- 
jahre die  Schneiderei  zu  lernen  angefangen,  allein  nach  5  Jahren  hatte  er,  wegen 
bedeutender  Kurzsichtigkeit,  das  Geschäft  wieder  verlassen  müssen.  Auf  dem  rechten 
Auge  war  das  Übel  am  stärksten;  in  der  Ferne  sah  er  mit  demselben  gar  nicht,  in 
der  Nähe   mit   Mühe.     Zu    bemerken     war  hiebei ,    dass  er  leicht  einen    Gegenstand    für 


*)  Journal  für  Chirurgie  und  Augenheilkunde  von  Walther  und   Ammon,  N.   F.  5.   Heft. 
**)  Pathologische   Anatomie,  Hamburg  lö^ö  S.   IUI 
•"*)    Zeitschrift  für  Ophthalmologie.  I.  B.   S.  I2'i. 


282  Hornhaut. 

zwei,  zwei  für  drei,  und  drei  für  5  ansah,  wenigstens  war  diess  ziemlich  constant  der 
Fall,  wenn  ich  ihn  die  Zahl  der  vorgehaltenen  Finger  bestimmen  liess.  In  der  Spitze 
der  conischen  Hornhaut  war  weder  auf  dem  rechten  noch  auf  dem  linken  Auge  eine 
Trübung  wahrzunehmen ,  die  viele  Beobachter  bei  diesem  Leiden  beobachtet  haben 
Nichts  desto  weniger  hat  das  Auge  einen  eigenlhümlichen  opalisirenden  Schein,  wenn 
man  es  aus  einer  näheren  Entfernung  beobachtet,  und  vorzüglich  dann,  wenn  man  es 
von  der  Seite  betrachtet.  Diess  ist  bei  weitem  weniger  auf  dem  linken  Auge  der  Fall, 
wo  die  sehr  spitze  Wölbung  der  Cornea  aber  auch  gewiss  1  '/2 — 2'"  geringer  ist.  Ich  kann 
nicht  sagen,  dass  die  kranke  Wölbung  der  Cornea  zuckerhutförmig  sei;  es  liegt  jedoch 
ausser  allem  Zweifel,  dass  sie  sehr  hoch  und  sehr  spitzig  [ist.  Sieht  man  gerade  auf 
das  Auge,  so  bemerkt  man  über  der  Pupille  gleichsam  einen  Glasring,  der  über  jene 
hinweg  geht,  und  von  dem  eigentümlichen  Lichtreflex   herkommt." 

Adams  und  seine  Nachfolger  haben  ihre  Ansicht,  dass  dieses  Übel  in  krankhafter 
Verdickung  der  Cornealsubstanz  bestehe ,  nur  mit  sehr  zweideutigen  Gründen  unter- 
stützt. Der  veränderte  Refractionszustand  des  Auges  und  das  funkelnde  Aussehen  sind 
eben  so  wenig  beweisend  hiefür,  als  das  harte  Anfühlen  oder  das  schwierigere  Ein- 
dringen der  Nadel  bei  der  Punktion.  —  Sichel  *)  hat  offenbar  Unrecht,  wenn  er  be- 
hauptet, diese  Krankheit  setze  Hornhautgeschwüre  voraus  und  biete  constant  an  der 
Spitze  eine  Trübung  (wenigstens  unter  der  Loupe)  dar.  Ich  weiss  wenigstens  von 
dem  einen  Falle  ganz  bestimmt,  dass  weder  Entzündung  vorausgegangen,  noch  Trü- 
bung vorhanden  war ,  und  viele  der  besten  Beobachter  versichern  dasselbe.  Auch 
Lhommeau  **) ,  der  Sichers  Angaben  auf  Berardüs  Klinik  an  2  Fällen  prüfte,  konnte  in 
dem  einen  weder  mit  freiem  noch  mit  bewaffnetem  Auge  etwas  von  jener  narbigen 
Verdunklung  auffinden. — Chelius  ***)  u.  in.  A.  halten  dafür,  die  Ausdehnung  der  Horn- 
haut sei  durch  den  Druck  übermässig  abgesonderten  Kammerwassers  bedingt,  die  Krank- 
heit also  eine  Art  Hydrops,  und  somit  die  Kegelform  ganz  unwesentlich. 

Nach  meiner  Ansicht  ist  aber  die  kegelförmige  Verbildung  der  Hornhaut  von  der 
mit  bleibender  Vortreibung  geheilten  Keralokele  nicht  minder  verschieden,  als  von  der 
nach  Pannus  oder  Keratitis  zurückbleibenden  Ausdehnung  der  Cornea,  welche  man 
unpassend  genug  als  Hydrops  camerae  oder  als  Staphyloma  pellucidum  sph.  beschrieben 
findet.  Allen  3  Zuständen  kommt  vermehrte  Ansammlung  von  Kammerwasser  als  Fol<je 
verminderter  Resistenz  der  Cornea  zu,  und  der  Name  Hydrops  ist  desshalb  ungenau, 
weil  der  Grund  der  Verwölbung  der  Cornea  zunächst  nicht  in  vermehrter  Ausscheidung 
des  Humor  aqueus,  sondern  in  der  verminderten  Resistenz  der  Cornea  liegt.  Die  Ur- 
sache der  verminderten  Resistenz  ist  aber  bei  diesen  Zuständen  eine  sehr  verschiedene, 
bei  dem  einen  Verschwärung  der  obern  Faserschiehten  der  Cornea,  bei  dem  zweiten 
entzündliche  Erweichung  und  Lockerung  des  Cornealgewebes ,  und  bei  dem  dritten 
keines  von  beiden,  sondern  höchst  wahrscheinlich  mangelhafte  Innervation.  Erinnert 
man  sich  des  Einflusses,  welchen  die  Ciliarnerven  auf  den  Zustand  der  Cornea  aus- 
üben (Vergl.  S.  180),  und  übersieht  man  nicht,  dass  die  Individuen,  bei  welchen  diese 
Krankheit  der  Cornea  beobachtet  wird,  im  Allgemeinen  die  Zeichen  allgemeiner  Ge- 
sundheitsstörung mehr   weniger    deutlich   ausgeprägt    an  sich  tragen,   so    wird   man    sehr 


<')  Cuiiier  Annales  d'Octil.  Suppl.  II.    p.   125. 
*»j  Ibid.   S.   17'.). 
*'*)  Handbuch  der  Augenheilkunde,  I!.  B.  S.  .TU. 


Keratoconiis.  283 

versucht,  diese  Umstände  mit  einander  in  ursächlichen  Zusammenhang  zu  bringen,  we- 
nigstens die  Disposition  zu  dem  örtlichen  Leiden  in  einem  Allgemeinleiden  zu  suchen. 
Bei  dem  einen  von  mir  beobachteten  Individuum  ist  Tuberculosis  bestimmt  nachgewie- 
sen ;  das  andere  war  chlorotisch,  beide  jugendlich.  M.  Jägers  Fall  erlag  der  Phthisis. 
Rosas  1.  c.  S.  635  beobachtete  das  Leiden  vorzugsweise  bei  „Mädchen  unter  14  Jahren, 
die  mit  der  ScroIVldiathcsc  behaftet  sind";  mehrere  Fälle,  die  Andreae  vorkamen,  „be- 
trafen sehr  serol'ulöse  Frauen,  die  vorlängst  syphilitisch  gewesen  waren. 

Unter  den  bisher  vorgeschlagenen  Heilmethoden  dürfte  die  von  Pickford  em- 
pfohlene noch  am  ehesten  Hilfe  leisten  (wenigstens  palliativ  für  das  zweite  Auge).  Sie 
besteht  in  der  Anwendung  tonischer  Mittel,  denen  in  der  Regel  ein  Brech-  oder  Ab- 
führmittel vorausgeschickt  wird.  Die  von  ihm  angeführten  Krankengeschichten  sind  in 
Kürze  folgende:  1.  Fall.  Ein  Frauenzimmer  von  28  Jahren  wurde  am  1.  Mai  1832  mit 
conischer  Hornhaut  des  linken  Auges  aufgenommen.  Ein  Blasenpflaster  auf  die  Schläfe, 
nachher  mit  Gerat,  canthar.  verbunden;  innerlich  8  Gran  von  den  blauen  Pillen  alle 
Abende,  und  eine  Mixtur  aus  Chinin  und  Magn.  sulfur.  2mal  täglich.  5.  Mai :  Jod  in- 
nerlich, äusserlich  als  Collyrium,  und  jeden  Abend  in  Salbenform  in  die  Augenlider 
eingerieben.  7.  Juni:  neben  dem  Jod  ein  Brechmittel  aus  Zincum  sulfur.  2mal  wö- 
chentlich früh  Morgens  zu  nehmen.  12.  Juli:  eine  Disposition  zu  demselben  Übel  auf 
dem  rechten  Auge  bedeutend  vermindert;  es  ist  noch  immer  ein  Kreis  um  die  mit 
diesem  Auge  angeschauten  Gegenstände,  doch  kann  die  Kranke  mit  demselben  besser 
und  in  grösserer  Entfernung  lesen.  26.  Juli:  die  Brechmittel  werden  nun  alle  Morgen 
gereicht,  Jod  innerlich  und  äusserlich  fortgesetzt,  von  Zeit  zu  Zeit  Blutegel  an  das 
Auge,  und  statt  der  Jodsalbe  eine  stärkere  Mercurialsalbe.  25.  October:  bedeutend 
gebessert  entlassen.  —  2.  Fall.  Anna  H.,  21  Jahre  alt,  hysterischen  Krampfanfällen  un- 
terworfen, aufgenommen  am  12.  März  1833  mit  kegelförmiger  Hornhaut  nur  des  linken 
Auges.  Zinc.  sulfur.  1  Scr.  mit  Magn.  sulfur.  4  Dr.  alle  Morgen  zu  nehmen.  Nach  12 
.Monaten  vollkommen  geheilt  entlassen.  Ungefähr  13  Monate  später  wegen  eines  Rück- 
falles wieder  aufgenommen.  Dieselbe  Behandlung  wurde  einige  Monate  hindurch  mit 
gleich  gutem  Erfolge  angewendet.  —  3.  Fall.  Maria  B.,  27  Jahre  alt,  Schneiderin,  am 
17.  September  1839  wegen  sehr  bedeutend  conischer  Hornhaut  des  linken  Auges  auf- 
genommen. Tart.  emet.  granum  mit  Magn.  sulfur.  dr.  2  jeden  Morgen  zu  nehmen. 
13.  December:  entschieden  besser,  die  Hornhaut  flacher.  4.  Februar  1840:  die  Horn- 
haut noch  flacher,  die  Kranke  sagt,  sie  könne  besser  sehen.  24.  November  :  bedeutend 
gebessert,  und  nach  eigenem  Wunsche  entlassen.  Am  10.  Mai  1842  wieder  aufgenom- 
men mit  conischer  Hornhaut;  dieselbe  Behandlung.  Am  2.  Mai  1843  wurde  die  Kranke 
entlassen,  hinlänglich  hergestellt,  ihr  Geschäft  wieder  aufzunehmen,  und  mit  gebessertem 
Allgemeinbefinden. 

Chelius  1.  c.  S.  353  versichert,  bei  einem  Mädchen  von  20  Jahren  durch  ein 
Setaceum  am  Nacken,  durch  von  Zeit  zu  Zeit  gereichte  Abführmittel,  durch  fortgesetzten 
Gebrauch  von  Spongia  tosta  mit  Digitalis  und  durch  Einreibungen  von  Jodkalisalbe 
an  die  Umgegend  des  Auges  bedeutende  Besserung  bewirkt  zu  haben.  Sichel  empfiehlt 
methodisch  wiederholte  Betupfung  der  Spitze  des  Kegels  mit  Lapis  infernalis,  während 
Andere  die  oftmalige  Punction  der  Cornea  empfehlen.  Gibson  will  zwei  Schwestern 
durch  die  Anwendung  eines  Chinadecoctes  mit  Alaun  geheilt,  und  Ware  vom  täglich 
3 — 4maligen  Einträufeln  /eines  starken  Tabakaufgnsses  bessern  Erfolg,  als  von  vielen 
andern  Mitteln  gesehen  haben. 


284  Hornhaut. 

2.  Vergrösserung  und  vermehrte  Wölbung  der  ganzen  Hornhaut 
kommt  bald  als  angeborener,  bald  als  erworbener  Zustand,  wenn  gleich 
höchst  selten  vor.  Die  Cornea  variirt  nicht  nur  in  ihrer  Dicke,  sondern 
auch  in  ihrer  Grösse  und  in  ihrer  Wölbung  bei  verschiedenen  Individuen 
in  hohem  Grade.  Ich  kenne  einen  jungen  Mann,  der  auf  dem  einen  Auge 
eine  merklich  grössere  und  gewölbtere  Cornea  besitzt,  als  auf  dem  andern, 
und  diesem  Zustande  entsprechend  ist  auch  das  eine  Auge  kurz-,  das 
andere  weitsichtig.  Vor  2  Jahren  kam  mir  ein  Mann  zur  Operation  des 
grauen  Staars,  welcher  auffallend  grosse  Hornhäute  hatte  (über  6'"  im 
Durchmesser) ;  dieselben  waren  vollkommen  rein  und  regelmässig  gewölbt, 
und  gaben  vermög  ihrer  stärkern  Convexität  kleinere  Spiegelbilder,  als 
normale  Hornhäute.  Vom  Vorausgehen  irgend  einer  entzündlichen  Affe- 
ction  war  bei  diesem  überhaupt  zu  genaueren  Angaben  über  seinen  Zu- 
stand nicht  geeigneten  Individuum  nichts  zu  eruiren.  —  Vergrösserung 
der  Hornhaut  mit  allgemeiner  Vergrösserung  der  Bulbi  habe  ich  nur 
einmal  bei  einem  Knaben  von  15  Jahren,  angeblich  als  angeborenen 
Zustand  beobachtet,  jedoch  damals  nicht  gehörig  gewürdigt. 

3.  Abnorme  Kleinheit  und  verminderte  Wölbung.  Wenn  wir  von 
unbeträchtlichen  Schwankungen  in  der  Grösse  der  Basis  Corneae  bei  ver- 
schiedenen Individuen  und  Nationen  absehen,  so  kommt  hier  nur  jene 
regelwidrige  Kleinheit  der  Cornea  in  Betracht,  welche  bei  Mikrophthalmus 
congenitus  vorkommt,  und  jene,  welche  selbst  unbeschadet  der  übrigen 
physikalischen  Eigenschaften  bisweilen  an  atrophischen  Bulbis  beobachtet 
wird.  Es  ist  in  der  That  eine  interessante  Erscheinung,  an  einem  Auge, 
welches  in  Folge  von  Chorioiditis  oder  in  Folge  von  Glaskörperverlust, 
z.  B.  durch  eine  penetrirende  Scleralwunde,  auf  %  seines  Volumens  re- 
ducirt  ist,  die  Cornea,  gleichsam  en  miniature,  ganz  durchsichtig  und 
glänzend  zu  finden.  Dass  bei  jenem  Refractionszustande,  welcher  unter 
dem  Namen  Weitsichtigkeit  bekannt  ist,  nicht  sowohl  verminderte  Wöl- 
bung der  Cornea,  als  vielmehr  andere  Veränderungen  des  Auges  im  Spiele 
sind,  um  diesen  Zustand  zu  bedingen,  werden  wir  in  dem  Capitel  über 
diesen  Zustand  erörtern,  und  erinnern  vorläufig  bloss,  dass  man  nur  zu 
häufig  von  verminderter  Wölbung  der  Cornea  zu  sprechen  gewohnt  ist,  wo 
man  eigentlich  bloss  von  verminderter  Grösse  der  Augenkammer  sprechen 
sollte.  Nicht  geringere  Wölbung  der  Cornea,  sondern  Vorwärtsgerücktsein 
der  Iris  und  der  Linse  bildet  (wenigstens  zum  Theil)  den  objeetiv  wahr- 
nehmbaren Befund  jener  Augen,  welche  die  Fähigkeit  verloren  haben,  nahe 
Gegenstände  mit  der  gewöhnlichen  Schärfe  und  Ausdauer  zu  erkennen* 


Erklärung  der  Abbildungen. 


Fig.  1,  2,  3  und  4  stellen  Veränderungen  dar,  welche  die  Binde- 
und  Hornhaut  in  Folge  acuter  Bindehautblennorrhöe  bei  einem  22jährigen 
Mädchen  (mit  Blennorrhoea  vaginae)  in  der  4.  Woche  darboten. 

Fig.  1.  Das  Auge  in  natürlicher  Grösse  gezeichnet,  das  untere  Lid  möglichst 
stark  abwärts  gezogen.  Die  Cornea  bis  zum  Rande  zerstört,  die  Iris  blossgelegt,  durch 
einzelne  balkenähnliche  Streifen  zurückgehalten  und  eingeschnürt,  aber  auch  an  den 
leicht  vorgewölbten  inselähnlichen  Partien  schon  grösstenteils  mit  einer  bläulichweissen, 
mehr  weniger  durchscheinenden  Membran  überzogen.  —  Die  Bind  haut  zeigt  über  dem 
Tarsus  eine  Menge  kleiner,  dicht  aneinander  gedrängter,  hochrother,  warzenähnlicher 
Hüffelchen  (vergrösserte  Papillen) ,  welche  den  freien  Rand  des  Lides  nicht  erreichen ; 
unmittelbar  dahinter  (darüber)  erscheint  der  etwas  weniger  rothe,  stark  geschwellte, 
wulstig  vortretende  Übergangstheil ,  mit  6  gelblichen,  halbdurchsichtigen,  lichten  und 
glatten  Körnern  besetzt,  welche  wie  kleine  Kügelchen  von  gekochtem  Sago  zur  Hälfte 
über  die  Oberfläche  der  Umgebung  emporragen;  zwischen  diesem  wulstigen  Theile  und 
dem  Bulbus  läuft  die  stark  geschwellte  Übergangsfalte  als  unmittelbare  Fortsetzung  der 
halbmondförmigen  Falte  nach  aussen,  und  zeigt  gleichfalls  mehrere  derlei  Körnchen. 

Fig.  2  stellt  dasselbe  Auge  vergrössert  dar ,  wie  dasselbe  unter  der  Loupe 
erschien.  Am  Tarsaltheile  erscheint  längs  des  Lidrandes  ein  von  zahlreichen  feinen  Ge- 
fässchen  durchzogener,  nicht  merklich  geschwellter  Saum;  die  rothen  warzenähnlichen 
Hüjelchen  des  Tarsaltheiles  erscheinen,  wie  noch  deutlicher  aus  der,  einen  noch  mehr 
vergrösserten  Theil  der  Bindehaut  darstellenden. 

Fig.  3  ersichtlich  wird,  ziemlich  regelmässig  angeordnet,  gleichsam  aus  Gruppen 
rother  Punkte  zusammengesetzt  und  durch  lichtere  Streifen  geschieden;  Übergangstheil 
und  Falte  zeigen  einzelne  Gefässchen  und  die  genannten  ovalen  Exsudatkörner  ver- 
grössert.    Am  Bulbus  selbst  erscheinen  mehrere  erweiterte  Gefässe,    von  welchen  einige 


28ß  Erklärung  der  Abbildungen. 

gleichsam  unter  dem  Lirabus   conjunctivae   cjmeae  zu    dem  Narbengewebe    der   Cornea 
hin  durchtreten,  und  sich  daselbst  verzweigen. 

Fig.  4  zeigt  das  obere  Lid  desselben  Auges  vergrössert;  die  beiden-  lichten 
Flecke  nach  innen  und  oben  stellen  solche  lichte,  sagoähnliche  Exsudate  dar,  welche 
gleichsam  auf  die  vergrosserten  Papillen  aufgelagert  sind,  und  gleich  denen  am  untern 
Lide  unter  der  stärksten  Loupe,  die  uns  zu  Gebote  stand,  an  und  für  sich  durch  kein 
Merkmal  von  jenen  Gebilden  unterschieden  werden  konnten,  von  denen  bei  Fig.  5  und 
6  die  Rede  sein  wird. 

Fig.    5  und  6  stellen    die  Veränderungen    der  Bindehaut  dar,    welche 
bei  einem  Weibe  von  35  Jahren  als  Trachoma  constatiit  wurden. 

Fig.  5  zeigt  das  umstülpte  obere  Lid  des  rechten  Auges,  etwas  vergrössert.  Das 
Lid  ist  ungemein  verdickt,  prall,  schwer  zu  umstülpen ;  die  Bindehaut  längs  des  Lid- 
randes fast  normal,  nur  von  feinen  Gefässchen  durchzogen ,  die  feinern  Ringelchen 
stellen  die  vergrosserten  Papillen  vor ,  welche  zwischen  den  zahlreich  und  massenhaft 
aufgelagerten  und  tief  infiltrirten  sulzigen  Exsudathügeln  noch  sichtbar  geblieben  sind ; 
an  der  Conjunctiva  bulbi  erscheinen  zahlreiche  Gefässe,  welche  sich  bis  auf  die  an  ihrer 
Oberfläche  leicht  getrübte  und  unebene  Cornea  erstrecken  (Pannus). 

Fig.  6  zeigt  das  untere  Lid  des  linken  Auges  in  natürlicher  Grösse.  Auf  dem 
Tarsaltheile  sitzen  ziemlich  tief  eingebettet  einzelne  sulzige  Exsudate,  nur  wenig  empor- 
ragend, fast  parallel  dem  Lidrande  angeordnet;  der  Übergangstheil  ist  fast  durchaus 
in  eine  sehnig  glänzende,  bläulichweisse,  fast  gefässlose  Membran  verwandelt,  und  so 
geschrumpft,  dass  die  Übergangsfalte  fehlt,  und  beim  Aufwärtsblicken  nahezu  verticale 
Falten  entstehen,  deren  grösste  schräg  nach  innen  und  oben  zur  halbmondförmigen 
Falte  hinzieht. 

Fig.     10.     Das    untere     Lid     eines     Knaben  aus    dem     Waisenhause. 
(Siehe  S.   HO.) 

Längs  des  Lidrandes  ist  die  Bindehaut  normal,  nur  von  einzelnen  Gefässchen 
durchzogen  ;  weiterhin  sieht  man  die  ganze  Bindehaut  mit  dicht  an  einander  gedrängten 
lichtgelben  Hügeln  besetzt,  welche  über  den  Tarsus  ungefähr  mohnkorngross  und 
nicht  confluent,  auf  dem  Übergangstheile  dagegen  an  %'"  hoch  aufgethürmt  und  zu 
unregelmässigcn  Wülsten  verschmolzen  sind.  Das  obere  Lid  desselben  Auges,  welches 
auf  der  andern  Seite  der  Tafel  abgebildet  war,  musste  wegen  einiger  wesentlicher 
Fehler  radirt,  und  konnte  dann  nicht  mehr  gezeichnet  werden.  Es  zeigt  die  Bindehaut 
durchaus  normal,  nur  etwas  lockerer  und  gelblichroth,  und  mit  punktförmigen  bis  mohn- 
korngrossen,  ganz  isolirt  stehenden  lichtgelben  Körnchen  besetzt. 

Diese  Abbildungen  haben  den  Zweck,  zu  zeigen,  dass  ich  ganz  dieselben 
Exsudatabbildungen,  welche  man  wohl  auch  als  „graue  Granulationen"  beschrieben  hat, 
und  welche  bald  der  sogenannten  Ophthalmia  aegyptiaca,  bald  dein  Trachoma  als  charak- 
teristisch zukommend  bezeichnet  wurden,  bei  verschiedenen  Erkrankungsweisen  der 
Bindehaut  beobachtet  habe.     Sie   können  demnach    nicht    als  pathognomonisches   Zeichen 


Erklärung  der  Abbildungen.  287 

für  die  eine  oder  die  andere  Art  der  Entzündung  der  Bindehaut  betrachtet  werden.  Nur 
im  Verein  mit  sämmtlichen  übrigen  Erscheinungen  (dem  Raum  und  der  Zeit  nach  auf- 
gefasst)  kann  ihre  Bedeutung  vorstanden  werden.  In  den  ersten  4  Figuren  tritt  offenbar 
die  Schwellung  des  Papillarkörpers,  die  gleichmässige  dunkle  Rüthe  und  die  starke  Schwel- 
lung der  Bindehaut  selbst  in  den  Vordergrund  der  Erscheinungen,  nachdem  die  reich- 
liche schleimig- eitrige  Secretion,  kurze  Zeit  vorher  das  auffallendste  Symptom,  beinahe 
ganz  verschwunden  ist.  Die  Bildung  jener  isolirten  sulzigen  Exsudate  spielt  sowohl  an 
dem  untern  als  an  dem  obern  Lide  eine  sehr  untergeordnete  accessorische  Rolle.  —  In 
Fig.  5  dagegen  fällt  die  Bildung  dieser  sulzigen  Exsudate ,  ihre  tiefe  Infiltration  und 
die  dadurch  bedingte  Verdickung  des  Lidknorpels  sogleich  als  die  bedeutendste  Er- 
scheinung auf,  und  Fig.  6  zeigt  nebst  frischen  Exsudaten  bereits  jene  Metamorphosen, 
welche  —  auf  Grundlage  anderweitiger  Beobachtungen  —  als  Endglieder  jener  Reihe 
von  Erscheinungen  erkannt  werden,  welche  wir  mit  dem  Namen  Trachoma  belegen.  — 
Fig.  10  endlich  zeigt  jene  Exsudatbildung  als  vorwaltende  Erscheinung,  aber  ohne  er- 
hebliche Veränderung  der  umgebenden  Bindehaut  (am  obern  Lide),  ohne  erhebliche 
Veränderungen  der  Secretion,  ohne  Verdickung  des  Lidknorpels.  Die  Bedeutung  dieser 
Exsudate  kann  hier  nur  nach  Wochen-,  Monate-langer  Beobachtung,  oder,  wie  es  hier 
der  Fall  war,  nach  dem  Vorkommen  der  niedrigsten  Grade  des  Beginnens  der  Krank- 
heit bei  massenweisem  Auftreten  mit  Sicherheit  bestimmt  werden. 

Die  Figuren  7,  8  und  9  haben  den  Zweck,  zunächst  das  Verhältniss 
der  Cornea  zur  Sclera,  und  weiterhin  überhaupt  die  Lage  und  Anordnung 
der  einzelnen  Gebilde  des  Bulbus  in  einem  Durchschnitte  zu  zeigen. 

Dieselben  lassen  zwar  noch  manches  zu  wünschen  übrig,  dürften  indessen  in  der 
Hauptsache,  Lage  und  Verhältniss  der  einzelnen  Theile  zu  einander,  noch  immer  rich- 
tiger sein  als  die  bisher  erschienenen.  Was  indess  in  diesen  Zeichnungen  noch  fehler- 
haft oder  unklar  dargestellt  erscheinen  sollte,  kann  sich  der  Leser  sehr  leicht  corrigiren, 
dadurch,  dass  er  sich  die  Durchschnitte  führt,  so  wie  ich  sie  geführt  habe ,  und  eine 
gute  Loupe  zur  Hand  nimmt. 

Man  nehme  ein  möglichst  frisches  Auge,  schäle  es  aus  der  Tunica  vaginalis  und 
Conjunctiva  bulbi  gleichsam  heraus,  und  stutze  sowohl  die  Muskeln  als  den  Nervus 
opticus  nahe  an  der  Sclera  ab.  Sodann  messe  man  die  Achsen  vom  vordem  zum  hintern 
Pol  und  im  Äquator  (vertical  und  horizontal),  den  Längen-  und  den  Höhendurch- 
messer der  Cornea  innerhalb  des  Limbus  conjunctivae,  und  die  Entfernung  der  Inser- 
tionsstellen  der  M.  recti  vom  Cornealrande,  und  lege  dann  den  Bulbus  mit  dem  hintern 
Pole  auf  ein  Stückchen  Holz  ;  indem  man  sofort  mit  den  Fingern  der  linken  Hand  den 
Bulbus  leicht  frört,  setzt  man  ein  möglichst  scharfes  Messer  (Rasirmesser)  senkrecht  auf 
die  Cornea,  und  dringt  mit  3 — 4  ziehend-drückend  geführten  Schnitten  ohngefähr  bis 
zu  den  Insertionsstellen  der  Recti  vor.  Um  die  Luxation  der  Linse  so  viel  als  möglich 
zu  vermeiden,  wird  nun  der  Schnitt  durch  die  Sclera  bis  zum  hintern  Pole  mittelst  einer 
Scheere  vollendet,  und  der  über  die  Scleraränder  überhängende  Glaskörper  abgeschnitten. 
Wenn  man  nun  jede  Hälfte  des  Bulbus  sogleich  in  eine  mit  Wasser  gefüllte  Schale  legt, 
so  wird  man  mit  dem  Zirkel  sich  überzeugen ,  dass  die  Durchmesser  genau  dieselben 
geblieben  sind,  somit  die  festen  Theile   des  Auges  ihre    frühere  Form    und    Lage    wieder 


288  Erklärung  der  Abbildungen. 

einnehmen.  AVer  selbst  nicht  zeichnen  kann ,  lege  sich  das  Auge  in  ein  Schälchen, 
welches  gerade  so  tief  ist,  dass  die  Durchschnitsebene  der  auf  die  Convexität  gelegten 
Augenhemisphäre  gerade  in's  Niveau  des  Randes  der  Schale  zu  liegen  kommt,  und 
giesse  so  viel  Wasser  zu,  dass  dasselbe  noch  etwas  über  den  Rand  der  Schale  empor- 
ragt ;  darauf  nun  decke  man  ein  möglichst  dünnes  Glas  (Cylinderuhrglas),  welches  auf 
der  einen  Seite  mittelst  Bimsstein  ein  wenig  matt  geschliffen  ist,  so  dass  man  mit  einem 
etwas  härteren  Bleistifte  bequem  darauf  schreiben,  und  doch  die  Conturen  des  dar- 
unter liegenden  Auges  und  seiner  Theile  genau  sehen  kann  (bei  Sonnenschein). 

Fig.  7  stellt    die  untere  Hälfte    eines   Auges  (linken)    von  einer  30- 
jährigen  Frau  dar. 

Fig.  8  zeigt  einen  solchen  Durchschnitt  (von  der  rechten  Seite)  ver- 
grössert  (Durchmesser  =  2). 

Fig.  9.     Äussere  Hälfte    eines  von  oben  nach  unten  durchschnittenen 
Bulbus  einer  50jährigen  Frau. 


Eine  Menge  Durchschnitte  möglichst  frischer  Bulbi  zeigte  mir  ein  ganz  anderes 
Verhältniss  der  Iris  und  des  Ligamentum  ciliare  zur  Cornea  und  Sclera,  als  namentlich 
Prof.  Brüche  in  seiner  sonst  so  schätzenswerthen  Abbildung  des  menschlichen  Auges 
angegeben  hat.  Die  Iris  entspringt  nämlich  nicht,  wie  Brücke  es  dargestellt,  am  Rande 
der  Cornea  von  dem  Ligamentum  ciliare,  sondern  sie  tritt  nächst  den  Ciliarfortsätzen 
aus  jenem  Gebilde  hervor,  so  dass  die  vordere.  Augenkammer  nicht  von  der  Cornea 
und  Iris  allein,  sondern  zwischen  diesen  beiden  auch  noch  von  der  vordem  Fläche 
des  im  Duchschnitte  dreieckig  erscheinenden  Ligamentum  ciliare  begrenzt  wird.  Übrigens 
liegen  die  Firsten  des  Processus  ciliaris  stets  noch  vor  dem  Rande  der  Linse,  und  die 
Iris  sah  ich  niemals  in  einer  Ebene  liegen,  sondern  jedesmal  ein  wenig  nach  vorn 
ausgebaucht.     Das   Nähere   hierüber  folgt   bei   der  Lehre    von    den  Krankheiten   der   Iris. 


Binde .und  Komi  tut 


DIE 

KRANKHEITEN  DES  AUGES, 

für  praktische  Ärzte 

geschildert 


Dr.  Ferd.  Arlt, 

früher  o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Prag,  jetzt  zu  Wien. 


IL  Band. 


Die  Krankheiten   der   Sclera,   Iris,  Chorioidea  und 

Linse. 


Fünfter  unveränderter  Abdruck. 


Prag,    1863. 

Verlag  von  F.  A.  Credner, 

k.  k.  Hof -Buch-  und  Kunsthändler. 


DIE 

KRANKHEITEN  DER  SCLERA, 

IRIS,  CHORIOIDEA  UND  LINSE, 

für 

praktische  Ärzte 

geschildert 


Dr.  Ferd.  Arlt, 

früher  o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Prag,  jetzt  zu  Wien. 


Fünfter  unveränderter  Abdruck. 


Prag,   1863. 


Verlag  von  F.  A.  Credner, 

k.  k.  Hof -Buch-  und  Kunsthändler. 


III.  Bach. 


Die  weisse  oder  Lederhaut,  Tunica  sclerotica, 
und  die  Scheidenhaut,  Tunica  vaginalis. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

a)  Die  Sclera  bildet  gleichsam  das  Gehäuse  des  Augapfels,  in 
welches  die  Cornea  gleich  einem  Glase  eingefügt  ist.  Sie  wird  durch 
die  flüssigen  Contenta  des  Bulbus  gespannt  erhalten,  und  übt  auf  die- 
selben vermöge  ihrer  Elasticität  einen  gewissen  Druck  aus.  Diese  bei- 
den Momente  sind  bei  Beurtheilung  ihrer  Grösse  und  Gestalt  jederzeit 
in  Anschlag  zu  bringen. 

Sie  bildet  im  Allgemeinen  die  Schale  einer  Kugel,  welche,  wenn 
man  sich  die  Cornea  in  gleicher  Flucht  fortlaufend  denkt,  von  vorn 
nach  hinten  sehr  stark  abgeplattet,  und  überdiess  an  jenen  Stellen,  wo 
die  Musculi  recti  ihre  Wölbung  berühren,  seicht  eingedrückt  erscheint. 
Im  Innern  der  Sclera  kann  das  Verhältniss  der  Durchmesser  ohngefähr 
so  bezeichnet  werden,  dass  der  horizontale  Durchmesser  im  Äquator 
um  '/*"'  länger  erscheint,  als  der  verticale,  und  dieser  noch  um  72'" 
länger  als  die  Achse  von  vorn  nach  hinten  (wenn  man  sich  die  Cornea 
nicht  stärker  gewölbt  denkt,  als  die  Sclera). 

Die  Dicke  dieser  Schale  ist  nicht  überall  gleich.  Am  beträchtlichsten 
ist  sie  am  hintern  Pole,  also  1%"*  auswärts  vom  Centrum  der  Inser- 
tionsstelle  des  N.  opticus;*  hier  misst  sie  im  normalen  Zustande  über 
5  2  Linie  (0,580'"j;  von  hier  an  wird  sie  in  ihrer  Ausbreitung  allmälig 
dünner;  vom  Äquator  bis  zur  Insertion  der  Musculi  recti  kann  die 
Dicke  auf  *J* — V5"'  geschätzt  werden;  durch  die  Sehnen  dieser  Muskel 
verstärkt,  zeigt  sie  im  vordem  Drittel  eine  Dicke  von  2/5'".  Die  Dicke 
dieser  Membran  ist  gleich  der  der  Cornea  in  der  Jugend  beträchtlicher, 
als  im  höhern  Alter,    und  steht  zur  Dicke  der  Cornea  immer  in  dem 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  1 


2  Lederhaut. 

Verhältnisse,   dass  die   dickste  Partie    (am  hintern  Pole)  noch  immer 
etwas  dünner  ist,  als  die  Cornea  gegen  den  Rand  hin. 

An  ihrer  äussern  Fläche  ist  sie  rauh  (filzig)  und  durch  laxes  Binde- 
gewebe mit  der  Tunica  vaginalis  bulbi  locker  verbunden.  Ihre  innere 
Fläche  ist  glatt,  und  von  der  Lamina  fusca  ausgekleidet,  einer  dünnen 
zelligen  Membran,  welche  eigenthümliche  stark  pigmentirte  braune  Zel- 
len zeigt.  Mit  der  innerhalb  derselben  liegenden  Chorioidea  hängt  sie 
nur  durch  die  Nerven  und  Gefässe  zusammen,  welche  durch  die  Sclera 
hindurch  zur  Ader-  und  Regenbogenhaut  verlaufen;  an  ihrem  vordem 
Ende  jedoch  ist  sie  mit  dem  Ciliarbande  sehr  fest  verbunden.  Hievon 
später. 

An  der  Eintrittsstelle  des  N.  opticus  hängt  sie  fest  mit  dessen 
Scheide  zusammen,  wesshalb  sie  Einige  als  Fortsetzung  derselben  be- 
trachten. Die  2  Sehnen  der  M.  obliqui  im  hintern,  und  die  4  Sehnen 
der  M.  recti  im  vordem  Umfange  der  Sclera  gehen  mit  ihren  Fasern 
unmittelbar  in  deren  Gewebe  über,  indem  sie  sich  fächerartig  ausbrei- 
ten. Die  Verbindung  mit  der  Cornea  wurde  bereits  besprochen.  (S. 
Hornhaut,  Seite  175  und  Taf.  I.  Fig.  7,  8,  9.) 

Die  Sclera  besteht  aus  dicht  zusammengewebten  Fasern,  welche 
gegen  ihre  innere  Fläche  zu  immer  dichter  in  einander  verflochten  sind, 
und  in  verschiedenen  Richtungen  sich  durchkreuzen.  Im  hintern  Um- 
fange scheinen  die  longitudinalen,  von  der  Sehnervenscheide  gegen  die 
Peripherie  hin  und  vorwärts  verlaufenden,  die  vorwaltenden  zu  sein; 
wenigstens  findet  man  in  dieser  Gegend  bisweilen  verdünnte  Stellen, 
welche  diese  Richtung  einhalten,  und  durch  das  Auseinanderweichen 
dieser  Fasern  bedingt  zu  sein  scheinen;  im  vordem  Umfange  sind  die 
querverlaufenden  Fasern  vorherrschend.  —  Durch  Maceration  wird  sie 
in  2 — 3  Wochen  zu  einer  breiigen  Masse  aufgelöst;  durch  Kochen  wird 
sie  in  Leim  verwandelt.  —  Sie  ist  sehr  fest,  viel  weniger  elastisch. 
Fälle  von  Berstungen  der  Sclera  kommen  eben  nicht  selten  vor,  we- 
nigstens in  ihrem  vordem  Drittel. 

Ihre  sparsamen  Gefässe  entspringen  theils  aus  den  hintern  kurzen, 
theils  aus  den  vordem  Ciliararterien  und  von  den  Muskelästen  der 
Art.  ophthalmica.  Sie  bilden  ein  weitmaschiges  Netz  von  Capillaren 
letzter  Ordnung  {Brücke).  —  Nerven  hat  Professor  Bochdalek*)  mit  Be- 
stimmtheit in  ihr  nachgewiesen.     Sie  sind  Zweige  der  Ciliarnerven. 

Die  dichte  fasrige  Structur,  die  Armuth  an  Gefässen  und  Nerven 
und  die  sehr  untergeordnete  Bestimmung  der  Sclera,  die  Flüssigkeiten 
des  Bulbus  zu  umschliessen   und  den  Muskeln  feste  Angriffspunkte  zu 

»)  Präger  Vierteljahrschrift,  Bd.  24.  S.  119. 


Anatomie  —  Physiologie.  3 

gewähren,  machen  es  begreiflich,  warum  die  Sclera  der  Entzündung* 
nur  sehr  wenig  unterworfen  ist,  ja  selbst  gegen  directe  Eingriffe,  che- 
mische und  mechanische  Verletzungen,  auffallend  wenig  reagirt.  Nicht 
nur  Stich-  und  Schnitt-,  sondern  auch  Risswunden  der  Sclera  heilen 
ohne  merkliche  Röthe  oder  Schwellung  der  Ränder.  Sie  kann  von 
Eiter,  im  Innern  des  Auges  angesammelt,  durchbrochen  werden;  auch 
Enkephaloidablagerung  kommt  in  derselben  vor.  Nach  meiner  An- 
schauungsweise bietet  sie,  wenigstens  ihre  oberflächliche  Schicht,  auch 
das  Substrat  entzündlicher  Erscheinungen  dar,  deren  Beschreibung  weiter 
unten  folgt. 

b)  Die  Scheidenhaut  des  Augapfels,  Tunica  vaginalis  bulbi,  ist  eine 
den  Bulbus,  so  weit  die  Sclera  reicht,  umhüllende  zelligfibröse  Mem- 
bran von  bläulich  weisser  Farbe,  welche  nur  durch  schlaffes,  äusserst 
dehnbares  und  fettloses  Bindegewebe  mit  der  Sclera  zusammenhängt, 
und  somit  eine  Art  Kapsel  oder  Scheide  bildet,  in  welcher  sich  der 
Bulbus  nach  jeder  Richtung  leicht  drehen  kann.  Sie  entspringt  an  der 
Eintrittsstelle  des  Sehnerven  in  die  Orbita,  umgibt  diesen  und  die  um 
denselben  liegenden  Ciliarnerven,  umfasst  sodann  den  Bulbus,  wird  von 
den  6  Augenmuskeln  schief  durchbohrt,  hängt  mit  den  Sehnen  dersel- 
ben zusammen,  schmiegt  sich  vor  den  Musculis  rectis  mehr  und  mehr 
an  die  Sclera  und  an  die  Bindehaut  darüber  an,  und  verliert  sich  unter 
der  Conjunctiva  bulbi  allmälig  gegen  den  Hornhautrand  hin,  nachdem 
sie  dünner  und  dünner  geworden,  und  in  der  Nähe  der  Cornea  mit 
dem  Stroma  conjunctivae  gleichsam  in  Eins  verschmolzen  ist. 

Von  der  Gegend,  wo  die  Musculi  recti  in  diese  Hülle  eintreten, 
um  noch  eine  Strecke  in  derselben  zu  verlaufen,  geht  ein  ähnliches 
zelligfibröses  Gewebe  gleichsam  als  Unterlage  für  die  Bindehaut  unter 
derselben  bis  zum  Orbitalrande  des  obern  und  des  untern  Lidknorpels, 
und  vermittelt  so  einen  festeren,  wenn  gleich  äusserst  dehnbaren  Zu- 
sammenhang der  Tunica  vaginalis  bulbi  mit  der  Fascia  tarso-orbitalis, 
jener  schon  viel  dichteren  und  resistenteren  Membran,  welche  vom  Or- 
bitalrande der  Knorpel  an  den  freien  Knochenrand  rings  um  die  Orbita 
verläuft. 

Hat  man  die  Conjunctiva  und  die  Tunica  vaginalis  bulbi  hinter  den 
Sehnen  der  geraden  Augenmuskel,  so  wie  diese  selbst  ringsum  durch- 
schnitten, so  kann  man  den  Bulbus  leicht  wie  aus  einer  Schale  her- 
auslösen, indem  man  nur  noch  die  M.  obliqui  und  den  N.  opticus  sammt 
den  ihn  umgebenden  Gefäss-  und  Nervenzweigchen  zu  trennen  braucht. 

Die  Scheidenhaut  des  Augapfels,  oder  vielmehr  das  lockere  Binde- 
gewebe zwischen  ihr  und  der  Lederhaut  ist  einer  bedeutenden  Schwel- 


4  Lederhaut. 

hing  durch  seröse  Infiltration  fähig;  diese  kann  so  bedeutend  werden, 
dass  der  Bulbus  dadurch  aus  der  Orbita  hervorgedrängt  wird,  und  dass 
der  vordere  Theil  sanimt  der  Conjunctiva  jenen  2—3'"  hohen  Wall 
rings  um  die  Cornea  darstellt,  von  welchem  bei  den  Krankheiten  der 
Bindehaut  die  Rede  war. 

Vermöge  ihrer  Zähigkeit  verhindert  sie,  wenn  man  einen  der  Muse, 
recti  noch  im  Bereiche  derselben  durchschneidet,  das  freie  Zurückwei- 
chen des  •  Muskelbauches,  so  dass  sie  in  einem  gewissen  Grade  die 
durchschnittene  Sehne  vertritt,  und  die  Beweglichkeit  des  Bulbus  nach 
dieser  Seite  hin  vermittelt ;  nur  wenn  der  Muskel  ausserhalb  dieser  zel- 
ligfibrösen  Scheide  durchschnitten,  oder  wenn  die  Wunde  in  derselben 
sehr  lang  (über  3'")  gemacht  worden  ist,  wird  die  Herrschaft  des  be- 
treffenden Muskels  über  den  Bulbus  mehr  weniger  vollständig  aufge- 
hoben.    (Näheres  hierüber  bei  der  Lehre  vom  Schielen.) 

Der  hintere  Theil,  vom  Opticus  bis  zu  den  Insertionsstellen  der 
M.  recti,  wurde  als  Bomiefsche  Kapsel,  der  vor  jenen  Insertionsstellen 
gelegene  hingegen  als  Tenon'sche  Membran  beschrieben. 


B.    Krankheiten  der  Sclera. 

I.  Entzündung  der  Scle?*a 
kommt  entweder  selbstständig  und  isolirt,  oder  gleichzeitig  mit  Keratitis, 
Iritis  oder  Chorioiditis  vor;  in  letzterem  Falle  erscheint  sie  meistens  als 
consecutives  Leiden. 

1.  Die  selbstständige  ScleiHtis  tritt  —  nach  meinen  Beobachtungen 
—  nur  partiell  auf,  und  zwar  im  vordem  Umfange,  in  der  Gegend,  wo 
die  vordem  Ciliararterien  die  Sclera  durchbohren. 

Symptome  und  Verlauf.  Auf  der  Sclera,  ein  bis  zwei  Linien 
vom  Bande  der  Hornhaut  entfernt,  entsteht  ein  licht-,  dann  dunkel- 
rosenrother  Fleck,  in  welchen  sich  stark  eingespritzte  Ciliargefässe  auf- 
lösen. Dieser  Fleck  wird  alsbald  zu  einer  leichten  Erhabenheit,  welche 
die  Form  und  Grösse  einer  halben  Linse,  selbst  einer  halben  Zucker- 
erbse (nur  etwas  flacher)  erreicht.  Man  könnte  meinen,  es  sei  eine 
Conjunctivitis  pustularis  im  Anzüge;  man  überzeugt  sich  jedoch  bald, 
dass  das  Infiltrat  nicht  in,  sondern  tief  unter  der  Bindehaut  sitzt,  ja  es 
gewinnt  sehr  bald  das  Aussehen,  als  wäre  die  geröthete  Sclera  selbst 
an  dieser  Stelle  emporgedrängt,  so  allmälig  ist  der  Übergang  von  der 
gesunden  zur  erkrankten  Partie.  Das  Infiltrat  erscheint  als  eine  derbe 
gleichmässige  Aufwulstung ;  in  manchen  Fällen  jedoch  sieht  man  an  der 


Entzündung.  5 

ergriffenen  Stelle  ein  Aggregat  von  gelblichen  Körnern,  welche  durch 
geschwelltes  Bindegewebe  und  zahlreiche  Blutgefässe  zu  Einem  Hügel 
vereint  sind.  Nachdem  ein  solcher  Hügel  einige  Wochen  bestanden 
hat,  wird  er  nach  und  nach  flacher;  die  ergriffene  Stelle  wird  zunächst 
vom  Rande  her,  dann  durchaus  dunkelviolett,  schiefergrau,  bleifarben, 
endlich  (nach  Monaten)  normal.  Das  Exsudat  wird  einfach  resorbirt, 
ohne  jemals  in  Eiterung  zu  übergehen  oder  bleibend  zu  induriren.  — 
Der  Process  kann  mit  der  Bildung  eines  einzigen  Hügels  abgethan 
sein;  es  können  aber  auch  2 — 3  kurz  nach  einander  entstehen;  meistens 
findet  aber  der  Vorgang  statt,  dass  während  der  Rückbildung  an  Einer 
Stelle  eine  frische  Ablagerung  in  der  Nachbarschaft  entsteht,  und  hie- 
durch  die  Dauer  der  Krankheit  auf  ein  halbes  Jahr  und  darüber  aus- 
gedehnt wird. 

Die  Kranken,  namentlich  ältere  Personen,  werden  in  der  Regel 
nur  durch  ein  lästiges  Gefühl  von  Druck  unter  dem  obern  Lide  (der 
Process  verläuft  meistens  in  der  obern  Hälfte  des  Bulbus),  durch  dumpfen 
Kopfschmerz,  weniger  durch  Empfindlichkeit  gegen  Licht,  scharfe  Luft 
und  Anstrengung  der  Sehkraft  belästigt.  Über  Störung  des  Gesichtes 
klagen  sie  nur  dann,  wenn  die  Infiltration  des  Exsudates  bis  in  die 
Hornhaut  hereinreicht,  und  die  Umgebung  (bis  vor  die  Pupille  hin)  auf- 
gelockert und  mehr  weniger  getrübt  wird.  Bei  Einwirkung  der  ge- 
nannten Reize  tritt  leicht  vermehrte  Thränenabsonderung  ein,  und 
die  Bindehaut  liefert  bisweilen  ein  Secret,  wie  bei  Katarrh,  ohne  in- 
dess  mehr  als  die  Zeichen  von  Hyperämie  darzubieten. 

So  hartnäckig  und  lästig  dieses  Übel  auch  ist,  so  bringt  es  doch 
—  nach  meinen  Beobachtungen  —  weder  der  Function  noch  der  Form 
des  Auges  bleibenden  Nachtheil.  Niemals  sah  ich,  auch  nach  Jahre 
lang  fortgesetzter  Beobachtung  solcher  Individuen,  weder  eine  Formver- 
änderung (Hervortreibung)  der  Sclera,  noch  bleibende  Störung  der  Seh- 
kraft nachfolgen. 

Diese  Krankheit  ist  meines  Wissens  zuerst  yon  Dr.  Sichel  *)  naturgetreu  beschrieben 
worden ,  und  zwar  als  „partielle  Entzündung  der  Chorioidea  und  des  subconjunctivalen 
Zellgewebes."  Auch  Prof.  J.  N.  Fischer  führt  sie  in  seinem  1846  erschienenen  Lehrbuche 
S.  57  und  1S3  als  Chorioiditis  an.  Ich  habe  mich  bereits  in  einem  Eeferate  über  Sichel' s 
Aufsatz  **)  für  die  Ansicht  ausgesprochen,  dass  das  Substrat  dieses  Processes  die  Sclera 
(ihre  äussern,  minder  dichten  Faserlagen)  sei,  und  bin  durch  spätere  Beobachtungen  hierin 
nur  bestärkt  worden.  Zum  Schlüsse  dieses  Artikels  werden  einige  Beobachtungen  mög- 
lichst getreu  beschrieben  werden,  wornach  dann  der  Leser  selbst  sich  sein  Urtheil  bilden 
mag ;  vorläufig  will  ich  zur  Begründung  meiner  Behauptung  nur  folgende  Punkte  hervorheben. 

*)  Bulletin  ge'ner.  de  Therapeut.  1S4T. 
**)  Prager  Vierteljahrschr.  17.  Bd.,  Anal.  S.  88. 


6  Lederhaut. 

Nimmt  man  an,  die  Chorioidea,  der  Ciliarkörper  sei  der  eigentliche  Herd  der 
Krankheit,  so  kann  man  das  Entstehen  der  oft  beträchtlichen  Erhöhungen  (bis  zu  1  '/&'") 
doch  nur  von  gleichzeitiger  Infiltration  entweder  der  Tunica  vaginalis  bulbi  oder  der  Sclera 
selbst  erklären.  Denn  es  lässt  sich  nicht  denken,  dass  ein  Infiltrat  der  Aderhaut  allein 
die  Sclera  an  einer  umschriebenen  Stelle  so  beträchtlich  hervortreiben  könne,  ohne  auch 
nach  innen  einen  Druck  auszuüben ,  welcher  sich  offenbar  durch  Störung  des  Gesichtes, 
mindestens  durch  Veränderungen  in  der  Iris  kund  geben  müsste.  Bei  der  Schilderung 
der  Krankheiten  der  Chorioidea  wird  sich  herausstellen,  dass  eine  nur  einigermassen  er- 
hebliche Exsudation  in  diesem  Gebilde  jederzeit  manifeste  Veränderungen  in  der  Function, 
selbst  in  den  physikalischen  Eigenschaften  der  Iris  bedingt,  und  dass  namentlich  jenen 
Stellen,  wo  die  Chorioidea  mit  der  Sclera  verwachsen  und  diese  sofort  hügelartig  vor- 
getrieben ist,  Atrophirung  des  Irisgewebes  entspricht.  —  Positiv  beweisend,  dass  diese 
hügeligen  Anschwellungen  nicht  durch  Auswärtsdrängung  der  Sclera,  und  eben  so  wenig 
durch  Infiltration  des  „subconjunctivalen  Zellgewebes"  allein  bedingt  sein  können,  sind 
jene  Fälle  dieser  Krankheit,  wo  das  Centrum  der  infiltrirten  Stelle  etwas  weiter  vorn 
liegt,  und  ihre  Peripherie  noch  in  die  durchsichtige  Hornhaut  hereinreicht.  Hält  man 
sich  in  solchen  Fällen  die  relative  Lage  der  Cornea,  Sclera  und  Iris  zum  Corpus  ciliare 
genau  gegenwärtig,  und  sieht  man  sofort  von  der  Seite  her  zwischen  der  infiltrirten 
Cornealpartie  und  der  Iris  gegen  das  Ligamentum  ciliare  hin  in  die  vordere  Augenkam- 
mer hinein,  so  erkennt  man  leicht,  dass  der  Ciliarkörper  es  nicht  sein  kann,  von  dem 
die  krankhaften  Erscheinungen  ausgehen,  und  eben  so  wenig  die  Tunica  vaginalis  bulbi, 
weil  beide  nicht  so  weit  nach  vorn  reichen.  —  Wenn  man  überdiess  sieht,  dass  mitunter 
ein  solcher  Hügel  deutlich  aus  einzelnen  kleineren  Erhöhungen  (Körnern)  zusammenge- 
setzt ist,  so  gibt  man  die  Ansicht,  die  Sclera  sei  hier  von  einem  unter  ihr  befindlichen 
Exsudate  nach  aussen  gedrängt,  gewiss  ohne  Weiteres  auf.  —  Die  missfarbigen  Stellen, 
welche  nach  Resorption  des  Infiltrates  zurückbleiben,  zeigen  deutlich,  dass  der  Sitz  des- 
selben nicht  in  der  Tunica  vaginalis  allein  gesucht  werden  kann.  Man  sieht  nämlich  die 
Verfärbung  deutlich  unter  den  Ciliargefässen,  während  jene  Hülle  mit  der  in  dieser  Gegend 
schon  innig  mit  ihr  zusammenhängenden  Bindehaut  über  denselben  liegt. 

Es  gibt  Arzte,  welche  der  Sclera  überhaupt  die  Fähigkeit  absprechen,  in  jenen 
Zustand,,  den  wir  Entzündung  nennen,  zu  übergehen,  einmal  wegen  ihrer  Armuth  an 
Gefässen  und  Nerven,  und  dann,  weil  sie  nicht  im  Stande  waren,  durch  absichtliche 
Verletzungen  bei  Thieren  Scleritis  hei-vorzurufen.  Auf  den  ersten  Grund  gestützt,  hätte 
man  vor  nicht  gar  langer  Zeit  auch  der  Cornea  die  Fähigkeit,  sich  zu  entzünden,  ab- 
sprechen können,  denn  es  waren  weder  Gefässe  noch  Nerven  in  dieser  Membran  ana- 
tomisch erwiesen.  Der  Umstand,  dass  ein  Organ  auf  mechanisch-chemische  Verletzungen 
nicht  mit  entzündlichen  Erscheinungen  antwortet,  berechtigt  uns  —  meines  Erachtens  — 
noch  nicht,  ihm  die  Entzündungsfähigkeit  überhaupt  abzusprechen.  Mit  der  Eigentüm- 
lichkeit des  Baues  und  der  Ernährung  eines  Organes  im  normalen  Zustande  sind  auch 
schon  Eigenthümlichkeiten  jener  abnormen  Zustände  gegeben,  welche  wir,  nach  allgemei- 
nen Principien,  als  Entzündung  bezeichnen  müssen.  In  dem  gleichzeitigen  "Vorkommen 
der  genannten  Exsudate  im  Bereiche  der  Sclera  mit  Exsudaten  in  der  Cornea  erkennen 
■wir  —  nach  unserer  Anschauungsweise  —  die  histologische  Verwandtschaft  dieser  im 
Fötus  noch  nicht  differenzirten  Membranen  selbst,  und  es  kann  eben  nur  in  der  vorge- 
fassten  Meinung,  dass  die  Sclera  sich  überhaupt  nicht  entzünden  könne,  der  Grund  ge- 
sucht werden ,  dass  man  Erscheinungen ,  die  man  in  der  Sclera  bemerkt ,  auf  andere 
Gebilde  bezogen  hat.  —  Will  man  aber  den  Ausdruck  Scleritis  für  die  in  Rede  stehende 


Entzündung.  7 

Krankheit  desshalb  nicht  gelten  lassen ,   weil  das  Exsudat  in  der  Sclera   noch   nicht  mit 

dem  Messer,  mit  dem  Mikroskope  nachgewiesen  ist,    so  streiche  man  vorläufig   auch  den 

Namen  Chorioiditis  oder  Kyklitis  für  diese  Form,    denn  auch  in  dem  Corpus  ciliare  hat 
man  —  für  diese  Fälle  —  das  supponirte  Exsudat  noch  nicht  nachgewiesen. 

Vorkommen,  Ursachen.  Diese  Form  von  Scleritis  kommt  selten 
vor.  Ich  habe  nur  16  Fälle  davon  beobachtet,  9  bei  Männern,  7  bei 
Weibern.  Zwei  Männer  und  eine  Frau  waren  circa  70,  zwei  Männer 
über  50,  ein  Mann  und  eine  Frau  über  40,  die  übrigen  (2  männlich, 
5  weiblich)  zwischen  20  und  30,  ein  Knabe  12  und  einer  9  Jahre  alt. 
Keines  dieser  Individuen  konnte,  abgesehen  von  dem  Augenleiden,  für 
gesund  erklärt  werden.  Bei  den  altern  waren  deutliche  Symptome  trä- 
ger Circulation  in  den  Unterleibsorganen,  bei  den  Jüngern  (bis  auf 
einen  Mann,  welcher  eben  eine  Iritis  syphilitica  überstanden  hatte), 
waren  Zeichen  von  Scrofulosis  noch  vorhanden  oder  früher  da  gewesen. 
—  Das  Augenleiden  entstand  ohne  äussere  Veranlassung,  bei  1  Indivi- 
duum angeblich  nach  Verkühlung-,  bei  1  nach  längerem  Weinen.  Frische 
Eruptionen  erfolgten,  auch  nachdem  die  Kranken  unter  günstige  Ver- 
hältnisse und  unter  den  Einfluss  von  Medicamenten,  welche  eben  an- 
gezeigt erschienen,  gesetzt  waren.  Nur  in  zwei  Fällen  wurden  beide 
Augen  ergriffen,  und  in  zweien  kehrte  das  Übel  nach  jahrelanger 
Pause  auf  demselben  Auge  wieder. 

Behandlung.  Diese  muss  (nach  der  mir  zu  Gebote  stehenden 
Erfahrung)  mehr  eine  allgemeine,  diätetische  und  pharmaceutische  sein, 
entsprechend  dem  Zustande  des  Gesammtorganismus.  Örtliche  Mittel 
sind  theils  unnöthig  (Blutentziehungen),  theils  schädlich  (Collyrien,  kalte 
Umschläge).  Kur  Einreibungen  von  Mercurial-  oder  Jodkalisalben  an 
die  Stirn  und  Schläfe,  und  in  einem  späteren  Stadium,  wenn  die  Ge- 
lasse dunkler  und  mehr  ausgedehnt  erscheinen,  Einträuflungen  von 
Tinctura  opii  crocata,  können  beschleunigend  auf  den  Eesorptionsprocess 
einwirken.  Die  Art  und  Weise,  wie  ich  solche  Fälle  behandelt  habe, 
dürfte  aus  den  nachfolgenden  Krankengeschichten  besser,  als  aus  all- 
gemeinen Angaben  ersichtlich  werden. 

Ein  rüstig  gebauter  Schänkwirth  von  50  Jahren  kam  im  December  1845  zu  mir 
mit  dieser  Form  am  rechten  Auge.  Man  sah  von  der  Cornea  nach  innen  und  oben  einen 
dunkelbläulich-rothen  Hügel  auf  der  vordem  Partie  der  Sclera,  2 — 3"'  im  Durchmesser, 
V"  hoch,  das  Centrum  Vi — 2'"  vom  Rande  der  Cornea  entfernt.  Der  Hügel  sah  wie 
eine  flache  Pustel,  jedoch  ohne  Spur  von  Eiter  aus,  war  von  zahlreichen  erweiterten 
Gefässen  durchzogen  und  umgeben ,  und  von  einem  violettrothen  Hofe  der  Sclera  ein- 
gesäumt, in  welchen  er  sieh  allmälig  verflachte.  Dabei  keine  Lichtscheu,  keine  Störung 
des  Sehens,  nur  Druck  im  Auge,  und  zu  Zeiten  Kopfschmerz  in  der  rechten  Schläfe- 
und  Stirngegend.  Iris  und  Cornea  in  jeder  Beziehung  normal.  Träge  Stuhlentleerung, 
öfters  Ejreuzschmerzen.  zuweilen  Abgang  von  Blut  mit  dem  Stuhle.  —  Leicht  verdauliche 


8  Lederhaut. 

Kost,  Beschränkung  im  Genüsse  von  Kaffee  und  Bier,  Cremor  tartari  mit  Rheuni  und  etwas 
Schwefelblumen.  Ende  Februar  kam  der  Kranke  wieder.  An  der  Stelle  des  Hügels  sah 
man  einen  schiefergrauen  Fleck  in  der  Sclera;  daneben  nach  innen  ein  neuer  Hügel, 
Cornea  und  Iris  frei;  das  Auge  leicht  thronend,  drückender  Kopfschmerz;  die  Sehkraft 
nicht  geschwächt.  Acht  Blutegel  an  die  Schläfe,  dann  Einreibungen  mit  Ung.  cinereum 
mit  Opium  an  die  Stirn  lind  Schläfe;  innerlich  Bitterwasser,  täglich  zweimal  1/z  Seidel. 
Anfang  Mai  erschien  der  Kranke  zum  dritten  Male.  An  der  Stelle  der  ersten  und  zweiten 
Infiltration  livide  Färbung  der  Sclera;  daneben  (unter  dem  obern  Lide)  ein  neuer,  jedoch 
minder  erhobener  und  breiter  Hügel,  welcher  etwas  näher  an  der  Cornea  sitzt,  und  mit 
seiner  Peripherie  noch  in  diese  hereinreicht.  Der  Kranke  sieht  wie  durch  einen  leichten 
Rauch.  Nach  fünfwöchentlichem  Gebrauche  des  Marienbader  Kreuzbrunnens  erfolgte  keine 
frische  Exsudation  mehr,  und  das  Auge  war  im  August  d.  J.  bereits  zum  normalen  Zu- 
stande zurückgekehrt. 

„W.  W.,*)  eine  40jährige  Frau  von  zarter  und  reizbarer  Körperconstitution,  krän- 
kelt seit  Jahren  an  einer  Plethora  abdominalis,  welche  sich  durch  Vollsein  des  Unterlei- 
bes, Wechsel  des  Appetites  und  der  Verdauung,  leichte  Hämorrhoidalbeschwerden ,  harte 
Stuhlentleerung  über  den  zweiten,  dritten  Tag  mit  abwechselnder,  erleichternder  Diarrhöe 
etc.  kund  gibt.  Die  Leber  ist  etwas  vergrössert;  die  Menstruation  war  und  ist  stets 
regelmässig.  Seit  mehreren  Monaten  leidet  sie  am  linken  Auge.  Nach  der  Erzählung 
ihres  Arztes  fing  die  Krankheit  mit  einer  partiellen  venösen  Gefässinjection  im  äussern 
Winkel  an,  diese  Scleralstelle  war  bläulich  von  Farbe,  etwas  hügelig,  mit  mehreren  Schichten 
varicöser  Blutgefässe  sowohl  in  der  Sclera  als  Conjunctiva  bedeckt.  Patientin  klagte 
dabei  über  Eingenommenheit  des  Kopfes,  über  einen  leichten  drückenden  Schmerz  in 
der  linken  Schläfegegend,  und  über  ein  lästiges  Vollsein  dieses  Auges,  als  wäre  es  etwas 
grösser.  Dasselbe  war  wohl  nicht  lichtscheu,  aber  doch  gegen  grelleres  Sonnenlicht 
mehr  empfindlich,  als  das  gesunde  rechte  Auge.  Iris  und  Pupille  waren  normal,  das 
Sehvermögen  nicht  gestört.  Blutegel  wurden  mit  Erleichterung  der  Schmerzen  gesetzt, 
das  Ung.  hydr.  ein.  eingerieben  und  auflösende  Salze,  Tart.  tartaris.  etc.  gebraucht.  Nach 
einiger  Zeit  minderte  sich  das  Übel  bedeutend,  aber  nach  einer  starken  Verkältung  durch 
Zugluft  trat  es  stärker  und  hartnäckiger  als  zuvor  auf.  Dasselbe  Krankheitsbild  zeigte 
sich  nun  mehr  nach  aufwärts,  und  verliess  die  vorige  Stelle  ganz  sammt  der  hügeligen 
Erhabenheit,  mit  Hinterlassung  einer  bläulichen  Färbung  in  der  Sclera.  Dieselben  Heil- 
mittel wurden  angewendet;  die  Eingenommenheit  des  Kopfes,  der  Stirnschmerz  wichen, 
aber  das  örtliche  Übel  des  Auges  verliess  nur  seinen  Platz,  um  weiter  hin,  gegen  den 
innern  Winkel  von  Neuem  auszubrechen:  auf  diese  Art  umkreiste  es  die  ganze  Scleral- 
fläche,  und  nahm  auch  einigemal  die  alten  Stellen  wieder  ein.  Es  mochten  6 — 7  bald 
grössere  bald  kleinere  Hügel  entstanden  sein;  wenn  sich  ein  neuer  erhob,  verschwand 
der  vorhergehende  allmälig.  Man  hatte  die  Aqua  Conradi  versucht ;  sie  wurde  nicht 
vertragen ;  auf  Einträuflungen  von  Tinct.  opii  vin.  war  es  offenbar  schlimmer  geworden. 
Von  der  Patientin  um  unsere  Meinung  gefragt,  fanden  wir  die  Sclera  schon  wieder  ganz 
eben,  aber  von  bläulicher  Farbe,  die  Bindehaut  noch  mit  einzelnen,  stark  varicösen  Ge- 
lassen durchzogen,  sonst  keine  Abweichung  vom  normalen  Zustande.  Wir  riethen  ihr  die 
Mineralcur  von  Marienbad  an ,  Heiterkeit  des  Geistes  und  sehr  fleissige  Bewegung  in 
freier  Luft.  Verhindert  durch  häusliche  Verhältnisse  trank  sie  zu  Hause  durch  mehrere 
Monate  die  Egerer  Salzquelle,    und  ihr   Auge   verlor   jede    Spur    der    frühern   Krankheit. 

*)  Dieser  Fall  ist  in  Prof.  Fischers  Lehrbuche  S.  183  beschrieben,   und  hier  desshalb  aufgenommen,  weil 
ich  diese  Kranke,  im  Jahre  1844,  mit  demselben  Übel  wieder  behaftet,  beobachtete. 


Entzündung.  9 

Ein  Jahr  später  zwang  sie  ihr  Leberleiden,  sich  der  Cur  in  Karlsbad  zu  unterziehen."  — 
So  weit  Prof.  Fischer,  dessen  Erzählung  sich  auf  die  Jahre  1841  und  1842  bezieht.  Mitte 
November  1S44  erkrankte  sie  abermals  auf  dem  linken  Auge,  ohngefähr  auf  dieselbe 
Weise.  Ich  fand  intensive  Röthe  und  Anschwellung  der  Sclera  unter  dem  obern  Lide, 
etwa  2'"  breit  und  3'"  lang,  mit  ziemlich  scharf  begrenzten  Rändern.  Die  Röthe  und 
Schwellung  wanderte  von  hier  allmälig  gegen  den  innern  "Winkel  herunter.  Diessmal 
war  das  Sehvermögen  getrübt,  und  zwar  dadurch,  dass  von  der  afficirten  Stelle  der  Sclera 
her  auch  die  Cornea  leicht  getrübt  und  gelockert  war.  Thränenfluss  und  Lichtscheu 
waren  massig,  die  Pupille  war  vollkommen  rund  und  schwarz,  die  Iris  in  jeder  Bezie- 
hung normal.  Ich  liess  die  Kranke  Karlsbader  Schlossbrunnen  trinken,  und  später  Jod- 
kalisalbe an  die  Stirn  und  Schläfe  aufstreichen.  Nach  ungefähr  8  Wochen  waren  alle 
Zufälle  bis  auf  Missfarbigkeit  der  Sclera  verschwunden.  Den  folgenden  Sommer  gebrauchte 
die  Kranke  die  Kur  von  Franzensbad  (Salzquelle).  Sie  ist  bis  heutigen  Tages  an  ihren 
Augen  vollkommen  gesund. 

In  dem  folgenden  Falle  trat  das  in  Rede  stehende  Leiden  während  des  Verlaufes 
einer  Keratitis  scrofulosa  auf.  P.  J.,  29  Jahre  alt,  Dienstmagd,  von  massig  starkem  Körper- 
bau, schlecht  genährt,  am  Halse  mehrere  Narben  von  vereiterten  Lymphdrüsen  darbietend, 
wurde  Ende  October  iS49  auf  die  Klinik  aufgenommen ,  und  zwar  mit  den  (bekannten) 
Svmptomen  einer  Keratitis  scrofulosa,  welche  auf  dem  rechten ,  erst  seit  4  Wochen  er- 
krankten Auge  in  voller  Blüthe  stand,  auf  dem  linken,  nach  viermonatlicher  Dauer,  nur 
noch  einzelne  Exsudatflecke  in  der  Cornea  und  Erweiterung  der  vordem  Ciliargefässe 
zeigte.  Während  der  Behandlung  dieses  Leidens  entwickelte  sich  Ende  November  auf 
dem  rechten  Auge  eine  umschriebene  Entzündung  der  Sclera.  Wir  fanden  am  26.  No- 
vember folgenden  Zustand :  Das  linke  Auge  frei  von  Entzündung.  Am  rechten  die  Cornea 
durchaus  leicht  getrübt,  ungleichmässig,  stellenweise  gelblichgrau,  von  Gefässen  durch- 
zogen, und  zwar  innerhalb  des  obern  und  des  untern  Limbus  conjunctivae  am  stärksten; 
die  Gefässe  liegen  theils  oberflächlich  in  der  Cornea,  theils  tief,  namentlich  in  der  untern 
Partie  der  Cornea.  Die  Injection  der  Ciliargefässe  ist  massig.  Nach  unten  und  aussen 
von  der  Cornea  erscheint  eine  zuckererbsengrosse  Stelle  der  Sclera  dunkelroth,  ein 
wenig  erhaben,  die  Bindehaut  deutlich  durch  ein  unter  ihr  gelegenes  Infiltrat  empor- 
gehoben. Lichtscheu  und  Thränenfluss  heftig;  flüchtig  stechende  Schmerzen  im  Auge. 
—  Die  Erhöhung  wurde  sehr  bald  flacher,  minder  gefässreich,  ringsherum  missfarbig; 
am  4.  December  war  die  betreffende  Stelle  bloss  durch  schiefergraue  Färbung  zu  er- 
kennen. Am  18.  December  erfolgte  eine  neue  Eruption  etwas  unterhalb  der  frühern, 
etwa  l'V  weit  vom  Hornhautrande  entfernt.  Die  Trübung  der  Cornea  hatte  indess 
so  weit  abgenommen,  dass  man  die  Iris  und  Pupille  mit  Bestimmtheit  als  normal  bezeich- 
nen konnte.  Anfang  Februar  wurde  die  zuerst  ergriffene  Stelle  der  Sclera ,  welche  nun 
nahezu  ihre  normale  Färbung  erlangt  hatte,  neuerdings  roth  und  erhaben.  Das  Fort- 
schreiten der  Aufhellung  der  Cornea  wurde  dabei  nicht  beeinträchtigt,  und  das  Sehver- 
mögen dem  entsprechend  besser,  bis  die  Kranke  endlich  am  12-  April  als  geheilt  (bis 
auf  einige  trübe  Fleckchen  der  rechten  Hornhaut  und  eine  etwa  haselnussgrosse  bleigraue 
Stelle  der  Sclera)  entlassen  werden  konnte.  —  Die  Behandlung  bestand  nebst  Regulirung 
der  Diät  (leichte  Fleischkost  in  massiger  Menge)  anfangs  in  Verabreichung  eines  Decoct. 
gTaminis  mit  Kali  tartar.  und  Tinct.  rhei  aquosa,  später  von  Pillen  aus  Baryta  muriat., 
Sapo  medic,  Extr.  aloes  und  Extr.  millefolii,  wobei  die  Kranke  auch  allmälig  ein  besseres 
Aussehen  gewann,  und  die  früher  sehr  unregelmässige  Menstruation  in  Ordnung  kam. 
Örtlich  wurden  anfangs  Einreibungen  von  Ung.  cinereum  mit  Belladonna,  später  von  Jod- 


1 0  Lederhaut. 

kali  au  die  Stirn  und  Schläfe,   zuletzt  Einträufiungen  von  Laud.  liq.  Syd.    auf  das  Auge 
angewendet. 

Str.  A. ,  9  Jahre  alt,  schon  in  den  ersten  Jahren  seines  Daseins  von  mancherlei 
scrofulösen  Affectionen,  namentlich  von  Infiltration  der  L)'mphdrüsen  am  Halse  und  von 
Augenentzündungen  heimgesucht,  und  unter  sehr  dürftigen  Verhältnissen  lebend,  erkrankte 
im  Frühlinge  1S47  abermals  an  Entzündung  beider  Augen,  welche  so  hartnäckig  —  mit 
einzelnen  Remissionen  —  fortbestand,  dass  derselbe  Ende  November  endlich  nach  Prag 
gebracht  wurde.  Zur  Zeit  der  Aufnahme  auf  die  Klinik  charakterisirte  sich  das  Augen- 
leiden theils  durch  oberflächliche  Hornhautnarben  (Folgen  von  Bläschen-  oder  Pustel- 
und  Geschwürsbildung  auf  der  Cornea),  theils  durch  frische  umschriebene  Exsudate  in 
Form  von  mohn-  bis  hirsekorngrossen  Hügelchen  auf  der  Cornea,  und  durch  ober- 
flächlich (aus  der  Conjunctiva  bulbi  über  die  Cornea)  verlaufende  einzelne  Gefässchen, 
bei  massiger  Lichtscheu  und  normaler  Beschaffenheit  der  übrigen  Gebilde.  Da  der  Knabe 
sehr  herabgekommen  aussah,  reichten  wir  ihm  Fleischkost,  und  nach  Yorausschickung 
eines  Infusum  sennae  täglich  2mal  1  Löffel  Oleum  jecoris  aselli ;  an  die  Stirn  und  Schläfe 
wurde  eine  Salbe  aus  12  Gran  weissem  Präcipitat  und  1  Scrupel  Extr.  beilad.  mit  zwei 
Drachmen  Fett  5  —  6mal  täglich  aufgestrichen,  später  verdünntes  Laudanum  Sydenh. 
auf  die  Bulbi  eingeträufelt.  Das  Auftreten  heftigerer  Lichtscheu  bestimmte  uns,  vom  7. 
December  an,  Pulver  aus  Extr.  conii  maculati  mit  Magnes.  carbon.  und  etwas  Aethiops 
antim.  zu  verwenden.  Unter  dieser  Behandlung  besserte  sich  das  Augenleiden  so,  dass 
am  20.  December  die  Lichtscheu  verschwunden,  und  die  Exsudate  auf  der  Cornea  um 
mehr  als  die  Hälfte  resorbirt  waren.  In  den  nächsten  Tagen  erfolgte  jedoch  frische 
Exsudation ,  und  zwar  im  Bereiche  der  Sclera.  Wir  bemerkten  den  25.  December  an 
dem  linken  Auge,  nach  aussen  von  der  Cornea,  die  Sclera  intensiv  geröthet  und  etwas 
geschwellt  (in  einer  Ausdehnung  von  etwa  3  Quadratlinien).  Dass  das  Infiltrat  nicht  in 
der  Bindehaut  sitze,  liess  sich  daran  erkennen,  dass  diese  Membran,  von  einzelnen  hell- 
rothen  Äderchen  durchzogen,  und  leicht  serös  infiltrirt,  sich  deutlich  darüber  verschieben 
liess.  Die  bläuliche  Färbung,  der  tiefe  Sitz  der  geschwellten  und  gerötheten  Partie,  und 
das  Verhalten  der  vordem  Ciliararterien  zu  denselben  bestimmten  uns,  den  Sitz  des  In- 
filtrates noch  unter  der  Tenon'schen  Kapsel  anzunehmen.  An  dem  rechten  Auge  fanden 
wir  zwischen  der  Hornhaut  und  dem  äusseren  Augenwinkel  drei  solche,  jedoch  kleinere 
Stellen.  Am  28.  December  war  die  ergriffene  Partie  des  linken  Auges  bloss  an  violett- 
rother  Färbung  (ohne  Schwellung)  zu  erkennen,  der  Zustand  des  rechten  Auges  unver- 
ändert. Mitte  Jäner  1848  erweichte  eines  der  Exsudate  auf  der  rechten  Hornhaut;  es 
entstand  ein  Geschwürchen,  welches  zu  Durchbohrung  der  Cornea  und  zu  Anlagerung 
der  blossgelegten  Irispartie  an  letztere  führte.  Mitte  Februar  wurde  der  Knabe  von 
Masern  befallen,  welche  auf  den  Zustand  der  Augen  keinen  merklichen  Einfluss  nahmen. 
In  der  Zeit  bis  Anfang  Mai  traten  wiederholt  Eruptionen  an  der  Conjunctiva  bulbi  (theils 
am  Limbus  conjunctivae,  theils  im  Bereiche  der  Cornea)  auf,  welche  wir  lediglich  als 
Conjunctivitis  scrofulosa  bezeichnen  mussten.  Anfang  März  bildete  sich  an  dem  obern, 
Anfang  Mai  an  dem  untern  Lide  des  rechten  Auges  ein  Gerstenkorn;  an  verschiedenen 
Stellen  des  vordem  Umfanges  der  Sclera  zeigte  sich  zu  wiederholten  Malen  intensive 
Pvöthung  mit  mehr  weniger  deutlicher  Schwellung  und  Hinterlassung  missfarbiger  Flecke. 
Gegen  Anfang  Mai  entstand,  nachdem  der  Knabe  durch  mehrere  Tage  gefiebert  hatte, 
frische  und  sehr  ausgedehnte  Infiltration  der  Sclera  oberhalb  der  Hornhaut  (an  beiden 
Augen),  und  ruckte  allmälig  bis  ins  Bereich  der  Hornhaut  herein,  so  dass  man  hier  die 
Grenze  zwischen  Cornea  und  Sclera  nicht  mehr  bestimmen    konnte.     Das    Infiltrat  erwies 


Entzündung.  1 1 

sich  als  ein  Conglomerat  von  lichten  gelblichen  Körnern  und  zahlreichen  Blutgefässen ; 
auf  der  Sclera  Mar  es  von  einem  violetten,  auf  der  Cornea  von  einem  lichtgrauen  Hofe 
eingesäumt.  Wir  Hessen  nun  den  Knaben  Adelheidsquelle,  später  Haller  Wasser  trinken. 
Zu  Anfang  Juni,  wo  derselbe  von  Blattern  ergriffen  wurde,  war  auf  beiden  Augen  die 
Sclera  wieder  normal ,  bis  auf  livide  Färbung  an  den  zuletzt  ergriffenen  Partien.  Bald 
nach  seiner  Genesung  von  den  Blattern  musste  er  wegen  Periostitis  an  der  rechten  Hand- 
wurzel auf  die  chirurgische  Abtheilung  transferirt  werden.  Von  diesem  Übel  befreit, 
und  am  30.  Juli  wieder  auf  die  Augenabtheilung  aufgenommen,  blieb  der  Knabe  nun 
von  frischen  Anfällen  verschont,  und  wurde  am  28.  August  in  seine  Heimat  entlassen, 
mit  der  Weisung,  bei  Wiederkehr  der  Augenentzündung  zurückzukommen.  Diess  geschah 
Ende  April  1  $49,  nachdem  das  Übel  im  März  mit  erneuerter  Heftigkeit  als  Keratoscleritis 
aufgetreten  war.  Nach  4wöchentlicher  Behandlung  ging  der  Knabe  abermals  in  ge- 
bessertem Zustande  (das  Sehvermögen  war  nur  durch  die  Hornhautflecke  beeinträchtigt) 
nach  Hause,  erlag  jedoch,  zwölf  Wochen  später,  einem  acut  aufgetretenen  Brustleiden, 
welches  Verwandte  von  ihm,  die  mir  die  Kunde  davon  überbrachten,  als  Auszehrung 
bezeichneten. 

2.  Viel  häufiger  finden  wir  an  der  Sclera  Erscheinungen,  welche 
füglieh  nur  auf  Entzündung  dieser  Membran  bezogen  werden  können, 
vereint  mit  Entzündung  der  Chorioidea,  Iris  oder  Cornea,  und  zwar  in 
dem  Verhältnisse,  dass  die  Scleritis  als  einfach  neben  Iritis  oder  Kera- 
titis bestehend,  oder  aber  als  Folge  von  Keratitis,  Iritis  oder  Chorioiditis 
betrachtet  werden  muss.  In  manchen  dieser  Fälle  beschränken  sich  die 
entzündlichen  Erscheinungen  in  der  Sclera  auf  eine  kleine  und  um- 
schriebene Stelle  dieser  Membran,  in  der  Mehrzahl  aber  leidet  die  vor- 
dere Partie  derselben  rings  oder  doch  um  einen  grossen  Theil  des  Um- 
fanges  der  Hornhaut  herum. 

Es  ist  durch  verlässliche  Beobachtungen  sicher  gestellt,  dass  bei 
Chorioiditis  mit  eitrigem  Exsudate  bisweilen  nicht  die  Cornea  es  ist, 
welche  vom  Eiter  durchbrochen  wird,  sondern  die  Sclera.  Man  kann 
sich  diesen  Vorgang  ohne  Erweichung  und  Infiltration  des  Gewebes  der 
Sclera  selbst  nicht  wohl  denken.  —  Wir  werden  ferner  in  dem  Ab- 
schnitte über  die  Krankheiten  der  Chorioidea  finden,  dass  bei  Chorioi- 
ditis mit  faserstoffig-plastisckem  Exsudate  einzelne  Stellen  der  Sclera 
aufs  Innigste  mit  der  Chorioidea  und  Retina  verwachsen,  und  sofort  in 
Form  bläulichschwarzer  Hügel  hervorgetrieben  werden  können.  Auch 
dieser  Befund  lässt  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  auf  Theilnahme  der 
Sclera  an  dem  Entzündungsprocesse  schliessen. 

Bei  gewissen  Formen  von  Iritis  und  Keratitis  wird  der  vorderste 
Theil  der  Sclera  (auf  2 — 3'"  Breite)  ringsum  (oder  doch  in  einem  gros- 
sen Theile  des  Unifanges)  nicht  nur  intensiv  geröthet,  sondern  auch 
merklich  geschwellt,  dann  violett  und  livid,  endlich  so  ausgedehnt,  dass 
entweder  die  Basis  der'  Cornea  weiter  vorwärts  rückt,   und  der  Bulbus 


1 2  Lederhaut. 

von  vorn  nach  hinten  länger  (birnförmig)  wird,  oder  dass  an  der  be- 
troffenen Partie  stationäre  schwarzblaue  Hügel  oder  Wülste  entstehen. 
Dieser  Zustand  des  vordem  Umfanges  der  Sclera  kommt  am  häufigsten 
mit  Symptomen  von  langwieriger  Iritis  vor,  deren  Grundursache  in 
scrofulösem  (tuberculösem)  Allgemeinleiden  gesucht  werden  muss.  In 
sehr  vielen  Fällen  leidet  auch  die  Cornea,  und  zwar  in  jener  Form, 
welche  wir  als  Keratitis  scrofulosa  kennen  gelernt  haben.  Dann  ent- 
wickelt sich  häufig  die  sogenannte  Sclerosirung  der  Cornea,  indem 
diese  Membran  in  mehr  weniger  grosser  Ausdehnung  vom  Rande  her 
mit  Exsudat  durchsetzt  wird,  und  nach  Organisirung  desselben  ein  der 
Sclera  ähnliches  Aussehen  erhält,  so  dass  die  Grenze  zwischen  Cornea 
und  Sclera  sich  mehr  weniger  verwischt.  —  Die  genannten  Verände- 
rungen des  vordersten  Theiles  der  Sclera  nimmt  man  auch  bisweilen 
bei  Hornhautstaphylomen  wahr  (vergl.  S.  241).  Nachdem  intensive 
Röthe,  Lockerung  und  Schwellung  dieser  Partie  lange  Zeit  bestanden 
haben,  rückt  die  Basis  der  Cornea  weiter  vorwärts,  oder  es  entwickeln 
sich  unmittelbar  hinter  derselben  bläuliche  Hügel  oder  Wülste  —  ein 
Zustand,  den  man  als  Staphyloma  annulare,  Staphyloma  corporis  ciliaris 
beschrieben  findet.  In  andern  Fällen  findet  man,  nachdem  intensive 
Röthe  und  Schwellung  der  Sclera  rings  um  die  Cornea  lange  bestanden 
hat,  nicht  Ausdehnung,  sondern  Einschrumpfung  der  betroffenen  Partie 
der  Sclera.  Diese  Einschrumpfung  gibt  sich  durch  eine  in  der  Gegend 
des  Canalis  Schlemmii  verlaufende  Rinne  und  schiefergraue  Färbung 
der  Sclera  kund.  Dabei  können  die  Iris  und  die  Cornea  die  Spuren 
vorausgegangener  Entzündung  zeigen,  aber  auch  (eine  oder  die  andere) 
ganz  normal  erscheinen.  Seltener  noch,  als  dieser  Ausgang,  ist  der  in 
bleibende  Verdickung  der  Sclera  und  der  darübergelegenen  Tunica  va- 
ginalis und  Conjunctiva.  Letztere  beiden  erscheinen  dann  über  der 
porzellainartig  aussehenden  Sclera  gleichsam  ödematös,  einen  flachen 
Wall  um  die  Cornea  bildend. 

Man  kann  hier  fragen,  ob  diese  Erscheinungen  durch  Hyperämie,  Lockerung-, 
Schwellung  und  Infiltration  der  Sclera  selbst  bedingt,  oder  ob  sie,  wie  von  Amnion,  Ta- 
vignot  und  m.  A.  angenommen  haben,  als  Folgen  von  Entzündung  des  unter  diesem  Theile 
der  Sclera  gelegenen  Corpus  ciliare  zu  betrachten  seien.  —  Ich  theilte  früher  die  Meinung, 
dass  die  bläulichen  Hügel  und  Wülste,  welche  man  namentlich  bei  Hornhautstaphylomen 
und  nach  chronischer  Iritis  unmittelbar  hinter  der  Basis  corneae  findet,  durch  Entzündung 
und  Verwachsung  des  Corpus  ciliare  und  der  darüber  liegenden  Sclera  eingeleitet  werden. 
Durch  die  anatomische  Untersuchung  eines  besonders  eclatanten  Falles  dieser  Art  bin 
ich  jedoch  überzeugt  worden ,  dass  solche  Wülste  noch  vor  dem  Corpus  ciliare  liegen 
können,  und  dann  bloss  durch  Verdünnung  und  Ausdehnung  jenes  schmalen  Saumes  der 
Sclera  bedingt  sind ,  welcher  diessseits  des  Corpus  ciliare  liegt.  (Siehe  die  den  Krank- 
heiten der  Kinde-  und  Hornhaut  beigegebene  Tafel,  Fig.  7,  S  und  9.)     An  diesem  Bulbus 


Entzündung.  13 

ist  von  der  Hornhaut  nur  noch  der  äusserste  Rand  vorhanden ,  alles  Übrige  durch  ein 
kugelförmig  gewölbtes  und  mit  der  Iris  verwachsenes  Narbengewebe  ersetzt;  umgeben  ist 
die  Cornea  von  einem  dunkelblauen,  darmähnlichen  Wulste,  welcher  oberhalb  der  Cornea 
gegen  3'",  unterhalb  etwa  1  lf%ul-  breit  und  ohngefähr  in  derselben  Proportion  auch  nach 
aussen  vorgewölbt  ist.  Hinter  diesem  Wulste  ist  die  Sclera  nirgends  partiell  hervorge- 
trieben,  noch  bedeutend  verfärbt,  wohl  aber  durchaus  verdünnt  tind  ausgedehnt,  so  dass 
der  Bulbus  vom  vordem  zum  hintern  Pole  fast  l'/a,  im  Äquator  gegen  l'A  Zoll  im 
Durchmesser  misst.  Ein  Durchschnitt,  vou  vorn  nach  hinten  geführt,  zeigte,  dass  die 
Vergrösserung  im  hintern  Umfange  durch  Verflüssigung  und  Vermehrung  der  Glasfeuchtig- 
keit und  consecutive  Ausdehnung  der  ihn  umgebenden  3  Membranen  (Retina,  Chorioidea 
und  Sclera)  verursacht  war.  Das  Corpus  ciliare  war  gleichfalls  dünner  und  ausgedehnt, 
aber  nirgends  mit  der  Sclera  verwachsen,  und  die  genannte  partielle  Ausdehnung  (der 
bläuliche  Wulst  rings  um  die  Cornea)  liegt,  wie  man  noch  jetzt  an  dem  Präparate  deut- 
lich seilen  kann,  vor  dem  Ligamentum  ciliare.  Die  mit  der  Pseudocornea  verwachsene 
Iris  war  demnach  vom  Ligamentum  ciliare  losgezerrt,  und  stand  mit  demselben  nur  durch 
einzelne  Fäden  (Gefässe?)  in  Verbindung.  Die  Zonula  Zinnii  war  (durch  Zerrung)  zer- 
rissen, und  die  in  der  Kapsel  eingeschlossene  Linse  war  geschrumpft,  und  schwamm  in 
der  ungeheuer  erweiterten  (hintern)  Augenkammer.  —  Nach  diesem  Befunde  wird  man 
versucht,  die  bläulichen  Hügel,  welche  man  bei  obgenannteu  Zuständen  des  Auges  un- 
mittelbar hinter  der  Cornea  findet,  als  einfache  Ektasien  der  Sclera,  ohne  Verwachsung 
dieser  Membran  mit  dem  Corpus  ciliare  zu  betrachten,  und  ihren  Sitz  noch  vor  dieses 
Gebilde  zu  versetzen.  Und  in  der  That  erhält  diese  Ansicht  eine  feste  Stütze  in  dem 
Verhalten  der  vordem  Ciliararterien  zu  diesen  Wülsten.  Wo  man  diese  Gefässe  erst  jen- 
seits (hinter)  solcher  Wülste  sich  in  die  Sclera  einsenken  sieht,  da  hat  man  guten  Grund 
anzunehmen,  dass  auch  das  Corpus  ciliare  hinter  denselben  liegt. 

Hält  man  sich  gegenwärtig,  dass  die  vordem  Ciliararterien  (und  die  ihnen  ent- 
sprechenden Venen)  in  und  unter  der  Tunica  vaginalis^bulbi  zum  vordersten  Theile  der 
Sclera  verlaufen,  mit  ihren  Hauptzweigen  1  —  1 1h'"  hinter  dem  Hornhautrande  durch  die 
Sclera  eindringen,  um  durch  das  Ligamentum  ciliare  zur  Iris  zu  gelangen,  mit  zahlrei- 
chen Astchen  aber  nicht  nur  die  Tunica  vaginalis  bulbi  und  die  mit  dieser  innig  zu- 
sammenhängende vorderste  Partie  der  Bindehaut,  sondern  auch  die  Cornea  und  die  Sclera 
selbst  versorgen,  und  dass  diese  Gefässe  mit  den  hintern  langen  und  kurzen  Ciliararterien 
(und  Venen)  innerhalb  der  Sclera  durch  zahlreiche  Verbindungen  zusammenhängen :  so 
hegreift  man  leicht,  wie  bei  Hyperämie  oder  Entzündung  der  Chorioidea,  der  Iris  oder 
der  Cornea  auf  dem  vordersten,  ja  auf  dem  ganzen  sichtbaren  Theile  der  Sclera  reich- 
liche Gefässinjection,  selbst  gleichmässige  Röthe  sichtbar  werden  kann,  ohne  dass  dess- 
halb  schon  Entzündung  der  Sclera  selbst  vorhanden  sein  rnuss.  Wir  sind  demnach  weit 
entfernt,  aus  intensiver  und  weit  verbreiteter  Röthe  (der  Sclera)  allein  schon  Scleritis  zu 
diagnosticiren,  und  noch  weniger  stimmen  wir  jenen  bei,  welche  die  Sclera  vorzugsweise 
zum  Herde  der  sogenannten  rheumatischen  Ophthalmien  machten.  Das  Irrige  dieser 
Anschauungsweise  ist  in  den  letztverflossenen  zehn  Jahren  hinreichend  erwiesen  worden. 
Wir  können  aber  auch  jenen  nicht  beitreten,  welche  der  Sclera  die  Fähigkeit,  sich  zu 
entzünden,  a  priori  absprechen,  und  der  schlecht  begründeten  altern  Ansicht  von  der 
Scleritis  die  nicht  viel  besser  bestellte  von  der  Kyklitis   substituiren. 

Dr.  von  Arnmoris  Angaben  über  die  Entzündung  des  Orbiculus  ciliaris  (ligamentum 
ciliare)  *)  waren  nicht  geeignet,  die  Ophthalmologen  zu  überzeugen,  dass  das  Ligamentum 

*)  Rust's  Magazin  für  die  gea.  Heilkunde,  1830,  30.  Band,  S.  240. 


1 4  Leclerhaut. 

ciliare  es  sei,  von  welchem  die  entzündlichen  Erscheinungen  ausgehen,  die  dieser  Autor 
beschrieb.  Die  jener  Abhandlung  beigegebene  illuminirte  Tafel  gibt  noch  ein  sehr  un- 
richtiges Bild  von  der  Form  und  Lage  des  Ciliarbandes.  Die  zwei  Jahre  später  veröffent- 
lichten*) pathologisch  anatomischen  Untersuchungen  zeigten  wohl,  dass  im  Ligamentum 
ciliare  Veränderungen  vorkommen,  wie  wir  sie  in  andern  Organen  nach  Entzündung  vor- 
finden ;  der  Beweis  aber,  dass  diesen  Veränderungen  gerade  jene  Erscheinungen  vorangingen,, 
welche  eben  als  „Entzündung  des  Orbiculus  ciliaris"  oder  als  „Ophthalmodesmitis"  be- 
schrieben wurden,  wird  sowohl  in  diesem  Aufsatze,  als  in  den  1838  erschienenen  „Klini- 
schen Darstellungen  der  Krankheiten  des  menschlichen  Auges"  S.  23  Taf.  VIII.  vergeblich, 
gesucht.  Tavignot's  Abhandlung  über  Kyklitis**)  bewirkte  wohl,  dass  seitdem  am  Kran- 
kenbette sowohl  als  in  den  Schriften  verschiedener  Autoren  sehr  häufig  die  Rede  von 
Kyklitis  ist;  besser  begründet  aber  wurde  diese  Lehre  weder  durch  Tavignot  noch  durch, 
seine  Nachbeter.  Es  wurde  überdiess,  was  Ammon  bloss  vom  Orbiculus  ciliaris  behauptet 
hatte,  auf  das  ganze  Corpus  ciliare  übertragen,  obwohl  Ammon  nebst  der  Entzündung 
des  Orbiculus  eil.  ausdrücklich  noch  von  Entzündung  des  Corpus  ciliare  spricht.  —  Da 
dieses  Organ  der  unmittelbaren  Beobachtung  entzogen  ist,  so  müssen  erst  genaue  und 
vollständige  Krankengeschichten  —  Symptome  während  des  Lebens  und  Sectionsbefund 
—  beigebracht  werden,  bevor  wir  es  unternehmen  können,  aus  Erscheinungen  an  der 
Sclera,  Cornea  und  Iris  auf  Kyklitis  als  Grundursache  zurückzuschliessen.  Wir  können 
wohl  annehmen,  dass  bei  jeder  heftigen  Entzündung  der  Iris  und  Chorioidea  (im  engern 
Sinne  des  "Wortes),  wahrscheinlich  auch  der  Cornea,  das  Corpus  ciliare  mit  entzündet  sei; 
es  ist  auch  möglich,  dass  die  Entzündung  eines  oder  des  andern  dieser  Gebilde  so  zu 
sagen  vom  Corpus  ciliare  ausgehe,  aber  nachgewiesen  ist  dieses  Verhältniss  noch  nicht, 
und  eben  so  wenig  kennen  wir  die  Symptome,  welche  der  Kyklitis  an  und  für  sich, 
zukommen.  Wenn  wir  dagegen  in  der  zu  Tage  liegenden  Sclera  intensive  und  gleich- 
massige  Böthe,  Lockerung  und  deutliche  Schwellung,  nachträglich  schiefergraue  Färbung 
und  häufig  auch  bleibende  Structurveränderung  —  Erweichung  und  Ausdehnung  —  oder 
consecutive  Schrumpfung  —  auftreten  sehen,  so  müssen  wir  annehmen,  dass  die  Sclera 
selbst  an  dem  Entzündungsprocesse  Theil  nehme,  dessen  Herd  möge  nun  die  Cornea, 
oder  die  Iris  oder  das  Corpus  ciliare  sein. 

L.  A. ,  22  Jahre  alt,  wurde  am  23.  October  1850  auf  die  Klinik  aufgenommen. 
Zustand  des  rechten  Auges:  Der  Bulbus  beiläufig  1'"  länger  in  der  Achse,  als  im  nor- 
malen Zustande ;  die  Basis  der  Cornea  weiter  vorwärts  gerückt  durch  Ausdehnung  des 
vordem  Theiles  der  Sclera;  die  Form  des  Bulbus  daher  konisch,  birnähnlich.  Die 
Sclera  unmittelbar  hinter  der  Cornea  auf  2  —  VI-*.'"  Breite  schiefer-  oder  bleigrau;  von 
den  zahlreich  sichtbaren ,  jedoch  massig  erweiterten  vordem  Ciliargefässen  dringen 
die  stärksten  schon  an  der  hintern  Grenze  jenes  missfarbigen  Ringes  durch  die  Sclera 
in  die  Tiefe;  mehrere  dieser  Einmündungen  machen  sich  als  rostfarbige  Punkte  bemerk- 
bar. Der  Limbus  conjunctivae  corneae  sehr  ausgeprägt,  breit  und  trüb;  seine  coneave 
Grenze  unregelmässig,  indem  hie  und  da  Trübungen  bis  zur  Grösse  eines  Hanfkornes 
in  das  Bereich  der  durchsichtigen  Hornhaut  vorspringen.  Dem  unteren  Theile  des  Pu- 
pillarrandes  gegenüber  drei  gesonderte  rundliche,  halbdurchsichtige,  graue,  hirsekorn- 
grosse  Flecken  in  der  Cornea  (an  der  Descemetschen  Haut?),  ausserdem  die  Cornea 
rein  und  glänzend.     Die  vordere  Augenkammer   grösser    als  gewöhnlieh,    indem   die    eine 

*)  Amnions  Zeitschrift  f.  d.  Ophthalmologie,  2.  Bd.,  S.  215—221. 
**)  De  la  cyclite  ou  inflammation  du  cercle  ciliaire  in  L'expe'rience,   Journal  de  me'decine  et  de  chirnrgie, 
Mai  18-14,  Nr.  359  u.  360. 


Wunden  —  Berstungen.  15 

ebene  Scheibe  vorstellende  liehtbraime  Iris  so  tief  liegt,  dass  sie,  durch  die  Sclera  nach 
aussen  verlängert  gedacht,  diese  ohngefähr  1  '/a'"  hinter  der  concaven  Grenze  des  Limbus 
conjunctivae  durchschneiden  würde.  Farbe  und  Structur  der  Iris  lassen  nichts  Abnormes 
wahrnehmen ;  der  Pupillarrand  ist  von  braunpigmentirtem,  nur  mit  einer  Loupe  erkenn- 
barem Exsudate  eingesäumt,  welches  die  Iris  auf  Licht  und  Schatten  nur  wenig  reagiren 
lässt;  die  mittlere  Grösse  der  nahezu  runden  Pupille  beträgt  llk'".  Die  Kranke  kann 
mit  diesem  Auge  noch  lesen.  —  Zustand  des  linken  Auges :  Der  Bulbus  etwas  kleiner, 
als  im  normalen  Zustande ,  die  Conjunctiva  bulbi  bildet  rings  um  die  Cornea  einen  ge- 
gen 3'"  breiten  und  zk'"  hohen  "Wulst,  welcher  allem  Anscheine  nach  durch  seröse 
Infiltration  bedingt  ist,  und  die  Charaktere  eines  chronischen  Ödems  darbietet.  Diese 
Wulstuug  erscheint  farblos ,  das  Serum  lässt  sich  zur  Seite  drücken ,  und  nimmt  seine 
frühere  Lage  erst  nach  längerer  Zeit  wieder  ein ;  unter  ihr  verlaufen  stark  injicirte 
jedoch  nicht  sehr  zahlreiche  Gefässe ,  welche  sich  in  die  Sclera  einsenken ;  an  der 
Bildung  derselben  ist  auch  der  Limbus  conjunctivae  betheiligt.  Von  diesem  aus  ragen 
einzelne  getrübte  Flecke  in  die  durchsichtige  Hornhaut  hinein.  Diese  zeigt  unterhalb 
ihrer  Mitte  eine  Narbe,  nach  einer  in  früher  Jugend  erhaltenen  Schnittwunde.  In  diese 
Narbe  ist  der  Pupillarrand  eingewachsen  und  hiedurch  die  Pupille  gesperrt.  Dieses  Auge 
zeigt  trotzdem  noch  deutliche  Lichtempfiudung.  —  Die  Kranke  verlor  vor  3  Monaten 
ihren  Mann ,  dann  auch  den  Vater  und  Bruder  durch  die  Cholera ,  wesshalb  sie  viel 
weinte.  Sofort  wurden  ihre  Augen  roth  und  lichtscheu,  thränten  viel,  und  das  Gesicht 
(des  rechten  Auges)  trübte  sich  allmälig  unter  anfangs  heftigeren,  später  gelinderen 
Schmerzen  in  den  Augen,  besonders  aber  nach  der  Bichtung  des  Nervus  infraorbitalis. 
Zur  Zeit  der  Aufnahme  waren  alle  diese  Zufälle,  auch  die  Böthe  der  Sclera  (des 
Weissen  im  Auge)  bereits  seit  14  Tagen  geschwunden,  nur  die  Trübung  des  Gesichtes 
besonders  für  die  Fernsicht  hatte  die  Kranke  bestimmt,  bei  uns  Hilfe  zu  suchen.  Die 
Kranke  versicherte  wohl,  stets  gesund  gewesen  zu  sein,  sah  aber  sehr  schlecht  aus,  und 
bot  beinahe  hühneieigrosse  Anschwellungen  der  Lymphdrüsen  am  Halse  dar.  "Wie  und 
wann  dieselben  entstanden  seien,  wusste  sie  nicht.  Auf  ihre  Aussagen  konnte  man  sich 
überhaupt,  bei  ihrer  geringen  geistigen  Entwicklung,  wenig  verlassen.  Wir  haben  be- 
reits bei  den  Krankheiten  der  Hornhaut  S.  188  einen  ähnlichen  Fall  beschrieben,  und 
werden  bei  den  Krankheiten  der  Iris  noch  einige  anführen,  welche  den  Antheil,  den 
der  vordere  Theil  der  Sclera  bei  Entzündung  der  Cornea  oder  Iris  nehmen  kann,  an- 
schaulich zu  machen  geeignet  sein  dürften. 


LT.    Wunden  und  Berstungen  der  Sclera. 

Wunden,  welche  der  Sclera  absichtlich  —  bei  Staaroperationen  — 
oder  zufällig  beigebracht  werden,  heilen  ohne  merkliche  Entzündungs- 
zufälle und  in  kurzer  Zeit.  Nur  in  so  fern,  als  sie  etwa  zu  viel  (über 
1 3 )  Glaskörper  austreten  lassen,  oder  als  die  Netzhaut  durch  Erschüt- 
terung gelitten,  können  sie  bedenklich  werden.  Wenn  Glaskörper  durch 
die  Wunde  heraushängt,  so  wird  er  allmälig  trüb  und  eiterähnlich,  end- 
lich abgestossen.  Wunden  nächst  der  Cornea  lassen  bisweilen  die  Iris 
vorfallen,  bei  grösserer  Ausdehnung  und  gleichzeitiger  Erschütterung 
auch  die  aus  ihrer  Kapsel  gelöste  Krystalllinse.    Ein  solcher  Irisvorfall 


1 6  Lederhaut. 

kann  zunächst  die  Zufälle  der  Einklemmung  (heftige  Kopfschmerzen, 
Erbrechen)  erregen;  nach  Vernarbung  der  Wunde  und  Einheilung  der 
Iris  in  dieselbe  bleibt  die  Pupille  verzogen  (Coloboma)  oder  selbst  ge- 
sperrt (durch  Verziehung  der  Iris  gegen  die  Wunde  hin). 

Berstung  der  Sclera  ist  eine  nicht  gar  seltene  Folge  von  Stössen 
auf  das  Auge.  Die  Stelle  der  Berstung  liegt  (nach  den  mir  bekannten 
Beobachtungen)  nie  weiter  als  3y//  hinter  dem  Kande  der  Hornhaut, 
meistens  ganz  nahe  an  diesem;  die  Richtung  des  Risses  ist  eine  ver- 
schiedene, nahe  an  der  Cornea  jedoch  der  Basis  dieser  Membran  so 
ziemlich  parallel.  Durch  die  Wunde  dringt  entweder  Humor  aqueus, 
oder  Iris,  oder  Glaskörper,  in  seltenen  Fällen  die  ganze  Linse  vor. 
Diese  Vorfälle  sind  dann,  da  die  Tunica  vaginalis  und  die  Conjunctiva 
eher  ausgedehnt  als  zerrissen  werden,  von  einer  oder  von  beiden  Mem- 
branen bedeckt.  Die  Linse  kann  allmälig  resorbirt  werden;  ich  besitze 
ein  Präparat,  wo  einige  Kalkconcremente  als  Rest  derselben  übrig  ge- 
blieben sind.  Die  Iris  heilt  in  den  Riss  ein,  und  hinterlässt  einen 
schwärzlichen  etwas  eingezogenen  Fleck.  Auch  Ciliarfortsätze  können 
mit  in  die  Narbe  hineingezerrt  werden.  Die  ausgetretenen  Flüssigkei- 
ten können  allmälig  resorbirt  werden,  aber  auch  zu  einfacher  Cysten- 
bildung  Anlass  geben,  welche  Cysten  dann  mit  sehr  breiter  Basis  auf 
der  Sclera  aufsitzen  und  eine  wasserklare  oder  weingelbe  dünne  Flüs- 
sigkeit enthalten. 

Einem  17  Jahre  alten  Schlossergesellen  flog  am  8.  December  1851  ein  Stück 
stumpfspitziges  Eisen  in  den  innern  Winkel  des  rechten  Auges,  und  durchbohrte  die 
Bindehaut  und  Sclera  circa  1'"  hinter  dem  Eande  der  Cornea,  also  gerade  Yor  der  In- 
sertion des  Muse,  rectus  internus.  Wir  fanden  am  10.  Decbr.  die  von  oben  nach  unten 
(dem  Hornhautrande  nahezu  parallel)  verlaufende  Wunde  2'"  lang,  nicht  genaii  linear, 
sondern  zackig  und  in  der  Mitte  auf  3/V"  klaffend.  Die  Wundränder  waren  durch  eine 
blasenähnlich  vorgewölbte  eiweissartige  Substanz  (Glaskörper)  auseinander  gedrängt.  Der 
Kranke,  welcher  mit  diesem  Auge  noch  ziemlich  gut  zu  sehen  versicherte,  wurde  zu 
schleunigem  Eintritt  in's  Spital  aufgefordert,  kam  jedoch  erst  am  14.  December.  Bis  dahin 
hatte  er  unserer  Ordination  gemäss  fleissig  kaltes  Wasser  übergeschlagen.  Am  Tage 
des  Eintritts  in  die  Klinik  fanden  wir  den  Glaskörper  etwas  weniger  vorgewölbt,  doch 
vollkommen  wasserblau,"  die  Wunde  schmäler,  und  in  der  Mitte  auf  lh'"  Breite  klaffend, 
die  Wundränder  vom  obern  und  untern  Winkel  her  durch  brückenähnliche  Faden 
der  Sclera  und  Bindehaut  mit  einander  verbunden.  Die  Conjunctiva  bulbi  durchaus  von 
zahlreichen  Gefässen  durchzogen  und  serös  infiltrirt;  Röthe  und  Schwellung  in  der 
nächsten  Umgebung  der  Wunde  am  stärksten,  im  obern  Umfange  des  Bulbus  am  gering- 
sten. Die  vordem  Ciliargefässe  stark  injicirt,  die  Sclera  rosenroth,  so  weit  man 
sie  sehen  kann.  Der  Bulbus  etwas  kleiner  und  weich  anzufühlen.  Fast  keine  Lichtscheu ; 
reichliches  Thränenträufeln,  da  wegen  Veränderung  der  Form  des  Thränensees  die  Auf- 
saugung der  Thrünen  gehindert  ist.  Die  Cornea  in  jeder  Beziehung  normal.  Die  vordere 
Kammer  vergrössert,    weil  die  Iris  und  die  Linse  rückwärts  gesunken  sind.     So  weit,  als 


Wunden  —  Berstungen.  17 

hinter  der  Iris  die  Ciliarfortsätze  gegen  die  Achse  hereinragen,  hat  die  Iris  ihre  normale 
Lage  ;  innerhalb  dieses  Kreises  aber  liegt  die  Iris  tiefer,  was  man  bei  seitlieh  einfallendem 
Lichte  an  einer  Art  Kreisfurche  deutlich  erkennen  kann,  welche  dadurch  gebildet  wird, 
dass  der  kleine  Kreis  und  der  grösste  Theil  des  grossen  Kreises,  der  Iris  sich  an  die 
Krystalllinse  anschmiegen,  also  von  jener  Kreisfurche  an  sich  wieder  sanft  aufwölben. 
Im  Übrigen  erscheint  die  Iris  vollkommen  so  beschaffen,  wie  an  dem  linken  Auge,  selbst 
in  Bezug  auf  die  Beweglichkeit,  indem  sie  auch  (selbst  bei  verdecktem  linken  Auge) 
lebhaft  gegen  Licht  und  Schatten  reagirt;  nur  ist  die  (vollkommen  runde  und  schwarze) 
Pupille  etwas  enger,  als  auf  dem  linken  Auge  (IV2'"  im  Durchmesser,  wenn  die  des 
letzteren  2'"  misst).  Der  Verletzte  sieht  die  gewöhnlichen  Gegenstände,  aber  minder 
deutlieh;  die  Zeiger  einer  kleinen  Taschenuhr  erkennt  er,  jedoch  nicht  über  10"  Entfer- 
nung; durch  eine  V"  weite  Öffnung  in  einem  Kartenblatte  erkennt  er  sie  auf  12 — 14", 
aber  auch  uicht  rein  und  scharf.  Weitere  Schversuche  vorzunehmen  wagten  wir  nicht, 
wegen  Gefahr,  das  Auge  zu  sehr  zu  reizen.  Der  Kranke  klagte  nicht  über  Schmerzen. 
Erbrechen  oder  Neigung  dazu  war  nie  vorhanden  gewesen.  —  Wir  Hessen  den  Kranken 
mit  geschlossen  gehaltenen  Augen  ruhig  liegen,  verabreichten  ein  Eccoproticum,  und 
liessen  fleissig  kaltes  Wasser  mit  etwas  Tinctura  arnicae  überschlagen.  Der  durch  die 
Wunde  vorragende  Glaskörper  wurde  allmälig  trüb.  Am  26.  December  war  diese  trübe 
Flocke  bereits  abgestossen,  und  die  Wunde  der  Bindehaut  sowohl  als  die  der  Sclera  ge- 
schlossen. Die  Veiheilung  des  Scleralrisses  war  ohne  deutliche  Schwellung  der  Wund- 
ränder erfolgt ;  die  Narbe  gab  sich  nur  durch  schiefergraue  Färbung  zu  erkennen.  Der 
Verletzte  verlangte  am  Hl.  December  entlassen  zu  werden.  Der  Bulbus  war  noch  immer 
etwas  kleiner,  die  Iris  lag  noch  tiefer,  das  Sehvermögen  verhielt  sich  so  wie  am  Tage 
der  Aufnahme.  Unserer  Aufforderung,  nach  einigen  Wochen  (zur  Erhebung  des  Befundes) 
wieder  zu  kommen,  hat  der  Kranke  leider  nicht  entsprochen. 

Ein  Tag  lühner  von  50  Jahren,  auf  dem  linken  Auge  von  Jugend  auf  beinahe  gänz- 
lich erblindet,  wurde  3  Monate  vor  seiner  Aufnahme  auf  die  Klinik  (am  5.  Juni  1850) 
von  einem  Ochsen  mit  dem  Hörn  in  das  rechte  Auge  gestossen.  Heftige  Schmerzen, 
Abfluss  von  Thränen  und  Blut,  und  Verlust  des  Gesichtes  waren  die  Erscheinungen,  die 
er  als  unmittelbare  Folgen  bezeichnet.  Die  ärztliche  Behandlung  bestand  in  örtlichen 
Blutentleerungen,  kalten  Umschlägen,  Einreibungen  einer  Salbe  an  die  Stirn  und  Schläfe, 
und  später  in  Einträuflungen  brauner  Tropfen.  Nachdem  die  entzündlichen  Erscheinungen 
sich  verloren  hatten,  war  in  der  9.  Woche  soviel  Sehkraft  wiedergekehrt,  dass  er  die 
Zahl  der  vorgehaltenen  Finger  anzugeben  vermochte.  Die  Pupille  soll  immer  rein  ge- 
wesen, und  die  Hervorragung  am  Bulbus,  welche  wir  so  eben  beschreiben  wollen,  soll 
gleich  nach  der  Verletzung  entstanden  und  seit  4  Wochen  etwas  kleiner  geworden  sein. 
—  Wir  fanden  den  Bulbus  in  Bezug  auf  Grösse,  Form  und  Beweglichkeit  normal,  etwas 
weicher,  die  Cornea  rein;  nach  innen  und  oben  von  letzterer  lag  unter  der  Bindehaut  (und 
Tunica  vaginalis?)  auf  der  Sclera  ein  Körper,  der  ohne  Weiteres  als  die  vorgefallene 
Linse  erkannt  werden  konnte.  Sie  war  bernsteingelb  und  halbdurchsichtig,  gegen  3'/a"- 
breit,  über  V"  dick,  -und  liess  sich  ein  wenig  verschieben.  Die  Bindehaut  darüber  und 
in  der  Umgebung  war  gelblich  und  von  einzelnen  Gefässen  durchzogen.  Die  vordere 
Kammer  grösser.  Die  Iris,  in  der  äussern  und  untern  Partie  normal,  nach  innen  und  oben 
vom  Ciliarbande  abgelöst,  und  (ohngefähr  im  horizontalen  Durchmesser  des  Auges) 
in  der  Pachtung  vom  Ciliar-  zum  Pupillarrande  quer  durchrissen,  so  dass  die  Pupille 
hier  bis  zur  Peripherie  reicht,  und  das  abgelöste  Irisstück  in  Form  eines  lichtgrauen 
Bändchens  gleichsam  als  Scheidewand  zwischen  der  alten  und  der  neuen  Pupille  im 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  2 


18  Lederhaut. 

Kammerwasser  herabhängt.  Die  nach  innen  und  unten  gelegene  Partie  der  Iris  hinter 
den  Rand  der  Sclera  zurückgezogen,  wahrscheinlich  gegen  den  Einriss  in  der  Sclera, 
welcher  durch  eine  schiefergraue  Stelle,  V"  hinter  dem  Limbus  conjunctivae,  angedeutet 
erscheint.  Da  zu  erwarten  stand,  die  vorgefallene  Linse  werde  allmälig  aufgesogen  wer- 
den, so  unternahmen  wir  nichts  zur  Beseitigung  derselben.  Dagegen  versahen  wir  den 
Kranken  mit  einer  Staarbrille  von  drei  Zoll  Brennweite,  mit  welcher  er  einen  kleinen 
Schlüssel,  die  Zeiger  einer  Taschenuhr,  das  Gepräge  von  Geldmünzen  und  drgl.  erkannte, 
und  ganz  beglückt  die  Rückreise  in  seine  Heimat  am   17.  Juni  antrat. 

Ein  Mädchen  von  10  Jahren  stach  sich  im  7.  Jahre  mit  einem  Messer  in  das 
rechte  Auge.  Das  Messer  muss,  nach  den  später  eingetretenen  Veränderungen  zu  schliessen, 
schief  durch  den  obern  Theil  der  Cornea  und  Sclera  bis  zum  Glaskörper  eingedrungen 
sein,  jedoch  so,  dass  die  Bindehaut  über  der  Sclera  wenig  oder  gar  nicht  verletzt  wurde. 
Längere  Zeit  —  die  Kranke  erinnert  sich  der  Zufälle  nicht  genau  —  währten  Lichtscheu, 
Thränenfluss  und  Schmerzen;  das  Sehvermögen  nahm  aber  erst  allmälig  ab,  bis  auf  Licht- 
empfindung, welche  erst  vor  4  Monaten  gänzlich  verloren  ging.  Zu  dieser  Zeit  erhob 
sich  nämlich,  ohne  dass  neuerdings  eine  Schädlichkeit  eingewirkt  hatte,  und  ohne  dass 
anderweitige  Zufälle  eintraten,  bloss  unter  dem  Gefühle  von  Spannung  in  der  obern 
Hälfte  des  Bulbus  (unter  dem  Lide)  eiu  gelbliches  Bläschen,  welches  nach  und  nach  die 
gegenwärtige  Grösse  erreichte.  Wir  fanden  die  Cornea  normal  gewölbt,  glatt  und  glän- 
zend, in  dem  nach  unten  und  aussen  gelegenen  Drittel  vollkommen  durchsichtig,  von 
da  nach  innen  und  oben  aber  bläulich  weiss  undurchsichtig.  Die  schiefergraue  (an  dem 
gesunden  Auge  lichtblaue)  Iris  nahezu  an  die  Cornea  anliegend.  Eine  lineare,  ganz  weisse 
Nai-be,  durch  die  Cornea  von  innen  nach  aussen  und  oben  verlaufend,  und  nach  aussen 
und  oben  noch  circa  2'"  weit  in  die  Sclera  hineinreichend,  bezeichnete  die  Richtung  des 
Schnittes.  Oberhalb  dieser  Narbe  zeigte  sich  folgende  Veränderung.  Es  erhob  sich  auf 
der  Sclera  eine  blassgelbe,  durchscheinende,  blasenähnliche,  elastische,  nicht  verschiebbare 
und  mit  breiter  Basis  aufsitzende  Geschwulst,  welche  zum  Theil  noch  über  den  Rand 
der  Hornhaut  herein  reichte.  Sie  erstreckte  sich  vom  obern  Rande  des  Muse,  rectus 
internus  bis  zum  untern  Rande  des  Rectus  externus  herum,  und  von  der  Cornea  bis  über 
den  Aequator  bulbi  hinauf,  und  erhob  sich  mindestens  4'"  hoch  über  der  Sclera.  Wenn 
man  bei  möglichst  stark  abgezogenem  obern  Lide  die  Kranke  abwärts  blicken  Hess,  sah 
man  deutlich,  dass  die  Geschwulst  von  der  Bindehaut  und  der  Tunica  vaginalis  bedeckt 
war.  Das  Fluidum  war  also  zwischen  diesen  beiden  Membranen  einerseits,  und  zwischeu 
der  Sclera  (zum  Theil  auch  der  Cornea)  andererseits  eingeschlossen,  und  es  konnte  nur 
das  nicht  bestimmt  werden,  ob  dasselbe  durch  irgend  eine  Öffnung  in  der  Sclera  mit 
den  Flüssigkeiten  im  Innern  des  Bulbus  in  Verbindung  stehe  oder  nicht.  Um  für  den. 
Fall  der  Communication  das  Contentum  nicht  zu  schnell  zu  entleeren,  wurde  durch  den 
erhabensten  Theil  (nach  innen  und  oben,  nahe  an  der  Cornea)  mittelst  einer  krummen 
Nadel  ein  Faden  durchgeführt,  die  Schlinge  angezogen,  und  mittelst  einer  kleinen  Louis- 
schen  Scheere  ein  2  Quadratlinien  grosses  Stück  aus  der  Wandung  des  sogleich  collabirenden 
Sackes  ausgeschnitten.  Das  wasserklare  gelbliche  Fluidum  war  albumenhaltig.  Die  Hülle 
schmiegte  sich  nun  an  die  Sclera  und  Cornea  an ;  an  der  entblössten  Stelle  lag  die  Sclera 
frei  zu  Tage.  Es  erfolgte  nicht  die  geringste  Reaction ;  nach  4  Wochen,  wo  die  Kranke 
entlassen  zu  werden  verlangte,  hatte  sich  die  Öffnung  in  der  Binde-  und  Scheidenhaut 
fast  um  gar  nichts  verkleinert.  —  Ich  bin  des  Erachtens,  dass  in  diesem  Falle  durch  di& 
Scleralwunde  etwas  Glaskörper  ausgetreten  war  und  nach  Verheilung  der  Wunde  zur  Bil- 
dung dieser  Cyste  Veranlassung  gegeben  hatte,    welche    sowohl    über   der  Sclera  als  über 


Ausdehnungen  —  Staphylome.  19 

der  Cornea  die  Bindehaut,    soweit  diese    sich  noch   über  jene    erstreckt,    allmälig    empor- 
drängte. 

III.  Ausdehnungen  de?'  Sclera,  Ektasiae  et  Staphylomata  sclerae. 
Ausdehnung  und  Verdünnung-  der  Sclera,  in  ihrem  ganzen  Umfange 
oder  an  einzelnen  Partien,  kommt  als  Folge  sehr  verschiedener  Zu- 
stände vor,  deren  Verständniss  grösstenteils  die  Kenntniss  der  Krank- 
heiten der  tiefern  Gebilde,  namentlich  der  Chorioidea,  der  Retina  und 
des  Glaskörpers  voraussetzt. 

Gleichmässige  Ausdehnung  und  Verdünnung  aer  ganzen  Sclera  fin- 
den wir  zunächst  bei  Vermehrung  und  Verflüssigung  der  Glasfeuchtig- 
keit, einem  Zustande,  den  man  bei  altern  Autoren  unter  dem  Namen 
Hydrops  posterior  und  Buphthalmus  beschrieben  findet.  Seröser  Erguss 
zwischen  der  Sclera  und  Chorioidea  oder  zwischen  dieser  und  der  Re- 
tina bewirkt  selten  allgemeine,  häufiger  partielle  Sclerektasie. 

Partielle  Ausdehnung  und  Verdünnung  kommt  entweder  im  hintern 
Umfange  des  Bulbus  vor,  und  ist  dann  im  Leben  nicht  mit  Sicherheit 
zu  erkennen,  oder  seitlich,  am  Äquator  bis  zur  Gegend  des  Corpus  ci- 
liare, oder  endlich  vorn,  nächst  der  Cornea,  und  zwar  vor  dem  Corpus 
ciliare.  Diese  Zustände  sind  als  Staphyloma  posticum,  St.  laterale  und 
St.  anticum  (St.  corporis  ciliaris,  St.  annulare),  in  früherer  Zeit  auch 
als  Cirsophthalmus  oder  Varicositas  bulbi  beschrieben  worden. 

Eine  Art  Staphyloma  posticum  kommt  als  angeborener  Zustand  mit 
Coloboma  iridis  et  chorioideae  vor,  und  zwar  in  der  untern  Partie  der 
hintern  Hemisphäre  des  Bulbus.  Die  vollständige  Beschreibung  des 
Befundes  folgt  weiter  unten,  bei  den  Krankheiten  der  Iris  und  Cho- 
rioidea. 

Eine  andere  Form  von  Ausdehnung  und  Verdünnung  der  hintern 
Hemisphäre,  worauf  Scarpa  zuerst  aufmerksam  gemacht  hat,  entsteht 
erst  in  späterer  Zeit,  und  zwar  vom  hintern  Pole  aus.  Man  findet  die 
Sclera  zunächst  in  der  Gegend  des  hintern  Poles,  also  auswärts  vom 
Eintritte  des  N.  opticus,  bei  höheren  Graden  aber  auch  weiterhin,  selbst 
rings  um  den  Opticus  herum  verdünnt  und  hemisphärisch  ausgedehnt, 
daher  den  Bulbus  von  vom  nach  hinten  verlängert,  auf  13  bis  17/y/. 
Die  Ein-  und  Ausmündungsstellen  der  hintern  Ciliararterien  und  Venen 
sind  so  erweitert,  dass  sie  sogleich  als  schwarze  oder  rostbraune  Punkte 
in  die  Augen  fallen;  hie  und  da  laufen  dunkle  Streifen,  entstanden 
durch  das  Auseinanderweichen  der  Scleralfasern ,  vom  hintern  Pole 
gegen  den  Äquator  hin.  Der  Übergang  der  verdünnten  und  ausge- 
dehnten Partie  in  die  übrige,  normale  Sclera  ist  ein  allmäliger.  Inner- 
halb der  Sclera  sind  die  Aderhaut  und  Netzhaut  als  continuirliche  und 

2* 


20  Lederhaut. 

isolirte  Membranen  vorhanden,  aber  gleichfalls  verdünnt  und  ausge- 
dehnt, und  erstere,  so  weit  die  Sclerektasie  reicht,  auffallend  pigment- 
arm. Die  Glasfeuchtigkeit  ist  vermehrt  und  in  dem  hintersten  Drittel 
des  Raumes  dünnflüssig,  jedoch  gegen  die  Linse  hin  oder  auch  durch- 
aus von  ziemlich  normaler  Consistenz.  Die  übrigen  Gebilde  des  Bulbus 
können  dabei  völlig  normal  sein. 

Ich  hatte  diesen  Befund  mehrmals  zufällig  an  Augäpfeln  älteier  Individuen  beob- 
achtet, die  ich  behufs  der  Untersuchung  von  Arcus  senilis  oder  von  Linsentrübungen 
secirte,  und  denselben  als  senilen  Schwund  der  Sclera,  analog  dem  der  Schädel- 
knochen betrachtet.*)  Einige  spätere  Untersuchungen  und  ein  Sectionsbefund,  welchen 
Professor  Ritterich  veröffentlicht  hat,  lassen  mich  vermuthen,  dass  dieser  Zustand  in 
inniger  Beziehung  zur  Kurzsichtigkeit  stehe.  Iiitterich  fand  nämlich  diesen  Zustand  an 
dem  Auge  eines  in  hohem  Grade  Kurzsichtigen,  und  ich  fand  ihn  wiederholt  bei  centra- 
ler Hornhaut-  und  zweimal  bei  centraler  Kapseitrübung,  welche  bekanntlich  mit  dem 
Eefractionszustande  kurzsichtiger  Augen  zugleich  vorzukommen  pflegen.  Leider  konnte 
ich  in  den  mir  vorgekommenen  Fällen  nichts  über  den  Befractionszustand  dieser  Augen 
während  des  Lebens  erfahren,  und  muss  die  Erörterung  dieser  Frage  spätem  Nach- 
forschungen anheimstellen.  Wir  werden  bei  der  Lehre  von  der  Kurzsichtigkeit  darauf 
zurückkommen. 

Das  Staphyloma  sclerae  anticum  (annulare)  erscheint  in  Form  ein- 
zelner dunkelblauer  Hügel  oder  Wülste  unmittelbar  hinter  der  Cornea. 
Die  Hügel  variiren  von  der  Grösse  eines  Hirsekornes  bis  zu  der  einer 
halben  Zuckererbse,  oder  einer  halben  Bohne;  die  darmähnlichen  Wülste 
sind  in  der  Regel  oberhalb  der  Cornea  am  breitesten  und  höchsten, 
sodann  unterhalb  derselben,  können  aber  auch  in  Form  eines  Ringes 
die  ganze  Cornea  umschliessen.  Durch  starke  Ausdehnung  können 
ihre  Wandungen  so  dünn  werden,  dass  sie  (von  der  Seite  her  ange- 
sehen) das  Licht  wie  eine  Blase  durchlassen.  An  ihrer  hintern  Grenze 
sieht  man  die  Ein-  und  Austrittsstellen  der  vordem  Ciliargefässe ,  an 
ihrer  vordem  den  concaven  Rand  des  Limbus  conjunctivae  corneae. 
Sie  kommen  entweder  für  sich  allein  vor,  oder  gleichzeitig  mit  Ektasien 
in  der  Gegend  des  Corpus  ciliare  oder  der  eigentlichen  Chorioidea, 
welche  wir  als  Staphylomata  lateralia  beschreiben  werden.  An  Augen, 
deren  Hornhaut  ganz  oder  grösstentheils  in  Narbengewebe  verwandelt 
und  mit  der  Iris  verwachsen  ist,  kommt  mit  diesem  Staphyloma  sclerae 
anticum  bisweilen  allgemeine  Ausdehnung  und  Verdünnung  der  Sclera 
vor,  wodurch  der  Bulbus  den  Umfang  einer  grossen  Wallnuss  erlangen 
kann.  Der  innere  Befund  eines  solchen  Auges  wurde  bereits  S.  12  be- 
schrieben. Auch  dann,  w^enn  in  Folge  chronischer  Iritis  die  Iris  vom 
Ciliarrande  her  mit  der  Cornea  verwachsen  ist,  können  solche  Staphy- 
lomata antica  sich  entwickeln,    indem    die  vorderste  Partie   der  Sclera 

*)  Prager  mediciu.  Vierteljahrachrift.  19.  Band.  S.  58. 


Ausdehnungen  —  Staphylogne.  21 

allmälig  erweicht  und  ausgedehnt  wird,  die  Cornea  und  Iris  vorwärts 
rücken,  das  Ligamentum  und  die  Processus  ciliares  aber  an  ihrer  Stelle 
bleiben,  und  somit  der  Raum,  den  wir  hintere  Kammer  nennen,  mehr 
weniger  erweitert  wird.     (VergL  Krankheiten  der  Iris.) 

Die  seitlichen  Scleralstaphylome  erscheinen  als  isolirte  oder  aggre- 
girte  bläuliche  Hügel  in  der  Gegend  des  Äquators,  öfters  vor  demselben, 
wohl  auch  in  der  Gegend  des  Corpus  ciliare.  Sie  sind  in  der  Mehr- 
zahl als  Folgen  von  Entzündung  der  Chorioidea  zu  betrachten,  und  be- 
ruhen dann  auf  Verwachsung  der  Sclera,  Chorioidea  und  Retina  unter- 
einander. Diess  ist  durch  Sectionen  und  Wahrnehmungen  während  des 
Lebens  nachgewiesen.  Ob  Exsudation  zwischen  der  Sclera  und  Cho- 
rioidea oder  Vermehrung  und  Verflüssigung  des  Glaskörpers  allein  solche 
partielle  Ektasien  der  Sclera  bewirken  können,  muss  erst  durch  ge- 
nauere und  verlässlichere  Beobachtungen,  als  die  bisher  bekannt  ge- 
wordenen, festgestellt  werden.  Sarcomatöse  und  melanotische  Ablage- 
rungen, sie  mögen  von  der  Netz-,  Ader-  oder  Lederhaut  ausgehen, 
können  mehr  weniger  ähnliche  Hügel  bewirken. 

Die  Prognosis  und  Behandlung  hängt,  wie  aus  dem  Gesagten  er- 
hellt, von  der  zu  Grunde  liegenden  Krankheit  ab.  Ausführlicheres 
hierüber  kann  also  erst  bei  den  Krankheiten  der  Iris,  der  Chorioidea 
und  des  Glaskörpers  gegeben  werden. 


IV.   Buch. 

Die  Regenbö  gen  hau  t,  Iris. 


A.    Anatomische  und  physiologische  Bemerkungen. 

Die  Regenbogenhaut  hat  die  Gestalt  einer  in  der  Mitte  durchbohr- 
ten Scheibe,  welche  zwischen  die  Hornhaut  und  Krystalllinse  eingescho- 
ben ist,  und  die  Augenkanmier  in  eine  vordere  und  hintere  scheidet. 
Sie  steht  nur  an  ihrer  Peripherie  mit  den  festen  Gebilden  des  Auges 
in  Verbindung;  sonst  ist  sie  überall  vom  Kammerwasser  umspült. 

Die  vordere  Fläche  der  Iris ,  welche  verschiedene  Farbentöne  von 
Blau,  Grau,  Gelb  und  Braun,  und  mehr  weniger  deutliche  Faserung 
darbietet,  bildet  —  streng  genommen  —  keine  Ebene;  sie  erhebt  sich 
vom  Pupillarrande  ziemlich  steil  bis  in  die  Gegend  einer  zackigen,  dem 
Pupillarrande  parallel  verlaufenden  Kreislinie,  und  verflacht  sich  dann 
allmälig  gegen  den  Ciliarrand  hin.  Diese  zackige  Linie,  welche  beson- 
ders an  liebten  Regenbogenhäuten  deutlich  ausgeprägt  erscheint,  schei- 
det somit  die  Vorderfläche  der  Iris  in  eine  innere  schmale,  und  in  eine 
äussere  breite  Zone,  welche  sich  Uberdiess  durch  Verschiedenheit  der 
Faseranordnung  und  der  Färbung  in  demselben  Auge  von  einander  un- 
terscheiden. Die  innere  Zone  —  der  kleine  Kreis  —  erscheint  wegen 
seiner  dichteren  und  mehr  regelmässig  centripetalen  Faserung  etwas 
wulstig,  strahligfaltig,  sammetähnlich,  und  in  der  Regel  dunkler  gefärbt, 
als  der  grosse  Kreis;  nur  an  dunkelbraunen  Regenbogenhäuten  zeigt  er 
oft  eine  hellere  Färbung,  als  jener.  Die  äussere  Zone  —  der  grosse 
Kreis  —  zeigt  zahlreiche,  an  lichten  Augen  fast  weisse  Fasern,  welche 
wellenförmig  gekrümmt  vom  Ciliarrande  gegen  den  Pupillarrand  hin 
verlaufen.  Sie  weichen,  bevor  sie  in  den  kleinen  Kreis  eintreten,  häu- 
f  •  auseinander,  lassen  hiedurch  verschieden  grosse,  meist  rhomboidale 
Lucken  zwischen  sich   (Oryptae  iridis),   und  bilden  dann    durch  zahl- 


Anatomie  —  Physiologie.  23 

reiche  Anastomosen  die  genannte  zackige  Linie,  innerhalb  welcher  sie 
theils  in  Bündeln  vereint,  und  daher  ähnliche  Lücken  oder  Gruben 
zwischen  sich  lassend,  theils  einzeln  neben  einander  zum  Vorschein 
kommen,  und  sodann  dicht  gedrängt  zum  Pupillarrande  verlaufen.*)  — 
Der  Randtheil  dieser  Fläche,  welcher  unmerklich  in  die  der  vordem 
Augenkammer  zugewendete  Fläche  des  Ciliarbandes  übergeht,  ist  dem 
Auge  des  Beobachters  von  vorn  her  entzogen,  weil  der  Durchmesser 
der  Vorderfläche  der  Iris  an  jedem  Auge  mindestens  x\itil  grösser  ist, 
als  der  Durchmesser  der  durchsichtigen  Hornhaut. 

Die  hintere  Fläche,  etwas  kleiner  als  die  vordere,  verläuft  von  den 
Ciliarfortsätzen  in  Einer  Flucht  bis  zum  Pupillarrande,  und  zeigt  von 
ihrer  Peripherie  her  strahlenförmige  Erhabenheiten,  welche  gleichsam 
Ausläufer  der  Ciliarfortsätze  darstellen.  Sie  erhält  durch  die  an  ihr 
haftende  dicke  Pigmentlage  das  Aussehen  eines  dunkelbraunen  Sammtes. 

Indem  diese  Pigmentschicht  auch  den  Pupillarrand  überzieht  (ein- 
säumt), erscheint  dieser  schwarzbraun,  wovon  man  sich  mit  einer  Loupe 
(bei  getrübter  Linse  auch  mit  freiem  Auge)  überzeugen  kann.  Die  im 
Allgemeinen  kreisrunde  Pupille,  welche  bei  verschiedenen  Zuständen 
des  Auges  —  wovon  später  —  einen  verschiedenen  Durchmesser  (von 
1 — ö'")  zeigen  kann,  liegt  nicht  genau  im  Centrum  der  Iris,  sondern 
etwas  ('/V")  nach  innen,  so  dass  der  Abstand  des  Pupillarrandes  vom 
Ciliarrande  an  der  Schläfenseite  etwas  grösser  ist,  als  an  der  Nasen- 
seite. 

Der  CiUarvand,  welcher  auf  der  innern  Fläche  des  Ciliarbandes 
haftet,  ist  nach  hinten  durch  Gefässe  mit  den  Ciliarfortsätzen,  nach 
vorn  durch  eigenthümliche  elastische  Fasern  (das  Döllingersche  Band) 
mit  der  Descemetschen  Haut  verbunden.  Ein  massiger  Zug  an  der 
Iris  mittelst  eines  Häkchens  oder  einer  Pincette  reicht  hin,  die  Iris  aus 
dieser  dreifachen  Verbindung  zu  lösen;  diese  Lösung  erfolgt  nicht  sel- 
ten in  mehr  weniger  grossem  Umfange,  selbst  ringsherum,  wenn  durch 
einen  Stoss  aufs  Auge  die  Cornea  abgeplattet,  und  ihre  Basis  sammt 
dem  Ciliarbande  momentan  erweitert  wird.  Während  des  Ablösens  der 
Iris  vom  Ciliarbande  nimmt  man  deutlich  wahr,  dass  die  Anheftung  der 
Iris  mehr  eine  zackige,  als  continuirliche  ist,  und  zwar  den  Ciliarfort- 
sätzen entsprechend. 

*)  An  vielen  Augen  sieht  man  noch  eine  dritte  Zone,  einen  äussersten  oder  grössten  Kreis  der  Iris.  Er 
ist  in  lichtgrauen  oder  lichtblauen  Regenbogenhäuten  an  dunklerer  (schwarzblauer)  Färbung  zu  erken- 
nen, in  dunkelbraunen  von  dem  eigentlichen  grossen  Kreise  durch  einen  lichten  (flammenden)  Reifen 
getrennt.  Diesem  äussersten  Kreise  entsprechen  an  der  Hinterfläche  der  Iris  die  Fortsätze  des  Cor- 
pus ciliare,  und  dem  eben  genannten  Reifen  entsprechen  die  Firsten  der  Ciliarfortsätze  oder  der  Rand 
der  Linsenkapsel. 


24  Regenbogenhaut. 

Die  Lage  der  Iris  ist  im  Allgemeinen  senkrecht  auf  der  Sehachse. 
Sie  erscheint  aber  dem  Auge  des  Beobachters  immer  etwas  näher  an 
der  Cornea,  und  etwas  nach  vorn  gewölbt,  auch  wenn  sie  letzteres 
wirklich  nicht  ist.  Der  Grund  hievon  liegt  in  der  Strahlenbrechung 
durch  die  Cornea  und  den  Humor  aqueus.  Aus  demselben  Grunde  er- 
scheint uns  auch,  worauf  E.  R.  Weber*)  zuerst  aufmerksam  gemacht 
hat,  die  Pupille  immer  etwas  grösser,  als  sie  wirklich  ist. 

Legt  man  ein  pianconvexes  Glas  auf  die  Zeilen  eines  Buches ,  so  bemerkt  man 
dieselbe  Erscheinung  an  den  Buchstaben.  Diese  "Wirkung  der  Cornea  wird  aufgehoben, 
wenn  man  vor  dieselbe  Wasser  bringt.  In  dem  Momente,  wo  man  einen  Bulbus  mit 
der  Cornea  unter  Wasser  senkt,  erscheint  auch  die  Pupille  enger,  und  die  Iris  flach  und 
zugleich  tiefer  hinter  der  Cornea  gelagert;  so  wie  das  Auge  wieder  auftaucht,  erscheint 
die  Pupille  grösser,  die  Iris  nach  vorn  gewölbt  und  der  Cornea  näher  gerückt.  Doctor 
Cermdk**)  hat  einen  Apparat  (Orthoskop)  construirt,  um  diese  Phänomene  auch  an  Le- 
benden beobachten  zu  können.  —  Eine  bequeme  Methode,  die  Pupille  und  Iris  des  eigenen 
Auges  vergrössert  zu  sehen,  hat  Weber  in  derselben  Abhandlung  S.  3  gegeben.  „Lentem 
vitream  ex  piano  convexam  ad  speculum  planum  cera  ita  affigas,  ut  superficies  ejus  plana 
piano  speculo  insideat.  Guttula  aquae  in  marginem  illata  efficies,  ut  spatium  perexiguum 
inter  planas  superficies  interpositum  aqua  repleatur.  Hoc  modo  enim  aer  interpositus 
removebitur,  et  nimia  lucis  reflexio  arcebitur.  Quo  facto,  speculoque  oculo  nostro  satis 
admoto,  radii  lucis  ab  iride  tua  profecti  primum  per  corneam  in  aerem  transgrediuntur : 
hie  prima  lucis  refractio  oritur,  qua  fit,  ut  pupillam  amplificatam  eernamus ;  deinde  con- 
vexam lentis  superficiem  intrantes  secunäam  refractionem  patiuntur,  eoque  modo  imaginem 
iridis  iterum  augent;  hinc  per  planam  lentis  superficiem  in  speculum  ineidunt,  ibique 
reflexi  lentem  vitream  penetrant,  et  per  convexam  superficiem  ejus  in  aerem  redeuntes 
tertiam  refractionem  subeunt,  qua  itidem  amplior  iridis  imago  redditur.  Sic  radii  lucis  in 
eundem  oculum,  quo  profecti  sunt,  redeuntes  efficiunt,  ut  oculo  oculi  eiusdem  imaginem 
miruin  in  modum  amplificatam  eernamus."  Linsen  unter  3"  Brennweite  eignen  sich  zu 
diesem  Versuche  nicht,  weil  man  dann  den  Spiegel  zu  nahe  an  das  Auge  halten  muss, 
und  sich  hiedurch  zu  viel  Licht  benimmt. 

Eine  Ebene,  durch  die  Peripherie  der  Iris  gelegt  und  nach  aussen 
durch  die  Sclera  verlängert,  würde  diese  letztere  nahezu  V"  hinter  dem 
Cornealrande  durchschneiden.  Man  kann  daher  auch  von  der  Sclera 
aus  bequem  in  die  vordere  Augenkammer  mit  einem  Messer  eindrin- 
gen, ohne  die  Iris  anzustechen.  (Siehe  später  „Bildung  künstlicher 
Pupillen".) 

Die  Entfernung  einer  durch  den  Pupillarrand  gelegten  Ebene  von 
dem  Centrura  der  Descemetschen  Haut  variirt  von  3/i — l1/*'"»  abgesehen 
von  krankhaften  Zuständen,  welche  noch  stärkere  Abweichungen  bedin- 
gen können.  Die  Lage  des  Pupillarrandes  hängt  von  der  Lage  der 
Linse  und  ihrer  Kapsel  ab,  und  steht  daher  in  innigster  Beziehung  zur 

*)  Annotationcs  anatomicae  et  physiologicae ,  prograaimata  collecta,  fasciculi  tres,   Lipsiae  apuü  C.  F. 
Kühler,   1851. 
**)  Prngcr  medicin.  Vicrteljahrschrift.   32.  Bd.,  S.  154. 


Anatomie  —  Physiologie.  25 

Grösse  der  Augenkaimner,  zur  Menge  des  Humor  aqueus.  Denn  der 
Pupiliarrand,  oft  auch  die  ganze  innere  Zone  der  Iris,  liegt,  sobald  die 
Pupille  nicht  über  1,u  weit  ist,  knapp  an  der  vordem  Kapsel  an. 

Diese  Angabe  über  die  Lage  des  Pupillarrandes  der  Iris  zur  Kapsel  widerspricht 
zwar  fast  allen  bisherigen,  ist  aber  nichts  desto  weniger  richtig.  Was  ich  schon  aus  dem 
so  leichten  Entstehen  von  Anlöthungen  der  Iris  an  die  Kapsel,  aus  der  häufig  beobach- 
teten, genau  der  Wölbung  der  Kapsel  entsprechenden  Vorwärtswölbung  der  innern  Partie 
der  Iris,  und  aus  der  Nähe  (oder  vielmehr  aus  dem  Mangel  aller  Entfernung)  verdunkelter 
Kapselpartien  zur  Iris  vermuthet  hatte,  erwiesen  mir  glücklich  gelungene  Staaroperationen 
zur  Evidenz.  Aus  vielen  mag  eine,  auch  anderweitig  sehr  interessante  Beobachtung  hier 
einen  Platz  finden,  um  den  Leser  anzuregen,  sich  in  analogen  Fällen  selbst  zu  überzeugen. 

E.  A.,  41  Jahre  alt,  Dienstmagd,  wurde  Ende  August  1851  mit  folgendem  Befunde 
aufgenommen.  Das  rechte  Auge  schielt  nach  innen.  Die  Iris  reagirt  gegen  Licht  und 
Schatten  lebhaft,  und  erscheint  an  diesem  Auge  etwas  stärker  vorwärts  gewölbt,  als  auf 
dem  linken :  die  Tiefe  der  Augenkammer  kann  auf  3/V"  geschätzt  werden.  Die  vordere 
Kapsel  erscheint  vollkommen  durchsichtig.  Die  Linse  ist  verflüssigt,  denn  hinter  der  Kapsel 
sind  eine  Menge  lichtgrauer  Schüppchen  suspendirt,  welche  bei  jeder  Bewegung  des  Bulbus 
in  Bewegung  gerathen,  und  bei  gewissen  Stellungen  zum  Lichte  wie  Glimm erblättchen 
glänzen.  Das  Schillern  dieser  Blättchen  erscheint  in  verschiedener  Tiefe  hinter  der  Kapsel, 
doch  scheinen  sie  nicht  tiefer  zu  reichen,  als  bis  zur  Gegend  der  hintern  Kapsel.  An  dem 
linken  Auge  erscheint  bloss  der  Kern  der  Linse  getrübt,  bläulich  weiss,  Kapsel  \md  Bin- 
densubstanz durchsichtig.  Die  Regenbogenhaut  an  diesem  Auge  auch  iu  Bezug  auf  die  Lage 
normal.  —  Um  die  Diagnosis,  dass  hier  die  Linse  verflüssigt  und  zum  Theil  in  Cholesteariu- 
krystalle  verwandelt  sei,  völlig  sicher  zu  stellen,  eröffnete  ich  bei  künstlich  erweiterter 
Pupille  die  Hornhaut  des  rechten  Auges  (durch  einen  etwa  2'"  langen  Einstich  am  Bande  der- 
selben), schlitzte  von  diesem  Einstiche  aus  mit  einer  Staarnadel  die  Kapsel  ein,  und  fing  den 
Inhalt  derselben  mit  einem  an  die  Wange  gehaltenen  Uhrglase  auf.  Er  bestand  aus  einer  klaren 
Flüssigkeit  mit  tafelförmigen  Krystallen,  die  sich  als  Cholestearin  erwiesen,  aus  Fettkörnchen 
und  feinen  Xadeln.  Als  am  vierten  Tage  der  Verband  vom  Auge  abgenommen  wurde,  zeigte 
das  Auge  weder  Eöthe  noch  Lichtscheu.  Die  Kranke  zählte  die  vorgehaltenen  Finger 
prompt  und  richtig.  Die  Untersuchung  bei  hinreichend  starkem  Lichte  zeigte  nun  die 
Lage  der  Iris  merklich  verändert;  diese  Membran  erschien  nicht  mehr  ausgebaucht,  sondern 
ganz  eben,  dabei  aber  frei  beweglich,  und  bei  raschen  Wendungen  des  Bulbus  schlotternd. 
—  Später  wurde  dieselbe  Beobachtung  der  Lageveränderung  auch  an  dem  linken  Auge 
gemacht,  nachdem  die  Discission  der  Kapsel  einmal  von  der  Cornea  und  später  von  der 
Sclera  aus  gemacht  worden  war.  —  Für  die  in  Rede  stehende  Frage  halten  wir  jedoch 
nur  die  Beobachtung  an  dem  rechten  Auge  für  strenge  beweisend,  weil  hier  das  Zurück- 
weichen der  Iris  nach  Entleerung  der  Kapsel  auf  keine  andere  Weise  erklärt  werden 
kann,  das  Auge  weniger  als  bei  jeder  andern  Staaroperation  verletzt  wurde,  keine  Spur 
von  Reaction  zeigte,  hintere  Synechien,  Veränderungen  in  der  Form  des  Glaskörpers, 
u.  s.  w.  gar  nicht  supponirt  werden  können.  Auch  die  Seite  16  angeführte  Beobachtung 
ist  in  Bezug  auf  die  Lage  der  Iris  zur  Kapsel  sehr  instruetiv. 

V\'enn  die  vordere  Kapsel  der  Cornea  näher  liegt,  als  5/V",  dann 
liegt  auch  der  Pupiliarrand  weiter  nach  vorn,  als  der  Ciliarrand.  Diess 
sehen  wir  bei  Neugeborenen,  deren  Linse  vermöge  ihrer  grössern  Wöl- 
bung weiter  nach  vorn  ragt,   aber  auch  bei  Greisen   (richtiger  gesagt: 


26  Regenbogenhaut. 

bei  Presbyopischen),  deren  Linsensystem  der  Cornea  näher  gerückt  er- 
scheint, —  Zwischen  die  vordere  Kapsel  und  den  Pupillartheil  der  Iris 
ist  jederzeit  nur  so  viel  Humor  aqueus  eingeschoben,  als  nach  den  Ge- 
setzen der  Attraction  zwischen  zwei  Platten  eindringen  muss.  Diese 
mittelbare  Anlagerung  der  Iris  an  die  Kapsel  sichert  dem  Pupillartheile 
der  Iris  seine  ruhige  Lage  bei  den  verschiedenen  raschen  Bewegungen 
des  Bulbus;  bei  mehr  Flüssigkeit  zwischen  Iris  und  Kapsel  müsste  die 
Iris  beständig  vor-  und  rückwärts  schwanken,  schlottern.  Und  in  der 
That  sieht  man  diese  Erscheinung  im  Bereiche  des  grossen  Kreises,  so 
oft  man  die  Iris  unmittelbar  nach  einer  raschen  Bewegung  des  Bulbus 
scharf  tixirt,  eben  weil  hinter  dem  grossen  Kreise  schon  eine  mächti- 
gere Lage  von  Humor  aqueus  vorhanden  ist.  Wenn  die  Linse  ver- 
schrumpft oder  aufgesogen,  oder  selbst  nicht  mehr  (mittelst  der  Zonula 
Zinii)  fest  an  den  Ciliarkörper  angeheftet  ist,  dann  sieht  man  die  Iris 
in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  schlottern,  und  die  Spannung  der  Iris 
durch  die  Kreisfasern  am  Pupillarrande  (die  Verengerung  der  Pupille) 
ist  nicht  im  Stande,  der  Iris  eine  ruhige  Lage  zu  sichern.  Sie  muss 
sich  gleich  jedem  andern  in  einer  Flüssigkeit  beweglich  suspendirten 
Körper  nach  den  Gesetzen  der  Trägheit  (der  ihm  von  aussen  ertheilten 
Geschwindigkeit)  bewegen. 

Die  vordere  Kapsel  und  die  innere  Portion  der  Iris  verhalten  sich 
wie  zwei  Platten,  welche  nur  durch  so  viel  Flüssigkeit  getrennt  sind, 
als  nach  physikalischen  Gesetzen  nothwendig  ist.  Die  Iris  muss  daher 
der  Linse  folgen,  wenn  diese  (sammt  der  Kapsel)  ein  wenig  zurück- 
weicht, und  behauptet  nur  in  so  fern  eine  gewisse  Selbstständigkeit, 
als  sie  sich  an  der  Kapsel  in  centripetaler  und  centrifugaler  Kichtung 
fortschieben  kann.  Man  hat  nicht  selten  Gelegenheit  zu  sehen,  dass 
eine  kleine  Portion  der  Iris  in  eine  Hornhautnarbe  eingeheilt  ist,  und 
dass  die  ganze  übrige  Iris  eine  Ebene  oder  doch  keine  stärkere  Wöl- 
bung bildet,  als  an  andern  Augen,  wo  eine  solche  Synechie  fehlt.  Ich 
wüsste  nicht,  wodurch  dieses  Bestreben  der  Iris,  ihre  normale  Lage  so 
viel  wie  möglich  wieder  einzunehmen,  erklärt  werden  könnte,  wenn 
nicht  dadurch,  dass  man  annimmt,  die  Iris  werde  durch  eine  ganz 
dünne  Flüssigkeitslage  bestimmt,  sich  an  die  Kapsel  anzuschmiegen. 

Das  Gewebe  der  Iris  ist  sehr  weich,  locker  und  ungemein  dehn- 
bar. Es  kann  auf  die  doppelte  Dimension  (und  darüber)  ausgedehnt 
werden,  ohne  einzureissen.  Es  besteht  vorwaltend  aus  Arterien  und 
Venen,  welche  theils  direct,  theils  durch  Capillarien  in  einander  über- 
gehen, aus  zahlreichen  Nerven  und  aus  Muskelfasern;  diese  Elemente 
sind  durch  zartes,  mit  mehr  weniger  Pigment  durchsetztes  Bindegewebe 


Anatomie  —  Physiologie.  27 

mit  einander  vereinigt.  Ihre  Vorderfläch©',  welche  durch  die  Arterien 
und  Nerven  jenes  fasrige  Aussehen  erhält,  ist  mit  dem  nämlichen  Pfla- 
sterepithel belegt,  wie  die  hintere  Fläche  der  Cornea,  und  gewinnt  hie- 
dureh  einen  gewissen  Glanz,  während  ihre  Hinterfläche  eine  gleiche, 
nur  viel  mächtigere  Pigmentlage  zeigt,  wie  die  Innenfläche  der  Aderhaut. 

Seit  Zinn  nahmen  die  meisten  Anatomen  an,  dass  die  Descemetsche  Haut  als  Tu- 
nica  serosa  sich  auf  die  Yorderfläehe  der  Iris  fortsetze.  Henle,  Brücke  u.  m.  A.  fanden 
diess  nicht  bestätigt.  Huschte  *)  schliesst  auf  das  Vorhandensein  eines  serösen  Überzuges 
der  Vorderfläehe  aus  ihier  Glätte,  aus  der  Gegenwart  von  Pflasterepithel,  und  aus  ihrer 
Verbindung  mit  der  Descemetschen  Haut;  überdiess  sehe  man  sie  als  einen  hellen  dünnen 
Hand  an  Falten  einer  frischen,  und  an  Durchschnitten  von  gehärteter  und  getrockneter 
Iris.  Luschka**)  hat  nicht  bloss  den  Epithelialüberzug,  sondern  auch  eine  Lage  seröser 
d.  i.  den  serösen  Häuten  eigenthümlicher  Fasern  auf  der  Vorderfläche  der  Iris  (bis  zur 
Innern  Zone  hin)  gefunden.  —  Nach  demselben  Auetor  ist  auch  die  hintere  Fläche  von 
einer  zwischen  die  Iris  und  das  Pigment  eingeschobenen  Schicht  seröser  Fasern  und 
Epithelium  überzogen,  auf  welcher  dann  das  Pigment  frei  aufliege,  während  nach  HuschJce 
und  Hyrtl  das  Pigment  unmittelbar  auf  dem  Gewebe  der  Iris  aufliegen,  aber  durch  ein 
was<erhelles  Häutchen  (Membrana  limitans,  Pacini )  gedeckt  und  zusammen  gehalten 
werden  soll. 

Von  der  Menge  und  Vertheilung  des  Pigmentes  in  der  Substanz  der  Iris  hängt 
die  dunkle  Farbe  der  Eegenbogenhaut  ab.  Die  Neger  haben  eine  so  dunkelbraune  Iris, 
dass  man  aus  einiger  Entfernung  ihre  Pupille  kaum  unterscheiden  kann.  Leute  mit  blon- 
den Haaren  haben  in  der  Regel  eine  blaue  oder  blaugraue  Iris.  Die  Iris  der  Neuge- 
borenen erscheint  blau,  weil  das  Stroma  iridis  noch  kein  Pigment  enthält,  und  das  Pig- 
ment der  Hinterfläche  durch  das  weissgraue  Gewebe  der  Iris  durchschimmert.  Bei  den 
Kakerlaken ,  wo  auch  das  Pigment  der  Hinterfläche  fehlt ,  erscheint  die  Iris  hellblau- 
röthlich,  durch  die  von  den  Blutgefässen  der  Chorioidea  zurückgeworfenen  Strahlen.  — 
In  seltenen  Fällen  erscheint  die  Iris  des  einen  Auges  braun,  die  des  andern  blau;  in 
andern  findet  man  die  äussere  oder  innere  Hälfte  blau,  die  andere  braun;  minder  selten 
zeigen  lichte  Regenbogenhäute  einzelne  dunklere  Flecke  oder  Punkte  als  Folge  partieller 
Pigniententwickelung. 

Die  Arterien,  der  Iris  sind  die  zwei  hintern  langen  Ciliararterien, 
welche  ihr  fast  ausschliesslich  angehören,  und  zahlreiche  Aste  der  hin- 
tern kurzen  und  der  vordem  Ciliararterien.  —  Die  hintern  langen  Ciliar- 
arterien  verlaufen,  nachdem  sie  im  hintern  Umfange  des  Bulbus  die 
Sclera  durchbohrt  haben,  zwischen  dieser  und  der  Aderhaut  vorwärts 
zum  Ciliarbande,  und  zwar  in  oder  etwas  über  dem  horizontalen  Meri- 
diane der  Schläfen-  und  Nasenseite,  und  jede  von  einem  stärkeren  Ci- 
liarnerven begleitet.  Im  Ciliarbande  theilt  sich  jede  in  einen  auf-  und 
in  einen  abwärts  steigenden  Ast,  aus  welchem  zahlreiche  Zweigchen 
für  das  Ciliarband,  vorzüglich  aber  für  die  Iris  entsjn'ingen ,    in  deren 

*)  S.  Th.  Sbmmering's  Lehre  von  den  Eingeweiden  und  Sinnesorganen ,    umgearbeitet   von  Huschke, 
Leipzig,  1S44.     S.  702. 
**)  Die  Structur  der  serösen  Häute  des  Menschen,  Tübingen,  1851.     S.  3S. 


28  Regenbogenhaut. 

Peripherie  zuletzt  auch  die  Euden  dieser  vier  Äste  eintreten.  —  Von 
den  vordem  Ciliar arterien  (vergl.  I.  B.,  S.  178)  durchbohren  die  für  die 
Iris  bestimmten  Äste  die  Sclera  1— l'/a'"  hinter  dem  Eande  der  Cornea, 
und  dringen  durch  das  Ciliarband,  von  wo  sie  Zweigchen  an  den  Ci- 
liarkörper  abgeben,  in  den  Ciliarrand  der  Iris  ein.  Hier  bilden  sie  ge- 
meinschaftlich mit  den  meisten  Zweigen  der  hintern  langen  Ciliarar- 
terien  durch  gabelförmige  Spaltung  und  gegenseitige  Anastomosen  ein 
kreisförmiges  Gefässnetz,  den  grossen  Oefässkreis  der  Iris,  aus  welchem 
zahlreiche  geschlängelte  Zweigchen    gegen  den  Pupillarrand  verlaufen. 

—  Eine  grosse  Menge  ihres  Blutes  endlich  erhält  die  Iris  aus  jenen 
zahlreichen  Zweigen  der  hintern  kurzen  Ciliararterien,  welche  zwischen 
den  Ciliarfortsätzen  der  Chorioidea  bis  zur  Iris  fortkriechen,  und  sich 
in  dieselbe,  mehr  von  der  hintern  Fläche  her,  einsenken.  —  Innerhalb 
des  grossen  Gefässkreises  der  Iris  verlaufen  die  zahlreichen  Äderchen, 
sie  mögen  nun  aus  diesem  Kreise  oder  direct  aus  den  genannten  drei 
Quellen  entspringen,  mehr  weniger  stark  geschlängelt  gegen  die  innere 
Zone,  an  deren  Peripherie  sie  durch  zahlreiche  Anastomosen  abermals 
einen  Gefässkranz,  den  kleinen  Gefasskreis  der  Iris,  bilden.  Die  aus 
diesem  hervorgehenden  Ästchen  lösen  sich  in  der  innern  Zone  endlich 
in  Capillargefässe  auf,  oder  biegen  am  Pupillarrande  einfach  in  Venen 
um.  —  Die  Arterien  der  Iris  zeichnen  sich  nebst  ihrem  stark  geschlän- 
gelten Verlaufe  besonders  durch  verhältnissmässig  (zu  ihrem  Lumen) 
dicke  Wandungen  aus,  daher  sie  auch  ihr  Contentuni  nicht  durchschei- 
nen lassen. 

Die   Venen  der  Iris  liegen  hinter  dem  Arteriennetze,  und  verlaufen, 
durch  häutige  Anastomosen  verbunden,  vom  Pupillar-  zum  Ciliarrande. 

—  Die  zahlreichsten  und  mächtigsten  entsprechen  den  hintern  kurzen 
Ciliararterien,  und  führen  ihr  Blut  durch  die  Chorioidea  zu  den  Wir- 
belvenen  dieser  Haut.  —  Andere  Zweigchen  vereinigen  sich  zu  zwei 
Stämmchen,  welche  den  hintern  langen  Ciliararterien  entsprechen,  und 
diese  begleiten.  —  Ob  die  den  vordem  Ciliararterien  entsprechenden 
Venen  der  Iris  in  den  Schlemnischen  Canal  eintreten,  wie  Brücke 
(nach  Arnold  und  Retsius)  annimmt,  ist  zweifelhaft;  wahrscheinlicher 
ist  es,  dass  die  Venen,  welche  man  aus  dem  vordem  Theile  der  Sclera 
neben  den  gleichnamigen  Arterien  austreten  sieht,  direct  aus  dem  Ci- 
liarbauclc  und  der  Iris  kommen.  Wenn  der  Schlemmsche  Canal  als 
ein  Blutleiter  zu  betrachten  ist,  so  muss  man  schon  aus  seiner  Lage 
(zur  Cornea  und  Iris)  schliessen,  dass  er  für  das  aus  der  Cornea,  nicht 
aber  für  das  aus  der  Iris  zurückfliessende  Blut  bestimmt  sei.  Brücke 
1.  c.  S.  50  führt  auch  an,  dass  es  ihm  selbst  nie  gelingen  wollte,  Venen 


Anatomie  —  Physiologie.  29 

der  Blendung  mit  Sicherheit  in  den  genannten  Canal  hinein  zu  verfol- 
gen, oder  von  demselben  aus  einzuspritzen. 

Durch  die  Ciliarnerven  wird  die  Iris  mit  motorischen,  sensitiven 
und  sympathischen  Nervenfasern  reichlich  versehen.  Sie  verzweigen 
sich  vorzüglich  an  der  Vorderfläche  der  Iris,  und  bilden  in  der  Gegend 
des  kleinen  Gefässkreises  zahlreiche  Bögen  und  Schlingen. 

Die  Ciliarnerven  kommen  mit  Ausnahme  von  1 — 2  Stämmchen  (den 
langen  Ciliarnerven,  welche  direct  von  N.  nasociliaris  abgehen)  sämmt- 
lich  (12  —  17)  aus  dem  Ganglion  ciliare,  einem  plattrunden  Knötchen  von 
etwa  {'"  Durchmesser,  welches  an  der  äussern  Seite  des  N.  opticus, 
ohngelahr  3  i"  hinter  dessen  Eintrittsstelle  in  den  Bulbus  liegt.  Dieses 
Ganglion  entsteht  constant  aus  3  Wurzeln,  nämlich  aus  der  kurzen 
oder  motorischen  vom  N.  oculomotorius,  aus  der  langen  oder  sensitiven 
vom  N.  nasociliaris  (einem  Aste  des  R.  ophthalmicus  N.  trigeminij,  und 
aus  Fasern  des  N.  sympathicus,  welche  vom  Carotidengeflechte  aus  dem 
Sinus  cavernosus  durch  die  obere  Augenhöhlenspalte  zur  Radix  longa 
oder  zum  Ganglion  selbst  gelangen.  —  Nachdem  diese  Nerven  die 
Sclera  unweit  vom  N.  opticus  schräg  durchbohrt  haben,  und  in  der 
äussern  Fläche  der  Chorioidea  bis  zum  Ciliarbande  vorgedrungen  sind, 
spalten  sie  sich  gabelförmig,  und  verschmelzen  in  diesem  Gebilde  zu 
einem  unentwirrbaren  Geflechte,  aus  welchem  die  zahlreichen  für  die 
Iris  bestimmten  Zweige  hervorgehen. 

Dass  die  Iris  Muskelfasern  besitze,  und  zwar  glatte,  nicht  querge- 
streifte, dafür  sprechen  die  mikroskopischen  Untersuchungen  von  Va- 
lentin, Pappenheim,  Krause,  Brücke  u.  m.  a.,  und  die  Bewegungen  der 
Iris,  welche  man  sich  füglich  nicht  anders,  als  durch  Muskeln  vermittelt 
denken  kann.  Am  leichtesten  erkennbar  sind  die  Ringfasern.  Diese 
umgeben  den  Pupillarrand  in  Form  eines  gegen  lJ2w  breiten  Ringes, 
und  liegen  hinter  den  Gefässen  und  Nerven  unmittelbar  unter  der  Pig- 
mentschicht, so  dass  man  an  blauen  Augen  nur  das  Pigment  abzuspü- 
len braucht,  um  diesen  derberen  und  dunkleren  Reifen  schon  mit  freiem 
Auge  zu  erkennen.  Die  Radialfasern  entspringen  von  jenem  Theile 
des  Ciliarbandes ,  welcher  sich  mit  dem  vordem  Ende  der  Sclera  fest 
verbindet,  und  werden  durch  einen  Ring  von  circulären  Fasern,  den 
Annulus  tendinosus  Doellingeri,  zugleich  an  das  Ende  der  Descemetschen 
Membran  geheftet.  Gleich  nach  ihrem  Ursprünge  lassen  sie  die  Arte- 
rien und  Nerven  zwischen  sich  hindurch  treten,  verlaufen  centripetal, 
und  mseriren  sich  in  den  äussern  Rand  des  Sphinkters. 

Durch  die  Ringfasern  wird  die  Pupille  verengert,  durch  die  Strah- 
lenfasern erweitert.     Die  Bewegungen  der  I?ns  erfolgen,   ohne  dass  wir 


30  Regenbogenhaut. 

uns  derselben  bewusst  werden,  und  sind  zunächst  der  Adaptirung  des 
Auges  zum  Sehen  untergeordnet.  Durch  die  verschiedene  Grösse  der 
Pupille  wird  die  Menge  des  Lichtes  für  die  Netzhaut  regulirt. 

Lässt  man  auf  Ein  Auge  (oder  beide)  abwechselnd  bald  stärkeres, 
bald  schwächeres  Licht  einfallen,  so  verengert  und  erweitert  sich  die 
Pupille  beider  Augen,  entsprechend  dem  Grade  des  Lichtes. 

Diese  Bewegung  der  Iris  erfolgt  nicht  vermöge  directer  Reizung 
der  Iris  durch  das  Licht,  sondern  in  Folge  von  Erregung  der  Netzhaut, 
Fortpflanzung  auf  das  Sensorium  commune,  und  Reflex  auf  die  zur  Iris 
tretenden  Fasern  des  N.  oculomotorius  beider  Augen. 

E.  H.  Weber  setzte  eine  Linse  in  eine  kleine  Öffnung  eines  Kartenblattes,  und 
Hess,  'während  beide  Augen  beschattet  waren ,  das  im  Brennpunkte  vereinigte  Licht  bloss 
auf  die  Iris  wirken;  dabei  blieb  die  Pupille  weit;  sie  verengte  sich  aber  augenblicklich, 
wenn  der  Lichtkegel  durch  die  Pupille  auf  die  Netzhaut  geleitet  wurde. 

Durchschneidet  man,  wie  Mayo*)  und  Magendie**)  zuerst  gethan,  den  N.  opticus 
in  der  Schädelhöhle,  so  wird  die  Pupille  (nach  momentaner  Verengerung)  weit,  und 
verengt  sich  auch  bei  dem  stärksten  Lichte  nicht.  Durchschneidung  des  N.  oculomotorius 
bringt  dieselbe  Wirkung  hervor.  —  Kneipt  man  den  Opticus,  so  verengert  sich  die  Pupille 
so  oft,  als  man  den  Sehnerven  berührt;  dasselbe  erfolgt  auf  Reizung  des  N.  oculo- 
motorius. —  Wird,  bei  unversehrtem  Oculomotorius,  das  peripherische  Ende  des  durch- 
schnittenen Opticus  gezerrt,  so  bleibt  die  Pupille  unverändert:  sie  verengert  sich  augen- 
blicklich, so  wie  man  das  centripetale  Stück  dieses  Nerven  reizt.  Wurde  aber  der  N. 
oculomotorius  früher  durchschnitten ,  so  bewirkt  jedwede  Reizung  des  N.  opticus  keine 
Veränderung  der  Pupille. 

Wird,  wenn  beide  Augen  dem  Lichte  ausgesetzt  sind,  das  eine  Auge 
beschattet,  so  erweitert  sich  nicht  nur  die  Pupille  des  letzteren,  son- 
dern auch  die  des  andern  Auges,  und  beide  Pupillen  nehmen  sofort 
einen  Grad  von  Weite  an,  welcher  ungefähr  die  Mitte  hält  zwischen 
der  Weite,  welche  der  beiderseitigen  Beschattung,  und  der,  welche  der 
beiderseitigen  Beleuchtung  entspricht.  Diese  Erscheinung  harmonirt  mit 
dem  oben  aufgestellten  Gesetze,  dass  der  Reflex  auf  den  Oculomotorius 
nicht  unmittelbar  von  der  Netzhaut  auf  die  Ciliarnerven,  sondern  mittelst 
des  Sensorium  commune  ausgeht.  Wird  nur  Eine  Netzhaut  dem  Lichte 
ausgesetzt,  so  ist  die  Erregung  des  Centralorganes  nur  halb  so  stark, 
als  wenn  beide  Netzhäute  gereizt  werden. 

Verengerung  der  Pupillen  erfolgt  auch,  wenn  die  sensitiven  Zweige 
des  Trigeminus,  namentlich  die  Zweige  des  R.  ophthalmicus  gereizt  wer- 
den, z.  B.  durch  einen  fremden  Körper  in  der  Binde-  oder  Hornhaut 
u.  dgl.,  vorausgesetzt,  dass  die  Fortpflanzung  des  Reizes  zum  Sensorium 

*)  Mayo  sur  les  nerfs  ce're'braux  etc.     Anatomical  and  physiologieal  commentaries,  London  1S23. 
**)  Mageudie  journ.  de  Physiologie  exp.  1824,  T.  IV.  p.  311. 


Anatomie  —  Physiologie.  31 

commune  und  der  Reflex  von  diesem  auf  die  Iris  mittelst  des  Oculo- 
motorius  nicht  unterbrochen  ist. 

Die  Durchschneidung  des  Trigeminus  hebt  bloss  die  Empfindlichkeit  der  von  ihm 
■versehenen  Partien  auf,  stört  aber  das  Verhältniss  zwischen  Opticus  und  Oculomotorius 
nicht.  Die  Eetina  bleibt  nach  Durchschneidung  der  Trigemini  noch  eben  so  empfindlich 
für  das  Licht,  und  die  Pupillen  verengern  sich  auf  Eeize,  die  den  Opticus  oder  Oculo- 
motorius treffen,    noch  eben  so  lebhaft,  wie  vorher. 

Die  Pupillen  verengern  sich,  wenn  die  Sehachsen  mehr  convergent 
werden,  also  beim  Betrachten  naher  Gegenstände;  sie  erweitern  sich, 
wenn  sie  —  beim  Fixiren  entfernter  Objecte  —  minder  convergent 
werden.  Diese  Bewegung  der  Iris  hängt  nicht  von  dem  Grade  der 
Beleuchtung  der  Objecte,  nicht  von  der  grössern  oder  geringern  Diver- 
genz der  ins  Auge  kommenden  Lichtstrahlen,  noch  von  der  Accommo- 
dation  des  Auges  für  nahe  und  ferne  Gegenstände,  sondern  lediglich 
von  der  Veränderung  der  Convergenz  der  Sehachsen  zu  einander  ab.  *) 

Man  halte  einen  dunkeln  Körper  sehr  nahe  vor  die  Augen ,  so  dass  nur  wenig 
Licht  in  dieselben  gelangen  kann.  Ein  Beobachter  daneben  wird  die  Pupille  sehr  ver- 
engert finden,  so  lange  die  Augen  auf  einen  Punkt  dieses  nahen  Körpers  gerichtet  wer- 
den, sogleich  aber  sehr  erweitert,  sobald  durch  ein  gegenüberstehendes  Fenster  entfernte 
Objecte  betrachtet  werden,  trotzdem  die  Augen  jetzt  weit  stärkerem  Lichte  ausgesetzt 
sind.  —  Dass  die  grössere  oder  geringere  Divergenz  der  Lichtstrahlen,  welche  von  nahen 
und  fernen  Objecten  in  unser  Auge  gelangen,  nicht  die  nächste  Ursache  dieser  Iris- 
bewegung ist,  hat  JE.  H.  Weber  theils  durch  Versuche  mit  coneaven  und  convexen 
Gläsern  nachgewiesen  —  das  Vorhalten  von  Concavgläsern  bewirkte  bei  unveränderter 
Achsenstellung  keine  Pupillenverengerung  —  theils  aus  Beobachtungen  an  Cataractösen 
gefolgert,  bei  welchen  diese  Irisbewegung  mit  der  Achsenänderung  auf  dieselbe  Weise 
wie  bei  Gesunden  erfolgt.  —  Aus  Versuchen ,  welche  Weber  theils  an  sich ,  theils  an 
Andern  machte,  ergab  sich,  dass  die  Pupillen  sich  verengerten,  sobald  die  Augen  ein- 
wärts gewendet  gehalten  wurden ,  gleichviel  ob  man  ein  nahes  oder  ein  fernes  Object 
betrachtete.  Der  Impuls  zu  dieser  Veränderung  der  Pupille  geht  gleichzeitig  mit  dem 
Impulse,  das  Auge  einwärts  zu  richten  (die  Sehachsen  mehr  convergent  zu  machen),  vom 
Sensorium  commune  aus.  Durch  Übung  kann  man  es  dahin  bringen ,  beide  zu  isoliren, 
die  Bewegung  der  Iris  hervorzurufen,  ohne  die  Achsenstellung  zu  verändern.  Auf 
diesem  Acte  der  Isolirung  beruht  das  sogenannte  willkürliche  Bewegen  der  Iris,  auf 
welches  Purkyne**)  zuerst  aufmerksam  gemacht  hat. 

Ein  eigentümliches  Schwanken  der  Iris  zwischen  Verengerung  und  Erweiterung 
der  Pupille  beobachtet  man  gleichsam  als  allmälig  ersterbenden  Nachhall,  wenn  die  Iris 
durch  Wechsel  von  Licht  und  Schatten  oder  direct  vom  Oculomotorius  aus  in  stärkere 
Bewegung  versetzt  worden  war.  Dieser  Zustand  (Hippus)  kann  sowohl  an  gesunden, 
als  auch  an  amaurotischen  Augen  vorkommen,  und  bei  letzteren  leicht  zu  der  Annahme 
verleiten ,  dass  die  Netzhaut  noch  für  Licht  und  Schatten  empfindlich  sei ,  wenn  diess 
auch  in  der  That  nicht  mehr  der  Fall  ist. 

*)  Ausführlicheres  hierüber  in  E.  H.  Weber   de  motu   iridis    (Annotationes  anatom.  physiolog.  etc.    wie 
oben). 
**)  Beobachtungen  und  Versuche  zur  Physiologie  der  Sinne,  Prag  1819. 


32  Regenbogenhaut. 

Die  Pupillen  verengern  sich  am  meisten  während  des  Schlafes. 
Diese  Erscli einuiii;-  ist  analog  der  Contraction  anderer  Schliessmuskeln, 
namentlich  des  Spbincter  vesicae  und  des  Spliincter  ani.  Während  des 
Schlafes  vermag  der  erstere  eine  weit  grössere  Menge  Urin  zurückzu- 
halten, als  beim  Wachen. 

Eine  eben  so  starke,  aber  bleibende  Verengerung  der  Pupille  er- 
hält man  hei  Säugethieren,  namentlich  beim  Hunde,  wenn  man  den  N. 
sympathicus  in  der  Gegend  des  3.  oder  4.  Halswirbels  durchschnitten 
hat.  Diese  Verengerung  beruht  darauf,  dass  die  Radialfasern  gelähmt 
sind,  und  nun  den  Ringfasern  kein  Antagonist  mehr  entgegensteht. 

„"Wird  bei  einem  Hunde  der  N.  sympathicus  und  vagus,  die  innigst  zusammen- 
hängen, am  Halse  durchschnitten,  so  erfolgt  (wie  Ruete*)  oft  gesehen  zu  haben  ver- 
sichert) zuerst  durch  den  Reiz  der  Durchschneidung  eine  starke  Erweiterung,  und  gleich 
darauf  mehrmals  wiederholte,  verstärkte  und  dann  bleibende  Contraction  der  Pupille."  „Hatte 
JBifJi  den  N.  vagus  allein  oberhalb  seiner  Verbindung  mit  dem  N.  sympathicus  im  Hunde 
durchschnitten,  so  verengerte  sich  die  Pupille  (nach  vorhergegangener  Erweiterung  in 
Folge  des  Reizes).  Reizte  Biffi  den  aufsteigenden  Ast  des  obersten  Halsknotens  vom 
Sympathicus  mechanisch,  so  erweiterte  sich  das  Sehloch  in  auffallendem  Grade.  Wurde 
derselbe  gänzlich  entfernt ,  so  verkleinerte  sich  die  Pupille  innerhalb  einer  halben 
Minute,  und  blieb  sofort  hartnäckig  verengert.  Wenn  Valentin  nach  Durchschneidung 
des  Sympathicus  die  verengte  Pupille  durch  Belladonna  erweiterte,  so  erreichte  sie  nie- 
mals jene  Grösse,  welche  sie  vor  jener  Durchschneidung  durch  dieses  Mittel  annahm."**) 

Verengerung  der  Pupille  erfolgt  demnach  entweder  in  Folge  erhöh- 
ter Action  des  N.  oculomotorius  und  der  von  ihm  versehenen  Ringfasern, 
oder  in  Folge  geschwächten  (aufgehobenen)  Einflusses  des  N.  sympa- 
thicus (vagus?j  auf  die  Strahlenfasern,  wodurch  der  Spbincter  pupillae 
ein  relatives  Übergewicht  erhält. 

Erweiterung  der  Pupille  hingegen  entsteht  entweder  in  Folge  ver- 
minderten (aufgehobenen)  Einflusses  des  N.  oculomotorius  auf  den 
Spbincter,  oder  in  Folge  vermehrten  Einflusses  des  Sympathicus  auf 
den  Diktator  pupillae. 

Die  Kenntniss  dieser  Gesetze  gibt  uns  den  Schlüssel  zur  Erklärung  einer  Menge 
pathologischer  Erscheinungen. 

Lähmung  des  N.  oculomotorius  oder  der  Ciliarnerven  hat  jederzeit  Erweiterung  und 
Unbeweglichkeit  der  Pupille  des  entsprechenden  Auges  zur  Folge  —  Mydriasis. 

Bei  einfacher  Lähmung  der  Netzhaut  oder  des  Sehnerven  —  Amaurosis  —  erscheint 
die  Pupille,  wenn  das  andere  Auge  gesund  ist,  weder  erweitert  (relativ  zu  der  des  ge- 
sunden Auges)  noch  unbeweglich;  sie  wird  aber  gross  und  starr,  sobald  man  das  ge- 
sunde Auge  vollständig  verdeckt  (mit  Ausnahmen,  welche  bei  der  Lehre  von  den  Krank- 
heiten der  Netzhaut  näher  besprochen   werden  sollen). 

Wenn  ein  Amaurotischer  seinen  Sehachsen    plötzlich    eine    stärkere    oder   geringere 

*)  Lehrbuch  der  Ophthalmologie,  Braunschweig  1845,  S.  181. 
**)  Valentin  Lehrbuch  der  Physiologie,  Braunschweig  1819,    II.  B.  S.  424. 


Anatomie  —  Physiologie.  33 

Convergenz  gibt,  so  können  die  Pupillen  eine  merkliche  Bewegung  zeigen,  synergisch. 
mit  dem  Impulse  auf  die  Muskeläste  des  N.  oculomotorius. 

Die  Beobachtung,  dass  bei  manchen  Amaurotischen  bei  ruhiger  Haltung  der  Bulbi, 
folglich  auch  bei  unverrückter  Achsenstellung  dennoch  deutliche  Irisbewegungen  auf  Licht 
und  Schatten  bemerkt  ■werden,  obwohl  die  Kranken  den  Unterschied  zwischen  Licht  und 
Schatten  selbst  nicht  wahrnehmen ,  steht  mit  den  angeführten  Gesetzen  nur  in  schein- 
barem, nicht  in  reellem  Widerspruche.  Ein  Lichteindruck,  viel  zu  schwach,  um  das  Sen- 
sorium  commune  zur  Empfindung  von  Licht  oder  Schatten  anzuregen,  kann  stark  genug 
sein,  jene  Reflexwirkung  im  Bereiche  des  Oculomotorius  zu  erzeugen.  "Wenn  ein  Kranker 
Licht  und  Schatten  nicht  zu  unterscheiden  vermag,  so  folgt  daraus  noch  nicht,  dass  der 
-wechselnde  Eindruck,  der  dabei  auf  die  Netzhaut  geschieht,  in  der  Netzhaut  gleichsam 
zu  Grunde  gehe,  im  Gegentheil,  er  kann  fortgepflanzt  und  auf  den  Oculomotorius  reflectirt 
werden,  wenn  er  auch  nicht  zum  Bewusstsein  gelangt.  Ich  habe  mehrmals  Amaurotische 
untersucht,  welche  bei  gewöhnlicher  Tageshelle  Licht  und  Schatten  nicht  unterscheiden 
konnten,  und  doch  dabei  merkliche  Bewegungen  der  Iris  darboten.  Liess  ich  aber  sehr 
helles  Licht  mit  dichtem  Schatten  wechseln,  so  hatten  sie  auch  bestimmt  und  untrüglich 
die  Empfindung  von  diesem  Wechsel.  Es  dürfen  übrigens  jene  Schwankungen  der  Iris, 
deren  wir  oben  unter  dem  JSTamen  Hippus  gedachten,  nicht  mit  Bewegungen  verwech- 
selt werden,  welche  unmittelbare  Folgen  des  Lichtwechsels  sind. 

Wird  die  Pupille  eines  Auges  durch  Belladonna  erweitert,  so  wird  sie  auch  starr, 
und  verändert  sich  bei  wechselndem  Lichteinflusse  auf  das  andere  Auge  nicht.  Hieraus 
folgt,  dass  die  Belladonna  nicht  auf  die  Netzhaut,  sondern  nur  auf  die  Ciliarnerven  und 
zwar  auf  den  Sphincter  pupillae  lähmend  einwirkt ;  denn  würde  sich  die  Pupille  wegen 
gesunkener  Energie  der  Netzhaut  erweitern ,  so  müsste  sie  den  Veränderungen  der 
Pupille  des  gesunden  Auges  eben  so  gut  folgen ,  wie  an  einem  Auge,  welches  z.  Beisp. 
durch  Erschütterung  der  Netzhaut  oder  durch  Durchschneidung  des  Sehnerven  allein  er- 
blindet ist.  Valentin' s  Versuch  zeigt  überdiess,  dass  an  der  höchsten  Erweiterung  der 
Pupille  durch  Belladonna  auch  der  Dilatator  pupillae  activen  Antheil  nimmt,  insofern  er 
nach  Lähmung  des  Sphinkters  keinen  Antagonisten  zu  überwinden  hat,  und  sich  contrahirt. 
Träufelt  man  in  ein  Auge,  dessen  Iris  durch  vielfache  Synechien  an  die  Kapsel  geheftet 
ist,  wiederholt  eine  hinreichend  starke  Lösung  von  Belladonna  ein,  so  bekommt  die 
Pupille  zwischen  den  Synechien  starke  Ausbuchtungen,  eine  Erscheinung,  die  sich 
nicht  durch  blosse  Erschlaffung  oder  Lähmung  des  Sphinkters  erklären  lässt,  sondern 
positiv  Contraction  der  Radialfasern  voraussetzt.  Hieraus  ergibt  sich,  wie  und  wann 
die  wiederholte  Einträuflung  von  Belladonna  zur  Behebung  hinterer  Synechien  nützlich 
werden  könne,  wann  und  wie  dasselbe  Mittel  bei  Prolapsus  iridis  eine  Wirkung  er- 
warten lasse,  und  was  von  der  Besorgniss  jener  Ärzte  zu  halten  sei,  welche  die  Ein- 
träuflung von  Belladonna  bei  peripherischen  Vorfällen  der  Iris  aus  Furcht,  selbe  zu  ver- 
grössern,  widerrathen. 

Erweiterung  der  Pupillen  ist  eines  der  constantesten  Symptome  von  Depression  der 
Gehirnthätigkeit,  z.  B.  durch  Schädelbrüche,  Geschwülste,  Blut-  oder  Serumerguss  ;  hier  ist 
der  Sphinkter  erschlafft  oder  gelähmt.  Sie  erscheint  aber  auch  bei  gastrischen  Zuständen,  bei 
Wurmreiz,  bei  Onanie  u.  dgl.,  und  ist  hier  höchst  wahrscheinlich  durch  Reizung  des  Sym- 
pathicus  und  Vagus,  mithin  durch  excessive  Contraction    des  Dilatator  pupillae   bedingt. 

Verengerung  der  Pupille  hingegen  begleitet  Zustände  mit  stärkerer  Erregung  des 
Gehirnes,  so  wie  andrerseits  Zustände  mit  deprimirtem  Einflüsse  des  N.  sympathicua. 
Zeichen  von  Erkrankung  des  Rückenmarkes  (medulla  oblongata)  und  Amaurosis  mit  auf- 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  3 


34  Regenbogenhaut. 

fallend  verengerter  Pupille  kommen  so  häufig  zusammen  vor,  dass  eine  enge  Pupille  bei 
Amaurotischen  jederzeit  zur  sorgfältigsten  Untersuchung  des  Rückenmarkes  (seiner 
Functionen)  auffordert. 

Ausserdem  steht  die  Weite  der  Pupille  in  einem  gewissen  Verhält- 
nisse zum  Refractions zustande  des  Auges.  Relativ  grössere  Pupille  und 
tiefere  Lage  der  Iris  und  Linse  hinter  der  Cornea  (daher  grössere  vor- 
dere Augenkamnier,  nicht  wie  es  gewöhnlich  heisst:  stärkere  Wölbung 
der  Cornea)  kommen  so  häufig  mit  Kurzsichtigkeit  vor,  dass  man  aus 
jenen  auf  diese  und  aus  dieser  auf  jene  (in  der  Regel)  schliessen  kann. 
Bei  Weitsichtigen  ist  die  Pupille  auffallend  eng  und  die  Iris  sammt  der 
Linse  vorwärts  gerückt.  —  Nach  Senkung  der  Linse  (spontan  oder 
durch  Operation)  oder  nach  Entfernung  derselben  (durch  Extraction 
oder  Resorption)  wird  die  Pupille  jederzeit  enger  gefunden,  als  vorher 
(auch  in  solchen  Fällen,  wo  durchaus  keine  Synechien  vorhanden  sind). 
—  Entleerung  des  Humor  aqueus  macht  die  Pupille  jederzeit  eng,  oft 
auch  wenn  sie  stark  durch  Belladonna  erweitert  worden  war. 

Die  Iris  hat  ausser  dem,  dass  sie  durch  verschiedene  Weite  der 
Pupille  die  Menge  des  Lichtes  für  die  Netzhaut  regulirt,  offenbar  auch 
die  Bestimmung  der  sogenannten  Diaphragmen  an  optischen  Instrumen- 
ten, nämlich  die  Abhaltung  der  Randstrahlen  zur  Vermeidung  von  Zer- 
streuungskreisen auf  der  Netzhaut.  Insofern  als  die  Pupille  beim  Be- 
trachten naher  Objecte  sich  verengert  und  die  Bildung  von  Zerstreuungs- 
kreisen, welche  hier  am  stärksten  ausfallen  müsste,  verhindert,  bethei- 
ligt sie  sich  an  der  Accommodation  des  Auges,  und  vervollkommnet 
dieselbe. 

Aus  dem  grossen  Gefässreichthume  der  Iris  darf  man  schliessen, 
dass  sie  (im  Vereine  mit  den  Ciliarfortsätzen)  zur  Absonderung  des 
Humor  aqueus  bestimmt  sei.  Sie  kann  aber  nicht  die  einzige  Quelle 
dieser  Flüssigkeit  sein,  weil  der  Humor  aqueus  nicht  versiegt,  wenn 
die  Iris,  wie  ich  in  einem  Falle  beobachtet,  ringsum  losgerissen  und 
zu  einem  unscheinbaren  Klumpchen  zusammen  geschrumpft  ist. 

Eben  so  darf  die  Resorption  der  Linse,  wenn  die  vordere  Kapsel 
hinreichend  eröffnet  ist,  oder  von  Blut  und  Exsudat  in  der  Augenkam- 
mer nicht  der  Iris  allein  zugeschrieben  werden;  denn  in  jenem  Falle 
totaler  Iridodialysis  war  das  Blut,  welches  die  gauze  Kammer  ausge- 
füllt hatte,  in  Zeit  von  8  Wochen  vollständig  resorbirt  worden. 

Über  das  Verhalten  der  Iris  gegen  verschiedene  mechanische  Ein- 
wirkungen siehe  Iritis  traumatica. 


Eiitziindimg  im  Allgemeinen  —  Symptome.  35 


B.    Krankheiten  der  Regenbogenhaut. 
I.   Entzündung  der  Iris. 

A.    Im  All  gemeinen. 

Die  Iris  befindet  sich  oft  mit  andern  Gebilden  des  Auges  zugleich 
im  Zustande  der  Entzündung;  sie  ist  im  Verlaufe  einer  Augenentzün- 
dung häufig  das  zuerst  und  vorwaltend,  häufig  das  consecutiv  oder  se- 
cimdär  ergriffene  Organ;  sie  kann  aber  auch  ganz  allein  für  sich  jene 
Veränderungen  durchmachen,  welche  wir  Entzündung  nennen.  Dem- 
nach basirt  sich  das  Verständniss  sehr  vieler  krankhafter  Zustände  am 
Auge  auf  die  Kenntniss  der  Iritis  und  ihrer  Folgen. 

Die  Symptome,  welche  durch  Iritis  gesetzt  werden  können,  sind: 

1.  Vermehrte  Injectioii  der  vordem  Ciliararterien,  gewöhnlich  als 
ein  rosenrother  Saum  auf  der  Sclera  rings  um  die  Hornhaut  wahrnehmbar. 

Da  diese  Gefässe  der  Iris  einen  beträchtlichen  Antheil  ihres  Blutes  zuführen,  und 
mit  den  tiefern  Ciliargefässen  anastomosiren,  so  ist  es  begreiflich,  warum  diese  abnorme 
Injection  bei  keinem  Falle  von  Iritis  fehlen  kann.  Diese  zonenfürmige  Röthe  kann  partiell 
erscheinen,  "wenn  die  Iritis  partiell  ist ;  sie  wird  bei  schleichendem  Verlaufe  der  Entzün- 
dung oft  nur  dann  deutlich,  wenn  das  Auge  momentan  durch  grelleres  Licht,  scharfe 
Luft.  Weinen  u.  drgl.  gereizt  wird;  sie  wird  bei  heftigen  Entzündungen  selbst  über  2'" 
breit,  und  bei  gleichzeitiger  Affection  der  Bindehaut  bald  durch  ein  mehr  weniger  dichtes, 
verschiebbares,  Scharlach-  oder  hochrothes  Gefässnetz,  bald  durch  gleichmässige  Böthe 
und  Schwellung  der  Binde-  und  Scheidenhaut  (Chemosis)  verdeckt. 

Diese  Injection  der  vordem  Ciliararterien,  respective  der  rosenrothe  Gürtel  um  die 
Cornea  herum,  ist  im  Allgemeinen  das  erste  Zeichen  des  Beginnens,  ihre  Abnahme  das 
erste  Zeichen  des  Sinkens  der  Entzündung.  An  und  für  sich  jedoch  hat  sie  keine  spe- 
cifische  Bedeutung  für  Iritis ;  sie  kommt  auch  bei  Entzündung  der  Bindehaut  (mit  Exsu- 
dation am  Limbus»,  der  Hornhaut,  der  Aderhaut  etc.  vor. 

2.  Verfärbung  der  Iris,  partiell  oder  durchaus,  ins  Graue,  Grüne 
oder  Röthliche. 

Man  kann  im  Allgemeinen  sagen,  eine  lichte  Iris  werde  grünlich,  eine  dunkle 
röthlich ;  besser  ist's,  sich  in  jedem  Falle  gegenwärtig  zu  halten,  wodurch  diese  Farben- 
änderung bedingt  werden  könne.  Drei  Momente  sind  hiebei  vorzüglich  in  Anschlag  zu 
bringen.  «.  Die  Hyperämie  der  Iris  und  die  Stasis,  vermöge  welcher  die  überfüllten  Ge- 
fässe leicht  der  Iris  ein  röthliches  Aussehen  geben,  selbst  für  das  freie  oder  bewaffnete 
Auge  sichtbar  werden  können ;  bei  hohen  Graden  acuter  Iritis  kann  daher  auch  eine 
blaue  oder  graue  Iris  ein  röthliches  Aussehen  darbieten,  und  bei  chronischer  Iritis  werden 
bisweilen  einzelne  sehr  erweiterte  Gefässe  der  Iris  schon  für's  freie  Auge  sichtbar,  ß.  Das 
zweite  Moment  ist  die  veränderte  Consistenz  der  Iris;  das  entzündete  Organ  ist  nicht  nur 
blutreicher,  sondern  auch  lockerer,  serös  durchfeuchtet,  und  kann  schon  desshalb  allein 
nicht  in  der  normalen  Farbe  erscheinen,     y.  Das  wichtigste  Moment  ist  die  Ausscheidung 

3* 


36  Regenbogenhaut. 

graulich-gelben  Exsudates,  welches  sich  entweder  als  ein  dünner  Anflug  auf  der  Vorder- 
fläche der  Iris  ablagert,  oder  einige  Zeit  in  halbflüssigem  Zustande  im  Humor  aqueua 
suspendirt  bleibt,  bis  es  sich  in  Form  von  Punkten  oder  Flocken  an  die  hintere  Wand 
der  Cornea  niederschlägt,  oder  als  gelbliche  Masse  in  der  Augenkammer  zu  Boden  setzt. 
Es  werden  demnach  den  von  der  Iris  zurückgeworfenen  Lichtstrahlen  graugelbe  (von 
dem  halbdurchsichtigen  Exsudate)  beigemengt,  und  die  Farbe  der  Iris  hiedurch  mannig- 
fach nuancirt.  Die  Mischung  blauer  und  gelber  Strahlen  lässt  die  Iris  grünlich  erscheinen; 
es  kann  aber  auch  eine  braune  Iris  wie  mit  einem  leichten  Grau  überzogen  aussehen. 

Die  Verfärbung  der  Iris  ist  der  Eeihe  nach  das  zweite  Symptom  der  Iritis,  welches 
sich  deutlich  wahrnehmen  lässt.  Sie  bleibt  oft  lange  nach  dem  Erlöschen  des  Exsuda- 
tionsprocesses  zurück.  Stationäre  Farben-Veränderung  der  Iris,  stellenweise  oder  durchaus, 
wird  jedoch  nur  durch  Ablagerung  von  Exsudat  in  das  Gewebe  der  Iris  selbst  bedingt. 
Sie  lässt  sich  von  der  durch  Atrophie  der  Iris  bedingten  Entfärbung  (siehe  Chorioiditis) 
ebenso  leicht  unterscheiden,  wie  von  angeborenen  partiellen  oder  totalen  Farbenspielen, 
deren  schon  im  vorigen  Abschnitte  Erwähnung  gethan  wurde. 

Grünlich  wird  die  entzündete  Iris  eigentlich  nur  im  grossen  (ge- 
wöhnlich lichter  gefärbten)  Kreise;  der  kleine  Kreis  wird  gewöhnlich 
dunkler  als  früher,  und  diese  Farbenveränderung  pflegt  eines  der  ersten 
Symptome  zu  sein  im  Verein  mit  einer  leichten  Schwellung  derselben 
Partie  der  Iris.  Dunkelfarbige  Eegenbogenhäute  nehmen  meistens  eine 
matte,  wie  durch  grau  gedeckte  Farbe  an;  ein  röthliches  Aussehen  tritt 
nur  bei  höhern  Graden  von  Iritis  auf. 

3.  Exsudation,  in  den  Humor  aqueus,  an  die  Oberfläche  der  Iris, 
besonders  am  Pupillarrande,  in  das  Parenchym  der  Iris.  Das  Exsudat 
ist  entweder  serös  mit  wenig  Faserstoff,  oder  vorwaltend  faserstoffig 
(eitrig),  selten  hämorrhagisch.  Weder  die  Plasticität,  noch  die  MeDge 
des  Exsudates  steht  immer  in  geradem  Verhältnisse  zur  Heftigkeit  der 
übrigen  Zufälle  der  Entzündung. 

So  lange  man  nicht  im  Stande  ist,  Exsudat  als  Product  der  Iritis  wahrzunehmen, 
lässt  sich  auch  die  Gegenwart  von  Iritis  selbst  nicht  mit  Bestimmtheit  behaupten.  Man 
muss  demnach  wissen,  wo  und  wie  die  Exsudate  aufzutreten  pflegen. 

Auf  Exsudation  im  Parenchym  kann  man  schliessen,  wenn  das  Gewebe  der  Iris 
deutlich  geschwellt,  ihre  Faserung  merklich  verändert,  verwischt  erscheint.  Der  kleine 
Kreis  ist  es  insbesondere,  welcher  zuerst  und  am  meisten  ein  aufgelockertes,  schwammig- 
filziges Aussehen  bekommt.  Die  Exsudation  im  Parenchym  tritt  aber  auch  bisweilen  um- 
schrieben auf,  in  Form  von  gelben  Knötchen  oder  Hügeln,  welche  von  feinen  Gefässchen 
überschlängelt  sind. 

Die  Exsuddtion  an  der  Vorderfläche  der  Iris  erscheint  als  lichtgrauer  oder  gelblicher 
Anflug,  und  trägt  das  Meiste  zur  Verfärbung  der  Iris  bei. 

Wird  plastisches  Exsudat  am  Pupillarrande  ausgeschieden,  und  diess  geschieht  bei 
jeder  nur  einigermassen  heftigen  Iritis  sehr  bald,  so  wird  der  Pupillarrand  an  die  Lin- 
senkapsel angelüthet,  und  zwar  stellenweise  oder  ringsherum,  oder  es  bildet  sich  eine 
förmliche  Membran,  welche  die  Pupille  wie  ein  Spinngewebe  ausfüllt;  bei  heftigen  Fällen 
wird  die  Pupille  durch  eine  dickere  Exsudatlage  verschlossen. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Symptome.  37 

Sectionen  haben  nachgewiesen,  dass  auch  an  der  hintern  Fläche  der  Iris  Exsudat 
ausgeschieden  werden  kann,  ja  dass  bei  manchen  Formen  die  Exsudation  vorzugsweise 
an  der  hintern  Fläche  erfolgt  —  Uveitis  mancher  Autoren.  Das  Exsudat  drängt  dann 
die  Iris  stellenweise  vor,  oder  es  zeigt  sich  als  ein  lichtgrauer  Saum,  welcher  am  Pu- 
pillarrande  gleichsam  von  der  Hinterfläche  der  Iris  vorgeschoben  erscheint,  oder  in  Form 
von  Zacken  oder  Fransen,  und  ist  in  solchen  Fällen  bald  mehr  bald  weniger  mit  dunkel- 
braunem Pigmente  belegt. 

Sehr  oft  wird  bei  Exsudation  an  der  Hinterfläche  der  Iris  etwas 
Pigment  abgestossen.  Dasselbe  präcipitirt  sich  dann  allein  oder  mit 
faserstoffigem  Exsudate  vermengt  an  die  hintere  Wand  der  Cornea,  in 
Form  brauner  oder  schwärzlicher  Punkte. 

Der  in  den  Humor  aqueus  ausgeschiedene  Faserstoß'  verursacht  anfangs  allgemeine 
Trübung  desselben,  was  leicht  für  Trübung  der  Cornea  imponiren  kann.  Rasch  und  in 
grösserer  Menge  ausgeschieden,  senkt  er  sich  in  der  vordem  Augenkammer  sogleich  oder 
in  kurzer  Zeit  zu  Boden,  und  bietet  eine  dem  Unguis  (vergl.  I.  B.  S.  222)  ähnliche  Er- 
scheinung dar.  Xur  selten  wird  so  viel  Exsudat  geliefert,  dass  es  die  Hälfte  oder  selbst 
zwei  Drittel  der  Augenkammer  einnimmt.  Diese  Erscheinung  hat  man  Hypopyum  verum 
genannt.  —  Minder  rasch  und  minder  reichlich  ausgeschieden,  präcipitirt  sich  der  faser- 
stoffige Theil  des  Exsudates  allmälig  auf  die  den  Humor  aqueus  umschliessenden  Gebilde, 
und  wird  als  gleichmässige  Trübung,  später  in  Form  von  graugelben  oder  graubrau- 
nen Punkten  an  der  hintern  Wand  der  Cornea,  in  selteneren  Fällen  auch  auf  der  vordem 
Fläche  der  Linsenkapsel  sichtbar.  —  Ist  das  Exsudat  vorwaltend  serös,  so  kanD  Yergrös- 
serung  der  Augenkammer  eine  Zeit  lang  die  einzige  Erscheinung  sein,  welche  dessen 
Gegenwart  andeutet. 

4.  Die  Schwellung  und  Lockerung  des  Geioebes  der  Iris,  deren  be- 
reits erwähnt  wurde,  tritt  nur  bei  gewissen  Formen  und  bei  höheren 
Graden  der  Iritis  so  deutlich  auf,  dass  sie  als  Anhaltspunkt  für  die  Dia- 
gnosis  benützt  werden  kann. 

Die  Iris  erscheint  etwas  matter,  dann  leicht  sammtartig- ,  endlich  grobfilzig-aufge- 
lockert.  und  in  demselben  Masse  dicker,  wulstig,  endlich  selbst  der  Cornea  näher  gerückt. 
Diese  Veränderung  betrifft  zuerst  und  vorzugsweise  die  innere  Zone  der  Iris,  und  muss 
wohl  unterschieden  werden  von  der  jjassiven  Vorwärtsdrängung  der  Iris,  welche  gleichfalls 
in  Folge  von  Entzündung  einerseits  durch  Anlöthung  der  Iris  an  die  Cornea,  andererseits 
durch  Anhäufung  von  Humor  aqueus  oder  von  faserstoffigem  Exsudat  zwischen  ihr  und 
der  Linsenkapsel  bewirkt  wird. 

5.  Verminderte  oder  aufgehobene  Beweglichkeit  der  Iris,  mit  mehr 
weniger  beträchtlicher  Verengerung  der  Pupille.  Beides  kann  vorhan- 
den sein,  noch  bevor  es  zur  Fixirung  des  Pupillarrandes  durch  Exsu- 
dat gekommen  ist.  * 

Durch  die  Hyperämie  und  Stasis,  noch  mehr  aber  durch  die  seröse  Durchträn- 
kung und  Schwellung  des  Gewebes  werden  die  Muskelfasern  der  Iris  auf  gleiche  "Weise 
in  ihrer  Function  beeinträchtigt,    wie  in  andern  Organen,    z.  B.    die  Muskeln  des  Darm- 

Lkanals  bei  Peritonaeitis  oder  bei  Dysenterie.  Ist  die  Entzündung  über  die  ganze  Iris 
verbreitet,  so  müssen  die  Strahlenfasern  so  gut  wie  die  Ptingfasern  ergriffen,  gelähmt 
werden.     Bevor   es   jedoch   zur    völligen  Unterdrücke g    der  Muskelaction  kommt,    bringt 


38  Regenbogenhaut. 

die  Affection  der  sensitiven  Zweige  des  Ciliarsystems  eine  vermehrte  Contraction  des 
Spkinctcr  pupillae  hervor.  Schon  der  gewöhnliche  Lichtreiz  anf  die  Netzhaut  ruft  ver- 
möge dieser  Reizung  der  Ciliarnerven  in  dem  entzündeten  Organe  eine  schmerzhafte 
Empfindung  hervor,  und  die  Folge  davon  ist  eine  verstärkte  (ungewöhnliche)  Reflex- 
action  im  Oculomotorius,  im  N.  lacrymalis  und  im  N.  facialis.  Daher  wird  auch  die 
Pupille  des  andern  (gesunden)  Auges  in  erhöhtem  Masse  verengert,  und  zwar,  da  hier 
der  Sphinkter  dem  Impulse  frei  folgen  kann,  nicht  selten  weit  mehr,  als  in  dem  kranken 
Auge;  daher  entsteht  vermehrte  Thränenab sonderung,  Verengerung  oder  Verschli essung 
der  Lidspalte.  Wenn  nun,  wie  gewöhnlich,  noch  vor  völliger  Lähmung  des  Sphinkters 
Exsudation  am  Pupillarraude  erfolgt,  so  wird  die  Iris  bei  enger  Pupille  an  die  Kapsel 
angelöthet,  und  kann  sofort  aus  diesem  Grunde  sich  nicht  mehr  zurückziehen.  Diese 
Fixirung  des  Pupillarrandes  bei  verengerter  Pupille  wird  aber  wahrscheinlich  auch  noch 
durch  einen  andern  Umstand  begünstigt.  Es  erfolgt  nämlich  die  Exsudation  vorzugs- 
weise zur  Nachtzeit.  Während  des  Schlafes  ist  die  Pupille  enger,  als  bei  dem  inten- 
sivsten Lichtreize ,  wahrscheinlich  nicht  allein  wegen  erhöhten  Nerveneinflusses  auf  den 
Sphinkter,  sondern  auch  wegen  gleichzeitiger  Erschlaffung  des  Dilatators  der  Pupille. 
Schläft  nun  der  Kranke  während  oder  nach  der  Exsudation,  so  erfolgt  die  Anlöthung 
der  Iris  an  die  Kapsel  bei  enger  Pupille.  Bei  genauer  Beobachtung  findet  man  sehr 
häufig,  dass  sich  Partien  der  Iris,  welche  nicht  an  die  Kapsel  angeheftet  sind,  auf  ver- 
schiedenen Liehtreiz  noch  deutlich  bewegen.  —  Iritis  mit  weiter  Pupille  gehört  unter 
die  Seltenheiten,  daher  auch  über  das  Ursächliche  dieser  Ausnahme  vor  der  Hand  nichts 
Bestimmtes  angegeben  werden  kann.  So  viel  ist  gewiss,  dass  die  Verengerung  der 
Pupille  bei  Iritis,  so  lange  nicht  Exsudate  den  Pupillarrand  vielseitig  fixiren,  in  geradem 
Verbältnisse  zur  Lichtscheu  und  zum  Thränenflusse  steht.  Wo  Schwellung  und  Locke- 
rung des  Parenchyms  der  Iris  deutlich  ausgesprochen  sind,  pflegt  die  Pupille  relativ 
enger  zu  sein,  als  bei  jenen  Formen,  welche  sich  durch  Exsudation  in  den  Humor  aqueus 
mit  Präcipitation  auf  die  hintere  Fläche  der  Hornhaut  auszeichnen. 

6.  Störung  des  Sehens  kann  in  sehr  verschiedenem  Grade  stattfin- 
den, vom  leichtesten  Trübsehen  bis  zur  blossen  Lichtempfindung'. 

Sie  ist  zum  Theil  durch  die  behinderte  Beweglichkeit  der  Iris,  vorzüglich  aber 
durch  die  Gegenwart  von  Exsudat  in  der  Augenkammer,  an  deren  Wandungen  und  in 
der  Pupille  bedingt.  Völlige  Blindheit  wird  durch  einfache  Iritis  niemals  gesetzt,  sondern 
nur,  wie  wir  weiter  unten  zeigen  werden,  durch  das  Hinzutreten  von  Chorioiditis.  Auf 
Entzündung,  mindestens  auf  bedeutende  Congestion  der  Chorioidea  deuten  übrigens  auch 
die  Lichterscheinungen,  welche  bisweilen  bei  acuter  Iritis  bemerkt  werden,  während  das 
Mückensehen,  welches  bei  chronischer  Iritis  ziemlich  häufig  vorkommt,  zuvörderst  in  der 
Trübung  der  durchsichtigen  Medien  und  in  der  gestörten  Accommodation  des  Auges  be- 
gründet ist.     (Siehe  unten  die  betreffenden  Kapitel.) 

7.  Sehmerzen  im  Auge  und  nach  der  Ausbreitung  des  Nervus  supra- 
oder  infraorbitalis, 

8.  Gesteigerte  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  und  gegen  jede  An- 
strengung der  Sehkraft,  vom  niedrigsten  Grade  bis  zur  heftigsten  Licht- 
scheu, und 

9.  Thränenfluss  sind  Erscheinungen,  welche  aus  einer  und  dersel- 
ben Quelle,  aus   der  Affection  der  sensitiven  Zweige  der  Ciliarnerven 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Verlauf  —  Ausgänge.  39 

entspringen,  daher  mit  einander  immer  so  ziemlich  gleichen  Schritt 
halten,  bald  in  kaum  merklichem,  bald  im  höchsten  Grade  vorhanden 
sind.  Sie  geben  im  Vereine  mit  der  Injection  der  Ciliargefässe  den 
sichersten  Massstab  für  den  rascheren  oder  langsameren  Verlauf,  so  wie 
für  das  Steigen  und  Fallen  der  Entzündung  ab. 

Die  Schmerzen  nach  dem  Verläufe  der  sensitiven  Zweige  des  Trigeminus  und  der 
Thränenfluss  sind  Eeflcxerscheinungen  von  der  Affection  der  Ciliarnerven,  und  sind  daher 
auch  von  der  Erregbarkeit  des  Nervensystems  überhaupt  abhängig,  und  in  so  ferne 
können  sie  auch  mit  mehr  weniger  deutlichen  Re-  und  Intermissioncu  auftreten.  Diese 
letztere  Erscheinung  gab  Veranlassung  zur  Annahme  einer  Iritis  intermittens. 

Die  Lichtscheu  hängt  auch  bei  Iritis  nicht,  wie  Cad€  und  Tavignot  behaupteten, 
von  der  schmerzhaften  Zerrung  ab,  welche  die  Bewegungen  der  Iris  in  dem  gleichzeitig 
entzündeten  (?)  Strahlcnbande  verursachen  sollen;  denn  sie  dauert  auch  bei  völlig  unbe- 
weglicher Iris  und  bei  völlig  geschlossener  Pupille  häufig  noch  fort.  Sie  ist  direct  in 
der  Reizung  der  Ciliarnerven  durch  den  Exsudationsprocess  selbst  begründet,  und  der 
gewohnte  Reiz  des  Auges,  das  Licht,  wird  vermöge  der  physiologischen  Beziehung,  in 
welcher  Netzhaut  und  Ciliarnerven  zu  einander  stehen,  eben  so  wenig  ohne  Schmerz 
vertragen,  als  z.  B.  ein  leichter  Druck  auf  das  entzündete  Auge,  oder  rascher  Tempe- 
raturwechsel u.  dgl.  —  Der  Ansicht  Sichel's,  dass  heftige  Lichtscheu  bei  Litis  auf  Ent- 
zündung der  Netzhaut  deute,  steht  die  schon  von  Makenzie  angeführte  Thatsache  ent- 
gegen, dass  eine  künstliche  Pupille  oft  das  Gesicht  wieder  herstellt,  wenn  nach  Iritis  mit 
der  heftigsten  Lichtscheu  die  Pupille  durch  Exsudat  verschlossen  ist. 

10.  Hyperämie  und  Ödem  benachbarter  Gebilde,  der  Conjunctiva 
Tbulbi,  der  Cornea,  der  Augenlider. 

Bei  acut  und  heftig  auftretenden  Fällen  selbst  einfacher  Iritis  kann  es  geschehen, 
dass  nicht  nur  die  Conjunctiva  bulbi  von  zahlreichen  Gefässen  durchzogen  und  durch 
Serumerguss  geschwellt,  sondern  auch  die  Cornea  matt,  glanzlos,  ödematös  wird;  Röthe 
und  Schwellung  des  obern  Augenlides  (längs  des  Randes)  deuten  immer  auf  einen  hohen 
Grad  einer  acut  verlaufenden  Iritis. 

11.  Fieber,  gastrische  Erscheinungen.  Die  Iritis  gehört  unter  jene 
Augenentzündungen,  welche  an  und  für  sich,  durch  ihre  Heftigkeit 
allein,  den  Gesammtorganismus  in  Mitleidenschaft  ziehen  können,  offen- 
bar mittelst  des  Ciliarnervensystemes ,  so  wie  es  eine  bekannte  Sache 
ist,  dass  selbst  leichtere  Verletzungen  der  Ciliarnerven  Brechneigung 
und  wirkliches  Erbrechen  zu  erregen  pflegen. 

Dem  gegenüber  muss  aber,  um  kein  irriges  Bild  von  der  Iritis  zu  entwerfen, 
auch  bemerkt  werden,  dass  es  Fälle  gibt,  wo  Kranke,  namentlich  solche,  die  ihre  Augen 
nicht  zu  besonders  feinen  Arbeiten  verwenden,  auf  dem  einen  Auge  allmälig  durch 
Iritis  erblinden,  und  erst  durch  irgend  einen  Zufall  auf  diesen  Verlust  aufmerksam  ge- 
macht werden.  So  gering  können  die  Zufälle  sein,  welche  den  exsudativen  Process  in 
der  Lis  begleiten. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Die  Symptome,  welche  der  Iritis  zu- 
kommen, variiren  in  den  verschiedenen  Fällen  sowohl  in  Bezug  auf 
den  jeweiligen  Complex,  als  in  Bezug  auf  ihre  Reihenfolge  mehr,   als 


40  Regenbogenhaut. 

vielleicht  bei  irgend  einer  andern  Augenentzündung.  Nur  selten  wird 
man  die  meisten  oder  alle  genannten  Symptome  wahrnehmen;  in  der 
Regel  muss  die  Diagnosis  auf  das  Vorhandensein  mehrerer,  und  auf  die 
Unmöglichkeit,  deren  Gegenwart  anderweitig  zu  erklären,  gestützt  werden. 

a.  In  einer  Reihe  von  Fällen,  die  man  als  acute  bezeichnen  kann, 
kündigt  sich  der  Ausbruch  der  Entzündung  dem  Kranken  durch  ein 
Gefühl  von  Druck  oder  Völle  im  Augapfel,  alsbald  auch  durch  mehr 
weniger  heftige  Schmerzen  nach  dem  Verlaufe  des  N.  supra-  oder  in- 
fraorbitalis,  durch  Lichtscheu,  Tbränenfluss  und  Trübung  des  Gesichtes 
an.  Untersucht  man  das  Auge,  so  findet  man  die  vordem  Ciliararterien 
stärker  injicirt,  gewöhnlich  einen  rosenrothen  Saum  um  die  Cornea 
bildend,  die  Pupille  von  mittlerer  Grösse  oder  enger,  die  Iris  minder 
beweglich  (langsamer  und  kleinere  Excursionen  machend),  mehr  weni- 
ger verfärbt  (besonders  im  kleinen  Kreise  dunkler),  minder  glänzend 
(matt).  Bald  früher,  bald  später  sieht  man  die  Iris  (im  kleinen  Kreise) 
gelockert  und  geschwellt,  den  Pupillarrand  minder  scharf,  die  Pupille 
minder  schwarz  (wegen  Trübung  des  Humor  aqueus  oder  wiegen  Exsu- 
daten im  Bereiche  der  Pupille).  —  Bisweilen  sind  heftige  Schmerzen 
in  der  Stirn  (wohl  auch  im  Hinterhaupte)  und  Übligkeiten  oder  Er- 
brechen die  ersten  Zufälle,  welche  Iritis  ankündigen. 

b.  In  einer  andern  Reihe  von  Fällen  besteht  durch  einige  Zeit  (oft 
viele  Tage)  stärkere  Injection  der  Ciliararterien  oder  zonenförmige 
Röthe  auf  dem  vordem  Umfange  der  Sclera,  gesteigerte  Empfindlich- 
keit des  Auges  gegen  Licht  und  Anstrengung,  und  vermehrte  Thränen- 
absonderung;  erst  allmälig  gesellen  sich  Trübung  des  Gesichtes,  dann 
leichtere,  endlich  heftigere  Schmerzen,  letztere  oft  paroxysmenweise,  und 
Zeichen  von  Exsudation  im  Humor  aqueus,  in  der  Pupille  oder  in  der 
Iris  hinzu.  Solche  Fälle  sind  häufig  für  Scleritis  gehalten  wrorden,  zu 
welcher,  wie  man  meinte,  erst  später  Iritis  hinzutrete.  Bei  minder  stür- 
mischem Auftreten  kann  es  vorkommen,  dass  man  die  Iris  wenig  oder 
gar  nicht  verfärbt,  die  Beweglichkeit  ringsum  oder  bis  auf  eine  und 
die  andere  Stelle  ungestört,  die  Pupille  unverengert  oder  selbst  erwei- 
tert, und  dennoch  bereits  Exsudat  an  der  hintern  Wand  der  Hornhaut, 
an  einer  und  der  andern  Stelle  des  Pupillarrandes ,  oder  in  der  Sub- 
stanz der  Iris  selbst  (in  Form  eines  gelblichen  Hügels  oder  Knotens; 
findet. 

c  In  andern  Fällen  endlich,  grösstenteils  als  Iritis  chronica  be- 
schrieben, ist  Exsudation  und  dadurch  bedingte  Störung  des  Sehver- 
mögens das  erste  Symptom,  welches  die  Gegenwart  von  Iritis  andeutet 
Einige  graue  Punkte  an  der  hintern  Wand  der  Cornea,  oder  eine  viel- 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Verlauf  —  Ausgänge.  41 

leicht  nur  partielle  Anschwellung  und  Verfärbung  der  Iris  und  ein  oder 
mehrere  vorspringende  Winkel,  welche  der  Pupillarrand  bei  gewöhnlichem 
Stande  oder  bei  (kunstlicher)  Erweiterung  der  Pupille  bildet,  oder  aber 
eine  spinnwebenartig  in  der  Pupille  ausgebreitete  Membran,  dabei  etwas 
stärkere  Injection  der  vordem  Ciliararterien  (und  Venen)  und  grössere 
Empfindlichkeit  gegen  helleres  Licht  und  Anstrengung  der  Augen  — 
welche  letzteren  Symptome  oft  erst  im  Momente  genauerer  Unter- 
suchung des  Auges  deutlich  hervortreten :  diess  kann  die  Summe  der 
Erscheinungen  sein,  welche  dem  Arzte  die  Anwesenheit  der  Iritis  ver- 
rathen.  Solche  Fälle  sind  daher  auch  als  Iritis  occulta  beschrieben 
worden.  Der  minder  aufmerksame,  und  selbst  der  minder  geübte  Beob- 
achter kann  leicht  ein  Leiden  der  Netzhaut  —  Amblyopie  —  vor  sich 
zu  haben  vermeinen. 

Die  Iritis,  sie  mag  wie  immer  auftreten,  bedroht  das  Sehvermögen 
einmal  durch  die  Exsudate,  welche  sofort  das  freie  Eindringen  der  Licht- 
strahlen bis  zur  Krystalllinse  mehr  weniger  behindern,  noch  ärger  aber 
durch  Veränderungen  der  Chorioidea  und  Netzhaut,  in  gewissen  Fällen 
auch  der  Hornhaut,  welche  die  Sehkraft  absolut  vernichten. 

1.  Die  häufigste  Folge  von  Iritis  sind  einzelne  hintere  Synechien. 
Der  Pupillarrand  wird  durch  plastisches  Exsudat  an  einer  oder  an  meh- 
reren Stellen  an  die  Linsenkapsel  angelöthet,  und  zwar  für  immer  oder 
für  unbestimmt  lange  Zeit.  Solche  Verklebungen  entstehen  gewöhnlich 
schon  in  einer  sehr  frühen  Periode  des  Iritis,  und  geben  sich  durch 
vorspringende  Winkel  des  Pupillarrandes  kund.  Sie  sind  entweder  grau 
oder  durch  Pigment  gedeckt.  Sie  kommen  bald  ringsherum,  bald  nur 
an  einer  und  der  andern  Stelle  vor,  in  letzterem  Falle  bei  weitem  häu- 
figer in  der  untern  als  in  der  obern  Hälfte  des  Pupillarrandes.  Wenn 
die  Pupille  zur  Zeit,  wo  man  das  Auge  betrachtet,  ebenso  eng  ist,  als 
zur  Zeit  ihrer  Entstehung,  so  können  sie  der  Beobachtung  leicht  ent- 
gehen. Ihre  Gegenwart  lässt  sich,  falls  die  Beweglichkeit  der  Iris  nicht 
gänzlich  aufgehoben  ist  (bei  sehr  heftiger  Entzündung),  durch  Beschat- 
tung der  Augen,  noch  besser  durch  Einträufeln  von  Belladonna  erkenn- 
bar machen.  —  Sie  beeinträchtigen  die  Function  des  Sehens  um  so 
mehr,  je  weiter  sie  gegen  das  Centrum  der  Kapsel  vorragen,  und  je 
mehr  sie  die  Bewegung  der  Iris  hindern.  Diese  Störung  des  Gesichtes, 
-welche  sich  am  meisten  bei  rascheren  Übergängen  zwischen  Licht  und 
Schatten,  und  unter  Verhältnissen,  die  eine  genauere  Accommodation  des 
Auges  erfordern,  fühlbar  macht,  ist  besonders  in  der  ersten  Zeit  lästig; 
nach  und  nach  vermindert  sie  sich,  und  es  können  Kranke,  welche  auf 
einem   oder  auf  beiden  Augen  beträchtliche  Synechien  darbieten,    sich 


42  Regenbogenhaut. 

eines  nahezu  normalen  Gesichtes  erfreuen.  Manche  Synechien  verlieren 
sich  mit  der  Zeit  spurlos;  andere  hinterlassen  graue  oder  braune  Punkte 
auf  der  Kapsel;  die  meisten  sind  bleibend.  —  Ob  die  Kunst  etwas  ver- 
möge, Synechien  schwinden  zu  machen,  lässt  sich  bis  jetzt  weder  be- 
jahen noch  verneinen.  Ich  habe  in  mehreren  Fällen  solche  Augen  durch 
Einstreichen  von  rothem  Präcipitat  (in  Salbenform)  stark  gereizt  (hin- 
reichend lange  nach  erloschenem  Exsudationsprocesse),  und  dann  in 
Zwischenräumen  von  3  —  5  Tagen  Belladonna  (3  —  4  Gran  Extr.  auf 
\  Drachme  Wasser)  eingeträufelt,  konnte  mich  aber  von  der  Nützlich- 
keit dieses  mehrseitig  empfohlenen  Verfahrens  bisher  noch  nicht  ge- 
nügend überzeugen.  In  physiologischer  Beziehung  interessant  ist  die 
Thatsache,  dass  der  Pupillarrand  überall,  wo  er  frei  ist,  gegen  die  Peri- 
pherie zurückweicht.  Darf  man  annehmen,  dass  die  Belladonna  den 
Sphincter  pupillae  erschlafft,  dann  kann  dieses  Phänomen  wohl  nur  da- 
durch entstehen,  dass  durch  diese  Erschlaffung  die  Kadialfasern  ihres 
Antagonisten  entledigt  werden,  und  nun  sich  frei  contrahiren  können. 
Dann  hat  aber  auch  die  wiederholte  künstliche  Erweiterung  der  Pupille 
behufs  der  Tilgung  hinterer  Synechien  einen  Grund  a  priori  für  sich. 

In  chronisch  verlaufenden  Fällen  von  Iritis  bildet  sich  ein  Zustand 
aus,  den  man  als  ringförmige  hintere  Synechie  bezeichnen  kann.  Der 
Pupillarrand  wird  mittelst  eines  bald  mehr  bald  weniger  breiten  Saumes 
von  Exsudat  fixirt,  Dieser  Saum  ist  lichtgrau  oder  braun,  nimmt  die 
Hälfte,  zwei  Drittel  oder  den  ganzen  Eand  der  Pupille  ein,  und  heftet 
die  Iris  bleibend  an  die  Kapsel.  Seine  Lage  zum  Pupiilarrande  ist  oft 
eine  solche,  dass  es  aussieht,  als  wäre  dieser  Saum  von  der  hintern 
Augenkammer  aus  zwischen  Iris  und  Kapsel  vorgeschoben  worden. 
Gegen  das  Centrum  der  Pupille  hin  verliert  sich  dieser  Saum  allmälig, 
indem  er  dünner  und  dünner  wird;  die  Pupille  selbst  ist  dann  nur  in 
ihrer  innersten  Mitte  frei  von  Exsudat. 

2.  In  andern  Fällen  wird  die  Pupille  ganz  oder  Iheilweise  gesperrt 
durch  eine  bald  dünnere,  bald  dickere,  membranartig  in  derselben  aus- 
gespannte Exsudatschichte.  Ganz  dünne  Membranen  haben  mit  einem 
Spinnengewebe  grosse  Ähnlichkeit,  nicht  nur  in  Bezug  auf  den  eigen- 
thümlichen  Glanz  und  auf  den  Grad  der  Durchsichtigkeit,  sondern  auch 
in  Bezug  auf  die  Anheftung  an  den  Pupillarrand.  Der  Eand  einer  sol- 
chen Membran  ist  meistens  an  einzelnen  Stellen  frei,  nur  durch  isolirte 
Zacken  an  die  Iris  angeheftet.  Indem  die  dadurch  entstehenden  Lücken 
völlig  schwarz  erscheinen,  machen  sie  die  Gegenwart  der  Membran 
selbst  leicht  erkennbar.  Dickere  Membranen  fallen  sogleich  durch  ihre 
Undurchsichtigkeit  auf.    Auch  sie  stehen  —  nach  längerem  Bestände  — 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Verlauf  —  Ausgänge.  43 

oft  nur  durch  einzelne  Zacken  mit  der  Iris  in  Verbindung.  Es  kom- 
men Fälle  vor,  wo  das  Exsudat  die  Form  eines  Sternes,  oder  eines 
Kreuzes  darbietet.  Totale  Pupillensperre  durch  unmittelbare  Berührung 
(Verwachsung)  des  Pupillarrandes  dürfte  wohl  unter  die  grössten  Sel- 
tenheiten gehören.  Immer,  die  Pupille  mochte  noch  so  stark  verengert 
sein,  konnte  ich  das  dieselbe  verschliessende  Exsudat  als  einen  licht- 
grauen  oder  gelblichen  Pfropf  in  derselben  wahrnehmen.  —  Je  dünner 
die  Exsudatschichte,  oder  je  grösser  einzelne  Lücken  zwischen  ihr  und 
der  Iris,  desto  weniger  bedeutend  ist  die  Störung  des  Sehvermögens. 
Es  gibt  Kranke,  welche  durch  eine  sehr  enge  Öffnung  (wie  ein  Nadel- 
stich) für  die  Nähe  und  Ferne  noch  ein  auffallend  scharfes  Gesicht  be- 
sitzen. —  Derlei  Exsudate  in  der  Pupille  verschwinden  niemals,  wohl 
aber  können  sie  dünner  werden,  und  an  einer  oder  der  andern  Stelle 
sich  von  der  Iris  loslösen.  Dass  ein  Exsudat,  welches  die  Mitte  der 
Pupille  einnimmt,  jemals  ringsum  frei  geworden  wäre,  und  somit  einen 
ähnlichen  Befund,  wie  bei  Catar.  capsul.  centralis  dargestellt  hätte 
(vergl.  I.  B.  S.  233),  habe  ich  niemals  beobachtet.  Es  ist  diess  auch 
sehr  unwahrscheinlich.  —  Ich  habe  mehrere  Augen  mit  solchen  Membra- 
nen in  der  Pupille  secirt,  und  gefunden,  dass  sich  die  Iris  sammt  der 
Membran  sehr  leicht  von  der  Kapsel  abheben  Hess.  Die  Kapsel  war 
darunter  vollkommen  glatt  und  durchsichtig.  In  andern  Fällen  ist  die 
Anlöthung  des  Exsudates  an  die  Kapsel  eine  feste.  In  seltenen  Fällen 
entwickeln  sich  Gefässchen  (vom  Pupillarrande  aus)  in  dickeren  Exsu- 
daten. Zwischen  der  Kapsel  und  diesen  Exsudaten  selbst  besteht  wohl 
selten  eine  eigentliche  organische  Verbindung.  —  Der  Kunst  bleibt  in 
Fällen,  wo  den  Lichtstrahlen  der  Durchgang  zum  Innern  des  Auges 
durch  solche  Exsudate  verwehrt  ist,  nur  noch  ein  operatives  Eingreifen 
übrig,  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pupille,  wovon  im  nächsten  Ab- 
schnitte die  Rede  sein  wird. 

Wenn,  wie  nicht  selten  geschieht,  in  derart  veränderten  Augen  Trübung  der  Linse 
hinzutritt,  so  entsteht  das,  was  man  Cataracta  accreta  genannt  hat.  Die  Exsudate  in  der 
Pupille  selbst,  bei  ungestörter  Durchsichtigkeit  der  Kapsel  und  der  Linse,  hat  man  in  frü- 
herer Zeit  als  Cataracta  spuria,  lvmphatica  u.  dgl.  bezeichnet.  Letztere  Benennung  ist 
heut  zu  Tage  ziemlich  allgemein  —  und  mit  Recht  —  ausser  Gebrauch  gekommen. 

3.  "Wenn  bei  Iritis  sehr  viel  faserstoffiges  Exsudat  in  den  Humor 
aqueus  ausgeschieden  wird,  so  setzt  sich  dasselbe  zu  Boden,  und  stellt 
das  sogenannte  Hypopyum  dar.  Man  sieht  eine  gelbliche  Materie  zwi- 
schen Cornea  und  Iris  in  dem  untersten  Theile  der  Augenkammer  ange- 
sammelt; ihre  obere  Fläche  erscheint  concav,  mit  zwei  Hörnern  wie  ein 
Halbmond,   wenn  nur  wenig  Exsudat  sich  zu  Boden  gesetzt  hat,    oder 


44  Regenbogenhaut. 

eben,  wenn  die  Flüssigkeit  ein  Drittel  oder  die  Hälfte  der  Augenkam- 
mer ausfüllt,  oder  uneben  und  höckerig,  wenn  das  Exsudat  sehr  con- 
sistent  und  mehr  zu  einem  Klumpen  geronnen  ist.  Von  der  Menge  und 
von  der  Consistenz  des  Exsudates  hängt  es  auch  ab,  ob  dasselbe  seinen 
Ort  mit  der  Lage  des  Kranken  verändert  oder  nicht.  Ich  habe  noch 
keinen  Fall  gesehen,  wo  das  Exsudat  den  Humor  aqueus  ganz  ver- 
drängt hätte.  In  dem  ärgsten  Falle  war  noch  */»  desselben  vorhanden. 
—  Ob  das  Exsudat  eitrig  sei  oder  nicht,  lässt  sich  selten  mit  Gewiss- 
heit bestimmen.  Man  darf  diese  Beschaffenheit  voraussetzen,  wenn 
gleichzeitig  Keratitis  mit  Abscess-  oder  Geschwürsbildung,  oder  Chorioi- 
ditis mit  eitrigem  Exsudate  (s.  Krankheiten  der  Chorioidea)  vorhanden 
ist.  Alsdann  steht  Verschwärung  und  Durchbruch  der  Cornea  mit  deren 
weiteren  Folgen  zu  befurchten.  Ausserdem  werden  solche  Exsudate, 
sofern  sie  nicht  künstlich  (durch  die  Punctio  corneae)  entleert  werden 
müssen  —  vgl.  I.  Bd.  S.  197  —  allmälig  resorbirt.  In  den  meisten  die- 
ser Fälle  bleibt  dann  eine  mehr  weniger  dicke  Exsudatmembran  in  der 
Pupille  zurück.  ■ —  Ausserdem  können  solche  Exsudate  auch  zur  Ver- 
klebung des  peripherischen  Theiles  der  Cornea  und  Iris  führen,  worauf 
wir  später  noch  zurückkommen. 

Beer*)  und  nach  ihm  Viele  haben  die  Behauptung  aufgestellt,  dass  heftige  Iritis  zur 
totalen  Verwachsung  der  Iris  und  Cornea  und  sofort  zur  Entstehung  von  Hornhautstaphylom 
führen  könne.  Diese  Ansicht  muss  dahin  berichtigt  werden,  dass  Iritis  nur  dann  zur 
Staphylombildung  Anlass  geben  kann,  wenn  sie  dxirch  eitriges  Exsudat  Verschwärung  und 
Durchbohrung  der  Cornea  gesetzt  hat.  Durch  das  bei  Iritis  gelieferte  Exsudat  können 
Iris  und  Cornea  wohl  in  grosser  Ausdehnung  mit  einander  verklebt  werden;  eine  eigent- 
liche Verwachsung  findet  aber  niemals  statt,  und  noch  weniger  eine  Hervorlreibung  beider 
Gebilde  zusammen.  Auch  die  Combination  von  Iritis  und  Keratitis  führt  niemals  zur 
Staphylombildung,  ausser  wenn  die  Cornea  (durchaus  oder  in  einer  grössern  Partiel  durch 
Eiterung  bis  zum  Durchbruche  zerstört  worden  ist. 

Man  spricht  ferner  seit  Beer  fast  allgemein  von  Eiteransammlung  in  der  vordem 
Augenkammer  als  Folge  von  Abscessen  in  der' Iris.  Ich  war  bisher  auch  bei  den  heftigsten 
Fällen  von  Iritis  nicht  im  Stande,  jene  gelben  Hügel  in  der  Iris  aufzufinden,  welche  bersten 
und  Eiter  in  die  Augcnkammer  ergiessen  sollen ,  und  eben  so  wenig  konnte  ich  jemals 
ein  Geschwür   oder  gar    eine  Durchlöcherung    der  Iris  durch  ein  Geschwür  wahrnehmen. 

4.  Punktförmige  Trübinuj  der  hintern  Flüche  der  Cornea  ist  eine 
Erscheinung,  welche  sehr  häufig  längere  Zeit  nach  Iritis  zurückbleibt. 
Es  gibt  Fälle  von  Iritis,  wo  diese  Erscheinung  schon  während  der  Iritis 
selbst  in  den  Vordergrund  der  Symptome  tritt,  während  sie  in  andern 
Fällen  gänzlich  fehlt,  oder  eine  sehr  untergeordnete  Rolle  spielt.  Man 
sieht  mehr  weniger  zahlreiche  lichtgraue  oder  graubraune  (schwärzliche) 
Punkte  oder  Flecke,  deren  Sitz  bei  genauerer  Betrachtung  auf  die  hiu- 

*)  Lehre  von  dun  Augenkrankheiten,  Wien  1813,  I.  B.  S.  438. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Verlauf  —  Ausgänge.  45 

tere  Wand  der  Cornea  bezogen  werden  muss.  Bisweilen  löst  sich  eine 
scheinbar  gleichmässige  Trübung  der  Hornhaut  erst  unter  der  Loupe  in 
solche  Punkte  auf.  Die  Loupe  ist  auch  im  Allgemeinen  das  beste  Mit- 
tel, die  Entfernung  dieser  Exsudate  von  der  vordem  Fläche  der  Horn- 
haut zu  beurtheilen.  Mit  freiem  Auge  entdeckt  man  sie  am  ehesten, 
wenn  man  das  Auge  so  stellen  lässt,  dass  die  Pupille  (als  schwarzer 
Hintergrund]  hinter  dieselben  zu  stehen  kommt.  Braune  Punkte  wer- 
den an  Augen  mit  blauer  oder  grauer  Iris  dieser  gegenüber  besser 
sichtbar.  —  Sie  verursachen,  wenn  sie  der  Pupille  gerade  gegenüber 
sitzen,  mehr  weniger  Störung  des  Gesichtes;  allmälig  jedoch  verschwin- 
den sie,  ohne  einen  bleibenden  Nachtheil  zu  hinterlassen,  von  selbst.  — 
In  Fällen  frischer  Präzipitation  erscheint  bisweilen  die  Cornea  darüber 
leicht  getrübt  und  gelockert,  wie  mit  feinen  Nadeln  gestichelt  (Ödem 
der  Cornea),  ein  Zustand,  welcher  von  Entzündung  der  Cornea,  Infiltra- 
tion derselben  mit  Exsudat  selbst,  wohl  unterschieden  werden  muss. 

Da  bei  manchen  Formen  von  Iritis  die  übrigen  Zufälle  der  Entzündung  sehr  gering- 
fügig sein  können,  da  namentlich  Verengerung  und  Verzogensein  der  Pupille  fehlen  können, 
so  wurde  in  solchen  Fällen  von  vielen  Beobachtern  die  Affection  der  Iris  übersehen  oder 
als  Nebensache  betrachtet,  und  die  Quelle  dieser  Exsudate  in  Entzündung  der  Desceniet- 
schen  Haut  gesucht.  Von  der  Irrthümlichkeit  dieser  Anschauungsweise  überzeugt,  nehmen 
wir  keinen  Anstand  jene  Fälle,  welche  seit  Wardrop  als  Hydromeningitis  (Jüngken),  Hy- 
datoditis  {Fischer) ,  Aquocapsulitis  (Malcenzie) ,  Keratoiritis  (Rosas) ,  Keratite  pointille'e 
(Desmarres)  u.  dgl.  beschrieben  worden  sind,  als  Iritis  anzusprechen. 

Niemals  treten  solche  Punkte  an  der  hintern  Wand  der  Hornhaut  auf,  ohne  dass 
Zeichen  von  Iritis  vorhanden  sind.  Diese  Punkte  erscheinen  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
nur  an  der  untern  Hälfte  der  Cornea,  und  wenn  ja  an  der  obern  Hälfte  welche  vorkom- 
men, so  sind  diese  kleiner  und  spärlicher,  als  in  der  untern.  Warum  sollte  die  Desce- 
metsehe  Haut,  wenn  sie  sich  überhaupt  jemals  entzündet  (?),  gerade  nur  immer  in  der  untern 
Hälfte  (mehr)  Exsudat  liefern  ?  —  Der  schlagendste  Beweis  aber  ist  der,  dass  man  bisweilen 
Gelegenheit  bekommt,  einzelne  Exsudatflocken  oder  Punkte  vor  der  Präcipitation  im  Kam- 
merwasser hin  und  her  schweben  zu  sehen.  Ich  habe  ferner  zwei  Fälle  beobachtet,  wo 
solche  Exsudate ,  nachdem  der  Kranke  während  der  Iritis  beständig  auf  der  Einen  Seite 
im  Bette  gelegen  war ,  in  der  entsprechenden  Seitengegend  der  Cornea ,  und  nicht,  wie 
gewöhnlich,  in  der  untern  Hälfte  derselben  abgelagert  waren.  —  Die  zu  Klümpchen  ge- 
ronnenen Exsudate  folgen  denselben  Gesetzen  (der  Schwere  und  Trägheit),  welchen  z.  B. 
frisch  geronnener  Käse  folgt,  wenn  man  Flocken  davon  in  eine  mit  Wasser  gefüllte  Flasche 
gibt ,  diese  verstopft ,  und  dann  rasch  hin  und  her  bewegt.  Daher  kann  man  bisweilen 
schon  aus  der  Form  und  aus  der  Anordnung  dieser  Trübungen  erkennen,  dass  sie  an  die 
hintere  Hornhautwand  gleichsam  angeschwemmt  sind,  wie  Sand  am  Ufer.  Die  vorwalten- 
den Bewegungen  des  Bulbus  sind  die  von  oben  nach  unten,  und  umgekehrt.  Daher  sieht 
man  auch  bisweilen  ganz  deutlich,  dass  in  den  Fluctuationen,  von  welchen  die  Exsudat- 
moleküle vor  ihrer  Präcipitation  bewegt  wurden,  diese  Richtung  vorwaltete,  und  die  mei- 
sten oder  sämmtliche  Präcipitate  haben  Anhängsel,  die  alle  nach  Einer  Richtung  hin  sich 
allmälig   verlieren.     Ein    andermal    sind   um  einen    Kernpunkt  Exsudate  angelagert,   wie 


46  Regenbogenhaut. 

ein  Hof  um  eine  Kerzenflamme.  Dass  dem  Auftreten  dieser  Punkte  allgemeine  Trübung 
des  Kammerwassers  (scheinbar  der  Hornhautfläche)  vorhergeht,  hat  man  oft  genug  Ge- 
legenheit zu  beobachten.  —  In  einigen  Fällen  habe  ich  ganz  dieselben  Punkte  zugleich 
auf  der  vordem  Fläche  der  Linsenkapsel  wahrgenommen.  —  Wenn  Wardrop  versichert, 
durch  die  Entleerung  des  Kammerwassers  (Paracentesis  corneae)  in  frischen  Fällen  die 
Durchsichtigkeit  der  vordem  Kammer  augenblicklich  wieder  hergestellt  zu  haben,  so  kann 
er  offenbar  nur  Fälle  vor  sich  gehabt  haben,  wo  die  Exsudate  noch  im  Humor  aqueus 
suspendirt  oder  lose  an  die  Cornea  angelegt  waren. 

5.  Nach  chronischer  Iritis  mit  Ausscheidung  von  Exsudat  in  das 
Kamnierwasser  und  in  die  Pupille  als  vorwaltender  Erscheinung  tritt 
sehr  oft  Anlötkurig  der  Iris  an  die  Cornea  ein,  und  zwar  von  der  Peri- 
pherie her,  stellenweise  oder  ringsherum.  Wenn  in  solchen  Fällen  zu- 
gleich der  Pupillarrand  ringsum  oder  theilweise  an  die  Kapsel  fixirt 
ist,  so  erhält  der  mittlere  (zwischen  Ciliar-  und  Pupillarrand  gelegene) 
Theil  der  Iris  ein  eigenthümlich  buckliges  Aussehen,  ähnlich  einer 
Kugelhupfform  oder  einem  feuerspeienden  Berge  mit  vertieftem  Krater. 
Die  Ursache  dieser  Form-  und  Lageveränderung  der  Iris  liegt  theils  in 
jener  Anlöthung  an  die  Cornea,  theils  in  der  Fixirung  des  Pupillarran- 
des;  dass  auch  Exsudat  (flüssiges  oder  festes)  hinter  der  Iris  sich  an 
diesem  Effecte  betheiligen  könne,  ist  durch  Sectionen  erwiesen.  Nie- 
mals aber  liegt  diesem  Zustande  eine  Anschwellung  oder  Verdickung 
der  Iris  selbst  zu  Grunde,  und  die  von  Amnion  eingeführte  Bezeich- 
nung Iridauxesis  ist  daher  eine  irrige;  denn  die  Iris  ist  in  solchen 
Fällen  jederzeit  verdünnt,  und  wird  allmalig  atrophisch.  Sie  zeigt  im 
Allgemeinen  eine  licht  schiefergraue  Färbung  und  stellenweise,  wo  ihre 
Fasern  aus  einander  weichen,  dunklere  Flecke  oder  Streifen.  Das  die 
Iris  und  Cornea  verklebende  Exsudat  ist  bisweilen  so  dünn,  dass  man 
es,  wenigstens  in  späterer  Zeit,  nicht  mehr  als  das  bindende  Mittel 
wahrnehmen  kann.  —  Dieser  Zustand  ist  in  der  Regel  bleibend,  und 
kommt  sehr  häutig  mit  einem  der  beiden  folgenden  Zustände  vor. 

6.  Wenn  die  entzündliche  Affection  der  Iris  sehr  lange  fortbesteht, 
oder  mit  scheinbaren  oder  wirklichen  Intervallen  öfters  und  durch  län- 
gere Zeit  wiederkehrt,  so  geschieht  es,  dass  der  vorderste  Theil  der 
Sclera  erweicht  und  ausgedehnt  wird  und  bläuliche  Hügel  oder  Wülste 
unmittelbar  an  der  Basis  corneae  bildet.  Die  Sclera  wird  durch  den 
in  überflüssiger  Menge  ausgeschiedenen  Humor  aqueus  ausgedehnt  und 
hervorgetrieben  (Staphyloma  sclerae  anticum).  Dabei  kann  das  Sehver- 
mögen gänzlich  aufgehoben  sein  (durch  den  Druck  nach  rückwärts), 
oder  auch  den  mechanischen  Hindernissen  (Exsudaten  in  der  Pupille) 
entsprechend  sich  verhalten.  In  wie  fern  das  Corpus  ciliare  an  der 
Zustandebringung  dieser  Veränderung    des  Bulbus  Theil  nehme,    lässt 


Entzündung;  im  Allgemeinen  —  Vorkommen  —  Ursaehen.  47 


c9     na    "»o 


sich  nicht  bestimmen;  so  viel  aber  ist  gewiss,  dass  in  manchen  Fällen 
die  vorderste  Partie  der  Sclera  selbst  von  Exsudat  durchtränkt  und  so- 
fort in  ihrem  Gewebe  verändert  werde.  (Vergl.  Krankh.  der  Sclera, 
S.  11—15.) 

7.  Durch  Hinzutreten  von  Chorioiditis  kann  die  Iritis  zu  gänzlicher 
und  unheilbarer  Blindheit  führen.  Dieser  traurige  Ausgang  kann  bei 
acut  verlaufender  Iritis  unter  Steigerung  sämmtlicher  Zufälle  eintreten; 
er  wird  aber  bei  weitem  häufiger  nach  chronischer  Iritis  beobachtet, 
wo  er  sich  ganz  allmälig  und  unvermerkt  entwickelt.  Eine  klare  Dar- 
stellung dieses  Zustandes  kann  erst  in  dem  Buche  über  die  Krankhei- 
ten der  Chorioidea  gegeben  werden.  Hier  sei  vorläufig  nur  bemerkt, 
dass,  wenn  Chorioiditis  zu  chronischer  Iritis  hinzugetreten  ist,  der  Bul- 
bus allmälig  entweder  verkleinert  oder  vergrössert  wird.  In  ersterem 
Falle  verliert  der  Bulbus  an  Consistenz,  wird  weicher,  teigig  anzufüh- 
len, endlich  viereckig,  in  der  Gegend  der  Musculi  recti  eingedrückt, 
atrophisch;  in  letzterem  Falle  entstehen,  unter  vermehrter  Consistenz 
des  Bulbus,  jenseits  des  Corpus  ciliare  bläuliche  Hügel  oder  Hervor- 
treibungen  der  Sclera  (Staphyloma  sclerae  laterale). 

Die  Thatsaehen ,  dass  nach,  chronischer  Iritis  nicht  selten  Atrophie  des  Bulbus,  in 
andern  Fällen  dagegen  Vergrösserung  mit  theilweiser  Ausdehnung  der  Sclera  folgt,  dass 
sehr  oft,  auch  wenn  die  Form  des  Bulbus  nicht  verändert  ist,  dennoch  die  Sehkraft  ver- 
nichtet erscheint,  und  zwar  durch  Lähmung  der  Netzhaut,  und  dass  an  Augen,  welche 
durch  chronische  Iritis  bis  auf  mehr  weniger  deutliche  Lichtempfindung  erblindet  sind, 
auch  ganz  gut  gelungene  künstliche  Pupillen  nichts  nützen,  diese  Thatsaehen  Hessen  wohl 
ein  Erkranken  der  tiefern  Gebilde  des  Bulbus  (Chorioidea,  Retina,  Glaskörper)  errathen, 
und  eine  allmälige  Ertödtung  der  Netzhaut  bestimmt  voraussetzen ;  dass  jedoch  die  Cho- 
rioidea das  Gebilde  sei,  von  welchem  aus  jene  Erscheinungen  eingeleitet  werden,  ist  — 
mir  wenigstens  —  erst  in  letzterer  Zeit  aus  einigen  Sectionen  klar  geworden.  Der  Sym- 
ptomencomplex,  welcher  seit  Beer  unter  der  Aufschrift:  Ophthalmia  interna  (communis) 
beschrieben  wurde  ,  darf  fernerhin  wohl  mit  Becht  auf  die  Combination  von  Chorioiditis 
mit  Iritis  bezogen  werden.  Bei  der  Lehre  von  den  Krankheiten  der  Chorioidea  werden 
anatomische  Befunde  solcher  Augen  beschrieben  werden. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Die  Iritis  kommt  am  häufigsten  im 
Jünglings-  und  Mannesalter  vor,  selten  im  Greisen-  und  Knabenalter. 
Vor  das  6.  Lebensjahr  fällt  unter  100  Fällen  von  Iritis  kaum  einer,  es 
müsste  denn  durch  einen  traumatischen  Eingriff  oder  consecutiv  bei 
Hornhautgeschwüren  Iritis  entstanden  sein.  Das  Geschlecht  macht  — 
nach  meinen  Zählungen  —  keinen  erheblichen  Unterschied.  Dunkle 
Farbe  der  Begenbogenhaut  scheint  dem  Entstehen  von  Iritis  günstiger 
zu  sein,  als  lichte.  Das  linke  Auge  wird  häufiger  ergriffen,  als  das 
rechte,  und  wenn  —  wie  gewöhnlich  bei  schleichendem  Verlaufe  — 
beide  Augen  nach  einander  erkranken,  so  beginnt  der  Process  häufiger 


48 


Regenbogenhattt. 


an  dem  linken  Auge.    Fälle  von  gleichzeitiger  Erkrankung  beider  Augen 
sind  selten. 

Eine  übersichtliehe  Zusammenstellung  sämmtlicher  Fälle  von  Iritis ,  welche  in  den 
Jahren  1847  bis  1851  in  das  hiesige  allgemeine  Krankenhaus  aufgenommen  wurden,  und 
welche  sich,  mit  Ausschluss  der  traumatischen  und  consecutiven  Fälle,  auf  162  belaufen, 
ergibt  folgende  Data. 


Vom  5.- 

-8.  Jahre 

8.- 

-15. 

15.- 

-25. 

25.- 

-45. 

45.- 

-70. 

Mannlich 

"Weiblich 

M.       W. 

M.       W. 

M.       W. 

M.        W. 

acut   chron. 

acut   chron. 

ac,  ehr.  ac.  ehr. 

ac.  ehr. 

ac.  ehr. 

ac.  ehr. 

ac.  ehr. 

ac.  ehr. 

ac.  ehr. 

—         1 

1          1 
2 

1       6 

7 

—       3 
3 

6     13 

12     22 

21     22 

13     13 

8     4 
12 

7     8 

1 

19 

34 

43 

26 

15 

Zahl  der  Männer  82,  der  Weiber  80.  Bloss  auf  dem  linken  Auge  litten  40,  bloss  auf 
dem  rechten  35  ,  auf  beiden  87  Individuen.  Die  Zahl  der  chronischen  Fälle,  und,  was 
hiemit  in  nahem  Zusammenhange  steht,  die  Zahl  beiderseitiger  Iritiden  nach  dieser 
Tabelle  kann  keinen  Massstab  abgeben  für  das  wirkliche  Vorkommen ;  denn  in  die  Augen- 
heilanstalt der  Hauptstadt  kommen  —  aus  leicht  begreiflichen  Gründen  —  viele  bloss  auf 
Einem  Auge  Erblindete  nicht  so  leicht,  als  beiderseits  Erblindete,  und  acute  Fälle  un- 
gleich seltener  als  chronische. 

Dass  traumatische  Eingriffe  an  und  für  sich  hinreichen,  Iritis  zu 
erregen,  ist  durch  zahlreiche  Beobachtungen  erwiesen.  Durch  Versuche 
an  Thieren  hat  Jedermann  Gelegenheit,  sich  davon  zu  überzeugen.  Zu- 
fällige Verletzungen  sind  es  viel  seltener,  welche  die  Iris  allein  in  Ent- 
zündung versetzen,  als  absichtliche  Eingriffe,  namentlich  Staaropera- 
tionen.  (Das  Nähere  hierüber  kann  erst  bei  den  Krankheiten  der  Linse 
angeführt  werden.) 

Dass  Verhüllung  in  mannigfacher  Weise  Iritis  erregt,  ist  gleichfalls 
Thatsache  der  Beobachtung.  Es  wurde  bereits  S.  12  und  13  im  I.  B. 
bemerkt,  dass  katarrhalisch  afficirte  Augen  sehr  leicht  von  Keratitis 
oder  Iritis  befallen  werden,  wenn  Verkältung  durch  scharfen  Wind, 
Zugluft,  kalte  Umschläge,  unzweckmässig  angewendete  Augenwässer 
u.  dgl.  auf  sie  einwirken.  Dasselbe  beobachten  wir  aber  auch  an  früher 
ganz  gesunden  Augen  und  bei  ganz  gesunden  Individuen,  unmittelbar 
nachdem  sie  bei  erhitztem  Körper  sich  der  Zugluft  oder  rascher  Abküh- 
lung des  Kopfes  ausgesetzt  haben.  In  andern  Fällen  ist  ein  länger 
einwirkender  (gewöhnlich  ein  wenig  beachteter)  Luftzug  die  einzige 
Schädlichkeit,  Avelcher  der  Kranke  vor  dem  Entstehen  der  Iritis  ausge- 
setzt war.  —  Wer  in  zahlreichen  Fällen  und  oft  auf  überraschend  über- 
einstimmende Weise  Iritis  nach  derlei  Einflüssen  der  Temperatur  ent- 
stehen sah,  dem  wird  sich  die  Vermuthung,  dass  diese  selbst  die  Ur- 
sache von  Iritis  sein  können,  unwillkürlich  aufdrängen.  Man  kann  ihm 
aber  das   bekannte   „post  hoc:  propter  hoc"   entgegenhalten,   so  lange 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Vorkommen  —  Ursachen.  49 

sein  Schluss  nicht  noch  durch  andere  Gründe  unterstützt  wird.  Nun 
zeigt  aber  die  Beobachtung-  solcher  Fälle  in  Vergleich  mit  anderweitig 
entstandenen  Fällen  von  Litis  unzweideutig  ein  verschiedenes  Verhal- 
ten sowohl  in  der  Reihenfolge  als  auch  in  der  Gruppirung  der  Symptome, 
und  ein  verschiedenes  Verhalten  in  Bezug  auf  die  ärztliche  Behand- 
lung. Sehen  wir  vorläufig  von  den  Symptomen  ab,  von  denen  weiter 
unten  ausführlicher  gesprochen  werden  soll,  so  wird  das  verschiedene 
Verhalten  solcher  Fälle  zur  Therapie  allein  schon  genügen,  darzuthun, 
dass  obiger  Schluss  nicht  bloss  auf  das  ,,post  hoc:  propter  hoc"  gestützt 
sei.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  traumatischer  (durch  Verletzung  allein 
bedingter)  Iritis  ist  nebst  örtlicher  Blutentziehung  die  Anwendung  kal- 
ter Umschläge  das  verlässlichste  Mittel,  nicht  nur  dem  Kranken  Linde- 
rung zu  verschaffen,  sondern  auch  dem  Fortschreiten  des  Exsudations- 
processes  Schranken  zu  setzen.  Bei  rheumatischer  (durch  Verkältung 
überhaupt  bedingter)  Iritis  werden  kalte  Umschläge  nicht  nur  nicht  ver- 
tragen, sondern  sogar  nachtheilig  (durch  Steigerung  der  Entzündung); 
trockene  Wärme  dagegen  wirkt  entschieden  wohlthätig,  und  Schutz  vor 
Temperaturwechsel  ist  hier  vor  Allem  zur  Milderung  des  Übels  not- 
wendig. 

Dass  allgemeine  Syphilis  die  einzig  und  allein  hinreichende  Ur- 
sache von  Iritis  werden  kann,  ist  durch  dieselbe  Schlussweise  nachge- 
wiesen worden.  Es  musste  aufmerksamen  und  unbefangenen  Beobach- 
tern sehr  bald  auffallen,  dass  bei  Leuten,  die  an  Chancre  gelitten,  nicht 
selten  ganz  ohne  örtlich  einwirkende  Schädlichkeit  Iritis  entstand.  Das 
noch  häufigere  gleichzeitige  Vorkommen  von  Iritis  mit  anderweitigen 
Manifestationen  allgemeiner  Syphilis  machte  es  noch  mehr  wahrschein- 
lich, dass  die  Iritis  so  gut  wie  das  Exanthem  oder  das  Halsgeschwür 
u.  dgl.  Ausdruck  des  Allgemeinleidens  sei.  Unterstützt  wurde  dieser 
Schluss  durch  manche  Eigenthümlichkeiten  im  Auftreten  und  Verlaufen 
solcher  Fälle  —  wovon  weiter  unten  die  Rede  sein  wird  —  und  zu 
solcher  Gewissheit,  dass  heutzutage  Niemand  mehr  daran  zweifelt,  er- 
hoben wurde  dieser  Schluss  durch  das  Verhalten  solcher  Fälle  zur  The- 
rapie. Man  überzeugte  sich  nämlich  bald,  dass  solche  Fälle  vor  Allem 
eine  gegen  das  Allgemeinleiden  gerichtete  Behandlung  erfordern. 

Auf  ähnliche  Weise,  wie  die  Syphilis,  verhält  sich  auch  die  Scro- 
fulosis  zur  Iritis.  Bei  Individuen,  welche  in  früherer  Zeit  mehr  weniger 
deutliche  Symptome  dieses  Allgemeinleidens  an  sich  trugen,  und  noch 
mehr  bei  Individuen,  welche  in  späterer  Zeit  noch  an  andern  Gebilden 
des  Körpers  Affectionen  darbieten,  die  zuletzt  nur  auf  Scrofulosis  oder 
Tuberculosis  bezogen  werden  können,  entwickelt  sich  häufig  ohne  direct 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  4 


50  Regenbogenhaut. 

wirkende  äussere  Schädlichkeiten  Iritis,  welche  hartnäckig  fortbesteht, 
scheinbar  erloschen  wieder  auflodert,  über  kurz  oder  lang  auch  das  an- 
dere Auge  ergreift,  und  beide  Augen  mit  gänzlichem  Verluste  des  Seh- 
vermögens bedroht,  sofern  es  nicht  gelingt,  im  Gesammtorganismus 
günstige  Veränderungen  hervorzurufen,  die  Blutmischung,  so  zu  sagen, 
zu  verbessern. 

Eine  auffallend  langsam  und  mit  gelinden  Zufällen  verlaufende, 
meistens  aber  durch  Hinzutreten  von  Chorioiditis  mit  gänzlicher  Ver- 
nichtung der  Sehkraft  endende  Iritis  sehen  wir  auch  bei  sonst  gesun- 
den Individuen  entstehen,  nachdem  sie  durch  deprimirende  Einflüsse, 
anhaltenden  Kummer,  schlechte  und  unzureichende  Nahrung,  schwere 
Krankheiten  (Typhus,  Intermittens,  Missbrauch  von  Mercur)  u.  dgl.  sehr 
herabgekommen  sind.  Das  unvermerkte  Auftreten  auf  dem  einen  und 
über  kurz  oder  lang  auch  auf  dem  andern  Auge,  ohne  dass  irgend  eine 
äussere  Schädlichkeit  oder  eine  bekannte  Dyskrasie  mit  dem  Augen- 
leiden in  ursächliche  Beziehung  gebracht  werden  kann,  und  die  in 
allen  Fällen  deutlich  ausgesprochene  Neigung  zur  Vernichtung  der  Seh- 
kraft nicht  nur  durch  Pupillensperre,  sondern  auch  durch  Atrophirung 
der  Iris,  des  ganzen  Bulbus,  falls  es  nicht  bei  Zeiten  gelingt,  durch 
diätetische  und  arzneiliche  roborirende  Behandlung  günstig  auf  die  Er- 
nährung überhaupt  einzuwirken,  machen  es  mehr  als  wahrscheinlich, 
dass  in  dem  kachektischen  Zustande  des  Gesammtorganismus  die  haupt- 
sächlichste, wenn  nicht  die  einzige  Ursache  der  Erkrankung  des  Auges 
zu  suchen  sei.  Andeutungen  über  diese  Form,  bei  welcher  die  soge- 
nannte antiphlogistische  Behandlung  nachtheilig  wirkt,  finden  wir  bei 
verschiedenen  Autoren,  namentlich  bei  Makenzie  (1.  c.  S.  484  „pseu- 
dosyphilitische Iritis")  und  bei  Rosas  (Handbuch  der  Augenheilkunde, 
2.  Band,  S.  604  „Lymphkachexie  der  Iris"j. 

Wenn  durch  heftige  Entzündung  mit  Eiterung  das  eine  Auge  ver- 
loren gegangen  ist,  namentlich  nach  Verletzungen,  so  sehen  wir  in  vie- 
len Fällen  kurz  darauf  das  andere  Auge  unter  den  Erscheinungen  chro- 
nischer Iritis  und  Chorioiditis  allmälig  erblinden,  ohne  dass  man  irgend 
ein  anderes  ätiologisches  Moment  auffinden  kann,  als  eben  die  unmit- 
telbar vorhergegangene  Vernichtung  des  ersten  Auges  durch  Entzün- 
dung. In  manchen  Fällen  treten  mehr  die  Erscheinungen  von  Iritis 
auf,  in  andern  mehr  die  von  Chorioiditis,  und  zwar  in  letzterer  so, 
dass  man  anfangs  eine  primär  und  für  sich  bestehende  Erkrankung 
der  Netzhaut  (Amaurosis)  vor  sich  zu  haben  vermeint.  Der  Schluss, 
dass  die  Erkrankung  des  zweiten  Auges  mit  dem  Verluste  des  ersten 
in  ursächlichem  Zusammenhange  steht,   beruht   nicht  auf  dem  blossen 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Vorkommen  —  Ursachen.  51 

„post  hoc",  sondern  vorzüglich  auf  der  vielfach  bestätigten  Wahrneh- 
mung', dass  die  Erkrankung  des  zweiten  Auges  vorzüglich  dann  erfolgt, 
wenn  dasselbe  schon  der  gewohnten  Anstrengung  oder  starkem  Licht- 
einflusse  ausgesetzt  wird,  so  lange  in  dem  bereits  vernichteten  noch 
Entzündung  fortbesteht,  und  dass  das  zweite  Auge  durch  hinreichend 
lange  fortgesetzte  Schonung  —  bis  in  dem  Stumpfe  ein  unwandelbarer 
Zustand  eingetreten  ist  —  am  sichersten  vor  Erblindung  geschützt  wer- 
den kann.  Ob  in  solchen  Fällen  der  Sehnerv  (dessen  Neurilem  bis 
zum  Chiasma)  das  vermittelnde  Agens  sei,  oder  der  N.  trigeminus  und 
Sympathicus  (die  Ciliarnerven),  lässt  sich  bei  dem  gegenwärtigen  Stande 
unseres  Wissens  nicht  entscheiden ;  das  Letztere  ist  das  Wahrscheinlichere. 

Diese  Aufzählung  von  ursächlichen  Momenten  der  Iritis  macht  keinen  Anspruch  auf 
Vollständigkeit.  Es  ist  möglich,  dass  es  ausser  den  genannten  noch  andere  gibt,  welche 
Iritis  an  und  für  sich  zu  bedingen  im  Stande  sind.  So  muss  es  vorläufig  noch  unentschieden 
bleiben,  ob  grelles  Licht  und  übermässige  Anstrengung  der  Augen  beim  Betrachten  feiner 
Gegenstände  Iritis  zu  erzeugen  vermögen.  Wenn  ein  und  der  andere  Kranke  diesen 
Schädlichkeiten  das  Entstehen  einer  Augenentzündung  (Iritis)  zuschreibt,  so  genügt  diess 
offenbar  nicht,  diesen  Schluss  zu  rechtfertigen.  Auch  das  ist  noch  kein  Beweis,  wenn 
ein  Autor  sich  begnügt,  zu  bemerken,  er  habe  zwei  oder  drei  Fälle  von  Iritis  durch 
grelles  Licht  entstanden  beobachtet.  Unwillkürlich  drängt  sich  bei  solcher  Angabe  die 
Frage  auf,  wie  sich  in  diesen  Fällen  die  Netzhaut  verhalten  habe.  Bis  jetzt  liegen  wohl 
verlässliche  Beobachtungen  über  Blendung  der  Netzhaut  durch  grelles  Licht  und  über 
Ermüdung  der  Accommodationsorgane  durch  übermässige  Anstrengung  vor;  die  Entste- 
hung einfacher  Iritis  auf  diese  Weise  hingegen  hat  weder  verlässliche  Beobachtungen, 
noch  triftige  Gründe  a  priori  für  sich.  So  viel  darf  jedoch  als  erwiesen  betrachtet  wer- 
den, dass  der  gereizte  Zustand  verletzter  Augen,  namentlich  nach  Staaroperationen,  durch 
vorzeitig  und  übermässig  einwirkendes  Licht  sehr  leicht  zur  Entzündung  (auch  der  Iris) 
gesteigert  werden  kann.  Wer  auch  nur  eine  massige  Zahl  von  Staaroperationen  gemacht 
hat,  der  ist  gewiss  aus  eigener  Anschauung  überzeugt,  dass  die  Begulirung  des  Lichtes 
bei  der  Nachbehandlung  von  grösster  Wichtigkeit  sei.  Eben  so  leicht  kann  man  sich 
überzeugen,  dass  bereits  entstandene  Iritis  durch  relativ  zu  starkes  Licht  gesteigert  werde. 
Dasselbe  gilt,  mutatis  mutandis,  von  vorzeitiger  und  von  übermässiger  Anstrengung 
der  Augen. 

Wir  werden  beim  Studium  der  Ätiologie  der  Iritis  auf  dieselbe  Weise,  wie  bei 
der  Conjunctivitis ,  Keratitis  etc.  z\ir  Entscheidung  der  Frage  hingedrängt,  ob  die  Iritis 
immer  in  gleicher  Weise  auftrete  und  verlaufe,  sie  möge  nun  durch  dieses  oder  jenes 
ursächliche  Moment  erregt  und  bedingt  werden,  oder  ob  sie  sich  in  ihren  Erscheinungen 
je  nach  der  Verschiedenheit  der  ätiologischen  Momente  verschieden  verhalte. 

Gesetzt,  es  wäre  in  einem  gegebenen  Falle  erwiesen,  dass  die  Entzündung  der  Iris 
durch  ein  bestimmtes  ursächliches  Moment ,  z.  B.  durch  Syphilis  bedingt  sei.  Dann 
unterliegt  es  wohl  auch  keinem  Zweifel,  dass  die  Behandlung  eine  andere  sein  müsse, 
als  wenn  die  Entzündung  durch  ein  anderes  Moment,  z.  B.  durch  Verkältung  oder  durch 
ein  Trauma  bedingt  wäre.  Wer  diess  nicht  zugibt,  der  braucht  überhaupt  gar  keine 
Ätiologie.  Ich  zweifle  indessen,  dass  es  irgend  Jemanden  gebe,  welcher  im  Ernst  meint, 
man   könne    (um   bei   dem    einmal    gewählten  Falle    zu  bleiben)    in    der  That    eine  durch 

4* 


52  Regenbogenhaut. 

Syphilis  bedingte  Iritis  eben  so  behandeln,  wie  eine  anderweitig  bedingte,  und  habe  sich 
nur  an  den  Grad  und  allenfalls  an  hervorstechende  Symptome  zu  halten. 

Ist  es  aber  nöthig,  verschieden  bedingte  Fälle  auch  verschieden  zu  behandeln,  dann 
muss  das  ätiologische  Moment,  wo  möglich,  noch  vor  der  Behandlung  sicher  gestellt  wer- 
den. Um  diess  zu  können,  mag  zunächst  der  Kranke  erzählen,  was  der  Entstehung  der 
Iritis  unmittelbar  vorausging,  mag  auch  vielleicht  bis  auf  die  erste  Lebenszeit  zurückge- 
gangen werden.  Sodann  muss  der  Arzt  an  die  Erfahrung  appelliren ,  und  untersuchen, 
ob  die  Anamnesis  und  der  Befund  des  ganzen  Körpers  solche  Momente  aufweisen,  welche 
bereits  in  zahlreichen  Fällen  als  Ursachen  der  Iritis  beobachtet  und  als  solche  constatirt 
wurden,  oder  ob  allgemeine  Gesetze  der  Anatomie,  Physiologie  und  Pathologie  überhaupt 
es  als  zulässig  und  als  wahrscheinlich  erscheinen  lassen ,  dass  im  vorliegenden  Falle  die 
Iritis  vielleicht  auch  auf  eine  bisher  noch  nicht  beobachtete  Weise  hervorgerufen  worden 
sei.  Durch  diesen  Vorgang  wird  man  jedoch  in  der  Pegel  nur  so  weit  kommen,  dass 
man  sagen  kann:  im  vorliegenden  Falle  ist  die  Iritis  gewiss  oder  wahrscheinlich  nicht 
durch  diese  oder  jene  vermeintliche  Ursache  bedingt ,  sie  ist  mit  mehr  weniger  Wahr- 
scheinlichkeit aus  dieser  oder  jener  Veranlassung  hervorgegangen.  Viel  Sicherheit  wird 
man  aber  auf  diese  Weise  kaum  jemals  erlangen. 

Gesetzt  aber,  es  wäre  durch  vielfältige  Beobachtungen  sicher  gestellt,  dass  die  Art 
und  Weise,  wie  die  Iritis  in  die  Erscheinung  tritt  (von  ihrem  Beginn  bis  zu  ihrem  Ende), 
Verschiedenheiten  zeigt,  welche  der  Verschiedenheit  der  ätiologischen  Momente  entspre- 
chen, z.  B.  dass  eine  durch  Verkältung  bedingte  Iritis  anders  in  die  Erscheinung  trete, 
als  eine  durch  Syphilis  bedingte,  dann  würde  dieser  Erfahrungssatz,  zu  dem  vorerwähnten 
Vorgange  hinzugenommen,  offenbar  in  jedem  speciellen  Falle  dem  Schlüsse  auf  das  Cau- 
salmoment  um  so  mehr  Leichtigkeit  und  Sicherheit  gewähren,  je  deutlicher  in  ihm  die 
von  der  Erfahrung  angegebenen  Kennzeichen  ausgesprochen  sind.  Ja  es  wird  dann  der 
Vorgang  am  Krankenbette ,  dass  man  zuerst  den  Befund  des  Auges  genau  aufnimmt, 
ehe  man  den  Kranken  anderweitig  untersucht  und  um  das  Vorausgegangene  befragt,  in 
der  Pegel  der  beste  sein,  weil  dann  die  Angaben  des  Kranken  den  Arzt  nicht  präoecu- 
piren  können. 

Die  Erfahrung  hat  uns  in  der  That  viele  sehr  schätzenswerthe  Thatsachen  in  Bezug 
auf  Verschiedenheit  der  Symptome  und  des  Verlaufes  je  nach  Verschiedenheit  der  ätio- 
logischen Momente  an  die  Hand  gegeben.  Wir  finden  sie  niedergelegt  in  den  Schilde- 
rungen, welche  seit  Beer  bei  verschiedenen  Autoren  unter  den  Namen  traumatische 
(genuine),  rheumatische,  syphilitische,  scrofulöse,  arthritische  etc.  Iritis  entworfen  wurden. 
Es  lag  aber  in  dem  Entwickelungsgange,  den  die  medicinischen  Wissenschaften  überhaupt 
und  die  Augenheilkunde  insbesondere  genommen  haben,  dass  man  diese  Schilderungen 
mehr  und  mehr  zu  speeificiren  suchte,  dass  man  solchen  Schilderungen,  welche  auf  einer 
mehr  weniger  beschränkten  Zahl  von  Beobachtungen  fussten,  mitunter  zu  viel  Allgemein- 
giltigkeit  zuschrieb ,  und  vorzüglich ,  dass  man  sich  gewöhnte,  Krankheiten  und  Krank- 
heitsprocesse  als  etwas  für  sich  Bestehendes,  gleichsam  als  Parasiten  im  Organismus  und 
nicht  bloss  als  das  Abweichen  einzelner  oder  mehrerer  Organe  und  ihrer  Function  vom 
normalen  Zustande  zu  schildern.  So  entstanden  endlich  die  bekannten  Krankheitsfamilien, 
z.  B.  des  Rheuma ,  der  Syphilis ,  der  Gicht  u.  dgl.,  welche  der  Idealisirung  und  der  Sy- 
stemsucht einen  weiten  Spielraum  eröffneten.  Man  stützte  die  Unterschiede  häufig  auf 
isolirt  aufgefasste  Erscheinungen ,  wo  doch  nur  durch  scharfe  Auflassung  der  gesammten 
Erscheinungen  am  Auge  sowohl  als  am  übrigen  Körper  die  Diaguosis  gefunden  werden 
kann.     Man  suchte  für  jede  Krankheit  pathognomonische  Kennzeichen.  —  Diese  Blossen 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Vorkommen  —  Ursachen.  53 

nuissten  bald  erkannt  werden.  Man  begann  aber  nicbt  damit,  das  Schlechte  vom  Brauch- 
baren auszuscheiden,  sondern  man  warf  Alles  zusammen  über  Bord,  und  behauptete  sofort, 
„die  Iritis  sei  immer  nur  eine,  ob  sie  durch  diese  oder  jene  Ursache  hervorgebracht 
werde."  Mit  gleichem  Rechte  kann  man  auch  sagen,  es  gebe  nur  Eine  Conjunctivitis. 
Diese  Auffassuugsweise  ist  aber  unseres  Erachtens  kein  Fortschritt,  sondern  ein  Rück- 
schritt in  der  Augenheilkunde.  Mit  der  Annahme  dieses  Principes  hört  man  auf,  in  je- 
dem einzelnen  Falle  zu  forschen,  in  welcher  Beziehung  Augenkrankheiten  zum  Gesammt- 
organismus  stehen. 

Es  gibt  eine  Thatsache  ,  welche  Jene  wohl  beherzigen  mögen ,  die  da  behaupten, 
die  Art  und  Weise,  wie  die  Iritis  auftritt  und  verläuft,  sei  durchaus  unabhängig  von  dem 
ätiologischen  Momente,  es  lasse  sich  aus  den  Symptomen  der  Iritis  niemals  ein  Rückschluss 
auf  die  ätiologischen  Momente  ziehen.  Diese  Thatsache  ist  die,  dass  Arzte,  welche  die 
Erscheinungen  der  Iritis  in  zahlreichen  Fällen  beobachtet  und  mit  den  jeweiligen  ätio- 
logischen Momenten  verglichen  haben,  aus  den  Symptomen  am  Auge  allein,  noch  vor  Un- 
tersuchung des  Gesammtorganismus  und  vor  Befragung  des  Kranken  um  ursächliche  Mo- 
mente, in  vielen  Fällen  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit,  und  nach  Eruirung  des  bisherigen 
Verlaufes  selbst  mit  Gewissheit  das  ätiologische  Moment  bestimmen.  Diess  wäre  offenbar 
nicht  möglich,  wenn  die  Erscheinungen  der  Iritis  niemals  und  in  keiner  Weise  durch 
da?  ätiologische  Moment  modificirt  würden.  Prof.  Ruute  meint  zwar,  man  pflege,  ehe  man 
eine  Augenentzündung  z.  B.  für  scrofulös  erklärt,  sich  doch  früher  erst  das  Individuum 
anzuschauen,  und  stütze  sich  eigentlich  nicht  auf  die  Erscheinungen  am  Auge,  sondern 
vielmehr  auf  die  Merkmale  der  Scrofulosis  am  übrigen  Körper.  Möglich,  dass  ein  und 
der  andere  Praktiker  auf  diese  Weise  vorging.  Der  rationelle  Arzt  wird  aber  gewiss 
eine  Bindehautentzündung,  welche  bei  einem  eclatant  scrofulösen  Individuum  vorkommt, 
nicht  schon  dieses  Vorkommens  wegen ,  sondern  nur  dann  für  scrofulös  erklären ,  wenn 
dieselbe  Charaktere  zeigt,  welche  sie  in  zahlreichen  andern  Fällen  gezeigt  hat,  wo  ihr 
Bedingtsein  durch  Scrofulosis  auch  anderweitig  nachgewiesen  worden  war.  (Vgl.  I.  B. 
S.  89.)  Denn  wenn  ein  eclatant  scrofulöses  Individuum  seine  Augen  z.  B.  mit  Tripper- 
schleim verunreinigt  und  eine  Blennorrhoe  bekommt ,  so  wird  doch  wohl  Niemand  diese 
Bindehautentzündung  für  eine  scrofulöse  erklären.  Man  mag  dann  sagen:  Blennorrhoea 
in  individuo  scrofuloso,  aber  niemals:  Blennorrhoea  scrofulosa.  —  Auf  gleiche  Weise 
können  bei  einem  Indididuum  Zeichen  allgemeiner  Syphilis  und  zugleich  Iritis  vorhanden 
sein  ,  und  ich  werde  mich  dadurch  allein  noch  keineswegs  bestimmen  lassen,  die  Iritis 
schon  wegen  dieses  Vorkommens  allein  mit  Gewissheit  für  syphilitisch  zu  erklären.  — 
Wenn  mir  ein  Kranker  mit  einer  Bindehautblennorrhoe  versichert,  er  habe  diese  Krank- 
heit davon,  dass  ihn  Jemand  ins  Auge  gestossen  ,  so  werde  ich  ihm  das  nicht  glauben, 
weil  mich  eigene  und  fremde  Erfahrung  gelehrt  hat,  dass  diese  Reihe  krankhafter  Erschei- 
nungen niemals  aus  einer  traumatischen  Einwirkung  allein  hervorgehen  kann.  Wenn  ein 
Kranker  mit  Iritis  zu  mir  kommt,  welche  dieselben  Erscheinungen  darbietet,  wie  ich  sie 
oft  an  Kranken  beobachtet  habe,  welche  an  Lues  litten,  und  welche  auch  nur  mit  dieser 
zugleich  gründlich  geheilt  werden  konnte,  so  werde  ich  berechtigt  sein ,  auf's  Genaueste 
nachzuforschen ,  ob  nicht  Merkmale  einer  primären  Affection  vorhanden  sind.  Auf  eine 
solche  Untersuchung  aber  in  jedem  Falle  zu  dringen,  wäre  wohl  eben  so  gefährlich  als 
lächerlich.  Diess  müssen  aber  jene  Arzte,  welche  die  Modifikation  der  Iritis  durch  die 
ätiologischen  Momente  in  Abrede  stellen,  offenbar  jederzeit  thun,  wenn  sie  nicht  etwa 
sich  mit  der  blossen  Angabe  des  Kranken  begnügen  oder  die  Entzündung  nach  all- 
gemeinen Principien    überhaupt  behandeln   wollen.     Denn  es  ist  Thatsache  der  Beobach- 


54  Regenbogenhaut. 

tung,  dass  die  Reihe  der  seeundären  Erscheinungen  auch  mit  Iritis  beginnen  kann,  dass 
die  Lues  nicht  jedem  am  Gesichte  geschrieben  steht,  und  dass  ihre  Einimpfung  auch  nicht 
immer  einen  lockeren  Lebenswandel  voraussetzt.  Es  gibt  Fälle,  wo  Entzündungen  der  Haut 
(Exantheme)  sich  in  ihren  Erscheinungen,  in  der  Art  und  Weise,  wie  sie  beginnen  und 
fortschreiten,  so  eigentümlich  verhalten,  dass  der  geübte  Diagnostiker  daraus  allein  mit 
grosser  Sicherheit,  selbst  mit  Gewissheit  auf  Syphilis  als  Grundursache  zurückschliesst. 
Es  kommen  Entzündungen  der  Schleimhäute  (Geschwüre  an  den  Genitalien,  am  Eachen 
u.  s.  w.j  vor,  wo  die  Erscheinungen  an  und  für  sich  hinreichen,  das  Grundübel  erkennen 
zu  lassen,  auch  dann  wenn  die  Infection  in  Abrede  gestellt  wird.  Hat  man  wohl  einen 
Grund  a  priori,  bei  Entzündung  der  Eegenbogenhaut  ein  gleiches  Verhalten  zu  negiren? 

Wenn  'wir  aber  behaupten,  es  sei  möglich,  aus  der  Art  und  Weise,  wie  die  Iritis 
auftritt  und  verläuft,  auf  das  ursächliche  Moment  zurückzuschliessen,  so  müssen  wir,  um 
Missverständnissen  vorzubeugen,  noch  zwei  wesentliche  Punkte  besonders  hervorheben. 
Erstens  stützt  sich  dieser  Schluss  immer  nur  auf  Indnction  undAnalogie,  und  wir  werden 
daher  bei  der  Gegenwart  charakteristischer  Merkmale  in  einem  gegebenen  Falle  immer 
nur  sagen  können :  da  sich  dieser  Fall  von  Iritis  so  verhält,  wie  gewöhnlich  bei  Syphilis, 
Scrofulosis  u.  s.  w.,  so  ist  anzunehmen ,  dass  auch  in  diesem  Falle  Syphilis,  Scrofulosis 
zu  Grunde  liege.  Der  Befund  am  Auge  kann  uns  in  keinem  Falle  der  anderweitigen 
Constatirung  der  Ursache  (durch  Anamnesis  und  Untersuchung  des  übrigen  Körpers)  über- 
heben. —  Und  zweitens  wir  behaupten  nicht,  dass  sieh  jede  z.  B.  durch  Syphilis  bedingte 
Iritis  immer  so  äussern  müsse ,  wie  wir  später  angeben  werden ;  wir  behaupten  nicht, 
dass  in  Fällen,  wo  die  Erscheinungen  am  Auge  nicht  so  scharf  wie  in  constatirten  ecla- 
tanten  Fällen  ausgeprägt  gefunden  werden,  das  Vorhandensein  des  entsprechenden  ätiolo- 
gischen Momentes  schon  negirt  werden  könne.  Es  kommen  Fälle  genug  vor,  wo  die  Er- 
scheinungen am  Auge  so  wenig  markirt  sind ,  dass  sie  gar  keinen  Anhaltspunkt  geben, 
auf  die  Ursache  der  Iritis  zu  schliessen.  Dann  wird  aber  auch  die  Angabe  des  Kranken 
und  die  Constatirung  dieses  oder  jenes  Allgemeinleidens  einer  genaueren  Diagnosis  keine 
hinreichende  Stütze  geben,  und  man  wird  sich  mit  der  allgemeinen  Diagnosis :  Iritis  be- 
gnügen müssen ,  bis  etwa  der  weitere  Verlauf  oder  das  Verhalten  zu  Arzneimitteln  von 
bekannter  Wirkung  nähere  Aufschlüsse  geben. 

Obwohl  wir  nun  an  die  Schilderung  der  Iritis  nach  den  ätiologischen  Momenten 
weit  geringere  Anforderungen  stellen,  als  bisher  gewöhnlich  geschehen  ist,  so  sind  wir 
doch  überzeugt,  dass  sie  für  den  pi-aktischen  Arzt  von  wesentlichem  Nutzen,  ja  unent- 
behrlich sein  werde. 

Zum  Schlüsse  dieser  —  vielleicht  schon  etwas  zu  weitläufigen  Erörterungen  will 
ich  noch  durch  einen  speciellen  Fall  die  Bedeutung  dieser  Anschauungsweise  für  das 
praktische  Leben  erläutern.  In  mein  Ordinationszimmer  trat  ein  junger  Mann  mit  Ent- 
zündung des  linken  Auges.  Ohne  ihn  weiter  zu  fragen,  untersuchte  ich  das  Auge,  und 
sagte  ihm,  er  habe  wohl  vor  kürzerer  oder  längerer  Zeit  an  einem  Chancre  gelitten, 
denn  ich  fand  die  Zeichen  der  Iritis  so,  wie  in  der  Regel  bei  Lues.  Anfangs  war  der 
junge  Mann  betroffen  —  er  war  Bräutigam  —  dann  gestand  er  mir,  dass  er  seit  8  Wo- 
chen von  einer  solchen  Affection  geheilt  sei.  Er  war  besonders  desshalb  erstaunt,  weil 
sein  Arzt  ihn  noch  Tasjs  vorher  gesehen ,  und  gar  nichts  von  einem  solchen  Übel  er- 
wähnt hatte.  Derselbe  hatte  ihm  anfangs  ein  Augenwasser,  später  innerlich  Tart.  stibi- 
atus  r.  d.,  und  zuletzt,  als  heftige  Lichtscheu  dazu  kam,  Einreibungen  von  Autenrieth- 
scher  Salbe  zwischen  die  Schulterblätter  verordnet.  Und  doch  mussten  die  Symptome, 
welche  Syphilis  vermuthen  Hessen,  bereits  seit  einigen  Tagen  deutlich  vorhanden  gewesen 


Entzündung   -    traumatische  —  Symptome.  55 

sein !    Oder  meinte  dieser  Arzt,  man  könne  eine  Iritis  syphilitica  mit  Tart.  stibiatus  hei- 
len, weil  es  nur  Eine  Iritis  gibt? 


B.    Arten  der  Iritis. 

1.    Iritis  traumatica;     Verletzmigen  der  Iris  überhawpt. 

Die  Iris  verträgt,  trotz  ihres  Gefäss-  und  Nervenreichthumes ,  sehr 
bedeutende  mechanische  Verletzungen,  ohne  sich  zu  entzünden.  Nur 
Druck  und  Quetschung-,  zumal  wenn  sie  länger  andauern,  haben  gern 
Iritis  zur  Folge. 

Die  beste  Gelegenheit,  das  Verhalten  der  Iris  gegen  traumatische 
Eingriffe  beim  Menschen  zu  studiren,  bieten  die  Staaroperationen  und 
die  Pupillenbildungen.  Es  geschieht,  dass  man  beim  Hornhautschnitt 
(behufs  der  Extraction)  ein  Stückchen  aus  der  Iris  ausschneidet,  und 
zwar  entweder  aus  dem  grossen  oder  aus  dem  kleinen  Kreise.  Im  er- 
sten Falle  entsteht  eine  zweite  Pupille,  welche  nur  dann  durch  Exsudat 
verschlossen  wird,  wenn  die  Öffnung  sehr  klein  war,  im  zweiten  Ver- 
größerung der  (natürlichen)  Pupille,  entsprechend  der  Grösse  des  aus- 
geschnittenen Stückes,  niemals  jedoch  Entzündung  der  ganzen  Iris,  höch- 
stens Verwachsung  der  Wundränder  mit  der  Kapsel.  Hat  man  behufs 
der  Pupillenbildung  bei  freiem  Pupillarrande  einen  Theil  des  letzteren 
durch  die  Hornhautwunde  herausgezogen  und  abgeschnitten,  so  erfolgt 
gleichfalls  keine  Iritis,  sondern  nur  eine  Vergrösserung  der  Pupille  nach 
der  entsprechenden  Richtung  hin;  die  Wundränder  bleiben  frei  oder 
wachsen  im  Bereiche  des  kleinen  Kreises  an  die  Kapsel  an,  und  bieten 
dem  Sphincter  pupillae  fixe  Punkte  zur  Contraction.  Trennt  man  durch 
einen  Querschnitt  die  Ringfasern,  was  bisweilen  bei  der  Extraction  nöthig 
wird,  so  entsteht  eine  bleibende  Spalte,  Coloboma  iridis  (traumaticum). 
Schnitte  oder  Stiche,  welche  die  Radialfasern  quer  getroffen  haben,  hin- 
terlassen nur  dann  eine  bleibende  Öffnung,  wenn  der  Sphinkter  durch 
vordere  oder  hintere  Synechien  fixirt  und  der  grosse  Kreis  der  Iris  hie- 
durch  zugleich  sehr  ausgedehnt  und  straff  gespannt  war. 

Nach  mechanischen  Einwirkungen  auf  das  Auge,  welche  geeignet 
sind,  dasselbe  momentan  zu  comprimiren  und  die  Cornea  für  einen 
Augenblick  abzuplatten,  geschieht  es,  dass  die  Iris  in  mehr  weniger 
grossem  Umfange  vom  Ciliarkörper  los-  und  wohl  überdiess  auch  noch 
quer  (vom  Ciliar-  zum  Pupillarrandej  durchgerissen  wird.  Dieser  Unfall 
hat  wohl  in  der  Regel  starken  Blutaustritt  in  die  Augenkammer,  nie- 
mals jedoch  (mindestens  sehr  selten)  Entzündung  der  Iris  in  ihrer  To- 


56  Regenbogenhaut. 

talität  zur  Folge.  Der  Bluterguss  steht  nicht  immer  in  geradem  Ver- 
hältnisse zur  Verletzung  der  Iris;  bisweilen  kann  man  die  Stelle,  aus 
welcher  das  Blut  kam,  selbst  nach  erfolgter  Aufsaugung  desselben  nicht 
auffinden.  Es  ereignet  sich  auch,  dass  in  Folge  ähnlicher  Gewalttä- 
tigkeiten die  vorderste  Partie  der  Sclera  an  irgend  einer  Stelle  berstet, 
die  entsprechende  Irispartie  von  dem  zur  Öffnung  strömenden  Kammer- 
wasser mit  fortgerissen  und  in  dieselbe  eingeklemmt  wird,  und  den- 
noch eben  so  wenig  allgemeine  Iritis  nachkommt,  wie  wenn  eine  Por- 
tion der  Iris  in  eine  Wunde  oder  Geschwürsöffnung  der  Hornhaut  vor- 
fällt und  allmälig  einheilt.  Würde  in  solchen  Fällen  das  Sehvermögen 
nicht  durch  Erschütterung  der  Netzhaut  (und  hiedurch  bedingte  Amblyo- 
pie oder  Amaurosis)  gefährdet  —  ein  Unfall,  der  selten  ausbleibt  — 
würde  nicht,  was  jedoch  seltener  erfolgt,  nachträglich  die  Linse  getrübt 
(wegen  Zerreissung  der  vordem  Kapsel  oder  der  Zonula  Zinnii),  so 
würden  solche  Fälle  eben  nur  in  so  fern  von  Bedeutung  sein,  als  sie 
Vergrösserung  oder  Verziehung  der  Pupille,  oder  Doppeltsehen  (durch 
Entstehung  einer  peripherischen  Pupille)  setzen. 

Wird  dagegen  die  Iris  bei  absichtlichen  oder  zufälligen  Verletzun- 
gen gequetscht,  oder  wird  sie  durch  eingedrungene  fremde  Körper, 
durch  die  dislocirte  Linse,  oder  durch  einzelne  Staarreste  anhaltend  ge- 
drückt, so  entsteht  sehr  häufig  Entzündung  derselben.  Die  Fälle,  wo 
kleine  fremde  Körper  in  der  Substanz  der  Iris  oder  in  der  vordem 
Kammer  durch  partielle  Entzündung  eingekapselt  werden,  sind  äusserst 
selten.  In  der  Regel  erregen  sie  allgemeine  Iritis,  zu  welcher  fast 
immer  auch  Chorioiditis  und  Keratitis  mit  eitrigem  Exsudate  hinzutritt. 

Eine  Iritis,  welche  nach  einer  Verletzung  des  Bulbus  entsteht,  kann 
zu  dieser  in  einem  sehr  verschiedenen  Verhältnisse  stehen.  Einmal  ist 
die  Iritis  als  unmittelbare  Folge  der  Verletzung  der  Iris  selbst  zu  be- 
trachten; die  Verletzung  reichte  an  und  für  sich  hin,  die  Iris  in  Ent- 
zündung zu  versetzen;  die  Reactionserscheinungen  folgen  hier  der  Ver- 
letzung so  zu  sagen  wie  der  Schatten  dem  Lichte.  —  In  andern  Fällen 
entzündet  sich  die  Iris  nicht  sowohl  wegen  der  Verletzung  selbst,  als 
vielmehr  desshalb,  weil  sie  durch  einen  im  Auge  zurückgebliebenen 
Körper,  oder  durch  die  entkapselte  Linse,  oder  durch  einzelne  Staar- 
reste gereizt  wird.  Hier  kann  die  Entzündung  der  Iris  mehrere  Tage, 
selbst  Wochen  lang  nach  der  Verletzung  entstehen.  Ihr  Verlauf  ist 
bald  äusserst  heftig,  und  droht  mit  Eiterung,  consecutiver  Keratitis, 
Chorioiditis,  Panophthalmitis,  bald  ungewöhnlich  protrahirt  und  mit  Pu- 
pillensperre endend.  —  In  einer  3.  Reihe  von  Fällen  litt  durch  die  Ver- 
letzung vielleicht  nur  die  Cornea,  und  die  Iris  entzündet  sich  erst,  nach- 


Entzündung  —  traumatische  —  Symptome.  57 

dem  sich  ein  Abscess  oder  ein  tieferes  Geschwür  der  Cornea  entwickelt 
hat  (vergl.  I.  B.  S.  222),  oder  die  Iris  wird  von  der  verletzten  Chorioi- 
dea  aus  in  Mitleidenschaft  gezogen.  —  Es  gibt  endlich  Fälle,  wo  das 
Auge  durch  eine  Verletzung  im  Ganzen  wenig  leidet,  und  erst  desshalb 
Iritis  (oder  Keratoiritis  u.  dgl.)  entsteht,  weil  der  Kranke  bei  gereiztem 
Zustande  des  Auges  dieses  anstrengte,  starkem  Lichte  oder  einer  Ver- 
kältung  aussetzte,  oder  an  einer  Dyskrasie,  z.  B.  an  Lues  leidet. 

Es  ergibt  sich  hieraus,  dass  nicht  jede  Iritis,  welche  nach  einer 
traumatischen  Beleidigung  des  Auges  entsteht,  desshalb  schon  für  eine 
traumatische,  d.  h.  durch  das  Trauma  allein  bedingte  zu  erklären  sei. 
Die  Constatirung  dieses  Verhältnisses  kann  in  einzelnen  Fällen  von 
hoher  Bedeutung  sein;  nicht  nur  behufs  der  Prognosis  und  Therapie, 
sondern  auch  in  gerichtsärztlicher  Beziehung.  Der  Arzt  muss  sich  auch 
hier  vor  Allem  an  die  Symptome  und  deren  Aufeinanderfolge  und  an 
das  halten,  was  bisher  aus  Erfahrung  über  solche  Fälle  bekannt  ist, 
uni  von  objectivem  Standpunkte  aus  auf  das  ursächliche  Moment  zu- 
rtickschliessen  zu  können. 

Die  meisten  Individuen  haben  in  dem  Momente,  wo  die  Iris  ver- 
letzt wird,  die  Empfindung  eines  lebhaften  Schmerzes  im  Auge.  Wenn 
Ubliijkeiten,  Brechneigung,  wirkliches  Erbrechen  nach  einer  Verletzung 
des  Auges  auftreten,  so  hat  man  guten  Grund,  auf  Beleidigung  der  lie- 
genbogen- oder  Aderhaut  zu  schliessen,  es  müsste  denn  (nach  andern 
Umständen  und  Zufällen)  Gehirnerschütterung  anzunehmen  sein.  Diese 
Zufälle  können  vorübergehen,  ohne  dass  es  zur  Iritis  kommt.  Sie  sind 
aber  als  Zeichen  von  beginnender  und  in  der  Regel  mit  grosser  Hef- 
tigkeit drohender  Iritis  (Chorioiditis)  zu  betrachten,  wenn  sie  erst  mehrere 
Stunden  oder  Tage  nach  erfolgter  Verletzung  auftauchen.  Die  Wahr- 
scheinlichkeit, dass  Iritis  eintrete,  steigt  noch  höher,  wenn  Schmerzen 
in  der  Umgebung  des  Auges,  in  der  Stirn,  in  der  Nasenwurzel,  in  den 
Zähnen  des  Oberkiefers  hinzutreten.  Doch  können  diese  Zufälle  feh- 
len, oder  sie  können  noch  auf  zeitweilige  flüchtige  Stiche  im  Auge  be- 
schränkt sein,  wenn  bereits  Iritis  vorhanden  ist,  durch  Besichtigung  des 
Auges  constatirt  werden  kann.  Da  jedoch  das  verletzte  Auge  sehr 
häufig  nicht  so  starkem  Lichte  ausgesetzt  werden  kann,  als  zur  Unter- 
suchung der  Iris  selbst  nöthig  ist,  da  bei  durchdringenden  Wunden  des 
Bulbus,  namentlich  nach  der  Extraction  des  grauen  Staares,  schon  die 
Abnahme  des  Verbandes  (Öffnung  der  Lickpalte)  das  Auge  grosser  Ge- 
fahr aussetzen  kann,  so  ist  es  nöthig,  jene  Erscheinungen  zu  kennen, 
welche  mit  mehr  weniger  Wahrscheinlichkeit  auf  Iritis  schliessen  lassen, 
auch  ohne  dass  man  den  Bulbus  selbst  (genauer)  zu  untersuchen  braucht. 


58  Regenbogenhaut. 

Nach  jeder  Verletzung  tritt  vermehrte  Thränenabsonderung  ein. 
Dieselbe  vermindert  sich  jedoch,  namentlich  nach  Operationen,  in  Zeit 
von  einigen  Stunden,  und  wird  in  Kurzem  aufs  Normale  reducirt,  falls 
nicht  eine  anderweitige,  als  die  zur  Verschliessung  der  Wunde  nöthige 
Eeaction  eintritt.  Wurde  das  verletzte  Auge  durch  Verklebung  der 
Lider  (mittelst  Streifen  englischen  Pflasters)  wohl  verschlossen,  so  kann 
es  geschehen,  dass  die  im  Bindehautsacke  angehäuften  Thränen  das 
Gefühl  von  Drücken  oder  Stechen  erregen,  welches  jedoch  verschwin- 
det, sobald  die  Thränen  sich  einen  Ausweg  gebahnt  haben.  Der  Ver- 
letzte pflegt  die  über  die  Wangen  herabfliessenden  Thränen  als  heiss  zu 
bezeichnen,  sobald  Entzündung  der  Iris  (Cornea  oderChorioidea)  im  Zuge 
ist.  Wenn  vor  dem  dritten  Tage  nach  einer  Staaroperation  oder  Pupillen- 
bildung im  innern  Winkel  mehr  Schleim  angesammelt  erscheint,  als  an  dem 
unversehrten  andern  Auge,  und  nicht  etwa  schon  vor  der  Verletzung  ein 
Zustand  der  Bindehaut  vorhanden  war,  welcher  vermehrte  und  veränderte 
Secretion  derselben  bedingt,  so  hat  man  Grund,  diese  Erscheinung  als 
Zeichen  von  Entzündung  der  Hörn-  oder  Begenbogenhaut  zu  betrachten. 
Erhöhung  der  Temperatur  der  Cutis  an  der  verletzten  Seite,  namentlich 
über  dem  Wangenbeine,  ist  geeignet,  Verdacht  auf  Iritis  zu  erregen.  Sie 
fehlt  nur  bei  sehr  gelind  auftretender  und  langsam  verlaufender  Entzün- 
dung, kann  aber  auch  anderweitig  veranlasst  sein.  Schnullt  das  obere 
Augenlid  an,  wenn  auch  nur  am  Rande,  so  hat  die  Entzündung  der  Iris 
(oder  Cornea)  sicher  schon  einen  bedeutenden  Grad  erreicht. 

Wenn  eine  nach  einem  Trauma  entstandene  Iritis  nicht  als  unmittel- 
bare Folge  der  Verletzung  selbst  auftritt,  so  werden  die  Erscheinungen 
und  der  Verlauf  je  nach  den  mitwirkenden  ursächlichen  Momenten  man- 
nigfaltig modificirt,  und  es  lässt  sich  für  solche  Fälle  eben  keine  allge- 
meine Schilderung  entwerfen. 

Die  von  mechanischen  Momenten  allein  oder  vorwaltend  abhängigen 
Fälle  totaler  Iritis  zeichnen  sich  durch  deutliche  Entfärbung,  Lockerung 
und  Schwellung  des  Gewebes,  häufig  auch  durch  deutliche  Gefassein- 
spritzung  auf  der  Iris  aus.  Stets  ist  dabei  die  Pupille  sehr  verengert, 
falls  nicht  mechanische  Hindernisse  entgegenstehen  oder  die  Chorioidea 
der  Ausgangspunkt  der  entzündlichen  Zufälle  ist,  und  mehr  als  bei  irgend 
einer  andern  Form  droht  hier  die  Gefahr,  dass  die  Pupille  durch  reich- 
liches faserstojfiges  Exsudat  gesperrt  werde.  Bei  grösserer  Heftigkeit 
kommt  es  auch  zur  Eiter ansammlung  in  der  Augenkammer.  Mit  dieser 
raschen  und  faserstoffreichen  Exsudation  zugleich  bemerkt  man  starke 
Tnjection  der  vordem  Ciliar  arter  ien  (einen  rosen-  oder  violettrothen  Saum 
um  die  Cornea)  und  consecutive  Hyperämie,  selbst  Schwellung  der  Con- 


Entzündung  —  traumatische  —  Behandlung.  59 


»s 


jimctiva  bulbi,  letztere  oft  so  stark,  dass  die  Bindehaut  einen  hoch-  oder 
dimkeirothen  Wall  um  die  Hornhaut  herum  darstellt.  Wenn  heftige 
Schmerzen,  Lichtscheu  und  Thränenfluss,  auffallend  gedrückte  Gemüths- 
stimmung,  Appetitlosigkeit,  Brechneigung,  Pulsbeschleunigung,  erhöhte 
Hautwärme  u.  dgl.  auch  in  den  ersten  Tagen  bisweilen  fehlen,  oder  nur 
unbedeutend  sind,  so  bleiben  sie  doch  bei  andauernder  und  zunehmender 
Entzündung  selten  aus. 

Es  geschieht  mitunter ,  dass  ein  Individuum ,  dessen  Iris  bei  einer  Operation  oder 
zufalligen  Verletzung  arg  mitgenommen  wurde,  ohne  Entzündung  derselben  durchkommt, 
waä  dass  hingegen  Iritis  auftritt,  wo  der  Operateur  weder  sich  noch  dem  Kranken  einen 
Torwurf  machen  kann,  und  sich  doch  keine  andere  Ursache  der  Iritis,  als  eben  das 
Trauma  selbst,  constatiren  lässt.  Man  macht  z.  B.  die  Extraction  bei  einer  ganz  gesun- 
den Person;  die  Operation  geht  nach  Wunsche  von  Statten,  und  der  Kranke  verhält  sich 
auch  nachher  zweckmässig.  Es  treten  den  2.  und  selbst  den  3.  Tag  weder  subjective 
noch  objective  Erscheinungen  ein ,  welche  Verdacht  auf  Entzündung  überhaupt  erregen 
könnten.  Auf  einmal  in  der  Nacht  etwa  träumt  der  Operirte,  er  habe  sich  an  das  Auge 
ge.?tossen.  oder  er  wird  durch  einen  flüchtigen  Stich  im  Auge  erschreckt,  und  es  fliessen 
einige  Zähren  über  die  Wange.  Des  Morgens  findet  der  Arzt  vielleicht  ein  und  das 
andere  der  obgenannten  objectiven  Svnrptonie,  vielleicht  auch  keines  derselben  (oder 
nicht  verlässlich  ausgesprochen).  Er  wartet  noch  einen  Tag  zu ,  da  keine  eclatanten 
Zu!  alle  auftreten,  und  entfernt  den  5.  oder  6.  Tag  den  Verband.  Der  Kranke  sieht  nichts, 
oder  wenig.  Der  Arzt  erkennt,  dass  Iritis  mit  mehr  weniger  reichlichem  Exsudate  ein- 
getreten ist,  auch  schon  bei  sehr  massiger  Beleuchtung,  wenn  nämlich  die  Hornhaut- 
wunde  geschlossen,  die  Hornhaut  ungetrübt,  und  dennoch  das  Auge  ohne  Glanz,  ohne 
jenes  Feuer  erscheint,  welches  die  offene  Pupille  dem  Auge  auch  im  Halbdunkel  verleiht, 
und  wenn    zugleich  das  Weisse   des  Auges    rings  um    die  Hornhaut   deutlich  geröthet  ist. 

Wenn  zu  den  Symptomen,  die  auf  einfache  Iritis  deuten,  nicht  in 
wenig  Tagen  Erscheinungen  hinzutreten,  welche  von  Theilnahme  der 
Cornea,  der  Chorioidea  oder  sämmtlicber  Gebilde  des  Augapfels  an  dem 
Entzündungsprocesse  zeugen,  so  hat  man  ausser  mechanischer  Beschrän- 
kung oder  Aufhebung  des  Sehvermögens  (partieller  oder  totaler  Pupil- 
lensperre) nichts  zu  fürchten,  und  es  ist  dem  Processe  mit  diesem  Aus- 
gange gleichsam  die  Spitze  abgebrochen.  Eine  Ausnahme  machen  nur 
jene  Fälle,  wo  ein  fremder  Körper  im  Auge  zurückgeblieben  ist,  oder 
wo  das  Auge  durch  die  dislocirte  oder  entkapselte  Linse  beständig  ge- 
reizt wird,  und  die  Entzündung  jeden  Augenblick  mit  erneuerter  Hef- 
tigkeit auflodern  kann,  gewöhnlich  aber  die  Sehkraft  auf  eine  mehr 
schleichende  und  unvermerkte  Weise  (durch  allmälige  Exsudation  im 
Glaskörper  oder  von  Seite  der  Chorioidea)  vernichtet  wird. 

Behandlung.  So  wie  bei  jeder  Verletzung  muss  auch  hier  zu- 
vörderst untersucht  werden,  ob  nicht  irgend  ein  fremder  Körper  in  die 
Iris   oder  noch  tiefer  eingedrungen   sei.      Man  wird  ihn   natürlich    zu 


60  Regenbogenhaut. 

entfernen  suchen,  wo  dieses  geschehen  kann,  ohne  das  Auge  durch  die 
hiezu  nöthigen  Eingriffe  noch  grösserer  Gefahr  auszusetzen ,  als  das 
Zurückbleiben  desselben  dem  Auge  zu  bringen  droht.  Nähere  Andeu- 
tungen hierüber  lassen  sich  nicht  geben.  Sodann  ist  wo  möglich  zu 
ermitteln,  ob  die  Linse  durch  die  Verletzung  etwa  dislocirt  oder  min- 
destens die  vordere  Kapsel  eingerissen  wurde,  weil  dann  nicht  nur  Ca- 
taracta, sondern  auch  Reizung  der  Iris  durch  dieselbe  zu  fürchten  steht. 
Das  Nähere  hierüber  kann  erst  bei  der  Lehre  von  den  Krankheiten 
der  Linse  angegeben  werden.  Wie  man  sich  bei  Vorfällen  der  Iris 
durch  Hornhautwunden  zu  benehmen  habe,  wurde  bereits  B.  I.  S.  229 
besprochen.  Dieselben  Grundsätze  gelten  auch  bei  Vorfällen  der  Iris 
durch  Einrisse  oder  Wunden  der  Sclera. 

Nicht  minder  wichtig  ist,  dass  man  bei  Verletzungen,  welche  den 
Bulbus  einer  Erschütterung  aussetzten,  des  lähmenden  Einflusses  nicht 
vergesse,  welchen  diese  auf  die  Netzhaut  auszuüben  pflegt.  Bei  Augen, 
welche  in  Folge  eines  Stosses,  Hiebes  u.  dgl.  eine  Lostrennung  der  Iris 
vom  Ciliarbande,  eine  Zerreissung  ihres  Parenchyms,  starke  Blutaus- 
tretung  in  der  vordem  Augenkammer  u.  s.  w.  darbieten,  ist  nicht  so 
sehr  die  nachfolgende  Reaction  (Entzündung  der  Iris)  zu  fürchten,  als 
Amblyopie  oder  Amaurosis.  Am  ehesten  kann  man  diesem  traurigen 
Ausgange  noch  durch  frühzeitige  Anwenduug  spirituös-aromatischer  Um- 
schlüge vorbeugen.  Ich  gehe  in  solchen  Fällen  sehr  bald,  selbst  den 
ersten  Tag  noch,  von  Eisumschlägen  zur  Anwendung  der  Tinctura  ar- 
nicae  montanae  über,  indem  ich  sie  mit  kaltem  Wasser,  später  mit  Spi- 
ritus vini,  spir.  roris  marini,  oder  einem  ähnlichen  Mittel  (allmälig  we- 
niger und  weniger)  verdünne. 

Steht  nach  der  Art  der  Verletzung  oder  nach  den  bereits  eingetre- 
tenen Zufällen  eine  heftige  Iritis  zu  befürchten,  oder  ist  diese  bereits 
in  vollem  Gange,  so  säume  man  nicht,  wenn  sonst  die  Individualität 
des  Verletzten  es  zulässt,  einen  Aderlass  vorzunehmen,  oder  mindestens 
eine  entsprechende  Zahl  Blutegel  (8 — 16)  an  die  Schläfe  und  hinter 
das  Ohr  zu  setzen,  und  beide  oder  nur  letztere  zu  wiederholen,  sobald 
nicht  ein  merklicher  und  dauernder  Nachlass  der  entzündlichen  Zufälle 
eingetreten  ist.  Unmittelbar  nach  den  Blutentziehungen  sind  kalte  Um- 
schläge, gehörig  angewendet,  das  zweckmässigste  Mittel,  vorausgesetzt, 
dass  nicht  bereits  Eiterung  eingetreten  ist.  Es  versteht  sich,  dass  man 
die  Cur  durch  knappe  Diät,  strenge  Ruhe  (der  Augen  und  des  Körpers), 
Abhaltung  aller  örtlichen  und  allgemeinen  Reize,  namentlich  Temperi- 
rung  des  Lichtes,  und  durch  sahige  Abführmittel  unterstützen  muss; 
bei  drohender  oder  bereits  vorhandener  reichlicher  Exsudation  in  der 


Entzündung  —  traumatische  —  Behandlung.  61 

Pupille  reiche  man  Ccrfomel  in  grossen  Gaben,  etwa  zu  2  Gran  alle 
3  bis  4  Stunden.  Ist  die  Heftigkeit  der  Zufälle  gebrochen,  so  mache 
man  Einreibungen  von  Unguentum  cinereum  mit  Opium  an  die  Stirn 
und  Schläfe  (4 — 8  Gran  auf  1  Drachme);  Belladonna  oder  Hyoscyamus 
können  erst  viel  später  in  Anwendung  kommen,  wenn  keine  Exsuda- 
tion mehr  erfolgt  und  auch  die  auf  Congestion  beruhenden  Erscheinun- 
gen ganz  oder  giösstentkeils  verschwunden  sind. 

Die  Ansichten  der  Ärzte  über  die  Wirkung  der  Belladonna  (des  Hyoscyamus)  sind 
sehr  verschieden.  Sie  erweitert  im  gesunden  Auge  die  Pupille,  wenn  man  sie  in  ent- 
sprechender Dosis  innerlich  verabreicht,  oder  von  einer  Lösung  des  Extractes  (2 — 3 
Gran  in  1  Drachme  Wasser)  einige  Tropfen  in  den  Bindehautsack  bringt,  oder  dasselbe 
Präparat  (S —  10  Gran  mit  t  Drachme  unguentum)  an  die  Stirne  und  Schläfe  aufstreicht. 
Wir  haben  uns  bereits  oben  (S.  33)  ausgesprochen ,  dass  wir  uns  diese  Wirkung  nur 
durch  Erschlafl'uug  des  Sphinkters  und  ungeschwächte  Thätigkeit  der  Badialfasern  er- 
klären können.  Wir  haben  ferner,  gestützt  auf  Analogie,  S.  38  uns  für  die  Ansicht  ent- 
scheiden müssen ,  dass  bei  jeder  heftigen  Iritis  sowohl  der  Sphinkter  als  der  Dilatator 
ihr  Contractionsvermögen  verlieren.  Wir  begreifen  also  schon  a  priori  nicht,  wie  die 
Belladonna  ihren  EinÜuss  auf  den  Sphinkter  während  heftiger  Iritis  geltend  machen,  oder 
wie  sie  ihn  bei  Zunahme  der  Entzündung  bleibend  ausüben  könne. 

Ich  bin  aber  auch  nie  im  Stande  gewesen,  während  einer  nur  einigermassen  hef- 
tigen Iritis  (abgesehen  von  mechanischen  Hindernissen  in  der  Pupille)  die  Pupille  durch 
Belladonna  zu  erweitern,  oder  durch  zeitige  Anwendung  von  Belladonna  die  Pupille  er- 
weitert zu  erhalten,  wenn  Iritis  im  Anzüge  war.  Ich  habe  Versuche  hierüber  theils  nach  der 
Extraction,  theils  nach  der  Reclination  gemacht,  in  Fällen,  wo  Iritis  zu  befürchten  stand 
und  auch  wirklich  eintrat.  Ja  ich  bin  sogar  von  der  Anwendung  der  Belladonna  während 
der  Dauer  der  Entzündung  auch  in  minder  heftigen ,  selbst  in  chronischen  Fällen  ganz 
abgegangen,  weil  ich  in  einigen  Fällen  nach  ihrer  Anwendung  offenbare  Verschlimmerung 
beobachtet  habe.     Einer  dieser  Fälle,  der  auch  in  anderweitiger  Beziehung  viel  Interesse 

.  wird  weiter  unten  ausführlich  mitgetheilt  werden. 

Wenn  endlich  der  Exsudationsprocess  selbst  erlischt,  und  die  Hy- 
peramie mehr  eine  passive  geworden,  besonders  aber  wenn  Eiterung 
eingetreten  ist,  so  pflegen  die  Kranken  die  kalten  Umschläge  nicht  mehr 
zu  vertragen,  nach  ihrer  Anwendung  über  stärkere  Schmerzen  zu  kla- 
gen, hingegen  trockene  warme  Tücher  (von  der  Stirne  über  das  Auge 
herabhängend)  sich  zu  loben.  Die  Einreibungen  von  Unguentum  cine- 
reum mit  Opium  sind  auch  jetzt  noch  das  beste  Mittel,  heftige  Schmer- 
zen zu  lindern;  in  seltenen  Fällen  werden  auch  diese  nicht  vertragen, 
und  es  müssen  Opiate  innerlich  angewendet  werden. 

Ist  viel  Eiter  in  der  Augenkammer  angesammelt,  so  entleere  man 
denselben  durch  einen  2 — 3"'  langen  Hornhautstieh ,  zumal  dann,  wenn 
das  Hypopyum  von  heftigen  Schmerzen  (im  Auge  und  in  der  entsprechen- 
den Kopf  hälfte)  begleitet  wird.  Die  Punction  dürfte  auch  in  jenen  Fällen 
erlaubt  und  von  grossem  Nutzen  sein,  wo  durch  Aufquellen  der  entkapsel- 


62  Regenbogenhaut. 

ten  Linse  grosse  Spannung  des  Bulbus  und  heftige  Schmerzen  unterhalten 
werden.  Von  der  innerlichen  Anwendung  der  Polygala  senega  allein  oder 
mit  weinsteinsauren  Salzen  darf  man  Beförderung  der  Resorption  im  Bul- 
bus erwarten,  jedoch  nur  allmälig. 

Ist  das  heftige  und  hartnäckig  anhaltende  Erbrechen,  welches  sowohl 
nach  zufälligen  als  nach  absichtlichen  Verletzungen  des  Bulbus  nicht  sel- 
ten beobachtet  wird,  durch  die  beginnende  und  steigende  Reaction  bedingt, 
dann  wird  es  am  ehesten  durch  die  eben  angegebene  Antiphlogose  gestillt. 
Wäre  Einklemmung  der  Iris  in  der  Cornea  oder  Sclera  vorhanden,  und 
mit  überwiegender  Wahrscheinlichkeit  als  Ursache  jenes  Zufalles  zu  be- 
trachten, dann  müsste  man  diese  entweder  durch  Abtragung  des  vorgefal- 
lenen Stückes  oder  nach  den  B.  I.  S.  206  gegebenen  Regeln  zu  beseitigen 
suchen.  Wie  man  sich  zu  benehmen  habe,  wenn  Druck  auf  die  Iris  oder 
Chorioidea  durch  die  zu  tief  in  den  Glaskörper  hineingedrückte,  rück- 
wärts an  die  Iris  angelehnte,  oder  in  die  vordere  Augenkammer  vorge- 
fallene Linse,  oder  durch  die  zu  stark  aufgequollenen  Theile  derselben 
als  Ursache  dieses  Zufalles  erklärt  werden  muss,  kann  erst  bei  der  Lehre 
von  den  Staaroperationen  angegeben  werden.  Es  kann  übrigens  hef- 
tiges und  hartnäckiges  Erbrechen  auch  in  übermässiger  Empfindlichkeit 
des  Nervensystemes  allein  oder  vorwaltend  bedingt  sein.  In  solchen 
Fällen  ist  vor  Allem  Tröstung  des  übermässig  ängstlichen  Kranken 
nöthig;  kleine  Gaben  Brausepulver,  Aqua  laurocerasi ,  Morphium  aceti- 
cum,  Sulfas  chinini  mit  Opium,  eine  Tasse  guter  Fleischbrühe,  Infusum 
menthae  piperitae  oder  forum  chamomillae  sind  die  vorzüglichsten  Se- 
dativa, bei  deren  Wahl  man  in  speciellen  Fällen  durch  besondere  Ver- 
hältnisse geleitet  werden  mag. 

2.    Iritis  rheumatica. 

Es  gibt  Fälle,  wo  sich  unmittelbar  nach  einer  Verkältung  eine 
Augenentzündung  entwickelt,  welche  sich  vorwaltend  oder  nebenbei 
durch  die  Zufälle  von  Iritis  kund  gibt.  Gewöhnlich  ist  es  die  Con- 
junetiva  bulbi,  oft  die  Hornhaut,  selten  die  Aderhaut,  welche  mit  der 
Iris  zugleich  im  Zustande  der  Entzündung  gefunden  wird.  Nicht  selten 
entwickelt  sich  diese  Iritis,  gleich  der  Keratitis  rheumatica,  erst  nach 
längerem  Bestehen  eines  Augenkatarrhs,  und  die  Erscheinungen  dieses 
letzteren  bestehen  dann  in  gleichem  Grade  fort,  oder  sie  treten  nach 
dem  Erscheinen  der  Iritis  mehr  weniger  in  den  Hintergrund.  Es  gibt 
Fälle,  wo  nach  einer  Verkältung  der  Betroffene  von  Lichtscheu,  Thrä- 
nenfluss,   heftigen  Schmerzen  im  Auge  und  dessen  Umgebung,    wohl 


Entzündung;  —  rheumatische  —  Symptome.  63 

auch  von  leichter  Trübung  des  Gesichtes  befallen  wird,  das  Auge  nur 
einen  lebhaft  gerotteten  Saum  rings  um  die  Cornea,  netzförmige  Röthe 
und  leichte  Schwellung  der  Conjunctiva  bulbi  darbietet,  und  erst  nach 
einigen  Tagen  die  Zeichen  von  Keratitis  oder  Iritis ,  oder  von  beiden 
zugleich  sichtbar  werden. 

Solche  Fälle  wurden  bisher  gewöhnlich  unter  dem  Namen  Ophthalmia  catarrhalis 
rheumatica  beschrieben.  Die  Autoren,  welche  sich  dieser  Benennung  bedienten,  waren 
der  Meinung,  es  sei  ursprünglich  nur  die  Conjunctiva  und  die  Sclera  entzündet,  und  erst 
später  trete  Iritis  hinzu.  Diess  scheint  uns  nicht  ganz  richtig  zu  sein.  Die  Sclera  ist  bei 
jenem  Zustande,  den  man  Ophthalmia  rheumatica  oder  Scleritis  rheumatica  genannt  hat, 
wohl  niemals  entzündet,  höchstens  im  Zustande  von  Congestion  und  etwas  seröser  Durch- 
leuchtung; denn  niemals  sehen  wir  bei  dieser  Form  weder  die  Zeichen  noch  die  Folgen 
wirklicher  platischcr  Exsudation  in  der  Sclera,  welche  doch  bald  in  der  Cornea,  bald  in 
der  Iris  mehr  weniger  deutlich  hervortreten.  Ich  bin  der  Ansicht,  die  Bosenröthe  des 
vordem  Umfanges  der  Sclera  sei  nur  durch  starke  Congestion  im  Bereiche  der  vor- 
dem Ciliararterieu  bedingt,  eine  Erscheinung,  [ohne  welche  man  sich  Entzündung  der 
Cornea  oder  Iris  nicht  wohl  denken  kann,  und  welche  dieser  Entzündung  allerdings 
durch  längere  Zeit  vorausgehen ,  aber  auch  wieder  verschwinden  kann ,  bevor  es  noch 
zur  Ausscheidung  faserstoffigen  Exsudates  in  irgend  einem  der  genannten  Gebilde  ge- 
kommen ist.  Diesen  rothen  Gürtel  von  Entzündung  des  Corpus  ciliare  (Kyklitis)  her- 
zuleiten, wie  in  neuerer  Zeit  Einige  gethan  haben,  heisst  an  die  Stelle  einer  als 
unhaltbar  erkannten  Hypothese  (Scleritis)  eine  andere,  nicht  um  ein  Haar  besser  be- 
gründete  setzen. 

Symptome.  Exquisite  Fälle  von  Iritis  rheumatica  beginnen  immer 
mit  sehr  lebhafter  Injection  der  vordem  Ciliargefässe,  mit  zonenförmi- 
ger  lichter  Rosenröthe  rings  um  die  Cornea,  unter  heftigen*  gewöhnlich 
stechenden  oder  reissenden,  anhaltenden  oder  aussetzenden  Schmerzen 
im  Auge  und  dessen  Umgebung,  meistens  in  der  ganzen  entsprechenden 
Kopfhälfte,  mit  heftiger  Lichtscheu  und  reichlichem  Thränenßusse.  Da- 
bei können  die  Veränderungen  in  der  Iris  relativ  noch  sehr  gering 
sein,  und  sich  auf  Verengerung  der  Pupille  ohne  Exsudat  in  derselben, 
geringere  Beweglichkeit  der  Iris  und  leichte  Entfärbung  derselben,  viel- 
leicht bloss  im  kleinen  Kreise  (dunklere  Färbung)  beschränken.  Äusserst 
selten  wird  man  selbst  bei  diesem  geringen  Grade  odcmatöse  Infiltra- 
tion der  Conjunctiva  bulbi  bis  in  den  Übergangstheil ,  und  selbst  des 
obern  Augenlides  vermissen,  welche  sonst  nur  den  höhern  Graden  an- 
derer Formen  von  Iritis  zukommt.  Vergrösserung  der  vordem  Augen- 
hammer kann  das  einzige  Zeichen  bereits  erfolgter  Exsudation  sein, 
aber  auch  fehlen.  Erst  bei  höherer  Steigerung  des  Übels  wird  die 
Schwellung  und  Lockerung  des  Gewebes  der  Iris,  vom  kleinen  Kreise 
aus,  und  die  Ausscheidimg  faserstoffigen  Exsudates  in  der  Pupille  und 
im  Humor  aqueus  deutlich  wahrnehmbar.    Das  Exsudat  ist  anfangs  mehr 


64  Regenbogenhaut. 

serös  als  faserstoffig,  daher  die  vordere  Augenkammer  (durch  Zurück- 
drängung der  Iris)  gewöhnlich  grösser,  die  Cornea  mehr  gespannt  und 
glänzend  erscheint;  in  andern  Fällen  erscheint  die  Cornea  matt,  wie 
mit  zahlreichen  Nadelstichen  besetzt  (ödematös?)  oder  durch  Präcipita- 
tion  von  Exsudat  an  der  Descemetschen  Haut  getrübt  (gleichmässig,  wie 
ein  angehauchtes  Glas,  oder  punktförmig),  oder  in  jenem  Zustande,  den 
wir  als  Keratitis  rheumatica  kennen  gelernt  haben.  Nur  bei  wiederholter 
oder  sehr  heftiger  Einwirkung  der  Ursache  (unzweckmässiger  Behand- 
lung) und  bei  Hornhautentzündung  mit  Eiterung  kommt  es  zu  reichlicher 
Ausscheidung  faserstoffigen  (eitrigen)  Exsudates  in  die  Pupille  oder  in 
den  Humor  aqueus,  so  dass  partielle  oder  totale  Pupillensperre  oder 
Senkung  des  Exsudates  in  der  vordem  Augenkammer  erfolgt.  Die 
Schwellung  des  Parenchyms  erreicht  auch  in  diesen  heftigsten  Fällen 
nicht  leicht  einen  hohen  Grad.  Blutgefässe  in  der  Iris  werden  aus  dem- 
selben Grunde  niemals  sichtbar,  ausser  nach  längerem  Bestehen,  wel- 
ches wieder  durch  andere  Momente  bedingt  ist.  Auch  tritt  die  durch 
Verkältung  bedingte  Iritis  niemals  partiell  auf. 

Vorkommen.  Die  Iritis  rheumatica  kommt  am  häufigsten  im  Man- 
nesalter vor,  minder  häufig  nach  dem  50.,  selten  vor  dem  20.  Jahre. 
Die  Aifection  befällt  nicht  leicht  beide  Augen  zugleich  oder  kurz  nach- 
einander. Eine  besondere  Anlage  dazu  kennen  wir  nicht;  es  muss 
jedoch  bemerkt  werden,  dass  eine  grosse  Zahl  der  betreffenden  Kran- 
ken angeben,  sie  haben  schon  früher  an  Affectionen  der  Augen  oder 
anderer  Körpertheile  gelitten,  welche  mit  Gewissheit  oder  mit  mehr 
weniger  Wahrscheinlichkeit  als  rheumatische  bezeichnet  werden  können. 
Vergl.  Keratit.  rheum.  Bd.  I.  S.  196. 

Prognosis.  Frische,  nicht  vernachlässigte  oder  misshandelte  Fälle 
lassen  im  Allgemeinen  eine  günstige  Prognosis  zu,  sowohl  was  die 
Dauer  als  die  Ausgänge  betrifft.  Das  Auge  kommt  ohne  oder  mit  leich- 
ten hintern  Synechien,  höchstens  mit  Pupillensperre  (durch  eine  dünne 
Exsudatschichte)  durch.  Selbst  bei  reichlich  angesammeltem  Faserstoffe 
in  den  Augenkammern  (Hypolympha)  ist  nichts  mehr,  als  Pupillensperre 
zu  fürchten.  Nur  bei  Eiteransammlung  (Hypopyum),  welche  jedoch  viel- 
leicht nur  bei  gleichzeitiger  Keratitis  mit  Abscess-  oder  Geschwürs- 
bildung vorkommt,  drohen  dem  Auge  solche  Veränderungen,  welche  jede 
Aussicht  auf  Wiederherstellung  des  Sehvermögens  benehmen.  Wären 
Zeichen  von  Chorioiditis  vorhanden  (Erweiterung  der  Pupille,  feurige 
Erscheinungen,  grössere  Störung  des  Sehvermögens,  als  nach  den  sicht- 
baren mechanischen  Hindernissen  angenommen  werden  kann),  so  müss- 
ten  diese  bei  der  Prognosis  wohl  in  Anschlag  gebracht  werden. 


Entzündung  —  rheumatische  —  Behandlung.  05 

Behandlung.  Vor  Allem  muss  für  gleiehmüssige  Temperatur  ge- 
sorgt werden.  Der  Kranke  soll  nicht  nur,  wie  bei  jeder  acuten  Iritis, 
im  Zimmer  bleiben,  sondern  lieber  das  Bett  hüten.  Ich  weiss,  dass  ich 
mit  Kranken  nicht  fertig  werden  konnte,  denen  ich  gestattet  hatte,  im 
Zimmer  herumzugehen,  sich  das  Gesicht  mit  frischem  Wasser  zu  wa- 
schen u.  dgl.  Das  Licht  werde  je  nach  der  Lichtscheu  temperirt,  doch 
lasse  man  das  Zimmer  niemals  so  stark  verdunkeln,  dass  selbst  das 
zur  Besichtigung  des  Auges  erforderliche  Licht  einen  grellen  Wechsel 
nöthig  machen  würde. 

Bei  lebhafter  Röthe  der  Sclera  und  heftigen  Schmerzen  beginne 
man  die  Behandlung  mit  8 — 10  Blutegeln  an  die  Schläfe.  Bei  der  Nach- 
blutung lasse  man  dafür  sorgen,  dass  nicht  neuerdings  Verkühlung  statt- 
finde. Sodann  werde  eine  Salbe  aus  4 — 8  Gran  Extr.  opii  aquosum  mit 
1  Drachme  Cng.  cinereum  an  die  Stirn  aufgestrichen,  ein  Stückchen 
Papier  darüber  gelegt,  und  die  entsprechende  Kopfhälfte  mit  einer  ge- 
wärmten Serviette  oder  mit  Watte  u.  dgl.  bedeckt,  so  dass  dieselbe  wie 
ein  Schirm  über  das  leidende  Auge  herabhängt,  und  noch  Luft  und 
Licht  zum  Auge  treten  lässt.  Statt  der  Salbe  habe  ich  auch  das  Em- 
plastrum  mercuriale,  mit  Opium  versetzt  und  auf  Leder  gestrichen,  mit 
grossem  Nutzen  angewendet.  Innerlich  reiche  man  Tart.  stibiatus  refr. 
dosi  allein  oder  mit  Glaubersalz,  bei  heftigen  Fällen,  namentlich  bei 
reichlichem  Exsudate  in  der  Augenkammer  als  Brechmittel  oder  in 
grossen  Gaben.  Bei  Diarrhöe  oder  Neigung  hiezu  verbinde  man  den 
Tart.  stib.  refr.  dosi  mit  einem  Opiate,  oder  gebe  Opium  allein,  mit 
einer  kleinen  Dosis  Calomel,  oder  ein  Infusum  ipecaeuanhae ,  natürlich 
nicht  promiscue  oder  pro  libitu,  sondern  mit  Auswahl,  je  nach  dem  Zu- 
stande des  ganzen  Organismus.  Bei  schwächlichen,  herabgekommenen 
Individuen  habe  ich  vom  Pulvis  Doveri  überraschende  Erfolge,  nament- 
lich baldige  Linderung  der  Schmerzen  und  der  Lichtscheu  beobachtet. 
—  Fuss-  oder  allgemeine  Bäder  habe  ich,  dem  Rathe  meines  verehrten 
Lehrers  folgend,  nie  angewendet,  so  lange  nicht  die  Röthe  der  Sclera 
verschwunden  war.  Ebenso  habe  ich  Senfteige,  Vesicantien  u.  dgl^ 
anfangs  nicht,  sondern  erst  dann  verordnet,  wenn  die  Entzündung  so 
gut  als  gehoben  war,  und  nur  noch  leichte  Röthe  und  grosse  Empfind- 
lichkeit gegen  das  Licht  zurückblieb.  Blutige  Sckröpfköpfe  hingegen, 
10 — 12  Stück  längs  der  Wirbelsäule,  wurden  oft  schon  früher,  und  in 
vielen,  namentlich  mehr  protrahirten  Fällen,  mit  sichtbarem  Nutzen 
applicirt.     (Vergl.  Keratitis  S.  197.) 


Ailt  Augenheilkunde.  II. 


66  Regenbogenhaut. 

3.    Iritis  syphilitica. 

Vorkommen.  Die  syphilitische  Regenbogenhautentzündung  ist  der 
Ausdruck  allgemeiner  Syphilis  am  Auge.  Sie  tritt  bei  Individuen,  welche 
an  Chancre  gelitten  haben,  bald  gleichzeitig  mit  andern  secundären 
Erscheinungen  auf,  namentlich  mit  Hautausschlägen  oder  Halsgeschwü- 
ren, bald  erst,  nachdem  diese  schon  einige  Zeit  bestehen  oder  auch 
schon  zurückgegangen  sind,  in  seltenen  Fällen  auch  bevor  sich  das  All- 
gemeinleiden noch  in  irgend  einem  andern  Organe  manifestirt  hat.  — 
Am  Auge  selbst  gehen  ihr  nicht  selten  andere  Entzündungsformen  vor- 
aus, namentlich  die  Erscheinungen  eines  gewöhnlichen  Bindehaut- 
katarrhes. 

Sie  entwickelt  sich  entweder  ohne  äussere  Veranlassung,  ohne  so- 
genannte Gelegenheitsursache,  oder  nach  den  verschiedensten  Einflüs- 
sen, z.  B.  nach  einem  Stosse  an's  Auge,  einem  Luftzuge,  nach  stärkerer 
Anstrengung  des  Auges,  u.  dgl.  Je  nach  der  verschiedenen  Entstehungs- 
weise können  die  ihr  eigenthümlichen  Erscheinungen  von  Anfang  mehr 
weniger  verwischt  oder  maskirt  werden;  im  weitern  Verlaufe  wird  e& 
jedoch  beinahe  jedesmal  möglich,  aus  dem  Verhalten  der  Entzündung 
selbst  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  zu  bestimmen,  ob  die  Iritis  als- 
Localausdruck  der  Syphilis  zu  betrachten  sei  oder  nicht. 

Symptome.  Entsteht  die  Krankheit,  ohne  dass  irgend  eine  andere 
Ursache  einen  merklichen  Antheil  an  deren  Provocirung  genommen  hat, 
so  können  Trübung  des  Gesichtes  und  etwas  gesteigerte  Empfindlichkeit 
gegen  Licht,  Anstrengung  u.  dgl.  die  ersten,  und  mehrere  Tage  lang  auch 
die  einzigen  Zufälle  sein,  welche  den  Kranken  auf  sein  Auge  aufmerk- 
sam machen.  Diese  Form  zeichnet  sich  nämlich  vor  Allem  durch  Lie- 
ferung eines  sehr  plastischen  Exsudates  aus.  Man  kann  daher,  auch 
wenn  es  vielleicht  noch  nicht  zu  beträchtlicher  Röthe  auf  der  Sclera, 
noch  nicht  zu  heftiger  Lichtscheu,  Schmerzen  u.  s.  w.  gekommen  ist, 
schon  manifeste  hintere  Synechien  und  einen  gleichmässigen  oder  punk- 
tirten  Beschlag  der  hintern  Hornhautwand  bemerken,  welcher  letztere 
jedoch  auch  oft  genug  mangelt.  Es  sind  Fälle  beobachtet  worden,  wo 
Klumpen  plastischen  Exsudates  bis  zur  Grösse  eines  halben  Hanfkornes 
an  die  Descemetsche  Haut  angelagert  waren.  Vergrösserung  der  vor- 
dem Kammer  (durch  serösen  Erguss)  wird  man  bei  einfach  durch  Sy- 
philis bedingten  Formen  kaum  jemals  beobachten;  auch  kommt  es  sel- 
ten vor,  dass  das  in  den  Humor  aqueus  ausgeschiedene  Exsudat  so 
wenig  consistent  ist,  um  sich  daselbst  zu  Boden  zu  setzen  und  seine 
Lage  je  nach  der  des  Kranken  ändern  zu  können.    Vor  Allem  ist  es> 


Entzündung  —  syphilitische  —  Symptome.  67 

das  Parenchym  der  Iris,  in  welches  faserstoffiges  Exsudat  abgelagert 
wird.  Es  kommen  Fälle  vor,  wo  die  übrigen  Zufälle  der  Entzündung 
keinen  hohen  Grad  erreicht  haben,  und  dennoch  der  kleine  Kreis  — 
ringsum  oder  stellenweise  —  verfärbt  (gewöhnlich  dunkler),  deutlich 
aufgelockert  und  geschwellt,  selbst  mit  sichtbaren  Blutgefässchen  durch- 
zogen erscheint.  Am  auffallendsten  gibt  sich  die  plastische  Exsudation 
durch  die  Bildung  geldlicher  oder  gelblichröthlicher  Knötchen  im  Gewebe 
der  Iris  selbst  kund. 

Sie  gleichen  mehr  den  Tuberkeln ,  als  den  Condylomen  der  Cutis  und  kommen  in 
der  überwiegenden  Mehrzahl  der  hieher  gehörigen  Fälle  vor.  Ausser  bei  Syphilis  sah 
ich  sie  (unter  mindestens  400  Fällen)  nur  in  zwei  Fällen,  welche  ich  weiter  unten  aus- 
führlich mittheilen  werde.  Man  beobachtet  diese  Knötchen  öfters  im  kleinen,  als  im  grossen 
Kreise;  in  letzterem  Falle  entwickeln  sie  sich  von  der  äussersten  Peripherie  der  Iris  her ;  sie 
dürften  manchmal  vom  Ligamentum  ciliare  ausgehen.  Erheben  sie  sich  mehr  gegen  die 
vordere  Irisfläche,  so  erscheinen  sie  wie  lichtgelbe  Mohn-,  Hirse-  oder  Hanfkörner,  welche 
zur  Hälfte  in  den  Humor  aqueus  vorragen,  und  durch  mehr  oder  weniger  deutlich  sichtbare 
Blutgefässchen  (an  ihrer  Basis  und  Oberfläche)  einen  Stich  ins  Gold-  oder  Böthlichgelbe 
erhalten.  In  andern  Fällen  erheben  sie  sich  mehr  gegen  die  Uvea  hin,  und  bilden  kleine 
knotige  Anschwellungen  oder  Vorspränge  des  Pupillarrandes,  deren  Zahl  zwischen  1  und 
7 — 10  schwankt,  oder  sie  drängen  die  Iris  an  einer  (mehreren)  Stelle  so  vorwärts,  als  ob 
sie  zwischen  diese  und  die  Kapsel  eingeschoben  wären.  Sie  können  so  gross  werden, 
dass  sie  den  grössten  Theil,  ja  das  ganze  Lumen  der  vordem  Kammer  ausfüllen.  Ich 
habe  zwei  Fälle  beobachtet,  wo  solche  Exsudatknoten,  vom  Ciliarrande  der  Iris  ausgehend, 
so  gross  wurden,  dass  sie  endlich  nicht  nur  die  vordere  Kammer  aufhoben,  sondern  auch 
den  angrenzenden  Theil  der  Sclera  und  die  Cornea  auswärts  drängten,  und  eine  Hervor- 
wülbung  von  der  Grösse  einer  halben  Haselnuss  bildeten.  Sie  schienen  hier,  wenigstens  zum 
Theil,  vom  Ligamentum  ciliare  ausgegangen  zu  sein.  In  dem  einen  dieser  Fälle  waren 
die  Scleralfasern  durch  den  Druck  des  Exsudates  allmälig  resorbirt  oder  weit  auseinander 
gedrängt  worden,  und  es  hatte  den  Anschein,  als  müsste  der  Inhalt  der  durch  die  Bindehaut 
durchscheinenden  gelben  Geschwulst  flüssig,  eitrig  sein  ;  ein  hinreichend  grosser  Einstich  mit 
einem  Staarmesser  belehrte  uns,  dass  die  Masse  consistent  und  derb,  speckähnlich  war. 
Diese  Masse  wurde  endlich  resorbirt,  und  der  Bulbus  schrumpfte,  ohne  irgendwo  auf- 
gebrochen zu  sein,  zu  einem  unförmlichen  Klumpen  zusammen.  Derselbe  Ausgang  erfolgte 
auch  in  dem  zweiten  Falle,  wo  übi-igens  Anfangs,  bevor  das  Condylom  noch  eine  solche 
Ausdehnung  zu  gewinnen  angefangen  hatte ,  durch  längere  Zeit  auch  etwas  flüssiges 
Exsudat  zu  unterst  der  Augenkummer  angesammelt  gewesen  war. 

So  wenig  ich  mich  jemals  von  wirklicher  Eiteransammlung  in  der  vordem  Augen- 
kammer (bei  dieser  Form)  überzeugen  konnte,  so  sah  ich  auch  niemals  eitrige  Schmel- 
zung solcher  Exsudatknoten  eintreten.  Sie  nahmen  —  mit  Ausnahme  der  genannten 
zwei  Fälle  —  allmälig  an  Grösse  ab ,  und  die  grösseren  hinterliessen  gewöhnlich  sehr 
lange  bestehende  missfarbige  (schmutzig  braune  oder  schiefergraue)  Flecken  in  der  Iris. 
"Wo  eine  mehr  gleichmässige  Infiltration  des  Gewebes  der  Iris  bestanden  hatte,  erlangte 
die  Iris  so  lange,  als  ich  Gelegenheit  hatte,  die  Fälle  zu  beobachten,  ihr  normales  Aus- 
sehen in  Bezug  auf  Farbe  und  Faserbau  nicht  wieder. 

Sehr  häufig  kann  man  gerade   bei  dieser  Form  schon  mit  freiem 

5* 


t»s  Regenbogenhaut. 

Auge  Blutgefässe  auf  der  Iris  wahrnehmen,  namentlich  in  der  innern 
Zone  und  im  Umfange  der  genannten  Exsudatknoten.  Bei  anderen  For- 
men von  Iritis  sieht  man  diese  Erscheinung  nur  dann,  wenn  die  ganze 
Iris  entzündet  und  deutlich  angeschwollen,  oder  wenn  sie  nach  längerem 
Bestände  der  Entzündung  in  ihrer  Structur  gariz  verändert,  der  Rück- 
fluss  des  Blutes  durch  die  Chorioidea  (wegen  hinzugetretener  Chorioi- 
ditis) gehindert  ist;  bei  dieser  Form  sah  ich  mehrmals  nur  eine  Stelle 
der  Iris  inriltrirt  und  mit  hellrothen  Gefässreiserchen  versehen,  während 
die  übrige  Iris  weder  verfärbt,  noch  in  ihrer  Beweglichkeit  merklich 
beeinträchtigt  war. 

Die  Entzündung  kann  sieh  tätigere  Zeit  als  eine  partielle  behaupten. 
Wie  eigenthümlich  die  Mehrzahl  der  hieher  gehörigen  Fälle  sich  ge- 
staltet, ersieht  man  am  besten  daraus,  dass  manche  Autoren  diese  Af- 
fection  der  Iris  nicht  als  Entzündung,  sondern  als  einen  exanthemati- 
schen  Process  betrachtet  wissen  wollen. 

Beer  und  viele  Autoren  nach  ihm  haben  Verrückung  der  Pupille 
nach  innen  und  oben  als  charakteristisch  bezeichnet.  Ist  man  auf  dieses 
Symptom  bei  einer  grossen  Zahl  verschiedener  Fälle  von  Iritis  aufmerk- 
sam, so  findet  man,  dass  dasselbe  auffallend  häufig  und  deutlich  ausge- 
prägt bei  der  syphilitischen  Iritis  vorkommt;  es  erscheint  aber  weder 
constant,  noch  ausschliesslich  bei  dieser  Form. 

Bei  der  Auffassung  dieser  Erscheinung  muss  man  sich  gegenwärtig  halten,  dass 
die  Pupille  im  normalen  Zustande  etwa  '/s'"  weiter  nach  innen  liegt,  und  dass  der  Scleral- 
und  Bindehautsaum  von  oben  her  viel  weiter  über  den  Band  der  Cornea  hereingreift. 
Steht  das  beobachtende  Auge  etwas  höher,  als  das  beobachtete,  so  erscheint  die  Pupille 
jederzeit  ein  wenig  nach  innen  und  oben  verrückt.  Will  man  also  die  Lage  des  Pupillar- 
randes  zum  Ciliarrande  der  Iris  richtig  beurtheilen,  so  muss  man  das  Auge  auch  von  unten 
und  aussen  her  betrachten.  —  Wenn  bei  einer  Iritis  plastisches  Exsudat  an  die  Oberfläche 
(am  Pupillarrande,  in  den  Humor  aqueus)  geliefert  wird,  bevor  noch  der  Sphinkter  durch 
starke  Hyperämie  und  ödematose  Schwellung  in  seiner  Function  gehemmt  ist,  so  kann 
es  leicht  geschehen,  dass  zu  einer  Zeit,  wo  die  Pupille  sehr  verengert  ist  (während  des 
Schlafes),  der  Pupillarrand  an  die  Kapsel  angelöthet  wird,  und  dass  die  angeklebte  Partie 
fixirt  bleibt,  wenn  die  Pupille  (im  wachen  Zustande)  wieder  grösser  wird.  Die  Anlöthung 
kann  an  zahlreichen  Stellen  des  ganzen  Umfanges  erfolgen;  sie  findet  aber  erfahrungs- 
gemäss  am  häufigsten  in  der  untern  Partie  statt.  Die  Ursache  hievon  ist  wohl  die,  dass 
das  in  den  Humor  aqueus  ausgeschiedene  plastische  Exsudat  sich  zwischen  die  Iris  und 
Kapsel  einsenkt,  oder  sich  in  der  untern  Hälfte  des  Pupillarrandes  an  die  Kapsel  anlegt 
vn&  beide  verbindet.  In  allen  Fällen,  wo  eine  wirkliche  Dislocation  der  Pupille  nach 
innen  und  oben  oder  nach  aussen  und  oben  vorkam,  überzeugte  ich  mich,  dass  der 
untere  Theil  der  Iris  an  einem  dem  Centrum  der  Kapsel  näher  gelegenen  Theile  dieser 
letztern  fixirt,  der  obere  Theil  (73  oder  zh)  aber  noch  frei  beweglich  war. 

In  Bezug  auf  die  Grösse  und  Gestalt  der  Pupille  finden  überhaupt  grosse  Schwan- 
kungen statt.     Es  gibt  Fälle,  wo  die  Pupille  beträchtlich  verengert,    aber  auch  Fälle,  wo 


Entzündung  —  syphilitische  —  Verlauf  —  Ausgänge.  69 

sie  auffallend  gross,  selbst  continuirlich  (wie  durch  "Belladonna)  erweitert  ist.  Man  kann 
annehmen,  dass  in  Fällen  mit  erweiterter  Tupille  die  Chorioidea,  namentlich  das  Ciliarband 
der  Sitz  von  Exsudaten  sei.  —  Gerade  in  solchen  Fällen  steht  die  Störung  des  Gesichtes 
in  keinem  Verhältnisse  zur  Trübung  der  durchsichtigen  Medien ;  die  Kranken  klagen,  wenn 
die  Coi-nea,  der  Humor  aqueus  und  die  Pupille  bereits  rein  geworden  sind,  über  mehr 
weniger  starke  Trübung.  Weiter  unten  folgt  die  Beschreibung  eines  Falles,  welcher  mit 
Bestimmtheit  für  Chorioiditis  syphilitica  erklärt  werden  kann.  —  Wenn  die  Pupille  nicht 
verengert  ist,  so  kann  man  oft  eine  grosse  Zahl  isolirter  und  etwas  wulstiger  hinterer 
Synechien  wahrnehmen ,  und  in  gelinderen  Fällen  kann  man  bisweilen  bemerken ,  dass 
die  eine  oder  die  andere  Synechie  nach  ein-  oder  zweitägigem  Bestände  -verschwindet, 
dagegen  vielleicht  an  einer  zweiten  oder  dritten  Stelle  wieder  auftaucht.  * 

Ein  heftiger  bohrende/'  Schmers  in  der  Gegend  des  Sinns  fron- 
talis ist  ein  hervorragendes  S}-mptom  dieser  Form  von  Iritis.  Kranke, 
welche  über  Tag-  selbst  in's  Freie  gehen  können,  werden  Abends  von 
Lichtscheu  und  Thränenfluss,  und  bald  darauf  von  anhaltendem  Schmerze 
in  der  Stirn,  wohl  auch  in  der  ganzen  Kopfhälfte  befallen,  oder  plötz- 
lich in  der  Nacht  durch  denselben  aus  dem  Schlafe  geweckt,  und  auf 
eine  bisweilen  fürchterliche  Art  gequält,  bis  derselbe  nach  Mitternacht 
oder  gegen  Morgen  von  selbst  verschwindet.  Nach  jedem  solchen 
Schmerzanfalle  findet  man  mehr  Exsudat  in  der  Pupille  oder  in  der 
Iris.  Wenn  bei  einer  Iritis  derlei  Anfälle  auftreten,  hat  man  Grund, 
Syphilis  als  Ursache  zu  vermuthen;  sie  treten  jedoch  nicht  in  allen 
Fällen  so  deutlich  markirt  hervor;  in  vielen  Fällen  sind  die  Schmerzen 
mehr  anhaltend  oder  bloss  remittirend,  in  andern  nicht  gerade  an  jene 
Tageszeit  gebunden.  Es  gibt  Fälle,  welche  gleich  in  den  ersten  Tagen 
mit  solchen  Schmerzen  auftreten  und  dadurch  ihre  Natur  verratken, 
aber  auch  Fälle,  wo  die  Entzündung  —  nach  der  Injection  der  Ciliar- 
gefässe  und  nach  der  Menge  des  Exsudates  zu  schliessen  —  bereits  einen 
hohen  Grad  erreicht  hat,  und  dennoch  nicht  nur  über  Tag-,  sondern  auch 
des  Nachts  weder  Schmerzen  noch  Lichtscheu  (in  erheblichem  Grade) 
vorhanden  sind;   sie  erscheinen  als  seltene  Ausnahmen  von  der  Regel. 

Verlauf  —  Ausgänge.  Diese  Entzündung  tritt  fast  immer  nur 
an  Einem  Auge  auf,  und  zwingt  durch  die  genannten  Schmerzanfälle 
selbst  jene  Kranke,  ärztliche  Hilfe  zu  suchen,  bei  welchen  die  Ab- 
nahme der  Sehkraft  allein  hiezu  noch  nicht  hinreicht.  Wenn  aber  das 
Allgemeinleiden  nicht  gänzlich  behoben  worden  ist,  so  pflegt,  bald 
noch  während  das  eine  Auge  entzündet  ist,  bald  erst  kürzere  oder 
längere  Zeit  nachher,  auch  das  andere  Auge  ergriffen  zu  werden. 

Die  Entzündung  kann,  auch  wenn  ihr  keine  ärztliche  Behandlung 
entgegen  gesetzt  wird,  einfach  mit  Pupillensperre,  oder  bloss  mit 
hintern  Synechien  enden;   es  kommen  wenigstens  Fälle  vor,  wo   man 


70  Regenbogenhaut. 

auf  dem  einen  Auge  diesen  Ausgang,  auf  dem  andern  unzweifelhaft 
eine  syphilitische  Iritis  findet  ?  und  nach  den  Angaben  des  Kranken 
annehmen  kann,  dass  an  dem  zuerst  erkrankten  Auge  derselbe  Process 
stattgefunden  habe.  —  Ein  eigenthümlicher  Ausgang  ist  der  in  exor- 
bitante Vergrösserung  der  genannten  Exsudatknoten  und  unrettbare 
Zerstörung  der  Sehkraft  (durch  Chorioiditis). 

Nebst  den  bereits  erwähnt en  zwei  Fällen  habe  ich  in  späterer  Zeit  noch  einen  dritten  zu 
beobachten  Gelegenheit  gehabt;  seine  Beschreibung  folgt  weiter  unten.  Solche  Fälle  waren 
es  wohl,  welche  Makenzie  vor  Augen  hatte,  wenn  er  S.  428  Folgendes  schrieb:  „"Wenn 
die  syphilitische  Iritis  vernachlässigt  wird,  so  verschliesst  sich  nicht  allein  die  Pupille  sehr 
schnell,  und  wird  durch  ergossene  Lymphe  mit  der  Linsenkapsel  verklebt,  sondern  die 
Iris  verändert  sich  auf  eine  merkwürdige  Weise  in  ihrem  Aussehen,  und  zwar  weit  mehr, 
als  bei  irgend  einer  andern  Art  von  Iritis.  Auch  die  Cornea  wird  neblig,  und  manchmal 
mit  winzigen  braunen  Flecken  punktirt.  Die  vordere  Kammer  nimmt  an  Grösse  ab,  indem 
die  Iris  vorwärts  gedrängt  wird ,  und  die  Cornea  endlich  an  Durchmesser  verliert.  Die 
Sclerotica,  Chorioidea  und  Retina  nehmen  sämmtlich  an  der  Entzündung  Theil ;  die  Eetina 
wird  unempfindlich  für  das  Licht,  während  die  Chorioidea  durch  die  abgezehrte  Sclerotica 
hie  und  da  in  dunkelblauer  Farbe  vorragt.  Die  Linse  und  die  Glasfeuchtigkeit  sind  auch 
desorganisirt."  —  „Das  oben  erwähnte  Aussehen  entspringt  nicht  aus  einer  Ansammlung 
purulenter  Flüssigkeit,  und  es  fliesst  nichts  aus,  nachdem  man  mit  der  Lanzette  die  Häute 
durchdrungen  hat.  Wenn  der  Organismus  unter  den  Einfluss  des  Quecksilbers  gesetzt 
worden  ist,  so  schrumpft  unter  diesen  Umständen  das  Auge  zu  einem  kleinen  Volumen  ein ; 
ist  dieses  aber  nicht  geschehen,  oder  ist  eine  unzulängliche  Quantität  Quecksilber  gereicht 
worden,  so  kann  die  Sclerotica  zerreissen,  und  ein  schwammiger  Auswuchs  hervortreten." 

Den  von  Beer  u.  A.  erwähnten  Ausgang  in  Erweichung  des  Glas- 
körpers (?)  habe  ich  bloss  ein  Mal  beobachtet.  Ich  wurde  zu  einem 
jungen  Manne  gerufen,  welcher  wegen  Iritis  syphilitica  mit  Mercur  bis 
zum  Eintritte  reichlicher  Salivation  behandelt  worden  war.  Die  Pupille 
war  ziemlich  rein  geworden,  aber  der  Kranke  konnte  nicht  einmal 
die  Zahl  der  vorgehaltenen  Finger  bestimmen.  Die  Untersuchung 
zeigte  den  Bulbus  weich,  matsch,  etwas  kleiner,  in  der  Gegend  der 
Musculi  recti  eingedrückt.  Es  wurden  warme  Bäder  verordnet,  dem 
Kranken  eine  nahrhaftere  Kost  verabreicht,  und,  da  die  Jahreszeit  es 
zuliess,  auch  der  Genuss  der  frischen  Luft  sehr  bald  gestattet.  Nach 
5  Wochen  war  das  Auge  vollkommen  genesen. 

Behandlung.  Bei  dieser  hat  man  sein  Augenmerk  so  gut  auf 
das  Allgemeinleiden,  wie  auf  die  örtlichen  Erscheinungen  zu  richten. 
So  sehr  gefehlt  es  wäre,  die  Entzündung  der  Iris  ohne  Rücksicht  auf 
ihr  ursächliches  Verhältniss  bloss  nach  den  allgemeinen  Principien  der 
Antiphlogose  behandeln  zu  wollen,  so  verderblich  würde  es  auch  sein, 
von  einer  gegen  das  Allgemeinleiden  allein  gerichteten  Behandlung 
alles  Heil  erwarten  zu  wollen. 


Entzündung  —  scrofulöse  —  Symptome.  71 

Als  örtlicher  Process  aufgefasst,  erfordert  diese  Iritis  je  nach  den 
verschiedenen  Zufällen  eine  verschiedene  Behandlung.  Bei  gelindem 
Auftreten  der  Entzündung  bedarf  dieselbe  bei  Abhaltung  der  verschie- 
denen schädlichen  Einflüsse,  z.  B.  Anstrengung  des  andern  Auges, 
grellen  Lichtes,  geistiger  Getränke  u.  dgl.  keiner  örtlichen  Mittel. 

Bei  starker  Gefässinjection,  Lichtscheu,  Thränenfluss  und  Schmer- 
zen sind  örtliche  Blutentziehungen  nothwendig,  um  so  reichlicher  und 
wiederholt,  wenn  diese  Zufälle  und  die  Exsudation  auf  stetes  Steigen 
der  Entzündung  deuten.  Die  meiste  Gefahr  bringen  die  nächtlichen 
Schmerzanfälle,  und  diese  sind  es  auch,  von  welchen  solche  Kranke 
vor  Allem  befreit  sein  wollen.  Nach  vorausgeschickter  Blutentziehung, 
wo  die  Anzeige  dazu  vorhanden,  werden  sie  am  schnellsten  und  sicher- 
sten behoben,  wenn  man  (noch  vor  der  Exacerbation)  unguent.  Jieapolit. 
mit  J — 8  Gran  Opium  (auf  1  5)  an  die  Stirn  und  Schläfe  reichlich 
(und  nach  2—3  Stunden  wiederholt)  einreiben  lässt,  und  dann  eine 
trockene  warme  Compresse  darüber  herabhängt.  Andere  Narcotica  sind 
weniger  verlässlich,  und  die  Mvdriatica  (nach  meiner  Erfahrung)  schäd- 
lich. Alle  Mittel  aufs  Auge  selbst  sind  auch  hier,  wie  bei  jeder  Iritis 
überhaupt,  schädlich. 

Die  Behandlung  des  Allgemeinleidens  richtet  sich  grösstenteils 
nach  der  Individualität  und  den  Verhältnissen  des  Kranken  mit  Be- 
rücksichtigung der  Affection  des  Auges  sowohl,  als  anderweitiger 
syphilitischer  Erscheinungen. 

Es  kau^  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein ,  aus  einander  zu  setzen,  wie  die  Syphilis 
überhaupt  zu  behandeln  sei.  Ich  will  daher  nur  jene  Methoden  in  Kürze  anführen,  welche 
ich  angewendet  habe.  —  Bei  einfachen  Formen  habe  ich  sehr  oft  den  besten  Erfolg  von 
dem  zweckmässigen  Gebrauche  des  Calomels  allein  oder  mit  Opium  gesehen ,  täglich 
•2 — 3mal  zu  ik  Gran  verabreicht,  bis  zu  den  Vorboten  der  Salivation.  Sublimat,  am  besten 
in  Pillenform  (nach  Dzondi  oder  Hofmann)  passt  mehr  für  inveterirte  Fälle.  Der  Gebrauch 
der  Jodpräparate  ist  nur  bei  jenen  Fällen  zulässig,  welche  mit  gelinden  Keactionserschei- 
nungen  verlaufen ,  UDd  wo  bereits  viel  Mercur  (unzweckmässig)  genommen  wurde.  Von 
strenger  Durchführung  der  Entziehungscur,  unterstützt  durch  Holztränke,  sah  ich  in  einigen 
Fällen,  wo  gleichfalls  schon  viel  Mercur  gebraucht  worden  war,  vortreffliche  Wirkung. 
Mit  Terpentinöl  nach  Carmichael  habe  ich  in  den  wenigen  Fällen,  die  ich  damit  behan- 
delte, keinen  günstigen  Erfolg  erhalten. 

4.    Iritis  scrqfulosa. 

Scrofulosis  (Tuberculosis)  ist  sehr  oft  die  Ursache,  dass  am  Auge 
eine  Reihe  krankhafter  Erscheinungen  auftritt,  welche  wir  als  Iritis  be- 
zeichnen müssen.  Individuen,  welche  anderweitige  Zeichen  dieses  All- 
gemeinleidens mehr  weniger  deutlich  ausgeprägt  darbieten,    erkranken 


72  Regenbogenhaut. 

auf  dem  einen,  und  über  kurz  oder  lang  auch  auf  dem  andern  Auge 
an  Iritis,  bald  ohne  äussere  Veranlassung,  selbst  während  des  zweck- 
mässigsten  Verhaltens,  bald  nach  diesem  oder  jenem  Einflüsse,  und  die 
Iritis  nimmt  sofort  einen  eigenthümlichen  Verlauf. 

A.  Wird  ihr  Ausbruch  nicht  durch  heftigere  Gelegenheitsursachen 
erregt,  so  macht  sie  Anfangs  sehr  gelinde  Zufälle,  und  zeigt  einen  mehr 
langsamen,  schleichenden  Verlauf.  Sie  zeichnet  sich  dann,  gleich  der 
syphilitischen  Iritis,  vorzüglich  durch  Ausscheidung  plastischen  Exsuda- 
tes bei  relativer  Geringfügigkeit  der  übrigen  entzündlichen  Zufälle  aus. 
Diese  Ausscheidung  geschieht  aber  nicht  wie  bei  jener  vorzugsweise 
in's  Parenchym  der  Iris,  sondern  hauptsächlich  in  de?i  Humor  aqueus, 
und  präcipitirt  sich  dann  an  die  Descemetsche  Haut  oder  am  Pupillar- 
rande,  in  der  Pupille.  Erst  nach  längerer  Dauer  und  bei  grösserer 
Heftigkeit  wird  das  Gewebe  der  Iris  selbst  infiltrirt  und  mannigfach 
verändert.  Desshalb  sind  die  hieher  gehörigen  Fälle  auch  meistens 
als  Hydromeningitis,  Iritis  exsudativa,  Iritis  chronica  u.  dgl.  beschrieben 
worden. 

Alhnälige  Abnahme  der  Sehkraft  ist  in  solchen  Fällen  fast  immer 
der  erste  Zufall,  welcher  den  Kranken  auf  sein  Auge  aufmerksam 
macht.  Der  Arzt  kann  leicht  eine  Amblyopie  vor  sich  zu  haben  ver- 
meinen, denn  es  kann  die  Injection  der  vordem  Ciliar  arterien  dabei 
sehr  gering,  die  Farbe  und  Beweglichkeit  der  Iris  kaum  merklich  ver- 
ändert, der  Kranke  von  Schmerz  und  Lichtscheu  ganz  frei  sein.  In 
diesen  Irrthum  kann  man  um  so  leichter  verfallen,  wenn  %lie  Pupille 
eher  erweitert  als  verengert,  dabei  nicht  entrundet,  und  die  Iris  minder 
lebhaft  beweglich  gefunden  wird,  was  gerade  bei  dieser  Form  nicht 
selten  vorkommt.  Untersucht  man  aber  das  Object  genauer,  so  werden 
graue  oder  braune  Punkte  an  der  hintern  Wand  der  Cornea  (an  der 
untern  Hälfte,  der  Pupille  gegenüber)  wenigstens  dem  bewaffneten  Auge 
nicht  entgehen,  und  die  nächste  Umgebung  der  Cornea  wird  dabei, 
falls  der  Exsudationsprocess  noch  im  Gange  ist,  eine  abnorme  Injection 
annehmen.  Leichter  ist  der  Sitz  und  die  Natur  des  Augenleidens  zu 
erkennen,  wenn  bereits  hintere  Synechien  eingetreten  sind. 

Die  Krankheit  kann  auf  dieser  Stufe  mit  wechselnder  Besserung 
und  Verschlimmerung  Wochen,  Monate  lang  stehen  bleiben,  und  auch, 
ohne  weiter  zu  gehen,  wieder  verschwinden.  Die  Exsudate  an  der  Cor- 
nea, bisweilen  selbst  hintere  Synechien  verlieren  sich  mit  der  Zeit  voll- 
ständig. Vergrösserung  der  vordem  Augenkammer,  Kurzsichtigkeit, 
Mückensehen  und  Unvermögen  zu  anhaltender  Anstrengung  der  Augen 
bleiben  häufig  durch  längere  Zeit  zurück. 


Entzündung  —  scrofulöse  —  Symptome.  73 

Wemi  hintere  Synechien  entstanden  sind,  so  ändern  sich  auch  der 
Glanz,  die  Farbe,  die  Faserung  und  die  Beweglichkeit  der  Iris,  und  die 
entrundete  Pupille  erscheint  in  manchen  Fällen  excentrisch,  aus  ihrer 
Lage  verrückt.  —  In  andern  Fällen  bemerkt  man  nach  kürzerem  oder 
längerem  Bestände  der  Entzündung  eine  in  der  Pupille  spinnwebenartig 
ausgespannte  feine  Membran,  oder  einen  vollständigen  oder  theilweisen 
E.vsudatring  innerhalb  des  Pupillarrandes.  Dabei  können  die  Exsudate 
an  der  Wasserhaut  fehlen,  aber  auch  so  zahlreich  sein,  dass  sie  die 
Gegenwart  des  Exsudates  in  der  Pupille  Anfangs  gar  nicht  oder  nicht 
bestimmt  erkennen  lassen.  Die  meisten  Fälle  von  ganzlieher  Pupillen- 
sperre und  von  Cataracta  accreta,  welche  dem  Arzte  vorkommen,  sind 
durch  Iritis  scrofulosa  bedingt.  Schon  Adam  Schmidt,  der  erste  Autor 
über  Iritis,  spricht  von  Pupillensperre  durch  „scrofulöse  Iritis".*) 

Diese  Form  von  Iritis  ist  es  vor  allen,  welche  gern  zur  Verkle- 
bung der  Iris  and  Cornea  von  der  Peripherie  führt.  Wenn  dann  zu- 
gleich der  Pupillarrand  durch  ringförmig  oder  membranartig  abgelager- 
tes Exsudat  an  die  Kapsel  angelötriet  ist,  so  geschieht  es,  dass  die 
zwischen  dem  Ciliar-  und  Pupillarrande  gelegene  Partie  der  Iris  durch 
flüssiges  oder  festes  Exsudat  hinter  ihr  hervorgetrieben,  und  allmälig 
in  ihrer  Farbe  und  Structur  verändert,  durch  Druck  atrophisch  wird. 
Während  dieser  Ausgang  im  Anzüge  ist,  sieht  man  bisweilen  einzelne 
Gefässe  (Venen)  auf  der  Iris  sehr  erweitert,  und  durch  Berstung  ver- 
möge des  gehinderten  Rückflusses  auch  Blut  in  die  Augenkammer  aus- 
getreten. In  mehreren  Fällen  sah  ich  auch  Gefässe  vom  Pupillarrande 
aus  auf  die  Exsudatschichte  übergehen,  welche  die  Pupille  verlegte. 
(Vergl.  Ausgang  5,  S.  46.) 

Gänzlich  vernichtend  für  die  Sehkraft  werden  hieher  gehörige  Fälle 
durch  das  oft  unvermerkte  und  häufig  wohl  auch  unabwendbare  Hinzu- 
treten von  Chorioiditis.  (Vergl.  Ausgang  7,  S.  47.)  Wenn  dieser  Aus- 
gang sich  auch  nicht  durch  verminderte  Consistenz  und  allmäliges 
Schrumpfen  des  Bulbus  oder  aber  durch  abnorme  Spannung  und  Ver- 
grösserung  des  Bulbus  mit  oder  ohne  Staphylomata  sclerae  kund  gibt, 
wenn  selbst  das  Auge  noch  nicht  alle  Lichtempfindung  verloren  hat, 
so  vermag  doch  in  der  Regel  weder  eine  entsprechende  diätetisch- 
pharmaceutische  Behandlung,  noch  die  Anlegung  einer  künstlichen  Pu- 
pille (mit  oder  ohne  Beseitigung  der  oft  verdunkelten  Linse)  das  Seh- 
vermögen wieder  herzustellen. 

Objectiv  und  bloss  nach  dem  Befunde  am  Auge  lassen  sich  solche 

*)  Himly's  ophthalm.  Bibliothek,  2.  Band,  1.  Stück.  S.  22,  34  und  35. 


74  Regenbogenhaut. 

Fälle  nur  selten  von  anderweitig  bedingten,  namentlich  von  jenen  un- 
terscheiden, welche  in  Folge  deprimirender  Einflüsse  (siehe  S.  50)  ent- 
stehen, besonders  dann,  wenn  das  Individuum,  das  an  Scrofulosis  (Tu- 
berculosis) leidet,  sehr  herab  gekommen  ist.  Es  kann  dann  nur  die 
Erhebung  des  allgemeinen  Befundes  und  der  Anamnesis  für  das 
eine  oder  das  andere  ursächliche  Moment  überwiegende  Wahrschein- 
lichkeit geben.  Häufig  muss  man  sich  mit  der  Bezeichnung  „chronische 
Iritis  oder  Iridochorioiditis"  begnügen. 

B.  Tritt  diese  Iritis  mit  heftigen  Reactionserscheinungen  von  Seite 
des  Gefäss-  und  Nerveiisystenies  auf,  was  in  der  Eegel  nur  nach  ma- 
nifesten äussern  Veranlassungen  oder  bei  Combination  mit  Keratitis 
oder  Scleritis  scrofulosa  geschieht,  dann  pflegt  auch  die  Ausscheidimg 
faserstoffigen  Exsudates  in  die  Augenkammern  reichlich  zu  sein,  so 
dass  sich  dasselbe  in  Form  grosser  Flocken  an  den  untern  Theil  der 
Cornea  anlegt,  oder  als  lichtgelbe,  mehr  weniger  bewegliche  Masse 
halbmondförmig  zu  unterst  ansammelt.  —  Es  gibt  Fälle,  welche  sogleich 
mit  heftigen  Erscheinungen  beginnen,  während  andere  Male  erst  nach 
längerem  Bestehen  der  Entzündung  auf  demselben  oder  auf  dem  an- 
dern Auge  so  heftige  Zufälle  beobachtet  werden.  Die  Injection  der 
vordem  Ciliararterien  reicht  dann  bis  in  den  Limbus  conjunctivae, 
welcher  bisweilen  etwas  geschwellt  und  so  stark  geröthet  erscheint, 
dass  es  aussieht,  als  ob  daselbst  Blut  ausgetreten  wäre.  In  andern 
Fällen  sind  es  bloss  die  tiefern,  nächst  der  Descemetschen  Haut  in  die 
Cornea  eindringenden  Astchen  der  Ciliararterien,  welche  so  stark  inji- 
cirt  erscheinen,  dass  sie  ein  Blutextravasat  vortäuschen.  Oft  ist  diese 
Injection  das  erste  Zeichen  des  Hinzutretens  von  Keratitis;  häufiger 
findet  der  Fall  statt,  dass  zu  den  Zeichen  der  Keratitis  oder  Kerato- 
scleritis  scrofulosa  die  der  Iritis  hinzutreten,  und  dass  wegen  der  Horn- 
hauttrübung die  Veränderungen  in  der  Iris  und  Pupille  längere  Zeit 
nicht  mit  Bestimmtheit  erkannt  werden  können.  Wegen  der  heftigen 
Schmerzen,  die  im  Auge  als  drückend,  in  der  Umgebung  als  stechend 
oder  reissend  bezeichnet  zu  werden  pflegen,  begleitet  von  starker  Licht- 
scheu und  reichlichem  Thränenjlusse,  sind  solche  Fälle  häufig  als  rheu- 
matisch bezeichnet  worden.  In  vielen  Fällen  treten  die  Zufälle  von 
Seite  des  Nervensystems,  ja  selbst  die  Trübung  des  Gesichtes,  durch 
die  Exsudation  entschieden  in  den  Morgenstunden  starker  auf.  —  In 
solchen  heftigen  Fällen  fiebern  die  Kranken,  und  magern,  da  das  Übel 
hartnäckig  anhält,  zusehends  ab.  In  den  meisten  Fällen  ist  es  nicht 
mit  einem  Anfalle  abgcthan ',  die  Krankheit  bricht,  oft  ohne  alle  äussere 
Veranlassung,  nach   einem   Stillstande   von  Wochen  oder  Monaten  mit 


Entzündung  —  scrofulöse  —  Ausgänge  —  Vorkommen.        '  75 

erneuter  Heftigkeit  auf  demselben  oder  auf  dem  andern  Auge  aus,  und 
lässt  dann  selten  noch  eine  Restitutio  ad  integrum  zu. 

Die  Ausgänge  sind  im  Ganzen  dieselben,  wie  die  unter  A  ange- 
gebenen. Mir  ist  kein  einziger  Fall  vorgekommen,  wo  bei  der  grössten 
Heftigkeit  der  entzündlichen  Erscheinungen  Panophthalmitis  mit  Ver- 
eiterung der  Cornea  vorgekommen  wäre,  ein  Ausgang,  der  nach  Iritis 
traumatica  eben  nicht  selten  eintritt.  Durch  reichlicheren  Lympherguss 
kann,  wenn  nicht  bald  Resorption  eintritt,  die  Iris  einerseits  von  der 
Peripherie  her  an  die  Cornea,  andererseits  theilweise  oder  ringsum  an 
die  Kapsel  angelöthet,  oder  die  Pupille  durch  eine  mehr  weniger  dicke 
Lage  bleibend  gesperrt  werden ;  durch  gleichzeitiges  oder  späteres  Hin- 
zutreten von  Chorioiditis  droht  dem  Bulbus  Verlust  seiner  innern  Ener- 
gie und  seiner  äussern  Form;  durch  die  Complication  mit  Keratitis  oder 
Keratoseleritis,  welche  letztere  jedoch  nur  selten  ohne  gleichzeitige  Cho- 
rioiditis besteht,  werden  in  der  Regel  unheilbare  Hornhauttrübung  (Scle- 
rosirung  der  Cornea,  besonders  von  der  Peripherie  her)  und  bleibende 
Structurveränderung  der  Sclera,  häufig  mit  Ausdehnung  derselben  (Sta- 
plivloma  sclerae  anticum)  herbeigeführt. 

Vorkommen.  Der  erste  Ausbruch  dieser  Krankheit  auf  beiden 
oder  doch  auf  dem  einen  Auge  fällt  bei  mehr  als  2/3  der  Individuen 
zwischen  das  15.  und  25.  Lebensjahr.  Die  Krankheit  zeigt  in  dieser 
Beziehung  die  grösste  Analogie  mit  dem  Trachoma,  mit  welchem  sie 
fast  nie  (ich  sah  nur  2  Fälle),  und  mit  der  Keratitis  scrofulosa,  mit 
welcher  sie  am  häutigsten  combinirt  vorkommt.  Auch  in  Bezug  auf 
das  Allgemeinbefinden  und  auf  den  äussern  Habitus  zeigen  diese  Indi- 
viduen völlige  Übereinstimmung  mit  den  von  Trachoma  oder  von  Kera- 
titis scrofulosa  Befallenen.  Der  untergeordnete  Einfluss  äusserer,  direct 
wirkender  Schädlichkeiten  zeigt  sich  am  deutlichsten  in  dem  gleichar- 
tigen Erkranken  des  zweiten  Auges  selbst  bei  dem  besten  Verhalten, 
und  in  dem  Wiederauflodern  des  Processes  ohne  alle  äussere  Veran- 
lassung. Deprimirende  Einflüsse,  namentlich  anhaltende  GemüthsafTecte, 
schlechte  Nahrung  und  Wohnung  sind  die  häufigsten  und  leider  auch 
selten  gänzlich  und  dauerhaft  zu  beseitigenden  erregenden  und  unter- 
haltenden Ursachen.  Hat  man  Gelegenheit,  die  Familienmitglieder  sol- 
cher Individuen  näher  kennen  zu  lernen  und  durch  eine  längere  Reihe 
von  Jahren  zu  beobachten,  so  kommt  man  zu  denselben  Resultaten, 
welche  wir  beim  Trachoma  in  dieser  Beziehung  angeführt  haben. 
{I.  B.  S.    135.) 

Beim  Übertritte  aus  dem  Mannes-  zum  Greisenalter,  namentlich  beim  ■weiblichen 
Geschlechte,  in  den  klimakterischen  Jahren,  entwickeln  sich  die  Zufälle  chronischer  Iriti8 


76  Regenbogenhaut. 

auf  beiden  Augen  zugleich  oder  kurz  nach  einander.  Die  Befallenen  wissen  entweder 
gar  keine  Ursache  anzugeben,  oder  beschuldigen  Umstände,  nach  denen  man  bei  sonst 
Gesunden  keine  Iritis  auftreten  sieht.  Die  Symptome  und  der  Verlauf  zeigen  grosse  Ähn- 
lichkeit mit  den  unter  A  S.  72  beschriebenen  Fällen,  nur  erscheinen  die  Exsudate  im  Allge- 
meinen sparsamer,  mehr  am  rupillarrande  als  an  der  hintern  Hornhautwand  abgelagert, 
und  meistens  mit  Pigment  untermischt  oder  davon  gedeckt.  Niemals  findet  man  bei  solchen 
Individuen  die  Pupille  erweitert,  fast  immer  dagegen  auffallend  verengert,  den  Pupillarrand 
theilweise  oder  ringsherum  von  einem  lichtgrauen ,  häufig  jedoch  durch  Pigment  gedeck- 
ten, daher  ganz  oder  grösstentheils  dunkelbraunen  Exsudate  eingesäumt,  weiterhin  die 
Pupille  auch  in  der  Mitte  durch  eiue  dünne  Exsudatschichte  verlegt.  Die  im  höhern  Alter 
ohnehin  fast  immer  enge  vordere  Augenkammer  wird  in  solchen  Fällen  häufig  noch  mehr 
dadurch  verengert,  dasfe  die  Iris  von  der  Peripherie  her  an  die  Cornea  angelöthet  wird. 
Wenn  solche  Fälle  von  Iritis  sich  selbst  überlassen  bleiben,  oder  wenn  es  nicht  bei 
Zeiten  gelingt,  günstig  auf  den  Gesammtorganismus  einzuwirken,  so  fuhren  solche  Fälle 
nicht  bloss  zu  der  schon  erwähnten  Pupillensperre,  sondern  auch  zu  allmäliger  Einschrum- 
pfung des  Bulbus.  Vordere  oder  seitliche  Scleralstaphylome  dagegen  entstehen  nach  dem, 
was  ich  beobachtet,  in  solchen  Fällen  nie.  Sie  sind  als  Uveitis  chronica  beschrieben 
woiden.  —  Forscht  man  nach  den  ätiologischen  Momenten,  so  wird  man  selbst  bei  einer 
massigen  Zahl  von  Beobachtungen,  sobald  man  sie  sorgfältig  erhoben  und  zusammen- 
gestellt hat,  zunächst  auf  Störungen  im  Bereiche  des  Pfortadersystemes  hingewiesen,  auf- 
fallend häufig  aber  finden,  dass  bei  solchen  Individuen  in  früheren  Jahren  Zufälle  von 
Scrofulosis  (Tuberculosis)  vorhanden  waren.  Wir  können  bei  dem  gegenwärtigen  Stand- 
punkte unseres  Wissens  auf  die  Erörterung  der  hier  sich  aufdiingenden  Fragen  nicht 
eingehen,  und  wollten  mit  dieser  kurzen  Notiz  nur  wiederholt  auf  ein  Gebiet  der  weitern 
Forschung  aufmerksam  machen.  Es  wäre  allerdings  bequemer  gewesen,  über  solche 
brennende  Fragen  mit  einer  Abhandlung  über  Iritis  im  Allgemeinen  wegzugleiten ,  von 
Entzündung  der  Iris  als  nur  einer  und  derselben  Krankheit  zu  sprechen ;  wir  glauben 
aber,  jede  Erkrankung  eines  Organs  überhaupt  und  also  auch  die  Iritis  werde  einseitig 
und  daher  sehr  leicht  auch  irrig  aufgefasst,  wenn  man  nicht  jedesmal  den  Zustand  des 
Gesammtorganismus  und  seine  Beziehungen  zur  Aussenwelt  sowohl  als  zu  einzelnen 
Organen  so  weit  als  möglich  aufzufassen  sucht.  Und  diese  Aufgabe  ist  wohl  die  erste 
für  die  Therapie,  das  praktische  Problem  des  Arztes,  gleichwie  für  die  wissenschaftliche 
Forschung  der  Gelehrten. 

Die  Behandlung  muss  vorzugsweise  eine  allgemeine  sein,  und 
zwar  mehr  eine  diätetische  als  pharmaceutische. 

Nur  bei  heftigeren  entzündlichen  Zufällen  am  Auge  wird  es  nöthig, 
die  Behandlung  mit  einer  örtlichen  Blutentziehung  zu  beginnen.  Sie 
sei  eher  etwas  massiger  als  zu  stark,  weil  man  darauf  gefasst  sein 
muss,  sie  von  Zeit  zu  Zeit  zu  wiederholen.  Die  Anwendung  der  Kälte 
ist  hier  eben  so  unnütz  und  verwerflich,  wie  bei  Iritis  rheumatica  und 
syphilitica.  Purganzen  werden  bei  Individuen,  die  nicht  sehr  herabge- 
kommen sind,  mit  entschiedenem  Nutzen  angewendet.  Bei  reizbaren 
Individuen  (mit  leicht  gerütheten  Wangen,  beschleunigtem  Pulse,  Con- 
gestionen  zum  Kopfe)  wendeten  wir  nach  Makenzie's  Vorschlage  Tart. 


Entzündung  —  scrolülüse  —  Behandlung.  77 


■s 


stibiatus  r.  d.  mit  Salpeter  oder  Glaubersalz  sehr  oft  mit  gutem  Er- 
folge an. 

Ist  viel  flüssiges  Exsudat  in  der  Augenkammer  angesammelt ,  so 
reiche  man,  falls  keine  Gegenanzeige  besteht,  ein  Emeticum;  tritt  in 
2—3  Tagen  keine  Resorption  ein,  so  wiederhole  man  dasselbe,  oder 
eröffne  die  Cornea.  In  einigen  Fällen  habe  ich  vom  Calomel,  alle  2 — 3 
Stunden  zu  2  Gran  verabreicht,  den  gewünschten  Erfolg  gesehen.  Subli- 
mat passt  mehr  für  chronische  Fälle.  Aus  der  Schilderung  der  Aus- 
gänge der  Iritis  überhaupt  und  der  scrofulösen  insbesondere  dürfte  sich 
wohl  ergeben,  bei  welchen  Zuständen  überhaupt  von  Arzneimitteln 
etwas  erwartet  werden  kann.  Bei  membran-  oder  pfropfähnlichen  Ex- 
sudaten in  der  Pupille  z.  B.  etwa  Verflüssigung  und  Resorption  durch 
innerliche  Mittel,  namentlich  Mercurial-  oder  Jodpräparate,  anzustreben, 
■wäre  vergebliche  und  in  der  Regel  wohl  auch  verderbliche  Mühe. 

Einreibungen  von  Ung.  cinereum  an  die  Stirn  und  Schläfe,  bei 
heftigen  Schmerzen  und  Lichtscheu  reichlich  mit  Opium  versetzt,  tragen 
wesentlich  bei,  die  entzündlichen  Zufälle  zu  massigen  und  Resorption 
einzuleiten. 

Ruhe  im  Zimmer  oder  selbst  Verweilen  im  Bette  wird  nur  so  lange, 
als  heftige  Zufälle  vorhanden  sind,  noth wendig.  Ausserdem  lasse  man 
solche  Kranke  so  viel,  als  es  die  Witterung  zulässt,  im  Freien  zubrin- 
gen, die  Augen  jedoch,  falls  das  eine  noch  dazu  geeignet  wäre,  durch- 
aus nicht  anstrengen,  und  schütze  sie  gegen  grelles  Licht  durch  blass- 
blaue oder  graue,  die  Beleuchtung  mehr  weniger  dämpfende  Brillen. 
Grell  retiectirtes  Licht  und  starke  Contraste  in  der  Beleuchtung  sind 
vorzüglich  sorgsam  zu  meiden. 

Bei  Anwendung  der  sogenannten  antiphlogistischen  Methode  lasse 
man  nicht  ausser  Acht,  dass  man  es  nicht  mit  übrigens  gesunden,  son- 
dern kranken  Individuen  zu  thun  habe,  deren  Kräfte  man  nicht  durch 
Losstürmen  mit  heroischen  Mitteln  und  durch  zu  knappe  Kost  so  kühn 
herunterbringen  darf,  wie  diess  wohl  sonst  bei  gesunden  und  kräftigen 
Individuen  bisweilen  ungestraft  geschehen  kann;  namentlich  setze  man 
Mercurialmittel  nicht  zu  lange  fort  und  verabreiche  sie  nie,  wo  der 
Kranke  nicht  ein  entsprechendes  diätetisches  Verhalten  beobachten 
kann  oder  mag. 

Ist  die  Heftigkeit  der  entzündlichen  Zufälle  (Röthe,  Lichtscheu, 
Thränenfluss,  Schmerzen)  gebrochen,  oder  waren  solche  gleich  zu  An- 
fang der  Behandlung  nicht  in  höherem  Grade  vorhanden,  dann  bildet 
die  Regulirung  der  Diät  im  weitesten  Sinne  des  Wortes,  wie  bei  der 
Behandlung  der  Scrofulosis  und  Tuberculosis  überhaupt,    den  wesent- 


78  Regenbogenhaut. 

lichsten  Theil  der  Aufgabe  des  Arztes.  Bei  sehr  lange  dauernden  Fäl- 
len unterlasse  man  nicht,  auf  die  in  der  Regel  sehr  gedrückte  Gemüths- 
stimmung  des  Kranken  so  viel  als  möglich  hebend  einzuwirken.  Man 
unterrichte  ihn  im  Voraus,  dass  er  —  wenn  überhaupt  —  nur  allmälig 
genesen  kann. 

Die  Anzeigen  zu  den  innerlichen  Heilmitteln  und  Heilmethoden  lie- 
fert die  Berücksichtigung  des  Gesammtorganismus  und  der  Verhältnisse 
des  Kranken.  Bei  älteren  Individuen,  wo  diese  Iritis  in  der  Regel 
schleichend  und  mit  Ansatz  faserstoffigen  Exsudates  am  Pupillarrande 
(als  sogenannte  Uveitis)  verläuft,  und  meistens  die  Zeichen  der  soge- 
nannten Plethora  abdominalis  vorhanden  sind,  hat  man  von  jenen  Mit- 
teln am  meisten  zu  erwarten,  welche  die  Alten  Solventia  nannten. 
Oben  an  stehen  die  Mineralwässer,  Marienbader  Kreuzbrunnen,  Egerer 
Salzquelle,  Kissinger  Ragozi,  Saidschützer  oder  Püllnaer  Bitterwasser, 
in  der  kältern  Jahreszeit  Gramen,  Taraxacum,  Rheum,  kleine  Gaben  von 
Aloe  und  verwandte  Mittel  in  Verbindung  mit  kohlensauren  oder  wein- 
steinsauren Salzen.  —  Bei  jüngeren  Individuen  lässt  sich  von  dem  Ge- 
brauche der  Adelheidsquelle,  des  Haller  Jodwassers,  des  Jodkalium, 
der  Baryta  muriatiea.  der  Cicuta,  des  Oleum  jeeoris  aselli  am  ehesten 
eine  günstige  Einwirkung  auf  das  Allgemeinleiden  erwarten.  Bei  jün- 
geren Frauenzimmern  kommt  diese  Form  von  Iritis  sehr  häufig  mit 
Menstruationsanomalien  vor.  Eisenpräparate  allein  oder  mit  Rheum, 
kleinen  Gaben  von  Aloe,  Myrrka,  Borax,  Sabina  sind  durch  die  Iritis 
chronischen  Verlaufes  nicht  contraindicirt,  im  Gegentheile  oft  die  besten 
Antiphlogistica.  Schon  Ware*)  hat  Eisenpräparate  gegen  solche  Fälle 
von  Iritis  empfohlen,  und  auf  unserer  Klinik  wurden  sie  bereits  unter 
Prof.  Fischer  öfters  mit  dem  besten  Erfolge  gegeben. 

In  der  Zeit  der  Re-  oder  Intermission  der  entzündlichen  Zufälle 
suche  man  örtlich  die  Resorption  zu  bethätigen  und  die  Exsudate  in 
der  Pupille  zum  Losreissen  zu  bringen.  Zu  ersterein  Zwecke  sind  als 
das  gelindeste,  auch  schon  während  des  Exsudationsprocesses  anwend- 
bare Mittel  Einreibungen  von  Ung.  einer,  an  die  Stirn  anzuwenden; 
stärker  wirken  schon  das  Einstreichen  der  weissen  Präcipitatsalbe  an 
die  äussere  Fläche  der  Lider,  und  Einreibungen  von  Jodkaliumsalbe 
an  die  Stirn,  am  stärksten  das  Einbringen  von  Salben  aus  rothem  Prä- 
cipitat  oder  Jodkalium  in  die  Lidspalte.  Letztere  werden  daher  nur 
nach  dem  Verschwinden  der  abnormen  Gefässinjection  am  Auge  ver- 
tragen.   Ebenso  dürfen  Einträuflungen  von  Extr.  belladonnae,  um   den 

*)  Chiruigischo    Beobachtungen   von  James    Ware,     übersetzt   in   Himly's   nphthalm.   Bibl. ,     Göttingen 
1809,  Bd.  I.,  S.  130. 


Entzündung  —  unbestimmte  Formen.  79 

Pupillarrand  wieder  frei  zu  machen,  alle  3 — 4  Tage  wiederholt,  in  der 
Kegel  erst  nach  völligem  Erlöschen  des  Exsudationsprocesses  angewen- 
det werden.  Zu  demselben  Zwecke  kann  man  auch  2 — 3  Gran  Atro- 
pin  mit  1  Drachme  Fett  bohnengross  an  die  Stirn  und  Schläfe  einrei- 
ben lassen. 


5.     Unbestimmte  Formen  von  Iritis. 

Wenn  schon  bei  frischen  und  acuten  Fällen  von  Iritis  sowohl  der 
Befund  am  Auge,  als  auch  eine  sorgfältige  Berücksichtigung  des  Ge- 
sammtorganismus  und  des  bisherigen  Verlaufes  nicht  jederzeit  mit  Be- 
stimmtheit, ja  nicht  einmal  immer  mit  hoher  Wahrscheinlichkeit  auf 
das  ursächliche  Moment  der  Augenkrankheit  schliessen  lassen,  so  ist 
diess  bei  chronischen,  bei  vernachlässigten,  und  noch  mehr  bei  man- 
nigfach misshandelten  Fällen  sehr  häufig  der  Fall,  und  man  muss  sich 
begnügen,  einfach  Iritis  oder  Iridochorioiditis  u.  dgl.  zu  diagnosticiren, 
und  theils  durch  Ausschliessung  eines  und  des  andern  ursächlichen  Mo- 
mentes, theils  durch  Berücksichtigung  anderweitiger  Erscheinungen  im 
Organismus  nebst  Beachtung  der  bereits  vorhandenen  Veränderungen 
am  Auge  Anhaltspunkte  für  die  Prognosis  und  Therapie  zu  gewinnen. 
Die  Diagnosis  wird  überdiess  auch  dadurch  erschwert,  dass  eine  Iritis 
z.  B.  durch  Syphilis  bedingt  sein  kann,  ohne  zur  Zeit  der  Beobach- 
tung gerade  auf  die  oben  beschriebene  Weise  charakterisirt  zu  erschei- 
nen, und  noch  mehr  dadurch,  dass  häufig  nicht  eines  der  bekannten 
ursächlichen  Momente  allein  es  ist,  welches  die  Iritis  bedingt  und  un- 
terhält, sondern  dass  die  Erscheinungen  durch  mehrere  Momente  zugleich 
oder  nacheinander  modificirt  werden  können.  Zu  alle  dem  kommt  aber 
noch,  dass  Fälle  von  Iritis  vorkommen,  wo  man  weder  äussere  Schäd- 
lichkeiten noch  allgemeine  Gesundheitsstörungen  in  ursächlichen  Zu- 
sammenhang mit  dem  Augenleiden  zu  bringen  vermag  oder  darf,  wenn 
man  sich  nicht  eben  willkürlichen  Deutungen  hingeben  will.  Es  eröff- 
net sich  hier  noch  ein  weites  Feld  für  spätere  Forschungen.  —  In  die 
Schilderung  der  combinirten  Formen,  z.  B.  der  rheumatisch-scrofulösen, 
scrofulös-syphilitischen  etc.  einzugehen,  wie  mehrere  Autoren  gethan 
haben,  ist  wohl  überflüssig.  Der  Geübte  braucht  das  nicht,  der  Anfän- 
ger wird  dadurch  eher  verwirrt  als  orientirt.  Das  Studium  der  rein 
ausgeprägten  einfachen  Formen  bildet  die  beste  Grundlage  zu  dem  der 
complicirten,  und  gibt  hinreichende  Anhaltspunkte  auch  für  jene  Fälle* 
wo  man  über  das  ursächliche  Moment  nicht  in's  Klare  kommen  kann. 

Auf  zwei  ursächliche  Momente  chronischer  Iritis  haben  wir  S.  50 


80  Regenbogenhaut. 

hingewiesen.  Es  ist  vorläufig  noch  nicht  möglich,  in  Bezug  auf  die 
Gruppirung  und  Reihenfolge  der  Symptome  nähere  Andeutungen  zu 
geben,  als  eben  dort  geschah.  In  derselben  Lage  sind  wir  zu  vielen 
andern  Fällen  von  Iritis,  wo  wir  selbst  in  Bezug  auf  die  ätiologischen 
Momente  noch  viel  weniger  anzugeben  vermögen. 

Was  die  Behandlung  solcher  nicht  näher  bestimmbaren  Formen 
betrifft,  so  glauben  wir  in  dem  über  die  bekannten  Formen  Gesagten 
bereits  die  wichtigsten  Anhaltspunkte  gegeben  zu  haben,  wollen  jedoch 
die  Art  und  Weise,  wie  wir  in  solchen  Fällen  und  bei  Iritis  überhaupt 
am  Krankenbette  vorgingen,  durch  specielle  Krankheitsgeschichten  zu 
erläutern  suchen.  Getreue  und  möglichst  genaue  Beschreibungen  von 
Fällen  verschiedener  Art  unterrichten  den  Anfänger  vielleicht  besser, 
als  allgemeine  Schilderungen  und  Deductionen. 

Diesen  Krankheitsgeschichten  mag  noch  eine  Übersicht  der  von  uns  im  Spitale  be- 
obachteten Fälle  von  Iritis  nach  den  ätiologischen  Momenten  vorausgehen. 

Unter  162  Fällen  gab  sich  die  Iritis  als  rheumatisch  kund  bei  33  Individuen,  als 
syphilitisch  bei  20,  als  scrofulös  bei  55,  nicht  näher  bestimmbar,  jedoch  meistens  bei 
sehr  herabgekommenen,  unter  ungünstigen  Verhältnissen  lebenden  Individuen  38 ,  bald 
nach  Verletzung  und  Vernichtung  des  andern  Auges  lOmal. 

Von  den  als  rheumatisch  erkannten  Fällen  kommen  1  beim  männlichen  und  3  beim 
weiblichen  Geschlecht  auf  das  Alter  vom  15.  bis  zum  25.  Jahre,  14  M.  5.  W.  vom  25.  bis  45., 
4  M.  5  W.  vom  45.  bis  70.  Jahre.  Die  meisten  kamen  zwischen  dem  4.  bis  14.  Tage 
nach  dem  Beginn  der  Krankheit  in  Behandlung  (15  in  den  ersten  8  Tagen,  9  in  der  2., 
4  in  der  3.  "Woche,  und  4  zwischen  der  4.  und  8.  Woche).  In  15  Fällen  litt  bloss  das 
linke ,  in  !  5  bloss  das  rechte ,  in  3  beide  Augen.  Vollständig  oder  bis  auf  leichte 
Synechien  geheilt  wurden  24 ,  mit  mehr  weniger  beeinträchtigtem  Sehvermögen  (durch 
Exsudate  in  der  Pupille),  jedoch  sehend  entlassen  wurden  6,  mit  Pupillensperre  2  (Kerato- 
iritis  rheumat.  mit  Hypopyum).  Die  kürzeste  Dauer  der  Behandlung  war  5  Tage,  die 
meisten  konnten  im  Verlauf  der  2.  oder  3.  Woche  entlassen  werden,  sechs  erst  nach  5, 
zwei  erst  nach   10  Wochen. 

Iritis  syphilitica.  Männlich  9,  weiblich  17.  Vom  15.  bis  25.  Jahre  3  M.  7  W. 
vom  25.  bis  45.  J.  4  M.  9  W.,  vom  45  bis  55.  J.  2  M.  1.  W.  Dauer  der  Krankheit  bis 
zum  Eintritt:  vom  4  bis  8.  Tage  2,  in  der  2.  Woche  7,  3.  Woche  7,  5.  Woche  6,  6.  Woche  1, 
8.  Woche  1,  4.  Monat  1,  5.  Monat  1,  bei  einem  48jährigen  Weibe  war  das  linke  Auge 
vor  3  Jahren  durch  Pupillensperre  erblindet,  das  rechte  Auge  litt  seit  3  Wochen  an  Iritis. 
Bloss  das  linke  litt  bei  11,  bloss  das  rechte  bei  6,  beide  (nach  einander,  meistens  das 
linke  zuerst)  bei  9  Individuen.  Geheilt  mit  wenig  oder  gar  nicht  beeinträchtigtem  Seh- 
vermögen 18,  mit  merklich  gestörtem  Sehvermögen  durch  Exsudate  in  der  Pupille  5,  mit 
gänzlicher  Pupillensperre  1,  ungeheilt  (mit  consecut.  Schrumpfung  des  Bulbus)  2  Individuen. 
Kürzeste  Zeit  der  Behandlung  14  Tage,  längste  5  Wochen,  mittlere  18  Tage.  Von  den 
unglücklich  abgelaufenen  Fällen  waren  2  durch  8  Wochen  in  Behandlung ;  ein  Fall  wurde 
erst  nach  7  Wochen  geheilt. 

Iritis  scrofulosa.  Im  7.  und  8.  Jahre  erkrankten  zwei  Mädchen,  zwischen  dem  8.  und 
15.  Jahre  5  Knaben,  3  Mädchen,    vom  15.  bis  25.  Jahre   11   M.   16  W.,  vom   25.  bis  35. 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  81 

Jahre  6  M.  9  W.,  vom  35.  bis  45.  Jahre  nur  3  Männer.  Bloss  auf  dem  linken  Auge 
litten  8,  bloss  an  dem  rechten  3,  an  beiden  44 ;  von  letzteren  waren  die  meisten  zuerst 
auf  dem  linken  Auge  erkrankt,  in  Zwischenräumen  von  einigen  Wochen,  Monaten,  selbst 
von  mehreren  Jahren.  Nur  1  Fall  kam  nach  Stägiger  Dauer,  4  nach  14  Tagen,  3  nach 
3  "Wochen,  5  nach  4 — S  Wochen,  6  nach  3 — lOMon.,  die  übrigen  erst  nach  1  bis  6jähr.  Dauer. 
Sehend  entlassen  wurden  nur  15,  in  gebessertem  Zustande  6  ;  der  Ausgang  in  Pupillensperre 
oder  Catar.  accreta  war  schon  bei  der  Aufnahme  oder  während  der  Behandlung  einge- 
treten bei  25,  und  bei  9  nützte  auch  die  Anlegung  einer  Pupille  nichts  wegen  neuerlicher 
Entzündung  oder  bereits  hinzugetretener  Amblyopie  Chorioiditis).  Kürzeste  Zeit  der  Be- 
handlung (in  den  günstigen  Fällen)  3  Wochen ;  längste,  wo  noch  Heilung  erzielt  wurde, 
3  Monate.  Mehrere  dieser  Individuen  wurden  im  Verlaufe  einiger  Jahre  wiederholt  in 
die  Anstalt  aufgenommen. 

Ton  den  10  Fällen,  wo  die  Iritis  bald  nach  Phthisis  des  andern  Auges  auftrat, 
wurde  nur  1  geheilt,  1  gebessert;  die  andern  endeten  mit  Pupillensperre,  mehrere  auch 
mit  Atrophia  bidbi. 

Die  3S  nicht  näher  bestimmbaren  Fälle  waren  bis  auf  einige  wenige  chronischen 
Verlaufes.  Bei  mehr  als  2/3  davon  war  zur  Zeit  der  Aufnahme  schon  Pupillensperre 
eingetreten.  Bei  allen,  mit  wenig  Ausnahmen,  waren  beide  Augen  ergriffen ;  23  gehörten 
dem  männlichen,  15  dem  weiblichen  Geschlechte;  dem  Alter  nach  fallen  2  männliche 
vor  das  15.,  2  männl.  7  weibl.  zwischen  das  15.  und  25.,  14  männl.  zwischen  das  25. 
und  45.,  5  männl.  und  8  weibl.  zwischen  das  45.  und  55.  Lebensjahr. 

1.  Bei  einem  Beamten  von  45  Jahren  fand  ich  am  rechten  Auge  das  obere  Lid 
etwas  ödematös,  die  Conj.  palp.  et  bulbi  von  einem  dichten  Gefässnetze  durchzogen, 
vom  Übergangstheile  an  bis  zum  Cornealrande  leicht  serös  infiltrirt;  die  vordem  Ciliar- 
arterien  stark  injicirt,  rings  um  die  Hornhaut  einen  breiten  rosenrothen  Saum  bildend; 
die  Hornhaut  rein  und  glänzend;  die  Pupille  eng,  etwas  über  V"  im  Durchmesser,  nicht 
ganz  rund,  leicht  getrübt,  die  Iris  etwas  grünlich  entfärbt  (links  blau),  unbeweglich; 
Lichtscheu  und  Thränenfiuss  heftig,  so  dass  die  Untersuchung  nur  mit  Mühe  vorgenom- 
men werden  konnte,  Gefühl  von  Druck  im  Auge;  das  Gesicht  getrübt,  entsprechend  der 
Trübung  der  Pupille.  Das  Leiden  hatte  vor  3  Tagen  mit  Böthe  des  Auges  und  lästigem 
Drücken  angefangen.  —  Das  rasche  Auftreten  und  Steigen  der  Entzündung  bis  zu  einem 
so  hohen  Grade,  die  Heftigkeit  der  Zufälle  von  Seite  des  Gefäss-  und  Nervensystemes 
bei  so  geringer  Ausscheidung  faserstoffigen  Exsudates,  und  die  ödematöse  Beschaffenheit 
der  Bindehaut  und  der  Cutis  bestimmten  mich,  die  Iritis  für  eine  durch  Verkältung  bedingte 
zu  halten.  Dieser  Schluss  wurde  unterstützt  durch  den  Umstand,  dass  der  Mann  bereits 
vor  3  Jahren  an  einer  Iritis  rheumatica  desselben  Auges  gelitten  hatte,  und  noch  mehr 
dadurch,  das„s  er  den  Tag  vor  dem  Ausbruche  beim  Besteigen  eines  Berges  sich  stark 
erhitzt  und  bei  schwitzendem  Kopfe  den  Hut  abgesetzt  hatte.  —  Ich  stellte  die  Prognosis 
günstig,  in  Bezug  auf  den  Ausgang  sowohl  als  auf  die  Dauer.  —  Der  Kranke  musste 
bei  restringirter  Kost  im  Bette  bleiben;  an  die  Schläfe  wurden  8  Blutegel  gesetzt, 
dann  eine  gewärmte  Serviette  über  die  entsprechende  Kopfhälfte  gelegt;  innerlich  ein 
Infusum  sennae  mit  Glaubersalz.  Den  zweiten  Tag  (3.  August  1849)  Tart.  stib.  r.  d.  mit 
1z  Gran  extr.  opii  aquos.,  an  die  Stirn  und  Schläfe  Ung.  einer,  mit  Opium.  Den  3.  Tag 
früh  wieder  das  Infus,  sennae  und  Abends  ein  Vesicans  an  den  Nacken.  Den  4.  Tag 
-waren  Ödem  und  Injection  der  Bindehaut  fast  ganz  verschwunden,  das  Sehen  noch  sehr  trüb 
ohne  deutlich  -wahrnehmbares  Exsudat  in  der  noch  immer  gleich  engen  Pupille,  die  Iris 
noch  unbeweglich  und  entfärbt.  Innerlich  absque  medicamine.  Am  6.  Tage  durfte  der 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  6 


82  Regenbogenhaut. 

Kranke  mit  verbundenem  Auge  ausgehen.  Von  nun  an -gingen  die  Symptome  der  Ent- 
zündung rasch  zurück,  so  dass  am  1 1.  Tage  bloss  noch  eine  leichte  Trübung  des  Gesichtes 
und  etwas  gehemmte  Beweglichkeit  der  Iris  übrig  war.  Am  15.  Tage  war  der  Kranke 
vollständig  genesen. 

2.  Eine  Wittwe  von  39  Jahren  kam  am  6.  Juli  1850  mit  folgendem  Zustande  des 
rechten  Auges  in  die  Anstalt.  Das  obere  Lid  leicht  geröthet  und  geschwollen,  die  Conj. 
palp.  wenig  injicirt,  die  Conj.  bulbi  dicht  netzförmig  geröthet  und  ödematös,  die  Sclera 
auf  2'"  breit  um  die  Hornhaut  herum  rosenroth,  die  Cornea  normal,  die  Iris  dunkler, 
unbeweglich,  die  Pupille  verengert,  entrundet  und  etwas  getrübt,  ohne  deutlich  be- 
stimmbares Exsudat,  das  Sehvermögen  so  gestört,  dass  nur  grössere  Gegenstände  er- 
kannt werden,  drückende  Schmerzen  im  Kopfe ,  zeitweiliges  Stechen  im  Auge ,  Licht- 
scheu und  Thränenfluss  heftig.  —  Die  Kranke  hat  als  Taglöhnerin  unter  misslichen 
Umständen  gelebt,  ist  schlecht  genährt,  doch  sonst  ohne  erhebliche  Störung  der  Ge- 
sundheit. Die  Augenaffection  war  vor  10  Tagen  ohne  bekannte  Veranlassung  entstanden, 
mit  brennenden  Schmerzen,  Thränenfluss ,  Lichtscheu  und  Röthe.  Ein  Arzt  hatte  den 
3.  Tag  der  Krankheit  Blutegel  an  die  Schläfe,  ein  Empl.  euphorb.  hinter  das  Ohr  und 
ein  Infus,  sennae  mit  arc.  dupl.  ordinirt;  die  Kranke  war  aber  ihrer  Arbeit  nachge- 
gangen. Tags  darauf  hatten  sich  die  Kopfschmerzen  und  die  Abnahme  des  Sehver- 
mögens einzustellen  angefangen.  —  Wir  ordinirten  der  Kranken  Kühe  im  Bette,  Schutz- 
vor  Zugluft,  Temperaturwechel,  grellem  Lichte  etc.,  restringirten  die  Kost  auf  '/ä  Por- 
tion, und  Hessen  sie  3mal  des  Tages  zweigranige  Dover'sche  Pulver  nehmen.  In  den 
nächstfolgenden  2  Nächten  litt  die  Kranke  noch  an  heftiger  reissenden  Kopfschmerzen; 
diese  milderten  sieh  vom  10.  Juli  an  allmälig,  kehrten  aber  bald  bei  Tage,  bald  bei  Nacht 
in  verschieden  hohem  Grade  wieder,  wesshalb  wir  Ung.  einer,  mit  Opium  an  die  Stirn 
und  Schläfe  einstreichen,  diese  Gegend  sodann  mit  einem  warmen  Tuche  bedeckt  halten 
Hessen,  und  am  15.  ein  Vesicans  an  ;den  Nacken  legten.  Am  18.  war  das  Auge  noch 
geröthet  und  lichtscheu,  die  Pupille  klein  und  leicht  getrübt,  die  Kranke  jedoch  frei 
von  Schmerzen.  Da  am  22.  nur  noch  Trübung  des  Gesichtes  und  Verengerung  der 
Pupille  bestand,  so  Hessen  wir  Extr.  beilad.  (10  Gran  auf  1  Drachm.  Ung.  einer.) 
an  die  Stirn  und  Schläfe  einreiben,  worauf  die  Pupille  sich  erweiterte  und  deutlich 
einspringende  "Winkel  zeigte.  Am  29.  konnte  die  Kranke  als  völlig  geheilt  entlassen 
werden ,  da  nichts  mehr  übrig  geblieben  war  ,  als  einige  unbedeutende  hintere 
Synechien. 

3.  Ein  Fuhrmann  von  50  Jahren,  kräftigen  Körperbaues,  auffallend  blassen  Aus- 
sehens und  leidender  Gesichtsmiene,  suchte  am  26.  Mai  1852  Hilfe  wegen  seines  rechten 
Auges  auf  der  Klinik.  Das  obere  und  untere  Lid  längs  des  Randes  geröthet  und  stark 
geschwollen  (ödematös),  die  Falte  des  oberen  Lides  jedoch  nicht  verstrichen,  Licht- 
scheu und  Thränenfluss  heftig,  das  Auge  wird  beständig  geschlossen  gehalten.  Die 
Conj.  palp.  über  dem  Tarsus  netzförmig  geröthet,  im  Übergangstheile  blass,  aber  öde- 
matös geschwellt,  die  Conj.  bulbi  bis  zum  Cornealrande  stark  serös  infiltrirt  und  von 
feinen ,  leicht  verschiebbaren  Gefässchen  durchzogen ,  die  Sclera  rings  um  die  Cornea 
rosenroth,  dicht  an  einander  gedrängte  Gefässchen  bis  zum  coneaven  Rande  des  Limbus 
conjunctivae  injicirt.  Die  Cornea  durchaus  leicht  getrübt,  wie  angehaucht,  doch  an 
ihrer  Oberfläche  und  in  ihrer  Wölbung  nicht  verändert.  Die  Iris  verfärbt,  im  grossen 
Kreise  grünlich,  im  kleinen  dunkler,  etwas  gelockert,  träger  und  weniger  beweglich, 
die  Pupille  etwas  verzogen  (nach  oben  und  aussen) ,  etwas  enger.  Das  Gesicht  um- 
flort;   Gefühl   von   Druck  im  Auge,   heftige   reissende    Schmerzen  in   der   Stirn,    Schläfe 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  83 

und  Jochbeingegend.  —  Der  Mann  hat  vor  sechs  Jahren  eine  Brustkrankheit  überstanden, 
mit  Seitenstechen,  Husten  und  zeitweiligem  Blutauswurfe,  und  war  nach  Anwendung 
einer  streng  antiphlogistischen  Behandlung  wieder  ganz  gesund  geworden,  bis  er  vor 
12  Wochen  in  Folge  häufiger  und  heftiger  Verkühlungen  —  wie  er  angibt  —  von 
Reissen  in  verschiedenen  Gelenken  befallen  wurde  (Fuss,  Knie,  Hand,  Schulter  und  Nak- 
ken),  welches  sich  steigerte,  verschiedene  Gegenden  abwechselnd  ergriff,  und  ihn  endlich 
an's  Bett  fesselte.  Die  Schmerzen  exacerbirten  Abends  und  raubten  ihm  Tage  lang  allen 
Schlaf.  In  den  letzten  Wochen  dieses  Leidens  bekam  der  Kranke  ein  Gefühl  von  Drücken 
in  beiden  Augen,  ohne  Böthe  derselben  und  ohne  vermehrte  Absonderung,  und  sah 
die  Gegenstände  um  sich  herum  nicht  mit  der  gewohnten  Deutlichkeit.  Vor  3  Wochen 
trat  Lichtscheu,  Thränenfluss  und  Röthe  der  Augen  ein,  die  Lider  schwollen  an,  und 
der  Kranke  sah  eine  Zeit  lang  Alles  doppelt.  Der  Zustand  des  linken  Auges  hatte 
sich  in  den  letzten  Tagen  wohl  gebessert  —  wir  fanden  dasselbe  nahezu  normal,  — 
der  des  rechten  war  aber  um  so  ärger  geworden.  —  Unter  diesen  Umständen  hatte 
die  Annahme,  das  Augenleiden  sei  rheumatischen  Ursprunges,  die  meiste  Wahrschein- 
lichkeit für  sich,  wesshalb  wir  diesen  Fall  im  Allgemeinen  so  behandelten,  wie  den 
vorher  geschilderten ;  nur  verabreichten  wir  dem  Kranken  eine  bessere  Kost  (Braten), 
und  gaben  ihm,  da  die  Doverschen  Pulver  nicht  hinreichten,  die  besonders  in  der 
Nacht  heftigen  Schmerzen  zu  mildern,  innerlich  2  Gran  Sulfas  chinini  mit  V4  Gran 
Opium.  Die  Wirkung  war  überraschend.  Der  Kranke  konnte  schon  am  12.  Juni  (18.  Tag 
nach  der  Aufnahme)  vollständig  geheilt  entlassen  werden. 

4.  Ein  Mädchen  von  24  Jahren ,  welches  vor  mehreren  Monaten  an  einem  Ulcus 
syphilit.  und  einige  Wochen  nachher  an  einem  maculösen  Hautausschlage  gelitten  hatte, 
erkrankte  10  Tage  vor  ihrer  Aufnahme  in  die  Anstalt  auf  dem  linken  Auge  mit  Eöthe, 
drückenden  Schmerzen  und  Trübung  des  Sehvermögens,  wogegen  kalte  Umschläge, 
jedoch  ohne  Erleichterung,  angewendet  wurden.  Wir  fanden  ausser  der  Narbe  von 
jenem  Geschwüre  keine  Spur  einer  syphilitischen  Affection.  Das  obere  Lid  geröthet 
und  leicht  geschwollen,  die  Conjunctiva  leicht  hyperämisch ,  die  Sclera  rings  um  die 
Cornea  rosenroth,  die  Hornhaut  rein,  die  Iris  dunkler,  besonders  im  kleinen  Kreise, 
daselbst  auch  aufgelockert  und  am  Pupillenrande  nach  unten  durch  2  hintere  Syne- 
chien fixirt,  unbeweglich,  die  Pupille  entrundet,  rauchig  getrübt,  Thränenfluss  und  Licht- 
scheu heftig,  Abends  und  in  der  Nacht  reissende  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  linken 
Kopfhälfte.  Wir  hielten  demnach  die  Affection  für  rheumatisch,  und  ordinirten,  nebst 
entsprechendem  Verhalten,  bloss  täglich  3mal  Pulvis  Doveri  und  Einreibungen  von  Ung. 
einer,  mit  Opium  an  die  Stirn  und  Schläfe.  Schon  am  3.  Tag  waren  die  Schmeren,  die 
Lichtscheu  und  Injection  auffallend  geringer,  die  Pupille  weniger  getrübt.  Am  4.  Tage 
wurde  ein  Vesicans  an  den  Nacken  gelegt;  den  7.  Tag  waren  nur  noch  die  Synechien 
und  eine  leichte  Injection  vorhanden.  Durch  3  Tage  wurden  warme  Bäder  gebraucht 
und  am   11.  Tage  ging  die  Kranke  völlig  genesen  nach  Hause. 

5.  Ein  bei  einem  Bräuhause  angestellter  Fassbinder,  36  Jahr  alt,  von  hohem  Wüchse 
und  kräftigem  Körperbaue,  wurde  am  18.  December  1851  auf  die  Klinik  aufgenommen. 
Der  linke  Bulbus  war  merklich  aus  der  Orbita  vorgetreten,  etwas  weicher,  teigig  anzu- 
fühlen, frei  beweglich.  Zahlreiche  und  stark  injicirte  Gefässe  durchzogen  die  Conj.  bulbi. 
Die  stark  eingespritzten  vordem  Ciliargefässe  bildeten  rings  um  die  Hornhaut  einen  über 
2'"  breiten  violettrothen  Saum.  Die  Hornhaut  normal.  Die  vordere  Kammer  sehr  enge 
durch  Vorwärtswölbung  der  Iris.  Die  Farbe  der  Iris  matt,  dunkelbraun,  das  Gewebe  etwas 
gelockert,  die  Pupille  klein  (1"')  und  unbeweglich ;  in   ihr  ein  spinnewebenähnliches,  kaum 

6* 


34  Regenbogenhaut. 

merkbares  Häutchen  ausgespannt,  welches  nur  nach  oben  einen  kleinen  Theil  der  Pupille 
frei  lässt,  welcher  schwarz  erscheint.  An  dem  rechten  Auge  dieselben  Erscheinungen, 
nur  in  etwas  minderem  Grade,  dagegen  aber  die  Pupille  vollständig  durch  ein  ähnliches 
Häutchen  verlegt.  Drückende  Schmerzen  in  den  Augen,  gänzlicher  Verlust  des  Sehver- 
mögens. Ausserdem  war  eine  Blennorhoea  urethrae  vorhanden,  übrigens  aber  keine 
Störungen  im  Organismus  nachzuweisen.  Der  Kranke,  über  den  Verlust  des  Gesichtes 
(selbst  der  Lichtempfindung)  trostlos,  hatte  ein  erdfahles  Aussehen  und  war  in  den  letzten 
Tagen  zusehends  abgemagert.  Er  war  nämlich  verheirathet,  Vater  mehrerer  Kinder,  und 
hatte  sich  vor  4  Wochen  eine  Gonorrhöe  zugezogen,  gegen  welche  ihm  vor  14  Tagen 
ein  Laie  eine  weisse  Medicin  verschafft  hatte.  Darauf  hatte  der  Ausfluss  beinahe  gänzlich 
aufgehört,  und  da  um  dieselbe  Zeit  das  Augenleiden  mit  heftigen  entzündlichen  Zufällen 
aufgetreten  war  und  binnen  drei  Tagen  Erblindung  herbeigeführt  hatte,  so  war  der 
herbeigerufene  Arzt  und  mit  ihm  der  Kranke  der  Meinung,  das  Augenleiden  sei  Folge 
der  Unterdrückung  des  Trippers.  Diese  Meinung  hatte  auch  den  Arzt  bei  seiner  Behand- 
lung geleitet,  und  er  hatte  unter  Anderem  auch  eine  Salbe  mit  Tart.  stib.  in  die  Harnröhre 
eingebracht.  —  Wir  fragten  den  Kranken  zunächst  nach  den  Erscheinungen,  wie  er  sie 
der  Reihe  nach  an  seinen  Augen  bemerkt  habe ,  und  erfuhren  Folgendes.  Er  hatte  an 
einem  Samstag  Abends,  von  seiner  Arbeit  aus  dem  Bräuhause  zurückgekehrt,  am  linken 
Auge  heftige  brennende  Schmerzen,  reichliches  Thränen  und  grosse  Empfindlichkeit  gegen 
das  Licht  bemerkt.  Etwas  später  waren  diese  Erscheinungen  auch  auf  dem  rechten 
Auge  eingetreten.  Den  anderen  Tag  waren  diese  Zufälle  heftiger,  das  Weisse  beider 
Augen  stark  geröthet.  Gegen  Abend  gesellten  sich  feurige  Erscheinungen  dazu,  und 
unter  den  heftigsten  Schmerzen  in  den  Augen  sowohl  als  im  Kopfe  war  Montags  das  Licht 
des  linken,  Dienstags  auch  das  des  rechten  Auges  völlig  erloschen.  Zu  gleicher  Zeit 
kam  es  dem  Kranken  vor,  als  seien  die  Augäpfel  angeschwollen  und  würden  aus  den 
Augenhöhlen  herausgedrängt.  Die  Schmerzen  wurden  nach  und  nach  geringer,  dielästi- 
gen Lichtentwickelungen  schwanden,  die  übrigen  Erscheinungen  blieben  ziemlich  unver- 
ändert. —  Sowohl  die  noch  vorhandenen,  als  die  früheren  Erscheinungen  und  deren 
Reihenfolge  liessen  sich  erklären,  wenn  man  annahm,  es  habe  hier  eine  faserstoffig-seröse 
Exsudation  an  der  Innenfläche  der  Chorioidea  und  an  der  Iris  stattgefunden.  Das  Vor- 
gedrängtwerden der  Bulbi  konnte  kaum  anders  als  durch  acutes  Ödem  der  Tunica 
vaginalis  bulbi  erklärt  werden.  Die  Erfahrung  gab  uns  keine  verlässliche  Beobachtung 
an  die  Hand,  wo  ein  solcher  Zustand  durch  unterdrückten  Tripper  hervorgerufen  worden 
wäre.  Zudem  überzeugten  wir  uns,  dass  der  Tripper  noch  fortbestand,  und  nie  ganz 
verschwunden  gewesen  war.  Wohl  aber  kannten  wir  Fälle ,  wo  ein  solcher  Process 
durch  plötzlich  unterdrückte  Transspiration  eingeleitet  worden  war,  und  wir  hatten  in 
Einem  (ganz  analogen)  Falle  Gelegenheit  gehabt,  durch  Autopsie  uns  über  den  inneren 
Zustand  solcher  Augen  zu  unterrichten,*)  —  Wir  fragten  nach  der  Beschäftigung 
des  Kranken  am  Tage  vor  dem  Ausbruche  des  Augenleidens,  und  erfuhren,  dass  er  im 
Bräuhause  gearbeitet,  etwas  mehr  Bier  getrunken,  und  erhitzt  und  schwitzend  sich  gegen 
Abend  nach  Hause  begeben  hatte.  Es  war  damals  bei  ungewöhnlich  hoher  Kälte  und 
stürmischem  Wetter  viel  Schnee  'gefallen.  Der  Kranke  hatte,  durch  das  Getränk  auf- 
geregt, auf  diese  Umstände  nicht  geachtet,  und  in  seiner  Gewissensangst  nur  an  das 
Leiden  der  Genitalien  gedacht.     Uns  war   die    plötzlich   unterdrückte    Transspiration    die 

*)  Dieser  Fall  ist  ia  der  Prager  Vjschr.  14.  Bd.,  S.  59  beschrieben ;  wir  werden  ihn  bei  den  Krankheiten 
der  Chorioidea  in  den  Context  aufnehmen. 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  85 

wahrscheinlichste  Ursache  des  Übels.  Sofort  ordneten  wir  ein  dieser  Voraussetzung-  ent- 
sprechendes Regimen  an,  legten  an  die  Schläfe  8  Blutegel  und  reichten  innerlich  Tart. 
stib.  mit  Glaubersalz.  Den  2.  tind  3.  Tag  wurden  fliegende  Vesicatore  um  die  Augen- 
höhlen herum  applicirt,  doch  Alles  ohne  Erfog.  Wir  suchten  Resorption  des  serösen 
Ergusses  auf  möglichst  rasche  "Weise  einzuleiten  durch  Hervorrufung  einer  vicarirenden 
Secretion,  und  reichten  vom  4.  Tage  an  dem  Kranken  alle  4  Stunden  2  Gran  Calomel. 
Mit  dem  Eintritte  der  Salivation  am  7.  Tage  fing  der  Kranke  an,  Licht  und  Schatten 
zu  unterscheiden.  Drei  Tage  später  erkannte  er  bereits,  vom  Lichte  abgewendet,  die  Umrisse 
der  um  das  Bett  stehenden  Eleven  der  Klinik.  Das  Calomel  wurde  nun  seltener  und  in 
kleineren  Gaben  verabreicht,  und  am  30.  December  (12.  Tag  der  Behandlung)  ganz  ausge- 
setzt. "Wir  gingen  nun  zu  einer  nahrhafteren  Kost  über,  und  Hessen,  nachdem  die  Gefäss- 
injection  an  den  Augen  nahezu  verschwunden  war,  den  Kranken  jeden  3.  Tag  ein  lauwarmes 
Bad  nehmen.  Das  Sehvermögen  besonders  des  rechten  Auges  besserte  sich  von  Tag  zu 
Tag,  so  dass  der  Mann  am  2 1 .  Jäner,  dem  Tage  seiner  Entlassung ,  nicht  nur  grössere 
Gegenstände,  sondern  auch  die  Zeiger  einer  kleinen  Taschenuhr  gut  erkannte,  selbst 
einen  etwas  grössern  Druck  lesen  konnte.  Die  Störung  des  Gesichtes  entsprach  dem 
mechanischen  Hindernisse,  den  spinnwebenähnlichen  Exsudaten  in  den  Pupillen.  Die 
Bulbi  waren  in  ihre  normale  Lage  zurückgetreten ,  und  hatten  ihre  gehörige  Consistenz 
wieder  erlangt.  Die  Iris  des  linken  Auges  war  noch  immer  etwas  stärker  vorwärts  ge- 
wölbt, Einträuflungen  von  Belladonna  bewirkten  keine  Erweiterung  der  Pupillen,  obwohl 
die  Iris  auf  Licht  und  Schatten  Spuren  von  Reaction  zeigte. 

6.  F.  E.,  29  Jahre  alt,  kräftig  gebaut  und  gut  genährt,  kam  am  8.  November  1847 
auf  die  Klinik,  mit  Entzündung  des  linken  Auges.  Das  obere  Lid  ein  wenig  angelaufen, 
die  Bindehaut  der  Lider  etwas  gelockert  und  stärker  injicirt,  die  Conj.  bulbi  netzförmig 
geröthet,  die  Sclera  rings  um  die  Cornea  rosenroth ,  die  Gefässchen  bis  zum  coneaven 
Rande  des  Limbus  conjunet.  dicht  eingespritzt,  die  Cornea  rein,  die  Iris  ein  wenig  ver- 
färbt und  aufgelockert,  besonders  im  kleinen  Kreise,  daselbst  nach  unten  und  aussen  ein 
hirsekorngrosser,  gelber  Knoten ,  welcher  unter  der  Loupe  einige  Gefässchen  an  seiner 
Basis  wahrnehmen  lässt,  die  übrige  Partie  der  Iris  fast  normal  beweglich ;  geringe  Licht- 
scheu, unbedeutende  Störung  des  Gesichtes  (der  Kranke  kann  lesen),  Gefühl  von  Druck 
im  Auge.  —  Diese  Erscheinungen  lassen  uns  auf  Syphilis  als  Ursache  des  Augenleidens 
schliessen,  um  so  mehr,  als  der  Kranke  noch  angibt,  er  habe  in  den  letzten  Nächten  nicht 
schlafen  können  vor  Kopfschmerzen.  Der  Kranke  selbst  schrieb  sein  Augenleiden  dem 
Umstände  zu,  dass  er,  von  Bier  etwas  berauscht,  seine  Augen  grellem  Lichte  ausgesetzt 
hatte,  weil  bald  darauf  Schmerz,  Lichtscheu  und  Thränenfluss  des  linken  Auges  aufgetreten 
waren.  "Wir  erfuhren  nun,  dass  er  vor  10  Jahren  an  einer  Gonorrhöe  und  vor  2  Jahren 
an  einem  Chancre  gelitten.  Letzterer  hatte  durch  6  Monate  angedauert,  und  war  endlich 
durch  Sublimat  in  Pillenform  geheilt  worden.  Gegen  die  dazugetretene  Anschwellung  der 
Leistendrüsen  waren  Einreibungen  von  Ung.  neapolit.  und  ein  Pflaster  aus  Empl.  mercur., 
cicutae  et  diaehyl.  comp,  angewendet  worden.  Ein  halbes  Jahr  nach  vermeintlicher  Hei- 
lung hatte  der  Kranke  an  der  Stirn,  an  der  Brust  und  am  Rücken  ein  Exanthem  und  eine 
Anschwellung  des  linken  Zitzenfortsatzes  mit  heftigen  Schmerzen  bekommen,  von  welchen 
Zufällen  er  binnen  5  "Wochen  durch  den  Gebrauch  von  Jodkali  befreit  worden  war.  Vor 
4  Monaten  hatten  sich  am  After  Condylome  gezeigt,  welche  binnen  6  "Wochen  nach  dem 
Gebrauche  von  Calomel  (im  Ganzen  '/2  ühze)  und  von  lauen  Bädern  verschwanden. 
Seitdem  hatte  sich  der  junge  Mann  für  ganz  gesund  gehalten ,  bis  er  vor  8  Tagen  auf 
die  obengenannte  Veranlassung  an  dem  linken  Auge  erkrankte.      Ein  Arzt  ordinirte  ihm 


$6  Regenbogenhaut. 

ein  Ycsicans  hinter  das  Ohr  und  ein  warmes  Fassbad.  Durch  das  Auftreten  heftiger 
bohrender  Schmerzen  oberhalb  der  Augenbrauen  wurde  der  Kranke  bestimmt,  Hilfe  im 
Spitale  zu  suchen.  —  Da  der  Kranke  bereits  grosse  Massen  von  Quecksilber-  und  Jod- 
präparaten genommen,  aber  dabei  niemals  das  hiezn  erforderliche  Regimen  diaeteticum 
beobachtet  hatte,  und  ausser  den  Kopfschmerzen  keine  sehr  drängenden  Zufälle  vorhan- 
den waren,  so  wählten  wir  für  diesen  ohne  Zweifel  durch  Syphilis  bedingten  Fall  die 
Entziehungscur  (täglich  3mal  Suppe  und  einige  Loth  "Weissbrod)  und  Hessen ,  nachdem 
die  regelmässig  jeden  Abend  wiederkehrenden  Dolores  osteocopi  durch  Einreibungen  von 
Ung.  neapolit.  mit  Opium  gemildert  und  behoben  worden  waren,  den  Kranken  bloss  von 
Zeit  zu  Zeit  ein  Eccoproticum,  fortlaufend  aber  eine  Abkochung  von  Gramen,  Taraxacuni 
Bardana  und  Carex  arenaria,  zum  Schlüsse  der  Cur  aber  einige  warme  Bäder  nehmen. 
Zuerst  verschwanden  die  Schmerzen,  dann  die  Rüthe  der  Sclera,  endlich  auch  der  Exsudat- 
knoten, und  es  waren  am  Tage  der  Entlassung  (23.  November,  15.  Tag  der  Behandlung) 
nur  zwei  bräunliche  Synechien  nach  unten  und  aussen  übrig. 

7.  Ein  40  Jahre  alter  Maler,  früher  stets  gesund,  litt  vor  2  Jahren  an  einer  Gonorrhöe. 
Seit  5  "Wochen  bemerkte  er  anhaltende  Schmerzen  am  innern  Knöchel  des  linken  Fusses, 
welche  durch  den  geringsten  Druck  vermehrt  wurden.  Vor  14  Tagen  erkrankte  das  linke 
Auge  ohne  äussere  Veranlassung  mit  dem  Gefühle  von  Druck,  massigem  Thränen,  Röthung 
des  Weissen,  wozu  sich  alsbald  leichte  Trübung  des  Gesichtes  gesellte.  Nach  einigen 
Tagen  stellte  sich  auch  heftiger,  halbseitiger,  stechender  Kopfschmerz  ein,  welcher  regel- 
mässig um  7  Uhr  Abends  eintrat  und  bis  5  Ehr  Morgens  anhielt,  so  dass  der  Mann  fast 
gar  nicht  schlafen  konnte.  Seit  5  Tagen  bemerkte  er  den  gelben  Punkt  im  Auge,  welchen 
wir  weiter  unten  beschreiben  werden.  Er  gebrauchte  auf  Anordnung  eines  Arztes  ein 
Augenwasser  (Aqua  Conradi)  und  Einreibungen  von  Ung.  einer,  an  die  Stirn.  Am  19. 
November  184S  fanden  wir  folgenden  Zustand:  Der  Kranke  ist  gut  genährt,  jedoch  von 
erdfahler  Hautfarbe,  und  bietet  ausser  dem  Augenleiden  und  der  Knochenauftreibung  am 
Knöchel  keine  krankhaften  Erscheinungen  dar.  Die  Lider  des  linken  Auges  etwas  geröthet, 
das  obere  gegen  den  äussern  Winkel  hin  leicht  angelaufen.  Die  Bindehaut  der  Lider 
etwas  röther ,  sonst  normal ;  die  Sclera  von  einem  hellrothen  Gefässnetze  der  Bindehaut 
(besonders  gegen  den  äussern  Winkel  hin)  verdeckt,  rings  um  die  Cornea  rosenroth. 
Die  Cornea  normal.  Die  Iris  grau,  ihre  Faserung  undeutlich,  wie  verschwommen,  auf- 
gelockert, sammetartig,  starr;  gegen  den  äussern  Winkel  hin  sitzt  auf  ihrer  innern  Zone 
ein  graugelber,  von  feinen  röthlichen  Gefässchen  umgebener  und  überzogener  Knoten 
von  der  Grösse  eines  Hanfkornes,  welcher  ebenso  in  die  vordere  Kammer  hereinragt,  als 
er  sich  durch  die  Pupille  nach  rückwärts  ausdehnt ;  die  Pupille  ist  auf  diese  Art  beinahe 
bis  zur  Hälfte  von  diesem  in  der  Iris  sitzenden  Knoten  eingenommen.  Das  Sehen  un- 
deutlich, wie  durch  Nebel.  Gefühl  von  Druck  im  Auge.  Abends  regelmässig  heftiger 
Kopfschmerz.  —  Das  Augenleiden  trat  hier  so  charakteristisch  auf,  dass  wir  dasselbe 
ohne  Weiteres  für  syphilitisch  erklärt  haben  würden,  auch  wenn  wir  keinen  Tophus  (am 
Knöchel)  vorgefunden,  und  der  Kranke  die  vorausgegangene  Affection  der  Genitalien  in 
Abrede  gestellt  hätte.  Wir  ordinirten :  Buhe  im  Bette,  l/-i  der  Spitalskost ,  Temperirung 
des  Lichtes,  8  Blutegel  an  die  Schläfe,  Einreibungen  von  Ung.  einer,  mit  Opium  an  die 
Stirn  und  Schläfe  (namentlich  vor  dem  Eintritte  der  nächtlichen  Schmerzen),  so  wie  auch 
an  den  Malleolus,  und  innerlich  alle  4  Stunden  1  Gran  Calomel  mit  '/*  Gran  Opium.  Die 
nächsten  2  Abende  kehrte  der  Schmerz  trotz  der  Einreibungen  wieder,  wesshalb  wir,  da 
die  Gefässinjeetion  am  Auge  noch  sehr  beträchtlich  war,  abermals  8  Blutegel  anlegten. 
Abends  gegen  7  Uhr  stellte    sich    ein    leichter    Schmerz    im   Auge   ein ,    verschwand  aber 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  87 

bald  nach  wiederholter  Einreibung,  und  der  Kranke  hatte  zum  ersten  Male  wieder  seit 
Langem  eine  ruhige  Nacht.  Wir  beschränkten  die  Nahrung  auf  eine  Milchviertelportion, 
Hessen  den  Kranken  fleissig  eine  Abkochung  von  Rad.  graminis,  bardanae,  taraxaci  et 
liquiritiae  trinken,  die  Pulver  und  die  Salbe  wie  früher  fortgebrauchen.  Am  5.  Tage  der 
Behandlung  trat  von  S  bis  12  Uhr,  am  6.  Tage  von  8  bis  10  Uhr  Nachts  ein  drückender 
Schmerz  im  Auge,  spater  aber  durchaus  kein  Schmerz  mehr  ein.  Am  7.  Tage  konnte 
man  deutlich  nicht  nur  Abnahme  der  Eöthe  und  der  Lichtscheu  wahrnehmen,  sondern 
es  war  auch  der  Exsudatknoten  an  der  Iris  kleiner,  flacher  und  flockig  aufgelockert. 
Nach  dem  Eintritte  von  Salivation  am  8.  Tage  wurden  die  Mercurialmittel  sogleich  weg- 
gelassen, und  ein  Infus,  sennae  mit  Natrum  sulfur.  verabreicht.  Von  nun  an  schwand 
das  Exsudat  sichtlich  bis  auf  eine  dünne  Membran,  welche  ungefähr  l/3  der  Pupille  (nach 
unten  und  aussen)  einnahm,  die  freie  Partie  der  Iris  war  wieder  beweglich,  und  die 
Pupille  erschien  daher  bei  gedämpftem  Lichte  nach  innen  und  oben  erweitert  (excentrisch). 
Tom  20.  Tage  an  konnte  bereits  eine  Salbe  aus  2  Gran  rothern  Präcipitat  Abends  in 
die  Lidspalte  eingestrichen ,  von  Zeit  zu  Zeit  ein  warmes  Bad  verordnet ,  und  die 
Pupille  durch  Belladonna  erweitert  werden.  Am  20.  December  (4  "Wochen  nach  dem 
Eintritte)  verliess  der  Mann  vollkommen  geheilt  (bis  auf  eine  kleine  hintere  Synechie) 
die  Anstalt. 

S.  Eine  Dienstmagd,  27  Jahre  alt,  früher  gesund  und  seit  dem  16.  Jahr  regelmässig 
menstruirt,  durch  4  Monate  auf  der  Abtheilung  für  Syphilitische  in  ärztlicher  Behandlung 
(nächtliche  Knochenschmerzen,  ein  papulös-schuppiges  Exanthem,  Blennorrhoe  der  Scheide) 
erkrankte  während  des  Gebrauches  der  Sublimatpillen  nach  Dzondi  vor  14  Tagen  an  den 
Augen  mit  Küthe,  stechenden  Schmerzen,  Lichtscheu  und  häufigem  Thränen ;  früh  beim 
Erwachen  waren  die  Augenlider  etwas  verklebt.  Diese  Zufälle  verloren  sich  auf  dem 
rechten  Auge  nach  drei  Tagen,  auf  dem  linken  aber  hielten  sie  an  unter  Hinzutritt  von 
stechenden  Schmerzen  in  der  linken  Stirn-  und  Jochbeingegend,  von  anhaltendem  Drucke 
im  Augapfel  und  allmäliger  Trübung  des  Gesichtes.  Nach  Anlegung  von  Blutegeln  an 
die  Schläfe  und  Einreibungen  von  Ung.  cinereum  an  die  Stirn  minderten  sich  die  beson- 
ders in  der  Nacht  und  gegen  Morgen  heftigen  Zufälle,  doch  ohne  Bestand.  Am  13.  October 
1S47  fanden  wir  folgenden  Zustand.  Die  Kranke,  schwächlich  gebaut  und  schlecht  ge- 
nährt (schlaffe  erdfahle  Haut,  wenig  entwickelte  Muskulatur),  bietet  fast'am  ganzen  Körper 
ein  papulös-squamüses  Exanthem  und  am  Nacken  ein  Geschwür  dar,  über  deren  Natur 
schon  das  Aussehen  Aufschluss  gibt.  An  der  rechten  Tibia  eine  flache  Knochenauftreibung 
mit  heftigen  nächtlichen  Knochenschmerzen.  Die  Stimme  heiser,  die  linke  Arcade  etwas 
geröthet  und  aufgelockert.  Blennorrhoe  der  Vagina  mit  Excoriationen  am  Muttermunde. 
—  Das  rechte  Auge  normal.  Die  Lider  des  linkeu  Auges  äusserlich  normal,  die  "Wimpern 
durch  Schleim  in  Büschel  verklebt ;  die  Bindehaut  des  untern  Lides  netzfrömig  injicirt, 
glatt,  durchscheinend:  die  Übergangsfalte  von  wenig  Gefässen  durchzogen,  etwas  geschwellt, 
die  Conj.  bulbi  netzförmig  injicirt,  aufgelockert  und  leicht  serös  infiltrirt  (besonders  gegen, 
den  Cornealrand  hin) ;  die  Sclera  auf  3'"  breit  intensiv-bläulichroth  durchscheinend ;  die 
Cornea  rein,  glänzend,  gehörig  gewölbt;  der  Limbus  conj.  corneae  im  ganzen  Umfange 
mattweiss,  nur  oben  von  zahlreichen  Gefässchen  durchzogen;  die  Iris  (von  Natur  aus 
lichtbraun)  wie  mit  einem  mattgrauen  Überzuge  belegt,  aufgelockert  (besonders  im  kleinen 
Kreise),  von  feinen  Gefässchen  durchzogen ;  nach  innen  und  unten  sieht  man  einen  hanf- 
korngrossen,  lichtgelben,  von  zahlreichen  Gefässchen  umgebenen  und  durchzogenen  Ex- 
sudatknoten im  grossen  Kreise  der  Iris  sitzen,  gleichsam  zwischen  der  Cornea  und  Iris 
herauswachsend  und  so  in  der  Iris  sitzend,  dass  der  Schliessmuskel  von  demselben  gegen 


SS  Regenbogenhaut. 

die  Pupille  hingedrängt  -wird;  die  übrige  Partie  der  Iris  zeigt  noch  einige  Beweglichkeit 
hei  grellem  Contraste  zwischen  Licht  und  Schatten ;  die  Pupille  ist  vermöge  jenes  Ex- 
sudatknotens und  einiger  hräunlicher  Flocken  am  untern  und  äussern  Theile  des  Pupillar- 
randes  excentrisch,  nach  oben  verrückt;  das  Sehvermögen  wenig  gestört,  indem  selbst 
Geldmünzen  erkannt  werden;  Gefühl,  als  werde  der  Bulbus  von  oben  her  gedruckt;  die 
Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  gering ;  Schmerzen  in  der  Umgebung  des  Auges,  bei  der 
Mor^envisite  gar  keine.  —  Sublimatpillen  nach  Dzondi  fortgesetzt,  Ruhe  im  Bette,  massige 
Temperirung  des  Lichtes,  l/i  Portion  der  Spitalskost.  —  i  5.  Oct.  Bis  3  Uhr  Morgens  hat 
die  Kranke  gut  geschlafen,  dann  wurde  sie  durch  Schmerzen  in  der  Stirn-  und  "Wangen- 
beingegend geweckt;  nach  Einreibung  einer  Salbe  aus  Ung.  einer,  und  Opium  schlief 
sie  wieder  ein.  Die  Injection  der  Conjunct.  bulbi  etwas  geringer;  die  Cornea  gegenüber 
der  Pupille  leicht  getrübt;  sieht  man  von  oben  herab  in  die  Augenkammer,  so  findet 
man,  dass  sich  der  Zustand  der  Iris  nicht  geändert  hat.  An  dem  innern  Condylus  des 
rechten  Oberarmes  eine  wallnussgrosse,  harte,  unbewegliche,  schmerzhafte  Geschwulst 
(Tophus).  16.  Oct.  Gastrische  Zufälle  vom  Sublimat,  am  1 7.  Oct.  auch  Zeichen  von  Salivation 
wesshalb  die  Pillen  ausgesetzt,  und  Mixt,  oleosa  mit  Opium  verabreicht  wurde.  19.  Oct.  Die 
Zufälle  vom  Sublimatgebrauche  fast  ganz  verschwunden,  die  Injection  am  Auge  geringer, 
die  Hornhaut  nur  nach  innen,  gegenüber  dem  Irisexsudate  getrübt,  die  Iris  weniger  ge- 
lockert, der  Exsudatknoten  blässer,  fast  ohne  Gefässe,  hellgelb,  die  Pupille  fast  ganz  rein, 
der  freie  Theil  der  Iris  deutlich  beweglich,  das  Sehen  besser,  keine  Schmerzen.  22.  Oct. 
Schmerzen  in  dem  linken  Stirnbeine;  rechts  am  Winkel  des  Unterkiefers  eine  schmerz- 
hafte Knochenauftreibung ;  das  Exanthem  schuppt  sich  ab.  Täglich  2mal  Vi  o  Gran  Proto- 
jodur.  hydrarg.  Auch  dieses  Mittel  musste  am  28.  wieder  weggelassen  werden,  da  der 
Unterleib  in  der  Magengegend  schmerzhaft  wurde,  4  flüssige  Stühle  erfolgten,  Übligkeiten 
und  Mercurialgeruch  eintraten.  Mixt,  oleosa  cum  opio.  Am  4.  Nbvemb.  erkrankte,  nachdem 
an  dem  linken  Auge  der  oben  beschriebene  Zustand  sich  noch  merklich  gebessert  hatte 
das  rechte  Auge.  "Wir  fanden  die  Conjunctiva  bulbi  von  zahlreichen  Gefässen  durchzogen, 
die  Sclera  rings  um  die  Cornea  rosenroth,  die  Cornea  rein,  die  Iris  matt,  etwas  auf- 
gelockert, träge  beweglich,  und  unten  am  Pupillarrande  mit  einem  gelben  hirsekorngrossen 
Knötchen  besetzt,  die  Pupille  oval  (der  Längendurchmesser  von  innen  nach  aussen),  das 
Sehvermögen  fast  ungestört,  keine  Schmerzen.  Den  folgenden  Tag  war  auch  an  dem 
linken  Auge  das  Exsudat  grösser,  und  die  Gefässinjection  stärker,  und  diese  Erscheinungen 
nahmen  von  nun  an  bei  Verabreichung  eines  Decoctum  graminis  et  taraxaei  täglich  zu. 
Am  12.  war  der  Zustand  folgender:  Rechts  das  Exsudat  fast  ganz  aufgesogen,  die  In- 
jection gering,  das  Sehen  nahezu  normal.  Links  das  obere  Lid  längs  des  Randes  merklich 
angeschwollen,  die  Conj.  palp.  et  bulbi  dicht  injicirt,  die  Sclera  auf  3'"  breit  um  die 
Hornhaut  bläulich  roth,  dem  Irisexsudate  entsprechend  (nach  innen  und  unten)  jedoch 
wulstig  hervorgetrieben.  Diese  "Wulst  ist  längs  des  Hornhautrandes  gegen  b'"  lang,  vom 
Limbus  conjunct.  an  gegen  die  Peripherie  hin  2'/,2"/  breit,  und  ohngefähr  l1/»'"  hoch; 
durch  einige  querlaufende  Einschnürungen  erhält  sie  ein  darmähnliches  Aussehen;  die 
Hügel  zwischen  diesen  Einschnürungen  erscheinen  hellgelb,  als  ob  Eiter  oder  in  Erwei- 
chung begriffener  Markschwamm  die  Sclera  ausgedehnt  und  emporgedrängt  hätte;  die- 
Abdachung  gegen  die  Peripherie  hin  erscheint  graubraun,  in  den  Vertiefungen  verlaufen 
Gefässchen  zur  Cornea.  Von  der  Cornea  aus  erhebt  sich  die  Geschwulst  steil,  gegen  die 
Peripherie  hin  flacht  sie  sich  allmälig  ab.  Das  Exsudat  in  der  Iris  nimmt  die  nach  innen 
und  unten  gelegene  Hälfte  der  Iris  sowohl  als  der  vordem  Kammer  ein,  und  liegt  mit 
seiner  Wölbung   unmittelbar   an  der  Cornea  an;   an  seiner  Abdachung  gegen  die  Pupille 


t 

Entzündung  —  Krankengeschichten.  89 

hin  ist  dasselbe  von  zahlreichen  Gefässchen  durchzogen,  und  daher  röthlich  gelb.  Die 
Pupille  besteht  demnach  nur  noch  als  eine  nach  aussen  und  oben  gerückte  Spalte, 
getrübt  durch  ein  dünnes  lichtgraues  Hä\itchen ;  das  Sehen  ist  ganz  aufgehoben ;  über 
Tag  keine  Schmerzen,  wohl  aber  in  den  schlaflosen  Nächten.  —  Ein  gegen  V"  langer 
und  2'"  tiefer  Einstich  in  die  bis  zum  14.  Nov.  bohnengrosa  gewordene  Geschwulst  ent- 
leerte nichts  als  etwas  Serum  und  Blut  *)  —  Das  Exsudat  nahm  von  nun  an  noch 
immer  an  Grösse  zu,  bis  es  fast  die  ganze  vordere  Augenkammer  ausgefüllt,  die  Sclera 
über  dem  Corpus  ciliare  rareficirt  und  zu  einem  3'"  hohen  Wulste  emporgehoben  und 
dadurch  die  Cornea  so  nach  oben  und  aussen  gedrängt  hatte,  dass  man  dieselbe  nur 
dann  sehen  konnte,  wenn  die  Kranke  den  Bulbus  abwärts  rollte  und  das  obere  Lid  auf- 
wärts gezogen  wurde.  Sodann,  als  es  endlich  gelungen  war,  der  Lues  Meister  zu  werden 
—  die  Kranke  war  Ende  November  auf  die  Abtheilung  für  Syphilitische  zurücktransferirt 
worden  —  sank  der  linke  Bulbus  allmälig  zusammen  und  wurde  atrophisch,  ohne  dass 
Eitemng  eingetreten  war.  Das  rechte  Auge  kam  mit  einer  leichten  Synechie  nach  unten 
davon. 

9.  Eine  4i  Jahre  alte  Taglöhnerin  kam  am  22.  Juli  1851  auf  die  Klinik  mit  fol- 
gendem Befunde  des  linken  Auges :  Die  Lider  normal,  der  Übergangstheil  und  die  untere 
Hälfte  der  Conj.  bulbi  blassroth,  ödematös  infiltrirt,  nächst  der  Cornea  einen  gegen  2'" 
breiten  und  ['"  hohen  "Wall  bildend.  Nach  unten  und  aussen  von  der  Cornea,  etwa  2'" 
von  dieser  entfernt,  ist  die  Sclera  schwarzgrau,  flach  vorgetrieben,  etwa  wie  eine  halbe 
Linse ;  eine  ähnliche,  jedoch  längliche  Hervortreibung  sieht  man  nahe  am  Cornealrande 
(nach  unten).  Die  vordem  Ciliargefässe  massig  erweitert.  Die  Cornea  leicht  getrübt, 
matt,  wie  aufgelockert.  Die  vordere  Augenkammer  eng,  fast  aufgehoben,  die  (am  rechten 
Auge  dunkelblaue)  Iris  gelbbraun,  sehr  aufgelockert,  ihre  Fasern  stellenweise  auseinander 
gedrängt,  ein  Unterschied  zwischen  grossem  und  kleinem  Kreise  nicht  wahrzunehmen. 
Die  enge  Pupille  durch  einen  weissgrauen  Exsudatpfropf  gesperrt.  Nach  unten  und  aussen 
gleichsam  von  der  Peripherie  her  zwischen  die  Iris  und  Cornea  eingeschoben  eine  grau- 
gelbe Masse  in  der  vordem  Kammer,  mit  2  starken  Gefässstämmchen,  die  sich  auf  dieser 
Massegegen  die  Pupille  hin  verzweigen.  Der  Bulbus  etwas  härter.  Keine  Lichtempfindung. 
Continuiiliche  drückende  und  reissende  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  linken  Hälfte 
des  Kopfes,  mit  nächtlicher  Verschlimmerung.  —  Auf  die  Angaben  der  Kranken  kann 
bei  ihrer  geringen  geistigen  Entwicklung  wenig  Gewicht  gelegt  werden.  Sie  versichert 
stets  gesund  gewesen  zu  sein.  Die  Katamenien  waren  im  17.  Jahre  eingetreten.  In  ihrem 
25.  Jahre  hatte  sie  sich  verheirathet  und  2mal  ohne  Desondere  Zufälle  das  Wochenbett 
überstanden.  —  Sie  ist  von  schwachem  Körperbau,  abgemagert,  die  Muskulatur  wenig 
entwickelt  und  schlaff,  die  Haut  schmutzig  gelb  und  trocken,  die  sichtbaren  Schleimhäute 
auffallend  blass.  Die  Untersuchung  der  Brust-  und  Unterleibsorgane,  so  wie  auch  der 
Vagina  und  des  Uterus  ergab  nach  der  Versicherung  des  Assistenten  der  Klinik  nichts, 
was  mit  der  Augenkrankheit  in  Zusammenhang  gebracht  werden  konnte.  Die  Kranke 
leugnete  auch  jede  Infection  um  so  mehr,  als  sie  mit  Niemandem  als  mit  ihrem  Manne 
geschlechtlichen  Umgang  gepflogen  habe.  —  Das  Augenleiden  soll  vor  3  Monaten  mit 
Kopfschmerzen  begonnen  haben,  ohne  dass  das  Auge  roth  war;  erst  nach  einiger  Zeit 
bemerkte  sie  drückende  Schmerzen  im  Auge  und  Trübung  des  Gesichtes,  wozu  endlich 
auch   Böthe    des   Auges   gekommen    sein    soll.  —  Unter   diesen   Umständen   konnten   wir 


*;  Makenzie  1.  e.  S.  426.    „Das  oberwähnte  Aussehen  entspringt  nicht  aus  einer  Ansammlung  purulenter 
Flüssigkeit,   und  es  fliesst  nichts  aus,    nachdem  man  mit  der  Lanzette  die  Häute  durchdrungen  hat." 


90  Regenbogenhaut. 

keine  bestimmte  Diagnosis  machen.  Der  Status  praesens  Hess  sich  verschieden  deuten, 
und  von  einer  eigentlichen  Anamnesis  war  bei  dieser  Kranken,  die  ihrem  Gesundheits- 
zustande so  wenig  Aufmerksamkeit  geschenkt  hatte,  gar  keine  Rede.  Ablagerung  von 
Markschwamm  in  die  Chorioidea  (Corpus  ciliare)  und  Iris  schien  uns  endlich  noch  das 
"Wahrscheinlichste.  Wir  verabreichten  ihr  bei  guter  Kost  durch  einige  Tage  Decoctum 
solvens  und  dann  versuchsweise  Kali  hydrojodicum,  täglich  zu  1  Scrupel  —  2  Scrupel. 
Die  lichtgelbe  Masse  an  der  Peripherie  der  Iris  wurde  erst  etwas  breiter,  dann  aber  all- 
mälig  kleiner.  Am  21.  August  war  der  Bulbus  etwas  weicher,  bei  Berührung  sehr  schmerz- 
haft, die  nach  unten  und  aussen  gelegene  Hervorragung  an  der  Sclera  dunkler  und 
schärfer  abgegrenzt.  Am  3.  September  war  die  seröse  Infiltration  der  Conj.  bulbi  fast 
ganz  geschwunden,  die  Injection  auf  einzelne  Gefässchen  reducirt,  die  Sclera  erschien 
schmutzig  braun,  die  vordere  Kammer  grösser,  die  gelbe  Masse  in  der  Peripherie  der 
Iris  kleiner;  die  nächtlichen  Schmerzen  traten  nur  manchmal  ein.  Das  Allgemeinbefinden 
der  Kranken  nicht  gebessert.  Am  7.  September  wurde  sie  auf  ihr  Verlangen  entlassen. 
—  Am  4.  November  kam  die  Kranke  mit  folgendem  Status  praes.  wieder :  Der  linke 
Bulbus  um  die  Hälfte  kleiner,  in  die  Orbita  zurückgesunken,  viereckig;  die  Sclera  an 
jenen  Stellen,  wo  sie  ausgedehnt  gewesen  war,  bloss  dunkelgrau,  nicht  emporgehoben. 
Die  Cornea  um  die  Hälfte  kleiner  als  im  normalen  Zustand,  abgeflacht,  jedoch  vollkom- 
men durchsichtig.  Die  Iris,  welche  ganz  filzig  und  gelblichbraun  aussieht,  an  die  Cornea 
angelegt,  die  Pupille  durch  einen  Exsudatpfropf  geschlossen ;  das  in  der  Peripherie  der 
Iris  nach  unten  und  aussen  sitzende  Exsudat  noch  als  ein  schmutzig  gelber,  sichelförmiger 
Streifen  wahrnehmbar.  Der  Bulbus  teigig  anzufühlen,  unschmerzhaft.  —  Die  Kranke  war 
nicht  wegen  des  Auges  in  die  Anstalt  zurückgekehrt,  sondern  wegen  Auswüchsen  am 
After  und  am  Scheidencingange,  welche  sich  unzweifelhaft  als  Condylome  erwiesen,  und 
auf  der  Internabtheihmg  auch  bald  einer  auf  diese  Ansicht  basirten  Behandlung  wichen. 
Auch  jetzt  leugnete  die  Kranke  noch  jede  Infection,  und  waren  die  Spuren  der  primären 
Affection  nicht  aufzufinden.  —  Wir  glauben  nicht  zu  irren,  wenn  wir  diesen  Fall,  so  wie 
den  vorhergebenden  für  Iridochorioiditis  syphilitica  erklären.  Makenzie  1.  c.  S.  428  scheint 
ähnliche  Fälle  vor  sich  gehabt  zu  haben.  Ist  aber  diese  Ansicht  richtig,  dann  zeigt  eben 
dieser  Fall,  wie  schwer  es  ist,  die  syphilitische  Natur  eines  Augenleidens  zu  erkennen, 
wenn  nicht  am  Auge  selbst  die  Erscheinungen  so  ausgeprägt  sind,  dass  man  aus  ihnen 
•und  aus  dem  Verlaufe  auf  die  Ursache  schliessen  kann.  Uns  war  diese  Art  des  Auftretens 
von  Syphilis  am  Auge  bis  dahin  aus  eigener  Anschauung  noch  zu  wenig  bekannt  gewesen, 
als  dass  wir  dem  Verdachte,  es  liege  hier  Syphilis  zu  Grunde,  gleich  Anfangs  hätten 
mehr  Baum  geben  können. 

10.  Pr.  W.,  39  Jahre  alt,  Drescher,  kam  am  13.  October  1S51  auf  die  Klinik.  Die 
Anamnesis  ergab  ausser  der  Zeit  des  Beginnens  keine  Anhaltspunkte:  das  linke  Auge 
«oll  vor  4,  das  rechte  vor  3  Wochen  erkrankt  sein,  mit  Abnahme  des  Gesichtes  und 
Kopfschmerzen.  Der  Kranke  wusste  nicht  einmal,  ob  die  Augen  roth  waren,  oder  nicht. 
Status  praesens  an  dem  rechten  Auge:  Die  Conj.  palp.  unbedeutend  injicirt,  die  Conj. 
bulbi  zeigt  einzelne  erweiterte  Gefässe,  welche  gegen  die  Cornea  hin  verlaufen;  die 
vordem  Ciliararterien  stark  injicirt,  rings  um  die  Cornea  einen  2'"  breiten  Saum  bildend. 
Die  Cornea  normal,  bis  auf  eine  leichte  Trübung,  welche  unter  der  Loupe  sich  in  zahl- 
reiche graugclbe  Punkte  auflöst,  die  besonders  in  der  untern  Hälfte  zahlreich  erscheinen. 
Die  Iris  bellbraun  und  so  aufgelockert,  dass  man  weder  ihre  Faserung,  noch  einen  Un- 
terschied zwischen  dem  grossen  und  kleinen  Kreise  erkennen  kann.  Die  Pupille  bedeu- 
tend   erweitert,    im   vertiealen   Durchmesser   über  2'",    im   horizontalen    gegen  3'"   gross, 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  91 

unveränderlich,  vermöge  eines  gelblieh  grUnen  Reflexes  aus  der  Tiefe  nicht  schwarz. 
Der  Bulbus  weder  härter  noch  weicher,  selbst  bei  tieferem  Drucke  nicht  schmerzhaft. 
Der  Kranke  erkennt  die  Finger,  einen  kleinen  Schlüssel,  Geldmünzen  nach  Grösse  und 
Farbe,  kleinere  Gegenstände  nicht.  Linkes  Auge:  Das  untere  Lid  ödematös  geschwellt, 
in  einigen  Meibom'schen  Drüsen  eingedicktes  Schmeer,  die  Bindehaut  der  Lider  wenig 
geröthet;  die  Scleralbindehaut  von  vielen  feinen  Gefässchen  durchzogen,  welche  bis  zum 
coneaven  Bande  des  Limbus  conj.  reichen ;  die  vordem  Ciliaiarterien  bilden  einen  bläu- 
liehvothen  Saum  rings  um  die  Cornea,  besonders  in-  und  extensiv  nach  aussen  und  unten. 
Die  Cornea  scheinbar  etwas  kleiner  als  rechts  (wegen  Trübung  und  Injection  des  Limbus 
conjunctivae),  glatt,  glänzend,  durchsichtig  bis  auf  punktförmige  Exsudate  an  der  hintern 
Wand,  besonders  in  der  untern  Hälfte.  Die  Iris  gelbbraun,  unbeweglich,  schwammig  auf- 
gelockert, uneben  und  stellenweise  so  vorgebaucht,  dass  sie,  namentlich  an  einer  nach 
unten  gelegenen  Stelle,  die  Cornea  berührt.  Zwischen  ihren  Fasern  drängt  sich  hie  und 
da  eine  lichtgelbe  Masse  hervor,  welche  in  das  Gewebe  selbst  infiltrirt  erscheint.  Auch 
sieht  man  das  Iris-Gewebe  deutlich,  von  einigen  hellrothen  Gefässchen  durchzogen.  Die 
Pupille  bildet  ein  unregelmässiges  Viereck.  Sieht  man  von  oben  und  innen  hinter  die 
Iris  herab,  so  erkennt  man  deutlich,  dass  die  in  die  Iris  infiltrirten  gelblichen  Massen 
auch  in  die  hintere  Kammer  hineinragen.  Die  Consistenz  des  Bulbus  unverändert,  das 
Sehvermögen  so  weit  bescln-änkt,  dass  der  Kranke  kaum  die  Zahl  der  vorgehaltenen 
Finger  zu  bestimmen  vermag.  Nach  unten  und  aussen,  entsprechend  den  lichtgelben 
Massen  in  der  Iris,  war  die  Sclera  nächst  der  Cornea  etwas  her  vorgetrieben.  Keine 
Lichtscheu,  weder  in  den  Augen  noch  in  deren  Umgebung  Schmerzen.  Diagnosis:  Iritis, 
wahrscheinlich  auch  Chorioiditis,  und  zwar  im  Bereiche  des  Corpus  ciliare,  was  jedoch 
nicht  mit  Gewissheit  bestimmt  werden  kann.  —  Der  Mann  ist  von  grosser  Statur,  stark 
abgemagert,  hat  ein  erdfahles  Aussehen,  ist  in  seinem  ganzen  Wesen  auffallend  torpid. 
Zunächst  dachten  wir  an  Syphilis,  obwohl  die  bei  solchem  Befunde  am  Auge  kaum  jemals 
fehlenden  Kopfschmerzen  nicht  vorhanden  waren.  Es  fand  sich  jedoch  nirgends  eine 
Spur  einer  primären  oder  seeundären  Affection.  An  der  rechten  Wange  bemerkten  wir 
eine  wallnussgrosse,  harte,  nicht  elastische  und  schmerzlose  Geschwulst,  welche  weder 
mit  dem  Knochen  zusammenhing,  noch  von  der  Haut  selbst  ausgegangen  sein  konnte. 
Die  linke  Scrotalhälfte  faustgross,  gespannt,  die  Haut  darüber  verschiebbar,  vorn  und 
unten  deutlich  fluetuirend ;  nach  hinten  und  oben  fühlte  man  den  vergrösserten,  sehr 
harten,  jedoch  nicht  höckerigen  Hoden.  Im  untern  Drittel  des  linken  Unterschenkels  ein 
Geschwür,  welches  von  oben  nach  unten  3  V^"  breit  war,  die  Extremität  rings  umfasste, 
.zackige  harte  Bänder  hatte,  leicht  blutete  und  eine  sehr  stinkende  (brandige)  Jauche  in 
reichlicher  Menge  absonderte.  Ausserdem  war  nichts  Krankhaftes  nachweisbar.  —  Da 
vorläufig  alle  Anzeigen  zu  irgend  einer  eingreifenden  Behandlung  fehlten,  verabreichten 
wir  dem  Kranken  bloss  ein  Decoct.  graminis  mit  Tinct.  rhei  aquosa,  gaben  ihm  eine 
nahrhafte  Kost,  und  sorgten  für  fleissige  Beinigung  des  Geschwüres.  Verlauf.  Etwas  Blut 
vom  13.  bis  14.  October  in  die  vordere  Kammer  des  linken  Auges  ergossen,  war  am  16. 
grösstentheils  resorbirt.  An  diesem  Tage  bemerkten  wir  in  der  vordem  Augenkammer 
des  rechten  Auges  eine  gelbliche  Flüssigkeit,  wie  die  Lunula  am  Nagel,  auf  xl%"1  Höhe 
angesammelt.  Am  17.  die  Pupille  des  rechten  Auges  kleiner,  die  Iris  mehr  gelockert 
und  vorgebaucht.  Tom  19.  an  verabreichten  wir  dem  Kranken  täglich  1  Scrupel  Jodkali 
und  stiegen  damit  von  2  zu  2  Tagen  um  10  Gran.  Am  20.  zeigte  sich  an  dem  linken 
Auge,  an  welchem  die  Irisexsudate  grösser  und  consistenter  geworden  zu  sein  schienen, 
jrings  um  die  Hornhaut  vom  äussern  bis  zum  innern  Winkel  unten  herum  eine  gegen  3'" 


92  Regenbogenhaut. 

breite  und  Vi,'**  hohe  sulzige  Wulstung  der  Bindehaut ;  trotzdem  gab  der  Kranke  Besserung 
des  Gesichtes  an.  Vom  25.  bis  28. ,  wo  wir  bei  einer  Drachme  Jodkali  stehen  blieben, 
nahm  die  Schwellung  der  Iris  und  die  Trübung  der  Cornea  an  dem  linken  Auge  ab,  die 
Pupille  wurde  mehr  rund.  Am  29.  stand  die  Iris  des  linken  Auges  bereits  in  ihrer  not- 
malen Lage,  die  Pupille  war  schwarz,  etwas  über  2'"  im  Durchmesser,  nur  unten  durch 
einen  einspringenden  Winkel  entrundet  (nierenförmig) ;  auch  am  rechten  Auge  hatten  die 
Exsudate  in  der  Iris  merklich  abgenommen.  Am  30.  und  31.  wieder  bedeutendes  Hypoaema, 
das  jedoch  in  den  nächsten  Tagen  wieder  verschwand.  Die  allmälig  gansei-grosse  Ge- 
schwulst an  der  rechten  Wange  wurde  mit  Tr.  jodinae  bestrichen,  die  Ränder  des  Fuss- 
geschwüres  mit  rother  Präcipitatsalbe  verbunden;  das  Jodkali  innerlich  wurde  bis  zum  24. 
November  fortgesetzt.  Bis  zum  28.  November  trat  noch  2mal  Ilypoaema  auf;  an  diesem 
Tage  wurde  der  Kranke  wegen  des  Unterschenkelgeschwüres  auf  die  chirurgische  Ab- 
theilung transferirt,  mit  folgendem  Zustande  der  Augen.  Links:  Die  Conj.  palp.  etbulbiund 
die  Cornea  normal,  die  Iris  in  ihre  normale  Lage  zurückgetreten,  grünlich  verfärbt,  träge 
beweglich,  die  Pupille  schwarz,  oval  (von  unten  nach  oben)  ohne  sichtbare  Exsudate. 
Rechts :  die  Bindehaut  massig  injicirt,  ebenso  einige  vordere  Ciliararterien,  die  Iris  träge 
beweglich,  grünlich,  noch  etwas  gelockert,  der  grosse  und  kleine  Kreis  nicht  zu  unter- 
scheiden, die  Pupille  schwarz,  durch  einige  vorspringende  Winkel  entrundet:  in  der 
vordem  Kammer  etwas  Blut  ergossen  und  überdiess  grauweisses  flockiges  Exsudat  zu 
Boden  gesetzt,  wodurch  die  Iris  rückwärts  gedrängt  wird.  Das  Gesicht  des  Kranken  hatte 
sich  so  weit  gebessert,  dass  er  namentlich  mit  dem  linken  Auge,  welches  bei  der  Auf- 
nahme kaum  die  vorgehaltenen  Finger  erkannt  hatte,  den  Stand  der  Zeiger  an  einer 
kleinen  Taschenuhr  richtig  angab.  —  Der  Kranke  musste  wegen  des  brandigen  Ge- 
schwüres in  ein  abgesondertes  Local  gelegt  werden.  Er  magerte  nun  noch  mehr  ab 
und  wurde  so  schwach,  dass  er  das  Bett  nicht  mehr  verlassen  konnte,  ganz  indifferent 
da  lag,  und  auf  Fragen  kaum  antwortete;  die  erdfahle  Haut  wurde  welk,  am  Handrücken 
und  an  den  Wangen  röthlichblau,  die  Absonderung  des  Geschwüres  profus  und  stinkend, 
die  Geschwulst  an  der  Wange  beinahe  faustgross.  Allmälig  verschlimmerte  sich  auch  der 
Zustand  der  Augen  wieder.  Befund  am  15.  December:  Rechterseits  die  Conj.  palp.  et  bulbi 
von  einem  grobmaschigen  Gefässnetze  durchzogen,  die  vordem  Ciliararterien  stark  inji- 
cirt, die  Cornea  in  ihrer  untern  Hälfte  des  Epithels  beraubt,  sonst  normal,  die  Iris  in 
ihrer  normalen  Lage,  grünlich,  aufgelockert,  unbeweglich,  die  Pupille  buchtig  erweitert, 
rauchig  getrübt,  ohne  sichtbares  Exsudat,  in  der  vordem  Augenkammer  gelbliche  Flüssig- 
keit auf  1  l/i*u  Höhe  angesammelt.  Links  der  Zustand  der  Binde-  und  Hornhaut  wie  rechts, 
die  vordere  Kammer  vergrössert,  die  Iris  durch  gelbliche  Flüssigkeit,  welche  die  Hälfte 
der  Kammer  ausfüllte,  rückwärts  gedrängt,  von  der  Iris  und  Pupille  nur  die  obere  Hälfte 
sichtbar;  ob  der  Kranke  noch  etwas  sehe,  liess  sich  bei  seinem  apathischen  Zustande 
nicht  ermitteln.  Zwei  Tage  später  fanden  wir  das  Exsudat  in  der  rechten  Kammer  bis 
zum  untern  Pupillarrande  gestiegen,  an  dem  linken  Auge  die  Cornea  nach  unten  ver- 
schwärt und  durchbrochen.  Am  31.  December  erfolgte  der  Tod.  Befund  des  rechten  Auges :  *) 
Durchmesser  in  der  geraden  Achse  lO'/t'",  im  Äquator  horizontal  10'",  vertical  lO'/a'". 
Die  untere  Hälfte  der  Cornea  mit  einer  schmierigen  gelblichen  Masse  (grösstentheils  Epi- 
thelial-Detritus  und  unversehrtes  Epithelium)  bedeckt;  nach  Entfernung  derselben  erschien 
die  Cornea  daselbst  durchsichtig,  jedoch  oberflächlich  arrodirt,  mit  seichten  Gruben  versehen. 

*)  Da  ich  am  1.  Jäner,   wo  die  Section  gemacht  wurde,   nicht  in  Prag  war,  so  wurden  die  Bulbi  in  ver- 
dünnten YWingeist  gelegt,  und  erst  am  2.  Jäner  anatomisch  untersucht. 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  93 

Nach  Entfernung  der  Cornea  mittelst  eines  hinter  ihrer  Basis  geführten  Schnittes  fand  man 
die  Descemetsche  Haut  unversehrt.  In  der  vordem  Augenkammer  nebst  Humor  aqueus 
eine  Menge  trüber  Flüssigkeit,  und  am  untersten  Theile  eine  consistentere,  blutig  tingirte, 
eiterähnliche  Masse.  Erstere  zeigt  unter  dem  Mikroskope  Blutkörperchen,  Eiterzellen 
und  körnige  Substanz,  letztere  aber  massenhaften  plastischen  Eiter,  durch  eine  gallertartige 
Substanz  verbunden.  Die  Iris  gelbgrau,  sehr  gelockert,  besonders  im  kleinen  Kreis, 
geschwellt  und  verdickt.  Von  der  faserigen  Structur  der  Iris  und  von  einem  Farbenunter- 
schiede zwischen  dem  grossen  und  kleinen  Kreise  keine  Spur  wahrzunehmen.  Unter  der 
Loupe  erscheint  der  kleine  Kreis  gewulstet,  graugelb,  am  Pupillarrande  mit  einigen  fran- 
senähnlichen Exsudatanhängseln  versehen.  In  der  Pupille  eine  halbdurchsichtige  dünne 
Exsudatlage,  die  nach  unten  ziemlich  fest  am  Pupillarrande  haftete,  und  unter  der  Loupe 
membranartig  ausgespannt,  stellenweise  (mehr  nach  oben)  punktirt  erschien.  Die  Verbin- 
dung zwischen  Sclera  und  Ligamentum  ciliare  bot  nichts  Abnormes  dar.  Die  Sclera  wurde 
in  der  Gegend  der  Ora  serrata  ringsum  durchschnitten,  und  zeigte  auch  nichts  Ungewöhn- 
liches. Das  Ligamentum  ciliare  dagegen  war  auffallend  dick  (über  '/a'")  und  graugelb. 
Prof.  Engel,  der  dasselbe  genauer  untersuchte,  erklärte  die  Verdickung  als  Folge  von 
Exsudatinfiltration  in  dasselbe.  Die  Chorioidea  wurde  hinter  der  Oia  serrata  durchschnitten 
und  sammt  Iris  und  Ligamentum  ciliare  abgezogen,  wobei  die  Zonula  Zinnii  grösstenteils 
unversehrt  mit  dem  Glaskörper  und  der  Linsenkapsel  verbunden  zurück  blieb.  Sie  selbst 
erschien  nur  an  einer  Stelle  etwas  röther  (nach  unten),  ob  durch  äusserst  feine  Gefäss- 
chen  oder  durch  Extravasat,  konnten  wir  nicht  ermitteln.  Auf  der  Kapsel  war  an  einigen 
Stellen  die  Pigmentschichte  der  hintern  Fläche  der  Iris  zurückgeblieben.  Auf  ihrem  mitt- 
lem Theile,  der  Pupille  entsprechend,  lag  eine  dünne  weisslich-graue  Exsudatscheibe,  die 
sie  a  mit  dem  Messer  leicht  abstreifen  Hess,  und  unter  welcher  die  Kapsel  unverändert  und 
durchsichtig  erschien.  Der  Durchmesser  dieser  Scheibe  betrug  1  '/-i'",  der  der  Pupille  war 
2'"  gross.  An  der  hintern  Fläche  der  Iris  war  keine  Spur  von  Exsudat  zu  finden,  an  der 
Zonula  Zinnii  und  an  den  Ciliarfortsätzen  konnten  wir  keine  Veränderung  auffinden, 
ebenso  nicht  an  der  Linse,  dem  Glaskörper,  der  Netzhaut.  Resultat :  Fasserstoffig-eitriges 
Exsudat  im  Ligamentum  ciliare  und  in  der  Iris,  in  der  vordem  Kammer  und  in  der  Pupille. 
—  -Befund  des  linken  Auges:  Die  Durchmesser,  namentlich  im  Äquator,  um  V"  kürzer, 
die  Form  viereckig,  die  Sclera  an  den  Berührungsstellen  der  Muse,  recti  eingedrückt,  am 
meisten  am  Bectus  infer.,  die  Cornea  platt,  ihre  untere  Hälfte  durch  Vereiterung  zerstört, 
die  Öffnung  durch  eine  graue  Masse  verlegt,  welche  sich  leicht  von  der  darunter  liegen- 
den Iris  abziehen  Hess.  Die  Pupille  durch  eine  lichtgraue  Membran,  welche  sich  nur 
mit  Gewalt  von  der  vordem  Kapsel  und  von  der  Iris  ablösen  Hess,  vollständig  verschlossen. 
Von  letzterer  blieb  der  grösste  Theil  des  Pigmentes  an  der  Kapsel  sitzen.  Die  Iris  licht- 
braun, wie  mit  einem  leichten  Grau  bedeckt,  undeutlich  faserig,  nicht  von  Exsudat  infil- 
trirt,  hinten  durchaus  mit  Pigment  belegt.  Das  Ligamentum  eil.  nur  1'"  breit,  W"  dick, 
weder  mit  der  Sclera  noch  mit  der  Iris  abnorm  verbunden,  die  Ciliarfortsätze  unverän- 
dert, ebenso  die  Zonula  Zinnii,  welche  sich  sammt  dem  Glaskörper  und  der  Linsenkapsel 
unverändert  und  leicht  vom  Corpus  ciliare  entfernen  Hess.  Höchst  wahrscheinlich  war 
auch  hier  früher  in  der  Iris  und  im  Ligamentum  ciliare  Exsudat  vorhanden  gewesen,  und 
später  wieder  aufgesogen  worden.  Befund  am  übrigen  Körper  nach  dem  Gutachten  des 
Herrn  Prof.  Engel:  Medullarsarkom  im  Conus  arter.  pulmonalis,  im  Pancreas,  im  linken 
Hoden,  Samenstrang  und  den  Leistendrüsen,  in  der  Regio  buccalis  dextra,  ein  gangrä- 
nöses Geschwür  am  linken  Unterschenkel,  metastatische  Pneumonie  des  untern  Lappens 
der  linken  Lunge,  supplementäres  Emphysem  der  rechten  Lunge,  alte  Reste  von  Pleuritis, 


94  Regenbogenhaut. 

frische  umschriebene  Pericarditis,  acuter  Milztumor.  —  Wir  theilten  diesen  Fall  desshalb 
so  ausführlich  als  wir  konnten  mit,  weil  er  uns,  wir  gestehen  es,  nach  dem  Sectionsbe- 
funde  noch  mehr,  als  während  des  Lebens,  räthselhaft  erscheint,  und  weil  uns  durchaus 
keine  analogen  Beobachtungen  zu  Gebote  stehen.  Er  kann  vielleicht  für  spätere  For- 
schungen Anhaltspunkte  geben. 

II.  Ein  17  Jahre  alter  Schuhmacherlehrling  kam  am  2.  Juni  1852  auf  die  Klinik. 
Linkes  Auge:  An  den  Lidern  und  an  der  Bindehaut  nichts  Abnormes;  die  Ciliargefässe 
stark  entwickelt,  bei  längerer  Betrachtung  des  Auges  wird  ein  rosenrother  Saum  um  die 
Cornea  herum  sichtbar.  Die  Cornea  in  jeder  Beziehung  normal,  nur  in  der  untern  Hälfte 
etwas  gelockert  (fein  gestichelt)  und  getrübt;  die  Trübung  erscheint  bei  genauerer  Be- 
trachtung zusammengesetzt  aus  zahlreichen  lichtgrauen  Punkten  an  der  hintern  "Wand 
der  Cornea,  wovon  man  sich  besonders  mit  einer  Loupe  überzeugen  kann.  Diese  Punkte 
liegen  zum  Theile  der  Pupille  gegenüber,  vorzüglich  aber  von  da  nach  abwärts ;  die  mäch- 
tigsten liegen  in  der  Mitte  des  getrübten  Theiles.  Die  Grösse  der  vordem  Kammer  nicht 
merklich  verändert.  Die  Tris  graugrünlich,  im  kleinen  Kreise  dunkler,  beweglich,  jedoch 
träger;  die  Pupille  ganz  rund,  etwas  grösser,  als  an  andern  Augen  bei  gleicher  Beleuch- 
tung, im  Mittel  2'/ä"-  im  Durchmesser  haltend.  Kein  Schmerz,  keine  Lichtscheu,  ausser 
bei  grellem  Lichte;  der  Kranke  kann  mit  diesem  Auge  Druckschrift  von  IV2'"  Höhe  bei 
8"'  bis  12'"  lesen,  sieht  aber  alle  Gegenstände,  besonders  entferntere,  wie  durch  einen 
leichten  Nebel  gedeckt;  er  klagt  überdiess,  dass  ihm  besonders  des  Morgens  und  am  mei- 
sten bei  Kerzenlicht  zahlreiche  geschlängelte  Reihen  von  Punkten  und  Ringen  vorschwe- 
ben, welche  sich  gleichsam  im  Gesichtsfelde  bewegen.  Diagnosis:  Iritis  mit  Exsudation 
in  den  Humor  aqueus  und  Präcipitation  an  die  Descemetsche  Haut.  —  Rechtes  Auge: 
Binde-  und  Hornhaut  normal,  die  Ciliargefässe  nur  wenig  mehr  als  gewöhnlich  einge- 
spritzt: mittelst  der  Loupe  sieht  man  auch  hier  an  der  untern  Hälfte  der  Descemetschen 
Haut  graue  Punkte,  aber  weder  so  zahlreich,  noch  so  gross.  Die  vordere  Kammer  scheint 
etwas  grösser  zu  sein.  Die  Iris  ist  graublau,  im  kleinen  Kreise  braungrau,  die  Pupille 
hat  ungefähr  l'/a'"  im  Durchmesser,  ist  jedoch  unregelmässig  rund,  nur  nach  oben  er- 
weiterbar (bei  Beschattung)  ;  in  der  untern  Hälfte  (nahezu  in  -/z)  ist  der  Pupillarrand 
von  einem  grauweisslichen  Exsudatstreifen  eingesäumt  und  fixirt.  Die  Mitte  und  der 
obere  Theil  der  Pupille  schwarz,  der  Bulbus  von  normaler  Consistenz,  das  Sehen  be- 
deutend beschränkt ,  so  dass  die  Zeiger  einer  Uhr  nicht  erkannt  werden.  Weder  Röthe 
noch  Lichtscheu,  noch  Schmerzen.  Diagnosis:  Ausgang  von  Iritis  mit  Exsudation  am 
Pupillarrande  und  Präcipitation  an  die  Descemetsche  Haut.  Anamnesis:  Der  Kranke 
versichert  stets  gesund  gewesen  zu  sein.  Das  rechte  Auge  erkrankte  vor  3  Monaten, 
das  linke  4  Wochen  später,  ohne  bekannte  Veranlassung.  Er  bemerkte  zuerst  Jucken 
in  den  Augenwinkeln,  öfteres  Thränen,  besonders  beim  Arbeiten,  Empfindlichkeit  gegen 
stärkeres  Licht,  nur  unbedeutende  drückende  Schmerzen.  Die  Trübung  des  Gesichtes 
wurde  erst  in  einigen  Wochen  so  bedeutend,  dass  er  nicht  mehr  arbeiten  konnte  und 
ärztliche  Hilfe  suchen  musste.  Das  Mückensehen,  welches  erst  in  den  letzten  14  Tagen 
auftrat,  bestimmte  den  Krauken,  nach  Prag  zu  reisen.  —  Mit  einem  solchen  Symptomen- 
complexe  und  von  solchem  Verlaufe  wie  hier  haben  wir  die  Iritis  bei  scrofulösen,  aber 
auch  bei  solchen  Individuen ,  welche  durch  deprimirende  Einflüsse  sehr  herabgekommen 
waren ,  auftreten  und  verlaufen  gesehen.  Die  Eltern  des  Knaben  sollen  ganz  gesund 
sein ;  er  selbst  hat  keine  schwere  Krankheit  gehabt,  ist  aber  auf  sein  Alter  wenig  ent- 
wickelt, schlecht  genährt,  blass,  beinahe  erdfahl,  und  bietet  am  Unterkieferwinkel  einige 
haselnussgrosse    infiltrirte  Lymphdrüsen    dar.     Er  hat  unter  sehr  dürftigen  Verhältnissen 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  95 

gelebt,  und  eine  kleine,  feuchte,  noch  von  anderen  6  Individuen  bewohnte  Stube  inne 
gehabt.  Alles  diess  zusammen  genommen,  gibt  uns  die  grüsste  Wahrscheinlichkeit,  dass. 
die  Iritis  als  Ausdruck  von  Scrofulosis  zu  betrachten  sei.  Das  rechte  Auge  kann  nie  mehr,, 
das  linke  mit  grösster  Wahrscheinlichkeit  zum  normalen  Zustande  zurückgeführt  werden- 
Bliebe  der  Kranke  sich  selbst  überlassen,  so  würde  das  linke  Auge  allmälig  wohl  demsel- 
ben Schicksale  verfallen  ,  wie  das  rechte.  Behandlung :  Durch  die  Aufnahme  des  Kran- 
ken auf  die  Klinik  ist  für  Ruhe  des  Auges,  für  eine  bessere  Wohnung  und  Kost  ge- 
sorgt. Der  Kranke  erhält  Vs  der  Spitalskost  und  einen  Braten,  wird  bei  trockener  Wit- 
terung soviel  als  möglich  ins  Freie  geschickt,  über  seinen  Zustand  getröstet,  und  erhält 
innerlich  ein  Decoctum  graminis  mit  Tr.  rhei  aquosa,  vom  S.  Tage  der  Behandlung  an 
Oleum  jeeoris  aselli,  welches  er  auch  gut  vertrug;  aufs  Auge  und  dessen  Umgebung 
wurde  nichts  angewendet.  In  Zeit  von  5  Wochen  bekam  der  Jüngling  zusehends  eine 
bessere  Gesichtsfarbe,  und  nachdem  noch  einige  ähnliche  Punkte,  wie  an  der  Descemet- 
schen  Haut,  auf  der  vordem  Kapsel  des  linken  Auges  bemerkt  worden  waren,  nahm  auch 
die  Pupille  mehr  eine  normale,  der  Intensität  der  Beleuchtung  entsprechende  Grösse  an, 
die  Iris  bewegte  sich  lebhafter,  und  das  Fortschreiten  der  Resorption  zeigte  sich  an  dem 
Verschwinden  der  kleinem  Punkte  an  der  Cornea.  Das  Gesicht  hatte  sowohl  für  die 
Nähe  als  für  die  Ferne  viel  an  Schärfe  gewonnen.  Am  3.  Juli,  dem  Tage  der  Abfassung 
dieser  Krankengeschichte ,  konnte  der  Kranke  nahezu  als  reconvalescent  erklärt  werden. 
12.  Ein  21  Jahre  alter  Leinweber,  angeblieh  früher  immer  gesund,  erkrankte  3 
Jahre  vor  seiner  Aufnahme  auf  die  Klinik  im  Frühlinge,  ohne  dass  er  irgend  eine  Schäd- 
lichkeit als  Ursache  zu  bezeichnen  vermochte ,  mit  etwas  Röthe  des  Weissen  im  Auge, 
leichtem  Stechen  daselbst,  massigem  Thränen  und  Lichtscheu,  Alles  jedoch  so  gering, 
dass  er  es  nicht  beachtet  haben  würde,  wenn  er  nicht  zugleich  Alles  wie  durch  einen 
Nebel  gesehen  hätte.  Diese  Erscheinungen  schwanden  in  den  folgenden  Sommermonaten 
bis  auf  eine  leichte  Trübung  des  Gesichtes,  kehrten  aber  im  nächsten  und  im  3.  Frühling 
ebenso  wieder  ,  und  der  Kranke  musste  wegen  Abnahme  des  Gesichtes  im  2.  Jahre  von 
der  Weberei  zur  Landwirthschaft ,  im  3.  Sommer  aber  in's  Spital  gehen.  Wir  fanden 
Ende  Mai  1S40  beide  Augen  ziemlich  gleich  erkrankt.  Im  untern  Theile  der  Hornhaut, 
und  zwar  deutlich  an  ihrer  hintern  Fläche  einige  weisslichgraue  hirsekorngi-osse  Flecke, 
und  an  einer  Stelle  war  die  unterste  Partie  der  Iris  an  die  Cornea  angelöthet;  bei  Son- 
nenlicht oder  mittelst  der  Loupe  sah  man  noch  sehr  viele  kleinere  Punkte  an  der  hintern 
Wand  der  Hornhaut;  die  Farbe  der  blassblauen  Iris  schien  ebensowenig  verändert  zusein, 
wie  ihre  Faserung;  nur  der  kleine  Kreis  erschien  dunkler,  und  der  Pupillarrand  durch 
mehrere  Synechien  rückwärts  fixirt,  die  Pupille  entrundet,  von  etwa  l"'  Durchmesser, 
die  Beweglichkeit  der  Iris  sehr  beschränkt.  Während  der  Untersuchung  der  Augen  bil- 
dete sich  von  den  an  Zahl  und  Grösse  vermehrten  Ciliararterien  aus  ein  schmaler  rosen- 
rother  Saum  um  die  Hornhaut  herum  und  die  Bindehautsäcke  füllten  sich  mit  Thränen. 
Das  Sehvermögen  so  beschränkt,  dass  der  Kranke  nur  an  bekannten  Orten  noch  allein 
herumgehen  kann;  Geldmünzen  erkennt  er  nur  nach  der  Grösse  und  Materie,  nicht  nach 
dem  Gepräge.  —  Um  die  Resorption  zu  bethätigen,  verordneten  wir  dem  Kranken  Ein- 
reibungen von  Ung.  einer,  an  die  Umgebung  des  Augen,  innerlich  Calomel  mit  Opium, 
und  in  Zwischenräumen  von  mehreren  Tagen  ein  stärkeres  Abführmittel.  Nach  3  Wochen, 
wo  bereits  Besserung  des  Gesichtes  angegeben  wurde,  strichen  wir  eine  Salbe  aus  1/z  bis 
1  Gran  rothem  Präcipitat  auf  1  Drachme  Fett  jeden  Abend  in  die  Lidspalte,  und  wandten 
von  Zeit  zu  Zeit  Einträuflungen  von  Belladonna  an.  Nach  acht  Wochen  wurde  statt  der 
Mercurialmittel,  welche  keine  Spur  von  Salivation  erregt  hatten,  Jodkali  innerlich  und  an 


96  Regenbogenhaut. 

die  Umgebung  der  Augen  angewendet,  und  Anfang  August  der  Kranke  auf  sein  Verlan- 
gen entlassen.  Die  kleinern  Punkte  an  der  Descemetschen  Haut  und  mehrere  Synechien 
■waren  geschwunden,  und  das  Gesicht  so  weit  gebessert,  dass  der  Mann  meinte,  er  werde 
Feldarbeiten  ohne  Anstand  verrichten  können. 

13.  B.  C,  22  Jahre  alt,  Mutter  von  3  Kindern,  obwohl  —  nach  ihrer  ausdrückli- 
chen Versicherung  —  noch  nie  menstruirt,  von  schwächlichem  Körperbau,  schlaffer  Mus- 
kulatur, trockener  und  spröder  Haut,  doch  sonst  gesund  aussehend,  hatte  in  ihrer  Kind- 
heit lange  an  Kopfgrind  gelitten.  Vor  4  Jahren  war  sie  von  reissenden,  stechenden,  zeit- 
weilig aussetzenden  Schmerzen  in  den  Oberextremitäten  ergriffen  worden,  welche  Abends 
schlimmer  wurden ,  sowie  auch  jedesmal ,  wenn  sie  sich  im  Freien  beschäftigen  musste. 
Vor  einem  halben  Jahre  befielen  diese  Schmerzen  die  beiden  Unterschenkel,  und  während  sie 
sich  aus  diesen  verloren,  trat  das  Augenleiden  auf.  Die  Kranke  fühlte  vor  7  Wochen 
ohne  weitere  Veranlassung  eines  Morgens  einen  tiefen  dumpfen  Schmerz  im  linken  Auge, 
wie  wenn  die  Augenhöhle  mit  Sand  angefüllt  wäre,  wozu  bisweilen  heftige  flüchtige  Stiche 
kamen;  das  Auge  soll  zugleich  von  vielen  Äderchen  durchzogen  und  lichtscheu  gewesen, 
das  Sehvermögen  allmälig  getrübt  worden  sein.  Vor  3  "Wochen  erkrankte  auch  das  rechte 
Auge,  gleichfalls  ohne  äussere  Veranlassung.  Zustand  am  30.  Mai  1841.  Linkes  Auge: 
Die  Lidbindehaut  netzförmig  geröthet ,  unter  der  Scleralbindehaut  zahlreiche  und  erwei- 
terte Gefässe ,  welche  rings  um  die  Cornea  zu  einem  1 '/»"'  breiten  blassbläulichrothen 
Saume  zusammentreten ;  über  diesem  Saume  bilden  zahlreiche  kleine  Gefässchen,  welche 
bis  an  den  concaven  Rand  des  Limbus  conjunct.  corneae  reichen,  ein  schütteres  Netz.  Die 
Cornea  von  normaler  Grösse  und  "Wölbung,  in  der  nach  oben  und  aussen  gelegenen 
Hälfte  hell  und  durchsichtig,  in  der  nach  innen  und  unten  gelegenen  gleichmässig 
graulich  getrübt,  matt,  wie  mit  äusserst  zahlreichen  Nadelstichen  punktirt,  und  an  ihrer 
hintern  Wand  mit  ohngefähr;l5  ziemlich  scharf  begrenzten,  saturirt  weisslichgrauen,  durch 
nahes  Beisammenstehen  zum  Theil  zusammenfliessenden,  ohngefähr  mohnkorngrossen  Punk- 
ten besetzt.  Die  vordere  Kammer  schien  nicht  vergrössert  zu  sein.  Die  dunkelbraune 
Iris  war  frei  beweglich,  nur  nach  unten  durch  drei  hintere  Synechien  fixirt.  Die  Kranke 
erkennt  mit  diesem  Auge  Silber-  und  Kupfermünzen  selbst  nach  dem  Gepräge,  in  der  ge- 
wöhnlichen Entfernung,  Buchstaben  jedoch  nicht.  Rechtes  Auge:  Die  Rosenröthe  um  die 
Cornea  intensiver  ,  auch  die  Injection  des  Bindchautsaumes  stärker,  die  Cornea  normal, 
nur  in  dem  nach  unten  und  innen  gelegenen  Drittel  ein  wenig  getrübt,  matt,  wie  mit 
Nadeln  gestochen,  und  an  der  hintern  Wand  mit  ohngefähr  9  grösseren,  saturirten,  und 
mehreren  kleinern  und  blässern  Punkten  besetzt.  Die  Iris  nur  unten  durch  eine  Synechie 
fixirt,  sonst  frei  beweglich.  Mit  diesem  Auge  werden  Buchstaben  mittlerer  Grösse  in  der 
gewöhnlichen  Entfernung  erkannt.  Die  Kranke  ist  sehr  wenig  lichtscheu  und  klagt 
ausser  über  Trübung  des  Gesichtes  nur  über  dumpfe  stechende  und  reissende  Schmerzen 
besonders  in  dem  rechten  Auge.  Diagnosis :  Iritis  mit  Exsudation  in's  Kammerwasser, 
Präcipitation  an  die  Hornhaut  und  an  den  Pupillarrand.  Rücksichtlich  des  ursächlichen 
Momentes  schliesst  sich  dieser  Fall  theils  nach  dem  Umstände,  dass  wir  reichliches  faser- 
stoffiges Exsudat  ausgeschieden  finden ,  während  die  Iris  selbst  fast  gar  nicht  mehr  er- 
griffen zu  sein  scheint  und  die  Erscheinungen  von  Seite  des  Nervensystems  relativ  äusserst 
gering  sind,  theils  nach  dem  allmäligen  Auftreten  auf  dem  einen  und  dann  auch  auf  dem 
andern  Auge  ohne  äussere  Veranlassung  an  jene  Fälle  an,  wo  wir  aus  dem  Zusammen- 
treffen sämmtlicher  Umstände  mit  Sicherheit  auf  Bedingtsein  des  Processes  durch  Scro- 
fulosis  schliessen  konnten.  Die  Aussagen  der  Kranken  geben  in  dieser  Beziehung  keine 
Anhaltspunkte,   wenn    man   nicht   etwa    auf  hartnäckigen  Kopfgrind  Gewicht  legen  will. 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  97 

Das  Aussehen  der  Kranken  jedoch,  welche  als  ziemlich  wohlhabende  Bäuerin  im  Ganzen 
nie  in  dürftigen  Verhältnissen  gelebt  hat,  schliesst  die  Annahme  jener  Anlage  nicht  aus, 
macht  sie  im  Gegentheil  sehr  plausibel.  Die  vorausgegangene  schmerzhafte  Affection 
der  Extremitäten  berechtigt  durchaus  nicht  zur  Annahme  einer  rheumatischen  Affection. 
Behandlung :  Wir  legten  S  Blutegel  an  die  rechte  Schläfe  und  rieben  reichlich  Ung.  einer, 
an  die  Stirn  ein,  indess  wir  innerlich  Sal  Glauberi  cum  tart.  stib.  r.  d.  verabreichten, 
bei  Buhe  im  Bette  und  '/a  der  Spitalskost.  Am  4.  Tage  wurde  ein  Yesicans  an  den 
Kacken  gelegt ,  und  nachdem  am  8.  Tage  die  Injection  an  den  Augen  bedeutend  ver- 
mindert erschien,  Hessen  wir  an  die  Stirn  und  Schläfe  Jodkaliumsalbe  (fünf  Gran  auf  eine 
Drachme)  einreiben ,  die  Kranke  herumgehen  und  innerlich  täglich  2mal  Pulver  nehmen 
aus  6  Gran  Pulv.  fol.  digitalis,  8  Gran  Pulv.  herbae  und  Extr.  conii  maculati  mit  1 6  Gran 
Pulv.  rad.  polyg.  senegae  (auf  S  Theile).  Schon  zu  Ende  der  3.  Woche  war  die  Trübung 
der  rechten  Hornhaut  bis  auf  einige  Punkte  an  der  Descemetschen  Haut  verschwunden, 
die  der  linken  Hornhaut  auffallend  geringer.  Von  Zeit  zu  Zeit  wurde  ein  lauwarmes 
Bad  ordinirt,  und  nachdem  zu  Ende  der  4.  Woche  die  Digitalis  Intoxicationserscheinungen 
erregt  hatte,  dazwischen  ein  Eccoproticum  verabreicht.  Die  Kranke  genas  allmälig,  vor- 
züglich beim  Gebrauche  der  Jodkaliumsalbe,  und  bot  zu  Ende  der  9.  Woche  nur  noch 
einige  Exsudatpunkte  an  der  Descemetschen  Haut  (rechts  2,  links  3)  dar,  welche  das 
Sehen  nicht  weiter  störten. 

14.  B.  J. ,  Näherin,  26  Jahre  alt,  erkrankte  im  Juli  1846  ohne  bekannte  Ursache 
an  dem  linken  Auge,  indem  sich  das  Weisse  desselben  röthete,  Lichtscheu,  Thränenfluss 
und  Schmerzen  (stechend-drückend,  besonders  in  der  Nacht  heftig)  und  allmälig  Trübung 
des  Gesichtes  hinzutraten ,  so  dass  sie  nach  4  Wochen  Alles  wie  durch  einen  Flor  sah. 
Nach  dem  Gebrauche  von  Eccoproticis  und  Einreibungen  von  Ung.  cinereum  an  die  Stirn 
verloren  sich  alle  Erscheinungen  bis  auf  eine  leichte  Trübung  des  Gesichtes.  Mitte  August 
trat  dasselbe  Leiden  wieder  ein ,  doch  mit  gelinderen  Zufällen  und  kürzerer  Dauer  bei 
derselben  Behandlung.  Anfang  November  erkrankte  sie  zum  3.  Male,  und  kam  endlich 
nach  fruchtloser  Anwendung  verschiedener  Mittel  am  10.  Decbr.  1846  auf  die  Klinik. 
Linkes  Auge:  Die  Lider  normal;  die  Sclera  rings  um  die  Hornhaut  (1'")  rosenroth.  Die 
Hornhaut  leicht  getrübt,  wie  ein -etwas  angelaufener  Metallspiegel;  an  der  untern  Hälfte 
ihrer  hintern  Fläche  mehrere  nebeneinander  stehende,  lichtgraue,  scharf  markirte  Punkte, 
dreieckig,  mit  der  Basis  nach  unten,  mit  der  Spitze  allmälig  nach  oben  verlaufend  (ähn- 
lich einer  Kerzenflamme) ;  an  der  obern  Hälfte  der  Hornhaut  bemerkt  man  nur  mittelst 
einer  scharfen  Loupe  zahlreiche  solche  Punkte  auf  der  Descemetschen  Haut.  Farbe  und 
Faserung  der  Iris  lassen  sich  wegen  der  Hornhauttrübung  nicht  verlässlich  beurtheilen  ; 
jedenfalls  ist  die  Pupille  enger,  als  an  dem  normalen  rechten  Auge,  die  Iris  nur  wenig 
und  träge  beweglich,  die  vordere  Kammer  etwas  vergrüssert.  Das  Sehvermögen  so 
geschwächt ,  dass  entfernte  (selbst  grosse)  Gegenstände  gar  nicht  wahrgenommen  werden ; 
bei  5 — 6  Zoll  Entfernung  erkannte  die  Kranke  noch  die  Buchstaben  von  1  l/-i"  Höhe. 
Schmerzen  und  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  bereits  seit  einigen  Tagen  gering.  Dia- 
gnosis:  Iritis  mit  Exsudatpräcipitation  an  die  Descemetsche  Haut.  Der  genannte  Sym- 
ptomencomplex  und  der  bisherige  Verlauf  bieten  überwiegende  Wahrscheinlichkeit  dafür, 
dass  diese  Iritis  als  Ausdruck  von  Scrofulosis  (Tuberculosis)  zu  betrachten  sei.  Die  Kranke 
hat  in  ihrer  Kindheit  längere  Zeit  an  Anschwellungen  der  Halsdrüsen  gelitten.  Die  Men- 
struation erschien  im  15.  Jahre,  und  zwar  stets  regelmässig,  bis  vor  9  Jahren,  wo  die 
Kranke  durch  2  Monate  an  den  Zufällen  von  Bleichsucht  litt.  Vor  7  Jahren  litt  sie 
längere  Zeit  an  Gliederreissen ,  welches  sie  als  B.heumatismus  bezeichnet,  vor  5  Jahren 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  7 


98  Regenbogenhaut. 

angeblich  an  einer  Leberentzündung.  Von  5  Schwangerschaften  führte  nur  die  letzte 
(vor  13  Wochen)  zu  einer  normalen  Entbindung,  indem  früher  jedesmal  in  den  ersten  4 
Monaten  Abortus  erfolgte.  Sie  nährte  das  Kind  selbst,  musste  jedoch  vor  einigen  Tagen 
auf  ärztliche  Anordnung  abstillen,  da  sie  neuerdings  von  Haemoptoe  befallen  wurde,, 
welche  schon  vor  4  Wochen  sich  durch  einige  Tage  eingestellt  hatte.  —  Die  Kranke 
lebte  in  den  letzten  Jahren  unter  kümmerlichen  Verhältnissen,  und  bewohnte  eine  dunkle, 
leuchte  und  dumpfige  Stube.  Sie  ist  von  schwächlichem  Kürperbau,  blasser  Hautfarbe, 
schlaffer  und  welker  Muskulatur,  und  leidet,  wie  die  Untersuchung  ergiebt,  an  tuberculöser 
Infiltration  der  rechten  Lunge  bis  zur  6.  Eippe  herab.  Behandlung  Durch  die  Aufnahme 
auf  die  Klinik  ist  mehreren  Anzeigen  entsprochen.  Temperirung  des  Lichtes,  Kühe  im  Bette, 
l/i  der  Spitalsportion,  innerlich  Mixt,  oleosa  mit  Nitrum,  örtlich  TJng.  cinereum  an  die 
Stirn  und  Schläfe.  Nach  Stägiger  Behandlung  waren  die  Exsudate  an  der  Hornhaut  bis 
auf  die  grössern  Punkte  resorbirt;  man  konnte  nun  deutlich  auch  ein  spinnewebenähnliches 
Exsudat  in  der  auf  ohngefähr  1"'  verengerten  Pupille  wahrnehmen.  Am  6.  Jäner  (27. 
Tag)  wurde  die  Kranke  auf  ihr  Verlangen  entlassen ,  sie  vermochte  Buchstaben  von  2'" 
Höhe  in  der  Entfernung  von  8  —  1 0"  zu  lesen. 

15.  L.  Anna,  19  Jahre  alt,  angeblich  von  gesunden  Eltern  abstammend  und  unter 
günstigen  Verhältnissen  aufgewachsen ,  in  ihrer  Kindheit  stets  gesund  (bis  auf  häufig 
wiederkehrenden  hartnäckigen  Schnupfen  und  habituelle  Stuhlverstopfung),  seit  ihrem 
15.  Jahre  regelmässig,  jedoch  sehr  sparsam  menstruirt,  und  bis  zum  18.  Jahre  häufig 
an  Zufällen  von  Chlorosis  leidend,  erkrankte  im  17.  Jahre  ohne  bekannte  Veranlas- 
sung an  den  Augen.  Sie  bekam  heftige  bohrende  Schmerzen  in  der  Stirn  und  Schläfe, 
dumpfes  Drücken  in  den  Augen,  Lichtscheu  und  Röthe  des  Weissen,  und  Trübung 
des  Gesichtes  zuerst  an  den  linken,  nach  einigen  Wochen  auch  an  dem  rechten  Auge. 
Einige  Tage  vor  dem  Eintritte  der  Menstruation  wurden  die  Zufälle  immer  ärger,  beson- 
ders in  den  Morgenstunden,  nachher  verschwand  die  Röthe  und  Lichtscheu,  die  Augen- 
und  Kopfschmerzen  -wurden  geringer,  die  Trübung  des  Gesichtes  (besonders  das  Vorschwe- 
ben von  Mücken,  Spinnweben  u.  dgl.)  nahm  jedesmal  zu,  niemals  ab.  Nach  Anwendung 
von  Abführmitteln,  von  Blutegeln  an  die  Schläfe  und  von  Vesicantien  an  den  Nacken,, 
trat  Milderung  der  Zufälle,  jedoch  keine  Heilung  ein.  Nach  3'jjähriger  Dauer  des  Übels 
mit  wechselnder  Besserung  und  Verschlimmerung,  jedoch  gradatim  steigender  Trübung 
des  Gesichtes  ging  die  Kranke  im  November  1S45  ins  allgemeine  Krankenhaus  nach 
Prag,  wo  sie  laut  Protocoll  mit  „hintern  Synechien  beider  Augen"  aufgenommen,  und 
mit  Einreibungen  einer  grauen  Salbe  an  die  Stirn  und  Einträuflungen  von  Extr.  bellad. 
durch  10  Tage  behandelt  wurde.  Im  März  1846  kam  die  Kranke  wieder  nach  Prag,  und 
trat  in  meine  Behandlung.  Nebst  den  Synechien  waren  zahlreiche  Exsudatpunkte  an  der 
hintern  Fläche  der  Hornhäute  vorhanden ,  und  die  Fortdauer  des  Exsudationsprocesses- 
verrieth  sich  durch  einen  gereizten  Zustand  beider  Augen  ,  namentlich  durch  stärkere 
Injection  der  Ciliargefässe  und  durch  Auftreten  eines  rothen  Gürtels  rings  um  die  Horn- 
häute, sobald  man  die  Augen  einige  Zeit  untersuchte.  Nebst  Regulirung  der  Diät,  so  wie 
bei  Scrofulösen  —  es  waren  in  der  letzten  Zeit  die  Lymphdrüsen  am  Halse  beträchtlich 
angeschwollen  —  wurde  zuerst  Oleum  jeeoris  aselli  mit  Tinct.  jodinae,  späterhin  Eisen 
mit  Rhabarber  in  Pillenform  verordnet.  Die  entzündlichen  Zufälle  Hessen  nach,  die  Zufälle 
der  Chlorosis  verloren  sich  gänzlich  und  bleibend,  und  die  Kranke  ging  Ende  Juni  nach 
Hause.  Nach  abermaliger  Verschlimmerung  trank  die  Kranke  im  August  und  September 
Egercr  Salz-  und  Franzensquelle,  jedoch  auch  ohne  bleibenden  Erfolg.  Da  das  Sehen 
allmälig  trüber  wurde,  das  Mückensehen  sich  vermehrte,  und  auch  die  Menstruen  wieder 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  99 

■viel  spärlicher  flössen,  so  wurde  die  Kranke  am  5.  December  IS  16  von  mir  auf  die 
Klinik  aufgenommen.  —  Die  Kranke  ist  von  schlankem  zartem  Körperbaue,  blasser 
Hautfarbe  mit  leicht  gerötheten  "Wangen,  die  Nasenflügel  und  die  Oberlippe  wulstig,  die 
Schleimhaut  der  Nase  stark  geröthet ,  die  Lymphdrüsen  an  der  Seite  des  Halses  nicht 
mehr  infiltrirt.  Die  Augen  etwas  glotzend,  ihre  Consistenz  etwas  vermehrt.  Die  Bindehäute 
normal.  Die  Sclera  auffallend  bläulich  weiss,  die  Ciliargefässe  etwas  erweitert,  Hornhäute 
normal.  Die  braunen  Regenbogenhäute  etwas  matt  und  aufgelockert,  weiter  vorwärts 
gelagert ,  die  rechte  gar  nicht,  die  linke  trag  beweglich.  Die  Pupillen  eng,  mehr  oval, 
durch  ein  kaum  wahrnehmbares  Häutchen  etwas  getrübt.  Diese  Exsudatmembran  steht 
durch  zackige  Fransen  mit  dem  Pupillenrande  in  Verbindung ,  und  lässt  nur  zwischen 
diesen  Zacken  kleine  schwarze  Stelleu  übrig.  Alles,  was  sie  sieht,  erscheint  ihr  wie 
durch  einen  Flor  oder  leichten  Nebel  gedeckt;  Geldmünzen  erkennt  sie  nach  dem  Metall 
und  der  Grösse,  nicht  nach  dem  Gepräge;  Buchstaben  erkennt  sie  nur  dann,  wenn  sie 
mindestens  l"  lang  sind  und  mehr  von  der  Seite  her  vorgehalten  werden  (dem  linken 
von  aussen  oder  innen,  dem  rechten  von  innen  her).  Die  Störung  des  Gesichtes  ist  dem- 
nach bloss  durch  die  Pseudomembran  in  der  Pupille  bedingt  —  Die  Kranke  wurde  durch 
8  Monate  Im  Spitale  behandelt  und  musste  endlich  am  3.  August  1847  ungeheilt  entlassen 
werden.  Zuerst  hatten  wir  durch  kleine  Gaben  von  Calomel  und  Digitalis  die  mit  wech- 
selnder Besserung  und  Verschlimmerung  verlaufende  Entzündung  zu  bekämpfen  gesucht. 
Sie  nahm  diese  Mittel  täglich  3mal  zu  '/i  Gran  bis  zum  17.  Februar,  .und  nur  von  Zeit 
zu  Zeit  ein  Abführmittel  dazwischen.  Während  dieser  Zeit  hatten  wir  3mal  versucht,  die 
Pupillen  durch  Einträuflung  von  Belladonna  zu  erweitern,  jedoch  endlich  davon  abstehen 
müssen,  weil  jedesmal  den  folgenden  Tag  die  entzündlichen  Zufälle  augenscheinlich  hef- 
tiger wurden ,  das  3.  Mal  sogar  frische  Exsudation  in  der  Augenkammer  auftrat.  Vom 
17.  Februar  bis  zum  8.  März  Hessen  wir  die  Kranke  Sublimatpillen  in  allmälig  gestei- 
gerter Gabe  nehmen ,  mussten  sie  aber  wegen  Salivation  und  wegen  Vermehrung  der 
entzündlichen  Zufälle  an  den  Augen  aussetzen.  Vom  16.  März  bis  Anfang  Mai  nahm  die 
Kranke  mit  wenig  Unterbrechungen  (durch  den  Eintritt  der  Menstruation)  täglich  '/a  bis 
1  '/*  Drachme  Oleum  terebinthinae,  sodann  bis  Ende  Mai  Polygala  senega  mit  Kali  tarta- 
ricum,  und  im  Juni  Marienbader  Kreuzbrunnen :  Alles  ohne  den  gewünschten  Erfolg.  Der 
Kreuzbrunnen  musste  schon  nach  14  Tagen  weggelassen  werden,  weil  offenbar  Conge- 
stionen  zum  Kopfe  und  zu  den  Augen  entstanden  waren ,  und  wegen  Steigerung  der 
entzündlichen  Zufälle  an  den  Augen  wiederholt  örtliche  Blutentziehuugen  nöthig  wurden. 
Im  Juli  versuchten  wir,  da  die  Menses  zwar  immer  in  ohngefähr  4  Wochen,  doch  nie 
länger  als  durch  36 — 48  Stunden  eingetreten  waren,  Pillen  aus  Ferrum  sulfuricum  mit 
Bicarbonas  sodae  und  Extr.  aloes  aquosum ,  welche  jedoch  ebenfalls  nicht  vertragen 
wurden.  —  Der  Zustand  bei  der  Entlassung  war  nicht  beträchtlich  verschieden  von  dem 
bei  der  Aufnahme.  —  Nach  drei  Jahren,  am  1.  August  1850,  wurde  die  Kranke,  welche 
nun  nicht  mehr  allein  gehen  konnte,  in  die  Anstalt  zurückgebracht.  Sie  hatte  in  der 
Zwischenzeit  bloss  mehrmal  durch  einige  Wochen  Oleum  jeeoris  aselli  genommen,  und 
im  letzten  und  vorletzten  Frühjahre  Egerer  Salzquelle  getrunken.  Von  Zeit  zu  Zeit, 
namentlich  wenn  die  Menstruation  kommen  sollte,  war  Verschlimmerung  an  den  Augen; 
und  so  allmälig  gänzliche  Erblindung,  bis  auf  deutliche  Lichtempfindung,  eingetreten. 
Zustand  der  Augen  am  1.  August  1850:  die  Bulbi  etwas  glotzend,  die  Sclera  auffallend 
bläulich,  wie  bei  kleinen  Kindern,  die  Ciliargefässe  etwas  erweitert  und  zahlreich,  die 
vordere  Kammer  sehr  eng,  die  Iris  lichtbraun,  sammtartig  aufgelockert,  stark  nach  vorn 
gewölbt,  die  Pupillen  klein,  winklig,  unveränderlich,  beiderseits  sieht  man  hinter  der  sie 

7* 


100  Regenbogenhaut. 

auskleidenden  Pseudomembran  die  Linse  getrübt,  links  wenig,  rechts  bedeutend;  auf 
der  Membran  in  der  rechten  Pupille  ein  Knäuel  feiner  Gefässchen,  welche  vom  Pu- 
pillarrandc  ausgehen.  Die  Kranke  kann  selbst  mit  dem  linken  Auge  die  Zahl  der 
Finger  nicht  mehr  bestimmen.  Ich  unterwarf  am  3.  August  das  rechte  Auge  folgender 
Operation:  Die  Kranke  wurde  zu  Bette  gebracht,  die  Hornhaut  nach  unten  wie  zur  Ex- 
tractio  cataraetae  geöffnet,  jedoch  nur  2/s  des  Umfanges,  dann  ein  Häkchen  oben  am 
Pupillarrande  in  die  Pseudomembran  und  vordere  Kapsel  eingehakt;  dem  Zuge  folgte 
nicht  nur  die  von  der  Iris  sich  lösende  Pseudomembran,  sondern  gleichzeitig  die  ganze 
Linse  in  der  vordem  und  hintern  Kapsel  eingeschlossen,  dann  einige  Tropfen  klarer 
Flüssigkeit,  jedoch  kein  Glaskörper.  Die  Kranke  erkannte  die  Finger.  Wir  fanden  die 
vordere  Fläche  der  Kapsel  mit  einer  dünnen,  leicht  abstreifbaren  und  von  einigen  Ge- 
fässchen durchzogenen  Exsudatmembran  belegt ;  auf  der  innern  Fläche  war  die  Kapsel, 
mit  Ausnahme  eines  gegen  V"  breiten  Reifens  an  der  Peripherie,  durch  Auflagerung 
einer  lichtgrauen,  körnig  faserigen,  in  Schichten  ablösbaren ,  jedoch  nicht  völlig  von  Un- 
trennbaren Masse  verdickt;  die  Linse  lichtgrau  getrübt,  nur  in  einzelnen  Meridianen 
weiss  und  durchsichtig,  eher  weicher  als  härter.  Nach  Abnahme  des  Verbandes  zeigte 
sich  die  untere  Hälfte  der  Iris  vorgefallen,  die  Cornealwunde  klaffend.  Allmälig  erfolgte 
Vernarbung,  jedoch  auch  Verschli essung  der  Pupille  und  Verlust  des  Gesichtes.  Nachdem 
sich  das  Auge  von  der  Verletzung  völlig  erholt,  wurde  am  12.  October  eine  künstliche 
Pupille  durch  Iridektomie  nach  aussen  angelegt.  Dieselbe  wurde  jedoch  im  Verlauf  einiger 
Wochen  allmälig  durch  Exsudation  bis  auf  eine  kleine  Stelle  verschlossen,  und  das  Seh- 
vermögen erstreckte  sich  nur  auf  grössere  und  lichte  Gegenstände.  Am  15.  November 
wurde  nun  das  linke  Auge  derselben  Operation  unterworfen ,  wie  zuerst  das  rechte ; 
nur  wurde  nach  Eröffnung  der  Hornhaut  die  untere  Partie  der  Iris  vom  Pupillarrande 
aus  hervorgezogen  und  ein  Stückchen  abgeschnitten,  und  durch  diese  Pupille  dann  die 
Kapsel  geöffnet  und  die  Linse  extrahirt.  Allmälig  wurde  aber  auch  diese  Öffnung  durch 
Exsudat  gesperrt,  und  die  obere  Hälfte  der  Iris  gegen  die  Hornhautnarbe  herabgezerrt 
und  straff  angespannt,  das  Sehen  bis  auf  deutliche  Lichtempfindung  aufgehoben.  Unter 
diesen  Umständen  nahm  ich,  nachdem  alle  Reactionserscheinungen  völlig  verschwunden 
waren,  den  20.  December  an  diesem  Auge  die  Iridotomie  vor.  Ich  führte  ein  Staarmesser 
vom  obern  Rande  der  Cornea  aus  in  die  vordere  Kammer,  und  stiess  es  so  in  die  Iris 
ein,  dass  ich  die  straff  gespannten  Radialfasern  derselben  quer,  i.  e.  durch  einen  hori- 
zontalen, etwa  I'/ä'"  langen  Einstich  trennte.  Sogleich  klaffte  die  Wunde  auf  etwa  3W" 
und  blieb  fortan  offen  und  schwarz,  ohne  dass  im  mindesten  Entzündung  nachfolgte. 
Die  Kranke  hatte  nun  eine  völlig  centrale,  etwas  mehr  als  hirsekorngrossse  Pupille,  durch 
welche  sie  mittelst  einer  Staarbrille  (N.  3)  fast  ebenso  gut  sah,  wie  Staaroperirte.  Am 
2.  Jäner  1851  ging  sie  nach  Hause. 

16.  Ein  "jähriges  :Mädchen  wurde  am  14.  März  1S50  von  seinem  Vater  in  die 
Anstalt  gebracht  mit  Iritis  chronica  oc.  utr.,  Linkes  Auge:  Grösse  und  Resistenz  des 
Bulbus  normal;  dem  M.  rectus  int.  und  inf.  entsprechend  die  Ciliargefässe  stark  injicirt, 
gegen  die  Hornhaut  in  einen  (partiellen)  Gefässraum  übergehend ;  die  Hornhaut  nor- 
mal; die  Iris  auffallend  stark  vorwärts  gerückt  und  gewölbt,  fast  an  die  Cornea  an- 
liegend, in  ihrer  Structur  und  Farbe  durchaus  abnorm  und  vollkommen  unbeweglich; 
der  Pupillarrand  etwas  eingezogen  und  zackig,  die  mittlere  Region  der  Iris  lichtgrau 
und  sammetähnlich,  die  äussere  Region  bräunlich.  Geringe  Empfindlichkeit  gegen  stärkeres 
Licht,  kein  Schmerz,  bedeutende  Trübung  des  Gesichtes,  so  dass  z.  B.  die  Zahl  der  vor- 
gehaltenen Finger  nur   bis  auf  10    Zoll    Entfernung    erkannt   wird.      Rechtes   Auge:  Der 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  101 

Bulbus  weicher  und  in  der  Gegend  der  Musculi  recti  eingedrückt,  bereits  viereckig- 
werdend;  die  Sclera  schmutzig  gelblich;  einzelne  Ciliargefässe  stark  ausgedehnt.  Die 
Hornhaut  leicht  getrübt,  an  der  Oberfläche  glatt,  in  ihrer  Wölbung  allem  Anscheine  nach 
unverändert.  Die  Pupille  durch  eine  gelblichgraue  Masse  verlegt  und  verengert,  erscheint 
nach  oben  rückwärts  gezogen,  daher  die  Augenkammer  nach  dieser  Richtung  hin  merk- 
lich grösser;  die  äussere  Zone  der  Iris  dunkelbläulich  (zwischen  einzelnen  gedehnten 
Fasern  schimmert  eine  dunkle  Grundlage  durch),  die  innere  bräunlich  und  filzig.  Keine 
Schmerzen,  keine  Lichtempfindung.  Andmnesis.  Der  Vater  litt  angeblich  in  seinem  20. 
Lebensjahre  an  einer  Halsentzündung,  in  Folge  deren  der  Nasenrücken  einsank  und  die 
Stimme  verändert  wurde.  Man  findet  an  der  hintern  Wand  des  Pharynx  eine  tiefe  Narbe 
mit  callösen  Rändern ,  gegen  welche  das  Zäpfchen  hingezogen  ist.  Er  leugnet  jede 
Infection,  und  lebt  als  Taglöhner  in  sehr  kümmerlichen  Verhältnissen.  Das  so  eben  auf- 
genommene Mädchen  hatte  in  frühern  Jahren  an  Halsdrüsengeschwülsten  gelitten,  welche 
in  Eiterung  übergingen  und  Narben  hinterliessen.  Vor  einem  Jahre  bekam  sie  am 
Scheitel  eine  Beule,  welche  ebenfalls  aufbrach,  und  viel  übelriechenden  Eiter  entleerte. 
Das  Augenleiden  begann  vor  9  Monaten  ohne  bekannte  Veranlassung;  über  den  Verlauf 
konnten  wir  nichts  Verlässliches  erfahren  ;  die  Erblindung  erfolgte  allmälig.  Das  Kind 
sah  sonst  ziemlich  gut  aus,  war  jedoch  mager  und  von  schlaffer  Muskulatur.  Der  Nasen- 
rücken war  sehr  flach,  doch  nicht  eingedrückt.  Keine  Zeichen  von  Ozaena.  Diagnosis. 
Chronische  Iritis,  zu  welcher  rechts  bereits  Atrophia  bulbi  (Chorioiditis?)  hinzugetreten 
ist.  Das  Augenleiden  ist  wohl  Folge  (Theilerscheinung)  des  Allgemeinleidens ;  ob  here- 
ditäre Syphilis  im  Spiele  sei,  lässt  sich  nicht  bestimmen.  Behandlung.  Durch  die  Aufnahme 
der  Kranken  in  die  Anstalt  war  den  wichtigsten  Anzeigen  entsprochen ;  wir  verabreichten 
ihr  gute  Kost  und  Hessen  sie  viel  im  Freien  herumgehen.  Von  Arzneien  wurde  bloss 
Oleum  jeeoris  aselli  ordinirt.  Am  25.  März  erkrankte  das  Mädchen  an  einem  heftigen 
Bronchialkatarrh,  wodurch  diese  Behandlung  für  einige  Zeit  unterbrochen  wurde.  Ende 
April  hatte  sich  das  Aussehen  der  Kranken  merklich  gebessert,  auch  das  Sehvermögen 
(des  linken  Auges)  schien  minder  schwach  zu  sein,  und  die  Gefässinjection  war  geringer. 
Von  Mitte  Mai  an ,  wo  das  Oleum  jeeoris  nicht  mehr  vertragen  wurde ,  bis  Ende  Juni 
beschränkten  wir  uns  bloss  auf  die  diätetische  Behandlung.  Anfangs  Juli  war  nicht  nur 
das  Aussehen  der  Kranken  ein  auffallend  besseres,  sondern  es  hatten  sich  auch  an  dem 
linken  Auge  alle  entzündlichen  Zufälle  verloren,  und  die  Kranke  unterschied  jetzt  selbst 
kleinere  Gegenstände,  einen  kleinen  Schlüssel,  eine  Schreibfeder,  einen  Bleistift  u.  dgl. 
Die  enge  und  winklige  Pupille  war  durch  eine  dünne  Exsudatschichte  verlegt.  Durch 
Anlegung  einer  künstlichen  Pupille  (Iridektomie)  Ende  Juli  wurde  das  Gesicht  nicht  ver- 
bessert, offenbar  weil  in  der  Chorioidea  und  Netzhaut  bereits  Veränderungen  erfolgt,  das 
Sehen  nicht  bloss  mechanisch  von  Seite  der  Iris  behindert  war.  Ende  August  mussten 
wir  die  Kleine  entlassen. 

Gegenwärtig  (1S52)  befinden  sich  ein  lOj ähriges  Mädchen  und  ein  11  jähriger  Knabe  in 
der  Ansalt,  bei  welchen  das  Augenleiden  als  chronische  Keratoiritis  (beider  Augen)  ver- 
läuft, das  Allgemeinleiden  und  der  Habitus  die  grösste  Ähnlichkeit  mit  dem  im  vorhergehenden 
Falle  zeigen,  und  constitutionelle  Syphilis  der  Eltern  (der  Väter)  vor  der  Zeugung  nach- 
gewiesen ist.  Bei  dem  Mädchen  ist  nach  3wöchentl.  Gebrauche  von  Jodkalium  (täglich 
1—2  Scrupel)  so  auffallende  Besserung  eingetreten,  dass  wir  gänzliche  Heilung  erwarten 
dürfen.  Vielleicht  werden  zahlreichere  Beobachtungen  mit  der  Zeit  Aufschluss  geben,  ob 
und  welchen  Einfluss  constitutionelle  Syphilis  der  Eltern  auf  die  Augen  der  Kinder 
nehme. 


102  Regenbogenhaut. 

17.  K.  J.  19  Jahre  alt,  Findling,  seit  einigen  Jahren  als  Pferdeknecht  dienend,  und 
körperlich  sowohl  als  geistig  verwahrlost,  von  starkem  Körperbau  und  eigentümlich  auf- 
gedunsenem Aussehen,  die  Wangen  bläulichroth,  Oberlippe  und  Nasenflügel  wulstig,  Na- 
senrücken flach,  die  Ohrmuscheln  und  Extremitäten  blauroth  und. fast  beständig  kalt  und 
schwitzend,  in  seinen  Bewegungen  und  im  Sprechen  auffallend  trag,  kam  im  October 
IS  49  in  die  Anstalt.  Er  wusste  von  dem  Vorangegangenen  nichts  mitzutheilen,  als  dass 
er  einmal  längere  Zeit  an  Ohrenfluss  gelitten  und  im  letzten  Frühjahre  an  dem  linken, 
dann  auch  an  dem  rechten  Auge  erkrankt  war ,  mit  Abnahme  des  Sehvermögens ,  wozu 
sich  Röthe  der  Bulbi,  Lichtscheu,  Thränenfluss  und  Brennen  der  Augen  hinzugesellt  hatten 
Er  verrichtete  seine  Arbeit  bis  vor  4  Wochen,  wo  die  Störung  des  Gesichtes  durch  diese 
Zufälle  plötzlich  so  arg  wurde,  dass  er  kaum  mehr  vom  Felde  nach  Hause  traf. — Massige 
Lichtscheu,  häufiger  Thränenfluss,  intensive  Röthe  um  die  Hornhäute,  brennende  Schmerzen 
in  den  Augen ;  die  Hornhäute  rein,  die  Kammern  enger,  die  Iris  beiderseits  verfärbt,  grau- 
braun, deutlich  aufgelockert  und  geschwellt,  in  der  innern  Zone  links  mit  zwei,  rechts 
mit  einem  lichtgelben,  fast  hanfkorngrossen,  an  der  Peripherie  und  Oberfläche  von  feinen 
Gefässchen  durchzogenen  Exsudatknoten  versehen,  wie  wir  sie  sonst  nur  bei  Iritis  in 
Folge  von  Syphilis  gesehen  hatten;  in  den  massig  verengerten  Pupillen  bereits  membran- 
artig ausgespanntes  Exsudat.  Nirgends  eine  Spur  von  Syphilis,  keine  Knochenschmerzen, 
keine  nächtliche  Verschlimmerung.  —  Der  Kranke  wurde  bis  Ende  September  1850  nach 
verschiedenen  Methoden  behandelt,  welche  jedoch  nur  vorübergehende  Besserung,  keine 
bleibende  Heilung  bewirkten.  Die  knotigen  Exsudate  in  der  Iritis  wurden  allmälig  auf- 
gesogen. Bei  den  nachfolgenden  zeitweiligen  Verschlimmerungen  kam  es  wiederholt  zur 
Bildung  punktförmiger  Trübungen  der  hintern  Cornealwand,  einige  Male  auch  zur  Ansamm- 
lung faserstoffigen  Exsudates  zu  unterst  der  vordem  Kammer,  später  zum  Auftreten  er- 
weiterter Gefässe  in  der  verfärbten  und  in  ihrer  Faserung  mehr  und  mehr  veränderten  Iris, 
so  wie  auch  zu  Blutaustretung  in  den  Humor  aqueus,  endlich  zu  Verklebung  der  Iris  mit 
der  Cornea  von  der  Peripherie  her  (besonders  unten)  und  zu  Fixirung  des  Pupülarrandes 
und  Rückwärtsziehung  gegen  die  Kapsel.  Die  vorderste  Partie  der  Sclera  wurde  dunkel- 
blauroth,  dann  schiefergrau,  endlich  auch  an  zwei  Stellen  hügelig  vorgetrieben.  —  Als  der 
Kranke  unserer  Aufforderung  entsprechend  Ende  März  1851  behufs  der  Pupillenbildung 
in  die  Anstalt  zurück  kam,  fanden  wir  folgende  Veränderungen.  Die  Ciliargefässe  bei- 
derseits stark  injicirt  und  erweitert,  links  einen  schwachen  Gefässsaum  um  die  Cornea 
bildend.  Die  rechte  Iris  beinahe  an  die  Cornea  anliegend  imd  an  zwei  Stellen  (nach  unten 
und  nach  innen)  durch  eine  graue  Exsudatschichte  mit  der  Cornea  verwachsen,  die  enge, 
durch  eine  halbdurchsichtige  Exsudatlage  verlegte  und  von  einem  bräunlichen  Ringe 
umgebene  Pupille  lag  tiefer ,  als  der  mittlere  Theil  der  Iris ;  das  Sehvermögen  bis  axif 
Lichtompfindung  erloschen,  die  Sclera  schmutzig  weiss,  rings  um  die  Cornea  (auf  V" 
breit)  schiefergrau,  nirgends  vorgetrieben.  Mit  dem  linken  Auge,  das  auf  ähnliche  Weise, 
jedoch  in  minder  hohem  Grade  verändert  war,  erkannte  der  Kranke  noch  die  vorgehaltenen 
Finger,  die  Farbe  der  Kleider  u.  dgl.  Der  wiederholte  Versuch,  ein  Pupille  durch  Iridek- 
tomie  anzulegen,  hatte  keinen  Erfolg,  wegen  nachfolgenden  Blutaustrittes  in  die  vordere 
Kammer  und  Verschliessung  durch  Exsudat.  Der  Kranke  wurde  den  22.  Mai  1851  ungeheilt 
(rechts  total  erblindet,  links  sehr  wenig  sehend)  entlassen.  —  Dieser  Fall  bot  in  der 
ersten  Zeit  grosse  Ähnlichkeit  mit  einer  durch  Syphilis  bedingten  Iritis  dar;  im  weitern 
Verlaufe  gestalteten  sich  die  Veränderungen  so,  wie  bei  Iritis  scrofulosa;  es  konnte 
indess  weder  das  eine  noch  das  andere  Allgemeinleiden  mit  Gewissheit  als  ätiologisches 
Moment   angenommen  werden ,    da  weder    die  Erscheinungen    am  Auge   bestimmt  für  das 


Entzündung  —  Krankengeschichten.  103 

eine  oder  das  andere  sprachen,  noch  auch  anderweitig  die  Constatirung  eines  bestimmten 
A'.lgemeinleidens  möglich  war.  Vielleicht,  dass  analoge  Fälle  uns  nähern  Aufschluss  geben 
werden. 

IS.  Eine  Dienstmagd  von  42  Jahren,  in  Folge  von  Rhachitis  einen  auffallend  grossen 
Kopf  mit  Glotzaugen  darbietend,  in  ihrer  Kindheit  von  verschiedenen  scrofulösen  Affectionen 
geplagt,  vom  2-1.  bis  zum  39.  Jahre  regelmässig  menstruirt,  seit  mehreren  Jahren  an  stechen  d- 
r  lassenden  Kopfschmerzen  leidend  —  angeblich  in  Folge  von  Zugluft,  der  sie  als  "Wä- 
scherin häufig  ausgesetzt  ist  —  erkrankte  im  Jahre  1S3S  zuerst  an  dem  rechten,  einige 
"Wochen  später  auch  an  dem  linken  Auge  ohne  besondere  äussere  Veranlassung,  nachdem 
einige  Monate  vorher  die  Menstruation,  gleichfalls  ohne  bekannte  Ursache  ausgeblieben  war. 
Das  Augenleiden  begann  mit  lästigem  Drücken,  Jucken  und  Brennen,  und  mit  anhaltend 
umnebeltem  Sehen,  angeblich  ohne  Röthe  der  Lider  oder  des  "Weissen  im  Auge.  Sie  war 
desshalb  im  Jahre  1S3S  auf  der  Klinik  an  Uveitis  mit  Einreibungen  von  Ung.  cinereum 
an  die  Stirn  und  Schläfe,  Einträuflungen  von  Extr.  belladonnae,  und  innerlich  mit  Calomel 
behandelt,  und  auf  ihr  Verlangen  (in  gebessertem  Zustande)  nach  4  Wochen  entlassen 
worden.  Sie  hatte,  da  ausser  leichter  Trübung  des  Gesichtes  keine  lästigen  Zufälle 
2urückgeblieben  waren,  ihr  Geschäft  als  Wäscherin  fortgeführt,  bis  sie  im  Frühlinge 
iv4!  nach  einer  Verkühlung  wieder  von  heftigen  Schmerzen  in  der  Stirn  und  im  Scheitel 
und  von  starker  Trübung  des  Gesichtes  befallen  wurde.  "Wir  fanden  damals  die  Augen 
glotzend,  die  Sclera  schmutzig,  die  Ciliargefässe  stärker  injicirt,  die  (von  Natur  licht- 
braune i  Iris  mattgrau,  im  kleinen  Kreise  röthlichbraun,  fast  unbeweglich,  den  Pupillarrand 
zackig,  mit  bräunlichen  Franzen  besetzt,  welche  gleichsam  von  der  hintern  Fläche  der 
Iris  her  vorgeschoben  sind,  die  Pupille  eng,  die  rechte  vier-,  die  linke  vieleckig;  der 
linken  Pupille  gegenüber  zeigt  die  Cornea  eine  leichte  halbdurchsichtige  (wahrscheinlich 
ans  den  Kinderjahren  nach  Conjunctivitis  scrofulosa  zurückgebliebene)  Trübung.  Die  Kranke 
sieht  wie  durch  dichten  Nebel;  es  scheinen  ihr  schwarze  Fäden  über  die  Augen  ge- 
zogen zu  sein.  Wir  Hessen  Ung.  cinereum  mit  Extr.  belladonnae  an  die  Stirn  und  Schläfe 
einreiben,  und  verabreichten  ihr,  da  habituelle  Stuhlverstopfung  vorhanden  war,  Deeoctum 
L-raminis  et  taraxaci  mit  Kali  tartaricum  und  Syr.  eich.  c.  rheo,  nebstdem  täglich  3mal 
Pulver  aus  '  2  Gran  Calomel,  '/<  Gran  Opium  und  l/e  Gran  Extr.  belladonnae.  Nach  vier 
"Wochen  wurde  statt  des  Ung.  cinereum  eine  Jodkaliumsalbe  an  die  Umgebung  der  Augen 
eingerieben,  und  bloss  die  Mixtur  angewendet.  In  der  9.  Woche  wurde  die  Kranke  als 
nahezu  geheilt  entlassen,  da  sie  in  der  gewöhnlichen  Sehweite  ohne  Anstand  lesen  konnte. 
Die  Trübung  der  linken  Hornhaut  war  fast  verschwunden,  die  Iris  minder  verfärbt  und 
viel  freier  beweglich.  Die  Heilung  war  jedoch  nur  eine  temporäre.  Bis  zum  Jahre  1850 
war  die  Kranke  beiderseits  vollständig  und  unheilbar  (durch  Hinzutritt  von  Chorioiditis) 
erblindet.  Es  war  nicht  möglich  gewesen,  die  Kranke  in  bessere  Lebensverhältnisse  zu 
versetzen.  Von  Zeit  zu  Zeit  kamen  gleichsam  frische  Nachschübe  von  Exsudation.  Weder 
die  Wiederholung  der  frühern  Behandlung,  noch  der  Gebrauch  von  Mineralwässern  — 
Egerer  Salzquelle,  Marienbader  Kreuzbrunnen  —  von  Pillen  aus  Soda,  Sapo ,  Rheum 
und  Aloe,  und  einigen  anderen  Mitteln  sicherten  die  Kranke  im  Verlaufe  dieser  Jahre  vor 
stufenweiser  Abnahme  des  Sehvermögens.  —  Ich  kenne  viele  analoge  Fälle,  wo  durch 
eine  ähnliche  Behandlung  Heilung  oder  Besserung  erzielt  wurde.  Die  Fälle  gänzlicher  und 
bleibender  Heilung  würden  sich  jedoch  wahrscheinlich  auf  eine  geringe  Zahl  beschränken, 
wenn  man  öfter  Gelegenheit  hätte,  solche  Individuen  durch  eine  längere  Reihe  von  Jahren 
zu.  beobachten. 


104  Regenbogenhaut. 


II.    Abnormitäten  in  der  Lage,   Farbe  und  Faserung 

der  Iris. 

a.  Wenn  die  Lageveränderung  der  Iris  nicht  durch  Entzündung* 
derselben  bedingt  ist,  so  ist  der  Grund  davon  jederzeit  in  Verhältnis- 
sen ausserhalb  der  Iris  zu  suchen. 

Die  Lage  der  Iris  (relativ  zur  Cornea)  steht  zunächst  mit  dem  Alter 
des  Individuums  und  mit  dem  Refractionszuslande  des  Auges  im  Ein- 
klänge. Die  Iris  erscheint  bei  Neugeborenen  wegen  stärkerer  Wölbung 
der  Linse  weit  nach  vorn  gerückt  und  vorgewölbt,  und  nimmt  in  der 
Kegel  im  höhern  Alter  wegen  Ahnahme  des  Humor  aqueus  wieder  eine 
ähnliche  Lage  ein.  Diesem  Zustande  entspricht  ein  relativ  kleiner 
Durchmesser  (Engheit)  der  Pupille.  Am  grössten  ist  die  vordere  Kam- 
mer im  Kindes-  und  Jünglingsalter,  und  dabei  die  Pupille  relativ  weit. 

Bei  Kurzsichtigen  liegt  die  Iris  mehr  in  einer  Ebene  und  tiefer 
hinter  der  Basis  corneae,  bei  Weitsichtigen  erscheint  sie  nicht  nur  mehr 
gewölbt,  sondern  auch  mit  ihrem  peripherischen  Theile  weiter  vorwärts 
gelagert. 

Bei  Mangel  der  Linse,  wie  namentlich  nach  Staaroperationen ,  bei 
Verschrumpfung  des  Linsensystemes  (Catar.  membranacea,  aridosiliquata) 
und  bei  spontaner  Senkung  der  Linse  im  Glaskörper  liegt  die  Iris  tiefer 
hinter  der  Cornea  als  sonst. 

Vorwärts  gedrückt  erscheint  die  Iris  sammt  der  Linse  sehr  häufig- 
nach  Chorioiditis,  wenn  es  zu  reichlicher  Exsudation  zwischen  Retina 
und  Chorioidea  gekommen  ist;  vorwärts  gezerrt,  partiell  oder  total, 
finden  wir  sie  nach  Hornhautdurchbrüchen. 

Rückwärts  gezogen  erscheint  sie  bei  Schwund  des  Glaskörpers  und 
bei  Fehlen  der  Linse,  sobald  der  Pupillarrand  an  die  Kapsel  fixirt  ist. 
An  der  Peripherie  vorwärts  gezogen,  mit  dem  Pupillarrande  hingegen 
rückwärts  fixirt  finden  wir  die  Iris  in  Folge  chronischer  Iritis  oder 
Iridochorioiditis. 

b.  Bei  den  Bewegungen  des  Bulbus  bleibt  die  Lage  der  Iris  un- 
verändert. Leicht  erzitternde,  wellenförmige  oder  schlotternde  Bewe- 
gungen (von  vorn  nach  hinten  und  umgekehrt)  beobachtet  man  bei  Ver- 
grösserung  der  vordem  Kammer  durch  abnorme  Wölbung  der  Cornea,, 
bei  Mangel  oder  Verschrumpfung  der  Linse  (falls  nicht  hintere  Synechien 
sie  fixiren),  bei  Verflüssigung  des  Glaskörpers  und  Lockerung  der  Ver- 
bindung  zwischen  Linsenkapsel  und    Ciliarkörper   (Synchysis  corporis- 


Abnorme  Lage  —  Schlottern  —  Atrophie.  105 

vitrei,  spontane  Senkung  der  Linse,  Luxatio  lentis,   Cataracta  natatilis 
et  tremula).     Von  Amnion  hat  diesen  Zustand  Irdidoonem  genannt. 

c.  Matte  Färbung  (lichte  Nuancen  und  geringen  Glanz)  rindet 
man  oft  an  Augen,  welche  von  Natur  aus  mit  geringer  Energie  der 
Sehkraft  begabt  sind,  gleichzeitig  mit  Kleinheit  der  vordem  Kammer. 
Der  eigentümlichen  Färbung  bei  Kakerlaken,  so  wie  der  angeborenen 
Flecken  und  einseitigen  Farbenverschiedenheit  der  Iris  wurde  bereits 
S.  27  erwähnt.  Einzelne  dunkle  Flecke  rinden  sich  oft  nach  congesti- 
ven  oder  entzündlichen  Zuständen  in  der  Iris. 

d.  Hypertrophie  des  Irisgewebes  dürfte  sich  ohne  deutlich  ausge- 
sprochene Entzündungszufalle  in  der  Iris  nie  entwickeln,  und  selbst 
nach  sogenannter  parenchymatöser  Iritis  niemals  lange  erhalten.  Was 
von  Amnion  Iridauxesis  genannt  hat,  ist  unseres  Erachtens  nicht  durch 
Hypertrophie  der  Iris  bedingt,  im  Gegentheile  mit  Rareficirung  des  Iris- 
gewebes gepaart.     (Vergl.  S.  46.) 

Atrophie  des  Irisgewebes  kommt  partiell  vor,  nach  partieller  ent- 
zündlicher Infiltration  der  Iris,  besonders  am  Pupillarrande,  und  partiell 
oder  total  nach  Chorioiditis  oder  Iridochorioiditis.  Wo  Chorioiditis  vor- 
ausgegangen ist,  da  wird  die  unbewegliche  Iris  theilweise  oder  durch- 
aus auf  einen  schmalen  Saum  reducirt,  ihres  Glanzes  und  Faserbaues 
beraubt,  schiefer-  oder  bleigrau.  Diese  Art  von  Atrophie  der  Iris  be- 
ruht auf  Veränderungen  der  Chorioidea,  von  denen  bei  der  Lehre  über 
die  Chorioiditis  die  Rede  sein  wird.  Atrophirung  des  Irisgewebes  fin- 
det man  auch,  wenn  die  Iris  durch  enge  Papillensperre  und  Vorwärts- 
drängung  der  Linse,  noch  häufiger  aber,  wenn  sie  durch  partielle  Ver- 
wachsung mit  der  Hornhaut  (besonders  nach  einem  grösseren  Prolapsus 
iridis)  stark  nach  einer  Richtung  hin  angespannt  und  gezerrt  wird.  Die 
einzelnen  Fasern  (Radialfasern)  werden  rareficirt,  weichen  auseinander, 
lassen  dunkle  Gruben  (durchscheinende  Uvea)  oder  förmliche  Lücken 
zwischen  sich,  und  reissen  wohl  auch  quer  durch  oder  vom  Ciliarbande 
los  —  Dehiscenz  der  Iris,  spontane  Pupillenbildung  durch  Iridodialysis. 
Diese  Art  von  Atrophie  kommt  auch  dann  vor,  wenn  der  peripherische 
Theil  der  Iris  an  die  Cornea,  der  Pupillarrand  an  die  Kapsel  ange- 
löthet,  und  die  mittlere  Zone  durch  Exsudat  zwischen  Iris  und  Kapsel 
vorwärts  gedrängt  ist.  —  Wenn  bei  Pupillensperre  durch  Exsudat  in 
der  Pupille  oder  durch  Einheilung  einer  mehr  weniger  grossen  Irispor- 
tion in  eine  Homhautnarbe  die  Farbe  der  Iris  wie  vergilbt  aussieht, 
und  die  Faserung  gleichsam  verwischt  erscheint,  so  hat  man  Grund, 
Veränderungen  des  Glaskörpers,  der  Netzhaut  und  der  Chorioidea  an- 
zunehmen,   welche  die  Wiederherstellung  des  Sehvermögens  durch  An- 


106  R  egenbogenhaut. 

legung  einer  künstlichen  Pupille  mehr  weniger  vereiteln,  trotzdem,  dass 
yon  solchen  Augen  vielleicht  noch  deutlich  Licht  und  Schatten  unter- 
schieden wird.  Das  Gewebe  der  Iris  erweist  sich  dann  bei  der  Opera- 
tion gleichsam  morsch,  leicht  zerreisslich,  und  Blutaustritt  in  die  Augen- 
kammer erfolgt  entweder  sogleich  nach  der  Operation,  oder  erst  einige 
Tage  nachher.  Die  Unterscheidung,  ob  die  Atrophirung  der  Iris  in  einem 
speciellen  Falle  bloss  durch  Zerrung  oder  zugleich  durch  gestörte  Er- 
nährung von  Seite  der  Chorioidea  bedingt  sei,  ist  demnach  eben  so 
wichtig  als  schwierig,  und  setzt  nebst  umsichtiger  Auffassung  des  Sta- 
tus praesens  auch  genaue  Erhebung  des  bisherigen  Verlaufes  und  der 
ätiologischen  Momente  voraus.  Bei  der  Auffassung  des  Befundes  muss 
vorzüglich  die  Consistenz  des  Bulbus  jederzeit  genau  geprüft  werden; 
bei  Erhebung  der  Ananmesis  ist  besonders  darauf  Rücksicht  zu  nehmen, 
ob  nicht  Zufälle  von  Chorioiditis  oder  Retinitis,  namentlich  feurige  Er- 
scheinungen vorausgegangen  seien. 


III.    Aftergebilde  in  der  Iris. 

Melanotische  und  medulläre  Ablagerungen  gehen,  nach  den  bisher 
bekannt  gewordenen  Beobachtungen  zu  schliessen,  wohl  höchst  selten 
von  der  Iris  aus,  obwohl  sie  den  Augapfel  im  Ganzen  ziemlich  häufig 
befallen.  Diese  Membran  wird  fast  immer  erst  dann  ergriffen,  wenn 
bereits  andere  Gebilde,  namentlich  die  Netz-  und  Aderhaut  schon  in 
grossem  Umfange  infiltrirt  und  destruirt  sind. 

Ein  von  Prof.  Stöber  in  Strassburg  beobachteter  Fall  von  Melanosis  iridis  scheint 
Tins  zur  Orientirung  in  ähnlichen  Fällen  besonders  geeignet,  wesshalb  wir  ihn  aus  Ammon's 
Monatschrift  I.  B.  S.  70  entlehnen. 

„North,  ein  Bäcker,  62  Jahre  alt,  wurde  im  Laufe  des  Decembers  1830  von  einer 
Entzündung  des  rechten  Auges  befallen,  welche  nach  Verlauf  einiger  Tage  ohne  deut- 
liche Ursache  aufs  linke  Auge  sich  übertrug,  auf  welchem  ein  Fleckchen  erschien.  Die 
Entzündung  zertheilte  sich  fast  vollständig  ohne  Heilmittel,  da  aber  der  Flecken  zurück- 
blieb,  so  wandte  sich  der  Kranke  den  27.  December  1830  an  Herrn  Dr.  Stöber. 

Er  war  von  starker  Constitution  und  guter  Gesundheit,  obgleich  er  sich  ziem- 
lich schlecht  nährte.  Das  rechte  Auge  war  wieder  hergestellt,  aber  die  Conjunctiva  des 
linken  Auges  war  noch  leicht  entzündet,  die  Cornea  normal;  die  Iris  braun,  wie  die  des 
andern  Auges,  war  an  ihrem  untern  Drittheil  durch  eine  schwarzbraune  Geschwulst,  welche 
Ähnlichkeit  mit  geronnenem  Blut  hatte,  bedeckt.  Die  Basis  dieser  Hervorragung  ruhte 
auf  dem  Grunde  der  vordem  Augenkammer;  ihr  oberer  convexer  Rand  war  gegen  die 
Pupille  gerichtet,  und  war  von  derselben  durch  eine  Falte  der  durch  die  Hervorragung 
vorgedrängten  Iris  getrennt.-  Diese  Falte  bildete  eine  gerade  Linie,  welche  das  untere 
Drittheil  der  Pupille  abschnitt,  welche  in  den  zwei  übrigen  obern  Drittheilen  keineswegs 
entartet  war.     Die  Iris  war  fast  unbeweglich.     Betrachtete  man    das  Auge  im  Profile,    so 


Aftergebilde  —  Melanosis.  107 

sah  man  den  untern  Theil  der  vordem  Augenkammer  durch  eine  fremde  Masse  ausgefüllt. 
Die  Cornea  war  nicht  verändert. 

Der  Kranke  unterschied  mit  diesem  Auge  die  Umrisse  und  Farben  der  Gegenstände, 
sie  schienen  ihm  aber  mit  einem  Nebel  bedeckt;  auf  dem  andern  Auge  war  das  Gesicht 
sehr  gut. 

North  hatte  in  dem  kranken  Auge  nur  ein  Gefühl  von  Yollsein,  das  bei  dem  Drücken 
■des  Augapfels,  dessen  Consistenz  normal  war,  sich  vermehrte.  Seit  einigen  Tagen  hatten 
sich  wenig  heftige  Schmerzen  über  der  Augenhöhle  gezeigt. 

Im  Zweifel  über  die  wahre  Natur  dieser  Afterbildung  und  in  der  Absicht,  die 
Aufsaugung  derselben  wo  möglich  zu  befördern,  unterwar-f  man  den  Kranken  einer  sowohl 
innern  als  äusseren  Mercurialbehandlung.  Die  Schmerzen  über  der  Orbita  verschwanden 
zwar,  auf  die  Bildung  selbst  aber  blieb  die  Behandlung  ohne  Erfolg,  wesshalb  man  sie 
verliess.     Man  wandte  Schröpfköpfe  an,  ohne  Besserung  zu  verspüren. 

Den  25.  Januar  1S31  hatte  die  Hervorragung  ein  wenig  zugenommen;  das  Allge- 
meinbefinden des  Kranken  war  fortwährend  befriedigend.  Da  man  die  Geschwulst  nicht 
für  eine  bösartige  hielt,  und  in  Rücksicht  auf  die  Unwirksamkeit  der  Heilmittel,  war  man 
der  Meinung,  die  Krankheit  sich  selbst  zu  überlassen.  Der  Umfang  der  Erhabenheit  nahm 
nach  und  nach  zu ;  und  zugleich  verminderte  sich  die  Grösse  der  Pupille.  Im  August 
nahm  die  Excrescenz  die  ganze  vordere  Augenkammer  ein.  Die  Pupille  war  durch  die- 
selbe ausgefüllt,  und  von  dem  obern  und  dem  Ciliarrande  der  Iris  sah  man  nur  noch 
einen  kleinen  Streif.  Das  Gesicht  war  auf  diesem  Auge  vollkommen  verloren ,  aber  der 
Kranke  empfand  keinen  Schmerz  in  demselben  und  genoss  im  Übrigen  einer  ziemlich 
guten  Gesundheit. 

Im  April  1832  wurde  Patient  von  einer  leichten  Ophthalmie  befallen;  sein  Auge 
•war  schmerzhaft  und  thränte,  die  Augenlider  waren  angeschwollen,  und  die  Conjunctiva 
injicirt.  Die  Afterbüdung  schien  mehr  ab-  als  zugenommen  zu  haben,  auch  war  sie 
nicht  mehr  so  umschrieben.  —  Man  sah  an  dem  obern  Theile  der  vordem  Kammer  eine 
durch  einen  schwarzen  Streif,  der  von  dem  Tumor  ausging,  abgetheilte  Portion  der  Iris; 
die  Cornea  war  weniger  hell  als  früher,  daher  die  Untersuchung  des  krankhaften  Productes 
schwieriger.  Im  Laufe  des  Januars  1833  wurde  North  von  Neuem  von  einer  Augen- 
entzündung rheumatischer  Natur  befallen.  Sie  ergriff  die  Hornhaut  und  trübte  sie  ein 
wenig;  doch  zeigte  der  obere  Theil  der  Iris,  der  allein  noch  sichtbar  war,  nur  wenig 
Änderung  in  seiner  natürlichen  Farbe ;  das  Yolumen  des  Fungus  war  dasselbe.  Die 
Phlyctaena  verursachte  eine  Hornhautpustel. 

Im  April  fühlte  der  Kranke  in  seinem  Auge  sehr  lebhafte  Schmerzen,  welche  ihn 
zwangen ,  sich  ins  Bett  zu  legen ,  aber  bald  nachliessen.  Die  Conjunctiva  war  in  dieser 
Zeit  leicht  injicirt,  und  das  Geschwür  der  Cornea  hatte  sich  ein  wenig  vergrössert;  die 
Hornhaut  selbst  sprang  da,  wo  sich  das  Geschwür  befand,  als  wenn  sie  dort  hätte  zer- 
reissen  oder  ein  kegelförmiges  Staphylom  bilden  wollen,  ein  wenig  vor. 

Die  vordere  Augenkammer  befand  sich  noch  in  demselben  Zustande.  Man  unter- 
schied den  obern  Theil  der  Iris  und  der  Pupille,  während  die  untere  Partie  dieses  Raumes 
immer  mit  einer  schwärzlichen  Substanz  von  unbestimmten  Grenzen  ausgefüllt  war.  Die 
Iri~  war  vorgetrieben,  und  die  Krystalllinse  von  schwarzgrauer  Farbe  schien  den  obern 
Theil  der  Pupille  einzunehmen  und  die  ebengenannte  Membran  vorzudrängen.  Wenn  man 
das  untere  Augenlid  stark  herabzog,  so  bemerkte  man  eine  schwarze  gelappte  Erhaben- 
heit ,    von  der  Grösse  einer  Erbse ,   gerade  da ,    vro  die  Bindehaut  vom   unteren  Augenlid 


108  Regenbogenhaut. 

zum  Augapfel  übergeht;  man  konnte  sich  nicht  überzeugen,  ob  dieses  kleine  Froduct 
mit  dem  im  Innern  des  Auges  in  Verbindung  stand. 

Das  Geschwür  der  Cornea  vernarbte  bald.  Die  schwarze  Excrescenz  der  Sclerotica 
nahm  an  Umfang  zu,  und  im  Zeitraum  eines  Monats  war  sie  von  der  Cornea  nur  durch 
ein  weisse?,  sehr  schmales  Bändchen  getrennt. 

Jetzt  nach  einem  Zeiträume  von  zwei  Jahren  bietet  die  "Wucherung  nicht  viel 
Veränderung  dar. 

Die  schwarze  Farbe  nimmt  die  ganze  vordere  Augenkammer  ein,  ausgenommen 
ein  kleiner  Theil,  wo  man  die  Iris  sieht;  die  Färbung  der  Sclerotica  erstreckt  sich  von 
dem  untern  Rande  der  Cornea  bis  zum  untern  Augenlid,  das  soweit  als  möglich  herunter- 
gelassen ist;  sie  ist  grösser  als  der  Durchmesser  der  Hornhaut,  und  scheint  sich  auch 
noch  über  den  dem  Auge  unzugänglichen  Theil  des  Augapfels  zu  erstrecken. 

Eine  leichte  Herabdrückung  und  ein  kleiner  weisslicher  Strich  zeigen  den  Abgren- 
zungspunkt zwischen  der  Cornea  und  der  Excrescenz  der  Sclerotica.  Die  letztere  ist 
ein  wenig  höckerig.  Die  Hornhaut  bildet  an  ihrem  untern  Theile  einen  kleinen  gräulichen 
Vorsprung,  in  ihrem  Mittelpunkte  bemerkt  man  eine  schwarze  Stelle,  wo  früher  das  Ge- 
schwür bestand.     Der  Augapfel  scheint  nun    sehr  wenig  an  Volumen  zu  haben." 

Der  Kranke  ist  seitdem  ohne  Schmerzen  geblieben,  und  sein  Allgemeinbefinden  ist 
ziemlich  befriedigend.  —  Im  6.  Hefte  derselben  Zeitschrift  schrieb  Prof.  Stöber  an  den 
Redacteur  Dr.  von  Amnion  (S.  659) :  „Bei  meinem  Kranken  ist  die  Melanose  äusserlich 
stationär  geblieben,  hat  sich  aber  auf  das  Gehirn  ausgedehnt;  der  Kranke  starb  an  den 
Symptomen  einer  chronischen  Encephalitis;  die  Section  wurde  leider  verweigert." 

Minder  selten  scheint  die  Bildung  von  Cysten  in  der  Iris.  Ich  habe 
zwei  Fälle  beobachtet,  wovon  den  ersteren  bereits  Prof.  Fischer  (Lehr- 
buch, 1 846.  S.  II )  veröffentlicht  hat. 

H.  A.  18  Jahre  alt,  Binderstochter,  von  gesundem  Aussehen,  eher  schwacher,  als 
starker  Constitution,  lebte  in  einer,  besonders  im  Winter  feuchten  Wohnung,  und  litt  in 
ihrer  Kindheit  an  einer  Augenentzündung,  wahrscheinlich  scrofulöser  Natur,  da  sich  später 
auch  Drüsenanschwellungen  am  Halse  zeigten.  Von  jener  Entzündung  blieb  eine  leichte 
Trübung  des  Sehvermögens  am  rechten  Auge  zurück,  beding*  durch  eine  noch  jetzt 
wahrnehmbare  Macula  in  der  Mitte  der  rechten  Hornhaut.  Nebstdem  sieht  man  in  der 
vordem  Augenkammer  des  r.  A.  gegen  den  äussern  Winkel  hin  eine  fast  linsengrosse, 
aber  mehr  ovale,  perlgraue  Blase,  wenigstens  muss  man  es  nach  der  rundlichen  Gestalt 
und  dem  durchscheinenden  Inhalte  dafür  ansehen.  Diese  Blase  beginnt  unmittelbar  vor 
der  Verbindungsstelle  der  Cornea,  Sclera  und  Iris,  und  scheint  mit  der  Cornea  in  ge- 
nauester Verbindung  zu  stehen;  vielleicht  bilden  die  Descemctsche  Haut  und  das  Epithelium 
der  Iris  constituirende  Theile  der  Blase,  denn  man  kann  bei  aüseitiger  Betrachtung 
durchaus  keinen  Zwischenraum,  keine  Zwischenlage,  kein  Bindungsmittel  entdecken. 
Die  Hornhaut  ist  an  dieser  Stelle  rein,  von  der  Mitte  der  Berühruugsstelle  mit  der  Blase 
gegen  den  äussern  Rand  hin  leicht  getrübt,  stark  durchscheinend;  über  diese  getrübte  Stelle 
laufen  äusserst  feine  Gefässchen,  wie  es  scheint,  von  der  Conjunctiva  aus,  auf  '/:>'"  weit 
vom  Bande  gegen  die  Mitte  der  Cornea.  Die  innere  Wand  der  Blase  wendet  sich  ge- 
wölbt zum  Pupillarrande  nach  hinten,  so  dass  dieselbe  weiter  gegen  die  Augenachse 
vorragt,  als  der  Pupillarrand ;  ebenso  sind  die  obere  und  iintere  Wand  gewölbt,  so  dass 
also  die  Basis,  wo  die  Blase  mit  der  Iris  zusammenhängt  oder  vielmehr  in  dieselbe  über- 
zugehen scheint,  leicht  eingeschnürt  erscheint,  somit  nicht  etwa  eine  allroälige  Abdachung 


Aftergebilde  —  Cysten.  109 

gegen  die  vordere  Fläche  der  Iris  stattfindet.  Der  der  Iris  zunächst  liegende  Theil 
erscheint  als  bräunlichgelblieher  Saum,  so  dass  diese  Färbung  nächst  der  Iris  am  inten- 
sivsten ist,  nach  vorne  sich  allmälig  verliert.  Diese  Färbung  erscheint  auch  gegen  die 
Pupille  hin,  wo  man  vom  Rande  der  Iris  nichts  mehr  sieht.  Auch  bei  stark  erweiterter 
Pupille  (durch  Belladonna)  war  man  nicht  im  Stande ,  eine  Ausbauchung  der  Iris  oder 
der  Blase  nach  hinten  zu  bemerken.  Auf  dem  am  meisten  gewölbten  Theile  der  Blase, 
also  von  jener  getrübten  Hornhautstellc  an  bis  nahe  gegen  den  Pupillarrand ,  sieht  man 
von  oben  nach  unten  6  weisse,  stark  markirte,  im  Zickzack  angeordnete  Streifchen,  eine 
halbe  Linie  lang,  ohne  dass  man  ihre  Fortsetzungen  nach  aussen  durch  jene  Trübung, 
oder  nach  innen  bis  zum  Pupillarrande  zu  verfolgen  im  Stande  ist,  selbst  nicht  mit  be- 
waffnetem Auge.  Der  Inhalt  der  Blase  ist  klar  wie  Eiweiss,  und  doch  nicht  vollkommen 
durchsichtig,  so  dass  man  am  Grunde,  welcher  schmutzig  stahlgrau  erscheint,  nichts  deut- 
lich wahrnehmen  kann.  Mitten  in  der  Blase  sieht  man  einen  Punkt,  wie  ein  Kleesamen- 
korn.  von  der  Farbe  der  Iris  (braun),  welchen  wir,  als  die  Kranke  aus  einem  dunkeln 
in  ein  helles  Zimmer  gebracht,  lind  das  Auge  unmittelbar  dem  Sonnenlichte  aus- 
gesetzt wurde ,  bei  ganz  ruhigem  Auge  zu  wiederholten  Malen  spontan  auf-  und  ab- 
steigen sahen,  und  zwar  nicht  senkrecht,  sondern  in  einer  krummen  oder  schrägen 
Linie.  Ahnliche  doch  viel  raschere  Bewegungen  erfolgten  jedesmal,  wenn  wir  den  Strom 
eines  magnetoelektrisehen  Apparates  durch  die  beiden  Augenlider  und  den  Bulbus  leiteten. 
"Wir  stellten  diese  Versuche  sehr  häufig  an.  —  Wann  sich  diese  belebte  Cyste  in  der 
vordem  Kammer  gebildet  habe,  weiss  die  Patientin  nicht  anzugeben.  Zum  ersten  Male 
bemerkte  sie  vor  5  Jahren  im  Spiegel  einen  fadenähnlichen,  über  2'"  langen  weisslichen 
Körper,  nach  ihrem  Ausdrucke  nächst  der  Grenze  zwischen  dem  Weissen  und  Braunen 
im  Auge.  Der  Streifen  verlief  im  Bereiche  des  letzteren ,  schief  von  aussen  und  oben 
nach  innen  und  unten,  Bewegungen  desselben  nahm  sie  keine  wahr ;  bezüglich  des  Wachs- 
thumes  sagte  sie  bloss,  dass  das  Übel  vor  zwei  Jahren  noch  kleiner  gewesen,  als  voriges 
Jahr,  und  damals  kleiner  als  heuer,  vor  8  Wochen  jedoch  habe  es  rasch  gegen  die  Pu- 
pille hin  zugenommen,  sei  zugleich  mehr  rund  geworden,  und  habe  das  Gesicht  nach 
aussen  so  beschränkt,  dass  sie  fürchte,  das  Sehvermögen  ganz  zu  verlieren.  Den  17. 
Xovember  1S41  wurde  iu  Gegenwart  des  Prof.  Hyrtl,  welcher  den  Körper  mikroskopisch 
untersuchen  wollte,  mit  einem  Lanzenmesser  l/-z'"  weit  vom  äussern  Rande  der  Cornea 
und  mit  diesem  parallel  ein  Einstich  in  die  letztere  gemacht ,  so  dass  die  innere  Wand 
der  Blase  unversehrt  blieb.  Indem  sich  ihr  Inhalt  entleerte,  stülpte  sich  die  innere  Wand 
durch  die  Wunde  nach  aussen  um,  und  wurde  mit  einer  Scheere  abgetragen.  Vergebens 
hatte  man  gesucht,  jenes  braunen  Punktes  habhaft  zu  werden;  er  war  beim  Austreten  des 
Inhalts  der  Blase  verloren  gegangen.  Am  Balge  selbst  sahen  wir  deutlich  jene  graulich  weissen 
Streifen  als  unvollständige  Scheidewände  oder  als  Vorsprünge  der  Wandung  in  die  Höhle. 
Die  Vernarbung  erfolgte  in  wenigen  Tagen,  und  abgesehen  von  der  Verwachsung  der 
Iris  mit  der  Cornea  nach  aussen ,  war  die  Form  und  Function  des  Auges  ganz  normal. 
Ein  Kaufmann  von  45  Jahren  hatte  in  der  Jugend  die  Blattern  gehabt,  und  dadurch 
einen  hirsekorngrossen  Clavus  an  der  rechten  Hornhaut  (nach  unten  und  aussen)  mit 
etwas  schwächerem  Sehvermögen  behalten.  Als  er  sich  im  April  1846  wegen  allmäliger 
Erblindung  dieses  Auges  an  mich  wandte ,  fand  ich  folgenden  Zustand :  In  der  vordem 
Kammer,  jedoch  zum  Theil  in  der  Iris  sitzend  und  daher  auch  hinter  die  Iris  zurückragend, 
eine  etwa  erbsengrosse  gelblichgraue,  halbdurchsiehtige  Cyste.  Sie  erstreckt  sich  von 
der  nach  unten  und  aussen  ganz  an  der  Peripherie  gelegenen  Hornhautnarbe  nach  oben 
bis  über  die  Mitte  der  Pupille  hinauf,  und  nimmt  ohngefähr  '  z  der  vordem  Augenkammer 


110  Regenbogenhaut. 

und  der  Iris  ein.  Ihre  vordere  Wand  ist  gelblichgrau,  stark  durchscheinend,  gleichmässig, 
ohne  Streifen  oder  Punkte,  und  liegt  an  der  Cornea  an;  ihre  hintere  Wand  erscheint, 
wenn  man  durch  die  Pupille  von  oben  herabsieht,  mit  Pigment  bedeckt,  bräunlich  und 
liegt  weiter  rückwärts,  als  die  unversehrten  zwei  Drittel  der  Iris.  Die  Grenze  zwischen 
der  normalen  Iris  und  der  gleichsam  aus  einer  Partie  der  Iris  herausgewachsenen  Cyste 
ist  durch  einen  weissgrauen  Reifen  angedeutet.  Der  Inhalt  der  Blase  scheint  wasserklar 
zu  sein.  Die  Pupille  besteht  nur  noch  als  schmale  Spalte  oberhalb  der  Cyste ;  etwa  */%"' 
hinter  dem  Pupillarrande  sieht  man  die  von  der  Cyste  rückwärts  gedrängte  und  verdun- 
kelte Linse,  deutlicher  nach  Erweiterung  durch  Belladonna.  —  Der  Kranke  sieht,  diesen. 
Verhältnissen  entsprechend,  ohngefähr  so  wie  ein  Cataractöser.  Ausserdem  ist  am  Bulbus 
nichts  Abnormes  wahrzunehmen,  weder  Röthe,  noch  Lichtscheu,  nur  ein  Gefühl  von 
Spannung.  —  Vor  '/2  Jahre  hatte  der  Mann  mit  diesem  Auge  noch  so  gut  gesehen,  wie 
von  Jugend  auf;  durch  allmälige  Abnahme  des  Gesichtes  war  er  auf  die  Gegenwart  der 
Blase  aufmerksam  geworden,  welche  damals  etwa  die  Grösse  eines  Hanfkornes  gehabt 
hatte.  Das  Wachsthum  der  Cyste  und  die  Trübung  des  Gesichtes  hatten  allmälich  zuge- 
nommen. —  Ich  machte  wie  in  dem  Vorhergehenden  Falle  einen  Einstich  an  der  Peri- 
pherie der  Cornea,  und  zwar  von  der  Narbe  aus,  so  dass  das  Messer  in  das  Cavum  der 
Blase  eindrang.  Der  klare  wässrige  Inhalt  floss  aus,  der  Sack  stülpte  sich  nicht  um;  er 
wurde  mit  einer  Pincette  vorgezogen  und  sodann  abgeschnitten.  Nach  der  Operation 
zeigte  sich,  dass  die  Iris  an  dieser  Stelle  fehlte,  offenbar  weil  sich  die  Cyste  auf  Kosten 
des  Parenchyms  der  Iris  entwickelt  hatte.  Der  Kranke  bekam  gleich  nach  der  Operation 
heftige  Schmerzen  und  Zuckungen  am  ganzen  Körper ;  man  durfte  selbst  die  Wange  nicht 
berühren  ohne  diese  Zufälle  neuerdings  zu  erregen.  Kalte  Umschläge,  Bitterwasser,  Buhe 
im  Bett.  Nach  3  Tagen  war  die  Wunde  vernarbt.  Das  Auge  blieb  noch  mehrere  Tage 
etwas  geröthet,  lichtscheu  und  stark  thränend;  der  Kopfschmerz  hatte  sich  schon  den 
1.  Tag  verloren,  ebenso  die  Zuckungen.  Nach  14  Tagen  ging  der  Kranke  nach  Hause, 
mit  Coloboma  Iridis  (Vergrösserung  der  Pupille  nach  unten  und  aussen)  und  mit  Cataracta 
lenticularis.  Ein  Jahr  später  hatte  sich  der  Zustand  nicht  geändert,  die  Cyste  war 
bleibend  beseitigt. 

Zwei  Fälle  von  Cysticercus  cellulosae  in  der  vordem  Augenkammer  hat  Chelius  in 
sein  Handbuch  *)  aufgenommen.  Da  mir  keine  ähnliche  Beobachtung  zu  Gebote  steht,  so 
führe  ich  die-elben  hier  wörtlich  an. 

In  dem  von  Schott  und  Sömmering  (Okens  Isis  1S37,  H.  7.  S.  717)  beobachteten 
Falle  zeigte  sich  bei  einem  18jährigen,  übrigens  gesunden  Mädchen  in  der  vordem 
Augenkammer  des  linken  Auges  ein  lebender  Cysticerus  cellulosae  von  der  Grösse  einer 
Wicke.  Er  schien  nach  einer  heftigen  Angenentzündung  sich  gebildet  zu  haben,  wenig- 
stens wurde  das  trübe  Fleckchen  oder  Fellchen  zuerst  bemerkt.  Sömmering  zeichnete 
ihn  etwa  2  Monate  nach  dieser  Entzündung,  deren  Spuren  so  vollkommen  verschwunden 
waren,  dass  man  nur  einen  leichten  Anflug  von  Röthe  rings  um  die  Hornhaut  bemerkte, 
wenn  das  Auge  erhitzt  war.  Auch  erregte  er  keinen  Schmerz,  kaum  eine  leichte  Em- 
pfindung bei  seinen  stärkeren  Bewegungen  und  hinderte  das  Gesicht  nur  dann,  wenn  er 
weiter  vor  die  Pupille  trat.  Gewöhnlich  lag  ei-,  ganz  wie  eine  noch  nicht  völlig  auf- 
gelöste, in  die  vordere  Augenkammer  gefallene  Staar-Linse  am  Boden  derselben  als  eine 
ziemlich  durchscheinende  Kugel,  die  nur  an  einer  Stelle  eine  milchweisse,  undurchsichtige 
Hcrvorragung  zeigte.     Aus  dieser  Stelle  sah  man  zuweilen  von  sich  selbst  oder  bei  gelindem 

*)  Handbuch  der  Augenheilkunde,  Stuttgart  1839.  II.  Bd.  S.  527. 


Aftergebilde  —  Cysten.  111 

Reiben  des  Augendeckels  den  dicken,  runzligen  Theil  des  Halses  hervortreten;  dann 
schob  sich  langsam  die  dünne,  fadenförmige  Hälfte  desselben  hervor,  "welche  in  den,  mit 
4  Saugmündungen  und  einem  doppelten  Hakeukranze  versehenen  Kopf  endigte ;  letztern 
erkannte  man  jedoch  nur  nach  der  Herausnahme  des  "Wurms  unter  dem  Mikroskope.  — 
Der  Blasenkörper  des  Wurmes  änderte  bald  langsamer,  bald  schneller  seine  kuglige 
Form  in  eine  mehr  breite,  ovale  oder  birnförmig  zugespitzte  ab.  Meist  lag  er  noch  eine 
halbe  oder  ganze  Linie  vom  unteren  Eande  der  Hornhaut  entfernt,  weil  daselbst  der  Raum 
zwischen  Iris  und  Cornea  zu  enge  für  ihn  wurde.  Der  Hals  hing  meistens  nach  unten 
herab  und  bewegte  sich  frei  hin  und  her,  so  dass  er,  wenn  das  Mädchen  den  Kopf  be- 
wegte, diesen  Bewegungen,  vorzüglich  aber  der  Neigung  nach  allen  Seiten  der  Peripherie 
der  Hornhaut  hin  folgte.  Selten  schien  er  etwas  fest  zu  halten.  Nachdem  er  7  Monate 
im  Auge  geblieben ,  und  während  der  Zeit  der  Beobachtung  sich  um  das  Doppelte  ver- 
größert hatte,  wurde  er  von  Schott  durch  einen  kleinen  Einschnitt  in  die  Hornhaut 
mittelst  einer  Haken-Pincette  noch  lebend  hervorgezogen.  Iu  lauem  Wasser  bewegte  er 
sich  noch  eine  halbe  Stunde  und  nachdem  er  weiss  und  trübe  geworden  war,  konnte  man 
die  4  Saugwavzen  mit  ihren  Mündungen  und  den  doppelten  Hakenkranz  in  der  Mitte 
deutlich  unter  dem  Mikroskope  wahrnehmen. 

Der  von  Logan  (Case  of  animalcule  in  the  Eye  of  a  child  1833)  beschriebene  Fall 
betriift  ein  Mädchen  von  7  Jahren,  welches  an  wiederholten  Anfällen  von  Entzündung  im 
linken  Auge  gelitten  hatte.  Bei  der  Untersuchung  fand  Logan  die  Cornea  so  getrübt  und 
die  Ophthalmie  so  heftig,  dass  er  völligen  Verlust  des  Sehvermögens  befürchtete.  Er  be- 
handelte den  Fall  als  eine  scrofulöse  Augenentzündung,  und  nach  dem  Gebrauche  alteri- 
render  Mittel  und  eines  Blasen-Pflasters  hinter  das  Ohr  verloren  sich  die  entzündlichen 
Erscheinungen,  Hessen  jedoch  eine  leichte  Trübung  an  dem  untern  Theile  der  Hornhaut 
zurück.  Nach  einer  "Woche  wurde  das  Kind  wieder  zu  Logan  gebracht,  welcher  zu  sei- 
nem grossen  Erstaunen  einen  halbdurchsichtigen  Körper  von  ungefähr  2  Linien  im  Durch- 
messer frei  schwimmend  in  der  vorderen  Augenkammer  wahrnahm.  Dieser  Körper  erschien 
vollkommen  ktigelig,  nur  dass  von  seinem  unteren  Theile  ein  dünner  Fortsatz  von  weis- 
ser Farbe  und  leicht  bulbösem  Ende  hervorragte.  Dieser  Anhang  war  schwerer,  als  der 
übrige  blasige  Theil,  so  dass  er  sich  immer  in  der  abhängigsten  Lage  befand;  auch  be- 
merkte man,  dass  er  sich  von  Zeit  zu  Zeit  verlängerte  und  zurückzog,  so  wie  die  Blase 
auch  verschiedentlich  ihre  Form  änderte.  —  "Wenn  die  Kranke  den  Kopf  ruhig  hielt  bei 
massigem  Lichte,  so  deckte  der  Wurm  die  zwei  unteren  Drittheile  der  Pupille.  Manch- 
mal wurde  der  blasige  Theil  mehr  oder  weniger  sphärisch  und  nahm  dann  eine  abge- 
plattete Form  an,  wobei  der  Kopf  sich  plötzlich  bis  zu  dem  Boden  der  vorderen  Augen- 
kammer verlängerte  und  schnell  sich  so  vollkommen  wieder  zurückzog,  dass  er  kaum  be- 
merkbar war.  Beim  Zurückbeugen  des  Kopfes  wandte  sich  die  Blase  schnell  so,  dass  nun 
der  Kopf  des  Wurmes  nach  dem  oberen,  jetzt  aber  mehr  abhängigen  Theile  der  vordem 
Augenkammer  gerichtet  war;  wurde  der  Kopf  wieder  nach  Vorne  geneigt,  so  nahm  die 
Blase  wieder  ihre  frühere  Lage  ein,  und  hinderte  die  Kranke  am  Sehen  in  gerader  Rich- 
tung. Während  Logan  diesen  Fall  beobachtete,  bemerkte  er  kein  Wachsthum  des  Thieres 
Meikle  beobachtete  es  sorgfältig  während  3  Wochen  und  bemerkte  keine  andere  Verände- 
rung ,  als  eine  leichte  Zunahme  der  Undurchsichtigkeit  der  Cyste.  —  Man  schlug  ver- 
schiedene Mittel  vor,  um  das  Thier  zu  tüdten,  worauf  man  ein  Verschrumpfen  desselben 
wie  bei  der  Linsenkapsel  erwartete  :  elektrische  und  galvanische  Schläge  durch  das  Auge 
zu  leiten,  Terpentinöl  in  die  Umgegend  des  Auges  einzureiben,  kleine  Dosen  dieses  Mit- 
tels  innerlich    zu  geben,    so    wie  anhaltenden  Gebrauch  des  schwefelsauren  Chinins  oder 


112  Regenbogenhaut. 

eines  andern  bittern  Mittels.  —  Später  vergrösserte  sich  der  Wurm,  die  Gefässe  der  Con- 
junetiva  und  Sclerotica  wurden  turgescirend,  die  Iris  veränderte  ihre  Farbe,  war  weniger 
frei  in  ihren  Bewegungen,  und  das  Kind  klagte  über  Schmerzen  im  Auge,  worauf  die 
Ausziehung  des  Thieres  beschlossen,  und  die  Operation  von  Robertson  vorgenommen 
wurde.  Die  Incision  der  Cornea  geschah  ohne  die  geringste  Schwierigkeit,  hierauf  aber 
war  das  Kind  auf  keine  Weise  mehr  zu  bestimmen,  die  Augenlider  zu  öffnen,  es  wurde 
so  unruhig,  und  die  Muskeln  pressten  den  Augapfel  so  heftig  zusammen,  dass  die  Linse 
herausgetrieben  wurde  und  die  Hydatide  zerriss.  Die  Kranke  wurde  zu  Bett  gebracht ; 
am  Abend  konnte  man  dieselbe  bestimmen ,  das  Auge  zu  öffnen  ,  wo  sodann  mit  einer 
Zange  die  Reste  des  Thieres  in  Stücken  ausgezogen  wurden.  Ein  Irisvorfall  blieb  in  der 
Wunde,  weil  nichts  das  Kind  zu  einem  Versuche,  ihn  zurückzubringen,  bestimmen  konnte. 
Nach  der  Heilung  blieb  die  Hornhaut  hell,  nur  an  der  Stelle  der  Verwachsung  war  sie 
halbdurchsichtig ;  die  Pupille  war  in  Folge  der  Verwachsung  der  Iris  elliptisch,  und  in 
ihr  sah  man  die  verdunkelte  Linsenkapsel.     Die  Kranke  hatte  Lichtempfindung. 


IV.    Motilitätsstörungen  der  Iris. 

A.  Mydriasis  nennt  man  jenen  Zustand  des  Auges,  bei  welchem 
die  Pupille  abnorm  erweitert,  und  die  Beweglichkeit  der  Iris  ganz  oder 
nahezu  aufgehoben  ist,  ohne  dass  Entzündung  am  Auge,  mechanische 
Hindernisse  oder  Abstumpfung  der  Empfindlichkeit  der  Netzhaut  als 
Ursache  nachgewiesen  werden  können.  Die  Schwärze  der  Pupille  lei- 
det nur  insofern,  als  —  abgesehen  von  zufälliger  Combination  mit  Ca- 
taracta —  mehr  Licht  in  den  Grund  des  Auges  eindringt  und  also  auch 
reflectirt  wird,  und  sie  verengert  sich  weder  bei  stärkerer  Neigung  der 
Sehachsen,  noch  beim  Betrachten  naher  Objecte,  noch  auch  bei  stärke- 
rem Lichteinflusse.  Ein  solcher  Kranker,  der  sich  in  der  Regel  bloss 
wegen  Störung  des  Gesichtes  an  den  Arzt  wendet,  ist  niemals  .blind, 
sondern  nur  geblendet;  er  sieht  im  Allgemeinen  nur  nahe  Gegenstände 
schlecht,  kann  z.  B.  nicht  lesen,  während  er  ferne  Objecte  relativ  gut 
unterscheidet,  vielleicht  selbst  die  Zeiger  einer  Thurmuhr  erkennt.  Es 
gibt  Fälle  mit  sehr  starker  Erweiterung  der  Pupille  ohne  beträchtliche 
Störung  im  Nahesehen.  Der  Beweis,  dass  in  solchen  Fällen  die  Ge- 
sichtsstörung nur  von  Affection  der  Regenbogenhaut  (Ciliarnerven)  ab- 
hängt, und  die  Netzhaut  ganz  unverändert  fungirt,  bloss  durch  zu  viel 
Licht  geblendet  wird,  lässt  sich  dadurch  herstellen,  dass  so  ein  Kran- 
ker mit  dem  betroffenen  Auge  auch  in  der  Nähe  ganz  gut  oder  doch 
viel  besser  sehen  kann,  sobald  man  ihn  durch  eine  nicht  über  V"  grosse 
Öffnung  in  einem  Kartenblatte  die  Objecte  betrachten  lässt.  Convex- 
gläser  erleichtern  in  der  Regel  das  Erkennen  naher  Objecte  nicht; 
Temperirung   des   Lichtes   wird  vom  Kranken   instinetmässig  gesucht. 


Mydriasis.  1 1 3 

Zeichen  von  Congestion  oder  Entzündung;  fehlen,  oder  stehen,  wenn  sie 
vorhanden  sind,  in  keiner  Beziehimg'  zur  Affection  der  Iris  selbst. 

Ursachen.  Der  nächste  Grund  dieser  Erscheinung  liegt  entweder 
in  Lähmung  (verminderter  oder  aufgehobener  Energie)  des  Sphincter 
iridis,  respective  in  Lähmung  jener  Zweige  der  Ciliarnerven,  welche 
vom  N.  oeulomotorius  zur  Iris  gelangen,  oder  in  erhöhter  Contraction 
der  Radialfasern  der  Iris,  relativ  gesteigerter  Action  der  vom  N.  sym- 
pathicus  (vagus?)  zur  Iris  gehenden  Zweige  der  Ciliarnerven.  Demnach 
kann  man  eine  Mydr.  paralytica  und  Mydr.  spastica  annehmen. 

Eine  ganz  reine  und  einfache  Form  von  Mydr.  paralytica  können 
wir  jeden  Augenblick  hervorrufen  durch  die  Anwendung  der  Mittel, 
welche  Himly  als  mydriatica  bezeichnet  hat,  vorzüglich  der  Belladonna, 
des  Hyoscyamus,  der  Datura'stramojiium.  Combinirt  mit  Lähmung  der 
vom  N.  oeulomotorius  versehenen  Augenmuskeln  beobachten  wir  die 
Mydr.  paralytica  bei  peripherischer  und  hei  centraler  Affection  des  N. 
oeulomotorius  mit  deprimirter  oder  aufgehobener  Action  desselben. 
Näheres  hierüber  kann  erst  bei  den  Krankheiten  der  Augenmuskeln 
angeführt  werden.  Einfach  für  sich  bestehend  oder  combinirt  mit  Läh- 
mung des  Muse,  levator  palp.  superioris  sehen  wir  Mydr.  paralytica 
auch  nach  Einwirkung  eines  Luftzuges  ofer  nach  Verkältimg  bei  schwitzen- 
dem Kopfe,  nach  längerem  Auf enthalte  in  feuchten  und  dunklen  Loca- 
litdten  auftreten.  Ware*)  bemerkt,  dass  die  meisten  Personen,  die  er 
an  Mydriasis  hat  leiden  sehen,  durch  Strapazen  oder  Sorgen  geschwächt 
worden  waren,  ehe  man  die  Krankheit  entdeckte.  Nach  Makenzie 
(ibid.)  sollen  auch  Schläge  auf  das  Auge  und  andere  Verletzungen 
manchmal  eine  Mydriasis  ohne  Affection  des  Sehnerven  (?)  herbeiführen. 

Auf  Spasmus  (überwiegender  Contraction)  der  Kadialfasern  zu  be- 
ruhen scheint  die  Mydriasis  in  jenen  Fällen,  wo  gastrische  Zufalle 
/Reizung  des  N.  sympathicus  und  Vagus?)  vorausgingen  oder  noch  fort- 
dauern. Man  hat  Mydriasis  nach  heftigem  Erbrechen  beobachtet.  Hel- 
minthiasis,  namentlich  Taenia,  wird  von  mehrern  Autoren  als  Ursache 
von  Mydriasis  aufgeführt.  Dr.  Warnatz  bezeichnet  Masturbation  als 
häufige  Ursache  von  abnorm  weiter  Pupille  (Schmidt's  Jahrb.  1842  S. 
256>,  und  Chelius  (Handbuch  I.  S.  389)  rechnet  auch  Hypochondrie  und 
Hysterie  unter  die  ursächlichen  Leiden. 

Es  gibt  Fälle  von  Mydriasis,  wo  man  nicht  im  Stande  ist,  eines 
oder  das  andere  dieser  ursächlichen  Momente  nachzuweisen,  —  Ausser- 
dem ist  noch  zu  bemerken,  dass  abnorme  Grösse  der  Pupille  mit  mehr 

*j  Makenzie,  praktische  Abhandlung.    Weimar,  1S32.    S.  674. 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  S 


1  i  4  Regenbogenhaut. 

weniger  beschränkter  Beweglichkeit  der  Iris  auch  als  angeborener  Zu- 
stand vorkommt,  auf  einem  oder  auf  beiden  Augen.  Die  Energie  der 
Sehkraft  ist  in  solchen  Fällen  immer  eine  geringere,  wahrscheinlich 
wegen  Abnormitäten  in  der  Netzhaut  selbst.  Solche  Fälle  sind  dem- 
nach ebenso  wenig  für  Mydriasis  anzusprechen,  als  die  Pupillenerwei- 
terung bei  Kurzsichtigen.  Auffallend  weit  findet  man  die  Pupille  oft 
nach  Verlust  des  andern  Auges  durch  heftige  Entzündung  (Phthisis 
bulbi). 

Simulirt  Jemand  Amaurosis  oder  Amblyopie  durch  künstlich  unter- 
haltene Erweiterung  der  Pupille,  so  können  die  eben  angeführten  That- 
sachen,  scharf  und  umsichtig  auf  den  speciellen  Fall  angewendet,  wohl 
oft  zur  Entlarvung  des  Betrügers  führen,  in  der  Regel  aber  wird  das 
fragliche  Object  einer  fortgesetzten  strengen  Beobachtung  unterworfen 
werden  müssen.  Die  Wirkung  des  Mydriaticum  hält  je  nach  der  Dosis 
und  Wiederholung  desselben  und  je  nach  der  individuellen  Empfäng- 
lichkeit (jüngere  Individuen  sind  in  höherem  Grade  empfindlich)  1—3 
Tage  an.  Himhj*)  führt  folgende  ihm  von  Dr.  Spangenberg  mitge- 
theilte  Thatsache  an:  „Das  häufige  Vorkommen  von  Mydriasis  bei  Os- 
nabrückschen  Militärpflichtigen  erregte  Verdacht,  man  nahm  sie  dess- 
halb  in's  Hospital  auf  und  alle  Effecten  ihnen  ab;  allein  demungeachtet 
dauerte  das  Übel  fort,  bis  warme  Bäder  ihm  plötzlich  abhalfen,  und 
nun  die  Betrüger  gestanden,  auf  Anrathen  eines  Thierarztes  Belladon- 
naextract  angewandt  zu  haben,  welches  sie  unter  dem  Nagel  der  gros- 
sen Zehe  verborgen  hatten." 

Diese  Krankheit,  welche  überhaupt  nur  selten  vorkommt,  setzt 
nach  der  Angabe  jener  Autoren,  welche  mehrere  Fälle  zu  beobachten  Ge- 
legenheit hatten,  im  Allgemeinen  keine  ungünstige  Prognosis.  Nach 
Demours  wurden  7  von  9  Fällen  geheilt.  In  vielen  Fällen  verschwand 
die  Affection  allmälig  von  selbst. 

Bei  der  Behandlung  wird  der  Arzt  vor  Allem  die  nächste  Ursache 
des  Übels  durch  Eruirung  der  sogenannten  entfernten  Causalmomente 
zu  constatiren  suchen.  Von  der  Empirie  sind  meistens  örtliche  Reiz- 
mittel empfohlen  worden,  welche  wohl  nur  in  jenen  Fällen,  wo  Läh- 
mung des  Sphincter  pupillae  vorhanden  ist,  von  Nutzen  sein  dürften. 
Fliegende  Vesicantien  an  die  Stirn  und  Schläfe,  Linimentum  volatile 
eben  daselbst,  Ammoniakdämpfe  an  das  offen  gehaltene  Auge.  Das 
stimulirende  Verfahren,  wTelches  Demours  anwendete,  besteht  nach 
Makenzie  darin,   dass  man  kleine  elektrische  Funken  gegen  das  Auge 

*j  Die  Krankheiten  und  Miasbildungen  des  menschlichen  Auges.    Berlin  1S43.    Bd.  II.  S.  123. 


Mydriasis.  1 1 5 

leitet,  alsdann  letzteres  eine  halbe  Minute  mit  dem  Ende  einer  silber- 
nen Sonde,  welche  so  gebogen  ist,  dass  sie  einen  King  bildet,  sanft 
reibt,  und  alsdann  auf  das  Auge  sogleich  einen  kalten  Tabaksblätter- 
aufguss  tröpfelt.  Serres  hat  die  Peripherie  der  Cornea  mit  Lapis  in- 
fernalis  geätzt.  Kochanoicsky  (siehe  die  weiter  unten  mitgetheilte  Be- 
obachtung) hat  das  Seeale  cornutum  als  speeificum  bei  Mydr.  paralytica 
empfohlen,  Neuhausen  Euphorbia  cyparissias. 

1.  Ein  Kaufmann,  21  Jahre  alt,  kam  Mitte  December  1849  zu  mir  mit  den  ge- 
wöhnlichen Erscheinungen  eines  Augenkatarrhes,  welcher  bereits  8  Tage  bestanden  hatte. 
Nach  5tägigem  Gebrauche  eines  Collyriuius  von  Lapis  divinus  war  er  davon  befreit. 
Ende  December  wurde  das  rechte  Auge  auf  ähnliche  Weise  ergriffen,  wie  früher  das 
linke.  Da  er  gerade  viel  zu  schreiben  hatte ,  und  ihn  anhaltendes  Brennen  im  Auge 
belästigte,  so  machte  er  sich  durch  etwa  '/*  Stunde  Überschläge  von  kaltem  Wasser,. 
und  setzte  seine  Arbeit  den  ganzen  Tag  über  fort.  Abends  bemerkte  er,  vom  Schreiben 
ermüdet,  als  er  zufällig  in  einen  Spiegel  schaute,  dass  die  Pupille  des  rechten  Auges 
sehr  erweitert  war.  Den  folgenden  Tag  fand  ich  die  Bindehaut  der  Lider  dieses  Auges 
dicht  netzförmig  geröthet  und  gelockert;  verklebt  war  das  Auge  beim  Erwaehen  nicht 
gewesen.  Die  Pupille  war  so  erweitert,  dass  ihr  Durchmesser  4'"  betrug,  und  die  Iris 
nur  einen  '/*'"  breiten,  ganz  unbeweglichen  Saum  darstellte.  Der  Mann  fühlte  sich  durch 
das  Tageslicht  etwas  geblendet ,  und  durch  ein  Gefühl  von  Druck  im  Auge  und  in  der 
Stirn  etwas  belästigt,  konnte  jedoch  ohne  Anstand  lesen  und  schreiben.  Er  erkannte 
die  Buchstaben  bei  8"  Entfernung  ebenso  gut,  wie  bei  16".  Ausserdem  konnte  ich  nichts 
Abnormes  wahrnehmen.  Ich  ordinirte  Überhängen  trockner  warmer  Säckchen  aus  Flor, 
sambuci,  flor.  chamom.  und  farina  secalina  und  Ruhe  im  Zimmer.  Der  Mann  ist  weiter 
nicht  mehr  zu  mir  gekommen. 

2.  Ein  Finanzwachaufseher  kam  Ende  Februar  1850  auf  die  Klinik.  Wir  fanden 
die  Pupille  des  rechten  Auges  auffallend  erweitert ;  der  Mann  sah  mit  demselben  schlech- 
ter; während  er  mit  dem  linken  Auge  mittlem  Druck  bei  8"  Entfernung  (und  darüber) 
ganz  gut  las,  konnte  er  mit  dem  rechten  erst  bei  20"  und  da  mit  Mühe  lesen ;  hielt  man 
ihm  ein  Kartenblatt  mit  einer  engen  Öffnung  vor  das  rechte  Auge,  so  las  er  auch  bei 
10 — S"  Distanz.  Ausserdem  fanden  wir  nichts  Abnormes,  weder  an  den  Augen,  noch  in 
andern  Organen.  Der  Kranke  war  bereits  2  Jahre  in  diesem  Zustande,  und  leitete  die 
Entstehung  desselben  davon  ab ,  dass  er  bei  seinem  Geschäfte  (Überwachung  der  Bräu- 
häuser) oft  in  die  Flammen  der  Öfen  gesehen  und  bei  schwitzendem  Körper  häufig  der 
Zugluft  ausgesetzt  gewesen  war.  Er  bemerkte  vor  2  Jahren,  wenn  er  gegen  das  Firma- 
ment blickte ,  lichte  Strahlen  vor  seinen  Augen ,  wurde  durch  starkes  Licht  geblendet, 
hielt  das  Lesen  und  Schreiben  nicht  mehr  so  lange  aus,  wie  früher,  und  fand  vor  dem 
Spiegel  die  rechte  Pupille  stark  erweitert.  Nach  dem  Genüsse  geistiger  Getränke  soll  die 
Pupille  jedesmal  noch  grösser  geworden  sein.  Da  der  Kranke  wegen  dringender  Geschäfte 
noch  nicht  in  die  Anstalt  eintreten  konnte,  so  gaben  wir  ihm  indessen,  um  die  Netzhaut 
vor  übermässigem  Lichte  zu  schützen  ,  blaue  Brillen.  Er  ist  jedoch  später  nicht  mehr 
zu  uns  gekommen. 

3.  Beob.  von  Dr.  Kochanowski  in  Warschau.  *)  Die  dauerhafte  Erweiterung  der 
Pupille,  Mydriasis,  ist  meistentheils  nur  symptomatisch,  eine  Folge   anderer  Krankheiten, 

*)  Von  Ammons  Monatschrift  B.  I.  S.  301. 

8* 


116  Regenbogenhaut. 

und  kann  leicht,  durch  den  Gebrauch  von  Narcoticis,  namentlich  durch  das  aufs  Auge 
applicirte  Extr.  Bellad.  entstehen.  Seltener  ist  die  Erweiterung  idiopathisch,  welche  aus 
einem  paralytischen  Zustande  der  Iris  hervorgeht,  und  nach  der  Meinung  der  Autoren 
in  der  Heilung  sehr  hartnäckig  ist.  Ich  hatte  Gelegenheit,  mich  von  der  Hartnäckigkeit 
dieser  Krankheit  bei  den  bis  jetzt  gegen  dieses  Übel  empfohlenen  Mitteln  zu  überzeugen, 
und  so  nahm  ich  denn  Veranlassung,  ein  neues  Mittel,  das  Seeale  cornutum,  dagegen 
anzuwenden. 

Bei  der  Lehrerin  Frau  W. ,  einige  30  Jahre  alt,  die  lange  schon  an  Hämorrhoiden 
und  unregelmässiger  Menstruation  gelitten  und  im  Mai  1835  meine  Hilfe  in  Anspruch 
nahm,  war  ohne  deutliche  Ursache  die  Pupille  des  rechten  Auges  so  stark  erweitert,  dass 
die  Iris  nur  einen  kleinen  Ring  darstellte  und  auf  den  stärksten  Einfluss  des  Lichtes  gar 
nicht  reagirte.  Das  linke  Auge  war  ganz  normal.  Das  Gesicht  im  rechten  Auge  war 
jedoch  nicht  beeinträchtigt ,  obschon  im  Lesen  eine  grössere  Beschwerlichkeit  als  sonst 
sich  zeigte.  Auch  gesellte  sich  ein  leichter  Schmerz  und  Schwere  des  Kopfes  auf  der 
rechten  Seite,  in  der  Tiefe  des  Auges  hinzu.  Pat.  befand  sich,  Hämorrhoiden  abgerech- 
net, an  denen  sie  gewöhnlich  litt,  im  Ganzen  wohl. 

Indem  so  mit  keiner  Gewissheit  die  nächste  Ursache  zu  ermitteln  war,  glaubte  ich, 
dass  dieser  Stand  der  Pupille  ein  Vorbote  zur  Amaurosis  sei ,  zu  deren  Entwicklung  der 
seit  einiger  Zeit  gehemmte  Hämorrhoidenfluss  Veranlassung  gegeben  hätte.  Ich  Hess 
daher  Blutegel  ad  anum  setzen  und  verschrieb  zum  innerlichen  Gebrauche  Pulver  aus 
Kali  tartaricum,  Kali  nitricum  und  Rheum. 

Nach  dem  Gebrauche  dieser  Mittel  erfolgte,  obschon  die  Hämorrhoidalbeschwerden 
sich  milderten,  in  Betreff  des  Zustandes  der  Pupille  gar  keine  Veränderung.  Am  dritten 
Tage  der  Krankheit,  als  die  Kranke  eine  Schwere  über  dem  leidenden  Auge  fühlte,  Hess 
ich  Blutegel  hinter  die  Ohren  setzen.  Es  verschwand  zwar  die  Eingenommenheit  des 
Kopfes,  allein  die  Erweiterung  der  Pupille  blieb  wie  früher.  Am  fünften  Tage  verordnete 
ich  hinter  das  Ohr  der  leidenden  Seite  ein  Vesicatorium  zu  legen,  welches  eine  Erleich- 
terung verschaffte,  indem  das  Spannen  im  leidenden  Auge  nachliess ;  allein  die  Iris  blieb 
unthätig.  Bei  diesen  Verhältnissen  hielt  ich  es  für  nöthig,  noch  andere  Arzte  zu  Rathe 
zu  ziehen.  Diese  erklärten  als  Ursache  der  Krankheit  das  wahrscheinliche  Vorhandensein 
eines  Bandwurmes,  wofür  mir  jedoch  keine  Zeichen  zu  sprechen  schienen,  und  ich  äusserte, 
wenn  die  Krankheit  aus  dieser  Ursache  hervorgegangen  wäre,  müssten  doch  beide  Pa- 
pillen verändert  sein.  Indessen  musste  ich  der  Mehrheit  der  consultirenden  Stimmen 
nachgeben,  da  Fälle  angeführt  wurden,  wo  durch  den  Bandwurm  Convulsionen  eingetre- 
ten waren,  die  den  halben  Körper  einnahmen.  Ich  verschrieb  daher  das  Ol.  terebinthi- 
nae  §j ,  des  Morgens  nüchtern  zu  nehmen ;  darauf  wurde,  um  auf  das  Auge  selbst  zu 
wirken,  das  Ol.  cajeput.  in  die  Augenbrauen  eingerieben.  Der  Gebrauch  des  Terpentinöls 
verursachte  grossen  Ekel ,  Leibschmerzen  und  Ohnmächten.  Es  war  daher  nicht  mehr 
daran  zu  denken  ,  den  Gebrauch  dieses  Mittels  zu  wiederholen.  Am  zehnten  Tage  ver- 
schrieb ich  das  Ol.  aeth.  filicis  maris  Scr.  j.,  mit  einer  hinreichenden  Quantität  Pulver 
der  Wurzel  desselben  Mittels,  und  Hess  daraus  24  Stück  3granige  Pillen  bereiten,  in  2 
Abenden  zu  verbrauchen;  den  Tag  darauf  nahm  Pat.  nüchtern  2  Unzen  Wiener  Tränk- 
chen. Am  13.  Tage  Hess  ich  die  Pillen  nochmals  machen,  indem  ich  die  Dose  des  Ol. 
filicis  bis  zu  '/ä  Drachme  vergrösserte ,  den  Tag  darauf  nahm  die  Kranke  ebenfalls  das 
Wiener  Tränkchen,  doch  der  Bandwurm  zeigte  sich  nicht. 

Hieraus  schloss  ich  denn,  dass  die  Erweiterung  der  Pupille  bei  dieser  Kranken  ein 
idiopathisches  Leiden  sein  müsse,  das  von  Lähmung  der  Iris  herrührte.  Ich  begann  daher 


Mydriasis.  117 

die  dagegen  gerühmten  Mittel  in  Gebrauch  zu  ziehen.  Ich  verschrieb  innerlich  zu  neh- 
men die  Kad.  Yalerianae  und  Flores  Arnieae,  auf's  Auge  selbst  wandte  ich  mehrere  Eeiz- 
mittel  an  ;  ausserdem  legte  ich  ein  Yesicatorium  über  die  Augenbrauen.  Nach  mehrtägi- 
gem vergeblichen  Heilverfahren  -wendete  ich  Mittel  an ,  die  gegen  Amaurosis  empfohlen 
sind,  nämlich  das  Extr.  Pulsat. ;  aber  trotz  des  länger  fortgesetzten  Gebrauchs  dieses 
Mittels  und  der  mehrmaligen  Einreibungen  von  Canthariden  in  der  Nähe  des  Auges  trat 
nicht  die  mindeste  Veränderung  ein. 

Unter  diesen  Umständen  war  ich  genöthigt ,  ein  wirksameres  Heilverfahren  auszu- 
mitteln  ,  und  durch  Folgerung  kam  ich  auf  die  Anwendung  des  Mutterkorns.  Von  der 
Idee  ausgehend ,  dass  das  Extr.  Bellad.,  auf  das  Innere  des  Auges  applicirt,  eine  Erwei- 
terung der  Pupille  bewirkt,  und  dass  dasselbe  Mittel  gleichzeitig  in  der  Geburtshilfe  be- 
nutzt wird,  um  den  Krampf  des  Gebärmuttermundes  zu  heben,  schloss  ich,  dass  ein  sol- 
ches Mittel,  welches  iuuerlich  angewandt  eine  Contraction  der  Gebärmutter  verursacht, 
eine  ähnliche  "Wirkung  atif  die  Iris  ausüben  könnte.  Ich  war  um  so  mehr  zu  dieser  An- 
nahme berechtigt,  als  ich  mit  einigen  Autoren  die  Meinung  theile  ,  dass  die  Zusammen- 
ziehung und  Erweiterung  der  Pupille  von  Contraction  der  Fasern,  welche  sowohl  auf  der 
vordem  als  hintern  Fläche  der  Iris  sich  befinden  und  welche  zusammengenommen,  die 
Zirkel-  und  Strahlfasern,  einen  Musculus  orbicularis  bilden,  abhängig  sei.  Die  Natur  die- 
ser Uasern  ist  nicht  ganz  dieselbe  als  die  der  Muskelfasern,  steht  ihnen  jedoch  sehr  nahe; 
sie  seheinen  den  Fasern  der  Gebärmutter,  welche  zur  Zeit  der  Schwangerschaft  deutlicher 
hervortreten,  am  meisten  ähnlich  zu  sein. 

Als  ich,  dieser  Ansicht  zufolge,  den  22.  Tag  der  Krankheit,  Pulver  von  Seeale  cor- 
nutum ,  3  Gr.  p.  D.  4mal  täglich  zu  nehmen  verordnet  hatte,  erfuhr  ich  am  folgenden 
Tag  mit  der  grössten  Verwunderung,  dass  Pat.  eine  Veränderung  im  leidenden  Auge  be- 
merkte, indem  sie  angab,  dass  auf  den  Einfiuss  des  Lichtes  sie  das  Gefühl  empfände,  als 
rühre  sich  etwas  im  Innern  des  Auges,  und  dass  sie  selbst  im  Spiegel  eine  Verkleinerung 
der  Pupille  wahrgenommen  hätte.  Nach  Besichtigung  des  Auges  bemerkte  ich  wirklich 
eine  Veränderung  in  der  Grösse  der  Pupille  des  leidenden  Auges;  sie  war  jedoch  noch 
immer  grösser,  als  die  des  andern.  Indem  ich  nun  die  Dose  auf  15  Gran  vergrösserte, 
bemerkte  ich  immer  zunehmende  Besserung. 

Da  zu  derselben  Zeit  die  monatliche  Reinigung  eingetreten  war,  so  setzte  ich  den 
Gebrauch  des  Mittels,  welches  so  stark  auf  den  Uterus  wirkt,  aus,  um  nicht  die  normale 
Function  zu  stören.  Allein  mit  dem  Aussetzen  des  Mutterkorns  vergrösserte  sich  von 
Neuem  die  Erweiterung  der  Pupille,  obgleich  die  Pi.eaction  auf  den  Lichteinfluss  nicht 
ganz  verschwunden  war.  Nach  beendigtem  Monatfiusse  kehrte  ich  sogleich  zum  Gebrauche 
des  Mittels ,  welches  sich  früher  so  erfolgreich  gezeigt  hatte,  zurück  und  bemerkte  von 
Neuem  eine  auffallende  Besserung.  Ich  verschrieb  zuerst  18  Gr.  in  Pulverform,  nachher 
Scr.  j.  in  Decoct.  Nach  einigen  Tagen  verschwand  die  Erweiterung  ganz,  die  Iris  zog 
sich  vollkommen  zusammen,  und  es  ward  nicht  der  kleinste  Unterschied  zwischen  beiden 
Augen  wahrgenommen. 

Im  Juli  1S36  sah  ich  Frau  W.  wieder,  es  war  nichts  Abnormes  im  kranken  Auge 
zu  bemerken ,  und  ich  erfuhr  auch,  dass  während  der  ganzen»  Zeit  die  Krankheit  nicht 
wiedergekehrt  ist. 

Der  so  augenscheinliche  und  rasche  Erfolg  des  von  mir  in  Anwendung  gebrachten 
Mittels  scheint,  im  Vergleich  zu  der  Erfolglosigkeit  anderer  versuchter  Heilverfahren ,  zu 
beweisen,  dass  die  Heilung  dieser  im  Allgemeinen  für  sehr  hartnäckig  gehaltenen  Krank- 
heit einzig  und  allein  dem  Gebrauche  des  Mutterkorns  zuzuschreiben  sei.     Ich  hatte  mir 


1 1 8  Regenbogenhaut. 

vorgenommen ,  vor  Bekanntmachung  dieser  Beobachtung  sie  durch  weitere  Versuche  zu 
bekräftigen  ,  allein  es  sind  schon  2  Jahre  verflossen,  dass  weder  in  der  Privat-  noch  in 
der  Hospitalpraxis  mir  ein  solcher  Fall  vorgekommen  ist. 

Dr.  Hanmann  *)  heilte  durch  dasselbe  Mittel  eine  Mydriasis,  welche  bei  einem  30- 
j  übrigen  Manne  auf  dem  rechten  Auge  entstanden  war.  Der  Mann  war  übrigens  gesund, 
hatte  sich  etwa  ein  halbes  Jahr  vor  Entstehung  des  Übels  auf  einer  Geschäftsreise  heftig 
erkältet,  und  seitdem  öfters  ein  Eeissen  im  Kopfe  bemerkt.  In  6  Wochen  war  die  Cur 
vollendet ,  welche  sich  lediglich  auf  die  Darreichung  des  Seeale  corn.  beschränkte ;  es 
wurden  täglich  3mal  Pulver,  von  6  Gran  bis  zu  l  Scrupel  steigend,  verabreicht,  gegen 
Ende  der  Cur  die  Dosis  wieder  vermindert.  Nebenher  wurde  einige  Male  ein  Drouotsches 
Pflaster  hinter  das  Ohr  gelegt,  Naphtha  aceti  gegen  das  Auge  verdunstet,  und  ein  Augen- 
schirm getragen. 

Mac-Evers**)  heilte  eine  Mydriasis  bei  einem  50jährigen  Manne,  der  den  grössten 
Theil  seines  Lebens  in  den  Tropenländern  zugebracht  hatte  ,  und  seit  3  "Wochen  damit 
behaftet  war,  durch  Seeale  cornutum  in  Form  von  Schnupfpulver. 

Dr.  Neuhausen  ***)  will  Mydriasis  vorzüglich  bei  Fassbindern,  die  in  dunklen  Kel- 
lern, bei  Schneidern,  die  viel  bei  künstlichem  Lichte  und  an  dunklen  Stoffen  arbeiten, 
und  bei  Bäckern,  die  bei  schwacher  Beleuchtung  sich  dem  intensiven  Lichte  des  Back- 
ofens aussetzen,  beobachtet  haben,  und  zwar,  mit  Ausnahme  eines  einzigen  Falles,  immer 
auf  beiden  Augen  zugleich.  Er  wandte  in  einem  Falle  mit  gutem  Erfolge  den  frischen 
Saft  der  Euphorbia  cvpar. ,  einen  Tropfen  auf  2  Unzen  "Wasser,  zu  Einträuflungen  an, 
und  stieg  bis  zur  Entstehung  massiger  Conjunctivitis. 

B.  Myosis  nennen  wir  nur  jene  bleibende  Verengerung  der  Pu- 
pille, welche  ohne  entzündliche  Erscheinungen  am  Bulbus,  ohne  me- 
chanische Ursachen  (Exsudate  in  der  Pupille,  Einheilung  einer  Iris- 
partie in  eine  Hornhautnarbe)  und  ohne  Erkrankung  der  Netzhaut  auf- 
tritt. Die  ganze  reine,  runde,  bisweilen  nur  V2'"  grosse  Pupille  er- 
weitert sich  auch  beim  stärksten  Dunkel,  das  man  anwenden  kann, 
ohne  die  Beobachtung  unmöglich  zu  machen,  sehr  wenig.  Auch  auf 
Anwendung  von  Belladonna  vergrössert  sich  die  Pupille  gar  nicht,  oder 
doch  nicht  in  so  hohem  Grade,  wie  in  normalen  Augen.  Die  Augen- 
kammern erscheinen  dabei  eng,  weil  Iris  und  Linse  der  Cornea  ge- 
nähert sind,  und  die  Möglichkeit,  den  Refractionszustand  des  Auges 
abzuändern,  ist  auf  sehr  enge  Grenzen  beschränkt;  die  meisten  müssen 
sich  starker  Convexgläser  bedienen,  um  in  der  Nähe  gut  zu  sehen, 
und  der  Blick  trägt  trotzdem  oft  nur  in  geringe  Entfernungen. 

Abnorme  Engheit  und  geringe  Erweiterbarkeit  der  Pupille  auf 
einem  oder  auf  beiden  Augen  scheint  in  manchen  Fällen  angeboren  zu 
sein.    Am  reinsten  ausgeprägt,  gewissermassen  als  Gegensatz  der  My- 

*)  Ammons  Monatsschrift  1839,  Bd.  II.  8.  580. 
**)  Annales  d'oeulist.    B.  XXI. 
***;  Correspondenzbl.  rbein.  und  westph.  Ärzte.   Bd.  III.  Nr.  3. 


Myosis.  119 

driasis  paralytica  finden  wir  die  Myosis  bei  Individuen,  welche  sich 
lange  und  anhaltend  mit  der  Betrachtung'  winziger  und  glänzender 
Gegenstände  beschäftigt  haben,  zumal  wenn  sie  bereits  in  Jahren  vor- 
gerückt sind,  und  in  früheren  Jahren  einen  normalen  Refractionszustand 
hatten  (nicht  kurzsichtig-  waren).  Daher  finden  wir  diesen  Zustand 
häufig  bei  Uhrmachern,  Graveuren,  Goldarbeitern  u.  dgi.;  sie  wenden 
sich  eigentlich  erst  dann  an  den  Arzt,  wenn  sie  nicht  mehr  im  Stande 
sind,  feine  Gegenstände  mit  Ausdauer  zu  erkennen,  wenn  sie  nur  noch 
bei  intensiverem  Lichte  oder  mit  Hilfe  starker  Convexgläser  zu  arbeiten 
vermögen,  oder  durch  Mückensehen  geängstigt  werden.  —  Man  kann 
diesen  Zustand  als  habituelle  Contraction  des  Sphincter  iridis  be- 
trachten, analog  dem  Zustande  der  geraden  Augenmuskeln  beim 
Schielen. 

Von  entgegengesetzter  Natur,  auf  verminderter  oder  aufgehobener 
Energie  der  Radialfasern  der  Iris  beruhend,  scheint  jene  Pupillenver- 
engerung  zu  sein,  welche  bei  Individuen  mit  Erkrankung  der  Medulla 
oblongata  beobachtet  wird,  und  nicht  nur  einen  constanten  Begleiter, 
sondern  auch  häufig  einen  Vorläufer  von  Spinalamaurosis  darstellt, 
daher  wir  auch  bei  Besprechung  dieser  letzteren  näher  darauf  eingehen 
werden. 

Nach  H/m///  (1.  c.  IL  S.  125)  kommt  Myosis  auch  bei  Hydro- 
phobie, bei  schwerem  Typhus  vor ;  nach  Hahneinann  bewirkt  der  innere 
Gebrauch  von  Daphne  Mezereum,  nach  Heise  der  örtliche  Gebrauch 
von  Nicotiana  tabacum  Verengerung  der  Pupille.  Als  Folge  von  Iritis 
oder  andern  Augenentzündungen,  wovon  Beer  (1.  c.  IL  S.  261)  spricht, 
ist  mir  dieser  Zustand  niemals  vorgekommen.  Hingegen  muss  ich  dem 
Ausspruche  Makenzie's  (1.  c.  S.  671)  beistimmen,  dass  die  Individuen, 
welche  an  dieser  Affection  leiden,  in  der  Regel  geschwächte,  kachektisch 
aussehende  Personen  sind. 

Man  wird  diesen  Zustand  selten  an  und  für  sich  zum  Gegenstande 
der  Behandlung  bekommen.  Die  Eruirung  der  nächsten  und  der  ent- 
fernteren Ursachen  allein  kann  Anhaltspunkte  für  die  Prognosis  und 
für  die  Therapie  bieten.  Leider  sind  die  sogenannten  entfernteren  Ur- 
sachen fast  durchgehends  von  der  Art,  dass  sich  wenig  oder  nichts 
dagegen  unternehmen  lässt. 


120  Regenbogenhaut. 


V.    Mangel  und  Spaltung  der  Iris,   Verschliessung  der 

Pupille. 

A.  Irideremie.  Der  angeborene  gänzliche  oder  theihveise  Mangel 
der  Iris  wurde,  mit  Ausnahme  eines  von  Morison  beschriebenen  Falles, 
bisher  immer  auf  beiden  Augen  zugleich  beobachtet.  In  einigen  Fällen 
musste  man  Erblichkeit  supponiren.  Man  konnte  entweder  gar  keine 
Spur  von  der  Iris  sehen  oder  nur  einen  äusserst  schmalen  Eeifen,  oder 
Rudimente  davon  in  einem  Drittel,  in  der  Hälfte  des  Umfanges.  Dabei 
waren  die  Bulbi  kleiner  (Mikrophthalmus)  oder  von  gewöhnlicher  Grösse, 
die  Hornhäute  normal,  oder  an  ihrer  Basis  oblong  und  nicht  scharf 
von  der  Sclera  geschieden,  in  einigen  Fällen  auch  im  Centrum  etwas 
getrübt,  die  Linsen  durchsichtig,  oder  in  der  Mitte,  nächst  der  hintern 
Kapsel  verdunkelt.  In  einiger  Entfernung  und  bei  gewissen  Stellun- 
gen zum  Kranken  und  zur  Richtung  des  einfallenden  Lichtes  sieht  man 
den  Grund  des  Auges  eigenthümlich  (fast  wie  eine  polirte  Kupferplatte) 
leuchten;  ausserdem  erscheint  die  Pupille  niemals  so  rein  schwarz,  wie 
bei  vorhandener  Iris  und  gewöhnlicher  Grösse  der  Pupille.  Die  Ciliar- 
fortsätze  lassen  sich  auch  bei  vollständigem  Mangel  der  Iris  nicht  wahr- 
nehmen. Diese  optischen  Erscheinungen  ergeben  sich  einfach  aus  den 
Gesetzen  der  Brechung  und  Zurückwerfung  der  Lichtstrahlen.  —  Die 
Energie  der  Sehkraft  ist  in  der  Regel  geringer,  was  man  gemeinhin 
als  Kurzsichtigkeit  bezeichnet  hat,  weil  nahe  Gegenstände  im  Allgemeinen 
eher  und  genauer  Avahrgenommen  werden,  als  entfernte.  Kontrollirende 
Versuche  mit  Linsengläsern  und  mit  künstlichen  Diaphragmen  sind 
jedoch  nicht  gemacht  worden.  Wegen  dieser  Unvollständigkeit  der 
Sehkraft  werden  die  Bulbi  beständig  hin  und  her  gerollt  oder  leicht 
um  die  Sehachse  gedreht.  (Vergl.  später  Nystagmus  oscillatorius  et 
rotatorius.)  Die  Kranken  sehen  im  Allgemeinen  bei  temperirtem  Lichte 
besser  als  im  Hellen,  und  instinctmässig  wird  die  Lidspalte  wenig  ge- 
öffnet, wesshalb  das  obere  Lid  in  späterer  Zeit  habituell  einen  tiefern 
Stand  einnimmt,  und  sofort  nicht  mehr  gehörig  emporgehoben  werden 
kann.  Auf  diese  Weise  dürfte  sich  die  in  einigen  Fällen  beobachtete 
Abnahme  der  Lichtscheu  erklären. 

Zu  Erblindung  durch  Lähmung  der  Netzhaut  hat  dieser  Fehler  — 
nach  den  bisher  bekannten  Beobachtungen  —  niemals  geführt;  in  eini- 
gen Fällen  dagegen  wurden  wiederholte  Anfälle  von  Entzündung  der 
Binde-  und  Hornhaut,  in  andern  allmälige  Trübung  der  Linse  (einfack 


Irideremie.  121 

oder  mit  Ablösung  von  den  Ciliarfortsätzen  und  von  der  Hyaloidea  — 
Cataracta  tremula,  natatilis)  beobachtet. 

Ob  das  Tragen  blauer  Augengläser  oder  künstlicher  Diaphragmen 
(dunkle  Platten  oder  Gläser  mit  einer  1—2'"  grossen  lichten  Öffnung 
in  der  Mitte)  solchen  Kranken  wesentliche  Dienste  leisten  würde,  müsste 
erst  durch  Versuche  ermittelt  werden. 

Mehr  weniger  vollständige  Beobachtungen  von  Irideremie  findet  man  bei  Demours 
Tom.  II.  obs.  277,  in  von  Amnions  Zeitschrift  B.  I.  S.  52,  B.  IL  S.  10  und  B.  V.  S.  10 
und  78,  in  dessen  Monatschrift  B.  I.  S.  56  und  S.  501,  B.  III.  S.  58,  von  Ammon's  und 

Walther's  Journal  für  Chirurgie  und  Augenheilkunde,  Neue  Folge  B.  II.  S.  327,  in  Cunier 
Annales  d'oculist.  Tom.  XII.  S.  43,  u.  a.  m.  Abbildungen  von  totalem  und  partiellem 
Irismangel    findet   man  bei   Amnion  Angeborne   Krankheiten    des   menschl.  Auges,  Berlin 

1848,  Tab.  XII.  Text  pag.  50. 

Mangel  der  Iris  in  Folge  i^on  Losreissung  derselben  vom  Ciliar- 
bande  habe  ich  in  zwei  Fällen  beobachtet.  Den  ersten  hat  Prof.  Fischer 
in  sein  Lehrbuch  S.  24  aufgenommen. 

Lak  Prokop,  24  Jahre  alt,  ein  gesunder  kräftiger  Fuhrmann,  erlitt  16  Tage  vor 
seinem  Eintritte  in  die  augenärztliche  Abtheilung  unseres  Spitales  (27.  Juni  1840)  einen 
heftigen  Schlag  auf  das  linke  Auge,  indem  ein  hölzerner  Biegel  beim  Spannen  der  Kette 
eines  Fraehtwagens  mit  voller  Kraft  seiner  Elasticität  an  den  Rücken  der  Nase,  den 
Augenbrauenbogen  und  das  Auge  anprallte.  Es  war  ihm  dabei,  als  führe  ein  Blitz  durch 
das  Auge:  sogleich  stürzte  Blut  aus  Mund  und  Nase,  und  in  Kurzem  schwollen  die  ge- 
troffenen Theile  so  an,  dass  man  durch  3  Tage  die  Lider  nicht  öffnen  konnte,  um  das 
Auge  zu  besichtigen.  Er  legte  fort  kalte  Umschläge  über.  Der  Mann  war  gerade  mit 
einer  Frachtespedition  nach  Wien  begriffen,  und  besuchte  dort  am  8.  Tage  die  Klinik 
des  Professors  von  Rosas,  wo  ihm  wegen  heftiger  Schmerzen  in  der  Oberkiefer-  und 
Stirngegend  Opiumeinreibungen  verordnet  wurden.  Die  kalten  Umschläge  wurden  fort- 
gesetzt. Das  Sehvermögen,  tdessen  Schwächung  am  4.  Tage  bei  Eröffnung  der  Lidspalte 
wahrgenommen  worden  war,  soll  späterhin  weder  zu-  noch  abgenommen  haben.  Da  ihm 
das  gewöhnliche  Licht  zu  grell  war,  beschattete  er  dasselbe  auf  seiner  Rückreise  nach 
Prag.  Hier  sahen  wir  den  Bulbus  ganz  normal  in  Bezug  auf  Grösse,  Gestalt  und  Be- 
weglichkeit, nur  die  Sclera  (in  Folge  der  frühern  Gefässinjection)  etwas  schmutzig,  die 
Hornhaut  rein,  und  gehörig  gewölbt,  die  Iris  ringsum  fehlend.  Sie  war  zu  einer  weiss- 
lich  grauen,  florähnlichen,  bei  jeder  Bewegung  des  Bulbus  hin  und  her,  auf  und  ab 
schlotternden  Flocke  zusammengeschrumpft,  welche  nur  unten  leicht  fixirt  zu  sein  schien. 
Die  auf  diese  Art  enorm  grosse  Pupille  erschien  schwarz,  etwas  in's  Grünliche  spielend. 
Der  Kranke  erkannte  grössere  Gegenstände,  und  selbst  kleinere,  z.  B.  einen  Silberzwan- 
ziger, nach  Grösse  und  Farbe,  ein  Federmesser,  einen  Bleistift,  wenn  man  dieselben  in 
einer  Entfernung  von  8 — 10  Zoll  vom  äussern  Winkel  her  vorhielt.  Er  verliess  am  1 
Juli  die  Anstalt  in  gleichem  Zustande. 

Ther.  W.,  38  Jahre  alt,  hatte  sich  2  Jahre,  ehe  ich  sie  sah,  an  das  rechte  Auge 
gestossen,  indem  sie  in  der  Nacht  sich  aus  dem  Bette  bückte,  \ind  mit  dem  Auge  an 
die  Lehne  eines  Stuhles  fuhr.  In  demselben  Augenblicke  sah  sie  gleichsam  ein  Flammen- 
meer vor  sich,  sodann  entwickelten  sich  heftige  Schmerzen,  Geschwulst  und  Röthe  der 
Lider,    und  das  Weisse   des  Auges    soll   noch   durch   ein   halbes  Jahr  geröthet  geblieben 


122  Regenbogenhaut. 

sein.  Ich  fand  das  Auge  etwas  grösser,  als  das  linke,  die  Sclera  mehr  bläulich,  und 
oberhalb  der  Cornea  etwas  ausgedehnt,  stellenweise  (etwa  K'i'"  hinter  der  Basis  corneae) 
mit  halberhabenen  blauen  Fleckchen  besetzt.  Die  sonst  normale  Hornhaut  bot  nach  innen 
und  unten  eine  längliche  Narbe  dar,  in  welche  die  Iris  eingeheilt  war.  Die  Iris,  ringsum 
vom  Ciliarbande  abgerissen,  war  nur  noch  als  ein  graugelber  Streifen  vorhanden,  an 
der  obgenannten  Hornhautnarbe  fixirt,  sonst  wie  eine  Fahne  flatternd.  Die  Pupille  zeigte 
einen  Stich  aus  dem  Schwarzen  ins  Braunröthliche ;  der  Grund  des  Auges  schillerte  ein 
wenig,  fast  wie  bei  Katzenaugen.  Die  Kranke  sah  mit  diesem  Auge,  jedoch  schwach; 
sie  erkannte  Geldmünzen  nur  nach  dem  Metall  und  nach  der  Grösse.  Nahe  und  Ferne 
schien  keinen  wesentlichen  Unterschied  zu  bewirken;  das  Sonnenlicht  blendete  sie;  eine 
Kerzenflamme  sah  sie  dreifach.  Die  Linse  war  ungetrübt,  und  die  Ciliärfortsätze  konnte 
ich  nicht  wahrnehmen.  In  einem  andern  Falle  (mit  theil weiser  Lösung  der  Iris  vom 
Ciliarkörper)  waren  die  Ciliärfortsätze  sehr  deutlich  sichtbar. 

B.  Die  angeborene  Spalte  der  Iris,  Coloboma  iridis  s.  Irido- 
schisma,  eine  der  Hasenscharte  ähnliche  Missbildung,  ist  bis  auf  einige 
wenige  Ausnahmen  nur  nach  unten  oder  nach  unten  und  innen  beob- 
achtet worden.  Sie  reicht  vom  Pupillarrande  bald  mehr  bald  weniger 
tief  gegen  den  Ciliarrand  hin,  und  ist  verschieden  breit.  Ihre  Ränder 
verlaufen  in  der  Regel  convergirend  (vom  Pupillar-  zum  Ciliarrand), 
selten  parallel  oder  divergirend;  demnach  erhält  die  Pupille  die  Gestalt 
einer  Birne,  eines  Schlüsselloches,  einer  Glocke  u.  dgl.  —  Als  seltene 
Varietät  ist  jene  Spalte  zu  betrachten,  welche  bloss  den  grossen  Kreis 
betrifft;  man  findet  dann  eine  dreieckige  peripherische  Pupille  von  der 
normalen  durch  einen  Querbalken  (den  ungespaltenen  Sphinkter?)  ge- 
trennt. Die  Colobome  mit  divergirenden  Rändern  und  leichten  Vor- 
sprüngen oder  Anhängseln  am  Pupillarrande  stehen  gleichsam  als 
Mittel-  oder  Übergangsglieder  da.  Stilling*)  fand  bei  einem  12jährigen 
Mädchen  auf  dem  übrigens  normalen  linken  Auge  ein  gewöhnliches 
Coloboma  iridis  mit  ovaler,  nach  unten  ausgebuchteter  Pupille ;  auf  dem 
rechten  Auge  war  die  Pupille  vollkommen  rund,  aber  unmittelbar  unter 
ihr  befand  sich,  nur  durch  ein  feines  horizontales  Filament  von  ihr  ge- 
trennt, eine  halbeiförmige  Spalte  in  der  Iris,  deren  absteigende  Schen- 
kel sich  am  Rande  der  Cornea  nicht  mit  einander  vereinigten,  sondern 
vielmehr  noch  etwas  weiter  divergjrten,  als  die  Irisschenkel  am  linken 
Auge.  —  Von  gleicher  Bedeutung  ist  das  sogenannte  oberflächliche 
Iriscolobom.  Da  wo  die  Spalte  sein  sollte,  sieht  man  nur  eine  dünne 
Membran,  welche  so  dunkel  erscheint,  dass  es  aussieht,  als  sei  hier 
bloss  die  Uvea,  die  Pigmentschicht  der  Iris  vorhanden. 

Bei  dem  gewöhnlichen  Coloboma  iridis  nach  unten  findet  man  die 
obere  Hälfte  der  Iris,  etwas  breiter,  wohl  desshalb,  weil  der  Sphincter 

*)  Ammon's  Zeitschrift,  Bd.  V.  S.  462. 


Coloboma  iridis.  123 

iridis  keinen  Ring,  sondern  gleichsam  ein  Hufeisen  vorstellt,  mit  dessen 
Endpunkten  (an  der  Grenze  zwischen  der  eigentlichen  Pupille  und  der 
Spalte)  sich  die  Radialfasern  vereinen,  daher  denn  die  Wölbung  gegen 
die  Seitentheile  der  Spalte  herabgezogen  werden  muss.  Die  Iris  bietet 
demnach  nur  an  der  dem  Coloboma  gegenüberstehenden  Irispartie  das 
Phänomen  der  Verengerung  und  Erweiterung  der  Pupille  dar,  und  die 
das  Colobom  begrenzenden  Seitentheile  können  sich  einander  nicht 
näher  rücken,  sich  höchstens  etwas  verkürzen  und  verlängern.  Diese 
Seitentheile  sieht  man,  wenn  die  Spalte  bis  zum  Ciliarrande  reicht, 
gegeii  die  Peripherie  hin  etwas  rückwärts  gezogen,  und  an  dem  freien 
Rande  bisweilen  ein  wenig  nach  hinten  umgestülpt.    . 

Das  Colobom  setzt  an  und  für  sich  weniger  Störung  des  Gesichtes, 
als  man  erwarten  sollte,  sowohl  in  Bezug  auf  die  Energie  der  Seh- 
kraft, als  in  Bezug  auf  den  Refractionszustand  und  dessen  Abänderung 
(die  Accommodation  für  nahe  und  ferne  Objecte).  Augen  mit  Iris- 
colobom  scheinen  nach  den  Beobachtungen  von  Beer,  Rathke,  Lechla, 
Amnion,  Helling,  M.  Jäger,  Jüngken,  Wutzer,  Bloch  und  Sichel*)  eine 
besondere  Disposition  zur  Trübung  der  Linse  zu  besitzen.  Ich  habe 
unter  S  Fällen  von  Iriscolobom  3  mit  später  entstandenem  Linsenstaare 
beobachtet.  (Ein  Mann  von  45  Jahren  mit  Colobom  beider  Augen  nach 
innen,  welches  bloss  den  grossen  Kreis  betraf;  ein  Weib  von  61  Jahren 
mit  bilateralem,  vollständigem  und  sehr  breitem  Colobom,  und  einen 
Jüngling  von  22  Jahren,  mit  bilateralem,  gleichfalls  vollständigem, 
jedoch  nicht  sehr  breitem  Colobom.  Der  Mann  wurde  durch  Reclina- 
tion,  das  Weib  durch  Extraction  geheilt;  bei  dem  Jünglinge,  dessen 
Mutter  auch  an  Cataracta  gelitten  hatte,  nützte  die  Operation  (Recli- 
nation)  wenig,  wegen  geringer  Energie  der  Netzhaut.) 

Das  Colobom  erscheint  entweder  nur  auf  einem  Auge,  und  zwar 
ungleich  häufiger  auf  dem  linken,  oder  auf  beiden  zugleich,  und  dann 
immer  in  correspondirender  Richtung  gerade  nach  unten,  oder  nach 
innen  und  unten,  gewöhnlich  auch  in  gleichem  Grade,  wenn  jedoch  un- 
gleich, so  auf  dem  linken  Auge  grösser  (weiter  gegen  den  Ciliarrand 
hin  reichend).  Die  angeborenen  Abnormitäten,  mit  welchen  zugleich 
man  dasselbe  beobachtet  hat,  sind  vorzüglich:  Mikrophthalmus,  ovale 
und  am  Rande  getrübte  Cornea,  Pyramidenstaar,  Colobom  des  oberen 
Lides,  Hasenscharte,  Hypospadias,  Hydrocephalus,  Enkephalokele.  Con- 
stant  sind  die    weiter  unten  angeführten  Abnormitäten  der  Chorioidea. 

Es  sind  mehrere  Beobachtungen  bekannt  (von  Hagström,   Conradi, 

*)  Fichte   zur  Lehre  von  den  angeborenen  Missbildungen  der  Iris ,    in  Henle  und  Pfeufer's  Zeitschrift 
H.   F.    Bd.  II.   S.  140. 


1 24  Regenbogenhaut. 

Erdmann,  Rosas,  Stilling,  Gescheidt  u.  A.),  wo  man  Erblichkeit  des 
Übels  anzunehmen  berechtigt  war,  und  zwar  meistens  von  väterlicher 
Seite.  Mehrere  Beobachter,  darunter  Ammon  und  Heyfelder,  erwähnen 
des  sogenannten  Versehens  der  Mutter  in  der  Schwangerschaft. 

Die  Entstehung  dieser  Missbildung  zu  erklären  versuchte  zuerst  (1821)  Ph.  von 
Walther.*)  Er  nahm  an,  das  Auge  bilde'  sich  aus  zwei  seitlichen  Hälften;  wenn  das 
Zusammenwachsen  derselben  nach  unten  unvollständig  erfolge,  so  entstehe  die  Irisspalte, 
analog  der  Hasenscharte  iind  Spina  bifida,  also  als  Hemmungsbildung.  Dieser  Hypothese 
traten  zunächst  von  Amnion  und  Gescheidt**)  entgegen,  indem  sie  die  Entstehung  des 
Bulbus  aus  2  Seitenhälften  nicht  bestätigt  fanden.  Die  Section  von  zwei  Augen  mit 
dieser  Missbildung  der  Iris,  1830  von  Ammon***)  vorgenommen,  hatte  nebst  der  Iris- 
spalte auch  Spaltung  der  Chorioidea  und  der  Retina  ergeben,  und  durch  anderweitige 
Beobachtungen  war  nachgewiesen,  dass  die  Chorioidea  in  ihrer  ersten  Anlage  constant 
eine  Spalte  nach  unten  und  innen  darbietet,  welche  sich  allmälig  von  vorn  nach  hinten 
schliesst.  Sofort  behaupteten  Ammon  und  Gescheidt,  die  Iris  sei  in  ihrer  ursprünglichen 
Anlage  nicht  gespalten,  sondern  sie  entstehe  als  ein  geschlossener  schmaler  Ring  vom 
Corpus  ciliare  aus  erst  dann,  wenn  der  Chorioidealspalt  sich  bereits  geschlossen  habe. 
Bleibe  nun  dieser  über  die  normale  Zeit  offen,  so  könne  sich  auch  in  der  Gegend  der 
Lücke  die  Iris  gar  nicht  oder  doch  nicht  vollständig  entwickeln,  somit  sei  die  Spalte  der 
Iris  nur  Folge  der  gehemmten  Entwicklung  der  Chorioidea.  Arnold 'f)  suchte  den  näch- 
sten Grund  in  mangelhafter  Vereinigung  der  Blendungsgefässe  zu  vollständigen  Bögen, 
daher  man  auch  bisweilen  nur  den  grossen  Kreis  gespalten  finde,  und  Seiler  bezeichnete 
Obliteration  einzelner  Blendungsarterien  als  Ursache  hievon.  Dagegen  hat  jedoch  von 
Ammon  mit  Recht  eingewendet,  dass  die  primäre  Bildung  eines  Organes  nicht  von  seinen 
Gefässen  abhängig  gemacht  werden  könne,  dass  das  Irisparenchyni  in  seiner  Primär- 
form als  ununterbrochener  Ring  schon  vor  der  Bildung  der  Irisgefässe  vorhanden  sei. 
Was  die  Colobome  nach  aussen,  nach  oben  und  nach  innen  betrifft,  so  erklärte  von 
Ammon  deren  Entstehung  aus  einer  pathologischen  Spalte  der  Chorioidea.  -J-j-)  Er  fand 
nämlich  zu  wiederholten  Malen  an  bebrüteten  Hühnchen  ausser  dem  gewöhnlichen  Spalt 
der  Chorioidea  nach  unten  einen  zweiten  Spalt  dieser  Membran  zur  Seite  oder  etwas 
nach  oben  gerichtet.  Dieser  Spalt  sei  etwas  Pathologisches,  und  gleichfalls  fähig,  sich 
zu  schliessen.  Es  könne  jedoch,  bevor  dieses  geschehe,  zur  Zeit,  wo  sich  die  ersten 
Spuren  der  Iris  entwickeln ,  an  dieser  Stelle  eine  Unterbrechung  stattfinden ,  und  somit 
ein  Irisspalt  entstehen,  der  einer  pathologischen  Veranlassung,  der  abnormen  Chorioideal- 
spalte,  seine  Entstehung  verdanke.  Nach  Huschke's *{"j"|")  Beobachtungen  besteht  nicht  nur 
in  der  Fisch-  und  Amphibien-Iris  eine  Spalte  unwidersprechlich  deutlich,  sondern  ent- 
wickelt sich  auch  bei  den  Vögeln  die  Iris  nicht  gleichmässig  auf  einmal  in  ihrem  ganzen 
Umfange  (als  geschlossener  Ring),  sondern  später  an  der  Stelle  des  Chorioidealspaltes, 
und  ist  folglich  regelmässig  durch  eine  gewisse  Zeit  des  fötalen  Zustandes  gespalten. 
„Man  sieht  hier  einen  flachen  Einschnitt  von  der  noch  weiten  Pupille  bis  zum  Ciliarrande 


*)  Gräfe  und  Walther  Journal  für  Chirurgie,  Band  II.  S.  598. 
**)  Gescheidt:  De  colobomate  iridis,  praefat.  est  D.  F.  A.  ab  Ammon,  Dresden  1831. 
***)  Ammon's  Zeitschrift  für  Ophthalmologie,  Bd.  III.  S.  50. 

-j)  Anatom,  u.  physiol.  Untersuchungen  über  das  Auge,  Heidelberg  1S32,  S.  152. 
-tf)  Monatschrift,   1840,  Band  III.  S.  538. 
ift)  Sömmerrirjg's  Lehre  von  den  Eingeweiden,  Leipzig  1814,  S.  803. 


Coloboma  iridis.  125 

durchgehen,  von  welchem  aus  sich  die  Iris  allmälig  erhebt  und  breiter  wird.  Bleibt 
dieser  Einschnitt  also,  so  hat  man  das  gewöhnliche  Colobom." 

Man  sieht  aus  dieser  gedrängten  Übersicht,  dass  über  die  Entstehung  dieses  merk- 
würdigen Bildungsfehlers  noch  manche  Frage  zu  beantworten  übrig  bleibt.  *J  Die  fol- 
genden Sectionsbefunde  machen  diesen  Mangel  noch  fühlbarer. 

Den  ersten  Sectionsbefund  colobomatöser  Augen  hat  von  Amnion  geliefert.  Er 
zeigte :  Colombom  beider  Augen  nach  unten,  bis  in  den  Ciliarrand  reichend,  mit  conver- 
girenden  Bändern,  die  Bulbi  von  normaler  Grösse,  nur  unten  in  der  Medianlinie  mit 
einer  staphylomähnlichen  Ausbauchung  der  verdünnten  Sclera  versehen,  5'"  lang,  2  -  3'" 
breit,  L '  V"  hoch,  l]\'u  hinter  der  Cornea  beginnend,  und  sich  nahezu  bis  zur  Insertion 
des  X.  opticus  erstreckend.  Im  Corpus  ciliare  (bis  zur  Ora  serrata  retinae)  eine  Baphe. 
an  deren  vorderem  Ende  die  Ciliarfortsätze  fehlten ;  zu  beiden  Seiten  derselben  stärkere 
Pigmentablagerung;  hinter  derselben  eine  '"'  lange,  2 — 3'"  breite  Spalte  in  der  Aderhaut 
sowohl  als  in  der  Netzhaut,  mit  deutlich  und  scharf  begrenzten  Bändern ;  Netzhaut  ohne 
Centralloch;  die  Linse  etwas  oval  (?),  so  dass  zwischen  ihr  und  dem  Corpus  ciliare  an 
der  betretfenden  SteUe  eine  Lücke  bestand. 

R.  Wagner**)  fand  in  einem  Auge  mit  Colobom  der  (rechten)  Iris,  welches  nach 
unten  und  etwas  nach  innen  gerichtet  war,  und  nur  den  kleinen  Kreis  der  Iris  betraf, 
weder  in  der  Chorioidea  noch  in  der  Eetina  eine  Spur  von  Spaltung,  den  Glaskörper 
höchst  dünnflüssig,  die  Linse  gegen  den  untern,  dem  Colobom  entsprechenden  Band  ge- 
rade, wie  abgeschnitten,  als  wenn  ein  Segment  davon  entfernt  worden  wäre,  in  der 
Mitte  getrübt. 

Auch  Heyfelder***)  sah  bei  einem  nach  unten  gerichteten  Iriscolobom  die  Chorioi- 
dea und  Netzhaut  normal,  nur  das  Corpus  ciliare  (so  wie  Amnion)  birnförmig,  so  dass 
zwischen  ihm  und  der  Linse  eine  Lücke  blieb. 

Gescheidt  ■}■)  secirte  die  Augen  eines  6  Monate  alten  Kindes ,  dessen  Vater  auf 
beiden  Augen  an  Iridoschisma  litt.  Das  rechte  Auge  zeigte  in  der  Iris  nach  unten  eine 
bis  in  den  Grund  der  Augenkammer  reichende  Spalte,  das  Corpus  ciliare  etwas  oval, 
indem  nach  unten  ein  halbmondförmiges,  Va'"  breites  Stück  desselben  fehlte,  gleichsam 
ausgeschnitten  war.  so  dass  man  zwischen  der  Linse  und  dem  Corpus  ciliare  durch  die 
Lücke  in  der  Iris  durchsehen  konnte.  Chorioidea,  Betina,  Glaskörper  und  Linse  normal; 
die  Zqnula  Zinnii  oval,  hinsichtlich  der  Form  dem  Corpus  ciliare  entsprechend ;  das  Liga- 
mentum ciliare  breit,  an  der  Stelle  der  Spaltung  ziemlich  fest  adhärirend.  —  Das  linke 
Auge  zeigte  an  der  Stelle  des  Iridoschisma  einen  '/a'"  breiten,  dunkelschwarz  gefärbten, 
am  Pupülarrande  beginnenden,  und  bis  in  den  Grund  der  Augenkammer  herabsteigenden 
Streifen.  Das  Corpus  ciliare  oval ;  am  Irisrande,  der  Stelle  des  schwarzen  Streifens  ent- 
sprechend, waren  die  Falten  desselben  unterbrochen,  ebenso  wie  am  rechten  Auge,  nur 
mit  dem  Unterschiede,  dass  hier  der  kleine  Ausschnitt  des  Corpus  ciliare  von  Irissubstanz 
ersetzt  war.  Die  Iris  war  an  der  Stelle  des  genannten  schwarzen  Streifens  ausserordent- 
lich dünn,  gleichsam  als  ob  die  vordere  Fläche  der  Iris  fehlte,  und  nur  die  Uvealfläche 
vorhanden  wäre.  Chorioidea,  Sclerotica,  Betina  und  Glaskörper  normal,  die  Zonula 
Zinnii  länglich. 

*;  Vergl.  Fichte's   vortreffliche  Abhandlung  über    das  Iriscolobom  in  Heule   und   Pfeufer's    Zeitschrift 

N.  F.  1S52.    Band  II.  S.  140. 
**)  Ammon's  Zeitschrift,  Bd.  III.  S.  283. 
***)  Ibidem,  S.  467. 

f)  Ibid.  Band  IV.  S.  436. 


1 26  Regenbogenhaut. 

Warnatz*)    fand   bei    einem   Haushuhne    die  Spalte    bloss    auf   die  Iris    beschränkt, 
und  im  Corpus  ciliare  nur  eine  leichte  Einbeugung,  alle  übrigen  Gebilde  normal. 

Hannover**)  zergliederte  die  Augen  eines  Mannes  mit  birnförmigen,  abwärts  ge- 
richteten, bis  zum  Cilianande  reichenden  Colobomen,  nachdem  er  sie  ein  Jahr  lang  in 
Chromsäure  erhärtet  hatte.  Auf  der  untern  Fläche  der  Sclerotica  eine  Protuberanz,  die 
sich  ungefähr  2'"  vom  Eintritte  der  Sehnerven  nach  vorn  erstreckte  in  einer  Länge  von 
3'  i'"  und  einer  Breite  von  2'/V".  Die  Ausbuchtung  war  auswendig  ziemlich  genau 
begrenzt  und  stark  durchscheinend.  Von  innen  angesehen,  erschien  dieselbe  als  eine 
Grube,  in  welcher  die  Netz-  und  Aderhaut  durchaus  fehlten,  und  nur  eine  feine,  zusam- 
menhängende faserige  und  mit  wenigem  Pigmente  gemischte  Membran,  wahrscheinlich  die 
Arachnoidea  oculi,  als  Überzug  der  verdünnten  und  ausgedehnten  Scleralpartie  vorhanden 
war.  Eine  Linie  vor  und  etwas  ausserhalb  des  vordem  Endes  der  Grube  war  in  der 
Netzhaut  eine  kleine  Vertiefung,  nach  vorn  von  einem  hervorstehenden  halbmondförmigen 
und  feingezackten  Eande  begrenzt,  unter  den  sich  eine  Sonde  3/i'"  tief  fuhren  Hess.  Das 
Foramen  centrale  retinae,  durch  diese  Vertiefung  gebildet,  lag  auf  diese  Weise  wegen  der 
zwischenliegenden  Grube  mehr  als  6'"  vom  Eintritte  des  Sehnerven.  Vor  dem  Foramen 
centrale  sah  mau  eine  Raphe  als  Spur  der  frühern  Spaltung  des  Auges ;  diese  Eaphe  war  leicht 
erhaben  und  deutlich  in  der  Netz-  \mä  Aderhaut,  die  vor  dem  vordem  Ende  der  Grube 
sich  wieder  vorfand.  Die  Eaphe  setzte  sich  sowohl  in  der  Netzhaut  als  in  der  Aderhaut 
fort  bis  zu  der  Spitze  der  birnförmigen  Pupille,  und  trat  besonders  vom  deutlich  hervor. 
Die  Sclera  zeigte  bloss  au  der  innern  Fläche  nach  vorn  eine  leichte  Spur  einer  Eaphe. 
Im  Glaskörper  war  die  Spaltung  besonders  deutlich  in  die  Augen  fallend.  Die  Sectoren 
zeigten  sich  auf  dem  Querschnitte,  der  den  Bulbus  senkrecht  in  eine  vordere  und  hintere 
Hälfte  getheilt  hatte,  hufeisenförmig  gelagert,  so  dass  die  Spitzen  nach  unten  and  gegen 
die  Mitte  des  Auges  convergirten,  während  sie  in  der  untern  Augenhälfte  auf  beiden 
Seiten  einer  senkrechten  Mittellinie  gestellt  waren.  Etwas  unterhalb  der  Mitte  des  Auges 
sah  man  eine  runde  Öffnung  im  Glaskörper,  die  zur  hintern  Kapselwand  der  Linse  führte, 
und  folglich  den  Canalis  hyaloideus  für  die  Art.  centralis  bildete.  —  Die  Processus  ciliares 
standen  concentrisch  um  die  Iris,  so  dass  sie  also  in  Birnform  mit  der  Spitze  nach  unten 
gestellt  waren;  sie  stiessen  an  beiden  Seiten  der  Eaphe  zusammen,  und  wurden  hier 
etwas  kleiner.  Sie  wurden  vom  Corpus  ciliare  umgeben,  das  an  beiden  Seiten  der  Eaphe 
herabging,  parallel  den  Processus  ciliares  und  folglich  von  derselben  Form.  Die  Linse 
war  durch  die  feinen  Fasern  der  Zoimla  an  die  Spitzen  der  Ciliarfortsätze  geheftet;  die 
Verbindung  war  am  stärksten  unten  gegen  die  Eaphe,  und  die  Fasern  hier  am  längsten' 
sie  war  nicht  vollkommen  kreisförmig,  sondern  nach  unten  stumpf  zugespitzt,  mit  der 
Spitze  gegen  die  Eaphe.  —  Endlich  fand  sich  in  beiden  Augen  ein  höchst  merkwürdiges 
Organ.  In  der  Substanz  der  Netzhaut  nämlich  und  mit  ihr  in  ununterbrochenem  Zusammen- 
hange lag  auf  jeder  Seite  der  Eaphe  eine  riatte,  ungefähr  6'"  lang  von  vorn  nach 
hinten  und  3—  3'/^'"  breit,  von  etwas  unregelmässiger  rhomboidalischer  Form,  jedoch  sehr 
genau  begrenzt.  Diese  Platten  fingen  mit  einem  abgerundeten  Eande  auf  jeder  Seite  der 
Gmbe  an,  etwas  hinter  ihrem  vordem  Ende,  gingen  vorwärts  an  beiden  Seiten  der  Eaphe, 
I '  V"  von  ihr  entfernt,  und  reichten  bis  an  den  äussern  Eand  des  Corpus  ciliare.  Han- 
nover glaubt  in  diesen  Platten  ein  Analogon  des  Kammes  des  Vogelauges  gefunden  zu 
haben,  und  erklärt  mit  Berufung  auf  Huschke's  Entwicklungsgeschichte  des  Auges  den 
ganzen  Befund  dieser  Augen  für  einen  fötalen  (etwa  aus  der  6. — 7.  Woche). 

*)  Ammon'a  Zeitschrift,  Band  V.  S.  460. 
**;  J.  Müller's  Archiv  für  Anatomie  und  Physiologie,  1845.    S.  482. 


Coloboiua  iridis.  127 

Neuerlich  hat  von  Amnion*)  einen  Fall  von  Iriscolobom  anatomisch  beschrieben. 
Bloss  das  linke  Auge  (einer  "26  Jahre  alten  Frau)  bot  die  Spaltung  der  Iris  dar,  und 
zwar  nach  unten  tief  hinter  den  Rand  der  Hornhaut  herabreichend,  mit  fast  parallelen 
Schenkeln.  Das  Auge  war  vor  der  Zergliederung  erst  einige  "Wochen  in  Spiritus  aufbe- 
vrahrt  worden.  Die  Sclera  war  nach  hinten  und  unten  verdünnt  und  protuberirend,  die 
Chorioidea  zwar  nicht  gespalten,  aber  gefässarm  und  ohne  Pigmentlage  (etwa  3'"  lang  und 
1'"  breit  nach  Fig.  6  der  beigegebenen  Tafel),  die  Netzhaut  zeigte  ein  Foramen  centrale 
mit  starkem  wallartigem  Rande,  jedoch  nicht  perforirt,  sondern  von  einem  dünnen  Häut- 
chen  bedeckt.  Die  Linse  war  gehörig  gestaltet,  die  Cornea  ciliaris  zeigte  unten  eine 
rückwärts  spitzig  vorspringende  Ausbiegung;  vor  und  an  den  Ciliarfortsätzen  fand  sich 
an  der  Stelle  des  Peristoma  Doellingeri  ein  heller,  weissröthlicher,  pigmentloser,  2'"  breiter 
Ring;  die  Ciliarfortsätze  waren  meist  ganz  pigmentlos;  auch  zwischen  denselben  fehlte 
das  Pigment.  Ton  einer  Raphe  im  Corpus  ciliare  oder  von  veränderter  Form  und  Lage 
der  Ciliarfortsätze  hinter  der  Irisspalte  ist  im  Texte  nichts  erwähnt;  nach  der  Zeichnung 
(Fig.  4)  ging  der  Substanzmangel  nicht  nur  durch  die  Iris,  sondern  auch  durch  den 
pigmentlosen  Theil  des  Corpus  ciliare  mit  scharf  begrenzten  Rändern.  Der  Übergang 
der  Pupille  in  die  Irisspalte  war  durch  stark  vorspringende  Winkel  deutlich  bezeichnet ; 
der  Ringmuskel  der  Iris  war  gegen  '/•>'"  breit,  und  endete  am  Rande  der  Spalte  wie 
abgeschnitten ;  die  Pigmentlage  der  Iris  war  mächtig.  Die  Cornea  wird  als  etwas  konisch,, 
jedoch  rund  bezeichnet,  die  äussere  Gestalt  des  Bulbus  als  die  eines  Fötus  im  4.  —  5. 
Monate  angegeben. 

Eigene  Beobachtungen.  1.  Fall.  Am  4.  Mai  1849  fand  ich  an  dem  Cadaver  einer 
73  Jahre  alten  Frau  ein  Colobom  des  linken  Auges,  und  unterwarf  sofort  beide  Bulbi  der 
anatomischen  Untersuchung.  Linkes  Auge:  Der  Bulbus  etwas  kleiner,  als  der  rechte; 
der  durchsichtige  Theil  der  Hornhaut  mass  horizontal  4'/2"/,  vertical  4'".  Vordere  Kammer 
etwa  3V"  tief.  Die  Iris  lichtbraun,  oben  vom  Ciliar-  bis  zum  Pupillarrande  2'"  breit, 
die  Pupille  birnförmig,  ihr  unterster  Theil  durch  den  undurchsichtigen  Rand  der  Hornhaut^ 
welche  hier  gleichsam  früher  in  die  Sclera  überging,  verdeckt.  Hinter  dem  Äquator 
bulbi  erhob  sich  die  offenbar  verdünnte,  bläulich  durchscheinende  Sclera  allmälig  in  eine 
halbkuglige  Vortreibung,  welche  etwa  3'"  hinter  der  Insertion  des  M.  rectus  inf.  begann 
und  bis  zur  Insertion  des  X.  opticus  reichte,  ja  dieselbe  noch  zum  Theil  umfasste.  Die 
Grenzen  ihres  Cmfanges,  dessen  Durchmesser  beiläufig  6'"  betrug,  waren  nicht  scharf 
bezeichnet;  die  höchste  Stelle  stand  l'/z — 2'"  höher  als  die  Sclera  bei  normal  gedachter 
Wölbung.  Der  Bulbus  wurde  durch  einen  horizontalen  Schnitt  in  eine  obere  und  untere 
Hälfte  getheilt.  In  der  obern  verhielten  sich  alle  Theile  normal.  Der  Glaskörper  war 
etwas  dünner,  als  im  rechten  Auge.  Entsprechend  der  eben  beschriebenen  Hervortreibung 
der  Sclera  erschien  der  Bulbus  innen  ganz  weiss,  als  ob  Netz-  und  Aderhaut  in  dieser 
Grube  ganz  fehlten.  Die  Ränder  dieser  Grube  zu  beiden  Seiten  waren  scharf  begrenzt 
und  durch  einen  etwas  wulstigen,  schwarzbraunen  Saum  markirt ;  sie  convergirten  nach 
vorn  bis  in  die  Gegend  des  Äquators,  wo  sie  nur  noch  gegen  3y"  weit  von  einander 
abstanden.  Von  hier  an,  also  vom  vordem  Ende  der  lichten  Grube  bis  zur  Gegend  der 
Ciliarfortsätze  lag  eine  dunkelbraune  Platte,  V"  breit,  ysz'"  lang,  von  einem  halbdurch- 
sichtigen dünnen  Häutchen  gedeckt,  das  durch  eine  von  der  genannten  Grube  bis  zum 
vordem  Ende  des  Ciliarkörpers  verlaufende  dunklere  Linie  in  2  gleiche  Hälften  ge- 
theilt erschien.  Diese  dunkelbraune  Platte  war  gleichfalls  zu  beiden  Seiten  scharf  begrenzt. 

*)  Münchener  illastr.  med.  Zeitung,  Jahrgang  lg52,  Heft  VI. 


128  Regenbogenhaut. 

Es  Hessen  sich  nämlich  die  sämmtliuhen  Elemente  der  Netzhaut  nur  bis  zum  Rande  dieser 
Platte  verfolgen,  der  halbdurchsichtige  Überzug  der  Platte  bildete  wohl  ein  Continuum 
mit  der  Netzhaut,  und  Hess  sich  von  der  dunkelbraunen  Platte  (der  Chorioidea)  bis  zu 
der  obgenannten  linearen  Raphe  abziehen,  zeigte  aber  die  Eigenschaften  der  Netzhaut 
selbst  nicht.  Von  einem  ähnlichen  halbdurchsichtigen  Häutchen  war  die  ganze  obgenannte 
Grube  ausgekleidet.  Auch  hier  bildete  dieses  Häutchen  ein  Continuum  mit  der  Netzhaut, 
aber  auch  zugleich  mit  der  Aderhaut,  indem  diese  beiden  Häute  am  Rande  der  Grube 
sowohl  als  in  der  nach  vorn  verlaufenden  Raphe  fast  unzertrennlich  mit  einander  ver- 
einigt waren.  Die  in  Rede  stehende  Auskleidung  der  Grube  war  keineswegs  die  Lamina 
fusca  oder  Arachnoidea  oculi,  denn  diese  konnte  überall  nur  bis  zum  Rande  der  Grube 
und  vorn  bis  zu  den  Rändern  der  Raphe  verfolgt  werden,  und  war  an  diesen  Stellen 
innigst  mit  der  Sclera  verwachsen.  Überall,  wo  sich  normale  Chorioidea  nachweisen 
Hess,  befand  sich  darunter  Lamina  fusca.  —  Die  Ciliarfortsätze  waren  am  vordem  Ende 
der  genannten  Raphe  gleichsam  seitlich  und  rückwärts  gezogen,  daselbst  verkümmert 
und  in  zwei  Hörnchen  verschmolzen ,  welche  ihre  Convexität  der  zur  Iris  laufenden 
Raphe  zuwendeten.  An  der  äussern  Fläche  des  Corpus  ciliare  verlief  eine  lineare  Raphe 
vom  vordem  Rande  des  Ligamentum  ciliare  rückwärts  bis  zu  der  obgenannten  Grube. 
Längs  dieser  Raphe  konnte  diese  Partie  nur  durch  Zerreissung  von  der  Sclera  getrennt 
werden,  welche  dem  entsprechend  einen  linearen,  kaum  merklich  erhabenen  Streifen 
zeigte.  Das  blassgelbe  Ligamentum  ciliare  erstreckte  sich  zu  beiden  Seiten  der  Raphe 
etwas  weiter  nach  rückwärts,  so  dass  es  daselbst  fast  noch  einmal  so  breit  erschien,  als 
in  seinem  übrigen  Umfange.  Die  Linse  zeigte  gegenüber  der  Raphe  im  Corpus  ciliare 
eine  seichte  Einkerbung.  In  der  Iris  war  der  Sphinkter  nur  in  etwas  mehr  als  der  obern 
Hälfte  vorhanden,  also  hufeisenförmig ;  die  Schenkel  des  Coloboms  waren  nur  von  den 
Radialfasern  gebildet;  die  Enden  des  Ringmuskels  wurden  durch  je  zwei  dunkle  Streif- 
chen bezeichnet,  deren  Pigment  sich  durchaus  nicht  beseitigen  Hess.  Die  Spalte  der 
Iris  erstreckte  sich,  wie  man  jetzt  deutlich  sehen  konnte,  sowohl  an  der  vordem  als  an 
der  hintern  Fläche  der  Iris  nicht  ganz  bis  zum  Ciliarkörper ;  der  Irisring  war  beiderseits 
noch  gegen  ll%"'  breit;  mitten  durch  die  Pigmentschicht  der  hintern  Fläche  (uvea)  jedoch 
verlief  ein  weisser  Streifen  bis  zum  Pupillarrande,  i.  e.  bis  zum  Scheitel  der  Irisspalte. 

Rechtes  Auge:  Grösse  und  Gestalt  des  Bulbus  normal.  Horizontaler  Durchmesser 
der  Cornea  5"',  verticaler  473"'  (innerhalb  des  Linibus).  Die  Iris  lichtbraun,  die  vordere 
Kammer  klein.  Die  Pupille  im  horizontalen  Durchmesser  ll/->'",  im  verticalen  13,V",  also 
nach  unten  ein  wenig  ausgebuchtet.  Alle  innem  Gebilde  normal,  bis  auf  das  Corpus 
ciliare.  Gerade  nach  unten  sind  nämlich  2  Ciliarfortsätze  etwas  grösser;  hinter  denselben 
macht  die  Ora  seirata  einen  leichten  Vorsprung  nach  hinten,  so  dass  also  das  Corpus 
ciliare  hier  etwas  breiter  erscheint.  Von  der  Furche  zwischen  jenen  zwei  Ciliarfortsätzen 
bis  zur  Spitze  dieses  Vorsprunges  verläuft  eine  weissliche  Linie,  und  zu  jeder  Seite  der- 
selben noch  eine  ähnliche  etwas  gekrümmte ;  letztere  beide  divergiren  jedoch  nach 
hinten  ein  wenig  und  verlieren  sich  hinter  der  Ora  serrata  allmälig  in  der  Chorioidea. 
An  der  äussern  Seite  bildet  das  graugelbe  Ligamentum  ciliare  gleichfalls  einen  Vorsprung 
nach  hinten,  so  dass  es  um  3W"  breiter  erscheint,  als  in  seinem  übrigen  Bereiche.  Im 
Baue  der  Iris  ist  keine  Abnormität  wahrzunehmen.  Die  genannten  3  lichten  Streifen  er- 
innern, wenn  man  das  rechte  und  linke  Auge  neben  einander  legt,  unwillkürlich  an  die 
Raphe  und  an  die  Begrenzungslinien  der  dunkelbraunen  Platte,  die  wir  beim  linken  Auge 
beschrieben  haben. 

Diese   Veränderungen    im    Corpus    ciliare    des    rechten   Auges   waren   mir   bei    der 


Coloboma  iridis.  129 

ersten  Untersuchung  ganz  entgangen,  und  ich  bin  erst  in  jüngster  Zeit  bei  wiederholter 
und  genauerer  Besichtigung  darauf  aufmerksam  geworden.  Dieser  Irrthum  hatte  leider 
das  zur  Folge,  dass  ich  in  den  spätem  3  Fällen  immer  nur  das  mit  Colobom  der  Iris 
versehene  linke  Auge  untersuchte.  Es  ist  nicht  unwahrscheinlich,  dass  ich  auch  in  dem 
andern,  äusserlich  wohlgestalteten  Auge  Andeutungen  der  Chorioidealspalte  gefunden  haben 
würde;  denn  ich  glaube  in  späterer  Zeit  oft  an  ganz  gesunden  Augen  eine  Andeutung  der 
Chorioidealspalte  darin  gefunden  zu  haben,  dass  sich  gerade  an  der  untersten  Stelle  die  Ora 
serrata  etwas  weiter  rückwärts  erstreckt,  einen  spitzigen  Vorsprung  nach  hinten  bildet. 

2.  Beobachtung.  Linkes  Auge  eines  22jährigen  Mädchens  mit  brauner  Iris,  birn- 
förmigem,  bis  in  den  Ciliarrand  hinabragendem  Colobom.  Die  Cornea  normal.  Die  Sclera 
unten  vor  dem  Opticus  ektatisch,  etwas  verdünnt,  die  bläuliche  "Wulst  gegen  3'"  breit, 
6'"  lang,  nicht  ganz  1"'  hoch  über  das  Niveau  der  Umgebung  emporgehoben.  Der 
Bulbus  wurde  durch  3  Tage  in  Chromsäure  erhärtet  und  dann  von  mir  und  Dr.  Cermdk 
untersucht.  Im  Glaskörper  fand  sich  längs  des  scheinbaren  Retinal-  und  Chorioidealspaltes 
in  der  hintern  Hälfte  des  Bulbus  eine  von  hinten  nach  vorn  gehende  längliche  Höhlung, 
deren  Verhältnisse  sich  jedoch  nicht  näher  bestimmen  Hessen.  Die  sonst  ganz  nor- 
male Netzhaut  bildete  nach  unten  eine  Art  Becessus  oder  Divertikel  mit  scharf  be- 
grenzten Bändern.  Dieses  Divertikel  begann  2'"  von  der  Eintrittsstelle  des  N.  opticus 
und  erstreckte  sich  bis  in  die  Gegend  der  Ora  serrata;  seine  grösste  Breite  betrug  etwas 
über  2'",  seine  Tiefe  etwas  über  1'".  Der  scharfe,  gleichsam  durch  Ausstülpung  der 
Netzhaut  entstandene  Band  dieser  Grube  war  hinten  parabolisch  gekrümmt  und  stellte 
somit  eine  Art  hufeisenförmiger  Falte  vor  ;  nach  vorn,  wo  der  Band  minder  scharf,  und  die 
Grube  allmälig  flacher  wurde,  näherten  sich  die  Schenkel  dieser  scheinbaren  Netzhaut- 
spalte bis  auf  etwa  llh'u.  In  diesen  Becessus  der  Betina  hinein  erstreckte  sich  eine 
Ausstülpung  des  Glaskörpers.  Im  Grunde  des  Becessus  Hessen  sich  alle  Formbestandtheile 
der  Netzhaut  mikroskopisch  nachweisen,  aber  wie  auseinandergezogen  und  schütter,  so 
dass  die  Netzhaut  daselbst  sehr  verdünnt  erschien.  Unter  dieser  Partie  der  Netzhaut 
fand  man  die  Chorioidea,  jedoch  sehr  gefässarm  und  ohne  Pigment  bis  zur  Ora  serrata 
retinae  hin.  Die  Lamina  fusca  war  daselbst  mit  dem  Bindegewebe  der  Chorioidea  ver- 
schmolzen und  fest  an  die  verdünnte  Sclera  adhärirend.  In  der  vordem  Hälfte  des  Bulbus 
zeigten  sich  folgende  Abweichungen.  Die  Iris  war  oben  vom  Pupillar-  bis  zum  Ciliar- 
lande  2'"  breit.  Der  Pupillarrand  ging  zu  beiden  Seiten  unmittelbar  in  die  Spaltenränder 
über,  welche  nach  unten  konisch  zusammenliefen;  die  Pupille  niass  demnach  bis  zur 
Spitze  der  Spalte  3'".  Die  Schenkel  der  Spalte  reichten  aber  noch  hinter  das  Döllin- 
gersche  Band  hinab  und  waren  an  die  Baphe  im  Corpus  ciliare  angeheftet,  daher  etwas 
rückwärts  gezogen.  Der  Sphincter  iridis  umfasste  nur  3/i  des  Kreises  der  Pupille,  die 
Schenkel  der  Spalte  waren  bloss  durch  Badialfasern  gebildet.  Das  Ligamentum  ciliare  er- 
schien in  dieser  Gegend  viel  breiter,  gleichsam  rückwärts  gezogen  und  ausgedehnt.  Von  der 
innern  Ansicht  des  Corpus  ciliare  wird  man  sich  am  ehesten  eine  richtige  Vorstellung 
machen,  wenn  man  sich  aus  dem  Binge,  den  die  Ciliarfortsätze  bilden,  ein  V-förmiges 
Stück  ausgeschnitten  denkt,  dessen  Spitze  rückwärts  gerichtet  ist,  und  dass  nun  einige 
Ciliarfortsätze  so  zu  diesem  gestellt  sind ,  wie  die  übrigen  zu  der  Kreislinie ,  die  ihre 
vorderen  Enden  beschreiben.  Diese  gleichsam  rückwärts  gezerrten  Ciliarfortsätze  nehmen 
somit  die  Gegend  ein,  die  sonst  der  flache  Theil  des  Corpus  ciliare  behauptet,  und  dieser, 
an  seiner  dunklen  Färbung  erkennbar ,  erstreckt  sich  hinter  die  Kreislinie  rückwärts, 
welche  der  Verlauf  der  Ora  serrata  retinae  bezeichnet.  Auf  diese  "Weise  entstand  zwischen 
4er  lichten  Grube  und  zwischen  den  Ciliarfortsätzen  eine  länglich  viereckige  dunkelbraune 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  9 


130  Regenbogenhaut. 

Platte,  durch  die  mitten  durchlaufende  Raphe  in  2  Seiten  half ten  getheilt.  Die  Linse  war 
an  der  betreffenden  Stelle  am  Rande  flach  eingekerbt,  und  so  entstand  zwischen  ihr  und 
den  rückwärts  gezogenen  und  folglich  auch  mehr  von  der  Augenachse  entfernten  Ciliar- 
fortsätzen  eine  dreieckige  Lücke,  bloss  durch  die  durchsichtige  Zonula  Zinnii  ausge- 
füllt. Die  innere  Fläche  der  Sclera,  in  der  Richtung  des  untersten  Meridianes,  fest  mit 
dem  Ciliarkörper  bis  zum  Rande  der  obgenannten  Grube  verwachsen,  bot  nach  Losreissung 
der  Chorioidea  an  ihrer  Innenfläche  eine  leise  Spur  einer  Raphe  dar. 

3.  Beobachtung.  An  dem  Cadaver  eines  Mannes  von  etwa  40  Jahren  fiel  mir  eine 
leichte  Ausbauchung  der  linken  Pupille  nach  unten  auf,  wesshalb  ich  den  Bulbus  exstir- 
pirte.  Der  Befund  war  im  Wesentlichen  derselbe,  wie  in  den  frühem  Fällen,  jedoch 
mit  einigen  merkwürdigen  Abweichungen.  Der  Bulbus  zeigte  nach  unten  in  der  hintern 
Hälfte  eine  Scleralektasie ,  welche  knapp  vor  dem  Opticus  begann,  und  ungefähr  4'" 
hinter  dem  Hornhautrande  endete.  Die  Cornea  normal,  die  Pupille  nach  unten  leicht 
ausgebaucht,  die  Iris  oben  2'",  unten  1  ',V"  breit.  Der  Bulbus  wurde  in  eine  obere  und 
untere  Hälfte  gespalten.  Ob  der  Glaskörper  eine  Spalte,  die  Linse  eine  Einkerbung  be- 
sitze, habe  ich  in  diesem  Falle  nicht  untersucht.  Eine  Linie  vor  der  Eintrittsstelle  des 
Opticus  begann  eine  seichte,  nahezu  ovale  Grube,  etwa  5'"  lang,  etwas  über  3'"  breit, 
auffallend  durch  ihre  weisse  Farbe.  Sie  war  hinten  tiefer,  vorn  flacher.  In  dieselbe 
hineingestülpt  waren  die  Aderhaut,  die  Netzhaut,  und  eine  Art  Hernie  des  Glaskörpers. 
Indem  die  Netzhaut  sich  in  dieses  Divertikel  hinausstülpte ,  bildete  sie  einen  scharfen 
Rand,  welcher  besonders  hinten  stark  hervortrat,  wie  eine  hufeisenförmige  Falte  mit  vor- 
wärts gewendeter  Concavität.  Am  vordem  Ende  der  Grube  stehen  ihre  Schenkel  noch 
etwa  2'"  weit  von  einander  ab.  Vor  der  Grube  nun  liegt  eine  dunkelbraune  Platte, 
gegen  2'"  breit,  27a"'  lang,  zu  beiden  Seiten  von  normaler  Netzhaut  deutlich  abgegrenzt, 
vorn  unmittelbar  in  den  gleichfalls  dunkelbraunen  flachen  Theil  des  Corpus  ciliare  über- 
gehend. Mitten  durch  diese  Platte  geht  von  der  genannten  weissen  Grube  an  bis  zum. 
vordem  Ende  der  Ciliarfortsätze  eine  Raphe  in  Form  einer  weissen  Linie ,  welche  nach 
vorn  allmälig  breiter  und  höher  wird,  und  sodann  an  die  später  zu  beschreibende  Spalte 
in  der  Iris  übergeht.  Die  Ciliarfortsätze,  ringsum  regelmässig  gestellt,  weichen  da,  wo  die 
Raphe  an  ihren  Ring  gelangt,  etwas  gegen  dieselbe  zurück,  und  je  2  (zu  jeder  Seite} 
wenden  ihre  Spitzen  der  Raphe  zu;  mit  andern  Worten :  der  Ring,  den  die  Ciliarfortsätze 
bilden,  hat  unten  einen  V-förmigen  Ausschnitt,  auf  dessen  Schenkeln  je  2  etwas  ver- 
kümmerte Ciliarfortsätze  senkrecht  stehen ,  und  von  der  Spitze  des  Ausschnittes  geht 
rückwärts  die  Raphe  wie  ein  sehr  in  die  Länge  gezogener  Ciliarfortsatz  bis  zur  obge- 
nannten Grube.  An  der  äussern  Fläche  erscheint  das  Ligamentum  ciliare  in  der  Gegend 
der  Raphe  gegen  3"'  breit,  während  es  sonst  nur  etwas  über  ['"  breit  ist.  Eine  festere 
Verbindung  zwischen  Sclera  und  Corpus  ciliare  an  dieser  Stelle  fand  sich  in  diesem  Falle 
nicht  vor.  Die  Iris  erscheint  in  diesem  Falle  nicht  gespalten,  nur  unten  schmäler,  als 
oben,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  aber  es  findet  sich  eine  Spalte  in  der  Uvea,  in  der 
Pigmentschicht  der  Iris,  V-förmig,  die  Basis  am  Pupillarrande ,  die  Spitze  gegen  den 
Ciliarrand  gerichtet,  an  der  Basis  '/a'"  breit,  von  der  Basis  bis  zur  Spitze  über  l"ylang. 
Die  Iris  verhält  sich  also  hier  analog  der  Chorioidea  in  der  hintern  Hälfte  des  Bulbus; 
es  fehlt  nur  ihre  Pigmentschicht.  Das  Verhalten  der  Circulär-  und  Radialfasern  der  Iris. 
wurde  nicht  untersucht,  um  eben  diese  bisher  noch  nicht  beobachtete  Pigmentspaltung 
nicht  zu  verwischen  und  das  Präparat  als  augenfälligen  Beweis  aufbewahren   zu   können. 

4.  Beobachtung.  Linkes  Auge  eines  20jährigen  Mädchens  mit  einer  nur  den  kleinen 
Kreis  betreffenden  Irisspalte.     Ausser  der  Iris  bietet  nur  das  Corpus  ciliare  bis  zur    Ora, 


Pupillensperre  —  Pupi  Neubildung.  131 

serrata  Abnormitäten  dar.  Hinter  der  Irisspalte  sind  nämlich  nur  zwei  Ciliarfortsätze 
etwas  länger,  und  dem  entsprechend  reicht  auch  der  flache  Theil  des  Corpus  ciliare  etwas 
weiter  nach  hinten,  so  dass  die  Ora  serrata  daselbst  eine  stumpfe,  nach  hinten  vor- 
ragende Spitze  bildet.  An  der  äussern  Fläche  erscheint  das  Ciliarband  um  ' '%'"  breiter, 
bildet  also  auch  eine  rückwärts  vorspringende  stumpfe  Spitze.  Bei  durchfallendem  Lichte 
bemerkt  man  im  flachen  Theile  eine  mittlere  und  zwei  seitliche  lichte  Streifen ;  die  mitt- 
lere nimmt  die  Stelle  und  Richtung  des  untersten  Meridianes  ein,  ist  also  eine  Andeutung 
der  Raphe,  die  beiden  seitlichen,  ein  wenig  gekrümmten  und  nach  hinten  divergirenden 
liegen  so,  wie  die  seitlichen  Begrenzungslinien  der  dunkelbraunen  Platte,  deren  wir  in 
der  ersten  Beobachtung  ausführlicher  erwähnten.  Diese  Linien  lassen  sich  jedoch  nicht 
über  die  Ora  serrata  rückwärts  hinaus  verfolgen.  —  Wie  weit  der  Sphincter  iridis  vor- 
handen war,  konnte  ich  nicht  genau  eruiren;  an  der  abgerundeten  Spitze  der  Spalte 
fehlte  er  jedoch  ganz  bestimmt. 

Piipillenbildung  —  Coremorphosis. 

Wenn  Jemand  desshalb  nicht  sieht,  weil  die  Pupille  gesperrt  oder 
durch  partielle  unheilbare  Hornhauttrübungen  verdeckt  ist,  so  können 
wir  ihm  unter  gewissen  Verhältnissen  durch  Anlegung  einer  künstlichen 
Pupille  wieder  zu  einem  mehr  weniger  guten  Gesichte  verhelfen.  Wir 
können  nämlich  entweder  am  Rande  der  Hornhaut  einen  2 — 3'"  langen 
Einstich  machen,  einen  Theil  der  Iris  durch  denselben  mit  einer  Pin- 
cette  hervorholen,  und  mit  einer  Scheere  abschneiden,  oder  wir  können 
nächst  der  Mitte  der  Cornea  einstechen  und  eine  Partie  der  Iris  mit- 
telst eines  Häkchens  vom  Ciliarbande  ablösen,  herausziehen  und  mit 
einer  Scheere  abschneiden;  in  gewissen  Fällen  können  wir  auch  schon 
dadurch  eine  künstliche  Öffnung  in  der  Iris  hinter  dem  durchsichtigen 
Theile  der  Hornhaut  erhalten,  dass  wir  die  Iris  bloss  mit  einem  Messer 
—  quer  auf  ihre  Radialfasern  —  anstechen  oder  einschneiden. 

I)ie  Zustände,    welche  die  Bildung  einer  künstlichen  Pupille  nothwendig 

machen,  sind: 

1 .  Verdeckung  der  Pupille  durch  partielle  unheilbare  Verdunkelung 
der  Hornhaut.  Man  findet  entweder  die  Iris  hinter  der  Hornhauttrü- 
bung in  jeder  Beziehung  normal,  oder,  was  viel  häufiger  vorkommt, 
ein  mehr  weniger  grosser  Theil  des  Pupillarringes  ist  an  die  Hornhaut 
angewachsen,  und  der  Rest  der  mehr  weniger  verzogenen  und  veren- 
gerten Pupille  wird  durch  die  Peripherie   der  Hornhautnarbe    verdeckt. 

2.  Verschliessung  der  Pupille  durch   Verwachsung   des  ganzen  Pu- 

pillarrandes  mit   einer  umschriebenen  Hornhautnarbe.     Dieser  Zustand 

entsteht  am  leichtesten  nach  centralen  Durchbrüchen  der  Hornhaut  mit 

Prolapsus  iridis;   es  kann   aber   auch  bei  peripherischen  Wunden  oder 

9* 


132  Regenbogenhaut. 

Geschwüren  die  Pupille  dadurch  ganz  aufgehoben  werden,  dass  der 
ganze  Pupillarrand  zur  Öffnung  hingezogen  und  daselbst  fixirt  wird. 
Insbesondere  finden  wir  an  Augen,  bei  denen  nach  der  Extractio  cata- 
ractae  die  Heilung  mittelst  Eiterung  oder  Irisvorfall  erfolgt  war,  die 
Iris  gegen  die  Hornhautnarbe  hin  gezerrt,  und  die  Pupille  theils  hie- 
durch,  theils  durch  Exsudat  verschlossen. 

3.  Pupillensyerre  durch  Exsudate,  als  Folge  von  Iritis.  Das  Ex- 
sudat erscheint  in  Form  einer  mehr  weniger  dicken  und  undurchsich- 
tigen Membran  oder  eines  kleinen  Pfropfes ;  es  haftet  in  der  Regel  viel 
fester  am  Pupillarrande,  als  an  der  hinter  ihm  befindlichen  Linsenkapsel. 

4.  Cataracta  accreta,  Verdunkelung  der  Kapsel  oder  der  Linse, 
gewöhnlich  beider  zugleich,  mit  zahlreichen  hintern  Synechien,  oder  auch 
mit  völliger  Anheftung  des  Pupillarrandes  an  die  Kapsel. 

Diese  Zustände  können  jedoch  die  Vornahme  der  Pupillenbildung 
nur  dann  rechtfertigen,  wenn : 

a)  auf  keine  leichtere,  sicherere  und  vollständigere  Weise  Hilfe  er- 
wartet werden  kann,  wenn  die  Hornhauttrübung  wirklich  unheilbar  ist, 
wenn  auf  theilweise  Öffnung  der  Pupille  durch  Freiwerden  des  Pupil- 
larrandes (Verschwinden  hinterer  Synechien)  nicht  mehr  gerechnet  wer- 
den kann,  wenn  die  Cataracta  accreta  weder  durch  Zerreissung  oder 
Ausziehung  der  Kapsel,  noch  durch  Reclination  der  Linse  (siehe  Krank- 
heiten der  Linse)  beseitigt  werden  kann,  und  wenn  spontane  Pupillen- 
bildung sich  nicht  mehr  erwarten  lässt.  Ist  zur  Zeit,  wo  der  Bulbus 
noch  nicht  seine  normale  Grösse  erlangt  hat,  Einheilung  des  Pupillar- 
randes in  eine  Hornhautnarbe  erfolgt,  so  geschieht  es  bisweilen,  dass 
mit  dem  Wachsthunie  des  Bulbus  überhaupt  und  der  Cornea  insbeson- 
dere die  Iris  straff  gespannt  und  desshalb  vom  Ciliarbande  losgezerrt 
wird,  oder  auch  mitten  in  ihrem  Gewebe  dehiscirt.  Diese  Art  sponta- 
ner Pupillenbildung  kann  man  in  jedem  Blindeninstitute  beobachten, 
welches  eine  gewisse  Zahl  von  Individuen  beherbergt,  die  ihr  Gesicht 
durch  Blennorrhoea  neonatorum  verloren  haben.  Die  auf  diese  Weise 
entstandenen  Pupillen  sind  zwar  selten  so  gross  und  so  gelegen,  dass 
sie  einen  wesentlichen  Nutzen  gewähren;  indessen  sind  doch  Fälle  be- 
obachtet worden,  wo  durch  diesen  Vorgang  ein  auffallend  gutes  Gesicht 
restituirt  wurde.  Ich  kenne  einige  Fälle,  wo  der  in  früher  Jugend  ge- 
machte Vorschlag,  eine  künstliche  Pupille  zu  bilden,  nach  Verlauf  eini- 
ger Jahre  auf  diese  Weise  überflüssig  wurde.  —  Ebenso  würde  man 
auch  die  Ausbildung  des  Bulbus  (der  Grösse  nach)  abzuwarten  haben, 
wenn  der  Fall  vorkäme,  dass  die  Membrana  pupillaris  (Wachendorfi) 
nach  der  Geburt  noch  fortbestünde,  und  erst  dann,   wenn  bis  zum  8. 


Piipillenbilduiig.  133 

Lebensjahre  keine  spontane  Dehiscenz  der  Iris  eingetreten  wäre,   zur 
Pupillenbildung  schreiten  dürfen. 

b)  Das  andere  Auge  muss,  wenn  nicht  rettungslos ,  so  doch  so  er- 
blindet sein,  dass  seine  Function  mindestens  nicht  auf  eine  bessere 
Weise  hergestellt  werden  kann.  Man  bedenke  stets,  dass  auch  die 
bestgelungene  künstliche  Pupille,  selbst  wenn  sie  im  Centrum  angelegt 
wäre  —  was  nur  äusserst  selten  möglich  ist  —  immer  nur  eine  unbe- 
wegliche Öffnung  darstellt.  Je  weiter  aber  vom  Centrum  entfernt  die 
Pupille  angelegt  werden  muss,  desto  geringer  ist  der  Nutzen  für  den 
Operirten.  Ist  das  eine  Auge  gesund,  dann  wird  dem  Kranken  die 
künstliche  Pupille  des  andern  Auges  nichts  nützen,  in  der  Regel  sogar 
schaden,  durch  Blendung  oder,  wenn  sie  excentrisch  ist,  selbst  durch 
Doppeltsehen.  —  Wäre  das  eine  Auge  zur  Pupillenbildung  geeignet, 
das  andere  dagegen  nur  durch  Pannus  oder  eine  heilbare  Trübung  der 
Hornhautsubstanz  in  seiner  Function  behindert,  dann  würde  jedenfalls 
dieses  Auge  erst  in  Behandlung  zu  nehmen  sein.  Aber  auch  dann, 
wenn  dieses  zweite  Auge  an  (heilbarer)  Cataracta  litte,  würde  ich  in 
der  Regel  früher  die  Staaroperation  auf  dem  einen,  als  die  Pupillen- 
bildung auf  dem  andern  Auge  vornehmen;  denn  es  steht  in  solchen 
Fallen  fast  immer  auch  auf  dem  zweiten  Auge  Verdunkelung  der  Linse 
zu  besorgen,  und  dann  muss  dennoch  die  Staaroperation  vorgenommen 
werden. 

Bedingungen,  welche  die  Pupillenbildung  überhaupt  voraussetzt: 

1.  Normale  Beschaffenheit  eines  hinreichend  grossen  Theiles  der 
Hornhaut.  Diese  muss  zunächst  durchsichtig  sein.  In  Fällen,  wo  der 
centrale  Theil  der  Hornhaut  durch  Eiterung  verloren  gegangen  und  die 
Pupille  aufgehoben  ist,  kann  man  sich  über  die  Durchsichtigkeit  des 
Randtheiles  leicht  täuschen.  Leichte  Trübungen  der  Hornhaut  sind 
nämlich  da,  wo  sich  bloss  Iris  dahinter  befindet,  bisweilen  schwer  oder 
gar  nicht  zu  erkennen,  und  werden  erst  dann  sichtbar,  wenn  man  einen 
schwarzen  Hintergrund  (die  künstliche  Pupille)  hinter  dieselben  be- 
kommt. Man  sei  also  in  Fällen,  wo  man  nach  dem,  was  vorausgegan- 
gen ist,  Ursache  hat,  zu  vermuthen,  dass  auch  die  dem  Anscheine  nach 
durchsichtige  Hornhautpartie  nicht  rein  sein  dürfte,  mit  der  Prognosis 
sehr  vorsichtig.  In  welcher  Ausdehnung  die  Hornhautpartie,  hinter 
welcher  man  die  Pupille  bilden  will,  durchsichtig  sein  müsse,  wird  aus 
der  Beschreibung  des  Vorganges,  den  man  bei  der  Operation  einzu- 
schlagen hat,  am  besten  einleuchten;  als  Minimum  möchten  wir  Vft" 
ansetzen.  —  Diese  Hornhautpartie  muss   ferner    gehörig  gewölbt  sein. 


134  Regenbogenhaut. 

Bei  jenem  Zustande,  den  wir  als  Abplattung  der  Hornhaut  beschrieben 
haben,  nutzt  auch  die  schönste  künstliche  Pupille  nichts;  der  Kranke 
hat  nach  wie  vor  deutliche  Lichtempfindung,  aber  er  vermag  nicht  ein- 
mal allein  herumzugehen.  Bei  partiellen  Hornhautstaphylomen  steigt 
bisweilen  der  gesunde  Rest  der  Hornhaut  dachförmig  zu  der  genannten 
Difformität  empor.  Auch  hier  nützt  die  Anlegung  einer  künstlichen 
Pupille  wenig  oder  nichts;  es  muss  früher  das  Staphylom  beseitigt 
werden;  wird  dann  die  Wölbung  der  gesunden  Hornhautpartie  nahezu 
normal,  dann  erst  kann  man  von  der  Pupillenbildung  Erfolg   erwarten. 

2.  Es  muss  vordere  Augenkammer  vorhanden  sein,  in  solchem 
Masse,  dass  man  mit  den  erforderlichen  Instrumenten  zwischen  die 
Cornea  und  Iris  eindringen  kann.  Anlöthung  der  Iris  an  die  Cornea, 
wie  bei  manchen  Totalstapbylonien  in  der  noch  ziemlich  durchsichtigen 
Peripherie  der  Hornhaut,  macht  den  operativen  Eingriff  an  sich  unmög- 
lich; aber  auch  starke  Vorwärtswölbung  der  Iris  und  Anlegung  dersel- 
ben an  die  Cornea  in  Folge  von  Iritis  (Iridochorioiditis)  tritt  der  Pu- 
pillenbildung hindernd  entgegen.  Man  trifft  diesen  Zustand  auch  nach 
penetrirenden  Hornhautwunden  (mit  nachfolgender  Iritis  oder  Iridocho- 
rioiditis) besonders  nach  der  Extractio  cataractae.  Wo  die  Iris  so  stark 
vorwärts  gewölbt  ist,  dass  sie  die  Cornea  berührt,  da  sind  überdiess 
bereits  hinter  ihr  Veränderungen  vorhanden,  welche  jede  Art  künst- 
licher Pupille  unnütz  machen,  auch  wenn  sich  eine  solche  anlegen  Hesse, 
und  auch  wenn  noch  Lichtempfindung  vorhanden  wäre. 

3.  Die  hinter  der  Iris  gelegenen  Gebilde  müssen  gesund  sein,  mit 
Ausnahme  der  Linse,  welche  verdunkelt,  verschrumpft  oder  ganz  besei- 
tigt sein  kann. 

Das  wichtigste  Zeichen,  dass  die  tiefern  Gebilde  gesund  seien,  ist 
das,  dass  der  Kranke  bestimmt  und  unzweifelhaft  erkennt,  ob  man 
ihm  zwischen  das  zu  operirende  Auge  und  das  gegenüber  stehende 
Fenster  einen  dunklen  Körper,  z.  B.  die  Hand  vorhält.  Man  muss  bei 
dieser  Prüfung  sehr  umsichtig  zu  Werke  gehen,  damit  keine  Täuschung 
stattfinde,  besonders  in  jenen  Fällen,  avo  der  Pupillarrand  fixirt  ist,  und 
daher  die  Eeaction  der  Iris  auf  Licht  und  Schatten  nicht  auftreten 
kann.  Die  Gegenwart  von  Cataracta  hinter  der  gesperrten  oder  ver- 
deckten Pupille  kann  die  Lichtempfindung  wohl  schwächen,  niemals 
jedoch  aufheben. 

Es  kann  aber  ein  Auge  noch  ganz  bestimmt  für  Licht  und  Schal- 
ten empfindlich  sein,  und  dennoch  in  functioneller  Beziehung  sich  zur 
Pupillenbildung  nicht  eignen.  Wir  haben  bei  dem  Artikel  über  Iritis 
bemerkt,   dass  namentlich  nach  chronischer  Iritis  (Iridochorioiditis)  ein 


Pupilleiibildung.  135 

Zustand  mit  Pupillensperre  und  deutlicher  Lichtempfiudung  zurückblei- 
ben kann,  wo  der  Kranke  dennoch  durch  die  Anlegung-  einer  künst- 
lichen Pupille  nichts  gewinnt.  Nebst  der  Lage  der  Iris,  von  der  schon 
die  Rede  war,  ist  es  auch  die  Farbe  und  Faserung  derselben,  auf  welche 
man  in  solchen  Fällen  sein  Augenmerk  zu  richten  hat.  Je  mehr  die 
Iris  in  dieser  Beziehung  vom  normalen  Zustande  abweicht,  ohne 
dass  Zerrung  derselben  als  Ursache  davon  nachgewiesen  werden  kann, 
desto  weniger  hat  man  von  der  Pupillenbildung  zu  erwarten.  Nebst- 
dem  ist  aber  auch  die  Form,  die  Grösse  und  die  Consislenz  des  Bul- 
bus jederzeit  sorgfältig  zu  erheben;  deutliche  Abweichung  vom  norma- 
len Zustande  in  einer  dieser  Beziehungen  contraindicirt  die  Pupillen- 
bildung entschieden,  für  immer  oder  mindestens  temporär. 

4.  Der  entzündliche  Process,  der  das  Auge  in  einen  der  obgenann- 
ten  Zustände  versetzt  hat,  muss  völlig  beendet  sein.  Hornhautgeschwüre 
müssen  völlig  vernarbt,  Irisvorfälle  mit  einer  hinreichend  consistenten  Ex- 
sudatlage überkleidet  seiu.  Wenn  die  vordem  Ciliargefässe  sich  noch 
stark  injiciren,  oder  gar  einen  förmlichen  Saum  um  die  Cornea  bilden, 
sobald  man  das  Auge  etwas  genauer  besichtigt,  so  kann  man  sicher 
seiu,  dass  das  Auge  noch  nicht  zu  jenem  stationären  Zustande  zurück- 
gekehrt ist,  welcher  erfordert  wird,  wenn  dasselbe  den  operativen  Ein- 
griff ungestraft  vertragen  soll. 

Allgemeine  Regeln  für  die  Pupillenbildung. 

1.  Man  lege  die  Pupille  stets  so  nahe  am  Centrum  an,  als  es  die 
Verhältnisse  des  Auges  gestatten;  ganz  centrale  Pupillen  zu  bilden  ist 
jedoch  äusserst  selten  möglich. 

2.  Eine  künstliche  Pupille  nach  innen  (innen  und  unten,  innen 
und  oben)  angelegt,  leistet  dem  Operirten  ceteris  paribus  bessere  Dienste, 
als  eine  nach  aussen  anlegte;  nach  unten  gebildete  Pupillen  werden 
leicht  vom  untern,  nach  oben  gebildete  stets  vom  obern  Lide  bedeckt. 
We  die  Möglichkeit  der  Pupillenbilduug  bloss  nach  oben  gegeben  ist, 
durchschneide  man  8 — 14  Tage  vorher  den  Muse,  rectus  superior,  um 
das  Auge  bleibend  nach  unten  abzulenken.  Minder  gut  ist  es,  die 
Muskeldurchschneidung  nachträglich  vorzunehmen.  (Siehe  Krankheiten 
der  Augenmuskel.) 

3.  Man  hüte  sich,  die  künstliche  Pupille  zu  gross  zu  machen. 
AVie  diess  zu  vermeiden  sei,  wird  weiter  unten  (Iridectomie)  angegeben. 
Durch  zu  grosse  Pupillen  werden  die  Operirten  geblendet;  durch  klei- 
nere sehen  sie  ceteris  paribus  besser.  Pupillen  von  2"J  Durchmesser 
oder  gar  darüber  sind  im  Allgemeinen  schon  zu  gross. 


136  Regenbogenhaut. 

4.  Sind  beide  Augen  in  gleichem  Grade  zur  Pupillenbildung  ge- 
eignet, so  kann  man  die  Operation  auf  beiden  vornehmen,  jedoch  nur 
dann,  wenn  die  Pupillen  correspondirend  (central,  nach  innen,  oder  nach 
innen  und  unten)  angelegt  werden  können.  Käme  eine  Pupille  z.  B. 
nach  aussen,  die  andere  nach  innen,  so  würde  der  Operirte  höchst 
wahrscheinlich  doppelt  sehen. 

5.  Dass  die  Linse,  wenn  sie  noch  vorhanden  und  gesund  ist,  nicht 
verletzt,  und  dass  der  durchsichtige  Theil  der  Cornea  nicht  etwa  durch 
die  auf  den  Einstich  folgende  Narbe  zum  Nachtheile  der  Sehfunction 
verdunkelt  werden  solle,  versteht  sich  so  zu  sagen  von  selbst. 

Anforderungen  an  künstliche  Pupillen. 

Das  Resultat,  welches  in  einzelnen  Fällen  durch  eine  künstliche 
Pupille  erzielt  werden  kann,  ist  ausserordentlich  verschieden.  Es  hängt 
zunächst  davon  ab,  ob  die  Linse  noch  vorhanden  und  gesund  ist,  ob 
die  Pupille  mehr  central  als  peripherisch  angelegt  werden  kann,  und 
ob  die  Hornhaut  gegenüber  der  Stelle,  wohin  die  Pupille  kommt,  in 
genügend  grossem  Umfange  normal  ist.  Ich  habe  einem  Beamten  mit 
beiderseitiger  Pupillensperre  (nach  Iritis)  auf  jedem  Auge  nach  innen 
und  unten  eine  hanfkorngrosse  Pupille  angelegt;  er  kann  stundenlang 
in  seinem  Bureau  arbeiten,  aber  auch  das  Vergnügen  der  Jagd  gemes- 
sen. In  andern  Fällen  ist  man  froh,  so  viel  erlangt  zu  haben,  dass 
der  Operirte  die  gewöhnlichen  häuslichen  Geschäfte  verrichten,  minde- 
stens ohne  Führer  herum  gehen  kann. 

Methoden,    künstliche  Pupillen  zu  bilden. 

1 .    Iridotomie. 

Diese  besteht  darin,  dass  man  ein  Beersches  oder  Kosassches 
Staarmesser  an  der  Peripherie  der  Cornea  einsticht,  so  dass  der  Schnitt 
dem  Hornhautrande  parallel  verläuft,  und  sofort  mit  der  Spitze  des  In- 
strumentes die  Radialfasern  der  straff  gespannten  Iris  quer  (auf  1 — 1"* 
Länge)  durchschneidet. 

Sie  ist  offenbar  die  einfachste  Methode,  verletzt  das  Auge  am  we- 
nigsten, und  hat  überdiess  desshalb  einen  hohen  Werth,  weil  die  so 
gebildete  Pupille  so  viel  als  möglich  central  gelagert  wird  und  niemals 
übermässig  gross  ausfallen  kann. 

Sie  lässt  sich  jedoch  nur  in  zwei  Fällen  anwenden,  nämlich:  a) 
wenn  nach  vorausgegangener  Extraction  Pupillensperre  durch  Verzie- 
hung des  Pupillarrandes  zur  Hornhautnarbe  eingetreten  ist;  b)  wenn 
bei  noch  vorhandener  Linse  die  Iris  gegen  eine  seitlich  gelegene  Hörn- 


Pupilleiibildiing.  137 

hautnarbe  hingezogen  und  straff  angespannt  ist.  Im  ersteren  Falle 
kann  man  das  Messer  keck  durch  die  Iris  durchstossen,  weil  eben  die 
Linse  mangelt;  in  letzterem  muss  das  Messer,  nachdem  es  in  die  vor- 
dere Kammer  eingedrungen  ist,  behutsam  so  gewendet  werden,  das» 
es  wohl  die  Iris  durchdringt,  aber  die  Kapsel  dahinter  nicht  verletzt. 

Klafft  die  Wunde  nicht,  nachdem  man  das  Messer  zurückgezogen 
hat,  so  kann  man  die  Iridotomie  als  erstes  Moment  zur  Iridectomie  be- 
trachten, und  sofort  deren  zweites  Moment  vornehmen.  Der  Einstich 
in  die  Cornea  muss  desshalb  von  dem  Einstiche  in  die  Iris  1  —  l1^"' 
entfernt  sein. 

2.    Iridectomie. 

Diese  besteht  darin,  dass  man  durch  einen  2 — 3/;/  langen  Einstich 
am  Rande  der  Cornea  mit  einer  Pincette  (oder  mit  einem  Irishäkchen) 
in  die  vordere  Kammer  eingeht,  die  Iris  am  Pupillarrande  oder  nächst 
ihrer  Verwachsung  mit  der  Cornea  fasst,  hervorzieht,  und  ausserhalb 
der  Cornea  mit  einer  Scheere  abschneidet. 

Sie  kann,  wie  wir  zeigen  werden,  in  allen  Fällen  geübt  werden, 
welche  sich  überhaupt  zur  Pupillenbildung  eignen,  so  dass  die  dritte 
Methode,  die  Iridodialysis  (Iridectomedialysis)  gegenwärtig  ganz  ent- 
behrlich geworden  ist. 

Die  Stellung  des  Operateurs  und  des  Assistenten  zum  Kranken  sei 
dieselbe,  wie  bei  den  Staaroperationen  (siehe  Krankheiten  der  Linse). 
Angstliche  und  unruhige  Patienten  werden  durch  Chloroform  oder 
Schwefeläther  anästhesirt  und  im  Bette  liegend  operirt. 

Im  1.  Momente  fixirt  der  Gehilfe  das  obere,  der  Operateur  mit  der 
einen  Hand  das  untere  Lid.  Den  Einstich  macht  man  mit  einem  gera- 
den Lanzenmesser;  wenn  jedoch  der  Nasenrücken,  der  obere  oder  un- 
tere Augenhöhlenrand  hindernd  entgegen  tritt,  so  wählt  man  ein  Lan- 
zenmesser, dessen  schneidender  Theil  vom  Halse  unter  einem  Winkel 
von  30 — 40  Graden  (knieförmig)  abgebogen  ist.  Der  Einstich  wird  im 
Allgemeinen  am  Rande  der  Cornea  und  demselben  parallel  gemacht. 
Ist  jedoch  der  durchsichtige  Theil  der  Cornea  schmal,  wie  sehr  oft  bei 
ausgebreiteten  Hornhautnarben,  so  steche  man  im  Limbus  conjunctivae 
corneae  oder  selbst  noch  durch  den  vordersten  Theil  der  Sclera  ein, 
um  in  die  vordere  Kammer  zu  gelangen.  Ist  die  Hornhaut  in  grosser 
Ausdehnung  oder  durchaus  durchsichtig,  so  steche  man  im  Bereiche 
des  durchsichtigen  Theiles  ein.  Es  soll  nämlich  der  Einstichspunkt 
dem  Angriffspunkte  weder  zu  nahe  noch  zu  fern  liegen;  anderthalb 
Linien  kann  im  Allgemeinen  als  das  Mittel  der  Entfernung  bezeichnet 
werden.    Diese  Entfernung  bezieht  sich  auf  die  Stelle,  wo  das  Messer 


138  Regenbogenhaut. 

die  Descenietsche  Haut  durchdringt,  und  auf  die  Stelle,  wo  mau  die 
Iris  fasst.  —  Ist  der  Einstich  beendet,  und  das  Messer  zurückgezogen, 
so  lasse  man  den  Kranken  das  Auge  schliessen  und  einen  Augenblick 
ausruhen. 

Im  2.  Momente  fixirt  der  Gehilfe  das  obere  Lid  mit  der  einen, 
das  untere  mit  der  andern  Hand,  jedoch  so,  dass  er  den  Operateur 
nicht  hindert.  Diess  geschieht  am  sichersten,  wenn  er  das  obere  Lid 
mit  der  gleichnamigen  Hand  fixirt  (also  mit  der  rechten,  wenn  das 
rechte  Auge  operirt  wird)  und  die  andere  um  das  Kinn  des  Kranken 
so  herumschlägt,  däss  er  mit  dem  Zeigefinger  das  untere  Lid  er- 
reicht, die  übrigen  flach  an  das  Gesicht  anschmiegt.  —  Der  Operateur 
fasst  mit  der  einen  Hand  die  Pincette,  mit  der  andern  die  Scheere. 
Die  Pincette  sei  möglichst  fein,  mit  dünnen  Branchen,  an  der  einen 
mit  einem,  an  der  andern  mit  zwei*  feinen  Widerhäkchen  versehen, 
welche  genau  in  einander  greifen.  Bei  der  Pupillenbildung  nach  innen, 
nach  oben  oder  nach  unten  ist  es  nothwendig,  dass  die  Pincette  leicht 
gekrümmt  sei.  Die  Pincette  wird  mit  dem  Daumen  und  Zeigefinger 
gefasst,  und  die  Volarfläche  der  Hand  wird  dem  Gesichte  des  Kranken 
zugewendet,  um  die  Hand,  wo  nöthig,  mit  dem  Mittel-  oder  Kingfinger 
am  Gesichte  aufstützen  und  allen  Bewegungen  des  Bulbus  leicht  folgen 
zu  können.  Man  führt  die  Pincette  —  mit  der  Convexität  zum  Bulbus 
gewendet  —  geschlossen  durch  die  Wunde  bis  zu  der  Stelle,  wo  man 
die  Iris  fassen  will,  bei  freiem  Pupillarrande  bis  zum  Sphinkter,  und 
öffnet  sie.  Dieses  Offnen  reicht  in  der  Kegel  hin,  dass  sich  die  Iris 
dazwischen  hineinlegt;  wo  nicht,  so  drückt  man  sie  ein  wenig  an  die 
Iris  an,  und  schliesst  sie  alsogleich.  Sowie  man  auf  diese  Weise  die 
Iris  gefasst  hat,  zieht  man  sie  aus  der  Wunde  hervor  und  vom  Bulbus 
ab,  und  schneidet  sie  rasch  mit  der  Scheere  ab.  —  Die  gleichfalls 
möglichst  fein  gebaute  Scheere  sei  nach  der  Fläche  massig  gebogen. 
Man  nimmt  sie  so  in  die  Hand,  dass  die  Convexität  dem  Bulbus  zuge- 
wendet wird.  Am  leichtesten  und  sichersten  wird  man  sie  handhaben, 
wenn  man  in  das  eine  Ohr  den  Daumen,  in  das  andere  den  Eingfinger 
einlegt,  und  den  Zeigefinger  an  das  Schloss  stützt;  der  Mittelfinger 
bleibt  dann  disponibel,  sich  nöthigenmlls  an  die  Stirn  zu  stützen.  Die 
Scheere  muss  schon  beim  Eingehen  mit  der  Pincette  so  vor  dem  Auge 
in  Bereitschaft  gehalten  werden,  dass  man  die  Iris  sogleich,  wie  sie 
hervorgezogen  ist,  abschneiden  kann. 

Aus  diesem  Vorgänge  wird  ersichtlich,  warum  wir  oben  auf  die  Entfernung  des 
Einstichs-  vom  Angriffspunkte  Gewicht  legten.  Durchdringt  das  Messer  die  Descemetsche 
Haut  kurz  vor  dem  Punkte,   wo  man  die  Iris  fassen  muss,    so  kann  man,    wie   leicht  be- 


Pupillenbildiing.  139 

greiflich,  wenig  oder  gar  keine  Iris  fassen  und  hervorziehen.  Desshalh  ist  es  auch 
nöthig,  den  Einstich  in  die  Cornea  oder  Sclera  nahezu  senkrecht  (auf  die  tangirende 
Ebene)  zu  beginnen,  und  erst  dann,  wenn  die  Spitze  in  die  Kammer  eingedrungen  ist, 
der  Fläche  des  Messers  eine  zur  Iris  parallele  Richtung  zu  geben  (indem  man  das 
Heft  zum  Kopfe  des  Operirten  senkt,  und  die  Spitze  gegen  den  Angriffspunkt  vorschiebt). 
"Wird  dicss  nicht,  beobachtet,  so  kann  man  mit  dem  Messer  zu  lange  zwischen  den  Horn- 
hautfasern bleiben,  und  die  innere  Fläche  vielleicht  erst  da  verlassen,  wo  man  die  Iris 
fassen  will  und  muss.  Ist  andrerseits  die  Wunde  (von  der  Descemetschen  Haut  an  ge- 
rechnet) zwei  Linien  oder  gar  darüber  vom  Angriffspunkte  entfernt,  so  wird  man  in  der 
Kegel  zu  viel  Iris  aus  der  Wunde  herausgezogen  haben ,  ehe  man  zum  Abschneiden 
kommt.  Eine  zu  grosse,  und  namentlich  eine  zu  weit  gegen  den  Rand  hin  reichende  Pu- 
pille, und  somit  Blendung    des  Operirten    durch  das  Licht   ist  die    traurige  Folge  davon. 

—  Dieser  schlimme  Zufall  kann  dem  Operateur  auch  dann  begegnen,  wenn  der  Kranke  un- 
vermuthct  das  Auge  schnell  nach  derselben  oder  nach  der  entgegengesetzten  Seite  rollt.  Da- 
bei reisst  aber  dann  auch  die  Iris  leicht  vom  Ciliarbande  los.  Man  muss  auf  das  Verdrehen 
des  Auges  um  so  mehr  gefasst  sein,  weil  der  Operirte  in  der  Regel  lebhaften  Schmerz 
empfindet,  so  wie  man  die  Iris  mit  der  Pincette  fasst.  Dadurch,  dass  man  die  Pincette 
leicht  (auf  die  oben  beschriebene  Weise)  führt,  mit  ihr  den  Bewegungen  des  Bulbus  so- 
gleich folgt,  und  mit  der  Sc^eere  rasch  bei  der  Hand  ist,  kann  man  diesem  Unfälle  ent- 
gehen ;  bisweilen  aber  wird  es  nöthig ,  lieber  locker  zu  lassen ,  als  dass  man  sich  der 
Gefahr  aussetzt,  zu  viel  Iris  herauszuziehen.  Dies  wird  z.  B.  dann  der  Fall  sein,  wenn 
der  Kranke  in  dem  Momente,  wo  man  die  Iris  eben  herausgezogen  hat,  den  Bulbus  so 
stark  unter  das  obere  Lid  verdreht,  dass  man  mit  der  Scheere  nicht  zum  Abschneiden 
kommen  kann.  Man  unterbreche  die  Operation  auf  einen  Augenblick,  und  fasse  die  Iris 
neuerdings.  — Am  leichtesten  ist  die  Iridectomie  in  jenen  Fällen  auszuführen,  wo  die  Pupille 
bloss  verdeckt  ist.  Da  kann  man  bisweilen  dadurch,  dass  man  den  Einstich  2  —  3'"  lang 
macht,  und  das  Messer  unter  einer  leichten  Di-ehung  um  seine  Achse  rasch  herauszieht 
plötzlichen  Ausfluss  des  Kammerwassers  und  Vorfall  der  Irispartie,  die  man  eben  ausschnei- 
den will,  bewirken.  Ich  ziehe  es  jedoch  vor,  das  Kammerwasser  erst  beim  Eingehen  mit 
der  Pincette  völlig  austreten  zu  lassen,  weil  bei  plötzlicher  Entleerung  desselben  die 
Linse  momentau  vorwärts  rücken  muss,  und  dabei  die  Zonula  Zinii  oder  auch  die  vordere 
Kapsel  bersten,  mithin  Cataracta  nachfolgen  kann.  Ich  habe  das  einige  Male    beobachtet. 

—  Dadurch,  dass  man  die  auszuschneidende  Partie  der  Iris,  nämlich  den  Pupillarrand,  den 
Sphincter  iridis,  mit  der  Pincette  hervorholt,  sichert  man  sich  auch  viel  leichter  vor  der 
Bildung  einer  doppelten  Pupille.  Wo  nämlich  noch  Pupille  besteht,  da  soll  diese  nur  er- 
weitert werden,  was  offenbar  nur  durch  Trennung  der  Ringfasern  geschehen  kann.  Es 
ist  also  nicht  gleichgiltig ,  an  ivelcher  Stelle  man  die  Iris  fasst,  welche  Partie  man  aus- 
schneidet. Wäre  es  trotz  aller  Vorsicht  geschehen,  dass  zwischen  der  natürlichen  und 
zwischen  der  künstlichen  Pupille  eine  Brücke  übrig  geblieben  wäre,  d.  h.  dass  man  bloss 
aus  der  Mitte  (aus  dem  grossen  Kreise)  der  Iris  ein  Stück  ausgeschnitten  hätte,  und  dess- 
halb  die  neue  Pupille  nicht  gehörig  klaffte ,  so  müsste  man  mit  einem  stumpfspitzigen 
Irishäkchen  eingehen,  und  jene  Brücke  hervorholen  oder  zerreissen. 

Bei  Anwachsung  des  Pupillarrandes  an  die  Cornea  kann  man ,  wenn  man  besorgt, 
die  Iris  werde  sich  nicht  leicht  abreissen  lassen,  dieselbe  mit  der  Spitze  des  Messers 
knapp  an  der  Cornea  einstechen,  so  wie  wenn  man  die  Iridotomie  machen  wollte. 

Bei  einfacher  Pupillensperre  fasse  man  die  Iris  nächst  dem  Pupillarrande  mit  der 
Pincette,  und  ziehe  sie  gegen  die  Wunde  hin  an.     Da  die  Partie,  welche  man  fasst,  nur 


140  Regenbogenhaut. 

sehr  klein  ist,  so  reisst  sie  leicht  von  dem  Exsudate  los,  oder  es  folgt  selbst  die  Exsudat- 
membran dem  Zuge. 

Bei  Cataracta  accreta  muss  die  Iridectomie  mit  der  Extraction  der  verdunkelten  Kapsel 
oder  Linse  vereinigt,  oder  vielmehr,  sie  muss  gleichsam  als  Voract  der  Extraction  vorgenommen 
■werden.  "Wir  werden  daher  den  Vorgang  hierbei  erst  bei  den  Staaroperationen  beschreiben. 

Ich  ziehe  den  Gebrauch  einer  feinen  (Blömerschen)  Pincette  dem  des  Irishäk- 
chens bei  dieser  Operationsmethode  vor,  desshalb,  weil  man  sich  mit  der  Pincette  nie  der 
Gefahr  aussetzt,  die  Linsenkapsel  zu  verletzen,  weil  die  Pincette  sicherer  fasst  und  das 
Gefasste  nicht  mehr  auslässt,  während  das  Häkchen  bisweilen  durchreisst,  und  weil  über- 
diess  die  Pincette  viel  leichter  zu  handhaben  ist,  als  das  Häkchen,  wie  wir  bei  der  Be- 
trachtung der  Iridodialysis  sehen  werden,  bei  welcher  die  Pincette  nicht  wohl  angewen- 
det werden  kann. 

Seit  ich  weiss,  dass  man  bequem  noch  im  Bereiche  der  Sclera  einstechen  kann, 
um  in  die  vordere  Augenkammer  zu  gelangen,  und  dass  man  die  Iris,  wenn  sie  mit  der 
Cornea  verwachsen  ist,  mit  der  Spitze  des  Messers  von  derselben  lostrennen  kann,  übe 
ich  nur  die  Iridectomie,  und  bin  überzeugt,  dass  man  sie  in  allen  Fällen  verrichten  kann, 
wo  überhaupt  die  Bedingungen  zur  Pupillenbildung  vorhanden  sind.  Ich  lasse  daher  die 
Beschreibung  der  Iridodialysis  (Iridectomedialysis)  nur  desshalb  folgen,  damit  der  Leser 
sich  um  so  leichter  die  Vorzüge  der  Iridectomie  vergegenwärtigen  könne. 

3.    Iridodialysis  (Irideetomedialysis). 

1.  Moment.  Der  Einstich  in  die  Hornhaut  wird  im  mittlem  Theile 
derselben  gemacht,  V(z — 1llt  vom  Bande  entfernt  imd  demselben  par- 
allel. Soll  z.  B.  die  künstliche  Pupille  an  dem  linken  Auge  nach 
innen  angelegt  werden,  so  nimmt  der  Operateur  das  gerade  lanzenför- 
mige  Messer  in  die  rechte  Hand,  und  setzt  es  so  an  die  Cornea,  dass 
die  eine  Schneide  nach  oben,  die  andere  nach  unten,  die  Spitze  nahe- 
zu senkrecht  auf  die  tangirende  Ebene  des  Einstichspunktes  gerichtet 
ist.  So  wie  man  mit  der  Spitze  in  die  vordere  Kammer  eingedrungen 
ist,  was  man  sogleich  an  dem  Gefühle  des  aufgehobenen  Widerstandes 
erkennt,  wendet  man  das  Heft  des  Messers  gegen  die  Schläfe,  damit 
die  Spitze  zwischen  der  Iris  und  Cornea  gegen  das  Ligamentum  ciliare 
hin  vorgeschoben  werden  könne.  Ist  bei  diesem  Vordringen  die  Wunde 
(an  der  Descemetschen  Haut  gemessen)  1 — l1^'"  lang  geworden,  so 
zieht  man  das  Messer  einfach  zurück;  kann  man  aber  wegen  Mangel 
an  Kaum  die  Spitze  nicht  so  weit  vorschieben,  um  der  Hornhautwunde 
die  genannte  Länge  zu  geben,  so  vergrössere  man  dieselbe  dadurch, 
dass  man  beim  Herausgehen  das  Heft  des  Instrumentes  rasch  (gleich- 
sam schnellend)  nach  oben  bewegt,  wodurch  die  Wunde  nach  unten  er- 
weitert wird.  Diese  Bewegung  des  Messers  wird  dadurch  erzielt,  dass 
man  die  Beuger  der  drei  Finger,  welche  das  Messer  halten,  schnell 
contrahirt,  mithin  die  Schneide  des  Messers  gleichsam  gegen  die  Hohl- 
hand her  anzieht.     Auf   diese  Weise  wird  die  Wunde  an  der  Desce- 


Pupilleubildung.  141 

inetschen  Haut  niiudesteiis  eben  so  gross,  als  an  der  Vorderfläche  der 
Hornhaut.  Damit  der  Einstich  wenigstens  l1/?"  vom  Limbus  conjun- 
ctivae entfernt  sei,  wird  man  in  Fällen,  wo  die  Hornhauttrübung  so 
nahe  an  den  Hornhautrand  hinreicht,  am  Rande  oder  noch  im  Bereiche 
der  Trübung  einstechen  müssen,  sonst  könnte  leicht  der  durchsichtige 
Streifen  der  Hornhaut  durch  die  nachfolgende  Narbe  und  deren  trüben 
Hof  noch  schmäler  werden. 

2.  Moment.  Während  der  Gehilfe  mit  der  linken  Hand  das  obere, 
mit  der  rechten  das  untere  Lid  fixirt  —  wenn  wir  bei  dem  obgewähl- 
teu  Falle  bleiben  —  hält  der  Operateur  mit  der  linken  Hand  die 
Scheere  horizontal  über  den  Nasenrücken  her  vor  dem  Auge  in  Bereit- 
schaft, und  geht  mit  dem  Irishäkchen  auf  dieselbe  Weise  ein,  wie 
früher  mit  dem  Messer.  Die  Spitze  des  Häkchens  wird  dabei  nach 
unten,  der  Kücken  nach  oben  gehalten.  Um  nicht  zwischen  die  Faser- 
lagen der  Hornhaut  zu  kommen,  führt  man  das  Häkchen  ziemlich  senk- 
recht in  die  Wunde,  und  wendet  erst,  nachdem  man  in  die  Augen- 
kammer eingedrungen  ist,  das  Heft  so  weit  gegen  die  Schläfe,  dass 
das  Häkchen  an  der  hintern  Wand  der  Cornea  zwischen  dieser  und 
der  Iris  vorgeschoben  werden  kann,  bis  sich  seine  Krümmung  hinter 
dem  Scleralfalze  verbirgt.  Sofort  wird  das  Instrument  einen  Viertel- 
kreis um  seine  Achse  gedreht,  vom  Zeigefinger  gegen  den  Daumen,  so 
dass  die  Spitze  des  Häkchens  rückwärts  zu  stehen  kommt;  in  dem- 
selben Momente  wird  das  Heft  leicht  gehoben,  so  dass  die  Spitze  des 
Häkchens  sich  in  die  Iris  einsenkt.  So  wie  diess"  geschehen,  wird 
das  Instrument  in  die  frühere  Lage  zurückgedreht,  also  die  Spitze 
wieder  nach  unten  gerichtet,  zugleich  aber  gegen  die  Wunde  her  an- 
gezogen. So  wie  man  sieht,  dass  die  Iris  dem  Zuge  folgt,  wird  das 
Heft  des  Instrumentes  nicht  nur  von  der  Wunde  abgezogen,  sondern 
auch  zugleich  etwas  gegen  die  Schläfe  gedrückt,  so  dass  also  der  ge- 
krümmte Theil  desselben,  das  eigentliche  Häkchen,  continuirlich  an  die 
Cornea  angedrückt,  der  Wunde  sich  nähert.  Durch  dieses  Andrücken 
der  Convexität  des  Häkchens  an  die  Descemetsche  Haut,  während  die 
Spitze,  an  der  die  Iris  haftet,  nach  unten  gerichtet,  und  der  Rücken 
dem  obern  Wimdwinkel  mehr  genähert  ist,  bewirkt  man  zunächst  das, 
dass  die  Wunde  klafft,  dann,  dass  die  Spitze  sich  weder  in  dem  untern 
Wundwinkel  noch  in  der  hintern  Wundlefze  fangen  kann,  endlich  das, 
dass  die  hervorgezogene  Partie  der  Iris  sogleich  derart  von  der 
Cornea  abgelenkt  wird,  dass  man  die  Scheere  bequem  zwischen  dieser 
und  dem  Häkchen  anlegen  kann,  ohne  den  continuirlichen  Zug  zu 
unterbrechen. 


142  Regenbogenhaut. 

Die  richtige  Handhabung  des  Irishäkchens  gehört  offenbar  unter  die  schwierig- 
sten Acte  der  Augenoperationen  überhaupt.  "Wer  die  eben  beschriebene  Führung  des- 
selben nicht  genau  beobachtet,  bleibt  damit  leicht  in  der  Cornea  hängen.  So  wie  man 
merkt,  dass  sich  das  Häkchen  gefangen  hat,  mache  man  mit  demselben  eine  kurze 
rückgängige  Bewegung,  gebe  ihm  die  oben  beschriebene  Richtung,  und  führe  es  sofort 
nach  der  angegebenen  Weise  heraus.  Käme  man  in  Gefahr,  eher  mit  dem  Häkchen  die 
Iris  oder  Cornea  zu  durchreissen  oder  gar  das  Häkchen  abzubrechen,  als  dass  man  die 
Iris  herausbrächte,  so  wende  man  das  Heft  nach  unten  und  innen,  so  dass  also  der 
Rücken  und  die  Convexität  des  Häkchens  der  Wunde  zugewendet  werden,  und  die  Spitze 
beim  Herausführen  aus  der  Wunde  der  letzte  Theil  ist. 

Durch  die  Iridodialysis  kann  man  jederzeit  nur  eine  dreieckige  Pupille  erhalten; 
die  Basis  bildet  das  Ciliarband,  von  welchem  man  die  Iris  ablöst,  die  Spitze  entspricht 
dem  Einstiche  in  die  Hornhaut.  Solche  Randpupillen  können  schon  desshalb  keinen 
grossen  Nutzen  gewähren,  weil  die  Strahlenbrechung  sehr  gestört  wird.  Ein  grosser 
Theil  der  Lichtstrahlen,  welche  zur  Öffnung  in  der  Iris  gelangen,  ist  durch  Beugung  beim 
Vorbeigehen  am  Limbus  conjunctivae  mehr  weniger  von  dem  Achsenstrahle  abgelenkt, 
und  trifft,  wenn  nicht  auf  die  Ciliarfortsätze,  so  doch  auf  die  Zonula  Zinnii  und  den  äusser- 
sten  Rand  der  Linse.  Man  betrachte  nur  die  dem  I.  Bande  beigegebenen  Durchschnitte, 
oder  noch  besser,  man  mache  sich  selbst  nach  der  dort  angegebenen  Weise  solche 
Durchschnitte  von  frischen  Augen,  und  man  wird  sich  bei  Anwendung  der  bekannten 
Gesetze  der  Optik  leicht  überzeugen,  dass  bei  solchen  Pupillen  bedeutende  Zerstreuungs- 
kreise auf  der  Netzhaut  entstehen  müssen.  —  Nach  der  Iridodialysis  erfolgt  Blutaustritt 
häufiger  und  stärker ,  als  nach  der  Iridectomie.  Wird  die  Spitze  des  Häkchens  nicht 
bald  nach  dem  Einhaken  abwärts  gewendet,  so  kann  man  leicht  die  Linsenkapsel  ver- 
letzen. Wird  das  Häkchen  nicht  bis  zur  Vereinigungsstelle  der  Iris  mit  dem  Ciliar- 
bande  vorgeschoben,  oder  ist  die  Iris  an  der  äussersten  Peripherie  mit  der  Cornea  ver- 
klebt (vergleiche  Iritis  S.  46),  so  folgt  die  Iris  dem  Zuge  des  Häkchens  nicht.  Es  ist 
mir  auch  begegnet,  dass  ich  gleichsam  nur  das  vordere  Blatt  der  Iris  abgelöst  und  her- 
ausgezogen hatte ,  die  scheinbar  gelungene  Pupille  noch  durch  eine  Pigmentlage  ver- 
deckt war. 

Verband,  Nachbehandlimg. 

So  wie  die  Iris  gehörig  eingestochen  oder  ein  Stückchen  derselben 
abgeschnitten  ist,  lasse  man  das  Auge  ein  Weilchen  schliessen,  und 
sehe  dann,  ob  man  seinen  Zweck  erreicht  habe,  und  was  allenfalls  zur 
Erreichung  desselben  noch  nothwendig  und  zulässig  sei. 

Blutaustritt  in  der  vordem  Kammer  macht  leider  die  Beurtheilung 
bisweilen  unmöglich.  Steht  die  Blutung  bald  still,  so  kann  man  sich 
die  nöthige  Einsicht  dadurch  verschaffen,  dass  man  das  Blut  austreten 
macht,  indem  man  mittelst  des  Lides  leicht  auf  die  Cornea  gegen  die 
Wunde  hin  drückt,  oder  diese  mit  dem  Davielschen  Löffel  lüftet.  Hart- 
näckige Blutung  tritt  in  der  Regel  nur  da  ein,  wo  das  Gewebe  der 
Iris  durch  Entzündung  sehr  verändert  und  der  Rückfluss  des  Blutes 
durch  die  Gefässe  der  Chorioidea  (wegen  vorausgegangener  Chorioiditis) 
mehr  weniger  beeinträchtigt  ist.     In  solchen  Fällen  sieht  man  das  Hy- 


Piipillenbilfluiig.  1 43 

poaema  wochenlang  nach  der  Operation  fortbestehen  oder  von  Zeit  zu 
Zeit  wiederkehren,  und  die  Pupille  wird,  auch  wenn  sie  gross  war, 
wieder  verschlossen.  Kalte  Umschläge,  das  einzige  Mittel,  das  wir 
solcher  Blutung  entgegensetzen  können,  sind  in  derlei  Fällen  leider 
auch  oft  erfolglos. 

Findet  man,  dass  Reste  der  hervorgezogenen  Iris  in  der  Wunde 
eingeklemmt  sind,  so  kann  man  sie  dort  belassen;  es  wird  indess  im 
Allgemeinen  besser  sein,  sie  mit  dem  Spatel  des  Davielschen  Löffels 
zurückzuschieben,  damit  die  Wunde  schneller  und  sicherer  ohne  stärkere 
Reaction  verheile.  Nach  der  Iridodialysis  jedoch  lasse  man,  falls  die 
Pupille  nicht  sehr  gross  ist,  die  Iris  lieber  in  der  Wunde  eingeklemmt, 
weil  sie,  wenn  nicht  ein  hinreichend  grosser  Theil  ausgeschnitten  ist, 
sich  sonst  gern  wieder  in  die  frühere  Lage  zurückzieht. 

Ist  kein  Blut  ausgetreten,  so  prüfe  man  zur  eignen  und  zu  des 
Operirten  Beruhigung  den  Erfolg  durch  einige  nicht  anstrengende  Seh- 
versuche.  Der  Lichtreiz  wirkt  überdiess  in  jenen  Fällen,  wo  der 
Sphinkter  getrennt  wurde,  erweiternd  auf  die  neue  Öffnung,  also 
günstig  ein. 

Die  Augen  werden  durch  englische  Heftpflaster  geschlossen  und 
mit  einer  leichten  Compresse  bedeckt  (siehe  Staaroperation) ;  der  Kranke 
soll  einige  Stunden  ruhig  liegen,  damit  sich  die  Wunde  früher  schliesse, 
das  Zimmer  werde  massig  (weniger  als  nach  Staaroperationen)  ver- 
dunkelt, die  Diät  werde  durch  einige  Tage  etwa  auf  ein  Drittel  der 
vollen  Portion  herabgesetzt.  Treten  die  Zeichen  excessiver  Reaction 
ein,  so  benehme  man  sich  so,  wie  wir  später  bei  den  Staaroperationen 
augeben  werden.  Nach  4S— 60  Stunden  kann  man  ohne  Anstand  den 
Verband  entfernen ,  und  das  Auge  bloss  durch  einen  Schirm  schützen. 
Entzündung  tritt  übrigens  nach  den  eben  beschriebenen  Methoden  der 
Pupillenbildung  auffallend  selten  ein,  und  man  kann  die  Kranken  mei- 
stens schon  nach  6 — 8  Tagen  in's  Freie  lassen. 

Geschichtliche  Bemerkungen. 

a.  Die  erste  Idee  zur  Bildung  einer  künstlichen  Pupille  gab  Thomas  Woolhouset 
Augenarzt  des  Königs  Jakob  II.  von  England.  Sein  Schüler  Cheselden  veröffentlichte  im 
Jahre  172S  die  Operationsgeschichten  von  zwei  Fällen,  bei  denen  in  Folge  von  Depres- 
sio  cataractae  Pupillensperre  eingetreten  war.  Er  setzte  ein  schmales  (gegen  \'"  breites) 
einschneidiges  Messerchen  an  der  Schläfeseite  des  Bulbus  etwa  1  Va'"  hinter  der  Cornea 
an  die  Sclera  an  (die  Schneide  rückwärts  gerichtet!,  drang  damit  durch  die  Sclera  und 
durch  die  Iris  in  die  vordere  Augenkammer,  führte  die  Spitze  bis  zum  Nasenrande  der 
Iris  und  schnitt  diese  beim  Zurückziehen  des  Messers  horizontal  von  innen  nach  aussen 
ein,  in  dem  einen  Falle  etwas  oberhalb,  in  dem  andern  unterhalb  der  gesperrten  Pupille,. 
—  Wenn    seine  Nachfolger  häufig   keinen  Erfolg  erzielten,    so  kam  diess    wohl    meistens 


144  Regenbogenhaut. 

daher,  dass  sie  diese  Methode  unter  Verhältnissen  anwendeten,  für  welche  sie  nicht 
passte.  In  Cheseldens  Fällen  war  nämlich  die  Linse  beseitigt,  die  Iris  wahrscheinlich 
in  ihrer  Structur  wenig  verändert  und  ziemlich  straff  gespannt,  und  der  Schnitt  wurde 
quer  durch  die  Kadialfasern  geführt,  die  Wunde  konnte  also  hinreichend  klaffen, 
und  es  war  weder  Verletzung  der  Linse  noch  excessive  Reaction  (Entzündung)  zu 
fürchten.  —  Die  häufigen  Nichterfolge  führten  zunächst  dazu,  dass  Einige  (zuerst 
Heuermann  1756)  das  schneidende  Instrument  durch  die  Cornea  einführten.  Beer  (1805) 
stiess  ein  lanzettförmiges  Messerchen  in  einem  Momente  schräg  durch  die  Cornea  und 
Iris,  und  schnitt  (bei  Pupillensperre)  die  gespannten  Fasern  der  Iris  quer  durch,  oder 
löste  sie  (bei  vorderer  Synechie)  von  der  Cornea  ab.  Er  übte  also  die  Iridotomie  im 
"Wesentlichen  auf  dieselbe  Weise  und  unter  denselben  Verhältnissen,  wie  wir  sie  oben 
angegeben  haben. 

Am  meisten  Anklang,  weil  in  einer  viel  grossem  Zahl  von  Fällen  anwend- 
bar, fand  die  Methode  von  Maunoir,  welche  bereits  durch  das  Verfahren  von  Gu€rin 
(1769)  und  von  Janin  ( L772)  vorbereitet  war.  Guerin  hatte  nämlich  der  Hornhaut  in 
ihrer  untern  Gegend  einen  Lappenschnitt  beigebracht,  durch  die  Wunde  ein  kleines 
Messer  eingeführt,  und  mittelst  eines  Kreuzschnittes  in  der  Iris  eine  ziemlich  runde  Pu- 
pille erhalten.  Janin  hatte  nach  gleicher  Eröffnung  der  Cornea  statt  des  Messers  eine 
krumme  Scheere  gebraucht,  sie  an  der  Peripherie  durch  die  Iris  durchgestossen,  und  die 
Eadialfasern  (von  unten  nach  oben)  quer  durchschnitten.  Maunoir  (1812)  öffnete  die 
Cornea  am  Rande  wie  zur  Extractio  cataractae,  jedoch  nur  auf  1/i  —  Vä  ihres  Umfanges, 
und  zwar  nach  aussen,  wenn  die  Pupille  nach  innen  angelegt  worden  sollte,  und  führte 
durch  diese  Öffnung  eine  eigene,  knieförmig  gebogene  Scheere  geschlossen  ein.  War 
die  Pupille  bloss  verdeckt,  oder  verzogen  und  verdeckt,  so  nahm  er  eine  an  beiden 
Spitzen  mit  einem  Knöpfchen  versehene  Scheere,  führte  den  einen  Arm  durch  die  Pupille 
hinter,  den  andern  vor  der  Iris  bis  zum  Ciliarrande,  und  durchschnitt  die  Iris  vom  Pu- 
pillarrande  gegen  den  Ciliarrand  hin.  In  den  übrigen  Fällen  bediente  er  sich  einer 
Scheere,  deren  unteres  Blatt  spitzig,  deren  oberes  geknöpft  war.  Bei  Pupillensperre  in 
Folge  von  Staaroperationen  wurde  das  spitzige  Blatt  mitten  durch  die  Iris  gestossen, 
und  hinter  dieser  fortgeführt,  bis  das  geknöpfte  Blatt  den  Ciliarrand  erreicht  hatte ;  durch 
Schliessung  der  Scheere  wurde  die  Iris  durchschnitten,  dann  die  Scheere  so  gewendet,  dass 
ihr  auf  gleiche  Weise  ein  zweiter  Schnitt  beigebracht  werden  konnte,  welcher  mit  dem  ersten 
ein  V  bildete,  dessen  Basis  gegen  den  Ciliarrand  gerichtet  war.  Die  Pupille  entstand  dadurch, 
dass  der  V-förmige  Lappen  sich  allmälig  gegen  die  Basis  zurückzog.  Bei  Pupillensperre 
mit  Verdunklung  der  Kapsel  oder  Linse  wurde  das  spitzige  Blatt  nicht  bloss  durch  die 
Iris,  sondern  auch  durch  die  Kapsel  und  Linse  gestossen,  und  durch  einen  zweiten  glei- 
chen Schnitt  eine  V-förmige  Öffnung  in  der  Iris  gebildet,  durch  welche  dann  die  zer- 
stückelte Linse  aus  dem  Auge  theils  mittelst  Druck ,  theils  mittelst  eines  Davielschen 
Löffels  oder  mittelst  einer  gefensterten  Pincette  entfernt  wurde.  —  Die  Schattenseiten 
dieser  Methode  sind:  die  Grösse  der  Hornhautwunde,  wenn  man  die  Scheere  ohne 
Quetschung  derselben  handhaben  will,  die  grosse  Gefahr,  die  Linse  zu  verletzen,  auch 
wenn  man  sie  schonen  will,  die  Schwierigkeiten,  die  verdunkelte  Linse  vollständig  zu 
extrahiren ,  und  die  Unmöglichkeit  der  Pupillenbildung  da ,  wo  nur  ein  kleiner  Theil 
durchsichtiger  Hornhaut  und  vorderer  Kammer  vorhanden  ist. 

b.  Der  Erfindung  der  Iridotomie  folgte  zunächst  die  der  Iridectomie  durch  Wenzel 
(1780).  Dieser  eröffnete  bei  Atresia  pupillae  (einfach,  mit  Verdunklung  der  Linse,  nach 
vorausgegangener  Extraction)  die  Cornea  wie  zur  Extraetion;    indem   er  jedoch,   mit  der 


Pupiüenbilduiig.  145 

Spitze  seines  Staarniessers  in  der  vordem  Kammer  angelangt,  dieselbe  etwa  ]/z'"  vor  der 
Mitte  der  Iris    durch  diese    in    die    hintere  Augenkammer    senkte,    und    sie    dann    wieder 
durch  die  Iris  in   die  vordere  Kammer    und    in   die  Hornhaut    führte,    brachte    er    durch 
Fortsehieben   des   Messers   sowohl   der   Iris    als   der   Hornhaut   einen   Lappenschnitt   bei. 
Durch  die  Hornhautwimde    ging  er  mit  einer  Davielschen  Scheere  so  ein,    dass    er  damit 
den  Irislappen  abschneiden  konnte.     Durch  die  auf  diese  Weise  gebildete  Pupille  konnte 
nöthigenfalls  die  Linse  entfernt   werden.     Einen  wesentlichen  Nachtheil    dieser  Methode, 
die  Verletzung   der  Linse    in  Fällen    einfacher  Pupillensperre,    beseitigte  Sabatier  (1805) 
dadurch,    dass    er  mit  seinem  Staarmesser   bloss    die  Cornea   (in  ihrem  untern  Umfange) 
durchschnitt,    den  Hornhautlappen  mit  einem  Davielschen  Löffel  emporhob,    die   mittlere 
Partie  der  Iris  mit  einer  Pincette  anzog,  und  mit  einer  Scheere  abschnitt.    Das  Verfahren 
von   Wenzel  sowohl   als   das  von  Sabatier  genügt   allen  Anforderungen   bei  Cataracta  ac- 
creta.     Es  erscheint  aber  eine  so  bedeutende  Hornhautwunde   auch  nur  da  gerechtfertigt, 
wo  sich's  darum  handelt,    die   verdunkelte  Linse    durch    dieselbe   zu   entfernen.      Für   die 
übrigen  Fälle  der  Pupillenbildung  hat  Beer  (179B)    ein   so   zweckmässiges  Verfahren    an- 
gegeben, dass  nur  wenig  mehr  daran   zu  verbessern  übrig  blieb.      Er    brachte    der  Horn- 
haut (möglichst  nahe  am  Rande,    um  Beeinträchtigung  des  durchsichtigen  Theiles  dersel- 
ben zu  verhüten)  einen  mindestens   V"  langen  Einstich  bei,  zog  die  Iris,  wenn  sie  nicht 
von  selbst  durch  die  Wunde  vorfiel,    mit  seinem  Staarhaken    (etwas  grösser  als    die   jetzt 
gebräuchlichen  Irishäkchen)    oder  mit  einer   feinen  Pincette  aus  der  Wunde   hervor,    und 
schnitt   sie   mit  einer  Scheere    ab.      Bei    einfacher  Verdeckung    der   Pupille    rechnet  Beer 
auf  spontanen  Vorfall   der  Iris   mit   dem  Ausflüsse   des   Kammerwassers ;    bei  Verdeckung 
und  theilweiser  vorderer  Synechie  führt  er  gleich  nach  dem  Hornhautschnitte  „den  kleinen 
Staarhaken  auf  solche  Art  zwischen    die  Regenbogenhaut   und  Hornhaut   ein,    dass   seine 
Spitze  weder  gegen  die  Cornea  noch  gegen  die  Iris  gerichtet  ist,  sucht  durch  eine  schiefe 
Richtung  des  Hakens  den  Pupillarrand  der  Iris  zu  fassen,    und    schneidet   den    auf  diese 
Art    gefassten   und   sofort   hervorgezogenen    Theil    sogleich    mit    der  Davielschen    Scheere 
üb :  er  schneidet  somit  nur  die  normale  Pupille  so  weit  aus,  dass  sich  ihre  Grenzen  jetzt 
weiter  hinter  den  durchsichtigen  Theil    der  Hornhaut   gegen    ihren  Rand   hin  erstrecken, 
wodurch    folglich   auch    das    Gesicht    in    vorzüglichem    Grade    wieder    hergestellt    werden 
muss.  weil  durch  eine  so  gestaltete  Pupille  die  Lichtstrahlen  weniger  auf  den  Rand,  son- 
dern mehr  auf  den  mittlem  Theil  der  Krystalllinse  fallen."     „Ist  die  Regenbogenhaut  auch 
an  der  Stelle,    wo  die  künstliche  Pupille  angelegt  werden  muss,    mit  ihrem  Pupillarrande 
an  die  Hornhaut  geklebt,    dann   muss  man  sie  mittelst  des  eingebrachten  Hakens,    oder, 
wenn  dieser  etwa  immer  ausreisst,    mit   einer  feingespitzten  gezähnten  Pincette  in  ihrem 
grossen  Kreise  fest  anfassen,    zwischen  die  Wundlippen  herausziehen,    und  die  Spitze  des 
dadurch  gebildeten  Kegels  noch  etwas  inner  der  Wundlippen  abschneiden,    weil   man  bei 
stärkerem  Hervorziehen  die  Iris  auf  eine  für  den  Erfolg  der  Operation  nachtheilige  Weise 
2erreissen  würde.  Die  normal  beschaffene  Linsenkapsel  und  Linse  kann  in  allen  diesen  Fällen 
durchaus  nicht  verletzt  werden,    wenn  sich  der  Kranke   nur  halbwegs  vernünftig  beträgt." 
—  Als  eine  wesentliche  Verbesserung    der  Beerschen  Methode    ist  Benedicts  (1810J  Rath 
anzusehen,  dass  man,  wenn  nur  ein  schmaler  Streifen  durchsichtiger  Hornhaut  vorhanden 
ist.    durch  den  hervorspringenden  Rand    der  Sclera  einstechen  solle,    um  jede  Beeinträch- 
tigung der  Durchsichtigkeit  zu  verhüten.    Dadurch,  dass  man  das  Messer  durch  die  Sclera 
in  die  vordere  Kammer  führt,  kann  man  nun  eben  so  gut  und  noch  besser  Marginalpupillen 
erhalten,  als  durch  die  Iridodialysis.     Um  die  Iridectomie  auch   an    der  Nasenseite  leicht 
üben  zu  können,  hat  ./.  N.  Fischer   zuerst  ein  gekrümmtes  Lanzenmesser    und  eine  kurze 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  10 


146  Regenbogenhaut. 

gekrümmte  Pincette  angewendet,  weil  man  mit  geraden  und  langen  Instrumenten  häufig 
durch  die  Höhe  des  Nasenrückens  im  Einstiche  sowohl  als  im  Fassen  und  Hervorziehen 
der  Iris  gehindert  wird.  Ein  (auf  obige  Art)  kniefürmig  gebogenes  Lanzenmesser  habe 
ich  zuerst  von  Dr.   Gulz  aus  "Wien  erhalten. 

c.  Die  Unmöglichkeit,  die  Wenzelsche  Iridectomie  und  ihre  Varianten  allgemein 
anzuwenden ,  und  die  Beobachtung  spontaner  Pupillenbildung  durch  Ablösung  der  Iris- 
vom  Strahlenbande  führten  zwei  ausgezeichnete  Augenärzte  zu  Anfang  des  jetzigen  Jahr- 
hunderts, Adam  Schmidt  in  Wien  und  Anton  Scarpa  in  Pavia,  auf  die  Idee  der  Irido- 
dialysis.  Schmidt  eröffnete  zuerst  die  Hornhaut  und  löste  die  Iris  mit  einer  Pincette  vom 
Ciliarbande  ab ;  später  aber  operirte  er  so  wie  Scarpa,  nur  bediente  er  sich  einer  minder 
stark  gekrümmten  Nadel.  Scarpa  führte  die  Nadel  durch  die  Sclerotica  so  wie  bei  der 
Depressio  cataractae  zwischen  der  Iris  und  Linse  bis  zur  Nasenseite  der  Iris  vor,  stach 
dann  die  Spitze  der  Nadel  durch  die  Iris  in  die  vordere  Kammer,  und  löste  durch  hebel- 
artige Bewegungen  des  Instrumentes  die  Iris  vom  Ciliarbande  los.  Himly  und  Beer 
änderten  dieses  Verfahren  zunächst  dahin  ab,  dass  sie  die  Nadel  gleich  nach  dem  Ein- 
stiche in  die  Sclerotica  durch  die  Iris  in  die  vordere  Kammer  und  durch  diese  gegen  den 
Nasenrand  der  Iris  hin  führten;  später  senkten  sie  die  Nadel  sogleich  durch  die  Cornea 
ein,  um  in  die  vordere  Kammer  zu  gelangen.  Alle  diese  Encheiresen  waren  nicht  nur 
sehr  verletzend  für  das  Auge,  sondern  auch  höchst  unsicher  in  Bezug  auf  das  Offenbleiben 
der  Pupille.  Die  Iris  legte  sich  oft  wieder  an  das  Ciliarband  an.  Diess  zu  vermeiden, 
machte  Langenbeck  (1S15)  einen  Einstich  in  die  Cornea  mit  einem  Staarmesser,  3'"  vom 
Angriffspunkte  entfernt,  ging  mit  einem  feinen  Häkchen  ein,  um  die  Iris  vom  Ciliarbande 
abzulösen,  in  die  Hornhautwunde  hineinzuziehen  und  daselbst  durch  Einklemmung  zwischen 
den  Wundlefzen  zu  fixiren  (Iridoencleisis).  Assalini  (1818),  welcher  die  Iris  mit  einem 
eigenen  zangenartigen  Instrumente  vom  Ciliarbande  loslöste,  schnitt  die  aus  der  Horn- 
hautwunde hervorgezogene  Partie  der  Iris  mit  einer  Davielschen  Scheere  ab  (Iridectome- 
dialysis).  Rosas  (1830)  bediente  sich  zur  Eröffnung  der  Hornhaut  eines  lanzenförmigen 
oder  Staarmessers,  zur  Ablösung  und  Hervorziehung  der  Iris  des  Langenbeckschen  Häk- 
chens ,  und  zum  Abschneiden  einer  Davielschen  oder  kleinen  Louisschen  Scheere.  — 
Zum  Ablösen  und  Vorziehen  der  Iris  wurden  mehrere,  mitunter  sehr  sinnreich  erdachte, 
aber  auch  höchst  complicirte  und  schwer  tractable  Instrumente  vorgeschlagen,  welche 
jedoch  gegenwärtig  wohl  allgemein  und  mit  Recht  nicht  mehr  in  Anwendung  kommen. 
Hieher  gehören  :  Langenbeck's  Coreoncion,  Schlagintweit's  Iriankistron,  Gräfe 's  Corconcion, 
Wagner's  Staarnadelzange ,  Einden's  Eaphiankistron ,  Geigers  Lanzenhaken ,  Nowicki's 
Labidobelonankistron  etc.  Abgebildet  und  beschrieben  sind  sie  in  Blasius  Akiurgie 
XVII.  47-92. 

Zur  Fixirung  der  Augenlider  sind  verschiedene  Augenlidhalter ,  zur  Fixirung  des 
Bulbus  Ophthalmostaten  erfunden  worden.  Ich  bediene  mich  in  der  Regel  weder  der 
einen,  noch  der  andern,  weil  man,  wie  ich  bei  Prof.  Fr.  Jäger  in  Wien  sah,  auch  ohne 
diese  Hilfsmittel  recht  gut  operiren  kann,  wenn  man  sich  gleich  Anfangs  nicht  daran  ■ 
gewöhnt,  und  sich  überhaupt  geübt  hat.  Zur  Fixirung  des  Bulbus  kann  man  sich  im 
Nothfalle  eines  etwas  grösseren  und  stärkeren  Irishäkchens  bedienen,  welches  man  in  die 
etwa  vorhandene  Hornhautnarbe  oder  in  den  vordersten  Theil  der  Sclera  einsetzt.  Stände 
grosse  Unruhe  des  Kranken  zu  besorgen,  so  wende  man  lieber  die  Narkose  durch  Chloro- 
form oder  Schwefeläther  an. 


V«,   Bach. 

Die  Aderhaut,  Tunica   chorioidea. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Die  Aderhaut  erstreckt  sich  innerhalb  der  Sclera  vom  Umfange 
der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  nach  vorn  bis  zum  Rande  der  Horn- 
haut. Nur  ihr  hinteres  und  ihr  vorderes  Ende  ist  mit  der  Sclera  fest 
verbunden,  im  übrigen  Verlaufe  ist  sie  einfach  an  die  Sclera  ange- 
lagert, so  dass  man  sie  nach  Zerreissung  der  Nerven-  und  Gefäss- 
stämmchen,  welche  durch  die  Sclera  zu  ihr  treten,  leicht  von  derselben 
ablösen  kann. 

Obwohl  sie  ein  continuirliches  Ganzes  bildet,  so  muss  sie  doch 
wegen  einiger  Verschiedenheiten  im  Baue  in  einen  hintern  grössern 
Theil  —  die  Chorioidea  im  engeim  Sinne  —  und  in  einen  vordem 
kleinern,  den  Strahlenkörper,  corpus  ciliare  —  unterschieden  werden. 
Die  Grenze  zwischen  beiden  bezeichnet  das  zackige  oder  sägeförmige 
Ende  der  Netzhaut  —  Ora  serrala  retinae  — ,  welches  ungefähr  l1^'" 
hinter  dem  Hornhautrande  fast  wie  ein  Parallelkreis  verläuft.  Indem 
die  Zone,  welche  der  Strahleükörper  zwischen  der  Hornhaut  und  der 
Ora  serrata  einnimmt,  an  der  Nasenseite  um  i\a'u  schmäler  ist,  als  an 
der  Schläfenseite,  fällt  die  Ora  serrata  nahezu  in  die  Gegend,  in  wel- 
cher sich  aussen  die  geraden  Augenmuskeln  an  die  Sclera  anheften. 

a.  Die  Aderhaut  im  engern  Sinne  ist  im  hintern  Umfange  1/i  5  —  'W, 
in  der  Gegend  des  Äquators  nur  '/3o"'  dick,  sehr  weich,  dehnbar,  leicht 
zerreisslich.  Sie  besteht  aus  Blutgefässen,  welche  durch  zartes  Binde- 
gewebe mit  einander  verbunden  sind,  und  aus  zahlreichen  Zellen, 
welche  einen  schwarzbraunen  Farbestoff,  das  Pigmentum  nigrum,  ent- 
halten.   Nach  der  ungleichen  VertheiluDg  dieser  Elemente  kann  man 

sich    die    Chorioidea    als    aus    drei    concentrischen    Lagen    bestehend 

10* 


148  Aderhaut. 

denken,  welche  in  folgender  Ordnung  von  aussen  nach  innen  auf  ein- 
ander folgen:  a)  die  Bindegewebsschicht ,  ß)  die  Geiässschicht,  be- 
stehend aus  dem  Venengeflechte  und  den  Arterien  mit  einem  äusserst 
feinen  Capillargeiassnetze,  und  y)  die  Pigmentlage. 

a.  Das  »ellige  Siroma  bildet  eine  dünne  Lage,  welche  der  äussern 
Fläche  ein  lichteres  Ansehen  gibt.  In  und  auf  demselben  verlaufen 
die  Ciliarnerven  als  weissgraue  Streifen  nach  vorn  zur  Iris.  Diese 
dünne  Bindegewebslage  wurde  von  Arnold  als  Analogon  der  Arach- 
noidea  cerebri  betrachtet,  und  im  Verein  mit  der  Lamina  fusca  scle- 
roticae  als  Arachnoidea  oculi  beschrieben. 

ß.  Die  Arterien  sind  die  hintern  kurzen  Ciliararterien,  welche 
(gegen  20  an  der  Zahl)  in  der  Umgebung  des  hintern  Poles  und  des 
Sehnerven  durch  die  Sclera  zur  Chorioidea  eindringen.  Diese  Arterien 
verzweigen  sich  grösstenteils  in  der  Chorioidea  allein,  indem  sie  sich 
fortwährend  gabelförmig  spalten;  zum  Theile  jedoch  gehen  sie  auch 
zum  Strahlcnkörper  und  zur  Iris.  Sie  biegen  theils  einfach  in  Venen 
um,  theils  mittelst  eines  äusserst  feinen  und  dichten  Capillargefässnetzcs, 
welches  den  Arterien  und  Venen  nach  innen  aufliegt.  Dieses  Capillar- 
gefässnetz  wurde  von  Uni/seh  dem  Sohne  als  eine  eigene  Membran  be- 
trachtet, und  seinem  Vater  zu  Ehren  Membrana  Kuyschiana  genannt.  — 
Die  Venen,  welche  diesen  Arterien  entsprechen,  sind  theils  die  hintern 
kurzen  Ciliarvenen,  welche  als  zahlreiche  kleine  Stämmchen  die  Sclera 
im  Umfange  des  hintern  Poles  und  des  Sehnerven  durchbohren,  theils 
die  Wirheivenen  oder  Vasa  vorlieosa  S/enonis,  welche  in  4 — 6  ziemlich 
symmetrisch  angeordnete  Wirbel  zusammen  tretend,  mit  eben  so  vielen 
Stämmchen  ungefähr  2"'  hinter  dem  Äquator  aus  dem  Bulbus  treten. 
Nur  einige  kleinere  Stämmchen  durchbohren  die  Sclera  in  der  Gegend 
des  Äquators» 

y.  Zwischen  diesen  Elementen  der  Chorioidea,  zu  welchen  noch 
feine  Astchen  von  Cüiarnerven  eintreten,  sind  die  Pignientzellen  reich- 
lich eingebettet,  welche  endlich  an  der  Innenseite  der  Chorioidea  so 
zahlreich  auftreten,  dass  sie  gleichsam  eine  eigene  Lage,  das  Stratum 
■pigmenti,  bilden.  Dieses  stellt  eine  einfache  Schicht  von  sechseckigen 
gekernten  Zellen  dar,  welche  mit  braunem  körnigem  Pigmente  gefüllt 
sind;  dasselbe  ist  einfach  an  die  Netzhaut  (die  Stäbchenschicht  der- 
selben) angelagert,  und  lässt  sich  sehr  leicht  von  derselben  abheben. 
Eine  eigene  seröse  Membran  zwischen  der  Chorioidea  und  Retina,  wie 
in  früherer  Zeit  unter  dem  Namen  der  Jakobsehen  Haut  beschrieben 
wurde,  existirt  zuverlässig  nicht.  Das,  was  als  Jakobsche  Haut  bezeichnet 
wurde,  ist  nämlich  nichts  anderes  als  die  Stäbchcnschicht  der  Netzhaut, 


Anatomie  —  Physiologie.  149 

welche  an  etwas  macerirten  oder  in  Sublimat  erhärteten  Augen  stuck- 
weise an  der  Innenfläche  der  Aderhaut  hängen  bleibt. 

b.  Der  Strahlenkörper  stellt  einen  2'/2— 3'"  breiten  Gürtel  zwischen 
der  Ora  serrata  und  dem  Scleralfalze  am  Hornhautrande  dar.  Seine 
hintere  flache  Hälfte  ist  V20""**/*5"'»  seine  vordere  wulstige  Hälfte 
gegen  1'"  dick.  Letztere  besteht  aus  dem  Strahlenbande  (Ligamentum 
ciliare)  und  aus  den  Strah/c/t/ortsätzcu  (Processus  ciliares). 

ct.  Die  flache  Hälfte  oder  der  ungefaltete  Theil  des  Ciliarkörpers 
unterscheidet  sich  von  dem  bisher  beschriebenen  Theile  der  Chorioidea 
dadurch,  dass  er  an  der  Innenfläche  mit  der  Zonula  Zinnii  —  wovon 
später  —  sehr  fest  verbunden  ist  und  mehr  Pigment  enthält,  daher  viel 
dunkler  erscheint;  dass  die  Gefässc  sich  nicht  mehr  in  Capillarien  auf- 
lösen, und  dass  er  kleine  Riefen  zeigt,  welche  sich  von  der  gezackten 
Linie  allmälig  gegen  die  Ciliarfortsätzc  bin  erheben. 

ß.  Ungefähr  in  der  Mitte  der  vom  Strahlenkürpcr  gebildeten  Zone 

d  sich  schon  an  der  Farbe  zwei  verschieden  organisirte  Theile  des- 
selben unterscheiden.  Der  nach  aussen  (an  der  Sclera)  liegende  ist 
weiss*  oder  gelb-grau,  gleichmässig  derb,  und  wird  nach  vorn  immer 
dicker.  Senkrecht  von  aussen  nach  innen  und  von  vorn  nach  hinten 
durchschnitten  erscheint  er  dreieckig  oder  keilförmig.  Es  ist  diess  das 
(iliarhand ,  welches  in  früherer  Zeit  als  Fortsetzung  und  Verdickung 
der  Bindcgewebsscliichte  der  Chorioidea  und  als  gangliöse  Ausbreitung 
der  darin  verlaufenden  Ciliarnerven  (Sömmerring)  betrachtet  wurde,  von 
Brücke,  Bownian,  Kölliker  u.  A.  aber  für  ein  rein  muskulöses  Organ 
—  Spannmuskel  der  Chorioidea  —  erklärt  wird.  —  Seine  äussere,  an 
die  Sclera  angelehnte  Fläche  bildet  die  unmittelbare  Fortsetzung  der 
äussern  Fläche  der  Chorioidea,  und  ist  nur  durch  die  hier  ein-  und 
austretenden  vordem  Ciliargefässe  an  die  Sclera  stellenweise  ange- 
heftet. Sie  ist  etwas  über  V"  breit.  Seine  innere  (leicht  coneave) 
Fläche  entfernt  sich  je  weiter  nach  vorn  desto  mehr  von  der  äussern 
Fläche,  so  dass  das  Ciliarband  zuletzt  die  Dicke  von  mehr  als  fa" 
erreicht.  Sie  ist  nicht  frei,  sondern  in  unmittelbarer  Verbindung  mit 
der  (später  zu  beschreibenden)  Gefäss-  und  Pigmentschicht  des  Ciliar- 
körpers, und  etwas  schmäler  als  die  äussere  Fläche.  Seine  vordere 
Fläche  ist  in  ihrer  äussern  Hälfte  der  vordem  Augenkammer  zuge- 
kehrt, und  von  dem  Döllingerschen  Bande  (Ligament,  pectinatum  iridis: 
Huek)  überzogen;  auf  der  innem  Hälfte  sitzen  die  Iris  und  weiter  nach 
hinten  die  vordem  Enden  der  Ciliarfortsätzc  Seine  hintere  Kante  ist 
sehr  scharf,  verläuft  sich  eigentlich  in  das  zellige  Stroma  der  Chorioidea 
und  in  die  zahlreich    eintretenden  Ciliarnerven.    Die   innere   Kante  ist 


1 50  Aderhaut. 

beinahe  rechtwinklig,  jedoch  abgerundet.  Der  Kreis,  den  sie  be- 
schreibt, hat  5'"  im  Lichten.  Die  äussere  Kante  ist  nach  vorn  in  die 
Lauge  gezogen,  und  vermittelt  die  feste  Verbindung  zwischen  dem 
Ciliarbande  und  den  daran  haftenden  Gebilden  einer-  und  zwischen 
der  Sclera  und  Cornea  andrerseits.  Sie  entspringt  gleichsam  mit  zwei 
Wurzeln,  mit  einer  vordem  (oder  innern)  dünneren  von  dem  Rande 
der  Cornea,  und  mit  einer  hintern  (oder  äussern)  dickeren  von  der 
Sclera  (an  deren  Randfalze).  Zwischen  beiden  sieht  man  (an  Durch- 
schnitten von  vorn  nach  hinten)  eine  längliche  Spalte,  welche  sich  als 
Durchschnitt  des  Schlemmschen  Canales  erweist.  (Vergl.  B.  I.  S.  176.) 
Die  innere  Wandung  dieses  Canales  ist  nicht  unmittelbar  von  der 
Wasserhaut  gebildet,  sondern  von  dieser  noch  durch  feine  halbdurch- 
sichtige Fasern  getrennt,  welche  von  den  tiefsten  Faserschichten  der 
Cornea  zur  äussern  Kante  und  zur  vordem  Fläche  des  Ligamentum 
ciliare  verlaufen. 

y.  Die  Gefäss-  und  Pigmentschicht  der  Chorioidea  läuft  an  der 
innern  Fläche  des  Ciliarbandes,  welches  zwischen  dieselbe  und  zwi- 
schen die  Sclera  wie  ein  scharfer  Keil  gleichsam  eingeschoben  ist,  un- 
unterbrochen nach  vorn  und  innen  bis  zur  hintern  Fläche  der  Iris  fort, 
in  welche  sie  gewissermassen  übergeht ;  man  sieht  wenigstens  nirgends 
eine  Andeutung  von  einer  Grenze  zwischen  beiden.  Die  Riefen,  welche 
schon  im  flachen  Theile  des  Corpus  ciliare  beginnen,  werden  nach  vorn 
zu  plötzlich  höher,  und  gestalten  sich  zu  70 — 80  weissgrauen  Falten 
oder  Wülsten,  welche  wie  eine  Krause  rings  um  den  Rand  der  Kry- 
stalllinse  gelagert  sind,  ohne  jedoch  denselben  zu  berühren.  Diese 
Falten  sind  unter  dem  Namen  Ciliarfortsätze  bekannt.  Jede  derselben 
gleicht  einem  vielfach  eingeschnürten  und  verschiedenartig  gewundenen 
Darme,  dessen  Hauptrichtung  von  hinten  nach  vorn  und  innen  geht. 
Jede  solche  Falte  sitzt  gleichsam  reitend  auf  der  innern  Kante  und  auf 
dem  vordem  Theile  der  innern  Fläche  des  Ciliarbandes.  Jede  ist  un- 
gefähr 4/5'"  lang  und  2/5'"  hoch.  Eine  Ebene,  durch  die  erhabensten 
(am  meisten  gegen  die  Augenachse  vorragenden)  Punkte  oder  Firsten 
derselben  gelegt,  würde  4I/2///  im  Durchmesser  haben,  und  von  dem 
vordem  Pole  der  Hornhaut  2'"  weit  abstehen.  Eine  Ebene,  durch  die 
grösste  Peripherie  der  Linse  gelegt,  würde  noch  den  grössten  Theil 
der  Ciliarfortsätze  vor  sich  haben.*)  Von  der  Grösse  der  Oberfläche 
jedes  einzelnen  Ciliarfortsatzes  kann  man  sich  nur  dann  eine  annähernd 
richtige  Vorstellung  machen,   wenn   man   an   einem  in  Chromsäure  er- 

*)  Tn  der  von  Brücke   I.  c.    gegebenen  Abbildung   liegen   die  Ciliarfortsätze   hinter  der  Äquatorialebene 
der  Linse,  was  offenbar  irrig  ist. 


Anatomie  —  Physiologie.  151 

Ii  arteten  Auge  einen  die  Augenachse  senkrecht  treffenden  Durchschnitt 
macht,  welcher  mit  der  Cornea  noch  einen  etwa  1 — Vji'H  breiten  Kei- 
fen der  Sclera  mit  fort  nimmt.  Die  auf  diese  Art  quer  durchschnit- 
tenen Ciliarfortsätze  erscheinen  dann  trauben-  oder  blumenkohl-ähnlich. 

Die  innere  Fläche  des  Ciliarkörpers  ist  durch  die  Zonula  Zinnii 
unzertrennlich  fest  mit  der  Netzhaut  an  der  Ora  serräta,  und  mit  dem 
Glaskörper  vor  dieser  gezackten  Linie  verbunden;  der  vorderste  (freie) 
Theil  der  Zonula  vermittelt  eine  ziemlich  feste,  jedoch  bewegliche  Ver- 
bindung mit  dem  Krystallkörper.  Von  der  Ora  serrata  an  vorwärts  bis 
zu  den  Falten  des  Ciliarkörpers  kann  man  weder  die  Netz-  noch  die 
Glashaut  als  solche  verfolgen;  sie  gehen  gemeinschaftlich  in  eine  dünne, 
durchsichtige  und  sehr  feste,  durch  eigenthümliche  Fasern  verstärkte 
Membran,  den  Ciliartlieil  der  Zonula  Zinnii,  über,  welche  mit  der 
inuern  Fläche  des  Ciliarkörpers  so  fest  zusammenhängt,  dass  sie  sich 
von  derselben  nicht  trennen  lässt.  Nur  an  etwas  macerirten  Augen 
löst  sich  diese  Membran  vom  Ciliarkörper,  und  bleibt  als  ein  Continuum 
der  Netz-  und  Glashaut  auf  dem  Glaskörper  zurück,  wenn  man  die 
Sclera  und  Chorioidea  weggenommen  hat.  Bei  dieser  künstlichen 
Trennung  des  Ciliarkörpers  von  der  Zonula  Zinnii  bleibt  der  grösste 
Theil  des  Chorioidealpigmentes,  namentlich  vom  flachen  Theile  des  Ci- 
liarkörpers, auf  dieser  Membran  zurück,  und  bildet  einen  krönen-  oder 
kranzähnlichen  Abdruck,  den  man  Corona  ciliaris  genannt  hat. 

An  der  Grenze  zwischen  dem  flachen  und  dem  gefalteten  Theile 
des  Ciliarkörpers  trennt  sich  die  Zonula  in  zwei  Blätter,  ein  hinteres 
und  ein  vorderes.  Das  hintere  Blatt  zeigt  alle  Eigenschaften  der  Glas- 
haut, und  geht  als  Umhüllung  des  Glaskörpers  zur  tellerförmigen 
Grube,  wo  es  sich  mit  dem  hintern  Blatte  der  Linsenkapsel  fest  ver- 
einigt, ohne  jedoch,  wie  in  neuester  Zeit  Kölliker  wieder  behauptet, 
daselbst  zu  verschwinden  oder  mit  der  Kapsel  in  Eins  zu  verschmelzen. 
Indem  dieses  Blatt  zu  der  hintern  Kapsel  nach  innen  verläuft,  und  also 
zwischen  den  "Wurzeln  der  Ciliarfortsätze  und  dem  Rande  der  hintern 
Kapselhälfte  ausgespannt  ist,  bildet  es  centripetal  verlaufende  und 
fächerähnlich  gestaltete  Fältchen,  welche  sich  in  dem  unterliegenden 
Glaskörper  abdrücken  (seichte  Vertiefungen  für  die  Ciliarfortsätze  bil- 
den .  —  Das  vordere  Blatt  geht  in  den  Vertiefungen  und  auf  den  Er- 
habenheiten des  Ciliarkörpers  als  fest  anhaftender  Überzug  desselben 
weiter  nach  vorn,  und  verlässt  ihn  erst  in  der  Gegend  der  Firsten, 
indem  es  gerade  nach  innen  (zur  Achse),  mithin  zum  Kande  der  vor- 
dem Kapsel  verläuft,  somit  gleichfalls  fächerähnliche  centripetale  Fält- 
chen bildet,  weil   es  auf  der  Höhe  jedes  Fortsatzes  weiter  nach  vorn 


152  Aderhaut. 

gekommen  ist,  als  in  den  Furchen  dazwischen.  Die  Insertion  in  die 
vordere  Kapsel  geschieht  nicht  genau  am  Rande  derselben,  sondern 
ungefähr  l.fa"i  innerhalb  desselben.  Diesen  zwischen  den  Firsten  der 
Ciliarfortsätze  und  dem  Rande  der  vordem  Kapsel  ausgespannten  Theil 
der  genannten  Membran,  welcher  die  oberwähnten  eigenthümlichen 
Fasern  in  grosser  Menge  zeigt,  nennt  man  den  freien  Theil  der  Zonula 
Zinnii,  der  Kürze  wegen  wohl  auch  ausschliesslich  Zonula  Zinnii  oder 
Strahlenblättchen.  Besser  ist  es,  ihn  nach  Retzius  das  Aufhängeba?ul 
der  Linse  zu  nennen.  Er  bildet  einen  Theil  der  Wandung  der  hintern 
Augenkammer,  und  lässt  sich  in  seiner  ganzen  Breite  und  Ausdehnung 
am  besten  sehen,  wenn  man  von  einem  Bulbus  die  Cornea  vollständig 
abgetragen  und  die  Iris  vom  Ciliarkörper  ringsum  abgezogen  hat. 

Indem  das  obgenannte  vordere  Blatt  aus  der  Gegend  der  Firsten 
zur  vordem  Kapsel,  das  hintere  Blatt  aus  der  Gegend  der  Wurzeln  der 
Ciliarfortsätze  zur  hintern  Kapsel  geht,  bleibt  zwischen  beiden  eine 
Spalte,  im  Ganzen  eine  Art  Canal  um  den  Rand  der  Linse  herum,  be- 
kannt unter  dem  Namen  Canalis  Petiti.  Dadurch,  dass  man  die  vordere 
Wand  desselben  an  einer  Stelle  einritzt,  und  durch  diese  Öffnung  Luft 
einbläst,  kann  man  sich  von  der  Existenz  eines  solchen  Zwischen- 
raumes, wenigstens  von  dem  Auseinanderweichen  der  genannten  beiden 
Blätter  überzeugen.  Das  beste  Mittel,  sich  über  die  mechanischen  Ver- 
hältnisse der  bisher  betrachteten  Gebilde  zu  unterrichten,  sind  Durch- 
schnitte ganz  frischer  oder  in  Chromsäure  erhärteter  Bulbi  von  vorn 
nach  hinten. 

Über  den  feinern  Bau  der  Chorioidea,  namentlich  des  Ciliarbandes  und  der  Zonula 
Zinnii  haben  sich  bisher  die  tüchtigsten  Forscher  nicht  einigen  können.  Nach  Krause? 
dem  im  Wesentlichen  auch  Huschke*)  beistimmt,  besteht  das  Ciliarband  aus  einer  ober- 
flächlichen, vorwaltend  durch  Bindegewebe  gebildeten,  und  aus  eiuer  tiefern  Lage,  welche 
ein  mit  Ganglienzellen  durchsetztes  Nervengeflecht  bildet.  Blutgefässe  sind  besonders 
gegen  seine  äussere  Fläche  hin  in  sehr  geringer  Proportion  vorhanden.  Bochdalek**) 
fand  dasselbe  vorwaltend  aus  Nervenmasse  bestehend,  und  schliesst  sich  der  schon  von 
Sömmerring  aufgestellten  Ansicht  an,  dass  dieses  Gebilde  eine  Art  Ganglion  sei,  welches 
mich  Eble"s  Ausdruck  als  Centralorgan  der  Sensibilität  und  Irritabilität  des  vordem  Thei- 
les  des  Augapfels  anzusehen  sei.  Brücke  ***)  erklärt  diesen  lichtgrauen  Ring  am  vordem 
Ende  der  Chorioidea  für  ein  muskulöses  Organ,  und  nennt  ihn  den  „Spannmuskel  der 
Chorioidea."  „Die  Primitivfasern  dieses  Muskels  stimmen  mit  denen  des  Verengerers 
und  des  Erweiterers  der  Pupille  vollkommen  überein,  und  haben  die  wesentlichen  Charak- 
tere der  organischen  Muskelfasern ,  wie  man  sie  im  Darmkanale  findet."  „Die  Fasern 
verlaufen    von  hinten  nach  vom,    und  liegen  also  neben  einander,  wie  die  äussern  Holz- 

*i  Sömmerring,  Eingeweidelohre.     Leipzig,  1814.     S.  68G. 
**)  Prager  Vierteljahrschr.  1852.     25.  Bd.,  S.  157. 
***)  Müller's   Archiv   1846.    S.  370,    und :   AnatoA.   Besehreibung   des    menschl.  Augapfels.     Berlin,  1847» 
S.  18  u.  21. 


Anatomie  —  Physiologie.  153 

scheite  eines  Kohlenmeilers;  er  heftet  sich  an  die  innere  "Wand  des  Canalis  Schlemrnii, 
mit  der  er  oft  so  fest  verbunden  ist,  dass  sie  beim  Ablösen  der  Sclerotica  an  ihm  han- 
gen bleibt.  Der  Muskel  spannt  die  Chorioidea  mit  der  Eetina  um  [den  Glaskörper  an, 
indem  er  seine  geschlossene  Oberfläche  verkleinert,  welche  durch  ihn  selbst,  durch  die 
Cornea  und  durch  die  Chorioidea  gebildet  wird  ;  zugleich  hebt  er  die  mit  den  Ciliar- 
fortsätzen  verklebte  Zonula  Zinnii  etwas  nach  vorn,  und  vermindert  die  Spannung  der- 
selben in  dem  Theile,  der  zwischen  der  Linse  und  den  Ciliarfoitsätzen  liegt.  Ob  hier- 
durch eine  Bewegung  der  Linse  nach  vorn  verursacht  wird  ,  lässt  sich  noch  nicht  be- 
stimmen ,  weil  man  nicht  weiss,  in  wie  weit  der  Humor  aqueus  ihr  Vortreten  gestattet." 
—  ..An  dem  Ursprunge  des  Spannmuskels  spaltet  sich  das  zellige  Stroma  der  Chorioidea 
in  zwei  Partien ,  von  welchen  die  innere  mit  den  grossen  Gefässen  zur  Blendung  hin- 
zieht, und  in  dieselbe  übergeht,  die  äussere  in  Gestalt  einer  Fascie  über  den  Spann- 
nraskel  hinwegzieht.  Am  vordem  Bande  des  Muskels  nimmt  diese  Fascie  wieder  einen 
Theil  der  Elemente  der  innern  Partie  auf  und  geht  mit  ihnen  in  ein  starkes  Netz  von 
verzweigten  kernlosen  Fasern  ganz  eigenthümlicher  Bildung  über ,  welches  sich  an  die 
innere  Wand  des  Schlemmschen  Cauales  gleichsam  als  kurze  ringförmige  Sehne  des 
Spannmuskels  anheftet."'  Bowman*)  und  Kölliker**)  beschreiben  gleichfalls  solche  Mus- 
kelfasern in  diesem  Gebilde;  nach  den  beigegebenen  Zeichnungen  haben  jedoch  diese 
Fasern  grossentheils  einen  andern  Verlauf,  als  Brücke  ihn  angegeben  hat.  Beide  lassen 
nämlich  die  Fasern  von  der  innern  Wand  des  Schlemmschen  Canales  wie  von  einem 
Brennpunkte  aus  nach  innen  (gegen  die  Iris),  nach  hinten  (gegen  die  Ciliarfortsätze)  und 
nach  aussen  (gegen  die  hintere  spitzige  Kante  des  Ciliarbandes)  ausstrahlen.  —  Dass 
in  dem  fraglichen  Gebilde  wirklich  Fasern  vorkommen,  welche  den  von  Bowman  beschrie- 
benen Verlauf  nehmen ,  davon  kann  man  sich  an  Durchschnitten  des  Bulbus  unter  dem 
Mikroskope  überzeugen.  Diese  Fasern  verhalten  sich  ganz  so,  wie  die  Muskelfasern  der 
Iris.  Dass  indess  dieser  ganze  graue  Bing  nur  die  Bedeutung  eines  Muskels  habe,  da- 
gegen erheben  sich  gegründete  Bedenken ,  wenn  man  auch  Bochdaleks  Behauptung : 
„im  menschlichen  Ligamentum  ciliare  lasse  sich  durchaus  nichts  von  einer  organischen 
Muskelfaser  entdecken,"  nicht  beipflichten  kann.  Das  Verhältniss  der  auffallend  zahlrei- 
chen Xerven,  die  in  dieses  Gebilde  eintreten,  hätte  von  jenen  Autoren,  welche  dasselbe 
einfach  für  einen  Muskel  erklärten,  jedenfalls  mehr,  als  es  geschehen  ist,  in's  Aiige  ge- 
fasst  werden  sollen  ,  und  was  die  Bestimmung  betrifft ,  die  man  seit  Brücke  demselben 
zuweist,  so  drängen  sich  gewichtige  Zweifel  dagegen  auf.  Es  lässt  sich  nicht  annehmen, 
dass  eine  so  weiche  und  lockere  Membran,  wie  die  Aderhaut,  durch  Muskelzug  so  stark 
angespannt  werden  könne,  dass  daraus  eine  Form-  oder  Lageveränderung  der  durchsich- 
tigen Medien  entstehen  möchte.  Das  Bedenken,  das  sich  gegen  die  Locomotion  der  Linse 
von  Seite  der  Incompressibilität  des  Kammerwassers  erhebt,  hat  Brücke  selbst  mit  den 
Schlussworten  des  oben  angeführten  ersten  Citates  angedeutet.  Bei  der  Lehre  von  der 
Accommodation  werden  wir  zeigen,  dass  das  Vorwärtsrücken  der  Linse  behufs  der  Refraction 
für  nahe  Objecte  nach  optischen  Gesetzen  gerade  das  Gegentheil  von  dem,  was  nöthig  ist, 
bewirken  müsste.  Wollte  man  den  Ciliarmuskel  ausschliesslich  oder  doch  vorzüglich  als 
Organ  für  die  Accommodation  betrachten  ,  so  würde  man  ihm  die  Function  eines  will- 
kürlichen Muskels  zuweisen,  während  er  doch  seinem  Baue  nach  ganz  mit  der  Iris, 
einem  unwillkürlichen  Muskel,  übereinstimmt.     Der  Act  der  Accommodation  steht  minde- 


*)  Lectares  on  the  Parts  concerned  in  the  Operations  on  the  eye  etc.    London,  1849.    S.  52. 
**,  Handbuch  der  Gewebelehre  des  Menschen.    Leipzig,  1552.     S.  5S6. 


154  Aderhaut. 

stens  eben  so  stark  unter  der  Herrschaft  des  "Willens,  als  die  Bewegungen  der  Augen. 
—  Die  in  Rede  stehenden  Muskelfasern  können  nur  die  Ciliarfortsätze  und  das  damit 
-verwachsene  Aufhängeband  der  Linse  ein  wenig  nach  der  Gegend  des  Schlemmschen 
Canales  hinziehen,  und  somit  durch  eine  entsprechende  Spannung  das  Linsensystem  in 
seiner  Lage  erhalten  ,  welches  sonst  nach  vorn  rücken  und  eine  stärkere  "Wölbung  der 
Cornea  (mittelst  des  Humor  aqueus)  bewirken  müsste,  sobald  der  Glaskörper,  durch  den 
Einfluss  der  M.  recti  et  obliqui  comprimirt,  nach  vorn  und  hinten  auszuweichen  strebt. 
Die  vollständige  Durchführung  unserer  Ansicht  über  die  Accommodation  können  wir  erst 
in  dem  Buche  über  die  Augenmuskeln  bringen. 

Was  die  Zonula  Zinnii  betrifft,  so  stimmen  fast  alle  neueren  Forscher  der  alten  Ga- 
lenschen  Ansicht  bei,  dass  die  Netzhaut  sich  über  die  Ora  serrata  bis  zu  den  Ciliarfort- 
sätzen  hin  erstrecke.  Nach  Huschke,  Valentin,  Bidder ,  Krause  u.  A.  setzen  sich  alle 
Elemente  der  Netzhaut,  mit  Ausnahme  der  Stäbchenschicht,  bis  zum  Bande  des  Krystall- 
körpers  fort;  nach  Brüche  ist  es  jedoch  bloss  die  innerste  glashelle  Schicht  der  Netz- 
haut, die  Membrana  limitans  (Pacini) ,  welche  vereinigt  mit  der  Glashaut  den  in  Rede 
stehenden  Überzug  des  Corpus  ciliare  (die  Zonula)  bildet.  Kölliker  1.  c.  dagegen  be- 
hauptet, dass  die  Netzhaut  an  der  Ora  serrata  gänzlich  aufhöre,  und  dass  die  Zonula 
nichts  anderes  als  eine  Fortsetzung  der  Glashaut  sei.  „Sie  ist  ein  dünnes,  durchsichtiges, 
aber  ziemlich  festes  Häutchen,  das  von  der  Ora  serrata  bis  zum  Rande  der  Linse  sich 
erstreckt,  und  besteht  aus  eigenthümlich  blassen  Fasern,  welche  etwas  hinter  der  Ora 
serrata  an  der  Aussenseite  der  Hyaloidea ,  jedoch  in  dem  innigsten  Zusammenhange  mit 
derselben  beginnen,  als  eine  Anfangs  lockere,  dann  immer  dichtere  Lage  grösstentheils  par- 
allel neben  einander  nach  vorn  verlaufen ,  bis  sie  am  freien  Theile  der  Zonula  eine 
vollkommen  zusammenhängende  Lage,  jedoch  immer  noch  mit  einzelnen  isolirbaren  Bün- 
deln bilden ,  und  dann  mit  der  vordem  Kapselhälfte  verschmelzen."  „Die  Zellen  an 
ihrer  äussern  Fläche  gehören  nicht  zur  Netzhaut,  sondern  zur  Chorioidea;  sie  sind  nur 
als  innerster,  nicht  gefärbter  Theil  der  Pigmentschicht  des  Ciliarkörpers  zu  betrachten, 
und  verhalten  sich  zu  derselben  so,  wie  in  gefärbter  Haut  die  farblosen  zu  den  farbigen 
Epidermiszellen."  Diese  Angaben  Köllilcei-'s  stimmen  mit  denen  von  Henle*)  in  der 
Hauptsache  überein. 

Über  die  Bestimmung  und  Function  der  Chorioidea  überhaupt 
wissen  wir  nur  Einiges  mit  ziemlicher  Sicherheit. 

1.  Ihre  Pigrnentlage  steht  in  inniger  Beziehung  zur  Function  der 
Eetina,  und  zwar  theils  durch  Abhaltung,  theils  durch  Absorption  von 
Lichtstrahlen.  So  wie  die  Iris  ist  auch  der  ungefaltete  Theil  des  Ciliar- 
körpers mit  einer  auffallend  mächtigen  Pigmentlage  versehen,  und  be- 
schränkt das  Eindringen  von  Lichtstrahlen  durch  den  frei  zu  Tage  lie- 
genden Theil  der  Sclera  in  hohem  Grade.  —  Von  den  durch  die 
Pupille  in  das  Innere  des  Auges  gelangenden  Lichtstrahlen  wird,  da 
alle  von  der  Chorioidea  umschlossenen  Gebilde  durchsichtig  sind,  wohl 
der  grösste  Theil  in  der  dunkeln  Pigmentschicht  absorbirt.  Bei  den 
Kakerlaken,  deren  Augen  dieses  Pigmentes  entbehren,  ist  das  Gesicht 
immer  unvollständig.     „Um  das  hinter  Sammellinsen  erscheinende  Bild 

*)  Söuimerriug,  allgemeine  Anatomie.    Leipzig,  1841.     S.  332. 


Anatomie  —  Physiologie.  155 

mit  möglichster  Schärfe  aufzufangen,  muss  alles  seitliche,  nicht  dazu 
gehörige  Licht  abgehalten  und  jede  Spiegelung  der  Fläche,  auf  der 
sich  das  Bild  formirt,  möglichst  verhütet  werden.  Zu  diesem  Zwecke 
besitzt  das  Auge,  gleich  einer  Camera  obscura,  ein  schwarzbraunes 
Pigment.  Augen,  die  zu  wenig  oder  gar  kein  Pigment  besitzen,  wer- 
den daher  leicht  geblendet  und  sind  lichtscheu."*)  Dass  aber  eine  ge- 
wisse Portion  Lichtes  vom  Grunde  des  Auges  durch  die  Pupille  aus 
dem  Auge  herausgeworfen  wird,  hat  Brücke  zuerst  bestimmt  nach- 
gewiesen, und  Heimholt*  hat  diese  Entdeckung  durch  die  Con- 
struction  eines  Augenspiegels**)  zu  einer  der  wichtigsten  für  die  Dia- 
gnostik der  Augenkrankheiten  erhoben. 

Auf  die  Schwärze  der  Pupille,  welche  zum  Theil  von  der  Absorption  des  Lichtes 
in  der  Chorioidea  abhängt,  haben  noch  einige  andere  Momente  Einfluss. 

Zunächst  muss  die  Grösse  der  Pupille  —  respective  die  Menge  des  einfallenden 
Lichtes  —  in  Anschlag  gebracht  werden.  Die  Pupille  verliert  jederzeit  an  Schwärze,  sobald 
sie  idurch  Belladonna)  erweitert  worden  ist.  Stellt  man  sich  einem  Auge  mit  stark  er- 
weiterter Tupille  auf  2 — 3  Schritte  Entfernung  und  unter  einem  sehr  spitzigen  Winkel 
zum  einfallenden  Licht  gegenüber,  so  sieht  man  den  Grund  der  Pupille  eigenthümlich 
röthlich  leuchten .  beinahe  so ,  als  ob  in  der  Tiefe  des  Auges  eine  polirte  Kupferplatte 
läge.  Dieser  rothliche  Schein  rührt  ohne  Zweifel  von  dem  Lichte  her,  welches  die  Ge- 
fässe  der  Xetz-  und  Aderhaut  aus  dem  Auge  zurückwerfen.  (Dieses  Phänomen  tritt  am 
deutlichsten  hervor,  wenn  der  zu  Untersuchende  in  einem  etwas  tieferen  Zimmer,  das 
nur  Ein  Fenster   hat,    diesem  gegenüber   und   so    weit    als  möglich  davon  entfernt  sitzt.) 

Bei  älteren  Leuten  findet  man  die  Pupille  bei  gleicher  Grösse  und  bei  ungestörtem 
Sehvermögen  niemals  so  rein  schwarz,  wie  bei  jüngeren.  Insbesondere  ist  es  ein  eigen- 
thümlicher  Lichtreflex  aus  der  Tiefe  des  Bulbus,  der  dem  Auge  des  Beobachters  entge- 
gen tritt.  Er  erscheint  als  eine  lichtere,  gewöhnlich  etwas  grau-  oder  grüngelbliche 
kleine  Scheibe  ,  die  sich  von  ihrem  Mittelpunkte  zu  ihrer  Peripherie  allmälig  verliert, 
ganz  wie  ein  selbstleuchtender  runder  Körper  aussieht,  und  deren  Lage,  relativ  zum 
Centrum  des  durch  die  Pupille  sichtbaren  dunklen  Hintergrundes,  sich  jedesmal  mit  der 
Stellung  des  Beobachters  und  des  beobachteten  Auges  zum  Fenster  ändert.  Man  hat 
diese  längst  gekannte  Erscheinung  von  Pigmentmangel  der  Aderhaut  abgeleitet.  Es  ist 
nämlich  seit  Petit  bekannt,  dass  in  spätem  Lebensjahren  das  Pigment  der  Chorioidea 
etwas  spärlicher  und  blässer  ist.  Das  in  Rede  stehende  Phänomen  hängt  indess  wohl 
hauptsächlich  von  der  Krystalllinse  ab.  Diese  bekommt  unbeschadet  ihrer  Durchsichtig- 
keit, wenigstens  unbeschadet  der  Schärfe  des  Gesichtes,  ungefähr  vom  40.  Lebensjahre 
an  allmälig  eine  gelbliche  Färbung  (wie  Österreicher  Wein).  Mit  dieser  Färbung  hängt 
jener  eigenthümliche  Reflex  zusammen.  Denn  er  fehlt,  sobald  die  Linse  fehlt,  und  er 
ist  nicht  vorhanden,  so  lange  die  Linse  farblos  ist.  Man  kann  ihn  auch  an  Cadavern 
beobachten,  wenn  man  die  Augen  möglichst  frisch  untersucht,  und  den  Glanz  der  Horn- 
haut nöthigenfalls  durch  Abstreifung  der  Epithelialschicht  wieder  herstellt.  Wird  nun  an 
einem  solchen  Auge  die  Linse  reclinirt,  so  verschwindet  auch  dieser  Reflex.  An  Leben- 
den ,    welche    an  Cataracta    (durch   was    immer   für    eine  Methode)    operirt   worden    sind, 

*)  Euete  in  Wagner's  Handwörterbuch  der  Physiologie.     Bd.  III.   Abth.  2.    S.  247. 
**)  Beschreibung  eines  Augenspiegels.     Berlin,  1851. 


156  Aderhaut. 

findet  sich  im  höchsten  Alter  nie  eine  Spur  eines  solchen  Reflexes,  den  man  doch  sonst 
ohne  Ausnahme  in  spätem  Jahren  bemerkt.  Es  ist  also  nicht  bloss  Durchsichtigkeit, 
sondern  auch  Farblosigkeit  der  Linse  erforderlich,  wenn  uns  die  Pupille  in  ihrer  norma- 
len Schwärze  erscheinen  soll. 

Die  Netz-  und  Aderhaut  liegen,  worauf  Kussmaul*)  zuerst  aufmerksam  gemacht 
hat,  bei  normalem  Zustande  des  Auges  im  Brennpunkte  der  lichtbrechenden  Medien  des- 
selben. Die  durchsichtige  Netzhaut  und  die  dunkle  Aderhaut  bilden  den  Schirm;  die 
Hornhaut  und  Linse  mit  dem  dazwischen  eingeschlossenen  Kammerwasser  bilden  das 
Objectivglas  einer  Camera  obscura.  Daher  kann  ein  Beobachter  vor  dem  Auge  auch 
lichte  Theile  des  Augengrundes,  wie  die  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  und  die  Central- 
arterien  der  Netzhaut  nicht  wahrnehmen,  und  der  Grund  des  Auges  erscheint  gleichmässig 
dunkel.  Man  nehme ,  nach  Helmholtzens  Vorschlag ,  die  Ocularröhre  eines  Mikroskopes 
und  entferne  das  Ocularglas.  „Ist  die  Röhre  genau  so  lang,  als  die  Brennweite  des 
Collectivglases ,  so  setze  man  sie  mit  dem  Ende,  welches  das  Ocular  enthielt,  auf  eine 
weisse  Tafel  auf,  und  man  hat  eine  Camera  obscura,  bei  welcher  dieselben  Gesetze  gel- 
ten, wie  am  Auge.  Es  werden  in  diesem  Apparate  sehr  helle  Bilder  der  umgebenden 
lichten  Gegenstände  auf  der  weissen  Tafel  entworfen,  und  doch  sieht  das  Innere  des 
Instrumentes,  wenn  man  durch  die  Glaslinse  in  beliebiger  Richtung  hineinsieht ,  absolut 
schwarz  aus.  Nimmt  man  das  Convexglas  fort,  oder  ändert  man  dessen  Entfernung  von 
der  Papierfläche  bedeutend,  so  erscheint  dem  Beschauer  sogleich  die  helle  weisse  Farbe 
der  letzteren."  Auf  gleiche  Weise  kann  uns  auch  der  Grund  des  Auges  sichtbar  werden, 
wenn  er  nämlich  vom  Brennpunkte  der  Hornhaut  und  Linse  bedeutend  abgelenkt,  nach 
vorn  oder  nach  hinten  gerückt  ist.  Wird  z.  B.  die  Netzhaut  von  Enkephaloidmasse 
infiltrirt,  so  dass  sie  undurchsichtig  und  ihre  Innenfläche  um  mindestens  lj-J"  weiter 
vorwärts  gerückt  ist,  so  erscheint  uns  der  Grund  eines  solchen  Auges  nicht  nur  in  der 
Farbe  der  Enkephaloidmasse,  sondern  wir  können  auch  einzelne  Gefässchen  darauf  deut- 
lich wahrnehmen.  Die  Gefässchen  erscheinen  uns  grösser,  und  die  ganze  Masse  tiefer 
hinter  der  Linse,  als  sie  es  wirklich  sind.  Um  sich  die  hier  in  Anwendung  kommenden 
optischen  Gesetze  durch  ein  Experiment  anschaulich  zu  machen,  nehme  man  eine  Con- 
vexlinse,  z.  B.  von  2"  Brennweite,  und  halte  sie  vor  einen  Gegenstand,  etwa  vor  die 
Ziffer  der  Seite  eines  Buches.  Betrachtet  man  nun  in  einer  Entfernung  von  12 — 15  Zoll 
das  Object  durch  diese  Convexlinse,  indem  man  sie  gerade  2"  vor  demselben  vorhält, 
so  erhält  man  kein  Bild  des  Objectes;  rückt  man  die  Linse  näher  an  das  Object,  so  sieht 
man  dasselbe  vergrössert,  aufrecht  und  scheinbar  weiter  entfernt;  hält  man  aber  die 
Linse  weiter  als  2"  vor  dem  Objecte,  so  sieht  man  dasselbe  verkehrt  und  vergrössert. 
Wenn  man,  wie  Mary  bereits  1704  gcthan**),  eine  lebende  Katze  unter  ^Wasser  taucht, 
und  in  das  Innere  des  Auges  schaut ,  so  erkennt  man  das  Tapetum  in  seiner  grünen 
metallglänzenden  Farbe  und  die  Stelle,  wo  die  Sehnerv  eintritt.  Mittelst  des  Ce?-?»aZ;'- 
schen  Orthoskopes  kann  man  auch  am  lebenden  Menschenauge  (bei  gehöriger  Beleuchtung 
und  Erweiterung  der  Pupille)  den  Grund  desselben  sichtbar  machen ;  denn  dadurch,  dass 
man  Wasser  vor  die  Hornhaut  bringt ,  wird  der  Brennpunkt  weit  hinter  die  Netzhaut 
verrückt.  Das  Orthoskop  hat  vor  dem  Helmhol tz'schen  Augenspiegel  den  Vorzug,  dass 
man  den  Grund  des  Auges  in  natürlicher  Beleuchtung  sehen  kann.  Kussmaul  ist  der 
Ansicht,    die  obgenannte   lichte  Scheibe    in  Greisenaugen    sei  die  Eintrittsstelle  des  Seh- 


*)  Die  Farbenerscheiuungcu  im  Grunde  des  menschlichen  Auges.    Heidelberg,  1*45. 
**;  Kussmaul  1.  c.  S.  28. 


Anatomie  —  Physiologie.  157 

nerven,  welche  sichtbar  werde,  weil  im  Greisenalter  die  Hornhautflächen  und  die  Masse 
des  Glaskörpers  vermindert  sei ,  wofür  schon  die  Weitsichtigkeit  solcher  Augen  spreche. 
Es  ist  indess  in  Greisenaugen  so  lange  keine  andere  Störung  ,  als  blosse  Weitsichtigkeit 
vorhanden  ist,  die  Netzhaut  nie  so  beträchtlich  aus  der  Brennweite  der  Linse  und  Horn- 
haut verrückt,  dass  man  die  Pupilla  nervi  optici  sehen  könnte,  uud  man  kann  den  Ort 
jener  lichten,  gleichsam  selbstleuchtenden  Stelle  beliebig  ändern,  je  nachdem  man  das 
Licht  gerade  von  vorn,  etwas  von  der  äussern  oder  etwas  von  der  innern  Seite  her  ein- 
fallen lässt  und  darnach  auch  seinen  eigenen  Standpunkt  zum  Auge  ändert.  Mosas*) 
führt  an ,  dass  man  an  Augen ,  wo  man  wegen  mangelhaften  Pigmentes  eine  grauliche, 
concave,  tiefe  Trübung  im  Hintergründe  der  Pupille  bemerkt,  die  Gefässe  der  sichtbar 
gewordenen  Netzhaut  selbst  mit  freiem  Auge  unterscheiden  könne.  Ich  war  niemals  im 
Staude,  diess  zu  constatiren. 

2.  Der  Ciliarkörper,  und  zwar  der  flache  Tkeil,  und  die  Ciliarfort- 
sätze  werden  mit  Grund  als  Matrix  der  Augenflüssigkeiten,  des  Kammer- 
wassers und  Glaskörpers,  vielleicht  auch  der  Krystalllinse  betrachtet.**) 
Der  Gefässreichthum  dieses  Gebildes  ist  ausserordentlich  gross,  nament- 
lich in  den  Ciliarfortsätzen.  Diese  letzteren  erinnern  durch  ihre  wun- 
derbar vervielfältigte  Oberfläche  unwillkürlich  an  die  Falten  und  Zotten 
der  Schleimhäute.  Der  Ciliarkörper  steht  durch  die  Zonula  Zinnii  in 
innigster  Verbindung  mit  dem  Glas-  und  mit  dem  Krystallkörper.  Wenn 
bei  Entzündung  der  Chorioiclea  reichlicher  Erguss  an  ihrer  innern 
Fläche  erfolgt,  so  wird  sie  stets  nur  bis  zur  Ora  serrata  von  der  Netz- 
haut abgelöst;  vor  dieser  Linie  findet  man  niemals  Exsudat  zwischen 
der  Aderhaut  und  der  Zonula,  sondern  jederzeit  nur  innerhalb  dieser 
letzteren,  also  im  Glaskörper  abgelagert.  —  Entzündung  der  Chorioidea 
führt  häufig  zur  Vermehrung  und  Verflüssigung,  oder  aber  zum  Ver- 
schrumpfen des  Glaskörpers.  —  Ebenso  führt  Entzündung  der  Cho- 
rioidea früher  oder  später  immer  zu  Trübung  der  Linse,  während  Ent- 
zündung der  Iris  erst  dann  diese  Folge  nach  sich  zieht,  wenn  zu  ihr 
Entzündung  der  Chorioidea  hinzugetreten  ist.  Wollen  wir  nicht  an- 
nehmen, dass  die  Hornhaut  oder  die  Linse  den  Humor  aqueus  liefere, 
so  müssen  wir  die  Quelle  desselben  offenbar  im  Ciliarkörper  suchen, 
da  die  Iris  bekanntlich  ganz  aus  dem  Auge  entfernt  werden  kann,  ohne 
dass  nachher  das  Kammerwasser  versiegt. 

3.  Von  hohem  Interesse,  so  dass  es  hier  noch  besonders  hervor- 
gehoben werden  muss,  ist  das  Verhältniss  der  Chorioidea  zur  Iris.  Die 
Chorioidea  ist  es,  durch  welche  sämmtliche  Nerven  und  die  meisten 
Gefässe  zur  Iris  vordringen.  Die  Ciliarnerven  sind  in  die  äussere,  vor- 
waltend zellige  Schicht  der  Aderhaut  eingelagert.  Zwei  derselben, 
durch  besondere  Entwicklung  ausgezeichnet,   verlaufen  im  horizontalen 

*)    Handbuch  der  Augenheilkunde.    Bd.  I.    S.  174. 
**)  Senie  1.  c.  S.  3-12 ;  Rosas,  S.  174. 


158  Aderhaut. 

Meridiane,  der  eine  an  der  Nasen-,  der  andere  an  der  Schläfenseite. 
Denselben  Verlauf  nehmen  auch  die  hintern  langen  Ciliararterien  und 
die  sie  begleitenden  Venen.  Auf  dieses  Verhältniss  muss  man  insbe- 
sondere bei  Operationen,  welche  einen  Einstich  in  die  Sclera  erhei- 
schen, Rücksicht  nehmen.  Durch  die  Chorioidea  nimmt  das  Blut  aus 
der  Iris  seinen  Rückfluss,  bis  auf  jenen  Theil,  der  durch  die  vordem 
Ciliarvenen  zurückfliesst.  Die  Integrität  der  Chorioidea  ist  mithin  uner- 
lässlich  zur  Integrität  der  Iris. 


B.    Krankheiten  der  Chorioidea. 
I.    Entzündung-  der  Chorioidea,  Chorioiditis. 

A.  Allgemeine  Bemerkungen. 

Die  Chorioidea  ist  weit  öfter,  als  man  bisher  im  Allgemeinen  an- 
genommen hat,  der  Herd,  von  welchem  krankhafte  Erscheinungen  am 
Auge  ausgehen,  welche  zuletzt  als  Entzündung  bezeichnet  werden 
müssen,  und  andererseits  geräth  die  Chorioidea  häufig  consecutiv  nach 
Entzündung  der  Hörn-  oder  Regenbogenhaut  in  den  Zustand  der  Ent- 
zündung. Die  Chorioiditis  erscheint  bald  als  rein  örtliche  Krankheit, 
und  besteht  als  solche  fort  oder  zieht  den  Gesammtorganismus  in  Mit- 
leidenschaft; bald  ist  sie,  und  zwar  in  der  weit  überwiegenden  Mehr- 
zahl der  Fälle,  als  Folge  von  Allgemeinleiden  zu  betrachten.  Nach 
diesen  Verhältnissen  sind  nun  die  Erscheinungen  der  Chorioiditis,  in 
ihrem  jeweiligen  Complexe  und  in  ihrer  Aufeinanderfolge  samint  den 
sogenannten  Ausgängen  aufgefasst,  ausserordentlich  verschieden. 

Zum  Verständnisse  der  Symptome,  des  Verlaufes  und  der  Aus- 
gänge der  Chorioiditis  überhaupt  ist  nebst  dem  eben  Gesagten  und 
nächst  der  Kenntniss  der  anatomischen,  physiologischen  und  optischen 
Verhältnisse,  die  wir  unter  A  angedeutet  haben,  vor  Allem  die  Kennt- 
niss der  Sectionsbefunde  noth  wendig,  welche  in  Folge  von  Aderhaut- 
entzündung beobachtet  wurden.  In  der  Seltenheit  der  Gelegenheit, 
Augen  mit  Chorioiditis  überhaupt,  und  während  des  Exsudationsprocesses 
insbesondere  zu  seciren,  liegt  der  Grund,  dass  unsere  Kenntnisse 
über  die  Entzündung  dieses  wichtigen,  der  unmittelbaren  Anschauung- 
leider  entzogenen  Gebildes  in  vielfacher  Beziehung  noch  so  mangel- 
haft sind. 


Entzündung  im  Allgemeinen.  159 

Sectionsei^gebnisse. 

Wenn  sieh  die  Aderhaut  entzündet,  so  erfolgt  die  Aasscheidung 
von  Exsudat  vorzugsweise  an  ihrer  innern  (concaven)  Oberfläche,  da 
wo  das  arterielle  Gefässnetz  liegt,  und  zwar  jenseits  der  Ora  serrata 
zwischen  Chorioidea  und  Retina,  diessseits  aber  in  den  Glaskörper,  in 
den  Petitschen  Canal,  in  die  hintere  Augenkammer.  Eine  deutliche 
Infiltration,  eine  beträchtliche  Verdickung  ihres  Gewebes  durch  Exsudat 
findet  nicht  statt,  ausser  im  Bereiche  des  Corpus  ciliare  bei  gleich- 
zeitiger Iritis;  eher  geschieht  es,  dass,  wenigstens  stellenweise,  auch 
die  Lamina  fusca,  und  selbst  die  Sclera  die  Zeichen  von  Entzündung 
darbieten,  und  dass  die  Chorioidea  und  Sclera  mit  einander  verkleben, 
verwachsen. 

Zu  Anfang  des  Processes  findet  man  die  Chorioidea  mit  Blut  über- 
füllt, von  mehr  röthlichem  als  braunem  Aussehen,  wohl  auch  stellen- 
weise ekchymotisch,  das  Bindegewebe  serös  durchfeuchtet  und  gelockert, 
das  Pigment  an  der  innern  Fläche  vom  Exsudat  verdrängt  oder  auch 
fortgeschwemmt,  und  im  Exsudate  oder  im  Kammerwasser  suspendirt 
(an  der  hintern  Wand  der  Cornea  präcipitirt).  Die  Ekchymosen  zeigen 
sich  an  der  innern  Fläche  der  Aderhaut  oder  an  der  äussern  der  Netz- 
haut. Die  Entzündung  beschränkt  sich  eine  Zeit  lang  auf  umschriebene 
Stellen,  zumeist  in  der  Nähe  des  Aequator  bulbi,  oder  sie  ergreift 
gleich  Anfangs  einen  grossen  Theil,  die  ganze  Chorioidea,  selbst  mit 
Einschluss  des  Corpus  ciliare. 

Mit  dem  Nachlasse  der  Hyperämie  wird  das  Pigment  allmälig  spar- 
samer, geht  stellenweise  ganz  verloren,  wird  aber  auch  bisweilen  in 
Form  von  Punkten  oder  Flecken  angehäuft,  die  dann  schwarzblau  er- 
scheinen. Nach  und  nach  wird  dann  die  Chorioidea  blutarm,  dünn, 
atrophisch,  bloss  im  hintern  Umfange,  oder  auch  im  Bereiche  des  Cor- 
pus ciliare.  Bei  croupösem  Exsudate  hingegen  wird  sie  stellenweise 
oder  durchaus  zerstört. 

Das  Exsudat  ist  entweder  vorwaltend  serös  mit  einem  verschiedenen 
Antheile  von  Eiweiss  und  Faserstoff,  oder  vorwaltend,  selbst  ausschliess- 
lich faserstoffig,  und  dann  plastisch  —  zu  weitern  Metamorphosen  ge- 
eignet, oder  eitrig  —  die  Gebilde,  mit  denen  es  in  Berührung  kommt, 
schmelzend,  zerstörend. 

1.  Befund  bei  albuminös-serösem  Exsudate  (mit  relativ  wenig  Faser- 
stoff». Man  findet  Fälle,  wo  zwischen  Chorioidea  und  Retina  bloss  Serum 
mit  mehr  weniger  Eiweissstoff  (10—12  Procent)  und  etwas  Salzgehalt 
(salzsaurem  Natron)  ergossen,  und  die  Aderhaut  partienweise  mit  der 
Sclera  verwachsen  oder  auch  einfach  an  diese  angelagert  ist. 


160  Aderhnut. 

In  solchen  Fällen  ist  dann  die  Netzhaut  bloss  in  einem  Theile  des 
hintern  Umfangcs  oder  von  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  bis  zur 
Ora  serrata  und  rings  herum  von  der  Aderhaut  losgelöst,  nach  innen 
gedrängt,  und  endlich  in  dem  Masse ,  als  der  Glaskörper  geschwunden 
erscheint,  in  einen  Trichter  verwandelt  (ähnlich  der  Corolla  von  Con- 
volvulus),  dessen  Spitze  an  die  Lamina  cribrosa,  dessen  Saum  an  die 
Ora  serrata  geheftet  ist.  Nach  Erscheinungen  im  Leben  (wovon  später), 
ist  es  wahrscheinlich  (durch  die  Section  von  Pferdeaugen  —  siehe 
weiter  unten  3.  Beobachtung  —  bestätigt),  dass  die  Netzhaut  in  man- 
chen Fällen  zufolge  der  entzündlichen  Erweichung  mitten  durchreisst 
(oder  ganz  aufgelöst  wird),  und  dann  in  dem  Exsudate  (und  verflüs- 
sigten Glaskörper?)  herumflattert.  Doch  kommt  es  vor,  dass  an  einer 
oder  der  andern  Stelle  (in  der  Gegend  des  Aequator  bulbi)  auch  die 
Netzhaut  mit  der  Aderhaut  verwachsen  ist  und  dann  eine  seitliche  Aus- 
stülpung des  oberwähnten  Trichters  bildet. 

Durch  den  Druck  des  Exsudates  nach  aussen  kann  die  Sclera 
gleichmässig  oder  stellenweise  ausgedehnt,  der  Bulbus  in  seinem  hin- 
tern oder  ganzen  Umfange  mehr  weniger  vergrössert,  oder  durch  par- 
tielle Ausdehnung  höckerig  werden.  Zu  dieser  partiellen  Ausdehnung 
(Staphylom  der  Sclera)  scheint  Verwachsung  der  Sclera  mit  der  Cho- 
rioidea  nothwendig  zu  sein.  —  Durch  Eesorption  der  flüssigen  und 
durch  Schrumpfung  der  festen  Bestandteile  des  Exsudates  kann  es  zu 
allmäliger  Schrumpfung  und  Einziehung  der  Sclera  und  Chorioidea,  zu 
Verkleinerung  des  ganzen  Bulbus  (ohne  sichtbare  Narbe  an  der  Cornea 
oder  Sclera  —  Atrophia  bulbi)  kommen.  (Vergl.  unten  3.  und  5.  Beob- 
achtung.) 

Der  Ciliarkörper,  namentlich  das  Ligamentum  ciliare,  bietet  nach 
längerer  Dauer  dieses  Zustandes  theilweise  oder  ringsum  die  Zeichen 
der  Atrophie  dar,  ingleichen  die  Iris,  deren  hintere  Fläche  überdiess 
manchmal  stellenweise  oder  durchaus  mit  einem  zu  einer  derben  Mem- 
bran umgewandelten  Exsudate  bedeckt  erscheint 

Die  Linse  wird  allmälig  trüb,  Anfangs  weich,  später  bisweilen 
auffallend  hart,  wenigstens  im  Kerne,  bisweilen  von  der  Oberfläche  her 
in  Kalkconcrement  umgewandelt.  Der  mittlere  Theil  der  vordem  Kapsel 
wird  bisweilen  vor,  in  der  Regel  jedoch  erst  nach  erfolgter  Trübung 
der  Linse  durch  Auflagerung  einer  körnigen  Masse  an  ihrer  hintern 
Fläche,  später  durch  innige  Verschmelzung  mit  dieser  getrübt,  verdickt, 
knorpelartig  hart.  Die  Verbindung  der  hintern  Kapsel  mit  der  Hya- 
loidea  wird  allmälig  so  gelockert,  dass  man  nach  Zerreissung  der 
Zonula  Zinnii,   wenn  diese  nicht  schon  von  selbst  (durch  Schrumpfung 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Sectionsbefund.  161 

der  vordem  Kapsel  und  des  Cüiarkörpers)  erfolgt  war,  die  Linse 
sammt  der  ganzen  Kapsel  aus  der  tellerförmigen  Grube  heraus- 
heben kann. 

Vom  Glaskörper  ist  zwischen  der  Hyaloidea  in  der  tellerförmigen 
Grube  und  der  Netzhaut  bald  mehr  bald  weniger  Masse  vorhanden. 
Er  fehlt  ganz,  wenn  der  Saum,  den  die  Netzhaut  vor  ihrer  Endigung 
an  der  Ora  serrata  bildet,  mit  der  vordem  (innern)  Fläche  an  den 
flachen  Theil  des  Corpus  ciliare  angezogen  ist. 

Ich  habe  in  diese  Schilderung  nur  das  aufgenommen,  was  ich  aus  eigener  An- 
schauung kenne,  und  halte  es  daher  für  nöthig,  mehrere  der  speciellen  Fälle,  auf  welche 
dieselbe  gestützt  ist,  in  mögliebst  getreuer  Beschreibung  anzuführen.  Die  Beobach- 
tungen 1,  2  und  3  betreffen  jene  Form  von  Chorioiditis  mit  serös-albuminösem  Exsudate, 
welcbe  unter  dem  Namen  Glaucoma  und  Ophthalmia  arthritica  beschrieben  worden  ist; 
die  4.  und  5.  bieten  den  Befund  von  Iridochorioiditis  (mit  faserstoffig-serösem  Exsudate), 
welche  als  Iritis  chronica,  Ophthalmia  interna  u.  dgl.  aufgeführt  wurde. 

1.  Beobachtung.  Ri/ba  Dorothea,  76  Jahre  alt,  starb  Mitte  Juli  1846  in  Folge  von 
Magenkrebs.  Sie  war  vor  7  Jahren  auf  dem  rechten  Auge  unter  heftigen  Schmerzen 
und  Röthe  des  Weissen  im  Auge,  und  4  Jahre  später  und  unter  geringeren  Zufällen 
allmälig  auch  auf  dem  linken  Auge  erblindet.  Ich  hatte  Gelegenheit  gehabt,  sie  durch  2  Jahre 
vor  ihrem  Tode  zu  beobachten.  Beide  Augen  boten  während  des  Lebens  die  Erschei- 
nungen von  vollständig  entwickeltem  Glaucom  dar,  wie  wir  sie  weiter  unten  schildern 
werden.  *)     Das  Magenleiden  hatte  sich  erst  2  Jahre  vor  dem  Tode  kund  gegeben. 

Befund  des  rechten  Auges.  Durchmesser  von  vorn  nach  hinten  1 1  lß'",  im  Äquator 
11'";  nach  oben  und  aussen  jedoch,  zwischen  dem  M.  rectus  sup.  und  ext.,  und  hinter 
dem  Äquator  ist  die  Sclera  hügelartig  erhoben  und  dunkelblau.  Die  Hornhaut  matt, 
jedoch  vollkommen  durchsichtig,  bis  auf  einige  schwärzliche  Punkte  in  ihrer  untern 
Hälfte,  die  sich  nach  Eröffnung  des  Auges  als  Anlagerungen  von  Pigment  an  die  Des- 
cemetsche  Haut  erwiesen.  Der  Bulbus  wurde  von  vorn  nach  hinten  durchschnitten,  so 
dass  der  Schnitt  etwas  oberhalb  des  M.  rectus  externus  (also  durch  die  bläuliche  Aus- 
bauchung der  Sclera)  und  unterhalb  des  M.  rectus  internus  verlief.  Man  sah  nun  im 
Innern  des  Bulbus  eine  Höhle,  in  welcher  eine  klare  gelbliche  Flüssigkeit  enthalten  war, 
die  beim  Erhitzen  grösstentheils  gerann.  Mitten  durch  die  Höhle  verläuft  ein  gelblich- 
grauer Strang,  die  zusammengefaltete  Netzhaut,  welche  sich  von  der  Eintrittsstelle  des 
Sehnerven  bis  zur  Ora  serrata  erstreckt,  jedoch  nach  oben  und  aussen  einen  Ausläufer 
bildet,  der  sich  zur  Mitte  der  oberwähnten  Scleralausdehnung  begibt.  Von  der  Gegend  an, 
wo  eine  durch  den  Aequator  bulbi  gelegte  Ebene  die  Netzhaut  durchschneiden  würde,  ver- 
wandelt sich  die  Netzhaut,  indem  sie  zur  Ora  serrata  verläuft,  gleichsam  in  einen  Trichter, 
in  dessen  Höhlung  man  deutlich  Eeste  des  Glaskörpers  erkennt.  Die  Chorioidea,  durch- 
aus an  die  Sclera  angelagert,  ist  von  der  Lamina  cribrosa  bis  zur  Ora  serrata  ringsum 
sehr  verdünnt,  und  blass  bräunlich  grau,  in  der  nächsten  Umgebung  der  Lamina  cribrosa 
aber  ganz  pigmentlos.  An  der  Stelle,  welche  von  aussen  bläulich  und  hervorgetrieben 
erschien,  ist  die  Chorioidea  im  Umfange  von  beiläufig  ?>'"  Durchmesser  fest  mit  der  hier 
auffallend    verdünnten  Sclera   verwachsen,    durch    einzelne    Pigmentpunkte    und    Flecken 

*)  Diesen  Fall  habe  ich  bereits  in  der  Prager  Vierteljahrschrift,   Jahrgang  1847,   S.  56,    beschrieben  und 
auf  der  beigegebenen  Tafel  Fig. TV.  abbilden  lassen. 
Arlt  Augenheilkunde.  IT.  1  l 


162  Aderhaut. 

braun  und  blau  gesprenkelt,  und  zur  Mitte  dieser  Stelle  ist  der  obgenannte  Ausläufer  der 
Netzhaut  durch  innige  Verwachsung  mit  der  Chorioidea  und  Sclera  hingezogen.  Die 
Vortices  vasorum  Stenonis  lassen  sich  nicht  mehr  wahrnehmen ;  von  den  Ciliarnerven 
sind  nur  hie  und  da  dünne  Zweigchen  zu  erkennen.  Der  Ciliarkörper  ist  da,  wo  hinter 
ihm  das  Scleralstaphylom  liegt,  derart  atrophisch,  dass  man  vom  Ligamentum  ciliare  gar 
nichts  mehr  sieht;  an  der  Nasenseite  scheint  er  nicht  verändert  zu  sein.  Die  Ciliar- 
fortsätze  sind  nicht  kleiner,  werden  jedoch  erst  dann  sichtbar,  wenn  man  eine  Exsudat- 
schicht, welche  von  der  Zonula  Zinnii  in  den  rudimentären  Glaskörper  hineinreicht,  mit 
einiger  Gewalt  abgezogen  hat.  Die  Netzhaut,  an  der  Ora  serrata  fixirt,  ist  so  gegen  den 
flachen  Theil  des  Corpus  ciliare  hingezogen ,  dass  eine  Ebene ,  durch  die  Ora  serrata 
gelegt,  noch  einen  guten  Theil  von  der  Netzhaut  abschneiden  würde,  d.  h.  sie  erstreckt  sich 
auf  ihrem  Wege  von  der  Mitte  zur  Peripherie  gewölbt  nach  vorn  ,  und  biegt  dann ,  um. 
zur  Ora  serrata  zu  gelangen ,  wieder  nach  hinten  um.  Die  dunkelbraune ,  stellenweise 
schiefergraue  Iris  ist  nach  oben  und  aussen  (i.  e.  da,  wo  hinter  ihr  das  Corpus  ciliare 
atrophisch  und  die  Sclera  staphylomatös  ist)  auf  einen  so  schmalen  Saum  reducirt,  dass 
man,  durch  die  Cornea  in's  Auge  blickend,  denselben  gar  nicht  wahrnehmen  konnte.  An 
dem  nicht  geschwundenen  Theile  der  Iris  war  der  Pupillarrand  röthlich  und  durch  Exsudat 
locker  mit  der  vordem  Kapsel  verklebt.  An  der  hintern  Fläche  der  Iris  sieht  man  einige 
weissgraue  Stellen,  Exsudat  auf  der  Iris,  welches  die  Stelle  der  Pigmentlage  einnimmt 
und  mit  der  Iris  innig  zusammenhängt.  Mit  Ausnahme  dieser  Stellen  erscheint  die  Pig- 
mentlage der  Iris  normal.  Die  dunkelgelbe,  im  Kerne  fast  braune  und  sehr  harte  Linse 
liegt  sammt  der  Kapsel  etwas  weiter  vorwärts ,  als  im  normalen  Zustande.  Desshalb, 
und  weil  der  Ciliarkörper  (nach  aussen  und  oben)  geschrumpft  ist,  erscheint  der  freie 
Theil  der  Zonula  Zinnii  ausgedehnt  und  die  Verbindung  der  Kapsel  mit  dem  Ciliarkörper 
gelockert.  Auch  die  hintere  Kapsel  ist  mit  der  etwas  getrübten  und  verdickten  Hyaloidea. 
in  der  tellerförmigen  Grube  nur  lose  verbunden.  Man  konnte  demnach  die  Linse  sammt 
der  Kapsel  leicht  aus  ihrer  Grube  herausheben.  Die  vordere  Kapsel  ist  in  ihrem  mittlem 
Theile  verdickt,  hart,  undurchsichtig,  bläulich  weiss;  diese  von  dem  vollkommen  durch- 
sichtigen Randtheile  scharf,  jedoch  unregelmässig  abgegrenzte  Stelle  misst  gegen  2'"  im 
Durchmesser;  und  gleicht  einem  flachen,  mitten  auf  die  Kapsel  aufgeklebten  Knopfe.  Der 
Band  dieses  Knopfes  hing  mit  dem  Pupillarrande  der  Iris  locker   zusammen. 

Linkes  Äuge.  Die  Durchmesser  dieses  Bulbus  etwas  grösser,  als  die  des  rechten; 
die  Sclera  hinter  dem  Äquator  in  grosser  Ausdehnung  bläulich  und  hervorgetrieben. 
Der  Bulbus  wurde  ohngefähr  in  der  Gegend  und  Eichtung  des  Äquators  geöffnet,  und 
der  Schnitt  rings  herum  geführt.  Es  entleerte  sich  eine  klare,  gelbliche,  eiweisshaltige 
Flüssigkeit.  Da  man  von  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  einen  weissgrauen  Kegel 
vorwärts  verlaufen  sah,  so  ergab  sich's,  dass  diess  die  Netzhaut  sei,  und  dass  der  Schnitt 
rings  herum  auch  die  Chorioidea  in  eine  vordere  und  hintere  Hälfte  zerlegt  hatte.  Es 
gelang  mit  leichter  Mühe,  die  vordere  Hälfte  der  Sclera  und  Chorioidea  sammt  der  Iris 
von  der  Netzhaut,  Zonula  Zinnii  und  Krystalllinse  abzulösen ,  da  das  Auge  schon  ein 
wenig  macerirt,  und  die  Verbindung  zwischen  Corpus  ciliare  und  Zonula  Zinnii  hiedurch 
gelockert  worden  war.  Die  Chorioidea  erscheint  rings  um  die  Eintrittsstelle  des  Seh- 
nerven herum  dunkelbraun.  Diese  Färbung  erstreckt  sich  an  der  Nasenseite  bis  in  die 
Nähe  des  Äquators,  an  der  Schläfeseite  jedoch  ist  sie  nur  2  -  3;"  breit.  In  der  vordem 
Hälfte  ist  die  Chorioidea  auffallend  verdünnt,  blass,  ganz  pigmentlos,  an  der  Schläfeseite 
jedoch,  und  zwar  entsprechend  der  Ausbauchung  der  Sclera,  marmorirt,  mit  zahlreichen 
dunkelblauen  Tunkten  und  Flecken  besetzt,  und  zugleich  mit    der   auffallend    verdünnten. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Sectionsbefund.  163 

Scleralpartie  unzertrennlich  verwachsen.  Im  Corpus  ciliare  fällt  nur  die  Dünnheit  des 
Ligamentum  ciliare  als  abnorm  auf.  Die  Iris  von  vorn  stellenweise  schiefergrau,  hinten 
fast  durchaus  gehörig-  mit  Figment  belegt,  ist  auf  einen  nicht  ganz  l'"  breiten  Saum  ge- 
schrumpft. Die  Linse  getrübt,  zwischen  6  centripetaien  weissgrauen  Streifen  der  Binden- 
substanz und  durch  die  vollkommen  durchsichtige  Kapsel  ambragelb  durchscheinend, 
etwas  weiter,  als  im  normalen  Zustande,  vorwärts  gerückt.  In  dem  von  der  Netzhaut 
gebildeten  Trichter  halb  durchsichtige  Reste  des  Glaskörpers  eingeschlossen.  Die  zur  Iris 
verlaufenden   Ciliarnerven  auffallend  dünn,  an  dor  Schläfescite  fehlend. 

2.  Beobachtung.  Von  einer  60  Jahre  alten  Bürgersfrau,  welche  in  ihrer  frühesten 
Jugend  an  Bhachitis  gelitten  hatte,  im  Jahre  1843  auf  dem  linken,  1S47  unter  meiner 
Behandlung  auch  auf  dem  rechten  Auge  an  Glaucoma  ziemlich  rasch  und  unter  heftigen 
Zufällen  erblindet  war,  erhielt  ich  1851  das  linke  Auge  zur  Section.  Durchmesser 
von  vorn  nach  hinten  I0:,V",  im  Äquator  horinzontal  ll'/V",  vertical  lO'A'";  Durch- 
messer der  durchsichtigen  Hornhaut  horizontal  b'",  vertical  4'/2/;;.  An  der  Schläfeseite 
in  der  Gegend  des  Äquators  ein  Scleralstaphylom  von  etwa  V"  Höhe,  2—3  Quadrat- 
linien Basis.  Eröffnung  von  vorn  nach  hinten ;  der  Schnitt  verlief  durch  den  obern 
Band  der  Cornea,  dann  durch  das  Scleralstaphylom,  und  endete  knapp  oberhalb  des 
Opticus.  Sieht  man  nun  von  oben  in  die  bei  weitem  grössere  untere  Hälfte  des  Bulbus 
hinein,  so  bemerkt  man  Folgendes.  Die  Sclera  nur  in  der  Gegend  des  Staphyloms  ver- 
dünnt. Die  Chorioidea  rings  um  die  Lamina  cribrosa  und  an  der  Nasenseite  bis  zur  Ora 
serrata  auffallend  dunkelbraun,  jedoch  in  der  Umgebung  des  Scleralstaphylomes  an  der 
Schläfeseite  und  von  da  nach  oben  und  unten  bis  zur  Ora  serrata  ganz  blass,  pigmentlos 
und  verdünnt,  an  der  Stelle  des  Staphylomes  selbst  nach  aussen  mit  der  Sclera,  nach 
innen  an  einer  kleinen  Stelle  mit  einem  Theile  der  Netzhaut  unzertrennlich  verwachsen. 
Die  Partie  der  Verwachsung  ist  so  mit  Pigment  durchsetzt,  dass  die  Sclera  auch  von 
aussen  schwarzblau  marmorirt  erscheint.  Die  Netzhaut  ist  in  einen  Trichter  verwandelt, 
mit  der  Spitze  an  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven,  mit  der  Basis  an  der  Ora  serrata  be- 
festigt,  undurchsichtig,  weissgrau.  Gegen  die  Schläfeseite  verläuft  etwas  hinter  dem 
Äquator  eine  Ausstülpung  desselben,  deren  Spitze  fest  mit  der  Chorioidea  und  Sclera 
verwachsen  ist.  Der  durch  den  Bulbus  geführte  Schnitt  hat  sowohl  den  Haupt-  als  den 
Nebentrichler  von  vorn  nach  hinten  geöffnet.  Der  Baum  zwischen  Chorioidea  und  Betina 
war  von  einer  klaren  eiweisshaltigen  Flüssigkeit  ausgefüllt.  In  der  Höhlung  der  Netzhaut 
findet  man  Rudimente  des  Glaskörpers,  welche  nächst  der  Hyaloidea  in  der  tellerförmigen 
Grube  noch  vollkommen  durchsichtig  sind.  An  der  letztgenannten  Stelle  ist  auch  die  Hyaloidea 
noch  vollkommen  durchsichtig.  Gegen  die  Zonula  Zinnii  hin  (an  der  innern  Fläche  des 
Ciliarkörpers)  ist  der  Glaskörper  trüb,  weisslich,  von  lichten  Fäden  durchzogen,  mit  dem 
Ciliarkör.er  sowohl  als  mit  der  Netzhaut  fest  vereinigt.  Auch  in  diesem  Falle  würde  eine 
Ebene,  durch  die  Ora  serrata  gelegt,  einen  guten  Theil  der  Netzhaut  mit  abschneiden,  in- 
dem diese,  bevor  sie  zur  Ora  serrata  gelangt,  weiter  vorwärts  gezogen  erscheint,  und  dann  erst 
wieder  zur  Ora  serrata  zurückläuft.  Das  Ciliarband  ist  so  geschrumpft,  dass  man  es  auf 
der  Durchsehnittsfläche  kaum  erkennt,  die  Ciliarfortsätze  werden  erst  dann  sichtbar,  wenn 
man  jene  weissliche  Masse,  welche  innerhalb  des  Corpus  ciliare  den  Glaskörper  durchzieht 
mit  einiger  Gewalt  davon  abzieht.  Die  Linse  lässt  sich  sammt  ihrer  Kapsel  leicht  aus  einer 
Höhle  herausheben,  welche  hinten  von  der  Hyaloidea,  zur  Seite  von  den  Ciliarfortsätzen, 
vorn  von  der  Iris  gebildet  wird.  Die  Linse  ist  etwas  geschrumpft,  ihre  Bindensubstanz 
theilweise  verkalkt,  der  Kern  hart,  bräunlich  gelb.  Der  mittlere  Theil  der  vordem  Kapsel 
ist  getrübt,  verdickt,  knorpelähnlich,  aussen  glatt,  innen  rauh.  Die  dunkelbraune,  stellen- 

11* 


164  ■  Aderhaut. 

weisse  schiefergraue  Iris  ist  gegen  \.l/-i'"  breit,  die  Pupille  hat  2'"  im  Durehmesser;  sie 
ist  unregelmässig  rund  und  durch  eine  Exsudatmembran  verlegt,  welche  sich  über  die  ganze 
hintere  Fläche  der  Iris  bis  zu  den  Ciliarfortsätzen  hin  ausbreitet.  Dadurch,  dass  das  Ciliar- 
band  ganz  verschrumpft  und  das  Linsensystem  etwas  weiter  vorwärts  gelagert  erscheint, 
ist  auch  die  Iris  so  weit  gegen  die  Cornea  vorgerückt,  dass  sie  dieselbe  beinahe  berührt. 
3.  Beobachtung.  Ein  Thierarzt  schickte  mir  1847  zwei  Pferdeaugen  mit  der  An- 
gabe, das  Thier  habe  an  Glaucom  gelitten.  Das  linke  hatte  die  normale  Grösse,  die  Conj. 
palp.  et  bulbi  ziemlich  stark  netzförmig  geröthet,  nicht  aufgelockert,  noch  verdickt. 
Unter  derselben  an  der  untern  Peripherie  des  Bulbus  auf  der  Sclera  ein  sehr  erweitertes 
blaurothes,  von  Blut  strotzendes  Gefäss,  welches  aus  der  Tiefe  unter  der  Übergangsfalte 
hervorkam,  und  sich  gegen  die  Hornhaut  hin  in  3  Zweige  theilte,  wovon  2  in  der  Ent- 
fernung von  l'a — 2'"  vom  Hornhautrande  sich  in  die  Sclera  senkten,  eines  gegen  den 
Canthus  internus  hin  den  Hornhautrand  in  einer  3 — 4'"  langen  Strecke  umkreiste,  und 
daselbst  sieh  in  äusserst  feine  Zweige  verästelte.  Das  dicke  Gefäss,  der  Stamm,  war 
von  zwei  dünnen  blassrothen  Adern  eingefasst,  welche  man  nur  bei  grösserer  Aufmerk- 
samkeit durch  die  Tunica  vaginalis  und  Conjunct.  bulbi  hindurchschimmern  sah.  Die 
Cornea  ganz  rein  und  durchsichtig,  die  Iris  schwarz,  der  Pupillarrand  zackig,  stellen- 
weise gleichsam  angefressen;  die  Linse  grau  weiss,  knapp  an  der  Iris  anliegend.  Als 
ich  die  Sclera  und  die  an  ihr  fest  anhängende  Chorioidea  im  Äquator  ringsum  durch- 
schnitten hatte,  fioss  eine  Menge  wässriger,  klarer,  gelblicher  Flüssigkeit  aus,  welche 
eine  von  der  Chorioidea  umschlossene  Höhle  ausgefüllt  hatte.  Nach  hinten  sah  ich  nun 
an  der  Eintrittsstelle  des  Opticus  einen  etwa  1'"  hohen  Stumpf  der  Netzhaut  frei  empor- 
stehen. An  der  vordem  Wandung  jener  Höhle  haftete  etwa  1/-i  Kaffeelöffel  voll  Glaskörper, 
von  einer  weisslichen  Membran  überdeckt.  Diese  war  offenbar  die  Betina,  was  ich  aus 
der  festen  Verbindung  mit  dem  hintern  Bande  des  Ciliarkörpers  und  nachträglich  auch 
aus  der  mikroskopischen  Untersuchung  erkannte.  Der  Best  des  Glaskörpers  war  zäh, 
fadenziehend,  durchsichtig,  wie  gesunder  Glaskörper.  Ich  legte  nun  den  Zeigefinger  auf 
die  Cornea  und  umstülpte  die  vordere  Hälfte  des  Bulbus,  indem  ich  die  Bänder  gegen 
den  Finger  hin  zurückschlug.  Die  Linse  war  dabei  nicht  aus  ihrer  Verbindung  gewichen, 
wohl  aber  Hess  sich  nun  der  Best  des  Glaskörpers  hinter  der  Linse  leicht  entfernen.  Ich 
umkreiste  sofort  die  Linse  mit  der  Branche  einer  Pincette,  die  Kapsel  schonend  und  nur 
die  Verbindung  mit  den  Ciliarfortsätzen,  die  Zonula  Zinnii  lösend.  Diese  Verbindung 
schien  mir  abnorm  fest  zu  sein.  Nachdem  ich  nun  die  ziemlich  harte  Linse  sammt  der 
unversehrten  Kapsel  aus  dem  Auge  genommen,  spiesste  ich  sie  vom  Bande  her  mit 
einer  Nadel  an,  dass  ich  sie  frei  halten  konnte,  und  löste  dann  bequem  zuerst  die  hintere, 
sodann  die  vordere  Kapsel  ab.  Erstere  war  vollkommen  krystallhell  und  löste  sich  ganz 
rein  ab;  die  hintere  Oberfläche  der  Linse  blieb  glatt,  die  vordere  Kapsel  aber  erschien 
nicht  nur  getrübt,  völlig  undurchsichtig,  graulich  weiss,  sondern  auch  auf  3,V"  stellen- 
weise verdickt.  Ihre  vordere  Fläche  war  glatt;  an  der  hintern  schienen  Linsenreste 
zurückgeblieben  zu  sein;  als  ich  den  scheinbaren  Beschlag  mit  dem  Messer  abzustreifen 
suchte,  war  ich  diess  nicht  im  Stande ;  eher  hätte  ich  die  Kapsel  selbst  zerrissen.  Die 
vordere  Kapsel  war  so  steif,  dass  sie  ihre  Gestalt  behielt  und,  wenn  ich  sie  auch  künst- 
lich veränderte,  dennoch  wieder  annahm,  nämlich  vorn  convex,  hinten  concav.  Die  Stelle, 
wo  ich  abgeschabt  hatte,  was  sich  abschaben  liess,  sah  so  aus  wie  Milchopal.  Gefässe 
konnte  ich  auch  mit  einer  scharfen  Loupe  keine  entdecken.  Der  Bandtheil  der  vordem 
Kapsel  war  noch  vollkommen  durchsichtig;  nur  am  Äquator  (grössten  Kreise  der  Kapsel) 
zeigten  sich  einzelne  Kalkablagerungen. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Sectionsbefund.  165 

Das  rechte  Auge  auf  2  5  des  normalen  Volumens  geschrumpft,  von  vorn  nach  hinten 
zusammengedrückt,  die  hintere  Hälfte  ganz  ahgeplattet.  Die  Hornhaut  kleiner  und  uneben, 
opalartig  getrübt,  die  vielfältig  eingebogene  Sclera  sehr  verdickt,  rings  um  den  Opticus 
mehr  als  ['"  dick.  Die  Chorioidea  fest  mit  ihr  vereint;  von  der  Retina  nur  ein  Stumpf 
an  der  Eintrittsstelle  des  Opticus  vorhanden ;  das  Cavum  innerhalb  der  Chorioidea  mit 
einem  gelblichen,  klaren,  tropfbarflüssigen  Exsudate  ausgefüllt;  von  der  Retina  und  dem 
Glaskörper  weiter  keine  Spur.  Von  der  Ora  serrata  an  zog  sich  gegen  die  Mitte  hin 
eine  röthliehe  verdickte,  an  der  Peripherie  sehnig  glänzende  Membran  (durch  Exsudat 
zusammengeschmolzene  Retina  und  Hyaloidea?).  Vor  derselben,  in  einer  glatten  Hülse 
eingescblossen,  und  weiterhin  ringsum  von  einer  schwarzen  Masse  (zusammengeschmol- 
zene Iris  und  Ciliarkörper)  umfasst,  lag  die  Linse,  auf  '/•»  ihres  normalen  Volumens 
geschrumpft,  stark  runzlig,  bläulich  grau,  nicht  vollkommen  durchsichtig,  sondern 
an  den  Kanten  der  Durchschnittsfläche  durchscheinend.  Die  hintere  Wand  der  Cornea 
ungemein  stark  runzlig  oder  vielmehr  faltig,   knapp  an  der  Iris  anliegend. 

4.  Beobachtung.  Das  rechte  Auge  eines  50jährigen,  an  Tuberculosis  pulmon.  ver- 
storbenen Mannes  bot  auf  dem  Leichentische  den  Befund  von  Cataracta  aecreta  dar.  Grösse 
normal ,  Resistenz  etwas  geringer ,  die  Hornhaut  normal ,  die  vordere  Kammer  eng, 
die  Iris  in  der  Peripherie  an  die  Cornea  angelagert,  mit  dem  Pupillarrande  trichter- 
förmig rückwärts  gezogen,  licht  graublau,  die  Pupille  gegen  V"  im  Durchmesser, 
unregelmässig  rund ,  der  zackige  Pupillarrand  mit  der  Kapsel  verwachsen ,  diese  und 
die  Linse  weissgrau  getrübt.  Die  Sclera  wurde  hinter  der  Insertion  der  Muse,  recti 
rings  herum  durchschnitten  und  sammt  der  Cornea  von  der  Chorioidea  und  Iris  ab- 
gelöst. Die  Cornea  war  mit  der  Peripherie  der  Iris  durch  eine  dünne  Exsudatlage 
ziemlich  fest,  doch  nicht  unzertrennlich  verbunden.  Das  Ciliarband  erschien  als  ein 
gegen  2'"  breiter  gelblichgrauer  Saum,  im  Durchschnitte  etwa  1/z'"  dick.  Von  ihm  liess 
sieh  die  Iris  auf  die  gewöhnliche  Weise  leicht  ablösen.  Die  Iris  erschien  ungewöhnlich 
dünn  und  an  zahlreichen  Stellen ,  besonders  im  grossen  Kreise  ohne  Pigmentlage.  Sie 
liess  sich  sammt  den  die  Pupille  ausfüllenden  dünnen  Exsudathäutchen  leicht  von  der 
Kapsel  abheben,  war  also  nicht  mit  dieser,  wie  es  geschienen  hatte,  verwachsen.  Hinter 
der  Iris  befand  sich  eine  sehr  geräumige,  von  wasserklarer  Flüssigkeit  ausgefüllte  Höhle, 
in  welcher  die  in  ihrer  Kapsel  eingeschlossene  Linse  schwamm.  Diese  stellt  der  Form 
nach  mehr  eine  Kugel  als  eine  Linse  dar.  Sie  misst  im  Äquator  S'/i'",  in  der  Achse 
23  4".  Die  hintere  Kapsel  ist  vollkommen  durchsichtig,  die  vordere  tiüb  und  vom  Centrum 
zur  Peripherie  gerunzelt.  Die  Runzeln  verlaufen  von  der  Insertionsstelle  der  Zonula 
Zinnii  centripetal  zu  einem  etwas  erhabenen  Exsudatknöpfchen  auf  dem  mittleren  Theile 
der  vordem  Kapsel.  Am  Rande  verlaufen  zwei  bräunlich  pigmentirte  Reifen,  davon  der 
eine  der  Insertionsstelle  der  Zonula  Zinnii  in  die  vordere  Kapsel,  der  andere  der  Anla- 
gerung der  Hyaloidea  an  die  hintere  Kapsel  entspricht.  Die  Hyaloidea  bildet  die  hintere, 
das  Corpus  ciliare  mit  den  Ciliarfortsätzen  aber  die  seitliche  Wandung  jener  Höhle,  in 
welcher  die  Linse  sammt  ihrer  Kapsel  lag.  Diese  wurde  nicht  geöffnet.  Als  nun  die  Cho- 
rioidea ungefähr  an  derselben  Stelle  wie  die  Sclera  eröffnet  wurde,  entleerte  sich  eine 
wässrige,  etwas  gelbliche  Flüssigkeit,  und  man  sah  die  zusammengefaltete  Netzhaut  von 
der  Eintrittsstelle  des  Opticus  bis  zur  Ora  serrata  nach  vorn  verlaufen.  Vom  Glaskörper 
ist  in  diesem  Falle  keine  Spur  vorhanden,  und  die  Netzhaut  ist,  so  weit  sie  nicht  durch 
die  Fixirung  an  der  Ora  serrata  gehindert  ist,  förmlich  gegen  die  innere  Fläche  des 
Corpus  ciliare  vorwärts  gezogen.  Die  Chorioidea  ist  nirgends  mit  der  Sclera  oder 
Retina    verwachsen     (ausser    mit     letzterer    in     der    Gegend     der    Ora    serrata) , 


166  Aderhaut. 

«twas    dünner    als    im    normalen   Zustande,     und    zeigt    nicht    die    normale    Menge    von 
Pigment. 

5.  Beobachtung.  Der  linke  Bulbus  eines  an  Cholera  verstorbenen,  etwa  35jährigen 
Mannes  wurde  mir  wegen  Hornhauttrübungen  vom  Sectionsdiener  überbracht.  Dureh- 
messer von  vorn  nach  hinten  10'",  im  Äquator  Q'fe"';  in  der  hintern  Hälfte  ist  der  Bulbus 
an  mehreren  Stellen,  besonders  aber  an  der  Nasenseite  stark  eingezogen,  daher  höckerig, 
während  die  Cornea  und  die  Sclera  in  der  vordem  Hälfte  von  der  normalen  Wölbung 
nicht  merklich  abweichen.  Die  Cornea,  an  der  Oberfläche  glatt  und  ohne  Erhabenheit 
oder  Vertiefungen,  erseheint  besonders  in  ihrer  untern  Hälfte  getrübt,  die  Iris  licht  braun- 
grau, im  kleinen  Kreise  schwarzbraun,  der  Cornea  sehr  genähert;  die  Pupille  durch  eine 
lichtgraue  Membran  vollständig  verschlossen,  nicht  ganz  1'"  im  Durchmesser.  Der  Bulbus 
in  eine  obere  grössere  und  untere  kleinere  Hälfte  zerschnitten,  zeigte  im  Innern  folgende 
Veränderungen:  Der  innere  Baum  ist  in  zwei  grosse  Höhlen  geschieden,  eine  vordere 
und  hintere.  Die  vordere  ist  gebildet:  von  der  stark  vorwärts  gedrängten  Iris,  von  dem 
Corpus  ciliare  bis  zur  Ora  serrata,  und  von  der  tellerförmigen  Grube,  welche  jedoch  so  weit 
zurückgedrängt  erscheint,  dass  ihre  Kuppel  gerade  in  der  Mitte  des  Bulbus  liegt.  Diese 
Höhle  misst  demnach  von  der  Pupille  bis  zum  Centrum  der  tellerförmigen  Grube  4'/2'"> 
und  innerhalb  des  hintern  Endes  des  Corpus  ciliare  7'".  In  ihr  befindet  sich  wasserklare 
Flüssigkeit  und  darin  schwimmend  der  ganz  harte  und  dunkelbraune  Kern  der  Krystall- 
linse.  Von  der  Kapsel  ist  nur  die  vordere  Hälfte  vorhanden;  diese  ist  durch  Exsudat 
an  die  hintere  Fläche  der  Iris  angelöthet;  nach  Ablösung  von  dieser  erscheint  sie  in 
ihrer  mittleren  Partie  (fast  zwei  Quadratlinien)  weissgrau,  verdickt,  innen  und  aussen 
rauh,  im  Randtheile  dagegen,  der  von  den  Ciliarfortsätzen  (der  Zonula)  abgerissen  ist, 
zum  Theil  durchsichtig,  zum  Theil  braun  pigmentirt.  —  Durch  die  hintere,  vermöge  der 
seitlichen  Einschrumpfung  des  Bulbus  viel  kleinere  Höhle  zieht  ein  weisser  Strang  von 
der  Lamina  cribrosa  gerade  nach  vorn  zur  Kuppel  der  tellerförmiger  Grube,  eingehüllt 
von  einem  grauen,  lockeren  Gewebe,  welches  zusammengeballtem  Spinngewebe  nicht  un- 
ähnlich ist.  Diese  Masse  streicht  dann  an  der  Bückseite  der  zur  Ora  serrata  verlaufenden 
Netzhaut  gegen  die  Peripherie  hin  und  geht  in  eine  stellenweise  knorpelharte,  lichtgraue 
Masse  über,  welche  in  der  Gegend  des  Aequator  bulbi  über  1'"  mächtig  auf  der  Cho- 
rioidea  aufsitzt,  von  da  nach  vorn  (bis  zur  Ora  senata)  und  nach  rückwärts  allmälig 
abnimmt,  und  mit  der  Chorioidea  sowohl  als  mit  der  glatten  Membran,  welche  die  vordere 
Höhle  nach  hinten  begrenzt,  innigst  zusammenhängt,  gleichsam  in  Eins  verschmolzen  ist. 
Im  hintern  Umfange,  etwa  3'"  breit  um  die  Eintrittsstelle  des  Opticus  herum,  ist  die  hintere 
Höhle,  welche  von  einer  klaren,  jedoch  gelblichen  Flüssigkeit  erfüllt  war,  von  der  Chorioidea 
begrenzt,  welche  daselbst  des  Pigmentes  fast  gänzlich  beraubt  und  an  der  Nasenseite  (nach 
innen  von  der  Eintrittsstelle  des  Opticus)  unzertrennlich  mit  der  hier  merklich  verdickten 
Sclera  verwachsen  ist.  Sonst  ist  die  Chorioidea  (mit  Einschluss  des  Corpus  ciliare)  nirgends 
mit  der  Sclera  abnorm  verbunden.  Am  Corpus  ciliare  ist  nicht  bloss  das  Ligamentum 
ciliare  fast  ganz  geschwunden,  sondern  es  sind  auch  die  Ciliarfortsätze  viel  kleiner. 
Sie  wurden  erst  dann  sichtbar,  wenn  man  den  getrübten  und  durch  Exsudat  ver- 
dickten Ciliartheil  der  Zonula  Zinnii  mit  Gewalt  ablöste ,  wobei  die  ganze  Pigment- 
schicht an  dieser  haften  blieb.  Die  Iris,  auffallend  dünn  und  an  ihrer  innern  Fläche 
nur  im  kleinen  Kreise  und  an  einzelnen  Stellen  des  grossen  Kreises  mit  Pigment  belegt, 
durch  eine  halbdurchsichtige  Membran  in  der  Pupille  in  eine  undurchbohrte  Scheibe 
verwandelt,  war  in  ihrer  untern  Hälfte  durch  eine  dünne,  weisse  (auf  dunklem  Grunde 
bläulich  weisse)  Membran  mit  der  Descemetschen  Haut  verklebt.     Bei  der  Ablösung  blieb 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Sectionsbefund.  167 

diese  Pseudomembran  an  der  Iris  sitzen,  mit  welcher  sie  jedoch  nur  nach  unten  fest  ver- 
bunden ist. 

2.    Befund  bei  Chorioiditis  mit  croupösem  Exsudate. 

Die  Chorioiditis  pyuemica,  wie  diese  Form  mit  Rücksicht  auf  ihr 
ätiologisches  Moment  füglich  genannt  werden  kann,  tritt  mit  Ablagerung 
croupösen  Exsudates  au  der  Innenfläche  der  Chorioidea  auf,  und  er- 
greift diese  Membran  in  kurzer  Zeit  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung,  von 
der  Lamina  cribrosa  bis  zur  Iris. 

Zunächst  ist  es  die  Netzhaut,  welche  in  ihrer  Function  und  Form 
beeinträchtigt,  zerstört  wird.  Sie  erweicht  und  zerfliesst  in  dem  eitri- 
gen Exsudate. 

Gleichzeitig  oder  schon  früher  wird  die  Tunica  vaginalis  und  die 
'  'onjunctiva  bulbi  durch  serösen  (auch  faserstoffig-serösen)  Erguss  enorm 
geschwellt;  auch  die  Lider  participiren   an  der  ödematösen  Infiltration. 

Die  Sclera  wird  (an  einer  oder  der  andern  Stelle)  lebhaft  ge- 
röthet,  aufgelockert,  und  in  späterer  Zeit  kann  Erweichung  und  Durch- 
bohrung derselben  (im  vordem  Umfange  beobachtet)  eintreten. 

Vom  Ciliarkörper  aus,  der  an  seiner  ganzen  inuern  Fläche  mit 
croupösem  Exsudate  bedeckt  wird,  erfolgt  Eitererguss  in  den  Humor 
aqueus,  und  Ansammlung  von  Eiter  in  der  vordem  Augenkammer,  in 
den  Petitsehen  Canal,  und  in  den  Glaskörper,  welcher  Anfangs  wolkig, 
Aveiterhin  durchaus  getrübt,  endlich  in  eine  schleimig-eitrige  Masse  ver- 
wandelt wird. 

Die  Iris  und  die  Cornea  werden  zunächst  ödematös,  und  weiter- 
hin gewöhnlich  in  den  Schmelzungsprocess  gezogen. 

Der  gewöhnliche  Ausgang  ist  der  in  Durchbruch  der  Cornea,  und 
Entleerung  der  Linse  und  des  vereiterten  Glaskörpers.  Selten  ist  der 
oben  erwähnte  Ausgang  in  Durchbruch  der  Sclera,  noch  seltener  der 
in  Resorption  des  Eiters  und  Zusammenschrumpfung  des  Bulbus.  Nach 
letzterem  Ausgange  ist  als  merkwürdige  Erscheinung  die  Thatsache  zu 
bemerken,  class  man  bisweilen  an  den  mehr  weniger  zusammenge- 
schrumpften Bulbis  die  Hornhaut  nach  längerer  Zeit  ('/ä  Jahr)  vollkom- 
men durchsichtig,  obwohl  um  ungefähr  die  Hälfte  kleiner,  und  von  der 
entfärbten  und  rückwärts  gezogenen  Iris  durch  ganz  klaren  Humor 
aqueus  geschieden  findet. 

6.  Beobachtung.  Auf  der  Abtheilung  des  Prof.  Jaksch  war  ein  Mann  in  Folge 
von  Caries  am  Körper  des  Keilbeins  gestorben.  Ich  fand  an  beiden  Augen  die  Conjunct. 
bulbi  stark  ödematüs .  und  am  linken  auch  von  sehr  zahlreichen  Gefässen  durchzogen, 
und  dachte  desshalb  an  Chorioiditis  pyaemica ,  wesshalb  ich  die  Bulbi  exstirpirte.  Der 
rechte    zeigte   nichts    Abnormes ,    ausser  dass  das  Pigment  der  Chorioidea  sparsamer  war, 


168  Aderhaiit. 

die  Yasa  vorticosa  von  Blut  strotzten ,  und  die  innere  Fläche  der  Chorioidea  eine  hell- 
rothe  Farbennuance  zeigte.  Links  fand  ich  nach  Eröffnung  der  Sclera  eine  linsengrosse 
weisslich°-elbe  Stelle  der  Chorioidea,  und  zwar,  in  der  Gegend  des  Äquators  gerade  nach 
unten ,  unmittelbar  vor  dem  daselbst  liegenden  Gefässwirbel.  Die  Chorioidea  war  da- 
selbst von  croupüsem  Exsudat  infiltrirt  und  mit  der  ringsum  etwas  gerütheten  Sclera 
massig  fest  verklebt.  Als  ich  die  Chorioidea  von  der  Netzhaut  abhob,  blieb  an  der 
letzteren  viel  Pigment  zurück,  und  die  durch  Exsudat  bezeichnete  Stelle  der  Chorioidea 
erschien,  von  innen  angesehen,  bloss  als  weissgelblicher  Fleck.  Im  übrigen  Umfange 
zeigte  die  Innenfläche  der  Chorioidea  ein  mehr  hellrothes  als  braunes  Aussehen.  In 
den  übrigen  Gebilden  fand  ich  nichts  Auffallendes. 

7.  Beobachtung.  Der  rechte  Bulbus  einer  Puerpera,  welche  in  Folge  von  Ento- 
metritis  und  Pyämie  gestorben  war,  und  durch  8  Tage  vor  dem  Tode  Erscheinungen 
von  Cboi-ioiditis  dargeboten  hatte ,  welche  wir  weiter  unten  schildern  werden ,  zeigte 
folgende  Veränderungen :  Achse  103/*;">  Äquatorialdurchmesser  10'/3;",  Resistenz  geringer ; 
Cornea  normal,  nur  ein  wenig  getrübt,  wie  angehaucht;  Conjunctiva  bulbi  ödematös 
geschwellt,  und  theils  durch  Gefässinjection ,  theils  durch  kleine  Blutaustretungen  ge- 
röthet.  Tunica  vaginalis  rings  um  den  Bulbus  herum  serös  infiltrirt,  am  stärksten  an  der 
Schläfeseite  im  hintern  Umfange  des  Bulbus.  In  der  Gegend  der  Insertion  des  Muse, 
obliquus  inferior  und  von  da  nach  vorn  bis  zur  Insertion  des  M.  rectus  ext.  erschien  die 
Sclera  unter  der  verdickten  und  injicirten  Tunica  vaginalis  gleichfalls  intensiv  geröthet 
und  auf  der  Durchschnittsfläche  etwas  dicker.  Die  Eöthe  war  auch  an  der  Innenfläche 
daselbst  bemerkbar.  Es  wurde  nämlich  der  Bulbus  in  eine  obere  und  untere  Hälfte 
getheilt.  In  der  vordem  Augenkammer  zu  unterst  ein  wenig  eitriges  Exsudat  (Hypopyum). 
Die  Iris  nicht  merklich  verändert,  die  Pupille  gegen  2'"  im  Durchmesser.  Die  Chorioidea, 
an  ihrer  äussern  Fläche  stark  injicirt,  doch  überall  frei  an  die  Sclera  anliegend,  an  ihrer 
innern  Fläche  durchaus  mit  einem  faserstoffig-eitrigeu  Exsudate  überzogen;  nur  an  der 
Nasenseite  ist  nächst  der  Ora  serrata  eine  kleine  Partie  frei  davon ,  und  lichtbraun  pig- 
mentirt.  Die  Exsudatlage  nimmt  im  Bereiche  der  Chorioidea  im  engern  Sinne  des  Wortes 
gleichsam  die  Stelle  der  Pigmentlage  ein,  und  ist  stellenweise  '/6 — l/s'"  dick.  Das  Ex- 
sudat lässt  sich  nicht  von  der  Chorioidea  ablösen.  Die  Netzhaut  ist  nicht  nur  getrübt, 
sondern  auch  im  hintern  Umfange  stellenweise  ekehymotisch  (an  ihrer  äussern  Fläche 
roth  gesprenkelt).  Der  Glaskörper  ist  etwas  weicher  und  so  getrübt,  als  wenn  er  von 
Eauchwolken  durchzogen  wäre.  Der  Kern  des  Auges  (Glaskörper  und  Linse)  sammt  der 
Retina  Hess  sich  wie  gewöhnlich  an  etwas  macerirten  Augen  leicht  von  der  Chorioidea 
ablösen.  Das  Corpus  ciliare  erschien  nicht  schwarzbraun,  sondern  grauweiss,  nämlich 
durchaus  mit  einer  Lage  croupösen  Exsudates  überzogen.  Dieses  Exsudat  nahm  hier 
nicht  die  Stelle  der  Pigmentschichte  ein,  sondern  lag  auf  dieser,  und  Hess  sich, 
wenigstens  stellenweise,  davon  abziehen.  Ebenso  waren  die  Ciliarfortsätze  ringsum 
davon  übersponnen  und  eingehüllt,  und  zwar  nicht  nur  an  dem  in  den  Petitschen 
Canal,  sondern  auch  an  dem  in  die  hintere  Augcnkammer  hineinragenden  Theile.  Am. 
Ciliarbande  liess  sich  keine  Veränderung  wahrnehmen,  nicht  einmal  Schwellung  oder 
Röthe.  Die  vordere  Kapsel  erschien  ungetrübt,  ebenso  die  Linse.  "Wie  sich  der  freie 
Theil  der  Zonula  Zinnii  verhielt ,  konnte  ich  nicht  verlässlich  bestimmen ;  ebenso  blieb 
es  unentschieden,  wie  der  Ciliartheil  der  Zonula  beschaffen  war,  weil  der  von  ihr 
überzogene  (vorderste)  Theil  des  Glaskörpers  nächst  derselben  von  Exsudat  durchsetzt 
und  gelblichgrau  getrübt  war. 

8.  Beobachtung.     In    dem    vom    Prof.    Bochdalek   aufgenommenen    SectionsbefuncL 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Sectionsbefund.  169 

des  rechten  Auges  von  einer  an  Pyämic  gestorbenen  Puerpera*)  sind  ganz  analoge 
Veränderungen  aufgeführt,  nur  hatte  der  Process  länger  gedauert  und  war  weiter  vor- 
gerückt. Die  Tunica  vaginalis  bulbi  im  hintern  Umfange  des  Bulbus  durch  faserstoffiges 
plastisches  Exsudat  bedeutend  verdickt.  Die  Sclera  schmutzig  weiss,  an  ihrer  innern 
Fläche  von  vielen,  sehr  feinen ,  dunkelrothen  Blutgefässen  durchzogen.  Die  Chorioidea 
(im  engern  Sinne)  grösstentheils  durch  Eiterung  zerstört,  nur  um  den  Sehnerven  herum 
noch  erhalten,  daselbst  sehr  aufgelockert,  mit  zahlreichen  und  stark  injicirten  Gefässen  durch- 
zogen und  mit  der  Sclera  fest  zusammenhängend ;  ebenso  ist  vorn  noch  ein  Stück  Adei-- 
haut  vorhanden,  welches  mit  dem  hintern  durch  einen  etwa  3'"  breiten  Streifen  an  der 
Schläfeuseite  zusammenhängt.  Die  Retina  ganz  durch  Eiterung  zerstört,  nur  hie  und  da 
Rudimente  derselben  vorhanden.  Zwischen  der  Sclera  und  Chorioidea  und  zwischen 
dieser  und  dem  Glaskörper  eine  ziemlich  beträchtliche  Menge  eines  dünnen,  flüssigen, 
graulich  weissen  Eiters.  Die  Membrana  hyaloidea  grösstentheils  durch  Eiterung  zerstört ; 
der  Glaskörper  trüb ,  schmutzig  gelb ;  in  ihm  schwammen  gelbliche  Flocken.  Auf  der 
vordem  und  hintern  (innern)  Fläche  des  Corpus  ciliare  ein  weisslichgraues  Exsudat.  Die 
Zonula  Zinnii  ungeheuer  ausgedehnt,  der  Petitsche  Canal  ganz  mit  einer  dickflüssigen 
gelblichweissen ,  eiterartigen  Masse  ausgefüllt,  über  2'"  weit.  Die  Linse  weiter  vorwärts 
gelagert,  durchsichtig,  gelblich.  Die  Iris  an  ihrer  hintern  Fläche  normal,  an  ihrer  vordem 
mit  einer  dünnen  Schichte  eines  weissgrauen  Exsudates  belegt,  welches  sich  mit  einer 
Pincette  in  Fäden  abziehen  liess;  die  Pupille  vollkommen  rund,  von  gewöhnlicher  Grösse, 
ohne  Spur  von  Exsudat.  An  der  Descemetschen  Haut  eine  etwa  lk'"  dicke  Lage  eines 
ähnlichen  Exsudates,  wie  auf  der  Vorderfläche  der  Iris  und  auf  dem  Ciliarkörper.  Diese 
Exsudatscheibe  reicht  nicht  bis  zum  Rande  der  Descemetschen  Haut,  sondern  endet 
früher,  und  sendet  bloss  fadenförmige  Ausläufer  bis  zur  Gegend  des  Schlemmschen 
Canales.  Sie  hängt  mit  der  Descemetschen  Haut  duichaus  nicht  zusammen,  sondern  ist 
einfach  auf  dieselbe  gelagert.  Der  Schlemmsche  Canal  sehr  erweitert  und  ganz  mit 
einer  dicken ,  graulichweissen  Masse  angefüllt.  Die  Cornea  selbst  bietet  keine  Verände- 
rung dar. 

9.  Beobachtung.  Bei  einem  Kinde,  welches  an  Nabelvenenentzündung  und  Chorioiditis 
des  linken  Auges  gelitten  hatte,  fand  ich  den  Bulbus  etwas  kleiner,  collabirt,  sehr  weich 
anzufühlen;  die  Cornea  halb  durchsichtig,  sehr  aufgelockert,  geschwellt,  sulzig,  an  bei- 
den Oberflächen  glatt  und  glänzend ;  die  Sclera  mit  röthlichem  ,Serum  infiltrirt,  nicht 
erweicht,  die  Chorioidea  grösstentheils  aufgelöst,  von  der  Retina  keine  Spur,  an  ihrer 
Stelle  Eiter,  den  Glaskörper  hie  und  da  von  Eiterflocken  durchsetzt,  die  Hyaloidea  zer- 
stört, die  Linse  nicht  getrübt,  die  Kapsel  geborsten,  die  vordere  Kammer  etwas  Eiter 
enthaltend.  —  Bei  einem  an  lobulärer  Pneumonie  verstorbenen  Kinde,  bei  welchem 
nebst  Abscessen  an  den  Schädeldecken  auch  Entzündung  des  linken  Auges  beobachtet 
worden  war,  fand  ich  den  Bulbus  etwas  grösser,  jedoch  weicher,  die  Cornea  weiss, 
aufgelockert,  die  Hyaloidea  in  der  Mitte  zerstört,  ebenso  die  nächsten  Faserlagen  der 
Cornea,  so  dass  es  beinahe  zum  Durchbruche  von  hinten  her  gekommen  wäre,  die 
Retina  durchaus,  die  Chorioidea  grösstentheils  durch  Eiterung  zerstört.  Genauer  wurde 
dieses  Auge  damals  leider  nicht  untersucht. 

3.  Befund  bei  Chorioiditis  mit  vorwaltend  plastischem  (faserstoffi- 
gem) Exsudate. 

"Wenn  man  Augen  zergliedert,  welche  ausgedehnte  Hornhautnarben 

*>  J.  N.  Fischer,  Lehrbuch  der  Entzündungen  etc.    Prag,  1846.     S.  287. 


170  Aderhaut. 

und  mehr  weniger  beträchtliche  Schrumpfung  der  Hornhaut  oder  Sclera 
(oder  beider  zugleich)  darbieten,  so  findet  man  meisteris  im  Innern  der- 
selben Veränderungen,  welche  unzweifelhaft  darthun,  dass  Chorioiditis 
mit  vorwaltend  plastischem  Exsudate  stattgefunden  habe.  Um  die  Netz- 
haut, welche  auch  in  diesen  Fällen  durch  das  Chorioidealexsudat  nach 
innen  verdrängt,  und  überdiess  sehr  oft  ganz  in  geronnenes  und  man- 
nigfach verändertes  Exsudat  eingehüllt  ist,  nicht  zu  verfehlen  und  so- 
fort für  verschwunden  zu  halten,  muss  man  solche  Augen  immer  von 
hinten  nach  vorn  (mitten  durch  die  Eintrittsstelle  des  N.  opticus)  durch- 
schneiden, und  in  eine  obere  und  untere  Hälfte  zerlegen.  Die  Netz- 
haut ist  auch  in  diesen  Fällen  gegen  den  flachen  Theil  des  Corpus 
ciliare  hingezogen,  so  dass  sie  zur  Ora  serrata  wieder  etwas  rückwärts 
laufen  muss. 

Vom  Glaskörper  findet  man  nur  die  Hyaloidea  in  der  Gegend  der 
tellerförmigen  Grube  und  dahinter  eine  derbe  faserige  oder  knorpelar- 
tige Masse,  welche  ringsum  mit  dem  Ciliarkörper,  hinten  aber  mit  der 
Netzhaut  unzertrennlich  fest  zusammen  hängt. 

Fehlt  die  Linse,  so  steht  diese  Masse  auch  mit  Resten  der  vordem 
Kapsel  und  mit  der  Iris,  und  mittelst  dieser  selbst  mit  der  Hornhaut- 
uarbe  in  fester  Verbindung.  In  einzelnen  Fällen  findet  man  wahre 
Knochenbildung  in  dieser  zwischen  Netzhaut  und  Iris  befindlichen 
Masse.  Ist  die  Linse  vorhanden,  so  ist  sie  getrübt,  bisweilen  von  der 
Peripherie  aus  mehr  weniger  tief  verkalkt. 

Ist  der  Bulbus  nicht  bloss  durch  Abplattung  der  Hornhaut  allein 
verkleinert,  so  erscheint  die  Sclera  meistens  an  den  Anlagerungsstellen 
der  Muse,  recti  eingedrückt,  bisweilen  jedoch  auch  an  andern  Stellen 
einwärts  gezogen,  uneben,  höckerig,  und  in  Folge  der  Reduction  auf 
einen  kleinern  Umfang  verdickt. 

Die  Chorioidea  ist  in  der  Regel  einfach  an  die  Sclera  angelagert, 
nirgends  mit  dieser  verwachsen ;  sie  ist  meistens  verdünnt  und  stellen- 
weise oder  durchaus  pigmentarm.  Mit  dem  ihrer  Innenfläche  auflie- 
genden Exsudate  hängt  sie  bald  mehr  bald  weniger  fest,  in  Fällen,  wo 
der  Process  längst  abgelaufen,  das  Exsudat  bereits  organisirt  ist,  jen- 
seits der  Ora  serrata  niemals  unzertrennlich  zusammen. 

Ist  das  Exsudat  zwischen  der  Chorioidea  und  der  Netzhaut  durch- 
aus faserstoffig,  so  nimmt  seine  Consistenz  von  der  Chorioidea  gegen 
die  Netzhaut  hin  allmälig  ab.  Die  Umwandlung  in  Verkalkung,  welche 
bei  weitem  am  häufigsten  vorkommt,  oder  in  Knorpel-  und  wahre 
Knochenmasse  (mit  deutlicher  Knochenzellenbildung)  zeigt  sich  immer 
zunächst   an    der  Peripherie,  bald   im  hintern,  bald  im  vordem,  oder 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Sectionsbefund.  171 

auch  im  ganzen  Umfange  der  Chorioidea  jenseits  der  Ora  serrata.  — 
Wurde  nebst  Faserstoff  noch  eine  mehr  weniger  beträchtliche  Menge 
von  Serum  und  Albumen  ausgeschieden,  so  erscheinen  die  festen  (pla- 
stischen) Bestandteile  an  der  Chorioidea,  bisweilen  jedoch  auch  an  der 
Netzhaut  zugleich  präcipitirt  (vergl.  die  oben  angeführte  Beobachtung); 
Verkalkung  oder  Yerknöcherung  kommt  jedoch  hier  nur  an  der  Cho- 
rioidea vor,  und  man  findet  dann  an  der  Stelle,  die  im  normalen  Zu- 
stande von  der  Netzhaut  eingenommen  wird,  eine  mehr  weniger  mäch- 
tige knochenharte  Schale.  —  In  bloss  geronnenen  Exsudaten  findet 
sieh  bisweilen  Fettbildung;  krystallisirt  in  kleinen,  viereckig  länglichen, 
glimmerartig  glänzenden  Tafeln  kann  man  mitunter  einen  Theil  des 
Fettes  in  dem  flüssigen  Theile  des  Exsudates  herumschwimmen  sehen. 

Da  die  Gelegenheit  zur  Section  phthisischer  Bulbi  minder  selten  ist,  so  will  ich. 
aus  der  grossen  Zahl,  die  mir  vorgekommen  sind,  nur  2  zur  Erläuterung  des  eben  Ge- 
sagten im  Detail  anführen,  und  um  nicht  missverstanden  zu  werden,  im  voraus  noch  be- 
merken, dass  nicht  jeder  phthisische  Bulbus  auch  die  Zeichen  vorausgegangener  Chorioi- 
ditis darbiete. 

10.  Beobachtung.*)  Der  rechte  Bulbus  eines  alten  Weibes,  welches  1846  gerichtlich 
obducirt  wurde,  ist  auf  2  3  des  gewöhnlichen  Umfanges  geschrumpft,  an  den  Anheftungs- 
stellen  der  geraden  Muskel  eingedrückt.  In  der  Hornhaut  eine  1'"  breite,  4'"  lange 
quer  von  innen  nach  aussen  verlaufende  Narbe ;  die  Hornhaut  in  der  obern  Hälfte  durch- 
scheinend, etwas  abgeplattet,  in  der  untern  Hälfte  mit  der  Iris  verwachsen;  die  Pupille 
ganz  aufgehoben.  Der  Sehnerv  atrophisch.  Die  Sclera  sehr  verdickt,  besonders  im  hintern 
Thtile.  Die  Cborioidea  dünn,  fast  ohne  Pigment;  an  ihrer  innern  Fläche  eine  Knochen- 
schale (Kalkconcrement) ,  stellenweise  i/-i'"  dick,  stellenweise  äusserst  dünn  oder  selbst 
durchlöchert,  an  die  Chorioidea  fest  angeschmiegt,  doch  von  derselben  ohne  Zerreissung 
lösbar,  bis  zum  Ciliarkörper  vorwärts  reichend.  Innerhalb  dieser  Schale  eine  wässrige, 
klare ,  etwas  gelbliche  Flüssigkeit.  Durch  den  von  dieser  Flüssigkeit  erfüllten  Raum 
zieht  die  zu  einem  weissen  Strange  zusammen  gefaltete  Eetina  von  der  Lamina  cribrosa 
"bis  zur  Ora  serrata,  nach  vorn  sich  trichterförmig  erweiternd,  ähnlich  dem  Endstücke 
einer  Trompete  mit  etwas  umgestülptem  Eande.  In  der  Höhlung  dieses  Trichters  Reste 
des  Glaskörpers.  Vor  dem  Trichter  liegt  in  einer  von  der  Iris,  dem  Glaskörper  und  der 
tellerförmigen  Grube  gebildeten  Höhle  die  in  einen  steinharten  weissgrauen  Körper  ver- 
wandelte Linse,  gegen  4"'  im  Durchmesser,  und  über  V"  dick,  vorn  convex,  an  die  mit 
der  Iris  durchaus  und  fest  verwachsene  Kapsel  angelagert,  hinten  etwas  abgeflacht,  ge- 
gen den  Rand  hin  höckerig,  und  an  eine  glatte  trübe  Membran  (die  Hyaloidea  in  der 
tellerförmigen  Grube?)  knapp  anschliessend.  Das  Corpus  ciliare  nicht  geschwunden;  die 
Iris  sehr  verdünnt ,  längs  der  Narbe  an  die  Cornea  angeheftet,  hinten  durchaus  mit  der 
Kapsel  verwachsen. 

11.  Beobachtung.  Linkes  Auge  eines  an  Lungenbrand  verstorbenen,  62  Jahr  alten 
Mannes.  Durchmesser  zwischen  den  Polen  93V",  im  Äquator  9'a'",  die  Cornea  abge- 
plattet,  in   der  Mitte   narbig  verdunkelt,  am  Rande  durchscheinend,  auf  der  Narbe  an  2 

*j  Diese   und   die  folgende   Beobachtung    findet  sich  bereits   in    der  Prager  Vierteljahrschrift,    14.  Bd., 
S.  4S  und  49. 


172  Ader  haut. 

Stellen  mit  knochenharten  Schüppchen  Delegt ,  nach  deren  Entfernung  Grübchen  zurück- 
blieben. Die  Iris  an  der  Cornea  anliegend,  und  in  der  Mitte  unzertrennlich  mit  ihr  ver- 
wachsen ;  in  diese  Verwachsung  ist  auch  die  getrübte  und  verdickte  Kapsel  hineingezogen. 
Von  der  Linse  ist  keine  Spur  vorhanden.  Auf  einem  horizontalen  Durchschnitte  (von 
vorn  nach  hinten)  sieht  man  zu  beiden  Seiten  der  Iris  das  gegen  '/»'"  dicke,  lichtgraue 
Ciliarband,  nach  innen  durch  eine  schwarze  Linie  (die  Gefäss-  und  Pigmentlage  des  Ci- 
liarkörpers)  begrenzt.  Die  Ciliarfortsätze  lassen  sich  nicht  auffinden.  Der  Raum ,  den 
das  Corpus  ciliare  als  ein  2"'  breiter  Reifen  umschliesst,  ist  von  der  weissgelblichen, 
derben,  fast  knorpelharten  Platte  erfüllt,  die  mit  dem  Ciliarkörper  zur  Seite  und  mit  der 
Iris  nach  vorn  unzertrennlich  fest  zusammenhängt,  und  deren  hintere  Grenze  die  trichter- 
förmige Ausbreitung  der  Netzhaut  bildet.  Es  streicht  nämlich  die  Netzhaut  als  ein  dünner 
Slrang  von  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  mitten  durch  den  Bulbus  zu  einer  Ebene, 
die  man  sich  durch  die  Ora  serrata.  gelegt  denken  kann,  und  strahlt  dann  nach  allen 
Seiten  gegen  die  Peripherie  dieser  Ebene  hin  aus.  Der  Raum  nun,  der  sich  zwischen 
der  also  verdrängten  Netzhaut  und  zwischen  der  Chorioidea  befindet,  ist  von  Exsudat 
ausgefüllt,  welches  in  den  vordem  zwei  Dritteln  fest  geronnenen  Faserstoff  darstellt, 
im  hintern  Drittel,  um  die  zusammengerollte  Netzhaut  herum  aber  halb  flüssig,  halb  ge- 
ronnen ist,  so  dass  nach  Abfluss  dieses  Theiles  vor  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  eine 
Zuckererbsen-grosse  Höhle  entstand ,  welche  in  der  Mitte  bis  an  den  Aequator  bulbi 
reicht.  Die  Chorioidea  ist  in  der  hintern  Hälfte  des  Bulbus  wenig  verändert,  in  der  vor 
dem  Äquator  gelegenen  Zone  jedoch  fast  ganz  ohne  Pigment,  so  dass  man  das  lichtgraue 
Exsudat  schon  nach  Eröffnung  der  Sclera  hatte  durchscheinen  sehen.  Die  faserstoffige 
Exsudatmasse  wird  von  der  genannten  Höhle  nach  aussen  (gegen  die  Chorioidea)  und 
nach  vorn  (gegen  die  Ora  serrata  und  die  fächerförmige  Ausbreitung  der  Netzhaut)  immer 
dichter  und  härter,  zeigt  jedoch  noch  nirgends  Umwandlung  in  Kalk-,  Knochen-  oder 
Knorpelmasse.  Sie  erwies  sich  unter  dem  Mikroskope  als  amorpher  Faserstoff  mit  Fett 
in  Tropfenform  und  als  Cholestearine. 

Die  Symptome,  welche  durch  Chorioiditis  hervorgerufen  werden 
können,  sind  im  Allgemeinen  zu  suchen  : 

a)  in  der  Resistenz,  Grösse,  Form  und  Lage  des  Bulbus, 

b)  im  Bereiche  der  Sclera,  Tunica  vaginalis  und  conjunetiva, 

c)  in  der  Cornea  und  in  der  Augenkammer, 

d)  in  der  Iris, 

e)  in  der  Pupille, 

f)  in  der  gestörten  Function  der  Netzhaut, 

g)  in  sympathischer  Affection  des  Trigeminus,  Sympathicus  und 
Vagus. 

Ad  a.  Eines  der  ersten  Zeichen,  durch  das  sich  jede  Chorioiditis 
ankündigt,  ist  vermehrte  Resistenz  des  Bulbus.  Leidet  bloss  Ein  Auge, 
so  ist  die  Prüfung  der  Resistenz  für  den  betastenden  Zeigefinger  nicht 
schwer,  nur  beobachte  man  die  Vorsicht,  dass  man  immer  beiderseits 
auf  gleichnamige  Stellen  drücke,  z.  B.  beiderseits  auf  die  Hornhaut 
oder  beiderseits  von  oben  her  auf  die  Sclera.  Ist  das  andere  Auge 
nicht  ganz  gesund,  dann  nehme  man  zum  Vergleichen  gesunde  Augen. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Symptome.  173 

Auf  geringe  Differenzen  ist  kein  Gewicht  zu  legen,  es  müssten  denn 
anderweitige  Symptome  mit  in  die  Wagschale  fallen. 

Mit  den  Augen  messbare  Vergrösseruwg  des  Bulbus  kommt  nur 
dann  gleich  in  der  ersten  Zeit  vor,  wenn  die  Chorioiditis  in  Folge 
traumatischer  Einflüsse  mit  faserstoffig-eitrigem  Exsudate  auftritt.  Sie 
ist  nicht  bleibend;  auf  sie  folgt  jederzeit  Verkleinerung  des  Bulbus, 
gleichviel  ob  der  Eiter  mittelst  allmäliger  Resorption,  oder  mittelst 
Ausstossung  durch  die  Cornea  oder  Sclera  beseitigt  worden  ist.  — 
Später  auftretende  und  bleibende  Vergrösserung  tritt  nur  in  Folge  von 
Chorioiditis  mit  vorwaltend  serösem  oder  albuminös -serösem  Exsudate 
auf.  —  Allmälige,  gewöhnlich  erst  nach  Monaten  oder  Jahren  eintre- 
tende Schrumpfung  kommt  sowohl  nach  vorwaltend  serösen,  als  nach 
faserstoffigen  Exsudaten  vor. 

Die  Schrumpfung  gibt  sich  meistens  zuerst  dadurch  zu  erkennen, 
dass  der  Bulbus  seine  Form  verliert,  in  der  Gegend  der  Musculi  recti 
eingedrückt,  viereckig  erscheint.  Da  aber  auch  an  ganz  normalen 
Augen  nicht  selten  daselbst  eine  leichte  Abplattung  der  Sclera  bemerkt 
werden  kann,  so  ist  auf  dieses  Symptom  nur  dann  Gewicht  zu  legen, 
wenn  es  sehr  deutlich  ausgesprochen  ist,  oder  wenn  es  zugleich  mit- 
mehr weniger  verminderter  Resistenz  beobachtet  wird.  Beide  Symptome 
vereint  haben  insbesondere  in  jenen  Fällen  einen  hohen  diagnostischen 
Werthj  wo  Iritis  vorausgegangen  und  noch  deutliche  Lichtempfindung 
vorhanden  ist.  —  So  wie  der  Bulbus  weicher  und  kleiner  wird,  ist  in 
der  Regel  auch  die  Lage  des  obern  Augenlides ,  namentlich  der  Haut- 
falte, welche  dasselbe  beim  Offnen  gewöhnlich  bildet,  verändert. 

Wird  der  Bulbus  merklich  vergrössert  und  zwar  in  seinem  hintern 
Umfange,  so  tritt  er  mehr  weniger  aus  seiner  Lage  hervor.  Die  Lage- 
veränderung aus  dieser  Ursache  allein  ist  indessen  selten;  meistens  ist 
sie  Folge  von  seröser  oder  faserstoffig-seröser  Infiltration  des  die  Sclera 
umgebenden  Bindegewebes,  welche  bei  Chorioiditis  mit  faserstoffig- 
eitrigem  Exsudate  niemals  fehlt. 

Ad  b.  Diese  seröse  Infiltration  erstreckt  sich  bei  der  eben  ge- 
nannten Form,  welche  nur  nach  heftigen  traumatischen  Eingriffen  und 
bei  Pyämie  auftritt,  nicht  bloss  auf  die  Tunica  vaginalis  bulbi  und  das 
umgebende  Bindegewebe  in  der  Orbita,  sondern  auch  auf  die  Binde- 
haut und  auf  die  Augenlider.  Die  Bindehaut  erscheint  dann  entweder 
bloss  von  Serum  oder  auch  von  Blut  stark  geschwellt,  so  dass  sie  bloss 
Wülste  oder  einen  förmlichen  Wall  rings  um  die  Cornea  bildet,  sich 
selbst  über  diese  hinübeiiegt.  Durch  diese  Geschwulst  gewinnen  die 
hieher  gehörigen  Formen  von  Chorioiditis   eine  bei  oberflächlicher  Un- 


174  Aderhaut. 

tersuchung  leicht  täuschende  Ähnlichkeit  mit  der  acuten  Bindehautblen- 
norrhöe.  Die  Diagnosis  wird  indessen  leicht,  wenn  man  einerseits  die 
Abwesenheit  der  Schwellung  des  Papillarkörpers  und  des  schleimig- 
eitrigen (trüben)  Secretes,  andererseits  die  dabei  immer  schon  merk- 
liche Hcrvortreibung  des  Bulbus,  die  Abnahme  der  Sehkraft  und  die 
Gegenwart  von  Lichterscheinungen  (Photopsie)  berücksichtigt. 

In  allen  Fällen,  wo  die  eben  besprochene  Infiltration  fehlt,  wird 
im  Bereiche  der  Sclera  eines  der  wichtigsten  Symptome  sichtbar,  näm- 
lich die  zahlreichere  und  stärkere  Injeclion  der  vordem  Ciliargefässe. 
Anfangs  sind  es  mehr  die  Arterien,  später  mehr  die  Venen,  welche  dem 
Beobachter  auffallen.  Sie  wurden  bisher  gewöhnlich  als  „varicöse  oder 
abdominelle  Gefässe  der  Bindehaut"  aufgeführt.  Die  Arterien  verlaufen 
geschlängelt,  sind  lichter  gefärbt,  und  füllen  sich  von  der  Peripherie 
zur  Cornea,  wenn  man  sie  mittelst  des  Lides  und  Fingers  comprimirt 
hat  (was  an  etwas  glotzenden  und  gespannten  Augen  sicher  gelingt). 
Die  Venen  verlaufen  mehr  gestreckt,  sind  dunkler,  und  füllen  sich  nach 
momentaner  Compression  in  entgegengesetzter  Richtung.  Die  Blutüber- 
füllung in  den  Arterien  geht  bei  manchen  Formen  oft  lange  dem  Ex- 
sudationsprocesse  voraus,  und  pflegt  nur  so  lange  als  der  Exsudations- 
process  selbst  zu  dauern.  Hat  die  Congestion  und  Exsudation  nachge- 
lassen, dann  zeigen  bisweilen  kleine  rostbraune  oder  schiefergraue 
Punkte  in  der  nächsten  Umgebung  der  Cornea  die  Stellen  an,  wo  er- 
weiterte Gefässe  durch  die  Sclera  in  den  Bulbus  eingedrungen  waren. 
Die  stärkere  Entwickelung  der  Venen  tritt  erst  dann  auf,  wenn  der 
Rückfluss  des  Blutes  durch  die  hintern  (langen  und  kurzen)  Ciliarvenen 
vermöge  des  Druckes,  den  das  Chorioidealexsudat  ausübt,  oder  ver- 
möge Verwachsungen  zwischen  Chorioidea  und  Sclera  behindert  ist. 

Nicht  immer  ist  es  leicht,  zu  entscheiden,  ob  die  Injection  der  vordem  Ciliargefässe 
wirklich  ahnorm,  und  insbesondere,  ob  sie  als  Symptom  eines  entzündlichen  (congestiven) 
Zustandes  der  Chorioidea  zu  betrachten  sei.  So  findet  man  unter  andern  bei  den  meisten 
Kurzsichtigen  die  Ciliargefässe  viel  stärker  und  zahlreicher  entwickelt,  ohne  dass  man 
im  Geringsten  Ursache  hat,  an  ein  Chorioidealleiden  zu  denken;  ingleichen  bei  Leuten, 
die  in  Jahren  vorgerückt  sind,  die  ihre  Augen  viel  anstrengen,  die  öfter  oder  länger  an 
Entzündung  äusserer  Gebilde  des  Auges  gelitten  haben  u.  s.  w.  —  Ist  das  zweite  Auge 
ganz  gesund,  so  kann  eine  sorgfältige  Vergleichung  leicht  Aufschluss  geben.  An  und  für 
sich  hat  dieses  wichtige  Symptom  keinen  positiven  Werth  für  die  Diagnosis;  es  müssen 
noch  andere  Merkmale  vorhanden  sein,  welche  direct  auf  Congestion  oder  Entzündung 
der  Chorioidea  deuten. 

Bei  rascher  Exsudation  an  der  Chorioidea  bilden  die  vordem  Ci- 
liararterien  ein  so  dichtes  Nets  im  Umfange  der  Hoi^nhaut,  dass  der 
vorderste,  wohl  auch  der  ganze  sichtbare  Theil  der  Sclera  roth  tingirt 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Symptome.  175 

erscheint.  Über  dieser  tiefen  Röthe  können  auch  die  Gefässe  der  Bin- 
dehaut reichlich  injicirt  sein,  und  zwar  bis  in  den  concaven  Kand  de& 
Liinbus  conjunctivae. 

Bleibt  der  Linibus  conjunctivae  heim  Bestände  dieser  tiefern  und 
oherflächlichen  Injection  uneingespritzt,  so  erscheint  letztere  von  der 
Cornea  durch  einen  bläulich  weissen  Ring  getrennt,  eine  Erscheinung, 
welche  Beer  als  Annulus  arthriticus  bezeichnet  und  abgebildet  hat.  *) 

Sichel**)  und  Ruete***)  haben  diese  Erscheinung  von  Blutüberfüllung  im  Canalis 
Sehlemmii  hergeleitet.  Das  Irrige  dieser  Deutung  ergibt  sich  schon  aus  der  Lage  dieses 
Ringes,  verglichen  mit  der  Lage  jenes  Canales.  Die  Gegend  dieses  letzteren  macht  sich 
dagegen  bei  chronischen  Formen  von  Chorioiditis  oder  Iridochorioiditis  bisweilen  durch 
eine  Art  Einziehung  (flache  Furche)  und  dadurch  bemerkbar,  dass  die  Ciliargefässe  da- 
selbst sich  in  kleinen  Bögen  verbinden  und  einen  schmalen  Gefässkranz  bilden ,  oder 
auch  (später)  durch  beinahe  schiefergraue  Färbung  der  Sclera  in  der  Richtung  dieser 
Furche. 

Die  Farbe  der  Sclera  kann  trotz  des  Bestandes  von  Chorioiditis 
normal  sein;  bisweilen  ist  sie  in  der  Art  bläulich  weiss  wie  bei  Kin- 
dern. Nach  längerem  Bestände  der  Chorioiditis  wird  sie  in  der  Regel 
schmutzig,  in's  Gelbliche,  Graue  oder  Dunkelblaue,  letzteres  meistens 
nur  stellenweise,  und  namentlich  da,  wo  sich  Ektasien  bilden. 

Schiefergraue  oder  dunkelblaue  Hügel  erheben  sich  im  Bereiche 
der  Sclera  erst  nach  langem  Bestände,  und  nur  bei  gewissen  Formen 
der  Chorioiditis  (mit  flüssigem  Exsudate).  Nur  die  Staphylomata  late- 
ralia  (vergl.  Krankh.  der  Sclera  S.  19 — 21)  kommen  der  Chorioiditis 
als  solcher  zu.  Blaue  Hügel  in  der  Gegend  des  Äquators,  so  wie  gleich- 
massige  Vergrösserung  des  hintern  Umfanges  des  Bulbus  können  übri- 
gens auch  bei  Vermehrung  und  Verflüssigung  der  Glasfeuchtigkeit 
(ohne  Chorioiditis)  vorkommen.  Um  die  Gegenwart  der  Lateralstaphy- 
lome  nicht  zu  übersehen,  muss  man  den  Bulbus  so  weit  als  möglich 
nach  allen  Seiten  hin  rollen  lassen,  und  dabei  die  Lider  stark  abziehen. 
Staphylome  in  der  Gegend  des  Corpus  ciliare  (vor  den  Insertionsstellen 
der  Muse,  recti  und  hinter  oder  an  den  Einmündungsstellen  der  vordem 
Ciliararterien)  trifft  man  eher  nach  Iridochorioiditis  als  nach  primärer 
Chorioiditis  an. 

Ad  c.  Die  Hornhaut  bleibt  in  den  meisten  Fällen  von  Chorioidi- 
tis unverändert.  —  Ist  Pyämie  die  Ursache  der  Chorioiditis,  so  wird 
sie  gewöhnlich  durch  Eiterung  zerstört.  Dasselbe  kann  erfolgen,  wenn 
nach   einem   Trauma,  z.  B.    nach  Dislocation   des  Staares,   Chorioiditis 


*)  Lehre  von  den  Augenkrankheiten,  Wien,  le13.     Bd.  I.  Taf.  II.  Fig.  5  und  6,  Taf.  III.  Fig.  1. 
**)  Memoire  snr  le  glaueome,  Cnnier  annales  d'ocnlist.    T.  V.  p.  183. 
***)  Lehrhuch  der  Ophthalmologie.    BraunBehweig,  1S46.    8.  560. 


176  Aderhaut. 

mit  Eiterbildung  entsteht.  —  Bei  Chorioiditis  mit  vorwaltend  flüssigem 
Exsudate  wird  die  Cornea  nur  während  stürmischer  Exsudation  getrübt. 
Sie  erscheint  dann  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  matt,  glanzlos,  wie  ein 
angehauchtes  Glas,  oder  wie  die  Hornhaut  an  Cadavern.  So  wie  die 
Gefässinjection  und  der  heftige  Supraorbitalschmerz  —  wovon  später  — 
nachgelassen  haben,  bekommt  die  Hornhaut  wieder  ihren  Glanz  und 
ihre  Durchsichtigkeit,  um  sie  beim  Wiederauftreten  dieser  Zufälle 
(Nachschub  von  Exsudat)  abermals  auf  einige  Zeit  einzubüssen. 

Gefässentwicklung  in  ganz  durchsichtiger  Hornhautsubstanz,  Ver- 
grösserung  der  ganzen  Cornea  unbeschadet  ihrer  Durchsichtigkeit,  Ab- 
lagerung von  Kalkconcrementen  in  derselben,  so  wie  eitrige  Consum- 
tion  als  Folge  von  Druck  und  mangelhafter  Ernährung  sind  seltene 
Folgen  der  Chorioiditis,  auf  die  wir  bei  Besprechung  der  einzelnen 
Formen  aufmerksam  machen  werden. 

Die  obgenannte  Trübung  der  Cornea,  die  wohl  füglich  als  acutes 
Ödem  derselben  bezeichnet  werden  kann,  wird  in  manchen  Fällen  (mit 
vorwaltend  flüssigem  Exsudate)  durch  Trübung  des  Kammerwassers 
scheinbar  vermehrt.  Es  wird  nämlich  bei  rascher  Exsudation  Pigment 
vom  vordem  Ende  der  Ciliarfortsätze,  vielleicht  auch  von  der  Iris  los- 
geschwemmt,  und  gibt  dem  Kammerwasser  (vor  der  Pupille)  das  Aus- 
sehen, als  ob  Euss  oder  Tusch  darin  aufgelöst  wäre.  Wenn  dann  die 
Cornea  ihren  Glanz  und  ihre  Durchsichtigkeit  wieder  erlangt  hat,  so 
kann  man  schwarze  Punkte  an  ihrer  hintern  Fläche  (in  der  untern 
Hälfte)  präcipitirt  finden,  mit  der  Loupe  oder  schon  mit  freiem  Auge 
(vergl.  Sectionsbef.  1.  Beob.). 

Eitererguss  in  die  Augenkammer  ist  bei  den  durch  Pyäinie  und 
durch  traumatische  Eingriffe  bedingten  Formen  nicht  selten  ein  früh- 
zeitiges Symptom.  Bluterguss  kann  bei  chronischen  Formen  mit  vor- 
waltend flüssigem  Exsudate  in  späterer  Zeit  und  zu  wiederholten  Malen 
auftreten. 

Ad  d.  Von  grösster  Wichtigkeit  für  die  Diagnosis  der  Chorioiditis 
ist  das  Verhalten  der  Iris,  zumal  dann,  wenn  die  Entzündung  nicht 
von  der  Iris  aus  begann  oder  sich  gleichzeitig  auf  diese  erstreckt. 
Man  begreift  diess,  wenn  man  sich  erinnert,  class  die  Iris  ihre  Nerven 
und  die  meisten  ihrer  Gefässe  via  chorioideae  erhält. 

Zunächst  leidet  die  Beilegung  der  Iris  und  mit  ihr  die  normale 
Weite  der  Pupille.  In  Fällen,  welche  sich  aus  mehr  weniger  lange  be- 
stehender Cougestion  der  Chorioidea  allmälig  entwickeln,  findet  man 
Anfangs  keine  Veränderung  der  Iris,  ausser  dass  sie  beim  Wechsel  des 
Lichtes  langsamere  uud  kleinere  Excursionen  macht,  und  dass  die  Pu- 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Symptome.  177 

pille  etwas  vergrössert  erscheint.  Bei  raschem  Ergüsse  wird  die  Pupille 
meistens  sehr  stark  erweitert  und  die  Iris  gänzlich  gelähmt.  Ungleich- 
massige  Erweiterung  lässt  auf  partielle  oder  partiell  vorwiegende  Ent- 
zündung der  Chorioidea  schliessen,  und  die  schmälste  Stelle  der  Iris 
entspricht  dann  dem  Herde  der  Entzündung  in  der  Chorioidea.  Liegt 
die  Partie,  von  welcher  die  Entzündung  der  Chorioidea  ausgeht,  z.  B. 
an  der  Schläfeseite ,  so  erscheint  die  Pupille  nach  dem  Schläfewinkel 
hin  erweitert,  also  eiförmig  mit  horizontalem  Durchmesser  u.  s.  w.  — 
Bei  Amaurosen,  welche  von  der  Netzhaut  (mit  unversehrter  Chorioidea) 
oder  vom  Sehnerven  ausgehen,  sieht  man  nicht  selten  die  Iris  des  völ- 
lig erblindeten  Auges  synergisch  mit  der  Iris  des  andern,  für  Licht 
und  Schatten  noch  empfindlichen  Auges  sich  bewegen;  bei  Amaurosis 
von  oder  mit  tieferem  Chorioidealleiden  ist  dies  nie  der  Fall.  Gleich- 
massige  Erweiterung  der  Pupille  kann  bei  Amaurosis  so  gut  wie  bei 
Chorioiditis  (und  deren  Ausgängen)  vorkommen,  ungleichmässige,  buch- 
tige, ovale  u.  dgl.  nur  in  Folge  von  Chorioiditis. 

Die  Farbe  der  Iris  kann  lange  Zeit,  auch  nach  gänzlicher  Erblin- 
dung, unverändert  bleiben.  Sie  kann  vorübergehend  (durch  Ödem)  und 
scheinbar  (durch  Trübung  der  Hornhaut  oder  des  Kammerwassers)  ver- 
ändert sein.  Bleibende  Verfärbung  der  Iris  tritt  gewöhnlich  erst  später 
ein,  wenn  das  Gewebe  atrophisch  wird. 

Mit  dem  Beginn  der  Atrophie  des  Irisgewebes  wird  die  Iris  matt, 
wie  gebleicht,  stellenweise  oder  durchaus,  im  Allgemeinen  schmutzig 
grau,  sie  mag  nun  früher  blau,  grau  oder  braun  gewesen  sein.  Der 
Pupillarrand  erscheint  dann  als  ein  schwarzer  Saum,  wie  von  vorge- 
schobenem Pigmente.  Das  Gewebe  der  Iris  verliert  allmälig  sein  eigen- 
thümliches  faseriges  Aussehen,  und  der  Unterschied  zwischen  dem 
grossen  und  kleinen  Kreise  geht  verloren.  Die  Iris  wird  dünn,  fast 
durchscheinend,  und  kann,  wenn  sie  nicht  durch  Synechien  an  die 
Kapsel  fixirt  ist,  auf  einen  nicht  mehr  wahrnehmbaren  Saum  zusam- 
menschrumpfen, stellenweise  oder  ringsherum.  Ist  irgendwo  in  der 
Sclera  ein  Staphylom  vorhanden,  so  entspricht  ihm  auch  die  am  meisten 
geschrumpfte  Partie  der  Iris.  —  Atrophirung  des  Irisgewebes  ist  jedoch 
keineswegs  eine  nothwendige  Folge  einer  jeden  Chorioiditis. 

Über  die  ungleichmässige  Erweiterung  der  Pupille  bei  Chorioiditis,  namentlich  bei 
jener  Form,  die  Beer  1.  c.  B.  I.  S.  58J  als  Iritis  arthritica  beschrieben  hat,  lässt  sich 
noch  keine  durchaus  genügende  Erklärung  'geben.  Dass  die  später  auftretende  buchtige 
Erweiterung  auf  mehr  weniger  ausgebreiteter  Atrophie  der  Iris  und  des  Ciliarkörpers 
beruht,  ist  durch  Sectionen  erwiesen  (vergl.  Sectionsbef.  1.  Beob.).  Anders  verhält  es 
sich  mit  der  während  des  Exsudatprocesses  selbst  vorkommenden,  bald  gleich-,  bald  un- 
gleichmässigen  (buchtigen  ,  ovalen)  Erweiterung.  Lähmung  des  Sphinkters  durch  Druck 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  12 


178  Lederhaut. 

auf  die  Ciliarnerven  kann  nicht  die  Ursache  sein,  dass  die  Iris  an  einer  oder  der  an- 
dern Stelle  schmäler  erscheint.  Ph.  v.  Walther's*)  Ansicht,  die  Pupille  erscheine  desshalb 
erweitert ,  weil  die  Netzhaut  den  Lichteindruck  nicht  mehr  empfinde,  folglich  auch  kein 
Keflex  auf  den  N.  oculomot.  stattfinden  könne,  findet  ihre  Widerlegung  einfach  in  der 
Thatsache,  dass  nach  Lähmung  der  Netzhaut,  Durchschneidung  des  Opticus  u.  s.  w.  die 
Pupille  zwar  grösser,  niemals  aber  so  wie  nach  Chorioiditis  entrundet,  oval  etc.  gefunden 
wird.  Partielle  oder  doch  partiell  vorwaltende  Entzündung  der  Chorioidea  hinter  der 
schmälern  Partie  der  Iris  ist  ganz  gewiss  die  Ursache,  dass  die  Iris  gegen  den  Ciliarrand 
zurückgezogen  erscheint;  das  Wie  aber  weiss  ich  mir  nicht  zu  erklären.  Ich  habe  einige 
Male  nach  der  Reclination  von  Cataracta  eine  solche  ungleichmässige  Erweiterung  der 
Pupille  beobachtet,  wenn  auch  der  Erfolg  der  Operation  nicht  durch  nachfolgende  allge- 
meine (ausgebreitete)  Chorioiditis  vereitelt  wurde.  Die  Iris  war  nach  unten  oder  nach 
unten  und  aussen  schmäler;  dabei  war  aber  auch  auf  der  Sclera  unmittelbar  hinter  dieser 
Irispartie  intensive  Eöthe  und  starke  Gefässinjection,  selbst  leichte  ödematöse  Schwellung 
der  Conj.  bulbi  zu  bemerken.  Vielleicht  muss  mit  der  ungleichmässigen  Erweiterung 
der  Pupille  der  an  glaucomatösen  Augen  beobachtete  Sectionsbefund  in  Zusammenhang 
gebracht  werden,  dass  die  Iris  an  ihrer  hintern  Fläche  mit  faserstoffigem  Exsudate  belegt 
erschien.     Vergl.  Sectionsbefund  1  und  2. 

Die  Lage  der  Iris  wird  in  Folge  von  Chorioiditis  sehr  häufig  und 
beträchtlich  verändert.  Rückwärts  gezogen  bloss  mit  dem  kleinen  oder 
auch  mit  dem  grossen  Kreise  wird  die  Iris  nur  dann,  wenn  sie  in 
Folge  von  Iritis  mit  der  Linseukapsel  verwachsen  ist,  und  wenn  das 
Chorioidealexsudat  zusammengeschrumpft,  also  reich  au  Faserstoff  ist» 
Vorwärts  gedrängt  werden  (sammt  der  Linse)  kann  die  Iris,  gleichviel, 
ob  die  Pupille  offen  und  erweitert,  oder  aber  gesperrt  ist,  sowohl  bei 
vorwaltend  flüssigem,  als  auch  bei  faserstoffreichem  Exsudate.  Näheres 
hierüber  bei  den  einzelnen  Formen. 

Ad  e.  Noch  wichtiger  sind  die  Erscheinungen,  welche  die  Unter- 
suchung der  Pupille  liefert.  Vorausgesetzt,  dass  die  Linse  noch  nicht 
getrübt  —  wovon  später  —  und  dass  nicht  etwa  Iritis  vorausgegangen 
oder  gleichzeitig  vorhanden  ist,  findet  man  die  Pupille  fast  ohne  Aus- 
nahme nicht  nur  erweitert,  sondern  auch  ihrer  normalen  Schwärze  ver- 
lustig, und  zwar,  wie  schon  der  blosse  Augenschein  zeigt,  vom  Grunde 
des  Auges  her. 

Der  Farbenton,  welcher  dem  Beobachter  aus  der  Tiefe  der  erwei- 
terten Pupille  entgegen  tritt,  kann  sehr  mannigfaltig  sein,  weil  von  ver- 
schiedenen Umständen  abhängig.  —  Je  weiter  die  Pupille,  desto  weni- 
ger schwarz  erscheint  —  ceteris  paribus  —  ihr  Hintergrund.  —  Je 
mehr  die  Linse  vermöge  der  vorgerückten  Jahre  des  Individuums  be- 
reits eine  gelbliche  Farbe  angenommen  hat,  desto  weniger  schwarz, 
desto  mehr  in's  Mattgraue,  Gelbliche  oder  Grünliche  spielend  erscheint 

*)  System  der  Chirurgie.     Freiburg,  1848.     Bd.  III.    S.  224. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Symptome.  179 

der  Grund  des  Auges.  —  Ist  im  Kammerwasser  Pigment  suspendirt, 
so  erscheint  die  Pupille  gleichsam  rauchig,  oder  so,  wie  wenn  den 
durchsichtigen  Medien  ein  wenig  Russ  beigemengt  wäre. 

Das  wichtigste  Moment  ist  die  Veränderung  an  der  hintern  Wand 
des  Bulbus  selbst.  So  wie  zwischen  die  Chorioidea  und  Netzhaut  Ex- 
sudat eingeschoben  wird,  wird  die  Netzhaut,  welche  dann  wohl  selten 
oder  niemals  den  ihr  im  normalen  Zustande  zukommenden  Grad  von 
Durchsichtigkeit  behauptet,  mehr  weniger  weit  vor  den  Brennpunkt  der 
Hornhaut  und  Linse  vorwärts  gerückt.  Das  Auge  hat  aufgehört,  eine 
richtig  accommodirte  Camera  obscura  zu  sein.  —  Nächstdem  kann  aber 
auch  die  Beschaffenheit  des  Exsudates  für  die  Absorption  und  Reflexion 
der  Lichtstrahlen  nicht  ohne  wichtigen  Einfluss  sein. 

Geronnene  faserstoffige  Exsudate  verwandeln  den  Grund  des  Auges 
in  eine  weisse  oder  weissgelbe  Schale,  welche  alles  auf  sie  fallende 
Licht  reflectirt,  und  dadurch,  dass  dieses  Licht  die  Linse  und  Horn- 
haut passiren  muss,  einen  eigenthümlichen  Glanz  erhält.  Solche  Fälle 
gehören  zu  der  Form,  welche  Beer  „amaurotisches  Katzenauge"  ge- 
nannt hat.  Die  Ablagerung  von  Markschwamm  in  der  Netzhaut  oder 
Chorioidea  kann  ein  sehr  ähnliches  Verhalten  des  Augengrundes  bewir- 
ken, so  dass  die  Diagnosis  schwer  und  ohne  länger  fortgesetzte  Beob- 
achtung des  Falles  selbst  unmöglich  werden  kann.  Dasselbe  gilt  von 
grössern,  unvollständig  resorbirten  Blutergüssen. 

Flüssige  (seröse,  serösalbuminöse,  faserstoffigseröse)  Exsudate  las- 
sen noch  Licht  bis  zur  Chorioidea,  und  von  dieser  wieder  zurück  durch 
die  mehr  weniger  getrübte  Netzhaut,  den  Glaskörper  u.  s.  w.  dringen, 
und  modificiren  das  Aussehen  des  Augengrundes  mannigfaltig.  —  Bei 
wenig  gefärbtem  und  klarem  Exsudate  und  wenig  getrübter  Netzhaut 
weichen-  die  Verhältnisse  der  Reflexion  zu  wenig  von  den  gewöhnlichen 
ab,  als  dass  eine  auffallende  Trübung  oder  Verfärbung  des  Augengrun- 
des sichtbar  werden  könnte.  Bei  klarem  Exsudate  geschieht  es  auch, 
dass  die  Netzhaut,  durch  die  entzündliche  Erweichung  von  der  Ora 
serrata  abgelöst  und  in  einen  trüben  Strang  zusammengefaltet,  in  dem 
Exsudate  (und  aufgelösten  Glaskörper?)  hin  und  her  schwankt,  so  oft 
der  Bulbus  bewegt  wird.  —  Bei  flüssigen  und  mehr  weniger  durch- 
sichtigen Exsudaten  muss  die  Beschaffenheit  der  Chorioidea,  ihr  Pig- 
mentgehalt und  ihr  Blutreichthum  wohl  in  Anschlag  gebracht  werden. 
Letzterer  ist  jederzeit  vermehrt,  ersterer  an  der  hintern  Wandung  des 
Bulbus  nicht  immer  auffallend  vermindert.  Leuchtet  schon  im  norma- 
len Zustande  der  Grund  des  Auges  bei  weiter  Pupille  mit  einem  röth- 

lichen  Scheine,  sobald  der  Beobachter  die  richtige  Stellung  zum  einfal- 

12* 


180  Aderhaut. 

lenden  Lichte  gefunden  hat,  so  muss  diess  in  einem  an  Chorioiditis 
leidenden  Auge  um  so  mehr  der  Fall  sein,  wenn  nur  die  Medien  vor 
der  Chorioidea  farblos  und  nicht  zu  sehr  getrübt  sind. 

Bei  der  häufigsten  Form  von  Chorioiditis,  dem  Glaucom,  zeigt  der 
Augengrund  eine  meer-  oder  bouteillengrüne  Farbe  mit  einer  eigen- 
thümlichen  matten  Trübung.  Diese  Trübung  liegt  tief  hinter  der  Iris, 
zeigt  keinen  Schlagschatten  von  dieser,  und  tritt  immer  in  der  Rich- 
tung  des  einfallenden  Lichtes  am  intensivsten  hervor.  Ist  zugleich  der 
Kern  der  Linse  bereits  verdunkelt,  so  erscheint  auch  diese  meistens  in 
etwas  grünlichem  Lichte;  die  Trübung  ist  aber  dann  der  Iris  näher 
gelegen,  so  wie  bei  Cataracta  überhaupt,  und  immer  im  Centrum  am 
meisten  saturirt,  in  welcher  Richtung  man  auch  das  Licht  einfallen 
lassen  und  in  die  Pupille  hineinsehen  mag. 

Makenzie*),  Canstatt**)  und  Sichel"**)  haben  den  grünlichen  Teint  aus  der  Mi- 
schung gelber  und  blauer  Lichtstrahlen  zu  erklären  versucht.  Ihre  Ansicht  geht  dahin, 
dass  die  gelben  Strahlen  von  der  Linse,  die  blauen  von  der  Chorioidea  geliefert  werden. 
Makenzie  spricht  sich  über  letztere  nur  vermuthend  aus ;  Sichel  meint,  die  Chorioidea 
nehme  bei  venöser  Congestion  eine  bläuliche,  nach  verlaufener  Entzündung  eine  violette 
Farbe  an.  Ersteres  lässt  sich  überhaupt  nicht  durch  Sectionen  nachweisen,  letzteres  fand 
ich  nicht  bestätigt  (vergl.  oben  Sectionsbefunde).  —  Bringt  man  eine  etwas  gelb  gewor- 
dene Linse  (von  einem  altern  Individuum)  auf  eine  Unterlage  ,  welche  eben  nicht  blau, 
sondern  überhaupt  nur  dunkel  zu  sein  braucht,  so  erscheint  die  Linse  bei  durchgehendem 
(von  der  Unterlage  durch  die  Linse  reflectirtem)  Lichte  ganz  deutlich  grünlich.  —  Es 
kann  aber  auch  noch  eine  ganz  andere  physikalische  Erklärung  gegeben  werden.  Die 
vordem  Ciliargefässe  z.  B.  erscheinen  uns  bläulich ,  weil  ihr  Blut  durch  eine  durchschei- 
nende lichte  Membran ,  die  Tunica  vaginalis  bulbi ,  gedeckt  ist.  Je  dünner  die  Sclera 
bei  grossem  Blutreichthume  der  Chorioidea,  wie  namentlich  bei  kleinen  Kindern,  desto 
mehr  erscheint  sie  blau.  Wenn  nun  vor  der  von  Blut  strotzenden  Chorioidea  eine  durch- 
scheinende Exsudatschichte  und  die  mehr  weniger  getrübte  lichtfarbige  Netzhaut  liegt, 
so  kann  sie  aus  gleichem  Grunde  wie  die  Ciliargefässe  blaues  Licht  reflectiren,  welches 
dann,  durch  die  gelbliche  Linse  durchgehend,  dem  Beobachter  als  schmutzig  grün  er- 
scheinen wird.  —  Wir  dürfen  übrigens  die  Begriffe  „Trübung"  und  „Farbenveränderung" 
der  Pupille  nicht,  wie  gewöhnlich,  mit  einander  verwechseln.  Der  Grund  des  Auges 
kann  verfärbt,  z.  B.  goldgelb,  grau,  röthlich  u.  dgl.  und  dabei  doch  ganz  klar  erschei- 
nen. Hiezu  gehört,  dass  die  vor  dem  Augengrunde  liegenden  Medien  ganz  klar  sind,  und 
dass  alles  reflectirte  Licht  von  einem  und  demselben  Planum  ausgeht.  Wird  aber  das  Licht 
von  verschieden  tief  gelegenen  Partikelchen  des  Augengrundes  reflectirt,  wie  bei  serös- 
albuminösem  Exsudate  und  halbdurchsichtiger  Netzhaut,  so  muss  derselbe  jederzeit  mehr 
weniger  trüb  (nebelig)  erscheinen.  Bei  klarem  Chorioidealexsudate  und  durchsichtiger 
Netzhaut  kann  daher  der  Grund  der  Pupille  schwarz  oder  röthlich,  niemals  jedoch  getrübt 
erscheinen.     Durch    feste  Ablagerungen   in    der  Netzhaut    oder   zwischen    dieser   und   der 

*)  Krankheiten  des  Auges.     Weimar,  1832. 
**)  Über  den  Markschwamm  des  Auges.    Würzburg,  1831. 
***)  Bei  Canstatt  und  in  Cunier  annales  d'oculist.    T.  V.  p.  184. 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Symptome.  181 

Chorioidea  kann  die  rupillc  verschieden  verfärbt,  aber  nicht  getrübt  werden.  Verfärbung 
und  Trübung  des  Augengrundes  zugleich  finden  wir  beim  Glaucom,  weil  dieselben  Be- 
dingungen stattfinden,  wie  bei  trübem  "Wasser,  das  die  Lichtstrahlen  aus  verschiedener 
Tiefe  zum  Auge  des  Beobachters  sendet. 

Wenn  man  die  physikalischen  Bedingungen,  welche  auf  die  Trübung 
und  Verfärbung  des  Augengrundes  Einfluss  nehmen,  im  Allgemeinen 
kennt  und  am  Krankenbette  richtig  anzuwenden  bemüht  ist,  dann  wird 
man  auch  hierin  niemals  ein  pathognomonisches  Zeichen  für  Chorioiditis 
überhaupt  oder  auch  nur  für  eine  Unterart  derselben  suchen.  So  kann 
z.  B.  bei  jener  Form  von  Chorioiditis,  welche  von  der  grünlichen  Trü- 
bung des  Augengrundes  den  Namen  Glaucoma  erhalten  hat,  gerade 
dieses  Symptom  zur  Zeit  der  Beobachtung  fehlen,  und  andrerseits  kann 
ein  grünlicher  Reflex  auch  aus  einem  Auge  zurückstrahlen,  welches  an 
nichts  weniger  als  an  Chorioiditis  leidet.     Siehe  unten:  Cataracta. 

Verdunklung  der  Kry stalllinse  allein  oder  auch  der  vordem  Kap- 
sel ist  eine  häufige  Folge  der  Chorioiditis.  Es  gibt  wohl  kein  durch 
Chorioiditis  erblindetes  Auge,  an  welchem  nach  längerer  Zeit  die  Linse 
noch  normal  befunden  würde.  Da  aber  die  Trübung  der  Linse  bei 
weitem  häufiger  ohne  Spur  vorausgegangener  Chorioiditis  beobachtet 
wird,  so  kann  dieses  Symptom  für  die  Diagnosis  der  Chorioiditis  nie 
von  Bedeutung  sein.  Wichtiger  ist  die  Lageveränderung  des  Krystall- 
körpers,  deren  schon  bei  den  Veränderungen,  welche  die  Iris  erleidet, 
gedacht  wurde,  und  auf  welche  wir  bei  der  Lehre  von  den  Krankhei- 
ten der  Linse  zu  sprechen  kommen  werden.  Die  Verbindung  des  Kry  - 
stallkörpers  mit  den  Ciliarfortsätzen  kann  einerseits  durch  Atrophie 
des  Ciliarkörpers  und  andrerseits  durch  Verschrumpfung  der  vordem 
Kapsel  aufgehoben  werden.  In  der  Linse  selbst  erfolgt  entweder  In- 
duration oder  aber  Erweichung,  späterhin  bisweilen  allmälige  Umwand- 
lung in  Kalkconcremente. 

Ad  f.  Abnahme  der  Sehkraft  und  verschiedene  subjective  Licht- 
empfindungen sind  die  constanten  Erscheinungen,  welche  jede  Chorioi- 
ditis vermöge  ihres  Einflusses  auf  die  Netzhaut  mit  sich  führt.  Sie 
entstehen  durch  den  Druck,  welchen  die  mit  Blut  überfüllte  und  ge- 
sehwellte Chorioidea,  späterhin  das  an  ihre  innere  Fläche  ausgeschie- 
dene Exsudat  auf  die  Netzhaut  ausüben.  Ist  die  Chorioiditis  partiell, 
so  kann  auch  die  Lähmung  der  Netzhaut  längere  Zeit  partiell  sein, 
allmälig  dehnt  sie  sich  aber  auf  die  ganze  Ausbreitung  des  Sehner- 
ven aus. 

Die  Abnahme  der  Sehkraft  erfolgt  in  acuten  Fällen  plötzlich  und 
meistens  unter  lästigen  Lichterscheinungen  in  wenig  Tagen  oder  Stun- 


182  Aderhaut. 

den,  in  chronischen  Fällen  alknälig,  und  zwar  stetig  oder  schubweise, 
und  es  können  Monate,  Jahre  vergehen,  ehe  völlige  Blindheit  ausge- 
sprochen ist. 

Nur  bei  Fällen  chronischen  Verlaufes,  und  auch  da  im  Ganzen 
sehr  selten,  kann  man  mitunter  den  Beginn  der  Krankheit  aus  ander- 
weitigen Symptomen  erkennen,  bevor  der  Kranke  noch  über  Abnahme 
der  Sehkraft  selbst  klagt. 

Minder  selten  geschieht  es,  dass  das  Gesicht  zu  Anfang  nur  an- 
fallsweise durch  einige  Stunden  oder  Tage  getrübt  wird,  wie  durch 
einen  leichten  Rauch  oder  Nebel,  und  zwar  entweder  ohne  sonstige 
subjective  Erscheinungen,  oder  unter  Photopsien,  Lichtscheu,  Gefühl 
von  Druck  im  Auge  oder  Vorderkopfe,  oder  unter  heftigen  Schmerzen 
nach  dem  Verlaufe  des  N.  supra-  oder  infraorbitalis. 

In  den  meisten  Fällen  chronischen  Verlaufes  klagen  die  Kranken 
über  stetig  oder  schubweise  zunehmenden  Rauch  oder  Nebel,  der  die 
Objecte  einhüllt  und  undeutlich,  zuletzt  unsichtbar  macht.  Viele  dieser 
letztern  machen  auch  die  Bemerkung,  dass  sie  in  den  Morgenstunden 
minder  schlecht  sehen,  als  gegen  Mittag  und  Abends. 

Von  den  verschiedenen  subjectiven  Erscheinungen  von  Seite  der 
Netzhaut  werden  wir  bei  den  einzelnen  Formen  sprechen. 

Ad  g.  Durch  die  Reizung  und  den  Druck,  welchen  die  Ciliarner- 
ven erleiden,  erklären  sich  die  dumpfen  Schmerzen  im  Auge  und  die 
grosse  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht,  welche  manche  Fälle  begleiten, 
und  nach  dem  bekannten  Gesetze  der  sympathischen  peripheren  Rei- 
zung in  andern  Zweigen  des  Trigeminus  der  Thränenfluss  und  die 
manchmal  zu  einem  fürchterlichen  Grade  gesteigerten  Schmerzen  nach 
dem  Verlaufe  des  N.  supra-  und  infraorbitalis.  Die  Empfindlichkeit 
gegen  das  Tageslicht  ist  bisweilen  auch  dann  noch  lästig,  wenn  der 
Kranke  schon  keinen  Gegenstand  mehr  erkennt. 

Auffallend  ist,  wie  bei  Iritis,  in  vielen  Fällen  die  gedrückte  Ge- 
müthsstimmung,  die  Appetitlosigkeit,  das  Auftreten  von  Brechneigung 
und  wirklichem  Erbrechen. 

Fieber  kann  durch  jede  Chorioiditis  mit  rascher  Exsudation  erregt 
werden;  bei  Chorioiditis  pyaemica  geht  es  der  Affection  am  Auge 
voraus. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Der  Verlauf  ist  bald  sehr  langsam,  so 
dass  Jahre  vergehen,  bevor  es  zur  völligen  Erblindung  kommt,  bald  ist 
die  Sehkraft  sehr  schnell,  selbst  binnen  24  Stunden  temporär  oder  für 
immer  verloren.  Manche  Formen  lassen  noch  Rettung  der  Sehkraft  zu, 
wenn  noch  bei  Zeiten  eine    entsprechende  Behandlung  eingeleitet  wer- 


Entzündung  im  Allgemeinen  —  Ätiologie.  183 

den  kann,  in  andern  muss  gleich  von  vorn  herein,  sobald  nur  der  Ex- 
sudationsprocess  diagnosticirt  werden  kann,  die  Prognosis  rücksichtlich 
der  Sehkraft  oder  selbst  auch  rücksichtlich  der  Form  des  Auges  ab- 
solut ungünstig  gestellt  werden. 

Die  jeweilige  Gruppirung  der  Symptome,  ihre  Reihenfolge  und  die 
Ausgänge  gestalten  sich  je  nach  der  Beschaffenheit  der  Exsudate  und 
in  letzter  Instanz  nach  der  Verschiedenheit  der  ätiologischen  Momente 
so  mannigfaltig  verschieden,  dass  sich  nur  von  einzelnen  Formen, 
nicht  aber  von  der  Chorioiditis  im  Allgemeinen  eine  Schilderung  ent- 
werfen lässt. 

Ätiologie.  Verletzungen  des  Bulbus,  absichtliche  (Operationen) 
oder  zufällige,  sind  häufig  an  und  für  sich  hinreichend,  dass  sich  die 
Cliorioidea  allein  oder  zugleich  mit  andern  Gebilden  entzündet;  in  an- 
dern Fällen  geben  sie  hiezu  gleichsam  nur  den  ersten  Impuls.  Das- 
selbe gilt  von  Verkältüng  der  Augengegend  allein  oder  des  ganzen 
Körpers.  Übermässige  Anstrengung  der  Augen  scheint  nur  im  Verein 
mit  Störungen  in  der  Circulation,  namentlich  im  Pfortadersysteme  oder 
durch  organische  Herzfehler  zu  Congestion  und  seröser  Exsudation  in 
der  Cliorioidea  zu  führen. 

Von  Allgemeinleiden  sind  es  Pt/ämie,  Tuberculosis,  selten  Syphilis, 
am  häufigsten  venöse  Dyskrasie,  welche  sich  so  zu  sagen  in  der  Clio- 
rioidea localisiren.  Näheres  hierüber  kann  erst  bei  den  einzelnen  For- 
men angegeben  werden. 

Consecu tiv  tritt  Chorioiditis  zu  Iritis,  namentlich  zu  Iritis  chronica 
bei  verschiedenen  Allgemeinleiden,  und  zu  Keratitis  mit  Eiterung  und 
Durchbruch  der  Cornea,  namentlich  nach  Berstung  überhäuteter  Iris- 
vorfälle und  nach  allmäliger  Ausdehnung  von  Hornhautnarben.  So  wie 
Iritis  kann  auch  Chorioiditis  die  nächste  Ursache  sein,  dass  ein  Auge 
erblindet,  nachdem  das  andere  durch  Eiterung  zerstört  worden  ist. 

Formell.  Bei  dem  Bestreben,  eine  grössere  Zahl  verschiedener  Fälle  von  Cho- 
rioiditis übersichtlich  zusammen  zu  stellen  und  zu  ordnen,  kann  man  von  zwei  verschie- 
denen Principien  ausgehen,  von  der  Beschaffenheit  des  Exsudates,  oder  von  den  ätiologi- 
schen Momenten.  Xach  jenem  erhielten  -wir:  Chorioiditis  mit  vorwaltend  serösem,  serös- 
albuminösem,  und  faserstoffigem  Exsudate,  letzteres  plastisch,  tuberculös  oder  croupös ; 
nach  diesem  hingegen  Chorioiditis  traumatica,  rheumatica,  pyaemica,  tuberculosa  etc. 
Die  Diagnosis,  welche  übrigens  die  Beschaffenheit  des  Exsudates  so  weit  als  möglich  in 
sich  schliessen  muss,  lässt  sich  indessen  oft  nur  bei  Berücksichtigung  der  ätiologischen  Mo- 
mente feststellen.  Zudem  mahnt  die  Eintheilung  nach  den  ätiologischen  Momenten  den 
Arzt  jederzeit  daran,  dass  er  die  krankhaften  Veränderungen  am  Auge  unter  steter  Be- 
rücksichtigung des  Gesammtorganismus  und  der  Lebensverhältnisse  des  Individuums  auf- 
zufassen  habe,   während   man  sich  sonst  nur  zu  leicht  verwöhnt,  sich  mit  der  möglichst 


184  Aderhaut. 

genauen  Bestimmung  des  örtlichen  Befundes  zufrieden  zu  stellen,  und  sich  so  dem  prak- 
tischen Theile  der  Aufgabe  des  Arztes  zu  entfremden.  Diess  bestimmt  mich,  letztere  Ein- 
theilung  der  ersteren  vorzuziehen.  Ein  so  vollständiges  Schema,  dass  jeder  vorkommende 
Fall  ohne  Weiteres  in  eine  oder  die  andere  Rubrik  desselben  eingereiht  werden  könnte, 
lässt  sich  Überhaupt  nie  erreichen,  man  mag  nun  dieses  oder  jenes  oder  ein  anderes  Prin- 
cip  der  Eintheilung  zu  Grunde  legen. 

1.     Chorioiditis  e  congestione  chronica 

(Chorioiditis  simplex,  Amblyopia  et  Ainaur.  congest.,  Cirsophthalmia,  Hydrops 

sub  cliorioidea  etc.) 

Blutüberfüllung,  Gefässer  Weiterung  und  Serumerguss  zwischen  die 
Chorioidea  und  Ketina  bilden  das  Wesentliche  der  anatomischen  Ver- 
änderungen in  den  hieher  gehörigen  Fällen. 

Allniälige  oder  ruckweise  Abnahme  der  Sehkraft  unter  verschiede- 
nen subjectiven  Erscheinungen,  träge  oder  aufgehobene  Beweglichkeit  der 
Iris  bei  unveränderter  Farbe  und  Faserung,  mehr  weniger  starke  Er- 
Weiterung  der  Pupille  bei  völliger  Schwärze  oder  nur  geringer  Verfär- 
bung und  Trübung,  vermehrte  Injection  der  vordem  Ciliargefässe  und 
erhöhte  Resistenz  des  Bulbus  nebst  dem  Gefühle  von  Spamiung  in  den 
Augen  oder  von  dumpfen  Schmerzen  im  Vorderhaupte  —  sind  die 
wichtigsten  und  beständigsten  Symptome  während  und  kurz  nach  er- 
folgter Exsudation. 

Vorauszugehen  und  bisweilen  noch  längere  Zeit  fortzubestehen  pfle- 
gen verschiedene,  durch  Druck  der  erweiterten  Gefässe  oder  des  Exsu- 
dates auf  die  Netzhaut  bedingte  Lichtempfi?idu?igen.  Gewöhnlich  klagen 
die  Kranken  über  kleine  Wolken  vor  dem  Auge,  oder  über  dunkle 
Punkte  oder  Flecke,  welche  immer  dieselbe  Stelle  des  Sehfeldes  ein- 
nehmen, gewisse  Stellen,  z.  B.  das  Centrum,  oder  die  eine  Hälfte  von 
den  fixirten  Objecten  verdecken,  und  sich  durch  diese  relative  Unbe- 
weglichkeit  von  den  sogenannten  fliegenden  Mücken  unterscheiden.  In 
andern  Fällen  erscheinen  Funken,  Sterne,  Blitze,  blaue  Flammeu  u.  dgL 
bei  offenen  oder  bloss  bei  geschlossenen  Augen,  bei  Tage  oder  bloss 
in  der  Dämmerung.  Gewöhnlich  sind  diese  Erscheinungen  im  Dunkeln 
hell,  glänzend,  leuchtend,  im  Hellen  dagegen  matt,  grau  oder  schwarz. 
—  Alle  Momente,  welche  das  Gefässsystem  aufregen,  oder  die  Circula- 
tion  hemmen,  der  Genuss  geistiger  Getränke,  stärkere  körperliche  Be- 
wegung, Anstrengung  der  Augen,  Gemüthsaffecte ,  gebückte  Stellung, 
Heben  oder  Tragen  von  Lasten  u.  dgl.  rufen  diese  Erscheinungen  her- 
vor oder  steigern  sie. 

Nach  längerem  Bestände  des  Exsudationsprocesses  kann  die  Sclera 
verfärbt,  selbst  ektatisch,   der  ganze  Bulbus  vergrössert  und  glotzend 


Entzündung  in  Folge  von  Congestion.  185 

werden;  dann  bietet  auch  die  Iris  die  Zeichen  der  Lähmung,  manch- 
mal auch  die  der  partiellen  oder  totalen  Atrophie  dar.  Die  Vergröße- 
rung des  Bulbus  pflegt  von  heftigen,  oft  unerträglichen  Kopfschmerzen 
begleitet  zu  werden.  —  Während  einzelner  Nachschübe  von  Exsudat, 
welche  bisweilen  in  Folge  äusserer  Einflüsse,  z.  B.  Verkältung,  stärke- 
rer Aufregung  u.  dgl.  stürmisch  erfolgen,  kann  die  Pupille  durch  Trü- 
bung des  Kammerwassers  ein  rauchiges  Aussehen  bekommen.  Auch 
Hypoaema  habe  ich  in  Fällen  mit  Scleralektasien  beobachtet.  —  Bis- 
weilen tritt  noch  vor  völliger  Ertödtung  der  Netzhaut  Cataracta  dazu, 
lenticularis  allein  oder  auch  capsularis.  Bei  noch  deutlicher  Licht- 
emplindung  und  wenig  oder  gar  nicht  veränderter  Iris  kann  man  dann 
das  Chorioidealleiden  leicht  übersehen.  Staare,  die  zufolge  congestiver 
oder  entzündlicher  Zustände  der  Chorioidea  entstehen,  pflegen  weich 
zu  sein,  und  sammt  der  Iris  etwas  weiter  nach  vorn  gerückt  zu  er- 
scheinen. Man  muss  in  solchen  Fällen  das  Verhalten  der  vordem  Ci- 
liargefässe,  die  Resistenz  des  Bulbus,  bei  nicht  zu  weit  vorgeschritte- 
ner Trübung  der  Linse  das  Verhältniss  zwischen  der  Functionsstörung 
und  dem  sichtbaren  mechanischen  Hindernisse,  und  aus  der  Anamnesis 
insbesondere  den  Umstand  berücksichtigen,  ob  Erscheinungen  von  Druck 
auf  die  Netzhaut  oder  dumpfe  Kopfschmerzen  vorausgegangen  sind. 

Die  Krankheit  entwickelt  sich  (nach  meinen  Beobachtungen)  vor- 
züglich im  Jünglings-  und  Mannesalter,  nach  übermässiger  Anstrengung 
der  Augen  bei  sitzender  Lebensweise,  nach  übermässigem  Genüsse  gei- 
stiger Getränke,  bei  Individuen  mit  Aorten-  und  Herzkrankheiten,  bei 
Individuen  mit  bläulich  rothein  Gesichte  und  glotzenden  Augen,  bei  ha- 
bitueller Stuhlverstopfung,  Menstruationsanomalien.  Sie  befällt  beide 
Augen  zugleich  oder  in  kurzer  Zeit  nach  einander. 

Die  Prugnosis  richtet  sich  theils  nach  dem  Grade,  bis  zu  welchem 
die  Krankheit  vorgeschritten  ist,  theils  nach  den  ätiologischen  Momen- 
ten, welche  leider  nur  zu  oft  nicht  beseitigt  oder  unschädlich  gemacht 
werden  können.  Daher  ist  die  Heilung  oder  Besserung  oft  nur  tempo- 
rär, und  der  Kranke  verfällt  endlich  doch  dem  Schicksale  der  gänz- 
lichen Erblindung. 

Die  Behandlung  ergibt  sich  aus  der  Berücksichtigung  des  Gesagten 
im  Allgemeinen  von  selbst.  Die  Mittel  und  Methoden,  welche  mir 
Nutzen  gewährten,  sind  in  den  nachfolgenden  Krankengeschichten  an- 
gedeutet. 

1.  Beobachtung.  L.  J.,  28  Jahre  alt,  Richteramtscandidat,  kam  am  24.  Juli  1847  in  die 
Anstalt.  Er  v>"ar  auf  dem  rechten  Auge  allmälig  erblindet,  angeblich  nach  einem  Schlage  auf 
dasselbe  vor  10  Jahren.  Wir  fanden  Cataracta  lenticularis  mit  deutlicher  Lichtempfindung  und 


186  Aderhaut. 

Strabismus  convergens,  der  sich  nach  und  nach  eingestellt  hatte.  Der  Mann  lebte  unter 
dürftigen  Verhältnissen,  und  musste  fast  den  ganzen  Tag  in  der  Kanzlei  eines  Advocaten  schrei- 
ben. Vor  neun  Tagen  bekam  er  nach  einem  Spaziergange  an  einem  heissen  Tage  plötzlich 
druckenden  anhaltenden  Kopfschmerz  in  der  Scheitelgegend  und  Vorschweben  von  dunklen 
Flocken  und  Streifen  vor  dem  linken  Auge.  Letztere  Erscheinung  hörte  zwar  denselben 
Tag  wieder  auf,  und  am  Morgen  des  folgenden  Tages  sah  er  durch  einige  Stunden  wieder 
so  gut,  wie  früher.  Als  er  jedoch  einige  Stunden  geschrieben  hatte,  bildete  sich  vor 
dem  linken  Auge  ein  Nebel,  und  der  Kopfschmerz  in  der  Scheitelgegend  wurde  heftiger. 
Die  völlige  Wiederkehr  der  Sehkraft  in  den  Morgenstunden  und  das  Wiedereintreten  des 
Trübsehens  und  des  Kopfschmerzes  nach  einiger  Arbeit  fand  durch  3  Tage  ohne  alle  andere 
Erscheinungen  statt ;  dann  aber  gesellte  sich  das  Sehen  von  hellen  Kadern  bei  offenen  und 
geschlossenen  Augen  dazu,  und  er  konnte  zuletzt  gar  nicht  mehr  arbeiten.  Wir  fanden  an  dem 
Auge  ausser  stärkerer  Injection  der  Ciliargefässe  nichts  Abnormes.  Er  erkannte  die  feinsten 
Objecte,  musste  sie  jedoch  dem  Auge  sehr  nahe  bringen,  und  hielt  deren  Fixirung  nicht 
lange  aus.  Ein  ruhiges  Verhalten  beim  Gebrauch  kleiner  Gaben  von  Tart.  stibiatus  —  da 
der  Puls  aufgeregt  und  die  Temperatur  des  Kopfes  erhöht  war  —  reichte  hin,  dass  alle 
genannten  Erscheinungen  in  wenig  Tagen  ausblieben  und  der  Kranke  Ende  des  Monates 
(scheinbar)  genesen  die  Anstalt  Arerlassen  konnte. 

Am  9.  October  184S  kam  er  in  bedeutend  verschlimmertem  Zustande  zurück.  Schon 
einige  Wochen  nach  seiner  Entlassung  war  das  Nebelsehen  nach  längerem  Herumgehen  oder 
nach  längerem  Schreiben  zurückgekehrt,  und  allmälig  continuirlich  geworden.  Statt  der  lieh" 
ten  Räder  hatten  sich  helle,  lichte  Streifen  eingestellt.  Seit  einigen  Monaten  war  er  ohne 
Beschäftigung  in  seiner  Heimath  gewesen.  Wir  nahmen  nun  den  Zustand  genauer  auf  als  das 
erste  Mal. —  Die  Augen  etwas  glotzend,  besonders  das  linke,  und  härter  anzufühlen. — Lider 
und  Bindehaut  normal,  ihre  Gefässe  jedoch  zahlreicher  und  stärker  injicirt.  Hörn-  und  Regen- 
bogenhaut normal.  Rechts  nicht  nur  die  Linse ,  sondern  auch  die  mittlere  Partie  der 
vordem  Kapsel  getrübt,  die  Lichtempfindung  deutlich.  Links  die  Pupille  schwarz,  bei 
hellerem  Lichte  enger,  vollkommen  rund;  der  Kranke  erkennt  das  Gepräge  von  Geld- 
münzen,  die  Zeiger  einer  kleinen  Taschenuhr,  kann  jedoch  nicht  lesen,  ausser  sehr 
grossen  Druck.  Das  Gesicht  gewöhnlich  roth  und  wärmer,  turgescirend ,  der  Puls  sehr 
voll,  nicht  beschleunigt.  Die  Untersuchung  des  Herzens  ergab  eine  massige  Insuffizienz 
der  Mitralklappen. 

Wir  verordneten  ruhiges  Verhalten ,  vorwaltend  vegetabilische  Kost ,  von  Zeit  zu 
Zeit  blutige  Schröpfköpfe  längs  der  Wirbelsäule,  innerlich  einige  Zeit  Tart.  stibiatus  refr. 
dosi  mit  Glaubersalz ,  dann  Infusum  fol.  digit.  purp. ,  später  Decoct.  graminis  mit  Kali 
tartar.,  zuletzt  durch  längere  Zeit  Cremor  tartari  mit  Saccharum.  Das  Sehvermögen  wurde 
wohl  zeitweilig  etwas  besser,  dann  aber  wieder  schlechter,  und  wir  mussten  den  Kranken 
endlich  Mitte  Jäner   1849  ungeheilt  entlassen. 

Als  er  Anfang  Februar  z\irückkehrte ,  waren  die  Pupillen  für  gewöhnlich  etwas 
grösser,  als  früher  bei  gleicher  Beleuchtung,  und  es  entwickelte  sich  unter  unsern  Augen 
—  er  blieb  bis  Mitte  April  in  der  Anstalt  —  allmälig  Trübung  der  Linse.  Zunächst  be- 
merkten wir  nach  unten  und  aussen  etwa  2/s"'  vom  Rande  der  Linse  einwärts  (gegen 
ihr  Centrum  hin)  eine  kleine,  unrcgelmässige ,  lichtgraue  Trübung,  dem  Sitze  nach  ent- 
weder in  der  Kapsel  selbst  oder  knapp  an  ihr  in  der  Rindensubstanz.  Wir  untersuchten 
diese  Stelle ,  die  sich  allmälig  gegen  das  Centrum  und  nach  den  Seiten  hin  ausbreitete, 
und  mehr  ein  milch-  dann  kreideweisses  Aussehen  annahm,  zu  wiederholten  Malen  und 
bei  verschiedener  Beleuchtung  mit  einer  scharfen  Loupe,  konnten  jedoch  niemals  Gefäss- 


Entzündung  in  Folge  von  Congestion.  187 

entwicklung  wahrnehmen.  Wurde  die  Pupille  möglichst  stark  durch  Belladonna  erweitert, 
so  sah  man,  dass  die  Trübung  nicht  bis  zum  Rande  der  Kapsel  reichte,  sondern  l/a — 2/3'" 
vom  Eande  derselben  anfing,  und  von  dem  durchsichtigen  Randtheile  der  Kapsel  scharf 
abgegrenzt  war.  Dieses  Hinzutreten  von  Kapselstaar  war  uns  nachträglich  ein  Beweis 
mehr,  dass  der  Frocess  am  Auge  nichts  anderes  gewesen  als  Chorioiditis,  die  Anfangs 
als  Amblyopia  —  Amaurosis  congestiva  aufgetreten  war. 

2.  Beobachtung.  Fraulein  St.  v.  B. ,  28  Jahre  alt,  trat  Anfang  Februar  1843  in 
meine  Behandlung,  nachdem  sie  von  zwei  Ärzten  längere  Zeit  an  „Amblyopia  conge- 
stiva" behandelt  worden  war.  Sie  war  gross,  hager,  blond,  mit  lichtblauer  Iris,  von 
bläulich  rother  Gesichtsfarbe,  von  sehr  lebhaftem  Temperamente.  Sie  litt  —  nach  Angabe 
des  Prof.  Jaksch  —  an  Hypertrophia  cordis.  —  Ich  fand  das  linke  Auge  etwas  mehr 
hervorragend,  prall  anzufühlen,  die  Farbe  der  Iris  minder  lebhaft  und  rein,  als  am  rechten 
Auge ,  die  Pupille  mittelgross,  nicht  rein  schwarz,  sondern  so  wie  wenn  Tusch  oder  Euss 
darin  aufgelöst  wäre;  die  Bewegung  der  Iris  sehr  beschränkt,  das  Sehvermögen  bis  auf 
Lichtempfindung  erloschen;  die  Subconjunctivalgefässe  des  Bulbus  stark  turgescirend. 
Dieses  Auge  war  in  Zeit  von  zwei  Jahren  allmälig  ohne  auffallende  entzündliche  Er- 
scheinungen erblindet. 

Mit  dem  rechten  Auge  sah  sie  noch,  konnte  stricken ,  selbst  etwas  lesen,  doch  nur 
Buchstaben  von  mindestens  2"'  Höhe,  besser  die  ersten  Buchstaben  längerer  "Wörter.  Sie 
sagte,  sie  sehe  Alles,  aber  dunkel,  und  es  verwische  sich  Alles,  sobald  sie  es  länger 
betrachte.  Sie  wendete  bald  das  Auge,  bald  das  Buch,  gleichsam  als  müsse  sie  durch 
eine  bewegliche  Spalte  durchblicken,  die  nur  in  einer  gewissen  Richtung  Licht  durchlässt. 
Das  Auge  war  etwas  gespannt,  die  Sclera  bläulich  weiss,  von  stark  erweiterten  Gefässen, 
die  sich  vorn  in  der  Tiefe  verloren,  überzogen;  die  Iris  blau,  lebhaft  beweglich,  die 
Pupille  dem  Lichtgrade  entsprechend  weit  und  rein  schwarz. 

Das  Übel  hatte  hier  im  November  (vor  3  Monaten)J  begonnen,  nachdem  die  Kranke 
sich  mit  feinen  Arbeiten  (Stickereien)  viel  angestrengt  hatte.  Anfangs  waren  die  Er- 
scheinungen wie  nach  Überreizung  der  Sehkraft  überhaupt  aufgetreten,  Thränen,  Übergehen 
der  Augen,  vorübergehender  Xebel,  bisweilen  Funkensehen ;  später  zeigten  sich  dunkle 
Flecke  vor  dem  Atige ,  welche  vor  den  fixirten  Objecten  schwebten.  Bei  körperlicher 
und  geistiger  Ruhe  und  des  Morgens  befand  sie  sich  besser,  Körper-  oder  Gemüths- 
■aufregung  verschlimmerte  den  Zustand  und  erregte  zugleich  dumpfe  Kopfschmerzen.  Sie 
klagte,  dass  ihre  Hände  und  Füsse  immer  kalt  seien,  dass  ihr  dagegen  das  Blut  oft  ohne 
Teranlassung  gegen  den  Kopf  ströme,  und  ihre  Wangen  glühen.  Wegen  habitueller  Stuhl- 
verstopfung hatte  sie  seit  Jahren  Abführmittel  gebraucht,  in  der  letzten  Zeit  Saidschützer 
Wasser,  das  ihr  am  besten  bekam.  Die  Menstruation  trat  regelmässig,  aber  sparsam  ein. 
Xach  einem  in  der  letzten  Zeit  vorgenommenen  Aderlasse  hatte  sich  eher  Verschlimme- 
rung als  Besserung  ihres  Zustandes  eingestellt. 

Um  nicht  weitschweifig  zu  werden,  will  ich  von  diesem  Falle  nur  noch  das  bemerken, 
dass  die  Kranke  binnen  Jahresfrist  gänzlich  erblindete,  und  gegenwärtig  (1852)  auf  beiden 
Augen  das  Bild  eines  völlig  ausgebildeten  Glaucoms  (mit  Ausnahme  der  grünlichen  Färbung 
der  Pupillen)  darbietet ;  auf  dem  linken  ist  auch  die  Linse  verdunkelt.  In  den  ersten  Monaten 
llS43i  konnte  man  die  stufenweise  Zunahme  des  Übels  daran  erkennen,  dass  von  Zeit 
zu  Zeit  die  Pupille  auf  einige  Tage  trüb  wurde,  so  wie  wenn  Tusch  im  Kammerwasser 
aufgelöst  wäre,  wobei  jedesmal  das  Sehvermögen  auf  eine  niedrigere  Stufe  herabsank. 
Dann  wurde  die  Pupille  wieder  rein,  die  Iris  in  ihren  Bewegungen  freier,  und  das  Seh- 
vermögen   etwas    besser,    ohne    jedoch    den    Grad    vor   dem    Anfalle   wieder  zu  erreichen. 


188  Aderhaut. 

Endlich  wurde  der  Nebel  dichter,  es  trat  öfter  die  Erscheinung  lichter  gelber  Scheiben 
ein,  „so  wie  wenn  man  in  die  Sonne  gesehen  hat"  und  noch  längere  Zeit  nach  gänz- 
lichem Erlöschen  der  Sehkraft  wechselten  „helle  und  dunkle  Tage,"  wovon  die  ersteren 
sie  am  meisten  belästigten,  weil  sie  meinte,  sie  müsse  durch  den  lichten  dichten  Nebel 
hindurch  sehen. 

3.  Beob.  K.  J.,  29  Jahre  alt,  Polizeisoldat,  von  starkem  Körperbaue  und  blaurother 
Gesichtsfarbe,  mit  Glotzaugen  (von  Jugend  auf?),  kam  am  27.  Novemb.  1841  in's  Spital. 
Zustand  des  linken  Auges:  Der  Bulbus  vergrössert,  hart  anzufühlen;  die  Vergrösserung 
kömmt  auf  Rechnung  blauer  Hügel  und  Wülste  der  Sclera,  welche  2—3'"  hinter  der 
Cornea  beginnen,  und  nach  innen  und  unten,  dann  nach  oben  und  aussen  am  stärksten 
entwickelt  sind,  nur  nach  oben  liegt  ein  kleiner  dunkelblauer  JJügel  ganz  nahe  an  der 
Basis  corneae.  Auf  der  Sclera  erscheinen  überdiess  viele  einzelne  sehr  erweiterte  Gefässe, 
von  den  Insertionsstellen  der  Muse,  recti  kommend,  und  nahe  an  der  Cornea  sich  in  die 
Sclera  einsenkend,  zum  Theil  auch  auf  derselben  sich  verästelnd.  Unterbricht  man  durch 
Andrücken  des  Lides  mit  dem  Finger  für  einen  Augenblick  den  Blutstrom,  so  kann  man 
in  dem  Momente,  wo  man  das  Lid  wieder  abzieht,  in  den  dunkler  gefärbten  und  mehr 
gestreckt  verlaufenden  das  Blut  von  der  Cornea  her,  dagegen  in  den  heller  gefärbten 
und  geschlängelt  verlaufenden  von  den  Muskeln  her  in  das  momentan  entleerte  Gefäss 
einströmen  sehen.  Erstere  sind  also  Venen,  letztere  Arterien.  Die  Hornhaut,  übrigens 
normal,  scheint  von  oben  her  etwas  verkleinert  zu  sein ,  indem  der  Scleralfalz  und  der 
Bindehautstamm  daselbst  breiter  sind.  Die  Pupille  misst  über  i'"  im  Durchmesser,  indem 
die  unbewegliche,  lichtblaue  Iris  auf  einen  schmalen  Saum  zusammengeschrumpft  erscheint, 
an  dem  man  keine  deutliche  Faserung  mehr  erkennen  kann.  Die  Linse  weiter  nach  vorn 
gelagert,  verdunkelt,  weissgrau,  in  der  Mitte  mit  einem  kreideweissen,  etwa  erbsengrossen, 
am  Bande  scharf  begrenzten,  doch  etwas  zackigen  Flecke  belegt.  Zwischen  dem  Rande 
der  Linse  und  dem  schwarzbraunen  Pupillarrande  der  Iris  kann  man  noch  gleichsam  in 
die  Tiefe  sehen  (dunkler  Reifen  rings  um  die  Linse). 

Dieses  Auge  ist  schon  seit  mehreren  Jahren  gänzlich  erblindet.  Der  Kranke  erhielt 
im  15.  Jahre  einen  kräftig  geführten  Bajonnetstich  in  die  Gegend  des  linken  Augen- 
brauenbogens,  welcher  unter  der  Haut  1"  weit  gegen  die  Stirn  hinauf  ging;  die  Wunde 
heilte  ohne  Nachtheil  für's  Auge.  Im  19.  Jahre  entstand,  nach  einer  Blatter  auf  der 
linken  Wange ,  ein  Gesichtsrothlauf ,  wobei  die  Lider  beider  Augen  so  geschwollen 
waren,  dass  er  sie  nicht  öffnen  konnte.  Die  Lider  blieben  längere  Zeit  schlaff,  und  die 
Krankheit  endigte  mit  Abschuppung.  Seitdem  soll  das  Gesicht  des  linken  Auges  etwas 
schwächer  geworden  sein ;  doch  begann  die  eigentliche  (störende)  Gesichtsabnahme  des- 
selben erst  im  21.  Lebensjahre,  und  nahm  in  den  folgenden  5  Jahren  so  überhand,  dass 
er  in  seinem  25.  Jahre  mit  diesem  Auge  ferne  Gegenstände  gar  nicht  wahrnehmen,  und 
selbst  mittleren  Druck  nur  mit  Anstrengung  lesen  konnte.  Dabei  erweiterte  sich  die  Pupille 
allmälig  mehr  und  mehr,  blieb  jedoch  schwarz.  Um  diese  Zeit  soll  auch  einmal  nach 
drückenden  Schmerzen  in  der  Stirn  und  starkem  Schwindel  ein  eiteiartiger,  stinkender 
Ausfluss  aus  der  Nase  durch  5  Tage  stattgefunden  haben,  worauf  das  Augenübel  rascher 
zunahm.  Im  26.  Jahre  war  der  Mann  bei  einem  Feldlager  grossen  Strapazen  und  vielem 
Staube  ausgesetzt,  wobei  sich  das  Auge  öfter  röthete,  die  Pupille  ohne  alle  Schmerzen 
nach  und  nach  grau  und  endlich  weiss  wurde,  aber  doch  noch  grössere  Gegenstände 
wahrgenommen  werden  konnten.  Ein  halbes  Jahr  darauf,  im  Winter,  röthete  sieh  das 
Auge  neuerdings  unter  etwas  Lichtscheu,  Thränenfluss  und  drückenden  Schmerzen  in  und 
hinter  dun  Auge  und  in  der    Stirn    mit  dem    Gefühle,    als    würde   der   Kopf  zusammen- 


Entzündung  in  Folge  von  Congestion.  189 

geschraubt.  Diese  Schmerzen,  bei  Tage  nicht  vorhanden,  traten  nur  Abends  ein,  und 
nahmen  bis  Mitternacht  zu.  Ein  halbes  Jahr  später,  also  vor  2  Jahren,  nachdem  bereits 
alle  Sehkraft  erloschen  war,  entstanden  allmälig  und  ohne  Schmerz  oder  Röthe  die 
blauen  Wülste  in  der  Sclera  und  erreichten  binnen  4  Wochen  die  gegenwärtige  Grösse 
und  Gestalt.  Zu  derselben  Zeit  begann  auch  das  Sehvermögen  am  rechten  Auge  schwä- 
cher zu  werden;  dabei  wurde  die  Pupille  ohne  Röthe,  ohne  Schmerz  im  Auge  weiter 
und  weiter. 

Rechtes  Auge:  Der  Bulbus  glotzend,  hart,  frei  beweglich.  Die  Sclera  schmutzig 
weiss,  ins  Gelbliche  spielend;  die  vordem  Ciliargefässe  stark  erweitert,  die  Hornhaut 
normal.  Die  Iris  blassblau,  beweglich,  die  Pupille  erweitert,  nicht  völlig  schwarz,  gleich- 
sam rauchig,  das  Sehvermögen  ist  merklich  geschwächt;  er  kann  nur  grossen  Druck  und 
nur  auf  kurze  Zeit  lesen ;  ferne  Gegenstände  nimmt  er  noch  weniger  wahr ;  gegen  Mittag 
und  Abend,  besonders  aber  nach  jeder  Anstrengung  bekommt  er  einen  leichten  Nebel 
vor  das  Auge,  der  dann  auch  das  Sehen  naher  Gegenstände  erschwert  oder  ganz  ver- 
hindert. Nach  starker  Anstrengung,  z.  B.  beim  Exerciren  in  den  Morgenstunden,  bilden 
sich  selbst  feurige  Bäder  vor  den  Augen,  welche,  wenn  er  sich  niederlegt  und  schläft, 
verschwinden,  sonst  aber  bis  Abends  fortdauern.  Der  Kranke  leidet  häufig  an  Kopf- 
sehmerzen, besonders  nach  jeder  stärkern  Bewegung;  er  fühlt  dann,  wie  er  sich  aus- 
drückt, das  Blut  heiss  gegen  den  Kopf  strömen,  und  bekommt  selbst  Schwindel,  den 
letzteren  auch,  wenn  er  Bier  getrunken  hat. 

Wir  konnten  keine  Ursache  dieser  Erscheinungen  auffinden ;  er  litt  nicht  an  Unter- 
leibsbeschwerden ;  Auscultation  und  Percussion  ergaben  weder  eine  Herz-  noch  eine 
Lungenkrankheit.  Demnach  war  unser  Heilverfahren  mehr  symptomatisch.  Wir  gaben 
Anfangs  ein  Decoct.  graminis  mit  Tart.  tartaris.,  zum  Getränke  Wasser  mit  Weinstein, 
setzten  den  Mann  auf  sparsame  Kost  (Suppe,  eine  Semmel,  gekochte  Pflaumen),  und  em- 
pfahlen ihm  die  möglichste  Buhe  des  Körpers  und  Gemüthes.  Dennoch  kamen  einige 
Male  Anfälle  von  heftigem  Blutandrange  zum  Kopfe ;  dabei  wurde  das  Gesicht  blauroth, 
die  Temperatur  erhöht,  der  Puls  nicht  sehr  beschleunigt,  klein,  hart,  und  der  Kranke 
musste  sich  wegen  Schwindel  und  Schwäche  der  Füsse  zu  Bette  legen.  Ein  andermal 
fühlte  er  starke ,  von  der  Brust  gegen  den  Kopf  aufsteigende  Hitze ,  dann  Athmungs- 
beschwerden,  als  ob  es  ihn  erdrücken  wollte,  heftiges  Herzklopfen,  wobei  er  nicht  liegen 
konnte,  dann  Nebel  vor  den  Augen  mit  röthlichem  Schimmer,  zu  Ende  des  Zustandes 
reichlichen  Schweiss  auf  der  Stirn,  worauf  er  die  Nacht  hindurch  ruhig  schlief.  Nach 
Verabreichung  eines  Infus,  fol.  sennae  mit  Arcan.  duplic.  fuhren  wir  mit  obigem  Decocte 
fort,  und  unterhielten  vom  7.  Dec.  an  hinter  jedem  Ohre  ein  künstliches  Geschwür  in  leb- 
hafter Eiterung.  Den  16.  Dec.  war  die  Pupille  des  rechten  Auges  nicht  mehr  so  weit.  Der 
gegen  Mittag  eintretende  Nebel  war  bereits  seit  8  Tagen  nicht  wieder  gekommen,  ebenso 
die  feurigen  Räder  und  die  Congestionsanfälle.  Den  20.  Dec.  gab  der  Kranke  bereits  merk- 
liche Besserung  des  Sehvermögens  an.  Den  9.  Jäner  verordneten  wir  unter  Beibehaltung 
der  schmalen  Kost  Pillen  aus  Pulvis  und  Extract.  rad.  polyg.  senegae  und  einen  Trank 
aus  Rad.  polyg.  gramin.  et  althaeae.  Von  nun  an  blieb  der  Kranke  frei  von  dem  Nebel 
vor  dem  rechten  Auge,  konnte  gegen  Ende  Jäner  selbst  mehrere  Minuten  lang  ohne  alle 
Anstrengung  lesen,  und  erkannte,  als  wir  ihn  nun  auch  ins  Freie  gehen  Hessen,  die 
Zeiger  einer  Thurmuhr  auf  mehr  als  500  Schritte  Entfernung,  was  er  seit  Jahren  nicht 
im  Stande  gewesen  war.  In  diesem  Zustande  von  Besserung  musste  der  Mann,  aus 
Dienstesrücksichten,  Mitte  Februar  die  Anstalt  verlassen. 

Allein  schon  nach   einigen   Wochen   kehrten  die   frühern   Zufälle   wieder,    und   der 


190  Aderhaut. 

Mann  erblindete  noch  im  Verlaufe  desselben  Jahres  so  weit,  dass  er  nicht  mehr  Dienste 
leisten  konnte.  Er  musste  endlich  dem  Invalidenhause  übergeben  werden,  wo  er  in  Zeit 
von  2  Jahren  gänzlich  erblindete.  Er  besucht  nun  seit  dem  Jahre  1847  alljährlich  einige 
Male  die  Klinik  zum  Unterrichte  der  Studenten.  Es  haben  sich  auch  an  dem  rechten 
Auge  bläuliche  Hügel  der  Sclera'ausgebildet,  und  die  Iris  ist  auf  einen  nicht  ganz  V"  breiten 
Saum  zusammengeschrumpft.  Die  ungleichmässig  erweiterte  Pupille  ist  nicht  rein  schwarz, 
gleichsam  rauchig  getrübt.  Die  Linse  hat  bis  jetzt  ihre  Durchsichtigkeit  behauptet.  Mehr- 
mals sahen  wir  an  diesem  Auge  Bluterguss  in  der  vordem  Kammer,  wobei  zugleich  der 
Glanz  der  Cornea  vermindert  war.  Zweimal  war  dieser  Erscheinung  heftiger  Kopfschmerz 
vorausgegangen. 

2.     Chorioiditis  ex  dyscrasia  venosa. 
{Ophthalmia  arthriüca  et  glaucoma  auctorum.) 

Die  anatomischen  Veränderungen,  welche  nach  Ablauf  der  hier 
zu  besprechenden  Entzündung  gefunden  (und  Seite  159  bis  165  ge- 
schildert) wurden,  bestehen  im  Wesentlichen  in  partieller  Verwachsung 
der  Chorioidea  mit  der  Sclera  oder  zugleich  auch  mit  der  Ketina  in 
der  Gegend  des  Aequator  bulbi,  in  Erguss  von  Serum  mit  Eiweissstoff 
zwischen  die  Chorioidea  und  Retina  bis  zur  Ora  serrata,  und  in  con- 
secutiven  Nutritionsstörungen  in  der  Iris,  dem  Glaskörper,  der  Linse. 

Symptome.  Mehr  weniger  starke  Injection  und  Erweiterung  der 
vordem  Giliargefässe ,  träge  oder  aufgehobene  Beweglichkeit,  partielle 
oder  totale  Entfärbung  und  Structurveränderung  der  Iris,  ungleichmäs- 
sige  Erweiterung  und  rauchige  oder  grünliche  Trübung  der  Pupille,  und 
allmäliges  oder  rasches,  zu  dieser  Trübung  nicht  in  Verhältniss  stehen- 
des Erlöschen  der  Sehkraft  unter  mannigfachen  subjectiven  Lichter- 
scheinungen und  mehr  weniger  heftigen  Schmerzen  im  Auge  und  dessen 
Umgebung  sind  die  vorzüglichsten  der  örtlichen  Erscheinungen,  welche 
diesen  Vorgang  im  Auge  begleiten.  Die  Symptome  des  Allgemeinlei- 
dens, welches  dem  örtlichen  zu  Grunde  liegt,  werden  weiter  unten,  bei 
der  Ätiologie,  angeführt. 

In  vielen  Fällen  sind  nebst  diesen  noch  andere  Erscheinungen  von 
hoher  Bedeutung  für  die  Diagnosis  vorhanden,  in  andern  fehlt  selbst 
eine  und  die  andere  der  eben  genannten.  Überdiess  kommt  keine  der- 
selben der  in  Rede  stehenden  Krankheit  ausschliesslich  zu.  Die  je- 
weilige Gruppirung  der  Symptome  gestaltet  sich  wegen  des  bald  äus- 
serst raschen,  bald  ausserordentlich  langsamen  Verlaufes  sehr  man- 
nigfaltig. 

1.  Die  stärkere  Injection  und  Enveiterung  der  vordem  Ciliarge- 
fässe ist  in  jedem  der  hieher  gehörenden  Fälle  vorhanden.  Bei  chro- 
nischem Verlaufe  oder  nach  längerem  Bestände  acut  aufgetretener  Fälle 


Entzündung  —  Glauconia  —  Symptome.  191 

sieht  man  bloss  einzelne  erweiterte  Gefässe,  bei  raschem  Ergüsse  eine 
mehr  weniger  breite  Zone  dunkler  Röthe  rings  um  die  Hornhaut,  nicht 
selten  von  dieser  durch  den  nicht  injicirten,  daher  bläulichweissen  Lim- 
bus  conjunctivae  getrennt.  Dann  ist  auch  die  Bindehaut  gewöhnlich 
stark  injicirt,  selbst  etwas  ödematös. 

2.  Die  Beweglichkeit  der  Iris  wird  in  acuten  Fällen  in  wenig 
Stunden  oder  Tagen,  in  chronischen  Fällen  bisweilen  erst  nach  Wochen 
oder  Monaten  völlig  vernichtet.  In  chronischen  Fällen  sah  ich  einige 
Male  nur  die  schmäler  gewordene,  dem  Ausgangspunkte  der  Chorioi- 
ditis entsprechende  Partie  gelähmt,  die  übrige  Iris  noch  so  lange  auf 
Licht  und  Schatten  reagirend,  als  noch  Lichtempfindung  bestand. 

Die  Entfärbung  der  bis,  bald  partiell  in  Form  blei-  oder  schiefer- 
grauer Flecke  des  grossen  Kreises,  bald  total  und  so,  als  ob  die  Iris 
gebleicht  worden  oder  vergilbt  wäre,  tritt  gewöhnlich  erst  später  ein. 
Dasselbe  gilt  von  der  Atrophirung  des  Gewebes  der  Iris. 

Wird  die  Lage  der  Iris  verändert,  so  geschieht  diess  jederzeit  nur 
dadurch,  dass  sie  sammt  der  Linse,  welche  dann  meistens  schon  merk- 
lich verdunkelt  erscheint,  nach  vorn  gedrängt  wird. 

3.  Erweiterung  der  Pupille  muss  als  eine  der  beständigsten  Er- 
scheinungen bezeichnet  werden.  Sie  kann  bei  allmälig  entstehenden 
Fällen  eine  Zeit  lang  fehlen ;  bei  rascher  Exsudation  ist  sie  gleich  An- 
fangs und  in  autfallend  hohem  Grade  vorhanden.  Sie  ist  fast  immer 
eine  ungleichmässige,  indem  die  Iris  an  der  einen  oder  der  andern  Stelle 
schmäler  geworden  ist.  Mitunter  kommt  es  vor,  dass  man  bei  mani- 
fester glaucomatöser  Erblindung  die  Pupille  weder  bedeutend  vergrös- 
sert,  noch  merklich  entrundet  findet.  Ich  habe  diess  in  einigen  Fällen 
gesehen,  wo  in  einem  frühem  Zeiträume  beide  Erscheinungen  deutlich 
ausgesprochen  gewesen  waren. 

4.  Die  eigenthümliche  mehr  weniger  deutlich  grünliche  Trübung 
der  Pupille,  von  welcher  die  Krankheit  den  Namen  Glaucoma  erhalten 
hat,  kann  bei  chronischem  Verlaufe  in  der  ersten  Zeit  lange  fehlen, 
bei  acuten  Fällen  durch  Trübung  der  Hornhaut  oder  des  Kammerwas- 
sers verdeckt  werden,  wodurch  das  Auge  dann  ein  eigenthümlich  düste- 
res, leichenhaftes  Aussehen  bekommt.  Dass  ein  ähnlicher  Reflex  auch 
ohne  Chorioiditis  vorkommen  könne,  wurde  schon  erwähnt. 

5.  Abnahme  des  Sehvermögens  (von  leichter  Trübung  bis  zum  Ver- 
luste aller  Lichtempfindung)  gehört  unter  die  constanten  und  in  der 
Regel  auch  unter  die  ersten  Zufälle  dieser  Krankheit.  Die  verschiede- 
nen Modifikationen  in  Bezug  auf  dieses  Symptom  wurden  bereits  bei 
der  Besprechung  der  Symptome  im  Allgemeinen  S.  181  angeführt. 


192  Äderhaut. 

6.  Mannigfaltig,  zum  Theil  eigentümlich  sind  die  subjectiven  Er- 
scheinungen von  Seite  de?'  Netzhaut  vor,  während  und  nach  der  Erblin- 
dung. Leute,  bei  denen  sich  Glaucoma  entwickelt,  stehen  bereits  in 
einem  Alter,  in  welchem  Presbyopie  nichts  Ungewöhnliches  ist,  und  in 
so  fern  können  die  Erscheinungen  mangelhafter  Accommodation,  Man- 
gel an  Ausdauer  zu  feinern  Arbeiten,  Mückensehen  u.  dgl.  bloss  als 
Folge  dieses  senilen  Zustandes  vorhanden  sein,  ohne  dass  eben  Con- 
gestion  oder  Entzündung  der  Chorioidea  dabei  sein  muss.  In  näherer 
Beziehung  zu  dem  Leiden  der  Chorioidea  selbst  steht  das  Wahrnehmen 
von  fixen  dunkeln  Punkten,  Flecken,  Wolken  (Skotomen)  und  von  ver- 
schiedenen Lichterscheinungen  (Photopsien),  welche  sich  so  verhalten, 
wie  bei  der  Seite  184  geschilderten  Form.  In  einigen  der  von  mir  be- 
obachteten Fälle  hatten  die  Kranken  eine  Zeit  lang  vorher  manche  Far- 
ben, namentlich  das  Koth  des  menschlichen  Antlitzes,  nicht  mehr  er- 
kannt, daher  alle  Gesichter  gelb  oder  erdfahl  gesehen.  So  wie  vor 
dem  Eintreten  beträchtlicher  Gesichtsschwäche  regelmässig  jeden  Morgen 
Besserung  und  um  eine  bestimmte  Stunde  Verschlimmerung  des  Ge- 
sichtes einzutreten  pflegt,  so  tritt  ein  gewisser  Typus  gewöhnlich  noch 
deutlicher  nach  völliger  Erblindung  darin  hervor,  dass  der  Kranke  so- 
genannte helle  und  dunkle  Tage  hat.  An  diesen  herrscht  das  Gefühl 
völliger  Dunkelheit  vor  dem  Auge;  an  jenen  glaubt  der  Kranke,  er 
müsse  sehen,  wenn  nur  der  „lichte,  aber  dicke  Nebel  vor  den  Augen" 
etwas  dünner  wäre.  Der  Wechsel  zwischen  der  Empfindung  des  Dun- 
keln und  des  Lichten  tritt  oft  durch  viele  Tage  oder  Wochen  nach 
einander  immer  zur  selben  Stunde  ein,  z.  B.  Morgens  4  Uhr,  wenn 
auch  aussen  völlige  Dunkelheit  herrscht.  Oder  es  tritt  die  Empfindung 
des  Hellen  täglich  durch  einige  Stunden,  z.  B.  regelmässig  von  1  bis 
4  Uhr  Nachmittags  ein.  Dieser  Wechsel  dauert  gewöhnlich  so  lange, 
bis  das  Auge  atrophisch  zu  werden  anfängt.  Er  erhält  die  Kranken 
meistens  in  einer  sehr  unangenehmen  Gemüthsaufregung ,  und  verhin- 
dert, dass  sie  sich  mit  dem  Gedanken  unheilbarer  Erblindung  befreunden. 

7.  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  Umgebung  und  abnorme  Em- 
pfindlichkeit gegen  das  Tageslicht  können  sehr  gering  sein,  —  selten 
fehlen  sie  gänzlich  —  aber  auch  eines  der  ersten  und  auffallendsten 
Symptome  bilden.  In  chronischen  Fällen  sind  die  Schmerzen  entweder 
continuirlich  und  dumpf,  weniger  im  Auge  selbst,  als  über  den  Augen- 
brauen, oder  nachlassend,  selbst  aussetzend  und  dann  meistens  sehr 
heftig.  Sie  dauern  oft  lange  nach  bereits  erfolgter  Vernichtung  der 
Sehkraft  fort  und  versetzen  den  Kranken  in  einen  bedaurungswürdigen 
Zustand.    Eben  so  ist  die  Empfindlichkeit  gegen  das  Tageslicht  biswei- 


Entzündung  —  Glauconia  —  Verlauf.  193 

leii  auch  dann  noch  sehr  gross,  wenn  der  Kranke  längst  keinen  Ge- 
genstand mehr  erkennt. 

Die  Uhrigen  Symptome  reihen  wir  in  die  Besprechung  des  Verlaufes 
und  der  Ausgänge  ein. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Diese  Chorioiditis,  welche,  wie  wir 
weiterhin  sehen  werden,  zu  gewissen  Krankheiten  der  Unterleibsorgane 
in  naher  Beziehung  steht,  ist  in  der  Regel  längst  durch  Stasis  in  den 
Chorioidealgefässen  gleichsam  vorbereitet.  Sie  beginnt  wahrscheinlich 
im  vordem  Umfange  der  eigentlichen  Chorioidea  (am  Scheitel  des  einen 
oder  des  andern  Gefässwirbels)  als  umschriebene  Affection,  welche  zu- 
nächst zu  Verwachsung  der  Chorioidea  mit  der  Sclera  allein  oder  auch 
mit  der  Eetina  führt.  Bald  nach  längerem  Bestände  einer  oder  mehrerer 
solcher  partieller  Affectionen,  bald  gleichzeitig  damit  erfolgt  der  albu- 
minös-seröse  Erijuss,  welcher  die  Netzhaut  von  der  Aderhaut  trennt  und 
je  nach  seiner  langsamen  oder  raschen  Zunahme  allmälige  oder  plötz- 
liche Erblindung  bewirkt. 

Nur  bei  dieser  Annahme,  zu  welcher  übrigens  zum  Theil  schon 
die  Sectionsbefunde  berechtigen,  wird  uns  der  eigenthümliche  Entwick- 
lungsgang des  Glaucomes  begreiflich.  Die  häufigere  Anwendung  des 
Helmholtz'schen  Augenspiegels  und  des  Cze?*mak'scken  Orthoskopes  zur 
Untersuchung  des  Augengmndes  wird  uns  wohl  von  der  Richtigkeit 
dieser  Annahme  bald  überzeugen. 

1.  Das  Stadium  der  Hyperämie  und  Stasis  wird  gewöhnlich  von 
den  Kranken  nicht  beachtet,  weil  es  in  der  Regel  nur  wenig  Beschwer- 
den verursacht,  und  von  uns  Ärzten  oft  genug  nicht  als  erstes  Glied 
der  nachfolgenden  ernsten  Störungen  erkannt,  weil  die  Zufälle  meistens 
von  der  Art  sind,  dass  sie  füglich  auch  von  andern  Ursachen  abgeleitet 
werden  können. 

In  manchen  Fällen  treten  Erscheinungen  auf,  welche  der  minder 
Aufmerksame  leicht  Ji'/r  eitlen  einfachen  und  selbstständigen  Augen- 
katarrh nehmen  kann.  Der  in  Jahren  vorgerückte  Kranke,  dessen 
Bindehaut  abnomi  injicirt  erscheint,  klagt  vielleicht  über  das  Gefühl 
eines  fremden  Körpers  unter  dem  obern  Lide,  oder  über  das  Gefühl 
von  Schwere  oder  Trockenheit  der  Lider  (Abends  beim  Arbeiten,  Mor- 
gens beim  Erwachen).  Dabei  kann  vermehrte  und  veränderte  Abson- 
derung der  Bindehaut  vorhanden  sein,  oder  auch  fehlen.  Die  Hyper- 
ämie der  Bindehaut  pflegt  aber  in  verdächtigen  Fällen  besonders  im 
Bereiche  der  Sclera  hervorzutreten,  und  mit  abnormer  Injection  der 
vordem  Ciliargefässe,  Gefühl  von  Völle  im  Auge  und  vermehrter  Resi- 
stenz des  Bulbus  vereint  zu  sein.     Unter  solchen  Verhältnissen  muss 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  1  3 


194  Aderhaut. 

die  Gegenwart  der  (weiter  unten  angeführten)  constitutionellen  Störun- 
gen (Disposition)  wenigstens  zur  "Vorsicht  in  der  Prognosis  und  Therapie 
auffordern,  und  namentlich  von  der  Anwendung  kalter  Umschläge,  stark 
adstringirender  Augenwässer  u.  dgl.  abhalten. 

In  andern  Fällen  ist  es  auffallende  Veränderung  des  Refractions- 
zustandes,  Mangel  an  Ausdauer  beim  Schreiben,  Lesen  u.  dgl.,  Mücken- 
sehen, erhöhte  Empfindlichkeit  gegen  die  natürliche  oder  künstliche 
Beleuchtung,  insbesondere  aber  das  Wahrnehmen  von  Skotomen  oder 
von  Lichterscheinungen,  und  zeitweiliges  Trüb-,  Doppelt-  oder  Halb- 
sehen, was  den  Kranken  auf  sein  Auge  aufmerksam  macht.  Jeder 
dieser  Zufälle  ist  an  und  für  sich  geeignet,  die  Aufmerksamkeit  des 
Arztes  auf  die  verschiedenen  ätiologischen  Momente  im  höchsten  Grade 
anzuregen.  Lässt  sich  dabei  die  Spannung  des  Bulbus  und  die  Injec- 
tion  der  Ciliargefässe  als  abnorm  constatiren,  so  werden  sie  mit  gutem 
Grunde  auf  Chorioidealcongestion  bezogen,  und  bei  dem  Vorhandensein 
der  allgemeinen  Disposition  hat  man  alle  Ursache,  die  Entwicklung 
von  Glaucom  zu  besorgen,  und  darnach  die  Behandlung  einzuleiten. 

2.  Stadium  der  Exsudation.  Nachdem  einer  oder  mehrere  der  ge- 
nannten Zufälle  eine  Zeit  lang  angedauert  haben,  oder  auch  ohne  dass 
solche  bemerkt  wurden,  tritt  allmälig  flüssiger  Erguss,  meistens  aber 
zunächst  umschriebene  Entzündung  (im  vordem  Umfange),  und  erst 
später  (allmälig  oder  schubweise)  allgemeine  Exsudation  auf;  in  den 
heftigsten  Fällen  ist  die  partiell  intensivere  Aifection  sogleich  von  all- 
gemeiner Exsudation  begleitet. 

Es  gibt  Fälle,  welche  sich  zunächst  dadurch  bemerkbar  machen, 
dass  die  Sehkraft  abnimmt,  indem  alle  Gegenstände  wie  in  Rauch  oder 
Nebel  gehüllt  erscheinen.  Diese  Erscheinung  nimmt  stetig  oder  ruck- 
weise zu,  oft  mit  der  Eigenthümlichkeit,  dass  das  Sehen  des  Morgens, 
bei  heiterem  Wetter,  bei  heiterer  Gemüthsstimmung  minder  schlecht  ist. 
Die  Zeichen  der  Hyperämie  pflegen  in  solchen  Fällen  nicht  sehr  aus- 
gesprochen zu  sein,  dagegen  sind  die  Bewegungen  der  Iris  gewöhnlich 
auffallend  gering  und  träge,  die  Iris  vorwärts  gewölbt,  und  der  Grund 
des  Auges  wird  nach  und  nach  deutlich  getrübt.  Die  Unterscheidungs- 
merkmale von  Amaurosis  und  Cataracta  incip.  werden  wir  in  den  be- 
treffenden Abschnitten  nachtragen. 

Schnelle  Erblindung  (über  eine  Nacht),  ohne  dass  anderweitige 
Symptome  vorausbemerkt  wurden,  hat  man  {Fischer,  Lehrbuch  S.  205) 
bei  Individuen  beobachtet,  welche  bereits  ein  Auge  durch  Glaucom  ver- 
loren hatten.  Sie  mag  wohl  eben  so  gut  auch  auf  dem  zuerst  be- 
fallenen   Auge    in    gleicher    Weise    eintreten;    denn    manche    Kranke 


Entzündung  —  Glauconia  —  Verlauf.  195 

wissen  g-ar  nicht  anzugeben,  wann  und  wie   sie  das  eine  Auge  ver- 
loren haben. 

In  seltenen  Fällen  tritt  das  Übel  wie  eine  Neuralgie  der  Ciliar- 
nerven oder  des  Trigeminus  auf,  mit  einzelnen  Anfällen  von  heftigen 
Schmerzen  im  Auge  oder  nach  dem  Verlaufe  des  N.  supra-  oder  in- 
fraorbitalis,  Lichtscheu,  Thränenfl uss ,  unbedeutender  Röthe  des  Bulbus 
imd  Trübung  des  Gesichtes.  Die  subjectiven,  selbst  die  objectiven 
Symptome  verschwinden  nach  einigen  Tagen  ganz  oder  grösstenteils, 
und  solche  Anfälle  können  sich  nach  deutlichen  Ee-  oder  vollständigen 
Intermissionen  in  Zwischenzeit  von  einigen  Tagen,  Wochen  oder  Mona- 
ten, selbst  mit  einer  gewissen  Regelmässigkeit  wiederholen,  bis  endlich 
allmälig  oder  nach  einem  solchen  Anfalle  auch  Zeichen  allgemeiner 
Exsudation  manifest  hervortreten. 

Viel  häutiger  kündigt  sich  der  Ausbruch  der  Entzündung  durch  an- 
haltende oder  remittirende  dumpfe  Schmerzen  im  Auge,  in  der  Orbita, 
über  den  Augenbrauen  an,  und  anhaltende  Trübung  des  Gesichtes  wird 
sogleich  oder  kurz  darauf  bemerkbar.  In  solchen  Fällen  sind  die  Zei- 
chen der  Hyperämie  (Injection  der  Ciliargefässe,  vermehrte  Spannung 
des  Bulbus,  reichlichere  Secretion  der  Bindehaut)  jederzeit,  die  der 
partiellen  Entzündung  (ungleichmässige  Erweiterung,  ovale  Gestalt  der 
Pupille,  partielle  Verfärbung  der  Iris,  theilweise  Lähmung  der  Netzhaut) 
meistenteils  vorhanden;  häutig  findet  man  auch  das  Kammerwasser 
deutlich  getrübt.  —  Oft  erholt  sich  das  Gesicht  nach  einem  solchen 
Anfalle  so  bedeutend,  dass  der  Kranke  Volle  Hoffnung  schöpft,  und 
selbst  der  Arzt  getäuscht  werden  könnte,  wenn  er  nicht  wüsste,  dass 
es  über  kurz  oder  lang  zum  allgemeinen  Ergüsse  zwischen  Chorioidea 
und  Netzhaut  kommen  werde  und  müsse.  Die  Schmerzanfälle  wieder- 
holen sich,  auch  beim  besten  Verhalten  von  Seite  des  Kranken  und  bei 
der  rationellsten  Behandlung,  bald  in  längeren  bald  in  kürzeren  Zwi- 
schenräumen, und  nach  jedem  Anfalle  treten  die  Zeichen  des  allge- 
meinen Ergusses  und  Druckes  auf  die  Netzhaut  (die  Abnahme  der 
Sehkraft  und  die  Verfärbung  und  Trübung  des  Augengrundes),  dann 
auch  die  Lähmung,  Verfärbung  und  Structurveränderungen  der  Iris 
deutlicher  hervor. 

Den  eben  geschilderten  Verlauf  nehmen  über  kurz  oder  lang  auch 
jene  Fälle  an,  welche  bloss  mit  Trübung  des  Gesichtes  begonnen  hatten. 
Hier  können  viele  Monate,  selbst  ein  bis  zwei  Jahre  vergehen,  bevor 
es  zur  völligen  Vernichtung  der  Sehkraft  kommt. 

Mit  heftigen  Zufällen  von  Seite   des  Gefäss-   und  Nervensystemes 

zugleich   und    mit    reichlichem    Ergüsse    albuminös-serösen    Exsudates 

13* 


196  Aderhaut. 

in  wenig  Stunden  oder  Tagen  beginnt  diese  Krankheit  nur  dann,  wenn 
sie  bei  vorhandener  allgemeiner  Disposition  durch  äussere  Momente, 
Verkältung,  Verletzungen,  Excesse  im  Essen  oder  Trinken,  heftige  de- 
primirende  GemüthsafYecte  u.  dgl.  erregt  wird.  Dann  ist  sie  auch  ge- 
wöhnlich von  Fiebererscheinungen  begleitet. 

3.  Nach  erfolgter  partieller  und  allgemeiner  Exsudation  werden  in 
verschiedenen  Gebilden  des  Auges  mannigfache  Veränderungen  be- 
merkbar. Die  Resistenz  des  Bulbus  ist  erhöht.  Die  Scle?m  erhält  im 
Allgemeinen  ein  schmutziges,  in's  Gelbe  oder  Graue  spielendes  Aus- 
sehen, und  zeigt  tiberdiess  häufig  einzelne  blei-  oder  schiefergraue 
Flecke,  die  sich  im  weitern  Verlaufe  in  dunkelblaue  oder  schwärzliche 
Hügel  erheben  oder  auch  flach  bleiben.  Die  erweiterten  Ciliargefässe 
bilden  mehr  weniger  zahlreiche  Aste,  welche  sich  zum  Theil  in  die 
Sclera  senken,  zum  Theil  durch  gabelförmige  Spaltung  und  Anastomo- 
sen einen  mehr  weniger  vollständigen  Kranz  in  der  Gegend  des 
Schlemmschen  Canales  bilden.  Die  Hornhaut  wird  wieder  glänzend 
und  vollkommen  durchsichtig.*)  (Ihre  weiteren  Veränderungen  werden 
weiter  unten  nachgetragen.)  In  der  Iris  entwickeln  sich  fast  ohne 
Ausnahme  die  bereits  oben  angegebenen  Zeichen  der  partiellen  oder 
totalen  Atrophie.  In  den  nicht  atrophirten  Partien  derselben  werden 
bisweilen  einzelne  erweiterte  Gefässe  schon  dem  freien  Auge  sichtbar, 
wahrscheinlich  Venen,  welche  in  Folge  des  gehinderten  Rückflusses  des 
Blutes  durch  die  Chorioidea  ausgedehnt  werden.  Auf  derselben  Ur- 
sache scheinen  die  Blutaustretungen  in  der  Augenkammer  zu  beruhen, 
welche  sich  in  manchen  Fällen  von  Zeit  zu  Zeit  (auch  ohne  entzünd- 
liche Zufälle)  wiederholen.  Die  eigenthümliche ,  meer-  oder  bouteillen- 
grüne  Trübung  des  Augengrundes,  welche  jederzeit,  nur  manchmal 
früher,  manchmal  später  zum  Vorschein  kommt,  wird  früher  oder  später 
durch  das  Trübwerden  der  Linse  verschieden  verändert.  So  lange  noch 
einiges  Licht  durch  die  Linse  hindurch  und  vom  Grunde  des  Auges 
durch  dieselbe  zurückgehen  kann,  spielt  die  Farbe  eines  solchen  Staares 
mehr  weniger  deutlich  in's  Schmutziggrüne.  Ist  Verkalkung  der  Linse 
eingetreten,  oder  ist  vorderer  Kapselstaar  und  in  Folge  verausgegange- 
ner oder  später  eingetretener  Iritis  Verwachsung  der  Kapsel  mit  der 
Iris  vorhanden,  so  kann  der  Staar  ein  gelblich-  oder  kreideweisses 
Aussehen  darbieten.     In  allen  Fällen  von   Glaucom  wird  die  Linse  mit 

*)  Ich  habe  in  einigen  Fällen,  wo  das  Glaucom  schon  mehrere  Jahre  bestand,  am  Rande  der  ganz  klaren 
Hornhaut  deutliche  Gefässinjection  beobachtet.  Ein  kurzes  Stämmchen ,  am  Rande  aus  der  Tiefe 
hervorkommend,  spaltete  sich  (unten)  in  einen  äussern  und  innern  Ast,  welche  etwa  V2"  vom  Nim- 
bus conjunctivae  abstehend  und  zu  diesem  parallel,  bis  zum  horizontalen  Durchmesser  (an  der  Schlä- 
fen- oder  Nasenscite)  emporstiegen  und  dort  fein  zugespitzt  endeten. 


Entzündung  —  Claticoma  —  Ausgänge.  197 

der  Zeit  allmälig  vorwärts  gedrängt  (bisweilen  selbst  bis  an  die  Horn- 
haut), niemals  rückwärts  gezogen,  ausser  wenn  schon  ein  hoher  Grad 
von  Atrophie  des  Bulbus  eingetreten  ist. 

Diese  Veränderungen  entwickeln  sich  entweder  allmälig  ohne  an- 
derweitige Zufälle,  oder  es  treten  von  Zeit  zu  Zeit  die  Zeichen  frischen 
Nachschubes  ein.  Unter  heftigen  Schmerzen  und  lästigen  Lichter- 
scheinungen zeigt  sich  stärkere  Injection  der  Gefässe,  reichlicher 
Thränenlluss ,  Trübung  der  Cornea  und  des  Kammerwassers.  Dann 
wird  das  Auge  wieder  rein  und  glänzend,  und  der  Kranke  wird  bloss 
von  dem  Wechsel  des  Hellen  und  Dunkeln  beunruhigt,  bis  endlich,  oft 
erst  nach  jahrelanger  Dauer,  ein  stationär  ruhiger  Zustand  des  Auges 
eintritt.  —  In  Folge  solcher  Anfälle  entwickelt  sich  manchmal  blei- 
bende Trübung  des  mittlem  Theiles  der  Cornea  (mit  nachfolgender 
Verkalkung  des  Exsudates ),  oder  werden  die  nicht  atrophischen  Partien 
der  Iris  an  die  Kapsel  angelöthet. 

In  einzelnen,  zum  Glück  seltneren  Fällen  tritt  bedeutende  Ver- 
größerung des  Bulbus  ein,  indem  einzelne  Stapkylorne  oder  die  ganze 
Sclera  dem  Drucke  des  Exsudates  nachgeben.  Wenn  diese  Vergrösse- 
rung  nicht  sehr  allmälig  erfolgt,  so  haben  die  Kranken  wüthende 
Schmerzen  zu  ertragen.  Sie  wollen  um  jeden  Preis  nur  von  der  uner- 
träglichen Spannung  befreit  sein.  Die  Punction  des  Bulbus  ist  das 
einzige  verlässliche  Mittel,  ihnen  Genüge  zu  thun. 

In  andern  tritt  Entzündung  und  Verschwärung  der  Hornhaut  dazu, 
von  selbst,  oder  nach  Einwirkung  von  äusseren  Schädlichkeiten,  oder 
wenn  die  Linse  bis  an  die  Hornhaut  vorgerückt  ist.  Heftige  Blutung 
pflegt  die  nächste,  allgemeine  Entzündung  des  Augapfels  mit  eitriger 
Consumtion  desselben  die  weitere  Folge  zu  sein.  Diese  Zufälle  sind 
besonders  dann  zu  befürchten,  wenn  ein  glaucomatöses  Auge  zufällig 
oder  absichtlich  verletzt  wird.  Von  spontaner  Berstung  des  Bulbus 
(ohne  Verschwärung  der  Hornhaut)  ist  mir  kein  Fall  bekannt. 

Ich  wurde  in  einem  Falle  zu  Käthe  gezogen,  wo  der  behandelnde  Arzt  Krebs- 
ablagerung im  Auge  befürchtete.  Die  Frau  war,  wie  die  Anamnesis  später  ergab,  all- 
mälig an  Glaucom  erblindet,  sodann  war  Verschwärung  und  Durchbruch  der  Hornhaut, 
und  Chorioiditis  mit  faserstoffig- eitrigem  Exsudate  (PanOphthalmitis)  eingetreten.  Der 
Bulbus  erschien  nun  yergrössert  und  etwas  hervorgetrieben,  die  Lider  blauroth,  die  Con- 
junctiva  bulbi  in  einen  lividrothen  Wall  erhoben,  die  Hornhautöffnung  durch  die  blass- 
röthliche ,  etwas  granulirende  Iris  und  durch  eine  gelbliche ,  erweichtem  Encephaloid 
ähnliche  blasse  ausgefüllt.  Dabei  heftige  Kopfschmerzen,  Abmagerung  und  kachektisches 
Aussehen  der  Kranken.  Einreibungen  von  TJng.  cinereum  mit  Opium  an  die  Stirn  und 
Schläfe,  trockne  warme  Tücher,  innerlich  Chinin  mit  Opium  brachten  der  Kranken 
Erleichterung.  In  wenigen  Tagen  verlor  sich  auch  die  Geschwulst,  und  der  Bulbus 
wurde  phthisisch.  Ihre  Schwester  hatte  ich  an  Keratitis  scrof.  behandelt  (I.  B.,  S.  190  u.  191). 


198  Aderhaut. 

In  vielen  Fällen  endlich  tritt  nach  wiederholten  Entzündungsanfällen 
allmälig  Atrophie  des  ganzen  Bulbus  ein.  Der  Kranke  hat  hiemit  die 
Form  des  Auges,  aber  auch  in  der  Kegel  alle  lästigen  Zufälle  verloren. 
Der  Begiun  der  Atrophie  gibt  sich  immer  durch  verminderte  Resistenz 
und  später  durch  Einkerbungen  nach  dem  Verlaufe  der  M.  recti  kund. 
In  den  Fällen,  in  welchen  ich  den  Ausgang  in  Atrophie  lange  genug 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  schrumpfte  der  Bulbus  immer  auf 
einen  sehr  kleinen  Stumpf  zusammen,  was  nach  andern  Formen  von 
Chorioiditis  nicht  immer  der  Fall  ist.  Diese  Fälle  waren  acut  aufge- 
treten, und  die  Atrophie  war  in  der  Zeit  von  1  bis  2  Jahren  vollendet. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Das  Glaucom  bildet  die  häufigste 
Form  der  Chorioiditis,  und  ist  auch  im  Allgemeinen  keine  seltene  Krank- 
heit des  Auges.  Es  bildet  nächst  der  Cataracta  und  der  chronischen 
Iritis  wohl  die  häufigste  Affection  der  inneren  Gebilde  des  Bulbus  im 
höheren  Lebensalter. 

Es  entwickelt  sich  zunächst  nur  auf  Einem  Auge,  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  zuerst  auf  dem  linken,  befällt  jedoch  über  kurz  oder  lang  (in  wenig 
Tagen  oder  Wochen,  aber  auch  erst  nach  vielen  Jahren)  auch  das  zweite. 

Es  kommt  nur  in  der  zweiten  Lebenshälfte  vor,  am  häufigsten  zwi- 
schen dem  40.  und  60.  Jahre,  selten  entsteht  es  erst  in  den  siebziger, 
noch  seltener  schon  in  den  dreissiger  Jahren. 

Würde  man ,  wie  Sichel  gethan ,  die  grünliche  Färbung  der  Pupille  als  ein  we- 
sentliches Merkmal  dieser  Krankheit  betrachten,  dann  hätte  die  eben  ausgesprochene 
Behauptung  keinen  andern  Sinn,  als  wenn  man  sagte,  vor  dem  40.  Jahre  sei  die  Linse 
noch  nicht  in  so  hohem  Grade  gelb ,  als  dass  diese  Färbung  zu  Stande  kommen  könne. 
Dann  müsste  man  aber  auch  mit  Sichel  sagen,  „das  Glaucom  entstehe  manchmal  auch 
nach  Amaurosis  oder  nach  Chorioiditis",  dann  würde  das  Wort  Glaucom  nicht  mehr 
einen  ganzen  Process,  eine  Krankheit,  sondern  nur  einen  Theil  davon,  ein  späteres 
Stadium  bezeichnen.  Wir  fassen  die  oben  ausgesprochene  Thatsache  so  auf,  dass  wir 
annehmen,  die  innern  Bedingungen  zu  dieser  Form  von  Chorioiditis  kommen  in  den 
Blüthejahren  nicht  vor.  Wir  werden  demnach  keinen  Anstand  nehmen,  Glaucom  zu 
diagnosticiren ,  auch  wenn  der  grünliche  Teint  fehlt,  sei  es  nun,  weil  die  Linse  nicht 
gelb  ist,  oder  weil  sie  durch  eine  Operation  beseitigt  wurde,  oder  weil  die  Veränderun- 
gen im  Grunde  des  Auges  noch  zu  wenig  ausgebildet  sind. 

Die  Mehrzahl  der  Ergriffenen  sind  Frauenzimmer,  und  zwar  in  den 
klimakterischen  Jahren.  Selten  entwickelt  sich  die  Krankheit  bei  noch 
regelmässig  erfolgender  Menstruation,  oft  dagegen  erst  dann,  wenn 
diese  Function  längst  (mehrere  Jahre)  aufgehört  hat.  Ein  ähnliches  Ver- 
hältniss  zeigt  sich  bei  Männern  zum  Hämorrhoidalblutflusse. 

Die  von  Glaucom  befallenen  Individuen  bieten  überhaupt  fast  durch- 
gehends  Störungen  im  Allgemeinbefinden  dar,  wie  man  sie  z.  B.  bei 
einer  gleich  grossen  Anzahl  Cataractöser  nicht  findet.     Diese  Störungen 


Entzündung  —  Glauconin  —  Ätiologie.  199 

können  im  Allgemeinen  auf  Abnormitäten  in  der  Beschaffenheit  und  in 
den  Functionen  der  zum  Pfortadersystem  gehörenden  Unterleibsorgane 
bezogen  werden.  Sie  sind  von  verschiedenen  Autoren  unter  verschie- 
denen Namen,  als  Plethora  abdominalis,  als  Arthritis  anomala,  als 
venöse  Dyskrasie  u.  s.  w.  beschrieben  worden. 

Es  kann  hier  nicht  unsere  Aufgabe  sein,  diese  verschiedenen  Functionsstörungen 
in  der  Verdauung,  in  der  Stuhlentleerung  a.  s.  w.  aufzuzählen  und  noch  weniger,  uns 
auf  den  Nachweis  der  dabei  vorhandenen  anatomischen  Veränderungen  in  den  einzelnen 
Unterleibsorganen  einzulassen.  Letzteres  ist  überhaupt  heut  zu  Tage  noch  nicht  durch- 
aus möglich,  wie  die  moderne  Lehre  von  den  Hämorrhoiden  am  besten  zeigt.  Man 
wird  in  jedem  speciellen  Falle  den  Zustand  des  Gesammtorganismus  und  die  auf  den- 
selben nachtheilig  einwirkenden  äussern  Verhältnisse  möglichst  genau  kennen  zu  lernen 
trachten  müssen,  um  für  die  Prognosis  und  Therapie  weitere  und  sichrere  Anhaltspunkte 
gewinnen  zu  können,  als  sie  der  Befund  am  Auge  an  und  für  sich  bietet.  Diess  Letztere 
ist  der  Grund ,  warum  wir  diese  Form  von  Chorioiditis  Eingangs  mit  dem  Beisatze  „ex 
dyscrasia  venosa"  bezeichneten.  "Wir  machen  keinen  Anspruch  darauf,  hiemit  das  Wesen 
der  Krankheit  selbst  näher  bestimmt  zuhaben;  wir  wollen  damit  nur  an  uns  und  unsere 
Leser  die  Forderung  gestellt  haben ,  die  zu  Grunde  liegenden  Veränderungen  in  jedem 
einzelnen  Falle  aufzusuchen.  Wir  haben  den  von  Beer  u.  A.  gewählten  Beisatz  „arthritisch" 
desshalb  verlassen,  weil  die  Arthritis  selbst  wohl  eben  so  gut  nur  als  Folge  jener 
Abnormitäten  in  den  Unterleibsorganen  zu  betrachten  sein  dürfte,  welche  dieser  Chorioiditis 
zu  Grunde  liegen,  und  weil  Individuen,  die  von  dieser  Entzündung  des  Auges  befallen 
werden ,  nicht  immer  auch  von  jener  Gelenkentzündung  befallen  werden ,  weder  früher 
noch  später. 

Unter  die  disponirenden  Momente  ist  von  vielen  Beobachtern  Erb- 
lichkeit gezählt  worden. 

Benedict*)  spricht  sich  hierüber  folgendermassen  aus:  „Ein  alter  General  war 
wegen  seiner  fürchterlichen  Gichtanfälle  bekannt.  Sein  Sohn  war  ebenfalls  in  argem 
Grade  mit  der  Gicht  behaftet,  blieb  aber  in  seinen  spätem  Jahren,  indem  er  blaue  Augen 
hatte,  mit  dem  Glaucom  verschont.  Seine  beiden  Töchter  hatten  dagegen  dunkel  ge- 
färbte Augen:  beide  sind,  als  sie  ein  bestimmtes  Alter  erreicht  hatten,  auf  beiden  Augen 
an  dem  Glaucom  erblindet.  Ähnliche  Fälle  kommen  nicht  so  gar  selten  vor."  —  Ich 
kenne  zwei  an  Glaucom  erblindete  Schwestern,  deren  Mutter  durch  dasselbe  Übel  ihr 
Augenlicht  verloren  hatte,  ferner  eine  Frau,  deren  Mutter,  und  einen  Mann,  dessen  Vater 
und  zwei  Brüder  an  Glaucom  erblindet  waren. 

Die  meisten  der  Kranken ,  welche  ich  gesehen  habe ,  hatten  eine  dunkelfarbige, 
nur  wenige  eine  blaue  oder  lichtgraue  Iris.  Dasselbe  ist  von  Rosas,  Benedict,  Fischer, 
JSichel  u.  A.  beobachtet  worden. 

Unter  110  notirten  Fällen  (65  Weibern,  45  Männern)  sind  11  Israeliten,  darunter 
4,  die  nicht  unter  ungünstigen  Verhältnissen  lebten. 

Auffallend  ist  das  Verhältniss  des  Glaucoms  zur  Scrofulosis.  Bei  mehr  als  der 
Hälfte  der  von  mir  beobachteten  Fälle  von  Glaucom  waren  in  früheren  Jahren  Zufälle 
vorhanden  gewesen,  aus  denen  man  auf  Scrofulosis  oder  Tuberculosis  schliessen  konnte. 
Zu  Trachoma  sah  ich  nur  in  3  Fällen  Glaucoma  hinzutreten.     Viele  der  hieher  gehörigen 

*)  Abhandlungen  ans  dem  Gebiete  der  Augenheilkunde.    Breslau,  1842.    S.  125. 


200  Aderhaut. 

Individuen  waren  in  den  dreissiger  oder  -vierziger  Jahren  ungewöhnlich  corpulent 
geworden. 

Förmliche  Gichtanfälle  hatten  nur  wenige  überstanden,  dagegen  hatten  viele,  nament- 
lich herabo-ekommene,  schlecht  genährt  aussehende  Individuen  mehr  weniger  oft  und  heftig 
an  reissenden,  unsteten,  besonders  die  Extremitäten  befallenden  Schmerzen  gelitten. 

Einer  besondern  Beachtung  würdig  ist  das  Verhältniss  zioischen  Cataracta  und 
Glaucoma.  Während,  wie  oben  gezeigt  wurde ,  in  glaucomatösen  Augen  fast  ohne  Aus- 
nahme über  kurz  oder  lang  Trübung  der  Linse  auftritt,  findet  das  umgekehrte  Verhältniss 
fast  niemals  statt,  worauf  schon  Beer  aufmerksam  gemacht  hat.  Mir  ist  nur  Ein  Fall 
vorgekommen,  wo  ein  ganz  einfach  cataractöses  Auge  von  Glaucom  ergriffen  wurde, 
und  zwar  unter  heftigen  Zufällen ,  nachdem  die  Kranke ,  eine  60jährige  schwächliche 
Beamtenswittwe,  an  einem  sehr  kalten  Tage  über  eine  Stunde  in  der  Kirche  gewesen 
war  und  anhaltend  geweint  hatte.  Dagegen  sind  mir  4  Fälle  vorgekommen ,  wo  das 
eine  Auge  cataractös,  das  andere  glaucomatös  war ;  bei  dreien  davon  hatte  die  Extraction 
einen  günstigen  Erfolg. 

Eine  wichtige  Eolle  unter  den  disponirenden  Momenten  nehmen  die 
deprimirenden  Gemüthsaffecte  ein,  Kummer  und  Nahruugssorgen,  Trauer 
und  anhaltendes  Weinen,  Ärger  u.  dgl.,  ferner  sitzende  Lebensweise  und 
Anstrengung  der  Augen,  feuchte  und  dumpfe  Wohnung,  schwer  verdau- 
liche Kost,  üppige  Lebensweise,  übermässiger  Genuss  geistiger  Getränke, 
Lxcesse  in  venere. 

Wo  der  Organismus  auf  die  eben  besprochene  Weise  gleichsam 
vorbereitet  ist,  entsteht  dieses  Augenleiden  bald  allmälig  und  ohne  fer- 
nere  Veranlassung,  bald  plötzlich,  von  selbst  oder  nach  verschiedenen 
excitirenden  Momenten,  nach  einer  Verletzung,  einer  Verkältung, 
Schrecken  oder  Zorn,   nach   einem  Excesse  im  Essen,  Trinken  u.  dgl. 

Die  Prognosis  wird  sich  nach  dem,  was  wir  über  die  Ätiologie,, 
den  Verlauf  und  die  Ausgänge  gesagt  haben,  in  den  einzelnen  Fällen 
leicht  bestimmen  lassen.  Sie  ist  selbst  dann  zweifelhaft,  wenn  das 
Leiden  noch  im  Stadium  der  Congestion  erkannt  wird;  sie  ist  fast  ohne 
Ausnahme  ungünstig  zu  stellen,  sobald  die  Zeichen  umschriebener  oder 
allgemeiner  Exsudation  eingetreten  sind. 

Nicht  in  der  Beschaffenheit  des  Exsudates ,  nicht  in  der  In-  und  Extensität  des 
örtlichen  Processes,  nicht  in  einem  speeifiseh  deletären  Vorgänge  im  Auge,  wie  etwa 
bei  croupösem  oder  krebsigem  Exsudate,  ist  nach  unserer  Anschauungsweise  das  Trost- 
lose dieser  Form  von  Chorioiditis  zu  suchen ,  sondern  darin  vor  Allem ,  dass  wir  im 
Allgemeinen  nicht  im  Stande  sind,  das  ätiologische  Moment,  die  zu  Grunde  liegende 
allgemeine  Gesundheitsstörung  —  man  mag  sie  nun  Gicht,  venöse  Dyskrasie  oder  wie 
immer  benennen  —  zu  beseitigen.  Auf  gleiche  Weise  führt  auch  die  Iritis  syphilitica 
zur  Vernichtung  der  Sehkraft  nur  dann,  wenn  das  Allgemeinleiden  nicht  behoben  wird, 
bevor  der  örtliche  Process  bis  zu  einem  gewissen  Grade  vorgeschritten  ist. 

Nur  zu  oft  lässt  sich  selbst  in  vielen  Fällen,  welche  bei  Zeiten  erkannt  werden, 
und  wo  nicht  so  sehr  organische  Veränderungen,  als  vielmehr  ungünstige  äussere  Ver- 
hältnisse zu  beseitigen  sind,  desshalb  nichts  ausrichten,  weil  der  Kranke  nicht  Muth  und 


Entzündung  —  Glaiioonia  —  Prognosis.  201 

Ausdauer  genug  besitzt,  sich  einer  so  durchgreifenden  diätetischen  und  arzneilichen 
Behandlung  zu  unterziehen,  als  hier  erforderlich  ist,  und  noch  öfter  desshalb,  weil  der- 
selbe hiezu  auch  beim  besten  Willen  nicht  die  nöthigen  Mittel  hat. 

Soll  der  Arzt  dem  Kranken  sagen,  woran  er  ist?  Die  Beantwortung  dieser  Frage 
ist  für  den  gewissenhaften  Arzt  in  einzelnen  Fällen  nicht  so  leicht,  als  es  Anfangs 
scheint.  Manche  Ärzte  vertrösten  den  Kranken  auf  eine  in  späterer  Zeit  vorzunehmende 
Operation.  Dieses  Verfahren  hat  das  für  sich,  dass  man  die  Kranken  abhält,  allerhand 
äussere  oder  innere  Mittel  zu  versuchen ,  wodurch  sie  sich  oft  grossen  Schaden  zufügen. 
Dennoch  erhält  es  dieselben  in  einer  oft  nachtheiligen  Spannung  und  Aufregung,  und 
veranlasst  sie  oft,  den  letzten  Zehrpfennig  anzuwenden,  eine  weite  Reise  zu  diesem 
oder  jenem  Operateur  zu  unternehmen,  um  endlich  doch  enttäuscht  zu  werden.  Für 
schädlich  müssen  wir  diesen  Vorgang  dann  erklären ,  wenn  zur  Zeit ,  wo  diese  Ver- 
tröstung geschieht,  das  zweite  Auge  noch  gesund  ist.  Wir  können  zwar  nicht  beweisen, 
dass  durch  die  bisher  empfohlene  prophylaktische  Behandlung  —  wovon  später  —  die 
Ausbildung  des  Glaucomes  auf  beiden  oder  auf  dem  zweiten  Auge  sicher  verhindert 
oder  doch  hinausgeschoben  werden  könne.  Es  kann  aber  auch  Niemand  das  Gegentheil 
erweisen,  und  so  lange  diess  der  Fall  ist,  ist  es  die  Pflicht  des  Arztes,  Alles,  was  fremde 
Erfahrung  und  eigene  Einsicht  ihm  bietet,  anzuwenden,  wenn  nur  dem  Kranken  dadurch 
nicht  geschadet  wird.  Müssiges  Zuwarten,  bis  auch  das  zweite  Auge  dem  Schicksal  verfällt, 
lässt  sich  nicht  verantworten.  Ist  das  eine  Auge  glaucomatös,  das  andere  noch  gesund, 
so  dürfte  es  unseres  Erachtens  das  Beste  sein,  dem  Kranken  Hoffnung  für  dieses  Auge 
zu  lassen,  sofern  er  sich  der  weiter  unten  zu  besprechenden  Behandlung  mit  Beharrlichkeit 
unterzieht.  Späterhin  wird  sich  wohl  meistens  Gelegenheit  finden,  ihm  den  wahren  Grund 
zu  sagen.  Ihn  selbst  sogleich  auf  die  Gefahr  für  das  zweite  Auge  aufmerksam  zu  machen, 
kann  leicht  eine  schädliche  Rückwirkung  auf  das  Gemüth  nehmen,  welches  eher  auf- 
geheitert ,  als  deprimirt  werden  soll.  Nur  Leichtsinnige  und  Unfolgsame  mag  man 
zuletzt  auf  das  Damoklesschwert  aufmerksam  machen.  Sind  beide  Augen  schon  von 
dem  Processe  ergriffen,  so  ziehe  ich  in  der  Regel  vor,  den  Kranken  bald  über  seine 
Lage  zu  unterrichten ,  statt  ihn  mit  eitler  Hoffnung  lange  hinzuhalten.  Es  kommt  eben 
darauf  an,  was  für  Charaktere  man  vor  sich  hat.  Die  meisten  Kranken  werden,  sobald  sie 
wissen,  dass  ihnen  nicht  mehr  zu  helfen  ist,  wieder  ruhig,  selbst  heiter,  während  die- 
jenigen, die  sich  immer  noch  Hoffnung  machen,  und  sie  immer  nicht  erfüllt  sehen,  sich 
und  Andern  zur  Last  werden. 

Behandlung.  Wo  es  sich  darum  handelt,  dein  drohenden  Aus- 
bruche des  Exsudationsprocesses  vorzubeugen,  oder  das  noch  gesunde 
Auge  so  lange  als  möglich  zu  erhalten,  lege  man  vor  Allem  auf  eine 
allgemeine,  namentlich  diätetische  Behandlung  das  meiste  Gewicht. 

Die  sogenannte  Vorbauungscur  besteht  vorzüglich  in  der  Änderung 
imzweckmässiger  Lebensweise.  Besonders  zu  meiden  sind:  feuchte 
Wohnung,  anhaltendes  Sitzen,  Anstrengung  der  Augen,  schwer  verdau- 
liche Speisen,  erhitzende  Getränke,  deprimirende  Gemüthsaffecte,  Diät- 
fehler im  weiteren  Sinne  des  Wortes.  —  Eine  heilsame  UmStimmung 
wurde  oft  erzielt  durch  den  Gebrauch  von  Karlsbad,  Marienbad,  Kis- 
singen, Franzensbad  (Salzquelle*;  nachtheilig  erwiesen  sich  Teplitz, 
Baden   (bei  Wien),   Trentschin  und   ähnliche   Quellen.      Benedict  1.   c. 


202  Aderhaut. 

warnt  nachdrücklich  vor  dem  Gebrauche  von  Kaltwassercuren.  Unter 
den  innern  Mitteln  sind  zu  empfehlen:  die  gelind  auflösenden  und 
tonischen,  namentlich  weinsteinsaure  und  kohlensaure  Salze,  Gramen, 
Taraxacum,  Kheum,  Aloe  in  kleinen  Gaben;  von  äussern  Mitteln:  von 
Zeit  zu  Zeit  Schröpfköpfe  an  die  Kreuz-  und  Lendengegend,  Blutegel 
an's  Perinäum,  warme  Fussbäder  mit  Asche  oder  Senfmehl,  künstliche 
Geschwüre  am  Nacken  oder  Oberarme. 

Die  Augenentzündung  selbst  erheischt  dann,  wenn  sie  rasch  und 
unter  heftigen  Erscheinungen  auftritt,  die  sogenannte  antiphlogistische 
Behandlung  nur  in  massigem  Grade.  Die  Individuen  sind  meistens  so 
beschaffen,  dass  sie  allgemeine,  zumal  reichliche  Blutentziehungen  nicht 
gut  vertragen.  Auch  mit  örtlichen  Blutentziehungen,  besonders  nahe 
am  Auge,  muss  man  sehr  vorsichtig  sein.  Raschere  Erblindung  des 
ergriffenen  und  Gefährdung  des  andern  Auges  stehen  zu  besorgen. 
Leichter  werden  kühlende  Abführmittel  vertragen. 

Verläuft  die  Krankheit  chronisch,  so  ist  die  Behandlung  im  Ganzen 
dieselbe,  wie  die  oben  als  Prophylaxis  angegebene. 

Alle  Mittel  auf  das  Auge  selbst  sind  beim  acuten  sowohl  als  beim 
chronischen  Verlaufe  schädlich,  am  meisten  Augenwässer  und  kalte 
Umschläge.  Nicht  leicht  wird  ein  diagnostischer  Irrthum  härter  bestraft, 
als  wenn  man  ein  beginnendes  Glaucom  für  einen  Augenkatarrh  hält, 
und  Augenwässer  verordnet,  oder  für  Asthenopie,  und  kalte  Douche, 
spirituöse  Einreibungen,  Ammoniakdämpfe  u.  dgl.  anwenden  lässt. 

Gegen  die  heftigen  Schmerzen  und  die  Lichtscheu,  welche  den 
Kranken  oft  auch  nach  erfolgter  Erblindung  noch  quälen,  sind  zu  em- 
pfehlen: Einreibung  von  Extr.  opii  aquosum  allein  oder  zu  5 — 8  Gran 
auf  eine  Drachme  Fett,  oder  Morphium  aceticum  6—8  Gran  in  1 
Drachme  Mandelöl,  nach  Weller  ein  Liniment  aus  2  Drachmen  Linim. 
volat.,  1  Drachme  Laud.  liq.  Syd.  und  1  Scrupel  Oleum  sabinae,  nach 
Cunier  3 — 4  Gran  Cyanuretum  zinci  auf  1  Drachme  Fett,  oder  Oleum 
essent.  amygd.  amar.  an  die  Stirn  und  Schläfe.  Trockene  warme 
Tücher  über  die  entsprechende  Kopfhälfte  und  das  Auge  sind  oft  das 
beste  Mittel,  die  Schmerzen  zu  lindern.  Bei  starker  Spannung  des 
Bulbus  leisteten  mehrmals  Cataplasmata  emollientia  entschieden  gute 
Dienste;  in  argen  Fällen  dieser  Art  bleibt  zur  Beseitigung  der  uner- 
träglichen Schmerzen  nichts  übrig,  als  den  Bulbus  mit  einem  Staar- 
messer  oder  mit  einer  Lancette  zu  punctiren,  und  zwar,  wenn  nicht 
etwa  bläuliche  Hügel  den  Einstichspunkt  bestimmen,  etwas  rückwärts 
von  der  Stelle,  wo  man  bei  Staaroperationen  durch  die  Sclera  einsticht. 
Beer  erzählt,  dass  ein  Mann  sich  selbst  durch  einen  Eiü  stich  mit  einem 


Entzündung  —  Glauconin  —  Therapie.  203 

Federmesser  von  den  Schmerzen  zu  befreien  gewusst  hat.  —  Unter 
den  iimern  Mitteln  sind  Morphium  aceticum  zu  Vis — J/16  Gran,  bei 
schwächlichen,  sehr  herabgekommenen  Individuen  Ferrum  carbon. 
sacchar.  zu  5 — 6  Gran  p.  d.  allein  oder  mit  Rheum  zu  empfehlen.  Die 
auffallendste  günstige  Wirkung  sah  ich  jedoch  vom  Sulfas  chinini,  zu 
1 — 2  Gran  2— 3mal  des  Tages  verabreicht,  allein  oder  mit  '/4 — i/3  Gran 
Extr.  opii  aquosum. 

Ich  bin,  wie  ein  Vergleich  mit  Fischer's  „klinischem  Unterricht,  Prag  1832"  zeigt, 
in  Bezvig  auf  die  Behandlung  dieser  Krankheit  den  Grundsätzen  meines  verehrten  Lehrers 
treu  geblieben.  Zu  Anfang  meiner  Praxis  Hess  ich  mich  in  einigen  Fällen  durch  das 
stürmische  Auftreten  der  entzündlichen  Erscheinungen  zu  reichlichen  Blutentziehungen 
verleiten ,  leider  zum  offenbaren  Nachtheile  der  Kranken.  —  Desshalb  habe  ich  es  auch 
nie  versucht,  die  sogenannten  Antarthritica,  das  Gummi  quajacum,  das  Extr.  aconiti,  die 
Flores  sulfuris.  das  Sulfur  auratum  und  ähnliche  Mittel,  von  deren  Gebrauche  Rosas, 
Fischer,  Benedict  \md  Andere  abrathen,  anzuwenden.  —  Die  von  diesen  Beobachtern 
empfohlene  Etablirung  künstlicher  Geschwüre,  namentlich  das  Tragen  eines  Fontanelles 
oder  eines  Emplastrum  euphorbiae  am  Oberarme  habe  ich  in  Fällen  einseitiger  Erblin- 
dung öfters  angewendet.  Doch  sind  mir  mehrere  Fälle  vorgekommen,  wo  das  zweite  Auge 
nach  einer  Zeit  von  5  bis  1 1  Jahren  von  Glaucom  ergriffen  wurde.  Wenn  dieses  Mittel 
etwa;  nützt,  so  ist  es  vielleicht  nur  dadurch,  dass  es  den  Kranken  stets  ermahnt,  auch 
die  übrigen  Mittel  gewissenhaft  zu  gebrauchen,  namentlich  von  der  vorgeschriebenen  Diät 
nicht  abzuweichen.  —  Nach  der  günstigen  Wirkung  in  einigen  Fällen  meinte  ich  in  dem 
Chinin  ein  wirksames  Mittel  nicht  nur  gegen  die  Schmerzen,  sondern  auch  gegen  das 
Fortschreiten  des  Processes  selbst  gefunden  zu  haben.  Ich  überzeugte  mich  jedoch,  dass 
die  Erblindung  endlich  doch  eintrat,  wenn  auch  später,  als  es  ohne  Verabreichung  dieses 
Mittels  wahrscheinlich  der  Fall  gewesen  sein  würde.  —  Ich  habe  unter  die  nachfolgen- 
den Krankheitsfälle  keinen  von  jenen  aufgenommen,  wo  ich  des  Erachtens  bin,  dass 
durch  den  rechtzeitigen  und  durch  mehrere  Jahre  fortgesetzten  Gebrauch  der  obgenannten 
Mineralquellen  der  Ausbruch  dieser  Entzündung  verhütet  worden  sei,  weil  zu  solchen 
Beobachtungen  eine  grössere  Zahl  von  Fällen  und  eine  längere  Reihe  von  Jahren  ge- 
hört, als  mir  bis  jetzt  zu  Gebote  stehen. 

1.  Beob.  Ein  Kaufmann,  42  Jahre  alt,  kam  am  14.  Jäner  1845  zu  mir.*)  Das  linke 
Auge  kleiner,  weicher,  an  den  Anheftungsstellen  der  Muse,  recti  ein  wenig  eingedrückt,  die 
Sclera  rings  um  die  Hornhaut  dicht  netzförmig  geröthet,  die  Röthe  etwas  düster,  die 
Hornhaut  durchsichtig,  glänzend,  von  einem  schüttern  Gefässnetze  durchzogen.  Diese 
Gefässe  liegen  nicht  oberflächlich,  wie  bei  Pannus,  sondern  in  der  Substanz  der  Hornhaut. 
Die  Augenkammer  enger,  die  Iris  nach  oben  und  nach  aussen  auf  einen  schmalen  Streifen 
reducirt,  entfärbt,  ohne  deutlich  fasrige  Structur,  die  Pupille  daher  sehr  stark  und  un- 
gleichmässig  erweitert,  überdiess  durch  die  in  sie  herein  ragende  gelblichweisse  Linse 
verlegt.  Nach  oben  und  aussen  ist  die  Sclera  bläulich  schiefergrau ,  doch  nicht  vorge- 
trieben, und  zwar  von  der  Cornea  an  bis  2  Linien  davon  entfernt  und  3 — 4  Linien  in 
die  Länge,  doch  unregelmässig,  zum  Theil  inselförmig. 


*)  Diese  Beobachtung,  obwohl  nicht  vollständig  notirt,  enthält  doch  so  viel  Merkwürdiges,  dass  ich  sie 
der  MittheUung  würdig  erachte. 


204  Aderhaut. 

Das  rechte  Auge  war  gesund;  doch  hatte  der  Kranke  auch  schon  einen  Anfall 
gehabt,  wo  ihm  schwarze  "Wolken  vorschwebten,  wesshalb  ihm  Blutentzichungen  und 
Abführmittel  angcrathen  worden  waren. 

Der  Mann  war  von  blühender  Gesichtsfarbe,  auffallend  corpulent,  an  ein  sehr 
üppiges  Leben  gewöhnt.  —  Ich  rieth  ihm  eine  frugale  Lebensweise,  fleissige  Bewegung, 
Sorge  für  tägliche  Öffnung  durch  gelinde  Abführmittel  und  Etablirung  eines  Fontanelies 
am  rechten  Oberarme. 

Anfang  Mai  1846  kam  der  Kranke,  der  mir  so  wenig  als  seinem  Ordinarius  gefolgt 
hatte,  wieder  nach  Prag.  Das  linke  Auge  ist  entschieden  atrophisch,  nach  dem  Zuge  der 
geraden  Augenmuskel  eingedrückt,  die  Cornea  um  '3  kleiner,  aber  vollkommen  durchsich- 
tig, in  der  vordem  Kammer  liegt  die  verdunkelte,  eingeschrumpfte,  verkalkt  aussehende 
Linse ;  von  der  bleigrauen  Iris  nur  nach  innen  und  unten  ein  Streifen  sichtbar. 

Bechtes  Auge.  Die  Lidspalte  wenig  geöffnet,  wegen  grosser  Empfindlichkeit  gegen 
das  Tageslicht;  die  innere  Fläche  der  Lider  wenig  geröthet;  unter  der  Conjunctiva  bulbi 
einzelne  erweiterte  Gefässe.  Die  Sclera  eigentümlich  blau,  wie  bei  kleinen  Kindern, 
nächst  der  Cornea  von  einem  schüttern  Gefässnetze  gedeckt.  Die  Grösse  und  Besistenz 
des  Bulbus  nicht  merklich  verändert.  Die  Cornea  ganz  rein.  Die  Pupille  stark  und  un- 
gleichmässig  erweitert,  gleichsam  nach  aussen  und  oben  aus  der  Lage  getreten  Die  Iris 
nach  innen  und  unten  noch  schön  braun  gefärbt,  daselbst  auch  die  Faserung  und  der 
grosse  und  kleine  Kreis  deutlich  unterscheidbar,  und  dieser  Theil,  etwas  mehr  als  ^'3  der 
ganzen  Iris ,  zeigt  bei  wechselndem  Lichteinflusse  allein  noch  sichtbare  Bewegungen, 
die  andern  2/s  sind  auf  einen  schmalen  Streifen  zusammengeschrumpft,  ohne  Faserung, 
entfärbt,  wie  ausgebleicht,  bläulichgrau.  Die  Pupille  wie  rauchig,  leicht  getrübt,  nicht 
grünlich.  "Wegen  der  grossen  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  trägt  der  Mann  blaue 
Augengläser.  Er  sieht  wie  durch  Nebel,  des  Morgens  und  auch  nach  längerem  Schlafe 
am  Tage  besser,  so  dass  er  noch  lesen  und  schreiben  kann,  wenn  er  sich  eines  Convex- 
glases  von  36"  Brennweite  bedient.  Er  muss  aber,  so  oft  er  etwas  genau  sehen  will, 
das  Object  nach  aussen  und  oben  halten,  weil  nur  die  nach  innen  und  unten  gelegene 
Partie  der  Netzhaut  noch  empfindlich  ist.  Nach  unten  und  innen  vorgehaltene  Objecte 
erkennt  er  nicht.  —  Die  Affection  des  rechten  Auges  war  im  December  1845  mit  hefti- 
gen Schmerzen  eingetreten.  Ich  schickte  den  Kranken  nach  Marienbad.  Er  ist  später 
nicht  mehr  zu  mir  gekommen. 

2.  Beobachtung.  R.  J. ,  58  Jahre  alt,  Essigerzeuger,  wurde  am  23.  October  1842 
mit  folgendem  Zustande  auf  die  Augenklinik  gebracht :  Beide  Bulbi  hai-t  anzufühlen, 
gegen  Druck  empfindlich ;  in  der  Conjunct.  bulbi  ein  Netz  stark  injicirter  Gefässe,  welche 
linkerseits  rings  um  die  Hornhaut  eine  dunkelrothe  Zone  bilden.  Die  vordem  Ciliargefässe 
so  zahlreich  und  stark  injicirt,  dass  der  vordere  Theil  der  Sclera  links  violett,  rechts 
schmutzig  blauroth  erscheint.  Die  Gefässinjection  reicht  nur  bis  an  den  Rand  der  Cornea; 
derLimbus  conjunctivae  corneae  erscheint  daher  als  ein  schmaler  bläulichweisser  Ring  auf 
der  Basis  der  Hornhaut.  Die  Hornhäute  matt,  glanzlos.  Die  Regenbogenhäute  entfärbt,  vom 
Braunen  ins  Graue,  ein  Unterschied  zwischen  dem  grossen  und  kleinen  Kreise  nicht 
wahrnehmbar;  der  Pupillarrand  scharf,  gleichsam  nach  hinten  umgestülpt;  von  Beweglich- 
keit der  Iris  keine  Spur:  die  Pupillen  stark  und  ungleichmässig  erweitert,  oval  (Längen- 
durchmesser von  oben  und  aussen  nach  unten  und  innen),  meergrün.  Das  Sehvermögen 
des  rechten  Auges  gänzlich  erloschen ;  mit  dem  linken  werden  noch  die  Finger  der 
Hand  erkannt.  Heftige,  schneidende  und  stechende,  aussetzende  Schmerzen  in  der  Stirn 
und  Schläfe,    anhaltendes  Gefühl  von  Druck  in  den  Augen   und  unter  den  Augenbrauen. 


Entzündung  —  Glaucoma  —  Krankengeschichten.  205 

Sehr  gedrückte  Gemüthsstimmung,  Appetitlosigkeit;  langsamer,  zusammengezogener  Puls. 
Hauteolorit  erdfahl. 

Der  Mann  hatte  in  seiner  frühen  Jugend  oft  an  Halsdrüsenanschwellungen ,  in 
seinem  43.  Jahre  angeblich  an  heftigem  Rheumatismus  gelitten.  Er  lebte  unter  günstigen 
Verhältnissen,  war  an  spirituöse  Getränke  gewöhnt,  bewohnte  aber  seit  3  Jahren  eine 
feuchte  Stube.  Seit  seinem  48.  Jahre  litt  er  an  sogenannten  blinden  Hämorrhoiden,  und 
war  gewohnt,  sich  der  Anfangs  alljährlich,  später  halbjährig  wiederkehrenden  Kreuz- 
sehmerzen  durch  Anlegung  von  Blutegeln  an  die  Kreuzgegend  zu  entledigen.  Als  diese 
Schmerzen  das  letzte  Mal  (13.  Sept.)  wiederkehrten,  und  er  nichts  dagegen  unternahm, 
wurden  sie  heftiger,  und  erstreckten  sich  bis  zum  Nacken.  Während  dieser  Zeit  (17.  Sept. 
früh  morgens)  war  er  bei  der  Essigsiederei  vor  dem  Ofen  im  Freien  beschäftigt,  und  wurde, 
am  ganzen  Körper  schwitzend,  besonders  im  Gesichte,  von  einem  kalten  Winde  getroffen. 
Alsbald  bekam  er  heftige,  stechende,  schneidende  Schmerzen  im  rechten  Auge,  die  sich 
von  da  auf  die  entsprechende  Kopfhälfte  verbreiteten.  Zugleich  nahm  das  Sehvermögen 
schnell  ab ,  und  erlosch  noch  an  diesem  Tage  bis  zur  blossen  Lichtempfindung.  Feurige 
Erscheinungen  fanden  dabei  nicht  statt.  Er  nahm  Bittersalz,  Hess  sich  3  Blutegel  an  den 
Nacken  setzen,  und  rieb  eine  rothe  Salbe  an  die  Augenlider  ein.  Den  3.  Tag  (19.  Sept.) 
nahm  er  ein  Dunstbad  und  als  Schwitzmittel  Warmbier  mit  Zucker,  worauf  auch  das 
linke  Auge  auf  dieselbe  Weise  erblindete;  doch  konnte  er  mit  diesem  noch  die  Finger 
zählen.  Am  4.  Tage  (20.  Sept.)  liess  ein  Arzt  einen  Aderlass  machen,  6  Blutegel  an  die 
Kreuzgegend  setzen,,  und  auf  die  Augen  kalte  Umschläge  machen. 

Am  S.  Tage  verordneten  wir  ein  lauwarmes  Halbbad,  dann  1 2  Blutegel  an's  Mittel- 
fleisch und  8  blutige  Schröpfköpfe  an  die  Kreuzgegend,  innerlich  Decoct.  graminis  et 
tarax.  mit  Tart.  tartaris.  und  Mellago  graminis.  Während  der  öwöchentlichen  Behand- 
lung —  mit  verschiedenen  anderen  Mitteln  —  traten  die  über  Tag  gewöhnlich  nachlas- 
senden Schmerzen  in  den  Augen  und  deren  Umgebung  mehrmal  mit  erneuerter  Heftig- 
keit auf.  und  das  Sehvermögen  erlosch  auch  auf  dem  linken  Auge  gänzlich.  Am  21.  Nov. 
waren  die  Pupillen  ungeheuer  und  ungleichmässig  erweitert  und  meergrün,  die  Hornhäute 
matt  und  glanzlos,  die  von  zahlreichen  erweiterten  Gefässen  überzogene  Sclera  schmu- 
tzigweiss. 

Am  4.  November  1845  kam  der  Kranke  zu  mir,  in  der  Meinung,  der  mittlerweile 
entstandene  ..graue  Staar"  seiner  Augen  könne  operirt  werden.  Rechtes  Auge:  Die  Re- 
sistenz vermehrt ;  die  Sclera  schmutzig  weiss  ;  die  Ciliargefässe  (Venen)  stark  erweitert, 
bläulich  braunroth.  Die  Cornea  von  normaler  Grösse  und  Wölbung,  glatt,  glänzend, 
durchsichtig  bis  auf  ]/2  nach  unten  und  aussen,  wo  sie  milchweiss,  doch  noch  durch- 
seheinend, und  von  einigen  Äderchen  durchzogen  ist.  Die  Iris  ganz  fehlend  (geschwun- 
den) bis  auf  einen  schmalen  bläulich  schwarzen  Streifen  nach  innen  und  unten.  Die 
Linse  etwas  vorwärts  gerückt,  an  der  Peripherie  ambragelb,  in  der  Mitte  graulich  weiss ; 
von  hier  aus  erstrecken  sich  10  Streifen,  wie  die  Speichen  eines  Rades,  bis  zum  Äquator 
der  Linse,  und  zwischen  diesen  zeigt  die  Linse  die  genannte  gelblichgraue  Farbe.  Der 
Zwischenraum  zwischen  der  Linse  und  den  Ciliarfortsätzen  erscheint  als  ein  schwarzer 
Reifen.  Linkes  Auge:  Consistenz  und  Sclera  so  wie  rechts.  Die  Cornea  durchaus  nor- 
mal. Die  Iris  ist  nur  in  der  innern  Hälfte  vorhanden,  gelblich  braun.  Die  vordere  Kam- 
mer durch  VoiTückung  der  Iris  und  Linse  verkleinert.  An  diesem  Auge  ist  die  mittlere 
Partie  der  Kapsel  getrübt,  bläulich  weiss,  gegen  den  Rand  hin  scharf,  jedoch  unregelmäs- 
sig begrenzt.  Mit  dieser  Partie  der  Kapsel  hängt  der  Pupillarrand  des  Irisrestes  zusam- 
men,   und   es   verlaufen  schon  mit  freiem  Auge  wahrnehmbare  Gefässchen  vom  Pupillar- 


•206  Aderhaut. 

rande  auf  die  Kapsel.  In  der  äussern  Hälfte,  wo  die  Iris  fehlt,  sieht  man  zwischen  3 
weissgrauen  speichenartigen  Streifen  den  ambrafarbenen  Randtheil  der  Linse,  und  diesen 
von  einem  schwarzen  Reifen  (durchsichtige  Zonula  Zinii?)  umgeben.  Der  Kranke  ist  seit 
zwei  Jahren  frei  von  Schmerzen. 

Am  29.  December  1850  kam  der  Mann  das  3.  und  letzte  Mal  zu  mir.  Rechts  der- 
selbe Zustand  wie  1845,  doch  lag  der  Rest  der  Iris  jetzt  knapp  an  der  Cornea  an,  und 
die  Linse  war  fast  bis  an  diese  Membran  vorgerückt.  In  der  Cornea  verlief  ein  Gefäss 
von  unten  bis  zur  Mitte,  wie  ein  Ast  sich  verzweigend,  der  Lage  nach  nächst  der  De- 
scemetschen  Haut.  Links  der  Irisrest  (in  der  inneren  Hälfte  nicht  ganz  1'"  breit)  mit 
dem  etwas  röthlichen  Pupillarrande  an  die  Kapsel  angewachsen.  Daselbst  auch  mit  der 
Loupe  keine  einzelnen  Gefässe  wahrnehmbar.  Die  Kapsel  zeigt  einen  unregelmässig  vier- 
eckigen, gelblichweissen,  undurchsichtigen,  etwa  2  Quadratlinien  grossen  Fleck.  Sie  ist 
sammt  der  Linse  nicht  nur  vorwärts  ,  sondern  auch  nach  innen  (gegen  die  Nasenseite) 
verrückt,  so  dass  die  Peripherie  der  Linse  an  der  Schläfeseite  gegen  1'"  weit  von  den 
Ciliarfortsätzen  absteht,  zwischen  ihr  und  dem  Ciliarkürper  ein  halbmondförmiger  dunkler 
Zwischenraum  erscheint. 

3.  Beobachtung.  Z.  A.,  47  Jahr  alt,  von  erdfahler  Hautfarbe  und  schlaffer  Musku- 
latur, kam  am  12.  April  1847  auf  die  Klinik.  Linkes  Auge.  Die  vordem  Ciliargefässe 
zahlreicher  und  stärker  injicirt,  rings  um  die  Hornhaut  einen  V"  breiten,  bläulichrothen 
Saum  bildend,  mit  zahlreichen  dickeren  Zweigen  in  den  vordem  Theil  der  Sclera  ein- 
dringend. Die  Farbe  der  Sclera  hinter  dem  genannten  Saume  schmutzig  weiss.  Die  Con- 
junctiva  bis  zum  Limbus  an  der  Cornea  schütter  netzförmig  geröthet.  Die  Cornea  durch- 
sichtig, jedoch  matt,  minder  glänzend.  Die  Iris  etwas  mehr  nach  vorn  gelagert,  blaugrau, 
unbeweglich,  nach  innen  und  unten  nur  etwa  V2'",  im  übrigen  Umfange  gegen  1'"  breit, 
die  Pupille  daher  erweitert,  nach  innen  und  unten  ausgebuchtet,  rauchig  getrübt,  das 
Sehvermögen  so  weit  gestört,  dass  der  Kranke  kaum  die  Zahl  der  Finger  bestimmen 
kann.  —  Rechtes  Auge.  Der  Zustand  im  Wesentlichen  ebenso,  nur  die  Gefässinjection 
etwas  geringer,  die  Pupillenerweiterung  gleichmässig,  und  das  Sehvermögen  noch  so  weit 
erhalten ,  dass  Geldmünzen  (bei  A"  Entfernung)  noch  zur  Noth  nach  dem  Gepräge  er- 
kannt werden.  In  der  Umgebung  des  rechten  Auges,  besonders  in  der  Stirn  und  Schläfe 
heftige,  aussetzende,  reissende  Schmerzen.  —  Kein  Fieber,  sehr  gedrückte  Gemüthsstim- 
mung,  trockene,  schlaffe  Haut,  Stuhlverstopfung. 

Der  Mann ,  früher  in  günstigen  Verhältnissen,  und  angeblich  nie  von  einer  erheb- 
lichen Gesundheitsstörung  heimgesucht ,  lebt  seit  7  Jahren  als  Taglöhner  in  einer  sehr 
kümmerlichen  Lage.  Feuchte  Wohnung,  geringe  Kost,  grösstentheils  Erdäpfel.  Seit  bei- 
nahe 2  Jahren  bemerkte  er  von  Zeit  zu  Zeit,  besonders  in  den  Morgenstunden,  einen 
Nebel  vor  dem  linken  Auge,  der  in  den  letzten  3  Monaten  endlich  auhaltend  und  dichter 
wurde  ,  angeblich  ohne  Veranlassung,  ohne  Röthe,  ohne  Schmerz.  —  Ende  März  sass  er, 
mit  dem  Repariren  von  Holzuhren  beschäftigt,  mehrere  Stunden  am  offenen  Fenster  bei 
seiner  Arbeit  Abends  bekam  er  Schmerzen  in  der  linken  Seite  des  Halses ,  woselbst 
sich  einige  Drüsenanschwellungen  zeigten,  und  in  der  Nacht  durch  4  Stunden  andauern- 
den Frost;  dann  schlief  er  ein,  und  des  Morgens  war  die  linke  Seite  des  Halses  und 
das  ganze  Gesicht  so  geschwollen,  dass  er  die  Augen  nicht  öffnen  konnte.  —  Erysipel. 
Dazu  traten  heftige  reissende  Schmerzen  in  beiden  Schläfegegenden.  Am  7.  Tage  — 
nach  Verschwinden  der  mit  Abschuppung  endenden  Geschwulst,  bemerkte  er  nebst  Röthe 
der  Augen  bedeutende  Abnahme  des  Gesichtes,  und  zwar  auch  auf  dem  rechten  Auge. 
Durch   14  Tage  soll  der  Zustand  im  Ganzen  derselbe  geblieben  sein.  —  Wir  verord- 


Entzündung  —  Glauconia  —  Krankengeschichten.  207 

neten  Euhe  im  Bette,  Temperirung  des  Lichtes,  leichte  Fleischkost,  an  jede  Schläfe  8 
Blutegel,  innerlich  Infus,  flor.  tiliae  mit  V2  Gran  Tart.  stib.  und  I/t  Unze  Glaubersalz. 
Da  die  Schmerzen  nur  wenig  nachgelassen  hatten ,  wurden  den  folgenden  Tag  abermals 
Blutegel  gesetzt,  jederseits  6  Stück,  dieselbe  Medicin  fortgereicht.  Am  14.  April.  Die 
Schmerzen  an  der  linken  Seite  gänzlich  verschwunden,  die  Injection  beiderseits  geringer, 
das  Sehvermögen  des  rechten  Auges  merklich  besser.  15.  April.  "Wegen  Stuhlverstopfung 
Infus,  sennae  mit  Glaubersalz;  Abends  wieder  heftige  Schmerzen.  l(i.  April.  Zwölf  blu- 
tige Schröpfköpfe  an  die  Kreuz-  und  Lendengegend,  Decoctum  polyg.  senegae  ex  dr.  2 
unc.  q\iatuor,  Kali  tartarici  unc.  dimid.,  Mellag.  gramin.  unciam.  IS.  April.  In  den  Mor- 
genstunden dichter  Nebel  vor  beiden  Augen.  Alle  3  Stunden  2  Gran  Calomel.  20.  April. 
Um  6  Uhr  Morgens  heftige  reissende  Schmerzen,  starke  Lichtscheu,  fast  völliger  Verlust 
des  Sehvermögens.  Abermals  12  S chröpf köpfe  ,  2  Gran  Calomel  mit  etwas  Jalappa  fort- 
gesetzt. Vom  22.  bis  26.  April  massige  Salivation ,  daher  innerlich  Infus,  sennae  mit 
Glaubersalz,  dann  warme  Fussbäder  mit  Senfmehl,  und  jeden  Abend  2  Gran  Chinin  mit 
1  3  Gran  Opium  (wegen  der  fast  regelmässig  wiederkehrenden  Schmerzen).  Vom  28.  April 
an  wurde  beim  Gebrauche  der  Polygala  senegae  mit  Kali  tart.  und  Pulpa  prunor.  allmälige 
Besserung  des  Sehvermögens  bemerkt,  so  dass  der  Mann  am  10.  Mai  mit  beinahe  voll- 
ständig hergestelltem  Sehvermögen  des  rechten  (jedoch  fast  gänzlich  erloschenem  des 
linken)  Auges  entlassen  werden  konnte.  Unserem  Rathe,  seine  sitzende  und  die  Augen 
anstrengende  Beschäftigung  mit  einer  andern  zu  vertauschen,  ist  der  Mann  nicht  nach- 
gekommen. Er  trieb  das  Uhrenrepariren  wieder  bis  zum  December  desselben  Jahres. 
Da.  nach  einer  leichten  Verkältung,  ergriff  ihn  das  Übel  neuerdings.  Er  kam  den  11. 
December  in  einem  ähnlichen  Zustande  wie  im  April  in  die  Anstalt,  wo  er  durch  neun 
"Wochen  ,  jedoch  vergebens ,  behandelt  wurde.  Wir  mussten  ihn  mit  Glaucoma  oc.  utr. 
evolutum  entlassen.  Nach  2  Jahren  suchte  er  abermals  Hilfe  daselbst,  weil  die  mittler- 
weile ganz  verdunkelten  Linsen  (Cataracta  glaucomatosa)  von  seiner  Umgebung  für  ein- 
fachen grauen  Staar  gehalten  worden  waren. 

4.  Beobachtung.  F.  J.,  46  Jahre  alt,  "Wirthschaftsbeamter,  mit  blondem  Haar,  licht- 
blauer Iris,  gut  genährt,  mit  Ausnahme  des  linken  Auges  gesund,  kam  am  8.  März  in 
die  Anstalt.  Das  rechte  Auge  normal.  Am  linken  die  Lider  leicht  geschwollen  und  ge- 
röthet,  die  Bindehaut  von  einzelnen  Gefässen  durchzogen,  die  Ciliargefässe  stark  injicirt, 
rings  um  die  Cornea  einen  breiten  rosenrothen  Saum  bildend.  Die  Cornea  normal,  an 
ihrer  hintern  Fläche  mit  zahlreichen  Punkten  besetzt,  wie  mit  Staub  bestreut.  Die  Iris 
grünlich  entfärbt,  unbeweglich,  ohne  durch  Synechien  flxirt  zu  sein;  die  Pupille  rund, 
bedeutend  weiter  als  rechts ,  rauchig  getrübt.  Starke  Lichtscheu ;  heftige  Schmerzen  im 
Auge  und  der  entsprechenden  Kopfhälfte,  völliger  Verlust  des  Sehvermögens. 

Im  Sommer  des  vorigen  Jahres  trat  ohne  bekannte  Veranlassung  die  Erscheinung 
dunkler  Körperchen  vor  dem  linken  Auge  auf,  diese  ging  allmälig  ohne  Lichterscheinun- 
gen in  Trübung  des  Gesichtes  über,  so  dass  er  die  gerade  vor  dem  Auge  befindlichen 
Objecte  nicht  erkannte;  eher  nahm  er  sie  noch  wahr,  wenn  sie  zur  Seite  waren,  nicht 
fixirt  wurden.  Vor  4  Wochen  gesellten  sich  Röthe  des  Auges,  Lichtscheu  und  heftige 
reissende ,  Abends  ärger  werdende  Schmerzen  dazu ,  welche  ihn  bestimmten ,  in's  Spital 
zu  gehen. 

Wir  legten  S  Blutegel  an  die  linke  Schläfe,  Hessen  dann  Ung.  einer,  mit  Opium, 
an  die  Stirn  und  Schläfe  einreiben,  gaben  eine  Mixtur  mit  Tart.  stibiatus  und  Glauber- 
salz, und  restringirten  die  Kost  auf  '/*  der  Spitalsportion.  Den  4.  Tag  mussten  wir  wegen 
der   heftigen ,    allabendlich   wiederkehrenden  Schmerzen  Chinin    mit  Opium  verschreiben. 


208  Aderhaut. 

Vom  8.  Tage  an  nahm  der  Kranke  Pillen  aus  Pulv.  et  extract.  polyg.  senegae  mit  Sapo 
med.  und  Massa  pil.  Rufi.  Bei  dieser  Behandlung  gingen  die  Schmerzen,  die  Lichtscheu 
und  die  Injection  (bis  auf  einzelne  stark  erweiterte  Ciliargefässe)  allmälig  zurück,  nur 
die  Blindheit  blieb,  und  mit  ihr  die  Erweiterung  und  Trübung  der  Pupille  und  die  Ver- 
färbung der  unbeweglichen  Iris.  In  der  3.  Woche  der  Behandlung  schwanden  auch  die 
trüben  Punkte  an  der  hintern  Wand  der  Cornea,  und  zwar  unter  der  interessanten  Er- 
scheinung, dass  in  der  Cornea,  welche  nie  der  Sitz  von  Exsudation  gewesen  war,  vom 
untern  Rande  her  centripetal  verlaufende  Gefässchen  auftraten,  welche  nächst  der  Desce- 
metschen  Haut  zu  liegen  schienen.  —  Wir  schickten  den  Kranken  prophylaktisch  wegen 
des  rechten  Auges  nach  Marienbad,  wo  er  durch  6  Wochen  Kreuz-  und  Ferdinands- 
brunnen trank. 

Am  2.  September  kam  der  Kranke  in  die  Anstalt  zurück,  wegen  unerträglicher 
Schmerzen,  die  sich  in  den  letzten  3  Wochen  entwickelt  hatten.  Der  Bulbus  war  grösser, 
hart  anzufühlen,  bei  Berührnng  sehr  schmerzhaft,  die  Lider  und  die  Conj.  bulbi  etwas 
ödematös  und  von  erweiterten  Venen  durchzogen,  die  Sclera  in  der  Gegend  des  Äquators 
und  von  da  nach  hinten  an  der  Schläfeseite  sowohl  auf-  als  abwärts  bläulich  schwarz 
und  hervorgetrieben,  die  Cornea  durchsichtig,  doch  matt  und  fast  ohne  Glanz,  die  Pu- 
pille bouteillengrün  ,  die  Iris  auf  einen  etwa  '/z'"  breiten  Saum  reducirt.  Der  Kranke 
wollte  um  jeden  Preis  nur  von  den  Schmerzen  befreit  sein.  Ich  machte  daher  mit 
einem  Staarmesser  einen  Einstich  in  die  Sclera,  ohngefähr  am  untern  Eande  des 
Muse,  rectus  externus  und  4'"  hinter  der  Cornea.  Es  entleerten  sich  gegen  2  Drachmen 
einer  klaren,  gelblichen,  eiweisshaltigen  Flüssigkeit.  Durch  Auspolsterung  mit  Charpie 
und  Anlegung  einer  Binde  um  den  Kopf  suchten  wir  eine  entsprechende  Compression  zu 
bewirken.  Darüber  wurden  kalte  Umschläge,  innerlich  salzige  Abführmittel  gegeben.  Am 
9.  September  verliess  der  Kranke  wegen  dringender  Geschäfte  die  Anstalt.  Der  Bulbus 
war  beinahe  auf  seine  normale  Grösse  reducirt,  weich  anzufühlen,  Schmerzen  und  Licht- 
scheu fast  ganz  verschwunden. 

Am  18.  December  musste  ich  die  Punction  wiederholen.  Diesmal  entleerten  sich 
etwa  zwei  Kaffclöffel  voll  blutig  gefärbter  Flüssigkeit,  worauf  bei  ruhiger  Rückenlage  so- 
gleich Eisunischläge  gegeben  und  durch  drei  Tage  fortgesetzt  wurden.  Am  27.  Dec. 
war  das  Auge  nicht  lichtscheu,  nicht  thränend,  nicht  schmerzend,  mir  wenig  grösser  und 
härter  als  das  rechte,  die  Sclera  schmutzig  gelblich  weiss,  an  der  Stelle  der  Ektasie  min- 
der dunkel ,  als  früher ,  die  Cornea  normal,  die  Iris  etwa  iji'"  breit,  mit  ganz  schwar- 
zem und  feingezacktem  Pupillarrande,  die  Kapsel  und  Linse  durchsichtig.  Von  -weitem 
(3 — 4  Schritte)  schillerte  der  Grund  des  Auges  röthlich;  bei  näherer  Untersuchung  und 
gehöriger  Stellung  zu  dem  einfallenden  Lichte  sah  man  den  Grund  des  Auges  fast  gold- 
gelb mit  einem  röthlichen  Schimmer.  Gefässentwicklung  auf  diesem  lichten  Grunde  war 
keine  wahrzunehmen.  Der  Kranke  verlangte  entlassen  zu  werden;  da  der  Zustand  sich 
mehrere  Tage  gleich  geblieben  war,  so  willfahrten  wir  ihm.  Im  Jahre  1851  und  1852 
besuchte  er  wiederholt  Marienbad.  Das  Auge  ist  nun  (1852)  allmälig  zur  Grösse  eines 
Taubeneies  zusammengeschrumpft,  und  zuletzt  ist  auch  die  Cornea,  welche  durch  zwei  Jahre 
ihre  Durchsichtigkeit  behauptet  hatte ,  nicht  nur  um  vieles  kleiner,  sondern  auch  etwas 
trüb  geworden.     Der  Mann  befindet  sich  nun  als  Kassabeamter  in  Staatsdiensten. 


Entzündung  —  pyämische.  209 

3.   Chorioiditis  pi/aemica  (metastatica  Fischer). 

Der  Sectionsbefiind  reducirt  sich  auf  Ablagerung  eitrigen  Exsu- 
dates im  Innern  des  Auges,  als  deren  Ausgangspunkt  die  Chorioidea 
angesehen  werden  rauss.    Siehe  S.  167 — 169. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Der  hier  zu  schildernde  Process  im 
Auge  entwickelt  sich  nur  in  Folge  von  Pyämie,  und  ist  gleichsam  als 
localer  Ausdruck  derselben  zu  betrachten.  Am  häutigsten  rindet  man 
ihn  nach  dem  Puerperium,  wo  er  früher  als  Milchmetastasis ,  als  Phleg- 
masia alba  dolens  oculi  u.  dgl.  bezeichnet  wurde,  dann  bei  Neuge-i 
borenen  mit  Nabelvenenentzündung,  wo  er,  zumal  wenn  das  Grundleiden 
übersehen  wird,  leicht  für  Blennorrhoea  neonat,  gehalten  werden  kann, 
seltener  nach  chirurgischen  Operationen,  nach  zufälligen  Verletzungen 
und  nach  Caries  (des  Keilbeines,  des  Felsenbeines),  wenn  Plebitis  dar- 
nach eingetreten  ist. 

Zur  Erregung  desselben  bedarf  es  dann  keiner  besondern  Veran- 
lassung oder  Disposition  des  Auges.  Bald  ist  es  das  linke,  bald  das 
rechte  Auge  (letzteres  seltener),  welches  zuerst  ergriffen  wird;  einmal 
werden  beide  Augen  zugleich  oder  kurz  nach  einander  befallen,  ein 
andermal  stirbt  das  Individuum,  bevor  das  zweite  Auge  in  Mitleiden- 
schaft gezogen  wird. 

Symptome.  Die  Eiterablagerung  im  Auge  kündigt  sich  bald  zu- 
erst durch  Schmerzen  daselbst  (meistens  flüchtige  Stiche),  bald  durch 
rasche  Abnahme  oder  schnellen  Verlust  der  Sehkraft  (in  wenigen  Stun- 
den i  mit  oder  ohne  feurige  Erscheinungen  an,  und  ist  immer  von  netz- 
förmiger Infection  und  seröser  Infiltration  der  Conjunct.  bulbi  begleitet. 
Die  ödematöse  Schwellung  der  Bindehaut  bildet  in  der  Mehrzahl  der 
Fälle  das  hervorragendste  Symptom.  Zu  ihr  tritt  über  kurz  oder  lang 
auch  gehinderte  Beweglichkeit  und  Hervordrängung  des  Bulbus  aus  der 
Orbita,  bedingt  durch  Infiltration  der  Tunica  vaginalis  bulbi  und  des 
dieselbe  umgebenden  Binde-  und  Fettgewebes.  Die  Cornea  bleibt  rein 
oder  wird  ödematös  oder  mit  Exsudat  an  ihrer  hintern  Fläche  beschla- 
gen. In  der  vordem  Kammer  erscheint  nämlich  sehr  bald,  oft  schon 
zur  Zeit,  wo  die  Eiterablagerung  in  der  Chorioidea  noch  auf  eine  kleine 
Stelle  (im  vordem  Theile  der  eigentlichen  Chorioidea)  beschränkt  ist, 
eitriges  Exsudat  in  Form  schwimmender  Klümpchen  oder  Flocken  oder 
als  Hypopyum.  Die  Iris  erscheint  grünlich  oder  wie  von  einem  leichten 
Grau  gedeckt,  Anfangs  beweglich,  später  starr.  Die  Pupille  bleibt 
meistens  rund  und  schwarz,  und  nimmt  selten  einen  höhern  Grad  von 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  14 


210  Aderhaut. 

Erweiterung   an.     Bisweilen    zeigten    sich   einzelne  hintere    Synechien 
oder  eine  förmliche  Exsudatmembran  in  der  Pupille. 

Verlauf  —  Ausgänge.  Wenn  das  Individuum  nicht  schon  während 
der  Entwicklung  der  genannten  Erscheinungen  dem  Allgemeinleiden 
erliegt,  so  tritt  entweder  Fortschreiten  des  Processes  und  Durchbruch 
der  Cornea  oder  der  Sclera,  oder  aber  allmälige  Resorption  des  Eiters 
und  Zusammenschrumpfung  des  Bulbus  auf  einen  unansehnlichen 
Stumpf  ein.*) 

Durchbruch  durch  die  Sclera  sah  ich  in  zwei  Fällen  eintreten,  in  dem  einen  nach 
unten,  in  dem  andern  nach  aussen,  und  zwar  in  der  Gegend,  wo  sich  die  betreffenden 
•«Recti  inseriren.  In  dem  ersten  Falle  erschien  dann  einige  Zeit  später  der  Grund  des 
Auges  durch  die  wieder  rein  gewordene  Cornea  und  etwa  l^/i'"  im  Durchmesser  haltende 
Pupille  gelblichweiss  und  eigenthümlich  schillernd. 

Der  zweite  Fall  war  sowohl  durch  seine  Entstehung  als  durch  seinen  Ausgang 
höchst  merkwürdig.  Bei  einem  60jährigen,  kachektisch  aussehenden  Manne  trat  nämlich 
den  3.  Tag  nach  der  Extraction  einer  Cataracta  oc.  sin.,  wobei  die  Iris  stichweise  ver- 
letzt worden  war,  ein  heftiger  Schüttelfrost  ein,  dann  äusserst  frequenter  Puls ,  trockene 
Hitze,  Delirien  und  allmälig  das  ganze  Krankheitsbild,  wie  es  bei  Pyämie  vorzukommen 
pflegt.  Eine  sorgfältige  Untersuchung  des  ganzen  Körpers  ergab  Exsudat  in  der  linken 
Brusthöhle.  Der  Bulbus  schien  nicht  zu  leiden,  war  den  5.  Tag,  wo  der  Verband  gelöst 
wurde ,  wenig  geröthet ,  die  Hornhautwunde  geschlossen ,  die  Pupille  offen ,  doch  das 
Sehvermögen  gänzlich  erloschen.  Allmälig  entwickelte  sich  das  Krankheitsbild,  welches 
ich  schon  öfter  bei  Chorioiditis  in  Folge  von  Pyämie  gesehen  hatte,  doch  mit  dem 
Unterschiede,  dass  nicht  die  Hornhaut,  sondern  die  Sclera  durchbrochen  wurde,  und 
zwar  in  der  Gegend  der  Insertion  des  Muse,  rectus  externus,  worauf  der  Bulbus  allmälig 
phthisisch  wurde,  und  auch  die  Hornhaut,  ohne  dass  sich  die  bereits  vernarbte  Wunde 
wieder  geöffnet  hatte ,  allmälig  schrumpfte.  Der  Kranke  genas ,  nachdem  die  Pleuritis 
einen  günstigen  Ausgang  genommen  hatte. 

In  einem  andern  Falle,  wo  beide  Augen  ergriffen  gewesen  waren,  und  das  Indi- 
vidmim  gleichfalls  mit  dem  Leben  davon  kam,  entwickelte  sich  allmälig  Atrophia  bulbi. 
Die  Cornea  blieb  vollkommen  glatt  und  durchsichtig,  obwohl  auch  sie  allmälig  kleiner 
wurde.  Ein  ähnliches  Verhalten  der  Cornea  habe  ich  auch  an  atrophisch  gewordenen 
glaueomatösen  Augen  beobachtet. 

Behandlung.  Die  Aufgabe  des  Arztes  kann,  was  das  Auge  be- 
trifft, höchstens  in  der  Linderung  der. Schmerzen  bestehen.  Da  nicht 
nur  die  Function,  sondern  auch  die  Form  des  Auges  jederzeit  un- 
rettbar verloren  ist,  so  erscheint  die  Punction  desselben,  falls  die  Span- 
nung zu  heftige  Schmerzen  erregte,  zu  diesem  Behüte  wohl  erlaubt. 

4.  Chorioiditis  syphilitica. 

Die  Syphilis  localisirt  sich  am  Auge  fast  ohne  Ausnahme  in  der 
Iris,   und  dann  ist  es   im  Allgemeinen  nicht  schwer,   das  Leiden  des 

*)  Einige  vollständige  Krankengeschichten   sanimt  Sectionsbefund   hat  Prof.  Fischer   in  seinem  1846  er- 
schienenen Lehrbuche  S.  287—293  veröffentlicht. 


Entzündung  —  syphilitische.  211 

Auges  in  Bezug  auf  sein  ätiologisches  Moment  zu  erkennen.  Dass  zu 
einem  solchen  Leiden  der  Iris  bisweilen  eine  ähnliche  Affection  des 
Corpus  ciliare  und  der  Chorioidea  (im  engern  Sinne  des  Wortes)  hin- 
zutrete, und  aus  welchen  Erscheinungen  man  auf  dieses  Weitergreifen 
des  Processes  schliessen  könne,  wurde  bereits  bei  der  Lehre  von  der 
Iritis  S.  69)  bemerkt.  Wir  haben  dort  (S.  89)  auch  eine  Beobachtung* 
mitgetheilt,  in  welcher  uns  die  eigentliche  Natur  des  Iridochorioideal- 
leidens  entgangen  war.  Die  nachfolgende  Krankengeschichte  zeigt, 
dass  auch  die  Chorioidea  primär  und  ganz  allein  (ohne  die  Iris)  der 
Sitz  eines  durch  Syphilis  bedingten  Exsudationsprocesses  sein  könne. 

M.  A.,  4L  Jahre  alt,  Gastwirth,  dem  Trünke  von  Bier  ergeben,  doch  angeblich 
früher  stets  gesund,  zog  sich  vor  1  Jahre  ein  Ulcus  syphil.  penis  zu,  an  welchem  er 
von  einem  Chirurgen  auf  dem  Lande  durch  z/\  Jahre  behandelt  wurde  (örtlich  mit  Lapis, 
innerlich  mit  Calomel,  ohne  Beobachtung  der  nöthigen  Diät).  Später  trat  Angina  auf, 
welche  nach  Pillen  in  steigender  Dosis  (Dzondi  ?)  vor  6  Wochen  heilte.  Vor  3  Wochen 
erkrankte  er  an  dem  rechten  Auge  mit  drückenden,  später  reissenden  und  stechenden 
Sehmerzen  und  Empfindlichkeit  gegen  starkes  Licht,  jedoch  ohne  starke  Böthe  des 
Weissen  im  Auge;  allmälig  nahm  das  Gesicht  ab,  und  ging  endlich  bis  auf  die  Wahr- 
nehmung grösserer  Gegenstände  verloren.  Acht  Tage  später  erkrankte  auch  das  linke 
Auge  unter  denselben  Erscheimmgen,  nur  soll  die  Erblindung,  die  hier  total  ist,  sehr 
schnell  (in  2  Tagen)  eingetreten  sein.  Man  hatte  ihm  Blutegel  angesetzt ,  Vesicantien 
hinter  die  Ohren  gelegt,  eine  abführende  Mixtur  verordnet,  und  eine  Salbe  zum  Einreiben 
in  die  Augen  verschrieben. 

Wir  fanden  die  Lider  normal,  die  Bindehaut  nur  wenig  injicirt,  dagegen  die  Ci- 
liargetasse  zahlreich  und  erweitert,  um  die  Hornhaut  einen  schmutzigrothen,  etwa  V" 
breiten  und  durch  einen  bläulichweissen  Ring  von  der  Hornhaut  getrennten  Saum  bil- 
dend. Die  Hornhäute  normal,  die  Regenbogenhäute  aufgelockert,  ihre  Fasern  undeutlich, 
ihre  Farbe  ins  Grünliche  spielend,  ihre  Beweglichkeit  bei  Lichtwechsel  ganz  aufgehoben. 
Die  rupillen  l'/a — '!'"  weit,  oval,  ohne  sichtliche  hintere  Synechien,  in  der  Tiefe 
graugrünlieh.  Die  Consistenz  der  Bulbi  nicht  verändert.  Lichtscheu  und  Thränenfluss 
sehr  gering.  Im  linken  Auge  drückender  Schmerz ,  im  rechten  zeitweilig  Gefühl  von 
Zusammenziehen.  Beim  Bewegen  der  Augen  schweben  dem  Kranken  blaue  Sterne  bei 
geschlossenen  Augen  Funken  oder  feurige  Räder  vor.  Rechts  werden  zur  Roth  noch 
grössere  Gegenstände  wahrgenommen,  links  scheint  gar  keine  Lichtempfindung  vorhanden 
zu    sein. 

Wir  Hessen  den  Kranken  das  Bett  hüten,  setzten  ihn,  da  er  ziemlich  gut  genährt 
aussah,  auf  schmale  Kost  und  verabreichten  ihm  zunächst  grosse  Dosen  Calomel  mit 
Jalappa,  dann  Calomel  in  kleinern  Gaben  allein,  später  Polygala  senega,  zuletzt  warme 
Bäder.  Wir  bemerken  nebenbei,  dass  nach  der  Consumtion  von  36  Gran  Calomel  binnen 
14  Tagen  keine  Spur  von  Salivation  eintrat.  Er  war  den  25.  August  aufgenommen 
worden.  Vom  3.  September  an  trat  allmälig  Besserung  des  Sehens  auf  dem  rechten, 
und  am  13.  auch  Lichtempfindung  auf  dem  linken  Auge  ein.  Heftige  Schmerzen,  welche 
am  20.  September  eintraten,  und  vorzüglich  von  9 — 11  Uhr  Abends  wütheten,  so  als  ob 
die  Augen  aus  ihren  Höhlen  herausgerissen  werden  sollten ,  machten  die  Anwendung 
von  grauer  Salbe  mit    Opium   durch  5  Tage   nothwendig.     Bis   zum  7.  October   war   der 

14* 


-212  Aderhaut. 

Kranke  so  weit  geheilt,  dass  er  mit  dem  rechten  Auge  auch  die  kleinsten  Gegenstände 
erkannte,  auf  dem  linken  jedoch  nur  deutliche  Lichtempfindung  hatte.  Er  verlangte 
dringend,  entlassen  zu  werden,  was  wir  ihm  nicht  verweigern  durften. 

5.   Chorioiditis  scrofulosa  (tuberculosa). 

Hieher  gehörige  Fälle  wurden  in  früherer  Zeit  wohl  mit  zu  Beer's  amaurotischem 
Katzenauge  gerechnet;  von  Ammon,  Prael,  Bredov  u.  A.  betrachteten  sie  als  Mark- 
schwamm der  Netzhaut  mit  dem  Ausgange  in  Schrumpfung. 

Bei  Kindern  von  1 — 10  Jahren  hat  man  Ablagerung  einer  blass- 
gelben Masse  im  Grunde  des  Auges,  allmäliges  Vordringen  derselben 
gegen  die  Iris  bald  mit,  bald  ohne  zeitweilige  Vergrösserung  des 
Bulbus,  zuletzt  aber  Schrumpfung  dieser  Masse  und  des  ganzen  Bulbus 
beobachtet. 

Die  von  diesem  Processe  Befallenen  sind  zarte  blonde  Kinder, 
nach  Chelius'  *)  und  meinen  Beobachtungen  scrofulös.  Das  Übel  beginnt 
ohne  alle  äussere  Veranlassung  auf  dem  einen  und  über  kurz  oder 
lang  auch  auf  dem  andern  Auge.  Doch  kann  das  2.  Auge  auch 
Jahre  lang  —  für  immer?  —  verschont  bleiben.  Es  kommt  im  Ganzen 
selten  vor. 

Der  Beginn  des  Leidens  macht  sich  manchmal  dadurch  bemerkbar, 
dass  das  Auge  etwas  geröthet  erscheint,  leicht  thränt,  und  gegen  das 
Licht  abnorm  empfindlich  ist,  oder  dadurch,  dass  das  Kind  beim  Er- 
greifen kleiner  Objecte  herum  tappt  oder  einen  stieren  Blick  bekommt. 
In  andern  Fällen  wird  die  Umgebung  erst  durch  den  eigenthümlich 
glänzenden  Lichtreflex  aus  der  Tiefe  des  Auges  auf  das  Übel  aufmerk- 
sam gemacht.  Wird  der  Arzt  um  diese  Zeit  consultirt,  so  findet  er  die 
vordem  Ciliargefässe  zahlreicher  und  stärker  injicirt,  die  Sclera  auf- 
fallend bläulichweiss,  die  Pupille  ohne  Farben-  und  Structurveränderung 
der  Iris  mehr  weniger  erweitert  und  träge,  oder  gar  nicht  beweglich, 
den  Grund  des  Auges  (ganz  oder  theilweise)  lichtgrau,  matt-  oder  gelb- 
lich-weiss,  bei  den  Bewegungen  des  Bulbus  schillernd  oder  gleichsam 
leuchtend,  das  Sehvermögen  ganz  oder  theilweise  aufgehoben. 

Mit  der  Zunahme  der  Tuberkelablagerung,  welche  bald  gleich- 
massig  vorwärts  rückt,  bald  an  einer  oder  der  andern  Stelle  auffal- 
lende Erhöhungen  (Höcker)  zeigt,  und  in  dem  einen  wie  in  dem  andern 
Falle  bisweilen  die  Gefässe  der  vorwärts  gedrängten  Netzhaut  wahr- 
nehmen lässt,  treten  die  Ciliargefässe  auf  der  Sclera  stärker  hervor, 
und  die  Iris  verliert  ihre  Farbe  und  schrumpft  in  mehr  weniger  grosser 
Ausdehnung  auf  einen  schmalen  Saum    zusammen.     Meistens  tritt  nun 

*)  Handbuch  der  Augenheilkunde.    Bd.  I.    Stuttgart,  1843.     S.  242. 


Entzündung  —  scrofulöse  —  Symptome.  213 

auch  seröser  Erguss  dazu,  und  unter  heftigen  Schmerzen,  starker  Ge- 
fässentwicklung  und  ödematöser  Schwellung  der  Bindehaut  und  der 
Augenlider  wird  die  Sclera  an  einer  oder  der  andern  Stelle  bläulich 
hervorgetrieben  und  die  Linse  sammt  der  Iris  vorwärts  gedrängt. 

Bis  hieher  zeigt  die  Krankheit  einen  ganz  gleichen  oder  doch 
sehr  ähnlichen  Verlauf  mit  dem  Markschwamm  der  Netzhaut  (siehe 
unten  Krankheiten  der  Netzhaut)  und  lässt  mit  gutem  Grunde  Durch- 
bruch der  Sclera  oder  der  Cornea  befürchten.  Statt  dessen  tritt  jedoch 
alliuälig  Resorption  des  flüssigen  Exsudates  und  über  kurz  oder  lang 
Schrumpfung  des  Bulbus  ein.  In  andern  Fällen  werden  während  des 
serösen  Ergusses  die  vordere  Partie  der  Sclera  und  die  Cornea  erweicht, 
und  dadurch 'die  vordere  Augenkammer  vergrössert,  bald  mit  unver- 
änderter "Wölbung  und  Durchsichtigkeit,  bald  mit  Trübung  und  Form- 
veränderung  der  Cornea. 

Wir  glauben  die  Eigenthümlichkeiten  der  hieher  gehörigen  Fälle 
unsern  Lesern  nicht  besser  vor  Augen  führen  zu  können ,  als  wenn  wir 
einige  fremde  und  eigene  Beobachtungen  speciell  anführen.  Aus  diesen 
Fällen  wird  sich  auch  zugleich  ergeben,  dass  bei  dieser  Form  von 
Chorioiditis  dem  Arzte  nichts  zu  thun  übrig  bleibt,  als  etwa  lästige  Zu- 
fälle zu  mildern.  Wäre  bloss  ein  Auge  ergriffen,  so  Hesse  sich  das 
Erkranken  des  andern  vielleicht  durch  innere  Behandlung  wie  bei 
Scrofulosis  überhaupt  verhüten. 

Die  Unterscheidung  dieser  Krankheit  vom  Markschwamm  der  Netz- 
haut, welche  in  prognostischer  Beziehung  so  wichtig  ist,  wird  bei  dem 
gegenwärtigen  Standpunkte  der  Diagnostik  leider  erst  dann  möglich, 
wenn  einerseits  Durchbruch  des  Markschwammes  durch  die  Cornea  oder 
Sclera,  oder  anderseits  Atrophie  des  Bulbus  beginnt.  Lawrence*)  spricht 
sich  hierüber  folgendermassen  aus:  „Wir  haben  in  unserer  Heilanstalt 
Kinder  gesehen,  welche  die  Erscheinungen  des  Fungus  haematodes 
(Markschwammes)  im  ersten  Stadium  darboten,  nämlich  die  veränderte 
Farbe  der  Pupille,  den  metallischen  Pteflex  auf  dem  Boden  des  Auges 
etc.  Das  jedesmal  ungünstige  Resultat  der  Exstirpation  hatte  uns  ab- 
geschreckt, die  Operation  in  Vorschlag  zu  bringen.  Ganz  aber  gegen 
unsere  Erwartung  blieb  in  einigen  Fällen  Alles  in  diesem  Zustande, 
und  nachher  schrumpfte  der  Augapfel,  statt  zerstört  zu  werden,  bloss 
etwas  ein  und  wurde  atrophisch." 

Ein  Knabe  von  Wh  Jahren**)  ward  im  Jäner    1828    wegen   gänzlicher  Erblindung 
in  das  Dresdner  Blindenerziehungshaus  aufgenommen.     Er   war   bis   auf  sein   Augenübel 

*)  Makenzie  1.  c.  S.  534. 
**)  v.  Ammon  in  Hecker's  liter.  Annal.    5.  Jahrgang,  1829,  Sept.,  S.  1. 


214  Aderhaut. 

von  Kindheit  an  gesund  gewesen,  hatte  einen  scrofulösen  Habitus,  war  jedoch  ziemlich 
gross  und  sehr  gut  genährt.  —  Das  rechte  Auge  hatte  er  durch  einen  Fall  eingebusst, 
wodurch  der  Beschreibung  nach  eine  Rhexis  bulbi  herbeigeführt  worden  war.  —  Das 
linke  obere  Lid  war  sehr  hervorragend  und  sammt  der  Schläfegegend  von  grossen  und 
dunkelblauen  Venen  durchzogen.  Die  Berührung  desselben  war  äusserst  schmerzhaft; 
der  Bulbus  selbst  zeigte  fast  alle  charakteristischen  Zeichen  eines  in  der  stärksten  Ent- 
wicklung begriffenen  Markschwammes  des  Auges  (Sarcoma  medulläre  oculi).  Die  Oph- 
thalmo- conjunetiva  war  mit  blaurothen  varicösen  Gefässen  durchzogen,  die  Cornea  sehr 
gespannt  und  glänzend;  dicht  an  ihr  lag  die  schmutzig  bläulichgrüne,  convex  hervor- 
getriebene Iris;  der  Übergang  der  Cornea  in  die  Sclera  war  durch  eine  Menge  varicöser 
Gefässe  sehr  schwer  zu  unterscheiden ,  machte  sich  jedoch  durch  einen  blaurothen  erha- 
benen Ring  in  der  Gegend  des  Ciliarkörpers  kenntlich.  Dicht  hinter  der  sehr  grossen 
Pupille,  die  mehr  oval  als  rund  war,  befand  sich  ein  strohgelber,  glatter  Korper,  der 
durch  seine  Grösse  die  Iris  von  hinten  nach  vorn  drückte.  Auf  diesem  Körper  waren 
weder  mit  freiem  noch  mit  bewaffnetem  Auge  Gefässe  zu  entdecken.  Der  Bulbus  war 
wenig  vergrössert,  jedoch  etwas  hervorgetrieben  und  sehr  gespannt.  —  Nach  der  Aussage 
der  Mutter  war  der  Knabe  bereits  seit  mehreren  Jahren  erblindet.  Über  die  Entstehung 
war  nichts  Bestimmtes  zu  erfahren.  —  Mehrere  Wochen  blieb  der  Zustand  unverändert. 
Sodann  bemerkte  von  Amnion  eines  Morgens  den  Raum  zwischen  der  Cornea  und  dem 
gelben  Körper  etwas  verringert  und  auf  letzterem  ein  nicht  unbedeutendes  Blutextravasat. 
Dabei  mehr  Gefässinjection,  heftigere  Schmerzen  und  Fieber  ohne  äussere  Veranlassung. 
Nach  wenig  Tagen  wurde  das  Blut  allmälig  resorbirt,  doch  behielt  der  gelbe  Körper 
eine  mehr  dunkelgelbe  Farbe.  Nach  6  Tagen  neuer  Bluterguss.  Das  Auge  schmerzte 
heftig,  und  von  allen  Seiten  desselben  erstreckten  sich  Gefässe  nach  der  Mitte  der 
Hornhaut,  welche  jetzt  immer  trüber,  dunkler  und  blauer  wurde,  in  ihrem  Centrum  sich 
mehr  erhob,  und  ein  karfunkelartiges  Aussehen  erhielt.  Die  Lider  waren  ödematös  ge- 
schwollen. Allmälig  verlor  sich  die  dunkle  Röthe  des  Bulbus,  die  einzelnen  varicösen 
Gefässe  verschwanden,  allein  es  blieb  eine  solche  Trübung  der  Cornea  zurück,  dass  man 
nicht  mehr  in  die  vordere  Kammer  zu  sehen  vermochte.  Von  jetzt  an  verharrte  ein 
dumpfer  drückender  Schmerz  viele  Monate  lang  im  Auge,  an  dem  man  nur  die  Verän- 
derungen wahrnahm,  dass  durch  zeitweilige  Congestion  das  Volumen  des  Auges  bald  zu- 
bald  abnahm.  Alsdann  vergrösserte  sich  das  Volumen  des  Augapfels  auffallend,  und  der 
gelbe  Körper  schien  ganz  bis  an  die  getrübte  Cornea  vorgerückt  zu  sein.  (Juli  1S2S.) 
Als  von  Ammon  den  Kranken  Ende  September  wieder  sah,  hatte  sich  der  früher  sehr 
hervorgetriebene  und  vergrösserte  Bulbus  zurückgezogen  und  um  ein  Viertheil  verkleinert, 
ohne  dass  der  befürchtete  Durchbruch  eingetreten  war.  Die  Cornea  war  abgeplattet, 
vom  Rande  her  in  eine  undurchsichtige  fibröse  Membran  verwandelt  und  daselbst  von 
vielen  varicösen  Gefässen  durchzogen ;  dicht  an  ihr  lag  die  Iris ;  die  eckige  Pupille  von 
einer  schmutziggelben  Masse  angefüllt;  der  Bulbus  schmerzlos,  weich  anzufühlen. 

Dr  Prael*)  hat  zwei  ähnliche  Fälle  beschrieben.  Beide  betreffen  blonde  Mädchen 
in  den  Kinderjahren,  welche,  nach  dem  Aussehen  zu  schliessen ,  übrigens  gesund  waren. 
Das  eine  wurde  zu  Ende  des  1.  Lebensjahres  von  Krämpfen  befallen.  Einige  Wochen 
nachher  verlor  das  Kind  seine  muntere  Laune,  das  linke  Auge  thränte  und  war  gegen 
stärkeres  Licht  empfindlich.  Sonstige  Zeichen  von  Entzündung  waren  nicht  vorhanden, 
das  Sehvermögen  erloschen ,  die  blaue  Iris  unbeweglich ,  auch  a\xf  Belladonna  nicht  re- 
agirend;  die  regelmässig  gestaltete  Pupille  weder  widernatürlich  erweitert,  noch  verengert. 

*)  Journal  für  Chir.  und  Augenheilkunde  von  Gräfe  und  Walther.     Band  14.  (1830.)  S.  534. 


Entzündung  —  scrofulose  —  Krankengeschichten.  215 

Prael  bemerkte  im  Hintergrund  des  Auges  eine  blassgelbe,  etwas  in's  Grünlicbe  schil- 
lernde Verdunklung.  Xach  einigen  Wochen  wuchs  aus  dieser  Verdunklung  eine  Masse 
hervor,  die,  allmälig  im  Umfange  zunehmend,  als  ein  flach  abgerundeter  strohgelber 
Körper  dicht  hinter  der  Pupille  lag,  und  auf  der  glatten  Oberfläche  Gefässverzweigungen 
sehen  liess.  Bei  dem  normalen  Aussehen  der  äussern  Häute  des  Auges  und  der  Iris 
hätte  ein  Ungeübter  das  Leiden  für  Cataracta  halten  können.  Gegen  die  Annahme  eines 
Medullarsarcomes  stritt  der  gute  derbe  Gesundheitszustand  des  Kindes.  —  Von  jetzt  an 
vegetirte  das  parasitische  Gebilde  rascher,  so  dass  die  Iris,  welche  keine  Veränderung 
der  Farbe  erlitt,  von  einem  ovalen  Körper  nach  vorn  gewölbt  und  bald  darauf  dicht  an 
die  Hornhaut  angedrängt  wurde.  Liehtscheu  und  Thiänenfluss  nahmen  indessen  zu, 
varicöse  Gelasse  gruppirten  sich  auf  der  Vorderfläche  des  Augapfels ;  endlich  trübte  sich 
•die  Cornea  und  verlor  ihre  regelmässige  Wölbung  (im  6.  Monate).  Statt  des  befürchteten 
Aufbruches  erfolgte  zuerst  Stillstand  aller  drohenden  Symptome,  dann  Zurückschreiten 
derselben,  und  Atrophia  bulbi  beschloss  den  Krankheitsverlauf. 

Der  zweite  fall  betrifft  ein  blondes  rothwangiges  Mädchen  von  6  Jahren.  Der 
Verlauf  war  langsamer  (bis  zur  Akme  1  Jahr).  Auch  nachdem  die  Krankheit  ihren 
Höhepunkt  erreicht  hatte,  trat  nicht  so  bald  Atrophie  ein,  sondern  erst  nach  beiläufig 
einem  Jahre,  und  das  Kind  hatte,  wie  Prael  ausdrücklich  bemerkt,  noch  6  Jahre  nach 
Beginn  der  Krankheit  sehr  deutliche  Lichtempfindung.  Dieser  Umstand  erklärt  sich  da- 
durch, dass  das  Aftergebilde  nicht  vom  Hintergrunde  des  innern  Augenraumes  entsprang, 
sondern  an  der  Insertionsstelle  der  Iris.  Es  drängte  diese  Membran  vom  Ciliarrande 
ab,  und  ragte  sodann  anfänglich  als  ein  rundes,  glattes,  blassgelbes  Körperchen  über  den 
obern  Rand  der  Eegenbogenhaut,  nach  dem  JSasenwinkel  zu,  seitwärts  in  die  vordere 
Kammer  ljttu  weit  hervor.  Die  blaue  Iris  wurde  dadurch  nach  unten  herabgedrängt,  so 
dass  die  Pupille  bohnenförniig  erschien.  Zu  dieser  Zeit  war  das  Gesicht  noch  vorhanden, 
bloss  geschwächt ;  im  Verlaufe  der  Krankheit  verschwand  es ,  indem  das  abnorme  Pro- 
duet  als  eine  glatte,  strohgelbe,  ovale  Masse  innerhalb  und  hinter  der  Pupille  bemerk- 
bar wurde. 

Ein  3.  Fall  von  demselben  Autor*)  betrifft  die  blonde  Tochter  eines  Schuhmachers, 
welche  ebenfalls  blaue  Augen  hatte.  „Bei  einem  leukophlegmatischen  Habitus  zeigte  sie 
•eine  frühe  Geistesentwicklung.  Sie  erreichte  das  4.  Lebensjahr  ohne  namhafte  Störung 
ihrer  Gesundheit.  In  diesem  Alter  entwickelte  sich  eine  sogenannte  lymphatische  Ge- 
schwulst an  dem  rechten  Ellbogengelenke.  Sie  überstand  die  Masern,  und  in  der  Pe- 
convalescenz  litt  sie  an  einer  hartnäckigen  entzündlichen  Affection  der  Augenlider.  Mit 
einem  grünlichen  Scheine  hinter  der  erweiterten  Pupille  begann  jetzt  die  verderbliche 
Krankheit;  derselbe  ging  in  eine  nebelgraue  Trübung  über,  und  die  Sehkraft  nahm  bis 
■zur  gänzlichen  Blindheit  ab.  Bei  der  fortschreitenden  Afterbildung  in  dem  Bulbus 
gruppirten  sich  venöse  Aderstränge  im  äussern  Augenwinkel,  und  es  entstand  eine  An- 
schwellung, auf  welcher  ein  linsengrosser  Knoten,  die  Sclerotica  durchdringend,  erschien. 
Heranwachsend  spannte  derselbe  das  obere  Lid  dergestalt  empor,  dass  das  Auge  nicht 
-mehr  geschlossen  werden  konnte.  Jenes  entzündete  sich  stark  und  schwoll  an.  Jetzt 
hatte  der  Krankheitsprocess  mit  der  Akme  seinen  Wendepunkt  erreicht.  Anstatt  einer 
fortschreitenden  Wucherung  begann  ganz  unerwartet  der  Rückbildungsprocess.  Die 
Excrescenz  schrumpfte  von  nun  an  dermassen  ein,  dass  das  Auge  wieder  geschlossen 
-werden   konnte,    und    die   Peizungssymptome    desselben   zusehends   nachliessen.     Mit    der 

-    Von  AmmoE's  Zeitschrift,  Band  I.  Heft  5.  (1838),  S.  4S5. 


216  Aderhaut. 

Besserung  des  Auges  hielt  auch  das  Allgemeinbefinden  der  Kleinen  gleichen  Schritt.  Denn 
mit  dem  Verschwinden  des  Gastricismus  trat  eine  rege  Esslust  und  ein  gesünderes  Aus- 
sehen ein.  —  Doch  nicht  lange  dauerte  die  tauschende  Besserung.  Es  entwickelte  sich 
der  Gastricismus  von  neuem  mit  gleichem  Verluste  der  Esslust,  und  Patientin  starb  bald 
darauf  sehr  abgemagert  nach  einem  Krankheitsverlaufe  von  6  Monaten.  —  Das  Heilver- 
fahren bestand  bei  der  vorhandenen  Neigung  zu  Obstructio  alvi  und  einiger  Intumescenz 
des  Bauches  in  kleinen  Dosen  Rheum  etc.  —  Die  Section  der  Leiche  wurde  nicht  ge- 
stattet, die  des  kranken  Auges  ergab  folgendes  Resultat :  Vermittelst  eines  dünnen  Stiels 
entsprang  das  Medullarsarcom  aus  der  Lamina  cribrosa  n.  optici ;  die  verdickte  Chorioidea 
lag  unmittelbar  auf  dem  Aftergebilde,  welches  bis  auf  den  Umfang  einer  Haselnuss 
zurückgegangen  war.  Die  verdunkelte  Linse  befand  sich  in  der  vordem  Augenkammer. 
Die  Iris  war  ebenfalls  verdickt,  die  Pigmentabsonderung  sehr  stark.  Von  der  Retina 
war  keine  Spur  mehr  vorhanden. 

Es  ist  zu  bedauern ,  dass  der  Sectionsbefund  des  Auges  so  mangelhaft  aufgenom- 
men worden  ist.  Das  haselnussgrosse  Gebilde ,  welches  nach  Dr.  Praels  Angabe  mittelst 
eines  dünnen  Stieles  von  der  Lamina  cribrosa  entsprang,  war  wohl  kein  Medullarsarcom, 
sondern  die  nach  innen  gedrängte  und  den  Rest  des  Glaskörpers  umschliessende  Netz- 
haut. —  Ich  habe  leider  noch  keine  Gelegenheit  gehabt,  derart  erkrankte  Augen  zu 
seciren,  noch  einen  genauen  Sectionsbefund  irgendwo  in  der  Literatur  aufzufinden.  Es 
hat  jedoch  die  Annahme,  dass  die  Chorioidea  das  Gebilde  sei,  von  welchem  der  Process 
ausgeht,  und  dass  dieser  in  Tuberkelablagerung  bald  mit,  bald  ohne  serösen  Erguss  be- 
stehe, die  meiste  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Die  von  mir  beobachteten  5  Individuen, 
zwei  Knaben  und  drei  Mädchen,  boten  deutliche  Zeichen  von  Scrofulosis  dar. 

C.  Anna,  5  Jahre  alt,  blond,  hager,  schlecht  genährt,  wurde  von  einer  Person, 
welche  über  die  Anamnesis  keinen  Aufschluss  zu  geben  vermochte,  auf  die  Augenklinik 
gebracht.  Wir  fanden  den  rechten  Bulbus  auf  '/3  des  normalen  Volumens  eingeschrumpft, 
in  der  Gegend  des  M.  rectus  inferior  und  internus  mit  tiefen  Furchen  versehen,  die 
Hornhaut  um  die  Hälfte  kleiner,  von  oben  und  innen  nach  unten  und  aussen  2"',  von 
oben  und  aussen  nach  unten  und  innen  2V2'"  im  Durchmesser  haltend,  vollkommen 
durchsichtig,  bis  auf  zwei  lineare  kreideweisse  Streifen,  wovon  der  eine  fast  horinzontal, 
der  andere  fast  vertical  verlief,  die  Iris  rückwärts  gezogen ,  die  kleine  winklige  Pupille 
durch  einen  gelblichweissen ,  kalkig  aussehenden  Pfropfen  verlegt.  Das  linke  Auge  von 
normaler  Grösse,  etwas  weicher,  die  vordem  Ciliargefässe  etwas  stärker  injicirt,  die 
Hornhaut  vollkommen  gewölbt  und  durchsichtig,  die  Iris  auf  einen  schmalen  stahlgrauen 
Reifen  zusammengeschrumpft,  nach  oben  ganz  fehlend,  die  Linse  und  ihre  Kapsel  voll- 
kommen durchsichtig,  letztere  jedoch  unterhalb  ihres  Centrums  mit  einem  röthlichen 
Fleckchen  besetzt,  welches  sich  unter  der  Loupe  als  ein  Convolut  feiner  Gefässchen  er- 
wies, ohne  dass  man  diese  bis  zur  Peripherie  hin  verfolgen  konnte.  Der  Grund  des  Auges 
metallisch  glänzend,  in  den  untern  zwei  Dritteln  blassgoldgelb,  in  dem  obern  Drittel 
trüb  gelblichgrau.  Die  reflectirende  Fläche  zeigt  die  Form  eines  Trichters  mit  unregel- 
mässig eingebogenen  Wandungen,  dessen  Spitze  der  Eintrittsstelle  des  N.  opticus  ent- 
spricht. An  der  äussern  und  untern  Wand  dieses  Trichters  lassen  sich  deutlich  Blut- 
gefässchen wahrnehmen.  Oberhalb  der  Cornea  und  nahe  an  derselben,  also  entsprechend 
der  Stelle,  wo  die  Iris  ganz  verschwunden  erscheint,  ist  die  Sclera  in  einen  flachen, 
bläulichen ,  länglichen  Hügel  erhoben ,  welcher  sich  bis  in  die  Gegend  des  Äquators 
rückwärts  erstreckt,  \ind  von  einem  dichten  Gefässconvolut  mit  deutlicher  Auflockerung- 
der  Bindehaut  umgeben  ist. 


Entzündung  —  scrofulose  —  Krankengeschichten.  217 

H.  J.,  geboren  IS36,  seit  einem  halben  Jahre  total  erblindet,  bot  (Anfang  1S48) 
folgenden  Znstand  dar.  Rechtes  Auge.  Die  Grösse  scheint  normal  zu  sein,  die  Con- 
sistenz  ist  vermindert.  Die  vollkommen  durchsichtige  und  spiegelglatte  Hornhaut  ist 
grösser  (Durchmesser  an  der  Basis  5'/a — 6'"))  scheinbar  jedoch  nicht  wirklich  stärker 
gewölbt ,  wenigstens  erscheint  das  Spiegelbild  von  den  gegenüberstehenden  Fenster- 
rahmen genau  so  gross,  wie  an  einem  in  gleicher  Entfernung  und  Richtung  befindlichen 
normalen  Auge.  Die  Cornea  liegt  etwas  weiter  vorn,  als  im  normalen  Zustande,  was 
dadurch  bedingt  ist,  dass  der  noch  von  Bindehaut  und  von  Sclera  eingefasste  Rand 
derselben  ausgedehnt,  im  obern  Umfange  5 '\'",  im  untern  3/*'",  zu  beiden  Seiten  über 
i  2"  breit  ist.  Die  vordere  Augenkammer  erscheint  demgemäss  mindestens  noch  einmal 
so  gross,  als  sonst  in  diesem  Alter.  An  dieser  Vergrößerung  hat  jedoch  auch  der  Um- 
stand Autheil ,  dass  die  Iris  zurückgezogen  erscheint.  Der  Ciliarrand  der  Iris  scheint 
seine  normale  Lage,  relativ  zur  Sclera,  einzunehmen ;  der  Pupillarrand  ist  an  die  Linsen- 
kapsel angewachsen ;  die  zwischen  dem  Ciliar-  und  dem  Pupillarrande  befindliche  Portion 
der  Iris  (der  grosse  Kreis)  erscheint  deutlich  rückwärts  gezogen ,  liegt  tiefer  als  der 
Pupillar-  und  Ciliarrand,  und  bildet  somit  eine  flache  Rinne  oder  Mulde;  daher  sind 
die  Fasern  der  im  Allgemeinen  graugrünlich  aussehenden  Iris  in  der  Mitte  aus  ein- 
ander gezerrt,  und  stellen  ein  grobmaschiges  Netz  mit  dunkleren  Flecken  (Grübchen) 
dar:  dieses  Auscinnnderweicben  ist  besonders  in  der  untern  Hälfte  so  stark,  dass  es 
scheint,  als  könnte  man  nach  hinten  durchsehen.  Die  Pupille  ist  etwa  VI*'"  gross, 
wenig  entrundet  und  durch  eine  gelblichweisse ,  undurchsichtige,  solide  Masse  verlegt. 
Diese  Masse  ist  in  der  Mitte  hellroth  gefärbt,  wie  von  ausgetretenem  Blute.  Schon 
mit  freiem  Auge  sieht  man  einzelne  Gefässchen  von  dieser  Stelle  zum  Pupillarrande 
der  Iris  (in  der  untern  Hälfte)  hinlaufen.  Unter  der  Loupe  löst  sich  auch  die  hell- 
rothe  Mitte  in  ein  Convolut  äusserst  feiner  Gefässchen  auf,  welche  durch  die  etwas 
stärkeren  Gefässchen  mit  dem  Pupillarrande  in  Verbindung  stehen.  Auf  der  Sclera 
sieht  man  die  Gefässe,  welche  von  den  Muse,  rectis  herkommen,  stark  erweitert,  unter 
der  Bindehaut  sich  in  ein  äusserst  feines  Gefässnetz  ausbreitend,  das  um  so  dichter  und 
feiner  wird,  je  näher  es  der  Cornea  rückt;  dadurch  erhält  die  ganze  sichtbare  Sclera 
ein  blassrosenrothes  Aussehen. 

Linkes  Auge.  Dasselbe  ist  nicht  nur  weicher,  sondern  auch  kleiner,  was  man 
nebst  dem  Augenschein  auch  an  dem  veränderten  Stande  der  Falte  des  obern  Lides 
erkennt.  Die  linke  Cornea  ist  stärker  gewölbt;  das  Bild  der  Fensterrahmen  erscheint 
kleiner  als  an  dem  rechten  und  als  an  einem  gesunden  Auge.  In  dem  nach  unten  und 
aussen  gelegenen  Quadranten  derselben  ist  die  Durchsichtigkeit  beeinträchtigt,  wie  es 
scheint,  durch  verkalktes  Exsudat  (wolkig,  kreidig,  weissgelblich).  An  dieser  Stelle  ragt 
die  Oberfläche  der  Cornea  ein  wenig  mehr  vor,  ist  uneben,  rauh.  Gefässentwicklung  in 
der  Cornea  lässt  sich  auch  mit  der  Loupe  keine  erkennen.  Die  vordere  Kammer  ist 
auf  ähnliche  Weise  wie  rechts  vergrössert,  doch  nicht  so  stark,  und  die  Cornea  misst 
an  der  Basis  nicht  ganz  5'".  Die  Pupille  ist  durch  eine  weissgelbe,  solide,  kalkartig 
aussehende  Masse  verlegt,  welche  ein  wenig  über  das  Niveau  des  Pupillarrandes  nach 
vorn  emporragt.  Die  Iris  grünlich-grau,  das  Grau  dunkler,  beinahe  schiefergrau.  Vom 
Pupillarrande  der  Iris  ziehen  eine  Menge  äusserst  feiner,  bloss  durch  die  Loupe  be- 
merkbarer Gefässe  über  die  Masse  in  der  Pupille  hin.  Die  Verkleinerung  des  Bulbus 
fällt  hauptsächlich  auf  das  Geschrumpftsein  der  hintern  zwei  Drittel  des  Bulbus ;  na- 
mentlich nach  innen  und  unten  erscheint  die  Sclera  eingezogen ,  so  dass  man  daselbst 
eine  förmliche  Grube  bemerkt. 


218  Aderhaut. 

Der  Knabe  sieht  gesund  aus.  Er  ist  auffallend  blond,  die  Augenbrauen  sind  so 
licht  wie  bei  Kakerlaken,  das  Kopfhaar  ist  röthlich,  die  Gesichtsfarbe  hellroth.  Er  ist  gut 
genährt  und  gehörig  entwickelt.  Bei  Untersuchung  der  Schleimhäute  zeigte  sich  eine  so 
starke  Vergrösserung  der  Mandeln,  dass  zwischen  beiden  nur  etwa  der  kleine  Finger  hätte 
durchgeführt  werden  können.  —  Die  Eltern  sollen  gesund  sein.  Der  Knabe  gibt  an,  dass 
ihn  sein  Kindermädchen,  als  er  V2  Jahr  alt  war,  an  die  Sonne  gelegt,  und  er  davon  ein 
schwaches  Gesicht  bekommen  habe.  Als  er  5'i  Jahr  alt  war,  bemerkte  man,  dass  er  öfters 
über  Gegenstände  im  Zimmer  stolperte.  Doch  sah  er  bis  in  sein  11.  Jahr  so  viel,  dass 
er  allein  herumgehen  konnte,  und  mit  dem  rechten  Auge  auch  endlich  anfing,  etwas  lesen 
zu  lernen.  Das  linke  Auge  soll  bereits  in  seinem  7.  Lebensjahre  gänzlich  erblindet  gewesen 
sein.  Die  völlige  Erblindung  des  rechten  Auges  erfolgte  in  seinem  11.  Jahre,  angeblich 
über  eine  Nacht,  unter  Köthe  des  Auges,  doch  ohne  Schmerzen.  Zu  bemerken  ist,  dass 
er  im  7.  Jahre,  vor  der  Erblindung  des  rechten  Auges,  eine  Krankheit  überstanden,  welche 
aller  "Wahrscheinlichkeit  nach  Scarlatina  war. 

Ich  sah  den  Knaben,  der  in's  Blindeninstitut  aufgenommen  wurde,  bis  jetzt,  wo 
er  17  Jahre  alt  ist,  von  Zeit  zu  Zeit  daselbst.  Das  rechte  Auge  ist  nun  in  demselben 
Zustande  wie  früher  das  linke,  das  sich  seitdem  nicht  verändert  hat.  Man  sieht  nun 
auch  in  der  rechten  Hornhaut  einige  wolkige  kreideähnliche  Flecken  und  Streifen,  und 
die  Gefässentwicklung  in  der  Pupille  ist  beiderseits  verschwunden.  Das  rechte  Auge 
ist  noch  immer  etwas  grösser  als  das  linke.  Ich  habe  bei  ihm,  seit  er  im  Blinden- 
institute  ist,  zu  wiederholten  Malen  Anschwellungen  der  Lymphdrüsen  am  Halse 
beobachtet. 

6.   Chorioiditis  rheumatica. 

In  Folge  von  Zugluft  oder  von  plötzlicher  Abkühlung  des  Kopfes 
entstellt  bisweilen  Chorioiditis  mit  serösem  oder  faserstoffig  serösem 
Exsudate.  Ihr  Beginn  kündigt  sich  dem  Betroffenen  entweder  bloss 
durch  Beeinträchtigung  des  Sehvermögens  oder  auch  zugleich  durch 
mehr  weniger  lebhafte  Schmerzen  im  Auge  und  der  Umgebung,  durch 
Empfindlichkeit  gegen  das  Licht,  Thränenfluss  und  Röthe  des  Weissen 
im  Auge  an. 

Die  Störung  des  Gesichtes,  welche  hier  immer  das  eminente  Sym- 
ptom bildet,  bemerkt  der  Kranke  Morgens  beim  Erwachen,  oder  wenn 
er  seine  gewohnte  Arbeit  vornehmen  will.  Das  ergriffene  Auge  blendet 
ihn,  oder  bewirkt  Doppeltsehen,  gibt  ein  Schattenbild  neben  dem  wah- 
ren, lässt  eine  gerade  Linie  krumm,  an  einem  Ende  auseinander 
fahrend  erscheinen  u.  dgl.  und  muss  desshalb  geschlossen  oder  ver- 
bunden gehalten  werden,  oder  die  Sehkraft  desselben  ist  ganz  aufge- 
hoben, was  jedoch,  ausser  in  sehr  heftigen  oder  in  veralteten  und  miss- 
handelten Fällen,  meistens  nur  einen  Theil  der  Netzhaut  betrifft. 

Zu  Anfang  ist  es  meistens  eine  nach  aussen  (aussen  und  oben,  aussen  und  unten) 
gelegene  Partie  der  Netzhaut,  welche  allein  oder  vorwaltend  in  ihrer  Function  beeinträch- 
tigt ist.  Der  Kranke  sieht  z.  B.  tou  einem  weissen  Bogen  Papier  die  eine  Hälfte  rein, 
die  andere  schmutzig  weiss,   grau,    gelblich,    grünlich,    oder  auch  gar  nicht;  er  muss,  um 


Entzündung  —  rheumatische  —  Symptome.  219 

mit  dem  afficirten  Auge  ein  Object  zu  sehen,  dasselbe  einer  seitlichen  Partie,  gewöhn- 
lich der  innem  der  Netzhaut  gegenüber  halten,  also  schief  sehen.  Später  pflegt  mehr 
die  untere  Hälfte  der  Netzhaut  zu  leiden,  indem  der  Kranke  nur  die  untere  Hälfte  der 
Objecte  wahrnimmt,  eine  Erscheinung,  welche  auf  allmälige  Senkung  des  flüssigen  Er- 
gusses zu  deuten  scheint.  Die  Begrenzungslinie  zwischen  dem  Deutlichen  und  Undeut- 
lichen oder  Fehlenden  des  Sehfeldes  ist  gerade  oder  zackig,  meistens  wellenförmig. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  ist  sie,  wenigstens  in  früherer  Zeit,  wandelbar,  ohne  dass 
man  einen  bestimmten  Zusammenhang  mit  der  Lageveränderung  des  Kopfes  nach- 
weisen kann. 

Empfindlichkeit  gegen  das  Licht,  Thränenfluss  und  stärkere  Injection 
in  und  unter  der  Conjunctiva  bulbi  pflegen  nur  während  und  kurze 
Zeit  nach  erfolgter  Exsudation  vorhanden  zu  sein.  Dasselbe  gilt  von 
dem  Gefühle  von  Spannung  oder  Druck  im  Auge.  Länger  fortzube- 
stehen pflegen:  Seröse  Infiltration  der  Conjunctiva  an  der  Peripherie 
des  Bulbus,  reissende  oder  schneidende  Schmerzen  in  der  entsprechen- 
den Kopfhälfte,  und  ein  mehr  weniger  hoher  Grad  von  Lähmung  des 
Levator  palpebrae  superioris  oder  des  M.  rectus  extemus.  Doch  kann 
jeder  dieser  Zufälle  gleich  von  Anfang  oder  doch  zur  Zeit  der  ärzt- 
lichen Beobachtung  fehlen. 

Die  erstgenannten  Symptome  werden,  wenn  die  Störung  des  Gesichtes  nicht  be- 
trächtlich ist,  der  Kranke  sie  nicht  besonders  hervorhebt,  der  Arzt  sie  nicht  durch  ge- 
naue Sehversuche  bei  Verse  hliessung  des  gesunden  Auges  erhebt,  überhaupt  bei  ober- 
flächlicher Beobachtung  leicht  für  Zufälle  eines  Bindehautkatarrhes  genommen.  Die 
seröse  Infiltration  lässt  sich  am  sichersten  durch  Vergleichung  mit  dem  nicht  afficirten 
Auge  und  durch  Verschieben  der  Conjunctiva  mittelst  des  an  den  Bulbus  angedrückten 
untern  Lides  (von  der  Peripherie  her)  erkennen.  Geringe  Affection  des  Levator  pal- 
pebrae verräth  sich  oft  nur  durch  veränderte  Lage  der  Falte  des  obern  Lides  zum 
Augenbrauenbogen.  Die  Lähmung  eines  der  geraden  Augenmuskel  gibt  sich  nur  dann 
durch  Schiefstehen  des  Auges  und  durch  Doppeltsehen  kund,  wenn  der  Anatagonist  bereits 
«in  starkes  Übergewicht  gewonnen  hat,  und  die  Energie  der  Netzhaut  nicht  zu  tief  ge- 
sunken ist.  Leichte  Grade  von  Beeinträchtigung  der  Energie  eines  geraden  Augen- 
muskels lassen  sich  dadurch  erkennen,  dass  kleinere  scharf  markirte  Objecte  (eine 
verticale  Linie  auf  weissem  Papier,  ein  polirtes  Metallstäbchen,  eine  Kerzenflamme  u.  dgl.) 
doppelt  oder  wie  von  einem  Schattenbilde  gefolgt  erscheinen,  wenn  man  sie  in  gleich- 
bleibender Entfernung  vor  beiden  Augen  langsam  von  rechts  nach  links  oder  von  unten 
nach  oben  —  und  umgekehrt  —  bewegt.  —  Ein  Kranker  mit  einem  kaum  merklichen 
Grade  von  Lähmung  des  M.  rectus  ext.  oc.  sin.  und  geringer  Gesichtsstörung  des  linken 
Auges  klagte,  dass  er  seit  S  Tagen  mit  dem  linken  Auge  nichts  (i.  e.  schlecht)  sehe, 
und  dass  er  auch  mit  beiden  Augen  zugleich  nicht  gut  lesen  könne,  indem  an  jedem 
Buchstaben  gleichsam  ein  Schattenbild  hänge.  Ich  Hess  ihn  einen  kleinen  Schlüssel 
(vertical  gehalten)  in  der  Entfernung  von  10-12"  fixiren.  Mit  dem  rechten  Auge 
allein  erkannte  er  ihn  rein  metallisch  glänzend,  mit  dem  linken  matt  und  undeutlich, 
mit  beiden  Augen  so,  als  ob  ein  Schatten  daran  hinge.  Wurde  nun  der  Schlüssel 
vom  Mittelpunkte  des  Horopters  nach  rechts  bewegt,  so  schien  der  Schatten  abzunehmen ; 
wurde   der  Schlüssel   dagegen    nach   links   abgelenkt,    so  trat  das  Schattenbild  deutlicher 


220  Aderhaut. 

hervor  und  entfernte  sich  mehr  von  dem  reinen  Bilde.  Aus  der  blossen  Stellung  und 
Bewegung  des  Auges  liess  sich  in  diesem  Falle  die  Muskelaffection  nicht  erkennen. 
Der  Mann,  36  Jahre  alt,  von  blühend  gesundem  Aussehen,  und  ausser  einigen  rheuma- 
tischen Affectionen  in  der  linken  Schulter,  die  er  durch  russische  Dampfbäder  verloren 
hatte,  seit  Jahren  von  keiner  Gesundheitsstörung  heimgesucht,  genas  in  sechs  Tagen 
vollständig  nach  Anwendung  eines  Vesicans  an  die  Stirn  und  Schläfe,  bei  ruhigem  und 
warmem  Verhalten  im  Zimmer  und  dem  Gebrauche  von  Saidschützer  Bitterwasser. 

Die  Iris  und  die  Pupille  liefern  bei  geringeren  Graden  dieses  Lei- 
dens keine  Anhaltspunkte  für  die  Diagnosis.  Bei  mittlem  Graden  findet 
man  die  Pupille  nur  massig  erweitert,  die  Iris  etwas  träger  beweglieh, 
bisweilen  auch  etwas  verfärbt  (das  Blau  in's  Grünliche  verwandelt); 
nur  bei  völliger  Erblindung  ist  der  Sphincter  iridis  gelähmt,  die  Pupille 
gross  und  starr. 

Die  Fälle,  wo  bei  weiter  und  starrer  Pupille  in  der  vordem  Augen- 
kammer faserstoffiges  Exsudat  angesammelt  erscheint,  als  Hypolympha 
oder  in  Form  von  Punkten  an  der  hintern  Wand  der  Cornea,  gehören 
unter  die  seltensten.  Häufiger  dagegen  treten  mit  den  Zeichen  der 
Chorioiditis  die  von  fritis  auf  Einen  eclatanten  Fall  dieser  Art  haben 
wir  S.  83  mitgetheilt. 

Leichtere  Fälle  dieser  Art  heilen  bei  gehörigem  Verhalten  des 
Kranken  von  selbst.  Mittlere  und  selbst  hohe  Grade  —  mit  vollstän- 
diger Unterdrückung  der  Netzhautfunction  —  gestatten  immer  noch 
eine  günstige  Prognosis,  zumal  wenn  der  Druck  auf  die  Netzhaut  noch 
nicht  lange  besteht,  das  Individuum  Gelegenheit  und  festen  Willen  zu 
der  nöthigen  Behandlung  hat,  und  nicht  etwa  der  Eintritt  von  Glaucom 
wegen  constitutioneller  Verhältnisse  desselben  zu  fürchten  ist.  (Ver- 
gleiche Glaucom  S.  198.) 

Rücksichtlich  des  Vorkommens  ist  zu  bemerken,  dass  ich  diese 
Affection  fast  nur  in  den  mittlem  Lebensjahren  (20 — 40)  beobachtet 
habe.  Damit  soll  jedoch  nicht  gesagt  sein,  dass  sie  nicht  auch  früher 
oder  später  vorkommen  könne.  Die  Individuen  waren  meistens  ausser- 
dem vollkommen  gesund,  wenigstens  von  blühendem  Aussehen  und 
kräftiger  Muskulatur.  Viele  hatten  bereits  an  anderweitigen  rheuma- 
tischen Affectionen  gelitten;  einige  bezeichneten  Muskelrheumatismus 
als  die  einzige  Krankheit,  die  sie  heimgesucht  hatte.  Eine  Kranken- 
wärterin wurde  in  Zeit  von  4  Jahren  zweimal  von  demselben  Leiden 
an  dem  linken  Auge  befallen. 

Wenn  irgendwo,  so  ist  es  gewiss  bei  Krankheiten  der  Netzhaut,  sie  mögen  nun 
primär  oder  seeundär  auftreten,  wo  der  Arzt  volle  Ursache  hat,  alle  Umstände  genau 
zu  erheben,  unter  welchen  die  Störung  des  Gesichtes  zuerst  bemerkt  wurde,  was  der- 
selben   mittel-    und    unmittelbar     vorausging,     womit    sich   der  Kranke   zu   beschäftigen 


Entzündung  —  rheumatische  —  Behandlung.  221 

pflegte  u.  s.  w.  Nur  auf  diese  Weise  erfuhren  wir  in  mehreren  Fällen  die  Veranlassung 
zu  diesem  Übel,  ohne  uns  nur  im  mindesten  der  Gefahr  ausgesetzt  zu  haben,  dem 
Krauken  die  Antwort  in  den  Mund  zu  legen.  Es  bedurfte  mehrmals  nur  einer  Recapi- 
tulation  des  ganzen  Verhaltens  des  Kranken  einen  oder  einige  Tage  vor  der  ersten 
Wahrnehmung  des  Augenleidens,  um  von  dem  Kranken  unzweifelhafte  Angaben  zu  er- 
halten ;  die  Aussagen  der  Kranken  allein  geben  indessen  keine  Sicherheit,  da  viele  der- 
selben nur  zu  leicht  von  vermeintlicher  Verkältung  Affectionen  herleiten,  welche  nach- 
weisbar von  andern  Ursachen  abstammen. 

Behandlung.  Vor  Allem  muss  dafür  gesorgt  werden,  dass  der 
Kranke  der  Zugluft,  dem  Temperaturwechsel  u.  dgl.  entzogen  werde. 
Er  muss,  wenn  nicht  im  Bette,  so  doch  mindestens  in  einem  trockenen 
warmen  Zimmer  gehalten  werden.  Bei  Lichtscheu,  Schmerzen  und 
lebhafter  Gefässinjection  beginne  man  die  Cur  mit  einer  örtlichen  Blut- 
entziehung  (Blutegel  an  die  Schläfe,  blutige  Schröpfköpfe  an  die  Kreuz- 
und  Lendengegend),  lasse  sofort,  wenn  die  Schmerzen  es  erheischen, 
LTng.  cinereum  mit  Opium  an  die  Stirn  und  Schläfe  einreiben,  die  ent- 
sprechende Kopfhälfte  mit  einem  trockenen  gewärmten  Leintuche  be- 
deckt halten,  und  verabreiche  innerlich  nebst  reichlichen  lauwarmen 
Getränken  bei  kräftigen  Individuen  Tart.  stibiatus  r.  d.  mit  einem 
Mittelsalze,  bei  Schwächlichen  oder  zu  Diarrhöe  Inclinirten  Pulv,  Doveri. 
Beer*),  welcher  die  hieher  gehörigen  Fälle  als  Amaurosis  rheumatica 
beschrieben  hat,  worin  ihm  Rosas  u.  A.  gefolgt  sind,  empfiehlt  Extr. 
quajaci  mit  Camphora,  nach  Milderung  der  Schmerzen  Extractum  aconiti 
mit  Antimonialpräparaten  und  Schwefelblumen.  Wenn  die  Zeichen, 
welche  zur  Antiphlogose  auffordern,  bereits  verschwunden  sind,  und 
Wiedererregung  derselben  nicht  zu  besorgen  steht,  geht  man  zu  ört- 
lichen Reizmitteln  über.  Günstige  Wirkung  erhielt  ich  durch  fliegende 
Yesicantien  an  die  Stirn  und  Schläfe,  jeden  zweiten  Tag  1 — l*/2 
Quadratzoll  Empl.  canthar.  an  eine  andere  Stelle  der  Cutis  aufgelegt, 
von  Einreibungen  einer  Salbe  aus  1—2  Tropfen  Oleum  crotonis  Tiglii 
mit  1  Drachme  Fett,  von  2 — 3  Gran  Veratrin  mit  demselben  Vehikel 
allein  oder  zugleich  mit  4—5  Gran  Jodkali,  von  der  Magnetelektricität 
(einen  Pol  an  das  obere  Lid,  den  andern  hinter  das  Ohr  oder  an  den 
Nacken  angelegt). 

Folgenden  Fall  entlehne  ich  aus  Fischers  Lehrbuche  S.  190  als  ein  etwas  selte- 
neres Beispiel  einer  heftigen  selbstständigen  Chorioiditis  rheumatica.  ,,A.  P. ,  eine  24jäh- 
rige  torpide  Wollsortirerin,  litt  seit  ihrer  Jugend  an  den  Augen.  Ihre  Katamenien,  die 
im  IS.  Jahre  spärlich  aufgetreten,  flössen  erst  nach  der  Geburt  des  zweiten  Kindes 
häufiger.  Vor  S  Jahren  überstand  sie  eine  Hämoptoe.  Zwei  Tage  vor  der  Aufnahme 
in  die  Anstalt  arbeitete  sie  in  einer  schlecht  verwahrten,  der  Zugluft  ausgesetzten  Küche, 
und   fühlte  in  der  darauf  folgenden  Nacht  heftige,    stechend  reissende,    halbseitige  Kopf- 

*)  Lehre  von  den  Augenkrankheiten.    1S17.    Bd.  II.  S.  526. 


222  Aderhaut. 

schmerzen,  später  starke  Lichtscheu  und  Thränenfluss  des  linken  Auges.  Nebst  den  ge- 
nannten Symptomen,  die  durch  kalte  Wasserüberschläge  unerträglich  gesteigert  wurden,, 
fanden  wir  bei  der  ganz  fieberlosen  Kranken  in  der  Sclera  einen  2'"  breiten  rosenrothen 
Saum  um  die  Cornea,  welche  letztere  in  der  Mitte  etwas  getrübt  war.  Die  sonst  blaue 
Iris  erschien  hellgrün,  unbeweglich,  die  Pupille  ein  wenig  erweitert,  doch  vollkommen  rund. 
In  der  vordem  Augenkammer  befand  sich  ein  Hypopyum,  das  Sehvermögen  war  voll- 
kommen aufgehoben.  Es  wurden  örtliche  Blutentziehungen  gemacht,  Calomel  und  Ung. 
einer,  verordnet.  In  der  darauf  folgenden  Nacht  entwickelte  sich  eine  so  grosse  ent- 
zündlich üdematöse  Geschwulst  der  Lider,  der  Schläfe  und  Wangengegend,  dass  nur 
mit  Mühe  ein  Theil  der  normal  weissen  Sclera  sichtbar  gemacht  werden  konnte.  (Diese 
Geschwulst  war  wohl  nur  Folge  der  Blutegelstiche.)  Nach  einem  Diaphoreticurn  mit 
Brechweinstein  und  nach  Anwendung  trockener  Wärme  sank  die  Geschwulst  etwas,  und 
wir  erblickten  den  3.  Tag  einen  blassrothen,  um  die  Cornea  laufenden  ConjunctivalwaÜI, 
der  sich  in  die  Lidspalte  einklemmte.  Die  Kranke  klagte  über  ein  Gefühl,  als  würde 
der  Augapfel  aus  der  Höhle  gepresst,  dann  über  heftiges  remittirendes  Stechen  im 
Bulbus,  welches  sich  durch  die  Bewegung  des  letzteren  sehr  verschlimmerte.  Gleich- 
zeitig wurde  die  Iris  des  rechten  Auges  gegen  den  Pupillarrand  hin  grünlich.  Unter 
diesen  fast  trostlosen  Umständen  Hessen  wir  kräftige  Einreibungen  der  Autenriethschen 
Salbe  zwischen  die  Schulterblätter  machen,  und  gaben  innerlich  eine  Auflösung  des 
Tart.  emet.  r.  d.  Die  heftigen  Schmerzen  minderten  sich  und  die  Patientin  konnte 
wieder  Stunden  lang  schlafen.  Schon  den  4.  Tag  überraschte  uns  die  Kranke,  obschon 
sich  die  objeetiven  Symptome  nicht  geändert  hatten,  mit  der  Äusserung,  sie  habe  beim 
Öffnen  der  Lider  die  Hand  erkannt.  Die  objeetiven  Symptome  traten  nun  allmälig 
zurück,  das  Sehvermögen  nahm  allmälig  zu,  und  die  Kranke  verliess  am  15.  Tage  nach 
ihrer  Aufnahme  unsere  Klinik,  ohne  die  geringste  Spur  einer  überstandenen  Augen- 
krankheit." 

Ein  Student  kam  Ende  Jäner  1853  auf  die  Klinik,  weil  er  mit  dem  rechten  Auge 
seit  4  Wochen  schlecht  sah,  und  dasselbe  ihn  auch  im  Gebrauche  des  linken  (durch 
Blendung  und  Doppeltsehen)  hinderte.  Wir  fanden  ausser  den  Merkmalen  massiger 
Kurzsichtigkeit  beider  Augen  (grössere  Augenkammer  und  etwas  stärkere  Injection  der 
vordem  Ciliargefässe)  weder  an  dem  einen  noch  an  dem  andern  Auge  etwas  Abnormes. 
Er  konnte  mit  dem  rechten  Auge  allein  nicht  nur  nicht  lesen,  sondern  auch  selbst 
grössere  Gegenstände  (auch  Personen)  in  gerader  Bichtung  nicht  erkennen.  Aus  den 
Angaben  des  Kranken  ergab  sich,  dass  ungefähr  2/3  der  Netzhaut  in  ihrer  Function*  be- 
einträchtigt waren,  das  nach  innen  und  unten  gelegene  Drittel  wenig  oder  gar  nicht 
litt.  Hielt  man  ihm  ein  weisses  Blatt  Papier  vor,  so  sah  er  nur  die  rechte  obere  Ecke 
deutlich,  das  Übrige  war  wie  mit  einem  dichten  grauen  Nebel  verdeckt;  er  erkannte 
auch  mit  Bleistift  darauf  geschriebene,  etwas  grössere  Buchstaben,  wenn  er  das  Blatt 
oder  das  Auge  in  die  entsprechende  Richtung  bringen  konnte.  Diese  Scheidung  des 
Sehfeldes  in  eine  dunkle  und  helle  Partie  hatte  er  gleich  zu  Aufang  der  Krankheit  be- 
merkt, jedoch  so,  dass  damals  beim  Versuche  zu  lesen  die  untere  Hälfte  des  Buches 
verdeckt  erschien.  Er  hatte  vor  acht  Tagen  einen  Arzt  zu  Bathe  gezogen;  da  er  sich 
aber  über  die  Art,  wie  das  Gesicht  gestört  sei,  nicht  näher  ausgesprochen,  und  der 
Arzt  die  Conjunctiva  bulbi  abnorm  injicirt  gefunden  hatte,  so  war  das  Übel  für  einen 
Augenkatarrh  gehalten  und  demgemäss  behandelt  worden. 

Der  junge  Mann,  24  Jahre  alt,  von  blühend  gesundem  Aussehen,  war  früher  nie- 
krank gewesen,  bloss  mehrere  Male,  besonders  wenn  er  sich  der  Zugluft  ausgesetzt  hatte,  von. 


Entzündung  —  rheumatische  —  Krankengeschichten.  223 

mehrtägigen  Schmerzen  in  den  Schultern  oder  im  Hinterhaupte  befallen  worden.  Da  er 
sich  eben  auf  die  Staatsprüfungen  vorbereitete,  hatte  er  seine  Augen  in  der  letztern 
Zeit  viel  angestrengt.  Er  wusste  keine  Veranlassung  zu  seinem  Leiden  anzugeben,  und 
bemerkte  nur,  dass  er  3  Tage  vor  dem  Ausbruche  desselben  (am  Sylvesterabend)  etwas 
mehr  getrunken  —  was  sonst  nie  seine  Gewohnheit  war,  und  erhitzt  in  der  kalten 
Nacht  durch  einige  Strassen  nach  Hause  gegangen  war.  Den  andern  Tag  war  er 
einigemal  von  einem  leichten  Frösteln  befallen  worden.  Als  ich  meinen  Zuhörern  er- 
klärte, man  könne  hier  füglich  nur  plötzlich  erfolgten  serösen  Erguss  zwischen  Chorioidea 
und  Netzhaut  annehmen,  wie  ich  ihn  namentlich  dann  beobachtet  habe,  wenn  der  er- 
hitzte Kopf  von  einem  kalten  Luftzuge  getroffen  worden  war,  erklärte  der  Kranke,  das 
müsse  wohl  auch  bei  ihm  der  Fall  sein,  indem  er  am  2.  Jäner  gegen  Abend  in  einem 
Kaffeehause,  wo  es  sehr  heiss  war,  so  zu  sitzen  gekommen  sei,  dass  ihn  der  Zug  von 
einem  offenen  Fenster  traf;  dieser  Zug  sei  ihm  unerträglich  gewesen,  so  dass  er  Anfangs 
sich  den  Kockkragen  aufstülpte,  und  als  diess  nichts  nützte,  endlich  das  Local  verliess. 
Und  noch  denselben  Abend  bemerkte  er,  als  er  lesen  wollte,  die  obgenannte  Erschei- 
nung, dass  ihn  das  linke  Auge  blendete,  und  dass  er  mit  demselben  nur  die  untere 
Hälfte  des  Buches  sah.  Am  3.  Jäner  hatte  sich  der  Zustand  in  so  fern  geändert,  dass 
die  Grenzlinie  zwischen  dem  hellen  und  dunkeln  Theile  des  Sehfeldes  nicht  mehr  hori- 
zontal, sondern  schief  von  links  oben  nach  rechts  unten  verlief,  so  dass  er  z.  B.  von 
einem  Buche  (mit  dem  rechten  Auge  allein)  nur  die  rechte  obere  Ecke  deutlich  sah. 
Der  helle  Theil  des  Sehfeldes  war  im  Verlaufe  von  4  Wochen  allmälig  immer  kleiner 
geworden,  so  dass  er  am  28.  Jäner  den  Eingangs  geschilderten  Zustand  darbot. 

Der  Kranke  wollte  nicht  in's  Spital  eintreten  und  blieb  beim  Gebrauche  gelinder 
Diaphoretica  zu  Hause  im  Bette.  Da  er  indess  daselbst  nicht  die  nöthige  Pflege  hatte, 
gab  er  am  31.  Jäner  meinen  ernsten  Vorstellungen  nach.  Der  Zustand  des  Auges  hatte 
sich  in  so  fern  gebessert,  dass  er  bereits  auch  in  gerader  Bichtung  die  vorgehaltenen 
Finger  zählen  und  Buchstaben  von  lfn"  Höhe  erkennen  konnte.  Die  Scheidung  des 
Sehfeldes  in  einen  dunkeln  und  hellen  Theil  war  nicht  mehr  deutlich,  ausser  bei  Be- 
trachtung kleiner  Objecte.  Betrachtete  er  (bei  verdecktem  linken  Auge)  einen  Druck  von  3"* 
Höhe,  so  erkannte  er  die  eben  fixirten  Buchstaben  nicht,  wohl  aber  die  etwa  '/a — 1"  nach 
aussen  befindlichen.  Fixirte  er  2  parallele  verticale  Linien,  so  traten  sie  in  der  Mitte 
näher  an  einander;  betrachtete  er  eine  etwa  20  Schritte  entfernte  Bettblende,  so  kam 
sie  ihm  in  der  Mitte  schmäler  vor;  zugleich  schienen  ihm  die  Objecte  näher  vor  dem 
rechten  Auge  zu  sein,  als  vor  dem  gesunden.  Horizontale  Linien  erschienen  nur  in  der 
Mitte  ein  wenig  wellenförmig  gekrümmt.  —  Buhe  im  Bette,  Sorge  für  gleichmässige 
Temperatur.  Vermeidung  grellen  Lichtes  und  aller  Sehversuche,  massig  restringirte  Kost, 
Decoct.  althaeae  mit  Glaubersalz  und  Brechweinstein  (V2  Gran).  Am  2.  Februar  konnte 
er  bereits  IV2"  hohen  Druck  bei  9 — 10"  Entfernung  lesen.  Fixirt  er  a)  2  parallele 
verticale,  0,5  Millim.  dicke  Linien,  welche  1,3  Millim.  von  einander  abstehen,  so  erkennt 
er  sie  an  der  fixirten  Stelle  noch  als  zwei,  aber  einander  stark  genähert ;  b)  2  eben  so- 
dicke  Linien  mit  0,5  Millim.  Abstand  verschmelzen  an  der  fixirten  Stelle  in  eine  dickere, 
und  zwar  sowohl  bei  verticaler  als  bei  horizontaler  Stellung.  Eine  einfache  verticale 
Linie  erscheint  an  der  fixirten  Stelle  gekrümmt,  und  zwar  mit  der  Convexität  nach 
rechts,  wenn  der  Bulbus  nach  aussen,  und  links,  wenn  er  nach  innen  gewendet  wird. 
An  horizontalen  Linien  bemerkt  der  Kranke  nur  eine  geringe  Schlängelung,  c)  Linien 
von  0,2  Millim.  Dicke  und  l  Millim.  Abstand  verschmelzen  an  der  fixirten  Stelle  sowohl 
bei   verticaler  als  bei  horizontaler  Richtung,     d)  "Wenn  dieselben  Linien  weiter  von  ein- 


224  Aderhaut. 

ander  abstehen,  1,5 —  2  Millim.,  so  verschwinden  sie  an  der  fixirten  |Stelle  beinahe,  indess 
sie  ober-  und  unterhalb  derselben  als  2  erkannt  werden,  e)  2  Linien  von  0,18  Millim. 
Dicke  und  0,5  Millim.  Abstand  werden  in  verticaler  Richtung  nur  als  eine  nicht  so 
schwarze  gesehen,  in  horizontaler  Richtung  als  zwei.  Der  fixirte  Theil  ist  bei  beiden 
Richtungen  undeutlich.  —  Nebst  der  frühern  Behandlung  noch  Einreibungen  Auten- 
riethscher  Salbe  zwischen  die  Schultern.  —  Am  4.  Februar  erkannte  er  die  unter  b,  c 
und  d  angeführten  Linien  auch  an  der  fixirten  Stelle  als  zwei,  die  Schlängelung  bei 
verticaler  Richtung  hatte  abgenommen,  und  Druck  von  1"'  Höhe  konnte  gelesen  wer- 
den. Bis  zum  10.  Febroar  wurde  ein  Vesicans  hinter  das  Ohr,  dann  an  die  Schläfe 
gelegt;  die  Besserung  des  Gesichtes  schritt  ohne  Unterbrechung  vorwärts.  An  diesem 
Tage  machte  der  Kranke  auch  die  Bemerkung,  dass  er  mit  dem  rechten  Auge  jetzt 
ohne  sein  gewohntes  Concavglas  besser  sehe,  als  mit  demselben,  wahrscheinlich  dess- 
halb,  weil  die  Netzhaut  noch  immer  durch  den  serösen  Erguss  zwischen  ihr  und  der 
Chorioidea  etwas  voiwärts  gedrängt  war.  Vom  20.  Februar  an  war  auch  die  Störung  des 
linken  durch  das  Doppelbild  des  rechten  Auges  verschwunden.  Dieses  Doppelbild  war, 
da  sich  durchaus  keine  Spur  von  Ablenkung  der  Sehachse  nachweisen  Hess,  wohl  nur 
dadurch  bedingt  gewesen,  dass  die  Netzhaut,  etwas  aus  ihrer  Lage  verdrängt  war.  Das 
dem  rechten  Auge  entsprechende  undeutliche  Bild  war  immer  etwas  unterhalb  des  deut- 
lichen (des  linken  Auges)  gesehen  worden.  Unter  der  Anwendung  einer  Salbe  aus  2  Gran 
Veratrin  und  5  Gran  Jodkali  auf  1  Dr.  Fett  an  die  Stirn  und  Schläfe  hatte  sich  das  Ge- 
sicht bis  [.  März  (dem  Tage  der  Redaction  dieses  Artikels)  so  weit  gebessert,  dass  der 
Kranke  mit  dem  rechten  Auge  schon  einen  zk'"  hohen  Druck  bei  6"  Entfernung  durch 
einige  Minuten  lesen  konnte.  Doch  erschienen  ihm  noch  alle  Gegenstände  vor  dem 
rechten  Auge  etwas  kleiner  und  2  parallele  verticale  Linien  an  der  fixirten  Stelle  ein- 
ander etwas  genähert. 

7.   Chorioiditis  traumatica. 

Nach  zufälligen  oder  absichtlichen  Verletzungen  des  Bulbus  sehen 
wir  Erscheinungen  auftreten,  welche  ausschliesslich  oder  vorzüglich 
durch  Entzündung  der  Chorioidea  bedingt  werden.  Das  zwischen  Netz- 
und  Aderhaut  eingeschobene  Exsudat  ist  vorwaltend  faserstoffig,  in 
heftigeren  Fällen  eitrig  schmelzend.  Der  Exsudationsprocess  tritt  ent- 
weder bloss  im  Bereiche  der  Chorioidea  auf,  und  führt  bei  wenig  oder 
gar  nicht  veränderter  Form  des  Bulbus  einfach  zur  Beschränkung  oder 
Vernichtung  der  Function  desselben,  oder  das  Leiden  tritt  als  Irido- 
chorioiditis  mit  Pupillensperre  und  consecutiver  Einschrumpfung  des 
Bulbus  auf,  oder  aber  es  werden  auch  der  Glaskörper,  die  Cornea,  so 
zu  sagen  alle  Gebilde  des  Auges  mit  ergriffen  —  PanOphthalmitis  — 
Function  und  Form  des  Auges  in  kurzer  Zeit  durch  Eiterung  im  Innern 
desselben  vernichtet. 

a.  Beschränkt  sich  der  Exsudationsprocess  auf  die  Chorioidea ,  so 
pflegen  die  entzündlichen  Zufälle  minder  heftig  zu  sein.  Selten  tritt 
deutliche  Schwellung  der  Conjunctiva  bulbi,  meistens  nur  abnorme  In- 
jeetion  im  Bereiche  der  vordem  Ciliargefässe  auf,  partiell  bei  partieller 


Entzündung  —  traumat.  —  Symptome.  —  Au  gänge.  225 

Chorioiditis,  und  sehr  wenig-  ausgesprochen  bei  mehr  chronischem  Ver- 
laufe. Die  Iris  erscheint  verfärbt  und  träge  oder  unbeweglich,  und  die 
mehr  weniger  erweiterte  und  entrundete  Pupille  bietet  bald  früher  bald 
spater  einen  lichtgrauen,  silberweissen  oder  yoldgelbeji  Reßea,-  dar,  be- 
dingt durch  eine  Platte  oder  Schale,  welche  die  ganze  hintere  Wan- 
dung (bis  zur  Ora  serrata)  oder  bloss  einen  Theil  derselben  einnimmt, 
und  in  manchen  Fällen  Ekchymosen  oder  Blutgefässchen  wahrnehmen 
lässt.  Das  Sehvermögen  wird,  falls  der  Process  nicht  bei  Zeiten  durch 
entsprechende  Antiphlogose  gehemmt  werden  kann,  über  kurz  oder 
lang  merklich  beschränkt  oder  völlig  aufgehoben.  Die  Grösse  und 
Form  des  Bulbus  wird  wenig  oder  gar  nicht  verändert. 

Zur  Erregung  dieser  Entzündung  reicht  bisweilen  die  Einwirkung 
eines  Stosses  oder  Schlages  aufs  Auge  hin.  Sie  ist  aber  auch  nach 
Verletzungen  der  Sclera  mit  Trennung  des  Zusammenhanges,  nach  der 
Reclination  und  nach  der  Discission   der  Cataracta  beobachtet  worden. 

Ich  sah  diese  Form  zum  ersten  Male  1842  bei  einem  24jährigen  Dienstmädchen, 
welches  vor  einem  Jahre  von  einer  Kuh  mit  dem  Schweife  in  das  linke  Auge  geschlagen 
worden  war,  und  vor  '/a  Jahre  sich  mit  einem  Strohhalme  in  das  rechte  Auge  gestossen 
hatte.  Prof.  Fischer*)  hat  diesen  Fall  als  Eetinitis  chronica  beschrieben.  Zehn  Jahre 
später  (1552)  war  das  silberweisse  Exsudat,  vorzüglich  an  der  innern  "Wandung  des 
linken  Bulbus,  noch  ebenso  deutlich  sichtbar,  so  wie  überhaupt  der  ganze  Befund  beider 
Bulbi  noch  nahezu  derselbe,  wie  ihn  Prof.  Fischer  geschildert  hat;  nur  das  Sehver- 
mögen des  rechten  Auges  war  bedeutend  schwächer. 

Einen  Fall,  den  ich  hieher  rechnen  zu  dürfen  glaube,  hat  Canstatt  in  seiner 
trerflichen  Abhandlung  über  den  Markschwamm  der  Netzhaut  S.  70  beschrieben.  „Man 
bemerkte  bei  einem  5jährigen  Knaben  von  scrofulösem  Habitus,  dem  ein  eiserner  Nagel  so 
in  das  linke  Auge  gesprungen  war,  dass  die  Sclera  2'"  hinter  der  Hornhaut  (an  der  Schläfe- 
seite) durchbohrt  worden  war,  den  3.  oder  4.  Tag  Röthe  des  Auges  und  bald  darauf 
„etwas  Trübes  im  Sterne  des  Auges"  und  Verlust  des  Sehvermögens.  Am  7.  Tage  er- 
schienen lauf  Prof.  Jäger's  Klinik)  die  Augenlider  leicht  geröthet,  ihre  Bindehaut  so 
wie  die  des  Bulbus  ziemlich  gleicbmässig  von  einer  rosigen  Röthe  überzogen,  nach 
aussen  rings  um  die  Stelle  der  Verwundung  etwas  aufgewulstet,  saturirter  und  ekchy- 
motisch  gefärbt.  Durch  die  etwa  linsengrosse  Spalte  der  Sclera  hatte  sich  ein  nadel- 
kopfgrosser  Theil  der  Chorioidea  hervorgedrängt  und  bildete  einen  kleinen  Wulst  von 
livider  Farbe.  Die  Iris  des  kranken,  im  Veigleich  zur  hellbraun  gefärbten  des  gesunden 
Auges  war  ins  Dunkelgrüne  entfärbt,  die  Pupille  nach  aussen  kaum  merkbar  verzogen. 
Das  Auge  thränte  etwas,  war  aber  nicht  lichtscheu.  Das  beim  ersten  Anblicke  Auf- 
fallendste war  aber  die  in  der  Tiefe  des  Auges  wie  eine  concave  schimmernde  Gold- 
platte sichtbar  gewordene,  gleichmässig  ebene  und  ungefleckte  hochgelbe  Fläche  der 
Retina.  Das  Sehvermögen  war  auf  diesem  Auge  bis  auf  die  geringste  Lichtempfindung 
völlig  erloschen.  Der  Knabe  klagte  besonders  über  nächtliche  Schmerzen,  war  aber  bei 
Tage   munter   beim   Spielen   und   zeigte   keine  Störung  in  den  übrigen  Functionen.     Am 

*)  Lehrbuch  S.  60. 

Arlt  Augenheilkunde.  H.  15 


226  Aderhaut. 

19.  Tage  waren  die  entzündlichen  Symptome  bis  auf  geringe  Röthe  der  Bindehaut  fast 
völlig  verschwunden,  die  Wunde  der  Sclera  vernarbt,  die  Veränderung  der  Iris  und 
Retina  dieselbe.  Das  Kind  wurde  noch  durch  4  Wochen  beobachtet.  In  dieser  Zeit 
wurden  auf  der  früher  ganz  reinen  gleichförmigen  Hohlfläche  in  der  Tiefe  zuerst  ein 
paar    kleine    Blutpunkte   bemerkt,    die  sich  später  zu  rothen  Gefässreisern  entwickelten." 

Makenzie  1.  c.  S.  535  erwähnt  eines  von  Travers  erzählten  Falles,  „wo  in  dem 
Auge  einer  jungen  Dame  die  rehfarbene  glänzende  Oberfläche  (im  Grunde  des  Auges) 
mit  einer  Verzweigung  von  rothen  Gefässen  bedeckt  gewesen  sei ,  und  sich  so  stark 
markirt  habe,  dass  er  sie  sicher  für  den  Anfang  von  Markschwamm  der  Netzhaut  gehalten 
haben  würde,  wenn  nicht  der  Umstand  vorgelegen  wäre,  dass  diese  Erscheinung  14  Tage 
nach  einer  Verwundung  mit  einer  feinen  Scheere  eingetreten  war.  Das  Instrument  war 
in  schräger  Richtung  zwischen  den  Rand  der  Iris  und  das  Corpus  ciliare  gedrungen. 
Es  stellte  sich  eine  tiefsitzende  Entzündung  ein,  und  nach  3  Tagen  vollständige  Blindheit. 
Die  Linse  blieb  Monate  lang  durchsichtig,  so  dass  man  die  beschriebenen  Erscheinungen 
beobachten  konnte.  Endlich  folgte  grauer  Staar  mit  zusammengezogener  Pupille  auf  die 
chronische  Entzündung  der  Iris,  und  der  Augapfel,  der  sich  nie  vergrössert  hatte,  schrumpfte 
allmälig  zusammen."  —  Der  Umstand,  dass  diese  Veränderung  des  Augengrundes  sich 
nach  einem  Trauma  entwickelt  hatte,  berechtigte  keineswegs  zur  Exclusion  von  Mark- 
schwamm der  Netzhaut,  denn  auch  diese  Ablagerung  kann  bekanntlich  durch  traumati- 
sche Einflüsse  eingeleitet  werden.  Desshalb  lässt  sich  auch  in  dem  aus  Canstatt  citirten 
Falle ,  welcher  nur  kurze  Zeit  lang  beobachtet  wurde,  nicht  entscheiden ,  ob  die  ge- 
nannte Verletzung  nicht  etwa  bloss  den  ersten  Impuls  zur  Markschwamm-  oder  Tuberkel- 
ablagerung gegeben,  oder  an  und  für  sich  zur  Ausscheidung  faserstoffigen  Exsudates 
geführt   hatte. 

Wenn  sich  nach  der  Reclination  oder  nach  der  Discission  von  Cataracta  die  Zu- 
fälle einfacher  Chorioiditis  entwickeln,  so  geschieht  dies  —  nach  meinen  Beobachtungen 
—  unter  ziemlich  heftigen  Zufällen,  namentlich  unter  starker  Injection  auf  der  Sclera 
mit  mehr  weniger  beträchtlicher  Schwellung  der  Conjunctiva  bulbi,  unter  Thränenfluss, 
Lichtscheu  und  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  entsprechenden  Kopfhälfte,  und  unter 
mehr  weniger  deutlichen  Photopsien,  bei  einfach  oder  ungleichmässig  erweiterter  Pu- 
pille, mehr  weniger  verfärbter  Iris,  nach  der  Reclination  auch  mit  Hypopyum.  " —  Der 
unglückliche  Ausgang,  von  welchem  hier  die  Rede  ist,  ist  nicht  die  unmittelbare  Folge 
des  operativen  Eingriffes  selbst,  sondern  Folge  des  Druckes,  den  die  zu  tief  reclinirte 
oder  die  zu  rasch  aufquellende  entkapselte  Linse  ausübt.  Ich  habe  Fälle  beobachtet, 
wo  nach  der  Reclination  (nach  Wilburg)  nur  in  der  Gegend  des  Muse,  rectus  inferior 
starke  Injection  der  vordem  Ciliargefässe  und  der  Bindehaut  mit  mehr  weniger  merk- 
licher Schwellung  dieser  letzteren  sichtbar  wurde,  und  wo  dem  entsprechend  auch  die 
Pupille  nur  nach  unten  ausgebuchtet  war,  indem  die  Iris  daselbst  auf  einen  schmalen 
und  unbeweglichen  Saum  zusammengezogen  erschien ;  die  Function  der  Netzhaut  war 
wohl  überhaupt  etwas  beeinträchtigt,  doch  bloss  in  der  untern  Partie  gänzlich  aufgehoben. 
Ein  solcher  Befund  kann  offenbar  nur  auf  partielle  Chorioiditis  bezogen  werden.  — 
Allgemeine  Chorioiditis  sah  ich  einige  Male  nach  der  Discission  durch  die  Hornhaut 
auftreten.  Der  erste  Fall  betraf  einen  jungen  Mann  von  32  Jahren.  Dieser  litt  auf 
beiden  Augen  an  Catar.  lentic.  nuclearis  (siehe  Krankheiten  der  Linse) ,  welche  an- 
geblich vor  15  Jahren  entstanden  und  seit  langer  Zeit  ganz  unverändert  geblieben  war. 
Er  konnte  noch  zur  Noth  lesen  und  schreiben,  \md  dem  Amte  eines  Wirthschaftsverwal- 
ters  vorstehen.  Ich  glaubte  nichts  zu  risquiren,  wenn  ich  die  Discission  der  Kapsel  durch 


Entzündung  —  traumat.  —  Symptome  —  Ausgänge.  227 

die  Cornea  vornähme.  Die  Operation  verlief  auch  ohne  Gefahr  für  die  Cornea  und 
Iris.  Allein  nachträglich  quoll  der  Staar  allmälig  so  stark  auf,  dass  er  sich  in  die  vordere 
Kammer  herein  —  und  die  Iris  seit-  und  rückwärts  drängte.  Dieser  Vorgang  war  von 
heftigen  Zufällen  (Lichtscheu,  Thränenfluss,  Gefässinjection  am  Bulbus,  Photopsien  und 
halbseitigen  Kopfschmerzen)  begleitet,  welche  durch  örtliche  Blutentziehungen,  Opium- 
einreibungen, Abfuhr-  und  Mercurialmittel  nur  gemildert,  nicht  beseitigt  werden  konnten. 
Der  Bulbus  wurde  hart  und  gegen  jede  Berührung  empfindlich,  allmälig  auch  grösser, 
von  vorn  nach  hinten  länger.  Endlich  begann  die  Resorption  der  Linse,  und  die  Pupille 
wurde  im  3.  Monat  nach  der  Operation  rein.  Das  Sehvermögen  war  jedoch  erloschen, 
die  Iris  auf  einen  schmalen  Streifen  reducirt,  die  Sclera  nächst  der  Cornea  ausgedehnt 
(einen  schmalen  dunkelblauen  Ring  bildend) ,  die  Ciliargefässe  stark  erweitert.  Ob 
späterhin  der  Grund  des  Auges  auch  verfärbt  wurde,  wie  in  dem  folgenden  Falle,  ist  mir 
nicht  bekannt,  da  sich  der  in  seiner  Erwartung  getäuschte  Kranke  der  fernem  Beobach- 
tung entzog. —  Ich  vermuthete  in  diesem  Falle,  dass  ich  bei  dem  Bestreben,  die  vor- 
dere Kapsel  gehörig  zu  spalten,  vielleicht  mit  der  Spitze  der  Nadel  die  Ciliarfortsätze 
verletzt .  und  dadurch  Anstoss  zu  den  nachfolgenden  Erscheinungen  gegeben  hätte.  Die 
folgende  Beobachtung  zeigte  indess,  dass  etwas  anderes  Schuld  sein  musste.  Ich  modi- 
ficirte  nämlich  bei  einem  18jährigen  Mädchen,  welche  seit  4 — 5  Jahren  ebenfalls  an 
Catar.  nuclearis  oc.  utr.  litt,  die  Discission  dadurch,  dass  ich  bei  stark  erweiterter  Pu- 
pille mit  einem  lancettfürmigen  Messerchen  einen  gegen  2'"  langen  Einstich  in  die 
Cornea  machte  (etwas  über  I /;/  vom  Rande  entfernt  und  demselben  parallel)  und  die 
Kapsel  mittelst  eines  durch  diesen  Einstich  eingeführten  Häkchens  einriss.  Die  Wunde 
war  bei  Abnahme  des  Verbandes  am  4.  Tage  ohne  exeessive  Reaction  verheilt,  und  ich 
Hess  die  Operirte  schon  vom  6.  Tage  an  im  Zimmer  herumgehen.  Am  12.  Tage  stellten 
sich  Lichtscheu,  Thränenfluss,  Röthe  des  Bulbus  und  Kopfschmerzen  ein,  welche  in  wenig 
Tagen  so  zunahmen ,  dass  ich  Blutegel ,  Eisumschläge  und  Abführmittel ,  und,  da  die 
Conjunctiva  bulbi  merklich  anschwoll,  auch  einige  Dosen  Calomel  zu  2  Gran  zu  verordnen 
mich  bemüssigt  sah.  Der  Staar  war  aufgequollen  und  drängte  sich  durch  die  Pupille 
gegen  die  vordere  Kammer.  "Wohl  gingen  die  genannten  Zufälle  allmälig  zurück  und 
die  aufgequollene  und  zerklüftete  Linse  wurde  nach  und  nach  resorbirt,  selbst  von  der 
vordem  Kapsel  ist  nur  noch  unten  ein  Rest  als  weisser  Streifen  bemerkbar;  allein  das 
Sehvermögen  nahm  nicht  in  dem  Masse  zu,  als  die  Pupille  schwarz  wurde,  und  die 
zahlreichen  erweiterten  Ciliargefässe,  die  ungleiche  Erweiterung  und  Starrheit  der  Pu- 
pille, und  das  Wahrnehmen  feuriger  Erscheinungen  Hessen  endlich  kaum  mehr  einen 
Zweifel  übrig ,  dass  die  Sehkraft  durch  Chorioiditis  vernichtet  worden  sei.  Gegenwärtig, 
l'/a  Jahre  nach  der  Operation,  wirft  der  Grund  des  Auges  einen  lichtgelben  Reflex  zurück, 
so  wie  ich  ihn  bei  Markschwamm  der  Netzhaut  gesehen  habe,  die  Lichtempfindung  ist 
aUmälig  bis  auf  die  letzte  Spur  verschwunden,  die  Iris  auf  einen  schmalen  schiefergrauen 
Saum  zusammengeschrumpft,  der  unmittelbar  an  die  Cornea  angrenzende  Saum  der 
Sclera  im  obern  Umfange  der  Cornea  in  eine  schmale  dunkelblaue  Wulst  erhoben,  die 
Ciliargefässe  enorm  erweitert ,  der  Bulbus  hart ,  prall ,  in  der  Richtung  von  hinten  nach 
vorn  etwas  vergrössert. 

b.  Ist  nebst  der  Chorioiditis  auch  Iritis  vorhanden,  so  sind  die  Er- 
scheinungen der  erstem  durch  die  der  letztern  mehr  weniger  maskirt. 
Deutliche  Anschwellung  der  Conjunctiva  bulbi,  mehr  weniger  merkliche 
Vorwärtsrückung  des  Bulbus,  Ansammlung  eiterähnlicher  Flüssigkeit  in 

15* 


228  Aderhaut. 

der  vordem  Augenkaminer  (mit  oder  ohne  Blut;  und  unverhältnissniäs- 
sig  (zu  den  Zeichen  der  Iritis)  starke  Beeinträchtigung  des  Gesichtes 
mit  oder  ohne  Photopsien  sind  die  Zufälle,  aus  deren  Gegenwart  man 
mit  Wahrscheinlichkeit  oder  mit  Gewissheit  auf  das  Mitleiden  der  Cho- 
rioidea  schliessen  kann. 

Auch  bei  dieser  Form  kann  bisweilen  durch  rechtzeitige  und  ener- 
gische Behandlung  noch  Rettung  des  Sehvermögens  oder  doch  so  viel 
erlangt  werden,  dass  bloss  Pupillensperre  mit  Erhaltung  der  Lichtem- 
pfindung zurückbleibt.  Ausserdem  tritt  entweder  Pupillensperre  und 
völlige  Unempfindlichkeit  gegen  das  Licht  ein,  oder  es  erfolgt  nach- 
träglich auch  Schrumpfung  der  hintern  Hemisphäre  (des  ganzen  Bulbus), 
oder  aber  es  entwickelt  sich  das  unter  c  zu  beschreibende  Bild  der 
Panophthalmitis  und  Phthisis  bulbi. 

Diese  Form  entsteht  nach  zufälligen  Verletzungen  des  Bulbus  mit 
Durchbohrung  der  Cornea  oder  der  Sclera.  Am  besten  kann  man  sie 
vom  ersten  Anfang  an  nach  den  Operationen  beobachten,  welche  die 
Heilung  des  grauen  Staares  bezwecken.  Wann  Iritis  nach  zufälligen 
oder  absichtlichen  Verletzungen  des  Auges  zu  besorgen  sei,  wurde  be- 
reits S.  55-  59  angedeutet.  Wenn  sich  nach  einer  durchdringenden 
Hornhautwunde  und  erfolgter  Pupillensperre  die  Iris  kugelförmig  nach 
vom  wölbt,  so  dass  sie  gleichsam  eine  zur  Cornea  concentrisch  gelegene 
Schale  darstellt,  oder  wenn  die  Iris  nach  erfolgter  Pupillensperre  trich- 
terförmig rückwärts  gezogen  erscheint,  so  kann  man  schon  aus  diesem 
Verhalten  allein  schliessen,  dass  nebst  Iritis  auch  Chorioiditis  vorhan- 
den war,  mithin  an  Wiederherstellung  des  Sehvermögens  auf  keine 
Weise  zu  denken  sei,  auch  wenn  zur  Zeit  der  Beobachtung  etwa  noch 
Lichtempfindung  vorhanden  wäre. 

c.  Dass  jener  Reihe  von  Zufällen,  welche  man  als  Ophthalmitis 
totalis  (Rosas)  oder  PanOphthalmitis  (Fischer)  beschrieben  hat,  vorzugs- 
weise Ausscheidung  faserstoffigen  Exsudates  zwischen  Chorioidea  und 
Retina  zu  Grunde  liege,  ergibt  sich  aus  dem  Befunde  der  meisten 
phthisischen  Bulbi,  den  wir  S.  170—1.72  geschildert  haben. 

Wenn  die  in  Rede  stehende  Entzündung  im  Anzüge  ist,  so  schwel- 
len die  Augenlider,  besonders  das  obere,  vom  Rande  her  an,  werden 
roth  und  heiss,  und  gegen  die  leiseste  Berührung  empfindlich.  Gleich- 
zeitig schwillt  auch  die  schon  früher  stark  injicirte  Conjunctiva  bulbi 
an,  und  erhebt  sich  sofort  zu  einem  derben  und  hochrothen  Walle  um 
die  Cornea.  Der  Bulbus  wird  in  dem  Masse,  als  die  Tunica  vagina- 
lis infiltrirt  wird,  aus  der  Orbita  vorgedrängt  und  in  seinen  Bewegungen 


Entzündung  —  traumal.  —  Symptome  —  Ausgänge.  229 

gehindert.  Die  Geschwulst  der  Bindebaut  wird  weiterhin  namentlich 
im  untern  Umfange  des  Bulbus  so  gross,' dass  sie  sich  zwischen  den 
Lidern  hervor-  und  das  untere  abwärts  und  zurückdrängt.  Der  Kranke 
erblindet,  wenn  er  nicht  schon  vor  Beginn  der  Entzündung  blind  war, 
in  kurzer  Zeit;  er  klagt  über  heftige  Schmerzen,  meistens  auch  über 
feurige  Erscheinungen.  Die  Schmerzen  erstrecken  sich  nach  dem  Ver- 
laute des  3.  und  2.  Astes  des  Trigeminus  über  die  entsprechende  Kopf- 
häute, und  werden  im  Auge  selbst  als  heftiger  Druck  oder  als  die  Em- 
pfindung, wie  wenn  der  Bulbus  aus  der  Orbita  herausgedrängt  würde, 
bezeichnet.  Die  Kranken  sind  fast  ohne  Ausnahme  von  heftigem  Fie- 
ber ergriffen.  —  Die  Erscheinungen  von  Seite  der  Cornea  und  Iris  sind 
verschieden,  je  nachdem  der  Proeess  von  der  Chorioidea  ausging  oder 
durch  Berstung  der  Cornea  (in  Folge  verschiedener  Ursachen  —  wo- 
von später  — )  eingeleitet  wurde.  In  ersterem  Falle,  wie  z.  B.  nach 
der  Reclination,  erscheinen  zunächst  die  Zufälle  heftiger  Iritis  (vergl. 
Iritis  traumat.  S.  55)  mit  oder  ohne  Hypopyum.  Alsbald  wird  auch 
die  Cornea  ergriffen,  eitrig  infiltrirt  und  meistens  unter  wüthenden 
Schmerzen  durchbrochen.  Seltener  geschieht  es,  dass  die  Cornea  un- 
versehrt bleibt  und  der  Eiter  sich  durch  die  Sclera  Bahn  bricht. 

Diesen  Ausgang  sah  ich  merkwürdiger  Weise  bei  einem  jungen  Officier  ein- 
treten ,  welchem  ein  Stückchen  Zündhütchenkapsel  mitten  durch  die  Cornea  und  Linse 
in  den  Glaskörper  eingedrungen  war.  Der  fremde  Körper  wurde,  nachdem  die  Schwel- 
lung der  Gebilde  schon  merklich  gesunken  war,  eines  Morgens  zwischen  dem  untern 
Lide    und    dem  Bulbus ,    aus  dem  er  in  der  Gegend  der  Insertion  des  Muse,  rectus  infer. 

: getreten  war,  vorgefunden.  Die  Hornhautwunde  hatte  sich  schon  während  des 
Steigens  der  Entzündung  geschlossen  und  blieb  es  auch  nachher. 

Diese  Form,  für  welche  man  füglich  den  Namen  PanOphthalmitis 
beibehalten  kann,  entsteht  an  ganz  gesunden  Augen  nach  in-  oder  ex- 
tensiv heftigen,  mechanisch  oder  chemisch  wirkenden  Verletzungen  des 
Bulbus.  Sie  entwickelt  sich  von  der  Chorioidea  aus,  wenn  fremde 
Körper  tiefer  in  das  Auge  eingedrungen  sind,  nach  der  Dislocation 
oder  Discission  von  Cataracta,  nach  heftiger  Erschütterung  des  Bulbus 
durch  eine  stumpfe  Gewalt,  wie  z.  B.  durch  einen  Prellschuss,  durch 
den  Luftdruck  an  der  Mündung  eines  eben  explodirenden  Kanonen- 
rohres u.  dgl.  Sie  entwickelt  sich,  wenn  die  Cornea  durch  Entzün- 
dung, z.  B.  in  Folge  acuter  Bindehautblennorrhöe,  in  Folge  mechanisch 
oder  chemisch  wirkender  Schädlichkeiten  u.  s.  w.  in  Verschwörung  ge- 
rathen  ist.  Sie  ist  es,  welche  nach  der  Discission  durch  die  Cornea, 
besonders  aber  nach  der  Extraction  die  Function  und  die  Form  des 
Auges  vernichtet.  Sie  entwickelt  sich  endlich  nach  der  Berstung  von 
Hornhautnarben,   von  nicht  hinreichend  fest  überhäuteten  Irisvorfällen, 


230  Aderhaut. 

nach  der  Abtragung  von  Hornhautstaphv.lonien  u.  dgl.  (Vergi.  B.  I. 
Hornhautstaphyloin  S.  236  und  Pkthisis  bulbi  S.  245,  246  und  247.) 

Behandlung.  Die  Grundsätze,  von  denen  man  in  allen  diesen 
Fällen  auszugeben  bat,  wurden  bereits  bei  den  „Verletzungen  der  Horn- 
haut (B.  I.  S.  203)  und  der  Regenbogenhaut"  (B.  IL  S.  59)  angegeben. 
Wie  man  sich  zu  benehmen  habe,  wenn  nach  Staaroperationen  Chorioi- 
ditis zu  besorgen  steht,  oder  wenn  gleiche  oder  ähnliche  Verhältnisse 
durch  zufällige  Verletzungen  herbeigeführt  wurden,  wird  bei  Besprechung 
der  einzelnen  Operationsmethoden  erörtert  werden. 

So  lange  die  entzündlichen  Zufälle  noch  im  Steigen  begriffen  sind, 
lässt  sich  durch  Anwendung  örtlicher  Blutentziebungen,  kalter  Umschläge, 
kühlender  Abführmittel  und  strenger  Diät  bisweilen  Milderung  dersel- 
ben, selbst  Verhinderung  des  Überganges  in  Eiterung  erzielen.  Sind 
die  Zeichen  von  Eiterbildung  eingetreten,  so  ist  die  Form  und  Function 
des  Auges  sicher  verloren,  und  es  handelt  sich  nur  darum,  die  heftigen 
Schmerzen  zu  mildern  und  vom  Bulbus,  wo  möglich,  so  viel  zu  erhal- 
ten, dass  nachher  die  Lider  nicht  zu  stark  einsinken,  und  der  Stumpf 
sich  in  späterer  Zeit  zur  Anlegung  eines  künstlichen  Auges  eigne. 
Einreibungen  von  Ung.  cinereum  mit  Opium  an  die  Stirn  und  Schläfe 
und  trockene  warme  Compressen  so  über  das  Auge  herabhängend,  dass 
sie  dasselbe  nicht  drücken,  verschaffen  unter  solchen  Umständen  bis- 
weilen merkliche  Erleichterung.  Weller,  v.  Rosas  u.  A.  empfehlen  die 
Anwendung  feuchtwarmer  Umschläge,  und,  sobald  sich  an  irgend  einer 
Stelle  ein  bedeutender  Eiterpunkt  zeigt,  die  Eröffnung  der  Hornhaut 
mittelst  eines  Staarmessers  (an  ihrem  untern  Rande).  Letztere  habe 
ich  bisher  nicht  vorgenommen,  ausser  in  einer  viel  frühern  Periode, 
wenn  wegen  zu  raschen  Aufquellens  der  Linse,  oder  wegen  Vorfall 
derselben  in  die  vordere  Kammer  (nach  der  Reclination)  Iridochorioi- 
ditis  im  Anzüge  war,  oder  wenn  nebst  andern  Zeichen  von  Iridocho- 
rioiditis  beträchtliche  Ansammlung  von  eiterähnlicher  Flüssigkeit  in  der 
vordem  Kammer  vorhanden  war.  Die  von  denselben  und  andern  Auto- 
ren angeführte  brandige  Zerstörung  des  Bulbus  habe  ich  bisher  weder 
nach  zufälligen  noch  nach  absichtlichen  Verletzungen  eintreten  gesehen. 

Es  dauert  immer  mehrere  Monate,  ehe  in  dem  zurückbleibenden 
Stumpfe  ein  gewisser  Grad  von  Ruhe  eintritt.  Bis  dahin  erscheint  es 
gerathen,  das  andere  Auge  möglichst  wenig  anzustrengen.  Vergl.  B.  H. 
S.  50. 

Ein  künstliches  Auge  kann  erst  dann  eingelegt  werden,  wenn  so- 
wohl die  Form  als  die  Farbe  (Injection)  des  Stumpfes  eine  Zeit  lang 
stationär  geworden   sind.     Wird  gegen    diese  Regel  gefehlt,   so  setzt 


Bluterguss.  231 

man  sich  der  Gefahr  aus,  dass  neuerdings  entzündliche  Zufälle  eintre- 
ten, und  der  Bulbus  in  Folge  dessen  zu  einem  viel  zu  kleinen  Stumpfe 
zusammenschrumpft. 


II.    Bluterguss  aus  der  Chorioidea. 

Bluterguss,  von  der  Chorioidea  ausgehend,  kann  wahrscheinlich 
sowohl  an  der  innern  als  an  der  äussern  Fläche  stattfinden.  Aus  Sec- 
tionsbefunden  kenne  ich  nur  den  Bluterguss  zwischen  Chorioidea  und 
Sclera.  Er  erfolgt  wahrscheinlich  nur  dann,  wenn  die  Spannung  des 
Bulbus  plötzlich  aufgehoben  wird,  durch  Verwundung  oder  Berstung 
der  Cornea.  Er  ist  es  namentlich,  welcher  nach  der  Abtragung  von 
Hornhautstaphylomen  den  schon  von  Beer  geschilderten  Zustand  her- 
vorruft, wo  Glaskörper,  Retina  und  Chorioidea  unter  fürchterlichen 
Sehmerzen,  Erbrechen  und  mehr  weniger  reichlicher  Blutung  aus  der 
Hornhautöflfuung  herausgedrängt  werden.     (S.  B.  I.  S.  251.) 

An  dem  Cadaver  einer  80jährigen  Frau  fand  ich  das  rechte  Auge  etwas  kleiner 
als  das  linke ,  die  Hornhaut  abgeplattet,  in  der  Mitte  mit  einer  grossen  und  durchdrin- 
genden ,  wie  es  schien ,  noch  nicht  sehr  alten  Narbe  versehen.  Bei  Eröffnung  der 
Sclera  nach  der  Richtung  des  Äquators  floss  eine  Menge  hellrothen  Blutes  aus,  ohne 
dass  die  Chorioidea  eingeschnitten  worden  war.  Das  Blut  war  zwischen  Chorioidea  und 
Lamina  fusca  scleroticae  enthalten  gewesen ,  und  zwar  in  der  äussern  Hälfte  der  hintern 
Hemisphäre.  Eine  gelbliche,  innen  glatte  Membran,  welche  dasselbe  umschlossen  hatte, 
hing  mit  der  Sclera  ziemlich  fest,  doch  nicht  unzertrennlich  zusammen.  Der  etwas 
verdrängte  (an  Volumen  verminderte)  Glaskörper  erschien  in  normaler  Beschaffenheit, 
ebenso  liess  sich  an  der  Netzhaut  weder  mit  freiem  Auge  noch  mit  der  Loupe  eine 
Abnormität  nachweisen,  ausser  der  abnormen  Lage,  die  wir  unten  noch  genauer  be- 
zeichnen wollen.  Nicht  nur  die  Netzhaut  und  die  eigentliche  Chorioidea,  sondern  auch 
der  Ciliarkörper  waren  an  der  Schläfeseite  gegen  die  Sehachse  hin  aus  ihrer  Lage  ge- 
treten, so  dass  die  Ciliarfortsätze ,  von  hinten  angesehen ,  keinen  Kreis  darstellten ,  son- 
dern an  der  Schläfeseite  gegen  die  Pupille  hin  gezogen  erschienen.  Die  durch  eine 
grauliehe  Membran  verschlossene  und  an  die  Hornhautnarbe  angelöthete  Pupille  nahm 
nicht  genau  die  Mitte  ein,  sondern  lag  etwas  nach  aussen  und  unten,  und  in  sie  hinein- 
gezogen und  mit  ihr  verwachsen  war  ein  Zipfel  der  Netzhaut;  denn  von  der  Linse  und 
Kapsel  war  keine  Spur  vorzufinden.  —  Aus  diesem  Befunde  liess  sich  schliessen,  dass 
die  Linse  sammt  der  Kapsel  durch  eine  centrale  Hornhautöffnung  abgegangen  waren, 
und  dass  durch  Bluterguss  zwischen  der  Chorioidea  und  Sclera  ein  Theil  des  Glas- 
körpers, der  Netzhaut  und  der  Aderhaut  in  die  Öffnung  hinein  gedrängt  worden,  und  so- 
fort mit  dem  die  Öffnung  endlich  abschliessenden  Narbengewebe  verwachsen  war. 

Blutei^uss  wird  während  des  Lebens  bisweilen  im  Grunde  des 
Auges,  tief  im  Glaskörper  beobachtet.  Es  lässt  sich,  da  keine  verläss- 
lichen  Sectionsbefunde  vorliegen,  gegenwärtig  nicht  entscheiden,  ob  er 
von  den  Xetz-  oder  von  den  Aderhautgefassen  ausgeht.     Er  wird  bis- 


232  Aderhaut. 

weilen  ohne  bekannte  Veranlassung1  beobachtet,  entsteht  aber  meistens 
nach  Stössen  oder  Schlägen  auf's  Auge,  nach  Heben  schwerer  Lasten, 
Husten,  Niesen,  Erbrechen  und  ähnlichen  Schädlichkeiten.  Er  kündigt 
sich  durch  mehr  weniger  ausgebreitete  Störung  der  Lichtperception  bald 
mit,  bald  ohne  Photopsie  an,  und  lässt  sich  durch  das  plötzliche  Ein- 
treten nach  einer  der  genannten  Veranlassungen,  durch  röthliche  Fär- 
bung oder  Einsäumung  der  Gesichtsobjecte,  falls  solche  noch  wahrge- 
nommen werden,  durch  allmäliges  Übergehen  des  Rothen  in's  Braune, 
Gelbe,  Grüne  u.  dgl.,  am  sichersten  aber  durch  Anwendung  des  Helm- 
holtzschen  Augenspiegels  erkennen.  Erweiterung  der  Pupille  ist  nur 
dann  vorhanden,  wenn  die  Netzhaut  förmlich  gelähmt  ist,  und  stärkere 
Injection  der  Ciliargefässe  nur  bei  nachfolgender  entzündlicher  Reaction. 
Kleinere  Extravasate  werden  allmälig  resorbirt,  ohne  irgend  einen  blei- 
benden Nachtheil  zu  hinterlassen.  In  andern  Fällen  wird  der  geron- 
nene Faserstoff  nach  geraumer  Zeit  im  Grunde  des  Auges  als  gold- 
oder  röthlichgelbe  oder  rostbraune  Masse  sichtbar,  und  kann  leicht  für 
ein  Chorioidealexsudat  oder  für  Markschwammablagerung  gehalten 
werden. 

Die  Behandlung  besteht  in  frischen  Fällen  nebst  der  Abhaltung  des 
fernem  Einflusses  schädlicher  Momente,  z.  B.  fest  anliegender  Halsbin- 
den, gebückter  Stellung  u.  dgl.,  in  der  Anwendung  spirituöser  Fomente 
auf  das  Auge,  vorzüglich  von  verdünnter  Tinctura  flor.  arnicae  mon- 
tanae.  In  späterer  Zeit  mag  man  durch  den  Gebrauch  von  Jodkali- 
salbe in  der  Umgebung  des  Auges,  von  Elektricität,  von  Ammoniak- 
dämpfen an  das  offene  Auge  u.  dgl.  Resorption  einzuleiten  versuchen. 
Fischer  (Lehrbuch  S.  25)  empfiehlt  den  Gebrauch  von  Polyg.  senega 
und  antiphlogistische  Purgirmittel. 

Folgende  drei  Krankengeschichten  entnehmen  wir  aus  Fischer's  Lehrbuche  S.  26, 
weil  sie  uns  in  mehrfacher  Beziehung  lehrreich  erscheinen. 

„Ein  60  Jahre  alter  Mann  bemerkte  nach  einem  kräftigen  Schlage  auf  das  rechte 
Auge,  als  er  sich  von  der  dadurch  veranlassten  Betäubung  erholt  hatte,  völlige  Blindheit 
dieses  Auges  und  drückende  Schmerzen  daselbst.  Zwölf  Stunden  nach  der  Verletzung 
fanden  wir  den  Bulbus  scheinbar  vergrössert,  die  Bindehaut  durch  Bluterguss  aufge- 
wulstet,  die  Hornhaut  normal,  in  der  vordem  Kammer  bis  zur  Hälfte  der  sehr  stark  er- 
weiterten und  starren  Pupille  Blut,  das  Sehvermögen  bis  auf  Lichtempfindung  erloschen. 
Der  Kranke  klagte  über  starken  drückenden  Schmerz  im  Auge  und  über  das  Gefühl, 
als  würde  der  in  seinen  Bewegungen  träge  Bulbus  von  allen  Seiten  gewaltsam  zu- 
sammengepresst.  Bei  fleissig  fortgesetzter  Anwendung  weingeistiger  Einreibungen  in 
die  Umgebung  des  Auges  und  solchen  Umschlägen  auf  das  Auge  selbst,  und  kräftig 
wirkender  Ableitung  auf  den  Darmkanal,  wurde  das  extravasirte  Blut  nicht  nur  auf- 
gesaugt, sondern  das  Sehvermögen  besserte  sich  im  weiteren  Verlaufe  der  Krankheit 
so   sehr,    dass   deT   Kranke    bei    seiner   Entlassung,    die    7    Wochen    nach  der  Verletzung 


Bltiterguss.  233 

geschah,  bei  normaler  Iris  und  Pupille  nicht  nur  grössere  Gegenstände,  sondern  selbst 
einen  kleinen  Uhrschliissel  ,  einen  Fingerring ,  kleine  Silbermünzen,  jedoch  ohne  deren 
Prägung  wahrzunehmen,  deutlich  erkannte." 

„Ein  32jähriger,  robuster  Kutscher  erhielt  von  einem  Pferde  einen  Stoss  mit  dem 
Kopf  ins  rechte  Auge.  Einige  Stunden  darauf  fanden  wir  die  Scleralbindehaut  des  ver- 
letzten Auges  geröthet,  in  der  vordem  Augenkammer  ein  bedeutendes  Blutextravasat,  das 
bis  zum  Pupillarrande  reichte,  die  Pupille  selbst  sehr  erweitert,  ein  grosses,  schief  ge- 
gen den  innern  "Winkel  hin  liegendes  Oval  bildend ,  und  die  Eegenbogenhaut  unbeweg- 
lich. Der  Patient  klagte  über  ein  schmerzhaftes  Gefühl  im  Auge  und  über  sehr  trübes 
Sehen.  "Wir  gaben  ihm  ein  antiphlogistisches  Abführmittel,  vei-ordneten  eine  schwache 
antiphlogistische  Diät,  Ruhe  des  Körpers,  und  Hessen  weingeistige  Fomente  über  das 
Auge  legen.  Schon  nach  zwei  Tagen  besserte  sich  das  Sehvermögen,  obschon  noch  Blut 
in  der  vordem  Augenkammer  vorhanden  war.  Wir  gingen  nun  zu  warmen  Umschlägen 
von  rothem  Weine  über,  welcher  über  Posmarinblätter  infundirt  war.  Nach  8  Tagen 
war  das  Sehvermögen  vollkommen  hergestellt,  die  Pupille  zwar  noch  etwas  grösser  als 
in  dem  gesunden  Auge,  aber  vollkommen  rund  und  schwarz,  die  Iris  beweglich,  aller 
Blutergu-s  aufgesogen." ' 

„W.  J..  45  Jahre  alt,  von  starkem,  untersetztem  Körperbaue,  etwas  bläulichrothem 
Gesichte,  leidet  seit  längerer  Zeit  an  heftigem  Husten,  und  beschäftigt  sich  viel  mit 
Sehreiben  und  Zeichnen.  Am  3.  März  in  der  Nacht  erfolgte  nach  dem  Genüsse  von 
zwei  Seideln  Wein ,  an  den  er  nicht  gewöhnt  war ,  zweimaliges  Erbrechen  und  gegen 
Morgen  ein  ungewöhnlich  starker  Anfall  von  Husten.  Als  es  Tag  wurde,  bemerkte  er, 
da<s  er  mit  dem  linken  Auge  Alles  trüb ,  und  gegen  Mittag  schon  beinahe  gar  nichts 
mehr  sehe.  Patient  beschreibt  den  damaligen  Zustand,  den  er  auch  durch  eine  Zeichnung 
zu  versinnlichen  suchte,  auf  folgende  Weise :  „Ich  erkannte  mit  dem  kranken  Auge  wohl 
grössere  Gegenstände,  aber  sehr  undeutlich,  besonders  blieb  mir  die  Mitte  derselben  fast 
unsichtbar,  deun  es  schwebte  mir  in  einer  Entfernung  von  etwa  24  Zoll  vor  dem  Auge 
eine  dunkle  coneave  Scheibe  vor,  in  etwas  einem  tiefen  Uhrglase  ähnlich;  ihr  Längen- 
durchmesser betrug  l'/äj  ihr  Querdurchschnitt  l  '/4  Zoll;  ersterer  verlief  schräg  von  oben 
und  aussen  nach  unten  und  innen.  Anfangs  war  die  Scheibe  ganz  dunkel.  Als  ich  am 
T.  März  in  Prag  ärztliche  Hilfe  suchte,  erschien  sie  mir  ganz  blutroth,  nur  am  obern 
Rande  von  einem  linsengrossen  und  daneben  von  einem  viel  kleinern  schwarzen  Flecke 
bedeckt.'*  Dr.  Arlt  fand  Iris  und  Pupille  normal,  er  behandelte  die  Krankheit  als  Blut- 
austretung  in  der  Tiefe  des  Auges  und  verordnete  strenge  Diät,  Ruhe  der  Augen  und 
warme  Fomente  aus  Infus,  flor.  arnicae  et  herb,  rutae;  später  Einreibungen  von  Jodkali- 
salbe an  die  Umgebung  des  Auges.  Unter  Anwendung  der  Fomente  verminderte  sich  die 
Entfernung  von  24  auf  1 S  und  bis  zum  3.  April  auf  1 2  Zoll,  während  in  gleichem  Masse 
auch  die  Grösse  der  Scheibe   abnahm. 

Patient  erzählte  ferner:  „Bei  raschen  Bewegungen  des  Auges  blieben  während  der 
Behandlung  des  Hrn.  Doctors  jene  beiden  Flecke  fix,  und  das  Übrige  schwebte  hin  und 
her,  ungefähr  wie  eine  am  Stiele  hängende,  hin  und  her  schwankende  Pflaume;  es  kam 
mir  bei  jeder  Veränderung  der  Lage  des  Auges  vor,  als  bewege  sich  ein  Strom  mit  Blut- 
punkten gefüllter  Flüssigkeit  von  oben  und  hinten,  nach  vorne  gegen  diese  vertiefte 
Scheibe ;  ich  bemerkte  darin  dunklere  Punkte  und  Streifen,  die  sich  bei  raschen  Wendun- 
gen des  Auges  hin  und  her  bewegten.  Legte  ich  mich  auf  den  Rücken,  so  verdeckte 
die  Scheibe   jene    schwarzen  Flecke,    und  wenn  ich  mich  wieder  setzte,  so  erschienen  sie 


234  Aderhaut. 

wieder  am  obern  Scheiben-Rande,  und  von  ihnen  zogen  sich  dunklere  rothe  Streifen  an 
der  Scheibe  herab." 

„Am  16.  April,  wo  der  Kranke  auf  die  Klinik  kam,  bemerkte  man  objectiv  an  dem 
Auge  gar  nichts  Krankhaftes.  Die  genannte  Scheibe  schien  ihm  nur  noch  7  Zoll  von 
dem  Auge  entfernt  zu  sein;  der  Fleck  am  obern  Eande  war  dunkelroth ,  der  kleinere 
Fleck  hatte  sich  in  einen  halbmondförmigen  dunklen  Streifen  verwandelt,  der  bei  Be- 
wegungen des  Auges  seine  Lage  änderte ;  unterhalb  der  Mitte  der  Scheibe  sah  Patient 
einen  kleineren  Fleck,  einer  Spinne  vergleichbar,  die  übrige  Scheibe  war  wie  aus  lauter 
Blutpunkten  zusammengesetzt,  und  erregte  bei  den  Bewegungen  des  Auges  in  dem  Kran- 
ken die  Empfindung,  als  ob  eine  Flüssigkeit  hin  und  her  ströme.  Der  Patient  unterschied 
verschiedene  Farben  und  erkannte  grössere  Gegenstände,  selbst  grössere  Lettern,  doch 
Alles  nur  von  der  Seite  her,  weil  die  genannte  Scheibe  in  gerader  Richtung  vor  dem 
Auge  schwebte.  Da  die  genannten  Fomente  sich  nützlich  erwiesen  hatten,  wurden  die- 
selben fortgesetzt  und  nach  einigen  Tagen  durch  Rad.  polyg.  seneg.  verstärkt.  Die  inner- 
lich gereichte  Polyg.  seneg.  wurde  nicht  vertragen,  und  desshalb  ein  Infus,  sennae  c.  sale 
Glaub,  gegeben.  Am  24.  April  nahmen  die  Blutpunkte  in  der  Scheibe  eine  rostgelbe 
Farbe  an,  und  das  Sehvermögen  besserte  sich  so,  dass  P.  kleinere  Gegenstände  auch  in  der 
Entfernung  erkannte,  die  er  früher  nicht  wahrgenommen  hatte.  Es  wurde  nun  Spir.  vini 
rectificatiss.  an  die  Umgebung  des  Auges  eingerieben,  und  innerlich  Cremor  tart.  gereicht. 
Allmälig  schwanden  die  blässer  gewordenen  kleineren  Körperchen  in  der  Scheibe,  und 
der  bewegliche  Fleck  wurde  sammt  dem  halbmondförmigen  Streifen  lichter.  Häusliche 
Verhältnisse  zwangen  den  Kranken,  zu  Ende  April  in  diesem  Zustande  der  Besserung 
die  Klinik  zu  verlassen.  Zu  Hause  wurde  unter  dem  Fortgebrauche  der  weingeistigen 
Einreibungen  in  dem  Zeiträume  von  8  Monaten  die  Scheibe  immer  blässer  und  kleiner 
sammt  den  zwei  dunkleren  Flecken,  als  der  Patient  nach  einem  heftigen  Anfalle  von  Hu- 
sten plötzlich  von  derselben  Augenkrankheit  in  demselben  Grade  befallen  wurde,  deren 
Ausgang  uns  aber  bisher  unbekannt  blieb." 

Zwei  höchst  interessante  Fälle  von  plötzlich  und  ohne  alle  Vorboten  entstandener 
Blindheit  mit  nachfolgendem  Sichtbarwerden  einer  grauen  oder  weissen  Platte  im  Grunde 
des  Auges  hat  von  Amnion  in  seiner  Zeitschrift  B.  I.  S.  319 — 335  beschrieben,  und  die 
Ansicht  aufgestellt,  dass  in  diesen  Fällen  Chorioidealvevknöcherung  obwaltete.  Hält  man 
den  Satz  fest,  dass  nur  Chorioidealexsudate  das  Substrat  von  Kalk-  und  Knochenbildung 
abgeben  können,  und  dass  in  den  genannten  Fällen  sowohl  vor  als  nach  der  Erblindung 
die  Zufälle  von  Entzündung  mit  faserstoffigem  Exsudate  fehlten,  so  kann  man  kaum  an- 
ders ,  als  annehmen ,  dass  Apoplexia  retinae  oder  chorioideae  stattgefunden,  und  der  co- 
agulirte  Faserstoff  jenen  lichten  Körper  im  Grunde  des  Auges  dargestellt  habe,  welcher 
für  Knochenmasse  imponirte. 


III.    SerumergTiss  unter  der  Chorioidea. 

Seit  Wardrop*)  sprechen  fast  alle  Autoren  von  Wasseransamm- 
lung zwischen  der  Chorioidea  und  Retina,  und  zwischen  der  Chorioidea 
und  Sclera.  Was  die  erstere  betrifft,  so  ist  sie  durch  Sectionen  nach- 
gewiesen, jedoch  nur  als  Folge  von  Chorioiditis;   das  Vorkommen  des 

*)  Morb.  Anatom,  of  the  Eye.     Vol.  II. 


Cysteiibildung.  235 

sogenannten  Hydrops  chorioideae  externus  seu  subscleroticae  bedarf  noch 
weiterer  Bestätigung-.  Amnion  *)  ist  meines  Wissens  der  einzige,  welcher 
einen  Sectionsbefund  von  Ansammlung  „gelber  seröser  Feuchtigkeit, 
welche  die  Chorioidea  nach  innen  und  die  verdünnte  Sclerotica  nach 
aussen  drängte,"  veröffentlicht  hat. 

IV.    Cystenbildung  an  der  Chorioidea. 

Hydatiden  zwischen  Chorioidea  und  Retina  will  Rossi**)  gefunden 
haben,  und  einen  Echinococcus  Dr.  Gescheidt.  ***)  Nach  der  Beschrei- 
bung des  letzteren  möchte  ich  nicht  annehmen,  dass  Dr.  Gescheidt  einen 
Echinococcus  vor  sich  gehabt  habe ,  sondern  ein  Exsudat  zwischen 
Chorioidea  und  Retina.  Dr.  von  Ammon\),  welcher  das  Präparat  noch 
besitzt,  hat  die  Vermutbung  aufgestellt,  ob  der  vermeintliche  Echino- 
coccus nicht  etwa  für  eine  Metamorphose  der  Jakobschen  Haut  zu  hal- 
ten sei.  Ich  halte  es  demnach  nicht  für  überflüssig,  die  Beschreibung 
dieses  Falles  nach  Gescheidt  hier  wörtlich  aufzunehmen. 

Die  Beobachtung  wurde  bei  einem  24jährigen  Zöglinge  des  Dresdner  Blindeninsti- 
tutes  gemacht,  der  an  Phthisis  tuberculosa  starb.  In  seiner  Jugend  hatte  derselbe  an 
einer  heftigen  Ophthalmitis  gelitten,  die,  Anfangs  vernachlässigt,  mit  unheilbarer  Blindheit 
endigte.  Der  Zustand  der  Augen ,  als  ich  denselben  vor  2  Jahren  zum  erstenmal  sah, 
war  folgender:  Die  Augenlider  und  die  übrigen  den  Bulbus  umgebenden  Theile  waren 
regelmässig,  der  Bulbus  der  rechten  Seite  stark  gewölbt,  im  geringen  Grade  glotzend, 
gespannt  und  härtlich  anzufühlen;  die  Sclerotica  und  Cornea  regelmässig,  die  Iris  braun 
gefärbt,  auf  derselben  an  einigen  Stellen  gelbliches  Lymphexsudat  bemerkbar,  die  Pupille 
verzogen,  das  obere  Segment  der  Linse  in  geringem  Grade  getrübt,  und  in  der  Tiefe  des 
Auges  eine  schmutzig-gelb  gefärbte  und  weitausgebreitete  Trübung  vorhanden. 

Der  linke  Bulbus,  dem  rechten  hinsichtlich  der  Form  und  Härte  gleich,  zeigte  eine 
hellblaue  Iris,  auf  deren  Oberfläche  kleine  Gefässverzweigungen  sich  unterscheiden  Hessen. 
Die  verdunkelte  Linse  war  nach  unten  gedrängt,  so  dass  man  nur  das  obere  Segment 
durch  die  weite  Pupille,  die  übrigens  von  einer  gelblich-braunen  Masse  ausgefüllt  war, 
durch  die  mehr  gelblich-weiss  gefärbte  Trübung  unterscheiden  konnte. 

Die  Untersuchung  der  Augen,  4S  Stunden  nach  dem  Tode  vorgenommen,  ergab  nun 
folgende  Besultate :  Als  das  rechte  durch  einen  Querschnitt,  der  mit  einer  Davielschen 
Scheere  geführt  wurde ,  in  zwei  Segmente ,  in  ein  vorderes  und  ein  hinteres  getrennt 
werden  sollte,  bemerkte  man,  nachdem  der  Schnitt  etwa  einen  halben  Zoll  lang  war, 
dass  sich  zwischen  der  durchschnittenen  Chorioidea  und  Sclerotica  eine  feine  weisse  Haut 
in  den  Schnitt  drängte,  die  man  für  die  Retina  zu  halten  veranlasst  wurde;  als  jedoch 
der  Schnitt  in  der  Peripherie,  ohne  dass  die  hervortretende  weisse  Haut  verletzt  wurde, 
vollendet    und  das    hintere  Segment   von    dem    vordem  abgezogen  und  etwas  umgebogen 

*)  Zeitschrift  Bd.  II.  S.  252. 
**)  Hecker's  Annalen,  1831.     Band  21.    S.  499. 
***)  Ammon's  Zeitschrift.     Band  III.    S.  437. 
t)  Klinische  Darstellungen  etc.    Berlin,  1838.    Bd.  I.  3.  62  mit  Taf.  XXr,  Fig.  VII.  und  VIII. 


236  Aderhaut. 

war,  zeigte  sich  folgende  höchst  interessante  Erscheinung.  Die  Chorioidea  war  bräun- 
lich gefärht,  des  Pigmentes  berauht  und  mit  vielen  varicösen  Gefässen  versehen.  Die 
Retina  erschien  mit  dem  Glaskörper  in  eine  weisse,  röthlich-blaue  Masse  vereinigt  und. 
zusammengedrängt,  so  dass  dieselbe  vom  Eintritt  des  Sehnerven  ganz  strangförmig  er- 
schien, nach  vorn  aber,  an  Breite  und  Umfang  zunehmend,  gefaltet  wurde  und  mit  der 
Coi-ona  ciliaris  und  den  Processus  eil.  innig  verwachsen  war.  Es  zeigte  sich  also,  wenn 
man  das  hintere  Segment  abzog,  die  mit  dem  Glaskörper  vereinigte  Retina,  wie  der  Klöp- 
pel in  der  Glocke. 

Der  Raum  nun  zwischen  der  pigmentlosen,  wie  ausgewaschenen  Chorioidea  und  der 
klöppelförmig  zusammengedrängten  Retina  wurde  von  einer  weissen  Blase,  deren  obere 
"Wand  sich  schon  durch  den  Schnitt  hervorgedrängt  hatte,  ausgefüllt,  und  dieselhe  bald 
als  ein  Echinococcus  erkannt.  Es  ging  derselbe  nämlich  von  der  Mitte  der  untern 
Fläche  der  klöppeiförmigen  und  gefalteten  Retina  aus,  legte  sich  links  um  dieselbe  herum 
und  füllte  den  Raum  zwischen  dieser  und  der  Chorioidea  in  der  Art  aus,  dass  seine  bei- 
den sackförmigen  Enden  nach  oben  zusammenstiessen.  Die  äussere  Haut  desselben  war 
weiss,  wenig  durchscheinend  und  ziemlich  fest.  Als  sie  geöffnet  wurde,  ergoss  sich  eine 
geringe  Quantität  seröser  Flüssigkeit,  und  zugleich  erschien  eine  zartere,  bläulichweisse 
Haut,  als  von  der  erstem  eingeschlossen.  Aus  dieser  kam,  nachdem  sie  aufgeritzt  worden 
war,  ebenfalls  seröses  Fluidum,  welches  aber  eine  Menge  kleiner,  tbeils  runder,  theils 
ovaler  und  olivenförmig  gestalteter  Wurmkörperchen  enthielt.  Ausser  den  mit  dem  Flui- 
dum herausgekommenen  konnten  noch  mehrere  Wurmkörper,  die  an  der  innern  Fläche 
der  zarten  Haut  sasssn,  wahrgenommen  werden.  An  einigen  derselben,  die  unter  das 
Mikroskop  gebracht  wurden,  besonders  an  den  ovalen,  konnte  man  deutlich  kleine  runde 
Saugmündungen  unterscheiden.  Übrigens  bildeten  sie  eine  ganz  homogene  Masse  und 
von  innerer  Structur  war  gar  nichts  wahrzunehmen.  Ein  Hakenkranz  konnte  nicht  be- 
bemerkt werden. 

Um  das  Präparat ,  welches  Herr  Prof.  v.  Amnion  in  seiner  Sammlung  aufbewahrt, 
nicht  weiter  zu  zerstören ,  wurde  die  Untersuchung  der  übrigen  Theile  des  Auges  nicht 
vorgenommen. 

Das  linke  Auge,  welches  durch  einen  Longitudinalschnitt  getrennt  wurde,  Hess  Fol- 
gendes bemerken :  Beim  Einschnitt  floss  eine  grosse  Menge  einer  gelblich  braunen  ziem- 
lich dicken  Flüssigkeit  aus,  auf  der  deutlich  unterscheidbar  kleine  abgelöste  Stückchen 
des  Pigmentes  herum  schwammen.  Die  Chorioiodea  war  nach  vorn  hellbraun  und  pig- 
mentlos, nach  dem  Sehnerven  zu  jedoch  dunkler  und  theilweise  noch  mit  Pigment  be- 
deckt. Retina,  Glaskörper,  Linse  etc.  lagen  als  ein  weissbräunliches  Convolut  hinter 
der  Pupille.  Von  dieser  mit  der  Uvea  fest  verwachsenen  Masse,  auf  der  übrigens  eine 
Menge  feiner  Gefässverzwcigungen  bemerkbar  waren,  ging  ein  feiner  Faden  nach  hinten 
bis  zum  Eintritte  des  Sehnerven  (Rudiment  der  Retina).  Der  Sehnerv  selbst  war  sehr 
dünn.  "Weder  in  dem  ausgeflossenen  Fluidum,  noch  in  den  übrigen  Theilen  des  Auges 
konnte  jedoch  ein  Entozoon  entdeckt  werden. 


V.    Krebsablagerung  in  der  Chorioidea. 

Die  Ablagerung  von  Markschwarnin  im  Innern  des  Auges  gebt, 
namentlich  bei  Kindern,  wohl  immer  von  der  Netzbaut  (der  Eintritts- 
stelle des  Opticus  in  den  Bulbus)   aus,  und  die  Chorioidea  wird  gar 


Markschwamui  —  Melanosis.  237 

nicht  oder  erst  später  infiltrirt.  Fälle,  wo  die  Ablagerung  zuerst  in 
der  Chorioidea  stattfand,  sind  —  mir  wenigstens  —  nicht  bekannt.  In 
dem  Falle,  den  ich  so  eben  beschreiben  will,  war  die  Conjunctiva 
bulbi,  die  Sclera  und  die  Chorioidea  sammt  dem  Corpus  ciliare  von 
Markschwamm  infiltrirt,  die  Netzhaut  jedoch  völlig  frei. 

Eine  Wittwe  von  57  Jahren,  seit  8  Jahren  nicht  mehr  menstruirt,  litt  seit  1  Jahre 
wiederholt  an  heftigem  Blutausflusse  aus  den  Genitalien,  welcher  bisweilen  von  Schmer- 
zen nach  dem  Verlaufe  des  Nerv,  ischiadicus  begleitet  war.  Sie  war  bei  gutem  Appetite 
ziemlich  rasch  abgemagert,  und  ihre  Hautfarbe  hatte  sich  in  eine  schmutzig  blassgelbe 
verwandelt.  Bei  der  Untersuchung  der  Genitalien  am  10.  August  1852  fand  man  die 
obere  und  hintere  Hälfte  der  Vagina  hart  und  höckerig  infiltrirt,  die  Vaginalportion  des 
Uteras  in  eine  gelappte  und  zerklüftete  Geschwulst  verwandelt;  eine  mit  Blut  gestreifte 
schleimig-jauchige  und  übelriechende  Flüssigkeit  entleerte  sich  aus  der  Vagina.  Am  3. 
Sept.  klagte  die  Kranke  über  ein  Gefühl  von  Druck  im  linken  Auge  und  Empfindlichkeit 
gegen  das  Licht;  die  Conjunctiva  bulbi  war  zwischen  der  Hornhaut  und  der  Karunkel 
stark  geröthet  und  gelockert,  der  Bulbus  sonst  in  jeder  Beziehung  normal.  Bis  zum 
6.  Sept.  hatte  sich  in  der  Mitte  der  injicirten  Stelle  unter  ziemlich  heftigen  Supraorbital- 
schm erzen  ein  flacher,  etwa  hanfkorngrosser,  graugelber  Knoten  entwickelt.  Am  17.  Sept. 
bemerkte  man  neben  dieser  Infiltration  unter  der  Conjunctiva  bulbi  noch  eine  zweite, 
und  heftig  reissende  Schmerzen ,  starke  Lichtscheu  und  Verdrängung  der  Iris  von  der 
Nasenseite  gegen  die  Pupille  hin,  so  dass  diese  nierenförmig  erschien,  Hessen  auf  Infil- 
tration des  Corpus  ciliare  an  der  Nasenseite  schliessen.  Die  Beweglichkeit  und  die 
Sehkraft  dieses  Auges  waren  am  1.  Oct.  noch  nicht  merklich  gestört.  Diess  geschah 
erst  vom  4.  Oct.  an,  indem  die  Hügel  unter  der  Bindehaut  schon  so  zunahmen,  dass  der 
Bulbus  etwas  auswärts  gestellt  wurde,  der  Rand  der  Cornea  sich  trübte,  die  innere 
Hälfte  der  Iris  verfärbt,  gelockert  und  von  einigen  Gefässen  durchzogen  erschien.  Am 
13.  October  erfolgte  der  Tod,  nachdem  in  den  letzten  Tagen  wieder  heftige  Metrorrhagie, 
dann  Dysenterie  und  allgemeiner  Collapsus  eingetreten  waren.  —  Der  linke  Bulbus 
wurde  durch  einen  von  vorn  nach  hinten  geführten  Schnitt  in  eine  obere  und  untere 
Hälfte  zerlegt  und  ergab  folgenden  Befund.  Die  Hornhaut  normal,  nur  an  der  Nasenseite 
nächst  ihrer  Vereinigung  mit  der  Sclera  etwas  dicker  und  getrübt.  Die  Sclera  von  der 
Insertion  des  Opticus  bis  zur  Gegend  der  Ora  serrata  an  der  Nasenseite  von  Maikschwamm 
infiltrirt,  ihre  Fasern  durch  geschwänzte  Zellen  mit  grossen  runden  Kernen  (Krebszellen, 
junges  Bindegewebe)  auseinander  getrieben,  so  dass  die  infiltrirte  Partie  einerseits  nach 
innen  (gegen  die  Höhle  des  Bulbus),  andererseits  nach  aussen  (gegen  das  Orbitalfett) 
vorragt,  und  an  der  mächtigsten  Stelle  (zwischen  Opticus  und  Äquator)  über  4'"  dick  erscheint. 
Von  der  Gegend  der  Ora  serrata  treten  die  Fasern  der  Sclera  wieder  zusammen,  und  findet 
die  Sarcomablagerung  bloss  in  der  Tunica  vaginalis  und  Conjunctiva  bis  in  den  Lirabus 
conjunctivae  corneae  hin  statt.  Innerhalb  der  Sclera,  deren  Elemente  mitten  in  der  ge- 
nannten Geschwulst  nur  als  spärliche  weisse  Fasern  zu  erkennen  sind,  liegt  die  Chorioidea 
an  der  Nasenseite  von  der  Eintrittsstelle  des  Opticus  bis  zum  Schlemmschen  Canale 
fest,  jedoch  im  Bereiche  des  Corpus  ciliare  nicht  unzertrennlich  mit  der  Sclera  zusam- 
menhängend, und  in  dieser  ganzen  Ausdehnung  mit  Markschwamm  infiltrirt,  daher  vom 
Opticus  bis  zur  Ora  serrata  etwa  '/•»'",  im  Bereiche  des  Ligamentum  ciliare  gegen  3/V" 
dick.  Ihre  Pigmentschicht  und  die  Ciliarfortsätze  unverändert.  Die  Netzhaut  durchaus 
normal,    nur  durch  die  genannte  Infiltration  sammt  der  Chorioidea  um  etwa  2'"  einwärts 


238  Aderhaut. 

gedrängt.  Dem  entsprechend  nimmt  der  sonst  gehörig  beschaffene  Glaskörper  ein  klei- 
neres Volumen  ein.  Linse  und  Kapsel  normal.  Die  Iris  nirgends  infiltrirt,  an  der  Nasenseite 
jedoch  auf  ihrer  vordem  Fläche  mit  einem  lichtgrauen  geronnenen  Exsudate  bedeckt. 

Melanotische  Ablagerungen  im  Bulbus  gehen  viel  häufiger  von  der 
Sclera  als  von  der  Chorioidea  aus.*)  Fritscki**)  hat  die  bis  zum 
Jahre  1 843  bekannt  gewordenen  Beobachtungen  zusammengestellt.  Aus 
denselben  ergibt  sich,  dass  sich  die  Gegenwart  solcher  Pseudoplasmen 
im  Auge  erst  dann  bestimmt  diagnosticiren  lässt,  wenn  dieselben  sich 
bereits  durch  die  Sclera  nach  aussen  Bahn  gebrochen  haben.  Wir 
werden  darauf  noch  bei  Besprechung  des  Markschwammes  der  Netz- 
haut zurückkommen. 


VI.   Angeborene  Spaltung-  der  Chorioidea  und  Pigmentmangel. 

Von  dem  angeborenen  theilweisen  Mangel  der  Chorioidea,  welcher 
nur  mit  demselben  Fehler  der  Iris  vorkommt,  wurde  bereits  S.  122 — 
130  gehandelt. 

Der  angeborene  Pigmentmangel  der  Chorioidea  (Albinismus)  beruht 
darauf,  dass  ihre  Pigmentzellen  wenig  oder  keine  Pigmentkörnchen 
enthalten  und  platter  sind.  Gleichzeitig  fehlt  auch  an  der  Iris  das  Pig- 
ment mehr  weniger  vollständig.  Hiedurch  erhält  das  Auge  das  be- 
kannte Aussehen,  welches  man  an  weissen  Kaninchen  zu  beobachten 
am  häufigsten  Gelegenheit  hat. 

In  Folge  dieses  Zustandes  ist  das  Gesicht  mehr  weniger  unvoll- 
kommen. Nystagmus  und  Empfindlichkeit  gegen  helles  Tageslicht  be- 
gleiten die  höhern  Stufen  desselben.  Bei  mehreren  Kakerlaken  hat 
man  beobachtet,  dass  die  Störung  des  Gesichtes  sowohl  als  die  Empfind- 
lichkeit gegen  das  Tageslicht  mit  dem  Eintritte  des  Mannesalters  ge- 
ringer wurde. 

Diese  Anomalie  kommt  bald  nur  bei  einem  einzigen  Gliede  einer 
Familie  vor,  bald  bei  mehreren  Geschwistern,  bald  auch  bei  verschie- 
denen Gliedern  in  auf-  und  absteigender  Linie.  ***) 

Das  Tragen  von  Brillen  mit  grossen,  runden,  blassblauen  oder  blass- 
grauen Gläsern  dürfte  das  beste  Mittel  sein,  für  solche  Augen  das  Licht 
entsprechend  zu  temperiren. 

*)  Vcrgl.  Reuss  cüssert.  inaugur,  de  melanosi,    Pragae,  1833.    und  Eyba,  Prager  Viertel) ahrschr.    Bd.  8. 

(1845)  S.  133. 
**)  Die  bösartigen  Schwammgeschwülste  des  Augapfels.     Freiburg,   1843. 
***j  Am  ausführlichsten   ist  das   über  diesen   Bildungsfehler  Bekannte   zusammengestellt   in   Ed.   Cornaz 
Abnormit.  congeniales  des  yeux.     Lausanne,  1848. 


VI.   Buch. 


Die  Kry stalllinse  und  ihre  Kapsel ,  Lens  cry- 
stallina et  Capsula  lentis. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Der  Krystallkörper,  zwischen  der  Iris  und  dem  Glaskörper  gelegen, 
und  seiner  Gestalt  nach  so  ziemlich  einer  Linse  entsprechend,  misst  von 
einem  Punkte  seines  Bandes  zum  entgegengesetzten  gewöhnlich  4"'; 
seine  Achse,  welche  mit  der  Sehachse  (vom  Centrum  der  Cornea  bis 
zur  Macula  lutea  der  Netzhaut)  zusammenfällt,  variirt  zwischen  1 3/i  und 
2'/4/".  Im  Kindesalter  ist  die  Achse  relativ  zum  Durchmesser,  im 
Greisenalter  hingegen  der  Durchmesser  relativ  zur  Achse  grösser. 

Das  absolute  Gewicht  beträgt  im  Allgemeinen  4  Gran;  das  speci- 
fische  1,0790,  das  des  Kernes  allein  1,112.  Das  specifische  Gewicht 
des  Glaskörpers  wird  auf  1,0053  angegeben.*) 

Die  vordere  Fläche  ist  weniger,  die  hintere  mehr  convex;  eine 
Ebene,  durch  den  Rand  (Äquator)  des  Krystallkörpers  gelegt,  also 
senkrecht  auf  die  Achse,  würde  dem  vordem  Pole  um  */« — '/V"  näher 
liegen  als  dem  hintern. 

Der  vordere  Pol  ist  vom  Centrum  der  Descemetschen  Haut  im 
Mittel  V"  weit  entfernt,  bei  Kurzsichtigen  weiter,  bei  Weitsichtigen  we- 
niger; der  hintere  Pol  befindet  sich  ungefähr  b1J2—  6'"  vor  der  Macula 
lutea. 

Der  Krystallkörper  ist  mittelst  der  Zonula  Zinnii  an  den  Strahlen- 
körper und  durch  Anlagerung  an  den  Glaskörper  befestigt.  Vergl.  S. 
151.  Die  Verbindung  mit  den  Strahlenfortsätzen  ist  in  so  fern  locker, 
als  sie  ein  Vorwärtstreten  des  Krystallkörpers  gestattet,    ohne  zu  zer- 

*)  Huächke  1.  c. 


210  Krystalllinse. 

reissen,  fest  hingegen,  insofern  die  Lösung  des  Kiystallkörpers  aus 
dieser  Verbindung,  die  Zerreissung  der  Zonula  Zinnii,  eine  gewisse 
Gewalt  erfordert. 

Entleert  man  den  Humor  aqueus  durch  einen  Einstich  in  die  Cornea,  so  rücken 
Iris  und  Krystallkörper  knapp  an  die  in  ihrer  Wölbung  unverändert  bleibende  Cornea 
an.  Ei  ss  kann  nur  geschehen,  indem  auch  der  Glaskörper  nachrückt  und  der  Bulbus 
in  den  Äquatorialdurchmessern  verkleinert  wird.  Da  hiebei  die  Ciliarfortsätze  ihre  rela- 
tive Lage  zu  einander  und  zur  Cornea  nicht  ändern  können,  so  muss  es  die  Zonula 
Zinnii  sein,  welche  ein  Vorrücken  des  Linsensystemes     um   ['"  und  darüber  gestattet. 

Die  hintere  Hälfte  der  Linsenkapsel  ist  (in  der  tellerförmigen  Grube 
des  Glaskörpers)  ziemlich  fest,  doch  nicht  unzertrennlich  mit  der  Glas- 
haut vereinigt.  Hat  man  die  Zonula,  das  Aufhängeband  der  Linse, 
ringsum  vorsichtig  getrennt,  so  kann  man  auch  die  Linse  sammt  ihrer 
Kapsel  aus  der  tellerförmigen  Grube  herausheben,  ohne  die  Hyaloidea 
daselbst  zerreissen  zu  müssen. 

a.  Die  Kapsel,  welche  gewöhnlich  in  eine  vordere  und  hintere 
(Hälfte)  unterschieden  wird,  bildet  ein  ununterbrochenes  Ganze,  und 
umschliesst  die  Linse  ungefähr  in  der  Art,  wie  die  Schale  eines  Apfels 
das  Parenchvm.  Es  ist  irrig,  wenn  man  meint,  die  Linse  liege  in  der 
Kapsel,  wie  eine  Erbse  in  der  Hülse,  oder  gar  sie  sei  durch  Flüssig- 
keit (Humor  Morgagni!)  von  derselben  getrennt. 

Die  vordere  Hälfte  der  Kapsel,  welche  durch  Verschmelzung  mit 
der  an  sie  tretenden  Zonula  Zinnii  und  mit  der  metamorphosirten  Mem- 
brana capsulo-pupillaris  (siehe  unten  Entwicklungsgeschichte)  bedeutend 
verstärkt  wird,  ist  nichts  weniger  als  spröde,  sondern  elastisch  und 
ziemlich  zähe. 

Einer  stumpfspitzigen  Nadel  widersteht  sie  nur  dann  nicht,  wenn  sie  straff  ge- 
spannt ist  und  rasch  getroffen  wird.  Eben  so  weicht  sie  der  Schneide  der  Nadel  leicht 
aus,  wenn  sie  bereits  eingeschlitzt  ist,  und  die  Spitze  beim  Schneiden  nicht  neuerdings 
an  ihre  vordere  Fläche  angesetzt  wird.  Durch  einen  einfachen  Schlitz  kann  selbst  die 
ganze  Linse  herausgedrückt  werden,  ohne  dass  die  beiden  Seitenhälften  in  Zipfel  ein- 
reissen  müssen,  obwohl  diess  häufig  geschieht. 

Lappen  oder  Zipfel  der  Kapsel  rollen  sich  allmälig  von  der  Spitze 
her  ein,  und  ziehen  sich  runzelig  gegen  den  Äquator  hin  zusammen. 
Kleinere  Stücke,  mit  einer  Pincette  gefasst,  reissen  bei  noch  unversehr- 
ter Zonula  leicht  ab,  wenn  man  sie  in  der  Richtung  ihrer  Fläche  an- 
zieht, ausserdem  lassen  sie  sich  leicht  über  die  ganze  vordere,  selbst 
weit  in  die  hintere  Kapsel  hinein  vergrössern. 

Die  Kapsel  ist  vollkommen  durchsichtig,  und  bewahrt  diese  Eigen- 
schaft selbst  nach  jahrelanger  Aufbewahrung  in  Weingeist,  Sublimat, 
Essigsäure  u.  dgl.     Man  hat  bisher  weder  Gefässe  noch  Nerven,  nicht 


Anatomie  —  Physiologie.  241 

einmal  deutliche  Faserimg  in  derselben  nachgewiesen.  Ihre  vordere 
Fläche  ist  mit  einem  ähnlichen  Epithelium  überzogen  wie  die  Desce- 
metsche  Haut  (Brüche).  Ihre  hintere  (innere  Fläche)  kann  nur  durch 
sorgfältiges  Abstreifen  und  Abspülen  von  den  Linsenzellen  befreit 
werden. 

Kach  lluschke  entsteht  die  Kapsel  im  Embryo  durch  Einstülpung 
der  äussern  Bedeckungen ;  indem  der  also  gebildete  Sack ,  in  welchem 
später  die  Linse  als  körnige  Masse  gefunden  wird,  sich  nach  vorn  ver- 
engert und  abschnürt,  wird  er  zu  einer  selbstständigen  Kapsel,  deren 
vordere  Fläche  mit  der  allmälig  ihren  Gefässreichthum  einbüssenden 
Membrana  capsulopupillaris  verschmilzt,  während  sich  über  beide  vom 
Rande  her  die  Zonula  gleichsam  vorschiebt.  —  Wird  die  Kapsel  durch 
Gefässe  ernährt,  so  kann  sie  dieselben  in  ihrer  vordem  Hälfte  nur  mit- 
telst der  Zonula,  in  ihrer  hintern  nur  mittelst  der  Hyaloidea  erhalten. 

b.  Die  Linsensubstanz  kann  deutlich  in  zwei  verschiedene  Lagen 
geschieden  werden,  den  Kern  und  die  Rinde.  Der  sogenannte  Liquor 
Morgagni/',  ein  Tröpfchen  klarer  Flüssigkeit,  welche  in  Cadavern  aus 
einem  Einstiche  in  die  Kapsel  hervorquillt,  enthält  durchsichtige  und 
farblose  kernhaltige  Blasen  von  sechseckiger  Gestalt,  die  Linsenkugeln. 
Sie  dürften  als  die  jüngsten  Elemente  zur  Bildung  der  Fasern  zu  be- 
trachten sein,  welche  man,  je  weiter  gegen  das  Centrum  der  Linse  hin, 
desto  deutlicher  ausgeprägt  findet. 

Die  Rindensubstanz  ist  eine  körnig-faserige,  krystallkelle  und  farb- 
lose, weiche,  etwas  klebrige  und  schmierige,  fast  gallertartige  Masse, 
welche  den  Kern  rings  umgibt.  Am  mächtigsten  ist  sie  gegen  den  Rand 
hin,  gegen  1 1'"  dick,  minder  mächtig  im  vordem  Umfange,  am  vordem 
Pule  etwa  i  z'"  dick,  am  dünnsten  im  hintern  Umfange,  am  hintern 
Pole  gewöhnlich  nur  '/5 — V«'".  Sie  erfüllt  also  den  Raum,  der  übrig- 
bleibt, wenn  man  das  Volumen  des  Kernes  (3'"  Durchmesser,  i1^'" 
Achse)  von  dem  der  Kapsel  (4'"  Durchm. ,  2'"  Achse  im  Mittel)  abzieht. 
Der  Kern  liegt  somit  der  hintern  Kapselwand  näher  als  der  vordem. 

Der  Kern  unterscheidet  sich  von  der  Rindensubstanz  durch  seine 
grössere  Consistenz.  Er  allein  ist  es,  welcher  in  der  2.  Lebenshälfte  eine 
mehr  und  mehr  gelbliche  Färbung  annimmt.  Bloss  der  Kern  wird  im 
Weingeiste  hart;  die  Ptinde  bleibt  mehr  weniger  weich  und  schmierig 
oder  bröcklieh. 

Ein   Zerklüften    der   Kernsubstanz,    wie   wir   in   der   Rinde   beobachten,    habe   ich 

wenigstens   an   den  in   Weingeist   aufbewahrten    Cataracten    nie    gefunden.  —  Besonders 

schön   sah   ich   den   Unterschied   zwischen   Kern-    und   Rindensubstanz    an   einem  wegen 

Sarcoma    melanodcs    esstirpirten    Bulbus.     Die    melanotisch-sarcomatöse  Masse   füllt    den 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  16 


242  Krystalllinse. 

Bulbus  ganz  aus ,  und  hat  die  Sclera  im  Äquator  durchbrochen ;  ein  senkrecht  von  oben 
nach  unten  geführter  Durchschnitt  hat  den  Bulbus  und  die  Linse  in  eine  innere  und 
äussere  Hälfte  geschieden.  In  der  innen  ganz  glatten  Kapsel,  durch  welche  die  mit 
ihrer  äussern  Fläche  verschmolzene  melanotische  Masse  durchscheint,  liegt  die  Linse,  in 
der  Mitte  der  Kern,  dunkelgelb,  hart,  3'"  im  Durchmesser,  1  'As'"  in  der  Achse,  ringsum 
die  Rinde  graulich-weiss,  käseartig,  wie  eine  Schale,  vorn  mächtiger,  hinten  dünner. 

Sowohl  der  Kern  als  die  Rinde  besteht  aus  concentrisch  über  ein- 
ander liegenden  Blättern,  welche  aus  Fasern  zusammengesetzt  sind.  Diese 
Blätter  werden  gegen  die  Pole  hin  dünner,  als  sie  am  Rande  sind. 
Ihre  Verbindung  unter  einander  geschieht  durch  eine  formlose  oder  fein- 
körnige flüssige  Masse.  Dieser  Bitidestojf  scheint  gegen  die  Kapsel  hin 
reichlicher  vorhanden  zu  sein  als  im  Kerne,  wenigstens  ist  in  den 
oberflächlichen  Schichten  die  Verbindung  der  Blätter  unter  einander 
lockerer.  —  Die  Faser?i,  welche  durch  Nebeneinanderliegen  ein  Blatt 
bilden,  sind  die  feinen  und  regelmässig  geordneten  Grundelemente  der 
Linsensubstanz.  Sie  laufen  in  jedem  Blatte  von  dem  Äquator  nach  den 
Polen  dicht  neben  einander  und  ohne  sich  zu  kreuzen.  Die  Gestalt  jeder 
Faser  ist  platt,  aber  mehr  weniger  sechsseitig  prismatisch.  Jede  Faser 
wird  in  ihrem  Verlaufe  vom  Äquator  gegen  die  Pole  hin  dünner.  Jede 
Faser  läuft  über  den  Rand  der  Linse  von  der  vordem  oder  hintern 
Fläche.  Den  Ausgangspunkt  auf  der  einen  und  den  Eingangspunkt  jeder 
Faser  auf  der  entgegengesetzten  Oberfläche  bilden  die  Pole  und  Meridiane 
der  Linse. 

Die  wirklichen  (nicht  die  mathematischen)  Pole  der  Linse  sind  drei- 
oder  viereckige  Stellen  in  der  Achse  der  Linse,  von  welchen  die  Meri- 
diane Avie  die  Speichen  eines  Rades  gegen  den  Rand  der  Linse  hin 
auslaufen.  Die  Pole  sowohl  als  die  Meridiane  sind  gebildet  durch  eine 
Masse  aus  runden,  gekernten,  sehr  durchsichtigen  und  unzusammen- 
hängenden Zellen  von  verschiedener  Grösse,  so  wie  wir  sie  an  der 
äussersten  Peripherie  (in  den  jüngsten  Schichten)  finden. 

Die  Meridiane  sind  theils  Hauptmeridiane,  welche  vom  Pole  gegen 
den  Rand  hin  laufen,  ohne  denselben  zu  erreichen,  theils  Nebenmeridiane, 
welche  gleichsam  als  dichotome  Spaltungen  der  Hauptmeridiane  gegen 
den  Äquator  hin  erscheinen.  Die  Zahl  der  Hauptmeridiane  ist  in  der 
menschlichen  Linse  drei  in  der  vordem,  und  drei  oder  vier  in  der  hin- 
tern Hemisphäre.  In  der  vordem  geht  der  eine  nach  oben,  der  andere 
nach  unten  und  aussen,  der  dritte  nach  unten  und  innen,  in  der  hintern 
dagegen  der  eine  nach  unten,  der  andere  nach  oben  und  aussen,  der 
dritte  nach  oben  und  innen.  Ein  solches  Wechselverhältniss  der  Rich- 
tung an  der  hintern  und  vordem  Hemisphäre  findet  auch  bei  einer 
grössern  Anzahl  von  Hauptmeridianen  (6),  welche  nicht  selten  vorkommt, 


Anatomie  —  Physiologie.  243 

und  bei  den  Nebenmeridianen  statt.  Indem  die  Meridiane  sämmtlicher 
Blätter  der  vordem  Hemisphäre  sich  decken,  und  eben  so  die  der  hin- 
tern, geht  also  die  sie  bildende  KernzeUensubstanz  nirgends  durch  die 
ganze  Dicke  der  Linse,  und  es  kann  daher  von  einem  Zerklüften,  von 
einer  Dehiscenz  der  Linse,  bedingt  durch  Zerstörung  dieser  Kernzellen- 
substanz, nie  in  dem  Sinne  die  Rede  sein,  als  ob  ein  Spalt  durch  die 
ganze  Dicke  der  Linse  entstehen  könnte.  Legt  man  die  Linse  in  Wein- 
geist, so  zerklüftet  nur  die  Rindensubstanz  in  der  Richtung  der  Meri- 
diane. Man  sieht  3,  5,  6 — 12  solche  speichenartig  verlaufende  weisse 
Streifen  in  derselben.    (Nie  sah  ich  sie  am  Kerne.) 

Bestandtheile  nach  Berzelius:  Wasser  58,0,  eiweissartige  Materie 
35,9;  Alkoholextract  mit  salzsauern  und  milchsauern  Salzen  2,4,  im 
Wasser  lösliche  Materie  mit  phosphorsauern  Salzen  1,3,  unauflösliche 
Theilchen  2,4.  Die  Asche  enthält  Spuren  von  Eisen;  sie  beträgt  0,005 
vom  Gewichte  der  frischen  Linse. 

Auf  welche  Weise  die  Linse  und  die  Kapsel  ernährt  werde,  ist  bei 
dem  Umstände,  dass  sich  in  der  Kapsel  bei  Erwachsenen  durchaus  keine 
Gefässe  nachweisen  lassen,  noch  unbekannt.  Sie  erfolgt  höchst  wahr- 
scheinlich vom  Rande  her  aus  den  Ciliarfortsätzen  durch  den  Petitschen 
Canal.  Dort  wenigstens  ist  die  mächtigste  Schichte  der  Elemente,  welche 
man  als  die  jüngste  der  Linse  zu  betrachten  berechtigt  ist.  Ausserdem 
Hesse  sich  nur  annehmen,  dass  die  Ernährung  von  der  Zonula  Zinnii 
und  von  der  vordem  Kapsel  her  durch  Vasa  serosa  erfolge.  Blutführende 
Gefässe  sind  nur  im  embryonalen  Zustande  sowohl  in  der  vordem  als 
in  der  hintern  Kapsel  bestimmt  nachgewiesen.  Erstere  kommen  von  der 
Zonula  her,  letztere  von  der  Art.  centralis  corp.  vitrei. 

Die  Linse  durchläuft,  abgesehen  von  Erkrankung,  auch  nach  der 
Geburt  noch  mehrfache  namhafte  Veränderungen.  Nebst  der  Torrn  und 
Lage,  von  denen  schon  die  Rede  war,  ändern  sich  auch  ihre  Consistenz 
und  ihre  Farbe.  Im  Kindesalter  hat  sie  ungefähr  die  Consistenz  eines 
dicken  Breies  und  lässt  sich  leicht  zwischen  den  Fingern  zerdrücken. 
Noch  in  den  zwanziger  Jahren  findet  man  ihre  Consistenz  so  gering, 
dass  sie  einer  x\i— -jz'"  breiten  Reclinationsnadel  nicht  ausweicht,  wenn 
man  sie  in  den  Glaskörper  hineinzudrücken  versucht,  sondern  sich  in 
2  Hälften  trennt.  Im  Greisenalter  zeigt  sie  auch  bei  völliger  Durch- 
sichtigkeit ungefähr  die  Härte  des  Schweizerkäses.  Lässt  man  von  einem 
Kinde  die  Linse  mit  uneröfifneter  Kapsel  einige  Zeit  an  der  Luft  liegen, 
so  wird  die  Kapsel  runzlig,  was  bei  Linsen  älterer  Individuen  nicht  so 
"bald  oder  gar  nicht  geschieht.  —  Bis  zum  30.  Jahre  ist  die  Linse  voll- 
kommen farblos;  von  da   an  wird  sie  blassweingelb   und  allmälig  wie 

16* 


244  Krystalllinse. 

Topas  oder  Bernstein.  Diese  Veränderungen  erfolgen  so  constant,  dass 
man  aus  der  Farbe  und  Consistenz  einer  Linse  allein  mit  Sicherheit 
bestimmen  kann,  ob  sie  aus  dem  Cadaver  eines  jugendlichen  oder  eines 
bejahrten  Individuums  genommen  wurde. 

Lässt  man  bei  Thieren  Sonnenlicht  durch  ein  starkes  Brennglas 
auf  die  Linse  fallen,  so  zerklüftet  sie  in  der  Richtung  der  Meridiane 
und  wird  trüb.  Wemek*)  hat  bei  einem  Steinröthel  und  bei  einem  Jagd- 
hündchen durch  concentrirtes  Licht  cataracöse  Linsen  zum  Zerspringen 
gebracht,  und  hiedurch  Resorption  derselben  eingeleitet.  Dr.  Fron- 
müller**) sah  eine  Catar.  lenticularis  plötzlich  bei  einem  65jährigen 
Manne  entstehen,  welchem  durch  eine  blasenartige  Convexität  in  einer 
Fensterscheibe  concentrirtes  Licht  in's  Auge  gefallen  war  (?).  Vom  Ver- 
halten der  Linse  gegen  den  galvanischen  Strom  wird  bei  den  Staar- 
operationen  die  Rede  sein.  Luft  in  die  vordere  Kammer  eingebracht, 
erregt  nach  Dr.  Höring's***)  Versuchen  Entzündung  nicht  nur  der  Zonula 
Zinnii ,  sondern  auch  der  vordem  Kapselwand  (?).  Über  mechanische 
und  chemische  Verletzimg en  der  Kapsel  bemerkt  derselbe  Autor  S.  15: 
„Wir  machten  den  Versuch  bei  Thieren,  wir  rieben  und  stachen  die 
Kapsel,  wir  kauterisirten  sie  mit  salpetersaurem  Silber  f)  und  mit  ver- 
dünnten Säuren,  doch  ungeachtet  unserer  Mühe  und  jeder  nur  mög- 
lichen Sorgfalt  brachten  wir  es  nur  selten  dahin,  in  der  Linsenkapsel 
eine  Entzündung  hervorzurufen,  welche  wir  durch  Section  nachweisen 
konnten.  Es  ist  wahr,  dass  in  Folge  dieses  Verfahrens  die  Linse  in  ihren 
organischen  Verhältnissen  oft  verändert  war;  sie  wurde  dunkel,  erweicht 
oder  zur  Hälfte  resorbirt.  Auch  die  Kapsel  war  auf  den  ersten  Anblick 
weisslich  und  neblig,  aber  wenn  man  die  dunkeln  Stellen  derselben 
unter  dem  Mikroskop  untersuchte,  zeigten  sich  Gruppen  kleiner  Falten, 
dadurch  entstanden,  dass  die  Membran  sich  zusammenzog,  während  wirk- 
liche plastische  Ausschwitzungen  sehr  selten  waren". 

Kleine  Stich-  und  Schnittwunden  der  vordem  Kapsel  können  spur- 
los vernarben. 

Im  Jahre  1S40  machte  Prof.  Fischer  bei  einem  25jährigen  an  Tubercul.  pulm. 
leidenden  Manne  die  Discission  beider  Kapseln  durch  die  Cornea.  Der  sehr  weiche, 
bläulich  weiss  aussehende  Linsenstaar  wurde  in  den  nächsten  Tagen  etwas  gesättigter. 
Am  17.  Tage  erlag  der  Kranke  plötzlich  seinem  Lungenleiden.  Prof.  Bochdalek  fand  bei 
der  Untersuchung  die  Kapseln  schlaff,  doch  überall  geschlossen,  ohne  Spur  einer  Narbe, 
und   nach  Abstreifung   eines   feinen  Beschlages   von    der  Innenfläche    überall    vollkommen 

*)  Ammon's  Zeitschrift  1834.     Bd.  II.  S.  14. 
**)  Walther  und  Ammon's  Journal  N.  F.     Band  II.    S.  174. 
***)  Preisschrift  über  den  grauen  Staar.     Heilbronn,  1814.     S.  16.  Beob.  5. 

f)   Wemek  1.  c,  S.  18.,    ätzte  die  Kapsel  mit  Lapis  milchblau,   und   es  blieb  -weder  ein  Fleck  noch  eine 
Narbe  zurlick. 


Anatomie  —  Physiologie.  245 

durchsichtig-.  Trof.  Fischer,  dem  ich  assistirtej  hatte  beiderseits  die  Kapseln  einfach  ein- 
geschnitten, ohne  förmliche  Lappen  zu  bilden,  weil  gleich  nach  Eröffnung  der  Kapseln 
etwas  milchige  Flüssigkeit  in  den  Humor  aqueus  austrat.  Im  October  1849  untersuchte 
ich  mit  Prof.  Engel  die  Augen  einer  Kranken,  an  welchen  ich  5  Wochen  vor  dem  Tode 
die  Discission  durch  die  Cornea  gemacht  hatte.  Die  Ursache  der  Cataracta  und  des  Todes 
■war  Diabetes  mellitus.  Es  fanden  sieh  in  beiden  vordem  Kammern  mehrere  Stückchen 
Linsensubstanz,  deutliche  Linsenfasern  mit  Kugeln  untermischt;  die  Kapseln  zeigten  deut- 
liche Öffnungen,  nirgends  eine  Trübung. 

An  Tbieren  haben  insbesondere  Dietrich*),  Beger**)  und  Wer- 
We/.'***)  d^  Verwundbarkeit  des  Krystallkörpers  geprüft.  Durch  ein- 
fache Stichwunden  der  vordem  Kapsel  drängt  sich  vermöge  der  Elasti- 
cität  dieser  Membran  eine  kleine  Partie  der  halbflüssigen  Rindenschicht  ■ 
hervor,  und  bildet,  indem  sie  trüb  und  weisslich  wird,  die  so  genannte 
Rrystallflocke.  Diese  ist  kegelförmig,  mit  ihrer  Basis  auf  der  Kapsel 
und  Linse  sitzend,  mit  ihrer  Spitze  in  die  Augenkammer  hineinragend, 
oder  (meistens)  an  die  Hornhautwunde  sich  anlehnend.  Sie  scheint  un- 
mittelbar nach  der  Verwundung  zu  entstehen,  obgleich  sie  gewöhnlich 
erst  nach  mehreren  Stunden  sichtbar  (trüb)  wird.  Sie  verschwindet 
allmälig,  so  wie  sich  die  Kapselöffnung  schliesst.  An  ihrer  Stelle  bleibt 
in  der  Regel  keine  Trübung,  weder  der  Linse  noch  der  Kapsel  zurück. 

Auch  Schnittwunden  pflegen  keine  andern  Folgen  zu  haben,  und 
selbst  gerissene  Kapselwunden,  wenn  nur  ohne  gleichzeitige  Erschütte- 
rung des  Krystallkörpers  beigebracht,  können  unbeschadet  der  Durch- 
sichtigkeit der  Kapsel  und  Linse  wieder  vernarben. 

Der  Zutritt  des  Kammerwassers  zur  Linse  durch  eine  Kapselöffnung 
scheint  durch  das  Verlegtwerden  derselben  mittelst  der  Rindensubstanz; 
abgehalten  zu  werden,  und  erst  bei  grösseren  Öffnungen  oder  bei 
solcher  Beschaffenheit  derselben,  dass  sie  nicht  leicht  verlegt  werden 
können  (Zipfelbildung),  sieht  man  das  Kammerwasser  auf  die  Linse  der- 
art einwirken,  dass  diese  getrübt  und  sofort  erweicht,  aufgelockert  und 
verflüssigt  wird. 

Verwundungen  der  hintern  Kapselhälfte,  wenn  dabei  die  Linse  nicht 
verrückt  wird,  heilen  oft  wie  die  Wunden  der  vordem  Wand;  wird 
aber  die  Kapselwand  stark  zerrissen,  so  erfolgt  Trübung  derselben,  oft 
mit,  oft  ohne  Verdunkelung  der  ganzen  Linse.  Nach  Wernek  ist  es 
ferner  nicht  gleiehgiltig,  ob  ein  Stich  in  das  Fasergewebe  oder  in  die 
Kernzellensubstanz  (des  Poles  und  der  Meridiane)  gedrungen  ist;  in 
letzterem  Falle  bleibe  gewöhnlich  nur  am  Einstichspunkte  eine  Trübung 
zurück. 

*)  Über  Verwundungen  des  Linsensystemes.     Tübingen,  1824. 
**)  Ammon's  Zeitschrift.     Bd.  III.    S.  167. 
«**)  Ammon's  Zeitschrift.     Bd.  IV.    S.  18. 


216  Krystalllinse. 

Nichts  bewirkt  leichter  Trübung  der  Linse,  als  Erschütterung.  Diet- 
rich, Beger  und  Wernek  stimmen  in  dem  Punkte  überein,  dass  Ver- 
rückung- der  Linse  in  ihrer  Kapsel  ohne  Weiteres  Trübung  der  Linse 
zur  Folge  habe.  Hierauf  ist  daher  nach  Verletzungen  besonders  Rück- 
sicht zu  nehmen,  wenn  man  bestimmen  soll,  ob  Linsentrübung  nach- 
folgen werde  oder  nicht.  Nur  so  löst  sich  der  Widerspruch,  welcher 
scheinbar  darin  liegt,  dass  oft  die  geringste  Verletzung,  der  Stich  mit 
einer  Nähnadel,  schon  Cataracta  herbeiführt,  hingegen  weit  grössere 
Stich-  und  Schnittwunden  keine  Trübung  zur  Folge  haben.  Die  Anord- 
nung der  halbflüssigen  peripherischen  Linsenzellen  und  Linsenfasern, 
welche  den  Zusammenhang  der  Kapsel  mit  der  festeren  Linsensubstanz 
vermitteln,  scheint  demnach  eine  bestimmte  und  für  die  Ernährung  der 
Linse  unumgänglich  nothwendige  zu  sein. 

.  Regenerirt  sich  die  Linse  ?  Vieles  ist  dafür,  vieles  dagegen  vorge- 
bracht worden.  Die  verschiedenen  Behauptungen  stützen  sich  theils  auf 
Vivisectionen,  theils  auf  die  anatomische  Untersuchung  operirter  catarac- 
töser  Augen.  —  Versuche  an  Thieren  habe  ich  nicht  gemacht;  in  Bezug 
auf  die  von  Andern  vorgenommenen  muss  bemerkt  werden,  dass  man 
es  unterlassen  hat,  sich  zu  überzeugen,  ob  durch  die  Operation  die  ge- 
stimmte Linse  aus  der  Kapsel  entfernt  wurde,  oder  ob  nicht  ein  Theil 
derselben,  die  Rindensubstanz,  zurückgelassen  worden  war.  Man  hat  die 
extrahirten  Linsen  nicht  genau  gemessen. 

Selbst  Dr.  Löwenhardt's  Versuche*)  geben  keinen  hinreichenden  Beweis  für  die 
Regeneration  der  Linse.  Er  machte  am  6.  Juli  1827  bei  einem  10-  und  bei  einem 
12monatlichen  Kaninchen  die  Extraction  der  Linse;  als  er  nach  etwas  mehr  als  9  Mona- 
ten die  Operation  wiederholte,  erhielt  er  Krystalllinsen  (?),  welche  viel  abgeplatteter 
und  auch  weniger  consistent  waren,  als  die  ersten,  namentlich  an  den  Rändern.  Bei  dem 
einen  Kaninchen  fand  er  3  Monate  nach  der  Wiederholung  der  Operation  in  der  Kapsel 
nur  etwas  gallertartigen  Schleim.  Am  16.  Juli  wurden  zwei  Cmonatliche  Kaninchen  durch 
Extraction  operirt;  bei  Wiederholung  der  Operation  nach  1  Jahre  fand  sich  nur  etwas 
gelatinöser  Schleim  vor.  Auch  Textor  der  Sohn**),  welchem  wir  eine  sehr  sehätzens- 
werthe  Abhandlung  über  diesen  Gegenstand  mit  vortrefflichen  Abbildungen  verdanken, 
hat  gleich  den  übrigen  Autoren  weder  Messungen  der  extrahirten  Linsen ,  noch  mikro- 
skopische Untersuchungen  jener  Masse  vorgenommen,  welche  er  für  wieder  erzeugte 
Linse  hielt.  Prof.  Mayers  Angabe,  dass  er  nur  dann  Linsensubstanz  vorfand,  wenn  das 
Thier  erst  mehrere  Wochen  nach  der  Operation  getödtet  wurde,  wäre  allerdings  geeignet, 
für  Wiederersatz  von  Linsensubstanz  zu  sprechen,  wenn  sie  nicht  mit  den  Angaben  An- 
derer im  Widerspruch  stünde,  und  wenn  sie  sich  nicht  immer  bloss  auf  ein  Auge  bezöge. 
Ebenso  hat  Valentin  ***)  die  durch  Extraction  beseitigten  Linsen  nicht  gemessen ,  und 
uns  den  Zweifel  nicht  benommen,  ob  er  nicht  einen  beträchtlichen  Theil  der  Linse  (Rin- 

*)  Froriep's  Notizen  N.  418  Sept.  1841. 

**)  Über  die  Wiedererzeugung  der  Krystalllinse.     Würzburg,  1n42. 
***)  Zeitschrift  für  rationelle  Modicin  von  Henle  und  Pfcuffer,  Bd.  I.  1844,    S.  227. 


Anatomie  —  Physiologie.  247 

densubstanz)  zurückgelassen  hatte.  Er  entfernte  am  24.  Juni  1842  bei  einem  jungen  und  bei 
einem  alten  Kaninchen  die  Linse  des  linken  Auges  durch  Extraction  möglichst  vollständig  (?). 
Die  Kapsel  'war  in  der  untern  Hälfte  eröffnet  worden.  Die  anatomische  Untersuchung  er- 
folgte am  IS.  October  desselben  Jahres.  Bei  dem  jüngeren  Thiere  erschien  die  Pupille  ganz 
rein;  an  der  Stelle  der  Linse  erschien  ein  heller,  kreisförmiger  plattrundlicher  Theil  von 
4 V*'"  Durchmesser,  der  nur  nach  unten  hin  defect  und  ausgeschnitten  war.  Diese  Lücke, 
welche  sich  bis  nach  dem  Centrum  hin,  der  Pupille  gegenüber  erstreckte,  ergab  eine  grösste 
Länge  von  etwas  mehr  als  2'"  und  eine  Breite  von  2[/s'",  erschien  unregelmässig  drei- 
eckig und  hatte  ihre  Basis  nach  aussen  und  unten ,  ihre  Spitze  nach  dem  Centrum  der 
Linse  gerichtet.  Durch  sie  fand  eine  ziemlich  innige  Anheftung  zwischen  der  regenerir- 
ten  Linse  und  der  Iris,  so  wie  mittelbar  mit  der  Hornhautnarbe  statt  (?).  Die  Linse  des 
rechten  Auges  hatte  43/V"  im  Durchmesser,  und  war  von  vorn  nach  hinten  ungefähr 
etwas  mehr  als  noch  einmal  so  stark,  wie  der  neue  Krystallkörper  des  linken  Auges. 
Dieser  zeigte  schon  dem  freien  Auge  alle  Charaktere  der  ächten  Linsenmasse.  Wurde 
er  im  Ganzen  mit  der  Linsenkapsel  und  der  anhaftenden  Partie  des  Glaskörpers  unter 
das  Mikroskop  gebracht,  und  bei  massig  starker  Vergrösserung  betrachtet,  so  fielen  in 
der  Xähe  der  Oberfläche  sogleich  die  eigenthümlichen  Linsenzellen  und  mehr  in  der 
Tiefe  die  schwächer,  aber  bestimmt  gezeichneten  Linsenfasern  auf.  Die  gesammte  Masse 
aber  bot  unregelmässige ,  bald  irregulär  gehäufte,  bald  deutlicher  geschichtete  Fragmente, 
welche  bei  gesunden  und  vollständigen  Linsen  nicht  vorkommen,  und  auch  dem  Krystall- 
körper des  gesunden  Auges  fehlten,  dar.  Die  Linsenzellen  wurden  sowohl  an  der  vor- 
dem ,  als  an  der  hintern  Oberfläche  der  Linse ,  und  zwar  an  dieser  reichlicher  als  an 
jener  wahrgenommen,  theils  isolirt,  theils  zusammen  gehäuft.  Die  Linsenfasern,  die  meist 
den  obeu  erwähnten  Fragmentai-bestandtheilen  der  Linse  entsprechend  verliefen,  zeigten 
sich  an  vielen  Stellen  scharf  begrenzt,  und  hatten  neben  ihren  bestimmten  Bändern  bis- 
weilen anliegende  kleine  Körnchen,  wie  dieses  auch  bei  gesunden  Linsen  nicht  selten 
vorkommt.  An  andern  Stellen  konnten  die  Fasern  nicht  immer  innerhalb  der  bröcklichen 
Masse  mit  Bestimmtheit  verfolgt  werden.  Die  oberflächlichen  Linsenschichten  massen 
0,0035'"— 0,0070'"  während  die  des  gesunden  Krystallkörpers  0,0025'"— 0,0035'"  er- 
gaben ;  jene  waren  also  im  Durchschnitte  bedeutend  breiter,  als  diese.  Die  Substanz  der 
Linsenkapsel  zeigte  sich  in  beiden  Augen  gleich  durchsichtig.  An  der  vordem  Fläche 
der  Kapsel  der  wiedererzeugten  Linse  glaubte  V.  ein  schwaches  Gefässnetzwerk  wahr- 
zunehmen, welches  er  sowohl  an  deren  hinterer  Fläche  als  in  der  Kapsel  des  gesunden 
Bulbus  vergeblich  suchte.  Der  regenerirte  Krystallkörper  wurde  durch  Weingeist  ebenso 
milchweiss  und  undurchsichtig,  wie  der  gesunde. 

Bei  dem  altern  Kaninchen  hatte  die  Linse  des  operirten  Auges  Vj-i.'",  die  des 
rechten  Auges  41  V"  im  Durchmesser;  jene  war  von  vorn  nach  hinten  ebenfalls  mehr 
abgeplattet,  der  Hornhautnarbe  gegenüber  unvollständig  (Lücke  wie  bei  dem  Jüngern), 
und  gleichfalls  mit  dieser  durch  Exsudat  verbunden,  im  grössten  Theile  ihrer  Peripherie 
hell  und  durchsichtig,  im  Centrum  und  etwas  nach  hinten  und  unten  milchweiss  getrübt. 
Die  Linsenzellen  bildeten  eine  dünne  Lage  an  der  Oberfläche,  hinten  dünner  als  vorn.  Die 
meisten  Linsenfasem  waren  scharf  gezeichnet  und  vorn  regulär  bogenförmig  geordnet' 
hinten  dagegen  unregelmässiger  durch  einander  geworfen,  und  selbst  an  einzelnen  Stellen 
innerhalb  der  weicheren  bröcklichen,  wie  Gummifragmente  gebrochenen  Masse  nicht  deut- 
lich kenntlich;  die  oberflächlichen  Fasern  waren  gleichfalls  etwas  breiter,  als  die  des 
rechten  Auges.  Die  gesammte  Linsenmasse  war  bis  auf  den  hartem  Kemtheil  von  einer 
.Flüssigkeit  durchdrungen,  in  welcher  einzelne  Linsenzellen   schwammen.     Auch   hier  war 


248  Krystalllinse. 

die  Kapsel  durchsichtig  und  mit  feinen  Körnchen  besetzt.  Spuren  von  Gefässnetzen  wur- 
den hier  vergeblich  gesucht.  Auf  diesem  Auge  war  stärkere  Reaction  eingetreten  gewe- 
sen, vmä  hatte  eine  breitere  Hornhautnarbe  hinterlassen.  Das  Auge  des  älteren  Kanin- 
chens war  nach  allen  Durchmessern  beinahe  um  V"  geschrumpft,  während  bei  dem  jungem 
Thiere  die  Schrumpfung  der  3  Durchmesser  nur  beiläufig  '/*'"  betrug.  Bei  dem  älteren 
Thiere  war  auch  Verflüssigung  des  Glaskörpers  eingetreten. 

Bis  jetzt  kann  nur  so  viel  als  sicher  angenommen  werden,  dass 
man  nach  der  Extraction  noch  Linsensubstanz  in  der  Kapsel  vorgefun- 
den hat.  Diese  Substanz  war  durchaus  weich.  Eine  Wiedererzeugung 
des  Kernes  hat  Niemand  nachgewiesen.  Die  Frage  der  Regeneration 
hat  nur  insofern  Interesse,  als  es  sich  um  die  Wiederherstellung  der 
Form  und  der  Function  der  beseitigten  Linse  handelt.  Ob  vom  Rande 
her  etwas  Linsensubstanz  regenerirt  werden  könne  oder  nicht,  das  kann 
so  ziemlich  als  müssige  Frage  betrachtet  werden.  Übrigens  ist  wohl 
nicht  zu  übersehen,  dass,  wenn  auch  die  theilweise  Regeneration  der 
Linse  schon  durch  Vivisectionen  sicher  gestellt  wäre,  doch  zwischen 
dem  gesunden  Auge  eines  jungen  lebenskräftigen  Thieres  und  dem 
cataractösen  Menschenauge  noch  ein  grosser  Unterschied  in  Bezug  auf 
die  vegetativen  Verrichtungen  obwalten  müsse.  Und  doch  will  man  bei 
alten  abgelebten  Greisen  nichts  Geringeres  als  Regeneration  der  Linse 
gefunden  haben!  Retzius*)  will  daraus  erklären,  warum  Operirte  mit 
der  Zeit  oft  minder  starke  Gläser  brauchen,  und  Volkmann**),  Valentin 
1.  c.  u.  A.  sind  dieser  Ansicht  beigetreten,  ohne  zu  bedenken,  dass  bei 
den  bisher  untersuchten  Menschenaugen  die  Lücke  der  Linsensubstanz, 
welche  Valentin  bei  den  Kaninchen  nach  unten  beobachtete,  im  Centram, 
also  gerade  da  gefunden  wurde,  wo  die  Lichtstrahlen  die  Linse  zu  pas- 
siren  haben.  Lässt  sich  wohl  denken f  dass  eine  so  unregelmässig  ge- 
baute Linse,  wie  Valentin  sie  selbst  bei  den  jungen  Kaninchen  fand,  der 
Function  der  Strahlenbrechung  genügen  könne?  Wir  werden  bei  der 
Lehre  von  der  Accommodation,  welche  mit  dieser  Frage  innigst  zusam- 
menhängt, entscheidende  Thatsachen  anführen. 

Alle  Befunde  an  Menschenaugen,  welche  seit  Vrolik  (1801)  von 
W.  Sömmerring  (1828),  Beck  (1830),  Wernek  (1834),  Retzius  (1837), 
Tcxtor  (1842)  u.  A.  veröffentlicht  worden  sind,  beweisen  nicht,  dass  die 
Linsensubstanz,  welche  man  in  der  Kapsel  eingeschlossen  fand,  eine 
regenerirte  war,  sondern  vielmehr ,  dass  sie  ein  Theil  der  Linse  war, 
welcher  nicht  aus  der  Kapsel  entfernt  worden.  Ich  habe  sowohl  durch 
Extraction  als  durch  Reclination  operirte  Augen  in  Zeit  von  einigen  Wochen 

*)  Tidskrift  for  Läkare  1837,  siehe  Textor. 
**)  Wagner's  Handwörterbuch  der  Physiologie.    Bd.  III.    S.  305. 


Anatomie  —  Physiologie.  249 

und  in  Zeit  von  mehreren  Jahren  nach  der  Operation  zu  untersuchen 
Gelegenheit  gehabt,  und  halte  mich  dadurch  in  Stand  gesetzt,  die  An- 
gaben Anderer  zu  beurtheilen.  Die  Beschreibung  einiger  meiner  Prä- 
parate, von  denen  ich  mehrere  aufbewahre,  folgt  weiter  unten  (siehe 
Veränderungen  nach  Staaroperationen).  Man  kann  sich  eine  regnerirte 
Linse  wohl  nicht  denken,  ohne  dass  auch  die  Kapsel  wieder  einen  völ- 
lig geschlossenen  und  durchsichtigen  Sack  darstellt.  Erweitert  man 
nun  in  jedem  Falle,  wo  nach  einer  Staaroperation  die  Pupille  vollkom- 
men (!)  schwarz  und  das  Sehvermögen  so  gut  ist,  dass  man  an  Rege- 
neration der  Linse  denken  könnte,  die  Pupille  so  weit  als  möglich  durch 
Belladonna,  so  wird  man  durch  die  weissen  Streifen  in  der  Gegend  des 
Aequator  lentis  schon  vom  Gegentheil  überzeugt  werden.  Aber  auch  die 
tiefere  Lage  und  das  Schlottern  der  Iris  sind  schon  hinreichend,  zu 
zeigen,  dass  die  Linse  fehle.  —  Der  Umstand,  den  Retzius  anführt, 
nämlich  dass  Operirte  in  späterer  Zeit  schwächerer  Gläser  bedürfen, 
beruht  darauf,  dass  operirte  Augen  erst  in  späterer  Zeit  die  zur  Accom- 
modation  nöthige  Spannung  erlangen,  wie  wir  weiter  unten  erörtern 
werden. 

Function  der  Linse.  Der  Krystallkörper  lässt  die  Lichtstrahlen, 
welche  durch  die  Pupille  zu  ihm  gelangen,  nicht  einfach  durch  sich 
hindurch  gehen,  sondern  er  verändert  ihre  Richtung  derart,  dass  sie  sich 
hinter  ihm  in  Einem  Punkte  vereinigen;  er  ist  eine  biconvexe  Linse, 
gleich  denen,  die  wir  zu  optischen  Zwecken  anwenden.  Er  ist  aber  bei- 
nahe vollkommen  achromatisch,  weit  mehr,  als  unsere  besten  Instru- 
mente dieser  Art,  die  aus  Crown-  und  Flintglas  construirten  Linsen,  mit 
welchen  er,  nach  Hannovers*)  Vermuthung,  eine  analoge  Zusammen- 
setzung (aus  einer  vordem  coneaveonvexen  und  einer  hintern  bicon- 
vexen  Hälfte)  besitzt.  Bei  ihm  ist  endlich,  abgesehen  von  dem  beweglichen 
Diaphragma,  der  Iris,  die  sphärische  Aberration  künstlicher  Linsen  be- 
trächtlich vermindert  (wahrscheinlich  durch  die  verschiedene  Dichtigkeit 
der  peripherischen  und  der  Kernschichten). 

Hielt  ich  die  Linse  von  Neugeborenen ,  in  ihrer  Kapsel  eingeschlossen  und  mög- 
lichst unverändert  (namentlich  mit  Vermeidung  jeder  Compression),  einem  Fenster  gegen- 
über vor  eine  ■weisse  Fläche,  so  bildeten  sich  die  Fensterrahmen  bei  einer  Entfernung 
von  L'/a — 2'"  am  deutlichsten  ab;  bei  Linsen  Erwachsener  wechselte  die  Brennweite 
zwischen  3  und  4"'.  Im  Auge,  tvo  vor  der  Linse  das  Kammerwasser,  hinter  derselben 
der  Glaskörper  ist,  muss  natürlich  —  abgesehen  von  der  Cornea  —  der  Focus  viel  weiter 
von  der  Linse  entfernt  sein.  —  Augen ,  denen  die  Linse  fehlt  (nach  gelungenen  Staar- 
operationen), sind  in  der  Eegel  nicht  im  Stande  zu  lesen,  zu  schreiben  u.  dgl. ;  so  wie 
man   ihnen   ein   die   Stelle    der   Linse    vertretendes   Convexglas    (von   2 — b"  Brennweite) 

*)  Mtiller's  Archiv  für  Anatomie,  Physiologie  etc.  1846.   Heft  5. 


250  Krystalllinse. 

vorhält,  wird  ihr  Gesicht  auch  für  nahe  Gegenstände  hinreichend  scharf.  Es  kommt  aber 
auch  vor,  wenn  gleich  selten  und  nach  meiner  Ei-fahrung  nur  bei  nicht  bejahrten  Ope- 
rirten,  dass  sie  selbst  ohne  Gläser  lesen,  nähen,  eine  Nadel  einfädeln  u.  dgl.  Diese 
Tbatsachen  zeigen,  dass  an  der  Strahlenbrechung  im  Auge  nicht  die  Linse,  sondern  die 
Hornhaut  mit  dem  Kammerwasser  den  grössern  Antheil  habe.  Der  Dichtigkeitsunterschied 
zwischen  Luft  und  Hornhaut  ist  ein  viel  grösserer,  als  der  zwischen  Kammerwasser  und 
Krystallkörper.  Dabei  darf  jedoch  nicht  übersehen  werden ,  dass  in  Augen ,  deren  Linse 
beseitigt  worden  ist,  die  Hornhaut  von  der  Netzhaut  im  Allgemeinen  weiter  entfernt  liegen 
dürfte,  als  vordem.     Siehe  unten:  Veränderungen  nach  Staaroperationen. 

Der  Krystallkörper  bildet  im  Verein  mit  der  Hornhaut  und  dem 
dazwischen  fest  eingeschlossenen  Kammerwasser  ein  unveränderliches 
System  von  zwei  Sammellinsen.  Bei  der  Lehre  von  der  Accommodation 
werden  wir  nachweisen,  dass  sich  bei  der  Adaptation  des  Auges  für 
nahe  und  ferne  Gegenstände  weder  die  Krümmung  der  Hornhaut  und 
der  Linse,  noch  ihre  relative  Lage  zu  einander  ändert.  Nur  bleibende 
Änderung  des  Refractionszustandes,  der  Übergang  in  Kurz-  oder  Weit- 
sichtigkeit, ist  an  Änderung  der  relativen  Lage  der  Linse  zur  Hornhaut 
gebunden. 


B.    Krankheiten  der  Kapsel  und  Linse. 

I.    Trübung-  —  Cataracta. 

A.  Die  Trübung  der  Linse,  Cataracta  lenticularis,  betrifft 
entweder  den  Kern  der  Linse  —  Cat.  nuclearis,  oder  die  Rindensub- 
stanz  —  Cat.  corticalis,  oder  beide  zugleich  —  Cat.  totalis.  Partielle 
Trübungen  können  mehr  weniger  lange  als  solche  fortbestehen,  oder  mit 
der  Zeit  in  totale  verwandelt  werden. 

1.  Als  Kernstaar  bezeichnen  wir  die  Trübung  der  Linse  dann, 
wenn  sie  sich  auf  den  Kern  oder  auf  einen  Theil  desselben  beschränkt. 

a.  Eine  partielle  stationäre  Form  ist  der  Centrallinsenstaar ,  ein 
scharf  begrenzter,  mohnkorngrosser,  grauweisser  Punkt  im  Centrum  der 
Linse,  bisweilen  von  einem  lichtgrauen  wolkigen  Hofe  umgeben.  Er 
ist  angeboren,  meistens  bilateral,  oft  mit  Irideremie  oder  Coloboma 
iridis  combinirt.  Er  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Centralkapsel- 
staare,  von  welchem  später  die  Rede  sein  wird,  und  mit  welchem  er 
übrigens  auch  zugleich  vorkommen  kann. 

b.  Eine  andere  Form  ist  der  stationäre  Kernstaar  jugendlicher  In- 
dividuen. In  der  Regel  ist  nur  der  Kern  allein  verdunkelt.  Man  sieht 
ziemlich  tief  iu  der  Pupille,  etwa  ljs — Y2"'  hinter  der  Iris,  einen  gelb- 


Trübung  —  Cataracta  lenticularis.  251 

lich-grauen,  im  Ganzen  noch  etwas  durchscheinenden  Körper,  welcher, 
wenn  die  Pupille  stark  (mindestens  auf  3"'j  erweitert  wird,  ringsum 
scharf  begrenzt  erscheint  und  beiläufig  3//y  im  Durchmesser  hat.  In 
manchen  Fällen  sieht  man  in  der  Gegend  des  vordem  Poles  einen  grau- 
weissen  Punkt  oder  Knopf,  in  andern  sitzt  ein  solcher  Punkt  tiefer, 
wahrscheinlich  im  Centrum  der  Linse,  in  andern  endlich  laufen  vom 
Pande  des  Kernes  gegen  die  Ciliarfortsätze  hin,  also  in  der  Rinden- 
substanz 3,  4,  5  und  mehrere  speichenähnliche  grauweisse  Streifen.  Solche 
Staare  sehen  klein  aus  und  sind,  wenn  die  lichten  Streifen  der  Punkte 
fehlen,  nicht  immer  gleich  auf  den  ersten  Blick  zu  erkennen.  Einige 
Individuen  bekam  ich  nur  desshalb  zu  sehen,  weil  sie  der  Optiker  zu 
mir  schickte,  der  für  sie  kein  passendes  Glas  finden  konnte.  Die  Con- 
sistenz  des  Kernes  erwies  sich  bei  der  Discission,  welche  ich  in  solchen 
Fällen  anwende,  wachsartig,  derb  und  zäh,  in  andern  etwas  weicher, 
fast  bröcklieh. 

Zu  dieser  Form  gehören  wahrscheinlich  die  Fälle ,  welche  Ammon  1.  c.  B.  III. 
T.  XIV.  F.  1 — 4  abgebildet  hat.  Auch  Wernek*)  hat  ganz  gewiss  solche  Staare  beob- 
achtet :  er  rechnet  sie  zu  der  scrofulösen  Form.  „Der  Staar  gewinnt  das  Ansehen  einer 
auf  einem  mattgrauen  Grunde  weiss,  irregulär  und  grob  schraffirten  Scheibe.  Oft  ist  es 
der  Fall,  dass  der  Rand  der  Linse  auf  '/a'"  und  mehr  ungetrübt  bleibt;  dann  sieht,  man 
an  diesem  schwarzen  Kreise  den  Sitz  der  Schraffirungen  deutlich.  ■ —  Auf  dieser  Aus- 
bildungsstufe bleibt  das  Übel  gewöhnlich  stehen,  besonders  dann,  wenn  das  Individuum 
dem  Mannbarwerden  entgegenrückt."  Ich  habe  mehrere  Individuen  mit  solchen  Staaren 
durch  5  — S  Jahre  beobachtet,  und  nicht  die  geringste  Veränderung  im  Volumen  oder  in 
der  Farbe  des  Staares  wahrnehmen  können.  Bei  einem  Beamten,  welcher  seit  der  Zeit, 
wo  er  die  Schule  besuchte,  immer  kurzsichtig  gewesen  zu  sein  versicherte,  und  erst  im 
40.  Jahre  seine  Concavbrille  (N.  14)  mit  einer  etwas  stärkern  vertauschen  wollte,  hatte 
ich  guten  Grund  anzunehmen,  dass  sich  das  Übel  seit  seiner  ersten  Jugend  wenig  oder 
gar  nicht  verändert  hatte.  —  Über  die  Entstehung  dieser  Form  konnte  ich  bisher  zu 
keiner  bestimmten  Ansicht  kommen.  Ich  habe  sie  bei  IG — "20  Individuen  beobachtet, 
welche  in  dem  Alter  von  8 — 40  Jahren  standen.  In  vielen  Fällen  blieb  es  unentschieden, 
ob  das  Übel  angeboren  oder  in  der  ersten  Lebenszeit  entstanden  war ;  in  mehreren  musste 
eine  spätere  Entstehung  (zur  Zeit  des  Zahnwechsels,  der  Pubertätsentwicklung)  als  das 
Wahrscheinlichste  angenommen  werden.  Nur  bei  drei  Individuen  waren  unzweifelhafte 
Symptome  von  Scrofulosis  vorhanden.  In  einem  Falle  war  das  Übel  gewiss  erst  im 
1 1 .  Jahre  nach  Typhus  entstanden. 

c.  Der  hurte  Kemstaar  älterer-  Individuen  ist  eine  der  häufigsten 
Formen  des  Staares  überhaupt.  Es  ist  Thatsache,  dass  die  Verdunk- 
lung der  Linse  oft  im  Centrum  derselben  beginnt,  und  von  da  allmälig 
gegen  die  Peripherie  hin  fortschreitet.  Eben  so  sichergestellt  ist  es, 
dass  die  Trübung  Jahre  lang  auf  den  Kern  allein  beschränkt  bleiben 
kann,   wenn  gleich  der  Fall  der  häufigere  ist,   dass   sich  zur  Trübung 

*)  Ammon's  Zeitschrift.     Bd.  III.  1833.  S.  481. 


252  KrystalUinse. 

des  Kernes  in  Kurzem  auch  Trübung'  der  Rindensubstanz  gesellt.  Die 
Fälle,  wo  die  Trübung  zuerst  in  der  Rinde  auftritt,  werden  wir  weiter 
unten  besprechen. 

Zu  der  Verfärbung  und  Erhärtung  des  Kernes,  welche  schon  im 
physiologischen  Zustande  auftreten,  kommt  im  höhern  Alter  (nur  aus- 
nahmsweise schon  vor  dem  45.  Jahre)  nicht  selten  auch  Trübung  des- 
selben, mehr  weniger  gestörte  Durchsichtigkeit,  welche  zunächst  im 
Centrum  bemerkbar  wird,  nach  und  nach  gegen  die  Peripherie  vor- 
rückt und  niemals  scharf  begrenzt  erscheint.  Diese  Trübung  zeigt  eine 
gelblichgraue  oder  graugelbe ,  bisweilen  in's  Grünliche  schillernde 
Färbung. 

Die  Erkenntniss  solcher  Staare  im  ersten  Beginnen  wird  durch  den 
Umstand  sehr  erschwert,  dass  bei  altern  Personen  überhaupt  die  Pupille 
nicht  rein  schwarz  erscheint,  sondern  den  schon  beschriebenen  Reflex 
zeigt,  den  man  irrthümlich  von  Pigmentmangel  hergeleitet  hat.  Es  müssen 
dann  zur  Diagnosis  zunächst  die  Erscheinungen  der  Funciionsstörung  — 
wovon  weiter  unten  —  benützt  weiden.  —  Die  Anwendung  der  Gesetze 
der  Katoptrik  auf  das  Auge  führte  Purkynje  zu  dem  bekannten  Versuche 
mit  einem  vor  das  Auge  gehaltenen  Kerzenlichte,  welchen  Sanson  zur 
Diagnosis  der  Cataracta  benützte. 

Hält  man  bei  geschlossenen  Fensterladen  vor  ein  gesundes  Auge  (am  besten  bei 
künstlich  erweiterter  Pupille)  ein  Kerzenlicht,  so  kann  man  bei  entsprechender  Stellung 
3  hinter  einander  gelegene  Spiegelbilder  wahrnehmen.  Das  erste  deutlichste  und  grösste 
steht  aufrecht,  und  entsteht  durch  die  von  der  Cornea  zurückgeworfenen  Lichtstrahlen ; 
das  zweite  kleinere  steht  verkehrt,  und  entsteht  durch  die  hintere  Kapsel  (Hohlspiegel) ; 
das  dritte  oder  hinterste  und  gleichfalls  aufrechte,  weil  von  der  vordem  Kapsel  reflectirte, 
ist  am  schwächsten  ausgeprägt.  Dieses  Experiment  kann  dem  sehr  Geübten  in  so  fern 
ein  diagnostisches  Hülfsmittel  abgeben,  als  bei  Verdunklung  des  Kernes  der  Linse  das 
verkehrte  Bild  fehlen  kann ;  es  ist  in  so  fern  imsichcr,  als  dieses  Bild  bei  geringer  Trü- 
bung noch  vorhanden  sein  kann.  Zur  Erkenntniss  von  Trübungen  an  der  hintern  oder 
an  der  vordem  Kapselwand  ist  es,  wie  wir  weiterhin  sehen  werden,  ganz  überflüssig. 

Das  verlässliehste  Mittel ,  auch  die  geringsten  Trübungen  im  Be- 
reiche der  Linse  und  ihrer  Kapsel  nachzuweisen,  ist  die  Anwendung- 
des  Ilelmholtzschen  Augenspiegels.  Sobald  mittelst  desselben  der  Grund 
des  Auges  hell  beleuchtet  erscheint,  kann  man  jede  Trübung  vor  dem- 
selben als  ein  graues  Wölkchen  unterscheiden,  was  um  so  leichter  ist, 
als  hiebei  der  Gebrauch  der  Concavgläser  wegfällt,  welcher  zur  Unter- 
suchung des  Augengrundes  selbst  nothwendig  ist. 

Hat  die  Trübung  so  weit  um  sich  gegriffen,  dass  sie  den  Kern 
ganz  oder  grossentheils  einnimmt,  dann  unterliegt  die  Diagnosis  keiner 
Schwierigkeit,    um  so  weniger,  wenn  ihre  Farbe  hellgrau  ist.    Wegen 


Trübung  —  Cataracta  lenticularis.  253 


■B 


der  Entfernung  des  getrübten  Körpers  von  der  Iris  sieht  man  dann  auch 
den  Schatten,  welchen  letzterer  bei  seitlich  einfallendem  Lichte  wirft 
{Schlagschatten),  in  Form  eines  mehr  weniger  breiten  dunkeln  Halb- 
mondes. Wenn  jedoch  die  Farbe  des  undurchsichtig  gewordenen  Linsen- 
kernes sehr  dunkel  ist,  wie  die  Schalen  der  Rosskastanie  oder  wie 
Mahagoniholz,  so  kann  selbst  bei  grossem  Umfange  der  Trübung  die 
Wahrnehmung  derselben  sehr  schwierig  sein,  und  man  muss,  falls  der 
Hef/nho/tz-'seke  Spiegel  nicht  zu  Gebote  steht,  sich  vorzüglich  auf  die 
Merkmale  verlassen,  welche  auf  die  Functionsstörung  basirt  sind. 

Eine  sehr  genaue  Beschreibung  der  Cataracta  nigra  hat  Edwards*)  geliefert.  „Des 
que  1'oeil  fut  ouvert,  on  fut  surpris  de  la  couleur  noire,  qu'offrait  le  crystallina  on  le 
lava.  et  il  conserva  la  meine  couleur;  ses  couches  superficielles,  surtout  dans  sa  circon- 
fe'rcnce,  ctaient  transparentes ;  il  avait  beaucoup  de  solidite.  Desse'che  il  presenta  deux 
parties  bien  distinctes ;  l'une  centrale  de  forme  lenticulaire,  qui  en  constituait  les  trois- 
quarts,  avait  une  couleur  marron  claire;  aussi  le  crystallin  dessecbe  et  examine  en  entier 
paraissait-il  d'un  noir  rougätre;  ^ais,  lorsqu'on  l'avait  retire  de  I'oeil,  il  e'tait  tres-noir; 
pareeque  les  |Couches  superficielles  etaient  transparentes,  et  qu'elles  laissaient  passer  la  cou- 
leur noire  du  centre."  Janin  und  Lusardi  fanden  extrahirte  schwarze  Linsen,  hinter  ein 
Kerzenlicht  gehalten,  von  durchscheinend  rother  Färbung,  im  Centrum  gesättigter.  Eine 
Catar.  fere  nigra,  welche  ich  in  Weingeist  aufbewahre,  erscheint  auch  bei  durchgehendem 
Tageslichte  röthlich  durchscheinend,  umgeben  von  käseartig  geronnener  weissgrauer  ßin- 
densubstanz.  Rothbraune,  ins  Eöthliche  schillernde  Linsenkerne  habe  ich  mehrere  extrahirt. 

Diese  Form  ist  von  Beer,  Cheliiis  u.  A.  als  harter  Staar,  von 
Walther  als  Marasmus  lentis  senilis  oder  atrophische  senile  Cataracta, 
von  Wertiek  als  Cataracta  senilis,  von  Pauli,  Stricker  u.  A.  als  Phako- 
skleroma  beschrieben  worden.  Sie  ergreift  gewöhnlich  das  eine  Auge 
früher  als  das  andere.  Das  zuerst  ergriffene  Auge  erblindet  in  der  Regel 
viel  laugsamer  als  das  zweite.  Zur  Trübung  des  Kernes  tritt  bald 
früher  bald  später  Trübung  der  Rindensubstanz  hinzu,  wovon  wir  wei- 
ter unten  sprechen  werden.  In  dem  später  ergriffenen  Auge  findet  man 
nicht  selten  den  umgekehrten  Gang  der  Verdunklung,  nämlich  von  der 
Rinde  zum  Kerne,  nachdem  auf  dem  ersten,  durch  Monate  —  Jahre  ein- 
facher Kernstaar  bestanden  hatte.  Ganz  irrthümlieh  ist  die  Ansicht,  dass 
man  es  in  den  Fällen,  wo  der  Staar  wegen  noch  nicht  erfolgter  Ver- 
dunklung der  Rinde  klein  erscheint,  wirklich  mit  einem  kleinen  Staare 
zu  thuu  habe,  zumal  wenn  man  bei  diesem  Ausdrucke  an  Volumenab- 
nahme der  Linse  denkt. 

d.  Der  weiche  Kernstaar  kommt  sowohl  im  jugendlichen  als  im 
Mannes-  und  Greisenalter  vor.   Er  beginnt  als  eine  lichtgraue,  Anfangs 

*)  Dissert.  sur  l'inflammation  de  l'iris  et  la  cataracte  noire,   Paris,  1S14,   citirt  yon  Warnatz  in  Ammoris 
Zeitschrift,  Bd.  IL  S.  295. 


254  Krystalllinse. 

bläuliche ,  weil  noch  durchscheinende ,  rauchwolkenähnliche ,  ziemlich 
ausgebreitete  und  nirgends  scharf  begrenzte  Trübung  des  Kernes,  welche 
in  dem  Masse,  als  sie  saturirter  erscheint,  der  Iris  näher  rückt,  im 
Vergleiche  zum  harten  Staare  rasch  fortschreitet  und  sehr  bald,  in  Zeit 
von  einigen  Wochen  oder  Monaten,  selten  erst  nach  Jahren,  zu  einem 
Totalstaare  wird.  Wegen  dieser  raschen  Umwandlung  werden  wir  die 
nöthigen  Bemerkungen  über  diese  Form  erst  bei  Betrachtung  des  Total- 
staares machen. 

2.  Als  Rindenstaar,  welche  Benennung  von  Sichel*)  eingeführt 
wurde,  ist  grösstenteils  das  anzusprechen,  was  Beer  u.  A.  als  Kapsel- 
staar  beschrieben  haben.  Wernek**)  hat  eine  Art  desselben  unter  dem 
sehr  unpassenden  Namen  Gichtstaar  ziemlich  genau  geschildert.  Er  be- 
ginnt in  zweierlei  Form;  als  gleichmässige  Trübung,  welche  sich  rauch- 
oder  spinnwebenähnlich  gleichsam  als  Beschlag  der  Kapsel  über  die 
vordere  Oberfläche  der  Linse  ausbreitet,  oder,  in  Gestalt  einzelner  weiss- 
oder  gelbgrauer  Streifen,  welche  in  der  Regel  vom  Äquator  gegen  die 
Pole  hin  verlaufen.  An  der  vordem  Peripherie  zeigen  sowohl  der  gleich- 
mässige Beschlag  als  die  verdunkelten  Streifen  bei  günstig  auffallendem 
Lichte  einen  etwas  matten  Glanz  (wie  Spinnengewebe,  Aponeurosen, 
Perlmutter  u.  clgl.).  Die  im  hintern  Umfange  vom  Rande  zum  Pole  ver- 
laufenden Streifen  und  Flecke  erscheinen  meistens  gelblichweiss  und 
opalisirend.  In  den  meisten  Fällen  sind  es  die  peripherischen  Fasern, 
in  andern  die  Zwischenfasersubstanz,  welche  zuerst  undurchsichtig  werden. 
Ihr  Verlauf  ist  jedoch  nicht  immer  streng  centripetal,  bisweilen  unter- 
brochen oder  ganz  unregelmässig. 

Der  Ausgangspunkt  des  Rindenstaares  ist  in  der  Regel  der  Rand 
der  Linse.  Man  findet  ihn  daselbst  sehr  oft  in  Augen  alter  Individuen, 
namentlich  mit  Arcus  senilis  corneae  zugleich,  wo  man  bei  Untersuchung 
der  Pupille  keine  Ahnung  davon  hatte,  und  wo  auch  während  des  Lebens 
kein  Grund  vorhanden  war,  die  Gegenwart  von  Cataracta  zu  vermuthen. 
Solche  nur  den  Rand  einnehmende  Verdunkelungen  findet  man  oft  bei 
Leuten,  welche  mit  dem  betreffenden  Auge  noch  ganz  gut  sehen,  und 
nur  wegen  Cataracta  des  andern  Auges  ärztliche  Hilfe  suchen.  Sie  stel- 
len, wenn  man  die  Pupille  gehörig  erweitert,  oft  das  erste  und  am 
leichtesten  zu  constatirende  verlässliche  Zeichen  der  nachfolgenden  tota- 
len Verdunklung  dar.  - —  Was  Schön  und  Ammo?i***)  als  Arcus  senilis 
Capsulae  lentis  beschrieben  haben,  ist  nichts  anderes,  als  Catar.  corti- 

*)  Annnies  d'oculist.    T.  VIII.  p.  139.  169  etc. 
**)  Ammon's  Zeitschrift.     Bd.  III.    S.  475. 
***)  Ibid.  Band  I.  S.  101  mit  Abbildungen  auf  T.  III. 


Trübung  —  Cataracta  lenticularis.  255 

calis,  vom  Rande  her  beginnend.  Vielfache  und  sorgfältige  Untersuchungen 
haben  mich  darüber  belehrt. 

a.  Vom  Rande  aus  entwickeln  sich  die  weissgrauen  Streifen  ent- 
weder gegen  den  hintern  oder  gegen  den  vordem  Pol  hin,  oder  nach 
beiden  zugleich.  Die  Verdunklung  de?'  hintern  Rindensubstanz  besteht  nur 
selten  längere  Zeit  isolirt,  und  kann  dann  mit  Trübungen,  welche  vom 
Grunde  des  Auges  ausgehen,  mehr  weniger  Ähnlichkeit  darbieten.  Sie 
wird  meistens  in  kurzer  Zeit  durch  Trübung  des  Kernes  oder  der  vor- 
dem Rindensubstanz  verdeckt. 

Der  hintere  Rindenstaar  kann  eine  ziemlich  grosse  Ausdehnung 
erlangt  haben,  ehe  er  das  Sehvermögen  stark  beeinträchtigt  und  den 
Kranken  bestimmt,  ärztlichen  Rath  zu  suchen.  Wo  die  Lagen  vor  ihm 
noch  so  viel  Licht  durchlassen,  dass  man  ihn  zu  erkennen  im  Stande 
ist,  da  erscheint  er  in  Form  grauweisser  zackiger  oder  keilförmiger 
Streifen,  welche  dadurch,  dass  die  von  diesen  zurückgeworfenen  Licht- 
strahlen durch  den  gelben  Kern  hindurchgehen,  einen  gelblichen  oder 
bouteillengrünen  Teint  und  einen  opalartigen  Glanz  erhalten.  Sind  diese 
Streifen  mächtiger  geworden  und  verschmolzen,  so  sieht  man  eine  un- 
gleichmässig  getrübte,  unebene  Schale  von  dem  genannten  Teint  und 
Glänze  in  der  Gegend  der  hintern  Kapsel. 

b.  Der  vordere  Rindenstaar  erscheint,  wie  schon  erwähnt  wurde, 
in  Form  gleichmässiger  Trübung  oder  in  Form  linearer  oder  konischer 
meist  centripetaler  Streifen.  Seine  Farbe  ist  immer  lichtgrau;  sie  wird 
nur  durch  die  Unterlage  und  durch  die  Mächtigkeit  der  verdunkelten  Rin- 
denfasern  verschieden  modificirt.  Ist  die  Trübung  noch  durchscheinend, 
so  erscheint  sie  bläulich-weissgrau,  wie  eine  dünne  Lage  Milch  auf 
schwarzer  Unterlage,  oder  wie  eine  Rauchwolke,  gewöhnlich  hie  und 
da  intensiver.  Wenn  von  den  tieferen  Lagen,  nämlich  von  dem  gleich- 
zeitig verdunkelten  Kerne  noch  Lichtstrahlen  zwischen  den  Rindenfasern 
durch  reflectirt  werden  können,  so  bemerkt  man  auch  hier  den  soge- 
nannten Schlagschatten  der  Iris,  nur  nicht  so  scharf  abgegrenzt.  Ist  die 
Trübung  dichter  und  mächtiger,  so  nähert  sie  sich  dem  Kreideweiss, 
ohne  dessen  Reinheit  und  Gleichmässigkeit  völlig  zu  erreichen.  Liegen 
die  getrübten  Partien  dicht  an  der  Kapsel,  so  dass  sie  gleichsam  einen 
Beschlag  ihrer  hintern  Fläche  bilden,  so  verleiht  ihnen  diese  einen 
Spinneweben-,  sehnen-  oder  perlmutter-ähnlichen  Glanz,  wie  das  Spiegel- 
glas dem  Staniol.  Diese  lichte  Farbe  und  dieser  lebhafte  Glanz  stiebt 
bisweilen  sehr  stark  ab  gegen  die  grau-  oder  dunkelgelbe  Färbung  und 
die  Glanzlosigkeit  des  gleichzeitig  verdunkelten  Kernes,  wenn  man  ihn 
noch  durch  das  Centrum  und  die  Meridiane,  welche  oft  noch  durchsich- 


256  Krystalllinse. 

tig  sind,  wahrnehmen  kann.  —  So  lange  der  vordere  Eindenstaar  nur 
noch  etwas  durchscheinend  ist,  erscheint  die  Trübung  immer  gegen  den 
Äquator  hin  gesättigter,  weil  die  Eindensubstanz  gegen  den  Äquator 
hin  an  Dicke  zunimmt.  Was  Beer  vom  Kapelstaare  sagt,  nämlich,  dass 
dieser  bei  seiner  Ausbildung  nur  höchst  selten  von  der  Mitte  der  Pu- 
pille ausgehe,  dass  er  sich  gewöhnlich  vom  Rande  her  bald  da  bald 
dort  in  Form  einzelner,  sogleich  ziemlich  weisser,  glänzender  Punkte, 
Streifen  oder  Flecke  ausbilde,  und  immer  eine  sehr  helle,  auch  nach 
völliger  Ausbildung  niemals  gleichmässig  gesättigte  Farbe  darbiete,  gilt 
demnach  nur  vom  vordem  Eindenstaare ;  der  wahre  Kapselstaar  gibt 
sich,  wie  wir  weiterhin  sehen  werden,  durch  ganz  andere  Merkmale 
kund.  —  Beer  hat  noch  eine  andere  Erscheinung  hervorgehoben;  er 
meint,  indem  die  vordere  Kapsel  merklich  dicker  werde,  als  im  gesunden 
Zustande,  beschränke  sie  die  hintere  Augenkammer.  Andere  Autoren 
geben  an,  manche  Staare  könnten  wohl  so  gross  werden,  dass  sie  die 
hintere  Kammer  aufheben,  selbst  die  Iris  vorwärts  drängen.  Weder  das 
Eine  noch  das  Andere  ist  richtig.  Die  Erscheinung,  dass  bei  solchen 
Staaren  die  vordere  Kapsel,  folglich  auch  die  Iris  näher  gegen  die 
Cornea  rückt,  hat  ihren  Grund  darin,  dass  die  Eindensubstanz  oder  die 
ganze  Linse  abnorm  weich  oder  selbst  flüssig  geworden  ist,  mithin  die 
Kapsel  das  Formgebende  ihres  Inhaltes  eingebüsst,  und  nun  den  Ge- 
setzen einfacher  Cysten  mit  flüssigem  Inhalte  gemäss,  im  Ganzen  eine 
mehr  der  Kugelform  sich  nähernde  Gestalt  augenommen  hat.  Doch 
kann  diese  Erscheinung  auch  dadurch  bedingt  sein,  dass  die  Linse  aus 
andern  Ursachen  (unabhängig  von  der  Verdunklung)  sammt  ihrer  Kap- 
sel etwas  mehr  nach  vom  gerückt  ist.  —  Wir  werden  weiter  unten 
zeigen,  dass  die  Eindensubstanz,  bis  zu  einem  gewissen  Grade  ver- 
dunkelt, etwas  aufquillt  und  erweicht,  und  dass  später,  wenn  ein 
Theil  davon  resorbirt  ist,  wieder  Abnahme  des  Volumens  der  Linse 
eintritt. 

c.  Sehr  selten  kommt  jene  Form  des  Eindenstaares  vor,  welche 
Sichel  Cataracta  dehiscens  genannt  hat.  Sie  besteht  in  Trübung  der 
Linsenzellensubstanz  nach  der  Eichtung  eines  oder  einiger  Meridiane, 
und  kann  Jahre  lang  in  Gestalt  eines  drei-  oder  sechsstrahligen  Sternes 
{Catar.  stellata  antiq.?)  bestehen,  bevor  die  zwischenliegenden  Sectoren 
getrübt  werden.  Wenn  ein  oder  der  andere  Meridian  ungetrübt  bleibt, 
kann  die  Figur  eine  scheinbar  unregelmässige  Gestalt  erhalten.  —  Hie- 
her gehören  wahrscheinlich  auch  Fälle  von  Catar.  punctata  auctorum, 
wenn  nämlich  von  den  linearen  Meridianen  nur  einzelne  Stellen  oder 
Punkte  getrübt  sind.    Die  symmetrische  Anordnung  solcher  Punkte  zum 


Trübung  —  Cataracta  lenticularis.  257 

Centrum  und  zu   einander  macht  es   mehr  als  wahrscheinlich,    dass  ihr 
Sitz  nicht  in  der  Kapsel,  sondern  in  der  Eindensubstanz  ist. 

Am  schönsten  sah  ich  die  Cataracta  dchiscens  bei  einem  60jährigen  Pfründler  von 
Set.  Bartholomäus.  Am  rechten  Auge  strahlen  vom  vordem  Pole  der  Linse  3  lineare 
kreideweissc  Streifen  in  der  Richtung  der  3  Hauptmeridiane  aus  (nach  oben,  nach  innen 
und  unten,  nach  aussen  und  unten) ;  die  zwischen  liegenden  drei  gleich  grossen  Sectoren 
sind  in  hohem  Grade  durchsichtig,  denn  man  sieht  durch  dieselben  deutlich  die  vom 
Äquator  vorrückenden  lieht  graugelben  Zacken  des  sich  allmälig  mehr  und  mehr  ent- 
wickelnden hintern  Kindenstaares.  Jene  3  linearen  Streifen  sind  jeder  an  l'/a'"  lang 
(auf  mehr  als  3'"  lässt  sich  die  Pupille  durchaus  nicht  erweitern),  scharf  begrenzt,  im 
ganzen  Verlaufe  gleich  mächtig,  etwa  1fc  —  l,i"t  breit;  ihre  Tiefe  lässt  sich  nicht  genau 
angeben:  sie  greifen  wie  Scheidewände  zwischen  den  3  Sectoren  in  die  Tiefe,  allem 
Anscheine  nach  nicht  über  Vi'" ,  ganz  gewiss  nicht  durch  die  ganze  Dicke  der  Linse. 
Am  linken  Auge  ist  nur  Ein  Meridian  so  verdunkelt,  der  nach  unten  und  aussen  laufende, 
und  oberhalb  desselben  ein  Nebenmeridian  und  der  zwischen  beiden  befindliche  Sector 
der  Eindensubstanz.  Ton  Verdunklung  der  hintern  Eindensubstanz  kann  man  an  diesem 
Auge  nichts  wahrnehmen;  auch  sieht  der  Mann  mit  diesem  Auge  noch  so  viel,  dass  er, 
von  Profession  ein  Schuster,  noch  etwas  arbeiten  kann.  Nachdem  ich  ihn  durch  ohn- 
gefähr  5  Jahre  einige  Male  gesehen  hatte,  fand  ich  ihn  nicht  mehr  in  dem  Institute. 

d.  Als  Cataracta  Morgagnii  hat  man  jene  Fälle  bezeichnet,  wo  die 
Eindensubstanz  getrübt  und  verflüssigt,  der  Kern  mehr  weniger  durch- 
sichtig ist.  Mit  völlig  erhaltener  und  längere  Zeit  fortbestehender 
Durchsichtigkeit  des  Kernes  jedoch  habe  ich  diese  Form  niemals  zu 
sehen  bekommen.  Die  Gegenwart  einer,  milchig-  oder  molkigtrüben 
Flüssigkeit  zwischen  Kapsel  und  Linsenkern  gibt  sich  dadurch  zu  er- 
kennen, dass  die  Trübung  in  der  untern  Hälfte  oder  im  untern  Drittel 
saturirt  ist  und  sich  in  Bezug  auf  ihre  Lage  überhaupt  so  verhält,  wie 
flüssige  Exsudate  in  der  vordem  Augenkammer.  Zur  Constatirung 
der  Diagnosis  ist  meistens  die  künstliche  Erweiterung  der  Pupille 
uothwendig. 

Die  neunjährige  Tochter  eines  Goldarbeiters,  dessen  Frau  in  Bezug  auf  die  Ätio- 
logie besonderes  Gewicht  auf  den  Umstand  legt,  dass  sie  während  der  Schwangerschaft 
mit  diesem  Kinde  häufig  durch  epileptische  Anfälle  ihres  Sohnes  sehr  erschreckt  wurde, 
körperlich  und  geistig  sehr  gut  entwickelt,  mit  etwas  grösserem  Kopfe  und  grossen,  bei- 
nahe glotzenden  Augen,  litt  an  Linsenstaar  beider  Augen,  wahrscheinlich  seit  der  Geburt, 
da  man  das  Übel  schon  in  der  6. — 8.  Woche  bemerkt  hatte.  Die  noch  etwas  durch- 
scheinenden gelblichgrauen,  hie  und  da  lichtgrau  gefleckten  Cataracten  standen  von  der 
Iris  noch  etwa  '  iu>  ab,  und  die  Kranke  sah  noch  so  viel,  dass  sie  recht  gut  allein  her- 
umgehen konnte.  Ich  glaubte  halb  harte  Kernstaare  mit  unvollständig  verdunkelter 
Eindensubstanz  vor  mir  zu  haben.  Als  ich  jedoch  die  Pupillen  gehörig  erweitert  hatte, 
fand  ich  jederseits  unten  eine  milchige  Flüssigkeit  zwischen  Linse  und  Kapsel  angesam- 
melt, einem  Hypopyuni  nicht  unähnlich.  Sie  wechselte  ihre  Lage  nach  längere  Zeit  ver- 
änderter Haltung  des  Kopfes.  Durch  zwei  volle  Jahre  hatte  sich  dieser  Befund  nicht  im 
geringsten  geändert,  und  da  das  Gesicht  von  Jugend  auf  ziemlich  gleich  geblieben  war, 
liess  sich  mit  Grund  annehmen,  dass  der  Zustand  der  Linse  eben  so  lange  sich  nicht  viel 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  17 


258  Krystalllinse. 

verändert  haben  mochte.  Am  22.  Mai  1849  (im  11.  Lebensjahre)  nahm  ich  die  Zerschnei- 
dung der  vordem  Kapsel  durch  die  Hornhaut  vor.  Zwei  Jahre  vorher  hatte  ich  von 
der  Operation  abstehen  müssen,  da  das  Kind  zu  unruhig  wurde,  so  oft  ich  die  Cornea 
mit  der  Nadel  berührte.  Diessmal  nahm  ich  mir  vor,  sie  mittelst  Chloroform  zu  betäu- 
hen.  Es  gelang  mir  jedoch,  ohne  dieses  Mittel  die  Operation  glücklich  zu  vollenden, 
nachdem  ich  den  Kunstgriff  gebraucht  hatte,  rasch  nach  meinem  Eintritte  in  das  Zimmer 
die  Kranke  zu  setzen,  dem  Assistenten  zu  winken,  und  die  Nadel  durch  die  Cornea  ein- 
zuführen, ehe  das  Kind  noch  recht  an  die  Operation  denken  konnte.  Die  Kapsel  wurde 
nach  verschiedenen  Richtungen  eingeschnitten  ;  beim  Herausziehen  der  Nadel  entleerte  sich 
eine  Menge  trüber  Flüssigkeit,  und  die  Pupille  des  linken  Auges  erschien  vollkommen, 
die  des  rechten  beinahe  völlig  schwarz.  Das  Kind  erkannte  die  Finger  der  vorgehaltenen: 
Hand,  ein  Taschentuch  u.  dgl.  Nach  dem  achten  Tage  entwickelten  sich  Zeichen  von 
Iritis,  jedoch  nicht  so  heftig,  dass  ich  etwas  anderes  als  kalte  Umschläge  für  nöthig 
erachtete.  Ich  erkannte  die  Entzündung  als  Iritis  erst  den  12.  Tag  an  den  bekannten 
punktförmigen  Exsudaten  auf  der  Descemetschen  Haut  bei  nicht  merklich  verengerter 
Pupille,  und  an  einer  leichten  Rosenröthe  rings  um  die  Hornhaut.  Die  Linsen  wurden 
allmälig  trüber  und  voluminöser  und  nach  einem  Vierteljahre  gänzlich  resorbirt.  Das 
Mädchen  erlangte  jedoch  trotz  der  völligen  Schwärze  der  Pupillen  und  Immunität  der 
Hörn-  und  Regenbogenhäute  kein  scharfes  Gesicht,  und  sieht  auch  durch  verschieden 
starke  Staargläser  noch  jetzt,  4  Jahre  nach  der  Operation,  nicht  viel  besser.  War  die 
Netzhaut  ursprünglich  nicht  gehörig  entwickelt?  war  ihre  Energie  wegen  Mangel  an 
Übung  durch  10  Jahre  zurückgeblieben  und  gesunken?  Hatte  sie  durch  Druck  von  dem. 
aufquellenden  Staare  gelitten?  Ich  konnte  darüber  zu  keiner  Entscheidung  kommen. 

C.  Totaler  Linsenstaar.  Obwohl  der  Rindenstaar  so  gut  wie  der 
Kernstaar  lange  für  sich  isolirt  bestehen,  obwohl  gewisse  Formen  selbst 
stationär  bleiben  können,  so  stellen  beide  doch  in  der  Regel  nur  ver- 
schiedene Entwicklungsstufen  der  totalen  Verdunklung  dar.  Bald  geht 
die  Verdunklung  vom  Kerne,  bald  von  der  Rinde,  bald  von  beiden  zu- 
gleich aus.  Was  Beer  von  seinem  Kapselstaar  bemerkte,  „dass  er 
niemals  lange  für  sich  allein  bleibe,  dass  sich  immer  früher  oder 
später  eine  fehlerhafte  Mischung  des  Krystallkörpers  hinzugeselle",  gilt 
eigentlich  vom  Rindenstaare.  Es  ist  irrig,  wenn  man  angibt,  die  Lin- 
sentrübung beginne  bei  dem  sogenannten  Phakoskleroma  stets  im  Kerne 
und  schreite  allmälig  gegen  die  Peripherie  hin  vor.  Im  Gegentheile, 
der  harte  Kernstaar  älterer  Individuen  tritt  sehr  häufig  erst  dann  auf, 
wenn  schon  lange  Rindenstaar  bestanden  hat,  wie  schon  oben  erwähnt 
wurde. 

Der  totale  Linsenstaar  bietet  ein  verschiedenes  Aussehen  dar,  je 
nach  seiner  Ausdehnung  und  je  nach  seiner  Consistenz.  Bald  schim- 
mert der  Kern  noch  durch  die  lichteren,  dünn  aufgetragenen  oder 
unterbrochenen  Trübungen  der  Rindensubstanz  hindurch,  zumal  in  der 
Mitte  der  Pupille,  bald  ist  er  der  Wahrnehmung  gänzlich  entzogen 
durch  die  vollständig  verdunkelte  Rinde.     Hiernach  ist  der  im  Allge- 


Trübung  —  Cataracta  lenticularis.  259 

meinen  richtige  Satz  zu  modificiren :  Je  dunkler  die  Farbe,  desto  härter 
der  Staar.  Jederzeit  niuss,  um  sich  über  dieses  für  die  Wahl  der 
Operationsmethode  wichtige  Verhältniss  zu  unterrichten,  die  Pupille  ge- 
hörig erweitert  werden.  Weiter  unten  werden  wir  hören,  dass  rasch 
(in  Zeit  von  wenig  Wochen  oder  Monaten)  entstandene  und  ausge- 
bildete Staare  niemals  hart  sind,  und  dass  bei  Individuen  unter  40 
Jahren  harte  Staare  selten  sind.  Nur  darf  bei  Erhebung  des  ersten 
Umstandes  nicht  vergessen  werden,  dass  die  Gegenwart  partieller  Lin- 
sentrübung auf  einem  Auge  gar  oft  nicht  bemerkt  wird  (vom  Betroffenen), 
und  dass,  wenn  nach  länger  bestehender  partieller  Trübung  z.  B.  des 
Kernes,  in  kurzer  Zeit  ausgebreitete  Verdunklung  (Trübung  der  Rinden- 
substanz) hinzutritt,  man  leicht  einen  rasch  entstandenen  und  schnell 
vorgeschrittenen  Staar  vor  sich  zu  haben  vermeinen  kann. 

Eine  gleichmässig  gesättigte,  weiss-,  bläulich-  oder  gelblich-graue 
Färbung  findet  man  nur  bei  completer  Verdunklung  der  Rinde,  insbe- 
sondere bei  beträchtlicher  Erweichung  oder  bei  völliger  Verflüssigung 
dieser  letztern  allein  oder  der  ganzen  Linse.  Verkalkung  des  Krystall- 
körpers  bietet  auch  bisweilen  ein  gleichmässiges ,  kreideweisses  oder 
lichtgelbes  Aussehen  dar,  doch  sind  in  solchen  Fällen,  wie  wir  weiter- 
hin sehen  werden,  auch  noch  andere  Symptome  vorhanden. 

Bei  Verflüssigung  der  Rinde  allein  sieht  man  bisweilen  den  harten, 
dunkeln  (gelben  oder  röthlichbraunen)  und  specifisch  schwerern  Kern, 
welcher  übrigens  auch  durch  Verflüssigung  seiner  obern  Lagen  merk- 
lich kleiner  geworden  sein  kann,  bei  den  Bewegungen  des  Auges  ver- 
schiedene Lagen  einnehmen.  Oft  ist  es  nöthig,  den  Kranken  eine  Zeit 
lang  den  Kopf  vorwärts  geneigt  halten  zu  lassen,  um  sich  von  der 
Gegenwart  eines  solchen  Kernes  zu  überzeugen. 

Der  totale  Linsenstaar  erscheint  für  immer  oder  doch  eine  Zeit 
lang  unmittelbar  hinter  (an)  der  Iris,  und  bietet  demnach,  auch  wenn 
er  hart  ist,  keinen  Schlagschatten  dar.  Es  ist  nicht  schwer,  den 
Schlagschatten  zu  unterscheiden  von  der  schwarzen  Einsäumung  (Pig- 
ment; des  Pupillarrandes,  welche  bei  lichter  Regenbogenhaut  und  licht- 
farbigem Staare  besonders  deutlich  zu  bemerken  ist. 

Zur  Zeit,  wo  ausgebreitete  Verdunklung  der  Rinde  erfolgt,  schei- 
nen ihre  Fasern  etwas  aufzuquellen  oder  durch  einen  flüssigen  Erguss 
etwas  auseinander  gedrängt  zu  werden,  denn  man  findet  jetzt  den  Staar 
scheinbar  grösser,  die  Iris  etwas  stärker  vorwärts  gedrängt  und  selbst 
in  ihrer  Bewegung  mehr  weniger  beeinträchtigt.  Dieser  Zustand  endet 
nach  dem,  was  ich  bisher  beobachtet,  bisweilen  mit  Verflüssigung  der 
Rinde  oder  der  ganzen  Linse,   von  der  schon  die  Rede  war.     In  der 

17* 


260  Krystalllinse. 

Regel  aber  tritt  der  Ausgang  ein,  dass  das  Volumen  der  Linse  wieder 
■abnimmt,  und  die  Kinde  in  eine  etwas  consistentere  Masse  verwandelt 
wird,  welche  mit  dem  Kerne  mehr  weniger  fest  zusammenhängt,  da- 
gegen mit  der  Kapsel  so  wenig,  dass  man  jetzt  mit  Recht  sagen  kann, 
die  Linse  (Kern  und  Einde)  liege  wie  eine  reife  Frucht  in  der  Kapsel. 
Zur  Bezeichnung  dieser  Veränderung  werden  wir,  der  Kürze  wegen, 
den  Ausdruck  Cataracta  matura  anwenden,  der  bekanntlich  oft  in  noch 
ganz  anderem  Sinne  gebraucht  worden  ist. 

Dieser  Sachverhalt  ergibt  sich:  1.  aus  monate-,  jahrelang  fortgesetzter  Beobachtung 
cataractöser  Individuen,  welche  sich  nicht  operiren  lassen  wollen  u.  dgl.  2.  Aus  dem 
Vergleiche  beiderseitiger,  jedoch  nicht  gleichzeitig  entstandener  und  gleichmässig  fort- 
geschrittener Cataracten,  daher  man  fast  ohne  Ausnahme  schon  aus  der  aufmerksamen 
Betrachtung  des  rechten  und  linken  Auges  allein  bestimmen  kann,  welches  Auge  früher 
erkrankt  sei.  In  so  fern  jedoch  manchmal  die  Trübung  des  Kernes  auf  dem  einen  Auge 
beginnt  und  dann  monate-,  jahrelang  fast  unverändert  stehen  bleibt,  indess  das  andere 
Ton  der  Binde  oder  auch  vom  Kerne  aus  relativ  schneller  verdunkelt  wird,  trifft  man 
bisweilen  Fälle,  in  denen  die  Angaben  des  Kranken  dem  nach  dem  blossen  Anblicke 
gestellten  Ausspruche  nicht  entsprechen.  3.  Aus  dem  Umstände,  dass  viele  Staarkranke 
(ältere) ,  welche  die  Erblindung  des  zweiten  Auges  abwarten ,  bevor  sie  sich  zur  Ope- 
ration melden,  die  Bemerkung  machen,  dass  sie  in  einer  spätem  Zeit  mit  dem  zuerst 
ergriffenen  Auge  wieder  etwas  sehen ,  grosse  lichte  Gegenstände  nach  ihren  Umrissen 
wieder  wahrnehmen  u.  dgl.  Ich  schenkte  dieser  Angabe ,  die  mich  überhaupt  zuerst 
bestimmte,  den  etwa  zu  Grunde  liegenden  materiellen  Ursachen  nachzuforschen,  desshalb 
Glauben ,  weil  ich  fand,  dass  auf  dem  in  Rede  stehenden  Auge  die  Iris  nicht  mehr  so 
vorwärts  gedrängt  war,  wie  an  dem  andern,  und  dass  der  Staar  mehr  in  eine  compacte 
Masse  verschmolzen,  dunkler  gefärbt  und  offenbar  etwas  kleiner  war,  als  der  des  andern 
Auges  (durch  theilweise  Resorption  der  Rindensubstanz!.  4.  Wenn  man  ältere,  ganz 
ausgereifte  Staare  extrahirt,  so  treten  sie  caeteris  paribus  (bei  gleich  grosser  Hornhaut- 
öffnung u.  s.  w.)  viel  leichter  vollständig  aus  der  Kapsel,  was  man  leicht  daran  erkennt, 
dass  sie  ganz  glatte  und  der  Form  der  Linse  überhaupt  genau  entsprechende  Oberflächen 
haben,  während  von  unreifen  Staaren  meistens  Reste  zurückbleiben. 

2.  Kapselstaar. 

Trübung  der  Kapsel  kommt  fast  ausschliesslich  nur  im  Bereiche 
der  vordem  Hemisphäre  vor,  und  zwar  entweder  nur  als  Auflagerung 
von  Exsudaten  auf  der  äussern  Fläche  (Cataracta  spuria),  oder  als  Ver- 
änderung der  Kapsel  selbst,  so  dass  man  sie  an  der  erkrankten  Partie 
auch  unter  dem  Mikroskope  nicht  mehr  als  solche  erkennen  kann. 

A.  Als  hinterer  Kapselstaar  dürfte  eine  angeborene  Trübung  in 
der  Gegend  der  hintern  Kapsel  zu  betrachten  sein,  welche  in  Form 
einer  etwa  hanfkorngrossen ,  scharf  begrenzten,  beinahe  viereckigen, 
centralen  weissen  oder  weissgelblichen  und  etwas  schillernden  Scheibe 
vorkommt.  Durch  Sectionen  ist  jedoch  der  Sitz  solcher  Trübungen 
noch  nicht  ermittelt.     Von  Amnion  hat  im  I.  B.  seiner  klin.  Darst.  auf 


Trübung  —  Cataracta  capsularis.  261 

T.  XIV.  Fig.  5  einen  solchen  Stäar  abgebildet.  Ich  habe  ihn  nur 
zweimal  beobachtet,  bei  einem  Mädchen  von  15  und  bei  einem  Manne 
von  40  Jahren.  In  früherer  Zeit  wurde  wohl  manches  als  hinterer 
Kapselstaar  angesehen,  was  nichts  anderes  als  hinterer  Rinden- 
staar  war. 

B.  Der  vordere  (wahre)  Kapselstaar  erscheint,  wenn  wir  vor- 
läufig von  den  durch  mechanische  Eingriffe  bedingten  Formen  absehen, 
als  eine  bläulich-  oder  kreideweisse,  wenig  oder  gar  nicht  durch- 
scheinende, gleichmässig  ausgebreitete  oder  stellenweise  stärker  ge- 
sättigte Trübung  unmittelbar  hinter  der  Iris.  Eine  solche  Trübung 
zeigt  niemals  eine  symmetrische  Anordnung  nach  den  Radien  und  Sec- 
toren  der  Linse.  Was  den  Ausschlag  gibt,  ist  der  Befund  bei  gehörig 
erweiterter  Pupille.  Die  Trübung  nimmt  nur  den  mittlem  Theil  der 
Kapsel  ein,  reicht  wenigstens  nie  und  nirgends  bis  zum  Rande  der- 
selben. Sie  hört  stets  mindestens  x\i'"  vom  Rande  entfernt  und  scharf, 
wenn  gleich  unregelmässig,  begrenzt  auf.  Eine  mehr  weniger  grosse 
Partie  der  Kapsel  ist  undurchsichtig  und  durch  Infiltration  und  Auf- 
lagerung einer  körnigen  Masse  verdickt,  derb  und  zäh,  so  dass  sich 
diese  Partie  mit  einer  Nadel  im  Auge  nicht  zerschneiden  lässt.  Die 
genannte  körnige  Masse  lässt  die  innere  Fläche  der  Kapsel  uneben  und 
rauh  erscheinen,  und  kann  auf  keine  Weise,  weder  durch  Abspülen 
noch  durch  Schaben  mit  einem  Messer  u.  dgl.  von  der  Kapsel  entfernt 
werden.  An  Durchschnitten,  senkrecht  auf  die  Fläche  derselben  ge- 
führt, lässt  sich  die  Kapsel  auch  unter  dem  Mikroskope  nicht  als  solche 
verfolgen.  Die  äussere  Fläche  der  erkrankten  Partie  ist  glatt,  manch- 
mal etwas  runzlig. 

Ob  die  Kapsel  verdunkelt  und  in  ihrer  Structur  verändert  werden  könne,  darüber 
ist  in  neuerer  Zeit  viel  discutirt  worden,  seit  Malgaigne  aus  25  Sectionen  alter  Leute 
mit  Cataracta  (im  Bicetre  1840)  den  Schluss  gezogen  hatte,  es  gebe  keinen  Kapselstaar. 
Malgaigne  wäre  im  vollen  Rechte  geblieben,  wenn  er  aus  seinen  Leichenbefunden  nicht 
mehr  gefolgert  hätte ,  als  logisch  gefolgert  werden  konnte,  nämlich  dass  er  auch  da  die 
Kapsel  durchsichtig  gefunden  habe,  wo  man  nach  der  bisherigen  Ansicht  Kapselstaare 
zu  diagnosticiren  berechtigt  war.  Noch  in  später  erschienenen  Handbüchern  (von 
Chelius,  Himly,  Andreae,  Walther)  werden  die  Zeichen  des  Rindenstaares  für  Zeichen 
von  Kapselstaar  ausgegeben.  Ruete,  Hasner  u.  A.  haben  dem  übereilten  Schlüsse  Mal- 
gaigne's  dadurch  Allgemeingiltigkeit  zu  viudiciren  gesucht,  dass  sie  der  Kapsel  die  Mög- 
lichkeit sich  zu  verdunkeln  aus  anatomischen  Gründen  absprachen.  Ich  'kann  einem 
jeden,  der  sich  durch  Autopsie  überzeugen  will,  eine  Auswahl  getrübter,  verdickter, 
knorpelähnlicher,  innen  rauher,  aussen  glatter  Kapseln  zeigen,  und  auch  eine  und  die 
andere  zur  mikroskopischen  Untersuchung  überlassen,  da  ich  alljährlich  immer  wieder 
einige  frische  bei  der  Extraction  gewinne. 

Auf  die  oben  angegebenen  Zeichen  gestützt,  nehme  ich,  wo  ich  nebst  Trübung  der 


262  Krystalllinse. 

Linse  auch  Trübung  und  Verdickung  der  Kapsel  finde,  meistens  die  Extraction  vor,  derart, 
dass  ich  den  Kranken  liegen  lasse,  und  im  2.  Momente  nicht  mit  einer  Nadel,  sondern  mit 
einem  Irishäkchen  eingehe,  dieses  am  obern  Rande  der  Verdunklung  in  die  Kapsel  ein- 
pflanze ,  und  sofort  die  ganze  verdunkelte  und  verdickte  Partie  der  Kapsel  herausziehe. 
Bei  diesem  Vorgange  ist  es  mir  mehrmals  begegnet,  dass  die  ganze  (vordere  und  hintere) 
Kapsel  sammt  der  Linse  dem  Zuge  folgte.  Ich  kann  mehrere  solche  Staare  (wahre  Balg- 
staare aufweisen.  Diese  Lösung  des  Krystallkürpers  aus  seiner  Verbindung  mit  den 
Ciliarfortsätzen  (durch  Zerreissung  der  Zonula  ohne  gewaltthätige  Einwirkung  von  aussen) 
und  mit  der  Hyaloidea  erfolgt  vermöge  eines  gewissen  Grades  von  Schrumpfung  der  in- 
filtrirten  vordem  Kapselpartie.  Die  Linse  selbst  ist  bei  diesem  Befunde  meistens  weich, 
wohl  auch  mehr  weniger  verflüssigt;  bisweilen  findet  man  auch  Kalkconcremente  inner- 
halb der  Kapsel,  besonders  da,  wo  sich  die  Zonula  inserirt. 

Nur  in  Fällen,  wo  die  vordere  Kapsel  getrübt  und  verdickt  ist,  lässt  sieh  die  also 
veränderte  Partie  derselben,  und  nur  da,  wo  die  Verbindung  mit  der  Zonula  und  dem 
Glaskörper  gelockert  ist,  lässt  sich  die  ganze  Kapsel  sammt  der  Linse  bei  der  Extraction 
aus  dem  Auge  entfernen.  Eine  gesunde  Kapsel  sammt  dem  "Staare  auszuziehen,  wie 
JRuete  1.  c.  S.  759  angibt,  ist  mir  nie  gelungen,  nicht  einmal  bei  Versuchen  an  Cadavern. 
In  Hasners  Entwürfe  einer  anatomischen  Begründung  der  Augenkrankheiten  kann  man 
S.  185  folgende  Stelle  lesen:  „Ich  habe  im  Sommer  1846  bei  einem  Manne  die  Extraction 
der  Linse  wegen  Phakomalacie  mit  Pyramidenstaar  vorgenommen.  Als  ich  nach  Eröffnung 
der  Augenkammer  behufs  des  Kapselschnittes  das  Exsudat  mit  der  Staarnadel  nur  leicht 
berührte ,  löste  es  sich  sogleich  vollständig  von  der  Kapsel  und  fiel  zur  Hornhautwunde 
heraus;  die  nachträglich  entfernte  Kapsel  aber  erschien  vollkommen  durchsichtig  ohne  Spur 
einer  Substanzentartung. "  Wie  es  möglich  war,  eine  solche  Kapsel  nachträglich  zu  ent- 
fernen, ist  mir  nach  meinen  Versuchen  an  Lebenden  und  an  Cadavern    nicht  begreiflich. 

Diese  Form  von  Cataracta  scheint  mit  Congestiv-  und  Entzün- 
dungszuständen  der  Chorioidea  in  ursächlichem  Zusammenhange  zu 
stehen.  Am  häufigsten  trifft  man  sie  an  glaueomatösen  Augen  in  einem 
spätem  Zeiträume,  und  nach  Iridochorioiditis  chronica,  wo  sie  meistens 
als  Catar.  aecreta  erscheint.  (Vergl.  Iritis  S.  100,  und  Chorioiditis  S. 
162,  163,  165,  166  und  die  Krankengeschichten  auf  S.  185,  188  und 
205.)  Doch  findet  man  diese  Erkrankungen  der  Kapsel  auch  bei  ganz 
einfachen  Cataracten  älterer  Personen,  jedoch  öfter  bei  weicher  als  bei 
harter  Linse.  Ob  der  ganze  Vorgang  als  Entzündung  der  Kapsel  zu 
betrachten  sei,  lässt  sich  wohl  zur  Zeit  noch  nicht  entscheiden,  um  so 
weniger,  als  bisher  noch  keine  verlässliche  Diagnostik  der  sogenannten 
Periphakitis  existirt,  wenn  man  auch  ohne  die  vorausgefasste  Meinung, 
die  Kapsel  könne  sich  nicht  entzünden,  und  mit  den  besten  optischen 
Hilfsmitteln  an  das  Krankenbett  tritt. 

Der  Process,  welcher  hier  an  der  Kapsel  vorgeht,  hat  nach  dem,  was  mich  ana- 
tomische Untersuchungen  gelehrt  haben,  grosse  Ähnlichkeit  mit  der  Erkrankung  der 
inneren  Gefässhaut  der  Arterien ,  welche  Rokitansky  *)  als  „  excedirende  Auflagerung 
von    innerer   Gefässhaut"    geschildert   hat,    und   als   deren   Endglieder    er   Atheroma   und 

*)  Handbuch  der  patholog.  Anatomie.    Wien.    Bd.  I.  S.  534. 


Trübung  —  Cataracta  capsularis.  263 

Yerknöcherung  bezeichnet.  Wirkliche,  mikroskopisch  nachweisbare  Knochenbildung  oder 
eigentlich  Yerknöcherung  der  verdickten  Kapsel  selbst  habe  ich  in  zwei  phthisischen 
Bulbis  gefunden. 

Während  des  Lebens  Entzündung  der  Kapsel  mit  Bestimmtheit  zu  erkennen  war 
ich  bisher  nicht  im  Stande,  so  sorgfältig  ich  auch  nach  den  Charakteren  suchte,  welche 
von  Walther*)  und  Sichel**)  dafür  angegeben  haben.  Durch  die  häufigere  Anwendung 
des  Helmholtzscheu  Augenspiegels  dürfte  wohl  auch  diese  Frage  in  kurzer  Zeit  entschie- 
den beantwortet  werden.  Walther's  Diagnostik  hat  durch  das,  was  uns  Sichel  1.  c.  S.  117 
darüber  mitgetheilt,  einen  argen  Stoss  erlitten.  „Die  Beobachtung,  sowie  die  mündlichen 
Erörterungen,  welche  wir  über  diesen  Gegenstand  mit  diesem  ausgezeichneten  Praktiker 
gehabt  haben,  bestärken  uns  in  der  Ansicht,  dass  er  die  pigmentösen  Filamente ,  welche 
man  nicht  selten  auf  der  Kapsel  antrifft,  als  Gefässbildungen  der  Kapsel  angesehen  habe. 
Wir  haben  sogar  mit  einander  einen  Kranken  beobachtet,  bei  dem  Herr  von  Walther 
eine  der  deutlichsten  und  auffallendsten  Gefässbildungen  in  der  vordem  Crystalloide 
diagnosticirte ;  die  Loupe  indess  liess  mich  in  dem  Auge  dieses  Subjectes  nur  pigmentöse 
braune  und  punktartige  Blättchen  entdecken,  welche  mit  lymphatischen,  gleichfalls  mit 
Pigment  überzogenen  Filamenten  abwechselten,  und  eine  ungleiche  Oberfläche  darboten." 
In  seinem  1849  erschienenen  Handbuche  B.  IL  S.  550  ersieht  man  deutlich,  dass  Walther, 
der  den  Kapselstaar  als  Folge  von  Periphakitis  betrachtete ,  denselben  noch  mit  dem 
Bindenstaar  zusammen  warf.  Die  §§.  1755,  1756  und  1757  sind  schlagende  Beweise 
dafür.  Dasselbe  gilt  von  Dr.  Stricker's  Charakteristik  des  Phakoskleroma  und  der  Phako- 
malacia,  welche  letztere  als  Folge  der  Capsitis  bezeichnet  wird,  in  seiner  sonst  aus- 
gezeichneten gekrönten  Preisschrift  über  die  Krankheiten  des  Linsensystemes ,  Frankfurt 
a.  M.   1845. 

Gefässentwicklung  auf  der  mehr  weniger  getrübten  oder  erst  später  sich  trübenden 
Kapsel  habe  ich  wohl  in  mehreren  Fällen  sehr  deutlich  gesehen ;  doch  konnte  ich  nicht 
entscheiden,  ob  sie  nicht  einer  von  der  Iris  ausgehenden  Exsudatschichte  oder  der  Kapsel 
selbst  angehörten:  denn  immer  waren  zugleich  unzweifelhafte  Erscheinungen  von  Iritis 
zugegen.  —  A.  Perwolf,  36  Jahre  alt,  kam  am  5.  August  1849  mit  folgendem  Zustande 
der  Augen  in  die  Anstalt.  Links:  die  vordem  Ciliargefässe  abnorm  erweitert,  bei  Unter- 
suchung des  Auges  sehr  bald  einen  rosenrothen  Gürtel  um  die  Cornea  bildend.  Die 
Cornea  in  jeder  Beziehung  normal.  Die  von  Natur  dunkelbraune  Iris  minder  deutlich 
faserig,  unbeweglich,  gegen  den  Ciliarrand  hin  an  mehreren  Stellen  an  die  Hornhaut  an- 
gelöthet.  Die  Pupille  rund,  etwa  P/a"'  im  Durchmesser,  keine  hintern  Synechien  zeigend, 
auch  durch  wiederholte  Anwendung  von  Extr.  belladonnae  nicht  erweiterbar.  Hinter  der 
Iris  sieht  man  deutlich  die  Linse  getrübt,  und  zwar  nach  dem  Abstände  von  der  Iris 
und  nach  der  gelblichen  Farbe  zu  schliessen,  nur  im  Kerne.  Die  Kranke  unterscheidet 
mit  diesem  Auge  noch  grössere  Gegenstände,  kann  zur  Noth  allein  herumgehen,  die 
Finger  zählen  u.  dgl.  Bei  genauerer  Besichtigung  fielen  mir  eine  Menge  feiner  rother 
Äderchen  auf,  welche  offenbar  die  Lage  der  vordem,  nirgends  getrübten  Kapsel  einnah- 
men, und  von  der  Peripherie  gegen  das  Centrum  verliefen,  jedoch  nicht  streng  centri- 
petal.  Es  wäre  nun  nöthig  gewesen  zu  ermitteln,  woher  diese  Gefässe  kamen.  Bei  dem 
Umstände,  dass  sich  die  Pupille  nicht  erweitem  liess,  war  diess  jedoch  nicht  möglich. 
In  der  Iris  waren  keine  Gefässe  wahrnehmbar.     Auf  der  Kapsel  zählte  ich  sieben  isolirte 

*)  Abhandlungen  ans  dem  Gebiete   der  Medicin  1S10.  S.  53.,    und   Lehre   von  den  Augenkrankheiten, 
Freiburg,  1S49.  Bd.  I.  S.  112. 
-**)  Über  die  Augenentzündungen,  deutsch  von  Gross.    Stuttgart,  1S40.    S.  110. 


264  Krystalllinse. 

und  einfache  Reiserchen;  nur  eines  spaltete  sich  in  zwei  Ästchen,  welche  über  das 
Centrum  hinüberliefen,  ohne  mit  den  entgegen  kommenden  in  Verbindung  zu  treten. 
Einige  Tage  nach  der  Aufnahme  trat  eine  Hernia  inguinalis  incarcerata  ein,  welche  den 
Bruchschnitt,  mithin  die  Transferirung  auf  die  chirurgische  Abtheilung  nöthig  machte. 

Als  die  Kranke  Ende  October  wieder  auf  die  Augenklinik  zurückkam ,  sah  man 
die  früher  (mit  Ausnahme  der  Gefässchen)  ganz  durchsichtige  Kapsel  an  einer  Stelle- 
getrübt,  welche,  etwa  ''3'"  breit,  quer  durch  die  Pupille  verlief,  matt,  weissgrau,  in  der 
Mitte  undurchsichtig,  mit  verwaschenen  Rändern,  nicht  uneben,  die  Äderchen  noch  sicht- 
bar in  die  Trübung  hineinragen.  Auch  jetzt  gelang  es  nicht,  die  Pupille  durch  Bella- 
donna zu  erweitern.  Von  der  Gegenwart  der  Gefässchen  in  oder  auf  der  übrigens 
ganz  durchsichtigen  Kapsel  überzeugten  sich  nebst  vielen  Andern  auch  mein  Assistent 
Dr.  Seydl  und  Prof.  Engel.  Bei  der  am  2.  November  vorgenommenen  Extraction,  welche 
Methode  ich  wählte,  um  die  Kapsel  zur  mikroskopischen  Untersuchung  zu  erhalten,  miss- 
lang der  Versuch,  die  Kapsel  mit  einem  in  die  obere  Partie  eingepflanzten  Häkchen 
herauszuziehen ,  indem  das  Häkchen  beim  Anziehen  mitten  durch  die  Kapsel  durchging. 
Die  Entfernung  der  ziemlich  weichen  Linse  gelang  ohne  besondere  Schwierigkeit  ziem- 
lich vollständig;  nach  derselben  sah  man  die  vordere  Kapsel  wegen  eines  leichten  Be- 
schlages mit  Rindensubstanz  auf  dem  nun  schwarz  gewordenen  Hintergrunde  durchaus 
graulich  weiss,  wie  einen  senkrecht  gespaltenen  Vorhang  hinter  der  Iris  ausgespannt; 
mit  einer  feinen  Pincette  gefasst,  riss  sie  ein,  ohne  dem  Zuge  zu  folgen.  Durch  jene 
Spalte,  die  sich  bei  gelindem  Drucke  auf  den  Bulbus  erweiterte,  nahm  die  Kranke  die 
vor  ihr  stehenden  Personen  wahr.  Nach  erfolgter  Heilung  blieb  so  wie  in  andern  Fällen 
nach  einfach  geschlitzter,  nicht  in  Zipfel  gespaltener  Kapsel,  Catar.  seeund.  capsul.  zurück. 
Ich  habe  somit  auch  in  diesem  Falle  nicht  evident  nachweisen  können ,  dass  wirklich 
Entzündung  der  vordem  Kapsel  stattgefunden  hatte. 

C.  Auflagerungen  auf  der  vordem  Kapsel  kommen  in  ver- 
schiedener Form  und  Grösse  vor.  Insofern  die  Kapsel  darunter  ganz 
unverändert,  mindestens  vollkommen  durchsichtig-  sein  kann,  was  sich 
jedoch  während  des  Lebens  nicht  mit  Sicherheit  bestimmen  lässt,  kann 
man  die  hieher  gehörigen  Formen  als  Catar.  spuria  bezeichnen. 

a.  Hieher  gehört  zunächst  der  erworbene  vordere  Centralkapsel- 
staar,  Catar.  capsulae  anterioris  centralis,  welchen  wir  im  I.  Bande  S. 
232—236  besprochen  haben. 

b.  Derselbe  darf  nicht  verwechselt  werden  mit  dem  angeborenen 
vorderen  Centralstaare,  welcher  gleichfalls  in  Form  eines  Punktes  oder 
in  Form  einer  Pyramide  (Cat.  pyramidalis)  vorkommt.  Der  angehorene 
-punktförmige  vordere  Centralkapselstaar  erscheint  fast  ohne  Ausnahme 
auf  beiden  Augen  zugleich  als  ein  lichtgrauer  Punkt,  ein  wenig  nach 
oben  und  innen  vom  Centrum  der  Pupille  scharf  begrenzt,  matt,  nicht 
im  mindesten  erhaben,  noch  in  die  Tiefe  reichend.  Durch  eine  Section 
von  Amnion*)  ist  es  sicher  gestellt,  dass  die  Trübung  nicht  bloss  in 
der  Linse,  sondern  auch  in   der  Kapsel  ihren  Sitz  hat.     Er  fand  die 

*)  Zeltschrift,  Band  III.  S.  76. 


Kapselauflageruiigeii  —  Catar.  spuria.  265 

Catar.  centr.  in  2  Fällen  als  einen  Centralfleck  auf  der  vordem  Kapsel- 
wand, konnte  jedoch  weder  mit  unbewaffnetem  noch  mit  bewaffnetem 
Auge  eine  Erhabenheit  auf  derselben  entdecken.  Die  dunkle  weisse 
Stelle  auf  der  Linsenkapsel  unterschied  sich  von  andern  Punkten  der 
Linsenkapsel  durch  grössere  Dichtigkeit.  Beide  waren  von  Kindern, 
die  etwa  14  Tage  vor  der  Zeit  geboren  waren.  —  Den  angeborenen 
Pijramidenstaar  sah  ich  im  Jahre  1839  bei  zwei  Geschwistern  aus 
Welmschloss,  einem  IS-  und  einem  13jährigen  Mädchen,  als  einen 
stumpfspitzigen,  zuckerhutähnlichen  Kegel  mit  etwa  l  x\i'"  breiter  Basis 
ziemlich  tief  hinter  der  Iris  anfangend,  nirgends  mit  der  Iris  zusam- 
menhängend, mit  der  Spitze  bis  nahe  an  die  Cornea  reichend,  weiss 
wie  frisch  geronnener  Käse,  an  der  Spitze  etwas  glänzend. 

Das  eine  Auge  von  der  altern  wurde  von  Dr.  Paulus  plastisch  nachgebildet,  und 
diese?  sehr  gelungene  -Präparat  wird  in  der  Sammlung-  der  Augenklinik  allhier  aufbe- 
wahrt. Die  Bulbi  waren  ziemlich  vollkommen  entwickelt,  die  Regenbogenhäute  etwas? 
matter  gefärbt,  das  Sehvermögen  sehr  beschränkt.  Sie  erkannten  grössere  Gegenstände, 
die  Finger,  einen  Schlüssel  u.  dgl. ,  und  konnten  allein  gehen.  Bei  beiden  machte  Prof. 
Fischer  die  Depression  durch  die  Sclera,  bei  der  altern  auf  dem  rechten  Auge,  wo  nur 
deutliche  Lichtempfindung  bestand,  bei  der  Jüngern  links,  wo  das  Sehvermögen  von 
dem  rechts  nicht  verschieden  war;  bei  jener  stieg  der  Staar  wieder  auf,  bei  dieser 
blieb  er  liegen,  und  ich  sah  diese  1852  wieder  in  Karlsbad,  wo  sie  in  Dienst  stand. 
Da  sie  mir  versprach,  nach  Prag  zu  kommen,  habe  ich  ihren  Zustand  nicht  genauer  erhoben. 
Sie  ist  leider  nicht  gekommen.  —  Von  Amnion*)  verdanken  wir  einen  genauen  Sections- 
befund  eines  solchen  Staares.  „Die  ganze  Linse  hing  innigst  mit  der  Kapsel  zusammen, 
so  dass  beide  nur  mit  Mühe  von  einander  getrennt  werden  konnten.  Die  Kapsel  bildete 
hie  und  da  einzelne  Falten,  war  aber  nicht  verdickt,  und  frei  von  aller  Wucherung. 
Die  pyramidale  Erhabenheit  sah  so  aus,  als  hätte  sich  durch  ein  kleines  Loch  der  vor- 
dem Kapsel  im  Centrum  ein  Stückchen  Linsensubstanz  hervorgedrängt.  Die  theilweise 
von  der  verdunkelten  gelben  Linsensubstanz ,  wenn  auch  mit  Mühe  trennbare  Kapsel 
konnte  im  Centrum  da,  wo  die  pyram.  Hervorragung  stattfand,  nicht  abgezogen  werden, 
sondern  verschmolz  hier  mit  der  Linsenmasse  gänzlich.  Auffallend  war  die  abgeflachte 
hintere  Linse."  —  Beers**)  Angaben  über  den  anatomischen  Befund  bei  solchen  Staaren 
sind  zu  allgemein  gehalten,  und  dürften  sich  eher  auf  jene  Pyramidenstaare  beziehen, 
welche  in  Folge    durchbohreuder   Hornhautgeschwüre    entstehen,  als  auf  die  angebornen. 

c.  Als  mehr  flache  und  dem  Sitze  und  der  Form  nach  nicht  so 
constante  Auflagerungen  auf  der  vordem  Kapsel  kommen  mehrere 
Arten  sogenannter  Kapselstaare  vor,  denen  man  je  nach  der  verschie- 
denen Form,  welche  ziemlich  gleichgiltig  ist,  verschiedene  Namen  bei- 
gelegt hat.  Es  sind  diess  die  Cataracta  punctata,  marmoracea,  striata, 
fenestrata,  stellata,  trabecularis ,  dendritica,  chorioidealis  s.  pigmentosa 
etc.     Vor  Allem  muss  bemerkt  werden,    dass   ähnliche  Figuren,  wie 

*)  Zeitschrift,  Bd.  III.  S.  79. 
**)  Lehre  von  den  Augenkrankheiten.    Wien,  1617.    Bd.  II.   S.  298. 


266  Krystalllinse. 

diese  Namen  andeuten,  auch  durch  partielle  Trübung-  der  Rindensubstanz 
hervorgerufen  werden  können.  Hier  ist  nur  von  jenen  Zuständen  die 
Rede,  wo  von  der  Iris  ausgeschiedene  Exsudate  mit  oder  ohne  Pigment 
auf  der  Iris  hängen.  Diese  Trübungen  können  im  Allgemeinen  leicht 
als  Producte  von  Iritis  nachgewiesen  werden ,  bald  mit  Hilfe  der  Ana- 
mnesis,  bald  nach  der  Inspection  allein.  Letzteres  ist  besonders  dann 
leicht  möglich,  wenn  sogenannte  hintere  Synechien  oder  wenn  zugleich 
Pigmentablagerungen  auf  der  Kapsel  vorhanden  sind.  Dass  nicht  in 
allen  Fällen,  wo  der  Pupillarrand  ringsum  oder  stellenweise  an  die 
Kapsel  angelöthet  zu  sein  scheint,  wirkliche  Verwachsung-  oder  auch 
nur  Anlöthung-  stattfindet,  wurde  schon  bei  der  Lehre  von  der  Iritis 
bemerkt. 

Sichel  1.  c.  S.  110  betrachtet  diese  Trübungen  als  Folge  von  Periphakitis.  In  der 
Schilderung,  die  er  von  dieser  entworfen  hat,  kann  ich  nichts  anderes  erkennen,  als  die 
Zeichen  von  Iritis,  namentlich  von  Iritis  chronica,  welche  frühere  Autoren  als  Uveitis, 
Iritis  occulta,  Iritis  exsudativa,  Hydromeningitis  u.  dgl.  beschrieben  haben.  Stricker  will 
aus  allgemein  pathologischen  Sätzen  schliessen,  dass  Exsudate  und  Pigmentmolekeln,  von 
der  Iris  geliefert,  nur  dann  an  der  Kapsel  haften  bleiben  können,  wenn  diese  zur  Zeit 
der  Anlagerung  selbst  entzündet  war.  Man  ersieht  aber  aus  seiner  Schilderung  der 
Phakomalacie ,  dass  er  auch  da  Periphakitis  annimmt,  wo  entschieden  keine  vorhanden 
ist,  namentlich  bei  Catarr.  corticalis.  Es  ist  Thatsache  der  Beobachtung,  dass  in  Folge 
von  Iritis  Pigmentablagerungen  bemerkt  werden,  und  zwar  nicht  nur  an  der  Kapsel, 
sondern  auch  mitunter  an  der  Descemetschen  Haut.  Am  häufigsten  aber  bemerkt  man, 
wie  schon  Beer  hervorgehoben  hat,  Pigmentauflagerungen  an  der  vordem  Kapsel  nach 
traumatischen  Einwirkungen  auf  das  Auge,  und  diese  Pigmentflecke  auf  der  Kapel  findet 
man  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  ohne  alle  Spur  vorausgegangener  Iritis. 


IL    Verschrumpfung  des  Krystallkörpers. 

Wenn  die  vordere  Kapsel  derart  verletzt  worden  ist,  dass  sie  dem 
Kammerwasser  durch  längere  Zeit  freien  Zutritt  zur  Linsensubstanz 
gestattet,  wenn,  selbst  bei  unbedeutender  Verletzung  der  Kapsel,  ihre 
Verbindung  mit  der  Linse  gestört  (durch  Erschütterung,  Verschiebung 
der  Linse  innerhalb  der  Kapsel),  oder  wenn  der  Zusammenhang  der 
Kapsel  mit  dem  Ciliarkörper  durch  Zerreissung  der  Zonula  Zinnii  in 
grösserer  Ausdehnung  getrennt  worden  ist,  so  verliert  die  Linse  und 
meistens  auch  die  Kapsel  nicht  bloss  ihre  Durchsichtigkeit,  sondern 
auch  ihre  Form  und  ihr  Volumen,  indem  die  Linse  mehr  weniger  ver- 
flüssigt und  aufgesogen  wird  und  die  Kapsel  ihre  Gestalt  und  Ausdeh- 
nung nicht  selbstständig  behaupten  kann.  Hieraus  entstehen  mehrere 
Arten  von   Cataracten,  welche  nebst  der  Trübung  auch  Schrumpfung 


Schrumpfung  —  Catar.  membranacea.  267 

des  Krystallkörpers  zeigen.  Je  nachdem  liiebei  die  Linse  ganz  oder 
nur  zum  Theile  fehlt,  ist  der  Staar  ein  Kapsel-  oder  ein  Kapsellinsen- 
staar.  Der  Form  nach  erscheint  der  Staar  als  Catar.  membranacea 
(traumatica,  secundaria),  als  Catar.  arida  siliquata,  oder  als  Catar. 
eystica  (tremula,  natatilis). 

Wenn  die  Linse  fehlt  oder  merklich  verschrumpft  ist,  so  liegt  die 
Iris  tiefer  und  zeigt  bei  raschen  Wendungen  des  Bulbus  ein  deutliches 
Schlottern.  Fehlt  auch  die  Kapsel  (im  Bereiche  der  Pupille),  so  zeigt 
die  Pupille  eine  reinere  Schwärze,  wenigstens  bei  Erwachsenen,  als  im 
normalen  Zustande.  Das  Schlottern  der  Iris  wird  nur  dann  vermisst, 
wenn  der  Pupillarrand  an  die  Kapsel  angewachsen  und  rückwärts  ge- 
zogen ist.  Bei  Catar.  eystica  kann  die  Iris  auch  abnorm  vorwärts  ge- 
drängt sein,  wie  wir  weiterhin  sehen  werden. 

a.  Erscheint  der  Staar  als  Catar.  membranacea  in  Form  einer  hin- 
ter der  Iris  ausgespannten  Membran  oder  Platte,  so  ist  diese  ungefähr 
1 2'"  hinter  der  Iris  gelegen,  d.  i.  in  einer  Ebene,  welche  durch  die 
Firsten  der  Ciliarfortsätze  gezogen  gedacht  wird.  Es  ist  durchaus  irrig, 
wenn  man  meint,  nach  Beseitigung  der  Linse,  wie  namentlich  nach 
Staaroperationen,  werde  die  hintere  Kapsel  in  der  tellerförmigen  Grube 
aus  einer  coneaven  in  eine  convexe  Fläche  verwandelt.  Sie  rückt 
immer  nur  bis  zu  der  genannten  Ebene  vor,  wie  wir  weiter  unten 
noch  erläutern  werden.  Bei  Catar.  membranacea  erscheint  die  Trübung 
durchaus  oder  nur  stellenweise  undurchsichtig,  und  dann  knorpel-, 
kreide-  oder  gelblich-weiss ,  oder  sie  ist  mehr  weniger  durchscheinend, 
bläulich  weiss,  spinnwebenähnlich  u.  dgl.  Die  Consistenz  ist  bald 
knorpel-  oder  lederartig,  bald  mürbe,  bröcklich,  leicht  zerreisslich. 
Ihre  Anheftung  an  die  Ciliarfortsätze  ist  in  dem  einen  Falle  unzertrenn- 
lich fest,  so  dass,  wenn  man  sie  stark  anzieht,  selbst  die  Sclera  ein- 
wärts gezogen  wird,  in  andern  Fällen  ziemlich  locker,  so  dass  sie  dem 
Zuge  eines  Irishäkchens  oder  einer  Nadel  weicht.  Nach  hinten  hängt 
eine  .solche  Membran  in  der  Eegel  mit  der  Glashaut  zusammen,  wenig- 
stens fliesst,  wenn  man  sie  durch  einen  Einstich  in  die  Cornea  noch  so 
vorsichtig  anzieht,  immer  etwas  Glaskörper  aus,  und  zwar  von  vermin- 
derter Consistenz. 

In  andern  Fällen,  namentlich  nach  Staaroperationen,  sieht  man 
hinter  der  Pupillaröffnung  der  Iris  einzelne  Streifen  oder  Zipfel  ver- 
dunkelter Kapsel,  bald  frei  in  der  genannten  Ebene  ausgespannt,  bald 
mit  dem  Pupillarrande  verwachsen,  wohl  auch,  wenn  nach  der  Extrac- 
tion  Irisvorfall  entstanden  war,  durch  die  Pupille  zur  Hornhautnarbe 
streichend  und  mit  dieser  unzertrennlich  verschmolzen.    Man  bezeichnet 


268  Krystalllinse. 

diese  Membranen  mit  Rücksicht  auf  ihre  Entstehung  gewöhnlich  als 
Catar.  secundaria,  Sie  sind  sehr  häufig  durch  Pupillensperre  verdeckt. 
Legt  man  in  Fällen,  wo  z.  B.  nach  der  Extraction  die  Pupille  gesperrt 
wurde,  sei  es  einfach  durch  Iritis  oder  durch  allmälig  vernarbten  Iris- 
vorfall, durch  Iridectomie  eine  Öffnung  in  der  Iris  an,  so  findet  man 
nicht  selten  hinter  derselben  eine  trübe  Membran  ausgespannt,  die  den 
Zweck  der  Coremorphose  vereitelt,  falls  man  nicht  sofort  mit  Häkchen 
oder  Pincette  eingeht,  und  dieselbe  auszieht  oder  einreisst,  was  jedoch 
nicht  immer  gelingt. 

Dass  diese  Membranen  keine  blossen  Exsudate,  und  auch  nicht  immer  bloss  ge- 
runzelte und  mit  Linsenresten  beschlagene,  sondern  meistens  in  ihrer  Structur  gänzlich 
veränderte  Kapseln  sind,  dafür  spricht  nicht  nur  ihre  flache  Ausbreitung  hinter  der  Iris,  mit 
welcher  sie  gar  oft  nicht  im  mindesten  zusammenhängen,  nicht  nur  ihr  Auftreten  in 
Fällen,  wo  nicht  eine  Spur  von  Entzündung  bemerkt  worden  war,  sondern  auch  und 
vor  Allem  die  anatomische  Untersuchung  von  operirten  Augen,  auf  die  wir  weiter  unten 
zurückkomnen.  Man  wird  selten  ein  von  Cataracta  geheiltes  Auge  zu  Gesicht  bekommen, 
wo  nicht  Beste  verdunkelter  Kapsel  (vorderer)  schon  bei  gewöhnlicher  Weite  der  Pupille 
sichtbar  wäi-en.  Man  kann  bei  der  Operation  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  vorausbe- 
stimmen, ob  Kapselnachstaar  zu  besorgen  sei  oder  nicht.  Es  hängt  diess  hauptsächlich 
von  der  Art  und  AVeise  ab ,  wie  die  vordere  Kapsel  geöffnet  wird.  In  jenen  Fällen ,  wo 
bei  der  Extraction  die  verdunkelte  und  verdickte  vordere  Kapsel  vor  oder  nach  dem 
Austiitte  der  Linse  extrahirt  worden  war,  habe  ich  später  nicht  ein  einziges  Mal  solche 
Nachstaare,  solche  getrübte  membranöse  Ausbreitungen  hinter  der  Pupille  bemerken 
können.  Auch  da,  wo  die  Extraction  mit  Glaskörperverlust  verläuft,  findet  man  äusserst 
selten ,  und  da  nur  gegen  die  Peripherie  hin ,  solche  Nachstaare ,  welcher  Umstand 
bekanntlich  zu  dem  Vorschlage  geführt  hat,  unmittelbar  nach  Vollendung  der  Extraction 
etwas  Glaskörper  abfliessen  zu  machen.  Auch  nach  der  Eeclination  ist  man  nur  dann  vor 
dem  Nachstaar  absolut  sicher ,  wenn  die  vordere  Kapsel ,  in  ihrem  mittlem  Felde  ge- 
trübt und  so  verdickt ,  dass  die  an  sie  aufgesetzte  Nadel  nicht  durch  sie  durchgehen 
kann,  ringsum  von  der  Zonula  losgerissen,  mit  in  den  Glaskörper  versenkt  wird  und 
dort  liegen  bleibt. 

Die  Catar.  membranacea  (secundaria)  kann  durch  verschiedene 
Substrate  bedingt  sein,  durch  Schrumpfung  und  Faltung  der  vordem 
Kapsel,  durch  Auflagerung  von  Exsudat  an  ihre  Aussenfläche  von  der 
Iris  oder  von  den  Ciliarfortsätzen  und  der  Zonula  her,  durch  Präcipita- 
tion  getrübter  Linsenpartikelchen  an  die  Innenfläche  oder  endlich  durch 
Substanzveränderung  (Folge  von  Entzündung?)  der  Kapsel  selbst,  wobei 
immer  ihre  Innenfläche  mehr  weniger  rauh  und  uneben  erscheint. 
Meistens  sind  mehrere  dieser  Zustände  zugleich  vorhanden.  —  Trübung 
durch  Schrumpfung  und  Runzelung  der  vordem  Kapsel  allein  kommt 
ganz  gewiss  vor.  Man  kann  sich  davon  überzeugen,  indem  man  nach 
Ausgleichung  der  Falten  unter  dem  Mikroskope  die  vorher  trüb  er- 
scheinende Kapsel  wieder  glashell  findet.     Eine  solche  Trübung  hat 


Schrumpfung  —  Catar.  arida  siliquata  —  cystica.  269 

auf  dem  schwarzen  Hintergründe  des  Auges  nie  ein  gesättigt  weisses 
Aussehen ;  sie  gleicht  mehr  einem  Spinnengewebe.  —  Auflagerungen 
auf  der  Aussenfläche  der  Kapsel  als  Producte  von  Entzündung  der  Iris 
kann  man  nur  in  jenen  Fällen  supponiren,  wo  die  Iris  an  einer  oder 
der  andern  Stelle  Adhäsionen  mit  der  Kapsel  zeigt.  Sie  sind  niemals 
ganz  gleichinässig  vertheilt,  haben  ein  seimig  glänzendes  Aussehen, 
und  bilden  für  sich  allein  niemals  eine  flächenförmig  ausgespannte, 
sondern  eine  faden-  oder  bandförmige  Trübung.  —  Auflagerungen  von 
Linsenresten  an  der  Innenfläche  der  vordem  Kapsel  bieten  Anfangs  ein 
lockeres  lichtgraues  Aussehen  dar;  mit  der  Zeit  werden  sie  resorbirt 
oder  gehen  nach  Anlöthung  der  vordem  an  die  hintere  Kapsel  in  einen 
derben  und  stationären  Zustand  über,  in  welchem  man  sie  als  solche 
nicht  mehr  erkennen  kann.  Die  hiedurch  entstandene  Masse  ist  bald 
knorpelähnlich,  lederartig  zäh,  bald  kreide-  oder  gypsartig,  hart  oder 
bröcklich. 

b.  Jene  Formen,  wo  die  rückständige  und  gleichsam  eingedickte 
oder  eingetrocknete  Linsensubstanz  sammt  der  sie  umschliessenden  ge- 
schrumpften Kapsel  eine  mächtige  (bis  V"  dicke),  ganz  undurchsich- 
tige, weisse  oder  weissgelbe,  kuchenförmige  Masse  darstellt,  hat  man 
(seit  Ad.  Schmidt  und  Beer)  wegen  Ähnlichkeit  mit  einer  eingetrock- 
neten Schotenfrucht  Catar.  arida  siliquata  genannt.  Oft  ist  bei  diesem 
Zustande  die  Kapsel  nicht  bloss  gerunzelt,  sondern  auch  in  ihrer  Sub- 
stanz verändert.  Diese  Formen  scheinen  sich  hauptsächlich  nach  Er- 
schütterungen des  Linsensystenies,  nach  Störung  des  Zusammenhanges 
zwischen  Kapsel  und  Linse  zu  entwickeln.  Zur  Zeit  ist  es  noch  un- 
entschieden, ob  eine  Verschiebung  der  Linse  innerhalb  der  Kapsel  er- 
folgen könne,  ohne  dass  diese  zugleich  eingerissen  wurde.  Ist  letzteres 
nothwendig,  so  muss  man  wohl  annehmen,  dass  sich  die  Kapselötfnung 
wieder  geschlossen,  bevor  das  Kammerwasser  Auflösung  der  Linse  be- 
wirken konnte.  In  so  fern  als  eine  solche  Eindickung  und  Verschrumpfung 
auch  nach  ausgedehnter  Störung  der  Verbindung  des  Krystallkörpers 
mit  dem  Ciliar-  und  Glaskörper  eintreten  und  dadurch  eine  mehr  we- 
niger freie  Beweglichkeit  einer  solchen  Catar.  bei  den  verschiedenen 
Wendungen  des  Bulbus  bemerkbar  werden  kann,  wurden  auf  diese  For- 
men auch  die  Ausdrücke:  Zitter-  oder  Schwimmstaar  (Catar.  tremula 
vel  natatilis)  angewendet.  Meistens  aber  hängen  trockenhülsige  Staare, 
so  wie  die  häutigen  an  einer  oder  an  mehreren  Stellen  wider  Ver- 
muthen  fest  an  der  Peripherie,  und  steigen  daher  bei  wiederholten  Ver- 
suchen, sie  in  den  Glaskörper  hineinzudrücken,  immer  wieder  auf,  wo- 
her die  Bezeichnung  Catar.  elastica  entstand. 


270  Krystalllinse. 

c.  Bisweilen  findet  man  die  Linse  getrübt  und  mehr  weniger  er- 
weicht oder  verflüssigt,  die  vordere  Kapsel  in  ihrer  mittlem  Partie  ge- 
trübt und  verdickt,  den  ganzen  Krystallkörper  etwas  geschrumpft,  seine 
Verbindung  mit  dem  Ciliar-  und  Glaskörper  bedeutend  gelockert  oder 
völlig  aufgehoben,  und  in  Folge  dieser  Veränderungen  in  eine  kugel- 
runde schlaffe  Blase  verwandelt.  Man  hat  diesen  Zustand  Balgstaar? 
Catar.  cystica  genannt,  und  auch  hier  bei  völliger  Lösung  den  Ausdruck 
Catar.  natatilis,  bei  theilweiser:  Catar.  tremula  gebraucht.  Am  häufig- 
sten findet  man  diesen  Zustand  des  Linsensystemes  an  Augen,  welche 
an  Chorioiditis  oder  Iridochorioiditis  gelitten  haben,  und  es  ist  mehr 
als  wahrscheinlich,  dass  die  Verdickung  und  Schrumpfung  der  vordem 
Kapsel  Ursache  der  Ablösung  vom  Ciliar-  und  Glaskörper  ist;  doch 
kommt  er  auch  nach  Erschütterungen  des  Auges  vor.  Von  der  ver- 
schiedenen Lagerung  solcher  Linsen  soll  im  nächsten  Abschnitte  die 
Rede  sein.  Hier  haben  wir  nur  noch  zu  erinnern,  dass  in  Folge  dieses 
Zustandes  das  Bild  einer  Catar.  arida  siliquata  oder  auch  Verkalkung 
der  Linse  ohne  völligen  Verlust  der  äussern  Form  eintreten  kann. 

Beer  1.  c.  S.  296  und  297  bemerkt  über  diese  Form  Folgendes: 
„Der  Balgstaar  charakterisirt  sich  durch  schneeweisse  Farbe;  bald  liegt 
er  so  nahe  an  der  Traubenhaut,  dass  er  sogar  die  Regenbogenhaut  vor- 
wärts drängt,  bald  scheint  er  wieder  von  derselben  etwas  entfernt  zu 
sein,  und  dieses  hängt  fast  immer  nur  von  der  Richtung  des  Kopfes 
ab;  denn  er  nimmt  leicht  eine  Kugelform  an  und  drängt  sich  daher  bei 
vorwärts  geneigtem  Kopfe  an  die  Traubenhaut,  ja  zuweilen  scheint  er 
bei  stark  vorwärts  geneigtem  Kopfe  sogar  durch  die  Pupille  in  die 
vordere  Kammer  vordringen  zu  wollen."  „Ich  habe  die  Kapsel  bei 
diesem  Staare  einige  Male  wirklich  eine  starke  Linie  dick  und  so  zähe 
wie  dichtes  Leder  gefunden;  die  Linse  selbst  war  sulzig  oder  milchar- 
tig entmischt,  jedoch  die  Quantität  dieser  Flüssigkeit  stand  niemals  im 
Verhältniss  mit  dem  Volumen  einer  gewöhnlichen  Linse.  Im  Wasser 
erscheint  die  Form  des  ausgezogenen  Staares  völlig  kugelrund,  ausser- 
dem Wasser  liegt  er  ziemlich  platt  wie  ein  nicht  ganz  vollgefüllter  Sack 
auf.  Meistens  springt  dieser  Staar  gleich  nach  der  zweckmässigen  Öff- 
nung der  Hornhaut  von  selbst  und  unversehrt  aus  dem  Auge."  Ich 
habe  Beer's  Angaben  vielfältig  bestätigt  gefunden,  bis  auf  das,  dass 
ich  die  vordere  Kapsel  nie  so  dick,  und  die  hintere  niemals  in  ihrer 
Substanz  verändert  sah. 

Die  Schrumpfung  des  Krystallkörpers  wird  viel  häufiger  hei  jugendlichen  Indivi- 
duen beobachtet,  als  bei  älteren ,  wenn  nicht  äussere  traumatische  Einflüsse  den  Anstoss 
dazu  gegeben  haben.     Man  beobachtet  sie   namentlich  oft  nach  Convulsionen  im  Kindes- 


Luxation  des  Krystallkörpers.  271 

alter.  Es  fragt  sich,  ob  die  Erkrankung  des  Krystallkörpers  durch  die  Convulsionen 
(mechanisch)  herbeigeführt  wurde,  oder  ob  beides,  Erkrankung  der  Linse  und  Convul- 
sionen, durch  ein  gemeinschaftliches  Grundleiden,  z.  33.  Hydrocephalus ,  bedingt  werde. 
Im  ersten  Falle  müsste  man  annehmen ,  dass  durch  die  Couvulsionen,  durch  die  Gewalt, 
welche  die  convulsivisch  bewegten  Muskeln  auf  die  Contenta  des  Bulbus  ausüben ,  Zer- 
reissung  der  vordem  Kapsel  oder  der  Zonula  bewirkt  werde ;  im  2.  Falle  dürfte  Hemmung 
in  der  weitern  Entwicklung,  Störung  in  der  Ernährung  des  Krystallkörpers  zu  supponiren 
sein.  Wenn  man  bedenkt,  dass  bei  den  Convulsionen  die  Bulbi  oft  mit  Blitzesschnelle 
von  einer  Richtung  zur  entgegengesetzten  geworfen  werden  und  dass  bei  dieser  raschen 
Bewegung  die  specifisch  schwerere  Linse  offenbar  eine  grössere  Geschwindigkeit  an- 
nehmen muss,  als  die  wässrige  und  die  Glasfeuchtigkeit,  so  lässt  sich's  wohl  denken,, 
dass  entweder  die  Kapsel  oder  die  Zonula  dadurch  zum  Zerreissen  gebracht  werden 
könne.  Vielleicht  auch,  dass  die  rasche  Compression  des  Bulbus,  welche  durch  die 
spastische  Contraction  sämmtlicher  Augenmuskeln  bewirkt  werden  dürfte,  dieselbe  "Wir- 
kung auf  die  Kapsel  oder  Zonula  herbeizuführen  vermag,  wobei  man  jedoch  bei  der  In- 
compressibilität  des  Humor  aqueus  et  vitreus  momentane  Nachgiebigkeit  der  Cornea  oder 
Sclera  annehmen  müsste.  Denn  es  darf  nicht  unbemerkt  bleiben,  dass  bei  Erwachsenen 
nach  den  heftigsten  Convulsionen,  z.  B.  bei  Hysterie,  die  Entstehung  von  Cataracta  nicht 
beobachtet  wird. 


III.    Verrückiing  der  Linse  aus  ihrer  Lage. 

In  Folge  von  Stössen  auf  das  Auge  kann  es  geschehen,  dass  die 
Linse  allein  oder  sammt  ihrer  Kapsel  unter  die  Bindehaut  der  gebor- 
stenen Sclera  vorfällt.  Siehe  Krankheiten  der  Sclera  S.  16  und  Kran- 
kengeschichten S.  17. 

Eines  von  Franke  beobachteten  Falles  dieser  Art  erwähnt  Himly*)  S.  204.  „Man 
sah  nach  einem  heftigen  Stosse  die  Linse  l/z'"  vom  obern  Hornhautrande  unter  der  Con- 
junctiva  und  auf  einem  Risse  der  Sclera  liegen ;  nach  einem  Jahre  war  sie  ausser  einer 
etwas  grössern  Trübung  unverändert;  da  die  Geschwulst  fast  gar  nicht  belästigte,  das 
Gesicht  auch  allmälig  sich  besserte,  so  dass  die  Frau  mit  einer  Staarbrille  ziemlich  deut- 
lich Gegenstände  unterschied,  so  ward  keine  Operation  vorgenommen." 

Ist  die  vordere  Kapsel  absichtlich  oder  zufällig  in  grosser  Ausdeh- 
nung eröffnet  worden,  so  kann  es  geschehen,  dass  die  getrübte  oder 
ungetrübte  Linse  in  die  vordere  Kammer  vorfallt.  Erregt  sie  daselbst 
keine  entzündlichen  Zufälle,  so  kann  sie  ihre  Durchsichtigkeit  durch 
2—3  Wochen  behalten,  wird  sodann  trübe,  ringsum  erweicht,  und  ent- 
weder vollständig  oder  nur  theilweise  aufgesogen.  Die  Aufsaugung 
kann  nämlich  dadurch  verhindert  werden,  dass  der  Kern  der  Linse  von 
Kalksalzen  incrustirt  oder  auch  ganz  in  ein  kalkiges  Concrement  ver- 
wandelt wird,  und  dann  gleich  einem  fremden  Körper  in  der  vordem 
Kammer  verweilt,  oder  abwechselnd  bald  vor  bald  hinter  der  Iris  seinen 

*)  Krankheiten  und  Missbildungen  des  menschliehen  Auges.    Berlin,  1843.    Bd.  II. 


272  Krystallliiise. 

Sitz  aufschlägt.  —  In  den  meisten  Fällen  jedoch  erregt  die  vorgefallene 
Linse  Entzündung,  bloss  der  Iris  und  der  Cornea,  oder  des  ganzen 
Bulbus  (Panophthalmitis).  Entzündung  tritt  besonders  dann  ein,  wenn 
das  Auge  nebst  der  Sprengung  der  Kapsel  sonst  noch  durch  Erschütte- 
rung oder  Verwundung  bedeutend  gelitten  hat,  wenn  die  Linse  nur 
zum  Theile  in  die  vordere  Kammer  treten  kann  und  gleichsam  von  der 
Iris  umklammert  wird,  wenn  sie  rasch  aufquillt  oder  wenn  ein  solches 
Auge  nicht  sorgfältig  vor  irritirenden  Einflüssen  geschützt  wird.  Wie 
man  in  einem  solchen  Falle  vorzugehen  habe,  werden  wir  bei  der 
Nachbehandlung  nach  der  Reclination,  nach  welcher  dieser  Zufall  am 
häufigsten  vorkommt,  erörtern. 

Ist  die  Verbindung  des  Krystallkörpers  mit  dem  Ciliar-  und  Glas- 
körper ganz  oder  grösstentheils  getrennt,  so  kann  derselbe  seine  Form 
und  Durchsichtigkeit  im  Allgemeinen  wohl  nicht  lange  behaupten,  und 
es  erfolgt,  je  nachdem  dabei  die  vordere  Kapsel  eingerissen  oder  ganz 
geblieben  war,  früher  oder  später  Resorption,  oder  Catar.  membranacea, 
arida  siliquata  oder  cystica,  von  denen  schon  die  Rede  war.  Es  kom- 
men aber  auch  Fälle  vor,  wo  die  aus  ihrer  Lage  getretene  Linse  Monate, 
selbst  Jahre  lang  ihre  Durchsichtigkeit  beibehält,  wohl  desshalb,  weil 
sie  nicht  nur  noch  in  der  Kapsel  eingeschlossen,  sondern  auch  noch 
durch  ihr  Aufhängeband  mit  den  Ciliarfortsätzen  in  Verbindung  geblie- 
ben ist.  Man  kann  diesen  Zustand  füglich  als  Luxatio  lentis  bezeich- 
nen. Er  setzt  einerseits  Erweichung,  Verflüssigung  des  Glaskörpers, 
andererseits  Erschlaffung,  Ausdehnung  der  Zonula  voraus.  Ich  habe 
einen  Fall  von  spontaner  Luxation  des  Krystallkörpers  nach  oben  und 
zwei  Fälle  mit  Vorfall  in  die  vordere  Kammer  beobachtet. 

Ende  October  1849  wurde  ein  Mädchen  von  24  Jahren  zur  Beobachtung  auf  die 
Klinik  aufgenommen.  Sie  war  im  Findelhause  geboren,  besass  von  Kindheit  an  ein  sehr 
mangelhaftes  Gesicht,  hatte  desshalb  weder  lesen  noch  schreiben  gelernt,  und  konnte 
nur  etwas  nähen  (in  gröberem  Zeuge) ;  Geldmünzen  erkannte  sie  auch  nach  dem  Gepräge. 
Alle  feineren  Gegenstände  musste  sie  dem  rechten  Auge  auf  3 — 4  Zoll  nahe  bringen;  auf 
dem  linken  hatte  sie  von  jeher  „nur  einen  Schein."  Sie  sah  gesund  aus,  war  gut  ent- 
wickelt, und  versicherte  nie  krank  gewesen  zu  sein,  auch  niemals  entzündete  Augen 
oder  Kopfschmerzen  gehabt  zu  haben.  Gegen  Ende  September  hatte  sie  ohne  bekannte 
Veranlassung  angefangen,  allmälig  weniger  zu  sehen,  was  sie  bewogen  hatte,  im  Spitale 
Hilfe  zu  suchen.  —  Die  Bulbi  von  normaler  Grösse,  Lage  und  Beweglichkeit,  etwas 
weicher  anzufühlen.  Der  Blick  wie  bei  Amaurotischen.  Die  Pupille  des  linken  Auges 
ein  wenig  nach  innen  und  oben  abweichend,  wenn  die  des  rechten  gerade  nach 
vorn  gerichtet  ist  (Strabismus  convergens).  Die  Hornhäute  normal;  die  Regenbogenhäute 
blaugrau,  matt,  ziemlich  lebhaft,  beweglich,  selbst  bei  leichteren  Bewegungen  der  Augen 
stark  schlotternd,  in  der  untern  Hälfte  etwas  zurückgetreten,  innen  und  oben  dagegen  vor- 
wärts gewölbt.    Die  Pupillen  rund,  nicht  vollkommen  schwarz ;  sieht  man  genauer  hinein, 


Luxation  des  Kry  stall  Körpers.  273 

so  erkennt  man  die  Linse  wie  einen  dunklen  Rauehtopas,  offenbar  aus  ihrer  Lage  getre- 
ten, und  zwar  nach  innen  und  oben,  und  daselbst  die  Iris  vordrängend,  denn  es  erseheint 
nach  unten  ein  vollkommen  schwarzer,  etwa  '/a'"  breiter  Meniscus,  dessen  eonvexen  Eand 
die  Iris,  den  concaven  die  Linse  bildet.  Erweiterung  der  Pupille  durch  Belladonna  Hess 
diesen  Meniscus  grösser  erscheinen  und  gab  hinreichenden  Aufschluss  über  die  Lage  der 
Linse.  Diese  änderte  sich  weder  nach  längerer  Rückenlage  noch  nach  wiederholter  Vor- 
wärtsneigung des  Kopfes  (Bauchlage).  Die  Störung  des  Gesichtes  schien  mehr  durch 
Erkrankung  der  Netzhaut  und  des  Glaskörpers,  als  durch  die  ohnehin  geringe  Trübung 
der  Linse  bedingt  zu  sein.  Hieraus  erklärt  sieh  wohl,  warum  kein  Doppeltsehen  vorhan- 
den war,  welches  bei  normaler  Energie  der  Netzhaut  wohl  kaum  gefehlt  haben  würde. 
Die  Kranke  wurde  in  statu  quo  entlassen. 

Die  Beschreibung  des  folgenden  Falles,    den  ich  1842  sah,    theilte  mir   der  königl. 
ständische  Augenarzt  Dr.  Ryba  zur  Veröffentlichung  mit. 

Anton  Thum  aus  Birkstein,  13  Jahre  alt,  im  Verhältnisse  zu  seinem  Alter  körper- 
lich und  geistig  wenig  entwickelt  und  mit  Spuren  von  Rhachitis  behaftet,  wurde  mir 
nebst  seiner  achtjährigen  Schwester  Theresia  zu  Anfang  Juni  1842  vorgeführt.  In  den 
vordem  Kammern  beider  Augen  des  Knaben  zeigten  sich  runde,  abgeplattete,  im  Umfange 
hellspiegelnde,  vollkommen  durchsichtige  Körper  von  etwas  mehr  als  2,/2i"  Durchmesser, 
welche  mit  ihrem  untern  Rand  dem  Boden  der  vordem  Augenkammern,  ohne  diesen 
vollends  zu  berühren ,  sehr  genähert  lagen ,  mit  ihrem  obern  Rande  die  ganze  Pupille 
überragten  und  durch  ihre  blass  weingelbe  Färbung  von  der  farblosen  wässerigen  Feuch- 
tigkeit abstachen.  Beide  Augen  waren  bis  dahin  von  aller  Entzündung  frei  geblieben. 
Die  braune  Iris  hatte  ihre  normale  Structur  und  Contractilität  behalten ,  auch  die  durch 
die  vorgefallenen  Linsen  deutlich  sichtbaren  Pupillen  waren  schwarz  und  rein,  nur  an 
ihrem  untern  Rande  etwas  herabgedrückt,  so  wie  der  ganze  mittlere  Theil  der  Iris  bei 
dieser  Lage  der  Linsen  etwas  concav  oder  zurückgedrängt  erschien.  Im  Dunkel  bei  der 
Rückenlage  des  Kranken  schlüpften  in  beiden  Augen  die  vorgefallenen  Linsen  leicht  in 
die  hintere  Augenkammei  zurück;  dann  erschien  die  Iris  wieder  plan,  reagirte  um  so 
freier  gegen  das  Licht,  zeigte  aber  zugleich,  mehr  am  rechten  als  am  linken  Auge,  ein 
deutliches  Wogen  oder  Schlottern  (Iridodonesis).  In  der  Mitte  der  übrigens  reinen  Cornea 
war  ein  Nebelfleckchen ,  etwas  kleiner  am  rechten  als  am  linken  Auge ,  zu  bemerken. 
Im  Umkreise  der  Cornea  Hess  die  verdünnte  Sclera  steUenweise  die  Chorioidea  mehr 
oder  weniger  durchscheinen.  Übrigens  bot  der  Bulbus  in  Form,  Grösse  und  Anfühlen 
nichts  Abnormes  dar.  Das  Sehvermögen  beider  Augen,  insbesondere  des  rechten,  war 
noch  ziemlich  gut  erhalten,  so  dass  der  Kranke  sowohl  mit  dem  rechten  als  linken  Auge 
Gegenstände  mittlerer  Grösse  in  beträchtlichen  Femen  unterschied,  gewöhnlichen  Bücher- 
druck aber  mit  dem  rechten  Auge  nur  auf  4  Zoll,  mit  dem  linken  sogar  nur  auf  3  Zoll 
Ferne  zu  lesen  vermochte.  Die  Linsen  waren  bereits  vier  Monate  früher,  als  ich  den 
Kranken  zuerst  sah,  in  beiden  Augen  zugleich  ohne  bekannte  Veranlassung  in  die  vor- 
dem Augenkammern  vorgefallen.  Da  von  ihrem  langem  Verbleiben  daselbst  grosse 
Nachtheile  zu  besorgen  waren,  so  entschloss  ich  mich  sogleich  zur  Extraction  derselben, 
und  zwar  vorerst  auf  dem  linken  Auge,  wo  das  Sehvermögen  bereits  schwächer  zu 
werden  begann.  Ich  verrichtete  also  diese  Operation  im  St.  Lazarusspitale  am  12.  Juni 
1S42  in  Gegenwart  mehrerer  Ärzte.  Obwohl  der  Kranke  seit  einigen  Tagen  an  den 
Anblick  der  Instrumente,  die  er  mit  dem  zu  operirenden  Auge  deutlich  sah,  durch  täglich 
wiederholte  Scheinangriffe  gewöhnt  worden,  welche  Proben  er  zuletzt  recht  gut  zu  be- 
stehen schien,  so  gebärdete  es  sich  doch,  als  es  zur  wirklichen  Operation  kam,  höchst 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  18 


274  Krystalllinse. 

■widerspenstig  und  konnte  nur  mit  Gewalt  festgehalten  werden.  Ich  führte  das  Staarmesser 
so  durch  die  vordere  Augenkammer,  dass  in  einem  und  demselben  Acte  zugleich  mit 
dem  Hornhautschnitte  auch  die  Lösung  der  in  ihrer  Kapsel  eingehüllten  Linse  von  ihren 
übrigen  organischen  Verbindungen  und  ihre  Entfernung  aus  der  vordem  Augenkammer 
vollzogen  war.  In  der  That  drang  die  in  ihrer  unverletzten  Kapsel  eingeschlossene  Linse 
zuo-leich  mit  Vollendung  des  Hornhautschnittes  hervor,  und  da  das  operirte  Auge  also- 
gleich geschlossen  und  der  Kranke  eiligst  auf  den  Rücken  gelegt  wurde,  so  ging  auch 
von  dem  Glaskörper  fast  nichts  verloren.  Es  stellte  sich  keine  beträchtliche  Entzündung 
in  dem  operirten  Auge  ein.  Bei  der  Wiedereröffnung  desselben  am  17.  Juni  erschien 
die  Hornhautwunde  gut  geschlossen,  ungetrübt,  die  Conjunctiva  bulbi  fast  gar  nicht  ge- 
röthet.  Nachdem  er  aber  am  20.  Juni  über  Nacht  wegen  der  Abreise  seiner  Mutter  vieL 
geweint,  und  laut  der  Aussage  der  "Wärterin  das  operirte  Auge  beim  Abwischen  der 
Thränen  mit  der  Hand  oftmals  gedrückt  hatte ,  zeigte  sich  am  folgenden  Morgen  längs 
der  Schnittwunde  eine  graue  Trübung,  welche  auch  in  der  Folge  nicht  völlig  verschwand, 
jedoch  ganz  ausser  dem  Bereiche  der  vollkommen  reinen  Pupille  verblieb.  Da  keine 
weitere  Entzündung  folgte,  so  wurde  der  Kranke  den  26.  Juni  geheilt  entlassen.  Das 
Sehvermögen  des  operirten  Auges  hatte  sich  soweit  gebessert,  dass  der  Knabe  damit  in 
der  gewöhnlichen  Sehiveiie  ohne  Brillen  leicht  lesen  und  schreiben,  den  Schulunterricht 
benützen  und  nach  einigen  Jahren  das  Fleischerhandwerk  erlernen  konnte,  während  das 
nicht  operirte  rechte  Auge  allmälig  vollständig  erblindete,  da  die  fahrlässigen  Eltern  des 
Knaben  sich  mit  dem  einerseits  errungenen  Erfolge  begnügten. 

Die  mir  mit  Anton  Thum  zugleich  vorgeführte  achtjährige  Schwester  desselben 
Theresia  Thum  soll  nach  der  Erzählung  ihrer  Eltern  vor  mehr  als  anderthalb  Jahren^ 
ebenso  wie  jetzt  ihr  Bruder,  in  beiden  Augen  dieselben  Erscheinungen  spontan  vorge- 
fallener Linsen  dargeboten  haben.  Diese  waren  im  Anfange  ebenfalls  rein  und  durch- 
sichtig, nur  etwas  gelblich  gefärbt  und,  wie  der  Vater  sich  ausdrückte,  „Öltropfen  ähnlich." 
Erst  seit  7  Monaten  sollen  sie  sich  allmälig  verdunkelt  haben.  Ein  Jahr  nach  dem  ersten 
Erscheinen  der  Krankheit  stellten  sich,  angeblich  in  Folge  eines  zufälligen  Sturzes  auf's 
Gesicht,  bei  dem  Mädchen  wiederholte  Anfälle  sehr  hartnäckiger  Augenentzündungen  ein. 
Als  ich  das  Mädchen  zuerst  sah,  war  sie  auf  beiden  Augen  vollkommen  erblindet.  Im. 
rechten  Auge  war  noch  eine  äusserst  schwache  Lichtempfindung  übrig,  im  linken 
Auge  war  auch  diese  ganz  und  gar  erloschen.  Die  völlig  verdunkelten  Linsen  haben 
überdiess  durch  Ausdehnung  einen  so  grossen  Umfang  erreicht,  dass  sie,  weil  die  vordem 
Augenkammern  sie  nicht  mehr  fassen  konnten,  sich  in  den  hintern  Baum  der  Kammern 
zurückzogen ,  wo  man  sie  durch  die  weit  ausgedehnten  Pupillen  unbeweglich  festsitzen 
sah.  Um  die  weit  geöffneten  Pupillen  bildete  die  missfarbige,  atrophische  Iris  nur  einen 
sehr  schmalen  Streif,  und  im  Umkreise  der  glanzlosen  Cornea  zeigte  die  offenbar  sehr 
verdünnte  Sclera  mehrere  bleigraue  Wülste.  Die  Augen  fühlten  sich  hart  und  gespannt 
an,  der  ganze  linke  Augapfel  war  beträchtlich  vergrössert.  Mehr  aus  Curiosität,  als  in 
Erwartung  irgend  eines  namhaften  Erfolgs  unternahm  ich  auf  wiederholtes  dringendes 
Bitten  der  Eltern  eine  Kapseldiscission  durch  die  Cornea  auf  dem  rechten  Auge.  Es 
erfolgte  keine  grössere  entzündliche  Reaction ,  aber  auch  keine  wesentliche  Änderung  in 
dem  Gange  der  Krankheit,  die  Linsensiibstanz  erwies  sich  weich,  nicht  flüssig,  und  di& 
Kranke  verliess  zu  bald  (zugleich  mit  ihrem  Bruder)  das  Spital. 

Einer  mir  zugekommenen  Nachricht  vom  Jahre  1S45  zu  Folge  war  das  rechte, 
nicht  operirte  Auge  des  Anton  Thum  auch  schon  in  den  eben  beschriebenen  Zustand 
der  Augen  seiner  Schwester  übergegangen.     „Der  rechte  Augapfel  ist  vergrössert,    drängt. 


Spontane  Senkung  der  Linse.  275 

sich  kegelförmig  aus  der  Augenhöhle  heraus ,  so  dass  er  beim  Schliessen  der  Augenlider 
nur  unvollkommen  bedeckt  wird.  Mit  Ausnahme  einer  nur  geringen  Lichtempfindung  ist 
sein  Sehvermögen  gänzlich  erloschen,  auch  treten  zeitweilig  Schmerzen  ein."  —  „Das 
operirte  Auge  zeigt  mit  Ausnahme  einer  Hornhautverdunklvng,  die  sich  indessen  von  der 
Schnittnarbe  etwas  mehr  hinauf  verbreitet  hatte,  nichts  Abnormes.  Der  (nun  16jährige) 
Operirte  sieht  alle  Gegenstände  ohne  Rücksicht  auf  Nähe  und  Ferne  ganz  deutlich,  und 
übt  sein  Fleischerhandwerk  ungehindert  aus." 

Die  spontane  Senkung  der  ungetrübten  Linse  hat  Sichel*)  zuerst 
genauer  geschildert.  Da  mir  selbst  nicht  hinreichende  Beobachtungen 
zu  Gebote  stehen,  so  will  ich  die  Bemerkungen  dieses  erfahrenen  Autors 
auszugsweise  mittheilen. 

„/.  Stadium.  Da  die  Senkung  gewöhnlich  langsam,  höchst  selten 
schnell  erfolgt,  so  entsteht  zuerst  Trübung  des  Gesichtes,  indem  das 
Schwanken  des  durchsichtigen  Krystallkörpers  das  Gesicht  trüb  und 
unsicher  macht.  Der  Kranke  kann  besonders  kleine  Gegenstände  nicht 
mehr  genau  sehen,  und  ermüdet  sehr  bald  bei  der  Arbeit;  manchmal 
scheinen  ihm  auch  die  Gegenstände  eine  schwankende,  wogende  oder 
sonstige  Bewegung  zu  haben,  ohne  dass  andere,  auf  beginnende  Amau- 
rosis deutende  Symptome  vorhanden  sind.  Die  Pupille  erscheint  dabei 
regelmässig  und  beweglich,  aber  man  sieht  auf  den  ersten  Blick  ein 
mehr  oder  minder  starkes  Zittern  der  Iris.  Nimmt  man  dabei  noch 
die  Bewegung  der  Linse  selbst  wahr,  indem  sich  diese  von  Zeit  zu 
Zeit  hinter  der  wogenden  Iris  als  eine  dieselbe  nach  vorn  drängende 
und  sich  in  ihr  gleichsam  abdrückende  Scheibe  oder  Scheibenportion 
darstellt,  so  setzt  diess  die  Diagnosis  ganz  ausser  Zweifel.  Es  bleibt 
dann  nur  noch  zu  untersuchen,  ob  zugleich  Syncbysis  vorhanden  sei. 
—  2.  Stadium.  Je  tiefer  die  Linse  sich  senkt,  desto  deutlicher  wer- 
den die  genannten  Zeichen,  zu  welchen  zunächst  Veränderung  der  Seh- 
weite hinzutritt.  Der  Kurzsichtige  wird  weniger  kurzsichtig,  der  Fern- 
sichtige wird  noch  mehr  fernsichtig;  beide  verlieren  aber  für  jede  Ent- 
fernung viel  von  der  Deutlichkeit  des  Bildes,  und  ermüden  leichter  als 
sonst.  Der  Kranke  erkennt  wohl  die  Massen,  aber  ihre  Formen  je 
nach  ihrer  Grösse  gar  nicht  oder  undeutlich;  er  sieht  besonders  kleinere 
Gegenstände  undeutlich,  auseinander  gezogen,  grösser,  mehr  oder  weniger 
schlangenförmig  gewunden,  und  nicht  genau  begrenzt.  Die  Farben  kann 
er  nicht  mehr  vollkommen  unterscheiden.  Es  entsteht  Doppeltsehen 
mit  Einem  Auge,  wenn  eine  doppelte  Eefraction  stattfindet,  die  eine 
durch  den  Band  der  Linse,  die  andere  bloss  durch  die  übrigen  durch- 
sichtigen Medien.  Der  Kranke  fängt  an,  das  Bild  der  Linse  zu  sehen, 
eine  weisslichgraue  oder  graue,   verschieden  bewegliche  Scheibe,  oder 

*)  Oppenneim's  Zeitschrift  Bd.  XXX.  Heft  3  und  4. 

18* 


276  Krystalllinse. 

auch  einen  ebenso  gefärbten  Kreisabschnitt,  besonders  wenn  er  auf 
dem  Kücken  liegt.  Ein  auffallendes  Symptom  ist  die  Verschiedenheit 
des  Seheris  bei  verschiedenen  Lagen  des  Kopfes.  Ist  die  Linse  getrübt, 
so  muss  sich  der  Kranke  so  stellen,  dass  sie  niedersinkt  und  liegen 
bleibt.  Mehr  oder  weniger  convexe  Brillen  können  das  Gesicht  merk- 
lich verbessern.  Ist  die  Linse  durchsichtig,  so  erkennt  man  sie  nur 
am  Hin-  und  Herschwanken  und  am  Anlegen  an  die  nachgiebige  Iris. 
Die  Pupille  wird  meistens  etwas  erweitert;  manchmal  verursacht  das 
beständige  Flottiren  der  Linse  Erscheinungen  von  Reizung  und  Ent- 
zündung im  Auge ;  in  Folge  derselben  entstehen  plastische  Aussehwitzun- 
gen  auf  und  in  der  Kapsel,  wodurch  diese  zuweilen  einen  kalkartigen 
Überzug  erhält,  und  das  ganze  Linsensystem  grösser  und  härter  wird. 
—  '3.  Stadium.  Bei  der  grössten  Entwicklung  ist  die  Unruhe  des  Kran- 
ken durch  die  Fortdauer  und  Zunahme  der  Gesichtstrübung  und  der 
Reizung  des  innern  Auges  aufs  Höchste  gestiegen.  Es  erscheinen  ihm 
zuweilen  bei  Tag  und  Nacht  Funken  oder  Flammen  vor  den  Augen. 
Oft  sieht  er  die  Linse  in  Form  eines  Bogens,  einer  Scheibe,  einer  Fliege 
oder  ähnlicher  Gestalten,  und  empfindet  selbst  die  Bewegung  derselben 
als  eine  im  Innern  herumrollende  Wasserkugel.  Gewöhnlich  schwin- 
den sowohl  die  feurigen  Erscheinungen  als  das  Bild  des  Krystallkör- 
pers,  wenn  dieser  sich  endlich  völlig  gesenkt  hat,  und  die  Reizung  ge- 
schwunden oder  glücklich  bekämpft  worden  ist;  das  Sehvermögen  ist 
dann  ohngefähr  so,  wie  nach  einer  Staar  Operation,  und  nicht  selten  weit 
schwächer  wegen  der  fortdauernden  Undülationen  der  Linse.  Die  ob- 
bemerkte  Reizung  ruft  jedoch  bisweilen  auch  Amblyopie  und  Amauro- 
sis hervor.  (Eine  vollständige  Senkung  kann  ohne  Lösung  der  Kapsel 
von  der  Zonula  oder  dieser  von  dem  Ciliarkörper  nicht  zu  Stande 
kommen.)  —  Die  nächste  Ursache  liegt  wohl  in  Synchysis  corporis 
vitrei.  Dafür  sprechen  theils  directe  Beobachtungen,  theils  die  aus  den 
anatomischen  Verhältnissen  gezogenen  Folgerungen.  Man  muss  aber 
nebst  dieser  Verflüssigung  zugleich  eine  Erschlaffung  und  Ausdehnung 
des  Aufhängebandes  der  Linse  annehmen.  Eine  vollständige  Zerreis- 
sung  der  Zonula  kann  wenigstens  längere  Zeit  hindurch  nicht  vorhan- 
den sein,  weil  sonst  die  Linse  nicht  so  lange  durchsichtig  bleiben 
könnte.  Denn  es  ist  bekannt,  dass  die  Linse,  wenn  sie  sammt  der 
Kapsel  los  gelöst  ist,  zu  dem  trockenhülsigen  Zitter-  oder  Schwimm- 
staare zusammenschrumpft,  und  dass  sie,  Avenn  sie  aus  der  zerrissenen 
Kapsel  herausgetreten  ist,  sich  bald  verdunkelt  und  wenigstens  theil- 
weise  aufgesogen  wird." 


Cataracta  —  Functionsstörung.  277 

Störung  des  Gesichtes  bei  Cataracta. 

Nächst  der  Kenntniss  der  bisher  geschilderten  objectiven  Symptome 
bei  den  verschiedenen  Arten  und  Entwicklungsstufen  der  Cataracta  ist 
es  nothwendig  zu  wissen,  in  welcher  Weise  die  Function  des  Auges 
durch  dieselben  gestört  werde,  damit  man  in  jedem  speciellen  Falle 
beurtheilen  könne,  ob  man  es  bloss  mit  Cataracta  oder  überdiess  noch 
mit  einer  Krankheit  der  Ketina,  Chorioidea  u.  s.  w.  zu  thun  habe.  Zu- 
dem erhält  bei  geringen  und  matten  Trübungen  des  Krystallkörpers 
(Catar.  nuclearis  incipiens  und  stationaria) ,  falls  man  nicht  etwa  die 
Pupille  durch  Belladonna  erweitern  und  den  Helmholtzschen  Spiegel 
auwenden  kann,  die  Diagnosis  erst  durch  genaue  Übereinstimmung  der 
Angaben  des  Kranken  rücksichtlich  der  Functionsstörung  einen  so  hohen 
Grad  von  Wahrscheinlichkeit,  als  unter  solchen  Verhältnissen  überhaupt 
möglich  ist. 

Das  durch  die  Trübung  des  Krystallkörpers  gesetzte  Hinderniss  im 
Sehen  ist  ein  rein  mechanisches,  daher  jederzeit  der  In-  und  Extensität 
und  der  Lage  der  Trübung  adäquat,  und  nach  den  Gesetzen  der  Diop- 
trik  erklärbar.  Es  ist  kein  Grund  vorhanden  anzunehmen,  dass  bei 
der  Strahlenbrechung  durch  die  Linse  des  Auges  wesentlich  andere  Ge- 
setze obwalten,  als  bei  der  durch  künstliche  Linsen;  nur  darf  man  nie 
ausser  Acht  lassen,  dass  vor  dem  Krystallkörper  noch  ein  Sammelme- 
niscus  (die  Hornhaut  mit  dem  Kammerwasser)  liegt,  welcher  Lichtstrah- 
len, die  nicht  stark  divergiren,  auch  bei  mangelndem  oder  verschrumpf- 
tem  Krystallkörper  noch  zu  Bildern  auf  der  Netzhaut  zu  vereinigen 
vermag. 

Annäherungsweise  kann  man  sich  die  durch  partielle  Linsentrübungen  bewirkten 
Störungen  in  der  Strahlenbrechung  anschaulich  machen,  wenn  man  sich  auf  eine  ziemlich 
starke  Glaslinse  (von  mindestens  '/a"  Brennweite)  Kügelchen  und  Streifen  von  Wachs 
aufklebt,  von  verschiedener  Grösse  und  Form,  bald  auf  der  hintern,  bald  auf  der  vordem 
Fläche,  bald  in  der  Gegend  der  Pole,  bald  auf  dem  Rande.  Durch  Zusammenkleben 
von  zwei  planconvexen  Linsen  mit  Freilassung  eines  mehr  weniger  breiten  Saumes  an 
der  Peripherie  lassen  sich  Kernstaare  nachbilden,  und  durch  Vorhalten  einer  undurch- 
sichtigen, mit  einer  mehr  weniger  grossen  Öffnung  versehenen  Scheibe  lässt  sich  der 
Einfluss,  den  die  Iris  mit  ihrer  verschieden  grossen  Pupille  auf  die  Strahlenbrechung 
nimmt,  ohngefähr  ersetzen. 

Übereinstimmend  mit  physikalischen  Gesetzen  finden  wir:  a)  dass 
kleine  punktförmige  Trübungen,  sie  mögen  wo  immer  sitzen,  nicht  nur 
keinen  Schatten  auf  die  Netzhaut  werfen  (daher  auch  nicht  als  solche 
wahrgenommen  werden  können),  sondern  auch  zu  wenig  Lichtstrahlen 
abhalten  oder  durch  Beugung  an  ihren  dunklen  Rändern  ablenken,  als 
dass  hiedurch   eine  merkliche,    die   Lichtintensität   des  Netzhautbildes 


278  Krystalllinse. 

störende  Verminderung  oder  Zerstreuung  des  Lichtes,    oder  aber   eine 
Abänderung  der  Focaldistanz  bewirkt  werden  könnte. 

b)  Bei  etwas  grösseren,  breiteren  Trübungen  in  und  nächst  der 
Achse  macht  sich  die  Menge  "des  dadurch  von  der  Netzhaut  abgehalte- 
nen Lichtes  durch  Undeutlichkeit  des  Bildes  um  so  mehr  fühlbar,  je 
enger  die  Pupille  ist,  und  je  näher  an  der  Iris  die  Trübung  liegt. 
Trübungen,  welche  so  gelegen  und  ausgebreitet  sind,  dass  sie  die  in 
und  nächst  der  Achse  einfallenden  Strahlen  abhalten,  so  dass  nur  die 
durch  die  Randschichten  gebrochenen  Strahlen  zur  Vereinigung  gelan- 
gen und  ein  Bild  hinter  der  Linse  erzeugen  können,  verändern  eben 
desshalb  die  Brennweite  der  Linse,  und  zwar  so,  dass  das  Bild  nicht 
nur  lichtärmer,  matter,  undeutlicher  wird,  sondern  auch  caeteris  paribus 
minder  weit  von  der  Linse  liegt,  als  es  bei  Abwesenheit  der  Trübung 
liegen  würde.  Hieraus  erklärt  sich,  warum  bei  jeder  Cataracta,  welche 
vom  Mittelpunkte  der  Linse  aus  beginnt,  zunächst  das  Wahrnehmen 
und  Unterscheiden  entfernter  Objecte  behindert  ist. 

c)  Von  der  Peripherie  herkommende  Trübungen,  wie  beim  vordem 
und  hintern  Rindenstaare ,  machen  ihren  störenden  Einfluss,  falls  sie 
nicht  weiter  hereinreichen,  als  die  gewöhnliche  Grösse  der  Pupille  be- 
trägt, eben  nur  bei  erweiterter  Pupille  geltend ,  und  zwar  meines  Er- 
achtens  dadurch,  dass  zahlreiche  Lichtstrahlen  im  Vorbeigehen  an  den 
dunkeln  Kanten  dieser  Streifen  und  Punkte  durch  Inflexion  abgelenkt 
werden,  wodurch  das  Netzhautbild  vorzüglich  an  Schärfe  der  Begren- 
zung leidet. 

d)  Einzelne  dunkle  Streifen,  quer  durch  die  Pupille  streichend,  wie 
bei  seltenen  Fällen  von  Rindenstaar,  am  häutigsten  bei  Catar.  secun- 
daria, sind  unter  gewissen  Verhältnissen  im  Stande,  Doppelt-  und  Mehr- 
fachsehen zu  bewirken,  auf  analoge  Weise,  wie  durch  ein  Kartenblatt 
mit  zwei  kleinen  Öffnungen,  welche  nicht  weiter  aus  einander  liegen, 
als  eben  der  Durchmesser  der  Pupille  beträgt,  die  von  einem  Objecte 
kommenden  Lichtstrahlen  in  2  Kegel  getheilt  werden  und  somit  das- 
selbe doppelt  erscheinen  lassen,  wenn  man  jene  Öffnungen  nahe  an 
das  Auge  hält.  Das  Doppelt-  und  Mehrfachsehen  wird  von  Staarkran- 
ken  meistens  nur  bei  Betrachtung  selbstleuchtender  oder  spiegelnder 
Objecte  wahrgenommen,  beim  Betrachten  des  Mondes,  einer  Kerzen- 
flamme, eines  polirten  Metallknopfes  u.  dgl. 

e)  Listing*)  hat  zuerst  gezeigt,  dass  man  bei  theilweiser  Trübung 
die  einzelnen  Punkte,  Flecke  und  Streifen  dem  Kranken  dadurch  zur 
Anschauung  bringen  kann,   dass  man  ihn  durch  eine  möglichst   feine 

*)  Beitrag  zur  physiologischen  Optik.     Göttingen,  1845. 


Cataraeta  —  Functionsstörung.  279 

Öffnung  in  einem  Kartenblatte  (noch  besser  in  einer  Metallplatte),  ganz 
nahe  an  die  Hornhaut  gehalten,  gegen  das  Firmanieut  blicken  lässt. 
Die  dunkeln  Partien  der  Linse  sowohl  als  der  übrigen  durchsichtigen 
Medien  des  Auges  werfen  hiebei  Schatten  auf  die  Netzhaut  und  wer- 
den ebendesshalb  nach  ihren  Umrissen  zur  Anschauung  gebracht.  Die 
Benützung  dieses  diagnostischen  Hilfsmittels  von  objectivem  Werthe 
setzt  eine  genauere  Kenntniss  der  Optik  voraus,  und  kann  selbst  da, 
namentlich  bei  minder  gebildeten  Kranken,  leicht  zu  Täuschungen 
führen. 

Immerhin  wird  es  noth wendig,  sich  durch  Übung  an  constatirten 
Fällen  einfacher  Cataracta  sein  Urtheil  über  das  Verhältniss  des  me- 
chanischen Hindernisses  zur  Functionsstörung  zu  schärfen,  um  auch  in 
solchen  Fällen,  wo  sich  die  Gegenwart  einer  Linsentrübung  nicht  be- 
stimmt durch  das  Gesicht  wahrnehmen  lässt,  oder  wo  die  Functions- 
störung nicht  im  Einklänge  zur  sichtbaren  Trübung  steht  oder  zu  stehen 
scheint,  nicht  zu  voreiligen  Schlüssen  verleitet  zu  werden.  —  Zur  Er- 
leichterung hiebei  mögen  folgende  Thatsachen  der  Erfahrung  dienen, 
die  sich  hauptsächlich  auf  die  Cataracta  nuclearis  stationaria  und  inci- 
piens  beziehen,  da  die  übrigen  Formen  und  Entwicklungsstufen  ohne- 
hin leicht  durch  die  Anschauung  bei  künstlich  erweiterter  Pupille  er- 
kannt werden  können. 

Bei  beginnender  Cataracta  fängt  der  Kranke  zunächst  an,  ent- 
fernte Gegenstände  minder  deutlich  wahrzunehmen.  Weiterhin  sieht  er 
auch  nähere  Gegenstände  wie  durch  Nebel  verdeckt.  Bis  zu  der  Zeit, 
wo  völlige  Verdunklung  der  Rindensubstanz  erfolgt,  sieht  er  nahe  Ge- 
genstände unter  allen  Umständen  besser,  unter  denen  die  Pupille  einen 
grössern  Durchmesser  hat,  daher  besser  des  Morgens  und  Abends, 
besser  bei  temperirtem  als  bei  hellem  Tageslichte,  besser  im  Zim- 
mer als  im  Freien,  besser  wenn  das  Licht  von  rückwärts  einfällt, 
besser  bei  Beschattung  der  Augen  durch  die  Hand,  die  Hutkrempe 
11.  s.  w.  Leute  mit  langsam  vom  Centrum  aus  vorschreitender  Linsen- 
trübung beider  Augen  nehmen  eine  eigentümliche  Physiognomie  in 
der  Haltung  des  Kopfes  und  im  Gange  an,  die  einen  auffallenden  Con- 
trast  zu  dem  Benehmen  Arnblyopischer  und  Amaurotischer  darbietet; 
sie  tragen  den  Kopf  vorwärts  gebeugt,  die  Augenbrauen  herabgezogen, 
die  Lidspalte  nur  massig  geöffnet  und  gehen  sehr  bedächtig  einher, 
während  Amaurotische  gewöhnlich  von  alldem  das  Gegentheil  zeigen. 
Man  kann  vielen  dieser  Kranken  durch  künstlich  unterhaltene,  jedoch 
massige  Erweiterung  der  Pupille  (am  besten  mittelst  einer  mit  Atropin 
vernetzten  Salbe  an  die  Stirn  und  Schläfe)  Monate  lang  eine  wesent- 


280  Krysialllinse. 

liehe  Erleichterung  ihres  Zustandes  verschaffen.  Insofern  als  Convex- 
gläser  nahe  Objecte  mehr  weniger  vergrössert  erscheinen  lassen,  ge- 
währen  dieselben  bei  manchen  altern  Leuten  mit  Catar.  lenticularis  so 
lange  einigen  Vortheil  beim  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.,  als  bloss  der 
centrale  Theil  des  Kernes  leicht  getrübt  ist;  so  wie  die  Trübung  in- 
und  noch  mehr  so  wie  sie  extensiver  geworden  ist,  erweisen  sie  sich 
nutzlos. 

Wir  haben  schon  oben  bemerkt,  dass  diese  Schilderung  nur  für 
jene  Fälle  gilt,  wo  die  Trübung  vom  Centrum  ausgeht.  Bei  Trübungen, 
welche  von  der  Peripherie  her  vorrücken,  kann  gerade  das  Gegentheil 
stattfinden,  wie  schon  Ad.  Schmidt*)  in  folgender  Stelle,  die  leider  wie- 
der in  Vergessenheit  gerathen  zu  sein  scheint,  sehr  richtig  bemerkt 
hat.  „Man  nimmt  an  (Richter),  dass  die  Verdunklung  der  Linse  immer 
in  der  Mitte  anfange,  und  sich  von  da  aus  nach  den  Rändern  fortsetze ; 
das  geschieht  zwar  oft,  aber  nicht  immer.  Ich  nahm  bestimmt  wahr, 
dass  die  Verdunklung  der  Linse  auch  von  den  Rändern  ausging.  Wo 
die  Verdunklung  von  der  Mitte  der  Linse  nach  dem  Umfange  hin  er- 
folgt, sieht  der  Patient  alle  Objecte  Anfangs  wie  in  Nebel  gehüllt;  all- 
mälig  wird  dieser  Nebel  dichter,  zuletzt  undurchsichtig.  Steht  der  Pa- 
tient gegen  das  Licht,  so  sieht  er  schlechter  oder  unterscheidet  kein 
Object;  stellt  er  sich  aber  etwas  zur  Seite  oder  gar  mit  dem  Rücken 
gegen  das  Licht,  so  sieht  er  besser.  Der  Grund  ist:  gegen  das  Licht 
verengert  sich  die  Pupille  so,  dass  die  Lichtstrahlen  gerade  auf  die 
Mitte  der  Linse  fallen,  wo  die  Undurchsichtigkeit  am  grössten  ist;  vom 
Lichte  abgewendet  erweitert  sich  die  Sehe,  und  die  Lichtstrahlen  fallen 
auf  den  durchsichtigen  Rand  der  Linse.  Solche  Menschen  sehen  schlech- 
ter bei  hellem  Tageslichte"  etc.  —  „Ganz  anders  verhält  sich  alles  in 
dem  Falle,  wenn  sich  die  Linse  von  der  Seite  nach  der  Mitte  hin  ver- 
dunkelt. Der  Patient  sieht  dann  besser  bei  verengerter  Pupille  in  star- 
kem Lichte  und  schlechter  bei  erweiterter  Pupille,  vorausgesetzt,  dass 
die  Verdunklung  die  Linse  noch  nicht  erreicht  hat." 

Anderweitige  subjeetive  Erscheinungen,  wie  Funkensehen,  Schmer- 
zen u.  dgl.  werden  durch  die  gebildete  oder  sich  eben  entwickelnde 
Linsen-  oder  Kapseltrübung  eben  so  wenig  veranlasst,  als  Gefässinjec- 
tion  am  Bulbus,  Lichtscheu,  Thränenfluss  u.  dgl.  Es  kommt  allerdings 
bisweilen  vor,  namentlich  bei  der  Entwicklung  weicher  Cataracten  bei 
Individuen,  die  noch  nicht  sehr  gealtert  sind  und  mehr  weniger  kränk- 
lich aussehen,  dass  sich  Cataracta  unter  sogenannten  entzündlichen  Er- 
scheinungen entwickelt;  diese  sind  jedoch  weder  Zeichen  noch  Folgen 

*)  Ammon's  Zeitschrift,  Band  I.   S.  354. 


Cataracta  —  Functionsstörung.  281 

der  Erkrankung  des  Krystallkörpers ,  und  lassen  sich  meistens  mit 
gutem  Grunde  auf  einen  congestiven,  selbst  exsudativen  Process  in  der 
Chorioidea  oder  Iris  beziehen,  zu  welchem  sich  dann  die  Erkrankung 
der  Linse  wie  Folge  zur  Ursache  verhält.  Das  vielbesprochene  Mücken- 
sehen, auf  das  wir  bei  den  Abnormitäten  des  Eefractionszustandes  und 
der  Accommodation  zu  sprechen  kommen  werden,  ist  auch  bei  Cata- 
racta imperfecta,  wo  es  nicht  selten  vorkommt,  nur  in  so  fern  durch 
die  Trübung  bedingt,  als  diese  den  Refractionszustand  des  Auges  ver- 
ändert oder  Zerstreuungskreise  veranlasst. 

In  Bezug  auf  die  Störung,  welche  eine  theilweise  Trübung  der  einen 
Linse  in  der  Function  des  andern  (gesunden)  Auges  hervorrufen  kann, 
und  über  die  Art  und  Weise,  wie  derlei  Störungen  wieder  unschädlich 
gemacht  zu  werden  pflegen  (durch  Schielen,  Zukneipen,  Abstrahiren) 
gilt  von  Linsentrübungen  dasselbe,  was  S.  258  im  I.  B.  über  Hornhaut- 
trübungen gesagt  wurde.  Warum  das  Schielen,  welches  bei  langsam 
und  vom  Kern  aus  erfolgender  unilateraler  Cataracta  alter  Leute  sehr 
häufig  vorkommt,  fast  ohne  Ausnahme  ein  divergirendes  ist,  werden  wir 
bei  Besprechung  der  Krankheiten  der  Augenmuskeln  zu  erklären  suchen. 
Dort  können  wir  uns  auch  erst  über  die  Beziehung  des  Nystagmus 
zur  Cataracta  congenita  vel  in  aetate  infantili  exorta  in  Erörterungen 
einlassen.  Einen  Folgezustand  der  Cataracta  müssen  wir  jedoch  schon 
jetzt  näher  betrachten,  nämlich  die  Verminderung  der  Energie  der 
Netzhaut  in  Folge  von  länger  gehemmter  Function.  Bei  Erwachsenen 
kann  Cataracta  completa  durch  10  und  mehrere  Jahre  bestehen,  ohne 
dass  die  Energie  der  Netzhaut  sinkt,  und  ist  vom  Aufschieben  der  Ope- 
ration in  dieser  Beziehung  nichts  zu  fürchten.  Anders  verhält  es  sich 
—  nach  meiner  Ansicht  —  bei  Kindern,  wenn  die  Cataracta  angeboren 
oder  frühzeitig  entstanden  ist. 

Ich  habe  mehrere  Individuen  in  dem  Alter  von  8 — 17  Jahren  operirt,  bei  denen 
Cataracta  schon  wenige  Wochen  nach  der  Geburt  oder  doch  im  Yerlaufe  des  1.  bis  2. 
Lebensjahres  bemerkt  worden  war.  Die  Formen  waren  2  einfache  weiche  Linsenstaare, 
2  weiche  Linsenstaare  mit  Verflüssigung  der  Kindensubstanz,  2  stationäre  Kern-  und  3 
geschrumpfte  Kapsellinsenstaare  (membranacea  und  arida  siliquata).  Der  Erfolg  der  Dis- 
cission  oder  Reclination  war  trotzdem,  dass  die  Pupillen  ganz  oder  doch  hinreichend 
frei  wurden,  auch  da  kein  befriedigender,  wo  der  traumatische  Eingriff  keinen  nach- 
theiligen Einfluss  genommen  haben  konnte.  War  nun  die  nachträglich  bemerkte  Schwäche 
der  Sehkraft  gleich  der  Cataracta  die  Folge  primärer  mangelhafter  Entwicklung  des 
Auges  überhaupt?  war  die  Schwäche  der  Netzhaut  so  gut  als  die  Trübung  der  Linse 
etwa  die  Folge  der  Conrulsionen  [die  in  einigen  Fällen  waren  beobachtet  worden),  und 
des  diesen  zu  Grunde  liegenden  Hirnleidens?  Oder  hatte  die  Netzhaut  desshalb  nicht  die 
gehörige  Energie  erlangt,  weil  ihre  Function  schon  von  frühester  Jugend  an  mehr  we- 
niger  behindert   gewesen   war?    Es   ist  Thatsache,    dass    die  Energie   eines  jeden  Sinnes 


282  Krystalllinse. 

durch  entsprechende  Übung  der  Function  bis  zu  einem  mehr  als  gewöhnlichen  Grade 
gehoben,  durch  Nichtübung  aber  unter  die  Norm  herabgedruckt  werden  kann,  und  dass 
in  dieser  Beziehung  das  jugendliche,  besonders  das  Kindesalter  von  Einfluss  ist.  Es 
liegen  exacte  Beobachtungen  vor,  dass  Leute,  welche  in  den  Kinderjahren  sich  gewöhn- 
ten zu  schielen,  i.  e.  nur  mit  Einem  Auge  zu  fixiren  und  das  andere  ganz  gesunde  von 
den  Objecten  abzulenken,  auf  diesem  letzteren  mit  der  Zeit  ein  so  schwaches  Gesicht 
bekamen,  dass  sie  damit  nicht  mehr  lesen,  schreiben  u.  dgl.  konnten,  und  dass  durch 
Verbinden  des  gesunden  und  methodische  Übung  des  in  seiner  Energie  gesunkenen 
Auges  dieses  wieder  zum  normalen  Zustande  zurückgeführt  werden  konnte.  Es  ist  auch 
"bekannt,  dass  Augen,  welche  Jahre  lang  z.  B.  nach  innen  geschielt  haben,  nicht  selten 
die  empfindlichste  Stelle  der  Netzhaut  nicht  in  der  Macula  lutea,  sondern  einwärts  von 
dieser  zeigen,  und  desshalb,  sobald  das  gesunde  Auge  verdeckt  wird,  dem  Objecte  nicht 
grade,  sondern  schief  (etwas  nach  innen  abgelenkt)  gegenüber  gehalten  werden  müssen, 
um  noch  relativ  am  besten  zu  sehen.  Joh.  Müller  (Physiologie  des  Gesichtssinnes)  hat 
diese  Fälle  als  Strabismus  incongruus  bezeichnet,  weil  er  der  Ansicht  war,  der  Fehler 
"beruhe  auf  angeborener  fehlerhafter  Organisation  der  Netzhaut.  Das  Vorkommen  dieses 
Zustandes  in  Fällen,  wo  das  Schielen  erwiesener  Massen  erst  in  F'olge  von  Hornhaut- 
trübungen entstand,  dient  indess  als  Beweis,  dass  dieser  Zustand  der  Netzhaut  nicht  das 
Primäre,  sondern  das  Consecutive  ist,  dadurch  entstanden,  dass  jene  Stelle,  welche  sich 
eben  noch  als  die  relativ  empfindlichste  erweist,  beim  Schielen  noch  am  meisten  zum 
indirecten  Sehen  verwendet  wurde,  mithin  am  wenigsten  von  ihrer  Energie  einbüsste. 
Ganz  analog  verhält  es  sich  bei  Cataracta.  Diess  sieht  man  in  jenen  Fällen,  wo  bloss 
Catar.  nuclearis  oder  Catar.  pyramidata  besteht.  Individuen  mit  solchen  theilweisen 
Staaren  sind  nie  ganz  blind.  Sie  sehen  noch  mehr  weniger  gut,  wenn  sie  die  Objecte 
nahe  und  von  der  Seite  her  betrachten.  Man  beseitigt  die  Cataracta;  das  Auge  leidet 
gar  nichts,  und  die  Pupille  wird  rein,  aber  der  Operirte  sieht  auch  jetzt  die  Objecte 
in  der  gewohnten  Richtung  noch  relativ  am  besten,  und  Staargläser  von  den  verschie- 
densten Abstufungen  nützen  nichts,  das  Gersicht  für  die  Ferne  zu  verbessern.  Erst  all- 
mälig,  nach  einigen  Jahren,  gewinnt  der  Blick  in  die  Ferne  etwas  mehr  an  Sicherheit 
und  Schärfe,  ohne  indess  jenen  Grad  von  Vollkommenheit  zu  erreichen,  welchen  Augen 
caeteris  paribus  erlangen,  die  vor  der  Entwicklung  der  Cataracta  ihre  Netzhaut  bereits 
gehörig  geübt  hatten.  —  Ich  hielt  diese  etwas  längere  Digression  für  nöthig,  um  im 
voraus  den  weiter  unten  folgenden  Vorschlag  zu  begründen,  dass  man  angeborene  und 
in  der  ersten  Zeit  des  Lebens  entstandene  Staare  so  zeitig  als  nur  möglich  operiren  solle. 
Jedenfalls  ist,  das  Verhältniss  zwischen  der  angeborenen  oder  frühzeitig  entstandenen 
Cataracta  und  dem  genannten  Zustande  der  Netzhaut  mag  nun  ein  coordinirtes  oder  ein 
bedingtes  sein,  in  allen  solchen  Fällen  grosse  Behutsamkeit  bei  der  Stellung  der  Pro- 
gnosis  dringend  geboten. 

Hilfsmittel  zur  Diagnostik. 

Wenn  bei  einem  Krauken,  der  über  allmälige  Abnahme,  Schwäche 
oder  Trübung-  des  Gesichtes  klagt,  die  Pupille  nicht  vollkommen 
schwarz  erscheint,  und  desshalb  Verdacht  auf  Cataracta  entsteht,  so 
halte  man  sich  einerseits  die  (S.  155  angeführten)  Momente,  welche  auf 
die  Schwärze  der  Pupille  überhaupt  Einfluss  nehmen,  andererseits  die 
Zustände  gegenwärtig,  welche  bei  ungestörter  Durchsichtigkeit  der  Linse 


Cataracta  —  Diagnostik.  283 

zu  einer  solchen  Klage  bestimmen  können.  Diese  sind:  leichte  Horn- 
hauttrübungen, dünne  Exsudatmembranen  in  der  Pupille,  Leiden  der 
Chorioidea  und  Retina  (mit  Einschluss  des  Sehnerven,  Gehirnes  und 
verlängerten  Markes),  Fehler  des  Refractionszustandes  (Kurz-  und  Weit- 
sichtigkeit) und  der  Accommodationsfähigkeit  (Ermüdung  des  Auges,  Ko- 
piopie  s.  Asthenopie).  Je  mehr  von  diesen  Zuständen  mit  Bestimmt- 
heit ausgeschlossen  werden  können,  desto  grösser  wird  die  Wahrschein- 
lichkeit für  Cataracta.  Hiebei  darf  man  jedoch  nie  vergessen,  dass 
Cataracta  auch  mit  jedem  dieser  Zustände  zugleich  vorhanden  sein 
kann. 

Um  die  Gegenwart  geringer  Linsentrübungen  positiv  zu  erkennen, 
muss  man  so  wie  bei  unscheinbaren  Hornhautflecken  das  Auge  in  einem 
Zimmer  besichtigen,  welches  sein  Licht  nur  durch  ein  Fenster,  wo 
möglich  etwas  von  oben  her  und  unmittelbar  vom  Firmamente  erhält. 
Durch  Wechsel  seiner  Stellung  zum  Auge  suche  man  Täuschung  durch 
Reflexe  zu  vermeiden.  Man  sehe  bald  in  der  Richtung  der  Achse, 
bald  schief  und  so  viel  als  möglich  gegen  den  Rand  der  Linse  hin  in 
die  Tiefe.  Bisweilen  ist  nebst  der  Kerntrübung  auch  schon  ein  leichter, 
seiden-  oder  spinnwebenartig  glänzender  Beschlag  der  vordem  Kapsel 
vorhanden  und  durch  Spiegelung  wahrnehmbar;  häufiger  fludet  man  in 
der  Gegend  des  Randes  der  Linse  eine  gelblich -weisse  Trübung  in 
Form  von  Streifen,  die  gegen  die  Pupille  hereinspitzen.  Erweiterung 
der  Pupille  lässt  diese  noch  besser  unterscheiden,  und  die  Anwendung 
der  Belladonna  (noch  besser  des  schwefelsauren  Atropins)  beseitigt  in 
den  meisten  Fällen  jeden  Zweifel.  Durch  eine  gute  Loupe  kann  man 
Trübungen,  die  nicht  zu  tief  hinter  der  Iris  liegen,  jederzeit  deutlicher 
machen.  Das  empfindlichste  und  sicherste  Hilfsmittel  ist,  wie  schon 
bemerkt  wurde,  die  Beleuchtung  und  Betrachtung  des  Augengrundes 
mit  dem  Helmholtzschen  Spiegel.  So  geringe  Trübungen,  dass  man  sie 
auch  ohne  dieses  Instrument  nicht  mit  freiem  Auge  wahrnehmen  könnte, 
kommen  selten  auf  beiden  Augen  und  in  gleichem  Grade  vor.  Ein 
sorgfältiger  Vergleich  der  hinter  der  Iris  sichtbaren  Trübung  und  der 
durch  Sehversuche  ermittelten  Gesichtsstörung  des  einen  und  des  an- 
dern Auges  kann  daher  auch  in  vielen  Fällen  zur  Bestätigung  der  Dia- 
gnosis  dienen,  vorausgesetzt,  dass  es  sicher  bekannt  ist,  ob  der  Kranke 
in  früherer  Zeit  mit  dem  einen  Auge  so  gut  wie  mit  dem  andern  ge- 
sehen habe,  oder  verschieden. 

Wenn  bei  jüngeren  Personen,  wo  man  wegen  der  Seltenheit  des 
Vorkommens  nicht  sogleich  an  Cataracta  zu  denken  pflegt,  die  Fähig- 
keit,  entferntere   Gegenstände   wahrzunehmen,  abnimmt  oder  verloren 


284  Krystall  linse. 

geht,  so  werden  sie,  wie  ich  mehrmal  erfahren,  auch  von  Ärzten  ohne 
Weiteres  für  kurzsichtig  gehalten.  Liegt  dieser  Functionsstörung  Trü- 
bung der  Linse  zu  Grunde  (so  gering,  dass  sie  nicht  gleich  in  die 
Augen  springt),  so  kann  man  sich  bald  überzeugen,  dass  Concavgläser 
nichts  nützen  oder  dass  wenigstens  ein  wesentliches  Merkmal  der  ein- 
fachen Kurzsichtigkeit  fehlt,  das  nämlich,  dass  solche  Personen  die 
normale  Schärfe  des  Gesichtes  besitzen,  jedoch  nur  bis  zu  einem  ge- 
wissen, dem  Auge  abnorm  nahe  liegenden  Fern-  oder  Grenzpunkte. 
Auch  wird  man  finden,  dass  ein  einfach  Kurzsichtiger  z.  B.  das  Buch 
zum  Lesen  allenfalls  schief  zum  Gesichte,  niemals  aber  schief  zum  Auge 
hält,  um  eine  excentrisch  gelegene  Netzhautstelle  zum  directen  Sehen 
zu  benützen. 

Am  meisten  wird  man  versucht,  an  Cataracta  incipiens  zu  denken, 
wenn  bei  altern  Personen  die  Fähigkeit  verloren  geht,  nahe  Gegen- 
stände deutlich  und  mit  Ausdauer  zu  erkennen.  Denn  in  dieser  Lebens- 
zeit findet  man  wegen  der  verminderten  Schwärze  des  Augengrundes, 
vorzüglich  aber  wegen  der  gelben  Färbung  der  Linse  jederzeit  jenen 
eigenthümlichen  lichtgrauen  Reflex,  der  als  Pigmentmangel  beschrieben 
worden  ist.  In  dieser  Epoche  gehört  es  zur  Norm,  dass  die  Brenn- 
weite des  aus  Hornhaut,  Kammerwasser  und  Linse  gebildeten  Oculares 
unserer  Camera  obscura  abnimmt,  daher  kleine  und  nahe  Objecte  trüb 
und  wie  umflort  erscheinen.  Wird  das  Auge  trotzdem  zur  Betrachtung 
solcher  Objecte  verwendet,  so  verfällt  es  leicht  in  den  Zustand  der  Er- 
müdung, welcher  sehr  oft  von  der  beängstigenden  Erscheinung  des 
Mückensehens  begleitet  ist,  und  allmälig  vermindert  sich  auch  das  Ver- 
mögen, entfernte  Objecte  scharf  und  deutlich  wahrzunehmen.  In  die- 
selbe Epoche  fällt  aber  auch  die  Entwicklung  von  Glaucom,  und  die 
viel  häufigere  Entwicklung  von  Cataracta.  Die  obgenannten  Erschei- 
nungen können  bei  dem  einen  wie  bei  dem  andern  Zustande  vorkom- 
men. Wo  indess  eine  verlässliche  Anamnesis  möglich  ist,  kann  der 
Umstand  benützt  werden,  dass  bei  Catar.  incipiens  die  Functionsstö- 
rung zuerst  bei  fernen  Objecten  wahrgenommen  wird,  was  meistens 
auch  bei  ganz  allmälig  entwickeltem  Glaucom  der  Fall  ist.  Glaucom 
und  Cataracta  beginnen  kaum  jemals  auf  beiden  Augen  zugleich,  wäh- 
rend die  Presbyopie  niemals  unilateral  ist,  vorausgesetzt,  dass  früher 
beide  Augen  in  Bezug  auf  Energie  und  Refractionszustand  gleich  waren 
oder  doch  nicht  merklich  differirten.  Convexgläser  können  bei  allen 
diesen  Zuständen  gute  Dienste  leisten,  jedoch  bei  Cataracta  und  bei 
Glaucoma  nur  kurze  Zeit,  da  diese  Übel  von  ihrem  ersten  Beginn  an 
stetig    fortschreiten.       Glaucoma,    Presbyopie  und  Asthenopie   können 


Cataracta  —  Diagnostik.  285 

plötzlich  dadurch  sich  ankündigen,  dass  das  Auge  den  gewohnten  Dienst 
versagt;  bei  Cataracta  ist  diess  nicht  der  Fall,  wenigstens  wird  man 
da,  wo  Leute  wegen  Cataracta  von  einer  raschen  Abnahme  der  Seh- 
kraft sprechen,  immer  auch  schon  eine  so  starke  Trübung  finden,  dass 
über  die  Ursache  der  Functionsstörung  kaum  ein  Zweifel  mehr  obwal- 
ten kann.  Man  sagt,  dass  massige  Erweiterung  der  Pupille  durch  Bel- 
ladonna bei  Cataracta  incipiens  gute  Dienste  leiste,  bei  Glaucom  und 
Presbyopie  dagegen  nicht.  Diess  ist  im  Allgemeinen  wahr,  und  man 
kann  allerdings  vielen  Cataractösen  Monate  lang  durch  dieses  Mittel 
Erleichterung  verschaffen;  doch  sind  mir  mehrere  Kranke  vorgekom- 
men, welche  auch  in  der  ersten  Zeit,  so  lange  die  Trübung  noch  nicht 
einmal  den  ganzen  Kern  einnahm,  selbst  durch  massige  Erweiterung 
der  Pupille  (mittelst  Atropin.  sulfur.)  nicht  erleichtert,  im  Gegentheile 
belästigt  (geblendet)  wurden.  —  Congestion  und  Entzündung  der  Cho- 
rioidea  kommt  nie  ohne  abnorme  Injection  der  vordem  Ciliargefässe 
vor,  während  der  Process  der  Trübung  des  Krystallkörpers  an  und  für 
sich  niemals  die  Zufälle  von  Congestion  oder  Entzündung  erregt.  Doch 
darf  nicht  übersehen  werden,  dass  die  Entwicklung  von  Cataracta  con- 
gestive  und  entzündliche  Zustände  anderer  Gebilde  des  Auges  nicht  aus- 
schliesst,  und  dass  congestive  und  entzündliche  Zustände  der  Chorioidea 
nicht  selten  gleichsam  den  ersten  Anstoss  zur  Erkrankung  der  Linse  geben, 
welche  sodann  fortbestehen  und  vorwärts  schreiten  kann,  ohne  dass  die 
Affection  der  Chorioidea  weiter  gehen  und  merkliche  Zufälle  von  Seite  der 
Netzhaut,  Iris,  Sclera  etc.  herbeiführen  muss.  —  Die  Angabe,  dass  bei 
Trübungen  der  Pupille  durch  Chorioidealkrankheiten  die  Trübung  tie- 
fer liege,  concav  erscheine,  einen  grünlichen  Teint  zeige,  nützt  dem 
Anfänger  in  der  Diagnosis  nichts.  So  fand  ich  es  wenigstens  beim 
eigenen  Studium  und  beim  klinischen  Unterrichte.  Auch  bei  Cataracta 
incipiens  ist  sehr  oft  ein  grünlicher  Teint  vorhanden.  Der  Reflex,  wel- 
cher bei  gelbgewordener  Linse  in  spätem  Jahren  vorkommt,  ist  eben 
auch  durch  das  vom  Grunde  des  Auges  zurückgeworfene  Licht  bedingt; 
er  verliert  durch  stärkere  und  ausgebreitetere  Trübung  des  Kernes  der 
Linse  an  Intensität  und  Glanz;  leichte  Linsentrübungen  ändern  ihn  in 
beiden  Eigenschaften  wenig  oder  gar  nicht.  Wenn  die  Erkrankung 
der  Chorioidea  bereits  so  weit  gediehen  ist,  dass  die  physikalischen 
Bedingungen  der  Reflexion  des  Lichtes  vom  Grunde  des  Auges  dadurch 
abgeändert  werden,  dann  gibt  sich  dieselbe  bereits  durch  anderweitige, 
viel  verlässlichere  Erscheinungen  von  Seite  der  Iris,  Netzhaut  u.  s.  w.  kund. 
Die  Unterscheidung  der  Cataracta  incipiens  et  imperfecta  von  Am- 
blyopie und  Amaurosis  setzt  eine  genauere  Kenntniss  dieser  Zustände, 


286  Krystalllinse. 

ihrer  Symptome  und  ihrer  Entwicklung  voraus,  wesshalb  wir  die  Mo- 
mente, auf  die  es  hier  ankommt,  erst  im  3.  Bande,  bei  den  Krankhei- 
ten der  Netzhaut,  hervorheben  können. 

Complicatio?ien. 

Es  reicht  niemals  hin,  erkannt  zu  haben,  dass  ein  Auge  an  Cata- 
racta leide;  man  muss  jederzeit  auch  bestimmen,  ob  bloss  Cataracta, 
oder  noch  anderweitige  Abnormitäten  im  Auge  oder  im  übrigen  Orga- 
nismus vorhanden  seien. 

Alle  Abnormitäten,  welche  mit  Cataracta  zugleich  vorhanden  sein 
können,  hier  aufzuzählen,  würde,  selbst  wenn  wir  uns  bloss  auf  die 
am  Auge  vorkommenden  beschränken  möchten,  zu  weitläufig  und  auch 
überflüssig  sein.  Auf  jene  Zustände,  welche  bei  den  einzelnen  Opera- 
tionsmethoden von  Einfluss  sind,  werden  wir  in  der  Lehre  von  den 
Operationen  aufmerksam  machen.  Hier  soll  vorläufig  nur  von  jenen 
die  Eede  sein,  welche  bei  der  Prognosis,  ob  ein  Staar  überhaupt  heil- 
bar sei ,  und  ob  man  mit  mehr  oder  weniger  Wahrscheinlichkeit  auf 
einen  günstigen  Erfolg  rechnen  könne,  in  Betracht  zu  ziehen  sind. 

Hintere  Synechien  werden  der  Beobachtung  nie  entgehen,  wenn 
man  sich's  zur  Regel  gemacht  hat,  bei  jedem  Staare  die  Pupille  künst- 
lich zu  erweitern,  bevor  man  sich  über  die  Verhältnisse  ausspricht, 
welche  auf  die  Prognosis  Einfluss  haben.  Bei  ringförmiger  hinterer 
Synechie  und  noch  mehr  bei  Verschliessung  der  Pupille  durch  mehr 
weniger  dicke  Exsudate  (nach  abgelaufener  Iritis)  ist  es  bisweilen  un- 
möglich, zu  bestimmen,  ob  und  wie  weit  die  Linse  und  die  Kapsel  ge- 
trübt sind,  und  ob  das  Gesicht  bloss  durch  Abhaltung  der  Lichtstrahlen 
oder  durch  Erkrankung  der  Netzhaut  gestört  sei.  Wir  müssen  in  die- 
ser Beziehung  auf  das  über  Verlauf  und  Ausgänge  der  Iritis  und  Iri- 
dochorioiditis  Gesagte  verweisen.  Vergl.  S.  42,  47,  72,  98  (15.  Fall), 
101  (17.  Fall)  und  166  (5.  Beob.). 

Abnorm  festen  Zusammenhang  zwischen  Kapsel  und  Linse  oder 
zwischen  Kapsel  und  Glashaut,  wovon  mehrere  Autoren  sprechen,  habe 
ich  nie  gefunden,  weder  bei  Operationen  noch  in  Cadavern.  Ich  wüsste 
auch  nicht,  wie  man  ihn  vorher  erkennen  sollte.  Dass  membranöse 
und  trockenhülsige  Staare  gewöhnlich  ringsum  oder  stellenweise  fest 
an  den  Ciliarfortsätzen  haften,  wurde  bereits  oben  erwähnt.  Verwach- 
sung von  Kapselresten  (Nachstaar)  mit  der  Iris  gibt  sich  durch  par- 
tielle oder  totale  Rückwärtsziehung  dieser  letztern  und  durch  die  Un- 
möglichkeit kund,  die  Pupille  hinreichend  durch  Belladonna  zu  er- 
weitern. 


Cataracta  —  Complicationen.  287 

Ob  Verflüssigung  des  Glaskörpers  (Synehysis)  bei  Cataracta  vor- 
handen sei,  lässt  sich  —  meines  Erachtens  —  nicht  immer  mit  Gewiss- 
heit bestimmen.  Wo  Chorioiditis  oder  Iridochorioiditis  vorausgegangen 
ist,  hat  man  immer  Ursache,  Synehysis  zu  fürchten.  Ebenso  lässt  deut- 
liche Verminderung  der  Resistenz  des  Bulbus  auf  diesen  Zustand  schlies- 
sen.  Aber  auch  bei  vermehrter  Resistenz,  zumal  bei  grossen  und  flach- 
liegenden (glotzenden)  Augen  findet  man,  ohne  dass  jemals  deutliche 
Zeichen  von  Entzündung  zugegen  waren,  oft  den  Glaskörper  flüssiger 
als  im  normalen  Zustande.  In  einigen  solchen  Fällen  fand  ich  nur  den 
Kern  der  Linse  getrübt,  von  dunkler,  fast  kastanienbrauner  Farbe  und 
das  Gesicht  mehr  gestört,  als  sonst  bei  gleicher  Extensität  der  Trü- 
bung. Schlottern  der  Iris  wird  allgemein  als  Zeichen  von  Synehysis 
aufgeführt.  Es  kommt  allerdings  bei  diesem  Zustande  vor,  viel  häuti- 
ger aber  zeigt  es  nur  Volumenabnahme  des  Krystallkörpers  an.  Wo 
die  Iris  desshalb,  weil  der  Glaskörper  verflüssigt  ist,  in  Schwankungen 
geräth,  da  muss  an  diesen  auch  die  getrübte  Linse  partieipiren.  Bei 
Cataracta  cystica  ist  wahrscheinlich  immer  ohne  Ausnahme  auch  Syn- 
ehysis vorhanden.  Die  Synehysis  ist  im  Anfange  von  Kurzsichtigkeit*), 
in  späterer  Zeit  aber  fast  ohne  Ausnahme  von  Amblyopie  begleitet,  und 
Staare  in  solchen  Augen  lassen  auch,  abgesehen  von  den  Schwierig- 
keiten bei  der  Operation,  immer  nur  eine  sehr  zweifelhafte  Progno- 
sis  zu. 

Die  Complication  mit  Krankheiten  der  Netzhaut  (Amblyopie  und 
Amaurosis),  diese  mögen  nun  durch  primäre  Affection  derselben,  z.  B. 
durch  übermässiges  Licht,  durch  Erschütterung  nach  Sehlägen  auf  das 
Auge  u.  dgl. ,  oder  seeundär,  durch  Congestion  und  Entzündung  der 
Chorioidea  bedingt  sein,  von  Affectionen  des  Sehnerven,  des  Gehirnes 
oder  des  verlängerten  Markes  abhängen,  oder  aber  in  Bezug  auf  ihr 
ätiologisches  Moment  bloss  als  sympathische  Leiden  bezeichnet  werden 
müssen,  lässt  sich  bei  gänzlichem  Mangel  der  Lichtempfindung  sehr 
leicht,  bei  mehr  weniger  deutlicher  Lichtempfindung  hingegen  mitunter 
sehr  schwer,  selbst  gar  nicht  bestimmt  erkennen. 

Als  leitend  gilt  der  Satz,  dass  bei  einfacher  Cataracta  die  Func- 
tionsstörung  dem  mechanischen  Hindernisse  entspricht.  Wenn  auch 
Kapsel  und  Linse  getrübt  sind,  selbst  wenn  überdiess  noch  die  Pupille 

*)  Dass  Verflüssigung  des  Glaskörpers  den  Refractionszustand  abändere,  lässt  sich  schon  a  priori  erwar- 
ten. Je  dünner  das  Fluidum  hinter  der  Linse  (relativ  zu  dieser),  desto  mehr  muss  der  aus  dieser 
austretende  Strahl  vom  Einfallslothe  abgelenkt  werden,  desto  früher  also  müssen  Lichtstrahlen,  die 
aus  einer  gleich  grossen  Entferuung  kommen,  in  einen  Punkt  vereinigt  werden.  Strahlen  von  ent- 
fernten Objecten  entwerfen  daher  ihr  Bild  schon  vor  der  Netzhaut,  und  nur  von  nahen  Objectea 
fallen  die  Bilder  gerade  auf  diese. 


288  Krystalllinse. 

gesperrt  ist,  so  hat  der  Kranke  dennoch  Lichtempfindung,  sobald  die 
Energie  der  Netzhaut  nicht  zu  sehr  gesunken  ist.  Würde  auch  alles 
durch  die  Cornea  einfallende  Licht  aufgefangen,  das  durch  die  Sclera 
eindringende  kann  durch  Cataracta  niemals  von  der  Netzhaut  abgehal- 
ten werden. 

Es  stehen  uns  zwei  Mittel  zu  Gebote,  die  Empfindlichkeit  der 
Netzhaut  für  das  Licht  zu  prüfen,  die  Eeaction  der  Iris  und  die  Anga- 
ben des  Kranken.  Bei  Benützung  des  einen  wie  des  andern  muss  jedes 
Auge  für  sich  bei  wohl  verdecktem  andern  geprüft  werden.  Während 
man,  wenn  sich's  darum  handelt,  zu  bestimmen,  wie  viel  der  Kranke 
noch  sieht,  am  besten  thut,  den  Kranken  mit  dem  Bücken  gegen  das 
Fenster  zu  stellen,  ist  es  da,  wo  es  sich  um  die  Bestimmung  handelt, 
ob  noch  Lichtempfindung  vorhanden  sei,  am  gerathensten,  das  Gesicht 
dem  Lichte  zuzuwenden.  Die  Untersuchung  jedes  Auges  für  sich  ist 
nothwendig,  weil  der  Fall  vorkommen  kann,  dass  bei  beiderseitiger 
Cataracta  nur  das  eine  Auge  amaurotisch  wäre,  und  man,  falls  man 
nur  Ein  Auge  der  Operation  unterwürfe,  gerade  das  amaurotische  treffen 
könnte. 

Wo  sich  nun,  bei  gut  verdecktem  zweiten  Auge,  die  Pupille  er- 
weitert, sobald  man  das  zu  untersuchende  Auge  in  den  vollen  Schatten 
der  nahe  vorgehaltenen  flachen  Hand  bringt,  und  sich  nach  rascher 
Beseitigung  derselben  wieder  verengert,  da  kann  man  sicher  sein,  dass 
deutliche  Lichtempfindung  vorhanden  ist.  Wo  die  Iris  sich  gar  nicht 
oder  nur  undeutlich  bewegt,  kann  man  nur  dann  auf  mehr  weniger 
vollständige  Lähmung  der  Netzhaut  schliessen,  wenn  sich  kein  ander- 
weitiges Hinderniss  der  Irisbewegung  (Exsudate  in  der  Pupille,  Vor- 
wärtsdrängung  der  Linse,  Myosis  oder  Mydriasis)  nachweisen  lässt.  Zu 
diesem  Behufe  ist  zunächst  die  Anwendung  der  Belladonna  nothwen- 
dig. Bei  Myosis  in  Folge  anhaltender  Beschäftigung  mit  feinen  Arbei- 
ten bewirkt  jedoch  dieses  Mittel  bisweilen  keine  merkliche  Erweiterung, 
und  da  Amblyopie  und  Amaurosis  mit  abnorm  enger  Pupille  auf  Be- 
dingtsein in  einem  Leiden  der  Meclulla  oblongata  schliessen  lässt,  so 
muss  in  dieser  Beziehung  eine  gehörige  Erhebung  des  Status  praesens 
und  der  Anamnesis  eingeleitet  werden.  Ist  der  Staar  weich  (durchaus 
oder  nur  an  der  Peripherie)  und  die  vordere  Kapsel  desshalb  stärker 
vorwärts  gewölbt,  oder  ist  die  Linse  überhaupt  weiter  vorwärts  gerückt, 
so  findet  man  die  Pupille  (bei  unversehrter  Netzhaut)  gewöhnlich  eng 
und  die  Iris  in  ihren  Bewegungen  beschränkt.  Die  Ursache  scheint 
eine  mechanische  zu  sein.  Wenn  nach  Eröffnung  der  Cornea  das  Kam- 
merwasser abfliesst,  und  Iris  und  Linse  vorwärts  gedrängt  werden,    so 


Cataracta  —  Complicationen.  289 

verengert  sich  die  Pupille  jederzeit  beträchtlich,  und  diese  Erscheinung 
fand  ich  auch  an  Cadavern,  48  und  mehr  Stunden  nach  dem  Tode. 
Völlig  aufgehoben  wird  die  Beweglichkeit  der  Iris  durch  Catar.  allein 
niemals.  —  Da  Bewegungen  der  Iris  nicht  bloss  durch  .Reflex  von  der 
Netzhaut,  sondern  auch  durch  anderweitigen  Impuls  auf  den  N.  oculo- 
motorius,  insbesondere  synergisch  mit  der  Accommodationsthätigkeit  er- 
folgen, so  muss  man  sich  vor  Täuschung  dadurch  schützen,  dass  man 
das  Auge  während  der  abwechselnden  Beschattung  und  Beleuchtung 
möglichst  ruhig  halten  lässt.  Am  besten  ist  es,  man  sagt  dem  Kran- 
ken, er  solle  es  so  machen,  als  wolle  er  einen  Finger  seiner  ausge- 
streckten Hand  fixiren,  und  während  er  diess  thut,  lässt  man  abwech- 
selnd Licht  und  Schatten  einwirken.  Man  wird  sehr  häufig  finden,  dass 
bei  Leuten  mit  vollständiger  Cataracta  die  Pupille  in  steter  Schwan- 
kung zwischen  Erweiterung  und  Verengerung  schwebt,  auch  wenn  die 
Beleuchtung  immer  die  gleiche  ist,  und  die  Augen  ruhig  gehalten  wer- 
den. Dasselbe  Phänomen  kann  auch  bei  Amaurotischen  vorkommen, 
wo  der  Oculomotorius  und  die  Ciliarnerven  immun  sind.  Diese  Schwan- 
kungen scheinen  davon  herzurühren,  dass,  nachdem  der  Kranke  nichts 
mehr  fixiren  kann,  die  vom  Sensorium  commune  aus  noch  immer  ange- 
regte Accommodationsthätigkeit  ihren  Regulator,  die  Fixirung  reeller 
Obiecte,  eingebüsst  hat,  und  nun  bei  dem  Bestreben,  zu  sehen,  bald 
auf  nahe,  bald  auf  ferne  (imaginäre)  Objecte  geleitet  wird. 

Diesen  Einfluss  der  Accommodationsthätigkeit  habe  ich  bei  mehreren  Amaurotischen 
bestimmt  beobachtet;  am  bestimmtesten  aber  konnte  ich  ihn  im  letzten  Semester  bei 
einem  Kranken  mit  Mydriasis  auf  der  Klinik  demonstriren.  Bei  diesem  reagirte  die  Iris 
des  linken  Auges  auch  auf  den  grellsten  Wechsel  zwischen  Licht  und  Schatten  nicht  im 
mindesten,  obwohl  der  Mann  durch  eine  kleine  Öffnung  in  einem  Kartenblatte  so  gut  wie 
mit  dem  rechten  ganz  gesunden  Auge  sah.  Die  Pupille  verengerte  sich  aber  augenblick- 
lich, nahm  statt  4'"  ungefähr  2'/2 — 2y"  Durchmesser  an,  sobald  der  Mann  angewie- 
sen wurde,  ein  6—8"  genähertes  Object  (seinen  Finger)  zu  fixiren,  gleichviel  ob  das 
rechte  Auge  verdeckt  wurde  oder  nicht.  Über  die  Entstehung  dieses  Leidens  war  nichts 
zu  ermitteln;  der  Mann  hatte  Blendung  des  Gesichtes  (mit  beiden  Augen)  wahrgenommen, 
nachdem  er  in  Folge  eines  leichten  Bausches  sich  erbrochen  hatte.  Zufällige  Verdeckung 
des  linken  Auges  hatte  ihn  belehrt,  dass  das  rechte  Auge  gesund  war.  Die  Verengerung 
der  Pupille  hielt  so  lange  an,  als  die  Fixirung  des  nahen  Objectes.  Als  ich  die  Binde- 
haut rings  um  die  Cornea  mit  einem  zugespitzten  Lapis  ätzte,  verengerte  sich  die  Pupille 
augenblicklich  bis  auf  2'",  zeigte  jedoch  schon  eine  halbe  Stunde  nachher  wieder  einen 
grössern  und  eine  Stunde  nachher  den  gewöhnliehen  Durchmesser  von  4'".  Der  Mann 
musste,  da  auch  die  übrigen  gegen  Mydriasis  empfohlenen  Mittel  nichts  nützten,  nach 
5  Wochen  ungeheilt  entlassen  werden. 

Leute,  die  durch  Glaucom  erblindet  sind,  pflegen,  wenn  sich  end- 
lich auch  Cataracta  eingestellt  hat,   Hilfe  durch  eine  Staaroperation  zu 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  19 


290  Krystalllinse. 

verlangen,  und  suchen,  besonders  wenn  sie  schon  von  einem  Operateure 
wegen  Mangel  an  Lichtempfindung  zurückgewiesen  oder  vertröstet  wor- 
den sind,  den  Arzt  dadurch  zu  täuschen,  dass  sie  versichern,  sie  nehmen 
wahr,  ob  es  Tag  oder  Nacht  sei,  wo  in  einem  Zimmer  sich  die  Fenster 
befinden  u.  dgl.  Da  nun  auch  nach  längerem  Bestände  der  glauco- 
matösen  Erblindung  die  Iris  nicht  noth wendig  charakteristische  Zeichen 
(bis  auf  die  Unbeweglichkeit)  darbieten  muss,  und  die  Symptome,  die 
man  im  Bereiche  der  Sclera  wahrzunehmen  pflegt,  fehlen  oder  auch 
eine  anderweitige  Deutung  zulassen  können,  so  ist  es  nöthig,  die  Probe 
auf  Lichtempfindung  so  anzustellen ,  dass  sie  an  Sicherheit  einem  ob- 
jectiven  Merkmale  gleich  kommt.  Man  muss  mit  der  Beschattung  und 
Beleuchtung  derart  wechseln,  und  die  Versuche  in  solcher  Weise  vor- 
nehmen, dass  der  Kranke  nicht  etwa  nach  dem  Wechsel  selbst  oder 
mittelst  eines  andern  Sinnes  wahrnehmen  kann,  wann  das  Auge  be- 
schattet werde,  wann  nicht. 

Nicht  so  sicher  lässt  sich  bestimmen,  ob  bei  weit  ausgebreiteter 
Cataracta  zugleich  Amblyopie  vorhanden  sei  oder  nicht.  Hier  kann  nur 
die  Erhebung  der  Anamnesis  und  des  übrigen  Status  praesens  mehr 
weniger  verlässliche  Anhaltspunkte  gewähren.  Bei  angeborener  und  von 
frühester  Kindheit  an  bestehender  Cataracta  wird  es,  wie  schon  be- 
merkt wurde,  im  Allgemeinen  gerathen  sein,  die  Prognosis  nicht  so 
günstig  zu  stellen,  wie  caeteris  paribus  bei  später  entstandener  Cata- 
racta. Wo  die  Trübung  der  Linse  in  Folge  eines  Trauma  entstanden 
ist,  oder  wo  später  eine  Gewalt  eingewirkt  hat,  von  welcher  Erschüt- 
terung der  Netzhaut  befürchtet  werden  kann,  lässt  sich  auch  bei  sehr 
deutlicher  Lichtempfindung  nicht  für  die  Integrität  der  Netzhaut  ein- 
stehen. Dasselbe  gilt  von  Staaren,  welche  sich  unter  Zufällen  entwickelt 
haben,  die  auf  Congestion  oder  Entzündung  der  Chorioidea  deuten,  wenn 
auch  diese  längst  verschwunden  sind,  und  in  den  sichtbaren  Gebilden 
keine  merklichen  Spuren  zurückgelassen  haben. 

Vorkommen  und  Ursachen. 

Die  Trübung  der  Linse  ist  vorzugsweise  eine  Krankheit  des  höheren 
Alters,  so  dass  man  bei  jeder  Gesichtsstörung  in  dieser  Epoche  immer 
an  Cataracta  denken  muss;  sie  kommt  jedoch  auch  bei  jüngeren  Indi- 
viduen nicht  so  selten  vor. 

Nach  der  folgenden  Übersicht  der  von  1840  bis  1852  in  die  Anstalten,  an  denen 
ich  tkätig  zu  sein  Gelegenheit  hatte ,  zur  Operation  aufgenommenen  Cataractakranken 
dürften  sich  manche  auf  diese  Krankheit  Bezug  habende  Fagen  eher  annäherungsweise 
beantworten  lassen,  als  durch  allgemeine  Angaben,  um  so  mehr  als  man  annehmen  kann, 
dass  die  Zahl  der  hier  Aufgenommenen  mindestens  zwei  Drittel  der  in  Böhmen  (mit  bei- 
nahe 4'/2  Mill.  Einwohnern)  überhaupt  alljährlich  operirten  Staarkranken  betrage. 


Cataracta 


Vorkommen  —  Ursachen. 


291 


Die  Anstalten  sind:  die  seit  1820  bestehende  Augenklinik  mit  20  Plätzen,  eine 
seit  1S40  eigens  für  Augenkranke  bestimmte  Abtheilung  des  k.  k.  allgemeinen  Kranken- 
hauses, "welche  über  40—50  Betten  verfügen  kann,  und  das  im  Jahre  1808  unter  Mit- 
wirkung Prof.  Fischers  von  Privaten  gegründete  Blindeninstitut  (Erziehungsanstalt)  in 
welches  seit  1S2S  jährlich  2— 3  Mal  (Mitte  Mai,  Anfang  Juli  und  Mitte  August)  je  16—17 
Mittellose  mit  Cataracta  oder  Pupillensperre  zur  Operation  aufgenommen  werden  können. 

Yon  1 S40 — 1S42,  wo  ich  als  Prof.  Fischer's  Assistent  angestellt  war,  und  von 
1S47 — 1S52,  wo  ich  als  Professor  und  Primärarzt  wirke,  sind  alle  in  diesen  Anstalten 
an  Cataracta  Opcrirten  nicht  bloss  in  der  1.  Tabelle  numerisch  aufgeführt,  sondern  auch 
in  Bezug  auf  Alter,  Beschäftung,  Operationsergebniss  u.  s.  w.  weiter  unten  zusammen- 
gestellt. Ton  den  1843 — 1846  auf  der  Klinik  und  Spitalsabtheilung  Behandelten  konnte 
ich  ausser  Zahl  und  Geschlecht  nichts  in  die  Tabellen  aufnehmen,  weil  ich  von  diesen 
nur  einen  kleinen  Theil  selbst  beobachtet,  operirt  und  behandelt  habe.  Hingegen  sind, 
da  von  Wohlhabenden  nur  wenige  sich  in  den  Anstalten  operiren  lassen ,  43  privatim 
Operirte  in  die  Tabelle  aufgenommen.  Die  meiner  Beobachtung  nicht  angehörenden 
Fälle  sind  in  der  nächsten  Tabelle  mit  *  bezeichnet.  Klinik-  und  Abtheilungskranke  sind 
in  eine  Rubrik  zusammengesetzt. 


Sp 

tal 

Institut 

Privatim 

Zusammen 

Jahr 

Hauptsumme. 

Männl. 

Weibl. 

Männl. 

Weibl. 

Männl. 

Weibl. 

Männl. 

Weibl. 

1840 

18 

■ 
12 

20 

12 

38 

24 

62 

1S41 

38 

24 

21 

10 

59 

34 

93 

1842 

20 

27 

23 

10 

2 

3 

45 

40 

85 

1S43 

IS* 

16* 

21 

11 

2 

3 

23 

14 

37     1   71 

+34/    tl 

+  18 

+  16 

1S44 

19* 

19* 

17 

15 

2 

1 

19 

16 

+38  }    73 

+  19 

+  19 

1S45 

30* 

IS* 

19 

11 

2 

1 

21 

12 

+48  }   81 

+30 

+  18 

1846 

47* 

19* 

18 

14 

2 

2 

20 

16 

+66  }102 

- 

+47 

+  19 

1847 

23 

16 

16 

15 

3 

2 

42 

33 

75 

1S4S 

37 

22 

17 

17 

1 

1 

55 

40 

95 

1849 

40 

26 

18 

10 

1 

1 

59 

37 

96 

1850 

31 

30 

18 

14 

2 

1 

51 

45 

96 

1851 

42 

29 

24 

4 

4 

4 

70 

37 

107 

1852 

64 

40 

18 

14 

2 

1 

84 

55 

139 

13  J. 

313 

226 

250 

157 

23 

20 

586 

403 

989+186 

539+1 

86=7  25 

4( 

)7 

4 

3 

1175 

Als  angeborenes  Übel  kommen  nicht  nur  theilweise,  sondern  auch 
totale  Linsentrübungen  vor.  Der  partiellen  wurde  schon  S.  260  und  263 
gedacht. 

Einen  weichen  Staar  beider  Augen  sah  ich  bei  einem  cyanotischen  Kinde  schon 
einige  Tage  nach  seiner  Geburt.  Es  hatte  weder  übermässiges  Licht  noch  eine  Quet- 
schung  oder    sonst   eine    äussere  Schädlichkeit  eingewirkt.     Ausser  der  Cataracta,  welche 

19* 


292  Krystalllinse. 

ich  durch  '/a  Jahr  von  Zeit  zu  Zeit  beobachtete,  war  an  den  Augen  keine  Missbildung' 
■wahrzunehmen.  Das  Kind  erlag  gegen  Ende  des  1.  Jahres  dem  die  Cyanosis  bedingenden 
organischen  Herzfehler,  was  ich  zu  spät  erfuhr,  um  die  Section  anzusprechen. 

Dass  Cataracta  als  erbliche  Krankheit  vorkomme,  dafür  haben  Beer, 
Lusardi  u.  A.  interessante  Beobachtungen  angeführt.  Wenn  in  einer  Fa- 
milie in  coordinirter  oder  in  auf-  und  absteigender  Linie  Cataracta  be- 
obachtet wird,  so  kann  man  wohl  nur  dann  auf  Erblichkeit  schliessen, 
wenn  der  Staar  auf  beiden  Augen  in  derselben  Form  (nach  dem,  was 
ich  beobachtet,  als  weicher  Linsenstaar)  in  derselben  Lebensepoche,  und 
zwar  nicht  erst  im  höhern  Alter,  sondern  in  der  ersten  Hälfte  des  Le- 
bens sich  entwickelt.  Bei  der  Lehre  von  der  Accommodation  werde  ich 
die  Krankengeschichte  eines  jungen  Mannes  mittheilen,  der  einer  Fa- 
milie angehört,  in  welcher  nebst  ihm  noch  zwei  Mädchen  in  den  zwan- 
ziger Jahren  cataractös  geworden  sind. 

Von  den  in  obiger  Tabelle  aufgenommenen  989  Fällen  konnte  bei  13  (6  männl., 
7  weibl.)  mit  Gewissheit  oder  grösster  Wahrscheinlichkeit  das  Übel  als  angeboren  be- 
trachtet werden.  Die  Fälle  partieller  angeborener  Trübungen  der  Linse  oder  der  Kapsel 
\md  Linse,  welche  das  Gesicht  wenig  oder  gar  nicht  beeinträchtigen ,  sind  natürlich  hier 
nicht  einbezogen. 

Bei  42  der  zur  Operation  aufgenommenen  Individuen  war  die  Cataracta  (meistens 
membranacoa,  aridosiliquata  oder  nuclearis  stationaria)  schon  im  ersten  Lebensjahre  oder 
im  Kindes-  und  Knabenalter,  überhaupt  vor  dem  15.  Lebensjahre  bemerkt  worden.  Da- 
von gehörten  30  dem  männlichen,   12  dem  weiblichen  Geschlechte. 

Zwischen  das  15.  und  25.  Jahr  fiel  die  Erblindung  bei  52  Individuen  (21  männl. 
31  weibl.).  Als  ursächliches  Moment  waren  theils  Erblichkeit,  theils  traumatische  Einflüsse, 
in  der  Mehrzahl  jedoch  nichts  mit  Bestimmtheit  oder  überwiegender  Wahrscheinlichkeit 
zu  ermitteln. 

Bei  Individxien  des  Mannes-  und  Greisenalters  war  theils  das  Alter  theils  der  Stand 
und  die  Beschäftigung  nothwendig  mit  in  Anschlag  zu  bringen.    Es  ergaben  sich  in  die- 
sen Beziehungen  folgende  Zahlen : 
Zwischen  dem   25.  und  35.  Jahre  waren  erblindet 


„  35. 

,  45 

„  45. 

,  60 

„  60. 

,  70 

„  70. 

,  80 

„  80. 

,  85 

25  M.  -f  26  W. 

=  51 

59  „  +  76  „ 

=  135 

218  „  +  154  „ 

=  372 

181  „  +  73  „ 

=  254 

40  „  -f  23  „ 

=  63 

6  „  +   1  „ 

=   7 

Zusammen:  529  „  +  353  „  =  882 
Darunter  waren:  Taglöhner  und  Dienstleute  307,  Bauersleute  138,  Bürger  (ohne 
bestimmte  und  constante  oder  von  nicht  constatirter  Beschäftigung)  90,  Leinweber  mit 
Einschluss  von  2  Tuchmachern  und  1  Strumpfwirker)  43,  Schuster  (und  einige  Schuste- 
rinnen) 34,  Schneider  (und  einige  Näherinnen)  30,  Schmiede  (meistens  Grobschmiede  und 
einige  Schlosser)  27,  Maurer  19,  Invaliden  (1  Officier,  die  meisten  in  späterer  Zeit  Tag- 
löhner)  19,  Beamte  (mehr  als  die  Hälfte  subalterne)  15,  Müller  13,  Glashüttenarbeiter  12, 
Graveure  (einige  Steinschneider  und  Formstecher)  11,  Zimmerleute  10,  Jäger  9,  Schul- 
lehrer 8 ,   Kaufleute  7  ,   Bergleute  7 ,   Bräuer  6 ,   Bäcker  6,  Geistliche  6,  Ärzte  5,  Sattler 


Cataracta  —  Vorkommen  —  Ursachen.  293 

(Riemer)  5,  Tischler  5,  Fleischhauer  4,  Färher  4,  Gelbgiesser  3,  "Waldheger  2,  Hut- 
macher 1.  Dazu  kommen  noch  36  Juden  (männl.  und  weibl.),  bei  welchen  Glaucom  offen- 
har  häufiger  vorkommt,  als  Cataracta. 

Man  sieht,  dass  Zahlen  über  den  Einfluss  der  Beschäftigung  und  Lebensweise  nur 
wenig  Aufschluss  geben  können.  Es  sind  der  Umstände,  die  hier  in  Computation  zu 
bringen  sind,  zu  viele,  und  der  Arzt  erfährt  die  meisten  davon  nicht  oder  doch  nicht 
so  verlässlich,  als  dass  er  auf  solche  Prämissen  giltige  Schlüsse  stützen  könnte.  —  So 
viel  ergibt  sich  indess  wohl  mit  Sicherheit,  dass  Leute,  welche  unter  dürftigen  Umständen 
leben  und  vor  der  Zeit  zu  Greisen  werden,  früher  und  häufiger  an  Cataracta  erblinden, 
als  "Wohlhabende.  Der  Vorgang  in  der  Linse  erinnert  unwillkührlich  an  das  Ergrauen 
der  Haare  und  den  Arcus  senilis  corneae,  welche  Veränderungen  übrigens  sehr  oft  mit 
Cataracta  zugleich  vorkommen ,  obwohl  sie  bei  offenbarer  Cataracta  senilis  s.  Marasmus 
lentis  nicht  immer  vorhanden  sind.  —  Unsere  Zahlen  stimmen  für  die  von  Beer,  Walther 
u.  A.  gemachte  Beobachtung,  dass  übermässige  Einwirkung  des  Lichtes,  namentlich  des 
Feuers  bei  Hochöfen  u.  dgl.  unter  die  Momente  gehört,  welche  das  Trübwerden  der  Linse 
begünstigen.  Die  Zahl  der  Feuerarbeiter,  namentlich  der  Schmiede  und  Glashüttenarbei- 
ter ,  ist  mit  Eücksicht  auf  die  bei  solchen  Gewerben  überhaupt  Beschäftigten  auffallend 
gross.  Mehrere  Individuen  datirten  die  Entstehung  des  Staares  auf  ziemlich  glaubwür- 
dige Weise  von  Feuersbrünsten  her.  —  Dass  von  jenen  Individuen,  welche  mit  spontan 
und  in  der  2.  Lebenshälfte  entstandener  Cataracta  zur  Beobachtung  kamen,  die  Mehrzahl 
blaue  oder  doch  lichte  Auge  hatte,  stimmt  gleichfalls  mit  den  Angaben  anderer  Autoren 
überein.  Dieser  für  die  Diagnosis ,  Prognosis  und  Therapie  sterile  Satz  würde  einiges 
Interesse  für  die  Nosogenie  gewinnen ,  wenn  man  sich  den  Schluss  erlauben  darf,  dass 
in  solchen  Augen  wegen  des  geringeren  Pigmentgehaltes  der  Iris  die  Linse  mehr  der 
Einwirkung  des  Lichtes  preisgegeben  sei.  —  Über  das  Verhältniss  des  rechten  Auges 
zum  linken  in  Bezug  auf  Linsentrübung  habe  ich  nur  bei  den  407  im  Blindeninstitute 
Operirten  so  genaue  Vorbemerkungen  geführt ,  dass  ich  verlässliche  Zahlen  hierüber  an- 
gehen kann.  Bei  184  Individuen  war  früher  das  rechte,  hei  127  früher  das  linke,  bei. 
77  waren  beide  angeblich  zu  gleicher  Zeit  erkrankt.  Ob  dabei  der  Staar  weich  oder 
hart,  und  ob  das  Individuum  jünger  oder  älter  war,  das  ergab  keinen  wesentlichen  Un- 
terschied. Die  übrigen  neunzehn  konnten  hier  nicht  in  Rechnung  gebracht  werden, 
weil  das  Übel  bei  ihnen  angeboren,  erblich,  durch  Verletzungen  bedingt,  oder  weil  das 
2.  Auge  anderweitig  zu  Grunde  gegangen  war.  In  41  der  genannten  Fälle  war  zur  Zeit 
der  Operation  bloss  das  rechte,  in  27  bloss  das  linke  cataractös.  Mit  Walther's  Angabe, 
dass  der  Staar  öfter  auf  dem  linken  als  auf  dem  rechten  Auge  beginne,  stehen  die  Auf- 
zeichnungen in  den  Protokollen  der  Anstalt,  welche  zur  Einsicht  vorliegen,  in  "Wider- 
spruch. —  Wo  die  Linsentrübung  nicht  durch  rein  unilaterale  Momente,  z.  B.  Verletzung, 
Chorioiditis  u.  dgl.  bedingt  ist,  tritt  sie  früher  oder  später  immer  auch  auf  dem  zweiten 
Auge  auf.  Die  Angabe  Serres  u.  A.,  dass  durch  rechtzeitige  Operation  des  einen  Auges 
die  Linsentrübung  des  andern  verhütet,  selbst  rückgängig  gemacht  werden  könne,  habe 
ich  nicht  in  einem  einzigen  Falle  zu  verificiren  Gelegenheit  gehabt;  im  Gegentheile ,  ich 
habe  in  den  letzten  Jahren  mehrere  Individuen  operirt,  welche  vor  mehreren  Jahren,  wo 
das  zweite  Auge  noch  von  jeder  Gesichtsstörung  frei  gewesen  war,  von  mir  oder  von 
Andern  operirt  worden  waren. 

Die  Linsentrübung  kann  bei  den  gesündesten  Leuten  vorkommen, 
obwohl  in  der  Regel  nur  im  Greisenalter.  Die  Individuen,  welche  vor 
dem  45.  Jahre  ohne  äussere  Veranlassung  von  Cataracta  befallen  wer- 


294  Krystalllinse. 

den,  und  nicht  etwa  vor  der  Zeit  zu  Greisen  geworden  sind,  bieten  mit 
wenig  Ausnahmen  immer  ein  mehr  weniger  kränkliches  Aussehen  dar. 
Es  war  mir  indess  nicht  möglich,  das  Allgemeinleiden  näher  zu  be- 
zeichnen, und  noch  weniger,  die  Linsenerkrankung  damit  in  nähern 
Zusammenhang  'zu  bringen.  Nur  von  der  Harnruhr  (Diabetes  melli- 
tus) ist  es  gewiss,  dass  sie  Ursache  von  Cataracta  ist.  Eine  solche 
Cataracta  ist  immer  eine  weiche,  vom  Centrum  allmälig  gegen  die 
Peripherie  hin  vorschreitend,  und  eine  langsame  (Monate  lange)  Entwick- 
lung einhaltend.  So  habe  ich  es  wenigstens  bei  sechs  im  allgemeinen 
Krankenhause  Beobachteten  gefunden.  Vier  davon  wurden  durch  Dis- 
cission  operirt,  zwei  mit  Erfolg;  einer  ist  gestorben,  und  die  Augen 
wurden  anatomisch  untersucht.  —  Eine  directe  ursächliche  Beziehung 
zur  Scrofulosis  oder  Tuberculosis  konnte  ich  nicht  nachweisen;  dasselbe 
gilt  von  Syphilis. 

Die  letzte  Operation,  welche  Prof.  Fischer  vorgenommen  hat,  war  die  Extraction 
bei  einem  6Sjährigen  Gutsbesitzer,  welcher  in  Folge  von  Lues  die  Uvula  verloren  hatte 
und  durch  die  Schmiercur  geheilt  worden  war.  Die  Staare  waren  hart.  Der  Erfolg  war 
ein  ausgezeichnet  günstiger.  In  einem  andern  ähnlichen  von  mir  operirten  Falle  trat 
Vereiterung  der  Hornhaut  ein. 

Die  Fasern  einer  getrübten  Linse  findet  man  unter  dem  Mikroskope 
lange  nicht  so  bedeutend  verändert,  als  man  veramthen  sollte,  nament- 
lich bei  harten  Staaren.  Sie  erscheinen  bloss  stärker  gezackt  und  dunk- 
ler contourirt.  Von  der  Ablagerung  irgend  eines  fremdartigen  Stoffes 
zwischen  die  Fasern  findet  man  wenigstens  im  Kerne  keine  Spur.  Dass 
die  dunkle  Färbung  nicht  von  Pigmentablagerung  herkommt,  sieht  man 
an  feinen  Durchschnitten  (Blättern)  und  unter  dem  Mikroskope.  Die 
dunkle  Färbung  ist  durch  die  grössere  Dichtigkeit,  vielleicht  auch  durch 
chemische  Einwirkung  des  Lichtes  bedingt.  Des  Vorkommens  von  Fett 
in  mannigfacher  Form,  namentlich  in  schönen  tafelförmigen  Krystallen, 
und  von  Kalksalzen  innerhalb  der  Kapsel  haben  Avir  schon  bei  den 
Krankheiten  der  Iris  und  Chorioidea  erwähnt. 

Die  Unterscheidung  in  Phakoskleroma  und  Phakomalacia  kann  beibehalten  werden, 
insofern  sie  auf  nichts  mehr  Anspruch  macht,  als  die  Consistenz  des  Staares  anzuzeigen. 
Wenn  man  aber  das  Wesen  der  Cataracta  hiemit  näher  bezeichnet  zu  haben  vermeint, 
wenn  man  die  Phakomalacia  von  verminderter  Alkalescenz  oder  Säure  des  Kammerwassers, 
oder  von  entzündlichen  Zuständen  der  Iris  und  Chorioidea  ableiten  will,  so  ist  man  hie- 
mit bloss  um  eine  Hypothese  reicher  geworden.  Dieser  Ansicht  zufolge  soll  die  zu  Glau- 
coma  hinzutretende  Cataracta  ein  Muster  der  Phakomalacie  sein.  Und  doch  kann  man 
in  glaueomatösen  Augen  auch  wahrhaft  indurirte  oder  sclerosirte  Linsen  finden.  Die 
Cataracta  bei  Diabetes  mellitus  zeigt  alle  Charaktere  der  Phakomalacie,  und  doch  entsteht 
sie  ohne  Spur  von  Congestion  oder  Entzündung  am  Auge.  Ganz  harte  Staare  kommen 
auch  vor  dem  40.  Jahre  vor. 


Cataracta  —  Behandlung.  295 

Behandlung« 

Die  Trübungen  der  Linse  sowohl  als  der  Kapsel  widerstehen,  so- 
bald sie  nur  einigerinassen  deutlich  ausgesprochen  sind,  in  der  Regel 
jeder  diätetischen  und  pharmaceutischen  Behandlung  und  heutzutage 
weiss  Jedermann,  dass  der  graue  Staar  nicht  anders,  als  durch  opera- 
tive Hilfe  beseitigt  werden  kann.  Spontan  kann  Wiederherstellung  des 
Gesichtes  eintreten:  durch  Senkung  des  Krystallkörpers  in  den  verflüs- 
sigten Glaskörper,  durch  Berstung  der  vordem  Kapsel  und  Resorption 
der  Linse,  durch  Verschrumpfung  der  Kapsel,  Auflösung  und  Aufsaugung 
der  Linse  bei  Catar.  traumatica. 

Mit  Recht  ist  man  schon  seit  längerer  Zeit  von  den  dreisten  Ver- 
suchen abgegangen,  den  grauen  Staar  durch  eingreifende,  den  Zustand 
des  Gesammtorganismus  auf's  Spiel  setzende  allgemeine  Behandlung, 
Mercurial-,  Antimonial-,  Abführmittel  u.  s.  w.  heilen  zu  wollen. 

Dennoch  sind  in  neuester  Zeit  wieder  mehrere  zum  Theil  sehr  beachtenswerthe 
Stimmen  über  Heilbarkeit  beginnender  Cataracten  durch  diätetisch-  pharmaceutische  Be- 
handlung erschollen.  Prof  Rau*),  Sichel**)  und  Walther  gehen  von  der  Ansicht  aus, 
dass  die  Bildung  vieler  Staare  auf  Kapselentzündung  beruhe  und  sofort,  zeitig  genug  er- 
kannt, gehemmt  und  rückgängig  gemacht  werden  könne.  Rau  führt  10  genau  auf- 
genommene Fälle  an,  wo  es  ihm  gelang,  bereits  deutlich  wahrnehmbare,  jedoch  nicht 
hochgradige  Trübungen  des  Linsensystemes  ganz  oder  grösstentheils  und  bleibend  zu 
beheben.  Die  Mittel,  die  Rau  anwandte,  sind  keine  neuen.  Jeder  Fall  wurde  so  viel 
als  möglich  in  jeder  Beziehung  gewürdigt,  und  darnach  die  Heilmethode  ausgewählt. 
Vorzüglich  waien  es  Sublimat,  Jodkalium,  Polygala  senega,  Sulfur  auratum  antim.,  Mi- 
neralwässer und  Mercurialeinreibungen  um  das  Auge,  von  denen  er  Gebrauch  machte. 
Zur  Schilderung  seines  Verfahrens  will  ich  einige  seiner  Beobachtungen  hier  getreu 
mittheilen. 

..2.  Fall.  Ein  robuster  Sechziger  mit  beginnender  Cataracta  beider  Augen  musste 
schon  seit  einiger  Zeit  aufs  Lesen  verzichten.  Ausser  einer  gleichmässigen  rauchigen 
Trübung  beider  Pupillen  keine  Abnormität.  Rheumatische  Glieder-  und  Kopfschmerzen 
waren  vorausgegangen  und  bestanden  in  geringem  Grade  noch  fort.  Entsprechende  Diät ; 
Pillen  von  Senega  mit  Goldschwefel  und  Arnicaextract ;  es  trat  sehr  bald  merkliche  Auf- 
schwellung  der  Linsen  ein;  nach  2  Monaten  keine  Spur  der  Trübung,  und  die  frühere 
Schärfe  des  Gesichtes  hergestellt." 

4.  Fall.  Ein  öOjähriger  athletisch  gebauter  Schmidt.  Bedeutende  Abnahme  des 
Gesichtes  ohne  bekannte  Veranlassung  seit  '/s  Jahre.  Die  Trübung  der  Linse  so  be- 
trächtlich, dass  sie  schon  in  einiger  Entfernung  erkannt  werden  konnte.  In  ätiologischer 
Beziehung  kein  sicherer  Anhaltspunkt,  ausser  Neigung  zu  geistigen  Getränken.  Strenge 
Diät.  Enthalten  vom  Arbeiten  am  Feuer,  Pillen  aus  Senega  und  Goldschwefel,  Mercurial- 
einreibungen. Nach  zweimonatlicher  Behandlung  keine  Besserung ;  daher  durch  3  Wochen 
Jodkalium  in  steigender  Gabe.  Hierauf  konnte  der  Patient  wieder  grobe  Druckschrift 
lesen,  die'  Pupille  schien  nur  noch  wie  durch  einen  leichten  Eauch  verhüllt.     In  allmälig 

*)  Rau  in  Walther  und  Ammon's  Journal  Bd.  8.  N.  3.1   prag_  vjschr_  ß(L  ^  g_  g9  ^^^ 
**>  Sichel  in  Gazette  des  Höpit.    1S4S.  N.  96.  ' 


296  Krystalllinse. 

-verminderter  Dosis  wurde  nun  das  Mittel  noch  einige  Zeit  lang  fortgesetzt,  und  in  Zeit 
von  4  Monaten  war  vollständige  Zertheilung  des  Staares  eingetreten." 

5.  Fall.  Ein  57jähriger  Beamter,  früher  mit  Hämorrhoidalbeschwerden  behaftet, 
verlor  vor  3  Jahren  ohne  bekannte  Veranlassung  einen  habituellen  Fussschweiss.  Nach 
1  Jahre  bemerkte  er  allmälige  "Verminderung  der  Sehkraft  mit  Mückensehen,  welche 
durch  mehrfach  versuchte  Brillen  nicht  gebessert  wurde  und  nach  2  Jahren  so  weit  vor- 
geschritten war,  dass  die  grösste  Schwierigkeit  beim  Lesen  eintrat,  und  bekannte  Per- 
sonen kaum  auf  3  Schritte  weit  unterschieden  werden  konnten.  Er  wandte  sich  nun  an 
einen  bekannten  Augenarzt;  dieser  diagnosticirte  beginnenden  grauen  Staar  und  vertrö- 
stete auf  die  Operation.  Im  Juli  1845  kam  er  zu  Rau.  Dieser  fand  dasselbe,  an  beiden 
Augen  eine  ziemlich  gleichm'assige,  im  Centrum  etwas  stärkere  Linsentrübung ;  künstliche 
Erweiterung  der  Pupillen  zeigte,  dass  die  Linsenränder  noch  ziemlich  frei  von  der  Trü- 
bung geblieben  waren.  Keine  Spur  eines  entzündlichen  Zustandes,  unregelmässiger, 
träger  Stuhlgang.  Strenge  Diät,  Pillen  aus  Rhabarber  mit  Aloeextract,  und  Ätzkalk  mit 
Salmiak  in  die  Strümpfe  zu  streuen.  Trotz  dieses  und  anderer  Mittel  wurde  der  beab- 
sichtigte Zweck  nur  unvollkommen  erreicht;  bei  stärkeren  Fussreisen  schwitzten  die 
Füsse  wieder,  bei  ruhigem  Verhalten  zeigte  sich  keine  merkliche  Ausdünstung.  Nach 
Verbrauch  der  Pillen  erhielt  der  Kranke  Schwefel  mit  Rhabarber  und  Weinstein,  und  be- 
merkte nach  2  Monaten  eine  geringe  Besserung,  welche  aber  nur  von  den  verminderten 
Congestionen  zum  Kopfe  abzuhängen  schien,  da  die  Trübung  keine  Veränderung  wahr- 
nehmen Hess.  Er  erhielt  nun  Pillen  aus  Senega  und  Goldschwefel,  deren  längere  An- 
wendung eine  nicht  verkennbare  Abnahme  der  Trübung  zur  Folge  hatte.  Da  die  Besserung 
bis  zum  Jäner  1846  nur  sehr  langsame  Fortschritte  machte,  wurde  Jodkalium  in  Pillen- 
form mit  Althäapulver  und  Gummischleim  verordnet,  bei  dessen  alleinigem  Gebrauche 
eine  so  überraschend  günstige  Veränderung  eintrat,  dass  die  Trübung  beider  Linsen  bis 
zum  August  vollständig  verschwunden  war.  Prof.  Troxler  hatte  neulich  Gelegenheit,  sich 
von  der  vollständigen  Aufhellung  beider  Linsen  zu  überzeugen.  Der  Mann  versicherte 
voll  Freuden,  dass  er  nun  auf  100  Schritte  besser  sehe,  als  zuvor  auf  drei." 

Bei  Kapseltrübungen  beobachtete  Rau  Aufhellung  nur  da,  wo  sie  minder  intensiv 
auftraten,  während  die  noch  nicht  weit  gediehene  Trübung  der  Linse  mehrmals  selbst 
spurlos  verschwand.  Rau  erwähnt  nebst  Pugliaü's  Versuchen  mit  der  äusserlichen  An- 
wendung des  Jodkalium  in  Verbindung  mit  der  Cauterisation  der  Schläfen  durch  Ammo- 
nium noch  der  Versuche  Bartenstein's  mit  Einreibungen  von  2  Drachmen  Ung.  einer,  und 
1  Scrupel  bis  1  l/a  Drachme  kohlensauren  Ammonium  an  die  Stirn ,  welche  gleichfalls 
sehr  günstige  Resultate  liefern  sollen.  Zum  Schlüsse  gedenkt  er  noch  der  Heilversuche 
Malfatti's,  bei  welchen  ebenfalls  das  Jodkalium  die  wichtigste  Rolle  zu  spielen  scheint. 
Wir  heben  aus  dem  interessanten  Aufsatze  dieses  rühmlichst  bekannten  Berner  Professors 
noch  folgende  Stelle  hervor :  „Um  mich  von  der  unmittelbaren  Einwirkung  des  Jodkalium 
auf  die  getrübte  Linse  zu  überzeugen,  legte  ich  einen  frisch  extrahirten  Linsenstaar  in 
eine  ziemlich  concentrirte  Jodkalilösung.  Es  war  eine  Catar.  senilis.  Die  bernsteingelbe, 
kaum  durchscheinende  Linse  mit  bräunlichem,  ganz  undurchsichtigem  Kerne  wurde  auf  ein 
bedrucktes  Blatt  Papier  gelegt,  wobei  nur  durch  die  Ränder  ein  undeutliches  Durchschim- 
mern der  Buchstaben  stattfand.  Wenige  Stunden  nach  dem  Einlegen  in  die  in  einem 
weissen  Reagentiengläschen  befindliche  Jodkalilösung  hatte  sich  die  Anfangs  unmittelbar 
unter  der  Oberfläche  schwebende  Linse  zu  Boden  gesenkt.  Nach  12  Stunden  war  die 
Oberfläche  der  Linse  mit  ganz  kleinen  Flöckchen  bedeckt.  Ausserdem  waren  2  vom 
Rande   bis  zum  Kerne  dringende,    stark    klaffende    Spalten    entstanden.     Eine    merkliche 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extra  ction.  297 

Vergrösserung  der  Linse  'war  nicht  eingetreten.  Dagegen  hatte  sich  in  24  Stunden  die 
ganze  Suhstanz  bis  zum  Kerne  hin  so  auffallend  aufgehellt,  dass  man  von  den  Rändern 
bis  zu  letzterem  unmittelbar  unter  das  Gläschen  gehaltene  Druckschrift  ohne  Mühe  zu 
erkennen  im  Stande  war.  Der  Linsenkern  -war  kaum  etwas  durchscheinender  geworden. 
Nach  drei  "Wochen  war  keine  weitere  Veränderung  eingetreten.  Ein  Versuch  mit  einer 
zweiten  Linse  zeigte,  dass  die  Aufhellung  nicht  dem  Wasser,  sondern  dem  Jodkalium  zu- 
zuschreiben war." 

Mir  ist  es  nur  in  drei  Fällen  gelungen,  geringe,  jedoch  bestimmt  vorhandene 
Linsentrübung  rückgängig  zu  machen ,  einmal  bei  einer  Dame  von  68  Jahren ,  durch 
monatelang  fortgesetzte  Einreibungen  einer  Jodkalisalbe  an  die  Stirn  und  Schläfe  und 
den  Gebrauch  der  Egerer  Salzquelle,  dann  bei  einem  68  Jahre  alten,  corpulenten  Manne, 
der  wegen  Plethora  abdominalis  seit  einer  Eeihe  von  Jahren  Marienbad  besucht  hatte, 
durch  zweimaligen  Gebrauch  der  Trinkcur  in  Karlsbad,  und  bei  einem  fünfzig  und  einige 
Jahre  alten  Gutsbesitzer  durch  den  einmaligen  Besuch  und  Gebrauch  von  Karlsbad.  Den 
ersten  Fall  hat  Prof.  Jaksck,  den  letzten  Prof.  Waller  mit  mir  beobachtet,  und  sich  von 
der  Gegenwart  der  Cataracta  sowohl  als  von  deren  Beseitigung  überzeugt.  Auch  Doct. 
Fleckles  in  Karlsbad  hat  eine  von  Prof.  Ritterich  in  Leipzig  constatirte  Heilung  einer  Ca- 
taracta durch  Karlsbad  veröffentlicht.  In  einem  Falle,  den  ich  mit  Dr.  Klinger  behandle, 
hat  die  beiderseitige,  sehr  deutliche  Cataracta  bei  dem  Gebratiche  von  Jodkalisalbe  (wegen 
der  hier  sehr  wohlthätigen  Pupillenerweiterung  mit  1  Gran  Atropin  versetzt)  in  Zeit  von 
anderthalb  Jahren  nicht  den  mindesten  Fortschritt  gemacht.  In  zwei  andern  Fällen  liess 
mich  dieses  Mittel  trotz  zeitiger  und  gehöriger  (?)  Anwendung  im  Stiche.  —  Ich  übersehe 
nicht,  indem  ich  diess  niederschreibe,  dass  mancher  Leser  hier' Täuschung  vermuthen 
wird.  Hier  kann  nur  eigene  unbefangene  und  beharrliche  Prüfung  zur  Überzeugung 
führen :  a  priori  lässt  sich  in  solchen  Sachen  nicht  absprechen. 

Trübungen  der  Linse,  der  Kapsel  oder  beider  zugleich,  welche  das 
Gesicht  aufheben  oder  doch  so  beeinträchtigen,  dass  der  Kranke  durch 
glückliche  Beseitigung  derselben  nur  gewinnen  kann,  sind  der  Gegen- 
stand der  operativen  Hilfe,  welche  wir  im  nächsten  Abschnitte  einer 
ausführlichen  Erörterung  unterziehen  wollen. 

Staaroperationen. 

Auf  operativem  Wege  können  wir  den  Staar  durch  verschiedene 
Methoden  beseitigen,  welche  sich  auf  3  Grundtypen  zurückführen  lassen. 
a.  Der  Staar  wird  durch  eine  seiner  Grösse  entsprechende  Öffnung,  die 
man  der  Cornea  iSclera)  beibringt,  aus  dem  Auge  entfernt,  Ausziehung, 
Extractio  caturaetae.  b.  Der  Staar  wird  so  in  den  Glaskörper  ver- 
senkt, dass  er  aus  dem  Bereiche  der  Pupille  verschwindet,  Nieder- 
drückung oder  Umlegung,  Depressio  vel  Reclinatio,  auch  Dislocatio  cata- 
raetae  genannt,  c.  Die  getrübte  Linse  wird  durch  Einschneiden  oder 
Einreissen  der  vordem  Kapsel  dem  Einflüsse  des  KammerwTassers  aus- 
gesetzt, damit  sie  allmälig  verflüssigt  und  aufgesogen  werde,  Zerstück- 
lung, Discissio  caturaetae. 

In  allen  Fällen,  wo  die  vordere  Kapsel  gesund,  wenigstens  weder 


298  Krystalllinse. 

getrübt  noch  verdickt  ist,  wird  immer  nur  die  Linse  extrahirt,  dislocirt 
oder  der  Aufsaugung  preisgegeben;  die  Kapsel  bleibt  an  ihrem  Orte, 
wenigstens  in  Verbindung  mit  der  Zonula  Zinnii  und  dem  Glaskörper, 
und  die  Schwärze  der  Pupille  wird  eben  nur  dadurch  hergestellt,  dass 
die  vordere  Kapsel  in  Zipfel  zerschnitten  oder  zerrissen,  sich  gegen  die 
hintere  Kapsel  und  Zonula  hin  zurückzieht  (allmälig  einrollt  und  zusam- 
menschrumpft), die  hintere  Kapsel  aber  ihre  Ausbreitung  und  Durchsich- 
tigkeit auch  dann  behauptet,  wenn  sie  durch  den  durch  sie  hindurch- 
gedrückten Staar  zerrissen  worden  war.  Die  hintere  Kapsel  rückt  im 
Allgemeinen  nur  etwas  weiter  vor,  indem  sie  sammt  der  Glashaut  der 
tellerförmigen  Grube  aus  einer  concaven  zu  einer  ebenen  Membran 
wird.  —  Der  Kest  des  von  der  Linse  verlassenen  Kaunies  wird  nach 
erfolgter  Heilung  durch  Kammerwasser  ausgefüllt.  Näheres  hierüber  bei 
Betrachtung  der  Veränderungen  nach  Staaroperationen. 

Die  Nebenmethoden  und  Varianten,  und  die  nöthig  erscheinenden 
Bemerkungen  über  ihre  Vor-  und  Nachtheile  werden  wir  theils  der 
Besprechung  der  Hauptmethoden  anreihen,  theils  in  die  am  Schlüsse 
folgenden  geschichtlichen  Notizen  aufnehmen. 

1.  Die  Extraction. 

Unter  Extractio  cataractae  versteht  man  gewöhnlich  nur  die  Ent- 
fernung der  verdunkelten  Linse  durch  eine  entsprechend  grosse  Öffnung 
der  Hornhaut  und  der  vordem  Kapsel.  Die  Linse  wird  dabei  nicht  her- 
ausgesogen, sondern  es  werden  bloss  die  Bedingungen  gesetzt,  dass  die 
Linse  herausgleiten  kann,  ohne  dass  das  Auge  mehr,  als  eben  noth- 
wendig  ist,  verletzt  wird.  Eine  förmliche  Ausziehung,  eine  Hervorholung 
mit  einem  Häkchen  oder  mit  einer  Pincette  wird  nur  in  seltenen  Fäl- 
len noth wendig,  bei  Catar.  capsularis,  membranacea,  arida  siliquata, 
cystica,  wovon  wir  weiter  unten  besonders  handeln  werden. 

Gut  operiren  kann  am  Ende  auch  ein  Routinier,  verständig  und  mit 
Bewusstsein  der  Gründe,  warum  so  und  nicht  anders,  nur  ein  wohl 
unterrichteter  und  denkender  Arzt.  Daher  schicken  wir  der  Beschrei- 
bung des  technischen  Verfahrens  einige  allgemeine,  auf  Anatomie,  Phy- 
siologie und  Physik  gestützte  Betrachtungen  voraus. 

1.  Bestimmung  der  Momente  zur  Erreichung  des  vorgesteckten 
Zweckes. 

Das  1.  Moment  besteht  in  der  schnittweisen  Eröffnung  der  Augen- 
kammer.  Die  Grösse  und  Richtung  der  Hornhaut  wunde  richtet  sich  nach 
der  Grösse  und  Consistenz  des  Staares.  In  der  Kegel  ist  es  nothwen- 
dig,  die  Hälfte  der  Hornhaut  an  ihrer  Basis  (innerhalb  des  Limbus  con- 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraclion.  299 

jimctivae)  zu  durchschneiden,  wodurch  man  eine  halbkreisförmige  Wunde 
bekommt,  welche  (in  gerader  Linie  vom  Anfangs-  bis  zum  Endpunkte, 
in  der  Descemetschen  Haut  gemessen)  4'"  lang  und  (beim  stärksten 
Klaffen)  etwa  2'"  breit  ist,  also  den  gewöhnlichen  Dimensionen  der 
Linse  entspricht.  Da  die  Wunde  durch  schnelle  Vereinigung  heilen  soll, 
so  muss  sie  möglichst  rein  geschnitten  und  ohne  Zacken  sein.  Zur  Er- 
reichung dieses  Zweckes,  dem  Staare  eine  adäquate  Passage  zu  eröff- 
nen, ist  es  einerlei,  ob  die  obere  oder  die  untere  Hälfte  der  Cornea  in 
der  angegebenen  Weise  durchschnitten,  der  Hornhautschnitt  nach  oben 
oder  nach  unten  geführt  wird.  —  Wo  die  Linse  sehr  weich  oder  an 
der  Peripherie  verflüssigt  ist,  kann  die  Wunde  etwas  kleiner  (etwa  auf 
2/s  der  Basis)  angelegt  werden.  Bei  völlig  oder  nahezu  flüssigen  Staaren 
genügt  ein  einfacher  Einstich  von  2 — 3"'  Länge. 

Wie  genau  auch  bereits  Richter  und  insbesondere  Beer*)  die  Grösse  und  Form 
des  Hornhautschnittes  bestimmt  haben,  so  hat  doch  in  neuester  Zeit  Hasner  den  auf  die 
Hälfte  der  Cornea  angelegten  Schnitt  zu  gross  gefunden,  und  den  Satz  aufgestellt,  dass 
„ein  Schnitt  von  3"'  Breite  stets  ausreichen  dürfte."  Man  braucht  bloss  zu  wissen,  wie 
lang  eine  Linie  sei.  und  welchen  Durchmesser  die  meisten  cataractösen  Linsen  haben,  um 
2U  merken,  was  von  einem  solchen  Vorschlage  zu  halten  ist.  Durch  einen  Schnitt,  genau 
nach  dieser  Angabe  gemacht,  wird  man  kaum  den  Kern  der  Linse  herausquetschen 
können.  Wie  ungerecht  übrigens  Hasner  gegen  den  vielgetadelten  Beer  ist,  wenn  er 
sagt:  „Gleize  und.  Beer  haben  gerathen,  den  Cornealschnitt  so  gross  als  möglich  zu  machen," 
ersieht  man  aus  folgender  Stelle  in  Beefs  eben  citirtem  Buche:  „Wenn  der  Hornhaut- 
schnitt vollkommen  zweckmässig  beschaffen  sein  soll,  so  muss  er  erstens  hinlänglich 
gTOSS  sein,  um  dem  aus  dem  Auge  tretenden  Staare  nicht  das  geringste  Hinderniss 
in  den  Weg  legen,  zu  können ,  und  gross  genug  wird  er  sein,  wenn  er  gerade  die  Hälfte 
der  Hornhaut  so  nahe  als  möglich  an  ihrem  Rande  öffnet." 

Der  Hornhautschnitt  muss  nahe  am  Bande  der  Hornhaut  geführt  werden,  weil  nur 
dann  ein  Klaffen  der  Wunde  auf  P/2 — 1'"  möglich  ist;  einen  zweiten  Grund  werden 
wir  bei  Betrachtung  des  Vorganges  im  3.  Momente  kennen  lernen.  Man  darf  nicht 
vergessen,  dass  das  Messer  die  gegen  l  2  Linie  dicke  Hornhaut  schräg  durchläuft,  mithin 
die  Öffnung  in  der  Descemetschen  Haut  überall  um  mehr  als  '/V"  kleiner  ausfällt,  als 
an  der  Vorderfiäche  der  Hornhaut.  Da  die  Hornhaut  innerhalb  des  Limbus  conjunctivae 
gemessen  von  einer  Seite  zur  andern  im  Mittel  5'",  von  oben  nach  unten  V/2'"  hat,  so 
ist  unsere  mit  Beer  u.  A.  übereinstimmende  Angabe  anatomisch  begründet,  wenn  man 
nicht  den  Staar  durch  die  Wunde  durchpressen,  die  Iris  quetschen,  die  Rindensubstanz 
abstreifen  und  überdiess  noch  Sprengung  der  Zonula  und  Glaskörperausfluss  riskiren  will. 

Innerhalb  des  Limbus  conjunctivae  soll  der  Schnitt  desshalb  geführt  werden,  weil 
dieser  sich  sonst  bei  Beendigung  des  Schnittes  leicht  ablöst,  die  Zipfel  sich  zwischen 
die  Wundlefzen  umschlagen  und  die  schnelle  Vereinigung  vereiteln  können. 

So  wie  das  Kammerwasser  nach  dem  Hornhautschnitte  abfliesst, 
rücken  Kapsel  und  Linse  vorwärts,  und  nehmen  den  leer  gewordenen 
Raum  ein.    Hiemit  müssen   auch,  da  man  in  der  Regel  keine  Runze- 

*)  Lehre  von  den  Augenkrankheiten.    Bd.  II.    S.  3>j7. 


300  Krystalllinse. 

lung  (Collabiren)  der  Cornea  oder  Sclera  bemerkt,  die  Durchmesser  des 
Bulbus  im  Äquator  vermindert  worden  sein.  Der  Glaskörper  muss  näm- 
lich der  Linse  folgen.  Das  Vorrücken  der  Linse  setzt  Ausdehnung  der 
Zonula  voraus.  Erfolgt  dieser  Vorgang  zu  rasch  oder  gewaltsam,  so 
kann  BerstiiDg  der  Zonula  und  Glaskörperausfluss  entstehen.  Daher  darf 
der  Hornhautschnitt  nie  zu  rasch  oder  unter  Zerrung  des  Bulbus  voll- 
endet werden. 

Das  2.  Moment  besteht  in  der  Spaltung  der  vordem  Kapsel  in 
3—4  Zipfel.  Austreten  könnte  die  Linse  auch  durch  einen  einfachen 
Schlitz  der  Kapsel,  wenn  auch  in  der  Regel  minder  leicht.  Man  kann 
auch  annehmen,  dass  die  einmal  aufgeschlitzte  Kapsel  beim  Vordringen 
der  Linse  von  selbst  nach  mehreren  Richtungen  hin  zerreissen  würde. 
Was  man  indess  durch  positiven  Eingriff  sicher  und  ohne  Nachtheil 
erreichen  kann,  soll  man  nicht  dem  Zufalle  überlassen.  Die  Spaltung 
der  Kapsel  in  3 — 4  Zipfel  ist  vorzüglich  wegen  Verhütung  von  Cata- 
racta capsularis  secundaria  nothwendig.  Nur  Zipfel  der  Kapsel  können 
sich  nachträglich  gegen  die  Peripherie  hin  zurückziehen.  Die  -f-  förmig 
verlaufenden  Schnitte  brauchen  nicht  länger  zu  sein,  als  lJ/2 — 2"';  durch 
das  Andringen  der  Linse  werden  sie  von  selbst  hinreichend  vergrössert. 
Führt  man  die  Schnitte  zu  weit  gegen  die  Zonula  hin,  so  kann  diese 
verletzt  und  Glaskörperausfluss  bewirkt  werden.  Nach  Eröffnung  der 
Kapsel  tritt  die  Linse  in  der  Regel  noch  um  ein  wenig  mehr  vorwärts, 
und  die  Pupille  wird  dabei  etwas  grösser. 

Das  3.  Moment  kann  füglich  als  Entbindung  der  Linse  bezeichnet 
werden.  Wir  wollen  der  Kürze  wegen  den  Vorgang  bei  der  Extraction 
nach  unten  beschreiben.  Mutatis  mutandis  ist  er  bei  dem  Schnitte  nach 
oben  derselbe. 

Die  erste  Bedingung  zum  Austreten  des  Staares  ist  die,  dass  sich 
die  Linse  um  ihre  horizontale  Achse  drehe,  so  dass  der  untere  Rand 
nach  vorn  und  ein  wenig  nach  oben  rückt.  Die  zweite  ist  die,  dass 
die  Iris  nachgebe,  die  Pupille  sich  erweitere  und  dass  der  Staar  nicht 
von  der  Iris  wie  von  einer  Schleife  oder  einem  aufgeblähten  Segel  um- 
fangen werde. 

Wenn  Hornhaut  und  Kapsel  in  gehöriger  Weise  eröffnet  sind,  und 
auch  von  Seite  der  Iris  keine  Hindernisse  obwalten,  so  pflegt  der  Staar 
oft  ganz  von  selbst  auszutreten,  sobald  man  den  Kranken  das  Auge  auf- 
wärts wenden  heisst.  Die  dadurch  angeregte  stärkere  Contraction  der 
Augenmuskeln  ist  die  Ursache  davon.  (Vergl.  B.  I.  S.  225.)  Wo  diess 
nicht  ausreicht,  muss  mittelst  des  auf  das  untere  Lid  angelegten  Zeige- 
fingers  ein  gelinder  Druck  auf  den  Bulbus  ausgeübt  werden,   derart, 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  301 

dass  man  das  untere  Lid  an  die  Sclera   etwas  unterhalb  der  Cornea 
und  gegen  das  Centrum  des  Bulbus  hin  drückt. 

Was  bei  dem  von  Seite  der  Muskeln  oder  von  Seite  des  Operateurs  ausgeübten 
Drucke  im  Innern  des  Auges  vorgehe,  ist  nicht  schwer  zu  begreifen.  Der  Druck,  der 
auf  irgend  einen  Punkt  der  Oberfläche  des  Bulbus  ausgeübt  wird,  trifft  nicht  mehr,  wie 
hei  uneröfl'neter  Hornhaut,  die  gesammte  Wandung  des  Bulbus,  sondern  bloss  jene  Partie, 
welche  eben  nachgiebig  geworden  ist,  und  so  muss  die  untere  Partie  der  Linse,  und 
zunächst  nur  sie  allein,  vorwärts  gedrängt  werden.  Das  Gesetz  der  Schwere  kommt 
hiebei  gar  nicht  in  Betracht ;  daher  erfolgt  das  Austreten  der  Linse  durch  einen  nach 
oben  gerichteten  Hornhautschnitt  eben  so  leicht,  als  nach  unten. 

Wenn  im  3.  Momente  der  das  obere  Lid  fixirende  Gehilfe  auf  den  Bulbus  drückt, 
wenn  der  Kranke  kneipt  oder  andere  Muskelpartien  krampfhaft  zusammenzieht ,  z.  B.  die 
Arme  des  Operationsstuhles  mit  den  Händen  fest  umklammert,  und  die  Augenmuskeln 
synergisch  in  zu  grosse  Spannung  gerathen ,  oder  aber  wenn  der  Operateur  mit  dem 
Drucke  auf  den  Bulbus  ein  gewisses  Mass  überschreitet,  so  berstet  die  untere  Partie 
der  Zonula,  und  der  ausströmende  Glaskörper  drängt  die  Linse  aufwärts. 

Während  man  den  Kranken  aufwärts  blicken  lässt,  oder  die  mangel- 
hafte Muskelcontraction  durch  gelinden  Druck  auf  das  untere  Lid  zu 
ersetzen  bemüht  ist,  muss  man  sein  Augenmerk  vor  Allem  darauf  rich- 
ten, ob  der  Staar  sich  um  die  Achse  werfe,  sich  mit  dem  untern  Rande 
gegen  die  Wunde  einstelle.  Wo  diess  nicht  geschieht,  prüft  man  noch- 
mals, ob  nicht  eines  der  genannten  Hindernisse  von  Seite  der  Horn- 
haut, der  Iris  oder  der  vordem  Kapsel  iNichteröffnung  derselben)  die 
Ursache  sei.  Falls  diess  nicht  der  Fall  ist,  so  suche  man  das  Werfen 
des  Staares  dadurch  zu  vermitteln,  dass  man  auf  die  obere  Hälfte  der 
Cornea  mittelst  eines  Davielschen  Löffels  oder  mittelst  des  obern  Lides 
einen  gelinden  Druck  ausübt,  also  die  obere  Hälfte  des  Staares  etwas 
rückwärts  drängt. 

Dieses  Manöver,  welches  mir  mit  einem  Male  Aufschluss  gab,  worauf  es  im  3- 
Moment  eigentlich  ankomme,  und  warum  bei  Prof.  Rosas  Extractionen  etwa  unter 
40  Fällen  nur  einmal  Glaskörperausfluss  erfolgt,  während  wir  hier  in  Prag  früher  kaum 
unter  10  Fällen  9  ohne  dieses  unwillkommene  Ereigniss  trotz  aller  Sorgfalt  durchbrachten, 
lernte  ich  auf  der  Klinik  des  genannten  Herrn  kennen,  als  ich  im  Jahre  1846  mehreren 
seinen  Operationen  zusah.  Rosas  legt  seine  Sichelnadel  in  der  Gegend  des  obern  Randes 
der  Linse  an  die  Cornea.  Ausfluss  von  Glaskörper  ist  nun  auch  an  unserer  Klinik  eine 
seltene  Erscheinung  geworden. 

Wer  die  mechanischen  Bedingungen  für  das  Austreten  der  Linse 
erfasst  hat,  der  sieht  nun  auch  den  zweiten  Grund  ein,  warum  der 
Hornhautschnitt  nahe  am  Rande  und  demselben  parallel  (concentrisch) 
verlaufen  soll,  namentlich  bei  harten  Staaren.  Liesse  man  unten  einen 
so  breiten  Rand  von  Hornhautsubstanz  stehen,  dass  derselbe  über  den 
Rand  der  Linse  vorragen  möchte,  so  würde  sich  die  Linse  unten  an 
diesen  Vorsprung   anstemmen,   und    sich    schwer   oder    gar   nicht  zur 


302  Krystalllinse. 

Wunde  einstellen,  und  im  günstigsten  Falle  müsste  die  Iris  mehr  weniger 
gequetscht  werden. 

Sobald  die  Linse  im  Durchschneiden  begriffen,  mit  ihrem  grössten 
Durchmesser  in  die  Pupille  getreten  ist,  muss  jeder  Druck  vermindert 
und  allmälig  aufgelassen  werden.  Lieber  setze  man,  falls  er  nicht  wei- 
ter vorrückt,  den  Davielschen  Löffel  an  den  Rand  an,  und  werfe  ihn 
vollends  heraus,  oder  man  führe,  wenn  man  sieht,  dass  einzelne  Stücke 
sich  ablösen  und  zurückbleiben  wollen,  dieses  Instrument  so  ein,  dass 
man  diese  sammt  der  Hauptmasse  sogleich  mit  herausleiten  kann. 

4.  Moment.  Sorge  für  Reinheit  der  Pupille  und  genaues  Schliessen 
der  Wunde.  Zur  Sicherung  eines  günstigen  Ausganges  ist  dieses  Mo- 
ment ebenso  wichtig,  als  jedes  der  vorhergehenden  für  den  momen- 
tanen Erfolg. 

Soll  die  Extraction  die  Vortheile,  die  man  ihr  zuschreibt,  und  zwar 
mit  Recht,  wirklich  bieten,  so  muss  die  Linse  so  viel  als  möglich  voll- 
ständig aus  dem  Auge  entfernt  werden.  Davon  überzeugt  man  sich  zu- 
nächst durch  Besichtigung  des  eben  ausgetretenen  Staares,  durch  Prü- 
fung der  Pupille  in  Bezug  auf  ihre  Schwärze,  und  nöthigen  Falls  durch 
Sehversuche.  Wie  diess  zu  geschehen  habe,  davon  später,  hier  nur  die 
Begründung. 

Beträchtliche  Reste  der  Linse,  im  Auge  zurückgelassen,  können 
Veranlassung  werden,  dass  Nachstaar  (Catar.  membranacea  secundaria), 
Iritis  mit  Nachstaar  oder  Pupillensperre,  Ausdehnung  oder  Sprengung 
der  Hornhautwunde,  Vorfall  der  Iris,  Vereiterung  eines  Theiles  oder  der 
ganzen  Hornhaut  eintritt. 

Soll  die  Pupille  nachträglich  rein  bleiben,  so  muss  sich  die  vordere  Kapsel  aus  dem 
Bereiche  derselben  zurückziehen.  Beträchtlichere  Eeste  von  Rindensubstanz,  zwischen  der 
vordem  und  hintern  Kapsel  liegend,  können  dieses  Zurückziehen  gegen  die  Peripherie  ver- 
hindern, denn  sie  müssen  nicht  nothwendiger  Weise  resorbirt  werden.  Dafür  gibt  der  so- 
genannte Krystallwulst  in  Augen,  die  der  Extraction  unterworfen  waren,  den  augenschein- 
lichen Beweis.  Der  Befund  in  dieser  Beziehung  unterschied  sich  in  Fällen,  wo  die  Section 
2 — 3  Wochen  nach  der  Extraction  gestattet  war,  nicht  wesentlich  von  jenen,  die  erst 
nach  Monaten  oder  Jahren  untersucht  wurden.  Es  scheint,  dass  durch  das  Anlegen  (An- 
schmiegen) der  vordem  an  die  hintere  Kapsel  die  Auflösung  solcher  Keste  im  Kammer- 
wasser verhindert  werden  könne.  Doch  dürfte  auch  Entzündung  und  sofort  Anlöthung 
der  vordem  Kapsel  an  die  hintere,  bevor  noch  deren  Zurückziehung  erfolgen  konnte, 
mehr  weniger  Antheil  daran  haben. 

Die  Linse,  dem  Kammerwasser  ausgesetzt,  quillt  auf.  Die  Volumenzunahme  erfolgt 
um  so  rascher,  je  grösser  die  Berührungsfläcbe  mit  dem  Kammerwasser  ist.  Prof.  Fr. 
Jäger  pflegte  in  seinen  Privatcursen  zu  sagen :  Wirft  man  eine  ganze  und  eine  zer- 
schnittene Semmel  in  Wasser,  so  quellen  beide  auf,  aber  die  letztere  in  gleicher  Zeit 
weit  mehr,  als  die  erstere.  Je  beträchtlicher  die  nach  der  Extraction  im  Auge  belassenen 
Linsenreste    sind,    desto  beträchtlicher  die  Anschwellung.     Das  Anschwellen  und  die  nun 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  303 

beginnende  Resorption  setzen  erhöhte  Gefässthätigkoit  und  vermehrte  Ausscheidung  von 
Kammerwasser,  überhaupt  einen  Zustand,  der  von  Entzündung  vielleicht  nur  durch  die 
Abwesenheit  faserstoffigen  Exsudates  unterschieden  ist.  Bei  der  Besprechung  der  Discissio 
cataractae  werden  wir  sehen,  dass  durch  das  Aufquellen  der  Linse  allein  Entzündung  oder 
doch  ein  Zustand,  der  dieser  sehr  nahe  steht,  herbeigeführt  werden  kann.  Dass  diese 
Umstände  in  einem  der  Extraction  unterworfenen  Auge  um  so  schwerer  in  die  "Wagschale 
fallen,  leuchtet  von  selbst  ein.  Entzündung  der  Iris,  Sprengung  oder  doch  Ausdehnung 
des  die  Hornhautwunde  bereits  verklebenden  Exsudates  (Keratokele)  wird  nach  meiner 
Überzeugung  oft  auf  diese  "Weise  hervorgerufen. 

Zurückgebliebene,  von  der  Linse  abgestreifte,  sogenannte  scabröse  Reste  werden, 
wenn  sie  nicht  in  der  Falze,  welche  durch  die  vordere  und  hintere  Kapsel  an  der  Pe- 
ripherie gebildet  wird,  fest  sitzen,  über  kurz  oder  lang  gegen  die  Hornhautwunde,  selbst 
aus  derselben  heraus  gedrängt.  Hieran  scheint  sich  nicht  so  sehr  die  Schwere  als  die 
durch  die  Muskeln  gesetzte  Compression  zu  betheiligen,  denn  es  macht  nicht  viel  Unter- 
schied, ob  der  Schnitt  nach  oben  oder  nach  unten  geführt  wurde.  Man  kann  diesen  Act 
mit  der  Expulsion  der  Nachgeburt  (placenta)  vergleichen.  Vorfall  der  Iris,  Sprengung 
der  schon  verklebten  "Wunde,  Vereiterung  des  Hornhautlappens  entstehen  nach  meiner 
Überzeugung  in  vielen  Fällen  nur  auf  diese  Art.  Deval*)  citirt  eine  Beobachtung  von 
TVenzel  d.  Ä. ,  wo  der  im  Auge  zurückgelassene  Linsenkern  am  2.  Tage  nach  der  Ex- 
traction in  der  Lidspalte  vorgefunden  wurde.  „Un  jeune  homme,  vint  en  1765  consulter 
mon  pere  ä  Londres.  Son  oeil  droit,  qui  etait  affecte  d'une  cataracte  dont  la  couleur 
etait  extremement  blanche,  presenta  dans  l'ope'ration  une  circonstance  assez  singuliere. 
Des  que  la  corne'e  et  la  cristallo-anterieure  furent  ouvertes,  et  avant  que  la  section  füt 
tout-ä-fait  acheve'e,  il  sortit  par  la  pupille  une  matiere  laiteuse  qui,  se  melant  ä  l'humeur 
aqueuse  et  s'ecoulant  avec  eile  par  l'incision  de  la  cornee,  laissa  voir  la  pupille  aussi 
nette  que  celle  d'un  oeil  dont  on  a  extrait  exactement  le  cristallin.  On  crut  d'abord  que 
c'etait  la  matiere  meme  du  cristallin  tombe'  en  suppuration ;  le  malade  paraissait  jouir 
de  la  vue;  on  lui  presenta  plusieurs  objects  assez  petitz  qu'il  apercut  et  distingua  par- 
faitement.  On  lui  fit  essayer  un  verre  ä  catararcte  ainsi  qu'on  a  assez  souvent  coutume 
de  faire,  mais  il  vit  trouble  ä  la  distance  ordinaire,  comme  cela  a  lieu  pour  les  yeux 
sains;  ce  fait  parut  fort  etonnant.  Au  reste,  il  se  coucha  apres  que  son  oeil  eut  ete 
couvert.  Le  lendemain,  en  levant  Vappareil,  on  apercut  un  e'cartement  produit  par  un 
corps  oranger  et  qu'on  reconnut  facilement  pour  le  cristallin  lui-meme,  qui  ne  paraissait 
point  avoir  rien  perdu  de  sa  transparence ;  la  maladie  ne  pouvait  donc  avoir  eu  son 
sie'ge  que  dans  l'humeur  de  Morgagni,  puisque  le  cristallin  e'tait  dans  son  etat  naturel 
et  pour  la  transparence  et  pour  le  volume.  Le  malade,  apres  sa  gue'rison,  d'apres  les 
essais  qui  furent  faits,  ne  vit  plus  que  comme  les  autres  personnes  qui  ont  subi  l'opera- 
tion,  et  il  eut  besoin  de  verres  ä  cataracte." 

"Wenn  man,  wie  ich  in  den  meisten  Fällen  es  thue  und  thun  muss,  beide  Augen 
in  Einer  Sitzung  der  Extraction  unterwirft,  und  nur  auf  Einem  Auge  Iritis,  Prolapsus 
iridis,  Chemosis  oder  Panophthalmitis  entsteht,  so  kann  man  wohl  nicht  Unruhe  des  Kran- 
ken oder  allgemeine  Ursachen  (schlechte  Constitution  u.  dgl.)  supponiren.  "Wenn  übrigens 
demselben  Operateur  einer  dieser  Zufälle  bald  auf  dem  einen,  bald  auf  dem  andern, 
öfters  sogar  auf  dem  Auge  begegnet,  wo  die  Operation  viel  leichter  vor  sich  ging,  so 
kann  man  auch  nicht  wohl  in  mangelhafter  Kunstfertigkeit  den  Grund  suchen.  Ich  habe 
viel  über   die  Ursachen   dieser  Zufälle   nachgedacht,    zahlreiche  Fälle   vor,    während   und 

*]  Chirurgie  ocnlaire,  Paris  1844,  S.  26  (Wenzel  fils,  Tratte-  de  la  Cataracta,  Paris  1786,  p.  145). 


304  Krystalllinse. 

nach  der  Operation  genau  uotiren  lassen  und  unter  einander  verglichen;  ich  bin  zu 
dem  Schlüsse  gekommen,  dass  das  Zurücklassen  von  Staarresten  an  und  flir  sich  Anlass 
zu  jenen  Zufallen  geben  kann,  obwohl  mir  auch  mehrere  Beobachtungen  vorgekommen 
sind,  wo  aas  Auge  trotzdem  gut  durchkam. 

Mau  folgere  daraus  nicht,  dass  icli  der  häufigen  und  wiederholten 
Anwendung  des  Davielschen  Löffels  damit  das  Wort  rede.  Ein  hin- 
reichend grosser  Hornhautschnitt  und  Abwarten  der  Reife  des  Staares 
(in  dem  S.  260  angegebenen  Sinne)  sind  weit  bessere  Mittel,  die  Linse 
vollständig  aus  der  Kapsel  zu  entfernen. 

2.   Beschreibung  des   Vorganges  vor,  bei  und  nach  der  Operation. 

a.  Vorbereitung  mir  Operation.  Man  wähle  ein  Zimmer,  in  welchem 
der  Kranke  vor  Lärm,  plötzlichem  Schrecken  u.  dgl.  möglichst  gesichert 
ist.  Operirt  man  im  Winter,  so  versichere  man  sich  vorher,  ob  nicht 
etwa  Zurückschlagen  des  Rauches  zu  besorgen  sei.  In  einem  gegen 
Norden  gelegenen  Zimmer  lässt  sich  am  leichtesten  eine  gleichmässige 
Temperirung  des  Lichtes  erzielen.  Die  Fenster  werden  mit  2 — 3fachen 
grünen  oder  grauen  Vorhängen  bedeckt.  Der  Grad  der  Verdunklung 
sei  nur  so  stark,  dass  man  nach  einem  Aufenthalt  von  einigen  Minuten 
die  Gesichtszüge  des  Kranken  deutlich  wahrnehmen  kann.  Das  plötzliche 
Einfallen  grellen  Lichtes  beim  Offnen  der  Thüre  muss  durch  ein  ver- 
dunkeltes Vorzimmer  oder  durch  Vorhänge  vor  der  Thüre  verhütet 
werden.  Erneuerung  der  Luft  muss  ohne  Störung  der  Verdunklung 
möglich  sein. 

Das  Bett  muss  so  vorbereitet  werden,  dass  der  Kranke  eine  ruhige 
Lage  mit  nicht  zu  sehr  erhöhtem  Kopfe  durch  5 — 6  Tage  aushalten 
kann.  Als  Unterlage  sind  Rosshaarmatratzen  das  Zweckmässigste.  Notk- 
wendige  Utensilien  sind  eine  Leibschüssel,  ein  Uringlas,  ein  feiner 
Waschschwamm,  einige  Leinwandflecke,  so  zugeschnitten,  dass  sie  ein- 
fach zusammengelegt  die  Grösse  einer  Hand  haben,  eine  schmale  Binde 
zur  Befestigung  derselben  über  der  Stirn,  für  den  Fall  einer  Ohnmacht 
ein  Analepticum,  etwas  Essig,  frisches  Wasser  u.  dgl. 

Eine  verlässliche  Wärterin,  welche  über  die  möglichen  Zufälle  bei 
der  Nachbehandlung  gut  unterrichtet  sein  muss,  und  das  Nachtwachen 
aushält,  ist  unumgänglich  nothwendig.  Nie  vertraue  man  die  Pflege  des 
Operirten  den  Angehörigen  oder  Untergebenen  desselben.  Die  ersten 
6 — 8  Tage  ist  es  am  besten,  wenn  ausser  dem  Arzte  und  der  Wärterin 
Niemand  mit  dem  Kranken  verkehrt. 

Nie  unternehme  man  die  Extraction  ohne  einen  gut  unterrichteten 
und  eingeübten  Assistenten.  Derselbe  stellt  sich  hinter  den  Kranken, 
der  auf  einem  Stuhle  so  sitzt,  dass  er,  falls  Glaskörperausfluss  einträte, 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  305 

sogleich  rücklings  umgelegt  werden  kann.  Er  muss  eine  solche  Stel- 
lung einnehmen,  dass  er  mit  etwas  (über  den  Kopf  des  Kranken)  vor- 
gebeugtem Kopfe  das  zu  operirende  Auge  von  obenher  übersehen  kann. 
Soll  die  Extraction  am  linken  Auge  vorgenommen  werden,  so  fixirt  er 
mit  der  linken  Hand  das  obere  Lid,  und  drückt  mit  der  um  das  Kinn 
des  Kranken  geschlagenen  Rechten  den  Kopf  an  seine  Brust,  diesen 
dem  Operateur  etwas  entgegenneigend,  und  dem  unwillkürlichen  Streben 
des  Kranken,  sich  vom  Operateur  wegzubeugen,  gehörig  entgegenwir- 
kend. Um  das  obere  Lid  gehörig,  sicher  und  bleibend  zu  fixiren,  legt 
er  in  dem  Momente,  wo  der  Operateur  den  Kranken  anweist,  gerade 
auf  ihn  zu  schauen,  und  das  untere  Lid  fasst,  den  Zeigefinger  der  ge- 
nannten Hand  so  an,  dass  die  Gegend  des  3.  Gelenkes  an  die  Augen- 
braue, die  Spitze  des  Fingers  an  die  Cilien  kommt.  Mit  dem  ersten 
Punkte  wird  die  Augenbraue  (die  Portio  major  musculi  orbicularis  palp. 
und  der  Corrugator  supercil.)  über  den  Knochen  hinaufgerollt  und  hin- 
reichend fest  an  diesen  angedrückt,  mit  der  Spitze  des  Fingers  wird 
das  eigentliche  Lid  sajnnit  den  Cilien  berührt  und  so  fixirt,  dass  es 
zwar  höher  zu  stehen  kommt,  jedoch  nicht  vom  Bulbus  abgezogen  und 
noch  viel  weniger  an  den  Bulbus  angedrückt  wird.  Im  erstem  Falle 
würde  Luft  in  den  Bindehautsack  eintreten,  diesen  reizen  und  Reflex- 
actionen  im  Orbic.  palp.,  Corrug.  superc.  und  in  den  Augenmuskeln 
erregen;  Druck  auf  den  Bulbus  führt  leicht  zu  Glaskörperausfluss.  Die 
Richtung  und  der  Zug  des  Zeigefingers  muss  der  Richtung  und  dem 
Zuge  des  Corrug.  superc.  entsprechen.  Man  lege  daher  die  flache  Hand 
in  der  Medianlinie  oben  an  die  Stirn  an,  und  greife  mit  dem  Zeige- 
finger nach  unten  und  aussen  vor,  so  dass  der  Zug  dann  von  der  Ge- 
gend des  Foramen  (der  Incisuraj  supraorbit.  nach  der  Mitte  der  Stirn 
hin  geschehen  kann.  Der  Mittelfinger  wird  neben  dem  Zeigefinger  an 
die  äussere  Hälfte  des  Lides  gelegt,  um  diesen  nötigenfalls  zu  unter- 
stützen. Die  Finger  werden  nur  massig  gebogen,  nicht  geknickt,  damit 
man  keinen  Schatten  mache.  So  oft  ein  Moment  beendet  ist,  wird  das 
Lid  locker  gelassen.  Schwitzen  die  Finger  oder  das  Lid,  so  hülle  man 
den  Zeigefinger  in  ein  kappenförmig  umschlungenes  dünnes  Leinwand- 
läppchen. 

Auf  diese  Weise  kann  das  Lid  jederzeit  sicher  und  zweckmässig  fixirt  werden. 
Augenlidhalter  sind  nach  meiner  Erfahrung  durchaus  überflüssig.  Sie  vermehren  die  Angst 
des  Kranken,  machen  leicht  Schmerz,  und  erregen  stärkere  Reaction  von  Seite  der 
Muskeln. 

Der  Kranke  werde  durch  freundliche  Zuspräche  und  Belehrung  be- 
ruhigt.    Man  sorge  dafür,    dass  er  am  Tage   der  Operation  oder  Tags 

Arlt  Augenheilkunde;  II.  20 


306  Krystalllinse. 

vorher  eine  Entleerung  habe.  Man  lasse  ihn  etwa  eine  Stunde  vor  der 
Operation  frühstücken.  Er  werde  nicht  zu  lange  in  Erwartung  gehalten. 
Tag  und  Stunde  der  einmal  festgesetzten  Operation  sollen  ohne  triftige 
Gründe  nicht  abgeändert  werden.  In  einem  Zimmer,  welches  unmittel- 
bar vom  Firmamente  Licht  erhält,  kann  man  auch  an  einem  trüben 
Tage  operiren.  Es  ist  sogar  nachtheilig,  wenn  der  Blick  des  Kranken 
nach  dem  Austreten  des  Staares  auf  sonnenbeschienene  Stellen  fällt. 
Wo  die  Fenster  weit  zum  Boden  herabreichen,  lasse  man  die  untern 
Scheiben  verdecken.  Es  ist  besser,  wenn  das  Licht  nur  von  Einem 
Fenster  her  einfällt.  Der  Kranke  werde  so  gesetzt,  dass  das  Licht  über 
die  linke  oder  rechte  Schulter  des  vor  ihm  um  ohngefähr  einen  halben 
Kopf  höher  sitzenden  Operateurs  her  einfällt.  Der  Kranke  sei  zur  Ope- 
ration nur  mit  den  nöthigsten  Kleidungsstücken  angethan,  und  so,  dass 
von  diesen,  wenn  er  zu  Bette  gebracht  wird,  auch  jene*  leicht  entfernt 
werden  können,  welche  die  bequeme  Lage,  die  Application  der  Leib- 
schüssel u.  dgl.  hindern  könnten.  Bei  Frauenzimmern  darf  in  dieser 
Beziehung  auch  auf  die  Zurechtlegung  des  Kopfhaares  nicht  vergessen 
werden. 

Wer  das  Auge  der  Gefahr  gänzlicher  Zerstörung  aussetzt,  übernimmt  auch  die 
"Verantwortlichkeit  für  Zufälle,  die  sich  voraus  besorgen  lassen.  Alles,  was  in  Berück- 
sichtigung gebracht  werden  muss,  aufzuzählen,  ist  weder  möglich  noch  nöthig.  Beispiels- 
weise will  ich  nur  noch  bemerken,  dass  ich  einige  Mal  in  die  unangenehme  Lage  ge- 
kommen bin,  Leuten,  welche  im  Liegen  durchaus  nicht  harnen  konnten ,  den  Catheter 
zu  appliciren. 

Rücksichtlich  der  Iris  wird  noch  eine  Vorbereitung  nothwendig. 
Man  muss  entweder  die  Pupille  durch  vorläufiges  Einträufeln  von  Atro- 
pin-  oder  Belladonnaextractlösung  gehörig  erweitern,  oder  man  muss 
die  Augen  durch  eine  halbe  Stunde  vor  der  Operation  dem  vollen 
Lichte  aussetzen.  Es  ist  bekannt,  dass  die  Pupille  eine  Zeit  lang  nach 
dem  Übergange  in  helleres  Licht  sich  stark  und  energisch  verengert, 
dann  aber  auch  in  hellem  Lichte  wieder  die  gewöhnliche  AVeite  an- 
nimmt. Ich  ziehe  die  Anwendung  dieses  Gesetzes  behufs  der  Extraction, 
damit  sich  die  Iris  bei  der  stärkeren  Beleuchtung  nicht  gegen  die  an- 
dringende Linse  stemme,  im  Allgemeinen  der  künstlichen  Pupillener- 
weiterung vor.  Nur  wo  das  Durchfuhren  des  Messers  durch  die  vordere 
Kammer  wegen  Ausbauchung  der  Iris  nach  vorn  schwieriger  ist,  erwei- 
tere ich  die  Pupille,  um  beim  Hornhautschnitte  weniger  Gefahr  zu  laufen, 
die  Iris  zu  verletzen. 

Die  Instrumente,  die  man  bei  der  Extraction  zur  Hand  haben  mussr 
sind:  zwei  i?eer'sche  Staarmesser,  eine  gerade  zweischneidige  oder  eine 
JRosas'sche   sichelförmig  gekrümmte  Nadel,  ein  ZWe/'scher  Löffel;  für 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  307 

besondere  Zufalle :  ein  Irishäkehen,  eine  gerade  und  eine  krumme  Blömer- 
sche  oder  einfach  gekerbte  feine  Pincette,  eine  kleine  nach  der  Fläche 
gekrümmte  Scheere.  Das  Staarmesser  werde  jedesmal,  bevor  man  es 
in  die  Hornhaut  einstösst,  durch  Einstechen  in  ein  papierdünnes  Stück 
Leder  geprüft.  Ist  die  Spitze  gehörig  beschaffen,  so  darf  hiebei  kein 
Geräusch  entstehen.  —  Die  verschiedenen  Ophthal mostaten  (Instrumente 
zur  Fixirung  des  Bulbus)  sind  nach  meiner  Ansicht  nicht  nur  über- 
flüssig, sondern  auch  nachtheilig,  indem  sie  Schmerz  und  stärkere  Re- 
action  von  Seite  der  Muskeln  erregen.  Sie  können  überdiess  höchstens 
behufs  der  Fixirung  während  des  Hornhautschnittes  angewendet  werden. 
Zur  Anwendung  von  Schwefeläther,  Chloroform  oder  von  einer  Mischung 
beider  habe  ich  mich  niemals  entschliessen  können,  indem  man  nicht 
sicher  sein  kann,  ob  nicht  Erbrechen  oder  convulsivische  Muskelbewegun- 
gen nachkommen. 

b.  Verrichtung  der  Extraction  selbst.  Soll  das  rechte  Auge  ope- 
rirt  werden,  so  nimmt  man  die  Instrumente  in  die  linke,  zur  Operation 
des  linken  dagegen  in  die  rechte  Hand.  Mit  dem  Zeigefinger  der  zwei- 
ten Hand  wird  das  untere  Lid  abwärts  gezogen  und  fixirt,  dass  es  sich 
weder  umstülpt  noch  beträchtlich  vom  Bulbus  entfernt :  die  übrigen  drei 
Finger  werden  leicht  an  die  andere  Hälfte  des  Gesichtes  angelegt.  — 
Wenn  beide  Augen  in  derselben  Sitzung  operirt  werden  sollen,  so  kann 
man  zuerst  an  dem  einen  die  Operation  ganz  zu  Ende  führen  und  das- 
selbe während  der  Operation  des  zweiten  mit  einem  weichen  Lein- 
wandbäuschchen  bedecken,  das  der  Assistent  mit  der  um  das  Kinn 
herum  geschlungenen  Hand  sanft  andrückt;  in  der  Regel  wird  es  besser 
sein,  nach  dem  1.  Momente  auf  dem  einen  dasselbe  Moment  auf  dem 
andern  Auge  und  so  fort  wechselnd  bis  zur  völligen  Reinheit  der  Pu- 
pille durchzuführen.  Soll  bloss  ein  Auge  operirt  werden,  so  verbinde 
man  das  andere,  weil  der  Kranke  dann  die  Bewegung  des  einen  bes- 
ser in  seiner  Gewalt  hat  und  der  Anblick  der  Instrumente  ihn  nicht 
erschreckt. 

1.  Moment.  Sobald  der  Operateur  sich  in  der  angegebenen  Weise 
vor  den  Kranken  gesetzt  hat,  und  der  Assistent  hinter  diesem  bereit 
steht,  fasst  er,  wenn  das  linke  Auge  operirt  werden  soll,  das  Staar- 
messer in  die  rechte  Hand,  sagt  dem  Kranken,  er  möge  gradaus  schauen, 
fixirt  in  diesem  Momente  das  untere  Lid  mit  der  linken  Hand,  und 
stösst  sofort  die  Spitze  des  Messers  in  die  Hornhaut  ein.  Die  rasche 
Aufeinanderfolge  dieser  einzelnen  Tempi  ist  nächst  dem  Vertrauen,  das 
der  Arzt   dem  Kranken    durch   sein  Benehmen   und  durch  die  nöthige 

Aufklärung  über  die  Operation   eingeflösst  hat,   das   beste  Mittel,  sich 

20* 


308  Krystallliiise. 

vor  unruhigem  Hin-  und  Herrollen  des  Bulbus  zu  schützen.  Ich  ziehe 
es  vor,  auch  bei  einer  minder  bequemen  Stellung  einzustechen,  als  durch 
oft  wiederholtes  Auffordern  gerade  die  passendste  Stellung  erzwingen 
zu  wollen.  Um  aber  das  Messer  zweckmässig  einstechen  und  bis  zu 
Ende  handhaben  zu  können,  muss  man  das  Messer,  die  Hand  und  den 
Arm  in  eine  Lage  bringen,  welche  den  Übergang  aus  jeder  Position  in 
die  nachfolgende  möglich  macht,  ohne  die  Leichtigkeit  und  Sicherheit 
zu  beeinträchtigen.  Das  Messer  werde  daher  so  in  die  Hand  genommen, 
dass  der  Ballen  des  Mittelfingers  an  das  vordere  Ende,  der  des  Zeige- 
fingers 1  —  1  i\i"  davon  entfernt,  und  der  des  Daumens  an  die  entgegen- 
gesetzte Seite  des  Heftes  ohngefähr  in  der  Mitte  zwischen  jenen  beiden 
zu  liegen  kommt.  Diese  drei  Finger  werden  daher  weder  gestreckt, 
noch  in  irgend  einem  Gelenke  spitzwinklig  gebogen  (eiü  geknickt). 
Während  nun  der  Oberarm  wenig  oder  gar  nicht  vom  Brustkorbe  ent- 
fernt wird,  legt  man  den  Ring-  und  kleinen  Finger  an  die  linke  Wange 
des  Kranken  so  an,  dass  der  Rücken  der  Messerklinge  horizontal  vor 
die  Lidspalte  zu  stehen  kommt. 

Durch  stärkere  Beugung  des  Zeige-  und  Mittelfingers  im  2.  und  3. 
Gelenke  und  Anziehung  des  Daumens  gegen  die  Mittelband  wird  die 
Klinge  so  weit  zurückgezogen,  dass  die  Spitze  an  das  Schläfeende  des 
horizontalen  Durchmessers  der  Hornhaut  innerhalb  des  Limbus  con- 
junctivae zu  stehen  kommt.  Durch  eine  leichte  Wendung  der  Hand  zur 
Pronation  wird  das  Messer  so  zur  Hornhaut  gestellt,  dass  man  dieselbe 
an  der  bezeichneten  Stelle  beinahe  senkreht  durchbohren  kann.  So  wie 
die  Spitze  des  Messers  in  die  vordere  Kammer  eingedrungen  ist,  wird 
das  Messer  durch  eine  leichte  Drehung  zur  Supination  (Wendung  des 
Heftes  gegen  die  Schläfe)  so  gestellt,  dass  die  Fläche  der  Klinge  paral- 
lel zur  Ebene  der  Iris  steht,  indess  ihr  Rücken  horizontal  verläuft  (die 
Spitze  nach  dem  Ausstichspunkte  am  entgegengesetzten  Ende  der  Horn- 
haut hinsieht).  Durch  raschen  Übergang  von  Beugung  zur  Streckung 
des  Mittel-  und  Zeigefingers  und  Abduction  des  Daumens  von  der  Mit- 
telhand wird  nun  das  Messer  durch  die  vordere  Kammer  geführt,  so 
dass  es,  wenn  es  hiebei  von  der  angegebenen  Lage  zur  Iris  und  zum 
horizontalen  Durchmesser  der  Cornea  nicht  etwa  abgelenkt  worden  ist, 
gerade  am  innern  Ende  dieses  Durchmessers,  und  zwar  noch  vor  dem 
Limbus  conjunctivae  herausdringen  muss.  Die  Einhaltung  dieser  Lage 
der  Klinge  zur  Iris  macht  es  möglich,  auch  dann  richtig  auszustechen, 
wenn  der  Kranke  das  Auge  so  stark  nach  innen  rollt ,  dass  man  den 
Ausstichpunkt  nicht  sehen  kann.  Die  Anlegung  der  Hand  mit  der  Dor- 
salfläche an  die  Wange  des  Kranken  gestattet  alle  Übergänge  von  der 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  309 


Supination  bis  zur  stärksten  Pronation  und  umgekehrt,  so  dass  man  dem 
Auge  immer  in  gleichem  Abstände  von  demselben  und  mit  grösster 
Leichtigkeit  folgen  kann,  wenn  es  bald  nach  aussen,  bald  nach  innen 
gewendet  wird. 

So  wie  die  Spitze  im  innern  Winkel  in  die  Cornea  eingedrungen 
ist,  hat  man  den  Bulbus  ganz  in  seiner  Gewalt.  Könnte  man  den  Aus- 
stichspunkt nicht  sehen,  so  dränge  man,  ohne  die  Klinge  zurückzuziehen, 
das  Heft  ein  wenig  gegen  die  Schläfe,  was  bei  der  angegebenen  Lage 
der  Hand  leicht  möglich  ist.  Auf  diese  Art  kann  man  den  Bulbus  gerade 
stellen,  ohne  vorzeitigen  Ausfluss  des  Kammerwassers  zu  riskiren.  Zeigt 
sich's  dann,  dass  die  Spitze  über  oder  zu  tief  unter  dem  horizontalen 
Durchmesser  steht,  oder  dass  man  jenseits  des  Hornhautrandes  (im 
Limbus,  in  der  Sclera,  durch  die  Iris)  oder  zu  weit  diessseits  (viel  über 
lJ2w)  ausstechen  würde,  so  ziehe  man  die  Klinge,  so  viel  als  zur  Be- 
freiung der  Spitze  nöthig  erscheint,  zurück  und  stosse  diese  an  der  ge- 
hörigen Stelle  durch.  Nach  erfolgtem  Ausstiche  stelle  man  den  Bulbus, 
wenu  er  zu  weit  einwärts  gerollt  ist,  dadurch  in  die  Mitte  oder  ein 
wenig  einwärts,  dass  man  das  Heft  etwas  gegen  die  Schläfe  drängt, 
ohne  die  Klinge  zurückzuziehen.  Sollte  die  Schneide  von  der  vorge- 
zeichneten Operationsebene  nach  vorn  oder  nach  hinten  abweichen,  so 
werde  sie  durch  Drehung  des  Heftes  vom  oder  zum  Daumen  gehörig 
gestellt,  und  erst  dann  werde  das  Messer  durch  weitere  Streckung  des 
Mittel-  und  Zeigefingers  und  Abduction  des  Daumens  so  weit  vorge- 
schoben, bis  der  Schnitt  vollendet  ist.  Die  Beendigung  des  Schnittes 
geschehe  eher  langsam  als  zu  schnell  oder  schnelzend,  weil  sonst  leicht 
die  Zonula  gesprengt  werden  kann. 

Liefe  man  bei  diesem  Vorgange  Gefahr,  in  die  Nase  einzustechen,  so  werde  das 
Heft  stärker  gegen  die  Schläfe  gedrängt.  Könnte  man  mit  der  Klinge  nicht  weiter  vor- 
dringen ,  weil  der  Mittelfinger  an  den  äussern  Orbitalrand  anstiesse,  so  müsste  man  zu- 
nächst den  Daumen,  dann  den  Zeige-,  endlich  den  Mittelfinger  etwas  weiter  rückwärts 
am  Hefte  ansetzen,  nicht  aber,  wie  diess  Anfänger  gern  thun,  den  Mittelfinger  ganz 
vom  Hefte  entfernen.  Denn  mit  zwei  Fingern  allein  kann  man  das  Heft  nicht  mehr  fest 
halten   und  noch  vielweniger  sicher  fortschieben. 

Dem  Umbiegen  oder  Abbrechen  der  Messerspitze  beim  Einstechen  beugt  man  am 
besten  vor  durch  Wahl  guter  Instrumente  und  dadurch,  dass  man  das  Messer  nicht 
unter  einem  zu  grossen  Winkel  zur  tangirenden  Ebene  des  Einstichspunktes  ansetzt. 
Wer  einige  Übung  besitzt,  kann  die  Klinge  sogleich  in  der  bezeichneten  Operationsebene 
(durch  die  Basis  corneae  parallel  zur  Irisebene)  ansetzen  und  einstechen,  ohne  desshalb 
Gefahr  zu  laufen,  dass  dasselbe  eine  zu  lange  Strecke  oder  gar  durchaus  zwischen  den 
Hornhautfasern  fortgleite.  Diese  Haltung  beim  Einstechen  hat  zugleich  den  Yortheil,  dass 
man  nicht  so  leicht  durch  zu  tiefes  Einsenken  der  Spitze  die  Iris  ansticht.     Wäre  diess 


310  Krystalllinse. 

geschehen ,  so  müsste  man  natürlich  dasselbe  sogleich,  so  viel  als  zur  Befreiung  der 
Spitze  nöthig  ist,  zurückziehen. 

Dringt  die  Spitze  (weil  sie  sich  bei  zu  senkrechtem  Einstiche  umgebogen  hat)  im 
iiincrn  Winkel  nicht  leicht  heraus,  so  lege  man  den  Mittelfinger  von  der  andern  Gesichts- 
hälfte herüber  und  drücke  ihn  am  Ausstichspunkte  an  den  Bulbus  an.  Fliesst  vor  Beendigung 
des  Schnittes  Kammerwasser  ab,  so  wird  die  Iris  vorgedrängt  und  schlägt  sich  gleichsam 
lim  die  Schneide  des  Messers  herum.  Ereignet  sich  dieser  Zufall  noch  vor  dem  Ausstiche, 
so  stehe  man,  wenn  es  nicht  gelingt,  die  Spitze  trotzdem  zwischen  Iris  und  Cornea  zur 
erforderlichen  Stelle  vorzuschieben,  lieber  von  der  Operation  ab.  Schlägt  sich  die  Iris 
nach  erfolgtem  Ausstiche  um  die  Schneide,  so  drücke  man  während  des  Vorschiebens 
des  Messers  mit  der  Spitze  des  Mittelfingers  so  auf  den  untern  Theil  der  Cornea,  dass 
dieser  abgeplattet  wird,  wodurch  die  Iris  gewöhnlich  zum  Bückzuge  bestimmt  wird. 
Wird  eine  Portion  aus  dem  kleinen  Kreise  der  Iris  ausgeschnitten,  so  ist  gewöhnlich  zu 
grosse  Pupille  (Coloboma)  und  Blendung  des  Operirten  durch  grelles  Licht  die  Folge 
davon.  Wird  eine  etwas  grössere  Partie  aus  dem  grossen  Kreise  allein  ausgeschnitten, 
so  entsteht  eine  zweite  Pupille,  in  welcher  sich  die  Linse  beim  Austreten  verfangen  kann, 
wenn  man  nicht  die  Brücke  zwischen  den  Pupillen  spaltet,  was  (im  3.  Momente)  mit 
der  Nadel  oder  mit  einer  Scheere  geschehen  muss. 

Ging  der  Schnitt  unten  so  nahe  an  die  Sclera,  dass  sich  Bindehaut  abschälte ,  so 
muss  man  diese  vom  Hornhautlappen  mit  einer  Scheere  knapp  abschneiden,  damit  sie 
sich  nicht  in  die  Wunde  hineinschlage. 

Nachträglich  verbessern  ( vergrössern )  lässt  sich  der  Hornhautschnitt  nur  dann, 
wenn  der  Ein-  oder  der  Ausstichspunkt  zu  tief  unter  dem  horizontalen  Durchmesser 
geschah.  Man  nehme  eine  nach  der  Fläche  gekrümmte  Scheere  in  die  rechte  Hand, 
führe  einen  Arm  zwischen  Iris  und  Cornea  in  der  Richtung  des  Schnittes  ein,  und  ver- 
längere denselben.  Das  Nämliche  kann  man,  wenn  auch  minder  leicht,  mit  dem  Staar- 
messer  erreichen ;  mit  diesem  gelingt  die  Erweiterung  eher  nach  aussen. 

Wird  der  Hornhautschnitt  auf  die  angegebene  Weise  verrichtet,  so  bekommt  man 
eine  möglichst  reine  und  gleichmässige,  zackenlose  Wunde,  und  das  Auge  wird  nicht 
gezerrt.  Immer  ist  die  ganze  Kraft  nur  gegen  die  Spitze  gerichtet,  nicht  auf  die  Schneide. 
Je  continuirlicher  die  Kraftanwendung,  desto  gleichmässiger  der  Schnitt,  desto  leichter 
das  Aneinanderlegen  der  Wundlefzen.  Den  Schnitt  durch  Vorschieben,  Zurückziehen  und 
Wiedervorschieben  vollenden  heisst  Sägen.  Ausser  Hasner  S.  220  hat  diess  meines  Wis- 
sens noch  Niemand  empfohlen. 

Nach  Beendigung  des  Hornhautschnittes  lässt  der  Gehilfe  das  obere, 
der  Operateur  das  untere  Lid  aus,  und  der  Kranke  wird  angewieseu, 
beide  Augen  so  zu  schliessen,  als  ob  er  schlafen  wollte.  Auf  die  Menge 
des  abfliessenden  Kamnierwassers  muss  man  Acht  haben,  weil  Fälle 
vorkommen,  wo  der  Glaskörper  so  flüssig  wie  Wasser  ist,  und  dieser 
Zustand  nicht  immer  vor  der  Operation  sicher  erkannt  werden  kann. 
Wäre  nun  diess  der  Fall,  so  müsste  man  den  Kranken  ohne  Weiteres  zu 
Bette  bringen,  und  in  Erwägung-  ziehen,  ob  die  Fortsetzung  der  Opera- 
tion nicht  etwa  im  Bette  noch  zulässig  sei.  Wie  man  sich  bei  Glas- 
körperausfluss  zu  benehmen  habe,  werden  wir  beim  3.  Momente  be- 
sprechen.    Hätte  sich   die  Iris  vor  die  Wunde  gelagert,  so  werde  das 


Cataracta  —  Behandlung  —  Exlraction.  311 

geschlossene  Auge  leicht  mit  dem  an  das  obere  Lid  angelegten  Daumen 
sanft  gerieben  und  dann  geöffnet.  Selten  wird  die  Reposition  mit  dem 
Davielschen  Löffel  nöthig  sein.  Indess  nun  der  Kranke  die  Augen  ge- 
schlossen hält,  reinige  man  das  Keratom,  tröste  den  Kranken  allen- 
falls damit,  dass  das  Schlimmste  bereits  überstanden  sei  u.  dgl.,  trockne 
das  etwa  feucht  gewordene  untere  Lid  ab,  und  nehme  die  Staarnadel 
zur  Hand. 

2.  Moment.  Indem  man  den  Kranken  anweist,  beide  Augen  zu 
öffnen,  fixirt  der  Assistent  wieder  das  obere,  der  Operateur  das  untere 
Lid.  Durch  gelindes  Andrücken  des  untern  Lides  an  den  Bulbus  und 
Anweisung  des  Kranken,  nach  oben  zu  schauen,  macht  man  die  Wunde 
etwas  klaffen.  Die  Nadel  —  ich  bediene  mich  in  der  Regel  einer  zwei- 
schneidigen, spitzigen  und  geraden  —  wird  ebenso  gefasst,  wie  das 
Staarmesser,  Oberarm  und  Hand  werden  in  dieselbe  Stellung  gebracht, 
wie  im  ersten  Momente,  nur  kommt  die  Hand  etwas  mehr  unterhalb 
des  Auges  zu  liegen.  Bei  diesem  Vorgange  kommt  nun  die  Nadel,  mit 
der  einen  Fläche  dem  Bulbus  zugewendet,  im  iunern  Winkel  an  das 
innere  Ende  des  Hornhautschnittes  zu  liegen.  Ihre  Spitze  sieht  ohnge- 
fähr  gegen  die  Glabella  frontis,  ihr  Heft  etwa  gegen  den  Winkel  des 
Unterkiefers.  Nur  aus  dieser  Position  ist  der  Übergang  in  die  zweite 
—  gleich  zu  beschreibende  —  leicht  möglich.  So  wie  beim  ersten  Mo- 
mente vor  Allem  das  frühzeitige  Abfliessen  des  Kammerwassers  vermie- 
den werden  muss,  so  hat  man  sich  im  2.  Momente  am  meisten  vor 
Anspiessimg  der  Iris  zu  hüten.  Die  Nadel  darf  daher  nie  mit  der  Spitze 
voraus  in  die  Pupille  eingeführt  werden.  Diess  erreicht  man,  wenn 
man  die  in  oben  angegebener  Weise  gehaltene  Nadel  flach  an  den  Horn- 
hautrand  anlegt,  und  durch  leichte  Beugung  des  Mittel-  und  Zeigefingers 
und  Adduction  des  Daumens  gleichsam  mit  der  Schneide  und  mit  dem 
Halse  voraus  in  die  Wunde  hereingleiten  macht,  bis  ihre  Spitze  am 
obern  Ende  des  senkrechten  Durchmessers  der  Pupille  angelangt  ist. 
Hieniit  ist  das  erste  Tempo  (die  erste  Position)  beendet.  Sollte  das  Auge 
zu  stark  nach  innen  fliehen,  so  kann  man  schnell  die  Rolle  der  Hände 
wechseln  und  die  Nadel  mit  der  linken  Hand  von  der  Schläfe  her  auf 
analoge  Weise  einführen.  Dreht  der  Kranke  das  Auge  stark  nach  oben, 
so  muss  der  Assistent  das  obere  Lid  vom  Bulbus  abziehen  und  den 
Kopf  des  Kranken  etwas  rückwärts  neigen,  um  dem  Operateur  die  nöthige 
Einsicht  möglich  zu  machen. 

Ist  die  Nadel  oben  in  der  Pupille  angelangt,  so  wird  durch  eine 
halbe  Pronation  (Bewegung  der  Radialseite  gegen  die  Nase  des  Kranken) 
die  Nadel  so  gewendet,  dass  man  ihre  Schneide   der  Kapsel  zukehrt. 


312  Krystalllinse. 

Sofort  werden  der  Kapsel  ein  oder  zwei  verticale  Schnitte  beigebracht, 
nicht  dadurch,  dass  man  die  ganze  Hand  bewegt,  sondern  nur  durch 
rasche  Biegung  der  die  Nadel  haltenden  Finger,  namentlich  des  Dau- 
mens im  letzten  Gelenke.  Ist  diess  geschehen,  so  wird  die  Spitze  der 
Nadel  an  die  vordere  Fläche  der  Kapsel  angebracht,  zwischen  den  Fin- 
gern vom  Daumen  zu  den  beiden  andern  gedreht,  so  dass  die  eine 
Fläche  nach  oben  (und  vorn)  gerichtet  ist,  und  am  innern  Ende  des 
horizontalen  Durchmessers  der  Pupille  auf  die  Kapsel  angesetzt,  um 
auf  ähnliche  Weise  einen  oder  zwei  horizontale  Schnitte  auszuführen, 
indem  die  Hand  ganz  leichte  Schwankungen  zwischen  Pronation  und 
Supination  macht.  Ist  diess  geschehen,  so  kann  man,  wenn  man  recht 
sicher  einen  Kreuzschnitt  (+)  erlangen  will,  und  der  Patient  ruhig  hält, 
dasselbe  Mannöver  auch  von  der  Schläfe  her  vornehmen.  Ist  die  Spal- 
tung beendet,  so  wird  die  Nadel  gegen  den  Unterkietervvinkel  hin,  also 
mit  dem  Halse  voraus,  entfernt. 

Bei  diesem  Vorgange  hat  man  nicht  nöthig,  die  Wunde  so  weit  zu  lüften,  dass 
Luft  einträte,  was  übrigens  nicht  viel  zu  bedeuten  hat.  Man  hüte  sich,  die  Nadel  zu 
weit  gegen  die  Zonula  Zinnii  hinzuführen.  Mit  der  Spitze  der  Nadel  nach  Beendigung 
des  verticalen  Schnittes  wieder  an  die  Vorderfläche  der  Kapsel  zu  kommen ,  erfordert 
einige  Übung,  und  ist  doch  nothwendig,  weil  sonst  die  Kapsel  leicht  ausweicht,  und 
dann  horizontal  nicht  eingeschnitten  wird.  Man  hüte  sich  vor  jeder  Kraftanwendung, 
und  namentlich  bei  harter  Linse  vor  Druck  auf  dieselbe.  Verschiebung  derselben  und 
daher  schwieriger  Austritt  im  3.  Momente  kann  ebenso  leicht,  ja  noch  viel  leichter  die 
Folge  sein,  als  Sprengung  der  Zonula  und  Glaskörperausfluss.  Die  Iris  soll  weder  an- 
gestochen noch  gequetscht  werden.  Blutung  und  gehinderte  Einsicht,  Schmerz  und  Un- 
ruhe des  Kranken,  nachträglich  Entzündung  können  laut  Erfahrung  die  Folgen  davon 
sein.  Wenn  Hasner  S.  221  die  Jris  für  unempfindlich  hält,  so  ist  das  heutzutage  wohL 
eben  nur  seine  Meinung. 

Sind  hinlere  Sipiechien  vorhanden,  so  müssen  diese  im  2.  Momente 
mit  der  Nadel  gelöst  werden,  indem  man  die  Kapsel  concentrisch  mit 
dem  Pupillarrande  einschneidet.  Das  bei  Catar.  accreta  zu  beobachtende 
Verfahren  geben  wir  weiter  unten  an. 

Ist  vorderer  Kapselstaar  vorhanden  (siehe  S.  261),  so  ist  an  Zer- 
schneidung der  Kapsel  gar  nicht  zu  denken,  da  diese  dann  hiezu  viel 
zu  derb  und  zäh  ist.  Da  solche  Trübungen  jedoch  nur  höchstens  bis 
zur  Insertionsstelle  der  Zonula  hinreichen,  so  führe  man  statt  der  Nadel 
ein  Irishäkchen  ein,  die  Convexität  voraus,  pflanze  nach  einer  halben 
Drehung  (Pronationsbewegung)  die  Spitze  desselben  am  obern  Rande 
der  getrübten  und  verdickten  Partie  ein,  und  ziehe  sodann  die  ganze 
Platte  heraus.  In  manchen  Fällen  folgt  diesem  Zuge  nicht  nur  die  vor- 
dere, sondern  auch  die  hintere  Kapsel  sammt  der  Linse,  wenn  nämlich 
in  Folge  von  Schrumpfung  der  vordem  Kapsel    die    Verbindung    des- 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  313 

Krystallkörpers  mit  dem  Ciliar-  und  Glaskörper  gelockert  oder  getrennt 
ist.  Obwohl  es  bisweilen  geschieht,  dass  bei  dieser  eigentlichen  Extrac- 
tion der  vordem  Kapsel  allein  oder  selbst  des  ganzen  Krystallkörpers 
kein  Glaskörper  nachfolgt,  so  steht  diess  doch  immer  zu  besorgen,  und 
ich  verrichte  daher,  seit  ich  im  Stande  bin,  den  vordem  Kapselstaar 
vor  der  Operation  zu  erkennen,  diese  gewöhnlich  so,  dass  ich  den 
Kranken  im  Bette  liegen  lasse,  und  mich,  wenn  das  linke  Auge  operirt 
werden  soll,  an  die  rechte  Seite  des  Kranken  stelle. 

Die  Verrichtung  der  Extraction  bei  Rüchenlage  des  Kranken  im  Bette  ist  allerdings 
etwas  schwieriger  für  den  Operateur,  jedoch  in  manchen  Fällen  unumgänglich  nothwen- 
dig,  in  andern  von  übenviegendem  Vortheile.  Kranke,  welche  sehr  corpulent  sind,  ver- 
krüppelte Extremitäten  haben  u.  dgl.  sind  nach  vollendeter  Extraction  mitunter  sehr 
schwer  zu  Eette  zu  bringen.  Kranke,  welche  sehr  ängstlich  sind,  deren  Muskeln  bei 
jedem  Versuche,  das  Auge  mit  dem  Instrumente  zu  berühren,  in  krampfhafte  Zusammen- 
ziehung gerathen,  werden  oft  dadurch,  dass  man  sie  sogleich  oder  nach  dem  1.  oder  2. 
Momente  zu  Bette  bringt,  viel  ruhiger.  Kranke  endlich,  bei  denen  mehr  weniger  Grund 
vorhanden  ist,  Verflüssigung  des  Glaskörpers  anzunehmen,  bringe  man  gleich  Anfangs  zu 
Bette.  Was  Hasner,  der  den  Einfluss  der  Augenmuskeln  auf  die  Contenta  des  Bulbus, 
die  Vis  a  tergo  und  folglich  auch  die  synergische  Contraction  derselben  in  Abrede  stellt, 
für  einen  Grund  hat,  die  Rückenlage  des  Kranken  zu  empfehlen  (S.  219),  ist  uns  in  der 
That  unbegreiflich;  denn  das  Gesetz  der  Schwere  ist,  wie  schon  A.  G-  Richter  bemerkt 
hat,  beim  Austreten  der  Glasfeuchtigkeit  gar  nicht  in  Anschlag  zu  bringen.  Dieser  Zufall 
erfolgt  bei  dem  Hornhautschnitte  nach  oben  eben  so  leicht,  wie  bei  dem  nach  unten, 
wenn  man  seine  Ursachen  nicht  kennt  und  ihm  nicht  vorzubeugen  weiss. 

Im  3.  Momente  hat  der  Operateur  nur  wenig  oder  gar  nicht  direct 
einzugreifen.  Bisweilen,  namentlich  wenn  der  Staar  weich  ist,  und  der 
Kranke  die  Muskeln  stärker  wirken  lässt,  wird  der  Staar  schon  nach 
einfacher  Schlitzung  der  vordem  Kapsel  herausgedrängt,  in  welchem 
Falle  dem  Bestreben,  die  Lider  zu  schliessen,  weiter  kein  Widerstand 
entgegen  gesetzt  werden  darf. 

Hat  der  Kranke  nach  Eröffnung  der  Kapsel  einige  Secunden  aus- 
geruht, und  der  Operateur  die  Nadel  und  sodann  das  untere  Lid  abge- 
trocknet, so  wird  der  Davielsche  Löffel  zur  Hand  genommen,  so  dass 
der  Ballen  des  Mittelfingers  noch  vor  dem  Hefte  an  die  convexe  Seite 
desselben  zu  liegen  kommt,  mithin  bei  Anlegung  der  Hand  mit  der 
Dorsalfläche  des  Bing-  und  kleinen  -Fingers  an  die  Wangenbeingegend 
dieses  Instrument  in  der  Gegend  des  äussern  Wundwinkels  in  Bereit- 
schaft gehalten  wird,  die  Panne  nach  vorn  und  innen  gerichtet.  Erfolgt 
das  Werfen  der  Linse  um  die  horizontale  Achse  nicht  schon  in  Folge 
stärkeren  Aufwärtsrollens  des  Bulbus  oder  gelinden  Druckes  mittelst 
des  untern  Lides  auf  denselben,  so  drücke  man  mittelst  des  Davielschen 
Löffels  leicht   auf  die   obere  Partie   der  Hornhaut.    Bevor  man  jedoch 


314  Krystalllinse. 

irgend  einen  Druck  auf  den  Bulbus  übt,  muss  man  sicher  sein,  dass 
man  die  Kapsel  gehörig  eröffnet;  hintere  Synechien  gelöst,  den  Horn- 
hautschnitt nicht  zu  klein  gemacht  und  den  Staar  nicht  zur  Seite  ver- 
schoben hat.  Durch  unzweckmässigen  Druck  kann  man  auch  im  3.  Mo- 
mente erst  die  Linse  luxiren.  Die  Verschiebung  der  Linse  gibt  sich 
bald  dadurch  kund,  dass  bei  Verstärkung  des  Druckes  die  Linse  sich 
nicht  nur  nicht  wirft,  sondern  durch  den  gegen  die  Wunde  andringen- 
den Glaskörper  noch  mehr  zur  Seite  gedrängt  wird,  aufsteigt.  So  wie 
man  diess  bemerkt,  ist  es  am  besten,  den  Kranken  zu  Bette  zu  bringen. 
Dasselbe  hat  man  zu  thun,  wenn  bereits  Glaskörper  in  die  Augenkam- 
mer oder  vor  die  Wunde  tritt.  —  Wo  diess  nicht  der  Fall  ist,  und  der 
Staar  sich  gehörig  einstellt,  hat  man  den  allenfalls  nöthigen  Druck  nur 
bis  zum  Durchschneiden  der  Linse  durch  die  Pupille  zu  verstärken, 
dann  aber  allmälig  zu  vermindern.  Den  zur  Hälfte  entwickelten  Staar 
kann  man  durch  Anlegung  des  Löffels  an  den  Schläferand  nach  innen 
und  unten  herabstreifen.  Sieht  man,  dass  sich  oberhalb  des  Kernes 
Stücke  ablösen  und  zurückbleiben  wollen,  so  kann  man  den  Löffel  vom 
äussern  Winkel  her  über  den  Staar  hinaufführen,  und  den  Staar  mit 
Einem  Male  austreten  machen.  Verfängt  sich  die  Linse  unten  an  der 
Iris,  so  nehme  man  statt  des  Löffels  die  Nadel  zur  Hand,  und  spalte 
lieber  die  Iris  vom  Papillär-  zum  Ciliarrande,  ehe  man  diese  Membran 
zu  grosser  Ausdehnung  und  Zerrung  preis  gibt. 

Wo  Glaskörperausfluss  droht  oder  schon  eintritt,  lasse  man  die  Augen  sogleich 
schliessen,  und  den  Kranken  vom  Assistenten  rücklings  auf  das  vorgehaltene  Knie  und 
an  die  Brust  umlegen.  Selten  wird  es  gerathen  sein,  noch  vor  dieser  Umlegung  sogleich 
den  Davielschen  Löffel  von  unten  her  so  einzuführen,  dass  man  zwischen  der  Iris  und 
dem  untern  Rande  des  Staares  eindringt,  und  mit  der  an  dessen  hintere  Fläche  an- 
gedrückten Rinne  desselben  den  Staar  herausholt.  Lieber  lege  man  ein  locker  zusammen- 
geballtes Tuch  auf  das  Auge,  lasse  es  vom  Assistenten  gelind  an  dasselbe  andrücken, 
und  den  Kranken  ins  Bett  tragen.  Die  Hervorholung  des  Staares  geschehe  dann  auf  die 
angegebene  Weise  oder,  wobei  die  Linse  nicht  so  an  die  Iris  und  Cornea  angedruckt 
zu  werden  braucht,  mittelst  eines  gleich  dem  Davielschen  Löffel  eingeführten  Irishäkchens, 
dessen  Spitze  an  die  hintere  Fläche  der  Linse  eingepflanzt  wird. 

Nur  wenn  die  Menge  des  abgeflossenen  Glaskörpers  nicht  mehr  als  etwa  '/s  der 
ganzen  Masse  beträgt,  lässt  sich  noch  Wiederherstellung  des  Sehvermögens  erwarten. 
Wo  demnach  die  Beseitigung  der  Linse  mit' noch  mehr  Verlust  dieser  Flüssigkeit  droht 
lasse  man  dieselbe  lieber  im  Auge  zurück.  Es  ist  eine  sehr  interessante  Thatsache,  dass 
der  zwischen  den  Wundlefzen  heraushängende  Glaskörper  an  und  für  sich  die  Heilung 
der  Wunde  ohne  Eiterung  nicht  unmöglich  macht.  Daher  ist  es  überflüssig,  die  aus  der 
Wunde  vorragende  Partie  abzuschneiden,  und  vergeblich,  sie  reponiren  zu  wollen.  Bei 
dem  einen  wie  bei  dem  andern  riskirt  man  überdiess  noch  weitern  Vorfall.  Da  der 
Glaskörper  die  Kapsel  seitwärts  drängt,  so  schützt  dieser  Zufall  vor  Kapselnachstaar. 
Desshalb  aber  nach  vollendeter  Extraction  absichtlich  durch  einen  Einstich  in  die  teller- 


Cataracta  —  Behandlang  —  Extraction.  315 

förmige  Grube  Glaskörperabfluss  zu  bewirken ,  wie  Einige  gerathen  haben ,  lässt  sich 
wohl  nicht  rechtfertigen.  Denn  abgesehen  davon,  dass  nach  Glaskörperabfluss  immer  Ver- 
ziehung der  Pupille  mit  vorderer  Synechie  entsteht,  und  dass  der  Kranke  nach  der  Operation 
die  Rückenlage  viel  strenger  und  länger  (durch  mindestens  sechs  Tage)  beobachten  muss: 
die  Vereinigung  per  primain  intentionem  wird  dadurch  an  und  für  sich  mehr  in  Frage 
gestellt.  Zur  Verhütung  von  Kapseln achstaar  besitzen  wir  übrigens  minder  gefährliche 
Kunstgriffe,  die  gehörige  Spaltung  der  Kapsel  und  die  möglichst  vollständige  Beseitigung 
des  Staares  selbst. 

4.  Moment.  In  der  Regel  erkennt  man  schon  unmittelbar  nach 
dem  Austreten  der  Linse,  ob  dieselbe  vollständig  abgegangen  sei  oder 
nicht.  Bisweilen  zeigt  sich's  jedoch  nach  einer  kleinen  Pause,  dass  die 
Papille  nicht  so  rein  ist,  als  es  beim  ersten  Anblicke  geschienen  hatte. 
Zurückgebliebene  Eeste  senken  sich  allmälig  gegen  die  Öffnung  (werden 
hin  gedrängt),  wenn  sie  nicht  an  der  Kapsel,  besonders  in  der  Falze 
an  der  Peripherie  haften.  Es  ist  daher  jederzeit  gerathen,  wo  man  nicht 
vollkommen  überzeugt  sein  kann,  dass  die  ganze  Linse  abgegangen  ist, 
ein  AVeilchen  zu  warten,  bevor  man  den  Verband  anlegt. 

Um  das  Auge  nach  Abgang  der  Hauptmasse  nicht  zu  starkem  Lichte 
auszusetzen,  werde  dasselbe  beschattet  oder  verdeckt.  Wo  nach  dem 
3.  Momente  auf  dem  linken  Auge  noch  dasselbe  Moment  auf  dem  rech- 
ten vorzunehmen  ist,  lege  man  während  dessen  einen  leicht  geballten 
Leinwandfleck  auf  das  linke  Auge  und  drücke  ihn  mit  dem  Mittel-  und 
Ringfinger  der  rechten  Hand  sanft  an  das  Auge  an;  oder  lasse  diess 
vom  Assistenten  tlmn  (mit  der  um's  Kinn  geschlagenen  Hand). 

Wenn  sodann  die  Besichtigung  der  Pupille  oder  der  Linse  zeigt, 
dass  noch  beträchtliche  Reste  zurückgeblieben  sind,  müssen  diese  nach 
einer  kurzen  Pause  herausbefördert  werden.  Diess  kann  auf  zweierlei 
Art  geschehen.  Die  sanfteste  ist  die,  dass  der  Operateur  mit  dem  Zeige- 
finger der  linken  Hand  leicht  von  unten  her  auf  das  untere  Lid  drückt, 
und  mit  dem  an  das  obere  Lid  flach  aufgelegten  Daumen  sanft  von 
oben,  innen  und  aussen  her  streicht,  die  an  der  Peripherie  sitzenden 
Reste  gegen  die  Pupille  und  gegen  die  Wunde  hin  drängt.  Kommt  man 
so  nicht  zum  Ziele,  so  nehme  man  den  Davielschen  Löffel  zur  Hand. 
Dieser  wird  vom  äussern  Winkel  her  so  eingeführt,  dass  seine  Rinne 
nach  vorn  sieht.  Ist  die  Spitze  oben  am  Pupillarrande  angelangt,  so" 
wird  er  zwischen  den  Fingern  so  gedreht,  dass  die  Rinne  nach  unten 
und  innen  gerichtet  ist.  Indem  man  ihn  nun  hebelartig  um  den  Punkt 
dreht,  wo  er  zwischen  den  Wundlefzen  liegt,  und  das  Heft  gegen  das 
Ohrläppchen  hin  senkt,  gleitet  das  vordere  Ende  desselben  mit  seiner 
nach  oben  und  ein  wenig  nach  vorn  gerichteten  Wölbung  an  der  con- 
caven  Fläche   der  Cornea   herab    (sich  an  diese  anschmiegend),    ohne 


316  Krystalllinse. 

dass  die  Iris  gequetscht  oder  die  Wunde  stark  gelüftet  wird.  Wären 
liiebei  oder  schon  früher  Luftblasen  eingetreten,  so  werden  diese  am 
leichtesten  auf  die  oben  angegebene  Weise  mittelst  des  an  das  obere 
Lid  angelegten  Daumens  herausgestrichen.  —  Ob  und  wie  oft  man  mit 
dem  Davielschen  Löffel  einzugehen  habe,  muss  in  jedem  speciellen 
Falle  wohl  erwogen  werden.  Bei  unruhigen  Kranken  kann  man  damit 
leicht  schaden,  die  Iris  oder  Cornea  quetschen,  Glaskörperausfluss  be- 
wirken u.  dgl.  Es  können  Fälle  vorkommen,  wo  die  Belassung  scabröser 
Beste  im  Auge  das  kleinere,  mithin  vorzuziehende  Übel  ist.  —  Stücke 
der  Kapsel,  welche  in  die  Pupille  hereinragen,  mit  einer  fein  gezähnten 
Pincette  zu  fassen  und  auszuziehen ,  darf  man  nur  bei  liegender  Stel- 
lung des  Kranken  wagen. 

Die  Vornahme  von  Sehversuchen  hat  nach  dem,  was  ich  darüber 
beobachtet  habe,  keine  Nachtheile,  im  Gegentheile  mehrere  nicht  uner- 
hebliche Vortheile  für  den  Kranken  und  für  den  Operateur,  sofern  man 
sie  nicht  zu  weit  treibt  und  bei  temperirtem  Lichte  vornimmt.  Das 
Licht  muss  dabei  vom  Bücken  oder  doch  von  der  Seite  her  einfallen. 
Man  überzeuge  sich,  ob  der  Kranke  in  der  gewöhnlichen  Sehweite  die 
Finger,  ein  Taschentuch  u.  dgl.  erkennt;  will  man  noch  weiter  gehen, 
so  lasse  man  nach  einer  kleinen  Pause  die  Höhe  des  Wasserstandes  in 
einem  vorgehaltenen  Glase  mit  dem  Finger  bezeichnen.  Das  Nicht- 
genauerkennen  hat  mich  zur  nochmaligen  Besichtigung  der  Pupille  be- 
bestimmt, und  ötters  noch  ein  mechanisches  Hinderniss  erkennen  lassen. 
Oft  zieht  sich  die  Iris  erst  bei  den  Sehversuchen  in  ihre  normale  Lage 
zurück,  die  Pupille  wird  eng,  und  die  Wundränder  legen  sich  genau 
aneinander.  Für  den  Kranken  ist  es  eine  grosse  Beruhigung  zu  wissen, 
dass  er  sieht,  und  gut  sieht;  viel  leichter  erfüllt  er  dann  den  beschwer- 
lichsten Theil  seiner  Aufgabe,  das  ruhige  Liegen.  Die  neu  bestärkte 
Hoffnung  gibt  ihm  Kraft  und  Ausdauer,  die  Wunde  heilt  leichter,  als 
bei  gedrückter  Gemüthsstimmung.  Übermässige  Äusserung  der  Freude 
lässt  sich  leicht  moderiren.  Auch  nach  der  besten  und  glücklichsten 
Operation  kann  der  Erfolg  selbst  ohne  nachweisbare  äussere  Veranlas- 
sungen im  Verlaufe  der  Nachbehandlung  vernichtet  werden ;  der  momen- 
tane Erfolg  schützt  den  Arzt  wenigstens  rücksichtlich  der  Operation  selbst 
vor  ungerechten  Vorwürfen. 

Das  genaue  Anschmiegen  der  Wundränder  an  einander  kann  ver- 
hindert werden :  durch  kleine  halbdurchsichtige  Linsenpartikelchen,  durch 
die  vorgefallene  Iris,  durch  Blutgerinnsel,  durch  Anstossen  des  Lappens 
an  den  Lidrand.  Nach  der  Extraction  weicher  Staare  senken  sich  bis- 
weilen scabröse  Beste  hiuter  der  Iris,  und  drängen  diese  und  den  Hörn- 


Cataracta  —  Behandlung  —  Exlraction.  317 

hautlappen  etwas  vorwärts.  —  Es  wird  nicht  schwer  sein,  die  Gegen- 
wart solcher  Hindernisse  zu  erkennen.  Linsenstückchen  zwischen  den 
Wundlefzen  werden  mit  dem  Davielschen  Löffel  abgestreift.  Nebenbei 
sei  auch  bemerkt,  dass  man  nachsehen  müsse,  ob  nicht  etwa  Staar- 
stücke  (oder  Augenwimpern)  in  den  Bindehautsack  gerathen  sind,  wo 
sie  nach  Anlegung  des  Verbandes  als  fremde  Körper  reizen  würden. 
Die  vorgefallene  Iris  weicht  entweder  nach  einigem  Zuwarten  von  selbst, 
oder  nach  Vornahme  der  Sehversuche  zurück.  Diesen  Effect  kann  man 
auch  dadurch  erzielen,  dass  man  die  flache  Hand  an  die  Stirn  und  den 
Daumen  leicht  auf  das  obere  Lid  anlegt,  den  Bulbus  sanft  reibt  und 
das  Lid  dann  emporhebt.  Erst  wenn  diese  Mittel  nichts  fruchten,  wähle 
man  die  Reposition  mittelst  des  Davielschen  Löffels.  Wurde  die  Iris 
angeschnitten  oder  der  Schnitt  zu  nahe  an  der  Sclera  geführt,  so  ent- 
steht Bluterguss,  und  das  Gerinnsel  legt  sich  gern  in  die  Wunde.  In 
einigen  Fällen  habe  ich  auch  Blutung  beobachtet,  ohne  dass  die  Iris 
nur  im  mindesten  verletzt  und  wo  der  Schnitt  noch  ganz  gewiss  inner- 
halb des  Liinbus  conj.  geführt  worden  war.  Man  fasse  das  Blutgerinnsel 
mit  einer  Pincette.  Steht  der  Hornhautlappen  ab,  weil  die  Iris  vorwärts 
gedrängt  ist,  so  drücke  man  die  hinter  der  Iris  angesammelten  Staar- 
reste  mittelst  des  untern  Lides  aufwärts  zur  Pupille,  und  entferne  sie 
mit  dem  Davielschen  Löffel.  Wo  Glaskörperausfluss  zu  besorgen  steht, 
bringe  man  jedoch  den  Kranken  lieber  erst  zu  Bette.  Ein  solcher  Stand 
des  untern  Lides  zur  Hornhautwunde,  dass  die  innen  scharfe  Kante 
desselben  an  den  Hornhautlappen  anstösst,  lässt  sich  voraus  erkennen, 
und  man  muss  -desshalb  lieber  den  Hornhautschnitt  nach  oben  machen, 
oder  ihn  so  führen  (etwas  tiefer  oder  höher),  dass  man  diesem  fatalen 
Zufalle,  dessen  Folge  gewöhnlich  Hornhautvereiterung  ist,  möglichst 
vorbeugt,  oder  man  muss  wo  möglich  gar  nicht  extrahiren.  Wird  der 
Fehler  erst  nachträglich  erkannt,  so  lasse  man  den  Kranken  das  Auge 
wie  zum  Schlafen  schliessen,  indem  man  das  untere  Lid  ein  wenig  ab- 
gezogen hält,  oder  man  lasse  den  Kranken  etwas  abwärts  blicken  und 
lege  das  untere  Lid  entsprechend  an,  ehe  der  Kranke  das  Auge  völlig 
schliesst.  Wenn  nach  dem  Abflüsse  des  Kammerwassers  die  Linse  nicht 
vorwärts  rückt,  so  wird  die  Cornea  durch  die  Atmosphäre  eingedrückt, 
eine  Erscheinung,  welche  nach  erfolgtem  Austritte  der  Linse  noch  deut- 
licher auftritt.  Ob  die  Ursache  in  mangelhafter  Contraction  der  Mus- 
keln liege  oder  in  Eigidität  der  Zonula  und  der  hintern  Kapsel,  weiss 
ich  nicht.  Ich  habe  diese  Erscheinung  nur  bei  mehr  gealterten  und 
hagern  Individuen  beobachtet.  Durch  entsprechende  Compression  des 
Bulbus  kann  man   sie  momentan  verschwinden  machen.     Sie  vereitelt 


31 8  Krystalllinse. 

den  Erfolg  nicht  noth wendig,  indem  viele  Augen  trotzdem  ganz  gut 
durchkommen.  Sieht  man,  dass  dieser  Zufall  das  Anschliessen  der  Wund- 
ränder verhindert,  so  ist  es  vielleicht  erlaubt,  die  hintere  Kapsel,  nach- 
dem der  Kranke  zu  Bette  gebracht  ist,  mit  der  Staarnadel  einzustechen. 
Die  Kammer  füllt  sich  mit  Glaskörper  und  die  Wunde  schliesst  sich, 
wenn  jener  sich  nicht  in  dieselbe  hineindrängt. 

c.  Verband  und  Nachbehandlung.  Hat  der  Kranke  bei  gehörig  adap- 
tiven Wundrändern  das  Auge  geschlossen,  so  soll  er  es  nicht  mehr 
öffnen.  Man  verklebe  nun  beide  Augen  mit  Streifen  englischen  Pflas- 
ters, 3 — 4'"  breit,  \"  lang,  so  eingeknickt,  dass  der  Bug  an  die  Lid- 
spalte, '/s  an  das  obere,  2/3  an  das  untere  Lid  zu  liegen  kommen.  Der 
innere  Winkel  und  3  — 4"y  davon  nach  aussen  müssen  unbedeckt  bleiben, 
damit  nachher  der  Abfluss  der  Thränen  leichter  gestattet  sei.  Auf  der 
Stirn  werden  mittelst  einer  um  den  Kopf  geführten  und  über  der  Stirn 
zu  knüpfenden  Binde  zwei  doppelte  Leinwandcompressen  so  befestigt, 
dass  sie  über  die  Augen  herabhängen  und  sich  an  die  Nase  und  Wange 
anschmiegen.  Sofort  wird  der  Kranke  unter  Vermeidung  stärkerer  Mus- 
kelanstrengung zu  Bette  gebracht.  Dieses  soll  nicht  zu  hoch  sein,  da- 
mit sich  der  Kranke  nach  Ablegung  der  unuöthigen  Kleidungsstücke 
rücklings  in  die  Mitte  desselben  setzen  kann.  Während  er  sich  auf  die 
Oberextremitäten  stützt,  lasse  man  ihm  durch  den  Wärter  die  Unter- 
extremitäten hineinheben.  Der  Kopf  darf  nicht  zu  hoch  gelagert  wer- 
den. Wird  der  Kopf  zu  weit  rückwärts  gebeugt,  so  entsteht  leicht  Aus- 
trocknung  des  Halses  und  Husten.  Die  Füsse  dürfen  nicht  unten  ange- 
stemmt, die  Hände  nicht  unter  das  Kreuz  oder  den  Kopf  geschoben 
werden.  Träte  Reiz  zum  Niesen  ein,  so  drücke  der  Kranke  den  Ballen 
des  Daumens  rückwärts  von  den  Schneidezähnen  (in  der  Gegend  des 
Foramen  iueisivum)  an  den  harten  Gaumen.  Will  er  trinken,  so  schiebe 
der  Wärter  eine  Hand  unter  den  obersten  Polster,  um  den  Kopf  leicht 
dem  Trinkgläschen  entgegen  zu  heben. 

Die  ersten  acht  Tage  sei  die  Nahrung  nicht  nur  leicht  verdaulich, 
sondern  auch  so  beschaffen,  dass  sie  nicht  viel  gekaut  zu  werden  braucht. 
(Ich  zweifle,  dass  Operateure,  welche  den  Einfluss  der  Augenmuskeln  auf 
die  Gontenta  des  Bulbus  in  Abrede  stellen,  den  Kranken  gleich  in  der 
ersten  Zeit  Nahrungsmittel  verabreichen  werden,  welche  die  Kaumus- 
keln stärker  in  Gebrauch  nehmen.) 

Man  gehe  nicht  von  der  Ansicht  aus,  dass  Entzündung  durch  strenge 
Diät,  Vermeidung  aller  Fleischspeisen  u.  s.  w.  vermieden,  oder  dass  sie 
an  und  für  sich  durch  Fleischkost  erregt  werden  könne.     Da  aber  der 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  319 

Kranke  ruhig  liegt,  so  braucht  er  auch  weniger,  und  die  Verdauung 
kann  leichter  als  sonst  gestört  werden. 

Merkt  man,  dass  der  Kranke  die  ununterbrochene  Rückenlage  nicht 
vertragen  und  sie  heimlich  selbst  zu  ändern  versuchen  würde,  so  setze 
man  ihn  lieber,  wenn  nur  die  ersten  48  Stunden  vorbei  sind,  vorsichtig 
auf,  wobei  man  ihn  zweckmässig  unterstützen  und  sich  anlehnen  lässt. 
Haben  die  Kranken  den  3.  Tag  überstanden,  so  wird  ihnen  das  Liegen 
gewöhnlieh  minder  schwer.  Vor  dem  6.  Tage  ist  es  nicht  räthlich,  den 
Kranken  aus  dem  Bette  zu  nehmen,  und  vor  dein  10.  nicht,  ihn  her- 
umgehen zu  lassen.  Vor  dem  14.  Tage  habe  ich  noch  keinen  Kranken 
in's  Freie  gehen,  und  vor  dem  18.  Tage  noch  keinen  aus  der  Behand- 
lung austreten  lassen,  wenn  auch  manche  sich  dazu  schon  am  14.  Tage 
zu  eignen  schienen. 

Die  Compressen  müssen  so  oft  mit  frischen  vertauscht  werden,  als 
zu  besorgen  steht,  dass  sie  durch  Eintrocknen  des  Secretes  fester  an- 
kleben würden.  Die  Pflasterstreifen  werden  erst  nach  5 — 6  Tagen  mit 
lauem  Wasser  aufgeweicht  und  sammt  dem  die  Cilien  verklebenden 
Secrete  sanft  abgewaschen.  Bei  Abnahme  des  Verbandes  muss  überhaupt 
jeder  Druck  und  jede  unsanfte  oder  unvermuthete  Berührung  des  Auges 
vermieden  werden. 

Die  Verklebung  der  Wunde  erfolgt  in  24—48  Stunden.  Sie  geht, 
wie  ich  aus  einigen  wenige  Tage  nach  der  Operation  zur  Section  ge- 
kommenen Bulbis  entnehmen  konnte  (von  Kranken,  die  an  Dysenterie 
oder  Pneumonie  gestorben  waren)  von  der  Mitte  der  Hornhaut  aus;  in 
der  Descemetschen  Haut  und  an  der  Vorderfläche  erfolgt  die  Vernar- 
bung zuletzt.  Der  die  Verklebung  vermittelnde  Faserstoff  kann  durch 
zurückgebliebene  Linsenreste  oder  durch  mechanische  Einflüsse  ausge- 
dehnt, selbst  gesprengt  werden.  In  letzterem  Falle  fliesst  das  Kammer- 
wasser ab,  und  es  erfolgt  Anlagerung  der  Iris  an  die  Wunde  oder  Vor- 
fall derselben,  weiterhin  Wiedervereinigung  mit  Einheilung  einer  Iris- 
partie in  eine  mehr  weniger  breite  Hornhautnarbe,  oder  Eiterung  mit 
Vernichtung  eines  Theiles  oder  der  ganzen  Hornhaut,  des  ganzen  Bulbus. 
Die  blosse  Ausdehnung  der  verharschten  Wunde  erscheint  als  darm- 
ähnlicher halbdurchsichtiger  Wulst,  den  man  Keratokele  genannt  hat. 
Ausserdem  kann  Entzündung  der  Iris  durch  dieselben  Momente,  durch 
Verletzung  derselben  bei  der  Operation,  durch  übermässiges  Licht,  durch 
unzweckmässig  und  vorzeitig  angestellte  Sehversuche,  durch  innere, 
nicht  näher  bestimmbare  Ursachen  herbeigeführt  werden.  Der  Eintritt 
solcher  Zufälle  von  Seite  der  Wunde  ist  nur  bis  zum  8. — 10.  Tage  zu 
fürchten,-  Iritis   kann   auch  in  der  3. — 4.  Woche,    überhaupt   so  lange 


320  Krystalllinse. 

nachkommen,  als  das  Auge  noch  in  einem  gereizten  Zustande  verharrt, 
zumal  wenn  der  Operirte  sich  zu  starkem  Lichte  aussetzt,  oder  seine 
»Sehkraft  an  kleinen  oder  glänzenden  Gegenständen  prüft.  Das  recht- 
zeitige Erkennen  solcher  Zufälle  ist  eben  so  wichtig,  da  sich  viele  dann 
noch  beseitigen  oder  unschädlich  machen  lassen,  als  schwierig,  wenigstens 
in  der  ersten  Zeit,  wo  der  Verband  noch  nicht  ohne  Gefahr,  die  Wunde 
zu  sprengen,  abgenommen  werden  kann.  Vor  Allem  muss  man  daher 
den  normalen  Verlauf  kennen. 

In  den  ersten  Stunden  nach  der  Operation  pflegen  sich  die  Kranken 
bloss  über  die  Empfindung  zu  beschweren,  als  ob  etwas  ins  Auge  ge- 
fallen wäre.  Diese  Empfindung  steigert  sich  manchmal  bis  zu  flüchtigen 
Stichen  oder  zu  einem  andauernden  Drucke.  Wenn  diese  Empfindungen 
allmälig  abnehmen  und  aufhören,  wenn  sie  sich  wenigstens  weilenweise 
ganz  verlieren,  nachdem  sich  Flüssigkeit  aus  dem  innern  Winkel  ent- 
leert hat,  so  kann  man  wohl  annehmen,  dass  sie  bloss  durch  längere 
Zurückhaltung  derselben  bedingt  waren.  Hält  der  Druck  länger  an,  wird 
er  durch  den  Abfluss  von  Thränen  wenig  oder  gar  nicht  gemindert, 
und  tritt  Kopfschmerz  oder  Temperaturerhöhung  an  der  Wange  der 
entsprechenden  Seite  dazu,  so  hat  man  Grund  anzunehmen,  dass  sich 
Entzündung  entwickele,  welche  antiphlogistische  Behandlung  erheischt. 
Siehe  Iritis  traumatica  S.  57  und  58. 

Im  Verlaufe  des  4.  oder  5.  Tages  fängt  die  Bindehaut  auch  bei 
ganz  normalem  Verlaufe  an,  etwas  Schleim  abzusondern,  der  sich  im 
innern  Winkel  ansammelt.  Auch  ein  leichtes  Anlaufen  des  obern  Lides 
längs  des  Randes  ist  an  und  für  sich  noch  kein  Zeichen  excessiver  Re- 
action.  Am  5.  oder  auch  schon  am  4.  Tage  bemerken  die  Kranken 
gewöhnlich  Jucken  der  Augen,  haben  jedoch,  wenn  sie  die  Bulbi  will- 
kürlich oder  unwillkürlich  bewegen,  keine  Beschwerde.  Vorfall  der  Iris 
oder  Keratokele  pflegt  sich  durch  das  Gefühl  eines  fremden  Körpers 
im  Auge,  zeitweilige  flüchtige  Stiche,  Schmerz  beim  Bewegen  des  Bul- 
bus und  stärkeres  Nässen  des  Auges  anzukündigen.  Wo  Vereiterung  des 
Hornhautlappens  eintritt,  bleiben  merkliche  Schwellung  des  obern  Lides, 
Temperaturerhöhung  über  dem  Wangenbeine  und  Ausscheidung  schleimig- 
eitriger Flüssigkeit  im  innern  Winkel  nicht  lange  aus,  und  nehmen  sehr 
bald  (in  24  Stunden)  einen  hohen  Grad  ein.  Zu  Anfang*  wird  dieser 
traurigste  aller  Zufälle,  welcher  meistens  zu  Vereiterung  der  ganzen 
Cornea  führt,  nicht  immer  durch  Schmerzen  im  Auge  oder  Kopfe  ange- 
kündigt; greift  die  Entzündung  auf  die  Iris  und  Chorioidea  über  (pano- 
phthalmitis),  so  wird  nach  (2 — 3)  wochenlanger  Dauer  auch  die  Form  des 
Bulbus  unter  den  heftigsten  Schmerzen  vernichtet. 


Cataracta  —  Behandlung-  —  Extraction.  321 

Wo  Zeichen  von  Entzündung  auftreten,  mache  man  zunächst  kalte 
Umschläge,  indem  man  4 — 6fach  zusammengelegte  Leinwandfleckchen, 
etwa  2"  hing  und  hreit,  in  kaltes  Wasser  getaucht  oder  auf  Eis  gelegt 
und  gut  ausgedrückt,  so  auflegt,  dass  sie  sich  an  die  Lider  und  den 
innern  Winkel  anschmiegen,  ohne  das  Auge  zu  drücken.  Reichen  diese 
nicht  hin  oder  lässt  sich  ihre  Unzulänglichkeit  gleich  voraus  sehen,  so 
lege  man  S — 12  Blutegel  an  die  Schläfe,  mindestens  i"  vom  äussern 
Winkel  entfernt.  Vom  Aderlassen,  das  ich  in  den  ersten  Jahren  meiner 
Praxis  mehrmal  vorgenommen  habe,  konnte  ich  keinen  entschiedenen 
Nutzen  wahrnehmen;  desshalb  und  wegen  der  damit  verbundenen  Un- 
zukömmlichkeiten unter  Verhältnissen,  wo  Ruhe  des  Gemüthes  sowohl 
als  des  Körpers  vor  Allem  noth  thut,  bin  ich  später  davon  abgegangen. 
Entleerungen  des  Darmcanales  lassen  sich  durch  Clysmata,  Bitterwasser, 
Fol.  sennae  praeparata  mit  einem  Mittelsalze  u.  dgl.  erzielen.  Doch 
wende  ich  sie  ohne  dringende  Anzeige  nicht  vor  dem  4.  Tage  an.  Das 
Gefühl  von  Beklemmung  oder  Stechen  auf  der  Brust,  von  Aufgebläht- 
sein des  Unterleibes,  von  Kopfschmerzen  und  ähnlichen  Zufällen,  welche 
den  2. — 4.  Tag  aufzutreten  pflegen,  wird  oft  dadurch  behoben,  dass 
man  den  Kranken  einige  Zeit  sitzen  lässt.  In  mehreren  Fällen  hat  die 
Verabreichung  von  etwas  Kümmel wasser,  Krausemünzaufguss  u.  dgl. 
gute  Dienste  geleistet.  Doch  muss  man  jedesmal  untersuchen,  ob  sich 
nicht  etwa  Pneumonie  entwickle,  wie  ich  mehrere  Male  beobachtet  habe. 

Wenn  die  Zeichen  vorhanden  sind,  welche  auf  Prolapsus  iridis 
deuten,  und  noch  mehr  wenn  man  sich  nach  Abnahme  des  Verbandes 
von  dessen  Gegenwart  überzeugt  hat,  nehme  man  es  mit  der  Einhal- 
tung der  Ruhe  etwas  strenger,  lasse  die  Augen  wieder  geschlossen  hal- 
ten und  fleissig  kalte  Umschläge  machen,  oder,  wenn  der  Kranke  diese 
nicht  verträgt,  mit  Aqua  Goulardi  fomentiren.  Zur  Punction  oder  zur 
Abkappimg  mit  einer  kleinen  Louisschen  Scheere  schreite  man  nur  bei 
grossen  Hornhautbrüchen  oder  Irisvorfällen  und  erst  dann,  wenn  man 
sieht,  dass  sie  mehrere  Tage  lang  unverändert  bleiben  oder  noch  zu- 
nehmen. 

War  Glaskörper  ausgeflossen,  so  sieht  man  nach  Abnahme  des  Ver- 
bandes, welcher  in  diesem  Falle  nicht  vor  dem  8.  Tage  zu  geschehen 
hat,  eine  weissliche,  schleimige  Masse  aus  der  Wunde  heraushängen, 
welche  bei  fortgesetzter  ruhiger  Haltung  des  Auges  völlig  abgeschnürt 
und  abgestossen  wird. 

Wird  die  Vernarbung  durch  Anstossen  des  untern  Lides,  oder  wie 
diess  öfters  bei  alten  Leuten  mit  schlaffer  Haut  vorkommt,  durch  Ein- 
wärtswendung desselben  gegen  den  Bulbus  gestört,    so  ziehe  man  das- 

Arlt  Augenheilkunde.  II.  21 


322  Krystalllinse. 

selbe  ein  wenig  ab  und  fixire  es  durch  Bestreichen  und  Fixiren  der 
Hautfalten  mit  Collodium. 

Nach  Abnahme  des  Verbandes,  welche  immer  bei  sehr  temperir- 
tem  Lichte,  am  besten  gegen  Abend  geschieht,  lasse  man  die  Augen 
nur.  so  lange  öffnen,  als  zu  ihrer  Besichtigung  nöthig  ist.  Zur  Vermei- 
dung heftiger  Gemüthsbewegung  für  den  Fall,  dass  der  Kranke  etwa 
nicht  sähe,  mache  man  ihn  schon  vor  der  Abnahme  darauf  aufmerk- 
sam, dass  er  vielleicht  nicht  sogleich  sehen  werde,  dass  sich  manch- 
mal etwas  vor  die  Pupille  vorlege,  was  erst  später  verschwinde,  u.  dgL 
Wird  diese  Vorsicht  ausser  Acht  gelassen,  so  riskirt  man,  dass  der 
Kranke  weine,  Hoffnung  und  Geduld  verliere,  und  das  nicht  mehr  er- 
fülle, was  zur  Wiederherstellung  des  Sehvermögens  (z.  B.  Zurückziehung 
eines  Irisvorfalles)  nöthig  ist.  Ob  der  Kranke  sehe,  erkennt  der  Ope- 
rateur sogleich  an  einem  eigenthümlichen  Glänze  des  Auges,  der  durch 
die  Hornhaut  auf  schwarzem  Hintergrunde  (der  offenen  und  freien  Pu- 
pille) bedingt  wird.  Nur  wo  dieser  Glanz  vorhanden  und  das  Auge 
wenig  oder  gar  nicht  geröthet  ist,  mag  man  dem  Kranken  die  Freude 
gönnen,  dass  er  etwa  die  Zahl  der  vorgehaltenen  Finger  bestimme. 
Ausserdem  verwende  man  die  Zeit  des  Offnens  lieber  zur  genauen  Be- 
sichtigung des  Auges  bei  temperirtem,  von  der  Seite  her  einfallendem 
Lichte.  —  Sieht  der  Kranke,  so  gestatte  man  ihm  das  Offnen  der  Augen 
Anfangs  immer  nur  durch  einige  Minuten,  3-,  4-,  5  — 6mal  des  Tages, 
und  verbiete  ihm,  seine  Augen  an  verschiedenen  Objecten  zu  prüfen. 
Der  ununterbrochene  Gebrauch  der  Augen  erscheint  erst  dann  zulässig, 
wenn  das  Herumgehen  gestattet  werden  kann.  Eben  so  gehe  man  in 
der  Verminderung  der  Dunkelheit  (durch  Abnahme  des  innersten  Vor- 
hanges von  oben  her)  stufenweise  vorwärts.  Beim  ersten  Ausgehen, 
welches  Abends  geschehe,  bemerke  man  dem  Kranken,  dass  er  alles 
wie  mit  Schnee  bedeckt  sehen  werde.  Eines  Augenschirmes,  welchen 
man  nach  Abnahme  des  Verbandes  immer  tragen  lässt,  so  dass  derselbe 
1  — 2  Zoll  über  die  Augenbrauen  herabreicht,  bedarf  der  Kranke  in  der 
Eegel  bis  zu  Ende  der  6.  Woche  nach  der  Operation.  Derselbe  be- 
stehe aus  einem  etwa  4"  breiten  und  8 — 9"  langen  Kartenpapiere,  wel- 
ches mit  einem  nicht  glänzenden  und  dunkelfarbigen  (grünen)  Stoffe 
überzogen  und  mit  Bändern  um  den  Kopf  herum  befestigt  wird.  Zur 
Temperirung  des  Lichtes  kann  man  einige  Wochen  lang  auch  blass- 
blaue oder  graue  Plangläser  tragen  lassen. 

3.    Modificationen  der  Extraction. 

a.  Extraction  mit  nach  oben  gerichtetem  Hornhautschnitte.  Diese 
schon  von  Richter  vorgeschlagene  Methode  wurde    von  Fr.  Jäger  und 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  323 

JRosas  der  Extraction  nach  unten  vorgezogen,  und  von  ersterem  fast 
ausschliesslich  geübt,  Anfangs  mit  einem  eigens  construirten  Doppel-, 
später  mit  dem  einfachen  Versehen  Staarmesser.  Sie  unterscheidet 
sich  in  der  Ausführung  nur  dadurch  von  der  Extraction  nach  unten, 
dass  die  Schneide  des  Messers  aufwärts  gerichtet  wird,  während  der 
Kranke  das  Auge  abwärts  rollt,  und  der  Assistent  das  obere  Lid  stär- 
ker aufwärts  zieht.  Ihr  Hauptvorzug  besteht  darin,  dass  die  Wund- 
ränder durch  Anschliessen  des  obern  Lides  genauer  in  Berührung  er- 
halten werden  und  dass  die  Heilung  per  primam  intentionem  nicht  so 
leicht  durch  minder  ruhiges  Verhalten  des  Kranken,  oder  durch  An- 
stossen  des  Lidrandes  an  den  Hornhautlappen  vereitelt  wird.  Wenn 
sich  Keratokele  oder  Prolapsus  iridis  und  sofort  eine  breite  Narbe  bil- 
det, fällt  diese  unter  das  obere  Lid;  wenn  durch  Ausschneidung  oder 
Spaltung  des  Pupillarrandes  der  Iris  ein  Coloboma  gebildet  wurde, 
wird  die  Entstellung  durch  das  obere  Lid  gedeckt  und  die  Blendung 
verhindert;  wenn  Pupillensperre  durch  Verziehung  der  Iris  zur  Horn- 
hautnarbe entstanden  ist,  sind  die  Bedingungen  zur  Pupillenbildung 
günstiger.  Diese  Vortheile  werden  jedoch  dadurch  aufgewogen,  dass 
diese  Methode  in  allen  drei  Momenten  schwieriger  auszuführen  ist,  um 
so  mehr,  je  tiefer  (weniger  flach)  die  Augen  liegen,  je  minder  ruhig 
der  Kranke  und  je  minder  geübt  und  verlässlich  der  Assistent  ist.  Im 
1.  Momente  kann  man  dem  Streben  des  Auges,  nach  innen  und  oben 
zu  fliehen,  leicht  durch  gehörige  Handhabung  des  Messers  entgegen 
wirken;  im  2.  und  3.  Momente  dagegen,  wo  auch  die  Anwendung  von 
Ophthalmostaten  eine  sehr  missliche  Sache  ist,  kann  man  dadurch,  dass 
der  Kranke  es  nicht  über  sich  bringen  kann,  abwärts  zu  schauen,  in 
grosse  Verlegenheit  gebracht  werden.  Das  Werfen  und  Austreten  har- 
ter und  in  eine  zusammenhängende  Masse  geronnener  Linsen  kann 
überdiess  dadurch  sehr  erschwert  werden,  dass  man  oben  einen  breitern 
Saum  Cornea  stehen  lassen  muss,  als  unten,  wo  der  Limbus  conjun- 
ctivae viel  schmäler  ist. 

Vor  Prolapsus  iridis,  Eiterung  in  der  Wunde  und  Vernichtung  des 
ganzen  Auges  sichert  übrigens  auch  der  Schnitt  nach  oben  nicht,  und 
Irisvorfälle  nach  oben  dürften  (nach  meinen  vergleichenden  Beobachtun- 
gen) schwieriger  heilen,  als  nach  dem  Schnitte  nach  unten.  Endlich 
gibt  es  Augen,  bei  denen  der  Stand  des  obern  Lides  zur  Hornhaut  ein 
solcher  ist,  dass  die  innere  Kante  gerade  an  oder  noch  oberhalb  der 
Wunde  zu  liegen  kommen  würde.  (Von  330  im  Institute  durch  Extrac- 
tion operirten  Individuen  wurde  bei  5  t  der  Schnitt  nach  oben  geführt. 
Ich  hatte  also,  abgesehen  vom  Spital e,  wo  der  Schnitt  nach  oben  theils 

21* 


324  Krystalllinse. 

von  mir,  theils  von  nieinen  Assistenten  relativ  Läufiger  vorgenommen 
wurde,  GelegenLeit  genug,  beide  Metboden  mit  einander  zu  vergleicben.) 

b.  Die  Extraction  mit  einem  kleinern  Hornhautschnitte  oder  einem 
blossen  Einstiche  in  die  Cornea  bietet,  wo  sie  zulässig  ist,  die  Vortheile 
der  Extraction  obne  deren  Nachtbeile. 

Wir  baben  bereits  bemerkt,  dass  bei  sehr  weichen  und  besonders 
bei  peripherisch  flüssigen  Staaren  der  Schnitt  bloss  auf  etwa  2/5  des 
Hornhautunifanges  angelegt  zu  werden  braucht.  Es  gibt  aber  Fälle, 
wo  es  genügt,  bei  stark  erweiterter  Pupille  die  Hornhaut  anzustechen, 
und  ihr  eine  2 — 3"'  lange  Wunde  beizubringen.  Der  Einstich  geschieht 
am  besten  mit  einem  Lanzenmesser,  wie  bei  der  Pupillenbildung,  und 
zwar  von  aussen  oder  von  unten  und  aussen  her.  Der  Schnitt  laufe 
zum  Rande  parallel,  jedoch  nahezu  \'"  davon  entfernt,  damit,  wenn 
nach  Abfluss  des  Kammerwassers  die  Pupille  enger  wird,  die  Iris  nicht 
verletzt  werden  müsse.  Vor  einer  breiten  Narbe  hat  man  sich  hier 
nicht  zu  fürchten. 

Hat  man  einen  flüssigen  oder  sehr  weichen  einfachen  Linsenstaar 
vor  sich,  so  kann  man  mit  einer  geraden  oder  krummen  Nadel  ein- 
gehen, und  die  Kapsel  mehrfach  einschneiden.  Ich  ziehe  jedoch  den 
Gebrauch  des  Irishäkchens  (wie  zur  Pupillenbildung)  vor,  weil  es  nach 
dem  Abflüsse  des  Kammerwassers  nicht  immer  gelingt,  mit  der  Nadel 
die  Kapsel  in  Zipfel  zu  spalten,  wogegen  das  Häkchen  nur  an  dem 
vom  Einstiche  entferntesten  Punkte  nächst  dem  Pupillarrande  in  die 
Kapsel  eingepflanzt  und  heraus  gezogen  zu  werden  braucht,  um  ganz 
sicher  eine  Zipfelwunde  zu  erhalten.  Für  die  hiezu  nöthige  Ruhe  des 
Auges  lässt  sich  durch  Chloroform  oder  durch  einen  Ophthalmostaten 
sorgen.  —  Ist  zugleich  die  vordere  Kapsel  verdunkelt  und  verdickt, 
so  folgt  sie  dem  Zuge  des  Häkchens  und  wird  durch  die  Wunde  ent- 
fernt. Das  Austreten  der  Linse  befördert  man  dadurch,  dass  man  einen 
Davielschen  Löffel  in  die  Wunde  bringt.  Wenn  die  Iris  nicht  hindernd 
entgegentritt,  wird  es  auch  erlaubt  sein,  einzelne  Linsenstücke  mit  die- 
sem Instrumente  hervorzuholen. 

Dieses  Verfahren  ist  von  Gibson*)  so  geübt  worden,  dass  er  die  Eröffnung  der 
Kapsel  2—3  Wochen  vorher  mit  einer  Nadel  unternahm.  Doch  schon  Travers  (ibid.\ 
vereinigte  beide  Momente  in  eine  Sitzung,  indem  er  mit  seinem  Staarmesser  1/t  des  Horn- 
hautumfanges  eröffnete,  und  die  Zerstücklung  der  Kapsel  mit  der  Spitze  des  Messers 
verrichtete.  „Der  flüssige  Staar  wird  augenblicklich  mit  der  wässrigen  Feuchtigkeit  aus- 
geleert: der  flockige  Staar  tritt  häufig  ganz  aus  dem  Auge  und  nimmt  eine  oblonge  Ge- 
stalt an;  der  käseartige  Staar  wird  stückweise  mit  dem  Löffelchen  ausgeleert,  wenn  man 
den  Rand  der  Pupille  sanft  deprimirt."  —  Die  Einführung  des  Häkchens,  um  getrübte  und 

*)  MaktnzU  1.  c.  S.  (J12. 


Cataracta  —  Behandlung  —  Extraction.  325 

verdickte  Kapseln  damit  einzureissen  oder  auszuziehen,  habe  ich  von  Fr.  Jäger  kennen 
gelernt,  welcher  diesen  Act  als  Modifikation  der  Discissio  cataractae  übte  und  ihn  Disla- 
ceratio  capsulae  nannte.  Die  Linse  selbst  wurde  nicht  entfernt,  sondern  der  Eesorption 
überlassen. 

Hat  man  es  mit  einem  hautigen  (Nachstaare)  oder  mit  einem 
trockenhülsigen  Staare  zu  thnn,  so  erweitere  man  die  Pupille  so  viel 
als  möglich  durch  Belladonna,  und  suche  jene  Stelle  auf,  wo  der  Staar 
am  wenigsten  fest  mit  den  Ciliarfortsätzen  oder  mit  der  Iris  zusammen- 
hängt. Dieser  Stelle  gegenüber  (diametral  entgegen  gesetzt)  wähle 
man  den  Einstichspunkt  in  die  Hornhaut,  gleichfalls  nicht  zu  nahe  am 
Rande.  Würde  sich  z.  B.  bei  erweiterter  Pupille  eine  freiere  (schwarze 
oder  durchscheinende)  Stelle  nach  oben  gelegen  zeigen,  oder  wäre  der 
Staar  unten  mit  der  Iris  verwachsen,  so  dringe  man  mit  dem  Lanzen- 
messer durch  eine  unten  (unten  und  aussen,  unten  und  innen)  gelegene 
Partie  der  Hornhaut  ein.  Auch  hier  muss  für  Ruhe  und  entsprechende 
Stellung  des  Bulbus  durch  Narkosis  oder  einen  Ophthalmostaten  ge- 
sorgt werden.  Durch  diesen  Einstich  führe  man  ein  etwas  stärkeres 
Irishäkchen  zu  der  Lücke  oder  dünnsten  Stelle  im  Staare,  und  ziehe 
diesen  zur  Wunde  heraus.  Hängt  er  zu  fest,  z.  B.  unten  an  der  Iris, 
so  schneide  man  das  hervorgezogene  Stück  mit  der  Scheere  ab,  und 
reponire  das  übrige.  Reisst  die  Masse  ein,  so  prüfe  man,  ob  nicht 
etAva  schon  dieser  Einriss  oder  die  Verschiebung  nach  der  Seite  ge- 
nüge, einen  hinreichend  grossen  Theil  der  Pupille  frei  zu  bekommen, 
ehe  man  neue  Estractionsversuche  macht.  Da  in  solchen  Fällen  der 
Abfluss  von  etwas  Glaskörper  fast  unvermeidlich  ist,  so  lasse  man  den 
Kranken  zur  Operation  im  Bette  liegen.  In  der  Mehrzahl  solcher  Fälle 
fand  ich  den  Glaskörper  flüssiger,  als  im  normalen  Zustande.  —  Manch- 
mal ist  der  häutige  oder  trockenhülsige  Staar  so  beschaffen,  dass  man 
den  Einstich  gerade  vor  einer  Lücke  machen,  und  ihn  mit  einer  gut 
gezähnten  Pincette  herausziehen  kann,  indem  man  einen  Arm  durch 
die  Lücke  oder  dünnste  Stelle  der  Catar.  an  ihre  hintere  Fläche  führt. 
—  Manche  dieser  Staare  haften  so  fest  an  dem  Ciliarkörper,  dass  eher 
die  Sclera  nachgibt  und  einwärts  gezogen  wird,  als  dass  man  sie  her- 
ausziehen könnte.  Solche  Staare  lassen  sich  aber  auch  auf  keine  an- 
dere Weise  beseitigen.  —  Dass  grössere  Pyramidenstaare  (denn  nur 
diese  können  Gegenstand  der  Operation  werden)  auf  dieselbe  Weise 
mit  einer  in  die  vordere  Kammer  eingeführten  Pincette  ausgezogen 
werden  können,  wurde  schon  früher  erwähnt. 

Sichel  hat  gerathen,  solche  Staare  mit  einer  Pincette  durch  eine  Wunde  auszu- 
ziehen, die  man  der  Sclera  etwa  V"  hinter  der  Cornea  und  nach  der  Richtung  eines 
vom  vordem    zum  hintern  Pole  laufenden  Meridianes  beibringen  soll,  und  Desmarres  hat 


326  Kry  stalllinse. 

zu  dieser  Extraction  ein  sehr  sinnreich  construirtes  Instrument,  das  er  Serre-tele,  später 
Pince  capsulaire  nannte,  anfertigen  lassen.  Da  zur  Einführung  einer  gewöhnlichen  Pin- 
cette  eine  zu  grosse  Scleralwunde  nöthig  ist,  so  wurde  das  Instrument  so  angefertigt, 
dass  es  eine  Eöhre  von  der  Dicke  einer  Stricknadel  bildet,  an  deren  Ende  beim  Nach- 
lass  eines  Druckes  auf  einen  am  Hefte  angebrachten  Knopf  zwei  V/t'"  lange  Branchen 
auseinander  weichen,  welche  eine  Blömer  sehe  Pincette  bilden.  Eine  Schwierigkeit  bei 
der  Anwendung  dieses  nur  zu  leicht  verderbbaren  Instrumentes  besteht  darin,  dass  der 
eine  Arm  vor  die  zu  fassende  Membran  gebracht  werden  muss,  und  die  zweite  noch  grös- 
sere darin,  dass,  wenn  die  Membran  nur  etwas  grösser  ist,  sie  sich  beim  Hinziehen  gegen 
die  Wunde  zusammenballt  und,  falls  die  Wunde  nicht  etwas  grösser  ist,  im  Auge  zurück- 
bleibt. Die  Verletzung,  welche  das  Auge  bei  Anwendung  dieses  Instrumentes  erleidet, 
scheint  mir  nach  dem,  was  ich  aus  eigener  und  fremder  Erfahrung  davon  weiss,  beträcht- 
licher zu  sein,  als  bei  der  Extraction  durch  die  Cornea. 

c.  Die  Extraction  mit  gleichseitiger  Pupillenbildung  oder  Aussclmei- 
dung  eines  Stückes  Iris  wird  hauptsächlich  bei  ausgebreiteten  hinteren 
Synechien  oder  bei  förmlich  angewachsenen  Staai^en  nothwendig.  Die 
Vorsicht  erheischt  es,  den  Kranken  dabei  im  Bette  liegen  zu  lassen. 
Der  Hornhautschnitt  wird  nur  höchstens  auf  2/s  des  Hornhautumfanges 
angelegt,  da  solche  Staare  meistens  weich  sind;  nöthigenfalls  kann  man 
ihn  nachträglich  vergrössern.  Ist,  wie  gewöhnlich,  die  Iris  stark  vor- 
gebaucht, so  wird  das  Staarmesser  bald  nachdem  es  in  die  Augen- 
kammer eingedrungen  ist,  durch  die  Iris  gestossen,  etwa  1 — 1  x\itu  hin- 
ter derselben  fort  geführt,  und  sodann  wieder  durch  die  Iris  und  durch 
die  Cornea  ausgestochen.  Durch  Beendigung  des  Schnittes  wird  somit 
der  Iris  sowohl  als  der  Cornea  eine  Wunde  beigebracht,  die  einen  klei- 
nen Lappen  bildet.  Ist  die  vordere  Kammer  nicht  zu  eng,  so  führe 
man  das  Messer  bloss  durch  die  Hornhaut.  Im  2.  Momente  wird  statt 
der  Nadel  ein  Irishäkchen  eingeführt,  mit  der  Convexität  voraus,  dessen 
Spitze  am  untersten  Theile  des  Pupillarrandes  oder  in  das  die  Pupille 
schliessende  Exsudat  eingepflanzt,  die  Iris  herausgezogen  und  mit  einer 
Scheere  abgeschnitten,  wobei  man  darauf  zu  sehen  hat,  dass  nicht  zu 
viel  Iris  weggenommen,  die  Pupille  nicht  zu  gross  werde.  Ist  dem 
Staare  der  Weg  gebahnt,  so  pflanze  man  das  Häkchen  neuerdings  in 
die  Kapsel.  Ist  diese  normal,  so  reisst  sie  wie  ein  Tuch  ein,  in  das 
man  einen  Haken  einsetzt;  ist  sie  verdickt,  so  reisst  die  verdickte  Par- 
tie ringsum  von  der  Zonula  ab  und  folgt  <5em  Häkchen;  bisweilen  folgt 
die  ganze  Kapsel  sammt  der  Linse  dem  Zuge.  Gewöhnlich,  jedoch 
keineswegs  immer,  folgt  etwas  Glaskörper.  Mit  der  Nachbehandlung 
ist  es  in  solchen  Fällen  eben  so  streng  zu  nehmen,  wie  nach  der  Ex- 
traction mit  halber  Eröffnung  der  Cornea,  wogegen  nach  der  unter  b 
beschriebenen  Modifikation  schon  nach  2 — 3  Tagen  der  Verband  abge- 
nommen werden  kann. 


Cataracta  —  Behandlung  —  Dislocation.  327 

2.    Die  Dislocation  (Reclination  oder  Depression). 

Die  Versenkung  des  Staares  in  den  Glaskörper,  so  dass  er  aus 
dem  Bereiche  der  Pupille  verschwindet,  kann  nach  3  verschiedenen 
Eichtungen  vorgenommen  werden,  a)  Die  hiezu  nöthige  Nadel  wird  zu 
oberst  auf  den  Rand  der  Linse  aufgelegt,  um  diese  gerade  nach  unten 
z-u  drücken ,  wobei  die  vordere  Fläche  der  Linse  nach  vorn  gerichtet 
bleibt  und  mit  ihrer  Mitte  ohngefähr  hinter  die  Ciliarfortsätze  zu  liegen 
kommt.  Diese  Methode,  die  älteste  der  Staaroperationen  überhaupt, 
ist  mit  Recht  aufgegeben  worden,  seit  man  bessere  kennt,  b)  Bei  der 
1785  von  Willburg  angegebenen  Umlegung  des  Staares  wird  die  Linse 
durch  die  an  ihre  Vorderfläche  angelegte  Nadel  so  nach  hinten  und 
unten  in  den  Glaskörper  versenkt,  dass  ihre  hintere  Fläche  zur  untern, 
ihre  vordere  zur  obern,  ihr  unterer  Rand  zum  vordem,  ihr  oberer  zum 
hintern  wird,  c)  Bei  der  1803  von  Scarpa  ausgeführten  Seitwärtslage- 
rung des  Staares  wird  der  gleichfalls  an  der  Vorderfläche  gefasste 
Staar  so  in  die  Gegend  zwischen  den  Muse,  rectus  extemus  und  infe- 
rior umgelegt,  dass  seine  vordere  Fläche  nach  innen  und  oben  (gegen 
die  Glabella  frontis)  gerichtet  ist.  —  Die  zur  Dislocation  erforderliche 
Nadel  wird  von  der  Schläfe  her  durch  die  Sclera  zur  Linse  vorgescho- 
ben {Scleronyxis).  Die  Einführung  der  Nadel  durch  die  Cornea  (Ke~ 
ratonyxis),  seit  Buchhorn  (1806)  und  Langenbeck  (1811)  von  verschie- 
denen Autoren  geübt,   ist  behufs  der  Dislocation  völlig  unzweckmässig. 

Obwohl  ich  im  Allgemeinen  die  Willburg' sehe  Umlegung  der  Scarpa'sehen  vor- 
ziehe ,  so  lasse  ich  doch  hei  den  Übungen  am  Cadaver  zunächst  die  letztere  Methode 
üben,  weil  hiebei  die  Momente,  auf  die  es  bei  der  Reclination  überhaupt  ankommt,  nach 
einem  einfacheren  Principe  dargethan ,  und  die  Hände  besser  eingeübt  werden.  Die 
Gründe  für  diese  Behauptungen  ergeben  sich  aus  den  nachfolgenden  Betrachtungen.  Wir 
werden  auch  bei  dieser  Methode  zunächst  die  Momente  erörtern,  auf  deren  Bewerk- 
stelli°'ung  die  Erreichung  des  Zweckes  beruht  (Mechanismus  der  Operation),  ehe  wir 
das  technische  Verfahren  sammt  den  verschiedenen  Zufällen  und  die  Nachbehandlung  be- 
sprechen. 

Soll  die  Reclination  ihren  Zweck  erfüllen,  so  muss  die  Linse  mög- 
lichst vollständig  aus  der  Kapsel  entfernt  und  so  in  den  Glaskörper 
versenkt  werden,  dass  sie  einerseits  den  Zutritt  der  Lichtstrahlen  zur 
Netzhaut  nicht  mehr  verhindere,  andererseits  aber  auch  weder  die  Re- 
genbogen- noch  die  Netz-  und  Aderhaut  drücke.  Die  vordere  Kapsel 
muss,  falls  sie  nicht  so  dick  und  zähe  ist,  dass  sie  vor  der  Nadel  aus- 
weicht, ringsum  von  der  Zonula  abreisst,  und  der  Linse  folgt,  so  in 
Zipfel  gespalten  werden,  dass  sich  diese  nachher  aus  dem  Bereiche  der 
Pupille  zurückziehen  können.  Ist  die  vordere  Kapsel,  wie  in  der  Regel, 
in  ihrer  Consistenz  nicht  verändert,  so  wird  sie  durch  die  auf  sie  wir- 


328  Krystalllinse. 

keude  Nadel  nothwendig  in  der  Richtung  dieser  letztern,  gewöhnlich 
aber,  jedoch  zufällig  auch  nach  mehreren  andern  Eichtungen  hin  ein- 
geschlitzt; die  Glashaut  und  die  hintere  Kapsel  werden  durch  die  gegen 
sie  andringende  Linse  zerrissen,  und  diese  verdrängt  eine  ihrem  Volu- 
men entsprechende  Menge  Glaskörpers  nach  dem  früher  von  der  Linse 
eingenommenen  Räume  so  lange,  bis  sie  aus  dem  Glaskörper  durch 
Resorption  beseitigt  ist.  Diese  Resorption  erfolgt  in  verschieden  langer 
Zeit,  nach  mehreren  Wochen  oder  Monaten;  man  hat  die  mehr  weniger 
verkleinerte  Linse  aber  auch  nach  mehreren  Jahren  noch  im  Glaskörper 
gefunden.  Die  Hyaloidea  und  die  hintere  Kapsel  kehren  allmälig  in 
ihre  frühere  Lage  zurück  (eigentlich  zu  einer  Ebene,  die  man  sich 
durch  die  Firsten  der  Ciliarfortsätze  gelegt  denke) ,  und  vernarben 
ohne  Trübung.  Wurde  die  vordere  Kapsel  nicht  mit  reclinirt  oder  nicht 
in  Zipfel  zerrissen,  so  zieht  sie  sich  nicht  aus  dem  Bereiche  der  Pupille 
zurück,  wird  theils  durch  Runzelung,  theils  durch  Beschlag  ihrer  innern 
Fläche  mit  Rindensubstanz  oder  durch  Auflagerung  von  Exsudat  ge- 
trübt, und  tritt  hiedurch  dem  Zwecke  der  Operation  mehr  weniger  hin- 
dernd entgegen.  Aber  auch  durch  Zurückbleiben  von  Adel  Rindensub- 
stanz in  der  Kapsel  kann  dieses  Zurückziehen  der  Kapsel  verhindert 
werden,  auf  dieselbe  Weise,  wie  nach  der  Extraction,  rein  mechanisch 
oder  durch  Aufquellen  und  Erregung  von  Entzündung. 

Soll  die  Linse  durch  die  hintere  Kapsel  und  Hyaloidea  in  den 
Glaskörper  hineingedrückt  werden,  und  zwar  mit  einer  Nadel,  die  füg- 
lich nicht  über  eine  halbe  Linie  breit  sein  kann,  so  muss  sie  einen  ge- 
wissen (abnormen)  Grad  von  Consistenz  haben. 

Nimmt  man  den  Bulbus  von  einem  Individuum,  welches  das  50.  Jahr  noch  nicht 
überschritten  hat,  reclinirt  die  Linse,  und  legt  denselben  dann  in  Weingeist  oder  Chrom- 
säure ,  bevor  man  ihn  eröffnet,  so  kann  man  sich  leicht  überzeugen,  dass  die  flach  auf- 
gelegte Nadel  nicht  nur  durch  die  vordere  Kapsel,  sondern  auch  durch  die  Linse  hin- 
durch gegangen  ist.  Reclinirt  man  an  einem  Auge  von  einem  altern  Individuum,  wo  die 
Linse  unbeschadet  ihrer  Durchsichtigkeit  schon  merklich  gelb  und  hart  geworden  ist, 
so  kann  man  sich  auf  dieselbe  Weise  überzeugen,  dass  wohl  der  harte  Kern,  nicht  aber 
die  weiche  Rindensubstanz  in  den  Glaskörper  versenkt  wurde.  Letztere  haftet  dann 
theils  als  trüber  Anflug  an  der  Innenfläche  der  voidern  Kapsel,  hauptsächlich  aber  an 
der  Peripherie  in  der  Falze  zwischen  der  hintern  und  vordem  Kapsel.  Demnach  können 
nur  harte  und  zu  Einer  Masse  zusammengeronnene  Staare  so  vollständig  aus  der  Kapsel 
beseitigt  werden ,  dass  es  nicht  dem  Zufalle  (der  nachfolgenden  Resorption)  überlassen 
"bleibt,  ob  Kapselnachstaar  entstehe  oder  nicht.  Ist  unsere  oben  aufgestellte  Ansicht  wahr, 
dass  nämlich  nach  vollendeter  Trübung  der  Zusammenhang  zwischen  Kapsel  und  Linse 
ein  minder  inniger  sei,  dann  ist  auch  rücksichtlich  der  Reclination  die  Lehre  von  deir 
Reife  des  Staares  nicht  mehr  ein  Theorem  der  Klugheit,  sondern  in  pathologisch-anato- 
mischen Verhältnissen  begründet,  und  als  Ergebniss  vielfältiger  und  umsichtiger  Beobach- 
tungen älterer  Autoren  zu  betrachten. 


Cataracta  —  Behandlung  —  Dislocation.  329 

2.    Beschreibung  des  Vorganges  vor,  bei  und  ?wch  der  Operation. 

a.  Die  Vorbereitung  zur  Reelination  unterscheidet  sich  von  der  zur 
Extraction  zunächst  dadurch,  dass  die  Rücksichten  auf  das  längere 
ruhige  Verhalten  nach  der  Operation  entfallen.  Der  Operirte  kann  nach 
Belieben  sitzen,  selbst  herumgehen.  Das  Benehmen  des  Assistenten  ist 
im  Ganzen  dasselbe.  Von  Instrumenten  braucht  man  nur  eine  Nadel. 
Diese  sei  zweischneidig  und  leicht  nach  der  Fläche  gebogen,  ohnge- 
fähr  nach  dem  Radius  der  vordem  Kapsel.  Die  Flächen  seien  fast 
eben,  oblong  (hinten  ziemlich  steil  in  den  Hals,  vorn  allmälig  in  die 
Spitze  auslaufend),  lieber  etwas  breiter  als  schmäler,  doch  höchstens 
3  5'"  breit,  vom  Halse  bis  zu  Ende  der  Spitze  l4/a — 2'"  lang. 

Diese  Verhältnisse  entsprechen  dem  Baue  des  Auges  and  dem  Zwecke,  den  man 
erreichen  will.  Man  mache  sich  nach  der  im  I.  B.  S.  287  angegebenen  Methode  einen 
frischen  Durchschnitt  von  einem  Bulbus,  um  sich  die  Dimensionen  und  die  Lage  der 
Gebilde,  welche  hier  in  Betracht  kommen,  genau  zu  vergegenwärtigen.  Mit  einer  flach 
gekrümmten  Xadel  läuft  man  weniger  Gefahr,  heim  Vordringen  ihrer  Spitze  zur  Pupille 
die  Iris,  und  beim  Fortschieben  zum  entgegengesetzten  Theile  des  Pupillarrandes  die 
Cornea  anzuspiessen,  als  mit  einer  geraden.  Eine  flach  gekrümmte  Nadel  schmiegt  sich 
ferner  bis  zu  einem  gewissen  Grade  an  die  vordere  Kapsel  an.  Will  man  ein  Brettchen 
in  Wasser  versenken,  so  muss  man  es  im  Schwerpunkte  fassen  und  den  Druck  auch  in 
der  Richtung  des  Schwerpunktes  ausüben.  Mit  der  flachen  Hand  wird  man  den  Schwer- 
punkt nicht  so  leicht  verfehlen,  als  mit  einem  Finger.  Schmiegt  sich  die  Hand  an  das 
Brettchen  an,  so  wird  sie  von  diesem  nicht  so  leicht  abgleiten,  als  ausserdem.  Warum  die 
Länge  von  der  Spitze  bis  zum  Halse  höchstens  2'"  betragen  solle,  kann  erst  durch  die 
Beschreibung  des  Vorganges  selbst  einleuchtend  gemacht  werden. 

Man  kann  auch  hier  die  Reizempfänglichkeit  der  Iris  gegen  das 
Licht  auf  dieselbe  Weise,  wie  vor  der  Extraction,  etwas  abstumpfen. 
Im  Allgemeinen  wird  es  jedoch  besser  sein,  die  Pupille  durch  Atropin 
oder  Belladonna  zu  erweitern.  Hiedurch  verschafft  man  sich  genauere 
Einsicht  auf  den  Gang,  den  die  Nadel  nimmt,  und  vermindert  die  Ge- 
fahr, die  Iris  anzustechen.  Man  hat  rücksichtlich  dieses  Mittels  die  Be- 
sorgniss  ausgesprochen,  dass  bei  erweiterter  Pupille  der  Staar  leichter 
in  die  vordere  Kammer  herein  ausgleiten  könne,  ein  Zufall,  der  in  der 
That  zu  den  misslichsten  gehört.  Ich  bin  indess  der  Ansicht,  man 
solle  es  gar  nicht  dahin  kommen  lassen,  dass  der  Iris  diese  Rolle  zu- 
gewiesen werde,  der  sie  übrigens  bei  ihrer  Nachgiebigkeit  schlecht  ge- 
wachsen ist.  Sie  wird  dadurch  nur  der  Gefahr  der  Zerrung,  Quetschung 
ausgesetzt.  Heftiges  Erbrechen  oder  Entzündung  der  Iris  drohen  nach- 
zufolgen. 

Behufs  der  Reelination  ist  es  zulässig  und  bei  unruhigen  oder  sehr 
furchtsamen  Kranken  sehr  räthlich,  die  Narkosis  durch  Äther  oder  Chlo- 
roform anzuwenden,    oder    wo    diese  anderweitig    gegenangezeigt   er- 


330  Krystalllinse. 

scheint,  den  Bulbus  durch  einen  Ophthahnostaten  (ein  etwas  stärkeres 
Irishäkchen,  nächst  der  Cornea  eingepflanzt)  zu  fixiren,  in  welchem 
Falle  der  Assistent  das  untere  Lid  mit  der  um  das  Kinn  herumge- 
schlungenen Hand  herabzieht. 

b.  Beschreibung  de?'  Operation,  a.  Seitwärtslagerung,  Reclination 
nach  Scarpa  (am  linken  Auge).  Stellung  des  Kranken,  des  Assistenten 
und  des  Operateurs  wie  bei  der  Extraction.  Der  Operateur  nimmt  die 
Nadel  so  in  die  Hand,  wie  das  Staarmesser,  die  Convexität  der  Nadel 
nach  oben  gerichtet.  Das  untere  Lid  wird  nach  unten  und  aussen  her- 
abgezogen. Der  Ring-  und  kleine  Finger  der  rechten  Hand  werden 
mit  der  Dorsalfläche  an  die  Wange  angelegt.  Daumen,  Mittel-  und 
Zeigefinger  werden  massig  gebogen  und  die  Hand  behufs  des  Ein- 
stiches in  die  Pronation  gebracht.  Die  Nadel  wird  von  der  Schläfeseite 
her  in  die  Sclera  eingesenkt,  und  zwar  1  x(z — I'1'  hinter  dem  Hornhaut- 
rande, V2 — 1'"  unter  der  horizontalen  Durchschnittsebene  des  Bulbus, 
eine  Schneide  zum  vordem,  die  andere  zum  hintern  Pole  des  Auges 
gewendet,  und  die  Spitze  senkrecht  auf  die  Tangirungsebene  des  Ein- 
stichspunktes aufgesetzt  (so  als  wollte  man  zum  Centrum  des  Bulbus 
vordringen). 

Die  Nadel  wird  l'/2 — 2'"  hinter  dem  Rande  der  Cornea  eingestochen,  damit  sie 
durch  den  flachen  Theil  des  Corpus  ciliare,  also  auf  dem  kürzesten  Wege  in  das  Innere 
des  Eulbus  eindringe.  Weiter  vorwärts  würde  das  Ligamentum  ciliare  durchbohrt  und, 
da  hier  der  Wundkanal  länger  wäre,  bei  den  hebelartigen  Bewegungen  der  Nadel  ge- 
zerrt werden.  Weiter  rückwärts  hätte  man  sich  nicht  so  sehr  vor  Verletzung  der  Netz- 
haut hinter  der  Ora  serrata  zu  fürchten,  da  diese  hier  über  3'"  weit  hinter  dem  Horn- 
hautrande liegt,  als  vielmehr  davor,  dass  man  dann  nicht  im  Stande  sein  würde,  die 
Nadel  weiterhin  zwischen  der  Iris  und  der  vordem  Kapsel  vorzuschieben.  Unterhalb  des 
horizontalen  Meridianes  soll  man  einstechen,  um  die  daselbst  verlaufende  Arteria  ciliaris 
postica  longa  und  die  sie  begleitenden  stärkern  Venen  und  Nerven  nicht  zu  verletzen. 
Sieht  die  eine  Schneide  nach  dem  vordem,  die  andere  nach  dem  hintern  Pole  hin,  so 
dringt  die  Nadel  in  derselben  Richtung  durch  die  Chorioidea,  in  welcher  deren  Nerven 
und  Gefässe  verlaufen ,  deren  Verletzung  somit  leichter  vermieden  wird ,  als  wenn  eine 
Fläche  vor-,  die  andere  rückwärts  gewendet  wäre. 

Ist  die  Nadel  bis  an  den  Hals  eingedrungen,  so  wird  sie  zwischen 
den  Fingern  gerollt  (vom  Mittel-  und  Zeigefinger  zum  Daumen),  so  dass 
nun  ihre  convexe  Fläche  nach  vorn  sieht.  Durch  Senkung  des  Heftes 
gegen  das  Ohrläppchen  oder  den  Unterkieferwinkel  hin  (Supination) 
wird  sofort  der  Fläche  der  Nadel  eine  solche  Richtung  gegeben,  dass 
ihre  Spitze  beim  Vorschieben  zwischen  dem  Pupillarrande  und  der 
vordem  Kapsel  (an  der  Schläfeseite,  in  dem  Meridiane  des  Einstichs- 
puuktes)  zum  Vorscheine  kommt,  und  sofort  durch  Streckung  der  Fin- 
ger mitten  durch  die  Pupille  vorwärts  geschoben  werden  kann,  bis  ihre 


Cataracta  —  Behandlung  —  Dislocation.  331 

Spitze  ohngefähr  zur  Insertionsstelle  der  Zonula  in  die  Kapsel  (an  der 
Nasenseite)  gelangt. 

Die  Nadel  dringt  zunächst  durch  die  Conjunctiva,  Sclera  und  Chorioidea  in  den 
Glaskörper;  nach  der  Drehung  und  Senkung  des  Heftes  geht  sie  entweder  knapp  an  den 
Ciliarfortsätzen  durch  den  freien  Theil  der  Zonula  oder  durch  die  hintere  Kapsel,  den 
Rand  der  Linse  und  die  vordere  Kapsel  in  die  hintere  Augenkammer.  "Wird  hiebei  das 
Heft  zu  stark  gegen  das  Ohrläppchen  hin  gedrängt,  so  kann  man  in  die  Iris  stechen, 
was  sich  durch  Yerziehung  derselben  verräth ;  wird  sie  zu  wenig  gesenkt,  so  kann  man 
mit  ihr  innerhalb  der  Kapsel  bleiben.  Der  Eintritt  der  Nadel  in  die  Augenkammer  gibt 
sich  durch  rein  metallisches  Glänzen  der  Nadel ,  das  Verweilen  in  der  Kapsel  durch 
Mangel  solchen  Glanzes  kund.  "Wird  die  Nadel  zu  tief  eingestossen,  ehe  man  ihr  Heft 
senkt,  oder  ist  ihre  Spitze  zu  weit  vom  Halse  entfernt  (ihr  flacher  Theil  zu  lang),  so 
wird  beim  Vordringen  derselben  die  Linse  aufgespiesst  oder  nach  vorn  luxirt.  Kann  man 
nicht  in  dem  Meridiane  des  Einstichspunktes  über  den  Eand  der  Linse  in  die  Augen- 
kammer eindringen,  so  wende  man  das  Heft  so,  dass  man  ober-  oder  unterhalb  über  den 
Rand  herüber  gleiten  könne. 

Weiter  als  höchstens  bis  zur  Insertionsstelle  der  Zonula  an  der  entgegengesetzten 
Seite  mit  der  Spitze  vorzudringen  ist  nicht  nur  überflüssig,  sondern  —  nach  meiner  An- 
sicht —  auch  nachtheilig.  Man  kann  dann  leicht  die  Ciliarfortsätze  an  der  Nasenseite 
zerren  oder  selbst  anspiessen.     Die  Folge  ist  Erbrechen  oder  Chorioiditis. 

Ist  man  bis  zu  dem  eben  bezeichneten  Punkte  vorgedrungen,  so 
sehe  man  darauf,  dass  die  Nadel  mitten  durch  die  Pupille  laufe,  mit- 
hin der  Schwerpunkt  der  Linse  getroffen  werde.  Von  nun  an  wird  die 
Nadel  rein  als  Hebel  gebraucht,  dessen  Hyponiochlium  der  Einstichs- 
punkt in  der  Sclera  bildet.  Man  nehme  sich  nur  niemals  vor,  den 
Staar  in  den  Glaskörper  zu  drücken,  sondern  bloss  einen  zweiarmigen 
Hebel  wirken  zu  lassen.  Die  Ebene,  in  welcher  der  Hebel  spielen 
muss,  ist  eine  senkrecht  auf  die  vordere  Fläche  des  Heftes  und  der 
Nadel  gelegt  gedachte.  Sie  fällt  natürlich  zusammen  mit  einer  Ebene, 
die  man  sich  durch  den  Meridian  des  Einstichspunktes,  mithin  senk- 
recht auf  die  Basis  iridis  gelegt  denkt.  Der  Hebel  wird  dadurch  in 
Bewegung  gesetzt,  dass  man  das  Heft,  welches  zu  Anfang  dieses  Tempo 
am  Mittelhandknochen  des  Zeigefingers  ruht,  so  zwischen  den  zu  bei- 
den Seiten  angelegten  3  Fingern  bewegt,  dass  es  sich  allmälig  erhebt 
(nach  innen  und  obenj  und  zuletzt  zur  Iris  einen  "Winkel  von  ohnge- 
fähr  120 — 110  Graden  bildet.  Hiebei  darf  das  Heft  weder  zurückge- 
zogen noch  tiefer  eingesenkt  werden,  was  leicht  auszuführen  ist,  da 
die  Hand  durch  den  an  die  Wange  angelegten  kleinen  Finger  ge- 
stützt wird. 

Je  tiefer  unter  dem  horizontalen  Meridiane  eingestochen  worden  ist,  desto  mehr 
muss  der  Oberarm  an  den  Rumpf  angezogen  gehalten  werden.  Aus  dem  Verhältniss  des 
im  Auge  befindlichen  Hebelarmes  (6 — V")  zum  Hefte  (bis  da.  wo  die  Finger  anliegen^ 
ergibt    sich,    dass    bei  Bewegung   des   langen  Armes  weder  besondere  Kraft  noch  Schnei- 


332  Krystalllinse. 

ligkeit  nothwendig  ist.  Bei  zu  schneller  Bewegung  wirft  sich  der  Staar  leicht  um  die 
Nadel  und  weicht  gegen  die  Augenkammer.  —  "Würde  man  das  Heft  so  stark  heben, 
dass  es  senkrecht  auf  die  Irisebene  zu  stehen  käme,  so  könnte  der  Staar  au  die  Netz- 
und  Aderhaut  angedrückt  werden,  und  Amaurosis  oder  Chorioiditis  bewirken.  An  der 
Nadel ,  etwa  6'"  hinter  der  Fläche  ein  Knöpfchen  anzubringen ,  wie  Einige  gerathen 
haben ,  ist  bei  Beobachtung  des  eben  beschriebenen  Vorganges  überflüssig ,  da  sich  die 
Hand  an  den  kleinen  Finger  stützt. 

Ist  die  Nadel  in  die  letztgenannte  Position  gebracht,  so  halte  man 
sie  einen  Augenblick  ruhig,  bis  der  verdrängte  Glaskörper  wieder 
in  Ruhe  gekommen  ist,  ziehe  sie  dann  in  derselben  Sichtung  bis  zum 
Halse  zurück,  und  senke  das  Heft  wieder  so,  dass  die  Convexität  an 
die  innere  Fläche  des  Corpus  ciliare  zu  liegen  komme.  Kehrt  der 
Staar  gegen  die  Pupille  zurück,  so  braucht  man  nur  die  Nadel  knapp 
an  der  Iris  wieder  vorzuschieben,  um  ihn  neuerdings  zu  reclinireu. 
Bleibt  er  liegen,  so  wird  die  Nadel  in  der  Sichtung  vom  Daumen  zu 
den  beiden  andern  Fingern  gedreht  und  aus  der  Wunde  entfernt. 

Fürchtet  man,  den  Staar  beim  Hinabdrücken  angespiesst  zu  haben,  so  drehe  man 
in  dem  Momente,  wo  die  Nadel  unter  120°  zur  Iris  steht,  diese  so  weit  um  ihre  Achse 
(vom  Daumen  zu  den  andern  2  Fingern),  dass  die  Convexität  dem  Staare  zugekehrt 
wird.  Doch  kann  man  dem  Emporlieben  des  Staares  mit  der  Nadel  meistens  dadurch 
entgeheu ,  dass  man  diese  gegen  die  "Wunde  her  zurückzieht ,  ehe  man  das  Heft  senkt. 
Gegen  vorzeitiges  Herausgleiteu  der  Nadel  aus  der  "Wunde  schützt  das  rasche  Breiter- 
werden der  Nadel  vor  dem  Halse,  deren  Fläche  hei  richtiger  Haltung  jetzt  quer  zur 
Wunde  stehen  muss.  —  Wenn  man  sich  gewöhnt,  die  erste  Drehung  der  Nadel  zum, 
die  zweite  vom  Daumen  zu  machen,  so  weiss  man  jederzeit,  wie  die  Nadel  steht,  braucht 
nicht  erst  nach  der  auf  dem  Hefte  angebrachten  Marke  zu  schauen,  und  kann  seine  ganze 
Aufmerksamkeit  auf  die  Pupille  verwenden.  —  Den  Mittelfinger  von  der  Nadel  zurück- 
zuziehen, kann  bei  unvermutheten  Wendungen  des  Bulbus  leicht  zur  Folge  haben,  dass 
die  Nadel  den  andern  beiden  Fingern  entgleitet.  —  Den  Act  der  Umlegung  zu  oft  zu 
wiedei-holen  und  auf  der  Erreichung  des  Zweckes,  welcher  unter  andern  auch  durch 
Verflüssigung  des  Glaskörpers  vereitelt  werden  kann,  zu  hartnäckig  zu  insistiren,  erscheint 
nicht  gerathen.     Lieber  stehe  man  vorläufig  davon  ab. 

Nicht  selten  erscheint  die  Pupille  trotzdem,  dass  die  Linse  liegen 
geblieben  ist,  nicht  rein  schwarz,  und  man  sieht  die  mit  Sindensubstanz 
beschlagene  Kapsel  zu  einer  oder  zu  beiden  Seiten  des  durch  die  Nadel 
gebildeten  Spaltes  wie  Spinnengewebe  ausgespannt.  Man  muss  dann 
die  Nadel,  bevor  man  sie  aus  dem  Auge  entfernt,  wieder  in  die  Pupille 
vorschieben  und  die  Kapsel  nach  oben  und  nach  unten  spalten,  was 
sich  am  besten  bei  vorwärts  gerichteter  Concavität  ausführen  lässt. 

Rosas*)  empfiehlt,  die  vordere  Kapsel  vor  der  Niederdrückung  der  Linse  mehrfach 
zu  durchschneiden.  Ich  fand,  dass  mir  bei  dieser  Methode  das  Umschlagen  des  Staares 
um  die  Nadel  und  die  Gefahr  des  Eintretens  in  die  vordere  Kammer  öfter  begegnete. 
Die  Ursache  davon   scheint  mir   in  Folgendem   zu  liegen.     Ein   ringsum   freies  Brettchen 

*)  Handbuch  der  Augenheilkunde.   Bd.  III.    S.  29G. 


Cataracta  —  Behandlung  —  Dislocation.  333 

lässt  sich  leicht  in  Wasser  versenken,  sobald  man  nur  den  Schwerpunkt  (Mittelpunkt) 
trifft.  Anders  verhält  sich's,  wenn  das  Brettchen  an  einer  oder  der  andern  Seite  durch 
ein  etwas  Widerstand  leistendes,  doch  zerreissbares  Band  fixirt  ist.  Der  Angriffspunkt 
muss  dann  zwischen  dem  Schwerpunkte  und  dem  Hindernisse  gewählt  werden,  und 
zwar  um  so  weiter  gegen  das  letztere  hin,  je  mehr  es  Widerstand  zu  leisten  vermag. 
Dringt  man  so,  wie  ich  oben  angegeben  habe,  an  die  Vorderfläche  der  Kapsel,  so  genügt 
es.  den  Mittelpunkt  der  Kapsel  und  Linse  zu  fassen,  weil  das  Aufhängeband  derselben 
ringsum  gleichen  Widerstand  leistet.  Geht  man,  wie  Scarpa,  Rosas  u.  A.  gerathen,  mit 
der  Nadel  erst  hinter  den  Staar  und  dann  über  den  obern  Rand  herüber  in  die  Augen- 
kammer, so  muss  die  Nadel  jedenfalls  unter  der  Mitte  angelegt  werden;  wie  weit,  ist 
schwer  zu  bestimmen.  Eine  ähnliche  Störung  des  Gleichgewichts  in  der  Befestigung 
scheint  mir  durch  die  vorausgeschickte  mehrfache  Zerschneidung  der  Kapsel  bewirkt  zu 
werden.  Vorläufige  Luxation  der  Linse  ist  dabei  kaum  zu  vermeiden.  Die  meistens 
ungleichmässige  Befestigung  am  Ciliarkörper  scheint  die  Ursache  zu  sein,  dass  membra- 
nöse  und  trockenhülsige  Staare  auch  dann,  wenn  sie  hinreichend  fest  sind,  schwer  oder 
gar  nicht  reclinirt  werden  können,  und  immer  wieder  aufsteigen  (Catar.  elastica). 

Einzelne  hintere  Synechien  kann  man  mit  der  Nadel  lösen,  nachdem  diese  in  die 
Pupille  vorgedrungen  ist;  bei  ausgebreiteten  oder  totalen  Verwachsungen  der  Kapsel 
mit  dem  Pupillarrande  ist  von  der  Reclination  so  wenig  Erfolg  zu  erwarten,  dass  ihr  die 
Extraction  mit  Pupillenbüdung  vorzuziehen  ist. 

Wenn  sich  der  Staar  beim  Versenken  um  die  Nadel  dreht  und  vor  dieselbe  gelangt, 
so  muss  die  Nadel  so  weit  als  möglich  zurückgezogen  werden,  um  wieder  von  der  Peri- 
pherie her  vor  denselben  gebracht  werden  zu  können.  Wäre  dies  unmöglich,  so  spiesse 
man  ihn  leicht  an,  versenke  ihn  nach  unten,  und  suche  seiner  durch  Drehen  der  Nadel 
und  Auflegen  der  Convexität  auf  denselben  los  zu  werden. 

Ist  er  in  die  vordere  Kammer  vorgefallen,  und  kann  man  ihn  ohne  Gefahr,  die  Iris 
stark  zu  quetschen,  auch  durch  das  eben  erwähnte  Spiessen  nicht  zurück  bringen,  so 
lasse  man  ihn  lieber  liegen,  und  sehe  zu,  ob  er  nicht  etwa,  ohne  zu  heftige  Reaction 
zu  erregen,  allmälig  aufgesogen  werde.  Man  hat  gerathen,  ihn  sogleich  durch  den  Horn- 
hautschnitt zu  beseitigen.  In  Fällen,  wo  man  die  Reclination  desshalb  wählte,  "weil  eben 
die  Bedingungen  zur  Extraction  nicht  günstig  sind ,  ist  der  Arzt  in  einer  fatalen  Lage. 
Da  es  dennoch  möglich  ist,  dass  der  Staar  in  der  vordem  Kammer  liegen  bleibe ,  ohne 
Panophthalmitis  zu  erregen,  so  scheint  es  wohl  im  Allgemeinen  gerathen,  sich  mit  der 
Eröffnung  der  Hornhaut  nicht  zu  übereilen.  Diese  muss  aber  unverweilt  vorgenommen 
werden,  sobald  die  Conjunctiva  ringsum  die  Cornea  deutlich  anschwillt.  Wenn  nur  einige 
Tage  vor  dem  Auftreten  dieses  Gefahr  deutenden  Symptomes  verstrichen  sind ,  wird  man 
den  Staar  an  der  Peripherie  schon  mehr  weniger  erweicht  finden  und  mit  einem  relativ 
kleinern  Hornhautschnitte  ausreichen. 

Hat  man  sich  in  der  Bestimmung  der  Consistenz  geirrt,  erscheint  der  Staar  durchaus 
oder  nur  an  der  Peripherie  erweicht,  so  gestalte  man  entweder  die  Reclination  zur 
Discission.  indem  man  sich  nur  bemüht,  die  Kapsel  nach  mehreren  Richtungen  einzuschnei- 
den und  dieses  mit  möglichst  geringer  Verletzung  des  Auges  abzuthun,  oder  man  punk- 
tire,  namentlich  wenn  verflüssigte  oder  sehr  weiche  Staartheile  in  die  vordere  Kammer 
getreten  sind,  die  Hornhaut  auf  die  S.  324  angegebene  Weise.  Man  hat  nämlich  unter 
solchen  Umständen  nachträglich  starkes  und  rasches  Aufquellen  der  Linsenstücke,  zu 
starke  Spannung  der  Wandungen ,  Iritis  oder  Chorioiditis  und  Arernichtung  der  Sehkraft 
oder   selbst    auch  der  Form  des  Bulbus    zu   besorgen.     Doch  kann  man  mit  der  Punction 


334  Krystalllinse. 

der  Cornea  auch  warten  ,  bis  solche  Zufälle  sich  durch  die  bekannten  Symptome  ankün- 
digen (siehe  Iritis  und  Chorioiditis).  —  Bei  Vornahme  der  Punction  gleich  nach  der 
Operation  ist  mir  immer  aufgefallen,  dass  der  Bulbus  auch  dann,  wenn  durch  die  Scleral- 
wunde  gar  kein  Glaskörper  ausgetreten  war,  viel  weicher  war,  als  im  gewöhnlichen  Zu- 
stande. In  mehreren  Fällen  konnte  ich  die  Differenz  in  der  Spannung  des  Bulbus  vor 
und  nach  der  Beclination  selbst  durch  Betastung  mit  dem  Finger  constatiren.  Ich  weiss 
mir  diese  frappante  Erscheinung  nicht  anders  zu  erklären,  als  dadurch,  dass  durch  die 
Zerreissung  der  Kapsel  das  Diaphragma,  welches  den  Humor  vitreus  vom  Humor  aqueus 
scheidet  und  vom  Ciliarmuskel  in  einer  gewissen  Spannung  erhalten  wird,  zerstört  wor- 
den ist.     Wir  werden  bei  der  Lehre  von  der  Accommodation  darauf  zurückkommen. 

ß.  Umlegung  des  Staares,  Reclination  nach  Willburg.  In  der 
Rückkehr  der  hintern  Kapsel  zu  ihrer  frühern  Lage  liegt  am  häufigsten 
der  Grund,  dass  der  Staar  wieder  in  das  Bereich  der  Pupille  zurück- 
kehrt. Das  sogenannte  Wiederaufsteigen  des  Staares  erfolgt  entweder 
bald  nach  Entfernung  der  Nadel  aus  dem  Auge,  oder  in  den  ersten 
Tagen,  selten  erst  in  der  2. — 3.  Woche.  Je  später  es  erfolgt,  desto 
mehr  geschieht  diess  gradatim,  bald  mit,  bald  ohne  deutliche  Zufälle 
von  Reizung  oder  Entzündung.  Die  Linse  folgt  der  allmälig  zurück- 
kehrenden Kapsel,  wenn  sie  mit  derselben  in  grösserer  Ausdehnung  in 
Berührung  geblieben  war.  Vergegenwärtigt  man  sich  den  Vorgang  bei 
der  Scarpa'schen  Reclination,  so  erkennt  man  leicht,  dass  bei  dieser 
Methode  Kapsel  und  Linse  nur  an  der  Nasenseite  vollständig  von  ein- 
ander entfernt  werden,  an  der  Schläfeseite  dagegen  sehr  nahe  anein- 
ander und  daher  auch  leicht  in  Berührung  bleiben.  Das  Hypomoch- 
lium  ist  dem  Angriffspunkte  zu  nahe  gelegen.  Anders  verhält  sich's 
bei  der  Umlegung  nach  Willburg. 

Bei  der  Umlegung  nach  Willburg  ist  der  Vorgang  derselbe  bis  zu 
dem  Momente,  wo  die  Nadel  an  die  Vorderfläche  des  Staares  angelegt 
wird  und  als  Hebel  zu  wirken  beginnt.  Soll  der  Staar  nach  hinten 
umgelegt  werden,  so  muss  die  Nadel  etwas  oberhalb  des  Mittelpunktes 
aufgesetzt  und  das  Heft  nicht  in  der  früher  angedeuteten  Operations- 
ebene, sondern  in  einer  vor  und  unter  dieser  gelegenen  Curve  gegen 
die  Nasenwurzel  hin  herum  bewegt  werden.  Ist  der  Staar  auf  diese 
Weise  umgelegt,  wobei  er,  da  das  Hypomochlium  an  der  Schläfeseite 
liegt,  immer  auch  mehr  weniger  nach  aussen  hin  geschoben  werden 
muss,  so  steht  sein  unterer  Rand  von  der  Falze,  in  der  er  früher  ruhte, 
ohngefähr  eben  so  weit  rückwärts,  als  bei  der  Scarpaschen  Methode 
der  äussere  Rand  von  der  gleichnamigen  Falze  (zwischen  der  vordem 
und  hintern  Kapsel).  Da  nun  das  Hypomochlium  bei  der  Umlegung 
so  weit  vom  untern  Rande  der  Linse  entfernt  ist,  dass  eine  Hebelwir- 
kung möglich  ist,  wenn  der  untere  (jetzt  vordere)  Linsenrand  zum  An- 


Cataracta  —  Behandlung  —  Dislocation.  335 

griffspunkte  genommen  wird,  so  kann  man  durch  eine  zweite  Bewegung 
der  Nadel  die  Linse  rückwärts  schieben,  mithin  die  Linse  weiter  von 
der  Kapselfalze  entfernen,  als  diess  bei  der  Scarpaschen  Methode  mög- 
lich ist.  So  wird  die  umgelegte  Linse  durch  Rückwärtsschiebung  voll- 
ständig entkapselt;  sie  wird  dann  bloss  vom  Glaskörper,  nicht  mehr 
von  der  Kapsel  umfangen,  und  eine  der  wichtigsten  und  häufigsten  Ver- 
anlassungen zum  nachträglichen  Aufsteigen  ist  beseitigt. 

c.  Nachbehandlung.  Die  bei  der  Extraction  für  Sehversuche  spre- 
chenden Gründe  sind  nach  der  Reclination  nicht  vorhanden.  Wird  das 
Gesicht  bei  temperirtem  Lichte  nur  an  gröbern  Gegenständen  geprüft, 
so  kann  man  dem  Kranken  die  Freude  gönnen,  ohne  die  mindeste  Ge- 
fahr, den  Erfolg  zu  vereiteln.  Der  Operirte  nimmt  die  Objecte  mei- 
stens schon  in  dem  Momente  wahr,  wo  der  Staar  noch  von  der  Nadel 
niedergehalten  oder  diese  noch  im  Auge  belassen  wird,  um  beim  Auf- 
steigen wieder  verwendet  zu  werden.  (Steigt  der  Staar  erst  nach  Ent- 
fernung der  Nadel  auf,  so  möchte  ich  nicht  rathen,  sie  sogleich  wieder 
einzuführen.)  Die  Augen  sollen  durch  einige  Tage  verklebt  und  mit 
leichten  Leinwandflecken  wie  nach  der  Extraction  verdeckt  werden. 
Könnte  man  sich  darauf  verlassen,  dass  der  Kranke  nicht  vorwitzig 
sein  Gesicht  prüfen  möchte,  so  würde  auch  blosse  Beschattung  hin- 
reichen.    So  viel  ist  gewiss,  dass  ein  solcher  Verband  nicht  schadet. 

Der  Operirte  kann  nachher  sitzen  oder  liegen.  Erhöhte  Lage  des 
Kopfes  dürfte  vorzuziehen  sein.  Heftige  Bewegungen  mögen  vorsichts- 
halber gemieden  werden.  Kalte  Umschläge,  Blutentziehungen,  Mercu- 
rial-  und  Abführmittel  sind  nur  bei  excessiver  Reaction  angezeigt,  oder 
wenn  man  Grund  hat,  deren  Eintritt  zu  befürchten. 

Erbrechen,  welches  in  den  ersten  Stunden  nach  der  Operation  ein- 
tritt, hat  in  der  Regel  nichts  zu  bedeuten;  bisweilen  zeigt  es  Aufsteigen 
des  Staares  an.  Opiate  sind  im  Allgemeinen  am  wirksamsten  dagegen ; 
auch  Gegenreize  auf  dem  Epigastrium,  Potio  River!  und  Eispillen  leisten 
gute  Dienste.  —  Später  wird  es  nur  durch  beginnende  Iritis  oder  Cho- 
rioiditis erregt,  und  fordert  zu  energischer  Antiphlogosis  auf.  —  Zeigt 
sich  nach  Abnahme  des  Verbandes  (am  4.  Tage)  oder  später  Hypo- 
pyum,  so  muss  die  Punction  der  Hornhaut  gemacht  werden.  Aberma- 
lige Niederdrückung  des  aufgestiegenen  und  nicht  resorbirten  Staares 
ist  erst  dann  zulässig,  wenn  sich  der  Bulbus  von  jeder  Spur  von  Reizung 
erholt  und  wieder  die  normale  Spannung  erhalten  hat. 

Bezüglich  des  stufenweisen  Überganges  zum  vollen  Tageslichte  und 
gewöhnlichen  Gebrauche  der  Augen  sind  nahezu  dieselben  Rücksichten 
zu  beobachten,  wie  nach  der  Extraction. 


336  Krystalllinse. 

3.    Die  Discissioii  (Discissio  catar.  recte  capsulae  anter.). 

Wir  zerschneiden  oder  zerreissen  die  vordere  Kapsel  in  Zipfel,  so 
dass  sich  diese  gegen  die  Peripherie  hin  zurückziehen,  und  die  der 
Einwirkung  des  Kamnierwassers  preisgegebene  Linse  verflüssigt  und 
aufgesogen  werden  könne.  Die  Zerschueidung  {Discissio)  geschieht  mit 
einer  eigens  construirten  Nadel,  welche  entweder  durch  die  Hornhaut 
[Kevatonywis)  oder  durch  die  Sclera  ( Scler ojiyxis)  eingeführt  wird.  Die 
Zerreissung  [Dilaceratio)  wird  mit  einem  durch  eine  etwa  1'"  lange 
Hornhautöffnung  eingeführten  Irishäkchen  verrichtet,  und  unterscheidet 
sich  von  der  S  324  beschriebenen  Extraction  nur  dadurch,  dass  der 
Schnitt  etwas  kleiner  angelegt  und  die  Linse  im  Auge  belassen  wird. 
Die  Scleronvxis  wird  auf  dieselbe  Weise  verrichtet,  wie  wenn  man  re- 
cliniren  will,  nur  mit  einer  schmälern  Nadel,  welche  füglich  auch  ge- 
rade sein  kann,  und  ohne  absichtliche  Zerstückelung  der  Linse  selbst. 
Es  erübrigt  uns  daher  nur  die  Beschreibung  der  Keratomjxis. 

Die  Momente,  auf  die  es  bei  der  Zweckerreichung  durch  Discis- 
sion  und  Dilaceration  ankommt,  sind  nur  die  Erhaltung  einer  bleiben- 
den Öffnung  in  der  vordem  Kapsel  und  die  Vermeidung  jeder  hiezu 
nicht  streng  notwendigen  Verletzung.  Die  Zerstückelung  der  Linse 
selbst  ist  überflüssig;  sie  kann  übrigens  wegen  der  noth wendig  damit 
verbundenen  grössern  Verletzung  des  Auges  und  wegen  zu  raschen 
Aufquellens  der  Linse  leicht  zu  Entzündung  führen. 

«.  Die  Vorbereitung  zur  Discission  durch  die  Cornea  ist  dieselbe, 
wie  zur  Reclination.  Möglichst  starke  und  andauernde  Erweiterung  der 
Pupille  (durch  wiederholte  Anwendung  von  Belladonna)  ist  hier  unum- 
gänglich nothwendig.  Ebenso  inuss  man  sich  einer  ruhigen  Haltung 
des  Bulbus  im  vorhinein  versichern,  wo  nöthig  durch  Chloroform  oder 
Fixirung  mit  einem  Ophthalmostaten.  Die  Nadel  sei  zweischneidig, 
möglichst  fein  und  von  einer  solchen  Proportion  zwischen  Hals  und 
Fläche,  dass  ersterer  die  von  letzterer  gebildete  Wunde  völlig  ausfülle, 
und  das  frühzeitige  Abfliessen  des  Kammerwassers  hindere,  ohne  bei 
den  hebelartigen  Bewegungen  der  Nadel  die  Cornea  zu  quetschen.  Die 
Fläche  sei  nur  etwa  il&'"  breit,  und  sammt  der  Spitze  (bis  zum  Halse) 
höchstens  1  lii'"  lang,  denn  die  Spitze  soll,  wenn  die  Fläche  durch  die 
Hornhaut  eingedrungen  ist,  wenigstens  den  Kern  der  Linse  noch  nicht 
erreichen. 

b.  Verrichtung  der  Discission.  Man  denke  sich  durch  eine  hori- 
zontale und  durch  eine  verticale  Linie  die  Cornea  in  vier  Quadranten 
getheilt;   der  Einstichspunkt  werde    ohngefähr  in   der  Mitte  des  nach 


Cataracta  —  Behandlung  —  Discission.  337 

unten  und  aussen  gelegenen  Quadranten,  dem  Pupillarrande  der  Iris 
gegenüber  (oder  etwas  höher)  gewählt.  So  wie  die  Lider  fixirt  sind 
und  das  Auge  gradaus  gestellt  ist,  bringt  der  Operateur  die  Nadel  auf 
dieselbe  Weise  wie  im  2.  Momente  der  Extraction  vor  das  Auge,  bloss 
mit  dem  Unterschiede,  dass,  wenn  man  sie  an  den  Bulbus  anlegen 
möchte,  ihre  Spitze  dem  obersten  Theile  des  Pupillarrandes  entsprechen 
würde.  Die  Hand  stützt  sich  dabei  mit  der  Dorsal-  oder  Ulnarseite 
des  kleinen  Fingers  in  der  Gegend  der  Fossa  canina  an  das  Gesicht, 
der  Ellbogen  ist  ganz  an  den  Rumpf  (in  der  Gallenblasengegend)  an- 
gezogen. Durch  Biegung  der  die  Nadel  haltenden  Finger  und  Hebung 
des  Heftes  wird  die  Nadel  senkrecht  auf  die  Tangirungsebene  des  Ein- 
stichspunktes  aufgesetzt  und  durch  Streckung  der  Finger  bis  an  den 
Hals  eingestochen.  Eine  Fläche  sieht  somit  nach  dem  Centrum,  die 
andere  nach  der  Peripherie  der  Cornea.  Indem  man  nun  das  Heft  der 
Nadel,  welche  jederzeit  nur  nach  Art  eines  zweiarmigen  Hebels  ge- 
braucht werden  darf,  senkt,  so  dass  es  olmgefähr  an  den  Mittelhand- 
knochen des  Zeigefingers  anzuliegen  kommt,  gleitet  die  Spitze  nach 
oben  bis  zum  Pupillarrande.  Nun  wird  die  Nadel,  deren  eine  Fläche 
jetzt  rückwärts  sieht,  so  gedreht  (zum  Daumen),  dass  ihre  Schneide 
und  Spitze  oben  auf  der  Kapsel  steht.  Hebung  des  Heftes  (zwischen 
den  drei  zu  beiden  Seiten  liegenden  Fingern),  so  dass  es  sich  wieder 
von  der  Mittelhand  entfernt,  bewirkt  sofort  Herabgleitung  der  Nadel 
an  der  Kapsel  und  verticale  Einschneidung  derselben.  Nach  1 — 2ma- 
liger  Wiederholung  dieses  Manövers  werde  das  Heft  wieder  gesenkt, 
die  Nadel  ein  wenig  zurückgezogen  und  mit  der  Spitze  vor  der  Kapsel 
zum  innern  Ende  des  horizontalen  Pupillendurchmessers  gebracht,  um 
sofort  durch  raschen  Wechsel  zwischen  massiger  Pro-  und  Supination 
die  Kapsel  horizontal  zu  spalten.  *)  Wurde  der  Einstich  senkrecht  ge- 
macht und  wird  nachher  die  Nadel  rein  als  Hebel  der  1.  Art  gebraucht, 
so  bleibt  die  Cornea  unverrückt  und  zeigt  keine  Spur  von  Vertiefung 
oder  Piimzelung. 

Flösse  das  Kammerwasser  vor  der  Ausführung  dieser  Schnitte  ab, 
so  müsste  man  sich  begnügen,  die  Kapsel  bloss  durch  einen  Stich  oder 
Schnitt  eröffnet  zu  haben.  Ebenso  müsste  man  von  der  Operation  ab- 
stehen, wenn  sich  die  Pupille  so  verengerte,  dass  man  die  Iris  quet- 
schen müsste,  oder  wenn  die  Nadel  vorzeitig  aus  dem  Auge  herausge- 
glitten wäre.  —  Will  man  das  tiefere  Eindringen  der  Nadel  in  die 
Linse  bei  den  genannten  Bewegungen   vermeiden,  so  muss  die  Nadel 

*)  Zur  ersten  Einübung  in  diesen  Mechanismus,  den  ich  von  Prof.  Fr.  Jäger  kennen  lernte,  eignen  sich 
Schweins-  oder  Kaninchenaugen  wegen  der  Grösse  der  Papille  am  besten. 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  22 


338  Krystalllinse. 

während  derselben  immer  ein  wenig  zurückgezogen  werden,  weil  sonst 
die  Spitze  der  Nadel  genau  eine  Kreislinie  beschreiben  würde  (wie  ein 
Radius  um  den  Einstichspunkt  in  der  Cornea). 

Wie  wenig  auch  die  Discission  durch  die  Cornea  das  Auge  verletzt,  so  ist  man 
doch  vor  Entzündung  und  Vereiterung  der  Cornea  nicht  absolut  gesichert.  Die  Cornea 
kann  leicht  gequetscht  und  gezerrt  werden .  Auch  gelingt  die  kreuzweise  Spaltung  der 
Kapsel  nicht  immer  so  sicher,  als  man  erwartet,  und  es  erfolgt,  selbst  wenn  die  Linse 
ganz  aufgesogen  wird,  leicht  Catar.  secundaria.  Diese  Umstände  haben  mich  in  den 
letzten  Jahren  bewogen,  statt  der  einfachen  Discission  lieber  die  von  Fr.  Jäger  ursprüng- 
lich für  den  vordem  Kapselstaar  erfundene  Dilaceration  zu  üben. 

Der  etwa  2'"  lange  Einstich  in  die  Cornea  bringt  dem  Auge  durchaus  keine 
Gefahr.  Das  Kammerwasser  fiiesst  erst  bei  der  Einführung  des  Häkchens  ab,  und  um 
ja  die  Iris  nicht  zu  verletzen,  wurde  schon  oben  S.  324  der  Rath  gegeben  ,  den  Einstich 
mindestens  1/i'"  vom  Limbus  conj.  entfernt  zu  machen.  Mit  dem  Häkchen  wird  der 
Kapsel  ganz  sicher  eine  solche  Wunde  beigebracht,  dass  mindestens  ein  Zipfel  gebildet 
wird.  Ist  die  mittlere  Partie  der  Kapsel  getrübt  und  verdickt,  so  wird  sie  mit  dem 
Häkchen  herzausgezogen.  Zu  Grunde  gehen  kann  das  Auge  nur  noch  dadurch,  dass 
durch  zu  rasches  und  starkes  Aufquellen  der  Linse  Chorioiditis  gesetzt  wird.  (Vergl.  S. 
227.)  Auch  diesem  Ausgange  hoffe  ich  künftighin  durch  rechtzeitige  Punction  der  Cornea 
vorbeugen  zu  können. 

c.  Nachbehandlung.  Im  Allgemeinen  dürfte  es  besser  sein,  das  Auge 
auf  dieselbe  Weise,  wie  nach  der  Extraction,  zu  schliessen  und  zu  be- 
schatten, ersteres  jedoch  nur  etwa  durch  24— 48  Stunden.  Dem  vollen 
Tageslichte  darf  sich  der  Kranke  so  lange  nicht  aussetzen,  als  die  vor- 
dem Ciliargefässe  stärker  injicirt  sind,  und  das  Auge  bei  stärkerem 
Lichte  von  Thränen  überfliesst.  Diese  Zufälle  treten  auch  bisweilen 
ein,  nachdem  das  Auge  schon  von  jeder  Reizung  frei  zu  seiu  schien, 
wenn  nämlich  die  Linse  sich  durch  die  Pupille  vorwärts  drängt  oder 
stückweise  in  die  vordere  Kammer  gefallen  ist.  Desshalb  muss  der 
Kranke  so  lange  in  Überwachung  gehalten  werden,  als  noch  das  eine 
oder  das  andere  zu  besorgen  steht;  sonst  droht  Iritis  und  Pupillensperre 
oder  Chorioiditis  mit  allmäliger  Vernichtung  der  Sehkraft  für  immer. 
Drängt  sich  der  Staar  zu  stark  in  die  Pupille,  so  kann  man  von  künst- 
licher Erweiterung  derselben  Nutzen  erwarten.  Wird  das  Auge  abnorm 
gespannt  und  geröthet,  so  entleere  man  das  Kammerwasser.  Auch  die 
in's  Stocken  gerathene  Resorption  kann  durch  denselben  Eingriff  wieder 
in  Gang  gebracht  werden,  indem  nach  Abfluss  des  Humor  aqueus  die 
Kapsel  vorrückt  und  wieder  einreisst.  Man  kann  hiezu  auch  ein  Staar- 
messer  wählen  und  dessen  Spitze  in  die  Kapsel  einsenken.  —  Durch 
Arzneimittel  scheint  die  Resorption  des  Staares  nicht  befördert  werden 
zu  können.  Ortlich  hat  man  hiezu  Reizmittel,  z.  B.  Animoniakdäinpfe, 
innerlich  Sublimat,  Jodkali,  Polygala  senega  und  dergl.  versucht. 


Cataracta  —  Operation  —  Bedingungen  dazu.  339 

Anzeigen  zur  Operation  und  zu  den  einzelnen  Methoden. 

Wenn  die  Gegenwart  von  Cataracta  Consta tirt  ist,  so  fragt  sich's: 
1.  Kann  durch  Beseitigung  des  mechanischen  Hindernisses  das  Gesicht 
wieder  hergestellt  oder  doch  verbessert  werden,  und  lässt  sich  mit 
Rücksicht  auf  die  Mittel  (Methoden)  erwarten,  dass  dasselbe  werde  be- 
seitigt werden  können?  2.  Ist  bei  unvollständiger  Erblindung  die  Wahr- 
scheinlichkeit für  Gewinn  grösser,  als  für  Verlust?  3.  Kann  die  Ope- 
ration sogleich  vorgenommen  werden,  oder  stehen  temporäre  Hindernisse 
entgegen?  4.  Von  welcher  Methode  lässt  sich  im  gegebenen  Falle  mit 
Rücksicht  auf  den  Staar,  das  Auge,  das  Individuum  und  die  äussern 
Verhältnisse,  unter  denen  man  operiren  muss,  am  ehesten  ein  günstiger 
Erfolg  erwarten? 

Ad.  1.  Die  Erledigung  des  ersten  Theiles  dieser  Frage  ergibt  sich 
aus  der  Constatirung  der  Complicationen  S.  2S6 — 290.  Jede  der  3  Haupt- 
methoden  setzt,  abgesehen  von  der  Kunstfertigkeit  des  Operateurs,  die 
wir  als  vollkommen  annehmen  wollen,  gewisse  Bedingungen  von  Seite 
des  Staares,  der  übrigen  Gebilde  des  Auges,  der  Individualität  des 
Kranken  und  der  äussern  Verhältnisse  voraus.  Es  kann  der  Fall  sein, 
dass  sieh  wegen  dieser  Umstände  weder  die  eine  noch  die  andere  dieser 
Methoden,  noch  auch  eine  Modification  derselben  anwenden  lässt,  oder 
doch  nur  so  geringe  Aussicht  auf  Erfolg  darbietet,  dass  es  vielleicht 
gerathener  ist,  gar  nicht  zu  operiren.  Obwohl  die  Bedingungen  zu 
den  einzelnen  Methoden  sich  aus  dem  bisher  Gesagten  leicht  entnehmen 
lassen,  so  dürfte  es  doch  nicht  unnütz  sein,  sie  hier  übersichtlich  zu- 
sammen zu  stellen. 

a.  Bedingungen  zur  Extraction.  Zu  tiefe  Lage  des  Bulbus  macht 
den  (auf  die  Hälfte  berechneten)  Hornhautschnitt  sehr  schwierig,  selbst 
unmöglich.  Es  widerspricht  der  Beobachtung,  wenn  Hasner  1.  c.  S.  210 
angibt,  „das  Auge  liege  niemals  so  tief,  dass  die  Hornhaut  nicht  über 
den  Orbitalrand  hervorstünde."  Blepharophimosis  könnte,  wenn  man 
nur  die  Extraction  wählen  wollte  oder  müsste,  dadurch  beseitigt  wer- 
den, dass  man  einige  Zeit  vorher  die  S.  143  B.  I.  angegebene  Opera- 
tion vorausschickt.  Bei  zu  fiucher  Lage  (Glotzauge)  kann  bisweilen  da- 
durch, dass  man  den  Schnitt  nach  oben  oder  schräg  von  oben  und 
aussen  nach  innen  und  unten  führt  (Schrägschnitt  nach  Wenzel  und  Le 
Roiuv\,  die  Gefahr  der  Hornhautvereiterung  vermieden  werden;  doch 
wird  bei  harten  Staaren  im  Allgemeinen  die  Beclination,  bei  weichen 
die  Discission  oder  die  Extraction  durch  eine  3 — 4//;  lange  Öffnung 
vorzuziehen  sein.   JDistichiasis,  Trickiasis,  En-  und  Ectropium  verbieten, 

22* 


340  Krysfalllinse. 

falls  sie  nicht  vorher  beseitigt  werden  können,  die  Extraction,  wenigstens 
den  auf  die  Hälfte  berechneten  Schnitt  nach  unten.  Unwillkürliche 
Zuckungen  in  den  Gesichtsmuskeln  und  die  Gewohnheit,  das  Auge  häufig 
zuzukneipen,  contraindiciren  den  Hornhautschnitt.  Chronische  Entzün- 
dung der  Bindehaut  oder  des  Thränenschlauches  stellt,  wenn  sie  nicht 
vorher  gänzlich  und  bleibend  beseitigt  werden  kann,  die  Vereinigung 
per  priniam  intentionem  um  so  mehr  in  Frage,  je  grösser  die  Wunde 
gemacht  werden  muss.  Hornhautnurben  setzen  an  und  für  sich  keine 
Gegenanzeige  zur  Extraction,  doch  muss  man  darauf  gefasst  sein,  dass 
das  Messer  schwerer  durch  sie  dringen  werde.  Beer's  Rath,  dem  Arcus 
senilis  mit  dem  Messer  auszuweichen  (wegen  nicht  erfolgender  Ver- 
einigung), ist  durch  vielfache  Erfahrungen  als  unbegründet  erwiesen. 
Bei  kleiner  vorderer  Kammer  ist  der  Schnitt  schwierig  auszuführen, 
ausser  die  Pupille  lässt  sich  so  stark  erweitern,  dass  man  der  Iris  aus- 
weichen kann.  Bei  vordem  oder  hinlern  Synechien  muss  erwogen  wer- 
den, ob  dieselben  gleich  mit  dem  Messer  oder  nachher  mit  der  Nadel 
oder  dem  Häkchen  und  der  Scheere  werden  getrennt  werden  können, 
damit  sie  dem  Austreten  der  Linse  kein  Hinderniss  entgegen  setzen. 
Verflüssigung  des  Glaskörpers  ist,  wenn  der  Kranke  gleich  in  die  Bücken- 
lage gebracht  wird,  keine  Gegenanzeige  gegen  die  Extraction.  Der 
Staar  selbst  setzt  vermöge  seines  Sitzes,  seiner  Grösse  und  Consistenz 
nie  eine  Gegenanzeige  gegen  die  Extraction,  wenn  man  die  Grösse  des 
Hornhautschnittes  genau  darnach  berechnet.  Wichtig  dagegen  ist,  dass 
der  Staar  reif  sei  (in  dem  oben  bezeichneten  Sinne). 

Es  ist  eine  originelle  Ansicht  von  Hasner  1.  c.  S.  211  und  213,  wenn  er  die  soge- 
nannte Phakohydropsie  als  Contraindication  der  Extraction  aufstellt,  und  dagegen  die 
Paracentese  der  Kapsel  mit  einer  Staarnadel  als  einzige  Methode  empfiehlt.  Uns  scheint 
es  rationeller  zu  sein,  bei  flüssigen  Staaren  die  Hornhaut  durch  einen  etwa  3"'  langen 
Einstich  zu  eröffnen,  und  durch  diesen  nach  Eröffnung  der  Kapsel  ihr  Contentum  lieber 
zu  entleeren,  als  dasselbe  nach  Hasners  Rathe  im  Auge  zu    belassen. 

Will  man  durch  einen  Lappenschnitt  extrahiren,  so  muss  man  mit 
Grund  erwarten  können,  dass  der  Kranke  bei  und  nach  der  Operation 
die  gehörige  Ruhe  beobachten  werde.  Kinder  und  kindische  Greise 
eignen  sich  dazu  eben  so  wenig,  als  übermässig  Furchtsame,  Blödsin- 
nige, Epileptische  u.  dgl.,  oder  solche,  welche  wegen  Krankheiten  der 
Circulations-  oder  Respirationsorgane,  grosser  Fettleibigkeit,  Skoliosis 
u.  dgl.  die  Bückenlage  nicht  durch  längere  Zeit  auszuhalten  vermögen. 
Bei  Leuten,  welche  durch  schlechte  Nahrung,  Blutverluste,  Missbrauch 
von  Mercur  u.  dgl.  sehr  herabgekommen  sind,  sind  die  Bedingungen 
zur  Heilung  der  Wunde  per  primam  intentionem  in  der  Regel  nicht 
vorhanden. 


Cataracta  —  Operation  —  Bedingungen  dazu.  34 i 

Ohne  einen  gut  unterrichteten  Assistenten,  ohne  verlässliches  Wart- 
personale und  ohne  die  übrigen  S.  304 — 307  angeführten  äussern  Er- 
fordernisse zu  extrahiren,  bleibt  immer  ein  gewagtes,  meistens  nicht  zu 
rechtfertigendes  Unternehmen. 

b.  Bedingungen  zur  Reclination.  Der  Staar  muss  hart  sein. 
Vgl.  S.  25S.  Nur  wenn  Kern  und  Rinde  zu  Einer  Masse  zusammen- 
geronnen sind,  darf  man  erwarten,  dass  sich  die  Linse  vollständig  werde 
recliniren  lassen.  Ist  nebst  der  Linse  auch  die  vordere  Kapsel  getrübt, 
so  kann  man  vor  Nachstaar  nicht  sicher  sein,  da  die  veränderte  Kapsel- 
partie dann  mit  reclinirt  wird.  Bei  verschrumpften  Staaren  steht  zu  be- 
sorgen, dass  die  Nadel  mitten  durch  geht,  oder  dass  die  Verbindungen 
mit  dem  (Ziliarkörper  nicht  gelöst  werden  können.  Bei  Catar.  cystica 
ist  die  Reclination  unmöglich.  Hintere  Synechien  lassen  sich  nicht 
immer  so  leicht  trennen,  als  man  glauben  möchte;  je  zahlreicher  und 
ausgebreiteter  sie  sind,  desto  mehr  hat  man  Verletzung  der  Iris  und 
Kapselnachstaar  zu  fürchten.  Bei  Catar.  accreta  ist  nur  die  Extraction 
mit  Pupillenbildung  möglich.  Verflüssigimg  des  Glaskörpers  lässt  Wieder- 
aufsteigen der  Linse ,  wo  nicht  Unmöglichkeit  der  Niederlegung  selbst 
befürchten.  Sind  congestive  oder  entzündliche  Zustände  der  Chorioidea 
auf  demselben  oder  auch  nur  auf  dem  andern  Auge  vorhanden  (ge- 
wesen), so  wähle  man  wo  möglich  lieber  die  Extraction  (wegen  Gefahr 
von  Chorioiditis). 

c.  Bedingungen  zur  Biscission.  Die  Linse  muss  weich,  die 
Kapsel  zerschneid-  oder  zerreissbar ,  das  Individuum  nicht  zu  sehr  an 
Jahren  vorgerückt  sein.  Harte  Staare  lösen  sich  zu  langsam  oder  gar 
nicht  auf.  Behufs  der  Keratonyxis  muss  die  Augenkammer  mindestens 
V"  tief,  die  Pupille  auf  3 '"  erweiterbar  sein.  Bei  flüssigen  und  bei  jenen 
weichen  Staaren,  welche  unter  Zeichen  von  Congestion  oder  Entzündung 
am  Bulbus  entstanden  sind,  oder  bei  welchen  die  Ptesistenz  des  Bulbus 
abnorm  ist,  erscheint  die  Discission  gewagt;  sicherer  ist  es  da,  wenigstens 
einen  Theil  der  Linse  durch  einen  massig  grossen  Einstich  in  die  Cornea 
zu  beseitigen. 

Ad.  2.  Wenn  auch  die  Möglichkeit  vorhanden  ist,  einen  Staar  zu 
beseitigen,  und  alle  Wahrscheinlichkeit  auf  günstigen  Erfolg  besteht, 
so  vergesse  man  nie  die  erste  Pflicht  des  Arztes:  non  nocere.  Jede 
Operation,  unter  den  günstigsten  Auspicien  unternommen,  kann  Nicht- 
erfolg,  und  die  nur  etwas  eingreifenderen  können  auch  Vernichtung  der 
Sehkraft,  selbst  der  Form  des  Auges  zur  Folge  haben.  Hieraus  ergibt 
sich,  dass  man  bei  partiellen  stationären  Staaren  gar  keine,  oder  doch 
nur   eine  möglichst  wenig  eingreifende  Operation    wählen  dürfe,    und 


342  Krystalllinse. 

class  mau  um  so  bedächtiger  zu  Werke  gehen  müsse,  wenn  der  Krauke 
nur  Eiu  Auge  aufs  Spiel  zu  setzen  hat,  oder  bloss  wegen  Behebung 
der  Entstellung  operirt  sein  will.  —  Bei  partiellen  Stachen,  deren  Fort- 
schreiten zu  totalen  mit  Grund  zu  erwarten  steht  (Cat.  nondum  matura), 
ist  die  Verschiebung  der  Extraction  oder  Recliuation  bis  zu  dieser  Um- 
wandlung nicht  so  sehr  ein  Act  der  Klugheit,  als  vielmehr  der  Gewis- 
senhaftigkeit. Tritt  nach  einer  so  eingreifenden  Methode,  wie  es  die 
totale  Extraction  und  die  Recliuation  sind,  Verlust  des  Auges  bei  einem 
Kranken  ein,  welcher  vor  der  Operation  noch  mehr  weniger  sah 
(grössere  Objecte  erkennen,  allein  herumgehen  konnte  u.  s.  w.),  so  wird 
dieser  nicht  nur  dem  Arzte  —  denn  das  wäre  noch  das  Geringste  — 
sondern  auch  sich  selbst  immer  Vorwürfe  machen,  dass  er  sich  operiren 
liess,  und  gerade  solche  Fälle  sind  am  meisten  geeignet,  die  Furcht 
vor  Staaroperationen  überhaupt  im  Publicum  zu  steigern. 

Hasner' s  Ansicht :  „die  Operation  eines  harten  Staares  "werde  stets  einen  günstigeren 
Ausgang  nehmen ,  in  je  früheren  Entwieklungsstadien  desselben  sie  vorgenommen  werde, 
schon  aus  dem  Grunde,  weil  die  Netzhaut  noch  immer  an  grössern  Lichteindruck  ge- 
wöhnt, auch  nach  Entfernung  der  Linse  das  neu  einströmende  Licht  besser  vertrage  und 
durch  Reflex  ihrer  Eeizung  nicht  so  leicht  Entzündung  der  andern  Membranen  entstehe," 
würde  ich  schon  aus  dem  eben  angeführten  Grunde  nicht  beitreten,  wenn  ich  auch  nicht 
durch  vielfältig  vergleichende  Beobachtungen  zur  Überzeugung  gekommen  wäre,  dass  die 
uralte  Lehre  von  der  Reife  des  Staares  eine  tiefe,  auf  pathologisch-anatomische  Verhält- 
nisse zurückführbare  Bedeutung  habe.  Das  Fürchterliche  der  Extraction  liegt  einzig  und 
allein  in  der  Möglichkeit,  dass  die  Hornhaut  vereitere.  Wie  der  ungewohnte  Lichtreiz 
auf  die  Netzhaut  zu  Vereiterung  der  Hornhaut  führen  solle,  ist  unbegreiflich.  In  Bezug 
auf  die  Iritis  habe  ich  meine  Ansicht  schon  S.  51   ausgesprochen. 

Ist  eine  zur  Operation  geeignete  Cataracta  bloss  auf  Einem  Auge, 
zugleich  aber  kein  Grund  vorhanden,  Entwicklung  desselben  Übels  auch 
auf  dem  andern  gesunden  Auge  zu  befürchten,  so  kann  man  den  Kran- 
ken operiren ,  um  die  Entstellung  zu  beseitigen  und  das  Gesichtsfeld 
zu  erweitern;  man  verspreche  ihm  jedoch  keinen  Gewinn  für  die  Schärfe 
des  Gesichtes  überhaupt,  und  übersehe  nicht,  dass  unter  gewissen  Ver- 
hältnissen (vgl.  B.  I.  S.  259 — 264)  das  gesuude  Auge  durch  das  ope- 
rirte  selbst  in  seiner  Function  beeinträchtigt  werden  könne.  Auch  beim 
glücklichsten  Erfolge  und  durch  die  passendste  Brille  kann  die  Seh- 
kraft des  operirten  Auges  der  des  gesunden  nicht  gleich  gemacht  wer- 
den. Ich  habe  bei  einem  Knaben  mit  rein  örtlich  bedingter  Catar.  uni- 
lateralis  aus  kosmetischen  Bücksichten  die  Keratonyxis  gemacht;  es 
erfolgte  Vereiterung  der  Cornea  und  Phthisis  bulbi.  —  Beginnt  an  dem 
zweiten  Auge  schon  Cataracta,  so  kann  man  den  Kranken  durch  Ope- 
ration des  ersten  wesentliche  Dieste  leisten.  Die  Operation  des 
einen  Auges  nimmt  —  nach  meiner  Erfahrung  —  weder  einen  hemmen- 


Cataracta  —  Operation  —  Bedingungen  dazu.  343 

den  noch  einen  beschleunigenden  Einfluss  auf  die  Entwicklung  des 
Staares  am  andern  Auge. 

Zu  warten,  bis  beide  Augen  in  Einer  Sitzung  operirt  werden  können, 
lässt  sich  meines  Erachtens  im  Allgemeinen  nicht  vertheidigen.  Man 
hat  gegen  die  unilaterale  Operation  angeführt,  dass  bei  bilateraler  Ope- 
ration der  Kranke  die  damit  verbundenen  Beschwerlichkeiten  nur  Ein- 
mal zu  ertragen  habe,  dass  fast  immer  doch  wenigstens  Ein  Auge  gut 
durchkomme,  dass,  wenn  nach  unilateraler  Operation  das  Auge  ver- 
loren gegangen,  der  Kranke  sich  nicht  leicht  zur  Operation  des  zweiten 
entschliesse  und  lieber  blind  bleibe  u.  s.  w.  Aber,  wer  beide  Augen 
total  verloren  hat,  dem  bleibt  nicht  einmal  die  Wahl  zwischen  Opera- 
tion und  NichtOperation.  Manche  haben  consensuelle  Entzündung  des 
zweiten  Auges  gefürchtet,  Andere  haben  die  Entzündung  des  einen  als 
Ableitung  vom  andern  Auge  betrachtet.  Autoren,  die  sonst  keine  Auto- 
tität  vor  und  neben  sich  dulden  wollen,  haben  sich  auf  die  Autoritäten 
eines  Desmours,  Beer,  Jäger,  Rosas  u.  A.  berufen,  welche  bekanntlich 
häutig  und  mit  dem  besten  Erfolge  beide  Augen  in  Einer  Sitzung 
operirten.  —  Worauf  es  bei  Erledigung  dieser  Frage  ankommt,  das  ist 
wohl  nebst  der  Erfahrung,  welche  die  bilaterale  Operation  im  Allge- 
meinen als  zulässig  erklärt,  die  Rücksicht  auf  die  Methode,  welche 
man  wählt  oder  wählen  muss,  und  auf  die  Umstände,  unter  denen  man 
die  Operation  vornimmt.  Nur  wo  alle  Verhältnisse  von  Seite  des 
Staares,  des  Auges,  des  Individuums,  der  Wartung  und  Pflege,  der 
Kunstfertigkeit  des  Operateurs  günstig  sind,  lässt  sich  —  streng  ge- 
nommen —  die  bilaterale  Operation  vertheidigen,  wenigstens  entschul- 
digen. Wer  in  öffentlichen  Anstalten  operirt,  wo  er  es  grösstenteils 
mit  Leuten  vom  Lande  zu  thun  hat,  welche  theils  wegen  Armuth,  theils 
wegen  hohen  Alters  froh  sind,  die  weite  Reise  Einmal  überstanden  zu 
haben ,  und  daher  meistens  die  bilaterale  Operation  verlangen ,  der 
muss  wohl  öfter  beide  Augen  in  Einer  Sitzung  operiren,  als  er  es 
sonst  thun  würde.  Bei  jüngeren  Individuen  habe  ich  mich,  wenigstens 
in  den  letzten  Jahren,  selten  mehr  zu  bilateraler  Operation  bestim- 
men lassen. 

Treffend  bemerkt  in  dieser  Beziehung  Makenzie  1.  c.  S.  578:  „Operirt  man  nur  ein 
Auge,  und  lässt  dasselbe  sich  nieder  erholen,  so  kann  man  vielleicht  während  des  Ver- 
laufes der  Operation  und  der  Genesung  einige  besondere  Umstände  bemerken,  die  für  die 
zweite  Operation  von  wesentlichem  Nutzen  sind,  oder  den  Arzt  zu  bestimmen  vermögen, 
eine  andere  und  passendere  Operation  für  das  zweite  Auge  zu  wählen." 

Ad  3.  Temporäre  Hindernisse  können,  abgesehen  von  der  be- 
reits besprochenen  Unreifheit  des  Staares  und  früher  zu  beseitigenden 
krankhaften  Zuständen  des  zu  operirenden  Auges  selbst,  gesetzt  wer- 


344  Krystalllinse. 

den  vom  Alter,  gewissen  Epochen,  andern  Krankheiten  des  Individuums, 
von  herrschenden  Epidemien  (Hospitalbrand,  Dysenterie)  und  von  der 
Jahreszeit. 

Dass  angeborene  und  in  der  Jugend  entstandene  Staare  je  eher  je 
lieber  operirt  werden  sollen,  dafür  haben  wir  bereits  früher  unsere 
Gründe  angeführt.  „Indem  Dr.  Farre*)  von  den  Resultaten  der  Ope- 
rationen des  Herrn  Saunders  spricht,  sagt  er,  dass  die  Sensibilität  des 
Auges  bei  vielen  Patienten,  welche  in  einem  Alter  von  4  Jahren  und 
darunter  geheilt  wurden,  nicht  von  derjenigen  übertrofifen  werden  konnte, 
welche  Kinder  besassen,  die  von  der  Geburt  an  des  Sehvermögens  sich 
erfreut  hatten;  aber  in  einem  Alter  von  8  Jahren  oder  selbst  früher 
war  dieser  Sinn,  wie  man  sich  deutlich  überzeugen  konnte,  viel  weni- 
ger activ,  in  einem  Alter  von  12  Jahren  war  er  noch  stumpfer,  und  in 
einem  Alter  von  15  Jahren  und  darüber  war  er  in  der  Regel  sehr  un- 
vollkommen, und  manchmal  war  nur  noch  Perception  des  Lichtes  übrig 
geblieben.  Diese  Beobachtungen  setzen  die  bestrittene  Zweckmässigkeit 
einer  frühzeitigen  Operation  in  Fällen  von  angebornem  grauen  Staare 
ganz  ausser  Zweifel."  Durch  Anwendung  von  Belladonna  und  von  Chloro- 
form kann  man  die  zur  Discission  oder  zur  Extraction  mit  stichweiser 
Eröffnung  der  Cornea  nöthigen  Bedingungen  herbeischaffen.  Die  Ex- 
traction mit  Lappenbildung  und  die  Reclination  sind  unzulässig. 

Die  Zeit  des  Zahnens,  des  Zahnwechsels,  der  Pubertät,  der  Men- 
struation, der  Gravidität  werden  wo  möglich  vermieden,  ebenso  die  Zeit 
des  Wechsels.  Sehr  hohes  Alter  setzt  an  sich  keine  Contraindication. 
Sz-okalski  z.  B.  nahm  bei  einem  Greise  von  103  Jahren,  und  Cunier**) 
bei  einer  1 00jährigen  Frau  die  Reclination  mit  günstigem  Erfolge  vor. 

Scrofulosis,  Tuberculosis  und  Krebsablagerungen  contraindiciren 
die  Operation  nicht,  ausser  zur  Zeit  frischer  Nachschübe.  Bei  Scrofu- 
lösen  sei  man  mit  der  Keratonyxis  und  mit  dem  halbkreisförmigen 
Horateiutscknitte  vorsichtig.  Cataracta  bei  Diabetes  mellitus  gestattet  nur 
die  Discission  oder  die  stichweise  Eröffnung  der  Hornhaut  mit  oder 
ohne  Beseitigung  der  Linse.  Bei  Säufern  ist  die  Extraction  (mit  halber 
Durchschneidung  der  Cornea)  jederzeit  eine  gewagte  Sache. 

Für  arme  Leute,  welche  durch  die  Xoth,  die  sie  im  Winter  am 
meisten  drückt,  herabgekommen  sind,  ist  der  Frühling,  wie  schon  Adam 
Schmidt  bemerkt,  im  Allgemeinen  die  am  wenigsten  passende  Jahres- 
zeit, für  Corpulente  der  Sommer.  In  Anstalten  und  bei  Reichen,  wo 
man  Alles  nach  Erforderniss  einzurichten  vermag,  kann  man  zu  jeder 

*)   Citat  aus  Makenzie  1.  c.  S.  580. 
**)  Annales  d'oculist.     T.  XI.   p.  272. 


Cataracta  —  Operation  —  Wahl  der  Methode.  345 

Jahreszeit  operireu:  nur  müssen  die  Leute,  namentlich  nach  der  Ex- 
traction, im  Winter  oft  nur  zu  lange  das  Zimmer  hüten.  In  der  frischen 
Luft  erholt  sich  das  operirte  Auge  am  schnellsten.  Nach  dem  ersten 
Ausgange  ist  die  Röthe  und  Absonderung  der  Bindehaut  oft  wie  weg- 
gezaubert. 

Ad  4.  Über  den  relativen  Werth  der  einzelnen  Methoden  zu 
einander  ist  viel  gestritten  worden.  Es  wäre  freilich  am  bequemsten, 
alle  Staare  nach  Einem  Modell  operiren  zu  können;  das  geht  indess 
eben  so  wenig,  als  dass  man  ein  und  dieselbe  Krankheit  bei  verschie- 
denen Individuen  mit  demselben  Mittel  bekämpfe. 

Zwei  Stellen  in  Beers  Leitfaden  (II.  B.  S.  335  und  347)  enthalten  ohngefähr  Alles, 
was  sich  vernunftiger  Weise  im  Allgemeinen  hierüber  sagen  lässt.  „Nach  welcher  Me- 
thode operiren  Sie  den  Staar?  —  Ich  pflege  immer  zu  antworten,  nach  der  Methode,  die 
ich  in  dem  vorliegenden  einzelnen  Falle  für  die  zweckdienlichste  halte.  Nicht  die  aus- 
gezeichnetste Kunstfertigkeit  in  einer  einzelnen  Staaroperationsmethode,  sondern  nur  die 
mit  einleuchtenden  Gründen  belegte  Auswahl  der  Operationsrnethode  für  den  vorliegen- 
den Fall,  verbunden  mit  einem  hohen  Grade  von  Kunstfertigkeit  in  jedem  technischen 
Curver fahren,  beweist  den  wahrhaft  grossen  Meister."  S.  347.  „Jede  dieser  Methoden 
hat  in  bestimmten  Fällen  ganz  offenbare  Vorzüge  vor  den  beiden  andern;  keine  dersel- 
ben wird  jemals  von  einem  erfahrenen,  verständigen  und  in  jeder  derselben  vollkommen 
geübten  Augenarzte  den  beiden  andern  unbedingt  vorgezogen,  und  für  sich  allein  ge- 
pflogen werden."  Trotzdem  hat  Hasner  keinen  Anstand  genommen,  1.  c.  S.  209  zu 
schreiben:  „Bekanntlich  gab  es  eine  Zeit,  wo  die  Extraction  vor  allen  übrigen  Methoden 
geübt  und  empfohlen  wurde.     Beer  und  Que'rin  riethen  sogar,  jeden  Staar  zu  extrahiren.u 

Wo  die  Bedingungen  zu  den  einzelnen  Methoden  eine  Wahl  zwischen 
zweien  gestatten,  berücksichtige  man  die  Gefahr,  welche  jede  mit  sich 
bringt,  die  Sicherheit,  mit  welcher  jede  einzelne  zum  Ziele  führt,  und 
die  Zeit,  die  zur  Heilung  erfordert  wird.  Bei  genauer  Combination  aller 
dieser  Factoren  wird  man  finden,  dass  in  dem  einen  Falle  nur  die  An- 
wendung der  einen  Methode  rationell  genannt  werden  kann,  in  einem 
andern  dagegen  die  Wahl  offen  bleibt. 

Die  Extraction  ohne  Lappenbildung  setzt  das  Auge  fast  gar  keiner 
Gefahr  aus,  und  führt  beinahe  ohne  Ausnahme  sicher  und  schnell  zum 
Ziele;  sie  ist  leider  nur  selten  anwendbar. 

Die  Discission  (Dilaceration)  durch  die  Cornea  verletzt  das  Auge 
eben  so  wenig.  Der  Zweck  wird  langsam,  doch  mit  Rücksicht  auf  den 
Umstand,  dass  man  das  Manöver  nach  Verlauf  von  einigen  Wochen 
wiederholen  oder  die  Extraction  mit  stichweiser  Eröffnung  der  Cornea 
substituiren  kann,  sicher  erreicht.  Vernichtung  der  Sehkraft  droht  nur 
bei  Keratonyxis  durch  Hornhautvereiterung,  bei  jeder  der  Varianten 
durch  zu  rasches  Aufquellen  oder  in  Folge  unzweckmässigen  Verhaltens 
durch  Iridochorioiditis.    Durch  die  Scleronyxis  werden  die  Iris  und  die 


346  Krystalllinse. 

Chorioidea  direct  gefährdet.  Leider  ist  auch  die  Discission  vermöge 
des  Principes,  auf  dem  sie  beruht,  nur  iu  relativ  seltenen  Fällen  an- 
wendbar. 

Die  Extraction  mit  dem  Lappenschnitte  ist  in  so  fern  ein  gewagtes 
Unternehmen,  als  man  für  die  schnelle  Vereinigung  der  Wunde  nicht 
einstehen  kann.  Hievon  abgesehen  führt  sie  sicherer  und  schneller  zum 
Ziele,  als  die  Discission  und  die  Reclination.  Mit  der  gehörigen  Um- 
sicht und  Kunstfertigkeit  unternommen,  zieht  sie  den  genannten  Unfall 
im  Ganzen  nur  selten  nach  sich,  und  auch  die  Discission  und  die  Recli- 
nation sichern  nicht  absolut  vor  unrettbarer  Vernichtung  des  Auges. 

Die  Reclination  verbirgt  in  sich  weit  mehr  Gefahr,  als  man  bei 
oberflächlicher  Betrachtung  vermuthen  möchte.  Man  ist  nie,  weder  vor 
dem  Wiederaufsteigen,  noch  vor  acuter  oder  chronischer  Entzündung 
der  Chorioidea  sicher,  auch  nach  mehreren  Wochen  nicht;  man  kann 
sogar  für  den  momentanen  Erfolg,  das  Liegenbleiben  unmittelbar  nach 
Entfernung  der  Nadel  aus  dem  Auge,  nicht  mit  so  viel  Wahrscheinlich- 
keit einstehen  als  bei  der  Extraction. 

In  Fällen,  wo  die  Bedingungen  sowohl  zur  Extraction  als  zur  Re- 
cliuation  gleich  günstig  sind,  ziehe  ich  nach  den  Erfahrungen,  die  ich 
gemacht  habe,  die  Extraction  der  Reclination  vor. 

Was  man  für  und  gegen  die  eine  oder  die  andere  Methode  in  Be- 
zug auf  deren  Ausführbarkeit  und  auf  den  Grad  der  Schärfe  des  Ge- 
sichtes, der  dadurch  erlangt  werden  kann,  angeführt  hat,  beruht  mehr 
auf  Vorliebe  für  die  eine  oder  die  andere  Methode.  Eine  gut  ausge- 
führte Reclination  macht  dem  Operateur  eben  so  viel  Ehre,  als  eine 
gelungene  Extraction.  Kapselnachstaar  kann  nach  der  einen  wie  nach 
der  andern  zurückbleiben. 

Veränderungen  im  Auge  nach  Staaroperationen, 

Nach  der  Extraction  verklebt  die  Wunde  sehr  bald,  bleibend  je- 
doch —  bei  ungestörtem  Verlaufe  • —  im  Allgemeinen  erst  nach  24 — 48 
Stunden,  und  hinreichend  fest  nach  8 — 10  Tagen.  Werden  die  Wund- 
ränder gar  nicht  verrückt,  so  bleibt  nur  eine  bei  genauer  Untersuchung 
wahrnehmbare  Narbe  zurück;  an  jüngeren  Individuen  kann  auch  diese 
mit  der  Zeit  ganz  oder  zum  Theile  unsichtbar  werden.  Fand  Verschie- 
bung, leichte  Eiterung,  Glaskörper-  oder  Irisvorfall  statt,  so  bleibt  eine 
etwas  breitere,  jedoch  ganz  unschädliche  Narbe  zurück,  in  letzterem 
Falle  mit  vorderer  Synechie  und  mehr  weniger  nachtheiliger  Verziehung 
der  Pupille.  Grosse  Vorfälle  drohen  mit  Pupillensperre ;  sie  stören  das 
Sehen  Anfangs  auch  dadurch,  dass  der  Hornhautlappen  vorgedrängt  und 


Cataraeta  —  Operation  —  Prognosis.  347 

geknickt  wird.  An  die  Stelle  der  Linse  tritt  bis  zur  Ebene,  in  welcher 
die  Zonula  Zinnii  liegt,  Kammerwasser,  hinter  derselben  Glaskörper. 
In  der  Mehrzahl  der  Fälle  wird  nur  ein  Theil  der  Pupille  ganz  rein 
schwarz ;  ein  mehr  weniger  beträchtlicher  Theil  bleibt  durch  nicht  völlig 
versehrumpfte  Partien  der  vordem  Kapsel  verdeckt,  welche  wegen 
Eunzelung  oder  Beschlag  mit  Rindensubstanz  mehr  weniger  trüb  und 
in  der  Ebene  der  Zonula  gelegen  erscheinen.  Wo  Iritis  eingetreten 
war,  findet  man  hintere  Synechien  oder  totale  Pupillensperre  mit  Rück- 
wärtsziehung  des  Pupillarrandes.  Wo  die  Linse  nicht  vollständig  ent- 
fernt und  die  zurückgebliebenen  Reste  nicht  ganz  aufgesogen  wurden, 
findet  man  mehr  weniger  Rindensubstanz  zwischen  der  vordem  und 
hintern  Kapsel  eingeschlossen,  namentlich  ringsum  nächst  der  Peri- 
pherie. Hatte  sich  Hornhauteiterung  und  consecutiv  Chorioiditis  ent- 
wickelt, so  findet  man  (wenigstens  ich  fand  es  in  zwei  sehr  bald  zur 
Section  gekommenen  Fällen)  den  Glaskörper  besonders  in  seiner  vor- 
dem Hälfte  von  eitrigem  Exsudate  wie  von  Rauch-  oder  Nebelwolken 
durchsetzt,  die  Chorioidea  und  Retina  blutreicher,  erstere  nur  im  Be- 
reiche des  Corpus  ciliare  gelockert  und  geschwellt,  zwischen  Chorioidea 
und  Netzhaut  kein  Exsudat.  (Ist  dieser  Befund  vielleicht,  wie  Martini 
angenommen  hat,  als  Entzündung  des  Glaskörpers  zu  betrachten?) 

Nach  der  Reclinaiion  wird  die  Linse  im  Glaskörper  bisweilen 
aufgesogen,  in  der  Regel  jedoch  wenig  oder  gar  nicht  verändert. 

In  einem  Präparate  von  einem  Geisteskranken,  welcher  9  Jahre  vorher  von  Prof. 
Fischer  operirt  worden  war,  sieht  man  vom  Kerne  der  Linse  keine  Spur  im  Glaskörper 
oder  an  der  Xetzhaut,  indess  die  in  der  Falze  an  der  Peripherie  zurückgebliebene  Rin- 
densubstanz einen  gegen  1'"  breiten  und  ty»"'  dicken  Ring  (Krystallwulst)  bildet,  dessen 
Öffnung  den  Lichtstrahlen  den  Weg  zur  Retina  gestattete.  Wenzel*)  behauptet,  bei  Zer- 
gliederung von  Augen  lange  Zeit  nach  der  Depression  die  Linse  jedesmal  in  Bezug  auf 
Grösse  und  Form  unverändert  gefunden  zu  haben.  Dupuytren**)  sah  ganz  unverletzte 
Staare  bei  Greisen  2  Jahre  nach  der  Depression.  Beer  1.  c.  S.  363:  „Ich  habe  bis  jetzt 
keine  Gelegenheit  versäumt,  solche  Augen  nach  dem  Tode  zu  untersuchen,  in  welchen 
beim  Leben  die  Depression  oder  Reclination  des  Staares  vorgenommen  worden  war,  und 
unter  diesen  befanden  sich  solche,  die  man  schon  vor  20  und  mehr  Jahren  operirt  hatte, 
aber  beinahe  in  allen  fand  ich  die  feste,  unauflösbare,  meistens  merklich  verkleinerte 
Linse  mit  und  ohne  Kapsel  etc.  Bei  einem  Lebenden  sah  ich  den  Staar,  der  vor  30  Jahren 
niedergedrückt  worden  war,  nach  einem  Sturze  auf  den  Kopf  wieder  aufsteigen."  Vel- 
peau***)  fand  in  12  Fällen,  1 — 4  Jahre  nach  der  Operation,  nur  bei  Einem  die  Linse 
merklich  verändert,  bei  den  andern  haftete  sie  an  der  Netz-  und  Aderhaut.  Vergleiche 
Textor  des  Sohnes  oben  citirte  Inauguralabhandlung  über  die  Wiedererzeugung  der  Kry- 
stalllinse. 

s)  Deval,  Chirurg,  ocul.    Paris  1S44.     S.  124. 
**)  Ammon's  Zeitschrift,  Band  I.   S.  462. 
***)  Me'decine  ope'ratoire  T.  III.  p.  444. 


-    348  Krystalllinse. 

In  jedem  Auge,  wo  die  Linse  mehr  weniger  vollständig  aus  der  Kapsel 
entfernt  ist,  es  mag  diese  oder  jene  Methode  angewendet  worden  sein, 
steht  die  Iris  (abgesehen  von  Verwachsungen  nach  Entzündung)  tiefer,  bil- 
det streng  eine  ebene  Fläche,  schlottert  bei  stärkern  Bewegungen,  und 
zeigt  eine  relativ  engere  und  schwärzere  Pupille.  Das  Diaphragma,  wel- 
ches durch  das  Corpus  ciliare,  den  freien  Theil  der  Zonula  Zinnii  und 
die  vordere  Kapsel  zwischen  den  beiden  Flüssigkeiten  des  Auges  gebildet 
und  durch  den  Ciliarmuskel  in  adäquater  Spannung  erhalten  wird,  wird 
durch  jede  Staaroperation  für  einige  Zeit  zerstört.  So  lange  es  nicht  wie- 
der hergestellt  und  gehörig  gespannt  ist  —  an  die  Stelle  der  vordem 
tritt  sodann  die  in  die  Ebene  der  Zonula  vorgerückte  hintere  Kapsel  — 
fehlt  dem  Bulbus  seine  normale  Spannung  und  somit  auch  ein  zur  Accom- 
modationsthätigkeit  wesentlicher  Factor.  Mit  der  Linse  ist  dem  Auge 
ein  für  allemal  ein  Eefractionsmittel  von  grosser,  wenn  auch  untergeord- 
neter Bedeutung  entzogen.  Durch  convexe  Brillen  kann  dasselbe  mehr 
weniger,  niemals  jedoch  vollkommen  ersetzt  werden. 

Den  Gebrauch  von  Staarbrillen,  Convexgläsern  von  5 — 2"  Brenn- 
weite in  Abstufungen  von  Viertelzollen,  gestattet  man  erfahrungsgemäss 
von  Alters  her  erst  2 — 4  Monate  nach  der  Beseitigung  der  Cataracta.  Es 
ist  besser,  ihn  später  als  früher  zuzulassen,  nicht  sowohl  wegen  der  Ge- 
fahr der  Anstrengung,  so  lange  das  Auge  noch  gereizt  ist,  als  vielmehr 
wegen  der  Schärfe  der  Sehkraft,  der  Wiedererlangung  eines  mehr  we- 
niger hohen  Grades  von  Accommodationsfähigkeit.  Der  Grund  für  diesen 
Erfahrungssatz  liegt  —  nach  meiner  Ansicht  —  in  den  so  eben  erör- 
terten mechanischen  Veränderungen  nach  Staaroperationen.  Das  sub- 
stituirte  Diaphragma  muss  erst  wieder  hinreichend  fest  geworden  sein, 
sonst  ergeht  es  dem  Operirten  ohngefähr  so,  wie  einem  jugendlichen 
Individuum,  welches  seine  Augen  bloss  zur  Betrachtung  naher  Ob- 
jecte  verwendet,  oder  sich  ohne  Noth  und  unzweckmässig  concaver 
Gläser  bedient. 

Jugendliche  Individuen  und  jene,  welche  vor  der  Entwicklung  des 
Staares  eher  kurz-  als  weitsichtig  waren,  sehen  caeteris  paribus  besser 
und  mit  minder  starken  Gläsern,  als  ältere  Personen.  Ich  kenne  meh- 
rere Staaroperirte,  welche  auch  ohne  Glas  z.  B.  eine  Nadel  einfädeln 
können.  Dass  Einer  ohne  Gläser  hätte  lesen  können,  ist  mir  noch  nicht 
vorgekommen.  Ein  von  mir  durch  Extraction  operirter  Mann  zeichnete 
noch  in  den  siebziger  Jahren  mit  einer  und  derselben  Brille  Baumgr.up- 
pen,  Häuser  u.  dgl.  nach  der  Natur.  Ein  durch  Dilaceration  der  Kapel 
geheilter  junger  Mann  liest  mit  Nr.  3  vh  sowohl  bei  sechs  als  bei  vier- 
undzwanzig Zoll  Entfernung;  und  erkennt  z.  B.  die  Uhr  am  Neustäd- 


Cataracta  —  Operation  —  Prognosis.  349 

ter  Rathliause  vom   Spitale  aus  (mit  demselben   Glase,  mehr  als   500 
Schritte  weit.). 

Kinder  mit  so  ausgebreiteter  Verdunklung  des  Liusensystcmes,  dass  sich  durch  den 
Gesichtssinn  gar  keine  Anschauung  und  Begriffsbildung  entwickeln  konnte,  dürften  wohl 
selten  vorkommen.  Ich  habe  bisher  nur  einen  Knaben  von  acht  Jahren  in  einem  solchen 
Zustande  nach  der  Operation  (Discission)  gefunden.  Bevor  ich  über  diesen  höchst  interes- 
santen Zustand  mehrere  Beobachtungen  gemacht  habe,  erscheint  mir  eine  Beschreibung 
und  Erörterung  verfrüht,  da  meine  Beobachtung  in  mehieren  Punkten  von  den  Angaben 
Anderer  abweicht. 

Behufs  der  Prognosis,  zu  welcher  die  nöthigen  Anhaltspunkte  in 
dem  bisher  Gesagten  gegeben  sein  dürften,  haben  wir  nur  noch  zu  er- 
innern, dass  man  bei  einer  grossem  Zahl  von  Operirten  wohl  von  Glück 
sagen  kann,  wenn  von  100  Individuen  S5 — 90  ihr  Gesicht  wieder  er- 
langen. Nach  den  einzelnen  Augen  gerechnet,  stellt  sich  ein  weit  min- 
der günstiges  Verhältniss  heraus. 

Zur  Beantwortung  dieser  Frage  entlehne  ich  zunächst  von  Makensie  (1.  c.  S.  561) 
einige  interessante  Data.  Von  34  Kranken,  welche  David  zu  Rheims  operirt  hatte,  sahen 
17  vollkommen,  S  leidlich,  9  nicht.  Im  Juni  1753  operirten  an  demselben  Tage  La  Faye 
6  und  Poyet  7  durch  Extraction,  Morand  6  durch  Depression.  Von  La  Faye's  Patienten 
sahen  2  gut,  2  erträglich,  2  nicht;  von  Poyefs  2  gut,  2  minder  gut,  1  konnte  nur  das 
Tageslicht  unterscheiden ,  und  2  sahen  gar  nichts ;  von  Morand 's  Kranken  konnten  3 
ziemlich  gut  sehen,  3  sahen  so  wenig  als  vorher.  Dr.  Tartra  operirte  von  1806  —  1810 
im  Hötel-Dieu  113  Kranke,  70  durch  Extraction,  43  durch  Depression  oder  Reclination. 
Von  den  ersteren  hatten  19,  von  den  letzteren  24  einen  befriedigenden  Erfolg,  von  jenen 
6,  von  diesen  4  einen  partiellen;  8  Extractionen  und  5  Depressionen  waren  gänzlich 
fehl  geschlagen.  Die  Besultate  der  übrigen  waren  unbekannt  oder  mehr  weniger  un- 
günstig. Dr.  Tartra  fügt  hinzu,  man  nehme  in  der  Regel  an,  dass  von  5  Operirten  2 
ihr  Gesicht  wieder  erlangen. 

Ed.  Jäger  hat  in  seiner  1S44  erschienenen  Dissertation  die  Resultate  veröffentlicht, 
welche  die  Staaroperationen  seines  Vaters  Fr.  Jäger  im  Josephinum  von  1826 — 1S44 
ergaben.  Unter  72S  durch  die  Extraction  operirten  Augen  erblindeten  bloss  33,  unter 
5S  durch  partielle  Extraction  operirten  3,  unter  87  durch  Discission  und  Dilaceration 
operirten  6,  unter  129  Reclinirten  dagegen  21,  mithin  unter  1011  nur  63.  (Die  Über- 
sichtstabellen enthalten  Rechnungsfehler,  die  wir  uns  nicht  erklären  können;  nach  dem 
Alter  [S.  15)  gezählt,  kamen  bloss  680,  nach  dem  Geschlechte  (S.  17)  dagegen  801  In- 
dividuen zur  Operation). 

Von  dem  S.  291   aufgeführten  9S9  Staarkranken  wurden  9S5  operirt. 


350 


Krystalllinse. 


Individuen 


\Pupillensperre 

Geheilt ,  oderNachstaar 

(Nichterfolg) 


Verlust  der 

Sehkraft 

für  immer 


Amau- 
rosis 


Gestorben 
oder  trans- 

ferirt 


(Institut 
Extraction  \  Spital 
l  Privat 

{Institut 
Spital 
Privat 

Discission  (Institut 
(Dilaceration  <  Spital 
u.  part.  Ext.)  |  Privat 

Galvanismus     Spital 


■287 

294 

24 

50 
92 
12 

20 

57 

2 


838 


24 

39 

3 

2 

11 


12 

12 

1 

l 

7 

2 
3 
1 


89 


128 


12 


19 


330 
351 

28 

53] 
lll 
12j 

261 

69 

3 


709 


176 


9S 


985 


In  die  2.  Columne  sind  jene  aufgenommen,  bei  welchen  nach  beendeter  Cur 
(zur  Zeit  der  Entlassung)  noch  Hoffnung  vorhanden  war,  durch  Wiederholung  der  Ope- 
ration (Reclination,  Discission,  Ausziehung  geschrumpfter  Linsen- und  Kapselpartien)  oder 
durch  Pupillenbildung  das  Gesicht  in  späterer  Zeit  wieder  herzustellen.  In  der  3.  Spalte 
erscheinen  jene,  welche  ein  oder  beide  Augen,  je  nachdem  eines  oder  beide  operirt 
worden  waren ,  unrettbar  verloren  haben  (Chorioiditis,  Hornhautvereiterung),  in  der  4. 
Spalte  solche,  bei  denen  sich  erst  bei  oder  nach  der  Operation  die  Complication  mit 
Amaurosis  (hochgradiger  Amblyopie)  bestimmt  zu  erkennen  gab,  wo  mithin  von  einem 
Erfolge  oder  Nichterfolge  der  Operation  als  solcher  keine  Rede  sein  konnte.  Eben  so 
können  die  7  Individuen  der  letzten  Rubrik  nicht  in  Rechnung  gebracht  werden,  da  sie 
im  Verlaufe  der  Nachbehandlung  starben  oder  auf  andere  Abtheilungen  transferirt  werden 
mussteu.  (I  starb  an  Tuberculosis  pulmonum,  1  an  Pneumonie,  2  an  Dysenterie  und  1 
an  Diabetes  mellitus.) 

Demnach  kommen  auf  966  Operirte  838  Geheilte  und  128  Nichtgeheilte,  auf  100 
Operirte  nahezu  14  Nichtgeheilte,  davon  4 — 5  mit  bleibendem  Verluste. 

Von  den  im  Institute  durch  Extraction  operirten  323  Individuen  wurden  106  auf 
einem,  217  auf  beiden  Augen  operirt.  Von  ersteren  wurden  85  geheilt,  14  mit  Pupillen- 
sperre, 7  mit  Verlust  des  Auges  entlassen,  von  letzteren  geheilt  202  (beiderseits  130). 
mit  Erhaltung  wenigstens  eines  Auges  flir  eine  nachträgliche  Operation  10,  mit  gänzlichem 
Verluste  beider  Augen  5.  Von  540  der  Extraction  unterworfenen  Augen  gingen  überhaupt 
41  gänzlich  verloren. 

Von  den  eben  daselbst  durch  Reclination  operirten  53  Individuen  wurden  24  auf 
einem,  29  auf  beideu  Augen  operirt.  Von  den  ersteren  wurden  23  geheilt,  einer  unheilbar 
blind;  von  den  letztern  wurden  27  sehend  (18  beiderseits),  2  nicht  sehend  (l  Auge 
zerstört). 

Von  den  der  Discission,  Dilaceration  oder  Extraction  geschrumpfter  Staare  (mit 
dem  Häkchen  oder  der  Pincette  durch  eine  kleine  Hornhautwunde)  unterworfenen  26 
Individuen  wurden  17  auf  einem,  9  auf  beiden  Augen  operirt.  Von  jenen  wurden  11 
geheilt,  2  nicht,  4  verloren  das  Auge  ganz;  von  diesen  wurden  7  beiderseits  sehend,  1 
nur  auf  einem  Auge,  gänzlich  verloren  ging  keines. 

Man   kann    auf  diese   Zahlen ,    so   getreu   sie   auch   angegeben  sind,  dennoch  nicht 


Cataracta  —  Operation  —  Geschichte.-  351 

viel  Gewicht  legen,  weil  zu  viele  Umstände  Einfluss  haben,  welche  nicht  in  Computation 
gebracht  werden  können.  In  öffentliche  Anstalten  aufgenommen  zu  werden  hat  jeder 
ein  Eecht,  bei  dem  nur  noch  einige  Hoffnung  auf  Erfolg  besteht.  In  solchen  Anstalten 
müssen  auch  Anfänger  operiren ,  um  zu  lernen ,  und  der  Vorstand  selbst  muss  durch 
allerhand  Versuche  und  Modificationen  zu  genauerer  Einsicht  in  den  Werth  dieses  oder 
jenes  Vorganges  zu  kommen  trachten. 


Geschichtliche  Bemerkungen.  *) 

So  lange  in  der  Medicin  die  Galen'schen  Ansichten  die  herrschenden  waren,  hielt 
mau  die  Linse  für  das  Organ ,  welches  das  Sehen  vermittle,  den  Staar  für  ein  vor  der- 
selben erzeugtes  Häutchen,  das  man  niederdrücken  müsse,  um  die  Cataracta  zu  beheben. 
Der  Ordenspriester  Scheine/-  ( 1600)  war  der  Erste,  welcher  die  Netzhaut  als  das  Organ 
der  Lichtperception  nachwies,  und  Kepler  (1604)  zeigte,  dass  die  Linse  bloss  zur  Strahlen- 
brechung bestimmt  sei.  Sofort  erklärten  Rolßnk  (Professor  in  Jena) ,  Lasnier ,  Quarre' 
und  Borelli  (in  Paris)  um  die  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  den  Staar  für  Verdunklung  der 
Linse,  und  Brisseau  und  Maiire  Jean  stellten  zu  Anfang  des  18.  Jahrhunderts  (1707  bis 
1709)  den  Beweis  dafür  durch  Sectionen  her.  Heister  (Prof.  in  Altdorf,  1712)  verschaffte 
dieser  Tieuen  Lehre  in  Deutschland  Eingang,  und  Lapeyronie  und  Morand  wiesen  (1722) 
vor  der  medicinischen  Akademie  zu  Paris  nach,  dass  auch  die  Kapsel,  wenn  gleich  selten, 
Sitz  der  Verdunklung  sein  könne. 

Die  Depression,  wahrscheinlich  die  älteste  der  Staaroperationsmethoden  und 
schon  der  Alexandrinischen  Schule  bekannt,  wurde  von  Celsus  genau  beschrieben.  Dieser 
unterschied  bereits  den  traumatischen  und-  den  von  innern  Krankheiten  erzeugten,  den 
unreifen  und  den  reifen,  den  heilbaren  und  den  unheilbaren  Staar.  Er  ging  mit  einer  geraden, 
runden,  spitzigen,  doch  nicht  zu  dünnen  Nadel  in  der  Mitte  zwischen  der  Hornhaut  und 
dem  äussern  Augenwinkel  ein,  drehte,  bis  zum  Staare  gelangt,  die  Nadel  ein  wenig, 
drückte  den  Staar  unter  die  Pupille  hinab ,  und  hielt  ihn  allda  eine  kleine  Weile  fest, 
um  sein  Wiederaufsteigen  zu  verhindern.  Gelang  dies  nicht,  so  suchte  er  die  Cataracta 
zu  zerbröckeln.     Das  Auge    bedeckte  er  hierauf  mit  Wolle,  die  in  Eiweiss  getaucht  war. 

Früher  die  hintere  Kapsel  von  der  Mitte  nach  unten  zu  schlitzen  und  durch  diese 
Öffnung  die  Linse  wie  einen  Knopf  durch  ein  Knopfloch  zu  drücken,  war  seit  Ferrein 
(1716)  und  Petit  (1722)  üblich  geworden,  bis 

Willburg  1785  (Nürnberg)  die  obengenannte  Umlegung  angab,  welche  später  (1S03) 
durch  Scarpa  zur  Seitwärtslagerung  (Umlegung  nach  unten  und  aussen)  umgestaltet 
wurde.  In  neuester  Zeit  (1838)  hat  Dr.  Pauli  (1836)  vorgeschlagen,  den  Staar  aufwärts 
zu  lagern  (Sublatio  cataractae*,  ein  originelles  Verfahren,  das  jedoch  —  aus  leicht  be- 
greiflichen Gründen  —  keine  Anhänger  gefunden  hat. 

Zweischneidige  Nadeln  wurden  von  Ambr.  Pare"  (15b5),  Schnalz  (16S4)  und  Bris- 
seau (1706)  eingeführt.  Ad.  Schmidt,  Himly  und  Rosas  substituirten  den  geraden  Nadeln, 
welche  Willburg,  Richter,  Beer  u.  A.  gebraucht  hatten,  und  der  vorn  gekrümmten  und 
trocarformigen  Scai-pa' sehen  Nadel  mehr  weniger  gekrümmte,  flache  und  zweischneidige 
Nadeln,  Weinhold  (1S09)  zwei  scheerenartig  verbundene  Nadeln  welche  geschlossen  ein- 
geführt vor  den  Staar  gebracht,  und  behufs  der  Umlegung  ausgespreizt  werden,  damit 
der  Staar  nicht  umschlagen  könne. 

•)  Nach  Rosas  Handbuch  der  Augenheilkunde,  Wien  1830,  Bd.  III.  und  Himly  op.  cit.  Bd.  II. 


352  Krystalllinse. 

Den  Einstichspunkt  \'"  hinter  dem  Hornhautrande  und  l/z'u  unter  der  horizontalen 
Durchschnittsebene  zu  machen,  wurde  von  Saint  Yves  (1707),  Sharp  und  Richter  (17S0) 
angegeben  und  begründet. 

Buchhorn  (IS06)  und  nach  ihm  besonders  Langenbeck  (1811)  und  Ph.  von  Walther 
(1814)  empfahlen,  mit  der  Nadel  durch  die  Cornea  einzugehen,  um  den  Staar  aus  der 
Pupille  zu  beseitigen  (Depressio  vel  Reclinatio  per  Keratonyxin),  ein  Verfahren,  welches 
wegen  der  fast  unvermeidlichen  Gefahr,  die  Cornea  und  die  Iris  zu  quetschen,  und  mit 
Rücksicht  auf  den  Mechanismus  und  den  Zweck  der  Operation  (Entkapselung  der  Linse) 
nichts  weniger  als  rationell  genannt  werden  kann. 

Um  die  Entstehung  von  Kapselnachstaar  zu  verhüten,  empfahl  Rosas  (1830)  die 
vordere  Kapsel  vor  dem  Dislocationsaete  zu  spalten,  und  Ruete  (1846)  empfahl,  mit  der 
(leicht  gekrümmten)  Nadel  zwischen  der  Linse  und  der  vordem  Kapsel  bis  zur  Mitte  der 
Pupille  vorzudringen,  die  Kapsel  von  hinten  her  in  4  Lappen  zu  spalten,  und  dann  erst 
die  Linse  zu  versenken.  (Die  Gründe  gegen  die  vorläufige  Zerschneidung  der  vordem 
Kapsel  wurden  bereits  oben  angegeben.) 

Die  ExtractlOH  soll  nach  Rhases  Angabe  schon  im  ersten  Jahrhunderte  der 
christlichen  Zeitrechnung  von  Antyllus  und  Lathyrion  geübt  worden  sein,  indem  sie  die 
Hornhaut  aufschnitten,  eine  Nadel  in  die  Linse  stiessen,  sie  umdrehten,  und  mit  ihr  den 
Staar  ausgezogen.  Nach  Avicenna  war  ein  ähnliches  Verfahren  im  11.  Jahrhunderte  auch 
hei  den  Persern  üblich,  und  Abulkasem  berichtet,  dass  dieser  Vorgang  allmälig  durch 
die  Suctionsmethode  verdrängt  wurde,  wobei  der  Staar  durch  eine  hohle  Nadel  ausge- 
sogen worden  sein  soll. 

Jacob  Freitag  in  Zürich  (1694)  scheint  der  Erste  gewesen  zu  sein,  welcher  im 
Abendlande  die  Ausziehung  des  Staares  mit  einer  durch  einen  Hornhautschnitt  einge- 
führten Hakennadel  übte.  Aber  es  fehlte  noch  die  Kenntniss  der  Anatomie  des  Auges,  und 
•erst  nachdem  man  wusste,  dass  der  Staar  nichts  als  die  getrübte  Linse  sei,  und  nachdem 
schon  Saint  Yves  (1707)  und  Petit  (1708)  die  bei  der  Depression  in  die  Augenkammer 
vorgefallene  Linse  durch  die  Hornhaut  extrahirt  hatten,  gelang  es  dem  französischen 
Wundarzte  Jacob  Daviel  (in  der  Mitte  des  18.  Jahrhundertes),  durch  die  Extraction  als 
selbstständige  Methode  so  glückliche  Resultate  zu  erzielen,  dass  sie  allgemeinen  An- 
klang fand. 

Die  erste  Extraction  verrichtete  Daviel  1745  zu  Marseille;  seine  Methode  machte 
er  1747  bekannt.  Mit  einer  im  Stiele  gekrümmten  Lanzette  durchstach  er  von  unten 
die  Hornhaut,  vergrösserte  den  Einstich  mit  einem  vorn  stumpfen,  zu  beiden  Seiten 
schneidenden  Messer  und  hierauf  mit  zwei  (nach  ihm  benannten,  nach  der  Schneide  und 
Fläche  zugleich  gekrümmten)  Scheeren,  hob  den  Hornhautlappen  mit  einem  goldenen 
Spatel  auf,  eröffnete  mit  einer  flachen  Nadel  die  nun  blossgelegte  Kapsel,  und  drängte 
die  Linse  durch  Fingerdruck  aus  dem  Auge;  zur  Beseitigung  von  Resten  bediente  er 
sich  des  noch  heutzutage  üblichen  Löffelchens.  In  späterer  Zeit  verrichtete  er  den  Horn- 
hautschnitt bloss  mit  einem  spitzigen  myrthenblattförmigen  Messer  und  mit  den  genannten 
Scheeren.     Daviel  durchschnitt  ohngefähr  zwei  Drittel  des  Hornhautumfanges. 

Diese  Methode  durchlief  nun  bei  dem  allgemeinen  Interresse,  das  sie  ei-regte,  bald 
eine  Menge  theils  zweck-  theils  unzweckmässiger  Modifikationen.  Zunächst  eröffnete 
La  Faye  (1750)  die  Hornhaut  nicht  stichweise,  sondern  mit  einem  einzigen  Schnitte 
mittelst  eines  leicht  nach  der  Fläche  gebogenen,  nur  an  der  Spitze  zweischneidigen 
Messcrchens,    und   gab   zur  Eröffnung    der  Kapsel    das  nach  ihm  benannte,    bis  zu  Ende 


Cataracta  —  Operation  —  Geschichte.  353 

seines  Jahrhuudertes  gebräuchliche  Cystotom  an  (ein  feines,  in  einer  Scheide  verborge- 
nes und  zwar  durch  Spiralfederdruck  verschiebbares  Lanzettchen). 

Erst  von  Aug.  Gottlieb  Richter  in  Göttingen  (1773),  welcher  sich  um  die  Vervoll- 
kommnung der  Extraction  sowohl  als  um  die  Dislocation  durch  seine  gründlichen  Er- 
örterungen*) wohl  die  meisten  Verdienste  erworben  hat,  wurde  die  Grösse  und  Form 
des  Hornhautschnittes  zuerst  nach  anatomischen  Gründen  richtig  bestimmt,  und  ein  zweck- 
mässiges Keratotom  angegeben.  {Ware  hatte  sogar  9/io  der  Hornhautbasis  zu  durch- 
schneiden gerathen,  Sigwart  und  Santarelli  hatten  einen  dreieckigen,  Garengeot  einen 
rhomboidalen,  Wardrop  einen  geradlinigen  Schnitt  empfohlen.  Wardrops  Schnitt  verlief 
mitten  durch  die  Cornea  von  der  Schläfen-  zur  Nasenseite,  Sigwarts,  Santarellis  und 
Garengeots  Lappenschnitte  waren  gleichfalls  mehr  weniger  vom  Rande  der  Hornhaut 
entfernt.) 

Den  nahe  am  Rande  der  Hornhaut  und  zu  diesem  parallel  verlaufenden  Schnitt 
führte  schon  Wenzel  d.  Ä.  (17S6)  bisweilen  durch  die  obere  Hornhauthäljte,  ein  Verfahren, 
das  später  von  Fr.  Jäger  (IS27)  und  Rosas  (IS30)  für  die  Normalmethode  erklärt  wurde, 
Demours  (1821)  durch  die  äussere  Hälfte  der  Hornhautbasis,  während  Richter,  Barth, 
Ad.  Schmidt,  Beer  u.  A.  nur  nach  unten  extrahirten. 

Zur  Bildung  der  Hornhautwunde  bediente  man  sich  sogenannter  Hornhautschnepper 
(Gue'rin),  lanzen förmiger  Messer  (Poyet,  Tenon,  Bell),  Staarnadelmesser  (deren  Spitze 
sich  in  eine  Art  zweischneidiger  Nadel  verlängerte,  Palucci,  Siegrist,  Conradi),  endlich 
gerader  oder  gebogener,  von  der  Spitze  gegen  den  Hals  hin  ailmälig  breiter  werdender, 
ein-  oder  zweischneidiger  Messer,  deren  Rücken  und  Schneide  bald  in  gerader,  bald  in 
gekrümmter  (convexer  oder  concaver)  Linie  verliefen.  Den  Übergang  zu  einer  zweck- 
mässigen Form  (mit  geradem,  nicht  schneidendem  Rücken)  finden  wir  zunächst  in  Be- 
ranger's  Messer,  dessen  Schneide  sich  ailmälig  vom  Rücken  entfernt,  jedoch  noch  convex 
ist,  und  in  Barth's  Keratotom,  welches  Rücken  und  Schneide  geradlinig  hat,  und  sich  von 
dem  .Beerschen  nur  durch  grössere  Länge  (relativ  zur  Breite)  unterscheidet.  Das  von 
Rosas  angegebene  Messer  hat  die  Form  des  .Beer'schen,  ist  jedoch  auch  am  Rücken  durch- 
aus schneidend.  **) 

Behufs  der  Eröffnung  der  Kapel  machte  La  Faye  mit  seinem  Cystotom  bloss 
einen  Einstich,  Thurant  einen  Cirkelschnitt,  Tenon  einen  Kreuzschnitt,  Sharp  einen  Lap- 
penschnitt, Cline  einen  Einriss  mit  einem  Häkchen,  und  Beer  suchte  die  Kapsel  durch 
Zerschneidung  in  mehrere  rautenförmige  Stücke  zu  vernichten.  Wenzel  u.  A.  eröffneten 
die  Kapsel  gleich  im  1 .  Momente ,  indem  das  etwas  länger  zugespitzte  Messer  beim 
Durchführen  durch  die  Augenkammer  zugleich  in  die  Kapsel  eingesenkt,  dieser  somit 
auch  ein  halbkreisförmiger  Schnitt  beigebracht  wurde. 

*)  Siehe  dessen  Anfangsgründe  der  Wundarzneikunst,  AVien  1790,  Band  III. 

**i  "Wird  das  Beer'sche  Messer  gehörig  gehandhabt,  so  entspricht  es  vollkommen  dem  Zwecke.  Der  Bul- 
bus ist  eine  im  das  Centrum  sehr  leicht  drehbare  Kugel,  welche  man  sich  am  Opticus  so  befestigt 
denken  kann,  -wie  etwa  einen  Apfel  am  Stiele.  Soll  das  an  Breite  ailmälig  zunehmende  Messer  durch 
die 'Basis  der  Cornea  ohne  Zerrung  derselben  durchgeführt  werden,  so  muss  es  in  der  Richtung  der 
Diagonale  vorgeschoben  werden,  welche  resultirt  aus  einer  geraden  Linie,  die  den  Ein-  und  Ausstichs- 
punkt, und  einer  zweiten,  die  den  Mittelpunkt  der  Cornea  mit  der  Eintrittsstelle  des  N.  opticus 
verbindet,  mit  populären  "Worten :  das  Heft  des  Messers  muss  beim  Vorschieben  der  Spitze  etwas 
gegen  die  Schläfe  gedrängt  werden.  Diess  ergibt  sich  aus  dem  Parallelogramm  der  Kräfte,  auf  die- 
selbe "Weise,  wie  für  den  Fährmann  die  Richtung,  wenn  er  über  einen  Strom  fahren  will.  Ist  die 
Fläche  des  Messers  gekrümmt,  wie  beim  Lafayeschen  Messer,  dann  läuft  der  Vordertheil  desselben 
von  selbst  in  der  genannten  Diagonale,  aber  die  Iris  kann  leichter  verletzt  werden  und  die  Hand- 
habung" des  Messers  ist  weit  mehr  complicirt. 
Arlt  Augenheilkunde.  II.  23 


354  Krystalllinse. 

Zur  Herausbeförderung  des  Staares  im  3.  Momente  hat  Ware  eine  Zange,  Heuer- 
mann  eine  Art  Stöpselzieher,  Richter  bloss  gelinden  Druck  auf  das  Auge  empfohlen. 
Richters  Vorschlag,  die  Kapsel  samnit  der  Linse  auszuziehen,  auch  dann,  wenn  die  Kapsel 
gesund  ist,  konnte  selbst  unter  Beer's  gewandten  Händen  nicht  gedeihen,  weil  er  auf 
unrichtigen  Vorstellungen  über  die  Verbindung  der  Kapsel  mit  dem  Ciliarkörper  beruhte. 
(Man  sollte  eine  Nadel  in  den  harten  Staar  einstossen,  und  durch  Umdrehen  und  Rütteln 
die  Verbindung  der  Kapsel  mit  dem  Ciliar-  und  Glaskörper  trennen.) 

Den  Staar  durch  die  Sclera  auszuziehen ,  versuchte  nach  Bell's  Vorschlag  zuerst 
Earle  (1801),  indem  er  durch  eine  4'"  lange  Sclerahvunde  nach  der  Meridianrichtung 
mit  einer  eigenen  Pincette  einging.  Doch  weder  er  noch  Quadri  (1818),  welcher  den 
Einstich  'parallel  zum  Hornhautrande  und  etwa  2'"  hinter  demselben  machte,  konnte 
dieser  gefährlichen,  höchst  verletzenden  Methode  Eingang  verschaffen. 

Um  die  Abschaffung  der  allmälig  in  Aufnahme  gekommenen  Ophthalmostaten  (von 
Pamard,  Gue'rin,  Demours  u.  A.),  welche  mitunter  sehr  sinnreich  erdacht  waren,  so  wie 
um  die  Abschaffung  der  ehemals  üblichen,  oft  höchst  eingreifenden  und  verderblichen 
Vorbereitungscuren  und  um  eine  zweckmässige  Nachbehandlung  haben  sich  insbesondere 
Richter,  Beer  und  Ad.  Schmidt  bleibende  Verdienste  erworben.  (Die  Literatur  dürfte  in 
Himly's  Krankheiten  und  Missbildungen  des  menschlichen  Auges  ,  die  Abbildungen  der 
verschiedenen  Instrumente  in  Blasius'  Akiurgie  am  besten  zusammengestellt  sein.) 

Die  DlSClSSlOÜ  konnte  erst  nach  dem  Gewinn  sorgfältiger  Beobachtungen  und 
genauerer  anatomisch-physiologischer  Kenntnisse  als  eigene  Methode  gedeihen.  Sie  ist 
daher,  wenn  man  von  gelegenheitlicher  Discission,  wo  man  die  Dislocation  beabsichtigt 
hatte,  vorläufig  absieht,  die  jüngste. 

Nachdem  Molineux  nachgewiesen  hatte ,  dass  die  Linse  nach  der  Depression  auf- 
gesogen werden  könne,  führte  Henkel  (1770)  eine  Staarnadel  durch  die  Sclerotica,  und 
eröffnete  die  hintere  Kapsel,  um  den  Staar  der  Resorption  und  spontanen  Senkung  zu 
überlassen.  Pott  (1787)  spiesste  mit  der  durch  die  Sclera  eingeführten  Nadel  die  Linse 
an ,  und  suchte  durch  vielfältige  Zerstückelung  der  Kapsel  und  der  Linse  Resorption 
einzuleiten.  Später  (1812)  wurde  dieses  Verfahren  von  Adams  noch  dadurch  modificirt, 
dass  er  Stücke  der  zerschnittenen  Linse  in  die  vordere  Kammer  zu  schieben  versuchte. 

Conradi  (in  Northeim  bei  Göttingen)  war  der  Erste,  welcher,  gestützt  auf  die  von 
ihm  und  schon  früher  von  Wenzel  und  Gleize  bei  unvollendeten  Extractionen  gemachte 
Beobachtung,  dass  weiche  Staare  nach  Eröffnung  der  vordem  Kapsel  (von  der  Hornhaut 
aus)  resorbirt  werden  können,  im  Jahre  1797  absichtlich  ein  2'  2  —  2'"  breites,  bis  zur 
Hälfte  zweischneidiges  Messerchen  durch  die  Hornhaut  in  die  vordere  Kapsel  stiess,  um 
sie  hinreichend  weit  zu  eröffnen.  Ein  ähnliches  Verfahren  hatte  schon  Beer  1785  an  29 
Augen  geübt,  dasselbe  jedoch  wieder  verlassen,  weil  es  mit  Ausnahme  eines  einzigen 
Falles  keine  Resorption  oder  Kapselnachstaar  zur  Folge  gehabt  hatte. 

Im  Jahre  1809  machte  Buchhorn  (auf  Reifs  Antrieb)  Versuche  an  Thieren,  indem 
er  mit  einer  durch  die  Hornhaut  eingeführten  Nadel  die  vordere  Kapsel  zerriss ,  und  so 
viel  sicherer  Resorption  der  Linse  einleitete.  Langenbeck  (1811)  wandte  nun  diese  Me- 
thode zuerst  bei  Cataracta  an,  erweiterte  die  Pupille  durch  wiederholte  Anwendung  von 
Belladonna,  stiess  eine  feine,  dünne,  massig  nach  der  Fläche  gekrümmte  (in  späterer 
Zeit  eine  sichelförmige)  Nadel  durch  die  Hornhaut  (1 — 2"'  vom  untern  Rande  entfernt), 
und  zerschnitt  Kapsel  und  Linse  nach  allen  Richtungen.  Die  Nadel  wurde  auf  beiden 
Augen  mit  der  rechten  Hand  geführt,  und  beim  Einstechen  an  die  Spitze  des  Zeigefingers 
der  linken  Hand  wie  an  eine  Stütze  angelehnt.     Ähnlich   verfuhren    Gräfe,    Siebold,    von 


Cataracta  —  Operation  —  Geschichte.  355 

Walther,  Benedict  u.  A.  mit  verschieden  modificirten  Nadeln.  Fr.  Jäger  beschränkte  die 
Zerschneidung  bloss  auf  die  vordere  Kapsel,  und  erfand  für  die  Fälle,  wo  die  Unmög- 
lichkeit, die  Kapsel  zu  zerschneiden,  an  der  Trübung  derselben  schon  im  Voraus  er- 
kannt werden  konnte,  die  oben  beschriebene  Dilaceration. 

Die  Auflösung    der    Linse    durch    den    galvanischen    Strom, 

schon  von  Achermann  und  Walther  (1803)  empfohlen,  wurde  in  neuester  Zeit  besonders 
von  Crusell  (Petersburg  1841),  Strauch  und  Lerche  versucht.  Die  bisherige  Art,  den 
Kupferpol  mittelst  einer  durch  die  Cornea  oder  Sclera  in  die  Linse  geführten  Nadel  auf 
diese  einwirken  zu  lassen,  konnte  schon  desshalb  ihren  Zweck  nicht  erreichen,  weil 
der  Strom  offenbar,  so  lange  man  den  Hals  der  Nadel  nicht  isolirte,  früher  die  Cornea 
oder  Sclera  als  die  Linse  treffen  musste.  Wo  Heilung  erfolgte,  geschah  diess  einfach 
durch  Eröffnung  der  Kapsel. 


23* 


Druck  von  J.  B.  Hirschfeld   in  Leipzig-. 


DIE 

KRANKHEITEN  DES  AUGES, 

für  praktische  Ärzte 

geschildert 


Dr.  Ferd.  Arlt, 

k.  k.  o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Wien. 


III.  Band. 


Die  Krankheiten  des  Glaskörpers,   der  Netzhaut,  der  Augen- 
muskeln, der  Augenlider,  der  Thränenorgane  und  der  Orbita. 


Mit  Abbildungen. 


Vierter  unveränderter  Abdruck. 


Prag,    1863. 
Verlag  von  F.  A.  Gredner, 

k.  k.  Hof -Buch-  und  Kunsthändler. 


DIE 

KRANKHEITEN 


des 


Glaskörpers,  der  Netzhaut,  der  Augenmuskeln, 
der  Augenlider,   der  Thränenorgane  und  der 

Orbita, 


für 

praktische  Ärzte 

geschildert 


Dr.  Ferd.  Arlt, 

k.  k.  o.  ö.  Professor  der  Augenheilkunde  an  der  Universität  zu  Wien. 


Mit  Abbildungen. 


Vierter  unveränderter  Abdruck. 


Prag,   1863. 

Verlag  von  F.  A.  Credner, 

k.  k.  Hof -Buch-  und  Kunsthändler. 


VII.   Bach. 

Der   Glaskörper,   Corpus   vitreum. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Der  Glaskörper  stellt  eine  farblose  und  vollkommen  durchsichtige 
Masse  dar,  welche  den  Bulbus  hinter  der  Linse  und  den  Ciliarfortsätzen 
ausfüllt.  Die  ihn  hauptsächlich  bildende  Flüssigkeit  (Vitrina,  Humor  vi- 
treus)  ist  in  ein  eigenthümliches  loculamentöses  Gewebe  (Stroma  corp. 
vitrei)  infiltrirt  und  von  einer  äusserst  dünnen  Hülle  (Membr.  hyaloidea) 
umschlossen.  Diese  Hülle  schmiegt  sich  vorn  unmittelbar  an  die  hintere 
Linsenkapselhälfte  an,  bildet  dann  die  hintere  Wand  des  Petitschen 
Canales,  ist  längs  des  Ciliarkörpers  innigst  mit  diesem  verwachsen  — 
mittelst  der  Zonula  Zinnii,  jenseits  der  Ora  serrata  einfach  an  die  Netz- 
haut angelagert,  und  erst  an  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  wieder 
fest  an  die  Bulbuswand  angeheftet. 

Der  Glaskörper  misst  beim  Erwachsenen  vom  Centrum  der  teller- 
förmigen Grube  bis  zur  Macula  lutea  6*/a — 1"'*),  in  der  Äquatorial- 
ebene  des  Bulbus  horizontal  10— lü1/*"',  senkrecht  97a— 10  V*'".  Das 
absolute  Gewicht  wird  von  Krause  auf  65 — 75  Gran  geschätzt,  das 
specifische  von  Chevenix  auf  1,0053.  Den  Brechungsindex  setzte  Brewster 
=  1,336 — 1,3394,  wenn  der  des  Wassers  =  1,3358  angenommen 
wird.  —  Der  Glaskörper  als  Ganzes  ist  in  hohem  Grade  elastisch-bieg- 
sam, doch  kaum  mehr  als  Wasser  compressibel,  indem  die  Masse  seiner 
festen  Bestandteile  zu  den  tropfbarflüssigen  verschwindend  klein  ist. 
Er  ist  im  Ganzen  und  in  Stücken  schlüpfrig,  schwer  anzufassen,  gefasst 
aber  stark  fadenziehend  und  dehnbar,  und  lässt  sich  durch  Auspressen 

*)  Im  2.  Bande  S.  239  wurde  der  Abstand  des  hintern  Poles  der  Linse   von  der  Macula  lutea    aus  Ver- 
sehen um  1'"  zu  kurz  angegeben. 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  1 


2  Glaskörper. 

und  Filtriren  in  eine  äusserst  feine  hyaline  Substanz  und  in  eine  klare 
Flüssigkeit  scheiden. 

Die  Glasflüssigkeit,  welche  nach  Abscheidung  aller  festen  Theile 
zurückbleibt ,  ist  dünnflüssig ,  nur  schwach  klebrig  und  wenig  faden- 
ziehend, farblos  und  wasserklar,  und  enthält  nach  Berzelius  in  100 
Theilen  98,40  Wasser,  0,16  Eiweiss,  1,42  Kochsalz  mit  einer  extract- 
artigen  Materie,  0,02  in  Wasser  lösliche  Substanz,  und  nach  Mitton 
auch  etwas  Harnstoff,  stimmt  also  in  chemischer  Beziehung  mit  dem 
Humor  aqueus  fast  überein,  welchem  sie  auch  im  Brechungsindex  sehr 
nahe  steht. 

Die  Glashaut  bildet  einen  äusserst  dünnen  und  durchsichtigen,  rela- 
tiv ziemlich  festen,  vollkommen  geschlossenen  Sack,  welcher  an  seiner 
glatten  äussern,  der  Netzhaut  zugewendeten  Fläche  und  nach  Pappen- 
heim auch  in  der  tellerförmigen  Grube  Umrisse  von  sechseckigen  Zellen 
wahrnehmen  lässt,  ähnlich  denen  von  Pflasterepithelien ,  durch  deren 
Verschmelzung  sie  nach  Brücke  entstanden  zu  sein  scheint.  Ausserdem 
zeigt  sie  gleich  der  Descemetschen  Haut  und  der  Linsenkapsel  keine 
Spur  weder  von  Structur,  noch  von  Gefässen  oder  Nerven  (nach  der 
Geburtj.  Über  ihren  Zusammenhang  mit  dem  Stroma  im  Innern  des 
Glaskörpers  ist  weiter  nichts  sicher  gestellt,  als  dass  er  eben  ein  sehr 
inniger,  unzertrennlicher  ist. 

Das  Stroma  des  Glaskörpers  konnte  bisher  vermöge  seiner  extre- 
men Feinheit  und  Durchsichtigkeit  nicht  direet  beobachtet  werden.  Ge- 
wiss ist  nur,  dass  die  Glasflüssigkeit  nicht  frei  in  dem  Sacke  der  Hya- 
loidea  eingeschlossen  ist,  wie  etwa  das  Kammerwasser  in  der  Kammer, 
und  dass  sie  so  zu  sagen  von  einem  innern  Gerüste  getragen  und  zu- 
sammengehalten wird.  Ob  aber  dieses  Gerüste  aus  Zellen,  Blättern, 
Fäden  o.  dgl.  bestehe,  ist  unbekannt.  Seit  Janin,  Zinn  und  Demours, 
welche  zur  Untersuchung  gefrorne  Bulbi  benutzten,  nahm  man  Zellen 
im  Innern  als  Träger  der  Vitrina  an;  seit  Pappenheim,  der  den  Glas- 
körper durch  kohlensaures  Kali  erhärtete,  Brücke,  der  sich  hiezu  con- 
centrirter  Bleizuckerlösungen  bediente,  und  Hannover,  welcher  Bulbi 
über  1j2  Jahr  lang  in  verdünnter  Chromsäure  liegen  Hess,  machte  sich 
mehr  die  Ansicht  einer  blättrig-fächerigen  Structur  geltend.  Virchow 
bezeichnet  den  Glaskörper  als  Schleimgewebe  und  stellt  ihn  histologisch 
an  die  Seite  der  Whartonschen  Sülze  des  Nabelstranges. 

Demours  konnte  in  gefrornen  und  wieder  etwas  aufgethauten  Glaskörpern  von  den 
einzelnen  Eisstückchen ,  womit  dieselben  gefüllt  erschienen,  eine  feine  Membran  mit  der 
Nadel  abheben.  Die  Eisstückchen ,  welche  gegen  die  Oberfläche  hin  lagen,  waren  die 
grössten,  nach  innen  und  besonders  nach  der  tellerförmigen  Grube  hin  lagen  die  kleinsten. 


Anatomie  —  Physiologie.  3 

Die  grössten  waren  glatt  und  länger  als  breit,  ziemlich  strahlig  um  den  Mittelpunkt  des 
hintern  Theiles  der  Linse  gelagert,  und  dichter  nach  aussen,  als  nach  der  Linse  zu.  — 
Nach  Janin ,  Zinn  u.  A.  sind  die  Zellscheidewände  kleine  Tellerchen,  deren  Wölbung 
nach  aussen,  deren  Höhlung  nach  innen  gegen  die  Linse  hin  gerichtet  ist.  Um  den  Mittel- 
punkt herum  und  in  der  tellerförmigen  Grube  liegen  die  kleinsten,  an  der  Peripherie  die 
grössten.  —  Nach  Pappenheim  lässt  sich  der  in  kohlensaurem  Kali  erhärtete  Glaskörper 
fast  zwiebelartig  in  concentrischen  Schichten  abblättern,  welche  denen  von  gekochtem 
Eiweiss  ähneln.  Jede  Schicht  besteht  aus  unmessbar  feinen ,  isolirten ,  und  etwas  ge 
schwungenen  Fäden  oder  fasern.  —  Brüche  fand  bei  den  Säugethieren  die  Anordnung 
der  Blätter  oder  Scheidewände  so  wie  Pappenheim,  beim  Menschen  dagegen  so  wie 
Hannover.  Nach  diesem  geht  eine  grosse  Menge  feiner  Häute  von  der  Membr.  hyaloidea 
einwärts  in  die  Masse  des  Glaskörpers,  ohngefli.hr  wie  die  Scheidewände  in  einer 
Orange.  Die  durch  diese  Scheidewände  gebildeten  Sectoren  lagern  sich  um  eine 
gerade  Linie,  die  man  sich  vom  hintern  Pole  der  Linse  zur  Eintrittsstelle  der  Art. 
centralis  retinae  gezogen  zu  denken  hat,  sind  jedoch  gegen  diese  Achse  hin  offen 
(fehlend),  und  übrigens  so  dünn  und  schwach  lichtbrechend,  dass  sie  sich  im  natürlichen 
Zustande  selbst  mit  bewaffnetem  Auge  nicht  erkennen  lassen.  Brücke  bemerkt  in- 
dessen ,  dass  diese  Septa  allein  nicht  hinreichen ,  die  Consistenz  des  Glaskörpers  zu 
erklären,  daher  man  denn  auch  annimmt,  dass  die  einzelnen  Sectoren  noch  unterab- 
getheilt  seien  durch  dünne  Zwischenwände ,  welche  die  Sectoren  quer  durchsetzen, 
ohngefähr  so,  dass  sie  zur  hintern  Kapsel  concentrisch  verlaufen. 

Gegen  alle  diese  Präparationen  und  darauf  basirten  Folgerungen  erhebt  sich  das 
Bedenken,  ob  nicht,  da  alle  die  genannten  Mittel  von  aussen  nach  innen  gradatim 
einwirken ,  mechanisch-chemische  Einwirkungen  allein  oder  doch  vorwaltend  die  Ursache 
einer  bestimmten  Schichtenbildung  seien.  Es  ist  wenigstens  auffallend,  dass  jede  dieser 
Präparationsweisen  eine  andere  Richtung  der  Zwischenwände  erweist.  "Welche  Ansicht 
über  das  Stroma  des  Glaskörpers  man  adoftiren  möge,  immer  wird  man  gezwungen 
sein,  sich  die  Zwischenräume,  in  denen  die  Flüssigkeit  haftet,  sehr  klein  zu  denken. 
Statt  mit  einer  Apfelsine  möchte  man  den  Glaskörper  besser  mit  dem  Parenchyme  eines 
Pfirsichs  vergleichen,  dessen  Flüssigkeit  von  einem  verschwindend  zarten  und  spär- 
lichen Stroma  zusammen  gehalten  wird.  Man  kann  vom  Glaskörper  aus  den  verschie- 
densten Regionen  immer  eine  einzige  Portion  mit  einer  feinen  Pincette  fassen  und  mit 
einer  Scheere  abschneiden ;  jede  noch  so  kleine  Portion  besteht  aus  einem  festen  und 
flüssigen  Theile,  und  das  Stroma  scheint  in  den  mittlem  und  hintern  Portionen  weder 
feiner  noch  sparsamer,  als  anderswo  zu  sein,  geschweige  denn  zu  fehlen.  Nach 
Rosas  füllt  sich  ein  seiner  Flüssigkeit  durch  rasches  Verdunsten  beraubter  Glaskörper 
gleich  einem  ausgedrückten  Schwämme,  wenn  man  ihn  einige  Stunden  im  Wasser  liegen 
lässt.  —  Wird  bei  einer  Operation  oder  Verletzung  ein  Theil  des  Glaskörpers  aus  der 
Wunde  hervorgepresst ,  so  besteht  dieser  (bei  normaler  Beschaffenheit  des  Glaskörpers 
überhaupt)  so  gut  aus  Stroma  als  aus  Vitrina.  Ein  Theil  der  hervorgepressten  Flüssig- 
keit fliesst  ab,  ein  anderer  Theil  aber,  am  Stroma  haftend,  bleibt  vor  der  Wunde,  und 
wird ,  falls  das  Ganze  nicht  allmälig  ziirückgleitet ,  wolkig,  trüb,  bis  es  endlich  erweicht, 
eitrig  schmilzt,  und  abgestossen  wird.     Vergl.  B.  IL  S.   16. 

Die  Ernährung  des  Glaskörpers  geschieht  wahrscheinlich  durch 
En-  und  Exosmose  vom  Corpus  ciliare  aus,  und  zwar  durch  die  mit  der 

Hyaloidea  daselbst  verschmolzene  Zonula  Zinnii  hindurch.    Wollte  man 

l* 


4  Glaskörper. 

auch  mit  Tluschke  plasinaführende  Vasa  decolora  im  Glaskörper  an- 
nehmen, welche  nicht  sowohl  aus  den  Ciliargefässen,  als  vielmehr  aus 
der  Centralarterie  der  Netzhaut  entsprängen ,  so  würde  man  sich  doch 
vergeblich  nach  dem  zweiten  Elemente  der  unmittelbaren  Ernährung, 
nach  Nerven  umsehen.  Der  Glaskörper  dürfte  sich  hinsichtlich  der  Er- 
nährung analog  dem  Krystallkörper  verhalten.  Dort  wie  hier  sind  in 
der  Fötalperiode  zahlreiche  Gefässe  vorhanden,  welche  von  der  Central- 
arterie der  Netzhaut  gegen  die  tellerförm.  Grube  verlaufen;  nach  der 
Geburt  jedoch  lässt  sich  keine  Spur  davon  nachweisen,  weder  durch 
Injectionen  noch  durch  das  Mikroskop,  und  es  entwickeln  sich  auch  in 
verschiedenen  pathologischen  Zuständen  mit  Exsudation  in  dem  Glas- 
körper niemals  Gefässe,  wie  etwa  in  der  Hornhaut. 

Mehrere  pathologisch-anatomische  Thatsachen  sind  es,  welche  dafür  sprechen, 
dass  die  Ernährung  des  Glaskörpers  vom  Ciliarkörper  her  erfolge.  Bei  hochgradig  Kurz- 
sichtigen findet  man  Sclera,  Ader-  und  Netzhaut  rings  um  den  hintern  Pol  rückwärts 
ausgedehnt,  den  Glaskörper  bis  zur  Basis  dieser  Ektasie  normal,  von  da  rückwärts  aber 
durch  wässrige  Flüssigkeit  ersetzt;  zwischen  ihm  und  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven, 
ja  selbst  zwischen  ihm  und  einem  grossen  Theile  der  Netzhaut  ist  jede  Spur  von  Ver- 
bindung aufgehoben.  —  Wenn  in  Folge  weit  verbreiteter  Chorioiditis  Exsudation  an 
der  Innenfläche  der  Aderhaut  erfolgt,  so  findet  man  das  Exsudat  jenseits  (hinter)  der 
Ora  serrata  jederzeit  zwischen  Chorioidea  und  Betina,  diessseits  jedoch  stets  auch 
an  der  Innenfläche  der  Zonula  Zinnii  und  der  damit  unzertrennlich  verwachsenen  Hya- 
loidea,  also  im  Glaskörper  selbst  abgelagert,  gleichwie  solches  Exsudat  oft  auch  im 
Petitschen  Canale  und  an  der  Hinterfläche  der  Iris,  selbst  in  der  vordem  Kammer  vor- 
gefunden wird.  Vergl.  Chorioidea  im  2.  Bande.  Ich  habe  bei  allen  bisherigen  Sec- 
tionen  niemals  Exsudat  im  Glaskörper  gefunden,  ohne  dass  auch  der  Ciliarkörper  mit 
ergriffen  war,  ausgenommen  bei  Chorioiditis  pyaemica  im  Beginn,  wo  ein  einzelner 
hanfkorngrosser  Eiterherd  durch  die  Netzhaut  gedrungen,  und  dieser  in  den  Glaskörper 
hineinragende  Hügel  von  einem  trüben  (wolkenähnlichen)  Hofe  umgeben  war.  Wenn, 
wie  so  oft  bei  chronischer  Iritis,  auch  das  Corpus  ciliare  in  den  Entzündungsprocess 
hineingezogen  wird ,  so  leidet  der  Glaskörper  viel  früher ,  als  noch  die  Zeichen  von 
Netzhautaffcction  auftreten.  In  manchen  Fällen  wird  der  Bulbus  allmälig  weich  und 
endlich  atrophisch;  in  andern  tritt  abnorme  Spannung  des  Bulbus  und  selbst  Vergrös- 
serung  mit  Ausdehnung  des  vordem  Umfanges  der  Sclera  ein.  In  diesem  letzteren 
Zustande  nun  kommen  Augen  vor,  bei  denen  sich  Verflüssigung  des  Glaskörpers  mit 
Bestimmtheit  nachweisen  lässt ,  ohne  dass  das  Gesicht  anders ,  als  mechanisch  gestört 
ist,  demnach  die  Netzhaut  als  gesund  oder  doch  relativ  sehr  wenig  leidend  angenom- 
men werden  muss. 

Ich  bin  überzeugt,  dass  Krankheiten  des  Glaskörpers  nur  von  'Krankheiten  der 
Chorioidea,  in  specie  des  Ciliarkörpers  abhängen,  durchaus  nicht  von  Krankheiten  der 
Netzhaut,  ausser  diese  sind  selbst  durch  Chorioidealleiden  bedingt  oder  mit  diesen  ge- 
meinschaftlich einhergehend.  Amaurosis,  von  Kindheit  bis  in  späte  Jahre  bestehend, 
hat  auf  die  Integrität  des  Glaskörpers  keinen  Einfluss;  man  hat  bei  vollständiger  und 
Jahre  lang  bestandener  Atrophie  des  Sehnerven  und  consecutiv  der  Netzhaut  den  Glas- 
körper  normal   gefunden,    wenn   die  Atrophie   nicht   vom  Auge  selbst   ausgegangen  war. 


Anatomie  —  Physiologie.  5 

Andererseits  kann  Verflüssigung  des  Glaskörpers  viele  Jahre  lang  fortbestehen ,  ohne 
dass  die  Netzhaut  erkrankt.  Ich  beobachte  hier  seit  beinahe  2  Jahren  einen  Tischler, 
bei  welchem  sich  aus  unbekannter  Ursache  die  Linsen,  welche  ein  wenig  minder  klar 
erscheinen,  gesenkt  haben,  und  in  dem  verflüssigten  Glaskörper  flottiren.  Der  Mann,  48 
Jahre  alt,  von^blühend  gesundem  Aussehen,  hatte  noch  während  er  die  Schulen  besuchte, 
ein  ganz  gutes  Gesicht.  Allmälig  war  er  kurzsichtig  geworden,  ohne  sonst  etwas 
Abnormes  in  seinen  Augen  zu  bemerken.  Im  Jahre  1847  wurde  er  ohne  bekannte 
Veranlassung  von  Doppeltsehen  (diplopia  monocularis  oculi  utr.)  befallen,  offenbar  be- 
dingt durch  unvollständige  Senkung  der  Krystallkörper.  Der  ihn  behandelnde  Arzt  (Dr. 
Ryba)  hatte  ihn  besonders  vor  erschütternden  Bewegungen  des  Kopfes  gewarnt.  Allmälig, 
im  Verlauf  eines  Jahres,  verlor  sich  das  Doppeltsehen.  AVenn  er  auf  dem  Rücken  liegt, 
bemerkt  er  auf  jedem  Auge  eine  Scheibe,  fast  wie  einen  grossen  Öltropfen,  mit  dunk- 
lem Rande.  Convexgläser ,  deren  er  sich  Anfangs  bediente,  hat  er  wieder  ablegen 
müssen.  Dieser  Mann  nun  steht  seinem  Geschäfte  vor,  ohne  von  seinem  Zustande 
gehindert  zu  werden.  Er  kann  selbst  noch  zeichnen  und  lesen.  Nur  in  die  Ferne 
sieht  er  minder  gut.  Lesen  kann  er  selbst  einen  'As'"  hohen  Druck.  Druck  von  1 — 5/V" 
Höhe  liest  er  bei  S"  am  besten,  doch  auch  noch  bei  5"  und  bis  12",  etwas  grösseren 
Druck  noch  weiter  (18").  Aber  er  kann  diess  nur  dann,  wenn  er  die  Schrift 
ganz  nach  unten  hält,  knapp  vor  der  -Brust.  Man  kann  annehmen,  dass  diess 
daher  rühre ,  weil  bei  dieser  Haltung  die  Linsen  sich  wieder  vorlegen  und  zur  Strah- 
lenbrechung mitwirken ,  denn  es  braucht  immer  einige  Secunden,  ehe  er,  nach  Annahme 
dieser  Haltung,  lesen  kann.  Die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  wird  leider  nicht 
gestattet.  Doch  konnte  ich  nie  bemerken,  dass  etwa  die  Linse  sich  an  die  Iris  an- 
legte und  diese  vorwärts  drängte.  Es  muss  jedoch,  um  keine  wichtige  Thatsache  zu 
übergehen,  noch  bemerkt  werden,  dass  der  Mann  das  Lesen,  Zeichnen  u.  dgl.  nicht 
mehr  so  lange  wie  vordem  aushält,  dass  ihm  dabei  auf  eine  kurze  Zeit  das  Gesicht  ver- 
geht (undeutlich  wirdl.  Den  Schlüssel  zur  Erklärung  gibt  die  Form  der  Bulbi.  Die 
Iris  liegt  tief  hinter  der  Basis  corneae  und  in  Einer  Ebene,  die  Pupillen  sind  (wie  bei 
mangelnder  Linse  immer)  relativ  eng,  und  die  Regenbogenhäute  schlottern.  Beide  Bulbi 
sind  in  der  Richtung  der  Sehachse  eclatant  verlängert,  was  man  deutlich  erkennt,  wenn 
man  z.  B.  das  linke  Auge  möglichst  stark  rechts  blicken  lässt,  und  nun  die  äussere 
Commissur  rückwärts  drückt.  Die  Bulbi  messen  in  der  Sehachse  mindestens  14"',  der 
linke  noch  etwas  mehr:  derselbe  ragt  überdicss  etwas  weiter  aus  der  Orbita  hervor  als 
der  rechte,  welcher  durchaus  nicht  glotzend  erscheint.  Als  ich  diese  Dimensionsabwei- 
chung erkannt  hatte,  ergab  sich,  gleichsam  als  Rechnungsprobe,  dass  das  linke  Auge  nur 
zwischen  4 — (»"  lesen  kann,  was  der  Kranke  früher  nicht  gewusst  hatte.  Dass  übrigens 
die  Engerie  der  Netzhaut  nicht  merklich  gelitten  haben  kann ,  ergibt  sich  abgesehen 
von  dem  schon  Mitgetheilten  noch  daraus,  dass  der  Mann  auch  durch  eine  feine  Öff- 
nung in  einem  Kartenblatte  lesen  kann. 

Dass  sich  der  Glaskörper  regener  ire,  ist  allgemein  angenommen, 
aber  durchaus  nicht  erwiesen.  Wir  wissen  nur,  dass  nach  Verlust 
eines  nicht  zu  beträchtlichen  Theiles  davon  der  leer  gewordene  Raum 
wieder  ausgefüllt  wird,  und  dass  der  Bulbus  dann  in  Bezug  auf  Grösse 
und  Spannung  nach  einiger  Zeit  oft  keine  Differenz  wahrnehmen  lässt. 
Das,  was  ersetzt  wird,  ist  aber  wahrscheinlich  nicht  Stroma,  sondern 
bloss  Humor  corporis  vitrei  oder  wohl  gar  blosses  Serum.    Glücklicher- 


6  Glaskörper. 

weise  geht  bei  den  Glaskörpervorfällen  während  der  Extraction  in  der 
Regel  nicht  so  viel  Stroraa  verloren,  als  man  dem  Anscheine  nach 
meinen  möchte.  Oft  weicht  das  eines  Theils  seiner  Flüssigkeit  verlustige 
Stroma  wieder  in  seine  frühere  Lage  zurück  und  füllt  sich  dann  wieder 
—  so  hat  es  wenigstens  den  Anschein  —  mit  Vitrina,  gleich  einem 
sich  vollsaugenden  ausgedrückten  Schwämme. 

Ich  bin  oftmals  in  der  Lage  gewesen,  an  Augen  Pupillenbildung  (durch  Iridektomie) 
vorzunehmen,  wo  nach  der  Extraction  mit  Glaskörperverlust  Pupillensperre  durch  Ein- 
löthung  von  Iris  in  die  Hornhautnarbe  entstanden  war.  In  solchen  Fällen  stiess  ich 
nach  Ausschneidung  eines  Irisstückes  nicht  selten  auf  eine  dahinter  gelegene  trübe 
Membran,  gebildet  durch  die  Kapsel  und  dazwischen  eingeschlossene,  in  fibroide  Masse 
verwandelte  Linsensubstanz.  Wurde  nun  diese  Membran  mit  einem  Häkchen  einge- 
rissen ,  um  den  Lichtstrahlen  freien  Eintritt  zu  bahnen ,  so  zeigte  sich  dahinter  kein 
normaler ,  sondern  ganz  verflüssigter  Glaskörper  oder  vielmehr  eine  wasserklare  und 
wasserdünne  Flüssigkeit,  und  der  Bulbus  fing  an,  mehr  weniger  stark  einzusinken, 
daher  ich  auch  jetzt  in  solchen  Fällen  immer  die  Vorsicht  gebrauche,  den  Kranken  zu 
chloroformiren  oder  doch  bei  der  Operation  liegen  zu  lassen,  um  wenigstens  die  Muskel- 
action  möglichst  ausser  Spiel  zu  bringen.  Ich  übersehe  dabei  nicht,  dass  Glaskörper- 
verflüssigung (Verlust  oder  Zerstörung  des  Sti-oma)  auch  in  solchen  Fällen  vorgefunden 
wird ,  wo  auch  ohne  Glaskörperverlust  nach  Beseitigung  oder  mehr  weniger  vollstän- 
diger Resorption  der  Linse  Pupillensperre  eingetreten  ist,  aber  hier  ist  diese  Ver- 
flüssigung keine  constante  Erscheinung.  —  Stellwag*)  vertheidigt  die  Regeneration  des 
Glaskörpers  (wenn  auch  eine  unvollkommene)  mit  Folgendem :  „Ich  schliesse  dieses 
aus  drei  von  mir  sehr  genau  untersuchten  Fällen,  in  welchen  Cornealnarbenstaphylome 
bestanden,  der  Krystallkörper  aber  in  toto  fehlte,  an  seiner  Stelle  die  von  einer  ganz 
normalen,  keine  Spur  einer  Trennung  nachweisenden  Glashaut  überzogene  tellerförmige 
Grube  mit  bedeutender  Convexität  hervorragte  und  das  Corpus  vitreum  ausser  einer 
kaum  merklichen  Consistenzabnahme  seines  mittleren  Theiles  keine  Abweichung  darbot. 
Es  war  hier  sicherlich  der  Krystallkörper  unter  einem  namhaften  Drucke  durch  den 
Cornealdurchbruch  hindurch  entleert  worden ,  und  es  ist  dieses  ohne  Entleerung  der 
mittlem  Portionen  des  Glaskörpers  kaum  denkbar.  Hat  aber  diese  stattgefunden ,  so 
ist  auch  die  Regenerationsfähigkeit  des  Glaskörpers  erwiesen ,  welche  übrigens  schon 
a  priori  durch  dieses  Vermögen  der  Linse  und  Hornhaut  wahrscheinlich  gemacht  ist."  — 
Ich  finde  in  dem  Gesagten  keinen  Beweis  für  das  Behauptete.  Zunächst  gelten  die 
Gründe  a  priori  nicht,  denn  die  Linse  regenerirt  sich  nicht,  mindestens  müsste  diess 
erst  nachgewiesen  werden,  und  die  Hornhaut  hat  Nerven  und  Gefässe  (beide  jetzt 
auch  mikroskopisch  nachgewiesen).  Ferner  sagt  St.  selbst,  es  sei  eine  Entleerung  der 
Linse  ohne  Glaskörper  doch  denkbar,  denn  das  kaum  negirt  nicht.  Sie  ist  aber  un- 
wahrscheinlich, und  unwahrscheinlich  ist  mir  auch  das,  dass  sich  der  „Krystallkörper 
in  toto"  entleerte,  im  Auge  auch  keine  Spur  von  Kapsel  gefunden  wurde,  und  doch 
die  Hyaloidea  der  tellerförmigen  Grube  normal,  also  vollständig  regenerirt  wieder  ge- 
funden werden  konnte.  Ich  bin  zwar  nicht  Stellwags  Ansicht,  dass  die  hintere  Kapsel 
unzertrennlich  mit  der  Hyaloidea  verwachsen  sei,  wohl  aber  der,  dass  die  Zonula 
Zinna   mit    der   vordem   Kapsel    am   Rande   unzertrennlich   verwachsen  ist.     Wurde  der 

)  Die  Ophthalmologie  vom  naturwissenschaftl.  Standpunkte  aus  bearbeitet.  Freiburg  im  Breisgau,  1853. 


Anatomie  —  Physiologie.  7 

Krystallkörper  in  toto  herausgepresst ,  so  musste  auch  die  Zonula  Zinnii  ringsum  los- 
reissen,  und  dann  war's  auch  um  den  Petitschen  Canal  geschehen,  welcher  doch  nach 
St.  die  Strömung  von  den  Ciliarfortsiitzen  zum  Vordertheile  des  Corpus  vitreum,  also 
die  Ernährung  und  somit  auch  die  Regeneration  vermitteln  soll.  Wenn  vom  Krystall- 
körper wirklich  keine  Spur  vorhanden  war,  so  ist  die  gewaltsame  Entleerung  desselben 
eben  nur  Eine  der  möglichen  Ursachen  seines  gänzlichen  Mangels,  und  gesetzt  auch 
diese  eine  Ursache  wäre  wirklich  die  hier  allein  obwaltende  gewesen,  so  folgt  daraus 
noch  nicht,  dass  damit  Glaskörperverlust  einherging,  denn  Verlust  von  Glasflüssigkeit 
ist  nicht  gleichbedeutend  mit  Verlust  von  glashäutigem  Fachwerk,  wie  St.  das  Stroma 
corp.  vitrei  benennt. 

Die  Verwundbarkeit  des  Glaskörpers  ist  im  Allgemeinen  sehr  ge- 
ring. Nicht  nur  Stich-  und  Schnitt-,  sondern  auch  Risswunden  des- 
selben pflegen  zu  heilen,  ohne  dass  eine  wahrnehmbare  Abnormität 
zurückbleibt.  Es  ist  bekannt,  dass  auf  diese  Eigenschaft  gerechnet  wird, 
wenn  man  Staare  dislocirt.  Bei  jeder  Reclination  oder  Depression  wird 
nothwendig  nebst  der  hinteren  Kapsel  auch  die  Hyaloidea  in  der  teller- 
förmigen Grube  und  ein  Theil  des  Fachwerkes  oder  Stroma  corporis 
vitrei  zerrissen.  Es  erfolgt  darauf  in  der  Regel  keine  Entzündung,  oft 
auch  keine  Verflüssigung  des  Glaskörpers,  und  der  Riss  der  hinteren 
Kapsel,  also  wohl  auch  der  Hyaloidea,  verheilt  ohne  sichtbare  Narbe. 
Wo  auf  solche  Eingriffe,  wie  in  der  Mehrzahl  der  Fälle,  nicht  die  Zeichen 
von  Verflüssigung  des  Glaskörpers  folgen,  darf  und  muss  man  wohl 
annehmen,  dass  das  zerrissene  Stroma  wieder  vereinigt  sei,  und  dass 
seine  Ernährung  fernerhin  ungestört  vor  sich  gehe.  Wo  aber  die  Zeichen 
von  Verflüssigung  auftreten,  bleibt  es  unentschieden,  ob  diess  die  un- 
mittelbare Folge  der  Zerreissung,  oder  secundär  durch  einen  entzünd- 
lichen Process  seitens  der  Chorioidea  bedingt  sei,  welcher  mit  Er- 
weichung und  Auflösung  des  Stroma  und  mit  Ausscheidung  von  Serum 
einhergeht. 

Der  Glaskörper  ist  bestimmt,  den  Raum  zwischen  der  Linse  und 
Netzhaut  so  auszufüllen,  dass  letztere  immer  gespannt  erhalten  werde. 
Wir  werden  weiterhin  sehen,  dass  der  Bulbus  eigentlich  nicht  so  viel 
Flüssigkeit  enthält,  als  er  seinem  Lumen  nach  enthalten  könnte,  und 
dass  demnach  die  Spannung,  die  er  im  Leben  zeigt,  nicht  durch  die 
Contenta  allein ,  sondern  erst  durch  Mitwirkung  muskulöser  Gebilde  zu 
Stande  gebracht  werde.  Als  biegsam  elastisches  und  doch  incompres- 
sibles  Gebilde  ist  es  einzig  und  allein  der  Glaskörper,  welcher  die  zur 
Accommodation  nothwendigen  inneren  Veränderungen  des  Auges  (Ver- 
längerung des  Abstandes  zwischen  Linse  und  Netzhaut)  gestattet.  Zer- 
störung seines  Stroma  muss  die  Accommodation  mehr  weniger  beschrän- 
ken, wo  nicht  aufheben.  Vermöge  seiner  eigenthümlichen  Structur  und 


8  Glaskörper. 

Consistenz  trägt  er  überdiess  zur  Erhaltung  des  Krystallkörpers  in  seiner 
Lage  bei,  und  sichert  sowohl  diesen  als  die  Iris  vor  zitternden  Be- 
wegungen und  grösseren  Exemtionen,  in  welche  beide  vermöge  ihres 
grössern  speeifischen  Gewichts  bei  raschen  Bewegungen  und  Erschüt- 
terungen des  Bulbus  versetzt  werden  mtissten. 

Als  vollkommen  durchsichtiges  und  homogenes  Gebilde  von  einem 
bestimmten  Brechungsverhältniss  dient  der  Glaskörper  nicht  bloss  zum 
gradlinigen  Durchgange  der  in  ihn  eingedrungenen  Lichtstrahlen,  son- 
dern nimmt  auch  auf  die  Richtung  der  Lichtwellen  beim  Übergange 
aus  der  Linse  in  den  Glaskörper  einen  bestimmenden  Einfluss.  Nehmen 
wir  an,  was  höchst  wahrscheinlich  ist,  dass  sein  Brechungsindex  ent- 
sprechend seiner  Dichtigkeit  falle  und  steige,  so  ergibt  sich,  dass  er 
den  aus  der  Linse  in  ihn  eintretenden  Lichtstrahl  um  so  mehr  vom  Ein- 
fallslose ablenken  müsse,  je  dünner  er  ist.  Verflüssigung  des  Glas- 
körpers (Umwandlung  in  eine  dünnere,  wasserähnliche  homogene  Flüs- 
sigkeit nach  zerstörtem  Stroma)  muss  daher  an  und  für  sich  Kurzsich- 
tigkeit, i.  e.  frühere  Vereinigung  der  Lichtstrahlen  oder  kürzere  Brennweite 
des  Auges  bewirken.  Bei  mangelnder  Linse  könnte  der  Glaskörper  auch 
dann,  wenn  er  an  seiner  Vorderfläche  convex  wäre,  keinen  erheblichen 
Einfluss  auf  den  Refractionszustand  des  Auges  nehmen,  weil  sein 
Brechungsindex  von  dem  des  Kammerwassers  sehr  wenig  differirt.  — 
Trübung  des  Glaskörpers  in  toto  würde  die  Lichtmenge,  die  zur  Netz- 
haut gelangen  soll,  vermindern  und  überdiess  einen  Theil  des  durch- 
gehenden Lichtes  diffundiren.  Einzelne  dunkle  (kein  Licht  durchlas- 
sende) Partikelchen,  wie  etwa  Pigmentklümpchen,  sind  zwar  im  Stande, 
von  dem  Lichtkegel,  den  ein  Object  zur  Netzhaut  sendet,  einzelne 
Strahlen  aufzufangen,  können  jedoch  nur  dann  das  Wahrnehmen  eines 
oder  des  andern  Objectpunktes  aufheben,  wenn  sie  wegen  zu  naher  Lage 
an  der  Netzhaut  und  wegen  zu  grosser  Ausdehnung  alle  von  jenem 
Objectpunkte  kommenden  Lichtstrahlen  auffangen;  wohl  aber  können 
solche  einzelne,  selbst  kleine  Partikelchen  im  Allgemeinen  als  dunkle 
Stellen  des  Sehfeldes  wahrgenommen  werden  durch  den  Schatten, 
welchen  sie  auf  die  Netzhaut  bei  allgemeiner  Beleuchtung  derselben 
werfen.     Siehe  später:  entoptische  Erscheinungen. 


B.    Krankheiten  des  Glaskörpers. 

Die  verschiedenen  abnormen  Zustände  des  Glaskörpers  sind  in  ihrer 
Entstehung  und  in   ihrem  Fortbestande  zumeist  von  dem  Zustande  der 


Krankheiten.  9 

ihn  unisckliessenden  Gebilde  abhängig.  Es  muss  ihrer  Betrachtung  je- 
doch ein  eigener  Abschnitt  gewidmet  werden,  theils  um  die  Umstände 
zu  erörtern,  welche  zeigen,  ob  und  in  welcher  Weise  der  Glaskörper 
mitleide,  theils  aber  auch,  um  die  Metamorphosen  zu  schildern,  welche 
bei  einmal  gegebener  Veränderung  im  Glaskörper,  z.  B.  einem  Bluter- 
gusse, zu  erwarten  stehen. 

Mit  Übergehung  des  Coloboma  corp.  vitrei,  welches  mit  dem  gleich- 
namigen Bildungsfehler  der  Iris  und  Chorioidea  bereits  im  2.  Bande  S.  122 
erwähnt  wurde,  und  der  verschiedenen  Verletzungen  des  Glaskörpers, 
von  denen  gleichfalls  schon  mehrmals  die  Rede  war,  werden  wir  gleich 
zur  Betrachtung  jener  abnormen  Zustände  schreiten,  w7elche  in  ihren 
Erscheinungen  eine  gewisse  Selbständigkeit  darbieten,  und  deshalb  ge- 
wöhnlich als  eigentliche  Erkrankungen  des  Glaskörpers  beschrieben 
werden,  obgleich  sie  von  Erkrankung  anderer  Organe  abhängen.  Es 
sind  diess:  der  Bluterguss,  die  Verflüssigung  und  das  Vorkommen 
faserstoffiger  Exsudate  im  Glaskörper.  Die  Bildung  von  Entozoen  und 
in  manchen  Fällen  vielleicht  auch  das  Zerfallen  des  Stroma  mit  oder 
ohne  Fettbildung  innerhalb  der  Glashaut  sind  wohl  die  einzigen  Ab- 
normitäten, welche  dem  Glaskörper  an  und  für  sich  zukommen.  Die 
eitrige  Schmelzung  des  Glaskörpers,  sowie  seine  Verdrängung  durch 
Chorioidealexsudate  oder  durch  Pseudoplasmen,  welche  von  den  Nach- 
barhäuten  ausgehen,  sind  Zustände  von  so  untergeordneter  Bedeutung, 
dass  sie  hier  keine  besondere  Besprechung  erheischen. 

Die  Zustände  nun,  welche  hier  zur  Sprache  kommen  sollen,  haben 
ein  einziges  Symptom  constant,  wenn  auch  in  verschiedener  Weise,  im 
Gefolge,  nämlich  Störung  des  Gesichtes.  Veränderungen  des  Bulbus  in 
Form,  Grösse  und  Spannung  sind  in  der  Regel  die  Begleiter  von  Zu- 
oder  Abnahme  der  Masse  des  Glaskörpers,  welche  meist  mit  Verände- 
rung seiner  Dichtigkeit  und  Zerfall  seines  Stroma  einhergeht.  Die  Lage 
der  Iris  und  der  Linse  erleidet  nur  bei  höheren  Graden  dieser  Abnor- 
mitäten eine  für  die  Diagnosis  benutzbare  Veränderung.  Die  Störungen 
seiner  Durchsichtigkeit  lassen  sich  selten  durch  Besichtigung  der  Pu- 
pille, meistens  hur  mittelst  des  Augenspiegels  sicher  erkennen,  oft  je- 
doch auch  aus  den  sogenannten  entoptischen  Erscheinungen  nach  der 
Methode  von  Listing,  Brewster  und  Donders  mit  mehr  weniger  Verläss- 
lichkeit  in  Bezug  auf  Lage  und  Ausbreitung  erschliessen. 

Den  Vorgang  bei  diesen  Methoden  so  wie  die  Untersuchungsweise  mit  dem  Augen- 
spiegel  werden   wir    im    nächsten  Buche    bei   der   Untersuchung  der  Netzhaut  nachtragen. 


10  Glaskörper. 


I.    Blutergiessungen 

im  Glaskörper  kommen  in  verschiedener  Ausdehnung  und  nach  ver- 
schiedenen Veranlassungen  vor.  Sie  entstehen  zunächst  nach  Verletzun- 
gen mit  momentaner  Abplattung  oder  auch  bloss  mit  Erschütterung  des 
Bulbus.  Ich  habe  sie  beobachtet,  wenn  ein  fremder  Körper,  etwa  ein 
Stück  Holz,  mit  einer  gewissen  Gewalt  an  den  untern  oder  obern  Or- 
bitalrand angeprallt  war,  ohne  dass  sich  am  Bulbus  selbst  äusserlich 
eine  Verletzung  wahrnehmen  liess,  ja  auch  ohne  beträchtliche  Ekchy- 
mosen  der  Lider.  Im  Momente  der  Verletzung  pflegen  feurige  Erschei- 
nungen aufzutreten,  doch  nicht  immer.  Das  Sehvermögen  ist  sogleich, 
beschränkt  oder  aufgehoben ,  oder  es  wird  erst  später  mehr  und  mehr 
beeinträchtigt.  Die  Pupille  war  zur  Zeit,  wo  ich  solche  Verletzte  zu 
sehen  bekam,  der  des  andern  Auges  gleich,  oder  erweitert,  gleich-  oder 
ungleichmässig  (oval)  und  selbst  bei  noch  deutlicher  Lichtempfindung 
trag  oder  ganz  unbeweglich.  Die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel 
liess  in  einigen  Fällen  den  Hintergrund  des  Auges  gar  nicht  wahr- 
nehmen, offenbar  wegen  zu  reichlichen  Blutergusses,  denn  später,  nach 
Senkung  oder  theilweiser  Besorption  desselben  ergab  dieselbe  Unter- 
suchung den  Beweis,  dass  Blutaustretung  stattgefunden  hatte.  Bei 
sehr  reichlichem  Blutergusse  kann  auch  die  Spannung  des  Bulbus  ver- 
mehrt und  die  Linse  sammt  der  Iris  allmälig  etwas  vorgedrängt  wer- 
den. —  Wo  die  Verletzung  den  Bulbus  direct  getroffen,  ist  meistens 
auch  Blut  in  der  vordem  Kammer  ergossen,  offenbar  durch  Berstung 
von  Irisgefässen ,  wenn  man  auch  einen  Querriss  oder  periphere  Ab- 
lösung der  Iris  nicht  mit  den  Augen  auffinden  kann.  Solche  Blutaus- 
tretungen  in  der  vordem  Kammer  scheinen  übrigens  nicht  nothwendig 
mit  Blutergüssen  in  der  Tiefe  des  Auges  verbunden  zu  sein ;  ich  schliesse 
diess  zwar  nicht  aus  directer  Untersuchung,  vermuthe  es  aber  aus  dem 
Umstände,  dass  sich,  wenigstens  in  einigen  solchen  Fällen,  nachher 
keine  Sehstörung  wahrnehmen  liess. 

Blutergüsse  in  dem  Glaskörper  entstehen  ferner,  obgleich  seltener, 
nach  heftigen  körperlichen  Anstrengungen  mit  momentaner  Blutstauung 
und  synergischer  Augenmuskelcontraction ,  wie  beim  Husten,  beim  Er- 
brechen, beim  Heben  schwerer  Lasten  u.  dergl.,  zumal  wenn  diese  bei 
erhitztem  Körper,  in  berauschtem  Zustande,  bei  Circulationsstörungen 
von  Seite  des  Herzens,  der  Aorta,  der  Lungen  stattfinden. 

Am  häufigsten  und  leichtesten  erfolgen  kleine  Blutergüsse  bei 
krankhaften  Zuständen  des  Bulbus,   bei  activer  oder  mechanischer  Hy- 


Blutergüsse.  1 1 

perämie  der  Ader-  und  Netzhaut  und  bei  verminderter  Resistenzkraft 
der  Wandungen  des  Bulbus  (Ektasien  der  Hornhaut  oder  der  Sclera  im 
weitesten  Sinne  des  Wortes)  spontan  oder  nach  anhaltender  Anstrengung 
der  Sehkraft. 

Dr.  r.  Gräfe*),  dem  über  Glaskörperblutungen  eine  ausnehmend  grosse  Zahl  ge- 
nauer Beobachtungen  zu  Gebote  steht,  bemerkt  über  die  Disposition  dazu  ohngefahr  Fol- 
gendes: „Die  Hauptursache  bildet  die  Sclerotico-chorioiditis  posterior,  jene  Amblyopien 
so  häufig  zu  Grunde  liegende  Krankheitsform,  bei  welcher  durch  chronische  Entzündung 
der  Chorioidea  die  Sclerotica  sich  um  den  hintern  Augenpol  ausdehnt,  und  die  ekta- 
tische  Partie  derselben  durch  die  atrophirte  Chorioidea  hindurch  ein  intensives  weisses 
Lieht  hindurchwirft ,  wesshalb  sie  das  Aussehen  einer  um  den  Sehnerveneintritt  vor- 
■\valtend  nach  aussen  hin  anliegenden  weissen  Plaque  gewährt."**)  —  „Ich  habe  Kranke 
behandelt,  welche  beinahe  periodisch  in  den  Intervallen  einiger  Monate  durch  intra- 
oculare  Blutungen  das  Sehvermögen  vollkommen  verloren.  Auffallender  "Weise  waren 
sie  beinahe  durchweg  jugendliche  Individuen  in  den  20er,  30er,  höchstens  40er 
Jahren.  In  einigen  Fällen  wies  die  Oomplication  mit  apoplektischen  Anfällen  nicht 
ohne  Wahrscheinlichkeit  auf  Gefässleiden  hin;  in  ziemlich  vielen  Fällen  war  früher 
starkes  Nasenbluten  vorhanden  gewesen,  welches  seit  der  Zeit  sistirte ;  in  zwei  Fällen 
schien  die  Cessation  von  Hämorrhoidalblutungen ,  in  einem  andern  das  Ausbleiben  von 
Fussschweissen  in  einem  ursächlichen  Verhältnisse  zu  dem  Übel  zu  stehen.  Diese 
Momente  sind  natürlich  für  die  Behandlung  von  der  grössten  Wichtigkeit,  da  wieder- 
kehrende Glaskörperblutungen  doch  sehr  ernste  Befürchtungen  veranlassen.  Es  pflegen 
nämlich  nicht  allein  von  jeder  Blutung  Glaskörperopacitäten  zurück  zu  bleiben ,  sondern 
die  sich  häufenden  Perforationen  der  Netzhaut  geben  zu  Defecten  im  Gesichtsfelde 
Anlass;  die  grösste  Gefahr  aber  ist  die,  dass  sich  bei  wiederkehrenden  Anfällen  der 
Effusion  in  den  Glaskörper  ekehymotische  Netzhautablösung  substituirt ;  desshalb  findet 
man  auch  sehr  häufig  Erblindung  auf  einem  Auge  durch  Netzhautablösung  mit  deren 
weitem  Folgen  (Cataracta  mollis ,  aecreta  mit  oder  ohne  Atrophia  bulbi) ,  während  auf 
der  andern  Seite  Glaskörperflocken  als  Residuen  periodisch  wiederholter  Blutungen 
entdeckt  werden."  —  „Bei  für  sich  bestehenden  Erkrankungen  der  Netzhaut  ist  das 
Vorkommen  von  Blutergüssen  in  den  Glaskörper  sehr  selten.  Als  Gelegenheitsursachen 
werden  neben  Verkühlungen  und  Nachtwachen  besonders  häufig  von  den  Kranken  Ein- 
fall hellen ,  strahlenden  Sonnenlichtes  und  anhaltende  Accommodation  für  die  Nähe 
angegeben.  Diese  letztere  könnte  durch  die  ununterbrochene  Muskelspannung  und  die 
hiemit  in  Verbindung  stehende  Behinderung  im  Ausflusse  des  Venenblutes  allerdings  ein 
wichtiges  Moment  abgeben."  Mir  scheint  es,  dass  nicht  im  Momente  der  Spannung, 
sondern  in  dem  darauf  folgenden  der  Erschlaffung  (zumal  bei  verminderter  Wider- 
standsfähigkeit der  Bulbuswandungen,  also  bei  Ektasien)  die  nächste  Veranlassung  zur 
Gefässberstung  gegeben  sei,  und  zwar  ob  des  plötzlich  aufgehobenen  Druckes  auf  die 
Gefässe,  welche  bekanntlich  so  gut  wie  der  gesammte  Inhalt  des  Bulbus  stets  unter 
einem  nur  wenig  variablen  Drucke  (adäquat  der  Spannung  des  Bulbus)  stehen. 

*)  Archiv  für  Ophthalmologie.     Berlin  1654.     Bd.  I.    Abth.  1.  S. 

**)  Die  Thatsache  ist  richtig;  in  der  Auffassung  derselben  jedoch  kann  ich  Gräfe  nicht  beistimmen.  Die 
Ausdehnung,  von  der  hier  die  Rede  ist,  bisher  gewöhnlich  Staphyloma  posticum  Scarpae  genannt, 
ist  nicht  durch  Entzündung  der  Chorioidea  und  Sclera  bedingt,  wie  ich  in  dem  Capitel  über  Accom- 
modation nachweisen  werde,  wenigstens  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  nicht.  Zur  Hämorrhagie  im 
Glaskörper  steht  dieser  Zustand  nur  als  Ektasie  in  ursächlicher  Beziehung. 


12  Glaskörper.  * 

Woher  das  in  den  Glaskörper  ergossene  Blut  komme,  ist  noch 
nicht  völlig-  sicher  gestellt.  In  einem  Falle,  den  ich  zur  Section  bekam, 
war  das  Blut  wohl  vom  Corpus  ciliare  in  den  Glaskörper  gelangt,  denn 
es  war  im  vordem  Bereiche  desselben  am  reichlichsten  ergossen  und 
verlor  sich  ganz  allmälig  gegen  den  hinteren  Pol  hin,  in  dessen  Nähe 
keine  Spur  davon  zu  finden  war.  Mit  dem  Augenspiegel  sieht  man  mit- 
unter kleine  Extravasate  so  nahe  an  der  Netzhaut,  dass  man  sie  wohl 
als  von  dieser  her  eingedrungen  betrachten  muss.  Ob  sie  aber  aus  den 
Centralgefässen  der  Netzhaut  stammen,  oder,  wie  Gräfe  1.  c.  annimmt, 
aus  Chorioidealgefässen  durch  die  Netzhaut  hindurch  in  den  Glaskörper 
dringen,  bedarf  noch  weiterer  Bestätigung. 

Wenn  intraoculare  Blutungen  den  Ausgangspunkt  zu  Glaskörperopacitäten  bildeten, 
so  konnte  als  der  Quell  dieser  Blutung  nach  stattgefundener  Resorption  immer  die 
Chorioidea  nachgewiesen  werden,  denn  es  waren  dann  allemal  Zeichen  von  namhaften 
Circulationsanomalien  in  derselben ,  wie  Reste  alter  Ekchvmosirungen  in  den  Intervas- 
cularräumen  u.  s.  w.  vorhanden,  ja  ich  konnte  in  einzelnen  Fällen  den  Ort  der  Blutung 
und  der  Netzhautperforation  deutlich  nachweisen.  Es  scheint,  dass,  wenn  vom  hintern 
Thcil  der  Chorioidea  Hämorrhagien  ausgehen,  die  Netzhaut  Widerstand  leistet,  und 
sich  leichter  ein  ekchymotischer  Sack  zwischen  beiden  Membranen  bildet,  dass  diess 
aber  gegen  die  Ora  serrata  hin  weit  seltener  vorkommt,  als  Durchbruch  der  Retina 
und  Erguss  in  den  Glaskörper.  Der  Durchbruch  ist  für  die  Erhaltung  des  Sehver- 
mögens unendlich  günstiger,  da  der  meist  beschränkte  excentrische  Durchbruch,  welcher 
sich  später  nicht  selten  durch  einen  Pigmentfleck  verräth,  von  keinem  erheblichen  Ein- 
fluss  ist,  und  der  übrige  Theil  der  Netzhaut,  wie  es  die  Rückkehr  des  Sehvermögens 
beweist,  der  nervösen  Leitung  nicht  entfremdet  wird,  während  die  einmal  abgelöste 
Netzhautpartie  meinen  Erfahrungen  zu  Folge  niemals  die  Leitungsfähigkeit  wieder  er- 
langt."    Gräfe  ibidem. 

Das  Blut  im  Glaskörper  wird  entweder  vollständig,  oder  nach  man- 
nigfachen Umwandlungen  nur  theilweise  resorbirt.  Diese  Zersetzung 
und  Zurücklassung  einzelner  Bestandtheile  von  der  einen  und  die  Zer- 
trümmerung des  Glaskörpergerüstes  von  der  anderen  Seite  bewirken, 
dass  das  Stroma  in  mehr  weniger  grosser  Ausdehnung  bleibend  zer- 
stört, der  Glaskörper  ganz  oder  theilweise  in  eine  einfache  dünne  Flüs- 
sigkeit verwandelt  wird,  in  welcher  mehr  weniger  dunkle  Elemente  in 
Form  von  Punkten,  Fäden,  Flocken  u.  dergl.  theils  suspendirt,  theils 
präcipitirt  sind,  und  bei  raschen  Bewegungen  des  Bulbus  auf  dieselbe 
Weise  aufwallen,  wie  etwa  Käseflocken  in  einer  mit  Molken  gefüllten 
Flasche.  —  Bei  spontan  eingetretenen  Blutungen  ist  die  Prognosis  min- 
der günstig,  weil  sie  selbst  ohne  besondere  Veranlassung  gern  wieder- 
kehren, und  weil  die  Kesorption  relativ  langsamer  erfolgt,  als  nach 
Verletzungen,  die  ein  gesundes  Auge  in  einem  gesunden  Individuum 
betroffen  haben.    Es  sind  verlässliche  Beobachtungen  bekannt,  wo  nach 


Blutergüsse.  13 

Verletzurlgen  mit  Blutergiessung,  welche  das  Sehen  gänzlich  aufgehoben 
hatte,  vollständige  oder  doch  nahezu  völlige  Wiederherstellung  des  Seh- 
vermögens (bei  geeigneter  Behandlung)  eintrat.  Doch  können  reichliche 
Extravasate  auch  zu  heftiger  Entzündung  und  zu  eitriger  Zerstörung  des 
Bulbus  führen. 

Von  den  Erscheinungen,  welche  auf  Glaskörperbluterguss  nach 
äussern  Gewalttätigkeiten  deuten,  war  bereits  die  Rede.  Spontane 
Blutergüsse  kündigen  sich  gewöhnlich  durch  das  plötzliche  Auftreten 
eines  dunkeln  Fleckes,  einer  Wolke  oder  eines  Nebels  im  Sehfelde  an, 
wie  wenn  sich  etwas  vor  das  Auge  gelegt  hätte,  das  der  Betroifene 
durch  Reiben,  Wischen  u.  dergl.  beseitigen  zu  müssen  vermeint.  Bis- 
weilen ist  auch  das  Gefühl  von  Druck,  wie  von  einem  fremden  Körper 
vorhanden.  Später  geschieht  es,  dass  das  Hinderniss  des  Sehens  seine 
Natur  durch  einen  röthlichen  oder  grünlichen  Schein,  durch  eine  ge- 
wisse Beweglichkeit  im  Sehfelde  und  durch  eine  Form  andeutet,  welche 
füglich  nur  auf  einen  vor  der  Netzhaut  gelegenen,  specifisch  schwerern 
und  doch  flüssigen  Körper  bezogen  werden  kann.  Eine  solche  begrenzte 
Blutergiessung  erscheint  dem  Betroffenen  Anfangs  als  eine  schwarze, 
kreis-  oder  eirunde  Scheibe  im  Sehfelde,  von  verschiedener  scheinbarer 
Grösse  und  Entfernung  vor  dem  Auge,  doch  im  Ganzen  immer  dieselbe 
relative  Stelle  des  Sehfeldes  einnehmend,  nur  mit  der  Zeit  sich  senkend 
lim  Sehfelde  höher  gelegen).  Später,  wenn  bereits  Auflösung  oder  Re- 
sorption im  Gange  ist,  und  der  specifisch  schwerere  Theil  sich  senkt, 
oder  bei  raschen  Bewegungen  des  Bulbus  nach  dem  Gesetze  der  Träg- 
heit eine  differente  Geschwindigkeit  erhält,  werden  die  Contouren  wie 
verwaschen,  und  erscheint  der  dünnere  (durchscheinende)  Theil  röthlich, 
rostbraun,  dunkelgrün  oder  grau;  dieser  Theil  erscheint  bei  ruhigem 
Blicke  im  Sehfelde  nach  unten,  weil  vor  einem  höher  gelegenen  Theile 
der  Netzhaut  befindlich,  bei  raschen  Seitenbewegungen  schweifähnlich 
nachziehend  (z.  B.  bei  Einwärtsrollung  des  Auges  scheinbar  von  aussen 
nach  innen  ziehend)  u.  s.  w. 

Lässt  die  Blutmasse  noch  Raum  zur  Beleuchtung  der  Netz-  und 
Aderhaut  frei,  so  zeigt  der  Augenspiegel  bisweilen  dieselbe  wenigstens 
stellenweise  roth  (durchscheinend),  meistens  aber  nur  schwarz  (dunkel); 
sie  durch  auffallendes  Licht  sichtbar  zu  machen,  ist  mir  bisher  nicht 
gelungen.  Nach  erfolgter  Auflösung  und  theilweiser  Resorption  des 
Blutes  sieht  man  Klümpchen,  Flocken  oder  Fäden;  oft  entgehen  diese 
der  Beobachtung,  weil  sie  sich  in  dem  verflüssigten  Glaskörper  zu  tief 
gesenkt  haben,  und  werden  erst  sichtbar,  wenn  man  sie  durch  eine 
rasche  Bewegung  des  untersuchten  Auges  (besonders  in  verticaler  Rieh- 


14  Glaskörper. 

tung)  gleichsam  aufrüttelt.  „Solche  Patienten  sehen  ihre  Opacitäten  beim 
raschen  Blick  nach  unten,  wo  sie  in  den  obern  Theil  des  Gesichts- 
feldes treten,  um  bald  darauf  durch  eine  aufsteigende  Bewegung  die 
Grenze  desselben  wieder  zu  überschreiten.  Ich  sah  häufig  Patienten, 
welche  nur  einige  Worte  oder  Zeilen  hinter  einander  lesen  konnten, 
bis  sich  das  Gesichtsfeld  mit  den  Schatten  der  Opacitäten  verdunkelte, 
dann  mussten  sie,  um  weiter  zu  lesen,  rasch  und  mit  einer  gewissen 
Inipetuosität  nach  oben  sehen."   (Ginife.) 

Bei  der  Behandlung  wird  zunächst  zu  unterscheiden  sein ,  ob  man 
eine  frische  Blutung  oder  bloss  deren  Kesiduen  und  Folgezustände  vor 
sich  habe.  In  letzterem  Falle  dürfte  die  Aufgabe  der  Therapie  erschöpft 
sein  mit  der  Angabe  der  Momente,  welche  fernere  Blutergüsse  zur 
Folge  haben  können.  Bei  frischen  Blutungen  wird  natürlich  das  ätio- 
logische Moment  nicht  zu  vernachlässigen  sein,  jedoch  zunächst  von  Kühe 
des  Auges  sowohl  als  des  Körpers  (wobei  jedoch  massige  Bewegung  im 
Freien  im  Allgemeinen  eher  als  wohlthätig  zu  bezeichnen  sein  wird), 
von  der  Anwendung  kalter  Wasser-  oder  weingeistiger  Überschläge, 
kühlender  Abführmittel  (weinsteinsaure  Salze,  Bitterwasser  u.  dergl.), 
besonders  aber  verdünnter  Tinct.  arnicae  auf  die  geschlossenen  Augen- 
lider das  Meiste  zu  erwarten  sein.  Später  Einreibungen  von  Jodkalium- 
salbe an  der  Stirn-  und  Schläfegegend. 

II.    Verflüssigung  des  Glaskörpers. 

Mit  dem  Namen  Synchysis  pflegt  man  Zustände  des  Glaskörpers 
zu  bezeichnen,  welche  die  gänzliche  oder  theilweise  Zerstörung  und  Auf- 
lösung des  Fächerwerkes  mit  einander  gemein  haben,  ausserdem  aber 
mehr  weniger  verschieden  sind,  man  mag  nun  auf  ihre  Entstehung  und 
pathologische  Bedeutung  zurückgehen,  oder  die  Menge,  die  Durchsichtig- 
keit und  sonstigen  physikalischen  Eigenschaften  der  Flüssigkeit  betrach- 
ten, welche  die  Stelle  des  normalen  Glaskörpers  vertritt. 

Die  Erscheinungen,  aus  denen  man  auf  Synchysis  schliessen  kann, 
wurden  bereits  dort  angegeben,  wo  ihre  Erkennung  von  der  grössten 
Wichtigkeit  ist,  nämlich  bei  der  Cataracta  im  II.  Bande  S.  287.  Bei  noch 
durchsichtiger  oder  mangelnder  (entfernter  oder  versenkter)  Linse  kom- 
men der  Diagnostik  nebst  den  optischen  Störungen  noch  jene  Zeichen 
zu  Hülfe,  welche  die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  in  jenen 
Fällen  gewährt,  wo  in  dem  aufgelösten  Glaskörper  dunkle  Elemente 
schweben  oder  durch  rasche  Bewegungen  aufgerüttelt  werden  können. 
Es  kommen  nämlich,  ausser   den  durch  Blutergüsse  veranlassten  Trü- 


Verflüssigung  —  Syuchysis.  15 

bungen,  noch  bei  vielen  andern  Zuständen,  namentlich  aber  bei  con- 
gestiven  und  entzündlichen  Leiden  der  Retina  und  Chorioidea  Trü- 
bungen in  dem  verflüssigten  Glaskörper  vor.  Zur  Erkennung  derselben 
möge  folgende  Schilderung  von  Gräfe  dienen.  „Am  schwierigsten  zu 
erkennen  (mit  dem  Augenspiegel)  sind  die  sogenannten  diffusen  oder 
punktförmigen  Glaskörperopacitäten,  weil  sie  einen  feinen  Schleier  vor 
das  Netzhautbild  ziehen,  welcher  die  scharfen  Contouren  des  Sehnerven- 
eintrittes, der  Gefasse  u.  s.  w.  verwischt.  Bei  genauer  Untersuchung  kann 
mau  aber  diesen  Schleier  in  eine  Unzahl  von  Punkten  zersetzen,  was 
besonders  schwierig  ist,  wenn  eben  diese  Punkte  nicht  in  einer,  son- 
dern in  verschiedenen  Schichten  des  Glaskörpers  liegen ;  liegen  sie  in 
einer  Schicht,  so  stellen  sie  eine  fein  gesprenkelte,  durchscheinende 
Membran  vor,  welche  sich  durch  Verschiebung  ihrer  einzelnen  Theile 
bald  zusammenziehen,  bald  ausdehnen,  und  vor  dem  Augenhintergrunde 
wie  ein  Netz  aus  zartem  Gewebe  hin  und  her  zu  ziehen  scheinen ; 
liegen  sie  in  verschiedener  Tiefe,  so  stellt  sich  das  Ganze  wie  ein  un- 
endlich feiner  Staub  oder  Regen  dar,  der  nach  den  Bewegungen  des 
Auges  sich  in  einzelnen  Theilen  zu  etwas  dichteren  Massen  zusammen- 
ballt, um  dann  bei  fixirter  Sehachse  entweder  gleichmässig  oder  in  ver- 
schiedenen Zügen,  den  verschiedenen  Regionen  des  Auges  entsprechend, 
herabzusinken.  Die  Kranken  haben  entweder  die  Empfindung  eines 
Nebels,  der  vor  den  Objecten  schwebt,  oder  von  Strömungen  in  der 
Luft,  wie  durch  Insectenschwärme  oder  derlei  hervorgebracht.  Diese 
Trübungen  stören  weit  mehr,  als  grosse,  aber  umschriebene  Trübungen, 
weil  bei  diesen  letzteren  die  dazwischen  liegenden  Theile  des  Glas- 
körpers vollkommen  transparent  sind.  Es  findet  in  Betreff  des  Sehver- 
mögens etwas  Ahnliches  statt,  wie  bei  der  Hornhaut  und  der  Linse, 
in  welchen  auch  compacte,  aber  umschriebene  Trübungen ,  wenn  sie 
einen  Theil  des  Pupillargebietes  frei  lassen,  weit  geringere  Störungen, 
als  diffuse  feinere  (durchscheinende)  Trübungen  hervorbringen.  —  Fi- 
lamentöse  Opacitäten  erscheinen  ophthalmoskopisch  als  ziemlich  dunkle, 
einfache  oder  verschlungene  Fäden,  die  sich  bei  den  Bewegungen  ver- 
kürzen und  wieder  verlängern;  die  Kranken  pflegen  sie  desshalb  mit 
Schlangen,  mit  Insectenbeinen  u.  dgl.  zu  vergleichen.  —  Membranöse 
Trübungen  bilden  stark  durchscheinende,  zuweilen  ebenfalls  gespren- 
kelte Membranen,  welche  sich  bald  aufrollen,  bald  entfalten,  und  hie- 
durch  ein  sehr  polymorphes  Ansehen  darbieten.  Bei  den  Kranken  er- 
regen deren  Schatten  die  Erscheinung  eines  Spinnengewebes,  was  sich 
rasch  entwickelt,  und  dann  wieder  plötzlich  in  einzelne  Fäden  zusam- 
menfällt. —  Flockige  Opacitäten  bilden  einzelne  Pfropfe  von  verschie- 


1 6  Glaskörper. 

deuer  Ausdehnung;,  oder  sind  gröbern  Schneeflocken,  kleinen  Wölkchen, 
organischen  Gerinnseln  u.  s.  w.  zu  vergleichen.  —  Ein  besonders  in- 
teressantes Ansehen  gewinnt  der  Glaskörper,  wenn  neben  diesen  oder 
ganz  unbestimmbar  geformten  Opacitäten,  wie  es  nicht  selten  zu  gesche- 
hen pflegt,  noch  zahlreiche  Choleslearinkry  stalle  suspendirt  sind,  welche 
zum  Theil  diesen  Opacitäten  adhäriren,  zum  Theil  sich  zwischen  den- 
selben, wie  es  scheint,  frei  befinden."*) 

Über  die  Entstehung  und  pathologische  Bedeutung  der  verschiedenen 
Zustände  des  Glaskörpers  mit  Verlust  seines  Gefüges  und  seiner  Con- 
sistenz  lässt  sich  wenig  Positives  angeben.  In  vielen  Fällen  ist  mecha- 
nische Zertrümmerung  seines  Gerüstes  eine  nachweisbare  Ursache  dessen, 
dass  man  statt  des  Glaskörpers  bloss  eine  wässrige  nur  etwas  salz- 
und  eiweisshaltige  Flüssigkeit  findet.  Diese  Umwandlung  betrifft  bald 
nur  einen  Theil,  bald  die  ganze  Masse.  Man  beobachtet  sie  nach  Vor- 
fall und  Verlust  eines  Theiles  des  Glaskörpers  durch  die  Extraction, 
durch  zufällige  Verletzungen  der  Cornea  oder  Sclera,  durch  Hornhaut- 
geschwttre  mit  Durchbruch  und  consecutive  Berstung  der  Glashaut. 
Auch  die  Verflüssigung  bei  Hornhautstaphylomen  scheint  zunächst  durch 
Zerreissung  des  Glaskörpers  (temporärer  oder  bleibender  Luxation  des 
Krystallkörpers)  eingeleitet  zu  werden,  obgleich  hier  wohl  noch  ein 
zweites  Moment,  wovon  später,  hinzuzutreten  pflegt.  Synchysis  tritt 
häufig,  partiell  wahrscheinlich  immer  ein  nach  der  Depression  und  nach 
der  Reclination  der  Linse.  Doch  dürfte  auch  an  dieser  Verflüssigung 
ein  entzündlicher  Process  einigen  Antheil  nehmen.  Sie  entsteht  ferner 
in  vielen  Fällen  nach  absichtlicher  oder  zufälliger  Eröffnung  der  Linsen- 
kapsel, wenn  die  gänzliche  oder  theilweise  Resorption  (Verschrumpfung) 
der  Linse  unter  heftigeren  Zufällen  (starker  Reaction)  erfolgt,  daher 
man  auch  hinter  der  Cataracta  aridosiliquata  und  membranacea  sehr 
oft  einen  wässrigen  Glaskörper  findet.  Von  der  auf  Bluterguss  folgen- 
den Verflüssigung  des  Glaskörpers  war  bereits  die  Rede.  —  In  andern 
Fällen  scheint  die  Verminderung  des  auf  den  Gefässen  im  Inneim  des 
Auges  lastenden  Druckes  den  ersten  Anstoss  zur  Ausscheidung  von 
Serum  und  zur  Verflüssigung  des  Glaskörpers  zu  geben.  Es  ist  eine 
Art  Hydrops  ex  vacuo,  analog  der  Ansammlung  von  Serum  in  der 
Schädelhöhle,  wenn  dieselbe  durch  Verdünnung  der  Knochen  geräumi- 
ger geworden  ist.  Die  Gefasse  des  Auges  stehen  unter  einem  perma- 
nenten Drucke,  adäquat  der  Spannung   des  Bulbus.     Ein  wesentliches 

*)  Dass  die  durch  solche  Operation  verursachten  Wahrnehmungen  der  Kranken  von  den  bekannten 
fliegenden  Mücken,  die  jedes  gesunde  Auge  sich  vorführen  kann,  ganz  verschieden  sind,  ergibt  sich 
schon  aus  der  eben  gegebenen  Beschreibung  derselben.    Wir  kommen  später  darauf  zurück. 


Verflüssigung  —  Synehysis.  17 

Moment  zur  Erhaltung  dieser  letzteren  bilden  die  Wandungen,  welche 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  resistent  und  elastisch  sind.  Durch  die 
Scheidewand,  welche  der  Krystallkörper  mit  dem  freien  Theile  der  Zo- 
nula  Zinuii  und  den  Ciliarfortsätzen  zwischen  Humor  aqueus  und  Cor- 
pus vitreum  bildet,  und  welche  durch  den  Ciliarmuskel  an  die  Bulbus- 
waud  befestigt  und  gespannt  erhalten  wird,  zerfällt  der  Bulbus  in  zwei 
isolirte  Bäume ,  von  denen  ein  jeder  bis  zu  einem  gewissen  Grade  un- 
abhängig von  dem  andern  aus  der  eben  erwähnten  Ursache  ausgedehnt 
werden  kann.  Geht  die  Resistenz  und  Elasticität  der  Cornea  aus  was 
immer  für  einem  Grunde  verloren,  so  erfolgt  vermehrte  Ausscheidung 
von  Serum,  und  zwar  zunächst  nur  vor  der  genannten  Scheidewand, 
so  lange  diese  selbst  noch  hinreicht,  im  Verein  mit  den  Augenmuskeln 
den  hinter  ihr  gelegenen  Theil  des  Bulbus  in  gehöriger  Spannung  zu 
erhalten.  So  erfolgt  die  Ausdehnung  der  Cornea  in  Folge  von  Pannus 
und  Keratitis,  beim  Keratokonus  und  bei  manchen  Fällen  von  Horn- 
hautstaphyloin.  Analog  verhält  sich's  mit  der  Ausdehnung  der  Sclera, 
sobald  diese  ihre  Resistenz  und  Elasticität  stellenweise  oder  durchaus 
eiugebüsst  hat.  Diess  geschieht  häufig  partiell  in  Folge  umschriebener 
Entzündung  und  Verwachsung  der  Chorioidea  und  Sclera,  aber  auch 
ohne  Entzündung,  und  zwar  in  Folge  anhaltenden  Druckes  auf  die  hin- 
tere Wandung  des  Auges  rings  um  den  hintern  Pol.  Demgemäss  finden 
wir  constant  Verflüssigung  mit  vermehrter  Ausscheidung  bei  Ektasien 
der  Sclera  im  Bereiche  des  Ciliarkörpers ,  und  auf  diese  Weise  dürfte 
das  Vorkommen  rein  wässriger  Flüssigkeit  zu  erklären  sein,  welche 
man  in  Augen  mit  Staphyloma  posticum  Scarpae  zwischen  der  Netzhaut 
und  dem  Glaskörper  findet,  genauer  bezeichnet:  in  welche  der  Glas- 
körper sich  nach  hinten  allmälig  auflöst.  —  In  anderen  Fällen  bemer- 
ken wir,  dass  trotz  der  Isolirung  durch  die  genannte  Scheidewand  den- 
noch Verminderung  der  Resistenz  und  vermehrter  Erguss  in  den  einen 
Raum  Flüssigkeitsvermehrung  in  dem  andern  Räume  zur  Folge  hat. 
Ich  verfolge  seit  Jahren  die  Thatsache  der  Beobachtung,  dass  Augen 
mit  etwas  ektatischen  Hornhautnarben  bei  reiner  und  etwas  weiterer 
Pupille  und  ohne  besondere  Zufälle  allmälig  erblinden,  und  sich  dann 
abnorm  gespannt  anfühlen.  War  ich  schon  vor  der  Anwendung  des 
Augenspiegels  zu  dem  Wahrscheinlichkeitsscklusse  gekommen,  dass  hier 
die  Erblindung  nicht  von  Entzündung  der  Netz-  oder  Aderhaut  aus- 
gehe, so  hat  mich  eine  möglichst  sorgfältige  Untersuchung  mit  diesem 
Instrumente  in  einigen  mir  jüngst  vorgekommenen  Fällen  um  so  mehr 
in  der  Annahme  bestärkt,  dass  hier  die  Netzhautfunction  nur  durch 
Druck  von  seröser  Ausschwitzung  im  Glaskörper  vernichtet  werde.   Unter 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  2 


18  Glaskörper. 

den  hieher  gehörigen  Fällen  waren  mehrere,  welche  nur  kleine  Narben 
mit  vorderer  Synechie  und  geringer  Verziehung  der  Pupille  darboten, 
so  dass  die  ophthalmoskopische  Untersuchung  ganz  gut  möglich,  und 
nur  durch  die  abnorme  (gegen  die  etwas  vorgetriebene  Narbe  auf- 
steigende) Wölbung  der  Hornhaut  etwas  beeinträchtigt  war.  Die  Ab- 
weichung der  Cornealwölbung  von  der  Sphäricität  Hess  sich  bestimmt 
und  deutlich  an  den  Spiegelbildern  derselben  nachweisen.  Das  Netz- 
hautleiden konnte  nicht  als  Folge  des  Entzündungsprocesses,  welcher 
den  Cornealdurchbruch  bewirkt  hatte,  betrachtet  werden,  weil,  wie  in 
einigen  Fällen  bestimmt  erwiesen  war,  die  Kranken  nach  erfolgter  Ver- 
narbung noch  längere  Zeit  gut  gesehen,  selbst  mehrere  Wochen  anhal- 
tend sich  mit  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  beschäftigt  hatten,  theils  weil 
der  Process  ein  solcher  gewesen  war,  welcher  erfahrungsgemäss  nicht 
tiefer  eingreift,  wie  namentlich  Conjunctivitis  scrofulosa  und  Bindehaut- 
blennorrhöe  mit  etwa  hanfkorngrosser  peripherischer  Hornhautdurch- 
bohrung (letztere  als  sogenannte  Ophthalmia  militaris).  —  Glaskörper- 
verflüssigung finden  wir  oft  in  Augen  nach  Iritis,  besonders  chronischen 
Verlaufes,  und  zwar,  wenn  es  nicht  in  Folge  von  Erweichung  der  vor- 
dersten Partie  der  Sclera  zu  Ausdehnung  dieser  letzteren  (Birnform  des 
Auges  oder  Staphyloma  anticum)  gekommen  ist,  gewöhnlich  mit  deut- 
licher Volumenabnahme  oder  mit  verminderter  Spannung  des  Bulbus. 
Man  darf  hier  wohl  annehmen,  dass  die  Ernährung  des  Glaskörpers  in 
Folge  dessen  leidet,  weil  das  Corpus  ciliare  durch  Übergreifen  des  Ent- 
zündungsprocesses der  Iris  auf  dasselbe  verändert  worden  ist.  Darauf  deu- 
tet in  solchen  Fällen  auch  eine  eigenthümliche  Veränderung  in  der  Struc- 
tur  und  Farbe  der  Iris,  welche  füglich  nicht  von  directer  Veränderung 
der  Iris  durch  Exsudat,  Bluterguss  u.  dergl.,  sondern  nur  von  mangel- 
hafter Ernährung  ob  des  veränderten  Corpus  ciliare  abgeleitet  werden 
kann.  Übrigens  muss  noch  bemerkt  werden,  dass  Bulbi,  die  sich  wäh- 
rend und  noch  einige  Zeit  nach  Entzündung  der  Iris  weicher  anfühlen, 
nicht  etwa  durchaus  immer  so  bleiben,  sondern  in  der  Regel  allmälig 
wieder  die  normale  Spannung  annehmen. 

Auflösung  des  Glaskörpers  findet  sich  öfters  bei  altern  Leuten,  de- 
ren Linse  getrübt  oder  doch  auf  dem  Wege  dazu  ist.  Solche  Leute 
sind  amblyopisch.  Diess  zeigt  das  Missverhältniss  zwischen  der  Sehstö- 
rung und  der  sichtbaren  Trübung  am  besten  bei  der  Gräfe'schen  Licht- 
probe, indem  der  Kranke  den  Schein  einer  Kerzenflamme  bei  weitem 
nicht  auf  so  grosse  Distanz  wahrnimmt,  als  es  bei  gesunder  Netzhaut 
sein  müsste.  Die  ophthalmoskopische  Untersuchung  ergab  mir,  wenigstens 
in  einigen  Fällen,    keine  Veränderung  der  Netz-  oder  Aderhaut,  womit 


Verflüssigung  —  Synchysis  —  Exsudate.  19 

freilich  das  Bestehen  feinerer  Veränderungen  nicht  ausgeschlossen  ist. 
Die  Trübung  der  Linse  pflegt  sich  langsam  zu  entwickeln,  und  zwar 
vom  Kern  aus,  und  dieser  erscheint  lauge  Zeit  hindurch  grünlich,  oder 
auch,  nach  längerem  Bestände,  mehr  weniger  dunkelbraun.  Die  Kran- 
ken pflegen,  wenn  man  ihnen  nach  der  Staaroperation  ein  Glas  Wasser, 
ein  weisses  Tuch  und  dgl.  vorhält  blau  zu  sehen.  Bei  der  Extraction 
tritt  bisweilen  das  bekannte  Collabiren  ein,  oder  es  fliesst  gleich  beim 
Hornhautsehnitte  mehr  Flüssigkeit  ab,  als  in  der  Augenkammer  allein 
enthalten  sein  konnte.  Es  dürfte  diese  Veränderung  des  Glaskörpers 
wohl  als  seniler  Schwund  seines  Gerüstes  zu  betrachten  sein,  der  bald 
mit.  bald  ohue  Abnahme  der  Menge  seiner  Flüssigkeit,  bisweilen  auch 
mit  Zunahme  derselben  oder  vielmehr  mit  Vertretung  durch  eine  rein 
wässrige  Flüssigkeit  einhergeht.  Welche  Veränderungen  der  Chorioidea 
und  Netzhaut  dabei  stattfinden  und  in  welchem  Zusammenhange  sie  da- 
mit stehen,  ist  zur  Zeit  noch  unbekannt.  —  Mangelhafte  Ernährung 
dürfte  in  jenen  seltenen  Fällen  zu  beschuldigen  sein,  wo  Glaskörper- 
verflüssigung und  Amblyopie  des  einen  Auges  sich  allmälig  entwickelt, 
nachdem  das  andere  durch  Eiterung,  besonders  nach  Verletzungen,  zer- 
stört worden  ist.  Solche  Bulbi  werden  allmälig  weicher  und  kleiner.  — 
In  andern  Fällen  lassen  sich  entschieden  die  Erscheinungen  von  Ent- 
zündung, wenigstens  von  einem  länger  andauernden  co?igestiven  Zustande 
der  Chorioidea  und  Netzhaut  als  Ursache  der  Glaskörperverflüssigung 
nachweisen,  und  ist  man,  wenn  nicht  etwa  schon  Cataracta  niollis 
hinzugetreten  ist,  meistens  im  Stande,  mit  dem  Augenspiegel  Glaskör- 
peropacitäten  nachzuweisen.  —  Schliesslich  muss  ausdrücklich  bemerkt 
werden,  dass  diese  Anführung  von  Ursachen  der  Synchysis  durchaus 
nicht  auf  Vollständigkeit  Anspruch  macht. 

III.    Exsudate  im  Glaskörper. 

Es  ist  durch  Sectionen  sicher  gestellt,  dass  im  Glaskörper  Substan- 
zen vorkommen,  welche  nur  als  Entzündungsproducte  betrachtet  werden 
können.  Es  ist  aber  höchst  wahrscheinlich,  dass  diese  Substanzen  nicht 
im  Glaskörper  selbst,  durch  Entzündung  seines  Gerüstes  und  seiner 
Umhüllungshaut  erzeugt,  sondern  von  aussen  her  in  denselben  überge- 
führt werden.  Denn  beide,  das  Stroma  sowohl  als  die  Hyaloidea,  be- 
sitzen weder  Gefässe  noch  Nerven,  ohne  welche  von  Entzündung  nicht 
die  Rede  sein  kann,  und  niemals  trifft  man  solche  Producte  im  Glas- 
körper, ohne  dass  die  Zeichen  von  Entzündung  der  Chorioidea  vorhan- 
den sind.     Der  Ausdruck  Hyalitis  verdankt  seine  Aufstellung  nicht  der 

2* 


20  Glaskörper. 

Beobachtung  von  Symptomen,  welche  nur  auf  Entzündung  des  Glaskörpers 
bezogen  werden  konnten,  sondern  bloss  dem  Streben,  für  jedes  Gebilde 
des  Auges  eine  Reihe  von  Erscheinungen  aufzustellen,  welche  den  Begriff 
Entzündung  wieder  geben  sollten,  um  bei  systematischer  Vorführung  der 
Krankheiten  keine  Lücke  zu  lassen.  Die  einzige  reelle  Stütze  fand  die 
Lehre  von  der  Hyalitis  in  dem  Vorkommen  von  Entzündungsproducten 
im  Glaskörper,  welches  indessen  auch  auf  andere  Weise  erklärt  werden 
kann,  ja  erklärt  werden  muss.  Die  in  Rede  stehenden  Substanzen  sind 
Producte  des  entzündeten  Corpus  ciliare  der  Chorioidea,  und  gelangen 
wohl  auf  dieselbe  Weise,  wie  im  normalen  Zustande  das  ernährende 
Plasma,  in  das  Innere  des  Glaskörpers. 

Während  des  Lebens  habe  ich  bisher  in  4  Fällen  ein  Exsudat  in 
der  tellerförmigen  Grube  beobachtet,  an  Augen,  welche  die  Zeichen 
chronischer  Chorioiditis  darboten,  mit  vermehrter  Spannung  des  Bulbus. 
Die  Trübung  erscheint  bei  auffallendem  Lichte  weiss,  in  der  Mitte  satu- 
rirt,  gegen  die  allmälig  sich  verwischenden  Ränder  hin  bläulich,  rund- 
lich oder  polygonal.  Die  Augen  waren  hochgradig  amblyopisch  oder 
ganz  amaurotisch.  Zur  Section  habe  ich  noch  keinen  solchen  Fall  be- 
kommen, will  demnach  nicht  geradezu  behaupten,  dass  die  Trübung- 
wirklich  dem  Glaskörper  angehört,  obwohl  in  dem  einen  mit  dem  Augen- 
spiegel untersuchten  Falle  diess  das  Wahrscheinlichste  war. 

Reclinirte  Staare  rufen  im  Glaskörper  einen  ähnlichen  Process  her- 
vor, wie  Blutextravasate  im  Gehirn.  Man  findet  rings  um  die  Linse 
eine  etwas  dichtere  trübe  Masse,  welche  sich  ringsherum  allmälig  im 
normalen  Glaskörper  verliert,  später  eine  etwas  trübe,  florähnliche 
Kapsel,  welche  hie  und  da  einen  fadenförmigen  Ausläufer  in  den  Glas- 
körper sendet. 

In  einem  Falle,  9  Jahre  nach  der  Reclination ,  war  keine  Linse  mehr  vorhanden, 
und  die  Stelle,  wo  sie  gelegen ,  nur  an  einigen  zum  Theil  kalkigen  Fleckchen  am  Cor- 
pus ciliare  nächst  der  Ora  serrata  zu  erkennen.  Ich  muss  jedoch  hinzufügen ,  dass  in 
den  bisher  von  mir  untersuchten  Fällen  die  Linse  noch  vor  der  Ora  serrata,  also  im 
Bereiche  des  Corpus  ciliare  lag.  Das  aus  feinkörniger,  amorpher  Substanz  bestehende 
Exsudat  war  an  der  der  Chorioidea  zugewendeten  Seite  reichlicher,  als  an  der  entgegen- 
gesetzten. Ich  habe  in  mehreren  Fällen  nach  der  Reclination  umschriebene  Röthe  der 
Sclera  in  jener  Gegend  beobachtet,  wo  der  Staar  liegen  musste,  und  zugleich  die  Pu- 
pille nach  dieser  Richtung  hin  erweitert  gefunden,  woraus  mit  Rücksicht  auf  die  gleiche 
Erscheinung  bei  Glaucoma  wohl  zu  folgern  war,  dass  partielle  Chorioiditis  stattfand. 
Auf  Chorioiditis  deutet  auch  die  consecutive  Netzhautablösung,  welche  nicht  selten 
mach  der  Reclination  in  etwas  späterer  Zeit  mit  dem  Augenspiegel  wahrgenommen 
"wird.  Im  vorigen  Jahre  starb  hier  ein  Weib  36  Stunden  nach  der  Reclination  auf  bei- 
den Augen.  Bald  nach  der  Operation  war  Erbrechen  aufgetreten.  Auf  dem  rechten 
Auge  bemerkten  wir  24  Stunden  nach   der   Operation    den    Staar   aufgestiegen ,    auf   dem 


Exsudate.  21 

linken  entwickelten  sich  die  Zeichen  heftiger  Iridochorioiditis  mit  starker  Injection  und 
Schwellung  der  Conjunctiva  hulbi.  Auf  diesem  Auge  zeigte  die  Section  croupös-faser- 
stoffiges  Exsudat  an  der  nntern  äussern  Hälfte  des  Corpus  ciliare  (Innenfläche)  und  an 
der  Hinterfläche  der  Iris,  die  nächst  angrenzende  Partie  des  Glaskörpers  war  wolkig 
getrübt,  der  Linsenkern  von  solchem  Glaskörper  umschlossen,  und  die  Rindenstücke 
lagen  theils  in  der  Kapsel,  theils  zwischen  dieser  und  dem  Linsenkerne  in  dem  zer- 
rissenen Glaskörper. 

Die  Exsudate  und  Metamorphosen,  welche  im  Glaskörper  in  Folge 
von  Chorioiditis  überhaupt  vorkommen,  wurden,  als  consecutive  Zu- 
stände, bereits  bei  den  Krankheiten  der  Chorioidea  der  Hauptsache 
nach  angegeben  und  geschildert.  Wir  haben  hier  nur  noch  hervorzu- 
heben ,  dass  der  Eintritt  solcher  Exsudate  in  den  Glaskörper  höchst 
wahrscheinlich  vom  Corpus  ciliare  aus  erfolgt.  In  allen  frischen  Fällen 
findet  sich  das  Exsudat  im  Glaskörper  zumeist  nächst  der  Innenfläche 
des  Corpus  ciliare,  und  wenn  noch  Partien  vom  Glaskörper  uninfiltrirt 
erscheinen,  so  sind  es  die  seines  hintern  und  um  die  Achse  gelegenen 
Theiles.  Falls  nicht  eitrige  Schmelzung  eintritt,  sondern  Umwandlung 
in  fasriges,  sehnen-  oder  knorpelähnliches  Gewebe,  so  übt  dieser  mit 
beträchtlicher  Schrumpfung  einhergehende  Process  mehr  weniger  bedeu- 
tenden Einfluss  auf  die  Lageveränderung  der  Netzhaut,  welche  in  sol- 
chen Fällen  in  Form  eines  Trichters,  mit  der  Spitze  an  der  Eintritts- 
stelle des  Opticus  haftend,  mitten  durch  den  früher  vom  Glaskörper 
eingenommenen  Kaum  verläuft.  Während  man  in  der  hintern  Partie 
die  Zusammenfaltung  der  Netzhaut  allenfalls  als  Verdrängung  der  Netz- 
haut durch  das  Chorioidealexsudat  betrachten  darf,  kann  die  Form  der 
vordem  Partie,  welche  mehr  dem  Saume  der  Corolle  von  Convolvulus 
gleicht,  nur  dadurch  erklärt  werden,  dass  man  annimmt,  das  innerhalb 
des  Corpus  ciliare  in  den  Glaskörper  ausgeschiedene  Exsudat  ziehe 
die  Netzhaut  gegen  den  Ciliarkörper  hin.  In  dieser  Auffassung  des 
Sectionsbefundes  finden  auch  jene  Fälle  ihre  natürliche  Erklärung,  in 
welchen  die  Hyaloidea  der  tellerförmigen  Grube  rückwärts  gezogen  und 
das  Innere  des  Bulbus  (hinter  der  Iris)  in  zwei  grosse  Käume  geschie- 
den erscheint,  wo  in  dem  vordem  die  verschieden  veränderte  Linse 
schwimmt,  durch  den  hintern  der  strangförmig  zusammen  gefaltete 
Theil  der  Netzhaut  streicht,  während  die  Scheidewand  zwischen  beiden 
theils  durch  den  vordem,  zur  Ora  serrata  verlaufenden  Saum  der  Netz- 
haut, theils  durch  das  in  die  vordere  Partie  des  Glaskörpers  ergossene, 
nun  geschrumpfte  und  in  knorpelähnliche  Masse  verwandelte  Exsudat 
gebildet  wird,  und  unzertrennlich  an  dem  Gebilde  haftet,  von  dem  es 
ausgeschieden  wurde,  nämlich  am  Corpus  ciliare.  (Vergl.  Sectionshe- 
funde  bei  Chorioiditis.) 


22  Glaskörper. 

Eine  sehr  genaue  und  klare,  auf  anatomische  und  mikroskopische  Untersuchungen 
basirte  Schilderung  dieser  Metamorphosen  hat  Dr.  Stellwag  von  Carion  1.  c.  S.  697  bis 
713  o-eo-eben.  Man  muss  ihm  vollkommen  beistimmen,  wenn  er  S.  709  angibt:  „Die 
Masse  des  Blastems  im  Glaskörper  ist  in  solchen  Fällen  eiue  so  bedeutende,  dass  sie 
aus  der  Differenziation  normaler  Vitrina  unmöglich  abgeleitet  werden  kann,  es  müssen 
plastische  Elemente  in  normwidriger  Menge  in  den  Glaskörper  übergeführt  worden  sein, 
plastische  Elemente ,  welche  in  Verbindung  mit  dem  proteinogen  Antheile  der  Vitrina 
durch  Coagulation  in  die  feste  Form  und  aus  dieser  in  die  sehnige  Textur  übergehen." 
Wenn  er  jedoch  S.  703  behauptet,  es  liege  der  Schluss  sehr  nahe,  dass  der  grösste 
Theil  dieser  Exsudatmasse  durch  den  Petitschen  Humor  in  den  Glaskörper  übergeführt 
wurde,  so  verrückt  er  meines  Erachtens  den  richtigen  Standpunkt  pathologischer  Deu- 
tung. Die  ganze  innere  Fläche  des  Corpus  ciliare ,  von  der  Ora  serrata  bis  zum  Petit- 
schen Canale  ist  es,  welche  das  in  den  Glaskörper  übergeführte  Exsudat  liefert.  "Wenn 
bei  allgemeiner  Entzündung  der  Chorioidea,  also  auch  des  Corpus  ciliare,  Exsudat  nicht 
nur  im  Glaskörper,  sondern  auch  im  Petitschen  Canale  und  im  Kammerwasser  gefunden 
"wird,  so  zeigt  diess  eben  nur,  dass  die  Ciliarfortsätze  an  ihrer  ganzen  Innenfläche  Ex- 
sudat liefern ,  nicht  aber  bloss  der  in  den  Petitschen  Canal  hineinreichende  Theil.  Ich 
habe  mehrere  Fälle  untersucht,  wo  bei  Theilnahme  des  Corpus  ciliare  an  der  Entzün- 
dung Exsudat  wohl  im  Glaskörper,  nicht  aber  auch  zugleich  im  Petitschen  Canale  oder 
im  Kammerwasser  war.  Stellwag  behandelt  übrigens  auch  dieses  Thema  in  dem  ihm 
eigenthümlichen  Tone,  als  wäre  er  der  Einzige,  höchstens  Beer  ausgenommen,  der  solche 
Augen  gehörig  untersucht  und  den  Befund  richtig  aufzufassen  vermocht  habe.  Wenn 
ihm  auch  zur  Zeit,  wo  er  seine  Untersuchungen  über  den  Glaskörper  niederschrieb, 
meine  Abhandlung  über  die  Krankheiten  der  Chorioidea  vielleicht  noch  nicht  bekannt 
war,  so  war  er  doch  nicht  berechtigt  zu  der  Behauptung:  man  habe  bisher  ganz 
übersehen,  dass  sich  im  Inneren  der  knorpligen  und  knochigen  Concremente  in  atro- 
phischen Augen  fast  constant  die  Netzhaut  klöppeiförmig  zusammengefaltet  finde.  Ich 
hatte  schon  im  Jahre  1847  im  1.4.  Bande  der  in  Wien  gewiss  bekannten  Prager  Viertel- 
jahrschrift wenigstens  den  grobem  Befund  phthisischer,  atrophischer,  glaucomatöser  etc. 
Augen  mit  richtiger,  wenigstens  die  Grundzüge  der  Stellwagschen  Auffassung  enthal- 
tender Deutung  angegeben,  und  der  Deutlichkeit  wegen  einige  Abbildungen  beigefügt, 
die  man  nicht  so  leicht  überschlagen  kann,  ohne  Notiz  davon  zu  nehmen.  Ich  hatte  dort 
auch  angeführt,  dass  schon  Dubrenil  (1829)  Chorioidealexsudate  als  das  Substrat  der 
sogenannten  Verknöcherungen  des  Glaskörpers,  der  Retina  etc.  betrachtet  habe. 


IV.    Cystenbilchmg-  im  Glaskörper. 

Coccius*)  theilt  folgende  Beobachtung  mit.  „Eine  Frau  litt  seit  einem  halben 
Jahre  auf  beiden  Augen  an  Amblyopie;  diese  hatte  allmälig  zugenommen  und  war  auf 
dem  rechten  Auge  in  dem  Grade  vorhanden,  dass  sie  grosse  Gegenstände  nur  als  dunkle 
Körper  ohne  scharfe  Umrisse  sah ,  während  sie  mit  dem  1.  A.  ihre  häusliche  Beschäfti- 
gung noch  recht  gut  verrichten  konnte.  Dieses  Auge  wurde  allmälig  ebenfalls  sehun- 
fähig, so  dass  die  Kranke  einer  Führerin  bedurfte.  Das  linke  Auge  liess  noch  keine 
Veränderungen  -wahrnehmen,  im  rechten    zeigte    die   Retina    an    einzelnen    Stellen    kleine 


*)  Über  die  Anwendung  des  Augenspiegels.    Leipzig,  1853.    S.  93. 


Cysteiibildiing.  23 

gelbliche  Erhabenheiten.  Bei  "Wiederholung  der  Untersuchung  kam  in  dem  übrigens 
ganz  klaren  Glaskörper  auf  einmal  eine  Blase  zum  Vorschein,  die  bei  richtiger  Beleuch- 
tung weiss  erschien.  Sie  war  halbmondförmig,  etwa  3  Par.  Lin.  lang,  und  lief  in  2 
spitze  Enden  aus.  An  der  untern  Spitze  zeigte  sich  noch  ein  kleines  Anhängsel,  wel- 
ches dem  ganzen  Körper  in  der  Form  sehr  ähnlich  war."  Es  ist  wahrscheinlich,  dass 
dieser  Körper  zu  den  Entozoen  des  Glaskörpers  gehört. 

Einen  Cysticercus  im  Glaskörper ,  der  auf  Gräfes  Klinik  *)  beobachtet  wurde, 
hat  Dr.  Liebreich  genau  beschrieben.  Der  Kranke,  ein  23  Jahre  alter  Tischlergesell,  litt 
zugleich  an  Bandwurm.  Gegen  die  mit  dem  Ophthalmoskop  gestellte  Diagnosis  konnte 
kein  Zweifel  mehr  obwalten ,  nachdem  von  Gräfe  an  dem  ovalen  Ende  der  in  einer 
besoudem  Hülle  ruhenden  Cyste  kleine  Bewegungen  mit  Sicherheit  erkannt  hatte.  Die 
bläulich  graue,  längliche  Blase  erstreckte  sich  vom  hintern  Pol  der  Linse,  wo  sich  eine 
circumscripte  Trübung  befand,  beinahe  durch  den  ganzen  Glaskörper  rückwärts  und 
schwankte  bei  jeder  Bewegung  des  Bulbus.  —  Da  wir  weiter  unten  eine  ausführliche 
Besehreibung  von  Cysticercus  in  retina  zu  geben  gedenken,  so  genüge  es  hier  vorläufig 
bloss  auf  dieses  Vorkommen  im  Glaskörper  aufmerksam  gemacht  zu  haben. 

*)  Archiv  für  Ophthalmologie.    Band  I.   Abth.  2.   S.  343. 


VIII.  Bach. 

Die    Netzhaut,    Retina. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Die  Netzhaut  kann  als  die  häutige  Ausbreitung  des  Sehnerven  oder 
eigentlich  als  dessen  Anfang  im  Auge  betrachtet  werden.  Sie  beginnt 
an  der  Eintrittsstelle  des  Sehnerven  (l1^"'  einwärts  vom  hintern  Pole 
des  Auges),  und  erstreckt  sich,  über  den  Glaskörper  ausgespannt, 
zwischen  diesem  und  der  Chorioidea  bis  zur  Ora  serrata,  über  welche 
hinaus  (vorwärts)  wenigstens  ihre  Nervenelemente  nicht  mehr  verfolgt 
werden  können.  Sie  bietet  in  dieser  Ausdehnung  einen  Flächenraum 
von  circa  300  Quadratlinien  (297,35)  dar,  während  die  Fläche  der  Ein- 
trittsstelle des  Sehnerven  (papilla  s.  colliculus  nervi  optici)  bei  einem 
Durchmesser  von  nicht  ganz  3/V"  nur  0,44  Quadratlinien,  also  600mal 
weniger  misst.  Ihre  Dicke  vermindert  sich  von  0,1'"  in  der  mittlem 
Kegion  allmälig  bis  auf  0,04;/y  nächst  der  Ora  serrata. 

Sie  ist  auch  während  des  Lebens  nicht  vollkommen,  sondern  nur 
halb  durchsichtig,  und  mit  Ausnahme  eines  etwa  1  Quadratlinie  grossen 
gelben  Fleckes  (Macula  lutea)  am  hintern  Pole  leicht  weissgrau.  Die 
Falte,  welche  an  dieser  gelben  Stelle  im  todten  Auge  gefunden  wird, 
existirt  während  des  Lebens  nicht;  das  sogenaunte  Foraraen  centrale 
ist  keine  Lücke  daselbst,  sondern  nur  eine  Verdünnung,  bedingt  durch 
das  Fehlen  einiger  Elemente  der  Netzhaut  in  der  Mitte  des  gelben  Fleckes. 

Unter  dem  Mikroskope  kann  man  5  concentrische  Lagen  oder 
Schichten  der  Netzhaut  unterscheiden,  und  zwar  von  aussen  nach  innen: 
1)  die  Stäbchen-  und  Zapfenschicht,  2)  die  Körnerschicht,  3)  die  Lage 
der  grauen  Nervenfasern  und  Nervenzellen  oder  die  Kugelschicht,  4)  die 
Ausbreitung  der  Fasern  des  N.  opticus,  und  5)  die  Grenzhaut  oder 
Membrana  limitans.     Durch  die  Untersuchungen  von  E.  H.  Müller  (be~ 


Anatomie  —  Physiologie.  25 

stätigt  und  vervollständigt  von  KölUker,  Corti  und  Gerlach)  ist  nach- 
gewiesen, dass  die  Elemente  der  ersten  Schicht  durch  äusserst  zarte, 
gleich  dicht  an  einander  gedrängten  Radien  verlaufende  Fasern  (Müller's 
radiäres  Fasersystem)  mit  der  dritten  und  diese  wieder  durch  dünne 
Fädchen  mit  den  Opticusfasern  verbunden  sind. 

Die  erste  Schicht  besteht  aus  feineu,  hellen,  das  Licht  stark  re- 
flectirenden  Röhrchen,  welche  dicht  aneinander  senkrecht  auf  der 
2.  Schicht  stehen,  und  mit  ihren  quer  abgestutzten  (abgerundeten)  äussern 
Enden  leicht  in  die  Pigmentschicht  der  Chorioidea  eingedrückt  sind 
(eingreifen).  Von  diesen  Röhrchen,  welche  unter  einander  durch  eine 
halbweiche  hyaline  Masse  verbunden  sind,  haben  die  Mehrzahl  eine  cy- 
lindrische  Gestalt,  heissen  desshalb  Stäbclmi  (bacilli),  und  kommen  mit 
Ausnahme  des  Sehnerveneintrittes  und  gelben  Fleckes  überall  und  in 
gleicher  Menge  vor.  Sie  sind  durchschnittlich  0,01"'  lang  und  0,001'" 
dick.  Die  Minderzahl  schwellen  gegen  ihr  inneres  Ende  hin  rüben- 
oder  spindelförmig  an  (Zapfen  oder  Coni),  sind  durchschnittlich  0,012"' 
lang  und  im  mittleren  Theile  0,0035"'  breit,  und  kommen  zwischen  den 
Stäbchen  in  verschiedenen  Regionen  in  verschiedener  Anzahl  vor.  Sie 
fehlen  gleich  den  Stäbchen  an  der  Papilla  n.  opt. ,  vertreten  die  erste 
Schicht  dagegen  an  der  Macula  lutea  ausschliesslich,  und  werden  von 
hier  gegen  die  Ora  serrata  hin  allmälig  spärlicher,  so  dass  sie  in  der 
Xähe  dieser  letzteren  nur  in  Entfernungen  von  0,006'" — 0,007"'  auf- 
treten. Die  Stäbchen  sowohl  als  die  Zapfen  laufen  nach  innen  in 
dünne  Fasern  oder  Fäden  aus. 

Die  Körner  der  2.  Schicht  sind  0,003"'— 0,007"'  grosse,  fein  gra- 
nulirte,  scharf  conto urirte,  runde  oder  oblonge  Körperchen,  welche  in 
zwei  Lagen  vorkommen,  die  jedoch  gegen  die  Ora  serrata  hin  mehr 
und  mehr  an  einander  rücken.  Die  Substanz  zwischen  der  äussern  und 
innern  Körnerschicht  —  die  Zwischenkörnerschicht  —  ist  nichts  anders, 
als  die  dicht  an  einander  liegenden  Fasern,  welche,  von  den  Stäbchen 
und  Zapfen  ausgehend,  und  in  der  äussern  und  innern  Körnerschicht 
gleichsam  durch  ein  Korn  durchgehend,  zur  Kugelschicht  verlaufen. 
Man  kann  daher  jedes  Korn  als  eine  bipolare  Zelle  betrachten  mit 
einem  nach  aussen  und  einem  nach  innen  abgehenden  Faden.  Die 
äussere  Körnerschicht  besteht  (nach  KölUker)  aus  den  an  den  Zapfen 
sitzenden  kernführenden  Anschwellungen  oder  den  Zapfenkörnern  und 
aus  den  etwas  kleinern  eigentlichen  Körnern,  welche  mit  den  Stäbchen 
in  Verbindung  sind,  und  desshalb  auch  Stäbchenkörner  heissen  können. 
In  der  innern  Schicht  liegen  nur  kleine  Zellen  von  0,003'" — 0,004'" 
Grösse  mit  meist  deutlichem  Kern,   und  verbinden  sich  theils  mit  den 


26  Netzhaut. 

Ausläufern  der  Zapfen  als  innere  Zapfenkörner,  theils  mit  den  Stäbchen 
als  innere  Stäbchenkörner. 

In  der  3.  Schicht  begegnen  wir  den  Nervenzellen  der  Retina,  welche 
in  eine  feinkörnige  graue  Masse  eingebettet  sind,  und  durch  dieses  Ver- 
halten ihre  Analogie  mit  den  Zellen  der  grauen  Gehirnsubstanz  dar- 
thun.  Diese  beiden  Elemente  sind  so  zu  einander  angeordnet,  dass 
die  feinkörnige  graue  Substanz  mehr  nach  aussen  (an  der  innern  Kör- 
nerschichtej  als  continuirliche  Lage  hervortritt,  die  0,006'"— 0,008'" 
grossen  kernhaltigen  Zellen  dagegen  nach  innen  (an  der  Opticusfaser- 
schichte)  2 — 3fach  übereinander  liegen.  Diese  Zellen  verhalten  sich 
ganz  wie  die  multipolaren  Nervenzellen  der  Centralorgane  und  besitzen 
sämmtlich  lange  blasse  Fortsätze,  von  denen  immer  1 — 2  nach  aussen 
gerichtet  sind  und  in  die  erwähnten  radiären  Fasern  der  Körnerschichte 
übergehen,  während  die  andern  höchst  wahrscheinlich  sich  in  ächte  va- 
ricöse  Opticusfasern  fortsetzen.  Corti  hat  wenigstens  in  der  Eetina 
des  Elephanten  anastomosirende  Verbindungen  dieser  Fortsätze  zweier 
Zellen  beobachtet,  und  ausserdem  gefunden,  dass  Fibern  der  Opticus- 
faserlage  continuirlich  in  diese  Fortsätze  übergehen. 

Die  0,0005'"— 0,002'"  breiten  Faseim  des  Opticus  gehen  gleich  nach 
ihrem  Durchtritte  durch  die  Lamina  cribrosa  strahlenförmig  nach  allen 
Eichtungen  auseinander,  und  erscheinen  in  dieser  Flächenausbreitung 
als  vierte  Schichte  der  Netzhaut.  Dieselbe  ist  diesem  Sachverhalte  ge- 
mäss in  der  Umgebung  der  Papilla  am  dicksten  und  wird  gegen  die 
Ora  serrata  hin  allmälig  dünner.  Am  gelben  Flecke,  wenigstens  in 
der  mittleren  Partie  desselben,  finden  sich  keine  Opticusfasern,  indem 
diese  auf  ihrem  Wege  von  der  Papilla  nach  aussen  vor  der  Macula  lu- 
tea auseinander,  jenseits  aber  wieder  zusammen  treten.  Die  der  Netz- 
haut angehörenden  Nervenfasern  des  Opticus  sind  blass,  ohne  dunkle 
Contouren,  ohne  Kerne,  dagegen  mit  länglichen  Anschwellungen  ver- 
sehen. Sie  unterscheiden  sich  von  den  marklosen  Fasern  auch  durch 
ihre  ausserordentliche  Feinheit.  Gerlack  versichert,  einige  Male  ganz 
bestimmt  Theilungen  an  denselben  gesehen  zu  haben.  Sie  sind  zu- 
nächst in  Bündel  von  0,010'"— 0,012"'  geordnet.  Dass  ein  Theil  der- 
selben in  die  Ausläufer  der  Ganglienkugeln  übergehe,  ist  nach  CortPs 
Untersuchungen  gewiss.  Ob  aber  alle  Fasern  mit  den  Fortsätzen  der 
Nervenzellen  sich  verbinden,  ist  noch  nicht  erwiesen,  wenn  gleich  wahr- 
scheinlich. Nach  Külliker  tritt  ein  Theil  der  radiären  oder  Müller'schen 
Fasern  zwischen  den  Opticusbündeln  bis  zur  Membrana  limitans,  und 
endigen  diese  Fasern  in  kleine  Anschwellungen,  welche  mehrere  hori- 
zontal (in  der  Ebene  der  Opticusfasern)  verlaufende  Fäserchen  abgeben 


Anatomie  —  Physiologie.  27 

oder  sich  direct  in  ein  ganzes  Büschel  feiner  Fädehen  theilen,  von 
denen  es  angewiss  ist,  ob  sie  sich  mit  den  Opticusfasern  verbinden. 

Die  Membrana  limitans  ist  ein  nur  0,001'"  dickes,  strukturloses 
Häutehen,  welches  die  Netzhaut  an  ihrer  der  Hyaloidea  zugewendeten 
Fläche  begrenzt,  und  nach  einigen  Autoren  sich  über  die  Ora  serrata 
vorwärts  selbst  bis  auf  die  hintere  Fläche  der  Iris  erstrecken  soll.  Bei 
dieser  Ansicht  wird  angenommen,  dass  diess  Grenzhäutchen  von  der 
Ora  serrata  mit  der  Zonula  Zinnii  verschmolzen  sei,  an  den  Ciliarfort- 
sätzen  sich  aber  wieder  von  derselben  trenne  (da  diese  einwärts  zur 
vordem  Kapsel  geht),  und  als  Überzug  der  Ciliarfortsätze  und  der 
hintern  Fläche  der  Iris  bis  zum  Pupillarrande  sich  erstrecke. 

Die  Eigentümlichkeiten  der  Macula  lutea,  der  Stelle,  mit  welcher 
wir  am  schärfsten  sehen,  bestehen  darin,  dass  daselbst  keine  Stäbchen, 
sondern  nur  Zapfen  vorhanden  sind,  dass  die  Körnerschichte  eine  gelbe 
Färbimg  zeigt  und  an  einer  punktförmigen  Stelle  fehlt,  dass  die  Opti- 
cusfasern nur  am  Bande  etwas  hereinragen,  und  dass  endlich  auch  die 
Zweigeheu  der  Art.  centr.  retinae  schon  am  Rande  so  fein  werden, 
dass  in  der  Mitte  dieser  Stelle  auch  bei  beträchtlicher  Vergrößerung 
(20  — 25mal)  nichts  davon  wahrgenommen  werden  kann.  Die  gelbe  Farbe, 
welche  sich  gegen  die  Peripherie  dieser  Stelle  allmälig  verliert,  tritt 
nicht  unter  der  Form  gefärbter  Moleküle,  sondern  diffundirt  auf,  und 
wird  erst  einige  Tage  nach  der  Geburt  vorgefunden. 

Die  Gefässe  der  Netzhaut  sind  Äste  der  Centralarterie,  welche  mit 
der  Centralvene  in  der  Mitte  des  Sehnerven  liegt,  und  an  der  Papilla 
n.  opt.  sich  strahlenförmig  ausbreitet,  mit  vorwaltend  auf-  und  abwärts 
gerichteten  Asten.  Besser  als  durch  Beschreibung  lernt  man  den  Ver- 
lauf, die  Zahl  und  die  Dicke  dieser  Äste  im  normalen  Zustande  durch 
Untersuchung  mehrerer  gesunder  Augen  mit  dem  Ophthalmoskop  ken- 
nen. Wir  wollen  nur  noch  (nach  Gerlach)  hervorheben,  dass  sie  sich 
bald  in  ausserordentlich  feine  Capillaren  auflösen,  welche  denselben 
Durchmesser  wie  jene  des  Gehirnes  haben,  und  hauptsächlich  in  der 
Faser-  und  Zellenschichte  der  Netzhaut,  denen  sie  nach  innen  zu  auf- 
liegen, sich  ausbreiten.  Die  von  diesen  Capillaren  gebildeten  Maschen 
sind  nicht  sehr  eng,  länglich  und  abgerundet  oder  ganz  unregelmässig 
gestaltet.  An  der  Ora  serrata  befindet  sich  ein  öfter  unterbrochener 
venöser  Bing  (circulus  venosus  retinae),  in  welchen  die  vordem  Capil- 
larien  münden,  und  der  mit  der  Centralvene  in  Verbindung  steht.  Am 
gelben  Flecke  fehlt,  wie  schon  bemerkt,  mit  der  Faserschichte  auch 
das  Capillarnetz,  und  man  sieht  hier  an  gut  injicirten  menschlichen 
Netzhäuten  eine  ovale  wohlumschriebene  Lücke  des  Capillarnetzes  von 


28  Netzhaut. 

0,8'"  Länge  und  0,5'"  Breite.  —  Die  Centralarterie,  ein  Zweig  der  Ar- 
teria ophthalmica,  welche  an  der  äussern  Seite  des  N.  opticus  durch 
das  Foramen  opticum  in  die  orbita  eintritt,  dringt  5 — 6  Linien  hinter 
dem  Bulbus  von  der  inneren  Seite  in  den  Sehnerven  ein.*) 

Der  ßehnerv  geht  als  ein  gegen  T"  dicker  Cylinder  vom  Bulbus 
zum  Foramen  opticum,  umschlossen  von  einer  derben  fibrösen  Scheide, 
die  man  als  Fortsetzung  der  harten  Hirnhaut  betrachten  kann,  und  ist 
in  der  Orbita  13 — 14";  lang,  während  der  Abstand  der  Sclera  vom  Fo- 
ramen opticum  nur  gegen  12;"  misst.  Er  verläuft  demnach  stark  ge- 
schlängelt; die  stärkste  Krümmung  bildet  er  (bei  gerade  nach  vorn  ge- 
stellter Pupille)  in  seiner  vordem  Hälfte  nach  aussen,  i.  e.  mit  aus- 
wärts gerichteter  Convexität;  minder  stark  ist  die  Krümmung  nach 
unten.  Umschlossen  wird  er  knapp  vor  dem  For.  opticum  von  den 
Anfängen  der  4  Muse,  recti,  dann  aber  von  dem  ungemein  elastischen 
Fettpolster,  welches  den  Raum  zwischen  den  vorwärts  divergirenden 
Muskeln  und  dem  Bulbus  erfüllt;  in  der  vordem  Hälfte  umgeben  ihn 
die  hinteren  Ciliararterien  und  die  Ciliarnerven,  welche  auf  oder  nächst 
seiner  Scheide  in  dem  genannten  Fettgewebe  zum  Bulbus  vordringen. 
Das  Ganglion  ciliare  liegt  an  seiner  Schläfeseite  8 — 9'"  hinter  der 
Sclerä.  Die  Art.  ophthalmica  schlägt  sich  in  seiner  hintern  Hälfte  über 
ihn  von  der  Schläfen-  nach  der  Nasenseite  gegen  die  Rolle  des  Muse, 
obliq.  superior,  wo  sie  sich  in  die  Art.  frontalis  und  dorsalis  nasi  spaltet. 

Die  Schlängelung  der  Sehnerven  ist  zur  freien  Beweglichkeit  des  Bulbus  um  sei- 
nen fixen  Blinkt  (den  Drehpunkt)  unumgänglich  nothwendig.  Gerade  gestreckt  bis  zur 
straffen  Spannung  wird  der  Sehnerv  nur  dann,  wenn  der  Bulbus  von  der  Mittelstel- 
lung bis  zu  den  beiden  möglichen  Extremen  seitwärts  gerollt  wird,  nämlich  auswärts: 
bis  der  Rand  der  Cornea  an  die  äussere  Lidcommisur  reicht,  und  einwärts:  bis  der 
entgegengesetzte  Punkt  des  Hornhautrandes  sich  hinter  die  halbmondföi-mige  Falte  zu 
schieben  beginnt.  Wird  der  Bulbus  rasch  in  das  eine  oder  das  andere  dieser  Extreme  ge- 
stellt, so  nehmen  wir  (im  Dunkeln)  die  Folge  der  plötzlichen  Zerrung  des  Opticus 
eine  runde  lichtblitzende  Scheibe  im  Sehfelde  wahr.  Bei  möglichst  starker  Auf- 
oder Abwärtsrollung  des  Bulbus  treten  keine  solchen  Lichtringe  auf,  scheint  demnach 
der  Opticus  nicht  bis  zur  Zerrung  gestreckt  zu  werden.  Die  Kenntniss  dieses  Sachver- 
haltes mindert  unser  Verwundern  darüber,  dass  das  Sehvermögen  nicht  aufgehoben  zu, 
werden  pflegt,  wenn  der  Bulbus  tim  2 — 3'"  vorwärts  aus  seiner  Lage  verdrängt  wird, 
sei  es  plötzlich  durch  Verletzungen,  sei  es  allmälig  durch  retrobulbäre  Geschwülste.  Im 
Nordwesten  von  Steiermark  soll  es  üblich  sein,  dass  junge  Leute  einander  die  Augen 
herauszwängen ,  mittelst  des  Daumens ,  der  am  innern  Augenwinkel  eingesetzt  wird. 
Man  beabsichtigt  bei  dieser  eigenthümlichen  Art,  an  seinem  Nebenbuhler  Rache  zu  üben,, 
nur  Entstellung  und  Schmerz,  und   bewirkt   in    der   Regel   auch   nichts  Anderes,    indem 

*)  Nach  //.  Müller's  neuesten  Untersuchungen  ist  die  gefasslose  Stelle  der  Macula  lutea  nicht  so  gross, 
als  Gerlach  sie  angibt,  und  dürften  die  Netzhautgefässe  überhaupt  vorzüglich  in  der  Zellenschicht 
verlaufen. 


Anatomie  —  Physiologie.  29 

nach  erfolgter  Reposition  des  vor  die  Lidspalte  luxirten  Bulbus  das  Sehvermögen  all- 
niälig  wiederkehrt.  Bei  successiver  Hervortreibung  der  Bulbi  durch  Geschwülste  scheint 
indess  nicht  blosse  Streckung,  sondern  auch  wirkliche  Ausdehnung  des  Sehnerven  ohne 
Aufhebung  seiner  Function  stattzufinden,  da  man  Bulbi  3—4'"  weiter  vorn  stehend 
trifft,  ohne  dass  das  Sehvermögen  ganz  aufgehoben  ist.  —  In  wie  hohem  Grade  das 
retrobulbäre  Fettgewebe  elastisch  sein  müsse,  lässt  sich  erschliessen  aus  den  grossen 
Exeursionen,  welche  das  vordere  Ende  des  Sehnerven  machen  muss,  wenn  wir  das  vordere 
Ende  der  Sehachse  nach  verschiedenen  Richtungen  stellen,  wobei  natürlich  das  hintere 
Ende  der  Sehachse  nahezu  gleiche  Excursionen  in  entgegengesetzter  Richtung  machen 
muss.  —  Meine  Angaben  über  das  Orbitalstück  des  Sehnerven  sind  auf  Durchschnitte 
festgefromer  Köpfe  in  den  letztverflossenen  beiden  Wintern  basirt,  und  theils  älteren, 
theils  jugendliehen  Individuen  (worunter  auch  ein    lOjähriger  Knabe)  entnommen. 

Im  Foramen  opticum  ist  jeder  Sehnerv,  4 — 5'"  lang,  von  der  mit 
der  Beinbaut  daselbst  fest  verbundenen  Scheide  nur  locker,  innerhalb 
der  Schädelhöble  aber  bloss  von  der  Aveichen  Hirnhaut  umgeben,  welche 
ihn  iu  seinem  ganzen  Verlaufe  bis  zum  Bulbus  eng  umschliesst  und  mit 
Gelassen  versieht.  Schon  im  For.  opt.  ändern  sie  ihre  Form,  werden 
rundlich-platt  (2'.2'"  breit,  l1/*"'  hoch),  und  treten  nach  einem  Verlaufe 
von  5 — 6'"  convergirend  über  dem  Türkensattel  zum  Chiasma  nerv,  op- 
ticorum  zusammen,  jenseits  desselben  aber  etwas  stärker  divergirend 
rückwärts,  um  sofort  als  allmälig  mehr  platt  und  zuletzt  auch  schmäler 
werdende  hellweisse  Streifen  {Tj^actus  opticus)  um  die  Hirnstiele  herum 
bis  zu  den  Kniehöckern  und  Vierhügeln  zu  gelangen. 

Das  Chiasma,  durch  Berührung  und  theilweise  Kreuzung  der  Seh- 
nerven gebildet,  welche  als  vordere  und  hintere  Schenkel  desselben  be- 
trachtet werden  können,  hat  vier  coneave  Bänder  und  zwei  schwach- 
convexe  Oberflächen,  misst  von  vorn  nach  hinten  'S — 4J",  von  einer 
Seite  zur  andern  circa  6'",  von  oben  nach  unten  1  lli'",  und  ist  über- 
all, wo  es  nicht  mit  der  Hirnsubstanz  zusammenhängt,  von  dt»  Pia 
mater  eng  umschlossen.  Die  untere,  durchaus  freie  Fläche  wird  durch 
die  Dura  mater  von  der  Hypophysis  geschieden.  Die  obere,  nur  in 
den  vordem  zwei  Dritteln  freie  Fläche  legt  sich  an  die  Substantia  per- 
forata  media.  Von  den  Bändern  liegt  nur  der  hintere  unmittelbar  an 
Hirnsubstanz  und  verbindet  sich  mit  dem  Tuber  cinereum,  durch  wel- 
ches, knapp  hinter  dem  Chiasma,  der  Trichter  von  der  3.  Hirnkammer 
zur  Hypophysis  hinabsteigt.  Über  dem  dreieckigen  Baum  zwischen 
den  vordem  Schenkeln  liegt  die  Subst.  perforata  anterior  mit  den  An- 
fängen der  Biechnerven.  An  den  Seitenrändern,  mitten  in  der  Conca- 
vität  ihrer  Einbiegung,  theilt  sich  die  Carotis  nach  ihrem  Austritte  aus 
dem  Sinus  cavernosus:  1.  in  die  Art.  ophthalmica,  welche  unmittelbar 
an  dem  vordem  Schenkel  des  Chiasma,  und  zwar  mehr  unterhalb  als 
neben  demselben  vorwärts  dringt;  2.  in  die  Art.  corporis  callosi,  welche 


30  Netzhaut. 

über  die  vordem  Schenkel  des  Chiasma  einwärts  aufsteigt  und  sich 
durch  den  Raums  communicans  anterior  vor  und  über  dem  Chiasma 
mit  dem  der  andern  Seite  verbindet;  3.  in  die  Art.  fossae  Sylvii,  welche 
sich  nach  aussen  und  oben  in  diese  Grube  begibt,  und  4.  in  die  Art. 
communicans  posterior,  welche  unter  dem  hintern  Schenkel  des  Chiasma 
neben  dem  Trichter  zur  Art.  basilaris  verläuft. 

Über  den  Verlauf  der  Fasern  des  Sehnerven  in  und  jenseits  des 
Chiasma  ist  nur  so  viel  gewiss,  dass  im  Chiasma  eine  Kreuzung,  jedoch 
nur  theilweise,  die  innern  Fasern  betreffend,  stattfindet,  und  dass  sich 
jenseits  der  grössere  Theil  bis  zu  den  Kniehöckern  (corpora  geniculata) 
und  den  Vierhügeln  (emin.  quadrigemina)  verfolgen  lässt,  demnach  eine 
Verbindung  zwischen  den  Sehnerven  und  der  Medulla  oblongata  be- 
steht. Nicht  so  sicher  gestellt  ist  der  Zusammenhang  der  Sehnerven 
mit  den  Sehhügeln  (thalami)  und  mit  den  Grosshirnsstielen  (pedunculi). 
—  Nach  Hannover  lassen  sich  im  Chiasma  unterscheiden :  I .  Fasern, 
welche  direct  aus  dem  einen  vordem  Schenkel  in  den  hintern  dersel- 
ben Seite  verlaufen  (Fasciculus  sin.  et  dexter);  2.  Fasern,  welche  aus 
dem  vordem  Schenkel  der  einen  Seite  in  den  hintern  der  entgegenge- 
setzten übertreten  (Commissura  cruciata);  3.  Fasern,  welche  von  dem 
einen  vordem  Schenkel  zu  dem  andern  verlaufen,  also  gar  nicht  zum 
Gehirne  jenseits  des  Chiasma  gelangen  (Commiss.  arcuata  anterior); 
4.  Fasern,  welche  am  hintern  Eande  des  Chiasma  aus  einem  hintern 
Schenkel  in  den  andern  umbiegen  (Comm.  arcuata  post.);  und  5.  Fasern, 
welche  von  der  Substantia  perforata  media  ausgehend  über  die  obere 
Fläche,  den  vordem  Iiand  und  die  untere  Fläche  zum  Tuber  cinereum 
verlaufen,  und  das  Chiasma  gleich  einer  Schleife  umfassen  (Comm.  ansata). 

üie  Netzhaut  (das  Auge  überhaupt)  steht  in  ihrer  Vegetation  und 
Function  in  innigem  Kapport  zum  Nervus  sympathicus  und  zum  Raums  I. 
seu  ophthalmicus  N.  trigemini,  welcher  Kapport  wenigstens  einiger- 
massen  durch  anatomische  Verhältnisse  erklärt  werden  kann.  Vom 
Halstheile  (ganglion  cervicale  primum)  des  grossen  sympathischen  Ner- 
ven steigen  zwei  beträchtliche  Aste  mit  der  Art.  carotis  interna  in  die 
Schädelhöhle  und  bilden  im  Sinus  cavernosus  ein  Geflecht,  von  welchem 
nicht  nur  zum  N.  oculomotorius,  N.  abducens  und  K.  ophthalmicus  tri- 
gemini, sondern  auch  direct  zum  Ganglion  ciliare  Zweige  abgehen. 
Theils  von  diesem  Geflechte,  theils  von  den  an  der  Arteria  ophthalmica 
fortlaufenden  Zweigchen  treten  nun  Fäden  zur  Chorioidea,  Iris,  Cornea 
und  (höchst  wahrscheinlich  auch)  zur  Ketina,  und  üben  wesentlichen 
Einfluss  auf  die  Circulation  und  den  Stoffwechsel  in  diesen  und  den 
übrigen  Gebilden. 


Physiologie.  3 1 

Auf  mehrere  physiologische  und  pathologische  Thatsachen,  die  sich 
auf  diesen  anatomischen  Sachverhalt  zurückführen  lassen,  wurde  bereits 
bei  Besprechung  der  Krankheiten  der  Binde-  und  Hornhaut,  besonders 
aber  bei  den  anatomisch-physiologischen  Bemerkungen  über  die  Iris 
S.  29 — 34  im  2.  Bande  hingewiesen;  hier,  wo  sich's  um  das  Verständ- 
niss  der  Erscheinungen  bei  Krankheiten  der  Retina  handelt,  schien  es 
nothwendig,  wenigstens  noch  mit  einigen  Worten  auf  den  Einfluss  hin- 
zudeuten, welchen  der  Sympathicus  und  Trigeminus,  indem  sie  der  Er- 
nährung und  allgemeinen  Empfindung  vorstehen,  auf  den  speeifischen 
Sinnesnerven  üben;  die  pathologischen  Thatsachen,  welche  dem  anato- 
mischen Befunde  entsprechen,  folgen,  sofern  sie  nicht  schon  früher  an- 
geführt wurden,  weiter  unten  bei  der  Lehre  von  der  Amaurose. 

Der  Sehnerv  vermittelt  das  Sehen,  indem  er  die  durch  die  Licht- 
welleu  in  der  Netzhaut  erregten  Eindrücke  oder  Zustände  zum  Central- 
organe  fortpflanzt.  Alles,  was  die  Leitungsfähigkeit  des  Sehnerven  auf- 
hebt, Durchschneidung,  Druck  u.  s.  w.,  macht  auch  das  Sehen  unmöglich. 
—  Das  Licht  wirkt  auf  den  Sehnerven  nur  mittelst  der  Netzhaut;  wo 
diese  nun  zerstört  (gegen  Licht  unempfindlich)  ist,  kann  kein  Licht 
mehr  empfunden  werden ;  das  intensivste  Licht  auf  den  vorn  abgestutz- 
ten oder  blossgelegten  Sehnerven  geleitet,  erregt  das  Sensorium  com- 
mune ebenso  wenig,  als  irgend  einen  andern  Sinnes-  oder  Empfindungs- 
nerven. —  Mechanische  Reize  und  der  elektrische  Strom  können  mit- 
telst der  Retina  oder  des  Sehnerven  im  Centralorgane  nur  die  Empfin- 
dung von  Licht,  niemals  die  von  Schmerz,  Wärme  u.  dergi.  erregen. 
Wenn  Kranke,  denen  ein  Auge  exstirpirt  wird,  im  Momente  der  Durch- 
schneidung des  Sehnerven  vor  Schmerzen  aufschreien,  so  darf  man  bei 
Erklärung  dieser  Erscheinung  nicht  übersehen,  dass  in  demselben  Mo- 
mente auch  die  Ciliarnerven  durchschnitten  werden  müssen,  und  wenn 
dagegen  in  einem  Falle  die  der  Theorie  zufolge  erwarteten  Lichter- 
scheinungen nicht  wahrgenommen  wurden,  so  muss  man  bedenken, 
dass  möglicherweise  der  Kranke  ob  der  heftigen  Schmerzen  und  des 
psychischen  Zustandes  gar  nicht  zu  einer  solchen  Wahrnehmung  geeig- 
net, oder  aber,  wie  in  solchen  Fällen  wohl  häufig,  der  vordere  Theil 
des  Sehnerven  bereits  leitungsunfähig  sein  konnte.  —  In  Bezug  auf  die 
Reizung  durch  Galvanismus  ist  noch  zu  bemerken,  dass  Erregung  der 
Netzhaut  und  des  Sehnerven  (zur  Lichtempfindung)  auch  in  distans 
eintreten  kann,  durch  Überspringen  des  zu  kräftigen  Stromes,  z.  B. 
wenn  der  eine  Pol  an  das  obere  Lid  oder  (bei  stärkerem  Strome)  an 
die  Schläfe,  der  andere  an  die  Wange  oder  Zunge  angelegt  wird. 

Die  zum  Sensorinm  commune  fortgepflanzte  Erregung  des  Sehner- 


32  Netzhaut. 

ven,  gleichviel  von  wo  sie  ausgeht,  wird  Gegenstand  des  Bewusstseins, 
der  Beziehung  auf  das  Ich,  sobald  sie  nicht  zu  schwach  ist,  und  sobald 
die  Aufmerksamkeit  nicht  davon  abgezogen  wird  (durch  den  Willen, 
durch  anderweite  starke  Erregung),  vorausgesetzt,  dass  die  Centralor- 
gane  perceptionsfähig  sind.  Diese  Beschaffenheit  der  Centralorgane 
ist  demnach  für  das  Sehen  eine  Conditio  sine  qua  non.  Die  Erregung 
ist  nahezu  gleich,  ob  sie  nun  von  beiden  oder  nur  von  einem  Auge 
ausgeht,  und  wir  erkennen  es  aus  der  Empfindung  als  solcher  nicht, 
ob  wir  mit  einem  oder  mit  beiden  Augen  sehen,  wenn  die  Erregung 
nicht  sehr  ungleichartig  ist  (wovon  später).  Es  steht  aber  diese  Erre- 
gung der  Centralorgane  in  einem  merkwürdigen  Verhältnisse  nicht  bloss 
zum  Bewusstsein,  sondern  überdiess  noch  zu  andern  Thätigkeiten,  welche 
mehr  weniger  unabhängig  vom  Bewusstsein  und  Willen,  gleichsam  au- 
tomatisch (reflectirt)  erfolgen.  Solche  Keflexwirkungen  geben  sich  zu- 
nächst am  auffallendsten  in  der  Iris  kund.  (Vergl.  Bd.  IL  S.  30.)  Hie- 
her gehört  auch  mehr  weniger  die  Thätigkeit  der  Muskeln,  welche  vom 
N.  oculomotorius,  trochlearis,  abducens  und  facialis  (musc.  orbicularis) 
versorgt  werden.  Die  Netzhaut,  durch  den  N.  opticus  mit  den  Cen- 
tralorganen  verbunden,  kann  mit  einem  gewissen  Rechte  als  Regulator 
der  zweckmässigen  Thätigkeit  jener  Muskeln  bezeichnet  werden,  welche 
dem  Sehorgane  zur  Verfügung  gestellt  sind,  und  tlieils  in,  theils  ausser 
dem  Bulbus  liegen.  Figürlich  kann  man  sagen:  die  Netzhaut  stellt 
und  gestaltet  sich  den  Bulbus  so  zweckmässig,  als  es  die  obwaltenden 
Umstände  nur  irgend  zulassen.  Mechanische  Hindernisse,  die  sich  ihrer 
Function  entgegenstellen,  z.  B.  partielle  Trübungen  der  Linse  oder 
Hornhaut,  werden  auf  diese  Weise  oft  gegen  alle  Gewohnheit  und  un- 
willkürlich die  entferntere  Ursache  von  einfachen  oder  combinirten  Mus- 
kelactionen,  welche  sich  ohne  solche  Hindernisse  schwer  oder  gar  nicht 
zu  Stande  bringen  lassen.  (Vergleiche  Krankheiten  der  Muskeln.)  Diese 
Thätigkeit  der  Centralorgane,  augeregt  durch  Lichteinfluss  auf  die  Netz- 
haut, ist  offenbar  schon  in  den  ersten  Lebenstagen  vorhanden,  während 
die  des  Bewusstwerdens  viel  später  zu  Stande  kommt.  Dass  übrigens 
solche  Reflexthätigkeiten  auch  unabhängig  vom  Sehnerven  hervorge- 
rufen werden  können,  und  zwar  direct  vom  Centralorgane  oder  angeregt 
durch  andere  Nerven  (z.  B.  N.  acusticus),  sei  nur  um  Missverständnis- 
sen vorzubeugen  ausdrücklich  erwähnt. 

Wo  die  Bedingungen  zur  Leitung  und  Aufnahme  im  Centralorgane 
vorhanden  sind,  können  Erregungen  der  Netzhaut  wahrgenommen  wer- 
den. Die  gewöhnliche,  natürliche,  adäquate  Erregung  der  Netzhaut  er- 
folgt durch  das  Licht,  welches   selbstleuchtende  oder  lichtreflectirende 


Physiologie.  33 

Körper  zur  Netzhaut  senden.  Die  Netzhaut  antwortet  aber  auch  auf 
Reizung  durch  Elektricität ,  Druck ,  Zerrung  u.  dergl. ,  und  zwar  mit 
Lichterscheinungen.  Die  zum  Bewusstsein  gelangenden  Erregungen  der 
Netzhaut  und  des  Sehnerven,  welche  gar  nicht  oder  doch  nicht  unmit- 
telbar durch  Licht  bedingt  werden,  nennt  man  subjective  Lichtempfin- 
dungen. Hiezu  gehören  gewissermassen  auch  die  Empfindungen,  welche 
nach  intensiver  Erregung  der  Netzhaut  durch  Licht  mehr  weniger  lange 
zurückbleiben  (Nachbilder),  während  das  sogenannte  Sehen  nicht  vor- 
handener Objecte,  welches  bei  excessiver  Erregung  der  Centralorgane 
vorkommt  i  Visio  phantasmutum,  Hallucinaliones),  gleich  den  Traumbildern 
in  das  Bereich  der  psychischen  Thätigkeit  gehört.  —  Die  zum  Sensorium 
commune  fortgepflanzte  Erregung  der  Netzhaut  durch  Licht,  wie  z.  B. 
bei  geschlossenen  Augenlidern,  bei  completer  Linsenverdunkelung,  ist 
im  Allgemeinen  Lichtempfindung;  zum  Sehe?i  wird  sie  erst  dann,  wenn 
sie  auch  der  Form  nach  auf  das  lichtsendende  (oder  hemmende)  Ob- 
ject  bezogen  werden  kann.  Diess  ist  nicht  möglich,  ohne  ein  Bild  des 
lichtsendenden  Objectes  (oder  eines  Schattens)  auf  der  Netzhaut,  wie  in 
einer  Camera  obscura  auf  dem  Schirme.  Zum  Sehen  gehört  demnach 
nebst  Integrität  der  bisher  besprochenen  Nervenelemente  noch  ein  diop- 
trischer,  jenes  Bild  vermittelnder  Apparat.  Die  Netzhaut  wird  zum 
Sehen  nicht  direct  durch  das  lichtsendende  Object  erregt,  sondern  mit- 
telbar durch  dessen  Bild.  Was  für  den  Tastsinn  das  Object  selbst,  das 
ist  für  das  Auge  (beim  Sehen  im  eigentlichen  Sinne  des  Wortes)  das 
Bild  des  Objectes.  —  Objecte,  welche  ganz  nahe  an  oder  in  dem  Auge 
selbst  liegen,  können  nicht  gesehen,  wohl  aber  unter  Umständen  (wo- 
von später)  dadurch  wahrgenommen  werden,  dass  sie  Schatten  auf  die 
Netzhaut  werfen.  Hieher  gehören  die  sogenannten  entoptischen  Erschei- 
nungen, von  denen  weiter  unten  die  Eede  sein  wird.  Die  gewöhnlichsten 
sind  die  unter  dem  Namen  der  fliegenden  Mücken  bekannten  beweg- 
lichen Punkte,  Fäden,  Schnüre  u.  dgl.,  welche  der  davon  Gequälte  vor 
seinen  Augen  zu  sehen  vermeint. 

T7m  sich  von  dem  Zustandekommen  und  Verhalten  des  Bildes  auf  der  Netzhaut  zu 
überzeugen  und  zu  belehren,  nehme  man  vor  Allem  ein  Menschen-  oder  Kaninchen- 
auge, dessen  Medien  noch  gehörig  durchsichtig  sind,  lege  es  mit  horizontaler  Sehachse 
auf  einen  Augenbecher,  so  dass  seine  Form  möglichst  unverändert  bleibt,  entferne  durch 
vorsichtige  Excision  ein  etvra  2  Quadratlinien  grosses  Stück  Sclera  am  hintern  Pole, 
und,  falls  man  scharf  beobachten  will,  eben  so  viel  Chorioidea,  und  richte  nun  die 
freie  Cornea  einem  Fenster  gegenüber,  vor  welchem  sich  mit  Ausnahme  eines  oder 
des  andern  grössern  Gegenstandes,  etwa  eines  Thurmes,  das  Firmament  frei  darstellt. 
Man  sieht  nun  (die  übrigen  Fenster  verdeckt)  zunächst  auf  der  blossgelegten  durch- 
scheinenden Netzhaut  das  Fenster  scharf  abgebildet,  falls  dessen  Entfernung  vom  Auge 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  3 


34  Netzhaut. 

eine  entsprechende  ist,  während  der  entferntere  Gegenstand  (Tharm),  der  gleichzeitig 
ahgehildet  erscheint,  minder  scharfe  Contouren  zeigt.  Das  Bild  der  Fensterrahmen  er- 
scheint gleich  dem  einer  andern  einfachen  Camera  obscura  dem  Beschauenden  relativ 
zum  Objecte  verkehrt  und  verkleinert.  —  An  dem  Auge  eines  etwa  12jährigen  Knaben, 
dessen  Achse  10,8"',  Cornealdicke  0,5'",  Augenkammer  1,2'",  Linsenachse  1,7"'  und 
Glaskörperachse  6,8'"  betrug,  zeigte  das  Bild  eines  42"  breiten  Fensters  bei  120"  Ent- 
fernung des  Bulbus  vom  Fenster  eine  Breite  von  2,1'",  bei  204"  Entfernung  eine  Breite 
von  1,6'",  bei  288"  Entfernung  eine  Breite  von  1,1'".  Ich  schreibe  diesen  Massen  keine 
mathematische  Schärfe  zu,  da  mir  die  zu  solchen  Messungen  und  Beobachtungen  erfor- 
derlichen Apparate  nicht  zu  Gebote  stehen;  es  Hessen  sich  aber  auf  diesem  Wege,  wenn 
man  das  eine  Auge  zur  Messung  der  Durchmesser  und  Krümmungsradien,  das  andere 
zur  Messung  der  Netzhautbilder  bei  verschiedener  Objectdistanz  benützte,  vielleicht 
brauchbare  Resultate  für  die  Lehre  vom  Sehen  gewinnen. 

Der  Eindruck  des  Lichtes  auf  die  Netzhaut  wird  durch  die  Schwin- 
gungen eines  elastischen  Mediums  (Äthers)  erregt ,  deren  Anzahl  die 
Farbe  bestimmt,  von  deren  Weite  die  Helligkeit  abhängt,  und  deren 
lineare,  kreisförmige  oder  elliptische  Gestalt  ihre  Polarisation  hervor- 
bringt. So  wie  das  Ohr  sich  der  Schwingungen  der  regelmässig  erschüt- 
terten Luft  bewusst  wird  als  eines  Tones  von  bestinimter  Höhe,  so 
sage  ich  blau,  wenn  meine  Netzhaut  eine  bestimmte  Zahl  Schwingun- 
gen vollfuhrt,  roth  bei  einer  andern  Zahl.*)  Nach  Wheatstone's  Ver- 
suchen vermag  unser  Auge  Gegenstände  noch  deutlich  zu  sehen,  wenn 
sie  auch  eine  kürzere  Zeit  als  den  millionsten  Theil  einer  Secunde  be- 
leuchtet werden.  Zwischen  dem  sinnlichen  Eindrucke  und  dem  Bewusst- 
wTerden  desselben  verfliesst  aber  eine  gewisse  Zeit.  Ein  Eindruck  auf 
das  Auge  dauert  aber  noch  einige  Zeit  fort,  wenn  die  erregende  Ur- 
sache bereits  zu  wirken  aufgehört  hat.  Eine  rasche  periodische  Wieder- 
kehr gleichartiger  Eindrücke  nimmt  das  Auge  als  eine  ununterbrochene 
Erscheinung  wahr.  Wenn  wir  einen  leuchtenden  Gegenstand  (eine  glü- 
hende Kohle  im  Kreise  herumgeschwungen)  in  einer  Secunde  mindestens 
li\ivndX  an  derselben  Stelle  sehen,  so  sehen  wir  ihn  ununterbrochen  an 
derselben.  Der  andauernde  Lichteindruck  bei  sich  schliessendem  Auge 
ist  das  Nach-  oder  Abklingen  der  Schwingungen,  in  welche  die  Ner- 
venelemente durch  die  Atherschwingungen  versetzt  wurden;  es  ist 
die  allmälige  Wiederkehr  zur  Ruhe,  deren  wir  uns  als  Dunkel  bewusst 
werden.  **) 


*)  Dove,  Darstellung  der  Farbenlehre.  Berlin,  1853. 
**)  Wird  der  Raum  zwischen  Erde  und  Sonne  (20,686,329  geographische  Meilen)  in  493,2  Secunden  vom 
Lichte  durchlaufen,  so  ist  der  in  einer  Secunde  zurückgelegte  Weg  41935  geographische  Meilen.  Die 
Anzahl  der  Schwingungen,  in  welche  die  Netzhaut  innerhalb  einer  Secunde  versetzt  wird,  um  die 
Farbe  zum  Bewusstsein  zu  bringen,  welche  im  Spectrum  (Frauenhofer)  durch  die  Buchstaben  B,  C, 
D,  E,  F,  G,  H  bezeichnet  wird,  ist  demnach  folgende: 


Physiologie.  35 

Die  Hornhaut  bildet  mit  dem  Kammerwasser  und  dem  Krystall- 
körper  eine  biconvexe  Linse,  vorn  von  Luft,  hinten  von  Glasflüssigkeit 
begrenzt.  Die  Achse  dieser  Linse  fallt  mit  der  geraden  Linie  zusammen, 
welche  den  vordem  mit  dem  hintern  Pole  des  Auges  verbindet,  und  die 
Sehachse  genannt  wird.  Die  Brennweite  derselben  (Vereinigungsweite 
für  parallele  Strahlen)  ist  gleich  dem  Abstände  des  hintern  Linsenpoles 
von  der  Macula  lutea,  welche  demnach  in  der  hintern  Brennpunktsebene 
liegt.  Strahlen,  welche  von  der  Netzhaut  aus  parallel  durch  den  Glas- 
körper vorwärts  gingen,  würden  sich  in  einem  Punkte  vereinigen, 
welcher  um  den  halben  Durchmesser  des  Bulbus  in  der  Sehachse,  etwa 
51 -/y/  vor  dem  Centrum  der  Cornealvorderfläche,  mithin  in  der  vordem 
Brennpunktsebene  liegen  würde.  Bei  einer  durchaus  homogenen  und 
von  gleich  gewölbten  Flächen  begrenzten  Linse  (gewöhnliche  biconvexe 
Glaslinse)  ist  es  der  Mittelpunkt  ihrer  Achse,  durch  welchen  man  von 
irgend  einem  Objectpunkte  eine  gerade  Linie  zu  ziehen  hat,  um  die 
Richtung  zu  finden,  in  welcher  jenseits  der  Linse  alle  von  jenem  Punkte 
aus  durch  die  Linse  gegangenen  Strahlen  sich  vereinigen  müssen.  Bei 
der  aus  verschiedenen  Medien  zusammengesetzten  Sammellinse  unseres 
Auges  liegt  dieser  Punkt  nicht,  wie  man  früher  meinte,  in  der  Mitte, 
etwa  gerade  in  der  Pupille,  sondern  nahe  am  hintern  Pole  der  Kiystall- 
linse.  mithin  durchschnittlich  zwischen  3 — 3xi%'u  hinter  dem  Centrum 
der  Cornealvorderfläche.  Dieser  Punkt,  von  Volkmann  Kreuzungspunkt 
der  Pdchtungslinien  genannt,  jedoch  als  3,97'"  hinter  der  Cornealvorder- 
fläche liegend  angegeben,  ist  ohngefähr  dasselbe,  was  Listing  den  mitt- 
lem Knotenpunkt  genannt  hat. 

Zum  deutlichen  Sehen  sind  bis  zu  einem  gewissen  Grade  scharf 
begrenzte  und  lichte  Bilder  auf  der  Netzhaut  nothwendig.  Jedes  leuch- 
tende oder  lichtreflectirende  Object  kann  als  eine  Summe  leuchtender 
Punkte  betrachtet  werden.  Von  jedem  solchen  Punkte  gelangt  ein  Büschel 
Strahlen  zum  Auge  in  Form  eines  Kegels,  dessen  Spitze  jener  Punkt, 
dessen  Basis  die  Cornea  ist.  Ein  Theil  dieser  Strahlen  wird  unregel- 
mässig- zurückgeworfen  (zerstreut),  und  macht  die  Cornea  sichtbar;  ein 
anderer  wird  regelmässig  reflectirt  (gespiegelt),  und  gibt  die  bekannten 

bei  B.  nahe  dem  rothen  Ende. 452,000000,000000 

„     C.    im   Roth 474,000000,000000 

„    D.    ,,     Orange     ....  528,000000,000000 

„     E.     „     Grün 591,000000,000000 

„     F.     „     Blau 64  [,000000,000000 

„     G.     „    Indigo      ....  724,000000,000000 

„     H.     .,     Violett      ....  7S5,000000,000000 
Der  tiefste  Ton  entsteht  durch  32,   der  höchste  noch  wahrnehmbare  Ton  durch  73000  Schwingungen, 
also  durch  36500  Ein-  und  eben  so  viele  Ausbiegungen  des  Trommelfelles  {Dave). 

3* 


36  Netzhaut. 

Spiegel-  oder  Reflexbilder  der  Hornhaut,  von  den  durchgelassenen  tra- 
gen nur  so  viele  zur  Bildung  des  Netzhautbildes  bei ,  als  nicht  durch 
die  Iris  abgehalten  und  von  der  vordem  und  hintern  Kapsel  auf  gleiche 
Weise  wie  von  der  Cornea  reflectirt  werden.  Die  durchgelassenen  con- 
vergiren  nach  ihrem  Eintritte  in  den  Glaskörper,  wenn  der  leuchtende 
Punkt  nicht  zu  nahe  am  Auge  liegt,  kegelförmig  nach  einem  Punkte, 
dessen  Lage  sich  durch  Ziehung  der  Richtungslinie  (vom  leuchtenden 
Punkte  durch  den  Kreuzungspunkt)  bestimmen  lässt;  sie  bilden  einen 
Kegel,  dessen  Spitze  auf  die  Netzhaut  fällt,  wenn,  wie  beim  deutlichen 
Sehen  immer,  der  Refractionszustand  des  Auges  der  Entfernung  des 
leuchtenden  Punktes  angemessen  ist.  Dieser  Punkt  an  der  Spitze  des 
innern  Kegels  ist  das  Bild  des  Punktes  an  der  Spitze  des  äussern,  und 
somit  kann  das  ganze  Netzhautbild  eines  Objectes  als  aus  so  vielen 
Punkten  zusammengesetzt  gedacht  werden,  als  das  ihm  entsprechende 
Object  lichtsendende  Punkte  enthält.  Je  schärfer  die  einem  jeden  Ob- 
jectpunkte  zugehörenden  Strahlen  auf  einen  entsprechenden  Punkt  der 
Netzhaut  concentrirt  werden,  desto  genauer  ist  die  in  Rede  stehende 
Bedingung  des  Deutlichsehens  erfüllt,  dass  nicht  mehrere  verschiedene 
Punkte  des  Objectes  ihr  Licht  auf  eine  und  dieselbe  Stelle  der  Netz- 
haut werfen.  —  Entspricht  der  Refractionszustand  nicht  der  Entfernung 
des  leuchtenden  Punktes,  so  fällt  der  Vereinigungspunkt  vor  die  Netz- 
haut, falls  der  leuchtende  Punkt  relativ  zu  weit  entfernt,  hinter  die 
Netzhaut,  falls  derselbe  relativ  zu  nahe  am  Auge  liegt.  In  dem  erstem 
Falle  wird  die  Netzhaut  erst  von  den  bereits  wieder  auseinander  fah- 
renden, in  dem  letzteren  von  den  noch  nicht  völlig  vereinigten  Strahlen, 
mithin  von  einem  Lichtkreise  (Kegelschnitte)  statt  von  einem  Lichtpunkte 
getroffen,  und  es  greifen  die  Lichtstrahlen  des  einen  Kegels  in  das  Be- 
reich des  andern  über,  es  ist  nicht  jeder  Objectpunkt  gesondert  und 
begrenzt  auf  der  Netzhaut  abgebildet.  Bis  zu  welchem  Grade  eine 
solche  Abgrenzung  gefordert  werde,  bis  zu  welchem  Grade  und  durch 
welche  Mittel  die  Bildung  von  Zerstreuungskreisen  wegen  nicht  ent- 
sprechender Objectsdistans  verhütet  werden  könne,  soll  später  noch  be- 
sprochen werden.  —  Von  dem  Lichtkegel,  welchen  irgend  ein  leuch- 
tender Punkt  ins  Auge  sendet,  werden  nur  jene  Strahlen,  die  in  geringer 
Entfernung  (Elongation)  von  dem  in  der  Achse  des  Kegels  verlaufenden 
(Achsenstrahle)  auf  die  Cornea  fallen,  in  einem  und  demselben  Punkte 
jenseits  vereinigt;  die  weiter  entfernt  auffallenden  (Randstrahlen)  wer- 
den stärker  gebrochen,  also  früher  dem  Achsenstrahle  des  innern  Licht- 
kegels zugelenkt,  und  fahren  demnach  bereits  wieder  auseinander, 
wenn  die  Centralstrahlen  eben   erst  zusammentreten;   sie  bilden,  wenn 


Physiologie.  37 

die  Netzhaut  in  der  Vereinigungs  weite  der  Centralstrahlen  liegt,  auf 
dieser  einen  Zerstreuungskreis,  bedingt  durch  die  sogenannte  sphärische 
Aberration.  Dieser  Beeinträchtigung  der  Schärfe  des  Bildes  ist  gröss- 
tentheils  durch  die  Iris  und  die  dem  Bedürfnisse  entsprechende  Ver- 
engerung und  Erweiterung  der  Pupille  abgeholfen.  Sie  würde  beson- 
ders beim  Betrachten  naher  Objecte  störend  einwirken.  —  Die  Zer- 
streuung, welche  das  Licht  jedes  einzelnen  Strahles  vermöge  seiner 
Zerlegbarkeit  in  verschieden  brechbare  {farbige)  Strahlen  beim  Durch- 
gange durch  die  brechenden  Medien  des  Auges  so  gut  wie  beim  Durch- 
gänge durch  ein  Prisma  erleidet,  macht  sich  beim  Sehen  nur  dann 
geltend,  wenn  die  Vereinigung  sämmtlicher  Strahlen  eines  Kegels  wegen 
mangelhafter  Anpassung  für  die  Objectdistanz,  wegen  sphärischer  Aber- 
ration oder  wegen  Abhaltung  eines  Theiles  der  Strahlen  mehr  weniger 
verhindert  wird.  (Schiebt  man  während  der  Fixirung  eines  horizontalen 
Fensterstabes  ein  Kartenblatt  knapp  am  Auge  vor  die  obere  Hälfte  der 
Pupille,  so  erscheint  am  untern  Bande  des  Stabes  ein  rothgelber  Far- 
bensaum,  am  obern  ein  blauer;  hat  man  dagegen  den  untern  Theil 
der  Pupille  verdeckt,  so  treten  dieselben  Farben  in  umgekehrter  Ord- 
nung auf,  gleichviel  ob  man  dem  Fenster  nahe  oder  fern  steht,  wenn 
nur  hinter  demselben  weisse  Wolken  sind.  Tourtual.)  Da  die  blauen 
Strahlen  des  Spectrums  stärker  gebrochen  werden,  als  die  gelben,  und 
diese  stärker  als  die  rothen,  so  gelangen  die  blauen  Strahlen  immer 
etwas  früher  zur  Vereinigung,  als  die  rothen;  indem  aber  die  diametral 
entgegengesetzten  Strahlen  des  innern  Lichtkegels  in  oder  nächst  der 
Spitze  desselben  zusammentreten,  compensiren  sie  sich  ohngefähr  in 
der  Mitte  zwischen  der  Vereinigungsweite  der  blauen  und  rothen  Strah- 
len.   (Diese  Compensation  wird  in  Tourtuals  Versuche  verhindert.) 

Die  zum  Deutlichsehen  erforderliche  Helligkeit  {scheinbarer  Glanz) 
des  Netshautbildes  wird  durch  die  Menge  der  Lichtstrahlen  bedingt, 
welche  an  der  Spitze  eines  jeden  innern  Lichtkegels  die  Netzhaut  tref- 
fen. Die  Menge  der  Lichtstrahlen  des  innern  Lichtkegels  hängt  zu- 
nächst nicht  bloss  von  der  Menge  ab ,  welche  der  leuchtende  Punkt 
ausstrahlt  oder  reflectirt,  sondern  auch  von  der  Entfernung  dieses  letz- 
tern. Je  länger  der  äussere  Lichtkegel,  also  je  weiter  entfernt  das  Ob- 
ject,  desto  geringer  die  Zahl  der  Strahlen,  welche  von  ihm  auf  die  Cor- 
nea fallen.  Es  verhalten  sich  die  Summen  der  auf  die  Cornea  fallenden 
Strahlen  ceteris  paribus  umgekehrt  wie  die  Quadrate  der  Entfernungen 
des  leuchtenden  Punktes.  Je  mehr  seitlich  von  der  Sehachse  der  leuch- 
tende Punkt  liegt,  desto  kleiner  wird  auch  bei  gleich  gross  bleibender 
Öffnung  der   Pupille    die   Summe  der  Lichtstrahlen  sein,   welche   zur 


38  Netzhaut. 

Bildung  des  innern  Lichtkegels  concurrireu  können;  denn  Strahlen,  die 
unter  einem  grössern  Einfallswinkel  als  48  Grad  auf  die  Cornea  treffen, 
werden  reflectirt,  und  je  schräger  die  Irisebene  zum  Achsenstrahle  des 
leuchtenden  Punktes  gestellt  ist,  desto  weniger  Nebenstrahlen  desselben 
Kegels  können  durch  die  Pupille  eindringen.  Je  vollständiger  durch- 
sichtig endlich  die  Medien,  welche  das  Licht  vom  leuchtenden  Punkte 
bis  zur  Netzhaut  zu  durchdringen  hat,  desto  vollständiger  die  Beleuch- 
tung dieser  letztern.  Trübung  der  Medien  bewirkt  Uberdiess  auch  Ab- 
lenkung (Zerstreuung)  der  durchgelassenen  Strahlen.  (Undeutlichsehen 
wegen  unzureichender  Beleuchtung.) 

Die  Thatsache,  dass  ■wir  unter  Umständen,  wo  ganz  gewiss  Zerstreuungskreise  vor- 
handen sind,  noch  mehr  weniger  deutlich  sehen,  wie  namentlich  hei  der  Betrachtung 
entfernterer  Objecte,  lässt  sich  kaum  anders  erklären,  als  dass  wegen  der  überwiegenden 
Beleuchtung  in  der  Mitte  jedes  Zerstreuungskreises  die  relativ  schwächere  Erregung 
der  Umgebung  nicht  wahrgenommen  wird.  Wird  ein  Gegenstand,  z.  B.  ein  Buchstabe, 
so  nahe  vor  das  Auge  gehalten,  dass  er  undeutlich  und  farbig  eingesäumt  erscheint,  weil 
die  zu  stark  divergirend  auffallenden  Strahlen  erst  hinter  der  Netzhaut  zur  Vereinigung 
gelangen  können,  so  kann  man  bewirken,  dass  er  in  derselben  Entfernung  augenblicklich 
rein  und  scharf  begrenzt  erscheint,  wenn  man  ihn  durch  die  enge  Öffnung  eines  Karten- 
blattes betrachtet,  offenbar  weil  die  Zerstreuungskreise  dadurch  auf  das  erforderliche 
Minimum  reducirt  werden,  indem  durch  die  nahe  vor  der  Cornea  befindliche  enge  Öffnung 
die  Basis  des  eindringenden  Lichtkegels,  mithin  auch  sein  Durchschnitt  auf  der  Netzhaut 
entsprechend  kleiner  geworden  ist.     (Ludivig.) 

Die  Fehlheit  (Schärfe)  des  Gesichtes,  analog  der  Feinheit  der  übri- 
gen Sinne,  schätzest  wir  nach  der  Fähigkeil,  winzige  Objecte  zu  er- 
kennen und  zwei  ganz  nahe  neben  einander  befindliche  leuchtende  Punkte 
als  zwei  zu  unterscheiden ,  sobald  die  eben  besprochenen  Bedingungen 
des  Deutlichsehens  vorhanden  sind.  Diess  führt  uns  zur  Betrachtung 
der  Grösse  der  Netzhautbilder  und  der  Energie  der  Netzhaut  selbst. 
So  wie  ein  feines  Gehör  ein  Geräusch  noch  wahrnimmt,  das  von  einem 
stumpfen  auch  trotz  aller  Aufmerksamkeit  und  Anstrengung  nicht  mehr 
vernommen  wird,  und  so  wie  ein  feiues  Getast  zwei  nahe  aneinander 
befindliche  Spitzen  noch  als  zwei  (getrennt)  empfindet,  welche  dem 
stumpfen  (groben)  Gefühle  nur  eine  einzige  zu  sein  scheinen,  zeigt  sich 
auch  die  Netzhaut  in  ihrer  Fähigkeit,  Eindrücke  aufzunehmen  und  zu 
unterscheiden,  bald  fein,  bald  stumpf,  in  unendlichen  Abstufungen. 
Diese  Verschiedenheit  ist  theils  in  der  primären  Anlage  der  Netzhaut 
gegeben,  theils  von  der  Übung  namentlich  in  den  ersten  Lebensjahren 
abhängig,  ausserdem  aber  Folge  (Symptom)  mannigfacher  Erkrankung. 
Sehen  wir  vorläufig  noch  von  der  Verschiedenheit  der  Energie  der 
Netzhaut  in  den  einzelnen  Kegionen  derselben  ab,  und  betrachten  bloss 
die  Wahrnehmung  von  Bildern,    welche  auf  die    empfindlichste  Stelle, 


Physiologie.  39 

die  Macula  lutea  fallen,  so  sind  folgende  Sätze  zu  notiren :  a)  Die  Grösse 
des  Bildes  auf  der  Netzhaut  kann  um  so  kleiner  sein,  je  grössere  Licht- 
stärke es  besitzt,  b)  Bei  gleicher  Lichtstärke  kann,  um  noch  gesehen 
zu  werden,  ein  weisses  Bild  kleiner  sein,  als  ein  gelbes,  dieses  kleiner 
als  ein  rothes  und  dieses  kleiner  als  ein  blaues  {Plateau),  c)  Wenn 
das  Bild  nach  der  einen  Dimension  zunimmt,  darf  es  unbeschadet  seiner 
Deutlichkeit  nach  der  andern  Dimension  abnehmen,  so  dass  ein  linien- 
förmiger  Körper  noch  sichtbar  ist,  während  ein  punktförmiger  von 
gleicher  Breite  schon  verschwindet.  Eine  kurze  Linie,  welche  in  verti- 
caler  Richtung  als  Punkt  erscheint,  kann  in  horizontaler  noch  als  Linie 
wahrgenommen  werden.  Diess  hängt,  wie  Fick  nachgewiesen  hat,  da- 
von ab,  dass  die  durchsichtigen  Medien  in  verticaler  Richtung  nach 
einem  kürzern  Radius  gekrümmt  sind,  als  in  horizontaler.  Wenn  die 
Energie  der  Netzhaut  geringer  oder  gesunken  ist,  wird  dieselbe  Druck- 
schrift noch  gelesen,  sobald  die  Buchstaben  etwas  weiter  von  einander 
abstehen;  von  zwei  Druckschriften,  deren  Lettern  gleiche  Höhe  haben, 
strengt  diejenige  mehr  an,  deren  Lettern  weniger  fett  und  mehr  com- 
press  sind,  d)  Ein  winziger  Gegenstand,  der  nicht  wahrgenommen 
werden  kann,  wenn  er  ruhig  ist,  kann  wahrgenommen  werden,  wenn 
sein  Bild  mit  einer  gewissen  Geschwindigkeit  nach  einander  auf  ver- 
schiedene Netzhautstellen  gebracht  wird,  e)  Der  Contrast  in  der  Farbe 
und  Beleuchtung,  den  ein  Körper  zu  seiner  Umgebung  bildet,  macht 
einen  winzigen  Körper  sichtbar,  der  ausserdem  unsichtbar  ist.  Ein 
dunkler  Punkt,  der  auf  dunklem  Hintergründe  unsichtbar  ist,  wird  sicht- 
bar auf  lichtem  Hintergrunde  und  umgekehrt.  Auf  diese  Weise  (d  und  e) 
werden  uns  die  sogenannten  Sonnenstäubchen  bemerkbar,  wenn  Sonnen- 
strahlen in  ein  nicht  zu  lichtes  Zimmer  fallen. 

Die  Feinheit  des  Gesichtes  geht ,  aber  nicht  bis  über  eine  gewisse 
Grenze  hinaus;  sie  ist  durch  die  Energie  der  Netzhaut  als  solche  be- 
schränkt; nur  bei  einer  gewissen  Grösse  des  einem  Objecte  entsprechen- 
den Netzhautbildes  kann  dasselbe  wahrgenommen,  und  nur  bei  einer 
gewissen  Distanz  der  Bildpunkte  auf  der  Netzhaut,  welche  zwei  leuch- 
tenden Objectpunkten  entsprechen,  können  jene  in  der  Empfindung  als 
distinet  auftreten.  Wenn  auch  nicht  genau,  so  doch  annähernd  lässt 
sich  angeben,  wie  weit  zwei  Bildpunkte  auf  der  Netzhaut  abstehen  müs- 
sen, um  noch  als  zwei  wahrgenommen  zu  werden.  Zur  Bestimmung  der 
Distanz  zweier  Bildpunkte  auf  der  Netzhaut  dient  der  Sehwinkel.  Diesen 
erhält  man,  wenn  man  von  den  zwei  leuchtenden  Endpunkten  des  Ob- 
jeetes  gerade  Linien  zum  Centrum  der  Cornealvorderfläche  zieht,  ge- 
nauer jedoch,   wenn   man    dieselben   durch   den   Kreuzungspunkt  der 


40 


Netzhaut. 


KichtiiDgslinien  gezogen  denkt ,  welche  dann  eben  jene  geraden  Linien 
selbst  sind. 


Sind  a  und  c  (in  beistehender  Figur  nach  Volkmann)  die  Endpunkte 
der  Dimension  des  Objectes,  für  welche  die  entsprechende  Grösse  des 
Netzhautbildes  zu  suchen  ist,  so  wird,  falls  ihre  Verbindungslinie  ac 
senkrecht  (normal)  auf  der  Sehachse  on  steht,  und  x  der  Kreuzungs- 
punkt der  Eichtungslinien  ist,  der  Abstand  zwischen  b  und  d  die  ge- 
suchte Dimension  des  Netzhautbildes  sein.  Denn  wird,  was  ohne  erheb- 
lichen Fehler  geschehen  kann,  bd  als  gerade  Linie  normal  auf  der  Sehachse 
stehend  angenommen,  so  sind  die  Dreiecke  axc  und  dxb  sich  ähnlich, 

und  es  verhält  sich  ac :  db=mx:  ox,  mithin  db  = =  '- 

mx  xn  -f-  nm 

Nimmt  man  nach  Volkmann  ox  =  6,23"'  und  nx  =  3,97'"  an,  so  ist 
bloss  nm  und  ac  durch  Messung  zu  bestimmen.  Wenn  jedoch ,  woran 
kaum  zu  zweifeln,  da  auch  Moser 's  Berechnungen  dafür  sprechen,  der 
Kreuzungspunkt  der  Richtungslinien  (der  mittlere  Knotenpunkt)  noch 
nahezu  iji  Linie  vor  dem  hintern  Pole  der  Linse  liegt,  so  muss  bei  einem 
Auge  von  10'"  innerem  Durchmesser  (von  der  Macula  lutea  bis  zum  Centrum 
der  Descemetschen  Haut)  ox  auf  mindestens  6,5"',  dagegen  nx  höchstens 
auf  3,5'"  angeschlagen  werden,  wodurch  die  Dimension  des  Netzhaut- 
bildes merklich  grösser  ausfällt.  —  Liegt  ein  Gegenstand  dem  Auge 
näher,  so  wird  er  (wie  in  obiger  Figur  z.  B.  ef)  trotz  bedeutend  ge- 
ringerer Grösse  dennoch  ein  gleich  grosses  Bild  entwerfen,  sobald 
Grösse  und  Entfernung  in  einem  bestimmten  Verhältnisse  zu  einander 
stehen.  Bei  einer  Entfernung  von  10  Zoll  ist  das  Netzhautbild  gegen 
16mal  kleiner,  als  das  Object  {Volkmann),  demnach  bei  einer  Object- 
distanz  von  5  Zoll  vor  der  Hornhaut  ohngefähr  Smal  kleiner  (linear)- 
Ein  kleiner  naher  Gegenstand  kann  demnach  einen  entfernten  grössern 
vollständig  decken  (unsichtbar  machen),  wenn  der  Sehwinkel  für  den 
einen  und  den  andern  derselbe  ist.  Man  sagt,  zwei  Gegenstände  haben 
dieselbe  scheinbare  Grösse,  wenn  sie  unter  gleich  grossem  Sehwinkel 
erscheinen,  wenn  ihre  Bilder  einen  gleich  grossen  Raum  auf  der  Netz- 
haut einnehmen.  Ist  uns  die  objective  (durch  Masse,  Linien,  Zolle  etc.) 


Physiologie.  41 

bestimmbare  Grösse  eines  Gegenstandes  bekannt,  dann  schliessen  wir 
ans  der  Abnahme  der  scheinbaren  Grösse  auf  die  Entfernung.  Die 
scheinbare  Grösse  eines  Gegenstandes  wird  aber  auch  kleiner,  wenn 
derselbe  bei  gleicher  Entfernung  des  von  der  verlängerten  Sehachse  ge- 
troffenen Punktes  desselben  aus  der  normalen  in  eine  schiefe  Stellung 
zur  Sehachse  gebracht  wird  (wie  in  obiger  Figur  gh,  welches  eben  so 
laug  ist,  als  ac).  Die  wahre  oder  objective  Grösse  eines  Gegenstandes 
schätzen  wir  daher  nach  der  scheinbaren,  i.  e.  nach  der  Grösse  des 
Netzhautbildes  oder  der  Summe  der  getroffenen  Netzhautelemente  und 
nach  der  anderweitig  ermittelten  Entfernung.  Werden  wir  über  die  Ent- 
fernung getäuscht,  oder  fehlen  uns  alle  Anhaltspunkte  zur  Ermittelung 
derselben,  so  ist  auch  unser  Urtheil  über  die  objective  Grösse  sehr 
subjectiv.  Die  Lage  des  Kreuzungspunktes  der  Richtungslinien  ist  keine 
unveränderliche,  wenigstens  nicht  relativ  zur  Netzhaut.  Beim  Betrach- 
ten naher  Objecte  rückt,  wie  wir  nachweisen  werden,  die  Macula  lutea 
weiter  rückwärts,  wird  demnach  in  obiger  Figur  ox  grösser.  Dieser 
Veränderung  werden  wir  uns  aber  durch  das  Gefühl  der  zu  dieser  Ac- 
commodation  nöthigen  Muskelanstrengung  bewusst.  Halten  wir  dagegen 
eine  massig  starke  Convexlinse  vor  das  Auge,  so  fällt  der  Kreuzungs- 
punkt der  Richtungslinien  im  Auge  weiter  vorwärts,  die  oben  mit  ox 
bezeichnete  Grösse  wächst,  mithin  auch  die  mit  bd  bezeichnete  Aus- 
dehnung des  Netzhautbildes,  der  Gegenstand  erscheint  grösser,  und  die 
Correctur  durch  das  Muskelgefühl  fehlt.  Eine  Concavbrille  bewirkt  das 
Gegentheil,  sobald  ihre  (negative)  Brennweite  nicht  so  stark  ist,  dass 
sie  die  einem  Lichtkegel  angehörenden  Strahlen  zu  weit  hinter  der 
Netzhaut  vereinigt  und  zu  grosse  Zerstreuungskreise  bewirkt.  Bei  Kurz- 
sichtigen ist  ox  immer  grösser,  als  im  normalen  Auge,  weil,  wie  wir 
unten  nachweisen  werden,  das  Centrum  der  Netzhaut  überhaupt  weiter 
hinter  der  Cornea  und  Linse  liegt ;  ist  dabei  die  Empfindlichkeit  der 
Netzhaut  und  die  Durchsichtigkeit  der  Medien  ungestört  (reine  Kurz- 
sichtigkeitj,  so  ist  auch  bd  immer  grösser,  als  in  normalen  Augen,  und 
werden  zwei  Punkte,  die  für  ein  normales  Auge  zu  nahe  an  einander 
liegen,  als  dass  sie  noch  durch  gesonderte  Bilder  vertreten  werden 
könnten,  im  kurzsichtigen  Auge  noch  getrennt  abgebildet  und  empfun- 
den, wenn  nur  die  Netzhaut  in  oder  doch  nahe  an  dem  Vereinigungs- 
punkte der  Strahlen  des  betreffenden  Lichtkegels  liegt.  In  diesem  Sinne 
hat  das  kurzsichtige  Auge  (für  hinreichend  nahe  Objectej  ein  feineres 
oder,  wie  man  gewöhnlich  sagt,  ein  schärferes  Gesicht. 

Der  kleinste  Sehwinkel,    unter  welchem  weisse  Punkte  auf  schwarzem  Grunde  noch 
sichtbar   waren,    betrug   nach  Huek  2,6  Secunden,    für  weisse  Striche   nur  1,2  Secunden. 


42  Netzhaut. 

Einen  Spinnenfaden  erkannte  Huek  sogar  unter  einem  "Winkel  von  0,6",  einen  glänzenden 
Draht  unter  0,2".  Volkmann  spannte  zwei  Spinngewebfäden  in  paralleler  Eichtung  und 
in  einer  Distanz  von  0,0052  Zoll  neben  einander  auf,  und  fand,  dass  er  (als  Kurz- 
sichtiger) dieselben  bis  auf  7  Zoll  ^Entfernung  als  zwei  erkannte,  aber  nicht  weiter. 
Er  berechnete  die  Distanz  der  Netzhautbildchen  für  diesen  Fall  auf  0,00037"  oder  0,00244"'. 
Zwei  schwarze  parallele,  0,016"  von  einander  abstehende  Linien  auf  weissem  Grunde 
erkennt  Volkmann  mit  Hilfe  der  Brille  auf  27"  Entfernung.  In  diesem  Falle  ist  die 
Distanz  der  Netzhautbildchen  0,00029".  Demnach  war  der  Diameter  der  kleinsten  wahr- 
nehmbaren Distanz  für  sein  Auge  gegen  lOmal  grösser,  als  der  Diameter  des  kleinsten 
noch  wahrnehmbaren  Netzhautbildchens.  —  Fragt  man,  ob  das  Unterscheiden  zweier 
Gesichtseindrücke  darauf  beruhe,  dass  zwei  verschiedene  Netzhautelemente  getroffen  wer- 
den, oder  ob  auch,  wie  Volkmann  anzunehmen  geneigt  ist,  zwei  Netzhautbilder,  auf  das. 
selbe  Netzhautelement  fallend,  noch  als  different  unterschieden  werden  können,  so  müssen 
wir  die  Antwort  schuldig  bleiben,  weil  wir  noch  nicht  wissen,  welche  Netzhautelemente 
eigentlich  bei  Aufnahme  der  Atherschwingungen  zunächst  betheiligt  sind,  und  weil  die 
Feinheit  des  Gesichtssinnes  durch  Übung  so  gut  gesteigert  werden  kann,  wie  die  Fein- 
heit der  übrigen  Sinne. 

Die  Energie  der  Netzhaut  kann  durch  zu  intensive  oder  über- 
mässig lange  dauernde  Erregung  plötzlich  oder  allmälig  erschöpft,  durch 
entsprechende  Übung  bis  zu  einem  gewissen  Grade  gesteigert  werden; 
sie  sinkt  durch  lange  NichtÜbung  um  so  mehr,  je  früher  (in  den  Kinder- 
jahrenj  ihre  Ausschliessung  vom  Sehen  stattfindet.  Wenn  das  eine  Auge 
lange  nicht  zum  Sehen  verwendet  worden  ist,  so  vermag  es  weder  so 
feine  Objecte  zu  erkennen  und  zu  unterscheiden,  wie  das  geübte,  noch 
hält  es  die  Betrachtung  erkennbarer  kleiner  Gegenstände  gleich  lange 
aus;  es  hält  überdiess  letztere  auch  in  der  Regel  für  kleiner  und  min- 
der hell  beleuchtet.  Ein  junger  Mann,  als  Chemiker  in  physikalischen 
Dingen  wohl  bewandert,  zur  Betrachtung  feiner  Qbjecte  sich  (wahr- 
scheinlich von  Jugend  auf)  nur  des  rechten  Auges  bedienend,  konnte 
mit  dem  übrigens  völlig  normalen  linken  Auge  nicht  bis  zu  so  kleiner 
Druckschrift  aufsteigen,  wie  mit  dem  rechten,  hielt  das  Lesen  mit  dem 
linken  nicht  so  lange  aus,  und  machte  in  meiner  Gegenwart  die  für 
ihn  überraschende  Bemerkung,  dass  ihm  die  mit  dem  linken  Auge  allein 
gelesene  Schrift  kleiner  vorkam,  als  wenn  er  sie  mit  dem  rechten  Auge 
allein  oder  mit  beiden  zugleich  betrachtete.  Verschiedene  Farben  er- 
schienen ihm,  mit  dem  linken  Auge  allein  betrachtet,  weniger  hell;  mit 
dem  rechten  Auge  allein  sah  er  etwas  deutlicher,  als  mit  beiden  zu- 
gleich. Die  Möglichkeit,  in  solchen  Fällen  durch  methodische  Übung, 
wenn  nicht  völlig,  so  doch  nahezu  gleiche  Energie  der  Sehkraft  herzu- 
stellen, reicht  wohl  hin  zu  beweisen,  dass  weder  in  der  Netzhaut,  noch 
in  dem  dioptrischen  Apparat  oder  in  den  muskulösen  Gebilden  soge- 
nannte organische  Veränderungen  zu  Grunde  liegen,   um  so  mehr,  als 


Physiologie.  43 

auch  die  Energie  der  übrigen  Sinnesnerven,  besonders  in  früher  Jugend, 
durch  Übung  bis  zu  einem  kaum  glaublichen  Grade  gesteigert  werden 
kann.  —  Innerhalb  gewisser  Grenzen  wächst  mit  der  Intensität  des 
Lichtes  die  Stärke  der  Lichtempiindung.  AYahrscheinlich  müssen  die 
durch  die  Ätherwellen  erregten  Netzhautschwingungen  eine  gewisse 
Stärke  erreicht  haben,  bevor  sie  im  Stande  sind,  Empfindung  zu  er- 
regen; haben  sie  diese  erreicht,  so  erhöht  sich  allmälig  mit  der  Inten- 
sität der  Schwingungen  die  Empfindung;  bei  fortgesetzter  Steigerung 
tritt  Blendung  ein,  analog  dem  Schmerze.  Die  Empfindlichkeit  der  Re- 
tina gegen  weisses  Licht  sowohl  als  gegen  farbiges  nimmt  mit  der  Dauer 
ihrer  Einwirkung  auf  dieselbe  ab,  und  zwar  um  so  rascher,  je  beträcht- 
licher die  Intensität  des  Lichtes  war.  Rucksichtlich  des  gefärbten  Lichtes 
ist  hiebei  bemerkenswerth,  dass  durch  die  anhaltende  Einwirkung  einer 
Farbe  die  Empfindlichkeit  der  Retina  nur  für  diese,  nicht  aber  zugleich 
für  andere  Farben  abgestumpft  wird.    (Ludwiy.) 

Die  Netzhaut,  ist  bei  offenem  Auge  stets  mit  Bildern  von  so  viel 
Objecten  bedeckt,  als  neben  einander  Lichtstrahlen  zu  ihr  senden  können. 
Je  entfernter  ein  Object,  desto  kleiner  das  ihm  entsprechende  Bild. 
Auf  der  circa  297  Quadratlinien  messenden  Oberfläche  der  Netzhaut  ist 
daher  immer  ein  aliquoter  (beiläufig  der  dritte)  Theil  der  uns  umgeben- 
den Objecte  abgebildet,  und  es  ist  in  diesem  engen  Rahmen  stets  ein 
Ausschnitt  bald  des  Firmaments  und  der  Erdoberfläche,  bald  der  engen 
Stube,  die  wir  bewohnen,  eingezeichnet.  Stellen  wir  uns  vor  eine  grosse 
Mauer,  so  können  wir  dieselbe  ganz  aufnehmen,  sobald  wir  gehörig- 
weit  entfernt  sind;  so  wie  wir  uns  nähern,  den  Blick  unverrückt  auf 
einen  fixen  Punkt  heftend,  so  verengert  sich  die  Scheibe,  die  wir  über- 
sehen, mit  allmälig  verschwindender  Peripherie.  Wir  nennen  die  Summe 
der  Objecte,  welche  bei  ruhig  gehaltenem  Auge  neben  und  hinter  ein- 
ander wahrgenommen  werden  können,  das  Sehfeld.  Geben  wir  dem 
Auge  eine  solche  Stellung,  dass  die  Pupille  etwas  jenseits  der  Mitte 
der  Lidspalte  steht,  mithin  der  Nasenrücken  nicht  hinderlich  wird,  so 
finden  wir,  dass  das  Sehfeld  von  dem  fixirten  Punkte  nach  der  Schläfe- 
seite hin  sich  weiter  ausdehnt,  als  nach  der  Nasenseite,  offenbar  dess- 
halb,  weil  an  der  Nasenseite  die  Netzhaut  weiter  nach  vorn  reicht,  und 
die  Iris  etwas  schmäler  ist,  als  an  der  Schiäfeseite.  Denn  die  äusserste 
Grenze  nach  vom,  bis  zu  welcher  der  dioptrische  Apparat  Bilder  ent- 
werfen kann,  ist  auch  bei  weiter  Pupille  die  Ora  serrata;  auf  das 
Corpus  ciliare  kann  niemals  ein  durch  die  Cornea  und  Linse  entwor- 
fenes Bild  fallen.  Durch  die  Zusammenwirkung  beider  Augen  erhält 
das  gemeinschaftliche  Seh-  oder  Gesichtsfeld  eine  grössere  Ausdehnung 


44  Netzhaut. 

nach  links  und  rechts,  so  dass  wir  bei  gradaus  gerichtetem  Blicke  bei- 
nahe die  Hälfte  des  uns  umgebenden  Gesichtskreises  übersehen. 

Im  Sehfelde  ist  es  immer  nur  ein  relativ  kleiner  Theil,  um  den 
Endpunkt  der  verlängert  gedachten  Sehachse  gelegen,  den  wir  so  deut- 
lich sehen,  als  es  die  Entfernung  und  Beleuchtung  der  Objecte  gestattet. 
Der  Grund  dieser  merkwürdigen  Thatsache  liegt  nicht  darin,  dass  wir 
etwa  die  Aufmerksamkeit  nur  immer  einem  einzigen  Objecte  zuwenden 
können;  denn  wir  sind  im  Stande,  die  Aufmerksamkeit  gerade  von  dem 
in  der  Sehaxe  liegenden  Objecte  ab-  und  auf  ein  seitlich  gelegenes 
Object  zu  lenken.  Zum  Theil  kann  man  ihn  darin  suchen,  dass  für 
eine  bestimmte  Entfernung  der  Objecte  nur  die  Macula  lutea  in  der 
Vereinigungsweite  liegen,  also  nur  in  und  nächst  der  Sehachse  liegende 
Objecte  scharf  begrenzte  Bilder  auf  der  Netzhaut  entwerfen  können, 
während  mehr  seitlich  gegen  die  Ora  serrata  gelegene  Netzhautpartien 
immer  nur  mehr  weniger  verwischte  Bilder  empfangen.  Für  diese  An- 
sicht kann  man  auch  geltend  machen,  dass  von  gerade  vor  dem  Auge 
befindlichen  Objecten  ceteris  paribus  mehr  Licht  durch  die  Pupille  ein- 
dringen kann,  als  von  mehr  seitlich  gelegenen.  Die  Untersuchungen 
von  II.  Müller  und  Kölliker  machen  es  indess  höchst  wahrscheinlich, 
dass  im  Bau  der  Netzhaut  selbst  der  wichtigste  Grund  zu  suchen  sei, 
dass  die  Sensibilität  in  der  Netzhaut  selbst  ungleich  vertheilt  sei,  ana- 
log der  Vertheilung  des  Tast-  und  Geschmacksinnes.  Gleichwie  nach 
E.  II.  Weber's  Untersuchungen  z.  B.  zwei  Zinken  einer  Gabel  an  den 
Fingerspitzen  schon  bei  sehr  geringem  Abstände  von  einander  als  zwei 
wahrgenommen  werden  können,  während  sie  immer  weiter  von  einan- 
der abstellen  müssen,  wenn  sie  auf  dem  Handrücken,  am  Oberarm,  am 
Nacken  noch  als  getrennt  empfunden  werden  sollen,  scheint  auch  die 
Netzhaut  so  organisirt  zu  sein,  dass  zwei  Bildchen,  von  zwei  leuchten- 
den Punkten  im  Sehfelde  entworfen,  auf  der  Macula  lutea  noch  als 
getrennt  wahrgenommen  werden,  während  sie,  je  weiter  gegen  die  Peri- 
pherie hin  entworfen,  desto  mehr  auseinander  gerückt  sein  müssen,  um 
noch  als  zwei  unterschieden  zu  werden. 

Sind  die  Angaben  über  die  Vertheilung  der  Zapfen  in  der  Stäbchenschicht  richtig, 
so  wäre  bei  Erklärung  der  genannten  Thatsache  wohl  vor  Allem  an  diese  zu  denken. 
Dass  die  Opticusfasern  der  Netzhaut,  welche  gleichfalls  gegen  die  Peripherie  hin  all- 
mälig  abnehmen,  nicht  als  die  aufnehmenden,  sondern  nur  als  leitende  Elemente  in  An- 
spruch genommen  werden  können,  ergibt  sich  aus  dem  Umstände,  dass  sie  im  centra- 
len Theile  vielfach  über  einander  liegen,  dass  sie  mitten  in  der  Macula  lutea  fehlen,  dass 
die  Fapilla  nervi  optici  zur  Lichtperception  wenig,  nach  Heimholte  gar  nicht  geeignet 
ist,  und  dass  rein  centrale  Retinalamaurosen  mit  nachweisbarer  Veränderung  der  Macula 
lutea    vorkommen.     Biegen    die  Opticusfasern    um  die  desorganisirte  Macula  lutea  herum, 


Physiologie.  45 

dann   ist  wenigstens   begreiflich,    wie   in    solchen  Fällen   jenseits  (gegen  die  Schläfe  hin) 
gelegene  Netzhautpartien  noch  fungiren  können. 

Auf  der  eben  besprochenen  Einrichtung  des  Auges  beruht  der  Unter- 
schied zwischen  dem  sogenannten  directen  und  indirecten  Seke?i.  Indem 
ich  schreibe  oder  lese,  kann  ich  nur  einen  kleinen  Theil  der  Zeile  mit 
Einem  Blicke  deutlich  (direct)  sehen,  und  muss  die  Macula  lutea  nach 
und  nach  den  Stellen,  welche  deutlich  gesehen  werden  sollen,  gegenüber 
bringen.  Dabei  nehme  ich  die  Umgebung  des  deutlich  Gesehenen  durch 
indirectes  Sehen  wahr,  welches  je  weiter  gegen  die  Grenzen  des  Seh- 
feldes desto  minder  deutliche  Wahrnehmungen  gestattet,  selbst  dann, 
wenn  ich  meine  Aufmerksamkeit,  nicht  aber  die  Sehachse,  auf  ein  sol- 
ches seitlich  gelegenes  Object  lenke. 

Das  directe  Sehen  gibt  uns  das  Bild  eines  Objectes,  das  indirecte 
vermittelt  vorzüglich  das  Auffassen  des  Räumlichen,  des  Neben-,  Über- 
und  grösstenteils  auch  des  Hintereinanderseins  der  Objecte  im  Sehfelde. 
Viele  behaupten,  dass  wir  nur  das  Neben-  und  Übereinandersein  der 
Objecte  unmittelbar  mit  dem  Blicke  auffassen,  dass  die  Wahrnehmung 
der  dritten  Dimension  (Tiefe,  Entfernung  vor  uns)  erst  durch  andere 
Hilfsmittel  zu  Stande  gebracht  werde.  Es  ist  aber  die  Wahrnehmung  der 
Entfernung  der  Hauptsache  nach  schon  in  dem  directen  und  indirecten 
Sehen,  in  der  gleichzeitigen  Erregung  der  peripherischen  Netzhautpar- 
tien gegeben,  wenn  gleich  in  dem  Muskelgefühl  (behufs  der  Convergenz 
der  Sehachsen  und  der  Accommodation)  und  in  der  Erinnerung  an  be- 
reits gemachte  Wahrnehmungen  wichtige  Unterstützungs-  und  Controll- 
mittel  liegen.  Was  im  Sehfelde  neben  und  übereinander  liegt,  ist  auch 
auf  der  Netzhaut  neben  und  über  einander  abgebildet,  sobald  es  Licht 
dahin  senden  kann,  und  wird  in  dieser  räumlichen  Anordnung  wahrge- 
nommen. Auf  der  concaven  Netzhautfläche  ist  aber  gleichzeitig  auch  die 
Abbildung  hinter  einander  gelegener  Objecte,  also  die  Auffassung  der 
dritten  Dimension  möglich,  sobald  der  näher  liegende  Gegenstand  nicht 
alles  Licht,  das  der  entferntere  zum  Auge  senden  kann,  abhält.  Wäre 
die  Netzhaut  plan,  statt  concav,  dann  würden  wir  in  der  Auffassung  der 
dritten  Dimension  bloss  auf  das  Muskelgefühl,  die  bekannte  Grösse  und 
Beleuchtung  der  Objecte  u.  s.  w.  angewiesen  sein. 

Was  unmittelbar  vor  meinen  Füssen  ist,  wirft  ein  Bild  auf  den  vordem  Theil  der 
obern  Hälfte  der  Netzhaut ;  was  einige  Schritte  vor  mir  liegt,  ist  auf  der  Netzhaut  eben 
daselbst  etwas  weiter  hinten  abgebildet,  und  so  fort  bis  zu  dem  Punkte  des  Sehfeldes, 
den  ich  fixire.  So  kann  ich  auf  unbekanntem  Wege  fortschreiten,  ohne  meinen  Blick 
an  den  Pfad  zu  fesseln;  die  obere  Hälfte  meiner  Netzhaut  rapportirt  mir  bei  nur  eini- 
ger Aufmerksamkeit  jedes  Hinderniss  am  Wege,  so  wie  die  innere  Hälfte  mich  augen- 
blicklich  zum  Schliessen   der  Lider   bestimmt,    wenn   etwa   ein  Insect  von  der  Seite  her 


46  Netzhaut. 

sich  dem  Auge  nähert.  In  stockfinsterer  Nacht  oder  in  einem  langen  Stollen  sind  wir 
nicht  im  Stande  zu  bestimmen,  wie  weit  entfernt  ein  Licht  sei,  wenn  die  zwischen- 
liegenden Objecto  nicht  beleuchtet  sind,  gleichviel  ob  wir  ein  oder  beide  Augen  offen 
haben.  Selbst  wenn  uns  die  Grösse  und  Helligkeit  der  Flamme  bekannt  ist,  vermögen 
wir  mit  nur  geringer  Wahrscheinlichkeit  auf  ihre  Entfernung  zu  schliessen,  sobald  die 
Wahrnehmung  der  zwischenliegenden  Objecte  fehlt.  Dem  bekannten  Beispiele  vom 
Danebengreifen  beim  Lichtputzeu,  wenn  das  eine  Auge  geschlossen  wird,  lässt  sich  das 
andere  entgegenstellen,  dass  die  meisten  Jäger  beim  Zielen  das  zweite  Auge  schliesseD. 
Stellen  wir  uns,  ein  Auge  verdeckend,  vor  ein  Doppelfenster  so,  dass  der  innere  (nä- 
here) verticale  Stab  den  äussern  verdeckt,  so  wird  letzterer  augenblicklich  sichtbar, 
wie  wir  das  verdeckte  Auge  öffnen.  Der  entferntere  Stab  wird  dabei  nur  mit  dem 
früher  verdeckten  Auge  gesehen.  Derselbe  Versuch  an  den  horizontalen  Stäben  vor- 
genommen, kann  diese  Erscheinung  natürlich  nicht  darbieten.  Dieser  Versuch  zeigt, 
wie  viel  und  auf  welche  Weise  das  zweite  Auge  zur  Beurtheilung  der  Entfernung  bei- 
tragen kann.  —  Am  Anfange  einer  grossen  Ebene  stehend,  welche  am  Ende  durch 
einen  Berg  begrenzt  wird,  sind  wir  nicht  im  Stande,  die  Länge  der  Ebene  (Entfernung 
des  Berges  von  unbekannter  Grösse)  zu  schätzen,  weil  gerade  Linien  von  einzelnen 
Punkten  der  Ebene  durch  den  Kreuzungspunkt  der  Bichtungslinien  gezogen  auf  eine 
unverhältnissmässig  kurze  Strecke  der  Netzhaut  fallen ;  beschauen  wir  aber  dieselbe 
Ebene  von  dem  Berge  aus,  so  schätzen  wir  ihre  Länge  gewiss  viel  richtiger,  weil  jetzt 
einzelne  Punkte  (Objecte)  derselben  neben,  eigentlich  hinter  einander  auf  der  obern 
Netzhaulhälfte  abgebildet  werden  können.  Stellen  wir  uns  an  das  Ufer  eines  eben  so 
langen  Sees,  wie  die  eben  supponirte  mit  mannigfachen  Objecten  besetzte  Ebene,  so 
schlagen  wir  auch  bei  gleicher  Höhe  unseres  Standpunktes  über  dem  Wasserspiegel, 
wie  früher  über  der  Ebene,  die  Länge  des  Sees  geringer  an,  als  die  der  Ebene.  Es 
mag  uns  diese  Thatsache  auf  den  ersten  Blick  vielleicht  ebenso  überraschen,  als  wenn 
wir  zum  ersten  Male  hörten,  es  können  auf  der  Oberfläche  eines  Berges  nicht  mehr 
Bäume  stehen,  als  auf  einer  Ebene,  welche  der  horizontalen  Grundfläche  des  Berges 
gleicht;  und  doch  ist  eins  so  richtig,  als  das  andere.  —  Einen  von  Dove  geführten 
Beweis  dafür,  dass  wir  die  sogenannte  dritte  oder  Tiefendimension  des  Baumes  (der 
Körper)  ohne  Mitwirkung  der  Muskelthätigkeit  aufzufassen  vermögen,  werden  wir  beim 
Besprechen  des  Einfachsehens  mit  zwei  Augen  anfuhren. 

So  wie  das  directe  und  indirecte  Sehen  sich  gegenseitig  unterstützen 
und  ergänzen,  so  stehen  sie  auch  in  einem  gewissen  Gegensätze  zu  ein- 
ander. Sehen  wir  durch  ein  dünnes  Bohr,  oder  schliessen  wir  die  Er- 
regung der  peripherischen  Netzhautpartie  dadurch  aus,  dass  wir  eine 
dunkle  Scheibe  mit  einer  kleinen  Öffnung  nahe  vor  das  Auge  halten, 
so  macht  die  ausschliessliche  Erregung  der  centralen  Netzhautpartie 
einen  viel  stärkeren  Eindruck,  lässt  das  Object  nicht  nur  schärfer,  son- 
dern auch  heller  hervortreten.  Wird  dagegen  beim  Fixiren  eines  Ob- 
jeetes  eine  seitlich  gelegene  Netzhautpartie  durch  ein  stärker  leuchten- 
des Object,  z.  B.  ein  Kerzenlicht,  eine  spiegelnde  Fläche  angeregt,  so 
erscheint  das  fmrte  Object  minder  deutlich.  Unverhältnissmässig  starke 
Erregung  der  zum  directen  Sehen  dienenden  Netzhautpartie  ist  nicht 
minder  nachtheilig,  als  das  Gegentheil.    Auf  dieses  Gesetz  basiren  sich 


Physiologie.  47 

die  Vorschriften  über  die  Beleuchtung  der  Objecte  des  Sehfeldes,  durch 
deren  Nichtbeachtung  eine  Menge  gesunder  Augen  verdorben  werden. 
Am  meisten  Verstösse  gegen  diese  Vorschriften  werden  von  jenen  be- 
gangen, welche  ihre  Augen  viel  zu  feinen  Arbeiten  verwenden,  beson- 
ders bei  künstlicher  Beleuchtung  (mit  vorwaltenden  gelben  und  rothen 
Strahlen).  Bald  fehlt  man  darin,  dass  man  alles  Licht  auf  das  Object 
des  directen  Sehens  concentrirt  und  das  übrige  Sehfeld  nahezu  dunkel 
lässt,  bald  dadurch,  dass  man  durch  zu  niedrig  gestelltes  Licht,  durch 
zur  Seite  oder  unten  befindliche,  zu  viel  Licht  reflectirende  (spiegelnde) 
Objecte  die  peripherischen  Netzhautpartien  zu  stark  erregt.*) 

Die  Einrichtung  des  Auges,  dass  vermöge  des  dioptrischen  Apparates 
nur  in  der  Gegend  des  hintern  Poles  die  relativ  schärfsten  und  hellsten 
Bilder  entworfen  werden  können,  und  dass  die  Empfindlichkeit  der  Netz- 
haut von  der  Ora  serrata  gegen  die  Macula  lutea  hin  gradatim  zunimmt, 
in  dieser  selbst  aber  am  grössten  ist,  zwingt  uns  nach  dem  allgemeinen 
Gesetze,  dass  Reflexbewegungen  erfolgen,  um  eine  Function  möglichst 
vollkommen  vor  sich  gehen  zu  machen,  schon  in  früher  Kindheit,  den 
hintern  Pol  des  Auges  jenem  Objecte  des  Sehfeldes  gegenüber  zu  stel- 
len, welches  eben  die  Netzhaut  vorwaltend  erregt  und  Gegenstand  der 
Aufmerksamkeit  wird.  Da  nun  dieses  in  jedem  Auge  für  sich  in  glei- 
cher Weise  geschieht,  mithin  die  Sehachse  eines  jeden  Auges  auf  das 
Object  gerichtet  werden  muss,  so  ergibt  sich  als  Folge  der  genannten 
Einrichtung  die  correspondirende  Stellung  und  Bewegung  der  Augen 
zum  Objecte  des  directen  Sehens.  Schon  in  den  ersten  Lebenstagen  er- 
folgen concomitirende  Bewegungen  beider  Bulbi;  beide  werden  gleich- 
zeitig links,  rechts,  nach  oben  u.  s.  w.  gerollt.  Diese  Bewegungen  müs- 
sen als  aus  einem  angeborenen  Verhältnisse  der  betreffenden  Nerven  zu 
den  Centralorganen  hervorgehend  betrachtet  werden.  Sie  erfolgen  zu- 
nächst unabhängig  von  Erregung  der  Netzhaut  durch  äussere  Objecte, 
und  unabhängig  vom  Willenseinflusse.  Reflexbewegungen,  angeregt  durch 
Sinneseindrücke  lauf  das  Seh-  oder  Hörorgan)  erscheinen  erst  dann, 
wenn  es  bereits  zur  Bildung  von  Vorstellungen,  zur  Erinnerung  an  schon 
gehabte  Eindrücke  gekommen  ist.  Durch  den  Einfluss  der  Sinnesein- 
drücke mittelst  Reflexwirkung  auf  die  Muskeln  des  Auges  wird  die 
Stellung  und  Bewegung  desselben  dem  Sehen  untergeordnet,  die  con- 
comitirenden  Bewegungen  erfolgen  nicht  mehr  automatisch,  sondern 
durch  den  Reflexeinfluss  von  der  Netzhaut  aus  beherrscht  als  associirte, 

*)  Ob  der  Gebrauch  der  von  Bonden  bei  Hornhauttrübungen  vorgeschlagenen  stenopäischen  Brillen, 
welcher  mir  gegen  dieses  Gesetz  zu  Verstössen  scheint,  nach  längerer  Zeit  nicht  etwa  der  Netzhaut 
nachtheilig  werden  könne,  muss  vorläufig  der  Ermittelung  durch  Erfahrungen  überlassen  werden. 


48  Netzhaut. 

dem  Sehacte  dienende  und  durch  denselben  geregelte.  Müssen  aber  die 
Sehachsen  aus  dem  oben  angegebenen  Grunde  jenem  Objecte,  welches 
die  Aufmerksamkeit  vorwaltend  erregt,  notwendiger  Weise  zugewendet 
werden,  dann  macht  der  "Wechsel  in  der  Entfernung  des  Objectes  nebst 
den  associirten  noch  eine  andere  Art  von  Bewegungen  nothwendig,  die 
der  gleichnamigen  Muskeln,  welche  jener  der  gleichseitigen  (links, 
rechts  etc.)  entgegen  gesetzt  ist,  ohne  sie  auszuschliessen.  Es  ist  diess 
die  accommodative  Bewegung,  welche  bewirkt,  dass  die  Sehachsen  bald 
näher  bald  weiter  vor  dem  Auge  sich  in  dem  Objecte  treffen,  gleichviel 
ob  die  Bulbi  vorwärts,  links,  rechts,  auf-  oder  abwärts  gerichtet  sind. 
Die  concomitirenden  Bewegungen  sind,  weil  auf  einem  angeborenen 
Verhältnisse  beruhend,  schon  beim  Neugeborenen  vorhanden,  und  gehen 
nie  verloren,  ausser  wenn  die  Muskeln  spastisch  oder  paralytisch  afficirt 
werden.  Ihre  Umgestaltung  zu  associirten  und  das  Auftreten  der  accom- 
modativen  Bewegungen  hängt  von  der  Entwicklung  und  Integrität  der 
Netzkautthätigkeit  ab.  Blindgeborene  und  frühzeitig  Erblindete  zeigen 
stets  nur  concomitirende  Augenbewegungen.  Augen,  deren  Function  von 
früher  Jugend  an  beträchtlich  gestört  ist,  z.  B.  durch  Hornhautnarben, 
unvollständige  Linsentrübung,  Netzhautabnormitäten,  bieten  nebst  asso- 
ciirten auch  accommodative  Bewegungen  dar,  aber  beide  meist  unge- 
regelt und  unstät.  Bleibt  aber  die  Function  auch  nur  des  einen  Auges 
intact,  so  sind  die  associirten  Bewegungen  beider  Augen  geregelt,  und 
die  accommodativen  des  erkrankten  fehlen  nur  dann,  wenn  seine  Fun- 
ction frühzeitig  beeinträchtigt  wurde  oder  völlig  verloren  ging.  Diess 
beweist,  dass  der  durch  Reflex  hervorgerufene  Impuls  zu  den  Bewegun- 
gen jederzeit  vom  Centralorgane  auf  beide  Augen  zugleich  gerichtet  ist, 
wie  wir  diess  bereits  hei  den  Irisbewegungen  kennen  gelernt  haben. 
Später,  wenn  der  Wille  die  Muskeln  influenzirt,  sind  nicht  nur  die  asso- 
ciirten, sondern  auch  die  accommodativen  Bewegungen  bereits  in  ein 
so  stabiles  Verkältniss  zu  einander  getreten,  dass  es  ihm  nur  schwer 
gelingt,  sich  gegen  dasselbe  geltend  zu  machen.  Im  Allgemeinen  ist  es 
unmöglich,  ein  Auge  allein  nach  einer  andern  Richtung  als  das  andere 
zu  bewegen.  Wir  können  für  gewöhnlich  nur,  wie  es  nach  den  Ge- 
setzen der  Association  und  Accommodation  gleichsam  vorgezeichnet  ist, 
die  gleichseitigen  oder  die  gleichnamigen  Muskeln  zugleich  durch  den 
Willen  in  Thätigkeit  zu  setzen.  Indem  jedoch,  wie  schon  bemerkt,  die 
associirte  Thätigkeit  die  accommodative  nicht  ausschliesst,  können  wir 
auch  bei  links,  rechts,  auf-  oder  abwärts  gerichtetem  Blicke  die  Conver- 
genz  der  Sehachsen  abändern.  Während  es  aber  dem  Willenseinflusse 
nur  in  sehr  beschränktem  Masse  gelingt,  abändernd  in  diese  Verhältnisse 


Physiologie.  49 

einzugreifen,  z.  B.  das  eine  Auge  gradatis,  das  andere  einwärts  zu  stel- 
len, bewirken  Störungen  in  der  Function  der  einen  Netzbaut  oft,  und 
selbst  in  spätem  Alter  durch  Reflexaction  Abänderungen  (Schielen),  zum 
Zeichen,  wie  wichtig  der  Einfluss  der  Netzhaut  auf  die  Stellung  und 
Bewegung  der  i^ugen  ist.  Ein  analoges  Verhältniss  wie  zwischen  der 
Netzhaut  und  den  dem  Sehacte  dienenden  Muskeln  findet  zwischen  dem 
Gehör  und  den  die  Sprache  vermittelnden  Muskeln  statt. 

Aus  diesem  Verhältnisse  der  Muskeln  zur  Netzhaut  ergibt  sich 
auch  die  bündigste  Antwort  auf  die  oft  gestellte  Frage,  warum  wir  die 
Gegenstände  aufrecht  sehen,  da  doch  das  Bild  auf  der  Netzhaut  ein 
umgekehrtes  ist.  Damit,  dass  man  sagt,  das  Bild  ist  nur  für  das  be- 
schauende, nicht  aber  für  das  durch  die  Lichtwellen  selbst  erregte  Auge 
umgekehrt,  ist  noch  nicht  erklärt,  warum  wir  einen  Eindruck,  der  auf 
einen  vom  Centralpunkte  der  Netzhaut  links,  oben  u.  s.  w.  gelegenen 
Punkt  geschieht,  im  Bewusstsein  auf  ein  vom  Centralpunkte  des  Seh- 
feldes (Ende  der  verlängerten  Sehachse)  rechts,  unten  u.  s.  w.  gelege- 
nes Object  beziehen.  Wir  müssen,  wie  Volkmann  bemerkt,  um  ein  auf 
der  Netzhaut  links  vom  Centrum  abgebildetes,  also  im  Sehfelde  rechts 
liegendes  Object  zum  Gegenstande  des  directen  Sehens  zu  machen,  das 
x\uge  rechts  bewegen,  und  werden  uns  dieser  Bewegung  bewusst.  Eben 
dieses  Bewusstwerden  der  Bewegung  ist  nothwendig,  wenn  sich  die 
Begriffe  von  rechts,  links,  oben  u.  s.  w.  entwickeln  sollen. 

Ein  von  Kindheit  an  Blinder  lernte  nach  gelungener  Beseitigung  des  grauen  Staa- 
res  mit  dem  linken  Auge  sehen,  welches  einwärts  schielte.  „Für  ihn  lagen  also  die  Ge- 
genstände des  deutlichen  Sehens  bei  nnangestrengteni  Auge  rechts,  und  es  bildete  sich 
"bei  ihm  erfahrungsmässig  die  Vorstellung :  die  Gegenstände  des  deutlichsten  Sehens  liegen 
auf  der  Seite  der  rechten  Köiperhälfte.  Jetzt  wurde  der  innere  Augenmuskel  durch- 
schnitten, und  das  Auge  stellte  sich  unbewusster  Weise  gerade  nach  vorn.  Natürlich 
musste  er  auch  jetzt  meinen,,  der  deutlichste  Theil  des  Gesichtsfeldes  läge  nach  rechts, 
denn  das  Muskelgefühl  war  nach  wie  vor  dasselbe,  und  eben  das  Muskelgefühl  bedingt 
die  Torstellung  der  Bichtung."      Volkmann.*) 

Ist  auf  diese  Weise  die  Notwendigkeit  eingetreten,  dass  wir  ein 
Bild,  unterhalb  des  Centralpunktes  der  Netzhaut  entworfen,  i.  e.  eine 
Erregung  der  Netzhaut  durch  Licht  auf  ein  Object  beziehen,  welches 
im  Sehfelde  oberhalb  der  Sehachse  liegt,  dann  wird  auch  eine  durch 
Druck  auf  den  Bulbus  gesetzte  Erregung  der  Netzhaut  so  wahrgenom- 
men, als  ginge  sie  von  der  entgegengesetzten  Seite  aus.  Drücken  wir 
auf  den  einen  Bulbus  z.  B.  hinter  der  Insertion  des  M.  rectus  internus, 
so  gelangt  die  Erregung  der  Netzhaut  als  leuchtender  Kreis  so  zum 
Bewusstsein,  als  schwebe  derselbe  an  der  Schläfeseite  vor  dem  Auge 

*)  TVagner's  Handwörterbuch,  Sehen,  Bd.  III.  S.  344. 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  4 


50  Netzhaut. 

im  Sehfelde.  Lässt  man  Nachts  die  Strahlen  einer  Kerzenflamme  durch 
eine  Linse  von  etwas  grösserer  Öffnung  und  massiger  Brennweite 
(*/2 — 1")  gerade  in  ihrer  Vereinigungsweite  auf  die  Sclerotica  vom  äus- 
sern Winkel  her  einfallen,  jedoch  etwas  mehr  als  3'"  hinter  dem  Horn- 
hautrande, so  sieht  das  davon  getroffene  (stark  einwärts  zu  wendende) 
Auge  einen  Lichtkreis  von  der  Nasenseite  her  vorschweben,  welcher  auf 
und  ab  oder  vor-  und  rückwärts  geht,  so  wie  die  möglichst  concentrirte 
Lichtscheibe  durch  Bewegung  des  Brennglases  auf  der  Sclera  ab-  oder 
auf-,  rück-  oder  vorwärts  bewegt  wird.  —  Wenn  mau  diese  Erschei- 
nung damit  bezeichnet,  dass  man  sagt,  die  Netzhaut  projicire  die  Em- 
pfindung nach  aussen  durch  den  Kreuzungspunkt  der  Richtung slinien,  so 
darf  man  beim  Gebrauche  dieses  bequemen  Ausdruckes  nie  vergessen, 
dass  er  ein  figürlicher  ist.  Wer  demnach  sagt,  wir  sehen  aufrecht, 
weil  jeder  Punkt  der  Netzhaut  durch  Licht,  Druck  u.  s.  w.  erregt,  die 
Empfindung  durch  den  Kreuzungspunkt  nach  aussen  projicirt,  der  gibt 
hiermit  keine  Erklärung,  sondern  nur  eine  leicht  verständliche  Be- 
schreibung. 

Die  eben  besprochene  Orientirung  im  Sehfelde  setzt  voraus,  was  Volhnann,  Burow, 
Valentin  u.  A.  sichergestellt  haben ,  dass  das  Auge  bei  seinen  Bewegungen  keine  Loco- 
motion,  sondern  Rotationen  um  einen  fixen  Punkt  erleidet,  welcher  sich  ohngefähr  in  der 
Mitte  der  Sehachse,  zwischen  dem  vordem  und  hintern  Pole  des  Auges  befindet.  Die 
relative  Lage  dieses  Drehpunktes  zum  Knochengerüste  der  Orbita  bleibt  sowohl  bei  den 
associirten  als  bei  den  accommodativen  Bewegungen  der  Bulbi  immer  eine  und  dieselbe. 
Der  Abstand  beider  Drehpunkte  von  einander  blieb  bei  Volkmann's  Augen  constant  2,4;", 
während  die  Augen  sich  den  verschiedensten  Entfernungen  zwischen  der  weitesten  Ferne 
bis  zu  4"  accommodirten.  Bei  verschiedenen  Individuen  ist  der  Abstand  der  Drehpunkte 
(Bulbi)  von  einander  etwas  verschieden ;  bei  einem  und  demselben  Individuum  ändert  sich 
die  Lage  nur  in  so  fern,  als  starke  Abmagerung  ein  massiges  Zurücksinken  der  Bulbi  in 
die  Orbita  zur  Folge  hat. 

Zu  den  eben  besprochenen  Verhältnissen  in  innigster  Beziehung 
steht  die  Thatsache,  dass  wir  mit  beiden  Augen  zugleich  jedes  Object 
einfach  sehen,  welches  uns  doppelt  erscheint,  sobald  die  Sehachsen  sich 
nicht  in  ihm  treffen.  Dieses  Doppellsehen  wird  das  binoculäre  genannt, 
zum  Unterschiede  von  dem  monoculären,  von  welchem  später  die  Eede 
sein  wird.  Es  ist  Thatsache,  dass  wir  die  Objecte,  welche  das  Seh- 
feld bilden,  alle  einfach  sehen,  sobald  die  Augen  jene  Stellung  zu  ein- 
ander behaupten,  welche  sie  nach  dem  Gesetze  erhielten,  dass  jedes 
Auge  mit  der  empfindlichsten  Stelle  dem  Objecte  des  deutlichen  Sehens 
zugelenkt  werden  muss.  Dann  treffen  oder  kreuzen  sich  die  Sehachsen 
in  diesem  Objecte.  Läge  die  empfindlichste  Stelle  einmal  nicht  im 
untern  Pole  des  Auges,  dann  würde  auch  die  gerade  Linie,  welche  den 


Physiologie.  51 

hintern  Pol  mit  dem  vordem  verbindet,  für  dieses  Auge  nicht  mehr  die 
Sehachse  genannt  werden  können,  oder  man  müsste  sagen,  dass  in 
diesem  Falle  Einfachselien  beider  Augen  ohne  Kreuzung  der  Sehachsen 
im  Objecte  stattfinde.  Wir  werden  von  diesem,  wenn  überhaupt,  so 
gewiss  höchst  selten  vorkommenden  Zustande  vorläufig  absehen.  Ist 
nun  der  hintere  Pol  als  die  zum  deutlichen  Sehen  geeignetste  Stelle 
eines  jeden  Auges  dem  Objecte  zugewendet,  dann  reihen  sich  um  das 
Bild  dieses  Objectes  die  Bilder  der  übrigen  Gegenstände  des  Sehfeldes 
so  an,  dass  jedes  seine  Lage  auf  einer  entsprechenden  Netzhautstelle 
hat,  auf  einer  Stelle,  welche  jene  desselben  Bildes  in  dem  zweiten  Auge 
decken  würde,  wenn  man  die  eine  Netzhaut  ohne  sonstige  Verrückung 
in  die  andere  hineingelegt  denkt.  Man  nennt  je  zwei  Stellen,  welche 
sich  bei  dieser  Ineinanderlegung  decken  würden,  congruent  oder  iden- 
tisch. Nach  Volkmann  sind  je  zwei  Stellen  identisch,  welche  nach  der 
gleichnamigen  Richtung  hin,  z.  B.  beiderseits  nach  oben,  oder  beider- 
seits nach  links,  unter  demselben  Längen-  und  Breitengrade  liegen, 
falls  man  sich  jede  Netzhaut  gleich  der  Hemisphäre  eines  Globus  vom 
Centrum  der  Macula  lutea  (Pol)  bis  zur  Ora  serrata  (Äquator)  durch 
Meridiane  und  Parallelkreise  gleichmässig  eingetheilt  denkt. 

Unter  der  Voraussetzung,  dass  jedes  Auge  mit  der  empfindlichsten 
Stelle  demselben  Objecte  des  Sehfeldes  zugelenkt  ist,  entsprechen  sich 
aber  nicht  nur  die  zwei  centralen,  sondern  auch  immer  je  zwei  seit- 
liche Bilder,  durch  dasselbe  Object  zu  Stande  gebracht,  nebst  der  cor- 
respondirenden  Lage  auch  in  Grösse,  Form,  Farbe  und  Helligkeit,  wenn 
das  Object  zu  beiden  Netzhäuten  Licht  senden  kann,  und  der  diop- 
trische  Apparat  des  einen  Auges  dem  des  andern  völlig  gleich  ist.  Es 
ist  dann  auch  die  Richtung  der  betreffenden  Lichtkegel  im  Glaskörper 
relativ  zur  Totalitat  der  Netzhaut  in  dem  einen  Auge  wie  in  dem  an- 
dern. Unter  solchen  Umständen  entspricht  demnach  je  einem  Bilde 
eines  Objectes  in  dem  einen  Auge  ein  ganz  gleiches  oder  identisches 
in  dem  andern.  Die  Empfindung  wird  aber  erst  dann  identisch,  wenn 
auch  die  Empfindlichkeit  der  betreifenden  Netzhautstellen  und  die  Fort- 
leitung  zum  Centralorgane  mindestens  nahezu  die  gleiche  ist. 

Bei  völliger  Identität  den  Empfindung  werden  wir  uns  des  Doppelt- 
seins des  Eindruckes  nicht  bewusst.  Je  lebhafter  die  Erregung  der 
Netzhäute,  desto  strenger  ist  die  Anforderung  an  Übereinstimmung  der 
Bilder.  Daher  je  weiter  von  der  Macula  lutea  ein  Bild  zu  liegen  kommt, 
desto  weniger  streng  nöthig  ist  die  völlige  Gleichheit  mit  dem  entspre- 
chenden Bilde  des  andern  Auges.  Je  feiner  der  Gegenstand,  der  er- 
kannt werden  soll,   desto  notwendiger  ist  Gleichheit   der  Eindrücke. 

4* 


52  Netzhaut. 

Das  Wegfallen  der  Erregung  des  einen  Auges  wird  von  uns  in  der 
Kegel  gar  nicht  wahrgenommen;  wir  sehen  die  meisten  nahen  Körper 
an  einem  oder  dem  andern  Theile  nur  mit  dem  einen  Auge,  ohne  es 
zu  wissen,  bis  wir  das  andere  Auge  verdecken.  Die  völlige  Ausschlies- 
sung des  einen  Auges  vom  Sehacte  fällt  uns  gar  nicht  oder  nur  durch 
geringe  Verminderung  der  scheinbaren  Helligkeit  oder  durch  Beschrän- 
kimg des  Sehfeldes  nach  der  betreffenden  Seite  hin  auf. 

Bei  ungleich  starker  Erregung  beider  Netzhäute  wird  der  durch  das 
stärker  angesprochene  Auge  bewirkte  Eindruck  bald  unterstützt,  bald 
geschwächt,  bald  ganz  allein  wahrgenommen  (der  schwächere  unter- 
drückt). Der  Grund  der  Ungleichheit  der  Erregung  liegt  entweder  im 
Netzhautbilde  (dioptrischer  Apparat)  oder  in  der  Netzhaut  selbst  (Stumpf- 
heit). Unterstützt  wird  das  besser  sehende  Auge  durch  das  schwächere 
im  Allgemeinen  bei  jenen  Functionen,  welche  keine  scharfen  Eindrücke 
erfordern,  gestört  hingegen  dann,  wenn  es  sich  um  feinere  Wahrneh- 
mungen und  Auseinanderhaltung  kleinerer  Netzhautbilder  handelt.  Die 
relativ  zu  schwache  Erregung»  des  einen  Auges  kann  aber  auch  (durch 
Abstraction  der  Aufmerksamkeit?)  ganz  unterdrückt  werden,  so  dass  sie 
gar  nicht  Gegenstand  der  Wahrnehmung  wird.  Die  Unterdrückung  ge- 
lingt um  so  leichter,  je  schwächer  die  Erregung  in  dem  einen  relativ  zu  der 
Erregung  in  dem  andern  Auge  ausfällt.  Durch  Abschwächung  der  stärkeren 
Erregung  (z.  B.  durch  ein  vor  das  stärkere  Auge  gehaltenes  getrübtes 
oder  dunklerfarbiges  Glas)  kann  die  Erregung  des  andern  Auges  wieder 
zum  Auftauchen  in  der  Wahrnehmung  gebracht  werden.  —  Ungleich- 
artige Erregung  durch  verschiedenfarbiges  Licht  (farbige  Gläser,  pris- 
matische Farben  u.  s.  w.)  zeigt  je  nach  der  Qualität  und  Intensität 
(des  durchgelassenen  Lichtes)  bald  eine  Art  von  Verschmelzung  der 
beiden  Eindrücke,  bald  wechselnde  oder  constante  Unterdrückung  des 
einen  Eindruckes  (Wettstreit  der  Sehfelder!.  Diese  Thatsachen  ergeben 
sich  theils  aus  Beobachtungen  au  Kranken,  theils  aus  Versuchen  mit 
leicht  und  stark  angerauchten,  mit  farbigen,  mit  concaven  und  convexeu 
Gläsern,  mit  Mydriaticis  (Veränderung  des  Refractionszustancles),  am 
schönsten  aber  in  Versuchen  mit  dem   Wheatstone"  sehen  Stereoskop. 

„Da  die  Ansicht  eines  mit  dem  rechten  Äuge  betrachteten  Objectes  von  drei  Dimen- 
sionen, "wenn  dieses  nicht  zu  entfernt  ist,  eine  andere  ist,  als  die  mit  dem  linken  erhal- 
tene, so  schloss  Wheatstone  (1838),  dass  wir  einen  Körper  als  solchen  sehen  mittelst 
zweier  verschiedener  Netzhautbilder.  Diese  Überlegung  führte  ihn  zu  der  Frage,  was 
geschehen  würde,  wenn  anstatt  des  Objectes  selbst  die  Projectionen  seines  Bildes  auf  eine 
ebene  Flüche,  welche  genau  so  nachgezeichnet  wären,  als  sie  einem  Auge  allein  erscheine 
müssen,  gleichzeitig  jedem  Auge  dargeboten  ■würden.  Diese  Frage  beantwortete  das  von 
ihm  erfundene  Spiegelstereoskop    durch  die   merkwürdige  Erscheinung,  dass  wir  statt  der 


Physiologie.  53 

beiden  Frojectionen  nur  den  Körper  selbst  sehen."  —  „Gegen  die  Wheatstone' 'sehe  Er- 
klärung- machte  Brücke  (1S41)  geltend,  dass  das  Urtheil  über  die  Entfernung  eines  Ge- 
genstandes, wenn  uns  die  perspectivischen  Hilfsmittel  für  die  Schätzung  derselben  ab- 
gehen, nur  aus  dem  Bewusstsein  der  Convergenz  der  Sehachsen  sich  bildet,  unter  der 
wir  denselben  sehen ;  die  in  uns  hervortretende  Vorstellung,  dass  das,  was  wir  sehen,  als 
Körper  erscheine,  involvire  daher  das  Factum,  dass  verschiedene  Punkte  in  dem  Ange- 
schauten unter  verschiedener  Sehweite  gesehen  werden.  Wir  schliessen  daher  aus  der 
Veränderung  der  Convergenzpunkte  der  Sehachsen  auf  einen  Körper,  indem  wir  ab- 
wechselnd die  näheren  und  die  entfernteren  Theile  derselben  ins  Auge  fassen."  —  „In 
einem  dunkeln  Zimmer  stellte  ich  ein  gewöhnliches  Spiegelstereoskop  so  auf,  dass  die 
beiden  Zeichnungen  desselben  von  einer  Lampe  gleich  hell  beschienen  waren.  An  die 
Stelle  der  Lampe  wurde  nun  eine  sich  selbst  entladende  Zicme'sche  elektrische  Flasche 
gestellt,  welche  bei  gleichbleibendem  Drehen  der  Elcktrisirmaschine  stets  nach  bestimm- 
fcen  Zeitintervallen  sich  entlud.  Dadurch  wurde  es  möglich,  auf  die  momentane  Er- 
scheinung sich  vorzubereiten.  Ich  sowohl  als  Andere ,  denen  ich  diese  Versuche  zeigte, 
sahen  vollkommen  deutlich  das  körperliche  Eelief,  mitunter  aber  auch  die  beiden  Pro- 
jeetionen,  aus  denen  es  entsteht.  Nach  den  Versuchen  von  Wheatstone  ist  die  Dauer 
des  Leuchtens  eines  elektrischen  Funkens  kürzer,  als  der  millionste  Theil  einer  Secunde. 
"Während  dieser  Zeit  müsste  also  der  Convergenzwinkel  der  Augenachsen  mindestens  ein- 
mal um  mehr  als  vier  Grade  verändert  werden.  Ob  dies  wahrscheinlich,  mögen  die  Phy- 
siologen entscheiden."  Dove.  Nach  Volkmann's  Versuchen  nimmt  die  kleinste  Augenbewe- 
gung ohngefähr  0.3  Secunde  in  Anspruch,  und  nach  Heimholte  pflanzt  sich  in  den  empfinden- 
den Nerven  ein  Eindruck  mit  einer  Geschwindigkeit  von  ISO  Fuss  in  einer  Secunde  fort. 
Vollständig  zu  erörtern,  warum  bei  den  Versuchen  mit  verschiedenfarbigen  Gläsern 
der  eine  Beobachter  die  Mischfarbe  sieht,  ein  anderer  dagegen  nicht,  würde  uns  hier 
zu  weit  führen ;  es  genüge,  aus  Dove's  Schrift  nur  einige  Stellen  herauszuheben.  „Wenn 
man  dem  rechten  Auge  eine  andere  Farbe  darbietet  als  dem  linken,  sahen  Einige  eine 
Farbe  nach  der  andern,  Einige  farbige  Flecken  der  einen  neben  farbigen  Flecken  der 
andern ,  endlich  Einige  die  aus  beiden  Farben  entstehende  Mischungsfarbe.  Streng  ge- 
nommen liegt  in  dieser  Beschreibung  das  Gemeinsame ,  dass  Alle  zugeben ,  dass  unter 
gewissen  Bedingungen  eine  Combination  beider  Farben  möglich  sei,  denn  das  Nachein- 
ander muss  einen  Durchgangspunkt  haben,  wo  die  abklingende  Farbe  ebenso  stark  wird 
als  die  in  das  Bewusstsein  tretende,  das  Nebeneinander  muss  Stellen  des  Überganges 
haben,  da  die  Flecken  nebeneinander  sich  nicht  scharf  gegen  einander  abgrenzen."  — 
„Aus  Versuchen  —  in  der  citirten  Schrift  nachzulesen  —  folgt,  dass  die  Convergenz- 
linien  beider  Augen  bei  deutlichem  Sehen  für  rothes  Licht  einen  spitzem  Winkel  bilden, 
als  für  blaues.  Hält  man  daher  vor  beide  Augen  dasselbe  farbige  Glas,  so  wird  sich, 
wenn  man  mit  der  Farbe  des  Glases  wechselt,  die  Accommodation  ändern  müssen.  Für 
die,  welche  mit  beiden  Augen  gleich  gut  sehen,  wird  die  Accommodation  bei  dem  ge- 
wöhnlichen Sehen  für  beide  Augen  stets  dieselbe  sein,  proportional  nämlich  dem  Winkel 
der  Convergenzlinien  beider  Augen.  Hält  nun  ein  solcher  Beobachter  vor  das  eine 
Auge  ein  farbiges  Glas,  vor  das  andere  ein  andersfarbiges,  so  stellt  er  den  Augen  die 
Aufgabe,  die  gleiche  Accommodation  beider  oder  wenigstens  das  Verhältniss  derselben 
unter  der  Voraussetzung,  dass  sie  für  beide  Augen  nicht  gleich  sei,  zu  verändern,  und 
da  dieser  Aufgabe  nicht  genügt  werden  kann,  so  werden  sieh  die  Bilder  nicht  decken, 
sondern  aus  sich  kreuzenden  Bichtungen  auf  eine  Fläche  projicirt  werden,  die  nicht  im 
Durchschnittspunkte  beider  Bichtungen  liegt;    und  in  der  That   dieselben  Erscheinungen, 


54  Netzhaut. 

wie  im  Stereoskop,  treten,  freilich  weniger  deutlich,  auch  beim  gewöhnlichen  binocularen 
Sehen  eines  mit  weissen  Linien  auf  schwarzem  Grunde  gezeichneten  Gegenstandes  her- 
vor, nämlich  ein  paralleles  Übereinanderlegen  einander  berührender  farbiger  Linien, 
wenn  man  mit  dem  rechten  Auge  durch  ein  Glas  ihn  betrachtet,  dessen  Farbe  eine  an- 
dere ist,  als  die  des  Glases,  durch  welches  er  gleichzeitig  mit  dem  linken  Auge  ge- 
sehen wird." 

Seit  dem  Erscheinen  von  J.  Müller  s  genialer  Abhandlung  über  die  Physiologie  des 
Gesichtssinnes  (Leipzig  1826)  hat  man  sich  fast  allgemein  gewöhnt,  das  Einfachsehen  mit 
zwei  Augen  aus  der  sogenannten  Identität  der  Netzhäute  als  etwas  Angeborenem  zu  er- 
klären. Es  soll  immer  nur  je  ein  und  dasselbe  Element  der  einen  Netzhaut  mit  je  einem 
und  demselben  Elemente  der  andern  Netzhaut  sich  zu  Einer  Empfindung  vereinen  kön- 
nen, gleichwie  auf  zwei  gleich  eingetheilten  Hemisphären  nur  je  ein  Punkt  unter  dem 
gleichen  Längen-  und  Breitengrade  liegen  kann,  und  dieses  Verhältniss  soll  nicht  bloss 
in  der  schon  oben  besprochenen ,  in  der  That  nachgewiesenen  und  anatomisch  hinrei- 
chend begründeten  verschiedenen  Vertheilung  der  Empfindlichkeit  der  Netzhaut,  sondern 
noch  in  einer  andern  angeborenen  Einrichtung  bedingt  sein.  Nach  Müller's  Ansicht  sol- 
len nämlich  immer  je  zwei  solche  Punkte  oder  Elemente  der  einen  oder  der  andern 
Netzhaut  durch  eine  gemeinschaftliche  "Wurzel  im  Centralorgane  vertreten  sein ,  und 
hätte  das  Chiasma  nerv.  opt.  diese  Einrichtung  zu  vermitteln.  Eine  jede  Faser  des  rech- 
ten Tractus  opticus  theile  sich  im  Chiasma  in  zwei,  davon  die  eine,  an  der  rechten  Seite 
direct  fortlaufend,  zur  rechten  (äussern)  Hälfte  des  rechten  Bulbus  gehe,  während  die 
andere  sich  mit  den  vom  linken  Tractus  opticus  herüber  kommenden  kreuze  und  zur 
rechten  (innern)  Hälfte  des  linken  Bulbus  verlaufe.  Diese  Erklärung  beruht  theils  auf 
unerwiesenen ,  theils  auf  geradezu  irrigen  Voraussetzungen.  Unerwiesen,  wie  Müller  1. 
c.  S.  93  selbst  zugibt,  ist  das  hier  supponirte  Verhalten  der  Opticus-  und  Retinafasern. 
Irrig  aber  ist  die  noch  in  die  neuesten  physiologischen  Abhandlungen  aufgenommene  Be- 
hauptung, dass  Erkrankung  des  einen  (z.  B.  rechten)  Tractus  opticus  Lähmung  des  gleich- 
seitigen (rechten)  Netzhauthälften  bewirke.  Müller  wurde  offenbar  durch  Wollaston's 
Angaben  irre  geführt,  welcher  durch  Beobachtung  von  bilateraler  Hemiopie  theils  an 
sich  selbst,  theils  an  zwei  Freunden  zu  einer  Hypothese  veranlasst  worden  war,  welche 
die  Grundzüge  der  Müller'sohen  enthält.  Wollaston*)  war  zweimal  von  Hemiopie  be- 
fallen worden,  das  erste  Mal  nach  einer  hastigen,  2 — 3stündigen  Bewegung,  und  etwa 
20  Jahre  später  ohne  nachweisbare  Veranlassung.  Das  erste  Mal  fand  er  plötzlich,  dass 
er  von  einem  Menschen  nur  die  linke  Hälfte  des  Antlitzes  sehen,  von  dem  Worte  „John- 
son" nur  die  Silbe  „son"  erblicken  konnte ;  es  war  einerlei ,  ob  er  mit  dem  rechten 
oder  mit  dem  linken  Auge  schaute.  Diese  Blindheit  war  nicht  so  vollständig,  dass  sie 
bis  zur  absoluten  Schwärze  reichte,  sie  war  gewissermassen  eine  schattige  Dunkelheit 
ohne  deutlichen  Umriss.  Das  Übel  war  in  ohngefähr  einer  Viertelstunde  ganz  ver- 
gangen. Bei  dem  zweiten  Anfalle  konnte  er  nur  das  rechte  Auge  einer  gegenüberste- 
henden Person  wahrnehmen,  die  Blindheit  erstreckte  sich  jetzt  nach  rechts  von  dem 
Punkte,  auf  welchen  seine  Augen  gerichtet  waren,  durch  etwa  20  Minuten.  —  Bei  einem 
Freunde  entwickelte  sich  einige  Tage  nach  heftigem  Kopfschmerze  gegen  den  linken 
Schlaf  hin  andauernde  Hemiopie;  die  Blindheit  war  in  Bezug  auf  alle  Gegenstände  voll- 
ständig, welche  vom  Mittelpunkte  des  Sehfeldes  rechts  lagen.  Die  Affection  war  in 
beiden  Augen  gleich    und  bestand   in  Unempfindlichkeit    der  Retina  auf  der  linken  Seite 

*)  Philosophical  Transactions  for  1324,  Part  I.  p.  224. 


Physiologie.  55 

jedes  Auge.  —  Ein  anderer  Freund  hatte  an  dieser  Krankheit  durch  16—17  Jahre  ge- 
litten, sobald  sein  Magen  in  beträchtlichem  Grade  gestört  war;  die  Blindheit  war  jeder- 
zeit rechts  vom  Mittelpunkte  des  Auges,  und  zwar  (höchst  wahrscheinlich)  beiderseitig 
immer  durch  15 — 20  Minuten  eingetreten,  dann  aber  vollständig  verschwunden.  Mahenzie, 
aus  dessen  prakt.  Abhandlung  über  die  Krankheiten  des  Auges  diese  Angaben  auszugs- 
weise entlehnt  sind,  bemerkt,  dass  bei  dem  Umstände,  wo  die  Macula  lutea  jederseits 
nach  aussen  vom  Sehnerveneintritte  liegt,  eine  solche  Vertheilung  der  Fasern,  wie  die 
hier  supponirte,  nicht  wohl  denkbar  sei,  man  vielmehr  die  Retina  als  einen  Plexus  be- 
trachten müsse,  von  welchem  jeder  Punkt  Fasern  enthält,  die  von  jeder  Seite  des  Ge- 
hirnes herkommen.  Mehr  Gewicht,  als  auf  dieses  Raisonnement,  legte  er  jedoch  auf  den 
Umstand,  dass  bei  weitem  der  grössere  Theil  von  Thatsachen ,  welche  uns  die  Pathologie 
und  Experimentalphysiologie  zur  Lösung  dieser  Frage  geliefert  haben ,  zum  Beweise 
dienen,  dass  Krankheiten  und  Verletzungen,  welche  die  eine  Seite  des  Gehirnes  treffen,  nur 
Amaurosis  in  dem  einen  Auge,  nicht  aber  Hemiopie  in  beiden  Augen  erzeugen.  —  Mag 
man  für  die  Müller  sehe  Hypothese  was  immer  für  Argumente  anführen,  die  Thatsachen, 
welche  uns  die  Beobachtung  am  Krankenbette  und  am  Sectionstische  rücksichtlich  der 
anatomischen  Begründung  derselben  geliefert  hat,  sprechen  entschieden  nicht  dafür,  viel- 
mehr dagegen.  "Wollte  der  Patholog  in  Fällen  monolateraler  Amaurosis,  deren  Ursache 
erwiesenermassen  nicht  in  der  Netzhaut  gesucht  werden  könnte,  gemäss  der  Wolla- 
ston-Müller sehen  Theorie  den  Sitz  der  Krankheit  im  Sehnerven  diessseits  des  Chiasma 
suchen ,  so  würde  er  gewiss  ebenso  oft  fehlen ,  als  wenn  er  aus  Unempfindlichkeit  der 
gleichseitigen  Netzhauthälften,  selbst  wenn  diese  permanent  wäre,  auf  monolaterale  Er- 
krankung jenseits  des  Chiasma  schlösse.  Die  Veränderungen,  die  man  in  Wollaston's 
Gehirne  etwa  5  Jahre  nach  der  Publication  obigen  Aufsatzes  fand  (Umwandlung  des 
rechten  Thalamus  in  eine  fast  hühnereigrosse  Geschwulst,  braune  Färbung  und  geringere 
Consistenz  des  rechte  Tractus  opticus),  konnten,  wie  Makenzie  bemerkt,  mit  den  An- 
fallen von  Hemiopie  in  Verbindung  stehen,  aber  auch  nicht;  denn  bei  dem  ersten  An- 
falle hatten  die  nach  links,  bei  dem  zweiten  die  nach  rechts  befindlichen  Gegenstände 
ein  dunkles  Aussehen.  Fälle  von  bilateraler  Hemiopie,  welche  zu  unbestimmten  Zeiten 
und  ohne  Zeichen  von  Hirnleiden  auftritt,  zu  Schlüssen  auf  eine  anatomische  Begrün- 
dung zu  benutzen,  ist  nach  unseren  bisherigen  Kenntnissen  über  Nervenleiden  noch 
-nicht  gestattet. 

Sehen  wir  aber  auch  ab  von  der  Beziehung,  in  welche  man  bei  dieser  Theorie  des 
Einfachsehens  die  Nervenfaservertheilung  in  den  Netzhäuten  zum  Chiasma  und  zum  Ge- 
hirn gebracht  hat,  so  darf  auch  die  andere  Hälfte  dieser  Theorie  noch  nicht  ohne  Weiteres 
und  ohne  alle  Einschränkung  aufgenommen  werden,  die  nämlich,  dass  immer  nur  die- 
selben zwei  Punkte  oder  Elemente  der  beiden  Netzhäute  sich  zu  Einer  Empfindung  ver- 
einen können.  Da  der  Drehpunkt  des  Auges  nicht  mit  dem  Kreuzungspunkte  der  Rich- 
tungslinien zusammenfällt,  und  da  die  Bulbi  selbst  in  der  hintern  Hälfte  keine  regel- 
mässige Gestalt  besitzen,  so  ist  schon  in  vorhinein  nicht  zu  erwarten,  dass  bei  den  ver- 
schiedenen Stellungen,  in  denen  wir  doch  einfach  sehen,  auch  die  mehr  peripherischen 
Bildpunkte  immer  auf  dieselben  anatomisch  correspondirenden  Netzhautelemente  fallen. 
Für  Bilder  auf  der  Macula  lutea  und  allenfalls  noch  der  nächsten  Umgebung  kann  die 
Asymmetrie  der  innern  und  äussern  Hälfte  eines  jeden  Bulbus  und  das  Nichtzusammen- 
fallen  des  Dreh-  und  Kreuzungspunktes  niemals  von  Bedeutung  sein,  wohl  aber  für  weiter 
entfernt  gelegene  Punkte.  Dass  wir  die  theoretisch  (nach  der  Müller  sehen  Annahme) 
zu    erwartenden   Doppelbilder    im     gewöhnlichen    Sehen    nicht   wahrnehmen,    ist    schon 


56  Netzhaut. 

Volkmann  aufgefallen,  kann  aber  weder  aus  der  Schwäche  der  Sehkraft  seitlicher 
Partien ,  noch  aus  den  ungünstigen  Accommodations  -  Verhältnissen  für  die  seitlichen 
Bilder,  noch  endlich  aus  dem  sogenannten  Wettstreite  anatomisch-identischer  Netzhaut- 
punkte oder  aus  Mängeln  in  der  Aufmerksamkeit  erklärt  werden.  Fixirt  man  mit  beiden 
Augen  irgend  ein  nicht  zu  weit  entferntes  kleines  Object  und  stellt  eine  Kerzenflamme 
so  weit  seitwärts  auf,  als  nur  möglich  ist,  ohne  dass  der  Nasenrücken  die  Flamme  für 
das  eine  Auge  verdeckt,  so  ist  man  nicht  im  Stande  irgend  eine  Verdoppelung  der 
Flamme  wahrzunehmen,  mag  man  sie  abwechselnd  höher  oder  tiefer,  näher  oder  ent- 
fernter aufstellen.  Hält  man  aber  bei  demselben  Vorgange  ein  Prisma  mit  einem 
brechenden  Winkel  von  5 — 7  Graden,  so  sieht  man  nicht  nur  das  fixirte  Object,  son- 
dern auch  die  Flamme  doppelt.  Wenn  aber  zugegeben  werden  muss,  dass  peripherisch 
gelegene  Theile  der  Netzhaut  beim  gewöhnlichen  Sehen  sehr  oft  mit  relativ  diflerenten 
Punkten  demselben  Objecte  zugewendet  sind,  und  wir  dennoch  auch  bei  lebhafter,  die 
Aufmerksamkeit  gewiss  weckender  Erregung  solcher  Punkte ,  z.  B.  durch  eine  seitlich 
befindliche  Flamme ,  nicht  doppelt  sehen,  so  lässt  sich  gerade  für  mehr  seitlich  gelegene 
Netzhautpartien  die  Müller  sehe  Auffassung  von  der  Identität  der  Netzhäute  nicht  streng 
durchführen. 

Es  ist  aber  zur  Erklärung  der  Erscheinungen ,  welche  in  Bezug  auf  Einfach-  und 
Doppeltsehen  vorkommen,  keine  andere  Annahme  nothwendig,  als  die  durch  den  ana- 
tomischen Befund  hinreichend  motivirte,  dass  das  Centrum  der  Netzhaut  relativ  am 
meisten  zum  Deutlichsehen  geeignet  ist,  und  die  erfahrungsmässig  festgestellte  That- 
sache,  dass  wir  schon  zur  Zeit  der  Entwicklung  des  Gesichtssinnes  genöthigt  sind, 
immer  die  empfindlichste  Stelle  eines  jeden  Auges  dem  Objecte  der  Aufmerksamkeit 
zuzulenken.  Sowie  durch  diese  Momente  die  Thätigkeit  der  Muskeln  in  ein  bestimmtes 
und  unabänderliches  Verhältniss  zur  Netzhaut  gebracht  wird,  treten  auch  die  einzelnen 
Partien  jeder  Netzhaut  für  sich  und  beider  zu  einander  in  eine  bestimmte  Beziehung 
zum  Bewusstsein,  jede  Erregung  irgend  eines  Punktes  der  einen  (und  der  andern) 
Netzhaut  wird  auf  einen  bestimmten  Ort  des  Sehfeldes  bezogen,  welcher  in  so  fern  fix 
genannt  werden  kann,  als  der  Sehwinkel  immer  derselbe  bleibt,  und  auf  diese  Weise 
werden  die  correspondirenden  Regionen  und  Punkte  aus  einem  anatomischen  Grunde, 
daher  nothwendig  erweise  identisch,  mit  um  so  schärferer  Differenzirung  (Abgrenzung 
gegen  seitlich  gelegene),  je  näher  sie  der  Stelle  des  deutlichsten  Sehens  liegen.  Die 
Erregung  eines  Netzhautpunktes,  welcher  z.  B.  um  zwei  Grade  links  oder  um  drei 
Grade  aufwärts  vom  Centrum  der  Macula  lutea  (inneren  Ende  der  Sehachse)  liegt,  muss 
in  jedem  Auge  so  empfunden  werden,  als  ob  ein  erregendes  Object  um  zwei  Grade 
rechts  oder  um  drei  Grade  abwärts  vom  Centrum  des  Sehfeldes  (äussern  Ende  der 
Sehachse)  gelegen  wäre.  Bei  der  Lehre  vom  Schielen  wird  sich  zeigen,  dass  dieses  nicht 
als  Einwurf  gegen  diese  Auffassung  der  Lehre  von  der  Identität  aufgestellt  werden  kann. 

Entoptische  Erscheinungen.  Gegenstand  der  Wahrnehmung 
durch  den  Gesichtssinn  können  auch  Objecte  werden,  welche  sich  in 
oder  an  den  durchsichtigen  Medien  des  Auges  selbst  befinden.  Es  sind 
diess  die  schon  oben  erwähnten  entoptischen  Erscheinungen  (Listing), 
als  welche  sich  auch  im  physiologischen  Zustande  vorzüglich  die  Cen- 
tralgefässe  der  Netzhaut  und  kleine  dunkle  Körperchen  in  den  durch- 
sichtigen Medien  geltend  machen,  die  durch  Abhaltung  von  Lichtstrah- 


Entoptisehe  Erscheinungen. 


57 


len  des  Sehfeldes  Schatten  auf  die  übrigens  hell  beleuchtete  Netzhaut 
werfen,  und  sofort  durch  den  Contrast  hiezu  empfunden  und  für  dunkle 
Objecte  des  Sehfeldes  selbst  gehalten  werden.  Die  Schattenbildung 
setzt  im  Allgemeinen  die  Gegenwart  von  Lichtstrahlen  voraus,  welche 
im  Glaskörper  in  einer  parallelen,  wenig  convergenten  oder  aber  diver- 
genten Eichtung  zur  Netzhaut  verlaufen;  der  Schatten  kann  nur  durch 
den  Contrast  zur  Beleuchtung  und  Erregung  der  umgebenden  Netzhaut- 
partien und  durch  Lenkung  der  Aufmerksamkeit  auf  die  beschatteten, 
i.  e.  nicht  erregten  Netzhautstellen  wahrgenommen  werden. 

"Wir  haben  oben  bemerkt,  dass,  sobald  das  lichtsendende  Object 
nicht  bis  zur  vordem  Brennpunktsebene  oder  noch  näher  an  das  Auge 
gerückt  ist,  dem  äussern  Lichtkegel  ein  innerer  entspricht,  dessen  Spitze 
in  der  entsprechenden  Richtungslinie  vor,  auf  oder  hinter  die  Netzhaut 
fällt,  je  nach  dem  Verhältnisse  zwischen  der  Entfernung  des  Objectes 
von  der  Hornhaut  und  der  Entfernung  der  Netzhaut  hinter  der  Linse. 
Betrachten  wir,  was  hier  ohne  erheblichen  Fehler  geschehen  kann,  die 
Vorderfläche  der  Cornea  als  die  gemeinschaftliche  Basis  oder  Tren- 
nungsfläche beider  Lichtkegel,  so  kommt  von  dieser  Vorderfläche  ein 
etwas  grösserer  Kreis  als  die  jeweilige  Pupillengrösse  in  Betracht.  Ge- 
setzt nun,  ein  Auge,  wie  in  Fig.  A,    wäre  für  den  leuchtenden  Punkt 


0  aecommodirt,  so  würden  die  bis  in  den  Glaskörper  eingedrungenen 
Strahlen  in  dem  Punkte  0  ein  scharfes  und  helles  Bild  entwerfen.  Be- 
fände sich  aber  im  Verlaufe  der  Richtungslinie  Oxo  ein  undurchsich- 
tiger Körper  aß  von  einem  Durchmesser,  der  kleiner  als  der  der  Pupille 
ist,  so  würde  trotzdem  durch  die  Randstrahlen  noch  immer  ein  schar- 
fes, nur  weniger  helles  Bild  vermittelt  werden,  wenn  jener  Körper  aß 
auf  der  Cornea,  vordem  oder  hintern  Kapsel  u.  s.  w.  bis  zu  einer  ge- 
wissen Grenze  tiefer  sitzt,  und  wir  vorläufig  davon  absehen,  dass  durch 
Abhaltung  aller  Centralstrahlen  die  Vereinigungsweite  eigentlich  etwas 
verkürzt  wird.  Je  weiter  rückwärts  im  Auge  sich  derselbe  dunkle  Kör- 
per aß  befände,  desto  mehr  Strahlen  des  immer  enger  werdenden  Kegels 
würde  er  auffangen,   endlich  alle,  und  nahe  vor  der  Netzhaut  würde 


58  Netzhaut. 

ein  ungleich  kleinerer  Körper  hinreichen,  sänmitliche  Strahlen  abzuhal- 
ten. (Die  punktirten  Linien  in  Fig.  A  zeigen  ohngefähr  den  Gang  der 
Lichtstrahlen  von  einem  seitlich  gelegenen  Objectpunkte  U  bis  zu  ihrer 
Vereinigung  in  u,  um  beiläufig  ersichtlich  zu  machen,  bei  welcher  Lage 
und  in  welchem  Grade  dunkle  Körper,  die  nicht  in  die  betreffende 
Richtungslmie  Uxu  fallen,  Einfluss  auf  das  Netzhautbild  eines  seitlich 
gelegenen  Punktes  nehmen  können.) 

Wäre  ein  Auge  nicht  für  die  Objectdistanz  accommodirt,  sondern 
fiele  die  Vereinigungsstelle  der  Strahlen  eines  leuchtenden  Punktes  merk- 
lich vor  oder  hinter  die  Netzhaut,  dann  würde  ein  dunkler  Körper  von 
derselben  Ausdehnung  wie  im  vorigen  Falle,  sobald  er  irgendwo  hinter 
der  Pupille  läge,  ungleich  mehr  zur  Abhaltung  von  Strahlen  eines  oder 
mehrerer  Kegel  wirksam  sein,  wie  sich  aus  der  Betrachtung  der  Figur 
B  ergibt,  wo  die  aus  relativ  zu  grosser  Entfernung  kommenden  Strahlen 


des  (in  der  Zeichnung  abgestutzten)  Kegels  Oba  sich  schon  in  o  vereini- 
gen, und  die  Netzhaut  erst  als  Zerstreuungskreis  treffen,  wogegen  die 
von  dem  relativ  zu  nahen  Punkte  P  ausfahrenden  Strahlen  Pab  sich  erst 
in  p  vereinigen  könnten,  daher  auf  der  Netzhaut  gleichfalls  einen  (durch 
die  punktirten  Linien  angedeuteten)  Zerstreuungskreis  bilden  würden. 
Nimmt  man  den  dunkeln  Körper  aß  ebenso  gross  an,  wie  im  vorigen 
Falle,  und  vergleicht,  welchen  Einfluss  er,  bei  correspondirender  Entfernung 
von  der  Netzhaut,  auf  die  Abhaltung  von  Strahlen  eines  Kegels  nehmen 
kann,  so  ergeben  sich  leicht  die  wichtigsten  Anhaltspunkte  für  die  nö- 
thigen  Deductionen.  —  Denkt  man  sich  von  a  und  von  ß  in  irgend  einer 
Lage  (z.  B.  gerade  in  der  Mitte  der  Sehachse)  gerade  Linien  nach  p  ge- 
zogen, so  gäbe  ihr  Abstand  von  einander  an  der  Stelle,  wo  sie  die  Netz- 
haut schneiden,  den  Durchmesser  des  Schattens,  den  aß  in  dieser  Lage 
auf  die  Netzhaut  werfen  würde,  wenn  wir  vorläufig  nicht  in  Anschlag 
bringen,  wie  viel  von  dem  beschatteten  Areal  im  Kern-  und  wie  viel 
im  Halbschatten  liegen  würde.  Die  Grösse  des  beschatteten  Areals 
würde  offenbar  verschieden  ausfallen,  je  nach  der  Entfernung  des  dun- 
keln Körpers  aß  von  der  Netzhaut  und  je  nach  der  Entfernung  des  ima- 


Eutoptisehe  Erscheinungen.  59 

ginären  Vereinigungspunktes  p  von  der  Netzhaut  (Convergenz  der  durch 
den  Glaskörper  zur  Netzhaut  laufenden  Lichtstrahlen).  Gleichwie  aber  ein 
solcher  Schatten  einen  aliquoten  (z.B.  100.)  Theil  der  Netzhaut  deckt,  nimmt 
auch  der  ihm  entsprechende  Eindruck,  für  ein  reelles  Object  des  Seh- 
feldes gehalten,  immer  einen  gleichgrossen  aliquoten  (100.)  Theil  des 
Sehfeldes  ein.,  wird  mithin  beim  Blick  in  die  Ferne  grösser  angeschla- 
gen, als  beim  Blick  in  die  Nähe,  weil  wir  eben  nur  den  Zustand  der 
Netzhaut  empfinden,  und  weil  wir  anderweitig  erfahren  haben,  dass  ein 
fernes  Object  entsprechend  seiner  Entfernung  grösser  ist,  als  ein  nahes, 
sobald  beide  denselben  aliquoten  Theil  des  Sehfeldes  einnehmen.  — 
Kennen  wir  die  Thatsache,  dass  in  den  durchsichtigen  Medien  eines 
jeden  Auges  immer  einzelne  elementare  Körperchen  vorhanden  sind, 
welche  unter  entsprechenden  optischen  Verhältnissen  hinreichen,  Schatten 
auf  die  Netzhaut  zu  werfen,  und  als  solche  wahrgenommen  werden 
können,  so  ergibt  uns  eine  Vergleichung  der  beiden  Figuren  A  und  B 
beiläufig  die  Erklärung,  warum  solche  Körperchen,  bekannt  als  fliegende 
Mücken,  vorzüglich  bei  abnormem  Refractionszustande  (ungenügender 
Accommodation)  wahrgenommen  werden,  und  warum  z.  B.  der  davon 
gequälte  Kurzsichtige  dieselben  momentan  verscheuchen  kann,  wenn  er 
den  Refractionszustand  durch  eine  entsprechende  Concavbrille  corrigirt, 
mithin  bewirkt,  dass  die  Strahlen  sich  nicht  mehr  vor,  sondern  erst  auf 
der  Netzhaut  vereinigen. 

Rücken  wir  den  leuchtenden  Punkt  bis  in  die  vordere  Brennpunkts- 
ebene oder  noch  näher  an  das  Auge,  so  werden  die  auf  dasselbe  Cor- 
neaareal  tauenden  Strahlen  so  gebrochen,  dass  sie  endlich  durch  den 
Glasköi-per  unter  einander  parallel  (wie  in  Fig.  C  der  Cylinder  cdef), 
oder  divergirend  (wie  der  umgekehrte  abge-  /?/,,  g 

stutzte  Kegel  ehcgi  verlaufen.  Unter  diesen 
Verhältnissen  können  dunkle  Körper  in  den 
durchsichtigen  Medien  auch  dann,  wenn  sie 
sehr  weit  von  der  Netzhaut  entfernt  (z.  B. 
auf  der  Cornea)  sitzen  und  relativ  klein  sind, 
sehr  leicht  Schatten  werfen,  dessen  Areal 
bei  divergentem  Lichte  sogar  noch  grösser  ausfällt,  als  der  dunkle  Kör- 
per selbst.  Da  aber  zur  Wahrnehmung  solcher  Schatten  helle  Beleuch- 
tung der  umgebenden  Netzhautpartien  erforderlich  ist,  so  muss  man,  um 
auch  ganz  kleine  Körperchen  zur  Wahrnehmung  zu  bringen,  in  die  Ge- 
gend der  vordem  Brennpunktsebene,  also  5—6"'  vor  die  Hornhaut,  einen 
stark  leuchtenden  Punkt  bringen,  von  welchem  aus  die  Strahlen  diver- 
girend aufs  Auge  gelangen.   Auf  eine  sehr  einfache  Weise  erreicht  man 


60  Netzhaut. 

diess,  wenn  man  durch  eine  möglichst  feine  Öffnung  eines  Kartenblattes 
(mit  einer  feinen  Nadel  gestochen)  oder  einer  geschwärzten  Metallplatte 
gegen  das  Firmament  oder  auf  die  matt  geschliffene  Glaskugel  einer  Öl- 
lampe blickt;  auch  das  kleine  Spiegelbildchen  eines  gut  polirten  Metall- 
knopfes oder  eines  Fingerringes,  in  der  oben  bestimmten  Entfernung 
fixirt,  kann  hiezu  benützt  werden,  oder  eine  Convexlinse  von  sehr  kur- 
zer Brennweite  (wie  die  Objectivgläser  von  Mikroskopen),  wenn  man 
sie  einer  lichten  Fläche  gegenüber  nahe  vor  dem  Auge  hält,  u.  m.  A. 
Blickt  man  z.  B.  durch  eine  solche  feine  Öffnung,  so  bemerkt  man  zu- 
nächst eine  lichte  Scheibe  {df  in  Fig.  Cj,  welche  der  Form-  und  Grösse 
nach  der  Pupille  entspricht,  der  Form  nach  jedoch  umgekehrt.  Wird 
während  des  Experimentes  mit  dem  einen  Auge  das  andere  abwechselnd 
beschattet  und  beleuchtet,  wodurch  bekanntlich  Erweiterung  und  Ver- 
engerung nicht  bloss  einer,  sondern  beider  Pupillen  bewirkt  wird,  so  er- 
weitert und  verengert  sich  auch  die  in  Bede  stehende  lichte  Scheibe. 
Hätte  die  Pupille  des  experimentirenden  Auges  eine  dreieckige  Gestalt 
mit  aufwärts  gerichteter  Spitze  (A),  so  würde  dasselbe  die  lichte  Scheibe 
dreieckig  mit  abwärts  gerichteter  Spitze  (v)  wahrnehmen,  denn  die  Strah- 
len kreuzen  sich  nicht  im  Innern  des  Auges  (das  von  dem  Punkte  b 
in  Fig.  C  rückwärts  tretende  Licht  gelangt  zum  Punkte  f,  wird  also, 
falls  wir  b  und  f  als  oben  liegend  betrachten,  auf  einen  unten  gelege- 
nen Punkt  bezogen,  oder,  wenn  wir  uns  genau  an  diese  Zeichnung  hal- 
ten ,  da  f  auswärts  von  der  Macula  lutea  liegt,  so  wird  eine  Erregung 
der  Netzhaut  an  dieser  Stelle  auf  ein  einwärts  gelegenes  Object  bezo- 
gen). Die  bei  schleichender  Iritis  fast  constant  vorkommenden  punkt- 
förmigen Beschläge  an  der  hintern  Wand  der  Cornea  können  auf  diese 
Weise  dem  Kranken  sichtbar  gemacht  werden,  wenn  sie  noch  in  dem 
Hornhautareal  liegen,  von  welchem  Licht  durch  die  Pupille  eindringen 
kann;  er  sieht  sie  im  Gesichtsfelde  oben,  wenn  sie,  wie  in  der  Regel, 
an  der  untern  Hornhauthälfte  haften.  Bei  diesen  Experimenten  muss 
die  Platte  unverrückt  am  Gesichte  und  auch  das  Auge  ruhig  gehalten 
werden.  —  In  dieser  lichten  Scheibe  nun  sieht  auch  ein  ganz  gesundes 
Auge  sehr  leicht  die  unter  dem  Namen  der  fliegenden  Mücken  (Muscae 
volitxmtes,  Myodes)  bekannten  Ringelchen  oder  Kügelchen,  welche  ein- 
zeln, meist  jedoch  perlenschnurförmig  angeordnet  im  lichten  Sehfelde 
auftreten.  Sie  liegen  in  verschiedenen  Schichten  oder  Lagen  hinter- 
einander. Die  der  Netzhaut  näher  liegenden  erscheinen  dunkler  und 
schärfer  begrenzt.  Alle  bieten  eine  gewisse  Beweglichkeit  dar;  nicht 
bloss,  dass  sie  gleichsam  ausweichen,  wenn  man  sie,  sobald  sie  zeitlich 
von  der  Sehachse  auftreten,  ins  Bereich   des    directen  Sehens  bringen 


Entoptische  Erscheinungen.  61 

(fixiren)  will,  sie  bewegen  sich  auch  noch  ein  Moment  und  eine  kurze 
Strecke  im  Sehfelde,  wenn  man  das  Auge  plötzlich  still  hält,  z.  B.  die 
Spitze  eines  Blitzableiters  fixirt.  Alles  spricht  dafür,  dass  diesen  Er- 
scheinungen elementare  Körperchen  der  durchsichtigen  Medien,  beson- 
ders des  Glaskörpers,  zu  Grunde  liegen,  welche  unter  den  gewöhnlichen 
Verhältnissen  von  einem  gesunden  Auge  nicht  wahrgenommen  werden. 
Buete  ist  nach  seinen  Untersuchungen  über  ihre  Lage  und  objective  Grösse 
geneigt,  diese  Körperchen  für  eine  Art  Zellen  zu  halten,  welche  als  ein 
normaler  morphologischer  Ausdruck  einer  im  Stoffwechsel  begriffenen 
Substanz  sich  erzeugen.  Vor  Allem  möchte  hier  wohl  an  die  Epithelial- 
gebilde  des  Glaskörpers,  vielleicht  auch  der  Linsenkapsel  zu  denken 
sein.  —  Durch  zahlreiche  Experimente  der  eben  angegebenen  Art  hat 
Listing  nachgewiesen,  dass  sich  in  den  durchsichtigen  Medien  der  mei- 
sten Menschen  noch  andere,  mehr  weniger  dunkle  oder  das  Licht  anders 
brechende  Stellen  befinden,  besonders  in  der  Linse,  welche  für  gewöhn- 
lich das  Gesicht  nicht  merklich  beeinträchtigen.  Er  hat  sie  als  die 
beharrlichen  Binnenobjecte  des  Auges  beschrieben  und  abgebildet.  Sie 
vermitteln  so  zu  sagen  den  Übergang  zu  den  pathologischen  Trübungen, 
welche  sich  vermöge  ihrer  Grösse  und  Zahl  durch  Functionsstörung 
kund  geben,  und  in  Bezug  auf  Sitz  und  Form  dem  Kranken  durch  die 
oben  erwähnten  Experimente,  dem  Arzte  aber  durch  die  Untersuchung 
mit  dem  Augenspiegel  zur  Anschauung  gebracht  werden  können.  Der 
Sitz  derselben  lässt  sich  ziemlich  genau  bestimmen,  wenn  man  den  leuch- 
tenden Punkt  (die  Schirmöffnung)  langsam  vor  dem  Auge  verschiebt,  wo- 
bei die  im  Niveau  der  Pupille  liegenden  unverrückt  bleiben,  die  vor 
der  Pupille  befindlichen  sich  bei  nach  rechts  gehender  Verschiebung 
nach  links,  die  hinter  der  Pupille  liegenden  dagegen  nach  der  gleichna- 
migen Seite  des  lichten  Sehfeldes  zu  bewegen  scheinen. 

Von  divergirenden  Lichtrahlen  wird  die  Netzhaut  auch  dann  ge- 
troffen ,  wenn  zu  starkes  Licht  auf  die  Sclerotica  fällt,  oder  wenn  das 
Pigment  der  Ader-  und  Regenbogenhaut  relativ  zu  spärlich  ist,  um  das 
in  dieselben  eindringende  Licht  hinlänglich  zu  absorbiren,  aber  auch 
dann,  wenn  in  den  durchsichtigen  Medien  halbdurchsichtige  oder  durch- 
scheinende, überhaupt  solche  Trübungen  vorhanden  sind,  die  einen  re- 
lativ grossen  Theil  auffallenden  Lichtes  durchlassen.  In  dem  einen  wie 
in  dem  andern  Falle  wird  nämlich  Licht  im  Innern  des  Auges  diffundirt, 
und  trifft  die  Netzhaut  mehr  weniger  divergent.  Gleichwie  das  auf  einen 
undurchsichtigen  Körper  mit  rauher  Oberfläche  auffallende  Licht  unre- 
gelmässig reflectirt  (zerstreut)  wird,  und  so  diesen  Körper  sichtbar  macht, 
wird  das  durch  einen  mehr  weniger  durchscheinenden  Körper,  z.  B.  ein 


G2  Netzhaut. 

transparentes  Papier,  eine  mattgeschliffene  Glasplatte  u.  dergl.,  durch- 
gelassene Licht  unregelmässig  gebrochen  (diftundirt) ,  und  strahlt  nun 
von  der  Eiickseite  desselben  nach  allen  Richtungen  so  aus,  wie  das  un- 
regelmässig reflectirte  von  der  Vorderseite.*)  Durch  grössere  Mengen 
diffusen  Lichtes  auf  der  Netzhaut  wird  aber  die  Wahrnehmung  äusserer 
Objecte  beeinträchtigt,  weil  dann  theils  nicht  hinreichend  scharf  begrenzte, 
sondern  von  Zerstreuungskreisen  umgebene  Objectbilder  zu  Stande  kom- 
men, theils  der  zum  deutlichen  Sehen  erforderliche  Contrast  in  der  Er- 
regung der  einzelnen  Netzhautstellen  vermindert  wird.  Andererseits 
aber  werden  durch  diffuses  (weil  divergentes)  Licht  die  Bedingungen 
zu  entoptischen  Erscheinungen  gegeben.  —  Diese  Betrachtung  gibt  uns 
den  Schlüssel  zur  Erklärung,  wie  das  Gesicht  bei  Pigmentmangel,  bei 
halbdurchsichtigen  Hornhauttrübungen,  bei  dünnen  Exsudaten  in  der 
Pupille  u.  s.  w.  weit  mehr  gestört  sein  kann,  als  bei  partiellen  undurch- 
sichtigen Trübungen,  und  warum  diese  Zustände  so  oft  von  Mückense- 
hen begleitet  sind.  Sie  gibt  uns  das  Verständniss  der  interessanten 
Thatsache,  dass  wir  die  Centralgefässe  der  Netzhaut,  welche  vor  den 
die  Lichtperception  vermittelnden  Netzhautelementen  liegen,  uns  als 
Schatten  sichtbar  machen  können,  wenn  wir  concentrirtes  Licht  auf  eine 
Stelle  der  Sclerotica  fallen  lassen  (nach  Listing  Sonnenlicht  durch  eine 
kleine  Öffnung  eines  dunkeln  Schirmes),  oder  eine  Kerzenflamme  in 
einem  dunkeln  Räume  nahe  vor  dem  Auge  wiederholt  im  Kreise  herum 
führen  {Purkinje),  oder  eine  feine  Öffnung  eines  Kartenblattes  nahe  vor 
dem  Auge  hin  und  her  bewegend,  den  Blick  auf  eine  lichte  Wolke  oder 
auf  die  matte  Glaskugel  einer  Lampe  richten. 

Untersuchung  mit  dein  Augenspiegel.  Nicht  alles  Licht,  wel- 
ches bis  zur  Netz-  und  Aderhaut  eingedrungen,  wird  daselbst  absorbirt; 
ein  aliquoter  Theil  davon  wird  reflectirt,  und  zwar  unregelmässig,  d.  h. 
nach  allen  Richtungen  durch  den  Glaskörper  zerstreut.  Demnach  strahlt 
von  dem  beleuchteten  Augengrunde  immer  ein  aliquoter  Theil  Licht  so 
wie  von  jedem  andern  sichtbaren  Gegenstande  aus,  und  hängt  die  Rich- 
tung der  reflectirten  Strahlen  nicht  wie  bei  der  regelmässigen  Reflexion 
vom  Einfallswinkel  der  einfallenden  Strahlen  ab. 


*)  Frof.  Donäers  benützte  mattes  Fensterglas,  um  ein  Zimmer,  in  welches  wegen  hoher,  nahe  vor  dem 
Fenster  befindlicher  Gebäude  nur  schief  von  oben  Licht  einfiel,  in  seiner  ganzen  Tiefe  zu  erhellen. 
Bei  gewöhnlichem  durchsichtigem  Fenstcrglase  fiel  das  Licht  nur  in  den  Thojl  des  Zimmers,  der 
dem  Fenster  nahe  war.  Sobald  man  die  mattgeschliffenen  Scheiben  eingesetzt  hatte,  ward  diess  von 
oben  kommende  Licht  durch  das  ganze  Zimmer  diffus  verbreitet;  das  matte  Glas  wurde  Lichtquelle. 
Dr.  Wyngaarden,  über  die  Anwendung  der  von  Donders  entdeckten  stenopäischen  Brillen,  in  von 
Grä/e's  Archiv  für  Ophthalmologie,   Bd.  I.    Abtheil.  1.    1S54.    S.  251. 


Augenspiegel.  63 

Von  dem  am  Augengrunde  reflectirten  Lichte  gelangt  nur  ein  klei- 
ner Theil  durch  den  dioptrischen  Apparat  vor  das  Auge.  Ein  grosser 
Theil  trifft  auf  die  dunkle  Wandung  des  hintern  Augenraumes,  nament- 
lich auf  das  Corpus  ciliare  und  die  Hinterfläche  der  Iris,  und  wird  da- 
selbst absorbirt;  zum  Theil  auch  wieder  reflectirt.  Die  Menge  der  Strah- 
len, welche  vermöge  ihrer  Richtung  noch  durch  die  Pupille  austreten 
könnten,  wird  endlich  noch  um  etwas  vermindert  dadurch,  dass  beim 
Übergange  derselben  aus  dem  einen  in  das  andere  Medium  immer  einige 
Strahlen  theils  durch  Spiegelung,  theils  durch  Zerstreuung  abgetrennt 
werden,  mithin  verloren  gehen.  Da  nun  die  wenn  auch  nicht  völlig, 
so  doch  in  hohem  Grade  durchsichtige  Netzhaut  mit  Ausnahme  der 
Sehnervenpapilla  und  der  Centralgefässe  überhaupt  wenig  Licht  zurück- 
wirft, daher  im  normalen  Zustande  an  und  für  sich  beinahe  unsichtbar 
ist,  da  ferner  die  dunkelpigmentirte  Aderhaut  den  grössten  Theil  des 
auffallenden  Lichtes  absorbirt,  und  da  endlich  die  Öffnung  für  das  ein- 
fallende und  ausfahrende  Licht  (die  Pupille)  immer  relativ  eng  ist,  so 
leuchtet  von  selbst  ein,  dass  aus  einem  gesunden  Auge  unter  den  ge- 
wöhnlichen Verhältnissen  überhaupt  sehr  wenig  Licht  herausgeworfen 
werden  kann. 

Nach  Abschlag  der  verloren  gehenden  Strahlen  bleibt  also  für  jeden 
beleuchteten  und  lichtreflectirenden  Punkt  des  Augengrundes  immer  ein 
Strahlenkegel  übrig,  dessen  Spitze  jener  Punkt,  dessen  Basis  ein.  die 
jeweilige  Pupillenweite  etwas  (an  Grösse)  übertreffendes  Areal  der  Cor- 
nea bildet.  Wir  können  nämlich  auch  hier  ohne  beträchtlichen  Fehler 
als  Basis  dieses  Kegels  den  mittlem  Theil  der  Cornealvordernache  be- 
trachten, da  die  Strahlen  bei  ihrem  Durchgänge  durch  die  Linse  und 
das  Kammerwasser  noch  immer  eine  divergente  Richtung  zu  einander 
haben.  Ebenso  können  wir,  wenn  sich's  um  die  Bestimmung  der  Rich- 
tung der  ausfahrenden  Strahlen  vor  dem  Auge  handelt,  auch  hier  wie 
früher  ohne  erheblichen  Fehler  von  einer  einfachen  Richtungslinie  nach 
Yolkmann  sprechen.  Strahlen,  welche  vom  Centrum  der  Macula  lutea 
ausgehen,  können  daher  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Auge,  wenn 
überhaupt,  nur  in  irgend  einem  Punkte  der  betreffenden  Richtungslinie, 
welche  hier  mit  der  Sehachse  zusammenfällt,  sich  vereinigen.  Sollten 
Strahlen,  welche  von  der  Eintrittsstelle  der  Arteria  centr.  retinae  aus- 
gehen, vor  dem  Auge  aufgefangen  werden,  so  müsste  man  das  auffan- 
gende Object  (das  beobachtende  Auge)  in  der  Richtung  einer  geraden 
Linie  entgegenstellen,  welche  von  jener  Eintrittsstelle  durch  den  Kreu- 
zungspunkt  der  Richtungslinie  auswärts  verliefe. 

Ob  und  wo  die  von  einem  Punkte   des  Augengrundes  ausgefahre- 


64  Netzhaut. 

nen  Strahlen  sich  in  der  genannten  Richtung-  vereinigen,  das  hängt, 
wenn  wir  die  Cornea  und  Linse  in  ihrer  Form  und  Lage  als  unverän- 
derlich voraussetzen,  von  der  Lage  des  leuchtenden  Punktes,  respective 
der  Netz-  und  Aderhaut  ab.  a)  Läge  die  Netzhaut  unendlich  weit  hin- 
ten, d.  h.  gingen  die  von  einem  Punkte  derselben  reflectirten  Licht- 
strahlen unter  einander  parallel  durch  den  Glaskörper,  dann  vereinigten 
sich  dieselben  vor  dem  Auge  in  der  vordem  Brennpunktsebene,  also 
5  xji'"  vor  der  Hornhaut,  b)  Läge  dagegen  die  Netzhaut  in  der  hintern 
Brennpunktsebene  (ohngefähr  10'"  hinter  der  Cornealvorderfläche),  dann 
verliefen  die  ausfahrenden  Strahlen  vor  dem  Auge  parallel  zu  einander, 
und  bildeten  einen  Strahlencylinder,  dessen  Durchschnitt  etwas  grösser, 
als  die  jeweilige  Pupille,  dessen  Achse  die  genannte  Richtungslinie 
wäre,  d.  h.  wäre  ein  Auge  so  fernsichtig,  dass  nur  Strahlen  von  un- 
endlich fernen  Objecten  gerade  auf  der  Netzhaut,  Strahlen  von  näher 
gelegenen  Objecten  dagegen  erst  hinter  derselben  zur  Vereinigung 
kämen,  dann  würden  die  vom  Augengrunde  ausfahrenden  Strahlen  vor 
dem  Auge  unter  einander  parallel  verlaufen,  c)  Rückte  die  Netzhaut 
vor  diese  Grenze  näher  zur  Linse ,  so  würden  die  von  ihr  reflectirten 
Strahlen,  woher  sie  auch  stammten,  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Auge 
noch  divergiren,  und  einen  Kegel  darstellen,  dessen  Spitze  in  dem  Auge, 
dessen  Basis  in  unendlicher  Ferne  zu  suchen  wäre,  d)  Im  Allgemeinen 
liegt  aber  die  Netzhaut  (der  Augengrund)  zwischen  a  und  b,  und  zwar 
nicht  gar  weit  hinter  b,  bilden  demnach  die  von  ihr  ausfahrenden  Strah- 
len vor  dem  Auge  einen  mehr  weniger  langen  Kegel,  dessen  Basis  auf 
der  Vorderfläche  der  Cornea,  dessen  Spitze  bald  mehr,  bald  weniger 
weit  von  dieser  Basis  entfernt  liegt,  a)  Setzen  wir  den  Fall,  ein  Auge 
sei  für  eine  Objectdistanz  von  12  Zoll  accommodirt,  d.  h.  die  aus  einer 
Distanz  von  12  Zoll  von  einem  Punkte  ausgehenden  Strahlen  werden 
genau  in  einem  Punkte  der  Netzhaut  vereinigt,  so  müssen  bei  diesem 
Accommodations-  oder  Refractionszustande  des  Auges  auch  die  von 
einem  Punkte  der  Netzhaut  ausfahrenden  Strahlen  in  der  Distanz  von 
12  Zoll  vor  dem  Auge  zusammentreffen.  Wäre  aber  ein  Auge  so  kurz- 
sichtig, dass  es  ein  12  Zoll  entferntes  Object  nur  durch  Zerstreuungs- 
kreise wahrnehmen  könnte,  i.  e.  dass  die  von  dem  12  Zoll  entfernten 
Objecte  kommenden  Strahlen  schon  vor  der  Netzhaut  sich  vereinigten, 
dann  würden  die  von  der  Netzhaut  aus  den  Augen  fahrenden  Strahlen 
nicht  erst  bei  12  Zoll,  sondern  näher  an  dem  Auge  sich  vereinigen. 
ß)  Wäre  endlich  ein  Auge  für  ein  fernes  Object  z.  B.  von  20  Fuss  ac- 
commodirt, so  würden  die  von  irgend  einer  nähern  Lichtquelle  stam- 
menden Lichtstrahlen,  z.  B.  aus  2  Fuss  Entfernung,  auf  ihrer  Rückkehr 


Augenspiegel.  65 

aus  dem  Auge  nicht  bei  2,  sondern  bei  20  Fuss  Entfernung  vor  dem 
Auge  vereinigt  werden.  —  Die  ausfahrenden  Strahlen  bilden  daher  unter 
den  gewöhnlichen  Verhältnissen  einen  Strahlenkegel,  dessen  Basis  ein 
die  jeweilige  Pupillengrösse  etwas  übersteigendes  Hornhautareal,  dessen 
Achse  die  Ricbtungslinie  des  reflectireuden  Netzhautpunktes,  und  dessen 
Lauge  von  dem  jeweiligen  Acconnnodationszustande  des  Auges  (Abstand 
der  Netzhaut  von  der  Cornea  und  Linse,  oder  Lauge  des  innern  Kegels) 
abhängig  ist. 

Von  der  Menge,  Richtung  und  Neigung  der  ausfahrenden  Strahlen 
vor  dem  Auge  hängt  die  Möglichkeit  ab,  die  Objecte,  von  welchen  sie 
ausgehen  (also  die  Netzhaut,  Sehnervenpapille,  Chorioidea  u.  s.  w.)  zu 
sehen,  denn  nur  solche  Objecte  können  gesehen  werden ,  die  eine  ge- 
wisse  Menge  Lichtes  und  zwar  iu  einer  bestimmten  Richtung  in  das 
beobachtende  Auge  senden,  und  deren  Strahlen  zu  einander  eine  be- 
stimmte Neigung  haben  oder,  was  dasselbe  bedeutet,  die  unter  einem 
bestimmten  Einfallswinkel  auf  die  Hornhaut  gelangen.  Während  die 
ersten  beiden  Bedingungen  wohl  von  selbst  verständlich  sind,  muss  in 
Bezug  auf  die  dritte  noch  bemerkt  werden,  dass  nur  divergent  oder 
nahezu  parallel  zu  unserem  Auge  gelangende  Strahlen  auf  der  Netzhaut 
vereinigt  werden  können,  hingegen  convergent  auffallende  Strahlen  durch 
die  Hornhaut  und  Linse  einen  solchen  Grad  von  Convergenz  erhalten, 
dass  sie  sich  schon  mehr  weniger  nahe  an  der  Linse  vereinigen,  und 
die  Netzhaut  erst  jenseits  dieser  Vereinigung  treffen,  daher  kein  Bild, 
nur  Zerstreuungskreise  auf  derselben  entwerfen  können.  Ebenso  muss 
ausdrücklich  hervorgehoben  werden,  dass  auch  hier,  wie  bei  jedem 
Deutlichsehen  überhaupt,  der  Winkel,  unter  welchem  die  je  zwei  Ob- 
jectpunkten  (des  zu  beobachtenden  Augengrundes)  zugehörenden  Ach- 
senstrahlen (Richtungslinieni  in  das  beobachtende  Auge  gelangen,  i.  e. 
der  Sehwinkel  weder  zu  gross  noch  zu  klein  sein  darf. 

Unter  den  gewöhnlichen  Verhältnissen  ist  die  Menge  der  aus  dem 
Auge  ausfahrenden  Strahlen  zu  gering,  und  die  Neigung  derselben  zu 
einander  eine  convergente,  oder  nahezu  parallele.  Solche  Strahlen,  in 
ein  beobachtendes  Auge  gelangend,  können  entweder  wegen  zu  gerin- 
ger Menge  gar  keine  Wahrnehmung  der  lichtsendenden  Objecte  (Netz- 
und  Aderhautj  erregen,  —  die  Pupille  erscheint  schwarz,  oder  sie  ver- 
mitteln nur  eine  unbestimmte  (formlose;  Wahrnehmung,  —  ein  röthliches 
Aufleuchten  des  beobachteten  Augengrundes.  Die  Menge  der  ausfah- 
renden Strahlen  fällt  auch  bei  ziemlich  weiter  Pupille  hauptsächlich 
dann  zu  gering  aus,  wenn  die  ausfahrenden  Strahlen  eine  convergente 
Lage  haben,  weil  dann  das  beobachtende  Auge,  um  sie  aufzunehmen, 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  5 


66  Netzhaut. 

sich  dem  beobachteten  Auge  gegenüber  stellen,  mithin  jede  stärkere 
Beleuchtung  des  zu  beobachtenden  Augengrundes  hindern  muss.  Könn- 
ten wir  mitten  durch  eine  vor  unserem  Auge  befindliche  Kerzenflamme 
hindurch  in  das  zu  beobachtende  Auge  schauen,  dann  würden  wir  des- 
sen Grund  jederzeit  roth  aufleuchten  sehen,  und  könnten  wir  überdiess 
die  von  demselben  ausfahrenden  Lichtstrahlen  eines  jeden  Kegels  für 
unser  Auge  entsprechend  divergent,  mindestens  parallel  machen,  dann 
würden  wir  die  Gebilde  im  Grunde  jenes  Auges  auch  ihrer  Form  nach 
wahrnehmen,  die  Netz-  und  Aderhaut  sehen  können. 

Unter  abnormen  (krankhaften)  Verhältnissen  kann  der  Grund  des  Auges  auch  ohne 
die  angedeuteten  Hilfsmittel  leuchtend,  ja  selbst  sichtbar  "werden.  Dringt,  wie  bei  den 
Kakerlaken,  eine  grössere  Menge  diffusen  Lichtes  durch  die  Sclerotica  und  Iris  in  den 
hintern  Augenraum,  so  leuchtet  der  Augengrund  roth  auf,  sobald  wir  auch  nur  einen 
Theil  der  zahlreich  reflectirten  Strahlen  aufzufassen  in  die  gehörige  Lage  (Richtung) 
kommen.  Dasselbe  findet  statt,  wenn  wegen  stark  erweiterter  Pupille  viel  Licht  ein- 
und  ausstrahlt.  Wird  wegen  ausgebreiteter  Trübung  der  Netzhaut  oder  wegen  stellen- 
weiser Pigmentlosigkeit  der  Chorioidea ,  z.  B.  bei  grösserem  Chorioidealspalte  ( Colo- 
boma)  ungewöhnlich  viel  Licht  reflectirt,  so  leuchtet  der  Augengrund  auch  bei  matter 
Beleuchtung  in  der  Farbe  der  vorwaltend  reflectirten  Strahlen.  —  Rückt  die  Netzhaut 
abnorm  vorwärts,  wobei  sie,  wie  bei  Ablösung  von  der  Chorioidea  durch  Exsudat,  auch 
getrübt  wird,  dann  müssen  die  von  ihr  zahlreich  reflectirten  Strahlen  vor  dem  Auge 
divergent  verlaufen,  und  können  in  hinreichender  Menge  und  in  bestimmter  Entfernung 
von  einem  beobachtenden  Auge  aufgenommen,  auf  dessen  Netzhaut  ein  Bild  der  beob- 
achteten Netzhaut  erzeugen.  Strahlen ,  aus  der  Gegend  der  hintern  Kapsel  reflectirt, 
geben  uns,  weil  sie  stark  divergent  aus  dem  Auge  treten,  ein  aufrechtes  und  vergrös- 
sertes  Bild  des  Objectes,  von  dem  sie  ausgehen,  so  wie  wir  die  Iris,  die  Pupille,  einen 
vordem  Centralkapselstaar  u.  s.  w.  immer  etwas  vergrössert  sehen,  indem  die  von  ihnen 
ausfahrenden  Strahlen  vermöge  des  Durchganges  durch  das  Kammerwasser,  die  Cor- 
nea und  die  Luft  mehr  divergent  zu  unserem  Auge  gelangen,  als  es  ohne  Dazwischen- 
kunft  der  Cornea  der  Fall  sein  würde.  In  allen  Fällen,  wo  das  die  Lichtstrahlen  reflec- 
tirende  Object,  z.  B.  die  vorwärts  gedrängte  Netzhaut,  eine  Trübung  an  der  hintern 
Kapsel  u.  dgl.  innerhalb  der  Brennweite  der  vor  ihm  liegenden  dioptrischen  Medien 
liegt,  wirken  diese  so  wie  eine  Loupe,  und  liefern  dem  beobachtenden  Auge  ein  auf- 
rechtes, mehr  weniger  vergrössertes  Bild.  —  Dass  bei  von  Cataracta  Geheilten  der 
Grund  des  Auges  weder  leuchtend  noch  sichtbar,  im  Gegentheil  die  Pupille  auffallend 
schwarz  erscheint,  obwohl  die  Netzhaut  nun,  wo  die  Linse  fehlt,  so  weit  vor  der 
Vereinigungsweite  für  terrestrische  Gegenstände  liegt ,  dass  die  von  ihr  ausfahrenden 
Strahlen  vor  dem  Auge  wenigstens  parallel  verlaufen,  hat  seinen  Grund  wohl  darin, 
dass  bei  fehlender  Linse  die  Pupille  immer  relativ  sehr  eng  ist ,  und  dass ,  wenn  sich 
die  Pupille  ja  stark  erweitern  lässt,  in  den  meisten,  wo  nicht  in  allen  Fällen  nur  ein 
kleines  Areal  hinter  ihr  frei  von  trüben  Kapsel-  und  Linsenresten  ist,  welche  das  Er- 
kennen der  tiefer  gelegenen  Objecte  hindern.  ( Wenn  wir  den  Gehörgang  mit  dem 
Ohrenspiegel  untersuchen ,  ist  ein  einziges  Haar ,  welches  in  das  Lumen  des  Spiegels 
hereinragt,  im  Stande,  uns  in  der  Unterscheidung  der  Einzelheiten  des  Trommelfelles  zu 
iindern.)    —   Eine   in    den   Glaskörper   hineinragende   melanotische    Ablagerung   könnte, 


Augenspiegel.  67 

obwohl  innerhalb  der  Brennweite  der  vor  ihr  liegenden  Medien  gelegen ,  nicht  sichtbar 
werden,  wenn  sie  zu  viel  Licht  absorbirte.  Aus  diesem  Grunde  können  uns  auch  dunkle 
Glaskörpertrübungen  trotz  beträchtlicher  Grösse ,  z.  B.  Blutergüsse ,  nicht  sichtbar  wer- 
den. —  Liegt  der  Augengrund  dagegen  abnorm  tief  hinter  der  Hornhaut  und  Linse, 
dann  kann  von  den  Strahlen,  welche  ein  Punkt  daselbst  reflectirt,  ceteris  paribus  we- 
niger Licht  aus  dem  Auge  herausgeworfen  werden,  weil  eben. dieser  lichtsendende  Punkt 
weiter  von  der  Linse  und  Hornhaut  entfernt  ist,  und  die  jedem  Lichtkegel  angehörende 
Menge  von  Lichtstrahlen  an  der  gleichen  Basis  des  Kegels  sich  umgekehrt  wie  das 
Quadrat  der  Entfernung  derselben  vom  leuchtenden  Punkte  verhält.  Diess  ist  wohl  der 
Grund,  warum  die  Pupille  des  Kurzsichtigen  ceteris  paribus  reiner  schwarz  erscheint, 
warum  Augen  mit  nachweisbarer  auffallender  rigmentarmuth  in  der  Gegend  des  hintern 
Poles  dennoch  eine  tief  schwarze  Pupille  zeigen,  sofern  sie  in  der  Richtung  der  Sehachse 
verlängert  sind,  was  sich,  wie  wir  in  dem  Capitel  über  Kurzsichtigkeit  zeigen  werden, 
anderweitig  constatiren  lässt. 

Nachdem  Brücke  den  Vordersatz  nachgewiesen  hatte,  dass  vom  Grunde  des  Auges  Licht 
reflectirt  werde,  war  es  dem  gleich  genialen  Königsberger  Professor  Helmholtz  vorbehalten,  die 
Gründe  zu  erkennen,  warum  wir  die  Netzhaut  nicht  sehen,  und  die  Mittel  zu  finden,  um  dieses 
letztere  zu  ermöglichen.  Die  Aufgabe  war  eine  dreifache:  der  zu  beobachtende  Augengrund 
musste  hinreichend  beleuchtet,  das  beobachtende  Auge  in  die  Richtung  der  ausfahrenden  Strah- 
len versetzt,  und  diesen  selbst  musste,  ohne  zu  grosse  Beeinträchtigung  ihrer  Menge  und  des 
Sehwinkels  für  das  beobachtende  Auge  eine  solche  Neigung  zu  einander  (ein  solcher  Einfalls- 
winkel) gegeben  werden,  dass  sie  auf  der  beobachtenden  Netzhaut  zu  einem  Bilde  zusammen 
treten  können,  die  ausfahrenden  Strahlen  mussten  aus  convergenten  in  parallele  oder  divergente 
verwandelt  werden.  Die  Lösung  war  der  Hauptsache  nach  gegeben,  wenn  man  das  Licht 
einer  Lampe  in  einem  verfinsterten  Zimmer  so  auf  eine  gut  polirte  Glasplatte  fallen  Hess,  dass 
die  davon  reflectirten  Strahlen  in  das  zu  beobachtende  Auge  gelangten,  der  Beobachter  von 
der  Rückseite  der  Glasplatte  durch  dieselbe  in  das  beobachtete  Auge  schaute,  und  vor  sein 
Auge  ein  Concavglas  von  6 — 12  Zoll  Brennweite  hielt. 

Es  sei,  wie  in  Fig.  1.  (S.  69)  G  das  beobachtende,  D  das  beobachtete  Auge,  A  die  Flam- 
me, und  C  die  Glasplatte,  alle  in  ziemlich  gleicher  Höhe  über  dem  Fussboden  in  einem 
finstern  Zimmer.  Bei  einer  Anordnung,  wie  ohngefähr  in  nachstehender  Figur,  fällt  von 
der  Vorderseite  des  Glases  Licht  in  das  Auge  I)  und  von  der  Rückseite  kann  das  Auge 
G  Licht  erhalten,  welches  vom  Grunde  des  Auges  D  reflectirt  wird  und  durch  die 
Glasplatte  durchgeht.  So  ist  es  für  G  möglich,  in  derselben  Richtung  in  das  .Auge  D 
zu  schauen ,  in  welcher  hinreichendes  Licht  in  dasselbe  einfällt  und  aus  demselben  aus- 
fährt: so  empfängt  G  Licht  aus  der  Tiefe  von  1)  und  sieht  dessen  Pupille  scheinbar 
leuchten.  Damit  aber  G  die  Einzelheiten  des  Augengrundes  von  D  zu  unterscheiden 
vermöge,  müssen  noch  die  von  jedem  einzelnen  Punkte  desselben  ausfahrenden  Strahlen- 
kegel wieder  in  je  einem  Punkte  der  Netzhaut  G  vereinigt  werden  können ,  und  müssen 
überdiess  die  den  zu  sehenden  Netzhautpunkten  von  D  entsprechenden  Richtungslinien  in 
dem  Auge  G  einen  weder  zu  kleinen  noch  zu  grossen  Winkel  (Sehwinkel)  einschliessen. 
Suchen  wir  zunächst  die  Vereinigungsweite  und  zeichnen  wir  uns  wie  in  Fig.  l.den 
Gang  der  Lichtstrahlen  für  einen  leuchtenden  Punkt  von  A.  —  Von  den  Strahlen 
welche  dieser  Punkt  aussendet,  gelangt  ein  Kegel  schräg  auf  die  Glasplatte.  Ein  Theil 
hievon  geht  in  unveränderter  Richtung  durch,  mithin  verloren ;  ein  Theil  wird  gegen  D 
hin  reflectirt,  und  zwar  regelmässig,  mithin  unter  solcher  Richtung  und  Neigung  (Diver- 
genz) ,    als    käme    er   von    dem    imaginären   Punkte   B,    welcher   (wie    die   gestrichelten 

5* 


68  Netzhaut. 

Linien  zeigen)  eben  so  weit  hinter  der  Glasplatte  liegt,  als  A  vor  derselben.  Von  den 
gegen  D  hin  reflectirten  Strahlen  können  nur  die  zwischen  ac  und  bd  liegenden  durch 
die  Pupille  eindringen,  doch  geht  auch  von  diesen  ein  Theil  durch  Reflexion  verloren, 
namentlich  an  der  Vorderfläche  der  Cornea,  wo  ein  die  Beobachtung  mehr  weniger  stö- 
rendes Spiegelbild  entsteht.  Von  diesem  wie  von  dem  Verluste  durch  unregelm'ässige 
Reflexion  wollen  wir  vorläufig  absehen.  Die  in  das  Auge  D  eindringenden  Strahlen 
werden  ihrer  Richtung  nach  durch  Bxe ,  ihrer  Convergenz  nach  durch  die  Entfernung 
des  Punktes  B  (A)  von  D  bestimmt,  wenn  x  den  Kreuzungspunkt  der  Richtungslinien 
bezeichnet.  Liegt  B  in  den  Grenzen  der  deutlichen  Sehweite  für  D ,  und  ist  D  für  die 
Entfernung  von  B  accommodirt,  so  fällt  die  Spitze  des  innern  Kegels  in  D  auf  die  Netz- 
haut, und  zwar  auf  die  Macula  lutea  (o) ,  falls  D  nach  B ,  d.  i.  nach  dem  Spiegelbilde 
auf  der  Glasplatte  visirt,  hingegen  auf  die  Sehnervenpapille  (e),  falls  D,  wie  in  der 
Zeichnung,  neben  der  scheinbaren  Flamme  nach  H  visirt,  tmd  H  ebenso  weit  von  D  ab- 
steht, als  B.  Wäre  D  für  einen  merklich  näheren  oder  ferneren  Punkt  accommodirt,  so 
fiele  der  Vereinigungspunkt  der  ^Lichtstrahlen  vor  oder  hinter  die  Netzhaut,  und  diese 
würde  in  dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle  in  grösserer  Ausdehnung  (Zerstreuungs- 
kreis), wenn  auch  minder  intensiv   beleuchtet. 

"Welchen  Gang  nehmen  nun  die  von  e  reflectirten  Strahlen  ?  a)  Fällt  die  Spitze  des 
inneren  Kegels  der  einfallenden  Strahlen  gerade  auf  die  Netzhaut,  d.  h.  ist  D  für  B  oder  H 
accommodirt,  so  müssen  die  ausfahrenden  Strahlen  sowohl  in  als  ausser  dem  Auge  D 
genau  denselben  Weg  gehen,  den  die  einfallenden  hatten.  Betrachten  wir  zuerst  diesen 
Fall,  welcher  in  Fig.  1  für  einen  einzigen  Netzhautpunkt  ausgeführt  ist.  Die  von  dem 
Netzhautpunkte  e  aus  dem  Auge  reflectirten  Strahlen  gelangen  in  dem  convergiren- 
den  (abgestutzten)  Kegel  cdab  zur  Glasplatte;  ein  Theil  davon  wird  nach  A  reflectirt, 
der  andere  geht  in  unveränderter  Richtung  und  Neigung  (Convergenz)  fort,  und  würde 
sich  demnach  in  B  vereinigen,  darüber  hinaus  wieder  auseinanderfahren.  «)  Stellt  sich 
nun  das  Auge  G  denselben  noch  vor  dieser  Vereinigung  entgegen,  so  erhält  es  von  e 
convergente  Strahlen.  Diese  würden  aber  durch  den  dioptrischen  Apparat  von  G  noch 
mehr  convergent,  müssten  sich  mithin  schon  mehr  weniger  nahe  hinter  der  Linse  ver- 
einigen und  würden  die  Netzhaut  erst  jenseits  dieser  Vereinigung  treffen ,  könnten  mit- 
hin wohl  die  Empfindung  von  Licht,  durchaus  aber  kein  Bild  von  e  im  Auge  G  zu 
Stande  bringen.  Halten  wir  aber  vor  das  Auge  G  ein  Concavglas  L  von  geeigneter 
Brennweite,  so  können  wir  den  convergirenden  Kegel  abfg  in  den  divergirenden  fglii 
verwandeln,  d.  h.  den  von  ezu  G  strebenden  Strahlen  einen  solchen  Grad  von  Diver- 
genz geben,  dass  sie,  den  dioptrischen  Apparat  von  G  passirend,  genau  in  einem  Punkte 
der  Netzhaut  (k)  vereinigt  werden,  in  k  ein  Bild  von  e  entwerfen.  —  ß)  Das  Vorhalten 
des  Concavglases  L,  welches  immer  einen  Theil  der  Strahlen  durch  Reflexion  versplittert, 
könnte  vermieden  werden,  wenn  sich  das  Auge  G  erst  jenseits  von  B,  also  in  einer  Ent- 
fernung aufstellen  würde,  wo  die  Strahlen  des  Kegels  cdfg  wieder  auseinander  fahren, 
mithin  divergirend  auf  das  Auge  G  fallen  würden.  Da  aber  die  Pupille  von  D  auch  bei 
starker  Erweiterung  noch  immer  sehr  klein  ist,  relativ  zu  der  Entfernung,  in  welcher 
sich  das  Auge  G  aufstellen  müsste,  so  würde  rücksichtlich  des  einem  leuchtenden  Punkte 
entsprechenden  Kegels  die  zu  k  gelangende  Menge  von  Lichtstrahlen  eine  relativ  zu  geringe 
sein,  rücksichtlich  des  Winkels  aber,  den  die  Richtungslinien  von  je  zwei  leuchtenden 
Punkten  der  Netzhaut  D  in  dem  Auge  G  bilden  könnten,  dieser  Winkel  (Sehwinkel)  so 
klein  ausfallen,  dass  eine  Unterscheidung  von  so  kleinen  Objecten,  wie  die  Netzhautge- 
fässe  etc.,  nicht  mehr  möglich  sein  würde. 


Augenspiegel. 


69 


* 


B 


70  Netzhaut. 

b)  Fällt  in  dem  Auge  D  die  Spitze  des  inneren  Kegels  der  einfallenden  Strahlen 
nicht  auf  die  Netzhaut,  sondern  vor  oder  hinter  dieselbe,  d.  h.  will  oder  kann  sich  das 
Auge  D  nicht  für  die  Distanz  des  leuchtenden  Objectes  A  accommodiren ,  dann  nehmen 
die  ausfahrenden  Strahlen  eines  lichtreflectirenden  Netzhautpunktes  nicht  denselben  Weg, 
wie  die  einfallenden  Strahlen  eines  entsprechenden  leuchtenden  Objectes,  sie  haben  eine 
andere  Neigung  zu  einander.  Um  dies  zu  erörtern,  wird  es  genügen,  den  einen  Fall  zu 
betrachten,  den  nämlich,  wo  die  einfallenden  Strahlen  sich  merklich  vor  der  Netzhaut 
vereinigen ,  wie  diess  geschieht ,  wenn  ein  Auge  D  kurzsichtig  ist ,  oder  wenn  (wovon 
später)  einem  normalen  Auge  ein  Convexglas  vorgehalten  wird.  —  Denken  wir  uns  in 
Fig.  2  (S.  71)  das  zu  untersuchende  Auge  D  in  der  Sehachse  merklich  verlängert,  übrigens 
vorläufig  Alles  wie  in  Fig  1.  Offenbar  werden  jetzt  die  von  A  in  das  Auge  D  gelangten 
Strahlen  sich  vor  der  Netzhaut  (in  e)  vereinigen  und  auf  der  Netzhaut  rings  um  den 
Punkt  n  (verlängerte  Richtungslinie)  einen  Zerstreuungskreis  bilden.  ( Der  Gang  der 
einfallenden  Strahlen  ist  in  Fig.  2  durch  die  punktirten  Linien  bezeichnet.)  Jeder  in 
diesem  Zerstreuungskreise  gelegene  Punkt  der  Netzhaut  kann  nun  Licht  reflectiren.  Be- 
trachten wir  den  Gang  jener  Strahlen,  welche  von  dem  in  der  verlängerten  Richtungs- 
linie nx  gelegenen  Netzhautpunkte  n  ausfahren,  so  erhalten  wir  den  Kegel  ncd  (durch 
die  ausgezogenen  Linien  angedeutet),  welcher  also  nicht  mit  ecd  zusammenfällt.  Da  nun 
dessen  Spitze  weiter  hinter  der  Trennungsebene  cd  liegt,  so  muss  auch  die  Spitze  des 
äusseren  Kegels  näher  am  Auge  D  liegen ,  also  zwischen  B  und  D,  nehmen  wir  an  in  N. 
Ist  nun  DN  die  Vereinigungsweite  der  ausfahrenden  Strahlen,  was  so  viel  heisst,  als  das 
Auge  D  würde  ein  in  0  befindliches  Object  deutlich  sehen  {DN=DO  in  der  Sehachse), 
so  werden  die  von  n  ausfahrenden  Strahlen  vor  und  hinter  der  Glasplatte  gegen  N  hin 
verlaufen.  Die  von  der  Glasplatte  nicht  durchgelassenen ,  sondern  regelmässig  reflec- 
tirten  Strahlen  würden  sich  in  M  vereinigen,  wenn  CM=CN,  die  durchgelassenen  in  N. 
"Wenn  nun  N  nahe  an  D  liegt,  wie  bei  höheren  Graden  von  Kurzsichtigkeit,  so  wird 
die  Entfernung,  in  welcher  sich  das  Auge  G  hinter  der  Glasplatte  aufzustellen  hat,  um 
hinreichend  divergente  Strahlen  zu  empfangen,  nicht  mehr  zu  gross  sein,  wie  im  vo- 
rigen Falle ,  und  es  ist  dann  nicht  nothwendig ,  vor  G  ein  Concavglas  zu  halten ,  na- 
mentlich dann  nicht,  wenn  sich  G  für  die  Distanz  von  GN  accommodiren  kann,  wenn 
es,  wie  wir  in  Fig.  2  durch  Verlängerung  des  Bulbus  G  anzudeuten  suchten,  entspre- 
chend kurzsichtig  ist.  (Es  sieht  dann,  wie  wir  später  noch  zeigen  werden,  die  Objecte 
des  Augengrundes  von  D  verkehrt  und  vergrössert.) 

Untersuchen  wir  nun,  in  welcher  Anordnung  zu  einander,  und  unter  welchem 
Sehwinkel  zwei  Punkte  einer  beleuchteten  Netzhaut  (D)  von  einem  Beobachter  (G)  ge- 
sehen werden  können,  und  wählen,  wie  in  Fig.  1.,  hiezu  zwei  normale  Augen.  Es  sei  in 
Fig.  3  (S.  73)  A  eine  Flamme  von  dem  Durchmesser  ab— 8'",  die  Glasplatte  C  einen  Zoll 
von  D  entfernt,  die  Distanz  AC  =  4  Zoll,  und  das  beobachtete  Auge  D  für  die  Distanz 
der  Flamme  (also  auf  5  Zoll)  accommodirt,  so  dass  D  die  Flamme  scheinbar  in  B 
deutlich  sehen  würde  [CB=AC).  Von  dem  einen  Punkte  b  gelangt  ein  (durch  die  aus- 
gezogenen Linien  bezeichneter)  Strahlenkegel  auf  die  Glasplatte  und  von  da  auf  die 
Hornhaut  (cd),  und  wird  auf  der  Netzhaut  von  D  in  ß  vereinigt.  Um  zu  finden ,  wo 
ß  liegt,  denke  man  sich  eine  gerade  Linie  von  b' ,  welches  eben  so  weit  hinter  der 
Glasplatte  liegt,  als  6  vor  derselben ,  durch  den  Kreuzungspunkt  der  Richtunglinien  (x) 
gezogen.  Auf  gleiche  Weise  findet  man,  an  welchem  Punkte  der  Netzhaut  D  die  von 
a,  scheinbar  von  «',  einfallenden  Strahlen  vereinigt  werden,  nämlich  in  a,  wie  diess 
in  Fig.  3  die  punktirten  Linien  anzeigen.     Denkt  man  sich  nun  mit    dem   rechten  Auge 


Augenspiegel. 


71 


Fig.  2. 


B 


72  Netzhaut. 

an  die  Stelle  von  G ,  und  das  rechte  Auge  des  Beobachteten  an  die  Stelle  von  D,  so 
ergibt  sich  nach  der  Zeichnung,  dass  auf  der  beobachteten  Netzhaut  D  ein  verkleinertes 
Bild  aß  von  der  Flamme  ab  entsteht,  und  dass  der  Beobachtete  (D)  das  Flammenbild 
wie  jedes  Spiegelbild  überhaupt  verkehrt  sehen  muss;  denn  was  dem  Auge  D  links 
liegt  (b),  wird  auf  seiner  Netzhaut  links  (in  ß)  abgebildet,  mithin  so  wahrgenommen, 
als  läge  es  rechts  von  dem  Mittelpunkte  im  Sehfelde,  nämlich  in  b'.  —  Ist  die  Distanz 
zwischen  a  und  b  =  8'",  der  Abstand  der  Flamme  A  (oder  ab)  von  dem  Auge  D  =  b", 
dann  wird  die  Distanz  zwischen  «  und  ß  ohngefähr  [V"  sein,  in  Übereinstimmung  mit 
dem  früheren  Satze  von  Volkmann,  dass  das  Netzhautbild  eines  10  Zoll  entfernten 
Objectes  ohngefähr  16mal  kleiner  ist,  als  das  Object  selbst.  Die  ganze  Flamme  A  wird 
also  in  den  Grenzen  aß  auf  der  Netzhaut  deutlich  abgebildet  sein,  und  das  ganze  Netz- 
hautareal ist  nun  hinlänglich  beleuchtet.  —  Welchen  Weg  nehmen  nun  die  von  jedem 
einzelnen  Punkte  dieses  Netzhautareals  ausfahrenden  Strahlen  bis  zur  Netzhaut  von  G, 
und  wo  treffen  sie  dieselbe?  Betrachten  wir  von  dem  beleuchteten  Netzhautareal  aß 
die  beiden  Grenzpunkte  «  und  ß.  Da  D  für  die  Distanz  von  B  accommodirt  ist,  so» 
nehmen  die  von  ß  reflectirten  Strahlen  in  und  ausser  dem  Auge  D  genau  denselben 
Weg,  wie  die  einfallenden,  convergiren  also  nach  ihrem  Austritte  aus  D  gegen  den 
Punkt  b',  wie  die  (gezogenen)  Linien  df  und  ce  andeuten ;  eben  so  werden  die  von  « 
reflectirten  Strahlen  von  dem  Auge  D  gegen  a'  hin  verlaufen  (wie  die  punktirten  Linien 
dg  und  ch  anzeigen).  Treffen  nun  die  Kegel  cdef  und  cdgh  auf  die  Concavlinse  L, 
und  werden  sie  durch  diese  dem  für  die  Entfernung  GE  eingerichteten  Auge  G  ent- 
sprechend divergent  gemacht,  so  werden  die  von  «  ausgegangenen  Strahlen  durch  den 
dioptrischen  Apparat  von  G  in  dem  Punkte  «',  die  von  ß  ausgegangenen  in  dem 
Punkte  ß'  vereinigt,  so  als  kämen  sie  von  a"  und  ß".  Das  Auge  G  sieht  mithin  a 
links,  ß  rechts  vom  Centrum  des  Sehfeldes,  und  beide  Punkte  weiter  auseinander  ge- 
rückt; es  sieht  mithin  das  betrachtete  Netzhautareal  in  der  wirklichen  Ittge  (aufrecht) 
und  etwas  grösser  als  die  ursprüngliche  Flamme,  somit  die  einzelnen  Theile  des  Netz- 
hautareals bedeutend  vergrössert ,  so  dass  es  dieselben  deutlich  (Einreichend  beleuchtet 
und  unter  gehörig  grossem  Sehwinkel)  sehen,  mithin  unterscheiden  kann.  Das  Auge  G 
sieht  demnach  die  zwischen  aß  gelegenen  Netzhauttheile  von  D  in  der  Entfernung 
von  E  und  das  ganze  Areal  aß  in  einem  etwas  grössern  Areal  als  a"ß",  wie  sich 
leicht  ergibt,  wenn  man  von  a'  und  ß'  gerade  Linien  durch  x'  gezogen  und  bis  zur 
Entfernung  von  E  verlängert  denkt.  Von  a  und  von  ß  können  schon  nicht  mehr  alle 
Strahlen  nach  «'  und  ß'  Strich  gelangen,  woraus  man  sieht,  dass  das  Sehfeld  bei  dieser 
Untersuchungsweise  ein  ziemlich  beschränktes  ist. 

Die  Hehnholts'scke  Methode  leidet  an  zwei  Übelständen,  an  relativ 
zu  geringer  Beleuchtung  des  Augengrundes,  und  an  Störung  des  Beob- 
achters durch  das  oberwähnte  Spiegelbild  der  Cornea.  Der  exaete 
Physiker  verminderte  dieselben  so  weit,  als  es  bei  dem  dieser  Methode 
zu  Grunde  liegenden  Principe  überhaupt  möglich  war;  er  nahm  vier 
statt  einer  Glasplatte  (Polarisation  des  Lichtes),  und  fügte  sie  in  ein 
innen  geschwärztes  Gehäus  so  ein,  dass  beim  Gebrauche  des  Apparates 
die  Strahlen  unter  einem  Winkel  von  56  Graden  auffallen,  und  nach 
ihrer  Rückkehr  aus  dem  Auge  und  durch  die  Glasplatten  eine  möglichst 
nahe  hinter  diesen  befindliche  Concavlinse  passiren  müssen,   welche  je 


cc     E 


/ 


Augenspiegel. 


73 


L  =t 


74  Netzhaut. 

nach  dem  Refractionszustande  des  beobachteten  und  beobachtenden 
Auges  verschieden  zu  wählen  ist.*)  Das  Bedürfniss,  diese  Übelstände 
weiter  zu  beseitigen,  führte  bald  zu  wesentlichen  Modifikationen.  Zu- 
nächst nahm  unter  Prof.  Donders  Anleitung  der  Mechanicus  Epkens**) 
in  Amsterdam  einen  belegten  Glasspiegel,  beseitigte  an  einer  ohnge- 
fähr  der  Pupillengrösse  eutsprecheudeu  Stelle  in  der  Mitte  das  Amal- 
gam, um  durch  diese  Öffnung  in  das  zu  untersuchende  Auge  zu  blicken, 
und  liess  mittelst  einer  convexen  Linse  convergentes  Licht  auf  den 
Spiegel  und  in  das  zu  beobachtende  Auge  fallen.  Ruete***)  wählte 
zum  Reflector  einen  concaven  in  der  Mitte  durchbohrten  Metallspiegel, 
und  gab  dem  von  hier  aus  in  das  zu  beobachtende  Auge  reflectirten 
Lichte  einen  erhöhten  Grad  von  Convergenz  durch  eine  vor  dasselbe 
gehaltene  Convexlinse,  welche  zugleich  dazu  diente,  das  aus  dem  Auge 
zurückkehrende  Licht  zu  einem  umgekehrten  Netzhautbilde  in  oder 
nächst  ihrer  Brennweite  zu  sammeln  und  dieses  dem  Beobachter  in  ge- 
eigneter Distanz  als  Sehobject  darzubieten.  Dem  Epke?is-Do7ide?>s,$ckeia. 
Apparate,  von  welchem  Schauenburg  (Lahr  1854)  eine  genaue  Abbil- 
dung und  Beschreibung  gegeben  hat,  so  wie  dem  Ruete'schen ,  rück- 
sichtlich dessen  näherer  Schilderung  wir  auf  Ruete's  neuere  Schriften 
verweisen  müssen,  fällt  bei  den  grossen  Vortheilen,  welche  sie  darbie- 
ten, vorzüglich  die  Beschwerlichkeit  ihrer  Handhabung  für  den  prak- 
tischen Arzt  zur  Last,  wogegen  die  Spiegel  von  Cocains  f),  gehender  ff), 
Ed.  Jäger  und  Stellwag  fff) ,  welche  im  Wesentlichen  auf  denselben 
Principien  fussen,  wenig  zu  wünschen  übrig  lassen. 

Ich.  muss,  der  Grenzen  dieser  Abhandlung  eingedenk,  auf  eine  weitere  Beschrei- 
bung dieser  Instrumente  verzichten,  und  will,  bevor  ich  zur  Anleitung  der  Gebrauchs- 
weise des  CoeaWschen  Spiegels  übergehe,  der  als  Prototyp  der  späteren  gelten  mag, 
nur  noch  einige  Erörterungen  aus  einem  Aufsatze  von  Helmholtz  aufnehmen,  welchen 
dieser  ausgezeichnete  Forscher  1852  in  Vierordt's  Archiv  für  physiologische  Heilkunde 
veröffentlicht  hat. 

Ist  in  Fig.  4  A  ein  leuchtender  Punkt,  das  zu  beobachtende  Auge  B  für  die  Ent- 
fernung AB  adaptirt,  und  C  das  Bild  jenes  leuchtenden  Punktes  A  auf  der  Netzhaut  von 
B,  dann  werden  die  von  C  reflectirten  Strahlen  wieder  nach  A  zurückkehren,  und  ein 
Auge  D,  welches  neben  A  vorbei  nach  B  hinblickt,  kann  von  dem  rückkehrenden  Lichte 
nichts  auffangen,  sieht  die  Pupille  schwarz.  (Der  Gang  der  Lichtstrahlen  ist  für  diesen 
Fall  durch  die  ausgezogenen   Linien   bezeichnet.)      Anders    verhält  sich's,   wenn  B  nicht 


*)  Beschreibung  eines  Augenspiegels,  Berlin  1851. 
**)  Ncderl.  Weekblad  voor  Genceskundigen,  21.  Dec.  1851. 
***)  Der  Augenspiegel  und  das  Optometer,    Göttingen  1852. 
■f)  Über  die  Anwendung  des  Augenspiegels,  Leipzig  1853. 
It)  von  Gräfe's  Archiv  für  Ophthalmologie,  Berlin  1854. 
-j-ff)  Theorie  der  Augenspiegel,  Wien  1854. 


Augenspiegel.  75 


für  die  Entfernung  des  lichtsendenden  Objectes  adaptirt  ist.  Seine  Sehweite  bleibe  wie 
vorher  gleich  der  Entfernung  AB,  aber  der  leuchtende  Punkt  rücke  von  A  nach  E. 
Jetzt  würde  der  Yereinigungspunkt  der  von  E  ausgehenden  Strahlen  hinter  die  Netzhaut 
fallen ,  etwa  nach  F,  und  die  Netzhaut  würde  in  einem  Kreise  (von  dem  Durchmesser) 
aß  beleuchtet.  Da  der  Eefractionszustand  von  B  für  die  Distanz  AB  eingerichtet  ist,  so 
werden  die  Strahlen,  die  irgend  ein  beleuchteter  Punkt  von  aß  reflectirt,  in  der  Ent- 
fernung von  AB  vereinigt,  und  zwar  z.  B.  von  a  in  der  verlängerten  Richtungslinie  ax, 
also  in  «',  und  von  ß  in  ß'.  (Der  Gang  der  einfallenden  Strahlen  ist  für  diesen  Fall 
durch  die  punktirten ,  der  Gang  der  reflectirten  von  «  durch  die  gestrichelten  Linien 
bezeichnet;  für  ß  ist  bloss  die  Richtungslinie  bis  ß'  ausgeführt.)  Unter  solchen  Verhält- 
nissen kann  D  einen  Theil  des  von  aß  reflectirten  Lichtes  auffangen,  so  lange  es  sich 
zwischen  den  Grenzen  von  «'  und  ß'  befindet,  und  sieht  die  Pupillen  von  B  roth  auf- 
leuchten. —  „Dieses  Aufleuchten  ist  um  so  stärker,  je  weniger  der  Reflectionszustand 
des  beobachteten  Auges  für  die  Entfernung  des  leuchtenden  Körpers  eingerichtet  ist. 
Die  Veränderungen  im  brechenden  Apparate  des  Auges  bei  der  Accommodation  für  die 
verschiedensten  Entfernungen  sind  aber  niemals  sehr  bedeutend,  daber  die  Zerstreuungs- 
kreise, welche  bei  unpassender  Adaptation  entstehen ,  stets  von  geringer  Grösse  und  so- 
mit das  Leuchten  —  in  dieser  Art  zuerst  von  Brücke  beobachtet  —  immer  nur  schwach. 
Aber  man  kann  die  Sehweite  des  zu  beobachtenden  Auges  künstlich  in  sehr  beträcht- 
lichem Grade  verändern,  wenn  man  ihm  ein  scharfes  Convex-  oder  Concavglas  vor- 
setzt. Ebenso  wie  man  ein  weitsichtiges  Auge  durch  ein  vorgesetztes  Convexglas,  ein 
kurzsichtiges  durch  ein  Concavglas  normalsichtig  macht,  wird  ein  normalsichtiges  durch 
ein  vorgehaltenes  Concavglas  einem  weitsichtigen  ähnlich,  durch  ein  Convexglas  einem 
kurzsichtigen.  "Wenn  man  ein  Convexglas  von  IV2"  Pn-ennweite  vor  das  Auge  hält,  so 
kann  man  nur  solche  Gegenstände  noch  deutlich  sehen,  welche  nahehin  1  '/a"  hinter  die- 
sem Glase  liegen ;  alle  entfernteren  entwerfen  Bilder  mit  so  grossen  Zerstreuungskreisen 
auf  der  Retina,  wie  es  sonst  bei  den  grössten  Veränderungen  der  Sehweite  nie  geschehen 
kann.  Das  ist  aber  ausserordentlich  vortheilhaft ,  wenn  in  diesem  Auge  das  Brücke- 
sche  Leuchten  beobachtet  werden  soll.  Durch  diese  geringe  Modification  des  Brücke- 
schen  Versuches  kann  eine  ganz  ausreichende  Beleuchtung  des  Augengrundes  für  den 
Beobachter  hervorgebracht  werden."  (Helmholtz.)  —  In  Fig.  5  sei  A  die  Flamme,  D  das 
beobachtende,  B  das  beobachtete  Auge,  S  ein  Schirm  hinter  der  Flamme,  neben  welchem 
das  Auge  D  nach  B  hinblickt,  und  L  eine  Convexlinse  von  der  Brennweite  LF,  die 
Distanz  LB  kleiner  als  LF.  Strahlen,  die  von  irgend  einem  Punkte  der  Flamme  A 
durch  die  Linse  L,  also  convergent  nach  B  gelangen,  werden  durch  dessen  dioptrischen 
Apparat  schon  mehr  weniger  weit  vor  der  Netzhaut  vereinigt  (etwa  in  0),  und  treffen 
die  Netzhaut  B  erst  als  Zerstreuungskreis  aß.  Das  Auge  B  sieht  nunmehr  vor  sich  eine 
lichte  Scheibe  und  kann  sich   im  Allgemeinen  nicht  (ausser  mit  Hilfe  des  andern  Auges) 


76 


S 


^ 


Netzhaut. 

A 


\ 


für  eine  bestimmte  Distanz  accommodiren,  verhält  sich  rücksichtlich  der  Accommodation 
passiv,  d.  h.  ist  in  einem  für  parallel  einfallendes  Licht  adaptirten  Refractionszustande 
(wenn  es  nicht  kurzsichtig  ist).  Unter  solchen  Umständen  werden  die  von  den  einzelnen 
Punkten  des  lichten  Kreises  aß  reflectirten  Str.ahlen  nach  ihrem  Austritte  aus  dem  Auge 
parallel,  also  als  Cylinder  fortgehen,  deren  Richtung  durch  den  leuchtenden  Punkt  und 
durch  den  Kreuz ungspunkt  x  bestimmt  wird.  Die  Strahlen  nun,  welche  von  irgend  einem 
Punkte  des  beleuchteten  Netzhautareals  reflectirt  werden  und  unter  sich  parallel  aus  dem 
Auge  ausfahren,  werden  durch  die  Linse  L  in  deren  jenseits  gelegener  Brennpunktsebene 
F  (a'ß1)  vereinigt.  Es  wird  also  in  der  Fläche  a'ß'  ein  (verkehrtes  und  vergrößertes) 
Bild  von  dem  Netzhautareal  aß  entworfen,  und  wenn  der  Beobachter  sein  Auge  D  für 
die  Entfernung  FD  adaptirt,  kann  er  hier  in  a'ß'  ein  deutliches  (umgekehrtes)  Bild  eines 
Theiles  der  beleuchteten  Netzhautpartie  sehen.  —  Nimmt  man  nun  statt  des  Schirmes 
S  mit  unmittelbar  dahinter  befindlicher  Flamme  einen  Hohlspiegel  (6"  Brennweite),    wie 


Fig.  6. 


^ 


^ 


rfr 


C  in  Fig.  6,  vor  das  beobachtende  Auge  D,  und  versetzt  die  Flamme  neben  das  zu  beob- 
achtende Auge  B  in  eine  solche  Lage,  dass  der  Hohlspiegel  Licht  durch  L  in  das  Auge 
B  werfen  kann,  so  ist  im  Wesentlichen  nichts  gegen  Fig.  5  geändert,  werden  jedoch 
zwei  beträchliche  Vortheile  erlangt,  nämlich,  dass  man  jetzt  nicht  neben,  sondern  gleich- 
sam mitten  durch  die  Flamme  nach  B  blicken  kann,  und  dass  von  C  bereits  conver- 
gentes  Licht  gegen  B  hin  verläuft,  demnach  die  Linse  L  nötigenfalls  entbehrt  werden 
kann,  was  unter  Umständen  aus  später  anzugebenden  Gründen  sehr  wünschenswerth 
sein  kann. 

Untersuchung  mit  dem  Spiegel  von  Coccius.  A.  im  aufrechten  Bilde, 
was  in  der  Eegel  nur  in  grosser  Nähe  oder  mit  Hilfe  von  Concavglä- 
sern  möglich  ist.  Ist,  wie  in  Fig.  7  (S.  78),  das  zu  untersuchende  Auge  D 
das  linke,  so  setze  sich  der  Beobachter  dem  Kranken  an  einem  rechts 
befindlichen  Tische  so  gegenüber,  dass  er  sein  (rechtes)  Auge  G  dem 
zu  untersuchenden  D  bis  auf  einige   (selbst  unter  einem)  Zoll  und  in 


Augenspiegel.  77 

gleicher  Höbe  über  dein  Fussbodeu  vis-a-vis  nähern  kann,  und  stelle 
auf  dem  Tische  die  Lampe  ebenfalls  in  gleiche  Höhe  mit  den  Augen 
D  und  G,  vom  Kranken  links  und  rückwärts.  Dann  richte  man  die 
Linse  L  (gewöhnlich  5"  Brennweite),  welche  so  angebracht  ist,  dass 
ihre  verlängerte  Achse  die  Mitte  des  Loches  im  Spiegel  {mn)  treffen 
würde,  schräg  zum  Spiegel,  so  dass  die  Linsenachse  mit  dem  Spiegel- 
perpendikel einen  möglichst  spitzigen  Winkel  bildet  und  halte  nun  das 
Instrument  so,  dass  der  Spiegel  das  durch  die  Linse  concentrirte  Licht 
auf  die  Wange  unter  dem  zu  betrachtenden  Auge  wirft.  Ist  die  rela- 
tive Stellung  zwischen  Flamme,  Linse,  Spiegelfläche  und  Kranken  rich- 
tig, so  sieht  man  auf  der  Wange  eine  lichte  Scheibe  mit  einem  schar- 
fen runden  Schatten  in  der  Mitte,  entsprechend  dem  Loche  im  Spiegel. 
Nun  lasse  man  den  Kranken  auf  den  Nasenrücken  oder  gegen  das  linke 
Auge  blicken,  oder  vielmehr  in  dieser  Richtung  vor  sich  hinstarren, 
um  die  Sehnervenpapille  von  D  ohngefähr  in  die  Richtung  der  Seh- 
achse von  G  zu  bringen.  Sollte  der  Kranke  sein  Auge  nicht  nach 
dem  Gesichtssinne  richtig  stellen  können,  wie  diess  bei  ganz  Erblinde- 
ten der  Fall  ist,  so  vermag  er  es  gewöhnlich  nach  dem  Gefühle,  wenn 
man  ihn  seinen  Finger  nach  jener  Gegend  halten  lässt,  wohin  er  sein 
Auge  richten  soll.  Nun  wendet  man  das  Instrument  so,  dass  die  lichte 
Scheibe  mit  dem  dunklen  Flecke  gerade  mitten  auf  das  Auge  D  fällt, 
und  bringt  sein  Auge  G  möglichst  nahe  hinter t??i?i,  am  besten,  indem 
man  den  Augenbrauenbogen  an  die  Spiegelplatte  anlegt,  um  dem  In- 
strumente zugleich  die  nöthige  Ruhe  der  Haltung  zu  sichern.  Man 
wird  nun  die  Pupille  roth,  und  wenn  die  Richtungslinie  der  Sehnerven- 
papille von  D  mit  der  Sehachse  von  G  wenigstens  annähernd  zusam- 
menfällt, weissgelb  (wie  helles  Lampenlicht)  aufleuchten  sehen.  Hat 
man  schon  die  dem  Refractiouszustande  von  I)  und  von  G  angemessene 
Entfernung  oder  vielmehr  Annäherung  getroffen  (da  die  Distanz  zwi- 
schen Spiegel  und  Auge  D  meistens  nur  l— 3  Zoll  beträgt),  so  erkennt 
man  bereits  die  Centralgefässe  der  Netzhaut,  und  bei  passender  Stel- 
lung von  D  auch  die  Sehnervenpapille  als  lichte,  scharf  von  dem  röth- 
lichen  übrigen  Augengrunde  abgegrenzte  Scheibe. 

Zum  Verständniss  des  Vorganges  mag  mit  Beziehung  auf  Fig.  7  Folgendes  dienen : 
Von  der  Flamme,  welche  immer  mindestens  einige  Zoll  mehr  als  die  doppelte  Brennweite 
der  Linse  aLb  von  dieser  entfernt  sein  muss,  gelangt  ein  Kegel  divergenter  Strahlen 
auf  die  Linse,  und  wird  durch  diese  in  einen  Kegel  convergenter  Strahlen  verwandelt, 
dessen  Länge  etwas  mehr  als  5"  beträgt,  wenn  die  Linse  aLb  eine  Brennweite  von  5" 
hat.  Die  Linie  FLE  zeigt  die  Pachtung,  in  welcher  die  Spitze  dieses  Kegels  zu  suchen 
wäre.  Dieser  Kegel  wird  aber  durch  die  Spiegelfläche  unterbrochen  und  gezwungen,  bei 
unveränderter  Lage  oder  Neigung  der  einzelnen    Strahlen    zu    einander   in    anderer  Rieh- 


78 


Netzhaut. 


w 


tung,  nämlich  nach  p  fortzulaufen,  ■welcher  Punkt  ehen  so  weit  vor  dei 
Spiegelfläche  liegt,  als  die  Kegelspitze  ohne  Zwischenkunft  des  Spiegels  da- 
hinter liegen  würde.  In  Fig.  7  ist  der  Punkt  p  dadurch  Destimmt  worden, 
dass  von  ra  und  b  Perpendikel  auf  die  (verlängerte)  Spiegelfläche  gefällt,  in 
jedem  derselben  jenseits  der  Spiegelfläche  der  gleich  weit  entfernte  Punkt,  a' 
und  b'  verzeichnet,  diese  Punkte  mit  den  betreffenden  Durchschnittspunkten  der 
Spiegelfläche  c  und  d  verbunden,  und  diese  Verbindungslinien  a'c  und  b'd  ver- 
längert wurden.  Der  von  der  Linse  aLb  ausgehende  Kegel  wird  also  an  der 
Spiegelfläche  cd  gleichsam  geknickt  und   gezwungen  gegen  p  hin  zu  verlaufen. 


\fi 


Augenspiegel.  79 

"Wird  ihm  nun  das  Auge  D  in  diesem  Laufe  entgegen  gestellt,  so  trifft  er  dasselbe  mit  dem 
Durchschnitte  ef.  Das  Auge  D  wird  also  von  convergirenden  Strahlen  getroffen ,  falls 
es  sich  diessseits  von  p,  also  innerhalb  der  Vereinigungsweite  des  Apparates  aufstellt, 
und  alles  Licht,  welches  die  Linse  passirt  hat,  ist  nun  auf  diesen  Durchschnitt  ef  Con- 
centrin, wenn  wir  vorläufig  von  den  Verlusten  durch  Zerstreuung,  durch  die  Distanz  und 
durch  das  Loch  im  Spiegel  absehen.  In  dieser  Beziehung  wirkt  also  diese  Combination 
einer  Convexlinse  mit  einem  Planspiegel  ganz  so  wie  ein  in  a'b'  aufgestellter  Concav- 
spiegel  von  entsprechender  Brennweite  und  Spiegelöffnung.  Diese  Combination  hat  jedoch 
vor  dem  Concavspiegel  voraus,  dass  das  Auge  G  gleichsam  mitten  in  den  Strahlenkegel 
hinein  versetzt  werden,  mithin  ceteris  paribus  dem  Auge  D  viel  näher  rücken  kann,  wasr 
wie  wir  später  sehen  werden,  in  mehrfacher  Beziehung  Vortheile  gewährt;  sie  hat  über- 
diess  noch  das  für  sich,  dass  man  durch  Annäherung  der  Linse  ab  an  die  Spiegelfläche 
cd,  oder  durch  Einsetzen  einer  Linse  von  anderer,  z.  B.  4"  Brennweite,  die  Öffnung  und 
Brennweite  des  Apparates  (quasi  Hohlspiegel)  nach  Bedürfniss  leicht  ändern  kann.  Solche 
Veränderungen  sind  nämlich  bis  zu  den  nöthigen  Grenzen  in  der  mechanischen  Con- 
struetion  der  möglichst  bequemen  und  compendiösen  Apparate  von  Coccius  und  von 
Zehender  auf  eine  sehr  leichte  und  wohlfeile  Art  ermöglicht. 

Von  dem  Lichte,  welches  auf  D  fällt,  contribuiren  zu  unserem  Zwecke  nur  jene 
Strahlen,  welche  das  die  Pupillengrösse  von  D  etwas  übertreffende  Hornhautareal  ik 
treffen,  also  die  zwischen  gi  und  hk  verlaufenden.  Von  diesen  geht  noch  ein  guter 
Theil  durch  Reflexion  an  den  Trennungsebenen,  namentlich  durch  Spiegelung  an  der 
Vorderfläche  der  Cornea  verloren.  Hierauf,  so  wie  auf  den  Verlust  durch  das  Loch 
im  Spiegel,  kommen  wir  später  >zu  sprechen.  Die  durch  ik  eindringenden  Strahlen 
werden  nun  durch  den  dioptrischen  Apparat  von  D  so  gebrochen,  dass  sie  sich  mehr 
weniger  weit  vor  der  Netzhaut  vereinigen,  etwa  in  q,  und  die  Netzhaut  in  einem 
Zerstreuungskreise  treffen,  welcher  um  so  grösser  ist,  je  weiter  q  vor  der  Netzhaut 
liegt.  *)  Man  sieht ,  dass  dieser  Abstand  zwischen  q  und  der  Netzhaut  grösser  sein 
würde,  wenn  z.  B.  die  Netzhaut  tiefer  läge  oder  die  Hornhaut  stärker  gewölbt  wäre, 
aber  auch  dann ,  wenn  p  näher  an  D  zu  liegen  käme ;  näher  an  D  würde  p  zu  liegen 
kommen,  wenn  man  mit  demselben  Apparate  weiter  von  D  rückte ,  die  Linse  in  grös- 
serer Entfernung  vom  Spiegel  aufstellte,  oder  eine  Linse  von  kürzerer  Brennweite 
einsetzte.  Da  es  sich  zunächst  um  gehörige  Beleuchtung  eines  Areals  der  Netzhaut  D 
handelt,  und  da  die  Pupille  (Hornhautscheibe  ik)  nur  bis  zu  einer  bestimmten  Grösse 
steigen  (künstlich  erweitert  werden)  kann ,  so  wird  mit  Rücksicht  auf  die  angegebenen 
und  noch  anzugebenden  Verhältnisse  immer  eine  solche  Wahl  in  diesen  Momenten  ge- 
troffen werden  müssen,  dass  durch  ik  hinreichend  viel  Licht  eindringen,  und  dass 
dieses  Licht  nicht  auf  ein  zu  grosses  Netzhautareal  vertheilt,  i.  e.  dass  q  nicht  zu  weit 
von  der  Netzhaut  entfernt  sei.  Offenbar  könnte  man  alles  Licht,  welches  zwischen  ce  und 
elf  liegt,  durch  die  Pupille  in's  Auge  leiten,  wenn  man  den  Apparat  so  einrichtete  oder 
so  weit  von  D  entfernte,  dass  sämmtliche  Strahlen  in  einem  Querschnitte  des  Kegels 
von  dem  Durchmesser  ik  enthalten  wären,  es  würde  aber  dann  einerseits  der  Zer- 
streuungskreis auf  der  Netzhaut  D  zu  gross  ausfallen,  mithin  in  einer  Beziehung  ver- 
loren gehen,  was  in  der  andern  gewonnen  wurde,  und  andrerseits  würde  meistens 
auch    der  zweiten   Bedingung,   dass   der   Beobachter   nicht  zu   weit   von  D  sein    soll  — 


*)  Wir  haben  in  der  Zeichnung  q  weiter   vor  der  Netzhaut  angesetzt,    als  es  in  der  Wirklichkeit  der 
Fall  ist,  um  die  Linien  nicht  zu  eng  zusammen  zu  drängen. 


80  Netzhaut. 

■wovon  weiter  unten  —  Eintrag  gethan  werden.  Wollte  man  bei  einem  Abstände  des 
Spiegels  von  D  wie  in  Fig.  7  den  -Kegelschnitt  ef  dadurch  verengern  (auf  ik  reduciren), 
dass  man  die  Linse  weiter  vom  Spiegel  rückte,  so  würde  man  an  Lichtmenge  nicht 
viel  gewinnen,  weil  dann  auch  die  Lampe  weiter  entfernt  werden  müsste,  und  weil 
dann  p,  mithin  auch  q  näher  an  die  Linse  und  Hornhaut  von  D  rücken  würde.  Nähme 
man  zu  demselben  Zwecke  eine  stärkere  Linse  (aLb),  so  würde  wohl  der  erstere,  nicht 
aber  der  letztere  Übelstand  vermieden.  In  dieser  Beziehung  muss  man  die  "Wahl  des 
Mittels ,  welche  Zehender  traf,  als  eine  ebenso  glückliche  wie  scharfsinnige  bezeichnen ; 
er  nahm  eine  stärkere  Linse  (aLb)  von  3"  Brennweite,  welche  3/4  —  l'/a"  vom  Spiegel- 
centrum entfernt  unter  beliebiger  Neigung  aufgestellt  werden  kann,  und  verwandelte 
den  ebenen  Glasspiegel  in  einen  schwach  convexen  Metallspiegel  (von  6"  Krümmungs- 
halbmesser) und  bewirkt  hiedurch,  indem  er  die  stark  convergent,  also  stark  concentrirt 
auf  den  Spiegel  fallenden  Strahlen  zwingt,  etwas  weniger  convergent  fortzugehen,  dass 
eine  gleiche  Quantität  Licht  durch  die  enge  Öffnung  de  eintreten  kann,  und  trotzdem 
erst  nahe  an  der  Netzhaut  von  D  vereinigt  wird.  Er  drängt  dieselbe  Lichtmenge  in 
einen  engen  Durchschnitt  (für  ik)  zusammen,  macht  den  Kegel  bei  gleicher  Basis  .dünn, 
und  doch  weder  lichtärmer  noch  kürzer. 

Die  Rücksicht,  dass  selbst  mittelst  eines  compendiösen  und  leicht  zu  gebrauchen- 
den Apparates  möglichst  viel  Licht  durch  die  Hornhautscheibe  ik  eindringen  könne,  ohne 
dass  q  zu  weit  vor  die  Netzhaut  von  D  fällt,  ist  noch  durch  einen  andern  Umstand 
dringend  geboten.  Bei  der  Beleuchtung  der  Netzhaut  mittelst  durchbohrter  Spiegel 
kommt  nämlich  noch  in  Betracht,  dass  dieses  Loch,  welches  nicht  viel  weniger  als  1'" 
Durchmesser  haben  kann  (wegen  des  Beobachters),  natürlich  kein  Licht  reflectirt,  der 
Lichtkegel  also  in  der  Mitte  einen  lichtlosen  Kegel  enthält,  dessen  Basis  am  Spiegel- 
loche, dessen  Spitze  (streng  genommen)  an  der  Lichtkegelspitze  liegt.  Da  nun  zwischen 
mn  kein  Licht  nach  D  geworfen  werden  kann,  so  hat  es  den  Anschein,  als  werde  hie- 
durch nicht  nur  die  Lichtmenge  für  ik  merklich  vermindert,  sondern  auch  als  könnte 
dann  gerade  der  in  der  Richtung  der  Sehachse  von  G  liegende  Theil  der  Netzhaut  D, 
also  gerade  die  Mitte  des  Sehfeldes  für  G,  gar  nicht  oder  doch  nicht  hinlänglich  be- 
leuchtet werden.  Diess  würde  auch  in  der  That  der  Fall  sein ,  wenn  die  von  dem 
Spiegel  nach  D  geworfenen  Strahlen  parallel  oder  gar  divergent  auf  ik  auffielen.  Dieser 
Nachtheil  wird  aber  durch  die  Convergenz  dieser  Strahlen  beträchtlich  vermindert.  Denn 
in  dem  Punkte  q  und  kurz  vor  und  hinter  demselben  kann  (in  re)  kein  Schatten  von 
dem  Loche  me  vorhanden,  nur  die  Lichtmenge  etwas  geringer  sein,  als  sie  ohne  das 
Loch  me  sein  würde.  (Vergl.  über  die  entoptischen  Erscheinungen.)  Wenn  daher  die 
Netzhaut  nicht  gar  weit  von  q  liegt,  so  kann  auch  das  beleuchtete  Netzhautareal  in  der 
Mitte  keinen  Schatten  zeigen  und  überhaupt  in  der  Mitte  nicht  um  vieles  schwächer 
beleuchtet  sein,  als  in  der  Umgebung.  Nimmt  man  Glasspiegel,  wie  Coccius,  dann 
wird  der  in  Eede  stehende  Fehler  auch  noch  dadurch  merklich  corrigirt,  dass  eine 
doppelte  Reflexion,  an  der  Glas-  und  an  der  Stanniolfläche ,  also  unter  zweierlei  Win- 
keln erfolgt,  welche  Winkel  um  so  mehr  differiren,  also  jenen  Fehler  um  so  mehr  ver- 
mindern, je  dicker  die  Glasplatte  ist.  Dicke  Glasplatten  haben  aber  den  Nachtheil, 
dass  das  Loch  dann  einen  Canal  darstellt,  dessen  Länge  gleich  der  Dicke  der  Glas- 
platte und  der  zum  Schutze  des  Beleges  nöthigen  Metallplatte.  Da  man  nun  immer 
mehr  weniger  schräg  durch  diesen  Canal  durchsehen  muss,  so  wird,  je  länger  derselbe, 
desto  beschränkter  der  Raum  für  die  von  D  nach  G  zurückkehrenden  Strahlen,  und 
entstehen  überdiess  durch  das  von  F  direct  nach  L  strahlende  Licht  an  den  Wandungen 


Augenspiegel.  .  81 

des  Canales  Reflex-  oder  Spiegelbilder,  welche  den  Beobachter  blenden,  und  auch  da- 
durch niemals  ganz  beseitigt  werden  können ,  dass  die  Wandungen  dieses  Canales  mög- 
lichst rauh  und  dunkel  gemacht  sind.  In  dieser  Beziehung  haben  Metallspiegel,  wie 
in  Zehender's  Apparate,  einen  entschiedenen  Vorzug,  da  man  das  Loch  im  Spiegel  trich- 
terförmig mit  ganz  dünnem  Bande  anbringen  und  den  Durchmesser  desselben  an  der 
polirten  Flüche  bis  auf  1  ',2'"  W.  M.  reduciren  lassen  kann. 

Es  lässt  sich  jedoch  die  nachtheilige  Folge  des  centralen  Loches  für  die  direct 
zu  sehende  Stelle  durch  einen  andern  Kunstgriff  beseitigen,  den  man  zugleich  an- 
wendet, um  das  Spiegelbild  auf  der  Hornhautfläohe  ik  aus  dem  Bereiche  der  Sehachse 
des  Auges  G  zu  bringen  und  mehr  weniger  unschädlich  zu  machen.  Man  neigt  nämlich, 
nach  richtiger  Einstellung  des  Apparates,  denselben  ein  wenig  nach  der  einen  oder 
der  andern  Seite  so  ab,  dass  der  Achsenstrahl  Lo  nicht  auf  die  Mitte  des  Loches  mn 
fällt,  sondern  ein  wenig  links  davon,  wenn  man  einen  mehr  rechts  gelegenen  Punkt 
der  Netzhaut  D  direct  sehen  will,  und  man  lässt  das  Auge  D  nach  und  nach  seine 
Richtung  etwas  ändern,  z.  B.  etwas  aufwärts,  wenn  man  eine  höher  gelegene  Stelle 
direct  sehen  und  betrachten  will.  Es  muss  nämlich  der  dem  centralen  Loche  ent- 
sprechende lichtärmere  Punkt  an  der  Netzhaut  von  D  jederzeit  in  der  Richtung  der 
Achse  des  Strahlenkegels  liegen;  man  muss  daher,  um  ihm  auszuweichen,  den  Spiegel 
so  wenden,  dass  diese  Achse  (und  ihre  Verlängerung)  nicht  auf  die  zu  betrachtende, 
sondern  auf  eine  etwas  seitlich  gelegene  Stelle  der  Netzhaut  D  fällt.  —  Man  hält  die 
Spiegel  gewöhnlich  an  einer  Handhabe,  welche  auf  entgegengesetzten  Punkten  ange- 
bracht werden  müssen,  je  nachdem  man  an  dem  rechten  oder  linken  Auge  beobachten 
will.  Da  nun  oft  sehr  geringe  Wendungen  der  Spiegelfläche  nöthig  sind,  welche  leicht 
zu  gross  ausfallen,  wenn  man  sie  durch  eine  solche  Handhabe  ausführt  (besonders 
Wendungen  nach  oben  oder  unten),  indem  diese  Handhabe  als  Hebelarm  zu  betrachten 
ist,  so  habe  ich  an  dem  Zehenderschen  Spiegel,  dessen  ich  mich  in  der  Regel  bediene, 
die  Handhabe  weggelassen,  und  halte  den  Apparat  an  einem  etwas  grössern  Vorsprunge 
des  Gewindes,  das  die  Linse  trägt,  wodurch  zugleich  das  Etui,  in  dem  der  Spiegel  zu 
tragen  ist,  kleiner,  mithin  bequemer  ausfällt. 

Kehren  wir  nun  zur  Betrachtung  der  Fig.  7  zurück,  um  unsere  Aufmerksamkeit 
auf  jene  Momente  zu  lenken,  welche  in  Anschlag  zu  bringen  sind,  sofern  sich's  darum 
handelt,  die  gehörig  beleuchtete  Netzhaut  D  mit  dem  Auge  G  deutlich  zu  sehen.  Die 
wichtigsten  Momente  sind:  der  jeweilige  Refractionszuständ  des  Auges  D,  die  his  zu 
einem  gewissen  Grade  Ton  der  Beleuchtung  abhängige  Entfernung  zwischen  D  und  G, 
und  die  Accommodationsfähigkeit  des  Auges  G. 

a.  Das  Auge  D  (in  Fig.  7)  kann  kurz-,  normal-  oder  fernsichtig  sein,  oder  es 
liegt  das  zu  beobachtende  Object,  z.  B.  die  von  der  Chorioidea  abgelöste  Netzhaut, 
innerhalb  der  Brennweite  des  dioptrischen  Apparates,  ein  Fall,  der  für  die  Netzhaut 
auch  bei  mangelnder  Linse  eintritt.  In  allen  Fällen,  wo  die  Netzhaut  nicht  jenseits 
der  Brennweite  des  dioptrischen  Apparates  liegt,  also  wo  das  Auge  D  nicht  kurzsichtig 
oder  (als  normal)  nicht  für  ein  nahe  gelegenes  Object  accommodirt  ist,  kann  der  diop- 
trische  Apparat  von  D  als  eine  Loupe  betrachtet  werden,  muss  daher  ein  in  der  Rich- 
tung der  ausfahrenden  Strahlen  befindliches  Auge  G  das  lichtsendende  Object  sehen 
können,  sobald  dieses  eine  hinreichende  Menge  Licht  nach  G  werfen,  G  sich  in  pas- 
sender Entfernung  aufstellen,  und  parallele  oder  wenig  divergirende  Strahlen  auf  seiner 
Netzhaut  vereinigen  kann.  Wer  aber  einen  Gegenstand  durch  eine  Loupe  von  kurzer 
Brennweite  |6' 2 — "'")  deutlich  sehen  will,  muss  sich  der  Loupe  mit  seinem  Auge  um 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  6 


82  Netzhaut. 

so  mehr  nähern,  je  weiter  hinter  der  Loupe,  d.  h.  je  näher  gegen  deren  Brennweite 
hin  sich  der  Gegenstand  befindet.  Die  Loupe  zeigt  uns  dann  den  Gegenstand  durch 
ein  virtuelles  Bild  aufrecht  und  vergrössert.  Will  man  also  die  in  oder  diessseits  der 
Brennweite  des  dioptrischen  Apparates  von  D  liegende  Netzhaut  im  aufrechten  Bilde  sehen, 
so  muss  man  sich  dem  Auge  D  jederzeit  mehr  weniger  nähern,  ausser  man  bewaffnet 
sein  Auge  mit  einem  Concavglase  oder  man  verlängert  die  Brennweite  des  dioptrischen 
Apparates  von  D  dadurch,  dass  man  ihm  eine  Concavbrille  vorhält.  Concavlinsen  zu 
vermeiden  ist  aber  wünschenswerth,  wegen  der  nothwendig  damit  verbundenen  Ver- 
minderung der  Lichtmenge  für  G  und  wegen  der  Störung  des  Beobachters  durch  Spie- 
gelbilder. Indem  nun  die  Apparate  von  Coccius  und  Zehender,  ohne  sehr  gross  zu 
sein,  eine  hinreichende  Menge  von  Licht  in  das  Auge  D  zu  werfen  und  das  von  D 
reflectirte  Licht  in  grosser  Nähe  aufzunehmen  gestatten,  haben  sie  eben  einen  grossen 
Vorzug  vor  andern.  —  Ist  D  kurzsichtig,  oder  ist  es  normal,  aber  für  die  Nähe  ac- 
commodirt,  dann  fahren  die  von  der  (hinter  der  Brennweite  gelegenen)  Netzhaut  re- 
flectirten  Strahlen  weder  parallel  noch  divergent  aus  demselben,  dann  kann  sein  diop- 
trischer  Apparat  relativ  zur  Netzhaut  in  seiner  Wirkung  nicht  mehr  mit  einer  Loupe 
verglichen  werden,  ausser  man  setzt  ihm  ein  Concavglas  vor.  Ist  aber  das  Auge  D 
nicht  in  höherem  Grade  kurzsichtig,  kann  es  z.  B.  noch  bei  10 — 12"  Entfernung  lesen, 
so  kann  seine  Netzhaut  von  einem  normal-  oder  weitsichtigen  Auge  dennoch  ohne 
Concavgläser,  wenn  gleich  nur  in  grosser  Nähe  (unter  1  l/-i"),  betrachtet  werden.  Diess 
scheint  ein  Widerspruch  mit  den  beiden  Sätzen,  dass  die  aus  einem  solchen  Auge  aus- 
fahrenden Strahlen  convergent  verlaufen,  und  dass  solche  Strahlen,  in  ein  Auge  G  ge- 
langend, schon  vor  der  Netzhaut  vereinigt  werden  müssen.  Wenn  man  sich  indess  von 
einem  leuchtenden  Punkte  einen  Strahlenkegel  durch  nahe  an  einander  befindliche  Linien 
auszieht,  ohngefähr  wie  tOu  neben  Fig.  7,  und  die  Basis  tu  an  die  Stelle  des  Hornhaut- 
areals ik  von  D  versetzt  denkt,  so  sieht  man,  dass,  wenn  der  Beobachter  G  sich  nach  vx 
oder  selbst  nach  yz  versetzt,  er,  wo  nicht  völlig,  so  doch  nahezu  parallele  Strahlen 
von  tu  bekommt,  während  er  weiter  von  tu  entfernt,  z.  B.  in  w,  schon  mehr  conver- 
gente  Strahlen  mit  seiner  Pupille  (Hornhaut)  auffangen  würde.  Die  Erweiterung  der 
Pupille  durch  Atropin  oder  Belladonna  gibt  uns  übrigens  ein  treffliches  Mittel  an  die 
Hand,  die  Kurzsichtigkeit  von  D  für  einige  Zeit  zu  vermindern,  und  auch  normale  Augen 
an  der  oft  unwillkürlich  erfolgenden  Einrichtung  ihres  Befrationszustandes  für  nahe 
Objecte  zu  hindern,  mithin  die  aus  D  ausfahrenden  Strahlen  zu  geringerer  Convergenz 
zu  zwingen,  oder  selbst  parallel  zu  machen. 

b.  Was  die  Entfernung  zwischen  D  und  G  betrifft,  so  ergibt  sich  das  zum  Ver- 
ständniss  Nöthige  wohl  schon  aus  dem  bereits  Gesagten,  und  wollen  wir  nur  noch  daran 
erinnern,  dass  sie  um  so  grösser  sein  kann  und  muss,  wenn  das  zu  sehende  Object 
von  D  mehr  und  mehr  von  der  Brennweite  gegen  die  Linse  und  Hornhaut  hervorge- 
rückt ist.  Daraus  ergibt  sich,  dass  man  sich  mit  demselben  Apparate  weiter  von  D 
halten  muss,  wenn  man  Opacitäten  im  Glaskörper  erkennen,  als  wenn  man  die  Netz- 
haut untersuchen  will,  dass,  wenn  man  von  einem  Auge,  dem  die  Krystalllinse  fehlt,  die 
Netz-  und  Aderhaut  oder  Glaskörpertrübungen  sehen  will,  diess  nur  aus  einer  relativ 
grössern  Entfernung  geschehen  kann. 

c.  Das  untersuchende  Auge  muss,  wenn  es  nicht  fernsichtig,  also  nicht  befähigt  ist, 
parallele  oder  schwach  divergente  Strahlen  auf  seiner  Netzhaut  zu  vereinen,  seine  Ac- 
commodation  für  die  Nähe  absichtlich  aufgeben,  oder,  falls  es  diess  nicht  kann  (viel- 
leicht weil  es   kurzsichtig   ist),    seinen  Refractionszustand    durch  ein  entsprechendes  Con- 


Augenspiegel.  83 

cavglas  (6 — 12)  corrigiren.  In  dem  neuern  (verbesserten)  Coccius'schcn  und  in  dem 
Ze/iender'schen  Apparate  können  solche  Gläser  sehr  bequem  in  einen  federnden  Ring 
unmittelbar  hinter  dem  Spiegelloche  eingesetzt  werden,  und  zwar,  um  die  Störung  durch 
Spiegelung  zu  verhüten,  etwas  schräg  zu  demselben. 

In  Fig.  7  sind  nun  a  und  ß  in  dem  Auge  D  innerhalb  des  beleuchteten  Netzhaut- 
areals als  zwei  leuchtende  Punkte  angenommen.  Der  Gang  der  von  a  reflectirten 
Strahlen,  welche  aus  dem  Auge  hinausgelangen  können,  ist  durch  die  punktirten  Linien 
bezeichnet.  Der  hier  in  Betracht  kommende  innere  Lichtkegel  ist  also  ctik.  Die  Rich- 
tung,  in  welcher  diese  Strahlen  vor  dem  Auge  D  fortgehen  müssen,  ist  bestimmt  durch 
c.x:  ihre  Neigung  zu  dieser  verlängerten  Richtungslinie  vor  dem  Auge  hängt  von  dem 
Refractionszustaude  des  Auges  D  ab  (allgemein  ausgedrückt :  von  der  Entfernung  des  zu 
sehenden  Punktes  hinter  dem  Kreuzungspunkte  der  Richtungslinien).  Wenn  nun  D  für 
unendlich  fern  eingerichtet  ist,  und  das  zu  sehende  Object,  wie  hier  a,  im  Brennpunkte 
des  dioptrisehen  Apparates  von  D  liegt,  so  gehen  alle  Strahlen  von  diesem  Objecto  cc 
ausserhalb  des  Auges  D  zum  Achsenstrahle  parallel  (bezeichnet  durch  die  Grenzstrahlen 
5'  und  s"\  fort,  können  jedoch  nur  theilweise  durch  das  Loch  mn  treten,  wenn  a  schon 
ziemlich  weit  vom  Mittelpunkte  des  Sehfeldes  (aß)  liegt,  und  werden  in  G  ohngefähr 
in  dem  Punkte  a'  vereinigt,  wenn  G  für  parallele  Strahlen  adaptirt  ist.  Dasselbe  findet 
mit  den  von  ß  und  von  allen  zwischen  a  und  ß  gelegenen  Punkten  ausfahrenden  Strahlen 
statt,  für  welche  nur  der  Achsenstrahl  (durch  die  gestrichelten  Linien)  angedeutet  ist. 
Somit  entsteht  auf  der  Netzhaut  G  ein  Bild  a'ß'  von  aß,  das  Auge  G  sieht  das  Netz- 
hautareal aß  aufrecht  und  vergrössert,  indem  die  Erregung  der  Netzhaut  G  in  a'  so 
empfunden  wird,  als  käme  das  Licht  durch  den  Kreuzungspunkt  der  Richtungslinien  x4 
also  ohngefähr  von  a"  und  ß"  hinter  dem  Auge  D. 

B.  Zu  der  Untersuchung  mit  umgekehrtem  Bilde  der  Netzhaut  be- 
darf mau  nebst  dem  genannten  Apparate  noch  eine  zweite,  und  zwar 
starke  Convexlinse  (von  2 — 3  Zoll  Brennweite).  Die  Vorrichtung  dabei 
unterscheidet  sich  von  der  früheren  nur  dadurch,  dass  der  Beobachter 
weiter  von  D  zurückweicht  und  die  Convexlinse  dann  vor  letzteres 
vorschiebt. 

Ein  Blick  auf  die  Fig.  8  wird  zur  Erläuterung  dienen.  Ist  Fab  das  auf  die  Linse 
i1  fallende  Lampenlicht,  so  trifft  dieses  Licht  den  Spiegel  zwischen  c  und  d,  und 
wird  von  diesem  so  reflectirt,  dass  es  sich  in  o  vor  D  vereinigen  würde,  wenn  nicht 
die  Linse  L-  vorgeschoben  würde.  Die  Linse  L1  muss  beim  C'occtWschen  Apparate 
mindestens  5"  Brennweite  haben.  Durch  die  Linse  Lr  wird  aber  das  zwischen  ce  und 
elf  verlaufende  Licht  schon  vor  o  zur  Vereinigung  gebracht,  nehmen  wir  an  in  p,  fährt 
jenseits  wieder  auseinander,  und  beleuchtet  die  Cornea  in  der  Scheibe  gh,  welche 
übrigens  auch  kleiner  sein  könnte,  als  ik.  Wovon  es  nun  abhänge,  ob  p  dem  Auge  D 
näher  oder  ferner  liege,  ist  nach  dem  früher  Gesagten  wohl  verständlich.  Wir  wollen 
nur  bemerken,  dass  es  dem  Auge  D  nicht  zu  nahe  liegen  dürfe,  weil  in  demselben 
Masse  auch  gh  grösser  würde,  und  durch  ik  dann  weniger  Licht  eindringen  könnte, 
was  um  so  nachtheiliger  wäre,  als  hier  ohnehin  schon  durch  die  grössere  Entfernung 
des  Spiegels  und  durch  Lr  Licht  verloren  geht,  sowohl  für  die  Beleuchtung  von  D,  als 
auch  auf  dem  Rückwege  für  den  Beobachter  G.  (Wir  wollen  übrigens  hier  gleich  die 
Bemerkung   einschalten,    dass  L-   immer    etwas    schräg   zu  x'x   zu    halten  sei,    und  dass, 

6* 


84 


Netzhaut. 


da  L-  planconvex  ist,  die  Convexität  zu  G  gerichtet  werden  müsse,  beides  aus  dem 
Grunde  um  das  von  L2  entworfene  Spiegelbild  für  das  Auge  G  seitlich  abzulenken  und 
somit  für  das  directe  Sehen  unschädlich  zu  machen.)     Liegt  nun  p,  wie  in  Fig.  8.,  nicht 


Augenspiegel.  85 

weit  vor  der  vordem  Brennpunktsebene  des  Auges  D,  dann  werden  die  zwischen  ik  ein- 
dringenden Strahlen  durch  den  Glaskörper  nur  wenig  convergent  verlaufen  und  die  Netz- 
haut in  dem  der  Pupillengrüsse  nahezu  gleichen  Areal  mn  beleuchten.  Läge  p  näher 
als  5'"  an  ik,  so  würden  die  Strahlen  im  Glaskörper  divergiren,  mn  grösser,  die  Beleuch- 
tung der  Netzhaut  schwächer.     Umgekehrt,  wenn  p  weiter  von  D  läge. 

Betrachten  wir  nun  den  Gang  der  ausfahrenden  Strahlen,  z.  B.  von  den  Punkten» 
u  und  ß,  so  kann  hier  das  Auge  D  in  Verbindung  mit  der  Linse  L2  unter  allen  Um- 
ständen, wo  aus  dem  Auge  D  parallele  oder  convergente  Strahlen  ausfahren,  als  eine 
Loupe  betrachtet  werden,  und  zwar  als  eine  Loupe  mit  zwei  Convexlinsen,  welche  um 
weniger  als  die  Summe  ihrer  Brennweiten  von  einander  abstehen.  Die  Linse  L2  bringt 
die  durch  ik  ausgetretenen  Strahlen,  wenn  diese,  wie  in  Fig.  8,  parallel  sind,  in  ihrer 
Brennweite  q,  wenn  diese  ausfahrenden  Strahlen  aber  convergent  auf  Ll  gelangen, 
zwischen  L-  und  q  zur  Vereinigung.  Der  letztere  Fall  ist  für  das  beobachtende  Auge 
G  günstiger.  So  werden  die  von  a  ausfahrenden  Strahlen  in  a',  die  von  ß  in  ß'  ver- 
einigt, wenn  das  Auge  B  für  die  Ferne  accommodirt  ist,  es  entsteht  in  ß'a'  ein  reelles, 
aber  umgekehrtes  und  nicht  stark  vergrössertes  Bild  von  aß.  Wäre  D  kurzsichtig, 
dann  würde  schon  dieser  Umstand  so  gut  hinreichen,  dieses  umgekehrte  Bild  näher  an  D 
zu  rücken,  als  z.  B.  eine  stärkere  Krümmung  von  L2.  Je  weniger  aber  ß'a'  von  D  ent- 
fernt entworfen  wird,  desto  weniger  entfernt  braucht  sich  G  aufzustellen,  um  die  von 
ß'a'  wie  von  einem  daselbst  befindlichen  leuchtenden  Objecte  ausfahrenden  Strahlen  auf 
seiner  Netzhaut  zu  einem  Bilde  zu  vereinigen.  Man  sieht  daher,  dass  Kurzsichtigkeit 
von  D,  welche  die  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde  erschwert,  die  Untersuchung  im 
umgekehrten  gerade  begünstigt,  während  für  "Weitsichtigkeit  von  D  eher  das  Gegentheil 
gilt.  Bei  sehr  hohen  Graden  von  Kurzsichtigkeit  sieht  man  auch  ohne  L2  ein  verkehrtes 
Bild  von  D,  oder  braucht  doch  L2  nur  eine  geringe  Brennweite  zu  haben,  etwa  3 — 4". 
Fehlte  dem  Auge  D  die  Krystalllinse,  dann  könnte  die  Untersuchung  im  umgekehrten 
Bilde  nur  noch  mit  einer  viel  stärkern  Convexlinse  L2  vorgenommen  werden.  Andrer- 
seits eigibt  sich  rücksichtlich  des  Beobachters  G,  dass  hier  der  Kurzsichtige  besser  daran 
ist,  als  der  Weitsichtige,  und  dass  letzterer,  wenn  er  nicht  zu  weit  zurück,  weichen  will, 
sein  Auge  durch  Vorhalten  eines  Convexglases  (12 — 8")  in  ein  kurzsichtiges  zu  verwan- 
deln hat.  —  Betrachtet  nun  das  Auge  G  das  reelle  Bild  ß'a',  so  werden  die  von  ß'  wie 
von  irgend  einem  leuchtenden  Punkte  ausfahrenden  Strahlen,  welche  durch  das  Spiegelloch 
durchtreten  können,  in  ß"  vereinigt,  weil  ß',  x'  und  ß"  in  einer  geraden  Linie  liegen' 
ebenso  die  von  a'  in  a".  G  sieht  also  links,  was  in  D  rechts  liegt,  doch  nicht  stark 
vergrössert,  und  zwar  ohngefähr  um  so  vielmal  grösser,  als  aß  in  a'ß'  enthalten  ist.  — 
Die  Untersuchung  mit  umgekehrtem  Bilde  hat  den  grossen  Vortheil,  dass  man  mit  Einem 
Blicke  einen  grössern  Theil  der  Netzhaut  übersehen  kann.  Ein  anderer  Vortheil  besteht 
aber  darin,  dass,  wenn  man  einmal  ein  Object,  z.  B.  ein  Gefäss  der  Netzhaut  deutlich 
sieht,  man,  ohne  seines  eigenen  oder  des  kranken  Auges  Stellung  wechseln  und  ohne  die 
Haltung  des  Spiegels  ändern  zu  müssen,  wodurch  leicht  die  richtige  Einstellung  bezüglich 
der  deutlichen  Sehweite  verloren  geht,  durch  leichte  Hin-  oder  Her-,  Auf-  oder  Abwärts- 
bewegung der  Linse  L2,  die  man  zwischen  Daumen  und  Zeigefinger  der  an  das  Gesicht 
des  Kranken  gestützten  Hand  hält,  seitlich  gelegenen  Partien  zum  Gegenstande  des  di- 
recten  Sehens  machen  kann.  Wir  brauchen  wohl  kaum  zu  erwähnen,  dass  diese  Bewe- 
gung aufwärts  geschehen  müsse,  wenn  man  eine  unter  der  eben  gesehenen  liegende  Stelle 
betrachten  will.  Hat  man  gerade  die  Papille  des  Sehnerven  im  Sehfelde,  so  verschiebe 
man,  um  die  Macula  lutea  zu  sehen,  die  Linse  L2  ein  wenig  gegen  die  Nase  des  Kranken. 


86  Netzhaut. 

Man  wird  auch  bei  genauer  Keuntuiss  des  Apparates  und  seiner 
Leistungsfähigkeit  immer  viel  eher  zweckmässig  zu  Werke  gehen,  wenn 
man  noch  vor  Anwendung  desselben  eine  möglichst  genaue  Erhebung 
der  krankhaften  Veränderungen  des  Auges  (und  nöthigenfalls  des  ganzen 
Organismus)  vornimmt,  durch  die  äussere  Besichtigung,  Betastung,  Prü- 
fung der  Functionsstörung,  Aufnahme  der  subjectiven  Erscheinungen 
und  der  vorausgegangenen  (anamnestischen)  Momente,  kurz  wenn  man 
den  Augenspiegel  nur  als  ein,  nicht  aber  als  das  einzige  und  zuerst 
anzuwendende  diagnostische  Hilfsmittel  betrachtet.  Diess  ist  schon 
darum  gerathen,  weil  wir  bis  jetzt  eine  verlässliche  Deutung  für  das 
mit  dem  Augenspiegel  Gesehene  nur  bei  relativ  wenig  Befunden  be- 
sitzen. Man  kann  namentlich  Befunde  an  der  Netz-  und  Aderhaut,  die 
noch  zum  Normalen  gehören,  leicht  als  krankhaft  deuten,  man  kann 
wirklich  krankhaften  Veränderungen  leicht  für  die  bestehende  Func- 
tionsstörung eine  viel  wichtigere  Bedeutung  beilegen,  als  sie  wirklich 
verdienen,  man  kann  eine  Gesichtsstörung,  die  von  ganz  andern  Ab- 
normitäten abhängt,  leicht  aus  dem  Augenspiegelbefunde  abzuleiten  ver- 
sucht werden,  auch  abgeseheu  von  optischen  Täuschungen,  welche  selbst 
einem  ziemlich  geübten  Beobachter  bei  so  subtilen  Untersuchungen  leicht 
begegnen  können.  Vorläufig  bleiben  anatomisch-mikroskopische  Unter- 
suchungen von  Netzhäuten,  deren  Augenspiegelbefund  kurz  vorher  no- 
tirt  wurde,  noch  ein  pium  desiderium.  So  lange  wir  solche  nicht  in 
grösserer  Menge  besitzen,  müssen  wir  von  dem  Instrumente  nicht  mehr 
verlangen,  als  es  leisten  kann,  sonst  bringen  wir  diese  herrliche  Erfin- 
dung, im  Gebiete  der  ophthalmologischen  Diagnostik  wohl  die  grösste 
unsers  Jahrhunderts,  selbst  bei  Verständigen  in  Misscredit. 

Eücksichtlich  der  durchsichtigen  Medien  gibt  uns  das  Ophthalmo- 
skop sichere  Antwort  auf  die  Frage,  ob  sie  durchsichtig  oder  von  trüben 
Partikelchen  durchsetzt  sind.  Diess  ist  namentlich  für  den  Glaskörper 
äusserst  wichtig,  obwohl  es  uns  auch  bei  wenig  ausgebreiteten  Trü- 
bungen des  Krystallkörpers  sehr  zu  Statten  kommt.  Der  Augenspiegel 
gibt  dem  nur  einigermassen  geübten  und  aufmerksamen  Beobachter 
verlässliche  Thatsachen  zur  Entscheidung  der  Frage,  ob  das  untersuchte 
Auge  kurz-  oder  weitsichtig  sei,  sobald  diese  Zustände  eben  nicht  bloss 
die  ersten  Übergänge  vom  Normalen  zum  Abnormen  bilden,  sondern 
schon  bestimmt  in  das  Bereich  des  letzteren  zu  zählen  sind.  Seit  der 
Einführung  des  Augenspiegels  in  die  Diagnostik  ist  die  Lehre  von  den 
Amaurosen  eine  wesentlich  andere  geworden.  Die  Zahl  der  Amaurosen 
centralen  und  allgemeinen  Ursprunges  schmilzt  auf  eine  relativ  sehr 
geringe  herab;  bei  sehr  vielen  Amblyopien  und  Amaurosen  lassen  sich 


Augenspiegel.  87 

Veränderungen  in  der  Netzbaut  allein  oder  zugleich  im  Glaskörper  und 
in  der  Aderliaut  als  hinreichendes  Substrat  nachweisen,  wo  man  ohne 
Hilfe  des  Augenspiegels  kaum  mit  überwiegender  Wahrscheinlichkeit 
sich  entscheiden  könnte,  ob  die  Functionsstörung  durch  centrale  oder 
peripherische  Veränderungen  des  nervösen  Apparates  bedingt  sei.  Jeder 
Fortschritt  in  der  Diagnosis  ist  aber  ein  Gewinn  für  die  Aufgabe  des 
Arztes,  die  Prognosis  und  Therapie. 

Das  oben  empfohlene,  der  Ophthalmoskopie  vorauszuschickende 
Examen  wird  im  Allgemeinen  den  Gang  vorzeichnen,  den  dieselbe  zu 
nehmen  hat.  Wo  dieses  Examen  nicht  schon  bestimmt  einen  oder  den 
andern  Krankheitszustand  auszuschliessen  berechtigt,  gehe  man,  um 
nichts  aus  der  Reihe  des  Möglichen  zu  überspringen,  in  der  anatomi- 
schen Ordnung  von  vom  nach  hinten  vor,  und  prüfe  zuerst  die  durch- 
sichtigen Medien,  namentlich  die  Linse  und  den  Glaskörper  genau,  ehe 
mau  sich  an  die  Netz-  und  Aderhaut  macht.  Ich  erinnere  mich  mehr- 
mals bei  mehr  weniger  beträchtlicher  Gesichtsstörung  keine  hinreichend 
erklärende  Veränderung  der  Netzhaut  gefunden  zu  haben,  wo  doch  die 
wiederholte  Untersuchung  durch  mich  oder  einen  Andern  kleine,  aber 
zahlreiche  Glaskörperopacitäten  als  genügendes  Substrat  erwies.  Da 
sich  ganz  kleine  Trübungen  der  durchsichtigen  Medien  nur  dadurch  wahr- 
nehmen lassen,  dass  sie  bei  heller  Beleuchtung  des  Augengrundes  als 
dunkle  Körperchen  erscheinen,  gleich  den  vor  hellem  Hintergrunde 
herabfallenden  Schneeflocken,  so  muss  man,  um  ihre  Anwesenheit  nicht 
zu  übersehen,  das  Instrument  zunächst  gerade  so  einstellen,  dass  der 
Angengrund  möglichst  hell  beleuchtet  wird,  i.  e.  so  weit  vom  Auge  (D) 
entfernt,  dass  die  Netzhaut  in  den  Focus  des  Beleuchtungsapparates, 
wenigstens  in  keinen  grössern  Zerstreuungskreis  zu  liegen  kommt  (dass 
in  Fig.  7  q  auf  den  Augengrund  fällt,  in  Fig.  8  mn  bis  zur  Grösse  des 
Flammenbildes  verkleinert  wird);  uud  da  die  dunklen  Körperchen  im 
Glaskörper  sich  bei  ruhiger  Haltung  des  Auges  (D)  senken,  durch  rasche 
Bewegungen  desselben  aber  aufgerüttelt  werden,  kleine  Körperchen 
überdiess  minder  leicht  der  Wahrnehmung  entgehen,  wenn  sie  in  Be- 
wegung sind,  so  wird  das  Aufsuchen  derselben  durch  rasche  Bewegun- 
gen des  Auges  (D)  mit  kleinen  Excursionen  besonders  nach  auf-  und 
abwärts,  wesentlich  erleichtert.  Bei  auffallendem  Lichte  können  undurch- 
sichtige Partien  der  durchsichtigen  Medien  nur  dann  wahrgenommen 
werden,  wenn  sie  hellfarbig  (weiss,  grau,  gelbj  und  entsprechend  ihrer 
Lage  hinter  der  Cornea  hinreichend  gross  sind.  Hieher  gehören  nament- 
lich pigmentlose  Exsudate  in  der  Pupille,  fleckige  oder  streifige  Trü- 
bungen im  Krystallkörper,  Cysten  im  Glaskörper  und  dergl.   Um  solche 


88  Netzhaut. 

Trübungen  bei  auffallendem  Lichte  zu  sehen,  muss  man  sich  mit  dem 
Apparate  dem  Auge  nur  so  weit  nähern,  dass  die  Spitze  des  Beleucli- 
tungskegels  auf  sie  fällt  (also  bei  Verdacht  auf  Cataracta  nicht  wie  in 
Fig.  7  auf  g,  sondern  etwa  auf  sc  oder  auf  die  Ebene  des  Pupillar- 
randes).  Sind  solche  Körper,  die  nicht  zu  tief  liegen,  auf  diese  Art  ge- 
hörig beleuchtet,  so  kann  man  sie  als  bläulich-weisse  Streifen,  Flecken 
und  dergl.  auch  sehen,  wenn  man  nicht  durch  das  Loch,  sondern  neben 
dem  Spiegel  vorbei  in's  Auge  sieht,  ja  es  sehen  sie  dann  zur  Seite  des 
Beobachters  stehende  Personen  wohl  eben  so  gut.  Man  sieht  sie  natür- 
lich aufrecht  und  mehr  weniger  vergrössert.  Will  man  sie  noch  deut- 
licher sehen,  so  kann  man  die  Beleuchtungslinse  (X1)  so  umstellen 
(hinter  das  Spiegelbild),  dass  sie  nicht  zur  Concentration  des  Lichtes, 
sondern  als  einfache  Loupe  für  das  beobachtende  Auge  wirkt.  —  Wie 
man  die  Netz-  und  Aderhaut  am  besten  untersuche,  und  in  welcher 
Beschaffenheit  diese  Gebilde  dem  Beobachter  unter  dem  Spiegel  er- 
scheinen sollen,  das  muss  man  vorläufig  durch  Untersuchung  normaler 
Augen  kennen  gelernt  haben,  ehe  man  sich  erlauben  darf,  eine  Urtheil 
darüber  abzugeben,  ob  in  einem  Auge  mit  Gesichtsstörung  diese  auf 
eine  Abnormität  der  Netz-  oder  Aderhaut  bezogen  werden  könne.  Ein 
jeder  kann  sich  zu  einer  solchen  Untersuchung  leicht  hergeben,  da  die 
Beleuchtung  für  seine  Netzhaut  jedenfalls  nicht  nachtheiliger  sein  kann, 
als  das  längere  Betrachten  der  Lampenflamme  mit  freiem  Auge,  ja  im 
Allgemeinen  viel  weniger :  nur  bei  solchen  Augen,  welchen  der  Blick  in 
eine  Kerzenflamme  schädlich  wäre,  könnte  die  Untersuchung  mit  dem 
Spiegel  allenfalls  nachtheilig  werden,  und  da  nur,  wenn  das  zu  unter- 
suchende Auge  (D)  direct  nach  dem  Flammenbilde  blickte,  was  nicht 
nöthig,  ja  nicht  einmal  wünschenswert!!  ist. 


B.    Krankheiten  der  Netzhaut  und  des  Sehnerven. 

Die  Lehre  von  den  Krankheiten  der  Netzhaut,  welche  in  der  Hauptsache  mit  der 
Lehre  von  der  Amaurosis  zusammenfällt,  ist  durch  die  Einführung  des  Augenspiegels  in 
die  ophthalmologische  Praxis  fast  durchgehends  auf  einen  andern,  weit  mehr  objectivcn 
Standpunkt  versetzt  worden.  Es  ist  jedoch  (mir  wenigstens)  zur  Zeit  noch  nicht  mög- 
lich, von  diesem  Standpunkte  aus  eine  Schilderung  der  hieher  gehörenden  Zustände  des 
Auges  systematisch  und  so  umfassend  zu  entwerfen,  als  diess  bei  den  Krankheiten  anderer 
Gebilde  der  Fall  ist.  Ich  muss  daher  den  nachfolgenden  Erörterungen  über  die  Krank- 
heiten der  Netzhaut  die  Bemerkung  vorausschicken,  man  möge  in  denselben  nicht  eine 
abgeschlossene  Abhandlung,  sondern  nur  einzelne  feststehende  Thatsachen  suchen,  nebst 
einer  Anleitung,  wie  in  vorkommenden  Fällen,  allenfalls  mit  Hilfe  dieser  Thatsachen  und 


Krankheiten  —  Amblyopie  und  Amaurosis  im  Allgemeinen.         89 

gena\ier  Beobachtung   theils  den  praktischen,    theils  den  streng  wissenschaftlichen  Anfor- 
derungen nach  Zulass  der  Umstände  werde  entsprochen  werden  können. 

Die  Ausdrücke  Amblyopia  (nervöse  G-esichtsschwäche)  und  Amau- 
rosis (schwarzer  Staar)  sind  es,  deren  man  sich  seit  langer  Zeit  be- 
dient, um  zu  bezeichnen,  dass  in  einem  gegebenen  Falle  Schwäche 
(Abnahme)  oder  Verlust  des  Sehvermögens  zunächst  durch  einen  krank- 
haften Zustand  der  Netzhaut,  des  Sehnerven  oder  der  Centralorgane 
bedingt  sei.  Wir  werden  diese  bequemen  Ausdrücke  im  Allgemeinen 
beibehalten  dürfen,  wenn  wir  ihnen  keine  andere  als  die  negirende 
Bedeutung  beilegen,  die  nämlich,  dass  in  einem  so  bezeichneten  Falle 
das  Hinderniss  des  Sehens  nicht  im  dioptrischen  Apparate  oder  doch 
nicht  in  diesem  allein  zu  suchen  sei,  und  wenn  wir  überdiess  nie  ver- 
gessen, dass  mit  der  Bezeichnung :  „dieser  Kranke  ist  aniblyopisch  oder 
amaurotisch",  eine  Diagnosis  ebenso  wenig  ausgesprochen  sei,  als  wenn 
wir  sagen:  dieser  Kranke  leidet  an  Krämpfen,  Erbrechen,  u.  dgl.  Des 
geistreichen  Ph.  von  Walther's  Phrase :  „Amaurosis  sei  jener  Zustand, 
wo  der  Kranke  nichts  sieht,  und  —  auch  der  Arzt  nichts",  kennzeich- 
net vollkommen  —  nicht  die  Amaurosis,  sondern  die  Anschauungsweise 
der  Ärzte  früherer  Zeiten  über  dieses  Leiden.  Man  hatte  nämlich  be- 
reits angefangen,  gewisse  Formen  von  der  generellen  Bezeichnung  aus- 
zuscheiden, jene  nämlich,  welche  schon  der  oberflächlichen  Betrachtung* 
des  Auges  auffallende  Veränderungen  darbieten,  wie  z.  B.  die  acute 
Entzündung  der  Netzhaut,  welche  Beer  als  Ophthalmia  interna  idiopa- 
thica,  Weller,  Makenzie,  Walther  u.  A.  als  Retinitis  oder  Dictyitis  ge- 
schildert hatten,  den  Marksckwamrn  der  Netzhaut  ( Wwdrop),  das  Glau- 
com  u.  s.  w.  Andererseits  wurden  aber  in  der  Lehre  von  der  Amaurosis, 
und  zwar  unter  dem  Titel :  Vitia  visus  als  Vorläufer  oder  Begleiter  des 
Netzhautleidens  Zustände  beschrieben,  welche  nicht  unmittelbar  auf  ein 
solches  bezogen  werden  können,  z.  B.  Myodesopsie,  Mikropsie,  Megal- 
opsie  ,  oder  nur  als  zufällige  Begleiter  auftreten ,  wie :  Skotomatopsie, 
Photopsie,  Chrupsie  u.  dgl.  Insbesondere  war  es  nachtheilig,  dass  man 
unter  dem  Namen  Amblyopia  ex  abusu  visus  oder  Hebetudo  ein  häufig 
vorkommendes  Leiden  der  Accommodationsorgane ,  zu  welchem  aller- 
dings späterhin  ein  wirkliches  Netzhautleiden  hinzutreten  kann,  als  eine 
Art  schon  vorhandenen  Netzhautleidens  darstellte. 

Wird  dem  Arzte  ein  gänzlich  Erblindeter  vorgestellt,  dann  kann 
nach  den  weiter  unten  gegebenen  objectiven  Erscheinungen  wohl  kaum 
mehr  ein  Zweifel  obwalten,  ob  die  Erblindung  durch  ein  Leiden  des 
nervösen  oder  des  dioptrischen  Apparates  bedingt  sei,  und  man  könnte 
sich    allenfalls   nur   noch   täuschen,   wenn   etwa   eine   Cataracta    nigra 


90  Netzhaut. 

(B.  IL  S.  253 j  oder  Simulation  vorläge.  Wenn  aber  der  Kranke  noch 
mehr  weniger  sieht,  dann  entsteht  vorerst  noch  die  Frage,  ob  das  Seh-  * 
hinderniss  wirklich  in  mangelnder  Erregung,  Fortleitung  oder  Percep- 
tion  liege  (I.).  Muss  man  sich  für  Amblyopie  oder  Amaurosis  entschei- 
den, und  hat  man  überdiess  noch  durch  sorgfältige  Sehversuche  festgestellt, 
bis  zu  welchem  Grade  die  Sehfunction  beeinträchtigt  sei  (IL),  dann  ist 
zu  untersuchen,  ob  und  welche  materielle  Veränderungen  sich  nach- 
weisen lassen,  ob  der  Sitz  der  Affection  als  in  der  Netzhaut,  im  Seh- 
nerven, in  den  Centralorganen  befindlich  bezeichnet  werden  könne  oder 
nicht  (III.).  Den  Schluss  der  diagnostischen  Untersuchung  wird  dann 
die  Entscheidung  der  Frage  bilden,  in  welcher  Beziehung  das  Leiden 
der  nervösen  zu  den  übrigen  Organen  stehe,  welche  Momente  dessen 
Entstehung  bedingt  oder  doch  dazu  beigetragen  haben,  welche  Momente 
auf  seinen  Fortbestand  Einfluss  nehmen,  wie  überhaupt  die  innern  und 
äussern  Verhältnisse  des  Kranken  mit  Rücksicht  auf  dieses  Leiden  ge- 
staltet sind  (IV).  —  Je  weniger  es  gelingt,  diese  Fragen  in  einem  ge- 
gebenen Falle  positiv  zu  beantworten,  desto  weniger  kann  von  einem 
rationellen  Vorgange  bei  der  Prognosis  und  der  Therapie  die  Rede  sein, 
wenn  gleich  der  Fall  noch  Heilung  zuliesse.  Im  weiteren  Verfolge  dieser 
Erörterungen  wird  sich  herausstellen,  dass  schon  der  diagnostische 
Theil  der  Aufgabe  des  Arztes  bei  Amblyopien  und  Amaurosen  ungleich 
schwieriger  ist,  als  bei  allen  andern  Augenübeln. 

I.  Binoculüre  Amaurotische  bieten  eine  eigenthümliche  Physio- 
gnomie und  Haltung  dar,  ähnlich  einem  gedankenlos  vor  sich  Hinstarren- 
den. Bei  weit  geöffneter  Lidspalte,  häufig  auch  etwas  zurückgebogenem 
Haupte  treten  die  Augen  gewissermassen  stärker  hervor,  stieren  mit 
parallelen  oder  divergirenden  Sehachsen  fix  oder  in  zwecklosem  Hin- 
und  Herschweifen  gleichsam  in  unbestimmte  Ferne  hinaus,  richten  den 
Blick  nicht  auf  die  Person,  die  den  Kranken  anspricht,  und  machen 
auf  diese,  indem  sie  ihr  kein  sichtbares  Sehhinderniss  und  keinen 
Fixations-  oder  Ruhepunkt  darbieten,  einen  unheimlichen  Eindruck, 
welcher  an  den  erinnert,  den  man  bei  der  Unterredung  mit  einem 
Schielenden  empfindet.  —  In  diesen  Momenten  liegen  für  denjenigen, 
der  einige  Amaurotische  aufmerksam  betrachtet  hat,  benützenswerthe 
Anhaltspunkte  gegenüber  einem  Simulanten,  der  sich  die  Pupillen  künst- 
lich erweitert  hat,  namentlich  wenn  man  nicht  zu  nahe  an  ihn  hinan- 
tritt. Denn  Augen,  welche  zu  sehen  vermögen,  fixiren  unwillkürlich 
irgend  ein  Object,  das  in  den  Grenzen  ihrer  Sehweite  liegt,  und  dieses 
Fixiren  übt  auf  die  Haltung  der  Augen-  und  Gesichtsmuskeln  einen  be- 
stimmten Einfluss,  gibt  das,  was  man  Intiütus  nennt.   Es  gehört  sehr  viel 


Krankheiten  —  Amblyopie  und  Amaurosis  im  Allgemeinen.         91 

Schlauheit  imd  Übung  dazu,  dieses  unwillkürliche  Fixiren  dem  Beobach- 
ter zu  verbergen,  wenn  dieser  sich  nicht  näher,  als  die  Sehweite  (Meso- 
ropter)  reicht,  heranstellt. 

Bei  bilateral  Amaurotischen  steht  die  Grösse  der  Pupillen  nicht  im 
Verhältnisse  zur  Beleuchtung,  um  so  weniger,  je  vollständiger  die  Amau- 
rosis ist.  Die  Pupillen  sind  häufig  abnorm  gross,  seltener  abnorm  eng, 
oft  aber  auch  von  mittlerer  Weite.  In  letzterem  Falle  kann  man  in  der 
Regel  nicht  sagen,  dass  die  Pupillen  starr  und  unveränderlich  seien, 
man  rindet  im  Gegentheile  gewöhnlich,  dass  sie  zwischen  stärkerer  und 
geringerer  Weite  schwanken,  jedoch  nicht  beim  Wechsel  des  Lichtein- 
flusses,  sondern  beim  Wechsel  der  Augenstellung.  Sehr  weite  oder  sehr 
enge  Pupillen  zeigen  selten  solche  Schwankungen,  auch  wenn  man  die 
Kranken  plötzlich  auf  ihren  nahe  vor  ihr  Gesicht  gehaltenen  Finger 
blicken  heisst.  Es  kann  übrigens  auch  die  eine  Pupille  merklich  grösser 
und  die  eine  Iris  mehr  beweglich  sein,  als  die  andere,  trotzdem  die 
Amaurosis  beiderseits  vollständig  ist.  Aufklärung  über  diese  Verhältnisse 
haben  wir  im  2.  Bande  Sr  32-34  gegeben. 

Bei  monoculärer  Amaurosis  muss  zunächst  unterschieden  werden, 
ob  das  andere  Auge  als  sehkräftig  oder  als  mehr  weniger  amblyopisch 
bezeichnet  wird,  und  ob  dasselbe  nicht  etwa  anderweitige  augenschein- 
liche Veränderungen  darbietet,  z.  B.  Cataracta,  Pupillensperre,  Zeichen 
bestehender  oder  abgelaufener  Chorioiditis  u.  s.  w.  Ist  das  andere  Auge 
gesund  oder  doch  wenigstens  noch  für  Lichteindrücke  empfänglich,  dann 
muss  dasselbe  während  der  Untersuchung  des  fraglichen  so  verdeckt 
werden,  dass  es  von  dem  Lichtwechsel  durchaus  nicht  berührt  werden 
kann,  nicht  etwa  bloss  mit  den  Fingern,  sondern  mit  einem  mehrfach 
zusammengelegten  Tuche.  In  solchen  Fällen  wird  es  öfter  vorkommen, 
dass  der  Kranke  ein  Interesse  hat,  den  Arzt  glauben  zu  machen,  er 
sehe  mit  diesem  Auge  noch,  als  er  sehe  nichts.  Um  so  mehr  hat  man 
Ursache  sich  vor  Täuschung  durch  Mitbewegung  der  Iris  (bei  Licht- 
wechsel  und  veränderter  Stellung  der  Bulbij  zu  schützen.  Bei  unilatera- 
ler Amaurosis  kommt  es  —  nach  meinen  Beobachtungen  —  nicht  vor, 
dass  die  Pupille  des  fraglichen  Auges  eng  bliebe  (es  sei  denn  wegen 
Synechien),  sobald  man  das  andere  verdeckt;  sie  erweitert  sich,  wenn 
sie  nicht  schon  früher  grösser  war,  als  die  des  sehfähigen  Auges,  was 
gleichfalls  vorkommt,  ohne  indess  Regel  zu  sein.  Unilaterale  Amaurose 
verräth  sich  übrigens  dem  Geübten  häufig  durch  eine  eigenthümlich 
matte  Färbung  der  Iris,  wenn  das  andere  Auge  gesund  ist,  doch  nur 
nach  längerem  Bestände  des  Leidens.  Selbst  wenn  das  eine  Auge  nur 
in  etwas  höherem  Grade  amblyopisch  ist,  und  die  Affection  auch  nicht 


92  Netzhaut. 

von  der  Chorioidea  ausgeht,  unterscheidet  sich  die  Farbe  der  Iris  von 
der  des  gesunden  ungefähr  auf  dieselbe  Weise,  wie  Pflanzen,  die  in 
schattigen  und  gesperrten  Bäumen  vegetiren,  von  Pflanzen  im  Freien. 
So  habe  ich's  wenigstens  oft  gefunden.  Nicht  rein  schwarz,  sondern 
von  der  Tiefe  her  verschieden  getrübt  (wie  bei  Glaucoma)  kann  die 
Pupille  bei  Amblyopie  oder  Amaurosis  erscheinen,  entweder  weil  sie 
sehr  erweitert  ist,  oder  weil  von  der  Netz-  und  Aderhaut  wegen  be- 
trächtlicher Gewebsveränderungen  ungewöhnlich  viel  Licht  reflectirt 
wird.  In  Bezug  auf  die  Stellung  des  amaurotischen  zu  dem  andern 
Auge  ist  zu  bemerken,  dass  sie  wohl  häufig  eine  abnorme,  namentlich 
eine  mehr  weniger  nach  aussen  abweichende  sei,  dass  aber  auch  Fälle 
vorkommen,  wo  in  der  Stellung  und  Mitbewegung  zum  gesunden  keine 
Abnormität  wahrgenommen  werden  kann,  so  wie  andererseits  Strabis- 
mus oder  Luscitas  noch  keineswegs  sicher  auf  Amblyopie  oder  Amau- 
rosis deuten. 

Amaurosis  mit  mehr  weniger  deutlicher  Lichtempfindung,  gleichviel 
ob  uni-  oder  bilateral,  zeigt  nur  dann  eine  «ganz  starre  Pupille,  wenn 
zugleich  im  Ciliarnervensysteme  beträchtliche  Veränderungen  vorhanden 
sind,  welche  natürlich  ebensowohl  im  Bulbus  selbst  als  ausserhalb  des- 
selben in  jenen  Nerven  liegen  können,  die  das  Ganglion  ciliare  mit 
motorischen  Fasern  versehen.  Ein  Individuum,  welches  Amaurosis  vor- 
gibt, und  die  Pupillen  heimlich  durch  Belladonna  in  erweitertem  Zu- 
stande unterhält,  kann  mit  Berücksichtigung  dieses  Satzes  bisweilen 
leicht  des  Betruges  überwiesen  werden.  Untersucht  man  so  ein  Auge 
mit  dem  Augenspiegel,  und  zwar  absichtlich  mit  etwas  stärkerer  Be- 
leuchtung und  gerade  in  der  Gegend  der  Macula  lutea,  so  wird  man, 
abgesehen  davon,  dass  der  Augengrund  normal  erscheint,  schon  an  der 
Unruhe  des  Auges,  an  dem  öftern  Blinzeln,  oder  am  Thränen  bald  er- 
kennen, dass  es  mindestens  noch  sehr  deutliche  Lichtempfindung  haben 
müsse,  während  seine  erweiterten  Pupillen  unter  allen  Umständen  starr 
bleiben,  ein  Widerspruch,  der  für  Betrug  spricht,  sobald  sich  nicht 
anderweitig  ein  Grund  für  Lähmung  der  Ciliarnerven  nachweisen  lässt. 
Wir  verweisen  in  dieser  Beziehung  auf  die  im  2.  B.  S.  288 — 290  an- 
geführten Thatsachen. 

Gebrauchen  wir  den  Ausdruck  Amblyopie  für  jede  Störung  von 
Seite  des  nervösen  Apparates,  bei  welcher  der  Kranke  überhaupt  noch 
Gegenstände  zu  erkennen  vermag,  so  leuchtet  von  selbst  ein,  dass,  da 
diese  Störung  in  verschiedenen  Graden  stattfinden  kann,  eine  Ver- 
wechslung mit  anderweitig  bedingten  Sehstörungen  leicht  möglich  ist. 
Diese  letzteren  lassen    sich   sämmtlich    auf  Fehler    der    durchsichtigen 


Krankheiten  —  Amblyopie  und  Amaurosis  im  Allgemeinen.  93 

Medien  oder  des  Kefractious-  und  Accommodationszustandes  zurück- 
führen, und  können  nur  dann  als  hinreichende  Ursache  der  Sehstörung 
betrachtet  werden,  wenn  sie  sich  als  zu  dieser  in  directem  Verhältnisse 
stehend  nachweisen  lassen.  —  Abnormitäten  der  Hornhaut,  und  zwar 
zunächst  Trübungen,  wenn  auch  noch  so  klein,  werden  dem  aufmerk- 
samen Beobachter  nicht  leicht  entgehen,  sobald  das  Licht  gut  einfällt 
und  die  Pupille  dahinter  rein  schwarz  ist.  Die  Beiziehung  einer  Loupe 
kann  in  zweifelhaften  Fällen  entscheiden.  Facetten  der  Hornhaut  ver- 
räth  am  besten  das  Spiegelbild  der  Fensterrahmen,  wenn  man  nicht 
zu  nahe  am  Fenster  untersucht  und  das  Auge  mittelst  des  vorgehal- 
tenen Fingers  nach  und  nach  in  verschiedene  Stellungen  bringt.  Das- 
selbe Mittel  ist  auch  das  beste,  um  Veränderungen  in  der  Wölbung  der 
Cornealvorderfläche  (z.  B.  Keratoconus  incipiens)  zu  entdecken  und  zu 
schätzen.  —  Dünne  Exsudat-  und  Pigmentablagerungen  in  den  Pupillen 
lauf  der  Kapsel)  kommen  nur  nach  Iritis  oder  Erschütterung  des  Bulbus 
vor,  werden  schon  durch  Unregelmässigkeiten  des  Pupillarrandes  ange- 
deutet, und  können  in  Bezug  auf  Ausdehnung  und  Dicke  leicht  mit 
einer  Loupe,  nöthigenfalls  mit  dem  Augenspiegel  zur  Anschauung  ge- 
bracht werden.  —  Schwieriger  sind  diffuse  Linsentrübungen  zu  erkennen, 
wenn  sie  nicht  intensiv  sind.  Diess  gilt  nicht  nur  von  spinnenweben- 
ähnlichen  Beschlägen  an  der  vordem  Kapsel  (vgl.  Catar.  corticalis), 
sondern  auch  und  ganz  besonders  von  beginnenden  Kerntrübungen, 
zumal  bei  alten  Leuten.  Hier  erfordert  selbst  die  Benützung  des  Augen- 
spiegels viel  Übung,  grosse  Vorsicht  und  wiederholte  Untersuchung. 
Denn  es  kann  bei  wirklich  nervöser  Sehstörung  der  Augengrund  gar 
nicht  oder  doch  so  wenig  verändert  sein,  dass  er  normal  erscheint;  er 
kann  aber  auch  zufällige  Alienationen  darbieten,  welche  dem  minder 
Erfahrenen  für  die  Ursache  einer  Amblyopie  imponiren,  obwohl  sie  es 
nicht  sind.  Die  Gebilde  im  Grunde  des  Auges  können  wie  verschleiert 
erscheinen  wegen  leichter  diffuser  Trübung  der  Linse  oder  des  Glas- 
körpers, aber  auch  —  wegen  mangelhafter  Einstellung  des  Augen- 
spiegels. —  Mangel  oder  Senkung  der  Linse,  welche  auch  ohne  vor- 
ausgegangene Operation  vorkommen  und  dann  leicht  mit  Amblyopie 
verwechselt  werden  können,  verrathen  sich  dem  aufmerksamen  Beobach- 
ter bestimmt  durch  tiefere  Lage  der  Iris,  durch  Schlottern  derselben 
bei  rascheren  Bulbusbewegungen,  durch  auffallend  reine  Schwärze  und 
Engheit  der  Pupille  und  dadurch,  dass  starke  Convexgläser  (von  2 — 5" 
Brennweitej  dieselben  Dienste  leisten,  wie  bei  Staaroperirten,  voraus- 
gesetzt, dass  nicht  gleichzeitig  Amblyopie  oder  eine  ungewöhnliche 
Achsenverlängerung  des  Bulbus  vorhanden  ist.   Denn,  wurde  der  Mangel 


94  Netzhaut. 

oder  die  Senkung  der  Linse  durch  Erschütterung-  des  Bulbus  eingeleitet 
—  Avas  dem  Kranken  auch  unbekannt  sein  kann,  z.  B.  wenn  sie  in 
früher  Jugend,  bei  Convulsionen,  im  Kausche  u.  dgl.  erfolgte  —  so  wird 
Amblyopie  kaum  jemals  fehlen,  und  gab  Verflüssigung  des  Glaskörpers 
mit  Auflösung  der  Glashäute  die  erste  Bedingung  zur  spontanen  Lin- 
sensenkung, dann  ist,  wenn  nicht  zugleich  merkliche  Amblyopie,  wohl 
meistens  auch  Verlängerung  des  Bulbus  in  der  Richtung  der  Seh- 
achse vorhanden.  Vergl.  B.  IL  S.  275  —  Bei  Glaskörper-  und 
Chorioidealkrankheiten,  wenn  sie  mit  Sehstörung  ohne  augenscheinliche 
äussere  Veränderungen  des  Bulbus  einhergehen,  kann  von  einer  Ver- 
wechslung mit  Retinalaffection  eigentlich  nicht  die  Rede  sein,  indem 
letztere  dann  wohl  immer  zugleich  vorhanden  ist;  doch  forciert  die 
exacte  Diagnostik  auch  in  solchen  Fällen,  dass  das  Übel  nach  dem 
primär  und  vorwaltend  ergriffenen  Gebilde  erkannt  und  benannt  werde. 
Nach  dem,  was  wir  über  die  Diagnosis  der  Aderhaut-  und  Glaskörper- 
krankheiten mitgetheilt  haben,  dürfte  es  wohl  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
möglich  sein,  sich  über  den  Ausgangspunkt  der  Affection  zu  entschei- 
den ;  mit  Benützung  der  später  anzuführenden  Erfahrungssätze  über  die 
ätiologischen  Momente  der  Retinalaffectionen,  und  nach  Zuziehung  der 
ophthalmoskopischen  Untersuchung  werden  gewiss  nur  wenige  Fälle 
übrig  bleiben,  wo  es  unentschieden  bleibt,  von  welchem  Organe  die 
Affection  ausgehe.  —  Was  die  fehlerhaften  Zustände  der  Refraction  und 
Accominodation  betrifft,  so  werden  häufig  Fehlschlüsse  gemacht,  theils 
darin,  dass  man  Amplyopie  für  Kurzsichtigkeit  ansieht,  theils  darin, 
dass  man  mangelhafte  oder  fehlende  Accommodation  (für  die  Nähe)  für 
Amblyopie  erklärt,  aber  auch  darin,  dass  man  nur  eines  dieser  wesent- 
lich verschiedenen  Leiden  supponirt,  wo  doch  beide  zugleich,  z.  B.  kurz- 
sichtiger Bau  des  Auges  und  Amblyopie,  neben  einander  bestehen.  Wie 
man  sich  in  dieser  Beziehung  vor  Irrthum  schützen  könne,  lässt  sich 
erst  bei  der  Schilderung  der  fehlerhaften  Refractions-  und  Accommoda- 
tionsverhältnisse  verständlich  machen. 

In  jenen  Fällen,  wo  die  Sensibilität  der  Netzhaut  nicht  in  der 
ganzen  Ausbreitung  derselben,  sondern  nur  stellenweise,  z.  B.  in  der 
Mitte,  in  der  einen  Hälfte,  vermindert  oder  erloschen  ist,  und  wo  eine 
solche  partielle  Functionsstörung,  welche  den  Kranken  nur  in  gewissen 
Richtungen  nicht  sehen,,  oder  nur  einen  Theil  des  Sehfeldes  undeutlich 
wahrnehmen  lässt,  nicht  aus  Abnormitäten  des  dioptrischen  und  Accom- 
modationsapparates  erklärt  werden  kann,  liegt  eben  hierin  der  Beweis 
für  das  Vorhandensein  eines  Leidens  der  Netzhaut  selbst.  Wir  werden 
bei  Besprechung  der   Kurzsichtigkeit  zeigen,  dass  bei  höhern  Graden 


Krankheiten  —  Amblyopie  und  Amaurosis  im  Allgemeinen.         95 

dieses  Leidens  seitlich  gelegene  Objecte  in  gewissen  Entfernungen  noch 
eher  unterschieden  werden,  als  in  der  Mitte  des  Sehfeldes  befindliche, 
und  verweisen  rücksichtlich  der  partiellen  Sehstörungen  von  Seite  des 
dioptriscben  Apparates  auf  die  Angaben  über  die  entoptischen  Erschei- 
nungen und  über  die  Krankheiten  des  Glaskörpers  zurück. 

II.  Ist  auf  diese  Weise  die  Gegenwart  von  Amblyopie  oder  Amau- 
rosis eines  oder  beider  Augen  als  sicher  oder  doch  als  wahrscheinlich 
festgestellt,  wobei  zufällige  Complicationen,  z.  B.  eine  Hornhauttrübung, 
gewiss  schon  mit  erkannt  werden  mussten,  dann  erscheint  es  aus  mehr- 
fachen Rücksichten  geboten,  zu  bestimmen,  bis  zu  welchem  Grade  die 
Se/ifunction  beeinträchtigt  sei.  Die  Prüfung  muss  natürlich  an  jedem 
Auge  für  sich  vorgenommen  werden.  Für  die  Ermittlung  der  Functions- 
faliigkeit  der  Netzhaut  bei  totaler  Linsentrübung  oder  Pupillensperre 
hat  A.  von  Gräfe  ein  sekätzenswerthes  Hilfsmittel  angegeben.  Man  hält 
in  einem  verfinsterten  Locale  eine  Kerzenflamme  in  allmälig  steigender 
Entfernung  vor  das  fragliche  Auge,  und  ermittelt,  bis  wie  weit  dasselbe 
den  Flammenschein  noch  wahrnimmt.  Aus  wiederholten  Versuchen  mit 
verschiedenen  Cataractösen  und  Amblyopischen  wird  man  sich  bald 
abstrahiren,  wie  weit  die  Fähigkeit,  diesen  Schein  wahrzunehmen,  durch 
bloss  mechanische  Hindernisse  vermindert  werden  kann.  Zur  Bestim- 
mung des  Grades  der  Sehstörung  hat  Ed.  Jäger  (über  Staar  und  Staar- 
operationen,  Wien  1854)  Druckschriften  verschiedener  Grösse  in  20  Ab- 
stufungen von  etwa  9'"  bis  zu  x\\'"  Höhe  zusammengestellt  und  hiemit 
ein  jedem  Arzte  willkommenes,  zugleich  allgemeine  Verständigung  und 
Übereinstimmung  anbahnendes  Mittel  an  die  Hand  gegeben.  Wenn  ich 
finde,  ein  Kranker  liest  z.  B.  bei  9"  Entfernung  und  massigem  Tages- 
lichte oder  bei  einer  Kerzenflamme  Xr.  1 0  der  J%er'schen  Drucksorten 
{['"  hoch),  Xr.  S  (etwa  4/5>"  hoch)  dagegen  nicht,  so  ist  mir  hiemit, 
abgesehen  von  einer  Sehweite,  ein  ziemlich  sicheres  und  objeetives 
Mass  für  seine  Sehkraft  angegeben,  ich  bin  nicht  von  seinen  (oft  sehr 
unbestimmten)  Angaben  abhängig,  und  kann  nach  Verlauf  einiger  Zeit 
mich  leicht  versichern,  ob  die  Sehkraft  zu-  oder  abgenommen  habe, 
vorausgesetzt,  class  der  Versuch  wieder  so  viel  als  möglich  unter  den- 
selben äussern  Umständen  vorgenommen  wird.  Bei  Leuten,  die  nicht 
(mehrj  lesen  können,  wird  natürlich  irgend  ein  anderer  analoger  Modus 
ausfindig  gemacht  werden  müssen,  um  die  Sehkraft  mit  Ptücksicht  auf 
die  Accommodationsfähigkeit  objeetiv  zu  messen. 

Immer,  man  mag  nun  auf  diese  oder  jene  Weise  vorgehen,  wird 
die  Anstellung  verlässlicher  Sehversuche  bedeutende  Vortheile  gewäh- 
ren.    Sie  gibt  dem  Arzte  nebst   dem   schon  Angedeuteten  auch  häufig 


96  Netzhaut. 

wichtige  Aufschlüsse  über  den  Sitz  und  die  Natur  des  Übels.  Man  be- 
merkt dabei,  ob  Patient  noch  in  der  Richtung  der  Sehachse  oder  in 
einer  andern  Richtung  relativ  am  besten  sieht,  ob  er  stärkere  oder  ge- 
ringere Beleuchtung  sucht,  ob  ihn  hellfarbige  und  glänzende  Gegen- 
stände blenden,  oder  ob  er  gerade  solche  Objecte  noch  eher  als  dunkle 
und  matte  erkennt,  wie  sich  sein  Gesicht  in  Bezug  auf  die  Unterschei- 
dung verschiedener  Farben  —  allenfalls  nach  einer  Farbenmusterkarte  — 
verhält,  ob  ihm  die  Objecte  in  natürlicher  Grösse  (so  wie  im  gesunden 
Zustande)  und  Lage  erscheinen,  wie  lange  er  das  Betrachten  kleiner 
Objecte,  z.  B.  der  Buchstaben  aushält,  ob  und  wie  lange  der  Eindruck 
heller  Objecte  nachher  noch  fortdauert,  u.  s.  w.  —  Dieser  Vorgang 
dürfte  auch  desshalb  vortheilhaft  sein,  weil  er  den  Kranken,  wenn  er 
nur  einigermassen  verständig  ist,  auf  die  Umstände  aufmerksam  macht, 
die  den  Arzt  von  dem,  was  vorherging,  interessiren ,  und  weil  sich  an 
ihn  am  zweckmässigsten  die  Erhebung  über  die  Dauer  und  Entwick- 
lung des  Übels  bis  zum  gegenwärtigen  Zustande  anknüpfen  lässt,  was 
im  Allgemeinen  viel  zweckmässiger  ist,  als  den  Kranken  gleich  im 
vorhinein  ein  Langes  und  Breites  erzählen  zu  lassen,  wobei  es  leicht 
geschieht,  dass  die  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  ganz  zufällige,  zum 
fraglichen  Augenleiden  in  gar  keiner  Beziehung  stehende  Umstände  ab- 
gelenkt, mindestens  Zeit  versplittert  wird.  Man  wird  sich  überzeugen, 
dass  nach  genauer  Erhebung  der  Functionsstörung  und  der  dem  blossen 
Auge  wahrnehmbaren  Veränderungen  mit  Benützung  der  Entwicklungs- 
geschichte des  Augenleidens  in  der  Regel  schon  der  3.  Punkt,  der  Sitz 
der  Affection,  und  selbst  auch  die  Beschaffenheit  und  das  Ursächliche 
derselben  (IV.)  bestimmt  werden  kann,  somit  für  die  controllirende 
Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  bereits  nützliche  Anhaltspunkte 
gewonnen  sind. 

III.  Von  einer  exacten  Diagnosis  des  in  Rede  stehenden  Leidens 
kann  offenbar  die  Rede  nur  da  sein,  wo  der  Arzt  im  Stande  ist  zu  be- 
stimmen, welcher  Theil  des  nervösen  Apparates  und  in  welcher  Art 
derselbe  leidet.  Ist  eine  solche  Localisirung  zur  Zeit  überhaupt  oder 
doch  in  einem  speciell  gegebenen  Falle  nicht  möglich,  so  nmss  wenig- 
stens die  entferntere  Krankheitsursache  angegeben  werden  können;  ist 
auch  diess  unmöglich,  dann  kann  von  einem  rationellen  Vorgange  bei 
Prognosis  und  Therapie  wohl  nicht  mehr  die  Rede  sein,  und  möchte 
ärztliches  Eingreifen  unter  solchen  Umständen  nur  allenfalls  noch  in 
der  Berücksichtigung  gewisser  Symptomencomplexe ,  des  sogenannten 
congestiven,  erethischen  oder  torpiden  Charakters  der  Amaurosis,  einige 
plausible  Anhaltspunkte  gewinnen  können.     Denn:  „was  soll  das  ewige 


Amblyopie,  Amaurosis  —  Eintlieiliuig.  97 

blinde  Curiren  einer  Krankheit,  die  man  nicht  kennt'?"  Beer  1.  c.  Bd.  IL 

S.  420. 

So  naturgemäss  es  auch  erscheint,  hier  wie  überall,  als  erstes  Eintheilungsprinr 'p 
den  Sitz  der  Affection  aufzustellen,  so  ist  doch  dieser  Weg  bisher  nur  wenig  und  mehr 
nebenbei  eingeschlagen  worden ,  wohl  vorzüglich  desshalb ,  weil  es  viele  Fälle  von 
Amblyopie  und  Amaurosis  gibt,  wo  eine  Localisirung  nicht  möglich  ist,  oder  doch  ohne 
Zuziehung  des  Augenspiegels  nicht  möglich  war.  Man  hat  daher  bald  den  sogenannten 
Charakter  der  Amaurosen,  bald  die  entfernteren  Ursachen,  z.  B.  Saburra,  unterdrückte 
Fussschweisse,  Contusionen  u.  dgl.,  wohl  auch  beides  zugleich  (durch-  und  neben- 
einander) zum  Eintheilungsgrunde  gewählt.  —  Aus  dem ,  was  wir  unter  II.  über  das 
Verhalten  der  Augen  bei  den  Sehversuchen  und  bei  der  äusseren  Besichtigung  überhaupt 
angegeben  haben  (vergl.  auch  Band  II.  S.  1S4),  ist  wohl  unschwer  zu  entnehmen, 
welche  Symptomencomplexe  auf  congestive,  welche  auf  erethische,  welche  auf  torpide 
Amaurose  (Amblyopie)  zu  beziehen  wären :  es  ist  indess  mit  dieser  Bestimmung  wenig 
gewonnen,  so  lange  man  ungewiss  ist  darüber ,  von  welchem  Theile  des  nervösen  Ap- 
parates die  Sehstörung  ausgehe,  und  welcher  Process  ihr  eigentlich  zu  Grunde  liege. 
Dieser  letztere  lässt  sich  oft  mit  mehr  weniger  Wahrscheinlichkeit  erschliessen,  wenn  die 
sogenannten  entferntem  Ursachen,  die  ätiologischen  Momente  bekannt  sind.  Daher  fand 
die  Eintheilung  der  Amaurosen  nach  den  Ursachen  weit  mehr  Aufnahme ,  und  machte 
sich  um  so  mehr  geltend,  als  sie  grossentheils  schon  auf  anatomischer  Basis  beruhte, 
wie  z.  B.  Amaurosis  von  Druck  aufs  Gehirn,  von  Erschütterung  des  Bftlbus  u.  s.  w.  ■ — 
Der  von  jeher  anerkannte  innige  Zusammenhang  zwischen  Sitz  und  Ursache  der  Affec- 
tion ist  es ,  welcher  uns  bestimmt ,  bei  der  Schilderung  nach  dem  Sitze  der  Affection 
auch  schon  grösstentheils  die  ätiologischen  Momente  erfahrungsgemäss  aufzuführen, 
indem  eines  das  andere  erläutert,  und  eine  gesonderte  Aufzählung  der  ätiologischen 
Momente  für  sich  wenig  Nutzen  bringt,  ausgenommen  für  jene  Fälle,  wo  wir  überhaupt 
noch  nicht  im  Stande  sind  anzugeben,  welche  Begion,  welcher  Theil  des  nervösen  Ap- 
parates zunächst  durch  die  Schädlichkeit  ergriffen  wird ,  die  doch  erfahrungsgemäss  als 
Ursache  der  Sehstörung  angenommen  werden  muss,  wie  z.  B.  Bleivergiftung. 

Die  Anatomie  gibt  uns  zunächst  die  Eintheilung'  in  centrale  und 
peripherische  Amaurosen  (  Amblyopien)  an  die  Hand,  und  die  Unter- 
suchung am  Krankenbette  sowohl  als  am  Leichentische  hat  dieser  Ein- 
theilung  hinreichende  Grundlagen  verschafft.  Die  centralen  zerfallen 
naturgemäss  in  cerebrale  (Site:  der  Affection  im  Bereiche  des  grossen 
oder  kleinen  Gehirnes,  vom  Chiasma  bis  zu  den  Vierhügeln),  und  spinale 
(Medulla  oblongata,  Rückenmark).  Die  peripherischen  sind  entweder 
bulbäre  (innerhalb  des  Bulbus)  oder  orbitale  (vom  Bulbus  bis  zum  Fo- 
ramen opticum),  und  bei  den  ersteren  ist  die  Netzhaut  bald  das  primär 
ergriffene  Organ  (eigentliche  Retinalamaurose),  oder  sie  leidet  secundär 
in  Folge  von  Krankheiten  der  Chorioidea,  des  Glaskörpers,  mehrerer 
Gebilde.  —  Die  Erfahrung  weist  aber  auch  noch  Fälle  von  Amaurosen 
nach,  über  deren  Sitz  zur  Zeit  noch  gar  nichts  bestimmt  werden  kann. 
Es  sind  diess  Amaurosen  von  mehr  allgemeiner  Natur.  Wir  werden 
sie  vorläufig  als  sympathische  bezeichnen,    nicht  vergessend,    dass   wir 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  7 


98  Netzhaut. 

eigentlich  über  das  Zustandekommen  solcher  Sehstörungen  nichts  wis- 
sen. Die  Angabe  und  Beschreibung  der  einzelnen  Arten  wird  zeigen, 
was  wir  mit  diesem  Namen  bezeichnet  haben  wollen.  Man  kann  den 
Namen  leicht  fallen  lassen,  nicht  aber  die  Thatsachen. 


I.    Bulbäre  Netzhautaffectionen 
mit  geschwächter  oder  aufgehobener  Sehkraft. 

a)  Die  vom  Glaskörper  oder  von  der  Chorioidea  ausgehen- 
den  Netzhautaffectionen  wurden  bereits  besprochen. 

b)  Einfache  oder  primäre  Retinal-Amblyopie  oder  Amaurosis. 

1.    Es  gibt  Zustände  angeborener  nervöser  Gesichtsschwäche, 

welche  zunächst  bloss  auf  Abnormität  der  Netzhaut  bezogen  werden 
kann.  Der  anatomische  Befund  —  unbekannt.  Sie  geben  sich  func- 
tionell  entweder  bloss  durch  geringere  Energie  des  Gesichtes  kund  {an- 
geborene Stumpfheit),  oder  durch  die  Unfähigkeit,  einzelne  Farben  zu 
unterscheiden  (Baitonismus),  oder  aber  durch  Beschränkung  des  Seh- 
feldes mit  dem  Bedürfnisse  stärkerer  Beleuchtung  (angebojme  Hemera- 
lopie). Dass  diese  Zustände  angeboren  sind,  lässt  sich  nicht  absolut 
nachweisen,  wird  jedoch  höchst  wahrscheinlich,  wenn  sie  neben  andern 
Bildungsfehlern,  wie  namentlich  mit  abnormer  Kleinheit  der  Bulbi,  oder 
bei  mehreren  Familiengliedern  zugleich  vorkommen.  Aus  den  Aussagen 
der  Kranken  oder  ihrer  Angehörigen  lässt  sich  meistens  so  viel  bestimmt 
entnehmen,  dass  solche  Zustände  von  frühester  Kindheit  an  bestehen; 
bei  geringeren  Graden  jedoch  liegt  es  so  zu  sagen  in  der  Natur  der 
Sache  selbst,  dass  die  Kranken  erst  in  späterer  Zeit,  wenn  an  das  Ge- 
sicht höhere  Anforderungen  als  beim  gewöhnlichen  Sehen  gestellt  wer- 
den, auf  solche  Fehler  aufmerksam  werden. 

a)  Die  Stumpfheit  des  Gesichtes  lässt  sich  als  angeborner  Zustand 
(Hebetudo  retinae  congenita)  annehmen,  wenn  sie  von  früher  Jugend 
an  und  auf  beiden  Augen  besteht,  anderweitige  Ursachen,  z.  B.  Einwir- 
kung grellen  Lichtes,  Oonvulsionen,  in  der  Kindheit  nicht  stattgefunden 
haben,  mehrere  Glieder  der  Familie  denselben  Fehler  an  sich  tragen, 
die  Bulbi  ausserdem  noch  Merkmale  unvollständiger  Entwicklung  dar- 
bieten. Bei  Leucosis  mag  allerdings  die  Einwirkung  diffusen  (durch 
die  Iris  und  Sclera  eindringenden)  Lichtes  das  Meiste  zur  Sehstörung 


Retinalaniblyopie  —  angeborene.  99 

beitragen,  dürfte  aber  auch  geringere  Energie  der  Netzhaut  von  Haus 
aus  vorhanden  sein,  weil  die  Sehkraft  auch  bei  künstlicher  Abhaltung 
des  falschen  Lichtes  eine  geringere  Schärfe  zeigt.  Dasselbe  Verhältniss 
zeigt  sich  bei  unvollständiger  Entwicklung  und  bei  Spaltung  der  Iris 
(Irideremia,  Mydriasis  et  Coloboma  iridis  congen.).  Deutlich  ausgespro- 
chene Mikrophthalmie  ist  jederzeit  mit  mehr  oder  weniger  Stumpfheit 
der  Netzhaut  verbunden.  Worauf  aber  hier  eigentlich  aufmerksam  ge- 
macht werden  soll,  das  ist  ein  Zustand  binoculärer  angeborner  Stumpf- 
heit des  Gesichtes,  welcher  dem  Beobachter  nur  bei  grosser  Aufmerk- 
samkeit durch  noch  einige  andere  Merkmale  bemerkbar,  und  welcher 
gewöhnlich  oder  doch  sehr  häufig  für  Kurzsichtigkeit  gehalten  wird, 
Ist  kein  anderer  Fehler  vorhanden,  als  der  in  Rede  stehende,  so  wer- 
den Gegenstände  von  bestimmter  Grösse,  z.  B.  Buchstaben  von  1'" 
Höhe,  nur  in  relativ  geringer  Distanz  erkannt,  weil  für  die  stumpfe 
Netzhaut  relativ  mehr  Licht  und  ein  grösserer  Sehwinkel  nöthig  sind. 
Untersucht  man  genau,  so  findet  man,  dass  die  Annäherung  der  Ob- 
jecte  nur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  der  Kleinheit  nützt,  dass  bei 
sehr  feinen  Objecten  weder  stärkere  Beleuchtung  noch  grössere  Annähe- 
rung im  Stande  ist,  das  Erkennen  zu  vermitteln.  Was  das  Erkennen 
entfernter  Objecte  betrifft,  so  wird  man  es  auffallend  finden,  dass  ein 
solches  Individuum  z.  B.  versichert,  Personen  auf  8 — 10  Schritte  nicht 
genau  zu  erkennen,  während  es  doch  mittlem  Druck  vielleicht  noch 
bei  12 — 15  Zoll  Abstand  liest.  Kurz,  das  Gesicht  zeigt  in  keiner  Di- 
stanz die  normale  Schärfe,  während  es  bei  Gegenständen  mittlerer 
Grösse  und  Entfernung  sich  von  einem  normalen  nicht  zu  unterschei- 
den scheint.  —  Lässt  man  ein  kurzsichtiges  Auge  kleine  Schrift  durch 
eine  mit  einer  Nadel  in  eine  Karte  gestochene  Öffnung  betrachten,  so 
kann  es  dieselbe  nicht  nur  ohne  Anstand,  sondern  auch  in  viel  grösse- 
rer Entfernung  lesen,  als  ohne  ein  solches  Diaphragma,  welches  die 
Zerstreuungskreise  auf  das  nöthige  Minimum  reducirt;  ist  dagegen  das 
Auge  stumpfsichtig  (amblyopisch),  so  kann  es  durch  eine  solche  Öffnung 
noch  minder  gut,  feineren  Druck  wohl  auch  gar  nicht  lesen.  —  Bei 
geringeren  Graden  dieses  Übels,  welche  vorzüglich  im  Erkennen  von 
mehr  entfernten  Objecten  Schwierigkeiten  darbieten,  leisten  schwache 
Concavgläser  (von  20 — 30"  Brennweitej  mehr  weniger  hiezu  hinreichende 
Dienste,  Gläser,  durch  welche  auch  ein  normales  und  selbst  ein  mas- 
sig presbyopisches  Auge  für  die  Ferne  unterstützt  wird;  bei  höheren 
Graden  dienen  mittelstarke  Convexgläser  (20— 50")  zur  Unterstützung 
für  nah  und  fern,  und  bei  noch  höheren  Graden  müssen  stärkere  Con- 
vexgläser  (10 — 20"j   zimi  Lesen,    Nähen   u.   dgl.   zu  Hilfe  genommen 

7* 


100  Netzhaut. 

werden.  —  Je  weiter  man  durch  Übung  vorgerückt  ist  in  der  Fertig- 
keit, die  Lage  der  Iris  und  die  Grösse  der  vordem  Kammer  zu  beur- 
theilen,  desto  sicherer  kann  man  diesen  Zustand  der  Augen  jugend- 
licher Individuen  —  meistens  werden  Kinder  von  8—15  Jahren  vorge- 
führt —  durch  die  blosse  Besichtigung  erkennen.  Man  findet  nämlich 
die  durchsichtigen  Medien  rein,  die  vordere  Kammer  enger,  die  Iris  in 
ihrer  Totalität  oder  doch  in  einem  beinahe  der  Linsengrösse  entspre- 
chenden Areal  (Scheibe  von  3 — 3..tya'"  Durchmesser)  vorwärts  gelagert 
und  aufgewölbt,  in  ihrer  Farbe  licht  und  eigenthümlich  matt  (lichtblau, 
lichtgrau,  gelblichgrau).  Das  Auge  hat,  um  populär  zu  sprechen,  nicht 
das  rechte  Feuer.  Oft  findet  man  auch  die  Durchmesser  der  Cornea 
an  der  Basis  kleiner,  den  horizontalen  unter  5'",  wenn  auch  der  Bulbus 
im  Ganzen  nicht  gerade  kleiner  aussieht.  —  Von  der  einfachen  Schwä- 
chung der  Accommodationskraft  für  nahe  Objecte,  dem  Mangel  an  Aus- 
dauer für  Betrachtung  feiner  Objecte,  welcher  weiter  unten  besprochen 
werden  wird,  unterscheidet  sich  dieser  Zustand  durcb  den  Abgang  der 
Fähigkeit,  solche  Objecte  wenigstens  eine  kurze  Zeit  und  bei  etwas 
grösserer  Entfernung  zu  erkennen.  —  Dieser  Zustand  ist  stationär,  und 
schliesst,  wenn  von  dem  Auge  nicht  mehr  verlangt  wird,  als  es  leisten 
kann,  keine  Gefahr  der  Erblindung,  keine  besondere  Disposition  hiezu 
in  sich  ein.  Die  Aufgabe  des  Arztes  ist,  das  Individuum  oder  seine 
Angehörigen  in  diesem  Sinne  aufzuklären,  damit  namentlich  bei  der 
"Wahl  der  Beschäftigung  kein  Fehler  begangen,  nöthigenfalls  bei  Zeiten 
ein  anderer  Beruf  gewählt  werde.  Man  wird  auf  diesen  einzig  ver- 
nünftigen Rathschlag  vielleicht  um  so  eher  eingehen,  und  nicht  nach 
unnützen  und  schädlichen  Mitteln  herumtappen,  wenn  dabei  darauf  hin- 
gewiesen wird,  dass  das  Auge  so  Avie  andere  Organe  durch  adäquate 
Kraftübung  gestärkt,  durch  blindes  Forciren  geschwächt  werden  kann, 
dass  mit  der  Kräftigung  des  ganzen  Körpers  durch  Bewegung  im  Freien, 
Turnen,  Flussbäder  u.  s.  w.  auch  auf  Kräftigung  der  Augen  gerechnet 
werden  könne.  Brillen  sind  hier  nur  als  Krücken,  höchstens  als  Con- 
servations-,  niemals  als  Heilmittel  darzustellen.  —  Bloss  auf  dem  einen 
Auge  mag  die  angeborne  Stumpfheit  der  Netzhaut  wohl  noch  viel  öfter 
vorkommen;  hier  wird  es  aber,  wenn  nicht  offenbar  andere  Bildungs- 
heinmimgen  vorkommen,  im  Allgemeinen  schwer  sein,  sie  als  angeboren 
nachzuweisen;  denn  es  liegt  dann  ein  anderer  Grund  sehr  nahe,  näm- 
lich Mangel  an  Übung,  worauf  wir  später  zu  sprechen  kommen.  Der 
Zustand  ist  bisweilen  erblich. 

ß.    Die  Unfähigkeit,  gewisse  Farben  zu  unterscheiden,  der  mangel- 
hafte oder  fehlende  Farbensinn,   ist  bisher  mit  wenig  Ausnahmen  nur 


Retinalanibiyopie  —  angeborene.  101 

als  angeborner,  oft  zugleich  erblicher  Fehler  namentlich  beim  männ- 
lichen Geschlechte  beobachtet  worden.  Das  Individuum  sieht  die  ver- 
schiedenfarbigen Objecte  nur  weiss  oder  grau,  oder  es  fehlt  bloss  die 
Wahrnehmung  des  Blauen,  des  Rothen  (so  dass  z.  B.  Orange  einfach 
für  Gelb  gehalten  wird),  oder  sie  halten  Blau  für  Roth,  Grün  für  Blau 
u.  dgl.  Einige  dieser  Zustände  haben  ein  Analogon  in  dem  Verhalten 
gesunder  Augen  bei  der  Abenddämmerung  (Dove).  Dieser  eben  so 
merkwürdige  als  räthselhafte  Zustand  —  mir  aus  eigenen  Untersuchun- 
gen nicht  bekannt  —  ist  in  neuerer  Zeit  besonders  von  Seebeck*), 
Szokah'ky**),  Wartmann***)  u.  A.  genauem  Untersuchungen  unterwor- 
fen worden.  Da  derselbe  nicht  nur  selten  vorkommt,  sondern  auch 
mehr  physiologisches  als  pathologisch-therapeutisches  Interesse  hat,  so 
genüge  es,  auf  die  genannten  Untersuchungen  zu  verweisen,  welche 
sich  übrigens  in  Ruete's  Lehrbuche  der  Ophthalmologie  1.  Auflage, 
S.  S3  und  besonders  in  der  2.  Auflage  S.  179  bündig  zusammengestellt 
finden. 

y.  Eine  andere  Form  angeborner  (auch  erblich  vorkommender) 
nervöser  Gesichtsschwäche  gibt  sich  vorzüglich  dadurch  kund,  dass  das 
Gesichtsfeld,  der  fungirende  Theil  der  Netzhaut,  kleiner  ist,  der  Kranke 
demnach  seitlich  befindliche  Objecte  wenig  oder  gar  nicht  wahrnimmt. 
Dabei  kann  das  Sehvermögen  an  und  nächst  der  Macula  lutea  ziemlich 
gut  sein,  obwohl  es  in  der  Regel  mehr  weniger  stumpf  ist.  In  so  fern 
sich  diese  Sehstörung  besonders  beim  Abgange  gleichmässig  verbreite- 
ter und  intensiver  Beleuchtung  des  Sehfeldes,  also  im  Allgemeinen  nach 
Sonnenuntergang  geltend  macht,  kann  sie  als  angeborner  Nachtnebel 
(Hemeralopia  cong.)  bezeichnet  werden.  (Ich  beobachtete  unter  Andern 
einen  Goldarbeiter,  welcher  sein  Geschäft  recht  gut  betreiben,  Abends 
aber  nicht  allein  ausgehen  kann,  weil  er  Gefahr  läuft,  an  etwas  seitlich 
liegende  oder  entgegenkommende  Objecte  anzustossen,  und  welcher 
auch  bei  hellem  Tage  seitliche  Objecte  nicht  wahrnimmt;  bei  einem 
Kellner,  mit  beinahe  demselben  Zustande  von  Jugend  auf,  zeigte  die 
Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  nur  die  Peripherie  der  Netzhaut 
abnorm,  nämlich  von  ziemlich  zahlreichen  dunkeln  Körperchen  durch- 
setzt (oder  bedeckt?],  welche  durch  unregelmässige  Ausläufer  eine  ge- 
wisse Ähnlichkeit  mit  Knochenzellen  unter  dem  Mikroskope  erhielten.) 

2.  Ein  der  angebornen  Stumpfheit  verwandter  Zustand  der  Netz- 
haut entwickelt  sich  als  Ilebetudo  retinae  acquisita  in  Folge  man- 

*)  Poggendorfs  Annalen  der  Physik  und  Chemie,  1837.    Bd.  42. 

54    Über  die  -Empfindung  der  Farben  in  physiolog.  und  patholog.  Hinsicht.     Giessen  1842. 
**#)  y^'a^ii»  »ur  le  Daltonisme  ou  la  Dyschromatoptie.     Geneve  1844  und  1849. 


102  Netzhaut. 

gelhafter  Verwendung  derselben  zum  Sehen  in  früher  Jugend,  selte- 
ner in  späteren  Jahren  (Amblyopia  ex  anopsia).  Mechanische  Hinder- 
nisse, wie  namentlich  Cataracta,  wenn  sie  vom  zartesten  Alter  an  be- 
steben, können  diesen  Zustand  auf  beiden  Augen  herbeiführen,  und 
zwar  in  der  ganzen  Ausdehnung  der  Netzhaut  oder  nur  in  einem 
Theile  (in  der  Mitte)  derselben  (vergl.  Bd.  IL  S.  258,  281  und  282). 
Ausserdem  entwickelt  sich  dieser  Zustand  nur  auf  einem  Auge  unter 
allen  Verhältnissen,  wo  dasselbe  gar  nicht  oder  nur  relativ  selten  zum 
directen  Sehen  verwendet  wird.  —  Welche  anatomische  Veränderungen 
die  Netzhaut  in  Folge  längerer  Unthätigkeit  erleide,  ist  nicht  direct  er- 
wiesen; vermuthen  lässt  sich  ein  analoger  Vorgang  wie  in  wenig  oder 
gar  nicht  geübten  Muskeln.  Völlige  Atrophirung  kann  ohne  Hinzutritt 
anderer  Umstände  wohl  nicht  erfolgen,  da  solche  Augen  doch  niemals 
ganz  unthätig  bleiben,  sondern  am  Sehacte  überhaupt  immer  mehr  we- 
niger Theil  nehmen,  wenn  auch  nur  durch  indirectes  Sehen,  durch  Ver- 
grösserung  des  Sehfeldes.  Ist  kein  anderweitiges  Hinderniss  vorhan- 
den, so  kann  die  gesunkene  Energie  der  Netzhaut  durch  methodische 
Übung  gehoben  werden,  und  eben  der  Erfolg  solcher  Übung  zeigt, 
welchen  Antheil  an  der  vorhandenen  Gesichtsschwäche  eben  das  in 
Kede  stehende  Übel  hatte.  —  Es  ist  dasselbe  somit  bald  als  für  sich 
allein  bestehend,  bald  als  Zugabe  zu  andern  Sehhindernissen  zu  be- 
trachten, und  kommt  sowohl  in  der  einen,  als  in  der  andern  Eigen- 
schaft sehr  häutig  vor.  Sicher  vorhanden  ist  es  an  continuirlich  schie- 
lenden Augen,  in  um  so  höherem  Grade,  je  länger  der  Strabismus  be- 
steht. Es  kommt  aber  auch  ausserdem  in  den  verschiedensten  Abstu- 
fungen bei  Augen  vor,  welche  für  gewöhnlich  oder  auch  selbst  unter 
allen  Umständen  keine  Deviation  der  Sehachse  von  dem  fixirten  Objecte 
wahrnehmen  lassen.  Es  besteht  bei  sehr  vielen  Menschen  auf  dem 
einen  oder  dem  andern  Auge,  öfter  auf  dem  linken,  ohne  seine  Gegen- 
wart durch  irgend  eine  Beschwerde  zu  verrathen.  Ein  Zufall,  z.  B. 
das  Einfallen  eines  Staubkornes  in  das  gesunde  Auge,  führt  zum  Zu- 
halten desselben,  und  nun  wird  zum  grössten  Schrecken  die  mehr  we- 
niger gesunkene  Energie  des  andern  wahrgenommen.  Der  desswegen 
consultirte  Arzt  wird  nun  zu  untersuchen  und  zu  entscheiden  haben, 
ob  das  Übel  seit  Kurzem  besteht,  oder  bloss  nicht  bemerkt  wurde, 
wenn  auch  der  Kranke  wie  gewöhnlich  meint,  er  habe  immer  mit  bei- 
den Augen  gut  gesehen.  Sehr  oft  ist  es  vorzeitige  Ermüdung  (Kopiopie, 
Asthenopie)  des  bessern  Auges  mit  oder  ohne  Myodesopsie,  welche  den 
Kranken  bestimmt,  den  Arzt  zu  consultiren,  gleichviel,  ob  ihm  der  ge- 
schwächte Zustand  des  andern  bekannt  ist  oder  nicht.     Die  Erörterung 


Retinalaniblyopie  —  ex  anopsia,  traumatica.  103 

des  gegenseitigen  Verhältnisses  dieser  beiden  Affectionen  folgt  in  dem 
Capitel  über  Fehler  der  Accommodation.  —  Den  Impuls  zur  Vernach- 
lässigung des  einen  oder  doch  zur  vorwaltenden  Benutzung  des  andern 
Auges  geben:  Ablenkung  des  einen  Auges  durch  primäre  Muskelaffec- 
tionen  (Strabismus  muscularis  und  Luscitas),  längeres  Verbinden  des 
einen  Auges  bei  Entzündungen  in  früher  Jugend,  bleibende  oder  trans- 
itorische  Sehhindernisse  in  den  durchsichtigen  Medien,  angeborene 
oder  erworbene  geringere  Energie  der  Netzhaut,  Fehler  in  der  Ver- 
wendung der  Augen  in  der  Jugend,  so  dass  nur  das  eine  Auge  allein 
oder  doch  vorzugsweise  in  Anspruch  genommen  werden  kann,  wie 
z.  B.  bei  zu  starker  Annäherung  feiner  Objecte,  unilateralem  Gebrauch 
von  Augengläsern,  Loupen  u.  dergl.  —  Gegenstand  der  ärztlichen  Be- 
handlung wird  dieser  Zustand  fast  nur  dann,  wenn  das  schwächere 
Auge  schielt,  oder  wenn  das  stärkere  anfängt  die  geforderten  Dienste 
zu  versagen.  Desshalb  werden  wir  das  Nöthige  über  die  Behandlung, 
welche  füglich  eine  gymnastische  genannt  werden  kann,  in  den  Capiteln 
über  Strabismus  und  Asthenopie  nachtragen. 

3.  Traumatische  Retinal-Amblyopie  und  Amaurose.  Dass 
Erschütterung  des  Bulbus,  Druck  auf  denselben,  heftige  convulsivische 
Bewegungen  u.  dergl.  an  und  für  sich  die  Energie  der  Netzhaut  herab- 
setzen, selbst  vernichten  können,  ist  durch  verlässliche  Beobachtungen 
erwiesen.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  dass  viele  Fälle  uni-  und  selbst 
bilateraler  Amblyopie  hieher  gehören,  welche  man,  weil  sich  der  Kranke 
keines  traumatischen  Einflusses  zu  erinnern  weiss,  als  unbestimmt  hin- 
stellt, für  angeboren  hält,  oder  ganz  andern  zufälligen  Umständen  zu- 
schreibt. Die  Combination  mit  Trübung,  Luxation  oder  Verschrumpfung 
des  Krystallkörpers ,  namentlich  bei  unilateraler  Affection,  gibt  dieser 
Vermuthung  besonderes  Gewicht,  denn  unilaterale  Linsenerkrankung 
ohne  entzündliche  Erscheinungen  kommt  eben  ohne  Trauma  nicht  leicht 
vor.  Oft  entsinnen  sich  die  Kranken  oder  ihre  Angehörigen  erst  wäh- 
rend eines  gründlich  eingehenden  Examens  ganz  bestimmt  einer  trau- 
matischen Einwirkung,  welche  sie  bloss  desshalb  nicht  in  Beziehung 
zu  dem  gegenwärtigen  Übel  brachten,  weil  dieselbe  keine  anderweiti- 
gen unmittelbaren  Folgen  (Schmerzen,  Köthej  setzte,  und  die  Sehstö- 
rung nicht  sogleich  bemerkt  wurde.  —  Anatomisch  lässt  sich  der  Zu- 
stand als  analog  der  Commotio  cerebri  auffassen.  Es  findet  entweder 
nur  Verschiebung  der  einzelnen  Netzhautelemente  statt,  oder  förmliche 
Zerreissung  mit  oder  ohne  Blutaustretung  aus  den  geborstenen  Gefäs- 
sen.  Leidet  das  Sehvermögen  erst  durch  die  nachträgliche  Keaction, 
so  ist  die  Affection  wohl  als  Retinitis  oder  Chorioiditis  zu  betrachten. 


104  Netzhaut. 

—  Die  Erscheinungen  können  in  allgemein  oder  partiell  verminderter 
oder  aufgehobener  Netzhautenergie  allein  bestehen.  Wo  traumatische 
Einflüsse  rasch  und  stark  eingewirkt  haben,  wird  nicht  selten  Erweite- 
rung und  Trägheit  oder  Unbeweglichkeit  der  Pupille  bemerkt,  welche 
besonders  dann  auffällt,  wenn  das  Sehvermögen  nicht  ganz  erloschen 
ist.  Die  Mitleidenschaft  der  Ciliarnerven  kann  sich  auch  durch  Erbre- 
chen oder  Neigung  dazu  kund  geben.  Doch  erregt  diese  Erscheinung 
namentlich  dann,  wenn  zugleich  dumpfer  Kopfschmerz,  Schwindel,  Läh- 
mung eines  oder  des  andern  Muskels  u.  dgl.  dazu  treten,  oder  der 
Bulbus  stärker  hervortritt,  immer  mehr  weniger  gegründeten  Verdacht 
auf  Fracturirung  der  Orbitalknochen,  Bluterguss  in  der  Orbita,  in  der 
Schädelhöhle  u.  s.  w.  Die  so  gesetzte  Amblyopie  kann  auf  der  ein- 
mal gegebenen  Stufe  stehen  bleiben,  sie  kann  durch  nachfolgende  Re- 
action  zur  Amaurosis  gesteigert  werden;  sie  kann  auch  ganz  allmälig 
und  unvermerkt  in  complete  Amaurosis  übergehen.  Heilung  lässt  sich 
in  der  Begel  nur  bei  geringeren  Graden  und  in  frischen  Fällen  erwar- 
ten, selten  spontan;  bisweilen  kann  der  Arzt  durch  die  weiter  unten 
angegebene  Behandlung  so  schnelle  Besserung  oder  Heilung  herbeifüh- 
ren, dass  über  deren  Wirksamkeit  kein  Zweifel  übrig  bleibt;  bisweilen 
nützt  auch  die  rationellste  und  rechtzeitige  Behandlung  wenig  oder 
nichts.  —  Nach  heftigen  Convulsionen  bleibt  nicht  selten  mehr  weniger 
hochgradige  Amblyopie  zurück.  Das  bisweilen  vorkommende  allmälige 
Hinzutreten  von  Verdunklung  oder  Einschrumpfung  der  Linse  (mit  oder 
ohne  Luxation)  spricht  dafür,  dass  es  nicht  in  allen  solchen  Fällen 
nothwendig  ist,  den  Grund  der  Sehstörung  im  Gehirne  zu  suchen,  ob- 
wohl diess,  wie  bei  der  hydrocephalischen  Amblyopie,  oft  genug  der 
Fall  ist.  Starker  Druck  auf  den  Bulbus,  ein  Stoss  oder  Schlag,  eine 
knapp  am  Auge  vorbeistreichende  Kugel  (Luftdruck)  u.  dergl.  sind  im 
Stande,  die  Sehkraft  zu  schwächen  oder  aufzuheben,  auch  ohne  dass 
sie  sonst  auffallende  Veränderungen  hervorrufen.  Wir  haben  schon 
früher  (Bd.  H.  S.  15,  121)  auf  die  merkwürdige  Thatsache  aufmerk- 
sam gemacht,  dass  in  Fällen,  wo  die  Sclera  berstet,  das  Sehvermögen 
bisweilen  nicht  so  sehr  leidet,  als  wo  diess  nicht  geschieht.  Beer  er- 
zählt, dass  ein  junger  Mann  blind  wurde,  als  er  sich  den  Händen  eines 
Bekannten,  der  ihm  von  rücklings  die  Augen  zuhielt,  entwinden  wollte, 
und  dieser  immer  stärker  gedrückt  hatte.  Der  Unglückliche  blieb  trotz 
schnell  gesuchter  Hilfe  (von  Beer  selbst)  ganz  blind.  Erschütterung 
der  Netzhaut  mit  ihren  Folgen  kann  auch  eintreten,  wenn  ein  heftiger 
Stoss  oder  Schlag  die  Umgebung  des  Auges  trifft.  Die  hieher  gehöri- 
gen Beobachtungen,  welche  bis  in  die  Zeiten   vor  Hippokrates   hinauf- 


Retinalamblyopie  —  traumatica.  105 

reichen,  haben  in  unserem  Jahrhunderte  zu  langen  Controversen  Ver- 
anlassung gegeben  in  Bezug  auf  die  Deutung  der  an  sich  unbestreitba- 
ren Thatsache,  indem  einige  Beobachter  nebst  jenen  Fällen,  wo  offen- 
bar Commotio  retinae  oder  Verletzungen  in  der  Schädelhöhle  stattge- 
funden, noch  solche  aufstellten,  wo  die  Verletzung  zunächst  nur  Zweige 
des  Trigeminus  getroffen  und  erst  durch  Druck  oder  Zerrung  der  letz- 
teren und  durch  consecutive  Mitleidenschaft  des  Ganglion  ciliare  (mit- 
telst der  Radix  longa)  das  Netzhautleiden  eingeleitet  haben  soll.  Der 
Streit  ist  unentschieden ,  da  die  Möglichkeit  der  letzteren  Annahme 
nicht  negirt  werden  kann. 

Sabotier  (179 1)  suchte  die  Thatsache,  dass  mitunter  nach  eben  nicht  sehr  vehe- 
menten Verletzungen  am  Orbitalrande  Amblyopie  oder  Amaurosis  auftritt ,  anatomisch 
zu  erklären ,  indem  er  annahm ,  die  Quetschung  oder  Zerrung  irgend  eines  Zweiges  vom 
Trigeminus  (Barn.  I.  et  IL)  wirke  mittelst  der  Radix  longa  auf  das  Ganglion  ciliare  und 
durch  dieses  auf  die  Netzhaut.  Beer  verschaffte  dieser  Ansicht  dadurch  besonderes  Ge- 
wicht, dass  er  die  von  directer  Erschütterung  oder  Zerreissung  der  Netzhaut,  so  wie 
auch  die  von  gleichzeitig  verursachten  "Veränderungen  in  der  Schädelhöhle  abhängige 
Amaurosis  streng  von  dieser  consecutiven  oder  sympathischen  geschieden  wissen  wollte, 
dass  er  angab ,  in  letzteren  Fällen  trete  die  Erblindung  erst  während  der  Narben- 
bildimg  am  Orbitalrande  ein,  und  dass  er  sich  endlich  auf  (2)  Beobachtungen  aus  seiner 
Fraxis  berief,  wo  die  so  entstandene  Blindheit  nach  Durchschneidung  aller  Zweige  des  N. 
supraorbitalis  (hinter  seinem  Austritte  aus  der  Orbita)  verschwand  (1.  c.  B.  I.  S.  171). 
Andere,  ebenfalls  glaubwürdige  Autoren  (z.  B.  die  von  Makenzie  citirten  Dr.  Hennen 
und  Guthrie)  haben  von  dieser  Durchschneidung  keinen  Erfolg  gesehen,  wogegen  Andreae 
(l.  c.  B.  IL  S.  7 — 10)  einen  Fall  vor  Midlemore  und  einen  von  Wallace  citirt,  in  wel- 
chen die  schon  länger  bestehende  Blindheit  durch  das  Ausschneiden  der  Narbe  geheilt 
wurde.  Bei  der  einen  wie  bei  der  andern  dieser  sich  widersprechenden  Beobachtungen 
ist  jedenfalls  zu  bedauern,  dass  auf  das  Verhalten  der  Sensibilität  in  dem  Gebiete  des 
verletzten  X.  supra-  oder  infraorbitalis  keine  Bücksicht  genommen  wurde.  Diese,  von 
der  Physiologie  gebotene  Untersuchung  und  die  Anwendung  des  Augenspiegels  werden 
in  künftigen  Fällen  dem  Sachverhalte  wohl  eher  auf  den  Grund  sehen  lassen.  Die 
plötzliche  Entstehung  einer  Amblyopie  oder  Amaurose  nach  Verletzung  des  Trigeminus 
ohne  anatomisch  nachweisbaren  Zusammenhang  würde  übrigens,  wie  Andreae  bemerkt, 
a  priori  nicht  als  unstatthaft  erklärt  werden  können  ,  da  auch  Trismus  z.  B.  nach  Ver- 
letzung einer  Zehe  entstehen  kann. 

Behandlung.  In  frischen  Fällen:  geistige  und  körperliche  Ruhe, 
Temperirung  des  Lichtes ,  Restringirung  der  Kost,  und  bei  einfacher 
Erschütterung  kalte  Umschläge,  allmälig  mehr  und  mehr  mit  Weingeist 
oder  Tinctura  arnicae  versetzt,  bei  Blutextra vasaten  im  Bulbus  (an  der 
Retinal  nebstdem  örtliche  Blutentziehungen  und  kühlende  Abführmittel. 
Nach  längerem  Bestände,  wo  keine  entzündliche  Reaction  eingetreten 
ist :  stärkere  weingeistige  Umschläge,  spirituös-aromatische  Einreibungen 
an  die  Umgebung,  Verdunsten  von  äther-  oder  ammoniakhaltigen  Colly- 


106  Netzhaut. 

rien  vor  dein  offen  gehaltenen  Auge,  hingegen  Behandlung  wie  bei 
Retinitis  —  wovon  später  —  wenn  die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel 
das  Leiden  als  solche  erweist.  —  Wie  man  sich  rücksichtlich  der  etwa 
gleichzeitig  vorhandenen  Verletzung  am  Orbitalrande  oder  bei  gleich- 
zeitiger Hirnaffection  zu  benehmen  habe,  gehört  nicht  hieher. 

An  die  Besprechung  der  durch  mechanische  Einflüsse  bedingten 
Eetinalleiden  wollen  wir  noch  die  Bemerkung  anreihen,  dass  Amblyopie 
und  Amaurosis  auch  durch  heftige  elektrische  Ströme  und  Stösse  bedingt 
werden  kö?i?ie,  wie  uns  unter  andern  manche  der  vom  Blitze  Getroffenen 
zeigen.  Wir  meinen  dieser,  zum  Glück  sehr  selten  vorkommenden  That- 
sache  nur  desshalb  erwähnen  zu  müssen,  weil  hie  und  da  ein  Wunder- 
mann bei  Amblyopien  und  Amaurosen  sine  discrimine  et  ratione  die 
Elektrisirmaschine  anwendet,  und  weil  dieses  Agens  auch  da,  wo  es 
rationell  und  mit  Erfolg  angewendet  wird,  bei  peripherischen  Muskel- 
lähmungen an  oder  nächst  dem  Auge,  durch  Unvorsichtigkeit  für  die 
Netzhaut  Schaden  bringen  kann. 

4.  Amblyopie  und  Amaurosis  in  Folge  von  Blendung,  Reti- 
nalleiden  in  Folge  fehlerhaften  Lichteinflusses  überhaupt.  Das 
Licht,  der  adäquate  Reiz  und  das  Lebenselement  der  Netzhaut  ist  zu- 
gleich deren  gefährlichster  Feind.  Die  meisten  primären  Netzhautleiden 
•werden  ganz  allein  oder  doch  vorzugsweise  durch  fehlerhaften  Lichtein- 
fluss  eingeleitet.  Die  Zahl  der  anderweitig  bedingten  Amaurosen  ist, 
wenn  man  die  von  der  Chorioidea  ausgehenden  abzieht,  eine  rela- 
tiv kleine. 

Der  nachtheilige  Einfluss  des  Lichtes  auf  die  Netzhaut  effectuirt 
sich  entweder  in  einfacher  Depression  oder  Vernichtung  ihrer  Energie, 
oder  in  Steigerung  ihrer  Empfindlichkeit  gegen  Licht  und  Anstrengung 
mit  Hyperämie  und  mehr  weniger  Beeinträchtigung  der  Ausdauer  und 
Schärfe  des  Gesichtes ,  oder  aber  in  Einleitung  von  Blutüberfüllung, 
Bluterguss,  Exsudation  und  hiedurch  gesetzten  mannigfachen  Functions- 
störungen.  Der  eine  oder  der  andere  dieser  Effecte  zeigt  sich  entweder 
kurz  nach  der  Einwirkung  der  Schädlichkeit,  und  wird  dann  in  seiner 
Causalität  leicht  erkannt,  oder  aber  er  macht  sich  unvermerkt  und  all- 
mälig  mehr  und  mehr  geltend,  und  wird  bald  diesem,  bald  jenem  zu- 
fälligen Umstände  zugeschrieben.  In  solchen  Fällen  insbesondere  zeigt 
sich  die  Nothwendigkeit  einer  umfassenden  Kenntniss  der  Umstände, 
welche  von  Seite  des  Lichtes  der  Netzhaut  Gefahr  bringen  können. 
Denn  es  wird  dem  Arzte  wenig  nützen  genau  zu  wissen,  in  welcher  Art 
die  Netzhaut  leidet,  welche  Veränderungen  sie  unter  dem  Spiegel  zeigt, 
und  welche  Folgen  zu  erwarten  stehen,  es  wird  ihm  wenig  nützen,  auf 


Retinalaniblyopie  —  von  fehlerhaftem  Lichteinflusse.      107 

dieses  Erkennen  des  Zustandes  sein  Handeln  zu  basiren,  wenn  er  nicht 
berücksichtigt  oder  nicht  erfährt,  unter  welchen  Einflüssen  sich  das 
Leiden  entwickelt  hat,  wenn  er  den  Kranken  noch  fort  unter  schädlichen 
Einflüssen  lässt,  welche  dieser  nicht  für  solche  hält,  Einflüsse,  auf 
welche  selbst  der  erfahrene  und  umsichtige  Arzt  nicht  selten  erst  dadurch 
geleitet  wird,  dass  er  den  Kranken  in  seinen  gewohnten  Verhältnissen 
beobachtet.  Diese  Andeutungen  mögen  genügen,  den  nachfolgenden  Be- 
trachtungen über  den  Einfluss  des  Lichtes  und  der  Beschäftigung  auf 
die  Augen  einen  etwas  grossem  Baum  zu  vindiciren. 

Das  Licht  kann  an  und  für  sich  oder  mit  Rücksicht  auf  die  Be- 
schäftigung auf  die  Netzhaut  in  sehr  verschiedener  Weise  nachtheilig 
einwirken.  Durch  längere  Entziehung  dieses  gewohnten  Reizes  wird 
die  Empfindlichkeit  der  Netzhaut  so  gesteigert,  dass  dann  auch  ein  sonst 
unschädlicher  Lichtgrad  nachtheilig  werden  kann,  zumal  bei  schnellem 
Übergange,  bei  starkem  Contraste,  bei  oft  und  bald  wiederkehrendem 
Wechsel.  Daher  ist  es  im  Allgemeinen  nachtheilig,  entzündete  Augen 
zu  verbinden,  oder  das  Krankenzimmer  übermässig  zu  verdunkeln,  aus 
finstern  Localitäten  schnell  in  helle  zu  treten,  an  Orten  zu  schlafen,  wo 
directes  Sonnenlicht  die  Augen  vor  oder  beim  Erwachen  treffen  kann, 
Säuglinge  ohne  Schutz  gegen  die  Sonnenstrahlen  ins  Freie  tragen  zu 
lassen,  unmittelbar  nach  dem  Schlafe  gleich  feine  Arbeiten  vorzunehmen 
u.  dgl.  Eine  ähnliche  Wirkung  auf  die  Netzhaut  übt  das  Anstrengen 
der  Augen  bei  unzureichende)*  Beleuchtung,  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  in 
dunkeln  Localitäten,  worauf  wir  später  noch  zurückkommen. 

Sehr  intensives  Licht  kann  die  Sehkraft  sogleich,  wie  durch  einen 
Schlag  vernichten,  oder  stufenweise,  durch  Apoplexie  und  nachfolgende 
Entzündung  der  Markkaut.  Die  Erzählungen  von  absichtlicher  Blendung 
durch  directes  Sonnenlicht  erhalten  Glaubwürdigkeit  durch  die  traurigen 
Folgen,  welche  wissenschaftliche  Beobachter  nach  Sonnenfinsternissen 
gesehen  haben.  Unter  Andern  führt  Sönmierring  (Pflichten  gegen  die 
Augen  i  einige  Beispiele  vom  Jahre  1791  an,  und  Ed.  Jäger  (über  Staar 
und  Staaroperationen)  vom  28.  Juli  1851,  von  welchem  Datum  auch  mir 
drei  Fälle  partieller  Amaurosis  vorgekommen  sind.  Einen  gleichen  Effect 
können  die  Sonnenstrahlen  bewirken,  wenn  sie  von  einer  spiegelnden 
Fläche  ins  Auge  geworfen  werden,  z.  B.  vom  Wasser  beim  Baden,  wie 
in  einem  von  Jäger  erzählten  Falle,  welcher  zugleich  dadurch  merk- 
würdig ist,  dass  trotz  völliger  Amaurosis  keine  erheblichen  materiellen 
Veränderungen  wahrgenommen  werden  konnten.  In  gleicher  Weise  kann 
ein  weniger  intensives  Eicht  durch  Conlrast  zur  Umgebung  schaden,  wenn 
nämlich  die  davon  °-etroffene  Netzhaut  in  ihrer  übrigen  Ausbreitung  nicht 


108  Netzhaut. 

beleuchtet  ist.  Der  Blick  in  die  Gluth  eines  Hochofens,  wenn  rings  um 
die  enge  Öffnung  Alles  finster  ist,  kann  dem  ungewohnten  Auge  nahezu 
so  gefährlich  werden,  wie  der  Blick  in  die  Sonne,  während  doch  dieselbe 
Gluth  beim  Tage  oder  bei  künstlicher  Beleuchtung  der  Umgebung  ein 
gesundes  Auge  kaum  beleidigt.  —  Länger  anhaltende  Einwirkung  star- 
ken Lichtes  auf  die  ganze  Netzhaut  bewirkt  bald  Abstumpfung  der  Em- 
pfindlichkeit der  Netzhaut,  bald  Steigerung  derselben,  und  bei  wieder- 
holter Einwirkung,  wenn  die  Netzhaut  sich  von  einem  Male  zum  andern 
nicht  völlig  erholt  hat,  bleibende  Amblyopie  oder  Steigerung  zur  Amaurosis 
(Retinitis).  Auf  diese  Weise  entsteht  die  bisweilen  massenweise  auftre- 
tende Hemeralopie  (Nachtnebel)  und  die  in  den  Alpen-  und  Polarregionen 
wohlbekannte  Schneeblindheit,  selten  die  sogenannte  Nyktalopie  (Tag- 
nebel), welche  sich  bestimmt  als  congestiv-entzündlicher  Zustand  der 
Netzhaut  nachweisen  lässt.  Länger  fortgesetzte ,  mehr  durch  Contrast 
als  durch  Intensität  heicirkte  partielle  Erregung  der  Netzhaut,  wie  sie 
z.  B.  Physiologen  behufs  der  Erzeugung  von  Nachbildern,  Abklingen 
der  Farben  u.  dgl.  bewirken,  wie  sie  aber  auch  zufällig  und  bei  man- 
chen Beschäftigungen  fast  unvermeidlich  vorkommt,  steigert  die  Empfind- 
lichkeit der  Netzhaut  um  so  mehr,  je  öfter  sie  vor  völliger  Erholung 
derselben  wieder  vorgenommen  wird,  und  ist  ganz  gewiss  die  häufigste 
Quelle  chronischer  Dictyitis.  Bei  zureichender  und  gleichmässiger  Be- 
leuchtung kann  ein  gesundes  Auge  Erstaunliches  leisten,  sowohl  in  der 
Feinheit  als  in  der  Ausdauer.  (Der  Grund  davon,  dass  z.  B.  Schuster 
häufiger  von  Amblyopie  und  Amaurosis  befallen  werden,  als  Schneider, 
scheint  mir  darin  zu  liegen,  dass  bei  jenen  —  hierlands  wenigstens  — ■ 
noch  immer  die  Concentrirung  des  Lampenlichtes  auf  eine  kleine  Stelle 
mittelst  Glaskugeln  gebräuchlich  ist.)  —  An  dem  bekannten  nachtheiligen 
Einfluss  des  Nachtwachens  auf  die  Sehkraft  dürfte  wohl  auch  die  länger 
fortgesetzte  ununterbrochene  Einwirkung  des  Lichtes  grossen  Antheil 
haben,  denn  drs  Schlafen  bei  hellen  Nachtlampen  gewährt  den  Augen 
nicht  die  gleiche  Erholung,  und  das  Auffallen  des  hellen  Mondlichtes 
auf  die  Augen  soll  (wenigstens  in  den  Tropenländern)  entschieden  nach- 
theilig sein,  selbst  Erblindung  bewirken. 

Mit  Rücksicht  auf  die  Beschäftigung  mit  feinen  Arbeiten  kann  das 
Licht  dem  Auge  nachtheilig  werden,  wenn  es  relativ  zu  schwach  (unzu- 
reichend), oder  zu  stark  (grell  und  blendend),  wenn  es  ungleichmässig 
tertheilt  (durch  Schatten  unterbrochen)  oder  unstät  (bald  schwächer  bald 
stärker)  ist,  wenn  es  unrein,  d.  h.  farbig  ist,  und  wenn  es  in  fehler- 
hafter Richtung  einfällt.  Auf  diese  Momente  wird  vorzugsweise  bei  jenen 
Acht  zu  geben  sein,  welche  ihre  Augen  viel  bei  künstlicher  Beleuchtung 


Retinalamblyopie  —  Hemeralopie.  109 

zu  feineren  Arbeiten  in  Anspruch  nehmen.  Doch  können  auch  bei  Ta- 
geslichte wichtige  Fehler  begangen  werden,  wenn  feine  Arbeiten  bis  in 
die  Dämmerung  fortgesetzt  werden,  wenn  die  Sonnenstrahlen  unmittelbar 
auf  oder  nahe  neben  die  Objecte  fallen,  wenn  das  Licht  durch  Gitter- 
werke oder  von  entgegengesetzten  Eichtungen  oder  durch  gefärbte  Me- 
dien, z.  B.  grüne  oder  rothe  Fenstervorbäuge  einfällt,  wenn  Sonnen- 
strahlen bei  feinen  Arbeiten  benützt  werden,  welche  von  spiegelnden, 
blendend  weissen,  "gelben  oder  rothen  Flächen  namentlich  von  unten 
oder  von  der  Seite  her  ins  Auge  geworfen  werden.  Ausführlicheres 
über  diese  Verhältnisse,  die  sich  dem  Physiker  oder  Physiologen  wohl 
von  selbst  ergeben,  habe  ich  in  einer  1 846  erschienenen  populären  Schrift 
(die  Pflege  der  Augen  im  gesunden  und  kranken  Zustande  nebst  einem 
Anhange  über  Augengläser)  mitgetheilt. 

a)  Hemeralopie.  Mit  diesem  Ausdrucke  bezeichnet  man  eine  mehr 
weniger  hochgradige  Gesichtsschwäche,  welche  sich  hauptsächlich  in  der 
Zeit  von  Sonnenuntergang  bis  Sonnenaufgang  geltend  macht,  während 
des  Tages  aber  gar  nicht  vorhanden  zu  sein  scheint.  Mit  dem  Eintritte 
der  Abenddämmerung  nimmt  das  Gesiebt  mehr  weniger  rasch  ab,  so 
dass  der  Kranke  noch  vor  dem  Einbrüche  völliger  Dunkelheit  nicht  mehr 
allein  herumzugehen  vermag.  Auch  Mond-  und  künstliche  Beleuchtung 
sind  nicht  genügend,  die  gleichsam  in  Torpor  versunkene  Netzhaut  zum 
Unterscheiden  vonObjecten  zu  erregen;  nur  bei  sehr  intensiver  künstlicher 
Beleuchtung  und  in  nächster  Nähe  werden  lichtfarbige  Objecte  allenfalls 
noch  mehr  weniger  bestimmt  wahrgenommen.  Durch  das  Gebundensein 
an  die  Abnahme  und  Wiederkehr  des  Tageslichtes  erhält  die  Affection  den 
Typus  einer  intermittirenden  Krankheit.  Sie  tritt  indess  ohne  Ausnahme 
jeden  Tag  und  ohne  alle  Vorboten  ein.  Ausser  etwas  dumpfem  Schmerze 
in  der  Stirngegend,  etwas  weiterer  und  träger  Pupille  und  etwas  stär- 
kerer Injection  der  vordem  Oiliararterien ,  welche  jedoch  auch  fehlen 
können,  dürften  alle  andern  etwa  vorhandenen  Erscheinungen  als  zu- 
fällig zu  betrachten  sein.  Ob  die  Kranken  im  Stande  seien,  auch  wäh- 
rend des  Tages  bei  Kerzenlicht  (mit  Ausschluss  des  Tageslichtes)  scharf 
zu  sehen,  ist  —  so  viel  ich  weiss  —  noch  nicht  verlässlich  untersucht 
worden.  Eben  so  fehlen  noch  genaue  Bestimmungen  über  die  Schärfe 
des  Gesichtes  und  über  die  Accommodation  und  Ausdauer  zu  feineren 
Arbeiten  bei  vollem  Tageslichte.  —  Anatomisch-mikroskopisch  oder  mit 
dem  Augenspiegel  nachweisbare  Veränderungen  der  Netzhaut  dürften 
nicht  vorhanden  sein.  Physiologisch  lässt  sich  eine  doppelte  Deutung 
aufstellen:  entweder  die  Energie  der  Netzhaut  ist  überhaupt  so  verän- 
dert, dass  nur  das  volle  und  reine  Tageslicht  sie  noch  gehörig  erregen 


110  Netzhaut. 

kann,  oder  es  ist  die  Summe  der  durch  den  Schlaf  restaurirten  Sehkraft 
eben  nur  bis  zum  Ablauf  des  Tages  hinreichend.  Für  die  blauen  Strahlen 
ist  gewissermassen  auch  das  gesunde  Auge  hemeralopisch.  Wer  an  den 
Genuss  geistiger  Getränke  gewöhnt  ist,  arbeitet  mit  voller  Kraft  eben 
nur  dann,  wenn  er  das  gewohnte  Quantum  zu  sich  genommen  hat.  — 
Nach  den  Erörterungen  von  Nette?**)  kann  wohl  kaum  mehr  daran  ge- 
zweifelt werden,  dass  dieser  Zustand  der  Netzhaut  durch  die  längere 
Einwirkung  grellen  reflectirten  Lichtes  hervorgerufen  werde.  Sie  tritt 
immer  nur  auf  beiden  Augen  zugleich  auf;  sie  ergreift  bald  nur  einzelne 
Individuen,  bald  ganze  Massen,  namentlich  geschlossene  Körperschaften; 
sie  ist  in  manchen  Gegenden  so  zu  sagen  einheimisch,  und  kehrt  ge- 
wöhnlich um  dieselbe  Jahreszeit  wieder.  Diese  Umstände  und  das  typische 
Auftreten  der  Functionsstörung  führten  zu  der  Vermuthung,  die  Affection 
sei  als  Intermittens  oder  als  ein  Analogon  hievon  anzusehen,  während 
Andere  feuchte  Luft,  Erkältung,  gastrische  Störungen  u.  s.  w.  für  die 
veranlassenden  Momente  annahmen.  Es  ist  jedoch  nicht  schwer  nach- 
zuweisen, dass  diese  und  manche  andere  Momente,  z.  B.  Skorbut,  längeres 
Fasten,  Onanie  u.  dgl.,  nur  zufällig  vorhanden  waren.  Die  Hemeralopie 
herrscht  besonders  in  den  Tropenländern,  kommt  aber  auch  in  verschie- 
denen Gegenden  Europas  vor,  besonders  im  Frühjahre.  Auf  der  See 
sind  es  vorzüglich  die  Matrosen,  zu  Lande  die  gemeinen  Soldaten  und 
die  im  freien  Felde  arbeitenden  Landleute,  welche  ergriffen  werden. 
Aus  allen  Beobachtungen  massenweisen  Auftretens  ergibt  sich,  dass 
nebst  dieser  oder  jener  vermeintlichen  Schädlichkeit  immer  grelles  re- 
flectirtes  Licht  die  Augen  durch  längere  Zeit  getroffen  hatte,  dieses 
allein  als  die  constante  Schädlichkeit,  mithin  als  die  eigentliche  Ursache 
bezeichnet  werden  kann. 

Auf  Schiffen  zwischen  den  Wendekreisen  soll  gewöhnlich  der  zwanzigste  Mann 
von  Nachtnebel  befallen  sein.  Die  Matrosen  nennen  die  Krankheit  Mondblindheit,  weil 
sie  den  Grund  derselben  darin  suchen,  dass  der  Mond  den  auf  dem  Verdecke  Schla- 
fenden in's  Gesicht  scheine.  Sauvages  beobachtete  die  Affection  sehr  häufig  bei  Mont- 
pellier besonders  bei  den  Soldaten,  welche  unter  freiem  Himmel  schliefen  oder  am 
Flusse  Wache  standen;  Carron  du  Villards  Vater  sah  viele  Fälle  unter  den  piemontesi- 
schen  Soldaten  (1793),  welche  Tag  und  Nacht  auf  schneebedeckten  Bergen  bivouacquirten, 
Lohmeyer  schrieb  den  Ausbruch  und  das  Umsichgreifen  des  Übels  in  Ehrenbreitstein 
(1834)  dem  ungewohnten  Bergsteigen,  dem  blendenden  Lichte  beim  Exerciren  und  den 
dunkeln  Casematten  zu.  Nach  Fleury  (Gaz.  meM.  de  Paris  1840  N.  4)  ist  die  Heme- 
ralopie unter  dem  Äquator  sehr  gewöhnlich.  Er  betrachtet  klimatische  Verhältnisse  im 
Allgemeinen  als  Ursache,  weil  auf  dem  Schiffe,  wo  er  seine  Beobachtungen  machte, 
keine  Erkrankung  mehr  vorkam,  als  dasselbe  sich  wieder  in  der  gemässigten  Zone  befand, 
und  weil   zu    Cadix   und   Lissabon,    wo    sich  wieder  dieselben  klimatischen  Verhältnisse, 

*)  Gazetie  me"Uicale  de  Paris,  1840.    Nr.  9. 


Retinalamblyopie  —  Hemeralopie.  111 

wie  auf  den  Antillen  vorfanden  (?) ,  Rückfälle  wieder  auftraten.  „Demnach  wird  die 
Hemeralopie  nicht  durch  schlechte  Nahrung ,  nicht  durch  miasmatischen  Zustand  der 
Atmosphäre  veranlasst,  sondern  durch  die  starke  anhaltende  Einwirknng  der  directen 
oder  reflectirten  Lichtstrahlen  auf  die  Retina,  welche  mit  der  Länge  der  Zeit  und  in 
Folge  der  dadurch  bewirkten  übermässigen  Erregung  eine  Atonie  der  Netzhaut,  einen 
stufenweisen  Verlust  des  Sehvermögens  bewirkt,  wenn  die  Retina  nicht  mehr  durch  die 
nämliche  Kraft  erregt  wird."  —  Nach  Krebel,  Fuss,  Lerche  herrscht  die  Krankheit  in 
Kronstadt ,  Petersburg  und  Umgebung  besonders  während  der  siebenwöchentlichen 
Osterfasten;  nach  Meissner  (1819)  ist  dieselbe  in  manchen  Gegenden  Polens  besonders 
gegen  Ende  des  Winters  und  bei  Schnee,  jedoch  auch  im  Sommer,  namentlich  zur 
Erntezeit  bei  Landleuten  (Schnittern)  nicht  selten.  Anfang  Mai  1849  erkrankten  hier 
in  Prag  binnen  3  —  4  Tagen  gegen  achtzig  Mann  von  einer  Infanterie- Abtheilung, 
welche  auf  einem  der  höchsten  und  ganz  frei  gelegenen  Punkte  der  Stadt  (auf  der 
vom  Hradschin  durch  den  Hirschgraben  getrennten  Marienschanze)  campirte;  auch  hier 
blieben  die  Officiere  frei,  und  es  wurde  dem  fernem  Umsichgreifen  bald  Einhalt  gethan, 
indem  der  Mannschaft  streng  untersagt  wurde,  sich  frei  auf  die  Erde  hinzustrecken  und 
dem  grellen  Lichte  zu  exponiren.  Die  Genesung  erfolgte  —  so  viel  ich  erfahren 
konnte  —  in  wenig  Tagen  und  ohne  Anwendung  von  Arzeneien,  nachdem  die  Leute  in 
Kasernen  gebracht  und  in  massig  verdunkelten  Zimmern  gehalten  wurden.  Verkältung 
konnte  hier  nicht  als  Ursache  angenommen  werden,  denn  die  Leute  waren  mit  Aus- 
nahme der  Augen  ganz  gesund. 

Die  Krankheit  ist  nach  der  Angabe  fast  aller  Beobachter  leicht  heil- 
bar, wenn  gleich  die  Ansichten  über  die  ätiologischen  Momente  und  über 
die  Behandlung  sehr  differiren.  Mit  Ausnahme  weniger  Fälle,  welche 
vielleicht  durch  Fortwirkung  des  Causalmomentes  zu  bleibender  Amblyopie 
oder  Amaurosis  gesteigert  wurden,  ging  die  Affection  in  Zeit  von  wenig 
Tagen  oder  "Wochen  (selten  erst  nach  einigen  Monaten)  zurück,  und 
zwar,  wie  es  scheint,  von  selbst.  Bei  den  verschiedenen  Behandlungs- 
arten entsprach  man  nämlich  der  Causalindication  wohl  meistens  unwill- 
kürlich, indem  man  die  Befallenen  als  dienstunfähig  in  andere  Verhält- 
nisse brachte,  in  ihrer  Behausung  hielt,  einer  mehr  weniger  rigorosen 
Cur  unterwarf  und  —  dabei  auch  dem  grellen  Lichteinflusse  entzog. 
Scarpa,  welcher  gastrische  Zustände  als  Cäusalmoment  annahm,  empfahl 
Purgir-  und  Brechmittel;  Andere  gaben  Diaphoretica  und  Epispastica. 
Ein  schon  von  Celsus  erwähntes  Mittel  sind  die  heissen  Dämpfe,  die 
man  von  einer  gekochten  Leber  (Bock,  Rind,  Schwein)  gegen  die  offenen 
Augen  streichen  lässt.  Einige  reizen  die  Bindehaut,  indem  sie  Ammoniak 
oder  camphorirten  Weingeist  vor  den  offenen  Augen  verdunsten,  oder 
reizende  Collyrien  einträufeln  oder  kaltes  Wasser  an  die  Augen  spritzen 
lassen;  Andere  reizen  dagegen  die  Umgebung  der  Augen  durch  Elek- 
tricität,  fliegende  Vesicantien  an  die  Stirn  und  Schläfe,  oder  lassen 
Autenriethsche  Salbe  zwischen  die  Schulterblätter  einreiben,  selbst  ein 
Haarseil   einziehen.      Wharton   (the   american   Journ.    of  med.    science 


112  Netzhaut. 

1840,  Mai)  heilte  hartnäckige  Fälle  durch  völlige  2— 3  Tage  und  Nächte 
lang  fortgesetzte  Entziehung  des  Lichtes.  Teniperirung ,  wenn  auch 
nicht  völlige  Entziehung  des  Lichtes  und  flüchtige  Reize  auf  die  Con- 
junctiva  oder  auf  die  Cutis  der  Stirn  und  Schläfe  (Erregung  sensitiver 
Zweige  des  Trigeniinus)  haben  nicht  nur  die  Erfahrung  für  sich,  son- 
dern lassen  sich  auch  in  ihrer  Wirksamkeit  nach  allgemeinen  physiolo- 
gischen und  pathologischen  Gesetzen  begreifen.  Insbesondere  ist  die 
Anwendung  sogenannter  fliegender  Vesicantien  an  die  Umgebung  der 
Augen  empfohlen  worden,  namentlich  von  Bampfield  (medicochirurg. 
Transact.  London  1 814  Vol.  V.),  welcher  über  300  Fälle  von  Nachtnebel 
in  verschiedenen  Theilen  der  Erdkugel,  besonders  aber  in  Ostindien, 
beobachtet  hat;  er  versichert,  oft  schon  nach  dem  ersten  Pflaster  ent- 
schiedene Besserung,  nach  2— 5maliger  Wiederholung  aber  in  der  Kegel 
schon  binnen  14  Tagen  völlige  Heilung  erreicht  zu  haben.  Die  Anwen- 
dung von  Chinapräparaten  dürfte  nur  in  so  fern  nützen,  als  sie  einem 
etwa  gleichzeitig  vorhandenen  (zufälligen)  Allgemeinleiden  entspricht. 
Ebenso  möchte  der  sogenannten  antiscorbutischen  Behandlung,  auf 
welche  Bampfield  als  Schiffsarzt  besonders  Gewicht  legen  musste,  mehr 
ein  indirecter  Einfluss  auf  die  Beseitigung  des  Augenleidens  zuzu- 
schreiben sein. 

ß.  Unter  Nyktalopie  wird  ein  der  Hemeralopie  gewissermassen  ent- 
gegengesetzter Zustand  der  Netzhaut  verstanden.  Die  davon  Befallenen 
sehen  nach  Sonnenuntergang  ziemlich  gut,  während  des  Tages  dagegen 
schlecht.  Ihre  Augen  bieten  bei  dieser  Functionsanomalie  keine  äusser- 
lich  wahrnehmbaren  Abnormitäten  dar,  welche  dieselbe  erklären  können, 
wie  etwa:  Mangel  oder  Spaltung  der  Iris,  Mydriasis,  Albinismus,  partielle 
Cataracta  oder  Photophobie  als  Symptom  von  Entzündung  anderer  Ge- 
bilde, der  Chorioidea,  der  Iris,  der  Bindehaut  u.  s.  w.,  sondern  die  Seh- 
störung lässt  sich  eben  nur  auf  ein  primäres  Netzhautleiden  zurück- 
führen. Nach  Ausschluss  solcher  Fälle,  für  welche  man  den  Namen 
Nyktalopie  gar  nicht  gebrauchen  sollte,  wird  wohl  kaum  noch  einer 
übrig  bleiben,  wo  das  Gesicht  bei  gehörig  temperirtem  Lichte  als  nor- 
mal bezeichnet  werden  könnte,  so  wie  auch  die  gegenteilige  Angabe 
vieler  Autoren,  als  kämen  Fälle  von  völliger  Blindheit  bei  vollem  Tages- 
lichte vor,  so  lange  in  Zweifel  gezogen  werden  muss,  als  nicht  verläss- 
liche und  detailirte  Beobachtungen  beigebracht  werden.  Es  scheint 
überhaupt,  dass  die  Affectiou,  welche  man  gegenüber  der  Hemeralopie 
füglich  als  Nyktalopie  bezeichnen  kann,  sehr  selten  vorkomme,  da  nur 
sehr  wenige  Schriftsteller  sich  bei  Beschreibung  derselben  auf  eigene 
Beobachtungen  berufen.     (Indem  ich  mir  vorbehalte,   den  einzigen  mir 


Retinalaiublyopie  —  Nyktalopie.  113 

vorgekommenen  Fall  weiter  imten  mitzutheilen ,  will  ich  hier  auszugs- 
weise aufnehmen,  was  Carron  du  Vülards*)  Bemerkenswerthes  darüber 
geschrieben  hat.)  „Diese  Krankheit  ist  auch  Folge  der  durch  den  Schnee 
bewirkten  Lichtreflexe;  desshalb  tragen  die  Esquimaux  und  Lappländer 
Hornbrillen,  welche  die  Augen  nach  unten  vollkommen  schützen,  indem 
in  ihrer  Mitte  sich  eine  horizontale  Spalte  befindet.  In.  den  letzten 
Kriegen  des  Königs  von  Sardinien  gegen  Frankreich  (1793),  wo  mehrere 
Kegimenter  auf  dem  Mont  Cenis  und  dem  kleinen  St.  Bernhard  canton- 
niren  mussten,  wurden  ganze  Compagnien  von  Nyktalopie  befallen. 
Diese  Affection  wurde  allgemein  der  blendenden  Weisse  des  Schnees 
zugeschrieben,  welche  durch  das  Zurückstrahlen  des  Sonnenlichtes  ver- 
stärkt wurde.  Mein  Vater,  der  die  meisten  von  diesen  Soldaten  unter- 
suchte, fand,  dass  sie  an  einer  ausserordentlichen  Verengerung  der  Pu- 
pille litten.  Die  Krankheit  verschwand  bei  den  Meisten;  bei  Einigen 
aber  blieb  unheilbare  Myosis  zurück,  welche  ihr  Sehvermögen  sehr 
störte."  —  „Die  Nyktalopie  ist  in  den  heissern  Ländern  endemisch. 
Nach  Hillary  findet  man  in  Siam,  Ostindien  und  selbst  in  Afrika  sehr 
viele  Nyktalopische.  Nach  Lassus,  Pi/e  und  Richter  kann  die  Nykt- 
alopie auch  die  Folge  eines  längern  Aufenhaltes  an  dunklen  Orten  sein. 
Larrey  erzählt  die  Geschichte  eines  Greises,  der  33  Jahre  in  einem  Ge- 
langnisse zu  Brest  gefesselt  war;  dieser  erkannte  in  der  Nacht  die 
kleinsten  Gegenstände,  während  er  am  Tage  vollkommen  blind  war  (?). 
Lassus  erzählt  die  Geschichte  eines  jungen  Mannes,  der  in  Folge  einer  Ge- 
hirnüberreizung durch  geschlechtliche  Ausschweifungen  tagblind  wurde  (?)." 
Ramazzini  (Krankheiten  der  Handwerker)  erwähnt ,  er  habe  öfter 
unter  den  Landleuten  und  besonders  bei  Knaben  die  Beobachtung  ge- 
macht, dass  zur  Aquinoctialzeit  im  März  etwa  10jährige  Knaben  von 
Gesichtsschwäche  befallen  wurden,  so  dass  sie  den  ganzen  Tag  hin- 
durch wenig  oder  nichts,  Abends  dagegen  wieder  deutlich  sahen.  Die 
Affection  verschwand,  ohne  dass  etwas  dagegen  angewendet  wurde,  ge- 
gen Mitte  April  von  selbst.  Der  Umstand,  dass  R.  die  Pupillen  dabei 
erweitert  gefunden,  macht  es  zweifelhaft,  ob  hier  eine  Netzhautaffection 
oder  bloss  Mydriasis  vorhanden  war.  —  Carron  du  Vülards  erklärt  die 
Nyktalopie  für  ein  congestives  Leiden  der  Netzhaut.  Nach  ihm  ver- 
schwindet die  durch  Blendung  bedingte  Nyktalopie  in  der  Regel  von 
selbst,  wenn  man  die  veranlassende  Ursache  entfernt,  das  Licht  gehörig 
lemperirt.  Für  hartnäckige  Fälle  empfiehlt  er  die  schon  seit  Hippo- 
krutes  Zeiten  in  grossem  Rufe    stehenden  warmen  Dämpfe  von  einer 

*)  Prakt.  Handbuch  zur  Erkenntniss  und  Heilung  der  Augenkrankheiten,  übersetzt  von  Schnackenberg. 
Quedlinburg  und  Leipzig,  1841.     S.  346. 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  8 


114  Netzhaut. 

gekochten  Rindsleber,  wie  bei  Hemeralopie.  Bei  Nyktalopie  in  Folge 
von  Congestionen  (?)  soll  man  so  wie  bei  Amblyopia  congestiva  ver- 
fahren, bei  starker  Verengerung  der  Pupille  und  übermässiger  Reizung 
der  Netzhaut  innerlich  und  äusserlich  Belladonna  (?),  bei  torpiden  Er- 
scheinungen Excitantia  (?)  anwenden. 

N.  N.,  ein  Mann  von  circa  vierundvierzig  Jahren,  von  kräftiger  Constitution  und. 
gesundem  Aussehen,  consultirte  mich  Anfang  Juli  1854  wegen  eines  eigentümlichen 
Zustandes  seiner  Augen.  Er  versicherte,  dass  er  Abends  nach  Sonnenuntergang  so 
■wie  früher  sehe,  selbst  schiessen  könne,  bei  Tage  jedoch  Alles  wie  mit  einem  hellen 
Nebel  oder  Scheine  bedeckt  sehe,  daher  Personen  auf  3 — 4  Schritte  nicht  mehr  deut- 
lich erkenne,  beim  Fahren  (er  war  gewohnt  selbst  die  Pferde  zu  lenken)  Gefahr 
laufe,  vom  Wege  abzukommen,  überhaupt  durch  Licht  geblendet  werde.  Diese  Behin- 
derung im  Sehen  hat  sich  in  geringem  Grade  bereits  im  März  oder  April  bemerkbar 
gemacht,  indem  Patient,  der  von  jeher  ein  besonders  scharfes  Gesicht  hatte  und  als  ein 
ausgezeichneter  Schütze  bekannt  war,  zunächst  entferntere  Objecte  nicht  mit  der  ge- 
wohnten Deutlichkeit  wahrnahm;  erst  als  er  einmal  beim  Schiessen  die  Mücke  am  Ge- 
wehr nicht  mehr  erkannte,  wurde  er  um  seine  Augen  besorgt.  Als  er  mich  zu  Bathe 
zog,  konnte  er  mit  dem  rechten  Auge  nur  noch  2'",  mit  dem  linken  V"  hohen  Druck 
lesen  (Ed.  Jägers  14  und  10),  jedoch  nur  einige  Zeilen,  indem  ihm  die  Augen  bald 
übergingen.  Durch  Entfernen  der  Schrift  über  10  — 12  Zoll  wurde  an  Deutlichkeit  und 
Ausdauer  eher  verloren,  als  gewonnen.  Stärkere  Verdunklung  des  Zimmers  (zu  einem 
der  Dämmerung  nahen  Grade)  verminderte  wohl  das  fortbestehende  unangenehme  Gefühl 
der  Blendung,  vermochte  aber  nicht,  das  Erkennen  kleinerer  Lettern  zu  vermitteln. 
Die  Angabe  des  Patienten,  dass  er  nach  Sonnenuntergang  ganz  gut  sehe,  erwies  sich 
in  so  fern  unrichtig,  als  Sehversuche  herausstellten,  dass  er  in  .der  Dämmerung  nicht 
besser  lesen  konnte,  als  am  Tage,  dass  sein  Gesicht  bei  der  Prüfung  an  feineren  Ob- 
jecten  gegen  gesunde  Augen  immer  zurückbleibe.  Noch  auffallender  zeigte  sich  die 
Schwächung  der  Sehkraft  an  Leseproben  bei  künstlicher  Beleuchtung.  Das  directe  Ein- 
fallen künstlichen  Lichtes  war  ihm  übrigens  nicht  minder  unangenehm ,  als  das  von 
lichten  Flächen  reflectirte  Sonnenlicht,  daher  ihn  auch  das  Anzünden  der  Strassenlampen 
von  seinen  abendlichen  Spaziergängen  nach  Hause  trieb.  Bei  Mondschein  versicherte 
er  an  sein  Augenleiden  durch  gar  nichts  erinnert  zu  werden.  —  Die  Augen  boten 
äusserlich  durchaus  nichts  Abnormes  dar,  nur  die  Augapfelbindehaut  war  constant  etwas 
stärker  injicirt,  was  jedoch  vielleicht  habituell  ist,  da  Patient  überhaupt  lebhaft  arteriell, 
geröthet  aussieht  und  eine  sehr  zarte  Haut  besitzt.  Nebstdem  konnten  die  Pupillen 
durchschnittlich  bei  verschiedenen  Lichtgraden  als  relativ  zu  eng  bezeichnet  werden, 
obwohl  die  lichtgraublaue  Iris  sich  sonst  in  jeder  Beziehung  normal  verhielt.  Die  durch- 
sichtigen Medien  durchaus  intact.  Die  Untersuchung  der  Netzhaut  mit  dem  Augenspiegel 
ergab  keine  materielle  Veränderung,  nur  Hyperämie  und  grössere  Empfindlichkeit  gegen 
den  Lichtreiz.  Von  sogenannten  subjectiven  Gesichtserscheinungen  keine  vorhanden, 
auch  keine  Sohmerzen  und-  abnormen  Empfindungen,  ausser  dem  lichten  Nebel  oder 
Scheine,  der  ihm  bei  Tageslicht  alle  Objecte  zu  überziehen  schien.  —  Patient  wusste 
über  die  Zeit  der  Entstehung  des  Leidens  nichts  Bestimmtes  anzugeben,  noch  weniger 
über  die  Veranlassung  dazu.  Er  entsann  sich  keiner  offenbaren  Blendung,  keiner 
Verkältung,  überhaupt  keiner  auffallenden  Schädlichkeit.  Er  befand  sich  sonst  durchaus 
wohl ,    lebt  in   den   besten  Verhältnissen ,    hat   seine  Augen  nie   übermässig   angestrengt» 


Retinalanibl}  opie  —  Nyktalopie.  115 

Er  hat  vor  vielen  Jahren  wegen  einer  secundären  Affection  wohl  Mercurialcuren  durch- 
gemacht, doch  regelrecht,  und  bietet  keine  Nachgehen  weder  von  der  einen  noch  von 
der  andern  dar.  Trotzdem  er  in  venere  eben  nicht  sparsam  .gelebt,  ist  er  gut  genährt 
und  muskulös  kräftig,  dabei  aber  sehr  irritabel,  physisch  sowohl  als  psychisch.  In  Bezug 
auf  Essen  und  Trinken  war  er  nie  unmässig,  ausser  dass  er  vor  vielen  Jahren  sehr 
an  starken  Thee  mit  Eum  gewöhnt  war.  Tabak  zu  rauchen  ist  ihm  Bedürfniss;  doch 
konnte  auch  hierin  nicht  die  Ursache  des  Augenleidens  gesucht  werden.  Eigenthümlich 
ist  von  Jugend  auf  eine  grosse  Neigung  zum  Schwitzen  und  eine  ungewöhnliche  Em- 
pfindlichkeit gegen  Arzneimittel,  namentlich  gegen  Abführmittel.  —  Ich  empfahl:  Meiden 
grellen  Lichtes,  schneller  Übergänge  und  Contraste,  jeder  Anstrengung  der  Augen,  Ex- 
cesse  im  Essen ,  Trinken ,  in  venere ,  Tragen  rauchgrauer  Gläser ,  massige  Bewegung 
im  Freien,  Egerer  Salzquelle,  und  da  diese  Schwindel  erregte,  Saidschützer  Wasser  in 
kleinen  Gaben,  blutige  Schröpfköpfe  in  der  Kreuz-  und  Lendengegend,  nach  denen 
jedoch  Hinfälligkeit  mit  leichten  Muskelzuckungen  eintrat,  daher  später  von  Zeit  zu  Zeit 
6  —  S  Blutegel  hinter  die  Ohren ,  einigemal  auch  circa  anum ,  endlich  kalte  Augen- 
douche  und  später  kalte  Fomente  von  Aqua  dest.  mit  Aqua  laurocerasi  und  Borax,  da 
ihm  die  örtliche  Anwendung  von  Kälte  entschieden  wohl  that.  Es  erfolgte  wohl  keine 
Verschlimmerung,  aber  auch  keine  Heilung.  Auf  den  Bath  eines  Ende  September  con- 
sultirten  Arztes  wurde  durch  längere  Zeit  Chinin,  sulfur.  gegeben,  Anfangs  in  Pulver- 
form .  dann  in  Verbindung  mit  Elix.  acid.  Halleri.  Die  Ende  September  von  einem 
andern,  mit  dem  Ophthalmoskope  sehr  vertrauten  Arzte  vorgenommene  Untersuchung  ergab 
gleichfalls  keine  sichtbare  Veränderung  der  Netzhaut,  selbst  nicht  mehr  eine  erhebliche 
Hyperämie.  Die  durch  zwei  Monate  fortgesetzte  Anwendung  des  Chinins  hatte  keinen 
günstigen  Erfolg,  obwohl  das  diätetische  Verhalten  erst  jetzt  streng  eingehalten  wurde. 
Ja  Patient  war  so  weit  gekommen,  dass  er  auch  mit  dem  linken  Auge  nur  N.  14  lesen 
konnte.  Ich  kehrte  daher  zu  kleinen  zeitweiligen  Blutentziehungen  zurück,  und  liess 
durch  vier  Wochen  Pillen  von  Polygala  senega  nehmen  und  etwas  später  nebenbei 
Veratrinsalbe  an  die  Stirn  und  Schläfe  einreiben.  Keine  Besserung,  keine  Verschlim- 
merung. Dasselbe  Besultat  nach  wiederholter  Application  kleiner  Vesicantien  an  die 
Schläfe  und  endermat.  Anwendung  von  Strychnin.  Auch  Extr.  conii  macul.  mit  Magnes. 
carbon.  in  steigender  Dosis  blieb  ohne  Erfolg.  Ich  entschloss  mich  daher  Anfangs  März 
zu  einer  Sublimatcur  in  Pillenform  ( '  20  Gran),  konnte  jedoch  wegen  Empfindlichkeit 
des  Magens  bloss  auf  acht  Pillen  steigen.  Als  der  Patient  wieder  bis  zu  einer  Pille 
zurückgegangen  war,  trat  zuerst  Abnahme  der  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  ein, 
daher  ich  nach  einiger  Zeit  noch  einmal  bis  auf  zehn  Pillen  stieg.  Nach  Beendigung 
der  Cur  (gegen  Ende  April)  war  der  lichte  Nebel  nicht  mehr  vorhanden ,  Physiogno- 
mien wurden  auf  5  —  6,  nicht  mehr  bloss  auf  2 — 3  Schritte  und  viel  deutlicher  und 
reiner  erkannt ,  und  von  den  Jäger'schen  Lettern  konnte  wieder  N.  11  mit  jedem 
Auge  gelesen  werden.  Im  Mai  wurden  noch  zwei  Arzte  consultirt,  nach  Erwägung 
ihrer  Eathschläge  jedoch  und  Berücksichtigung  des  bisherigen  Erfolges  noch  einmal  zu 
einer  etwas  modificirten  Sublimatcur  geschritten  (Mitte  Juni).  Ende  Juli,  wo  ich  den 
Patienten  das  letzte  Mal  (vor  Abdruck  des  Manuscriptes)  sah,  war  die  Sehkraft  so  weit 
gebessert,  dass  von  Jägers  Musterschriften  N.  7  ganz  leicht  gelesen  wurde.  Die  Bes- 
serung hatte  sich  zuerst  im  Erkennen  entfernter  Objecte  und  durch  entschiedene  Ver- 
minderung der  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  bemerkbar  gemacht.  Dieser  Erfolg 
spricht  meines  Erachtens  dafür,  dass  in  diesem  Falle  eine  chronische  Ptetinitis  bestand, 
wenngleich   in    der    Pietina    noch   keine    Productbildung    nachgewiesen    werden    konnte. 

8* 


116  Netzhaut. 

Ob  nun  alle  Fälle   von  Nyktalopie  als   congestiv-entzündliches  Netzhautleiden   aufzufassen 
seien,  bleibt  fernem  Beobachtungen  anheimgestellt. 

y.  Entzündung  der  Netzhaut.  Dictyitis  {Retinitis).  Dieser  Terminus 
wurde  bisher  meistens  zunächst  auf  einen  gewissen  Symptomencomplex 
gestützt,  und  demgemäss,  da  chronische  Fälle  ausser  der  Sehstörung 
keine  verlässlichen  Erscheinungen  darbieten,  beinahe  nur  bei  sehr  acut 
auftretenden  Fällen  gebraucht.  Veränderungen  der  Netzhaut,  welche  als 
Product  von  Entzündung  derselben  aufgefasst  werden  mussten,  waren 
nur  an  Leichen  gefunden  worden,  von  denen  man  im  günstigsten  Falle 
etwa  wusste,  dass  Amaurosis  vorhanden  gewesen  war.  Die  Anwendung 
des  Augenspiegels  gestattet  uns  nun,  schon  während  des  Lebens  ana- 
tomische Veränderungen  der  Netzhaut  zu  erkennen,  zu  den  anderwei- 
tigen Symptomen  in  Beziehung  zu  bringen,  und  somit  Entzündung  der 
Netzhaut  auch  bei  subacutem  und  chronischem  Verlaufe  zu  diagnosti- 
eiren.  Nur  bleibt  noch  immer  zu  bedauern,  dass  uns  genauere  und 
feinere  anatomische  Untersuchungen  der  durch  Entzündung  veränderten 
Netzhaut  beinahe  durchaus  fehlen,  somit  eine  nur  einigermassen  ge- 
nügende Schilderung  der  anatomischen  Veränderungen  zur  Zeit  noch 
nicht  gegeben  werden  kann ,  und  dass  die  feineren  mikroskopischen 
Veränderungen  der  Netzhaut  auch  dem  Ophthalmoskope  entgehen.  Die 
älteren  Angaben  über  partielle  oder  universelle  Trübungen,  Verfärbun- 
gen, Verdickungen,  Verhärtungen  u.  s.  w.  können  nur  zum  Theil  als 
Beweise  betrachtet  werden,  dass  die*  Netzhaut  primär-  durch  Entzündung 
verändert  werden  kann;  viele  derselben  beruhen  auf  Verwechslung  mit 
metamorphosirten  Chorioidealexsudaten  und  Extravasaten.  Die  Augen- 
spiegelbefunde sind  im  Allgemeinen  in  Verbindung  mit  anderweitig 
constatirten  Momenten  hinreichend,  die  Existenz  von  Netzhautentzün- 
dung sicher  zu  stellen;  doch  ist  dieser  Nachweis  in  speciellen  Fällen 
nicht  immer  leicht,  selbst  bei  völliger  Vertrautheit  mit  der  Anwendung 
dieses  Instrumentes.  Man  hat  nämlich  zu  bestimmen:  ob  wirklich  vor- 
handene Abnormitäten  des  Augengrundes  auch  als  Ursache  der  ander- 
weitig constatirten  Sehstörung  angenommen  werden  können,  ob  diesel- 
ben in  der  Netz-  oder  Aderhaut  oder  in  beiden  zugleich  ihren  Sitz 
haben,  und  von  welcher  Natur  dieselben  seien.  Aber  auch  wenn  mit 
dem  Augenspiegel  keine  Veränderungen  wahrgenommen  werden,  und 
überhaupt  nicht  wahrgenommen  werden  können,  so  folgt  daraus  noch 
nicht,  dass  die  Ursache  der  Sehstörung  anderswo  als  in  der  Netzhaut 
gesucht  werden  müsse,  denn  es  gibt  Veränderungen  der  Netzhaut,  in 
specie  entzündliche,  welche  nur  mittelst  des  Mikroskopes  ermittelt  wer- 
den können.   Als  Beleg  hieflir  mag  die  Untersuchung  der  amblyopischen 


Entzündung  der  Netzhaut.  117 

Augen  eines  in  Folge  von  Morbus  Brightii  Verstorbenen  dienen,  in 
welchen  Türk  (Zeitschr.  der  Wiener  Ärzte,  1850,  Nr.  4)  im  hintern 
Abschnitte  der  Netzhäute  bis  zu  einer  Entfernung  von  3 — 4/y;  von  der 
Eintrittsstelle  des  Sehnerven  das  Gewebe  derselben  unter  dem  Mikro- 
skope von  Körnchenzellen  durchsetzt  fand,  und  offenbar  ein  Exsuda- 
tionsprocess  in  der  Netzhaut  als  Ursache  der  Amblyopie  angesehen 
werden  musste.  Eine  ähnliche,  also  bestätigende  Beobachtung  hat  Prof. 
Treitz-  bei  Diabetes  mellitus  gemacht;  es  liess  sich  Netzhautentzün- 
dung unter  dem  Mikroskope  bestimmt  nachweisen,  ohne  dass  die  Netz- 
haut dem  freien  Auge  merklich  verändert  erschien  (mündliche  Mit- 
theilung). 

Die  ophthalmoskopisch  erkennbaren  und  durch  Entzündung  gesetz- 
ten Veränderungen  der  Netzhaut  sind:  1.  Hyperämie  allein  oder  mit 
Ekehyniosirung  in  frischen,  Verminderung  des  Calibers  und  dunklere 
Färbung  der  Gefässe  bei  inveterirten  Fällen;  2.  dunkel-  oder  hellfar- 
bige Trübung  der  Netzhaut  an  einer  oder  an  mehrern  Stellen,  in  ein- 
zelnen Eegionen  oder  in  der  ganzen  Ausdehnung;  3.  Veränderungen 
der  Sehnervenpapille  in  Bezug  auf  Farbe,  Grösse  und  Abgrenzung  von 
der  Umgebung.  Ad  l.Wenn  das  eine  Auge  gesund  ist,  kann  man 
durch  aufmerksame  Vergleichung  die  capilläre  Blutüberfüllung  leicht 
nach  der  stärkeren  Röthe  des  Augengrundes  beurtheilen,  ausserdem 
aber  muss  auf  das  Alter  des  Individuums,  auf  die  Farbe  der  Iris,  auf 
die  Reinheit  der  Flamme,  auf  die  Durchsichtigkeit  der  Medien  und  auf 
den  Refractionszustand  des  untersuchten  Auges  (relativ  zum  Instrumente 
und  zum  Beobachter)  Rücksicht  genommen  werden;  man  muss  über- 
haupt viele  und  verschiedene  Augen  mit  normaler  Netzhaut  untersucht 
haben.  Am  leichtesten  ist  die  Hyperämie  zu  erkennen,  wenn  im  Be- 
reiche des  Sehnervenquerschnittes  abnorm  viele,  namentlich  feine  Ge- 
fässchen  vorkommen,  wenn  derselbe  ein  förmlich  röthliehes  Aussehen 
hat,  wenn  hier  oder  im  weitern  Verlaufe  längs  derselben  kleine  Ekchy- 
mosen  oder  röthlich  punktirte  Fleckchen  sitzen.  Die  gleichzeitige  Ver- 
minderung der  Energie  der  Sehkraft  supplirt  bei  solchem  Befunde  ge- 
wissermassen  das  Auffinden  von  Exsudaten,  welche  nämlich  noch  so 
fein  sein  können,  dass  die  beim  Ophthalmoskop  zulässige  Vergrösserung 
und  Beleuchtung  nicht  hinreicht,  sie  wahrnehmbar  zu  machen.  Doch 
ist  zu  bemerken,  dass  es  auch  Fälle  gibt  —  weiter  unten  wird  ein 
solcher  angeführt  —  wo  der  Exsudationsprocess  zunächst  in  der  Peri- 
pherie der  Netzhaut  auftritt,  die  Schärfe  des  directen  Sehens  mithin 
gar  nicht  oder  kaum  merklich  beeinträchtigt  erscheint.  —  Nach  länge- 
rem Bestände  der  Entzündung  ist  es  nicht  sowohl  abnorme  Röthe  des 


118  Netzhaut. 

Äugengrundes  und  grössere  Zahl  von  Gefässen,  welche  auffällt,  als  viel- 
mehr Erweiterung,  besonders  der  Venen,  und  dunklere  Färbung  dieser 
sowohl  als  der  Arterien.  Zahl  und  Lumen  der  Centralgefässe  können 
in  diesem  Stadium  übrigens  sogar  vermindert  sein,  und  der  Augengrund 
erscheint  in  solchen  Fällen  unter  dem  Spiegel  oft  auffallend  licht, 
während  die  Pupille  beim  Tageslichte  schon  mehr  weniger  unrein,  grau 
oder  grünlich  aussieht,  was  theils  von  der  Trübung  der  Netzhaut,  theils 
von  der  Verminderung  der  Pigmentunterlage  (und  allenfalls  auch  von 
gelblicher  Färbung  der  Linse)  abhängt.  —  Ad.  2.  Die  Trübung  der 
Netzhaut  erscheint  der  Farbe  nach  röthlich,  grau-,  gelblich-  oder  bläu- 
lich-weiss,  oder  dunkel  (pigmentirt).  Die  röthlichen  Flecke,  von  denen 
schon  die  Rede  war,  sind  nicht  so  intensiv  und  nicht  so  dunkelroth, 
überdiess  auch  nicht  so  scharf  markirt,  wie  die  Ekchyinosen,  welche 
auch  ohne  Entzündung,  namentlich  bei  Verletzungen,  vorkommen.  Sie 
lassen  sich  bisweilen  bei  starker  Vergrösserung  (im  aufrechten  Bilde) 
als  fein  punktirte  oder  fein  gestrichelte  Röthe  erkennen.  Die  lichten 
Trübungen  sind  meistens  auf  grössere  Strecken  ausgebreitet,  schleier- 
ähnlich, mehr  weniger  stark  durchscheinend,  sich  gegen  die  gesunde 
Umgebung  allmälig  verlierend,  daher  relativ  am  schwersten  zu  erkennen, 
zumal  bei  minder  reichlichem  Pigmentgehalte  der  Chorioidea.  Man  hat 
sich  zu  hüten,  dass  man  nicht  diffuse  Glaskörper-  oder  Linsentrübung 
damit  verwechselt.  Auch  ausgebreiteter  Pigmentmangel  kann  für  Netz- 
hauttrübung gehalten  werden.  Man  muss  daher  stets  auf  das  Verhalten 
der  Netzhautgefässe ,  auf  das  reine  Hervortreten  des  Sehnervenquer- 
schnittes und  auf  die  Sehstörung  Rücksicht  nehmen.  Die  pigmentirten 
Netzhauttrübungen  geben  der  Netzhaut  meistens  ein  geflecktes  oder 
getigertes  Aussehen,  und  zwar  in  mehr  weniger  grosser  Ausdehnung 
und  in  verschiedenen  Regionen.  Sie  kommen  nicht  bloss  in  Folge  von 
Entzündung,  sondern  auch  in  Folge  von  einfachen  Blutaustretungen  vor, 
und  können  meist  nur  mit  Rücksicht  auf  ihre  Lage  zu  den  Netzhaut- 
gefässen  von  partiellem  Pigmentmangel  unterschieden  werden.  Rare- 
ficirung  der  Chorioidea  (Durchscheinen  der  Sclera)  zeigt  gewöhnlich 
einen  silberartigen  Glanz.  (Siehe  später:  Kurzsichtigkeit.)  —  Ad.  3. 
Die  Sehnervenpapille  zeigt  bei  Retinitis  während  des  Congestions-  und 
Exsudationsprocesses  nebst  den  gewöhnlichen  Gefässstämmchen  noch 
zahlreiche  abnorme  Zweigchen,  wohl  auch  feine  Capillaren,  welche  der- 
selben bei  minder  starker  Vergrösserung  (im  umgekehrten  Bilde;  oft 
ein  röthliches  Aussehen  geben,  das  allmälig  einem  schmutzigen  Teint 
Platz  macht.  Weiterhin  erscheint  die  Grenze  des  Sehnervenquerschnittes 
nicht  scharf  abgesetzt,  sondern  durch  lichte  und  pigmentirte  Trübung 


Entzündung  der  Netzhaut.  119 

der  nächsten  Umgebung  unregelmässig  erweitert  oder  vielmehr  ver- 
wischt. Doch  hat  man  sich  zu  hüten,  einen  halbmondförmigen  dunkeln 
oder  lichten  Reifen  an  der  einen  oder  andern  Seite  der  Sehnervenpa- 
pille  ohne  Weiteres  für  Entzündungsproducte  zu  halten.  Es  ist  hier  so- 
wohl Schattenbildung  als  auch  stärkerer  Reflex  möglich,  da  die  Papille 
wie  ein  stumpfer  Hügel  mehr  weniger  stark  in  den  Glaskörper  hinein- 
ragt und  der  Bulbus  meist  etAvas  von  der  Seite  her  beleuchtet  wird. 
Auch  kommt  es  in  ganz  normalen  Augen  vor,  dass  an  einer  oder  der 
andern  Partie  der  Sehnervenperipherie  Pigmentanhäufung  einen  dunkeln 
Streifen  oder  Reifen  bewirkt,  so  wie  andrerseits  auch  Pigmentmangel 
und  Rareficirung  der  Chorioidea  in  mehr  weniger  grosser  Ausdehnung 
um  die  Pupille  herum  vorkommen  kann,  ohne  Netzhautentzündung, 
z.  B.  bei  Staphylonia  posticum  Scarpae. 

Ablösung  der  Netzhaut  von  der  Chorioidea  dürfte  -wohl  nie  als  Folge  von  Entzündung 
der  Netzhaut  selbst  zu  betrachten  sein.  Wo  ich  diesen  eben  nicht  gar  seltenen  Zustand 
sah ,  hatte  ich  Ursache  anzunehmen ,  dass  dieselbe  durch  serösen  Erguss  in  Folge  von 
Chorioiditis  oder  in  Folge  von  Apoplexia  chorioideae  entstanden  -war.  Der  seröse  Erguss 
entwickelt  sich  bald  plötzlich  nach  offenbarer  Verkältung,  bald  allmälig  bei  schleichen- 
der Entzündung  der  Chorioidea  (vrgl.  Krankheiten  der  Chorioidea).  Dieser  Zustand 
ist  nicht  leicht  zu  übersehen  und  auch  nicht  schwer  zu  erkennen,  wenn  man  bei  Unter- 
suchung mit  dem  Augenspiegel  damit  beginnt,  dass  man  zunächst  die  durchsichtigen 
Medien  auf  ihre  Durchsichtigkeit  prüft.  Die  abgelöste  Partie  (ich  sah  sie  bisher  nur  in  der 
untern  Hälfte)  erscheint  bläulich  weiss,  uneben,  bei  jeder  Bewegung  des  Auges  schwan- 
kend, flatternd  oder  aufwallend,  hie  und  da  von  einem  dünnen  dunkelrostbraunen  Ge- 
fässchen  durchzogen ,  sonst  wie  beschneite  Hügel  oder  wie  Gletscher  bei  Abendbeleuch- 
tung das  Lampenlicht  reflectirend.  Dabei  kann  totale  oder  partielle  Erblindung  vor- 
handen sein;  in  letzterem  Falle  fungirt  entweder  die  ganze  obere  Hälfte  der  Netzhaut, 
oder  nur  ein  mehr  weniger  kleiner  Theil  derselben.  Abgelöste  Netzhautpartien  legen 
sich,  was  Graefe  zuerst  bestimmt  ausgesprochen  hat,  niemals  wieder  an  und  werden 
nie  mehr  functionsfähig ;  aber  auch  die  nicht  abgelösten  Partien,  namentlich  die  zu- 
nächst gelegenen,  sind  nicht  bloss  mit  Ablösung  bedroht,  sondern  auch  mit  Structur- 
veränderung  durch  Entzündung,  und  in  so  fern,  als  diese  Entzündung  gleichsam  als 
Eeactionsprocess  in  der  Umgebung  der  abgelösten  Partie  betrachtet  werden  kann ,  mag 
dieser  Zustand  ein  Plätzchen  zur  Besprechung  bei  der  Entzündung  der  Netzhaut  ge- 
funden haben. 

Die  acute  Netzhautentzündung  wird  als  fulminant  auftretender  Pro- 
cess  geschildert.  Bald  nach  der  Einwirkung  intensiven  Lichtes  ent- 
wickeln sich  heftige  und  anhaltende  Schmerzen  im  Auge  und  Vorder- 
haupte, Vorschweben  verschiedenfarbiger  feuriger  Erscheinungen,  enorme 
Empfindlichkeit  gegen  jeden  Lichtreiz ä  reichlicher  Thränenfluss  und  all- 
gemeine Unruhe  und  Aufregung  oder  auch  Abspannung  bei  rasch  ver- 
minderter Sehkraft.    Verengerung  der  Pupille  dürfte  stets  in  auffallend 


120  Netzhaut. 

hohem,  Gefässinjection  auf  der  Sclera  in  relativ  geringem  Grade  vor- 
handen sein. 

Diese  Affection  kann  bei  rechtzeitiger  und  zweckmässiger  Hilfelei- 
stung vollständig  zurückgehen,  führt  aber  gewöhnlich  in  kurzer  Zeit  zu 
mehr  weniger  ausgebreiteter  Amblyopie  oder  Amaurose.  Nach  einigen 
Beobachtern  können  auch  die  Zeichen  von  Iritis  oder  Chorioiditis  hinzu- 
treten, und  die  Prognosis  noch  mehr  trüben.  Die  Erscheinungen  allge- 
meiner Augapfelentzündung  (Panophthalmitis)  dürften  wohl  nur  dann  zu 
besorgen  sein,  wenn  die  Netzhaut  von  andern  Schädlichkeiten  getroffen 
wurde,  wenn  nebst  intensivem  Lichte  noch  andere  Momente  das  Auge 
verletzt  haben. 

Wie  man  bei  dieser,  glücklicherweise  nur  selten  vorkommenden 
Erkrankung  vorzugehen  habe,  möchte  hinreichend  aus  folgenden  Bei- 
spielen entnommen  werden  können. 

„Ein  junger  Staatsbeamte  in  Wien*),  von  gesunder  starker  Körperbeschaffenheit? 
hatte  den  ganzen  Tag  über  Kopf  und  Augen  durch  Schreiben  und  Lesen  sehr  ange- 
strengt; gegen  Abend  "wohnte  er  optischen  Vorstellungen  eines  Künstlers  bei,  unter 
welchen  ihm  der  Sonnenaufgang  vorzüglich  gefiel,  den  er  lange  durch  ein  convexes 
Glas  mit  dem  rechten  Auge  betrachtete.  Als  er  sich  entfernte,  that  ihm  dieses  Auge 
■weh.  Den  übrigen  Abend  brachte  er  unter  Freunden  in  einem  hell  erleuchteten  Salon 
zu,  und  trank  denselben  Abend  auch  ein  Glas  Punsch.  Nach  Mitternacht  erwachte  er 
unter  betäubenden  Kopfschmerzen,  Vollheit  und  drückenden  Schmerzen  im  rechten  Auge 
mit  flüchtigen  Stichen.  Der  Schmerz  wurde  immer  heftiger,  Blitze,  Flammen  u.  dgl. 
feurige  Erscheinungen  vermehrten  sich  mehr  und  mehr,  die  Lichtscheu  wurde  immer 
stärker,  so  dass  er  endlich  die  Nachtlampe  auslöschen  musste.  Beer  wurde  sehr  zeitig 
früh  gerufen;  er  fand  das  Auge  äusserst  empfindlich  bei  der  leisesten  Berührung;  die 
geringste  Bewegung  des  Btilbus  steigerte  den  Schmerz.  So  viel  Beer  in  der  Dämme- 
rung sehen  konnte,  war  am  Auge  keine  Röthe,  die  Pupille  sehr  verengert.  Der  Patient 
versicherte,  er  sehe  mit  dem  rechten  Auge  viel  weniger.  Der  Körper  war  von  Fieber 
entzündlicher  Art  ergriffen.  Beer  liess  auf  der  Stelle  einen  sehr  starken  Aderlass  ma- 
chen, eine  grosse  Menge  Blutegel  theils  an  die  Stirngegend,  theils  hinter  das  rechte 
Ohr  setzen,  eiskalte  Fomente  über  den  Kopf  legen,  Ung.  hydr.  einer,  alle  Stunden  in 
die  Augengegend  einreiben,  und  verordnete  ein  Purgans  anthiphlogisticum,  dann,  nachdem 
dieses  letztere  mehrere  Stühle  hervorgebracht,  Calomelpulver.  Ungeachtet  der  bedeu- 
tenden Erleichterung  nach  den  Blutentleerungen  liess  Beer  gegen  Mittag  den  Aderlass 
und  die  Blutegel  wiederholen.  Auf  diese  Art  gelang  es  ihm  die  Entzündung  zu  brechen 
und  das  Sehvermögen  zu  erhalten,  welches  eine  Stunde  später  vielleicht  unrettbar  ver- 
loren gewesen  wäre.  Die  zurückgebliebene  Amblyopie  behandelte  Beer  bloss  durch  diäte- 
tisches Verhalten." 

Folgende  Beobachtung  hat  W.  Cooper  *)  veröffentlicht :  „Herr  G.  war  am  29.  März 
1844  beschäftigt,  die  Nerven  der  Zunge  unter  einem  starken  Mikroskop  darzustellen,, 
und  besah    das  fertig   gewordene  Präparat  eben,    als  plötzlich   die  Sonne  mit   aller  Kraft 

*)  J.  N.  Fischer,  Lehrbuch,  Prag  1846.     S.  59. 
**)  London  medical  Gazette,  1844  Juli.    Oester.  mediz.  Wochenschrift  1845,  Nr.  45. 


Entzündung  der  Netzhaut  —  acute.  121 

darauf  zu  scheinen  begann.  Sogleich  entstand  über  den  ganzen  Bulbus  ein  so  heftiger 
Schmerz ,  dass  G.  aufsprang  und  einen  heftigen  Schrei  ausstiess.  Durch  etwa  zwanzig 
Minuten  sah  er  nichts  als  das  Spectrum  der  Sonne;  nachher  verlor  sich  dieses  und 
auch  der  Schmerz ,  und  er  konnte  sein  Werk  wieder  fortsetzen ,  wenn  auch  das  Auge 
his  zum  Abend  empfindlich  blieb.  Tags  darauf  war  aller  Schmerz  weg  und  G.  ging 
an  die  Vollendung  seiner  Arbeit.  Da  trat  derselbe  Zustand  wie  Tags  zuvor  wieder 
ein ;  die  plötzlich  zwischen  den  Wolken  hervorbrechenden  Sonnenstrahlen  wurden  vom 
Eeflector  des  Mikroskopes  concentrirt  ins  Auge  geworfen.  Ein  starker  und  tiefgehender 
Schmerz  durchzuckte  den  Augapfel,  grosse  Lichtscheu  und  dasselbe  Sehen  des  Sonnen- 
bildes stellten  sich  ein.  Den  ganzen  Abend  und  die  ganze  Nacht  blieb  der  Schmerz, 
sieh  gleich  und  nahm  Tags  darauf  zugleich  mit  einem  Gefühle  von  Vollheit  und  Span- 
nung bedeutend  zu.  Kalte  Umschläge  brachten  keine  Erleichterung.  Ausser  dem 
Schmerze  fand  Cooper  grosse  Lichtscheu ,  die  obere  Hälfte  des  Bulbus  besonders  sehr 
empfindlich,  Thränenfluss,  Funkensehen  bei  jedem  Sehversuche,  die  Iris  normal,  die 
Pupille  verengert,  die  Conjunctiva  wenig  geröthet,  den  Puls  schwach  und  beschleunigt, 
allgemeine  Schwäche  und  geistige  Abgespanntheit.  Patient  wurde  sogleich  in  ein  ver- 
dunkeltes Zimmer  gebracht,  zwölf  Blutegel  um  das  Auge  gelegt,  kalte  Fomente  und 
ein  Abführmittel  verordnet.  Tags  darauf  befand  er  sich  etwas  besser.  Einreibung 
von  Mercurialsalbe  mit  Opium,  innerlich  Pillen  von  Hydrarg.  mit  Conium,  in  der 
Zwischenzeit  Tart.  emet.  und  eine  Mixt,  salina  besserten  den  Zustand  bedeutend. 
Nach  vierzehn  Tagen  war  das  Auge  schmerzlos,  bloss  das  Sonnenlicht  wurde  noch 
nicht  gut  vertragen.  Doch  blieb  die  allgemeine  Schwäche  noch  bedeutend,  so  dass 
1  2  Gran  Chinin  2mal  des  Tages  und  etwas  Fleischdiät  verordnet  wurde ;  die  Mercurial- 
einreibung  wurde  fortgesetzt.  Bei  dieser  Behandlung  im  Verein  mit  einem  Derivans 
hinter  dem  Ohre  und  einem  leicht  adstringirenden  Augenwasser  war  das  Auge  bis  auf 
Funkensehen  bei  Anstrengung  desselben  nach  einer  Woche  vollkommen  frei.  Nach  und 
nach  verlor  sich  auch  dieses  Symptom ,  und  die  Kräfte  nahmen  wieder  zu ,  so  dass  G. 
jetzt  wieder  vollkommen  wohl  ist." 

Eine  ähnliche  Beobachtung  machte  ich  im  April  1847  an  einem  etwa  16jährigen 
Mädchen,  welchem  ein  Soldat,  als  sie  in  seiner  Nähe  im  Schatten  der  Häuser  vorüberging 
(morgens  gegen  10  Uhr),  mit  einem  Spiegel  (Hohlspiegel?)  das  grelle  Sonnenlicht  in 
das  rechte  Auge  geworfen  hatte.  Der  Fall  war  durch  fast  gleichmässige  blasse  Rosen- 
röthe  der  Albuginea,  ziemlich  starke  ödematöse  Schwellung  der  Conjunctiva  bulbi  (am  3. 
und  4.  Tage),  sehr  enge  Pupille,  vehemente  Lichtscheu,  Thränenfluss,  Vorschweben  feuriger 
Scheiben  und  getrübtes  Sehen  charakterisirt.  Die  Behandlung  bestand  in  entsprechender 
Verdunklung,  Ruhe  im  Bette,  örtlicher  Blutentziehung,  kühlenden  Abführmitteln  und  eis- 
kalten Umschlägen,  denen  späterhin  Fomente  mit  verdünnter  Tinct.  arnicae  substituirt 
wurden.     Die  völlige  Genesung  erfolgte  erst  nach  6  Wochen. 

Bei  der  subacut  oder  chronisch  verlaufenden  Netzhautentzündung 
ist  die  successive  Abnahme  des  Sehvermögens  wenn  auch  nicht  gerade 
das  einzige,  so  doch  immer  das  hervorstechende  Symptom.  Sie  wurde 
demnach  vor  Einführung  des  Augenspiegels  gewöhnlich  als  Amblyopie 
oder  Amaurosis  überhaupt  aufgefasst,  und  je  nach  anderweitigen  Zu- 
fällen bald  als  congestives  oder  erethisches,  bald  als  torpides  Leiden 
ohne  nähere  Bezeichnung  des  Sitzes  und  Ausgangspunktes  geschildert. 


122  Netzhaut. 

Die  Sehstörung  gibt  sich  bei  der  chronischen  Netzkautentzündung 
auf  verschiedene  Weise  kund,  und  zwar  zunächst  nach  der  Gegend  und 
Ausbreitung  der  Affection.  Bald  ist  es  nämlich  vorzüglich  die  Peripherie 
der  Netzhaut,  welche  durch  Hyperämie  und  Exsudation  in  der  Function 
beeinträchtigt  wird,  bald  das  Centrum  (die  Gegend  der  Macula  lutea), 
bald  irgend  eine  oder  mehrere  Partien  der  mittlem  Kegion,  während 
in  zahlreichen  Fällen  das  ganze  Gesichtsfeld  als  umflort  oder  verdun- 
kelt bezeichnet  wird.  Wo  eine  centrale  Partie  allein,  oder  vorwaltend 
afficirt  ist,  fehlt  im  Sehfelde  der  entsprechende  Theil,  sieht  das  Auge 
seitlich  von  .der  zu  dieser  Stelle  gehörenden  Achse  noch  relativ  gut 
oder  am  besten.  Der  Kranke  sieht  z.  B.  auf  einem  Blatte  Papier  einen 
dunklen  Fleck,  einem  vis-a-vis  befindlichen  Gesichte  fehlt  die  Nase 
oder  ein  Auge  u.  dgl.,  während  die  lichte  Fronte  eines  etwas  entfern- 
teren Hauses  vielleicht  noch  ohne  Unterbrechung,  nur  minder  deutlich 
wahrgenommen  wird.  Innerhalb  der  Grenzen  der  deutlichen  Sehweite 
steigt  und  fällt  die  scheinbare  Grösse  des  dunkeln  Fleckes  mit  der 
Grösse  des  Horopters,  nimmt  immer  einen  aliquoten,  z.  B.  den  100.  Theil 
des  jeweiligen  Sehfeldes  ein,  und  wird  demnach  bei  einem  grössern 
Sehfelde  auch  als  grösser  angeschlagen.  Ist  die  funetionsunfähige  Netz- 
hautpartie von  gesunder  Netzhaut  scharf  abgegrenzt,  so  erscheint  auch 
der  dunkle  Fleck  innerhalb  der  deutlichen  Sehweite  scharf  markirt, 
darüber  hinaus  allmälig  verwischt,  endlich  verschwunden  (Visus  inter- 
ruptus,  und  bei  mehreren  solchen  isolirten  Flecken  visus  reticularis). 
Denselben  Effect  können  natürlich  auch  umschriebene  Blutextravasate, 
partielle  Emporhebungen  durch  Chorioidealexsudate  u.  dgl.  bewirken. 
Unempfindlichkeit  einzelner,  umschriebener  Stellen  der  Netzhaut,  z.  B. 
durch  Extravasate  oder  Exsudate,  veranlasst  die  Kranken  auch  biswei- 
len zu  der  Angabe,  dass  sie  die  Gegenstände,  z.  B.  die  Nase,  den 
Mund  einer  Person  verzerrt,  verschoben,  breiter,  grösser  u.  dgl.  sehen 
(Ungestaltetsehen,  Metamorphopsie).  Ein  sehr  häufiges  Symptom  centra- 
ler Retinalaffection  ist  das  sogenannte  Vorbeischiessen  der  Sehachse 
neben  dem  Objecte,  welches  gesehen  werden  will.  Es  kommt  diess,  ab- 
gesehen von  Hindernissen  in  den  durchsichtigen  Medien,  ausserdem 
auch  bei  inveterirtem  Strabismus  und  bei  höheren  Graden  von  Kurz- 
sichtigkeit (mit  Ausbuchtung  des  Bulbus  um  den  hintern  Pol  herum) 
vor,  und  wird  desshalb  bei  diesen  Zuständen  noch  besprochen  werden.  — 
Bei  vorwaltend  oder  ausschliesslich  in  der  Peripherie  der  Netzhaut  auf- 
tretendem Exsudationsprocesse  ergreift  die  allmälig  auftretende  Um- 
florung  oder  Verdunklung  das  ganze  Gesichtsfeld,  oder  sie  engt  das- 
selbe auf  einen  mehr  weniger  beschränkten  Eaum  ein,  selbst  bis  zu  etwa 


Entzündung  der  Netzhaut  —  chronische.  123 

einem  Viertelzoll  beim  Lesen  u.  dgl.  Dieser  Zustand  ist  wenig  berück- 
sichtigt worden.  Ich  will  ihn  daher  durch  einige  authentische  Beobach- 
tungen erörtern,  aus  denen  zugleich  das  Eigenthümliche  dieses  Pro- 
cesses  erhellen  wird. 

Ein  Hauptmann,  -10  Jahre  alt,  von  kräftiger  Constitution  und  ganz  gesundem  Aus- 
sehen klagt  über  Abnahme  seiner  Sehkraft  seit  Juni  1S53.  Die  Inspection  ist  nicht  im 
Stande,  einen  Fehler  im  dioptrischen  Apparate  aufzufinden;  auch  von  fehlerhafter  Ee- 
fraction  oder  Accommodation  kann  keine  Rede  sein,  was  in  dem  Nachfolgenden  seine 
weitere  Bestätigung  findet.  Ich  merkte,  dass  er  etwas  unsicher  auf  mich  zuschritt,  ob- 
wohl sich  später  ergab,  dass  er  ganz  gut  lesen  konnte  und  auch  nicht  etwa  doppelt 
sah.  Er  kann  die  feinste  Schrift  lesen  (selbst  Nr.  1  von  Jäger),  doch  nicht  mit  Aus- 
dauer. Er  kann  nicht  mehr  dienen,  weil  er  vor  der  Fronte  wohl  in  der  Ferne  sieht, 
nicht  aber.  Mas  ihm  zunächst  ist.  Er  sah  Tags  vor  seinem  Besuche  bei  mir  (am  3.  Juni 
1855)  im  Theater  wohl  Alles  auf  der  Bühne,  nicht  aber  seinen  etwas  kleinern  Vorder- 
mann, den  er  erst  wieder  suchen  musste.  Er  kommt  beim  Herabgehen  über  eine  Stiege 
immer  in  Gefahr  zu  stürzen ,  besonders  bei  der  letzten  Stufe ;  ebenso  geht  er  im  Freien 
abwärts  viel  schlechter  als  eben  oder  aufwärts ;  hat  er  über  einen  Graben  zu  schreiten, 
so  kann  er  dessen  Breite  nicht  ermessen ;  er  findet  überhaupt ,  dass  er  Entfernungen 
nicht  mehr  richtig  schätzen  kann,  obwohl  er  als  Officier  hierin  grosse  Übung  hatte.  Beim 
Gehen  auf  der  Strasse  längs  einer  Mauer  geschieht's  ihm  leicht,  dass  er  „an  dieselbe  an- 
schiebt", an  einen  Entgegenkommenden  anstösst,  an  einen  vorbeifahrenden  Wagen  an- 
rennt. (Er  wurde  auf  diese  Weise  schon  bedeutend  verletzt.)  Objecte,  die  schnell  an  ihm 
vorübergehen  oder  fliegen,  z.  B.  Vögel,  nimmt  er  oft  nicht  wahr,  obwohl  er  ein  ander- 
mal solche  und  noch  viel  feinere  Gegenstände  und  in  grösserer  Entfernung  recht  gut 
sieht.  Indem  ich  ihm  etwa  4  Fuss  weit  gegenüber  sitze  und  seinen  Zustand  notire,  sieht 
er  mein  Gesicht,  wenn  er  dieses  fisirt,  nicht  aber  meine  schreibende  Hand ;  fixirt  er  die 
Feder,  so  sieht  er  nur  den  untersten  Theil  meines  Gesichts.  Die  Peripherie  seines  Ge- 
sichtsfeldes ist  nicht  scharf  markirt,  sondern  wie  verschwommen.  Ging  er  früher,  wo 
sein  Zustand  noch  etwas  schlimmer  war,  auf  einem  Fahrwege,  so  konnte  er  nie  dessen 
beide  Bänder  zugleich  sehen.  Der  Blick  auf  unmittelbar  von  der  Sonne  beschienene  lichte 
Stellen  ist  ihm  unangenehm,  obwohl  er  versichert,  bei  stärkerer  Beleuchtung,  z.  B.  bei 
Lampenlicht  besser  zu  sehen,  als  bei  Kerzenlicht.  Tritt  er  aus  einem  lichten  in  einen 
etwas  dunkeln  Baum,  z.  B.  in  eine  Hausflur,  so  dauert  es  länger,  eher  ihm  die  Objecte 
deutlich  werden,  als  sonst  im  gesunden  Zustande  der  Fall  war.  Gegen  Abend,  jedoch  auch 
schon  vor  Sonnenuntergang,  sieht  er  besser,  angeblich  wegen  der  kühlern  Temperatur, 
doch  war's  auch  im  Winter  so.  Nach  Tische  oder  wenn  er  sich  durch  Gehen  erhitzt  hat,  sieht 
er  stets  schlechter.  Er  hat  zuerst  im  Juni  vor  2  Jahren  bemerkt,  dass  er  zu  Pesth  auf 
der  Promenade  die  Bäume  nicht  mehr  deutlich  erkannte,  Giüssende  nicht  immer  gleich 
wahrnahm,  beim  Eintritte  in  die  Hausflur  oft  Mühe  hatte,  den  Thürgriff  oder  die  ersten 
Stufen  der  Stiege  zu  finden.  Da  er  sich  Abends  —  er  meint  wegen  der  Abkühlung  der 
Luft  —  regelmässig  besser  befand,  hielt  er  den  Zustand  Anfangs  gar  nicht  für  ein  Augen- 
leiden, sondern  bloss  für  Blutandrang  und  beschäftigte  sich  desshalb  auch  Abends  noch 
viel  mit  Lecture.  Indess  wurde  der  Zustand  bei  den  Exercirübungen  am  Rakosfelde  in 
der  heissen  Jahreszeit  ärger,  so  dass  er  ,,in  Beih'  und  Glied  seinen  Nebenmann  nur 
durch  die  Fühlung  wahrnahm,  sein  Vordermann  ihm  manchmal  verschwand."  Seine 
Ärzte  hatten  das  Leiden  als  Blutandrang   aufgefasst  und    demgemäss  behandelt.     Schröpf- 


124  Netzhaut. 

köpfe,  Mineralwässer,  kalte  Bäder  kamen  ihm  gut  zu  Statten,  so  dass  er  im  Mai  1854 
den  Marsch  nach  der  Bukowina  mitmachen  konnte.  Doch  wurde  sein  Zustand  bedeu- 
tend verschlimmert ,  indem  er  durch  3  Monate  in  der  Kegel  jeden  Vormittag  und  hei 
jeder  Witterung  im  Freien  und  auf  schlechten  Wegen  marschiren  musste.  Der  Aufenthalt 
in  einer  Kaltwassercuranstalt  hat  nun  den  Zustand  wieder  etwas  gebessert.  Die  Unter- 
suchung mit  dem  Augenspiegel  ergibt  unzweifelhaft  Hyperämie  der  Netzhaut  und  in  der 
Gegend  des  Aequator  bulbi  eine  Art  Marmorirung  derselben ,  indem  theils  dunklere 
Punkte  und  Fleckchen  (Pigment?),  theils  einzelne  lichte,  gelbliche,  fast  hyaline  Pünkt- 
chen auf  hochrothem  Grunde  eingesprengt  erscheinen.  Ich  nahm  demnach  keinen  An- 
stand, diesen  Befund  als  Retinitis  peripherica  zu  betrachten,  und  hierauf  Prognosis  und 
Therapie  zu  stützen.  Doch  konnte  sich  dieser  Herr  einer  consequenten  Behandlung  vor- 
läufig noch  nicht  unterziehen,  und  ist  mir  über  den  weitern  Verlauf  noch  nichts  be- 
kannt geworden. 

Ein  Eisenbahnbeamter  von  45  Jahren  klagte  über  schlechtes  Sehen  und  beschrieb 
seinen  Zustand  —  durch  einige  Fragen  geleitet  —  ohngefähr  folgendermassen.  Ich  sehe 
weder  rechts  noch  links,  auch  nicht  abwärts;  zeitweise  gerathe  ich  in  einen  Zustand 
gänzlicher  Verwirrung,  z.  B.  wenn  ich  von  der  Bahn  auf  ein  Feld  treten  oder  zu  einem 
Wächterhaus  gehen  will,  verliere  ich  auf  einmal  den  Weg,  und  muss  mich  führen  lassen, 
obwohl  ich  gradaus  ganz  gut  sehe.  Mit  dem  Lesen  und  Schreiben  geht's  schlecht,  wenn 
ich  eine  Zeile  geschrieben,  so  vergeht  mir  Alles,  und  immer  muss  ich,  um  zu  lesen, 
den  Kopf  stark  vorwärts  neigen.  In  der  Stadt  oder  auf  der  Strasse  laufe  ich  Gefahr 
zu  stolpern  oder  überfahren  zu  werden,  "weil  ich  nicht  sehe,  was  seitlich  und  unmittel- 
bar vor  mir  ist.  Ich  sehe  in  der  Ferne,  wenigstens  mit  dem  rechten  Auge  sehr  scharf, 
z.  B.  auf  500  Schritte  einen  kleinen  Vogel,  in  der  Nähe  jedoch  nicht,  da  verschwimmt 
mir  Alles ;  vor  dem  linken  ist  auch  beim  Fernblick  gleichsam  ein  Schleier.  Ich  kann 
über  keinen  Graben  springen,  von  weitem  sehe  ich,  wie  breit  der  Graben,  welchen 
Anlauf  ich  etwa  nehmen  müsste,  wenn  ich  aber  nahe  daran  gekommen,  verlässt  mich 
das  Urtheil  über  die  Breite.  Mond  und  Sterne  kann  ich  wahrnehmen ;  nach  Sonnenunter- 
gang sehe  ich  schlechter,  und  wenn  auch  der  Widerschein  vom  Firmament  verschwun- 
den ist,  muss  ich  mich  führen  lassen;  ob  ich  bei  Mondschein  sehen  würde,  weiss  ich 
nicht,  weil  ich  aus  Furcht  vor  einem  Unglück  mich  immer  beeile,  mit  Sonnenuntergang 
zu  Hause  zu  sein.  Komme  ich  von  der  Gasse  in  ein  Vorhaus,  welches  nicht  sehr 
licht  ist,  so  sehe  ich  ungewöhnlich  lange  gar  nichts,  bin  ganz  geblendet.  Das  volle 
Sonnenlicht  beleidigt  meine  Augen,  so  dass  ich  starkblaue  Gläser  tragen  muss;  auch 
muss  ich  von  Zeit  zu  Zeit  meine  Augen  schliessen,  um  sie  wieder  zu  Kräften  kommen 
zu  lassen.  Meine  Nahrung  muss  ich  beinahe  kühl  zu  mir  nehmen,  weil  der  Genuss 
heisser  Speisen  meinen  Zustand  entschieden  verschlimmert.  —  Die  äussere  Besichtigung 
entdeckt  nichts  Abnormes ,  ausser  etwas  minder  lebhaften ,  jedoch  nicht  gerade  stieren 
Blick.  Will  er  etwas  genau  sehen,  z.  B.  lesen,  wozu  sich  nur  das  rechte  Auge  noch 
eignet,  so  muss  er  das  linke  schliessen.  Er  vermag  höchstens  2  Seiten  mittlem  Druckes 
in  continuo  zu  lesen,  und  hat  sich  desshalb  in  der  letzteren  Zeit  nur  auf  die  unabweisli- 
chen  Schreibereien  beschränkt.  Er  vermag  von  der  Jäger'schen  Druckschrift  Nr.  5  zu 
lesen,  zwischen  10 — 20  Zoll  Entfernung,  lieber  bei  15 — 20",  schwer  bei  8",  gar  nicht 
bei  6",  mit  einiger  Mühe  auch  bei  24".  Mit  dem  rechten  Auge  allein  (bei  verdecktem 
linken)  liest  er  noch  Jäger  Nr.  2,  jedoch  nur  bei  14",  Nr.  3  dagegen  zwischen  12 — 15", 
bei  20"  dagegen  nicht.  Die  Pupillen  —  wie  im  vorigen  Falle  —  dem  Lichtgrade  ad- 
äquat,   die  Iris  graublau,    ziemlich  stark   vorgewölbt.     Er  hatte   früher    ein  sehr  scharfes 


Entzündung;  der  Netzhaut  —  chronische.  125 

Auge ,  und  war  auch  vor  Entstehung  dieses  Zustandes  weder  kurz-  noch  fernsichtig.  — 
Erkrankt  war  er  im  Juli  l  S54 ;  als  er  sich  beim  Schienenlegen  mit  dem  linken  Auge 
knapp  an  die  von  der  Sonne  erhitzte  Schiene  legte  (auf  dem  Boden  gestreckt),  um  zu 
sehen,  ob  dieselbe  ganz  gradlinig  gelegt  sei,  fielen  ihm  die  Sonnenstrahlen  direct  in 
die  Augen ;  augenblicklich  empfand  er  so  heftige  stechende  Schmerzen,  dass  er  die  Hände 
vor  die  Augen  hielt ;  dann  war  er  eine  kurze  Zeit  wie  geblendet  und  betäubt.  Diese 
Zufalle  verschwanden,  nachdem  er  sich  Gesicht  und  Kopf  mit  kaltem  Wasser  gewaschen 
und  tüchtig  abgekühlt  hatte.  Nach  etwa  3—4  Tagen  stellte  sich  das  Doppeltsehen  und 
Schwindel  ein,  indem  er  über  jedem  Gegenstande  noch  einen  zweiten  minder  deutlichen 
sah.  Er  versah  trotzdem  seinen  Dienst  als  Bahnaufseher,  obwohl  mit  grosser  Anstreng- 
ung, indem  er  von  dem  Scheinobjecte  allmälig  abstrahiren  lernte  ,  und  gebrauchte  auf 
Anrathen  eines  Arztes  bloss  Bitterwasser.  Nach  etwa  2  Monaten  war  er  den  Winter  über 
wieder  gesund ;  nur  gegen  Abend  merkte  er ,  dass  seine  Sehkraft  nicht  mehr  so  scharf 
wie  früher  war,  auch  übergingen  (thränten)  ihm  die  Augen  oft,  wenn  er  mehr  zu  thun 
hatte.  Im  April  aber  trat  wieder  —  ohne  bekannte  Veranlassung  —  Doppeltsehen  ein,  er 
meint,  gerade  zur  Zeit  des  Yollmondes.  Er  gebrauchte  zunächst  "wieder  Bitterwasser, 
dann  Seidlitzpulver ,  und  da  keine  Besserung  eintrat,  auf  ärztliche  Ordination  Blasen- 
pflaster, die  er  durch  48  Stunden  an  der  Schläfe  liegen  lassen  sollte.  Er  legte  diese 
des  Morgens  auf;  den  andern  Tag  früh,  als  er  erwachte,  bemerkte  er,  dass  er  beinahe 
blind  war.  Das  Pflaster  an  der  rechten  Schläfe  soll  sich  in  der  Nacht  verschoben  haben, 
und  nur  das  linke  24  Stunden  liegen  geblieben  sein.  Auf  dem  linken  Auge  sah  er  An- 
fangs gar  nichts,  nach  und  nach  erholten  sich  beide  Augen  ohngefähr  gleichen  Schrittes, 
so  dass  er  jetzt  mit  dem  linken  noch  immer  nicht  lesen  kann.  Ich  fand  mit  dem  Augen- 
spiegel deutlich  ausgesprochene  Hyperämie  der  Papille;  die  Netzhaut  in  ihrer  ganzen 
Ausdehnung  zu  untersuchen,  war  nicht  möglich,  da  der  Kranke  bald  wieder  abreisen 
musste  (10.  Juni  1S55)  und  künstliche  Erweiterung  der  Pupille  unter  solchen  Umständen 
nicht  räthlich  erschien. 

So  lange  der  entzündliche  Process  noch  im  Gange  ist,  sind  solche 
Patienten  immer  gegen  stärkeres  Licht  abnorm  empfindlich ;  sie  fühlen 
sich  bei  temperirtem  Lichte  behaglich  oder  doch  minder  unwohl.  Diese 
Empfindlichkeit  tritt  besonders  bei  reflectirtem  Lichte  (von  lichten  oder 
glänzenden  Objectenj,  bei  ungleicher  Vertheilung  desselben  und  bei 
schnellen  Übergängen  oder  Contrasten  hervor.  —  Die  Meisten  klagen 
auch  über  feurige  Erscheinungen ,  besonders  im  Dunkeln ,  die  sie  bald 
als  rothe,  gelbe,  blaue  oder  weisse  Flämmchen,  oder  Funken  oder  Blitze, 
bald  als  eine  Art  Gold-  oder  Silberregen  (namentlich  beim  Lidschlusse) 
bezeichnen.  Viele  entsinnen  sich  erst  während  eines  genaueren  Exa- 
mens, dass  diese  oder  ähnliche  Erscheinungen,  wenn  auch  nur  durch 
eine  kurze  Zeit,  doch  ganz  gewiss  vorhanden  waren.  Seltener  sind 
verlässliche  Angaben  über  die  Gegenwart  von  mehr  weniger  deutlich 
ausgesprochenem  Schmerze  über  den  Augenbrauen,  in  der  Stirn,  in  der 
Tiefe  des  Vorderhauptes,  welche  indess  bisweilen  so  stark  hervorge- 
hoben werden,  dass  sie  als  dem  Augenleiden  vorangegangen,  ja  als 
Ursache  desselben  bezeichnet  werden,    und  der  Arzt  verleitet  werden 


126  Netzhaut. 

kann,  die  Ursache  anderswo  als  im  Auge  selbst  zu  suchen.  Alle  diese 
Zufälle  werden  gesteigert  durch  excitirende  Momente,  echauffante  Bewe- 
gung-, geistige  Getränke,  heisse  Speisen,  Anstrengung  der  Augen,  inten- 
siveres Licht  u.  dgl.  Eine  nicht  seltene  Erscheinung,  vorzüglich  bei  der 
aus  übermässiger  Anstrengung  der  Augen  bei  unzweckmässiger  Be- 
leuchtung allmälig  entstehenden  Netzhautentzündung  ist  in  der  ersten 
Zeit  ein  Gefühl  von  Trockenheit  und  Schwere  der  Lider  oder  von 
Druck,  wie  bei  Katarrh;  die  Kranken  können  des  Morgens  die  Augen 
nicht  öffnen,  ohne  sie  früher  (allenfalls  mit  Speichel)  benetzt  zu  haben.  — 
Zu  den  objectiven  äussern  Erscheinungen  dieses  Stadiums  gehören: 
leichte  Röthe  der  Lidränder,  mehr  weniger  bestimmt  als  abnorm  zu 
bezeichnende  Injection  der  vordem  Ciliararterien  und  relativ  engere 
Pupille.  —  Alle  diese  subjectiven  und  objectiven  Erscheinungen  sind 
zwar  weder  einzeln  noch  zusammengenommen  beweisend,  schon  dess- 
halb  nicht,  weil  sie  einzeln  und  zusammen  fehlen  oder  auch  anderwei- 
tig bedingt  sein  können;  aber  es  ist  nöthig  zu  wissen,  dass  sie  durch 
Retinitis  erregt  werden  können;  sie  müssen  den  Arzt  auf  die  Möglich- 
keit dieses  ernsten  Leidens  leiten,  schon  zu  einer  Zeit,  wo  die  Hauptsache, 
die  Abnahme  der  Sehkraft,  vielleicht  noch  gar  nicht  vom  Kranken  wahr- 
genommen wird,  wo  erst  genaue  Versuche  die  Schwäche  des  Gesichtes 
constatiren,  wo  der  Kranke  vielleicht  nur  eine  passende  Brille  sucht, 
ein  calmirendes  Mittel  wünscht,  u.  dgl. 

Nach  mehr  weniger  langem  Bestände  dieses  Stadiums,  welches 
man  füglich  als  das  erethisch-congestive  bezeichnen  kann,  treten  all- 
mälig, selten  rasch  die  Zeichen  eines  torpiden  oder  paralytischen  Zu- 
standes  der  Netzhaut  auf.  Die  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  nimmt 
ab  und  weicht  zuletzt  einem  gewissen  Bedürfnisse  nach  heller  Beleuch- 
tung der  Gegenstände,  und  die  feurigen  Erscheinungen  machen  allmälig 
der  Wahrnehmung  dunkler  Flecke,  Wolken,  allgemeiner  Umneblung  oder 
Verdunklung  des  Gesichtes  Platz.  Dabei  wird  (an  dem  betroffenen  Auge) 
gewöhnlich  die  Pupille  etwas  iceiter,  die  Iris  träger,  der  Augengrund 
minder  rein,  bisweilen  zeigen  sich  auch  Spuren  chronischer  Iritis  (braune 
Zacken  am  Pupillarrande)  und  zahlreichere  oder  doch  stärker  entwickelte 
Ciliargefässe,  schmutzige  Farbe  der  Sclerotica,  seltener  Veränderungen 
in  der  Spannung  des  Bulbus. 

Die  chronische  Netzhautentzündung  entwickelt  sich  bald  nur  auf 
einem  Auge,  bald  auf  beiden  zugleich  oder  kurz  nach  einander.  Sie 
kann  in  jedem  Alter  auftreten,  kommt  aber  im  Allgemeinen  am  häu- 
figsten  im   Mannesalter   vor,   was  wahrscheinlich  mit   den  erregenden 


Entzündung  der  Netzhaut  —  chronische.  127 

Momenten  zusammenhängt.  Selten  kommt  sie  im  höhern  Alter,  noch 
seltener  in  früheren  Jahren  vor.  Als  besonders  disponirend  dazu  möch- 
ten vor  Allem  höhere  Grade  von  Kurzsichtigkeit,  frühzeitig  eingetretene 
Accommodationsbeschränkung  für  nahe  Objecte,  Störung  des  Gesichtes 
durch  leichte  Hornhauttrübungen  zu  betrachten  sein,  insofern  diese  Zu- 
stände leicht  Veranlassung  zu  relativ  übermässiger  Anstrengung  der 
Augen  geben.  —  Unsere  Kenntnisse  über  die  Ursachen  der  chronischen 
Netzhautentzündung  müssen  als  noch  sehr  mangelhaft  bezeichnet  wer- 
den. Nur  Einiges  lässt  sich  mit  Sicherheit  angeben.  Retinitis  entwickelt 
sich,  wie  schon  bemerkt  wurde,  bisweilen  nach  Verletzungen.  Ebenso 
nach  Blutaustretungen  in  oder  an  der  Retina,  sie  mögen  wodurch  immer 
veranlasst  sein.  Eine  häufige  Ursache  ist  die  Einwirkung  intensiven 
Lichtes,  momentan  wie  beim  Anblick  der  Sonne,  oder  anhaltend  — 
von  lichten  Flächen  oder  glänzenden  Objecten  reflectirt.  Den  Beobach- 
tungen von  Ed.  Jäyer  kann  ich  einen  mit  dem  Augenspiegel  unter- 
suchten Fall  beifügen,  wo  nach  dem  Betrachten  der  Sonnenfinsternis» 
am  28.  Juli  1851  chronische  Retinitis  entstanden  war.  Coccius  und 
Ruete  haben  einen  von  mir  früher  beobachteten  Fall  von  Retinitis  in 
Folge  von  Insolation  ophthalmoskopisch  untersucht  und  beschrieben.*) 
Weit  häutiger  jedoch  führt  übermässige  Anstrengung  der  Sehkraft  bei 
Betrachten  feiner  Objecte  direct  oder  indirect  (mittelst  kleiner  Blutaus- 
tretungen) zu  einem  schleichenden  Exsudationsprocesse  in  der  Netzhaut, 
namentlich  dann,  wenn  die  Beleuchtung  dabei  in  irgend  einer  der 
oben  angegebenen  Beziehungen  ungehörig  ist,  wenn  das  Auge  wegen 
Fehler  in  den  durchsichtigen  Medien  oder  im  Accommodationsappa- 
rate  sich  relativ  mehr  anstrengen  muss,  wenn  Blutandrang  zum  Kopfe 
überhaupt  durch  fehlerhafte  Lebensweise  oder  durch  Krankheiten  be- 
günstigt wird  (üppige  Nahrung,  geistige  Getränke,  sitzende  Lebens- 
weise, u.  s.  w.). 

Die  weiter  unten  zu  schildernde  Kopiopie  oder  Asthenopie,  welche 
in  früherer  Zeit  als  Amblyopia  erethica,  in  neuester  Zeit  jedoch  mit  Recht 
zunächst  als  Leiden  der  Accommodationsorgane  aufgefasst  und  beschrie- 
ben wurde,  kann  in  der  That  bei  Forcirung  der  Augen  zum  Arbeiten 
alhnälig  zu  Hyperämie,  zu  Blutaustretungen  und  zu  wirklicher  Entzün- 
dung der  Netzhaut  führen.  Ob  die  Abnahme  des  Sehvermögens  bei 
manchen  Fällen  von  Morbus  Brightii  immer,  wie  in  dem  von  Türk  unter- 


*)  Coccius,  über  die  Anwendung  des  Augenspiegels,  Leipzig  1S53.  8.  111.  Abgebildet  in  einer  Disser- 
tation von  Erdmann  und  von  Ruete,  Bildliche  Darstellung  der  Krankheiten  des  menschlichen  Auges, 
Bd.  I.  Seite  50.  Tab.  IV.  Fig.  3. 


128  Netzhaut. 

suchten  Falle,  durch  Retinitis  bedingt  sei,  bedarf  noch  zahlreicherer  Be- 
obachtungen. 

In  einem  von  mir  ophthalmoskopisch  untersuchten  Falle  war  es 
wahrscheinlich,  dass  Lues  den  Anstoss  zum  Exsudationsprocesse  in  der 
Netzhaut  gegeben  hatte.  Die  Ablagerung  tuberculöser  und  medullärer 
Masse  in  die  Netzhaut  kann  füglich  als  von  eigentlicher  Entzündung 
verschieden  betrachtet  werden.  —  Es  ist  nicht  zu  läugnen,  dass  viele 
Fälle  von  Amblyopie  und  Amaurosis  vorkommen,  welche  man  als  durch 
Retinitis  bedingt  erklären  muss,  von  denen  sich  aber  die  entferntere 
Ursache  nicht  weiter  angeben  lässt,  wenn  man  sie  nicht  in  dem  ersten 
besten,  vom  Kranken  beschuldigten  Momente  anzunehmen  beliebt;  ich 
glaube  indess  nicht  zu  viel  zu  behaupten,  wenn  ich  sage,  dass  in  der 
Mehrzahl  der  Fälle  die  Retinitis  als  Folge  grellen  Lichteinflusses  und 
fehlerhaften  Gebrauches  der  Augen  zu  betrachten  sei.  Was  mich  zu 
diesem  Ausspruche  bestimmt,  ist  das  bisherige  Resultat  meines  Kran- 
kenexamens. Nur  darf  man,  wenn  sich's  um  Constituirung  der  ver- 
anlassenden Momente  handelt,  nicht  ausser  Acht  lassen,  dass  man  bei 
inveterirten  Fällen  und  bei  ungebildeten  oder  unachtsamen  Leuten  selten 
etwas  Verlässliches  über  die  Momente  erfährt,  welche  vor  und  während 
der  Entstehung  der  Krankheit,  die  sich  eben  nur  allmälig  entwickelt, 
zugegen  waren. 

Auch  rücksichtlich  der  Pt^ognosis  können  vor  der  Hand  nur  einige 
Andeutungen  gegeben  werden.  Die  peripherische  Retinitis  ist  minder 
ungünstig  als  die  centrale;  sie  bleibt  auf  die  Peripherie  beschränkt, 
oder  schreitet  doch  nur  sehr  langsam  vor.  Vor  einigen  Jahren  starb  hier 
eine  Dame  in  hohem  Alter,  welche  —  nach  dem  was  ich  erfuhr  —  höchst 
wahrscheinlich  an  diesem  Übel  gelitten:  ihre  Sehkraft  war  im  Verlauf 
vieler  Jahre  allmälig  bis  auf  eine  etwa  erbsengrosse  Stelle  des  Seh- 
feldes beim  Lesen  eingeschränkt  worden,  in  dieser  Ausdehnung  aber 
gut  geblieben.  Centrale  Aufhebung  der  Sehkraft,  durch  Entzündung 
der  Netzhaut  bedingt,  sah  ich  noch  nie  in  völlige  Genesung  übergehen ; 
sie  greift  mehr  weniger  rasch  um  sich ;  im  günstigsten  Falle  behält  die 
nächste  Umgebung  und  Peripherie  einen  leidlichen  Grad  von  Seh- 
kraft. —  Man  muss  sich  sehr  hüten,  die  Prognosis,  wenn  auch  nur 
vielleicht  für  sich  im  Stillen  —  auf  den  Befund  mit  dem  Augenspiegel 
allein  zu  basiren.  Die  Sehstörung  steht  in  den  meisten  Fällen  gar 
nicht  in  Proportion  zu  den  ophthalmoskopisch  wahrnehmbaren  Netzhaut- 
veränderungen. Einmal  sind  bei  unbedeutender  Amblyopie  beträcht- 
liche, wenn  gleich  disseminirte  (nicht  continuirliche)  Trübungen  vorhanden, 
während  ein  andermal  bei  förmlicher  Amaurosis   ausser  der  Hyperämie 


Entzündung  der  Netzhaut  —  ehronische.  129 

kaum  einige  oder  nur  unbedeutende  Veränderungen  wahrgenommen  wer- 
den können,  welche  die  Diagnosis  Retinitis  im  Verein  mit  andern  Mo- 
menten stützen. 

Wo  nebst  Amblyopie  und  allenfalls  noch  einem  oder  dem  andern 
subjectiven  Symptome  bloss  Hyperämie  der  Netzhaut  vorhanden  ist, 
Utsst  sich  wohl  eher  Besserung,  vielleicht  auch  Heilung  erwarten,  als 
wo  bereits  mehr  weniger  beträchtliche  Veränderungen  der  Netzhaut 
sichtbar  sind.  Wichtige  Anhaltspunkte  für  die  Prognosis  liefern  ferner 
die  Dauer  der  Affection,  die  Entstehungsv^ise,  die  disponirenden,  exci- 
tirenden  und  unterhaltenden  Momente.  Die  meisten  Kranken  wenden 
sich  erst  in  einem  schon  viel  zu  weit  vorgerückten  Stadium  an  den 
Arzt;  die  wenigsten  besitzen  die  gehörige  Geduld  und  Ausdauer;  viele 
können  ihrer  Verhältnisse  wegen  beim  besten  Willen  den  vorgeschrie- 
beneu Bedingungen  nicht  nachkommen;  andere  betinden  sich  bereits 
in  einer  viel  zu  gedrückten  Gemüthsstimmung,  welche  ihnen  so  zu 
sagen  das  Blut  in  den  Adern  stocken  macht.  Mehr  aus  diesen  Grün- 
den, als  an  und  für  sich  und  ihrer  selbst  wegen  scheint  uns  die 
Netzhautentzündung  im  Allgemeinen  eine  wenig  günstige  Prognosis  zu- 
zulassen. 

Bei  der  Behandlung  der  chronischen  Netzhautentzündung  ist  vor 
Allem  auf  entsprechende  Temperirung  des  Lichtes  und  auf  Enthaltung 
der  Augen  von  jeder  Anstrengung  zu  sehen.  Diese  Indication  ist  schon 
durch  das  analoge  Verfahren  bei  Pneumonie,  Gastritis  u.  s.  w.  gerecht- 
fertigt. Die  Temperirung  des  Lichtes  erfordert  das  Vermeiden  stark 
reflectiiten  Lichtes,  des  Ausgehens  bei  Sonnenschein  oder  auch  selbst 
bei  hellem  Tageslichte,  das  Tragen  hinreichend  grosser  blauer  Plan- 
gläser u.  s.  w.  Am  wenigsten  aufregend  wirkt  bekanntlich  das  Ver- 
weilen des  Blickes  auf  matten,  grün  oder  blau  gefärbten  Objecten. 
Sehproben,  womit  die  Kranken  sich  häufig  zu  quälen  pflegen,  sind  nur 
von  Zeit  zu  Zeit,  etwa  von  8  zu  8  Tagen  und  vom  Arzte  vorzunehmen. 
—  Positiv  nützlich  sind  locale  Blutentziehungen  an  der  Schläfe,  am 
Zitzenfortsatze,  am  innern  Augenwinkel,  mittelst  Blutegeln  oder  kleinen 
Schröpfapparaten  (z.  B.  von  Heurteloup),  nicht  zu  reichlich  auf  einmal, 
lieber  öfter  in  kurzen  Zwischenräumen  wiederholt.  Nach  jeder  Blut- 
entleerung durch  einige  Stunden  kalte  Umschläge  auf  die  geschlossenen 
Augen,  stärkere  Verminderung  des  Lichtes  und  stundenlange  Ruhe  des 
Körpers,  daher  am  besten  einige  Stunden  vor  dem  Schlafengehen.  Von 
Zeit  zu  Zeit  blutige  Schröpf  köpfe  längs  der  Wirbelsäule,  Blutegel  am 
Mittelfleische.  Kühlende  Abführmittel,  gelind  solvirencle  Mineralwässer, 
kleine  Gaben  von  Tartarus  stibiatus,    bei  entsprechend  regulirter  Diät 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  9 


130  Netzhaut. 

im  weitesten  Sinne  des  Wortes.  —  Reizende,  doch  nicht  erhitzende 
Fussbäder  mit  Senfmehl,  Kochsalz,  Lauge,  Aqua  regia.  Die  Nütz- 
lichkeit künstlicher  Geschwüre  am  Nacken  oder  Oberarme  scheint  mir 
wenigstens  noch  nicht  erwiesen  zu  sein.  Gegenreize  in  der  Nähe  des 
Auges  (Schläfe,  Stirn,  Bindehaut)  sind  gewiss  nachtheilig.  —  In  weiter 
vorgerückten  oder  hartnäckigen  Fällen  ist  es  völlig  gerechtfertigt,  die 
Constitution  unter  den  Einfluss  des  Quecksilbers  zu  setzen,  Sublimat- 
oder Inunctionscur,  Zittmannsches  Decoct.  —  Von  den  narkotischen 
Mitteln,  zu  deren  Anwendung  die  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  ein- 
ladet, möchte  Belladonna  nur  mit  grösster  Vorsicht  anzuwenden  sein, 
damit  nicht  etwa  durch  Erweiterung  der  Pupille  die  Netzhaut  noch 
mehr  dem  Lichteinflusse  preisgegeben  werde,  eher  Conium  maculatum, 
und  bei  gesteigerter  Herzaction  Digitalis  und  Aqua  laurocerasi.  —  Bei 
der  dem  Auge  meistens  wohlthuenden  Anwendung  kalter  Fomente  oder 
einer  ganz  milden  und  feinen  Regendouche  (Staubregen-Douche)  ist  die 
gehörige  Vorsicht  bezüglich  der  erregenden  Nachwirkung  nicht  ausser 
Acht  zu  lassen.  —  Die  Anwendung  erregender  Mittel,  sowohl  innerer 
als  äusserer,  ist  auch  dann,  wenn  die  Krankheit  bereits  unter  dem 
Bilde  der  sogenannten  torpiden  Amaurose  fortbesteht,  positiv  schädlich, 
mindestens  unnütz.  Es  gilt  diess  wenigstens  vom  Strychnin,  von  der 
Pulsatilla,  vom  Phosphor,  von  der  Elektricität ,  vom  Ammonium,  von 
den  Naphthen,  von  den  ätherischen  Ölen.  Diese  und  ähnliche  Mittel 
dürften  ihre  Aufnahme  in  die  Therapie  gegen  Amaurosis  grösstentheils 
der  Annahme  verdanken,  dass  dieser  letztern  eine  Art  von  Schwäche 
oder  Lähmung  der  Netzhaut  zu  Grunde  liege.  Die  sorgfältige  Be- 
nützung des  Augenspiegels  wird  wohl  bald  im  Stande  sein,  den  alten 
Schlendrian  auszumerzen,  dass  man  bei  jeder  Amblyopie  gleich  mit  äus- 
sern oder  selbst  innern  Reizmitteln  bei  der  Hand  ist.  —  Nach  einigen 
Beobachtungen  von  Ruete  (Bildliche  Darstellungen  der  Krankheiten  etc.) 
dürfte  nach  vorausgeschickter  Antiphlogose  die  vorsichtige  Verabreichung 
von  Eisen-  oder  Chinapräparaten  von  Nutzen  sein.  In  einem  Falle 
glaube  ich  durch  die  nachträgliche  Anwendung  des  Elixir.  acid.  Halleri 
einige  Besserung  erzielt  zu  haben.  —  Einreibungen  von  Jodkalium- 
oder Mercurialsalben  an  die  Stirn  und  Schläfe  sind,  wenn  auch  viel- 
leicht ohne  Nutzen  (?,  doch  mindestens  nicht  schädlich,  ausser  sie  wer- 
den zu  lange  fortgesetzt. 

J.  N.,  50  Jahre  alt,  Tischler,  früher  angeblich  stets  gesund,  jetzt  aber  (durch 
Kummer"  und  Nahrungssorgen?)  sehr  herabgekommen,  wurde  am  21.  December  1854 
als  erblindet  vorgeführt.  Blick  und  Haltung  eines  Amaurotischen,  Divergenz  der  Seh- 
achsen,   die   ziemlich    rein    schwarzen   Pupillen    weiter,    als    bei  gleicher  Beleuchtung  im. 


Entzündung  der  Netzhaut  —  chronische.  131 

normalen  Zustande.  Der  Mann  kann  nicht  mehr  allein  gehen.  Er  nimmt,  mit  dem 
Rücken  zum  Fenster  gewendet,  grössere  und  hellfarbige  Objecte,  z.  B.  die  Hand,  das 
Gesicht,  das  weisse  Halstuch  einer  vor  ihm  stehenden  Person  wahr;  dabei  bemerkt  man 
aber,  dass  er  nicht  die  Macula  lutea,  sondern  eine  seitlich  gelegene  Partie  dem  Objecte 
gegenüberstellt.  Auf  dem  linken  Auge  ist  von  der  Sehkraft  nicht  viel  mehr  als  deut- 
liche Lichtempfindung  übrig.  Iris  lichtgraublau,  trag  beweglich;  Pupillen  rund,  circa 
2Va  —  3'"  Durchmesser,  verengen  sich  beim  Blick  gegen  das  Fenster  höchstens  auf  2'". 
Auf  der  Sclera  einige  schiefergraue  Punkte  an  den  Eintrittsstellen  früher  erweiterter 
Ciliararterien.  —  Anfang  der  Sehstöriing  vor  3Va  Jahren.  Er  bemerkte  an  einem  hellen 
Frühlingsmorgen  bei  einer  Militärparade,  dass  er  Personen  auf  höchstens  15 — 20  Schritte 
gut  erkennen  konnte,  auf  grössere  Distanz  aber  alle  Objecte  wie  durch  Nebel  sah.  In 
seiner  Arbeit  war  er  noch  nicht  gehindert,  bloss  stärkeres  Licht  musste  er  meiden. 
Im  September  war  er  bereits  genöthigt ,  einen  Arzt  zu  consultiren ,  welcher  das  Übel 
für  beginnende  Cataracta  gehalten  zu  haben  scheint,  weil  er  ihm  nichts  ordiniite,  und 
ihn  im  Frühlinge  wieder  kommen  hiess.  Allmälig  erstreckte  sich  die  Trübung  auch  auf 
das  Erkennen  naher  Objecte,  so  dass  er  nur  gröbere  Arbeiten  verrichten  konnte.  An 
trüben  Tagen  sah  er  besser,  als  wenn  die  Sonne  schien.  Im  nächsten  Frühlinge  (1853) 
war  jedoch  diese  Verschlimmerung  wieder  zurückgegangen,  so  dass  er  jenen  Arzt  erst 
im  Herbste  aufsuchte ,  als  das  Übel  neuerdings  ärger  geworden  war,  und  zwar  ärger 
als  im  Herbste  1S52.  Er  konnte  nun  bloss  bei  Tageslicht  noch  etwas  arbeiten,  und 
bemerkte  besonders  Morgens  beim  Erwachen  Funkensehen,  welches  immer  einige  Mi- 
nuten andauerte ,  ausserdem  auch  beim  Husten ,  Niesen ,  Lastenheben  u.  dgl.  hervor- 
gerufen wurde.  Manchmal  kam  es  ihm  vor,  als  senkten  sich  glühende  Sägespäne  vor 
seinen  Augen  in  der  Luft  herab.  Allmälig  war  es  so  weit  gekommen,  dass  er  alle 
Arbeit  aufgeben  musste,  ja  dass  er  endlich  (im  Sommer  1854)  nur  nach  Sonnenuntergang 
noch  allein  auszugehen  wagte.  Nun  hatte  sich  nebst  der  Photopsie  auch  das  Vor- 
schweben dunkler  Flecke  und  Streifen  oder  "Wolken  eingestellt,  und  er  sah  jetzt  an 
hellen  Tagen  besser,  als  an  trüben,  nur  durften  die  Objecte  nicht  von  der  Sonne  be- 
schienen und  nicht  glänzend  sein,  weil  ihm  sonst  die  Augen  leicht  übergingen  und 
schmerzten.  Lichte  Gegenstände  schienen  ihm  mit  einem  Spinnengewebe  überzogen  zu 
sein.  —  Diagnosis  nach  diesen  Erhebungen  allein :  Amblyopie ,  höchst  wahrscheinlich 
Betinitis  chronica.  Die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  bestätigte  diese  Annahme. 
Die  durchsichtigen  Medien  normal.  Die  Sehnervenpapille  nicht  scharf  begrenzt,  mit 
verwaschenen  Bändern,  schmutzig  röthlich ;  in  der  nächsten  Umgebung  einige  Gefäss- 
zweigchen  durch  graubraune  Trübungen  unterbrochen ,  die  Gegend  der  Macula  lutea 
licht-  und  schwarzgrau  marmorirt.  —  Kein  ätiologisches  Moment  mit  Bestimmtheit  zu 
ermitteln.  Der  Kranke  will  früher  stark  an  Fussschweissen  gelitten  haben,  die  ohn- 
gefähr  seit  eben  so  langer  Zeit  nachgelassen  haben  sollen.  Anfangs  Blutegel  an  die 
Schläfe  und  innerlich  Tart.  stibiatus  refr.  dosi,  und  durch  längere  Zeit  die  Füsse  in 
trockne  warme  Tücher  und  in  Wachstaffet  eingehüllt,  dann  Veratrinsalbe  an  die  Stirn 
und  Schläfe  eingerieben.  Nicht  eine  Spur  von  Besserung.  Mitte  Jäner  Sublimatcur 
nach  Dzondi.  Als  der  Kranke  bis  auf  12  Pillen  des  Tages  gestiegen  war,  erfolgte  Ab- 
nahme der  Photopsie ,  Zunahme  des  Gesichtes ;  er  konnte  bereits  die  vorgehaltenen 
Finger  in  grösserer  Distanz  gut  zählen.  Die  nun  wieder  mehr  hervortretende  Empfind- 
lichkeit gegen  das  Licht  machte  das  Tragen  blauer  Brillen  räthlich.  Bei  der  Anwendung 
von  lauen  Bädern  nach  beendeter  Cur  trat  wieder  Verschlimmerung  ein,  wesshalb  nach» 
einiger  Zeit  dieselbe  Cur  noch  einmal  wiederholt  wurde.     Die  jetzt  eintretende  Besserung 

9* 


1 32  Netzhaut. 

ging  so  weit,  dass  der  Mann  selbst  die  Zeiger  einer  kleinen  Taschenuhr  richtig  angeben, 
und  die  mit  Kreide  auf  schwarze  Tafeln  geschriebenen  Buchstaben  auf  10 — 12  Schritte 
erkennen  konnte.  Nun  wurde  noch  durch  einige  Zeit  ein  Decoctum  chinae  bei  guter 
Kost  verabreicht,  zuletzt  wegen  noch  immer  anhaltender  Empfindlichkeit  gegen  stärkeres 
Licht  Conium  maculatum.  Mitte  April  verliess  der  Kranke  die  Anstalt.  Anfangs  Juni  (1855) 
besuchte  er  die  Anstalt  wieder,  uns  zu  zeigen,  dass  die  erzielte  Besserung  Bestand  habe. 
Auffallend  und  mir  unerklärlich  war,  dass  er  im  Allgemeinen  entferntere  Gegenstände 
besser  erkannte ,  als  nahe.  "Versuche  mit  Convexgläsern  habe  ich  leider  nicht  angestellt. 
Etwas  Ähnliches  bemerkte  ich  auch  bei  G.  K.,  dessen  Krankengeschichte  oben  bei  der 
Nyktalopie  (S.  114)  mitgetheilt  wurde,  als  er  mich  Ende  Juli  1855  besuchte.  Er  war  in 
Bezug  auf  das  Erkennen  sehr  ferner  Objecte  mit  seinem  Sehvermögen  fast  vollkommen 
zufrieden,  nur  Physiognomien  von  mehr  als  5 — 6  Schritte  entfernten  Personen  vermochte 
er  noch  nicht  zu  erkennen. 

Folgende  2  Beobachtungen  sind  aus  Ruete's  letzt  citirtem  Werke  entlehnt :  „Ein 
zart  gebautes,  etwas  chlorotisches  Mädchen  von  21  Jahren,  welches  sich  mit  "Weissnähen 
ernährte,  hatte  ohne  nachweisbare  Schädlichkeit,  ohne  Schmerzen  und  sonstige  Er- 
scheinungen zuerst  am  linken  und  später  auch  am  rechten  Auge  eine  Abnahme  des 
Sehvermögens  verspürt,  die  es  ihr  unmöglich  machte,  ihr  Geschäft  fortzusetzen.  Das  Auge 
zeigte  nichts  Abnormes,  die  Pupille  war  normal  und  vollkommen  beweglich  beim  Lichtreize. 
Bei  der  Untersuchung  des  linken  Auges  mit  dem  Spiegel  bei  erweiterter  Pupille  sah 
man  die  Sehnervenpapille  gesund,  die  Retina  aber  in  ihrem  ganzen  Umfange  getrübt, 
daher  die  Centralgefässe  etwas  verschleiert.  Nebst  passender  Diät  einige  Schröpfköpfe 
an  die  Schläfe  und  innerlich  Tart.  tartaris.  mit  Extr.  taraxaei.  Nachdem  die  Kranke  dieses 
Mittel  etwa  8  Tage  genommen  hatte,  wurden  14  Tage  hindurch  Einreibungen  von  Jod- 
kalisalbe in  die  Umgegend  der  Augen  gemacht  und  innerlich  Jodkali  gegeben.  Unter 
der  Einwirkung  dieser  Mittel  besserte  sich  das  Sehvermögen',  ohne  dass  die  Trü- 
bung der  Retina,  welche  mit  dem  Augenspiegel  zu  verschiedenen  Zeiten  unter- 
sucht wurde,  sich  vermindert  hatte.  Daher  wurde  jetzt  zum  Gebrauche  des  Eisens 
geschritten,  nach  dessen  längerer  Anwendung  sich  das  Sehvermögen  bedeutend 
verbesserte,  aber  die  Retina  nicht  wieder  aufgehellt  wurde.  „Ähnliche  Zustände 
habe  ich  (Ruete)  sehr  häufig  beobachtet  und  dabei  leider  die  Erfahrung  gemacht,  dass 
selten  eine  bleibende  Heilung  zu  erzielen  ist.  Gar  häufig  erfolgen  nämlich,  meistens 
ohne  besonders  auffallende  Schädlichkeiten,  Recidive ,  die  dann  immer  schlimmer  sind 
als  der  erste  Anfall." 

„Ein  38  Jahre  alter  Schriftsetzer  behauptete  seit  einigen  "Wochen  eine  bedeutende 
Abnahme  seines  Sehvermögens  des  linken  Auges,  ohne  dass  er  davon  eine  besondere  Ur- 
sache anzugeben  vermochte,  bemerkt  zu  haben.  Auch  uns  war  es  unmöglich,  bei  dem 
anscheinend  guten  Gesundheitszustande  des  Kranken  eine  ausreichende  eonstitutionelle 
Ursache  aufzufinden.  Das  Aussehen  des  Auges  war,  bis  auf  eine  geringe  Erweiterung 
und  Trägheit  der  Pupille  und  rauchige  Farbe  des  Augenhintergrundes,  vollkommen 
normal.  Bei  der  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  fand  sich  die  Retina  stark  nebei- 
förmig getrübt,  so  dass  sie  die  Centralgefässe  etwas  umschleierte;  die  Papilla  nervi 
•optici  war  verhältnissmässig  gross,  hatte  ganz  in  der  Mitte  einen  schwarzen  Fleck,  auf 
diesen  folgte  eine  kleine  weisse  Scheibe,  auf  diese  ein  breiter  grauröthlicher  Ring,  der 
an  der  äussern  Grenze  von  einem  weissen  Ringe  eingeschlossen  wurde;  die  Central- 
gefässe   verzweigten    sich    in    der   Peripherie    sehr  frühzeitig  mit  zahlreichen  Ästen.     Die 


Apoplexie  der  Netzhaut.  133 

Diagnose  wurde  auf  Retinitis  gestellt,  in  der  Mitte  des  Sehnerven  mit  einem  etwas  ver- 
alteten kleinen  Blutextravasate,  und  mit  einem  entzündlichen  Exsudate  in  der  Suhstanz 
des  Nerv,  opticus,  wovon  der  graurothe  Ring  abzuleiten  war.  Eine  strenge  Antiphlogose 
mit  der  entsprechenden  Diät,  zur  Nachcur  Chinin  und  Eisen  stellten  den  Kranken  in 
wenigen  "Wochen  vollkommen  wieder  her,  wobei  auch  der  graurothe  Ring  fast  ganz 
verschwand." 

5.    Amblyopie    (Amaurosis)    in   Folge    von   Netzhautblutung, 

Apoplexia  retinae.  Die  Retinalapoplexie  tritt  nach  Verletzungen,  nach 
Blendung-  und  übermässiger  Anstrengung  der  Augen,  aber  auch  ohne 
diese  und  überhaupt  ohne  bestimmt  nachweisbare  Ursachen  auf.  Ich 
beobachtete  sie  öfter  an  kurzsichtigen  Augen.  Ob  Rigidität  der  Arterien 
dazu  besonders  disponire,  konnte  ich  nicht  eruiren,  obgleich  sich  dieses 
Leiden  in  einigen  Fällen  als  gleichzeitig  vorhanden  constatiren  liess. 
Mechanische  Hyperämie  und  Blutaustretung  in  der  Netzhaut  kommt 
auch  bei  Krankheiten  in  der  Schädelhöhle  vor,  wenn  der  Rückfluss  des 
Blutes  durch  die  Vena  ophthalmica  erschwert  ist,  wovon  später.  —  Bei 
einem  Knaben  von  etwa  14  Jahren,  welcher  in  Folge  schlechter  und 
unzureichender  Nahrung  sehr  herabgekommen  und  an  zahlreichen  Stel- 
len der  Körperoberfläche  mit  kleinen  Ekchymosen  bedeckt  war,  fand 
ich  auch  an  den  Netzhäuten  viele  kleine  Blutaustretungen ,  welche  ich 
als  Ursache  der  sehr  weit  vorgeschrittenen  Amblyopie  betrachten  musste, 
um  so  mehr,  als  die  Sehstörung  und  das  Allgemeinleiden  na^h  dem 
Gebrauche  von  China  mit  Elixir.  aeid.  Halleri  bei  besserer  Kost  in 
Zeit  von  einigen  Wochen  fast  ganz  behoben  wurde.  Überhaupt  kann 
über  das  Auftreten  der  Retinalapoplexie  im  Allgemeinen  dasselbe  ge- 
sagt werden,  wie  über  Chorioidealblutungen  und  über  Blutergüsse  im 
Glaskörper.  *) 

Blutaustretungen  in  der  Netzhaut  verursachen  Sehstörung  entweder 
an  und  für  sich,  durch  die  Grösse,  Lage  oder  Zahl  der  Herde,  oder 
aber  durch  die  nachfolgende  Reaction.  Die  Sehstörung  kann  demnach 
fehlen  oder  relativ  gering  sein;  sie  kann  plötzlich  —  wie  mit  einem 
Schlage,  —  aber  auch  allmälig  mehr  und  mehr  hervortreten.  Plötzlich 
auftretende  Sehstörung  erregt  stets  Verdacht  auf  Apoplexie  im  Auge 
oder  in  den  Centralorganen.  Kleine  Extravasate  stören  das  Gesicht  an 
und  für  sich  nur  dann,  wenn  sie  in  oder  nahe  an  dem  Centrum  der 
Netzhaut  auftreten;  peripherische  werden  erst  bei  grösserer  Ausdehnung 

*\  Bei  Amblyopie  oder  Amaurosis  nach  heftigem  Zorne  oder  Schrecken,  wovon  bei  älteren  Schrift- 
steilem  Beobachtungen  notirt  sind,  dürfte  wohl  Blutaustretung  im  Auge  oder  auch  im  Gehirne  z* 
Grunde  liegen.  In  einem  von  Rostna  mitgeteilten  Falle  fand  man  im  grossen  Gehirn  zahlreiche 
Blutpunkte  und  Erweichung  des  kleinen  Gehirnes. 


134  Netzhaut. 

nachtheilig.  Was  solche  Blutungen  bedenklich  macht,  ist  theils  die 
Wiederkehr  an  verschiedenen  Stellen,  zu  verschiedenen  Zeiten,  selbst 
ohne  weitere  äussere  Veranlassung,  theils  die  reactive  Entzündung  in 
mehr  weniger  grosser  Ausdehnung. 

Rücksichtlich  der  Behandlung  können  wir  füglich  auf  das  über  Blut- 
ergüsse in  den  Glaskörper  Gesagte  (Bd.  II.  S.  232  und  Bd.  III.  S.  10) 
verweisen. 

Folgende  Beobachtung  von  Ruete  (Midi.  Darst.)  mag  als  Beispiel  dienen:  „Ein 
Schriftsetzer  von  36  Jahren,  etwas  hagerer  Constitution  und  von  blassem  Aussehen,  be- 
hauptete, in  einer  Nacht  plötzlich  mit  dem  linken  Auge  fast  erblindet  zu  sein,  nachdem 
er  in  Folge  einer  heftigen  Gemüthsbewegung  an  Kopfschmerz  und  etwas  Schwindel  ge- 
litten hatte.  Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich  die  Pupille  etwas  erweitert  und  träge; 
die  Farbe  des  Augenhintergrundes  aber  und  die  übrigen  Gewebe  des  Auges,  selbst  die 
Blutgefässe  der  Conjunctiva  boten  nichts  vom  gesunden  Zustande  Abweichendes  dar; 
auch  hatte  der  Kranke  durchaus  nicht  an  subjectiven  Licht-  und  Farbenerscheinungen 
gelitten,  sondern  klagte  nur  über  einen  dicken  schwarzen  Nebel  vor  dem  Auge,  der  ihn 
verhinderte,  auch  selbst  helle  grosse  Gegenstäude  deutlich  zu  sehen.  Bei  der  Unter- 
suchung mit  dem  Augenspiegel  zeigten  sich  die  brechenden  Medien  normal,  ebenso  der 
N.  opticus  und  die  dort  hervortretenden  Centralgefässe.  In  einiger  Entfernung  aber  von 
diesem,  namentlich  in  der  Gegend  des  directen  Sehens,  lagen  im  Niveau  der  Retina  eine 
grosse  Zahl  kleiner,  unregelmässig  begrenzter  rother  Flecken'.,  unter  denen  in  der  Mitte 
ein  verhältnissmässig  grosser  und  dunkler  Fleck  zu  sehen  war.  Nach  oben  hin  verlief 
noch  ein  dunkles  Gefäss,  dessen  feinere  Äste  von  den  Flecken  bedeckt  wurden.  Es 
unterlag  keinem  Zweifel,  dass  man  hier  eine  frisch  entstandene  Capillarapoplexie  in  der 
Netzhaut  vor  sich  hatte.  Zur  Beseitigung  des  Übels  wurden  Schröpfköpfe,  kalte  Über- 
schläge, kühlende  Abführungsmittel,  Schonung  der  Augen,  geistige  und  körperliche  Ruhe 
und  eine  massige  Diät  anempfohlen.  Unter  dieser  Behandlung  besserte  sich  das  Seh- 
vermögen allmälig,  und  als  das  Auge  nach  2  Monaten  von  mir  wieder  untersucht  wurde, 
waren  die  rothen  Flecke  fast  ganz  verschwunden.  Jetzt  wurden  zur  Nachcur  Martialia 
empfohlen,  unter  deren  Einwirkung  das  Sehvermögen  beinahe  ganz  wieder  hergestellt 
ist."  —  „Derartige  feine  apoplektische  Ergüsse  könnten  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
allenfalls  mit  einer  Capillarhyperämie  verwechselt  werden.  Berücksichtigt  man  aber,  be- 
sonders bei  Anwendung  stärkerer  Vergrösserungen ,  den  Gefässcharakter  der  letzteren ,  so 
•wird  ein  solcher  Fehler  in  der  Diagnose  nicht  so  leicht  vorkommen." 

Dass  Hämorrhagie  der  Netzhaut  und  die  hierdurch  zunächst  bedingte  Erblindung, 
welche  man  nach  dem  Augenspiegelbefunde  für  eine  peripherische  halten  möchte ,  auch 
durch  ein  Leiden  der  Centralorgane,  und  zwar  durch  Druck  auf  die  Hirnblutleiter  bedingt 
sein  könne,  hat  Dr.  Türk  *)  durch  eine  eben  so  sorgfältige  und  verlässliche,  als  anatomisch 
wichtige  und  interessante  Beobachtung  nachgewiesen. 

Eine  37jährige  Kranke,  welche  in  den  letzten  10 — 11  Monaten  amaurotisch  gewesen 
war,  starb  in  Folge  einer  etwas  mehr  als  wallnussgrossen  Krebsgeschwulst  an  der  obern 
Fläche  des  linken  Vorderlappens  vom  grossen  Gehirn.  Die  Geschwulst  hatte,  insbesondere 
auch   durch    consecutive  Schwellung  des  Gehirnes,  einen   vorwaltend  linkerseits    tiefgrei- 

*)  Zeitschrift  d.  Wiener  Ärzte,  1853,  Nr.  3.     Prag.  Vierteljahrsctir.  Bd.  39. 


Amblyopie  —  von  Erkältung.  135 

fenden  Detritus  der  innern  Schädelfläche  bewirkt.  Der  Druck,  den  die  Sehnerven, 
namentlich  das  Chiasma,  an  der  Schädelbasis  erlitten,  musste  als  Ursache  der  Amaurosis 
angenommen  werden.  Die  mikroskopische  Untersuchung  der  Sehnerven  zeigte  dieselben 
Veränderungen,  wie  in  andern  Fällen,  wo  dieselben  gleichfalls  eine  Compression  erlitten 
batten.  (Grosse  Körnchenzellen  im  Chiasma,  von  da  gegen  die  Netzhaut  hin  allmälig 
an  Zahl  gering,  rückwärts  dagegen  bis  zum  Corpus  geniculatum  sehr  zahlreich.)  In  der 
Netzhaut  beider  Augen  fand  T.  sehr  zahlreiche,  kleine,  hellrothe  Blutextravasate  von  der 
Grösse  der  kleinsten,  dem  freien  Auge  noch  wahrnehmbaren  Punkte  bis  zu  der  eines 
Hirsekornes.  Diese  Ertravasate  fanden  sich  am  vordem  Abschnitte  der  Retina  bedeutend 
zahlreicher  und  grösser  als  am  hintern,  und  im  linken  Auge  an  Grösse  und  Zahl  über- 
wiegend über  jene  des  rechten.  Die  Gefässe  der  Netzhaut  waren  kaum  blutreicher  als 
gewöhnlich ;  wenige  derselben  in  einer  kurzen  Strecke  zu  beiden  Seiten  von  kleinen 
Blutpunkten  umgeben.  Die  Stäbchenschicht  war  verschwunden,  die  Körnerschicht  noch 
ziemlich  deutlich.  Neubildungen  zeigten  sich  nirgends.  In  der  Chorioidea  war  nach 
Entfernung  der  Retina  keine  Spur  von  Extravasat,  auch  beim  ungewöhnlichen  Blut- 
reichthum  wahrnehmbar.  Linse  und  Glaskörper  normal.  Dieser  Hämorrhagie  lag  weder 
«in  dyskrasischer  Process,  Scorbut  u.  dgl.,  noch  Entzündung,  noch  atheromatöse  Erkran- 
kung der  Netzhautgefässe ,  welche  bekanntlich  in  anderen  Geweben  nicht  selten  Veran- 
lassung zur  Blutung  gibt,  zu  Grunde,  und  T.  kommt  so  zu  dem  Schlüsse',  dass  der 
erschwerte  Rückfluss  des  venösen  Blutes  von  der  Retina  zum  Gehirn  das  veranlassende 
Moment  war.  Denn  durch  den  Druck  der  Aftermasse  war  die  Sattellehne  grösstenteils 
zerstört,  dadurch  das  Band  niedergedrückt,  welches  die  Ausführungsstelle  des  Sinu3 
petrosus  superior  in  den  Sinus  basilaris  brückenartig  überwölbt,  mithin  den  Rückfluss  des 
Blutes  behindert  oder  erschwert. 

Ich  war  voriges  Jahr  nicht  wenig  überrascht,  in  einem  Falle  completer  Amaurosis 
bei  einem  Mädchen  von  22  .Jahren  die  Netzhäute  von  zahlreichen  kleinen  Ekchymosen 
durchsetzt  zu  finden  (mit  dem  Augenspiegel),  nachdem  die  Erhebung  des  Status  praesens 
und  der  Anamnesis  zur  Diagnosis  eines  Centralleidens  mit  Druck  —  wahrscheinlich  Me- 
ningitis ad  basin  cerebri  —  geführt  hatte.  Ich  erwähne  dieses  Falles  nur,  um  die  Be- 
merkung zu  machen,  dass  der  ophthalmoskopische  Befund,  wenn  er  auf  Hyperämie, 
Apoplexie  oder  Entzündung  der  Netzhaut  deutet,  an  und  für  sich  noch  nicht  zu  dem 
Schlüsse  berechtigt ,  man  habe  es  mit  einer  peripherischen  Amaurosis  zu  thun ;  das 
peripherische  Leiden  kann  eben  Folge  des  centralen  sein.  Es  dürfte  diese  Bemerkung 
besonders  für  jene  nothwendig  sein,  welche  die  ophthalmoskopische  Untersuchung,  wo 
nicht  überschätzen,  doch  dem  anderweitigen  Examen  vorausschicken  und  eben  desshalb 
leicht  davon  präoccupirt  werden. 

6.  Amblyopie  (Amaurosis)  in  Folge  von  Verkältung  —  Amblyopia 
rheuinatica.  Wenn  in  Folge  von  Verkältung  Trübung  oder  Verlust  des 
Sehvermögens  auftritt,  und  nach  dem  Ensemble  der  Erscheinungen  bloss 
auf  ein  Leiden  des  Auges,  in  specie  der  Netzhaut  geschlossen  werden 
kann,  so  ist  allerdings  a  priori  nicht  in  Abrede  zu  stellen,  dass  die 
Affection  auch  auf  die  Netzhaut  allein  beschränkt  sein  könne,  und  es 
lassen  sich  Gründe  für  die  Annahme  anführen,  dass  dieselbe  in  Hy- 
perämie und  seröser  Durchfeuchtung  oder  Ausschwitzung  bestehe;  es 
wird  indess  aus  der  Zusammenhaltung  hieher  gehörender  Beobachtungen, 


136  Netzhaut. 

namentlich  aus  dem  Verlaufe  und  den  Ausgängen  sehr  wahrscheinlich, 
dass  die  Chorioidea  jederzeit,  wenn  nicht  vorwaltend,  so  doch  gleich- 
zeitig mitergriffen  sei.  Desshalb  habe  ich  die  Affection  als  Chorioiditis 
rheumatica  im  2.  Bande  S.  218  geschildert,  und  füge  nur  noch  hinzu, 
dass  dieses  Leiden  eine  nicht  seltene  Quelle  der  gleichfalls  schon  ge- 
schilderten Netzhautablösung  (B.  III.  S.  119)  bildet.  — In  andern  Fällen 
dagegen  liegt  der  durch  Verkältung  veranlassten  Erblindung  ein  krank- 
hafter Process  nicht  am  Bulbus,  sondern  in  der  Schädelhöhle  zu  Grunde. 
Es  muss  hier  ausdrücklich  bemerkt  werden,  dass  bei  rein  peripheri- 
scher rheumatischer  Amblyopie  nicht  selten  Lähmung  des  Levator  pal- 
pebrae  sup.,  des  Muse,  rectus  externus,  irgend  eines  oder  mehrerer 
anderer  Augenmuskel  und  davon  abhängig:  Doppeltsehen,  Schwindel, 
Eingenommenheit  des  Kopfes,  Übligkeiten  vorhanden  sein,  und  den. 
minder  geübten  und  minder  aufmerksamen  Beobachter  leicht  zur  An- 
nahme eines  centralen  Leidens  verleiten  können.  Ist  der  Schwindel 
bloss  vom  Doppeltsehen  abhängig,  so  verschwindet  er  sammt  der  Brech- 
neigung beim  Verbinden  des  afficirten  Auges.  Ist  bloss  der  Levator 
palpebrae  gelähmt,  so  ist  die  Affection  als  peripherisch  anzusehen. 
Ebenso  spricht  Ödem  des  Lides  oder  der  Conjimctiva  bulbi,  stärkere 
Injection  der  Ciliargefässe  u.  dergl.  für  bloss  peripherische  Affection. 
Wenig  verlässlich,  wenn  auch  immer  beachtenswerth,  dürfte  der  Um- 
stand sein,  ob  die  Verkältung  eine  reine  locale  oder  eine  allge- 
meine war. 

7.  Cysteiibilduiig  in  der  Netzhaut.  Dr.  von  Graefe*)  hat  vier 
Fälle  von  Cysticercus  der  Netzhaut  beobachtet.  Es  wird  genügen,  eine 
dieser  exaeten  Beobachtungen  hier  auszugsweise  aufzunehmen. 

Eine  Frau,  28  Jahre  alt,  von  gesundem  Aussehen,  ohne  Cysticerken  an  der  Kürper- 
oberfläche und  ohne  Bandwurmbeschwerden  (welche  in  einem  andern  Falle  vorhanden 
waren) ,  hatte  3  "Wochen  vor  ihrem  Erscheinen  auf  Gräfe's  Klinik  einen  Nebel  vor  dem 
linken  Auge  bemerkt,  welcher  zuerst  den  mittlem  Theil  des  Gesichtsfeldes  einnahm,  und 
sich  dann  allmälig  nach  den  Seiten  ausbreitete.  Unter  dem  Ophthalmoskop  zeigten  sich 
Linse  und  Glaskörper  klar,  aber,  den  mittlem  Theil  der  Netzhaut  bedeckend,  erschien  ein 
glänzend  grünlicher  Körper,  welcher  mit  einem  überall  nach  aussen  convexen  kreisrunden 
Grenzrande  gegen  die  benachbarte',  vollkommen  gesunde  Netzhaut  scharf  abschnitt.  Bei 
der  Untersuchung  im  umgekehrten  Bilde  zeigte  sich  derselbe  als  eine  vollkommen  runde 
grünliche  Blase ,  im  Durchmesser  etwa  4mal  so  gross ,  als  der  Sehnerveneintritt ,  der 
Netzhaut  fest  aufsitzend,  und  mit  der  vordem  Wand  in  den  Glaskörper  hineinragend.  Aus, 
den   umgebenden    normalen    Netzhautpartien    zogen    sich    einige    spitzenförmig  endigende: 

*)  Archiv  für  Ophthalmologie,  Bd.  I.    Abth.   1.   S.  457.  u.  Abth.  2.  S.  32G. 


Retinalamblyopie  —  Cystenbildung  —  Markschwaiuni.     137 

Gefässe  auf  die  seitlichen  Theile  der  Blase  in  die  Höhe.  In  der  Mitte  der  vordem  Wand 
gewahrte  man  einen  mehr  undurchsichtigen  und  weissen  knopfartigen  Appendix.  Derselbe 
sprang  mehr  als  die  übrigen  Theile  der  vordem  Wand  in  das  Innere  des  Auges  hervor, 
obwohl  der  Grad  dieses  Hervortretens  in  verschiedenen  Momenten  der  Beobachtung  etwas 
variirte.  Ebenso  konnte  einige  Verschiebung  des  Knopfes  an  der  Blase  selbst  deutlich 
nachgewiesen  werden ,  vom  Centrum  der  Blase  nach  der  Seite  hin.  Ich  bemühte  mich 
vergeblich,  einzelne  Theile  von  dem  Knopfe  oder  wo  möglich  einen  denselben  tragenden 
Halstheil  zu  entdecken,  und  konnte  desshalb  zu  keinem  positiven  Resultate  gelangen, 
weil  das  Bild  überhaupt  wie  leicht  verschleiert  erschien,  ein  Anblick,  welcher  mich  im 
Verein  mit  dem  Vorhandensein  der  oben  geschilderten  aufsteigenden  Gefässäste  zu  der 
Überzeugung  brachte,  dass  die  ganze  Blase  noch  mit  einer  feinen  Umhüllungsmembran 
bekleidet  sei ,  was  sich  später  noch  klarer  herausstellte  und  auch  in  andern  Fällen 
beobachtet  wurde.  Bei  vollständig  fixirter  Sehachse  sah  ich  an  einzelnen,  oft  gleichzeitig  an 
mehreren  Theilen  der  Blase  Abflachungen  oder  napfförmige  Vertiefungen  entstehen,  welche 
die  im  Ruhezxistand  sphärische  Form  mannigfach  veränderten.  —  Drei  Wochen  später  hatte 
sich  die  Blase  ungefähr  '/a  diametral  vergrössert.  Der  Knopf  sass  jetzt  nicht  mehr  im 
Centrum,  sondern  dicht  unter  dem  obern  Rande,  und  zwar  inmitten  eines  blasigen  Vor- 
sprunges, welcher  wie  eine  zweite  kleinere  Blase  aus  der  früheren  hervorgewachsen  zu: 
sein  schien.  Der  Kopf  des  Entozoon  war  also  durch  die  Umhüllungsmembran  heraus- 
getreten und  man  erkannte  an  ihm  jetzt  nicht  allein  deutliche  seitliche  Anschwellungen, 
sondern  auch  den  früher  vermissten  Halstheil,  welcher  bald  gestreckt,  bald  eingezogen 
wurde.  Das  Sehen  war  jetzt  bis  auf  einen  schwachen  Lichtschein  nach  aussen  und  unten 
erloschen.  —  Zehn  Wochen  später  hatte  die  Blase  ihr  grünliches  Aussehen  verloren  und 
war  stärker  durchscheinend,  die  Gefässe  waren  zum  Theil  spurlos  verschwunden.  Da- 
gegen war  der  blasenförmige  Appendix  vergrössert,  so  dass  er  ungefähr  das  Volumen 
der  ursprünglichen  Blase  erreicht  hatte,  eine  grünliche  Farbe  darbot  und  von  der  frühern 
Blase  durch  eine  Einschnürung  abgegrenzt  erschien.  —  Fünf  Monate  nach  der  1.  Be- 
obachtung war  die  erste  Blase  vollständig  zerfallen,  und  sah  man  an  deren  Stelle  nur  eine 
faltige ,  auf-  und  abschwankende ,  durchscheinende  Membran  ohne  bestimmte  Contouren. 
Auch  die  zweit-entwickelte  Blase  war  mit  ähnlichen  Membranen  bedeckt.  Trotzdem  war 
das  Thier  nicht  abgestorben ;  der  Kopf  mit  dem  Halstheil  lag  jetzt  ganz  gegen  die  Nase 
zu,  so  dass  man  die  Kranke  stark  nach  rechts  blicken  lassen  musste,  um  ihn  zu  sehen. 
—  Von  dem  ursprünglich  projectirten  Einstiche  durch  die  Sclera  stand  Gräfe  später  ab, 
weil  das  Sehvermögen  nicht  zu  retten  war.  Die  örtliche  Anwendung  von  wurmwidrigen 
Mitteln  (Einträuflungen  von  filicinsaurem  Kali,  4  Gran  auf  1  Unze,  später  von  einem 
Santoninpräparate)  hatte  selbst  nach  monatelanger  Fortsetzung  keinen  Erfolg  auf  die 
Tödtung  des  Thieres.  Der  Wurm  zeigte  sich  noch  8  Monate  nach  der  1.  Beobachtung 
lebendig. 

8.  Amaurosis  von  3Iarkschwanmiablagerung  in  der  Netz- 
haut. Die  primitive  Ablagerung  von  Krebs,  und  zwar  als  Medullar- 
Carcinom  oder  als  Melanose  in  der  Netzhaut  ist  durch  genaue  Leichen- 
untersuchungen nachgewiesen.  Der  Ausgangspunkt  ist  bald  die  flache 
Ausbreitung  in  mehr  weniger  grosser  Ausdehnung,  bald  die  Papille  des 
Sehnerven;  in  mehreren  Fällen  wurde  gleichzeitig  Ablagerung  im 
Stamme  der  Sehnerven  gefunden. 


138  Netzhaut. 

Die  Ablagerung  erfolgt  in  den  meisten  Fällen  ganz  unvermerkt,  in 
andern  nach  leichten  Irritationszufällen  am  Bulbus.  Die  Abnahme  der 
Sehkraft,  obwohl  der  Natur  der  Sache  nach  einer  der  ersten  Zufälle, 
wird  desshalb  meistens  erst  bei  ziemlicher  Ausbreitung  des  Übels  wahr- 
genommen. Die  an  die  Ablagerung  gebundene  Sehstörung  kann  eine 
Zeit  lang  auch  bloss  auf  einen  Theil  der  Netzhaut  beschränkt  sein,  da- 
her z.  B.  auch  als  Hemiopie  auftreten,  wie  ich  es  in  einem  Falle  be- 
stimmt beobachtet  habe.  Dagegen  machen  sich  der  Umgebung  des 
Kranken,  namentlich  bei  Kindern,  die  bekanntlich  am  häufigsten  davon 
befallen  werden,  zwei  andere  Erscheinungen  sehr  bald  bemerkbar:  Er- 
weiterung der  Pupille  und  ein  eigenthümliches  Leuchten  oder  Funkeln 
des  Augengrundes.  Die  Erweiterung  der  Pupille  ist  hier  nicht  einfach 
von  der  Aufhebung  der  Perceptionsfähigkeit  der  Netzhaut  abhängig, 
denn  sie  macht  sich  auch  bei  bloss  monolateraler  Affection  geltend;  sie 
ist  wenigstens  mitbedingt  durch  gehinderte  Leitungsfähigkeit  der  Ciliar- 
nerven, durch  Druck  auf  dieselben  (Infiltration  der  Chorioidea?),  daher 
auch  die  Farbe  und  Beweglichkeit  der  Iris  in  ähnlicher  Weise  wie 
bei  Chorioiditis  verändert  erscheint.  Das  Funkeln  oder  Leuchten  des 
Augengrundes,  bald  gold-  oder  pomeranzengelb,  bald  grau-  oder  silber- 
weiss,  bei  Kindern  gewöhnlich  der  erste  Verräther  des  Übels,  und  An- 
fangs nur  bei  gewissen,  dem  Einfallen  und  der  Pteflection  des  Lichtes 
günstigen  Stellungen  bemerkbar,  wird  in  dem  Masse  auffallender,  als 
die  Netzhaut  in  grösserer  Ausdehnung  infiltrirt  wird  und  weiter  und 
weiter  vor  die  Brennweite  der  durchsichtigen  Medien  des  Auges  rückt. 
Der  Arzt  kann  dann  auch  schon  mit  freiem  Auge  mehr  weniger  deut- 
lich die  unebene  Oberfläche  der  Masse  und  die  Gefässe  unterscheiden, 
welche  derselben  den  röthlichen  Anstrich  geben;  es  sind  diess  entwe- 
der die  Centralgefässe  der  Netzhaut  —  wenigstens  zu  Anfang  —  oder 
aber  neuentwickelte  Ramificationen  im  Pseudoplasma  selbst.  Wie  dick 
oder  mächtig  die  Masse  sei,  lässt  sich  mit  blossem  Auge  kaum  ermes- 
sen; gewöhnlich  wird  man  nach  dem  blossen  Anblicke  verleitet,  die 
Masse  noch  tief  hinten  befindlich  anzunehmen,  wo  sie  doch  schon  weit 
nach  vorn  vorgerückt  ist.  Der  Augenspiegel  wird  über  beides,  das  Ver- 
halten der  Gefässe  und  das  Vorgerücktsein  des  Pseudoplasma,  gewiss 
verlässliche  Aufschlüsse  geben.  Mir  ist  indess  seit  zwei  Jahren  kein 
Fall  dieser  Krankheit  vorgekommen.  Die  Unterscheidung  dieser 
Krankheit  von  Vorwärtsdrängung  der  Netzhaut  durch  serösen  Er- 
guss  (siehe  oben:  Netzhautablösung)  oder  durch  feste  Exsudate  (Cho- 
rioiditis traumatica,  tuberculosa  etc.),  welche  bisher  nur  in  einzel- 
nen Fällen  und  da  oft  bloss   mit  Wahrscheinlichkeit  gemacht  werden 


Retinalaiuaurose  —  Markst  hwannn  der  Netzhaut.        139 

konnte,    dürfte    von    nun   an    wohl    viel   leichter    und   sicherer   mög- 
lich sein. 

Diese  Unterscheidung  fällt  leider  wieder  weg,  wenn  bei  dem  all- 
mäligen  Vorwärtsdringen  des  Parasiten  die  Linse  getrübt  und  mehr  we- 
niger vorwärts  gedrängt  worden  ist,  wenn  Blut  oder  eiterartiges  Exsu- 
dat in  die  vordere  Kammer  ergossen  worden  ist.  Hiezu  bedarf  es  bald 
nur  einiger  Wochen,  bald  vieler  Monate.  Aber  nach  und  nach  wird 
auch  die  Linse  gleich  dem  Glaskörper  zum  Schwinden  gebracht  oder 
seitwärts  gedrängt.  Dabei  ist  der  Bulbus  mehr  weniger  hart,  vergrös- 
sert  und  schmerzhaft  geworden,  bietet  das  Auge  überhaupt  die  Erschei- 
nungen dar,  welche  im  IL  Bd.  S.  212  angeführt  wurden.  Endlich 
wird  auch  die  Hornhaut  getrübt,  von  Gelassen  durchzogen,  dann  er- 
weicht und  durchbrochen,  oder  aber  die  schon  früher  an  einer  oder  der 
andern  Stelle  ihres  vordem  Umfanges  staphylomatös  hervorragende 
Sclera  gestattet  dem  Sarcome  Durchtritt  nach  aussen  unter  die  Binde- 
haut, wobei  die  Cornea  nach  der  entgegengesetzten  Seite  hin  verdrängt 
wird. 

Nach  erfolgtem  Durchbruche  der  Cornea  oder  Sclera  tritt  der  Mark- 
schwamm als  eine  weiche,  dunkelgelbe  oder  livide,  leicht  blutende,  bis- 
weilen fluctuirende,  einen  Abscess  vortäuschende,  endlich  exulcerirende 
oder  vielmehr  verjauchende  Masse  hervor,  der  längst  herabgekommene 
Kranke  verfällt  nun  zusehends  und  wird  von  hektischem  Fieber  vollends 
consumirt.  Er  erliegt  den  Folgen  dieser  Ablagerung  aufs  Auge,  oder 
neuen,  kurz  nacheinander  dazu  tretenden  Ablagerungen  im  Gehirn,  in 
den  Lungen,  u.  s.  w. 

Der  Markschwamm  der  Netzhaut  kommt  am  häufigsten  im  Kindes-, 
am  seltensten  im  Mannesalter  vor.  Nach  FritscMs*)  Zusammenstellung 
der  bis  zu  seiner  Zeit  bekannten  Beobachtungen  fällt  die  grösste  Zahl 
der  Erkrankungen  zwischen  das  3.  und  5.  Jahr,  die  kleinste  zwischen 
das  20.  und  30.  Jahr.  Das  Übel  befällt  meistens  nur  Ein  Auge,  und 
zwar  häufiger  das  linke  als  das  rechte.  Eine  auffallend  grosse  Zahl 
der  Befallenen  (26  unter  72)  wurde  als  scrofulös  bezeichnet,  doch  ist 
die  Zahl  derer,  von  denen  ausdrücklich  gesagt  wird,  sie  seien  übrigens 
gesund  gewesen,  weit  grösser  (38).  Als  excitirende  Momente  sind  die 
verschiedensten  Dinge  bezeichnet  worden.  Rücksichtlich  der  ziemlich 
oft  beobachteten  und  desshalb  auch  beschuldigten  traumatischen  Ein- 
wirkungen bemerkt  Makensie,   es  möge  wohl  auch  das  der  Fall  sein, 

*)  Die  bösartigen  SchwammgeschTriilste  des  Angapfels.    Freiburg  im  Breisgau  1834. 


140  Netzhaut. 

dass  die  bereits  Erkrankten,  namentlich  Kinder,  wegen  des  mangel- 
haften Gesichtes  sich  an's  Auge  stossen.  Interessant  sind  zwei  Beob- 
achtungen von  Ed.  Jäger  (über  Staar  und  Staaroperationenj ,  wo  die 
Entwicklung  von  Markschwamm  unmittelbar  nach  Blendung  durch  in- 
tensives Licht  auftrat.  Die  Ablagerung,  welche  in  beiden  Fällen  durch 
längere  Zeit  mit  dem  Spiegel  beobachtet  und  verfolgt  wurde,  ging  in 
beiden  zwar  nicht  von  der  Retina,  sondern  von  der  Chorioidea  aus 
(der  eine  Fall  wurde  gleich  nach  der  Exstirpatio  bulbi  anatomisch-mi- 
kroskopisch untersucht),  und  zwar  in  beiden  genau  von  der  Gegend  des 
directen  Sehens.  Im  Ganzen  genommen  müssen  wir  gestehen,  dass 
wir  über  die  Hauptsache  der  Ätiologie,  über  die  Disposition  nicht  mehr 
wissen,  als  dass  ein  Allgemeinleiden  überhaupt  angenommen  werden 
muss,  weil  auch  dann,  wenn  die  Exstirpation  des  Bulbus  zu  einer  Zeit 
vorgenommen  wird,  wo  das  Übel  anatomisch  noch  rein  auf  den  Bulbus 
beschränkt  erscheint,  nachträglich  Ablagerungen  in  der  Orbita  oder  in 
andern,  selbst  entfernten  Organen  auftreten. 

Die  Prognosis  ist  demnach  jederzeit  traurig.  Makenzie  hat  be- 
merkt, „dass  die  Affection  auf  dem  Boden  des  Auges  wohl  drei  Jahre 
lang  gleichsam  geschlafen  hat,  aber  binnen  einigen  Wochen,  nachdem 
sie  einmal  vorwärts  zu  schreiten  begonnen  hatte,  die  ganze  Cavität  des 
Bulbus  einnahm,  denselben  um  mehr  als  das  Dreifache  vergrösserte," 
und  dann  rasch  in  Verjauchung  überging.  Derselbe  Autor  führt  auch 
einige  Sectionsergebnisse  an,  welche  völlig  für  die  Ansicht  sprechen, 
dass  auch  die  zeitig  vorgenommene  Exstirpatio  bulbi  nicht  im  Stande 
sein  würde,  das  Individuum  zu  retten. 

Er  untersuchte  ein  von  Dr.  Monteath  im  ersten  Stadium  dieser  Krankheit  exstirpirtes 
Auge  von  einem  etwa  3jährigen  Kinde  unmittelbar  nach  der  Operation.  Iris  und  Chorioi- 
dea unversehrt;  die  Netzhaut,  obgleich  hie  und  da  mangelhaft  und  zerrissen,  doch  noch 
so  weit  ganz,  dass  sie  der  ganzen  innern  Oberfläche  der  Chorioidea  einen  weissen  Über- 
zug gab ;  die  Markschwammmasse ,  welche  den  ganzen  Raum  der  Glasfeuchtigkeit  und 
Linse  einnahm,  hatte  sich  von  der  Sehnervenpapille  aus  entwickelt  und  aller  Wahrschein- 
lichkeit nach  die  Hyaloidea  vor  sich  hergedrängt,  denn  „sie  war  in  eine  Membran  ein- 
gehüllt, wie  die  der  Membrana  hyaloidea."  Der  Sehnerv  ausserhalb  der  Sclerotica  schien 
nicht  krank  zu  sein.  Einige  Monate  nach  der  Operation  hatte  sich  die  Augenhöhle  mit  einer 
neuen  Geschwulst  gefüllt,  und  das  Kind  starb  bald  nachher.  In  der  Augenhöhle  sass 
eine  kranke  Masse,  welche  sich  aus  dem  Schnittende  des  Sehnerven  erhoben  hatte,  und 
dieselbe  Beschaffenheit  zeigte,  wie  die  früher  im  Bulbus  vorgefundene.  In  der  Schädel- 
höhle fanden  sich  die  Sehnerven  von  ihrem  Ursprünge  bis  zum  Chiasma  gesund,  vor 
demselben  aber  war  der  der  kranken  Seite  bis  zum  Foramen  opticum  so  dick  wie  ein 
Mittelfinger ;  im  For.  opt.  war  er  wie  durch  eine  Ligatur  eingeschnürt,  bei  seinem  Eintritte 
in  die  Orbita  jedoch  breitete  er  sich  wieder  aus,  so  dass  er  den  Zwischenraum  zwischen 


Retiiialaniaurose  —  Markschwaiiim  der  Netzhaut.        141 

den  M.  rectis  ausfüllte.  —  Makenzie  bemerkt  noch,  es  seien  Fälle  vorgekommen,  wo  sich, 
die  Geschwulst,  vom  Ende  des  Opticus  ausgehend ,  zwischen  die  Sclerotiea  und  Chorioidea 
gedrängt  hatte,  während  in  den  andern  Fällen  der  Schwamm  aus  dem  Sehnerven  noch  vor 
seinem  Eintritte  ins  Auge  entstanden  war,  und  die  Zerstörung  dieses  Organes  durch  seinen 
Druck  von  aussen  her  bewirkt  hatte.  Er  spricht  überdiess  von  dem  Entstehen  mehrerer 
schwammiger  Gewächse  nach  einander  an  verschiedenen  Stellen,  z.  B.  eines  hinter  der 
Sclerotiea.  ein  anderes  zwischen  dieser  und  der  Chorioidea  und  ein  drittes  zwischen  die- 
ser und  der  Retina,  welche  dann  zusammen  fortschreiten. 

Unter  etwa  7  Fällen ,  wo  ich  Markschwamm  der  Netzhaut  in  früheren  Stadien  mit 
Sicherheit  diagnosticirt  hatte,  weiss  ich  von  fünfen,  dass  sie  gestorben  sind.  Ein  Kind 
erlag,  nachdem  ein  anderer  Arzt  die  von  mir  verweigerte  Exstirpation  vorgenommen  hatte. 
Ein  Fall  ist  in  Prof.  Fischers  Lehrbuch  S.  353  beschrieben.  „B.  Caroline ,  7  Jahre 
alt ,  von  sehr  zartem  Körperbau,  erethisch-scrofulöser  Constitution,  Kind  gesunder  Land- 
leute, Mar  von  Geburt  an  stets  sehr  schwächlich,  aber  ausser  öfterem  Abgang  von  Peit- 
schen- lind  Spulwürmern  hatte  man  an  ihr  nichts  von  Krankheit  bemerkt.  Von  ihren  2 
Geschwistern  hatte  bloss  die  ältere  eine  Drüsengeschwulst  am  Halse.  Das  Augenleiden 
begann  vor  10  "Wochen;  ihre  Schwester  hatte  sie  beim  Spielen  mit  dem  Finger  in's  rechte 
Auge  gestossen.  Darauf  Schmerz  von  kurzer  Dauer,  am  andern  Tage  geringe  Röthe  im 
innern  "Winkel :  das  Mädchen  lief  wieder  munter  wie  früher  herum.  Am  3.  Tage  gleichmässige 
starke  Röthe  des  Auges,  leichte  Geschwulst  der  Lider  und  dumpfer  Schmerz.  Aufschlagen 
kalten  Wassers.  Nach  einigen  Tagen  waren  Röthe  und  Geschwulst  verschwunden.  Etwa 
14  Tage  später  fiel  dem  Vater  eine  Entfärbung  des  Auges  auf,  und  es  zeigte  sich,  dass 
das  Kind  das  Sehvermögen,  selbst  die  Lichtempfindung  verloren  hatte,  obschon  sie  etwas 
lichtscheu  war.  "Während  dieser  ganzen  Zeit  hatte  sie  zeitweilig  dumpfe  Schmerzen  im 
Auge  gehabt.  Ein  Arzt  ordinirte  eine  weisse  Salbe  und  braune  Tropfen.  Die  Steigerung 
der  Schmerzen  bestimmte  den  Vater,  das  Kind  auf  die  Augenklinik  zu  bringen  (27.  Oct. 
1S4U.  Wir  fanden  unter  der  Conj.  bulbi  rings  um  die  Cornea  ein  schütteres  Gefässnetz, 
Sclera  und  Cornea  normal,  die  früher  blaue  Iris  schmutzig  grau,  unbeweglich,  die  Pupille 
stark  und  ungleichmässig  erweitert.  Man  konnte  durch  die  vollkommen  durchsichtigen 
Medien  in  die  Tiefe  des  Auges  sehen.  Dort  bemerkte  man  eine  ziemlich  senkrecht  auf 
der  Sehachse  stehende  runde,  im  Ganzen  flache,  doch  durch  Erhabenheiten  unebene, 
ockergelbe  Fläche,  deren  innerer  Rand  weiter  nach  vorn  stand,  als  der  äussere.  Auf 
dieser  Fläche  schwebten  leichte  orangegelbe  Flocken,  welche  beim  Bewegen  des  Auges 
ich  ebenfalls  zu  bewegen  schienen.  Sah  man  gegen  die  der  Nase  zugekehrte  Wandung 
des  Augapfels ,  so  schien  sich  jene  gelbliche  Platte  auf  dieselbe  fortzusetzen ,  doch  so, 
dass  sie  hier  etwas  concav,  mehr  uneben,  stellenweise  unterbrochen  aussah,  während  die 
äussere  Wandung  ein  mehr  dunkles,  fast  meergrünes  Aussehen  darbot.  Bei  den  verschie- 
denen Bewegungen  zeigte  jene  Platte  einen  eigenthümlichen,  opalähnlichen  Glanz.  Das 
Allgemeinbefinden  Hess  keine  Störung  wahrnehmen.  Das  linke  Auge  gesund,  doch  em- 
pfindlich gegen  stärkeres  Licht.  Heilversuche  mit  Jodkali  äusserlich  und  innerlich  blieben 
fruchtlos.  Nachdem  das  Mädchen  in  ihre  Heimat  zurückgekehrt  war,  entwickelte  sich  das 
Übel  allmälig  weiter  bis  zum  Durchbruche,  worauf  Verjauchung,  Zehrfieber  und  ohngefähr 
im   11.  Monate  der  Tod  eintrat." 

Der  einzige  Fall,  in  welchem  es  mir  erlaubt  wurde,  nach  dem  Tode  das  Auge  zu 
exstirpiren,  betraf  ein  Mädchen  von  Vli  Jahren  (Petrak  Annaj.  Die  Mutter  hatte  es  am 
26.  März  1553  auf  die  Klinik    gebracht,   weil   ihr   ein   gewisses   Funkeln    des   Auges  im 


142  Netzhaut. 

Dunkeln  und  Erblindung  desselben  aufgefallen  war.  Die  Dauer  wurde  auf  etwa  6  Monate 
angegeben.  Sehr  zarter  Körperbau,  keine  deutlichen  Merkmale  von  Scrofulosis;  die  Iris 
grau,  die  Haare  blond,  das  rechte  Auge  gesund.  Am  linken  die  objectiven  Erscheinungen 
ohngefähr  wie  im  vorigen  Falle.  Der  Tod  erfolgte  am  20.  Juni  1853  unerwartet  nach 
Convulsionen,  ehe  die  Geschwulst  noch  bis  an  die  Linse  herangerückt  war.  Untersuchung- 
30  Stunden  nach  dem  Tode.  Der  am  Bulbus  sitzende  etwa  £'"  lange  Stumpf  des  Seh- 
nerven nächst  dem  Bulbus  etwas  dicker,  als  weiter  hinten,  ohne  dass  deutliche  Infiltration 
nachgewiesen  werden  konnte.  Der  Bulbus  wurde  durch  einen  Schnitt  von  vorn  nach 
hinten  in  eine  obere  und  untere  Hälfte  zerlegt.  Die  Iris  auf  einen  schmalen  Saum  ge- 
schrumpft, die  Linse  etwas  vorwärtsgedrängt,  dahinter  eine  kleine  Portion  durchsichtigen 
Glaskörpers ;  der  Baum  zwischen  der  Linse  und  der  Chorioidea  mit  Ausnahme  dieses 
Glaskörperrestes  von  einer  gelblich-weissen ,  von  zahlreichen  Gefässreiserchen  durch- 
setzten Masse  ausgefüllt;  diese  Masse,  im  Allgemeinen  breiartig,  gleichsam  in  ein 
Gerüst  oder  Flechtwerk  von  Gefässchen  infiltrirt,  war  nach  vorn  bis  zum  Ausfliessen 
erweicht,  nur  vor  der  Sehnervenpapille  etwas  consistenter;  von  der  Netzhaut  keine  Spur. 
Die  Chorioidea  zum  Theil  ohne  Pigment,  1'"  nach  aussen  vom  hintern  Pole  in  einer 
Ausdehnung  von  2 — 3  Quadratlinien  von  derselben  Masse  infiltrirt  und  daselbst  auch  mit 
der  unterliegenden  Sclera  verwachsen.  Die  Besichtigung  des  Präparates  selbst,  welches 
in  der  hiesigen  Sammlung  der  Augenklinik  aufbewahrt  wird,  lässt  keinen  Zweifel  übrig 
dass  in  diesem  Falle  die  Infiltration  von  der  Sehnervenpapille  ausgegangen  war ;  die  Unter- 
suchung des  übrigens  Körpers  wurde  verweigert. 


B.    Orbitalamaiirose. 

Die  Erkrankung  des  Sehnerven  in  der  Orbita  (vom  Bulbus  bis  zum. 
Chiasma)  geht  entweder  von  ihm  selbst  (Nervenmark,  Central- Arterie 
und  Vene,  Nervenscheide),  oder  von  den  umgebenden  Gebilden  (Orbi- 
talfett, Muskeln,  Beinhaut  etc.)  aus.  Die  selbständigen  Affectionen  las- 
sen sich  während  des  Lebens  wohl  kaum  jemals  mit  Sicherheit  erken- 
nen. Heister  sah  complete  Amaurose  bei  einem  Soldaten,  dem  eine 
Bleikugel  von  der  einen  Schläfe  zur  andern  mitten  durch  den  Kopf 
gegangen  war;  die  Wunde  heilte,  die  Blindheit  blieb,  die  Bulbi  zeigten 
sonst  keine  merkliche  Veränderung.  Nach  Makenzie  besitzt  Prof. 
Schmidler  zu  Freiburg  ein  Präparat,  welches  ein  Aneurysma  der  Ar- 
teria centr.  retinae  darstellt,  entnommen  von  einer  Badenschen  Prinzes- 
sin, welche  lange  Zeit  blind  war,  und  Plenk,  Richter  u.  A.  zu  Hilfe 
gerufen  hatte;  sie  sah  ein  wenig,  wenn  sie  abwärts  schaute;  die  Aneu- 
rysmen comprimirten  die  Sehnerven.  Beer  bezieht  sich  auf  Sectionen, 
welche  ihm  Verhärtung  und  Verwachsung  der  Sehnerven  mit  ihren 
Scheiden  als  Ursache  der  Amaurosis  erwiesen  hatten;  in  drei  Fällen 
fand  er  Hydatiden  zwischen   den  Scheiden  des  Sehnerven,  von   deren 


Orbitalamaurose.  1 43 

Vorkommen  auch  andere  Beobachter  sprechen.  Demours  fand  einmal 
einen  Tuberkel,  einmal  einen  Eiterherd  im  Sehnerven.  Böhm  (das 
Schielen  und  der  Sehnenschnitt,  Berlin  1845,  S.  448)  fand  bei  einem 
an  Lungenschwindsucht  gestorbenen  19jährigen  Jünglinge,  dessen  rech- 
tes Auge  vom  6.  Lebensjahre  an  nach  aussen  und  oben  abgelenkt,  all- 
mälig  aus  der  Orbita  vorgetreten  und  zwar  amblyopisch,  jedoch  durch- 
aus nicht  amaurotisch  gewesen  war,  den  Sehnerven  um  das  Mehrfache 
verlängert  und  zu  einem  spindelförmigen  Neuroma  angeschwollen  (nach 
der  Zeichnung  gegen  2  Zoll  lang  und  an  3/4  Zoll  dick).  Nur  der 
vorderste,  dem  Bulbus  zunächst  befindliche  Theil  erschien  eine  kurze 
Strecke  von  natürlicher  Beschaffenheit,  ebenso  der  hinterste  nächst  dem 
gleichfalls  normalen  Chiasma.  Die  weisse,  spindelförmige,  namentlich 
in  der  Peripherie  hart  anzufühlende  Nervengeschwulst  sah  auf  dem 
Querdurchschnitt  fein  maschenartig  aus  und  bestand  wesentlich  aus  dem 
verdickten  Neurilem.  Durch  die  mikroskopische  Untersuchung  Hessen 
sicji  noch  bestimmter  der  in  die  Geschwulst  eintretende  Nerv  und  die 
krankhaft  vermehrten  fibrösen  Fascikeln  des  Neurilems  unterscheiden, 
deren  dichteres  Gewebe  nach  dem  Umfange  der  Geschwulst  hin  die 
Oberhand  gewann.  Der  Atrophie  des  Sehnerven  gedenken  viele  Auto- 
ren, doch  war  dieselbe  wohl  jederzeit  consecutiv,  häufig  nach  Phthisis 
bulbi,  seltener  nach  Krankheiten  der  Netzhaut  oder  nach  Aifectionen 
in  der  Schädelhöhle.  Die  Atrophie  erstreckte  sich  meistens  nur  bis 
zum  Chiasma,  nach  Einigen  auch  darüber  hinaus,  und  zwar  auf  der- 
selben Seite,  obwohl  auch  Beobachtungen  bekannt  sind  (von  Sömmerring, 
Ackermann,  Michaelis,  Wenzel  u.  A.),  wo  die  Atrophie  jenseits  des 
Chiasma  auf  der  entgegengesetzten  Seite  bis  zu  den  knieförmigen  Kör- 
pern fortgegangen  sein  soll. 

Von  den  Krankheiten  der  Augenhöhle,  welche  durch  Compression 
oder  Zerrung  des  Sehnerven  störend  auf  dessen  Function  einwirken 
und  sich  bei  höheren  Graden  vorzüglich  durch  veränderte  Lage  und 
Beweglichkeit  des  Bulbus  verrathen,  werden  wir  in  einem  spätem, 
eigens  hiefür  bestimmten  Abschnitt  sprechen.  Es  musste  ihrer  an  die- 
ser Stelle  bloss  desshalb  gedacht  werden,  weil  Amaurosis  eine  Zeit 
lang  das  einzige  oder  doch  vorwaltende  Symptom  sein  kann,  das  sie 
verursachen. 


144  Netzhaut. 


C.    Cerebralamaurose. 

Amblyopie  und  Amaurosis  sind  oft  Symptome  von  anatomisch  nach- 
weisbarer Erkrankung  sowohl  des  grossen  als  des  kleinen  Gehirnes  oder 
ihrer  Hüllen,  von  Erkrankung  des  Sehnerven  innerhalb  der  Schädel- 
höhle. In  der  Kegel  sind  dann  nebstdem  noch  andere  Symptome  vor- 
handen,* welche  wenigstens  so  weit  zu  schliessen  erlauben,  dass  der 
Sitz  des  Grundleidens  in  der  Schädelhöhle  zu  suchen  sei.  Doch  kom- 
men auch  Fälle  vor,  wo  durch  mehr  weniger  lange  Zeit  solche  ander- 
weitige Zufälle  fehlen  oder  sehr  unbestimmt  ausgesprochen  sind.  So 
wie  demnach  das  Nich tauffinden  von  Netzhautveränderungen  mit  dem 
Augenspiegel  nicht  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  in  einem  speciellen 
Falle  könne  die  Amblyopie  oder  Amaurose  nicht  durch  primäre  Affec- 
tion  der  Netzhaut  allein  bedingt  sein,  und  so  wie  selbst  bei  ophthal- 
moskopisch wahrnehmbaren  Veränderungen  des  Auges  immer  noch  in 
Erwägung  zu  ziehen  ist,  ob  dieselben  nicht  als  secundäre  zu  betrach- 
ten seien,  wie  z.  B.  Atrophie  der  Retina  in  Folge  von  Compression  des 
Chiasma,  oder  mechanische  Hyperämie  der  Netzhaut  in  Folge  von 
Compression  des  Sinus  cavernosus  u.  s.  w. ,  so  erlaubt  dagegen  auch 
das  Fehlen  der  anderweitigen  sogenannten  encephalischen  Erscheinun- 
gen noch  nicht  die  Ausschliessung  von  Centralleiden,  selbst  nicht  von 
anatomisch  nachweisbaren. 

Die  Erscheinungen,  auf  welche  man  zu  achten  hat,  wenn  sich's 
darum  handelt,  zu  bestimmen,  ob  die  Sehstörung  von  einem  Leiden  der 
Centralorgane  herstamme,  sind  sehr  zahlreich  und  mannigfaltig.  Man 
hat  dafür  zu  sorgen,  nicht  nur  dass  man  keine  derselben  übersieht, 
sondern  auch  dass  man  sie  in  ihrer  Reihenfolge,  wie  sie  nach  einander 
auftreten,  und  in  ihrer  Beziehung  zum  Augenleiden  gehörig  auffasse. 
Nirgend  weniger  als  bei  den  Amaurosen  kann  allgemein  medicinische 
Bildung  in  Bezug  auf  Diagnosis,  Prognosis  und  Therapie  entbehrt  wer- 
den; der  Oculist  hört  hier  auf,  Specialist  zu  sein.  Die  Lehre  von  den 
Amaurosen  fällt  mit  der  Lehre  von  den  Krankheiten  des  Nervensy- 
stemes  zusammen.  Demnach  wird  man  auch  in  einer  Abhandlung  über 
die  Amaurosen  nicht  eine  förmliche  Darstellung  der  Lehre  von  den 
Krankheiten  des  Gehirnes  suchen,  deren  Kenntniss  hier,  als  anderweitig 
erworben,  vorausgesetzt  werden  muss.  Eine  gedrängte  Schilderung  der 
Erscheinungen  jedoch,  welche  bei  encephalischer  Amaurosis  vorkommen, 
und  ebenso   eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  Affectionen,   als 


Cerebralaiiiauro.se.  145 

deren  vorwaltendes  Symptom  Amblyopie  oder  Amaurosis  beobachtet 
■wurde,  erläutert  durch  verlässliche  Krauken-  und  Sectionsbefunde,  dürften 
zur  leicbtereu  Orientirung  in  diesem  weiten  Gebiete  dem  Leser  einigen 
Nutzen  gewähren. 

Die  Erscheinungen  am  Sehorgane  selbst  sind,  wenn  auch  nicht 
pathognomonisch,  doch  in  vielen  Fällen  immerhin  eigentümlich  genug, 
um  einige  diagnostische  Anhaltspunkte  zu  gewähren.  —  a)  Zunächst  ist 
zu  bemerken,  dass  die  Sehstörung  bei  centralen  Amaurosen  sich  immer 
auf  das  ganze  Gesichtsfeld  bezieht.  Amblyopie  oder  Amaurosis,  welche 
bloss  auf  das  Centrum  oder  bloss  auf  die  Peripherie  der  Netzhaut  be- 
zogen werden  kann,  ist  sicher  niemals  centralen  Ursprunges.  Es  ist 
auch  keine  verlässliche  Beobachtung  bekannt,  wo  Hemiopie  von  einer 
anatomisch  nachweisbaren  Veränderung  der  Centralorgane  hätte  abge- 
leitet werden  können.  Ruete's  Ausspruch  (Seite  119),  dass  Krankheiten 
des  Sehhügels  oder  der  einen  Hälfte  der  Vierhügel  fast  immer  eine 
Störung  der  Function  der  Retina  derselben  Seite  in  beiden  Augen  zur 
Folge  haben,  inuss  jedenfalls  erst  durch  Thatsachen  erwiesen  wer- 
den. —  Die  Sehstörung  tritt  bald  plötzlich,  bald  allmälig  auf,  in 
der  Kegel  zunächst  nur  auf  Einem  Auge;  sie  bleibt  selten  auf  Ein 
Auge  beschränkt,  auch  wenn  die  encephalische  Affection  zunächst  nur 
die  eine  Hemisphäre  betrifft.  Sie  kann  trotz  des  Fortbestandes  der 
Hirnkrankheit  mit  deutlichen  Re-  und  selbst  mit  Intermissionen  auftre- 
ten, was  seine  Erklärung  in  der  bald  mehr  bald  weniger  hervor- 
tretenden, die  Hirnaffection  begleitenden  Hyperämie  finden  dürfte.  — 
Sie  ist  nicht  sowohl  von  Scotomen  (dunkeln  oder  hellen)  als  vielmehr 
von  Hallucinationen  begleitet;  auch  ist  die  Empfindlichkeit  der  Augen 
gegen  das  Licht  im  Allgemeinen  eher  vermindert,  als  vermehrt,  ausser 
bei  Hyperämie,  bei  Meningitis  ad  basin  und  bei  Hydrocephalus  acutus 
in  der  ersten  Zeit. 

b)  Im  Allgemeinen  hat  der  alte  Erfahrungssatz  seine  Giltigkeit, 
dass  bei  Hirndruck  die  Pupille  erweitert  ist,  doch  kann  auch  bei  com- 
pleter  encephalischer  Amaurose  der  Durchmesser  der  Pupille  ein  mitt- 
lerer sein,  und  während  des  unstäten  Hin-  und  Herbewegens  der  Bulbi 
—  wie  bei  chronischem  Hydrocephalus  so  oft  —  selbst  Schwankungen 
zwischen  Erweiterung  und  beträchtlicher  Verengerung  darbieten.  Die 
Erweiterung  ist  eine  gleichmässige,  wobei  freilich  nicht  übersehen  wer- 
den darf,  dass  leichte  Abweichungen  von  der  Kreisform,  namentlich  bei 
nicht  zu  enger  Pupille,  häufig  auch  an  ganz  gesunden  Augen  beobachtet 
werden  können.  Die  Schwärze  der  Pupille  leidet  nur  im  Verhältniss 
zur  Erweiterung  derselben,    erst  nach  langem  Bestände  encephalischer 

Axlt  Augenheilkunde.  III.  10 


146  Netzhaut. 

Amaurosen  scheint  die  Durchsichtigkeit  der  Netzhaut  und  der  Pigment- 
gehalt der  Chorioidea  so  zu  leiden,  dass  der  Grund  des  Auges  mehr 
Licht  als  im  normalen  Zustande  reflectirt. 

c)  Die  Stellung  und  die  Beweglichkeit  der  Augen  kann  in  ein- 
zelnen Fällen  viel  zur  Entscheidung  der  Frage  über  den  Sitz  des  Lei- 
dens beitragen.  Geht  die  Sehkraft  des  einen  Auges  rasch  verloren,  so> 
bleibt  die  Stellung  und  Beweglichkeit  normal,  ausser  es  leidet  ein  oder 
der  andere  Muskel  wegen  primärer  oder  vom  Gehirn  ausgehender  Affec- 
tion.  Erblindet  ein  Auge  allmälig,  während  das  andere  gesund  oder 
doch  relativ  besser  ist,  so  reicht  dieser  Umstand  allein  hin,  eine  in- 
stinctmässige  (reflectirte)  Ablenkung  des  schwächeren  Auges  zu  bewir- 
ken. Bei  Erwachsenen  erfolgt  diese  Ablenkung  meistens  auswärts  als 
Strabismus  divergens;  es  tritt  dasselbe  ein,  wie  bei  Hornhaut-  oder 
Linsentrübungen  (B.  I.  S.  262  und  B.  II.  S.  281).  Ist  die  Sehkraft 
beiderseits  gleichmässig  erloschen  oder  hochgradig  geschwächt,  gleich- 
viel ob  langsam  oder  schnell,  so  ist  die  Stellung  der  Sehachsen  parallel 
oder  bloss  ein  wenig  divergent,  und  die  weit  geöffneten  Augen  irren 
entweder  unstät  umher  oder  stieren  in  unbestimmte  Ferne  hinaus. 
Unter  Berücksichtigung  dieser  Momente  deutet  Ablenkung  eines  oder 
beider  Augen  von  der  gewöhnlichen  Haltung,  insbesondere  aber  Unbe- 
weglichkeit  nach  einer  oder  der  andern  Richtung  (Muskellähmimg)  in 
allen  Fällen  auf  centrale  Ursache  der  Amblyopie  oder  Amaurose,  wenn 
nicht  etwa  wie  bei  rheumatischer  Bulbär-  oder  bei  Orbitalamaurose, 
die  Muskelaffection  aus  einem  peripherischen  Leiden  abgeleitet  wer- 
den muss. 

Die  Erscheinungen,  welche  bei  encephalischer  Amblyopie  und  Amau- 
rosis in  den  übrigen  Organen  vorkommen,  sind  leider  (für  den  Diagno- 
stiker) in  vielen  Fällen  namentlich  zu  Anfang  noch  nicht  vorhanden, 
zum  Theil  auch  zweideutig.  Um  so  sorgfältiger  müssen  sie  aufgesucht, 
um  so  schärfer  aufgefasst  und  in  ihre  wahre  Beziehung  zum  Augen- 
leiden gebracht  werden,  a)  Die  geistigen  Functionen,  Gedächtniss,  Ur- 
theil,  u.  s.  w.  sind  bei  Kindern  rücksichtlich  ihrer  Entwicklung,  bei 
Erwachsenen  rücksichtlich  ihrer  Störung  zu.  berücksichtigen.  Verän- 
derung der  Gemüthsstimmung,  des  Gesichtsausdruckes,  Theilnahmlosig- 
keit,  Schlafsucht  u.  dgl.  b)  Besichtigung  und  Betastung  des  Schädels. 
Bei  Amaurosis  von  chronischem  Hydrocephalus  fand  ich  am  häufigsten 
den  queren  Durchmesser  des  Schädels  (von  einem  Schläfetheil  des 
Felsenbeines  zum  andern)  auffallend  vergrössert;  seltener  ist  das  Cra- 
nium  an  der  Stelle  der  grossen  Fontanelle  stark  hervorgetrieben;  in 
diesem  letzteren  Falle  sind  bisweilen  auch  die  Bulbi  glotzend  (Herab- 


Cerebralaiuaurose.  147 

drückung  der  obern  Orbitalwand).  —  Krankheiten  der  Schädelwan- 
dungen, welche  durch  Druck  nach  innen  nachtheilig  wirken,  lassen  sich 
bisweilen  auch  durch  Hervorragungen  an  der  Aussenfläche  erkennen. 
Andere,  zum  Beispiel  Tophi,  geben  vielleicht  Anhaltspunkte  für  die 
Existenz  ähnlicher  Affeetionen,  die  nach  innen  wirken.  Spuren  von 
vorausgegangenen  Verletzungen  -des  Kopfes  verdienen  besonders  dann 
Berücksichtigung,  wenn  seit  der  Verletzung  irgend  welche  Gesund- 
heitsstörungen bestehen,  die  darauf  bezogen  werden  können.  Doch  ist 
zu  bemerken,  dass  erfahrungsgemäss  Jahre  vergehen  können,  ehe  der 
Verletzte  von  deutlichen  Zufällen  einer  Hirnkrankheit  befallen  wird. 
Der  Kranke  denkt  zur  Zeit,  wo  sein  Gesicht  gestört  wird,  vielleicht 
gar  nicht  mehr  an  die  Verletzung.  —  c)  Kopfschmerzen  (Eingenommen- 
heit, Schwere  des  Kopfes  u.  dgl.),  verschiedenartig  nach  Intensität, 
Qualität  und  Typus,  sind  ein  häufiger  Vorläufer  und  Begleiter  von 
Amblyopie  und  Amaurosis.  Zu  bemerken  ist,  dass  auch  die  chronische 
Retinitis  häutig  von  mehr  weniger  lebhaften  Schmerzen  in  der  Stirn- 
oder Scheitelgegend  begleitet  wird,  und  dass  manche  Individuen  die 
Krankheit  (Erblindung)  dem  Symptome  (den  Kopfschmerzen)  zuschrei- 
ben, weil  sie  die  Kopfschmerzen  früher  bemerkten,  als  die  noch  in  zu 
geringem  Grade  vorhandene  Abnahme  des  Gesichtes.  —  d)  Schwindel, 
bald  mit  Hyperämie,  bald  mit  Anämie  im  Zusammenhange  stehend,  ist 
häufig  auch  bloss  durch  Lähmung  eines  geraden  oder  schiefen  Augen- 
muskels bedingt,  fordert  daher  jederzeit  zur  genauesten  Prüfung  der 
Muskelfunctionen  auf.  Mehr  hierüber  bei  den  Krankenheiten  der  Augen- 
muskel. —  e)  Störungen  in  andern  Sinnesorganen,  Gehör,  Geruch,  der 
Sensibilität  im  Bereiche  des  Trigeminus  u.  s.  w.  —  f)  Störungen  der 
Motilität,  im  Bereiche  des  Facialis,  Trigeminus  u.  s.  w.  Bei  rechtssei- 
tiger Affection  des  X.  opticus  und  des  Oculomotorius  oder  Abducens 
treten  die  Lähmungserscheinungen  am  Gesichte,  an  der  Zunge,  am 
Zäpfchen,  an  den  Extremitäten  linkerseits  auf.  Epileptische  Anfälle, 
Contracturen ,  Lähmungen.  —  g)  Gehemmte  peristaltische  Bewegimg, 
Torpor  in  der  Entleerung  der  Fäces  oder  des  Harnes  u.  dgl.  — 
h)  Gastrische  Erscheinungen,  Erbrechen,  Übligkeiten  u.  dgl.  sind  theils 
Vorboten,  theils  Begleiter  encephalischer  Amaurosen. 

Die  krankhaften  Vorgänge  und  Veränderungen  im  Gehirne  und  in 
seinen  Hüllen,  welche  Aniblyopie  oder  Amaurosis  im  Gefolge  haben, 
sind  ausserordentlich  mannigfaltig  und  verschieden  in  Bezug  auf  ihren 
Sitz  (Knochen,  Meningen,  Schlagadern  an  der  Basis,  Hirnanhang,  ein- 
zelne Regionen  des  grossen  und  kleinen  Gehirnes),  auf  ihre  Natur  und 

anatomische  Beschaffenheit  (Veränderungen  des  Zusammenhanges,   des 

10* 


148  Netzhaut. 

Volumens,  der  Textur,  Neubildungen  u.  s.  w.),  und  in  Bezug  auf  die 
entfernteren  Veranlassungen  dazu  (Störungen  der  Kreislaufsorgane, 
äussere  Gewalttätigkeiten,  Dyskrasien,  namentlich  Lues,  Krebs,  Tuber- 
kel u.  s.  w.).  Diese  letzteren  insbesondere  sind  geeignet,  Licht  auf 
die  Natur  des  krankhaften  Vorganges  im  Gehirne  zu  werfen.  Schon 
dieser  Umstand  allein  fordert  bei  jeder  Amaurosis  zu  einer  vollständigen 
Durchmusterung  des  ganzen  Körpers,  aller  Organe,  Systeme  und  Func- 
tionen, sowie  zu  einer  scrupulösen  Erhebung  der  anamnestischen  Mo- 
mente vor,  während  und  nach  dem  Eintritte  des  Augenleidens  auf. 
Leider  müssen  wir  bei  dem  gegenwärtigen  Stande  der  Diagnostik  der 
Gehirnkrankheiten  uns  nur  zu  oft  begnügen,  zu  wissen,  dass  überhaupt 
ein  solches  Centralleiden  vorhanden  ist;  auf  die  Bestimmung  des  Sitzes 
der  Affection  müssen  wir  meistens  verzichten;  auf  die  Natur  derselben 
lässt  sich  grösstentheils  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  sckliessen;  eher 
noch  lässt  sich  angeben,  diese  oder  jene  Affection  könne  nicht  zu 
Grunde  liegen.  Immerhin  ist  auch  damit  schon  Einiges  gewonnen,  das 
uns  bestimmte  Anhaltspunkte  zur  Prognosis  gibt,  und,  wo  nicht  directe, 
>so  doch  indirecte  Indicationen  zum  therapeutischen  Verfahren.  Wer 
durch  seine  Behandlung  nicht  schadet,  hat  viel  voraus  nicht  nur  vor 
Demjenigen,  der  blindlings  eingreift,  sondern  auch  vor  dem,  der 
nichts  thut. 

Die  Literatur  ist  reich  an  Beobachtungen  über  Amaurosen,  leider 
arm  an  verlässlichen  und  vollständigen.  Den  einen  fehlt  die  anato- 
mische Begründung,  welche  vor  Erfindung  des  Augenspiegels  zum  Theil 
unmöglich  war;  die  andern  liefern  wohl  mitunter  gute  Sectionsbefunde, 
aber  — ■  mit  wenig  Ausnahmen  —  keine  gehörige  Angabe  der  Erschei- 
nungen während  des  Lebens. 

Über  Aufforderung  meines  verehrten  Lehrers  Fischer  hatte  ich  zum  Gegenstande 
meiner  Inauguraldissertation  (1839)  einige  Beobachtungen  sogenannter  organischer  Amau- 
rosen gewählt  und  daran  eine  übersichtliche  Zusammenstellung  der  mir  zugänglichen 
Beobachtungen  früherer  Zeiten  gereiht.  Die  nachfolgenden  Fälle  sind  grösstentheils  die- 
ser Schrift  entlehnt. 

1.    Amaurosis  in  Folge  von  Verletzungen  am  Kopfe. 

In  Folge  von  Verletzungen  nicht  bloss  des  Auges  und  seiner  näch- 
sten Umgebungen,  sondern  auch  von  entfernteren  Regionen  des  Kopfes 
ist  Amaurosis  als  erstes  oder  doch  eminentes  Symptom  bald  sogleich, 
bald  erst  nach  längerer  Zeit  beobachtet  worden.  In  manchen  Fällen 
entwickelt  sich  die  Hirnkrankheit,  deren  Symptom  die  Amaurosis  ist, 
unmittelbar  aus  der  Verletzung;   in  andern   gibt   diese  gleichsam  nur 


Cerebralaniaurose.  149 

den  Impuls  zur  Ent Wickelung  einer  Hirnkrankheit,  auf  dieselbe  Weise, 
wie  wir  schon  beim  Markscbwamm  der  Netzbaut  bemerkt  baben.  Zu 
den  ersteren  geboren  Knochenemdrücke,  Fissuren  an  der  Schädelbasis 
(Keilbein),  Blutaustretung,  Aneurysma,  Entzündung-  der  Hirnhäute,  des 
Gehirnes  mit  ihren  verschiedenen  Ausgängen;  zu  den  letzteren  die 
Entwicklung  von  Markschwamm  und  von  Processen,  denen  Tubercu- 
losis zu  Grunde  liegt.     Zur  Erläuterung  einige  Beispiele. 

Eine  zweiundvierzigjährige  gesunde  und  kräftige  Frau  fiel  rücklings  auf  der  Strasse 
nieder,  indem  sie,  ein  Brett  voll«gebackenen  Brotes  nach  Hause  tragend,  auf  den  glatten 
Steinen  ausglitt.  Man  brachte  sie  scheintodt  nach  Hause.  Nach  einer  Stunde  war  das 
Bewusstsein  und  die  Bewegung  zurückgekehrt,  das  Gesicht  beider  Augen  verloren ;  nur 
mit  dem  linken  Auge  glaubte  die  Kranke,  wenn  sie  es  nach  oben  wandte,  eine  geringe 
Lichtempfindung  zu  verspüren.  Die  erweiterten  Pupillen  waren  nur  wenig  beweglich  und 
etwas  unregelmässig  verzogen;  sonst  an  den  Augen  keine  Veränderung  wahrnehmbar. 
Zugleich  heftiger  drückender  Kopfschmerz  in  der  Stirn,  und  andere  Symptome  eines  Ex- 
travasates in  der  Schädelhöhle.  (?)  Tod  nach  vierundzwanzig  Stunden.  Bei  der  Section 
eine  kleine  sugillirte  Stelle  unter  der  Galea  aponeurotica  an  der  Stelle  des  Hinterhauptes, 
auf  welche  die  Frau  gefallen  war.  Bei  der  Herausnahme  des  Gehirnes  kam,  als  die  grossen 
vordem  Lappen  aufgehoben  wurden,  eine  wallnussgrosse,  blaurothe  Geschwulst  zum  Vor- 
schein, icelche  den  Türkensattel  bedeckte,  nach  dem  rechten  Schläjebein  hin  sich  erstreckte, 
und  in  den  Soden  der  dritten  Hirnhöhle  und  das  Tuber  cineremn  eine  Vertiefung  einge- 
drückt hatte.  Ebenso  wurden  das  Chiasma  und  die  Sehnerven,  doch  mehr  der  rechte,  als. 
der  linke,  zusammengedrückt.  Nach  Herausnahme  des  Gehirns  zeigte  sich,  dass  die  Ge- 
schwulst aus  dem  Canalis  caroticus  dexter  herauskam,  und  aus  einem,  von  der  äussern 
Haut  der  geborstenen  Carotis  gebildeten  Sacke  bestand,  der  geronnenes  Blut  enthielt;  nach 
Abspülung  des  Inhaltes  entdeckte  man,  dass  die  Carotis  dextra  da,  wo  sie  aus  dem  Sinus 
cavernosus  heraustrat,  geborsten  war.  Sonst  war  nirgends  etwas  Krankhaftes  zu  finden. 
(Stilling  in  Amnions  Zeitschr.  B.  III.  S.  465.) 

Ein  alter  Mann,  welcher  mit  einem  Karren  überfahren  worden  war,  wurde  in's  Spi- 
tal aufgenommen.  Es  war  eine  Fractur  nebst  einer  Depression  des  einen  Scheitelbeines 
vorhanden.  Der  Mann  besass  sein  Bewusstsein,  gab  aber  langsam  Antworten,  war 
stöckisch  und  gänzlich  blind.  Herr  Gunning  entfernte  eine  Portion  des  Scheitelbeines 
mit  der  Trephine,  und  hob  den  deprimirten  Knochen  empor.  Die  Operation  bewirkte 
indessen  keine  Änderung  in  den  Symptomen.  Etwa  36  Stunden  nach  dem  Ereignisse 
wurde  der  Puls  häufig,  und  der  Patient  begann  irre  zu  reden.  Er  blieb  des  Sehver- 
mögens gänzlich  beraubt,  glaubte  eingebildete  Gegenstände  zu  sehen,  war  sich  der  vor 
seinen  Augen  befindlichen  gänzlich  unbewusst.  Tod  nach  Ablauf  des  fünften  Tages. 
Man  fand  die  Hirnhäute  entzündet  und  mit  Eiter  und  Lymphe  verunreinigt.  An  der 
Basis  des  Schädels  war  eine  Querfractur,  welche  sich  durch  das  Keilbein  erstreckte,  mit 
so  verschobenen  Bruchrändern,  dass  sie  auf  die  Sehnerven  unmittelbar  hinter  den  Augen- 
höhlen drückten,  und  sich  so  der  gänzliche  Verlust  des  Gesichtes  erklärte.  (Brodie,  bei 
Makenzie,  Krankheiten  des  Auges,  Weimar  1832  S.  771.) 

Ein  zwölfjähriger  Knabe  empfing  in  der  Schule  mit  der  Schärfe  eines  breiten 
Lineales  wegen  Trägheit  im  Lernen  einen  Schlag  auf  das  rechte  Seitenwandbein.  Die 
Wunde  war  klein,  heilte  aber  erst  nach  sechs  Jahren  ganz  zu.  Bald  nachher  nahm  das 
Sehvermögen   ab,    allmälig  bis   zur   völligen  Blindheit.     In   der    letzten  Zeit   traten  auch 


150  Netzhaut. 

epileptische  Anfülle  ein.  Man  versuchte  die  Trepanation,  fand  jedoch  den  Knochen  an 
der  Stelle  der  Narbe  nicht  einmal  missfarbig,  geschweige  denn  krankhaft.  Nach  Entfer- 
nung des  mit  der  Trephine  abgelösten  Knochenstückes  trat  etwas  Blut  und  seröse  Flüs- 
sigkeit zwischen  dem  Knochen  und  der  harten  Hirnhaut  hervor.  Letztere  schien  nicht 
verändert  zu  sein.  Den  nächsten  Tag  hatte  die  Pupille  jedes  Auges  ihre  natürliche  Sen- 
sibilität wieder  erlangt,  indem  sie  sich  je  nach  dem  Giade  des  Lichtes  erweiterte  und 
zusammenzog,  aber  die  Blindheit  blieb  absolut,  wie  vor  der  Operation.  Drei  Tage  nach 
der  Operation  starb  der  Patient  —  Man  fand  den  Knochen  und  die  Dura  mater  überall 
gesund.  Unter  dem  Theile,  wo  letztere  durch  die  Trephine  blossgelegt  worden  war,  also 
unter  der  Stelle  der  ursprünglichen  Verwundung  bot  die  Pia  mater  die  Zeichen  chronischer 
umschriebener  Entzündung  dar.  Als  in  das  Gehirn  eingeschnitten  wurde,  fand  man  es 
bis  zu  einem  beträchtlichen  Grade  verhärtet,  und  diese  Verhärtung  hatte  sich  auf  den 
ganzen  mittlem  Lappen  des  Gehirnes  ausgebreitet,  begann  auf  der  Oberfläche,  und  setzte 
sich  durch  das  Gehirn  bis  zur  Basis  des  Schädels  fort.     (Hoioship,  bei  Makenzie  1.  c.  7S2.) 

Bei  einem  44  Jahre  alten  Manne  stellte  sich  nach  einem  Falle  auf  das  Hinter- 
haupt allmälig  Gesichtsschwäche  und  Schielen  (Schiefsehen?)  ein;  nach  drei  Jahren  kam 
dazu  heftiger  Schmerz  im  Hinterhaupte,  stierer  Blick,  Erweiterung  der  rechten  Pupille, 
endlich  gänzlicher  Verlust  des  Gesichtes  und  der  Sprache  bei  ungestörter  Geistesthätig- 
keit.  —  Man  fand  zwei  Drittel  vom  linken  Lappen  des  kleinen  Gehirnes  in  einen  Brei 
verwandelt,  die  umgebende  Arachnoidea  zerstört,  die  Dura  rnater  innen  braunroth,  aussen 
vom  Knochen  abgelöst.     (Monod  in  Andrafs  Clinique  medicale,  T.  V.  p.  496.) 

Ein  Frauenzimmer  hatte  in  ihrem  1 5.  Jahre  einen  nicht  gerade  heftigen  Schlag 
auf  die  rechte  Seite  ihtes  Kopfes  erhalten.  Er  verursachte  augenblicklich  sehr  heftigen 
Schmerz,  wurde  aber  nicht  weiter  berücksichtigt,  weil  man  weiter  keine  Folgen  beob- 
achtete, nur  stellte  sich  öfter  Kopfweh  ein,  welches  immer  in  dem  geschlagenen  Theile 
begann.  —  Nachdem  sie  solchen  Anfällen  über  dreissig  Jahre  ausgesetzt  gewesen  war, 
wurde  sie  trag  und  manchmal  stupid  und  schläfrig,  ohne  dass  man  dafür  eine  andere 
Ursache  hätte  angeben  können.  Dieser  Zustand  verschlimmerte  sich,  so  dass  es  in  den 
letzten  l  '/2  Jahren  ihres  Lebens  sehr  schwer  war,  sie  wach  zu  erhalten ;  wenn  sie  aber 
einmal  wachte,  und  sollte  es  auch  nur  auf  '/a  Stunde  sein,  so  entfaltete  sie  den  ganzen 
natürlichen  Glanz  ihrer  Unterhaltung;  dann  verfiel  sie  wieder  in  Schlaf,  ohne  dass  man 
sie  aus  demselben  aufrüttelu  konnte.  Das  Sehvermögen  hatte  allmälig  abgenommen,  so 
dass  sie  einige  Zeit  vor  dem  Tode  fast  in  gänzliche  Dunkelheit  gehüllt  war.  Sie  starb 
unter  Convulsionen.  —  Eine  Portion  des  rechten  Seitemvandbeines  von  der  Grösse  eines 
Kronthalers  gerade  da,  wo  der  Schlag  eingewirkt  und  der  Kopfschmerz  immer  begonnen 
hatte,  zeigte  eine  sehr  dunkle  Farbe.  Der  Knochen  war  von  innen  aus  fast  gänzlich  ab- 
sorbirt  und  durchsichtig ;  die  Dura  mater  daselbst  durch  Absorption  verschwunden ;  die 
Hirnportion  darunter  verhärtet,  scirrhös  und  dunkellivid,  und  zwar  durch  den  ganzen 
mittlem  Lappen  des  Gehirnes ;  die  Sehnerven  an  ihrem  Ursprünge  zusammengedrückt 
wie  ein  Band.  Sonst  weder  in  der  Schädelhöhle  noch  im  Thorax  oder  Unterleibe  eine 
erhebliche  Abnormität.     (Howship  bei  Makenzie  1.  c.   S.  783.) 

Ein  eilfjähriges  Mädchen,  lange  Zeit  zu  Kopfweh  mit  Schwäche  des  Sehvermögens 
und  einer  eigenthümlichen  Empfindlichkeit  der  Bedeckungen  des  Kopfes  geneigt,  verletzte 
sich  durch  einen  Fall  (Herbst  1314)  an  der  Stirn,  und  litt  seitdem  an  Kopfweh  und 
häufigem  Nasenbluten.  Einige  Monate  später  (Ende  December)  kamen  zu  dem  gesteiger- 
ten Kopfweh  noch  Fieber,  Empfindlichkeit  gegen  das  Licht  und  gegen  Geräusch,  Schielen 
und   convulsivische   Paroxvsnien,    die    eine   Zeit   lang   alle   halbe  Stunden    zurückkehrten. 


Cerebralaniaurose.  151 

Im  März  IS  15  trat  auffallende  Besserung  bezüglich  der  Kopf  Symptome  ein,  wogegen  sich, 
scrofulüse  Geschwüre  am  Hals  und  Beine  entwickelten.  Nach  etwa  einjährigem  Bestände 
dieser  Besserung  (im  Mai  1816)  bemerkte  man  wieder  Verschlimmerung,  namentlich 
Steigerung  der  Empfindlichkeit  gegen  Licht  und  Geräusch,  Schielen  und  allmälige  Ab- 
nahme der  Sehkraft  bis  zur  völligen  Blindheit  (im  Juli).  Tod  im  October;  die  Geistes- 
kräfte Maren  ungeschwächt  geblieben.  —  Bei  der  Section  fand  man  eine  wallnussgrosse 
Geschwulst  auf  dem  Türkensattel  sitzen,  welche  das  Chiasma  comprimirte;  sie  bestand 
aus  einer  Marksubstanz  von  gelblicher  Farbe  und  war  von  einer  dünnen  und  feinen 
Haut  bedeckt.  (Tuberkel?)  (Beob.  von  Dr.  Hai/,  aus  Abercrombie 's  patholog.  und  prak- 
tischen Untersuchungen  über  die  Krankheiten  des  Gehirns  entlehnt  von  Makenzie  1.  c. 
S.  797.) 

Bei  einem  siebenjährigen  Knaben  stellten  sich  nach  einem  Falle  auf  die  Stirn 
Kopfschmerzen  ein,  nach  einigen  Monaten  Amblyopie  und  Amaurosis,  dann  auch  Epi- 
lepsie, allmälig  zunehmende  Schwäche  der  Extremitäten,  endlich  Lähmung  derselben, 
Coma  und  Tod;  die  Geisteskräfte  waren  bis  auf  die  letzten  Tage  ungestört.  Dauer  der 
Krankkeit  fünf  Vierteljahre.  —  Eine  weisse,  flache,  feste,  bohnengrosse  Geschwulst  unter 
dem  Chiasma;  in  den  Ventrikeln  12  Unzen  klarer  Flüssigkeit;  der  rechte  Lappen  des 
kleinen  Gehirnes  verhärtet,  der  linke  in  eine  eiterförmig  scrofulöse  Masse  verwandelt. 
(Abercrombie,  des  malad,  de  l'enceph. ,  trad.  de  l'anglais  par  Gendrin,  Brux.  1837.  Edit. 
III.  p.  210.) 

2.   Amaurosis  in  Folge  von  Circulationsstörungen  im  Kopfe. 

Schwächung*  der  Sehkraft  ist  ein  häufiges  Symptom  von  activer, 
passiver  oder  mechanischer  Hyjjerämie  in  der  Schädelhöhle;  zur  voll- 
ständigen und  anhaltenden  Erblindung  jedoch  kommt  es  in  der  Regel 
nur  dann,  wenn  Hämorrhagie  mit  Zertrümmerung  oder  Compression 
der  betreffenden  Fasern  eingetreten  ist,  wenn  erweiterte  und  rigide  Ge- 
fässe  oder  förmliche  Aneurysmen  auf  den  Sehnerven  drücken,  wenn 
nebst  der  Hyperämie  bereits  Ausscheidung  von  Serum  zwischen  den 
Meningen,  in  den  Ventrikeln  oder  Entwicklung  von  Neoplasmen  u.  dergl. 
bestellt.  Bei  beträchtlicher  Hyperämie  des  Gehirnes  sind  in  der  Regel 
auch  die  Zeichen  von  Hyperämie  am  Bulbus,  namentlich  an  der  Binde-, 
2\etz-  und  Aderhaut  nachweisbar,  und  bei  der  activen  und  mechanischen 
sind  zugleich  mehr  weniger  deutlich  ausgesprochene  subjective  Erschei- 
nungen vorhanden,  welche  auf  Erregung  der  Fasern  des  Opticus  deu- 
ten, Empfindlichkeit  gegen  das  Licht,  Sehen  von  Flammen,  Funken, 
Blitzen  u.  dergl.,  oder  förmliche  Hallucinationen,  Sehen  von  äusserlich 
nicht  vorhandenen  Gegenständen.  Dieser  innige  Zusammenhang  lässt 
sich,  wo  nicht  völlig,  so  doch  grösstentheils  schon  aus  der  nahen  und 
innigen  Beziehung  erklären,  in  welcher  die  Arteria  ophthalmica  zu  den 
Hirnarterien  und  die  Vena  ophthalmica  zu  den  Hirnblutleitern,  nament- 
lich zum  Sinus  cavernosus  steht.  —  Was  die  Apoplexie  betrifft,  so  ist 
zu  bemerken,  dass  Schwächung  oder  Aufhebung  der  Sehkraft  bisweilen 


1 52  Netzhaut. 

eine  Zeit  lang  das  eminente,  wenn  auch  nicht  gerade  einzige  Symptom 
eines  kleinen  Extravasates  sein,  und  in  sofern  als  Vorbote  der  Apoplexie 
betrachtet  werden  kann,  als  über  kurz  oder  lang  an  mehrern  Stellen 
oder  in  grösserer  Menge  Hämorrhagie  mit  eclatanten  anderweitigen  Zu- 
fällen dazu  tritt.  —  Sorgfältiges  Forschen  nach  primären  oder  conse- 
cutiven  Gefässerkrankungen  und  Circulationsstörungen,  z.  B.  Druck  auf 
die  Jugular-  oder  absteigende  Hohlvene,  Krankheiten  der  Aorta,  des 
Herzens,  der  Lunge  u.  s.  w.  wird  demnach  in  allen  Fällen  von  Amau- 
rosis nothwendig  sein,  wo  die  Ursache  derselben  nicht  schon  klar  zu 
Tage  liegt. 

Eine  53jährige  Stubenmagd,  seit  4  Jahren  nicht  mehr  menstruirt,  litt  schon  vor  20 
Jahren  an  Blutungen  aus  den  Mastdarm venen.  Vor  10  Jahren  ohngefähr  erkrankte  sie 
angeblich  an  einem  biliösen  Fieber,  seit  welcher  Zeit  heftige  Kopfschmerzen,  grosse  Mat- 
tigkeit, Herzklopfen  und  Abnahme  des  Sehvermögens  die  Patientin  quälten.  Bei  der 
Untersuchung  fand  man:  das  Aussehen  beider  Augen  matt,  die  obern  Lider  etwas  herab- 
hängend, schwer  beweglich,  die  Scleralbindehaut  von  einigen  Gefässen  durchzogen,  die 
Sclera  schmutzig,  bleifarben,  die  braune  Iris  wie  ausgewaschen,  am  rechten  Auge  ganz, 
unbeweglich,  am  linken  auf  starkes  Licht  schwach  reagirend,  die  weiten  Pupillen  eckig, 
rauchig,  das  Sehvermögen  des  rechten  Auges  aufgehoben,  das  des  linken  bis  auf  undeut- 
liches Wahrnehmen  grösserer  Gegenstände  beschränkt.  Zeitweiliges  Funkensehen,  heftige 
drückende  Schmerzen  im  Vorderkopfe,  gestörte  Verdauung,  Stuhlverstopfung.  Bei  der 
Untersuchung  des  Herzens  fand  man  die  Erscheinungen  von  Insufficienz  der  Aortaklappen 
mit  Erweiterung  des  linken  Ventrikels.  Man  behandelte  die  Kranke  durch  einige  Wo- 
chen mit  Tonico-solventibus,  bis  sie  ohne  bekannte  Ursache  von  einem  Erysipel  befallen 
wurde,  das  am  linken  obern  Lide  mit  Abscessbildung  endete.  Nach  einigen  Tagen  ma- 
gerte die  Kranke  zusehends  ab,  litt  an  anhaltenden  Kopfschmerzen  und  Schlaflosigkeit, 
und  war  psychisch  sehr  verstimmt.  Endlich  verfiel  sie  in  Geistesabwesenheit  mit  zeitwei- 
ligen heftigen  Delirien  und  starb.  Sectionsbefund:  Insufficienz  der  Aortaklappen  in  Folge 
von  Verknöcherung  derselben,  Erweiterung  des  linken  Ventrikels,  Erweiterung  der  rechten 
Carotis  um  beiläufig  ein  Drittel,  atheromatöse  Ablagerungen  an  ihrer  innern  Fläche;  die 
Art.  ophthalm.  rechterseits  gleichfalls  erweitert,  ihre  Glashaut  auf  ähnliche  Weise  verän- 
dert, der  Sehnerv  dieser  Seite  vom  Chiasma  bis  zum  Bulbus  in  einen  dünnen  Strang 
verwandelt,  der  Sehnerv  der  linken  Seite  anscheinend  verändert.  Ausserdem  im  linken 
vordem  grossen  Gehirnlappen  in  der  Gegend  des  Corpus  striatum  ein  anscheinend  einige 
Wochen  alter  apoplektischer,  wallnussgrosser  Herd.  In  der  Leber  eine  taubeneigrosse 
Angiotelektasie.  Die  Untersuchung  der  Augen  wurde  leider  nicht  gestattet.  [Blodig 
Zeitschrift  der  Gesellschaft  der  Wiener  Ärzte,   1851,  6.  Heft  S.  423.) 

Ein  Herr  von  48  Jahren,  stark  und  plethorisch,  Gastronom  und  fröhlicher  Lebemann, 
litt  seit  einigen  Tagen  an  congestiver  Amblyopie.  Diese  offenbarte  sich  durch  die  ge- 
wöhnlichen Symptome,  und  der  Kranke  sah  ausserdem  alle  Gegenstände  roth.  Drei  Tage 
hindurch  stellte  ihm  Carron  du  Villards  die  Notwendigkeit  eines  reichlichen  Aderlasses 
vor;  er  aber  weigerte  sich  hai-tnäekig.  Als  sich  einige  apoplektische  Erscheinungen  (?) 
zu  denen  der  Amaurose  gesellten,  liess  er  sich  8  —  10  Blutegel  an  den  After  setzen.  Als 
diese  eine  halbe  Stunde  gesogen  hatten,  rief  er  aus,  er  sehe  nur  Blut,  und  fiel  bewusst- 
los   nieder.     C.    liess   ihm   sogleich    zur  Ader;    er  erhielt  sein  Bewusstsein  wieder,    allein 


Cerebralamatirose.  153 

das  Sehvermögen  auf  dem  rechten  Auge  war  durch  ein  Blutextravasat  in  dem  Humor 
aqueus  getrübt  (?),  und  kehrte  nicht  wieder.  In  der  Nacht  erfolgte  ein  zweiter  Anfall; 
es  wurde  ein  zweiter  Aderlass  gemacht;  der  Mund  war  etwas  verzerrt  und  die  Bewegung 
der  Zunge  gehemmt.  Diese  Symptome  verschwanden  nach  einiger  Zeit  bei  einer  zweck- 
mässigen Behandlung.  Das  extravasirte  Blut  wurde  resorbirt,  und  die  andern  amauro- 
tischen Erscheinungen  sind  jetzt  alle  verschwunden,  nur  sieht  der  Mann  auf  dem  rechten 
Auge  etwas  schlechter,  als  auf  dem  linken.  (Carron  du  Villards,  prakt.  Handb.  der 
Augenkrankh.  übers,  von  Schnackenberg,  1841  S.  352.)  —  Diese  Beobachtung,  wie  viel 
sie  auch  zu  wünschen  übrig  lässt,  scheint  doch  desshalb  beachtenswerth,  weil  hier  höchst 
wahrscheinlich  Apoplexie  im  Auge  mit  Apoplexie,  wenigstens  mit  bedeutender  Hyperämie 
des  Gehirnes  zugleich  stattgefunden  hat. 

Ein  67  Jahre  alter  Mann  war  vor  21  Jahren  zuerst  am  rechten,  dann  am  linken  Auge 
erblindet,  allmiilig,  ohne  Schmerzen  an  den  Augen,  jedoch  unter  Kopfschmerzen.  Später 
traten  zuweilen  arthritische  Augenentzündungen  ein,  welche  jedoch  immer  behoben  wur- 
den, ohne  dass  die  Augen  dadurch  eine  merkliche  Veränderung  erlitten.  Als  Professor 
Beck  (ohngefähr  im  4.  Jahre)  die  Augen  sah,  fand  er  rechterseits  die  Cornea  und  Iris 
normal,  die  Pupille  erweitert  und  starr,  die  Conjunctivalgefässe  varicös,  die  Sclerotica 
schmutzig  gelb,  die  Linse  weiss  und  an  die  Iris  angedrückt,  das  Auge  hart  anzufühlen, 
frei  beweglich;  linkerseits  dieselben  Veränderungen,  nur  die  Linse  grünlich,  und  das  Auge 
nicht  härter.  Der  Zustand  änderte  sich,  zeitweilige  entzündliche  Zufälle  an  den  Augen 
abgei-echnet,  im  Verlaufe  vieler  Jahre  nicht;  auch  das  Allgemeinbefinden  war  im  Ganzen 
gut,  bis  etwa  '  i  Jahr  vor  dem  Tode,  wo  sich  bedeutende  Abnahme  der  Kräfte,  Appetit- 
losigkeit, Schwerathmigkeit,  Anschwellung  der  Füsse  und  Herzklopfen  bei  ungestörter 
Gehirnthätigkeit  und  ohne  Fieber  einstellten.  Es  bildeten  sich  Aphthen  und  zuweilen 
trat  Erbrechen  einer  schwärzlichen  Flüssigkeit  ein.  Erst  einige  Tage  vor  seinem  Tode 
zeigte  sich  die  geistige  Thätigkeit  auffallend  gesunken.  —  In  der  Bauchhöhle  fand  man : 
"Cberfüllung  der  Venen,  des  Darmcanals  und  der  Pfortaderzweige  der  sonst  nicht  verän- 
derten Leber,  den  sehr  ausgedehnten  Magen  mit  einer  dünnen  schwarzen  Flüssigkeit  ge- 
füllt, seine  "Wandungen  verdünnt  und  mürbe,  ohne  Ulceration  oder  Gangrän,  die  Venen 
an  seiner  innern  Fläche  varicös,  die  Milz  etwas  vergrössert.  In  der  Brusthöhle :  die 
Lungen  normal,  die  Vorderkammern  des  Herzens  von  geronnenem  Blute  stark  ausgedehnt, 
die  Substanz  des  Herzens  welk,  die  Semilunarklappen  der  Aorta  verknöchert.  In  der 
Schädelhöhle :  hochgradiger  Hydrops  membranarum  cerebri,  die  Venen  mit  Blut  überfüllt, 
die  Hirnsubstanz  etwas  erweicht,  die  Art.  carotis  int.  in  ihrem  Verlaufe  unter  den  Seh- 
nerven und  im  ganzen  Sitius  cavernosus  beiderseits  verknöchert  und  in  ihrem  Lumen  erwei- 
tert, beide  Sehnerven  atrophisch,  um  die  Hälfte  dünner,  welk,  grau,  und  so  weich,  wie 
sonst  die  Geruchsnerven.  —  Das  rechte  Auge  zeigte  verminderte  "Wölbung  der  Cornea, 
keinen  Humor  aqueus  (?),  die  Iris  braungelb,  sonst  normal,  ebenso  die  Pupille ;  die  Cho- 
rioidea  auf  beiden  Flächen  gelbbraun,  aber  pigmentlos,  sehr  verdickt,  auf  der  Schnittfläche 
silbergrau.  Von  der  Retina  konnte  keine  Spur  aufgefunden  weiden,  und  es  war  höchst 
wahrscheinlich,  dass  sie  mit  der  Chorioidea  verwachsen  war.  Die  Hyaloidea  stellte  sich 
in  der  ganzen  Ausbreitung  bis  in  die  tellerförmige  Grube  verknöchert  dar,  die  Hyaloidea 
cellularis  war  verdickt,  parthienweise  verknorpelt  und  verknöchert,  die  Zellen  mit  einer 
weiss  geronnenen  Masse  angefüllt.  Die  Linse  undurchsichtig,  weiss,  fest,  die  Kapsel  an 
ihrer  hintern  Wand  stellenweise  ossificirt.  Am  linken  Auge:  die  Hornhaut  flach,  die 
Augenkammer  klein,  wenig  Humor  aqueus :  Iris,  Chorioidea  und  Sclera  normal.  Zwischen 
Sclera  und  Chorioidea  eine  ungewöhnliche  Menge  Flüssigkeit.     Kein  Scleralstaphylom.     Die 


154  Netzhaut. 

Retina  fester  und  dicker;  auf  ihrer  äussern  Oberfläche  viele  rothe  Flecke,  welche  unter 
der  Loupe  etwa3  erhaben,  gleichförmig,  im  Centrum  dichter  waren,  und  sich  unmerklich 
in  einzelne  dünne  Fädchen  verloren.  Die  Retina  sonst  von  mehreren  Blutgefässen  durch- 
zogen. Die  Glasfeuchtigkeit  im  Auge  grünlich,  nach  ihrer  Entleerung  vollkommen  durch- 
sichtig, hell  und  farblos.  Die  Linse  etwas  vergrössert  und  meergrün.  Der  Sehnerv  in 
beiden  Augenhöhlen  so  wie  in  der  Schädelhöhle.  —  Diese  Beobachtung  ist  leider  sehr  un- 
vollständig, und  in  Bezug  auf  den  Augenbefund  gewiss  irrig  aufgefasst.  Am  rechten  Auge 
hatte  man  offenbar  den  Ausgang  von  Chorioiditis  mit  verkalktem  Exsudat  vor  sich.  Dennoch 
ist  es  nicht  unwahrscheinlich,  dass  die  Erkrankung  im  Gefässsystem  der  Augenkrankheit 
vorausging  und  zu  Grunde  lag.  {Ammon  Zeitschr.  B.  V.  S.  191.)  Eine  ähnliche  Beob- 
achtung findet  sich  bei  Makenzie  1.  c.  S.  777  betreffend  einen  57  Jahre  alten  blinden 
Taglöhner,  beobachtet  von  Spurgin.  Die  Section  ergab  ein  Aneurysma  am  Circulus  arter. 
Willisii,  welches  auf  den  rechten  Sehnerven  drückte,  nebstdem  einen  Eiter-  und  einen 
■apoplektischen  Herd  im  grossen  Gehirne,  Verdickung  der  Scheide  des  rechten  Sehnerven. 
Auch  hier  bot  die  Retina  eine  röthlich-graue  Farbe  dar  und  war  von  zahlreichen  Gefäss- 
verästlungen  der  Centralvene  durchzogen,  dabei  die  hintere  Kapsel  der  Krystalllinse  ganz, 
die  Linse  halb  verdunkelt  und  letztere  bis  auf  die  Hälfte  ihres  natürlichen  Volumens  ge- 
schwunden. Zu  bemerken  ist  noch,  dass  kurz  vor  dem  Tode  bei  völliger  Blindheit  und 
bei  völliger  TJnbeweglichkeit  der  Pupillen  die  des  rechten  Auges  erweitert,  die  des  linken 
verengert  war,  wofür  in  dem  Sectionsbefunde  kein  Erklärungsgrund  aufzufinden  war. 

Bei  einem  im  63.  Jahre  apoplektisch  gestorbenen  Manne  hatte  sich  14  Jahre  vorher 
Abnahme  der  Sehkraft  gezeigt,  welche  sich  bestimmt  als  Amblyopie  kund  gab,  und  sich 
allmälig  zu  völliger  Amaurose  steigerte.  Später  wurde  auch  das  Gehör  auffallend  schwä- 
cher. Drei  Jahre  vor  dem  Tode  wurde  ein  apoplektischer  Anfall  beobachtet,  nach  wel- 
chem Lähmung  der  Gliedmassen,  vorzüglich  auf  der  rechten  Seite,  zurückblieb.  Die 
Sprache  war  lallend  und  unverständlich ;  über  Kopfschmerzen  klagte  er  niemals.  An  den 
Augen  und  Lidern  war  nie  etwas  Abnormes  in  Bezug  auf  Bau,  Stellung  oder  Bewegung 
zu  bemerken:  die  Pupille  verharrte  in  einem  Mittelzustande  zwischen  Verengerung  und 
Erweiterung.  Eine  specifische  Dyskrasie  als  auf  die  Krankheit  Einfluss  nehmend  konnte 
nicht  vorgefunden  werden;  man  nahm  an,  dass  die  ausschweifende  Lebensweise,  die  der 
Mann  geführt  (in  Venere  et  Baccho),  besonders  der  Missbrauch  geistiger  Getränke  bei 
dem  Mangel  körperlicher  Thätigkeit  zur  Entstehung  des  Übels  Anlass  gegeben  habe.  — 
Es  wurde  nur  die  Untersuchung  des  Kopfes  und  der  Augen  gestattet,  obgleich  die  Unter- 
suchung des  ganzen  Körpers  zu  wünschen  war,  da  die  Zeichen  allgemeiner  Wassersucht 
•sich  vorfanden.  Die  Schädelknochen  ungewöhnlich  dick  und  ohne  Diploe;  Wasseranhäu- 
fung  zwischen  den  Hirnhäuten;  Verknöcherung  an  der  Art.  vertebralis,  basiliaris,  fossae 
ßylvii  und  Carotis  cerebralis;  keine  Hirnhöhlenwassersucht.  Der  rechte  Thalamus  opt. 
war  durch  eine  trichterförmige  Höhle,  welche  harte,  callöse, '  gelblichbraune  Ränder  und 
Wände  hatte,  und  weder  Eiter  noch  Blut  enthielt,  grösstentheils  zerstört.  Diese  Höhle 
setzte  sich,  schmäler  werdend,  bis  auf  die  Corpora  geniculata  fort.  Der  linke  Sehhügel 
war  verkleinert,  von  der  weissen  Substanz  kaum  noch  eine  Spur  vorhanden.  (Offenbar 
Folgen  früherer  Apoplexie.)  Die  Sehnerven  beiderseits  geschwunden,  auf  der  linken  Seite 
mehr,  als  auf  der  rechten,  und  zwar  vor  ihrem  Ursprünge  über  das  Chiasma  fort  bis  zu 
den  Bulbis,  in  der  Augenhöhle  am  meisten.  In  den  Bulbis  keine  besondere  Veränderung, 
ausser  dass  in  der  Retina  des  rechten  Auges  die  Macula  lutea  nicht  wahrgenommen  wer- 
den konnte.     Professor  Beck,  der  diese  Beobachtung  mittheilt,  bemerkt  noch,  der  schnelle 


Cerebralaniaiirose.  155 

Tod  möge  wohl  nicht  allein  vom  Gehirn,  sondern  vom  Herzen  oder  von  den  Lungen  aus- 
gegangen sein.     [Ammon  1.  c.  B.  V.  S.  447.) 

Ich  wurde  vor  Kurzem  von  einem  alten,  übrigens  sich  ganz  wohl  befindenden  Herrn 
wegen  plötzlicher  Erblindung  des  rechten  Auges  consultirt.  Da  ich  keine  Veränderung 
im  Auge  und  auch  sonst  keine  Veranlassung  zur  Blindheit  auffinden  konnte,  aber  stark 
rigide  Arterien  bemerkte,  so  zog  ich  aus  diesen  Umständen  die  Vermuthung,  es  sei  die 
Blindheit  wohl  Folge  einer  kleinen  Hämorrhagie  im  Gehirn  und  stützte  hierauf  meine 
Ordination ;  vierzehn  Tage  darauf  las  ich  in  der  Zeitung,  dass  der  Mann  an  Apoplexie 
gestorben  sei. 

3.    Amaurosis  in  Folge  von  Lues. 

Besondern  Schwierigkeiten  unterliegt  die  Diagnosis  syphilitischer 
Leiden  der  Centralorgane  dann,  "wenn  die  Affection  als  umschriebene 
Entzündung  der  Hirnmasse  mit  consecutiver  Sclerosirung  und  Atrophi- 
rung  auftritt,  wenn  die  anderweitigen  Manifestationen  der  Syphilis  in 
den  allgemeinen  Decken,  in  den  Schleimhäuten,  im  Knochengerüste  nie 
eminent  auftraten,  nicht  beachtet  wurden,  oder  auch  fehlten,  wenn  die 
Merkmale  der  primären  Infection  (Narben)  nicht  aufzufinden  sind,  wenn 
die  Infection  auf  ungewöhnlichem  Wege  (nicht  von  den  Genitalien  aus) 
erfolgte,  wenn  die  Lues  angeboren  ist.  Möge  das  Gesagte  genügen, 
den  Praktiker  aufmerksam  zu  machen,  dass  er  bei  unklaren  Fällen 
nicht  vergesse,  an  Syphilis  zu  denken.  Ein  Übersehen  dieser  Art 
möchte  um  so  mehr  bedauerlich  sein,  als  gerade  solche  Fälle  in  der 
Eegel  noch  Heilung  gestatten,  sich  selbst  überlassen  dagegen  wohl 
immer  traurig  enden. 

Ein  Mann  von  43  Jahren,  welcher  in  Folge  von  Lues  und  Mercurialkachexie  bereits 
die  Knochen  der  Nasenhöhle  verloren  batte,  erblindete  nach  heftigen  Kopfschmerzen  auf 
beiden  Augen  nach  und  nach  gänzlich.  Die  Untersuchung  nach  mehrmonatlichem  Bestände 
des  Augenleidens  zeigte :  die  Bulbi  und  die  Iris  frei  beweglich,  die  Pupillen  erweitert,  in 
der  Tiefe  eigenthümlich  getrübt,  die  Thränenfortleitung  ungestört.  Der  Tod  erfolgte  ohn- 
gefähr  4  Jahre  später,  in  Folge  von  Entzündung  der  Schleimhaut  des  Darmcanales.  Bei 
Eröffnung  der  Schädelhöhle  und  der  Augen  fand  man :  die  Schädelknochen  sehr  dick, 
vorzüglich  in  der  Gegend  der  Glabella;  auf  der  innern  Fläche  der  linken  Seite  eine 
nicht  unbedeutende  Exostose;  die  Crista  galli  durch  Caries  zerstört,  vom  Siebbein  fast 
keine  Spur ,  auch  der  Türkensattel  bereits  von  Caries  angegriffen ;  die  harte  Hirnhaut 
verdickt ,  die  Gehirnmasse  härter  als  gewöhnlich ,  die  Sehnerven  hinter  dem  Chiasma 
dünner,  vor  demselben  dagegen  auffallend  dicker  durch  Volumszunahme  ihrer  Hülle  ;  die 
Jibröse  Scheide  des  Sehnerven  in  der  Orbita  sehr  verdickt  und  härter;  zwischen  der  fibrö- 
sen Hülle  und  dem  eigentlichen  Neurilema  starke  lymphatische  Ausschwitzungen,  das  Neu- 
rilema  glänzender  und  härter,  als  gewöhnlich;  die  einzelnen  Nervenfäden  der  Nerven- 
masse mehr  auseinander  gedrängt;  die  Art.  centralis  nächst  dem  Bulbus  erweitert  und 
mit  Blut  überfüllt.  Im  Bulbus  ausser  Pigmentarmuth  der  Chorioidea  und  Arerdünnung 
der  Netzhaut  keine  erhebliche  Abnormität.      (Ammon,  Zeitschrift,  B  II.  S.  285). 


156  Netzhaut. 

Ein  3S  Jahre  alter  Mann ,  welcher  sehr  kachektisch  aussah,  über  heftige  Kopf- 
schmerzen und  allgemeine  Kraftlosigkeit  klagte,  wandte  sich  an  Amnion  (ibid.  S.  290) 
wegen  Trübung  seiner  sonst  immer  gut  gewesenen  Sehkraft.  Amnion  überzeugte  sich, 
dass  der  Mann  syphilitisch  gewesen  war,  und  fand  eine  ziemlich  grosse  Perforation  des 
harten  Gaumens.  Dem  Tode  gingen  die  Erscheinungen  von  Meningitis  vorher.  Die  Hirn- 
schale an  einigen  Stellen  ungewöhnlich  dick,  an  andern  regelwidrig  dünn.  Auf  dem  Tür- 
kensattel der  Knochen  mürb,  cariös,  von  Jauche  durchdrungen  ;  die  Glandula  pituitaria  fast 
ganz  zerstört.  Auf  der  Schädelbasis  ungefähr  3  Unzen  röthlich  gefärbter  Flüssigkeit; 
die  ganze  Oberfläche  der  Arachnoidea  mit  plastischem  Exsudate  bedeckt,  das  Gehirn  un- 
gewöhnlich weich,  die  3.  Hirnhöhle  und  der  Zugang  zur  Sylvischen  "Wasserleitung  sehr 
erweitert,  in  den  erweiterten  Seitenventrikeln  mehrere  Unzen  hellgelber  Flüssigkeit.  Die 
Sehnerven  hinter  dem  Chiasma  sehr  dünn  und  weich,  ebenso  dieses  selbst,  vor  demselben 
jedoch  voluminös,  und  zwar  durch  Verdickung  der  fibrösen  Hülle.,  die  man  als  Fortsetzung 
der  Dura  mater  zu  betrachten  pflegt ;  zwischen  der  fibrösen  Hülle  und  dem  Neurilema 
kein  Exsudat.     In  den  Bulbis  —  mit  erweiterter  Pupille  —  nichts  Abnormes. 

Wilson  in  London  wurde  zu  einem  Kranken  gerufen ,  über  welchen  er  folgende 
Mittheilung  erhielt.  Im  Frühlinge  1803,  als  die  Influenza  sehr  herrschend  war,  wurde 
Hr.  C. ,  ein  muskulöser  Mann  von  28  Jahren ,  von  einem  sehr  heftigen  tiefsitzenden 
Schmerze  in  der  Höhle  des  linken  Auges  befallen.  Ein  streng  antiphlogistisches  Verfah- 
ren, Ton  einem  ausgezeichneten  Arzte  empfohlen,  wurde  eine  beträchtliche  Zeit  ohne 
Erfolg  fortgesetzt.  Nachher  w&rden  Medicamente ,  welche  in  nervösen  Krankheiten  Er- 
leichterung zu  verschaffen  geeignet  sind,  in  grossen  Quantitäten  angewendet.  Diess  sowohl 
als  Veränderung  des  Wohnortes  und  verschiedene  andere  Mittel  blieben  fruchtlos.  All- 
mälig  wurde  linkerseits  das  Ohr  taub ,  der  M.  levator  palpebrae  und  der  rectus  internus 
paralytisch,  und  das  Auge  bei  starr  erweiterter  Pupille  blind.  Dazu  kam  Verziehung  des 
Mundes  nach  der  rechten  Seite,  ausserordentliche  Heiserkeit  und  bis  zur  Unverständlichkeit 
behinderte  Aussprache.  Endlich  verlor  er  die  Fähigkeit,  feste  Substanzen  zu  schlucken, 
konnte  selbst  Flüssigkeiten  nur  mit  grosser  Schwierigkeit  zu  sich  nehmen,  und  musste 
den  Speichel,  den  er  weder  zu  schlucken  noch  auszuwerfen  vermochte,  mit  der  Zunge 
aus  dem  Munde  zu  fördern  trachten.  Dabei  die  hartnäckigste  Stuhlverstopfung.  —  Als 
Wilson  den  Kranken  besuchte,  fand  er  auch  die  rechten  Extremitäten  vollständig  gelähmt. 
Nebst  sehr  heftigem  Schmerze  in  der  linken  Augenhöhle  bestand  auch  noch  beträchtlicher 
Schmerz  in  den  Halswirbeln  und  auf  der  Höhe  der  Schulter.  Lag  der  Kranke  im  Bette, 
so  war  er  nicht  im  Stande,  seinen  Kopf  vom  Kissen  zu  erheben;  er  konnte  fast  gar 
nicht  schlafen,  und  der  quälende  Schmerz  liess  nicht  einen  Augenblick  nach,  man  sah 
seinem  Tode  stündlich  entgegen.  —  Wilson  erfuhr,  dass  der  Patient  vor  Anfang  der 
Krankheit  zu  2 — 3  Malen  Chancres  und  beginnende  Bubonen  gehabt  hatte,  dass  ihm  da- 
gegen Quecksilber  verordnet  worden  war,  bis  die  örtlichen  Zufälle  verschwanden,  und 
dass  der  behandelnde  Arzt  die  Heilung  dann  für  vollständig  erklärt  hatte.  Den  Sommer 
vor  seiner  Krankheit  hatte  er  sich  beim  Springen  im  Rücken  weh  gethan,  und  eine  kurze 
Zeit  darauf  entstand  ein  Bubo  in  der  rechten  Leiste.  Dieser  wurde  mit  besonderer 
Sorgfalt  behandelt,  und  zwar  unter  der  Voraussetzung,  dass  er  venerischer  Art  sein 
könnte.  Er  suppurirte  und  heilte  endlich,  ohne  dass  Quecksilber  angewendet  worden 
war.  —  Da  Wilson  in  der  Gestalt  des  einen  Beines  des  Patienten  etwas  Eigenthüm- 
liches  bemerkte,  so  bat  er  um  Erlaubniss,  dasselbe  untersuchen  zu  dürfen,  und  als  der 
Strumpf  abgenommen  war,  bemerkte  er  nicht  nur  eine  Narbe  von  beträchtlicher  Aus- 
breitung, sondern  auch,  dass  die  Tibia  sehr  aufgetrieben  sei.     Der  Patient  empfand  aber 


Cerebralnniaurose.  157 

in  diesem  Knochen  keinen  Schmerz.  Er  schrieb  mit  seiner  linken  Hand  nieder,  dass  er 
mehrere  Jahre  vorher  einen  heftigen  Schlag  auf  dieses  Bein  bekommen  habe,  und  dass 
ein  grosses  Knockenstück  abgegangen  sei ;  er  konnte  sich  indess  nicht  entsinnen,  ob  er 
damals  Quecksilber  bekommen;  er  glaube  nicht,  dass  die  Knochenkrankheit  damals  für 
venerisch  gehalten  worden  sei.  Er  erinnerte  sich  nicht,  jemals  Flecken  auf  der  Haut 
oder  Geschwüre  im  Schlünde  gehabt  zu  haben ,  und  sein  gegenwärtiges  Übel  sei  noch 
von  keinem  der  consultirten  Arzte  jemals  für  venerisch  gehalten  worden.  —  Als  Wilson 
den  Nacken  des  Patienten  untersuchte,  fand  er  mehrere  Wirbelbeine  sehr  aufgetrieben ; 
er  entdeckte  auch  eine  grosse  Geschwulst  am  Acromion  der  rechten  Scapula  und  eine 
beträchtliche  Auftreibung  längs  der  Spina  dieses  Knochens.  Die  rechte  Clavicula  war 
wenigstens  3mal  so  dick  als  im  gewöhnlichen  Zustande,  und  auch  am  Oberarmknochen 
konnte  man ,  da  die  Muskeln  geschwunden  waren,  ein  wenig  über  der  Insertion  des  M. 
deltoideus  eine  Auftreibung  wahrnehmen.  Da  diese  Geschwülste  venerischer  Natur  sein 
konnten,  so  hielt  Wilson  die  Anwendung  des  Quecksilbers  für  gerechtfertigt.  Die  Ver- 
wandten befürchteten ,  dass  die  ausserordentliche  Schwäche  und  der  allem  Anscheine 
nach  baldige  Tod  den  Versuch  nutzlos  machen  würden ,  willigten  endlich  doch  ein , 
indem  der  Tod,  wenn  nicht  etwas  gethan  und  zwar  schnell  gethan  wurde,  unvermeidlich 
zu  sein  schien.  Demgemäss  wurde  1  Drachme  starke  Mercurialsalbe  mit  5  Gran  Campher 
jeden  Abend  in  die  Haut  eingerieben.  Nach  4  Tageu  wurde  der  Mund  vom  Quecksilber 
afficirt:  nach  10  Tagen  war  das  Schlucken  schon  nicht  mehr  so  schwierig,  der  Patient 
hatte  guten  Schlaf,  imd  nach  14  Tagen  waren  seine  Schmerzen  beinahe  vergangen,  die 
Geschwulst  der  Clavicula  hatte  sichtlich  abgenommen,  und  die  Muskeln  des  Patienten 
waren  weit  voller  und  fester;  der  Patient  konnte  sich  wieder  durch  die  Sprache  ver- 
ständlich machen.  Jetzt  wurde  die  Salbe  auch  des  Morgens  zu  1  Drachme  eingerieben, 
und  ihr  Gebrauch  durch  1 1  "Wochen  fortgesetzt.  Gegen  den  letztern  Theil  dieser  Zeit, 
als  Patient  ganz  bequem  schlucken  konnte,  nahm  er  täglich  e;wa  8  Unzen  der  Decoctio 
sarsaparillae  composita  und  dann  und  wann  ein  Chinapräparat.  —  Obschon  während 
dieser  Cur  der  Mund  beträchtlich  afficirt  war,  so  nahm  der  Patient  doch  täglich  an 
Kräften  zu  und  war  vor  Beendigung  der  Cur  fett  geworden.  Seine  Muskeln  hatten  bei- 
nahe ihre  ursprüngliche  Stärke,  seine  Glieder  ihre  frühere  Bewegungsfähigkeit  erhalten; 
die  Schmerzen  waren  ganz  beseitigt,  und  die  Verdickung  der  Knochen  hatte  sehr  abge 
nommen.  Seine  Heilung  war  mit  folgenden  Ausnahmen  vollkommen,  und  hatte  sich  — 
zur  Zeit  der  Veröffentlichung  des  Falles  —  über  2  Jahre  so  erhalten.  Die  Pupille 
des  1.  A.  blieb  etwas  erweitert  und  das  Lid  konnte  nicht  sa  hoch  wie  ehedem  gehoben 
werden ;  aber  der  Patient  konnte  Gegenstände  und  Farben  einigermassen  mit  diesem 
Auge  erkennen ,  und  selbst  kleine  Gegenstände,  wenn  er  sich  einer  grünen  Planbrille 
bediente  und  nur  dieses  eine  Auge  anwendete.  Bei  gleichzeitigem  Gebrauch  beider 
Augen  sah  er  noch  doppelt.  Er  sprach  immer  mit  einer  sehr  heisern  Stimme,  aber 
seine  Aussprache  war  ziemlich  deutlich.  (Makenzie,  Krankh.  des  Auges,  Weimar  1832, 
S.  806). 

4.  Amaurosis  nach  Unterdrückung  der  Transpiration,  Men- 
struation, purulenter  Ausflusse  u.  dgl. 

Die  nachstehenden  Beobachtungen  haben  den  Zweck,  aufmerksam 
zu  machen,  dass  bestimmte  Angaben  der  Kranken  über  unterdrückte 
Ausscheidungen,   sie  mögen  nun  von  selbst  oder  auf  besonderes  Nach- 


158  Netzhaut. 

fragen  gemacht  werden,  immerhin  volle  Beachtung  verdienen.  Man 
wird  sich  allerdings  hüten  müssen,  dass  man  nicht  ohne  Weiteres  post 
hoc  propter  hoc  schliesse,  denn  es  kann  ein  Hirnleiden  ganz  unabhän- 
gig von  einem  solchen  Momente  entstanden,  ja  es  kann  sogar  das  Aus- 
bleiben einer  Ausscheidung  Folge  der  bereits  bestehenden  Encephalo- 
pathie  sein ;  nichts  desto  weniger  bleibt  es  Thatsache,  dass  in  einzelnen 
Fällen  z.  B.  Verkältung  ebenso  gut  Ursache  des  Hirnleidens  wird,  als 
eine  traumatische  Einwirkung,  und  es  wird  die  richtige  Auffassung  des 
ursächlichen  Zusammenhanges  zwischen  dem  in  Rede  stehenden  Mo- 
mente und  der  Krankheit,  als  deren  Symptom  Amaurosis  besteht,  offen- 
bar von  grösstem  Einflüsse  auf  die  Prognosis  und  Therapie  sein.  Von 
minderem  Einflüsse,  wenn  gleich  an  und  für  sich  wichtig,  ist  die  Frage, 
ob  die  Amaurosis,  wenn  sie  in  der  That  als  Folge  der  unterdrückten 
Ausscheidung  zu  betrachten  ist,  in  einem  speciellen  Falle  durch  pri- 
märe oder  secundäre  Netzhautaffection  bedingt  sei.  Dass  Meningitis, 
Encephalitis,  besonders  aber  Hydrocephalus  in  manchen  Fällen  das 
Mittelglied  ist,  steht  fest;  dass  in  andern  Fällen  Entzündung  der  Netz- 
und  Aderhaut  die  Folge  solcher  Unterdrückungen  sei,  kann  auch  kaum 
bezweifelt  werden.  Ob  und  auf  welche  andere  Weise  sonst  noch  Amau- 
rosis durch  Suppression  hervorgerufen  werde,  bleibt  ferneren  Beobach- 
tungen und  Untersuchungen  anheimgestellt. 

Ein  etwa  30  Jahre  alter  Schriftsetzer  litt  seit  4  Jahren  an  Amaurose,  die  sich,  an- 
geblich nach  starkem  Tanzen  und  Erkältung  des  schwitzenden  Kopfes,  allmälig  ausge- 
bildet hatte.  Das  Gesicht  verlor  sich  in  einen  immer  dichter  werdenden  Nebel;  kein 
Ungestaltet-,  kein  Funkensehen;  Zufälle  der  Reizlosigkeit,  keine  Entwicklung  von  Blut- 
gefässen; träge,  massig  erweiterte,  kreisrunde,  etwas  rauchige  Pupille.  Periodisches  hef- 
tiges Kopfweh,  besonders  in  der  linken  Seite  über  der  Stirn;  Schielen;  die  linke  Augen- 
braue höher  gezogen.  Später  Anfälle  von  Krämpfen  in  den  Extremitäten  mit  Bewusst- 
losigkeit,  zuweilen  unfreiwillige  Ausleerung  des  Urins  und  des  Stuhls,  beständiges  Gefühl 
von  Taubheit  in  der  linken  Seite.  Doch  ging  Patient  noch  am  Tage  vor  seinem  Tode 
aus,  welcher  nach  einem  heftigen  Krampfanfalle  plötzlich  erfolgte.  —  Sehr  dünner  Schädel, 
der  Schuppentheil  des  linken  Schläfebeines  wie  ein  Kartenblatt.  Der  Kranke  hatte  ein 
Cauterium  von  Höllenstein  nach  Gräfe  auf  den  Scheitel  gelegt,  und  oft  noch  geargwöhnt, 
die  immer  wachsenden  Kopfschmerzen  möchten  von  einer  zu  tiefen  Einwirkung  des  Mittels 
herrühren.  Es  fand  sich  aber  kaum  in  der  Kopfschwarte  eine  Spur  davon,  im  Schädel 
und  innerhalb  desselben  gar  nichts ,  was  darauf  hingedeutet  hätte.  Die  Hirnhäute 
waren  sehr  blutreich,  das  Gehirn  quoll  stark  hervor.  Als  man  durch  Horizontalschnitte 
bis  in  die  Nähe  der  Decke  des  linken  Seitenventrikels  kam,  hob  sich  dasselbe  beträcht- 
lich, platzte  und  entleerte  eine  grosse  Menge  (1  P/2  Tassen  voll)  bräunlichrothen,  schmutzi- 
gen Wassers.  Der  linke  Seitenventrikel  übermässig  ausgedehnt;  der  ganze  linke  vordere 
Lappen  erstreckte  sich  weit  über  die  Mitte  nach  der  rechten  Seite,  beengte  den  rechten 
vordem  Lappen ,  und  hatte  ihn  zum  Theil  aus  seiner  Lage  gedrängt.  Das  Pavimen- 
tum ,    besonders   nach   vorn    zu,    der   gestreifte    Körper   und    ein  Theil  des  Sehhügels  auf 


Cerebralaniaurose.  159 

der  linken  Seite  waren  zerstört,  und  in  eine  gelbbräunliche  schmierige  Masse  verwandelt. 
Die  Marksubstanz  des  ganzen  linken  Hirnlappens  war  viel  dünner  als  im  gewöhnlichen 
Zustande,  und  zum  Theil,  besonders  nach  unten  zu,  in  jene  gelbbraune  Masse  verwan- 
delt. An  der  Basis  cerebri  erstreckte  sich  diese  Entartung  bis  zur  Gland.  pituitaria, 
welche  sehr  klein  war.  Das  Chiasma  war  bräunlich,  an  der  Oberfläche  sowohl  als  im 
Innern  fast  ohne  Marksubstanz,  platt,  zusammengeschrumpft  und  wie  durchlöchert; 
ebenso  die  Sehnerven  sowohl  hinter  dem  Chiasma  als  bis  zu  den  Bulbis  fadenartig, 
nicht  zum  4.  Theile  so  dick  als  im  gesunden  Zustande,  ohne  deutliche  Marksubstanz; 
der  linke  war  noch  dünner  und  zugleich  länger,  indem  das  Chiasma  etwas  nach  der 
rechten  Seite  hinüber  gedrängt  lag.  Der  rechte  Seitenventrikel  war  ebenfalls  mit  Wasser 
gefüllt,  welches  nur  eine  leise  bräunliche  Färbung  hatte,  aber  nicht  so  ausgedehnt. 
Die  Section  der   Augen    wurde   nicht  gestattet.     (Andrea  bei  Amnion  1.  c.  B.  V.  S.  409). 

Eine  ähnliche  Beobachtung  machte  Holscher  (Annalen,  2.  Band)  bei  einem  22jäh- 
rigen  starken  und  sonst  ganz  gesunden  Mädchen.  Sie  hatte  in  Folge  einer  starken  Er- 
kältung unter  heftigen  Kopfschmerzen  ihr  Gesicht  verloren,  schien  aber  ausserdem  eine 
untadelhafte  Gesundheit  zu  gemessen.  Die  Pupillen  stark  erweitert,  und  bei  starkem 
Lichtreize  sich  langsam  contrahirend,  der  Blick  stier,  sonst  nichts  Abnormes.  Setaceum 
am  Nacken,  dann  die  Schmiercur :  am  7.  Tage,  als  erst  3  Drachmen  ung.  cinereum  ein- 
gerieben waren,  starb  die  Kranke  plötzlich.  Gehirnhäute,  Mark-  und  Rindensubstanz  des 
Gehirnes  normal;  in  beiden  Seitenventrikeln  12—14  Unzen  klares  Serum.  Weder  die 
Thalami  noch  die  Optici  selbst  zeigten  eine  pathologische  Veränderung. 

Makenzie  I.  c.  S.  7S7  beruft  sich  auf  zwei  Beobachtungen  von  Arrachart,  welche 
wohl  kaum  anders  gedeutet  werden  können,  als  dass  die  Erblindung  durch  ein  Hirnleiden 
in  Folge  unterdrückter  Transpiration  veranlasst  gewesen  sei,  wenn  gleich  keine  Section 
zum  Beweise  des  erstem  Theiles  dieser  Behauptung  vorliegt.  Eine  junge  Frau  hatte 
während  der  höchsten  Sommerhitze  eine  Last  Wäsche  nach  dem  Flusse  getragen ,  und 
von  Schweiss  triefend  ihre  Hände  ins  Wasser  getaucht.  Es  überfiel  sie  Kälte,  ihre  Haut 
wurde  augenblicklich  trocken,  und  binnen  einer  Viertelstunde  war  sie  blind.  Der  zweite 
Fall  betrifft  einen  sehr  corpulenten  jungen  Mann,  der  eine  Zeit  lang  in  einem  stark  ge- 
heizten Zimmer  sich  aufgehalten ,  und  dasselbe  dann  mit  Schweiss  bedeckt  verlassen 
hatte.  Die  kalte  Luft  unterdrückte  plötzlich  den  Schweiss.  Er  legte  sich  mit  heftigen 
Kopfschmerzen  zu  Bette  und  erwachte  den  andern  Morgen  blind.  In  beiden  Fällen 
blieben  die  Pupillen  schwarz,  erweitert  und  unbeweglich,  die  Augen  stier,  die 
Haut  trocken. 

In  einem  von  Howship  erzählten  Falle  war  beinahe  völlige  Blindheit  bei  einem  alten 
Manne,  welcher  stark  an  Fussschweissen  litt  und  auf  den  Bath  eines  Nachbars  die  Blät- 
ter von  Rumex  auf  die  Fusssohlen  gelegt  hatte,  noch  während  der  Anwendung  dieses 
Mittels,  und  zwar  binnen  einer  Stunde  eingetreten.  Dieser  raschen  Abnahme  der  Seh- 
kraft war  grosse  Übligkeit  und  heftiger  Schmerz  über  der  Stirn  vorangegangen ,  welche 
sich  schon  eine  halbe  Stunde  nach  dem  Gebrauche  des  Piumex  eingestellt  hatten.  Der 
Mann  wurde  wieder  gesund,  nachdem  man  Blasenpflaster  hinter  die  Ohren  und  an  die 
Seitentheile  der  Füsse  gelegt,  kleine  Gaben  Calomel  in  Zwischenräumen  verabreicht  und 
die  Füsse  früh  und  Abends  in  warmes  Wasser  gesetzt  und  darauf  sehr  warm  in  Flanell 
gewickelt  hatte.  Kopfschmerz  und  Amblyopie  nahmen  schon  24  Stunden  nach  Legung 
der  Vesicatore  merklich  ab,  und  wichen  endlich  vollständig,  als  die  Mercurialcur  den 
Mund  in  hohem  Grade  zu  afficiren  begonnen  hatte. 


160  Netzhaut. 

Ein  Frauenzimmer  von  etwa  40  Jahren  bekam  während  einer  Fussreise  bei  sehr 
warmer  Witterung  die  Katemenien  und  trank,  während  sie  sehr  erhitzt  war,  reichlich 
kalte  saure  Milch.  Fast  augenblicklich  darauf  entstand  Beklemmung  in  der  Präcordial- 
gegend,  Kopfweh  und  gänzliches  Ausbleiben  des  Blutflusses,  einige  Stunden  später  Stei- 
gerung des  Kopfschmerzes,  Zeichen  von  Hemiplegie  und  Amaurosis  des  linken  Auges. 
Durch  reichlichen  örtlichen  und  allgemeinen  Aderlass,  durch  Blasenpflaster  und  Purganzen 
wurde  beträchtliche  Erleichterung  erlangt,  aber  die  Affection  des  Auges  blieb  dieselbe. 
Die  Menstruation  blieb  aus,  als  sie  sich  der  Zeit  nach  hätte  einstellen  sollen.  Dr.  Brown, 
der  Beobachter  dieses  Falles,  richtete  nun  seine  Behandlung  auf  Wiederherstellung  des 
Monatflusses ;  nach  6  Monaten  kam  derselbe  wieder  zum  Vorschein,  und  bald  darauf  war 
das  Sehvermögen  vollkommen  wieder  hergestellt. 

Eine  Dame  von  30  Jahren  war  während  der  Menstruation  Strapazen  und  der  Kälte 
ausgesetzt ,  so  dass  dieselbe  zu  zeitig  aufhörte.  Nachher  befand  sie  sich  einige  Tage 
ausserordentlich  matt,  schwerfällig  und  niedergeschlagen.  Der  Puls  war  natürlich ;  sie 
klagte  über  schwaches  Kopfweh;  ihr  Aussehen  Hess  mehr  eine  Seelenstörung  als  ein 
körperliches  Leiden  befürchten.  Dr.  Abercrombie  sah  die  Frau  den  15.  Tag;  sie  war  in 
ihrem  Benehmen  wunderlich,  schroff  und  geistesabwesend,  aber  immer  noch  dafür  em- 
pfänglich, wenn  sie  angeredet  wurde;  sie  klagte  über  schwaches  Kopfweh;  der  Puls 
war  etwas  häufig.  Den  16.  war  sie  sehr  rrerabgestimmt ,  den  17.  und  18.  in  einem  Zu- 
stande von  fast  vollständigem  Coma.  Nachdem  sie  den  19.  reichlich  mit  Crotonöl  pur- 
girt  worden  war,  war  sie  für  Alles  empfänglich,  und  es  blieb  kein  beunruhigendes 
Symptom  zurück,  als  dass  sie  zuweilen  die  Gegenstände  verdreht  und  doppelt  sah;  ein 
andermal  war  ihr  Sehvermögen  ganz  natürlich ;  der  Puls  häufig,  die  Zunge  belegt.  Nach 
einigen  Tagen  klagte  sie  wieder  über  Kopfweh,  sprach  bisweilen  unzusammenhängend, 
und  sah  undeutlicher  bei  erweiterter  Pupille;  endlich  wurde  der  Puls  immer  frequenter, 
die  Kräfte  nahmen  ab,  und  sie  starb  ohne  Coma.  Man  fand  die  Ventrikel  durch  Flüssig- 
keit ausgedehnt,  Septum  und  Fornix  erweicht,  sonst  keine  krankhafte  Veränderung. 
(Makenzie  1.  c.  S.  785  und  786.) 

Beer  (Lehre  der  Augenkrankheiten,  Wien  1792,  B.  II.  S.  57)  erzählt,  dass  ein  18- 
jähriges  Mädchen,  welche  eines  Morgens  im  Winter  während  ihrer  Periode  mit  blossen 
Füssen  in  die  Küche  geeilt  war,  die  einen  marmornen  Fussboden  hatte,  in  10  Minuten 
so  blind  wurde,  dass  sie  nicht  die  mindeste  Empfindung  von  der  hellbrennenden  Flamme 
auf  dem  Herde  hatte,  jedoch  durch  Wiederherstellung  der  Menstruation  wieder  vollkommen 
geheilt  wurde. 

Oslander  (Nachrichten  von  Wien,  Tübingen  1S17  S.  76)  erzählt  folgende  Beob- 
achtung von  Beer.  Ein  Fuhrmann  von  45  Jahren  machte  bei  nasser  und  kalter  Witte- 
rung eine  Heise.  Der  Ausfluss  aus  Fussgeschwüren,  die  seit  vielen  Jahren  offen  gewesen 
waren,  wurde  unterdrückt,  und  der  Mann  in  Folge  dessen  blind.  Nach  14  Tagen 
wurde  er  in's  Spital  gebracht.  Er  sah  nicht  einmal  ein  helles  Fenster;  die  Pupille 
war  länglich  und  ausserordentlich  erweitert.  Beer  stellte  eine  günstige  Prognose ,  be- 
sonders da  der  Patient  inwendig  im  Auge  Lichtempfindungen  hatte  (?)  und  zwar  ohne 
Varicosität  und  ohne  Veränderung  in  den  Feuchtigkeiten.  Er  hatte  mehr  als  20  solcher 
Amaurotischer  dadurch  geheilt,  dass  er  den  purulenten  Ausfluss  wieder  herstellte,  und 
verordnete  demgemäss  Senfpflaster  von  der  Grösse  einer  Hand  auf  die  Geschwüre  an 
beiden  Unterschenkeln,  Fussbäder  mit  Senf  geschärft,  und  innerlich  Pulver  aus:  Sulfur. 
aurati  antim.  gr.  unuin,    Camphorae    gr.  duo,  Flor,  sulfuris  gr.  sex,    Sacchari  gr.    decem, 


Cerebralamaurose.  161 

täglich  3  Stück.  Die  Senfpflaster  wurden  täglich  erneuert,  und  den  10.  Tag  begann  das 
Sehvermögen  zurückzukehren.  Nach  30  Tagen  war  das  Sehvermögen  fast  vollständig 
•wieder  hergestellt.     (Makenzie  1.  c.  S.  786.) 

5.  Amaurosis  in  Folge  von  Geschwülsten  in  der  Schädel- 
höhle, Tuberkeln,  Sareomeii,  Fibroiden,  Cysten. 

Verschiedene  Geschwülste  und  Neubildungen  in  der  Schädelhöhle, 
bald  aus  dyskrasiscken  Leiden  hervorgehend  (Tuberkel,  Medullarsar- 
com,  Lues),  bald  spontan,  bald  nach  den  verschiedensten  äussern  Ver- 
anlassungen (Trauma,  Verkältung),  bald  endlich  so  zu  sagen  proprio 
motu  sich  entwickelnd,  wirken  störend  auf  die  Fortleitung  und  Per- 
ception  des  Retinaleindruckes  entweder  dadurch,  dass  sie  einen  perma- 
nenten Druck  ausüben,  oder  dadurch,  dass  sie  zu  activer  oder  mecha- 
nischer Hyperämie  mit  Re-  und  Intermissionen,  oder  aber  zu  Exsudation 
an  der  Basis  des  Gehirnes,  am  Chiasma,  in  den  Ventrikeln  u.  s.  w.  die 
nächste  Veranlassung  abgeben.  Schon  dieser  allgemeine  Gesichtspunkt, 
von  welchem  man  bei  den  Geschwülsten  in  der  Schädelhöhle  als  Ur- 
sache von  Amaurosis  auszugehen  hat,  mag  genügen,  die  Schwierigkei- 
ten anzudeuten,  mit  welchen  hier  die  Diagnostik  im  Allgemeinen  zu 
kämpfen  hat. 

H.  Anna,  26  Jahre  alt,  von  zarter  Constitution,  litt  in  ihren  Kinderjahren  an  einem 
Ausflüsse  aus  dem  rechten  Ohre,  welcher  allmälig  verschwand,  in  den  letzten  3  Jahren 
jedoch  wieder  auftrat  und  noch  fortbesteht.  Von  3  verschiedenen  Wechselfieberanfällen 
im  16.,  17.  und  18.  Jahre  blieben  keine  Folgen  zurück.  Die  Periode  stellte  sich  vom 
15.  Jahre  bis  zur  ersten  Schwangerschaft  im  25.  Jahre  immer  regelmässig  ein.  Die 
Entbindung  war  leicht,  die  Lochien  flössen  durch  3  Wochen  gehörig,  die  Milchsecretion 
war  spärlich.  Am  3-  Tage  nach  der  Entbindung  verliess  sie  das  Bett,  um  wieder  zu 
arbeiten.  Noch  denselben  Tag  stellte  sich  heftiges  Erbrechen  ein,  ohne  Schmerzen  im 
T'nterleibe,  und  kehrte  durch  14  Tage  mehrmals  wieder.  Dazu  gesellten  sich  reissend- 
stechende,  remittirende  Schmerzen,  bald  in  der  Stirn,  bald  im  Scheitel,  bald  in  der 
Schläfe,  sich  bisweilen  bis  zum  Unterkiefer  erstreckend;  ähnliche  Schmerzen  zeigten 
sich  auch  in  den  obern  Extremitäten.  Als  endlich  das  Erbrechen  aufhörte,  bemerkte  die 
Kranke  Abnahme  des  Gesichtes  auf  dem  rechten ,  und  nach  fünf  .Wochen  auch  auf 
dem  linken  Auge;  drei  Wochen  später  erblindete  sie  auf  beiden  Augen  gänzlich,  ohne 
Störung  der  Beweglichkeit  der  Augen  oder  der  Lider.  In  der  11.  Woche  nach  der 
Entbindung  wurde  auf  der  Klinik  von  Prof.  Fischer  folgender  Zustand  aufgenommen: 
Gänzlicher  Verlust  des  Sehvermögens,  die  Pupillen  gleichmässig  und  stark  erweitert,  die 
Iris  völlig  unbeweglich,  der  Blick  eigenthümlich  stupid,  sonst  an  den  Augen  nichts  Ab- 
normes;  Fortdauer  der  Schmerzen  mit  nächtlicher  Verschlimmerung,  serös-puriformer 
Ausfluss  aus  dem  rechten  Ohre.  Im  übrigen  Körper  keine  merklichen  Gesundheitsstö- 
rungen, doch  wurde  die  physikalische  Untersuchung  der  Brustorgange  damals  (1837) 
nicht  vorgenommen.  —  Man  glaubte  Verkältung  als  Ursache  des  Leidens  annehmen  zu 
dürfen,  und  leitete  eine  dieser  Voraussetzung  entsprechende  Behandlung  ein.  (Anfangs 
Tart.  stibiatus,  dann  Vesicantien,  Dzondische  Schwitzbäder,  u.  dgl.)     Der  Zustand  änderte 

Arlt  Augenheilkunde,  in.  11 


162  Netzhaut. 

sich  nicht  wesentlich,  bis  zu  Ende  der  4.  Woche  der  Behandlung1  in  einer  Nacht  nach 
enormer  Steigerung  der  Kopfschmerzen  Bewusstlosigkeit ,  Convulsionen ,  beständiges 
Schreien ,  dann  aber  ein  Zustand  allgemeiner  Lähmung  eintrat,  und  nach  mehrmaliger 
Wiederholung  solcher  Anfälle  der  Tod  in  der  8.  Woche  erfolgte.  —  Die  Schädelknochen 
dünn ;  im  hintern  Theil  der  Dura  mater  über  der  linken  Hemisphäre  an  einer  handteller- 
grossen  Stelle,  und  in  .einer  kleinern  Strecke  auch  an  der  rechten  Hemisphäre  zahl- 
reiche, kleine,  ziemlich  feste  Erhabenheiten ,  denen  kleine  Grübchen  an  der  GlastafeL 
entsprachen.  Die  linke  Hemisphäre  sah  schon  von  aussen  grösser  aus,  als  die  rechte,, 
die  Dura  mater  daselbst  straff  gespannt,  ihre  Gefässe  von  Blut  strotzend.  In  den  Seiten- 
ventrikeln eine  massige  Menge  trüben  Serums,  Septum  und  Fornix  erweicht.  Im  hintern 
Lappen  der  linken  Hemisphäre  eine  mehr  als  hühnereigrosse  Geschwulst  (Tuberkel) ,  ein- 
gesenkt in  die  Hirnsubstanz,  an  der  Oberfläche  uneben,  innen  fest,  gelblich,  homogen,, 
ohne  Spur  von  Gefässen,  mit  dem  Messer  in  Form  schmieriger  Körner  abkratzbar.  Beim. 
Einschneiden  der  kleinen  an  der  Oberfläche  befindlichen  Höcker  fand  man  ihre  Substanz. 
in  der  Mitte  erweicht  und  in  eine  grünliche  dicke  Flüssigkeit  verwandelt.  In  der  Mitte- 
dieser  Geschwulst  befand  sich  eine  fast  thalergrosse  Stelle,  wo  die  etwas  verdickten 
Hirnhäute  bloss  und  deutlich  unterscheidbar  da  lagen.  Die  angrenzende  Hirnsubstanz 
war  im  Zustande  der  weissen  Erweichung.  Diese  Ablagerung  hatte  bereits  die  äussere 
Grenze  des  linken  Sehhügels  erreicht.  In  der  Umgebung  des  Trichters  und  des  Chiasma 
fand  sich  plastisches  Exsudat  in  solcher  Menge,  dass  die  Hypophyse  stark  niedergedrückt 
und  atrophisch  erschien;  eine  geringere  Exsudatmenge  befand  sich  in  der  Sylvischen 
Grube  und  nach  hinten  an  den  Schenkeln  des  grossen  Gehirns  und  am  Pons  Varoli.  — 
In  beiden  Lungenspitzen  mehrere  haselnussgrosse  Cavernen ,  in  der  übrigen  Lunge- 
gruppenweise zerstreute  frische  Tuberkelinfiltrate.  Auch  in  der  Leber  und  im  untern 
Theile  des  Ileum  Tuberkel,  theils  erweicht,  theils  roh.  Geringe  Abmagerung  des- 
Körpers. 

Ein  Knabe  von  7  Jahren,  von  einem  phthisischen  Vater  gezeugt  und  deutliche  Merk- 
male der  Serofulosis  darbietend,  litt  nach  einem  Falle  auf  den  Kopf  seit  längerer  Zeit 
an  Schmerz  im  Nacken  und  an  zeitweiliger  Steifheit  der  Extremitäten ;  dazu  gesellten 
sich  allmälig  langsame  Sprache,  Schielen,  Gesichtsschwäche  und  Lähmung  der  linken 
Körperhälfte,  dann  leichter  Husten,  später  Diarrhöe,  reichliche  Schweisse  und  Abmage- 
rung. Am  10.  Juni  1839  fanden  wir  nebst  dem  Erwähnten  die  Pupille  des  nach  innen 
abgelenkten  rechten  Auges  sehr  erweitert  und  unbeweglich,  das  Gesicht  völlig  erloschen ; 
mit  dem  linken  Auge  wurden  noch  grössere  Gegenstände  wahrgenommen ;  das  Gehör 
ungestört ;  der  rechte  Mundwinkel  nach  abwärts  gezogen ,  die  Zunge  beim  Vorstrecken 
links  abweichend,  häufiges  Ächzen,  Stirnkopfschmerz,  der  Kopf  nach  links  gezogen; 
die  linken  Extremitäten  gelähmt,  in  der  rechten  Contracturen ;  Lungen tuberkel  durch 
Percussion  und  Auscultation  nachweisbar;  leichter  Husten,  häufige  Diarrhöe.  Bis  zum 
Tode  am  10.  August  keine  wesentlichen  neuen  Erscheinungen.  Die  Pia  mater  stark  serös- 
infiltrirt,  die  Wandungen  der  mit  Serum  reichlich  angefüllten  Ventrikel  fast  breiartig  er- 
weicht. Im  vordem  Lappen  der  linken  Heinisphäre  nahe  an  der  Sichel  ein  haselnuss- 
grosser,  in  der  Mitte  erweichter  Tuberkel;  im  hintern  Lappen  drei  solche  Tuberkel;  im 
rechten  Lappen  des  kleinen  Gehirnes  ein  hühnereigrosser ,  im  Schenkel  des  Gehirnes  zur 
Varolsbrücke  ein  ivallnussgrosser  Tuberkel.  Die  Lungen  von  unzähligen  theils  aggregir- 
ten,  theils  solitären  frischen  Tuberkeln  durchsetzt ;  in  Leber,  Milz  und  Nieren  gleichfalls 
Tuberkel  u.  s.  w.  Die  Sehnerven  in  der  Schädelhöhle  ohne  merkliche  Veränderung;, 
die  Augen  durften  nicht  untersucht  werden. 


Cerebralaniaiirose.  163 

„Juvencula  20  annorüm  gutta  sercna  laboverat  a  fine  anni  1759  post  vomitum 
spontaneum  14  dienira  postque  trimestrem  defectum  catameniorum.  Datis  purgantibus 
vomitus  eessaverat,  redierant  menses  visusque.  Toto  anno  optime  valuit.  Sub  finem  anni 
1760.  menses  deficiunt,  vomitus  redit,  perit  visus.  Eo  in  statu  in  nosocomium  infertur. 
Video  amaurosin,  quae  cum  immobili  utraque  pupilla  inter  diem  noctemque,  imo  posthac 
de  die  album  inter  nigrumque  distingueret.  Cum  anno  elapso  purgantibus  sanitatem  et 
visionein  recuperasset,  eadem  ipsi,  sed  jam  incassum,  praescripsi.  Cumque  demum  pur- 
gantibus opio  interposito  vomitum  superassem,  menses  et  visus  deficere  pergebant.  Amau- 
rosis jam  bis  vomitum  diuturnum  atque  violentum,  vomitus  jam  bis  retardatos  inseque- 
batur  menses;  unde  in  mensium  defectum,  si  non  omnis,  saltem  aliqua  causa  vomitus 
viderctur  refundenda.  Qnare  postquam  appetitus  bonus  rediisset,  methodica  ad  menses 
revocandos  cura,  eaque  non  juvante,  quaevis  empirica  prudenter  adhibita  fuit.  Cum  demum 
nibil  juvaret,  nisi  quod  semel  iterumque  leve  quoddam  initium  mensium  videretur  con- 
spici,  tandem  post  aloeticum  purgans  balneaque  vaporis  macbinae  tortilis  ad  arterias 
durales  admotae  auxilium  ad  tres  usque  varias  vices  adhibui  circa  id  tempus,  quo  men- 
ses redire  dcbuissent.  Sed  frustra.  Diu  demum  post  menses  rediere,  sed  irregulariter 
semper,  vomitus  nonnisi  rai-o  rediit,  passim  adbuc  bonus  appetitus,  bona  digestio,  egestio 
conimoda,  virium  torositatisque  incrementum.  Ast  vero  omnia  haec  cum  perseverante 
amaurosi  et  continuo  repetentibus  capitis  atque  oculorum  doloribus.  Videbatur  ex  bisce 
concludi  oportere,  quod  visus  olim  rediisset  ad  catameniorum  restitutionem,  quia  necdum 
quid  notabiliter  aut  laesi  aut  impacti  obstructique  in  encephalo  erat,  jam  vero  ex  vomi- 
tuum  tum  repetitione,  tum  diuturnitate  vitium  topicum  in  cranio  foret,  propter  quod  gutta 
serena  ad  restitutos  menses  perennasset :  quodque  proinde  occasio  opportuna  adesset  ejus 
curam  cauterio  actuali  tentandi,  id  quod  tutum,  quod  securum,  quod  nunquam  noxium, 
saepe  vero  efficacissimum  bucusque  credideramus.  Die  4.  ergo  Junii  banc  operationem 
fecimus.  Prima  nocte  vix  dormivit  et  dolorem  in  utroque  cervicis  latere  conquesta  est; 
altera  die  melius,  tertia  bene  se  babuit  excepta  febricula,  quarta  pejus.  Sanguinem  misimus. 
Jamque  vox  deficere  incepit  et  caput  hebes  fieri.  Medio  die  5.  periit  Praeter  sequelas 
ustionis  reperta  est  peculiaris  infundibuli  mutatio.  Infundibulum  maximum  fuit,  8 — 9 
linearum  diametrum  habens;  repletum  fuit  materia  grisea,  quae  partim  pultacea,  partim 
calcaria  fuit;  concretum  erat  cum  pia  matre  opticos  involvente ;  insidebat premebatque  ipsurn 
opticorum  coalitum,  non  quidem  ita,  ut  n.  optici  post  coalitum  marcescerent,  sed  saltem 
sie,  ut  videretur  illorum  actio  interturbata  fuisse,  puellaque  caeca  fuisse  mansura,  etiamsi 
male  baud  successisset  operatio.  Pulmones  ubique,  ne  minima  quidem  plaga  excepta,  in- 
dissolubiliter  cum  omnibus  in  tborace  partibus  mutuisque  inter  se  lobis  connati  erant." 
(De  Haen,  ratio  medendi.    Edit.  II.  Vindob.   1763.  P.  VI.  pag.  264.) 

Im  Juni  1629  kam  eine  35  Jahre  alte  Bauersfrau  von  robuster  Constitution  wegen 
einer  schnell  entstandenen  Amaurose  des  rechten  Auges,  begleitet  von  starken  Kopf- 
schmerzen auf  der  rechten  Seite,  zu  Dr  Hedeland.  Ihre  Periode,  seit  mehreren  Jahren 
allmälig  immer  spärlicher,  war  seit  einigen  "Wochen  ausgeblieben.  Nach  Aderlässen, 
Blutegeln  und  Yesicatoren  daselbst  und  Verabreichung  drastischer  Purgirmittel  schien  sie 
fast  völlig  hergestellt  zu  sein.  Im  October  kam  sie  ins  Hospital  zurück,  mit  massig  ge- 
schwächtem Sehvermögen ,  aber  heftigen  Kopfschmerzen.  Blutegel  um  das  rechte  Auge, 
nach  und  nach  spanische  Fliegen,  Einreibungen  von  Belladonnasalbe,  ein  Haarseil  am 
Xacken,  Eisumschläge  auf  den  Kopf,  innerlich  Eisen-  und  Aloepräparate,  zuletzt  Mer- 
curialeinreibungen  bis  zur  Salivation  —  dessen  ungeachtet  Abnahme  der  Sehkraft,  Stei- 
gerung der  Kopfschmerzen,  nach  einigen  Monaten  totale  Erblindung,  erst  auf  dem  linken, 

il* 


1§4  Netzhaut. 

dann  auf  dem  rechten  Auge.  Als  sie  im  Juni  1830  zum  3.  Male  in's  Spital  kam,  klagte 
sie  nebst  wüthenden  Kopfschmerzen  noch  über  heftige  Schlingbeschwerden,  die  sie  einer 
vermeintlichen  Geschwulst  am  Halse  zuschrieb;  überdiess  waren  die  Augen  und  Augen- 
lider völlig  gelähmt.  In  Kurzem  trat  der  Tod  ein.  —  Unter  der  Dura  mater  am  hinter- 
sten Theile  des  Seitenwandbeines  und  dem  vordersten  des  Hinterhauptbeines  längs  des 
Sichelblutleiters  viele  weisse  Drüsen,  welche  mit  der  Gehirnsubstanz  unzertrennlich  fest 
zusammenhingen;  auf  der  linken  Seite  in  der  Mitte  einer  ähnlichen  Adhärenz  sass  ein 
Knochensplitter  von  l/i  Zoll  Länge,  welcher  das  Gehirn  mit  seinen  entblössten  Enden 
berührte.  In  den  Ventrikeln  die  gewöhnliche  Menge  Feuchtigkeit.  Der  rechte  Sehnerv 
ziemlich  rund,  der  linke  dagegen  ganz  flach,  klein,  leer,  die  Thalam.  nerv,  optic.  dünn 
und  klein.  Die  Glandula  pituitaria  bis  zur  Grösse  eines  Eies  angeschivollen ;  bei  ihrer 
Durchschneidung  wurden  grössere  und  kleinere  Knochenstucke,  welche  durch  ihre  ganze 
Textur  hindurch  incrustirt  waren,  und  sehr  viel  Eiter  mit  Blutwasser  gemischt,  in  und 
unter  derselben  gefunden.  Die  Sella  turcica  war  an  ihrer  Basis  vom  Knochenbrand  er- 
griffen. Der  Eiter,  welcher  den  linken  Augennerven  umgab,  hatte  seinen  Ursprung  von 
dem  letztgenannten  Eiterherde.  —  Ausserdem  fand  man  die  rechte  Lunge  überall  durch 
eine  Pseudomembran  mit  der  Pleura  costalis  vereinigt.  (Nevennann  bei  Ammon  1.  c.  B. 
V.  S.  366.) 

Andral  (Krankh.  der  Nervenh.,  übersetzt  von  Behrend  p.  274)  bemerkt,  dass  unter 
zwanzig  von  ihm  beobachteten  Fällen  von  Tuberhein  im  Meinen  Gehirne  das  Gesicht 
sieben  Mal  geschwächt  oder  aufgehoben,  der  Sitz  der  Tuberkel  jedoch  ein  sehr  ver- 
schiedener war.  —  Bei  einem  Manne  von  neunundzwanzig  Jahren  trat  zuerst  heftiger 
Kopfschmerz  auf,  dann  allmälige  Beinträchtigung  des  Gesichtes  und  der  Bewegung  in 
den  linken  Extremitäten,  ein  Jahr  später  Anästhesie  in  der  linken  Gesichtshälfte,  welche 
jedoch  nur  durch  zwei  Monate  anhielt,  im  dritten  Jahre  fast  vollständige  Amaurosis  mit 
ziemlich  engen  Pupillen,  Schmerz  im  Hinterhaupte,  Lähmung  der  linken  Körperhälfte, 
häufiger  Husten  und  anhaltende  Dyspnoe,  Blässe  der  Haut,  Abmagerung,  zeitweilig 
Diarrhöe,  zuletzt  plötzlich  Peritonitis  mit  tödtlichem  Ausgange.  —  Im  grossen  Gehirne 
nichts  Krankhaftes;  im  rechten  Lappen  des  kleinen  Gehirnes  eine  harte,  weissgelbliche 
nirgends  erweichte  Masse,  welche  alle  Charaktere  eines  Tuberkels  darbot.  In  den  Lun- 
gen Miliartuberkeln;  im  Ileum  Tuberkelgeschwüre  und  Perforation.  [Andral,  Clin,  me'dic. 
T.  V.  p.  506.) 

Ein  Mädchen  von  l3/*  Jahren,  welche  an  Crusta  lactea  gelitten  und  davon  in 
kurzer  Zeit  durch  "Waschungen  befreit  worden  war,  fing  bald  darauf  an  mit  dem  rech- 
ten Auge  nach  aussen  zu  schielen;  einige  Tage  später  trat  vollkommene  Lähmung  des 
obern  Lides  dazu,  so  dass  man  wohl  auf  Lähmung  des  Nervus  oculomotorius  zu  schliessen 
berechtigt  war.  Auf  die  Anwendung  -wurmtreibender  Mittel  waren  vier  Spulwürmer 
abgegangen,  die  Ptosis  jedoch  nicht  gehoben.  Professor  von  Ammon,  dem  die  Kranke 
jetzt  vorgestellt  wurde,  fand  ausser  der  Ptosis  und  der  Ablenkung  des  Bulbus  nach 
aussen  nichts  Krankhaftes  am  Auge.  (Erweiterung  der  Pupille  dürfte  wohl  übersehen 
worden  sein.)  Das  Kind,  welches  früher  laufen  konnte,  war  jetzt  nicht  mehr  dazu  zu 
bringen,  war  verdriesslich,  wollte  immer  getragen  sein ,  und  Hess  dabei  den  Kopf  auf 
die  Seite  hängen.  Sie  schlief  mit  an  den  Leib  angezogeneu  Beinen,  bohrte  sich  mit 
dem  Kopfe  in  die  Kissen,  und  erschrak  oft  im  Schlafe;  dabei  das  Aussehen  munter,  die 
Wangen  geröthet,  der  Appetit  gering,  die  Verdauung  in  Ordnung.  Man  schloss  auf 
Hydrocephalus  chronicus  mit  Druck  auf  den    N.  oculomotorius,    und    verabreichte    unter 


Cerebralamaurose.  1 65 

andern  Calomel,  Magnesia,  Aethiops  antimonialis,  Rheum,  Fibrillae'  artemisiae,  Zug- 
pflästerchen  hinter  die  Ohren.  Nach  3—4  Wochen  hatten  sich  die  Zeichen  des  Turgors 
zum  Kopfe  gemindert,  das  Kind  fing  an  zu  laufen  und  zu  spielen,  und  abermals  vier 
Wochen  später  öffnete  sie  auch  das  Auge  beinahe  vollkommen,  ohne  indess  den  geraden 
Blick  wieder  erlangt  zu  haben.  Verlässliche  Sehproben  waren  bei  dem  Kinde  unmögliche 
Als  man  sich  der  Hoffnung  völliger  Genesung  hingab,  traten  auf  einmal  heftige  Convul- 
sionen  ein,  und  das  Kind  erlag  in  wenig  Stunden.  —  Die  Gefässe  der  Hirnhäute  und 
der  Hirnsubstanz  von  Blut  strotzend,  die  Seitenventrikel  mit  Wasser  gefüllt,  der  Plexus 
chorioideus  erweicht,  auch  an  der  Basis  cerebri  viel  wässrige  Flüssigkeit.  Daselbst 
ein  wallnussgrosser  Tuberkel,  hinter  dem  Chiasma  zwischen  den  beiden  Sehnerven, 
mehr  auf  der  rechten  Seite;  diese  Geschwulst  hatte  den  rechten  Sehnerven,  welcher 
dicker  war,  als  der  linke,  ganz  auf  die  Seite  gedrängt.  Weder  bei  der  Section  des 
Auges  noch  des  übrigen  Körpers  fand  sich  etwas  Krankhaftes.  „Der  der  Geschwulst 
nach  zu  urtheilen  gewiss  sehr  bedeutende  Druck,  welchen  der  rechte  Sehnerv  erlitt, 
fand  hinter  dem  Chiasma  statt ;  dass  aber  die  kleine  Patientin  mit  dem  linken  Auge 
sehr  gut  sehen  konnte ,  unterlag  keinem  Zweifel.  Ob  neben  der  Muskellähmung  am 
rechten  Auge  auch  Amaurosis  bestand ,  konnte  nicht  bestimmt  ermittelt  werden ,  war 
jedoch  schon  nach  einigen  Andeutungen  der  Pflegerin  des    Kindes   sehr   wahrscheinlich." 

[Zeis  bei  Ammon  1.  c.  B.  IV.  S.  169.) 

t 
Ein  Mädchen  von  24  Jahre«,  von  gesundem  Aussehen,  seit  dem  17.  Jahre  im- 
mer regelmässig  menstruirt ,  war  ohne  bekannte  Veranlassung  in  ihrem  19.  Jahre  von 
Kopfschmerzen  befallen  worden,  welche  sie  von  Zeit  zu  Zeit  zwangen,  durch  einige 
Tage  liegen  zu  bleiben.  Zu  Anfang  ihres  23.  Jahres  stellte  sich  bei  gesteigerten  Kopf- 
schmerzen Abnahme,  endlich  völliger  Verlust  der  Sehkraft  ein.  Seitdem  verloren  sich 
die  Kopfschmerzen.  An  den  Augen  Hess  sich  ausser  starker  Erweiterung  der  unbeweg- 
lichen Pupillen  nichts  Abnormes  wahrnehmen.  Einige  Monate  vor  dem  Tode  traten  von 
Zeit  zu  Zeit  epileptische  Anfälle  ein ,  welche  Anästhesie  der  linken  Gesichtshälfte  bei 
ungestörter  Motilität,  dagegen  Schwäche  der  rechten  Oberextremität  bei  ungestörter 
Sensibilität  daselbst,  endlich  Unvermögen,  den  Harn  und  bisweilen  den  Stuhl  zurück- 
zuhalten, hinterli essen.  Ausser  Schwäche  des  Gedächtnisses  waren  die  geistigen  Func- 
tionen ungestört.  In  den  übrigen  Organen  und  Functionen  keine  Abnormität  zu  eruiren, 
der  Puls  jedoch  immer  klein,  schwach,  beschleunigt.  Der  Tod  erfolgte  plötzlich  nach 
einem  Anfalle  mit  Lähmung  sämmtlicher  Extremitäten,  Turgor  des  Gesichtes,  weit  ge- 
öffneten Augen,  Schaum  vor  dem  Munde,  äusserst  schwachem,  frequentem  und  unregel- 
mässigem Pulse  u.  s.  w.  —  Der  Körper  nicht  abgemagert,  die  Haut  weder  rauh  noch 
schuppig,  die  Jugularvenen  strotzend,  die  Lippen  blau,  der  linke  Mundwinkel  nach 
unten  gezogen.  Die  Schädelhöhle  geräumig,  die  Knochen  dünn,  besonders  linkerseits; 
zahlreiche  Pacchionische  Drüsen.  Mitten  in  der  linken  Hemisphäre  eine  ganseigrosse 
Geschwulst,  beim  Einschneiden  resistent  und  fast  knirschend,  in  der  Mitte  weissgrau, 
knorpelartig  hart,  an  der  Peripherie  weich,  theils  gelblich,  theils  weissgrau,  von  Ge- 
fässchen  durchzogen,  an  der  Oberfläche  mit  einer  dünnen  gefässreichen  Membran  um- 
hüllt {Medullär  -  Sarcom).  Die  angrenzende  Hirnmasse  im  Zustande  der  gelben  und 
weissen  Erweichung.  Die  linke  Hemisphäre  erschien  durch  diese  Geschwulst  vergrös- 
sert,  die  Meningen  darüber  straff  angespannt,  die  Hirnmündungen  verstrichen,  die  Sichel 
rechts  gedrängt.  Die  Wandungen  der  Seitenventrikel  zäh,  von  klarem  Serum  stark 
ausgedehnt,  rechts  weit  mehr  als  links.  Der  linke  Thalamus  ganz  nach  vorn  gedrängt 
und  das  Corpus  geniculatum  stark  eingedrückt.    Im  Tractus  opticus  ausser  leichter  Atro- 


166  I\e<zhaiit. 

phic  keine  Veränderung.     In  den  Eingeweiden  der  Brust-  und  Bauchhöhle    keine   bemer- 
kenswerte Abnormität. 

Dupau  (Revue  med.  Juin  1S35)  beobachtete  einen  Fall,  in  -welchem  Erblindung 
zuerst  eintrat,  dann  Verlust  des  Geruches  und  unvollständige  Lähmung  der  empfinden- 
den und  bewegenden  Thätigkeit  in  den  obern  Extremitäten.  Äusserlich  auf  der  rechten 
Seite,  dem  Seitcnwandbein  entsprechend,  war  eine  Geschwulst  wahrzunehmen.  Die 
intellectuellen  Functionen  niedergedrückt,  nicht  aufgehoben.  Apoplektischer  Tod.  Das 
rechte  Seitenwandbein  emporgehoben ,  von  innen  verdünnt  und  theilweise  zerstört.  An 
der  innern  Fläche  der  Dura  mater  daselbst  eine  seirrhöse  Geschwulst,  welche  theils  nach 
aussen ,  theils  nach  innen  auf  das  Gehirn  gedrückt  hatte.  Sie  hing  fest  an  der  Innen- 
fläche der  Dura  mater,  und  war  unten  von  der  Arachnoidea  und  Pia  mater  bedeckt. 
{Amnion  1.  c.  B.  V.  S.    198.) 


D.    Spinalainaurose. 

Amblyopie  und  Amaurose,  abhängig  von  Tabes  dorsualis,  bietet  so 
eigentümliche  Erscheinungen  am  Auge  dar,  dass  man  in  Fällen,  wo 
das  Augenleiden  zeitig  auftritt,  schon  durch  dasselbe  allein  zur  Ver- 
muthung,  wo  nicht  zur  Gewissheit  des  Grundleidens  geführt  wird.  Im- 
mer sind  beide  Augen  zugleich  und  in  völlig  oder  beinahe  gleichem 
Grade  ergriffen;  immer  entwickelt  sich  die  Abnahme  der  Sehkraft  all- 
mälig,  und  steigert  sich  nach  Verlauf  von  vielen  Monaten  oder  Jahren 
stetig  und  unaufhaltsam  zur  completen  Amaurosis.  Die  weit  geöffneten 
Augen  bieten  schon  frühzeitig  das  Eigentümliche-  des  amaurotischen 
Blickes,  des  nicht  gehörigen  Fixirens  der  Objecte  dar,  und  immer  be- 
trifft die  Abnahme  der  Sehkraft  die  ganze  Netzhaut,  wird  das  Seh- 
feld in  seiner  ganzen  Ausdehnung  gleichmässig  dunkler.  Je  weniger 
der  Kranke  sieht,  desto  enger  sind  die  Pupillen;  ich  sah  sie  in  einigen 
Fällen  von  nur  etwa  *\i'"  Durchmesser.  Immer  ist  die  vordere  Kam- 
mer auffallend  klein,  die  Linse  und  die  Iris  sind  nahe  an  die  Cornea 
gerückt,  letztere  demnach  stark  nach  vorn  gewölbt.  Mydriatica,  selbst 
in  starker  Dosis,  sind  nicht  im  Stande,  die  Pupille  zu  dem  gewöhn- 
lichen Grade  zu  erweitern.  Alle  Erscheinungen  von  Reizung,  Congestion 
und  Entzündung  am  Auge  fehlen;  die  Anwendung  der  Loupe  und  des 
Augenspiegels  sichert  vor  Verwechslung  mit  chronischer  Regenbogen- 
oder Netzhautentzündung.  Sorgfältige  Untersuchung  und  Beobachtung 
des  Verhaltens  der  Unterextremitäten  beim  Stehen,  Gehen  u.  s.  w.,  der 
Function  der  Harnblase,  des  Darmcanals  u.  s.  w.  geben  bald  Aufschluss, 
von  wo  das  Augenleiden  eigentlich  ausgeht. 

Nach  Romberg*),   dem  wir  eine  ausgezeichnet  treue  Schilderung 

*)  Lehrbuch  der  Nervenkrankheiten  des  Menschen,  Berlin  1840.    I.   S.  799. 


Spinal- A.  —  Sympathische  Amaurose.  167 

der  Tabes  dorsualis  verdanken,  fand  sich  in  den  Fällen,  wo  Amaurose 
vorhanden  war,  fast  immer  Atrophie  des  Sehnerven,  des  Chiasma  und 
der  Sehstreifen;  auch  die  Thalami,  einer  oder  beide,  waren  entweder 
geschwunden  oder  zeigten  Veränderungen  ihres  Gefüges  oder  ihrer 
Farbe.  „Bei  einem  Arzte,  welcher  nach  heftigen  Gemüthsaffecten  und 
starken  Erkältungen  auf  seinen  Berufsreisen  im  40.  Jahre  von  Paresis 
der  untern  Extremitäten  und  von  Amblyopie  befallen,  und  unter  zuneh- 
menden Erscheinungen  von  Tabes  dorsualis  endlich  ganz  amaurotisch 
geworden  war,  fand  Froriep  in  Gegenwart  Romberg's  das  Rückenmark 
auf  2/3  vom  Volumen  eines  damit  verglichenen  Kückenmarkes  von  einem 
gleich  alten  Manne  (52  Jahre)  geschwunden.  Die  Atrophie  war  auf  den 
untern  Theil  der  hintern  Stränge  und  Nervenwurzeln  beschränkt.  Die 
Marksubstanz  der  ersteren  war  fast  ganz  geschwunden,  so  dass  sie  wie 
durchsichtig  von  graugelber  Farbe  erschienen;  die  hintern  Wurzeln 
waren  des  Nervenmarkes  verlustig  und  hatten  ein  wässriges  Aussehen." 
Speciell  siud  von  diesem  Falle  die  Veränderungen  des  Sehorganes  nicht 
angegeben. 

Ätiologie,  Prognosis  und  Therapie  dieses  Augenleidens  sind  leider 
die  des  Rückenmarkleidens.  Der  Augenspiegelbefund  ist  zur  Zeit  noch 
unbekannt.  Meine  Beobachtungen  dieses  Leidens  fallen  in  die  früheren 
Jahre. 


E.    Sympathische  Amaurose. 

Es  liegen  verlässliche  Beobachtungen  von  Amblyopie  und  Amau 
rose  vor,  wo  man  nicht  im  Stande  war,  anatomische  Veränderungen  in 
der  Netzhaut,  im  Sehnerven,  in  den  Centralorganen  nachzuweisen,  und 
wo  man  eine  solche  Veränderung  auch  während  des  Lebens  schon  aus 
dem  Grunde  nicht  supponiren  kann,  weil  die  Sehstörung  nur  transi- 
torisch  auftritt,  oder  weil  die  Beseitigung  der  Ursache  in  zu  kurzer 
-Zeit  auch  Beseitigung  der  Augenaffection  zur  Folge  hat.  Man  denke 
nur  an  die  Störung  der  Sehkraft  bei  gewissen  Affectionen  sensitiver 
Zweige  des  Trigeminus,  an  Amblyopie  und  Amaurosis  bei  Vergiftungen, 
in  gewissen  Zeitabschnitten  der  Schwangerschaft  u.  s.  w. ,  und  man 
wird  den  Gebrauch  des  Ausdruckes  sympathische  Amaurosis  vorläufig 
wohl  unentbehrlich  finden.  Wir  müssen  es  spätem  Forschungen  über- 
lassen, den  Zusammenhang  nachzuweisen.  In  vielen  Fällen,  die  man 
hisher  als  zu  dieser  Gruppe  gehörig  bezeichnen  konnte,  wird  wohl  die 


163  Netzhaut. 

Ophthalmoskopie  noch  Aufschluss  tiher  den  Sitz  und  die  Natur  des  Lei- 
dens geben;  ob  in  allen,  bleibt  dahingestellt.  So  gut  als  die  Amaurose 
bestehen  auch  andere  Neurosen,  ohne  dass  man  auf  eine  anatomisch 
nachweisbare  centrale  oder  peripherische  Veränderung  der  betroffenen 
Nerven  hinweisen  kann.  Wir  müssen  uns  in  den  einzelnen  Fällen  vor- 
läufig begnügen,  wenn  es  gelingt,  die  entfernteren  Ursachen  zu  erkennen, 
weil  dann  öfters  wenigstens  auf  empirische  Weise  Anhaltspunkte  für 
das  ärztlicke  Handeln  gewonnen  werden  können.  Zur  Erläuterung  einige 
hieher  gehörige  Arten. 

1.  Amaurosis  in  Folge  von  Irritation  im  Bereiche  des  1.  oder 
2.  Astes  des  Trigeminus.  „Es  sind  zahlreiche  Fälle  bekannt,  in 
welchen  die  Exstirpation  von  Geschwülsten,  welche  mit  den  Zweigen 
des  5.  Nervenpaares  in  Berührung  standen,  und  das  Ausziehen  cariöser 
Zähne  die  Mittel  gewesen  sind,  das  Sehvermögen  plötzlich  herzustel- 
len."   Makeiizie  1.  c.  S.  818. 

Ein  gesunder  Mann  von  mittleren  Jahren  consultirte  Herrn  Howship  wegen  einer 
kleinen  Geschwulst  auf  dem  Scheitel.  Es  war  wenigstens  10  Jahre  her,  dass  er  die- 
selbe bemerkt  hatte,  und  er  hielt  sie  für  die  Folge  eines  Schlages.  Sie  war  nie  schmerz- 
haft gewesen,  aber  seit  einigen  Jahren  wurde  er  von  Kopfweh  geplagt,  welches  allmälig 
häufiger  wurde ;  überdiess  war  er  seit  2  Jahren  nicht  im  Stande ,  selbst  die  grösste  und 
deutlichste  Schrift  zu  lesen.  Drückte  man  auf  die  Geschwulst  in  der  Kopfhaut,  so  ver- 
ursachte diess  weder  Schmerz  noch  irgend  eine  Empfindung.  H.  rieth  zur  Exstirpation, 
welche  mittelst  zweier  elliptischer  Schnitte  durch  die  Bedeckungen  und  jenseits  der 
Basis  der  Geschwulst  ausgeführt  wurde.  Die  eingeschlossene  Portion  Kopfhaut  nebst 
der  Geschwulst  selbst  wurde  sodann  vom  Pericranium,  mit  welchem  sie  in  Berührung 
stand,  lospräparirt.  Zwei  kleine  Gefässe  wurden  unterbunden,  und  die  Bedeckungen 
mit  Heftpflastern  ziemlich  aneinander  gebracht.  Nach  3  Wochen  lösten  sich  die  Liga- 
turen, und  die  Wunde  heilte  vollständig.  Die  Geschwulst  war  ein  starker  knorpeliger 
Balg  gewesen,  welcher  in  der  Zellhaut  unter  der  Cutis  gesessen  hatte;  innen  war  sie 
mit  einer  gelben  purulenten  Flüssigkeit  gefüllt,  deren  dicke  Theile  einen  käseartigen 
Niederschlag  an  den  Wandungen  gebildet  hatten.  —  Der  Patient  hatte  bei  der  Operation 
nicht  über  1  Unze  Blut  verloren,  fühlte  aber  ganz  unerwartet  am  folgenden  Abende 
seinen  Kopf  mehr  erleichtert,  als  viele  Monate  vorher.  Er  fand,  dass  sein  Unwohlsein 
und  sein  Kopfschmerz  von  Tag  zu  Tag  abnahmen  und  behauptete  auch,  worüber  man 
sich  einigermassen  wunderte,  dass  sein  Sehvermögen  weit  heller  und  deutlicher  werde. 
Als  die  Wunde  geheilt  war,  hatte  er  alle  Beste  des  Kopfschmerzes  verloren,  und  sein 
Sehvermögen  hatte  sich  in  solchem  Grade  gebessert,  dass  er  jetzt  abermals  im  Stande 
war,  so  kleine  Schrift  wie  vor  10  Jahren  zu  lesen;  auch  ist  weder  der  Kopfschmerz 
noch  die  Affection  des  Sehvermögens  nach  dieser  Zeit  wieder  zurückgekehrt. 

Ein  Mann  von  30  Jahren  wurde  plötzlich  von  heftigem  Schmerze  ergriffen,  welcher 
von    der  linken    Schläfe    nach    dem   Aujre   und   nach    dem   Antlitze    auf  derselben    Seite 


Sympathische  Amaurose.  16ff 

schoss,  und  einer  Erkältung  zugeschrieben  wurde.  Dieser  Schmerz  dauerte  mehrere 
Tage,  gab  sich  dann,  kehrte  aber  periodisch  zurück.  Nach  Verlauf  von  2  Monaten 
hatten  die  Anfälle  eine  solche  Heftigkeit  erreicht,  dass  der  Patient  glaubte,  das  Auge 
werde  aus  der  Hohle  herausgedrängt.  Da  der  Patient  zugleich  bemerkte ,  dass  er  auf 
diesem  Auge  sein  Sehvermögen  verloren  habe,  suchte  er  ärztliche  Hilfe.  Nach  6monat- 
licher  fruchtloser  Behandlung  begann  die  linke  "Wange  zu  schwellen,  und  in  der  Nacht 
flössen  mehrere  Löffel  voll  blutigen  Eiters  zwischen  der  Conjunctiva  und  dem  untern 
Augenlide  aus.  Hierauf  gab  sich  die  Geschwulst,  und  der  Schmerz  nahm  ab,  aber  die 
Blindheit  blieb  so  vollständig  wie  zuvor.  Nach  3  "Wochen  fand  ein  ähnlicher  Ausfluss 
statt,  und  während  der  nächsten  6  Monate  kehrte  er  zuweilen  zurück.  Zu  Anfang  des 
3.  Jahres  war  die  Affection  so  arg  geworden ,  dass  der  Patient  sich  das  Auge  exstir- 
piren  lassen  wollte.  Dr.  Galenzowshi  fand  die  Pupille  des  gänzlich  erblindeten  Auges- 
erweitert. Er  glaubte,  dass  sich  in  der  Kiefeihöhle  Eiter  gebildet  habe  und  sich  längs 
des  Augenhöhlenantheiles  des  Oberkieferknochens  fortpflanzte.  Diese  Annahme  bestimmte 
ihn  zu  genauer  Untersuchung  der  Zähne,  und  diese  erwies  einen  der  Kieferhöhle  ent- 
sprechenden cariösen  Zahn.  Dieser  wurde  sofort  ausgezogen  und  man  fand  an  seiner 
"Wurzel  einen  Holzsplitter  von  3'"  Länge,  der  wahrscheinlich  von  einem  Zahnstocher 
zurückgeblieben  war.  Nachdem  nun  eine  Sonde  in  die  Kieferhöhle  eingeführt  und 
wieder  herausgenommen  worden  war,  ergossen  sich  einige  Tropfen  einer  serös-puru- 
lenten  Flüssigkeit,  und  9  Tage  nachher  hatte  der  Patient  sein  Sehvermögen  vollständig 
wieder  erlangt. 

Es  finden  sich  hie  und  da  in  der  Literatur  verschiedene  ähnliche 
Beobachtungen,  wie  die  beiden  vorstehenden,  aus  Makenzie  1.  c.  S.  818 
entlehnten,  nur  lassen  viele  derselben  auch  eine  andere  Deutung  zu, 
wie  namentlich  die,  wo  Sehstörung  nach  Verletzungen  sensitiver  Zweige 
des  Trigeininus  beobachtet  wurde,  wovon  wir  schon  oben  gesprochen 
haben.  In  diesen  beiden  Fällen,  wenigstens  in  dem  Howship 'sehen 
kann  aber  kaum  bezweifelt  werden,  dass  die  Amaurosis  rein  sympathisch 
war.  Die  Empirie  wendet  seit  undenklichen  Zeiten  eine  Menge  Mittel 
im  Bereiche  der  Ausstrahlungen  der  sensitiven  Zweige  des  Trigeminus 
an,  um  Amblyopie  und  Amaurose  zu  beheben,  und  gewiss  nicht  jeder- 
zeit ohne  Erfolg.  Die  meisten  dieser  gegen  Amaurosis  empfohlenen 
und  zum  Theil  auch  wirksamen  örtlichen  Reizmittel  (an  die  Stirn, 
Schläfe,  Bindehaut  u.  s.  w.)  können  wohl  nur  dadurch  ihre  Wirksamkeit 
auf  den  Sehnerven  und  die  Netzhaut  entfalten,  dass  sie  den  Trigeminus 
peripherisch  erregen.  Es  wird  hier  eine  Sinnesnerv  erregt,  gleich  wie 
in  motorischen  Nerven  Reflexaction  auf  peripherische  Reizung  sensi- 
tiver Nerven  auftritt. 

Auf  ähnliche  Weise  sind  meines  Erachtens  wohl  auch  manche  Fälle 
von  Ajnaurosis  nach  unterdrücktem  Schnupfen,  von  Entzündung  der 
Schleimhaut  in  der  Highmors-,  Stirn-  oder  Keilbeinshöhle  zu  erklären, 
jene  Fälle  natürlich  abgerechnet,  wo  gleichzeitig  entzündliche  Processe 


170  Netzhaut. 

im  Auge,  iu  der  Orbita  oder  in  der  Schädelhöhle  bestehen.  Es  verdient 
der  Zustand  der  Schleimhaut  in  diesen  Höhlen  die  volle  Aufmerksam- 
keit des  Arztes  bei  Amaurosen  unbekannten  Ursprunges  gewiss  in  eben 
so  hohem  Grade,  als  der  Zustand  der  Cutis  und  der  übrigen  Gebilde, 
in  welchen  die  sensitiven  Zweige  des  Trigeminus  ausstrahlen.  Der 
günstige  Erfolg  bezüglich  der  Sehstörung,  welcher  durch  die  Behand- 
lung der  in  Rede  stehenden  Schleimhautpartien  erzielt  wurde,  dürfte 
zugleich  als  Beweis  für  ein  bloss  sympathisches  Mitleiden  des  Seh- 
nerven zu  betrachten  sein. 

Wahrscheinlich  gehört  hieher  auch  jene  Form  von  Amaurosis,  welche 
sich  auf  dem  einen  Auge  entwickelt,  wenn  das  andere  durch  heftige 
Entzündung  und  Eiterung  verloren  gegangen  ist.  (Vgl.  Iritis  und  Cho- 
rioiditis.) Die  starke  Erweiterung  der  Pupille  und  der  Mangel  aller  ent- 
zündlichen Erscheinungen  am  Auge  schon  zu  Anfang  der  allmälig  und 
unaufhaltsam  erfolgenden  Erblindung  macht  diess  wahrscheinlich;  doch 
fehlen  einerseits  noch  Untersuchungen  mit  dem  Augenspiegel,  anderer- 
seits noch  genaue  mikroskopische  Zergliederungen  des  Seh-  und  der 
Ciliarnerven  in  solchen  Fällen. 


2.  Amaurosis  in  Folge  abnormer  Zustände  der  Verdauungs- 
organe  (Würmer,  Gastricismen,  Fäcalmassenanhäufung  u.  dgl.).  Was 
bei  1.  der  Trigeminus,  ist  bei  2.  vielleicht  der  Sympäthicus,  während 
in  andern  Fällen  die  Unterleibsaffection  wahrscheinlich  dadurch  Seh- 
störung bewirkt,  dass  sie  Hyperämie  oder  Entzündung  in  den  Central- 
organen  oder  im  Bulbus  veranlasst.  Amaurosis  in  Folge  von  Würmern 
dürfte  bei  weitem  nicht  so  häufig  vorkommen,  als  man  in  früheren 
Zeiten  anzunehmen  pflegte;  doch  liegen  keine  hinreichenden  Gründe 
vor,  dieses  Moment  als  Ursache  von  Amaurosis  in  vornhinein  in  Abrede 
zu  stellen,  spricht  im  Gegentheile  die  Analogie  mit  andern  nervösen 
Zufällen  als  Symptomen  von  Helminthen,  besonders  bei  Taenia,  nebst 
mehr  weniger  verlässlichen  Beobachtungen  dafür.  Auf  eine  gewisse 
Eigenthümlichkeit  der  Symptome  am  Auge,  welche  man  sonst  wohl  der 
Amaurosis  ex  helminthiasi  zuschrieb,  dürfte  indess  kein  Gewicht  zu 
legen  sein,  da  derselbe  Symptomencomplex  auch  anderweitig  bedingt 
sein  kann;  ja  es  darf  selbst  der  Abgang  von  Würmern  (Theilen  davon) 
noch  nicht  als  sicheres  Moment  zu  der  Annahme  leiten,  dass  in  einem 
gegebenen  Falle  die  Sehstörung  durch  Würmer  im  Darmcanale  bedingt 
sei,  weil  immer  noch  der  Fall  denkbar  ist,  dass  trotz  jener  Anwesen- 
heit von   Entozoen  die  Amaurosis  durch  Hirntuberkel ,  Hydrocephalus 


Sympathische  Amaurose.  171 

u.  s.  w.,  oder  durch  krankhafte  Proeesse  im  Bulbus  (z.  B.  Cysticer- 
cus, Retinitis  u.  dergl.)  bedingt  werde.  Es  wird  daher,  ehe  man  eine 
rigorose  anthelminthische  Behandlung  gegen  Amaurosis  einleitet,  jeder- 
zeit nothwendig  sein,  nicht  nur  dass  der  Abgang  von  Würmern  wirk- 
lieh beobachtet  wurde,  sondern  auch,  dass  man  mindestens  gute  Gründe 
hat,  anderweitige  Ursachen  der  Sehstörung  als  nicht  vorhanden  anzu- 
nehmen. —  Auch  für  die  sogenannte  gastrische  Amaurosis  gibt  es 
keine  pathognomonischen  Erscheinungen  am  Auge  selbst,  und  kann 
die  Diagnosis  gleichfalls  nur  unter  Berücksichtigung  aller  Momente  mit 
mehr  weniger  Wahrscheinlichkeit  gestellt  werden.  —  Dasselbe  gilt  von 
der  Sehstöruug  in  Folge  angehäufter  Fäcalmassen  im  Dickdarme  (amau- 
rosis  e  viscerum  obstructione),  bei  welcher  übrigens,  so  wie  bei  der 
vorhergehenden  Art,  alle  Sorgfalt  anzuwenden  ist,  dass  man  nicht  die 
Wirkung  oder  das  Coexistens  (die  Indigestion  und  Obstipation  in  Folge 
von  Erkrankung  der  Centralorgane)  für  die  Ursache  annehme. 

Eine  besondere  Erwähnung  verdient  hier  wohl  die  Hemiopie,  welche 
beinahe  in  allen  Fällen,  die  ich  bei  verschiedenen  Autoren  notirt  fand 
oder  selbst  beobachtete,  mit  Störungen  in  den  Unterleibsorganen,  nicht 
aber  mit  nachweisbaren  Veränderungen  in  den  Centralorganen  oder  im 
Auge  selbst,  zusammenvorkam.  Vergl.  das  in  den  physiologischen  Be- 
merkungen S.  54  f.  hierüber  Gesagte.  Schon  das  momentane  Auftreten 
und  Wiederverschwinden  der  Anfälle  von  Hemiopie  lässt  kaum  eine 
andere  Deutung  zu,  als  dass  hier  eine  rein  sympathische  Einwirkung 
zu  Grunde  liege  und  das  Auftreten  nach  Diätfehlern,  nach  Gemüthsaffec- 
ten  bei  hysterischen,  hypochondrischen,  übermässig  reizbaren  Individuen 
ist  gewiss  geeignet,  dieser  Deutung  vor  allen  andern  Wahrscheinlich- 
keit zu  verschaffen. 


3.  Amaurosis  in  Folge  von  Affectäonen  des  Uterus,  nament- 
lich in  den  ersten  Monaten  der  Schwangerschaft,  scheint  bisweilen  bloss 
auf  einem  sympathischen  (durch  die  Nerven  vermittelten)  Leiden  des 
Sehnerven  zu  beruhen.  Nach  Beobachtungen  von  Se?inert,  Beer  u.  A. 
tritt  Amaurosis  bisweilen  gleich  zu  Anfang  der  Schwangerschaft  auf, 
und  verschwindet  dann  wieder  von  selbst.  In  einem  von  Beer  beob- 
achteten Falle  stellte  sich  Amaurosis  in  drei  nach  einander  folgenden 
Schwangerschaften  bald  nach  der  Conception  ein,  verschwand  nach  der 
Entbindung  das  1.  und  2.,  nicht  aber  das  3.  Mal.  Dieser  letztere  Um- 
stand erregt  Verdacht,  ob  hier  der  Amaurosis  nicht  ein  directes  Leiden 
im  Sehnerven  oder  im  Gehirne  zu  Grunde  gelegen  sei,  welches  durch 


172  Netzhaut. 

die  Gravidität  jedesmal  gesteigert  wurde,  bis  es  endlich  bleibende  Er- 
blindung zur  Folge  hatte.  Beer  bemerkt  übrigens  ausdrücklich,  dass  man 
jene  Amaurose,  welche  bei  Schwangern  oft  nach  und  nach  und  meisten» 
erst  gegen  das  Ende  der  Schwangerschaft  und  bei  der  Entbindung  ent- 
steht, nicht  hieher  rechnen  dürfe,  indem  diese,  wie  schon  Morgagni 
bemerkt,  offenbar  durch  Anhäufung  des  Blutes  im  Kopfe  und  in  den 
Augen  veranlasst  werde.  Er  betrachtet  die  Amaurosis  von  Schwanger- 
schaft in  der  ersten  Zeit  als  eine  Art  Idiosynkrasie,  und  erwähnt  in 
einer  Anmerkung,  dass  „er  eine  Frau  gesehen  habe,  welche,  so  oft  sie 
Chocolade  trank,  sich  heftig  erbrechen  musste,  und  auf  einige  Stunden 
stockblind  war;  das  Gesicht  kam  sogleich  wieder,  sobald  die  Neigung 
zum  Erbrechen  verschwand.  Ich  hielt  diesen  Zufall  für  eine  Folge  der 
Anstrengung  beim  Brechen;  da  ich  aber  bei  andern  Gelegenheiten  die 
Kranke  erbrechen  sah,  ohne  dass  sich  dieser  Zufall  ereignete,  so  unter- 
sagte ich  die  Chocolade,  und  seither  blieb  der  Anfall  auch  ganz  aus." 
(1.  c.  1792  S.  44.) 

4.  Amaurosis  in  Folge  von  Giften.  Ob  der  von  Beer  ange- 
schuldigte Missbrauch  bitterer  Mittel  (Quassia,  Centaureum,  Cichoreum 
und  dergl.)  Amaurosis  bedinge,  möchte  wohl  noch  weiterer  Bestätigung 
bedürfen,  da  trotz  des  Fortbestandes  solchen  Missbrauches  in  späteren 
Zeiten  weiter  keine  derartigen  Beobachtungen  gemacht  worden  zu  sein 
scheinen.*)  Dasselbe  gilt  meines  Erachtens  auch  vom  Tabak,  welchem 
Makenzie  eine  direct  nachtheilige  Einwirkung  auf  die  Sehkraft  zuzu- 
schreiben geneigt  ist,  während  Beer  das  Vorkommen  von  Amaurosis  bei 
Tabakrauchern  von  dem  Speichelverluste  ableiten  will.  Letzterer  ge- 
denkt u.  A.  eines  Falles  bei  Amaurosis  von  einer  alten  Frau,  welche 
täglich  4  Loth  Tabak  zu  schnupfen  pflegte.  Exacte  Beobachtungen 
liegen  keine  vor.  Belladonna,  Hyoscyamus  und  Datura  stramonium  wir- 
ken specifisch  auf  die  Ciliar-,  nicht  aber  auf  die  Sehnerven;  sie  bewir- 
ken nur  Mydriasis,  nicht  aber  Amaurosis,  es  sei  denn  nach  innerlichem 
Gebrauche,  durch  Hyperämie  der  Centralorgane.  Ebenso  dürften  wohl 
auch  andere  Narcotica  nur  durch  active  oder  passive  Hirnhyperämie 
und  durch  Depression  der  Hirnthätigkeit  überhaupt  wirken.  Beer  er- 
zählt, dass  er  selbst  im  Jahre  1804  in  Folge  einer  zufälligen  Vergif- 
tung mit  Opium  durch  mehrere  Stunden  ausser  Stand  gesetzt  blieb, 
die  ihn  umgebenden  Objecte  zu  erkennen.     Sicher  gestellt  und  höchst 

*)  Die  Erscheinungen  nach  übermässigen  Gaben  von  Chinin,  als :  Ohrensausen,  Schwindel,  Schwerhörig- 
keit, Verminderung  der  Sehkraft  u.  s.  w.  sind  wohl  durch  Hyperämie  in  der  Schädelhöhle  bedingt. 


Sympathische  Amaurose.  173 

^wahrscheinlich  specifisch  ist  die  lähmende  Einwirkung  des  Bleies  auf 
die  Sehkraft.  Die  Amaurosis  durch  Bleivergiftung  tritt  nach  Guepin*) 
bald  allein,  i.  e.  noch  vor  Entwicklung  der  übrigen  Erscheinungen  der 
Bleivergiftung,  und  zwar  allmälig  auf,  bald  rasch  mit  den  gewöhnlichen 
Zufallen  der  Bleikolik  und  auch  mit  Hirnzufällen.  Man  findet  nebst 
mehr  weniger  hochgradiger  und  completer  Sehstörung  die  Pupillen  sehr 
stark  erweitert,  die  durchsichtigen  Medien  normal,  weder  Schmerzen 
noch  abnorme  Injection  an  den  Augen.  Bei  Anwendung  der  gegen  die 
Intoxication  angezeigten  Behandlung  verschwindet  diese  Amaurosis 
(nach  Guepin  und  Deval)  leicht  und  in  wenig  Tagen,  bisweilen  selbst 
in  einigen  Stunden. 

5.  Amaurosis  als  Symptom  allgemeiner  Erschöpfung  und 
Entkräftung  lässt  sich  gleichfalls  rücksichtlich  ihrer  nächsten  Ursache 
vorläufig  noch  nicht  genauer  bestimmen.  Es  liegen  verlässliche  Beob- 
achtungen vor,  wo  man  starken  Blutverlust,  erschöpfende  Diarrhöe, 
Speickelfluss,  widernatürlichen  Samenfluss,  zu  langes  Säugen,  anhalten- 
des Fasten,  Kummer  und  Nahrungssorgen,  Typhus  u.  dergl.  als  die  ent- 
fernteren Ursachen  von  Amblyopie  oder  Amaurosis  annehmen  musste. 
Der  Beweis  dafür  wurde  dadurch  geliefert,  dass  die  Sehstörung  unmit- 
telbar nach  einem  der  genannten  Momente  auftrat,  durch  Beseitigung 
desselben  allein  oder  doch  unter  Beihilfe  roborirender  Behandlung  be- 
hoben wurde,  und  wohl  auch  nach  Wiederkehr  solcher  Momente  neuer- 
dings auftrat.  Fälle,  wo  während  oder  unmittelbar  nach  starken  Ader- 
lässen Amaurosis  eintrat,  scheinen  in  früheren  Zeiten  oft  vorgekommen 
zu  sein,  und  finden  sich  zahlreich  in  Trnka  de  Krsowitz  historia  amau- 
roseos  aufgeführt.  Unter  den  spontanen  Blutverlusten  sind  es  besonders 
die  Metrorrhagien,  nach  welchen  Amaurosis  temporär  oder  bleibend  be- 
obachtet wurde.  Carron  du  VUlards  erzählt  von  einer  Frau  mit  Ge- 
bärmutterkrebs, welche  nach  jeder  Blutung  durch  8 — 10  Tage  blind 
wurde,  und  zuletzt,  einige  Wochen  vor  dem  Tode,  blind  blieb.  In 
einem  von  mir  beobachteten  Falle  erfolgte  die  Erblindung  successiv 
nach  mehrmals  wiederholter  Metrorrhagie  in  Zeit  von  6  Tagen  und  blieb 
die  der  Anämie  entgegen  gestellte  Behandlung  fruchtlos,  obwohl  ich 
weder  an  der  Netzhaut  (bei  sehr  oft  und  zu  verschiedenen  Zeiten 
—  im  Verlaufe  eines  Jahres  —  wiederholter  Ophthalmoskopie)  noch  in 
den  Centralorganen  ein  Leiden  objectiv  nachzuweisen  vermochte.  Die 
Pupillen  waren  gleich  von  Anfang  an  starr  und   auffallend  erweitert. 

*)  Annales  d'oculist.  par  Fl.  Cunier  1S47.  T.  XV. 


174  Netzhaut. 

Es  muss  jedoch  noch  hervorgehoben  werden,  dass  nach  den  obenge- 
nannten und  ähnlichen  schädlichen  Einflüssen  weit  häufiger  bloss 
Schwächung  der  Accommodationsthätigkeit  als  wirkliche  Amblyopie 
und  Amaurosis  beobachtet  wird,  ein  Zustand,  der  in  früheren  Zeiten 
gewöhnlich  als  Amblyopie  oder  Hebetudo  visus  aufgefasst  wurde.  (Siehe 
später:  Krankheiten  der  Muskeln.)  Ebenso  muss  noch  ausdrücklich  be- 
merkt werden,  dass  jene  Fälle  nicht  hieher  gehören,  wo  sich  bei  Indi- 
viduen, die  durch  deprimirende  Einflüsse  in  der  Ernährung  sehr  herab- 
gekommen sind,  allmälig  schleichende  Entzündung  in  der  Netz-,  Ader- 
oder Eegenbogenhaut  entwickelt,  wie  z.  B.  in  den  von  Makenzie  nach 
dem  Hungertyphus  beobachteten  Fällen  von  Erblindung.  (Vergl.  Iritis- 
chronica  im  2.  Bande.) 


IX.   Buch. 


Die  Organe  der  Bewegung  und  der  Accom- 

modation. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Der  Bulbus  eines  Erwachsenen  misst  vom  vordem  bis  zum  hintern 
Pole  10,5y" — W"  (äussere  Augen-  oder  Sehachse),  vom  Centrum  der 
Descemetschen  Haut  bis  zur  Macula  lutea  9,5'" — W"  (innere  Augen- 
achse), im  Äquator  von  aussen  nach  innen  meistens  eben  so  viel  wie 
in  der  äussern  Augenachse  (horizontaler  Querdurchmesser),  von  oben 
nach  unten  dagegen  selten  eben  so  viel,  meistens  x\iut,  selbst  \'"  we- 
niger (verticaler  Querdurchmesser.)  Doch  gibt  es  auch  Bulbi,  an  denen 
der  verticale  Äquatorialdurchmesser  grösser  ist,  als  der  horizontale, 
ohne  dass  man  dieses  Verhältniss  zu  irgend  einem  Momente  in  Beziehung 
bringen  kann.  Er  stellt  demnach  nicht  sowohl  eine  Kugel,  als  viel- 
mehr ein  Ellipsoid  dar,  und  erscheint  überdiess  da,  wo  sich  die  M. 
recti  anlegen  und  inseriren,  mehr  weniger  abgeplattet  oder  flach  ge- 
drückt, so  dass  eigentlich  die  schrägen  Querdurchmesser  (von  oben- 
aussen  nach  innen-unten,  besonders  aber  der  von  oben-innen  nach  unten- 
aussen)  die  grössten  sind. 

Er  liegt  oder  schwebt  als  ein  ohngefähr  120 — 130  Gran  schwerer 
Körper  frei  im  Eingange  der  Orbita,  nirgends  fest  an's  Knochengerüst 
geheftet,  ringsum  von  weichen,  nachgiebigen,  elastisch-dehn-  und  drück- 
baren und  von  muskulösen  Gebilden  umgeben,  und  dennoch  seine  Lage 
mit  einer  gewissen  Beharrlichkeit  behauptend.  Von  Natur  aus  bald 
tiefer,  bald  flacher  liegend,  tritt  er  momentan  bei  erhöhtem  Gefässtur- 
gor  stärker  hervor,  bei  reichlichem  Säfteverluste  (Hämorrhagie,  Diarrhöe 
u.  dgl.)  merklich  zurück,  wogegen  mechanische  Hyperämie  in  dem  re- 


176  Augenmuskel  n. 

trobulbären  Fettpolster  mehr  eine  habituelle  stärkere  Vorlagerung  (Glotz- 
auge), starke  Abmagerung  aber  ein  mehr  weniger  auffallendes  Zurück-, 
sinken  in  die  Orbita  (Hohlauge)  bewirkt.  Durch  die  Muskeln  scheint 
eine  Veränderung  der  Lage  des  Bulbus  in  toto  nicht  bewerkstelligt, 
vielmehr  gerade  das  Balancement  in  loco  vermittelt  zu  werden  (Anta- 
gonismus zwischen  den  geraden  und  schiefen);  nur  heftige  Contraction 
des  M.  orbicul.  palp.  vermag  den  Bulbus  etwas  rückwärts  zu  drängen. 
Von  der  Veränderung  der  Lage  des  Bulbus  bei  Strabismus,  Luscitas 
u.  dgl.  wird  weiter  unten  die  Eede  sein.  —  Als  mittlere  Lage  in  Be- 
zug auf  die  Tiefe  kann  jene  bezeichnet  werden,  wo  eine  gerade  Linie, 
vom  obern  zum  untern  Augenhöhlenrande  gezogen,  gleich  einer  Tan- 
gente das  an  den  Bulbus  angeschmiegte  obere  Lid  berührt,  während 
eine  gerade  Linie,  von  der  Insertion  des  äussern  Augenlidbandes  zur 
Insertion  des  innern  Augenlidbandes  gezogen,  den  gerade  nach  vorn 
gerichteten  Bulbus  etwas  hinter  der  Anheftungslinie  des  M.  rect.  exter- 
nus  und  internus  durchbohren  und  knapp  hinter  der  Linse  vorbeistrei- 
chen würde.  —  Der  Abstand  des  hintern  Poles  vom  vordem  Umfange 
des  Foramen  opticum  beträgt  im  Mittel  1".  Der  Abstand  vom  obern 
Orbitalrande  beträgt  circa  3"',  vom  untern  etwa  2 — 272'";  ebenso  ist 
der  Abstand  vom  äussern  Orbitalrande  jederzeit  merklich  (um  2'")  grös- 
ser, als  der  vom  innern.  (Der  Eingang  der  Orbita  misst  von  oben  nach 
unten  circa  15'",  von  aussen  nach  innen  circa  18'".) 

Unter  ihm  liegen,  abgesehen  vom  Orbitalfette,  der  untere  gerade 
und  schiefe  Augenmuskel,  welche  ihn,  bei  einem  gewissen  Grade  von 
Spannung  sämmtlicher  Muskeln,  gleichsam  tragen  oder  stützen;  über 
ihm  liegt  zunächst  die  Sehne  des  Muse,  obliquus  superior,  dann  der 
M.  rectus  superior  und  der  M.  levator  palp.  superioris,  überdiess  gegen 
die  Schläfe  hin  die  untere  und  obere  Thränendrüse ,  gegen  die  Nase 
hin  die  Rolle  des  M.  obliquus  superior,  von  welcher  eine  Art  Sehnen- 
scheide oder  zellig  fibröses  Gewebe  zur  Tunica  vaginalis  bulbi  herab- 
steigt, in  dieselbe  pinselförmig  ausstrahlt,  und  gewissermassen  als 
lockeres  Aufhängeband  des  Bulbus  betrachtet  werden  kann.  Dieses 
ziemlich  feste,  jedoch  elastisch-dehnbare  Gewebe  verschmilzt  nicht  nur 
mit  der  Tunica  vaginalis  bulbi,  sondern  auch  mit  der  Scheide  des  Muse, 
rectus  superior,  und  erschwert  dessen  Durchschneidung,  wenn  man  den 
Schnitt  nicht  knapp  durch  dessen  Insertion  am  Bulbus  führt.  Will 
man  die  Sehne  des  Obl.  sup.  von  der  Rolle  bis  zum  Bulbus  präpariren, 
so  muss  man  dieses  Gewebe,  welches  nächst  der  Rolle  eine  förmliche 
Schneide  bildet,  aufschlitzen;  nächst  dem  Bulbus  tritt  dann  die  dünne 
Sehne  aus  demselben  heraus,  um  zwischen  dem  Rectus  super,  und  dem 


Anatomie  —  Physiologie.  177 

Bulbus  durch  die  Tunica  vaginalis  bulbi  an  die  Sclera  zu  gelangen.  — 
An  der  Schläfeseite  bedeckt  ihn  der  Muse,  rectus  externus  und  gleich 
darüber  ein  Theil  der  Thränendrüse ,  an  der  Nasenseite  dagegen  der 
M.  rectus  internus.  Auch  hier  findet  man  eine  Art  lockerer  Befestigung 
des  Bulbus  an  den  Orbitalrand,  indem  sowohl  am  äussern  als  am  in- 
nern  Augenwinkel  noch  eine  Strecke  rückwärts  vom  Augenlidbande 
ein  zellig-fibröses  Gewebe  von  der  Periorbita  zum  Bulbus  hinüber- 
streicht, und  sich  mit  der  Tunica  vaginalis  bulbi  und  deren  Fortsätzen 
(zu  den  Muskeln  und  zu  den  Augenlidern)  verbindet,  während  sonst 
riDgsum  der  Baum  zwischen  den  Augenmuskeln  und  der  Periorbita 
einfach  mit  Fettgewebe  ausgepolstert  erscheint.  Durch  diese  zellig- 
fibrösen  Fortsätze  zur  Beinhaut  ist  eigentlich  das  Gehäuse  des  Bulbus, 
die  Timica  vaginalis,  und  somit  auch  der  Bulbus  selbst  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  in  seiner  Lage  gesichert,  ohne  dass  der  Bulbus  hef- 
tigen Erschütterungen  (z.  B.  beim  Springen,  Keiten  u.  dgl.)  ausgesetzt 
wird.  —  Die  Spalte,  welche  die  innig  an  ihn  angeschmiegten  und  ge- 
wölbt über  ihn  verlaufenden,  weil  innen  und  aussen  an  den  tiefer  ge- 
legenen Orbitalrand  gehefteten  Lider  zwischen  sich  lassen,  und  welche 
bald  enger  bald  weiter  geschlitzt  erscheint,  ist  jederzeit  noch  etwas 
enger,  als  dass  der  Bulbus  frei  durchschlüpfen  könnte ;  es  bedarf  selbst 
nach  Durchschneidung  des  Opticus  und  der  Muskeln  einer  gewissen 
Gewalt,  ihn  durch  diesen  Isthmus  heraus  zu  zwängen  und  ebenso,  ihn 
durch  denselben  wieder  zu  reponiren.  —  In  seinem  hintern  Umfang 
inseriren  sich  nebst  dem  Opticus  die  Enden  der  Muse,  obliqui  (in  dem 
Zwischenräume  zwischen  dem  Rectus  super,  und  externus),  im  übrigen 
umgibt  ihn  daselbst  das  Orbitalfett,  auf  dessen  eminente  Zusammen- 
drückbarkeit  und  Elasticität  wir  schon  bei  den  anatom.  Bemerkungen 
über  den  Sehnerven  aufmerksam  gemacht  haben. 

Die  vier  geraden  Augenmuskeln  entspringen  sämmtlich  am  Umfange 
des  Sehnervenloches,  welches  nächst  der  Spitze  der  Orbita  schief  durch 
die  innere  Wandung  derselben  heraustritt,  und  zwar  in  dem  Winkel, 
wo  die  obere  Wand  der  Orbita  an  die  innere  stösst.  Denkt  man  sich 
den  Kopf  in  aufrechter  Haltung,  so  würde  eine  Nadel,  2 — 3'"  über  dem 
innern  Augenlidbande  eingestossen,  und  einerseits  horizontal,  anderer- 
seits parallel  zur  verticalen  Medianebene  des  Kopfes  (also  längs  der 
innern  Wandung  der  Orbita)  fortgeführt,  über  l1/»'-  (meistens  l3/0  tief 
eingedrungen  sein  müssen,  ehe  sie  den  Opticus  bei  seinem  Austritte 
aus  dem  Foramen  opticum  träfe.  Die  Entfernung  der  äussern  Lidcom- 
p  missur  vom  Sehnervenloche  ist  nahezu  dieselbe,  weil  der  äussere  Orbi- 
talrand weiter  rückwärts  liegt,   als  der  innere.     Kennt  man  nun  die 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  12 


178  Augenmuskeln. 

Lage  des  Bulbus  am  Eingänge  in  die  Orbita  und  die  Insertionslinien 
der  geraden  Augenmuskeln  am  Bulbus  selbst,  so  kennt  man  auch  ihre 
Länge,  da  sie  bis  zum  grössten  Umfange  des  Bulbus  geradlinig  verlau- 
fen, und  es  ergibt  sich  von  selbst,  da  der  Bulbus  der  innern  Wandung 
etwas  näher  liegt  und  die  Pupille  nach  vorn  gerichtet  ist,  dass,  wenn 
der  R.  internus  \xji"  lang  ist,  ihm  der  ziemlich  horizontal  nach  vorn 
verlaufende  R.  superior  an  Länge  ohngefähr  gleich  kommt,  der  ziem- 
lich stark  abwärts  abweichende  inferior  1 — 1"',  und  der  am  weitesten 
hinten  entspringende  und  am  stärksten  nach  aussen  abweichende  R* 
externus  mindestens  3'"  länger  ist.  Rücksichtlich  der  Dicke  steht  der 
R.  internus  oben  an,  dann  folgt  der  externus,  dann  der  inferior,  zuletzt 
der  superior,  ein  Verhältniss,  welches  wohl  mit  dem  Überwiegen  der 
Function  im  Einklänge  steht,  da  der  superior  relativ  am  wenigsten  in 
Anspruch  genommen  wird. 

Die  Recti  inseriren  sich  in  die  Sclera  mit  kurzen,  aber  breiten  und 
dünnen  Sehnen  rings  um  die  Cornea  in  einer  Entfernung  vom  Rande 
derselben ,  welche  im  Mittel  auf  2>'"  angeschlagen  werden  kann.  Die 
Sehnen  sind  im  Allgemeinen  3  xji'" — 4'"  breit,  die  des  externus  um  x\iiU 
schmäler,  dagegen  aber  auch  die  längste.  Die  Insertionslinien  sind 
flach  bogenförmig  geschweift,  in  der  Mitte  weiter  nach  vorn  reichend, 
als  zu  beiden  Seiten.  Der  Scheitel  oder  Mittelpunkt  dieser  Insertions- 
linie  liegt  beim  internus  höchstens  1x\itu,  beim  externus  mindestens  3'y/ 
vom  Rande  der  Cornea  entfernt.  Beim  superior  und  inferior  steht  die- 
ser Mittelpunkt  fast  constant  3"'  vom  Hornhautrande  ab  (in  der  Rich- 
tung eines  Meridianes,  den  man  sich  vom  Centrum  der  Cornea  durch 
diesen  Mittelpunkt  zum  hintern  Pole  gezogen  denkt),  während  das  in- 
nere Ende  der  Insertionslinie  der  Cornea  fast  um  V"  näher  liegt  als 
das  äussere.  Die  Mittelpunkte  der  Insertionslinien  des  in-  und  exter- 
nus liegen  im  horizontalen  Meridiane,  ebenso  der  des  superior  im  ver- 
ticalen,  der  des  inferior  weicht  jedoch  um  beiläufig  x\iin  nach  der  Nase 
zu  von  letzterem  ab.  Ein  Reifen,  durch  diese  Mittelpunkte  um  den 
vordem  Umfang  des  Bulbus  gelegt,  würde  im  verticalen  Durchmesser 
etwa  8'",  im  horizontalen  etwa  9'"  messen,  wenn  ein  Reifen  um  den 
grössten  Umfang  des  Bulbus  (Äquator)  gelegt,  vertical  10 — lO1^'",  ho- 
rizontal IO72 — lly/;  messen  würde.  Dieser  Reifen,  durch  die  Inser- 
tionslinien gezeichnet,  fällt  nahezu  mit  dem  hintern  Ende  des  Corpus- 
ciliare  (an  der  Innenfläche)  zusammen,  und  verläuft  ohngefähr  in  der 
Mitte  zwischen  dem  Aequator  bulbi  und  dem  Hornhautrande. 

Diese  Verhältnisse  suchte  ich  so  gut  sich's  bei  einer  einfachen  schematischen  Plan- 
zeichnung thun  liess,   durch  die  beistehende  Figur  anschaulich  zu  machen.     Sie    müssen. 


Anatomie  —  Physiologie. 


179 


nicht  nur  bei  den  Betrachtungen  über  die  Function 
der  Augenmuskeln  wohl  erwogen  werden,  sie  sind 
auch  von  grossem  praktischen  Werthe  bei  der  zu 
therapeutischen  Zwecken  nbthigen  Muskeldurch- 
schneidung. Die  geraden  Linien  ab  und  cd  stehen 
senkrecht  auf  einander  und  schneiden  sich  in  o,  dem 
Mittelpunkte  der  Hornhaut  fghi;  der  punktirte 
Kreis  ab  cd  ist  um  den  Punkt  e,  '/*'"  auswärts  von 
o  beschrieben.  Die  Mittelpunkte  der  geschweiften 
Insertionslinien  des  in-  und  externus  liegen  im  ho- 
rizontalen Durchmesser  ab,  der  Mittelpunkt  derln- 
sertionslinie  vom  superior  c  fällt  in  den  verticalen  Durchmesser,  der  vom  inferior  dagegen 
etwa  ',2'"  einwärts  davon,  d.  h.  der  internus  und  der  inferior  liegen  einander  näher,  als  die 
übrigen  Muskeln.  Wenn  ich  an  gefrorenen  Köpfen  mit  einer  feinen  Säge  einen  Durch- 
schnitt durch  die  Mittelpunkte  der  Insertionslinien  des  superior  und  inferior  bis  zu  ihrem 
Trsprunge  am  Sehnervenloche  führen,  also  diese  Muskeln  ihrer  ganzen  Länge  nach 
halbiren  wollte .  so  dürfte  derselbe  an  der  Gesichtsfläche  nicht  vertical  herablaufen,  son- 
dern es  müsste  der  untere  Orbitalrand  näher  an  der  Nase  durchschnitten  werden,  als  der 
obere  (etwa  um  T").  "Während  in  obiger  Figur  die  Breite  der  Sehnen,  ihre  Entfernung 
vom  Hornhautrande  und  ihre  relative  Lage  zu  diesem  durch  die  dicken  Linien  bezeichnet 
wurden,  mussten  ihre  gegenseitigen  Abstände  von  einander  oder  ihre  Zwischenräume 
wegen  der  horizontalen  Projection  beinahe  um  das  Doppelte  zu  gross  ausfallen. 

Indem  die  geraden  Augenmuskeln  von  der  Spitze  der  Orbita  diver- 
girend  vorwärts  treten,  verlaufen  sie  ausserhalb  der  Tunica  vaginalis 
bulbi  und  sind,  so  wie  hinten  vom  Opticus,  so  vorn  vom  Bulbus  durch 
das  Orbitalfett  geschieden.  Erst  vom  Aequator  bulbi  an  schmiegen  sie 
sich  an  denselben  an,  liegen  jedoch  noch  immer  ausserhalb  der  Schei- 
denhaut, welche  sie  erst  knapp  vor  ihrer  Insertion  so  schräg  durchboh- 
ren, dass  sie  eine  kurze  Strecke  in  (nicht  innerhalb)  derselben  verlau- 
fen, daher  einen  Überzug  von  ihr  erhalten,  welcher  mit  dem  Perimy- 
sium musc.  ein  Continuum  bildet.  Nur  die  bald  mehr  bald  weniger 
kurzen  sehnigen  Enden  der  Recti  liegen  bereits  innerhalb  der  Schei- 
denhaut, welche  sich  über  denselben  nach  vorn  fortsetzt,  um  sich  im 
Verein  mit  der  darüber  befindlichen  Tunica  conjunetiva  am  Rande  der 
Hornhaut  anzuheften.  Wenn  Einige  meinten,  dass  die  sehnigen  Enden 
der  Recti  mit  ihren  Seitenrändern  bogenförmig  unter  einander  zusam- 
menhängen, so  hatten  sie  wohl  die  Tunica  vaginalis  bulbi  vor  Augen, 
welche  allerdings  eine  gewisse  Verbindung  der  Muskelsehnen  unter 
einander  vermittelt  (seitliche  Invagination).  Wird  die  Sehne  eines  Rec- 
tus  durchschnitten,  dann  ist  es  eben  diese  Invagination,  dieser  nament- 
lich an  den  Seitenrändem  noch  unverändert  fortbestehende  Zusammen- 
hang mit  der  Scheidenhaut,  welcher  den  Muskel  noch  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  an  den  Bulbus  bindet.    Die  Angabe,  dass  die  Recti  noch 

12* 


ISO  Augenmuskeln. 

hinter  der  Einpflanzung-  ihrer  Sehnenfasern  in  die  Sclera,  welche  aller- 
dings nicht  in  einer  mathematischen  Linie  stattfindet,  sondern  oft  noch 
Nebenausläufer  zeigt,  durch  kurzen  Zellstoff  straff  angeheftet  sei,  und 
zwar  bis  zum  Aequator  bulbi,  ist  ebenso  unrichtig,  als  wenn  man  eine 
solche  Anheftung  von  der  Tunica  vaginalis  behaupten  wollte.  Hat  man 
die  Binde-  und  Scheidenhaut  in  einer  den  Muskelinsertionslinien  ent- 
sprechenden Kreislinie,  und  hierauf  auch  die  Muskelsehnen  selbst  mit 
möglichster  Schonung  aller  übrigen  Verbindungen  durchschnitten  — 
wie  bei  der  Exstirpatio  bulbi  nach  Bonnet  —  so  kann  man  mit  einem 
dünnen  Scalpellhefte  den  Bulbus  aus  einer  innen  ganz  glatten  Schale 
lösen,  welche  nur  im  hintern  Umfange  noch  durch  die  M.  obliqui  und 
den  N.  opticus  mit  demselben  zusammenhängt  ('rings  um  den  Opticus 
noch  durch  die  Ciliarnerven  und  hintern  Ciliargefässej.  Nichts  ist 
leichter,  als  sich  davon  zu  überzeugen,  dass  der  Muskelbauch  selbst  bis 
gegen  den  Äquator  hin  —  an  seiner  Innenfläche  von  einer  ganz  glat- 
ten Membran  —  der  Scheidenhaut  —  überzogen  ist. 

Die  Conjunctiva  bulbi  erstreckt  sich  am  obern  und  untern  Um- 
fange des  Bulbus  noch  circa  1  vjiitl,  am  innern  und  äussern  noch  min- 
destens 2'"  über  die  Muskelenden  rückwärts,  und  man  kann  besonders 
bei  etwas  flacher  liegenden  Augen  sehr  leicht  die  Muskelfasern  des  in- 
und  externus  durch  die  Binde-  und  Scheidenhaut  durchscheinen  sehen; 
dass  man  den  silberartigen  Glanz  der  Sehnen  nicht  sieht,  kann  als  Be- 
weis dienen  dafür,  dass  sie  nicht  bloss  durch  die  durchsichtige  Binde-, 
sondern  auch  durch  die  bloss  durchscheinende  Scheidenhaut  gedeckt 
sind.  Die  Lage  der  Muskeln  lässt  sich  übrigens  leicht  nach  den  gleich- 
falls von  der  Scheidenhaut  gedeckten  vordem  Ciliargefässen  erkennen, 
welche  aus  den  Muskelbäuchen  heraus  unter  die  Scheiden-  und  Binde- 
haut treten,  ein  Merkmal,  welches  sich  bei  der  Myotomie  besonders 
dann  als  sehr  schätzbar  erweist,  wenn  der  Patient  das  Auge  stark 
verdreht. 

Die  fixen  Punkte  der  beiden  schiefen  Augenmuskeln  liegen  an  der 
Basis  orbitae,  also  den  fixen  Punkten  der  Reeti  entgegengesetzt.  Über 
die  Lage  der  Rolle,  durch  welche  der  vom  Sehnervenloche  herkommende 
Obliquus  superior  mit  seiner  dünnen  und  glatten  Sehne  verläuft,  kann 
man  sich  leicht  unterrichten,  wenn  man  einen  Finger  knapp  hinter  dem 
Eingange  der  Orbita  gegen  den  innersten  Theil  der  obern  Orbitalwand 
drückt.  Von  hier  steigt  die  runde  Sehne  in  der  oben  beschriebenen 
Scheide  nach  hinten  und  aussen  herab,  wird  vor  ihrem  Eintritte  zwi- 
schen den  Rectus  superior  und  den  Bulbus  flach  und  fächerartig,  dringt 
dann  durch  die  Scheidenhaut,  und  verschmilzt  mit  der  Sclerotica  in 


Physiologie.  181 

einer  gegen  3;;;  langen  Bogenlinie,  deren  Convexität  nach  hinten  und 
aussen  sieht,  deren  inneres  Ende  etwas  weiter  hinten  liegt  und  vom 
N.  opticus  3V2— 4/;/  absteht,  während  der  Abstand  des  äussern  (mehr 
nach  vorn  gelegenen)  Endes  vom  Opticus  6— 1'"  beträgt.  —  Der  >Obli- 
quus  inferior  entspringt  vom  Orbitalrande  des  Oberkiefers  Unmittelbar 
nach  aussen  vom  Thränensacke,  läuft  von  da  zwischen  dem  Orbitalfett 
über  dem  Boden  der  Augenhöhle  aus-  und  ein  wenig  ab-  und  rück- 
wärts, bis  er  unter  den  Kectus  inferior  zu  liegen  kommt,  wo  er  sich 
ohngefähr  3";  hinter  dem  Orbitalrande  befindet.  An  der  Kreuzungs- 
stelle mit  dem  R.  inferior  hängt  er  mit  der  Scheide  desselben  durch 
ein  zellig-fibröses  Gewebe  zusammen,  jenseits  dessen  er  seine  Bichtung 
ändert,  indem  er  sich  nicht  nur  stark  aufwärts,  sondern  auch  merklich 
rückwärts  krümmt,  um  dann  an  der  Schläfeseite  des  Bulbus,  unmittel- 
bar an  dessen  Scheidenhaut  anliegend,  zwischen  dieser  und  dem  Rectus 
exteruus  zum  hintern  und  obern  Umfange  des  Bulbus  zu  gelangen. 
Sein  an  Dicke  beinahe  den  Rectis  gleichkommender  Muskelbauch  wird 
zwischen  dem  R.  externus  und  Bulbus  auffallend  breit  und  dünn,  durch- 
dringt die  Scheidenhaut  in  der  Gegend  des  obern  Randes  des  R.  ex- 
ternus, und  inserirt  sich  mit  unmerklich  kurzen  Sehnenfasern  in  die 
Sclera  in  einer  mindestens  5"'  langen  Bogenlinie,  deren  Convexität  nach 
oben  und  vorn  gerichtet  ist,  und  deren  vorderes  Ende  etwa  1'"  vom 
Opticus  absteht,  während  das  hintere  etwa  2 — 2>'"  davon  entfernt  ist. 

Während  sich  durch  die  Mittelpunkte  der  Insertions-  und  Ursprungsstellen  des  R. 
superior  und  inferior  einerseits,  und  durch  die  gleichen  Punkte  des  R.  internus  und 
externus  andererseits  bequem  eine  Ebene  legen  lässt,  wovon  die  letztere  so  ziemlich 
durch  die  Mitte  der  Pupille,  die  erstere  aber  daneben  (an  der  Nasenseite)  vorbeistreicht, 
lässt  sich  für  die  Sehne  des  Obliquus  superic:  und  für  den  Muskelbauch  des  Obliquus 
inferior  durchaus  keine  solche  Ebene  finden.  Es  war  diess  wenigstens  an  Chromsäure- 
präparaten sowohl  als  an  festgefrornen  Köpfen  durchaus  unmöglich,  und  eine  aufmerk- 
same Vergleichung  des  Verlaufes  liess  auch  weiter  keine  Hoffnung  auf  eine  solche  Mög- 
lichkeit  aufkommen.*)      Gibt    es   aber  keine    gemeinschaftliche    Ebene   für   die   Obliqui, 

*)  Euete,  Lehrbuch  der  Ophth.  2.  Aufl.  S.  34  sagt:  „Geht  man  in  der  Richtung,  welche  die  Sehne  des 
Obl.  superior  von  der  Trochlea  bis  zur  Insertion  am  Bulbus  verfolgt,  weiter  nach  unten  und  hinten, 
so  trifft  man  etwas  über  dem  obern  Rande  des  R.  externus  auf  die  Insertion  des  Obl.  inferior.  Von 
der  Insertion  setzt  sich  die  Sehne  dieses  Muskels  schräg  nach  unten  und  vorn  in  derselben  Rich- 
tung, wie  die  Sehne  des  Obl.  superior,  aber  in  umgekehrter  Ordnung  nach  unten  und  vorn  in  den 
Muskel  fort,  der,  unter  den  R.  inferior  liegend,  vom  Boden  der  Orbita,  nahe  dem  Ausgange  zwischen 
dem  Canalis  infraorbitalis  und  dem  Thränenbein  entspringt.  Zieht  man  vom  Ursprünge  des  Obl. 
inferior  eine  Linie  aufwärts  bis  zur  Trochlea,  von  !dieser  bis  zur  Insertion  der  Sehne  des  Obl. 
superior,  und  von  da  zur  Insertion  des  Obl.  inferior  bis  zu  seinem  Ursprünge,  so  beschreibt  man 
eine  ziemlich  regelmässige  Ellipse.  Der  Durchmesser  des  Auges,  welcher  normal  zu  der  Ebene  die- 
ser Ellipse  steht,  ist  die  Drehungsachse  für  die  M.  obliqui."  Ich  bin  nach  meinen  Untersuchungen 
durchaus  nicht  im  Stande,  für  die  beiden  Obliqui  eine  gemeinschaftliche  Ebene  zu  finden,  welche 
zugleich,  wie  Euete  will,  durch  den  Drehpunkt  des  Auges  ginge." 


182  Augenmuskeln. 

dann  gibt  es  meines  Eraehtens  auch  keine  gemeinschaftliche  Achse,  um  welche  die 
Obliqui  den  Bulbus  drehen  könnten,  sondern  es  nauss,  nachdem  die  Unverrückbarkeit 
des  Drehpunktes  des  Bulbus  anderweitig  constatirt  ist,  für  jeden  Obliquus  für  sich  erst 
die  Achse  gesucht  werden,  um  welche  er  den  Bulbus  zu  drehen  vermag.  So  wie  der 
Obl.  superior  in  der  Rolle  unter  einem  spitzigen  Winkel  umbiegt,  nimmt  auch  der  Obl. 
inferior  nach  dem  Durchgänge  durch  die  zellig-fibröse  Masse,  welche  ihn  an  den  R. 
inferior  heftet,  eine  andere  Richtung  an,  wenn  gleich  unter  einem  sehr  stumpfen  Winkel. 
Wird  die  erste  Portion  des  Obl.  inferior  (vom  Ursprünge  bis  zum  R.  inferior)  durch 
eine  Durchschnittsebene  in  eine  vordere  und  hintere  Hälfte  getrennt,  so  liegt  die  zweite 
Hälfte  jederzeit  hinter  dieser  üurchschnittsebene,  und  wird  der  Schnitt  so  geführt,  dass 
er  diese  halbirt ,  so  trifft  dieser  Durchschnitt  auch  niemals  mit  dem  Verlaufe  der  Sehne 
des  Obl.  superior  zusammen.  Der  Obl.  inferior  bietet  demnach  eine  doppelte  Krümmung 
dar,  einmal  nach  der  Fläche  (die  Concavität  zum  Bulbus  gerichtet) ,  und  das  andere  Mal 
nach  den  Rändern  (die  Concavität  rückwärts  gerichtet).  —  Denkt  man  sich  den  Bulbus 
durch  den  Äquator  in  eine  vordere  und  hintere  Hälfte  getrennt,  so  liegen  die  Insertions- 
linien beider  Obliqui  in  der  hintern  Hälfte,  doch  so,  dass  die  vordem  Enden  der  Inser- 
tionslinien  nur  wenig  vom  Äquator  abstehen.  Denkt  man  sich  den  Bulbus  in  eine  äus- 
sere und  innere  Hälfte  geschieden  (mittelst  eines  Meridians  durch  den  vordem  und  hin- 
tern Pol),  so  liegen  die  Insertionslinien  in  der  äussern  Hälfte,  doch  so,  dass  die  des 
Obl.  superior  nahe  an  den  Meridian  fällt.  Denkt  man  sich  endlich  den  Bulbus  in  eine 
obere  und  untere  Hälfte  getheilt,  so  fallen  die  beiden  Insertionslinien  in  die  obere  Hälfte, 
doch  so,  dass  die  des  Obl.  inferior  nur  mit  ihrer  grössern  hintern  Hälfte  in  die  obere 
Hemisphäre  fällt.  Die  Mittelpunkte  der  Insertionslinien  der  beiden  Obliqui  liegen  dem- 
nach in  dem  hintern,  äussern  u.  obern  Yirtel  des  Bulbus,  und  sind  von  einander  nur  un- 
gefähr 4'"  weit  entfernt.  Ihre  hintern  Enden  liegen  einander  etwas  näher,  ihre  vordem 
beträchtlich  weiter  voneinander. 

Die  Ne?^ven,  welche  für  die  Bewegungsorgane  des  Bulbus  bestimmt 
sind,  sind  bekanntlich  der  3.,  4.  und  6.  HirnneiT.  Der  N.  oculomoto- 
rius  versieht  den  B,  internus,  superior,  inferior  und  den  Obl.  inferior 
(nebstdem  den  levator  palpebrae  superioris  und  mittelst  der  radix  brevis 
des  Ganglion  ciliare  die  Iris  und  den  Ciliarmuskel) ;  der  N.  trochlearis 
ist  für  den  Obl.  superior,  der  N.  abducens  für  den  B.  externus  allein 
bestimmt.  —  Die  Arterien  der  Muskeln  des  Augapfels  kommen  durch- 
aus von  der  Art.  ophthalmica,  und  geben  nach  vorn  die  bereits  be- 
schriebenen vordem  Ciliararterien  ab.  Sie  sind  sammt  und  sonders 
viel  zu  dünn,  als  dass  von  ihrer  Durchschneidung  eine  stärkere  Blutung 
zu  besorgen  wäre. 

Der  Oculomotorius ,  welcher  an  der  Basis  encephali  zwischen  den  Hirnschenkeln  zu 
Togo  tritt,  und  dann  an  der-  Seite  des  Türkensattcls  in  einer  Falte  der  harten  Hirnhaut 
über  dem  Sinus  cavernosus,  wo  er  1 — 2  Fädchcn  vom  Carotidengcflecht  aufnimmt,  zur 
Fissura  orbit.  superior  verläuft,  kann  mit  seinen  Wurzeln  im  Gehirne  weit  rückwärts 
verfolgt  werden,  nach  Sömmerring  bis  fast  auf  die  Wand  der  Hirnhöhlen,  nach  Gatt  bis 
unter  den  Tons  Varoli,  nach  Malacarne  kommt  er  vom  obern  Schenkel  des  kleinen  Gehirnes 
und   von    der   Seite   der    Valvula    cerebclli,  wo  auch  der  N.  trochlearis  entspringt.  —  Der 


Physiologie.  183 

Trochlearis  s.  patheticus  entspringt  hinter  den  Yierhügeln  aus  der  markigen  Querstreifung 
■der  Hirnklappe,  steigt  an  den  Sehenkeln  des  grossen  Gehirnes  zur  Basis  cerebri  hinab, 
und  läuft  in  einer  Falte  der  harten  Hirnhaut  über  dem  Sinus  cavernosus  zur  obern  Au- 
genhöhlenspalte.  —  Der  N.  abducens  kommt  zwischen  der  Pyramide,  Olive  und  dem  Pons 
Yaroli  zum  Vorschein,  dringt  hinter  dem  processus  clinoideus  posterior  durch  die  harte 
Hirnhaut  in  den  Sinus  cavernosus,  wo  er  mit  Zweigen  vom  Sympathicus  in  Verbindung 
steht ,  und  tritt  an  der  äussern  Seite  des  Oculomotorius  und  des  Eamus  I.  seu  ophthal- 
micus  trigemini  in  die  obere  Augenhöhlenspalte.  —  Nach  Faesebeck  soll  der  N.  oculomo- 
torius auch  zum  M.  obliq.  superior  und  zum  M.  rectus  externus  feine  Zweigchen  senden.  — 
Alle  diese  Nerven  und  nebstdem  noch  der  Ram.  ophth.  trigemini  treten  durch  die  obere 
Augenhöhlenspalte  in  die  Orbita,  während  die  Vena  ophthalmica  durch  die  Spalte  rück- 
wärts zum  Sinus  cavernosus  verläuft. 

Die  Function  der  Augenmuskeln  ist  eine  mehrfache.  Sie  erhalten 
den  Bulbus  in  einem  gewissen  Grade  von  Spannung,  sie  verlängern  ihn 
behufs  der  Einrichtung  fürs  Erkennen  naher  Objecte  in  der  Richtung 
der  Sehachse  durch  seitliche  Compression,  und  sie  verändern  die  Stel- 
lung der  Sehachsen  derart,  dass  sie,  bald  mehr  bald  weniger  zu  ein- 
ander geneigt,  jedem  beliebigen  Punkte  im  Horopter  zugewendet  wer- 
den können.  Dass  die  Netzhaut  als  eigentlicher  Regulator  ihrer  Func- 
tion betrachtet  werden  müsse,  haben  wir  bereits  S.  48  angegeben. 

Jeder  Muskel  wird  im  Momente  der  erhöhten  Contraction  kürzer, 
dicker,  und  falls  er  gekrümmt  verläuft,  der  geraden  Richtung  mehr 
weniger  genähert.  Da  nun  sämmtliche  Recti  und  Obliqui  (der  Obl. 
superior  von  der  Rolle  an)  bogenförmig  über  eine  mehr  weniger  grosse 
Strecke  des  Bulbus  verlaufen,  so  ist  an  die  Spannung  jedes  einzelnen 
sowohl  als  aller  zusammen  zugleich  ein  gegen  den  Bulbus  gerichteter 
Druck  gebunden,  entsprechend  der  Kraft,  mit  welcher  die  Spannung 
geschieht,  und  der  Krümmung,  welche  zwischen  den  Anhaltspunkten 
stattfindet.  Dieser  Druck  geht  offenbar,  da  die  Muskelkrümmung  über 
den  Aequator  bulbi  streicht,  von  diesem  aus  gegen  das  Centrum  (Dreh- 
punkt), so  dass  also  bei  erhöhter  Muskelcontraction  die  Durchmesser 
des  Bulbus  im  Äquator  verkürzt  werden  müssen,  wenn  eine  Formver- 
änderung des  Bulbus  überhaupt  möglich  ist. 

Der  Bulbus  enthält  im  normalen  Zustande  nicht  so  viel  Flüssig- 
keit, als  er  seinem  Lumen  nach  enthalten  könnte.  Er  erhält  jenen 
Grad  von  Spannung,  den  er  darbietet,  nicht  durch  sein  Contentum 
allein,  sondern  erst  unter  Beihilfe  der  muskulösen  Gebilde,  welche  theils 
in,  theils  ausser  ihm  liegen.  Sein  Lumen  wird  durch  den  Ciliarkörper, 
die  Zonula  Zinnii  und  die  vordere  Kapsel  sammt  der  Krystalllinse  wie 
durch  ein  Diaphragma  in  einen  vordem  und  hintern  Raum  geschieden, 
wovon  der  erstere  das  Kammerwasser,   der  letztere  den  elastisch  bieg- 


184  Augenmuskeln. 

samen  Glaskörper  enthält.  Beide  Contenta  sind  gleich  andern  Flüssig- 
keiten incompressibel.  Das  genannte  Diaphragma  steht  nur  durch  die 
sehnige  Anheftung  des  Ciliarmuskels  an  den  vordersten  Rand  der  Sclera 
und  an  den  hintersten  Rand  der  Cornea  mit  der  Wandung  des  Bulbus 
in  fester  Verbindung,  und  diese  Wandimg  zeigt  daselbst  an  ihrer  Aus- 
senseite  eine  kreisförmige  Einschnürung,  indem  die  Cornea  gleich  einem 
Kugelsegmente  von  kleinerem  Radius  aus  dem  Ellipsoide,  welches  die 
Sclera  darstellt,  sich  emporwölbt.  Diese  Scheidewand  kann  durch  den 
an  ihrer  Peripherie  zwischen  sie  und  die  Bulbuswandung  eingeschobe- 
nen Ciliarmuskel  in  eine  der  jeweiligen  äussern  Muskelspannung  adä- 
quate Spannung  versetzt  werden,  und  sichert  eben  durch  den  Zug 
nach  innen  den  Fortbestand  jener  kreisförmigen  Einschnürung,  mithin 
auch  die  Wölbung  der  Cornea,  trotzdem  dass,  wie  wir  weiterhin  sehen 
werden,  der  Bulbus  durch  die  Recti  und  Obliqui  seitlich  comprimirt 
werden  kann.  Ohne  eine  solche  Stütze  von  innen  müsste  die  besondere 
Wölbung  der  Cornea  gleichsam  in  der  allgemeinen  des  Bulbus  auf- 
gehen. 

Dass  aber  der  Bulbus  seine  gewöhnliche  Spannung  erst  durch  die 
Beihilfe  der  genannten  Muskel  erhält,  ergibt  sich  aus  mehreren  That- 
sachen.  Schon  unmittelbar  nach  dem  Tode,  wo  höchstens  von  vermin- 
dertem Blutgehalte,  durchaus  aber  noch  nicht  von  erheblichem  Flüssig- 
keitsverlust durch  Verdunstung  die  Rede  sein  kann,  erscheint  der  Bul- 
bus weniger  gespannt,  das  Auge  gebrochen.  Lässt  man  einen  frischen 
Bulbus  einige  Zeit  in  Wasser  liegen,  so  imbibirt  er  in  den  hintern 
Augenraum  so  viel  Flüssigkeit,  als  er  überhaupt  in  sein  Lumen  auf- 
nehmen kann,  und  erscheint  dann  hart,  wie  eine  aufs  Höchste  gefüllte 
Blase.  —  Wird  das  genannte  Diaphragma  zerstört,  wie  bei  der  Recli- 
nation,  so  erscheint  der  Bulbus  unmittelbar  darnach,  auch  wenn  kein 
Tröpfchen  Contentuni  ausgeflossen  ist,  minder  gespannt  und  bleibt 
(auch  nach  andern  Staaroperationen)  so  lange  etwas  weicher,  bis  ein 
neues  Diaphragma  zwischen  Humor  aqueus  und  vitreus  hergestellt  ist 
und  dem  Ciliarmuskel  von  innen  her  die  gehörige  Stütze  gibt.  Coccius 
überzeugte  sich  (nach  mündlicher  Mittheilung)  von  der  Verminderung 
der  Spannung  des  Bulbus  bei  Kaninchen  nach  Erschlaffung  der  Muskeln 
durch  Chloroformnarkose.  Aus  diesen  Thatsachen  ergibt  sich  auch, 
dass  die  natürliche  Spannung  des  Bulbus  nicht  etwa  ein  Ergebniss  der 
Elasticität  der  Sclera  und  Cornea  ist,  welche  überhaupt,  was  Ausdehn- 
barkeit betrifft,  nach  vollendetem  Wachsthum  nicht  hoch  angeschlagen 
werden  kann.  Übrigens  ist  es  eine  bekannte  Sache,  dass  der  Bulbus 
beim  Betasten  im  normalen  Zustande  bei  weitem  nicht  hart  oder  prall 


Physiologie.  185 

erscheint,  wie  eine  vollständig  gefüllte  Blase,  und  der  praktische  Arzt 
hat  so  zu  sagen  täglich  Gelegenheit,  aus  erhöhter  Eesistenz  oder  einer 
gewissen  Prallheit  des  Bulbus  auf  Exsudation  im  hintern  Augenraume 
(Chorioiditis,  Hydrops  corporis  vitrei)  zu  schliessen. 

Thatsachen,  welche  beweisen,  dass  die  geraden  Augenmuskeln  im 
Verein  mit  den  schiefen  im  Stande  sind,  bei  durchbrochener  oder  nach- 
giebiger Wandung  des  Bulbus  oder  bei  Verminderung  seines  Inhaltes 
(Phthisis  et  atrophia  bulbi)  einen  bedeutenden  Druck  auf  den  Bulbus 
auszuüben,  haben  wir  bereits  im  1.  Bande  S.  225,  238  und  245,  zum 
Theil  auch  im  2.  Bande  an  verschiedenen  Stellen  angeführt.  Dass  aber 
die  Recti  im  Verein  mit  den  Obliquis  auch  im  normalen  Zustande  einen 
mehr  weniger  starken  Druck  auf  den  Bulbus  auszuüben  vermögen,  er- 
gibt sich  schon  aus  der  einfachen  Betrachtung  der  fixen  und  der  In- 
sertionspunkte  dieser  Muskeln.  Diese  verhalten  sich  zum  Bulbus  nicht 
wie  Tangenten,  wie  noch  immer  behauptet  wird,  sondern  verlaufen, 
noch  ehe  sie  sich  fest  mit  ihm  verbinden,  eine  mehr  weniger  lange 
Strecke  gekrümmt  über  seine  grösste  Wölbung  am  Äquator,  wo  die 
Sclera  zugleich  auffallend  dünn  ist.  Wer  nicht  Gelegenheit  hat,  an  hart 
gefrorenen  Köpfen  die  geeigneten  Durchschnitte  mit  einer  dünnen  Säge 
zu  machen,  sehe  sich  getreue  Abbildungen  an,  namentlich  die  auf  der 
S.  Tafel  von  Sömmei-nng  (Abbildungen  des  menschl.  Auges,  Frankfurt  a.  M. 
1S01),  und  die  Ziehung  gerader  Linien  vom  Ursprünge  der  Recti  bis 
zu  ihren  Insertionsstellen  beantwortet  diese  Frage  so  zu  sagen  von 
selbst.  Eine  seitliche  Compression  des  Bulbus  durch  die  Recti  würde 
jedoch  nicht  möglich  sein,  wenn  nicht  die  Obliqui,  mit  ihren  fixen 
Punkten  am  Eingange  der  Orbita  gelegen,  sich  am  hintern  und  äussern 
Umfange  des  Bulbus  inserirten,  und  dem  Zuge  der  Recti  nach  hinten 
widerstrebend,  gleichzeitig  auch  vermöge  ihres  bogenförmigen  Verlaufes 
über  die  grösste  Wölbung  des  Bulbus  die  comprimirende  Wirkung  unter- 
stützen müssten.  Die  Obliqui  sind  ohne  Zweifel  Antagonisten  der  Recti, 
so  fern  sie  die  Zurückziehung  des  Bulbus  durch  letztere  verhindern. 
Dieser  Gegensatz  und  somit  auch  der  daran  gebundene  seitliche  Druck 
auf  den  Bulbus  ist  (mindestens  im  wachen  Zustande)  ein  permanenter. 
Er  steigt,  wie  wir  später  zeigen  werden,  bei  der  Einrichtung  des 
Auges  für  nahe  Objecte,  und  lässt  sich  dann,  wie  Gräfe  zuerst  beob- 
achtet hat,  direct  an  der  Steigerung  des  Centralvenenpulses  mit  dem 
Augenspiegel  nachweisen. 

Die  Spannung  des  Bulbus  im  normalen  Zustande  ist  jederzeit  viel 
zu  gross,  als  dass  eine  Abplattung  desselben  durch  das  ihn  hinten  um- 
fangende Fettgewebe  bewirkt  werden  könnte ,   wenn  es  auch  wirklich 


186  Augenmuskeln. 

möglich  wäre,  dass  der  Bulbus  gegen  dasselbe  angedrückt  werden 
könnte.  Ein  harter  Körper  kann  durch  Andrücken  an  einen  weichen 
nicht  abgeplattet  werden.  Die  merkwürdig  hohe  Zusammendrückbarkeit 
und  Elasticität  des  retrobulbären  Fettgewebes  ist  uns  ein  Postulat  aus 
der  freien  Beweglichkeit  des  Sehnerven  in  demselben.  Vermöge  dieser 
Eigenschaft  gestattet  dieses  Fettgewebe  ganz  gewiss  ein  eben  so  leich- 
tes und  freies  Rück-  und  Vorwärtstreten  der  hintern  Bulbuswand,  ohne 
welches  —  da  ein  Ausweichen  der  Cornea  nach  vorn  laut  Beobachtung 
nicht  stattfindet ,  und  die  Contenta  bulbi  so  gut  als  gar  nicht  compres- 
sibel  sind  —  eine  seitliche  Compression  des  Bulbus  durch  die  Recti 
und  Obliqui  nicht  gedacht  werden  könnte.  Um  so  viel  als  der  Bulbus 
von  den  Seiten  her  comprinairt  wird,  um  so  viel  oder  doch  nicht  um 
viel  weniger  muss  derselbe  in  der  Achse  verlängert  werden,  durch  Rück- 
wärtsweichen seiner  hintern  Wandung.  Mehr  hierüber  bei  der  Be- 
sprechung der  Accommodation,  Kurz-  und  Weitsichtigkeit. 

Das  Studium  der  Function  der  einzelnen  Augenmuskeln  wird  we- 
sentlich erleichtert,  wenn  man  eine  alte  irrige  Vorstellung  aufgibt,  die 
nämlich,  dass  bei  erhöhter  Wirkung  (Verkürzung)  des  einen  die  übrigen 
oder  doch  seine  Antagonisten  erschlafft  seien,  statt  dass  man  sagen 
sollte,  sie  werden  bei  gleicher  Spannung  nur  um  so  viel  länger,  als  die 
Verkürzung  des  die  Ablenkung  vermittelnden-  es  nach  der  jeweiligen 
Lage  des  Bulbus  erheischt.  Das  Irrige  dieser  Vorstellung  tritt  scharf 
hervor  in  dem  daraus  consequent  gefolgerten  Schlüsse,  dass,  wenn  man 
den  Muskeln  überhaupt  eine  comprimirende  Wirkung  auf  den  Bulbus 
einräume,  dann  bei  Contraction  des  einen  und  Erschlaffung  der  übrigen 
Muskeln  dieselbe  Erscheinung  eintreten  müsse,  Avie  beim  Drucke  des 
Fingers  auf  eine  hinter  der  Ora  serrata  gelegene  Partie,  nämlich  sub- 
jective  Lichtempfindung.  Wenn  aber  ein  Muskel,  z.  B.  der  R.  externus, 
durch  den  Nerveneinfiuss  verkürzt  wird,  um  das  Hornhautcentrum  nach 
seiner  Seite  hin  zu  rollen,  so  darf  man  sich  nicht  vorstellen ,  dass  sein 
Antagonist  (der  R.  internus)  erschlafft,  minder  gespannt  werde.  Er  wird 
diess  in  diesem  Momente  eben  so  wenig  als  alle  übrigen;  alle  beharren 
in  dem  gleichen  Grade  der  Spannung,  nur  dass,  wenn  wir  bei  obigem 
Beispiele  bleiben,  der  R.  internus  in  demselben,  und  der  R.  superior 
und  inferior  in  etwas  geringerem  Masse  länger  werden,  während  der 
externus  und  mit  ihm  zugleich,  nur  in  geringerem  Masse,  die  beiden 
Obliqui  kürzer  werden.  Der  Bulbus  dreht  sich  um  den  in  seinem 
Centrum  gelegenen  Drehpunkt  (um  eine  durch  denselben  laufende  Achse) 
wie  eine  Rolle  um  die  Spindel.  Die  Spannung  des  verkürzten  Muskels 
und  folglich  auch  sein  Druck  gegen  den  Bulbus  ist  nicht  grösser  als 


Physiologie.  187 

die  des  langer  "werdenden  Antagonisten,  sonst  könnte  der  Bulbus  nicht 
in  jedem  Momente  des  Überganges  von  einer  Stellung  zur  andern  (vom 
innern  zum  äussern  Augenwinkel)  als  ruhend  betrachtet  werden,  wie  er 
es  doch  offenbar  ist,  wenn  ich  z.  B.  diese  Zeile  von  Anfang  bis  zu 
Ende  lese.  Es  ist  ein  stetes  Fortschreiten  von  einem  Punkte  zum  andern, 
etwa  so,  wie  wenn  an  einem  über  eine  Rolle  verlaufenden  Seile  jeder- 
seits  ein  gleich  schweres  Gewicht  hängt,  die  Gewichte  auf-  und  ab- 
steigen können,  ohne  dass  die  Spannung  des  Seiles  auf  der  einen  Seite 
ab-,  auf  der  andern  zunimmt,  und  ohne  dass  der  Druck,  den  das  Seil 
gegen  den  fixen  Punkt  der  Rolle  hin  ausübt,  auf  der  einen  Seite  grösser 
wäre,  als  auf  der  andern. 

Jeder  Bulbus  für  sich  kann  mit  einem  Fernrohre  verglichen  wer- 
den, welches  für  verschiedene  Entfernungen  eingestellt  (eingeschoben 
oder  ausgezogen),  überdiess  aber,  in  seinem  Schwerpunkte  befestigt, 
bei  jeder  beliebigen  Einstellung  oder  Länge  mit  dem  Objectivglase 
nach  verschiedenen  Richtungen  (innerhalb  eines  gewissen  Kreises)  ge- 
lenkt werden  kann,  jedoch  so,  dass  dabei  sein  Schwerpunkt  immer 
nahezu  an  derselben  Stelle  im  Räume  bleibt.  Man  denke  sich  nun  zwei 
solche  für  beliebige  Distanzen  einstellbare  (accommodirbare)  und  um  je 
einen  fixen  Punkt  bewegliche  Fernröhre  nebeneinander  auf  einen  z.  B. 
100  Fuss  entfernten  Punkt  eingestellt  und  gerichtet,  und  in  dieser  Ein- 
stellung und  Neigung  zu  einander  verharrend,  nach  und  nach  auf  andere, 
in  der  Horizontalen  links  und  rechts  gelegene  Punkte  gelenkt,  so  wer- 
den diese  Punkte,  offenbar  in  einer  krummen  Linie  liegen,  welche  man 
erhält,  wenn  man  durch  die  beiden  fixen  Punkte  der  Fernröhre  und 
durch  den  Punkt,  auf  den  sie  ursprünglich  gerichtet  wurden,  einen  Kreis 
beschreibt.  Die  Distanz  der  beiden  fixen  Punkte  der  Fernrohre  bildet 
dann  eine  Sehne  dieses  Kreises.  Es  können  aber  die  beiden  Fernröhre 
unbeschadet  ihrer  Einstellung  und  gegenseitigen  Neigung  zu  einander 
nicht  bloss  in  der  Horizontalen  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  links  und 
rechts  herumbewegt  werden,  sondern  auch  in  der  Verticalen  auf-  und 
abwärts,  und  der  Kreuzungspunkt  ihrer  verlängert  gedachten  Achsen 
wird  jetzt  ebenfalls  eine  Kreislinie  beschreiben.  Den  Radius  dieses 
Kreises  bildet  aber  eine  gerade  Linie,  welche  man  erhält,  wenn  man 
jenen  Kreuzungspunkt  verbindet  mit  dem  Mittelpunkte  der  Distanz 
zwischen  den  fixen  Punkten  der  Fernröhre.  Würde  man  nun  noch  unter 
Beobachtung  derselben  Bedingungen  die  Fernröhre  so  lenken,  dass  der 
Kreuzimgspunkt  ihrer  verlängerten  Achsen  nach  und  nach  auf  verschie- 
dene Punkte  in  den  dazwischen  liegenden  Quadranten,  z.  B.  links  und 
oben  oder  rechts  und  unten  u.  s.  w.  zu  liegen  käme,  so  würden  sämmt- 


1S8  Augenmuskeln. 

liehe  Punkte,  welche  jener  Kreuzungspunkt  nach  und  nach  (sowohl 
in  den  horizontalen,  als  in  den  verticalen  und  in  den  schiefen  oder 
Zwischenrichtungen)  durchlaufen  hat,  die  Oberfläche  eines  Sphäroides 
darstellen,  oder  gleichsam  eine  hohle  Schale,  deren  Gestalt  sich  mathe- 
matisch bestimmen  lassen  würde.  Diese  sphäroidale  Fläche  oder  Schale 
mag  dem  Leser  einen  ungefähren  Begriff  geben  von  dem,  was  man 
Horopter  nennt.  Stellen  wir  die  Fernröhre  ceteris  paribus  für  500  statt 
für  100  ein,  so  werden  bloss  die  beschriebenen  Kreise  grösser,  wir 
erhalten  statt  des  engeren  einen  weiteren  Horopter.  Da  die  Augen  gleich 
den  supponirten  Fernröhren  für  verschiedene  Distanzen  eingestellt  und 
dann  unter  einer  sich  stets  gleich  bleibenden  Neigung  der  Sehachsen  zu 
einander  herum  bewegt  werden  können,  so  gibt  es  für  jedes  Individuum 
(mit  gleichen  Augen)  so  viele  Horopter,  als  Distanzen  der  Sehweite. 
Die  Sehweite  ist  aber  bei  allen  Individuen  auf  einen  gewissen  Spiel- 
raum angewiesen;  sie  reicht  z.  B.  beim  normalen  Auge  nicht  unter  5", 
bei  Kurzsichtigen  wohl  näher,  z.  B.  bis  auf  3",  dann  aber  auch  nicht 
so  weit,  z.  B.  nur  auf  9".  Die  mittlere  Sehweite  bezeichnet  man  dann 
der  Kürze  halber  wohl  auch  mit  dem  Ausdrucke  Mesoropter.  Näheres 
hierüber  bei  der  Kurz-  und  Weitsichtigkeit.  Wir  wollen  hier  vorläufig 
nur  so  viel  erörtern,  als  zum  Verständniss  der  Bewegungen  der  Augen 
und  ihrer  Beziehung  zur  Accommodation  erspriesslich  und  nothwendig 
erschien. 

Durch  die  Augenmuskeln  kann  die  Stellung  der  Bulbi  mit  der  gröss- 
ten  Leichtigkeit  und  Behendigkeit  so  verändert  werden,  dass  jederzeit 
nicht  nur  das  Centrum  einer  jeden  Netzhaut  der  Reihe  nach  irgend 
einem  und  demselben  Punkte  des  Gesichtsfeldes  zugewendet  wird, 
sondern  auch  zugleich  die  übrigen  Partien  der  Netzhaut  eines  jeden 
Auges  dieselbe  relative  Lage  zu  je  einem  Objecte  des  Gesichtsfeldes 
einnehmen.  Das  Erstere  wird  vorzugsweise  durch  die  Recti,  das  Letz- 
tere vorzugsweise  durch  die  Obliqui  bewirkt.  Die  Bewegungen,  welche 
zum  Zwecke  haben,  das  Centrum  der  Netzhäute  je  einem  beliebigen 
Punkte  des  Gesichtsfeldes  gegenüber  zu  stellen,  sind  Gegenstand  des 
Bewusstwerdens,  sie  mögen  nun  direct  vom  Willen  oder  als  Reflexbe- 
wegungen von  der  Netzhaut  aus  angeregt  werden;  sie  treten  theils  als 
assoeiirte,  theils  als  aecommodative  Bewegungen  in  die  Erscheinung 
(Bewegungen  in  demselben  Horopter,  Richtbewegungen,  und  Abände- 
rung des  Horopters).  Die  dabei  nothwendig  und  unabhängig  vom  Be- 
wusstsein  stattfindende  Thätigkeit  der  Obliqui,  sofern  sie  nicht  etwa  die 
Wirkung  der  Recti  unterstützt,  erscheint  gleichsam  als  coordinirte  Cor- 
rection;  sie  verhindert,   dass    bei  den  assoeiirten  oder  aecommodativen 


Physiologie.  1 89 

Bewegungen  nicht  etwa  relativ  verschiedene  peripherische  Partien  der 
einen  und  der  andern  Netzhaut  einem  und  demselben  seitlichen  Objecte 
des  Sehfeldes  zugewendet  werden ;  sie  erhält  so  zu  sagen  die  correspon- 
dirende  Lage  der  correspondirenden  Meridiane  der  Netzhaut  aufrecht. 
Die  Recti  können  nämlich  vermöge  ihres  Ursprunges  und  vermöge  ihrer 
Insertion  am  Bulbus,  wenn  wir  uns  diesen  als  nur  in  seinem  Mittel- 
punkte unverrückbar,  übrigens  aber  in  jeder  Richtung  um  denselben 
drehbar  denken,  wie  er  es  in  der  That  auch  ist,  höchstens  so  viel  be- 
wirken, dass  sie  jederzeit  die  Macula  lutea  jedes  Auges  einem  und 
demselben  beliebigen  Objecte  gegenüber  stellen,  d.  h.  dass  sich  beide 
Sehachsen  bald  in  einem  nahen,  bald  in  einem  fernen,  bald  in  einem 
gradaus,  bald  in  einem  links,  rechts,  oben  u.  s.  w.  gelegenen  Objecte 
treffen ;  sie  können  aber  nicht  verhüten,  dass  sich  der  Bulbus  bei  diesen 
Übergängen  zugleich  um  die  Drehachse  drehe,  was  bei  dem  raschen 
Wechsel  der  Objecte  in  ihrer  Distanz  unvermeidlich  sein  würde,  wenn 
nicht  gleichzeitig  die  Obliqui  in  Thätigkeit  träten,  um  einer  jeden  Netz- 
haut dieselbe  relative  Stellung  zum  Sehfelde  zu  sichern.  Man  wird  die 
Notwendigkeit  einer  solchen  Correction  leicht  einsehen,  wenn  man  be- 
denkt, dass  die  Lage  der  Recti  um  den  Bulbus  keine  symmetrische  ist, 
und  dass  die  Sehachse  nicht  mit  der  Achse  des  pyramidalen  Raumes 
zusammenfällt,  an  dessen  Spitze  die  Ursprünge,  an  dessen  Basis  die 
Insertionen  der  Recti  liegen. 

Denjenigen,  welche  sich  aus  eigener  Anschauung  eine  klare  Ansicht  über  die  hier 
in  Betracht  kommenden  mechanischen  Verhältnisse  machen  wollen,  empfehle  ich,  sich 
Bulbi  in  Chromsäure  zu  erhärten  (allmälig,  damit  sie  nicht  einschrumpfen),  an  denen 
die  Eecti  etwa  bis  zum  Äquator,  die  Obliqui  bis  zur  Kreuzung  mit  den  Eectis  gelassen 
sind,  jedoch  so ,  dass  sie  bis  genau  zu  ihren  Insertionslinien  von  der  übrigens  ganz  rein 
präparirten  Sclera  nach  Bedarf  abgehoben  werden  können.  Durch  jeden  der  so  zubereite- 
ten Bulbi  steche  man  eine  etwa  1 V2"  lange  Nadel  vom  Hornhautcentrum  zum  hintern 
Pole  durch,  um  sich  die  Sehachse  genau  vorstellen  zu  können.  Ebenso  führe  man  eine 
zweite  Nadel  im  Äquator  horizontal  mitten  durch  den  Bulbus.  Eine  dritte,  vertical  im 
Äquator  durchgeführt,  dürfte  schon  überflüssig  sein,  um  sich  die  nöthigen  Durchschnitts- 
ebenen durch  den  Bulbus  richtig  vorstellen  zu  können.  Mittelst  Wachskugeln  an  der  in- 
nern  und  äussern  Wandung  der  Orbita  eines  Schädels  befestige  man  nun  die  von  der 
Schläfe-  nach  der  Nasenseite  durchgeführte  Nadel  im  Eingange  der  Augenhöhle,  und 
schütze  den  Bulbus  gegen  Drehung  allenfalls  noch  durch  eine  Wachsunterlage  am  untern 
Orbitalrande.  Kann  man  sich  die  Insertionslinien  der  Obliqui  bei  dieser  nun  möglichst 
naturgetreuen  Lage  des  Bulbus  nicht  klar  vorstellen,  so  nehme  man  einen  aufgesägten 
Schädel  und  entferne  die  obere  Wandung  der  Orbita.  Damit  die  Nadel,  welche  die  Sehachse 
vorstellt,  parallel  zur  verticalen  Medianebene  des  Kopfes  gehe,  demnach  bei  horizontalem 
Verlaufe  von  vorne  nach  hinten  senkrecht  auf  der  verticalen  Antlitzfläche  stehe,  muss  die 
Wachskugel  zur  Aufnahme  der  zweiten  Nadel  an  der  Schläfeseite  vor  dem  Orbitalrande 
angebracht  werden. 


190  Augenmuskeln. 

Die  Bestimmung-  des  Antheiles,  welchen  jeder  einzelne  Muskel  an 
den  verschiedenen  Bewegungen  und  Haltungen  des  Augapfels  nimmt, 
ist  unerlässlich  zur  Beurtheilung  von  Krankheitsfällen,  z.  B.  bei  Läh- 
mung eines  oder  mehrerer  Augenmuskeln;  sie  ist  aber  äusserst  schwierig 
und  bis  jetzt  nur  bis  zu  einem  gewissen  Grade  möglich,  weil  kein 
Muskel  für  sich  allein  wirkt,  sondern  immer  alle  zugleich  thätig  sind, 
weil  die  Abänderung  in  der  Stellung  des  Bulbus,  wenn  auch  vorzüglich 
durch  Verkürzung  eines  oder  zweier  Muskeln  bewirkt,  dennoch  immer 
durch  Mitwirkung  eines  oder  mehrerer  Muskeln  unterstützt,  und  durch 
entsprechende  Verlängerung  nicht  bloss  eines,  sondern  zweier  oder 
dreier  zugleich  antagonistisch  moderirt  wird,  weil  dabei  immer  die 
frühere  Stellung  von  mehr  weniger  bedeutendem  Einflüsse  ist,  und 
endlich  weil  Uberdiess  die  Gruppirung  der  verkürzten  Muskeln  und  der 
Grad  ihrer  Verkürzung  verschieden  ausfallen  muss,  je  nachdem  die- 
selbe Bewegung  in  einem  engen  oder  in  einem  weiten  Horopter  aus- 
geführt wird.  —  Die  wichtigsten  Momente  zur  Beurtheilung  der  Be- 
theiligung eines  Muskels  sind:  die  Stelle  des  Ursprunges  (eigentlich 
des  fixen  Punktes)  und  der  Insertion,  die  Richtung  der  Insertionslinie 
und  die  Lage  ihres  Mittelpunktes,  die  Krümmung  des  Muskels  oder 
der  Sehne  zwischen  dem  fixen  Punkte  und  der  Insertion,  die  Dicke, 
Breite  und  Länge  der  Muskelbäuche  und  Muskelsehnen,  und  die  rela- 
tive Lage  longitudinaler  und  transversaler  Durchschnittsebenen  der 
Muskeln  und  ihrer  Endsehnen  zum  Drehpunkte  und  zu  gewissen,  durch 
denselben  geführten  Durchschnittsebenen  des  Bulbus.  Mit  Rücksicht 
auf  diese  Momente  lässt  sich  über  die  Wirkung  jedes  einzelnen  Mus- 
kels, jedoch  ganz  im  Allgemeinen,  ohngefähr  Folgendes  mit  Bestimmt- 
heit angeben: 

Der  R.  internus  rollt  das  vordere  Ende  der  Sehachse  (Hornhaut- 
centrum) horizontal  ein-,  der  E.  externus  dagegen  auswärts,  voraus- 
gesetzt, dass  die  Obliqui  und  die  andern  beiden  Recti  dabei  einander 
das  Gleichgewicht  halten.  Denn  würde  in  demselben  Momente,  wo  der 
R.  internus  kürzer  wird,  z.  B.  der  R.  superior  kürzer,  als  der  R.  in- 
feribr,  so  müsste  die  Pupille  nach  innen  und  oben  gerollt  werden.  — 
Ebenso  würde,  da  bei  Verkürzung  des  R.  internus,  mit  welchem  immer 
auch  eine  mehr  weniger  geringe  Verkürzung  des  R.  superior  und  in- 
ferior zugleich  erfolgt,  das  Gegengewicht  durch  den  R.  externus  im 
Verein  mit  den  beiden  Obliquis  hergestellt  wird,  der  Ausfall  eines 
Obliquus,  z.  B.  des  Obl.  superior,  das  bewirken,  dass  der  Bulbus  nicht 
bloss  ein  wenig  um  die  Sehachse  gedreht  würde,  wobei  der  R.  superior 
etwas  gegen  die  Schläfe  hin  verrückt  werden  müsste,   sondern  auch, 


Physiologie.  191 

dass  die  Pupille  stärker  nach  innen  und  zugleich  ein  wenig  nach  oben 
abgelenkt  werden  würde,  als  wenn  der  Rectus  externus  in  seinem  An- 
tagonismus gegen  den  R.  internus  durch  beide  Obliqui  zugleich  unter- 
stützt wird.  —  Eine  Ebene,  mitten  durch  die  Insertionslinien  dieser 
beiden  Recti  und  durch  den  Bulbus  bis  zum  Sehnervenloche  geführt, 
geht  durch  den  Drehpunkt  des  Auges,  trennt  den  Bulbus  in  eine  untere 
und  eine  obere  Hälfte,  und  die  durch  den  Drehpunkt  verlaufende  ver- 
ticale  Äquatorialachse  steht  senkrecht  auf  dieser  Ebene;  wenn  sich  dem- 
nach die  Pupille  in  dieser  Ebene  links  oder  rechts  wendet,  so  ist  jene 
verticale  Äquatorialachse  seine  Drehungsachse,  d.  h.  die  Drehungsachse 
für  den  R.  internus  und  externus. 

Der  i?.  superior  rollt  das  Hornhautcentrum  nach  oben,  jedoch  nicht 
vertical,  sondern  ein  wenig  zur  verticalen  Medianebene  des  Kopfes 
zuneigend;  bei  der  Abwärtsrollung  des  Bulbus  durch  den  R.  inferior 
tritt  die  Zuneigung  zur  verticalen  Medianebene  noch  etwas  stärker  her- 
vor. Eine  Ebene,  mitten  durch  die  Insertionslinien  und  weiterhin 
mitten  durch  die  Muskelbäuche  des  R.  superior  und  inferior  bis  zum 
Sehnervenloche  gelegt,  geht  nicht  durch  den  Drehpunkt,  sondern 
streicht  an  der  Nasenseite  neben  ihm  vorbei;  sie  steht  überdiess  nicht 
vertical  auf  der  Horizontalen,  sondern  neigt  sich  unten  etwas  zur  Nase- 
herüber.  Hienach  lässt  sich  die  gemeinschaftliche  Drehungsachse  für 
diese  beiden  Recti  an  und  für  sich  so  wie  bei  den  andern  beiden  be- 
stimmen. Soll  der  Bulbus  um  eine  von  der  Nasen-  zur  Schläfeseite 
parallel  zur  Antlitzfläche  durch  den  Drehpunkt  verlaufende  Achse  ge- 
rollt werden  (vertical  auf-  und  abwärts),  so  kann  diess  durch  die  in 
Rede  stehenden  Recti  allein  nicht  bewirkt  werden;  es  ist  diess  nur  dann 
möglich,  wenn  zugleich  die  beiden  Obliqui  und  der  R.  externus  ver- 
kürzt werden,  was  —  relativ  zum  R.  internus  —  natürlich  in  verschie- 
denem Grade  stattfinden  wird,  je  nachdem  die  Pupille  dabei  in  der 
Mitte  der  Lidspalte  oder  in  der  Nähe  des  innern  oder  äussern  Augen- 
winkels auf-  und  abwärts  steigen  soll. 

Der  Obl.  superior  rollt  das  Hornhautcentrum  nach  unten  und  aussen, 
dreht  aber  zugleich  den  Bulbus  ein  wenig  oben  herüber,  so  dass  das 
obere  Ende  der  verticalen  Äquatorialachse  etwas  zur  Nase  zugeneigt, 
der  Bulbus  in  dieser  Richtung  ein  wenig  um  die  Sehachse  gedreht 
werden  kann;  der  Obl.  inferior  rollt  das  Hornhautcentrum  nach  oben 
und  aussen,  und  kann  zugleich  eine  Drehung  des  Bulbus  um  die  Seh- 
achse in  entgegengesetzter  Richtung  bewirken,  wenn  ihm  nämlich  der 
Obl.  superior  hierin  nicht  als  Antagonist  entgegentritt.  Diese  Wirkungs- 
weise ist  constatirt  durch   die  unmittelbare  Beobachtung,  für  den  Obl. 


192  Augenmuskeln. 

superior  bei  Lähmung  des  Nerv,  oculomotorius ,  für  den  Obl.  inferior 
bei  Lähmung  des  N.  trochlearis.  Ist  der  Rectus  externus  vollständig 
gelähmt,  oder  so  durchschnitten,  class  er  auch  nicht  mittelst  der  seit- 
lichen Invagination  in  der  Tunica  vaginalis  auf  den  Bulbus  wirken 
kann,  dann  kann  der  Bulbus  niemals  über  die  Mitte  der  Lidspalte 
hinaus  nach  aussen  gerollt  werden.  Rücksichtlich  der  Drehungsachsen 
für  die  Obliqui  wage  ich  keine  bestimmte  Ansicht  auszusprechen;  es 
finden  in  ihren  Insertionslinien,  welche  ziemlich  bogenförmig  und  über- 
diess  schräg  verlaufen  (nicht  quer  auf  die  Richtung  der  Muskel-  und 
Sehnenfasern),  sowohl  in  Bezug  auf  die  durchschnittliche  (mittlere) 
Richtung  als  in  Bezug  auf  die  relative  Lage  und  Distanz  vom  hintern 
Pole  bei  verschiedenen  Individuen  sehr  erhebliche  Variationen  statt. 
Macht  man  keinen  Anspruch  auf  grosse  Genauigkeit,  so  kann  man  sich 
eine  gerade  Linie,  vom  äussern  Rande  der  Cornea  zum  innern  Rande  des 
Sehnerveneintrittes  durch  den  Drehpunkt  gezogen,  als  gemeinschaftliche 
Drehungsachse  der  Obliqui  denken. 

Bei  der  Betrachtung  des  Antheiles,  welchen  die  verschiedenen  Mus- 
keln zusammen  an  der  Hervorrufung  und  Erhaltung  einer  bestimmten 
Stellung  des  Blickes  nehmen,  muss  jederzeit  zugleich  auf  den  jewei- 
ligen Horopter  Rücksicht  genommen  werden.  Bei  den  bisherigen  An- 
gaben über  die  Wirkungsweise  der  einzelnen  Muskeln  haben  wir  auf 
den  Horopter  keine  Rücksicht  genommen,  oder  vielmehr  wir  haben  von 
der  accommodativen  Thätigkeit  des  Sehorganes  vorläufig  Umgang  ge- 
nommen. Unser  Blick  wechselt  aber  beständig  nicht  nur  in  Bezug  auf 
rechts,  links,  oben,  unten,  und  die  Zwischenrichtungen,  sondern  auch 
in  Bezug  auf  die  Distanz  in  jeder  möglichen  Richtung.  —  Der  Blick 
gradaus  und  in  weitem  Horopter,  wie  etwa  in  einer  Ebene  nach  den 
Grenzen  des  Horizontes,  dürfte  wohl  als  Mittelstellung,  als  jener  Stand 
des  Auges  betrachtet  werden  können,  bei  welchem  sämmtliche  Recti 
und  Obliqui  in  gleicher  Weise  in  Anspruch  genommen  werden,  d.  h. 
das  Mittel  zwischen  äusserster  Verkürzung  und  Verlängerung  darbieten. 
Er  wird  kurzweg  auch  als  Zustand  der  Ruhe  bezeichnet,  was  nur  in 
Bezug  auf  die  Accommodationsthätigkeit  als  richtig  zugegeben  werden 
kann.  —  Je  enger  der  Horopter  wird,  desto  kürzer  werden  die  beiden 
Recti  interni,  zugleich  auch,  nur  in  minderem  Grade,  der  R.  superior 
und  inferior,  während  der  R.  externus  in  gleichem,  die  Obliqui  dagegen 
in  viel  geringerem  Masse  länger  werden,  überdiess  aber  sämmtliche 
Recti  und  Obliqui  in  erhöhte  Spannung  gerathen.  Das  Gesammter- 
gebniss  ist  nicht  nur  Näherung  der  Pupillen  zu  einander,  sondern 
auch   —  wovon  wir  später  noch  sprechen   werden  —  Erhöhung   der 


Physiologie.  193 

seitlichen  Compression  des  Bulbus  und  entsprechende  Verlängerung-  der 
Sehachse.  In  diesem  Zustande  nun  kann  der  Blick  in  demselben  Ho- 
ropter herumgeführt  werden,  und  geschieht  diess  in  der  Horizontalen, 
d.  h.  gerade  von  links  nach  rechts  oder  umgekehrt,  so  wird  in  dem 
relativen  Verhältniss  der  oben  als  Antagonisten  bezeichneten  Muskel- 
gruppen  nichts  verändert,  als  dass  die  einen  kürzer,  die  andern  länger 
werden.  Wird  der  Horopter  noch  enger,  so  steigt  die  Zuneigung  der 
Pupillen  zu  einander  und  die  Spannung  sämmtlicher  Muskel  noch  mehr, 
ohne  Behinderung  der  Beweglichkeit  der  Bulbi  nach  der  einen  oder 
der  andern  Seite  hin.  —  Beim  Blicke  des  einen  Auges  nach  innen  und 
oben  ist  der  Blick  des  andern  entweder  gleichfalls  nach  innen  und 
oben  gerichtet  (enger  Horopter),  oder  aber  nach  aussen  und  oben.  Das 
eine  wird  zunächst  durch  den  R.  internus  und  superior,  das  andere 
durch  den  R.  externus  und  superior  bewirkt;  die  Wirkung  der  Obliqui 
dabei  ist  theils  eine  die  Richtung  unterstützende,  theils  eine  die  relativ 
gleiche  Stellung  der  Netzhäute  vermittelnde.  Da  die  Verkürzung  des 
R.  internus  und  superior  eine  solche  Drehung  des  Bulbus  zur  Folge 
haben  müsste,  dass  das  obere  Ende  der  verticalen  Aquatorialachse 
(oder  des  verticalen  Meridianes)  sich  der  verticalen  Medianebene  des 
Kopfes  nähern  müsste,  so  muss  die  gleichzeitig  eintretende  Verkürzung 
des  Obl.  inferior  diese  Drehung  verhindern  oder  doch  so  moderiren, 
dass  jene  Annäherung  der  obern  Achsenenden  auf  beiden  Augen  in 
gleichem  Masse  stattfindet.  Die  Verkürzung  des  Obl.  inferior  muss 
um  so  stärker  sein,  je  mehr  der  R.  internus  und  superior  contrahirt 
sind,  d.  h.  je  näher  das  oberhalb  der  Horizontalen  befindliche  Object 
an  das  Auge  herangerückt  wird.  Geht  aber  der  Blick  des  einen  Auges 
nach  innen  und  oben,  der  des  andern  nach  aussen  und  oben,  so  wird 
diese  Correctur  auf  dem  zweiten  Auge  (die  Verhinderung  der  zu  starken 
Ablenkung  des  obern  Endes  der  verticalen  Achse)  durch  den  Obl.  su- 
perior vermittelt.  —  Beim  Blicke  des  einen  Auges  nach  innen  und 
unten  nimmt  das  zweite  Auge  dieselbe  Stellung  an,  oder  die  nach  unten 
und  aussen.  Die  gleichzeitige  Verkürzung  des  R.  internus  und  inferior 
bei  entsprechender  Verlängerung  des  R.  extemus  und  superior  müsste 
aber  das  untere  Ende  der  verticalen  Augenachse  näher  an  die  verticale 
Medianebene  bringen;  es  wird  daher  die  Aufgabe  des  Obl.  superior 
die  Rollung  nach  unten  zu  unterstützen,  zugleich  aber  auch,  unter  ent- 
sprechender Gegenwirkung  des  Obl.  inferior,  die  genannte  Drehung  der 
verticalen  Achse  zu  moderiren,  indem  er  das  obere  Ende  derselben  zur 
Medianebene  herüber  hält.  Geht  aber  der  Blick  des  zweiten  Auges 
nach  unten  und  aussen,    so  übernimmt  auf  diesem  Auge  der  Obl.  in- 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  13 


194  Augenmuskeln. 

ferior   in   entsprechender  Gegenwirkung    gegen  den  Obl.   superior  die 
Correctur  der  verticalen  Achse  (der  Meridiane). 

Nach  meiner  Überzeugung  bleiben  die  verticalen  Äquatorialachsen,  oder  was  auf 
Eins  hinauskommt,  die  verticalen  Meridiane  der  beiden  Netzhäute  einander  nicht  bei 
allen  Stellungen  der  Bulbi  parallel.  Sie  verlaufen  beide  zu  einander  parallel,  mithin  beide 
vertical,  wenn  wir  auf  entfernte  Objecte  gerade  vor  uns  blicken:  sie  treten  oben  etwas- 
auseinander,  wenn  wir  in  die  Ferne  aufwärts  blicken;  sie  neigen  sich  unten  zu  einan- 
der beim  Blicke  nach  unten,  und  zwar  um  so  mehr,  je  näher  an  die  Augen  das  fixirte- 
Object  gerichtet  wird.  Da  die  Durchführung  dieses  Thema,  welches  mit  der  Lehre  von 
der  Identität  der  einzelnen  Netzhautpunkte  als  etwas  Angeborenem  innigst  zusammenhängt, 
hier  zu  weit  führen  würde,  so  genüge  es,  bloss  darauf  hingewiesen  zu  haben,  und  noch 
einige  darauf  Bezug  habende  Thatsachen  in  Kürze  anzuführen.  Beim  Blicke  nach  unten 
waltet  eine  entschiedene  Tendenz  zu  .  stärkerer  Convergenz  der  Sehachsen  ob.  Wollen 
wir  in  die  Ferne  blicken,  so  neigen  wir,  falls  das  Object  nicht  über  der  Horizontalen 
liegt,  den  Kopf  ein  wenig  vorwärts,  wodurch  die  Stellung  der  Sehachsen  relativ  zur 
Orbita  eine  aufwärts  gerichtete,  also  der  geringeren  Convergenz  der  Sehachsen  günsti- 
ger wird.  Hingegen  halten  wir  alle  feinen,  nur  in  grosser  Nähe  deutlich  erkennbaren 
Objecte  unterhalb  der  Horizontalen  vor  die  Augen ,  weil  bei  vorwaltender  Thätigkeit 
(Verkürzung)  der  untern  geraden  Augenmuskeln  ein  gewisser  Grad  von  Convergenz  der 
Sehachsen  eo  ipso  gegeben  ist.  "Wird  von  den  Augen  gefordert,  nach  unten  in  grosse 
Ferne  zu  schauen,  z.  B.  von  einem  Thurme,  also  die  Sehachsen  bei  abwärts  gerichtetem 
Blicke  mehr  auseinander  zu  halten,  so  müssen  nicht  nur  beide  Obliqui  superiores,  son- 
dern auch  wahrscheinlich  beide  Recti  externi  in  viel  mehr  erhöhte  Thätigkeit  treten, 
als  wenn  dasselbe  Object  in  gleicher  Entfernung  gerade  vor  den  Augen  läge.  Es  ist 
wahrscheinlich,  dass  hierin  der  Grund  des  Schwindels  liegt,  wenn  beim  Herabblicken 
von  einer  steilen  Höhe  diese  ungewohnte  Stellung  und  Haltung  von  den  Augen  verlangt 
wird.  Die  betreffenden  Muskeln  gerathen  bei  dieser  ungewöhnlichen  Combination  un& 
Kraftanstrengung  in  zitternde  Bewegungen,  was  den  Eindruck  macht,  als  bewegten  sich 
die  Objecte  des  Sehfeldes. 

Diese  kurzen  und  mehr  allgemein  gehaltenen  Andeutungen  über  die  Function 
der  Augenmuskeln  überhaupt  und  im  Besondern  mögen  vorläufig  genügen.  Die  nach- 
folgenden Erörterungen  über  die  Accommodation,  über  Kurz-  und  Weitsichtigkeit ,  über 
Muskellähmungen  u.  s.  w.  werden  ohnehin  noch  erheischen,  hie  und  da  genauer  darauf 
einzugehen. 

Über  die  Accoiiimodatioii,  das  Einrichtungsverniögen  der  Augen. 

Unser  Auge  stellt  eine  Camera  obseura  vor.  Die  Hornhaut  mit  dem 
Krystallkörper  und  dem  zwischen  beiden  eingeschlossenen  Kammer- 
wasser bildet  das  Objectiv  oder  Sammelglas,  die  Netzhaut  den  Schirm 
und  der  Glaskörper  das  Zwischenmedium  zwischen  beiden.  Unter  die 
wesentlichen  Bedingungen  des  deutlichen  Sehens  gehört  die,  dass  die 
auf  der  Netzhaut  entworfenen  Bilder  der  Objecte  bis  zu  einem  gewissen 
Grade  scharf  begrenzt  sind,  dass  die  Netzhaut  jederzeit  in  der  der  je- 
weiligen Objectdistanz  entsprechenden  Vereinigungs weite  liegt.     Sollen 


Physiologie  —  Aceomniodation.  195 

Objecte  von  sehr  differenter  Entfernung  auf  dem  Schirme  einer  Camera 
obscura  scharf  abgebildet  werden,  so  kann  diess  nur  nach  und  nach 
und  nur  mittelst  Veränderung  in  der  Camera  selbst  geschehen;  denn 
die  Bilder  naher  Objecte  werden  weiter  hinter  der  Sammellinse  ent- 
worfen, als  die  von  entfernteren  Objecten.  Dieser  Anforderung  kann 
auf  mehrfache  Weise  Genüge  geleistet  werden:  a)  indem,  wenn  nahe 
Objecte  abgebildet  werden  sollen,  der  Schirm  zurückgestellt  oder  das 
Objectiv  vorgerückt,  überhaupt  die  Distanz  zwischen  Objectiv  und 
Schirm  vergrössert  wird;  b)  indem  zu  demselben  Zwecke  eine  Linse 
von  kleinerem  Radius  gewählt,  die  Wölbung  der  Sammellinse  erhöht 
wird;  oder  c)  indem  in  den  Brechungsverhältnissen  zwischen  der 
Sammellinse  und  den  Medien  vor  oder  hinter  derselben  entsprechende 
Veränderungen  angebracht,  z.  B.  behufs  der  Abbildung  naher  Objecte 
eine  Linse  von  einem  grössern  Brechungsindex  (grösserer  Dichtigkeit) 
eingesetzt  oder  die  Brechungskraft  (Dichtigkeit)  des  vor  oder  hinter 
der  Linse  gelegenen  Mediums  nach  Erforderniss  vermindert  wird.  Bei 
gleichzeitiger  Anwendung  zweier  dieser  Mittel  würde  natürlich  von 
jedem  derselben  viel  weniger  gefordert  werden,  um  dasselbe  Resultat 
zu  erzielen. 

Seit  Kepler  nachgewiesen  hat,  dass  im  Auge  dieselben  dioptrischen 
Verhältnisse  obwalten,  wie  in  einer  Camera  obscura,  wurde  ziemlich 
allgemein  angenommen,  dass  im  Auge  behufs  des  Deutlichsehens  naher 
und  ferner  Objecte  auch  Veränderungen  der  einen  oder  der  andern 
Art  vor  sich  gehen,  dass  das  Auge  ein  Accommodationsvermögen  be- 
sitze. Nur  wenig  Forscher  meinten,  das  Auge  sei  schon  an  und  für 
sich  so  beschaffen,  dass  eine  Änderung  seines  Refractionszustandes  zu 
diesem  Behufe  nicht  nothwendig  sei.  So  meinte  Treviranus  in  dem 
geschichteten  Baue  der  Krystalllinse,  in  ihrer  gegen  den  Kern  hin 
schichtenweise  zunehmenden  Dichtigkeit  das  Mittel  gefunden  zu  haben, 
dass  sowohl  nahe  als  ferne  Objecte  auf  der  Netzhaut  deutlich  abgebildet 
werden  könnten.  Diese  Ansicht  ist  theils  theoretisch  —  von  Kohl- 
rausch —  theils  factisch  durch  Beobachtungen  (wovon  später)  widerlegt 
worden.  Ebenso  ist  die  Annahme,  dass  die  Netzhaut  im  hintern  Pole 
eine  nach  innen  hervorspringende  Falte  darbiete,  und  die  Bilder  ent- 
fernter Objecte  auf,  die  Bilder  naher  Objecte  neben  dieser  Falte  (also 
weiter  hinten)  entworfen  würden,  schon  dadurch  widerlegt  worden, 
dass  man  die  Nichtexistenz  einer  solchen  Falte  während  des  Lebens 
nachgewiesen  hat  (durch  Untersuchung  von  Hingerichteten  unmittelbar 
nach  dem  Tode,  durch  den  Augenspiegel).  Die  Abänderung  des  Re- 
fractionszustandes behufs  des  Deutlichsehens  von  Objecten  sehr  diffe- 

13* 


196  Augenmuskeln. 

renter  Entfernung,  schon  früher  aus  den  Versuchen  von  Scheine®,  Mile, 
Volkmann  u.  A.  bestimmt  gefolgert,  ist  seit  der  Erfindung  des  Augen- 
spiegels Thatsache  der  unmittelbaren  Beobachtung,  und  es  kann  von 
nun  an  nur  noch  die  Frage  sein,  auf  welche  Weise  die  Accommodation 
des  Auges  für  verschiedene  Sehweiten  vermittelt  werde,  für  welche 
Distanzen  der  Objecte  und  bis  zu  welchem  Grade  solche  Veränderungen 
gefordert  werden. 

„Man  lasse,  indem  man  ein  normales  Auge  mit  dem  Augenspiegel  untersucht,  das- 
selbe einen  Gegenstand  fixiren,  der  von  ihm  eben  so  weit  entfernt  ist,  als  ein  Faden, 
den  man  quer  vor  dem  Glase  der  Beleuchtungslampe  aufgespannt  hat.  Der  Beobachter 
sieht  alsdann  die  Elemente  der  Netzhaut  und  das  Bild  des  Fadens  gleich  deutlich.  Rückt 
man  nun,  während  der  Beobachtete  fortwährend  jenen  Gegenstand  fixirt,  den  Faden  seinem 
Auge  näher  oder  ferner,  so  wird  er  im  Netzhautbilde  undeutlich,  oder  verschwindet 
gänzlich  ,  während  die  Retinatheile  deutlich  bleiben.  Man  ersieht  daraus,  dass  Netzhaut- 
bilder von  verschieden  entfernten  Gegenständen  in  der  That  nicht  gleich  deutlich  sind. 
Alsdann  stelle  man  den  Faden  wieder  so,  dass  man  ihn  im  Netzhautbilde  gleichzeitig 
mit  den  Gefässen  deutlich  erscheinen  sieht,  und  lasse  das  beobachtete  Auge  einen  Punkt 
fixiren,  welcher  (in  derselhen  Richtung)  entweder  viel  weiter  oder  viel  näher  ist,  als  der, 
auf  den  es  vorher  gerichtet  war;  sogleich  sieht  man  Netzhaut  und  Flammenbild  ver- 
schwimmen und  undeutlich  werden."     (Heimholte,  Augenspiegel,   1851   S.  37.) 

Hält  man  eine  undurchsichtige  Platte  (Kartenblatt)  mit  zwei  feinen  Offnungen  (Na- 
delstichen), welche  nicht  ganz  so  weit  von  einander  abstehen ,  als  der  Durchmesser  der 
Pupille  beträgt  (also  etwa  1"'),  nahe  vor  das  Auge  (weniger  als  ö'/a'"))  und  visirt  nun 
durch  diese  Öffnungen  in  einer  Linie  gerade  vor  sich  hin  auf  einen  feinen  Gegenstand, 
etwa  eine  Nadel  vor  einem  lichten  Hintergrunde,  welche  in  dieser  Linie  fortbewegt  wer- 
den kann,  so  erscheint  die  Nadel,  nahe  hinter  der  Platte  gehalten,  doppelt;  dann,  bis  zu 
einer  gewissen  Entfernung  fortgerückt,  einfach;  endlich,  über  eine  gewisse  Grenze  ent- 
fernt, wieder  doppelt.  Der  Raum,  in  welchem  die  Nadel  einfach  erscheint,  heisst  die 
deutliche  Sehioeite;  sein  Grenzpunkt  gegen  das  Auge  her:  der  Nahepunkt,  der  entgegen- 
gesetzte :  der  Fernpunkt.  Die  Lage  des  Nahepunktes  ist  in  der  Regel  5  (4 — 6)  Zoll  vor 
dem  Hornhautcentrum,  ausnahmsweise  (bei  sehr  Kurzsichtigen)  jedoch  bis  auf  2  und 
selbst  l3/*  Zoll  herangerückt.  Der  Ort  des  Fernpunktes  lässt  sich  nur  an  solchen  Augen 
genau  bestimmen,  an  welchen  er  abnorm  nahe  gerückt  ist  (bei  Kurzsichtigen),  indem  bei 
beträchtlicher  Entfernung  eines  so  kleinen  Objectes,  wie  bei  diesem  Versuche,  nicht  nur 
der  Sehwinkel  (Netzhautbild),  sondern  auch  die  Lichtmenge  (scheinbarer  Glanz  des  Netz- 
hautbildes) und  die  Energie  der  Netzhaut  (Feinheit  des  Gesichtes)  von  bedeutendem 
Einflüsse  auf  die  Wahrnehmung  des  Doppelbildes  sind. 

„Betrachtet  man  nach  Scheiner  s  Angabe  durch  eine  solche  Platte  mit  2  Öffnungen 
zwei  Nadeln,  deren  eine  näher,  die  andere  ferner  aufgesteckt  ist,  so  nämlich,  dass  beide 
in  die  Sehachse  und  innerhalb  der  Grenze  des  deutlichen  Sehens  zu  stehen  kommen ,  so 
erscheinen  zunächst  zwei  lichte  Kreise,  welche  sich  zum  Theil  decken,  und  in  diesem 
mittlem  (lichteren)  Theile  die  Nadeln.  Fixirt  man  nun  beliebig  die  eine  oder  die  an- 
dere Nadel,  so  erscheint  jedesmal  die  nicht  fixirte  doppelt  und  nur  die  fixirte  einfach. 
Der  Grund  ist  folgender.     Es  sei  in  Fig.  1. 


Physiologie  —  Acconiniodation. 


197 


a  die  entferntere  Stecknadel  und  das  Auge  auf  diese  gerichtet.  Es  sei  ferner  b  die 
zu  nahe  gelegene  Nadel,  und  Im  das  doppelte  Kartenloch.  Die  von  a  ausgehenden 
Strahlen  al  und  am  werden  auf  der  Netzhaut  bei  a'  vereinigt,  die  von  b  einfallenden 
Strahlen  bl  und  bin  vereinigen  sich  dagegen  erst  hinter  derselben  bei  b'.  Daher  treffen 
die  Strahlen  von  b,  welche  durch  l  ins  Auge  dringen,  die  Netzhaut  bei  s,  während  die 
durch  in  auffallenden  dieselbe  bei  r  treffen.  So  entstehen  zwei  blasse  Bilder  bei  s  und  r, 
statt  eines  einzigen  und  intensiv  beleuchteten  bei  «'.  —  Fixirt  man  dagegen  6,  so  er- 
scheint dieses  einfach  und  a  wird  doppelt.     Der  Grund  hievon  ergibt  sich  aus  Fig.  2. 


Da  das  Auge  für  ö  passend  eingerichtet  ist,  so  vereinigen  sich  die  Lichtbündel  bl 
und  bm  auf  der  Netzhaut  und  formiren  ihr  Bild  im  Achsenpunkte  des  Auges  bei  b'.  Unter 
diesen  Umständen  liegt  a  zu  fern,  die  Strahlen  dm  und  al  haben  ihren  Focus  bei  x  und 
der  ausfahrende  Strahl  Ix  geht  weiter  nach  s,  desgleichen  geht  mx  weiter  nach  r,  so  dass 
sich  zwei  blasse  Bilder  bei  r  und  s  statt  eines  einzigen  bei  b  gestalten.  —  Die  Richtig- 
keit dieser  Deutungen  ergibt  sich  aus  Folgendem.  Yerschliesst  man  während  der  Beob- 
achtung das  eine  der  Kartenlöcher,  so  verschwindet  im  ersten  Experimente,  bei  unge- 
höriger Nähe  der  Nadel,  das  Bild  der  entgegengesetzten  Seite,  im  2.  Versuche  dagegen, 
wo  die  Nadel  zu  fern  steht,  das  Bild  der  entsprechenden  Seite.  Man  erinnere  sich  zu- 
nächst an  die  Erfahrung,  dass  die  Lage,  in  welcher  uns  Gegenstände  erscheinen,  die  um- 
gekehrte von  der  ist,  in  welcher  ihr  Bild  auf  der  Netzhaut  sich  wirklich  darstellt.  Ver- 
schwindet bei  unpassender  Nähe  der  Nadel  das  gegenüber  liegende  Bild,  so  musste  das 
Netzhautbildchen  auf  der  Seite  des  verschlossenen  Loches  liegen,  eine  Anordnung,  welche 
nur  möglich  ist,  wenn  die  gebrochenen  Lichtstrahlen  erst  hinter  der  Netzhaut  vereinigt 
werden,  wie  Fig.  1  angibt.  Wenn  dagegen  bei  ungeeigneter  Entfernung  des  Objectes 
Verschluss  eines  Kartenloches  das  Bild  der  entsprechenden  Seite  verschwinden  macht, 
so  müssen  diessmal  Kartenloch  und  Netzhautbildchen  auf  entgegengesetzten  Seiten  ge- 
legen sein.  Fig.  2  zeigt,  dass  dieser  Fall  durch  eine  Kreuzung  der  Lichtstrahlen  vor  der 
Netzhaut  bedingt  ist.  Beide  Fälle  beweisen  also,  dass  das  Licht  zu  naher  und  zu  ferner 
Objecte  nicht  auf  der  Netzhaut,  sondern  respective  hinter  und  vor  ihr  vereinigt  wird, 
und  zwar  nach  Gesetzen,  welche  durch  die  Theorie  der  Linsengläser  gegeben  sind." 
(YolJrmann  in   Wagners  Handwörterbuch  B.  III.  S.  207.) 


198 


Augenmuskeln. 


Durch  Anwendung  des  Scheiner'sch.en  Versuches  auf  das  exstirpirte  Auge  eines  weis- 
sen Kaninchens  hat  Volkmann  (Neue  Beitr.  zurPhysiol.  des  Gesichtssinnes,  1S36  S.  109) 
nachgewiesen,  dass  Magendie,  Ritter,  Haldat  u.  A.  Unrecht  hatten,  wenn  sie  behaupteten, 
dass  selbst  im  todten  Auge  die  Bilder  von  Objecten  der  differentesten  Distanzen  gleich 
deutlich  entwarfen  werden.  Er  liess  Licht  aus  verschiedenen  Entfernungen  durch  zwei 
solche  Öffnungen,  wie  heim  Scheiner' sehen  Versuche,  in  die  Pupille  fallen  und  beobachtete 
die  Lichtbilder  am  hintern  Umfange  des  Bulbus.  Bei  einer  bestimmten  Entfernung 
des  Lichtes  vom  Auge  gaben  die  beiden  Offnungen  nur  Ein  Lichtbild;  bei  Annäherung 
des  Lichtes  bis  auf  nur  einige  Zoll,  so  wie  bei  beträchtlicher  Entfernung  desselben 
entstanden  zwei  Lichtbilder.  —  Im  Jahre  1850  habe  ich  mit  meinem  Assistenten  Dr. 
Seydl  ähnliche  Versuche,  jedoch  mit  Menschenaugen  vorgenommen.  Der  Bulbus  —  nach 
Abstreifung  des  Epithels  der  Cornea  —  wurde  auf  einen  Bing  gelegt,  dann  in  der  Ge- 
gend des  hintern  Poles  ein  Stück  Sclera  und  Chorioidea  entfernt.  Zum  Objecte  wurde 
grosse,  von  der  Sonne  beschienene  Druckschrift  gewählt;  nur  bei  bestimmter  Distanz 
derselben  von  der  Cornea,  zwischen  5  und  9  Zoll,  konnte  der  Beobachter  die  Buchstaben 
von  der  Netzhaut  ablesen. 

„Es  sei  in  Fig.  3  hlc  eine  Karte,  in  welche  man  ein  feines  Loch  bei  b  gestochen, 
und  l  und  m  zwei  Stecknadeln,  welche  man,  in    einiger   Entfernung   hinter    einander,   in 


der  Visirlinie  aufgerichtet  hat.  (MiWs  Versuch.)  Befindet  sich  nun  m  in  passender  Seh- 
weite, und  folglich  l  in  zu  grosser  Ferne,  so  bemerkt  man  bei  seitlicher  Verschiebung 
der  Karte,  dass  die  sich  anfänglich  deckenden  Nadeln  aus  einander  treten.  Die  in 
passender  Sehweite  aufgesteckte  Nadel  m  behauptet  bewegungslos  ihren  Stand,  die  zu 
fern  liegende  Nadel  l  dagegen  bewegt  sich  mit  dem  Diopter  in  entsprechender  Rich- 
tung. —  Befindet  sich  aber  die  entferntere  Nadel  in  passender  Sehweite  und  steht  »i 
dem  Auge  zu  nahe,  so  dreht  die  Erscheinung  sich  um,  die  entfernte  Nadel  bleibt,  wenn 
der  Diopter  verschoben  wird,  ruhig,  lind  bloss  das  Bild  der  zu  nahe  gelegenen  Nadel  be- 
wegt sich,  diessmal  in  der  entgegengesetzten  Richtung  des  Kartenloches.  —  Die  Erklä- 
rung des  Phänomens  liegt  offenbar  in  Folgendem.  Abstrahirt  man  vom  Einflüsse  der 
Karte,  welche  einen  Theil  des  Lichtes  auffängt,  so  sendet  jede  Nadel  einen  divergirenden 
Lichtkegel  ins  Auge,  dessen  Basis  die  Weite  der  Pupille  rs  ist.  Gesetzt,  /  befinde  sich 
in  passender  Sehweite,  so  würde  das  divergirende  Strahlensystem  rls  bei  e  vereinigt. 
Hier  kann  Verschiebung  der  Karte  keine  Verrückung  des  Netzhautbildes  und  folglich 
auch  keine  Bewegung  der  durch  dasselbe  bedingten  Gesichtserscheinung  veranlassen. 
Denn  wenn  die  Diopteröffnung  in  der  Weise  verrückt  würde,  dass  nur  der  Strahl  lr  ins 
Auge  fallen  könnte,  so  müsste,  weil  e  der  Focus  aller  Strahlen  ist,  auch  lr  nach  e  kom- 
men, wie  die  Figur  angibt.  Anders  verhält  es  sich  mit  dem  zu  nahe  liegenden  Licht- 
punkte m.  Indem  das  von  ihm  ausgehende  Licht  erst  hinter  der  Netzhaut  bei  x  ver- 
einigt wird,  bildet  sich  auf  dieser  ein  Zerstreuungskreis  vom  Durchmesser  tu.  Befindet 
sich  nun  das  Kartcnloch  in  der  Verlängerung  der  Sehachse,  so  gelangt  der  Lichtstrahl 
7nb  nach  e  und  die  Bilder  der  Nadeln  decken    sich;    verschiebt   man    nun    die    Karte    so, 


Physiologie  —  Accoiiiniodation.  199 

dass  nur  der  Strahl  mr  von  m  aus  ins  Auge  gelangt,  so  schneidet  der  ausfahrende  Strahl 
7-x  die  Netzhaut  bei  t  und  die  Nadelbilder  trennen  sich.  Der  Grund,  warum  in  dem 
einen  Falle  die  Bewegung  des  Bildes  der  des  Diopters  folgt,  in  dem  andern  entgegenge- 
setzt, ergibt  sich  aus  dem,  was  bei  Erörterung  des  Scheiner'scher)  Versuches  angegeben 
wurde."     (Volkma/in  ibid.  S.  299.*) 

Jedes  Auge  hat  vermöge  seines  Baues  einen  bestimmten  Refrac- 
tionszustand ,  gegeben  durch  die  Krümmungs-  und  Brechungsverhält- 
nisse seiner  durchsichtigen  Medien  und  durch  die  Distanz  der  Netzhaut 
von  dem  Objective  (Hornhaut,  Kammervvasser  und  Linse).  Verschieden- 
heiten hierin  bezeichnen  wir  mit  den  Ausdrücken:  kurzsichtiger,  nor- 
maler und  fernsichtiger  Bau  des  Auges,  ohne  vorläufig  anzugeben, 
worin  speciell  diese  Verschiedenheiten  gegründet  sind.  Ehe  wir  dem- 
nach in  Betrachtung  ziehen  können,  worin  die  jeweilige  temporäre  Ab- 
änderung des  Refractionszustandes  behufs  des  Deutlichsehens  für  ver- 
schiedene Distanzen  —  die  Accommodation  —  bestehe,  müssen  wir  erst 
untersuchen,  für  welche  Distanz  das  normale  Auge  an  und  für  sich, 
d.  h.  vermöge  seines  Baues  eingerichtet  sei.  Man  könnte  sich  nämlich 
denken,  der  Refractionszustand  des  normalen  Auges  entspreche  einer 
gewissen  mittlem  Distanz,  und  es  müsse  derselbe  verändert  werden, 
nicht  nur  wenn  nähere,  sondern  auch  wenn  entferntere  Objecte  deut- 
lich gesehen  werden  sollen;  oder  es  könnte  sich  ergeben,  dass  das 
Auge  im  ruhenden  Zustande  —  ohne  Zuthun  der  accommodativen 
Thätigkeit  —  für  parallele  Strahlen,  mithin  für  unendlich  oder  doch 
sehr  ferne  Objecte  eingerichtet  sei,  und  eine  Accommodation  nur  für 
näher  gelegene  Objecte  gefordert  werde.  Wir  werden  aber  nachzu- 
weisen versuchen,  dass  der  Refractionszustand  normaler  Augen  für 
mittlere  Distanzen  eingerichtet  ist,  dass  für  grössere  Distanzen  eine 
Abänderung  nicht  stattfindet,  sehr  entfernte  Objecte  demnach  nicht  auf, 
sondern  ein  wenig  vor  der  Netzhaut  abgebildet  werden,  und  dass  eine 
Abänderung  im  Refractionszustande  nur  behufs  des  Deutlichsehens 
näher  gelegener  Objecte  erfolgt,  so  dass  demnach  der  Ausdruck:  „das 
Auge  accommodirt  sich"  nichts  Anderes  bedeutet,  als :  das  Auge  ändert 
seine  dioptrischen  Verhältnisse  behufs  des  Deutlichsehens  naher  Objecte. 

Die  Brennweite  der  Hornhaut  sammt  dem  Kammerwasser  und  der 
Linse  beträgt  im  normalen  Auge  kaum  jemals  weniger  als  6'",  niemals 
mehr  als  1'".  (Achse  des  Glaskörpers.)  Das  Objectiv  des  normalen 
Menschenauges  ist  demnach  eine  Sammellinse  von  kurzer  Brennweite. 

*)  Sehr  ausführlich,  klar  und  genau  hat  mein,  der  Wissenschaft  leider  zu  früh  entrissener  Freund  Dr. 
Herrn.  Mayer  in  Komotau  die  Erscheinungen  beim  Schei?ier'schen  und  Ift'Z^'schen  Versuche  als  Be- 
weismittel für  das  Bestehen  einer  willkürlichen  Accommodation  in  der  Prager  medic.  Vierteljahr- 
schrift  Bd.  25  (1S50)  und  Bd.  32  (1S51)  erörtert. 


200  Augenmuskeln. 

Bei  Linsen  von  kurzer  Brennweite  tritt  aber  eine  merkliche  Zunahme 
der  Vereinigungsweite  oder  Bilddistanz  nur  bei  kürzeren  Object- 
distanzen  hervor,  werden  demnach  auch  erhebliche  Veränderaugen  in 
dem  Refractionszustande,  z.  B.  erhebliche  Rückstellung  des  Schirmes, 
nur  behufs  der  Abbildung  naher  und  sehr  naher  Objecte  nothwendig. 
Hätte  das  Objectiv  des  menschlichen  Auges  eine  noch  kürzere  Brenn- 
weite, etwa  nur  von  3"',  dann  würde  die  Vereinigungsweite  für  Objecte 
sehr  verschiedener  Distanzen  einen  noch  viel  geringeren  Spielraum 
darbieten,  es  würden,  wie  H.  Mayer  durch  Versuche  ermittelt  hat,  die 
Bilder  von  Objecten  aus  7"  Distanz  nur  etwa  V10"'  weiter  rückwärts 
entworfen  werden,  als  die  Bilder  von  unendlich  entfernten  Objecten. 
Bei  einer  Linse  von  6,72"'  Brennweite  ist  aber  eine  Veränderung  der 
Vereinigungsweite  (Verschiebung  des  Schirmes,  der  Netzhaut)  von  nicht 
viel  über  iJ2ut  hinreichend,  wenn  sowohl  von  solchen  Objecten,  deren 
Strahlen  als  nahezu  parallel  betrachtet  werden  können,  als  auch  von 
solchen,   die  nur  5"   entfernt  sind,  deutliche  Bilder  entworfen  werden 

111 

sollen.  Nennen  wir  in  der  bekannten  Formel  —  =  -r- die  Bild- 

a  b  a 

distanz   a,  die  Objectdistanz   a,   und  b   =    6V2"'  die  Brennweite   der 

Sammellinse    unseres  Auges,    und   substituiren   wir   in    der  Gleichung 

a  =  . x  = j-  nach  und  nach  verschiedene  Werthe  von  a,  sa 

a  —  0 


erhalten  wir  beispielsweise  folgendes  Schema: 
Ist  «  = 


'5 


a  = 

a  = 

cc  = 

a  = 

a  = 

a  = 


00 

so 

ist 

a  =  6,5000"' 

Ist 

a  =  40"      so 

ist 

a 

=  6,5881"' 

1000' 

jj 

jj 

a  =  6,5003'" 

j> 

a  =  20"       „ 

jj 

a 

==  6,6809'" 

500' 

?> 

jj 

a  =  6,5005'" 

jj 

a=15"       „ 

jj 

a 

=  6,7435'" 

100' 

jj 

jj 

a  =  6,5029'" 

jj 

a=10"       „ 

jj 

a 

=  6,8722'" 

20' 

jj 

jj 

a  =  6,5146'" 

jj 

«=  W'  „_ 

jj 

a 

=  7,0059'" 

10' 

jj 

jj 

a  =  6,5294'" 

jj 

a=    5"       „ 

jj 

a 

=  7,2897'" 

5' 

jj 

jj 

a  =  6,5592'" 

ist  a  =  4"  so  i 

st  a 

=  7,5180'" 

. 

,    et  O      „     , 

j    a 

=  7,9322"' 

,    a 

=  S,942S'"*) 

Für  alle  über  5  Fuss  betragenden   Objectdistanzen  ist  der  Durch- 
messer der  Pupille  relativ   so   klein,    dass   die  Strahlen,   welche  von 

*)  0,45ö5  Wiener  Linien  =  1  Millimeter;  12'"  =  1",  12"  =  1'.  Dieses  Schema  kann  allerdings  nicht 
streng  auf  das  Auge  angewendet  werden  ,  da  dessen  Sammellinse  eine  zusammengesetzte  ist ,  es 
handelt  sich  hier  aber  auch  nur  um  eine  annäherungsweise  Angabe  oder  um  eine  Hinweisung  auf 
ein  Analogon. 


Physiologie  —  Acconimodatiou.  201 

irgend  einem  Punkte  aus  solchen  Entfernungen  auf  das  entsprechende 
Hornhautareal  fallen,  als  zu  einander  (zum  Achsen-  oder  Richtungs- 
strahle) nahezu  parallel  betrachtet  werden  können.  Dass  dem  wirklich 
so  sei,  zeigt  schon  die  Möglichkeit,  ein  Auge,  welches  auf  mindestens 
5  Fuss  Distanz  accommodirt  ist,  mit  dem  Augenspiegel  im  aufrechten 
Bilde  ohne  Concavglas  zu  untersuchen.  (Vergl.  oben  S.  83  und  die 
zugehörige  Figur  auf  S.  78.) 

Richten  wir  den  Blick  auf  ein  nahes  kleines  Object,  z.  B.  auf 
einen  Buchstaben,  so  liegt  es  in  unserer  Willkür,  bei  unveränderter 
Distanz  ihn  deutlich  oder  undeutlich  zu  sehen,  sobald  die  Distanz  nicht 
weniger  als  5  und  nicht  mehr  als  12—15  Zoll  beträgt.  Es  wird  diess 
dadurch  ermöglicht,  dass  man  bei  unverrücktem  Blicke  auf  das  Object 
sein  Auge  in  jenen  Zustand  versetzt,  in  welchem  es  sich  beim  ge- 
dankenlosen Vor-sich-hin-starren  befindet;  hiebei  wird  das  Object  un- 
deutlich, auch  wenn  es  in  der  gehörigen  Distanz,  z.  B.  8  Zoll,  und 
gegenüber  der  Macula  lutea  liegt,  es  bekommt  prismatische  Farben- 
saume,  erscheint  wohl  auch  2 — 3fach. 

Auf  eine  sehr  einfache  Weise  lassen  sich  die  dabei  vorkommenden  Phänomene  an 
einem  einfachen  verticalen  oder  horizontalen  feinen  Striche  (mit  Tinte  aiif  weissem  Pa- 
piere) beobachten  (  \ \-  ).  Zuerst  betrachte  man  eine  jede  dieser  Figuren  in  zu  grosser 

Nähe,  etwa  bei  4  Zoll  Distanz.  An  der  Stelle  des  verticalen  Striches  sieht  man  jetzt 
5  Streifen,  in  der  Mitte  einen  ziemlich  schwarzen,  dann  zwei  orangengelbe ,  zu  äusserst 
2  blaue,  alle  ohne  scharfe  Begrenzung.  Mit  dem  rechten  Auge  sehe  ich  nur  den  einen 
blauen  Streifen  (links),  und  glaubte,  ehe  ich  auf  die  blaue  Färbung  gehörig  aufmerkte, 
zwei  dunkle  Streifen  zu  sehen ,  besonders  wenn  ich  mein  Auge  nur  auf  etwa  5  Zoll 
näherte.  Je  näher  man  dem  Objecte  rückt,  desto  breiter  und  undeutlicher  werden  die 
Streifen,  je  weiter  man  sich  entfernt,  desto  schmäler  und  markirter,  bis  man  endlich 
zu  einer  Distanz  (5  Zoll  für  das  normale  Auge)  kommt,  wo  man  im  Stande  ist,  den 
schwarzen  Strich  einfach  und  deutlich  zu  sehen.  Nun  kommt  ein  gewisser  Spielraum 
(bei  meinem  Auge  zwischen  6  und  12  Zoll),  wo  man  nach  Willkür  die  eine  oder  die 
andere  Erscheinung  hervorrufen  kann ,  nämlich  den  Strich  deutlich  oder  mit  Farben- 
säumen (scheinbar  doppelt  oder  3fach)  zu  sehen,  je  nachdem  man  scharf  fixirt  oder  den 
Blick  gleichsam  vor  sich  hinstarren  lässt.  Bei  8  Zoll  Distanz  kann  ich  die  Streifen  viel 
weiter  aus  einander  treten  machen,  als  bei  10  Zoll,  und  bei  mehr  als  L2  Zoll  bin  ich, 
ohne  die  Sehachse  zu  verrücken,  auf  keine  Weise  mehr  im  Stande,  das  Phänomen  des 
Undeutlich-,  Farbig-  und  Mehrfachsehens  hervorzubringen.  Ich  kann  von  da  ab  bis  zu 
20  Zoll  und  darüber  den  Strich  immer  nur  einfach  und  schwarz  sehen ,  bis  er  endlich 
bei  circa  30  Zoll  trotz  aller  Anstrengung  constant  undeutlich  zu  werden  anfängt.  — • 
Befindet  sich  das  fixirte  Object,  z.  B.  ein  Punkt  (.),  näher  als  5  Zoll  vor  dem  Auge,  so 
fällt  die  Yereinigungsweite  der  von  ihm  ins  Auge  gelangenden  Strahlen  hinter  die  Netz- 
haut, diese  wird  mithin  nicht  von  der  Kegelspitze,  sondern  von  dem  Kegelquerschnitter 
also  von  einem  Zerstreuungskreise  getroffen,  welcher  farbig  erscheint,  weil  eben  die  ver- 
schieden brechbaren  blauen,  gelben  und  rothen  Strahlen  noch  nicht  wieder  vereinigt  sind. 
Wenn  aber  der  fixirte  Punkt  sich  in  einer  Distanz  befindet,  in  welcher  unter  Zuthun.der 


202  Augenmuskeln. 

accommodativen  Thätigkeit  Deutlichsehen  stattfinden  kann,  z.  B.  bei  7  Zoll,  der  Expe- 
rimentator aber  absichtlich  die  Accommodationsorgane  nicht  in  Wirksamkeit  treten  lässt, 
so  fällt  die  Yereinigungsweite  gerade  so  wie  im  vorigen  Falle  hinter  die  Netzhaut  (das 
Object  liegt  relativ  zu  dem  jetzigen  Refractionszustande  des  Auges  zu  nahe),  und  es 
tritt  dieselbe  Erscheinung  auf,  die  am  meisten  brechbaren  blauen  Strahlen  erscheinen 
an  der  Peripherie  des  Kegelquerschnittes.  Das  Auge  hat  sich  dabei  freiwillig  der  Adap- 
tation begeben.  Wird  nun  das  Object  so  weit  gerückt,  dass  die  von  ihm  ausgehenden 
Strahlen  schon  vermöge  des  Baues  des  Auges  ihre  Yereinigungsweite  in  der  Netzhaut 
finden,  so  hört  der  Einfluss  der  Willkür  auf,  das  Auge  müsste  denn  im  Stande  sein,  sich 
für  eine  geringere  Distanz  einzurichten,  was  ich  nicht  kann,  ohne  ein  anderes  Object, 
etwa  eine  Nadelspitze,  zwischen  jenes  Object  und  das  Auge  einzuschieben.  Die  Strahlen 
des  in  Bede  stehenden  Punktes  würden  sich  dann  vor  der  Netzhaut  vereinigen,  und  die 
Begenbogenfarben  müssten  in  umgekehrter  Ordnung  auftreten,  die  blauen  nach  innen, 
die  rothin  nach  aussen. 

Ich  halte  diesen  Versuch,  bei  welchem  sich  ein  nebenstehender  Beobachter  leicht 
überzeugen  kann,  dass  die  Sehachse  des  experimentirenden  Auges  nicht  verrückt  wird, 
und  bei  welchem  die  Pupille  während  des  Deutlichsehens  etwas  enger,  während  des 
Undeutlichsehens  etwas  weiter  wird,  für  mindestens  eben  so  beweisend,  dass  wir  eine 
Accommodation  und  zwar  eine  willkürliche  besitzen ,  als  die  Versuche  von  Scheiner  und 
Mil€,  bei  welchen  noch  manche  andere  Verhältnisse  in  Betracht  kommen.  Er  zeigt  uns 
unter  ganz  natürlichen  Verhältnissen  an,  bis  zu  welcher  Grenze  ein  Object,  so  fern  es 
nicht  an  und  für  sich  zu  gross  ist,  dem  Auge  genähert  werden  kann,  bevor  es  anfängt 
(wegen  fehlerhafter  Vereinigungsweite)  undeutlich  zu  werden ;  er  zeigt  uns  die  durch  die 
dioptrischen  Verhältnisse  gezogene  diessseitige  Grenze  oder  den  Nahepunkt  des  deutlichen 
Sehens.  Nach  einer  andern  Richtung  hin  lehrreich  finde  ich  Versuche  mit  einer  ein- 
fachen Kerzenflamme.  Diese  sehe  ich  nicht  nur  bei  5,  sondern  auch  noch,  bei  3  Zoll 
Distanz  einfach  und  scharf  begrenzt.  Diess  enthält  einen  Widerspruch  mit  dem  Vorher- 
gehenden, jedoch  nur  scheinbar.  Die  Pupille  wird  nämlich  bei  dieser  ^Annäherung  des 
(starken)  Lichtes  so  eng,  dass  die  Spitze  des  inneren  Lichtkegels  hinter  die  Netzhaut 
fällt,  doch  sein  Querschnitt  auf  der  Netzhaut  sehr  klein  ausfällt,  auf  dieselbe  Weise,  wie 
wir  durch  Vorhalten  einer  kleinen  Kartenblattöffnung  vor  die  Hornhaut  sogleich  bewirken 
tonnen,  dass  ein  zu  nahe,  z.  B.  3  Zoll  vorgehaltener  Buchstabe  vollkommen  deutlich 
wird  (Einschränkung  der  Zerstreuungskreise).  Wahrscheinlich  kommt  hier  auch  der  Um- 
stand in  Anschlag,  dass  das  Bild  einer  Kerzenflamme  bei  so  grosser  Nähe  bereits  einen 
so  grossen  Theil  der  Netzhaut  einnimmt,  dass  seine  Peripherie  bereits  auf  Netzhautpar- 
tien fällt,  welche  schon  weit  von  der  Macula  lutea  entfernt  sind,  für  welche  mithin  die 
Erregung  durch  den  Zerstreuungskreis  schon  viel  zu  schwach  ist,  als  dass  sie  sich  im 
Bewusstsein  gegenüber  der  ungleich  stärkern  Erregung  des  Centrums  der  Netzhaut  gel- 
tend machen  könnte.  Trete  ich  nun  allmälig  von  der  Flamme  zurück,  so  bleibt  sie 
deutlich  (scharf  begrenzt)  bis  zur  Distanz  von  5  Fuss.  Will  ich  während  dieses  Zurück- 
weichens  das  Phänomen  des  Undeutlichsehens  hervorrufen,  so  bringe  ich  es  bei  7 — 10 
Zoll  wohl  zu  Stande,  jedoch  nur  so,  dass  ein  schwacher  Hof  erscheint,  offenbar  desshalb, 
weil  bei  so  naher  Lichtquelle  die  Netzhaut  vor  der  intensiv  beleuchteten  Mitte  des  Kegel- 
querschnittes zu  stark  erregt  ist,  als  dass  die  schwächer  beleuchtete  Peripherie  eine  hin- 
reichend starke  Empfindung  bewirken  könnte,  wobei  wohl  auch  noch  in  Betracht  kommt, 
dass  beim  künstlichen  Lichte  die  Zahl  der  brechbarsten  blauen  Strahlen  eine  relativ  sehr 
geringe  ist.     Bin  ich  über  5  Fuss  Distanz    weg   gerückt,    so   werden   die   Contouren    der 


Physiologie  —  Aeconimodatioii.  203 

Flamme  verwischt  und  die  schmale  Spitze  erscheint  zwieselig,  dann  (weiter)  wird  die 
Flamme  von  zwei  matten  seitlichen  Nebenflammen,  später  aber  ringsum  von  einem  immer 
breiteren  Hofe  umgeben,  bis  endlich  ein  förmlicher  Strahlenkranz  (wie  bei  den  Sternen) 
erscheint,  der  die  nun  kleiner  erscheinende  Flamme  speichenartig  umgibt.  Dass  diese 
Erscheinungen  um  die  Flamme  Zerstreuungskreise  wegen  nicht  entsprechender  Vereini- 
gungsweite sind,  scheint  mir  dadurch  bewiesen  zu  werden,  dass  sie  nicht  auftreten ,  so- 
bald man  vor  das  Auge  die  enge  Öffnung  eines  Kartenblattes  oder  ein  entsprechendes 
(schwaches)  Concavglas  vorhält. 

Der  Versuch  mit  einer  Kerzenflauime  ist  meines  Erachtens  geeig- 
net zu  zeigen,  dass  unser  Auge  an  und  für  sich  nicht  für  völlig  paral- 
lele Strahlen  oder  für  unendlich  weite  Distanzen  eingerichtet  ist^  son- 
dern für  Strahlen,  die  noch  ein  wenig  divergiren,  für  Strahlen  aus 
ungefähr  5—6  Fuss  Entfernung,  und  dass  alle  weiter  entfernten  Ob- 
jeete  streng  genommen  schon  mit  mehr  weniger  beträchtlichen  Zer- 
streuungskreisen gesehen  werden,  d.  h.  dass  Strahlen,  welche  von 
einem  über  diese  Distanz  entfernten  Punkte  in  unser  Auge  gelangen, 
schon  mehr  weniger  weit  vor  der  Netzhaut  vereinigt  werden.  Bei  sehr 
grossen  Distanzen  fallen  die  Zerstreuungskreise  schon  so  beträcht- 
lich aus,  dass  sie  stark  in  einander  greifen  und  das  Deutlichsehen 
verhindern;  bei  geringeren  Distanzen,  z.  B.  20,  15  Fuss,  ist  die  licht- 
ärmere Peripherie  relativ  zum  helleren  Mittelpunkte  des  Kegelquer- 
schnittes nicht  nur  viel  zu  schmal,  sondern  auch  viel  zu  lichtarm,  als 
dass  die  durch  diese  Peripherie  gesetzte  Erregung  der  Netzhaut  sich 
neben  der  durch  das  Centrum  gesetzten  in  der  Wahrnehmung  geltend 
machen  könnte. 

Wir  dürfen  übrigens  bei  unseren  Betrachtungen  über  die  Accommo- 
dation  und  das  deutliche  Sehen  einen  Umstand  nicht  ausser  Acht  las- 
sen, der  bei  allen  Sammellinsen  stattfindet.  Die  Vereinigungsweite  der 
Lichtstrahlen  kann  nämlich  streng  genommen  nicht  als  ein  Punkt,  son- 
dern muss  als  eine  Linie  (die  Brennliniej  aufgefasst  werden,  als  eine 
Pieihe  hinter  einander  gelegener  Punkte,  welche  bei  ein  und  derselben 
Linse  um  so  länger  ausfällt,  je  grösser  die  Öffnung  der  Linse  (Pupille) 
ist,  und  je  mehr  sich  die  einfallenden  Lichtstrahlen  dem  Parallelismus 
nähern,  d.  h.  je  grösser  die  Objectdistanz  ist.  Anschaulich  machen 
kann  man  sich  die  hier  obwaltenden  Verhältnisse,  welche  sich  übrigens 
streng  mathematisch  nachweisen  lassen,  in  dem  von  Czennak  ange- 
gebenen Experimente  mit  einem  horizontal  vor  dem  Auge  aufgespann- 
ten weissen  Faden.  Fixirt  man  an  diesem  z.  B.  einen  10"  eutf ernten 
Punkt,  so  erscheint  der  Faden  eine  kurze  Strecke  vor  und  eine  merk- 
lich längere  Strecke  hinter  diesem  Punkte  noch  einfach;  weiter  von 
jenem  Punkte  entfernt,  und  zwar  sowohl  diess-  als  jenseits  erscheint 


204  Augenmuskeln. 

dann  der  Faden  doppelt  (in  Zerstreuungskreisen),  und  weichen  die 
Doppelbilder  diessseits  sehr  rasch,  jenseits  sehr  allniälig  auseinander. 
Wird  ein  nur  6"  entfernter  Punkt  fixirt,  so  erscheint  der  Faden  nicht 
nur  diess-,  sondern  auch  jenseits  viel  früher  doppelt,  als  im  vorigen 
Falle.  Auf  demselben  Gesetze  beruht  auch  die  bekannte  Erscheinung, 
dass  man  in  einem  Zimmer  die  Brennweite  eines  starken  Convexglases 
viel  leichter  bestimmen  kann,  als  die  von  schwachen  Nummern,  wenn 
man  das  Bild  der  Fensterrahmen  auf  der  gegenüberstehenden  Zimmer- 
wand  benützt. 

Es  ist  somit  dem  normalen  Auge  ohne  alles  Zuthun  der  accommo- 
dativen  Thätigkeit  schon  durch  die  angegebenen  physikalischen  Ver- 
hältnisse ein  grosser  Spielraum  in  der  Weite  des  deutlichen  Sehens 
dargeboten,  indem  1.  sein  Objectiv  von  kurzer  Brennweite  für  die 
Distanzen  von  5'  bis  <x>  nicht  einmal  6  Hundertstel  einer  Linie  Ab- 
änderung in  der  Vereinigungsweite  verlangen  würde,  2.  Strahlen  von 
einem  über  5'  entfernten  Punkte  auf  ein  relativ  so  kleines  Hornhaut- 
areal fallen,  dass  sie  bereits  als  zum  Achsenstrahle  nahezu  oder  völlig 
parallel  betrachtet  werden  müssen,  3.  die  Vereinigung  der  Lichtstrahlen 
streng  genommen  nicht  in  einem  Punkte,  sondern  in  einer  Keine  hinter- 
einander gelegener  Punkte  stattfindet,  welche  um  so  länger  ausfällt, 
je  grösser  die  Objectdistanz  ist,  und  4.  die  Zerstreuungskreise,  welche 
bei  grösseren  Distanzen  der  leuchtenden  Punkte  auf  der  Netzhaut  ent- 
stehen, für  massige  Entfernungen  verschwindend  klein  und  matt  aus- 
fallen, daher  nicht  empfunden  werden. 

In  diesem  letzteren  Momente  ist  nun  auch  die  Fähigkeit  gegeben, 
im  Fernsehen  eine  Schärfe  zu  erlangen,  welche  das  normale,  jedoch  im 
Fernsehen  nicht  geübte  Auge  nicht  besitzt.  Diese  Schärfe  im  Fernsehen 
setzt  nicht  nur  die  grösste  Feinheit  des  Gesichtssinnes  voraus,  d.  h.  die 
Fähigkeit,  zwei  nahe  an  einander  abgebildete  Punkte  noch  als  getrennt 
aufzufassen,  welche  wir  auch  für's  Nahesehen  bei  verschiedenen  Indi- 
viduen verschieden  ausgebildet  finden  (theils  durch  die  Organisation 
der  Netzhaut,  theils  durch  Übung),  sondern  auch  die  Fertigkeit,  von 
Zerstreuungskreisen  zu  ubstrahireti ,  die  Wahrnehmung  derselben  zu 
ignoriren  (unterdrücken),  nur  die  relativ  am  intensivsten  beleuchteten 
Centra  der  Kegelquerschnitte  allein  zur  Wahrnehmung  gelangen  zu 
lassen.  Die  oben  angegebene  Distanz  von  beiläufig  5 — 6'  ist  demnach 
nicht  der  Fernpunkt  des  ruhenden  (nicht  in  accommodative  Thätigkeit 
versetzten)  Auges,  sondern  gewissermassen  der  Mittelpunkt  des  deut- 
lichen Sehens  der  durch  den  Bau  des  Auges  gegebenen  Sehweite.  Die 
Lage  des  Fernpunktes  der  deutlichen  Sehweite   hängt  nicht  bloss  von 


Physiologie  —  Accoiiiniodation.  205 

der  Yereinigungs weite  der  Lichtstrahlen  ab,  sondern  auch  von  der  Grösse 
und  Beleuchtung  der  Objecte  und  von  der  Fähigkeit  der  Netzhaut, 
Objecte  unter  einem  möglichst  kleinen  Sehwinkel  noch  zu  unterschei- 
den und  von  Zerstreuungskreisen  zu  abstrahiren.  Ein  Auge,  welches 
in  allen  Distanzen  zwischen  5  und  45  Zollen  Druckschrift  von  l/;yHöhe 
deutlich  und  sicher  lesen  kann,  hat  gewiss  eine  ganz  gute  Sehweite, 
aber  vielleicht  nur  für's  Erkennen  kleiner  und  naher  Objecte;  denn  es 
kann  trotzdem  seine  Sehweite  für  grössere  Entfernung  eine  mittelmässige 
sein,  und  es  vermag  vielleicht  die  Zeiger  einer  Thurmuhr  auf  2000 
Schritte  nicht  zu  erkennen,  während  ein  anderes,  das  beim  Lesen  auch 
nicht  mehr  leistet,  dieselbe  Uhr  unter  denselben  Verhältnissen  auf 
3000  Schritte  bestimmt  erkennt. 

Die  Accommodation  oder  Einstellung  des  Auges  für  nahe  Objecte 
geschieht  durch  Verlängerung  des  Bulbus  in  der  Sehachse,  durch  Zu- 
rückdräugung  der  hintern  Wand  des  Bulbus,  durch  Rückstellung  der 
Macula  lutea  und  ihrer  Umgebung.  Die  vermittelnden  Organe  hiezu  sind 
einerseits  die  geraden  und  schiefen  Augenmuskeln,  andererseits  der  Ci- 
liarmuskel ,  indem  sie  gleichzeitig  in  erhöhte  Spannung  verset&t  werden. 
In  dem  Momente,  wo  der  Impuls  zum  Nahesehen  vom  Sensorium  com- 
mune ausgeht,  gerathen  sämmtliche  Recti  und  Obliqui  in  erhöhte  Span- 
nung und  comprimiren  den  Bulbus  so,  dass  seine  Äquatorialdurchmesser 
entsprechend  kürzer  werden.  Der  zum  Ausweichen  bestimmte,  weil 
incompressible  Glaskörper  drängt  rück-  und  vorwärts.  Sein  Andrang 
nach  vorn  wird  aber  verhindert  oder  ausparirt,  indem  das  vor  ihm  be- 
findliche Diaphragma  durch  den  gleichzeitig  in  erhöhte  Contraction  ver- 
setzten Ciliarmuskel  in  adäquate  Spannung  gebracht  wird.  Also  muss 
der  gesammte  Druck  nach  hinten  gehen,  die  Retina  sammt  der  Cho- 
rioidea  und  Sclera  zurückweichen.  Die  Hornhaut  bleibt  dabei  ge- 
wiss, die  Linse  höchst  wahrscheinlich  in  ihrer  Form  und  Lage  un- 
verändert. Ist  letzteres  richtig,  dann  bleibt  der  optische  Mittelpunkt 
oder  Kreuzungspunkt  der  Richtungslinien  dabei  unverrückt.  Die  gleich- 
zeitig erfolgende  Verengung  der  Pupillle  ist  eine  einfach  concomi- 
tirende  Erscheinung,  welche  die  Accommodation  nicht  vermittelt,  nur 
begünstigt. 

Diese  Ansicht  über  die  Accommodation  ist  der  Hauptsache  nach  nicht  neu.  Schon 
Kepler  scheint  sich  für  Verlängerung  der  Sehachse  behufs  des  Nahesehens  entschieden 
zu  haben.  Hätte  man  die  Anwesenheit  und  Function  des  Ciliarmuskels  früher  gekannt, 
und  hätte  man  sich  über  Lage  und  Thätigkeit  der  geraden  und  schiefen  Augenmuskeln 
nicht  irrige  Vorstellungen  gemacht,  so  würde  man  sich  wohl  die  mannigfachen  Einwen- 
dungen dagegen  erspart  haben.  —  Wenn  man  meinte,  die  Recti  müssten  bei  vereinter 
"Wirkung  den  Bulbus  zurückziehen,   so   übersah   man    die   antagonistische   Wirkung   der 


206  Augenmuskeln. 

Obliqui.  Von  einer  Abplattung  des  Bulbus  durch  das  retrobulbäre  Fettpolster  könnte, 
auch  wenn  man  eine  Zurückziehung  zugäbe,  dennoch  nicht  die  Rede  sein,  da  jenes 
elastische  Gewebe  jedenfalls  viel  weniger  resistent  ist,  als  der  Bulbus.  —  Dass  der  Bul- 
bus durch  die  vereinte  "Wirkung  der  Obliqui  der  verticalen  Medianebene  genähert  wer- 
den könne,  ist  unmöglich,  weil  die  Obliqui  sich  unweit  vom  hintern  Ende  der  Sehachse 
inseriren,  also  nur  dieses,  nicht  aber  die  ganze  Achse  und  mit  ihr  den  Mittelpunkt  des 
Auges  einwärts  rücken  können.  —  Die  Veränderlichkeit  der  Form  des  Bulbus  konnten 
nur  jene  in  Abrede  stellen,  welche  sich  denselben  als  bis  aufs  Höchste  gefüllt  dachten 
und  selbst  die  bekannte  Thatsache  nicht  beachteten,  dass  man  die  Hornhaut  schon  durch 
einen  leichten  Druck  mit  dem  Finger  abplatten,  und  auf  diese  Weise  den  Refractions- 
zustand  ändern  kann,  wie  diess  Kurzsichtige  in  Ermanglung  einer  Brille  zu  thun 
pflegen.  —  Die  Möglichkeit  einer  Compression  des  Bulbus  durch  die  Recti  und  Obliqui 
konnte  man  nur  dann  bezweifeln,  wenn  man  die  Ursprungs-  und  Anheftungsstellen  dieser 
Muskeln  und  ihren  gekrümmten  Verlauf  zum  Bulbus  nicht  genau  kannte,  und  demge- 
mäss  von  tangentialer  Richtung  derselben  zum  Bulbus  sprach,  oder  wenn  man  sich, 
wie  z.  B.  Stellwag  gethan  *),  eine  ganz  unrichtige  Zeichnung  vom  Bulbus  und  den  Mus- 
keln machte,  in  dieser  das  Parallelogramm  der  Kräfte  verzeichnete,  und  daraus  mittelst 
Rechnung  folgerte :  die  hier  geforderte  Formveränderung  des  Bulbus  sei  unmöglich.  — 
Einseitiger  Druck  auf  die  Bulbuswand  und  Retina,  und  sofort  Entstehen  subjectiver 
Lichterscheinungen  war  bei  zugestandener  Einwirkung  der  Muskeln  auf  den  Bulbus  nur 
für  jene  zu  besorgen ,  welche  meinten ,  es  könne  ein  Muskel  allein  oder  überwiegend 
auf  den  Bulbus  drücken,  es  könne  z.  B.  während  der  Verkürzung  des  R.  internus  der 
R.  externus  erschlafft  sein  und  somit  der  R.  internus  allein  auf  den  Bulbus  drücken.  — 
An  Form-  und  Lageveränderung  der  Cornea  und  selbst  der  Linse  war  allerdings  zu 
denken,  so  lange  man  nicht  wusste,  dass  der  Ciliarmuskel  durch  adäquate  Spannung  der 
Scheidewand  zwischen  Humor  aqueus  und  H.  vitreus  den  Einfluss  der  Recti  und  Obliqui 
auf  dieselben  aufwiegt,  oder  doch  auf  ein  Minimum  reducirt.  A  priori  musste  man 
dann  aber,  wenn  eine  solche  adäquat  gespannte  Scheidewand  nicht  angenommen  wurde, 
wohl  eher  an  Abplattung  als  an  erhöhte  Wölbung  der  Cornea  denken;  denn  nach  Weg- 
fall jener  Scheidewand  müsste  die  besondere  Wölbung  der  Cornea  in  die  allgemeine  des 
Bulbus,  der  Sclera  übergehen.  —  Ein  von  Ruete  vorgebrachter  Einwurf,  dass  nämlich 
nach  Aufhebung  der  Accommodation  in  Folge  von  Belladonna  oder  trotz  plötzlich  ein- 
getretener Kurzsichtigkeit  dennoch  die  Bewegungen  des  Bulbus  vollkommen  frei  von 
Statten  gehen,  würde  auch  dann,  wenn  man  annähme,  dass  die  das  Auge  bewegenden 
Muskeln  ganz  allein  die  Accommodation  vermitteln,  durchaus  nichts  beweisen,  weil  Herab- 
setzung oder  Steigerung  des  Tonus  der  Muskeln  ihre  Verkürzungs-  und  Verlängerungs- 
fähigkeit nicht  aufhebt.  Um  bei  einem  schon  einmal  gebrauchten  Vergleiche  zu  bleiben : 
wenn  zwei  Gewichte  an  einer  über  eine  Rolle  verlaufenden  Schnur  befestigt  sind,  so 
können  sie  in  jeder  beliebigen  Stellung  stehen  bleiben,  gleich  hoch,  eines  tiefer,  eines 
höher,  sofern  sie  gleich  schwer  sind  ;  ob  jetzt  jedes  Gewicht  =  1  Loth  oder  =  1  Pfund, 
das  ändert  in  der  Beweglichkeit  nichts,  wenn  wir  von  der  Reibung  zwischen  Spindel 
und  Rolle  absehen;  im  erstem  Falle  ist  die  Spannung  der  Schnur  und  somit  auch  der 
Druck  auf  die  Rolle  geringer;  die  Drehung  der  Rolle  erheischt  in  dem  einen  Falle  nicht 
mehr  Kraft  als  in  dem  andern.  —  Auch  das  angebliche  unveränderte  Fortbestehen  der 
accommodativen  Thätigkeit  nach  Durchschneidung  eines    oder   des    andern   Augenmuskels 

*)  Denkschriften  der  kaiserl.  Akademie  der  Wissenschaften.    Wien,  1S53.     Juli,  Bd.  V. 


Physiologie  —  Accoiiiiuodation.  207 

kann  nicht  als  Beweis  gegen  den  Einfluss  der  Augenmuskeln  auf  die  Accommodation 
dienen,  denn  niemals  ist  es  ein  Muskel  allein,  der  in  erhöhte  Spannung  geräth ,  und 
■wird  der  Ausfall  des  einen  noch  immer  mehr  weniger  genügend  durch  andere  gedeckt, 
■wie  aus  dem  früher  Gesagten  hinreichend  erhellt,  und  zweitens  wird  der  Bulbus  dem 
.  Einflüsse  des  durchschnittenen  Muskels  nicht  so  leicht  ganz  entzogen ,  wie  wir  bei  der 
Betrachtung  der  Schieloperation  sehen  werden.  Übrigens  hat  A.  von  Gräfe,  an  dessen 
ssactei  Beobachtung  wohl  niemand  zweifeln  wird,  im  Archiv  für  Ophthalmologie  B.  I. 
Abth.  I.  sich  über  den  Einfluss  der  Becti  und  Obliqui  auf  die  Spannung  des  Bulbus  so 
klar  und  bestimmt  ausgesprochen ,  dass  ich  hier  kaum  etwas  Besseres  thun ,  als  einige 
Stellen  wörtlich  citiren  kann.  ,,Bei  den  aecommodativen  Bewegungen  treten  alle  Augen- 
muskeln mehr  in  "Wirksamkeit  und  wenn  der  eine  oder  der  andere  für  die  Stellung  der 
Hornhaut  den  Ausschlag  gibt,  so  ist  diess  die  Folge  der  überwundenen,  aber  dennoch 
fortexistirenden  Besistenz  seitens  der  andern  Muskeln.  Hiefür  geben  namentlich  Fälle 
von  Muskellähmungen  schöne  Belege.  Während  in  solchen  Fällen  die  Einrichtung  des 
Auges  bei  der  assoeiirten  Bewegung  nach  einer  gewissen  Bichtung  vollkommen  normal 
sein  kann,  weicht  nicht  selten  das  Auge  ab,  wenn  wir  ganz  dieselbe  Bichtung  behufs 
der  Accommodation  für  einen  nahe  liegenden  Gegenstand  in  Anspruch  nehmen,  weil  sich 
bei  höherer  Spannung  sämmtlicher  Augenmuskeln  der  ausbleibende  Zug  des  gelähmten 
Muskels  störend  für  die  Stellung  des  Auges  herausstellt,  während  derselbe  Muskel  bei 
den  seitlichen  Bewegungen  im  Zustande  physiologischer  Erschlaffung  ist,  und  desshalb 
die  aufgehobene  Innervation  desselben  keine  Störungen  macht.  Ebenso  habe  ich  neuer- 
dings durch  Beobachtungen  des  Yenenpulses  auf  der  Netzhaut  Gelegenheit  gehabt,  mich 
davon  zu  überzeugen,  dass  dieser  Puls  bei  Accommodation  in  die  Nähe  zunimmt,  was 
entschieden  für  die  Vermehrung  des  seitlichen  Muskeldruckes  spricht."  (S.  36).  —  „Han- 
delt es  sich  einfach  um  die  Richtung  der  Sehachse,  so  ist  hiezu  keine  besondere  Energie 
seitens  der  Augenmuskeln  nöthig,  denn  das  Auge  ist  eine  leicht  bewegliche,  um  ihr 
Centrum  drehbare  Kugel.  Handelt  es  sich  dagegen  um  die  Accommodation  für  die  Nähe, 
so  gerathen  alle  Muskeln,  wenn  auch  in  verschiedenem  Grade,  in  Spannung  und  üben 
einen  seitlichen  Druck  auf  den  Bulbus  aus.  Hiebei  zeigt  sich  nicht  selten  die  Insuffi- 
cienz  des  paretischen  Muskels;  so  kommt  es  zuweilen  bei  pathologischer  Schwäche  des 
Abducens  vor,  dass  beim  gleichzeitigen  Gebrauch  beider  Augen  ein  geradeaus  vor  dem 
Kranken  liegender  entfernter  Gegenstand  richtig  fixirt  wird,  während  bei  Annäherung 
desselben  auf  dem  erkrankten  Auge  pathologische  Convergenz  sich  einstellt.  Noch  be- 
weisender sind  Experimente  mit  Brillengläsern,  weil  hiebei  auch  die  Sehachse  des  ge- 
sunden Auges  nicht  verrückt,  demnach  auch  jede  synergische  Muskelcontraction  an 
dem  erkrankten  Auge  vermieden  wird;  setzt  man  z.  B.  dem  erwähnten  Kranken  eine 
Concavbrille  auf  und  zwingt  hiedurch  die  Augen ,  bei  gleichbleibender  Stellung  des 
Objectes  einen  höheren  Brechzustand  anzunehmen,  so  sieht  man  die  pathologische  Ab- 
lenkung eintreten,  oder  eine  vorhandene  sich  vermehren.  Dasselbe  sah  ich  einige 
Male  bei  Lähmung  des  R.  superior  oder  inferior,  wo  für  ein  entferntes  geradaus  lie- 
gendes Object  ebenfalls  die  Sehachse  eingerichtet  werden  konnte,  während  sie  bei  An- 
näherung desselben  an  das  kranke  Auge  dem  paralysirten  Muskel  entgegengesetzt  ab- 
wich." (S.  53). 

Eine  merkliche  Einschränkung  oder  selbst  Aufhebung  der  Accommodation  ist  dem- 
gemäss  bisher  bloss  bei  Lähmung  mehrerer  Muskeln  beobachtet  worden.  Dass  bei  Läh- 
mung sämmtlicher  vom  N.  oculomotorius  versorgten  Muskeln  die  Accommodation  aufgehoben 
oder   doch   sehr  geschwächt  sei,  darin  stimmen  alle  bisher  bekannt  gewordenen  Beobach- 


208  Augenmuskeln. 

tungen  überein ;  rar  Ruete  will  in  einem  Falle  das  Gegentheil  beobachtet  haben,  und  be- 
ruft sich  in  der  2.  Auflage  seines  Lehrbuches  S.  179  auf  eine  gleiche,  noch  nicht  ver- 
öffentlichte Beobachtung  von  H.  Müller.  Wenn  ich  recht  verstehe,  so  ist  der  Fall,  au 
den  sich  Ruete  bezieht,  derselbe,  welchen  R.  Ulrich  in  seiner  Prof.  Ruete  gewidmeten 
Schrift:  „De  catoptrices  et  dioptrices  in  oculorum  morbis  cognoscendis  usu  atque  utili- 
tate"  als  Beweis  anführt,  dass  die  Accommodation  nicht  von  den  Augenmuskeln  abhänge. 
Ein  22  Jahre  alter  Schuster  bot  angeblich  seit  seinem  3.  Lebensjahre  nach  überstandenen 
Masern  eine  vollständige  Lähmung  sämmtlicher  Augenmuskeln  mit  Ausnahme  des  Obl.  su- 
perior  dar.  „Praeter  musculos  levatores  palpebrarum  ceteri  quoque  musculi,  qui  nervi 
oculomotorii  ramis  gaudent  et  musc.  recti  externi  in  ambobus  oculis  paralysi  erant 
affecti.  Axes  optici  in  parallelismum  atque  etiam  in  divergentiam  erant  directi,  ne- 
que  recta  introrsum  aut  extrorsum  aut  sursum  aut  denique  deorsum,  neque  deorsum 
et  introrsum  aut  sursum  et  introrsum  aut  denique  sursum  et  extrorsum  pupilla  volvi 
poterat.  Baibus  oculi,  id  quod  ex  experimentis  saepissime  institutis  patefactum  est 
atque  aperte  poterat  distingui,  circa  eum  solum  axin,  qui  oblique  ab  exteriore  cor- 
neae parte  ad  interiora  et  posteriora  horizontaliter  tendit ,  musculi  obliqui  superioris 
actione  deorsum  et  extrorsum  circumgyrabatur ,  qua  in  rotatione  semper  segmentum 
eirculi,  qui  ex  centro  pupillae  oblique  extrorsum  actus  potest  cogitari ,  sequi  vide- 
batur.  Papula  non  solum  propriis  motibus  normalibus  gaudebat  atque  extracto  bella- 
donuae  instillato  justo  modo  poterat  dilatari,  sed  vel  potius  tarn  vivaces  prae  se  ferebat 
oscillationes ,  ut  hippum  fere  aequarent.  Neque  vero  oculorum  sensibilitas  optica,  neque 
facultas  illa  peculiaris  variis  rerum  distantiis  sese  accommodandi  ullo  modo  perturbata  ac 
diminuta  erat;  imo  vero  tanta  aderat,  ut  aciculam  Hlmm  tantum  ab  oculis  remotam 
probe  posse  discerni,  experimenta  Myopometri  ope  instituta  palam  facereut.  Objecta,  quae 
propius  oculis  admovebantur ,  geminata  apparebant;  omnia  vero  et  cominus  et  eminus 
collocata,  eo  situ,  quo  revera  utebantur,  in  conspectum  veniebant,  ita  ut  erecta  erecto 
quoque  situ,  inversa  inverso  pei-ciperentur.  —  Quae  omnia  quum  ita  se  haberent,  paraly- 
seos  causam  in  cerebro  esse  sitam ,  nemo  est,  qui  neget.  Hac  autem  ex  morbi  historia 
multa  eaque  gravissima,  quae  physiologiam  informent,  possunt  repeti  et  concludi:  I.  Ee- 
pugnat  haec  observatio  eorum  opinioni,  qui  mutationes  illas  oculorum  internas  in  bulbi 
musculorum  actione  positas  esse  volunt.  II.  Neque  minus  eorum  conjecturam  refutat,  qui 
eorundem  musculorum  opem  requiri  opinantur,  ut  res  eo  situ,  quo  revera  gaudent,  per- 
cipiantur.  III.  Maxime  probabile  reddit,  iridem  ad  motum  incitari  haud  fibris  crassio- 
ribus,  sed  potius  fibrillis  tenuioribus  nervi  oculomotorii,  quae  radice  brevi  ganglii  ciliaris 
intercedente,  a  nervo  sympathico  in  ipsum  immittuntur." 

Diese  Beobachtung  scheint  mir  bei  weitem  nicht  so  exact  zu  sein,  um  für  das  in  Rede 
stehende  Thema  überhaupt  benützt  werden  zu  können.  Zunächst  ist  es  durchaus  uner- 
wiesen ,  dass  die  Ursache  der  Lähmung  im  Gehirne  lag,  müsste  sogar,  wenn  man  diess 
annähme,  ein  anderweitig  erwiesener  Satz  aufgegeben  werden,  der  nämlich,  dass  die 
Kreisfasern  der  Iris  unter  dem  Einflüsse  des  N.  oculomotorius  stehen.  Denn,  wie  war 
es  möglich,  dass  die  Bewegungen  der  Iris  sich  in  jeder  Beziehung  normal  verhielten, 
wenn  eine  centrale  Lähmung  des  N.  oculomotorius  stattfand?  Lag  aber,  und  das  ist  ge- 
wiss, kein  Centralleiden  zu  Grunde,  dann  fragt  sich's,  ob  die  Bulbi  fix  standen  wegen 
Muskellähmung  oder  wegen  eines  andern,  vielleicht  mechanischen  Hindernisses  in  der 
nächsten  Nähe  des  Bulbus.  Wir  wollen  hier  noch  nachholen,  dass  der  Kranke  angeb- 
lich während  der  Masern  an  einer  Entzündung  der  Augen  gelitten  hatte.  Ich  wüsste 
nicht,   wo    und   was  für  ein  Leiden  in  der  Schädelhöhle  im  Stande  wäre,  eine  beidersei- 


Physiologie  —  Accommodation.  209 

tige  Lähmung  gerade  nur  des  3.  und  6.  Hiinnerven  bei  Integrität  aller  übrigen  sensitiven 
und  motorischen  Nerven  und  der  Geistesfunctionen  etc.  hervorzurufen.  —  Der  Kranke 
konnte  accommodiren;  -wir  haben  keine  Ursache,  diess  zu  bezweifeln.  Die  Accommoda- 
tion  ist  ein  Act  der  Willkür.  Wenn  nun  der  N.  oculomotorius  central  gelähmt  war,  wo- 
durch sollte  noch  eine,  die  Accommodation  vermittelnde  Veränderung  im  Innern  des  Bul- 
bus bewirkt  werden  können,  da  nun  in  den  Ciliarnerven  keine  dem  Willenseinflusse  ge- 
horcbenden  Fasern  mehr  thätig  sein  konnten?  Schliesslich  wollen  wir  nur  noch  hervor- 
heben, dass  auch  das  unter  II.  aufgestellte  Corollarium  von  Ulrich  unrichtig  ist;  denn 
wenn  im  normalen  Zustande  die  Augen  nach  links  bewegt  werden,  und  hieraus  die  Vor- 
stellung entsteht,  dass  das  Object,  dem  die  Macula  lutea  jetzt  zugelenkt  wird,  links  von 
der  senkrechten  Medianebene  gelegen  war,  so  musste  hier  zu  demselben  Behufe  der  ganze 
Kopf  links  bewegt  werden ,  blieb  somit  das  Verhältniss  zur  Vorstellung  im  Wesentlichen 
dasselbe.  (Yergl.  B.  III.  S.  49.) 

Übrigens  ist  aus  Ruete's  Angaben,  wenn  er  behauptet,  eine  Schwächung  des  Accom- 
modationsvermögens  nach  vollkommener  Lähmung  aller  Äste  des  N.  oculomotorius  sei 
kaum  wahrzunehmen ,  und  beziehe  sich  auf  die  Accommodation  für  nahe  Objecte,  nicht 
recht  zu  entnehmen,  was  er  eigentlich  von  der  Accommodationsthätigkeit  verlangt,  um  so 
mehr,  als  er  selbst  in  der  2.  Auflage  S.  207  noch  anführt:  „Hält  man  ein  kleines  Löchel- 
chen eines  Kartenblattes  unmittelbar  vor  das  Auge  ,  so  ist  man  doch  noch  im  Stande 
Objecte  in  verschiedener  Entfernung  deutlich  zu  erkennen."  Ein  solches  Diaphragma 
leistet  dieselben  Dienste  ja  auch  an  einer  Glaslinse,  also  ganz  gewiss  ohne  Muskelthätigkeit. 
Durch  eine  solche  Öffnung  kann  nicht  nur  ein  normales ,  sondern  auch  ein  fernsichtiges, 
der  Accommodation  mehr  weniger  verlustiges  Auge  bei  2 — 1  '/2  Zoll  Distanz  noch  lesen 
—  wegen  Beduction  der  Zerstreuungskreise  auf  Punkte. 

Eine  andere  Beobachtung  von  Lähmung  sämmtlicher  vom  N.  oculomotorius  versehe- 
nen Muskeln  hat  Ruete  selbst  in  seinen  1843  erschienenen  klinischen  Beiträgen  veröffent- 
licht, und  darauf  die  Behauptung  aufgestellt,  „dass  das  Accommodationsvermögen  durch 
vollständige  Lähmung  aller  Äste  des  IST.  oculomot.  nur  so  wenig  geschwächt  werde,  dass 
diess  kaum  wahrnehmbar  sei."  Gramer  (über  das  Accommodationsvermögen,  übersetzt  von 
Doden,  S.  166)  hat  gegen  diese  Beobachtung  Bedenken  erhoben,  welche  gewiss  alle 
Beachtung  verdienen.  „Dass  eine  Frau  aus  dei  Arbeiterclasse  im  Alter  von  44  Jahren 
noch  ein  solches  Accommodationsvermögen  besessen  haben  sollte ,  wie  Ruete  angibt, 
gxenzt  fast  an's  Unglaubliche.  Sie  war  nicht  kurzsichtig  —  denn  sie  sah  eine  Nadel 
deutlich  in  der  Entfernung  von  4  Meter  vom  Auge  —  und  ihr  kürzester  Gesichtsabstand 
sollte  100  Millimeter,  nicht  ganz  4  Zoll,  betragen  haben."  —  „Bei  Menschen  von  gerin- 
ger Bildung  wird  man  in  der  Regel  nicht  im  Stande  sein,  allein  durch  das  Beschauen 
einer  Nadel  —  wie  bei  Ruete  —  mit  völliger  Sicherheit  den  kürzesten  Gesichtsabstand 
zu  ermitteln."  (Vergl.  Prag.  Vierteljahrschr.  B.  I.  Quartal  2.,  S.  285).  —  „Bei  den 
Prüfungen  der  Sehweite,  sei  es  durch  die  gewöhnlichen  Leseproben,  oder  durch  die  Be- 
stimmung des  Minimuni  im  Netzhautwinkel  oder  durch  optometrische  Instrumente,  gelingt 
es  uns  freilich  für  Paralysen  einzelner  Augenmuskel  im  Allgemeinen  nicht,  erhebliche 
Veränderungen  im  Nah-  und  Fernpunkte  nachzuweisen;  dennoch  finden  Störungen  in 
der  Accommodation  statt.  Wird  das  Auge  nach  der  Seite  des  geschwächten  Muskels 
gerichtet,  so  finden  wir  die  Accommodation  allemal  etwas  beschränkter  und  unstät, 
mühsam."     (Gräfe,  Archiv.  B.  I.  Abth.   1.  7—16.) 

Positiv  beweisend  für  unsere  Ansicht  ist  die  durch  Sectionen  von 
mir  nachgewiesene  Verlängerung  des  Bulbus  in  der  Richtung  der  Seh- 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  14 


210  Augenmuskeln. 

achse  bei  reiner  oder  mit  centralen  Hornhantflecken  cornplicirter  Kurz- 
sichtigkeit. 

Vielfältige  und  aufmerksame  Beobachtung  und  Vergleichung  kurz- 
sichtiger und  fernsichtiger  Augen  mit  normalen  führte  mich  zunächst 
zur  Überzeugung,  dass  die  Hornhaut  bei  jenen  nicht  stärker,  bei  diesen 
nicht  schwächer  gewölbt  sei.  Den  vorzüglichsten  Anhaltspunkt  hiefür 
lieferte  die  Betrachtung  und  Vergleichung  der  Cornealspiegelbilderr 
welche  ich  auch  bei  eclatanter  Kurzsichtigkeit  nicht  kleiner  fand,  als 
bei  Fernsichtigkeit. 

Die  vorläufige  Andeutung  dieses  Sachverhaltes,  welche  ich  im  I.  Bande  auf  S.  175- 
kurz  hingeworfen  hatte,  hat  Herrn  Stellwag  von  Carion  zu  einer  Bemerkung  veranlasst,. 
zu  der    er    in    Bezug    auf  Form  sowohl  als  Inhalt  gewiss  nicht  berechtigt  war.  Nach  der 

Formel  — =  —  ( —    +  — I    berechnet    St.,    dass    ein    1000"'    entfernter   Fensterbai- 
a  \p  a  / 

ken  von  576'"  Länge  ein  Spiegelbild  von  1,005'"  geben  würde,  wenn  man  den  Radius 
der  Cornealvorderfläche  auf  3,495'"  annimmt,  dagegen  nur  1,149'",  wenn  man  „was 
sicherlich  eine  relativ  ungeheuere  Differenz  ist"  —  den  Radius  der  Cornealvorderfläche 
auf  4'"  steigen  lässt.  „Das  Spiegelbild  der  Cornea  von  4'"  Radius  erscheint  um  0,144'" 
länger,  als  bei  gleichen  Umständen  das  Spiegelbild  einer  Cornea  von  3,495'"  Radius.  — 
Wer  mit  freiem  Auge,  oder  doch  ohne  zusammengesetzte  Apparate  und  Berechnungen  Grös- 
senunterschiede  von  0,144'"  schätzen  kann,  muss  jedenfalls  ein  mehr  als  gewöhnliches 
Beurtheilungsvermögen  haben,  ich  traue  diese  Schärfe  weder  mir,  nach  H.  Prof.  Arlt  zut 
und  muss  daher  das  Spiegelbild  der  Cornea  bezüglich  seiner  Grösse  jedenfalls  als  ein 
ganz  unbrauchbares  diagnostisches  Hilfsmittel  erklären.11  Bonders  erzählt  in  seiner 
Abhandlung  über  die  Nahrungsstoffe  (übersetzt  von  Bergrath)  S.  28,  „er  sei  einmal  zu- 
gegen gewesen,  als  ein  Mathematiker  wissenschaftlich  bewies,  dass  ein  Tisch  auf  einer 
Treppe  unmöglich  nach  oben  getragen  werden  könne,  während  ein  anderer,  wenig  hier- 
durch abgeschreckt,  es  inzwischen  einmal  versuchte  und  — ihn  hinauf  brachte.  TJbi  re- 
rum  testimonia  adsunt,  muss  sogar  die  Mathematik  nachgeben."  Ich  that  ungefähr  das- 
selbe, liess  mir  Metallconvexspiegel  von  3  '/a'"  und  4'"  Radius  schleifen ,  und  dann, 
als  sogar  Kinder  die  Differenz  in  der  Grösse  der  Spiegelbilder  wiederholt  und  bestimmt 
unterschieden,  zum  Überfluss  noch  einen  von  33/4'"  Radius,  und  auch  da  lässt  sich  mit 
völliger  Bestimmtheit  angeben,  welches  Bild  kleiner,  welches  grösser  sei.  Das  kann 
Jeder  nachmachen ;  darüber  giebt's  keine  weitere  Polemik.  Hat  Stellwag  vielleicht  schlecht 
gerechnet  ?  oder  sind  seine  Suppositionen  unpassend  gewählt  ? 

Einen  weitern  Anhaltspunkt  gab  die  Lage  der  Iris  relativ  zur  Cor- 
nea, und  daraus  liess  sich  auch  leicht  erklären,  wie  sich  die  Ansicht, 
Kurzsichtigkeit  beruhe  auf  stärkerer  Wölbung,  Fernsichtigkeit  auf  Ver- 
flachung derselben,  hatte  entwickeln  und  so  lange  erhalten  können.  Um 
die  Lage  der  Iris  richtig  zu  beurtheilen,  muss  man  das  Auge  gerade 
von  vorn,  nicht  von  der  Seite  her  betrachten.  Man  lege  ein  Plancon- 
vexglas  mit  der  ebenen  Fläche  auf  ein  Blatt  Papier,  allenfalls  auf  einige 
Zeilen  eines  Buches,  und  man  wird  aus  Experimenten  hiemit  leicht 
entnehmen,  was  obiger  Rath  bedeuten  will.     In  der  angegebenen  Stel- 


Physiologie  —  Acconmiocintioii.  211 

hing  nun  denke  man  sich  Ebenen  gelegt:  1.  durch  die  Basis  der  Cor- 
nea oder  den  vordersten  Rand  der  Sclera,  etwa  wie  wenn  man  ein 
Staarmesser  durchführen  wollte;  2.  durch  den  grössten  Kreis  oder  den 
Ciliarrand,  und  3.  durch  den  kleinsten  Kreis  oder  den  Pupillarrand  der 
Iris.  Diess  thue  man  nun  a)  bei  eclatanter  reiner  Kurzsichtigkeit,  b)  bei 
einem  in  höherem  Grade  ferusichtigen,  und  c)  bei  einem  normalen 
Auge.  Mau  wird  nun  leicht  bemerken,  dass  bei  einem  exquisit  kurz- 
sichtigen Auge  die  1.  und  2.  Ebene  weit,  die  2.  und  3.  dagegen  wenig 
oder  gar  nicht  von  einander  abstehen,  cl.  h.  dass  die  Iris  (der  grosse 
und  kleine  Kreis)  auch  bei  ziemlich  enger  Pupille  nahezu  in  Einer 
Ebene,  aber  tief  hinter  der  Hornhaut  liegt,  dass  hingegen  bei  einem 
exquisit  weitsichtigen  Auge  die  1.  und  2.  Ebene  einander  sehr  nahe 
liegen,  die  3.  dagegen  merklich  vor  der  2.,  d.  h.  die  Iris  des  weitsich- 
tigen Auges  in  toto,  besonders  aber  mit  ihrem  Pupillarrande  weit  nach 
vorn  liegt,  und  stark  nach  vorn  ausgebaucht  ist.  —  Richtig  ist,  dass  bei 
Kurzsichtigkeit  die  vordere  Kammer  grösser,  bei  Weitsichtigkeit  dagegen 
kleiner  ist;  nur  liegt  der  Grund  davon  nicht  in  veränderter  Wölbung 
oder  Lage  der  Cornea,  sondern  in  veränderter  Lage  und  Wölbung  der 
Iris,  und  die  Altern  haben  etwas,  das  der  Schärfe  ihrer  Beobachtung 
nicht  entgangen  war,  bloss  irrig  gedeutet. 

Die  Lage  des  Ciliarrandes  der  Iris  ist  gegeben  durch  die  Dicke 
oder  Mächtigkeit  des  Ciliarmuskels  (des  Ligamentum  ciliare  früherer 
Autoren),  denn  es  ist  gewiss,  dass  die  Iris  mitten  aus  demselben  her- 
auskommt, dass  die  Iris  mit  der  Cornea  nicht  unmittelbar  zusammen- 
hängt, dass  mithin,  je  stärker  entwickelt  der  Ciliarmuskel  ist,  desto 
weiter,  hinten  auch  der  Ciliarrand  der  Iris  liegt.  Wo  der  Ciliarmuskel 
wenig  entwickelt  ist,  da  legt  sich  auch  der  grösste  Kreis  der  Iris  mehr 
weniger  nahe  an  die  Peripherie  der  Descemetschen  Haut  an. 

Die  Lage  des  Pupillarrandes  der  Iris  zeigt  uns  jederzeit  auch  die 
Lage  der  vordem  Kapsel,  sobald  die  Linse  nicht  aus  ihrer  Befestigung- 
gelöst  oder  in  ihrem  Yolumeu  geschrumpft  ist.  Tiefe  Lage  des  Pupillar- 
randes deutet  demnach,  falls  die  Pupille  nicht  über  2 — 2il/2JU  erweitert 
ist,  jederzeit  auf  tiefe  Lage  der  Linse,  und  umgekehrt,  so  dass  wir 
also  —  mit  Bezug  auf  das  Frühere  —  sagen  dürfen :  Bei  Kurzsichtigkeit 
liegt  die  Linse  (vordere  Kapsel)  tiefer,  bei  Weitsichtigkeit  näher  hinter 
dem  Hornhautcentrum. 

Es  ist  eine  allgemein  bekannte  und  anerkannte  Thatsache,  dass 
durch  anhaltendes  Betrachten  naher  kleiner  Gegenstände  (insbesondere 
beim  Gebrauche  des  Mikroskopes;  normale  Augen  Erwachsener  vor- 
übergehend —  auf  Minuten    oder  Stunden,  jugendliche  Augen  (bis  zu 

14* 


2 1 2  Augenmuskeln. 

den  Pubertätsjahren)  bleibend  kurzsichtig  werden.  Man  kann  nicht  an- 
ders, als  annehmen,  dass  die  Behufs  des  Nahesehens  eingeleitete  Ver- 
änderung' in  den  dioptrischen  Verhältnissen  des  Auges  so  lange  fort- 
bestehe, als  die  Kurzsichtigkeit  anhält,  also  bei  permanenter  Kurzsichtigkeit 
stationär  geworden  sei.  Sind  diese  Sätze  richtig,  dann  müsste,  wenn 
die  Accommodation  durch  stärkere  Wölbung  der  Cornea  vermittelt  würde, 
an  Augen,  welche  auf  diese  Weise  kurzsichtig  geworden  sind,  auch  die 
Cornea  stärker  gewölbt  gefunden  werden.  Dasselbe  gilt  auch  in  Bezug 
auf  die  Form-  und  Lageveränderung  der  Linse.  Ist  aber  unsere  An- 
sicht über  die  Accommodation  richtig,  dann  muss  in  solchen  Augen  der 
Durchmesser  des  Auges  in  der  Sehachse  verlängert,  die  hintere  Wan- 
dung des  Bulbus  zurückgedrängt  gefunden  werden.  Und  so  ist  es  in 
der  That.  Bei  allen  rein  Kurzsichtigen,  welche  nur  bei  höchstens  6  Zoll 
Distanz  noch  lesen  können,  besonders  aber  bei  jenen,  welche  bereits 
Gläser  unter  6  Zoll  Brennweite  nöthig  haben,  lässt  sich  die  Verlänge- 
rung des  Bulbus  nach  hinten  schon  während  des  Lebens  bestimmt  nach- 
weisen, indem  man  das  Auge  möglichst  stark  nach  innen  und  oben 
wenden  lässt,  und  nun  das  untere  Lid  nächst  der  äussern  Commissur 
mittelst  des  Zeige-  oder  kleinen  Fingers  so  weit  als  möglich  hinter  den 
Bulbus  drängt.  Auf  diese  Weise  ist  bloss  eine  beiläufige  Schätzung 
möglich,  welche  nur  durch  Vergleich  mit  normalen  Augen  Werth  er- 
hält. An  den  Augen  verstorbener  kurzsichtiger  Personen  lässt  sich  aber 
eine  genaue  Messung  anstellen,  wenn  man  die  Augen  möglichst  bald 
herausnimmt.  Ich  werde  weiter  unten  den  Befund  solcher  Augen,  von 
deren  Kurzsichtigkeit  im  Leben  ich  mich  überzeugt  hatte,  ausführlich 
mittheilen,  und  will  nur  noch  hervorheben,  dass  eben  dieser  Befund 
auch  das  letzte  Bedenken  beseitigt,  welches  sich  allenfalls  noch  gegen 
das  Rückwärtsweichen  der  hintern  Bulbuswand  bei  der  Accommodation 
erheben  Hesse.  Es  ist  diess  das  Bedenken,  ob  nicht  etwa  die  bei  dieser 
Rückwärtsdrängung  nothwendig  stattfindende  Compression  und  Ver- 
schiebung der  Netzhautelemente  der  Function  derselben  nachtheilig  wer- 
den möchte.  Dass  die  Contenta  des  Bulbus  bei  der  Accommodation 
unter  erhöhten  Druck  versetzt  werden,  ist  durch  den  Augenspiegel 
nachgewiesen.  Dieser  Umstand  ist  weit  entfernt,  die  Sensibilität  der 
Netzhaut  zu  vermindern,  scheint  sie  im  Gegentheil  sogar  zu  erhöhen, 
eine  Ansicht,  die,  wenn  ich  mich  recht  erinnere,  schon  Brewster  in  den 
dreissiger  Jahren  ausgesprochen  hat,  und  welche  mit  Stromeier 's  Be- 
hauptung, dass  die  optische  Sensibilität  mit  der  Muskelaction  steige 
und  falle  *),  völlig  im  Einklänge   steht.     Dass  aber  eine  Verschiebung 

;  De  combinatione  actionis  uervorum  et  motorioraiu  et  seusoriorum  etc.    Erlangae  1S39. 


Physiologie  —  Accoinniodation.  213 

der  Netzhauteleuiente,  ATeiche,  wenn  auch  in  Loch  so  geringem,  den- 
noch in  einigem  Grade  stattfinden  zu  müssen  scheint,  ohne  Störung 
der  optischen  Sensibilität  der  Netzhaut  stattfinden  könne,  ist  eben 
factisch  nachgewiesen  durch  den  wirklichen  Bestand  einer  solchen  Aus- 
buchtung oder  Verlängerung  an  Augen,  welche  in  jeder  Beziehung  nor- 
mal sind  —  bis  auf  den  Refractionszustand  —  welche  sogar  ein  noch 
feineres  (schärferes)  Gesicht  darzubieten  pflegen,  als  Augen  ohne  solche 
Ausbuchtung.  Kann  nun  diese  nicht  als  Vitium  primae  formationis  an- 
genommen werden,  so  musste  eine  solche  Verschiebung  auch  ohne 
Nachtheil  für  die  optische  Sensibilität  erfolgen  können. 

In  -welcher  Beziehung  stehen  nun  die  angeführten  Thatsachen  der  Beohachtung  an 
kurz-  und  weitsichtigen  Augen  zu  einander  und  zur  Accommodation?  —  Ein  Knabe 
beschäftigt  sich  wiederholt  und  anhaltend  mit  der  Betrachtung  kleiner  Gegenstände,  und 
hält,  entweder  weil  es  der  Sehwinkel  oder  die  Beleuchtung  erheischt,  oder  auch  nur  aus 
übler  Gewohnheit  dieselben  so  nahe,  dass  die  Accoinmodationsorgane  in  erhöhten  An- 
spruch genommen  werden.  Erhöhte  Spannung  der  Kecti  und  Obliqui  sowohl  als  des 
Ciliavrauskels  dauern  länger  an  und  kehren  öfter  wieder.  Die  hintere  Wandung  des 
Bulbus  in  einem  Umkreise,  dessen  Centrum  die  Macula  lutea,  dessen  Peripherie  ohnge- 
fähr  die  Gegend  der  Insertion  der  beiden  Obliqui  bezeichnet,  muss  dabei  rückwärts  ge- 
drängt werden,  im  Centrum  am  meisten,  gegen  die  Peripherie  hin  weniger  und  weniger. 
Die  Locomotion,  welche  die  Macula  lutea  zu  machen  hat,  wenn  sie  aus  der  Lage,  die 
der  Ruhe  der  Accommodationsorgane  entspricht,  in  jene  übergeht,  die  dem  höchsten 
Grade  ihrer  Spannung  entspricht ,  wird,  aufs  Höchste  angeschlagen,  nicht  viel  über  eine 
halbe  Linie  betragen.  Besitzt  die  Sclera  bereits  ihren  gehörigen  Grad  von  Festigkeit, 
so  weicht  die  hintere  Wandung  eben  nur  um  soviel  zurück,  als  der  seitliche  Druck  er- 
heischt ;  sie  tritt  sodann  in  ihre  frühere  Lage  zurück,  in  demselben  Masse,  als  die  seit- 
liche Compression  nachlässt.  Diese  Wiederherstellung  der  normalen  Form  ist  theils  in 
der  Dicke  und  Elasticität  der  Sclera  selbst,  theils  in  der  Elasticität  des  incompressiblen 
Glaskörpers  und  des  compressiblen  retrobulbären  Fettgewebes  gegeben ;  wenn  aber  die 
Sclera  noch  weich  und  nachgiebig  ist,  wie  vor  der  völligen  Entwicklung  der  Bulbi  (zur 
Zeit  der  Pubertät) ,  so  kann  die  häufige  Wiederkehr  und  stundenlange  Andauer  höherer 
Spannung  leicht  eine  Ausdehnung  derselben  zur  Folge  haben,  welche  nach  dem  Aufhören 
des  erhöhten  Druckes  nicht  mehr  zurückgeht.  Da  aber  die  Gefässe  im  Innern  des  Auges 
unter  einem  permanenten  Drucke  stehen,  entsprechend  der  Spannung  der  Wandungen  des 
Bulbus,  so  ist  mit  obigem  Momente  der  Anstoss  zum  Ausscheiden  von  Serum  aus  den 
Gefässen  gegeben,  und  es  wird  einerseits  in  den  Glaskörper,  andererseits  in  die  Augen- 
kammer so  viel  Flüssigkeit  mehr  ausgeschieden ,  als  die  Raumerweiterung  eben  gestattet. 
So  entsteht  Vermehrung  der  Glasfeuchtigkeit  und  bei  höheren  Graden  von  Ektasie  der  hin- 
tern Bulbuswand  (Staphyloma  posticum  Scarpae)  auch  Verflüssigung  des  Glaskörpers,  zu- 
nächst in  der  Gegend  des  hintern  Poles,  allmälig  weiter  und  weiter  nach  vorn  vorschrei- 
tend ,  endlich ,  wohl  auch  den  ganzen  Glaskörper  bis  auf  eine  wenig  mächtige  Lage  an 
der  vordem  Peripherie  nächst  dem  Corpus  ciliare  betreffend.  —  Hält  die  Scheidewand 
zwischen  Kammerwasser  und  Glaskörper  gehörig  Stand,  wenn  nämlich  der  Ciliarmuskel 
gehörig  entwickelt  ist,  dann  steht  während  der  erhöhten  Spannung  der  Accommodations- 
organe der  hintere  Augenraum  unter  etwas  grösserem  Drucke,  als  der  vordere,  der  Rück- 


2 1 4  Augenmuskeln. 

fluss  durch  die  hintern  C'iliarvenen  wird  etwas  beeinträchtigt,  die  vordem  Ciliarvenen 
erscheinen  etwas  stärker  injicirt  —  eine  Erscheinung,  die  man  während  der  Entwicklung 
und  des  Fortschreitens  der  Kurzsichtigkeit  häufig  sehen  kann  —  und  die  Menge  des 
Kammerwassers  steigt,  die  vordere  Kammer  wird  grösser,  die  Cornea  uud  Linse  rücken 
allmälig  weiter  von  einander.  Die  Yergrösserung  der  vordem  Kammer  wird  überdiess 
noch  dadurch  befördert,  dass  sich  der  Ciliarmuskel  in  Folge  der  häufigeren  Übung  mehr 
entwickelt.  Die  Yergrösserung  der  vordem  Kammer  ist  somit  etwas  Consecutives  oder 
Sccundäres,  daher  auch  nicht  absolut  Nothwendiges ,  weil  nur  von  einem  der  Momente, 
nämlich  von  der  kräftigen  Gegenwirkung  des  Ciliarmuskels  abhängig.  Dennoch  wird  sie 
bei  hinterer  Ektasie  des  Bulbus  selten  vermisst.  Wo  sie  aber  —  bei  unveränderter 
Wölbung  der  Cornea  und  unabhängig  von  entzündlichen  Leiden  der  Iris  oder  Chorioi- 
dea,  so  wie  von  Krankheiten  der  Linse  und  des  Glaskörpers  mit  Schrumpfung  vorhan- 
den ist,  gestattet  sie  mit  grosser  Wahrscheinlichkeit  den  Rückschluss  auf  hintere  Aus- 
dehnung der  Sclera.  Ich  hin  auf  diese  Weise  in  der  Leichenkammer  in  den  Besitz 
einiger  Bulbi  mit  hinterer  Ektasie  gekommen ,  von  denen  sich  auch  bei  zweien  nach- 
her eruiren  liess,  dass  Kurzsichtigkeit  vorhanden  gewesen  war. 

Man  könnte  gegen  die  Beweiskraft  der  hintern  Ektasie  für  unsere  Ansicht  vielleicht 
noch  einwenden ,  dass  Augen,  an  denen  man  dieselbe  beobachtet,  allerdings  kurzsichtig 
sein  müssten,  dass  aber  der  Ektasie  wohl  andere  Ursachen,  als  die  von  uns  supponirte, 
zu  Grunde  liegen.  Es  könnte  vielleicht  diese  Ektasie  schon  ein  Vitium  primae  forma- 
tionis  sein,  oder  es  könnte  dieselbe  in  einer  angeborenen  mangelhaften  Besistenz  der 
Sclera  gleichsam  vorbereitet  sein,  wofür  sich  das  oft  beobachtete  gleichzeitige  Vorkom- 
men von  Kurzsichtigkeit  in  Familien  geltend  machen  liesse,  oder  endlich  es  könnte, 
wie  A.  von  Gräfe  anzunehmen  scheint,  dieselbe  die  Folge  eines  entzündlichen  Leidens 
der  Sclera  und  Chorioidea  —  (Sclerotico-chorioiditis  posterior)  sein.  —  Folgendes  ist's, 
v  as  ich  diesen  Annahmen  entgegen  zu  setzen  habe.  Zunächst  kann  durchaus  nicht  zuge- 
geben werden,  dass  der  hintern  Ektasie  des  Bulbus  immer  ein  entzündlicher  Process  der 
Sclera  und  Chorioidea  als  Ursache  oder  auch  nur  als  voi  hergehendes  und  disponirendes 
Moment  zu  Grunde  liege,  kann  vielmehr  mit  Bestimmtheit  belmiptet  werden,  dass  die 
entzündlichen  Erscheinungen  im  Grunde  des  Auges ,  welche  in  manchen  solcher  Fälle 
entweder  mit  dem  Augenspiegel  oder  am  Leichentischc  nachgewiesen  werden  können, 
etwas  Accessorisches  oder  Consecutives  sind.  Der  Augenspiegel  kann  natürlich  nur 
nachweisen ,  dass  ein  Auge  kurzsichtig  ist,  nicht  aber,  wodurch  die  Kursichtigkeit  be- 
dingt sei.  Ich  habe  an  zahlreichen  Individuen  mit  Kurzsichtigkeit  höheren  Grades  die 
Verlängerung  des  Bulbus  in  der  Sehachse  auf  die  obeu  angcgelJene  Weise  constatirt, 
darunter  aber  viele  gefunden,  bei  denen  die  optische  Sensibilität  vollkommen  intact  war, 
welche  sich  in  der  ihrem  Refractionszustande  angemessenen  Sehweite  des  besten  Ge- 
sichtes erfreuten,  bei  denen  durch  die  Probe  mit  einer  Kartenblattöifnung  jeder  Verdacht 
auf  Amblyopie  ausgeschlossen  werden  konnte.  Und  das  bei  Individuen,  die  seit  20 — 30 
Jahren  ohngefähr  in  gleichem  Grade  kurz-  und  dabei  scharfsichtig  geblieben  waren. 
Da  kann  ich  unmöglich  annehmen,  dass  ein  entzündliches  Leiden  der  Sclera  und  Chorioi- 
dea in  der  Gegend  der  Macula  lutea  stattgefunden  habe.  Die  Ophthalmoskopie  ergab  in 
den  von  mir  untersuchten  Fällen  dieser  Kategorie  gar  nichts  oder  die  Zeichen  von  Bare- 
fieirung  der  Choricidealgewebes.  Wahr  ist  es,  man  trifft  an  Augen  mit  eclatanter  hinterer 
Ektasie  und  Kurzsichtigkeit  nicht  6elten  die  Erscheinungen  von  Amblyopie,  unter  dem 
Augenspiegel  von  Apoplexie  oder  Entzündung  im  Grunde  des  Auges ;  diese  Bind  aber 
später  aufgetreten,  als  die  Kurzsichtigkeit ;  sie  siud  consecutiv,  in  so  fern  die  Disposition 


Physiologie  —  Aceoiuniodatioii.  215 

zur  Blutaustretung  in  der  Ektasie  gegeben  ist.  Diese  Disposition  liegt  nicht  nur  in  der 
bei  solchen  Augen  zum  Sehen  nöthigen  erhöhten  Ausdehnung  und  unzureichenden  Re- 
sistenz der  Pulbuswandung,  welche  um  so  geringer  sein  muss,  je  weiter  die  Ektasie  bereits 
gediehen  ist ;  sie  liegt  auch  in  der  Verödung  zahlreicher  Gefässstämmchen  von  den  hin- 
tern Ciliargefässen,  welche  bei  hochgradiger  Rareiicirung  der  Retina,  Chorioidea  und  Sclera 
(Ausdehnung  auf  einen  grösseren  Flächenrauni)  unter  Mithilfe  der  Senescenz  des  Indi- 
viduums dazutritt.  —  Ein  angeborener  Zustand  kann  die  in  Rede  stehende  Ektasie  dess- 
halb  nicht  sein,  weil  sie  ohne  Kurzsichtigkeit  nicht  gedacht  werden  kann,  und  bei  In- 
dividuen beobachtet  wird ,  die  erst  mit  der  Zeit  kurzsichtig  geworden  sind.  Eben  so 
wenig  ist  man  berechtigt,  eine  besondere  Disposition  dazu  anzunehmen,  ausser  der 
"Weichheit  und  Nachgiebigkeit  der  Sclera  im  jugendlichen  Alter,  man  müsste  denn  aus 
Torliebe  für  diese  Idee  die  Thatsachen  ignoriren ,  welche  statistische  Beobachtungen 
über  das  Vorkommen  der  Kurzsichtigkeit  bei  den  verschiedenen  Völkern  und  Ständen 
geliefert  haben.  —  Ein  umstand  ist  es  noch,  welcher  gegen  alle  die  genannten  drei 
Annahmen  spricht,  nämlich  das  durch  Sectionen  sowohl  als  durch  Beobachtung  an  Le- 
benden constatirte  Vorkommen  der  in  Rede  stehenden  Ektasie  an  Augen ,  welche  um- 
schriebene centrale  Trübungen  in  den  durchsichtigen  Medien  darbieten.  Ich  besitze 
mehrere  solche  Präparate,  welche  mir  völlig  unverständlich  sein  würden,  wenn  ich  nicht 
wüsste,  dass  Individuen  mit  solchen  Trübungen  genöthigt  sind,  alle  kleineren  Objecte, 
welche  sie  deutlich  sehen  wollen,  relativ  näher  an  das  Auge  zu  bringen,  als  ceteris 
paribus  andere,  dass  sich  mithin  zu  der  Trübung  des  Gesichtes  noch  Kurzsichtigkeit 
gesellt.     (Vergl.  B.  I.  S.  260.) 

Eine  Thatsache  müssen  wir  endlich  noch  hervorheben ,  welche  zwar  nicht  direct 
als  Beweis  für  unsere  Theorie  angeführt  werden  kann,  welche  aber,  da  sie  mit  der- 
selben in  vollem  Einklänge  steht,  dazu  beiträgt,  selbe  plausibel  zu  machen.  Das  anhal- 
tende und  oft  wiederholte  Betrachten  naher  Objecte  führt  in  späteren  Jahren  nicht  nur 
nicht  zu  stationärer  Kurzsichtigkeit,  sondern  sogar  entweder  einfach  zu  Ermüdung  und 
Augenmattigkeit  oder  selbst  zu  Fernsichtigkeit,  zu  insufficienter  oder  gänzlich  mangeln- 
der Accommodation.  So  lange  die  Sclera  noch  nachgiebig  ist,  kann  übermässige  und 
anhaltende  Spannung  bleibende  Aiisdehnung  derselben  zur  Folge  haben ;  ist  aber  die 
Sclera  einmal  gehörig  resistent  geworden,  dann  wird ,  wenn  anhaltend  erhöhte  Span- 
nung der  Muskeln  eintritt,  eher  ErmüduDg  und  Nachlass  der  Muskelspannung  eintreten, 
als  Ausdehnung  der  Sclera,  und  dieses  Nachlassen  erfolgt  zunächst  in  jenem  Accommo- 
dationsorgane,  welches  nicht  direct  vom  "Willen  abhängig  ist,  in  dem  Ciliarmuskel.  So 
wie  dieses  erfolgt,  leistet  die  Scheidewand  zwischen  Humor  aqueus  und  vitreus  nicht  mehr 
den  gehörigen  Widerstand,  und  es  kommt  consecutiv  zur  Abnahme  des  Humor  aqueus, 
2ur  Verkleinerung  der  vordem  Augenkammer,  ein  Zustand,  der,  wenn  er  nur  einiger- 
massen  bestimmt  ausgesprochen  ist,  ohne  Weiteres  und  sicher  zu  schliessen  gestattet,  dass 
die  Accommodation  entweder  geschwächt  oder  aufgehoben  sei.  Die  senile  Presbyopie 
ist  nicht  Folge  mangelhafter  Ernährung  und  dadurch  bedingter  Abnahme  der  Augen- 
fluida,  sondern  Folge  der  zunehmenden  Rigididät  der  Sclera  einer-  und  der  abnehmenden. 
Muskelenergie  andererseits. 

Indirect  wird  die  Kichtigkeit  unserer  Theorie  dadurch  bewiesen, 
dass  keine  andere  Theorie  der  Accommodation  weiter  möglich  ist.  Die 
Momente,  an  die  man  äppelliren  könnte,  sind:  VereDgerung  der  Pu- 
pille, erhöhte  Wölbung  der  Hornhaut  oder  der  Linse,  Vorwärtsrückung 


216  Augenmuskeln. 

der  Linse  und  allenfalls  eine  Combination  von  zweien  dieser  Momente. 
Von  Veränderung  der  Brechungsverhältnisse  kann  nicht  die  Rede  sein, 
da  wir  kein  Organ  kennen,  welches  den  hiezu  nöthigen  Druck  zu 
liefern  im  Stande  wäre.  Welchen  Antheil  die  Iris  etwa  an  der  Accom- 
modation  haben  könne,  werden  wir  weiter  unten  erörtern;  dass  die 
blosse  Verengerung  der  Pupille  beim  Nahesehen  nicht  den  nöthigen 
dioptrischen  Anforderungen  genügen  kann,  bedarf  keines  weitern  Nach- 
weises. Auch  an  erhöhte  Krümmung  der  Cornea  denkt  heut  zu  Tage 
wohl  Niemand  mehr,  nachdem  das  Nichteintreten  derselben  wiederholt 
durch  verschiedene  Methoden,  und  von  den  tüchtigsten  Beobachtern, 
Senff,  Gramer,  Heimholt*,  constatirt  ist.  Die  auf  Lage-  oder  Formver- 
änderung der  Linse  basirten  Theorien  scheitern  vor  Allem  an  der  con- 
statirten  Beobachtung,  dass  manche  Augen,  bei  denen  die  Linse  fehlte 
und  durch  ein  entsprechendes  Convexglas  ersetzt  wurde,  Accommoda- 
tion  zeigten.  Diese  Fälle  beweisen  wenigstens  so  viel  mit  Bestimmtheit, 
dass,  wenn  ja  Veränderungen  der  Linse  (in  Form  oder  Lage)  einen 
Antheil  an  der  Accommodation  haben,  dieser  ein  relativ  sehr  geringer 
sei,  dass  man  somit  vollkommen  zu  der  Behauptung  berechtigt  ist,  die 
geraden  und  schiefen  Augenmuskeln  im  Verein  mit  dem  Ciliarmuskel 
seien  wahrscheinlich  die  einzigen ,  sicher  jedoch  die  bei  weitem  überwie- 
genden Organe  der  Accommodation. 

Sollte  die  Vorrückung  der  Linse  allein  den  optischen  Anforderungen  genügen,  so* 
müsste  die  Excursion  nach  den  Berechnungen  von  Olbers,  Moser  und  Senff  l/z"'  oder 
noch  etwas  mehr  betragen.  Mit  der  Linse  müsste  dann  natürlich  auch  die  Iris,  wenig- 
stens der  Pupillarrand  derselben,  beim  Nahesehen  vorwärts  rücken.  Wenn  aber  bei  der 
Accommodation  Form  und  Lage  der  Hornhaut  unverändert  bleiben,  so  ist  auch  ein  sol- 
ches Vorrücken  der  Linse  in  toto  unmöglich,  weil  der  Humor  aqueus  incompressibel  ist, 
und  ein  leerer  Eaum,  wohin  das  Kammerwasser  etwa  entweichen  könnte,  nirgends  exi- 
stirt.  Weder  der  Petit' sehe  noch  der  vermeintliche  Fohtana'sche  Canal  (Hueh's)  können 
dieser  Ansicht  den  gewünschten  Dienst  erweisen.  Übrigens  führt  diese  Ansicht  zu  einer 
Consequenz,  welche  deren  Absurdität  handgreiflich  macht.  Gibt  man  nämlich  zu,  dass 
anhaltendes  und  öfter  wiederkehrendes  Nahesehen  kurzsichtig  macht,  drfnn  muss  in  jedem 
auf  diese  Weise  kurzsichtig  gewordenen  Auge  die  Linse  weiter  vorn  liegen,  die  vordere 
Kammer  kleiner  sein.  Ulrich  hat  keinen  Anstand  genommen,  offen  auszusprechen,  was 
bei  Andern  eben  nur  zwischen  den  Zeilen  zu  lesen  ist.  „Myopiae  causae  variae  possunt 
afferri.  Subita  musculi  tensoris  chorioidcac  contr actione  spastica,  et  nervi  symphatici 
irritatione  et  ad  nervorum  ciliarium  systema  irradiatione  orta,  lens  crystallina  nonnunquam 
nimis  antrorsum  agitur,  ita  ut  radiorum  ex  rebus  longinquis  emanantium  focus  ante  reti- 
jiam  cadat."  —  „Occurrunt  praeterea  saepe,  teste  experientia  quotidiana,  qui  longa  conti  - 
nua  consuetudine  propiora  et  sublitiora  fere  sola  inspiciendi,  remotiora  distinete  visendi 
facultatem  sensim  amittant,  itaque  myopiam  acquirant."  —  „Si  haec  myo'pia  jam  diu  in- 
veteravit,  nulla  oculi  exercitatione  distantia  visus  potest  prolongari.  Namque  tensoris 
chorioidcae  fibrae  musculares  hoc  in  myopiae  genere  in  continua  contractione  perdurantes 


Physiologie  —  Accommodatioii.  217 

magis  magisque  abbreviantur  et  intumcscunt,  quo  fit,  ut  lens  crystallina  in  perpetuum  ni- 
niis  antrorsum  protrudatiir."  (1.  c.  p.  5S  et  59.)  Wenn  nun  auch  Volkmann,  auf  Sütrm's 
theoretische  Deductionen  sich  stützend,  und  nach  ihm  Ruete  eine  viel  geringere  Excur- 
sion  der  Linse  nach  vorn  genügend  finden  (etwa  nur  l/\o'",  wie  Valentin  angegeben  hat), 
so  macht  diess  den  Widerspruch  mit  der  Beobachtung  an  kurzsichtigen  Augen  nur  ge- 
ringer, ohne  ihn  aufzuheben.  Dasselbe  Argument  müssen  wir  auch  der  Theorie  Stellwags 
(Ophthalmologie,  S.  431)  entgegenstellen,  welcher  berechnet,  dass  eine  Vorwärtsrückung 
der  Linse  um  3  io'"  allen  Anforderungen  genügen  würde,  und  den  Schwierigkeiten  rück- 
sichtlich des  Kammerwassers  dadurch  zu  entgehen  meint,  dass  er  annimmt,  die  vordere 
Kammer  werde,  indem  die  Linse  in  der  Mitte  vorgedrängt  werde,  an  der  Peripherie  da- 
durch grösser,  dass  die  Iris  seitlich  auf  die  Linse  drücke.  Letztere  Annahme  werden 
wir  bei  Besprechung  der  Theorie  von  Gramer  in  Bezug  auf  ihre  Haltbarkeit  untersuchen» 
und  begnügen  uns  hier  nur  nachzuweisen,  dass  Stellwag  consequenter  Weise,  und  mit 
noch  bestimmteren  Ausdrücken,  dieselbe  absurde  Behauptung  wie  Ulrich  aufstellt,  indem 
er  S.  439  sagt:  „Die  dioptrischen  Verhältnisse  des  Auges  machen  es  für  den  ersten  Au- 
genblick wahrscheinlich,  dass  die  Weitsichtigkeit  in  einer  normwidrigen  Vorrückung  der 
Linse  begründet  sei.  Eine  nähere  Betrachtung  der  Dinge  lehrt  jedoch,  dass  die  der 
Presbyopie  entsprechende  Stellung  nicht  als  eine  abnorme  gelten  könne,  dass  die  Weit- 
sichtigkeit nur  auf  dem  Unvermögen  des  Accommodationsmuskels  beruhe,  den  Kry  Stallkörper 
in  die  für  geringere  Sehweiten  erforderliche  vorgerückte  (!)  Lage  zu  versetzen.  Wohl 
aber  steht  es  fest,  dass  hohe  Grade  von  Kurzsichtigkeit  in  normwidrigen  Stellungen  der 
Linse  begründet  seien,  auf  Fixation  des  Krystallkörpers  in  einer  abnorm  vorgerückten  Lage 
beruhen,  und  sofort  bedingt  werden  durch  widernatürliche  Länge  der  Glaskörperachse  bei 
normwidrig  kleinem  Abstände  der  Linse  von  der  Hornhaut  (!).  Es  können 
diese  Missverhältnisse  zwischen  den  Achsen  des  Kammermeniscus  und  des  Glaskörpers 
acquirirt  werden,  sind  mitunter  jedoch  auch  angeboren.1,1. 

In  neuester  Zeit  haben  Gramer  in  Groningen*)  und  Hehnholtz**)  unabhängig  von 
einander  die  auch  schon  in  früheren  Zeiten,  namentlich  von  Huek,  ausgesprochene  Ansicht 
wieder  aufgenommen,  dass  die  Linse  behufs  des  Xahesehens  convexer  werde.  Sie  stützen 
dieselbe  auf  die  Messung  der  Purkinje-Sanson'schen  Spiegelbilder.  Diese  erhält  man  be- 
kanntlich, wenn  man  in  einem  dunkeln  Baume  ein  Licht,  z.  B.  eine  Kerzenflamme,  in. 
der  Entfernung  von  1 — 2  Fuss  seitlich  vor  ein  Auge  hält,  und  von  der  andern  Seite  in 
die  Pupille  blickt.  Um  jedoch  nicht  durch  andere  Spiegelbilder  gestört  zu  werden,  muss 
der  Beobachter  an  der  seinem  Gesichte  zugewendeten  Seite  der  Flamme  einen  schwarzen 
und  matten  Schirm  so  anbringen,  dass  sein  Gesicht  dabei  völlig  beschattet  erscheint,  und 
der  Schirm  kein  Licht  auf  das  Auge  reflectirt.  Lässt  man  jetzt  das  zu  beobachtende  Aug& 
(in  gleicher  Höhe  mit  dem  des  Beobachters  und  mit  der  links  oder  rechts  zur  Seite  befindli- 
chen Flamme)  eine  solche  Stellung  annehmen,  dass  das  Spiegelbild  der  Cornea,  welches  nicht 
bloss  die  Flamme,  sondern  auch  den  obersten  Theil  der  Kerze  deutlich  wiedergibt  (verkleinert 
und  aufrecht),  noch  im  Bereiche  der  Pupille  und  zwar  nächst  dem  Rande  derselben  (z.  B.  nächst 
dem  äussern)  zu  stehen  kommt,  so  wird  man  diametral  entgegengesetzt  (also  nächst  dem  innern 
Pupillarrande)  einen  zwar  relativ  sehr  kleinen,  doch  ziemlich  hellen  und  scharf  begrenzten  Re- 
flex bemerken,  welcher  sich  als  das  der  Kapsel  angehörige  Flammenbild  erweist  (daher  verkehrt 

*)  Tydschrift  der  Maatschappy  vor  Geneeskunde,  und  Physiolog.  Abhandlung  über  das  Accommodations- 
vermögen  der  Augen,  deutsch  von  lioden.    Leer  1855. 
**)  Monatsberichte  der  Berliner  Akademie,  1853,  Februar,    und  ;   Über  die  Accommodation  des  Auges,  im 
Archiv  für  Ophthalmologie  Bd.  I.  Abth.  II.  1S55.  S.  1—74. 


218  Augenmuskeln. 

erscheint).  Minder  leicht  ist  es,  das  der  vordem  Kapsel  angehörende  Reflexbild  zu  erkennen, 
es  tritt  nur  als  ein  matter  lichtarmer)  länglicher  Lichtschein  ohne  deutliche  Begrenzung  auf, 
■welcher  seine  relative  Stellung  zu  den  beiden  andern  bei  der  leisesten  Bewegung  des 
Bulbus  in  entgegengesetzter  Richtung  ändert,  und  sich  demnach  bald  hinter  dem  Cor- 
neal-  bald  hinter  dem  Hinterkapselreflexe  verbirgt.  Streicht  die  Sehachse  des  beobach- 
teten Auges  nicht  um  viele,  sondern  nur  um  wenige  Grade  neben  der  Flamme  vorbei, 
so  erscheinen  die  genannten  3  Bilder  nicht  so  sehr  neben-,  als  vielmehr  hinter  einander, 
und  man  sieht  dann  deutlich,  dass  das  Cornealbild  am  weitesten  vorn,  das  Vordeikapsel- 
bild  am  weitesten  hinten,  das  Hinterkapselbild  dazwischen  (näher  dem  Cornealbilde)  liegt. 
—  Kennt  man  diese  Erscheinungen  aus  vielfältiger  Betrachtung  mit  freiem  Auge,  dann 
wird  es  auch  nicht  schwer  halten,  sie  mit  einer  i?rwc£e'schen  Loupe  oder  mit  einem 
Fernrohre  unter  10 — 20facher  Vergrösserung  zu  beobachten.  Cramer  und  Heimholte,  jeder 
in  einer  andern  Weise,  haben  nun  eigene  Apparate  construirt,  um  diese  Bilder  bei  sol- 
cher Vergrösserung  und  bei  möglichster  Ruhe  des  beobachteten  sowohl  als  des  beobach- 
tenden Auges  wahrnehmen  und  in  Bezug  auf  relative  und  absolute  Lage  tmd  Grösse 
während  verschiedener  Refraction  des  beobachteten  Auges  messen  und  vergleichen  zu 
können.  Rucksichtlich  der  Beschreibung  derselben  müssen  wir  auf  die  oben  citirten 
Schriften  verweisen,  und  uns  hier  auf  auszugsweise  Mittheilung  der  Beobachtungsresul- 
tate beschränken.  Nach  dem,  was  ich  gesehen,  freilich  nur  mit  Hilfe  einer  Brücke' sehen 
Loupe,  möchten  die  Schlüsse  in  Bezug  auf  Lage-  und  Grösseveränderung  des  Vorder- 
kapselbildes wohl  nicht  mit  so  viel  Bestimmtheit  und  Präcision  zulässig  sein,  als  Cramer 
und  Helmholtz  sie  aufgestellt  haben. 

Das  Hornhautbild  erleidet  bei  der  Accommodation  durchaus  keine  Veränderung.  Hierin 
stimmen  beide  Autoren  überein,  i;nd  Cramer  konnte  auf  diese  Weise  auch  im  Radius 
der  vordem  Cornealfliiche  keinen  Unterschied  zwischen  kurz-  uud  weitsichtigen  Augen 
finden.  Hiedurch  erhielt  der  bereits  anderweitig  gefundene  Satz,  dass  die  Accommodation 
nicht  durch  Veränderung  der  Cornealwölbung  vermittelt  werde,  eine  neue  Stütze.  —  Bei 
der  Einrichtung  des  Auges  für  die  Nähe  rückt,  nach  Cramer,  das  Vorderkapselbild  in  die 
Mitte  zwischen  das  Corneal-  und  das  Hinterkapselbild,  wenn  es  beim  Fernsehen  nahe 
an  dem  letzteren  lag;  zugleich  wird  es  heller  und  kleiner,  woraus  sich  ergibt,  dass  beim 
Nahesehen  die  vordere  Kapsel  gewölbter  wird.  Nach  Helmholtz  rücken  zwei  Spiegel- 
bildchen, welche  der  vordem  Kapsel  angehören  (durch  eine  eigene  Vorrichtung  des  Ap- 
parates erzeugt),  näher  aneinander  und  werden  kleiner,  was  auf  dieselbe  Ursache,  stär- 
kere Wölbung  der  Vorderkapsel,  und  zwar  mit  viel  mehr  Sicherheit  deutet.  —  Rück- 
siclitlich  des  Bildes  an  der  hintern  Kapsel  ist  Cramer  geneigt,  anzunehmen,  dass  dasselbe 
bei  der  Accommodation  weder  in  Bezug  auf  die  Lage,  noch  in  Bezug  auf  die  Grösse  eine 
Änderung  erleidet,  ohne  das  Gegeutheil  bestimmt  auszuschliessen ;  Helmholtz  dagegen 
nahm  in  beiden  Beziehungen  eine  Veränderung  Avahr  und  erklärt  nach  Berücksichtigung 
aller  hier  in  Rechnung  kommenden  Momente,  dass  durch  die  Accommodation  der  wahre 
Ort  des  mittlem  Theiles  der  hintern  Kapsel  nicht  merklich  verrückt  werde,  die  bestimmt 
wahrgenommene  Grösseveränderung  des  betreffenden  Bildchens  jedoch  wenigstens  zum 
Theil  auf  Verkleinerung  des  Krümmungsradius  der  hintern  Linsenfläche  bezogen  werden 
müsse.  Stelhvag  (in  einem  an  Cramer  gerichteten  und  von  diesem  mitgetheilten  Schrei- 
ben) folgert  aus  physikalischen  Gesetzen,  dass  eine  vermehrte  Wölbung  der  vordem  Kap- 
sel allein,  ohne  gleichzeitige  stärkere  Wölbung  der  hintern  Kapsel  nicht  vorkommen 
könne,  was  also  für  Helmholtzens  Beobachtung  spricht.  Helmholtz  fand  mit  Hilfe  der 
Spiegelbilder    den  Radius  der    Vorderfläche  d.r  Linse  in  Millimetern:    bei  0.  H.  =  11,9, 


Physiologie  —  Accoiiiiiioclation.  219 

bei  B.  P.  =  S,S  bei  I.  II.  =  10,4,  bei  zwei  todten  Linsen  =  10,2  und  8,9,  den  Radius 
der  Hinterfläche  bei  0.  IL  =  5,83,  bei  B.  P.  =  5,13,  bei  I.  H.  =  5,  37,  bei  den  todten  = 
5, SO  und  5.89.  Die  Dicke  der  Linse  in  der  Acbse  berechnete  er  bei  0.  H.  auf  3,148, 
bei  B.  T.  auf  3,635,  bei  I.  IL  auf  3,402  Millimeter.  Addirt  man  hiezu  die  Hübe,  wel- 
obe  die  Wölbung  der  Linse  in  der  Pupille  beim  Nabeseben  beträgt,  so  erbält  man  für 
0.  IL  3,414,  furB.  P.  3,801,  für  I.  IL  3,555  Millimeter  Dicke  der  Linse,  welche  bei  den 
Todten  =  4,2  und  4,3  Millim.  gefunden  wurde.  —  Stellwag  (in  obigem  Schreiben)  gebt 
ron  folgenden  Prämissen  aus.  Die  innere  optische  Achse  =  9,534"',  Tiefe  der  Augen- 
kammer  in  der  Sehachse  =  0,S'",  Brennweite  der  Cornea  =  13,35'",  Brechungsexponent 
des  Kammerwassers  =  1,337,  des  Glaskörpers  =  1,339,  und  des  Krystallkörpers  =  1,418 
(Totalindex,  durch  Rechnung  bestimmt),  ferner  Radius  der  vordem  Linsenfläche  =  3,071"', 
der  hintern  Linsenfiäche  =  2,2"',  Achsenlänge  oder  Dicke  der  Linse  =  2,0'",  und  die 
Vereinigungsweite  des  Auges  für  parallele  Strahlen  =  6,734'"  hinter  dem  hintern  Schei- 
telpunkte der  Linse.  Damit  nun  Krümmungsänderungen  der  beiden  Convexitäten  des 
Krystallkörpers  die  Accommodation  des  Auges  für  ein  Object  von  100'"  (8'/s")  bewerk- 
stelligen können,  muss  der  Radius  der  vordem  Linsenfiäche  sich  auf  2,517'",  der  Radius 
der  hintern  auf  1,762'"  verkürzen,  die  Achse  des  Krystallkörpers  mithin  sich  auf  2,48'" 
verlängern,  vorausgesetzt,  dass  mit  dem  Wechsel  der  Krümmungen  der  einzelnen  Krystall- 
sebichten  der  imaginäre  Totalindex  der  Linse  derselbe  bleibt. 

Als  Organ,  welches  diese  nicht  unbeträchtliche  Veränderung  der  Form  der  Linse 
(Abnahme  der  Durchmesser  im  Äquator,  Zunahme  des  Durchmessers  in  der  Achse)  zunächst 
vermitteln  soll,  wird  die  Iris  im  Verein  mit  dem  Ciliarmuskel  (Brücke's  tensor  chorioideae) 
bezeichnet.  Diese  Ansicht  wird  theils  auf  anatomische  Verhältnisse,  theils  auf  Thatsachen 
der  Beobachtung  bei  obigen  Untersuchungen  und  bei  Experimenten  an  Thieraugen  ge- 
stützt. Cramer  behauptet  zunächst,  es  liege  die  Iris  nicht  nur  im  kleinen  Kreise,  sondern 
durchaus  —  vom  Papillär-  bis  zum  Ciliarrande  an  der  vordem  Kapsel,  Zonula  Zinnii  und 
den  Ciliaifortsätzen  an,  so  dass  eine  hintere  Augenkammer  nicht  existire,  und  es  liege 
in  normalen  Augen  der  Puppillarrand  (eine  Ebeue  durch  denselben  gelegt)  um  0,44  Par. 
Linien  weitei  vom,  als  der  Ciliarrand  (Ebene  durch  denselben  gelegt),  sei  demnach  die 
Iris  kuppelartig  vorwärts  gewölbt,  so  dass  ihre  Radialfasem  bogenförmig  gekrümmt  über 
die  Linse  verlaufen,  daher  bei  gleichzeitiger  Gontraction  der  Circulärfasern,  in  denen  sie 
den  zweiten  Stützpunkt  fänden,  auf  den  peripherischen  Theil  der  Vorderfiäche  der  Linse 
drücken  können.  Übrigens  sei  die  Lage  der  Fasern  des  Ciliarmuskels  so,  wie  Brücke  sie 
angegeben,  daher  Verkürzung  derselben  im  Stande  sei,  den  Ciliarrand  der  Iris  rückwärts 
zu  ziehen,  wodurch  zugleich  die  Ciliarfortsätze  einwärts  gedrängt,  und  mittelst  des  im 
Petil' sehen  Canale  enthaltenen  Wassers  ein  Druck  auf  den  Rand  der  Linse  ausgeübt 
■werden  könne.  —  Nach  Helmholtz  kann  man  sich  durch  Versuche  mit  seinem  Ophthal- 
mometer überzeugen,  dass  der  peripherische  Theil  der  Iris  beim  Nahesehen  sich  nach  hin- 
ten bewege,  während  der  Pupillarrand  deutlich  nach  vom  weiche.  Dagegen  soll  ein 
Vorwärtsrüeken  des  Pupillarrandes  bei  einfacher  Verengerung  der  Pupille  durch  Licht- 
Teiz  (ohne  Accommodationsveränderung)  in  normalen  Augen  gar  nicht  eintreten,  bei  Augen 
mit  etwas  weiterer  Pupille,  wie  bei  Kurzsichtigen,  nur  in  geringem  Grade.  —  Um  nachzu- 
weisen, dass  im  Auge  selbst  gelegene  Muskelfasern  es  seien,  welche  die  Accommodation 
vermitteln,  nahm  Cramer  das  Auge  eines  so  eben  durch  Hängen  getödteten,  etwa  5  Wo- 
chen alten  Seehundes  (phoca  litorea),  entfernte  von  demselben  alle  Muskeln,  legte  hinten 
einen  Theil  Glaskörper  durch  vorsichtige  Beseitigung  einer  Partie  Sclera,  Chorioidea 
und  Retina  bloss,  und  brachte  das  so  präparirte  Auge,  mit  der  Cornea  auf  einem  hölzer- 


220  Augenmuskeln. 

nen  Hinge  ruhend,  über  die  Öffnung  der  Objectiv-Platte  eines  Mikroskopes.  Mittelst  ei- 
ner genau  richtigen  Stellung  des  Mikroskopes  und  des  Spiegels  konnte  er  nun  die  Flamme 
eines  ungefähr  35  Centimeter  entfernten  Lichtes  auf  der  hintern  Fläche  des  Glaskörpers 
sehr  deutlich  vergrössert  wahrnehmen.  Liess  er  nun  auf  beide  Seiten  der  Cornea  den 
Strom  eines  elektio-magnetischen  Rotationsapparates  einwirken,  und  beobachtete  während 
dessen  die  Flamme  auf  der  hintern  Fläche  des  Glaskörpers  bei  1  Ofacher  Vergrösserung, 
so  wurde  jedesmal  bei  der  Durchströmung  die  Flamme  breiter,  undeutlicher  und  weniger 
begrenzt,  was  man  übrigens  auch  mit  freiem  Auge  bemerken  konnte.  Wenn  ein  so  be- 
handeltes Auge  nach  sehr  lange  fortgesetzten  Versuchen  untersucht  wurde,  so  zeigte  die 
Linse  eine  Krümmungsvermehrung  in  solchem  Grade,  dass  die  Form  der  Pupille,  wie  sie 
selbe  während  des  Contractionszustandes  erhielt,  als  eine  Erhöhung  auf  der  Linsenvor- 
derfläche vollkommen  sich  ausdrückte.  Wenn  er  an  frischen  und  noch  nicht  viel  zu  die- 
sem Experimente  verwendeten  Augen  durch  die  Cornea  eine  Staarnadel  bis  zur  Pupille 
in's  Auge  geführt,  sodann  unter  die  Iris  durch  bis  zu  ihrem  Ursprungscirkel  gedrungen, 
und  im  Zurückziehen  den  ganzen  von  der  Staarnadel  getroffenen  Irisbogen  durchschnitten 
(ein  Coloboma  totale  gebildet)  hatte,  so  bewirkte  der  elektr.  Strom  nicht  mehr  wie  früher 
eine  Verengerung  der  Pupille  noch  Veränderung  des  Refractionszustandes.  —  Bei  einem 
fernem  Versuche  bewirkte  der  elektr.  Strom  nach  Entfernung  der  Cornea  und  Iris  so 
gut  wie  gar  keine  Veränderung  in  der  Refraction,  doch  war  selbst  dem  blossen  Auge 
während  der  Dauer  des  elektr.  Stromes  jedesmal  eine  Anspannung  der  Ciliarfortsätze  be- 
merklich, wodurch  nach  Cramer's  Dafürhalten  der  Antheil  des  M.  tensor  chorioideae  an 
der  Accommodation  nachgewiesen  erscheint. 

Ich  habe  die  Versuche  weder  mit  dem  CVamer'schen  noch  mit  dem  Helmholtz  sehen 
Apparate  nachgemacht.  Was  sie  also  über  die  Veränderung  der  Lage  und  Form  der  Spie- 
gelbilder bei  der  Accommodation  angeben,  muss  ich  gelten  lassen,  obgleich  die  beidersei- 
tigen Angaben  einige  wesentliche  Widersprüche  enthalten.  Dass  durch  die  aus  jenen 
Beobachtungen  gefolgerte  Veränderung  der  vordem  und  hintern  Linsenoberfläche  allein 
oder  auch  nur  vorzüglich  die  Accommodation  vermittelt  werde,  halte  ich  für  unmöglich. 
Es  spricht  dagegen  Alles,  was  ich  bisher  über  die  Accommodation  und  ihre  Abnormitäten 
erfahren  und  beobachtet  habe. 

Nach  Stellway's  Berechnung,  wenn  wir  deren  oben  mitgetheilte  Prämissen  als  rich- 
tig annehmen,  müsste  die  Linsenachse  schon  behufs  der  Accommodation  für  8"  um  ll%"> 
verlängert  werden,  vorausgesetzt,  dass  mit  dem  Wechsel  der  Krümmung  der  einzelnen 
Krystallschichten  der  imaginäre  Totalindex  der  Linse  derselbe  bleibe.  Da  aber  die  er- 
höhte Wölbung  der  Linse  offenbar  nur  durch  die  weiche,  halbflüssige,  im  Brechungsindex 
vom  Humor  aqueus  und  vitreus  gewiss  nur  wenig  abweichende  Rindensubstanz  vermittelt 
werden  kann,  so  ist  eben  diese  Voraussetzung  noch  sehr  in  Frage  gestellt.  Stellwag  hat 
bereits  in  seiner  1853  erschienenen  Ophthalmologie  S.  431  die  unseres  Erachtens  ganz 
richtige  Behauptung  aufgestellt,  „dass  wegen  der  grossen  Übereinstimmung  der  Brechungs- 
verhältnisse in  den  äussern  Krystalllagcn  und  den  umgebenden  Medien  ungeheuere  Ver- 
kürzungen und  Verlängerungen  der  Radien  erforderlich  wären,  um  merkbare  Differenzen 
in  der  Brennweite  des  dioptrischen  Apparates  zu  bedingen." 

Aber  angenommen,  es  genügten  die  aus  der  Veränderung  der  Reflexbilder  gefolger- 
ten Veränderungen  in  der  Wölbung  der  Linse  dem  dioptrischen  Bedürfnisse,  dann  muss 
consequenter  Weise  auch  angenommen  werden,  dass  bei  Myopia  acquisita  die  Linse  we- 
gen übermässig  langer  seitlicher  Compression  ihre  Elasticität  zum  Theil  eingebüsst  habe, 
dass  dieselbe  nicht  mehr  zu  ihrer  normalen  Form  zurückkehre,  mithin  in  den  Äquatorial- 


Physiologie  —  Accommodation.  221 

durcbmessern  verkürzt,  im  Achsendurchmesser  verlängert  bleibe.  Diess  will  Cr  am  er  (S. 
ISOi  aueb  wirklich  so  gefunden  haben.  „In  Betreff  der  Länge  der  Linsenacbse,  so  wie 
der  Entfernung  ihrer  vordem  Fläche  von  der  Cornea,  habe  ich  ebenfalls  bei  Kurzsichti- 
gen vielfach  experimentirt.  Hier  ergab  der  Apparat  auf's  Deutlichste,  dass :  a)  die  Ent- 
fernung des  Cornealbildchens  von  dem  von  der  hintern  Linsenfläche  erzeugten,  wiewohl 
darin  das  Lebensalter  u.  s.  w.  einigen  Unterschied  begründet,  bei  Kurzsichtigen,  bei  nor- 
malem Gesichte  und  bei  Femsichtigen  sich  ganz  gleich  verhält;  dass  b)  die  Entfernung 
des  Cornealbildchens  von  dem  von  der  Vorderfläche  der  Linse  erzeugten  bei  Kurzsichti- 
gen sehr  klein  sich  darstellt,  im  Vergleich  zu  Personen  mit  normalem  Auge,  oder,  wo 
der  Unterschied  noch  etwas  beträchtlicher  sich  zeigt,  zu  Fernsichtigen,  und  endlich  c) 
dass  die  Entfernung  des  von  der  Vorderfläcbe  der  Linse  herrührenden  Spiegelbildchens 
bis  zti  dem  von  deren  hintern  Fläche  erzeugten,  in  den  auf  diese  Weise  angestellten  Ver- 
suchen bei  Kurzsichtigen  im  Verbältnisse  zu  Personen  mit  normalem  Gesicht,  und  noch 
etwas  mehr  bei  Fernsichtigkeit,  als  sehr  gross  sich  darstellt."  Das  heisst  mit  wenig 
Worten :  bei  Kurzsichtigen  liegt  die  vordere  Fläche  der  Linse  näher  an  der  Cornea,  weil 
die  Achse  der  Linse  viel  länger  ist.  —  Diese  Angaben  stehen  in  directem  Widerspruche 
mit  der  Beobachtung  an  Lebenden,  mit  den  Sectionsergebnissen,  mit  den  Angaben  von 
Heimholte.  Ich  will  kein  Gewicht  auf  den  Umstand  legen,  dass  ich  in  keinem  der  von 
mir  anatomisch  untersuchten  kurzsichtigen  Augen  den  Achsendurchmesser  der  Linse  = 
2'",  sondern  mehr  weniger  darunter  gefunden  habe;  die  Beobachtung  an  Lebenden  reicht 
hin,  das  zu  widerlegen,  und  ich  brauche  desshalb  hier  wohl  einfach  auf  das  über  die 
Lage  der  Iris  Gesagte  zurückzuweisen.  Heimholte  selbst  fand  bei  der  etwas  kurzsichtigen 
O.  H.  den  Abstand  der  Pupillarebene  vom  Scheitel  der  Hornhaut  =  4,02-lmm,  während 
die  andern  beiden,  ziemlich  gleich  alten  Individuen  (B.  P.  und  I.  H.)  nur  2,507  und 
3,T39mm.  zeigten.  Ausserdem  aber  ergibt  sich,  völlig  im  Widerspruche  mit  Cramers 
Angaben,  aus  den  oben  mittgetbeilten  Ziffern  von  Helmholte,  dass  gerade  bei  der  etwas 
kurzsichtigen  0.  H.  die  Linse  die  kürzeste  Achse  zeigte,  und  sowohl  die  vordere  als  die 
hintere  Linsenfläche  die  relativ  geringste  Wölbung  erwiesen.  Wenn  aber  Cramers  und 
Helmholteens  Angaben  sich  widersprechen,  so  muss  die  Beobachtung  des  einen  oder  des 
andern  falsch  sein,  und  es  scheint  auch  ihre  Untersuchungsmethode  noch  beträchtliche 
Fehler  zuzulassen. 

Was  nun  die  Organe  betrifft,  welche  die  Linse  seitlich  comprimiren  sollen,  so  steht 
die  Cramer  sehe,  von  Heimholte  gebilligte  Theorie  in  directem  Widerspruche  mit  erwiese- 
nen Thatsachen.  —  Die  Lage  der  Iris ,  wie  sie  uns  durch  das  Kammerwasser  und  die 
Hornhaut  gerade  von  vorn  angesehen  erscheint,  weicht  von  der  wirklichen  nicht  viel  ab. 
Dass  das  Weitervorwärtsliegen  des  Pupillarrandes  relativ  zum  Ciliarrande  bei  der  Betrachtung 
gerade  von  vorn  nicht  ein  bloss  scheinbares  (vom  Austritte  der  Lichtstrahlen  aus  der  Cor- 
nea in  die  Luft  abhängiges)  ist,  ergibt  sich  schon  aus  dem  Umstände,  dass  man  die  Iris 
bei  Mangel  oder  Verschrumpfung  der  Linse  vollkommen  in  Einer  Ebene  liegen  sieht.  Eine 
deutliche  Wölbung  der  Iris  zwischen  Ciliar-  und  Pupillarrand  sieht  man  aber  an  norma- 
len Augen  nicht.  Sie  streicht  vielmehr  auch  bei  enger  Pupille  geradlinig  vom  Ciliarrande 
bis  zu  dem  Wulste,  der  den  Annulus  minor  und  die  äussere  Grenze  des  Schliessmuskels 
bezeichnet,  oder  sie  zeigt  sogar  nicht  weit  vom  Ciliarrande,  ungefähr  da,  wo  hinter  ihr 
die  Firsten  der  Ciliarfortsätze  liegen ,  eine  ringförmige  Vertiefung  oder  Furche ,  welche 
sich  bei  seitlich  einfallendem  Lichte  auf  der  einen  Seite  durch  Schattenbildung,  auf  der 
andern  durch  hellere  Beleuchtung  kund  gibt.  Dieses  Verhalten  zeigt  die  Iris,  sobald  die 
Pupille  nicht  sehr  weit  ist,  gleichviel,  ob  das  Auge  für  die  Xähe  oder  für  die  Ferne  ein- 


222  Augenmuskeln. 

gerichtet  ist.  Zur  Beurthcilung  der  Lage  der  Iris,  namentlich  ihres  mittleren  Theiles,  ist 
die  Betrachtung  des  Auges  von  der  Seite  her  eben  so  schlecht,  als  zur  Entscheidung  der 
Frage,  ob  Exsudatpunkte  in  der  Substanz  der  Hornhaut  oder  an  der  Descemetschen  Haut 
sitzen.  "Wenn  man  ein  Planconvexglas  auf  eine  gerade  Linie  legt  (einen  etwa  1"  langen 
Strich  mit  Tinte  auf  weissem  Papier),  und  nun  von  der  Seite  her  darauf  sieht,  so  er- 
scheint der  Strich  bogenförmig  gewölbt,  sein  mittlerer  Theil  scheint  sich  gegen  den 
Scheitel  der  convexen  Fläche  zu  erheben.  Dieser  Umstand  muss  bei  der  Beobachtung  des 
Yorwärtstretens  des  Pupillarrandes  wohl  erwogen  werden ,  wenn  man  das  Auge  von  der 
Seite  her  betrachtet.  Ich  finde,  wenn  ich  einen  jungen  nicht  kurzsichtigen  Mann  unvei-- 
rückt  auf  einen  etwa  1 2  Fuss  entfernten  Punkt  blicken  lasse,  wobei  die  Pupille  bei  seit- 
lich gestelltem  Lichte  etwa  V"  im  Durchmesser  hat,  dass  Verengerung  der  Pupille  durch 
blosses  Annähern  des  Lichtes  auf  das  zweite  Auge  bis  auf  etwa  1  '/a'"  Durchmesser  ein 
sehr  deutliches  Vorrücken  der  Iris  wahrnehmen  lässt,  was  mit  der  Angabe  von  Helmlwltz 
nicht  übereinstimmt.  Dieses  Vorrücken  ist  zum  Theil  reell,  weil  der  an  der  flach  ge- 
wölbten Kapsel  anliegende  Pupillarrand  offenbar  aufsteigen  muss,  theils  ein  scheinbares, 
durch  die  Strahlenbrechung  wie  in  dem  Versuche  mit  dem  Glase  bedingtes. 

Gegen  die  Angabe,  dass  bei  der  Einrichtung  des  Auges  für  die  Nähe  der  grosse 
Kreis  ein  wenig  rückwärts  gezogen  wird,  habe  ich  nichts  einzuwenden ,  ich  glaube  die- 
ses Zurückweichen  bei  forcirter  Accommodation  selbst  mit  freiem  Auge  wahrgenommen 
zu  haben,  und  finde  in  der  mit  der  Pupillenverengerung  beim  Accommodiren  gleichzeitig 
erfolgenden  Contraction  des  Ciliarmuskels,  aus  dessen  Mitte  die  Iris  heraustritt,  die  hin- 
reichende Erklärung  dafür. 

Die  Behauptung  Cramer  s,  dass  es  keine  hintere  Kammer  gebe,  ist  irrig.  Die  Iris 
liegt  weder  auf  der  Zonula  Zinnii  an,  noch  auf  den  Firsten  der  Ciliarfortsätze ;  erst  gegen 
den  Pupillarrand  hin  nähert  sie  sich  der  Kapsel  mehr  und  mehr,  bis  sie  völlig  an  ihr 
anliegt.  Ich  zweifle,  dass  irgend  Jemand  zahlreichere  Achsen  durchschnitte  des  Auges  in 
möglichst  frischem  und  im  gefrornen  Zustande  gemacht  hat,  als  ich.  Cramer  will  zwischen 
Iris  und  Zonula  Zinnii  kein  Eis  gefunden  haben ;  ich  habe  es  gefunden.  Bei  der  Durch- 
schneidungsmethode,  die  ich  im  I.  Bande  angeführt  habe,  fand  ich  nicht  nur  die  vordere, 
sondern  auch  die  hintere  Kammer  in  dem  Masse  geräumig,  als  der  Ciliarmuskel  mehr 
entwickelt  war.  Auch  an  Chromsäurepräparaten  fand  ich  die  Iris  nicht  an  der  Zonula 
anliegen,  obwohl  man  auf  diese  Präparate  in  Bezug  auf  die  Lage  der  Iris  wenig  Gewicht 
legen  darf,  da  die  Linse  immer  stark  aufgequollen  oder  aber  bereits  so  hart  geworden 
ist,  dass  sie  beim  Versuche  der  Durchschneidung  meistens  in  den  Glaskörper  hineinge- 
drängt wird.  Cramer  hätte  offenbar  besser  gethan,  statt  eines  schematischen,  seiner 
Theorie  zu  Liebe  nur  zu  sehr  idealisirten  Durchschnittes  lieber  einen  möglichst  getreuen, 
nach  der  Natur  gezeichneten  abzubilden.  Leider  ist  auch  die  von  Helmlwltz  gelieferte 
Abbildung  rücksichtlich  des  Corpus  ciliaro  von  der  Art,  dass  ich  bis  jetzt  noch  nicht  im 
Stande  war,  einen  solchen  oder  auch  nur  einen  ähnlichen  Durchschnitt  des  Bulbus  zu 
erhalten.  —  Ausserdem  gibt  es  noch  eine  Erscheinung  während  des  Lebens,  die  ich  mir 
nicht  ei-klären  kann,  wenn  zwischen  Iris  und  Zonula  Zinnii  nicht  eine  gewisse  Menge 
wässriger  Flüssigkeit  vorhanden  ist.  Wir  haben  ihrer  bereits  im  2.  Bande  bei  der  Pupil- 
lcnbildung  erwähnt.  Wenn  man  in  einem  Falle,  wo  die  Pupille  durch  eine  centrale  Horn- 
hautnarbe verdeckt,  und  der  Pupillarrand  ganz  oder  doch  theilweise  frei  ist,  behufs  der 
Pupillenbildung  einen  etwa  2'"  langen  Einstich  in  die  Cornea  macht,  und  das  Messer 
beim  Zurückziehen  etwas  dreht,  so  dass  die  Wunde  momental  klafft  und  der  Humor  aqueus 
ausströmt,  so  wird  in  der  Regel  die  näcbstc  Partie  Ii-is  mit  kerausgestülpt,  und  zwar  bla- 


Physiologie  —  Aeeoiuiiiodaiioii.  223 

senartig,  wenn  nicht  auch  der  Pupillarrand  mit  in  die  "Wunde  vorfällt.  "Woher  diese  längst 
gekannte  Erscheinung,  wenn  die  Iris  überall  an  der  gespannten  ZonnlaZinnii  und  Kapsel 
anliegt?  Musste  die  Iris  nicht  nach  dem  Gesetze  der  Attraction  zwischen  zwei  feuchten 
Platten  an  der  Zonula  haften  bleiben?  Wenn  aber  Wasser  dahinter  ist,  dann  ist's  be- 
greiflich, warum  sie  überhaupt  und  in  specie  blasenartig  vorgedrängt  wird.  Etwas  Ähn- 
liches findet  statt,  wenn  man  den  Durchbruch  eines  nahe  am  Rande  der  Cornea  sitzenden 
kleinen  Geschwüres  beobachtet,  wozu  namentlich  bei  Conjunctivitis  scrofulosa  sich  oft 
Gelegenheit  darbietet.  Das  Geschwür  durchbohrt  die  Descemetsche  Haut ;  kaum  entleert 
sich  ein  Theil  des  Kannnerwassers,  wird  auch  schon  die  Öffnung  durch  die  blasenartig 
hineingeschobene  Iris  verstopft,  die  sich  sofort  bis  zur  Grösse  einer  Erbse  erhebt  u.  s.w. 
—  Beim  normalen  Auge  ist  gewiss  eine  hintere  Augenkammer  vorhanden,  liegt  nur  der 
kleine  Kreis  der  Iris  an  der  Kapsel  an.  Bei  Augen,  deren  Accommodation  verloren  oder 
doch  nicht  ausdauernd  ist  (Fernsichtigkeit  und  Augenmattigkeit)  und  deren  Pupille  immer 
relativ  sehr  eng  erscheint,  scheint  die  Iris  bis  gegen  den  Rand  der  Linse  hin  (Insertion 
der  Zonula  in  die  Kapsel)  an  derselben  anzuliegen,  da  man  in  dem  Grade  der  "Wölbung, 
den  die  Iris  dann  darbietet ,  so  ziemlich  den  Grad  der  Wölbung  und  die  Grösse  der 
Linse  erkennt. 

Die  Annahme,  dass  die  Iris  durch  seitlichen  Druck  auf  die  Linse  zur  Accommoda- 
tion beitrage ,  steht  mit  Thatsachen  der  Beobachtung  in  directem  Widerspruche.  Nicht 
bloss  bei  vollstäudigem  Coloboma  iridis ,  sondern  auch  bei  Synechia  anterior  und  nach 
künstlicher  Pupillenbildung  besteht  entschieden  noch  die  Fähigkeit,  sich  für  nahe  Ob- 
jecte  einzurichten.  Wenn  die  Iris  seitlich  auf  die  Linse  drückt,  welche  Gestalt  nimmt 
denn  die  Linse  an,  sobald  die  Iris  wie  beim  Coloboma  totale  an  einer  Stelle  fehlt?  Wie 
können  Augen,  an  denen  ein  Theil  des  Pupillarrandes  in  eine  seitliche  Hornhautnarbe 
eingewachsen  ist,  noch  ein  ganz  gutes  Gesicht  für  nah  und  fern  besitzen?  In  diesen 
Fällen  mangelt  ja  der  Druck  der  Iris  auf  der  einen  Seite ;  muss  da  die  Wölbung  der 
Linse  nicht  unregelmässig  werden?  Ich  habe  bereits  früher  (S.  136,  B.  IL)  eines  Beamten 
erwähnt,  dem  ich  auf  beiden  Augen  eine  künstliche  Pupille  nach  innen  und  unten  ange- 
legt habe,  welcher  aber  trotzdem  selbst  bei  6  Zoll  Distanz  ganz  kleinen  Druck  mit 
Ausdauer  lesen  kann,  und  wenn  er  auf  die  Jagd  geht,  bloss  Nr.  20  concav  braucht,  wess- 
halb  ihn  wohl  Niemand  für  kurzsichtig  erklären  oder  ihm"  die  Accommodationsfähigkeit 
absprechen  wird. 

Cramer's  Versuche  an  Seehundsaugen  beweisen  eben  nichts  weiter,  als  dass  Iris 
und  Ciliarmuskel  durch  den  elektrischen  Strom  noch  eine  Zeit  lang  nach  dem  Tode  in 
Contraction  versetzt  werden  können.  "Wurde  durch  diese  Contraction  bloss  die  Linse 
verändert?  behielt  dabei  die  hinten  (respective  oben)  blossgelegte  Glaskörperflüssigkeit 
dasselbe  Niveau  und  dieselbe  Wölbung?  Gewiss  liegt  die  Annahme  viel  näher,  dass 
durch  Contraction  der  Iris  und  des^üliarnmskels  eher  der  Humor  vitreus  verdrängt  als 
die  Linse  in  ihrer  Form  verändert  wurde.  Wenn  nachträglich  in  einer  Anmerkung  ge- 
sagt wird,  er  habe  an  Augen,  mit  denen  er  durch  lange  Zeit  experimentirt  hatte,  einen 
förmlichen  Abdruck  des  Pupillarringes  bemerkt,  so  weiss  man  wieder  nicht,  ob  nicht 
an  einem  hinten  geöffneten  Auge  schon  der  blosse  Druck  des  Glaskörpers  und  der 
Linse,  welcher  jetzt  von  der  durch  den  elektrischen  Strom  gespannten  Iris  durch  längere 
Zeit  allein  getragen  werden  musste,  Schuld  jenes  Abdruckes  war.  Mir  ist  Letzteres 
allein  das  Wahrscheinliche,  denn  wenn  die  Linse  allmälig  ihre  Elasticität  verloren  hatte, 
warum  fand  man  denn  dann  bloss  jenen  Abdruck,  warum  denn  nicht  die  Äquatorial- 
durchmesser  kleiner   und  den  Achsendurchmesser   grösser,    wie  es    doch    erwartet  werden 


224  Augenmuskeln. 

musste,  wenn  die  Accommodation  seitliche  Compressiou  der  Linse  erfordert  ?  —  Wie  aber 
das  Experiment  nach  Durchschneidung  der  Iris  vom  Ciliar-  bis  zum  Pupillarrande  in 
der  von  C ramer  angegebenen  Weise  zu  Gunsten  dieser  Theorie  sprechen  soll ,  ist  noch 
weniger  zu  begreifen,  da  die  Angabe  fehlt,  ob  der  Humor  aqueus  erhalten  oder  abge- 
flossen war.  Aber  auch  zugegeben,  das  Kammerwasser  war  da,  und  blieb  auch  beim 
Elektrisiren  ganz  erhalten:  war  auch  die  Zonula  Z.  unverletzt  geblieben?  Man  hat  alle 
Ursache  zu  vermuthen ,  dass  bei  dieser  Operation  auch  die  vordere  Wand  des  Petit- 
schen  Canales  verletzt  wurde,  somit  auch  die  Function  des  Ciliarmuskels  nicht  mehr  ein- 
treten konnte. 

Am  wenigsten  Vertrauen  erregend  für  seine  Theorie  ist  das,  was  Gramer  über  die 
Anatomie  der  Chorioidea  und  des  Ciliarmuskels  und  über  die  Erscheinungen  nach  der 
Anwendung  von  Belladonna  angegeben  hat.  Er  behauptet  S.  97  :  „das  Stroma  der  Cho- 
rioidea sei  hinten  im  Auge  bis  an  die  Ora  serrata  innig  mit  der  Sclerotica  verwachsen, 
von  der  Ora  serrata  an  aber  sei  die  Verbindung  der  Chorioidea,  folglich  auch  des  M. 
tensor  chorioideae  mit  der  Sclerotica  viel  lockerer,  bis  zu  der  Stelle,  wo  sich  der  M. 
tensor  chor-ioideae  an  die  Hinterwand  des  Canalis  Schlemmii  inserirt."  Diese  Angabe 
ist  grundfalsch ;  man  braucht  eben  nur  Augen  zu  seciren ,  sich  davon  zu  überzeugen. 
Was  den  Verlauf  der  Muskelfasern  in  dem  sogenannten  Ciliarbande  (vergl.  B.  II.  S.  149) 
betrifft,  so  ist  nach  dem,  was  ich  gesehen,  die  von  Kölliker  fast  unverändert  wieder- 
gegebene Bowmari sehe  Abbildung  am  meisten  der  Natur  getreu,  und  sehe  ich  nicht  ein, 
was  Cramer  bestimmen  konnte,  dieselbe  zu  tadeln.  Der  Ciliarmuskel  entspringt  mit 
einer  doppelten  Wurzel,  die  man  wohl  als  seine  Sehne  und  seinen  einzigen  fixen  Punkt 
betrachten  darf,  theils  von  der  Sclera  (nach  hinten  und  aussen  vom  Schlemm' sehen.  Ca- 
nale) ,  theils  von  elastischen  Fasern ,  welche  zwischen  der  Cornea  und  der  Descemet- 
schen  Haut  (an  der  Innenseite  des  Schlemm'schen  Canales)  herkommen,  und  strahlt  von 
da  theils  nach  innen  (gegen  die  Iris),  theils  nach  hinten  (gegen  die  Ciliarfortsätze),  theils 
endlich  nach  aussen  und  hinten  (gegen  die  Ora  serrata  hin)  gleichsam  fächerförmig  aus 
(auf  einer  von  vorn  nach  hinten  geführten  Durchschnittsfläche).  Ist  die  Boivman-Köl- 
Uker sehe  Abbildung  richtig,  dann  lässt  der- Faserzug  nur  die  Deutung  zu,  dass  Verkür- 
zung der  Fasern  die  Ciliarfortsätze  etwas  nach  aussen  zieht,  mithin  die  fest  damit  ver- 
wachsene Zonula  Z.  in  eben  dieser  Richtung  anspannt,  und  da  diese  unelastisch  und  un- 
nachgiebig ist,  die  Linse ,  während  des  Andranges  des  Glaskörpers  von  hinten,  in  ihrer 
Lage  zum  Corpus  ciliare  und  zur  Cornea  sichert. 

Über  die  Wirkung  der  Belladonna  auf  das  Accommodationsvermögen  bemerkt  Cra- 
mer, „dass  nach  Application  derselben  an  dem  mittelsten  Bilde,  bei  dem  Sehen  in  mög- 
lichste Nähe  oder  in  die  Ferne,  eine  unbeträchtlichere  Verrückung  als  unter  andern  Um- 
ständen wahrgenommen  werde;"  er  findet  darin  eüjgn  Beweis,  dass  das  Accommodations- 
vermögen auf  Anwendung  eines  Mydriaticum  sich  um  ein  Weniges  verringert.  So  viel  ich 
gehört  und  selbst  erfahren  habe ,  nimmt  aber  die  volle  Einwirkung  der  Belladonna  (bis 
weiter  keine  Ausdehnung  der  Pupille  mehr  erfolgen  kann)  dem  Auge  die  Fähigkeit,  sich 
für  nahe  Gegenstände  einzurichten,  fast  ganz.  Wenn  nun  dennoch  eine  solche  Verrük- 
kung  des  der  Vorderfläche  der  Linse  angehörenden  Pteflexbildes  beobachtet  wurde,  dass 
man  sie  nur  als  eine  minder  beträchtliche  bezeichnen  musste,  so  erregt  diess  gegründeten 
Verdacht,  ob  nicht  diese  Verrückung  durch  irgend  einen  anderen  Umstand  bewirkt  wurde. 
Cramer  schliesst  aus  Versuchen  mit  seinem  Apparate,  dass  der  Befractionszustand  des 
Auges  im  Zustande  der  Ruhe  (d.  h.  ohne  dass  die  Accommodationsorgane  in  Anspruch 
genommen  wurden)  für  etwa  43  Centimeter  eingerichtet  sei.     Bei  einem  Militärarzte  nun, 


Physiologie  —  Accommodation.  225 

dessen  Nahepunkt  2ü  Centimeter  vor  dem  Auge  lag,  bewirkte  Einträuflung  eines  Tropfens 
Solut.  extr.  beilad.  die  Hinausrückung  bis  auf  40  Centim.  Somit  war  offenbar,  wenigstens 
in  diesem  Falle,  die  Accommodation  so  gut  als  aufgehoben.  —  Für  sehr  beachtenswerth 
halte  ich  eine  Angabe  von  A.  v.  Graefe  (Archiv  B.  I.  Abth.  1.  S.  315)  über  das  Ver- 
hältniss  zwischen  Mydriasis  und  Accommodation.  „Zuweilen  sehen  wir  die  Accommo- 
dationslähmung  theils  spontan,  theils  durch  therapeut.  Agentia  verschwinden,  während 
doch  die  Mydriasis  gar  nicht  oder  nur  unvollkommen  zurückgeht,  und  umgekehrt  habe 
ich  einen  Kranken  beobachtet,  bei  welchem  die  Mydriasis  verschwand,  aber  die  Accommo- 
datiouslähmung  nur  eine  geringe  Besserung  erfuhr."  —  Wenn  Leute,  deren  Pupille  durch 
^Belladonna  stark  erweitert  ist ,  auch  nicht  mehr  in  so  weite  Ferne  sehen ,  wie  vordem, 
so  ist  diess  nicht  ein  Zeichen,  dass  eine  Beschränkung  der  Accommodationsthätigkeit  nach 
dieser  Bichtung  eingetreten  sei,  denn  eine  solche  existirt  nicht,  sondern  es  ist  das  schlech- 
tere Sehen  in  grösseren  Distanzen  lediglich  dadurch  zu  erklären,  dass  bei  relativ  zu  wei- 
ter Pupille  die  Zerstreuungskreise  zu  gross  ausfallen,  als  dass  sie  noch  in  der  Empfin- 
dung unterdrückt  werden  könnten. 

Iudirect  dient  auch  die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel  zum 
Beweise  für  unsere  Theorie.  Wird  der  untersuchte  Bulbus  mit  dem 
Finger  eomprimirt,  so  tritt  dieselbe  Erscheinung  auf,  wie  bei  forcirter 
Accommodation,  nämlich  Pulsation  der  Centralvene,  wie  bereits  oben 
erwähnt  wurde.  Dieses  Phänomen  zeigt,  dass  in  dem  zweiten  Falle 
so  gut  wie  in  dem  ersten  erhöhter  Druck  stattfindet.  Nun  meint 
Stellwag  und  Helmholtz,  es  könne  der  Glaskörper  durch  erhöhte  Span- 
nung der  Iris  und  des  Ciliarmuskels  unter  grössern  Druck  versetzt 
werden  (Greife's  Archiv  S.  68);  diess  ist  jedoch  nicht  möglich,  ohne 
dass  die  Form  des  Bulbus  verändert,  d.  h.  ohne  dass  der  Bulbus  seit- 
lich durch  die  Becti  eomprimirt,  mithin  in  der  Bichtung  der  Sehachse 
verlängert  wird;  denn  der  Glaskörper  müsste,  falls  ihn  der  Ciliarmus- 
kel  seitlich  comprimirte ,  um  eben  so  viel  in  der  tellerförmigen  Grube 
oder  nach  hinten  ausweichen,  und  die  Sclerotica  müsste  dem  Ciliarmus- 
kel  folgen,  also  durch  die  Luft  einwärts  gedrückt  werden. 

Einen  schlagenden  Beweis  gegen  alle  auf  Lage-  oder  Formverän- 
derimg  des  Krystallkörpers  basirten  Accomniodationshypothesen  liefert 
die  Thatsache,  dass  mitunter  Staaroperirte  vorkommen,  welche  mit 
einer  und  derselben  Brille  sowohl  in  der  Nähe  als  in  der  Ferne  deut- 
lich sehen,  bei  denen  sieh  durch  Versuche  nachweisen  lässt,  dass  sie 
einen  mehr  weniger  hohen  Grad  von  Accommodationsvermögen  besitzen. 
Man  hat  die  Beweiskraft  dieser  seit  geraumer  Zeit  zur  Sprache  ge- 
brachten Thatsache  auf  mehrfache  Weise  zu  beseitigen  gesucht,  indem 
man  die  Thatsache  selbst  läugnete,  sie  auf  Täuschung  zurückführen 
wollte,  oder  für  Fälle,  wo  diess  nicht  wohl  möglich  war,  annahm,  dass 
entweder  die  Linse  regenerirt  worden  sei,  oder  dass  der  nach  vorn  ge- 
wölbte Glaskörper  die  Rolle  der  Linse  übernommen  habe. 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  15 


226  Augenmuskeln. 

Beobachtungen,  wo  ein  mehr  weniger  gutes  Acconrniodationsver- 
mögen  nach  Staaroperationen  bestand,  finden  sich  nach  Cramer  bei 
Halter,  Janin,  Pellier,  Gleize,  Richter  und  Andern.  Home  stellte  an 
einem  durch  die  Extraction  vom  Staare  befreiten  21jährigen  Matrosen 
zahlreiche  Beobachtungen  (mit  Englefield  und  Ramsden)  an,  bei  denen 
sich  unter  andern  auch  herausstellte,  dass  derselbe  im  Scheiner'schQii 
Versuche  einen  aufgespannten  Faden  zwischen  83/io  und  1 3  3/i  o  Zoll 
Entfernung  einfach  sehen  konnte,  folglich  ein  ziemlich  bedeutendes  Ein- 
richtungsvermögen entschieden  nachwies.  —  Mavnoir*)  hatte  einen 
Jüngling  von  17  Jahren  1834  auf  dem  linken,  1835  auf  dem  rechten 
Auge  durch  Discission  operirt;  dieser  erhielt  ein  so  gutes  Sehvermögen, 
dass  er  mit  einem  und  demselben  convexen  Glase  in  den  verschieden- 
sten Entfernungen  deutlich  sah.  „Er  Hess  sich  sogar  in  ein  Wett- 
schiessen  ein;  das  Ziel  war  200  Schritte  entfernt;  er  machte  4  Schüsse, 
welche  alle  die  Scheibe  trafen,  und  er  gewann  einen  Preis.  Das  Glas, 
dessen  er  sich  beim  Schiessen  bediente,  und  das  er  auch  auf  der  Jagd 
trägt,  war  dasselbe,  mit  dem  er  bei  Maunoir  einen  sehr  kleinen  Druck 
mit  der  grössten  Leichtigkeit  sah."  Auch  Slellwag  von  Carion  **)  macht 
eine  hierauf  bezügliche  Mittheilung.  „Besonders  auffallend  war  mir 
das  Accommodationsvermögen  eines  vor  der  Trübung  seiner  Krystall- 
körper  sehr  kurzsichtigen  jüdischen  Beligionslehrers.  Nach  der  Opera- 
tion las  er  klein  gedruckte  Schrift  prompt,  unterschied  aber  auch  weit 
entfernte  Gegenstände,  z.  B.  das  Fensterkreuz  eines  gewiss  300  Schritte 
entfernten  Flügels  des  hiesigen  Krankenhauses  ganz  deutlich  und  rein." 
Zwei  von  mir  gemachte  Beobachtungen  habe  ich  bereits  im  2.  Bande 
S.  348  angedeutet.  Der  Mann,  welcher  mit  einer  Brille  von  3"  Brenn- 
weite nach  der  Natur  zeichnete  (ich  besitze  noch  eine  solche  Zeich- 
nung), war  früher  kurzsichtig  gewesen;  diese  Beobachtung  schliesst 
sich  somit  an  die  Stellwag'sche  an.  Der  andere,  ein  Jüngling  von 
19  Jahren,  einer  Familie  angehörend,  von  der  noch  2  Mitglieder  ohn- 
gefäbr  in  demselben  Alter  Cataracta  bekommen  hatten,  konnte  Druck- 
schrift von  nicht  ganz  \"'  Höhe  (wie  ohngefähr  Jäger 's  Nr.  8 — 9)  mit 
einem  Glase  von  3*/2  Zoll  Brennweite  in  den  Distanzen  von  6"  bis  24" 
bequem,  mit  Anstrengung,  und  wie  es  schien  mehr  errathend,  auch 
noch  bei  30  Zoll  lesen,  und  gab  die  Zeiger  einer  mindestens  500  Schritte 
entfernten  Thurmuhr  richtig  an.  Er  war  früher  nicht  kurzsichtig  ge- 
wesen und  hatte  bis  in  sein  1 6.  Jahr  überhaupt  nichts  von  einem  Augen- 
übel gewusst.     Die  Probe  mit  dem  Scheinerschen  Versuche  habe  ich 

*)  Annales  d'oculist.  par  Fl.  Cunier  T.  IX.  p.  14. 
«*)  Zeitschrift  der  Wiener  Ärzte  1850,  H.  3.   S.  195. 


Physiologie  —  Accommodation.  227 

nicht  gemacht.  Ich  halte  sie  nicht  für  untrüglich,  wie  ich  später  noch 
nachweisen  werde.  Dagegen  habe  ich  die  Sehproben  nicht  nur  auf 
der  Klinik,  sondern  auch  in  Gegenwart  des  Herrn  Prof.  Ryba  öfters 
wiederholt.  Zur  Zeit  dieser  Proben  war  das  eine  Auge  1  ^2,  das  an- 
dere gegen  3/i  Jahre  operirt.  Der  junge  Mann  befindet  sich  jetzt  in 
Amerika.  Dieser  Fall  reiht  sich  an  den  von  Mauwoir  und  von  Home 
an.  —  Volkmann  (SV.  Handw.  S.  305),  der  wenigstens  in  dem  i7o?fle'schen 
Falle  Accommodation  zugeben  niuss,  sucht  die  auf  Linsenveränderung 
hasirte  Hypothese  nun  dadurch  zu  retten,  dass  er  sagt,  da  die  Sehpro- 
ben erst  4  Jahre  nach  der  Operation  angestellt  wurden,  so  sei  hier 
wohl  an  Regeneration  der  Linse  zu  denken.  Dasselbe  Bedenken  treffe 
auch  zwei  von  ihm  selbst  gemachte  Beobachtungen,  wo  nach  der  Staar- 
operation  Accommodation  bestand.  Ich  glaube  im  2.  Bande  S.  246—249 
hinreichende  Gründe  dafür  angeführt  zu  haben,  dass  man  durchaus 
nicht  berechtigt  ist,  an  eine  Regeneration  der  Linse  nach  Staaropera- 
tionen  zu  glauben.  Man  verlangt  nicht  weniger,  als  dass  die  einge- 
rollte und  eingeschrumpfte  Kapsel  wieder  normal  werde.  Man  vergisst, 
dass  bei  solchen  Operationen  ein  Zeitpunkt  hätte  eintreten  müssen,  wo 
sie,  ob  der  vom  Rande  her  vorrückenden  frischen  Linsensubstanz,  die 
doch  wohl  nicht  gleich  regelmässig  begrenzt  sein  konnte,  Alles  undeut- 
lich und  verworren  sahen.  Die  Untersuchung  mit  dem  Augenspiegel 
wird  dem  Streite  bald  ein  Ende  machen.  —  Für  den  Fall,  als  man 
dennoch  zugeben  müsste,  dass  Accommodation  trotz  nicht  regenerirter 
Linse  bestehe,  hat  man  endlich  noch  in  vorhinein  an  eine  Erklärung 
gedacht,  die  nicht  nur  der  Beobachtung,  sondern  auch  den  einfachsten 
physikalischen  Gesetzen  widerspricht,  nämlich  dass  der  Glaskörper 
nach  Verlust  der  Linse  sich  in  der  tellerförmigen  Grube  vorwärts 
wölbe,  und  unter  dem  Drucke  des  Ciliarkörpers  eine  bald  mehr  bald 
weniger  starke  Convexität  annehmen  könne.  Stellwag  (Ophthalmologie) 
hält  sich  nach  Untersuchungen  am  Cadaver  zu  der  Annahme  einer  sol- 
chen Convexität  der  tellerförmigen  Grube  für  berechtigt.  Allerdings, 
wenn  man  die  Hornhaut  und  Iris  beseitigt  hat,  und  nun  den  hinten 
aufliegenden  Bulbus  betrachtet,  wird  man  die  tellerförmige  Grube  vor- 
wärts gewölbt  finden.  So  verhält  sick's  aber  nicht  während  des  Lebens. 
Die  Untersuchung  mit  freiem  Auge  und  mit  dem  Augenspiegel  kann 
das  nachweisen.  Wenn  nach  einer  Staaroperation  Heilung  eingetreten 
ist,  so  streicht  eine  Scheidewand,  gebildet  von  der  hintern  Kapselwand 
und  gegen  die  Peripherie  hin  von  Zipfeln  der  vordem  Kapsel  (mit 
mehr  weniger  Linsenresten,  zwischen  Vorder-  und  Hinterkapsel  einge- 
schlossen in  einer  Ebene  zwischen  Glaskörper  und  Kammerwasser  quer 

15* 


228  Augenmuskeln. 

durch  das  Auge,  mit  ihrer  Peripherie  mittelst  der  Zonula  Zinnii  an  den 
Firsten  der  Ciliarfortsätze  haftend.  Diese  ebene  Scheidewand  bietet 
dem  Ciliarmuskel  den  Angriffspunkt  nach  innen,  und  bildet  so  das 
Mittel,  der  Cornea  ihre  specielle  Wölbung  zu  sichern,  wenn  accommo- 
dative  Bewegungen  eintreten.  Erst  wenn  diese  Scheidewand  einen  ge- 
wissen Grad  von  Festigkeit  erlangt  hat,  sind  die  Accommodationsor- 
gane  im  Stande,  den  Glaskörper ,  somit  die  hintere  Bulbus  wand ,  zum 
Ausweichen  nach  hinten  zu  bringen.  Hierin,  nicht  in  der  restituirten 
Linse,  liegt  der  Grund  des  allmäligen  Besserwerdens  des  Gesichtes, 
respective  des  Wiedereintretens  des  Accommodationsvermögens  bei 
Staaroperirten.  Hierin  findet  die  alte  Regel,  Staargläser  erst  nach  Ver- 
lauf von  einigen  Monaten  zu  erlauben,  ihre  rationelle  Begründung;  denn 
Accommodationsbestrebungen  in  zu  früher  Zeit  würden  nachtheilig  ein- 
wirken, die  Cornea  verflachen.  Übrigens,  wenn  auch  der  Glaskörper 
nach  vorn  eine  convexe  Oberfläche  annähme,  das  könnte  in  der  Ver- 
einigungsweite der  Lichtstrahlen  keinen  Unterschied  von  irgend  einer 
Bedeutung  bewirken.  Denn  der  Brechungsindex  des  Kammerwassers 
ist  =  1,337,  der  des  Glaskörpers  =  1,339,  mithin  wird  es  ziemlich 
gleichgiltig  sein,  ob  die  Trennungsfläche  zwischen  beiden  plan  oder 
mehr  weniger  convex  ist.  Jeder  Versuch,  einen  noch  nachweisbaren 
Grad  von  Accommodation  auf  diese  Weise  zu  erklären,  verstösst  dem- 
nach gegen  die  Gesetze  der  Physik. 

Die  Ergebnisse  an  Staaroperirten  sind  von  hohem  Werthe  für  die  Lehre  von  der 
Accommodation.  In  der  Regel  findet  man,  dass  auch  nach  vollkommen  gelungener  Staar- 
operation  wenig  oder  kein  Accommodationsvermögen  besteht.  Es  besitzen  aber  auch  die 
meisten  Staarkranken,  weil  über  das  40.  Jahr  mehr  weniger  weit  hinaus,  schon  vor  der 
Staarbildung  bereits  sehr  wenig  oder  gar  keine  Accommodation.  Datirt  die  Staarbildung 
von  den  Kinderjahren,  so  ist  die  Prüfung  des  Sehvermögens  schon  in  Bezug  auf  die 
Schärfe,  wie  denn  erst  in  Bezug  auf  die  Accommodation  eine  missliche  Sache ;  sie  müs- 
sen das  genauere  Sehen  erst  lernen.  Demnach  resultiren  nur  jene  wenigen  Individuen, 
welche  im  Kindes-  und  Knabenalter  gut  sahen  und  noch  vor  Eintritt  des  40.  Jahres  von 
Cataracta  befallen  wurden.  Deren  Zahl,  an  sich  schon  gering,  wird  noch  vermindert 
dadurch,  dass  nicht  bei  allen  die  Pupille  ganz  frei  und  rein  wird,  und  dass  auch  von 
diesen  nicht  alle  die  zu  verlässlichen  Sehproben  gehörige  Bildung  besitzen.  —  Ganz  ent- 
gangen scheint  den  Vertheidigern  der  Linsenveränderungstheorie  der  allbekannte  Aus- 
spruch der  Augenärzte,  dass  Individuen,  welche  vor  der  Cataractabildung  kurzsichtig 
waren,  im  Allgemeinen  nach  der  Operation  ein  besseres  Sehvermögen  darbieten.  Beer 
1.  c.  B.  II.  S.  338  spricht  diese  Thatsache  in  Folgendem  aus:  „Staarblinde ,  welche  vor 
der  Entstehung  der  Cataracta  schon  sehr  fernsichtig  waren,  werden  es  nach  der  Opera- 
tion noch  mehr  sein.  Desto  mehr  erfreuen  sich  diejenigen  ihres  wiedererhaltenen  Ge- 
sichtes, welche  vor  der  Entfernung  des  Staares  sehr  kurzsichtig  waren."  Will  man  etwa 
Beer  nicht  glauben,  weil  er  alt  ist,  so  überzeuge  man  sich  doch  selbst;  auch  Stelhoag's 
auf  Ziffern   gestutzte  Beobachtung   an  dem  jüdischen   Keligionslehrer   besagt  ja  dasselbe. 


Physiologie  —  Accoiumodation.  229 

"Warum  sehen  aber  Kurzsichtige  nachher  besser  als  solche,  die  nicht  kurzsichtig  waren? 
"Weil  sich  bei  ihnen  die  Linse  regen erirt,  oder  die  tellerförmige  Grube  vorwölbt?  oder 
—  weil  der  Bulbus  in  der  Sehachse  verlängert  ist?  —  Ich  halte  es  vorläufig  nicht  für 
einen  blossen  Zufall,  dass  die  Beobachtung  von  Home,  Maunoir  und  die  zweite  von  mir 
gerade  junge  Leute  zwischen  dem  17.  und  21.  Jahre  betreffen;  ob  auch  die  Operations- 
methode einen  Einfluss  habe,  ist  zweifelhaft;  Maunoir  will  der  Discission  in  dieser 
Beziehung  einen  Vorzug  einräumen;  Home  hatte  aber  extrahirt. 

Nachträglich  muss  ich  noch  bemerken,  dass  Volkmann's  Behauptung,  „nur  Versuche 
nach  dem  Principe  des  Scheinerschen  gäben  über  die  Gegenwart  des  Accommodations- 
vermögens  sichere  Auskunft,"  keineswegs  als  massgebend  betrachtet  werden  kann.  Hat 
doch  Volhnann  selbst  in  seinen  neuen  Beiträgen  zur  Physiologie  des  Gesichtssinnes 
(Leipzig  1S36  S.  161)  angeführt,  „er  kenne  kein  besseres  Mittel,  um  die  Weit-  oder 
Kurzsiehtigkeit  zu  schätzen,  als  das  Auge  an  einer  wohlgedruckten  Schrift  unter  verschie- 
denen Entfernungen  zu  erproben.  Die  verschiedenen  Optometer  haben  sich  auch  in  dem 
optischen  Institute  von  Tauber  als  unpraktisch  erwiesen.  Ein  sehr  auffallendes  Beispiel 
lieferte  mir  ein  Mann  von  vortrefflichem  Gesicht,  der  in  Porlerfields  Versuch  (Optometer) 
die  aufgesteckte  Nadel  durchaus  nur  zwischen  5  und  7  Zoll  einfach  sehen  konnte.  Da- 
gegen vermochte  ich  mit  meinem  sehr  kurzen  Gesicht  die  Nadel  in  einer  Distanz  von 
3V2 — 15  Zoll  einfach  zu  sehen.  Offenbar  hindert  das  Optometer  gewisse  Augen  in  der 
freien  Ausübung  der  Accommodationskraft."  Gewiss  ist,  dass,  wenn  durch  ein  doppeltes 
Kartenloch  eine  Nadel  in  verschiedenen  Entfernungen  einfach  gesehen  werden  kann,  an 
dem  Vorhandensein  des  Accommodationsvermögens  nicht  gezweifelt  werden  kann;  gewiss 
aber  auch,  dass  wenn  ein  zu  diesem  Experimente  Verwendeter  die  Nadel  nicht  in  ver- 
schiedenen Distanzen  einfach  sehen  kann,  derselbe  dennoch  ein  gutes  oder  doch  ziem- 
lich gutes  Accommodationsvermögen  besitzen  kann.  Ich  bediene  mich  daher  zur  Beur- 
theilung  des  Befractionszustandes  und  der  Accommodationskraft  seit  mehreren  Jahren  nur 
noch  ausnahmsweise  eines  Optometers ,  und  zwar  eines  nach  Volkmanns  Angabe  höchst 
zweckmässig  in  Halle  angefertigten. 

Schliesslich  sei  noch  erwähnt,  dass  die  Thatsachen,  welche  uns  die  vergleichende 
Anatomie  in  Bezug  auf  das  Accommodationsvermögen  bietet,  ganz  geeignet  sind,  die  hier 
entwickelte  Theorie  vor  allen  andern  plausibel  erscheinen  zu  machen.  Indem  wir  in  die- 
ser Beziehung  auf  die  vergleichende  Anatomie  und  Physiologie  von  Bergmann  und  Leuckart 
(Stuttgart  1855)  verweisen,  können  wir  nicht  umhin,  wenigstens  eine  Stelle  (S.  478) 
wörtlich  hier  anzuführen.  „Für  die  Ansicht,  dass  Formveränderung  des  Auges  im  Allge- 
meinen als  Mittel  der  Anpassung  bei  den  Wirbelthieren  vorkommt,  sprechen  besonders 
einige  Beobachtungen  an  Säugethieren.  Thiere,  welche  abwechselnd  in  der  Luft  and  im 
"Wasser  leben,  wie  die  Seehunde,  müssen  entweder  in  der  Luft  sehr  kurzsichtig  und  im 
"Wasser  sehr  weitsichtig  sein ,  oder  die  Anpassungsfähigkeit  in  sehr  hohem  Grade  haben. 
"Wenn  wir  bei  diesen  also  eine  ganz  eigenthümliche  Einrichtung  finden,  welche  auf  Form- 
veränderung des  Auges  deutet,  so  dürfen  wir  wohl  darin  einen  Fingerzeig  sehen.  Es 
ist  aber  bekannt,  dass  bei  Seehunden  der  vorderste  Theil  der  Sclera,  an  welchen  sich 
die  Hornhaut  setzt,  einen  breiten  festen  Gürtel  bildet,  welcher  durch  eine  weit  schmälere 
Portion  (ebenfalls  einen  Gürtel  um  das  Auge  bildend)  mit  der  derben  Sclerotica  des  Au- 
gengrundes verbanden  ist.  An  den  festen  vordem  Gürtel  setzen^sich  die  geraden  Augen- 
muskeln an.  Durch  deren  Mitwirkung  kann  sowohl  eine  Formveränderung  des  Bulbus 
bewirkt  werden,  bei  welcher  die  nachgiebige  Zone  der  Sclera  entweder  mehr  hervor- 
gepresst  wird,    so  dass    das  Auge  sich  verkürzt,    oder  es  wird   vielleicht    durch   die  auf- 


230  Augenmuskeln. 

liegenden  Muskeln  diese  nachgiebigere  Stelle  nach  innen  gedrückt  und  dadurch  das  Auge 
verlängert.  Ganz  besonders  geeignet  zur  Formänderung  dürften  aber  die  beiden  Obliqui 
sein.  —  Zu  Gunsten  der  Formveränderung  des  Auges  durch  die  Muskeln  spricht  auch, 
dass  man  bemerkt  hat,  wie  die  Muskeln  des  kleinen  Elcphantenauges  bedeutend  ausge- 
bildet sind,  so  dass  ihre  Stärke  mehr  im  Yerhältniss  zur  Dicke  der  Sclera  als  zur  Grösse 
des  Auges  abgemessen  zu  sein  scheint." 


B.    Abnormitäten  und  Krankheiten. 

Kurzsichtigkeit  (Myopia). 

Die  Myopie  lässt  sich  füglich  als  jener  bleibende  Refraclionszu- 
stand  des  Auges  bezeichnen,  bei  welchem  der  optische  Mittelpunkt  seines 
Objectives  (  Kreuzungsjnmkt  der  Richtungslinien)  und  der  Schirm  (Ma- 
cula lutea  und  Umgebung)  abnorm  weit  von  einander  abstehen.  Der 
Grund  hievon  liegt  nach  unserer  Überzeugung  in  stationärer  Verlänge- 
rung des  Bulbus  in  der  Sehachse  auf  Kosten  der  hintern  Wand,  nicht 
aber  in  stärkerer  Wölbung  der  Hornhaut,  wie  man  früher  meinte,  noch 
in  Vorwärtslagerung  oder  vermehrter  Convexität  des  Krystallkörpers, 
wie  man  nach  den  Accommodationstheorien  von  Huek,  Stellwag,  Cra- 
mer  und  Helmholtz  annehmen  müsste.  Diesen  Fehler  von  Erhöhung 
des  Brechungsindex  der  Hornhaut  oder  Linse  abzuleiten,  dazu  fehlen 
die  Prämissen  der  Beobachtung;  ob  Verflüssigung  des  Glaskörpers  (Her- 
absetzung seines  Brechungsindex)  an  und  für  sich  Kurzsichtigkeit  er- 
zeuge, ist  gleichfalls  noch  nicht  direct  nachgewiesen;  sie  scheint  aber 
an  der  frühern  Vereinigung  der  Lichtstrahlen  (durch  Vorwärtsrückung 
des  optischen  Mittelpunktes]  einigen  Antheil  zu  nehmen,  und  demnach 
da,  wo  sie  vorkommt  (bei  höheren  Graden  von  Kurzsichtigkeit),  in  An- 
schlag gebracht  werden  zu  müssen. 

Abnorm  grosser  Abstand  des  optischen  Mittelpunktes  von  der  Ma- 
cula lutea  lässt  sich  an  jedem  normalen  Auge  erzielen,  wenn  man  ihm 
ein  Convexglas  vorhält.  Der  optische  Mittelpunkt  fällt  bei  der  Com- 
bination  der  Sammellinse  des  Auges  mit  einer  Glaslinse  nicht  mehr  in 
die  Nähe  des  hintern  Poles  des  Krystallkörpers,  sondern  weiter  vor- 
wärts, und  zwar  je  nach  der  Stärke  des  Convexglases,  in  die  Mitte  des 
Krystallkörpers  oder  selbst  mitten  in  die  Pupille.  Der  optische  Mittel- 
punkt des  so  bewaffneten  Auges  steht  demnach  abnorm  weit  von  der 
Netzhaut  ab.  Auf  diese  Weise  kann  ein  Jeder  durch  Vorhalten  eines 
Convexglases    die    Erscheinungen    der   Kurzsichtigkeit   an    sich   selbst 


Kurzsichtigkeit  —  Kennzeichen.  231 

studiren,  und  zwar  in  allen  Abstufungen,  wenn  er  von  den  schwächsten 
Nummern,  etwa  80"  oder  60"  Brennweite,  zu  immer  stärkeren  aufsteigt. 

Das  nothwendige  und  unmittelbare  Ergebniss  dieses  abnorm  gros- 
sen Abstandes  zwischen  dem  optischen  Mittelpunkte  und  der  Netzhaut 
ist,  dass  die  Distanz  der  Objecte,  welche  auf  de?'  Netzhaut  abgebildet 
werden  sollen,  eine  kürzere  sei?i  mnss,  als  beim  normalen  Auge,  und 
zwar  unter  übrigens  gleichen  Umständen  um  so  kürzer,  je  länger  jener 
Abstand,  je  kurzsichtiger  das  Auge  ist.  Ein  Kurzsichtiger  sieht  daher 
Objecte  von  einer  gewissen  Entfernung,  in  welcher  sie  einem  normalen 
Auge  noch  deutlich  oder  doch  ohne  merklich  störende  Zerstreuungs- 
kreise erscheinen,  bereits  undeutlich  oder  gar  nicht,  weil  die  je  einem 
leuchtenden  Punkte  des  Objectes  entsprechenden  Strahlen  schon  mehr 
weniger  weit  vor  der  Netzhaut  vereinigt  werden  und  die  Netzhaut  erst 
als  Kegelquerschnitte  treffen,  welche  mehr  weniger  in  einander  über- 
greifen oder  auch  schon  je  auf  ein  so  grosses  Netzhautareal  vertheilt 
werden,  dass  jedes  empfindende  Netzhautelement  viel  zu  wenig  Licht 
von  dem  betreffenden  Strahlenkegel  erhält,  als  dass  es  noch  zur  Empfin- 
dung angeregt  werden  könnte.  Die  Kurzsichtigkeit  schliesst  demnach 
die  Wahrnehmung  unendlich  weit  entfernter  Objecte  nicht  aus,  wenn  die- 
selben nur  ein  hinreichend  intensives  Licht  liefern,  und  der  Sehwinkel 
nicht  zu  klein  ist.     (Sterne.) 

Bei  Myopie  müssen  die  Objecte  relativ  näher  an  das  Auge  gebracht 
werden,  als  im  normalen  Zustande,  wenn  die  ihnen  entsprechenden 
Bilder  nicht  vor,  sondern  auf  der  Netzhaut  entworfen  werden  sollen. 
Es  gibt  aber  noch  andere  Zustände,  welche  eine  abnorme  Annäherung 
der  Objecte  behufs  des  Deutlichsehens  erheischen.  Die  vorzüglichsten 
sind:  vermehrte  Wölbung  der  Cornea,  centrale  Trübungen  der  durch- 
sichtigen Medien,  geringere  Energie  der  Netzhaut.  Diese  Zustände 
können  vorhanden  sein,  ohne  dass  der  Eefractionszustand  des  Auges 
eine  bleibende  Umwandlung  in  den  der  Myopie  erlitten  hat:  sie  kön- 
nen aber  auch  bereits  zu  dieser  geführt  haben,  oder  sie  können  später 
zu  dieser  hinzugetreten  sein.  Dann  hat  man  es  aber  nicht  mit  ein- 
facher oder  reiner,  sondern  mit  complicirter  Kurzsichtigkeit  zu  thun, 
und  niuss  das  gegenseitige  Yerhältniss  erst  durch  ein  genaues  Examen, 
emiitteit  werden.  Die  Nichtbeachtung  dieses  Verhältnisses  ist  Schuld, 
dass  noch  immer  nicht  nur  Laien,  sondern  selbst  Arzte  und  Schriftstel- 
ler keinen  klaren  Begriff  von  der  Kurzsichtigkeit  haben,  und  Augen 
für  kurzsichtig  halten,  welche  nichts  weniger  als  kurzsichtig  sind.  Wir 
werden  zunächst  nur  von  der  einfachen  oder  reinen  Kurzsichtigkeit 
handeln. 


232  Augenmuskeln. 

Die  Kurzsichtigkeit  kommt  in  sehr  verschiedenen  Graden  vor. 
Von  den  extremsten  Fällen,  wo  z.  B.  Buchstaben  mittlerer  Grösse  nur 
bei  2"  Distanz  gelesen  werden  können,  gibt  es  allmälige  Übergänge 
bis  zu  solchen  Fällen,  wo  man  in  Zweifel  kommt,  ob  man  ein  normales 
oder  ein  kurzsichtiges  Auge  vor  sich  habe.  Niedrige  Grade  werden 
bei  dem  gewöhnlichen  Sehbedürfnisse  gar  nicht  bemerkt,  während 
höhere  Grade  unter  allen  Verhältnissen  —  mit  Ausnahme  weniger  Ver- 
richtungen —  das  Mangelhafte  des  Gesichtes  fühlbar  machen.  Druck- 
schriften von  bestimmter  Grösse  können  als  das  einfachste  Mittel  zur 
Beurtheilung  der  Sehweite  benützt  werden.  Doch  ist  zu  bemerken, 
dass  es  Leute  gibt,  welche  bei  den  Proben  mit  dem  Lesen  mittelgrossen 
Druckes  sowohl  als  mit  Optometern  eine  geringe  Sehweite  ausweisen, 
und  dennoch  in  mittlem  und  grössern  Entfernungen  nicht  so  schlecht 
sehen,  als  andere,  welche  bei  diesen  Proben  in  einer  viel  grössern  Ent- 
fernung deutlich  sehen.*)  —  Augen,  welche  bis  zu  24  Zoll  Distanz, 
noch  mittelgrosse  (circa  3/<t//;  hohe)  Druckschrift  lesen  können,  reichen 
für  die  gewöhnlichen  Anforderungen  an  das  Gesicht  bequem  aus,  und 
lassen  ihre  Mangelhaftigkeit  im  Vergleich  zu  völlig  normalen  Augen 
nur  dann  bemerken,  wenn  es  sich  um  das  Erkennen  und  Unterscheiden 
sehr  entfernter  Objecte  handelt,  wie  etwa  beim  Schiessen,  beim  Erken- 
nen einer  Thurmuhr  u.  dgl.  (Niedrige  Grade  von  Kurzsichtigkeit.) 
Leute,  welche  höchstens  bis  zur  Distanz  von  circa  14  Zoll  lesen  kön- 
nen, fühlen  das  Bedürfniss,  ihr  Gesicht  durch  Gläser  zu  unterstützen, 
bereits  beim  Herumgehen  auf  der  Gasse,  beim  Erkennen  von  Personen 
auf  15 — 20  Schritte,  beim  Blicke  auf  die  Tafel  in  Hörsälen  u.  s.  w. 
(Mittlere  Grade.)  Doch  kann  der  Gebrauch  von  Augengläsern  noch 
immer  ohne  Gefahr  der  persönlichen  Sicherheit  im  Freien  umgangen 
werden,  sobald  der  Kurzsichtige  noch  auf  mehr  als  8  Zoll  Distanz 
Mitteldruck  lesen  kann.  (Hohe  Grade.)  Solche  endlich,  die  nur  bis 
auf  höchstens  4  Zoll  noch  lesen  können,  sehen  selbst  grössere  Gegen- 
stände undeutlich,  sobald  sie  über  2 — 3  Schritte  entfernt  sind,  und  eine 
grosse  Zahl  solcher  Augen  ist  bereits  zugleich  amblyopisch.  (Höchster 
Grad.) 

Je  bestimmter  die  Kurzsichtigkeit  ausgesprochen  ist,  desto  sicherer 
lassen  sich  auch   die  Grenzpunkte  des  deutlichen  Sehens  angeben,   und 

*)  Man  hat  den  Zustand,  wo  ein  Auge  relativ  zu  seinem  Verhalten  gegen  kleine  Objecte  in  naher  und 
massiger  Entfernung  selbst  grössere  Gegenstände  auffallend  schlecht  oder  gar  nicht  sieht,  sobald 
diese  über  eine  gewisse  Grenze  hinausgerückt  sind,  Myopia  in  Distans  genannt,  und  A.  von  Gräfe 
(Archiv  f.  Ophth.  Bd.  II.  Abth.  I.  S.  159)  hat  denselben  durch  den  Nachweis  erklärt,  dass  ein  sol- 
ches Auge,  sobald  ihm  eine  scharfe  Accommodation  unmöglich  ist,  nicht  mehr  den  relativ  günstig- 
sten, sondern  gerade  den  conträren  Kefractionszustand  annimmt,  also  bei  der  Bemühung,  zu  weit 
entfernte  Objecte  zu  erkennen,  unwillkürlich  für  die  Nähe  eingerichtet  wird. 


Kurzsiehtigkeit  —  Kennzeichen.  233 

zwar  nicht  bloss  der  Nahe-,  sondern  auch  der  Fernpunkt.  In  Bezug 
auf  die  Objecte,  welche  in  Distanzen  zwischen  diesen  Grenz f mnkten 
liegen,  verhält  sich  das  kurzsichtige  Auge  im  Allgemeinen  genau  so  wie 
das  normale;  es  sieht  dieselben  unter  den  allgemeinen  Bedingungen 
deutlich,  ja  es  zeigt  im  Allgemeinen  sogar  eine  grössere  Schärfe  (Fein- 
heit) des  Gesichtes,  indem  dasselbe  Object  bei  der  gleichen  Distanz 
auf  seiner  Netzhaut  ein  grösseres  Bild  entwirft,  als  im  normalen  Auge, 
weil  eben  die  Netzhaut  weiter  vom  optischen  Mittelpunkte  absteht. 
(Bd.  III.  S.  40.)  Zu  diesem  auf  der  Strahlenbrechung  beruhenden  Mo- 
mente kommt  noch,  dass  in  solchen  Augen  häufig  die  Energie  der 
Netzhaut  (durch  Übung)  beträchtlich  gesteigert  ist.  Daher  sehen  Kurz- 
sichtige winzige  Objecte  in  gehöriger  Nahe  oft  schärfer,  als  Normal- 
sichtige selbst  mit  Hilfe  einer  Loupe.  —  Gleichwie  der  Fernpunkt  des 
deutlichen  Sehens  beim  kurzsichtigen  Auge  in  einer  bestimmten,  dem 
Auge  näher  gerückten  Entfernung  liegt,  ist  in  der  Regel  auch  der  Nahe- 
punkt demselben  genähert  bis  auf  4,  3,  selbst  2  Zoll.  Da  aber  der 
Nahepunkt  schon  im  normalen  Auge  nur  etwa  5"  vor  dem  Hornhaut- 
centrum liegt,  und  da  derselbe  auch  beim  höchsten  Grade  von  Kurz- 
sichtigkeit bis  auf  höchstens  13/Vy  Nähe  herangerückt  erscheint,  so  er- 
gibt sich,  dass  Augen,  deren  Fernpunkt  nur  2 — 3"  weit  absteht,  der 
aecommodativen  Thätigkeit  keinen  Spielraum  mehr  gestatten,  Augen  da- 
gegen, deren  Fernpunkt  z.  B.  14",  Nahepunkt  4"  oder  3"  absteht, 
noch  ein  beträchtliches  Accommodationsvermögen  besitzen.  Im  kurz- 
sichtigen Auge  sind  demnach  der  aecommodativen  Thätigkeit  im  Allge- 
meinen um  so  engere  Schranken  gesetzt,  je  näher  der  Fernpunkt  heran- 
gerückt, d.  h.  je  kurzsichtiger  es  ist.  Doch  kommen  Fälle  vor,  wo  der 
Nahepunkt  nicht  so  nahe  liegt,  als  man  nach  der  Heranrückung  des 
Fernpunktes  erwarten  sollte,  wo  das  Auge  z.  B.  nur  zwischen  6  und  5 
Zoll  mittleren  Druck  lesen  kann,  während  andere  zwischen  6  und  3 
Zoll  lesen. 

Durch  Vorhalten  eines  entsprechenden  Concavglases  vor  das  kurz- 
sichtige Auge  kann  der  Abstand  des  optischen  Mittelpunktes  von  der 
Netzhaut  verkleinert,  mithin  dem  des  normalen  Auges  gleich  (gemacht 
werden.  Ist  nun  der  aecommodativen  Thätigkeit  noch  ein  grosser  Spiel- 
raum gelassen,  wie  in  der  Begel  in  Augen,  deren  Fernpunkt  nicht 
unter  S  Zoll  absteht,  so  kann  ein  so  bewaffnetes  Auge  fast  für  alle 
Distanzen  mit  einem  normalen  in  Concurrenz  treten,  und  es  kommt 
mit  dieser  Correction  seines  Eefractionszustandes  dem  normalen  Auge 
um  so  näher,  je  weniger  kurzsichtig  es  ist,  und  je  grössere  Exemtio- 
nen seiner  Netzhaut  (hintern  Wand)  noch  gestattet  sind. 


234  Augenmuskeln. 

Beim  Vorkalten  einer  dunkeln  Metallplatte  oder  eines  Kartenblattes 
mit  einer  engen  Öffnung  nahe  vor  der  Cornea  kann  das  rein  kurzsich- 
tige Auge  die  zu  Leseproben  verwendete  Schrift  eben  so  weit  wie  ein 
normales  Auge  lesen,  oder  doch  in  viel  grösserer  Distanz,  als  ohne  dieses 
Hilfsmittel.  Der  Grund  hievon  liegt  darin,  dass  die  Zerstreuungskreise 
auf  Minima  reducirt  werden.  Dasselbe  suchen  Kurzsichtige,  wenn  sie 
in  Entfernungen  noch  deutlich  sehen  wollen,  wo  die  Zerstreuungskreise 
bereits  zu  gross  ausfallen,  durch  Verengerung  der  Lidspalte  (Blinzeln, 
ftveiv)  zu  bewerkstelligen.  Der  Nutzen  des  Blinzeins  sowohl  als  der 
engen  Diopteröffnungen  ist  jedoch  ein  sehr  beschränkter,  da  mit  der 
Enge  der  Öffnung  auch  die  Abnahme  der  Lichtmenge  steigt,  welche 
yon  je  einem  Punkte  des  lichtsendenden  Objectes  zur  Netzhaut  gelan- 
gen kann,  mithin  bei  grösseren  Entfernungen  das  Netzhautbild  um  so 
lichtärmer  wird,  je  enger  die  Diopteröffnung  ist. 

Mit  Hilfe  der  eben  besprochenen  Merkmale  lässt  sich  die  reine 
Kurzsichtigkeit  leicht  von  den  obgenannten  Zuständen  unterscheiden, 
welche  mit  derselben  eben  nichts  gemeinschaftlich  haben,  als  dass  die 
betreffende  Person  dieObjecte,  die  sie  noch  relativ  gut  sehen  will,  ab- 
norm nahe  an  das  Auge  bringen  muss.  Das  rein  kurzsichtige  Auge 
sieht  die  Objecte,  die  ihm  hinreichend  genähert  sind,  eben  so  deutlich 
und  im  Allgemeinen  noch  schärfer,  als  das  normale  Auge;  sein  Gesicht 
kann  durch  entsprechende  Concavgläser  für  dieselben  Distanzen  wie 
das  normale  adaptirt  werden,  und  enge  Öffnungen,  nahe  vor  das  Auge 
gehalten,  erweitern  die  Sehweite  für  massige  Distanzen  um  ein  Be- 
trächtliches. Ich  habe  noch  nie  eine  Person  mit  anderweitig  nach- 
weisbarer vermehrter  Wölbung  der  Cornea  gefunden,  welche  ein  auch  nur 
dem  normalen  Auge  an  Schärfe  gleichkommendes  Gesicht  gehabt  hätte, 
auch  nicht  bei  beliebig  grosser  Annäherung  der  Objecte.  Dass  Leute 
mit  centralen  Hornhaut-  oder  Linsentrübungen  keine  Gläser  finden, 
welche  der  Mangelhaftigkeit  ihres  Gesichtes  abzuhelfen  vermöchten, 
weiss  jeder  Optiker.  Selbst  wenn  zugleich  Kurzsichtigkeit  neben  einer 
solchen  Trübung  vorhanden  ist,  leisten  Concavgläser  nicht  den  gleichen 
Dienst,  wie  bei  reiner  Kurzsichtigkeit.  Die  geringere  Energie  der 
Netzhaut  verräth  sich  besonders  bei  der  Probe  mit  einer  engen  Öffnung. 
(Vergl.  Bd.  HI.  S.  98.) 

Der  Kurzsichtige  (mittlem  und  höhern  Grades)  blickt  im  Allgemei- 
nen mit  etwas  mehr  convergenten  Sehachsen  herum.  Gibt  man  ihm 
ein  Buch  zum  Lesen,  so  hält  er  es  im  Gegensatze  zum  Weitsichtigen 
nicht  unter,  sondern  mehr  gerade  vor  oder  selbst  etwas  über  den 
Augen,  zumal  wenn  er  angewiesen  wird,  in  grösstmöglicher  Entfernung 


Kurzsiehtigkeit  —  Kennzeichen.  235 

zu  lesen.  Er  neigt  daher  auch  den  Kopf  eher  etwas  vor-  als  rück- 
wärts. Seine  Bulbi  fühlen  sich  (bei  höheren  Graden)  härter  an,  zeigen 
besonders  zur  Zeit,  wo  das  Übel  noch  im  Entstehen  und  Zunehmen 
begriffen  ist,  stärkere  Injection  der  Ciliargefässe,  selbst  der  Conjunctiva 
bulbi  et  palpebrarum,  und  relativ  (zum  Lichteinflusse  und  zur  Distanz 
der  fixirten  Objecte)  grössere  Pupillen;  ihre  Verlängerung  in  der  Seh- 
achse, welche  sich  oft  schon  aus  dem  Hervorragen  aus  der  Orbita 
(Glotzen)  vermuthen  lässt,  kann  bei  den  höhern  und  höchsten  Graden 
auf  die  oben  angegebene  Weise  bestimmt  nachgewiesen  werden. 

Ist  ein  Auge  in  höherem  Grade  kurzsichtig  als  das  andere,  so 
kann  man  diess  bei  nur  einigermassen  erheblicher  Differenz  schon  vor 
Anstellung  der  Sehproben  an  der  Verlängerung  in  der  Sehachse  und 
an  der  dadurch  bedingten  Prominenz  dieses  Bulbus  erkennen.  Über 
die  Lage  der  Iris  in  kurzsichtigen  Augen  haben  wir  das  Notlüge  be- 
reits auf  S.  210  angegeben. 

Da  nur  mittlere  und  höhere  Grade  von  Kurzsichtigkeit  Untauglich- 
keit  zu  gewissen  Beschäftigungen  und  Dienstleistungen  (ohne  Unter- 
stützung durch  Concavgläser)  mit  sich  bringen,  so  sind  dem  Arzte 
schon  in  dem  bisher  geschilderten  Verhalten  kurzsichtiger  Augen  wohl 
hinreichende  und  verlässliche  Mittel  gegeben,  um  mit  Bestimmtheit  ein 
Gutachten  abgeben  zu  können.  Es  bietet  aber  auch  noch  die  Unter- 
suchung mit  dem  Augenspiegel  einen  Anhaltspunkt  von  objectiver  Gil- 
tigkeit  dar,  zumal  wenn  man  demjenigen,  der  ein  normales  Auge  be- 
sitzt und  während  der  Untersuchung  mit  möglichster  Anstrengung  für 
die  Nähe  accommodirt,  diess  letztere  durch  ein  Mydriaticum  unmöglich 
macht.  Ausserdem  liefern  auch  Augengläser  ein  Mittel,  Simulanten  zu 
entlarven.  Hält  man  demjenigen,  welcher  sich  anstellt,  als  könne  er 
z.  B.  nur  bis  8  Zoll  Distanz  lesen,  ein  Concavglas  vor,  etwa  von  8—10 
Zoll  Brennweite,  so  wird  er,  falls  er  wirklich  kurzsichtig  ist,  mit  dieser 
Unterstützung  nahezu  eben  so  gut  sehen,  wie  ein  Normalsiehtiger,  falls 
er  aber  normalsichtig  ist,  das  Vorhalten  eines  solchen,  und  selbst  eines 
schwächeren  (etwa  bis  zu  Nr.  12)  nicht  lange  aushalten.  Es  kann  aber 
ein  normales  Auge  durch  methodische  Übung  mit  Concavgläsern  sich 
in  kurzer  Zeit  einüben,  auch  mit  Concavgläsern  ziemlich  gut  zu  sehen, 
ohne  desshalb  bleibend  kurzsichtig  zu  werden.  Daher  ist  die*  Probe 
mit  Concavgläsern  nicht  allgemein  verlässlich.  Setzt  man  aber  einem 
wirklich  kurzsichtigen  Auge  eine  massig  convexe  Brille  vor,  und  zwar 
von  solcher  Convexität,  dass  ein  normales  Auge  damit  noch  in  einer 
bestimmten  Distanz  lesen  kann,  wie  etwa  mit  den  Nummern  zwischen 
1 5  und  20",  so  wird  es  damit  nicht  lesen  können,  ausser  in  sehr  grosser 


236 


Augenmuskeln. 


Nähe,  und  es  wird  gewiss  nie  einen  Betrüger  geben,  der  die  Probe 
mit  concaven  und  die  Gegenprobe  mit  convexen  Gläsern  zu  bestehen 
vermöchte. 

Sectionsbefunde  kurzsichtiger  Augen  haben  bisher  ganz  gefehlt.  Bloss  Prof.  Ritte- 
rich*) führte  in  der  medicinischen  Gesellschaft  zu  Leipzig  (Sitzung  vom  26.  Februar 
1839)  den  Sectionsbefund  der  Augen  eines  stets  kurzsichtig  gewesenen  Buchdruckers 
an,  der  sein  Leben  durch  Selbstmord  geendet  hatte.  Die  Augapfel  waren  birnförmig, 
vorn  breit,  hinten  schmäler  gestaltet,  und  die  hintere  Hälfte  der  Sclerotica  verdünnt. 
Ob  der  gelehrte  Beobachter,  welcher  diesen  Zustand  für  einen  angeborenen  zu  halten 
geneigt  ist,  den  Befund  irgendwo  anders  ausführlicher  notirt  habe,  ist  mir  unbekannt. 

Ich  besitze  jetzt  die  Augen  von  vier  Kurzsichtigen.  Zwei  davon  kannte  ich  wäh- 
rend des  Lebens  sehr  gut,  den  Kreisarzt  Seh.,  der  im  72.,  und  die  Wittwe  meines  Leh- 
rers F.,  die  im  53.  Jahre  starb.  Die  beiden  andern  waren  Männer  von  30  und  38  Jah- 
ren; auf  ihre  Augen  wurde  ich  bei  meinen  Operationscursen  durch  die  auffallende  Tiefe 
der  vordem  Augenkammer  aufmerksam,  was  mich  zur  Herausnahme  der  Bulbi  bestimmte ; 
beide  hatten,  wie  ich  nachher  erfuhr,  Concavglässer  getragen,  welche  ich  mir  verschaffte, 
um  ihre  Brennweite  zu  erfahren;  diese  betrug  bei  dem  einen  7,  bei  dem  andern  10  Zoll. 
Die  Section  fand  bei  allen  zwischen  30 — 40  Stunden  nach  dem  Tode   statt. 


Namen  und 
Alter 

I. 

F.  Seh.,  72  J. 

II. 

F.Macha,  38  J. 

III. 

Jos.  Fabian,  36  J. 

IV. 

Anna  F.  53  J. 

Stand 

Medic.  Doctor 

Kattundrucker 

Zimmerwichser 

Professorsgattin 

Nummer   der 

letzt  benutzten 

Gläser 

14" 

10" 

7", 

37a" 

Äussere  Augen- 
achse (Sehachse) 

R  und  L  =  12'" 

R  =   12?/«"' 
L  =  13'" 

Ru.L=  127a'" 

R=14  L=1372;" 

Aquatorial- 
Durchmesser 

Hör.  und  vertic. 
beiders.  =  1 1  lk"' 

Hör.  und  Vert. 
R  =  11  v«'" 
L  =  ll3/*"' 

R  hör.  =  1173"' 

vert.  =  1 2'", 
L  hör.  =  1 1  Wk"l 

vert.  ==  12'" 

Hör.  und  vert. 
R  =   II74"' 

L  =  117»'« 

Tiefe  der 
Augenkammer 

R  u.  L  =  1"' 

R  =  l'A'" 

L  nicht  gemessen 

R  =  PA'" 
L  nicht  gemessen 

R  =  t.'74"' 
L  nicht  gemessen 

Achse  der  Linse 

nicht  gemessen 

R  =  13A'" 

R  =  P/s'" 

R  =  17s"' 

Bei  keinem  dieser  Augen  bot  die  Hornhaut  eine  Abnormität  in  Bezug  auf  Dicke, 
Durchsichtigkeit  oder  Wölbung  (nach  den  Spiegelbildern  geschätzt)  dar.  Die  Lage  der 
Bulbi  konnte  nur  bei  IV.  als  glotzend  bezeichnet  werden,  und  hier  hatte  ich  die  Ver- 
längerung der  Bulbi  schon  während  des  Lebens  mit  Sicherheit  erkannt.  Auffallend  war 
mir  die  Dicke  der  Augenmuskeln,  besonders  des  Rect.  internus  und  des  Obl.  inferior  bei 
III. ,  welcher  an  Tuberculosis  pulm.  gestorben,  und  bei  IV.,  welche  nach  mehrjährigem 
Leiden  zum  Skelett  abgemagert  war.  Der  Ciliarmuskel  war  bei  IV.  circa  2/s'",  bei  III. 
aber  nahezu  1/z"t  (an  der  dicksten  Stelle,   von  aussen  nach  innen).     Bei  III.  betrug  der 

*)  Schmidt's  Jahrb.  1842.   Bd.  36.   S.  138.  9 


Kiirzsichtigkeit  —  Anatom.  Befund.  237 

Abstand  einer  dui-ch  den  Ciliarrand  der  Iris  gelegten  Ebene  vom  Centrum  der  Descemet- 
schen  Haut  U/3'",  so  dass  demnacb  Ciliar-  und  Pupillarrand  der  Iris  in  einer  und  der- 
selben Ebene  lagen. 

"Was  nun  die  Sclera  betrifft,  so  erschien  dieselbe  bei  I.  auch  im  hintern  Umfange 
normal,  und  konnte  die  Achsenverlängerung  nur  durch  die  Messung  erkannt  werden, 
"während  bei  den  übrigen  die  Bulbi  nicht  nur  durch  ihre  birnförmige  Gestalt,  sondern 
auch  durch  bläuliche  Färbung  in  der  Umgebung  des  hintern  Poles  auffielen.  Die  Zer- 
legung der  Bulbi  in  eine  obere  und  untere  Hälfte,  welche  bei  den  letzten  3  Indiv.  nur 
an  dem  rechten  Auge  vorgenommen  wurde,  erwies  alsbald,  dass  diese  Verfärbung  nur 
vom  Durchscheinen  der  verdünnten  und  ausgedehnten  Sclera  herrührte.  Mit  der  Sclera 
waren  auch  die  Chorioidea  und  Retina  ausgedehnt,  indem  sie  ihr  einfach  anlagen,  ohne 
mit  ihr  verwachsen  zu  sein.  Die  Macula  lutea  fehlte  in  keinem  Falle,  stand  aber  etwas 
weiter  vom  Eintritte  der  Centralarterie  ab ;  bei  IV.  betrug  der  Abstand  des  Foramen 
coecum  vom  Centrum  der  Sehnervenpapille  2l/i'".  Mikroskopisch  habe  ich  diese  Par- 
tien nicht  untersucht.  Bloss  bei  IY.  bot  die  Netzhaut  ein  etwas  abnormes,  punkt-  oder 
fleckweise  etwas  trüberes  Aussehen  dar,  und  erschien  die  Mitte  der  Macula  lutea  braun- 
schwarz, beim  Abheben  von  der  Chorioidea  durchlöchert. 

Bei  A.  F.  (IV.)  bot  die  bedeutend  verdünnte  und  ausgedehnte  Chorioidea  in  der  Ge- 
gend des  hintern  Poles  ein  marmorirtes  Aussehen  dar,  bedingt  durch  beinahe  gänz- 
lichen Mangel  des  Pigmentes  an  einer  rundlichen  Stelle  von  etwas  über  2'"  Durchmes- 
ser, welche  sich  unmittelbar  an  die  Schläfeseite  der  Sehnervenpapille  anschloss,  und 
nur  hie  und  da  Punkte,  Streifen  und  Fleckchen  braunen  Pigments  zeigte.  Der  grösste 
•  Pigmentfleck  haftete  in  der  Chorioidea  gerade  an  der  Stelle  der  Macula  lutea.  In  der 
nächsten  Umgebung  dieses  Fleckes  erscheint  die  in  dieser  ganzen  Gegend  halbdurch- 
sichtige Chorioidea  unter  der  Loupe  leicht  getrübt,  bläulich  weiss,  wahrscheinlich  von  Exsu- 
dat durchsetzt ,  doch  mit  der  Sclera  nicht  verwachsen ,  bloss  durch  die  ein-  und  austre- 
tenden Nerven  und  Gefässe  (wie  gewöhnlich)  verbunden.  Ich  hatte,  um  diese  Verhält- 
nisse im  Zusammenhange  gehörig  überblicken  zu  können,  das  linke  Auge  so  geöffnet, 
dass  ein  senkrecht  auf  die  Sehachse  durch  den  Bulbus  durchgeführter  Schnitt  nur  die 
staphylomatös  vorgetriebene  Partie  des  Bulbus  abtrennte,  und  somit  das  Präparat  noch 
heute  bequem  von  vorn  angesehen  werden  kann.  Ich  muss  zum  Verständniss  dieses  Befun- 
des noch  anführen ,  dass  A.  F.  durch  viele  Jahre  Nr.  4  concav  getragen ,  in  den  letz- 
ten 6  —  7  Jahren  aber  zu  Nr.  3  ',2  gegriffen  hatte.  Sie  war  von  früher  Jugend  an,  wo 
sie  die  Blattern  überstanden  hatte ,  in  hohem  Grade  kurzsichtig  gewesen ,  und  hatte  na- 
mentlich nach  zurückgelegtem  30.  Jahre  wegen  congestiv-entzündlicher  Erscheinungen, 
welche  Amaurosis  befürchten  Hessen,  oft  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  genommen.  Auf 
dem  linken  Auge  hatte  sie  in  den  letzten  4 — 5  Jahren  die  Zeichen  centraler  Netzhaut- 
amaurosis  dargeboten,  indem  sie  auch  bei  grösster  Annäherung  der  Objecte  nur  mit 
den  seitlichen  Partien  der  Netzhaut  sah,  und  weder  Concavgläser  noch  feine  Kartenblatt- 
öffnungen  das  diiecte  Sehen  mit  der  Macula  lutea  ermöglichten.  Ich  hatte  ihr  desshalb 
auch  in  den  letzten  3  Jahren  das  Tragen  von  Augengläsern  gänzlich  untersagt,  obwohl 
sie  dadurch  in  einen  Zustand  von  Unthätigkeit  versetzt  war,  der  ihrem  regen  Geiste 
grosse  Opfer  kostete.  Während  der  Krankheit,  der  sie  nach  anderthalbjährigem  Leiden 
unterlag,  hatte  sich  der  Zustand  ihrer  Augen  —  mit  Ausnahme  der  centralen  Lähmung 
am  linken  Auge  —  merklich  gebessert,  indem  sie  namentlich  nicht  mehr  so  sehr  von 
feurigen  und  farbigen  Erscheinungen  und  von  zeitweiligem  Halbsehen  geplagt  wurde, 
eine  Besserung,    die  ich   dem  Umstände    zuzuschreiben   geneigt   bin,    dass   die   Patientin 


238  Augenmuskeln. 

sich  jetzt  auch  des  Schreibens,  Strickens  u.  dgl.  beinahe  gänzlich  enthalten  rnusste. 
Ich  will  noch  hinzufügen,  dass  A.  F.  in  ihren  Kinderjahren  gleich  ihren  3  Geschwistern 
sich  eines  normalen  Gesichtes  erfreut  hatte,  und  dass  von  diesen  nur  ein  Bruder  (Med. 
Doctor)  kurzsichtig  ist.  Soll  ich  nun  meine  Ansicht  über  diesen  Fall  abgeben,  so  lautet 
sie  dahin,  dass  A.  F.  nicht  desshalb  kurzsichtig  wurde,  weil  Chorioiditis  in  der  Gegend 
des  hintern  Poles  stattgefunden  hatte,  sondern  dass  in  ihren  Augen,  nachdem  sie  in 
höherem  und  höchstem  Grade  kurzsichtig  geworden  waren,  partielle  Chorioiditis,  an  der 
Macula  lutea  zuletzt  auch  Retinitis  aufgetreten  ist,  höchst  wahrscheinlich  bedingt  durch 
zeitweilig  auftretende  kleine  Apoplexien,  welche  ihren  Grund  entweder  darin  fanden, 
dass  bei  der  starken  Rückwärtsdrängung  der  hintern  Wandung  der  Rückfluss  durch  die 
hintern  Ciliarvenen  behindert  war,  oder  darin,  dass  nach  Momenten  stärkerer  Ausdeh- 
nung der  aller  Elasticität  verlustigen  hintern  Wandung  ein  Moment  eintrat,  wo  die 
Gefässe  der  Chorioidea  und  Retina  unter  geringerem  Drucke  standen.  Nachzutragen  habe 
ich  noch,  dass  der  Glaskörper  ohngefähr  in  seiner  hintern  Hälfte  verflüssigt  war,  und 
zwar  in  beiden  Augen,  und  dass  die  Kranke  sich  häufig  nicht  bloss  über  fliegende 
Mücken,  die  sie  nie  verliessen,  sondern  auch  —  wenigstens  in  den  letzten  Jahren  —  über 
dunkle  und  feurige  Scotome  beklagt  hatte. 

Ich  sehe  demnach  in  den  genannten  4  Fällen  ein  und  dasselbe  Grundleiden,  nur 
in  sehr  verschiedenem  Grade  ausgesprochen,  und  diess  ist  ein  Grund  mehr,  der  mich 
bestimmt,  das  Vorhandensein  von  Veränderungen  in  der  Chorioidea  und  Retina  nicht  als 
das  primäre,  sondern  nur  als  etwas  zu  den  höchsten  Graden  von  Kurzsichtigkeit  zufällig, 
nicht  noth wendig  Hinzutretendes  zu  betrachten.  Ich  habe  in  der  Zeit  von  10  Jahren 
an  vielen  Augen  zufällig  (in  der  Leichenkammer)  Ausbuchtungen  der  hintern  Wandung 
gefunden,  ihre  Bedeutung  aber  viele  Jahre  nicht  gekannt.  Unter  den  Präparaten,  wel- 
che ich  als  Staphyloma  posticum  Scarpae  aufbewahre ,  finden  sich  mehrere  mit  centra- 
len Hornhautnarben ,  eines  auch  mit  Centralkapselstaar  grösserer  Ausdehnung  (Pyrami- 
denstaar).  Bei  einem  der  ersten  dieser  Präparate  *)  war  ich  geneigt,  den  nächsten  Grund 
dieser  Ausbuchtung  in  sensilem  Schwunde  der  Sclera  zu  suchen ,  weil  der  Zufall  mich 
diesen  Befund  gerade  bei  sehr  alten  Individuen  hatte  finden  lassen.  Später  aber,  als  ich 
ihn  mehrmals  mit  centralen  Trübungen  der  durchsichtigen  Medien  und  auch  bei  jüngeren 
Individuen  gefunden  hatte ,  musste  an  einen  Zusammenhang  dieser  Momente  gedacht 
werden,  und  jetzt,  wo  ich  das  Staphyloma  posticum  in  verschiedenem  Grade  bei  erwie- 
senermassen  Kurzsichtigen  gesehen  habe ,  bleibt  nichts  übrig,  als  anzunehmen,  dass  jene 
centralen  Trübungen  zu  Kurzsichtigkeit  führten ,  und  somit  dasselbe  bewirkten ,  was  an 
andern  Augen  einfach  durch  unzweckmässige  Anwendung  der  Augen  in  der  Jugend  zu 
Stande  gebracht  worden  war. 

Wir  können  nun  noch  ein  objeetives  Merkmal  der  Kurzsichtigkeit  aufstellen,  doch 
nur  für  die  höhern  und  höchsten  Grade.  Es  ist  diess  die  Rareficirung  der  Chorioidea 
und  ihres  Pigmentes  in  der  Gegend  des  hintern  Poles,  welche  sich  mit  dem  Augenspie- 
gel nachweisen  lässt.  Solche  Augen  lassen  sich  bequem  im  umgekehrten  Bilde  ohne 
Hilfe  eines  Convexglases  in  der  Distanz  von  12 — 8  Zoll  untersuchen.  Man  kann  diese 
Veränderungen  des  Augengrundes  auch  an  Augen  finden ,  welche  —  abgesehen  von  der 
Kurzsichtigkeit  —  ein  ganz  gutes  Gesicht  besitzen. 

Ätiologie.  Die  Kurzsichtigkeit  ist  bekanntlich  in  civilisirten  Län- 
dern eine  sehr  häufige  Erscheinung,  und  auch  da  unter  gewissen  Stän- 

*)  Prager  medic.  Vierteljahrschrift  1847.    Bd.  II.    S.  58. 


Kiirzsichtigkeit  —  Ätiologie.  239 

den  ungleich  häufiger,  als  unter  andern.  *)  Sie  kommt  unstreitig  am 
häutigsten  bei  jenen  Individuen  vor,  welche  im  Knaben-  oder  selbst 
schon  im  Kindesalter  anhaltend  oder  vorwaltend  mit  der  Betrachtung 
feiner  Objecte  (Lesen,  Schreiben,  Zeichnen,  Sticken,  Nähen  u.  dgl.) 
beschäftigt  wurden,  und  tritt  meistens  erst  um  das  12. — 16.  Jahr  herum 
so  deutlich  in  die  Erscheinung,  dass  sie  bemerkt  wird.  Vor  dem  7.  Jahre 
habe  ich  noch  keinen  Fall  reiner  Kurzsichtigkeit  zu  beobachten  Ge- 
legenheit gehabt,  gleich  wie  mir  nur  selten  ein  Fall  von  Kurzsichtig- 
keit höheren  Grades  vorgekommen  ist,  welche  sich  in  Augen  entwickelt 
hatte,  wo  sie  nicht  schon  vor  dem  Eintritte  der  Pubertät  in  einem  ge- 
wissen Grade  bestanden  hatte.  Manche  betrachten  ihre  Kurzsichtigkeit 
als  erblich,  weil  Eltern  oder  Geschwister  gleichfalls  kurzsichtig  waren, 
oder  weil  sie  ihr  Übel  schon  zur  Zeit  des  ersten  Schulbesuches  bemerkt 
haben  wollen.  Mir  fehlen  hierüber  verlässliche  Beobachtungen.  Wenn 
übrigens  bei  Kindern  kurz-  oder  schwachsichtiger  Eltern  Kurzsichtig- 
keit auftritt,  so  ist  wohl  auch  au  unwillkürliches  Nachahmen  der  Ma- 
nieren der  Eltern  zu  denken,  und  wenn  Kurzsichtigkeit  bei  mehreren 
Geschwistern  vorkommt,  so  wird  noch  untersucht  werden  müssen,  ob 
nicht  alle  eben  solchen  Verhältnissen  bei  der  Erziehung  ausgesetzt 
waren,  von  denen  es  erwiesen  ist,  dass  sie  Kurzsichtigkeit  herbeizu- 
führen vermögen.  Wir  wollen  demnach  Erblichkeit  der  Kurzsichtigkeit 
oder  doch  eine  gewisse  Disposition  hiezu  nicht  gerade  in  Abrede  stel- 
len, glauben  jedoch,  dass  Fälle,  wo  es  den  Anschein  dazu  hat,  mit 
grosser  Vorsicht  aufzunehmen  sein  werden.  Das  jugendliche  Alter  bietet 
in  der  Weichheit  und  Dehnbarkeit  der  Sclerotica  an  sich  schon  die 
hinreichende  Disposition  zu  diesem  Zustande,  der  sich  im  Mannesalter, 
wenn  das  Auge  bis  dahin  völlig  frei  geblieben,  nur  nach  ganz  beson- 
deren Veranlassungen  entwickeln  kann.  Ich  habe  von  einigen  Collegen 
die  Klage  gehört,  dass  sie,  obwohl  sie  sich  noch  in  den  zwanziger 
Jahren  des  besten  Gesichtes  für  nah  und  fern  erfreut  hatten,  später 
durch  anhaltende  Studien,  besonders  aber  durch  Arbeiten  mit  der  Loupe 
oder  mit  dem  Mikroskope  kurzsichtig  geworden  seien,  indem  sie  bei 
weitem  nicht  mehr  in  so  grosse  Ferne  deutlich  sähen,  wie  vordem. 
Wenn  ich  aber  den  Eefractionszustand  untersuchte ,  so  zeigte  sick's, 
dass  keine  Kurzsichtigkeit  eingetreten  war,  sondern  nur  Abnahme  der 
Schärfe   des  Gesichtes  für  grössere  Distanzen,  dass  sogar  der  Nahe- 


*)  Furnari  (Ann.  d'Oculist.  T.  X.  p.  145)  fand  bei  den  Kabylen  fast  durchaus  grosse,  hervorragende 
Augen,  doch  keine  Kurzsichtigen.  Er  fand  die  Pupille  bei  diesen  Völkerschaften  relativ  enge  und 
die  Iris  vorwärts  gewölbt,  daher  die  vordere  Kammer  kleiner,  Iris  und  Cornea  haben  einen  kleinern 
Umfang  als  bei  den  Europäern. 


240  Augenmuskeln. 

punkt  nicht  mehr  5,  sondern  6  Zoll  und  darüber  vor  der  Hornhaut  lag. 
Bei  vernachlässigter  Übung  im  Fernsehen  kann  die  Schärfe  des  Ge- 
sichtes in  dieser  Richtung  sehr  bedeutend  abgenommen  haben,  obwohl 
das  Auge  fernsichtig  geworden  ist.  —  Die  grössere  Zahl  der  Kurz- 
sichtigen gehört  dem  männlichen  Geschlechte  an,  was  sich  aus  den 
(später  angeführten)  äussern  Veranlassungen  erklärt.  Oft  ist  nur  das  eine 
Auge  kurz-,  das  andere  normal-  oder  weitsichtig;  sind  beide  Augen 
kurzsichtig,  so  sind  sie  es  selten  in  ganz  gleichem  Grade. 

Anhaltende,  oder  oft,  lange  und  in  kurzen  Zwischenräumen  wieder- 
kehrende Accommodation  (Anstrengung  zum  Erkennen  naher  kleiner 
Objecte)  und  jugendliches  Alter  sind  die  Factoren  der  Kurzsichtigkeit. 
Die  Veranlassungen  hiezu  sind  mannigfaltig  und  theils  in,  theils  ausser 
dem  Auge  gelegen.  Zu  den  ersteren  gehören:  centrale  Trübungen  der 
durchsichtigen  Medien  und  angeborene  oder  erworbene  geringere  Ener- 
gie der  Netzhaut ,  zu  den  letzteren :  übermässiges  Beschäftigen  mit 
kleinen  Objecten,  unzeitiger  und  unzweckmässiger  Gebrauch  von  Bril- 
len, Loupen,  Mikroskopen,  unzureichende  Beleuchtung,  zu  grosse  An- 
näherung der  Objecte  u.  dgl.  —  Centrale  Hornhaut-  oder  Linsentrübun- 
gen geben  Veranlassung  zur  Kurzsichtigkeit,  wenn  sie  —  ohne  Rücksicht 
auf  Ausdehnung  und  Begrenzung  —  halbdurchsichtig  oder  stark  durch- 
scheinend sind,  oder  aber  wenn  sie  völlig  oder  nahezu  undurchsichtig, 
dabei  jedoch  kleiner  als  die  Pupille  sind.  Im  letztern  Falle  benehmen 
sie  nicht  nur  eine  Quantität  Licht,  sondern  verkürzen  auch  durch  Aus- 
schluss der  Achsen  und  nächst  gelegenen  Strahlen  die  Brennweite  des 
Auges,  und  machen  aus  diesen  Gründen  ein  stärkeres  Annähern  aller 
Gesichtsobjecte,  mithin  Forcirung  der  Accommodationsorgane  notwen- 
dig; im  ersteren  Falle  wirken  sie  theils  durch  Abhaltung  von  Licht- 
strahlen auf  die  Helligkeit  des  Netzhautbildes,  theils  durch  Zerstreuung 
eines  Theiles  der  durchgelassenen  Strahlen  (Diffusion)  auf  die  scharfe 
Begrenzung  desselben  beeinträchtigend,  und  laden  hiedurch  zu  stärkerer 
Annäherung  der  feinern  Gesichtsobjecte  ein.  Sind  beide  Hornhäute  ge- 
trübt, so  können  beide  Augen  den  Refractionszustand  und  die  Merkmale 
kurzsichtiger  Augen  acquiriren,  sobald  das  betreffende  Individuum  noch 
jung  ist  und  einem  oder  dem  andern  der  äussern  Veranlassungsmomente 
ausgesetzt  wird;  ist  nur  das  eine  Auge  getrübt,  oder  das  eine  wenig, 
das  andere  mehr,  so  wird,  wenn  überhaupt  Kurzsichtigkeit  eintritt,  ge- 
wöhnlich das  reine  oder  weniger  getrübte  kurzsichtig,  und  das  andere, 
falls  nicht  etwa  Schielen  oder  einfache  Vernachlässigung  desselben 
(Abstrahiren  von  seiner  Erregung)  erfolgt,  wird  nur  für  mittlere  und 
grössere  Distanzen  benützt.    Doch  können  in  Fällen  monolateraler  Trü- 


Kurzsiehtigkeit  —  Verlauf  —  Folgen.  241 

bung  auch  beide  Augen  kurzsichtig-  werden.  Man  mag  sich  diess  er- 
klären, wie  man  will,  das  Factum  ist  richtig:  ich  habe  es  —  Anfangs 
zu  meiner  Verwunderung  —  oft  genug  beobachtet.  Ich  will  jedoch 
nicht  behaupten,  dass,  wenn  ich  das  maculöse  Auge  presbyopisch,  das 
kurzsichtige  dagegen  rein  fand,  dieses  letztere  auch  zur  Zeit  der  Ent- 
wicklung der  Kurzsichtigkeit  von  jeder  Trübung  frei  gewesen  sei,  da 
bekanntlich  nicht  gar  tief  greifende  Hornhautnarben  bei  jugendlichen 
Individuen  bisweilen  von  selbst  spurlos  verschwinden.  —  Unter  den 
äussern  Veranlassungen  ist  wohl  übermässige  Beschäftigung  mit  Lesen, 
Schreiben  u.  dgl.  in  früher  Jugend  die  häufigste,  zumal  wenn  die  Kin- 
der dazwischen  wenig  ins  Freie  kommen.  Viele  bringen  die  Gesichts- 
objecte,  z.  B.  das  Papier,  näher,  als  zum  Deutlichsehen  nothwendig  ist, 
entweder  einfach,  weil  sie  es  bei  Andern  so  sahen,  weil  sie  gleich  beim 
ersten  Unterrichte  nicht  an  die  zweckmässigste  Distanz  (10 — 12")  ge- 
wöhnt wurden,  weil  sie  schon  von  der  Beschäftigung  mit  feinen  Spiel- 
sachen in  den  Kinderjahren  an  zu  starke  Annäherung  der  Objecte  ge- 
wohnt sind,  oder  desshalb,  weil  sie  dazu  genöthigt  sind:  durch  die 
relativ  zu  grosse  Höhe  des  Tisches,  durch  zu  geringe  Beleuchtung  der 
Objecte  (in  dunklen  Lehrsälen,  bei  unzulänglichem  künstlichen  Lichte), 
blasse  Tinte,  schlechte  Druckerschwärze,  zu  kleine  oder  zu  eng  an  ein- 
ander gedrängte  Buchstaben,  zu  fein  geschnittene  Federn,  zu  wenig 
lichtes  Papier,  oder  durch  bereits  eingetretene  Ermüdung  des  Auges  und 
momentane  Schwächung  der  Sehkraft  wegen  bereits  zu  lange  fortge- 
setzter monotoner  Beschäftigung  (ohne  Abwechslung,  ohne  gehörige 
Pausen).  Gesunkene  Energie  der  Netzhaut  scheint  auch  die  Ursache  zu 
sein,  dass  sich  die  Kurzsichtigkeit  —  auch  ohne  vorausgegangene  Ent- 
zündung an  den  Augen  —  nach  Scharlach,  Masern,  Blattern,  Typhus 
u.  dgl.  leicht  entwickelt,  wenn  die  Kinder  noch  vor  völliger  Erholung 
zu  angestrengtem  Betrachten  naher  Objecte  zugelassen  oder  angehalten 
werden.  Hier  tritt  indess,  wie  wir  später  sehen  werden,  häufiger  Augen- 
mattigkeit ein. 

Dass  wiederholte  und  anhaltende  Beschäftigung  mit  dem  Mikroskope 
oder  mit  Loupen  temporär  oder  bleibend  zu  Kurzsichtigkeit  führt  oder  die 
schon  vorhandene  mehr  weniger  steigert,  ist  Thatsache  der  Beobachtung. 
Dasselbe  gilt  vom  unzeitigen  oder  unzweckmässigen  Gebrauche  concaver 
Brillen.  Auf  welche  Weise  diess  geschehe,  werden  wir  weiter  unten  bei 
Besprechung  des  Brillengebrauches  erörtern. 

Verlauf,  Folgen.  Die  Kurzsichtigkeit  entwickelt  sich  wahrschein- 
lich immer  nur  allmälig  und  stufenweise  bis  zu  einem  gewissen  Grade, 
wie  er  eben  durch  die  genannten  ätiologischen  Momente  bedingt  wird. 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  16 


242  Augenmuskeln. 

Dass  Congestionen  zum  Kopfe  und  zu  den  Augen  die  Entwicklung  be- 
günstigen oder  gar  herbeiführen  sollten,  halte  ich  für  eben  so  wenig" 
erwiesen,  als  Ruete's  Annahme,  dass  ein  Krampf  im  Ciliarnervensysteine 
plötzlich  oder  periodisch  Kurzsichtigkeit  bewirken  könne.  Die  Hyperämie, 
die  sich  namentlich  während  der  Entwicklung  und  des  Fortschrittes 
der  Kurzsichtigkeit  in  den  Conjunctivae  und  Subconjunctivalgefässen 
zeigt,  ist  das  Consecutive  und  Begleitende,  nicht  aber  Theilerscheinung: 
einer  als  Ursache  supponirten  Congestion.  —  Wo  die  genannten  ur- 
sächlichen Momente  vermieden  werden  können,  macht  das  Übel  weiter 
keine  Fortschritte,  und  die  Kurzsichtigkeit  gehört  unter  dieser  Be- 
dingung durchaus  nicht  zu  den  Übeln,  welche  schlimme  Folgen  für  das 
Sehvermögen  in  sich  einschliessen.  Eine  Ausnahme  machen  vielleicht 
nur  die  höhern  und  höchsten  Grade,  und  das  in  der  Eegel  nur  im 
höhern  Alter  oder  bei  irrationellem  Gebahren.  Was  man  den  kurzsich- 
tigen Augen  allgemein  nachrühmt,  dass  sie  bei  angestrengten  feinen 
Arbeiten  ungewöhnlich  lange  ausdauern  und  Erstaunliches  leisten,  ist 
für  niedere,  mittlere  und  selbst  höhere  Grade  nach  meinen  Beobach- 
tungen vollkommen  richtig.  Sie  verfallen  in  spätem  Jahren  weder  der 
Weitsichtigkeit  noch  —  bei  gleicher  Anstrengung  —  der  Augenmattig- 
keit (Kopiopie).  —  Niedere  und  selbst  mittlere  Grade  verlieren  oder 
vermindern  sich  bisweilen  bei  vernünftigem  Gebrauche  der  Augen  in 
den  Jahren,  wo  das  normale  Auge  für  sehr  nahe,  Distanzen  mehr  we- 
niger zu  verlieren  pflegt  (nach  dem  40.  Jahre).  Höhere  Grade  bleiben 
stationär  oder  nehmen  um  diese  Zeit  selbst  etwas  zu.  Bei  den  höchsten 
Graden  tritt  bisweilen  centrale  Netzhautaniblyopie  hinzu,  leidet  über- 
haupt das  Sehvermögen  leicht  durch  Glaskörper- Verflüssigung  und  Opa- 
citäten,  durch  Pigmentabnahme  in  der  Gegend  des  hintern  Poles  (Blen- 
dung, Lichtscheu)  und  selbst  durch  mehr  weniger  ausgedehnte  Netz- 
haut- und  Chorioidealapoplexien. 

Behandlung.  Von  Heilung  der  Kurzsichtigkeit  kann  mit  Berücksich- 
tigung aller  Umstände,  der  Veränderungen  im  Auge  und  der  Verhältnisse 
der  betreffenden  Individuen,  nur  in  sehr  beschränktem  Masse  die  Rede 
sein.  Bei  minderen  und  selbst  vielleicht  auch  noch  bei  mittlem  nicht 
inveterirten  Graden  Hesse  sich  wohl  vom  theoretischen  Standpunkte  aus 
eine  Retablirung  der  normalen  Form  erwarten,  an  welche  bei  höhern 
Graden  gar  nicht  zu  denken  ist;  allein  man  wird  in  der  Wirklichkeit 
wohl  selten  ein  Individuum  finden,  welches  die  nöthige  Zeit,  Geduld 
und  Ausdauer  hätte,  das  hiezu  Nöthige  zu  unternehmen.  Zur  Durch- 
schneidung eines  oder  mehrerer  Muskeln,  welche  übrigens  schon  a  priori 
manches  Bedenken  gegen  sich  hat,  wird  sich  wohl  kaum  Jemand  ent- 


Kurzsichtigkeit  —  Behandlung  —  Concavbrillen.  243 

schliessen,  der  nicht  in  sehr  hohem  Grade  kurzsichtig  ist,  und  in  letz- 
terem Falle  kann  sie  offenbar  wenig  oder  nichts  leisten.  Das  länger 
fortgesetzte  Aufbinden  eines  mit  Eisenfeilspänen  gefüllten  Säckchens 
auf  das  Auge  bei  Rückenlage  des  Kranken  hat  mir  in  einem  Falle  von 
Keratokonus,  trotzdem  ich  die  Cur  durch  oft  und  in  kurzen  Zwischen- 
räumen wiederholte  Entleerung  des  Kammerwassers  zu  unterstützen 
bemüht  war,  nicht  den  geringsten  Dienst  geleistet,  daher  ich  schon 
vermöge  der  Analogie  von  einem  ähnlichen  Verfahren  bei  Kurzsichtig- 
keit nichts  erwarte.  Das  von  Berthold  in  Göttingen  vorgeschlagene 
Myopodiorthoticon  —  berechnet  auf  successive  Weiterrückung  des  Buches 
beim  Lesen  —  scheint  Andern  eben  so  wenig  genützt  zu  haben,  wie 
mir  bei  einigen  mit  hinreichender  Beharrlichkeit  fortgesetzten  Ver- 
suchen ,  denn  man  hat  seit  der  Bekanntgebung  desselben  weiter  nichts 
davon  gehört.  Kurzsichtige  entsprechende  Convexgläser  tragen  zu  las- 
sen, was  ebenfalls  empfohlen  worden  ist,  habe  ich  noch  nicht  versucht. 
Von  länger  fortgesetzter,  jedoch  massiger  Anwendung  des  Atropinum 
sulfnrieum  (etwa  1  Gran  auf  1  Drachme  Fett,  täglich  2 — 3mal  erbsen- 
gross  an  die  Stirn  eingerieben)  stünde  allerdings  ein  Erfolg  wenigstens 
gegen  das  Fortschreiten  des  Übels  bei  sonst  zweckmässigem  Verhalten 
zu  erwarten,  falls  sich  die  Angabe  A.  v.  Gräfe 's  weiter  bestätigen  sollte, 
dass  dieses  Mittel  nicht  bloss  auf  die  in,  sondern  auch  auf  die  ausser 
dem  Bulbus  gelegenen  Muskeln  erschlaffend  einwirkt.  Ein  Nachtheil 
steht  davon  nicht  zu  besorgen,  da  ich  dieses  Mittel  in  der  angegebenen 
Art  wegen  beginnender  Cataracta  bei  einigen  Individuen  ohne  allen 
Xachtbeil  durch  2—3  Jahre  angewendet  habe.  Ich  gedenke  die  Ver- 
suche bei  Kurzsichtigkeit  vorzunehmen,  sobald  mir  dazu  geeignete  In- 
dividuen vorkommen. 

Können  wir  auch  die  Kurzsichtigkeit  nicht  heilen,  so  können  wir 
doch  —  wie  wir  bereits  gethan  —  auf  jene  Umstände  aufmerksam 
machen,  durch  deren  Vermeidung  sich  das  Entstehen  und  Fortschreiten 
dieses  Übels  verhindern  lässt,  und  es  erübrigt  nur  noch,  jenes  Mittel, 
welches  gewissermassen  zur  Unschädlichmachung  dieses  Übels  ange- 
wendet wird,  die  Concavbrillen  und  ihr  Verhältniss  zum  Auge  einer 
nähern  Betrachtung  zu  unterwerfen. 

Die  Erfindung  der  Brillen  ist  unstreitig  eine  der  folgenreichsten  und  wohlthätigsten, 
die  je  gemacht  worden  sind.  Der  gelehrte  Franziskanermönch  Roger  Bdcon  (geb.  1214), 
der  die  Verwendung  convexer  Linsen  als  Yergrösserungsgläser  zuerst  einführte,  scheint 
auch  die  Wirkung  der  concaven  und  convesen  Gläser  als  Brillen  bereits  gekannt  zu 
haben,  obwohl  man  ihre  Erfindung  gewöhnlich  dem  Mönche  Alex,  de  Spina  zu  Pisa  zu- 
schreibt, welcher  1313  starb,  und  auf  einer  Grabschrift  in  Florenz  der  Edelmann  Sal- 
viano  degli  Armati  Igest.  1317)  als  Erfinder  der  Brillen  genannt  wird.    Um  dieselbe  Zeit 

16* 


244  Augenmuskeln. 

sollen  jedoch  die  Berylle  (Brillen)  in  Flandern  schon  längst  im  Gebrauche  gewesen  sein.*) 
Sie  blieben  aber  mehrere  Jahrhunderte  lang  der  Gegenstand  der  Bewunderung,  bis 
Kepler  (1604)  ihre  Wirkungsweise  untersuchte,  und  darüber  Aufschluss  gab.  „Kepler'n 
war  von  seinem  Patron  Dietrichstein  die  Frage  vorgelegt  worden,  auf  welche  Weise 
Brillen  das  Sehen  unterstützen.  Die  erste  Antwort,  welche  er  gab,  lief  darauf  hinaus, 
der  Nutzen  der  convexen  Gläser  bestehe  darin,  dass  sie  die  Gegenstände  grösser  er- 
scheinen Hessen.  Aber  sein  Patron  bemerkte  ihm  dagegen,  wenn  die  Gegenstände  mit 
Hilfe  dieser  Gläser  deutlicher  gesehen  werden  in  Folge  der  Vergrösserung,  so  könnten 
concave  Gläser  keinen  Nutzen  bringen ,  indem  sie  die  Gegenstände  verkleinerten.  Die 
aulfallende  Ähnlichkeit  zwischen  Versuchen  mit  der  Camera  obscura  und  der  Art,  wie 
das  Sehen  im  Auge  vermittelt  wird,  ist  von  Baptista  Porta  hervorgehoben  worden,  wel- 
cher die  Pupille  dem  Loch  im  Fensterladen  verglich,  aber  in  den  Irrthum  verfiel,  anzu- 
nehmen, dass  die  Krystalllinse  der  Wand  entspreche,  auf  welche  die  Bilder  fallen.  In 
den  Paralipomena  ad  Vitellionem  zeigte  nun  Kepler,  dass  diese  Function  von  der  Eetina 
ausgeübt  wird,  und  gab  zuerst  eine  deutliche  Erklärung  von  der  Wirkung  der  Linsen, 
sowohl  innerhalb  als  ausserhalb  des  Auges,  dass  sie  nämlich  die  Strahlen  von  einem 
Lichtbüschel  convergirend  oder  divergirend  machen.  Er  erklärte  jetzt,  dass  convexe  Gläser 
dem  Sehvermögen  fernsichtiger  Personen  zu  Hilfe  kommen,  indem  sie  die  Richtungen 
divergirender  Strahlen  von  einem  nahen  Gegenstande  so  verändern,  dass  sie  nachher  auf 
das  Auge  so  fallen  müssen ,  als  ob  sie  von  einem  entfernten  Gegenstande  ausgegangen 
seien,  und  dass  concave  Gläser  den  Kurzsichtigen  unterstützen,  indem  sie  eine  entgegen- 
gesetzte Wirkung  auf  Strahlen  hervorbringen,  welche  von  einem  entfernten  Gegenstande 
kommen."  (Makenzie  1.  c.  S.  700.) 

Ein  Concavglas,  5—6"'  vor  der  Hornhaut  angebracht,  bildet  mit 
der  Sammellinse  des  Auges  eine  Combination,  deren  optischer  Mittel- 
punkt weiter  hinter  der  Cornea,  also  näher  gegen  die  Eetina  hin  liegt. 
Wenn  also  die  von  einem  Objectp unkte  ausgehenden  Strahlen  vermöge 
relativ  zu  grosser  Objectdistanz  sich  schon  vor  der  Netzhaut  vereinigen 
müssten,  so  vereinigen  sie  sich,  falls  das  Concavglas  entsprechend  ge- 
wählt ist,  bei  dieser  Combination  auf  (in)  der  Netzhaut.  Die  Concav- 
gläser  nutzen  also,  indem  sie  die  zu  wenig1  divergent  zum  Auge  ge- 
langenden Strahlen  jedes  Lichtkegels  so  stark  divergent  machen 
(zerstreuen) ,  dass  dieselben  dann  durch  die  Medien  des  Auges  in  der 
zum  Deutlichsehen  nöthigen  Concentration"  gerade  auf  oder  in  der  Netz- 
haut vereinigt  werden.  Je  näher  demnach  das  zu  sehende  Object  liegt, 
d.  h.  je  mehr  divergent  die  von  ihm  ausfahrenden  Strahlenkegel  auf 
die  Hornhaut  gelangen,  desto  schwächer  muss  das  Concavglas,  desto 
länger  seine  (negative)  Brennweite  sein,  und  denken  wir  uns  ein  kurz- 
sichtiges Auge  aller  accommodativen  Thätigkeit  verlustig,  so  muss  das- 
selbe successiv  mit  Gläsern  verschiedener  Brennweite  bewaffnet  werden, 

*)  Nach  Ceesemaeker  (C'unier  annal.  d'ooulist.  T.  XVII.  Sptbr.  1S46)  war  Bdcon  in  der  belgischen  Land- 
schaft Wallonien  zu  Amin  geboren,  und  kannte  die  in  seinem  Vaterlande  gemachte  Erfindung  der 
Brillen  wahrscheinlich  schon  vor  seiner  Versetzung  an  die  Universität  zu  Oxford;  gewiss  ist,  dass 
er  das  Glas  zu  seinen  optischen  Instrumenten  aus  Belgien  nach  England  bezog. 


Kurzsichtigkeit  —  Concavbrillen.  245 

wenn  die  Bilder  verschieden  entfernter  Objecte  auf  seiner  Netzhaut 
scharf  abgebildet  werden  sollen.  Indem  aber  diese  Combination  ge- 
stattet, die  Vereinigungsweite  durch  verschieden  starke  Gläser  beliebig 
—  bis  zu  gewissen  Grenzen  —  abzuändern,  kann  auch  die  Thätigkeit 
der  hiezu  bestimmten  Accommodationsorgane  leicht  mehr  weniger  be- 
schränkt werden,  und  rnuss  es  um  so  mehr,  je  stärker  die  Concav- 
gläser  sind,  je  weiter  rückwärts  die  Vereinigungsweite  durch  dieselben 
bereits  verrückt  ist.  —  Nach  dem  eben  Gesagten  wird  es  nicht  schwer 
sein,  einzusehen,  auf  welche  Weise  Concavbrillen  leicht  ein  normales 
Auge,  das  sich  ihrer  häufig  bedient,  kurzsichtig,  und  ein  kurzsichtiges, 
das  dieselben  für  relativ  zu  nahe  Distanzen  benützt  (relativ  zu  scharfe 
Gläser  trägt),  noch  mehr  kurzsichtig  machen  müssen,  mindestens  können. 
Jede  solche  Brille  rückt  nothwendig  nicht  nur  den  Fern-,  sondern  auch 
den  Nahepunkt  weiter  vom  Auge.  Soll  nun  dieses  mit  der  Brille  noch 
in  eben  solcher  Nähe  deutlich  sehen,  wie  ohne  dieselbe,  so  müssen  die 
Accommodationsorgane  in  erhöhte  Thätigkeit  gesetzt  werden,  mithin 
eben  so  wie  bei  angestrengtem  Sehen  in  die  Nähe  überhaupt  wirken.  — 
Ein  anderer,  noth wendiger,  jedoch  minder  erheblicher  Nachtheil  ist  der, 
dass  jede  Concavbrille  in  dem  Masse,  als  sie  zerstreut,  auch  weniger 
Lichtstrahlen  von  jedem  leuchtenden  Punkte  in's  Auge  gelangen  lässt, 
und  überdiess  noch  eine  gewisse  Menge  davon  durch  Reflexion  an  ihrer 
Oberfläche  versplittert.  Daher  sind  diejenigen,  welche  längere  Zeit  Con- 
cavbrillen getragen  haben,  nach  Ablegung  derselben  eine  Zeit  lang 
etwas  empfindlicher  gegen  denselben  Grad  von  Beleuchtung,  den  sie 
mit  den  Brillen  gut  vertrugen.  —  Ein  dritter  Übelstand,  dass  die  Ob- 
jecte verkleinert  gesehen  werden,  tritt  nur  dann  hervor,  wenn  die 
Brillen  zu  scharf  sind  oder  für  relativ  zu  geringe  Distanzen  gebraucht 
werden. 

Brillen  dürfen  im  Allgemeinen  nur  bei  einfacher  (nicht  complicir- 
ter)  Kurzsichtigkeit  getragen  werden.  Bei  Trübungen  in  den  durchsich- 
tigen Medien  ist  die  Lichtmenge  ohnehin  schon  beschränkt,  und  wird, 
wenn  noch  das  Tragen  von  Brillen  dazu  kommt,  die  Anstrengung  der 
Netzhaut  leicht  zu  einer  gefährlichen  Höhe  hinaufgeschraubt.  Ebenso 
ist  bei  sehr  hohen  Graden  von  Kurzsichtigkeit  (Fernpunkt  für  Lesen 
mittlem  Druckes  4"  oder  darunter)  das  Tragen  einigermassen  scharfer 
Gläser  um  so  gewagter,  je  mehr  bereits  die  Zeichen  von  Glaskörper- 
verfltissigung,  Netzhauthyperästhesie,  intraoculärer  Apoplexie  u.  dgl. 
ausgesprochen  sind,  und  kann  im  Allgemeinen  bloss  das  Tragen  einer 
relativ  zu  schwachen  Brille  gestattet  werden.  Bei  der  Frage,  ob  über- 
haupt eine  Brille  gebraucht  werden  soll,  wird  übrigens  noch  zu  erwägen 


246  Augenmuskeln. 

sein,  ob  die  Kurzsichtigkeit  nickt  erst  im  Entstehen  begriffen  ist,  ob 
eine  Retablirung  zum  normalen  Zustande  nicht  durch  Ruhe  des  Auges 
(Abänderung  der  Verhältnisse,  unter  denen  das  Übel  entstand)  noch 
erwartet  werden  könne,  ob  nicht  wenigstens  auf  Abnahme  des  durch 
übermässige  Anstrengung  in  jüngster  Zeit  gesteigerten  Übels  gerechnet 
werden  dürfe.  Denn  bei  geringen  Graden  ist  entweder  gar  keine  Brille 
oder  nur  zu  besondern  Zwecken  und  bloss  auf  die  Zeit  solcher  Zwecke 
zu  gestatten. 

Wie  stark  (von  welcher  Brennweite)  soll  die  Brille  sein?*)  Diess 
hängt  ab  von  dem  Grade  der  Kurzsichtigkeit  und  von  dem  Zwecke 
(der  Distanz,  in  welche  sie  tragen  soll).  Dass  hiebei  zugleich  auf  die 
Grösse  der  Objecte  und  auf  die  Beleuchtung  Rücksicht  zu  nehmen  sei, 
versteht  sich  gewissermassen  von  selbst.  In  einem  zu  dunkeln  Locale 
wird  man  eben  so  leicht  einen  Missgriff  begehen,  als  in  einem  zu  lich- 
ten, oder  unzweckmässig  (durch  Doppel-  oder  stark  reflectirtes  u.  dgl. 
Licht)  erhellten.  —  Der  Fernpunkt  des  deutlichen  Sehens  ist  der  Ruhe- 
punkt des  kurzsichtigen  Auges;  er  bezeichnet  den  in  dem  Baue  be- 
gründeten Refractionszustand  desselben,  der  eben  durch  die  Brille  cor- 
rigirt  werden  soll.  Man  kann  ihn  auf  verschiedene  Weise  ermitteln,  am 
einfachsten  und  im  Allgemeinen  mit  hinreichender  Schärfe  und  Ver- 
lässlichkeit  durch  Leseproben  mit  3/4 — 1'"  hoher  Druckschrift.  Man  gibt 
dem  Brillencandidaten  das  Buch  in  die  Hand,  lässt  ihn  dasselbe  so  weit 
von  den  Augen  halten,   als   es   ohne    merkliche  Beeinträchtigung  der 

*)  Die  Optiker  bezeichnen  heutzutage  die  Brillen  ziemlich  allgemein  nach  der  Brennweite  in  Zollen  (in 
Österreich  nach  dem  Wiener  Masse),  und  halten  von  Concavgläsern  die  Nummern  von  2"  bis  36" 
vorräthig.  Zwischen  2  und  7  findet  man  Abstufungen  zu  >/2>  selbst  zu  '/4  Zoll,  von  7 — 18  zu  1  Zoll, 
dann  20,  22,  24,  27,  30,  33,  36.  Die  letzteren  6  kommen  indessen  selten  in  Anwendung  (oder  doch 
nur  als  sogenannte  Conservationsbrillen  mehr  als  Luxus-  und  Modeartikel),  und  die  unter  4"  könn- 
ten füglich  gestrichen  werden.  Handelt  es  sich  um  die  Bestimmung  der  Brennweite  irgend  eines 
vorliegenden  Concavglases,  so  kann  man  dieselbe  annähernd  schätzen  nach  dem  Grade,  in  welchem 
es  Gegenstände  von  bestimmter  Entfernung  verkleinert  zeigt ;  man  kann  durch  Vergleichnng  mit 
concaven  Gläsern  von  bekannter  Brennweite  der  Wahrheit  sehr  nahe  kommen ;  die  nothwendige  Ge- 
nauigkeit lässt  sich  jedoch  nur  dadurch  erhalten,  wenn  man  das  Concavglas  an  ein  stärkeres  Convex- 
glas  von  bekannter  Brennweite  anlegt  und  nun  die  Brennweite  dieser  Combination  nach  der  bei 
Convexgläsern  üblichen  Methode  ermittelt,  was  jedoch  ziemlich  schwierig  und  umständlich  ist.  Am 
besten  ist,  man  hält  das  fragliche  Concavglas,  dessen  Brennweite  man  nach  dem  Grade  der  Ver- 
kleinerung beiläufig  ermittelt  hat,  an  ein  Convexglas  von  nahezu  derselben  Brennweite,  visirt  durch 
diese  Combination  nach  einer  fernen  Thurmspitze,  und  gibt  Acht,  ob  die  Thurmspitze  fest  an  demselben 
Orte  gesehen  wird,  wenn  man  die  Combination  leicht  vor  dem  Auge  hin-  und  herschiebt.  Gesetzt, 
man  hätte  aus  dem  Grade  der  Verkleinerung  ermessen ,  dass  die  Brennweite  nicht  stärker  als  7, 
nicht  schwächer  als  9  sei;  man  lege  nun  S  konvex  an  das  fragliche  Concavglas;  hat  diess  die  Brenn- 
weite von  8",  so  wird  die  visirte  Thurmspitze  sich  bei  raschem  Hin-  und  Herschieben  der  Combi- 
nation vor  dem  Auge  eben  so  wenig  bewegen,  als  wenn  man  ein  Planglas  zu  diesem  Experimente 
benützte.  Von  der  Richtigkeit  dieser  Angabe  kann  man  sich  überzeugen ,  wenn  man  ein  ganz 
schwach  coneaves  Glas,  das  gar  keine  Verkleinerung  mehr  wahrnehmen  lässt,  etwa  36  oder  48,  vor 
dem  Auge  hin  und  her  bewegt. 


Kurzsichtigkeit  —  Concavbrilleu.  247 

Deutlichkeit  und  ohne  Blinzeln  geschehen  kann,  und  misst  während  dem 
mit  einem  Zollstabe  die  Distanz  zwischen  Auge  und  Druck  (in  der  Rich- 
tung der  Sehachse).  —  Die  Distanz  des  Fernpunktes  multiplicirt  mit 
der  Distanz,  in  welcher  deutlich  gesehen  werden  soll,  und  dividirt  durch 
die  Differenz  derselben,  gibt  im  Allgemeinen  die  Brennweite  des  ge- 
suchten Glases.  Wenn  nun  ein  Kurzsichtiger  bis  auf  höchstens  5" 
Distanz  lesen  kann,  aber  bei  ungefähr  1 0"  Distanz  lesen  oder  eine  ähn- 
liche Beschäftigung  vornehmen  will,  so  braucht  er  hiezu  Nro.   1 0 ,  weil 

5.10 
-..     —  =10.     Soll  er  Noten  lesen,  also  etwa  bei  15",   so   braucht 
10—5 

5  15 
er  hiezu  Nro.  TVa,   weil  — ^ — =  7V2.  Für  die  Distanz  von  12  Fuss, 

10  ' 

1 2.  12.  5  720 

etwa  um  in  einem  Hörsäle  auf  die  Tafel  zu  sehen,  ist         '     '      =  — — 

=  5, IS".  Für  alle  grösseren  Distanzen  kann  dieser  Factor  =  00  an- 
gesehen werden,  gibt  mithin  die  Distanz  des  Fernpunktes  der  deut- 
lichen   Sehweite    auch    die    Brennweite     des    zu    wählenden    Glases 


(5. co 
X) — 5. 


Es  ist  jederzeit  gerathen,  die  Brille  um  einen  halben 


oder  ganzen,  und  wenn  überhaupt  nur  schwächere  Gläser  gefordert 
werden,  selbst  um  einige  Zoll  schwächer  zu  geben,  als  die  Rechnung 
ausweist,  weil  dann  der  Brillenträger  weniger  Gefahr  läuft,  sein  Auge 
kurzsichtiger  zu  machen,  wenn  er  das  Glas  auch  für  etwas  nähere 
Distanzen  benützt.  Gleichwie  ein  normales  Auge  durch  Übung  im  Fern- 
sehen eine  grössere  Schärfe  hierin  erlangen  kann  durch  die  Fertigkeit, 
von  Zerstreuungskreisen  zu  abstrahiren,  kann  auch  ein  kurzsichtiges 
Auge,  welches  diese  Fertigkeit  durch  NichtÜbung  eingebüsst  hat,  die- 
selbe wieder  allmälig  erlangen,  nachdem  ihm  die  Möglichkeit  hiezu 
durch  die  Coirection  seines  Refractionszustandes  wieder  gegeben  ist. 
Man  wird  demnach  auch  finden,  dass  bei  zweckmässigem  Gebrauche 
concaver  Brillen  die  Fähigkeit  entferntere  Objecte  zu  erkennen,  all- 
mälig erstarkt,  ohne  dass  die  Kurzsichtigkeit  abgenommen  hat,  und 
es  ist  somit  dem  Kurzsichtigen  überhaupt  und  dem  Brillenträger  ins- 
besondere zu  empfehlen,  sein  Auge  so  viel  als  möglich  im  Fernsehen. 
zu  üben. 

Sollen  die  Gläser,  welche  doch  eigentlich  nur  zur  Unterstützung 
-des  Auges  für  die  Ferne  bestimmt  sind,  beständig  getragen  oder  beim 
Nahesehen  abgelegt  werden?  Es  scheint  ganz  von  selbst  verständlich, 
dass  letzteres  der  Fall  sein  müsse.  Diess  ist  jedoch  nicht  allgemein  der 
Fall.    Ich  habe  über  -diesen  Punkt  die  Äusserungen  von  sehr  vielen 


24S  Augenmuskeln. 

Kurzsichtigen,  namentlich  auch  von  Ärzten,  denen  ich  eine  genaue 
Selbstbeobachtung  zutrauen  durfte,  eingeholt,  aber  durchaus  wider- 
sprechende Angaben  erhalten.  Die  Einen  behaupten,  dass  sie  das  be- 
ständige Tragen  der  Brillen  nicht  aushalten,  dass  sie  die  Brille,  auch 
wenn  sie  damit  lesen  können,  dennoch  ablegen  müssen,  um  einem  ge- 
wissen Gefühle  von  Angegriffensein  der  Augen  zu  entgehen,  und  dass 
sie  desshalb  dieselbe  nur  gerade  da  tragen,  wo  sie  ihnen  unentbehrlich 
oder  doch  bequem  ist.  Andere  nicht  minder  achtbare  Gewährsmänner 
versicherten  mich,  dass  sie  mit  ihrem  Gesichte  weit  besser  daran  seien, 
seit  sie  die  Brille  von  Früh  bis  Abends  continuirlich  tragen,  indem  sie 
nicht  nur  das  früher  beim  Wechseln  gefühlte  Missbehagen  verloren, 
sondern  auch  an  Ausdauer,  ja  selbst  an  Sehweite  gewonnen  haben.  Ich 
könnte  hier  Männer  von  bekannten  Namen  nennen.  Eine  Zeit  lang 
meinte  ich,  diess  könnte  nur  bei  schwachen  Gläsern  (über  Nro.  10  auf- 
wärts) der  Fall  sein,  doch  fand  ich  mehrere  darunter,  welche  stärkere 
Gläser,  selbst  bis  zu  Nro.  6  trugen.  Da  ich  keinen  Grund  kenne,  warum 
in  dem  einen  Falle  das  continuirliche,  in  dem  andern  das  unterbrochene 
Brillentragen  besser  ist,  so  kann  ich  auch  keinen  andern  Rath  geben, 
als  durch  Selbstbeobachtung  den  Modus  ausfindig  zu  machen,  der  in 
jedem  speciellen  Falle  dem  Auge  zuträglicher  ist.  Häufiger  Wechsel 
ist  jedenfalls  nicht  nur  unbequem  und  für  die  Accommodationsorgane, 
denen  immer  ein  anderer  Grad  von  Spannung  aufgedrungen  wird,  er- 
müdend, sondern  auch  für  die  Netzhaut,  die  bald  mehr  bald  weniger 
Licht  erhält,  nicht  ohne  allen  Nachtheil.  Wer  seine  Brillen  beständig- 
trägen  will,  nehme  die  Gläser  etwas  schwächer,  als  er  sie  für  die  Ferne 
eigentlich  braucht,  und  halte  dann  die  nahen  Objecte  (das  Buch  beim 
Lesen)  so  weit  als  möglich  entfernt.  Die  Fm?ik[m,seken  Brillen,  in  der 
obern  Hälfte  des  Rahmens  ein  stärkeres,  in  der  untern  ein  schwächeres 
Glas  enthaltend,  dürften  auch  nur  wenigen  Augen  zusagen,  daher  es 
wohl  kommt,  dass  sie  heutzutage  gar  nicht  mehr  gebräuchlich  sind. 
Häufiger  findet  man,  dass  Kurzsichtige  ziemlich  schmale  ovale  Brillen 
tragen,  und  behufs  des  Lesens  oder  Schreibens  über  oder  unter  dem 
Rahmen  wegsehen ,  wenn  sie  dazwischen  wieder  in  die  Ferne  zu 
blicken  haben.  Andere  halten,  wenn  sie  in  ungewöhnliche  Entfernun- 
gen sehen  wollen,  vor  die  Brille  noch  eine  Lorgnette  mit  minder  star- 
ken Gläsern. 

Eine  ebenso  schwierig  zu  entscheidende  Frage  ist  die,  ob  bei  ver- 
schiedenem Refractionszustande  beider  Augen  verschiedene  Gläser  ge- 
tragen werden  sollen.  Geringe  Differenzen  in  der  Lage  des  Fernpuuktes 
kommen  bei  den  meisten  Kurzsichtigen  vor.   Dass  diese  keine  differen- 


Kurzsichtigkeit  —  Concavbrillen.  249 

ten  Gläser  erfordern,  leuchtet  von  selbst  ein.  Dann  gibt  es  bekanntlich 
Leute,  die  sich  für  die  Nähe  des  einen,  für  die  Ferne  des  andern,  und 
für  mittlere  Distanzen  beider  Augen  bedienen.  Diese  brauchen  keine 
Gläser.  Wenn  aber  die  Differenz  in  der  Kurzsichtigkeit  mehrere  Zoll 
beträgt  (bei  hohen  Graden  von  Kurzsichtigkeit  kann  eine  Differenz  von 
1,  selbst  */a  Zoll  relativ  eben  so  beträchtlich  sein),  so  ist  es  der  Theorie 
angemessen,  Gläser  von  verschiedener  Brennweite  zu  geben.  Es  sind 
mir  aber  in  frühem  Jahren,  wo  ich  streng  nach  der  allgemein  gegebenen 
Kegel  verfuhr,  viele  Individuen  vorgekommen,  die  sich  mit  so  gewähl- 
ten Gläsern  durchaus  nicht  zurecht  finden  konnten,  und  ich  bin  daher 
bald  zu  dem  Verfahren  übergegangen,  dass  ich  für  beide  Augen  in  der 
Regel  gleiche  Nummern  gebe,  und  zwar  ohngefähr  dem  Mittel  ent- 
sprechend, wenn  die  Sehkraft  der  in  der  Sehweite  beträchtlich  differi- 
renden  Augen  ziemlich  gleich  ist,  bei  ungleicher  Sehkraft  dagegen  mich 
nach  dem  Refractionszustande  des  bessern  Auges  richte. 

Nicht  ohne  Einfluss,  wenn  gleich  minder  wichtig,  ist  die  Stellung- 
der  Gläser  vor  den  Augen,  ihre  Centrirung,  Grösse,  Form,  Reinheit 
u.  s.  w.  Ob  die  Gläser  biconcav  oder  convex-concav  (periskopiseh)  seien 
macht  bei  Kurzsichtigen  wenig  Unterschied,  wenn  sie  nur  aus  krystall- 
heller,  durchaus  homogener  Glasmasse,  nach  regelrechten  Kugelflächen 
und  so  geschliffen  sind,  dass  die  grösste  Wölbung  der  einen  Fläche 
der  grössten  Wölbung  der  andern  entspricht,  und  wenn  überdiess  die 
auf  diese  Weise  entstandene  dünnste  Stelle  des  Glases  relativ  zum 
Rande  gerade  in  der  Mitte  liegt  (Centrirung).  Letztere  Eigenschaft  kann 
auch  bei  ganz  guten  Gläsern  leicht  verloren  gehen,  wenn  beim  Ein- 
schleifen  (Anpassen  für  den  Rahmen)  an  einer  Seite  mehr  abgenommen 
wird,  als  an  der  andern.  Ist  auf  diesen  Umstand,  gegen  welchen  beim 
Einschleifen  in  ovale  Rahmen  viel  leichter  Verstössen  wird,  die  gehörige 
Rücksicht  genommen  wordeu,  dann  stehen  —  für  Kurzsichtige  —  die 
ovalen  Gläser  den  kreisrunden  an  Güte  nicht  nach,  nur  dürfen  sie  nicht 
gar  zu  klein  seinv  Nur  wenn  der  Kurzsichtige  die  Gläser  auch  zum 
Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  benutzen  will,  sind  runde,  oder  doch  hübsch 
gross  ovale  und  zugleich  periskopische  Gläser  vorzuziehen.  Auch  das 
beste  und  passendste  Glas  verstösst  gegen  seinen  Zweck,  das  Auge  so 
viel  als  möglich  ohne  nachtheilige  Nebenwirkungen  zu  unterstützen, 
wenn  es  vor  dem  Auge  zu  nahe  oder  zu  fern  oder  schräg  steht,  oder 
wenn  die  Centra  der  beiden  Gläser  erheblich  weniger  oder  mehr  von 
einander  abstehen,  als  die  Centra  der  Pupillen  beim  Blicke  in  mittlere 
Entfernungen  (etwa  5 — 10  Fuss),  oder  endlich  wenn  das  eine  Glas 
hoch  (nächst  dem  Augenbrauenbogenj ,    das  andere  tiefer  (nächst  der 


250  Augenmuskeln. 

Wange)  vor  dein  Auge  steht,  wie  man  diess  leider  so  häufig  sieht.  Ein 
gut  gewähltes  Glas  wirkt  zu  scharf,  wenn  es  dem  Auge  näher  gebracht 
wird,  als  bei  der  Probe,  daher  auch  Kurzsichtige,  wenn  sie  etwas  wei- 
ter sehen  wollen,  ihre  Brille  gewissennassen  unwillkürlich  gegen  die 
Augen  drücken.  Bei  schiefer  Stellung  des  Gestelles  wird  immer  ein 
Glas  mehr,  das  andere  weniger  vom  Auge  abstehen.  Je  weiter  vom 
Centrum  des  Glases  ab  die  verlängert  gedachte  Sehachse  durch  das 
Glas  streicht,  desto  mehr  wirkt  das  Glas  wie  ein  Prisma,  also  das  ein- 
fallende Licht  von  dem  brechenden  Winkel  (Centrum  des  Glases)  ab- 
lenkend, so  dass  das  Auge,  um  dem  Doppeltsehen  zu  entgehen,  durch 
excessive  Contraction  des  betreffenden  Muskels  nach  seiner  Seite  hin 
gedreht,  in  widernatürliche  Spannung  versetzt  werden  muss.  (Siehe 
prismatische  Gläser  bei  Muskellähmung.)  Am  leichtesten  werfen  sich 
die  Gestelle  von  Hörn,  so  dass  die  Anfangs  richtige  Stellung  der  Gläser 
bald  eine  fehlerhafte  wird.  Oft  genug  aber  nehmen  sich  die  Optiker 
nicht  die  Mühe,  Gestelle  auszusuchen,  welche  der  Gesichtsbilduug  des 
Brillenbedürftigen  entsprechen.  Der  Arzt  wird  daher  im  Interesse 
des  Consulenten  in  der  Regel  nichts  Überflüssiges  thun,  wenn  er  ihn 
auf  die  genannten  Umstände  aufmerksam  macht,  oder  wenn  er  die 
nöthigen  Masse  selbst  vornimmt,  als:  Abstand  zwischen  den  Pupillen, 
Lage  der  Augen  (flach  oder  tief),  Höhe  des  Nasenrückens,  Breite  des 
Gesichtes  (Abstand  der  einen  Schläfe  von  der  andern),  und  wenn  er 
überdiess  denselben  nach  geschehener  Wahl  noch  zur  Prüfung  aller 
Verhältnisse  zu  sich  bestellt.  Die  Brille,  fortan  ein  integrirender  Be- 
standtheil  des  Gesichtsorganes,  steht  wohl  dafür,  dass  Arzt  und  Optiker 
nicht  mit  ein  paar  Minuten,  die  Candidaten  nicht  mit  ein  paar  Groschen 
kargen. 

Werden  die  besprochenen  Bücksichten  eingehalten,  dann  sind  Con- 
cavbrillen  nicht  nur  nicht  schädlich,  sondern  eine  wahre  Wohlthat  für 
den  Kurzsichtigen.  Ein  passendes  Glas  zeigt  die  Objecte  in  der 
Distanz,  für  welche  es  gewählt  ist,  deutlich,  scharf  begrenzt,  ohne  Far- 
bensäume, und  erst  dann  kleiner,  wenn  die  Objecte  näher  gebracht 
werden,  als  der  Refractionszustand  und  die  Accommodationsthätigkeit 
es  gestatten.  Sind  die  Gläser  zu  scharf,  schlecht  geschliffen  oder 
schlecht  gestellt,  so  machen  sie  beim  Tragen  ein  Gefühl  von  Unbe- 
hagen, Schwindel,  Schmerzen  in  der  Supraorbitalgegend  und  werden 
desshalb  nicht  vertragen,  ausser  das  Auge  bringt  es  dahin  —  womit 
man  gewöhnlich  über  den  Fehler  hinwegzugleiten  sucht  —  sich  daran 
zu  gewöhnen,  d.  h.  durch  mannigfache  relative  Thätigkeit,  welche  nicht 
immer    ohne  erheblichen  Nachtheil  bleibt,   die  Fehler  gewissermassen 


Weitsichtigkeit  —  Kennzeichen.  251 

auszupariren.    An  passende  Brillen  braucht  sich  das  Auge  nicht  erst  zu 
gewöhnen. 

Weitsichtigkeit  (Presbyopia) . 

Die  Weitsichtigkeit  beruht  auf  dem  Unvermögen,  das  Auge,  welches 
entferntere  Objecte  deutlich  zu  sehen  vermag,  für  das  Sehen  näherer 
Objeete  einzustellen,  und  gibt  sich  demnach  durch  abnorm  iveiten  Ab- 
stand des  Naheptmktes  der  deutlichen  Sehweite  von  dem  Auge  kund. 
Der  Grund  hievon  liegt  nicht  in  einer  Formveränderung  des  Auges, 
sondern  in  Rigidität  der  Sclera  und  verminderter  Energie  der  Accom- 
modationsorgane ,  besonders  des  Ciliarmuskels.  Hält  man  vor  ein  nor- 
males Auge  ein  Concavgias,  durch  welches  der  Nahepunkt  mehr  weniger 
weit  vom  Auge  weggerückt  wird,  so  kann  man  sich  vom  Verhalten  des 
fernsichtigen  Auges  in  optischer  Beziehung  leicht  eine  richtige  Vorstel- 
lung machen.  Nur  parallel  oder  wenig  divergent,  mithin  aus  grösserer 
Entfernung  kommende  Strahlen  werden  auf  der  Netzhaut,  stärker  di- 
vergirende,  von  nahen  Objeeten  ausgehende  dagegen  werden  hinter  der 
Netshaut  vereinigt,  treffen  diese  mithin  als  Kegelquerschnitte,  weil  die 
Netzhaut  nicht  der  optischen  Anforderung  entsprechend  rückwärts  ge- 
drängt werden  kann. 

Die  Weitsichtigkeit  wird  gewöhnlich  erst  dann  Gegenstand  der 
Wahrnehmung,  wenn  der  Nahepunkt  des  deutlichen  Sehens  bereits 
weiter  vom  Auge  absteht,  als  es  die  gewöhnlichen  Beschäftigungen  er- 
heischen, also  wenn  z.  B.  das  Buch  beim  Lesen  bereits  weiter  als 
10 — 12  Zoll  entfernt  gehalten  werden  muss,  oder  wenn  Gegenstände, 
welche  selbst  ein  normales  Auge  vermöge  ihrer  Feinheit  näher  bringen 
muss,  undeutlich  oder  gar  nicht  erkannt  werden  können,  z.  B.  beim 
Nadeleinfädeln,  Federschneiden.  Es  sind  aber  auch  jene  Augen  bereits 
weitsichtig,  welche  z.  B.  mittlem  Druck  nicht  mehr  bei  5",  sondern 
erst  bei  6",  1"  u.  s.  w.  deutlich  und  ohne  Farbensäume  sehen.  Andrer- 
seits gehört  es  keineswegs  zum  Begriffe  der  Fern-  und  Weitsichtigkeit, 
dass  das  Gesicht  auch  für  sehr  grosse  Distanzen  ein  scharfes  sei;  es 
ist  sogar  nicht  selten  der  Fall,  dass  Personen,  deren  Nahepunkt  6,  7, 
10"  u.  s.  w.  vom  Auge  absteht,  auch  in  grossen,  selbst  in  mittelgrossen 
Distanzen  weit  schlechter  sehen,  als  früher,  wo  der  Abstand  des  Nahe- 
punktes noch  normal  war,  und  es  findet  sich  diess  auch  bei  Leuten, 
welche  z.  B.  bei  7 — 10  Zoll  vollkommen  deutlich  und  scharf  sehen,  wo 
also  weder  an  eine 'Trübung  der  durchsichtigen  Medien  noch  an  eine 
Affection  der  Netzhaut  gedacht  werden  kann. 


252  Augenmuskeln. 

Da  die  Menge  der  von  einem  leuchtenden  Punkte  in  das  Auge  ge- 
langenden Lichtstrahlen  (bei  gleich  grosser  Pupillenöffnung)  abnimmt, 
wie  die  Quadrate  der  Entfernung  desselben  zunehmen,  so  ist  dem  Weit- 
sichtigen starke  Beleuchtung  der  Objecte,  eben  weil  er  sie  abnorm  weit 
vom  Auge  halten  muss,  ein  wesentliches  Bedürfniss  zum  Erkennen 
derselben.  Desshalb  verräth  sich  das  Übel  gewöhnlich  zuerst  während 
des  Arbeitens  bei  künstlicher  Beleuchtung.  Das  Arbeiten  strengt  mehr 
an,  feinere  Arbeiten  können  wohl  noch  bei  Tages-  aber  nicht  mehr  bei 
Kerzenlicht  verrichtet  werden.  Der  Weitsichtige  stellt  sich  beim  Lesen 
gern  mit  dem  Kücken  an's  Fenster,  um  das  Buch  in  stärkere  Beleuch- 
tung, die  Augen  dagegen  in  Schatten  zu  bringen  und  die  ohnehin  ge- 
wöhnlich engeren  Pupillen  zu  erweitern ;  aus  demselben  Grunde  pflegen 
Weitsichtige  bei  künstlicher  Beleuchtung  das  Buch  hinter  das  Kerzen- 
licht zu  halten,  und  die  Augen  von  oben  mit  der  Hand  zu  beschatten. 
Gibt  man  dem  Weitsichtigen,  der  nur  noch  etwa  bei  14—16  Zoll  und 
darüber  lesen  kann,  und  sich  noch  keiner  Brillen  bedient  hat,  ein  Buch 
zum  Lesen  frei  in  die  Hand,  so  wird  man,  wenn  er  seine  gewohnte 
Haltung  annimmt,  hierin  das  Gegentheil  von  der  des  Kurzsichtigen 
finden;  er  hält  das  Buch  nicht  nur  weit  entfernt,  sondern  auch  mehr 
nach  unten,  der  Brust  genähert;  heisst  man  ihn  das  Buch  so  weit  als 
möglich  nähern,  oder  ist  er  bereits  so  weitsichtig,  dass  er  nur  noch  mit 
Brillen  lesen  kann,  so  wird  man  bemerken,  dass  dieses  Abwärtshalten 
des  Buches  nicht  zufällig  geschieht,  sondern  zur  Weitsichtigkeit  in  Be- 
ziehung steht,  dass  die  Person  nämlich  die  Lider  fest  zusammenkneift, 
und  dieselben  an  den  Bulbus  andrückt  und  daher  runzelt,  wohl  dess- 
halb, weil  es  bei  dieser  Position  dem  Orbicularis  möglich  wird,  den 
Bulbus  mittelst  des  obern  Lides  von  oben  her  zu  comprimiren  und  hie- 
durch  zur  Verlängerung  der  Sehachse  behilflich  zu  sein.  Der  Beweis 
für  diese  Deutung  lässt  sich  in  einzelnen  Fällen  dadurch  herstellen, 
dass  der  Kranke,  der  bei  14  Zoll  liest,  wenn  er  das  Buch  vor  die  Brust 
hält,  bei  derselben  Distanz  nicht  zu  lesen  vermag,  sondern  erst  bei 
einer  merklich  grössern,  sobald  man  das  Buch  gerade  dem  Gesichte 
gegenüber  oder  etwas  höher  vorhält.  Das  Blinzeln  der  Kurzsichtigen 
behufs  des  Fernsehens  erfolgt  ohne  gewaltsame  Contraction  des  M.  orbi- 
cularis; das  Zukneipen  der  Weitsichtigen  verräth  die  gewaltsame  In- 
tention deutlich  durch  die  Kunzelung  der  Lider  und  durch  die  baldige 
Ermüdung.  Diese  gibt  sich  in  manchen  Fällen  auch  durch  ein  rasches 
Zucken  oder  Vibriren  (Muskelspiel)  an  den  Lidern  kund.  Ich  habe 
übrigens  auch  Weitsichtige  beobachtet,  welche  mittlem  Druck  ohne  An- 
strengung bei  16—20  Zoll  Distanz,  denselben  oder  feineren  Druck  aber 


Weitsichtigkeit  —  Kennzeichen.  253 

auch  bei  6 — 7  Zoll,  doch  nur  auf  kurze  Zeit  und  unter  sichtlich  gewalt- 
samem Zukneipen  der  Lider  lesen  können.  Ob  sie  hiedurch  die  rigide 
liintere  "Wandung  temporär  zum  Zurückweichen  oder  die  Cornea  zu 
stärkerer  Krümmung  zwingen,  weiss  ich  nicht.  Auf  Beschränkung  der 
Zerstreuungskreise  kann  es  dabei  nicht  abgesehen  sein,  denn  die  Ver- 
engerung der  Lidspalte  bleibt  noch  immer  weit  hinter  der  in  solchen 
Fällen  stets  auffallend  engen  Pupille  zurück,  was  beim  Blinzeln  der 
Kurzsichtigen  nicht  der  Fall  ist.  —  Durch  entsprechende  Convexgläser 
kann  das  weitsichtige  Auge  behufs  des  Erkennens  naher  und  ferner 
Objecte  dem  normalen  um  so  mehr  nahe  gebracht  werden,  je  geringer 
die  Weitsichtigkeit  und  je  grösser  somit  der  Spielraum  ist,  welcher  der 
accommodativen  Thätigkeit  übrig  blieb.  Je  schärfere  Gläser  bereits 
nothwendig  sind,  desto  näher  liegen  der  Nah-  und  Fernpunkt  des  deut- 
lichen Sehens  für  das  bewaffnete  Auge  an  einander. 

Nach  den  oben  genannten  Merkmalen  wird  es  nicht  schwer  sein, 
die  Weitsichtigkeit  von  jenen  Zuständen  zu  unterscheiden,  welche  in 
functioneller  Eücksicht  einige  Ähnlichkeit  damit  haben,  nämlich  Schwäche 
des  Gesichtes  wegen  Trübungen  in  den  durchsichtigen  Medien  oder 
wegen  Eetinalleiden,  und  einfache  Augenmattigkeit  oder  Kopiopie. 
(Vergl.  die  betreffenden  Abschnitte.) 

Die  am  Auge  sichtbaren  Merkmale  der  Weitsichtigkeit  sind  so 
charakteristisch,  dass  man  beim  Anblicke  solcher  Augen,  ohne  über  die 
Sehweite  auch  nur  ein  Wort  gehört  zu  haben,  nur  an  Weitsichtigkeit, 
Kopiopie  oder  angeborene  Retinalamblyopie  denken  kann.  Im  weit- 
sichtigen Auge  liegt  die  Linse  der  Cornea  näher,  als  im  normalen,  um 
so  mehr,  je  höher  der  Grad  der  Fernsichtigkeit  ist  {sji"' — V3'")-  Auch 
die  Iris  liegt  weiter  vorn  (relativ  zur  Basis  corneae),  und  zwar  in  toto, 
nicht  bloss  mit  dem  Pupillarrande ,  sondern  auch  mit  dem  Ciliarrande. 
Ein  Staarmesser,  an  der  Grenze  zwischen  Cornea  und  Sclera  durch  das 
Auge  geführt  (senkrecht  auf  die  Sehachse),  würde  knapp  vor  dem 
Ciliarrande  vorbeistreichen,  und  je  nach  dem  Grade  der  Wölbung  der 
Iris  mehr  weniger  von  dieser  wegnehmen.  Man  sieht,  dass  sich  die 
Iris  schon  bald  innerhalb  des  Ciliarrandes  an  die  Linse  anschmiegt, 
viel  früher  als  in  normalen  oder  kurzsichtigen  Augen,  indem  der  kup- 
pelartig gewölbte  Theil  derselben  die  Krümmung  der  Linse  gleichsam 
im  Abdrucke  wieder  gibt,  wie  ein  feuchtes  Tuch,  das  sich  an  einen 
festen  Köi-per  anlegt  und  dessen  Form  erkennen  lässt.  Die  Iris  zeigt 
daher  bald  ferner,  bald  näher  dem  Ciliarrande  einen  zu  diesem  con- 
centrischen  Ring,  welcher  namentlich  bei  dunkelbraunen  Regenbogen- 
häuten hellgelb  und  gewissermassen  glänzend  aussieht,  und  sich  durch 


254  Augenmuskeln. 

die  Contouren  bei  seitlich  einfallendem  Lichte  als  seichte  Furche  er- 
weist, dadurch  entstanden,  dass  die  früher  (nach  aussen)  an  den  Ciliar- 
körper  geheftete  Iris  plötzlich  durch  die  Linse  vorwärts  gedrängt, 
gleichsam  geknickt  wird.  (Vergl.  Band  II.  Seite  23,  Anmerk.)  Ein 
solcher  Ring,  nur  gewöhnlich  von  kleinerem  Diameter,  kommt  übrigens 
auch  an  vielen  nicht  weitsichtigen  Augen  vor.  —  Die  Pupille  zeigt 
einen  auffallenden  Grad  habitueller  Verengerung  (l'/z  —  1'")  trotz  freier 
und  lebhafter  Beweglichkeit  und  bei  prompter  und  hinreichender  Er- 
weiterbarkeit  durch  Belladonna.  Dass  das  presbyopische  Auge  mit  dem 
Augenspiegel  leichter  im  aufrechten  Bilde  untersucht  werden  könne, 
wurde  bereits  erwähnt. 

Ätiologie.  Die  Beschränkung  und  Aufhebung  der  Accommoda- 
tionsthätigkeit  behufs  des  Sehens  naher  Objecte  tritt  im  höhern  Alter 
so  gewöhnlich  ein,  dass  in  dieser  Beziehung  der  Name  Presbyopie 
(rtQsgßvg,  Greis)  gerechtfertigt  ist.  Mit  Ausnahme  der  Kurzsichtigen 
gibt  es  nur  wenig  Augen,  welche  nach  dem  40.,  längstens  50.  Jahre 
noch  feine  Objecte  bis  zu  5  Zoll  nahe  bringen  können.  Durch  dieses 
Verhalten  schliesst  sich  die  Presbyopie  an  andere  senile  Erscheinungen 
an,  Rigidität  der  Arterien,  Greisbogen  der  Hornhaut,  Abnahme  der 
Muskelkräfte  u.  s.  w.,  und  sie  zeigt  in  Bezug  des  früheren  oder  spätem 
Eintrittes  und  der  raschern  oder  langsamem  Entwicklung  ganz  diesel- 
ben Schwankungen,  wie  die  genannten  und  andere  Zufälle  der  Sene- 
scenz.  Sie  kommt  aber  auch,  weil  von  der  Muskelthätigkeit  abhängig, 
in  früheren  Jahren  vor,  wenngleich  selten  in  hohem  Grade  und  selten 
stationär.  Die  Ursachen  vorzeitiger  Entwicklung  sind:  vorwaltende 
Verwendung  des  Gesichtes  für  die  Ferne,  wie  bei  Jägern,  Seeleuten, 
unzweckmässiger  oder  übermässiger  Gebrauch  von  Convexgläsern 
(Loupen),  anhaltendes  Weinen,  Kummer,  Sorgen  und  deprimirende  all- 
gemeine Einflüsse  überhaupt,  so  wie  andererseits  forcirte  Muskelan- 
strengungen im  Allgemeinen,  und  übermässige  Anstrengung  der  Accom- 
modationsorgane  insbesondere,  letztere  beiden  jedoch  nur  dann,  wenn 
die  Sclera  bereits  zu  resistent  ist,  als  dass  ein  entsprechendes  Nach- 
geben derselben  stattfinden  könnte.  Die  frühere  Entwicklung  der  Weit- 
sichtigkeit bei  Leuten,  welche  sich  von  Jugend  auf  wenig  mit  der  Be- 
trachtung naher  feiner  Gegenstände  befassten,  beruht  wohl  darauf,  dass 
die  Fertigkeit,  das  Auge  für  solche  Objecte  einzustellen,  nie  recht  zur 
Ausbildung  kam.  Auf  ähnliche  Weise  wirkt  der  anhaltende  Gebrauch 
von  Loupen  oder  Convexbrillen  beim  Arbeiten,  wenn  dabei  die  Accom- 
modationsorgane  gleichsam  überflüssig  gemacht  werden.  Denn  indem 
das  Convexglas  Strahlen,   die  sich  ausserdem  erst  hinter  der  Netzhaut 


Weitsichtigkeit  —  Ätiologie.  255 

vereinigen  würden,  so  bricht,  dass  sie  sich  eben  auf  der  Netzhaut  ver- 
einigen, wird  die  accommodative  Thätigkeit  der  Anstrengung  überhoben, 
welche  sie  bei  unbewaffnetem  Auge  machen  müsste,  um  die  Netzhaut 
gerade  in  die  Yereinigungsweite  zu  stellen.  Ist  aber  ein  Convexglas 
nicht  zu  stark,  leistet  es  eben  nur  das,  was  das  Auge  durch  seine 
accommodative  Thätigkeit  nicht  bewirken  kann,  enthebt  es  somit  das 
Auge  nicht  jeder  Anstrengung,  dann  wirkt  das  Convexglas  auch  nicht 
nachtheilig  auf  die  Accommodationsfähigkeit.  Nehmen  wir  an,  es  müsse, 
damit  ein  Object  von  bestimmter  Grösse,  Beleuchtung  und  Distanz 
deutlich  gesehen  werden  könne,  die  Netzhaut  um  x\i,it  zurückgestellt 
werden.  Besässe  nun  das  hiezu  verwendete  Auge  die  Fähigkeit,  durch 
die  accommodative  Thätigkeit  die  Netzhaut  um  x\iiH  zurückzustellen, 
so  würde  jedes  Convexglas  bei  anhaltendem  Gebrauche  die  accommo- 
dative Thätigkeit  ausschlössen ;  vermöchte  das  Auge  aber  die  Netz- 
haut um  */*"'  zurückzudrängen,  so  wird  ein  Glas,  welches  die  Ver- 
einigungsweite um  x  i'"  verkürzt,  diesem  Auge  das  Deutlichsehen  er- 
möglichen, aber  auch  der  accommodativen  Thätigkeit  noch  zu  thun 
überlassen,  was  sie  leisten  kann,  nämlich  die  Netzhaut  um  xjn'"  zurück- 
zustellen, und  das  Auge  läuft  auch  bei  fortwährendem  Gebrauche  eines 
solchen  Glases  zu  obigem  Zwecke  nicht  Gefahr,  seine  Accommodations- 
kraft  durch  Uuthätigkeit  einzubüssen.  In  der  Behauptung,  dass  der 
Gebrauch  von  Loupen  Veranlassung  gebe  einmal  zu  Weit-,  ein  andermal 
zu  Kurzsichtigkeit,  liegt  kein  Widerspruch.  Ist  eine  Loupe  zu  dem 
Zwecke,  für  welchen  sie  angewendet  wird,  hinreichend  stark,  so  wird 
sie  nie  Veranlassung  zu  Kurzsichtigkeit  geben;  ist  sie  aber  relativ  zu 
schwach,  so  dass  der  accommodativen  Thätigkeit  noch  immer  viel  übrig- 
bleibt, um  das  Auge  richtig  einzustellen,  so  kann  anhaltende  Arbeit 
trotz  der  Loupe  zur  Kurzsichtigkeit  führen,  sobald  die  Sclera  noch  die  zu 
bleibender  Formveränderung  nöthige  Biegsamkeit  und  Dehnbarkeit  besitzt. 
Ist  jedoch  unter  denselben  äussern  Verhältnissen  die  hintere  Bulbus- 
wand  bereits  so  resistent,  dass  die  zum  Deutlichsehen  erforderliche 
Bückwärtsdrängung  derselben  nur  mit  grossem  Kraftaufwande  bewirkt 
und  unterhalten  werden  kann,  so  werden  die  Accommodationsorgane, 
besonders  der  Ciliarmuskel  zunächst  ermüdet,  allmälig  geschwächt,  so 
dass  die  Accommodation  für  grössere  Nähe  nur  immer  auf  eine  kurze, 
nach  und  nach  immer  kürzere  Zeit,  endlich  gar  nicht  mehr  ausgehalten 
wird.  Ist  nun  die  Kraft  des  Ciliarmuskels  vermindert,  so  vermag  er 
das  Diaphragma  zwischen  Glaskörper  und  Kammerwasser  nicht  mehr 
in  der  gehörigen  Spannung  zu  erhalten,  steht  somit  bei  forcirtem  Ac- 
commodationsbestreben  das  Kammerwasser  unter  höherem  Drucke,  und 


256  Augenmuskeln. 

nimmt  allmälig  ab,  Linse  und  Iris  bekommen  eine  weiter  nach  vorn 
gerückte  Lage,  und  die  Accommodation  für  grosse  Nähe  wird  in  dem- 
selben Grade  weniger  lange  ausgehalten.  Die  Abnahme  des  Kammer- 
wassers ist  demnach  nicht  Ursache  der  Weitsichtigkeit,  sie  ist  nur 
Folge  der  verminderten  Energie  des  Ciliarmuskels.  Daher  kann  Weit- 
sichtigkeit, wenigstens  temporär,  und  in  geringerem  Grade  auch  eine 
Zeit  lang  anhaltend  ohne  Verengerung  der  vordem  Augenkammer  be- 
stehen. —  Hiemit  haben  wir  auch  die  merkwürdige  Thatsache  begreifen 
gelernt,  auf  welche  Sichel  zuerst  aufmerksam  gemacht  hat,  dass  näm- 
lich Knaben,  welche  bereits  im  14.  oder  15.  Lebensjahre  stehen,  und 
früher  sich  wenig  mit  anhaltendem  Nahesehen  beschäftigten,  wie 
namentlich  Knaben  vom  Lande,  selten  kurz-,  sondern  meistens  weit- 
sichtig werden,  und  an  den  Erscheinungen  der  Amblyopie  presbytique 
(Kopiopie)  zu  leiden  anfangen,  wenn  sie  plötzlich  zu  anhaltendem  Be- 
trachten naher  und  feiner  Objecte  als  Lehrlinge,  z.  B.  bei  Uhrmachern, 
Goldarbeitern,  Graveuren  u.  dgl.  angehalten  werden,  während  Knaben 
aus  der  Stadt  und  überhaupt  solche,  die  schon  früher  sich  vorwaltend 
mit  Nahesehen  beschäftigten,  eher  der  Kurzsichtigkeit  verfallen.  Be- 
trachten wir  die  Sclera  jugendlicher  Individuen,  so  finden  wir,  dass  sie 
nahezu  bis  zum  Eintritte  der  Pubertät  ein  mehr  bläuliches  Aussehen 
hat,  weil  sie  noch  dünn  und  daher  durchscheinend  ist;  später  wird  sie 
im  Allgemeinen  mehr  weiss,  also  wohl  auch  dichter  und  resistenter.  — 
Wie  es  kommt,  dass  anhaltendes,  durch  längere  Zeit  häufig  wieder- 
kehrendes Weinen  die  Accommodationskraft  temporär  oder  bleibend 
schwächt,  weiss  ich  nicht.  Thatsache  ist,  dass  man  nach  dieser  Ur- 
sache oft  bei  noch  sehr  jugendlichen  Individuen  die  Augenkammer  auf- 
fallend eng  findet.  Wahrscheinlich  ist  es  die  schwächende  Kraft,  welche 
die  gedrückte  Gemüthsstimmung  auf  die  muskulösen  Gebilde,  insbe- 
sondere auf  den  Ciliarmuskel  ausübt.  Ist  diess  richtig,  dann  reiht  sich 
diese  Ursache  in  ihrer  Wirkungsweise  an  andere  ähnliche  Momente  an, 
schwere  Krankheiten  (Typhus,  Scharlach  etc.),  erschöpfende  Diarrhöen 
reichlichen  Blutverlust,  Ausschweifungen,  Onanie,  anhaltendes  Nacht- 
wachen (auch  ohne  Austrengung  der  Sehkraft). 

Die  Entwicklung  der  Weitsichtigkeit  ist  meistens  eine  langsame, 
stufenweise  fortschreitende,  es  müssten  denn  besondere  Ursachen  heftig 
einwirken,  und  in  solchen  Fällen  kann  man  wohl  meistens  —  nach 
Beseitigung  dieser  Ursachen  —  wieder  allmälige  Erstarkung  der  Accom- 
modationskraft bis  zu  einem  gewissen  Grade  erwarten,  es  müsste  denn 
das  Individuum  schon  sehr  gealtert  sein.  Eine  merkwürdige,  bisher 
noch  nicht  erklärte,  vielleicht  weil  zu  selten  vorkommende  Erscheinung 


Weitsichtigkeit  —  Ätiologie.  257 

ist  die,  dass  bisweilen  Personen  im  hohen  Greisenalter  die  Convex- 
gläser  zum  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  nicht  mehr  bedürfen,  die  ihnen 
durch  viele  Jahre  hindurch  dazu  unentbehrlich  gewesen  waren.  Sollte 
etwa  Verflüssigung  des  Glaskörpers  oder  vermehrte  Dichtigkeit  der 
Linse  bei  ungestörter  Durchsichtigkeit  hievon  die  Ursache  sein?  Ich 
kenne  diese  Thatsache  bloss  aus  einigen  verlässlichen  Erzählungen ;  sie 
ist  übrigens  auch  schon  von  Makenzie  1.  c.  S.  707  bemerkt  worden.  — 
An  und  für  sich  bereitet  die  Weitsichtigkeit  dem  Sehvermögen  keine 
Gefahr;  sie  kann  aber  bei  unzweckmässigem  Gebahren,  namentlich 
durch  unzweckmässig  gewählte  und  gebrauchte  Convexgläser  zur  Hy- 
perpresbyopie (Übersichtigkeit)  gesteigert  werden,  welche  nur  bei  be- 
ständigem Gebrauche  solcher  Gläser  noch  ein  leidliches  Sehen  gestat- 
tet, gleichwie  sie  andrerseits  bei  forcirter  Accommodation  ohne  gehörige 
Unterstützung  indirect  zu  Hyperästhesie ,  Hyperämie,  Apoplexie  und 
Entzündung  der  Netzhaut  Veranlassung  gibt.  Mehr  hierüber  bei  der 
Ivopiopie. 

Hyperpresbyopie  ist  jener  Kefractionszustand  des  Auges ,  bei  welchem  weder  diver- 
gent, noch  parallel,  sondern  bloss  convergent  zum  Auge  gelangende  Strahlen  eines  licht- 
sendenden Punktes  auf  der  Netzhaut  in  einem  Punkte  derselben  vereinigt  werden  können, 
.daher  das  Sehen  nur  durch  Vorhalten  convexer  Gläser  vermittelt  werden  kann,  welche  so 
stark  sind,  dass  sie  auch  die  divergent  auffallenden  Strahlen  in  convergente  verwandeln. 
In  diesem  Zustande  befinden  sich  bekanntlich  alle  Augen,  denen  die  Krystalllinse  fehlt, 
und  zwar,  falls  nicht  früher  bedeutende  Kurzsichtigkeit  bestanden  hatte,  in  sehr  hohem 
Grade.  Niedrigere  Grade,  wo  z.  B.  für  gewöhnliche  Verrichtungen,  auf  der  Gasse  u.  dgl. 
massig  starke  (10 — 30"),  zum  Lesen  dieselben  oder  stärkere  Gläser  (bis  zu  6")  getragen 
werden  müssen,  trifft  man  mitunter  bei  älteren  Personen,  welche  sich  nach  und  nach  an 
stärkere  Gläser  gewöhnt  haben.  Seltener  kommen  Hyperpresbyopische  jugendlichen  Alters 
vor;  hier  ist  der  Fehler  wohl  meistens  als  angeboren  zu  betrachten;  er  zeigt  sich  wenig- 
stens schon  zur  Zeit,  wo  die  Kinder  zu  lernen  anfangen  sollen.  Er  kann  leicht  mit 
Stumpfheit  der  Netzhaut  verwechselt  werden.  Versuche  mit  engen  Diopteröffnungen  kön- 
nen Aufschluss  geben.  Mit  dem  Augenspiegel  ist  die  Untersuchung  im  aufrechten  Bilde 
schon  bei  5 — 6"  Distanz  möglich.  Zu  empfehlen  ist  das  Tragen  convexer  Brillen,  deren 
Stärke  durch  Versuche  ermittelt  werden  muss. 

Hyperpresbyopische  halten  gleich  jenen,  die  an  Amblyopie  oder  Stumpfheit  der  Netz- 
haut leiden,  die  Objecte,  die  sie  besser  sehen  wollen,  nicht  wie  man  nach  dem  Eefractions- 
zustande  erwarten  sollte,  weiter,  sondern  näber,  gleich  sehr  Kurzsichtigen,  und  kneifen 
die  Lider  dabei  stark  zusammen.  Für  sie  gibt  es  überhaupt  keine  Distanz,  in  der  sie 
deutlich  sehen  könnten;  immer  sehen  sie  nur  mittelst  Zerstreuungskreisen.  Demnach 
gibt  nebst  der  Lichtmenge,  welche  das  jeweilige  Sehobject  ins  Auge  senden  kann,  mithin 
dessen  Annäherung  und  die  relativ  geringste  Grösse  der  Zerstreuungskreise,  den  Ausschlag 
für  die  Haltung  der  Objecte,  zumal  die  Accommodation  nicht  fehlt.  Ihre  Netzhaut  liegt 
vor  der  Brennweite  des  dioptr.  Apparates. 

Nach  A.  von   Gräfe  (Archiv  B.  IL  Abth.  1.  S.   181)  kann  man  durch  Vorhalten  eines 
starken  Concavglases  (5 — 6"j  vor    ein   gesundes  Auge   den  Zustand    der   Hyperpresbyopie 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  17 


258  Augenmuskeln. 

studiren.  „Nimmt  man  eine  grössere  Druckschrift  recht  nahe  an  das  so  bewaffnete  AugeT 
so  kann  man  dieselbe  entziffern,  freilich  der  mangelnden  Übung  wegen  nicht  so  gut  als- 
Hyperpresbyopische ;  entfernt  man  sie  aber  über  8,  12,  16  Zoll,  so  breiten  sich  die  Zer- 
streuungskreise der  einzelnen  Buchstaben  über  die  Intervalle  aus,  und  die  Schrift  läuft 
undeutlich  durch  einander.  "Wir  überzeugen  uns  hiebei,  dass  die  relative  Grösse  der  Zer- 
streuungskreise zu  dem  Bilde  wächst,  wenn  das  Object  über  die  genannte  Grenze  ent- 
fernt wird,  ein  Resultat,  das  auch  a  priori  voraus  zu  sehen  war.  Jeder  Punkt  der  Aussen- 
weit  gibt  offenbar,  je  näher  er  bei  einem  Hyperpresbyopischen  ans  Auge  gebracht  wird,, 
auch  einen  desto  grösseren  Zerstreuungskreis.  Aber  diese  Vergrösserung  der  Kreise  ge- 
schieht nicht  in  dem  umgekehrten  Verhältnisse  der  Quadrate  der  Entfernungen,  d.  h. 
in  dem  Verhältnisse,  in  welchem  die  Flächenausdehnung  der  Bilder  auf  der  Netzhaut 
steigt,  sondern  in  einem  langsameren  Verhältnisse."  Bei  sehr  grosser  Annäherung  (4 — 5") 
des  Sehobjectes  (Druckschrift)  sind  also  die  Zerstreuungskreise  relativ  zu  den  stark  er- 
leuchteten Centris  der  Netzhautbilder  nicht  so  gross,  wie  bei  geringer  Annäherung  (z, 
B.  8— 10"). 

Von  Heilung  der  Weitsichtigkeit  kann  keine  Rede  sein,  sobald  sie 
ausschliesslich  oder  vorwaltend  Folge  der  Senesceuz  ist.  Von  der  Be- 
handlung der  anderweitig  bedingten,  welche  meistens  noch  als  Kopiopie 
zur  Beobachtung  kommt,  wollen  wir  weiter  unten  sprechen.  Nebst 
rationellem  Gebrauche  der  Augen  sind  Convexgläser  Alles,  was  wir  dem 
Presbyopischen  empfehlen  können.  Convexgläser  sollen  das  Auge  beim 
Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  unterstützen,  ohne  es  aller  accommodativen 
Thätigkeit  zu  überheben,  wenn  solche  noch  vorhanden  ist.  Sie  wirken 
dadurch,  dass  sie  die  von  relativ  zu  nahen  Objectpunkten  ausfahrenden, 
mithin  relativ  zu  divergent  zum  Auge  gelangenden  Lichtstrahlen  minder 
divergent  machen,  oder,  was  die  Sache  allgemeiner  bezeichnet,  in  Com- 
bination  mit  der  Sammellinse  des  Auges  dessen  Brennweite  verkürzen, 
dabei  mehr  Licht  von  jedem  einzelnen  leuchtenden  Punkte  ins  Auge 
gelangen  und  die  Objecte  vergrössert  erscheinen  lassen,  sobald  diese 
etwas  weiter  entfernt  liegen,  als  die  Focaldistanz  dieser  Combination 
eigentlich  gestattet.  Sie  schränken  demnach  die  accommodative 
Thätigkeit  des  Auges  um  so  mehr  ein,  je  weniger  sie  dieselbe  nöthig 
machen,  d.  h.  je  mehr  sie  die  Focaldistanz  verkürzen  (den  Nahepunkt 
an  das  Auge  heranrücken),  und  können  der  Sehkraft  einerseits  durch 
Zuführung  von  relativ  zu  viel  Licht  und  Überreizung  der  Netzhaut, 
andererseits  aber  auch  dadurch  nachtheilig  werden,  dass  das  Auge  die 
Fähigkeit  verlernt,  in  weite  Ferne  deutlich  zu  sehen  (Objecte  unter 
kleinem  Sehwinkel  und  relativ  matter  Beleuchtung  zu  erkennen,  und 
von  Zerstreuungskreisen  zu  abstrahiren).  Alle  diese  nachtheiligen 
Nebenwirkungen  werden  durch  gehörig  gewählte  Brillen  bei  rationellem 
Gebrauche  der  Augen  vermieden. 

Um  dem  Fernsichtigen  eine  angemessene  Brille  zu  wählen,  muss 


«>  Weitsichtigkeit  —  Übersichtigkeit  —  Convexbrillen.  259 

man  die  Grenze  keimen,  bis  zu  welcher  heran  er  noch  deutlich  sieht, 
und  die  Distanz,  in  welcher  er  seine  Arbeiten  verrichten  will  oder  niuss. 
Bei  12  Zoll  Abstand  des  Nahepunktes  vom  Auge  ist  eine  schwächere 
Brille  ausreichend,  als  bei  1(3  oder  20  Zoll.  Wer  schreiben  oder  lesen 
will,  was  recht  gut  bei  10 — 12  Zoll  geschehen  kann,  braucht  eine 
schwächere  Brille,  als  wer  mit  Objecten  arbeitet,  die  wegen  grosser 
Feinheit  oder  wegen  mechanischer  Verhältnisse  mindestens  auf  8  Zoll 
genähert  werden  müssen.  Den  Nahepunkt  bestimmt  man  am  bequem- 
sten und  im  Allgemeinen  auch  mit  hinreichender  Sicherheit  durch  Lese- 
proben mit  mittlerem  oder  etwas  grösserem  Drucke.  Die  Brennweite 
(Nummer)  des  zu  wählenden  Glases  wird  auf  dieselbe  Weise  wie  bei 
Kurzsichtigen  berechnet.  Ein  Weitsichtiger,  der  nur  bei  14",  nicht 
aber  bei  13"  lesen  kann,   braucht  demnach,  um  10"  lesen  zu  können, 

Nr.  36,    weil  .     =  — —  =  35.*)     Bei   Weitsichtigen    ist    die 

Kücksiclit  auf  die  Beleuchtung  und  Grösse  der  Objecte  bei  den  Seh- 
proben noch  viel  wichtiger,  als  bei  Kurzsichtigen.  Bei  matter  Beleuch- 
tung und  bei  zu  feinem  oder  blassem  Drucke  wird  der  Nahepunkt 
leicht  zu  fern  angenommen,  ebenso  wenn  der  Brillencandidat  sich 
einige  Stunden  oder  Tage  vorher  sehr  angestrengt  hat,  durch  deprimi- 
rende  Einflüsse  herabgestimmt  oder  geschwächt  ist.  Die  Folge  der 
Nichtbeachtung  dieser  Umstände  ist  die  Wahl  eines  mehr  als  nothwen- 


*)  Für  Weitsichtige  führt  Flössl  in  Wien  folgende  Nummern :  80,  60,  48,  40,  36,  33,  30,  27,  24,  22,  20, 
IS,  17,  16,  u.  s.w.  bis  7,  von  da  immer  zu  V2  Zoll  bis  4'/2i  dann  zu  1/i  Zoll  bis  2,  welche  letzteren 
Reihen  jedoch  nur  bei  Hyperpresbyopischen,  namentlich  bei  Staaroperirten  in  Anwendung  kommen. 
Die  Brennweite  eines  convexen  Glases  lässt  sich  bis  zu  der  hier  erforderlichen  Genauigkeit 
leicht  ermitteln',  wenn  man  in  einem  Zimmer  mit  einem  einzigen  Fenster ,  welchem  einerseits  der 
freie  Himmel,  andrerseits  eine  weisse  glatte  (Fläche)  mindestens  20  Fuss  gegenübersteht,  das  frag- 
liche Glas  in  allmälig  steigender  Entfernung  senkrecht  vor  diese  Wand  hält,  und  die  Distanz  mit 
dem  Zollstabe  misst,  bei  welcher  das  auf  der  Wand  entworfene  Fensterbild  in  den  schärfsten  Um- 
rissen erscheint.  Richtig  geschliffene,  aus  reinem  Glas  bestehende  und  gut  polirte  Gläser  geben, 
wenn  sie  nicht  zu  klein  sind,  auch  in  den  niedrigeren  Nummern  (von  36 — 60)  noch  hinreichend  deut- 
liche Bilder,  wenigstens  an  hellen  Tagen  ;  doch  lassen  sich  bei  diesen  Nummern  einige  Zoll  Abweichun- 
gen von  der  Brennweite  nicht  erkennen,  und  man  muss  sieh  begnügen,  zu  bestimmen,  ob  die  Brenn- 
weite z.  B.  näher  an  60  oder  näher  an  4S  liegt.  Da  das  Fenster  nicht  paralleles ,  sondern  noch 
divergirendes  Licht  zum  Glase  sendet,  so  gibt  der  Abstand  von  der  Wand  natürlich  auch  dann  nicht 
genau  die  Brennweite,  wenn  das  Bild  in  den  schärfsten  Umrissen  erscheint.  Will  man  diesen  Fehler 
vermeiden,  so  nehme  man  sich  die  verschiedenen  Nummern  von  einem  verlässlichen  Optiker  und 
einen  Stab  von  60  Zoll  Länge,  den  man  wagrecht  (also  senkrecht  auf  die  Wand)  gerade  der  Mitte 
des  Fensters  gegenüber  hält,  nehme  nun  ein  Glas  nach  dem  andern  und  notire  an  dem  Stabe  die 
Distanz,  bei  welcher  Nr.  10,  12,  15,  20  u.  s.  w.  das  schärfste  Bild  zeigt.  Durch  wiederholte  Ver- 
suche kann  man  sich  einen  ziemlich  genauen  Massstab  verfertigen.  —  Die  Prüfung  der  Convexgläser 
mittelst  direct  auffallenden  Sonnenlichtes  (Strahlen)  ist  nicht  leichter,  dagegen  nothwendig,  wenn 
sich's  um  die  Ermittelung  der  Centrirung  handelt :  nur  bei  regelmässig  geschliffenen  und  gut  centrir- 
ten  Gläsern  erscheint  die  lichte  Scheibe  (in  der  Focaldistanz)  vollkommen  rund  (auf  einem  normal 
stehenden  Schirme),  scharf  begrenzt  und  in  der  Mitte  des  dunklen  Hofes. 

i7* 


260  Augenmuskeln. 

dig  starken  Glases.  Andrerseits  kann  aber  auch  eine  Brille,  welche 
zur  Arbeit  bei  Tageslicht  eben  hinreicht,  zur  Arbeit  bei  künstlichem 
Lichte  zu  schwach  sein.  Man  hat  daher  Tag-  und  Nachtbrillen,  jene 
schwächer,  diese  stärker  gegeben.  Ich  bin  von  diesem  theoretisch  ge- 
rechtfertigt scheinenden  Usus  seit  langem  abgegangen,  ausser  in  jenen 
seltenen  Fällen,  wo  so  zu  sagen  gar  kein  Accommodationsvermögen 
mehr  besteht.  Wenn  der  Brillenträger  für  eine  helle  Flamme  sorgt 
und  sich  den  Objecten  weniger  nähert,  kann  er  auch  bei  künstlicher 
Beleuchtung  mit  demselben  Glase  auskommen,  wie  bei  Tage.  Leute, 
welche  Nachts  mit  einer  stärkern  Brille  arbeiten,  müssen  sich  derselben 
in  kurzer  Zeit  auch  bei  Tage  bedienen,  während  sie  —  nach  Beobach- 
tungen an  andern  zu  schliessen,  —  mit  der  schwachem  Tagesbrille 
jahrelang  ausgekommen  sein  würden,  wenn  sie  sich  immer  nur  einer 
und  derselben  Brille  bedient  hätten.  Ein  anderer  Umstand,  welcher  in 
kurzer  Zeit  den  Gebrauch  stärkerer  Brillen  nothwendig  machen  kann, 
ohne  dass  eine  oder  die  andere  der  obgenannten  Veranlassungen  zur 
Weitsichtigkeit  eingewirkt  hat,  liegt  darin,  dass  diejenigen,  welche 
ihrem  Auge  die  Unterstützung  durch  eine  Brille  zu  lange  versagt 
haben,  die  Gewohnheit,  die  Objecte  in  grösserer  Entfernung  zu  halten, 
nachher  beim  Brillengebrauche  nicht  wieder  ablegen,  somit  die  accom- 
modative  Thätigkeit  gar  nicht  oder  viel  zu  wenig  in  Anspruch  nehmen, 
Wir  haben  aber  bereits  früher  auf  das  allgemeine  Gesetz  hingedeutet, 
dass  muskulöse  Organe  durch  Unthätigkeit  oder  zu  geringe  Übung 
ebenso  geschwächt  werden,  wie  übermässige  Anstrengung  ihre  Kräfte 
erschöpft,  hingegen  massige,  adäquate  Thätigkeit,  unterstützt  durch 
Abwechslung  und  Ruhe,  dieselben  stärkt  oder  doch  in  ihrer  Kraft 
erhält.  — 

Rücksichtlich  der  Form,  Fassung,  Stellung  etc.  gelten  für  die  Con- 
vexgläser  im  Ganzen  dieselben  Vorschriften,  wie  bei  den  Concavbrillen. 
Die  concav-convexen  (periskopischen)  verdienen  hier  unbedingt  den 
Vorzug  vor  den  plan-  oder  doppelt-convexen.  Ebenso  sollten  diese 
Gläser  stets  kreisrund,  oder,  wenn  ja  oval,  mindestens  so  gross  sein, 
dass  sie  unten  völlig  oder  nahezu  an  die  Wange  anliegen,  damit  bei 
abwärts  gewendetem  Blicke  die  Sehachse  durch  das  Centrum  gehen 
könne.  Desshalb  muss  auch  der  Steg  über  die  Nase  stark  gebogen 
sein,  und  zwar  bei  sehr  hoher  Nasenwurzel  nicht  bloss  mit  aufwärts, 
sondern  zugleich  auch  mit  vorwärts  gerichteter  Convexität,  weil  sonst 
die  Gläser  zu  weit  von  den  Augen  entfernt  sein  würden.  Der  Abstand 
der  Pupillen  von  einander,  nach  welchem  sich  der  Abstand  der  Mittel- 
punkte der  Gläser  richtet,  ist  nicht  beim  Blick   in  die  Ferne,    sondern 


Augenmattigkeit  —  Ätiologie.  261 

beim  Blicke  auf  10 — 12  Zoll  Distanz  zu  messen.  Die  Bügel  müssen  so 
schliessen,  dass  die  Gläser  immer  in  gleichem  Abstände  vor  den  Augen 
erhalten  werden;  je  weiter  sich  das  Glas  vom  Auge  entfernt,  desto 
stärker  wirkt  es.  Für  Weitsichtige  sind  Lorgnetten  und  die  leider 
wieder  in  Aufnahme  gekommenen  Nasenzwicker  durchaus  verwerflich, 
denn  beim  Lesen,  Schreiben  u.  dergl.  ist  eine  regelrechte  und  stets 
gleichmässige  Stellung  der  Gläser  vor  den  Augen  von  ungleich  wirk- 
samerem Einflüsse,  als  beim  Betrachten  entfernter  Objecte  durch  Con- 
cavgläser. 

Augenmattigkeit,  Kopiopic,  Lauguor  octili.*) 

Dieser  Zustand  äussert  sich  zunächst  durch  Mangel  an  Ausdauer 
oder  vorzeitige  Ermüdimg  der  Augen  beim  Betrachten  naher  Gegen- 
stände. Das  Auge,  welches  übrigens  vollkommen  gesund  sein  kann,  in 
die  Feme  gut  oder  doch  leidlich  gut  sieht,  und  die  Accommodations- 
fähigkeit  noch  in  mehr  weniger  hohem  Grade  besitzt,  hält  bloss  die 
Accommodation  für  nahe  und  feine  Objecte  nicht  lange  genug  aus,  und 
zwar  wegen  verminderter,  unzureichender  Energie  der  Accommodations- 
organe;  diese  können  die  zum  Nahesehen  nöthige  Spannung  nicht 
hinreichend  lange  auf  der  gehörigen  Höhe  erhalten;  das  Auge  muss 
einige  Zeit  ausruhen,  um  wieder  zu  Kräften  zu  kommen,  oder  es  muss 
durch  Convexgläser  der  Mühe  überhoben  werden,  sich  für  die  relativ 
zu  grosse  Nähe  zu  accommodiren. 

Die  Kopiopie  gibt  sich  dem  Kranken  gewöhnlich  durch  das  Gefühl 
von  Spannung  oder  Druck  in  oder  über  den  Augen  kund,  Anfangs  nur 
nach  tagelanger  Anstrengung,  bei  Professionisten,  Schustern,  Schnei- 
dern u.  dergl.  die  letzten  Tage  der  Woche,  später  schon  jeden  Abend, 
wenn  viel  bei  künstlichem  Lichte  gearbeitet  werden  muss,  endlich  auch 
selbst  schon  unter  Tags,  nach  einigen  Stunden,  und  beim  höchsten 
Grade  des  Übels  ist  das  Auge  zu  jeder  Arbeit  unfähig.  Seltener  und 
nur  nach  den  bei  der  Ätiologie  der  Weitsichtigkeit  angeführten  depri- 
mirenden  Einflüssen,  wird  der  Verlust  der  Accommodationsenergie 
gleichsam  plötzlich  in  mehr  weniger  hohem  Grade  entwickelt  bemerkt. 
Besteht  die  Kopiopie  ohne  eigentliche  Stumpfheit  der  Sehkraft  und  in 

*)  Von  früheren  Autoren  Amblyopia  es.  abusu  visus  (Beer) ,  von  späteren  Hebetudo  visus  (Jüngken, 
Böhm)  genannt,  nach  Sichel  Amblyopie  presbytique,  nach  Petrequin  Kopiopie  (von  xoTtiao),  ich  er- 
müde, lasse  nach),  nach  Makenzie  Asthenopie.  Das  Übel  ist  zunächst  nicht  ein  Leiden  der  Netz- 
haut, sollte  daher  auch  nicht  Amblyopie  genannt  werden.  Das  Gesicht  kann  dabei  vollkommen 
scharf  sein,  daher  auch  nicht  stumpf  (hebesj  genannt  werden,  was  doch  visus  vel  auditus  hebes  bei 
den  Classikern  bedeutet. 


262  Augenmuskeln. 

sonst  gesunden  Augen,  so  erkennt  das  Auge  die  Gegenstände  im  Anfange 
der  Arbeit  recht  gut,  und  wenn  nicht  bereits  ein  höherer  Grad  von 
Presbyopie  eingetreten  ist,  auch  in  der  gewohnten  Entfernung.  Zunächst 
sucht  sich  der  Kranke  durch  stärkere  Beleuchtung  und  durch  Weg- 
rücken der  Objecte  über  die  gewohnte  Distanz  zu  helfen;  allein  über 
kurz  oder  lang  stellt  sich  das  Gefühl  von  Ermüdung,  Abspannung, 
Druck  in  den  Augenhöhlen  ein,  der  Blick  wird  unsicher,  allmälig  ge- 
trübt. Man  meint,  man  müsse  etwas  vom  Auge  wegwischen,  und  in 
der  That,  die  hiezu  nöthige  Pause  reicht  Anfangs  hin,  das  Auge  wieder 
für  einige  Zeit  zur  Arbeit  tauglich  zu  machen.  Bei  fortgesetzter  An- 
strengung, besonders  bei  reizbarem  Nervensysteme,  gesellt  sich  alsbald 
ein  bedeutender,  zusammenziehender  Schmerz  über  den  Augenbrauen 
dazu,  die  Augen  fangen  an,  öfter  überzugehen,  zu  thränen  und  zu 
zittern,  gleich  dem  ausgestreckten  Arme,  der  eine  relativ  zu  schwere 
Last  halten  soll.  Das  Zittern  nimmt  der  Kranke  nicht  als  solches  wahr, 
sondern  als  Hin-  und  Herschwanken  oder  Durcheinanderschwirren  der 
Buchstaben,  Noten  u.  dergl.  Endlich  erscheinen  die  Gegenstände 
farbig  eingesäumt,  doppelt,  th eilweise  verwischt  oder  wie  in  Nebel  ge- 
hüllt. Bei  fortgesetzter  Anstrengung  können  auch  Schwindel,  Brech- 
neigung, Erbrechen  auftreten.  Mückensehen  in  verschiedener  Form  be- 
gleitet sehr  häutig  auch  diesen  Zustand,  wie  überhaupt  alle  Abnormi- 
täten des  Refraetionszustandes  und  ungenügende  Accommoclation.  In 
die  Ferne  sehen  solche  Kranke  nach  wie  vor,  und  im  Freien  fühlen 
sie  überhaupt  von  ihrem  Leiden  nichts.  (Ist  Ungleichheit  der  Sehkraft, 
z.  B.  wegen  leichter  Hornhauttrübung  des  einen  Auges,  die  Ursache  der 
Kopiopie,  so  treten  die  genannten  Zufälle  nur  in  dem  bessern,  zum 
Nahesehen  benützten  Auge  auf). 

Der  Blick  solcher  Augen  ist  matt  (languidus),  des  gewöhnlichen 
Grades  von  Glanz  und  Feuer  mehr  weniger  verlustig.  Sind  die  Augen 
durch  Arbeit  überreizt,  so  erscheinen  die  Lider  an  den  Rändern  leicht 
geröthet,  wohl  auch  etwas  angelaufen,  die  Episcleralgefässe  stärker 
injicirt;  sie  sind  gegen  grelles,  namentlich  reflectirtes  Licht,  gegen 
raschen  Wechsel  zwischen  Licht  und  Schatten,  gegen  kalte  Luft,  Tabak- 
rauch u.  dergl.  abnorm  empfindlich,  und  thränen  leicht,  wogegen  sie 
des  Morgens  beim  Erwachen  wie  ausgetrocknet  erscheinen,  so  dass  die 
Lider,  obwohl  nicht  verklebt,  nur  mühsam  und  unter  Schmerz  geöffnet 
werden  können.  Diese  Zufälle  deuten  mehr  weniger  schon  auf  Hinzu- 
treten von  Reizung  und  Hyperämie  der  Netzhaut.  —  Rücksichtlich  der 
Lage  der  Iris  und  Linse  verhalten  sich  solche  Augen  meistens  so  wie 
weitsichtige,  auch  in  jenen  Fällen,  wo  sie  noch  im  Stande  sind,  selbst 


Augeimiattigkeit  —  Prognosis  —  Therapie.  263 

bei  5  Zoll  Distanz  feine  Objecte  deutlich  zu  erkennen.  Die  Pupille  ist 
im  Allgemeinen  enger,  auch  wenn  noch  keine  Zeichen  von  Netzhaut- 
reizung vorhanden  sind. 

Häufig  kommt  dieser  Zustand  bei  Leuten  vor,  bei  denen  sich  Pres- 
byopie wegen  Senescenz  entwickelt;  er  erreicht  indess  hier  nicht  so 
oft  einen  hohen  Grad,  weil  solche  Leute  bald  darauf  kommen,  dass  sie 
ihre  Augen  zur  Arbeit  durch  Brillen  unterstützen  müssen,  und  w«il  bei 
höheren  Graden  von  Weitsichtigkeit  sich  das  Lesen,  Schreiben  u.  dergl. 
ohne  Brillen  von  selbst  verbietet.  Wenn  jedoch  die  Senescenz  etwas 
früher  eintritt,  wenn  man  den  Gebrauch  der  Brillen  aus  Eitelkeit  ver- 
schmäht oder  aus  dem  sonderbaren  Grunde,  weil  man  dieselben  dann 
nie  wieder  werde  ablegen  können,  oder  wenn  relativ  zu  schwache 
Brillen  gewählt  wurden,  so  geschieht  wohl  auch  hier  dasselbe,  was 
sonst  nur  dann  der  Fall  ist,  wenn  jüngere  Leute  davon  befallen  wer- 
den. Die  Ursachen  sind  dieselben,  welche  wir  bei  der  Presbyopia 
praematura  angegeben  haben,  übermässige  Anstrengung,  deprimirende 
Einflüsse,  Weinen,  Nachtwachen  u.  s.  w.  Nebstdem  aber  gibt  Ungleich- 
heit der  Sehkraft  beider  Augen  häufig  die  Veranlassung  zu  diesem  Zu- 
stande. Vergl.  Hornhauttrübung  B.  I.  S.  261  und  Amblyopie  B.  III. 
S.  102.  —  Bei  Kurzsichtigen  können  wohl  in  Folge  übermässiger  An- 
strengung die  Zufälle  von  Überreizung  und  Hyperämie  (selbst  Apoplexie 
und  Entzündung)  der  Netzhaut  auftreten;  von  einem  Nachlassen  der 
Accommodationskraft,  von  einem  Zurückgehen  auf  grössere  Entfernung 
beim  Arbeiten  habe  ich  nie  etwas  gehört,  noch  beobachtet.  Bei  Schie- 
lenden wird  die  Accommodation  für  feinere  Objecte  sehr  häufig  nicht 
lange  ausgehalten;  doch  waltet  hier  nicht  einfache  Schwäche  der  Ac- 
commodationsorgane  ob,  sondern  müssen  noch  andere  (später  erörterte) 
Momente  mit  in  Anschlag  gebracht  werden. 

Die  Prognosis  ist  im  Allgemeinen  günstig  zu  stellen,  was  die  Er- 
haltung der  Sehkraft  betrifft,  unter  Umständen  auch  günstig  rücksicht- 
lich  der  völligen  Wiederherstellung  des  normalen  Zustandes.  Die  Hei- 
lung- ist  mühsam,  erfordert  von  Seite  des  Kranken  viel  Ausdauer. 
Gefährlich  wird  der  Zustand  nur  durch  das  secundäre  Netzhautleiden. 
Bei  Weitsichtigkeit  wegen  Senescenz  lassen  sich  die  Zufälle  durch 
passende  Convexgläser  und  eine  vernünftige  Augendiätetik  beseitigen. 
Bei  einfacher  Kopiopie  jugendlicher  Individuen  in  Folge  übermässiger 
Anstrengung  der  Augen  oder  deprimirender  Einflüsse  lässt  sich  aa 
völlige  Behebung  denken,  sobald  —  was  freilich  oft  unmöglich  —  den 
Augen  und  dem  Körper  die  nöthige  Ruhe  und  Erholung  verschafft 
werden  kann.     Bei  Kopiopie    wegen   Ungleichheit  der   Sehkraft  fragt 


264  Augenmuskeln. 

sich's  nebstdem,  ob  diese  beseitigt  werden  kann;  wo  nicht,  so  kann 
meistens  nur  von  Besserung  oder  temporärer  Beseitigung  der  Zufälle 
die  Rede  sein. 

Die  Behandlung  erfordert  zunächst  Eruirung  und  gehörige  Wür- 
digung der  ätiologischen  Momente.  Bald  ist  die  übermässige  An- 
strengung, bald  die  Senescenz,  Depression  der  Körperkräfte,  oder  Un- 
gleichheit der  Sehkraft  der  vorwaltende  Factor.  In  allen  Fällen  besteht 
demnach  die  erste  Indication  darin ,  dass  dem  Auge  durch  Wochen  — 
Monate  Ruhe  und  Erholung  gestattet  werde.  Dieser  Indication  wird  bald 
schon  durch  Einschränkung,  bald  auch  nur  durch  gänzliche  Enthaltung 
vom  Lesen,  Schreiben  u.  dgl.  genügt  werden  können.  Ein  vortreffliches 
Mittel,  solche  Augen  trotz  Beschäftigung  nicht  anzustrengen,  bieten 
Convexgläser,  nur  müssen  sie,  wenn  sich  das  Auge  noch  accommodiren 
kann,  schwach  sein.  Zu  diesem  Behufe  ist  es  wünschenswerth,  Gläser 
von  100,  90,  80,  75,  70,  65  u.  s.  w.  bis  40  zu  besitzen,  um  auch  den 
geringsten  Abstufungen  der  Accommodationskraft  gebührend  Rechnung 
tragen  zu  können.  Wird  das  Auge  eben  hinreichend,  aber  auch  nicht 
mehr,  unterstützt,  dann  kann  massige,  lieber  öfter  als  länger  vorge- 
nommene Übung  sogar  wohlthätig  auf  die  geschwächten  Accommoda- 
tionsorgane  einwirken,  gleichwie  der  Reconvalescent  von  einer  schweren 
Krankheit  seine  Muskelkräfte  durch  massige,  nicht  zu  einförmige  und 
nie  bis  zur  Ermüdung  fortgesetzte  Übung  stärkt,  durch  Unthätigkeit 
hingegen  ebenso  wie  durch  forcirte  Anstrengung  schwächt.  Besonders 
wohlthätig  sind  die  meines  Wissens  zuerst  von  Böhm  empfohlenen  blass- 
blauen schwachen  Convexgläser,  besonders  in  jenen  Fällen,  wo  sich 
bereits  ein  mehr  weniger  hoher  Grad  von  Erethismus  der  Netzhaut 
dazu  gesellt  hat.  In  dem  Masse,  als  die  Accommodationsorgane  erstar- 
ken, geht  man  von  stärkeren  zu  schwächeren  Nummern  über.  Am  fühl- 
barsten macht  sich  der  Nutzen  entsprechender  Convexgläser  bei  jenen, 
welche  durch  Verhältnisse  gezwungen  sind,  zu  arbeiten.  Man  inuss 
aber  diejenigen,  welche  über  die  Wirkung  dieser  Unterstützung  ent- 
zückt sind,  ausdrücklich  ermahnen,  sich  nicht  zu  vergessen,  und  bei 
der  Arbeit  es  nie  bis  zur  Ermüdung  kommen  zu  lassen,  sondern  gleich 
jenen,  die  keine  Brillen  brauchen,  öfter  kleine  Pausen  und  Abwechs- 
lung im  Arbeiten  eintreten  zu  lassen.  Auch  sollen  sie  allmälig  wieder 
anfangen,  zeitweise  ohne  Brillen  zu  arbeiten,  falls  sie  dieselben  nicht 
etwa  wegen  Presbyopie  bleibend  bedürfen.  Fleissige  Bewegung  im 
Freien,  wo  möglich  Aufenthalt  auf  dem  Lande,  in  Gebirgsgegenden. 
Öfteres  Waschen  oder  Anspritzen  der  Augen  mit  frischem  Wasseiv 
Augendouche  mittelst  besonderer  Apparate.    Ein  sehr  einfacher  Apparat 


Atigeiiniattigkeit  —  Therapie  —  Beispiele.  265 

ist  eine  Bohre  von  Glas  oder  Blech,  an  beiden  Enden  umgebogen,  im 
geraden  Mittelstück  etwa  30 — 36  Zoll  lang,  das  eine  Ende  in  eine  auf- 
wärts gerichtete  Spitze  zulaufend,  und  mit  einer  Öffnung  versehen, 
welche  etwa  eine  Stricknadel  aufnehmen  könnte,  das  andere  Ende 
schräg  abgestutzt  und  dem  Mittelstücke  parallel  abwärts  gerichtet,  so 
dass  es  etwa  6  Zoll  tief  in  ein  Gefäss  voll  Wasser  eingetaucht,  das 
Ganze  somit  als  Heber  benützt  werden  kann,  den  man  durch  Ansaugen 
der  Luft  am  spitzigen  Ende  in  Thätigkeit  setzen  kann.  Will  man  statt 
eines  etwa  strohhalmdicken  Strahles  mehrere  feine  haben  (Begendouche)r 
so  verbindet  man  einen  an  einer  Wand  aufgehängten  Wasserbehälter 
mit  einem  etwa  4 — 5  Fuss  langen  Bohre,  welches  durchaus  oder  doch 
unten  biegsam  (von  Kautschuck,  Guttapercha)  ist,  und  unten  mit  einem 
Hahne  (zum  Absperren)  und  einer  Brause  versehen  ist.  Der  Wasser- 
strahl wird  an  die  geschlossenen  Lider  durch  2 — 5  Minuten,  mehrmals 
des  Tages  geleitet.  Wird  die  Douche  nicht  vertragen,  oder  liegen  sonst 
Gründe  dagegen  vor,  so  wähle  man  Waschungen  mit  Wasser  und  Brannt- 
wein (Franzbranntwein  oder  Cognac  mit  4 — 2  Theilen  Wasser)  oder  mit 
Spir.  roris  marini,  mit  Oleum  foeniculi  aethereum  in  Weingeist  gelöst*) 
und  mit  Wasser  verdünnt,  oder  bestreiche  die  Umgebung  der  Augen 
mit  Himly's  Balsamum  ophthalmicum**),  mit  Cölner  Wasser  oder  ähn- 
lichen Mitteln.  —  Die  allgemeine  Behandlung  erfordert  unter  Berück- 
sichtigung des  ätiologischen  Momentes  fleissige  Bewegung  im  Freien, 
Aufheiterung  des  Gemüthes  (wozu  die  Prognosis  wesentlich  beitragen 
wird),  gute  Kost,  nach  Zulass  des  allgemeinen  Befindens  und  der  sons- 
tigen Verhältnisse  Fluss-  oder  Seebäder,  Mineralsäuren,  Eisen-  oder 
Chinapräparate,  u.  dgl. 

..Ein  verdienstvoller  Mann  wurde  am  Ende  eines  heftigen  und  langwierigen  Nerven- 
fiebers  von  einer  solchen  Augenschwäche  befallen,  dass  er  einige  Zeit  hindurch  in  der 
schrecklichsten  Besorgniss  lebte,  sein  Gesicht  völlig  zu  verlieren;  diese  Angst  wurde 
noch  überdiess  durch  das  Achselzucken  der  Ärzte  und  durch  die  tägliche  Abnahme  der 
Sehkraft  mächtig  unterstützt,  so  dass  ich  den  Leidenden  in  der  traurigsten,  mitleidswür- 
digsten Stimmung  antraf,  als  ich  gerufen  Avurde.  Man  rieth  ihm  Dunkelheit  des  Zim- 
mers, den  Dunst  des  Cölner  "Wassers,  und  ein  Augenwasser  aus  gleichen  Theilen  Brun- 
nenwasser und  "Weingeist,  wobei  er  sich  aber  sehr  übel  befand.  Ich  empfahl  leicht 
zu  verdauende  Nahrungsmittel  in  massigen,  vertheilten  Mahlzeiten,  ein  Gläschen  guten 
"Wein,  Bewegung  des  Körpers  in  freier,  reiner  Luft,  Übung  der  Augen  in  einem  ganz 
gleichmässig  vertheilten  hellen  Lichte,  und  endlich  besonders  öf.ers  flüchtiges  Anschauen 
feiner  Kupferstich-  und  Mineraliensammlungen,  welchen  Bath  der  Leidende  auch  sehr  gern 

*)  Der  wesentliche  Bestandtheil  des  Romer shauseri 'sehen  Atigenwassers. 
**)  Rpe. :  Bals.  peruviani  gutt.  sex,  Olei  lavendulae,  olei  caryophyllorum,  olei  succini  rectlfic.  ana  gutt- 
qnatnor,   Spir.  vini  rectifie.   unc.   dimidiam.     M.  et  post   suffic.   macerat.   filtra  per  gossyp.   D.  5. 
Augenbalsam. 


266  Augenmuskeln. 

befolgte,  weil  er  mit  seinen  Neigungen,  vor  welchen  man  ihn  doch  ernstlich  warnte, 
übereinstimmte.  Der  gute  Mann  unterhielt  sich  nun  mit  seinen  Freunden  täglich  über 
verschiedene  Stücke  seiner  trefflichen  Sammlungen  und  vergass  bald  seinen  Kummer; 
denn  die  Gesichtsschwäche,  von  welcher  man  schon  einen  schwarzen  Staar  prophezeihen 
wollte,  verschwand  in  weniger  als  3  "Wochen  so  vollkommen,  dass  der  Wiedergenesene 
seine  Augen  wie  vor  der  Krankheit  gebrauchen  und  anhaltend  anstrengen  konnte."  (Beer, 
Pflege  gesunder  und  geschwächter  Augen.     S.   143.) 

Im  November  1842  kam  ein  Fräulein  von  beiläufig  20  Jahren  zu  mir,  mit  der  Klage, 
dass  sie  seit  einigen  AVochen  nicht  mehr  im  Stande  sei,  längere  Zeit  zu  nähen  oder  zu 
lesen,  was  sie  doch  bis  tief  in  die  Nacht  hinein  zu  thun  gewohnt  gewesen  sei;  es  fange 
ihr  das  rechte  Auge  an  weh  zu  thun  und  zu  thränen,  und  bei  fortgesetzter  Anstrengung 
verwirren  sich  ihr  die  Gegenstände  so  durch  einander,  dass  sie  die  Arbeit  längere  Zeit 
bei  Seite  zu  legen  genöthigt  sei ;  sie  bat  um  so  dringender  um  Hilfe,  da  sie  mit  dem  lin- 
ken Auge  ohnehin  wenig  sehe,  selbst  einen  1/t  Zoll  hohen  Druck  nur  mit  Mühe  lesen 
könne.  Wie  lange  sich  das  linke  Auge  in  diesem  Zustande  befinde,  wisse  sie  nicht ;  sie 
habe  es  vor  einigen  Wochen  beim  Schliessen  des  rechten  bemerkt,  da  ihr  die  Augen  matt 
zu  werden  anfingen.  Nachdem  der  erethische  Zustand  des  rechten  Auges  durch  ent- 
sprechende Diät  und  Behandlung  beseitigt  war,  begann  ich  die  Behandlung  des  linken 
Auges  nach  Cunier's  Vorschlage  mit  einem  concav-convexen  Glase  von  3  Zoll  Brenn- 
weite, durch  welches  sie  den  Titel  der  Prager  Zeitung  gut  zu  lesen  vermochte.  Da 
selbst  durch  vierstundenlange  Übung  keine  Reizungssymptome  herbeigeführt  wurden,  ver- 
minderte ich  die  Brennweite  täglich  um  '/a  Zoll  bis  zu  Nro.  7,  dann  in  grössern  Zwi- 
schenräumen um  einen  ganzen  Zoll  bis  zu  Nro.  17,  endlich  um  3 — 4  Zoll  bis  zu  Nro.  27. 
Den  20.  December  las  sie  bereits  einen  Druck  von  nicht  ganz  1  Linie  Höhe,  und  zwar 
ohne  Glas  und  bei  9  —  10  Zoll  Distanz.  Die  Heilung  ist  dauerhaft;  sie  verträgt  jetzt 
imehrere  Jahre  später)  wieder  stundenlang  Anstrengung  der  Augen. 

Ein  Mädchen  von  ungefähr  26  Jahren  consultirte  mich  wegen  Schwäche  des  rech- 
ten Auges;  mit  dem  linken,  sagte  sie,  habe  sie  von  Jugend  auf  nicht  gut  gesehen.  Sie 
klagte  über  Erscheinungen,  die  ich  damals  (im  Jahre  1840)  auf  Amblyopia  eretisthico- 
congestiva  hohen  Grades  bezog,  welche  aber,  wie  mir  erst  im  spätem  Jahre  klar  wurde, 
zunächst  von  Asthenopie  ausgingen.  Sie  hatte  im  16.  Jahre  an  Bleichsucht  gelitten  und  bot 
den  sogenannten  Habitus  leucophlegmaticus  dar ;  die  Menstruation  war  sparsam,  die  Leibes- 
öffnung habituell  sehr  träge.  Sie  war  in  der  grössten  Angst  zu  erblinden,  da  die  Mittel, 
die  ihr  ein  berühmter  Augenarzt  gerathen  (zeitweilig  Schröpfköpfe  an  die  Wirbelsäule, 
Pillen  mit  Aloe  und  Castoreum),  nicht  .die  geringste  Besserung,  erstere  sogar  vorüber- 
gehende Verschlimmerung  herbeigeführt,  und  ein  zweiter  Arzt  ihren  Verwandten  erklärt 
hatte,  es  sei  schwarzer  Staar  zu  befürchten.  Ich  fand  die  linke  Hornhaut  (in  Folge  einer 
in  früher  Jugend  überstandenen  Entzündung)  nur  ganz  wenig  getrübt,  ungefähr  so ,  wie 
wenn  sie  mit  einer  ganz  dünnen  Lage  Milch  überzogen  wäre.  Sie  hatte  vor  dem  Ent- 
stehen dieser  Gesichtsschwäche  (des  rechten  Auges)  viele  Nächte  hindurch  gewacht  und 
vorgelesen  —  bei  einer  schwer  kranken  Mutter  —  und  anhaltend  feine  weibliche  Arbei- 
ten verfertigt.  Ich  liess  mich  bei  der  Behandlung  besonders  durch  diesen  letztern  Um- 
stand bestimmen,  ohne  genauere  Einsicht  in  die  Natur  des  Übels  am  rechten  Auge  ge- 
winnen zu  können,  schlug  mehrere  Curmethoden  ein,  darunter  auch  die  zu  Marien-  und 
das  Jahr  darauf  zu  Carlsbad,  und  nachdem  Pillen  mit  Sulfas  ferri  und  Aloe  einige  Besse- 
rung bewirkt  zu  haben  schienen,  Franzensbrunnen  beim  Aufenthalte  in  einer  anmuthigen 
Gebirgsgegend.     Ich  hatte  aber  der  Kranken  wohl  am  meisten  dadurch  genützt,  dass  ich 


Augeiimattigkeit  —  Beispiele.  —  Lähmung.  267 

ihr  die  Furcht  vor  Erblindung  benommen,  die  sie  Tag  und  Nacht  gequält,  und  durch 
eine  zweckmässige  Augendiätetik.  Erst  im  Verlaufe  der  Zeit  sah  ich  ein,  dass  Enthaltung 
der  Augen  von  Anstrengung  die  Hauptsache  war.  Es  sind  nun  15  Jahre  verflossen,  und 
die  Kranke,  mittlerweile  auch  in  bessere  Verhältnisse  gesetzt,  muss  wohl  auf  jede  längere 
Anstrengung  der  Augen  verzichten,  erfreut  sich  aber  fortwährend  eines  ungetrübten  Ge- 
sichtes. —  Die  vorstehenden  beiden  Beobachtungen  habe  ich  1S44  in  der  Prager  Viertel- 
jahrschrift auf  S.  6ü  und  61  des  4.  Bandes  mitgetheilt.  Einige  andere,  zum  Theil  hie- 
her  gehörende  Beobachtungen  folgen  in  dem  Abschnitte  über  Strabismus. 

Als  Beispiel  plötzlich  entstandener  Accommodationsparesis  mag  folgender  Fall  dienen. 
Kolm  M.,  37  Jahre  alt,  Buchhalter  in  einem  Handlungshause,  consultirte  mich  am  2.  Mai 
1S54,  weil  er  seit  einigen  Tagen  nicht  mehr  lesen  oder  schreiben  konnte,  obwohl  er  bis 
in  die  jüngste  Zeit  den  ganzen  Tag  zu  schreiben  und  bis  spät  in  die  Nacht  zu  lesen 
pflegte,  und  diess  auch  ohne  alle  Beschwerde  und  Anstrengung  konnte.  —  Er  hatte  vor 
5  Tagen  seiner  Gewohnheit  gemäss  nach  dem  Mittagessen  sich  eine  Cigarre  angezündet ; 
kaum  hatte  er  '  '3  davon  geraucht,  als  ihm  unwohl  wurde,  so  dass  er  beinahe  vom  Stuhle 
gefallen  wäre.  Da  er  ganz  blass  und  kalt  geworden  war,  hatte  man  ihn  mit  kaltem 
Wasser  bespritzt,  und  ihm  dann  Brausepulver  verabreicht.  Er  versichert  einige  Minuten 
lang  gar  nichts  gesehen  und  irre  geredet  zu  haben.  Nachdem  er  sich  in  Zeit  von  3 
Stunden  wieder  völlig  erholt  hatte,  ging  er  auf  die  Schreibstube,  fand  aber  zu  seinem 
Schrecken,  dass  er  die  eingelaufenen  Briefe  nicht  lesen  konnte.  Er  ging  also  nach  Hause 
und  legte  sich  nieder.  Es  erfolgten  einige  diarrhoische  Entleerungen  bei  anhaltender 
Neigung  zum  Erbrechen  und  Eingenommenheit  des  Kopfes,  und  der  Schlaf  war  unruhig. 
Bis  zum  4.  Tage  hatten  sich  diese  Zufälle  allmälig  verloren,  mit  Ausnahme  von  Appetit- 
losigkeit :  er  konnte  auch  wieder  etwas  lesen,  aber  nur  wenige  Minuten  und  mit  Anstren- 
gung. Experimente  bestätigten,  dass  er  in  die  Ferne,  so  wie  früher,  ganz  gut  sah,  und  dass 
sich  die  Störung  des  Gesichtes  bloss  auf  das  Erkennen  und  Betrachten  naher  Objecte  be- 
zog. Er  las  Druck  von  1'"  Höhe  bei  12 — 15  Zoll,  doch  nur  ganz  kurze  Zeit,  und  je 
näher,  desto  schlechter;  convex  60  und  noch  mehr  48  erleichterten  das  Lesen  und  ge- 
statteten Annäherung  bis  auf  8  Zoll.  Objectiv  boten  die  Augen  nichts  Abnormes  dar 
als  matten  Blick,  starke  "Wölbung  der  im  Ganzen  weit  vorn  liegenden  Iris  und  Engheit 
der  Pupillen.  "Wurde  ein  Finger  bis  auf  3"  genähert,  so  stellten  sich  beide  Bulbi  ge- 
hörig einwärts  und  konnten  auch  eine  geraume  Zeit  lang  in  dieser  Stellung  erhalten 
werden.  Wurde  ihm  convex  9  vorgehalten,  so  musste  er  die  Schrift  bis  auf  mindestens 
7"  nähern,  um  sie  noch  lesen  zu  können.  Durch  eine  etwa  l/e'"  grosse  Kartenblatt- 
öffnung  las  er  mit  jedem  Auge  zwischen  5  und  12"  auch  den  feinsten  Druck.  —  Ich 
liess  den  Mann  bloss  viel  in's  Freie  gehen,  diät  leben  und  nichts  arbeiten.  Nach  8  Ta- 
gen konnte  er  wieder  wie  früher  lesen  und  schreiben.  Sein  Nahepunkt  lag  jetzt  6" 
Tor  den  Augen. 


Augenmuskellähnmiig,   Paresis  et  Paralysis  niuscul.  bulbi. 

Die  hieher  gehörenden  Zustände  wurden  in  früherer  Zeit,  je  nach- 
dem man  die  eine  oder  die  andere  hervorstechende  Erscheinung  vor- 
züglich in's  Auge  fasste,  bald  als  Luscitas  (Schiefstehen  des  Auges) 
oder  Strabismus  lusciosus  (unbewegliches  Schielen),  bald  als  Diplopia 
(binoculäres  Doppeltsehen),  wohl  auch  einfach  als  Strabismus  (beweg- 


268  Augenmuskeln. 

liches  oder  concomitirendes  Schielen,  z.  B.  Trochlearislährnimg)  aufge- 
fasst  und  beschrieben.  Wir  können  hier  diese  generellen,  auf  viele 
unter  sich  ganz  verschiedene  Zustände  anwendbaren  Namen  nur  in  so 
fern  zulassen,  als  sie  sich  bloss  auf  verminderte  oder  aufgehobene  Con- 
tractionsfähigkeit  (Innervation)  der  Muskeln  des  Bulbus  beziehen.  Von 
jener  Diplopie  oder  Unbeweglichkeit  des  Bulbus,  welche  z.  B.  auf  An- 
wachsung desselben  an  ein  Augenlid  u.  dgl.  beruht,  kann  demnach  hier 
eben  so  wenig  die  Hede  sein,  als  von  der  durch  Verdrängung  des 
Bulbus  aus  seiner  Lage  (z.  B.  durch  Geschwülste  in  der  Orbita)  be- 
dingten. 

Die  Lähmung  tritt  in  sehr  verschiedenen  Graden  auf,  für  welche 
die  Ausdrücke  Paresis  und  Paralysis  nur  annäherungsweise  genügen. 
Die  Abstufungen  von  der  leichtesten  noch  wahrnehmbaren  Insufficienz 
bis  zur  completen  Aufhebung  der  Function  eines  Muskels  sind  so  zu 
sagen  unendlich.  Auch  rücksichtlich  der  Zahl  der  ergriffenen  Muskeln 
kommen  mannigfaltige  Combinationen  vor.  Die  einfachsten  Fälle  sind 
die,  wo  bloss  einer  der  Recti  gelähmt  ist,  doch  kommt  diess  gewöhnlich 
nur  beim  R.  externus  vor ;  complicirter  sind  schon  die  Fälle,  wo  die  vom 
N.  oculomotorius  versehenen  Recti  sammt  dem  Obl.  inferior  gelähmt 
erscheinen;  grosse  diagnostische  Schwierigkeiten  bietet  die  Lähmung 
des  Obl.  superior  dar,  zumal  wenn  sie  noch  mit  Lähmung  irgend  eines 
andern  Muskels,  z.  B.  des  R.  externus  zugleich  vorkommt,  und  am 
schwierigsten  sind  jene  Fälle,  wo  an  beiden  Augen  zugleich  Lähmung* 
einzelner,  ungleichnamiger  Muskeln  vorkommt.  Die  richtige  Auffassung 
solcher  Fälle,  sie  mögen  nun  einfach  oder  combinirt  sein,  wird  übrigens 
häufig,  zumal  nach  längerem  Bestände,  noch  dadurch  erschwert,  dass 
mannigfache  Reflexwirkungen  und  secundäre  Contracturen  in  andern 
Muskeln  auftreten.  So  leicht  es  demnach  in  einzelnen  Fällen  ist,  die 
Lähmung  eines  oder  mehrerer  Muskeln  zu  erkennen,  so  schwierig  ist 
in  andern  schon  die  Bestimmung,  ob  Muskellähmung  überhaupt,  an 
welchem  Auge,  in  welchen  Muskeln  und  in  wie  hohem  Grade  vorhanden 
sei,  an  welche  sich  dann  erst  die  im  Allgemeinen  noch  viel  schwierigere 
Eruirung  des  ursächlichen  Momentes  anreihen  kann. 

Die  eminenten  Erscheinungen  der  Muskellähmung  sind  im  Allge- 
meinen: gehinderte  Beweglichkeit  des  Bulbus  nach  einer  oder  der  andern 
Richtung,  bald  mit  bald  ohne  Abnormität  in  der  Stellung  desselben,  und 
Doppeltsehen  beim  Gebrauche  beider  Augen,  woran  sich  noch  Schwin- 
del, unsichere  Orientirung,  ungenügende  Accommodation  und  Sensibili- 
tätsstörungen anreihen. 

Abnormitäten  in  der  Stellung  und  Beweglichkeit  des  Bulbus,  an 


Lähmung  im  Allgemeinen  —  Diplopie.  269 

Trelcheni  ein  oder  mehrere  Muskeln  insufficient  sind,  geben  sich  über- 
haupt nur  bei  Affection  der  Eecti  und  auch  da  nur  bei  höheren  Graden 
und  bei  gewissen  Richtungen  der  Sehachse  kund,  da  nämlich,  wo  die 
einfache  oder  die  erhöhte  Mitwirkung  des  betreffenden  Muskels  in  An- 
spruch genommen  wird.  „Um  die  ausbleibende  Wirkung  eines  Augen- 
muskels kenntlich  zu  machen,  müssen  wir  das  Auge  derjenigen  Stel- 
lung zuführen,  in  welcher  die  Zusammenziehung  des  afficirten  Muskels 
beansprucht  wird."  Dieser  Ausspruch  A.  von  Greife's  enthält  den  lei- 
tenden Grundsatz ,  von  dem  man  bei  Beurtheilung  sowohl  der  Stellung 
der  Cornea  als  des  Auftretens  der  Doppelbilder  auszugehen  hat. 

Das  Gefühl  von  Schwindel  fehlt  bei  frischen  Fällen  von  Muskel- 
lähmung selten,  und  zwar  nicht  nur  beim  monoculären  Sehen  (mit  dem 
afficirten  Auge),  sondern  auch  beim  binoculären.  Der  Kranke  hat  auf 
dem  betroffenen  Auge  die  feste  Haltung  und  die  richtige  Orientirung 
im  Sehfelde  mehr  weniger  verloren;  er  irrt  sich  im  Urtheile  in  Bezug 
auf  die  Lage  (rechts,  links,  oben,  unten)  oder  Richtung  (grad  oder  schräg), 
mitunter  auch  in  Bezug  auf  die  Entfernung  und  auf  die  Grösse  der  Ob- 
jeete.  Man  kann  das  eine  durch  Vorhalten  eines  Prisma,  das  andere 
durch  Vorhalten  eines  coneaven  oder  convexen  Glases  leicht  an  sich 
nachmachen.  —  In  manchen  Fällen  von  Muskellähmung  findet  man  die 
Sensibilität  der  Haut  in  der  Umgebung  des  Auges  oder  auch  an  der 
Hornhaut  vermindert,  jedoch,  wie  es  scheint,  nicht  als  Effect  oder  Sym- 
ptom, sondern  vielmehr  als  Coexistenz.  In  andern  leidet  consecutiv  die 
Sensibilität  der  Netzhaut,  und  es  muss,  da  diese  auch  aus  andern  Ur- 
sachen gesunken  sein  kann,  jederzeit  das  gegenseitige  Verhalten  erst 
eruirt  und  constatirt  werden. 

Unter  den  Zufällen,  durch  welche  sich  die  Verminderung  oder  Auf- 
hebung der  Function  eines  Augenmuskels  kundgibt,  nimmt  das  Dop- 
j)pltsehen  beim  binoculären  Sehacte  die  erste  Stelle  ein.  Der  von  Paresis 
oder  Paralysis  eines  (mehrerer)  Augenmuskels  Befallene  bemerkt  zu 
seinem  Schrecken,  dass  er  beim  Gebrauche  beider  Augen  doppelt,  beim 
Verschluss  des  einen  oder  des  andern  Auges  einfach  sieht.  Er  bemerkt 
diess  bald  unter  allen  Umständen,  bald  nur  beim  Anblick  entfernter  und 
heller,  bald  nur  beim  Betrachten  naher  Objecte,  ein  andermal  nur, 
wenn  die  Objecte  des  directen  Sehens  sich  rechts  oder  links  von  der 
verticalen  Meridianebene  des  Kopfes,  oder  aber  nur  wenn  sie  sich  unter 
oder  über  der  Horizontalen  befinden  (z.  B.  beim  Stiegensteigen,  beim 
Blick  auf  die  Zimmerdecke,  eine  Thurmspitze).  In  Fällen  geringer  Af- 
fection tritt  die  Diplopie  beim  gewöhnlichen  Sehen  bisweilen  nicht  als 
solche   deutlieh  auf,  indem  sich   die  Doppelbilder  noch  mehr  weniger 


270  Augenmuskeln. 

decken,  dalier  der  scheinbar  noch  einfach  gesehene  Gegenstand  nur  auf 
der  einen  Seite  wie  von  einem  Schatten  oder  Farbenstreifen  einge- 
säumt oder  wie  verunstaltet  (in  die  Breite  oder  Länge  gezogen)  er- 
scheint. Wo  immer  ein  Kranker  über  solche  Zufälle  klagt,  hat  man  Ur- 
sache, an  insufticiente  Wirkung  eines  oder  mehrerer  Muskeln  behufs 
der  richtigen  (correspondirenden)  Stellung  des  Bulbus  zu  denken,  vor- 
ausgesetzt, dass  keine  Diplopia  monocularis  oder  eine  Krankheit  in  dem 
einen  Bulbus  selbst  (Keratokonus,  Luxation  der  Linse,  beginnende  Netz- 
hautablösung) obwaltet. 

Obwohl  unsere  frühem  Erörterungen  über  das  Sehen  bei  nicht  adaptirtem  Kefra- 
ctionszustande  genügen  dürften,  begreiflich  zu  machen,  dass  Zerstreuungskreise  unter  ge- 
wissen Umständen  Doppeltsehen  (mit  einem  Auge)  veranlassen  können ,  so  halte  ich  es 
doch  nicht  für  überflüssig,  hier  noch  einige  Bemerkungen  über  die  Diplopia  und  Polyopia 
monocularis  einzuschalten,  zumal  der  Gegenstand  in  früherer  und  späterer  Zeit  zu  man- 
nigfachen irrigen  Deutungen  und  Hypothesen  Veranlassung  gegeben  hat.  —  Das  Dop- 
peltsehen mit  Einem  Auge  kommt  vor  bei  rein  Kurz-  oder  Weitsichtigen,  bei  Hyperpres- 
byopischen,  bei  leichten  Trübungen  in  den  durchsichtigen  Medien,  mithin  immer  nur 
unter  Umständen,  wo  die  Bedingungen  zu  Zerstreuungskreisen  in  nicht  entsprechender 
Vereinigungsweite  oder  in  Diffusion  der  von  den  Objecten  kommenden  Lichstrahlen 
vorhanden  sind.  Demgemäss  kann  auch  jeder  Normalsichtige  die  Phänomene  des  mon- 
oculären  Doppelt-  und  Mehrfachsehens  leicht  an  sich  beobachten,  wenn  er  sein  Auge 
durch  Vorhalten  eines  entsprechend  starken  Concav-  oder  Convexglases  weit-  oder  kurz- 
sichtig macht.  Mir  gelingt  insbesondere  das  Doppeltsehen  entfernter  Thurmspitzen,  Blitz- 
ableiter u.  dgl.  sehr  leicht  durch  Convexgläser  von  30 — 36  Zoll.  Das  Doppeltsehen  macht 
sich,  wenn  nicht  Diffusion  des  Lichtes  obAvaltet,  nur  bei  nicht  adaptirtem  Eefractions- 
zustande  geltend,  also  bei  Kurzsichtigen  nur  an  Objecten,  welche  jenseit  des  Fernpunktes 
der  deutlichen  Sehweite  liegen,  bei  Fernsichtigen  an  zu  stark  genäherten  Objecten  (und 
somit  kann  auch  ein  Normalauge  bei  zu  grosser  Annäherung  feiner  Objecte  dieselben 
doppelt  sehen),  bei  Hyperpresbyopischen  in  allen  beliebigen  Distanzen,  vorausgesetzt,  dass 
noch  die  anderweitigen  Bedingungen  vorhanden  sind.  Die  letzteren  beziehen  sich  nebst 
der  leichten  Erregbarkeit  der  Netzhaut  als  Grundbedingung  auf  die  Helligkeit,  den  Seh- 
winkel, die  Dimensionen  und  die  Richtung  der  Objecte.  Was  die  Helligkeit  betrifft ,  so 
kommt  es  nicht  sowohl  auf  die  Menge  des  Lichtes  an ,  welches  ein  Object  zum  Auge 
sendet,  als  vielmehr  auf  den  Contrast  zur  Umgebung  oder  Unterlage.  Daher  eignen  sich 
verticale  und  horizontale  Tintenstriche  auf  weissem  Papier,  Blitzableiter  oder  Thurmspitzen 
vor  dem  Firmamente  so  gut  zu  diesen  Experimenten ,  wie  eine  schmale  Goldleiste  oder 
eine  Millykerze  auf  mattem  Hintergrunde.  Sind  die  Netzhautbilder  zu  gross,  so  treten 
die  Doppelbilder  nicht  genug  aus  einander.  Lange  und  schmale  Objecte  werden  leichter 
doppelt  gesehen,  runde  dagegen  vielfach  oder  bloss  einfach  und  von  einem  Hofe  oder 
Farbenkranze  umgeben.  Die  Verdopplung  eines  langen  Objectes  gelingt  leichter,  wenn 
dasselbe  senkrecht  steht,  und  die  Doppelbilder  treten  caeteris  paribus  weiter  aus  einander, 
als  wenn  dasselbe  Object  eine  horizontale  Lage  hat.  Die  Erklärung  hievon  liegt  in  dem 
von  Moser,  Meyer,  Fiele  u.  A.  nachgewiesenen  Umstände,  dass  die  Hornhaut  von  oben 
nach  unten  stärker  als  von  einer  Seite  zur  andern  gewölbt  ist.  —  Kurzsichtige  sehen  den 
Mond  doppelt,    aber  nur   den  Halb-  nicht  den  Vollmond,    nicht   den  Abend-  oder   einen 


Lähmung  im  Allgemeinen  —  Doppeltsehen.  271 

andern  hellen  Stern.  Leute  ohne  Krystalllinse  beschweren  sich  gewöhnlich,  dass  sie  glän- 
zende Objeete,  z.  B.  Metallknöpfe,  Goldleisten,  entfernte  Kerzenlichter,  doppelt  oder  mehr- 
fach sehen.  Ebenso  fällt  Leuten  mit  beginnender  Cataracta  häufig  zuerst  auf,  dass  sie 
die  Kerzen  am  Altar  vervielfältigt  sehen.  Exsudatstreifen  oder  Membranen  in  der  Pupille 
bewirken  Doppelt-  'oder  Mehrfachsehen  nicht  durch  Zerfällen  der  Lichtkegel  in  mehrere, 
ausser  unter  Verhältnissen,  die  wir  bei  den  entoptischen  Erscheinungen  angegeben  haben, 
sondern  analog  den  durchscheinenden  oder  halbdurchsichtigen  Hornhaut-  und  Linsen- 
trübungen durch  Diffusion  des  Lichtes  und  Zerstreuungskreise. 

Die  aus  der  insufücienten  Wirkung  eines  oder  mehrerer  Muskeln 
hervorgehenden  Zufälle  werden  mannigfaltig  modificirt  und  mehr  weni- 
ger verwischt  dadurch,  dass  die  Affection  bald  plötzlich  in  hohem  Grade, 
bald  unvermerkt  und  allmälig  mehr  und  mehr  auftritt,  dass  sie  auf 
einem  gewissen  Grade  stehen  bleibt  oder  ganz  von  selbst  wieder  ab- 
nimmt, hauptsächlich  aber  dadurch,  dass  nach  längerem  Bestände  bald 
Reflexwirkung  in  andern  Muskelgruppen,  bald  Sinken  der  Energie  der 
Netzhaut  oder  beides  zugleich  eintritt.  Vermöge  des  unwiderstehlichen 
Dranges,  der  vor  Allem  durch  das  Doppeltsehen  lästigen  Functionsstö- 
rung  abzuhelfen,  das  Doppeltsehen  zu  elidiren  oder  unschädlich  zu 
machen,  entstehen  alsbald  Reflexbewegungen,  bald  in  dem  Antagonisten 
desselben  Auges,  damit  das  Doppelbild  auf  eine  mehr  peripherische 
Stelle  der  Netzhaut  falle  und  somit  leichter  unterdrückt  werden  könne, 
bald  in  dem  gleichnamigen  oder  gleichseitigen  Muskel  des  andern  Auges, 
gleichsam  als  ginge  der  vom  Sensorium  ausfahrende,  bald  für  die  gleich- 
namigen (bei  den  Accommodativbewegungen),  bald  für  die  gleichseitigen 
(bei  den  Richtbewegungen)  bestimmte  Gesammtimpuls  jetzt,  wo  der  eine 
davon  gelähmt  ist,  auf  den  andern  allein  über.  Hier  wirkt  meines  Wis- 
sens vorzüglich  der  Umstand  entscheidend,  ob  beide  Augen  in  der  Seh- 
kraft und  Refraction  beträchtlich  differiren  oder  mehr  weniger  gleich 
sind.  So  fand  ich  bei  einigen  Kranken  mit  Lähmung  des  Rect.  externus 
an  dem  Auge,  dessen  sie  sich  zum  schärferen  Sehen  bedienten,  dass  sie 
nach  einiger  Zeit  anfingen,  mit  dem  schwächern  Auge  einwärts  zu 
schielen,  also  das  Bild  des  nicht  afficirten  Auges  unterdrücken  lernten. 
Ausserdem  aber  wird  das  Doppeltsehen  gewöhnlich  durch  erhöhte  Con- 
traction  des  Antagonisten  auf  dem  afficirten  Auge  elidirt,  das  Horn- 
hautcentrum z.  B.  bei  Lähmung  des  R.  externus  endlich  über  die  Mitte 
der  Lidspalte  gegen  den  innern  Winkel  abgelenkt,  ein  Effect,  der  nur 
durch  Hinzutreten  excessiver  Contraction  des  R.  internus,  nicht  aber 
durch  Lähmung  des  R.  externus  allein  bedingt  werden  kann.  —  Andere 
Kranke  beseitigen  das  Doppeltsehen  und  den  Schwindel  durch  Zuknei- 
pen  der  Lider.  Fast  ohne  Ausnahme  wird  man  aber  bemerken,  dass 
solche  Kranke  durch  schiefe  Haltung  des  Kopfes  dem  Doppeltsehen  so 


272  Augenmuskeln. 

viel  als  möglich  zu  entgehen  suchen,  indem  sie  ihn  bald  um  die  verti- 
cale,  bald  um  die  horizontale  quere  Achse  oder  um  beide  zugleich 
drehen.  (Am  besten  beurtheilt  man  diess  nach  dem  Stande  des  Kinnes 
zum  Brustbeine.)  So  hält  z.  R.  ein  Kranker,  dem  der  R.  externus  des 
linken  Auges  gelähmt  ist,  und  der  desshalb  alle  Objecte  doppelt  sieht, 
welche  gerade  vor  ihm  (in  der  verticalen  Medianebene)  und  von  da  im 
Sehfelde  links  liegen,  sein  Gesicht  links  gedreht,  damit  beide  Augen 
mehr  weniger  rechts  gerichtet  seien,  um  die  gerade  vor  dem  Körper 
befindlichen  Objecte  einfach  sehen  zu  können.  Ist  aber  bereits  exces- 
sive  Contraction  des  Antagonisten,  im  obigen  Falle  Einwärtsschielen 
des  linken  Auges  eingetreten,  dann  hält  der  Kranke  den  Kopf  entgegen- 
gesetzt, im  obigen  Falle  etwas  rechts  gedreht,  weil  so  die  Elidirung 
des  dem  linken  Auge  angehörenden  Bildes  leichter  gelingt.  —  Das 
Doppelbild  kann  aber  auch  aus  andern  Gründen  der  Wahrnehmung  ent- 
gehen, und  zwar  entweder  weil  es  mit  dem  des  gesunden  Auges  noch 
theilweise  zusammenfällt  (bei  gewissen  Distanzen  und  Richtungen,  bei 
geringer  Muskelinsufficienz) ,  oder  weil  es  bereits  einer  sehr  periphe- 
rischen Netzhautstelle  angehört  (bei  completer  Lähmung  und  in  Folge 
von  Reflexwirkungen),  oder  weil  die  Energie  der  Netzhaut  des  afficir- 
ten  Auges  zu  gering  ist,  als  dass  sich  die  schwache  Erregung  des 
Sensorium  von  hier  und  im  Gegensatze  zu  der  vom  normalen  Auge 
ausgehenden.  Erregung  geltend  machen  könnte.  Im  Allgemeinen  wird 
man  jedoch  finden,  dass  bleibende  und  unter  allen  Umständen  herr- 
schende Unterdrückung  des  Doppelbildes  bei  passiver  Ablenkung  der  * 
Sehachse  (Luscitas,  Muskellähmung)  weit  seltener  und  erst  nach  sehr 
langer  Dauer  zu  Stande  kommt,  während  bei  der  (später  zu  be- 
sprechenden) activen  Ablenkung  (Strabismus,  excessive  Muskelcontrac- 
tion)  Doppeltsehen  gar  nicht  oder  nur  unter  besondern  Verhältnissen 
vorkommt.  Das  binoculäre  Doppeltsehen  bildet  somit  das  constanteste 
Symptom  und  empfindlichste  Reagens  für  Muskelinsufficienz,  respective 
Lähmung. 

Unter  Berücksichtigung  des  eben  Gesagten  wird  es  in  jedem  spe- 
ciellen  Falle  möglich  sein,  auch  solche  Muskellähmungen  zu  erkennen, 
die  sich  nicht  sogleich  durch  abnorme  Stellung  der  Hornhaut  und  ge- 
hinderte Beweglichkeit  des  Bulbus  verrathen,  wenn  man  ohngefähr  fol- 
gendermassen  vorgeht.  Zunächst  lasse  man  den  Kranken  den  Kopf  ganz 
gerade  halten  (am  besten  durch  einen  Gehilfen  fixiren),  so  dass  sowohl 
die  verticale  Median-  als  die  Gesichts-  oder  Antlitzebene  senkrecht  auf 
der  Horizontalen  stehen;  sodann  halte  man  die  Objecte,  mit  denen  man 
auf  Doppeltsehen  reagiren  will,  vorerst  dem  Gesichte  gerade  gegenüber, 


Lähmung  im  Allgemeinen  —  Doppeltsehen.  273 

und  zwai  in  einer  Entfernung-,  in  welcher  solche  Objecte  vermöge  ihrer 
Grösse  und  Beleuchtung-  und  vermöge  des  Refractionszustandes  der 
Augen  ohne  besondere  Anstrengung  der  Accommodationsorgane  noch 
deutlich  gesehen  werden  können  (ohngefähr  im  Mesoropter).  Zu  den 
Proben  wähle  man  Objecte,  welche  lang  und  schmal,  scharf  begrenzt 
und  hell  oder  glänzend  sind,  und  sorge  dafür,  dass  sie  zur  Unterlage 
(dem  Hintergründe)  gehörig  contrastiren.  Das  Gesichtsfeld  des  Kranken 
für  die  angegebene  Entfernung  (also  die  Horopterfläche  oder  vielmehr 
Schale)  denke  man  sich  in  4  Quadranten  getheilt,  durch  Verlängerung 
der  verticalen  Medianebene  und  einer  auf  der  Antlitzfläche  senkrecht 
stehenden  horizontalen  Ebene  in  der  Höhe  der  Augenlidspalte.  Den 
Punkt  im  Gesichtsfelde,  wo  diese  beiden  Ebenen  sich  schneiden,  welcher 
mithin  gerade  mitten  vor  dem  Kranken  und  in  gleicher  Höhe  mit 
seinen  Augen  liegt,  wählen  wir  als  Mittel-  oder  Ausgangspunkt,  und 
führen  das  Probeobject  von  da  zuerst  in  der  Horizontalen  (wo  die  Ho- 
ropterschale  von  der  Horizontalebene  getroffen  wird)  links  und  rechts 
so  weit,  als  es  ohne  Ausschluss  des  einen  oder  andern  Auges  durch 
den  Nasenrücken  geschehen  kann,  dann  in  der  Verticalen  (Durchschnitt 
des  Horopters  und  der  verticalen  Medianebene)  auf-  und  abwärts,  end- 
lich in  den  Zwischenrichtungen  (Quadranten)  nach  rechts  und  oben, 
links  und  oben  u.  s.  w.  Sind  die  Erscheinungen,  welche  sich  hiebei 
in  Bezug  auf  die  Stellung  des  vordem  Poles  der  Hornhaut  und  auf 
die  Lage  der  Doppelbilder  ergeben,  für  die  gewählte  mittlere  Sehweite 
erhoben,  dann  prüfe  man  das  Verhalten  der  Augen  nach  denselben 
Merkmalen  in  grösserer  Nähe  und  Ferne,  je  nach  Zulass  des  Refrac- 
tionszustandes. 

"Wo  man  Grund  hat,  theilweise  Deckung  der  Doppelbilder  anzu- 
nehmen, kann  man  ein  Auseinandertreten  derselben  dadurch  bewirken, 
dass  man  mit  dem  Objecte  weiter  oder  näher  rückt,  dass  man  es  aus 
dem  Centrum  des  Gesichtsfeldes  rechts,  links  u.  s.  w.  bringt,  die  hori- 
zontale Richtung  desselben  in  die  verticale  verwandelt,  und  wo  diess 
Alles  nicht  ausreicht,  vor  das  eine  Auge  ein  violettes  Planglas  hält. 
Wo  das  Doppelbild  wegen  relativ  zu  schwacher  Erregung  der  Netzhaut 
nicht  wahrgenommen  wird,  kann  man  dasselbe  in  der  Wahrnehmung 
dadurch  auftauchen  machen,  dass  man  vor  das  sehkräftigere  Auge  ein 
hinreichend  dunkelfarbiges  (blaues)  Planglas  hält.     {Böhm,  Gräfe.) 

Wenn  sich  die  Doppelbilder  in  Bezug  auf  Helligkeit  und  Deutlich- 
keit nahezu  oder  völlig  gleichen,  wie  bei  geringer  Insufficienz  eines 
Rectus  oder  bei  Lähmung  eines  Obliquus,  so  lässt  sich  durch  Vorhal- 
ten irgend  eines  farbigen  Glases  vor  das   eine  Auge   leicht  bemerkbar 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  18 


274  Augenmuskeln. 

machen,  welches  Bild  dem  rechten,  welches  dem  linken  Auge  ange- 
höre. Ausserdem  aber  lässt  sich  das  Bild  des  afficirten  Auges  leicht 
daran  erkennen,  dass  es  minder  hell  und  scharf  erscheint,  weil  es  einer 
mehr  gegen  die  Peripherie  gelegenen  Netzhautstelle  angehört,  oder 
schief  gestellt  ist,  wenn  die  Thätigkeit  eines  Obliquus  gestört  ist  (wegen 
Insuffizienz  eines  der  Obliqui  oder  eines  Antagonisten  derselben  bei 
einer  bestimmten  Stellung).  Doch  kann  schon  durch  abwechselndes 
Verdecken  bald  des  einen  bald  des  andern  Auges  und  Angabe  des  Kran- 
ken, welches  der  Bilder  verschwindet,  in  den  meisten  Fällen,  falls  nicht 
schon  die  falsche  Stellung  der  Hornhaut  und  die  gehinderte  Beweg- 
lichkeit des  Bulbus  nach  irgend  einer  Richtung  hin  ausreicht,  ermittelt 
werden,  ob  die  Muskelinsufficienz  am  linken  oder  rechten  Auge  hafte. 
Man  wird  bei  Verdeckung  des  gesunden  Auges  die  Bemerkung  machen, 
dass  dasselbe  hinter  der  Hand  eine  abnorme  Stellung  annimmt  und  be- 
hält, so  lange  das  afficirte  zum  Fixiren  verwendet  wird.  Es  stellt  sich 
auswärts:  wenn  an  dem  afficirten  Auge  der  R.  externus,  einwärts: 
wenn  der  R.  internus,  nach  innen  und  unten:  wenn  der  Trochlearis, 
aufwärts:  wenn  der  R.  superior  des  andern  Auges  gelähmt  ist.  Ist  auf 
diese  Weise  sichergestellt,  welches  Auge  leidet,  so  ergibt  sich  aus  dem 
Verhalten  des  Doppelbildes,  welcher  Muskel  leidet  und  bis  zu  welchem 
Grade.  Man  braucht  sich  dann  nämlich  nur  gegenwärtig  zu  halten,  dass 
jede  Erregung  der  Netzhaut  so  empfunden  wird,  als  ginge  sie  von 
einem  Punkte  des  Gesichtsfeldes  aus,  welcher  in  der  Richtung  einer 
Linie  liegt,  die  man  sich  von  der  getroffenen  Netzhautstelle  durch  den 
Kreuzungspunkt  der  Richtungslinien  gezogen  und  bis  zum  Gesichtsfelde 
verlängert  zu  denken  hat  (Projection  der  Empfindung).  Wenn  daher 
z.  B.  das  linke  Auge  nach  innen  abgelenkt  ist,  während  das  rechte  seine 
Sehachse  auf  das  zur  Probe  dienende  Object  richtet,  so  wird,  weil  jetzt 
im  linken  Auge  das  Bild  dieses  Objeetes  auf  eine  von  der  Macula  lutea 
einwärts  gelegene  Stelle  fällt,  das  Object  von  dem  linken  Auge  weiter 
links  gesehen,  als  von  dem  rechten.  Mithin  lässt  sich  schliessen,  dass, 
wenn  das  Doppelbild  als  dem  linken  Auge  angehörig  und  als  gegen 
die  linke  Seite  des  Kranken  gerückt  erkannt  wird,  das  linke  Auge  ein- 
wärts abgelenkt  sein  müsse,  und  zwar  um  so  viele  Grade,  als  die  Mes- 
sung und  Berechnung  nach  der  Verrückung  des  Doppelbildes  ergibt. 
(Doppeltsehen  mit  gleichnamigen  Bildern.)  Wenn  dagegen  dasselbe 
Auge  nach  aussen  abgelenkt  ist,  demnach  das  Bild  des  von  dem  rech- 
ten Auge  fixirten  Objeetes  in  dem  linken  Auge  auf  eine  von  der  Ma- 
cula lutea  auswärts  gelegene  Stelle  fällt,  so  wird  dieses  Auge  die  Em- 
pfindung weiter  rechts  versetzen,  als  das  direct  sehende  rechte  Auge, 


Lähmung  im  Allgemeinen  —  Doppeltsehen.  275 

das  dem  linken  Auge  angehörende  Bild  erscheint  somit  rechts  gelegen. 
(Doppeltsehen  mit  gekreuzten  Bildern.)  Erscheint  der  vordere  Pol  des 
einen  Auges  tiefer  gestellt,  als  an  dem  andern  Auge,  so  wird  das  die- 
sem Auge  angehörende  Bild,  weil  auf  einem  unter  dem  hintern  Pole 
gelegenen  Punkte  entworfen,  im  Gesichtsfelde  höher  als  das  des  andern 
Auges  erscheinen.  Gräfe  (Archiv  f.  Ophth.  B.  I.  Abth.  I.  S.  85)  hat 
zuerst  angegeben,  wie  man  sich  mittelst  Prismen  (mit  brechenden 
"Winkeln  von  3,  4 — 12  Grad)  die  Verhältnisse  des  Doppeltsehens  auf 
exacte  Weise  versinnlichen  kann.  „Da  ein  Prisma  das  Licht  nach 
seiner  Basis  hin  ablenkt,  so  wird  es,  vor  ein  Auge  gehalten,  den  Licht- 
einfall gerade  in  derselben  Weise  verändern,  als  wenn  das  Auge  mit 
seinem  vordem  Pole  gegen  die  Basis  des  Prisma  abgelenkt  wäre,  wo- 
bei das  Doppelbild  nach  der  entgegengesetzten  Seite  projicirt  wird." 

„Die  Berechnung  der  pathologischen  Stellung  des  Auges  und  der  Lage  des  Doppel- 
bildes, welche  oft  von  hohem  physiologischen  und  diagnostischen  Interesse  ist,  pflege  ich 
auf  folgende  Weise  vorzunehmen.  Eine  grosse  Tafel ,  welche  in  sehr  viele  numerirte 
Quadrate  getheilt  ist,  wird  in  einer  möglichst  weiten  Entfernung  vom  Kranken  aufge- 
stellt. Vor  derselben  ist  auf  einer  entsprechenden  Vorrichtung  ein  scharf  begrenzter, 
leuchtender  Körper ,  am  besten  ein  kleines  Licht,  verschiebbar.  Der  Kopf  des  Kranken 
wird  nun  genau  so  fixirt,  dass  die  Angesichtsfläche  der  Tafel  parallel  bleibt  und  hierauf 
das  Licht  vom  Centrum  der  Tafel  allmälig  nach  oben,  unten  und  beiden  Seiten  bewegt; 
für  eine  jede  Stellung  des  Lichtes  wird  das  Quadrat  markirt,  in  welches  das  Doppelbild 
fällt.  Da  nun  die  Entfernung  der  Tafel  vom  Kopfe  angegeben  ist,  so  lässt  sich  die  Ex- 
centricität  des  Netzhautbildes  (Entfernung  desselben  vom  Netzhautcentrum)  im  kranken 
Auge  leicht  bestimmen,  denn  es  verhält  sich  die  scheinbare  Distanz  der  beiden  Bilder  zu 
dieser  Excentrieität,  wie  sich  die  Entfernung  der  Tafel  vom  Auge  verhält  zur  Entfernung 
des  Kreuzungspunktes  der  Richtstrahlen  von  der  Netzhaut.  Die  gefundene  Excentricität 
des  Netzhautbildes  gibt  uns,  auf  den  Drehpunkt  bezogen,  den  Bogen  der  Drehung;  über 
die  Richtung  derselben  kann  kein  Zweifel  existiren,  da  sie  den  Gesetzen  der  Projection 
gemäss  immer  der  scheinbaren  Verrückung  des  Doppelbildes  entgegengesetzt  sein  muss, 
und  zwar  diametral  entgegengesetzt,  weil  Object  und  Netzhautbild  genau  in  eine  Meri- 
dianebene fallen.  —  Ist  die  Abweichung  der  Sehachse  im  paralysirten  Auge  von  der 
Sehachsenstellung  des  gesunden  bestimmt,  diese  letztere  aber  durch  die  Verhältnisse  der 
Fixation  gegeben,  so  kennen  wir  auch  die  absolute  Lage  der  Sehachse  im  paralysirten 
Auge,  d.  h.  deren  Abweichung  von- der  ursprünglichen  Gleichgewichtsstellung,  als  welche 
die  auf  der  Angesichtsfläche  senkrechte  Richtung  angesehen  wird.  Die  Neigung  des  Dop- 
pelbildes eines  verticalen  Gegenstandes  muss  in  entgegengesetzter  Richtung  auf  den  ver- 
ticalen  Meridian  des  paralysirten  Auges  übertragen  werden,  so  dass  auch  für  jede  Stel- 
lung der  Sehachse  die  Richtung  der  Meridiane  ermittelt  werden  kann,  vorausgesetzt,  dass 
der  verticale  Meridian  des  gesunden  Auges  in  verticaler  Pachtung  verharrt,  das  gesunde 
Auge  also  ein  in  der  Mittellinie  (verticalen  Meridianebene)  liegendes  Object,  gleichviel, 
ob  nach  oben  oder  unten,  nur  nicht  seitlich  nach  oben  oder  unten  liegendes  fixirt.*)  — 

*)  Meines  Eraehtens  darf  das  vom  gesunden  Auge  fixirte  Object  auch  nicht  bedeutend  über  oder  unter 
der  Horizontalen  (höher  oder  tiefer  als  die  Augen)  liegen,  wenn  der  verticale  Meridian  streng  senk- 
recht bleiben  soll. 

18* 


376  Augenmuskeln. 

Ein  anderes  Mittel,  die  Excentricität  der  Bilder  direct  zu  bestimmen,  besteht  in  der  An- 
wendung prismatischer  Gläser.  Die  Stärke  des  Prisma ,  welches  die  Doppelbilder  an 
einander  bringt ,  wird  direct  zu  dieser  Bestimmung  benutzt ;  doch  ändert  jede  Verschie- 
bung des  Prisma  gegen  die  Achse  der  einfallenden  Strahlen  dessen  Brechkraft,  und  wer- 
den die  nahe  aneinander  gebrachten  Bilder  durch  willkürliche  Muskelcontraction  in  kran- 
ken oder  gesunden  Auge  leicht  verschmolzen,  daher  dieses  Mittel  nur  zur  approximativen 
Schätzung  geeignet  ist.  "Wegen  Vermeidung  des  letztgenannten  Übelstandes  verdient  da- 
her eine  andere  Anwendungsweise  der  prismatischen  Gläser  den  Vorzug.  Nachdem  die 
Distanz  der  Doppelbilder  an  der  Tafel  für  eine  bestimmte  Stellung  markirt  ist,  wird  das 
kranke  Auge  geschlossen  und  die  Ermittelung  der  Excentricität  auf  das  gesunde  Auge 
übertragen ,  welches  in  der  früheren  Fixation  verharrte.  Ein  Prisma  wird  nun  so  vor 
das  Auge  geschoben,  dass  es  mit  seiner  Basis  die  Hälfte  der  Pupille  deckt,  während  die 
andere  Hälfte  frei  ist;  hierdurch  entsteht  Diplopia  monoeularis;  das  eine  Bild  rührt  von 
dem  frei  durch  die  Pupille  einfallenden  Lichte,  das  andere  von  dem  im  Prisma  gebroche- 
nen Lichte  her.  Es  ist  leicht,  dem  Prisma  durch  Drehung  eine  solche  Stellung  zu 
geben,  dass  das  excentrische  Bild  nach  Richtung  des  früher  gesehenen,  auf  der  Tafel 
markirten  Doppelbildes  projicirt  wird;  dass  es  vollends  mit  diesem  zusammenfalle,  hängt 
nur  von  der  Stärke  des  gewählten  Prisma  ab,  und  diese  bestimmt  den  Grad  der  Excen- 
tricität."    (Ä.  v.   Gräfe  Archiv  für  Opth.  B.  I.  Abth.   1.  S.   13—16.) 

Die  Muskelläkmungen  sind  keine  häufige,  wenn  gleich  auch  nicht 
gar  seltene  Erscheinung.  Ihr  Vorkommen  ist  weder  an  ein  Geschlecht, 
noch  an  ein  bestimmtes  Alter  oder  an  eine  Körperhälfte  besonders  ge- 
bunden. Ihre  Ursachen,  noch  lange  nicht  hinreichend  bekannt,  und  in 
speciellen  Fällen  bald  sehr  leicht,  bald  sehr  schwer  oder  gar  nicht  be- 
stimmbar, machen  desshalb  zunächst  die  Eintheilung  in  Lähmungen 
centralen  (von  den  Nerven  innerhalb  der  Schädelhöhle  aasgehenden) 
und  peripherischen  (in  der  Orbita  oder  im  Muskelbauche  selbst  ge- 
legenen) Ursprunges  praktisch  brauchbar.  Genaue  Kenntniss  der  Ana- 
tomie überhaupt,  so  wie  des  Ursprungs,  Verlaufes  und  der  Verzweigung 
der  Nerven  insbesondere  thut  hier  ebenso  noth,  wie  richtige  und  voll- 
ständige Erhebung  aller  krankhaften  Zufälle  nicht  nur  am  Auge,  son- 
dern auch  im  übrigen  Körper.  Vergl.  über  Cerebralamaurosen  S.  144 — 
149.  Was  die  peripherischen  Augenmuskellähmungen  betrifft,  so  gilt 
von  ihnen  besonders  obige  Behauptung,  dass  wir  ihre  nächsten  Ur- 
sachen im  Allgemeinen  noch  wenig  kennen.  Viele  Fälle  sind  rheuma- 
tischen Ursprunges,  namentlich  durch  Zugluft  auf  die  Augengegend  be- 
dingt; es  sprechen  dafür  Beobachtungen,  wo  die  bestimmte  Angabe  des 
Patienten,  die  unmittelbare  Aufeinanderfolge  und  der  Erfolg  der  auf 
diese  Voraussetzung  gestützten  Therapie  vorliegen.  Dasselbe  gilt  auch 
in  Bezug  auf  Syphilis,  welche,  wenn  gleich  selten,  Lähmung  eines  oder 
des  andern  Augenmuskels  zur  Folge  hat,  ohne  dass  der  Sitz  des  Pro- 
cesses  allemal  in  die  Schädelhöhle  verlegt  werden  kann.  Die  Sympto- 
matologie der  Entzündung  ei?ies  Muskels  oder  seiner  Zellscheide  ist  noch 


Lähmung  im  Allgemeinen  —  Ätiologie  —  Therapie.  277 

nicht  bekannt,  wenigstens  nicht  hinreichend  sichergestellt.  Unerwiesen, 
wenn  gleich  nicht  unwahrscheinlich,  ist  die  Lähmung  eines  und  des 
andern  Augenmuskels  in  Folge  übermässiger  Anstrengung,  nach  forcir- 
ter  Haltung  des  Bulbus  in  einer  ungewöhnlichen  Richtung.  Ich  kenne 
einige  Fälle,  wo  Kranke  diess  als  Ursache  bezeichneten.  Zu  erwähnen 
ist  endlich  noch  der  progressiven  Muskelinsufficienz ,  welche  den  Anta- 
gonisten eines  habituell  excessiv  contrahirten  Muskels  vermöge  mangel- 
hafter Übung  und  Ernährung  trifft,  besonders  den  Rectus  externus  bei 
inveterirtem  Strabismus  convergens  continuus.  Unter  den  Weingeistprä- 
paraten der  Prager  Augenklinik  befindet  sich  auch  ein  Auge  mit  einer 
erbsengrossen  melanotischen  Ablagerung  im  Muskelbauche  des  Rectus 
externus;  doch  ist  mir  über  den  Fall  nichts  bekannt,  da  das  Präparat 
aus  früheren  Zeiten  stammt. 

Viele  Muskellähmungen  verlieren  sich  allmälig  von  selbst  oder  unter 
entsprechender  Behandlung;  andere  sind  schon  vermöge  der  sie  bedin- 
genden Ursache  unheilbar.  Aber  auch  an  und  für  sich  heilbare  Muskel- 
lähmungen  können  unheilbar  werden,  wenn  der  Muskel  in  Folge  länger 
aufgehobener  oder  beträchtlich  verminderter  Thätigkeit  bereits  atrophisch 
geworden  oder  fettig  entartet  ist.  Hiezu  gibt  nicht  nur  der  (Monate, 
Jahre)  lange  Fortbestand  der  Lähmung  selbst,  sondern  auch  erhöhte 
Contraction  des  Antagonisten,  Veranlassung,  wie  wir  weiter  unten  bei 
Besprechung  des  Strabismus  sehen  werden. 

Bei  der  Behandlung  wird  man  sich  zunächst  an  die  Behebung  der 
Ursachen  zu  halten  haben,  wenn  solche  noch  fortwirken  und  sich  über- 
haupt beseitigen  lassen,  wie  z.  B.  Syphilis,  Blutergüsse  u.  dgl.  Sodann 
ist  auf  Anregung  der  Function  des  Muskels  hinzuwirken.  Diess  können 
wir  auf  doppeltem  Wege:  a)  indem  man  das  gesunde  Auge  schliessen 
und  mit  dem  erkrankten  Bewegungen  nach  der  Seite  des  afficirten 
Muskels  intendiren  lässt;  b)  indem  man  die  Cutis  der  Umgebung  des 
Auges  durch  verschiedene  Mittel  reizt.  Das  erstere  Mittel  wird  beson- 
ders dann  zu  versuchen  sein,  wenn  der  afticirte  Muskel  einige  Thätig- 
keit noch  besitzt  oder  bereits  wieder  erlangt  hat.  Massige,  der  Kraft 
des  Muskels  entsprechende  und  methodisch  fortgesetzte  Übung  vermag 
dieselbe  zu  stärken,  und  andererseits  wird  auf  diese  Weise  zugleich 
dem  Eintreten  bleibender  Contractur  des  Antagonisten  vorgebeugt.  Wo 
bereits  Contractur  des  Antagonisten  eingetreten  und  noch  einigermassen 
Hoffnung  auf  Wiederherstellung  der  Function  des  gelähmten  Muskels 
vorhanden  ist,  wird  durch  die  Durchschneidung  des  ersteren  wenigstens 
ein  unüberwindliches  Hinderniss  der  letzteren  beseitigt.  Dr.  A.  von  Gräfe 
hat,  so  viel  ich  mich  auf  mündliche  Mittheilungen  hierüber  erinnere, 


278  Augenmuskeln. 

auf  diese  Weise  sehr  befriedigende  Resultate  erhalten.  Die  Anwendung 
äusserer  Reizmittel  ist  von  altersber  in  Gebrauch,  und  namentlich  gegen 
rheumatische  Lähmungen  empfohlen  worden.  Die  vorzüglichsten  sind: 
trockene  warme  Tücher  oder  Säckchen  mit  aromatischen  Kräutern,  Ein- 
reibungen von  Veratrin-  oder  Mercurdeuterojoduretsalbe,  an  die  Stirn 
und  Schläfe,  fliegende  Vesicantien  (täglich  ein  Stück  von  der  Grösse 
des  Nagelgliedes  des  Daumens  an  eine  andere  Stelle  der  Stirn  und 
Schläfe  angelegt),  Einstreuen  von  Strychnin  (1/i6 — Vi  2  Gran)  an  eine  der 
Epidermis  entblösste  Stelle,  Anwendung  des  magneto-elektrischen  Stro- 
mes an  verschiedenen  Stellen  des  obern  Augenhöhlenrandes  und  an  den 
Augenwinkeln,  Ammoniakdämpfe  an  die  Bindehaut  bei  offen  gehaltenem 
Auge  u.  dgl.  Ich  habe  Lähmungen  verschiedenen  Grades,  besonders 
die  am  häufigsten  vorkommenden  des  R.  externus  unter  Anwendung 
eines  und  des  andern  der  genannten  Mittel  in  Zeit  von  einigen  (2  bis  10) 
Wochen  zurückgehen  sehen,  weiss  indess  auch,  dass  mitunter  solche 
Fälle  ohne  alle  Behandlung  mit  der  Zeit  von  selbst  zurück  gehen,  bin 
somit  nicht  im  Stande,  für  die  Wirksamkeit  derselben  direct  einzu- 
stehen, obwohl  mir  ihre  Anwendung  durchaus  rationell  erscheint,  indem 
wir  durch  Erregung  sensitiver  Nerven  (des  Trigeminus)  auf  motorische 
einzuwirken  suchen.  Mit  Ausnahme  des  Strychnin  und  der  Elektricität, 
bei  deren  Anwendung  jederzeit  grosse  Vorsicht  nöthig  ist,  kann  man 
mit  den  genannten  Mitteln  wohl  nie  schaden.  Von  der  Acupunctur, 
welche  bisweilen  zu  Neuralgien  Veranlassung  geben  soll,  habe  ich  seit 
vielen  Jahren  keinen  Gebrauch  mehr  gemacht,  da  ich  dabei  in  einigen 
Fällen  keine  Besserung  hatte  eintreten  sehen. 

Bei  Lähmung  des  M.  rectus  externus  s.  abducens  steht,  wenn 
sie  vollständig  und  noch  nicht  mit  Contractur  oder  excessiver  Contrac- 
tion  des  R.  internus  complicirt  ist,  der  vordere  Pol  des  Auges  nahezu 
in  der  Mitte  der  Lidspalte,  sobald  das  gesunde  Auge  ein  Object  im 
Mittelpunkte  des  seiner  Antlitzfläche  gerade  gegenüber  liegenden  Ge- 
sichtsfeldes fixirt.  Bei  engem  Horopter  werden  also  gelegene  Objecte 
einfach ,  bei  weitem  dagegen  doppelt  gesehen.  Hat  man  das  Object 
unter  der  angegebenen  Bedingung  so  weit  vom  Antlitz  entfernt,  dass 
es  bereits  anfängt  doppelt  oder  breiter  (durch  theilweise  Deckung)  zu 
erscheinen,  und  führt  man  es  in  der  Verticalen  aufwärts,  so  nähern 
oder  decken  sich  die  Doppelbilder,  wogegen  sie  beim  Abwärtsführen 
des  Objectes  (in  der  verticalen  Medianebene  und  in  gleicher  Distanz 
vor  den  Augen)  weiter  auseinander  weichen.  Geht  man,  sich  in  der 
Horizontalen  (d.  h.  stets  in  gleicher  Höhe  mit  den  Augen  über  dem 
Fussboden)  haltend,   mit  dem  Objecte  von  der  Medianebene  nach  der 


Lähmung  des  M.  r.  externus.  279 

entgegengesetzten  Hemisphäre  des  Gesichtsfeldes  (z.  B.  bei  Lähmung 
des  R.  externus  der  linken  Seite  rechts  von  der  verticalen  Medianebene), 
so  wird  das  Object  einlach  gesehen,  hingegen  doppelt  mit  immer  wei- 
ter auseinander  tretenden  Bildern,  sobald  man  in  der  gleichnamigen 
(linken)  Hemisphäre  sich  mehr  und  mehr  von  der  Medianebene  ent- 
fernt. *)  Hat  man  einen  langen  geradlinig  begrenzten  Gegenstand  ge- 
wählt, z.  B.  eine  Stricknadel,  und  wird  derselbe  immer  senkrecht  auf 
der  Horizontalen  gehalten,  so  nimmt  der  Kranke  leicht  wahr,  dass 
das  Doppelbild  dem  wahren  parallel  und  zur  gleichnamigen  (linken) 
Seite  steht.  Dabei  sieht  man,  dass  das  betroffene  Auge  dem  Objecte 
bei  der  Bewegung  nach  der  gleichnamigen  Seite  um  so  weniger  folgt, 
je  ärger  die  Aflection  des  R.  externus  ist.  Bei  sehr  geringem  Grade 
der  Aifection  kann  das  Auge  noch  so  weit  auswärts  gerollt  werden, 
dass  der  Hornhautrand  an  die  äussere  Commissur  zu  stehen  kommt, 
somit  die  Muskeliusufficienz  sich  nur  durch  das  Doppeltsehen  kund 
gibt.  Wählt  man  (bei  richtig  gehaltenem  Kopfe  des  Kranken)  in  der 
gleichseitigen  (linken)  Hemisphäre  einen  Punkt,  etwa  20  oder  30  Grad 
von  dem  Mittelpunkte  des  Gesichtsfeldes  abstehend  und  in  gleicher 
Höhe  mit  demselben,  d.  h.  in  der  Horizontalen,  so  erscheinen  die  Bil- 
der vertical  neben  einander  und  um  ein  Bestimmtes,  z.  B.  6  Zoll  von 
einander  abstehend;  geht  man  aber  in  unverändertem  Abstände  von 
der  Antlitzfläche  sowohl  als  von  der  Medianebene  der  Horizontalen  auf- 
wärts, so  rückt  das  Doppelbild  dem  wahren  näher  (als  6  Zoll)  und 
neigt  sich  überdiess  mit  seinem  obern  Ende  zu  demselben;  bringt  man 
dagegen  das  vertical  gehaltene  Object  unter  denselben  Bedingungen 
tiefer  und  tiefer  unter  die  Horizontale,  so  treten  die  Bilder  weiter  aus- 
einander, und  die  untern  Enden  der  Bilder  stehen  weiter  von  einander 
ab,  als  die  obern. 

Nehmen  wir  an .  der  E.  externus  des  linken  Auges  wäre  gelähmt.  Beim  seitlichen 
Blick  nach  oben  soll  der  vordere  Pol  dieses  Auges  nach  aussen  und  oben  also  die  Ma- 
cula lutea  nach  innen  und  unten  gewendet  werden.  Dieser  Effect  wird  im  normalen 
Zustande  erzielt  durch  erhöhte  Contraction  des  B.  externus,  B.  superior  und  Obl.  inferior 
unter  entsprechender  Gegenwirkung  des  B.  internus,  B.  inferior  und  Obl.  superior.  Fällt 
nun  der  Zug  des  B.  externus  ganz  (oder  theilweise)  weg,  so  ist  die  Wirkung  des  B.  in- 
ternus relativ  prävalirend,  die  Einwärtsrollung  der  M.  lutea  ungenügend,  das  Lichtbild 
trifft  also  eine  von  der  M.  lutea  einwärts  gelegene  Stelle,  erregt  somit  die  Empfindung, 
als   befände   sich   das  Object   weiter  links   von  der  Medianebene.     Dasselbe  wird  der  Fall 

*)  Tritt  hiebei  die  frappante  Erscheinung  ein ,  dass ,  wenn  man  sich  dem  Extrem  der  seitlichen  Ver- 
schiebung nähert,  die  Doppelbilder  nicht  mehr  proportionirt  auseinander  weichen,  so  ist  diess  wahr- 
scheinlich dadurch  bedingt,  dass  der  B.  internus  des  gesunden  Auges,  indem  er  sich  dem  Summum 
der  Contraction  nähert,  so  wie  alle  anderen  Muskeln,  sich  relativ  weniger  verkürzt,  daher  das  wahre 
Bild  dem  falschen  näher  rückt,  trotzdem  man  weiter  nach  aussen  geht. 


280  Augenmuskeln. 

sein  beim  seitlichen  Blick  nach  unten,  wo  der  R.  extermis,  R.  inferior  und  Obl.  superior 
die  Ablenkung  bewirken,  und  zwar  wegen  Ausfall  des  R.  externus  ungenügend.  Das  Un- 
genügende der  Ablenkung,  mithin  auch  die  Excentricität  des  Lichtbildes  wird  aber  ia 
letzterem  Falle  beträchtlicher  sein,  als  in  ersterem,  weil  der  R.  internus  als  Antagonist 
des  R.  externus  und  Obl.  superior  in  Bezug  auf  die  Einwärtsrollung  der  Mac.  lutea 
durch  den  ihm  näher  liegenden  R.  inferior  weit  mehr  unterstützt  wird,  als  beim  Blick 
nach  oben  und  aussen  durch  den  R.  superior.  Zugleich  muss  aber  in  dem  einen  wie  in 
dem  andern  Falle  eine  Drehung  um  die  Sehachse  erfolgen.  Denn  eine  Ebene,  durch  die 
Ursprünge  des  R.  [superior  und  inferior  am  Sehnervenloche  und  durch  die  Mittelpunkte 
ihrer  Insertionslinien  in  der  vordem  Hemisphäre  des  Bulbus  gelegt,  streicht  an  der  Innen- 
seite des  Drehpunktes  vorbei,  und  muss,  wenn  die  Obliqui  den  hintern  Pol  einwärts  zu 
rollen  streben,  die  verstärkte  Wirkung  des  R.  inferior  den  untersten  Tunkt  des  Bulbus  (das 
untere  Ende  der  verticalen  Achse)  weiter  nach  innen  ablenken,  als  der  R.  superior  beim 
Blick  nach  oben,  weil  die  Insertion  des  R.  inferior  näher  am  R.  internus  liegt,  als  die 
des  R.  superior. 

Über  den  Einfluss  der  Abducenslähmung  auf  die  acconimodative 
Thätigkeit  des  Auges,  welcher  bisher  unbeachtet  geblieben  war,  be- 
merkt A.  v.  Gräfe  (Archiv  Bd.  I.  Abthl.  I.  S.  53):  „Da  bei  der  Accom- 
modation  (für  die  Nähe)  alle  Muskeln  in  (erhöhte)  Spannung  gerathen, 
so  zeigt  sich  hiebei  nicht  selten  die  Insufficienz  des  paretischen  Mus- 
kels. So  kommt  es  zuweilen  bei  pathologischer  Schwäche  des  Abdu- 
cens  vor,  dass  beim  gleichzeitigen  Gebrauche  beider  Augen  ein  grad- 
aus  vor  dem  Erkrankten  liegender  entfernter  Gegenstand  richtig  fixirt 
wird,  wählend  bei  Annäherung  desselben  auf  dem  erkrankten  Auge  pa- 
thologische Convergenz  sich  einstellt.  Noch  beweisender  sind  Experi- 
mente mit  Brillengläsern,  weil  hiebei  auch  die  Sehachse  des  gesunden 
Auges  nicht  verrückt,  demnach  auch  jede  synergische  Muskelcontrac- 
tion  an  dem  erkrankten  Auge  vermieden  wird;  setzt  man  z.  B.  dem 
erwähnten  Kranken  eine  Concavbrille  auf  und  zwingt  hiedurch  die 
Augen,  bei  gleich  bleibender  Stellung  des  Objectes  einen  höhern  Brech- 
zustand anzunehmen,  so  sieht  man  oft  die  pathologische  Ablenkung- 
eintreten  oder  eine  vorhandene  sich  vermehren." 

Anfang  März  1850  consultirte  mich  eine  circa  28  Jahre  alte  Frau  vom  Lande  we- 
gen Doppeltsehen,  welches  seit  Weihnachten  bestand.  Sie  war  von  kräftigem  Körper- 
bau und  gesundem  Aussehen.  Als  sonderbar  hob  sie  hervor,  dass  sie  mit  jedem  Auge 
für  sich  einfach,  mit  beiden  Augen  zugleich  doppelt  sehe.  An  der  Stellung  ihrer  Augen 
war  keine  Abnormität  wahrzunehmen.  Hielt  ich  ihr  einen  Finger  vertical  gerade  dem 
Gesichte  gegenüber,  etwa  20  Zoll  entfernt,  so  bemerkte  sie  einen  zweiten,  etwa  2  Zoll 
rechts  davon  abstehend ,  ziemlich  gleich  deiitlich.  Erst  vor  einigen  Tagen  war  sie  an 
einen  Wagen  angerannt,  das  Doppelbild  für  das  wahre  haltend.  Ging  ich  mit  dem  Fin- 
ger weiter  zurück,  so  traten  die  Bilder  weiter  aus  einander,  und  das  rechte  wurde  un- 
deutlicher. Bei  der  Prüfung  der  Beweglichkeit  der  Bulbi  zeigte  sich,  dass  das  linke 
vollkommen  frei  war,  das  rechte  dagegen  nicht  gehörig  gegen  den  äussern  Winkel  hin 
gestellt   werden   konnte.      Rückte    ich   nun    mit  dem  Finger  bei  20  Zoll  Entfernung  von. 


Lähmung  des  AI.  r.  externus.  281 

der  Medianebene  in  die  linke  Hälfte  des  Sehfeldes  der  Kranken,  so  näherten  sich  die  Bilder 
mehr  und  mehr  bis  zur  völligen  Deckung;  rückte  ich  dagegen  in  die  rechte  Hemisphäre  des 
Sehfeldes,  so  traten  die  Bilder  auf  3  —  4  Zoll  auseinander.  Sie  konnte  mit  jedem  Auge 
allein  lesen,  doch  mit  dem  rechten  Auge  nicht  lange.  Die  Sehweite  dieses  Auges  schien 
nicht  verändert  zu  sein ,  doch  gab  die  Kranke  an,  dass  sie  mit  demselben  die  Lettern 
etwas  kleiner  und  minder  schwarz  sehe,  als  mit  dem  linken.  In  der  Hornhaut,  Iris, 
Pupille  u.  s.  w.  konnte  ich  keine  Abnormität  wahrnehmen.  Es  war  nun  gewiss,  dass 
ich  es  mit  Paresis  des  E.  externus  am  rechten  Auge  zu  thun  hatte.  Damit  stimmten 
nun  auch  die  anderweitigen  Angaben  der  Kranken  zusammen.  Die  Frau  war  zuerst  von 
heftigen  Kopfschmerzen  in  der  rechten  Seite,  dann  von  Schwindel,  Übligkeiten  und  Er- 
brechen, endlich  von  Doppeltsehen  befallen  worden.  Da  sie  habituell  an  Stuhlverstopfung 
litt  und  sehr  spärlich  menstruirte,  so  waren  ihr  Blutegel  und  Abführmittel  verabreicht 
worden.  Die  Kopfschmerzen  verminderten  sich  jedoch  erst  dann  merklich,  als  die  Frau 
eine  Änderung  in  ihrer  Wohnung  hatte  vojaehmen  lassen.  Sie,  die  schon  früher  ein- 
mal an  acutem  Rheumatismus  gelitten  hatte  und  endlich  durch  die  Moorbäder  in  Marien- 
bad gänzlich  davon  befreit  worden  war,  hatte  im  Herbst  ein  neugebautes  Zimmer  be- 
zogen, welches  mit  einem  daranstossenden  durch  einen  gemeinschaftlichen  Ofen  beheizt 
wurde,  und  daher  ausserordentlich  feucht  war.  Nach  Beseitigung  dieses  Übelstandes 
waren,  wie  gesagt,  die  Kopfschmerzen  viel  gelinder  und  seltener  geworden,  aber  das  Dop- 
peltsehen bestand  fort,  obwohl  das  rechte  Auge,  welches  eine  Zeitlang  (im  Jäner)  ganz- 
gegen  den  innern  "Winkel  verdreht  gewesen  war,  sich  allmälig  wieder  besser  stellte. 
Von  einem  allgemeinen  oder  centralen  Leiden  Hess  sich  nichts  nachweisen.  Die  auf  die 
Annahme,  dass  hier  einfach  Paresis  rheumat.  vorhanden  sei,  gestützte  Therapie  hatte  bald 
complete  Heilung  zur  Folge. 

Mitte  October  1849  consultirte  mich  ein  Student,  17  Jahre  alt,  gut  gewachsen,  von 
gesundem  Aussehen ,  bisher  stets  gesund  und  unter  günstigen  Yerhältnissen  lebend,  we- 
gen Doppeltsehen,  welches  sich  zu  Ende  der  Ferienzeit  ohne  bekannte  Veranlassung  ein- 
gestellt hatte,  sowohl  an  nahen  als  fernen  Objecten  bemerkt  wurde,  und  durch  complete 
Lähmung  des  R.  externus  am  rechten  Auge  bedingt  war.  Da  sich  durchaus  keine  an- 
derweitigen krankhaften  Erscheinungen ,  als  das  Doppeltsehen ,  die  Unbeweglichkeit  des 
Bulbus  nach  aussen  und  zeitweilig  etwas  dumpfe  Kopfschmerzen  nachweisen  Hessen,  sup- 
ponirte  ich  Verkältung  als  die  wahrscheinlichste  Ursache,  und  wandte  durch  einige  Zeit 
erst  Elektricität,  dann  Strychnin  endermatisch  an.  Wegen  Nichterfolg  von  Besserung 
blieb  der  Kranke  aus,',  und  ich  sah  ihn  erst  wieder,  als  er  am  4.  Jäner  unter  der  Dia- 
gnosis  vitium  organ.  cerebri  auf  eine  Unterabtheilung  des  Spitales  aufgenommen  worden 
war.  Es  war  nämlich  im  Spätherbste  unter  anhaltenden  dumpfen  Schmerzen  im  Hinter- 
haupte Stottern  und  bald  darauf  Schwäche  der  linken  obern  und  untern  Extremitäten 
eingetreten,  welche  um  Weihnachten  in  förmliche  Paresis  übergegangen  war.  Mitte  Jäner 
stellte  sich  Fieber  ein,  der  Kopfschmerz  wurde  viel  heftiger,  das  Sprechen  sehr  erschwert, 
in  der  rechten  Gesichtshälfte  traten  bisweilen  Zuckungen  ein  und  die  Zunge  wich  beim 
Hervorstrecken  merklich  nach  rechts  ab.  Nach  Anlegung  von  Blutegeln  hinter  den  Ohren 
am  20.  Jäner  und  spontaner  Blutentleerung  aus  der  Nase  am  22.,  traten  die  Kopfschmer- 
zen bloss  bei  Bewegung  ein,  und  lobte  der  Kranke  seinen  Zustand.  Ende  Jäner  jedoch 
kehrten  sowohl  der  Kopfschmerz  als  häufige  Convulsionen  zurück,  der  Kranke  verlor  am 
4.  Februar  das  Bewusstsein,  und  starb  am  5.  Die  Pupille  des  stark  einwärts  gewendeten 
rechten  Auges  war  stets  enger,  als  die  des  linken,  das  Sehvermögen  bestand,  wurde 
jedoch  in   der  letzten    Zeit   nicht   näher   geprüft.     Die   von   Prof.   Engel  vorgenommene 


282  Augenmuskeln. 

Section  ergab  eine  fibröse  Geschwulst  an  der  Basis  cerebri  mit  Meningitis  und  Apoplexie 
als  Ursache  der  Erscheinungen.  Diese  Geschwulst  bestand  aus  einem  weichfasrigen, 
dichten,  blutgefässreichen  Stroma  mit  peripherisch  eingelagerten  rundlichen  und  geschwänz- 
ten Zellen.  Sie  war  wallnussgross ,  an  der  Oberfläche  gelappt,  hart,  fest,  dem  Anscheine 
nach  fasrig,  weiss,  hlutleer,  und  lag  rechterseits  an  der  Medulla  oblongata  längs  dersel- 
hen.  Sie  ging  von  der  Medulla  oblongata  und  zwar  von  der  Gegend  des  Corpus  rhom- 
boid.  und  olivare  dextrum  aus,  so  dass  die  Pyramiden  und  Oliven  sammt  den  Hülsen- 
strängen und  dem  obersten  Theile  des  Corpus  restiforme,  und  ein  grosser  Theil  der 
Brückenarme  und  der  brücken  förmigen  Rindenschicht  in  dieselbe  entartet  erschienen. 
Die  Dura  mater  der  Schädelbasis  daselbst  verdünnt.  Die  innern  Hirnhäute  an  der  Schädel- 
basis, besonders  rechterseits  vom  Pons  Varoli  und  zwar  vom  vordem  Ende  desselben 
bis  zum  hintern  Ende  des  Olivenkernes  und  von  da  1  Zoll  auswärts  gegen  das  kleine 
Gehirn  sehr  verdickt ,  hart,  theils  gelb,  theils  weiss  gefärbt,  mit  einer  festen  gelben  Ge- 
rinnung und  Serum  infiltrirt.  Unter  und  zwischen  denselben  an  der  rechten  Seite  des 
Pons  ein  scharf  abgegrenztes  dunkles  Blutgerinnsel. 

Lähmung  der   vom  N.  oculomotorius   versorgten   Muskeln. 

Bei  peripherischen  Anlässen  kann  ein  und  der  andere  Rectus  für  sich 
ergriffen  sein,  der  R.  internus,  superior  oder  inferior,  doch  auch  zwei 
drei  zugleich.  Öfters  geschieht  es,  dass  der  Levator  palpebrae  superio- 
ris  allein  ergriffen  wird.  Von  isolirter  Lähmung  des  Obliquus  inferior 
ist  mir  kein  Fall  bekannt.  Lähmung  centralen  Ursprunges  erstreckt 
sich  immer  auf  alle  vom  Oculomotorius  versehenen  Muskeln,  demnach 
auch  mittelst  der  Radix  brevis  ganglii  ciliaris  auf  die  Iris  und  den  Ci- 
liarmuskel,  nur  ist  sie  nicht  immer  complet  und  dann  nicht  in  allen 
Zweigen  (Muskeln)  gleich  stark  ausgesprochen  (nicht  gleich  stark  in 
die  Erscheinung  tretend).  Wenn  noch  einige  Contractionsfähigkeit  be- 
steht, so  kann  es  leicht  den  Anschein  haben,  als  sei  der  R.  superior, 
besonders  aber  der  R.  inferior  nicht  so  sehr  afficirt,  wie  der  R.  inter- 
nus, weil  jener  durch  den  Obl.  inferior,  dieser  durch  den  ganz  unver- 
sehrten Obl.  superior  theilweise  unterstützt  wird.  Ich  halte  es  für  hin- 
reichend, hier  nur  die  Erscheinungen  bei  completer  Lähmung  der  vom 
N.  oculomotorius  versehenen  Muskeln  zu  besprechen,  weil,  wer  diese 
kennt,  auch  im  Stande  sein  wird,  die  Lähmung  einzelner  Muskeln  zu 
erkennen  und  richtig  zu  beurtheilen. 

Zunächst  hängt  das  obere  Lid  schlaff  vor  dem  Auge  herab,  und 
die  Lidspalte  erscheint  geschlossen.  Bemüht  sich  der  Kranke,  sie  zu 
öffnen,  so  klafft  dieselbe  noch  etwa  auf  2 — 3  Linien,  doch  nicht  wegen 
Contraction  des  Levator,  sondern  wegen  Nachlass  in  der  Wirkung  des 
Orbicularis  palpebrarum.  In  der  Regel  werden  hiebei  auch  die  Augen- 
brauen etwas  emporgehalten.  Hebt  man  das  Lid  empor  —  am  besten 
bei  Verdeckung  des  nicht  afficirten  Auges  —  so  steht  die  Pupille  in 
der  Mitte  der  Lidspalte  oder  weiter  nach  aussen,  und  kann  nur  wenig 


Lähmung  der  vom  N.  oeuloiuot.  versehenen  Muskeln.  283 

oder  gar  nicht  einwärts,  dagegen  vollständig  auswärts  gestellt  werden. 
Ist  noch  keine  exeessive  Contraction,  Contractur  des  R.  externus,  ein- 
getreten, so  ist  der  Pupille  noch  ein  ziemlicher  Spielraum  zu  Exemtio- 
nen zwischen  der  Mitte  der  Lidspalte  und  dem  äussern  Winkel  gestattet, 
indem  sie  bei  Nachlass  der  erhöhten  Contraction  des  R.  externus,  wenn 
man  den  Blick  nach  innen  anstreben  lässt,  vermöge  der  Elasticität  der 
Umhüllungen  des  Bulbus  und  des  Sehnerven  gegen  die  Mitte  der  Lid- 
spalte zurückkehrt.  Die  Beweglichkeit  nach  oben  und  gerade  nach 
unten  erscheint  beschränkt  oder  aufgehoben.  Beim  Versuche,  gerade 
abwärts  zu  blicken,  wird  die  Pupille  etwas  nach  unten  und  aussen  be- 
wegt, doch  mehr  ruck-  oder  stossweise,  als  gleichmässig  fortschreitend. 
An  den  Episcleralgefässen  in  der  Gegend  des  R.  internus  lässt  sich 
leicht  bemerken,  nach  der  Veränderung  ihrer  relativen  Richtung  und 
Stellung  zu  den  Lidern,  dass  dabei  der  Bulbus  um  eine  von  vorn  nach 
hinten  laufende  Achse  gedreht  wird,  so  dass  der  oberste  Punkt  der 
Cornea  etwas  zu,  der  unterste  etwas  von  der  verticalen  Medianebene 
abgelenkt  wird,  Erscheinungen,  welche  durch  die  Wirkung  des  Obl. 
superior  zu  Stande  gebracht  werden,  welcher  durch  den  Impuls,  das 
Auge  abwärts  zu  stellen,  allein  in  Thätigkeit  versetzt  werden  kann, 
ohne  dass  ihm  der  Obl.  inferior  das  Gleichgewicht  zu  halten  vermag. 
Eine  andere  und  zwar  continuirliche  Folge  der  alleinigen  Wirkung  des 
Trochlearis,  der  tiefere  Stand  der  Hornhaut  relativ  zu  der  des  gesun- 
den Auges  lässt  sich  selten  unmittelbar  wahrnehmen,  weil  die  Horn- 
haut hiezu  meistens  zu  weit  über  die  Mitte  der  Lidspalte  hinüber  ab- 
gelenkt ist.  Sie  lässt  sich  aber,  gleich  der  continuirlichen  Drehung  des 
Bulbus  um  die  Sehachse,  an  dem  Stande  des  Doppelbildes  nachweisen. 
—  Die  Lage  des  Bulbus  erscheint  etwas  flacher,  indem  von  der  rück- 
haltenden Kraft  (den  Rectis)  drei  Viertel,  von  der  entgegenwirkenden 
(den  Obliquisj  die  Hälfte  ausfällt. 

Das  Doppelbild  erscheint  auf  der  dem  afficirten  Auge  entgegenge- 
setzten Seite  (wegen  Divergenz  der  Sehachsen)  etwas  höher  als  das 
wahre  und  schräg.  Dies  ergibt  sich  im  Allgemeinen  aus  der  dreifachen 
Drehung,  welche  der  afficirte  Bulbus  erfahren  hat.  Am  meisten  ist  er 
um  die  verticale  Achse  gedreht,  der  vordere  Pol  aus-,  der  hintere  ein- 
wärts; sodann  um  die  horizontale  gerade  oder  die  Sehachse,  und  zwar 
mit  Herüberneigung  des  obern  Endes  der  verticalen  Achse  (oder  des 
verticalen  Xetzhautmeridianes)  zur  Medianebene;  endlich  um  die  hori- 
zontale Transversalachse,  so  dass  das  Hornhautcentrum  etwas  tiefer 
steht  als  die  Mac.  lutea.  Die  Lage  des  Doppelbildes  lässt  sich  am 
besten  mit  einem  dünnen  lichten  Stabe  wahrnehmbar  machen.    Zunächst 


284  Augenmuskeln. 

halte  man  ihn  vertical  und  in  gleicher  Höhe  mit  den  Augen  in  der  mit 
dem  afficirten  Auge  gleichnamigen  Hälfte  des  Sehfeldes.  Sobald  die 
Pupille  nicht  über  die  Mittellinie  einwärts  gestellt  werden  kann,  wird 
auf  der  entgegeugesetzten  Seite  des  wahren  ein  Doppelbild  erscheinen, 
um  so  weiter  von  demselben  abstehend,  je  weiter  man  ihn  nach  dem 
entgegengesetzten  Ende  des  Sehfeldes  hin  bewegt,  oder  je  weiter  man 
sich  mit  demselben  von  dem  Antlitze  entfernt.  Überdiess  steht  das 
Doppelbild  schief,  oben  zu  dem  wahren  zugeneigt,  weil  der  Obl.  supe- 
rior,  seines  Antagonisten  (des  Obl.  inferior)  verlustig,  das  obere  Ende 
des  verticalen  Netzhautmeridianes  zur  verticalen  Ebene  zuneigt,  das 
Lichtbild  des  obern  Stabendes  mithin  auf  eine  relativ  weniger  auswärts 
gelegene  Netzhautstelle  fällt,  mithin  auch  auf  eine  dem  wahren  Bilde 
nähere  Stelle  des  Sehfeldes  bezogen  wird.  Fixirt  der  Kranke  statt 
des  Stabes  eine  lange  Stange,  so  bemerkt  er  auch,  dass  das  obere 
Ende  des  Doppelbildes  seinem  Antlitze  näher  gelegen  erscheint,  als 
das  untere.  Diese  Erscheinung  hängt  meines  Erachtens  damit  zusam- 
men, dass  der  Bulbus  beim  Ausfall  des  Obl.  inferior  durch  den  Obl. 
superior  zugleich  um  die  transversale  horizontale  Achse  gedreht  steht, 
so  dass,  während  beim  Blick  nach  dem  Centrum  des  Sehfeldes  an  dem 
gesunden  Auge  Hornhautcentrum  und  Macula  lutea  in  der  Horizontalen 
liegen,  an  dem  afficirten  Auge  ersteres  etwas  unter,  letztere  etwas  über 
derselben  liegt,  was  für  die  Empfindung  bei  dem  Abgange  des  leiten- 
den Massstabes  (des  Muskelgefühles  im  R.  inferior,  der  sonst  diese 
Lage  bewirkt)  dasselbe  ist,  als  ob  der  Stab  der  Netzhaut  schräg  gegen- 
über gestellt  wäre,  mit  dem  einen  Ende  näher,  mit  dem  andern  weiter. 
Ganz  dasselbe  bewirken  wir  an  einem  gesunden  Auge  durch  Vorhalten 
eines  Prisma;  auch  hier  wird  das  Auge  gewissermassen  dem  Objecte 
schief  gegenüber  gestellt,  und  wer  es  nicht  wüsste,  dass  ein  vorgehal- 
tenes Glas  prismatisch  geschliffen  sei,  würde  ein  hierauf  betrachtetes 
Object  für  schief  oder  anderswo  stehend  halten,  weil  die  Veränderung 
der  Stellung  seines  Auges  zum  Objecte  nicht  durch  Muskelaction  zum 
Bewusstsein  gebracht  wurde.  —  Dass  das  Doppelbild  etwas  höher  er- 
scheint, bemerkt  der  Kranke  leichter,  wenn  man  ihm  den  Stab  horizon- 
tal vorhält,  und  nicht  weit  von  der  Horizontalen  abweicht;  geht  man 
tiefer  herab,  so  kommt  man  auf  einen  Punkt,  wo  das  Doppelbild  mit 
dem  wahren  gleich  hoch  steht,  dann  aber,  beim  weitern  Herabgehen 
auf  Punkte,  wo  es  relativ  tiefer  steht,  indem  die  Pupille  des  afficirten 
Auges  durch  den  Obl.  superior  allein  nicht  so  tief  herabgerollt  werden 
kann,  wie  die  des  gesunden  Auges  durch  den  R.  inferior  und  superior, 
mithin  das  Object  in  demselben  auf  einer   höhern  Netzhautstelle  abge- 


Lähmung  der  vom  N.  oculomot.  versehenen  Muskeln.         285 

bildet  wird.  Kranke  mit  Oculomotoriuslähmung  kommen  daher,  falls 
das  afficirte  Auge  nicht  geschlossen  gehalten  wird,  besonders  beim 
Stiegensteigen  in  Verlegenheit;  doch  machen  auch  im  Zimmer  die  Wan- 
dungen, auf  der  Strasse  die  Gebäude  auf  sie  den  Eindruck,  als  hingen 
sie  oben  herüber  und  drohten  mit  Einsturz. 

Die  Sinnestäuschung  ist  hier  so  unerträglich,  dass,  wenn  man  das 
afficirte  Auge  behufs  der  Aufnahme  der  Erscheinungen  offen  halten 
lässt,  der  Kranke  bald  das  afficirte,  bald  das  gesunde  Auge,  so  gut  es 
eben  geht,  verdreht,  sich  dem  Doppeltsehen  unwillkürlich  entzieht,  und 
die  Untersuchung  überhaupt  nicht  lange  aushält.  Er  bekommt  Schwindel, 
wird  blass,  hinfällig,  zur  Ohnmacht  geneigt.  Meistens  wird  das  befal- 
lene Auge  über  den  Mittelpunkt  der  Lidspalte  auswärts  gelenkt,  so 
dass  das  Bild  von  Objecten  in  der  Medianebene  schon  auf  eine  sehr 
peripherische  Stelle  der  Netzhaut  fällt,  zumal  bei  engem  Horopter. 
Überdiess  kann  das  Auge  nur  ungenügend  oder  gar  nicht  für  die  Nähe 
eingerichtet  werden,  erscheinen  die  Bilder  naher  Objecte  auch  aus  die- 
sem Grunde  undeutlich.  Wenn  aber  auch  der  Kranke  seine  Aufmerk- 
samkeit auf  die  AYahrnehmung  des  afficirten  Auges  lenkt,  so  hält  er 
die  gleichzeitige  Fixirung  des  Objectes  mit  dem  gesunden  Auge  mei- 
stens nicht  lange  aus  und  verdreht  dasselbe  verschiedenartig,  meist 
nach  dem  äussern  Winkel  hin. 

Die  Pupille  des  afficirten  Auges  erscheint  bei  vollständiger  Oculo- 
motoriuslähmung massig  erweitert,  gewöhnlich  2  Vi'"  im  Durchmesser  *), 
rund  oder  ein  wenig  oval  (von  oben  nach  unten  länger),  durchaus  starr 
und  unbeweglich.  Sie  verengert  sich  nicht,  wenn  man  auf  dasselbe 
oder  auf  das  andere  Auge  nach  längerer  Beschattung  volles  Licht  ein- 
wirken lässt,  wogegen  die  des  andern  Auges  normal  reagirt,  wenn  das 
kranke  Auge  abwechselnd  Licht  und  Schatten  ausgesetzt  wird.  Sie 
verengert  sich  nicht,  wenn  man  den  Kranken  ein  nahes,  und  erweitert 
sich  nicht,  wenn  man  ihn  ein  entferntes  Object  fixiren  heisst.  Aber  sie 
erweitert  sich  in  der  gewöhnlichen  Stärke  (auf  4/y/  und  darüber)  nach 
Einträuflung  von  Atropin.  **) 

*)  Ohngefähr  eben  so  gross,  wie  ceteris  paribus  auf  dem  andern  (gesunden)  Auge  beim  Blick  in  die  Ferne. 
**)  Diese  Erscheinung  ist  zu  Gunsten  der  Ansicht  aufgeführt  worden,  dass  die  Belladonna  reizend  auf 
die  vom  N.  sympathicus  versehenen  Radialfasern  der  Iris  wirke;  sie  beweist  jedoch  nichts  weiter, 
als  dass  die  Kreisfasern  der  Iris  nach  Lähmung  des  Nerven,  der  ihre  Contraction  bis  zum  höchsten 
Grade  vermittelt,  nicht  auch  schon  alle  ihre  Spannkraft  verloren  haben.  Nimmt  man  Aufhebung  der 
Spannkraft  in  den  Ciliarfasern  der  Iris  als  die  eigentliche  Wirkung  der  Belladonna  an,  so  wird  nicht 
nur  die  Erscheinung  erklärt,  dass  erst  nach  dem  Eintreten  dieser  Erschlaffung  die  Radialfasern  sich 
frei  und  ohne  Gegenzug  contrahiren  können,  sondern  auch  die  Wirkung  der  Belladonna  auf  die  Iris 
in  Einklang  gebracht  mit  der  Wirkung  derselben  auf  andere  Sphinkteren.  Donders  hat  bekanntlich 
nachgewiesen,  dass  die  in  den  Bindehautsack  eingeträufelte  Atropinlösung  in  das  Kammerwasser  auf- 
genommen und  demnach  mit  der  Iris  in  unmittelbaren  Contact  gebracht  werde. 


286  Augenmuskeln. 

Das  von  completer  Oculomotoriuslähmung-  befallene  Auge  ist  der 
Accommodation  mehr  weniger  verlustig,  es  ist  eine  Abänderung  seines 
Refractionszustandes,  wie  sie  das  Erkennen  feiner  Gegenstände  bis  zur 
Annäherung  auf  5  Zoll  erfordert,  nicht  mehr  möglich;  der  Nahepunkt 
ist  auf  8",  10"  u.  s.  w.  hinausgerückt.  Ich  zweifle,  dass  man  jemals 
Fälle  von  Oculomotoriuslähmung  mit  unversehrter  oder  auch  nur  re- 
lativ guter  Accommodation  finden  werde;  nur  muss  man  nicht  Fälle 
als  Gegenbeweis  benutzen,  wo  die  Muskeln  durch  mechanische  Hinder- 
nisse, Krankheiten  in  der  Orbita,  in  der  Rollung  des  Bulbus  gehindert 
sind.  Gerade  wenn  ein  Bulbus  völlig  starr  steht  und  nach  keiner  Rich- 
tung hin  bewegt  werden  kann,  liegt  die  Annahme  viel  näher,  dass  sie 
nur  mechanisch  gehindert  sind ,  ohne  desshalb  auch  ihren  Tonus  und 
ihre  Contractionsfähigkeit  verloren  zu  haben,  als  die  Annahme,  dass 
eine  wirkliche  Lähmung  sämmtlicher  Muskeln  obwalte,  welche  nicht 
nur  jede  Ablenkung  der  Sehachse,  sondern  allerdings  auch  jede  er- 
höhte Spannung,  mithin  auch  die  Accommodation  unmöglich  machen 
muss. 

Hiemit  im  Einklänge  steht  die  Thatsache  der  Beobachtung,  dass 
in  solchen  Fällen  die  optische  Sensibilität,  die  Energie  der  Netzhaut 
eine  Zeit  lang  etwas  vermindert  erscheint.  Zwei  Facta  sind  es,  welche 
diess  direct  anzeigen:  Der  Kranke  sieht  Objecte  in  der  deutlichen  Seh- 
weite etwas  kleiner,  und  er  sieht  ferne  Objecte,  minder  deutlich,  als 
mit  dem  gesunden  Auge.  Ich  weiss  bestimmt,  dass  einige  Kranke  ein 
Zweigroschenstück  (Kupfer)  für  ein  Groschenstück  hielten,  welches  sie 
bei  derselben  Distanz  (1.5  —  25")  nachher  mit  dem  gesunden  richtig  er- 
kannten. Entweder  es  verhält  sich  mit  der  Sensibilität  der  Netzhaut 
so  wie  mit  der  Empfindlichkeit  der  Cutis  oder  Cornea,  welche  biswei- 
len bei  Muskellähmungen  vermindert  ist,  oder  es  hängt  dieses  Phäno- 
men von  der  geringern  Spannung  der  Netzhaut  ab,  wenn  unsere  oben 
ausgesprochene  Vermuthung  richtig  ist.  dass  durch  Erhöhung  der  Span- 
nung der  Netzhaut  bis  zu  einem  gewissen  Grade  die  Schärfe  des  Ge- 
sichtes gesteigert  wird. 

Folgende  Bemerkung,  obwohl  in  mehrfacher  Beziehung  unvollständig  (aus  dem 
Jahre  1844),  dürfte  trotzdem  in  andern  Beziehungen  bemerkenswerth  sein,  wenigstens 
zur  Anreihnng  analoger  Fälle.  Eine  35  Jahr  alte  Wittwe ,  übrigens  ganz  gesund ,  litt 
seit  einigen  Wochen,  als  sie  zu  mir  kam,  an  Doppeltsehen,  dessen  Entstehen  sie  anhal- 
tender Anstrengung  mit  Handschuhnähen,  da  sie  drei  Kinder  ernähren  musste,  zuschrieb. 
Ich  notirte  folgenden  Zustand.  Die  Lidspalte  beiderseits  gleich;  steht  die  linke  Pupille 
in  der  Mitte  der  Lidspalte,  so  steht  die  rechte  auswärts,  und  der  innere  Rand  der  Cornea 
in  der  Mitte  der  Lidspalte.  Die  Bulbi  von  normaler  Grösse  und  Lage..  Wird  beim 
Blicke   gradaus    das   linke  Auge    mit   der  Hand    verdeckt,    so  stellt  sich  das  rechte  Auge 


Lähmung  der  vom  W.  oculomot.  versehenen  Muskeln.  2S7 

grade ,  kann  aber  bei  der  grössten  Anstrengung  nicht  gehörig  einwärts  gestellt  werden, 
immer  bleibt  der  innere  Cornealrand  noch  mindestens  2'"  von  der  halbmondförmigen 
Falte  entfernt.  Nach  aussen  kann  das  rechte  so  vollkommen  bewegt  werden ,  wie  das 
linke,  in  allen  Bewegungen  ganz  freie;  nach  oben  kann  dasselbe  so  weit  bewegt  werden, 
wie  das  linke,  nur  weicht  es  dabei  etwas  nach  aussen  ab;  nach  unten  kann  es  nicht  ge- 
stellt werden ,  es  bleibt  beim  stärksten  Abwärtswenden  des  linken  Auges  um  mindestens 
l'"  zurück  und  weicht  dabei  etwas  nach  aussen  ah.  Ist  die  Pupille  des  linken  gradaus 
gerichtet,  so  steht  die  Pupille  des  rechten  nicht  bloss  auswärts,  sondern  auch  zugleich 
ein  wenig  höher,  was  sich  nach  dem  Stande  des  untern  Lides  leicht  erkennen  lässt.  — 
Die  Pupille  des  rechten  Auges  ist  immer  etwas  grösser,  als  die  des  linken,  etwa  l3/*'" — 
2'",  wenn  diese  \lW" — IV2'"  misst,  übrigens  vollkommen  rund  und  schwarz,  die  Iris 
beiderseits  etwas  trag  beweglich.  Hält  die  Kranke  das  linke  Auge  zu,  so  drehen  sich 
alle  Gegenstände ,  so  dass  sie  nicht  gehen  kann ;  mit  beiden  Augen  zugleich  sieht  sie 
doppelt ,  mit  gekreuzten  Bildern,  doch  nur  in  der  Ferne  und  bei  gewissen  Stellungen 
naher  Gegenstände.  (Dieses  Verhalten  bedaure  ich  nicht  näher  ermittelt  zu  haben.)  Sie 
kann  sich  auch  des  rechten  Auges  allein  bedienen,  wenn  sie  das  linke  auswärts  ablenkt, 
hält  diess  jedoch  nicht  lange  aus.  Bei  zugehaltenem  linken  Auge  sieht  sie  übrigens  alle 
Objecte  so  rein,  wie  mit  dem  linken,  liest  auch  mit  dem  rechten,  aber  die  Buchstaben 
erscheinen  ihr  etwas  kleiner,  sie  liest  efnen  '/*'"  hohen  Diuck  mit  dem  rechten,  wie 
mit  dem  linken  Auge  allein,  doch  nicht  anhaltend  und  zwar  bei  b"  so  gut  wie  bei  12". 
(Weiter  wurde  die  Sehweite  nicht  geprüft.)  —  Ich  wandte  einige  Zeit  Reizmittel  in 
der  Umgebung  des  Auges  an,  und  schritt  endlich  (im  October  1844)  zur  Durchschnei- 
dung des  R.  externus  am  rechten  Auge.  Dieses  stellte  sich  nun  gerade,  aber  nun  schielte 
das  linke  auswärts,  ohne  Doppeltsehen.  Nach  einigen  Wochen,  als  in  den  gelähmten 
Muskeln  des  rechten  Auges  (R.  internus  und  inferior)  einige  Beweglichkeit  eingetreten 
war.  durchschnitt  ich  den  B.  externus  am  linken  Auge.  Die  Sehachsen  konnten  sich  nun 
im  Objecte  kreuzen,  ohngefähr  zwischen  8 — 10  Zoll.  Aber  die  Kranke  kam  schon  wenige 
Tage  nach  der  Operation  nicht  mehr  zu  mir,  bis  Ende  Mai  1846,  um  sich  neuerdings 
operiren  zu  lassen.  Ich  erfuhr  nun ,  dass  sie  nach  der  Operation  des  linken  Auges  die- 
ses fortwährend  verbunden  getragen  hatte,  um  mit  dem  rechten,  allmälig  ganz  gut  ge- 
wordenen ,  so  wie  vordem  arbeiten  zu  können.  Sie  wollte  jetzt  wieder  mit  beiden  ar- 
beiten ,  um  das  rechte  nicht  für  immer  allein  zu  gebrauchen  und  anzustrengen.  —  Ich 
fand  das  rechte  Auge  etwas  mehr  vorstehend ,  als  das  linke,  scheinbar  grösser,  seine  Be- 
weglichkeit nach  allen  Richtungen  frei,  nur  nach  innen  und  aussen  ein  wenig  beschränkt, 
beim  stärksten  Einwärtswenden  mit  dem  Cornealrande  noch  gegen  V"  von  der  halb- 
mondförmigen Falte  abstehend ,  die  Sehkraft  und  alle  Gebilde  desselben  normal.  Das 
linke  Auge,  durch  das  herabgesunkene  obere  Lid  verdeckt!,  stand  zu  meinem  Erstaunen 
ganz  nnbeweglich  mit  der  Pupille  in  der  Mitte  der  Lidspalte,  konnte  weder  ein-  noch 
aus-,  weder  auf-  noch  abwärts  bewegt  werden.  Wenn  die  Kranke  gradaus  blickt,  so 
schielt  sie  nicht  und  sieht  einfach;  wenn  sie  nach  irgend  einer  andern  Richtung  blickt, 
sieht  sie  doppelt.  Bemüht  sie  sich,  mit  dem  linken  Auge  gerade  auswärts  zu  blicken,  so 
wendet  sich  die  Pupille  ein  wenig  nach  unten  und  aussen,  ohne  jedoch  in  dieser  Lage 
fixirt  zu  werden ;  sie  kehrt  bald  wieder  in  ihre  frühere  Stellung  zurück.  Bei  dieser 
Wendung  nach  unten  und  aussen  dreht  sich  der  Bulbus  um  die  Sehachse.  Die  Iris  hat 
nämlich  unter  der  Pupille  einen  dunkelbraunen  Punkt.  Bei  ruhiger  Stellung  steht  die- 
ser Punkt  ohngefähr  '  %'"  einwärts  von  dem  verticalen  Durchmesser  der  Irisebene.  Bei 
der    genannten   Bewegung    steht    dieser   Punkt    einige    Augenblicke    senkrecht  unter   dem 


288  Augenmuskeln. 

Centrum  der  Pupille.  Diese  Achsendrehung  ist  offenbar  Folge  des  Obl.  isuperior.  Heisst 
man  die  Kranke  aufwärts  blicken,  so  rollt  sieb  der  Bulbus  ein  wenig  (kaum  merklieb) 
in  entgegengesetzter  Richtung  (wobl  in  Folge  der  Erschlaffung  des  Obl.  superior).  Über 
den  Stand  des  Doppelbildes  habe  icb  leider  nichts  notirt,  als  dass  das  dem  linken  Auge 
angehörige  etwas  höher  stand,  als  das  des  rechten.  Die  Iris  war  trag  beweglich,  die 
Pupille  etwas  grösser,  als  auf  dem  rechten  Auge,  überdiess  oval,  im  senkrechten  Durch- 
messer 2lj-i'",  im  queren  2"'.  Mit  diesem  Auge  allein  konnte  Druckschrift  von  1'"  Höhe 
mühsam  bei  circa  7",  ziemlich  gut  bei  9  — 15  Zoll  gelesen  werden,  während  das  rechte 
Auge  denselben  Druck  schon  von  5,  mit  Anstrengung  selbst  von  4  Zoll  an  lesen  konnte. 
Verschiedene  Heilversuche  mit  Veratrin,  Strychnin,  Acupunctur  und  Elektricität  blieben 
ohne  Erfolg  und  die  Kranke  wurde  am  20.  März   1847  aus  der  Behandlung  entlassen. 

Elisab.  V.,  37  Jahre  alt,  consultirte  mich  wegen  Doppeltsehen.  Ich  fand  das  linke 
Auge  in  jeder  Beziehung  normal.  Kechts  wird  die  Lidspalte  bis  auf  etwa  3"'  geöffnet, 
die  Falte  des  obern  Lides  ist  verstrichen.  Die  Pupille  weicht,  wenn  das  linke  Auge 
gradaus  sieht,  etwa  V"  nach  aussen  ab.  Doppeltsehen  mit  gekreuzten  Bildern.  Bei  Ver- 
schluss des  linken  Auges  kann  die  rechte  Pupille  noch  etwas  über  die  Mittellinie  ein- 
wärts gerollt  werden.  Lässt  man  die  Kranke  mit  beiden  Augen  aufwärts  blicken ,  so 
bleibt  das  rechte  Auge  etwas  zurück,  und  die  Divergenz  tritt  deutlicher  hervor;  ebenso 
bleibt  das  rechte  Auge  beim  Blicke  nach  unten  etwas  zurück,  und  die  Divergenz  ist 
ebenfalls  deutlicher.  Die  Pupille  des  rechten  Auges  misst  etwa  l'/s — l'/a,  wenn  die  des 
linken  l'"  Durchmesser  zeigt.  Bei  Verschluss  des  linken  Auges  kann  sie  mit  dem 
rechten  lesen,  am  besten  zwischen  15 — 20",  weniger  gut  bei  10  —  12",  gar  nicht  mehr 
unter  7".  Durch  eine  Kartenblattöffnung  von  V"  Durchmesser  liest  sie  bei  5",  durch 
engere  Öffnungen  noch  näher.  Beim  Blick  auf  Gegenstände  im  Zimmer  befällt  sie  Schwin- 
del ,  und  sie  kann ,  wenn  das  rechte  Auge  geschlossen  wird,  nicht  über's  Zimmer  gehen, 
wird  selbst  beim  Sitzen  schwindlig.  Hält  sie  beide  Augen  offen,  so  vermischen  sich 
ihr  alle  Gegenstände,  und  das  rechte  Auge  schliesst  sich  unwillkürlich.  Sie  meint  — 
wenn  beide  Augen  geöffnet  sind  —  der  Fussboden  erhebe  sich  je  weiter  je  mehr,  glaubt 
auf  ebener  Strasse  die  Füsse  mehr  heben  zu  müssen,  wie  beim  Bergsteigen.  —  Sie  ist 
von  schwächlicher  Constitution ,  blass ,  doch  sonst  angeblich  gesund.  Sie  führt  eine 
sitzende  Lebensweise,  indem  sie  sieh  durch  Handscbuhnähen  ernähi-t.  Sie  gibt  an,  dass 
sie  an  demselben  Zustande  schon  vor  5  Monaten  gelitten  habe,  nur  in  geringerem  Grade, 
und  dass  sie  von  selbst  nach  etwa  6  Wochen  davon  genesen  sei.  Der  jetzige  Anfall 
besteht  seit  8  Tagen,  ohne  dass  man  im  Stande  ist,  ein  bestimmtes  Moment  als  Ur- 
sache bezeichnen  zu  können.  Das  erste  Symptom  war  Schwindel.  —  Ich  ordinirte  vor- 
läufig nichts,  indem  ich  die  Kranke  erst  beobachten  wollte;  sie  kam  jedoch  nicht  mehr 
zu    mir. 

Lähmung  des  Trochlearis  kommt  relativ  am  seltensten  vor, 
und  ist  am  schwierigsten  zu  erkennen.  Die  wichtigsten  Vorarbeiten 
zur  Diagnosis  dieses  Leidens  verdanken  wir  Szokahky,  Ruete  und 
Donders,  die  förmliche  Diagnostik  aber  A.  von  Gräfe  im  Archiv  für 
Ophth.  Bd.  I.  Abthl.  I.  S.  1  bis  81.  Die  hier  folgende  Darstellung  ist 
der  eben  genannten  Abhandlung  entlehnt. 

Die  Stellung  der  Hornhaut  scheint  beim  Blick  geradeaus  ziemlich 
normal  zu  sein,  erweist  sich  jedoch  bei  genauer  Prüfung,   während  ein 


Lähmung  des  Trochlearis.  289 

bestimmter  Punkt  scharf  angesehen  wird,  als  etwas  höher  und  um  eine 
Spur  nach  innen  gelenkt.  Wird  während  des  Fixirens  vor  das  gesunde 
Auge  die  Hand  vorgeschoben,  so  bemerkt  man,  dass  die  Hornhaut  des 
.afficirten  Auges  aus  ihrer  frühem  Lage  ein  wenig  nach  unten  und 
aussen  rückt,  also  früher  unrichtig  stand.  (Beobachten  wir,  was  wäh- 
rend dieses  Vorganges  die  Hornhaut  des  gesunden  Auges  unter  der 
deckenden  Hand  thut,  so  sehen  wir,  dass  dieselbe  etwas  nach  innen 
nnd  unten  steht,  so  lange  das  kranke  Auge  fixirt,  nach  dem  bekannten 
Gesetze,  dass,  wenn  auf  dem  einen  Auge  der  afficirte  Muskel  in  er- 
höhten Anspruch  genommen  wird,  auf  dem  andern  Ablenkung  nach  der 
Seite  der  associirten  Muskeln  eintritt.)  Wird  das  Object  in  der  Median- 
ebene nach  unten  geführt,  so  bleibt  das  afficirte  Auge  mehr  und  mehr 
zurück  und  weicht  mehr  und  mehr  nach  innen  ab.  Gehen  wir  dagegen 
mit  dem  Objecte  in  der  Medianebene  nach  oben,  so  verschwindet  ent- 
weder hart  an  der  Horizontalebene  oder  ein  Weniges  über  derselben 
jede  Spur  von  fehlerhafter  Stellung.  Dasselbe  findet  statt,  wenn  wir 
in  dem  obern  Theile  des  Sehfeldes  nach  rechts  oder  links  herüber 
gehen.  Verrücken  wir  ihn  aber  in  der  untern  Hälfte  des  Gesichtsfeldes 
seitlich,  so  treten  verschiedene  Stellungen  auf.  Rückt  der  Gegenstand 
nach  der  dem  betroffenen  Auge  entgegengesetzten  Hälfte  des  Gesichts- 
feldes, so  bleibt  das  Auge  in  Bezug  auf  die  Senkung  der  Cornea  immer 
mehr  zurück,  in  Bezug  auf  die  Einwärtsrollung  immer  weniger;  wird 
hingegen  das  Object  nach  unten  und  aussen  von  dem  afficirten  Auge 
gebracht,  so  weicht  die  Stellung  des  afficirten  Auges  von  der  des  ge- 
sunden sowohl  in  der  einen  als  in  der  andern  Beziehung  allmälig  immer 
weniger  ab. 

Beim  Blick  nach  oben  findet  Einfachsehen  statt;  so  wie  aber  der 
Gegenstand  in  der  Medianebene  sich  der  Horizontalen  nähert,  tritt  Diplo- 
pie ein,  mit  gleichnamigem,  also  durch  Convergenz  der  Sehachsen 
bedingtem  Doppelbilde.  Zugleich  steht  das  Bild  des  kranken  Auges 
beträchtlich  tiefer,  als  das  des  gesunden,  und  überdiess  schief  gestellt. 
Ein  vertical  vorgehaltenes  schmales  und  langes  Object  erscheint  näm- 
lich mit  dem  obern  Ende  zur  Medianebene  (einwärts)  geneigt,  überdiess 
aber  auch  weiter  von  der  Antlitzebene  entfernt,  als  mit  dem  untern 
Ende  (umgekehrt  wie  bei  Lähmung  des  Oculomotorius,  respective  des 
Pv.  inferior.  Geht  man  mit  dem  Objecte  in  der  Medianebene  unter  die 
Horizontale  hinab,  so  treten  die  Doppelbilder  sowohl  in  ihrem  seitlichen 
Intervall  als  im  Höhenunterschied  immer  mehr  auseinander,  und  auch 
die  Schiefheit  nimmt  um  Einiges  zu.  Geht  man  ferner  mit  dem  stark 
unter   der   Horizontalen   befindlichen   Gegenstande   nach   der  Seite   des 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  19 


290  Augenmuskeln. 

gesunden  Auges  über  die  Medianebene  hinüber,  so  nimmt  sowohl  die 
Schiefheit  als  der  seitliche  Abstand  mehr  und  mehr  ab,  der  Höhenun- 
terschied wird  aber  immer  beträchtlicher,  so  dass  für  die  äusserste 
Stellung  des  Objectes,  in  welcher  gemeinschaftlich  gesehen  werden 
kann,  die  Doppelbilder  beinahe  gerade  über  einander  liegen.  Geht 
man  dagegen  mit  dem  unter  der  Horizontalebene  befindlichen  Objecte 
auf  der  Seite  des  kranken  Auges  weiter  und  weiter  von  der  Median- 
ebene seitlich  herüber,  so  nimmt  der  Höhenunterschied  rasch,  der  seit- 
liche Abstand  langsamer  ab,  und  die  Schiefheit  wird  immer  beträcht- 
licher, doch  nur  in  der  Zuneigung  zur  Medianebene,  nicht  in  der  Ab- 
neigung von  der  Antlitzebene.  Bei  den  Versuchen  über  der  Horizon- 
talen lässt  sich  das  Doppeltsehen  in  der  dem  gesunden  Auge  entspre- 
chenden Hälfte  des  Gesichtsfeldes  noch  um  einen  geringen  Winkel  hin- 
auf verfolgen,  dann  verschwindet  es;  auf  der  dem  kranken  Auge  ent- 
sprechenden Hälfte  schneidet  es,  je  weiter  man  seitlich  vorrückt,  desto 
genauer  mit  der  Horizontalen  ab. 

Die  spontane  Kopfhaltung  der  Kranken  ist  ziemlich  charakteristisch. 
Anfangs  tragen  sie  den  Kopf  gerade  nach  vorn  (um  die  transversale 
Achse  gedreht),  um  alle  Objecte  möglichst  in  den  obern  Theil  des  Ge- 
sichtsfeldes zu  bringen  und  so  das  Doppeltsehen  zu  umgehen.  Sehr 
bald  jedoch  drehen  sie  den  Kopf  gleichzeitig  auch  um  die  verticale 
Achse  nach  der  entgegengesetzten  Seite ,  damit '  sie  die  Gegenstände 
nicht  bloss  nach  oben,  sondern  auch  in  der  mit  dem  afficirten  Auge 
gleichnamigen  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  sehen,  denn  für  diese  Stellung 
fühlen  sie  sich  im  Einfachsehen  am  sichersten,  und  zwar  um  so  mehr, 
wenn  durch  beginnende  Secundärcontractur  des  Obl.  inferior  die  Grenze 
des  Doppeltsehens  sich  auf  der  gesunden  Seite  über  die  Horizontal- 
ebene erhebt.  Je  entschiedener  die  Vermehrung  in  der  Spannung  des 
Obl.  inferior  wird,  desto  ausgeprägter  wird  auch  die  Kopfdrehung  um 
die  verticale  Achse.  Später  wenn  die  schielende  Stellung  durch  das 
ganze  Gesichtsfeld  geht,  pflegt  auch  die  angenommene  Kopfhaltung  in 
gewissem  Grade  aus  Gewohnheit  fortzubestehen,  wird  aber  doch  weni- 
ger forcirt,  da  ihre  Zweckmässigkeit  für  den  Sehact  mehr  und  mehr 
erlischt.  Der  Kranke  kann  nun  die  Doppelbilder  nicht  mehr  in  eins 
zusammenschmelzen,  und  muss  sich  dadurch  helfen,  dass  er  entweder 
ein  Auge  schliesst,  oder  dass  er  ein  Doppelbild  physiologisch  unter- 
drückt, oder  dadurch ,  dass  er  es  durch  die  Contraction  eines  andern 
Augenmuskels  so  weit  ablenkt,  bis  es  der  grossen  Excentricität  wegen 
an  störendem  Einfluss  auf  das  Sehvermögen  verliert. 

„Das  Sehvermögen  war  in  keinem  unserer  Fälle  erheblich  gestört, 


Lähmung  der  Trochlearis.  291 

so  dass  die  Tragweite  selbst  für  die  kleinsten  Objecte  von  der  des  ge- 
sunden nicht  wesentlich  abwich.  Die  Accommodation  zeigte  sich  ziem- 
lich normal;  nur  in  der  Richtung  nach  unten  und  innen  schien  sie  we- 
niger andauernd  und  weniger  excursiv,  offenbar  wegen  der  mühsamen 
Einstellung  der  Sehachsen/'    (Gräfe.) 

Zur  bcispielweisen  Erläuterung  will  ich,  obwohl  mir  zwei  eigene  Beobachtungen 
zu  Gebote  stehen,  einen  von  A.  v.  Gräfe  (Archiv  B.  I.  Abth.  2.  S.  313)  beschriebenen 
Fall  wählen,  da  derselbe  nicht  nur  wegen  exacter  Beobachtung,  sondern  auch  wegen 
Complication  der  Trochlearislähmung  mit  Abducenslähmung  ein  ganz  besonderes  In- 
teresse hat. 

„Ein  Kleidermacher  von  49  Jahren  hatte  vor  geraumer  Zeit  einen  Chanker  gehabt, 
der  schnell  und  ohne  Spuren  zu  hinterlassen  heilte.  In  seinem  30.  Lebensjahre  hatte  er 
abermals  einen  Chanker,  welcher  längere  Zeit  bestand,  und  dem,  wie  er  angibt,  nach 
Jahresfrist  andauernde  Hautausschläge  folgten.  Diese  haben  sich  in  den  letzten  Jahren 
wiederholt,  auch  sind  mehrere  Abscesse  am  Halse  vorhanden  gewesen,  die  eröffnet  wer- 
den mussten.  Der  letzte  derselben  bestand  vor  einem  Jahre,  mit  ihm  zugleich  ein  an- 
derer über  der  Articulatio  sternoclavicularis.  Vor  4  Jahren  hatte  Pat.  zuerst  Taubheit 
des  Gefühls  in  der  rechten  Schulter  bemerkt,  so  wie  Schmerzen  im  rechten  Arm  mit 
bedeutender  Schwäche  bei  der  Arbeit.  Vor  3  Jahren  fing  das  jetzige  Augenleiden  mit 
Blendung  und  mangelhafter  Ausdauer  bei  der  Arbeit  an ;  Doppeltsehen  will  der  Kranke 
zuerst  vor  5  Monaten  beobachtet  haben. 

Bei  der  Untersuchung  fand  ich  den  rechten  Arm  nur  um  Weniges  schwächer,  als 
den  linken,  dagegen  ausgeprägte  paralytische  Erscheinungen  in  den  Augenmuskeln.  Am 
auffallendsten  war  zunächst  die  Lähmung  im  linksseitigen  M.  abducens ;  die  Cornea  konnte 
nur  um  einen  geringen  Winkel  (etwa  10  Grad)  über  die  Mittellinie  nach  aussen  gerich- 
tet werden  und  auch  diess  geschah  unter  zuckenden ,  zum  Theil  auch  unter  rollenden 
Stössen.  Mit  den  objeetiven  Zeichen  übereinstimmend  war  die  Diplopie;  je  mehr  das 
Object  auf  die  linke  Seite  des  Gesichtes  herüber  bewegt  wurde,  desto  mehr  wuchs  die 
Entfernung  des  gleichnamigen  Doppelbildes.  Höhenunterschied  und  Schiefheit  wurden 
in  der  horizontalen  Visirebene  nicht  angegeben.  Bewegte  ich  das  Object  nach  unten, 
so  zeigten  die  Doppelbilder  die  Eigenschaften ,  welche  auf  die  linksseitige  Paralyse  des 
M.  abducens  nicht  zu  beziehen  waren ,  es  trat  nämlich  ein  namhafter  Höhenunterschied 
zwischen  den  beiden  Bildern  auf,  so  dass  das  linke  Bild  höher,  das  rechte  tiefer  stand; 
da  vollends  die  Diplopie  im  ganzen  untern  Theil  des  Gesichtsfeldes,  selbst  wenn  man 
ziemlich  stark  nach  rechts  hinüberging,  vorhanden  war,  so  musste  noch  eine  andere 
Affection,  als  die  linksseitige  Abducenslähmung,  aufgesucht  werden.  Ich  hielt  das  Object 
nach  unten  und  etwas  rechts  herüber,  um  dem  linken  Auge  die  Fixation  zu  ermöglichen, 
und  glaubte  mich  schon  bei  aufmerksamer  Inspection  der  Sehachsenrichtung  zu  über- 
zeugen ,  dass  nun  das  rechte  Auge  nach  innen  und  oben  vom  Object  vorbeischoss.  In 
der  That  ergab  sich,  dass  beim  Schluss  des  linken  Auges  die  Cornea  des  rechten  sich 
nach  aussen  und  unten  verrückte.  Im  obern  Theile  des  Gesichtsfeldes  standen ,  wenn 
das  Object  rechts  gehalten  wurde,  die  beiden  Sehachsen  richtig  und  es  fand  Einfach 
sehen  statt.  So  konnte  kein  Zweifel  bestehen ,  dass  eine  Parese  in  den  nach  unten 
ziehenden  Muskeln  des  rechten  Auges  vorhanden  sei ,  und  es  fragte  sich  nur  noch ,  ob 
der  B.  inferior  oder  der  Obl.  superior  betheiligt  war.  Die  pathologische  Convergenz, 
welche   beim  Blick   nach  unten    stattfand,    sprach  schon   von   Anfang   an  für   eine  Affe- 

19* 


292  Augenmuskeln. 

ction  des  Trochlearis ,  und  doch  hätte  dieses  Symptom  hier  wegen  der  linksseitigen  Ab- 
ducenslähmung  täuschen  können,  da  bekanntlich  auch  bei  Abducenslähmung  mehr  Nei- 
gung zur  Convergenz  der  nach  unten  als  der  nach  oben  gerichteten  Sehachsen  vorhan- 
den ist.  Freilich  war  bei  dem  Kranken  die  Zunahme  der  Convergenz,  wenn  man  in 
der  Medianebene  das  Object  herabsenkte,  zu  auffallend,  als  dass  man  dieselbe  hätte  auf 
Abducenslähmung  gründen  können,  sofern  nämlich  bei  letztgenannten  Lähmungen  wohl 
oberhalb  der  horizontalen  Visirebene  ein  erhebliches  Schwanken  der  Convergenz  (je 
nach  der  Höhe),  unterhalb  der  horizontalen  Visirebene  aber  nur  eine  geringfügige  und 
zuweilen  gar  keine  Zunahme  der  Convergenz  (nach  unten  hin)  nachweisbar  ist.  Auch 
hätte  sich  fuglich  die  Convergenz  nicht  bis  gegen  den  aussersten  Theil  des  Gesichtsfel- 
des nach  rechts,  wenn  auch  in  abnehmender  Weise  wie  hier,  erhalten  können.  Trotzdem 
lag  die  Idee  einer  secundären  Contractur  im  E,.  internus  des  rechten  Auges,  wie  solche 
eo  häufig  bei  Paralyse  des  Antagonisten  im  andern  Auge  vorkommt,  immer  noch  nahe 
genug,  um  positivere  Beweisgründe  wünschenswerth  zu  machen.  Zum  Glück  für  die 
Diagnose  gab  der  Kranke  eine  deutliche  Schiefheit  des  rechten  Bildes  an ;  dasselbe  war 
mit  seiner  obern  Extremität  nach  links  geneigt,  also  ganz  conform  einer  Trochlearis- 
parese,  entgegengesetzt  einer  Parese  des  E.  inferior.  Um  nun  die  weitern  controlliren- 
den  Merkmale  zu  gewinnen,  ging  ich  mit  dem  Objecte  im  untern  Theil  des  Gesichts- 
feldes von  rechts  nach  links  herüber,  erwartend,  dass  die  Schiefheit  in  dieser  Richtung 
continuirlich  abnehmen  würde.  Dem  war  nicht  so;  freilich  gab  Pat.  zuweilen  auf  der 
ersten  Hälfte  der  Bahn  (von  rechts  bis  zur  Medianebene)  einige  Verringerung  der  Schief- 
heit an,  aber  von  der  Mittellinie  bis  zur  aussersten  Haltung  nach  links  wurde  gar  keine 
Abnahme,  zuweilen  sogar  eine  Zunahme  der  Schiefheit  bemerkt.  Diese  Störung  der  Sym- 
ptomengruppe hätte  ich  auf  Grund  der  linksseitigen  Abducenslähmung  voraussehen  sollen, 
denn  auch  Paralysen  des  R.  internus  und  des  B.  externus  bedingen  bei  diagonaler  Stel- 
lung des  Objectes  Schiefheiten,  welche  mit  der  physiologischen  Neigung  der  Meridiane 
in  Zusammenhang  gebracht  werden  müssen.  Demzufolge  hätte  bei  beschränkter  Beweg- 
lichkeit nach  aussen  und  unten  eine  scheinbare  Schiefheit  des  linken  Bildes  nach  rechts 
herüber  stattfinden  müssen,  welche  die  scheinbare,  durch  Trochlearislähmung  bedingte 
entgegengesetzte  Schiefheit  des  rechten  Bildes  nothwendig  steigern  müsste.  Diess,  glaube 
ich,  erklärt  genügend  die  ausbleibende  Abnahme  der  Schiefheit  nach  links  und  hat  diese 
Ansicht  im  weitern  Verlaufe  der  Krankheit  ihre  Bestätigung  gefunden.  —  Vollständig 
charakteristisch  war  das  "Wachsen  des  Höhenunterschiedes  der  Bilder,  wenn  man  mit 
dem  Objecte  von  rechts  nach  links  herüberging,  und  konnte  schon  durch  Inspection  an 
der  Sehachsenrichtung  erkannt  werden.  Ebenso  fehlte  das  Näherliegen  des  rechten  Bil- 
des nicht.  Die  Beweglichkeit  der  Sehachse  nach  innen  —  unten  war  beim  Verschluss 
des  linken  Auges  bedeutend  verringert.  Die  Kopfhaltung  zeigte  sich  etwas  anders,  als 
bei  einfacher  Trüchlearislähmung.  Während  sonst  die  Kranken  den  Kopf  nach  der  affi- 
cirten  Seite  und  gleichzeitig  nach  vorn  drehen ,  war  bei  diesem  Pat.  der  obere  gleich- 
namige Theil  des  Gesichtsfeldes  dem  Einfachsehen  erhalten,  und  er  trug  den  Kopf  etwas 
nach  vorn  geneigt,  aber  gleichzeitig  nach  links  um  die  Verticalachse  gedreht.  —  Das 
Sehvermögen  zeigte  sich  auf  beiden  Augen  gleich;  ein  gewisser  Grad  von  Accommo- 
dationsparese  mit  Erweiterung  des  Mesoropter  schien  schon  von  früher  her  vorhanden 
zu  sein.  —  Das  Allgemeinbefinden  war  sehr  gestört;  Pat.  klagte  über  fortwährendes 
Brausen  im  Kopfe,  grosse  Schwäche  und  Abnahme  des  Körpervolums. 

Als  Grund    der   beiderseitigen  Lähmung    wurde  die    inveterirte  Lues  aufgefasst;    ob 
eine  materielle  Veränderung  an  der  Basis  cranii  zugegen  war,   und  welche,    blieb  unent- 


Schielen  —  Kennzeichen.  293 

schieden ,  weil  die  nöthigen  Auhaltpunkte  für  die  Bestimmung  fehlten.  Ich  verordnete 
Kali  jodatum,  und  schon  nach  einigen  Wochen  zeigte  sich  eine  Besserung  beider  Muskel- 
liihmungen,  so  jedoch,  dass  die  Lähmung  des  Abducens  schneller  rückgängig  wurde,  als 
die  des  Trochlearis.  Als  mich  kürzlich  der  sich  vollständig  geheilt  ansehende  Kranke 
besuchte,  war  die  Abducenslähmung  verschwunden,  das  Doppeltsehen  nach  unten  jedoch 
noch  künstlich  (durch  violette  Gläser)  nachweisbar.  Jetzt  zeigte  sich  zu  meiner  grossen 
Freude  eine  volle  Übereinstimmung  der  Svnrptonie  mit  den  für  Trochlearis-Paralyse  als 
charakteristisch  angegebenen,  denn  trotz  des  geringen  gegenseitigen  Abstandes  der  Dop- 
pelbilder, der  noch  übrig  war,  konnte  nun  die  früher  durch  Abducenslähmung  gestörte 
continuirliche  Zunahme  der  Schiefheit  von  links  nach  rechts  deutlich  genug  nachgewie- 
sen werden.  —  In  therapeutischer  Beziehung  war  es  erfreulich,  dass  alle  übrigen  Krank- 
heitserscheinungen, die  Schwäche  im  Arm,  das  Brausen  im  Kopf  mit  der  Augenmuskel- 
lähmung vollständig  rückgängig  wurden ,  dass  das  Aussehen  und  Befinden  des  Kranken, 
sich  bedeutend  besserte  und  das  Körpergewicht  erheblich  zunahm.  Das  Kali  jodatum 
(gegen  2  Unzen)  wurde  mit  kurzen  Unterbrechungen  circa  8  Wochen  gebraucht." 


Schielen  (Strabismus). 

Schielen  heisst  ein  Auge  {dessen  Sehachse)  von  dem  Gegenstande 
ablenken,  welchen  das  andere  fiacirt.  Die  Ablenkung  ist  activ ,  beruht 
auf  ea-cessiver  Contraction  (später  auf  Contractur)  eines  oder  mehrerer 
Muskeln,  und  erfolgt  im  Allgemeinen  unwillkürlich  und  trotz  alles  An- 
kl'unpfens  des  Willens  dagegen.  Mit  dieser  activen  Ablenkung  zugleich 
erfolgt  Unterdrückung  der  Wahrnehmung  des  Gegenstandes,  den  das  an- 
dere Auge  fiarirt. 

Willkürlich  zu  schielen  vermögen  nur  wenige,  und  das  meist  jugend- 
liche Individuen.  Wenn  Jemand,  wie  diess  gewöhnlich  zu  physiolo- 
gischen Zwecken  geschieht,  seine  Aufmerksamkeit  auf  einen  entfernte- 
ren Gegenstand  richtet,  aber  die  Sehachsen  in  einem  näher  gelegenen 
Punkte  sich  schneiden  lässt,  indem  er  sich  einen  solchen  imaginirt,  so 
kann  man  nicht  sagen,  er  schiele,  sofern  er  nämlich  jenen  Gegenstand 
weder  mit  dem  einen  noch  mit  dem  andern  Auge  fixirt,  sondern  den- 
selben beiderseits  auf  excentrischen  Netzhautstellen  zur  Abbildung 
bringt,  daher  mit  keinem  Auge  direct  sieht.  Auch  das  kann  man  nicht 
Schielen  nennen,  wenn  Jemand  die  Sehachse  des  einen  oder  des  an- 
dern Auges  nicht  auf  das  Object  richtet,  welches  gesehen  werden  soll, 
sondern  neben  demselben  aus  dem  Grunde  vorbeischiessen  lässt,  weil 
das  directe  Sehen  unmöglich  ist,  z.  B.  wregen  centraler  Undurchsichtig- 
keit  der  Medien  oder  wegen  centraler  Untauglichkeit  der  Netzhaut.  Es 
ist  diess  nur  dann  möglich,  wenn  das  andere  Auge  nicht  zum  Sehen 
verwendet  wird  oder  ganz  erblindet  ist.  Einigen  wir  uns  endlich  da- 
hin, dass  wir  das  Zurückbleiben  des  einen  Auges  hinter  den  Bewegun- 


294  Augenmuskeln. 

gen  des  andern  wegen  mechanischer  Hindernisse  (Verwachsung,  Mus- 
kellähniung),  mithin  die  passive  i^blenkung  des  einen  Auges  von  dem 
Gegenstande,  den  das  andere  frei  bewegliche  Auge  verfolgt,  nicht  unter 
einem  gemeinschaftlichen  Namen  mit  der  activen  Ablenkung  zusammen- 
fassen, so  haben  wir  für  den  Ausdruck  Schielen  oder  Strabismus  einen 
ganz  bestimmten  Begriff  festgestellt,  einen  Begriff,  welcher  im  Wesent- 
lichen das  enthält,  was  seit  J.  Müller*)  als  Strabismus  concomitans  be- 
schrieben wurde,  in  welchen  dagegen  das,  was  man  über  Strabismus 
lusciosus  gesagt  hat,  nicht  gehört. 

Das  Schielen  tritt  entweder  nur  zeitweilig  auf,  und  zwar  nicht 
bloss  das  will-  sondern  auch  das  unwillkürliche ,  oder  —  wie  in  den 
meisten  Fällen  —  continuirlich.  Auf  das  zeitweilige  Auftreten  des  un- 
willkürlichen ScLielens  übt  bald  die  Accommodation,  bald  der  Wille, 
bald  auch  das  Allgemeinbefinden  bestimmend  ein.  Manche  schielen  nur 
beim  Betrachten  naher,  andere  nur  beim  Betrachten  entfernter  Objecte. 
Manche  können  (namentlich  dann,  wenn  sie  auf  schärferes  Sehen  ver- 
zichten) das  Schielen  durch  erhöhten  Willenseinfluss  auf  mehr  weniger 
lange  Zeit  vermeiden ;  andere  verfallen  in  diesen  Zustand  gerade,  wenn 
sie  ihn  zu  vermeiden  bemüht  sind,  und  noch  andere  dann,  wenn 
sie  sich  unwohl,  verlegen  u.  dgl.  fühlen.  —  Das  continuirliche  Schielen 
tritt  entweder  immer  an  demselben  Auge  in  die  Erscheinung  (Str.  non- 
alternans),  oder  bald  an  dem  einen,  bald  an  dem  andern,  jedoch  in 
letzterem  Falle  immer  in  derselben  Bichtung  (niemals  z.  B.  auf  dem 
einen  Auge  ein-,  dann  auf  dem  andern  auswärts)  und  in  demselben 
Grade  (Str.  alternans).  Die  häufigste  Richtung  ist  die  nach  innen, 
Str.  convergens  (als  alternans  oder  non-alternans),  bedingt  durch  exces- 
sive  Contraction  oder  Contractur  des  E.  internus  allein,  oder  des  R. 
superior  oder  R.  inferior  zugleich,  wodurch  das  Schielen  nach  innen- 
oben  oder  nach  innen-unten  zu  Stande  kommt;  seltener  ist  das  Aus- 
wärtsschielen, Str.  divergens  (gleichfalls  als  alternans  oder  non-alter- 
nansj,  bedingt  durch  excessive  Contraction  des  R.  externus,  am  selten- 
sten die  Ablenkung  nach  oben,  Str.  sursum  vergens,  und  die  nach 
unten,  Str.  deorsum  vergens.  In  Folge  von  Lähmung  des  Obl.  superior 
oder  des  Obl.  inferior  kann  durch  secundäre  Contractur  des  Antago- 
nisten (Obl.  inferior,  respective  superior)  das  von  Einigen  beobachtete 
Radschielen  (mit  Drehung  des  Bulbus  um  die  Sehachse)  zustande  kommen. 

Jedes  Schielen  höheren  Grades  verräth  sich  durch  die  abweichende 
Stellung  der  Cornea  zu  dem  fiorirten  Objecte.  Wo  die  fehlerhafte  Stel- 
lung wegen  geringer  Abweichung  nicht  sogleich  augenfällig  wird,  braucht 

*J  Zur  vergleichenden  Physiologie  des  Gesichtssinnes,   Leipzig,  1S2Ü. 


Schielen  —  Kennzeichen.  295 

man  nur,  während  der  Kranke  zur  Fixirung  eines  Objectes  angewiesen 
wird,  vor  das  eine  Auge  die  flache  Hand  vorzuschieben;  das  gesunde 
Auge  bleibt  dabei  ganz  ruhig,  das  schielende  verlässt  aber  seine  fehler- 
hafte Stellung  zu  dem  Objecte  augenblicklich,  und  stellt  sich  mit  der 
Sehachse  auf  dasselbe  ein,  falls  es  überhaupt  noch  zum  directen  Sehen 
und  zum  Wahrnehmen  jenes  Objectes  geeignet  ist.  Hiebei  ist  jedoch 
nöthig,  dass  der  Kopf  des  Schielenden  früher  in  die  normale  Stellung 
gebracht  und  während  der  Proben  darin  erhalten  werde.  Auf  die  im 
Ganzen  genommen  seltenen  Fälle,  wo  sich  das  schielende  Auge  nach 
Verdickung  des  gesunden  nicht  mit  der  Sehachse  zum  Objecte  ein- 
stellt, sondern  mit  derselben  gleichsam  daneben  vorbeischiesst,  werden 
wir  später  zu  sprechen  kommen.  —  Ein  anderes  Merkmal  des  schielen- 
den Auges  besteht  darin,  dass  es  nach  allen  Richtungen  hin  frei  be- 
wegt werden  kann,  besonders  wenn  das  gesunde  Auge  mit  den  Fingern 
zugedrückt  wird.  Auch  hievon  giebt  es  Ausnahmen,  theils  bei  frischen, 
tlieils  bei  inveterirten  Fällen  des  alternirenden  und  nicht-alternirenden 
Scliielens.  "Wenn  sich  nämlich  Schielen  (z.  B.  einwärts)  in  Folge  von 
Lähmung  eines  Muskels  (des  R.  externus)  entwickelt,  so  kann  zur  Zeit, 
wo  die  Lähmung  noch  nicht  völlig  verschwunden  ist,  die  Beweglich- 
keit des  Bulbus  nach  dieser  Seite  noch  beschränkt  oder  aufgehoben 
sein.  Eben  so  wird,  wenn  die  excessive  Contraction  des  ablenkenden 
Muskels  lange  bestanden  und  zu  förmlicher  Contractur  (mit  bleibender 
Verkürzung  und  Rigidität)  geführt  hat,  die  Beweglichkeit  nach  der  ent- 
gegengesetzten Seite  theils  hiedurch,  tlieils  aber  auch  und  zwar  in 
noch  höherem  Grade  dadurch  beschränkt,  dass  der  Antagonist  in  Folge 
geringerer  Übung  atrophisch  geworden  ist.  Nur  wo  diese  Momente 
wegen  hochgradiger  und  viele  Jahre  lang  andauernder  Ablenkung  stark 
entwickelt  sind,  kann  das  schielende  Auge  nicht  über  die  Mitte  der 
Lidspalte  nach  der  entgegengesetzten  Richtung  hinübergestellt,  oder 
auch  selbst  nicht  in  der  Mitte  erhalten  werden.  —  Hieran  reiht  sich 
ein  drittes  Merkmal,  nämlich  dass  das  schielende  Auge  dem  gesunden 
bei  allen  Bewegungen  folgt,  und  zwar  unter  gleicher  oder  doch  nahezu 
gleicher  Neigung  seiner  Sehachse  zu  der  des  gesunden  Auges,  so  lange 
dieses  sich  in  demselben  Horopter  bewegt  (seinen  Refractionszustand 
nicht  ändert).  Im  gesunden  Zustande  schneiden  sich  die  Sehachsen  in 
dem  fixirten  Objectpunkte  unter  einem  bestimmten  Winkel,  welcher  für 
denselben  Horopter  derselbe  bleibt,  für  jeden  weitern  Horopter  spitziger, 
für  jeden  engern  minder  spitzig  wird.  Beim  Einwärtsschielen  schneidet 
die  Sehachse  des  schielenden  Auges  die  des  fixirenden  vor  dem  Ob- 
jecte, und  zwar  unter  einem  um  so  weniger  spitzigen  Winkel,  je  höher 


296  Augenmuskeln. 

der  Grad  der  Ablenkung  ist;  wird  das  Object  in  demselben  Horopter 
hin  und  her  bewegt,  so  folgt  ihm  auch  das  schielende  Auge  unter  dem- 
selben Winkel.  (Beim  Übergange  des  Sehobjectes  in"  die  obere  oder  in 
die  untere  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  ändert  sich  der  Neigungs-  oder 
Schielwinkel  trotz  dem,  dass  der  Horopter  nicht  geändert  wird.)  Wird 
das  Object  weiter  entfernt,  so  bleiben  die  Verhältnisse  dieselben,  nur 
ist  der  Winkel,  unter  dem  sich  die  Sehachsen  schneiden,  ein  mehr 
spitziger.  Ausnahmen  hievon  kommen  nur  dann  vor,  wenn  Rigidität 
des  ablenkenden  Muskels  oder  Paresis  des  Antagonisten  besteht.  Bei 
Str.  divergens  liegt  der  Winkel,  unter  dem  sich  die  Sehachsen  schnei- 
den, hinter  den  Augen.  Die  Sehachsen  sind  also  bei  einem  und  dem- 
selben Kranken  für  eine  bestimmte  Sehweite  des  fixirenden  Auges  an 
eine  bestimmte  Neigung  zu  einander  gebunden,  welche  sich  —  mit  Aus- 
nahme der  angedeuteten  Complicationen  —  nur  mit  der  Zu-  oder  Ab- 
nahme des  Übels  selbst  ändert  ( Schiel winkelj.  —  Hieraus  ergibt  sich 
ein  viertes  Merkmal  des  Strabismus.  Wenn  man  einem  Schielenden, 
icahrend  er  angewiesen  wird,  ein  bestimmtes  Object  zu  fixiren,  die  Hand 
vor  das  fixirende  Auge  schiebt,  und  nun,  während  das  schielende  Auge 
fixirt,  den  Stand  des  hinter  der  Hand  befindlichen  Auges  beobachtet,  sa 
findet  man,  dass  dieses  aus  der  normalen  in  eine  fehlerhafte  Stellung 
übergegangen  ist.  Es  steht  einwärts:  wenn  das  nun  fixirende  Auge 
früher  einwärts  stand,  auswärts:  wenn  dieses  auswärts  stand,  dagegen 
abwärts:  wenn  das  andere  Auge  früher  aufwärts  schielte,  und  aufwärts: 
wenn  das  andere  abwärts  schielte.  Wird  nämlich  das  gesunde  Auge 
verdeckt,  so  muss,  um  dem  für  gewöhnlich  excessiV  contrahirten  Mus- 
kel entgegenzuwirken,  der  Antagonist  des  schielenden  Auges  in  erhöhte 
Thätigkeit  versetzt  werden;  der  hiezu  nöthige  verstärkte  Impuls  trifft 
aber  immer  zugleich  auch  den  associirten  Muskel  des  andern  Auges, 
springt  gleichsam  auf  denselben  über,  da  wir  nicht  im  Stande  sind, 
diesen  Impuls  willkürlich  auf  ein  Auge  allein  wirken  zu  lassen.  Schielt 
demnach  z.  B.  das  linke  Auge  auswärts,  so  muss  der  R.  internus  des- 
selben in  erhöhte  Thätigkeit  versetzt  werden,  um  das  Auge  dem  Ob- 
jecte  gerade  gegenüber  zu  stellen  (und  zu  erhalten),  und  der  Impuls 
hiezu  geht  gleichzeitig  und  unwillkürlich  auf  den  R.  externus  des  rech- 
ten Auges  über.  Schielt  das  linke  Auge  aufwärts,  so  sind  die  beiden 
R.  inferiores  in  derselben  Lage,  wie  früher  der  linke  R.  internus  und 
der  rechte  R.  externus.  Zu  bemerken  ist  noch,  dass  das  Auge  hinter 
der  Hand  genau  oder  doch  nahezu  um  eben  so  viele  Grade  abgelenkt 
erscheint,  als  früher  das  schielende.  —  Ein  Kranker,  der  mit  dem  lin- 
ken Auge  einwärts  schielt,  erhält  aber  auch  schon  bei  beiderseits  offe- 


Schielen  —  Kennzeichen.  297 

ner  Lidspalte  nicht  bloss  an  dem  linken,  sondern  auch  an  dem  rechten 
Auge  den  K.  internus  in  excessiver  Contraction,  und  hei  einem  Kran- 
ken, der  auswärts  schielt,  findet  dasselbe  Verhältniss  in  Bezug  auf  die 
beiden  ß.  externi  statt.  Beim  Aus-  oder  Einwärtsschielen  leiden  immer 
beide  gleichnamige  Muskeln,  nicht  bloss  der  des  abgelenkten  Auges. 
Beim  wechselnden  Schielen  gibt  sich  diess  kund,  eben  weil  die  Seh- 
kraft einen  solchen  Wechsel  gestattet,  entweder  rein  nach  Willkür  oder 
nach  Zulass  der  Sehweite  des  einen  und  des  andern  Auges.  Auch 
beim  nicht- wechselnden  Schielen  ist  es  möglich,  das  für  gewöhn- 
lich schielende  Auge  eine  Zeit  lang  gerade  zu  halten,  doch  nur  unter 
der  Bedingung-,  dass  das  andere  jetzt  in  derselben  Eichtung  und  in 
demselben  Grade  abgelenkt  wird.  Ist  jedoch  die  Sehkraft  des  bestän- 
dig- schielenden  Auges  sehr  gesunken,  so  vermag  sich  dasselbe  nur  auf 
kurze  Zeit  oder  gar  nicht  mehr  in  der  Einstellung  zum  Objecte  zu  be- 
haupten. Aber  g-erade  in  solchen  Fällen  zeigt  sich  das  Mitleiden  des 
gleichnamigen  Muskels  an  dem  andern  Auge  besonders  eclatant  an  der 
Kopfhaltung  des  Schielende?i.  Ein  Kranker,  der  mit  dem  linken  Auge 
einwärts  schielt,  hält,  um  Objecte  in  der  Medianebene  seines  Gesichts- 
feldes zu  fixiren,  den  Kopf  um  die  verticale  Achse  rechts  gedreht.  Gibt 
man  ihm  ein  Buch  in  die  Hand,  so  hält  er  es  nicht  gerade  dem  Ge- 
sichte gegenüber,  sondern  etwas  schräg,  mit  der  linken  Seite  zur  Ant- 
litzfläche geneigt.  Umgekehrt  ist  dieses  Verhalten  bei  einem  mit  dem 
linken  Auge  auswärts  Schielenden.  Hiedurch  wird  erreicht,  dass  der 
ablenkende  Muskel  des  schielenden  Auges  nicht  so  stark  contrahirt  zu 
werden  braucht,  wie  wenn  die  Antlitzfläche  dem  Objecte  gerade  gegen- 
über gehalten  werden  muss.  Führt  man  diese  letztere  Lage  durch  Cor- 
rection  der  Haltung  des  Kopfes  oder  des  Objectes  herbei,  so  findet 
man,  dass  beim  Einwärtsschielen  z.  B.  des  linken  Auges  die  Cornea 
desselben  weiter  einwärts  gerollt  wird,  weil  jetzt  die  Cornea  des  rech- 
ten Auges  ganz  oder  nahezu  in  der  Mitte  der  Lidspalte  sehen  muss, 
um  das  Object  zu  fixiren.  Bei  der  spontanen  Kechtsdrehung  des  Kopfes 
oder  bei  Herüberrückung  des  Objectes  in  die  linke  Hälfte  des  Gesichts- 
feldes ist  demnach  der  E.  internus  des  linken  (schielenden)  Auges  nur 
wenig  oder  gar  nicht  mehr  contrahirt,  als  der  E.  internus  des  rechten 
Auges,  während  bei  gezwungener  Haltung  des  Kopfes  oder  des  Objec- 
tes die  erhöhte  Contraction  des  E.  internus  am  linken  Auge  allein  die 
Ablenkung  der  »Sehachse  (Erhaltung  des  Schielwinkels)  vermitteln  muss. 
Der  Kranke  überlässt  sich  aber  der  spontanen  Kopfdrehung  oder  Ob- 
jectsverschiebung  um  so  lieber,  als  er  dadurch  nicht  nur  grössere  Frei- 
heit in  den  associirten  und  besonders  in  den  accommodativen  Bewegun- 


298  Augenmuskeln. 

gen  erhält,  sondern  auch  das  Entstellende  seines  Fehlers  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  niaskirt,  i.  e.  die  relativ  stärkere  Ablenkung  der  lin- 
ken Hornhaut  gegen  den  innern  Winkel  verhindert  oder  doch  vermin- 
dert. Laien  lassen  sich  auf  diese  Weise  täuschen,  und  meinen,  das 
Schielen  sei  manchmal  gar  nicht  oder  nur  in  geringem  Grade  vorhan- 
den, auch  in  Fällen,  wo  dasselbe  ganz  gewiss  continuirlich  besteht. 
Wenn  wir  einen  Schielenden  (bleiben  wir  bei  dem  gewählten  Beispiele : 
mit  dem  linken  Auge  einwärts)  längere  Zeit  bei  seinem  Thun  und  Las- 
sen (unvermerkt)  beobachten,  so  werden  wir  auch  rinden,  dass  er  den 
Kopf  noch  nach  einer  andern  Richtung  dreht,  nämlich  etwas  zur  Schul- 
ter der  betreffenden  (linken)  Seite  neigt,  ein  Beweis  mehr  dafür,  dass 
auch  an  dem  andern  (rechten)  Auge  der  gleichnamige  (innere)  Muskel 
excessiv  contrahirt  ist.  Es  tritt  hier  dasselbe  Verhalten  ein,  wie  wenn 
der  Antagonist  (R.  externus)  des  nicht  schielenden  (rechten)  Auges  in- 
sufficient  ist.  Die  Haltung  eines  continuirlich  Schielenden  ist  eine 
ganz  andere  als  die  eines  Einäugigen,  selbst  dann,  wenn  das  schielende 
Auge  sich  gar  nicht  mehr  zu  deutlichen  Wahrnehmungen  eignet.  — 
Aus  diesem  Verhalten  resultirt  aber  auch,  dass  nach  längerem  Bestände 
des  continuirlichen  Schielefis  nicht  nur  an  dem  schielenden,  sondern  auch 
im  dem  fixirenden  Auge  excessive  Contraction,  endlich  Contractur  des 
betreffenden  {gleichnamigen)  Muskels  und  Atrophie  des  Antagonisten  ein- 
tritt, wenn  gleich  auf  dem  fixirenden  Auge  in  geringerem  Grade,  als 
auf  dem  schielenden.  Leute,  welche  durch  viele  Jahre  mit  dem  einen 
Auge  stark  einwärts  geschielt  haben,  können  daher  auch  das  fixirende 
nicht  gehörig  auswärts  stellen.  Dieser  für  die  Operationslehre  wich- 
tige Satz  erhält  eben  durch  die  unmittelbaren  Ergebnisse  der  Muskel- 
durchschneidung selbst  weitere  Bestätigung.  Es  liegt  .demnach  kein 
Widerspruch  in  der  Behauptung,  das  Schielen  könne  immer  nur  an 
einem  Auge  auftreten,  aber  die  nächste  Ursache  davon,  die  Muskelcon- 
traction,  bestehe  immer  an  beiden  Augen  zugleich. 

Das  schielende  Auge  wird  nicht  zum  directen,  sondern  nur  zu  in- 
(Jirectem  Sehen  verwendet.  Der  Schielende  gebraucht  zum  Betrachten 
der  Objecte  jederzeit  nur  das  eine  Auge,  und  nimmt  dieselben  nur  mit 
dem  fixirenden  Auge  wahr ;  er  sieht  daher  auch  niemals  doppelt,  selbst 
nicht  in  der  ersten  Zeit  der  Affection,  wenn  man  jene  Fälle  richtig 
auffasst,  wo  Doppeltsehen  die  Veranlassung  zum  Schielen  gibt.  In  diesem 
letzten  Falle  befinden  sich  nicht  nur  jene,  welche  von  Lähmung  irgend 
eines  Augenmuskels  befallen  wurden,  sondern  gewiss errnassen  auch 
jene,  bei  denen  die  Wahrnehmung  des  jeweiligen  Gesichtsobjectes  mit 
dem  einen  Auge   durch  undeutliche  Wahrnehmung  desselben  mit  dem 


Schielen  —  Kennzeichen.  299 

andern  Aug-e  g-estört  wird,  wegen  Trübung-  in  den  durchsichtigen  Me- 
dien, wegen  Differenz  im  Kefractionszustande  oder  wegen  Netzhaut- 
affection.  Beim  Doppeltsehen  wegen  Muskellähmung  treten  die  Bilder 
in  der  Wahrnehmung  räumlich  getrennt,  im  Gesichtsfelde  auseinander 
gehalten  auf,  beim  Doppeltsehen  aus  den  letztgenannten  Ursachen 
deckeu  sich  dieselben,  werden  nicht  als  neben,  sondern  gleichsam  als 
auf  oder  in  einander  liegend  wahrgenommen.  "In  dem  einen  Avie  in 
dem  andern  Falle  kann  Schielen  eintreten,  damit  das  Doppelbild  unter- 
drückt werde.  Das  Doppeltsehen  ist  nicht  ein  Symptom,  welches  das 
Schielen  begleitet,  sondern  ein  Act,  welcher  leicht  zum  Schielen  Ver- 
anlassung gibt,  wie  wir  bei  der  Ätiologie  unten  zeigen  werden.  — 
Dass  das  schielende  Auge  nicht  zum  directen  Sehen  verwendet  werde, 
sieht  man  schon  aus  der  Stellung  desselben  zu  dem  Objecte,  welches 
eben  betrachtet  wird.  Dass  es  aber  auch  nicht  durch  indirectes  Sehen 
Ivenntniss  von  den  Gegenständen  bringt,  welche  das  andere  Auge  sieht, 
ergibt  sich  leicht  aus  dem  momentanen  Verschwinden  der  Wahrneh- 
mung des  fixirten  Objectes,  sobald  man  vor  das  fixirende  Auge  die 
Hand  vorschiebt.  Erst  wenn  das  schielende  Auge  sich  zum  Objecte 
eingestellt  hat,  wird  dieses  wieder  wahrgenommen.  Wie  es  komme, 
dass  das  von  dem  gesunden  Auge  fixirte  Object  von  dem  schielenden 
nicht  wahrgenommen  werde,  trotzdem  es  auch  auf  diesem  ein  Netz- 
hautbild entwirft,  wissen  wir  nicht.  Wenn  wir  sagen,  die  Wahrneh- 
mung werde  unterdrückt,  so  ist  diess  nur  ein  figürlicher  Ausdruck, 
welcher  insofern  gut  gewählt  erscheint,  als  er  gewissermassen  das 
Active  dabei  anzeigt.  Denn  auch  bei  Lähmung  eines  und  des  andern 
Muskels  wird  auf  dem  Auge,  dessen  Achse  nicht  auf  das  Object  ge- 
richtet ist,  irgendwo  seitlich  von  der  Macula  lutea  ein  Bild  des  Objectes 
entworfen,  aber  dennoch  wahrgenommen,  und  zwar  trotz  oft  sehr  be- 
deutender Excentricität,  merklich  gesunkener  Netzhautenergie  und 
langem  Bestände  des  Leidens.  Man  muss  demnach  annehmen,  dass 
die  active  Ablenkung  des  Auges  zugleich  eine  Bedingung  für  die  Unter- 
drückung der  Wahrnehmung  der  von  dem  andern  Auge  gesehenen  Ob- 
jecte in  sich  einschliesst.  So  lange  ein  von  Muskellähmung  oder  mecha- 
nischer Ablenkung  eines  Auges  Befallener  es  nicht  zur  activen  Ablen- 
kung des  betroffenen  (oder  des  andern)  Auges  gebracht  hat,  gelingt  es 
ihm  nicht,  der  Wahrnehmung  des  Doppelbildes  zu  entgehen,  ausser 
durch  Zukneipen  oder  erst  nach  sehr  langer  Zeit,  wenn  die  Netzhaut- 
energie sehr  gesunken  ist.  Beim  Schielen  hingegen  findet  selbst  bei 
einer  sehr  geringen  Ablenkung,  also  bei  sehr  geringer  Excentricität  des 
Netzhautbildes,  schon  keine  Wahrnehmung  des  Objectes  (kein  Doppelt- 


300  Augenmuskeln. 

sehen)  statt,  auch  in  Fällen,  wo  die  Energie  der  Netzhaut  des  abge- 
lenkten Auges  der  des  fixirenden  völlig  gleich  geschätzt  werden  muss, 
und  wo  überhaupt  kein  Grund  vorliegt,  eine  merkliche  Differenz  in 
dem  Netzhautbilde  des  einen  und  des  andern  Auges  (in  Bezug  auf  Be- 
grenzung und  Helligkeit)  anzunehmen.  Schielende  können  es  bisweilen 
dahin  bringen,  dass  sie  doppelt  sehen,  d.  h.  auch  mit  dem  abgelenkten 
Auge  das  von  dem  andern  fixirte  Object  wahrnehmen,  aber  nur  dann, 
wenn  sie  mit  der  Schärfe  der  Fixation  nachlassen,  auf  dieselbe  Weise, 
wie  Gesunde  doppelt  sehen  können,  sobald  sie  ihre  Aufmerksamkeit 
auf  Objecte  lenken,  welche  diess-  oder  jenseits  ihres  Horopters  liegen, 
oder  wenn  sie,  wie  Böhm*)  zuerst  gezeigt  hat,  vor  das  bessere  Auge 
ein  dunkelfarbiges  Glas  halten,  oder  endlich,  wenn  sie  ihre  Aufmerk- 
samkeit auf  ein  in  der  Richtung  der  Sehachse  des  schielenden  Auges 
gelegenes  Object  zu  lenken  im  Stande  sind.  Auch  nach  der  Muskel- 
durchschneidung sieht  man  bisweilen  bei  Fortbestand  von  wirklichem 
Schielen  Doppeltsehen  auftreten,  wenn  nämlich  die  Durchschneidung 
insufficient  ist,  das  Auge  wohl  noch  in  der  frühern  Richtung,  aber  nicht 
mehr  so  stark  wie  früher  abgelenkt  erscheint.  Dem  nach  excessiver 
Rücklagerung  des  Muskels  entstehenden  Doppeltsehen  liegt  nicht 
Schielen  zu  Grunde,  sondern  Luscitas  (gleichbedeutend  mit  Muskelinsuf- 
ficienz).  —  Das  schielende  Auge  ist  nie  völlig  unthätig,  sobald  es  über- 
haupt noch  sehfähig  ist.  Es  vermittelt  durch  indirectes  Sehen  die  Er- 
weiterung des  Sehfeldes  nach  der  gleichnamigen  Seite  hin.  Ein  Schie- 
lender hat  ein  weiteres  Gesichtsfeld  als  ein  Einäugiger.  Zur  Erweite- 
rung des  Sehfeldes  kann  natürlich  nur  die  innere  Netzhauthälfte  des 
schielenden  Auges  dienen,  gleichviel  ob  dasselbe  ein-  oder  auswärts 
abgelenkt  wird.  Man  lasse  ein  Object,  z.  B.  einen  Finger  auf  der 
Seite  des  schielenden  Auges  allmälig  von  rückwärts  vorrücken;  er  wird 
wahrgenommen  noch  bevor  er  in  jenen  Theil  des  Gesichtsfeldes  vorge- 
rückt ist,  wo  ihn  das  gesunde  Auge  sehen  kann.  —  Aus  dem  Gesagten 
erklären  sich  nun  einige  interessante  Thatsachen  der  Beobachtung  beim 
anhaltenden  und  nicht-alternirenden  Schielen.  So  wie  in  andern  Sinnes- 
organen sinkt  auch  die  Energie  der  Netzhaut  durch  Mangel  an  Übung, 
und  das  schielende  Auge  wird  nach  lange  bestehendem  häufigen  oder 
continuirlichen  Ausschluss  vom  directcn  Sehen  ambhjopisch.  Die  Am- 
blyopie kann  durch  methodische  und  länger  fortgesetzte  Übung  wieder 
behoben  werden,  falls  sie  nicht  schon  so  lange  besteht,  dass  in  der 
Netzhaut  bereits  bleibende  Veränderungen  (Gewebsumwandlungen)  ein- 

*)  Das  Schielen  und   der   Sehnenschnitt   in   seinen  Wirkungen   auf  Stellung   und   Sehkraft   der  Augen, 
Berlin,  1S55. 


Schielen  —  Kennzeichen.  301 

getreten  sind.  Für  die  Netzhaut  ist  aber  nicht  bloss  das  directe,  son- 
dern auch  das  indirecte  Sehen  eine,  wenn  gleich  ungenügende  Übung. 
Daher  versinkt  jdne  Partie  der  innern  Netzhauthälfte,  welche  zu  indi- 
rectem  Sehen  verwendet  wird,  nicht  in  so  bedeutenden  Torpor;  daher 
kommt  es  bei  inveterirten  und  aus  früher  Jugend  datirenden  Fällen, 
dass  ein  solches  Auge  —  nach  Yerdeckung  de,s  gesunden  —  nicht  mit 
der  Mac.  lutea,  sondern  mit  einer  einwärts  von  derselben  liegenden 
Stelle  dem  Objecte,  das  gesehen  werden  soll,  zugewendet  wird.  — 
Diese  Thatsache  gibt  uns  auch  Aufschluss  über  das  Verhalten  des 
schielenden  Auges  beim  gemeinschaftlichen  Sehacte.  Wenn  man  näm- 
lich bei  inveterirtem  Einwärtsschielen  findet,  dass  eine  von  der  Macula 
lutea  einwärts  gelegene  Netzhautstelle  noch  die  relativ  grösste  Empfind- 
lichkeit bewahrt  hat,  und  desshalb  dem  zu  sehenden  Objecte  gegenüber 
gestellt  werden  nmss,  so  könnte  man  meinen,  das  Einfallen  des  Lichtes 
von  den  Objecten  des  directen  Sehens,  die  Formation  von  Bildern  der 
Objecte  des  directen  Sehens  auf  dieser  Stelle  sei  es,  welche  derselben 
diese  überwiegende  Empfänglichkeit  bewahrt  habe,  weil  eben  diese 
Partie  beim  Einwärtsschielen  am  meisten  angeregt,  in  Thätigkeit  er- 
halten werde.  Dem  kann  aber  nicht  so  sein,  weil  auch  bei  inveterir- 
tem Auswärtsschielen,  wo  eine  von  der  Mac.  lutea  auswärts  gelegene 
Stelle  in  derselben  Lage  zu  den  direct  gesehenen  Objecten  sein  musste, 
dennoch  die  relativ  grösste  Empfänglichkeit  der  Netzhaut  gleichfalls 
an  einer  einwärts  von  der  Mac.  lutea  gelegenen  Stelle  erscheint,  und 
ein  solches  Auge,  wie  Böhm  zuerst  hervorgehoben  hat,  wenn  es  bei 
Verschluss  des  andern  ein  Object  fixiren  soll,  jene  einwärts  gelegene  Stelle 
dem  Objecte  zuwendet.  Es  ist  einleuchtend,  dass  der  Grund  hievon 
nur  darin  liegen  kann,  dass  auch  beim  Auswärtsschielen  eine  von  der 
Mac.  lutea  einwärts  gelegene  Stelle  es  ist,  ivelche  fungirt,  d.  h.  welche 
das  indirecte  Sehen  nach  der  betreffenden  Seite  hin,  i.  e.  die  Erweite- 
rung des  Sehfeldes  vermittelt.  Das  schielende  Auge,  in  Bezug  auf  die 
Objecte  des  directen  Sehens  völlig  unthätig,  fungirt  also  nur  mit  einer 
kleinen  Partie  der  innern  Netzhauthälfte ,  mit  jener  nämlich,  welche 
jenem  Theile  des  gesammten  Gesichtsfeldes  gegenüberliegen,  der  von 
dem  schielenden  Auge  allein  beherrscht  werden  kann.  Dieser  Theil 
des  Sehfeldes  liegt  natürlich  in  der  gleichnamigen  Hälfte  des  Gesichts- 
feldes, beginnt  von  der  Medianebene  bald  mehr  bald  weniger  entfernt, 
je  nach  der  Höhe  des  Nasenrückens  (der  Grenze  für  das  Sehfeld  des 
gesunden  Augesj  und  erstreckt  sich  von  da  auswärts.  Demnach  hat 
der  Einwärtsschielende  ein  kleineres,  der  Auswärtsschielende  ein  grösseres 
Gesichtsfeld  als  der  Nichtschielende.     Beim  Nichtschielenden  zerfällt  das 


302  Augenmuskeln. 

Gesichtsfeld  in  drei  Regionen,  eine  mittlere  grösste,  die  von  beiden 
Augen  zugleich  beherrscht  wird  (gemeinschaftliches  Sehfeld),  und  zwei 
kleinere  seitliche,  deren  jede  nur  dem  betreffenden  Auge  allein  ange- 
hört. Beim  Schielenden  fungirt  das  abgelenkte  Auge  bloss  in  der  ihm 
allein  angehörenden  Region.  Merkwürdig  bleibt  hiebei,  dass  beim 
Schielenden  für  diese  Region  eine  andere  Netzhautpartie  fungirt,  als 
beim  Nichtschielenden,  und  zwar  beim  Einwärtsschielen  eine  relativ  zum 
Gesunden  weiter  vorn,  beim  Ausswärtsschielen  eine  relativ  weiter  hinten 
(gegen  die  Mac.  lutea  hin)  gelegene,  dass  aber  trotzdem  eine  Beirrung 
der  Orientirung  im  Gesichtsfelde  nicht  beobachtet  wird.  Hält  man 
einem  mit  dem  linken  Auge  continuirlich  einwärts  Schielenden  ein 
Object  in  der  Mitte  des  Gesichtsfeldes  gegenüber,  so  sieht  er  es  ein- 
fach, und  zwar  mit  dem  rechten  Auge;  geht  man  nun  mit  dem  Object 
in  der  linken  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  weiter  und  weiter  von  der 
Medianebene  seitlich  ab,  bis  endlich  das  rechte  Auge  durch  den  Nasen- 
rücken vom  Sehen  ausgeschlossen  wird,  so  wird  das  Wahrnehmen  des 
Objectes  nicht  unterbrochen,  sondern  durch  indirectes  Sehen  des  schie- 
lenden Augen  vermittelt.  Wo  das  eine  Auge  aufhört,  fängt  das  andere 
an,  und  bei  stetigem  Fortschreiten  des  Objectes  erfolgt  auch  die  Wahr- 
nehmung stetig  ohne  Absatz  oder  Sprung,  ohne  Beirrung  in  der  Orien- 
tirung im  Gesichtsfelde.  Ist  die  Sehkraft  des  schielenden  Auges  nicht 
sehr  gesunken,  so  tritt  in  dem  Momente,  wo  das  gesunde  wegen  des 
Nasenrückens  nicht  mehr  fisiren  kann,  plötzlich  eine  Veränderung  in 
der  Stellung  beider  Augen  ein;  das  gesunde  flieht  in  den  innern  Winkel, 
das  früher  schielende  stellt  sich,  so  lange  es  noch  möglich  ist,  in  die 
Visio  directa,  bis  endlich,  bei  noch  weiter  gehender  seitlicher  Ablenkung 
des  Objectes,  auch  mit  diesem  Auge  nur  noch  eine  immer  schwächer 
werdende  Wahrnehmung  des  Objectes  möglich  wird. . 

Das  Sinken  der  Sehkraft  des  schielenden  Auges  erfolgt  in  sehr 
vielen  Fällen,  die  man  als  nicht-alternirende  bezeichnen  muss,  lange 
nicht  in  so  hohem  Grade,  als  es  nach  dem  Gesagten  geschehen  sollte. 
Der  Grund  davon  liegt  darin,  dass  das  Auge,  welches  jedesmal  abge- 
lenkt wird,  so  oft  es  sich  um  genaues  Erkennen  handelt,  beim  gewöhn- 
lichen Sehen  noch  mehr  weniger  oft  zum  directen  Sehen  benützt  wird, 
d.  h.  dass  der  Kranke  unter  Umständen  sich  des  in  Rede  stehenden 
Auges  bedient,  während  er  das  bessere  ablenkt.  Wenn  Objecte,  welche 
in  der  betreffenden  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  so  weit  seitlich  liegen, 
dass  sie  nur  von  dem  schielenden  Auge  wahrgenommen  werden  können, 
die  Aufmerksamkeit  des  Kranken  erregen,  so  muss  vermöge  des  Dran- 
ges, dieselben  hinreichend  deutlich  zu  sehen,  entweder  der  Kopf  so  ge- 


Schielen  —  Kennzeichen.  303 

dreht  werden,  dass  der  Nasenrücken  dem  andern  Auge  nicht  entgegen- 
tritt, oder  es  muss  das  betreffende  Auge  auswärts  gerollt,  mit  der 
relativ  empfindlichen  Stelle  dem  Objecte  zugewendet  werden.  Da  aber 
jetzt  ein  sehr  starker  Impuls  auf  den  R.  externus  ausgesendet  werden 
muss,  um  den  excessiv  contrahirten  R.  internus  zu  überwinden,  und  da 
ein  solcher  Impuls  nie  auf  den  R.  externus  allein  gehen  kann,  sondern 
immer  auch  auf  den  R.  internus  des  andern  Auges,  so  erfährt  dieses 
gleichfalls  einen  stärkern  Impuls,  und  das  früher  gerad  stehende  Auge 
muss  jetzt  einwärts  schielen,  so  lange,  als  sich  das  schielende  Auge 
in  der  Visio  directa  zu  behaupten  vermag. 

Dass  diess  sich  so  verhalte,  sieht  man  bei  Paresis  des  R.  externus,  z.  B.  des  lin- 
ken Auges.  Hält  man  den  Augen  ein  Object  in  der  rechten  Hälfte  des  gemeinschaftli- 
chen Sehfeldes  vor,  so  verhält  sich  der  Kranke  in  jeder  Beziehung  wie  ein  Gesunder. 
Geht  man  aber  in  die  Medianebene,  oder  bei  sehr  geringer  Insuffizienz  des  B.  externus 
oc.  sin.  in  die  linke  Hälfte  des  gemeinschaftlichen  Sehfeldes,  so  entsteht  Doppeltsehen, 
indem  die  Cornea  des  linken  Auges  nicht  genügend  auswärts  rückt.  Verdeckt  man  nun 
das  rechte  Auge  durch  Vorschieben  der  Hand,  so  wird  das  afficirte  Auge  augenblick- 
lich so  weit  auswärts  gerollt,  dass  directes  Sehen  möglich  ist.  Der  R.  externus,  bei 
Öffnung  beider  Augen  insufficient,  erhält  jetzt  gleichsam  Kraft  genug,  das  Auge  mit  der 
Sehachse  einzustellen;  wenn  man  aber  das  rechte  Auge  hinter  der  Hand  beobachtet,  so 
findet  man,  dass  es  nicht  in  der  Visio  directa,  sondern  nach  innen  abgelenkt  steht,  ein- 
wärts  schielt,  und  ist  der  Kranke  im  Stande,  das  linke  Auge  eine  Zeit  lang  in  der  Visio 
directa  zu  erhalten,  so  bleibt  das  rechte  in  der  fehlerhaften  Stellung  und  gibt  (bei  glei- 
cher Sehkraft  beider  Augen)  das  schwächere  (rechts  gelegene)  Doppelbild.  Das  Sen- 
sorium  commune,  um  das  Object  mit  dem  linken  Auge  direct  zu  sehen,  sendet  auf  den 
geschwächten  äussern  Muskel  des  linken,  unwillkürlich  aber  auch  auf  den  R.  internus 
des  rechten  Auges  einen  stärkern  Impuls.  Machen  Avir  dasselbe  Experiment  in  der  rech- 
ten Gesichtshälfte  des  Kranken,  wo  von  dem  B.  externus  des  linken  Auges  keine  erhöhte 
Thätigkeit  in  Anspruch  genommen  wird,  so  tritt  in  dem  verdeckten  rechten  Auge  keine 
solche  Ablenkung  ein. 

In  den  eben  erörterten  Verhältnissen  liegt  bei  sehr  vielen  Schielen- 
den der  Grund ,  dass  sie  sich  mehr  weniger  häufig  und  auf  eine  mehr 
weniger  lange  Zeit  nicht  des  gesunden,  sondern  des  schielenden  Auges 
zum  directen  Sehen  bedienen,  sobald  die  Sehkraft  dieses  letzteren  es 
gestattet.  Ein  anderer  Grund  liegt  darin ,  dass  das  gesunde  Auge  bei 
vielen  Schielenden  ob  der  excessiven  Contraction  des  gleichnamigen 
Muskels  nur  mit  Anstrengung  in  der  zum  directen  Sehen  nöthigen  Stel- 
lung erhalten  werden  kann,  daher  das  directe  Sehen  wegen  Ermüdung 
des  Antagonisten  zeitweilig  aufgeben,  und  seine  Rolle  auf  einige  Zeit 
dem  andern  Auge,  falls  diess  hiezu  tauglich  ist,  überlassen  muss.  Al- 
lerdings wird,  wenn  der  Kranke  eine  beliebige  Stellung  zum  Objecte 
annehmen   kann,    der   Antagonist    des    excessiv   contrahirten    Muskels 


304  Augenmuskeln. 

unterstützt  durch  die  Drehung  des  Kopfes;  doch  ist  auch  diese  Aus- 
hilfe nicht  unbeschränkt,  namentlich  da,  wo  das  Object  nicht  beliebig 
gestellt  werden  kann.  Von  der  Kichtigkeit  des  Gesagten  kann  man 
sich  leicht  überzeugen,  wenn  man  einen  Schielenden  zwingt,  bei  streng 
normal  gehaltenem  Kopfe  einem  Objecte  gerade  in  der  Median  ebene 
oder  in  der  dem  gesunden  Auge  entsprechenden  Hälfte  des  Gesichts- 
feldes durch  längere  Zeit  seine  Aufmerksamkeit  zu  widmen.  Ein 
drittes,  im  Ganzen  seltenes  Moment  zum  Vertauschen  der  Rolle  des 
directen  Sehens  liegt  in  der  Ungleichheit  des  Refractionszustandes  der 
beiden  Augen,  welche,  wie  wir  weiterhin  sehen  werden,  entweder 
schon  vor  dem  Schielen  bestand,  und  als  Ursache  desselben  zu  betrach- 
ten sein  kann,  aber  auch  oft  genug  erst  in  Folge  des  Schielens  ent- 
steht oder  doch  durch  dasselbe  vermehrt  wird.  Hier  wirkt  dann  die 
Distanz  des  Gegenstandes  der  Aufmerksamkeit,  nicht  seine  Lage  in  der 
rechten  oder  linken  Hälfte  des  Gesichtsfeldes,  massgebend. 

Über  das  Accommodationsvermögen  des  schielenden  Auges  kann  ich  nicht  viel  Po- 
sitives angeben,  da  ich  auf  diesen  Punkt  in  früherer  Zeit  nicht  genug  aufmerksam  war. 
Aus  dem  über  das  Verhalten  beim  gemeinschaftlichen  Sehacte  Gesagten  ergibt  sich,  dass 
sich  das  Accommodationsvermögen  bei  verschiedenen  Individuen  verschieden  verhalten 
werde.  Im  Allgemeinen  lässt  sich  wohl  sagen,  dass  mit  der  Abnahme  der  Sehkraft  des 
schielenden  Auges  wegen  mangelhafter  Übung  auch  die  Accommodationskraft  allmälig 
erlahme.  Wenn  man  behauptet,  in  Folge  von  Strabismus  convergens  entwickle  sich  My- 
opie, in  Folge  von  Strab.  divergens  Presbyopie,  so  habe  ich  dagegen  nur  zu  erinnern, 
dass  ich  bestimmte  Beobachtungen  habe,  wo  auswärts  Schielende  auf  beiden  Augen  kurz- 
sichtig waren  (ohne  Trübung  der  durchsichtigen  Medien).  Böhm,  welcher  dem  Verhalten 
des  schielenden  Auges  in  Bezug  auf  den  Refractionszustand  zuerst  besondere  Aufmerksam- 
keit gewidmet  hat,  hat  sich  durch  das  Verhalten  solcher  Augen  zu  Convexgläsern  zu  der 
unhaltbaren  Ansicht  verleiten  lassen,  dass  das  schielende  Auge  presbyopisch  sei,  nicht  be- 
denkend, wie  A.  v.  Gräfe  bemerkt,  dass  solche  Augen  schon  wegen  der  gesunkenen  Ener- 
gie der  Netzhaut  durch  Convexgläser  im  Erkennen  naher  Gegenstände  unterstützt  werden 
können.  Nicht  die  Stellung  des  Auges  ist  es,  welche  den  Refractionszustand  des  abge- 
lenkten Auges  ändern  kann,  sondern  nur  die  Art  und  Weise,  wie  dasselbe  noch  von  Zeit 
zu  Zeit  gebraucht  wird.  Dass  Differenz  in  der  Sehweite  beider  Augen  auch  ohne  Strabis- 
mus und  bloss  in  Folge  fehlerhafter  Verwendung  des  einen  und  des  andern  vorkommt, 
ist  ein  eben  nicht  seltener  Fall.  —  Auch  über  den  Einfluss  des  Schielens  auf  die  Accom- 
modationsthätigkeit  des  andern,  für  gewöhnlich  nicht  schielenden  Auges,  erlaube  ich  mir 
kein  bestimmtes  Urtheil,  obwohl  einige  Beobachtungen  dafür  sprechen,  dass  ein  solcher 
Einfluss  —  wenigstens  in  manchen  Fällen  —  bestehe. 

Ätiologie.  Die  Entstehung  des  Schielens  fällt  meistens  in  das  Kin- 
des- und  Knabenalter.  Angeboren  kann  man  höchstens  die  Ursache, 
z.  B.  Sehschwache,  nicht  aber  das  Schielen  selbst  nennen;  es  kann  erst 
während  oder  nach  der  Regelung  der  assoeiirten  und  aecommodativen 
Bewegungen,   also  wohl  nicht  leicht  vor  der  zweiten  Hälfte   des  ersten 


Schielen  —  Ursachen.  305 

Lebensjahres  in  Erscheinung  treten.  Seltener  entwickelt  sich  Schielen 
im  Jünglings-,  Mannes-  oder  Greisenalter.  —  Die  Veranlassungen  zum 
Schielen  sind  mannigfaltig.  Wir  theilen  sie  (mit  Guerifi)*)  in  solche, 
welche  zunächst  die  Muskeln  treffen,  und  in  solche,  welche  vom  Auge, 
von  Hindernissen  in  der  Function  desselben  ausgehen,  und  unterschei- 
den in  diesem  Sinne  Str.  muscularis  und  Str.  opticus.  Der  Umstand, 
dass  das  durch  längere  Zeit  constant  oder  vorwaltend  häufig  abgelenkte 
Auge  an  Sehkraft  einbüsst,  macht  in  vielen  Fällen  die  Entscheidung  der 
Frage  schwierig,  in  einzelnen  selbst  unmöglich,  ob  das  abgelenkte  Auge 
schon  vorher  functionsuntüchtig  war,  zumal  von  den  Kranken  als  Ent- 
stehungsursache oft  rein  zufällige  oder  unwesentliche  Momente  bezeich- 
net zu  werden  pflegen. 

Strabismus  opticus.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  erfolgt  die  Ablen- 
kung des  einen  Auges  desshalb,  weil  dasselbe  dem  andern  in  der  Seh- 
kraft oder  Sehweite  beträchtlich  nachsteht,  und  das  bessere  Auge  in 
seiner  Function  beirrt.  Dieser  Fall  kann  eintreten  bei  massigen  Trü- 
bungen der  durchsichtigen  Medien,  bei  Amblyopie,  bei  relativer  Kurz- 
oder Weitsichtigkeit  des  einen  Auges.  Wenn  unter  solchen  Umständen 
das  eine  Auge  einen  deutlichen,  das  andere  einen  undeutlichen  Ein- 
druck auf  das  Sensorium  commune  liefert,  fällt  der  Gesammteindruck 
geringer  aus,  als  der  des  bessern  Auges  allein.  Vergl.  Hornhauttrü- 
bungen, B.  I.  S.  259 — 265.  Das  schwächere  Auge  wird  im  Dienste 
des  gemeinschaftlichen  Sehactes  abgelenkt,  um  dem  bessern  allein  das 
Sehen  zu  überlassen.  Man  muss  annehmen,  dass  die  active  Ablenkung 
zur  Erleichterung  der  Unterdrückung  des  schwächeren  Eindruckes  diene. 
Offenbar  wird  der  Eindruck,  den  das  von  dem  bessern  Auge  fixirte 
Object  in  dem  schwächern  Auge  hervorrufen  kann,  vermöge  der  Ab- 
lenkung des  Bildes  auf  eine  excentrische,  mithin  stumpfere  Netzhaut- 
partie mehr  weniger  abgeschwächt,  so  dass  es  schon  aus  diesem  Grunde 
leichter  wird,  von  ihm  zu  abstrahiren.  Es  muss  aber  dem  Acte  der 
Ablenkung  noch  ein  anderer  directer  Einfluss  auf  die  Unterdrückung 
der  Wahrnehmung  zugeschrieben  werden.  Denn  wir  sehen,  dass  bei 
passiver  Ablenkung  fluscitasj  das  Doppelbild  sich  dennoch  dem  Kran- 
ken aufdrängt,  trotzdem  das  betreffende  Netzhautbild  auf  eine  sehr  weit 
gegen  die  Peripherie  hin  gelegene  Stelle  fällt,  und  dass  selbst  bei  Mo- 
nate langer  Dauer  dieses  Zustandes  das  Abstrahiren  von  dem  Doppel- 
bilde nicht  gelingt;  hingegen  finden  wir  Fälle  von  Schielen,  wo  der 
Eindruck  in  dem  schielenden  Auge  vermöge  der  Beschaffenheit  der 
durchsichtigen  Medien,  der  allgemeinen  Energie  der  Netzhaut  und  ver- 

*)  Gaz.  me"d.  de  Paris,  1841,  Nr.  6. 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  20 


306  Augenmuskeln. 

möge  relativ  sehr  geringer  Excentricität  des  Netzhautbildes  ein  sehr 
lebhafter,  und  von  dem  des  andern  Auges  bezüglich  der  Intensität  nur 
wenig  verschiedener  sein  müsste,  aber  trotzdem  —  ohne  besondere 
Hilfsmittel  —  nicht  wahrgenommen  wird.  Bei  den  nach  oben  oder  unten 
Schielenden  beträgt  die  Ablenkung  äusserst  wenig,  nach  dem  relativen 
Stande  der  Pupille  höchstens  V" ,  mehr  schon  (1 — 3"')  bei  den  aus- 
wärts Schielenden;  die  höchsten  Grade  von  Ablenkung  kommen  beim 
Einwärtsschielen  vor.  Auch  dieser  Umstand  zeigt,  dass  der  Grad  der 
Ablenkung  allein  nicht  das  Massgebende  für  die  Unterdrückung  der 
Wahrnehmung  sei.  Die  Annahme,  dass  der  Sehnerv  geknickt  oder 
gedrückt  und  hiedurch  die  Unterdrückung  des  Doppelbildes  vermittelt 
werde,  ist  durch  gar  nichts  erwiesen,  hat  sogar  von  Seite  der  Ana- 
tomie und  Physiologie  entschiedene  Gründe  gegen  sich.  Wenn  wir 
auch  nicht  angeben  können,  auf  welche  Weise  es  geschehe,  dass  mit 
der  activen  Ablenkung  die  Unterdrückung  des  Doppelbildes  ipso  actu 
zu  Stande  kommt,  so  darf  uns  das  doch  nicht  bestimmen,  die  That- 
sache  selbst  in  Zweifel  zu  ziehen,  oder  sogar  uns  vorzuspiegeln,  die 
Schielenden  sähen,  wenigstens  Anfangs,  doppelt.  Es  ist  wahr,  der  Arzt 
ist  im  Stande,  den  Schielenden  unter  Verhältnisse  zu  bringen,  wo  es 
sich  durch  die  Wahrnehmung  des  Kranken  bestätigt,  dass  beide  Netz- 
häute ein  Bild  von  je  einem  Objecte  erhalten,  i.  e.  wo  Schielende  dop- 
pelt sehen,  gleichwie  eines  und  das  andere  dieser  Verhältnisse  und  hie- 
mit  auch  Doppeltsehen  dem  Schielenden  bisweilen  vom  Zufalle  dargeboten 
werden.  Aber  man  verdrehe  doch  die  Thatsachen  nicht,  indem  man 
behauptet,  der  Schielende  sehe  unter  allen  Umständen  doppelt,  müsse 
doppelt  sehen,  falls  er  darauf  achte,  und  es  könne  demnach  auch  ein 
Auge  nie  zu  dem  Behufe  der  Förderung  des  gemeinschaftlichen  Seh- 
actes  abgelenkt  werden,  weil  sonst  Doppeltsehen,  mithin  noch  ärgere 
Sehstörung  eintreten  müsste.  Eine  solche  Argumentation  kann  man 
höchstens  jenen  vorhalten,  welche  noch  nicht  Gelegenheit  hatten,  Schie- 
len so  zu  sagen  unter  ihren  Augen  entstehen  zu  sehen.  —  Wenn  man 
eine  grössere  Zahl  von  Schielenden  genau  untersucht,  so  fällt  schon 
das  auf,  dass  relativ  viele  noch  Hornhauttrübungen  darbieten,  und  dass 
auch  unter  den  übrigen  noch  einige  sind,  bei  denen  es,  wo  nicht  ge- 
wiss, so  doch  höchst  wahrscheinlich  ist,  dass  sie  früher  an  leichten 
Hornhauttrübungen  litten.  Diesem  Ergebnisse  lässt  sich  allerdings  ent- 
gegenhalten, dass  viele  Individuen  mit  ein-  oder  beiderseitigen  Horn- 
hauttrübungen nicht  schielen.  Hier  kommen  aber  mehrere  Umstände 
in  Erwägung  zu  ziehen.  Erstens  finden  wir  oft  ein  erstaunlich  gutes 
Gesicht  bei  Hornhautflecken,    welche  andern,  ganz  gewiss  störenden, 


Schielen  —  Ursachen.  307 

ganz  ähnlich  sehen.  Zweitens  kann  eine  Trübung  so  stark  sein,  dass 
sie  aufhört,  eine  Störung  für  die  Function  des  andern  Auges  zu  setzen. 
Je  stärker  die  Trübung,  desto  schwächer  die  Wahrnehmung,  desto  ge- 
ringer also  auch  die  Störung  für  die  Function  des  andern  Auges.  Viele 
Trübungen  sind  Anfangs  so  in-  und  extensiv,  dass  sie  gar  keine  oder 
nur  sehr  schwache  Wahrnehmungen  zu  Stande  kommen  lassen;  werden 
sie  auch  mit  der  Zeit  kleiner  und  dünner,  so  geschieht  diess  so  all- 
mälig,  dass  das  Auge  längst  vom  gemeinschaftlichen  Gebrauche  aus- 
geschlossen und  amblyopisck  geworden  sein  kann,  wenn  endlich  die 
Cornea  die  Theilnahme  am  Sehen  wieder  gestatten  würde.  Andrerseits 
ist  nicht  zu  übersehen,  dass  bei  Schielenden  mit  bedeutender,  selbst  un- 
durchsichtiger und  ausgedehnter  Hornhauttrübung  das  Schielen  trotz- 
dem von  der  Hornhaut  aus  veranlasst  worden  sein  kann,  indem  Anfangs 
nur  leichte  Trübung  oder  Facettirung  durch  längere  Zeit  bestand.  Drit- 
tens muss  die  Beschäftigung,  die  Gebrauchsweise  der  Augen  während 
der  ersten  Zeit  des  Bestandes  solcher  halbdurchsichtiger  Trübungen  be- 
rücksichtigt werden.  Es  ist  klar,  dass  sie  nur  dann  störend  auf  die 
Function  des  andern  Auges  einwirken,  wenn  sich's  um  deutliches  Er- 
kennen feiner  oder  aber  entfernter  Objecte  handelt.  Desshalb  kommt 
auch  Schielen  im  1.  Lebensjahre  so  selten  vor,  und  auch  da  nur  in  der 
2.  Hälfte.  Desshalb  schielen  auch  Viele  nur  dann,  wenn  sie  etwas  ge- 
nauer sehen  wollen,  besonders  in  der  ersten  Zeit.  Desshalb  kann  man 
auch  in  solchen  Fällen  die  Entwicklung  oder  doch  das  Bleibendwerden 
des  Schielens  verhindern,  wenn  man  die  Kinder  fleissig  in's  Freie 
bringen,  nicht  mit  winzigen  Sachen  spielen,  nicht  lesen  lernen  u.  s.  w. 
lässt,  bis  solche  Trübungen  behoben  oder  bis  die  Sehachsen  zu  einan- 
der in  ein  festeres  Verhältniss  getreten  sind.  Denn  es  ist  viertens  nicht 
zu  verkennen,  dass  dieselbe  Veranlassung  bei  Erwachsenen  nicht  so 
leicht  zum  Schielen  führt,  als  bei  Kindern.  Es  ist  bekannt,  dass  Kinder 
leichter  willkürlich  schielen  können,  als  Erwachsene.  Gleichwie  dem 
Willen,  ist  später  auch  der  von  der  Netzhaut  und  dem  Sensorium  com- 
mune angeregten  Beflexthätigkeit  ein  geringerer  Einfluss  auf  die  Ab- 
änderung in  der  Stellung  der  Augen  zu  einander  gestattet.  An  diese 
Thatsache  schliesst  sich  auch  die  analoge  an,  dass  bei  Kindern  leicht 
Schielen  durch  unwillkürliches  Nachahmen  zu  Stande  kommt,  was  bei 
Erwachsenen  nicht  der  Fall  ist.  Der  fünfte  Punkt  endlich,  der  hier  in 
Erwägung  zu  zielien  kommt,  ist  der,  dass  die  Ablenkung  des  stören- 
den Auges  nicht  das  einzige  Hilfsmittel  ist,  welches  dem  Organismus 
zu  Gebote  steht,  um  den  störenden  Einfluss  zu  beseitigen,  sondern  dass 
wir  auch  ganz  einfach,  von  demselben  abstrahiren  lernen  können.    Das 

20* 


308  Augenmuskeln. 

schwächere  Auge  folgt  dann  dem  bessern  in  allen  seinen  Bewegungen 
entsprechend,  nimmt  aber  doch  keine  Notiz  von  dem  fixirten  Objecte. 
Demgemäss  gibt  es  viele  Individuen  mit  ungleicher  Sehkraft  der  Augen, 
denen  man  nicht  das  Geringste  ihres  Zustandes  anmerkt,  welche  wohl 
selbst  auch  sich  desselben  gar  nicht  bewusst  sind,  welche  aber  ganz 
gewiss  zu  feinern  Arbeiten,  zum  genauen  und  scharfen  Sehen,  sich  nur 
des  einen  Auges  bedienen.  Hievon  kann  man  sich  leicht  überzeugen, 
wenn  man  findet,  dass  sie,  während  sie  z.  B.  lesen,  durch  plötzliches 
Vorschieben  der  flachen  Hand  vor  das  bessere  Auge  einen  Augenblick 
unterbrochen  werden,  bis  sich  das  schwächere  Auge  etwas  genauer  mit 
der  Sehachse  einstellt.  Es  ist  nämlich  bei  vielen  solchen  Individuen 
das  schwächere  Auge  zwar  nicht  merklich  abgelenkt,  aber  doch  auch 
■ —  wie  die  momentane,  wenn  auch  äusserst  geringe  Änderung  seiner 
Stellung  zeigt,  nicht  ganz  genau  mit  seiner  Sehachse  eingestellt,  oder, 
wie  die  momentane  Unterbrechung  im  Sehacte  zeigt,  nicht  für  dieselbe 
Distanz  eingerichtet,  also  wohl  am  genauem  Sehen  nicht  direct  bethei- 
ligt gewesen.  Wenn  man  dasselbe  Experiment  bei  Individuen  mit  völ- 
lig oder  nahezu  gleicher  Seh-  und  Accommodationskraft  beider  Augen 
vornimmt,  so  bemerkt  man  nichts  von  einer  solchen  momentanen  Un- 
terbrechung des  Sehactes  oder  von  Abänderung  in  der  Stellung  des 
frei  bleibenden  Auges.  —  Dass  es  unter  den  Individuen  mit  ungleicher 
Sehkraft  und  Sehweite  beider  Augen  einige  gibt,  welche  mit  dem  bes- 
sern Auge  besser  sehen,  wenn  auch  das  schwächere  geöffnet  ist,  kann 
nicht  als  Einwurf  gegen  obige  Behauptung  dienen.  Es  ist  gewiss,  dass 
das  Sensorium  stärker  angeregt  wird,  wenn  Licht  durch  zwei,  als  wenn 
es  bloss  durch  ein  Auge  einwirkt.  Bei  sehr  grellem  Lichte,  z.  B.  Sehen 
gegen  die  untergehende  Sonne  oder  in  einen  Hochofen,  temperiren  wir 
die  Erregung  sogar  unwillkürlich  durch  Verschluss  des  einen  Auges. 
Wenn  wir  also  finden,  dass  das  Offnen  des  schwächern  Auges  das 
Sehen  des  bessern  unterstützt,  so  muss  jedenfalls  dabei  auf  den  Grad 
der  Beleuchtung  Bücksicht  genommen  werden,  und  ist  schon  a  priori 
wahrscheinlich,  dass  es  Verhältnisse  gibt,  wo  der  Function  des  bessern 
Auges  die  stärkere  Erregung  des  Sens.  commune  durch  das  Einfallen 
des  Lichtes  von  dem  schwächern  Auge  her  zu  Gute  kommt.  —  Bei 
all  dem  bleibt  es  Thatsache,  dass  bei  weitem  die  meisten  Individuen 
mit  frischen  (noch  nicht  seit  langer  Zeit  bestehenden)  leichten  Trü- 
bungen der  Hornhaut  oder  der  Linse  sich  über  Blendung  des  gesunden 
Auges  durch  das  kranke  beklagen;  auch  bei  älteren  Trübungen  gilt 
diess  von  einer  relativ  grossen,  wenn  auch  vielleicht  nicht  von  der 
Mehrzahl.     Blendung  durch   das  diffuse  Licht  solcher  Trübungen  kann 


Schielen  —  Ursachen.  309 

es  nicht  sein ,  denn  ganz  in  derselben  Weise  beklagen  sich  auch  jene, 
deren  Sehkraft  auf  dem  einen  Auge  in  Folge  von  Netzhautleiden  ge- 
schwächt ist,  auch  wenn  die  Amblyopie  ohne  gesteigerte  Empfind- 
lichkeit des  kranken  Auges  besteht.  —  Sind  die  voranstehenden  Sätze 
richtig,  so  ist  Schielen  sehr  häufig  die  Folge  von  Trübung  der  durch- 
sichtigen Medien,  von  Amblyopie  oder  relativer  Kurz-  oder  Weitsich- 
tigkeit des  Auges;  es  ist  eine  Reflexbewegung ,  im  Dienste  des  Sehactes 
hervorgerufen;  das  schwächere  Auge  ivird  abgelenkt  und  hiemil  von 
der  unmittelbaren  Beiheiligung  am  directen  Sehen  ausgeschlossen,  damit 
das  Sehen  mit  dem  gesunden  Auge  besser  von  Stattefi  gehen  könne. 

Die  eben  aufgestellte  Ansicht  über  die  Entstehung  des  Schielens  ist  nicht  neu.  Sie 
•wurde  der  Hauptsache  nach  bereits  von  Buffon  vertreten.  „Nach  Buffon*)  erzeugt  die 
Ungleichheit  der  Augen  in  8  Fällen  im  Durchschnitte  dreimal  Strabismus.  Da  alsdann 
der  Eindruck  auf  das  eine  Auge  beträchtlich  schwächer  ist,  als  auf  dem  andern,  so  kann 
er  leicht  gänzlich  vernachlässigt  werden,  und  statt  dass  das  schwächere  Auge  auf  die 
Gegenstände,  welche  sich  ihm  darbieten,  fixirt  sein  sollte,  schweift  es  umher  und  weicht 
von  der  richtigen  Sehachse  ab.  In  manchen  Fällen  scheint  sogar  ein  instinctmässiges  Be- 
streben vorhanden  zu  sein,  das  schwache  Auye  noch  viel  weiter  zu  verdrehen,  und  es  so 
weit  nach  einwärts  unter  das  obere  Augenlid  zu  wenden,  dass  es  keinen  Eindruck  mehr 
empfangen  kann,  und  dass  desshalb  das  gesunde  Auge  allein  noch  Bindrücke  aufnimmt." 
(Makenzie  1.  c.  S.  244.)  Enthält  auch  diese  Anschauung  noch  manches  Irrthümliche,  so 
hat  sie  doch  nach  unserer  Ansicht  die  Hauptsache  angedeutet,  nur  nicht  richtig  formulirt. 
Was  von  Makenzie  als  instinctmässiges  Bestreben  bezeichnet  wird,  ist  die  Zweckmässig- 
keit der  reflectirten  Bewegungen,  welche  nach  uns  unbekannten  Gesetzen  erfolgen,  sobald 
es  sich  darum  handelt,  Hindernisse  einer  Function  zu  beseitigen  oder  möglichst  unschäd- 
lich zu  machen,  und  welche  uns  am  Auge  nicht  minder  in  Staunen  zu  versetzen  im 
Stande  sind,  wie  in  andern  Organen.  Ich  sah  einen  Kranken,  dem  linkerseits  das  obere 
Lid  fehlte,  jedesmal  beim  Lidschluss  den  linken  Bulbus  abwärts  rollen  und  die  Hornhaut 
unter  dem  untern  Lide  bergen,  während  das  rechte  Auge  mit  normalen  Lidern  sich  ganz 
normal  verhielt,  i.  e.  beim  Lidschluss  sich  mit  der  Pupille  nach  oben  —  innen  stellte. 
Diese  gegen  alle  Gewohnheit  vorkommende  Rollung,  noch  dazu  der  des  andern  Bulbus 
entgegengesetzt,  die  kein  Mensch  sonst  zu  Stande  bringen  würde :  sie  war  unwillkürlich 
erfolgt,  sei  es,  um  dem  Lichte  den  Zutritt  während  des  Schlafes  zu  wehren,  oder  um 
beim  Lidschlage  die  Cornea  rein  zu  fegen  und  zu.  benetzen,  und  somit  vor  Trübung  und 
Zerstörung  zu  sichern.  Es  ist  diess  derselbe  Kranke,  den  ich  zur  Auffangung  des  Se- 
cretes  der  Thränendrüse  —  ohne  Beimischung  von  Bindehautsecret  —  benützt  habe,  und 
dessen  ich  bei  den  Krankheiten  der  Thränenorgane  noch  gedenken  werde.  Einen  ähnli- 
chen Fall  erzählt  A.  v.  Gräfe  (im  Archive  für  Ophthalmologie  I.  II.  Abth.  B.  S.  290). 
—  Ich  bekam  diese  Tage  zufällig  Gelegenheit,  einen  Mann  zu  untersuchen,  welcher  mich 
durch  die  Zweckmässigkeit  reflectirter  Bewegungen  der  untem  Lider  in  Staunen  versetzte. 
Er  hatte  in  früher  Jugend  an  Augenentzündungen  gelitten,  und  bot  in  Folge  derselben 
auf  beiden  Augen  leichte  Hornhauttrübungen  dar,  welche  meine  Aufmerksamkeit  erregten, 

*)_  Dissertation  sur  la   cause  du  strabisme.     Memoires  de  l'academie  des  sciences  pour  1743.    Amster- 
dam 1743. 


310  Augenmuskeln. 

als  er  mir  einen  Kranken  vorführte.  Die  Trübungen  waren  halb  durchsichtig  und  be- 
deckten beiderseits  ohngefähr  die  untere  Hälfte  der  1  '/u — 2'"  grossen  Pupillen.  Meine 
Frage,  wie  er  sehe,  beantwortete  er  damit,  dass  er,  bereits  45  Jahre  alt,  noch 
immer  gut  zeichnen  und  graviren  könne,  und  auch  so  ziemlich  in  die  Ferne  sehe.  Als 
ich  nun  Sehproben  mit  den  Jag er 'sehen  Schriftnmstern  Tornahm,  und  ihn  zu  immer 
feineren  Drucksorten  übergehen  Hess,  erhob  er  die  untern  Lider  so  weit  in  die  Höhe, 
dass  sie  die  Trübung  fast  ganz  verdeckten,  was  besonders  dann  auffiel,  wenn  er  das  Buch 
über  der  Horizontalen  halten  musste.  "Was  sonst  kein  Mensch  bei  allem  Aufwände  von 
Fleiss  und  Anstrengung  zu  bewirken  im  Stande  sein  würde,  war  hier  im  Dienste  des 
Sehactes,  um  die  Blendung  durch  die  Hornhauttrübungen  zu  beseitigen,  von  selbst  ein- 
getreten. —  In  neuerer  Zeit  hat  besonders  Böhm  auf  eine  sehr  einleuchtende  Weise  nach- 
gewiesen, dass  die  Ungleichheit  des  Eindruckes,  i.  e.  die  Störung  der  Function  des  bes- 
sern Auges  durch  das  schwächere  es  ist,  welche  die  Ablenkung  des  schwächeren  Auges 
bedingt,  indem  er  zeigte,  dass  durch  Vorhalten  eines  entsprechend  getrübten  (blauen) 
Planglases  vor  das  gesunde  Auge,  also  gleichsam  durch  Ausgleichung  der  Sehkraft  beider 
Augen  das  Schielen  behoben  werden  kann,  wenn  die  consecutive  Muskelerkrankung  noch 
nicht  weit  gediehen  ist.  Bekanntlich  hatte  Buffon  zu  demselben  Zwecke  ein  Convex- 
oder  Concavglas  vor  dem  gesunden  Auge  tragen  zu  lassen  empfohlen. 

Die  Ablenkung  des  schwächern  Auges  von  dem  Gegenstande,  welchen  das  stärkere 
flxirt,  ist  zunächst  nur  eine  gegen  die  gewöhnlichen  Gesetze  der  Muskelthätigkeit  auf- 
tretende Reflexaction.  Sie  erfolgt  vorerst  nur  dann,  wenn  es  sich  um  Erreichung  des 
Zweckes  handelt,  tritt  aber  späterhin  meistens  permanent  auf,  d.  h.  auch  dann,  wenn  sie 
nicht  nothwendig  wäre.  Sie  erfolgt  nach  jener  Richtung,  wo  der  Zweck  am  leichtesten 
erreicht  wird.  Fast  alle  Fälle  von  Str.  opticus,  welche  aus  früher  Jugend  datiren,  zeigen 
Convergenz,  die  später  entstandenen  (namentlich  bei  Erwachsenen)  dagegen  Divergenz, 
ausser  die  von  Sehstörung  des  einen  Auges  Befallenen  sind  kurzsichtig  oder  beschäftigen 
sich  vorwaltend  mit  der  Betrachtung  naher  Objecte.  Dass  das  divergirende  Schielen  eines 
cataraetös  oder  amblyopisch  werdenden  Auges  aus  einer  Art  Vernachlässigung,  aus  einem 
gewissen  Gehenlassen  des  schwächern  Auges  hervorgehen  könne,  halte  ich  für  unwahr- 
scheinlich. Die  Kranken  müssten  eine  Zeit  lang  doppelt  sehen,  wovon  selbst  Aufmerk- 
same und  Verständige  nichts  bemerken.  Zwischen  dem  Blick  eines  Schielenden  und  eines 
Cataractösen  oder  Amaurotischen  ist  ein  grosser  Unterschied.  "Wenn  letztere  nicht  fixi- 
ren  können,  in's  Unbestimmte  hinausstarren,  und  daher  die  Sehachsen  in  keinem  Punkte 
zur  Kreuzung  bringen,  so  ist  diess  noch  kein  Schielen.  Leute,  welche  beiderseits  Cata- 
racta oder  Amaurosis  darbieten,  können  trotzdem  noch  die  Sehachsen  in  dem  eigenen 
Finger,  in  verschiedenen  Entfernungen  vorgehalten,  sich  kreuzen  lassen,  was  Schielende 
nicht  vermögen.  Man  kann  nur  dann  sagen,  ein  unilateral  Cataractöser  oder  Amblyopi- 
scher  schiele,  wenn  das  gesunde  Auge  abgelenkt  wird,  sobald  dasselbe  durch  die  vorge- 
schobene Hand  verdeckt  und  somit  das  an  Amblyopie  oder  unvollständiger  Cataracta  lei- 
dende Auge  gezwungen  wird,  sich  dem  Sehobjecte  gerade  gegenüber  zu  stellen.  —  Dass 
nur  gewisse  Grade  von  Schwäche  des  einen  Auges  zu  Strabismus  führen,  hat  schon  Ma- 
kenzie  (1.  c.  S.  243)  bemerkt.  „Die  häufigste  Ursache  von  Strabismus  scheint  unvollkom- 
menes Gesicht  (wegen  Kurzsichtigkeit  oder  wegen  eines  angeborenen  Fehlers  der  Retina) 
zu  sein.  Das  verdrehte  Auge  steht  fast  in  jedem  Fall  an  Reizempfänglichkeit  dem  andern 
beträchtlich  nach.  Ich  bediene  mich  des  Wortes  beträchtlich,  weil  man  viele  Individuen 
trifft,  deren  Augen  nur  etwas  ungleich  sind,  und  die  nicht  schielen,  dagegen  auch  wieder 
andere,    welche  von  Geburt   an  eine  vollständige,    oder   fast  vollständige   Amaurosis   des 


Schielen  —  Ursachen  —  Beispiele.  311 

einen  Auges  gehabt  haben,  und  doch  ganz  frei  ron  Strabismus  sind."  In  dem  einen  Falle 
ist  die  Differenz  in  der  Erregung  zu  gering,  in  dem  andern  zu  bedeutend,  als  dass  sich 
die  schwächere  neben  der  stärkern  geltend  machen  könnte.  Man  sieht  aber  leicht  ein, 
dass  es  hiebei  auch  auf  die  Verwendung  der  Augen  ankommt.  So  lange  nicht  scharfe 
Bilder  gefordert  werden,  gibt  die  schwächere  Erregung  keinen  Grund  zur  Ablenkung,  ja 
es  kann  das  Schielen  sogar  auf  Kosten  der  Deutlichkeit  noch  vermieden  werden,  wenn 
nicht  bereits  habituelle  Contraction  oder  förmliche  Contractur  des  ablenkenden  Muskels 
eingetreten  ist.  —  Sehr  geeignet,  dieses  Verhältniss  klar  darzustellen,  sind  Fälle  von 
Schielen,  wo  das  eine  Auge  merklich  kurz-,  das  andere  weitsichtig  ist.  Solche  Individuen 
lenken  beim  Betrachten  naher  Gegenstände,  z.  B.  beim  Lesen  das  weit-,  beim  Blick  in 
die  Ferne  dagegen  das  kurzsichtige  Auge  ab.  Die  Ablenkung  erfolgt  bei  der  Mehrzahl 
nach  innen,  seltener  nach  aussen,  vielleicht  desshalb,  weil  der  Zustand  meistens  aus  früher 
Jugend  datirt.  Es  giebt  aber  darunter  einige,  welche  bei  mittleren  Distanzen  nicht  schie- 
len, sondern  beide  Augen  richtig  einstellen  und  zugleich  zum  Fixiren  verwenden.  Sehr 
bestimmt  konnte  ich  mich  von  diesem  Vorkommen  bei  einem  Mitschüler  überzeugen,  den 
ich  vom  Gymnasium  her  als  einwärts  schielend  kannte.  Ich  traf  ihn  zu  einer  Zeit,  wo 
ich  mich  ganz  besonders  für  die  Schieloperation  interessirte,  auf  der  Gasse,  und  meinte 
während  der  Unterredung  mit  ihm,  er  habe  sich  operiren  lassen,  denn  er  bot  keine  Spur 
von  Schielen  dar.  Er  war  aber  über  meine  Frage  verwundert,  und  erklärte  mir,  dass  er 
noch  immer  schiele,  aber  nur  manchmal.  Sehproben  an  nahen  und  fernen  Objecten  stell- 
ten nun  klar  heraus,  dass  er  nur  beim  Sehen  auf  Objecte  von  mittlerer  Entfernung  nicht 
schielte,  dagegen  schielen  musste,  wenn  er  den  Stand  der  Zeiger  auf  meiner  Taschen- 
oder auf  der  gerade  in  der  Nähe  befindlichen  Thurmuhr  angeben  sollte,  u.  dgl.  Weitere 
Versuche  ergaben,  dass  das  eine  Auge  massig  kurz-,  das  andere  weitsichtig  war.  —  Zur 
weitem  Erörterung  und  Nachweisung  der  vorstehenden  Behauptungen  mögen  noch  fol- 
gende Beobachtungen  dienen. 

Ein  Mädchen,  das  ich  zufällig  traf,  klagte,  dass  ihr  beim  Nähen  oder  Lesen  die 
Augen  leicht  ermüden,  so  dass  sie  niemals  lange  arbeiten  könne ;  wolle  sie  aber  einen 
feineren  Druck  lesen,  oder  z.  B.  eine  Nadel  einfädeln,  so  müsse  sie  schielen,  das  rechte 
Auge  nach  innen  ablenken,  obwohl  sie  ausserdem  einen  ganz  geraden  Blick  hat.  Sie 
konnte  in  meiner  Gegenwart  auch  mit  richtig  gestellten  Augen  mittlem  Druck  (['"  hoch) 
lesen :  dabei  verwirrten  sich  ihr  aber  die  Buchstaben  bald  durch  einander,  so  dass  sie 
entweder  aufhören  oder  das  rechte  Auge  ablenken  musste.  "Während  sie  auf  dem  linken 
Auge  sich  einer  sehr  guten  Sehkraft  erfreut,  vermag  sie  mit  dem  rechten  allein  nur 
einen  2'"  hohen  Druck  zu  lesen.  Sie  ist  weder  kurz-  noch  weitsichtig ;  man  bemerkt  sonst 
nichts  Abnormes  an  ihren  Augen;  über  die  Entstehung  weiss  sie  nichts  Verlässliches  an- 
zugeben, da  das  Übel  seit  früher  Jugend  besteht. 

Th.  R.  wurde  1842  von  mir  an  Strab.  converg.  oc.  sin.  operirt,  und  durch  die 
Durchschneidung  beider  Recti  interni  so  geheilt,  dass  die  Augen  ihre  normale  Beweglich- 
keit behielten  und  bei  allen  Richtungen  gehörig  standen.  Aber  sie  vermochte  Monate 
lang  nicht  anhaltend  zu  nähen  oder  zu  lesen,  die  Augen  fingen  an  zu  thränen,  die  Buch- 
staben verwirrten  sich,  und  in  der  Supraorbitalgegend  traten  drückende  Schmerzen  ein. 
Später  verlor  sich  diess,  aber  die  Kranke  sah  manchmal  entfernte  Gegenstände  doppelt, 
und  die  Mutter  bemerkte,  dass  das  Mädchen  beim  Arbeiten  wieder  etwas  schielte.  Die 
"Untersuchung  ergab,  dass  sie  bald  ein-  bald  auswärts  schielte,  und  zwar  mit  dem  linken 
Auge,  an  dessen  Cornea  ich  jetzt  eine  leichte  Trübung  vor  der  Pupille  (die  Folge  einer 
scrofulösen  Augenentzündung)  bemerkte.     "Wenn  sie  einen  entfernten  Gegenstand  genauer 


312  Augenmuskeln. 

sehen  wollte,   erschien  das  mattere  Bild  links,   beim  Betrachten  eines  nahen  Objectes  da- 
gegen rechts;  für  gewöhnlich  aber,  wenn  man  mit  ihr  sprach,  schielte  sie  nicht. 

Ein  Candidat  der  Medicin,  auf  dem  rechten  Auge  kurz-,  auf  dem  linken  weitsichtig, 
und  dem  gemäss  alternirend  auswärts  schielend,  war  desswegen  von  einem  Arzte  operirt 
worden,  doch  ohne  Erfolg.  Ich  rieth  ihm  die  Sehweite  durch  entsprechende  Gläser  für 
mittlere  Distanzen  auszugleichen  und  dann  sich  zu  bemühen,  mit  beiden  Augen  die  Ob- 
ecte  zu  fixiren  (nach  Jurins  Methode  —  s.  weiter  unten).  Durch  Beharrlichkeit  hierin 
hatte  er  es  nach  mehreren  Monaten  so  weit  gebracht,  dass  er  mit  beiden  Augen  zugleich 
lesen  konnte,  aber  er  sah  dann  nicht  so  gut,  als  wenn  er  eines  der  Augen  allein  be- 
nutzte und  das  andere  ein  wenig  (kaum  merklich)  abweichen  Hess.  Am  26.  März  1843, 
anderthalb  Jahre  nach  der  Operation,  notirte  ich  folgenden  Zustand.  Die  Differenz  in 
der  Sehweite  scheint  geringer  zu  sein,  als  früher.  (Ich  habe  leider  weder  die  Nahe-  und 
Fern  punkte,  noch  die  Brennweiten  der  Gläser  verzeichnet.)  „Lasse  ich  ihn  die  Augen- 
gläser ablegen,  die  er  seit  Ertheilung  meines  Rathes  auf  der  Gasse  zu  tragen  pflegt,  so 
kann  er  in  der  Entfernung  von  8"  Druck  von  nicht  ganz  \'"  Höhe  nicht  lesen,  so  lange 
er  (wie  ich  sehe  und  er  selbst  angibt)  die  Sehachsen  im  Objecte  sich  kreuzen  lässt;  er 
kann  aber  sogleich  lesen,  wenn  er  entweder  die  linke  Pupille  etwas  über  IV2'"  aus- 
wärts ablenkt  oder  aber  die  rechte  beiläufig  tfc'".  Liest  er  mit  dem  linken  Auge,  so 
sieht  er  viel  deutlicher,  wenn  er  das  rechte  Auge  circa  \ljz'",  als  wenn  er  es  nur  et- 
wa 1li'"  ablenkt ;  bei  dieser  Ablenkung  geht  die  rechte  Pupille  nach  aussen  —  oben.  Zur 
Fixirung  ferner  Gegenstände  kann  nur  das  linke  Auge  verwendet  werden,  indem  dabej 
das  rechte  jederzeit  noch  um  beiläufig  lk'"  auswärts  gelenkt  wird.  Wird  aber  vor  das 
rechte  Auge  ein  Concavglas  (von  16 — 20")  vorgehalten,  so  kann  er  mit  diesem  Auge  auch 
ferne  Objecte  fixiren,  muss  aber,  um  sie  deutlich  zu  sehen,  das  linke  noch  gegen  '/a'" 
ablenken;  mit  beiden  Augen  zugleich  kann  er  ferne  Gegenstände  auch  bei  Armirung 
des  rechten  mit  dem  Concavglase  nicht  deutlich  sehen."  Bei  einer  spätem  Untersuchung 
machte  derselbe  die  Bemerkung,  dass,  wenn  er  eine  Zeit  lang  mit  beiden  Augen  zugleich 
gelesen,  was  er  nur  mit  Anstrengung  und  auf  Kosten  der  Deutlichkeit  konnte,  zunächst 
neben  dem  wahren  Bilde  ein  Schattenbild  auftrete,  welches  erst  langsam,  dann  aber  mit 
beschleunigter  Geschwindigkeit  wegrückt,  um  endlich  plötzlich  zu  verschwinden ;  nun 
wusste  er,  dass  er  wieder  schiele,  indem  er  wieder  ganz  deutlich  —  mit  dem  linken  Auge 
allein  sah.  Die  Geschwindigkeit  des  Auseinanderweichens  der  Doppelbilder  verglich  er 
mit  der  Geschwindigkeit  der  Annäherang  einer  Luftblase  auf  einer  Flüssigkeit  nahe  am 
Rande  des  Gefässes,  die  sich  erst  ganz  allmälig,  dann  aber  in  raschem  Fluge  demselben 
nähert  und  verschwindet.  Sobald  er  die  dem  Schielen  entgegenstrebende  Anstrengung 
aufgeben  musste,    verschwand  die  Undeutlichkeit  imd  ein  Moment  darauf  das  Doppelbild. 

Am  8.  Juni  1841  operirte  ich  einen  Candidaten  der  Rechtswissenschaften*)  wegen 
Strab.  converg.  des  linken  Auges,  mit  welchem  er  kleineren  Druck  nicht  lesen  konnte 
Die  Ablenkung  betrug  gegen  3'";  er  war  etwas  kurzsichtig  und  schielte,  'gleich  einer 
Schwester,  ohne  bekannte  Veranlassung  von  Jugend  auf.  Die  Muskeldurchschneidung 
wurde  beiderseits  vorgenommen,  am  linken  Auge  mit  etwas  stärkerer  Lösung.  Unmittel- 
bar darauf  entstand  leichte  Divergenz;  der  Kranke  sah  rechts  vor  dem  vorgehaltenen 
Objecte  ein  zweites  minder  deutliches,  dem  linken  Auge  angehörend.  Nach  Vernarbung 
der  Wunden  wich  das  linke  Auge  sogar  wieder  ein  wenig  einwärts  ab.     Fleissige  Übung 


*■)  Beiträge  zur  Lehre  vorn  Schielen  und  dessen  Heilung   durch   den  Muskelschnitt  von  Dr.  Arlt,    med^ 
Jahrb.  des  österr.  Staates,  1842.     1.,  2.,  3.  Heft. 


Schielen  —  Ursachen  —  Beispiele.  313 

im  Fernsehen  behob  diesen  Übelstand  in  Kurzem.  Ende  Juni  waren  die  Wunden  ganz 
vernarbt,  die  Beweglichkeit  und  Stellung  beider  Augen  ganz  normal ;  nur  zu  lesen  ver- 
mochte der  Pat.  noch  nicht  mit  beiden  Augen,  weil  ihm  immer  über  der  wahren  eine 
Schattenzeile  schwebte,  welche  jene  zum  Theil  verdeckte.  Ich  rieth  dem  Kranken  aufs 
Land  zu  gehen,  viel  in  die  Ferne  zu  schauen,  und  vorzugsweise  das  linke  Auge  zu  üben. 
Anfang  August  fand  ich  eine  geringe  Abweichung  des  rechten  Auges  nach  aussen,  aber 
nur  dann,  wenn  der  Pat.  mit  dem  linken  deutlich  sehen  wollte;  hingegen  stellte  sich  das 
linke  etwas  einwärts,  wenn  das  rechte  einen  feinern  Gegenstand  fixirte ;  geschah  das  Fi- 
xiren mit  beiden  Augen  —  was  dem  Pat.  bei  einiger  Bemühung  möglich  —  so  war  der 
Gesammteindruck  weniger  deutlich  wegen  eines  über  und  neben,  und  zum  Theil  auch  auf 
dem  deutlichen  Bilde  schwebenden  Schattenbildes.  Die  linke  Pupille  stand  ein  wenig 
höher,  als  die  rechte  (das  Schielen  hatte  eigentlich  nach  innen  —  oben  stattgefunden); 
die  Augen  waren  nach  allen  Seiten  frei  beweglich  und  die  Sehkraft  des  linken  um  Vieles 
verbessert.  Anfang  März  1843  notirte  ich  folgenden  Befund.*)  Im  gewöhnlichen  Zu- 
stande erkennt  man  jetzt  an  der  relativen  Stellung  der  Augen  kein  Schielen,  aber  man 
muss  wenigstens  einen  geringen  Grad  supponiren,  weil  er  doppelt  sieht,  und  zwar  er- 
scheint das  mattere,  dem  linken  Auge  angehörende  Bild  rechts  von  dem  deutlichen  (also 
Divergenz  des  linken  Auges).  Der  Kranke  wird  aber  von  demselben  jetzt  nicht  mehr 
belästigt,  wenigstens  im  Arbeiten  nicht  mehr  behindert,  da  er  das  Schattenbild  nur  dann 
wahrnimmt,  wenn  er  seine  Aufmerksamkeit  darauf  lenkt.  Je  ferner  der  fixirte  Gegen- 
stand liegt,  und  je  weniger  der  Kranke  sich  bemüht,  denselben  genau  zu  sehen,  desto 
weiter  treten  die  beiden  Bilder  auseinander.  Bemüht,  er  sich,  einen  nahen  Gegenstand, 
z.  B.  ein  "Wort,  eine  Ziffer,  genau  zu  sehen,  so  sieht  er  auch  doppelt,  aber  dann  liegt 
das  dem  linken  Auge  angehörende  Bild  links  von  dem  deutlichen  (des  rechten  Auges). 
Er  zeichnete  mir  bei  diesen  Versuchen  Folgendes  auf:  909090.  Liest  er  die  Zahl  90  so, 
wie  er  gewöhnlich  zu  lesen  pflegt,  so  erscheint  noch  ein  undeutliches  90,  ein  Schatten- 
bild rechts  —  oben  von  dem  wirklichen ;  beim  genauem  Betrachten  aber  erscheint  es 
links  —  oben,  und  bei  einem  mittlem  Grade  von  Anstrengung  fällt  es  auf  das  deutliche, 
doch  so,  dass  es  dieses  nur  zum  Theile  deckt,  indem  es  bloss  etwas  höher  steht.  Beim 
Übergänge  vom  gewöhnlichen  zum  aufmerksamen  Betrachten,  wo  also  das  Schattenbild  von 
rechts  nach  links  rückt,  sehe  ich  —  bei  unveränderter  Lage  des  Buches  —  die  linke 
Pupille  deutlich  von  aussen  nach  innen  rücken.  Das  Höherstehen  des  matteren  Bildes, 
seine  Distanz  von  dem  deutlichen  in  verticaler  Pachtung,  ist  bedeutender,  wenn  er  auf- 
wärts gelegene  Gegenstände  betrachtet,  geringer,  wenn  er  nach  unten  befindliche  Objecte 
ansieht,  wird  also  durch  übermässige  Contraction  des  M.  rectus  superior  bewirkt.  Wäre 
diese  Complication  mit  Strab.  sursum  vergens  nicht  vorhanden,  so  müsste  bei  mittlerer 
Intention  das  matte  Bild  mit  dem  deutlichen  congruiren,  mithin  die  Perception  mit  bei- 
den Augen  minder  klar  und  deutlich  als  mit  dem  bessern  Auge  allein  sein.  Wir  sahen 
diess  in  dem  vorhergehenden  Falle ;  wenn  sich  die  Bilder  ganz  decken,  kann  sie  der 
Kranke  nicht  mehr  als  zwei,  sondern  nur  als  eins  wahrnehmen." 

Ein  Mädchen,  bei  welchem  in  Folge  acuter  Bindehautblennorrhöe  ein  durchbohren- 
des ,  jedoch  ohne  Synechie  wieder  vernarbendes  Hornhautgeschwür  am  rechten  Auge 
entstanden  war,  fing  an,  mit  diesem  Auge  auswärts  zu  schielen  während  der  Zeit,  als 
das  grösstentheils  vor  der  Pupille  sitzende,  flacher  und  rein  gewordene,  mithin  das  Ge- 
sicht nur  wenig   störende    Geschwür  allmälig  vernarbte.     Wer  die  Kranke  nach  vollende- 

*)  Vergl.  Prager  Vierteljahrschrift,  Band  IV.  S.  65. 


314  Augenmuskeln. 

ter  Vernarbung  sieht,  findet  die  Pupille  bis  auf  einen  nacb  innen  und  oben  befindlichen 
kleinen  Theil  verdeckt  durch  eine  beinahe  ganz  undurchsichtige  Narbe,  zu  welcher  ein 
Flügelfell  vom  innern  Winkel  her  verläuft.  Es  gab  demnach  eine  Zeit  für  diese  Kranke, 
wo  das  Sehvermögen  des  rechten  Auges  noch  nicht  so  zu  sagen  aufgehoben  war,  sondern 
noch  in  einem  hohen  Grade  bestand,  mithin  störend  auf  das  Gesicht  des  linken  Auges 
einwirkte,  und  desshalb  die  Ablenkung  desselben  eine  gleichsam  instinctmässig  herbeige- 
führte Abhilfe  war;  nachdem  diese  Ablenkung  einige  Zeit  behufs  des  Deutlichsehens 
mit  dem  andern  Auge  nothwendig  gewesen  war ,  blieb  sie  stationär  auch  dann ,  als  die 
Trübung  intensiv  geworden ,  mithin  das  Schielen  nicht  mehr  nothwendig  war.  So  wie 
in  diesem ,  verhält  es  sich  auch  in  vielen  andern  analogen  Fällen ,  namentlich  bei  all- 
mälig  entwickelter  Cataracta.  Andrerseits  ist  es  gewiss,  dass  Hornhauttrübungen,  nament- 
lich in  früher  Jugend  entstanden,  allmälig  geringer  werden  und  selbst  verschwinden ;  das 
Schielen  aber,  durch  dieselben  eingeleitet,  besteht  fort,  weil  die  Muskelcontraction  ein- 
mal habituell  geworden  ist. 

Ein  Schuhmacher  wurde  von  einem  Epithelialkrebs  nächst  dem  äussern  "Winkel  des 
linken  Auges  durch  Pasta  muriatis  zinci  geheilt.  Die  äussere  Hälfte  des  untern  Lides 
war  nun  durch  die  Vernarbung  aus-  und  abwärts  gestülpt,  die  äussere  Commissur  nach 
unten  —  aussen  abgezogen.  Der  früher  ganz  gesunde  Bulbus  wurde  in  der  Folge  öfters 
von  Entzündungen  befallen  und  die  Hornhaut  in  ihrer  ganzen  Ausdehnung  leicht  getrübt. 
Nach  Beseitigung  der  entzündlichen  Zufälle  wurde  der  Kranke  aus  der  Anstalt  entlassen, 
kam  aber  bald  wieder,  weil  die  Augen  bei  der  Arbeit  bald  mit  Thränen  überliefen  und 
ermüdeten.  Es  wurde  desshalb  die  Tarsoraphie  nach  Walther  gemacht,  das  Ectropium 
gehoben,  und  die  Commissur  schloss  wieder  an  den  Bulbus  an,  nur  stand  das  obere 
Lid  ein  wenig  tiefer,  als  das  des  rechten  Auges.  Der  Mann  kehrte  abermals  zu  seiner 
Arbeit  zurück ,  bemerkte  aber  bald ,  dass  er ,  wenn  er  etwas  genauer  sehen  wollte ,  das 
linke  Auge  zukneipen  oder  verbinden  musste.  Eine  Zeit  läng  —  wo  er  viel  arbeiten 
musste,  hatte  er  das  linke  Auge  bei  der  Arbeit  immer  verbunden  gehalten;  dann  aber 
fand  er,  dass  diess  nicht  mehr  nöthig  sei.  Als  ich  ihm  zufällig  einmal  begegnete,  etwa 
1/t  Jahr  nach  der  Operation,  fand  ich  Strabismus  sursum  vergens  oc.  sin.  Er  hatte  also 
unwillkürlich  das  Auge  allmälig  ein  wenig  aufwärts  unter  das  obere  Lid  stellen  gelernt, 
um  mit  dem  rechten  Auge  allein  zu  sehen,  und  diese,  zunächst  nur  für's  Arbeiten  er- 
forderliche und  erspriessliche  Stellung  blieb  nun  auch  beim  gewöhnlichen  Sehen.  Der 
Mann  hatte  niemals  die  Erscheinung  von  Doppeltsehen  bemerkt  und  wusste  nicht,  dass 
er  schiele.     Ich  habe  ihn  noch  durch  einige  Jahre  in  diesem  Zustande  beobachtet. 

Ein  Candidat  der  Chirurgie,  dem  ich  wegen  Str.  divergens  oc.  dextri  amblyopiei 
beiderseits  den  E.  externus  durchschnitten  hatte,  wurde  längere  Zeit  als  geheilt  betrach- 
tet, da  er  nicht  schielte.  Nach  etwa  V«  Jahre,  wo  ich  ihm  mehrmal  auf  der  Gasse  be- 
gegnete, fiel  mir  auf,  dass  er  das  rechte  Auge  zuzudrücken  pflegte.  Er  sagte,  er  thue 
es,  um  die  ihm  Entgegenkommenden  schon  aus  der  Ferne  zu  erkennen.  Genaue  Unter- 
suchung stellte  heraus,  dass  er  nicht  kurzsichtig  war,  und  dass  ihn  das  rechte  Auge 
auch  im  Erkennen  naher  Gegenstände ,  wenn  sie  etwas  feiner  waren ,  hinderte.  Ich 
munterte  ihn  auf,  sich  trotzdem  zu  bemühen,  beide  Augen  zu  gebrauchen,  und  damit  sich 
das  rechte  Auge  durch  Übung  stärke,  das  linke  bisweilen  zu  verschliessen.  Doch  fand 
ich ,  etwa  V2  Jahr  später,  Strab.  converg.  des  rechten,  noch  immer  merklich  schwächern 
Auges.  Die  Ablenkung  nach  aussen  war  wegen  starker  Rückwärtslagerung  des  R.  ex- 
ternus   nicht   leicht  möglich ;   des  Zukneipens  suchte  sich  der  junge  Mann  zu  enthalten : 


Schielen  —  Ursachen.  315 

also   wurde   —   zur   Beseitigung   des   störenden  Eindruckes   —  das  Auge  unbewusst  und 
unwillkürlich  abgelenkt. 

Strabismus  muscularis.  Wir  wählen  diesen  Ausdruck  nur,  um  da- 
mit anzudeuten,  dass  die  Veranlassung-  zum  Schielen  nicht  von  fehler- 
hafter Beschaffenheit  des  Auges  selbst  ausgeht.  Die  entfernteren  Ur- 
sachen sind  mannigfaltig,  a)  Zunächst  gehört  hieher  das  willkürliche 
oder  absichtliche  Schielen.  Kinder  bringen  diess  bisweilen  zu  Stande 
zur  Unterhaltung  ihrer  Gespielen  oder  aus  Muthwillen,  um  Schielende 
zu  verspotten.  Leider  werden  manche  davon  nach  öfterer  Wiederholung 
mit  unwillkürlichem  Schielen  gestraft.  Ich  kenne  wenigstens  zwei  Fälle, 
wo  diess  ganz  bestimmt  der  Fall  war;  bei  beiden  war  das  rechte  Auge 
das  continuirlich  oder  doch  für  gewöhnlich  abgelenkte,  in  dem  einen 
Falle  ein-,  in  dem  andern  auswärts,  b)  Hieran  reiht  sich  zunächst  das 
Schielen  aus  Nachahmung,  ohne  Absicht,  ohne  Willenseinfluss,  als  eine 
Art  Chorea  minor.  Ob  die  Einwirkung  der  Phantasie  das  Mittelglied 
sei,  wie  Ritterich*)  in  seiner  an  positiven  Thatsachen  reichen  Schrift 
über  das  Schielen  meint,  wagen  wir  nicht  zu  entscheiden.  Wer  die 
Geschichte  der  Chorea  kennt,  wird  wenigstens  die  Zulässigkeit  der  An- 
nahme dieses  Momentes  als  Ursache  des  Schielens  nicht  in  vorhinein 
bestreiten,  c)  Desshalb  nahm  ich  auch  keinen  Anstand,  der  Angabe 
einiger  Kranken,  dass  sie  in  Folge  von  Schrecken  oder  Furcht  schielend 
geworden  seien,  Glauben  zu  schenken,  weil  auch  andere  Muskeln  und 
Muskelgruppen  durch  solche  Affecte  zu  regelwidrigen  Actionen  ge- 
bracht werden,  d)  Nicht  minder  schwierig  zu  erklären  und  zu  constatiren 
ist  das  Entstehen  des  Schiele?is  von  fehlerhafter  Verwendung  der  Augen, 
vom  Sehen  nach  der  Quaste  einer  Mütze,  der  Masche  eines  Häubchens, 
dem  Perpendikel  einer  Wanduhr  u.  dgl.,  oder  vom  Zunahehalten  kleiner 
Objecte,  Spielsachen  u.  s.  w.,  welche  Momente  namentlich  von  altern 
Beobachtern  angeführt  werden.  Es  bleibt  dabei  immer  zu  bedenken, 
was  Böhm  dagegen  einwendet,  nämlich  ob  nicht  zur  Zeit,  wo  das  eine 
oder  das  andere  stattfand,  bereits  eine  andere  Ursache,  namentlich 
Schwäche  der  Sehkraft  des  einen  Auges  bestand,  und  das  Fixiren  von 
Objecten  nur  die  entfernte,  die  Ungleichheit  der  Sehkraft  aber  die 
nächste  Veranlassung  zur  Ablenkung  des  Auges  abgab.  Was  mir  aber 
trotzdem  die  ältere  Ansicht  als  haltbar  erscheinen  lässt,  ist  der  Um- 
stand, dass  ich  in  solchen  Fällen,  wo  diese  oder  ähnliche  Momente  be- 
schuldigt wurden,  beinahe  immer  das  rechte  Auge  schielend  fand,  und 
dass  sogar  die  Richtung  der  Ablenkung  mit  der  Angabe  der  Kranken 
übereinstimmte.    (Vergl.  meinen  Aufsatz  über  das  Schielen  in  den  österr. 

*)  Das  Schielen  und  seine  Heilung,  Leipzig  1843. 


3 1 6  Augenmuskeln. 

Jahrbüchern,  S.  98.)  Besonders  auffallend  war  mir,  dass  ein  junger 
Mann,  welcher  angab,  er  sei  in  seinem  6.  Jahre  in  Folge  dessen 
schielend  geworden,  weil  er  immer  nach  der  Bandage  seines  linken  ge- 
brochenen Unterschenkels  hinabgesehen  habe,  mit  dem  rechten  Auge 
nach  innen  —  unten  schielte,  also  gerade  in  einer  Richtung,  die  der 
Angabe  entsprach,  obwohl  der  Kranke  nichts  davon  wissen  konnte, 
dass  sein  Auge  nicht  wie  gewöhnlich  nach  innen,  sondern  zugleich  nach 
einer  äusserst  seltenen  Nebenrichtung  abwich.  Ich  konnte  es  nun  wohl 
auch  nicht  mehr  als  zufällig  betrachten,  wenn  Leute  nach  innen  und 
oben  schielten,  welche  das  Schielen  vom  Schauen  nach  der  Quaste  einer 
Mütze  ableiteten.  Es  sind  verschiedene  Erklärungen  versucht  worden, 
um  den  Zusammenhang  zwischen  der  Ablenkung  des  Auges  und  den 
Angaben  der  Kranken  oder  ihrer  Eltern  begreiflich  zu  machen  {Beer, 
Joh.  Müller,  Ritterich).  Wenn  sich  auch  keine  derselben  als  haltbar 
erwies,  so  war  man  doch  desshalb  noch  nicht  berechtigt,  den  Knoten 
zu  zerhauen,  um  sich  aller  Unbequemlichkeit  dadurch  zu  entheben,  dass 
man  die  Möglichkeit  der  Entstehungsweise  in  vorhinein  negirte.  Die 
Angaben  denkender  Männer  ohne  Weiteres  unter  die  Ammenmärchen 
verweisen,  heisst  wohl  sich  selbst  den  Weg  der  weitern  Beobachtung 
und  Forschung  versperren,  möglicherweise  auch  den  praktischen  Arzt 
verleiten,  dass  er,  beim  Entstehen  des  Übels  consultirt,  Umständen  kein 
Gewicht  mehr  beilegt,  welche  am  Ende  doch  Einfluss  auf  das  Übel 
haben  können.  Nach  meiner  Meinung  lässt  sich  die  Entstehung  des 
Schielens  in  Folge  der  obengenannten  Veranlassungen  mit  unsern  bis- 
herigen physiologischen  Kenntnissen  leicht  in  Einklang  bringen.  Die 
Kreuzung  der  Sehachsen  in  beträchtlich  seitlich  von  der  Medianebene 
gelegenen  Objecten  kann  nur  mit  grosser  Anstrengung  längere  Zeit  er-, 
halten  werden.  Wird  aber  die  Aufmerksamkeit  lange  oder  oft  und  in 
kurzen  Zwischenräumen  auf  so  gelegene  Objecte  gerichtet,  und  können 
die  Sehachsen,  respective  Bulbi  wegen  Ermüdung  der  Muskeln  nicht 
mehr  in  der  zur  Kreuzung  im  Objecte  nöthigen  Richtung  erhalten  wer- 
den, so  tritt  die  Kreuzung  vor  oder  hinter  dem  Objecte  ein,  je  nach 
dem  Verhalten  des  Refractionszustandes  und  der  Accommodationsorgane 
(für  die  betreffende  Entfernung  des  Objectes),  und  es  tritt  Undeutlich- 
sehen durch  theilweises  Auseinanderweichen,  später  selbst  Doppeltsehen 
mit  völlig  getrennten  Doppelbildern  ein.  Diese,  aus  ungenauer  oder 
gar  nicht  erfolgender  Kreuzung  der  Sehachsen  im  Objecte  entstehende 
Functionsstörung  zu  beseitigen,  wird  das  eine  Auge  abgelenkt,  damit 
das  andere  ungestört  die  Betrachtung  des  Objectes  fortsetzen  könne.*) 

*)  Wenn  ein  nahes  Object  stark  seitlich  abliegt,  so  wird  zur  Fixirung  desselben  auch  von  jedem  Auge= 


Schielen  —  Ursachen.  317 

Es  tritt  hier  etwas  Ahnliches  ein,  wie  —  nach  A.  v.  Gräfe's  stricter 
Nachweisung  —  bei  Myopia  in  distans*),  wo  der  Kurzsichtige  beim 
Blick  auf  Objecte,  die  weit  jenseits  seines  Fernpunktes  liegen,  wenn 
also  eine  scharfe  Accommodation  unmöglich  ist,  sein  Auge  nicht  mehr 
für  die  grösste,  ihm  noch  mögliche  Ferne  einrichtet,  sondern  für  grössere 
Nähe,  demnach  bei  Richtung  des  Blickes  auf  zu  ferne  Objecte  densel- 
ben Refractionszustand  annimmt,  wie  bei  Accommodation  für  grosse 
Nähe.  Ist  aber  diese  Erklärung  für  stark  excentrisch  vom  Mittelpunkte 
des  Gesichtsfeldes  gelegene  Objecte  richtig,  dann  begreifen  wir  auch, 
warum  bei  Kurzsichiigkeit  leicht  Schielen  entstehen  kann,  dann  nämlich, 
wenn  die  Objecte  so  nahe  gehalten  werden,  dass  die  Kreuzung  der 
Sehachsen  im  Objecte  nicht  so  lange  ausgehalten  werden  kann,  als  das 
Individuum  es  von  seinen  Augen  fordert,  mithin  die  Netzhautbilder 
nicht  auf  völlig  correspondirenden  Stellen  erhalten  werden  können. 
Hierin  fände  denn  auch  die  Beobachtung  ihre  Erklärung,  f)  dass  Kin- 
der besonders  nach  schweren  Krankheiten  durch  Anstrengung  der  Augen 
mit  Lesen,  Schreiben,  feinen  Spielsachen  u.  dgl.  leicht  schielend  werden. 
Wir  wiederholen,  dass  in  solchen  Fällen  auch  Ungleichheit  der  Seh- 
kraft oder  der  Sehweite  zu  Grunde  liegen  kann,  damit  man  nicht  meine, 
wir  wollen  die  eben  genannte  Erklärungsweise  auf  alle  solche  Fälle 
angewendet  wissen.  Es  ist  eben  Sache  des  praktischen  Arztes,  in  jedem 
speciellen  Falle  so  sicher  als  möglich  die  Ursache  der  Krankheit  zu 
ermitteln,  weil  diess  ein  reeller  Gewinn  für  die  Behandlung  ist,  zu 
welcher  ja  auch  die  Prophylaxis  gehört,  g)  Über  die  Entstehung  des 
Schielens  in  Folge  von  Muskellähmung  haben  wir  uns  bereits  ausge- 
sprochen, h)  Minder  sicher  gestellt  ist  die  Entstehung  desselben  aus 
Convulsionen,  aus  tonischen  oder  klonischen  Krämpfen  eines  oder  meh- 
rerer Muskeln  des  Augapfels,  weil  es  in  solchen  Fällen  immer  schwer 
zu  entscheiden  sein  wird,  ob  nicht  vielmehr  Paresis  des  (der)  Anta- 
gonisten schiüd  sei.  A  priori  ist  wohl  nichts  gegen  den  Übergang 
temporärer  Ablenkung  in  bleibende  einzuwenden,  zumal  wenn  jene 
länger  angedauert  hat  oder  häufig  und  in  kurzen  Zwischenräumen  wie- 
dergekehrt ist. 

Ausser  den  genannten  sind  noch,  mehrere  andere  Momente  als  Ursachen  des  Schie- 
lens angenommen  worden,  meines  Erachtens  jedoch  theils  mit  Unrecht,  theils  ohne  ge- 
nügende Gründe.  Mangel.  Zerreissung ,  normwidrige  Anheftung  oder  Degeneration  eines 
Muskels  durch  Entzündung,    melanotische  Ablagerung  u.  dgl.    vermag    niemals    direct  zu 

ein  anderer  Grad  von  Spannung  der  Accommodationsorgane  gefordert;    es  wäre  wohl  möglich,   dass 
dieser  Umstand  an  sich  schon  hinreicht,   Undeutlichsehen  zu  bewirken,   und  somit  auch  Schielen  als 
Abhilfe  gegen  die  Fnnctionsstörung  einzuleiten. 
*)  Archiv  für  Ophthalmologie,  Bd.  II.  Abth.  1.  S.  15S  (1Ö3-16S). 


3  IS  Augenmuskeln. 

Strabismus  zu  führen ,  bloss  zu  gehemmter  Beweglichkeit  des  Bulbus  (luscitas),  welche 
allerdings  unter  besonderen  Umständen  (wegen  Doppeltsehens)  zu  activer  Ablenkung  nach 
der  entgegengesetzten  Seite  Anlass  geben  kann.  Eben  so  ist  Schiefstellung  der  Linse, 
wenn  auch  an  schielenden  Augen  nachgewiesen,  gewiss  nicht  als  Ursache  des  Strabis- 
mus zu  betrachten.  Eher  möchte  sie  als  Folge  zu  betrachten  sein,  da  es  nicht  unwahr- 
scheinlich ist,  dass  der  Bulbus  durch  einseitig  prävalirenden  Zug  und  Druck  der  Mus- 
keln in  seiner  Form  auf  ähnliche  Weise  verändert  wird,  wie  das  Knochengerüst  in  Folge 
ungehöriger  Muskelthätigkeit,  und  dann  wohl  auch  die  Linse,  relativ  zur  Hornhaut  sowohl 
als  zum  hintern  Pole  (der  Mac.  lutea),  anders  gelagert  sein  könnte.  Die  Schiefstellung 
der  Linse  kann  übrigens  aus  anderen  Ursachen,  z.  B.  in  Folge  eines  seitlichen  Corneal- 
durchbruches ,  an  schielenden  Augen  so  gut  vorkommen ,  wie  an  nicht  schielenden,  mit- 
hin als  zufällige  Complication.  Schiefstellung  der  Linse  kann  den  Kranken  nicht  bestim- 
men ,  eine  andere  Stelle ,  als  die  Macula  lutea  dem  Objecte ,  das  gesehen  werden  soll, 
gegenüber  zu  stellen.  Man  vergesse  nicht,  dass  das  Auge  abgelenkt  wird,  nicht  um  mit 
demselben  zu  sehen,  sondern  um  dasselbe  von  der  Theilnahme  am  Sehacte  des  andern 
Auges  auszuschliessen.  —  Gründe,  welche  gegen  J.  Müller' s  Annahme  von  angeborner 
Incongruenz  der  Netzhäute  als  Ursache  des  Schielens  sprechen,  haben  wir  bereits  im 
2.  Bande  S.  2S2  angeführt.  In  neuester  Zeit  hat  A.  v.  Gräfe  (Archiv  B.  I.  Abtheil.  I. 
S.  105)  einen  exact  beobachteten  Fall  von  Strabismus  beschrieben,  welcher  allerdings 
geeignet  erscheint,  dafür  zu  sprechen,  dass  die  Macula  lutea  vermöge  primärer  Bildung 
nicht  im  hintern  Pole,  sondern  excentrisch,  in  specie  nach  innen  von  der  Sehnervenein- 
trittsstelle gelegen  sein  könne.  Wenn  man  aber  diesen  Fall  mit  jenen  vergleicht,  in 
welchen  der  Umstand,  dass  die  relativ  empfindlichste  Stelle  der  Netzhaut  einwärts  vom 
hintern  Pole  liegt,  offenbar  als  Folge  des  seit  früher  Jugend  bestehenden  Schielens  er- 
klärt werden  muss ,  wie  diess  Greife  in  mehreren  genau  beobachteten  Fällen  auch  selbst 
erklärt,  so  findet  —  meines  Erachtens  —  doch  nur  ein  Gradunterschied  statt.  Mir  ist 
es  nicht  wahrscheinlieh,  dass  ein  so  wichtiger  Bildungsfehler,  wie  Ektopie  der  Mac. 
lutea,  ohne  alle  anderweitigen  Bildungsfehler  vorkommen  könne.  Bedenken  erregt  es 
auch,  dass  ein  solcher  Fehler  bloss  an  Einem  Auge  auftreten  soll.  Und  zugegeben,  die 
Macula  lutea,  mithin  gewissermassen  die  ganze  Netzhaut,  habe  von  Geburt  aus  eine 
andere  Lage,  so  begreifen  wir  die  Ablenkung  der  geraden  Augenachse,  welche  jetzt  nicht 
mehr  zugleich  Sehachse  ist,  nur  dann,  wenn  man  dasselbe  Gesetz  für  die  Augenbewegun- 
gen annimmt,  wie  im  normalen  Zustande,  nämlich  dass  das  Auge  mit  der  relativ  em- 
pfindlichsten Stelle  dem  Objecte  der  Aufmerksamkeit  zugelenkt  werden  muss.  Oder  soll 
man  annehmen,  die  zweckmässige  Bewegung  der  Bulbi,  die  bald  als  assoeiirte,  bald  als 
aecommodative  auftritt,  beruhe  nicht  auf  der  Sensibilitätsvertheilung  in  der  Netzhaut, 
sondern  sei  schon  in  der  Innervation  der  Muskeln  präformirt  ?  Wird  aber  das  mit 
Ektopie  der  Netzhaut  behaftete  Auge  abgelenkt,  um  die  empfindlichste  Stelle  dem  Ob- 
jecte gegenüberzustellen,  also  um  mit  beiden  Augen  zu  sehen,  so  könnte  man  nicht  von 
Schielen  sprechen.  Und  doch  fand  in  allen  den  Fällen,  die  man  auf  Incongruenz  der 
Netzhaut  beziehen  wollte,  weder  gleichzeitiges  Fixiren  mit  beiden  Augen,  noch  eine  solche 
Stellung  des  betreffenden  Auges  statt,  dass  die  empfindlichste  Stelle  dem  Objcct  gegen- 
über zu  liegen  kam,  sondern  das  Auge  wurde  so  gestellt,  dass  seine  empfindlichste  Stelle 
nicht  am  Sehacte  des  andern  Auges  partieipiren  konnte.  Es  bleibt  also  immer  noch  am 
wahrscheinlichsten,  dass  eine  vom  hintern  Pole  einwärts  gelegene  Stelle  der  Netzhaut 
die  grösste  Empfindlichkeit  nicht  wegen  primärer  Bildung  besass,  sondern  vermöge 
Übung   durch   indirectes    Sehen   in    der   oben   angegebenen  Weise  acquirirte.     Dass  aber, 


Schielen  —  Ursachen.  319 

•wenn  die  Mac.  lutea  aus  was  immer  für  einem  Grunde  am  Sehen  verhindert  wird,  irgend 
eine  seitliche,  namentlich  eine  einwärts  von  ihr  oder  selbst  von  der  Sehnervenpapille 
gelegene  Netzhautstelle  einen  staunenswerthen  Grad  von  Empfänglichkeit  acquiriren 
könne,  sobald  das  Hinderniss  von  der  ersten  Jugend  auf  besteht,  dafür  kann  ich  be- 
sonders mit  einer  bereits  vor  10  Jahren  gemachten  Beobachtung  einstehen.  G.  E.  v. 
W.,  12  Jahre  alt,  auf  beiden  Augen  an  Cat.  nucl.  Station,  leidend,  deren  Gegenwart  erst 
zur  Zeit  des  Zahnens  nach  Convulsionen  bemerkt  worden  war,  hatte  unter  ganz  beson- 
derer Bemühung  eines  Arztes  lesen  und  schreiben  gelernt  (Anfangs  mit  fast  zollhohen 
Charakteren),  und  konnte,  bevor  ich  die  Cat.  des  linken  Auges  durch  Discission  operirte, 
selbst  Buchstaben  von  2'"  Höhe  und  entsprechender  Dicke  lesen,  besonders  mit  dem  rech- 
ten, mehr  geübten  Auge.  Sie  musste  aber  jedesmal,  wenn  sie  etwas  genau  sehen  wollte, 
das  betreuende  Auge  stark  einwärts  rollen,  um  neben  der  Linsentrübung  vorbei  zu  sehen. 
Desshalb  konnte  man  eigentlich  nicht  sagen,  sie  schiele,  und  wenn  sie  eben  nichts  fixirte,. 
so  boten  ihre  Augen  einen  leichten  Grad  von  Nystagmus,  wenigstens  nicht  jene  Buhe 
und  symmetrische  Stellung  dar,  die  wir  an  normalen  Augen  zu  finden  gewohnt  sind. 
Um  zu  lesen  musste  sie  die  Schrift  auf  beinahe  zwei  Zoll  nähern  und  das  betreffende 
Auge  so  stark  in  den  innern  "Winkel  stellen,  dass  man  annehmen  musste,  das  Netzhaut- 
bild falle  auf  eine  1 — l'/a'"  einwärts  von  der  Sehnervenpapille  gelegene  Stelle.  Dieses 
Verhältniss  blieb  dasselbe,  als  die  Pupille  vollkommen  schwarz  geworden  war,  und  durch 
mehrere  Jahre  schien  es,  dass  durch  die  Operation  nichts  gewonnen  worden  sei,  indem 
zum  genauem  Sehen  naher  Objecte  das  operirte  Auge  immer  wie  früher  einwärts  gestellt 
wurde  (bei  Verschluss  des  rechten).  Erst  im  Verlaufe  mehrerer  Jahre  gewann  die  Seh- 
kraft in  der  Richtung  der  Sehachse,  und  somit  für  das  Erkennen  entfernter  Objecte. 
Convexgläser  von  allen  möglichen  Brennweiten  vermochten  nicht,  die  Sehkraft  zu  heben, 
auch  nicht  nach  methodischer  Übung.  Der  Erfolg  der  Operation  des  linken  Auges  war 
eben  nicht  hinreichend,  die  ängstliche  Mutter  des  Mädchens  zur  Operation  des  rechten 
Auges  aufzumuntern.  Vergl.  B.  IL  S.  282.  —  Halten  wir  die  für  und  wider  die  Mül- 
ler sehe  Hypothese  zur  Zeit  vorliegenden  Gründe  einander  gegenüber,  so  erscheint  es  bei 
aller  Achtung  vor  den  von  Gräfe  dafür  aufgeführten  Gründen  vorläufig  nicht  gerecht- 
fertigt, sie  als  feststehend  anzunehmen,  bis  nicht  die  Autopsie  (am  Cadaver  oder  mittelst 
des  Augenspiegels)  ihr  entscheidendes  Wort  abgegeben  haben  wird. 

Die  nächste  Ursache  des  Schielens  besteht  in  der  excessiven  Con- 
traction  eines  oder  zweier  Muskeln.  Ein  gewisser  Grad  von  Bigidität, 
von  bleibender  Verkürzung  und  Mangel  an  Ausdehnungsfähigkeit  tritt 
erst  nach  langem  Bestände  anhaltenden  Schielens  ein.  Die  nachtheilige 
Wirkung  dieses  Zustandes  wird  bei  inveterirten  Fällen  noch  unterstützt 
und  gesteigert  durch  das  gegentheilige  Verhalten  der  Antagonisten. 
Desshalb  sind  Fälle  mit  freier  Beweglichkeit  des  Bulbus  nach  der  ent- 
gegengesetzten Pachtung  ceteris  paribus  leichter  zu  heilen.  —  Zu  be- 
rücksichtigen ist  ferner  der  Zustand  der  Sehkraft  und  Sehweite  des 
schielenden  Auges  (relativ  zum  andern).  Wo  man  erwarten  darf,  die 
Sehkraft  und  Sehweite  des  schielenden  Auges  der  des  andern  völlig 
oder  doch  nahezu  gleich  zu  bringen,  lässt  sich  viel  sicherer  auf  Bes- 
serung oder  Behebung   der  fehlerhaften  Stellung,  wo  nicht  auf  ganz- 


320  Augenmuskeln. 

liehe  Heilung  rechnen.  Wo  hingegen  die  Sehkraft  bedeutend  gesunken 
ist,  und  besonders  da,  wo  nur  eine  einwärts  vom  hintern  Pole  gelegene 
Netzhautstelle  noch  ein  leidliches  Sehen  vermittelt,  ist  höchstens  auf 
Verbesserung  der  Stellung  zu  rechnen.  —  Viel  kommt  auch  auf  Ver- 
ständigkeit und  festen  Willen  des  Schielenden  an,  wenigstens  da,  wo 
der  Einfluss  des  Willens  nicht  durch  optische  Hindernisse  oder  durch 
Erkrankung  der  Muskeln  paralysirt  wird.  Mit  Recht  bemerkt  Bälerich, 
dass  Mädchen,  welche  das  Interesse  für  ihr  Äusseres  weit  mehr  spornt 
{und  wohl  auch  ihre  Erzieher),  das  Schielen  häufiger  wieder  ablegen, 
als  Knaben. 

Seit  Dieffenbach's  genialer  Anwendung  der  Myotomie  auf  das  Auge  *) 
ist  die  Heilung  des  Schielens  durch  die  Durchschneidung  des  verkürz- 
ten Muskels  eine  Thatsache,  glänzend  gegenüber  den  schwierigen  und 
so  oft  erfolglosen  Methoden,  welche  die  frühere  Zeit  diesem  so  arg 
entstellenden  Übel  entgegen  zu  setzen  vermochte.  Sie  ist  im  Stande, 
dem  Unglücklichen  die  richtige  Stellung  des  Auges  so  zu  sagen  augen- 
blicklich wiederzugeben,  und  meistens  auch  ohne  weitere  Bemühung 
zu  sichern.  Einen  directen  Einfluss  auf  die  Sehkraft,  wie  man  Anfangs 
hoffte,  hat  sie  jedoch  nicht,  und  ebenso  wenig  kann  und  darf  sie  auch 
heutzutage  für  das  einzige  Mittel  gegen  das  Schielen  erklärt  werden, 
wozu  es  eine  Zeit  lang  den  Anschein  hatte,  denn  nicht  jeder  Fall  von 
Strabismus  erheischt  die  Myotomie,  und  nicht  alle  Fälle,  welche  nicht 
ohne  Myotomie  geheilt  werden  können,  lassen  Heilung  durch  dieselbe 
zu.  Dass  durch  ungehörige  Anwendung  derselben  der  Zustand  schlim- 
mer, statt  besser  gemacht  werden  kann,  wird  ihr  als  solcher  Niemand 
zur  Last  legen. 

Wo  das  Schielen  eben  im  Entstehen  begriffen  ist,  und  noch  nicht 
als  continuirlich  bezeichnet  werden  kann,  lässt  sich  seine  Etablirung 
bisweilen  dadurch  verhüten,  dass  man  die  entfernteren  Ursachen  besei- 
tigt oder  unschädlich  macht,  und  auf  die  Willenskraft  des  Kranken 
einzuwirken  sucht.  Zunächst  untersuche  man,  ob  nicht  etwa  optische 
Hindernisse  vorhanden  seien  und  sich  beseitigen  lassen.  Kann  man 
hierüber  nicht  in's  Klare  kommen,  wie  so  häufig  bei  kleinen  Kindern, 
wenn  sie  keine  sichtbaren  Abnormitäten  darbieten,  und  liegen  nicht 
etwa  ganz  bestimmte  und  glaubwürdige  Anschuldigungen  von  entfern- 
baren Momenten  (Willkür,  Nachahmung,  fehlerhafter  Verwendung)  vor, 
so  lasse  man  fleissig  Acht  geben,  unter  welchen  Verhältnissen  die  Ab- 
lenkung auftritt  oder  gesteigert  wird,  und  empfehle  die  Fernhaltung 
solcher  Verhältnisse  nach  Möglichkeit.  Je  öfter  das  Auge  in  die  fehler- 

*)  Im  December  1839.     Medicin.  Zeitung  vom  Vereine  für  Heilkunde  in  Preussen.     Nr.  51. 


Schielen  —  Behandlung  —  orthopädische.  321 

liafte  Stellung  geräth,  und  je  länger  es  jedesmal  in  derselben  verharrt, 
desto  mehr  droht  Gefahr,  dass  es  endlich  beständig  in  derselben  ver- 
bleibe. So  oft  das  Kind  in  der  fehlerhaften  Stellung  des  Auges  betre- 
ten wird,  suche  man  es  derselben  zu  entreissen.  In  manchen  Fällen 
genügt  es,  das  Kind  einfach  anzureden  und  zum  richtigen  Blick  auf- 
zumuntern, in  andern  muss  man  das  Fixiren  von  Objecten  dadurch 
unterbrechen,  dass  man  mit  der  Hand  vor  dem  Gesichte  vorbeistreicht 
oder  die  Augen  einigemal  nach  einander  schliessen  und  öffnen,  und 
dann  den  Blick  auf  andere  Objecte  lenken  und  für  einen  andern  Horop- 
ter einrichten  lässt,  bei  Convergenz  für  einen  weitern,  bei  Divergenz 
für  einen  engern.  In  manchen  Fällen,  namentlich  bei  optischen  Hinder- 
nissen, müssen  gewisse  Beschäftigungen  (mit  feinen  Spielsachen,  Lesen, 
Stricken  u.  dgl.)  für  eine  Zeit  lang  ganz  untersagt  werden;  in  andern, 
namentlich  bei  Neigung  zur  Kurzsichtigkeit  oder  bei  angeborener 
Stumpfheit  der  Netzhaut  oder  bei  allgemeiner  Muskelschwäche  (nach 
schweren  Krankheiten)  erweist  es  sich  nützlich,  die  Kinder  häufig  in's 
Freie  zu  bringen  und  überhaupt  Einförmigkeit  in  der  Beschäftigung  (im 
Gebrauche  der  Augen)  nach  Möglichkeit  zu  verhüten.  —  Der  Einfluss 
des  Willens  kann  bisweilen,  wie  Jurin  empfohlen  hat,  dadurch  angeregt 
und  zweckmässig  geleitet  werden,  dass  man  das  gesunde  Auge  durch 
die  vorgehaltene  Hand  verdeckt,  und  den  Schielenden,  der  nun  das 
kranke  Auge  gerad  stellt,  anweist,  dieses  Auge  auch  nach  Entfernung 
der  Hand  auf  das  Object  zu  richten.  Hat  er  hierin  einige  Fertigkeit 
erlangt,  so  steht  zwar  das  gesunde  Auge  fehlerhaft;  manche  bringen 
es  aber  doch  dahin,  dass  sie,  indem  sie  mit  der  Schärfe  der  Fixa- 
tion nachlassen,  das  rasche  Fliehen  des  einen  Auges  in  den  Winkel 
temperiren  und  dann  —  zunächst  eine  kurze  Zeit  —  beide  Augen 
richtig  einstellen.  Besonders  gelingt  diess,  wenn  nach  der  Muskel- 
durchschneidung noch  ein  geringer  Grad  von  Schielen  fortbesteht.  Ver- 
ständige Patienten  nehmen  diese  Übungen  selbst  vor,  mit  Hilfe  eines 
Spiegels. 

Wo  Ungleichheit  der  Sehkraft  zu  Grunde  liegt,  erweist  sich  der 
eben  besprochene  Vorgang  häufig  als  ungenügend,  auch  wenn  er  gehörig 
durchgeführt  wird,  dann  nämlich,  wenn  der  schwächere  Eindruck  schon 
heim  gewöhnlichen  Sehen  und  nicht  bloss  beim  Fixiren  und  genauem 
Betrachten  von  Objecten  sich  geltend  macht.  In  solchen  Fällen  sind 
Versuche  mit  Schielbrillen  zu  empfehlen.  Es  sind  deren  3  verschiedene 
Arten  bekannt. 

Die  ältesten  sind  ein  Paar  dunkle  Kapseln,  nussschalenähnlich,  jede  in  der  Mitte  mit 
-einer  kleinen  Öffnung  oder  mit  einer  horizontalen  Spalte  versehen,    welche    an  normalen 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  21 


322  Augenmuskeln. 

Augen  gerade  vor  die  Pupillen  zu  stehen  kommen  -würden.  Diese  Brillen  sind  verwor- 
fen worden,  indem  man,  und  zwar  mit  Recht,  behauptete,  das  einmal  schielende  Auge 
könne  dadurch  nicht  gezwungen  werden,  seine  fehlerhafte  Stellung  zu  verlassen  und 
durch  die  Öffnung  durchzusehen.  Vielleicht  wirken  sie  aber  auch  nicht  auf  diese,  ihnen 
zugemuthete  "Weise.  Es  fordert  immerhin  zur  Vorsicht  auf,  wenn  genaue  Beobachter, 
wie  Ritterich ,  sich  für  deren  Wirksamkeit  aus  Erfahrungsgründen  erklären.  Seit  der 
Einführung  der  stenopäischen  Brillen  von  Donders  möchte  wohl  die  Wirkungsweise  der 
alten  Schielbrillen  anders  zu  interpretiren  sein.  Es  liegt  wenigstens  sehr  nahe,  anzu- 
nehmen, dass  die  Schielbrillen,  die  wesentlich  doch  nichts  Anderes  sind,  als  stenopäische, 
geeignet  seien,  das  schielende  Auge  zum  Mitsehen  geeignet  zu  machen,  indem  sie  die 
Differenz  der  Sehkraft  beider  Augen  mehr  weniger  ausgleichen.  Es  ist  wenigstens  auf- 
fallend, dass  Ritterich  ausdrücklich  bemerkt,  er  habe  bei  Hornhauttrübungen  Nutzen  von 
Schielbrillen  beobachtet.  Es  Hesse  sich  aber  auch  denken ,  dass  Kinder  durch  Schiel- 
brillen gezwungen  werden,  das  Schielen  aufzugeben,  weil  sie  durch  dieselben  gezwun- 
gen sind,  das  nicht  schielende  Auge  immer  in  der  Mitte  der  Lidspalte  zu  halten,  somit 
alle  Objecte  geradeaus  anzusehen ,  und  die  Schiefhaltung  des  Kopfes  zu  vermeiden. 
Dann  würden  sich  diese  Schielbrillen  in  ihrem  Wirkungskreise  an  einige  andere  mecha- 
nische Vorrichtungen  anschliessen,  deren  wir  weiter  unten  gedenken  werden,  und  zu  denen 
besonders  das  bekannte  Volksmittel  gehört,  die  gerade  Haltung  des  Kopfes  durch  eine 
steife  Cravatte  zu  erzwingen.  Wie  dem  auch  sei,  das  steht  fest,  dass  es  verschie- 
dene Mittel  giebt,  welche  ganz  gewiss  nützlich  sind,  trotzdem  wir  nicht  wissen ,  wie  sie 
nützen.  —  Die  zweite  Art  von  Schielbrillen  ist  von  Böhm  angegeben  und  wenigstens  in 
einigen  Fällen  mit  Erfolg  angewendet  worden.  Es  wird  in  einem  gewöhnlichen  Bril- 
lengestelle vor  dem  schielenden  schwächern  Auge  ein  farbloses ,  vor  dem  gesunden  ein 
mehr  weniger  intensiv  blaues  Glas  getragen ,  um  den  Eindruck  des  gesunden  Auges 
abzuschwächen  und  hiedurch  Gleichheit  der  Eindrücke  zu  erzielen.  „Da  es  sich  nicht 
ausführen  lässt,"  —  wie  Böhm  meint  —  „die  gesunkene  Sehkraft  des  erkrankten  Auges 
zur  Zeit  in  ein  gleiches  Verhältniss  mit  der  des  andern  Auges  zu  erheben,  so  steht 
es  uns  doch  frei ,  in  umgekehrter  Weise  die  Sehkraft  des  gesunden  Auges  auf  unschäd- 
liche Weise  vorläufig  in  so  weit  herabzustimmen,  dass  beide  Netzhäute  von  einem  licht- 
gebenden Punkte  wieder  in  gleicher  Weise  gereizt,  mithin  beide  Bulbi  einem  gleichen 
Reflexeinflusse  auf  die  Muskelgruppen  ausgesetzt  werden.  Die  blaue  Farbe  des  einen 
Glases  muss  um  so  intensiver  sein,  je  bedeutender  der  Unterschied  in  der  Sehkraft  der 
Augen  ist,  und  die  Objecte  müssen  in  einem  gemilderten  blauen  Lichte  erscheinen. 
„Erscheinen  die  Gegenstände  noch  in  demselben  Grade  blauer  Färbung,  den  man  dem 
Glase  des  gesunden  Auges  gegeben  hat,  so  ist  der  Reflexeinfluss  auf  diesem  Auge  noch 
nicht  genügend  herabgestimmt,  und  muss  eine  intensivere  Färbung  gewählt  werden,  bis 
durch  die  möglich  werdende  Mitthätigkeit  des  schwächern  Auges  eine  ungefähre  Aus- 
gleichung zur  mittlem  Helligkeit  beider  Gläser  erfolgt."  Erscheinen  dagegen  die  Ob- 
jecte in  ihrer  natürlichen  Farbe,  so  ist  das  Glas  zu  intensiv  blau,  fungirt  bloss  das 
schwächere  Auge,  und  wird  das  gesunde  vom  Sehact  ausgeschlossen."  —  Eine  dritte 
Art  von  Brillen ,  welche  ich  bei  A.  v.  Gräfe  nach  verrichteter  Schieloperation  behufs 
der  völligen  Geradestellung  des  Bulbus  mit  Nutzen  anwenden  sah,  besteht  in  gewöhn- 
lichen Brillen  mit  Plangläsern,  welche  zum  vierten  oder  dritten  Theil,  zur  Hälfte  oder 
zu  2  Dritteln  (von  der  Schläfen-  oder  Nasenseite  her)  undurchsichtig  gemacht  werden 
können.  Wenn  Jemand  mit  dem  linken  Auge  einwärts  schielt,  und  das  rechte  Auge  an 
der  Nasenseite  zum  Theil  verdeckt  wird,  so  kann  dieses  die   betreffende  Region    des    Ge- 


Schielen  —  Behandlung  —  orthopädische.  323 

Sichtsfeldes  nicht  mehr  beherrschen,  und  das  linke  Auge  wird  häufiger  veranlasst,  für 
die  linke  Hälfte  des  Gesichtsfeldes  zu  fungiren.  Zugleich  wird  der  Kranke  zur  gera- 
den Kopfhaltung  gezwungen.  Dieses  Mittel  ist  meines  Erachtens  nicht  nur  bequemer, 
sondern  auch  zweckmässiger,  als  die  von  Darwin  empfohlene  künstliche  Papiernase,  ein 
senkrechter  Steg  auf  dem  Nasenrücken,  welcher  jedes  Auge  so  ziemlich  auf  die  gleich- 
namige Hälfte  des  Gesichtsfeldes  anweist  und  das  Vorherrschen  des  einen  in  dem  Ge- 
biete des  andern  verhindert."*)  Darwin 's  Patient  war  ein  fünfjähriges,  äusserst  füg- 
sames und  gescheidtes  Kind.  Es  schielte  einwärts,  bald  mit  dem  einen ,  bald  mit  dem 
andern  Auge.  Wenn  der  Gegenstand  ihm  auf  der  rechten  Seite  vorgehalten  wurde,  so 
sah  es  denselben  mit  dem  linken  Auge,  und  umgekehrt.  Wurde  ihm  ein  Gegenstand  in 
gerader  Pachtung  vorgehalten,  so  drehte  es  den  Kopf  ein  wenig  auf  die  eine  (rechte) 
Seite,  betrachtete  ihn  nur  mit  dein  entfernteren  (rechten)  Auge ,  und  schielte  mit  dem 
andern.  War  es  endlich  müde,  den  Gegenstand  mit  diesem  Auge  zu  betrachten,  so 
drehte  es  den  Kopf  auf  die  entgegengesetzte  Seite  (links) ,  und  betrachtete  nun  den  Ge- 
genstand eben  so  leicht  mit  dem  andern  (linken)  allein.  Das  Kind  erkannte  und  nannte 
Buchstaben  in  gleichen  Entfernungen  mit  dem  einen  Auge  so  leicht ,  wie  mit  dem  an- 
dern ,  lind  es  liess  sich  überhaupt  kein  Unterschied  zwischen  beiden  Augen  wahrneh- 
men. Man  betrachtete  das  Übel  als  Folge  übler  Gewohnheit.  Darwin  gab  den  Eath, 
eine  künstliche  Papiernase,  einen  Zoll  über  der  natürlichen  emporragend,  tragen  zu  las- 
sen. Das  Kind  fing  an,  statt  den  Kopf  zu  drehen,  um  nach  seitlichen  Gegenständen  zu 
schauen ,  dieselben  mit  dem  betreffenden ,  nicht  wie  früher  mit  dem  entfernteren  Auge 
zu  fixiren.  Der  Heilplan  wurde  jedoch  nicht  beharrlich  ausgeführt,  und  nach  6  Jahren 
fand  Darwin  den  Zustand  wie  früher.  Nun  wurde  eine  Scheidewand  von  Messingblech, 
mit  schwarzer  Seide  überzogen ,  auf  der  Nase  befestigt ,  mittelst  Spangen ,  welche  von 
der  Nasenwurzel  um  den  Kopf  liefen.  Sie  erhob  sich  gegen  2[/'i"  hoch  über  der  Nase. 
Beim  Tragen  derselben  fand  es  die  Patientin  bald  weniger  unbequem,  seitlich  gelegene 
Gegenstände  mit  dem  Auge  zu  betrachten,  welches  denselben  am  nächsten  lag,  statt  dass 
sie  früher  das  entferntere  dazu  verwendet  hatte.  Nachdem  diese  Gewohnheit  durch 
wochenlangen  Gebrauch  des  Instrumentes  geschwächt  worden  war,  wurden  der  Patientin 
zwei  Stückchen  Holz,  von  der  Dicke  eines  Federkieles,  ganz  geschwärzt  bis  auf  1/t"  von 
der  Spitze  aus,  häufig  vorgehalten,  um  darnach  zu  sehen.  Das  eine  wurde  auf  die  eine 
Seite  der  Extremität  des  Instrumentes,  das  andere  auf  die  andere  Seite  desselben  gehal- 
ten. Auf  diese  Weise  gelang  es,  dass  die  Patientin  in  der  nächsten  Woche  eine  halbe 
Minute  lang  beide  Sehachsen  auf  denselben  Gegenstand  richten  konnte.  Indem  sie  diese 
Übung  vor  einem  Spiegel  fast  jede  Stunde  des  Tages  wiederholte,  war  sie  in  der  3.  Woche 
im  Stande,  eine  ganze  Minute  lang  mit  beiden  Augen  zugleich  zu  lesen.  Nach  länger 
fortgesetzter  Übung  erlangte  sie  die  Fähigkeit,  auch  entferntere  Objecte  (bis  zu  4  oder  5') 
mit  beiden  Augen  zugleich  zu  fixiren,  weshalb  Darwin  vollständige  Heilung  vorhersagte. 
Über  die  Anwendung  prismatischer  Gläser,  von  denen  sich  in  vielen  Fällen  Nutzen 
erwarten  lässt,  besitze  ich  noch  keine  eigenen  Erfahrungen.  Vielleicht  dass  Gräfe  una 
bald  mehr  hierüber  mittheilt. 

Wo  die  Sehkraft  des  Auges  in  Folge  von  Unthätigkeit  gesunken 
ist,  versuche  man  dieselbe  erst  durch  methodische  Übung  so  weit  als 
möglich  zu  heben,  ehe  man  irgend  ein  Heilverfahren  gegen  das  Schie- 
len selbst  einschlägt.    Das  gesunde  Auge  werde  mehrmal  des  Tages  auf 

*)  Matenzie  L  c.  S.  247. 

21* 


324  Augenmuskeln. 

einige  Zeit  wohl  verschlossen,  mittelst  der  Finger  oder  eines  gut  an- 
liegenden Verbandes,  Anfangs  nur  3 — 4mal  des  Tages  und  auf  einige 
Minuten,  später  gradatim  öfter  und  länger.  Bei  hochgradiger  Amblyo- 
pie gelingt  es  meistens  nur  mittelst  convexer  Gläser,  das  Auge  noch 
zur  Thätigkeit  anzuregen  oder  doch  in  relativ  kürzerer  Zeit.  Ist  es  ge- 
lungen, die  Sehkraft  völlig  oder  doch  nahezu  wieder  herzustellen,  dann 
darf  man  erwarten,  das  Schielen  auf  orthopädischem  Wege  zu  beheben. 
Die  Angabe  glaubwürdiger  Autoren,  wie  Beer,  dass  Schielen  auf  diese 
Weise  geheilt  worden  sei,  lässt  sich  durch  Gründe  a  priori  nicht  wi- 
derlegen, und  diejenigen,  welche  dagegen  eifern,  dürften  bei  Empfeh- 
lung orthopädischer  Kegeln  nach  verrichteter  Muskeldurchschneidung 
wohl  etwas  inconsequent  werden.  Wenn  aber  auch  die  Beseitigung  des 
Schielens  auf  diesem  Wege  allein  nicht  gelingt,  so  hat  man  durch  diese 
Übungen  gleichsam  der  Operation  schon  vorgearbeitet.  Denn  je  mehr 
das  Auge  zum  directen  Sehen  geeignet  wurde,  desto  leichter  kann  es, 
der  Fessel  des  verkürzten  Muskels  durch  die  Operation  entledigt,  zu 
den  Objecten  richtig  eingestellt  werden,  weil  eben  die  Netzhautfunction 
der  Eegulator  der  Muskelthätigkeit  ist}  und  je  mehr  es  gelungen  ist, 
die  freie  Beweglichkeit  des  schielenden  Auges  vor  der  Operation  wie- 
der herzustellen,  durch  Übung  und  Kräftigung  des  Antagonisten,  desto 
sicherer  wird  man  bemessen  können,  bis  zu  welchem  Grade  man  bei 
der  Operation  von  den  —  später  anzugebenden  , —  Mitteln  Gebrauch 
machen  darf,  das  Auge  nach  der  entgegengesetzten  Seite  beweglich  zu 
machen.  Die  Complication  des  continuirlichen  Schielens  mit  Insuffizienz 
des  Antagonisten  wegen  Mangel  an  hinreichender  Übung  desselben  muss 
vor  der  Operation  so  viel  als  möglich  beseitigt  werden.  Denn,  wenn 
derselbe  erst  nach  der  Operation  wieder  zu  voller  Thätigkeit  gelangt, 
kann  seine  Wirkung  leicht  zu  beträchtlich  ausfallen;  das  Auge  steht 
dann  nach  der  Operation  eine  Zeit  lang  richtig,  wird  aber  allmälig 
nach  der  entgegengesetzten  Seite  abgelenkt,  vielleicht  nur  desshalb,  weil 
die  Durchschneidung  und  Rücklagerung  des  Muskels  nach  der  zur  Zeit 
der  Operation  vorhandenen  Contractionskraft  des  Antagonisten  berech- 
net wurde. 

Je  mehr  das  Auge  von  jeder  anderweitigen  Abnormität  als  der  der 
Ablenkung  frei  ist,  mit  desto  mehr  Aussicht  auf  günstigen  Erfolg  kann 
die  Operation  unternommen  werden.  Als  völlige  Heilung  kann,  streng- 
genommen, nur  jener  Zustand  bezeichnet  werden,  wo  sowohl  die  asso- 
ciirten  als  die  accommodativen  Bewegungen  wieder  zur  Norm  zurück- 
geführt wurden.  Diess  ist  im  Allgemeiuen  nur  dann  möglich,  wenn 
das  früher  schielende  Auge  unter  allen  Verhältnissen  am  Sehacte  Theil 


Schielen  —  Behandlung  —  Operation.  325 

nehmen  kann,  und  wenn  es  die  Function  des  andern  Auges  nicht  durch 
Lieferung  eines  schwächern  Eindruckes  stört.  Wo  demnach  beträcht- 
liche Differenz  in  der  Sehkraft  oder  Sehweite  beider  Augen  besteht, 
wird  man  sich  häufig  bloss  mit  Verbesserung  der  Stellung  des  Auges 
begnügen  müssen ;  das  Auge  weicht  dann  unter  allen  Umständen  in  der 
frühern  Richtung,  nur  in  geringerem  Grade  ab,  oder  es  stellt  sich  bei 
gewissen  Richtungen  des  Blickes  und  Distanzen  der  Objecte  gehörig 
ein,  bei  andern  nicht.  Man  kann  aber  auch,  und  das  bei  ganz  ge- 
hörig ausgeführter  Operation,  in  solchen  Fällen  beträchtlich  differenter 
Sehkraft  oder  Sehweite  eine  mehr  weniger  penible  Verschlimmerung 
herbeiführen,  wenn  nämlich  nach  erfolgter  richtiger  Einstellung  der 
durch  das  gesunde  Auge  zu  Stande  kommende  Eindruck  durch  den  des 
kranken  geschwächt,  mithin  der  gemeinschaftliche  Sehact  unerträglich 
wird.  Unter  solchen  Umständen  ist  es  als  ein  Glück  zu  betrachten, 
wenn  der  Operirte  allmälig  von  dem  Eindrucke  des  schwächern  Auges 
abstrahiren  lernt,  ohne  das  Auge  neuerdings  zu  verdrehen;  aber  nicht 
selten  erfolgt  letzteres,  nach  der  frühern  oder  nach  der  entgegengesetz- 
ten Richtung,  bald  mit,  bald  ohne  Doppeltsehen.  Letzteres  kann  die 
Operirten  Monate,  Jahre  lang  belästigen.  —  Bei  ungehörig  verrichteter 
Operation  bleibt  die  Ablenkung  in  der  frühern  Richtung  zurück  (Schie- 
len), oder  erfolgt  gehinderte  Beweglichkeit  nach  dieser  Richtung  mit 
beständiger  oder  mit  temporärer,  nur  bei  gewissen  Richtungen  und 
Distanzen  hervortretender  Ablenkung  nach  der  entgegengesetzten  Seite 
(Luscitas).  —  Dem  Auge  selbst  bereitet  die  Operation  keine  Gefahr; 
wenn  hie  und  da  ein  Fall  mit  Gefährdung  oder  Verlust  des  Sehver- 
mögens oder  Augapfels  vorgekommen  ist,  so  müssen  ganz  absonderliche 
Fehler  von  Seite  des  Arztes  oder  des  Kranken  vorgefallen  sein.  Am 
Ende  kann  selbst  eine  leichte  Schnittwunde  eines  Fingers  gefährlich 
weiden,  die  in  tausend  und  abermals  tausend  Fällen  ohne  alle  Gefahr 
verläuft.  Der  operative  Eingriff,  den  die  Muskeldurchschneidung  setzt, 
soll  und  kann  jederzeit  so  geringfügig  sein,  dass  die  Heilung  in  8—14 
Tagen  ohne  weiteres  Zuthuu  erfolgt. 

Vor  der  Operation  muss  nebst  der  Sehkraft,  Sehweite,  Beweglich- 
keit der  Bulbi  u.  s.  w.  auch  noch  der  Grad  der  Ablenkung  bei  mittleren 
Distanzen  ermittelt  werden,  um  zu  bestimmen,  ob  man  die  Durchschnei- 
dung  auf  beiden  oder  nur  auf  dem  einen  Auge,  und  in  welcher  Aus- 
dehnung man  dieselbe  werde  vorzunehmen  haben.  Den  Grad  der  Ab- 
lenkung zu  bestimmen,  kann  man  sich  füglich  an  den  Stand  des 
Hornhautrandes  relativ  zum  innern  oder  äussern  Augenwinkel  halten, 
wenn  die  Hornhaut  des  andern  Auges  in  der  Mitte  der  Lidspalte  steht 


32G  Augenmuskeln. 

(bei  gerade  gehaltenem  Kopfe).  Im  normalen  Zustande  kann  der  Horn- 
liautrand  einwärts  bis  zur  halbmondförmigen  Falte,  auswärts  bis  zur 
Commissur  gestellt  werden.  Beim  Schielen,  besonders  beim  convergi- 
renden,  kann  der  Rand,  selbst  die  Hälfte  der  Hornhaut  verborgen  wer- 
den. Diese  excessive  Bewegbarkeit  soll  bis  auf  die  Norm  (nie  viel  dar- 
über) beschränkt  werden.  Als  leichte  Grade  kann  man  bei  Strab. 
convergens  jene  Fälle  bezeichnen,  wo  bei  oben  bezeichnetem  Stande 
des  andern  Auges  der  Hornhautrand  des  schielenden  höchstens  T" 
weiter  einwärts  steht;  als  mittlere  Grade,  wo  derselbe  an  die  halb- 
mondförmige Falte  zu  stehen  kommt;  als  höchste  Grade,  wo  von  der 
Hornhaut  schon  ein  Theil  verborgen  ist.  Zwei  Linien  Ablenkung  nach 
aussen  sind  ohngefähr  so  hoch  anzuschlagen  wie  eine  Linie  nach  innen, 
wenn  sich's  um  den  Einfluss  der  Ablenkung  auf  das  Operationsverfah- 
ren handelt.  Bei  geringerer  Ablenkung  ist  nämlich  meistens  schon  die 
unilaterale  Operation  hinreichend,  und  muss  der  Schnitt  auf  die  Sehne 
des  Muskels  beschränkt  werden;  bei  mittlem  Graden  ist  es  in  der 
Kegel  besser,  beide  Augen  zu  operiren,  und  auch  hier  zunächst  nur  die 
Sehnenfasern  zu  durchschneiden;  man  kann  zwar  durch  ausgiebige  Er- 
weiterung der  Wunde  (Schlitzung  der  T.  vaginalis  bulbi  nach  oben  und 
unten)  Geradstellung  des  Bulbus  erzielen,  doch  nur  für  gewisse  Rich- 
tungen und  Distanzen,  und  riskirt  unvollständige  Beweglichkeit  nach 
Seite  des  durchschnittenen  Muskels  oder  Abweichung  nach  der  ent- 
gegengesetzten Seite  mit  Doppeltsehen.  Bei  höhern  Graden  lässt  sich 
auch  diese  Geradstellung  durch  unilaterale  Operation  nicht  mehr  er- 
zielen, geschweige  denn  das  Schielen  beheben.  Betrüge  z.  B.,  wenn 
bei  gerader  Kopfhaltung  die  Pupille  des  im  Mesoropter  und  in  der 
Medianebene  fixirenden  Auges  nahezu  in  der  Mitte  der  Lidspalte  steht, 
die  Abweichung  des  schielenden  Auges,  nach  dem  Stande  des  Horn- 
hautrandes vergleichungsweise  gemessen,  drei  Linien,  so  kann  die  Cor- 
rection  nur  durch  bilaterale  Durchschneidung  exact  und  ohne  Nachtheil 
für  die  normale  Beweglichkeit  erzielt  werden,  und  es  darf  die  Stellung 
des  erstoperirten  nur  um  1,72,  höchstens  I"1  verbessert  werden,  damit 
für  das  andere  noch  mindestens  V"  zur  Correction  übrig  bleibt.  Es 
ist  aber  viel  schwieriger,  hierin  zu  wenig,  als  zu  viel  zu  thun.  Zu  be- 
wirken, dass  das  Auge  nur  um  V"  nach  der  entgegengesetzten  Seite 
gelenkt  werde,  erfordert  vom  Operateur  weit  grössere  Dexterität,  als 
grössere  Ablenkungen  herbeizuführen.  Ich  zweifle,  dass  es  möglich  ist, 
das  Auge  weniger  als  *\\4"  abzulenken.  Das  einzige  Mittel,  geringere 
Effecte  zu  erzielen,  wäre  vielleicht,  nur  einen  Theil,  etwa  3/i  der  Sehne, 
und   nach   einigen    Tagen  den  Rest  zu  durchschneiden.    Doch  fehlen 


Schielen  —  Behandlung  —  Operation.  327 

mir  hierüber  Versuche.  (Vom  horizontalen  Einschneiden  der  Bindehaut 
oder  von  der  sogenannten  subconjunctivalen  Muskeldurchschneidung- 
habe ich  a  priori  wegen  der  Dehnbarkeit  der  Bindehaut  nichts  er- 
wartet.) 

Dieffenbach  operirte  ohngefähr  auf  folgende  Weise.  Ein  hinter 
dem  Kranken  stehender  Gehilfe  fixirte  die  Lider,  und  zog  sie  beson- 
ders in  dem  betreifenden  Winkel  aus  einander.  Ein  zur  Seite  stehen- 
der Gehilfe  übernahm  die  Haltung  eines  spitzen  Häkchens,  welches  der 
Operateur  nächst  dem  betreffenden  Hornhautrande  in  die  Bindehaut 
eingesenkt  hatte,  um  den  Bulbus  nach  der  entgegengesetzten  Richtung 
zu  iixiren.  Der  Operateur  setzte  ein  zweites  solches  Häkchen  über 
dem  betreffenden  Muskel,  etwas  rückwärts  von  dessen  Insertion,  in  die 
Bindehaut  ein,  und  durchschnitt  nun  mit  einer  nach  der  Schneide 
(rabenschnabelähnlich)  gekrümmten  Scheere  die  durch  die  Spannung 
zwischen  den  Häkchen  entstandene,  horizontal  verlaufende  Bindehaut- 
falte etwas  hinter  der  Insertionslinie  des  Muskels.  Nach  Stillung  der 
Blutung  (oder  Abtupfung  mittels  eines  Schwämmchens)  umging  er  den 
Muskel  mit  einem  bogenförmig  gekrümmten  stumpfen  Haken  (Krüm- 
mungsradius circa  21;2I"),  zog  den  Muskel  hervor,  und  durchschnitt 
ihn  nun  quer  (von  unten  nach  oben)  mit  der  neben  dem  Haken  einge- 
führten Scheere.  —  Dieser  Vorgang  erlitt  mannigfaltige  Modifikationen, 
welche  aufzuzählen  höchstens  historisches  Interesse  haben  würde.  Als 
Nachtheile  kann  man  bezeichnen:  dass  zwei  geübte  Gehilfen  notwen- 
dig sind,  dass  sie  leicht  Ekchymosen  veranlasst,  dass  sie  beim  Hervor- 
ziehen des  Muskels  mit  dem  Haken  starke  Schmerzen  erregt,  und  dass 
der  Muskel  leicht  zu  weit  von  seiner  Insertionsstelle  durchschnitten 
wird.  Ich  beschränke  mich  auf  die  Angabe  des  Verfahrens,  welches 
ich  seit  dem  Jahre  1840  anwende,  und  für  ebenso  zweckmässig  als 
einfach  halte. 

Ich  lasse  das  (zunächst)  nicht  zu  operirende  Auge  mit  der  Hand 
zuhalten  oder  fest  verbinden,  damit  der  Kranke  das  andere  besser  in 
seine  Gewalt  bekomme  und  nach  der  entgegengesetzten  Seite  richten 
könne.  (Der  leichtern  Verständlichkeit  wegen  nehmen  wir  an,  es  sei 
der  R.  internus  des  linken  Auges  zu  durchschneiden. j  Während  nun 
der  Kranke  ein  links  gelegenes  Object  fixirt,  und  der  Assistent  mit  der 
linken  Hand  das  obere,  mit  der  rechten  das  untere  Lid  fixirt,  besonders 
den  innern  Winkel  bloss  legend,  fasse  ich  mit  einer  mittelgrossen 
Blomer^sehen  Pincette  in  der  linken  Hand,  mit  auf-  und  abwärts 
federnden  Armen;  die  Bindehaut  höchstens  3"'  vom  Hornhautrande  ent- 


328  Augenmuskeln. 

fernt*),  hebe  die  Bindehaut  etwas  vom  Bulbus  ab,  dass  sie  eine  Falte 
bildet,  schneide  diese  knapp  an  der  Pincette  (an  der  der  Cornea  zuge- 
wandten Seite)  mit  einer  Dieffe?ibach,$c}ien  Scheere,  die  Convexität 
nach  unten  gerichtet,  vertical  ein,  und  erweitere  die  Wunde  auf-  und 
abwärts  bis  auf  etwa  A'"  Länge.  Sofort  setze  ich  die  Pincette  in  der- 
selben Haltung  senkrecht  oder  unter  einem  wenig  spitzigen  Winkel 
zwischen  den  Wundrändern  vor  dem  bloss  noch  von  der  T.  vagin.  um- 
hüllten Muskel  auf  die  Sclera  auf,  gehe  mit  der  Pincette,  sie  allmälig 
bis  auf  4"'  öffnend  und  dabei  an  den  Bulbus  andrückend,  ein  wenig 
rückwärts,  gleichsam  um  den  Muskel  aus  der  Wunde  hervorzuholen, 
und  fasse  ihn  nun  wie  ein  Flügelfell  durch  Schliessen  der  Pincette. 
Unmittelbar  darauf  schiebe  ich  das  untere  Blatt  der  Scheere,  welches 
nicht  scharf  spitzig  ist,  gleich  einem  Haken  von  unten  zwischen  der 
Sclera  und  dem  Muskel  bis  zu  dessen  oberem  Ende  hinauf,  drehe  die 
Scheere  nun  so,  dass  beide  Blätter  (das  eine  vor,  das  andere  hinter 
dem  Muskel)  flach  am  Bulbus  liegen,  und  durchschneide  somit  in  1 — 2 
Zügen  den  Muskel  in  seiner  Sehne  und  so  knapp  als  möglich  an  der 
Sclera.  Hiemit  kann  die  Operation  —  in  Zeit  von  1  Minute  —  be- 
endet sein.  Wenn  man  jedoch  die  Arme  der  Pincette  nicht  genug 
öffnete,  oder  wenn  man  die  Scheere  nicht  hinter  der  Muskelsehne  hin- 
auf, sondern  unten  oder  oben  durch  dieselbe  durchführte,  so  sind 
Fasern  ungetrennt  geblieben,  und  machen  noch  die  Einführung  eines 
stumpfen  Häkchens  (halb  so  gross  als  das  Diejfeiibach'sche)  nothwendig. 
Wo  man  Ursache  hat,  unvollständige  Trennung  anzunehmen,  vertausche 
man  sofort  die  Pincette  mit  diesem  in  Bereitschaft  liegenden  Häkchen, 
und  sondire,  von  der  Mitte  der  Wunde,  wo  die  Sclera  bloss  liegt, 
knapp  an  dieser  auf-  und  abwärts  streifend,  wo  die  noch  zu  durch- 
schneidende Partie  sitze,  was  man  leicht  an  dem  Widerstände  erkennt, 
auf  den  das  Häkchen  beim  Anziehen  nach  vorn  stösst.  Wo  dieses  der 
Fall  ist,  führe  man  die  Scheere  neben  dem  Häkchen  wie  an  einer 
Leitungssonde  ein,  und  durchschneide  jedoch  nur  die  Sehnenfasern, 
die  man  mit  dem  Häkchen  hervorholt,  ohne  die  Wunde  bis  in  die  seit- 
liche Invagination  des  Muskels  zu  erweitern.  —  Ob  man  am  rechten 
oder  am  linken  Auge,  im  innern  oder  im  äussern  Winkel  zu  operiren 
hat,  das  ändert  weder  die  Bolle  der  Hände,  noch  die  Haltung  der 
Instrumente,  nur  dass. beim  K.  externus  des  linken  und  beim  K.  in- 
ternus des   rechten  Auges  Scheere  und    Pincette  beim  Muskelschnitte 

*)  Nach  manchen,  selbst  noch  in  neuester  Zeit  erschienenen  bildlichen  Darstellungen  der  Operation: 
möchte  man  glauben,  der  E.  internus  müsse  nicht  2x/2,  höchstens  3,  sondern  mindestens  4'"  weit 
vom  Hornhautrande  durchschnitten  werden. 


Schielen  —  Behandlung  —  Operation.  329 

sich  kreuzen  müssen,  damit  der  Muskel  zwischen  der  gefassten  Stelle 
und  der  Sclera,  nicht  aber  auf  der  andern  Seite  der  Pincette  (im  Mus- 
kelfleische) durchschnitten  werde. 

Möge  man  aber  auf  diese  oder  eine  andere  Weise  operiren: 
wesentlich  ist  nur  das,  dass  der  Muskel  so  knapp  als  möglich  am 
Bulbus,  also  in  seiner  Sehne  durchschnitten  werde,  und  dass  man  die 
T.  vagin.  weder  nach  oben  noch  nach  unten  hin  zu  weit  schlitze.  Das 
vordere  Ende  des  Muskels  steckt  in  der  von  ihm  äusserst  schräg 
durchbohrten  T.  vagin.  wie  in  einer  Scheide,  und  hängt  mit  derselben 
so  fest  zusammen,  dass  sich  der  Muskel  nicht  aus  dieser  Invagination 
herausziehen  kann.  Die  eben  gegebene  Vorschrift  gründet  sich  auf 
dieses  anatomische  Verhalten  und  auf  den  Vorgang  der  Heilung  der 
Wunde,  wie  man  ihn  theils  während  des  Lebens,  theils  bei  der  Section 
von  Operirten  beobachtet  hat.  (Zu  letzterer  hatte  ich  2mal  Gelegen- 
heit.) Die  Muskelwundränder,  man  möge  nun  in  dem  sehnigen  oder 
im  fleischigen  Theile  durchschnitten  haben,  treten  nicht  mehr  mit  ein- 
ander selbst  in  Verbindung,  weder  unmittelbar,  noch  durch  eine  Zwi- 
schenmasse, wie  man  in  früherer  Zeit  meinte,  sondern  das  hintere 
Stück  zieht  sich,  so  weit  es  eben  die  Verhältnisse  gestatten,  zurück 
und  verwächst  mit  den  nächst  angrenzenden  Gebilden ,  während  das 
vordere  Stück,  falls  ein  solches  sitzen  geblieben,  allmälig  schrumpft, 
oder  aber  wuchert  und  nachträglich  abgetragen  werden  muss.  Den 
Muskel  nicht  knapp  an  der  Sclera  abschneiden  heisst  also  eigentlich  so 
viel,  als  vorn  ein  Stück  von  ihm  excidiren,  mithin  den  ohnehin  kürzern 
i  contrahirten)  Muskel  noch  kürzer  machen.  Wird  aber  der  Muskel  knapp 
an  der  Sclera  abgeschnitten,  so  hängt  er  durch  die  ihn  hier  fest  um- 
hüllende T.  vagin.  beiderseits  (oben  und  unten)  mit  dem  Bulbus  zu- 
sammen, und  kann  sich  an  diesem  nur  so  weit  zurückziehen,  als  es 
eben  die  Dehnbarkeit  der  T.  vagin.  und  die  Grösse  der  Eröffnung  der- 
selben gestattet.  Wurde  die  T.  vagin.  so  weit  geschlitzt,  dass  der 
darin  haftende  Muskel  sich  bis  zum  Aequator  bulbi  zurückziehen  kann, 
und  dort  anheilt,  so  sinkt  der  Einfluss,  den  dieser  Muskel  fernerhin 
noch  auf  den  Bulbus  üben  kann,  ziemlich  auf  Null  herab,  trotzdem  der 
nächste  Zweck,  Wiedervereinigung  des  vordem  Muskelendes  unmittel- 
bar mit  dem  Bulbus,  erreicht  ist.  —  Wird  aber  der  Muskel  dort  durch- 
schnitten, wo  er  bereits  aus  der  T.  vagin.  herausgetreten  ist,  so  hängt 
er  mit  derselben  höchstens  noch  durch  das  in  die  T.  vagin.  übergehende 
Perimysium  zusammen,  und  kann  nur  mit  diesem  und  dem  benachbar- 
ten fettreichen  Bindegewebe  verwachsen.  Die  Folge  davon  ist  zunächst 
eine    mehr   weniger    starke    Beeinträchtigung    der    Beweglichkeit  des 


330  Augenmuskeln. 

Bulbus  nach  dieser  Seite,  und  gibt  sieb,  bald  unmittelbar  nach  der 
Operation,  bald  erst  nach  erfolgter  Veranlassung  kund.  Ein  geringerer, 
wenn  gleich  noch  immer  beachtenswerther  Übelstand  ist  —  nach 
solcher  Durchschneidung  des  R.  internus  —  Rückwärtsziehung  der 
Caruncula  und  der  halbmondförmigen  Falte. 

Die  nächste  Aufgabe  der  Operation,  zu  bewirken,  dass  der  Muskel 
um  ein  Gewisses  (%<k'"  bis  1  ili'")  weiter  rückwärts  an  die  Sclera  an- 
heile, wird  nicht  erreicht,  wenn  auch  nur  einige  Fasern  (oben  oder 
unten)  ungetrennt  blieben.  Dass  der  Muskel  vollständig  getrennt  sei, 
erkennt  man  häufig  noch  vor  Anwendung  der  Hakensonde  an  dem 
Klaffen  der  Wunde  bei  Wendung  des  Auges  nach  der  entgegengesetzten 
Seite.  Wo  die  Sclera  —  nach  Beseitigung  des  Blutes  —  mitten  in  der 
Wund  rein  weiss  zu  Tage  liegt,  kann  man  überzeugt  sein,  dass  der 
Muskel  völlig  durchschnitten  ist.  Wo  hingegen  die  Beweglichkeit  nach 
der  betreffenden  Seite  zu  sehr  beschränkt  erscheint,  hat  man  gewiss 
die  T.  vagin.  zu  reichlich  geschlitzt. 

Nach  vollendeter  Durchschneidung  lasse  man  das  andere  Auge 
öffnen,  um  die  Stellung  beider  Bulbi  zu  prüfen.  Nach  Durchschneidung 
eines  R.  internus  wird  man  zunächst  finden,  dass  der  Bulbus  etwas  aus 
der  Orbita  vorgetreten  ist.  War  die  Ablenkung  gering,  so  stehen  viel- 
leicht schon  jetzt  die  Bulbi  für  alle  Richtungen  und  Distanzen  richtig 
oder  doch  zu  Objecten,  welche  in  Distanz  von  2 — 3  Fuss  in  der  Me- 
dianebene vorgehalten  werden.  Tritt  für  grössere  Entfernungen  noch 
etwas  Conyergenz  ein,  so  darf  man  bei  entsprechender  Nachbehandlung 
völlige  Heilung  erwarten;  tritt  hingegen  sichtliche  Divergenz  oder  doch 
Doppeltsehen  mit  gekreuzten  Bildern  auf,  so  hat  man  zu  viel  gelöst, 
und  muss  von  den  —  weiter  unten  angegebenen  —  Mitteln  gegen  das 
weitere  Zurückweichen  des  Muskels  bei  der  Anheilung  Gebrauch 
machen.  War  die  Ablenkung  hochgradig,  so  wird,  falls  man  mit  der 
Trennung  nicht  zu  freigebig  war,  das  operirte  Auge  noch  schielen,  oder 
aber,  falls  dieses  sich  in  der  Visio  direeta  zu  behaupten  vermag,  das 
andere,  nur  das  eine  sowohl  als  das  andere  in  geringerem  Grade,  als 
vordem.  Diess  ist's,  was  man  in  solchen  Fällen  eben  zunächst  anzu- 
streben hatte.  Denn  wird  nun  an  dem  zweiten  Auge  die  Durchschnei- 
dung dem  Reste  der  Ablenkung  (dem  jetzigen  Schielwinkel)  entspre- 
chend vorgenommen,  so  ergänzt  dieser  Act  den  ersten.  Wem  dieses 
etwa  nicht  glaubwürdig  erscheint,  der  versuche  es  einmal,  die  Teno- 
tomie  bloss  an  dem  nicht  schielenden  Auge  vorzunehmen ;  bei  geringen 
Graden  von  Schielen  kann  hiedurch  allein  schon  Heilung  bewirkt  wer- 
den. —  Allerdings  könnte  man  die  richtige  Einstellung  der  Sehachsen 


Schielen  —  Behandlung  —  Operation.  331 

dadurch  erzwingen,  dass  man  an  dem  eben  operirten  Auge  die  Tren- 
nung der  T.  vagin.  noch  in  ausgedehnterem  Masse  vornähme;  hiedurch 
würde  man  aber  eben  nicht  eigentliche  Heilung,  sondern  höchstens 
Verbesserung  des  Schielens  erzielen;  es  würde  das  operirte  Auge 
höchstens  für  einige,  niemals  aber  für  alle  Richtungen  und  Distanzen 
richtig  eingestellt  werden  können.  —  Wenn  man  mit  der  Durchschnei- 
dung an  dem  2.  Auge  wartet,  bis  am  1.  feste  Vernarbung  eingetreten 
ist,  so  wird  man  meistens  finden,  dass  entweder  dieses  noch  einmal 
operirt  werden  muss  (falls  sich  noch  ein  hoher  Grade  von  Schielen  er- 
halten hat),  oder  dass  die  Operation  des  2.  Auges  sehr  schwierig  wird, 
weil  sie  (wenn  nur  noch  ein  geringer  Rest  vom  Schielen  geblieben)  auf 
das  Minimum  der  Ablösung  beschränkt  werden  muss.  Falls  aber  auch 
durch  die  unilaterale  Operation  bei  höheren  Graden  von  Schielen  der 
Zweck  lücksichtlich  der  Stellung  der  Sehachsen  so  weit  erreicht  worden 
ist,  dass  man  sich  damit  begnügen  kann,  so  wird  doch  dem  kosmeti- 
schen Zwecke  immer  mehr  weniger  Eintrag  gethan  durch  die  ungleiche 
Lage  der  Bulbi,  die  hier  immer  schon  auffallend  hervortritt,  und 
durch  die  fortbestehende  Schief haltung  des  Kopfes,  welche  oft  nur 
mit  grosser  Mühe  abgelegt  werden  kann,  während  sie  bei  der  bila- 
teralen Operation  so  zu  sagen  durch  den  Operationsact  selbst  be- 
seitigt wird. 

Bei  der  völligen  Gefahrlosigkeit  der  Operation  steht  der  beiderseitigen  Durckschnei- 
dnng  in  einer  Sitzung  (oder  wenig  Tage  nach  einander)  nichts  entgegen,  als  die  Furcht, 
das  Einwärtsschielen  in  Auswärtsschielen  mit  Doppeltsehen  zu  verwandeln.  Dass  diesem 
üblen  Zufalle  vorgebeugt  werden  könne,  ergibt  sich  wohl  aus  dem  bereits  Gesagten ;  dass 
ihm  aber  auch  Avieder  abgeholfen  werden  könne ,  hat  A.  v.  Gräfe  durch  eine  Reihe 
glänzender  Erfolge  bei  inveterirtem  Auswärtss'.ehen  der  Bulbi  nach  excessiver  Internus- 
durchschneidung  dargethan.  So  viel  ich  weiss,  war  die  Mehrzahl  in  diesen  schlimmen 
Zustand  nicht  durch  die  bilaterale,  sondern  durch  unilaterale  Internusdurchschneidung 
versetzt  worden.  Das  Umschlagen  in  lusciöse  Auswärtsstellung  dürfte  demnach  minde- 
stens eben  so  oft  nach  unitaleraler  Durchschneidung  zu  fürchten  sein,  ja  noch  öfter,  in- 
dem man,  um  die  Geradestellung  zu  erzwingen,  den  Muskel  zu  weit  zurücklagern  ,  das 
Auge  dem  Einflüsse  des  Muskels  zu  viel  entziehen  und  dasselbe  somit  gleichsam  ver- 
stümmeln muss.  Übrigens  liegt  der  Grund  des  Umschlagens  in  Strabismus  nach  der 
entgegengesetzten  Pachtung  in  vielen  Fällen  gewiss  nicht  in  fehlerhafter  Verrichtung  der 
Operation,  oder  doch  nicht  vorzüglich  in  dieser,  sondern  vielmehr  darin,  dass  Augen 
operirt  werden,  die  überhaupt  durch  die  Operation  nicht  geheilt  werden  können,  weil 
Complicationen  (optische  Hindernisse,  MuskelinsufScienz)  vorhanden  sind,  welche  erst 
hätten  beseitigt  werden  müssen,  wenn  die  Operation  nicht  so  zu  sagen  „auf  gut  Glück" 
unternommen  werden  sollte.  Es  gibt  Leute,  welche  nach  vollkommen  richtig  verübter 
Operation  wieder  schielen  müssen,  wenn  sie  mit  dem  andern  Auge  gut  sehen  wollen ;  ist 
die  Ablenkung  nach  der  frühern  Richtung  unmöglich,  so  erfolgt  sie  nach  der  entgegen- 
gesetzten Seite  um  so  leichter,  je  weiter  der  Muskel  rückwärts  gelagert  worden  war. 


332  Augenmuskeln. 

Die  Wunde  bedarf  kaum  einer  Nachbehandlung.  Zur  Linderung 
des  brennenden  oder  drückenden  Schmerzes  mag  man  durch  einige 
Stunden  kalte  Überschläge  machen  lassen.  Einschränkung  des  Kranken 
auf's  Zimmer  wird  höchstens  aus  Rücksicht  auf  die  Stellung  der  Bulbi 
nothvvendig.  Bedeutende  Ekchymosen  habe  ich  nicht  mehr  gesehen, 
seit  ich  in  der  oben  beschriebenen  Weise  und  ohne  Lidhalter  operire. 
Wenn  man  an  der  Sclera  einen  Stumpf  zurückliess,  bei  Durchschnei- 
dung im  Muskelfleische,  so  heilt  die  Wunde  langsam,  und  es  erheben 
sich  dann  häufig  von  dem  Stumpfe  aus  Wundgranulationen,  welche  man 
zu  ätzen  empfohlen  hat.  Wenn  mir  dieser  Zufall  —  wie  in  der  ersten 
Zeit  mehrmal  —  begegnete,  so  wartete  ich,  bis  die  Wucherung  an  der 
Basis  durch  die  immer  näher  zusammenrückende  Bindehaut  bis  auf 
einen  dünnen  Stiel  eingeschnürt  worden  war,  wo  sie  sich  dann  leicht 
mit  einer  flach  gebogenen  oder  geraden  Scheere  abtragen  Hess.  — 
Wichtiger  ist  die  sogenannte  orthopädische  Nachbehandlung.  Die 
Grundsätze  derselben  sind  im  Wesentlichen  dieselben,  wie  die,  welche 
wir  der  Operation  vorauszuschicken  empfohlen  und  oben  angegeben 
haben.  Wer  sich  die  Mühe  genommen,  Schielende  ohne  Operation  zu 
heilen,  wird  sich  im  Allgemeinen  auch  zu  helfen  wissen,  wenn  nach 
der  Operation  noch  ein  geringer  Grad  von  Schielen  zurück  bleibt.  Nur 
gegen  geringe  Reste  hilft  die  Orthopädie  in  Fällen,  wo  sie  nicht  auch 
ohne  Operation  ausreichend  gewesen  wäre.  Wo  dem  Erfolge  der  Ope- 
ration nicht  schon  in  vorhinein  eine  zweifelhafte  Prognosis  zu  stellen 
war  (wegen  Complicationen,  von  denen  oben  die  Rede  war),  und  wo 
dieselbe  richtig  ausgeführt  wurde,  da  stehen  die  Bulbi  meistens  schon 
unmittelbar  nach  der  Operation  richtig,  und  das  Verhalten  der  Kranken 
muss  in  Bezug  auf  den  Gebrauch  der  Augen  in  den  ersten  Tagen  und 
Wochen  nur  so  eingerichtet  werden,  dass  die  richtige  Einstellung  nicht 
durch  fehlerhafte  Verwendung  wieder  verrückt  werde.  Bei  insufficienter 
Wirkung  der  Operation  hat  man  empfohlen,  das  noch  fehlerhaft  stehende 
Auge  fleissig  so  verwenden  zu  lassen,  dass  der  Antagonist  mehr  in  An- 
spruch genommen  werde,  die  Wunde  mehr  klaffe,  und  der  Muskel  weiter 
hinten  anheile.  Dagegen  ist  nichts  einzuwenden,  sobald  nicht  zu  viel 
verlangt,  andrerseits  aber  auch  die  Sache  nicht  zu  weit  getrieben  wird. 
Wie  aber  bei  excessiver  Wirkung  der  Operation  das  Zu-weit-zurück- 
weichen  des  durchschnittenen  Muskels  dadurch  verhindert  werden  soll, 
dass  man  den  Kranken  anweist,  nach  der  Seite  des  durchschnittenen 
Muskels  zu  schauen  (bei  Durchschneidung  des  linken  R.  internus  nach 
rechts),  ist  mir  unbegreiflich.  Denn  hiedurch  wird  offenbar  die  Zurück- 
ziehung des  abgelösten  Muskels   eher  begünstigt  (indem  ja  der  R.  in- 


Augenzittern.  333 

ternus  jetzt  den  Bulbus  einwärts  rollen,  mitbin  in  erhöhte  Thätigkeit 
geratken  ruuss,  wie  er  es  denn  auch  thut,  so  gut  es  eben  seine  Ver- 
bindung mit  dem  Bulbus  noch  gestattet).  Will  man  das  Zu-weit-zu- 
riickweichen  des  abgelösten  Muskels  durch  Orthopädie  verhüten,  so 
muss  man  überhaupt  jede  Seitenbewegung  und  jeden  Gebrauch  sowohl 
für  grössere  als  für  nähere  Distanzen  (accommodative  Bewegung)  ver- 
bieten. Am  ehesten,  wenn  überhaupt  etwas,  kann  noch  das  helfen, 
dass  man  beide  Augen  durch  einige  Tage  wohl  verschlossen  halten 
lässt.  Bedeutendes  darf  man  aber  auch  von  diesem  Verfahren  nicht 
erwarten,  und  es  wird  bei  offenbarer  Divergenz  unmittelbar  nach  der 
Operation  besser  sein,  statt  die  beste  Zeit  zu  erfolgreichem  Handeln 
verstreichen  zu  lassen,  lieber  sogleich  zu  einem  operativen  Verfahren 
zu  schreiten,  indem  man  entweder  das  vordere  Ende  des  abgelösten 
Muskels  mittelst  eines  oder  zweier  Hefte  an  die  Binde-  und  Scheiden- 
haut nächst  der  Cornea  befestigt,  oder  indem  man  überdiess  den  R. 
externus  mit  möglichst  geringer  Wundgrösse  durchschneidet.  —  Bei 
veralteter  Auswärtsstellung  des  Bulbus  hat  A.  v.  Gräfe  das  Guerin'sche 
Verfahren,  zweckmässig  modificirt,  mit  dem  besten  Erfolge  angewendet. 
Zunächst  wird  im  innern  Winkel  die  Bindehaut  eingeschnitten,  und  der 
zu  weit  zurückgelagerte  oder  mit  dem  Bulbus  gar  nicht  in  directe 
Verbindung  getretene  Muskel  präparirt,  um  ihn  zur  Wiedervereinigung 
mit  der  Sclera  geeignet  zu  machen.  Sodann  wird  der  R.  externus 
durchschnitten  und  der  hiebei  absichtlich  (in  der  Sclera)  sitzen  gelas- 
sene Stumpf  mit  einer  Fadenschlinge  gefasst,  um  hiemit  den  Bulbus 
bis  zur  Wiederanheilung  des  K.  internus  genügend  einwärts  gelenkt  zu 
erhalten.    Nach  2  —  3  Tagen  wird  der  Faden  entfernt. 


Augenzittern  (Nystagmus  bulbi). 

Mit  diesem  Terminus  pflegt  man  jenen  Zustand  der  Bulbi  zu  be- 
zeichnen, wo  dieselben  in#  beständiger  oscillirender  oder  rotirender  Be- 
wegung sind,  welche  nicht  nur  unwillkürlich  fortbesteht,  sondern  auch 
beim  Bestreben,  den  Blick  fest  auf  irgend  ein  Object  zu  heften,  noch 
stärker  in  die  Erscheinung  tritt.  Manche  Augen  bieten  nur  oscillirende 
Bewegungen  dar,  d.  i.  eine  Eeihe  ganz  kleiner  und  rascher  Schwan- 
kungen oder  Drehungen  um  eine  durch  den  Aequator  bulbi  gehende 
Achse,  demnach  wohl  vermittelt  durch  kurz  auf  einander  folgende 
kleine  Contractionen  und  Extensionen  gerader  Augenmuskeln,  besonders 
des  R.  internus  und  R.  externus  (Nystagmus  oscillatorius).    An  andern 


334  Augenmuskeln. 

bemerkt  man  beständig,  besonders  aber  beim  Bestreben,  irgend  ein 
Object  genauer  zu  sehen,  kleine  rotirende  Bewegungen  um  eine  ohn- 
gefähr  vom  vordem  zum  hintern  Pole  verlaufende  Achse,  also  wohl 
durch  die  M.  obliqui  vermittelt  (Nyst.  rotatorius),  während  noch  andere 
gewissermassen  ein  Gemisch  von  beiden  darbieten,  doch  so,  dass  bald 
das  eine,  bald  das  andere  vorherrschend  in  die  Erscheinung  tritt.  — 
Dieser  Zustand  ist  an  und  für  sich  kein  Gegenstand  der  Behandlung^ 
denn  er  ist  immer  nur  die  Folge  anderer  Übel ;  aber  seine  Betrachtung* 
ist  so  sehr  geeignet,  auf  den  Act  des  Sehens  überhaupt  Licht  zu 
werfen,  dass  wir  nicht  umhin  können,  ihn  einer  etwas  weitläufigeren 
Erörterung  zu  unterwerfen,  als  bisher  geschehen  ist. 

Man  wird  diesen  Zustand  niemals  treffen,  wenn  auch  nur  eines  der 
beiden  Augen  ein  vollkommenes  Gesicht  besitzt.  Das  Gesicht  ist  aber 
nicht  fehlerhaft,  weil  Nystagmus  vorhanden  ist,  sondern  der  Nystagmus 
ist  ganz  bestimmt  jederzeit  die  Folge  mangelhaften  Gesichtes.  Der 
Nystagmus  wird  —  mit  sehr  wenigen  Ausnahmen  —  nur  an  Individuen 
beobachtet,  welche  Fehler  des  Gesichtes  beider  Augen  seit  der  Zeit 
des  1.  Lebensjahres  an  sich  tragen,  Trübungen  der  durchsichigen 
Medien  oder  Amblyopie  aus  was  immer  für  Ursachen.  Wenn  sich 
solche  Zustände  in  späterer  Zeit  entwickeln,  namentlich  wenn  beider- 
seitige Cataracta  oder  Amaurosis  entsteht,  so  pflegen  die  Bulbi  wohl 
auch  häufig  in  Schwankungen  zu  gerathen;  diese  erfolgen  jedoch  bei 
weitem  nicht  so  rasch  und  sind  vielmehr  dem  stets  unbefriedigt  blei- 
benden Drange  zu  sehen  zuzuschreiben.  Wenn  das  Sehhinderniss,  die 
Hornhauttrübung,  die  Cataracta  bei  Zeiten,  ehe  noch  unheilbare  Ab- 
stumpfung der  centralen  Netzhautpartie  dazugetreten  ist,  beseitigt 
wurde,  so  schwindet  der  Nystagmus,  und  zwar  auch  dann,  wenn  die 
Functionsfähigkeit  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  nur  auf  dem 
einen  Auge  wieder  hergestellt  wurde. 

Obwohl  es  bei  Nystagmus  schwer  ist  zu  bestimmen,  ob  beide 
Augen  zugleich  richtig  zu  den  Objecten  eingestellt  werden,  so  gibt  es 
doch  Fälle,  wo  wenigstens  keine  merkliche  Ablenkung  des  einen  Auges 
stattfindet.  Wenn  aber  auch  das  eine  Auge  entschieden  abgelenkt  wird, 
so  partieipirt  es  doch  an  den  oscillirenden  oder  rotirenden  Bewegungen 
des  andern.  Auch  ein  ganz  erblindetes,  z.  B.  phthisisches  Auge  par- 
tieipirt am  Nystagmus  des  andern.  In  den  meisten  Fällen  wird  aber, 
wenn  beide  sehfähig  sind,  auch  das  zum  Betrachten  von  Objecten  ver- 
wendete bessere  Auge  nicht  mit  dem  Netzhautcentrum  dem  Objecte 
zugewendet,  sondern  mit  einer  excentrischen  Region.  Der  Nystagmus 
hindert  übrigens  nicht,  dass    sowohl  assoeiirte  als  aecommodative  Be- 


Augenzittern.  335 

wegungen  auftreten,  wenn  auch  Dicht  mit  jener  Ruhe  und  Stetigkeit  im 
Fortschreiten,  wie  im  gesunden  Zustande.    Vergl.  B.  III.  S.  48. 

Ich  glaube  nicht  zu  irren,  wenn  ich  annehme,  der  Nystagmus  er- 
folge im  Dienste  des  Sehactes.  Dieser  kann  nicht  gehörig  erfolgen, 
weil  entweder  ein  unvollständiges,  zu  lichtarmes  Bild  entworfen  wird, 
oder  weil  durch  eine  ausgedehnte  centrale  Trübung  die  Mac.  lutea  vom 
Sehen  ausgeschlossen  wird,  oder  wegen  Blendung  (durch  diffuses  oder 
reflectirtes  Licht,  bei  durchscheinenden  Trübungen,  bei  Chorioideal- 
spaltung  —  Coloboma,  bei  Pigmentmangel  —  Albinismus)  oder  endlich 
wegen  Netzhaut-,  Sehnerven-,  Hirnleiden  j —  Hydrocephalus  chronicus. 
Ist  nun  die  Netzhaut  aus  was  immer  für  einer  Ursache  schon  in  früher 
Jugend  in  ihrer  Function  gehindert,  und  zwar  auf  beiden  Augen,  ist 
der  Eindruck,  den  sie  dem  Sensorium  bringt,  ungenügend,  so  tritt 
Nystagmus  auf,  als  eine  Reihe  rasch  auf  einander  folgender  Reflexbe- 
wegungen, um  dadurch,  dass  dieselbe  Netzhautstelle  rasch  nach  einan- 
der wieder  von  denselben  Lichtstrahlen  getroffen  wird,  ehe  noch  die 
Schwingungen  von  der  nächst  vorhergehenden  Erregung  verschwunden 
sind,  den  Eindruck  zu  potenziren.  Die  Schwingungen  oder  Rotationen  er- 
folgen meines  Erachtens  rascher,  als  man  eine  Flamme  im  Kreise  herum- 
zudrehen im  Stande  ist.  Vergl.  B.  III.  S.  34.  So  wie  ein  gesundes  Auge  ein 
Object,  das  wegen  zu  geringer  Erregung  der  Netzhaut  schon  jenseits 
der  Grenze  der  Wahrnehmung  liegt,  noch  wahrnehmen  kann,  sobald 
dieses  in  rasche  Bewegung  geräth,  so,  möchte  ich  sagen,  erkennt  das 
mit  unvollständiger  Sehkraft  ausgerüstete  Auge  Objecte  oder  sieht  sie 
doch  besser,  sobald  dieselben  rasch  hinter  einander  demselben  vorge- 
führt werden.  Denn  es  ist  wohl  eins,  ob  das  Object  sich  so  bewegt 
oder  das  Auge.  Desshalb,  wenn  ich  nicht  irre,  tritt  der  Nystagmus 
besonders  dann  auf,  wenn  sich's  darum  handelt,  irgend  ein  Object  ge- 
nauer zu  erkennen.  Gäbe  es  also  auch  ein  Mittel,  den  Nystagmus  zu 
heben :  könnte  ich  nicht  zugleich  das  Sehhinderniss  beseitigen,  so  würde 
ich  auch  jenes  Mittel  unbenutzt  lassen. 


X.   Buch. 

Die  Augenlider,  palpebrae. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Die  constituirenden  Theile  der  Augenlider  sind:  die  Haut,  der 
Kreis-  oder  Schliessmuskel,  die  beiden  Lidknorpel,  welche  die  Mei- 
bom'sehen  Drüsen  in  sich  einschliessen,  innen  mit  der  Bindehaut  über- 
zogen sind,  und  durch  die  obere  und  untere  Augenlidbinde  (fascia  tarso- 
orbitalis  sup.  et  inf.)  so  wie  durch  das  innere  und  ausseife  Augenlidband 
(ligamentum  canthi  seu  palp.  intern,  et  extern.)  mit  dem  Orbitalrande 
des  Knochengerüstes  verbunden  werden ;  längs  ihres  freien  Bandes  sind 
die  Haarzwiebeln  der  Cilien  zwischen  dem  Schliessmuskel  und  dem 
Knorpel  eingepflanzt,  und  in  den  convexen  Rand  des  oberen  Knorpels 
inserirt  sich  (mittelbar)  der  Aufheber  des  oberen  Lides,  welcher  hinter 
der  obern  Augenlidbinde  auf-  und  rückwärts  verläuft  (zur  Spitze  der 
Orbita).     Im  innern  Augenwinkel  liegen  die  Thränenröhrchen. 

1.  Lage.  Die  Haut,  in  der  Gegend  der  Augenbrauen  ungewöhn- 
lich dick,  und  unterhalb  des  untern  Augenhöhlenrandes  besonders  fett- 
reich, ist  im  Bereiche  der  Augenhöhlenöffnung  ungemein  dünn  (gegen 
die  Lidränder  hin  wie  Papier),  fettlos,  sehr  dehnbar  und  mit  der  2.  Lage 
(dem  Orbicularmuskel)  durch  ein  sehr  lockeres  Bindegewebe  verbun- 
den; bloss  an  den  Augenlidbändern,  besonders  am  innern,  dem  sie  un- 
mittelbar aufliegt,  und  an  den  Lidrändern  haftet  sie  fest;  sonst  lässt  sie 
sich  überall  leicht  in  Falten  erheben  und  isoliren,  ist  zu  blutigen  und 
serösen  Infiltrationen  sehr  geneigt,  dagegen  der  Entwicklung  von  Fu- 
runkeln und  Balggeschwülsten  nur  noch  in  der  Nähe  des  Orbitalran- 
des günstig.  Durch  zahlreiche,  nur  äusserst  feine  Schmeerdrüschen 
wird  die  Cutis  der  Lider  nicht  nur  geschmeidig  erhalten,  sondern  auch 
in  demselben  Masse,    wie  die  Cutis  überhaupt,    gegen  Benetzung  ge- 


Anatomie.  337 

schützt.  Dass  der  Augenlidhaut  auch  die  Sehweisskanälchen  nicht  ab- 
gehen, sieht  man  beim  Schwitzen.  Die  Haarbildung  ist  nur  durch 
äusserst  dünne  und  farblose  Härchen  vertreten,  welche  vom  Orbital- 
rande gegen  die  Cilien  hin  allmälig  an  Zahl  und  Grösse  abnehmen. 

2.  Lage.  Der  Augenlidschliessmuskel  reicht  als  ein  membranar- 
tig dünner  Kreismuskel,  dessen  Fasern  grösstenteils  zu  demselben  Ge- 
bilde zurückkehren,  von  dem  sie  entspringen,  mit  seinen  peripherischen 
Fasern  oben  bis  unter  die  Augenbrauen,  unten  bis  vor  die  Fossa  canina, 
aussen  etwa  *  -i"  über  den  Orbitalrand  hinaus,  während  die  innersten 
(kürzesten)  Fasern  längs  der  Lidränder  und  knapp  an  denselben  ver- 
laufen. Die  meisten  Fasern  desselben  entspringen  vom  Ligam.  palpebr. 
internum,  einem  dichten,  zelligfibrösen  Bändchen,  welches  knapp  vor 
der  Thränensackrinne  vom  Stirnfortsatze  des  Oberkieferknochens  ent- 
springt, mit  auf-  und  abwärts  gerichteten  Flächen  circa  3;"  lang  hori- 
zontal auswärts  verläuft,  und  au  eben  diesen  Flächen  den  Muskelfasern 
zur  Anheftungsstelle  dient,  während  der  vordere,  etwas  abwärts  gerollte 
Eand  mit  der  Cutis,  der  hintere  dagegen  mit  dem  Thränensacke  fest 
zusammenhängt.  Obwohl  dieses  Bändchen  von  vorn  nach  hinten  1 J/2 — 
2'"  breit  ist,  reichen  seine  Flächen  doch  nicht  hin,  die  zahlreichen  Mus- 
kelfasern alle  aufzunehmen,  sondern  es  inseriren  sich  viele  derselben 
noch  an  der  Leiste  des  Oberkieferknochens  vor  dem  Thränensacke, 
während  andere  vom  Thränenbeinkamme  (hinter  und  besonders  über 
dem  Thränensacke)  aus  der  Tiefe  kommen,  um  an  dem  Verlaufe  der 
mehr  oberflächlich  entsprungenen  Theil  zu  nehmen.  An  seiner  Peripherie 
hängt  er  oben  mit  Fasern  des  Muse,  frontalis  und  Corrugator  superci- 
liorum,  unten  mit  dem  M.  zygomaticus  minor  und  levator  alae  nasi  et 
labii  superioris  zusammen.  Die  über  den  Orbitalrand  hinausragenden 
Fasern  liegen  nicht  dicht  aneinander,  sondern  lassen  Lücken  zwischen 
sich,  durch  welche  dichtere  Bindegewebsfasern  vom  Coriuni  und  Pan- 
niculus  adiposus  der  Cutis  zu  der  Unterlage  des  Muskels  streichen. 
Diese  Bindegewebsfasern  heften  den  Muskel  gewissermassen  an  die 
Cutis,  und  vermitteln  die  Hereinziehung  der  benachbarten  Cutis  über 
den  Orbitalrand,  sobald  die  peripherischen  Fasern  des  Kreismuskels 
sich  stark  verkürzen.  Besonders  zahlreich  und  viel  straffer  angezogen 
sind  die  genannten  Bindegewebsfasern  in  der  Gegend  der  äusseren 
Commissur  der  Lider  zwischen  der  Cutis  und  den  unter  den  Muskel- 
fasern liegenden  fibrösen  Gebilden  (Ligamentum  palp.  externum  und 
Periosteum) ,  so  dass  die  zwischen  ihnen  durchgehenden  Muskelfasern 
an  ihrer  Umbiegungsstelle  vom  obern  zum  untern  Lide  sich  nie  weit 
von  ihrer  Unterlage  entfernen,  also  auch  die  Cutis,  in  welche  sich  übri- 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  22 


338  Augenlider. 

gens  manche  Fasern  zu  inseriren  scheinen,  hier  nie  so  bedeutend  ver- 
schieben können,  wie  oben  und  unten.  —  Über  der  obern  und  untern 
Augenlidbinde  und  über  dem  Knorpel  liegen  die  Muskelfasern  mehr 
gedrängt  aneinander,  aber  sehr  dünn;  erst  gegen  den  Lidrand  hin,  be- 
sonders am  untern  Lide,  liegen  sie  nicht  nur  dicht,  sondern  auch  dicker 
oder  mächtiger,  und  wurden  desshalb  von  Albinus  als  eigener  Muskel 
beschrieben.  Diese  Lage  (portio  minor)  ist  es,  welche  den  Lidschluss 
zunächst  bewirkt,  während  die  peripherische  (portio  major)  mehr  die 
Herbeiziehung  der  Cutis  und  der  Augenbrauen  behufs  kräftigeren  Lid- 
schlusses und  stärkerer  Beschattung  des  Auges  vermittelt.  Längs  des 
Lidrandes  von  der  äusseren  Commissur  bis  zu  den  Thränenpunkten  be- 
decken die  innersten  Fasern  zunächst  das  dunkelfarbige  Bindegewebe, 
in  welchem  die  Haarzwiebeln  der  Cilien  eingebettet  sind,  dann  streichen 
sie  quer  über  das  verticale  Anfangsstück  der  Thränenröhrchen,  und  um- 
hüllen dann  diese  letzteren  von  drei  Seiten,  bloss  deren  Innenseite  zur 
unmittelbaren  Anlagerung  der  Bindehaut  an  dieselben  frei  lassend,  bis 
diese  Kanälchen  kurz  vor  ihrer  Einsenkung  in  den  Thränensack  end- 
lich ringsum  von  ihnen  umfangen  werden. 

3.  Lage.  Diese  Lage,  welche  hauptsächlich  von  der  obern  und 
untern  Augenlidbinde,  von  dem  äussern  und  innern  Augenlidbande  und 
von  den  Knorpeln  gebildet  wird,  und  vermöge  ihres  unmittelbaren  Über- 
ganges in  die  Beinhaut  am  Orbitalrande  gewissermassen  als  Ergänzung 
des  Knochengerüstes  betrachtet  werden  kann,  lässt  sich  trotz  des  sehr 
lockeren,  durch  äusserst  dehnbares  Bindegewebe  vermittelten  Zusam- 
menhanges der  Muskelschicht  mit  derselben  desshalb  nicht  gar  leicht 
bloss  legen  und  als  Continuum  präpariren,  weil  die  Augenlidbinde  nicht 
straff  gespannt  ist  und  stellenweise  nicht  nur  sehr  dünn,  sondern  auch 
durchbrochen,  oder  doch  bloss  von  Bindegewebe  gebildet  erscheint.  In 
der  Nähe  des  Orbitalrandes  jedoch,  besonders  vor  der  Thränendrüse, 
und  an  einzelnen  breiteren,  sehnenartig  glänzenden  Streifen  ist  die  fibröse 
Natur  dieser  Fascie  nicht  zu  verkennen.  Man  kann  diese  Fascie  ge- 
wissermassen als  Fortsetzung  der  Beinhaut  betrachten,  indem  man  sich 
vorstellt,  die  Beinhaut  steige  vom  Orbitalrande  herab,  um  den  Knorpel 
an  seiner  Aussenfläche  als  Perichondrium  zu  überziehen,  schlage  sich 
auf  dessen  Innenfläche  um,  und  streiche  dann,  mit  dem  absteigenden 
Blatte  verschmolzen,  wieder  aufwärts,  jedoch  nicht  um  wieder  zum  Or- 
bitalrande zurückzukehren,  sondern  um  zur  Fascia  s.  tunica  vaginalis- 
bulbi  zu  gelangen.  Über  dem  Orbital-  oder  convexen  Rande  des  Tar- 
sus trennt  sich  nämlich  von  der  in  Rede  stehenden  Augenlidfascie  eine 
zellig-fibröse  Membran  als  Unterlage  der  Conjunctiva  palp.  ab,   schlägt 


Anatomie.  339 

sieh  mit  derselben  auf  den  Bulbus  und  verschmilzt  hier  mit  der  T.  va- 
ginalis. Nebstdem  aber  geht  von  der  Innenfläche  der  Augenlidfaseie, 
vvo  hinter  ihr  die  Thränendrüse  liegt,  ein  Ausläufer  ab,  welcher  sich 
zwischen  die  obere  und  untere  Thränendrüse  einschiebt,  und  erstere 
stützt,  indem  er  sich  hinter  ihr  in  die  Periorbita  inserirt.  In  der  Mitte 
des  oberen  Lides,  wo  sich  der  M.  levator  palp.  super,  in  die  Augen- 
lidfascie  mit  einer  gegen  v.i"  breiten  dünnen  Sehne  inserirt,  schickt  sie 
einen  ziemlich  starken,  zellig-fibrösen  Überzug  für  diesen  Muskel  ab, 
so  wie  sie  endlich  weiter  einwärts  (gegen  die  Nase)  durch  eine  solche 
Fortsetzung  mit  der  Scheide  zusammenhängt,  welche  die  Sehne  des  M. 
obl.  super,  umhüllt.  Im  Bereiche  des  untern  Lides  verhält  sie  sich  zur 
Bindehaut  und  T.  vagin.  bulbi  so,  wie  oben;  unter  ihren  äussern  drei 
Yiertheilen  birgt  sie  bloss  Orbitalfett,  gegen  den  Thränensack  her  aber 
bedeckt  sie  unmittelbar  den  Ursprung  des  M.  obl.  inferior,  und  dann 
die  äussere  (kleinere)  Hälfte  des  Thränensackes ,  mit  dessen  fibrösem 
Überzuge  sie  einwärts  einer  schräg  aufsteigenden  Linie  verschmilzt, 
welche  vom  Ansatzpunkte  des  Innern  Randes  des  Obl.  inf.  bis  zum 
Ligam.  palp.  internum  aufsteigt.  —  Sowohl  hinter  dem  bereits  beschrie- 
benen inneren  Augenlidbande  als  auch  hinter  dem  etwas  dichteren,  zel- 
lig-fibrösen Gewebe,  welches  als  Continuum  der  genannten  Fascie  zwi- 
schen den  äussern  Enden  der  Lidknorpel  und  dem  benachbarten  Theile 
des  Orbitalknochenrandes  ausgespannt  ist,  und  das  äussere  Augenlid- 
band genannt  wird,  befindet  sich  eine  ziemlich  mächtige  Lage  dichten 
und  fettlosen  Bindegewebes,  welches  zur  Befestigung  des  genannten 
Fasciengerüstes  an  das  Skelett  bestimmt  zu  sein  scheint,  ohne  die  Be- 
weglichkeit des  von  demselben  getragenen  Bulbus  zu  beeinträchtigen. 

Die  Knorpel  können  füglich  als  elastisch-biegsame  Träger  der  Mei- 
bomschen  Drüsen  betrachtet  werden,  indem  gerade  nur  so  viel  Band- 
faserknorpelmasse vorhanden  zu  sein  scheint,  als  zum  Binden  dieser 
Drüsen  erforderlich  ist.  In  der  Mitte  ist  der  obere  4'"  (31/ar-4l/<)»  der 
untere  T"  breit.  Ihre  Länge  beträgt  mehr  als  \".  Gegen  die  Schläfe 
hin  enden  sie  mehr  zugespitzt:  unmittelbar  an  ihr  inneres,  quer  abge- 
stutztes Ende  legt  sich  das  Anfangsstück  eines  jeden  Thränenröhrchens. 
Die  Acini  der  J/e^ow'schen  Drüsen,  mitten  in  der  Knorpelsubstanz  ein- 
gebettet, daher  an  der  Aussenfläche  (nach  Beseitigung  der  Cutis  und 
des  Muskels)  so  gut  wie  an  der  Innenfläche  durch  die  (beinahe  durch- 
sichtige) Bindehaut  als  gelbliche  Körnchen  sichtbar,  sind  reihenweise 
von  oben  nach  unten  um  je  einen  Ausführungsgang  gruppirt.  Die  Aus- 
führungsgänge münden  in  einer  Reihe  neben  einander  am  Lidrande., 
welche  der  innern  scharfen  Kante  desselben  näher  liegt,  als  der  äussern 

22* 


340  Augenlider. 

stumpfen,  und  theils  durch  die  blosse  Ansicht,  theils  durch  Ausquetschen 
des  wasserhellen  flüssigen,  doch  fettigen  Secretes  leicht  erkannt  wer- 
den kann.  Fest  oder  talgähnlich  wird  das  Secret  dieser  Drüsen  nur 
durch  Vertrocknen  an  der  Luft  oder  nach  langer  (krankhafter)  Zurück- 
haltung im  Ausführungsgange.  Die  Linie,  in  welcher  die  Mündungen 
der  Meibomschen  Drüsen  liegen,  ist  zugleich  die  Marke  zwischen  Cutis 
und  Conjunctiva.  Die  Follikel  sowohl  als  die  Ausführungsgänge  sind 
mit  Pflasterepithelium  ausgekleidet. 

Der  Lidrand  zeigt  sowohl  an  dem  untern  als  an  dem  obern  Lide 
deutlich  eine  innere  scharfe,  vom  Knorpel  gebildete,  und  eine  äussere 
mehr  stumpfe  von  der  Cutis  gebildete  Kante,  aus  welcher  die  Wimpern 
in  einer  Reihe  längs  derselben,  doch  nicht  einzeln,  sondern  immer  zu 
mehreren  über  einander  stehend  (besonders  am  obern  Lide)  hervor- 
sprossen. Sind  die  Lider  geschlossen,  so  berühren  sie  sich  mit  ihren 
linearen  Randflächen  (zwischen  der  äussern  und  innern  Kante)  voll- 
kommen, ohne  zwischen  sich  und  dem  Bulbus  einen  Raum  (dreikanti- 
gen Kanal,  Thränenbach)  übrig  zu  lassen,  wie  ich  nach  Durchschnitten 
an  gefrornen  Köpfen  mit  Bestimmtheit  behaupten  darf.  Die  Zwiebeln 
der  Wimperhaare  liegen  am  obern  Lide  etwa  \'",  am  untern  3/*"'  tief 
(von  der  Randfläche  des  Lides  an  gerechnet)  in  einem  etwas  dunkel- 
farbigen Bindegewebe  eingebettet,  zwischen  dem  Knorpel  und  den 
Schliessmuskelfasern,  daher  das  Lid,  so  weit  die  Cilien  hineinreichen, 
auch  etwas  dicker  ist,  als  höher  oben  (respect.  tiefer  unten).  An  den 
Zwiebeln  befinden  sich  zahlreiche  Talgdrüschen. 

4.  Lage.  Der  Aufheber  des  obern  Augenlides  (M.  levator  palp. 
super.)  entspringt  am  obern  Umfange  des  Sehnervenloches,  hängt  An- 
fangs noch  mit  dem  M.  r.  internus  und  r.  superior  zusammen,  trennt 
sich  von  letzterem,  den  er  in  seinem  Laufe  nach  vorn  von  obenher  be- 
deckt, erst  in  der  Gegend  des  Bulbus,  und  breitet  sich  dann,  ringsum 
von  einem  ziemlich  mächtigen  Fettlager  eingehüllt,  fächerartig  aus,  und 
verliert  sich  mit  einer  dünnen  breiten  Sehne  in  die  oben  beschriebene 
Augenlidfascie ,  welche  somit  seine  Verbindung  mit  dem  Lidknorpel 
vermittelt.  Er  steht  demnach  mittelst  dieser  Fascie  auch  mit  den  ob- 
genannten  Ausläufern  derselben  in  Verbindung. 

Ihre  Arterien  erhalten  die  Lider  theils  von  der  Carotis  interna 
(vorzüglich  von  der  Nasenseite  her)  durch  die  Art.  ophthalmica  mittelst 
der  Art.  supraorbitalis ,  palpebralis  (interna),  frontalis  und  lacrynialis, 
theils  von  der  Carotis  externa  (vorzüglich  von  aussen  und  unten  her) 
durch  die  Art.  maxillaris  externa  s.  facialis  mittelst  der  Art.  angularis, 
durch  die  Art.  temporalis  (superficialis)  mittelst  der  Art.  transversa  faciei 


Anatomie.  341 

und  zygoniatico-orbitalis  (s.  supraorbitalis  externa),  endlich  durch  die 
Art.  mcLvillar/'s  externa  mittelst  des  Kam.  temporalis  profundus  und  der 
Art.  infraorbitalis.  So  wie  au  der  Iris  kann  man  auch  an  den  Lidern  einen 
äussern  grössern  und  innern  kleinern  Gefässkranz  unterscheiden,  gebil- 
det durch  directe  und  anastomosirende  Zweige  der  genannten  Arterien. 
Der  grössere  entspricht  der  Lage  nach  ohngefähr  dem  Orbitalrande, 
und  ist  besonders  oben  (unter  den  Augenbrauen)  deutlich  als  Kranz 
ausgesprochen;  der  kleinere  schlingt  sich  nahe  um  die  Lidspalte,  ver- 
läuft dem  Lidrande  parallel  und  nur  1 — l1^'"  davon  entfernt,  mithin 
nächst  dem  Haarzwiebelboden  zwischen  dem  Tarsus  und  M.  orbicularis. 
Vom  innern  Winkel  her  wird  er  durch  zwei  Endäste  der  Art.  opkthal- 
mica  gebildet.  Da,  wo  die  Art.  ophthalmica  unterhalb  der  Trochlea 
aus  der  Orbita  heraustritt,  sendet  sie  die  Art.  palpebr.  interua  seu  tarsea 
superior  ab,  welche  alsbald  den  genannten  Verlauf  nimmt,  während  der 
zweite  Ast,  die  Art.  palp.  interna  seu  tarsea  inferior  erst  unter  dem  in- 
nern Theile  des  Ligam.  palp.  internum  abwärts  dringen  muss,  um  an 
den  Lidrand  zu  gelangen.  Diesen  beiden  Ästen  kommen  vom  äussern 
"Winkel  her  verschiedene  Zweige  entgegen,  vorzüglich  aber  zwei  End- 
zweige der  Art.  lacryrnalis  als  Art.  palp.  externa  s.  tarsea  superior  und 
inferior,  und  schliessen  den  ziemlich  spitzigen  Bogen  etwa  2'"  jenseits 
der  äussern  Commissur  (dem  dünnen  Hautbändchen  zwischen  den  Lid- 
knorpeln). —  Die  Venen  der  Augenlider,  flacher  und  grösstentheils  un- 
mittelbar unter  der  Haut  gelegen,  und  in  ihrem  Verlaufe  den  Muskel- 
fasern viel  weniger  als  die  Arterien  entsprechend,  treten  erst  gegen 
den  Orbitalrand  hin  in  grössere  Äste  zusammen,  welche  bereits  unter 
der  Fascie  liegen  und  daselbst  eine  Art  Kranz  bilden,  aus  welchem  ihr 
Blut  theils  in  die  Tiefe  zur  Vena  ophthalmica  fliesst,  welche  im  innern 
Augenwinkel  beginnt  und  durch  die  obere  Augenhöhlenspalte  zum  Sinus 
cavernosus  führt,  theils  zur  Vena  facialis  mittelst  der  Vena  supraorbi- 
talis (längs  des  Augenbrauenrunzlersj,  der  Vena  angularis  (die  mit  der 
ophthalmica  anastomosirt),  Vena  temporalis  superficialis,  transversa  fa- 
ciei  und  anderer  kleineren  Zweige.  —  Die  Saugadern  folgen  dem  Ver- 
laufe der  Venenstämme. 

Mit  sensitiven  Nervenfasern  werden  die  Lider  sehr  reichlich  ver- 
sehen vom  1.  und  2.  Aste  des  Trigeminus,  mit  motorischen  der  Auf- 
heber des  obern  Lides  vom  Oculomotorius,  der  Schliessmuskel  vom  Fa- 
cialis ;  mit  den  Gefässen  verbreiten  sich  Fasern  vom  Sympathicus. 

Die  Augenlider  dienen  den  Augen  nicht  bloss  zum  Schutze  gegen 
fremde  Körper,  grelles  Licht,  grosse  Hitze  oder  Kälte  u.  dgl.,  sie  stehen 
auch  zur  Secretion,  Vertheilung  und  Fortschaffung  der  Thränen  in  naher 


342  Augenlider. 

Beziehung,  und  vermögen  selbst  den  Sehact  direct  zu  beeinflussen, 
theils  durch  Teinperirung  des  Lichtes,  theils  durch  Druck  auf  den  Bul- 
bus. So  lange  der  Bulbus  nicht  so  weit  in  die  Orbita  zurücksinkt, 
dass  eine  gerade  Linie,  vom  äussern  Orbitalrande  bis  zur  Anheftungs- 
stelle  des  innern  Augenlidbandes  am  Oberkieferknochen  gezogen,  durch 
oder  gar  über  die  Cornea  hinwegstreicht  —  und  ein  so  starkes  Zu- 
rücksinken kommt  wohl  nur  bei  äusserster  Abmagerung  vor  —  so  lange 
inuss  auch  der  Muse,  orbicularis  mit  seiner  innern  Portion  gewölbt  (die 
Convexität  nach  vorn  gerichtet)  über  den  Bulbus  verlaufen.  Demnach 
schmiegen  sich  die  Lider  stets  an  den  Bulbus  an,  und  kann  niemals 
Luft  zwischen  ein  Lid  und  den  Bulbus  eindringen,  ausser  bei  sehr  tief- 
liegenden Augen  während  rascher  Lidbewegungen,  was  dann  ein  backen- 
des oder  quatschendes  Geräusch  (Schotengeräuschj  erzeugt.  Da  nun 
der  höchste  Punkt  des  Augapfels  höher  (weiter  vorn)  liegt,  als  die  fixen 
Punkte  des  Orbicularis,  und  demnach  die  Lider  beim  Schlüsse  durch 
den  Orbicularis  am  Bulbus  aufsteigen  müssen,  so  erhellt,  dass,  wenn 
ein  Lid  aus  was  immer  für  einer  Ursache  umgestülpt  ist,  die  Umstül- 
pung bei  jeder  stärkern  Contraction  des  Schliessmuskels  stärker  her- 
vortreten müsse.  —  Zurückdrücken  kann  der  Schliessmuskel  den  Bul- 
bus nur  bei  geschlossenen  Lidern  und  excessiver  Contraction;  eine 
Compression  (Formveränderungj  des  Bulbus  kann  hiebei  wahrscheinlich 
nicht  stattfinden,  weil  das  retrobulbäre  Fettgewebe  compressibel  ist. 
Wenn  aber  der  Bulbus  bei  offener  Lidspalte  abwärts  gerichtet  ist,  kann 
der  Orbicularis  allem  Anscheine  nach  wohl  mittelst  des  obern  Lides 
auf  den  Bulbus  so  drücken,  dass  derselbe  in  der  Sehachse  etwas  ver- 
längert wird.  Vergl.  oben  über  Weitsichtigkeit.  —  Zu  bemerken  ist, 
dass  wir  willkürlich  und  je  nach  Bedürfniss  bald  die  Portio  major, 
bald  die  Port,  minor  s.  interna  vorzugsweise  in  Wirksamkeit  treten 
lassen  können,  indem  wir  bei  relativ  geringer  Contraction  des  Muse. 
Albini  die  Stirn-,  Schläfen-  und  Wangenhaut  stark  hereinziehen,  oder 
aber  gewissermassen  nur  den  M.  Albini  wirken  lassen.  Wollen  wir 
ein  Auge  allein  scliliessen,  so  ist  diess  wohl  immer  nur  mittelst  der 
Portio  major  und  minor  zugleich  möglich.  Zu  bemerken  ist  ferner, 
dass  wir,  wenn  wir  bei  Fixirung  eines  Gegenstandes  die  Lidspalte  ver- 
engern wollen,  nur  das  untere  Lid  hinaufziehen,  dass  wir  diess  wenig- 
stens thun  können,  ohne  den  Stand  des  obern  Lides  merklich  zu  än- 
dern. Es  ist  also  bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine  selbstständige 
und  isolirte  Bewegung  des  untern  Lides  gestattet.  —  Die  Hebung  des 
obern  Lides  wird  durch  den  vom  N.  oculomotorius  versehenen  Augen- 
lidheber vermittelt;  zur  Senkung  des  untern  Lides  ist  kein  eigener  Mus- 


Anatomie.  343 

kel  vorhanden.  Die  Hebung  des  obern  und  die  Senkung-  des  untern 
Lides  ist  aber  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  vom  M.  rectus  supe- 
rior  und  inferior  abhängig.  Sobald  der  M.  orbicularis  nicht  entgegen- 
wirkt, muss  bei  Abwärtsrollung  der  Hornhaut  durch  den  ß.  inferior 
auch  das  untere  Lid  abwärts  gezogen  werden,  weil  die  Tunica  vagi- 
nalis bulbi  durch  die  unter  der  Lidbindehaut  fortgehende  Fascie  mit 
der  Fascia  tarso-orbitalis  in  Verbindung  steht.  Auf  gleiche  Weise,  nur 
in  geringerem  Grade,  muss  auch  das  obere  Lid  schon  vermöge  dieses 
Zusammenhanges  der  Fascien  etwas  gehoben  werden,  sobald  der  E. 
superior  die  Pupille  aufwärts  rollt,  und  auch  das  untere  Lid  folgt  dem 
Zuge  dieses  Muskels.  Desshalb  kann  die  Stellung  des  Bulbus  nur  bei 
gelindem  "Wechsel  zwischen  Öffnung  und  Schliessung  der  Lidspalte 
ruhig  bleiben,  hat  jeder  starke  Lidschlag  auch  momentane  Bewegung 
des  Augapfels  zur  Folge.  —  Da  ferner  die  Augenlidbinde  auch  mit 
jener  Fascie,  welche  die  Thränendrüse  stützt,  in  continuirlichem  Zu- 
sammenhange steht,  so  wirkt  der  Lidschlag  in  ähnlicher  Weise  bethä- 
tigend  auf  die  Thränensecretion  ein,  wie  die  Thätigkeit  der  Kaumus- 
keln auf  die  Speichelsecretion.  Auf  den  durch  die  Thätigkeit  des 
Schliessmuskels  in  Gang  gesetzten  und  erhaltenen  Mechanismus  der 
Fortleitung  der  Thränen  können  wir  erst  im  nächsten  Buche  eingehen, 
und  begnügen  uns  vorläufig  nur  mit  der  Bemerkung,  dass  insufficiente 
oder  aufgehobene  Action  des  M.  orbicularis  jederzeit  Thränenträufeln  — 
von  gehinderter  Ableitung  der  Thränen  —  im  Gefolge  hat.  —  Wenn  bei 
Ectropium  von  Substanzverlnst  der  Cutis  die  Fascia  tarso-orbitalis  un- 
versehrt ist,  so  ist  Heilung  viel  leichter  möglich,  als  wenn  wegen  Zer- 
störung und  Verschrumpfung  dieser  Fascie  der  convexe  Rand  des  Knor- 
pels gegen  den  Orbitalrand  gezogen  oder  gar  mit  demselben  verwach- 
sen ist.  —  Wenn  excessive  Contraction  des  Orbicularis  durch  längere 
Zeit  besteht  oder  häufig  nach  einander  erfolgt,  so  wird  der  Eückfluss 
des  Blutes  aus  den  Hautvenen  behindert;  die  Folgen  davon  sind:  Aus- 
tritt von  Serum  (Odern)  und  Erweiterung  der  Venen  (oder  beides). 
Daher  findet  man  bisweilen  schon  nach  anhaltendem  Weinen  die  Lid- 
ränder etwas  angelaufen.  —  Das  Überfliessen  der  Thränen  wird  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  verhindert  durch  die  Beölung  des  Lidrandes 
mittelst  der  Meimbomschen  Drüsen.  Wo  deren  Mündungen  obliterirt 
oder  durch  ein,  operatives  Verfahren  zerstört  sind,  leiden  die  Kranken 
häufig  an  Excoriationen  der  Lidränder.  Ob  sich  die  Thränen  mit  dem 
Secrete  der  Meibomschen  Drüseu  mischen,  ist  meines  Wissens  noch 
unerwiesen.  —  Indem  die  Fasern  des  Schliessmuskels  bis  zur  äussern 
Kante  des  Lidrandes  reichen,  würden  sie   die  unter  ihnen  liegenden 


344  Augenlider. 

Wimpern  gegen  den  Bulbus  drücken,  wenn  nicht  die  innere  scharfe;, 
vom  Knorpel  gebildete  Kante  eine  stützende  Unterlage  gewährte;  wo 
demnach  diese  Kante  abgeflacht  ist,  erhalten  die  Cilien  eine  einwärts 
gekehrte  Richtung.  —  Wenn  bei  Personen,  deren  Bulbi  von  Natur  aus 
eine  mehr  flache  Lage  hatten,  Abmagerung,  Zurücksinken  der  Bulbi 
und  Runzelung  der  Haut  eintritt,  so  sind  die  Lider  (von  einem  Winkel 
zum  andern)  relativ  zu  lang  und  können  sich  längs  der  Ränder  nicht 
mehr  genau  an  den  Bulbus  anschmiegen,  besonders  in  der  innern  Hälfte ; 
die  Bindehaut  der  Lider,  nicht  für  den  Contact  mit  der  Luft  geschaf- 
fen, erleidet  zunächst  vom  Lidrande  aus  dieselben  Veränderungen,  wie 
aus  ihren  Höhlen  vorgefallene  Schleimhäute  (Vagina,  Rectum)  und  wird 
eben  desshalb  und  wegen  Verlängerung  des  Lidrandes  auswärts  ge- 
stülpt, während  in  andern  Fällen  unter  den  gleichen  mechanischen  Ver- 
hältnissen heftigere  Contractionen  des  M.  orbicularis,  durch  Reizung 
der  Bindehaut  oder  des  Bulbus  (fremde  Körper,  Verwundungen,  Ent- 
zündungen) angeregt,  zu  Einwärtsstülpung  des  verlängerten  Lidrande& 
führen.  Diese  Verhältnisse  machen  sich  jedoch  nur  an  dem  untern 
Lide  geltend.  —  Soll  dem  Streben  des  M.  orbicularis  und  corrugator 
superciliorum  entgegengewirkt,  das  obere  Lid  behufs  einer  Operation  am 
Bulbus  mit  den  Fingern  tixirt  werden,  so  muss,  da  der  Muskelzug  nach 
unten  und  einwärts  geht,  der  Gegenzug  die  Richtung  nach  oben  und 
einwärts  nehmen.  Vergl.  Bd.  II.  S.  305.  —  Sind  in  der  Gegend  der 
Augenlider  Einschnitte  zu  machen  oder  Hautstücke  auszuschneiden,  so 
macht  es  schon  die  Kosmetik  wünschenswerth ,  sich  wo  möglich  nach 
dem  Verlaufe  der  Muskelfasern  zu  halten. 


B.    Krankheiten  der  Augenlider.*) 

I.    Entzündliche  Zustände. 

\.  Die  phlegmonöse  und  erysipelatöse  Hautentzündung  kommt  sel- 
ten auf  die  Lider  allein  beschränkt  vor,  und  bietet,  auch  wenn  dieses 
der  Fall  ist,  keine  Besonderheiten  dar.  Man  hat  eben  nur  Acht  zu 
geben,  dass  man  die  entzündlichen  Erscheinungen  nicht  auf  eine  blosse 
Hautaffection  bezieht,  wo  dieselben  durch  anderweitige  Affectionen 
(Thränensackentzündung,    Bindehautblennorrhöe,    Gerstenkorn,   heftige 

*)  Dasjenige,  was  sich  bei  Kcnntniss  der  Anatomie  schon  nach  den  allgemeinen  medicinisch-chirurgi- 
sehen  Grundsätzen  erkennen  und  behandeln  lässt,  z.  B.  Verletzungen,  Verbrühungen,  Rothlauf  der 
Lider  u.  s.  w.,  glaube  ich  hier  füglich  übergehen  zu  dürfen. 


Krankheiten  —  Entzündungen.  345 


=>l 


Chorioiditis  u.  dgl.)  bedingt  sind.  Ist  Eiterung-  eingetreten ,  so  mache 
man  Incisionen  nach  dem  Verlaufe  der  Fasern  des  Schliessmuskels,  be- 
vor es  noch  zu  Eitersenkung  oder  ausgebreiteter  Zerstörung  der  Cutis 
gekommen  ist.  —  Nach  Erysipel  bleibt  besonders  bei  scrofulösen  Indi- 
viduen gern  eine  blasse,  schmerzlose,  pastöse  Anschwellung  der  Lider 
zurück,  bisweilen  so  bedeutend,  dass  die  Lidspalte  kaum  geöffnet  wer- 
den kann.  Einreibungen  von  Jodkaliumsalbe,  besonders  aber  Aufstrei- 
chen von  Jodtinctur  erwiesen  sich  —  bei  allgemeiner  Behandlung 
—  als  die  wirksamsten  Mittel  gegen  dieses  lästige  und  hartnäckige 
Übel. 

2.  Furunkeln  entwickeln  sich,  so  viel  ich  bis  jetzt  beobachten 
konnte,  nur  in  der  Gegend  des  Orbitalrandes,  namentlich  unterhalb 
der  Augenbrauen,  und  bieten  nichts  Besonderes  dar.  Man  hat  sich  nur 
zu  hüten,  dass  man  diese  umschriebene  Entzündung,  die  sehr  bald  zu- 
gespitzt erscheint  und  an  der  Spitze  einen  gelben  Punkt  wahrnehmen 
lässt,  nicht  mit  umschriebener  Hautentzündung  als  Folge  von  Periostitis 
und  Caries  verwechselt,  welche  besonders  in  der  äussern  Hälfte  des 
Orbitalrandes  gern  ihren  Sitz  aufschlägt.  Auch  hier  erfordert  die  Ge- 
fahr der  Eitersenkung  bei  Zeiten  eine  hinreichend  ausgiebige  Incision. 
Carbunkeln  an  den  Lidern  sah  Carron  du  Villards  nach  der  Aufnahme 
deletärer  Stoffe  in  die  Hautfollikel  entstehen. 

3.  Grosse  Ähnlichkeit  mit  der  eben  besprochenen  Form  bieten  um- 
schriebene Entzündungen  des  Cnterhautzellgeioebes  dar,  welche  beson- 
ders in  der  Nähe  des  obern  Augenhöhlenrandes  vorkommen  und  be- 
deutende Schwellung  des  ganzen  Lides  verursachen.  Ich  sah  diese 
Form  bis  jetzt  nur  bei  jungen  Leuten.  Meistens  bildet  sich  sehr  bald 
über  der  zuerst  infiltrirten.  Stelle  ein  gelber  Fleck,  wo  der  massenhaft 
angesammelte  Eiter  durchscheint.  Näher  gegen  den  Lidrand  hin  oder 
in  der  Gegend  der  Commissuren  führt  die  Entzündung  des  subcutanen 
Bindegewebes  nur  zu  kleinen  oberflächlichen  Eiterherden  ohne  be- 
trächtliche Infiltration  der  Umgebung.  Einfache  Incision  reicht  hin, 
dem  Processe  ein  Ende  zu  machen. 

4.  Als  Entzündung  der  Meibomschen  Drüsen  fassen  wir  die  unter 
dem  Namen  Gersten-  und  Hugelkoim  (Hordeolum  et  Chalazion)  be- 
kannte Affection  der  Lider  auf.  —  Das  Gerstenkorn  wird  seit  Himly 
gewöhnlich  als  Furunkel  des  Lides  betrachtet.  Wenn  man  jedoch  Ge- 
legenheit hat,  diese  Affection  vom  ersten  Beginn  an  zu  beobachten,  so 
überzeugt  man  sich  bald,  dass  dieselbe  nicht  von  der  Cutis  ausgeht, 
und  noch  weniger  von  einem  Hautfollikel,  wie  der  Furunkel,  sondern 
dass  die  Cutis  erst  consecutiv  ergriffen  wird,  in  Folge  von  Ablagerung* 


346  Augenlider. 

eines  umschriebenen  Exsudates  am  Knorpel  selbst,  welches  im  Allgemei- 
nen um  so  früher  schmilzt,  je  rascher  die  Setzung  desselben  erfolgte, 
und  je  näher  die  Cutis  demselben  liegt.  Das  Gerstenkorn  sowohl  als 
das  Hagelkorn  kommt  jederzeit  nur  im  Bereiche  oder  zunächst  des 
Knorpels  vor.  Erfolgt  die  Exsudatablagerung  in  der  äussern  Fläche 
des  Knorpels  nahe  am  Lidrande  oder  nächst  der  äussern  oder  innern 
Commissur,  und  in  kurzer  Zeit,  so  verräth  sie  sich  zunächst  durch 
leichte  Röthe  und  ödematöse  Schwellung  der  darüber  liegenden  Cutis, 
begleitet  von  um  so  heftigeren  stechenden  oder  drückenden  Schmerzen, 
Thränenfluss  und  Lichtscheu,  je  weniger  die  Cutis  wegen  Easchheit 
der  Ablagerung  oder  wegen  Fixirung  an  den  Knorpel  und  das  Augen- 
lidband nachgeben  kann.  Längs  des  Lidrandes,  wo  die  Cutis  am  dünn- 
sten ist  und  am  wenigsten  ausweichen  kann,  wird  demnach  die  über 
dem  Exsudate  liegende  Partie  sehr  bald  hoch-  und  dunkelroth,  dann 
in  der  Mitte  gelb,  zugespitzt  und  in  3 — 5  Tagen  durchbrochen;  in  der 
Gegend  der  Augenlidbänder  dagegen,  wo  die  Cutis  dicker  und  minder 
straff  angeheftet  ist,  kommt  es  erst  nach  stärkerem  Ödem  der  Umge- 
bimg und  unter  heftigen  Schmerzen  zum  Durchbruche  der  Cutis  und 
Entleerung  des  Abscesses  (ohne  Pfropf,  und  ohne  bleibend  sichtbare 
Narbe  wie  beim  Furunkel).  Mitunter  erfolgt  auch  Resorption  ohne 
Entstehung  eines  gelben  Punktes.  Man  kann  dann  eben  nur  durch 
Betasten  mit  dem  Finger  an  der  Empfindlichkeit  und  Härte  einer  um- 
schriebenen Stelle  erkennen,  woher  die  Zufälle  stammen.  Dasselbe  ist 
der  Fall,  wenn  die  Ablagerung  des  Exsudates  höher  oben  (respective 
unten)  oder  an  der  Innenfläche  des  (obern)  Lides  stattfand,  und  entwe- 
der Resorption,  oder  aber  Durchbruch  durch  die  Bindehaut  erfolgt.  Dann 
pflegt  die  Affection  scheinbar  an  Wichtigkeit  noch  dadurch  zu  gewinnen, 
dass  wohl  auch  Odem  der  Conj.  bulbi  dazu  kommt,  wenn  das  Exsudat 
rasch  in  Schmelzung  geräth.  Beim  Furunkel  ist  die  Stelle  (der  Follikel), 
von  welcher  die  Affection  ausgeht,  gleich  beim  Beginn  der  Zufälle  an 
der  Haut  sichtbar,  und  bleibt  es  bis  zur  Ausstossung  durch  Eiterung. 
Nicht  selten  kommt  es  nicht  zum  Durchbruche,  weder  nach  aussen, 
noch  nach  innen,  und  auch  nicht  zu  baldiger  Resorption.  Diess  ge- 
schieht in  einigen  Fällen  wahrscheinlich  desshalb,  weil  die  Setzung  des 
Exsudates  allmälig  und  ohne  beträchtliche  Erweichung  und  seröse  Durch- 
feuchtung der  Umgebung  erfolgt  und  zunimmt ;  in  andern  Fällen  scheint 
die  Nachgiebigkeit  der  das  Infiltrat  bedeckenden  Gebilde  die  Ursache 
zu  sein,  dass  weder  heftige  Schmerzen  noch  bedeutende  Schwellung 
auftreten,  Muskel  und  Cutis  darüber  bloss  verdrängt,  nicht  aber  durch- 
bohrt werden.     Diess  ist  der  Fall,   wenn  die  Infiltration  etwas  weiter 


Entzündungen  —  Gersten-,  Hagelkorn.  347 

vom  Lidrande  entfernt  oder  nächst  dem  convexen  Knorpelrande  statt- 
findet. Hier  werden  die  Muskelfasern  erst  dann  auseinander  gedrängt 
und  die  Cutis  darüber  gerötbet  und  gespannt,  wenn  die  Geschwulst  die 
Grösse  einer  halben  Zuckererbse  oder  Haselnuss  erreicht  hat.  Nur 
wenn  das  Infiltrat  nicht  über  2'"  weit  vom  Lidrande  sein  Centrum  hat 
und  eine  beträchtliche  Grösse  erlangt,  geschieht  es  bisweilen  nach  lan- 
gem Bestände,  dass  die  darüber  gespannte  und  dunkelroth  gewordene 
Haut  an  der  erhabensten  Stelle  verschwärt.  Dieser  Ausgang,  der  übri- 
gens nicht  nothwendig  völlige  Entleerung  oder 'Resorption  des  Infiltra- 
tes zur  Folge  hat,  kann  auch  durch  Auflegen  von  Pflastern  oder  Kata- 
plasmen  herbeigeführt  werden.  Diess  sind  die  sogenannten  Hagelkör- 
ner. Wir  halten  sie  nach  der  Ansieht  der  meisten  Beobachter,  wenn 
auch  nicht  für  verhärtete,  so  doch  für  solche  Gerstenkörner,  welche 
weder  durch  Resorption,  noch  durch  Eiterung  und  Ausstossung  bald 
beseitigt  wurden.  Andere  haben  sie  für  Balggeschwülste  oder  für  ein 
Product  chronischer  Entzündung  des  Lidknorpels  erklärt. 

Ganz  analog  ist  der  Process,  wenn  die  Entzündung  von  Meibom'- 
schen  Follikeln  ausgeht,  welche  an  der  Innenfläche  des  Knorpels  und 
uahe  an  der  Bindehaut  liegen.  Der  Ausgangspunkt  liegt  hier  wegen 
der  Durchsichtigkeit  der  Bindehaut  klar  zu  Tage.  Auch  hier  tritt  der 
doppelte  Fall  ein,  dass  entweder  rasche  Ablagerung,  Eiterung  und  Ent- 
leerung oder  aber  allmälige  Ausscheidung  und  Anhäufung  von  Exsudat 
mit  Verdrängung  und  Wucherung  der  Bindehaut  erfolgt.  Letzteres  fin- 
det besonders  dann  statt,  wenn  der  Sitz  der  Exsudation  an  oder  unweit 
von  dem  Lidrande  ist.  Bei  Untersuchung  des  schmerzhaften,  licht- 
scheuen und  häufig  thränenden  Auges  findet  man,  dass  hinter  einer 
Stelle,  wo  der  Lidrand  etwas  röther  und  wohl  auch  dicker  erscheint, 
ein  Follikel  oder  ein  Ausführungsgang  mit  Eiter  gefüllt  ist,  falls  man 
die  Affection  nicht  schon  zeitig  zu  Gesicht  bekommt,  wo  bloss  Röthe 
und  Schwellung  der  afficirten  Stelle  zu  sehen  ist.  Später  sieht  man 
wohl  auch  die  Ausmündungsstelle  des  betroffenen  Drüsenstranges  als 
weissen  Punkt  an  der  dunkelrothen  und  geschwellten  Stelle  des  Lid- 
randes. Man  kann  dann  der  Affection  rasch  ein  Ende  machen,  indem 
man,  scheinbar  noch  untersuchend,  den  Lidrand  zwischen  die  Daumen 
bringt,  und  den  Eiter  aus  dem  Ausführungsgange  ausdrückt.  Liegt  der 
Eiterherd  weiter  hinter  dem  Lidrande,  so  ineidire  man  die  ihn  be- 
deckende Bindehaut.  —  In  andern  Fällen  kommt  es  nicht  zur  Eiterung 
oder  doch  nicht  zur  Beendigung  des  Processes  trotz  theilweiser  eitriger 
Schmelzung,  sondern  es  wird  die  Bindehaut  an  der  betreffenden  Stelle 
allmälig  emporgehoben,  wohl  auch  verdickt,  und  es  bildet  sich,  wenig- 


348  Augenlider. 

stens  am  Lidrande,  eine  dem  äussern  Hagelkorn  ganz  analoge  Erschei- 
nung. Es  erhebt  sich  nämlich  von  der  innern  Lidkante  eine  dunkel- 
rothe  Geschwulst  oder  Excrescenz,  welche  an  der  innern  (dem  Bulbus 
zugewendeten  Fläche)  platt,  an  der  in  die  Lidspalte  hereinragenden 
Seite  etwas  gewölbt,  und  an  dem  convexen  Rande  dazwischen  scharf- 
kantig ist.  Trägt  man  eine  solche  Excrescenz  mit  einer  Scheere  ab, 
was  im  Allgemeinen  das  beste  Mittel  zu  ihrer  Beseitigung  ist,  so  erhält 
man  eine  ähnliche  Masse  als  Inhalt  derselben,  wie  wenn  man  die  als 
Chalazien  bekannten  Geschwülste  untersucht.  Hinter  solchen  Excres- 
cenzen  findet  man  dann  den  entsprechenden  Drüsenstrang  noch  von 
gerötheter  und  geschwellter  Bindehaut  bedeckt,  oder  schiefergrau,  spä- 
ter obliterirt,  Überhaupt  findet  man  bei  Individuen,  welche  an  äus- 
sern oder  innern  Gersten-  oder  Hagelkörnern  gelitten  haben,  selten 
einmal  alle  Meibomschen  Drüsen  normal.  Eine  häufige  Folge  solcher 
Exsudationen  sind  die  an  der  Innenfläche  des  Tarsus  sitzenden  Kalk- 
concremente,  welche  man  wohl  auch  als  Thränensteine  beschrieben  hat, 
oder  noch  immer  für  Product  eingedickten  Drüsenschmeeres  hält.  Sie 
sind  an  der  Innenfläche  dasselbe,  was  die  verkalkten  Chalazien  an  der 
Aussenfläche. 

Balggeschwülste  habe  ich  wohl  ziemlich  oft  über  oder  nächst  dem  Orbitalrande, 
niemals  aber  im  Bereiche  der  Lidknorpel  gefunden.  Die  Geschwülste,  welche  von  jeher 
Chalazien  genannt  wurden ,  kommen  aber  immer  nur  im  Bereiche  des  Tarsus  vor.  Sie 
sitzen  jederzeit  mit  breiter  Basis  (wie  eine  halbirte  Kugel)  fest  auf  dem  Knorpel,  und 
lassen  sich  nur  mit  diesem  zugleich  verschieben.  Sie  zeigen  nie  eine  besondere ,  innen 
glatte  Hülle,  nie  einen  honig-  oder  breiartigen  Inhalt,  niemals  Haarbildung,  die  in  den 
am  Orbitalrande  sitzenden  häufig  vorkommt.  Öffnet  man  eine  solche  Geschwulst,  so 
findet  man,  falls  sie  noch  nicht  über  3 — 4  Wochen  besteht,  eine  doppelte  Masse  als  In- 
halt, nämlich  eine  eitemrtige  Flüssigkeit,  und  eine  halbfeste,  sulzartige,  lichtgraue  Sub- 
stanz ,  welche  sich  jedoch  nur  durch  Druck  aus  der  Wunde  ausquetschen  lässt,  und 
etwas  körnig  ist,  ähnlich  dem  Barenchym  einer  weichen  Pflaume  oder  weissen  Kirsche. 
Diese  Masse  zeigt  unter  dem  Mikroskope  nebst  Exsudatkörnern  und  Fettkugeln  zahl- 
reiche Epithelialzellen.  Offnet  man  später,  etwa  bis  zur  8.  Woche,  so  findet  man  neben 
dieser  Masse  mir  noch  ein  wenig  Flüssigkeit,  und  zwar  trüb,  nur  wenig  Eiterkugeln 
enthaltend,  oder  auch  klar  und  dünn.  Noch  später  ist  auch  von  dieser  nichts  mehr 
vorhanden,  umschliesst  das  etwas  verdichtete  umgebende  Bindegewebe  bloss  die  ge- 
nannte sulzige,  jedoch  etwas  derbere  und  schwerer  ausdrückbare  Masse.  Oft  kann  man 
sie  nicht  ganz  entfernen.  Diess  ist  indess  kein  Hinderniss  gegen  die  Heilung.  Die  auf 
den  Einschnitt  und  das  Ausdrücken  folgende  Eeaction  reicht  in  der  Eegel  hin,  völlige 
Resorption  der  zurückgebliebenen  Beste  in  8 — 14  Tagen  einzuleiten.  Bei  Balggeschwül- 
sten genügt  bekanntlich  die  einfache  Tncision  und  Entleerung  des  Inhaltes  nicht.  Wenn 
aber  solche  Geschwülste  sich  viele  Monate  lang  überlassen  bleiben,  und  nicht  entweder 
spontamer  Durchbruch  und  Entleerung  durch  die  Cutis  oder  Conjunctiva,  oder  spontane 
gänzliche  Resorption  eintritt,  so  pflegt  der  Best  des  Infiltrates  endlich  zu  verkalken.    Dass 


Entzündungen  —  Gersten-,  Hagelkorn.  349 

solche  Geschwülste  jemals  den  Herd  zur  Krebsablagerung  abgeben,   ist  unwahrscheinlich; 
das  Infiltrat  ist  \ind  bleibt  structurlos. 

Stülpt  man  ein  Lid,  welches  eine  solche  Geschwulst  darbietet,  um,  so  wird  man  häufig 
finden,  dass  die  Bindehaut  an  der  entsprechender  Stelle  und  in  demselben  Umfange,  wie 
aussen  die  Basis  derselben ,  geröthet  und  sammtartig  aufgelockert  erscheint.  Hat  die 
Geschwulst  schon  lange  gedauert,  so  findet  man  wohl  auch  mitunter  den  Band  dieser 
gerötheten  und  gewulsteten  Partie  etwas  über  die  nächste  Umgebung  umgeschlagen.  In 
Tiden  Fällen  erscheint  die  Mitte  dieser  Stelle  längs  eines  Drüsenstranges  livid;  seltener 
geschieht  es,  dass  man  daselbst  eine  kleine  Öffnung  findet,  durch  welche  man  mit  einer 
Sonde  in  das  Innere  der  Geschwulst  eindringen  kann.  Auch  kommt  es  vor,  dass  am 
Bande  einer  solchen  Öffnung  oder  mitten  darin  eine  polypenähnliche  Excrescenz  sitzt.  — 
Diese  Befunde  erklären  sich  auf  folgende  Weise.  Das  in  einem  der  äussern  Knorpel- 
fläche näher  liegenden  Follikel  abgelagerte  Exsudat  wird  durch  die  Muskelfasern  an  den 
Knorpel  angedrückt,  und  verursacht,  so  wie  äusserlich  an  der  darüber  gespannten  Cutis, 
so  innen  an  der  Bindehaut  Hyperämie  und  Lockerung ;  allmälig  scheint  auch  der  Tarsus 
in  der  Mitte  erweicht  zu  werden ,  und  es  kommt  dann  endlich  zum  Durchbruche  dessel- 
ben und  zur  Entleerung  des  flüssigen  Antheiles  der  Exsudatmasse.  Mittels  solchen 
Durchbruches  scheint  bisweilen  völlige  Resorption  des  Exsudates  eingeleitet  zu  werden. 
Diesen  Vorgang  führen  wir  sicherer  und  schneller  herbei,  wenn  wir,  wie  Makenzie  1.  c. 
S.  139  zuerst  empfohlen,  das  umgestülpte  Lid  mitten  in  der  afficirten  Stelle  incidiren, 
durch  den  Knorpel  und  in  der  Bichtung  des  entsprechenden  Drüsenstranges,  sodann  das 
Lid  zwischen  den  Fingern  von  oben  nach  unten  zusammendrücken,  und  den  festen  Theil 
des  Inhaltes  auspressen.  Man  überzeugt,  sich  dabei  leicht,  dass  der  Knorpel  in  der  Mitte 
der  afficirten  Stelle  nicht  verdickt  oder  verhärtet,  eher  verdünnt  und  (in  früherer  Zeit) 
etwas  erweicht  ist.  Der  obenerwähnte  reichliche  Gehalt  an  Pflasterepithelien  dürfte  wohl 
von  der  Innenfläche  eines  Drüsenfollikels  herrühren;  ich  habe  mich  versichert,  dass  sie 
nicht  von  der  Bindehaut  durch  Abstreifung  kommen  konnten.  Wo  es  gelingt,  den  ge- 
nannten festweichen  Theil  des  Inhaltes  ganz  oder  grösstentheils  zu  entfernen ,  ist  auch 
der  Process  beendet:  die  Wunde  vernarbt  in  wenig  Tagen,  und  in  Zeit  von  2 — 3  Wochen 
ist  in  manchen  Fällen  keine  Spur  der  Affection  mehr  vorhanden.  Niemals,  auch  dann 
nicht,  wenn  grosse  Chalazien  viele  Monate  lang  bestanden  hatten,  sah  ich  weder  merk- 
baren Substanzverlust  des  Knorpels,  narbige  Einziehung  oder  Verschrumpfung,  noch 
Yergrösserung  oder  Verdickung  des  Knorpels  zurückbleiben,  gleichviel  ob  bereits  Durch- 
bruch nach  innen  erfolgt  war  oder  nicht.  Alle  diese  Umstände  sind  wohl  hinreichend,  zu 
zeigen,  dass  hier  keine  Entzündung  der  Knorpelsubstanz  stattfinde,  sondern  Ablagerung 
von  Exsudat  an  der  Oberfläche,  oder,  was  am  wahrscheinlichsten  ist,  in  einen  Meibom- 
schen  Follikel  selbst. 

Ich  kann  zwischen  Gersten-  und  Hagelkorn  untereinander,  und  zwischen  diesen  und 
den  an  der  Innenfläche  des  Tarsus  vorkommenden  Abscesschen  und  kleinen  Geschwül- 
sten, die  sichtlich  von  den  Drüsenfollikeln  ausgehen,  keinen  wesentlichen  Unterschied 
flnden.  Sie  alle  lassen  sich  auf  eine  umschriebene  Ablagerung  eines  Exsudates  zurück- 
führen, welches  nicht  organisationsfähig  ist  und  bald  rasch,  bald  langsam  schmilzt,  so- 
fern es  nicht  durch  Besorption  beseitigt  wird ,  oder  aber  verkalkt.  Nicht  äussere  Um- 
stände, wie  namentlich  die  oft  beschuldigte  Einwirkung  von  Kälte,  sondern  die  mehr 
weniger  schnelle  Setzung  des  Exsudates  und  die  anatomischen  Verhältnisse  bestimmen 
die  fernere  Gestaltung  des  Processes  und  dessen  Ausgänge. 


350  Augenlider. 

Die  Behauptung,  dass  die  Bildung  von  Gersten-  und  Hagelkörnern, 
mit  Scrofulosis  (Tuberculosis)  in  ursächlichem  Zusammenhange  stehe, 
hat  zwar  mehrseitigen  Widerspruch  erfahren,  ist  aber  trotzdem  in  der 
ganzen  bisher  aufgestellten  Ätiologie  die  einzig  haltbare  und  auf  wirk- 
liche Beobachtungen  gestützte.  Die  Beschuldigungen  von  Unreinlich- 
keit,  Trunksucht  u.  s.  w.  beruhen  auf  Verwechslung  des  Zufälligen  mit 
dem  Wesentlichen.  Die  in  Bede  stehenden,  von  den  Meibomschen 
Drüsen  ausgehenden  Affectionen,  und  in  specie  die  Gersten-  und  Hagel- 
körner kommen  bei  Individuen  vor,  die  unter  den  günstigsten  Verhält- 
nissen und  aufs  zweckmäßigste  leben,  kehren  oft,  hartnäckig,  und 
wohl  auch  zu  bestimmten  Zeiten  wieder,  wechseln  mit  einander  und 
mit  andern  offenbar  scrofulösen  Affectionen,  und  treten  überhaupt  von 
äussern  Einflüssen  unabhängig  auf.  Um  diess  zu  constatiren,  genügt  es- 
natürlich  nicht,  dass  man  solche  Individuen  etwa  ein-  oder  zweimal  im 
Leben  sieht;  man  muss  sie  viele  Jahre,  in  ihren  häuslichen  Verhält- 
nissen und  als  Familienglieder  beobachten. 

Ob  wir  im  Stande  seien,  Resorption  einzuleiten,  etwa  durch  kalte 
Umschläge,  ist  wohl  dadurch  noch  nicht  bewiesen,  dass  es  bisweilen 
nach  Anwendung  derselben  nicht  zum  Aufbruche  kommt;  denn  diess 
geschieht  —  vielleicht  eben  so  oft  —  auch  ohne  alles  Zuthun,  und 
noch  öfter  tritt  ungeachtet  gehörig  angewandter  Umschläge  Durchbruch 
ein.  Will  der  Kranke  gerade  etwas  thun,  so  mag"  er  sich  warme  Brei- 
umschläge (Semmel  mit  Milch)  auflegen,  sie  lindern  den  Schmerz,  und 
befördern  wohl  auch  die  Eiterung.  Bei  starkem  Odem  lasse  man  das 
Auge  einfach  oder  mit  erwärmten  trockenen  Compresschen  bedecken. 
Sobald  der  Eiter  durchscheint,  kann  man  ihn  durch  einen  Einstich  oder 
auch  durch  Druck  entleeren.  Gegen  die  öftere  Wiederkehr  scheint 
das  Einreiben  von  rother  Präcipitatsalbe  (1 — 3  Gran  auf  l  Dr.)  an  die 
Lidränder  einigen  Nutzen  zu  gewähren;  doch  bleibt  immer  die  Allge- 
meinbehandlung  zu  diesem  Zwecke  das  Wirksamste.  Bei  Chalazien 
können  sich  die  Kranken  nicht  immer  sogleich  zur  Incision  entschliessen. 
Man  versuche  Einreibungen  von  Salben  mit  rothein  Präcipitat,  Jod- 
kalium, Mercurdeuterojoduret  (Va — '/2  Gran  auf  1  Dr.).  In  den  meisten 
Fällen  reicht  man  damit  nicht  aus,  verlieren  die  Kranken  die  Geduld 
und  entschliessen  sich  zu  der  Anfangs  proponirten  Incision.  Das  Auf- 
legen von  Pflastern  oder  Kataplasmen  bei  Chalazien  führt  leicht  zu 
partieller  Schmelzung  des  Exsudates  und  zum  Durchbruch  der  Haut, 
bevor  noch  das  ganze  Infiltrat  zur  Elimination  geeignet  ist,  und  der 
Kranke  muss  lange  mit  einem  geschwürigen  Augenlide  herumgehen. 
Das  Eindringen  mit  einem  zugespitzten  Lapis  infernalis  in  die  Öffnung 


Entzündung  der  Haarzwiebeldriisen.  351 

kann  dann   noch   am    ehesten   die    Schmelzung    und  die  Heilung  be- 
schleunigen. 

5.  Als  Lidrandentzündung  (Blepharadenitis  ciliaris)  bezeichnet  man 
gewöhnlich  eine  längs  des  Augenlidrandes  sich  zeigende  Entzündung, 
für  dereu  Ausgangspunkte  oder  Herde  man  die  um  die  Haarzwiebeln 
gelegenen  Drüschen  hält;  frühere  Autoren  beschrieben  die  hieher  ge- 
hörigen Formen  unter  den  Namen  Psorophthalmia ,  Lippitudo  ulcerosa, 
Tinea,  Herpes  oculi  inflamm.,  Ophthalmia  tarsi  u.  s.  w. 

Wenn  gleich  die  am  Lidrande  selbstständig  vorkommenden  entzündlichen  Affectio- 
nen.  sowohl  in  Bezug  auf  den  Sitz  oder  Ausgangspunkt,  als  auch  in  Bezug  auf  ihre 
ätiologischen  Momente  nicht  als  ein  und  derselbe  Process  zu  betrachten  sind,  so  getraue 
ich  mich  doch  in  Ermanglung  genügender  Unter siichun gen  zur  Zeit  noch  nicht,  eine 
streng  nosologische  Sonderung  derselben  zu  unternehmen,  und  will  demnach  nur  beschrei- 
ben, was  ich  beobachtet,  und  sondern,  was  schon  jetzt  behufs  der  Prognosis  und  Therapie 
gesondert  werden  kann  und  muss.  Ich  wähle  den  Namen  Blepharadenitis ,  weil  es  am 
wahrscheinlichsten  ist,  dass  die  um  die  Haarzwiebeln  der  Cilien  gelegenen  Drüschen  (Zeis) 
der  gemeinschaftliche  Krankheitsherd  sind,  und  weil  ich  die  Zahl  der  Benennungen  nicht 
ohne  gute  Gründe  vermehren  mag.  Die  verschiedenen  Formen  von  Entzündungen  am  Lidrande 
gehören  im  Allgemeinen  nicht  nur  unter  die  häufigsten,  sondern  auch  unter  die  hart- 
näckigsten Augenkrankheiten  und  verdienen  nicht  nur  wegen  ihrer  Rückwirkung  auf  die 
Bindehaut,  sondern  auch  wegen  mannigfacher  Entstellung,  zu  der  sie  führen,  dass  sie  fer- 
nerhin einer  grösseren  Aufmerksamkeit  und  strengeren  Forschung  gewürdigt  werden,  als 
bisher  leider  geschehen  ist. 

Eine  Form  von  Blepharadenitis  ciliaris  kommt  am  häufigsten  mit 
Conjunctivitis  scrofulosa,  doch  auch  ohne  diese  vor.  An  einer  oder  an 
mehreren  isolirten  Stellen  des  obern  oder  untern  Lides  oder  beider  zu- 
gleich sieht  man  eine  leichte  knotige  Schwellung  und  Röthung  des 
Lidrandes,  und  darüber  an  der  Basis  der  Cilien  eine  Kruste,  welche 
fest  an  der  Cutis  haftet.  Sucht  man  diese  Kruste  abzustreifen,  was  oft 
schwierig  und  nur  mittelst  der  Nägel  oder  eines  zugeschärften  Hölzchens 
(Zahnstochers)  möglich  ist,  so  erscheint  die  Cutis  darunter  ganz  dünn 
und  roth,  oder  der  Epidermis  verlustig,  oder  auch  mit  einem  Grübchen 
versehen,  welches  oft  noch  mit  etwas  Eiter  gefüllt  ist.  Diese  Krusten 
hängen  gewöhnlich  so  fest  an  den  sie  durchbrechenden  Cilien,  dass 
bei  Entfernung  derselben  ein  und  das  andere  Wimperhaar  mitgeht;  sie 
sind  keineswegs  bloss  vertrockneter  Schleim  oder  Drüsensecret,  sondern 
führen  namentlich  an  der  Basis  immer  eine  Menge  Epidermiszellen  mit 
sich.  —  Ganz  dieselbe  Form  findet  man  auch  häufig  bei  Leuten,  die 
an  Thränensackblennorrhöe  leiden,  und  zwar  hier  fast  immer  nur  an  den 
Lidern  derselben  Seite. 

An  diese  Form   (die  solitäre)   schliesst  sich  eine  andere,  seltener 


352  Augenlider. 

vorkommende  au,  die  näinlich ,  wo  Schwellung,  Röthung,  Eiter-  und 
Krustenbildung  längs  des  ganzen  Lidrandes  auftreten,  und  wo  beson- 
ders die  Verdickung  des  Lidrandes  {Tylosis)  stark  ausgesprochen  er- 
scheint. Nach  dieser  oft  Monate,  Jahre  lang  und  ganz  für  sich  allein 
bestehenden  Form  entsteht  leicht  Distichiasis  und  nehmen  manchmal 
die  Wimpern,  wenn  auch  nicht  gegen  den  Bulbus  hineinsprossend,  doch 
eine  sehr  sparrige  Richtung  an.  Verlust  der  Cilien  erfolgt  hier  selten, 
und  zwar  desshalb,  weil  es  nicht  zur  Vereiterung,  sondern  zur  Hyper- 
trophirung  und  Sclerosirung  des  die  Haarzwiebeln  umgebenden  Binde- 
gewebes kommt. 

Die  gefährlichste,  hartnäckigste  und  leider  auch  nicht  die  seltenste 
Form  ist  die  zur  Vereiterung  des  Haar zwiebelbo dens  führende  Form. 
Diese  Affection  findet  sich  immer  an  beiden  Lidern,  längs  des  ganzen 
Randes,  und  auch  immer  auf  beiden  Augen  zugleich.  Sie  besteht  in 
der  Bildung  kleiner  über  die  Umgebung  gar  nicht  oder  kaum  merklich 
emporragender  Eiterpunkte,  meist  so  gelegen,  dass  mitten  aus  je  einem 
solchen  Abscesschen  ein  Wimperhaar  hervorsprosst;  seltener  sitzen 
welche  an  der  linearen  Fläche  des  Lidrandes  selbst.  Die  frisch  ent- 
standenen liegen ,  wenn  der  Lidrand  nicht  schon  mit  Krusten  bedeckt 
war,  frei  zu  Tage;  andere  sind  durch  Krusten  verdeckt.  Beim  Ver- 
suche, solche  Krusten  abzuheben  und  zu  beseitigen,  folgen  oft  ganze 
Schollen  von  Epidermis  längs  eines  grossen  Theiles  des  Lidrandes  und 
bis  über  den  Haarzwiebelboden  hinauf  (hinab);  darunter  erscheint  dann 
die  Cutis  nur  von  dünner  Epidermis  bedeckt  und  roth,  nächst  den 
Wimpern  oft  ohne  Epidermis,  leicht  blutend,  an  der  Basis  einer  und 
der  andern  Cilie  selbst  (nach  Beseitigung  des  Eiters)  mit  einem  mehr 
weniger  tiefen  und  breiten  Grübchen  versehen.  Wird  eine  aus  einem 
Abscesschen  hervorsprossende  Cilie  ausgezogen,  so  entleert  sich  "der 
Eiter;  das  Ausziehen  selbst  ist  für  das  Nachwachsen  einer  Cilie  an 
derselben  Stelle  nicht  hinderlich,  befördert  aber  auch  die  Heilung  nicht. 
Die  Cilien  gehen  erst  nach  langer  Dauer  der  Krankheit  und  oft  wie- 
derholter Eiterbildung  an  derselben  Stelle  bleibend  verloren  (Madarosis), 
doch  immer  nur  theilvveise;  die  durch  Nachwuchs  ersetzten  sind  dann 
dünner,  kürzer,  blässer,  und  meist  in  einzeln  stehende  Büschel  zusam- 
mengedrängt (wohl  durch  die  Narbenbildung).  Noch  bevor  diess  ein- 
tritt, sieht  man  schon,  dass  längs  der  Linie,  in  welcher  die  Abscesschen 
nach  einander  zu  wiederholten  Malen  gesessen,  eine  Art  von  Furche 
oder  seichter  Vertiefung  entstanden  ist.  Gleichzeitig  bemerkt  man  auch, 
wie  die  Bindehaut  über  die  innere  Kante  des  Lidrandes  gegen  jene 
Furche   hingezogen  wird    (Ectropium   conjunctivae),   demnach  die  Lid- 


Entzündung  des  Augenlidrandes.  353 

runder  gleichsam  rotli  eingesäumt  erscheinen.  Wenn  die  Krankheit 
einmal  so  weit  gediehen  ist,  wird  man  auch  meistens  schon  die  Mün- 
dungen der  Meibomschen  Drüsen  nicht  mehr  auffinden  können,  und 
hiemit  ist  bereits  ein  Zustand  eingetreten,  welcher  keine  Restitutio  ad 
integrum  (nach  meinen  bisherigen  Erfahrungen)  mehr  zulässt.  Die  Lid- 
ränder schliessen  nicht  mehr  genau  an  den  Bulbus  an,  der  Kranke 
leidet  nebst  der  abscheulichen  Entstellung  auch  noch  fortwährend  an 
Thränenträufeln,  an  Excoriationen  und  an  grosser  Empfindlichkeit  der 
Augen.  Immer  findet  man  bei  dieser  Form  die  Conjunct.  palp.  über 
dem  Tarsus  sammtartig  aufgelockert  und  gleichmässig  geröthet,  im 
Übergangstheile  dagegen  und  am  Bulbus  normal.  Umschriebene  Exsu- 
dationen an  der  Conjunct.  bulbi  gehören  hier  zu  den  Seltenheiten.  Nach 
sehr  langer  Dauer  wird  die  Conj.  palp.  oberflächlich  sehnenartig  glän- 
zend (wie  mit  Milch  übergössen),  öfter  jedoch  punktförmig  marmorirt 
(durch  verkalkte  Exsudate  in  den  Meibomschen  Follikeln). 

Nicht  gefährlich,  nur  äusserst  lästig  ob  Unterhaltung  eines  gereiz- 
ten Zustandes  der  Bindehaut  und  hartnäckig  ob  häufiger  Rückfälle  sind 
jene  Formen  von  Augenlidrandentzündung,  welche  sich  durch  die  Bildung 
feiner  Schüppchen  und  leichte  Röthung  der  Haut  längs  der  äussern  Lid- 
kante manifestirt.  Bläschenbildung  oder  andere  Erscheinungen  als  die 
eben  genannten  zu  beobachten  ist  mir  nie  gelungen. 

Ein  unbedeutendes  Leiden  ist  die  Bildung  kleiner  Bläschen  an  der 
linearen  Fläche  des  Lidrandes,  deren  ich  nur  desshalb  erwähne,  weil  sie 
Empfindlichkeit  der  Augen  und  selbst  Schmerzen  verursachen,  und  als 
Ursache  dieser  Zufälle  ^icht  übersehen  werden  können.  Ich  fand  sie 
bei  sonst  ganz  gesunden  Individuen,  die  mich  bloss  desshalb  consultir- 
ten,  viel  öfter  jedoch  bei  Katarrh,  chron.  Blennorrhoe  und  Trachom. 
E>  sind  halbkuglige,  höchstens  mohnkorngrosse ,  hyaline  oder  auch 
etwas  trübe  Erhöhungen  mit  flüssigem  Inhalte  auf  der  innern  Kante  oder 
an  den  Ausmündungsstellen  der  Meibom' sehen  Drüsen.  Ich  drücke  sie 
gewöhnlich  dadurch  aus,  dass  ich  den  Nagel  des  Daumens  anlege  und 
auswärts  streife.  Schmerzen,  Lichtscheu  und  Thränenfluss  sind  nun  bald 
vorüber.  Selten  sind  mehr  als  1 — 2  Bläschen  zugleich  vorhanden;  aber 
bei  manchen  Individuen  kehren  sie  eine  Zeit  lang  öfter  und  an  ver- 
schiedenen Stellen  wieder. 

Die  ersten  3  Formen  (die  solitäre,  hypertrophirende  und  exulceri- 
rende)  sind  nach  ihrem  Vorkommen,  wenn  nicht  immer,  so  gewiss  in 
den  meisten  Fällen  scrofulösen  Ursprunges;  die  4.  Form  hängt  viel- 
leicht mit  abnorm  zarter  Organisation  der  Haut  zusammen,  indem  sie 
oft  bei  Individuen  vorkommt,  die  sonst  gesund  sind,  besonders  wenn  sie 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  23 


354  Augenlider. 

blond  sind  oder  mehr  flach  liegende  Augen  haben;  doch  habe  ich  sie 
auch  bei  offenbar  scrofulösen  Individuen  ohne  diese  Beschaffenheit  der 
Haut  und  ohne  Glotzaugen  gesehen.  Ungeregelte  Lebensweise,  Nacht- 
wachen, Arbeiten  beim  Feuer,  Aufenthalt  in  staubiger  oder  sonst  ver- 
unreinigter Atmosphäre  u.  dgl.  können  wohl  den  Zustand  verschlimmern, 
schwerlich  aber  die  Krankheit  selbst  jemals  —  bei  sonst  gesunden  In- 
dividuen —  erzeugen. 

Bei  der  Behandlung  muss  vor  Allem  für  Beseitigung  der  eben  er- 
wähnten und  ähnlicher  Schädlichkeiten  gesorgt,  und  nach  Möglichkeit 
auf  das  etwa  zu  Grunde  liegende  Allgemeinleiden  eingewirkt  werden. 
Die  örtliche  Behandlung  erfordert  zunächst  sorgfältige  Entfernung  des 
Eiters  und  der  Krusten,  so  oft  sich  solche  gebildet  haben.  Diese  halten 
den  darunter  gebildeten  Eiter  zurück,  und  verhindern  auch  die  Appli- 
cation der  nöthigen  Arzneistoffe  auf  die  erkrankten  Stellen  selbst.  Die 
der  Ablösung  vorauszuschickende  Erweichung  durch  Kataplasmen  oder 
durch  Anhalten  eines  feuchtwarmen  Schwammes  erfolgt  leichter,  wenn 
man  den  Abend  vorher  die  Lidränder  mit  Ol  oder  Fett  bestreichen 
liess.  Bei  der  solitären  und  selbst  bei  der  tylotischen  oder  hyper- 
trophirenden  Form  reicht  in  der  Kegel  das  Einreiben  (nicht  blosses  Auf- 
pinseln) einer  Salbe  aus  1 — 3  Gran  rothen  Präcipitates  auf  1  Dr.  Fett  an 
die  Lidränder  (vor  dem  Einschlafen)  zur  Heilung  hin,  bei  grosser  Em- 
pfindlichkeit mit  einigen  Tropfen  Tinct.  opii  crocata,  bei  starker  Wul- 
stung  mit  1  Gran  Camphora  rasa  vermischt.  Eeaction,  des  Morgens 
durch  Röthe  und  grössere  Empfindlichkeit  der  Augen  sich  kund  gebend, 
ist  erwünscht,  und  darf  nicht  sogleich  zur  Sc]|jvächung  der  Dosis,  son- 
dern zunächst  nur  zur  seltenern  Anwendung,  jeden  2.  oder  3.  Tag,  be- 
stimmen. Sind  starke  Excoriationen  vorhanden,  so  schicke  man  den 
Gebrauch  einer  Salbe  von  2—3  Gran  weissen  Präcipitats  allein  oder 
mit  eben  so  viel  Zinkblumen  voraus,  oder  bestreiche  die  wunden  Stel- 
len mit  einer  schwachen  Lösung  von  Sublimat  oder  Salpeters.  Silber, 
Bei  förmlicher  Induration  des  Lidrandes  bediene  man  sich  einer  Salbe 
aus  '/3 — V2  Gran  Mercurdeuterojoduret,  doch  vorsichtig,  dass  nichts  da- 
von zwischen  die  Lidspalte  eindringe.  —  Bei  der  exulcerirenden  Form 
leistet  unter  den  genannten  Mitteln  der  weisse  Präcipitat  (allein  oder 
mit  Zinklumen)  noch  am  meisten,  wenn  überhaupt  schon  Obliteration 
der  Meibomschen  Drüsenmündungen  eingetreten  ist;  weit  wirksamer, 
und  selten  im  Stiche  lassend,  ist  seine  Verbindung  mit  Theer  (nach 
Emery:  praecip.  albi  gr.  4 — 6,  picis  liq.  scr.  1,  ung.  comm.  dr.  1)  täg- 
lich 2 — 3mal  auf  die  sorgfältig  gereinigten  Lidränder  aufgepinselt.  Wo 
grössere  Abscesse  und  Excoriationen  vorhanden,  habe  ich  Makenzie's 


Entzündung  des  Augenlidrandes  —  Phthiriasis.  355 

Kath,  diese  Stellen  nachdrücklich  mit  Lapis  inf.  zu  touchiren,  mehrfach 
bewährt  gefunden.  Das  oben  erwähnte  Ectropium  conjunctivae  habe 
ich  in  einigen  Fällen  vermindert  oder  beseitigt  durch  Bestreichen  des 
sammtartig  aufgelockerten  Tarsaltheiles  der  Bindehaut  mit  reinem  oder 
durch  Kali  nitricuni  geschwächtem  Höllenstein.  —  Bei  der  Form,  welche 
durch  die  Bildung  kleiner  Schüppchen  an  den  Cilien  und  durch  fort- 
währende Empfindlichkeit  gegen  kalte  Luft,  Staub,  Kerzenlicht  u.  s.  w. 
lästig  wird,  erzielt  man  Heilung  —  wenigstens  für  einige  Zeit  oder  doch 
Linderung  durch  schwache  Präcipitatsalben  oder  durch  Waschungen  mit 
einer  schwachen  Sublimatsolution  oder  einer  Mischung  von  Franzbrannt- 
wein und  "Wasser. 

Ob  es  eine  primäre  Entzündung  des  Knorpels  gebe,  ist  unerwiesen;  wenigstens  sind 
uns  die  Symptome  derselben  nocb  nicbt  bekannt.  Wir  wissen,  dass  in  Folge  von  Tra- 
chom;! der  Knorpel  nach  merklicher  Verdickung  oft  sehr  bedeutend  einschrumpft,  in 
Folge  von  Blennorrhoe  dagegen  breiter,  länger  und  dicker  wird;  ich  habe  auch  einige 
Fälle  gesehen,  wo  der  Knorpel  ohne  vorausgegangene  Blennorrhoe  nach  allen  Dimen- 
sionen fast  um  die  Hälfte  vergrössert  war;  trotzdem  war  es  mir  bisher  nicht  möglich, 
genauere  Einsicht  in  den  Process  zu  gewinnen,  und  lasse  ich  die  Frage  lieber  offen.  Ich. 
zweifle,  dass  heutzutage  noch  jemand  die  Ansicht  verfechten  werde ,  die  Bildung  der  so- 
genannten Hagelkorner  gehe  aus  Entzündung  der  Knorpelsubstanz  bervor.  In  dem  Falle, 
den  Hasner  1.  c.  S.  243  als  Ausgang  von  Knorpelentzündung  in  Hypertrophie  und  Ver- 
knücherung  angesehen  bat,  ist  ein  diagnostischer  Irrthum  untergelaufen,  wie  ich  bereits  in 
der  Prager  Vierteljahrschrift  IS.  B.  S.  51  nachgewiesen  habe.  (Vergl.  auch  Pilz  über 
Keratitis,  Pr.  Vtljscbr.  20.  B.  S.  39.) 

6.  Eine  Entzündung  des  Augenlidrandes  kann  leicht  vorgetäuscht, 
vielleicht  auch  wirklich  hervorgebracht  werden  durch  das  Vorkommen 
von  Läusen  an  den  Cilien,  weil  dieselben,  wie  ich  gesehen,  ausser- 
ordentlich klein  sind  und  für  Schüppchen  imponiren,  oder  weil  sie  sich, 
wie  Clielius  angibt,  tief  in  die  Haut  eingraben.  Ich  wurde  zuerst  durch 
den  sparrigen  Stand  der  Cilien  auf  diese  Thierchen  aufmerksam  ge- 
macht. Mit  Hilfe  einer  Loupe,  und  bei  guter  Beleuchtung  und  aufmerk- 
samer Betrachtung  auch  mit  freiem  Auge,  erkennt  man  bestimmt,  was 
man  vor  sich  hat.  In  einem  Falle  war  bloss  der  linke  obere  Augen- 
lidrand inficirt;  in  einem  andern  beide  obere  Lider.  In  diesem  wurde 
in  Zeit  von  10  Tagen  Heilung  erzielt  durch  Einreiben  von  Ung.  cine- 
reum;  in  jenem  erfolgte  einige  Tage,  nachdem  ich  ihn  gesehen,  der 
Tod  in  Folge  von  Medullarsarkom  der  Leber.  Scai^pa  entdeckte  mittelst 
einer  Loupe  Läuse  an  der  Basis  der  Cilien  als  Ursache  einer  hart- 
näckigen Ophthalmie,  und  Chelius  führt  an,  dass  er  zwei  ähnliche  Fälle 
beobachtet  habe. 


23* 


356  Augenlider. 


II.    Pseudoplasmen. 

1.  Cysten  werden  am  Lidrande  als  Hirsekorn  (inilium)  und  als 
Wasserbläschen  (hydatis),  gegen  den  Orbitalrand  hin  als  Breigeschwülste 
(atheroma)  beobachtet.  Erstere  sitzen  unmittelbar  unter  oder  in  der 
Cutis,  letztere  in  den  meisten  Fällen  (nach  meinen  Beobachtungen  in 
allen)  an  der  Augenlidfascie  oder  an  der  Beinhaut.  —  Das  Wasser- 
bläschen sitzt  immer  irgendwo  nahe  am  Lidrande  als  eine  ganz  ohne 
Zufälle  entstandene  und  fortbestehende  helle  Cyste  von  der  Grösse  eines 
Hirse-  oder  Hanfkorns.  Zur  bleibenden  Beseitiguug  genügt  vielleicht 
die  einfache  Incision;  ich  pflege  nachher  noch  ein  Stückchen  zu  exci- 
diren.  —  Das  Hirsekorn  erreicht  gewöhnlich  nur  am  Lidrande  die 
Grösse  der  Frucht,  der  es  an  Farbe  gleicht;  kleinere  solche  Körner 
entwickeln  sich  oft  in  grosser  Anzahl  weiter  entfernt  vom  Lidrande  bei 
Individuen,  welche  dieselbe  Affection  der  Talgdrüsen  auch  an  andern 
Stellen  der  allgemeinen  Bedeckung  darbieten;  selten  kommen  linsen- 
grosse  vor.  Nach  Einritzung  der  sie  umgebenden  dünnen  Hülle  kann 
man  ihren  Inhalt  ausdrücken.  —  An  diese  Affection  reiht  sich  eine  Art 
diffuser,  flächenartig  ausgebreiteter  Schmeeransammlung  unter  der  äus- 
serst dünnen  Cutis  ober-  und  unterhalb  des  innern  Augenwinkels.  Ich 
habe  diese  in  hohem  Grade  entstellende  Affection  bisher  nur  bei  älteren 
fettleibigen  Individuen  beobachtet,  und  keinen  Anstand  genommen,  da 
die  Haut  bereits  sehr  runzlig  war,  ganze  Stücke  derselben  sammt  der 
Schmeermasse  zu.  excidiren,  elliptische,  nach  der  Richtung  der  Orbi- 
cularfasern  laufende  Falten  bis  zu  2  und  ö'"  Breite  entfernt,  und  den 
kosmetischen  Zweck  ohne  Nachtheil  und  vollständig  erreicht.  —  Die 
Ausschälung  der  Balggeschwülste  geschieht  nach  den  von  der  Anatomie 
und  Chirurgie  gegebenen  Vorschriften.  Wenn  die  Geschwülste  grösser 
als  ein  Taubenei  waren,  gleichviel  ob  sich  die  Cutis  darüber  noch  in 
Falten  fassen  liess  oder  nicht,  und  ob  sie  von  ausgedehnten  Gefässen 
mehr  oder  weniger  geröthet  war,  so  glaubte  ich  immer  im  Interesse 
der  Heilung  zu  handeln,  wenn  ich  vor  der  Ausschälung  ein  ellipti- 
sches Stück  Haut  ausschnitt,  nach  der  Richtung  der  Muskelfasern;  die 
einsinkenden  Wundränder  lassen  sich  dann  leichter  (ohne  Einrollung) 
vereinigen ,  und  man  erspart  sich  das  nachträgliche  Excidiren  einer 
Hautfalte. 

2.  Warzen  bieten  an  der  Augenlidhaut  die  gewöhnlichen  Merkmale 
dar,  und  sind  mit  den  Knoten  bei  beginnendem  Epithelialkrebs  nicht  zu 
verwechseln.     Ganz  kleine  warzenähnliche  Excrescenzen  habe  ich  mehr- 


Pseudoplasmen  —  Warzen  —  Teleangiektasie  —  Krebs.        357 

mal  an  der  linearen  Fläche  des  Lidrandes  als  Ursache  einer  beständi- 
gen Reizung  des  Auges,  namentlich  der  Bindehaut  beobachtet.  Es  sind 
kleine,  unebene,  harte,  weiss  aussehende  Erhöhungen  mit  scharf  abge- 
grenzter Basis.  Ich  trug  sie  mit  einer  flach  gebogenen  dlinnen  Scheere 
ab;  sie  bestanden  grösstentheils  aus  Epidermis.  Zur  Stillung  der  Blu- 
tung und  zur  sicheren  Verhütung  der  Wiederkehr  betupfte  ich  die 
Wunde  mit  Höllenstein.  Die  Bildung  von  Condylomen  bei  Lues  dürfte 
unter  die  Seltenheiten  gehören. 

3.  Teleangiektasien  in  der  Haut  kommen  an  den  Lidern  nicht  gar 
selten  vor,  bald  flach  (Feuerrnäler),  bald  erhaben  (Blutschwamm,  Maul- 
beergeschwulst), bald  klein  in  der  Fläche  der  Haut  oder  am  Lidrande, 
bald  ausgebreitet  und  über  den  Lidrand  bis  zur  Innenfläche  des  Lides 
übergreifend.  In  andern  Fällen  entwickelt  sich  die  erectile  Geschwulst 
unter  der  Haut,  und  greift  erst  nach  beträchtlicher  Vergrösserung  in 
diese  über.  Die  Grundsätze  der  Diagnostik  und  Therapie  als  aus  der 
Chirurgie  bekannt  voraussetzend,  will  ich  bloss  bemerken,  dass  mir  die 
Heilung  flacher  Angiektasien  durch  Aufschlagen  von  Aqua  Goulardi 
mittelst  Leinwandbäuschchen  gelungen  ist,  wenn  dieselbe  frühzeitig 
(vor  Ablauf  der  dritten  Woche  nach  der  Geburt)  und  fleissig  vorge- 
nommen wurde,  und  dass  ich  mich  bei  grösseren  und  tiefer  eingreifen- 
den Ektasien  der  Unterbindung  mittelst  zweier  durch  die  Basis  durch- 
geführter (stärkerer)  Insectennadeln  mit  dem  gewünschten  Erfolge  be- 
dient habe.  Die  grosse  Dehnbarkeit  der  Haut  gestattet  die  Anwendung 
dieses  Mittels  hier  wohl  bei  grösserem  Umfange,  als  an  andern  Körper- 
steilen.  Für  erd-  und  maulbeer  artige  Ektasien  empfiehlt  Chelius  die 
einfache  Unterbindung  oder  auch  die  Abtragung  mit  der  Scheere.  Zur 
Einimpfimg  der  Kuhpocken  bei  noch  nicht  geimpften  Kindern  (nach 
Carron  du  ViUards)  hatte  ich  noch  keine  Gelegenheit.  Es  versteht 
sich  übrigens  von  selbst,  dass  man,  wo  ein  Wachsen  der  Affection  be- 
merkt wird,  imd  nicht  dringende  Gegenanzeigen  da  sind,  die  Operation 
durchaus  nicht  verschieben  darf.  Eine  ausgezeichnete  Abhandlung  über 
Xaevus  maternus  und  Aneurysma  per  anastomosin  an  den  Augenlidern 
und  in  der  Orbita,  mit  trefflichen  Beobachtung  von  Tlodgson,  Young, 
John  Bell,  Allan  Bums,  Travers  und  Waräröp  findet  man  bei  Makenzie 
1.  c.  S.  148—157. 

4.  Der  Krebs  ist  an  den  Augenlidern  —  meines  Wissens  —  nur 
als  Epithelialkrebs  beobachtet  worden*),  und  zwar  als  flacher,  als 
drusiger  und  als  warziger.     Die  Stellen,  wo  ich  ihn  (seinen  Ausgangs- 

*)  Ich  folge  in  der  Terminologie  und  Beschreibung  der  hieher  gehörigen  Affectionen  der  Darstellung 
von  Schuh :  Pathologie  und  Therapie  der  Pseudoplasmen.    Wien,  1S54. 


358  Augenlider. 

punkt)  sah,  waren:  unterhalb  der  äussern  Comrnissur,  in  der  Mitte 
des  untern  Lides  nächst  dem  'Rande,  tiefer  unten  gegen  den  Orbital- 
rand hin,  unter-  und  oberhalb  des  innern  Augenlidbandes. 

a)  Der  flache  Epithelialkrebs  beginnt  bekanntlich  mit  der  Bildung 
kleiner  lichter  Knötchen  in  der  Haut,  die  sich  verschieden  an  einander 
reihen  (zu  kleinen  Wülsten),  und  bisweilen  eine  inselförmig  einge- 
schlossene gesunde  Partie  umfassen,  durch  zahlreiche  venöse  Gefäss- 
chen  ein  röthlich-marmorirtes  oder  gestreiftes  Aussehen  bekommen, 
dann  sich  bald  mit  gelben  Borken  belegen,  unter  welchen  man  zunächst 
bloss  eine  excoriirte,  weiterhin  eine  geschwürige  Fläche  findet,  welche 
eine  dünneitrige  Flüssigkeit  absondert,  harte  Ränder  zeigt,  zeitweilig 
wohl  scheinbar  sich  schliesst  (durch  ein  dünnes  Häutchen),  bald  aber 
wieder  aufbricht,  und  in  diesem  Zustande  Monate,  ja  Jahre  lang  ver- 
harren kann,  ohne  beträchtlich  grösser  oder  tiefer  zu  werden.  Dabei 
ist  die  Affection  fast  schmerzlos,  oder  treten  bloss  flüchtige  Stiche  ein. 
Erst  nach  jahrelangem  Bestände  greift  die  Affection  theils  tiefer,  theils 
weiter  um  sich,  und  zerstört  nicht  nur  die  Haut  durch  Schmelzung  des 
immer  wieder  mit  solchen  Tuberkeln  infiltrirten  Randes,  sondern  auch 
alle  unterliegenden  Gebilde  des  untern,  dann  auch  des  obern  Lides, 
endlich  selbst  den  blossgelegten  Bulbus  und  die  knöcherne  Wandung 
der  Orbita  (bis  zur  Communication  mit  der  Nasen-,  Highmors-,  selbst 
der  Schädelhöhlej.  Erst  wenn  die  Affection  über,  die  Haut  hineinge- 
griffen hat,  pflegen  heftige  Schmerzen  einzutreten,  und  erst  wenn  eine 
beträchtliche  Geschwürsfläche  vorhanden  ist,  schwellen  die  Lymphdrü- 
sen (um  die  Parotis)  an.  Dann  entsteht  auch  Schlafmangel,  Abmage- 
rung, üble  Gesichtsfarbe,  Zehrfieber.  „Innere  Organe  werden  von 
diesem  Processe  nie  ergriffen;  auch  findet  man  bei  den  Leichenunter- 
suchungen nie  an  einem  Eingeweide  irgend  eine  andere  Krebsform." 
(Schuh.) 

„Die  Ursachen  der  Entstehung  sind  selten  klar.  Meistens  lässt 
sich  keine  äussere  Veranlassung  auffinden;  das  innere  ursächliche 
Moment  ist  in  der  Regel  vorwaltend  und  liegt  in  einer  eigenthümlichen 
Blutmischung,  die  sich  nur  bei  Menschen  über  40  Jahren  entwickelt. 
Hier  kann  die  geringste  mechanische  Reizung  hinreichen,  um  in  einer 
excoriirten  oder  in  Granulation  begriffenen  Stelle  eine  solche  Unistim- 
mung  im  Bildungsprocesse  hervorzurufen,  dass  es  zum  Hautkrebse 
kommt.  Es  lässt  sich  aber  nicht  leugnen,  dass  die  Krankheit  nicht 
selten  rein  örtlich  sei,  indem  sie  gegen  die  Regel  bei  blühenden 
Männern  und  Weibern  in  den  zwanziger  Jahren  vorkommt,  und  aus 
zufälligen  Wunden  durch  mechanische   oder  dynamische  Misshandlung 


Pseudoplasmeii  —  Krebs.  359 

sich  herausbildet."  (Schuh.)  In  einigen  von  mir  beobachteten  Fällen 
hatte  sich  das  Übel  bei  Individuen,  die  sonst  für  gesund  erklärt  werden 
konnten,  und  noch  nicht  über  36  Jahre  alt  waren,  ohne  bekannte  Ver- 
anlassung entwickelt. 

„Da  der  flache  Krebs  am  häufigsten  unter  allen  bösartigen  Ge- 
schwülsten als  örtliche  Krankheit  auftritt  und  immer  einen  sehr  lang- 
samen Verlauf  beobachtet,  so  leistet  die  chirurgische  Behandlung  sehr 
oft  (?)  radicale  Hilfe.  Hat  man  alles  Krankhafte  beseitigt,  so  sind  Re- 
cidiven  selten,  falls  noch  keine  Drüsenanschwellungen  bestehen.  Die 
Beseitigung  geschieht  durch  Atzmittel  oder  durch  Exstirpation."  (Schuh.) 
Am  Auge  habe  ich  auch  unter  den  günstigsten  Auspicien  nicht  so  glück- 
liche Resultate  erhalten,  auch  nicht  von  Andern  trotz  Beobachtung  aller 
Regeln  der  Kunst  erhalten  sehen. 

In  dein  1.  Falle  ( l  S4 1 ,  trat  nach  vollkommener  Zerstörung  durch  Chlorzink  (Pasta 
aus  7  Gran  mit  ]  Scr.  Mehl  nach  Canquoin)  Heilung  ein,  und  hatte  auch  die  Beseiti- 
gung des  dureh  Zerstörung  der  äussern  Commissur  entstandenen  Ectropium  palp.  infer. 
mittelst  der  Tarsoraphie  nach  Walther  (etwa  '/2  Jahr  später)  keine  Kecidive  zur  Folge; 
diese  trat  erst  3/i  Jahr  später  ein,  konnte  aber  trotz  nochmaliger  energischer  Zerstörung 
durch  obige  Pasta  und  trotz  allgemeiner  Behandlung  nicht  für  die  Dauer  verhütet  werden. 
Als  ich  den  Mann  in  seinem  42.  Jahre  (9  Jahre  nach  der  Behandlung)  das  letzte  Mal 
sah,  bot  er  durch  Blosslegung  und  theilweise  Zerstörung  der  Orbitalwandung  (untere 
und  innere)  einen  fürchterlichen  Anblick  dar.  —  In  zwei  andern  Fällen,  wo  die  Affec- 
tion  noch  auf  eine  so  kleine  Partie  beschränkt  war,  dass  Prof.  Pitha,  der  die  Exstir- 
pation vornahm,  nicht  nur  diese,  sondern  auch  die  Vereinigung  der  Wunde  so  gut,  als 
man  nur  wünschen  konnte,  durchzuführen  vermochte  (bei  einem  Manne  von  etwa  36 
und  einer  Frau  von  5U  Jahren),  trat  ebenfalls  nach  Jahresfrist  abermals  Infiltration  ein. 
—  Die  von  mir  im  August  1544  nicht  bloss  durch  Exstirpation,  sondern  auch  durch 
Transplantation  eines  Hautstückes  operirte  36jährige  Bäuerin  Marek  Katharina,  deren 
Krankengeschichte  Hasner  1.  c.  S.  258  mitgetheilt,  um  ein  neues  Verfahren  der  Blepharo- 
plastik  zu  beschreiben,  war  im  Jahre  1S47  nicht  mehr  geheilt,  denn  sie  kam  am  1. 
December  1S46  recidiv  auf  die  Augenklinik  und  wurde  von  da  an  Dr.  Hasner  gewiesen, 
der  die  Exstirpation  und  Blepharoplastik  am  14.  December  1845  vorgenommen  hatte. 
Wie  Hasner  diese  Kranke,  deren  Ptecidive  auch  von  Dr.  Pilz  constatirt  wurde,  noch  im 
Jahre  1 S47  „vollkommen  hergestellt"  finden  konnte,  ist  mir  unbegreiflich.  —  Ob  in  zwei 
andern  Fällen  die  Heilung  dauerhaft  gewesen ,  weiss  ich  nicht ;  die  Kranken  sind  mir 
nicht  mehr  zu  Gesicht  gekommen. 

bj  Der  drüsige  oder  alveolare  Epithelialkrebs ,  welcher  sich  nicht 
bloss  nach  der  Fläche,  sondern  auch  nach  der  Tiefe  ausdehnt,  und 
nicht  nur  in  der  Haut,  sondern  auch  im  Unterhautzellgewebe  und  in 
den  Muskelfasern  abgelagert  wird,  kommt  bald  als  umschriebene  Ge- 
schwulst, bald  auch  infiltrirt  vor.  Es  bilden  sich  in  oder  unter  der 
Haut  ein  oder  mehrere  runde,  harte  und  bei  stärkerem  Drucke  schmerz- 
hafte Knötchen,    welche   an  und  für  sich  oder  durch  Verschmelzimg 


360  Augenlider. 

mehrerer  zur  Grösse  einer  Erbse,  höchstens  einer  Wallnuss  anwachsen, 
bevor  sie  aufbrechen,  was  in  Zeit  einiger  Wochen  oder  Monate  ge- 
schieht. Nach  dem  Wundwerden  zeigt  sich  keine  Höhle,  da  die  Haut 
sehr  alhnälig  durch  den  Krebs  verdrängt  wurde,  welcher  früher  keine 
Verjauchung  einging.  Die  offene  Stelle  ist  dunkel-,  bisweilen  braun- 
roth  und  ziemlich  eben.  Wenn  das  schmutzigweisse ,  dünne  Secret 
nicht  fleissig  abgespült  wird,  verbreitet  es  einen  üblen  Geruch  oder 
vertrocknet  zu  Krusten.  Bisweilen  bilden  sich  streifenweise  Überhäu- 
tungen oder  wirkliche  grubige  Narben.  Die  Ränder  sind  aufgeworfen, 
mehr  weniger  nach  aussen  gekehrt,  und  rundliche  Wülste  darstellend 
oder  rundlich  eingekerbt.  Die  benachbarten  Lymphdrüsen  werden  hier 
gewöhnlich  sehr  bald  in  dieselbe  Metamorphose  gezogen.  Dann  ist  die 
Aussicht  auf  günstigen  Erfolg  der  Exstirpation  sehr  gering.  „Unter 
den  Krebsformen  am  Auge  ist  der  Epithelialkrebs  (als  flacher  und 
alveolarer)  der  einzige,  den  ich  ausser  dem  Markschwamme  beobachtete. 
Er  entsteht  immer  an  der  vordem  Gegend  der  Schleimhaut  des  Aug- 
apfels, der  Lider,  oder  von  der  Caruncula  in  Form  eines  oder  mehrerer 
Knötchen."  (Schuh.)  Ich  habe  in  2  Fällen  von  solcher  Infiltration  des 
untern  Lides  die  Exstirpation  und  darauf  die  Blepbaroplastik  nach 
Diejjenbach  vorgenommen,  vor  2  und  vor  1  Jahr,  bis  jetzt  jedoch  noch 
nichts  über  das  fernere  Verhalten  erfahren. 

c)  In  früheren  Jahren  glaube  ich  auch  den  laarzenähnlichen  Epi- 
thelialkrebs nach  der  Schilderung,  die  Schuh  davon  entwirft,  beobachtet 
zu  haben,  und  zwar  am  obern  Lide.  Da  ich  indessen  weder  eine  Ope- 
ration noch  eine  genauere  Untersuchung  vornahm,  so  will  ich  für 
dieses  Vorkommen  nicht  einstehen.  Nach  Schuh  erscheint  derselbe  in 
Form  von  einfachen  warzenähnlichen  Kolben,  welche  Epithelialzellen  als 
Belegmasse  und  eingeschlossen  enthalten,  und  kommt  vorzüglich  in  der 
Haut  des  Gesichtes,  seltener  in  andern  Gegenden  vor.  Schuh  beob- 
achtete diese  Affection  an  der  Ober-  und  an  der  Unterlippe,  am  Nasen- 
flügel und  an  der  Wange,  in  4  Fällen  nach  Verletzungen,  im  5.  ohne 
äussere  Veranlassung.  Das  rasche  Wachsen  bestimmte  ihn  bei  Zeiten 
zur  Operation. 

m.    Motilitätsstörungen. 

1.  Ich  wurde  mehrmals  wegen  unwillkürlichen  Zitterns  der  Augen- 
lider um  Rath  gefragt.  Bei  genauerer  Nachforschung  erfuhr  ich,  dass 
dasselbe  vorzüglich  nach  angestrengtem  Sehen  bemerkt  worden  war; 
doch  trat  es,  einmal  entstanden,  auch  ausser  der  Zeit  der  Beschäftigung 


Paralystische  x4ffectionen.  361 

ein,  nicht  continuirlich,  nur  weilenweise.  Wo  ich  einen  solchen  Anfall 
zu  beobachten  Gelegenheit  hatte,  konnte  ich  leichte  vibrirende  Be- 
wegungen oder  Zuckungen  bemerken,  doch  nur  an  den  untern  Lidern, 
einer-  oder  beiderseits.  Das  häutige  Vorkommen  dieses  Zustandes  an 
Augen  mit  ungenügender  Accommodationskraft  und  nach  übermässig* 
langer  Anstrengung  der  Sehkraft  Hess  den  ursächlichen  Zusammenhang 
hiemit  nicht  verkennen  und  bezeichnete  mir  dieses  Übel  als  relative 
Insufßcienz-  des  Orbicularmuskels.  Nur  in  einigen  wenigen  Fällen 
schien  Verkältung,  namentlich  Zugluft  die  Veranlassung  dazu  gegeben 
zu  haben.  Übergang  in  förmliche  Paresis  oder  Paralysis  habe  ich  nie 
beobachtet.  Das  Übel  schwindet  bei  einem  den  ursächlichen  Momenten 
entsprechenden  Verhalten  und  Heilverfahren.  (Viel  Bewegung  im  Freien, 
Waschen  mit  spirituös-aromatischen  Flüssigkeiten,  kalte  Douche  — 
trockne  Wärme,  aromat.  Kräuterkissen.) 

2.  Ein  gewisser  Grad  von  Insufßcienz  des  Schliessmuskels  wird 
nicht  selten  bei  alten  Leuten  bemerkt,  welche  früher  fettreich  waren, 
mehr  flach  liegende  Augen  hatten,  und  nun  starke  Faltung  und  Runze- 
lung  der  Lidhaut  darbieten.  Der  Arzt  wird  entweder  wegen  Thränen- 
träufeln  oder  wegen  Zufällen  chronischen  Bindehautkatarrhes  oder 
endlich  wegen  Auswärtsstülpung  des  Lidrandes,  selbst  des  ganzen  untern 
Lides  consultirt.  Diess  ist  nämlich  die  Reihenfolge  der  Zufälle,  welche 
daraus  entstehen,  dass  die  Fasern  des  Muse,  Albini  nicht  mehr  im 
Stande  sind,  beim  gewöhnlichen  Lidschlage  das  untere  Lid  gehörig  an 
den  Bulbus  anzudrücken.  Spirituös-aromatische  Einreibungen  in  die 
Cutis,  mit  Kampher  bestrichene  Kräuterkissen,  Waschungen  mit  Sohlt. 
Lapid.  divini  oder  Collyr.  adstr.  luteum  wie  bei  chronischem  Katarrh, 
und  ähnliche  Mittel  können  bloss  zu  Anfang  nützen;  wo  bereits  Ektro- 
piuni  besteht,  vermag  nur  die  Tarsoraphie  nach  Walther  abzuhelfen; 
weniger  zu  empfehlen  ist  hier  das  Ausschneiden  eines  keilförmigen 
Stückes  aus  dem  relativ  zu  langen  Lide  nach  Adams. 

3.  Die  von  mangelhafter  Innervation  abhängige  Lähmung  des 
Schliessmuskels  gibt  sich  in  den  geringsten  Graden  bloss  durch  Thränen- 
träufeln,  in  mittlem  Graden  überdiess  durch  insufficiente  Wirkung  beim 
Versuche,  das  Auge  fest  zu  schliessen,  in  den  höchsten  Graden  durch 
beständiges  Offenstehen  der  Lidspalte  (Mangel  des  Lidschlages)  und 
Abstehen  oder  vielmehr  Nicht-anschliessen  des  untern  Lides  an  den 
Bulbus  kund;  später  kann  auch  Umstülpung  dieses  Lides  dazu  treten. 
Je  nach  der  Stelle,  wo  der  Nerv,  facialis  ergriffen  ist,  beschränkt  sich 
die  Lähmung  bloss  auf  den  Schliessmuskel  (selten),  auf  mehrere  oder 
auf  alle  von  diesem  Nerven  versehene  Muskeln,  erscheint  der  Stand  der 


362  Augenlider. 

Augenbraue  höher,  der  Mund  nach  der  andern^  Seite  verzogen,  der 
Nasenflügel  eingesunken  u.  s.  w.  —  Von  peripherischen  Veranlassungen 
kennen  wir  nur:  Verkältung,  Verletzungen,  Druck  durch  Geschwülste 
oder  infiltrirte  Drüsen  (an  der  Parotis,  zwischen  Unterkiefer  und 
Zitzenfortsatz),  Knochenerkrankung  im  Verlaufe  des  Fallopischen 
Canales.  Die  centralen  Ursachen  sind  die  in  der  Schädelhöhle  ge- 
legenen Veränderungen.  —  Die  günstigste  Prognosis  gestatten  die 
Fälle  von  Verkältung  oder  von  Druck,  der  sich  beseitigen  lässt.  — 
Eücksicktlich  der  Behandlung  können  wir  füglich  auf  das  bei  der  Läh- 
mung der  Augenmuskeln  Gesagte  verweisen. 

4.  Wenn  der  Aufhebe?*  des  ohern  Lides  insufßcient  ist,  weil  dieses 
für  ihn  zu  schwer  geworden,  so  hat  man  den  Zustand  Vorfall  des 
obern  Lides,  Ptosis  palp.  genannt,  während  man  die  von  mangelhafter 
Innervation  des  Aufhebemuskels  abhängigen  Zustände  als  Atonie  und 
als  Lähmung  desselben  bezeichnet.  —  Um  diese  Zustände,  welche  beim 
ersten  Anblicke  bloss  ein  Herabhängen  des  Lides  über  den  Bulbus  dar- 
bieten, nicht  zu  verwechseln,  untersuche  man  zunächst,  ob  nicht  eine 
mechanische  Ursache  davon  aufgefunden  werden  könne,  in  Vergrösserung 
des  Lides  (seiner  einzelnen  Gebilde)  oder  in  abnormen  Adhäsionen. 
Bei  chronischen  Bindehautentzündungen  (Blennorrhoe,  Trachom,  um- 
schriebenen Bindehautwucherungen,  z.  B.  um  fremde  Körper)  wird  das 
Lid  in  der  Regel  nicht  zur  normalen  Höhe  emporgehoben.  Bei  manchen 
Individuen  kommt  eine  so  starke  Faltung  der  Haut  des  obern  Lides 
vor,  dass  sich  dieselbe  förmlich  über  den  Lidrand  herablegt,  und  zwar 
nicht  bloss  nach  entzündlichen  Affectionen,  sondern  auch  ohne  bekannte 
Veranlassung  oder  als  Vitium  primae  formationis.  Dieser  Übelstand 
lässt  sich  durch  Ausschneiden  einer  entsprechenden  Falte  (nach  der 
Pachtung  der  Muskelfasern)  beseitigen.  Bei  der  angeborenen  Ptosis, 
die  ich  in  hohem  Grade  nur  auf  einem,  in  massigem  Grade  auch  auf 
beiden  Augen  beobachtet  habe,  kann  durch  Excision  einer  solchen 
Hautfalte  nur  Verbesserung  des  Lidstandes  erreicht  werden,  wenn  die 
Bewegungen  des  Lides  ganz  fehlen  (Mangel  des  Levator?)  oder  nur 
in  sehr  beschränktem  Masse  gestattet  sind.  —  Geringere  Energie 
(Atonie)  des  Augenlidhebers  beobachtet  man  nach  langwierigen  Augen- 
entzündungen mit  anhaltender  oder  häufiger  excessiver  Action  des 
Schliessmuskels  und  bei  alten  Leuten.  Die  Behandlung  ist  analog  der 
bei  Insuffizienz  des  Schliessmuskels  angegebenen.  —  Lähmung  des 
Augenlidhebers  kommt  meistens  mit  Lähmung  der  übrigen  vom  N. 
oculomotorius  versehenen  Muskeln,  doch  auch  für  sich  allein  vor.  Sie 
kann  rheumatischer  Natur  sein  und  lässt  sich  dann  noch  am  leichtesten 


Spastische  Affeetionen.  363 

heilen,  kommt  aber  auch  nach  Verletzungen  oder  bei  Druck  auf  den 
Levator  in  der  Orbita  vor. 

5.  Spastische  Contractionen  des  Schliessmuskels  sind  am  häutigsten 
bedingt  durch  Reizung  der  sensitiven  Zweige  des  Trigeminus ,  welche 
das  Auge  u?id  die  Lider  versorgen.  Sie  kommen  demnach  in  ver- 
schiedenem Grade  und  in  verschiedener  Dauer  vor:  bei  Reizung  durch 
fremde  Körper,  durch  Entzündung,  durch  Pseudoplasmen  oder  Entozoen, 
sind  immer  von  Lichtscheu  und  Thränenfluss,  meistens  auch  von 
Schmerzen  begleitet,  und  bieten,  wenn  nicht  einen  continuirlichen ,  so 
doch  mehr  einen  re-  als  intermittirenden  Typus  dar.  Hiedurch  unter- 
scheiden sie  sich  zunächst  von  den  Contractionen ,  welche  die  Anfälle 
von  Neuralgien  des  Trigeminus  begleiten,  deren  Sitz  meistens  der  Ram. 
supraorbitalis  oder  infraorbitalis  ist.  Fälle  von  Neuralgia  ciliaris,  deren 
mehrere  Autoren  erwähnen,  habe  ich  bisher  noch  keine  beobachtet. 
Ohne  Schmerzen  und  ohne  Lichtscheu  bestehen  jene  Contractionen, 
welche  die  Bedeutung  der  Chorea  minor  haben,  und  selten  auf  den 
Schliessmuskel  allein  beschränkt  sind.  Sie  treten  auch,  was  ich  ge- 
sehen, nur  auf  einer  Gesichtshälfte  auf.  Hievon  verschieden  ist  eine 
eigenthümliche  Art  von  Blepharospasmus,  welche  ich  bisher  bei  vier 
Individuen  beobachtet  habe.  Plötzlich  und  ohne  alle  Vor-  oder  Neben- 
erscheinungen werden  die  Augen  auf  einige  Secunden,  höchstens  auf 
2 — 3  Minuten  krampfhaft  geschlossen,  und  der  Betroffene  ist  um  keinen 
Preis  im  Stande,  sie  zu  öffnen,  ausser  mit  den  Fingern,  ja  bisweilen 
auch  da  nur  mit  Mühe  und  Anstrengung.  Ist  der  Anfall  vorüber,  so 
fühlt  der  Kranke  sich  auch  wieder  völlig  wohl.  Nach  häufiger  und 
intensiver  Wiederholung,  wobei  das  Auge  etwas  mehr  thränt,  stellt  sich 
ein  hyperämischer  Zustand  der  Bindehaut  ein,  und  die  Hautvenen  der 
Lider  erscheinen  etwas  erweitert.  Sonst  ist  weder  an  den  Lidern  noch 
an  den  Bulbis  irgend  eine  Abnormität  wahrnehmbar,  auch  keine  Sen- 
sibilitätsstörung nachweisbar,  weder  während,  noch  ausser  der  Zeit  der 
Anfälle.  Auf  die  Häufigkeit  und  Intensität  der  Anfälle  scheinen  auch 
äussere  Einflüsse  nicht  bestimmend  einzuwirken;  sie  kommen  auf  der 
Gasse  —  und  der  Kranke  muss  stehen  bleiben,  beim  Essen,  beim 
Lesen,  beim  Nichtsthun.  Die  Individuen  waren  alle  zwischen  55  und 
72  Jahre  alt,  3  Männer  (1  Jude,  2  Beamten),  1  Frau  (Jüdin),  hager, 
gesund  aussehend,  ohne  erhebliche  Gesundheitsstörungen. 

Bei  dem  1.  Kranken,  einem  Handelsmanne  von  65  Jahren,  versuchte  ich  nach  ein- 
ander Flores  zinci,  Yalerianas  zinci,  Magist.  bismuthi,  Cupr.  ammoniacale,  ohne  Erfolg, 
bis  ich  endlich  —  nach  Ad.  Schmidt  —  in  der  Gegend  des  Zitzenfortsatzes  ein  Causti- 
cum  anwandte,  Pasta  von  Chlorzink.     Die  Anfälle  blieben  durch   beinahe  3/i  Jahre  ganz- 


364  Augenlider. 

lieh  aus,  kehrten  allmälig  "wieder,  und  wurden  durch  "Wiederholung  desselben  Mittels 
"bleibend  —  bis  zu  dem  5  Jahre  später  erfolgten  Tode  —  beseitigt.  Der  eine  von  den 
beiden  Beamten  (aus  Graz)  consultirte  mich  auf  seiner  Durchreise  nach  Karlsbad;  ich 
rieth  ihm  dasselbe  Mittel,  habe  aber  weiter  nichts  erfahren.  Der  Andere  leitete  sein  Lei- 
den von  anstrengenden  Arbeiten  bei  grellem  Licht  und  von  Blendung  durch  Schnee- 
licht ab ;  doch  war  die  Sehkraft  gut ,  und  ein  Netzhautleiden  nicht  nachzuweisen.  Er 
war  etwas  empfindlich  gegen  das  grelle  Licht,  trug  aber,  als  ich  ihn  sah,  bereits  längere 
Zeit  blaue  Brillen.  Merkwürdig  war  bei  diesem  Mann ,  dass  er  die  Anfälle  abkürzen, 
meistens  im  Entstehen  ersticken  konnte ,  wenn  er  anfing  zu  pfeifen ;  auch  das  Violin- 
spielen hatte  denselben  Effect,  nicht  aber  das  blosse  Anhören  von  Musik  (was  ich  ver- 
suchsweise vornehmen  Hess).  Er  war  ohngefähr  6  Wochen  nach  Entstehung  des  "Übels 
nach  "Wien  gegangen  und  dort  durch  3  Wochen  mit  Belladonnasalben,  Valeriana,  Tinct. 
castorei  und  einigen  andern  Mitteln  behandelt  worden,  ohne  Besserung,  und  kam  im  G. 
Monate  der  Krankheitsdauer  nach  Prag,  wo  auch  wir  mehrere  Mittel  (Veratrinsalbe,  Flor, 
zinci,  Con.  maculatum)  ohne  Erfolg  anwandten.  Zur  energischen  Anwendung  obiger 
Ätzpasta  konnte  er  sich  nicht  entschliessen ,  da  sein  Zustand  schon  durch  das  blosse 
Auflegen  der  Cantharidenpflästerchen ,  wie  er  angab ,  bedeutend  verschlimmert  worden 
sei.  —  Der  Frau  ordinirte  ich  Ferrum  carbon.  sacchar.  mit  Extr.  conii  macul. ;  dass  nach 
8  Wochen  Besserung  eingetreten  war,  berichtete  mir  ihr  Mann;  ob  Heilung  erfolgte,  ist 
mir  unbekannt   geblieben. 

Einen  eigenthümlichen  Fall  von  Blepharospasmus  bei  einem  jungen  Manne,  dem 
ein  Apfel  an  das  linke  Auge  geworfen  worden  war,  hat  A.  von  Gräfe  im  Archiv 
f.  0.  B.  I.  Abth.  1.  S.  440  beschrieben.  Ein  Theil  des  Apfelstieles  war  in  den  Binde- 
hautsack eingedrungen  gewesen  und  daselbst  '/«  Stunde  geblieben.  Unmittelbar  darauf 
war  an  der  betroffenen  Seite  permanenter  Lidkrampf  aufgetreten,  welcher  nur  für 
eine  kurze  Periode  eine  Unterbrechung  erlitten  hatte.  In  jener  Periode,  wo  er  allein 
fähig  gewesen  war,  die  Lider  zu  öffnen,  versichert  er  zwar  alle  Gegenstände  mit 
diesem  Auge  erkannt,  aber  dabei  eine  durch  das  ganze  Gesichtsfeld  verbreitete  rothe 
Färbung  wahrgenommen  zu  haben.  Als  ihn  Gräfe  einige  Monate  nach  Entste- 
hung des  Übels  sah ,  waren  die  Lider  des  linken  Auges  fest  geschlossen ;  das  rechte 
Auge,  für  gewöhnlich  frei  von  spastischen  Anfällen,  zeigte  nur  während  des  Heftig- 
werdens der  Contractionen  an  dem  linken  einiges  Zucken  an  den  Lidrändern.  Suchte 
man  die  Lider  des  linken  Auges  zu  öffnen,  so  äusserte  Pat.  den  lebhaftesten  Schmerz, 
lind  fing  unwillkürlich  an,  nicht  bloss  die  Gesichtszüge  stark  zu  verzerren,  sondern  auch 
die  Extremitäten  convulsivisch  zu  bewegen.  Dagegen  konnten  die  Lider  in  einer  der 
Lidspalte  zuführenden  Richtung  (der  Wirkung  des  Orbicularis  conform)  dislocirt  und 
an  einander  geschoben  werden,  ohne  dass  Pat.  dadurch  im  mindesten  belästigt  wurde, 
wie  auch  die  einfache  Berührung  der  Hautpartien  keineswegs  von  Hyperästhesie  der- 
selben zeugte.  Während  der  Chloroformbetäubung  hörte  der  Krampf  vollkommen  auf, 
und  Hessen  sich  die  Lider  leicht  öffnen.  Der  Bulbus  erschien  gesund,  die  Pupille  nor- 
mal gross  und  beweglich,  nirgends  war  eine  Spur  eines  fremden  Körpers  oder  einer 
Texturveränderung  wahrzunehmen.  Kurz  nach  dem  Zurückkehren  des  Bewusstseins 
stellte  sich  der  Krampf  ganz  unverändert  wieder  ein.  Nach  Anwendung  verschiedener 
äusserer  und  innerer  Mittel  trat  statt  Besserung  Verschlimmerung  des  Zustandes  ein,  in- 
dem namentlich  auch  allgemeine  Convulsionen  nicht  nur  auf  Versuche,  die  Lider  ausein- 
ander zu  ziehen,  sondern  auch  von  selbst  anfallsweise  sich  einstellten.  Anfangs  wollte 
Gr.  die  subcutane  Durchschneidung  der  zum  Orbicularis   gehenden  Facialäste  vornehmeu, 


Entropium.  365 

entschloss  sieh  jedoch,  nach  einer  Consultation  mit  Romberg,  zur  subcutanen  Durchschnei- 
dung des  Superorbitalnerven,  indem  das  Übel  als  ein  von  pathologischer  Erregung  der 
Gefühlsnerven  ausgehender  Reflexkrampf  aufgefasst  wurde.  Der  Erfolg  entsprach  der 
Erwartung  vollständig  und  bleibend.  Gräfe  erklärt  sich  nach  Erwägung  aller  hier  denk- 
baren Deutungen  für  die,  dass  durch  Trennung  des  Superorbitalnerven  und  Aufhebung 
der  von  diesem  abhängigen  Empfindlichkeit  der  Muskelfasern,  welche  durch  jede  Deh- 
nung des  Muskels  gesteigert  wurde,  die  Hyperästhesie  des  M.  orbicularis  und  somit  auch 
die  bievon  abhämrie-en  Reflexwirkunaren  behoben  wurden. 


IV.    Fehlerhafte  Lage,  Verwachsung',  Trennung,  Zerstörung. 

1.  Entropium,  die  Uinstülpung  des  Lidrandes  nach  innen,  so  dass 
die  Cutis  den  Bulbus  berührt,  kommt  häutiger  an  dem  untern  als  an 
dem  obern  Lide  vor.  Sie  ist  nicht  zu  verwechseln  mit  der  blossen 
Eiuwärtswendung  der  Cilien,  welche  entweder  bloss  auf  abnormem 
Hervorsprossen  der  Cilien  beruht  {Distichiasis) ,  wobei  die  Lage  des 
Lidrandes  ganz  normal  sein  kann,  oder  auf  Verlust  (Abschliff)  der 
innern  Kante  (Trzck/asü) ,  welche  allerdings  bei  weiterer  Entwicklung 
des  Übels  zur  Einstülpung  des  Lidrandes  selbst  führen  kann.  Auf  die 
Zufälle  und  üblen  Folgen  der  Einwärtswendung  des  Lidrandes  haben 
wir  bereits  im  I.  Bande  S.  128  aufmerksam  gemacht. 

Das  wichtigste  Moment  zur  Einwärtsstülpung  der  Lider  bildet 
lange  anhaltende  oder  häufig  wiederholte,  excessive  Contraction  des 
Schliessmuskels,  in  specie  der  innern  Portion  (Muse.  Albini).  Für  sich 
allein  jedoch  scheint  dieses  Moment,  das  bei  jeder  Art  von  Entropium 
eiüe  wohl  zu  berücksichtigende  Rolle  spielt,  Entropium  nicht  bewirken 
zu  können.  Die  mitwirkenden  Momente  sind:  Verschrumpfung  der 
Bindehaut  und  des  Tarsus  mit  AbrunduDg  der  innern  Kante,  Verenge- 
rung der  Lidspalte  vom  äussern  Winkel  her  (Blepharophimosis),  öde- 
matöse  Schwellung  der  Cutis,  oder  endlich  Zurücksinken  des  früher 
flach  gelegenen  Bulbus,  wobei  das  Lid  relativ  zu  lang  ist  und  die  Cutis 
stark  gerunzelt  erscheint. 

Von  der  Einwärtswendung  des  Lidrandes,  welche  in  Folge  von 
Verschrumpfung  der  Bindehaut  und  des  Tarsus  mit  Verlust  der  innern 
Lidkante,  also  nur  als  höherer  Grad  von  Trichiasis  auftritt,  und  welche 
man  Entr.  organicum  genannt  hat,  war  bereits  im  I.  Bande  S.  128  die 
Eede,  und  wurde  eben  daselbst  S.  144 — 147  das  dagegen  anzuwendende 
Heilverfahren  angegeben. 

Ebenso  wurde  dort  S.  129  der  Blepharophimosis  und  S.  143  der 
dagegen  anzuwendenden  Operation  gedacht. 


366  Augenlider. 

Blepharospasmus  allein  scheint  nur  dann  Entropium  bewirken  zu 
können,  wenn  er  durch  Behinderung  des  Blutrückflusses  starke  ödema- 
töse  Schwellung  der  Cutis  bewirkt  hat,  und  auch  diese  Fälle  sind  — 
nach  meinen  Beobachtungen  —  äusserst  selten,  und  betreffen  nur  das 
untere  Lid.  Man  hat  diese  Form  Entr.  spasticum  genannt.  Sollten  die 
gegen  den  Blepharospasmus  empfohlenen  Mittel  bei  fleissiger  Reposi- 
tion des  Lides  nicht  ausreichen,  so  wäre  wohl  die  von  Hetdenreick 
empfohlene  subcutane  Durchschneidung  des  Schliessmuskels  gerecht- 
fertigt, welche  nach  Einschiebung  einer  Hornplatte  keine  Schwierigkei- 
ten macht,  auf  die  über  dem  Tarsus  gelegenen  Fasern  zu  beschränken 
ist,  und  der  Sicherheit  wegen  an  zwei  Stellen  (gegen  die  Enden  des 
Knorpels  hin)  vorgenommen  wird. 

Die  Ursache  des  sogenannten  Entr.  senile  hat  man  wohl  vorzüglich 
desshalb  in  Erschlaffung  der  Haut  gesucht,  weil  die  Ausschneidung  einer 
Hautfalte  genügt,  dasselbe  zu  beseitigen.  Das  Missverhältniss  zwischen 
Cutis  und  Bindehaut,  wie  man  sich  ausgedrückt  hat,  ist  nur  ein  coexi- 
stirendes  Moment.  Es  kommt  dieses  Entropium  immer  nur  an  dem 
untern  Lide  vor,  wo  man,  wenn  die  Ursache  in  der  Haut  läge,  eher 
ein  Herabsinken  des  Lides  und  Auswärtsstülpung  erwarten  sollte.  Man 
sieht  es,  wo  die  oben  bezeichneten  Momente  vorhanden  sind,  also  mei- 
stens nur  bei  alten  Leuten,  nicht  selten  entstehen,  wenn  solche  Indivi- 
duen durch  Einfallen  eines  fremden  Körpers,  nach  einer  am  Bulbus  vor- 
genommenen Operation,  durch  eine  anderweitig  entstandene  Entzündung 
oder  Reizung  zu  öfterem  oder  vehementerem  Lidschlusse  veranlasst 
wurden.  Allerdings  kommen  auch  Leute  vor,  die  von  einer  solchen 
Veranlassung  nichts  wissen.  Nach  längerem  Verbinden  des  Auges  fin- 
det man  eine  solche  Einwärtsstülpung  mitunter  auch  bei  jüngeren  Indi- 
viduen, wenn  auch  nicht  gerade  Blepharospasmus  vorhanden  war.  — 
Oft  genügt  die  Beseitigung  der  Veranlassung,  das  Entfernen  eines  Staub- 
kornes, einer  am  äussern  Winkel  eingebogenen  Cilie  u.  dgl.,  und  das 
nachträglich  eine  Zeit  lang  fleissig  vorgenommene  Reponiren  des  fehler- 
haft gestellten  Lides.  Oder  man  fixire  eine  Falte  der  dünnen  über- 
schüssigen Haut  durch  Collodium  oder  ein  Englischpflaster.  Bei  inve- 
terirten  Fällen  hilft  nur  ein  operativer  Eingriff  radical.  —  a)  Will  man 
nach  dem  Vorgange  von  Callisen,  Helling  u.  A.  ein  lang- elliptisches 
Hautstück  durch  Bestreichen  mit  Nordhäuser  Schwefelsäure  zerstören, 
so  lasse  man  einen  Gehilfen  dafür  sorgen  (mittelst  Anhalten  von  Lösch- 
papier), dass  keine  Thränen  auf  die  betreffende  Stelle  fliessen,  und 
fahre  mit  dem  getränkten  Asbestpinsel  oder  Besenrüthchen  2  —  3  mal 
über  die  Haut,  parallel  dem  Lidrande  und  so,  dass  der  obere  Rand  des 


Entropium.  367 

zu  verscliorfenden  (2 — o'"  breiten)  Streifens  höchstens  2'",  aber  auch 
nicht  weniger  als  V"  von  der  Cilienreihe  entfernt  sei.  Nur  messer- 
scheue Individuen  dürften  dieses  Verfahren  dem  Ausschneiden  der  Haut- 
falte  vorziehen.  —  b)  Zum  Fassen  eines  3— 5y"  breiten  und  10 — 14'" 
langen  Hautstreifens  haben  Hlmli/,  Beer,  Langenbeck  u.  A.  die  soge- 
nannten Entropiumzangen  angegeben.  Jiingken  hat  gezeigt,  dass  diese 
Instrumente  entbehrlich  sind.  Man  fasst  je  nach  der  Erschlaffung  der 
Haut  und  dem  Grade  der  Einwärtswendung  des  Lidrandes  eine  mehr 
weniger  breite  Hautfalte  mit  Daumen  und  Zeigefinger  jener  Hand,  mit 
der  man  später  die  Scheere  (eine  gerade)  führen  will,  überzeugt  sich 
durch  Rollen  zwischen  den  Fingern,  dass  man  keine  Muskelfasern  mit- 
gefasst  habe,  legt  dann  an  der  Nasenseite  der  Finger  eine  Pincette  an, 
die  man  dem  hinter  dem  Kranken  stehenden  Gehilfen  übergibt,  an  der 
Schläfenseite  eine  zweite,  die  man  mit  der  andern  Hand  hält,  ergreift 
nun  mit  der  früher  zur  Faltenbildung  verwendeten  Hand  die  Scheere 
und  excidirt  die  jetzt  durch  die  Pincetten  gespannte  Hautfalte  in  einem 
Zuge,  die  Scheere  beim  Schneiden  etwas  nachschiebend.  Die  Pincetten 
müssen  so  angelegt  und  die  Scheere  muss  so  geführt  werden,  dass  der 
obere  Wimdrand  zum  Lidrande  nahezu  parallel  und  von  demselben 
weder  über  1ut  noch  unter  \'"  entfernt  verläuft.  Die  Wunde  wird  dann 
durch  4—5  blutige  Hefte  vereinigt.  Kommt  die  Narbe  weiter  als  2'" 
vom  Lidrande  zu  liegen,  so  nützt  die  Excision  gewöhnlich  nichts,  wegen 
der  grossen  Dehnbarkeit  der  Cutis.  Damit  man  kein  zu  breites  Stück 
excidire,  überzeuge  man  sich  vor  Anlegung  der  Scheere,  ob  der  Kranke 
das  Auge  noch  zu  schliessen  vermöge.  —  c)  Statt  dieser  Methode  habe 
ich  in  neuester  Zeit  das  von  Bau  *)  empfohlene  6rö///onfsche  Verfahren, 
etwas  modificirt,  angewendet,  und  zwar  mit  dem  besten  Erfolge.  Man 
fasst  eine  Hautfalte  mit  Daumen  und  Zeigefinger  der  linken  Hand,  mit- 
ten unter  dem  Lidrande,  sticht  an  der  Nasenseite  der  Finger  eine  leicht 
gekrümmte  Nadel  mit  einem  Faden  von  unten  nach  oben  (an  der  Basis 
der  Falte),  und  1 — 2'"  davon  entfernt  wieder  von  oben  nach  unten, 
nimmt  dann  dasselbe  Manöver  mit  einer  zweiten  Nadel  an  der  Schlä- 
fenseite der  Finger  vor,  und  knüpft  nun  die  Enden  des  1.  und  2.  Fa- 
dens, je  für  sich,  fest  zusammen,  wodurch  die  Falte  an  2  Stellen  (4 — 6"' 
von  einander  entfernt)  fixirt  und  abgeschnürt  erscheint.  Nach  48 — 60 
Stunden  werden  die  Ligaturen  entfernt.  Die  Fäden  dürfen  nicht  zu 
dünn  sein  und  nicht  zu  knapp  abgeschnitten  werden,  damit  sie  nicht 
zu  bald  durchschneiden  und  damit  ihre  Entfernung  nicht  durch  das  An- 

*)  Grä/e's  Archiv  für  Ophth.   Bd.  I.   Abth.  II.    S.  176. 


368  Augenlider. 

schwellen  der  Cutis  zu  sehr  erschwert  werde.  Nach  einigen  Tagen  ver- 
liert sich  die  Schwellung  und  allmälig  auch  die  Faltung  der  Cutis,  und 
die  Heilung  ist  erreicht. 

2.  Die  Umstülpung  des  Lides  nach  aussen,  Ectropium,  findet  entwe- 
der längs  des  ganzen  Lidrandes  statt  oder  vorzugsweise  an  einem  Win- 
kel, gegen  den  andern  hin  sich  allmälig  verlierend.  Diess  kann  sowohl 
an  dem  obern  als  an  dem  untern  der  Fall  sein.  Dieser  Zustand  ist 
jederzeit  entstellend  und  durch  beständige  Reizung  lästig;  in  gewissen 
Fällen  schliesst  er  auch  die  Unmöglichkeit  in  sich,  den  Bulbus  zu  be- 
decken (Lagophthalmus).  —  Bei  jedem  Ectropium,  es  mag  wodurch  im- 
mer bedingt  sein,  sind  3  Momente  ins  Auge  zu  fassen:  1.  dass  die  Bin- 
dehaut der  Lider,  nicht  für  den  Contact  mit  der  Luft  geschaffen,  wenn 
auch  Anfangs  gesund,  allmälig  dieselben  Veränderungen  erleidet,  wie 
die  Schleimbaut  der  Vagina,  des  Uterus,  des  Rectums  bei  Vorfall  dieser 
Organe  aus  ihren  Höhlen,  2.  dass  der  Knorpel  (oft  auch  die  äussere 
Commissur),  sei  es  durch  diesen  Vorgang  in  der  Bindehaut,  sei  es  durch 
Zerrung,  verlängert  wird,  wenigstens  am  Lidrande,  was  man  durch  ver- 
gleichende Messung  des  andern  Lides  constatiren  kann,  und  3.  dass  die 
innere  Portion  des  Schliessmuskels  (M.  Albini),  welche  bei  jedem  voll- 
ständigen Ectropium  den  Lidrand  mit  jedem  Augenlidschlage  an  die 
Cutis  andrückt,  somit  am  Bulbus  abwärts  (rückwärts)  anstatt  aufwärts 
(vorwärts)  streift,  in  permanente  Contraction,  endlich  wohl  auch  in  Con- 
tractur  und  Verkürzung  geräth.  Wenn  gleich  der  Entwurf  des  Heilplanes 
vorzüglich  durch  Berücksichtigung  der  sogenannten  entfernteren  Ursache 
bestimmt  wird,  so  muss  doch  jedem  dieser  Momente  dabei  Rechnung 
getragen  werden,  um  so  mehr,  je  stärker  dasselbe  ausgesprochen  ist. 

a)  Die  günstigste  Prognose  gestattet  das  Ectropium  als  Folge  chro- 
nischer oder  chronisch  gewordener  Bindehautblennorrhöe ,  gewöhnlich 
als  Ectr.  sarcomatosum  beschrieben.  Es  kommt  häutiger  an  dem  untern 
als  an  dem  obern  Lide,  selten  an  beiden  zugleich  vor.  —  Bei  frisch 
entstandenen  Fällen  (nach  Weinen,  ungeschicktem  Abziehen  der  Lider 
vom  Bulbus  u.  dgl.)  genügt  oft  die  einfache  Reposition,  indem  man 
das  Lid  an  den  Cilien  oder  an  der  Cutis  nächst  denselben  fasst,  und 
den  Kranken  nach  der  entsprechenden  Richtung  blicken  lässt,  nöthigen- 
falls  noch  den  kleinen  Finger  der  andern  Hand  bejiufs  der  Rückdrän- 
gung  auf  die  Mitte  des  convexen  Lidrandes  aufsetzt.  —  Auch  bei  län- 
ger dauernden  und  allmälig  entstandenen  Ectropien  dieser  Art  genügt 
bisweilen  die  Reposition,  doch  geschieht  es  hier  leicht,  dass  nach  eini- 
gen Augenlidschlägen  die  Umstülpung  wieder  da  ist.  Dann  lasse  man 
nach  vorgenommener  Reposition   beide  Augen  geschlossen  halten,  be- 


Ectropium.  369 

decke  das  Auge  noch  vor  Entfernung;  des  Fingers  mit  Charpie,  bis  zur 
völligen  Ausfüllung  der  Augengrube  und  führe,  um  einen  permanenten 
Druck  zu  erhalten,  eine  Binde  um  den  Kopf.  Sollte  sich  zeigen,  dass 
trotzdem  das  Lid  sich  unter  dem  Verbände  wieder  umstülpte,  so  ver- 
klebe man  vor  Anlegung  desselben  nicht  nur  das  kranke,  sondern  auch 
das  gesunde  Auge  mit  Englischpflaster.  Wo  starke  Wucherung  der 
Bindehaut  nicht  nur  im  Tarsal-  sondern  auch  im  Übergangstheile  be- 
steht, kann  man  die  Reposition  leichter  bewerkstelligen  und  erhalten, 
wenn  man  vorher  zahlreiche  seichte  Einschnitte  macht,  stark  wuchernde 
Papillen  mit  einer  flach  gebogenen  Scheere  abträgt,  und  das  Ganze 
recht  ausbluten  lässt.  Mit  Excisionen  aus  dem  Übergangstheile  sei  man 
vorsichtig,  weil  Substanzverluste  der  unter  der  Bindehaut  liegenden 
Fascie  später  leicht  zu  Entropium  führen  können.  Dasselbe  gilt  auch 
von  der  intensiven  Atzung  mit  Lapis  infernalis,  welche  überhaupt  so 
lange,  als  Verbinden  des  Auges  noth  thut,  nicht  wohl  anwendbar  ist 
(wegen  der  Schorf bildung).  Diese  oder  auch  andere  Mittel  anwenden 
und  dabei  die  Bindehaut  nicht  vor  dem  Contact  mit  der  Luft  bewahren, 
beisst  ohngefähr  so  viel,  als  ein  aus  seiner  Höhle  vorgefallenes  Organ 
auf  solche  Weise  zum  Zurückweichen  bestimmen  wollen.  —  Wo  Repo- 
sition und  Druckverband,  unterstützt  durch  Touchiren  mit  Cuprum  sul- 
fur.  in  der  Zwischenzeit,  nicht  genügen,  weil  der  Knorpel  wegen  langen 
Bestandes  bleibend  verlängert  ist,  wo  wenigstens  eine  Recidive  zu  be- 
sorgen steht  oder  eintritt,  weil  trotz  längerer  Behandlung  in  der  eben 
angegebenen  Weise  das  Lid  sich  nicht  gehörig  an  den  Bulbus  anlegte, 
bleibt  nichts  übrig,  als  die  Excision  eines  keilförmigen  Stückes  nach 
Adams  oder,  falls  Ausdehnung  der  äussern  Commissur  überwiegend 
Schuld  wäre,  die  Tarsoraphie  nach  PL  von  Walter  zu  machen.  Wie 
breit  der  excidirende  Keil  am  Lidrande  sein  soll,  ergibt  sich,  wenn  man 
die  Länge  des  betreffenden  Lidrandes  vom  Thränenpunkte  bis  zur  äus- 
sern Commissur  mit  einem  längs  der  Cilien  angelegten  Faden  misst, 
und  mit  dem  andern  Lide  vergleicht.  Dann  fasst  man  mit  einer  Pin- 
cette  oder  Kornzange,  einen  Arm  an  die  Cutis,  den  andern  an  die  Bin- 
dehaut gelegt,  das  Lid  unweit  der  äussern  Commissur,  führt  mit  einem 
bauchigen  Messer  zwei  Schnitte  vom  Lidrande  gegen  die  Wange,  deren 
Anfänge  so  weit  von  einander  abstehen,  als  das  Lid  zu  lang  ist,  deren 
Enden  etwa  5—6'"  vom  Lidrande  entfernt  in  der  Cutis  zusammenstos- 
sen,  fasst  hierauf  eine  gerade  Scheere,  und  schneidet  mit  dieser,  einen 
Arm  in  die  Hautwunde,  den  andern  an  die  Bindehaut  angelegt,  diese 
und  die  zwischenliegenden  Gebilde  auf  der  einen  wie  auf  der  andern 
Seite  der  Kornzange  durch.    Das  ausgeschnittene  Stück  bildet  gewisser- 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  24 


370  Augenlider. 

massen  ein  Tetraeder.  Um  die  Entstehung  eines  Coloboms  zu  verhü- 
ten, excidire  man  kein  zu  breites  Stück  (am  Lidrande),  verrichte  den 
Schnitt  durch  die  Haut  lieber  mit  dem  Messer,  obwohl  er  gleich  auch 
mit  der  Scheere  gemacht  werden  könnte,  lege  stets  die  umschlungene 
Naht  an,  und  führe  die  oberste  Nadel  knapp  an  den  Cilien  nicht  etwa 
bloss  durch  die  Cutis,  sondern  knapp  vor  dem  Knorpel,  nicht  durch 
diesen  selbst.  Es  eignet  sich  übrigens  dieses  Verfahren  auch  für  manche 
Fälle  von  Ectropium  wegen  Verkürzung  der  Cutis  oder  der  Augenlid- 
binde, so  wie  für  Fälle,  wo  ein  Krebs  oder  eine  Teleangiektasie  von 
geringem  Umfange,  aber  bis  auf  den  Knorpel  oder  die  Conjunct.  ein- 
greifend, excidirt  werden  soll.  —  Die  Tarsoraphie  nach  Walther  ist  ge- 
wissermassen  nur  eine  Übertragung  des  Adams'schen  Verfahrens  auf 
die  äussere  Commissur.  Die  mit  dem  Messer  zu  führenden  Schnitte 
haben  den  Zweck,  sowohl  vom  obern  als  vom  untern  Lide  nächst  des 
äussern  Knorpelendes  einen  Streifen,  etwa  1'"  lang,  \Ui  breit,  abzutra- 
gen und  convergiren  gegen  die  Schläfe  hin;  die  auf  diese  Weise  wund 
gemachten  Lidränder,  an  denen  keine  Haarzwiebeln  sitzen  geblieben 
sein  dürfen,  werden  durch  die  umschlungene  Naht  vereinigt,  um  das 
früher  umgestülpt  gewesene  Lid  an  das  andere  zu  heften,  dadurch  zu 
spannen  und  an  den  Bulbus  zu  ziehen.  Bei  beiden  Methoden  dürfte 
die  Durchschneidung  des  M.  orbicularis  einen  wesentlichen  Antheil  an 
der  Heilung  haben. 

b)  An  die  eben  besprochene  Form  reiht  sich  das  Ectropium  von 
insufficienter  oder  fehlender  Muskelaction,  ectrop.  senile  et  paralyticum, 
von  welchem  bereits  oben  die  Rede  war.  Es  kommt  nur  am  untern 
Lide  vor.  Bei  der  einen  wie  bei  der  andern  Art  ist  das  Verfahren  nach 
Walther  oder  auch  nach  Adams  anzuwenden,  sobald  keine  Aussicht 
mehr  vorhanden  ist,  das  Grundleiden  zu  beheben,  oder  wenn  das  Ectro- 
pium trotzdem  fortbesteht. 

c)  Das  durch  Zerstörung  der  äussern  Commissur  eingeleitete  Ectr. 
palp.  inferioris  wird,  falls  nicht  mit  zu  bedeutendem  Hautverluste  ver- 
bunden, einfach  durch  die  Tarsoraphie  beseitigt  werden  können,  wenn 
man  die  beiden  Schnitte  durch  die  Haut  so  lang  und  allenfalls  geschweift 
führt,  als  es  die  Excision  einer  Narbe  oder  eines  Krebsinfiltrates  er- 
heischt, und  nöthigenfalls  die  Wundränder  unterminirt,  um  sie  zur  Ver- 
einigung nachgiebig  zu  machen. 

d)  Die  grössten  Schwierigkeiten  setzen  der  Heilung  die  durch  Ver- 
kürzung der  Lidhaut  bedingten  Ectropien  entgegen.  (Diese  Bezeichnung 
ist  nicht  genau;  ich  behalte  sie  bei,  weil  sie  bequem  und  durch  langen 
Usus  eingebürgert  ist.)     Bei  der  ungewöhnlichen  Verschieb-  und  Dehn- 


Ectropium  —  Operation.  371 

barkeit  der  Augenlidhaut  können  Streifen  von  3— 4";  Breite  (von  oben 
nach  unten)  verloren  gehen,  durch  Verbrühung,  Atzung,  Verletzungen 
u.  dgl.,  ohne  dass  Ectropium  entsteht.  Es  pflegen  aber  viel  kleinere 
Substanzverluste  der  Haut  Ectropium  zu  erzeugen,  wenn  die  Verletzung, 
Eiterung  und  Narbenbildung  tiefer,  bis  auf  die  Fascia  tarso-orbitalis 
eingegriffen  hat,  wenn  diese  verkürzt,  und  somit  der  convexe  Rand  des 
Knorpels  gegen  den  Orbitalrand  hingezogen  ist.  Darum  führt  Caries 
am  Orbitalrande  in  der  Gegend  der  Thränendrüse  oder  am  Jochbeine, 
was  von  Amnion*)  zuerst  mit  klaren  Worten  auseinander  gesetzt  hat, 
so  leicht  zu  einer  der  schlimmsten  Formen  von  Ectropium,  wenn  auch 
gerade  nicht  viel  Cutis  verloren  ging.  Man  muss  demnach  unterschei- 
den, ob  bloss  die  Cutis,  oder  zugleich  auch  die  Augenlidbinde  verkürzt 
ist,  in  welchem  Falle  die  Cutis  an  einer  Stelle  an  den  Orbitalrand  fixirt 
erscheint.  —  Ectropien  von  blossem  Hautverluste  können  sich  allmälig 
von  selbst  verlieren,  wie  ich  nach  ziemlich  ausgebreiteten  Substanzver- 
lusten in  Folge  von  Thränensackentzündung  einige  Male  beobachtet  habe. 
Ob  die  von  Richter,  Beer  u.  A.  empfohlenen  Einreibungen  der  verkürz- 
ten Haut  mit  Ol,  so  wie  das  Streichen  und  Dehnen  derselben  von  di- 
rectem  Nutzen  seien,  ist  noch  nicht  entschieden;  jedenfalls  sind  sie  gut, 
den  Kranken  zu  beschäftigen,  bis  die  letzten  Nachklänge  der  Entzün- 
dung vorüber  sind,  da  operative  Eingriffe  vor  vollkommen  beendetem 
Yernarbungsprocesse  leicht  zu  Eiterung,  Ausreissen  der  Hefte,  Absterben 
von  Hautzipfeln  u.  dgl.  führen.  —  Ectropien  mit  Verkürzung  der  Augen- 
lidbinde und  Fixirung  einer  Hautpartie  an  den  Orbitalknochenrand  sind 
immer  schwieriger  zu  heben,  nicht  sowohl  desshalb,  weil  die  genannte 
Fascie  und  die  Cutis  in  hinreichendem  Umfange  getrennt  werden  müs- 
sen, um  den  Knorpel  mobil  zu  machen,  sondern  vielmehr  desshalb, 
weil  nachträglich  der  Knorpel  leicht  wieder  gegen  den  Knochen  hinge- 
zogen wird.  —  Die  Verhältnisse  gestalten  sich  hier  nach  Sitz  und  Um- 
fang der  Zerstörung  und  Verwachsung  so  mannigfaltig,  dass  wir  es 
nicht  wagen,  in  Detailschilderungen  einzugehen.  Wer  mit  den  Grund- 
sätzen der  Chirurgie  überhaupt  und  den  plastischen  insbesondere  ver- 
traut ist,  für  den  dürfte  eine  Übersicht  der  vorzüglichsten  bisher  ver- 
suchten Methoden  genügen,  um  in  jedem  speciellen  Falle  eine  derselben 
unverändert,  oder  den  Umständen  gemäss  mo(Jificirt,  anzuwenden. 

Der  Kürze  und  leichtern  Verständlichkeit  wegen  wollen  wir  den  Vorgang  bei  Ectr. 
des  untern  Lides  schildern;  es  wird  nicht  schwer  sein,  bei  Ectr.  des  obern  Lides  die 
nöthigen  Änderungen  zu  treffen.     Die  hier  zu  besprechenden  Methoden   datiren   aus   den 

*)  Zeitschrift  für  Ophthalmologie,   Bd.  I.   S.  30—51.    (1830.) 

24* 


372  Augenlider. 

letzten  25  Jahren,  indem  alle  frühern  Heilversuche,  auf  die  Erzielung  breiter  Narben  be- 
rechnet, als  illusorisch  mit  Recht  verlassen  worden  sind. 

1.  Verfahren  nach  Sanson.  Man  führt  mit  einem  bauchigen  Scalpell  zwei  Schnitte 
senkrecht  durch  die  Cutis  und  die  Fasern  des  Schliessmuskels.  Der  eine  beginnt  unter- 
halb der  äussern  Commissur;  beide  vereinigen  sich,  V-förmig  convergirend,  etwa  ZU  —  1" 
unter  der  Mitte  des  Lidrandes.  Der  Lappen  wird  an  der  Spitze  mit  einer  Pincette  ge- 
fasst,  und  bis  gegen  den  Tarsus  hin  lospräparirt.  Könnte  jetzt  das  Lid  noch  nicht 
leicht  und  vollständig  reponirt  werden,  wegen  Verkürzung  der  Augenlidbinde  oder  wegen 
zu  starker  Bindehautwucherung,  so  müsste  erstere  knapp  am  Orbitalrande  eingeschnitten, 
aus  letzterer  eine  Partie  excidirt  werden.  Durch  die  Reposition  wird  der  V-förmige 
aus  Cutis  und  Muskelfasern  bestehende  Lappen  hinaufgezogen;  ihn  in  dieser  Lage  zu 
fixiren,  vereinigt  man  die  Wunde  unterhalb  der  Spitze  desselben  durch  die  umschlungene 
Naht  (2  Nadeln),  die  Seitenränder  durch  Knopf-  oder  fortlaufende  (Kürschner-)  Nähte. 
Ist  der  Tarsus  beträchtlich  verlängert,  und  lässt  sich  wegen  langer  Dauer  dieses  Zustan- 
des  nicht  auf  baldige  Rückbildung  dieser  Verlängerung  rechnen,  so  beginne  man  den 
Schnitt  an  der  Schläfenseite  nicht  unterhalb  der  Commissur,  sondern  vom  Lidrande  selbst, 
und  excidire  ein  Stück  aus  dem  Lide,  wie  bei  Adams'  Verfahren,  um  das  Lid  durch 
Verkürzung  in  transversaler  Richtung  gespannt  zu  erhalten. 

2.  Methode  von  Chelius.  *)  Mit  einem  nahe  am  Lidrande  und  längs  desselben  ge- 
führten Schnitte  trennt  man  die  Haut,  und  unterminirt  diese  von  hier  aus  gegen  den 
Orbitalrand  hin,  bis  der  Tarsus  frei  emporgezogen  und  in  die  gehörige  Lage  gebracht 
werden  kann.  Durch  einige  senkrechte  Schnitte  wird  die  innere  Portion  des  Schliessmus- 
kels nachgiebig  gemacht;  sollte  Wucherung  der  Bindehaut  die  Resorption  erschweren,  so 
werden  longitudinale  Stücke  excidirt;  zuletzt  wird  noch  die  äussere  Commissur  einige 
Linien  weit  in  horizontaler  Richtung  eingeschnitten.  Um  nun  das  Lid  in  der  natür- 
lichen Lage  zu  erhalten,  soll  man  zwei  Fadenschlingen  durch  den  am  Lidrande  sitzenden 
Hautstreifen  ziehen  und  mittelst  Heftpflastern  an  der  Stirne  befestigen,  und  die  blossge- 
legte  Stelle  des  Lides  mit  Charpie  bedecken.  Nach  Chelius  nützt  dieses  Verfahren  haupt- 
sächlich desshalb,  weil  die  Lidhaut  mit  andern  Stellen  des  unterliegenden  Zellgewebes 
in  Berührung  gebracht  und  durch  die  Vernarbung  der  Wunde  im  äussern  Winkel  das 
Lid  transversal  gespannt  werde.  Er  bemerkt,  dass  die  durch  dieses  Verfahren  erzielten 
Resultate  selbst  in  Fällen  höchst  bedeutender  Hautverkürzung  über  alle  Erwartung  glück- 
lich waren.  Eine  zweckmässig  erscheinende  Modification  hat  Buete**)  angegeben,  indem 
er,  statt  die  äussere  Commissur  einfach  zu  spalten,  empfiehlt,  ohngefähr  wie  bei  der 
Tarsoraphie,  vom  äussern  Ende  des  Schnittes  an  bis  etwa  2 — 3  Linien  in  den  Tarsal- 
rand  des  obern  und  untern  Lides  ein  Stückchen  mit  der  Scheere  abzutragen,  wodurch 
das  Lid  schon  eine  bessere  Stellung  erhält.  Die  Fadeuschiingen,  die  auch  Ruete  trotz- 
dem noch  anwendet,  werden  nach  3 — 4  Tagen  entfernt. 

3.  Fr.  Jäger's  Verfahren.  ***)  Mit  einem  convexen  Scalpell  wird  ein  Schnitt,  parallel 
dem  Lidrande  und  2 — 3'"  davon  enlfernt,  von  der  Cutis  aus  durch  das  ganze  Lid,  nöti- 
genfalls auf  einer  untergeschobenen  Hornplatte,  geführt,  so  dass  gleichsam  eine  zweite 
Lidspalte  entsteht.     Von  der  dem  Orbitalrande  zugewendeten  Wundlcfze    aus    dringt  man 

*)  Handbuch  der  Augenheilkunde,  1838.  S.  157,   und  Fischer,  dissertatio  de  ectropio,  Heidelberg  1830. 
«*)  Lehrbuch  der  Ophthalm.     2.  Auflage.     Bd.  II.    S.  58. 
***)  J.  G.  Dreyer,  nova  blcpharoplastices  methodus,  Vindob.  1S31. 


Ectropium  —  Blepharoplastik.  373 

nun  mit  einem  Messer  unter  die  an  den  Knochen  fixirte  Haut  und  löst  die  Adhäsionen, 
wo  und  so  weit  solche  bestehen,  bis  die  Haut  nachgiebig  erscheint.  Dann  excidirt  man 
aus  der  Brücke,  welche  der  Lidrand  bildet,  ein  Stück,  so  lang  als  die  Differenz  gegen 
die  Länge  des  andern  Lides  beträgt,  wodurch  die  zwischen  der  natürlichen  und  künst- 
lichen Lidspalte  bestandene  Brücke  in  eine  äussere  und  innere  Portion  zerfällt  wird. 
Beide  werden  nun  aufs  Sorgfältigste  durch  die  umschlungene  Naht  vereinigt,  somit  die 
Brücke  wieder  hergestellt,  aber  nicht  mehr  schlaff,  sondern  über  den  Bulbus  gespannt. 
Durch  Vereinigung  der  horizontalen  "Wunde  mittelst  Knopfnähten  wird  die  nachgiebig 
gemachte  Haut  Tom  Orbitalrande  gegen  die  Brücke  hergezogen.  —  Dieses  Verfahren 
schliesst  grosse  Gefahren  in  sich,  ein  Coloboma  palpebrae  zu  erhalten,  daher  bei  der  Ex- 
cision  des  Stückes  aus  der  Brücke  und  bei  der  Wiedervereinigung  wohl  die  grösste  Vor- 
sicht nöthig  ist.  —  Die  Ablösung  der  Haut  vom  Knochen  ist  übrigens  nicht  immer  mög- 
lich, wie  von  Amnion  in  dem  oben  citirten  Aufsatze  bereits  bemerkt  hat.  Es  bleibt 
dann  nichts  übrig,  als  die  in  die  Knochennarbe  hineingezogene  Hautpartie  mit  zwei 
Schnitten  zu  umfassen,  welche  gegen  die  Peripherie  der  Orbita  hin  convergiren,  diese 
Partie  abzutragen  oder  doch  wund  zu  machen,  und  die  angrenzende  Haut  nach  gehöriger 
Unterminirung  über  dieser  Partie  zusammen  zu  heften. 

4.  Nach  Fricke*)  werden  stärkere  Narben  mit  zwei  Schnitten  umgangen,  schmale 
und  feine  Narben  mit  leichten  Messerzügen  durchschnitten.  Der  Schnitt  muss  parallel 
mit  dem  Tarsus  über  das  ganze  Augenlid  geführt  werden,  und  man  muss  sich  mit  dem- 
selben möglichst  fern  vom  Lidrande  halten,  um  Haut  zur  Anheftung  des  einzupflanzenden. 
Stückes  zu  ersparen.  Die  Ränder  der  durchschnittenen  Haut  werden  von  einem  Gehilfen 
sorgfältig  von  einander  gezogen,  und  man  trennt  das  Zellgewebe  und  den  Orbicularmuskei 
bis  zur  Conjunctiva  selbst,  ohne  diese  zu  verletzen.  (Ich  habe  in  einem  Falle  auch  die 
Bindehaut  durchschnitten,  wie  bei  Jäger's  Methode,  ohne  Nachtheil.)  —  Die  "Wunde  wird 
nun  genau  gemessen,  und  ihre  Dimensionen  auf  jenen  Theil  der  Stirnhaut,  der  sich  etwas 
nach  aussen,  zwei  Linien  oberhalb  des  Orbitalrandes  befindet,  übertragen,  und  die  Haut 
mit  genau  in  einander  fallenden  Schnitten  bis  zum  Muskel  getrennt.  Das  einzupflanzende 
Stück  muss  mit  Berücksichtigung  der  nachträglichen  Schrumpfung  der  Haut  eine  Linie 
länger  und  ebensoviel  breiter  sein.  Der  Hautlappen  wird  nun  losgelöst  und  der  nach 
aussen  geführte  Schnitt  in  dem  Grade  weiter  nach  unten  und  aussen  geführt,  dass  beim 
Einpassen  des  Lappens  in  die  Lidwunde  keine  Zerrung  oder  Faltung  der  Haut  statt- 
findet. Die  zwischen  dem  innern  Schnitte,  welcher  den  Lappen  bildet,  und  dem  äussern 
Winkel  der  Wunde  des  Augenlides  bestehende  Brücke  wird  nun  durchschnitten  und  ein 
so  grosses  Hautstück  herausgenommen,  dass  nächstdem  der  Hautlappen  genau  in  den  da- 
durch entstandenen  Zwischenraum  passt.  Am  untern  Augenlide  wird  das  Hautstück  in 
derselben  Entfernung  und  Richtung  wie  beim  obern  Lide  von  der  Wange  genommen. 
Nach  Stillung  der  Blutung  wird  der  Lappen  in  die  Wunde  gelegt  und  die  Vereinigung 
zuerst  am  obern  durch  S — 10,  dann  am  untern  Rande  durch  6—8  Knopfnähte  auf  das 
Genaueste  bewerkstelligt.  Das  Augenlid  wird  locker  mit  Charpie  bedeckt,  und  diese  mit 
schmalen  Heftpflasterstreifen  befestigt,  die  äussere  Wunde  mit  in  Öl  getauchter  Charpie 
belegt.  Die  Nähte  werden  nach  2mal  2-1  Stunden  entfernt,  die  Vereinigung  durch  Heft- 
pflaster geschützt.      (Nach  Bedürfniss   modificirt,   lässt   sich   dieses  Verfahren  —  das   zu 

*)  Die  Beschreibung  dieser  und  der  folgenden  Methode  ist  nach  Chelius  gegeben,  nach  dessen  Angaben 
ich  mich  bei  meinen  Operationen  gehalten  habe.  Eine  treffliche  Abhandlung  über  Blepharoplastik 
von  Prof.  Beck  findet  man  in  Ammon's  Monatsschrift,  Bd.  I.  S.  24—50.   (1S38.) 


374  Augenlider. 

Grunde  liegende  Princip  —  auch  zum  Ersätze  gänzlich  oder  theilweise  verlorener  Lider 
verwenden.  Hasner*)  hat  auf  diese  "Weise  in  einem  Falle  die  innere  Partie  des  obern 
und  untern  Lides  zugleich  aus  der  Haut  der  Nase,  in  einem  andern  Falle  mehr  als  die 
Hälfte  des  untern  Lides  aus  der  Haut  der  Stirnglatze  ersetzt.) 

5.  Das  von  Dieffenbach**)  aufgestellte  Verfahren  ist,  wenn  eine  zu  bedeutende  Zer- 
störung diese  Behandlungsweisen  nicht  zulässt  oder  ein  völliger  Verlust  eines  Augenlides 
besteht,  offenbar  das  zweckmässigste,  sowohl  hinsichtlich  des  leichtern  Gelingens,  als  auch 
der  geringen  Deformität,  welche  zurückbleibt.  Man  beginnt  mit  der  Exstirpation  der 
Narbe  (des  Krebses)  durch  eine  dreieckige  "Wunde,  wobei  man  den  Lidrand  oder  doch 
von  der  Lidbindehaut  so  viel  als  möglich  erhält.  Die  Basis  des  Dreieckes  bildet  die 
"Wunde  längs  des  Lidrandes  (in  der  Cutis  oder  bei  Zerstörung  des  Lides  in  der  Binde- 
haut) von  einem  "Winkel  zum  andern ;  die  Spitze  liegt  unter  der  Mitte  des  Lidrandes 
auf  der  "Wange,  etwa  1  Zoll  davon  entfernt,  und  wird  durch  zwei  dahin  convergirende 
Schnitte  gebildet,  welche  nebst  dem  Narben-  (oder  krebsig-infiltrirten)  Gewebe  auch  ge- 
sunde Cutis  mit  fortnehmen  werden,  da  sie  gradlinig  verlaufen  müssen. 

Hat  man  nun  eine  ganz  reine  V-förmige  Wunde  vor  sich,  so  führt  man  vom  äussern 
Augenwinkel  aus  einen  Schnitt  nach  der  Schläfe  ohngefähr  in  der  Richtung  der  Lid- 
spalte, um  etwa  2'"  länger  als  diese.  Vom  Ende  dieses  Schnittes  wird  nun  parallel  zu 
dem  äussern,  jenes  Dreieck  begrenzenden  Schnitte  ein  fünfter  Schnitt  geführt ,  und  eben 
so  weit  oder  noch  etwas  tiefer  herab,  als  die  Spitze  des  Dreiecks  herabreicht.  Der  hie- 
durch  entstandene  viereckige,  an  seiner  untern  Seite  allein  nicht  umschriebene  Lappen 
wird  nun  mit  Zurücklassung  der  Fettlage  durch  flach  geführte  Messerzüge  getrennt,  und 
nach  Stillung  der  Blutung  und  Reinigung  der  früher  entblössten  dreieckigen  Stelle  auf 
diese  so  herüber  gelegt,  dass  sein  oberer  Rand  jetzt  die  Stelle'  des  Augenlidrandes  ein- 
nimmt, oder,  wo  dieser  noch  vorhanden  ist,  sich  an  denselben  anlegt,  sein  innerer  Rand 
aber  an  den  längs  der  Nase  herablaufenden  Rand  des  obgenannten  Dreiecks  zu  liegen 
kommt.  Man  heftet  ihn  nun  zuerst  am  innern  Augenwinkel  mit  einer  Knopfnaht,  ver- 
einigt hierauf  den  Wundsaum  der  Conjunctiva  mit  dem  obern  Rande  des  Hautlappens 
(oder,  wenn  Lidrand  erhalten  worden  war,  an  die  Cutis  desselben)  durch  feine  Knopf- 
nähte oder  eine  fortlaufende  Naht  und  dann  eben  so  an  dem  innern  Rande,  nachdem 
man  zuvor  den  entsprechenden  Rand  der  Dreieckwunde  eine  Linie  breit  vom  Grunde  ge- 
löst hat.  Der  äussere  Winkel  wird  durch  keine  Naht  befestigt,  sondern  man  legt  den 
äussern  Theil  des  herübergezogenen  Lappens  hier  nur  an.  Die  auswärts  vom  Lappen 
unbedeckt  bleibende  dreieckige  Wunde  wird  mit  Charpie  bedeckt,  und  über  das  Ganze 
legt  man  mehrere  Heftpflasterstreifen,  um  den  Lappen  gehörig  anzudrücken.  —  Die  Nach- 
behandlung wird  nach  den  allgemeinen  Grundsätzen  der  Transplantation  geleitet. 

Chelius  bemerkt,  dass  er  die  unbedeckt  bleibende  Wunde  mit  Vortheil  durch  die  Naht 
vereinigt  habe.  Ich  fand  diess  bestätigt  und  verkleinere  sie  immer  nur  durch  1  —  2  Insec- 
tennadeln  von  dem  "Winkel  her,  den  der  obere  und  äussere  Wundrand  bilden.  Hiedurch 
wird  die  Basis  des  Lappens  dem  Auge  etwas  genähert,  die  Spannung  desselben  bis  zu 
einem  gewissen  Grade  (zum  einfachen  Anliegen)  gemindert.  Ich  führe  den  in  der  Rich- 
tung der  Lidspalte  gegen  die  Schläfe  hin  zu  machenden  Schnitt  nicht  horizontal,  sondern 
immer  etwas  abwärts  geneigt,    damit  der  Zipfel,    welcher    dann    gegen    den  Thränensack 


*)  Entwurf  zu  einer  anatom.  Begründung  der  Augenkrankheiten,  S.  248. 
**)  Caspar's  Wochenschrift  1855,  Nr.  1. 


Verwachsung  —  Spaltung  —  Mangel  —  Epicanthus.     375 

lin  zu  liegen  kommt,  weniger  stumpfwinklig  ausfalle.  Auch  fand  ich,  dass  es  sehr 
zweckmässig  ist,  den  in  die  Gegend  des  äussern  Augenwinkels  zu  liegen  kommenden 
Zipfel  an  das  nöthigenfalls  etwas  aufzufrischende  obere  Lid  oder  doch  an  die  Cutis  aus- 
wärts von  demselben  sehr  genau  durch  Hefte  zu  befestigen.  Für  Unterhaltung  des  Anliegens 
der  transplantirten  Partie  sorgt  man  wohl  besser  durch  einen  leichten  Verband  mit  Charpie 
als  durch  unmittelbar  auf  die  Haut  gelegte  Heftpflaster. 

3.  Von  der  Verwachsung  eines  oder  beider  Lider  mit  dem  Bulbus 
{Symblepharon)  und  von  der  Verwachsung  der  Lider  unter  einander 
{Anehyloblepharon)  haben  wir  bereits  im  I.  B.  S.  125  und  155  das  Nö- 
ihige  mitgetheilt.  Da  es  sich  nach  der  Trennung  des  Lides  vom  Bul- 
bus darum  handelt,  die  eine  Wundfläche  zu  decken,  besonders  dort, 
wo  beide  an  einander  stossen,  also  dort,  wo  die  Übergangsfalte  ver- 
laufen sollte,  so  kann  man,  wie  ich  mit  bleibendem  Erfolge  gethan*), 
bei  nicht  gar  zu  breiter  Verwachsung  nach  vollendeter  Trennung  die 
"Wiederverwachsung  leicht  dadurch  verhüten,  dass  man  die  Wunde  am 
Bulbus  heftet,  indem  man  mittelst  einer  krummen  Nadel  einen  Faden 
durch  die  Bindehaut  und  die  subconjunctivale  Fascie  von  dem  einen 
Wundrande  zu  dem  andern  durchführt.  Gegen  die  Cornea  hin  kann 
die  Wunde  ungedeckt  bleiben,  wenn  nur  in  der  Tiefe  (gegen  die  Peri- 
pherie hin)  die  Vereinigung  durch  ein  oder  zwei  Hefte  vollständig  ist. 

4.  Spaltung  des  Lides  (coloboma)  ist  als  angeborener  Zustand  nur 
an  dem  obern  Lide  beobachtet  worden  (von  mir  am  linken  Auge).  Hey- 
fehler  {Ammon's  Zeitschr.  I.  S.  480)  sah  bei  einem  3monatlichen  Kinde 

eine  Spalte  der  Oberlippe,  des  obern  Lides  und  der  Iris  zugleich  (auf 
der  linken  Körperhälfte).  Sie  kann  auch  in  Folge  von  Verletzungen 
oder  Operationen  zurückbleiben,  wenn  die  schnelle  Vereinigung  nicht 
zu  Stande  kam.  Das  Verfahren  dagegen  ist  analog  dem  bei  der 
Hasenscharte. 

Die  verschiedenen  Verletzungen  der  Lider,  mit  oder  ohne  Trennung 
des  Zusammenhanges,  erheischen  wohl  für  denjenigen,  der  die  Ana- 
tomie kennt  und  allgemeine  chirurgische  Bildung  besitzt,  keine  beson- 
dere Besprechung.  Nur  das  sei  noch  besonders  hervorgehoben,  dass 
auch  scheinbar  geringfügige  Verletzungen  dieser  Gegend  eine  sehr  ge- 
naue Untersuchung  erheischen,  damit  man  nicht  etwa  gleichzeitige  Ver- 
letzungen des  Bulbus  oder  der  Orbitalwandungen  übersehe.  (Vergl.  über 
Amaurosis  und  Krankheiten  der  Orbita.) 

5.  Mangel  der  Lider  ist  selten  als  angeborener  Zustand  beobach- 
tet worden:  Zerstörung  derselben  kann  auf  verschiedene  Weise  zu 
Stande  kommen,  nach  Verletzungen,  durch  Krebs,  durch  Lupus,   durch 

*)  Prager  Vierteljahrschrift   1S54.    Bd.  41.    S.  165. 


376 


Augenlider. 


Lues.  Nach  den  letztern  beiden  Affectionen  und  nach  Verbrühungen 
wird  auch  die  Blepharoplastik ,  das  einzige  noch  übrige  Mittel,  nicht 
selten  unausführbar,  weil  die  Haut  weit  über  den  Orbitalrand  hinaus 
zerstört  erscheint. 

6.  Einen  angeborenen  Fehler  an  den  Lidern  hat  von  Ammon  (Zeit- 
schrift, I.  S.  533)  unter  dem  Namen  Epica?ilhus  (xav&og  der  Winkel) 
beschrieben.  Er  kommt  —  nach  meinen  Beobachtungen  —  nur  bei 
sehr  flachem  Nasenrücken  vor,  und  besteht  darin,  dass  vor  jedem  in- 
nern  Augenwinkel  eine  Hautfalte  vom  obern  zum  untern  Lide  gespannt 
verläuft.  Will  das  Individuum  von  dieser  Entstellung  befreit  sein,  so 
excidire  man,  nach  Ammon's  Angabe,  mitten  auf  der  Nase  einen  Haut- 
streifen, vertical,  etwa  1"  lang  und  3— 5"'  breit,  und  vereinige  die  Wunde 
durch  die  blutige  Naht,  wodurch  die  Hautfalte  vor  dem  innern  Augen- 
winkel ausgeglättet  wird. 


XL   Buch. 

Die  Thränenorgane. 


A.    Anatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Ausschliesslich  zur  Bildung-  und  Fortleitung  der  Thränen  dienen  die 
Thrünendrüse  mit  ihren  Ausführungsgängen  und  der  Thränenschlauch 
mit  den  Thränenröhrchen ;  die  zwischen  beiden  Organen  eingeschobenen 
Lider  betheiligen  sich  durch  das  Bindehautsecret  an  der  Bildung,  und 
durch  die  Form,  Lage  und  Bewegung  der  Lider  an  der  Fortleitung  der 
Thränenflüssigkeit. 

I.  Die  Thränendrüse  gehört  zu  den  acinösen  Drüsen  und  stimmt 
im  Baue  mit  den  Speichel-  und  Milchdrüsen  überein.  In  der  Thränen- 
drüsengrube  und  unmittelbar  hinter  der  Augenlidbinde  gelegen,  wird 
ihr  oberer,  bei  weitem  grösserer  Theil  durch  eine  von  der  Augenlid- 
binde rückwärts  laufende  Fascie  (Lig.  Soemmemngi)  an  den  Stirnknochen 
befestigt,  während  der  unter  dieser  Fascie  gelegene  kleinere  Theil  bis 
zum  convexen  Rande  des  Knorpels  herabreicht  und  von  der  Bindehaut 
nur  durch  jene  dünne  Fascie  getrennt  wird,  die  als  Unterlage  der 
Bindehaut  vom  Lide  zum  Bulbus  streicht.  Die  obere  Partie  misst  von. 
vorn  nach  hinten  9'",  in  der  Breite  5— 6"',  in  der  Dicke  l1^'",  die 
untere  ist  4 — o'"  lang  (von  der  Schläfe  gegen  die  Nase),  3'"  breit  (von 
vorn  nach  hinten),  \'"  dick.  Hat  man  die  Lidbinde  längs  des  Orbital- 
randes (in  der  äusseren  Hälfte)  eingeschnitten,  so  kann  man  die  obere 
Drüse  mit  dem  Scalpellhefte  leicht  von  der  Beinhaut  ablösen,  wenn  man 
die  Vertiefung,  die  hier  der  Knochen  bildet,  gehörig  berücksichtigt.  — 
Die  grösstenteils  für  diese  Drüse  bestimmte  Thränendrüsenarterie 
kommt  von  der  Art.  ophthalmica,  ausnahmsweise  durch  die  obere  Au- 
genhöhlenspalte von  der  Art.  meningea  media,  und  dringt  in  die  obere 
Drüse  von  deren  unteren,   etwas  concaven  Fläche,   in  die  untere  vom 


378  Thräiienorgane. 

hinteren  Rande  her  ein.  Die  Vena  lacrym.  führt  in  die  Vena  Ophthal- 
mia. Der  Nerv,  lacrym.  ist  ein  Zweig  vom  1.  Aste  des  N.  trigeminus. 
—  Die  Ausführungsgänge,  wegen  ihrer  Feinheit  erst  in  späteren  Zeiten 
mit  Sicherheit  nachgewiesen,  6 — 10  an  Zahl,  münden  in  den  Bindehaut- 
sack nächst  dem  convexen  Rande  des  oberen  Lidknorpels  (im  äusseren 
Drittel  desselben). 

Die  Thränendrüse  liefert  wahrscheinlich  den  grössten  Theil  der 
Flüssigkeit,  welche  den  Bulbus  befeuchtet.     (Vergl.  Bd.  I.  S.  6.) 

Ich  habe  im  Sommer  1854  Gelegenheit  gehabt,    einen   jungen  Mann   zu  beobachten, 

bei  welchem    eine   wahre  Thränendrüsenfistel  bestand.      Die  Bindehaut  war  in  Folge  Ton 

Xupus    grösstenteils   zerstört ;    in    der   Gegend   des   äussern  Augenwinkels   bestand    eine 

kleine,    von    Schleimhaut    eingesäumte  Öffnung,    aus   welcher   beständig   eine    wasserklare 

Flüssigkeit    aussickerte.      Diese   wurde   mittelst   kleiner    Sauggläschen    aufgefangen ;    man 

konnte  in  einer  halben  Stunde,    besonders  wenn  man  den  Bulbus    an    der   mit   trockenen 

Borken  besetzten  Hornhaut   rieb ,    beinahe  1 0  Gran  Flüssigkeit   gewinnen.      Dieselbe    re- 

agirte  schwach  alkalisch,  schmeckte  salzig,  und  hatte  ein  specifisches  Gewicht  von  1,0086 

bei  20°  Celsius.      Das  Mikroskop  zeigte   in    derselben  ausser   einer   geringen   Menge   von 

Fpithelien  keine  andern    morphologischen  Bestandtheile.      Die  qualitative  Analysis,  unter 

Leitung  des  Herrn  Dr.  Lerch  vorgenommen,    ergab :    Wasser,    Chlornatrium,    Albuminna- 

iron  und  Spuren  von  Fett.     Der  von  Chlornatrium    befreite  Rückstand  enthielt  nach  dem 

Verbrennen:  kohlensaures  Natron,  schwefelsauren  und  phosphorsauren  Kalk  und  Magnesia. 

Die  quantitative  Analyse    gab   in  100  Theilen:    98,223"/o  Wasser,    l,257°/o  Chlornattium, 

„„„,     \  Albumin  =  0,504n/o,    0 
O,520°/o  {   c  ,  . '         ,       Spuren  von  Fett. 

'        '     [  Salze         =  0,016o/o, 

II.  Der  ThräneiiscBilauch ,  ein  häutiger  Canal  von  3/i — 1  Zoll 
Länge,  vermittelt  im  Verein  mit  den  Thränenröhrehen  die  Communi- 
eation  des  Bindehautsackes  mit  dem  unteren  Nasengange.  Er  verläuft 
vom  innern  Augenwinkel  zur  Seite  der  Nasenhöhle  zwischen  dieser  und 
dem  vordersten  Theile  der  Augen-  und  Highmorshöhle  beinahe  gradlinig 
herab,  jedoch  nicht  senkrecht,  sondern  stark  nach  hinten  und  ein  wenig 
nach  aussen  abweichend.  *)  Er  wird  durch  eine  deutliche  Einschnürung, 
oft  durch  eine  förmliche  Falte,  in  eine  obere  weitere  und  untere  engere 
Partie,  den  Thränensack  und  Thr'anennasengang  geschieden. 

Der  Thränensack  liegt  in  der  Thränensackrinne,  welche  vom  Thrä- 
nenbein  und  vom  Stirnfortsatze  des  Oberkieferknochens  gebildet  wird, 
und  ist  in  der  vordem  Hälfte  seines  Umfang.es  bloss  von  Weichgebilden 
bedeckt.  Indem  die  Beinhaut  sich  von  der  vorspringenden  Leiste  des 
genannten  Fortsatzes  über  die  vordere  äussere  Wand  desselben  bis  zum 
Thränenbeinkamme  fortsetzt,    und  mit  der  eigenthümlichen  Haut  des 

*)  Der  Winkel,  den  der  Thr'änenschlanch  durch  seine  Abweichung  nach  hinten  mit  dem  Boden  der 
Nasenhöhle  bildet,  beträgt  im  Mittel  05° ;  der  durch  die  seitliche  Declination  gebildete  Winkel  zur 
verticalen  Medianebene  schwankt  zwischen  5  und  10°. 


Anatomie.  379 

Thränensackes  innigst  zusammenhängt,  umschliesst  sie  denselben  rings- 
um, hält  ihn  am  Knochengerüste  fest  und  verstärkt  seine  Resistenz. 
Nur  nach  unten-aussen  entfernt  sich  die  Beinhaut  von  dem  in  den  Na- 
sengang hinabsteigenden  Thränenschlauche,  indem  sie  auf  die  genannte 
Leiste  übergeht;  auf  diese  Weise  entsteht  ein  mehr  weniger  grosser, 
bloss  von  lockerem  Bindegewebe  ausgefüllter  Raum  zwischen  Beinhaut 
und  Thräuenschlauch ,  gegen  welchen  hin  der  Thränensack  bald  mehr 
bald  weniger  ausgestülpt  erscheint,  und  eine  Art  Sinus  oder  Blindsack 
bildet.  An  der  vordem  oder  Antlitzfläche  wird  die  Wandung  des  Thrä- 
nensackes  noch  durch  Fasern  der  Augenlidbinde  verstärkt,  welche  sich 
in  einer  von  unten-aussen  schräg  nach  oben-innen  aufsteigenden  Linie 
anheftet.  Der  hinter  der  Augenlidbinde  liegende  Theil  der  bloss  häuti- 
gen Wandung  des  Thränensackes  sieht  gegen  das  Auge  hin.  Auf  der 
Antlitzfläche  des  Thränensackes  liegt  der  M.  orbicularis,  dessen  Sehne 
etwa  1  —  \il-i'"  unterhalb  seines  obern  Endes  (Kuppel)  quer  über  ihn 
wegstreicht  und  mit  ihm  fest  zusammenhängt.  Die  von  der  obern  und 
untern  Fläche  dieses  sehnigen,  mit  dem  vordem  Rande  etwas  abwärts 
gekreinpten  Bändchens  von  circa  V"  Lauge  entspringenden  Muskelfasern 
sind  auf  dem  Thränensacke  in  der  Regel  V"  mächtig,  während  die 
darüber  liegende  Cutis  fettlos  und  fast  papierdünn  ist.  Die  Augenhöh- 
lenfläche des  Thränensackes  wird  von  jenen  Muskelfasern  bedeckt, 
welche  von  der  Crista  lacrymalis  aus  vorwärts  verlaufen,  die  Thränen- 
röhrchen  zwischendurch  treten  lassen,  und  mit  den  weiter  vorn  ent- 
sprungenen Fasern  des  Orbicularis  sich  vereinen;  sie  sind  von  Homer 
als  besonderer  Muskel  (des  Thränensackes)  beschrieben  worden.  An 
dieser  Fläche  ist  der  Thränensack  vom  Bindehautsacke  und  von  der 
Thränenkarunkel  durch  Orbitalfett  geschieden.  Die  Durchmesser  der 
länglich-eiförmigen,  jedoch  von  vorn-aussen  nach  hinten-innen  abgeplat- 
teten Höhlung  des  Thränensackes  sind:  von  oben  nach  unten  5//y,  von 
vorn  nach  hinten -aussen  2'",  von  aussen  nach  innen -hinten  V".  Bei 
hohem  Nasenrücken  ist  der  Thränensack  geräumiger  und  die  Antlitz- 
fläche desselben  schmäler,  als  bei  Plattnasen;  bei  jenen  ist  die  Ab- 
dachung der  vordern-äussern  Wandung  von  der  Leiste  des  Oberkiefer- 
nasenfortsatzes steil,  bei  diesen  mehr  flach.  Da  wo  die  Antlitz-  und 
Augenhöhlenfläche  zusammenstossen,  und  zwar  hinter  dem  Augenlid- 
hande,  iuseriren  sich  die  Thränenröhrchen.  Die  hintere  und  innere 
Wandung  des  Thränensackes  geht  unmittelbar  in  den  Thränennasen- 
gang  über,  die  vordere  und  äussere  erst  nach  Bildung  eines  mehr 
weniger  tiefen  Sinus  oder  Blindsackes,  dessen  wir  schon  erwähnten. 
Der  Durchmesser  der  Ausmündimg  in   den  Nasengang  variirt  zwischen 


380  Thränenorgane. 

3/4  und  h\\'" ,  während  der  Nasengang  unterhalb  dieser  Stelle  allmälig; 
weiter  wird. 

Der  Thränennase?igang  ist  die  unmittelbare,  zunächst  durch  die 
eben  angedeutete  Verengerung  oder  Einschnürung  abgegrenzte  Fort- 
setzung des  Thränensackes.  Sie  ist  mehr  walzenförmig,  wenn  gleich 
noch  immer  etwas  seitlich  abgeplattet,  und  grösstentheils  in  dem  3 — 4"' 
langen  Knochencanale  eingeschlossen,  welcher  im  Oberkiefer  zwischen 
der  Nasen-  und  Kieferhöhle  herabsteigt.  Unterhalb  der  Anlagerung  der 
untern  Nasenmuschel,  wo  der  Knochencanal  endet,  erstreckt  sich  der 
häutige  Nasengang,  beträchtlich  weiter  werdend,  an  der  äussern  Wan- 
dung der  Nasenhöhle  zwischen  Knochen  und  Schleimhaut  noch  eine 
Strecke  von  2 — A'"  herab,  und  durchbohrt  letztere  unter  einem  mehr 
weniger  spitzigen  Winkel  mit  einer  relativ  engen  Öffnung,  welche,  wenn 
sie  sehr  eng  ist,  das  blindsackige  Ende  des  Thränennasenganges  vor 
dessen  Mitte  durchbohrt.  Die  unterste  Portion  des  Nasenganges  ist 
demnach  an  der  Innenfläche  von  einer  mehr  weniger  breiten  Schleim- 
hautfalte gebildet,  während  sie  an  der  Aussenseite  am  Knochen  liegt 
und  ohne  Faltung  in  die  Nasenschleimhaut  übergeht. 

Die  Nasenmündung  des  Thranenschlauch.es  liegt  1 — l1^'"  rückwärts 
vom  Eingange  in  die  Nase  (unten  vom  Nasenloche  gerechnet),  und 
3 — W"  über  dem  Boden  der  Nase.  Sie  ist  jederzeit  von  oben  nach 
unten  länger,  als  in  die  Quere,  und  variirt  zwischen  einer  Art  Ritze 
oder  Spalte  von  3/i"'  Länge  und  2jb'"  Breite  bis  zu  einem  Oval  von 
I1"  Länge  und  1  bis  1  xli'"  Breite.  Je  kleiner  diese  Öflhuug,  desto  tie- 
fer liegt  sie  (und  umgekehrt),  und  desto  breiter  und  dünner  ist  die 
Schleimhautfalte,  welche  den  untersten  Theil  der  innern  Wandung  bildet. 
Diese  Duplicatur  oder  Klappe  liegt,  wenn  die  Mündung  nicht  hoch  oben 
und  von  V"  Durchmesser  oder  darüber  ist,  immer  an  der  äussern  Wan- 
dung an,  weil  sie  selbst  sehr  dünn  (bisweilen  wie  feines  Papier),  und 
weil  die  Schleimhaut  hier  stets  mit  einer  zähen,  eiweiss-  oder  sulz- 
ähnlichen Flüssigkeit  überzogen  ist.  Man  ist  daher  an  Cadavern  auch 
nach  Entfernung  der  unteren  Nasenmuschel  sehr  oft  nicht  im  Stande, 
die  Mündung  zu  sehen,  wenn  man  nicht  erst  jenes  Secret  sorgfältig 
abgewischt  hat.  In  mehreren  Fällen  fand  ich  eine  Furche  oder  Rinne 
in  der  Schleimhaut  der  äussern  Nasenwand,  welche  gleichsam  als  Fort- 
setzung des  Thränennasenganges,  erst  abwärts,  dann  bogenförmig  vor- 
wärts gegen  das  Nasenloch  verlief;  in  einigen  Fällen  war  diese  Rinne 
gegen  V"  tief. 

Der  Thränenschlauch  wird  von  einer  eigenthümlichen,  weissen,  ziem- 
lich festen,  aus  longitudinal,  quer  und  spiralförmig  verlaufenden  Binde- 


Anatomie.  381 

gewebsfasern  zusammengesetzten  Membran  gebildet,  welche  innen  mit  der 
Schleimhaut  verschmilzt,  aussen  mit  der  Beinhaut  verbunden  ist.  Die 
Beinhaut  hängt  fester  am  Thränenschlauche ,  als  am  Knochen,  daher 
Sonden  sehr  leicht  zwischen  ihr  und  dem  Knochen  fortgeschoben  wer- 
den können.  Die  innere  Wandung  der  in  die  Nasenhöhle  hinabrei- 
chenden Portion  besteht  bloss  aus  einer  dünnen  Schleimhautduplicatur. 
Die  Schleimhaut  zeigt  im  Wesentlichen  dieselben  Eigenschaften,  wie 
die  Schneidersche  Haut  der  Nasenhöhle;  sie  ist  überall,  mit  Ausnahme 
der  genannten  Ehrplicatur,  ohngefähr  - '/a'"  dick,  sehr  gefässreich  und 
daher  röthlich,  weich,  gleichsam  schwammig  und  mit  kleinen  Hügeln 
besetzt,  mit  zahlreichen  Schleimdrüschen  versehen.  Im  Thränensacke 
zeigt  sie  hie  und  da  kleine  Fältchen  und  erscheint  in  den  meisten  Ca- 
davern  etwas  blässer;  im  Nasengang  sieht  man  oft  grössere  Follikel, 
deren  Mündung,  mitunter  bis  V"  lang,  meistens  ab-,  selten  aufwärts 
gerichtet  ist. 

Um  sich  über  die  anatomischen  Verhältnisse  am  Thränensacke  zu  unterrichten,  ent- 
ferne man  zuerst  ein  Stück  Haut,  etwas  grösser,  als  der  Umfang  des  Thränensackes, 
dann  die  Fasern  des  M.  orbicularis,  unterhalb  der  Sehne  desselben.  Nun  hat  man  eine 
•weisse  sehnige  Membran  vor  sich,  welche  die  Antlitzfläche  des  Thränensackes  deckt.  Von 
der  Mitte  des  Augenlidbandes  sieht  man  eine  weisse  Linie  nach  unten-aussen  bis  zum 
scharfen  Orbitalrande  nächst  der  Insertion  des  M.  obl.  inferior  streichen.  An  dieser 
Linie  hängt  die  Fascia  tarso  -  orbitalis  mit  dem  Thränensack  zusammen.  Hinter  ihr 
streicht  die  Orbitalfläche  der  häutigen  Wandung  des  Thränensackes  rückwärts  zur  Crista 
lacrimalis.  An  der  Antlitzfläche  ist  der  sehnige  Überzug  des  Thränensackes,  den  man 
als  Fortsetzung  der  Beinhaut  über  den  Thränensack  betrachten  kann,  stärker  als  an  der 
Orbitalfläche.  Schneidet  man  die  Sehnenhaut  der  Antlitzfläche  in  der  Richtung  der  ge- 
nannten Linie  ein,  so  kann  es  leicht  geschehen ,  dass  man  mit  dem  Messer  wohl  durch 
die  genannte  Sehnen-,  nicht  aber  durch  die  Schleimhaut  des  Thränensackes  eindringt, 
besonders  in  der  untern  Hälfte  dieser  Strecke,  denn  in  dieser  ist  der  Zusammenhang 
zwischen  der  Sehnen-  und  Schleimhaut  oft  ein  sehr  lockerer,  weil  sich  letztere  von  erste- 
rer  entfernen  muss,  um  in  den  weiter  hinten  gelegenen  Eingang  zum  Thränennasencanale 
zu  gelangen.  Eben  dieses  Auseinanderweichen  der  beiden  Membranen  scheint  die  buchtige 
Erweiterung  des  Thränensackes  nach  unten ,  vom  und  aussen  zu  begünstigen,  bisweilen 
zu  einem  förmlichen  Divertikel,  ohne  dass  man  berechtigt  ist,  diess  schon  als  krankhaft 
anzusehen,  weil  geringere  Grade  davon  fast  constant  vorhanden  sind. 

Um  den  Thränenschlauch  in  seinem  ganzen  Umfange  ohne  Formveränderung  über- 
sehen zu  können ,  muss  man  ihn  von  seiner  Innenseite  aus  biossiegen  und  öffnen.  Nach 
Entfernung  des  Schädelgewölbes  sammt  dem  Gehirne,  des  Unterkiefers  und  der  hintern 
Schädelhälfte  durchsäge  man  den  Kopf  von  vorn  nach  hinten.  Zuerst  führe  man  einen 
Schnitt  durch  die  Weichtheile  an  der  Antlitzfläche  in  einer  geraden  Linie,  welche  von 
der  Stirnglatze  am  innern  Ende  des  Ligam.  palp.  intern,  und  knapp  am  Nasenflügel 
herabstreicht,  also  oben  der  Median  ebene  näher  liegt,  als  unten.  Dann  führe  man  die 
in  diesem  Schnitte  angelegte  Säge  so,  dass  sie  beim  tiefern  Eindringen  knapp  an  der 
innern  Wandung  des  Thränens.hlauches  vorbeistreicht.     Es  wird  nun  nicht    schwer  sein, 


382  Thränenorgaiie. 

mit  Meissel  und  Knochenscheere  die  dünne  Knochenplatte  zu  entfernen,  welche  den  Thrä- 
nenschlauch  von  innen  deckt,  und  den  blossgelegten  Schlauch  dann  aufzuschlitzen,  zu- 
nächst nur  von  oben  bis  zur  Ansatzlinie  der  Nasenmuschel.  —  Ist  letztere  nicht  schont 
beim  Durchschneiden  mit  fortgenommen  worden,  so  excidire  man  ihre  vordere  Hälfte  bis 
an  die  Wurzel,  deren  Beseitigung  man  lieber  erst  später  vornimmt. 

Ich  finde  die  alte  Eintheilung  des  Thränenschlauches  in  Thränensack  und  Nasengang 
trotz  des  Widerspruches  von  Osborne*)  und  Hasner**)  gerechtfertigt,  weil  ich  mich, 
durch  eigene  Untersuchungen  überzeugt  habe ,  dass  u.  A.  Huschke's  ***)  Angabe  gan& 
richtig  ist :  „Die  Stelle  des  Überganges  des  Thränensackes  in  den  Thränennasengang  wird 
durch  eine  schwache  Verengerung,  zuweilen  auch  durch  eine  im  Innern  hervorspringende 
Falte  der  Schleimhaut,  aus  welcher  beide  gebildet  sind,  bezeichnet."  Um  ganz  sicher 
zu  gehen,  ersuchte  ich  Herrn  Prof.  Bochdalek,  mir  den  ganzen  Thränenschlauch  sammt 
den  Thränenröhrchen  mit  Wachs  zu  injiciren.  Mehrfache  Injectionen  bestätigten  genau,, 
was  ich  auch  ohne  sie  oft  gesehen  hatte.  Eben  so  haben  mir  auch  Durchschnitte  von. 
gefrornen  oder  in  Chromsäure  erhärteten  Köpfen  sehr  instructive  Präparate  geliefert, 
welche  den  Vergleich  des  Thränenschlauches  mit  einem  umgestürzten  Flaschenkürbis 
(Hasner)  als  völlig  unpassend  darthun.  Der  Thränennasengang,  deutlich  vom  Thränen- 
sacke  durch  eine  mehr  weniger  beti-ächtliche  Einschnürung  abgeschieden,  wird  abwärts 
allmälig  weiter  und  bildet  vor  seiner  relativ  engen  Ausmündung  in  die  Nase  in  den. 
meisten  Fällen  eine  bedeutende  Erweiterung  oder  Tasche,  welche  sich  besonders  nach 
hinten  weit  ausdehnt,  und  gegen  welche  die  Öffnung  in  die  Nasenhöhle  sehr  klein  er- 
scheint.    Manchmal  ist  der  Nasengang  unten  viel  weiter,  als  der  Thränensack. 

In  den  Thränensack  münden  sich  die  Thränenröhrchen,  ein  oberes 
und  unteres,  dünne  häutige  Canälchen  von  3 — 4'"  Länge  und  etwa  ^V" 
im  Lichten.  Jedes  derselben  beginnt  am  Nasenrande  des  Lidknorpels- 
mit  einer  punktförmigen  Öffnung,  dem  Thranenpunkte ,  mitten  in  einer 
kleinen  warzenähnlichen  Erhabenheit,  dem  Thränenwärzchen ,  dringt 
zuerst  senkrecht  zwischen  der  Cutis  und  Conjunctiva  etwa  3/V"  tief 
ein,  genau  an  das  Ende  des  Lidknorpels  angefügt,  durch  denselben  steif 
erhalten,  und  vor  Compression  geschützt,  wendet  sich  dann,  etwas- 
weiter werdend,  fast  rechtwinklig  einwärts,  den  Schenkeln  der  hufei- 
senförmigen Hautfalte  folgend,  welche  die  Thränenkarunkel  umschliesst,, 
und  senkt  sich  sofort  hinter  der  äussern  Hälfte  des  Augenlidbandes  in 
den  Thränensack  ein,  gemeinschaftlich  mit  dem  andern,  meistens  jedoch 
durch  eine  Schleimhautduplicatur  getrennt.  Indem  sie  die  Thränen- 
sackwandung  schief  durchbohren,  erscheint  ihre  Mündung,  von  innen 
her  angesehen,  durch  ein  Schleimhautfältchen  gedeckt,  auf  ähnliche 
Weise,  wie  die  Harnleiter  beim  Einmünden  in  die  Harnblase.  Ihre  Öff- 
nung am  Thränenwärzchen  ist  stets  dem  Bulbus  zugewendet,  und  wird, 
bei  etwas  abgezogenem  Lide  sichtbar. 

*)  Darstellung  des  Apparates  der  Thränenableitung,  Prag  1835. 

**)  Beiträge  zur  Physiologie  und  Pathologie  des  Thränenableitungsapparates,  Prag  1850. 
***)  Eingeweidelehre,  Leipzig  1844. 


Physiologie.  383 

Die  Thränenröhrchen  werden  von  einer  ähnlichen,  jedoch  viel  dün- 
nern Membran  wie  der  Thränensack  gebildet,  welche  in  den  Thränen- 
wärzchen  zu  einem  derben  weissen  Ringe  anschwillt,  wodurch  ihre 
Mündung  stets  rund  und  offen  erhalten  wird.  Ihre  schleimhäutige  Aus- 
kleidung ist  analog  der  Bindehaut  äusserst  dünn,  glatt  und  blass,  ohne 
Flimmerepithel.  Aussen  sind  die  Thränenröhrchen  von  Fasern  des  M.. 
orbicularis  (et  Horneri)  umgeben,  an  welche  sich  die  Cutis  anschmiegt; 
nur  hinten-oben  scheint  die  Bindehaut  (so  weit  sie  reicht)  unmittelbar 
an  ihnen  anzuliegen.  Eine  schwarze  Borste,  in  dieselben  eingeführt,, 
scheint  besonders  durch  die  Bindehaut  deutlich  durch. 

Durch  die  Thränenröhrchen  und  den  Thranenschlauch  treten  fort- 
während Thronen  in  den  untern  Nasengang.  Blut  oder  andere  gefärbte 
Flüssigkeiten  gelangen  in  kurzer  Zeit  aus  dem  Bindehautsacke  in  die 
Nase. 

Das  Secret  der  Thränendrüse  und  der  Bindehaut  ist  auch  im  ruhi- 
gen Zustande,  d.  h.  wenn  die  Secretion  nicht  durch  besondere  Reize 
gesteigert  wird,  immer  in  grösserer  Menge  vorhanden,  als  durch  Ver- 
dunstung und  Absorption  an  der  Bindehaut  verbraucht  wird.  Immer 
ist  ein  Überschuss  zur  Aufnahme  für  die  Thränenpunkte  vorhanden. 

Es  unterliegt  keinem  Zweifel,  dass  an  dem  stets  feuchten  Bulbus  beständig  eine  ge- 
wisse Menge  von  Flüssigkeit  verdunstet,  um  so  mehr,  je  trockener  die  Luft  ist,  und  je 
mehr  frische  Luftschichten  rasch  nach  einander  mit  dem  Bulbus  in  Berührung  kommen. 
Es  ist  auch  nach  den  lebhaften  Resorptionserscheinungen ,  welche  die  Bindehaut  zeigt, 
anzunehmen,  dass  ein  Theil  derselben  von  ihr  absorbirt  werde.  Es  lässt  sich  aber  auch 
bestimmt  nachweisen,  dass  immer  noch  ein  Überschuss  zur  Asorption  für  die  Thränen- 
punkte übrig  bleibt.  Bevor  wir  die  beweisenden  Thatsachen  hiefür  anführen,  müssen  wir 
noch  erinnern,  dass  die  Secretion  der  Thränen  nicht  nur  durch  gewisse  Gemüthsaffecte, 
sondern  auch  durch  Beizung  der  Bindehaut,  der  Cutis  an  den  Lidern ,  der  Schleimhaut 
in  der  Nase  und  im  Thränenschlauche,  durch  grellen  Lichteinfluss  und  Reizung  des  Tri- 
geminus  gesteigert  werde;  wir  müssen  insbesondere  noch  hervorheben,  dass  der  Augenlid- 
schlag selbst  in  directer  Beziehung  zur  Thränensecretion  steht,  so  dass  häufiges  Blinzeln 
oder  anhaltend  spastische  Contractionen  des  Orbicularis  auf  ähnliche  Weise  vermehrte 
Secretion  bewirken,  wie  das  Kauen  und  Saugen  bei  den  Speicheldrüsen.  —  Das  Thränen- 
träufeln  bei  Blennorrhoe  des  Thränensackes,  bei  Thränensackfistel  u.  s.  w.  kann  nicht  al 
Beweis  für  die  oben  aufgestellte  Behauptung  benutzt  werden,  weil  dasselbe  ebensowohl 
von  Hypersecretion  in  Folge  des  gereizten  Zustandes  als  von  gehinderter  Fortleitung  der 
Thränen  abgeleitet  weiden  kann.  Aber  es  sind  Fälle  bekannt ,  wo  die  thränenableitenden 
Organe  ohne  alle  Spur  von  Reizung  undurchgängig  waren  und  Thränenträufeln  bestand. 
So  habe  ich  einen  Fall  beobachtet,  wo  die  Thränenröhrchen  von  einer  Glasscherbe  durch- 
schnitten worden  und  sofort  verwachsen  waren ,  und  wo  ohne  alle  Spur  von  Reizung- 
nach  mehreren  Monaten  noch  Thränenträufeln  den  Verwundeten  belästigte.  —  Eine  viel 
öfter  vorkommende  und  meines  Erachtens  völlig  competente  Thatsache  ist  das  Vorkommen 
von  Thränenträufeln  bei  Lähmung  des  N.  facialis.   Ich  bin  von  Kranken  wegen  Thränen- 


384  Thränenorgane. 

träufeln  consultirt  worden,  bei  denen  ich  durchaus  keine  Ursache  dieses  Übels  auffinden 
konnte,  bis  ich  die  Lider  fest  schliessen  liess  und  fand,  dass  der  Orbicularis  zwar  noch 
nicht  seine  ganze  Function,  aber  doch  bereits  an  Energie  eingebüsst  hatte.  Noch  er- 
folgte der  Schluss  des  Auges,  noch  schlössen  die  Lider  an  den  Bulbus,  und  doch  war 
bereits  Thränenträufeln  vorhanden,  weil  —  wie  wir  später  zeigen  werden  —  wegen  Pare- 
sis  des  Orbicularis  dieThränen  nicht  mehr  fortgeleitet  werden  konnten.  Hier  kann  durch- 
aus von  keiner  Hypersecretion ,  sondern  nur  von  gehinderter  Fortleitung  die  Rede  sein. 
—  Man  kann  übrigens  bei  jedem  Menschen,  sowohl  am  obern  als  am  untern  Lide  eine 
Flüssigkeitssäule  sehen,  welche  in  der  Rinne  steht,  die  durch  das  Anliegen  des  Lidrandes 
an  den  Bulbus  gebildet  wird.  Sie  reicht  vom  äussern  Winkel  bis  zur  halbmondförmigen 
Falte,  z.  B.  bei  gradaus  gerichtetem  Blicke  bis  zu  den  Thränenpunkten,  welche  sich  bei 
dieser  Stellung  gerade  an  die  Rinne  legen,  die  durch  das  Anschmiegen  der  halbmondför- 
migen Falte  an  den  Bulbus  gebildet  wird.  Ebenso  sind  die  halbmondförmige  Falte  und 
die  Karunkel  immer  nieht  bloss  feucht,  sondern  deutlich  mit  Flüssigkeit  bedeckt,  was 
dieser  Gegend  schon  in  alten  Zeiten  den  Namen  Thränensee  verschafft  haben  mag.  — 
Ich  kann  demnach  der  Annahme  von  Hyrtl  u.  A.,  dass  der  Thränenableitungsapparat  nur 
bei  erhöhter  Thränensecretion,  beim  Weinen,  beim  Übergänge  in  die  Kälte  u.  dgl.  in 
Anspruch  genommen  werde,  durchaus  nicht  beistimmen,  und  bin  überzeugt,  dass  fort- 
während nicht  nur  Secretion,  sondern  auch  Fortleitung  überschüssiger  Thränen  stattfinde. 
Es  fragt  sich  nur,  wie  die  Fortleitung  erfolge. 

In  die  Flüssigkeitssäulen  längs  des  obern  und  untern  Lides  und 
im  innern  Winkel  sind  die  stets  offenen  Thränenpunkte  continuirlich 
eingetaucht,  daher  auch  die  capillaren  Thränenröhrchen  stets  mit  Flüs- 
sigkeit gefüllt.  Luft  mit  Gewalt  in  diese  Röhrchen  eingepresst,  muss 
schon  nach  einigen  Contractionen  des  M.  orbicularis  et  Horneri  ausge- 
trieben werden,  und  im  normalen  Zustande  lässt  sich  niemals  Luft  in 
den  Thränenröhrchen  auffinden. 

Die  senkrechten  Anfangsstücke  der  Thränenröhrchen  werden  vermöge  ihrer  Fügung 
an  das  quer  abgestutzte  Knorpelende  durch  die  darüber  laufenden  Muskelfasern  wohl  an 
den  Bulbus  angedrückt,  niemals  jedoch  comprimirt.  Es  ist  irrig,  wenn  man  angibt,  beim 
Lidschlusse  werden  die  Thränenwärzchen  vorgeschoben,  etwa  wie  die  Fühlhörner  eiDer 
Schnecke.  Ein  solches  scheinbares  Hervortreten  bewirkt  man  nur,  wenn  das  Lid  mit 
dem  Finger  abgezogen,  und  nun  der  Versuch  gemacht  wird,  die  Lider  zu  schliessen. 
Eben  so  wenig,  wie  von  einem  isolirten  Hervortreten,  konnte  ich  mich  je  von  einer 
spontanen  oder  durch  Reizung  bedingten  Verengerung  oder  Erweiterung  der  Thränen- 
punkte überzeugen.  Die  Thränenwärzchen  verhalten  sich  bei  dem  Acte  der  Thränen- 
fortleitung  rein  passiv,  wie  die  Enden  von  Capillarröhrchen.  Wenn  auch  die  Thränen- 
röhrchen besonders  an  der  knieförmigen  Umbeugung  etwas  weiter  werden,  selbst  bis  zu 
-V"  im  Lumen,  so  bleiben  sie  trotzdem  immer  noch  einfache  Capillarröhrchen,  stets  von 
Flüssigkeit  gefüllt  und  dieselbe  festhaltend,  so  lange  ihnen  ihr  Contentum  nicht  von  aus- 
sen her  oder  durch  Cumpression  entzogen  wird.  Eine  solche  Compression  können  die  un- 
mittelbar auf  ihnen  liegenden  Fasern  des  Schliess-  und  Horner'schen  Muskels  in  ihrer 
mittleren  Portion  iiben,  indem  sie  beim  Lidschlusse  kürzer  und  dicker  werden.  Die  Aus- 
mündung  der  Thränenröhrchen  in  den  Thränensack,  hinter  oder  etwas  unterhalb  der  in- 
nern Hälfte  des  Augenlidbandes  gelegen,  kann  beim  Lidschlusse  nicht  comprimirt  werden. 
Es  ist  wenigstens  Thatsache,    dass    manche  Menschen  durch   heftiges  Schneuzen  Flüssig- 


Physiologie.  385 

Tceit  und  selbst  Luft  durch  die  Thränenpunkte  austreiben  können  (bei  offenen  oder  doch 
nicht  fest  verschlossenen  Lidern),  ohne  Zeichen  eines  Thränenschlauchleidens  darzubieten, 
und  dass  bei  Blennorrhoe  des  Thränensackes  in  der  Regel  dos  trübe  Contentum  desselben 
durch  die  Thränenröhrcben  in  den  Bindehautsack  gedrückt  werden  kann.  Ein  ventilähn- 
lieher  Verschluss  des  Thränensackes  durch  die  Schleimhautfalte  an  der  Einmündung  der 
Thränenröhrchen  in  denselben  kann  also  nicht  angenommen  werden ,  und  die  Thränen- 
röhrchen  sind  somit  als  beiderseits  stets  offene,  in  der  Mitte  etwas  weitere  und  compri- 
mirbare  Capillarröbrchen  zu  betrachten. 

Auch  der  Thränen schlauch,  von  der  Kuppel  des  Thränensackes 
bis  hinab  zur  Nasenniündung ,  ist  gewiss  nicht  mit  Luft,  sondern  mit 
Flüssigkeit  gefüllt.  Diese  besteht  nicht  bloss  aus  Thränen,  sondern 
auch  aus  einer  ziemlich  dicken,  der  Schleimhaut  anhaftenden  La§e  ei- 
weissähnlichen  Secretes.  Es  existirt  demnach  vor  der  Nasenmündung 
des  Thränenschlauches  bis  zu  den  Thränenpunkten  und  von  da  bis  zum 
äussern  Winkel  (längs  der  Lidränder)  eine  continuirliche  Flüssigkeits- 
säule, welche,  wie  wir  weiter  zeigen  werden,  durch  den  Lidschlag  zum 
allmäligen  Weiterrücken  gegen  die  Nase  hin  bestimmt  wird. 

Von  dem  Vorhandensein  eines  schleim-  oder  eiweissähnlichen  Überzuges  im  Thrä- 
nenschlauche  kann  man  sich  an  jedem  Cadaver  überzeugen.  Sehr  oft  fand  ich  auch 
noch  Thränenfiüssigkeit  in  dem  Thränensacke ,  wenn  ich  ihn  so  eröffnete,  dass  er  dabei 
nicht  comprimirt  wurde.  Man  hat  bisher  bei  Aufstellung  physikalischer  Theorien  über 
die  Fortleitung  der  Thränen  weder  das  continuirliche  Vorhandensein  fortzuleitender  Flüs- 
sigkeit durch  Thalsachen  nachzuweisen  unternommen,  noch  auch  die  Frage,  ob  der 
Thränenschlauch  Luft  oder  Wasser  enthalte,  bestimmt  aufgeworfen,  geschweige  denn  zu 
beantworten  gesucht.  Gleichsam  als  selbstverständlich  setzen  die  Einen  Wasser  voraus 
(Hebertheorie),  die  Andern  Luft  (Aspirationstheorie).  Schon  aus  den  oben  angeführten 
Dimensionen  des  Thränenschlauchlumens  ergibt  sich  als  höchst  wahrscheinlich,  dass  der- 
selbe mit  Flüssigkeit  gefüllt  sein  werde.  Das  im  Cadaver  gemessene  Lumen  muss  wohl 
während  des  Lebens,  wo  die  sehr  blutreiche,  gegen1  2'"  dicke  Schleimhaut  turgescirt,  noch 
als  etwas  geringer  angenommen  werden.  Durch  die  an  der  Schleimhaut  haftende  zähe 
Schleimschicht  wird  es  noch  mehr  vermindert,  so  dass  man  den  ganzen  Canal  als  ein 
so  enges  Bohr  zu  betrachten  berechtigt  ist,  in  welchem  sich  die  Attraction  fester  auf 
flüssiger  Theile  geltend  macht.  Die  Nasenmündung  ist  wahrscheinlich  immer  durch  Flüs- 
sigkeit geschlossen,  was  jedoch  nicht  hindert,  dass  bei  extrem-heftiger  Exspiration  (Mund 
und  Nase  verschlossen)  ein  oder  das  andere  Luftbläschen  durchgetrieben  werden  kann. 
Diess  sind  jedoch  nur  Ausnahmen,  vielleicht  nur  bei  etwas  weiterer  oder  krankhaft  ver- 
änderter Nasenmündung  möglich.  —  Direct  beweisend,  dass  im  Thränensacke  keine  Luft 
sei,  scheint  mir  ein  Experiment,  dessen  Hasner  im  gegentheiligen  Sinne  erwähnt.  Wenn 
man  bei  festem  Verschlusse  des  Mundes  und  der  Nase  möglichst  stark  inspirirt,  so  sinkt 
die  Gegend  des  Thränensackes  nicht  ein,  und  sie  erhebt  sich  nicht  bei  eben  solchem 
Exspiriren.  Ich  habe  viele  Ärzte  zu  diesem  Experimente  aufgefordert,  wir  konnten  nie 
weder  ein  Sinken  noch  Heben  wahrnehmen.  Auch  empfand  keiner  von  uns  in  dieser 
Gegend  ein  Gefühl  von  Spannung  wie  etwa  am  Trommelfelle.  Man  muss  aber  bei  die- 
sem Experimente  die  Augen  offen  halten  und  auf  einen  bestimmten  Punkt  richten  lassen, 
"weil  sonst  synergische  Contractionen  des  M.  orbicularis  oder  Bewegungen  des  Bulbus 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  25 


386  Thränenorgane. 

Täuschungen  veranlassen  können.  Bei  einigen  trat  während  forcirter  Exspiration  ein 
oder  das  andere  Luftbläschen  (nie  ein  Luftstrom)  mit  hörbarem  Knistern  aus  dem  Thrä- 
nenpunkte ,  bei  dem  einen  links,  bei  dem  andern  rechts,  obwohl  durchaus  kein  Unter- 
schied zwischen  beiden  Augen,  überhaupt  keine  Abnormität  in  der  Thränenleitung  wahr- 
genommen werden  konnte. 

Der  M.  orbicularis,  der  Augenlidschlag  ist  das  Agens  und  der  Re- 
gulator für  die  Fortleitung  der  Thränen  in  die  Nase.  Im  Momente  des 
Augenlidschlusses  wird  der  Thränensack  sammt  den  Thränenröhrchen 
etwas  comprimirt  durch  die  Anschwellung  der  contrahirten  Muskelfa- 
sern des  Orbicularis  und  durch  die  gleichzeitig  erfolgende  rückwärts 
ziehende  Wirkung  des  iZb/wr'scken  Muskels.  Sind  die  Wandungen 
des  Ihränensackes  hinreichend  resistent,  und  ist  das  Contentum  des- 
selben incompressibel,  so  muss  eine  entsprechende  Menge  davon  ent- 
weichen, natürlich  dorthin,  wo  gar  kein  oder  ein  relativ  geringerer 
Widerstand  obwaltet.  Diess  geschieht  im  normalen  Zustande  nach  dem 
Thränennasengange  hin,  in  welchem  also  die  Flüssigkeit  fortrücken,  und 
aus  welchem  ein  Tröpfchen  in  die  Nase  treten  muss.  In  dem  Mo- 
mente, wo  mit  der  Öffnung  der  Lidspalte  die  Compression  der  Thrä- 
nenröhrchen und  des  Thränensackes  nachlässt,  und  der  Thränensack 
sein  eigentliches  Lumen  wieder  gewinnt,  muss  Flüssigkeit  aus  dem 
Thränensee  nachrücken,  um  den  leeren  Raum  zu  füllen.  Es  ist  ein- 
leuchtend, dass  ein  Zurücktreten  von  der  Nase  her  nicht  stattfinden 
kann ,  weil  sonst  eine  lange  Flüssigkeitssäule  gehoben  werden,  und  die 
bereits  in  die  Nasenhöhle  gelangte  Portion  wieder  eindringen  müsste. 
Auf  diese  Weise  werden  die  Thränen  Wärzchen  zu  Saugwärzchen.  Die 
in  der  Rinne  zwischen  jedem  Lidrande  und  dem  Augapfel  befindliche 
und  durch  Adhäsion  an  den  festen  Theilen  festgehaltene  Flüssigkeit 
kann  nur  durch  die  angegebene  Assuction  der  Thränenröhrchen,  nie- 
mals aber,  wie  gewöhnlich  angenommen  wird,  durch  die  Bewegung  der 
Lider  als  solche,  durch  Erfolgen  des  Abschlusses  der  Lidspalte  vom 
äussern  zum  innern  Winkel  hin  und  zum  Fortrücken  gegen  den  innern 
Winkel  gebracht,  geschweige  denn  in  die  Thränenröhrchen,  welche  ge- 
füllt und  capillär  sind,  hineingepresst  werden. 

Dass  der  Thränensack  im  Momente  des  Lidschlusses  comprimirt  werde,  folgere  ich 
nicht  bloss  aus  anatomischen  Thatsachen  als  möglich  und  wahrscheinlich,  sondern  auch 
aus  vielfältigen  Beobachtungen  von  Thränenfisteln  als  wirklich.  Befindet  sich  in  einer 
Fistelöffnung  Flüssigkeit ,  so  sieht  man  sie  im  Momente  des  Lidschlusses  steigen ,  im 
Momente  der  Lidöffnung  fallen.  Besonders  instructiv  sind  Fälle,  wo  die  Grösse  der 
Öffnung  gestattet,  in  die  Tiefe,  b%  an  die  Öffnung  der  häutigen  Wandung  des  Thränen- 
sackes selbst  zu  blicken.  Man  übersehe  dabei  nicht,  dass  im  Momente  des  Lidschlusses 
auch  die  Thränenröhrchen  comprimirt  werden  müssen,  demnach  in  diesem  Momente  keine 
Flüssigkeit  vom  Bindehautsacke  nachrücken  oder  gar  hineingepresst   werden  kann.     Dass, 


Physiologie.  387 

der  Lidschluss  vom  äussern  zum  innern  Winkel  erfolge,  ist  eine  blosse  Annahme;  eben 
so  wenig  lässt  sich  beweisen ,  dass  die  Lidspalte  dabei  vorn  hermetisch  abgeschlossen 
werde.  Das  Eintreten  von  Flüssigkeit  in  die  Thränenröhrohen  kann  absolut  erst  nach 
vorübergegangenem  Lidschlusse  erfolgen,  nicht  während  desselben. 

Dass  aber  die  Fortleitung  der  Thränen  von  der  Action  des  M.  orbicularis  abhänge, 
zeigen  Fälle  von  Lähmungen  desselben.  Bei  Lähmung  des  Orbicularis  ist  Thränenträu- 
feln  eine  constante  Erscheinung.  Sie  tritt  früher  auf,  als  die  Veränderung  der  Stellung 
der  Augenlider  und  Thränenpunkte.  Sie  war  in  einigen  Fällen  das  erste  Symptom  und 
machte  mich  erst  aufmerksam  auf  die  übrigen  Erscheinungen,  welche  die  unvollständige 
Lähmung  des  N.  facialis  beurkunden.  Erst  der  Umstand,  dass  der  über  Thränenträufeln 
klagende  Kranke  die  Lidspalte  der  betroffenen  Seite  nicht  so  kräftig  zu  schliessen  ver- 
mochte,  wie  die  andere,  bestimmte  mich,  die  Haltung  der  Gesichtsmuskeln  genau  zu 
controlliren.  Gerade  diese  Fälle  sind  es,  in  welchen  das  Thränenträufeln  nicht  als  Folge 
von  Hypersecretion  betrachtet  werden  kann,  da  die  Lider  noch  an  den  Bulbus  anschlies- 
sen ;  sie  sind  es  ,  welche  sowohl  die  Heber-  als  die  Aspirationstheorie  als  unhaltbar  er- 
weisen. —  Der  Respiration  kann  nur  insofern  ein  Einfluss  auf  diesen  Vorgang  zu- 
geschrieben werden ,  als  sie  durch  Verdampfung  von  Flüssigkeit  an  der  Nasenmündung 
des  Thränenschlauches  auf  den  Stand  der  Flüssigkeitssäule  in  diesem  engen  Canale  ein- 
zuwirken vermag.  "Wird  an  einem  Capillarrohre  der  unterste  Tropfen  entfernt,  sei  es 
durch  Verdunstung ,  sei  es  durch  Abwischen  o.  dgl. ,  so  muss  die  ganze  Flüssigkeits- 
säule nachrücken.  Während  des  Schlafes  scheint  dieser  Einfluss  allein  hinzureichen,  das 
Hinabrücken  der  ohnehin  geringeren  Menge  von  Secret  zu  bewirken ,  wiewohl  es  noch 
nicht  ausgemacht  ist,  ob  nicht  auch  während  des  Schlafes  von  Zeit  zu  Zeit  Contractio- 
nen  des  M.  orbicularis  erfolgen.  Bei  kleinen  Kindern  habe  ich  mich  von  deren  zeitwei- 
ligem Eintreten  überzeugt. 

Gegen  die  von  E.  H  Weber  angedeutete  und  von  Hasner  weiter  ausgeführte  Theorie 
der  Aspiration  hat  Hyrtl  mit  Becht  bemerkt,  dass  die  Thränenröhrchen  zu  wenig  steif 
seien,  um  durch  Luftdruck  nicht  comprimirt  zu  werden.  Nach  Hasner  sollen  bei  jeder 
Einathmung,  welche  mittelst  der  Nase  zu  Stande  kommt,  zugleich  mit  der  Luft  auch  die 
Thränen  in  den  luftverdünnten  Baum  des  Schlauches  eingezogen  werden.  „Durch  Er- 
weiterung der  Lungenhöhle  im  Momente  der  Inspiration  wird  die  Luft  in  dem  gesamm- 
ten  Schlauche  verdünnt ,  und  es  drängt  die  äussere  Luft  auf  die  Thränen  im  See,  welche 
somit  in  den  Schlauch  gelangen.  Sowohl  durch  die  aus  dem  Thränenschlauche  in  die 
Nasenhöhle  drängende  Luft,  als  durch  die  eigene  Schwere  wird  die  Klappe  (an  der 
Nasenmündung)  bei  jeder  Inspiration  geöffnet."  „Die  Thränenableitung  kann  natürlich 
nur  dann  vor  sich  gehen,  wenn  der  Mund  geschlossen  ist;  jedes  Öffnen  des  Mundes 
schliesst  die  Nasenhöhle  ganz  von  der  Kespiration  aus."  „Das  Schliessen  der  Lider  ist 
zur  Aufsaugung  der  Thränen  nicht  nothwendig,  schon  bei  massiger  Verengerung  der  Lid- 
spalte tauchen  beide  Thränenpunkte  in  den  See,  und  es  steht  besonders  der  untere 
jederzeit  zur  Absorption  der  geringen  Menge  Flüssigkeit,  welche  sich  an  dem  Lidrande 
angesammelt  hat,  bereit."  „Im  Momente  der  Exspiration  wird  durch  Verschliessung  der 
am  Übergänge  des  Thränenschlauches  in  die  Nasenhöhle  befindlichen  Klappe  eine  voll- 
kommene Isolirung  beider  Cavitäten  von  einander  zu  Stande  gebracht."  —  Gegen  diese 
Sätze  sprechen  mehrere  Thatsachen.  Wir  können  Stunden  lang  bloss  durch  den  Mund  ath- 
men,  ohne  dass  Thränenträufeln  eintritt,  während  längere  Unterbrechung  des  Augenlid- 
schlages ,  absichtlich  oder  bei  anhaltendem  Betrachten  eines  Gegenstandes ,  die  Augen 
übergehen  macht.     Ich  kenne  eine  Frau,  deren  Nasenhöhle  vollständig  und  luftdicht  von 

25* 


388  Thräiienorgane. 

der  Rachen-  und  Mundhöhle  abgeschlossen  ist  (in  Folge  von  Narben  nach  syphilitischen 
Geschwüren) ,  welche  aber  keine  Spur  von  Thränenträufeln  darbietet,  obwohl  kein  Grund 
vorhanden  ist,  bei  ihr  eine  Verminderung  der  Thränensecretion  überhaupt  anzunehmen. 
Nasenpolypen,  welche  den  Luftstrom  hermetisch  abschliessen ,  machen  kein  Thränen- 
träufeln, so  lange  sie  nicht  bis  zur  Compression  des  Thränennasenganges  vorgerückt 
sjn(}.  —  Ich  habe  mich  bei  einer  Menge  Thränensackfisteln  durch  Einträufeln  von 
Cochenillen  tinctur  in  den  Bindehautsack  überzeugt,  dass  diese  Flüssigkeit  nach  einigen 
Auo-enlidschlägen  in  der  Fistelöffnung  zum  Vorschein  kam ,  obgleich  die  sorgfältigste 
Sondirung  sowohl,  als  gehörig  angestellte  Injectionen  (so  wie  auch  heftige  In-  und  Ex. 
spirationen  hei  Verschluss  des  Mundes  und  der  Nase)  völlige  Undurchgängigkeit  des 
Thränennasenganges  erwiesen.  Also  bei  sicher  gestelltem  Ausschlüsse  des  Einflusses  der 
Respiration  gelangt  das  Contentum  des  Bindehautsackes  dennoch  nicht  nur  in  den  Thrä- 
nensack ,  sondern  auch  bis  vor  die  äussere  Fistelöffnung.  Hierin  liegt  auch  zugleich  — 
nebenbei  gesagt  —  eine  "Widerlegung  der  Petifschen ,  auf  verschieden  lange  Arme  ge- 
stützten Hebertheorie  und  gegen  die  Annahme,  dass  der  Hornersche  Muskel  den  Thrä- 
nensack  während  des  Lidschlusses  erweitere.  Bei  der  Thränensackfistel  mit  hermetischem 
Verschlusse  des  Thränennasenganges  sind  die  Verhältnisse  wie  im  normalen  Zustande, 
mit  dem  Unterschiede,  dass  an  die  Stelle  des  Thränennasenganges  der  Fistelgang  ge- 
treten ist;  wie  früher  in  die  Nase,  kommen  jetzt  die  Thränen  auf  die  Wange.  —  Be- 
kanntlich gibt  es  auch  Thränensackfisteln,  wo  sich,  bei  Abwesenheit  jeder  Spur  von  Ent- 
zündung, aus  einer  haarfeinen  Öffnung  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Tröpfchen  klarer  und  dün- 
ner Flüssigkeit  entleert,  welche  sich  als  Thränenflüssigkeit  erweisen  lässt.  An  diese 
scheint  Hasner  nicht  gedacht  zu  haben,  als  er  1.  c.  S.  47  behauptete:  „Die  dauernde 
Thränenschlauchfistel  sei  niemals  das  Symptom  einer  Verwachsung  oder  Undurchgängig- 
keit des  Schlauches,  sondern  stets  nur  jenes  der  Caries  des  Thränenbeins."  Wenigstens 
bei  den  längst  bekannten  Haarfisteln  kann  man  mit  Bestimmtheit  die  Anwesenheit  von 
Caries  in  Abrede  stellen,  obwohl  auch  von  einer  Menge  anderer,  lange  dauernder  Fisteln 
dasselbe  behauptet  werden  muss. 

HyrtVs  Ansicht  geht  dahin,  dass  der  Hornersche  Muskel  und  der  M.  orbicularis  bei 
jedem  Augenlidschlage  den  Thränensack  erweitern,  und  dadurch  ein  Nachrücken  der 
Flüssigkeit  bedingen ,  wobei  noch  Absperrung  von  der  Nasenhöhle  durch  die  Klappe  am 
untern  Ende  des  Nasenganges  vorausgesetzt  wird.  Wäre  diese  Ansicht  richtig,  so  müsste 
man  bei  Thränensackfisteln  im  Momente  des  Lidschlusses  die  Flüssigkeit  in  der  Haut- 
öffnung sinken  sehen.  Irrig  ist  übrigens  die  von  Hyrtl  aufgestellte  Behauptung,  dass  bei 
Dacryocystoblennostasis  in  der  Regel  kein  Thränenträufeln  vorhanden  sei,  und  dass  die 
Thränenröhrchen  nur  während  des  Weinens  beschäftigt  werden.  Nach  dem ,  was  ich 
beobachtet  habe,  kommen  die  Kranken  mit  Dacryocystoblennostasis  eben  nicht  wegen 
Schmerzen  oder  wegen  der  Geschwulst,  sondern  lediglich  oder  doch  vorzüglich  wegen 
der  Belästigung  durch  Thränenträufeln  beim  Arbeiten,  Ausgehen  u.  dgl.  zum  Arzte.  Dem- 
nach müssen  die  Fälle,  in  welchen  kein  Thränenträufeln  stattfindet,  wohl  als  Ausnahmen 
betrachtet  werden,  vielleicht  dadurch  bedingt,  dass  allmälig  weniger  Thränen  ausgeschie- 
den werden.  —  Mit  Unrecht  zeiht  Hasner  den  Veteranen  A.  G.  Richter  eines  Irrthums, 
wenn  dieser  behauptet,  dass  bei  Blennorrhoe  des  Thiänensackes  dieser  immerfort  noch 
durch  frisch  nachrückende  Thränen  ausgedehnt  werde,  „indem  das  Contentum  des  Thrä- 
nenschlauches  bei  Dacryocystestasis  nur  aus  dem  Schleimseeret  des  Schlauches  selbst  be- 
stehe, welches  bei  Verschliessung  der  Nasalöffnung  nicht  abfliessen  könne."  Mir  scheint, 
dass  der  alte  Richter  viel  genauer  beobachtet  und  untersucht  hat.     Das  Contentum  blen- 


Physiologie.  389 

norrhöischer  Thränensacke  besteht  iu  der  That  aus  einem  Gemenge  von  Secret  des  Thrä- 
nensackes  und  von  Thronen.  Dass  trotz  hermetischen  Abschlusses  des  Thränennasen- 
ganges  auch  bei  Blennorrhoe  des  Thränensackes  noch  Flüssigkeit  aus  dem  Bindehaut- 
sacke aufgenommen  -werden  könne ,  davon  kann  man  sich  überzeugen ,  wenn  man  in 
solchen  Fällen  Cochenillentinctur  in  den  Bindehautsack  einträufelt,  diese  nach  einiger 
Zeit  rein  ausspült,  und  nun  das  Thränensackcontentum  durch  die  Thränenpunkte  aus- 
drückt. —  Nach  Boss  soll  der  Lidschluss  vom  äussern  zum  innern  Winkel  erfolgen,  die 
Flüssigkeit  gegen  den  Thränensee  und  aus  diesem  in  die  Thränenröhrchen  u.  s.  w.  ge- 
presst  werden.  Wir  haben  schon  oben  bemerkt,  dass  diess  unerwiesene  Annahmen  sind, 
die  sich  wohl  kaum  je  beweisen  lassen  werden.  Beim  gewöhnlichen  Lidschlage  wird 
übrigens  die  Lidspalte  gar  nicht  völlig  geschlossen;  das  obere  Lid  nähert  sich  dem 
untern,  ohne  es  völlig  zu  eireichen. 

Schliesslich  will  ich  noch  hervorheben ,  dass  die  Anwesenheit  von  etwas  Luft  im 
Thränensacke  den  oben  dargestellten  Mechanismus  der  Thränenfortleitung  nicht  unmög- 
lich mache.  Ich  hatte,  als  ich  diess  niederschrieb,  eben  eine  Patientin  vor  mir  —  und 
ich  erinnere  mich,  in  einigen  Fällen  Ähnliches  beobachtet  zu  haben  —  welche  nicht 
im  mindesten  von  Thränenträufeln  belästigt  wird,  und  ihre  Augen  überhaupt  jetzt  für 
vollkommen  gesund  erklärt,  bei  welcher  jedoch  das  Entweichen  von  Luft  aus  dem  Thrä- 
nensacke in  die  Nase  deutlich  fühlbar  ist,  wenn  ich  den  Thränensack  mit  dem  Finger 
comprimire.  Diese  Patientin,  vor  14  Jahren  von  mir  von  einer  beiderseitigen  Thränen- 
sackfistel  nach  der  gewöhnlichen  Methode  geheilt  —  (Dauer  der  Behandlung  durch  2 
Jahre,  zuletzt  Tragen  von  Bleinägeln  durch  beinahe  1 '/z  Jahre),  —  wandte  sich  jetzt 
nicht  wegen  der  Augen  an  mich,  sondern  wegen  Tuberculosis  pulmonum.  Links  war 
ausser  der  Narbe  keine  Spur  von  dem  früheren  Leiden  aufzufinden ;  rechts  bestand  an 
der  Stelle  der  Fistel  eine  schon  von  weitem  auffallende  trichterförmige  Einziehung  der 
Cutis.  Aber  auch  hier  ist  kein  Thränenträufeln  vorhanden  und  auch  der  Thränensack 
ganz  gewiss  nicht  obliterirt.  Das  Eintreten  von  Luft  in  den  Thränensack  erfolgt  beim 
Schneuzen,  Husten  u.  dgl.,  da  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  Nasenöffnung  des  Thrä- 
nenschlauches  durch  das  längere  Tragen  der  Stifte  so  erweitert  worden  ist,  dass  der 
Lufteintritt  nicht  mehr  völlig  abgehalten  werden  kann.  Die  zu  dem  oben  beschriebenen 
Mechanismus  erforderliche  Flüssigkeitssäule  existirt  demnach,  sobald  Luftblasen  im  Thrä- 
nensacke sind,  noch  längs  der  Wandungen  desselben.  Es  besteht  keine  solide,  sondern 
eine  im  Innern  mehr  weniger  Luftbläschen  haltende  Flüssigkeitssäule,  und  diese  Luft- 
bläschen entweichen  bei  Compression  der  Thränensacke  unter  leichtem  Knistern  und  Ge- 
fühl von  Prickeln  im  Finger.  Ich  selbst  bin  im  Stande,  beim  starken  Schneuzen  Luft 
durch  die  Thränenröhrchen  auszupressen,  wenn  ich  an  heftigem  Schnupfen  leide,  und 
doch  halte  ich  meine  Thränenorgane  für  ganz  gesund.  —  Ich  würde  diesem  Gegenstande 
nicht  so  viel  Baum  gewidmet  haben,  wenn  nicht  die  Ansichten,  die  man  über  die  Function 
des  Thränenschlauches  hat,  von  so  bedeutendem  Einflüsse  auf  die  Behandlung  seiner 
Krankheiten  wären. 

B.    Krankheiten. 

a.  Der  Thränendrüse  und  ihrer  Ausführungsgänge. 
1.   Die  Entzündung  der   Thränendrüse  ist  mir  nicht  aus   eigener 
Beobachtung  bekannt.     Ausser  Joh.  Ad.   Schmidt*)  äussern  sich  alle 

*,  Über  die  Krankheiten  des  Thränenorgans,  Wien  1SU3. 


390  Thränenorgane. 

Schriftsteller  dahin,  dass  diese  Affection  eine  sehr  seltene  sei.  Die 
acute  Form  soll  sich  durch  Trockenheit  des  Auges,  heftigen,  tiefgrei- 
fenden Schmerz,  entzündliche  Geschwulst  des  obern  Lides  und  Verdrän- 
gung des  Augapfels  nach  vorn,  innen  und  unten  kundgehen,  und  mit 
Eiterung  und  Durchbruch  des  obern  Lides  enden.  Wenn  diese  oder 
ähnliche  Erscheinungen  auftreten,  wird  man  jedenfalls  wohl  zu  unter- 
suchen haben,  ob  sie  nicht  bloss  von  Zellgewebs-  oder  aber  von  Bein- 
hautentzündung und  nachfolgender  Caries  bedingt  seien,  welche  gerade 
in  dieser  Gegend  nicht  selten  vorkommt.  Nach  Makenzie  (1.  c.  S.  89) 
hat  Todd  auch  chronische  Thränendrüsenentzündung  beobachtet,  mit 
allmäliger  Vergrösserung  der  Drüse,  welche  leicht  für  krebsige  Entar- 
tung gehalten  werden  könne.  Bei  scrofulösen  Individuen  soll  spontane 
chronisch  entzündliche  Vergrösserung  der  Thränendrüse  vorkommen.  In 
4  von  Makenzie  ausführlich  mitgetheilten  Beobachtungen  (von  Todd, 
O'Beirne,  Lawrence  und  Daniel)  wurde  die  Diagnosis  durch  Exstirpa- 
tion  der  taubenei-  bis  wallnussgrossen  Geschwulst  constatirt.  In  3  Fällen 
davon  waren  heftige  Schläge  auf  die  Gegend  der  Thränendrüse  voraus- 
gegangen. In  keinem  dieser  Fälle  hatte  weder  die  Entartung  noch 
auch  die  Entfernung  der  Drüse  Trockenheit  des  Auges  zur  Folge;  in 
dem  letztern  soll  das  Auge  (nach  radicaler  Heilung  durch  die  Exstir- 
pation)  fähig  gewesen  sein,  eben  so  viel  Thränen  zu  vergiessen,  wie 
das  andere. 

2.  Schwund  der  Thränendrüse  und  fettige  Entartung  habe  ich  nur 
einmal  im  Cadaver  gefunden,  und  zwar  wohl  als  Folge  von  Obliteration 
ihrer  Ausführungsgänge  bei  Trachoma.  S.  B.  I.  S.  128.  Dass  Trocken- 
heit der  Conjunctiva  Folge  von  Erkrankung  dieser  Membran  selbst, 
nicht  aber  der  Thränendrüse  sei,  ergibt  sich  aus  dem,  was  wir  S.  126, 
B.  I.  über  Xerophthalmus  bemerkt  haben.  Vergl.  unten  Verödung  des 
Thränensackes. 

3.  Als  Thränensackgeschwulst ,  dacryops,  haben  Ad.  Schmidt  und 
J.  G.  Beer  eine  mit  wasserklarer  und  salzig  schmeckender  Flüssigkeit 
gefüllte  Geschwulst  an  der  innern  Fläche  des  obern  Lides  beschrieben, 
welche  selbst  die  Grösse  einer  Wallnuss  erreichen  können  soll,  und 
beim  Weinen  grösser  wird.  Diese  Umstände  und  der  Sitz  in  der  Ge- 
gend, wo  die  Ausfuhrungsgänge  der  Thränendrüse  liegen,  bestimmten 
zu  der  Annahme,  dass  die  Geschwulst  als  Ausdehnung  eines  Ausfüh- 
rungsganges in  Folge  von  Obliteration  seiner  Mündung,  oder  als  Er- 
guss  von  Thränenflüssigkeit  in  das  umgebende  Bindegewebe  nach  Zer- 
reissung  eines  Ausführungsganges  zu  betrachten  sei.  „Wenn  die  Ge- 
schwulst  von  aussen  künstlich   geöffnet   worden  ist,  und  der  Kranke 


Krankheiten  der  Thränendrüse.  391 

weint,  so  fliesst  eine  bedeutende  Menge  reiner  Thränenfeuchtigkeit  aus 
der  Öflnung,  und  erweist  sich  als  solche  durch  ihren  salzigen  Ge- 
schmack." {Beer  1.  c.  B.  IL  S.  593.)  Nach  Beer  ist  die  Krankheit 
nicht  leicht  zu  heilen,  weil  leicht  —  nach  absichtlicher  oder  zufälli- 
ger (?)  Eröffnung  von  aussen  —  eine  Haarfistel  zurückbleibe,  wenn  der 
Sack  nicht  vernichtet  wird.  Beer  empfiehlt  die  Blosslegung  von  der 
Bindehaut  aus  und  das  Durchziehen  eines  dicken  Seidenfadens.  Beer 
führte  die  Enden  desselben  durch  die  Cutis  und  befestigte  sie  auf  der 
Stirn;  es  dürfte  wohl  auch  zulässig  sein,  den  Faden  durch  die  Binde- 
haut ein-  und  wieder  auszustechen,  die  Enden  zum  äussern  Winkel 
herauszuleiten  und  daselbst  zu  befestigen,  bis  die  beabsichtigte  Reaction 
erfolgt  ist. 

4.  Als  Ilydatide  der  Thränendrüse  beschreiben  dieselben  Autoren 
eine  im  Parenchym  der  Drüse  sitzende  Cyste,  welche  durch  rasches 
"Wachsthum  und  Druck  nicht  dem  Augapfel  Gefahr  bringt,  sondern 
selbst  den  Tod  herbeiführen  kann  (eine  Beobachtung  von  Schmidt,  eine 
von  Beer).     Vergl.  Cysten  in  der  Orbita  im  XII.  Buche. 

Ein  Soldat  bekam  nach  überstandenem  Typhus  stumpfen ,  tiefsitzenden  Druck  im 
Auge.  In  der  3.  Woche  wurde  der  Schmerz  heftig,  erstreckte  sich  auf  die  Hälfte  des 
Kopfes ,  das  Auge  wurde  roth  und  vorgetrieben.  In  der  4.  Woche  Schlaflosigkeit  wegen 
unerträglicher  Schmerzen,  Erblindung  des  noch  stärker  vorgetriebenen  Auges,  Vordrängung 
der  nicht  geschwollenen  Lider,  in  der  Gegend  der  Thränendrüse  eine  harte  Geschwulst, 
die  man  für  ein  Steatom  halten  konnte.  Nach  einigen  Tagen ,  ehe  es  noch  zu  der  von 
Ad.  Schmidt  beschlossenen  Exstirpation  kam,  verfiel  der  Patient  in  einen  Zustand  von 
Schlafsucht ,  Bewusstlosigkeit ,  unwillkürlicher  Entleerung  von  Urin  und  Stuhl ;  einige 
Stunden  später  erfolgte  der  Tod.  Bei  der  Section:  die  Venen  und  Sinus  des  Gehirnes 
mit  Blut  überfüllt;  kein  Erguss  in  den  Ventrikeln.  Als  der  Augenhöhlenfortsatz  des 
Stirnbeins  ohne  Verletzung  des  Periosteums  weggenommen  wurde,  drang  eine  schwappende 
Geschwulst  aus  dem  Schläfewinkel  der  Augenhöhle  hervor.  Man  fand  die  Muskeln,  den 
Sehnerven  und  die  übrigen  Nerven  gezerrt  und  verlängert,  die  Vena  ophth.  sehr  aus- 
gedehnt, die  Thränendrüse  kleiner  als  gewöhnlich,  die  Acini  auf  der  Geschwulst  kleiner 
und  auseinander  gedrängt,  die  vor  der  Geschwulst  liegenden  grösser  und  mehr  zusam- 
menhängend. Die  Geschwulst  hatte,  von  hinten  nach  vorn  gemessen,  \"  Durchmesser 
senkrecht  und  transversal  etwas  weniger  als  1".  Sie  drängte  sich  auf  das  äussere  Seg- 
ment des  Augapfels  und  hatte  ihn  gegen  die  Nase  hin  und  vorwärts  verschoben.  Sie 
hatte  eine  äussere  und  eine  innere  Hülle.  Die  äussere  bestand  aus  dicker  Zellenmem- 
bran.  Zwischen  ihr  und  der  innern  Hülle  befand  sieh  eine  Quantität  Intersfitialflüssig- 
keit.  Die  innere  Hülle  war  sehr  zart,  halb  durchsichtig  und  enthielt  eine  klare  Flüs- 
sigkeit. Die  äussere  Membran  konnte  nicht  leicht  von  den  eingestreuten  Acinis  getrennt 
werden.  Die  innere  konnte  recht  gut  von  der  äussern  Hülle  weggenommen  werden. 
(Entlehnt  aus  Mahenzie  1.  c.  S.    103.) 

b.  Der  Thränenröhrchen  und  Thränenpunkte. 

Die   Zeichen    von  Entzündung  kommen   an   den   Thränenröhrchen 


392  Thräiienorgane. 

sehr  selten  zur  Beobachtung.  Nur  in  einigen  Fällen  sah  ich  die 
schleimhäutige  Auskleidung  derselben  an  der  Mündung  geröthet,  aufge- 
lockert und  geschwellt,  so  dass  die  Thränenwärzchen  merklich  vergrös- 
sert  und  die  Thränenpunkte  verengert  erschienen.  In  allen  diesen  Fäl- 
len war  zugleich  Blennorrhoe  des  Thränensackes  zugegen,  und  die 
Bindehaut  bot  die  Erscheinungen  von  Trachoma  oder  von  chronischer 
Blennorrhoe  dar;  nur  in  einem  einzigen  Falle  schien  dieses  Leiden  auf 
die  Thränenwärzchen  allein  beschränkt  zu  sein. 

Vor  Wunden  sind  die  Thränenröhrchen  vermöge  ihrer  Lage  ziem- 
lich geschützt.  Ad.  Schmidt,  J.  N.  Fische?*  u.  A.  erzählen  Fälle,  wo 
quer  verlaufende  Schnittwunden  wieder  so  verheilten,  dass  die  Durch- 
gängigkeit der  Canälchen  nicht  aufgehoben  wurde.  Ich  habe  einen 
Fall  beobachtet,  wo  beide  Thränenröhrchen  von  einer  Glasscherbe 
durchschnitten  worden  waren,  und  die  Vernarbung  zu  Undurchgängigkeit 
derselben  führte,  welche  sich  noch  mehrere  Monate  nachher  durch  Thrä- 
nenträufeln  kund  gab.  —  Bei  unvorsichtigem  Sondiren  dieser  dünnen 
Schläuche  soll  auch  Zerreissnng  derselben  vorgekommen  sein. 

Ich  habe  einen  jungen  Mann  gesehen ,  bei  dem  in  Folge  heftigen  Schneuzens  bei 
zugepressten  Augenlidern  Luft  in  das  subcutane  Bindegewebe  ausgetreten  war,  unmittel- 
bar nachdem  er  sich  an  einen  Nagel  gestossen  hatte.  Eine  leichte,  gegen  i'"  lange 
Hautaufschürfung ,  schräg  von  unten  und  innen  nach  oben  und  aussen  über  die  innere 
Hälfte  des  Ligam.  palp.  intern,  streichend,  deutete  die  Richtung  an,  in  welcher  der  Nagel 
den  innern  Augenwinkel  getroffen  hatte.  Es  war  kein  Knochenbruch,  auch  keine  Blut- 
unterlaufung  aufzufinden.  Die  das  untere  Lid  bedeutend  aufblähende  Luft,  welche  sich 
unter  einem  eigenthümlich  prickelnden  Gefühle  (für  den  betastenden  Finger)  seitwärts 
verdrängen  Hess,  hatte  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  nicht  den  viel  resistenteren  Thrä- 
nensack,  sondern  das  dünne  untere  Thränenröhrchen  irgendwo  durchrissen,  als  der  Ver- 
letzte bei  den  reichlich  zuströmenden  Thränen  heftig  schneuzte.  Einen  ähnlichen  Fall 
hat  A.  v.  Gräfe  (Archiv  B.  I.  Abth.  I.  S.  288)  beschrieben.  —  Bei  einem  an  Trachoma 
conjunctivae  und  Blennorrhoea  sacci  lacrymalis  leidenden  alten  Weibe,  deren  Thränen- 
wärzchen die  obgenannte  Schleimhautwulstung  darboten,  riss,  als  ich  laues  Wasser  in 
das  untere  Röhrchen  einspritzte,  dasselbe  ein  und  licss  das  Wasser  unter  die  Haut  des 
Lides  austreten.  Sowohl  die  Luft  in  dem  ersten,  als  das  Wasser  in  dem  zweiten  Falle 
sind  nach  einigen  Tagen  ohne  weitern  Nachtheil  allmälig  verschwunden. 

Verstopfung  der  Thränenröhrchen  durch  kalkige  Concremente,  deren 
Travers  u.  A.  gedenken,  ist  mir  bisher  nicht  vorgekommen.  Hasner 
fand  einmal  im  untern  Thränenröhrchen  eine  Cilie,  welche  noch  so  weit 
lierausragte ,  dass  er  sie  mit  einer  Pincette  fassen  konnte.  Convolute 
von  verfilzten  Fadenfilzen  in  dem  zu  einer  Höhle  erweiterten  untern 
Thränenröhrchen,  ohne  anderweitige  Erkrankung  des  Thränenschlauches, 
fand  A.  v.  Gräfe  (1.  c.  S.  284)  bei  einer  jungen  Frau.  Die  erbsengrosse 
Geschwulst  konnte  für  ein  Gerstenkorn  oder  Atherom  gehalten  werden ; 


Krankheiten  der  Thränenröhrcheii.  393 

die  Heilung  wurde  durch  Iucision  vom  Bindehautsacke  aus  bewirkt. 
Mit  einer  dicken,  grüngelben,  schmeerähnlichen  Materie  ausgefüllt  fand 
ich  das  untere  Thränenröhrchen  bei  einem  Manne,  der  seit  mehr  als 
einem  Jahre  an  Thränenträufeln  des  rechten  Auges  litt,  und  fruchtlos 
mit  verschiedenen  Mitteln  behandelt  worden  war. 

Als  ich  nach  der  Ursache  des  von  einer  merklichen  Injection  der  Bindehaut  im  in- 
nern  Winkel  begleiteten  Thränenträufelns  forschte,  fiel  mir  zunächst  das  Weitoffenstehen 
des  Thränenpunktes  und  weiter  eine  abnorme  Dicke  des  Lides  an  der  Stelle  auf,  wo 
das  Thränenröhrchen  senkrecht  in  das  Lid  eindringt.  Indem  ich  nun  den  Zeigefinger  an 
die  äussere  Fläche  anlegte,  und  mit  einem  Davielschen  Löffel  an  der  innern  Seite 
gegen  den  Thränenpunkt  streifend  drückte,  entleerte  sich  ein  dünner  Cylinder  der  ge- 
nannten Materie.  Dieses  Manöver  wurde  immer  nach  einigen  Tagen  wiederholt  und 
darauf  jedesmal  eine  Injection  lauen  Wassers  gemacht,  in  der  Zwischenzeit  aber  eine 
Salbe  von  rothem  Präcipitat,  nach  einigen  Wochen  von  Deuterojodur.  hydrarg.  an  die 
äussere  Lidfläche  dieser  Gegend  eingerieben.  Nach  und  nach  nahm  die  Menge  dieser 
Masse  ab ,  und  nach  1 0  Wochen  war  der  Mann  vollständig  geheilt.  Diese  Masse  war 
wohl  kein  Froduct  des  Thränenröhrchens  selbst;  mir  ist  es  am  wahrscheinlichsten,  dass 
sie  von  einem  Follikel  einer  Meibomschen  Drüse  ausging,  welcher,  durch  Ansammlung 
seines  Secretes  ausgedehnt  und  verdünnt,  endlich  eine  Öffnung  in  das  Thränenröhrchen 
erhalten  hatte. 

Verwachsung  der  Mündung  findet  man  nicht  selten  nach  chemischen 
Verletzungen,  nach  Blattern,  besonders  aber  bei  Individuen,  welche  lange 
an  jener  Form  von  Blepharadenitis  gelitten  haben,  die  sich  durch  Bil- 
dung kleiner  Abscesse  an  der  Basis  der  Cilien,  bleibenden  Verlust  der- 
selben, lineare  Einschrumpfung  der  Cutis,  Obliteration  der  Mündungen 
der  Meibomschen  Drüsen  und  Ectropium  conjunctivae  charakterisirt. 
Am  untern  Lide  ist  dieser  Zustand  häufiger  als  am  obern.  Die  Func- 
tion des  obern  Thränenröhrchens  reicht  dann  bisweilen  hin,  das  Thrä- 
nenträufeln zu  vermindern  oder  zu  verhüten.  Bei  Xerophthalmus  in 
Folge  von  Trachoma  habe  ich  auch  die  Thränenröhrchen  in  ihrer  gan- 
zen Ausdehnung  obliterirt  gefunden.  Nach  Boivman  lässt  sich  die  Fort- 
leitimg der  Thränen  bei  Verschluss  der  Thränenpunkte  wieder  herstel- 
len, wenn  man  das  Thränenröhrchen  vom  Bindehautsacke  aus  aufschlitzt; 
die  Spalte  schliesst  sich  auch  ohne  Einlegung  des  von  Jüngken  hiezu 
vorgeschlagenen  Bleidrahtes  nicht. 

Veränderte  Stellung  der  Thränenpunkte  (relativ  zum  Bulbus)  kann 
bei  verschiedenen  Abnormitäten  der  angrenzenden  und  benachbarten 
Gebilde  vorkommen,  bei  En-  und  Ectropium  der  Lider,  bei  stärkerer 
Infiltration  der  Bindehaut,  bei  Volumenzu-  oder  Abnahme  der  Karunkel, 
der  halbmondförmigen  Falte,  oder  des  Bulbus,  bei  Pterygium  und  Sym- 
blepharon, nach  ausgedehnter  Verschwärung  der  Cutis  über  dem  Thrä- 


394  Thränenorgaiie. 

nensacke  u.  s.  w.  —  Geschwülste,   welche  die  Stellung  der  Thränen- 
punkte  verändern,  können  eines  oder  das  andere  zugleich  comprimiren. 
e.    Des  Thränensackes  und  Thräiieiinaseiiganges. 

Ein  entzündlicher  Zustand  der  Sehleimhaut  des  Thränenschlauches 
kommt  wahrscheinlich  sehr  oft  vor,  ohne  dass  wir  ihn  erkennen.  Es 
liegt  sehr  nahe,  anzunehmen,  dass  bei  jedem  heftigeren  Nasenkatarrh 
auch  die  Schleimhaut  des  Thränenschlauches  mitleidet,  sobald  Thränen- 
träufeln,  stärkere  Injection  der  Bindehaut  im  innern  Augenwinkel  und 
«in  Gefühl  von  Drücken  und  Spannen  in  der  Gegend  des  Thränen- 
sackes hinzutreten.  Doch  können  alle  diese  Erscheinungen  sowohl  ein- 
zeln als  zusammen  auch  anders  gedeutet,  mithin  nicht  als  beweisend 
für  Katarrh  des  Thränenschlauches  aufgestellt  werden.  Sicher  lässt  sich 
die  katarrhalische  Affection  des  Thränenschlauches  wohl  erst  dann  er- 
kennen, wenn  sie  chronisch  geworden  ist,  als  sogenannte 


I.    Blennorrhoe  des  Thränensackes. 

Symptome.  In  der  Regel  ist  es  das  Thrcmenträufeln,  welches  den 
Kranken  bestimmt,  einen  Arzt  zu  consultiren ;  sehr  oft  auch  sind  die 
Beschwerden  vorhanden,  welche  chronischer  Bindehautkatarrh  dem  Kran- 
ken zu  verursachen  pflegt.  (Vergl.  B.  I.  S.  11.)  Die  objectiven  Merk- 
male dieses  letzteren  fehlen  fast  niemals;  die  Bindehaut  bietet  durchaus 
oder  bloss  im  innern  Winkel  abnorme  Injection,  meistens  auch  Locke- 
rung, Schwellung  und  abnorme  Secretion  dar.  Untersucht  man  genauer, 
so  findet  man  schon  nach  kurzem  Bestände  dieser  Affection  den  Thrä- 
nensack  erweitert,  daher  die  Cutis  über  ihm  mehr  weniger  deutlich  em- 
porgehoben, was  sich  bei  unilateraler  Affection  leicht  durch  Vergleich 
mit  der  andern  Seite  erkennen  lässt.  Bald  früher,  bald  später  steigt 
die  Geschwulst  so  hoch,  dass  sie  dem  Kranken  selbst  auffällt:  sie  bildet 
dann  eine  erbsen-,  bohnen-  bis  haselnussgrosse  Geschwulst,  welche  ent- 
weder bloss  unterhalb  des  Augenlidbandes  oder  auch  oberhalb  des- 
selben hervortritt,  und  nach  Massgabe  ihrer  Grösse  und  Dauer  endlich 
wohl  auch  eine  bläulich-rothe  Farbe  annimmt.  Die  Geschwulst  entspricht 
nach  Lage  und  Form  im  Allgemeinen  dem  Thränensacke,  lässt  sich  weder 
verschieben  noch  umgreifen,  und  sitzt  mit  breiter  Basis  auf.  Drückt  man 
auf  dieselbe,  ohne  die  Thränenröhrchen  zu  verschliessen,  so  kann  man  eine 
trübe,  schleimig-eitrige,  mitunter  auch  theilweise  klare  und  eiweissähnliche 
Flüssigkeit  gegen  die  Bindehaut  hin  entleeren.  Seltener  ist  es  möglich,  das 
Cententuni  in  die  Nase  zu  drängen.    Nach  längerem  Bestände  und  bei 


Blennorrhoe  des  Thränenschlauches  —  Symptome  —  Verlauf.     395 

grösserer  Ausdehnung  des  Thränensackes  gelingt  jedoch  bisweilen  die  Ent- 
leerung weder  nach  der  einen  noch  nach  der  andern  Richtung.  Um  die  Ent- 
leerung durch  das  obere  oder  durch  das  untere  Thränenröhrchen  zu  be- 
wirken, inuss  man  die  anatomischen  Verhältnisse  genau  berücksichtigen. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Die  Schleimhaut  des  Thränenschlauches 
wird  bei  diesem  Zustande  dunkelroth,  dicker,  wulstiger,  dabei  Anfangs 
lockerer  und  mürber,  später  aber  rostbraun  oder  schiefergrau,  derb, 
dichter,  bisweilen  warzig  oder  drusig.  Ihre  Schwellung  oder  Hyper- 
trophlrung  kann  im  Thränennasengange  schon  an  und  für  sich  zur  un- 
mittelbaren Berührung  ihrer  Wandungen,  somit  zur  Impermeabilität  für 
Flüssigkeiten  führen,  welche  nicht  mit  ungewöhnlicher  Kraft  hindurch 
getrieben  werden.  Eigentliche  Stricturen  und  Verwachsungen  kommen 
erst  in  Folge  von  Geschwürsbildung  zu  Stande,  wovon  wir  weiter  unten 
sprechen  werden.  Diese  Schwellung  und  Hypertrophirung  kann  ein- 
fach zurückgehen,  aber  auch  namentlich  im  Thränensacke,  wenn  dieser 
stark  ausgedehnt  wurde,  einer  Art  von  Atrophie  weichen;  die  Mucosa 
wird  alsdann  dünn,  glatt  und  blass,  serösen  Häuten  ähnlich. 

Mit  der  Schleimhaut  wird  allmälig  auch  die  eigenthümliche  Haut  des 
Thränenschlauches  und  die  damit  innig  zusammenhängende  Beinhaut  An- 
fangs lockerer  und  weicher,  so  dass  beide  an  Resistenz  verlieren.  In 
manchen  Fällen  participiren  diese  auch  an  der  entzündlichen  Infiltration, 
und  tragen  wesentlich  zur  Erzeugung  der  Geschwulst  in  der  Gegend 
des  Thränensackes  bei.  Diese  pflegt  dann  minder  scharf  abgegrenzt 
zu  sein,  als  wenn  sie  bloss  durch  Ausdehnung  des  Thränensackes  be- 
wirkt wird,  und  verschwindet  nur  zum  Theil,  wenn  man  auch  alles 
Contentum  aus  dem  Thränensacke  entleert.  (Vergl.  Polypenbildung 
weiter  unten.) 

Aus  der  entzündlichen  Erweichung  der  die  Schleimhaut  umschliessen- 
den  Weichgebilde  erklärt  sich  die  allmälige  Erweiterung  des  Thränen- 
sackes selbst  bei  noch  nicht  völlig  aufgehobener  Durchgängigkeit  des 
Thränennasenganges.  Wenn  nämlich  im  Momente  des  Augenlidschlusses 
der  Muse,  orbicularis  die  Thränenröhrchen  und  den  Thränensack  com- 
primirt,  und  das  Contentum  wegen  verminderter  oder  aufgehobener 
Durchgängigkeit  des  Thränennasenganges  schwer  oder  gar  nicht  ent- 
weichen kann,  so  gibt  zunächst  die  bloss  von  Weichtheilen  gebildete 
{erweichte;  Wand  des  Thränensackes  nach,  und  wird,  da  sie  sich  (wegen 
Mangel  an  Elasticitätj  nicht  auf  ihr  früheres  Lumen  zusammenzieht,  all- 
mälig  ausgedehnt.  So  entsteht  nach  jedem  Augenlidschlage  etwas  Raum 
in  dem  momentan  erschlafften  Thränensacke,  in  welchen  ein  entspre- 
chendes Quantum  von  Flüssigkeit  nachrücken  kann,   und  so  sammeln 


396  Thräiieuorgane. 

sich  Schleimsecret  und  Thränenflüssigkeit  im  Thränensacke  an,  und 
füllen  denselben  wieder  völlig  aus.  —  Diese  Ausdehnung  erfolgt  vor- 
zugsweise nach  vorn  (unten  und  aussen).  Die  anatomischen  Verhält- 
nisse gestatten  zunächst  eine  Erweiterung  des  Sinus  oder  Recessus, 
welcher  sich  nach  vorn,  unten  und  aussen  von  der  Einmündung  in  den 
Thränennasengang  befindet.  Ist  diese  Erweiterung  erfolgt,  dann  ist  auch 
die  Lage  dieser  Mündung  relativ  zum  Hohlräume  des  Thränensacke» 
eine  andere,  eine  mehr  schräge  geworden,  und  die  Entleerung  vielleicht 
schon  hiedurch  erschwert.  —  Der  Druck,  den  diese  Erweiterung  nach 
vorn,  unten  und  aussen  ausübt,  ist  in  manchen  Fällen  so  gross,  dass 
die  Knochenleiste  des  Nasenfortsatzes  vom  Oberkiefer,  welche  die 
Thränensackgrube  bilden  hilft,  verdrängt  und  theilweise  resorbirt  wird; 
sie  steht  dann  deutlich  weiter  vor  und  fühlt  sich  scharfkantig  und 
zackig  an.  —  In  andern,  selteneren  Fällen  vergrössert  sich  der  Thrä- 
nensack  vorzüglich  nach  hinten  und  aussen,  so  dass  die  Fossa  sacci 
lacrym.  allmälig  verstreicht,  und  man  nach  Aufschlitzung  der  vordem 
Wandung  in  eine  zwischen  dem  Bulbus  und  der  innern  Orbitalwand 
rückwärts  reichende,  in  dieser  Richtung  bis  9/;/  tiefe  Höhle  gelangt.  — 
Nach  der  Kuppel  hin  erweitert  sich  der  Thränensack  immer  relativ 
am  wenigsten.  Auch  auf  Kosten  der  Thränenröhrchen  wird  man  kaum 
jemals  eine  erhebliche  Erweiterung  wahrnehmen  können. 

Wir  müssen,  da  die  gegentheilige  Behauptung  aufgestellt  worden 
ist,  ausdrücklich  wiederholen,  dass  zur  Entwicklung  dieser  oft  enormen 
Ausdehnung  des  Thränensackes  keineswegs  eine  völlige  Undurchgängig- 
keit  des  Thränennasenganges,  wenigstens  keine  bleibende,  erforderlich 
sei.  Es  kommen,  wenn  auch  seltener,  dennoch  ganz  bestimmt  Fälle 
vor,  wo  sich  die  Kranken  von  den  Beschwerden,  welche  die  Geschwulst 
erregt,  und  wozu  selbst  mechanische  Behinderung  des  Sehens  naher 
Objecte  kommen  kann,  von  Zeit  zu  Zeit  dadurch  befreien,  dass  sie  — 
ohne  ärztliche  Anleitung  oder  anatomische  Kenntnisse  —  die  Geschwulst 
mit  dem  Finger  zusammendrücken,  und  den  Kopf  vorwärts  neigend 
einen  Strom  zäher,  eiweiss-  oder  gallertälmlicher  und  eitrig  untermisch- 
ter Flüssigkeit  durch  die  Nase  entleeren.  Hiezu  ist  nicht  sowobl  Ge- 
walt, als  vielmehr  Einhaltung  einer  gewissen  Richtung  erforderlich. 
Wahrscheinlich  ist  in  solchen  Fällen  nur  in  früherer  Zeit  eine  so  starke 
entzündliche  Schwellung  der  Schleimhaut  im  Thränennasengange  vor- 
handen, dass  derselbe  schwer  oder  gar  nicht  durchgängig  ist,  und  tritt 
allmälig  mit  Atrophirung  der  Schleimhaut'  im  Thränensacke  auch  Ab- 
schwellung  im  Thränennasengange  ein.  Ist  dann  der  Thränensack  ein- 
mal auf  das  Drei-  und  Mehrfache  seines  Lumens  ausgedehnt,  so  reicht 


Blennorrhoe  des  Tliränenschlaiiches  —  Folgezustände.      397 

die  nun  relativ  viel  zu  geringe  Compression,  welche  der  Muse,  orbic. 
allenfalls  noch  auszuüben  vermag,  durchaus  nicht  hin,  den  Thränensack 
so  weit  als  nothwendig  zu  entleeren,  wenn  gleich  der  Ausweg  jetzt 
nicht  mehr  versperrt  ist.  Für  solche  Fälle  wählte  man  in  früherer  Zeit 
den  Namen  Atonia  oder  Hernia  sacci  lacrimalis  {Heister  1716),  einen 
Ausdruck,  der  heutzutage  wohl  nur  in  so  fern  beibehalten  werden 
könnte,  als  man  dabei  den  Verlust  der  Contractilität  und  Resistenz  der 
submueösen  Fasern  des  Thränensackes  vor  Augen  hat,  falls  nicht  etwa 
auch  wirklicke  Muskelatrophie  (durch  Druck)  nachgewiesen  werden  sollte. 

Ist  aber  das  Schleimhautgewebe  allmälig  durch  Atrophirung  ganz 
verändert,  blass,  glatt  und  derb  geworden,  dann  sondert  es  nicht  mehr 
eine  schleimig-eitrige,  sondern  eine  vorwaltend  oder  ausschliesslich  Sy- 
novia- oder  gallertähnliche  Flüssigkeit  ab.  Diese  Umwandlung  des 
Thränensackes  in  eine  Art  seröser  Membran  und  diese  Veränderung  der 
Secretion  ist  es,  welche  dem  von  Anel  (1712)  eingeführten  Namen  Hy- 
drops sacci  lacrymalis  dieselbe  Berechtigung  gibt,  mit  welcher  man  auch 
bei  der  Gallenblase,  den  Muttertrompeten  etc.  unter  gleichen  Verhält- 
nissen von  Hydrops  spricht.  Beer  reservirte  diesen  Treminus  bloss  für 
jenen  Zustand,  wo  der  stark  ausgedehnte  Thränensack  weder  nach  dem 
Auge  noch  nach  der  Nase  hin  entleert  werden  kann. 

Zu  dem  Processe  der  Hypertrophirung  der  Schleimhaut  gesellt  sich 
in  seltenen  Fällen  die  Bildung  "von  kleinen  Wärzchen  und  Polypen, 
welche  in  den  Thränensack  hineinwuchern,  und  denselben  sogar  be- 
trächtlich ausdehnen  können.  In  einem  von  Walther  beobachteten  Falle 
hatte  ein  solcher  Polyp  die  Grösse  einer  Haselnuss,  und  Blasius  exstir- 
pirte  einen  walmussgrossen,  welcher  nächst  dem  Eingange  in  den  Thrä- 
nennasengang  mit  einer  dünnen  Wurzel  aufsass,  und  die  häutige  Wan- 
dung sammt  der  Cutis  bis  gegen  das  Wangenbein  hin  ausgedehnt  hatte. 
In  neuester  Zeit  hat  A.  von  Gräfe  (Archiv)  2  Fälle  von  Thränensack- 
polypen  beobachtet. 

Weit  häufiger  als  die  eben  genannten  consecutiven  Zustände  der 
Thränenschlauchblennorrhöe  ist  die  katarrhalische  Vereiterung  oder 
Phthise  der  Schleimhaut.*)  Die  chronische  katarrhalische  Entzündung 
geht  hier  wie  in  andern  Schleimhäuten  bisweilen  an  und  für  sich  und 
ohne  weitere  Veranlassung  allmälig,  öfters  aber  nach  Einwirkung  äusserer 
Schädlichkeiten  unter  den  Erscheinungen  einer  acuten  Entzündung  in 
Vereiterung  und  Verschwärung  über.  Das  erkrankte  Gewebe  wird  an 
einer   oder   der    andern   Stelle    eitrig    infiltrirt   und   schmilzt.      Dieser 

*)  Vgl.  Rokitansky,  Handbuch  der  patholog.  Anatomie.    Wien,  1844.    Bd.  I.    S.  52—55. 


398  Thränenorgane. 

Schmelzungsprocess  begrenzt  sich  entweder  in  dem  submucösen  Ge- 
webe und  führt  dann  zur  narbigen  Einziehung  und  Verengerung  (Stric- 
turen),  oder  bei  grösserer  Ausdehnung  zur  Verwachsung  des  Canales- 
{Obliteralion,  Verödung),  oder  der  Process  greift  bis  auf  die  Beinhaut, 
die  Muskelschicht  und  die  Cutis  über,  und  veranlasst  Blossleyung  des 
Knochens  oder  Durchbruch  der  häutigen  Wandung  des  Thränensackes 
unter  den  Erscheinungen  der  sogenannten  Dacryocystitis,  deren  Folge 
dann  gewöhnlich  durch  mehr  weniger  lange  Zeit  eine  Thranensackfistel 
ist.  Da  von  diesen  beiden  letzteren  Zuständen  weiter  unten  ausführ- 
licher gesprochen  werden  muss,  so  genüge  es  indessen,  ihren  Zusam- 
menhang mit  der  Blennorrhoe  vorläufig  angedeutet  zu  haben.  —  Die 
Stricturen  des  Thränennasenganges  kommen  an  verschiedenen  Stellen 
vor,  am  häufigsten  an  der  Einmündung  in  den  Thränensack  oder  in  den 
untern  Nasengang.  Auf  die  totale  Verwachsung  des  Thränennasen- 
ganges  und  auf  die  spontane  Verödung  des  Thränensackes  kommen  wir 
gleichfalls  später  zurück. 

Es  gibt  Individuen,  bei  denen  die  Blennorrhoe  des  Thränenschlau- 
ches  mit  bald  geringerer  bald  stärkerer  Erweiterung  Jahre  lang  fortbe- 
steht, ohne  andere  Beschwerden  mit  sich  zu  führen,  als  die  der  Blen- 
norrhoe an  und  für  sich  zukommenden,  i.  e.  ohne  zeitweilig  auftre- 
tende Thränensackentzündung.  Viele  derselben  fühlen  sich  bei  trocke- 
nem heiterem  Wetter  minder  oder  gar  nicht  belästigt,  halten  sich  wohl 
auch  eine  Zeit  lang  für  geheilt,  oder  sie  helfen  sich,  so  gut  es  eben 
geht,  durch  Entleerung  nach  oben  oder  unten.  Bei  manchen  vermin- 
dert sich  selbst  das  Thränenträufeln  bis  zu  einem  wenig  und  sel- 
ten incommodirenden  Grade,  und  die  Blennorrhoe  mit  oder  ohne  sicht- 
bare Geschwulst  bleibt  bei  wechselnder  Besserung  und  Verschlimmerung 
Jahre  lang  auf  einer  gewissen  Stufe  stehen.  —  Fälle,  wo  die  Ausdeh- 
nung noch  nicht  so  weit  gediehen  ist,  dass  sich  die  Einschnürung 
durch  das  Augenlidband  bemerklich  macht,  wo  die  Blennorrhoe  nicht 
aus  unbeseitigbareu  Hindernissen  der  Thränenableitung  (z.  B.  Ver- 
wachsung der  Nasenmündung  in  Folge  von  Lues)  hervorgegangen  ist, 
oder  bereits  selbst  zu  solchen  geführt  hat  (durch  katarrhalische  Ver- 
schwärung),  und  wo  die  (später  zu  erörternden)  entfernteren  ätiologi- 
schen Momente  keine  unüberwindlichen  Hemmnisse  entgegensetzen, 
lassen  unter  entsprechender  Behandlung  und  bei  zweckmässigem  Ver- 
halten des  Kranken  völlige  oder  doch  temporäre  Heilung  zu.  Ich  habe 
einige  Fälle  beobachtet,  wo  die  Individuen  nach  dem  Auftreten  einer 
verschärften  Entzündung  unter  den  Erscheinungen  der  Dacryocystitis 
mit  oder  ohne  Durchbruch    der  vordem  Wandung    des  Thränensackes 


Blennorrhoe  des  Thrniienschlanches  —  Ätiologie.  399 

wenigstens  für  lange  Zeit- (ob  bleibend,  weiss  ich  nicht)  von  den  seit 
Monaten  —  Jahren  bestehenden  Zufällen  einfacher  Thränenschlauch- 
blennorrhöe  befreit  wurden.  Es  scheint  hier  dasselbe  vorzugehen, 
wie  beim  Pannus  nach  Einimpfung  blennorrhoischen  Secretes.  Die 
acute  Entzündung  bewirkt  Verflüssigung  und  Resorption  des  erstarrten 
Exsudates. 

Vorkommen  und  Ursachen.  Vor  dem  7.  Lebensjahre  scheint 
die  Blennorrhoe  des  Thränenschlauches  sehr  selten  zu  sein,  ausser  bei 
hereditärer  Syphilis;  später  entsteht  sie  bei  beiden  Geschlechtern  in 
verschiedenen  Perioden,  beim  weiblichen  etwas  häufiger.  Ich  habe  die 
schon  von  Platner  gemachte  Bemerkung  bestätigt  gefunden,  dass  die 
Mehrzahl  der  von  Krankheiten  des  Thränenschlauches  Befallenen  eine 
flache  Nasenwurzel  darbieten;  doch  habe  ich  auch  bei  normaler  und 
gerade  entgegengesetzter  Nasenbildung  oft  genug  solche  Leiden  beobach- 
tet. Die  Zahl  der  linkerseits  Erkrankten  überwiegt  die  der  andern 
nicht  beträchtlich.    Beiderseitiges  Leiden  kommt  relativ  selten  vor. 

In  seltenen  Fällen  ist  die  Blennorrhoe  des  Thränenschlauches  nach- 
weisbar Folge  blennorrhoischer,  durch  Infection  erzeugter  Erkrankung 
der  Bindehaut;  das  oben  geschilderte  Bindehautleiden  ist  meistens  als 
consecutiv,  mitunter  auch  coexistirend  zu  betrachten.  Ziemlich  oft  kommt 
Thränenschlauchblennorrhöe  bei  Individuen  vor,  welche  an  Trachoma 
conjunctivae  leiden.  Eine  auffallend  häufige  gleichzeitige  Affection  ist 
Blepharadenitis,  mit  Bildung  kleiner  Abscesschen  oder  blosser  Knötchen 
am  Lidrande,  und  zwar  meistens  unilateral,  wenn  das  Thränenschlauch- 
leiden  unilateral  ist. 

Am  häufigsten  findet  man  die  Thränenschlauchblennorrhöe  (und 
ihre  Folgezustände)  bei  Individuen,  bei  denen  die  Schleimhaut  der  Na- 
sen- und  Piachenhöhle  in  ähnlicher  Weise  leidet,  wovon  man  sich  leicht 
überzeugen  kann,  wenn  man  bei  jedem  Thränensackkranken  diese  Höh- 
len genau  untersucht.  Es  ist  eine  durchaus  irrige  Auffassung  des  Ver- 
hältnisses beider  Affectionen  zu  einander,  wenn  man  behauptet,  „die 
Affection  des  Thränenschlauches  sei  durch  das  Leiden  der  Nasenhöhle 
bedingt";  diess  mag  wohl  in  einzelnen  Fällen  stattfinden,  im  Allgemei- 
nen aber  müssen  beide  Affectionen  als  neben  einander  bestehend  und 
durch  eine  gemeinschaftliche  Ursache  bedingt  und  unterhalten  betrach- 
tet werden.  Gleichwie  die  meisten  und  hartnäckigsten  Fälle  von  Schwer- 
hörigkeit in  Folge  von  chronischem  Katarrh  des  Mittelohres  entstehen, 
welcher  nur  als  Theilerscheinung  gleicher  Affection  der  Schleimhaut  des 
Rachens,  der  Nasen-,  Keilbeins-  und  Highmorshöhle  zu  betrachten  ist, 
wird  man  auch  die  Blennorrhoe  des  Thränenschlauches  und  ihre  Folgen 


400  Thränenorgane. 

selten  für  sich  isolirt  antreffen.  Bei  Gehörleiden  ist  man  geneigt,  die 
Ursache  ihrer  Hartnäckigkeit  in  der  wenig  zugänglichen  Lage  der  Or- 
gane zu  suchen;  der  Thränenschlauch  steht  örtlichen  Mitteln  hinrei- 
chend offen,  und  dennoch  hat  man  sich  hier  nicht  weniger  über  die 
Unzulänglichkeit  der  örtlichen  Behandlung  zu  beklagen.  Der  gemein- 
schaftliche Grund  unserer  Ohnmacht  gegenüber  diesen  Schleimhautlei- 
den der  Nasen-  und  ihrer  Nebenhöhlen  liegt  darin,  dass  dieselben  fast 
ohne  Ausnahme  mit  allgemeinen  Gesundheitsstörungen  und  mit  un- 
zweckmässigen Lebensverhältnissen  zusammenhängen,  somit  vorzugs- 
weise eine  allgemeine  pharmaceutische  und  diätetische  (leider  oft  nicht 
mögliche)  Behandlung  erfordern.  —  Man  findet  solche  Schleimhautleiden 
dieser  Regionen  bekanntlich  am  häufigsten  bei  Scrofulosis;  sie  bleiben 
auch  bei  früher  Gesunden  oft  nach  acuten  Exanthemen  (Blattern,  Ma- 
sern, Scharlach)  zurück ;  sie  entwickeln  sich,  wenn  sonst  gesunde  Indi- 
viduen zur  Zeit,  wo  sie  von  einfachem  Nasenkatarrh  befallen  sind,  den 
regelmässigen  Verlauf  und  Ausgang  durch  unzweckmässiges  Verhalten, 
namentlich  durch  wiederholte  Verkältung  dieses  Leiden  in  einen  chro- 
nischen Zustand  überführen;  sie  stellen  sich  allmälig  ein  beim  Bewoh- 
nen feuchter,  besonders  neu  gebauter  oder  frisch  ausgeweisster  Stuben. 
Daher  dürfte  auch  das  ganz  entschieden  häufigere  Vorkommen  von 
Thränensackfisteln  bei  der  ärmeren  Volksklasse  zu  erklären  sein. 

Blennorrhoe  des  Tbränenschlauches  und  ihre  Folgezustände  kön- 
nen endlich  bedingt  sein  durch  mechanische  Verstopfung  der  Nasen- 
mündung desselben,  durch  Polypen,  durch  Narben  nach  Geschwürsbil- 
dung, namentlich  in  Folge  von  Syphilis  und  von  Blatterneruption,  durch 
fremde  Körper  (z.  B.  eine  Erbse)  im  untern  Nasengange  u.  dgl.  Das- 
selbe kann  geschehen,  wenn  der  in  dünnen  Knochen  eingeschlossene 
Thränennasengang  durch  Pseudopläsmen  im  mittlem  Nasengange  oder 
in  der  Highmorshöhle  durch  Schleimanhäufung  in  dieser ,  durch  Kno- 
chenauftreibung  u.  dgl.  comprimirt  wird.  (Ich  habe  in  mehreren  Ca- 
davern  mit  Verlust  der  Nasenknorpel  und  Blennorrhoe  des  Tbränen- 
schlauches den  untern  Theil  desselben  in  einen  fibroiden  Strang  ver- 
wandelt gefunden.) 


LT.    Entzündung  des  Thränensackes,  Dacryocystitis. 

Symptome.  Dieser  Ausdruck  wurde  für  jenen  Zustand  eingeführt, 
wo  nebst  der  Schleimhaut  und  der  Tunica  propria  des  Thränensackes 
auch  die  über  demselben  gelegene  Cutis  entzündet  ist.     Sie  charakterisirt 


Entzündung  des  Thränensackes  —  Symptome  —  Verlauf.     401 

sich  jederzeit  durch  eine  de?'  Lage  und  der  Form  des  Thränensackes  ent- 
sprechende, mehr  weniger  deutlich  umschriebene,  und  mehr  weniger  em- 
porragende rothe,  wärmere,  gegen  Druck  empfindliche  und  Anfangs  pralle 
Geschwulst.  Niemals  lässt  sich,  sobald  die  entzündlichen  Zufälle  eini- 
g-erinassen  heftig-  sind,  der  Thränensack  gegen  die  Nase,  meistens  auch 
nicht  gegen  das  Auge  hin  entleeren. 

Bei  acutem  Verlaufe  wird  sie  durch  starke  ödematöse  (daher  weiche 
und  unschmerzhafte,  weder  von  merklicher  Temperaturerhöhung  noch 
Ton  erheblicher  Röthe  begleitete)  Anschwellung  der  flachsten  Umgebung, 
namentlich  der  Augenlider  begleitet.  Sehr  oft  ist  auch  die  Conjunctiva 
bulbi  besonders  in  der  innern  Hälfte  geröthet  und  stark  serös  infiltrirt. 
Da  ein  solches  Ödem  auch  bei  acuten  Bindehautentzündungen,  bei  Pe- 
riostitis, bei  Hordeolum  und  bei  subcutaner  oder  in  der  Orbita  sitzender 
eitrig  schmelzender  Bindegewebsinfiltration  vorkommt,  und  da  auch  das 
Erysipel  dieser  Gegend  ähnliche  Erscheinungen  erregt,  so  kann  eben 
nur  eine  genaue  Untersuchung  des  Thränensackes  vor  Verwechslung 
schützen.  Denn  die  übrigen  Zufälle,  als:  Thränenträufeln,  Schmers  in 
der  betreffenden  Gegend  (gewöhnlich  als  tiefsitzend,  bohrend  und  äus- 
serst heftig  bezeichnet),  Gefühl  von  Trockenheit  der  entsprechenden 
Nasenhälfte  und  Fiebererscheinungen  sind  nicht  constant  und  auch  nicht 
ausschliesslich  dieser  Affection  zukommend. 

Verlauf  und  Ausgänge.  Je  rascher  und  heftiger  sich  diese  Zu- 
fälle entwickeln,  desto  sicherer  und  früher  kommt  es  zum  Durchbruche. 
Die  Geschwulst  wird  an  einer  unterhalb  des  Augenlidbandes  gelegenen 
Stelle  erhabener,  dann  weich  und  schwappend  und  lässt  allmälig  den  in 
der  Tiefe  gebildeten  Eiter  durchscheinen,  der  sich  endlich  entleert.  — 
Bei  minder  stürmischem  Auftreten  geschieht  es  bisweilen,  dass  die  Er- 
scheinungen allmälig  zurückgehen  und  entweder  völlige  Genesung  ein- 
tritt oder  über  kurz  oder  lang  die  Zeichen  einfacher  Blennorrhoe  (wie- 
derj  auftauchen.  Auch  nach  erfolgtem  Durchbruche  kann,  selbst  wenn 
vor  der  Dacryocystitis  Blennorrhoe  bestanden  hatte,  permanente  oder 
doch  temporäre  Heilung  eintreten,  obwohl  die  Hinterlassung  einer  Thrä- 
nensackfistel  der  häufigere  Ausgang  ist. 

In  andern  Fällen  entwickelt  sich  die  obgenannte  Thränensackent- 
zlmdung  langsam  und  ohne  heftige  Zufälle,  namentlich  ohne  beträcht- 
liches Ödem  der  Umgebung.  Diess  geschieht  nur  dann,  wenn  schon 
längere  Zeit  Thränenschlauchblennorrhöe  bestanden  hat  und  die  katar- 
rhalische Verschwärung  an  der  vordem  Wandung  spontan  auftritt.  Die 
Haut  über  dem  Thränensacke  wird,  gleichviel  ob  dieser  schon  beträcht- 
lich ausgedehnt  war  oder  nicht,  unterhalb  des  Augenlidbandes  dunkel- 

Arlt  Augenheilkunde.  III.  26 


402  Thränenorgane. 

roth,  livid,  wärmer  und  schmerzhaft;  dabei  erhebt  sich  die  Geschwulst 
mehr  und  wird  bald  weich,  teigig  anzufühlen ;  sofort  zeigen  sich  ein  oder 
mehrere  Eiterherde  unter  der  unterminirten  Cutis,  durchbrechen  jedoch 
diese  gar  nicht,  oder  erst  spät  und  nicht  immer  an  diesen  Stellen,  die 
dann  einsinken,  sondern  bisweilen  weit  davon  entfernt  im  Bereiche  des 
untern  Lides  oder  selbst  erst  vor  dem  Oberkiefer-  oder  Wangenbeine* 
einen  oder  mehrere  fistulöse  Gänge  bildend,  welche  unter  dem  Muse, 
orbicularis  verlaufen. 

Solche  Fälle  sind  —  meines  Erachtens  —  seit  Richter  und  Beer  als  Anchylops  (ro- 
senartige Nasenwinkelgeschwulst,  Zellgewebsentzündung  über  dem  Thränensacke)  aufge- 
fasst  und  beschrieben  worden.  Es  genügt,  die  betreffenden  Beschreibungen  z.  B.  von 
Beer*)  genan  durchzugehen,  um  diese  Behauptung  so  zu  sagen  zwischen  den  Zeilen 
selbst  herauszulesen.  Ich  habe  noch  nie  einen  Fall  von  sogenanntem  Anchylops  ohne  Er- 
krankung des  Thränenschlauches  zu  sehen  bekommen.  Andreae**)  und  Andern  scheint 
es  ebenso  gegangen  zu  sein. 

Der  Durchbruch  des  Thränensackes  erfolgt  in  der  Eegel  nach  vorn  unterhalb  des 
Augenlidbandes;  doch  sind  auch  Fälle  bekannt,  wo  die  Entleerung  durch  das  Thränen- 
bein  geschah,  und  Beer  ***)  citirt  einen  Fall  von  Vogel,  wo  sich  das  Contentum  des  Thrä- 
nensackes durch  die  äussere  Wandung  unter  der  Cutis  und  dem  Schliessmuskel  entleerte 
und  bis  unter  den  äussern  Augenwinkel  hin  vordrang. 

In  Folge  dieses  Vorganges  bleiben  gern  schwer  oder  gar  nicht  heil- 
bare Thränensackfisleln  zurück.  Da  derselbe  ohne  Zweifel  oft  das  Re- 
sultat spontaner  katarrhalischer  Verschwärung  der  Schleimhaut  ist,  und 
diese  nicht  selten  an  mehreren  isolirten  Herden  nach  einander  oder  zu- 
gleich auftritt,  so  darf  es  uns  nicht  wundern,  dass  wir  bei  den  betref- 
fenden Individuen  nach  diesem  Vorgange  theils  Stricturirung  oder  wirk- 
liche Verwachsung  im  Thränennasengange,  theils  auch  Blosslegung  des 
Knochens  (Thränenbeins  oder  Oberkiefers)  finden.  Die  letztere  Compli- 
cation  hat  man  insgemein  als  cariöse  Thränensackfistel  (mit  Caries  com- 
plicirte)  bezeichnet,  obgleich  Blosslegung  des  Knochens  noch  nicht  Ca- 
ries ist.  Die  Blosslegung  des  Knochens  ist  demnach  in  der  Regel  der 
consecutive,  durch  die  katarrhalische  Phthisis  und  die  corrodirende  Jauche 
bedingte  Zustand.  Nur  bei  Syphilis  und  bei  Tuberculosis  ist  bisweilen 
wahre  und  vom  Knochen  selbst,  nicht  vom  Thränensack  aus  entste- 
hende Caries  vorhanden,  der  Thränensack  möglicherweise  consecutiv 
ergriffen. 

Ein  viel  seltnerer  Ausgang  der  Thränensackentzündung  ist  der  in 
gegenseitige  Verwachsung  seiner  Wandungen  und  theilweise  oder  gänz- 
liche Verödung  des  Thränensackes.     Sie  erfolgt  auf  dieselbe  Weise,  wie; 

*)  1.  c.  Bd.  I.  S.  331—339. 
**)  Grundriss  der  Augenheilkunde,  Leipzig,  1846.     Th.  II.    S.  99. 
***)  Lehre  von  den  Augenkrankheiten,  Wien,  1792.     Th.  I.   S.  131. 


i 


Entzündung  des  Thriiitensackes  —  Ausgänge  —  Ätiologie.      403 

die  Stricturirung  und  Verwachsung  des  Thränennasenganges ,  in  Folge 
oft  wiederkehrender  und  ausgebreiteter  Gesell würsbildung;  daher  geht 
ihr  gewöhnlich  der  Bestand  einer  Thränensackfistel  oder  öfter  wieder- 
kehrende Thränensackentzündung  voraus.  Bei  der  totalen  findet  man 
den  Sack  einige  Zeit  von  einer  harten  oder  doch  prallen  Masse  ausge- 
füllt, allmälig  eingezogen,  bisweilen  trichterförmig  (an  der  frühern  Fi- 
stelmündung). Einspritzungen  in  die  Thränenröhrchen  gehen  weder  in 
die  Nase,  noch  bewirken  sie  Aufblähung  des  Thränensackes;  ist  die 
Partie  noch  frei,  so  können  sie  durch  das  andere  Thränenröhrchen  re- 
gurgitiren.  Das  Anfangs  starke  Thränenträufeln  vermindert  sich  mit  der 
Abnahme  der  entzündlichen  Erscheinungen  und  Consolidirung  des  Nar- 
bengewebes, tritt  jedoch  bei  gesteigerter  Thränenabsonderung  immer 
mehr  weniger  belästigend  wieder  auf.  Ob  diese  Erscheinung  von  ver- 
minderter Absonderung  der  Thränen  oder  aber  von  vermehrter,  gleich- 
sam vicarirender  Aufsaugung  durch  die  Bindehaut  herrühre,  wissen  wir 
nicht. 

Die  Ätiologie  der  Thränensackentzündung  ist  im  Allgemeinen  die 
der  Thränenschlauchblennorrhöe.  Sie  entsteht  wahrscheinlich  niemals, 
ohne  dass  Katarrh  oder  Blennorrhoe  durch  einige  Zeit  vorangegangen 
ist  und  ist  dann  nur  als  Steigerung  dieser  erstem,  als  Übergreifen  der 
Entzündung  auf  die  Cutis  zu  betrachten;  sie  entwickelt  sich,  wie  ge- 
sagt, entweder  spontan  durch  Entstehung  kleiner  Eiterherde  in  der  blen- 
norrhoisch  afficirten  Schleimhaut,  oder  als  Steigerung  durch  das  Hinzu- 
treten äusserer  Schädlichkeiten,  vielleicht  auch  in  Folge  übermässiger 
Ausdehnung,  wenn  diese  rascher  erfolgt.  Auch  in  Folge  von  Entzün- 
dung der  Schleim-  und  Beinhaut  der  Highmorshöhle,  bedingt  durch 
Zahncaries,  sah  ich  Entzündung  des  Thränensackes  entstehen. 


TTT.    Thränensackfistel,  Fistula  sacci  lacrymalis, 

minder  richtig  Thr'anenfistel  nennen  wir  jede  Öffnung,  welche  vom  Thrä- 
nensacke  nach  aussen  durch  die  Cutis  führt,  und  entweder  ein  erst  vor 
Kurzem  nach  Dacryoeystitis  entstandenes  Geschwür  darstellt,  oder  an 
der  Cutis  bereits  mehr  weniger  callöse  Ränder  oder  Wucherungen  zeigt. 
Symptome.  Die  Thränensacköffnung  befindet  sich  jederzeit  unter- 
halb des  Augenlidbandes,  bald  gerade  nach  vorn,  bald  mehr  zur  Seite 
nach  aussen;  die  Hautöffnung  liegt  der  Thränensacköffnung  gegenüber 
oder  tiefer  unten,  bisweilen  auch  weit  nach  aussen,  gegen  das  Wangen- 
bein hin.    Es  können  übrigens  auch  mehrere  Hautöffnungen  und  Hohl- 

26* 


404  Thränenorgane. 

gärige  zur  Thränensacköffnung  führen.  Die  Hautöffnung  bildet  ein  ver- 
schieden grosses  offenes  oder  durch  Borken  verdecktes  Geschwür,  mit 
frisch-infiltrirten  oder  bereits  callösen  Rändern  unigeben;  die  sogenann- 
ten Haartisteln  zeigen  bloss  eine  haarfeine,  nur  durch  das  Aussickern 
einer  wasserklaren  Flüssigkeit  erkennbare  Mündung. 

Wenn  die  Hautöffhung  nicht  zu  weit  vom  Thränensacke  entfernt 
liegt,  und  die  Infiltration  der  Umgebung  nicht  mehr  beträchtlich  ist, 
wird  man  immer  finden,  dass  die  in  derselben  stehende  Flüssigkeit  mit 
dem  Augenlidschlage  steigt  und  fällt.  Wird  der  Thränensack  von  oben 
her  mit  dem  Finger  comprimirt,  so  entleert  sich  sein  Contentum  durch 
die  Hautöffnung.  Träufelt  man  nach  solcher  Entleerung  in  den  Binde- 
hautsack eine  gefärbte  Flüssigkeit  (Cochenilletinctur,  Safranwasser  u. 
dgl.),  so  tritt  diese  nach  mehrmals  erfolgtem  Augenlidschlage  zur  Haut- 
öffnung heraus;  dasselbe  geschieht  mit  Injectionen  durch  die  Thränen- 
röhrchen.  Diese  Zeichen  setzen  die  Durchgängigkeit  der  Thränenröhr- 
chen  voraus.  Ist  die  Hautöffnung  nicht  zu  weit  unten  oder  seitlich,  so 
kann  man  mit  einer  Sonde  nicht  nur  in  den  Thränensack  eindringen, 
sondern  auch  seine  Dimensionen,  namentlich  über  das  Augenlidband 
hinauf  ermitteln,  und  befindet  sich  die  Hautöffnung  nicht  zu  tief  unten, 
so  gelingt  auch  die  Einführung  der  Sonde  in  den  Thränennasengang, 
falls  dieser  nicht  verwachsen  ist.  Mit  Hilfe  eines  und  des  andern  die- 
ser Kennzeichen  wird  man  jederzeit  im  Stand  sein,  zu  bestimmen,  ob 
eine  in  dieser  Gegend  befindliche  Hautöffnung  in  den  Thränensack  führe 
oder  nicht.  Die  Angaben  des  Kranken  über  das  Vorausgegangene  kön- 
nen wohl  in  der  Regel  nützliche  Fingerzeige  geben,  aber  auch  leicht 
irre  leiten. 

Ätiologie.  Eine  Thränensackfistel  entsteht  immer  nur  in  Folge 
von  Thränensackentzündung.  Es  ist  weder  wahrscheinlich,  noch  durch 
sichere  Beobachtungen  constatirt,  dass  einfache  Verwundungen  der  vor- 
dem Wand  des  Thränensackes  ein  solches  Leiden  bedingen  können. 
Auch  die  Entstehung  aus  Entzündung  des  benachbarten  Bindegewebes 
(Anchylops),  ja  selbst  die  aus  Caries  am  Thränenbeine  ist  problematisch, 
mindestens  viel  seltener,  als  Einige  angenommen  haben.  Wenn  bei 
Syphilitischen  oder  Scrofulösen  neben  Caries  am  Thränen-  oder  Ober- 
kieferbeine eine  Thränensackfistel  vorkommt,  so  ist  noch  nicht  erwie- 
sen, dass  diese  die  Folge  von  jener  sei;  die  Caries  hindert  nicht,  dass 
eine  Thränensackaffection  auch  aus  einer  andern  Ursache,  z.  B.  allge- 
meiner Schleimhauterkrankung  der  Nasen-  und  ihrer  Nebenhöhlen  ent- 
stehe. Die  Caries  kann  auch  secundär,  Folge  länger  dauernder  Kno- 
ehenentblössung  durch  das  Schleimhautgeschwür  sein. 


Thräneiisackfistel  —  Ätiologie  —  Behandlung.  405 


Nicht  jede  Thränensackentzündung  hinterlässt,  auch  wenn  es  zum 
Aufbruche  des  Thränensackes  gekommen  ist,  desshalb  schon  eine  Fi- 
stel. Diess  geschieht  nur  dann,  wenn  die  Durchgängigkeit  des  Thränen- 
nasencanales  nicht  bald  wieder  hergestellt  wird.  In  manchen  Fällen 
von  Dacryocystitis  schliesst  sich  die  Öffnung  wohl  auch,  bei  verminderter 
Wegsamkeit  des  Thränennasenganges,  aber  es  kommt  nach  kürzern 
oder  längern  Pausen  immer  wieder  zum  Aufbruche,  bis  endlich  die 
Öffnung  bleibend  wird,  oder  der  Thränensack  verödet.  Der  eigentliche 
Grund  des  Fortbestandes  der  Thränensacköffnung  ist  demnach,  falls  nicht 
etwa  überdiess  Caries  vorhanden  ist,  in  der  verminderten  oder  aufge- 
hobenen Durchgängigkeit  des  Thränennasenganges  zu  suchen.  Auf 
welche  Weise  diese  herbeigeführt  und  unterhalten  werden  könne,  er- 
gibt sich  aus  dem,  was  wir  über  die  Ätiologie  und  den  Verlauf  der 
Thränenschlauchblennorrhöe  gesagt  haben.  Zur  Eruirung  des  Zustan- 
des  des  Thränennasencanales  ist  die  Untersuchung  desselben  mit  einer 
Sonde  nothwendig,  wovon  wir  weiter  unten  sprechen  werden. 

Behandlung;.  Bei  einer  grossen  Zahl  von  Thränenschlauchleiden 
lässt  sich  auf  Wiederherstellung  des  normalen  Zustandes  gar  nicht  rech- 
nen: man  muss  sich  begnügen,  schlimmeren  Zufällen  vorzubeugen,  oder 
an  die  Stelle  des  grösseren  Übels  ein  kleineres  zu  setzen.  So  z.  B. 
können  wir  viele  Fälle  von  Blennorrhoe  nicht  heilen,  aber  wir  können 
viel  Erspriessliches  thun  und  rathen,  um  den  Übergang  in  Ektasie  und 
in  Fistelbildung  zu  verhüten;  wir  können  manche  Thränensackfistel  nicht 
heilen,  aber  durch  Verödung  des  Thränensackes  so  weit  unschädlich 
machen,  dass  dem  Kranken  bloss  das  weit  weniger  lästige  Thränenträu- 
feln  übrig  bleibt. 

Bei  jedem  Thränenschlauchleiden  muss  vor  Allem  aufs  Sorgfältigste 
erhoben  werden,  wodurch  dasselbe  bedingt  und  unterhalten  werde,  um 
sich  und  den  Kranken  nicht  unnöthig  zu  plagen.  Man  begnügt  sich 
nur  zu  leicht  mit  der  Erkenntniss  der  am  Thränenschlauche  vorhande- 
nen Abnormitäten  und  einer  dagegen  gerichteten  örtlichen  Behandlung; 
es  muss  aber  jedenfalls  nicht  nur  die  Nasen-  und  Rachenhöhle  genau 
untersucht,  sondern  es  muss  auch  weiterhin  so  viel  als  möglich  eruirt 
werden,  ob  und  welche  Regelwidrigkeiten  im  Allgemeinbefinden  und  in 
den  diätetischen  Verhältnissen  des  Kranken  vorkommen,  die  mit  der 
örtlichen  Affection  in  ursächlichen  Zusammenhang  gebracht  werden  kön- 
nen und  müssen.  Welche  Momente  hier  vorzüglich  in  Betracht  zu  ziehen 
seien,  wurde  bereits  bei  der  Ätiologie  der  Thränenschlauchblennorrhöe 
angedeutet.  Es  ist  einleuchtend,  dass  ohne  Beseitigung  derselben  auch 
durch  die  zweckmäßigste  örtliche  Behandlung  an  eine  dauerhafte  Hei- 


406  Tliräiienorgane. 

lung  nicht  zu  denken  sei.  Leider  ist  eine  der  Causalindication  entspre- 
chende allgemeine,  diätetische  und  pharmaceutische  Behandlung  bei  vielen 
Individuen  unmöglich  oder  aber  fruchtlos,  wenn  auch  keine  an  und  für 
sich  unbeseitigbaren  örtlichen  Hindernisse,  wie  z.  B.  Stricturirung  oder 
Obliteration  des  Thrännennasenganges,  vorhanden  sind. 

a)  Bei  Blennorrhoe  des  Thrünenschlauches  überzeuge  man  sich  zu- 
nächst, ob  sie  etwa  durch  rein  locale  Hindernisse  bedingt  ist,  z.  B. 
Nasenpolypen,  fremde  Körper,  und  entferne  dieselben.  Sind  solche 
mechanische  Hindernisse  von  der  Art,  dass  sie  nicht  beseitigt  werden 
können,  wie  z.  B.  Narben  nach  Syphilis,  so  kann  die  Blennorrhoe  nicht 
anders  als  durch  Verödung  des  Thränensackes  gehoben  werden.  Bei 
syphilitischer  Schleim-  oder  Beinhautentzündung  muss  erst  der  Erfolg 
einer  entsprechenden  allgemeinen  Behandlung  abgewartet  werden.  Eben- 
so muss  bei  Scrofulosis  und  bei  andern,  durch  regelwidrige  diätetische 
Verhältnisse  herbeigeführten  Schleimhautleiden  vor  Allem  diesen  Momen- 
ten nach  allgemeinen  therapeutischen  Grundsätzen  Rechnung  getragen 
werden. 

Sodann  suche  man  so  viel  als  möglich  zu  eruiren,  ob  nicht  etwa 
durch  die  Blennorrhoe  selbst  schon  unheilbare  Veränderungen  herbei- 
geführt worden  seien,  Stricturen  oder  Verwachsung  des  Thränennasen- 
ganges,  starke  Ektasie  des  Thränensackes  mit  mehr  weniger  Atrophi- 
rung  der  Schleimhaut,  Obliteration  der  Thränenröhrchen.  Die  Möglich- 
keit, den  Thränensack  nach  der  Nase  hin  zu  entleeren,  schliesst  Strictu- 
ren des  Thränennasenganges  nicht  aus,  und  die  Unmöglichkeit  setzt 
noch  keineswegs  nothwendig  Verwachsung  voraus.  Ohne  Anwendung 
der  Sonde  nach  künstlicher  Eröffnung  des  Thränensackes  können  wir 
oft  nur  mit  Wahrscheinlichkeit  auf  die  Beschaffenheit  der  Schleimhaut 
schliessen.  Wenn  die  Blennorrhoe  schon  lange  bestanden  hat,  wenn 
beim  Ausdrücken  längere  Zeit  ein  sehr  dickes  und  eiterförmiges  oder 
ein  blutstriemiges,  oder  gar  ein  übelriechendes  Secret  sich  zeigt,  wenn 
der  Thränensack  bereits  eine  deutlich  umschriebene  bohnenförmige  oder 
noch  grössere  Geschwulst  bildet,  wenn  seine  häutige  Wandung  und  die 
nächste  Umgebung  chronisch  infiltrirt  und  indurirt  erscheint,  besonders 
aber,  wenn  bereits  Dacryocystitis  und  temporäre  Fistelbildung  ein  oder 
mehrere  Male  intercurrirte :  dann  kann  man  mit  mehr  weniger  Wahr- 
scheinlichkeit annehmen,  dass  nicht  mehr  einfache  Aufwulstung  der 
Schleimhaut,  sondern  schon  katarrhalische  Verschwärung,  Stricturirung 
oder  selbst  Obliteration  des  Thränennasenganges  eingetreten  sei. 

Stellt  sich  die  Wahrscheinlichkeit  überwiegend  für  einfache  Blen- 
norrhoe {mit  blosser  Schwellung  oder  Hypertrophirung)  heraus,  so  lasse 


Behandlung  der  Thräiieiischlaiichbleiinorrhöe.  407 

man  bei  der  allgemeinen  diätetischen  und  (wo  solche  nöthig  erscheint) 
pharmazeutischen  Behandlung-  das  Contentuni  ßcissig  ausdrücken  und 
3 — 4mal  des  Tages  unmittelbar  nach  möglichst  vollständiger  Entleerung 
ein  Collyrium  wie  beim  chronischen  Bindehautkatarrh  in  den  innern  Win- 
kel träufeln.  Dabei  muss  der  Kranke  einige  Minuten  eine  solche  Lage 
annehmen,  dass  das  Collyrium  von  den  Thränenröhrchen  gut  aufgenom- 
men werden  könne.  Vor  dem  Einschlafen  lasse  man  Unguentum  cine- 
rciun  an  die  Gegend  des  Thräne?isackes  und  die  nächste  Umgebung  ein- 
reiben; zu  läugereni  Gebrauche  eignet  sich  besser  eine  Salbe  aus  3 — 6 
Gran  weissem  Präcipität  oder  Jodkalium  auf  1  Drachme  Fett.  In  eini- 
gen Fällen  hat  mir  das  Aufstreichen  von  Tinct.  jodinae  auf  die  Gegend 
des  Thräuensackes  treffliche  Dienste  geleistet,  wie  diejenigen  wissen, 
welche  in  den  letztverflossenen  2  Jahren  meine  Klinik  besuchten. 

Ich  ziehe  die  Einträuflung  adstringirender  Collyrien  nach  jedesmaliger  Ausdrückung 
des  Thränensaekes  den  Einspritzungen  durch  die  Thränenröhrchen  vor.  Eine  hinreichend 
feine  Spritze,  so  dass  die  Thränenröhrchen  nicht  zu  sehr  ausgedehnt  werden,  und  die  ge- 
hörige Fertigkeit,  so  dass  weder  Zerrung  und  Schmerzen,  vielweniger  denn  Zerreissungen 
"bewirkt  werden,  kann  und  soll  sich  jeder  aneignen,  der  Augenheilkunde  betreiben  will; 
aber  die  Einspritzungen  müssen,  wenn  man  damit  etwas  ausrichten  will,  mindestens  des 
Tages  einmal  gemacht  werden,  und  das  ist  bei  einer  Cur,  die  im  Allgemeinen  auf  Mo- 
nate, nicht  auf  Wochen  zu  berechnen  ist,  wohl  in  Anschlag  zu  bringen.  Da  die  Binde- 
haut ohnehin  fast  ohne  Ausnahme  die  Zeichen  chronischen  Katarrhes  darbietet,  so  wird 
ihr  Zustand  solche  Einträuflungen  kaum  je  contraindiciren.  Ich  bediene  mich  meistens 
des  Lapis  divinus  oder  des  Sulfas  zinci;  die  Lösungen  von  Arg.  nitricum  zersetzen  sich 
vor  der  Aufsaugung  und  verursachen  leicht  die  bekannte  Verfärbung  nicht  nur  der  Cutis, 
sondern  auch  der  Bindehaut. 

Zur  Injection  nimmt  man  eine  Anel'sche  Spritze,  am  besten  mit  einem  geraden  An- 
satzrohr, das  wenigstens  vorn  nicht  über  '  3  Pariser  Linie  dick  sein  darf,  daher  aus  Gold 
angefertigt  wird.  Um  dieses  Rohr  bequem  einzubringen,  ist  es  bisweilen  nöthig,  den 
Thränenpunkt  durch  vorläufige  Einfuhrung  einer  dünnen  ungeknöpften  Sonde  etwas  aus- 
zudehnen. Die  zur  Sondirung  vorgeschlagenen  Schweinsborsten  können  meines  Erach- 
tens  vorn  nie  so  abgerundet  werden,  dass  sie  nicht  kratzen.  —  Man  wählt  zum  Ein- 
spritzen gewöhnlich  den  untern  Thränenpunkt,  nicht  weil  er  weiter,  sondern  in  der  Re- 
gel bequemer  gelegen  ist.  Will  man  das  untere  Thränenröhrchen  der  linken  Seite  son- 
diren  oder  injiciren,  so  setze  man  den  Kranken  so,  dass  sein  3£opf  mit  der  linken  Hand 
leicht  an  eine  "Wand  oder  Sessellehne  angedrückt  werden  kann,  ziehe  das  untere  Lid 
mit  dein  Zeigefinger  der  linken  Hand  aus-,  mit  dem  Mittelfinger  etwas  abwärts,  und  führe 
die  Sonde  (Spritze)  etwa  eine  halbe  Linie  tief  ein,  in  einer  Position,  welche  gestattet, 
die  Richtung  der  Sonde  (Spritze)  sofort  so  zu  ändern,  dass  sie  dem  ferneren  Verlaufe  des 
Thränenröhrchens  entspricht.  Behufs  der  Einspritzung  soll  man  nicht  bis  unter  das  Au- 
genlidband, sondern  nur  etwa  2 — 3'"  weit  vordringen. 

Hat  man  nach  längerer  Fortsetzung  dieser  Behandlung  (einige  Mo- 
nate) oder  gleich  Anfangs  (aus  den  oberwähnten  Zufällen)  die  Überzeu- 
gung gewonnen,  dass  dieselbe  nicht  ausreicht,  und  wünscht  der  Patient 


40S  Thräneiiorgane. 

von  den  lästigen  Zufällen  der  Blennorrhoe  befreit  zu  sein,  selbst  auf  die 
Gefahr  hin,  dass  ihm  möglicherweise  für  immer  etwas  Thränenträufeln 
zurückbleibe,  so  schreite  man  zur  Ei^öffiiung  des  Tkränetisackes ,  und 
versuche,  ob  nicht  jetzt  sich  der  normale  Zustand  des  Thränenschlauches 
wieder  herstellen  lasse,  ehe  man  zum  letzten  Mittel,  der  Verödung 
schreitet.  Dieser  Eingriff  wird  in  den  Augen  des  Patienten  besonders 
dann  gerechtfertigt  erscheinen,  wenn  bereits  Dacryocystitis  und  temporäre 
Fistelbildung  vorhanden  waren,  oder  wenn  der  Thränensack  sehr  stark 
ausgedehnt  ist. 

Die  Eröffnung  des  Thränensackes  ist  nicht  schwer,  sobald  derselbe  von  Schleim 
mehr  weniger  ausgedehnt  ist.  Da  man  sie  aber  doch  vorher  an  Cadavern  geübt  haben 
muss,  besonders  um  das  Sondiren  zu  lernen,  so  will  ich  hier  die  von  mir  schon  1841 
angegebene  und  seitdem  geübte  Methode  der  Eröffnung  und  Sondirung  beschreiben. 

Das  Messer,  dessen  ich  mich  bediene,  ist  ein  einfaches  Spitzbistomü ;  die  Sonde 
ist  nicht  geknöpft,  sondern  stellt  einen  langgestreckten,  an  der  Spitze  und  Basis  wohl 
abgerundeten  Kegel  dar;  sie  ist  ohngefähr  4"  lang,  an  der  Spitze  etwa  '/3,  an  der  Ba- 
sis zli"  im  Durchmesser,  am  besten  von  Silber.  Beide  Instrumente  können  immer  mit  der 
rechten  Hand  geführt  werden. 

Soll  der  linke  Thränensack  eröffnet  werden,  so  greife  man,  wenn  der  Kopf  hinten 
gestützt  ist,  mit  der  linken  Hand  über  die  Stirn  des  Kranken  so  herüber,  dass  man  die 
Augenlider  mit  dem  an  die  äussere  Commissur  angelegten  Daumen  stark  aus-  und  etwas 
aufwärts  ziehen  kann,  um  das  Augenlidband  zu  spannen  und  vortreten  zu  machen.  Um 
die  Führung  des  Messers  nicht  zu  hindern,  muss  der  Vorderarm  oberhalb  der  Stirn  zu 
liegen  kommen.  Wer  diess  nicht  gut  zu  Stande  bringt,  kann  die  Hand  auch  vor  der 
Wange  so  anlegen,  dass  er  die  äussere  Commissur  mit  dem  Mittel-  oder  Zeigefinger  aus- 
wärts ziehen  kann.  (Bei  der  Operation  auf  der  rechten  Seite  legt  man  die  Finger  der 
linken  Hand  an  das  Seitenwandbein  und  spannt  die  Lider  mit  dem  Daumen  nach  aussen 
und  oben.)  Hierauf  nimmt  man  das  Messer,  dessen  Klinge  nicht  über  1  l/-z"  lang  sein 
soll,  so  in  die  rechte  Hand,  dass  der  Daumen  auf  die  eine,  Zeige-  und  Mittelfinger  (mit 
der  Pulpa)  auf  die  andere  Seite  zu  liegen  kommen,  die  Schneide  zur  Hohlhand  gerichtet, 
und  führt  dasselbe  in  einer  Ebene,  die  ich  die  Operationsebene  zu  nennen  pflege.  Um 
diese  zu  bestimmen,  denke  man  sich  eine  Linie  (Sonde)  von  der  Spitze  der  Nase  zur 
äussern  Commissur  gezogen,  und  durch  den  Punkt,  der  diese  halbirt,  so  wie  durch  den 
Halbirungspunkt  der  gespannten  Sehne  des  Orbicularmuskels  eine  Ebene  so  gelegt,  dass 
dieselbe  senkrecht  auf  jener  Linie  (Sonde)  stehen  würde.  Ist  nun  das  Messer  so  mit  der 
Spitze  unter  dem  Mittelpunkte  der  genannten  Sehne  angesetzt,  dass  seine  Schneide  (ver- 
längert gedacht)  die  gedachte  Linie  (Sonde)  •halbiren  würde,  so  stösst  man,  die  Hand  mit 
dem  kleinen  und  Ringfinger  an" die  Wange  stützend*),  dasselbe  senkrecht  (d.  i.  bei  ver- 
ticaler  Haltung  des  Kopfes  mit  horizontal  verlaufendem  Rücken)  etwa  V"  tief  ein,  hebt 
nun,  ohne  aus  der  Operationsebene  zu  weichen,  und  ohne  tiefer  einzudringen  oder  die 
Spitze  zurückzuziehen,  das  Heft  so  weit  empor  (gegen  den  obersten  Theil  der  Nasenwur- 
zel), bis  der  Rücken  der  Klinge  beinahe  an  der  Cutis  anliegt,  und  stösst  es  etwa  2 — 3"' 
abwärts  (mit  nach  unten,  ein  wenig  nach  hinten,  und  auswärts  gerichteter  Spitze),  so- 
dass die  Hautwunde  2—3"'  lang  wird.     Ist  das  Messer  richtig  geführt,  so  bleibt  es,  falls, 

*)  Wird  dio  Hand  frei  gehalten,  so  kann  man  die  Kraft,  mit  der  man  sticht,  nicht  so  gut  bemessen. 


Behandlung  der  Thräiieiischlauchblennorrhöe.  409 

es  noch  tiefer  hinabgestossen  wird,  frei  stehen,  und  seine  Schneide  sieht  gegen  die  ge- 
nannte Halbirungslinie  hin.  Will  man  die  Hautwunde  grösser  haben,  so  bewirke  man 
diess  durch  Senkung  des  Heftes  beim  Zurückziehen,  nicht  durch  tieferes  Hinabstossen. 

Man  kann  sich  den  Einstichspunkt  auch  dadurch  ermitteln,  dass  man  bei  ange- 
spannter Orbicularmuskelsehne  mit  dem  Finger  die  Leiste  des  Oberkiefernasenfortsatzes 
aufsucht,  welcher  die  Thränensackgrube  bilden  hilft.  Jene  Sehne  und  diese  Leiste  bilden 
einen  Winkel,  in  dessen  Spitze  man  das  Messer  ansetzen,  und  dessen  Raum  man  durch 
die  Schnittlinie  halbiren  soll.  Schlemm  empfiehlt  das  Messer  nach  gehörig  angesetzter 
Spitze  mit  ab-  und  auswärts  gewendeter  Schneide  gleich  von  oben  nach  unten  so  einzu- 
senken, als  wollte  man  mit  derselben  auf  den  Winkel  des  Unterkiefers  der  entgegenge- 
setzten Gesichtshälfte  vordringen.  HyrtVs  Rath,  den  Thränensack  unterhalb  des  Augen- 
lidbandes quer,  d.  i.  parallel  diesem  Bande  aufzuschlitzen,  scheint  keinen  Anklang  ge- 
funden zu  haben,  die  Wunde  würde  alsdann  die  Muskelfasern  quer  vom  Augenlidbande 
trennen.  Bei  unserer  Methode  werden  die  Muskelfasern  nur  getrennt,  nicht  quer  durch- 
schnitten. Pouteaus  Vorschlag,  die  Eröffnung  vom  Bindehautsacke  aus  vorzunehmen,  ist 
mit  Recht  verworfen  worden.  Das  Augenlidband  mit  zu  durchschneiden,  wie  Richter 
gethan,  ist  mindestens  überflüssig,  wenn  auch  vielleicht  nicht  direct  nachtheilig;  wir 
glauben  nicht,  dass  dabei  die  Thränenröhrchen  durchschnitten  werden  möchten,  weil  sie 
sich  nie  bis  zur  Mitte  des  Augenlidbandes  hin  erstrecken.  —  Wir  rathen,  mit  dem  Mes- 
ser nicht  gleich  ab-  sondern  erst  rückwärts  einzustechen,  weil  man  sonst  leicht  ausser- 
halb des  Thränensackes  herabgleiten  kann.  Dass  man  die  vordere  Wand  des  Schlauches 
durchbohrt  habe,  erkennt  man  bei  einiger  Übung  am  Gefühle,  so  gut  jeder  Geübte  es 
fühlt,  ob  er  mit  dem  Keratom  in  die  Augenkammer  oder  bloss  in  die  Cornea  eingedrun- 
gen ist.  —  Die  Abdachung  der  häutigen  Wandung  des  Thränensackes  von  der  Oberkie- 
ferleiste zum  Thränenkamm  ist  steiler,  flacher  bei  niedriger  Nasenwurzel ;  unsere  Methode 
berücksichtigt  diese  anatomische  Verschiedenheit,  indem  sie  die  Lage  der  Operationsebene 
vom  Bau  der  Nase  abhängig  macht.  Das  Messer  wird  somit  immer  senkrecht  auf  die 
Wandung  des  Thränensacks  (die  tangirende  Ebene)  aufgesetzt,  und  gleitet  demnach  we- 
der nach  aussen  noch  nach  innen  davon  ab,  was  bei  der  geringen  Breite  des  Thränen- 
sackes leicht  geschehen  könnte,  wenn  man  z.  B.  gerade  von  vorn  nach  hinten  (also  par- 
allel der  Medianebene  des  Kopfes)  einstechen  würde. 

Ist  der  Thränensack  eröffnet,  so  nimmt  man  die  Sonde  so  wie  früher  das  Messer 
zwischen  die  Finger,  und  führt,  sich  auf  dieselbe  Weise  an  die  Wange  stützend,  ihr  di- 
ckeres Ende  in  derselben  Richtung  ein,  wie  beim  Einstiche  das  Messer.  So  wie  man 
fühlt,  dass  man  an  die  hintere  (harte)  Wand  des  Thränensackes  anstösst,  hebt  man  ihr 
dünneres  Ende,  die  Operationsebene  verlassend,  so  gegen  den  Orbitalrand  empor,  dass  sie 
ohngefähr  2 — 3'"  einwärts  von  der  Incisura  supraorbitalis  knapp  an  die  Cutis  anzuliegen 
kommt.  Hat  man  bei  dieser  Bewegung  die  hintere  Wandung  nicht  mit  der  Sonde  ver- 
lassen, so  braucht  man  sie  jetzt  mir  in  der  gegebenen  Richtung  an  der  hintern  Wand 
ohne  allen  Druck  herabgleiten  zu  lassen,  und  ist  mit  ihr  sicher  im  Thränennasengange. 
Die  Stelle,  wo  der  Nervus  supraorbitalis  aus  der  Orbita  heraustritt,  lässt  sich  auch  in 
jenen  Fällen,  wo  derselbe  durch  einen  förmlichen  Canal  verläuft,  jederzeit  an  einer  Ein- 
kerbung des  Orbitalrandes  erkennen,  wenn  man  diesen  von  unten  her  betastet.  —  Bei 
hohem  Nasenrücken  und  stark  vorspringendem  Augenbrauenbogen  muss  man  die  Sonde 
ein  wenig  krümmen  und  bei  rückwärts  gewendeter  Convexität  einführen,  weil  man  sonst 
sich  leicht  an  der  bisweilen  ziemlich  stark  entwickelten  Falte  zwischen  Thränensack  und 
Thränennasengang  verfangen,  die  Schleimhaut  und  selbst  den  Knochen  durchstossen  könnte- 


410  Thränenorgaiie. 

Bei  der  entgegengesetzten  Gesichtsbildung  kann  man,  wenn  man  die  Sonde  nicht  an  der 
hintern  Wandung  anliegen  und  herabgleiten  lässt,  leicht  in  den  nach  vorn  und  aussen 
gelegenen  Sinus  des  Thränensackes  kommen,  und  dieser  unangenehme  Zufall  ereignet  sich 
uoch  leichter,  wenn  man  der  Sonde  eine  zu  starke  Tendenz  nach  aussen  gibt,  sie  oben 
weiter  als  höchstens  3'"  von  der  genannten  Einkerbung  einwärts  anlegt.  —  Stösst  man 
auf  ein  Hinderniss,  so  wende  man  ja  keine  Gewalt  an,  sondern  ziehe  die  Sonde  ein  we- 
nig zurück  und  corrigire  ihre  Richtung;  man  könnte  sonst  leicht  nach  durchstossener 
"Wandung  des  Thränenschlauches  zwischen  ihm  und  dem  Knochen  in  die  Nasenhöhle 
dringen.  Geschähe  eine  solche  ForQirung  bei  zu  weit  vorwärts  gerichtetem  oder  gar  nicht 
im  Thränensacke  befindlichen  untern  Ende  der  Sonde,  so  könnte  man  —  wie  es  wirklich 
geschehen  ist  —  vor  dem  Thränensacke  und  selbst  vor  dem  Oberkieferknochen  hinab 
dringen,  gleichwie  man  bei  zu  starker  Ablenkung  nach  aussen  in  die  Augenhöhle  gelan- 
gen würde. 

Die  Sonde  genau  und  sicher  in  der  Richtung  des  Thränenschlauches  einführen  zu 
können,  ist  von  grösster  Wichtigkeit.  Denn  käme  man  bei  einem  Kranken  nicht  bis  in 
die  Nase,  ohne  AVeichtheile  zerrissen  zu  haben,  so  kann  man  nur  dann  auf  Verwachsung 
schliessen,  wenn  man  sicher  ist,  dass  man  die  Sonde  nicht  nur  im  Thränenschlauche, 
sondern  auch  in  der  gehörigen  Richtung  bewegt.  Diese  Sicherheit  lässt  sich  nur  durch 
vielfache  und  wiederholte  Übung  gewinnen.  Mir  sind  einige  Fälle  vorgekommen,  wo  man 
TJn durchgängigkeit  des  Thränennasenganges  angenommen  hatte,  und  dennoch  die  Sonde 
ohne  Zerreissung  von  Weichtheilen  durchgeführt  werden  konnte. 

Statt  der  von  Stahl  (1702)  zuerst  vorgeschlagenen  und  von  Louis  Petit  geübten 
Eröffnung  des  Thränensackes  empfahl  Anel  (1712)  das  obere  Thränenröhrchen  zur  Ein- 
führung einer  dünnen  Sonde  in  den  Thränenschlauch  zu  benützen,  und  La  Forest  (1730) 
führte  eine  ohngefähr  S-förmig  gekrümmte  Sonde  durch  die  Nase  ein,  welches  Verfahren 
später  von  Dubois  und  von  Gensoul  (in  Lyon)  nach  zweckmässiger  Verbesserung  der  Sonde 
mehr  in  Aufnahme  gebracht  wurde.  —  Anel's  Methode  lässt  sich  nicht  ohne  bedeutende, 
und  daher  leicht  nachtheilige  Zerrung  der  Thränenröhrchen,  wenn  auch  ohne  Verletzung 
der  häutigen  Wandung  des  Thränenschlauches,  ausführen ;  diese  Anwendung  der  Sonde 
gibt  uns  nie  einen  sichern  Aufschluss  über  die  Beschaffenheit  des  Thränennasencanales 
und  kann  auch  dem  therapeutischen  Zwecke  (der  mechanischen  Dilatation)  niemals  ent- 
sprechen, da  ]eine  viel  zu  dünne  Sonde  genommen  werden  muss.  —  Die  Einführung  der 
Gensoal'schen  Sonden  und  Katheter  kann  an  Cadavem  leicht  so  eingeübt  werden,  dass 
man  darin  nicht  nur  Fertigkeit,  sondern  auch  eine  gewisse  Sicherheit  erlangt.  Wer  in- 
dess  die  Nasenmündung  des  Thränenschlauches  aus  vielfacher  Anschauung  kennen  gelernt 
hat,  wird  es  begreiflich  finden,  dass  diese  Methode  so  unschuldig  nicht  ist,  als  Manche 
glauben  machen  wollen.  Diese  Mündung  ist  oft  so  klein  und  dazu  noch  durch  ein  pa- 
pierdünnes Schleimhautfältchen  gedeckt,  dass  "man,  selbst  wenn  sie  dem  Auge  zugänglich 
wäre,  beim  Eindringen  mit  den  genannten  Instrumenten  noch  oft  genug  gewaltsame  Zer- 
rung, wo  nicht  Zerreissung  bewirken  würde.  Wenn  wir  auch  dieser  Schleimhautfalte 
nicht  die  Bedeutung  eines  Luftventils  zuschreiben  können,  so  halten  wir  doch  schon  die 
gewaltsame  Ausdehnung,  geschweige  denn  Einrisse  derselben  für  nichts  weniger  als  gleich- 
giltig.  Überdiess  kann  eine  stark  nach  der  betreffenden  Seite  herüberstehende  Nasen- 
scheidewand, abnorme  Gestalt  der  Nasenmuschel,  vor  Allem  aber  Schwellung  und  Verdi- 
ckung der  Schneiderschen  Haut  bedeutende,  selbst  unüberwindliche  Hindernisse  entgegen- 
setzen. Und  ist  man  glücklich  eingedrungen,  so  fehlt  ein  Hauptvortheil  der  durch  die 
künstliche  Öffnung   von    oben   eingeführten  Sonde,    man   kann  nicht  wie  dort  das  Gefühl 


Behandlung  der  TliränenschlatichMennorrhöe.  411 

des  Widerstandes  zur  Beurtheilung  der  Beschaffenheit  der  Schleimhaut  benutzen.  Die 
von  oben  frei  eingeleitete  Sonde  versetzt  so  zu  sagen  unsern  Tastsinn  mitten  in  den  Thrä- 
nenschlauch. 

Desshalb  hat  die  Sondirung  durch  eine  von  selbst  erfolgte  oder  absichtlich  gemachte 
Öffnung  an  der  vordem  Wand  des  Thränensackes  unläugbare  Vortheile.  Hasner,  1.  c.  S.  61 
"welcher  der  Ansicht  ist,  „dass  man  die  Zerreissung  der  Klappe  an  der  Nasenmündung 
bei  vorsichtiger  Führung  des  (?e>!soM/'schen  Cylinders  stets  vermeiden  könne,"  behauptet, 
„dass  mau  durch  die  Führung  der  Sonde  von  oben  nach  abwärts  dieses  Organ  selbst  bei 
der  vorsichtigsten  Führung  unter  20  in  19  Fällen  perforiren  oder  spalten  müsse.  Die 
Klappe  sei  nämlich  schräg  über  den  Thränenschlauch  gespannt,  und  jedes  Instrument, 
welches  in  dem  letztern  abwärts  geführt  werde,  müsse  dieselbe  vor  sich  her  drängen, 
spannen  und  zerreissen."  Es  ist  nicht  schwer,  an  Cadavern  den  Beweis  zu  fuhren,  dass 
diese  Angabe  ganz  irrig  ist.  Legt  man  den  obern  Theil  der  Sonde  2 — 3'"  einwärts  von 
der  Incisura  supraorbitalis  an  den  Augenhöhlenrand,  so  gleitet  ihr  unteres  Ende  immer 
an  der  äussern  Wandung  des  untern  Nasenganges  herab,  und  man  wird  bei  diesem  Vor- 
gange die  Klappe  kaum  in  1  von  20  Fällen  verletzen.  —  Wenn  Hasner  S.  90  sagt,  ,,er 
sondire  nur  in  solchen  Fällen,  wo  die  Dacryocystitis  eine  Complication  anderer  Krank- 
heiten des  Thränenschlauches  sei,  z.  B.  bei  Verwachsung  des  Maxillarstückes,"  so  ist 
"wohl  nur  die  Einführung  der  Sonde  von  oben  gemeint,  die  doch  verworfen  wird ;  wir 
begreifen  übrigens  nicht,  wie  man  z.  B.  Verwachsung  des  Maxillarstückes  schon  vor  der 
Anwendung  der  Sonde  diagnosticiren  könne,  um  sich  erst  durch  eine  solche  Complication 
zur  Anwendung  der  Sonde  bestimmen  zu  lassen. 

Unmittelbar  nach  der  Eröffnung-  des  Thränensackes  schreite  man 
noch  nicht  zur  Untersuchung  mit  der  Sonde,  sondern  bloss  zu  Ein- 
spritzungen lauen  Wassers,  um  das  in  demselben  angesammelte  Secret 
völlig  zu  beseitigen.  Das  Engerwerden  und  Verwachsen  der  Öffnung 
verhindere  man  durch  Einlegen  von  Charpie,  welche  jedoch  gerade  um- 
so tief  eingeschoben  werden  darf,  als  der  Zweck  erheischt.  Ist  die  Ab- 
sonderung der  Schleimhaut  des  Thränensackes  sehr  reichlich,  so  dass 
sie  denselben  in  24  Stunden  wieder  beträchtlich  ausdehnen  oder  gar 
den  Charpiepfropf  herausdrängen  würde,  so  muss  die  Einspritzung  täg- 
lich 2mal  vorgenommen  werden.  Nach  einigen  Tagen  gehe  man  zu  ad- 
strinejirenden,  ullmälig  stärkern  Ei?isp?'itzu?igen  über  (mit  Zincum  aceti- 
cum  oder  sulfuricum,  Lapis  divinus,  Argentum  nitricum).  —  Ist  die  Se- 
cretion  minder  reichlich  und  minder  dick  geworden,  so  lege  man  bei 
abwärts  gerichtetem  Spritzenschnabel  den  Finger  so  an,  dass  nichts  neben 
der  Spritze  oder  durch  die  Thränenpunkte  zurück  kann,  um  die  Flüssig- 
keit wo  möglich  in  die  Nase  zu  treiben,  falls,  dieselbe  nicht  schon  auch 
ohne  diese  Beihilfe  dahin  abgeflossen  sein  sollte,  was  in  vielen  Fällen 
gleich  bei  den  ersten  Einspritzungen  geschieht.  Erst  jetzt  ist  es  erlaubt 
den  Thränenschlauch  mit  der  Sonde  zu  untersuchen.  In  Fällen,  wo  die 
Injection  gleich  Anfangs  oder  doch  in  kurzer  Zeit  frei  in  die  Nase  ab- 
floss,  und  wo  man  nicht  Ursache  hat,  Stricturen  zu  vermuthen,   ist  es 


412  Thränenorgane. 

gar  nicht  nothwendig  zu  sondiren.  Wenn  dann  der  Thränensack  zum 
normalen  Volumen  zurückgekehrt  ist  und  seine  Wandung  nicht  mehr 
infiltrirt  erscheint,  wenn  sein  Secret  nicht  mehr  trüb,  sondern  eiweiss- 
ähnlich  ist,  und  auch  der  Zustand  der  Schleimhaut  der  Nase  keine  wei- 
tem Befürchtungen  erregt,  so  lege  man  keine  Charpie  mehr  in  die  Öff- 
nung, sondern  bedecke  diese  bloss  mit  englischem  Pflaster,  und  lasse 
sie  sich  allmälig*  schliessen.  Sollten  die  Ränder  callös  geworden  sein, 
so  werden  sie  durch  Scarification  oder  einen  dünnen  Cylinder  von  Lapis 
infernalis  wund  gemacht.  In  sehr  kleine  Öffnungen  schiebe  man  ein 
Splitterchen  Lapis  oder  einen  in  Salpetersäure  getauchten  Silberdraht. 

Zu  den  Einspritzungen  bediene  ich  mich  einer  durchaus  gläsernen  Spritze,  welche 
ohngefähr  einen  Esslöffel  Flüssigkeit  fasst,  3/i"  dick -und  4 — 5"  lang  ist,  und  in  ein  etwa 
Rabenfeder-dickes,  leicht  gebogenes,  gut  abgerundetes  Rohr  endet.  Die  Charpiewicken. 
schiebe  ich,  wenigstens  später,  nicht  mit  der  Sonde  ein,  um  jede  Verletzung  und  Zer- 
rung fern  zu  halten.  Ich  bilde  etwa  7 — 8'"  lange  und  V"  dicke,  fest  zusammengedrehte 
Cylinder  aus  Charpie,  welche  (durch  das  Umschlagen)  vorn  gut  abgerundet  sind,  und 
mache  sie  durch  wiederholtes  Eintauchen  der  vordem  Hälfte  in  eine  Gummilösung  hart 
und  glatt,  so  dass  sich  diese  steife  Hälfte  bequem  einlegen,  die  biegsame  mit  englischem 
Pflaster  an  die  Haut  wohl  befestigen  lässt. 

Zeigt  sich  die  Untersuchung  mit  der  Sonde  nothwendig,  so  lasse 
man  den  Kranken  so  sitzen,  dass  man  seinen  Kopf  mit  der  linken  Hand, 
fixiren  kann,  und  sorge  dafür,  dass  er  nicht  während  des  Sondirens, 
gegen  welches  Manche  ausserordentlich  empfindlich  sind  (bis  zum  Ohn- 
mächtigwerden), in  die  Hand  greife.  Auch  in  krankhaft  erweiterten 
Thränensäcken  liegt  der  Eingang  in  den  Nasencanal  zu  unterst  nach 
hinten  und  innen,  daher  man  sich  immer  an  die  Rinne  des  Thränen- 
beines  zu  halten  hat.  Stösst  man  auf  Hindernisse,  so  ziehe  man  die 
Sonde  ein  wenig  zurück,  und  corrigire  nöthigenfalls  ihre  Richtung.  Bei 
Verengerung  durch  einfache  Hypertrophirung  lässt  sich  die  Sonde  hinab- 
schieben, aber  unter  dem  Gefühle,  als  würde  sie  etwa  zwischen  zwei 
Fingern  gehalten,  Stricturen  fühlen  sich  hart  an.  Polypöse  Excrescenzen 
am  Eingang  in  den  Nasencanal  lassen  sich  umgehen.  Entblösste  oder 
cariöse  Knochenpartien  sind  rauh,  letztere  zugleich  mürb;  bei  Caries 
pflegt  die  silberne  Sonde  schwarz  zu  werden.  Ob  eine  Verwachsung* 
häutig  oder  cylindrisch  sei,  dürfte  sich  durch  die  Sonde  kaum  ermitteln 
lassen,  hat  auch,  da  beide  unheilbar  sind,  nichts  zu  bedeuten. 

Schwankt  man  zwischen  Stricturirung  und  einfacher  Hypertrophie, 
so  führe  man  sogleich,  oder  bei  grosser  Empfindlichkeit  erst  nach  eini- 
gen Tagen  eine  Darmsaite  ein,  Violin  E  oder  A.  Ein  gradgestrecktes 
Stück,  gegen  l1/*"  lang,  wird  an  dem  einen  Ende  gut  abgerundet,  an 
dem  andern  hakenförmig  umgeknickt,   so  dass  4 — b'"  zur  Befestigung- 


Behandlung  der  Thräiiensackeiitzüiidung.  413 

ausserhalb  des  Thräuensackes  abgebogen  erscheinen.  Dickere  Saiten 
müssen  an  der  Einknickungsstelle  zugleich  mit  einem  Messer  etwas 
eingekerbt  werden,  damit  sie  die  Knickung  behalten,  Aveil  sie  sonst  beim 
Erweichen  mit  in  den  Tkränenschlauch  hineingezogen  werden.  Die 
Saite  kann  24  Stunden  liegen  bleiben;  neben  ihr  muss  noch  eine  Char- 
piewieke  eingelegt  werden,  damit  sich  die  Hautöffnung  nicht  vor  der 
Zeit  verengere.  Vor  ihrer  Entfernung  lasse  man  laues  Wasser  in  die 
Nase  ziehen,  um  den  au  ihrem  untersten  Ende  etwa  angetrockneten 
Nasenschleim  zu  erweichen,  damit  er  nicht  beim  Zurückziehen  der  Saite 
die  Schleimhaut  aufritze.  Sind  Stricturen  vorhanden,  so  erscheint  die 
Saite  an  den  betreffenden  Stellen  minder  aufgequollen  oder  einge- 
schnürt. An  stärkeren  Saiten  (A  und  D)  treten  solche  Einschnürungen 
deutlicher  hervor. 

Nur  bei  einfacher  Hypertrophie  kann  man  auf  Wiederherstellung 
des  normalen  Zustandes  rechnen.  Blosslegung  des  Knochens  im  Thrä- 
nennasengange  ist  der  Stricturirung  gleich  zu  achten,  im  Thränensacke 
kann  sie  ohne  erheblichen  Nachtheil  heilen,  obwohl  sie  die  Prognosis 
im  Allgemeinen  trübt.  Die  Sorge  für  Entfernung  des  Secretes  durch 
die  Hautöffnung  ist  (nebst  der  etwa  nöthigen  allgemeinen  Behandlung) 
das  Beste  und  Einzige,  was  hier  zunächst  geschehen  kann,  und  schon 
dieser  Umstand  zeigt  die  Überlegenheit  dieser  Methode  (der  Eröffnung 
des  Thräuensackes)  über  alle  andern.  Bei  Verwachsungen,  bei  deut- 
lichen Stricturen,  bei  Geschwüren  im  Thränennasencanale  verzichte 
man  auf  Wiederherstellung  der  Durchgängigkeit  desselben,  wenigstens 
auf  bleibende,  und  schlage  dem  Kranken  die  Verödung  des  Thräuen- 
sackes vor. 

Ist  Aussicht  vorhanden,  die  Schleimhaut  (wenigstens  im  Nasengange) 
zum  normalen  Zustande  zurückzuführen,  uud  ist  diess  bei  gehöriger  all- 
gemeiner diätetischer  und  pharmaceutischer  Behandlung  (wo  solche  nö- 
thigi  nicht  schon  unter  einfachen  Einspritzungen  gelungen,  so  wende 
man  gegen  die  Hypertrophie  der  Schleimhaut  noch  mechanische  (dila- 
tirende,  comprimirende)  Mittel  an.  —  Das  zweckmässigste  unter  den 
zahlreichen  hiezu  vorgeschlagenen  Mitteln  dürften  Bleidrahte  sein,  wenn 
man  von  dünneren  (Vs'"  Durchmessen  allmälig  zu  dickeren  (1"')  über- 
geht. Man  nimmt  ein  Stück  von  beinahe  \x\i"  Länge,  rundet  es  an 
dem  einen  Ende  glatt  ab,  und  biegt  es  an  dem  andern  hakenförmig  um, 
so  dass  der  kürzere  Schenkel  etwa  */-"  'an&  wird.  Das  Ende  dieses 
Schenkels  muss  bis  über  den  Orbitalrand  hinabreichen,  damit  es  an  die- 
sem eine  feste  Stütze  finde.  Dieser  Draht  kmn  mehrere  Tage  liegen 
bleiben.    Fände  man  sein  unteres  Ende  mit  vertrockneten  Schleimkrusten 


414  Thränenorgaiie. 

belegt,  so  müsste  es  etwas  verkürzt  werden.  Der  Übergang  zu  stärke- 
ren Drähten  kann  in  Zeit  von  8 — 14  Tagen  gemacht  werden,  bei  ge- 
ringeren Dickeunterschieden  auch  früher.  Der  stärkste  Draht  muss  in 
der  Regel  mehrere  Monate  lang  getragen,  jedoch  von  8  zu  8  Tagen, 
immer  untersucht,  und  falls  er  rauh  (erodirt  oder  incrustirt)  befunden 
würde,  mit  einem  frischen  vertauscht  werden.  Wenn  dann  durch  die 
Hautöffnung  kein  schleimig-eitriges  Secret  mehr  zum  Vorchein  kommt, 
lasse  man,  bevor  man  zur  Verschliessung  der  Hautöffnung  schreitet,  erst 
noch  einige  Zeit  wieder  einen  dünnern  Stift  tragen,  um  zu  sehen,  ob 
dann  auch  der  dickere  wieder  ohne  Hinderniss  durch  den  Nasencanal 
geführt  werden  kann.  Immer  wird  man  aber  jetzt  die  Hautöffnung  zu 
eng  finden,  daher  durch  ein  Stückchen  Pressschwamm  erweitern  müssen. 
Noch  besser  ist  es,  einige  Tage  vor  Verschliessung  der  Öffnung  gar 
nichts  in  den  Thränennasengang  einzulegen,  dabei  aber  die  Hautöffnung 
mit  englischem  Pflaster  und  Collodium  luftdicht  verschlossen  zu  halten. 
Zeigt  sich  dann  der  Thränennasengang  nicht  nur  offen,  sondern  auch 
noch  hinreichend  weit,  so  schreite  man  zur  bleibenden  Verschliessung- 
der  küustlichen  Öffnung.  —  Der  andern  Mittel  werden  wir  weiter  unten, 
(beim  geschichtlichen  Überblicke)  gedenken. 

Ist  endlich  auf  bleibende  Wiederherstellung  der  Durchgängigkeit  de? 
Thränennasencanales  nicht  zu  rechnen,  so  schlage  man  dem  Kranken  die 
Verödung  des  Thränensackes  vor.  Behufs  dieser  muss  zunächst  für  eine 
grössere  Öffnung  gesorgt  werden,  durch  Einlegen  von  Pressschwamm 
oder  durch  Schlitzung,  selbst  bis  über  das  innere  Augenlidband  hinauf. 
Will  man  sich  zur  Verödung  des  Lapis  bedienen,  so  wird  eine  wieder- 
holte nachdrückliche  Touchirung  der  ganzen  Schleimhautfläche  nöthig 
und  auch  da  ist  der  Erfolg  noch  nicht  ganz  sicher.  Verlässlicher  wir- 
ken Mineralsäuren,  deren  Einführung  (mit  einem  Asbestpinsel  oder 
Tropfgläschen)  jedoch  grosse  Vorsicht  erheischt.  Das  gebräuchlichste 
Mittel  ist  das  Glüheisen,  das  beste  der  Middeldorpfsche  galvanokau- 
stische Apparat,  welcher  in  neuester  Zeit  von  Gräfe  zu  diesem  Zwecke 
angewendet  wurde. 

b)  Bei  der  Tkränensackentzündung  kann  man  auf  Zertheilung  nur 
dann  hoffen,  wenn  sie  noch  nicht  bis  zur  Eiterbildung  vorgeschritten 
ist.  Örtliche  Blutentziehungen  und  kalte  Umschläge  habe  ich  zu  diesem 
Zwecke  fruchtlos  angewandt:  hingegen  sah  ich  mehrmals  beim  Gebrauche 
trockener  warmer  Tücher  die  Erscheinungen  in  wenig  Tagen  zurück- 
gehen und  den  frühern  Zustand  wiederkehren.  Ob  das  Einziehen  von 
warmem  Wasser  oder  von  Wasserdämpfen  in  die  Nase  von  Nutzen  sei, 


Behandlung  der  Thräuensaekfistel.  415 

blieb  mir  unentschieden.  Andreae*)  empfiehlt  bei  minder  stürmischem 
Auftreten  Fomentationen  mit  in  Bleiessig  getränkten  Bäuschchen.  — 
Ist  die  Entzündung  so  weit  vorgeschritten,  dass  der  in  der  Tiefe  gebil- 
dete Eiter  durchzuscheinen  beginnt,  so  ist  es  das  Beste,  den  Thränen- 
sack  an  der  erhabensten  Stelle,  doch  nicht  zu  tief  unten,  mit  einer  Lan- 
zette zu  eröffnen.  Man  erspart  dem  Kranken  die  an  den  spontanen 
Durchbruch  der  Haut  gebundenen  Schmerzen  und  man  erhält  statt  einer 
mehr  weniger  grossen,  unregelmässigen  und  wohl  auch  noch  unbequem 
gelegenen  Öffnung  eine  lineare,  3 — 4"'  lange  Wunde,  welche  man  nach- 
träglich, falls  es  nöthig  werden  sollte,  zu  Einspritzungen  und  zum  Son- 
diren benützen  kann.  —  Hat  man  geöffnet,  oder  war  bereits  spontaner 
Durchbruch  erfolgt,  so  entleere  man  den  Thränensack  durch  allmälig 
verstärkten  Druck  von  oben  und  von  der  Seite  her  und  durch  Einspritzen 
lauen  Wassers,  und  bedecke  die  Öffnung  mit  etwas  Charpie  und  einem 
Heftpflaster.  Sind  die  Wund-  oder  Geschwürsränder  noch  stark  infil- 
trirt,  rotk  und  empfindlich,  so  lasse  man  noch  durch  einige  Tage  Cata- 
plasmata  emollientia  anwenden  oder  doch  das  Auge  trocken  verbunden 
tragen.  —  Nach  einigen  Tagen  wird  sich  dann  nach  der  Beschaffenheit 
des  Thränensackinhaltes,  nach  dem  freien  oder  gehinderten  Abflüsse  der 
Injectionen  nach  der  Nase,  vorzüglich  aber  aus  genauer  Würdigung  der 
anatomischen  und  ätiologischen  Momente  bestimmen  lassen,  ob  man  die 
Wunde  sich  schliessen  lassen  oder  aber  durch  Einlegen  von  Charpie- 
wieken  offen  erhalten  soll,  um  weiterhin  ganz  so  zu  verfahren,  wie  bei 
Blennorrhoe  nach  geschehener  Eröffnung  des  Thränensackes. 

c)  Bei  der  Thränensachfistel  entstellt  zunächst  die  Frage,  wodurch 
dieselbe  erhalten  werde,  ob  bloss  durch  verminderte  oder  aufgehobene 
Durchgängigkeit  des  Thränennasencanales ,  oder  zugleich  durch  Bloss- 
legung  oder  wirkliche  Caries  des  Knochens.  Zur  Beantwortung  dieser 
Frage  wird  die  Anwendung  der  Sonde  nöthig,  auch  dann,  wenn  ein 
manifestes  Hinderniss  der  Durchgängigkeit,  z.  B.  ein  Nasenpolyp  vor- 
liegt. Wäre  demnach  die  Hautöffnung  nicht  bequem  gelegen,  so  müsste 
entweder  dieselbe  entsprechend  erweitert  werden  (am  besten  durch 
Schlitzung  gegen  das  Augenlidband  hin),  oder  man  müsste  einen  frischen 
Einstich  so  wie  bei  Blennorrhoe  machen  (bei  zu  entfernt  gelegenen  Fistel- 
öffnungen). Weiterhin  kommt  in  Bezug  auf  Diagnosis,  Prognosis  und 
Therapie  derselbe  Vorgang,  wie  wir  ihn  bei  der  Blennorrhoe  nach  Er- 
öffnung des  Thränensackes  angegeben  haben,  in  Anwendung. 

d)  Die  Complication  mit  Caries  erfordert  rücksichtlich  der  örtlichen 

*)  Grun&riss  der  Augenheilkunde,  Leipzig  1846.    Bd.  II.   S.  106. 


416  Tliräuenorgaiie. 

Behandlung  vorzüglich  Sorge  für  möglichst  freien  Abfluss  des  Secretes 
und  fleissige  Beseitigung  desselben  durch  Einspritzungen  mit  lauem  Was- 
ser. Die  allgemeine,  diätetische  und  pharmaceutische  Behandlung  des 
zu  Grunde  liegenden  Allgemeinleidens  ist  wenigstens  nicht  minder  wichtig. 


C,    Geschichtliche  Bemerkungen. 

Bis  zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  gebrauchte  man  für  die  verschiedenen  krank- 
haften Zustände  des  Thränenschlauches  im  Allgemeinen  den  Namen  Thränenfistel,  die 
man  in  mehrere  Grade  eintheilte.  Als  1.  Grad  bezeichnete  man  ohngefähr  das,  was  wir 
als  Blennorrhoe  besprochen  haben ;  der  2.  Grad  kam  mit  dem  überein,  was  wir  als  Thrä. 
nensackentzündung  geschildert  haben.  Diese  beiden  Grade  mit  Einschluss  der  Hernia 
nach  Heister,  und  des  Hydrops  nach  Anel)  wurden  auch  unechte  oder  verborgene  Fistel 
genannt.  Den  3.  Grad  bildete  die  wirkliche  Fistel  als  echte  und  einfache,  und  den  4. 
Grad  (nach  Einigen)  die  mit  Caries  verbundene,  als  complicirte  Fistel.  —  Diese  allge- 
meine Benennung  scheint  sich  theils  wegen  mangelhafter  Kenntniss  der  Anatomie  —  ob- 
wohl schon  Vesale  und  Fallopius  den  Thränenschlauch  genau  kennen  gelernt  hatten  — 
theils  aber  und  vorzüglich  desshalb  so  lange  erhalten  zu  haben,  weil  man  das  aus  den 
Thvänenpunkten  oder  der  Fistel  entleerte  Secret  für  das  Product  eines  im  Thränensacke 
sitzenden  Geschwüres  hielt.  Erst  die  Arbeiten  von  Ad.  Schmidt  und  J.  G.  Beer  zu  An- 
fang des  jetzigen  Jahrhundertes  brachten  mehr  Einsicht  in  die  Nosologie  des  Thränen- 
schlauches, obgleich  auch  sie  noch  manches  zu  wünschen  übrig  Hessen. 

Bücksichtlich  der  Therapie  sah  man,  wie  Himly  bemerkt,  diese  Krankheiten  nament- 
lich im  vorigen  Jahrhunderte  noch  zu  viel  von  einem  mechanischen  Gesichtspunkte  an, 
indem  man  nur  Eröffnung  oder  Erweiterung  des  Thränennasencanales  durch  mechanische 
Mittel  zu  erreichen  suchte ;  in  späterer  Zeit  verfielen  Manche  in  den  entgegengesetzten 
Fehler,  sahen  bloss  auf  kranke  Erregung,  gar  nicht  auf  mechanische  Verengerung;  in 
der  neuesten  Zeit  ist  man  wieder  zur  bloss  mechanischen  Auffassung  einseitig  zurück- 
gekehrt. „Die  allgemeine  Behandlung  der  Grundkrankheiten  ist  sehr  häufig  die  Haupt- 
sache ;  doch  können  wir  durch  örtliche  Mittel  allerdings  bedeutend  mitwirken,  und  in 
manchen  Fällen  durch  sie  allein  helfen."  *) 

Das  älteste  Verfahren ,  das  man  der  Thränensackfistel  (den  Thränenschlauchleiden 
überhaupt)  entgegensetzte,  ist  die  von  Celsus  beschriebene  Ausrottung  oder  Verödung 
des  Tlll'äliensackes  mit  dem  Messer  oder  dem  Glüheisen. 

Sodann  (zur  Zeit  des  Archigenes,  Paul  von  Aegina,  Rhazes)  verfiel  man  auf  den 
Versuch,  mittelst  Durchbohrung  des  Thrälienbeiues  einen  neuen  Weg  für  die  Thrä- 
nen  zu  gewinnen.  Doch  unterschied  Rhazes  bereits  zwischen  verschiedenen  Zuständen, 
und  empfahl  nebst  der  Cauterisation  und  der  Thränenbeindurcbbohrung  für  besondere 
Fälle  die  Compression  des  ausgedehnten  Thränensackes ,  für  andere  dagegen  Injectionen 
in  denselben.  —  Neben  diesem  Verfahren,  welches  bis  zu  Anfang  des  vorigen  Jahrhunder- 
tes am  meisten  geübt  wurde ,  wandte  man  bei  Ausdehnung  des  Thränensackes  continuir- 
liche  Compression  an  (Verduc  1665),  wozu  von  Stahl,  Sharp,  Hennemann  u.  A.  eigene 
Instrumente  erfunden  wurden. 

*)  Himly,  die  Krankheiten  und  Missbildungen  des  menschlichen  Auges,  Opus  posthumum,  Berlin,  1843. 
T.  I.    S.  323. 


Geschichtliche  Bemerkungen  über  Thränensackkrankheiten.     417 

Die  3.  Hauptmethode  hat  die  Wiederherstellung  der  Durchgängigkcit  des 

Tliräiiensclllailflies  zum  Ziele;  wir  finden  sie  bereits  in  Avicenna's  Verfahren,  Einziehen 
eines  Fadens  in  den  Canal,  vertreten,  doch  erst  seit  Aneli  1712)  weiter  ausgebildet.  Durch 
beinahe  anderthalb  Jahrhunderte  ging  das  Streben  der  tüchtigsten  Chirurgen  dahin,  zu 
diesem  Zwecke  geeignete  Mittel  und  Methoden  aufzufinden.  —  Allel  führte  täglich  eine 
silberne  oder  goldene  Sonde  durch  das  obere  Thränenröhrclien  bis  in  die  Nase  hinab,  und 
machte  durch  das  untere  Einspritzungen  mit  der  nach  ihm  benannten  Spritze.  Mejcail 
führte  auf  demselben  Wege  mittelst  einer  geöhrten  Sonde,  die  er  mit  einer  Sondenplatte 
in  der  Nase  auffing  und  hervorzog,  einen  Faden  durch  den  ganzen  Canal,  mittelst  des- 
sen er  eine  Charpiemesche  in  den  Thränennasengang  hinauficitete,  die  er  dann  mittelst 
eines  zweiten,  an  dieselbe  angeknüpften  Fadens  wieder  herausbeförderte,  um  sie  täglich 
durch  eiue  neue,  allmälig  dickere  zu  ersetzen.  Cabailis  benutzte  einen  auf  gleiche 
"Weise  eingeführten  Faden  zur  Einziehung  einer  biegsamen  Röhre  in  die  Nasenmündung, 
xim  durch  diese  die  Einspritzungen  zu  machen.  —  Me'jeans  Verfahren  führte  zur  Erfin- 
dung der  sogenannten  Sondenfänger,  um  die  Sonde  aus  der  Nase  hervorzuziehen,  und 
•wurde  mit  wenig  Abänderungen,  wovon  die  wesentlichste  die,  dass  man  statt  des  Thrä- 
nenpuuktes  die  künstliche  Öffnung  an  der  vordem  Wand  des  Thränensackes  benützte, 
bis  in  die  neuere  Zeit  geübt.  Cabanis  Vorgang  wurde  bald  dm-ch  die  folgende  (La  Fo- 
rest'sehe)  Methode  überflüssig.  —  Diese  Methoden  trifft  mindestens  der  Vorwurf,  dass 
sie  die  Thränenröhrclien  mehr  als  zulässig  aasdehnen  und  leicht  zerreissen. 

La  Forest  (1739)  und  fast  100  Jahre  später  Dubois  und  Gensoul  schoben  eine 
eigenthümlich  gekrümmte  Sonde  durch  die  Nase  bis  in  den  Thränensack  hinauf,  um  den 
Nasengang  zu  erweitern:  zu  Injectionen  bedienten  sie  sich  ähnlich  geformter  Röhrchen. 
Gensoul  gab  der  Sonde  die  doppelte  Krümmung,  welche  die  jetzt  üblichen  Instrumente 
besitzen  und  verband  sie  auch,  wenn  bedeutende  Verengerungen  gehoben  werden  soll- 
ten, mit  einem  Ätzmittelträger.  Über  den  diagnostischen  und  therapeutischen  Werth  die- 
ser Methode  haben  wir  uns  oben  ausgesprochen. 

J.  Louis  Petit  (1734)  brachte  die  von  Stahl  (1702)  vorgeschlagene  Eröffnung  des 
Thränensackes  unter  dem  Augenlidbande  in  Aufnahme.  Er  drang  mit  einem  einerseits 
gefurchten  Bistouri  unterhalb  des  Augenlidbandes  in  den  Thränensack,  stiess  an  der 
Furche  eine  Hohlsonde  nach,  und  6chob  nach  Entfernung  des  Messers  in  der  Souden- 
rinne  eine  Bougie  in  den  Nasengang  hinab.  Die  Modifikationen  dieses  Verfahrens  bezie- 
hen sich  hauptsächlich  auf  die  sogenannten  Dilatationsmittel  und  auf  die  Art  ihrer  Ein- 
führung. Sein  Schüler  Desault  (1770)  leitete  über  einer  in  den  Canal  eingeführten  Sonde 
ein  silbernes  Röhrchen  in  denselben ,  in  welchem  er  dann  mit  der  Sonde  einen  Faden 
hinabschob,  den  der  Kranke  hervorschneuzen  musste;  diesen  Faden  benützte  er  so  wie 
Mejean  zur  Einführung  allmälig  verstärkter  Meschen.  Giraud  bediente  sich  zur  Einfüh- 
rung des  Fadens  durch  jenes  Röhrchen  einer  dünnen,  unten  mit  einem  Knöpfchen,  oben 
mit  einem  Öhre  versehenen  Stahlfeder  (Bellocq' sehe  Röhre).  Dieses  Verfahren  fand  trotz 
seiner  Schmerzhaft igkeit  viel  Aufnahme,  wurde  namentlich  auch  von  Walther  und  Chelius 
zu  dem  Zwecke  adoptirt,  um  mittelst  des  Fadens  nach  und  nach  stärkere  Fadenbüschel 
von  der  Nase  aus  in  den  Nasengang  hinaufzuziehen.  Himly  wählte  zur  Einführung  des 
leitenden  Fadens  eine  etwa  spannenlange  Darmsaite,  oder,  wo  diese  nicht  durchdrang, 
die  Jiejean'sehe  Sonde,  was  denn  auch  Walther  und  Chelius  annahmen,  und  J.  N.  Fischer 
leitete  eine  etwas  dickere ,  jedoch  locker  gedrehte  Seidenschnur  mittelst  einer  E-Darm- 
saite  durch  den  Thränenschiauch,  welche  (an  dem  täglich  einzuziehenden  Stücke)  mit 
Arlt  Augenheilkunde.  III.  27 


418  Tliranenorgaiie. 

Flüssigkeiten  oder  Salben  imprägnirt  wurde.  —  Diese  Methoden  müssen  -wohl  alle  die 
an  der  Nasenmündung  befindliche  Falte  mehr  -weniger  verletzen. 

Die  Benützung  von  Darmsaiten  zur  Dilatation  des  Nasenganges ,  schon  von  Stahl 
eingeführt,  kam  erst  durch  Richter  (1770),  noch  mehr  aber  durGh  Beer  (1790)  in  Ge- 
brauch. Ihre  Anwendungsweise  haben  wir  bereits  oben  angegeben.  Man  verband, 
damit  Einspritzungen  oder  bestrich  die  Saite  mit  Salben.  Beer  bediente  sich  bloss  langer 
Saiten;  Andere  Hessen  nachträglich  noch  durch  längere  Zeit  Bleinägel  tragen.  —  Das 
täglich  nothwendige  Zurückziehen  und  Einlegen  frischer  Saitenstücke  ist  unbequem  und 
leicht  verletzend ;  zum  Tragen  langer  Saiten,  welche  über  die  Stirn  herablaufen  müssen,, 
wie  die  Fische/sehe  Seidenschnur,  entschliessen  sich  die  wenigsten  Kranken. 

Die  schon  seit  früheren  Zeiten  üblichen  Blei  drahte  versah  Scarpa  (1801)  oben  mit 
einer  Platte,  welche  nicht  nur  das  Hinabsinken  des  Stiftes  bis  auf  den  Nasenboden  ver- 
hindern, sondern  auch  aaf  den  ausgedehnten  Thränensack  comprimirend  wirken  soll. 
Der  ziemlich  schwere  und  bloss  durch  die  Platte  gestützte  Stift  macht  durch  anhalten- 
den Druck  die  Muskelfasern  allmälig  atrophisch ,  und  bewirk  t  leicht  die  Bildung  einer 
trichterförmigen  Grube. 

Endlich  wurden  silberne,  goldene  oder  bleierne  Röhrchen,  wie  solche  schon  in  frü- 
hern Zeiten,  namentlich  von  Plattner  (1724)  nach  Durchbohrung  des  Thränenbeins  ein- 
geheilt worden  waren,  später  von  Faubert  (1750),  Wallher,  Ware,  besonders  aber  von. 
Dupuytren  (1812)  in  den  Thränennasencanal  eingelegt  (allenfalls  auch  mit  Gewalt  ein- 
getrieben) und  eingeheilt. 

Wie  früher  das  eben  beschriebene,  der  Kunst  und  Wissenschaft  wahrlich  nicht  zur 
Ehre  gereichende  Verfahren  schien  in  neuester  Zeit  die  Verödung  des  Thränensackes  zur 
allgemeinen  Methode  erhoben  werden  zu  wollen ,  nachdem  P.  Biagini  den  noch  weiter 
durch  Beobachtungen  zu  bestätigenden  Satz  aufgestellt  hat,  dass  nach  Verödung  des  Thrä- 
nensackes sich  auch  die  Absonderung  der  ThränenflUssigkeit  vermindere,  und  die  Thrä- 
nendrüse  atrophisch  werde.  Biagini  fand  bei  einem  von  Camici  durch  Verödung  des 
Thränensackes  von  einer  Thränensackfistel  geheilteu  Individuum  bei  der  Section  den 
Saccus  und  Ductus  laeryni.  obliterirt,  in  zellig  fibröses  Gewebe  verwandelt,  und  die 
Thränendrüse  an  dieser  Seite  viel  kleiner,  atrophisch.  Zur  Untersuchung  der  Thränen- 
drüse  hatte  ihn  der  Umstand  bewogen,  dass  der  von  der  Thränensackfistel  Geheilte  nur 
höchstens  an  einem  geringen  und  nicht  lästigen  Thränenfiusse  gelitten  hatte. 


XII.  Buch. 

Die   Augenhöhle,    0  r  b  i  t  a. 


A.    A?iatomisch-physiologische  Bemerkungen. 

Das  Knochengerüst  der  Augenhöhle  kann  als  eine  Pyramide  be- 
trachtet werden,  deren  Basis  von  oben  nach  unten  circa  15//;,  von  innen 
nach  aussen  circa  18'"  misst,  und  deren  Spitze  ohngefähr  21;"  hinter 
der  Basis  liegt.  Im  Kindesalter  ist  die  Achse  der  Orbita  relativ  zu  den 
Durchmessern  der  Basis  unverhältnissmässig  kurz.  Die  Basis  bildet  der 
Orbitalrand,  welcher  an  der  Schläfenseite  weiter  hinten  liegt,  als  an 
der  Nasenseite.  Die  obere  Wand  wird  vom  horizontalen  Theile  des 
Stirnbeines,  nächst  der  Spitze  jedoch  vom  kleinen  Flügel  des  Keilbeines 
gebildet,-  sie  ist  stark  ausgehöhlt,  besonders  gegen  die  Schläfenseite 
hin,  wo  sie  die  Thränendrüsengrube  bildet,  und  trennt  die  Augenhöhle 
von  der  vordem  Schädelgrube.  Der  Stirnbeinknochen  ist  hier  meistens 
sehr  dünn,  häutig  stark  durchscheinend,  bisweilen  selbst  durchlöchert. 
Die  Anheftungsstelle  der  Trochlea  am  Übergange  der  oberen  in 
die  innere  Orbitalwand  bezeichnet  ohngefähr  die  Mitte  der  Stirn- 
höhle, welche  sich  von  da  aus-,  ab-,  rück-  und  vorwärts  erstreckt. 
Die  äussere  ziemlich  senkrecht  stehende  Wandung  wird  grösstenteils 
durch  den  grossen  Flügel  des  Keilbeines,  vorn  jedoch  vom  Jochfort- 
satze des  Stirnbeines  (oben;  und  vom  Jochbeine  funten)  gebildet.  Der 
grosse  Flügel  des  Keilbeines  trennt  die  Augenhöhle  durch  eine  meist 
bis  zum  Durchscheinen  dünne  Platte  von  der  mittleren  Schädelgrube, 
vorn  aber  gemeinschaftlich  mit  dem  Joch-  und  Stirnbeine  von  der 
Schläfengrube.  Die  innere  Wand,  grösstentheils  von  der  Papierplatte  des 
Siebbeines  gebildet,  vorn  aber  vom  Augengrubentheile  des  Thränenbeins, 
hinten  vom  kleinen  Flügel  des  Keilbeines  (bisweilen  auch  von  einem 
Theile  des  Gaumenbeines)   ergänzt,    dacht   sich  vom   Stirnbeine  ange- 

27* 


420  Augenhöhle. 

fangen,  allmälig  nach  aussen  ab,  so  dass  sie  ohne  Bildung  eines  beson- 
dern Winkels  in  die  untere  Wand  übergebt.  Sie  trennt  die  Augen-  von 
der  Nasenhöhle  und  ist  unter  allen  die  dünnste.  Die  untere,  von  vorn 
nach  hinten  allmälig  aufsteigende  Wand  wird  grösstentheils  vom  Ober- 
kieferknochen gebildet,  hinten  von  einem  kleinen  Theile  des  Gaumen- 
beines, vorn  und  aussen  vom  Jochbeine  ergänzt,  und  trennt  die  Augen- 
von  der  Highmorshöhle.  An  ihr  verläuft  der  Canal,  der  den  Nervus 
und  die  Arteria  infraorbitalis  von  der  untern  Augenhöhlenspalte  zur 
Antlitzfläche  leitet,  und  in  seinem  hintern  Theile  bisweilen  nicht  gedeckt, 
sondern  als  Furche  erscheint. 

An  der  Spitze  der  Orbita,  und  zwar  in  dem  Winkel,  wo  die  obere 
und  innere  Wand  zusammenstossen,  tritt  das  Sehnervenloch  durch  den 
kleinen  Flügel  des  Keilbeines  zur  Orbita  herab.  Auswärts  davon,  wo 
die  obere  und  äussere  Wandung  an  einander  stossen  sollten,  befindet 
sich  zwischen  den  Keilbeinflügeln  die  gegen  z\i"  lange  und  1—2"'  breite 
obere  Augenhöhlenspalte,  durch  welche  die  bereits  früher  erwähnten  Ner- 
ven aus  der  mittleren  Schädelgrube  in  die  Orbita  treten,  die  Vena  oph- 
thalmica  dagegen  zurück  läuft.  'Die  äussere  und  untere  Wand  sind 
in  ihren  hinteren  zwei  Dritteln  durch  die  zwischen  dem  grossen  Flügel 
des  Keilbeines  und  dein  Oberkieferknochen  verlaufende  untere  Augen- 
höhlenspalte von  einander  geschieden.  Die  Orbita  communicirt  durch  diese 
Spalte  mit  der  Flügelgaumengrube,  und  erhält  durch  sie  von  dem  aus 
dem  Foramen  rotundum  der  mittleren  Schädelgrube  austretenden  2.  Aste 
des  Trigeminus  den  Hautwangen-  und  den  Unteraugenhöhlen -Nerven, 
so  wie  von  der  Carotis  externa  (mittelst  der  inneren  Kieferarterie)  die 
Art.  infraorbitalis,  an  welcher  die  gleichnamige  Vene  zurückläuft.  Sie 
ist  länger  und  breiter  als  die  obere. 

An  der  Bildung  des  Augenhöhlenrandes  betheiligen  sich  drei  Kno- 
chen. Der  dem  Stirnbein  angehörende  Theil  beginnt  nahe  über  der 
Kuppel  des  Thränensackes  ziemlich  abgerundet,  bietet  dann  eine  mehr 
weniger  tiefe  Einkerbung  dar,  welche  die  Austrittsstelle  des  Nervus  und 
der  Art.  supraorbitalis  bezeichnet,  wird  von  da  auswärts  immer  schärfer, 
und  ragt  vor  der  Thränendrüsengrube  am  weitesten  herab.  Der  Joch- 
beintheil  beginnt  ohngefähr  t[z"  oberhalb  der  äusseren  Commissur,  geht 
erst  ziemlich  flach'  (ohne  einen  Vorsprung  zu  bilden)  in  die  äussere 
Orbitalwand  über,  springt  dann,  an  den  unteren  Umfang  der  Orbita  ge- 
langt, stark  vor,  so  dass  hinter  ihm  eine  seichte  Grube  entsteht,  und 
endet  ohngefähr  in  der  Mitte  des  unteren  Augenhöhlenumfanges  oder 
noch  etwas  weiter  nach  innen.  Der  Orbitalrand  des  Oberkieferknochens 
ist  nur  im  Bereiche  des  unteren  Orbitalmnfanires  und  vor   der  unteren 


Anatomie  —  Physiologie.  421 

Hälfte  der  Thränensackrinue  einigefinassen  scharf,    au   der  Iuueuseite 

der  Orbita  durch  eiue  bisweilen    sehr  stumpfe  Leiste   angedeutet,    uud 

I 
verdacht  sich  iu  die  innere  Wand. 

Die  Bemhaut  der  Augenhöhle  (Periorbita)  bildet  nicht  nur  eiue  un- 
mittelbare Fortsetzung-  der  Beinhaut  des  Gesichtes,  sondern  erhält  ge- 
wissermassen  noch  einen  verstärkenden  Überzug  von  der  harten  Hirn- 
haut durch  das  Sehnervenloch  und  die  obere  Augenhöhlenspalte.  Sie 
ist  beträchtlich  dick  und  fest,  an  der  freien  Fläche  platt,  an  der  an- 
dern Fläche  mit  den  Knochen,  wo  diese  platt  sind,  nur  locker  verbun- 
den; nur  an  den  Rändern;  Nähten  und  Spalten  der  Knochen,  und  an 
den  Insertionsstellen  der  Muskeln,  der  Rolle  und  über  der  Thränen- 
drüse lässt  sie  sich  nicht  leicht  vom  Knochen  abschaben.  Der  Thrä- 
nensack  ist  gleichsam  zwischen  zwei  Platten  derselben  eingeschoben. 
In  der  hintern  Hälfte  liegen  die  Muskeln  (der  Levator  palpebrae  oben, 
der  Obl.  super,  und  R.  internus  innen,  u.  s.  w.)  unmittelbar  an  der 
Periorbita ;  erst  in  ihrem  weitern  Verlaufe  nach  vorn  ist  eine  mehr  we- 
niger mächtige  Lage  fettreichen  Bindegewebes  (Orbitalfett)  dazwischen 
eingeschoben. 

Das  Fettgewebe  der  Orbita,  welches  gleichsam  zur  Ausfüllung  der 
Zwischenräume  zwischen  den  Wandungen  und  den  einzelnen  Gebilden 
der  Orbita  dient,  ungemein  weich,  in  grossen  Zellen  eingeschlossen  und 
elastisch  ist,  kann  füglich  iu  eiue  centrale  und  peripherische  Lage  ge- 
schieden werden,  welche  in  den  Zwischenräumen  der  R.  recti  mit  ein- 
ander zusammenhängen.  Die  centrale  Lage  wird  seitlich  von  den  go- 
radeu  Augenmuskeln,  vorn  vom  Bulbus  begrenzt,  in  der  Mitte  vom  Seh- 
nerven durchbohrt.  Die  peripherische  Lage,  vorn  durch  die  Augen- 
lidbinde und  Augenlidbänder  begrenzt,  schiebt  sich  zwischen  die  Orbi- 
talwand uud  die  vou  dieser  an  den  Bulbus  tretenden  Muskeln  ein,  und 
hat  ihre  grösste  Mächtigkeit  unmittelbar  hinter  dem  Orbitalrande  und 
hinter  der  Augenlidbinde,  oben  besonders  zwischen  dem  Levator  palp. 
und  dem  Knochen  von  der  Thränendrüse  bis  zur  Trochlea,  unten  vom 
Ursprünge  des  M.  obliquus  inf.  bis  zu  dem  zelligfibrösen  Gewebe,  wel- 
chem hinter  dem  Ligam.  palp.  extern,  zur  Periorbita  streicht.  —  Wo  es 
gilt,  ohue  Verletzung  wichtiger  Gebilde  in  das  Bereich  des  Orbitälfettes 
einzudringen,  führe  man  oben  zwischen  der  Thränendrüse  uud  Trochlea 
Buten  zwischen  dem  Ursprünge  des  M.  obl.  inf.  und  der  äussern  Com- 
missur  einen  Schnitt  nahe  am  Orbitalrande  und  längs  desselben  durch 
die  Cutis,  den  M.  orbicularis  und  die  Augenlidbinde.  Es  wird  dann  in 
der  Regel  möglich  sein,  mittelst  dünner  Platten  oder  stumpfer  Haken 
oben  die  Thränendrüse,  den  Levator  palp.  oder  die  Sehne  des  Obl.  su- 


422  Augenhöhle. 

perior,  unten  den  Obl.  inferior  und  den  Bulbus  zur  Seite  zu  schieben 
und  vor  Verletzung  zu  schützen.  Auch  dann,  wenn  z.  B.  eine  Geschwulst 
•zwischen  R.  sup.  und  Levator  palp.  zu  beseitigen  wäre,  halte  ich  die- 
sen Weg  für  besser,  als-dass  man  nach  Schlitzung  der  äussern  Coni- 
missar  vom  Bindehautsacke  aus  eindringt,  es  müsste  denn  das  Augen- 
lid durch  die  orbitale  Geschwulst  umgestülpt  und  dieser  Weg  gleichsam 
durch  die  Hervortreibung  der  Bindehaut  selbst  als  der  leichtere  ange- 
deutet sein. 

Diese  Andeutungen  dürften  hinreichen  zur  Orientirung  bei  Ver- 
letzungen und  Krankheiten  der  Orbita  und  der  Organe  in  den  angren- 
zenden Höhlen.  Dem  Anatomen  sind  auch  die  undurchsichtigen 
Theile  durchsichtig.    Die  Anatomie  ist  die  Fackel  der  Chirurgie. 

B.    Krankheiten  der  Orbita. 

Die  Affectionen,  welche  hier  zu  besprechen  sind,  gehen  aus:  a)  von 
den  knöchernen  Wandungen,  ihrem  fibrösen  Überzuge,  oder  den  an- 
grenzenden Höhlen;  b)  von  dem  Fett-  und  Bindegewebe,  c)  von  den 
Gefässen,  welche  durch  diese  Gebilde  zum  Bulbus  verlaufen.  Sie  ge- 
fährden je  nach  ihrer  Beschaffenheit  und  Ausbreitung  bald  nur  die 
Lage  und  Function  des  Auges  oder  seiner  Hilfsorgane,  bald  auch  die 
Existenz  des  Bulbus,  ja  des  Individuums.  Ihre  Diagnosis  ist,  im  All- 
gemeinen, um  so  schwieriger,  je  tiefer  die  Affection  sitzt,  und  je  weni- 
ger sie  noch  an  Ausbreitung  gewonnen  hat.  Die  Erscheinungen,  welche 
die  Aufmerksamkeit  des  Arztes  auf  eine  Affection  in  der  Tiefe  der  Or- 
bita zu  lenken  vermögen,  sind  im  Allgemeinen:  Schmerzen  daselbst 
oder  im  Verlaufe  von  Zweigen  des  1.  und  2.  Astes  des  Trigeminus, 
welche  die  Orbita  passiren  oder  zum  Bulbus  treten;  Doppeltsehen  mit 
verminderter  oder  aufgehobener  Action  eines,  mehrerer,  aller  Muskeln; 
Verdrängung  des  Bulbus  aus  seiner  Lage,  nach  vorn,  nach  der  der 
Affection  entgegengesetzten  Seite,  oder  beides  zugleich;  Zeichen  von 
Druck  auf  den  Sehnerven  oder  die  Netzhaut,  durch  Abnahme  der  Seh- 
kraft oder  durch  Lichterscheinungen.  So  lange  nicht  einer  und  der 
andere  dieser  Zufälle  vorhanden  ist,  wird  man  kaum  eine  Ahnung  von 
einer  tiefern  Orbitalafifection  haben  können.  Es  kann  aber  auch  jeder 
derselben  mit  Ausnahme  der  wirklichen  Verdrängung  des  Bulbus,  an- 
derweitig bedingt  sein,  und  es  wird  bei  der  Diagnosis  nur  das  Vorkan- 
sein  von  mehreren  und  zugleich  der  Umstand  entscheiden  können,  dass 
dieselben  nicht  auf  eine  Affection  des  Bulbus  oder  der  Organe  in  den 
Nachbarhöhlen  der  Orbita  bezogen  werden  können. 


Krankheiten  —  Aneurysma  —  Teleangiektasie.  423 

Da  die  Verdrängung  des  Bulbus  ans  seiner  "Lage  ein  Symptom  der  meisten  Orbital- 
aifeetionen  ist,  so  erscheint  es  schon  desshalb  notkwendig,  zu  untersuchen,  ob  dasselbe 
oder  ahnliches  nicht  auch  anderweitig  bedingt  werden  könne.  Flachere  Lage  des  Bul- 
bus kann  den  minder  Geübten  leicht  zur  Annahme  von  Vergrüsserung  desselben  ver- 
leiten, und  umgekehrt  kann  Verlängerung  des  Bulbus  in  der  Richtung  der  Sehachse  für 
einen  leichten  Grad  von  Exophthalmus  imponiren.  Flachere  Lage  beider  Bulbi  kann  ohne 
alle  anderweitigen  Abnormitäten  als  einfaches  Glotzauge  bestehen ,  aber  auch  Symptom 
sein  von  Herabdrängung  der  obern  Orbitalwand  durch  Hydrocephalus  (connatus,  chroni- 
Düs),  von  Hypertrophie  und  Sclerosis  der  Orbitalknochen,  oder  von  Hyperämie  und  Hy- 
pertrophie des  Orbitalfettgewebes  bei  Struma  und  Herzkrankheiten.  In  welcher  Weise 
die  Miiskeln  die  Lage  des  Bulbus  beeinflussen,  haben  wir  bereits  im  9.  Buche  angege- 
ben. Zu  erwähnen  ist  hier  noch  der  sogenannte  Prolapsus  bulbi  (Ptosis),  welcher  nur 
auf  gewaltsame  "Weise  zu  Stande  kommt.  „Ein  auf  einem  kleinen  Handschlitten  sitzen- 
der Knabe  rannte  im  Herabfahren  über  eine  Anhöhe  seinen  aufwärts  kriechenden  Kame- 
raden mit  der  Deichsel  des  Schlittens  über  den  Haufen.  Man  trug  den  bewusstlosen 
Knaben  mit  blutendem  Gesichte  nach  Hause.  Die  dünne  Deichsel  hatte,  durch  das  obere 
Lid  in  die  Augenhöhle  gedrungen,  den  rechten  Bulbus  luxirt.  Der  gerufene  Wundarzt 
war  eben  im  Begriffe ,  den  auf  der  Wange  liegenden  Augapfel  wegzuschneiden ,  als  er 
durch  einen  Laien  daran  gehindert  wurde,  welcher  meinte,  dazu  wäre  noch  immer  Zeit. 
Das  getrennte  Lid  wurde  geheftet  und  der  Bulbus  durch  eine  Art  Suspensorium  mit 
Heftpflasterstreifen  gehoben.  Diesen  Vorgang  erzählten  uns  mehrere  verlässliche  Augen- 
zeugen. Nach  etwa  12  Jahren  sahen  wir  den  Verletzten  selbst.  Ausser  einer  bedeu- 
tenden, wagrechten  Narbe  am  oberen  Lide  fanden  wir  am  Auge  nichts  Abnormes;  er 
konnte  es  frei  nach  allen  Richtungen  bewegen ,  und  las  damit  den  kleinsten  Druck." 
{J.  X.  Fischer,  Lehrbuch,  18-16,  S.  35.)  Mahenzie  erzählt  in  der  London  med.  Gaz.  183S 
•einen  Fall  von  Ophthalmoptosis  bei  einem  Manne,  welcher  vor  5  Jahren  entstanden  war, 
als  derselbe  eine  schwere  Last  auf  dem  Rücken  trug.  Er  wurde  Gegenstand  der  Beob- 
achtung, als  er  sich  wegen  einer  katarrhalisch-rheumatischen  Augenentzündung  im  Spi- 
tale  befand.  Man  bemerkte,  dass  der  Augapfel  auf  der  Wange  vorgefallen  war,  als  der 
Jiranke  einmal  abwärts  blickte,  und  dass  derselbe  wieder  zurückgebracht  wurde,  indem 
der  Kranke  den  Kopf  in  die  Höhe  hob  und  das  Auge  rieb.  Das  Merkwürdigste  war, 
dass  bei  diesem  Vorfalle  die  Retina  fortwährend  ihre  Function  erfüllte.  (Chelius  Hand- 
buch, 1839,  B.  IL  S.  185.)  Der  Wiederholung  solcher  Vorfälle  Hesse  sich  wohl  durch 
Verengerung  der  Lidspalte  (Tarsoraphie)  vorbeugen.  (Vergl.  B.  III.  Buch  8.  S.  28.)  Dass 
.endlich  der  Bulbus  auch  durch  Ödem  seiner  Umgebung  hervorgedrängt  werden  könne, 
•wenn  acute  Ablagerung,  namentlich  von  eitrigem  Exsudate,  in  denselben  stattfindet, 
wurde  bei  den  Krankenheiten  der  Chorioidea  bemerkt. 

I.  Krankheiten  der  Ciefösse. 

a)  Aneurysma  der  Art.  ophthalmica  wurde  durch  Section  constatirt 
tou  Guthrie  und  Carron  du  Villards.  In  Guthrie's  Fall  bestand  das- 
Übel  auf  beiden  Seiten,  hatte  Vordrängung-  der  Bulbi,  doch  keine  Blind- 
heit bewirkt,  und  ein  zischendes  'Geräusch  (wohl  auch  Pulsation?) 
wahrnehmen  lassen.  Die  nussgrossen  Geschwülste  hatten  auch  den 
Eückfluss  des  Blutes  durch  die  Vena  ophthalmica  behindert.  Wodurch 
der  Tod  veranlasst  wurde,  und  wie  die  übrigen  Kreislauforgane  beschaf- 


424  Augenhöhle. 

fen  waren,  findet  sich  bei  Makenzie  (1.  c.  S.  291,  von  wo  diese  Notiz 
entlehnt  ist)  nicht  angegeben.  Burk  (the  lancet,  Manch.  136)  unter- 
band bei  einem  Aneurysma,  welches  nach  einein  Schlage  auf  den  Kopf 
entstanden   war,    die   Carotis   mit  glücklichem   Erfolge.      (Chelius  1.   c^ 

S.  459.) 

b)  Von  Teleangiektusia  oder  Aneur.  per  anastomosin  in  der  Tiefe 
der  Orbita  findet  man  bei  Makenzie  (1.  c.  S.  283)  zwei  vollständige  und 
genaue  Beobachtungen  von  Truvers  und  Dalrymple.  Die  Krankheit 
entwickelte  sich  plötzlich  und  ohne  bekannte  Veranlassung  bei  Frauen 
von  34  und  44  Jahren,  bei  der  einen  in  den  ersten,  bei  der  andern  in 
den  letzten  Monaten  der  (sechsten)  Schwangerschaft,  bei  beiden  auf  der 
linken  Seite.  Den  Beginn  der  Krankheit  bezeichneten  plötzlicher  Ein- 
tritt heftiger  Schmerzen  im  Auge  und  in  der  entsprechenden  Kopfhälfte 
und  eine  eigenthümliche  Empfindung  von  Knallen,  Krachen  oder  Kau- 
schen in  der  Orbita;  dazu  traten  bald  Ödem  der  Lider,  Hervortreibung 
derselben  und  des  Bulbus,  starke  Injection  an  letzterem,  Abnahme  der 
Sehkraft  und  gehinderte  Function  einzelner  Muskeln.  Entscheidend  für 
die  Diagnosis  war  das  Auftreten  pulsirender  Geschwülste  zwischen  dem 
vor-  und  seitwärts  gedrängten  Bulbus  und  dem  Orbitalrande  (in  T.  Falle 
unterhalb  des  Bulbus  und  über  dem  innern  Augenlidbande,  in  D.  Falle 
im  Bereiche  des  untern  Lides),  deren  Grösse  und  Pulsation  durch  jede 
Aufregung  gesteigert  wurde.  Diese  Geschwülste,  allmälig  an  Grösse 
zunehmend,  und  von  verdickter  Haut  überzogen,  waren  theils  weich  wie 
lockere  Wolle,  theils  derb  und  elastisch  anzufühlen,  Hessen  sich  durch 
Kückwärtsdrücken  comprimiren,  und  gaben  dann  deutlich  das  Gefühl 
der  Pulsation.  Druck  auf  den  Stamm  der  gemeinschaftlichen  Carotis 
machte  die  Pulsation  gänzlich  verschwinden;  Compression  der  Art.  tem- 
poralis,  angularis  und  maxillaris  hatte  keinen  Einfluss  auf  die  Ge- 
schwulst. Die  Venen  des  obern  Lides  und  an  den  Seiten  der  Nase 
waren  varicös.  —  Da  rasches  Wachsen  und  Gefahr  für  das  Leben  zu 
besorgen  stand,  wurde  die  Unterbindung  der  Carotis  —  in  beiden  Fäl- 
len mit  glücklichem  Erfolge  —  unternommen.  —  Wegen  einer  erec- 
tilen  Geschwulst  in  der  rechten  Orbita  eines  5  Monate  alten  Kindes 
unternahm  Walton  (Med.  Tim.  Juli  1852)  die  Unterbindung  der  Car. 
comm.  d.  ohne  nachtheiligen  Einfluss  (?)  auf  die  Gesundheit  des  Kindes. 
Pulsation  war  nicht  deutlich,  aber  mit  dem  Stethoskope  hörte  man  ein 
Blasen  in  den  Arterien  (?)  der  Augenhöhle.  —  Carron  du  Villards  er- 
wähnt einer  vorwaltend  durch  Venener Weiterung  bedingten,  daher  nicht 
pulsirenden  Geschwulst  in  der  Orbita  eines  8  Monate  alten  Kindes,  die 


Entzündung  des  Orbitalfettgewebes.  425 

er  durch  Exstirpation  und  Unterbindung  von  3  ziemlich  grossen  Arterien- 
zweigen glücklich  beseitigte  (1.  c.  S.  319). 

II.  Krankheiten  des  Fettgewebes. 

a)  Entzündung  des  Fett-  und  Bindegewebes  kommt  meistens  mit 
Periostitis,  doch  auch  für  sich  allein  vor,  und  zwar  sowohl  in  acuter 
als  in  chronischer  Form.  So  lange  die  Affection  noch  auf  einen  klei- 
nen Herd  beschränkt  ist,  können  die  Erscheinungen  auch  durch  den 
Sitz  (im  retrobulbären  oder  im  peripherischen  Fettgewebe)  modificirt 
werden.  —  Die  selbstständige  acute  Form  ist  entweder  traumatischen 
Ursprunges,  besonders  wenn  fremde  Körper  eingedrungen  sind,  oder 
metastatisch,  bei  Pyämie  nach  Typhus.  Das  letztere  Vorkommen  ver- 
sichert Carron  iL  Y.  bei  der  österreichisch-sardinischen  Armee  1818 
beobachtet  zu  haben.  Heftiger  Schmerz  und  Gefühl  von  Druck  in  der 
Tiefe  der  Orbita,  Vordrängung  des  Bulbus,  Abnahme  und  Erlöschen 
des  Sehvermögens  unter  Lichterscheinungen  ödematöse  Schwellung  der 
Conj.  bulbi  und  der  Lider,  dabei  heftige  Fieberzufälle,  wohl  auch  De- 
lirien, entwickeln  sich  rasch  nach  einander  und  verkündigen  den  Aus- 
gang in  Eiterung,  der  vielleicht  nur  bei  zeitig  und  engerisch  angewand- 
ter Antiphlogose  verhütet  werden  kann.  Entwickelt  sich  die  Entzün- 
dung in  dem  peripherischen  Fettgewebe,  unweit  von  der  Lidbinde,  so 
tritt  die  Schwellung  zunächst  an  einem  Lide  und  viel  früher  auf,  wird 
der  Bulbus  mehr  nach  der  Seite  als  nach  vorn  verdrängt,  und  gestal- 
tet sich  die  Prognosis  für  die  Erhaltung  des  Sehvermögens  und  des 
Bulbus  günstiger.  In  beiden  Fällen  muss  man  dem  Eiter  so  bald  als 
möglich  Abfluss  zu  verschaffen  suchen.  —  In  einem  von  Deval*)  nach 
Scharlach  beobachteten  Falle  von  schnell  aufgetretenem  Exophthalmus 
scheint  acutes  Ödem  des  Orbitalfettgewebes  stattgefunden  zu  haben.  — 
Bei  scrofulösen  Kindern  bildet  sich  bisweilen  Eiteranmmmlüng  hinter* 
dem  Bulbus  unter  minder  stürmischen  Zufällen,  namentlich  ohne  heftige 
Schmerzen  und  ohne  Fieber;  da  man,  wenn  der  Eiter  sich  selbst  einen 
Ausweg  durch  die  Cutis  nächst  dem  Orbitalrande  gebahnt  hat,  oder 
wenn  die  Eröffnung  vorgenommen  wurde,  in  solchen  Fällen  fast  immer 
mit  der  Sonde  auf  entblössten,  nekrotischen,  cariösen  Knochen  stösst,  so 
bleibt  es  unentschieden,  ob  diese  Affection  nicht  gleich  vom  Knochen 
ausgegangen  sei.  Doch  versichert  Carron  d.  V.,  solche  kalte  Abscesse, 
wie  er  sie  nennt,  auch  ohne  Knochenleiden  beobachtet  zu  haben.  Viel- 
leicht, dass  die  Ablagerung  und  Schmelzung  von  Tuberkeln  im  Orbital- 
fette  die  Ursache   solcher  Abscesse  ist.  —  Je  tiefer  die  Affection  sitzt 

*j  Cunier,  annales  d'oeulist.   T.  21. 


426  Augenhöhle. 

und  je  acuter  sie  auftritt,  desto  mehr  droht  Gefahr  der  Erblindung  und 
Zerstörung  des  Bulbus,  der  consecutiven  Erkrankung  des  Knochens, 
des  Ergriffenwerdens  der  Hirnhäute. 

Auf  eine  Hervordrängung  des  Bulbus  durch  chronische  Entzündung 
und  Hypertrophirung  des  Fett-  und  Bindegewebes  der  Orbita  hat  Sichel*) 
aufmerksam  gemacht.  Wir  theilen,  statt  der  allgemeinen  Schilderung, 
lieber  zwei  seiner  Beobachtungen  mit. 

Ein  Frauenzimmer  von  22  Jahren  hatte  Hervortreten  des  linken  Auges  seit  etwa 
1  Jahre  bemerkt;  in  den  letzten  6  Wochen  hatte  das  Übel  rascher  zugenommen.  Das 
Auge  war  gerade  nach  vorn  vorgetrieben,  etwa  2—3'",  weniger  frei,  doch  nach  allen 
Eichtungen  beweglich,  beim  Anfühlen  etwas  resistenter.  Die  Augenhöhle  Hess  ihren  In- 
halt rings  um  das  Auge  wulstig  vorragen,  die  Falte  des  obern  Lides  war  zum  Theil  ver- 
strichen, doch  konnte  man  nirgends  eine  härtere  oder  erhabenere  Stelle  entdecken;  das 
Sehen  war  nur  wenig  gestört  (wie  ?).  Die  Kranke  war  von  lymphatischer  Constitu- 
tion, zu  Kopfcongestionen  geneigt,  sonst  gesund.  Sichel  diagnosticirte  Hypertrophie  des 
Zeil-Fettgewebes  mit  leichter  chronischer  Entzündung  und  seröser  Infiltration.  Blutegel 
ans  Perinäum ,  ein  Purgans  mit  Scammonium ,  Fussbäder  mit  Salz  und  Asche,  reichliche 
Einreibungen  von  Ung.  neapol.  an  die  Stirn  und  Schläfe,  dann  Calomel  bis  zur  Salivation. 
Anfangs  nahm  der  Exophthalmus  noch  beträchtlich  zu,  die  Lider  wurden  roth  und  etwas 
ödematös,  ebenso  die  Conj.  bulbi,  und  die  Kranke  hatte  heftige  Schmerzen  in  der  Or- 
bita. Nach  einem  Aderlasse  und  20  Blutegeln  vor  dem  linken  Ohre  beim  Fortgebrauche 
der  Quecksilbersalbe  und  des  Calomels  nahmen  alle  Erscheinungen  allmälig  ab,  und  die 
Kranke  wurde  nach  längerem  innerlichen  und  äusserlichen  Gebrauche  von  Jodkalium 
ganz  gesund,  und  war  es  noch  ein  Jahr  später.  —  Bei  einer  38jährigen  Frau  ragte  der 
linke  Augapfel  bedeutend  mehr  hervor  als  der  rechte,  war  hart  anzufühlen,  und  schein- 
bar grösser.  Die  starke  Erweiterung  der  Pupille  erwies  sich  beim  Versuche  mit  einer 
engen  Kartenblattöffnung  bloss  als  Mydriasis,  indem  die  Kranke  durch  dieselbe  fast  ganz 
deutlich  sah.  Man  konnte  keine  umschriebene-  Geschwulst  zwischen  Bulbus  und  Orbi- 
talwand, noch  in  der  Tiefe  entdecken  ;  der  nach  keiner  Bichtung  hin  abgelenkte  Bulbus 
Hess  sich  weniger  leicht  rückwärts  drängen,  als  im  normalen  Zustande,  doch  leichter, 
als  in  Fällen,  wo  umschriebene  und  harte  Geschwülste  in  der  Orbita  sitzen.  Die  Falte 
•des  obern  Lides  war  fast  ganz  verstrichen.  Zugleich  war  Hypertrophie  des  Herzens  zu- 
gegen, die  Schläge  heftig,  aussetzend,  der  Herzstoss  fühl-  und  sichtbar.  Aderlass,  Ca- 
lomel mit  Digitalis,  Mercurialeimeibungen.  Mit  dem  Eintritte  der  Salivation  auffallende 
Besserung.  Schon  nach  S  Tagen  war  die  Mydriasis  verschwunden,  der  Bulbus  fast  in 
die  normale  Lage  zurückgekehrt.    Sichel  sah  sie  nach  5  Jahren  noch  vollkommen  geheilt. 

b)  Das  mehr  weniger  starke  Hervortreten  der  Bulbi  bei  Individuen, 
welche  an  Struma  und  excentrischer  Hypertrophie  des  linken  Herzven- 
trikels leiden,  dürfte  zunächst  auf  Blutüberfullung  und  Hypertrophie 
des  Orbitalfettgewebes  beruhen.  Dafür  spricht  wenigstens  ein  Sections- 
be rieht  von  Heussinger**),  welcher  die  hinter  den  sonst  normalen  Bulbis 
befindliche  Fettmasse   um  mehr  als  das  Doppelte  vermehrt,  compacter, 

*1  Bullet,  gen.  de  th(?r.     Mai  1S46. 
■**)   Casper's  Wochenschrift  1851,  Nr.  4. 


Apoplexie  und  Gesehwülste  in  der  Orbita.  427 

mehr  dem  Eindertalge  ähnlich  und  von  gesättigter  gelber  Farbe,  dabei 
die  Thräuendrüsen  fast  um  die  Hälfte  kleiner  fand,  als  im  Normalzu- 
stande. Dr.  Helffit*),  der  die  bisher  bekannten  Beobachtungen  zusam- 
menstellte, bemerkt,  dass  Autiphlogosis ,  namentlich  Blutentziehungen, 
zu  denen  man  sich  durch  die  Gehirnerscheinungen  und  Athmungsbe- 
schwerden  eingeladen  sehen  könnte,  durchaus  verderblich  wirken,  da- 
gegen der  lange  fortgesetzte  Gebrauch  von  Eisenpräparaten  (bei  Men- 
struationsanomalien  mit  Aloe  und  Myrrha)  bei  Fleischkost  und  Aufent- 
halt im  Freien  entschieden  nützten.  Heussinger  sah  Heilung  (?)  nach 
der  Cur  in  D?>iburg,  in  einem  andern  Falle  nach  Ferrum  carbon.  sac- 
charatum. 

c)  Bluterguss  in  das  retrobulbäre  Fettgewebe  kommt  meistens  nur 
in  Folge  tief  eindringender  Verletzungen,  doch  auch  spontan  vor.  Letz- 
teres ist  constatirt  durch  eine  Beobachtung  von  J.  N.  Fische?*  (Lehr- 
buch S.  359).  Bei  einer  sonst  ganz  gesunden  Frau  war  seit  dem  Auf- 
hören der  Menstruation  allmälig  Hervortreibung  des  linken  Bulbus,  ohne 
Aufhebung  des  Sehvermögens  eingetreten.  Nach  mehrjähriger  Dauer 
dieses  Zustaudes  bildete  der  des  Sehvermögens  allmälig  beraubte  Bul- 
bus sammt  den  blaurothen  Lidern  hervorgetrieben,  eine  hühnereigrosse, 
aus  einzelnen  Knollen  zusammengesetzt  erscheinende  Geschwulst.  Wegen 
heftiger  Schmerzen  schritt  man  zur  Ausleerung  der  Orbita.  Die  eine 
Zeit  lang  für  melanotisch  gehaltene  Geschwulst  wurde  später  von  Ro- 
kitansky als  aus  einzelnen  (zu  verschiedenen  Zeiten  erfolgten)  apoplek- 
tischen  Herden  des  Orbitalzellgewebes  bestehend  erklärt.  —  A.  von 
Gräfe  (Archiv  B.  I.  Abth.  1.  S.  424)  diagnosticirte  Bluterguss  in  der 
jS^ähe  der  Spitze  der  Orbita  bei  einem  19jährigen  Handwerksburschen, 
welcher  nach  anhaltender  Feuerarbeit  plötzlich  von  Doppeltsehen  be- 
fallen worden  war  (4  Tage  vor  der  Consultation).  Ein  sehr  genau  an- 
gestelltes Examen  ergab:  vollkommene  Lähmung  des  M.  rect.  inferior, 
superior  und  obl.  superior,  unvollkommene  des  M.  rect.  internus  und 
externus,  Integrität  des  Obl.  inferior;  dabei  Verminderung  der  Sehkraft, 
und  leichte  Vorwärtslagerung  des  linken  Bulbus.  Gänzlicher  Mangel 
von  Gehirnerscheinungen;  Gefühl  von  Druck  in  der  Tiefe  der  Orbita; 
Schmerz  nur  beim  Versuche,  den  Bulbus  zurückzudrücken,  wobei  die 
Resistenz  ergab,  dass  die  Vorlagerung  nur  durch  Verdrängung,  nicht 
durch  Muskellähmung  bedingt  sein  konnte.  Alle  diese  Umstände,  zu- 
sammengehalten mit  einander  und  mit  dem  plötzlichen  Auftreten  und 
dem  Mangel  aller  entzündlichen  Zufälle  berechtigten  zur  Diagnosis  auf 

-     Ibid.  1S49,  Nr.  30. 


428  Augenhöhle. 

Bluterguss ,  welche  überdiess  in  der  raschen  Rückbildung  aller  Zufälle 
(binnen  14  Tagen)  weitere  Bestätigung  fand.  Verordnet  wurden:  Ruhe 
des  Auges  und  des  Körpers,  Blutegel,  kühlende  Abführmittel.  —  Bei 
reichlichen  Orbitalblutergiessungen  nach  dem  Eindringen  fremder  Kör- 
per in  die  Orbita  oder  nach  Fissuren  der  Orbitalwandung  in  Folge 
von  heftigen  Stössen  oder  Schlägen  an  den  Kopf,  empfiehlt  Carron  du 
Villards  bei  Zeiten  durch  tiefe  und  gehörig  breite  Einstiche  zwischen 
Bulbus  und  Orbitalwand  und  durch  Einspritzungen  das  Blut  zu  ent- 
leeren, bevor  es  noch  durch  Zersetzung  und  Erregung  von  Entzündung,. 
Eiterung  u.  s.  w.  schlimmere  Folgen  herbeiführt.  Carron  d.  V.  fand, 
in  einem  Falle,  wo  er  nach  einer  Schädelfractur  Bluterguss "  in  die 
Orbita  cliagnosticirt  hatte,  nahe  am  Sehnervenloche  eine  Fractur  und 
die  Art.  und  Vena  ophth.  zerrissen.  —  Wenn  die  Blutung  noch  fortbe- 
steht, soll  man  sie  durch  Kälte  und  Druckverband  zu  beschränken  suchen. 
Wo  starke  Reaction  droht  oder  schon  da  ist:  rigorose  Antiphlogose. 

d)  Balggeschwiäste ,  Lipome,  Sarcome,  verschiedene  Formen  von 
Krebs  (Gallert-,  Faser-  und  melanotischer)  und  Ilydatiden  (Echinococcus, 
Acephalocystis)  im  Orbitalfette  sind  durch  Beobachtungen  constatirt. 
Die  Erscheinungen  sind  die  der  Verdrängung  des  Bulbus  und  der  Lider, 
und  werden  zunächst  durch  den  Sitz  (im  retrobulbären  oder  im  peri- 
pherischen Fettgewebe),  weiterhin  durch  die  Grösse,  die  Consistenz 
(Inhalt)  und  das  mehr  weniger  langsame  Wachsen  mannigfach  ifiodi- 
ficirt.  Eine  exacte  differentielle  allgemeine  Diagnostik  ist  wohl  zur 
Zeit  noch  nicht  möglich.  Wer  das  Verhalten  dieser  Geschwülste  in 
andern  Körperregionen  kennt,  wird  bei  genauer  Untersuchung  in 
einzelnen  Fällen  die  Diagnosis  mit  mehr  weniger  Wahrscheinlichkeit, 
in  andern  höchstens  bis  zur  Ausschliessung  einer  und  der  andern  Form 
steilen  können.  —  Von  welcher  Natur  die  Geschwulst  auch  sei:  immer 
kann  nur  das  Messer  noch  Hilfe  leisten.  Je  länger  die  Operation  auf- 
geschoben wird,  desto  schwieriger  wird  dieselbe.  Auch  ist  zu  bemer- 
ken, dass  durch  Vergrösserung  dieser  Geschwülste  vorzugsweise  die 
obere  Wand  der  Orbita  der  Gefahr  der  Verdünnung  und  Durchbohrung 
ausgesetzt  wird.  Ob  der  Bulbus  werde  erhalten  werden  können,  lässt 
sich  oft  erst  während  der  Operation  bestimmen,  je  nachdem  die  Ge- 
schwulst in  die  Tiefe  greift,  und  von  welcher  Beschaffenheit  sie  ist. 
Bei  Hydatiden  genügt  die  einfache  Incision  und  Entleerung.  Nicht 
immer  gehen  die  einzelnen  Cysten  gleich  nach  der  Eröffnung  der  ge- 
meinschaftlichen Hülle  ab.  Bei  Balggeschwülsten  kann,  falls  sich  die 
Hülle  nicht  ganz  beseitigen  lässt,  die  Verödung  durch  Einlegen  von 
Charpie,  Atzen  mit  Lapis  u.  dgl.  noch  erzielt  werden;    doch  hüte  man 


Knochen-  und  BeinhautnRectioneii.  429 

sicli,  zu  heftige  Reaction  herbeizuführen,  nicht  nur  wegen  des  Bulbus, 
sondern  auch  wegen  Meningitis.  Das  durch  Zerrung  des  Sehnerven 
aufgehobene  Sehvermögen  kann  allmälig  wiederkehren;  doch  sind  auch 
Fälle  bekannt,  wo  das  noch  vorhandene  Sehvermögen  durch  die  nach- 
folgende Entzündung  zu  Grunde  ging.  Auch  ist  die  Exstirpation  nicht 
immer  ohne  Gefahr  für  das  Leben  (durch  Meningitis).  Eine  Samm- 
lung instruetiver  Beobachtungen  findet  man  bei  MakenzieX.  c.  S.260 — 283. 
III.    Krankheiten  der  Periorbita  und  der  Knochen. 

a)  Die  Entzündung  des  Knochens  und  der  Beinhaut,  sowohl  die  acute 
als  die  chronische,  lässt  sich  bei  nur  einigermassen  tieferem  Sitze  bloss 
nach  den  Erscheinungen  kaum  jemals  von  der  Fettgewebsentzündung 
unterscheiden.  Glücklicherweise  kommt  sie  meistens  am  Orbitalrande 
oder  doch  nicht  weit  hinter  demselben  vor.  Sie  entsteht  bald  primär, 
nach  Verwundungen  und  Stössen,  nach  Verhüttung ,  bei  Syphilis,  bei 
Scrofulosis  (Tuberculosis),  bald  seeundär  in  Folge  von  Krankheiten  der 
in  der  Orbita  liegenden  Organe  oder  bei  Krankheiten  der  Nachbar- 
höhlen. (Einen  Fall  von  Periostitis  an  der  untern  Wand  der  Orbita 
in  Folge  von  Entzündungen  in  der  Highmorshöhle  hat  J.  N.  Fischer  — 
Lehrb.  S.  70  —  beschrieben;  ich  habe  zwei  solche  Fälle  beobachtet. 
Fälle  von  Periostitis  und  Caries  der  Orbita  nach  Entzündung  der 
Schleimhaut  der  Stirnhöhlen  sind  von  Richter,  Beer  u.  A.  veröffentlicht 
worden.)  —  Die  Ausgänge  sind  die  der  Knochen-  und  Beinhautent- 
zündung  überhaupt,  Zertheilung,  meistens  Eiterung  mit  Blosslegung, 
Caries  und  Xecrosis  der  betroffenen  Partie,  selten  Hijperostosis  oder 
E.vostosis.  In  einem  von  A.  v.  Gräfe  beobachteten  Falle  von  Caries  an 
der  obern  Wand  erfolgte  Tod  durch  Zerstörung  derselben  und  Vorfall 
von  Hirnsubstanz  in  die  Orbita.  Rücksichtlich  der  Prognosis  und  Be- 
handlung können  wir  auch  hier  füglich  auf  die  allgemeinen  medicini- 
schen  und  chirurgischen  Grundsätze  verweisen.  Amnion 's  liath,  bei 
Abscessen  von  Caries  am  Orbitalrande  die  Hautöffnung  nicht  gerade 
über  der  cariösen  Partie,  sondern  etwas  entfernt  vorzunehmen,  hat  den 
Zweck,  zu  verhüten,  dass  späterhin  Haut  und  Knochennarbe  nicht  auf 
einander  fallen,  und  die  Haut  nicht  so  tief  in  die  Knochengrube  hinein- 
gezogen werden  könne.  (Gute  Beobachtungen  hieher  gehöriger  Affec- 
tion  findet  man  bei  Makenzie  1.  c.,  und  zwar  einen  Fall  von  Perio- 
stitis, Hyperostosis  und  Verlust  beider  Augen,  beobachtet  von  Howship 
und  Ware,  mehrere  Fälle  von  Exostosis  von  Lukas,  Anderson,  Jour- 
dain,  Acrel  u.  A.,  von  Osteosarcoma  von  Astley  Cooper  und  Crampton.) 

b)  Verletzungen  der  Knochen  der  Orbita  sind  nicht  selten  bei  un- 
scheinbaren Verletzungen  der  Lider  beobachtet  worden. 


430  Augenhöhle. 

Contusionen,  bewirkt  durch  einen  Fall,  Stoss,  Schlag  u.  dgl.  auf 
den  Orbitalrand,  oder  auch  selbst  auf  eine  andere  Gegend,  namentlich 
auf  das  Hinterhaupt,  können  zu  einer  Reihe  krankhafter  Veränderungen 
in  der  Orbita  Veranlassung  geben,  welche  von  Verletzung  des  Kno- 
chens direct  (Quetschung,  Fractur)  oder  indirect  (Fractur  durch  Con- 
trecoup)  ausgehen.  Diese  Veränderungen  bestehen  in  der  Entwicklung 
von  Balggeschwülsten  mächst  der  gequetschten  Stelle),  von  Periostitis 
und  Ostitis  mit  dem  Ausgange  in  Genesung,  Hyperostosis ,  Exostosis, 
Caries  und  Necrosis  (letzteres  besonders  bei  scrofulösen  Kindern),  Aneu- 
rysma oder  von  Bluterguss  in  die  Orbita  (bei  Fracturen).  Zu  bemer- 
ken ist  überdiess,  dass  nach  heftigen  Contusionen,  nicht  nur  des  obern, 
sondern  auch  des  untern  Orbitalrandes  Fracturen  des  Augenhöhlen- 
theiles  des  Stirnbeines  mit  Bluterguss  in  die  Schädelhöhle,  die  Ent- 
stehung von  Meningitis  oder  von  Abscessen  im  Gehirne  beobachtet 
worden  sind.  Vergl.  Retinalamblyopie  S.  103 — 106.  Das  Vorliegen 
solcher  Thatsachen  ist  wohl  hinreichend,  den  Arzt  bei  derlei  Ver- 
letzungen zur  genauesten  Untersuchung  und  zur  grössten  Vorsicht  bei 
der  Prognosis,  so  wie  zur  sorgfältigsten  Überwachung  und  Behandlung 
des  Verletzten  aufzufordern.  Da  die  genannten  Veränderungen  nicht 
immer  der  Verletzung  auf  dem  Fusse  folgen,  die  Verletzten  sich  mit- 
unter längere  Zeit  wohl  fühlen  können,  kann  der  .Nachweis  des  Zu- 
sammenhanges für  den  Gerichtsarzt  grossen  Schwierigkeiten  unterliegen. 
Rücksichtlich  der  Behandlung  verweisen  wir  auf  das  S.  106  Gesagte 
und  auf  die  allgemeinen  Regeln  der  Therapie. 

Bei  Wunden  der  Augenhöhlen-  oder  Schläfengegend  (in  der  Rich- 
tung gegen  die  Orbita)  wird  zunächst  untersucht  werden  müssen,  ob 
der  verletzende  Körper  in  die  Orbita  oder  noch  tiefer  eingedrungen, 
und  ob  derselbe  ganz,  oder  theilweise  (abgebrochen)  oder  gar  nicht 
entfernt  worden  sei.  Hiebei  ist  zu  erinnern,  dass  der  gespannte  Bul- 
bus in  dem  weichen  Fettpolster  leicht  ausweichen  konnte,  dass  mithin 
Unversehrtheit  desselben  noch  nicht  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  der 
fremde  Körper  könne  nicht  tiefer,  selbst  bis  zur  entgegengesetzten 
Wand  vorgedrungen  sein,  weil  etwa  nach  der  Richtung,  den  der  fremde 
Körper  von  aussen  her  nahm,  der  Bulbus  hätte  durchbohrt  werden 
müssen.  Obwohl  Fälle  bekannt  sind,  wo  fremde  Körper  (selbst  spitzige) 
jahrelang  oder  zeitlebens  in  verschiedenen  Gebilden,  selbst  im  Gehirne 
getragen-  wurden,  erscheint  es  doch  gerathen,  dieselben,  sobald  sie.  nur 
zugängig  sind,  selbst  mit  Gewalt  auszuziehen,  nöthigenfalls  mit  Auf- 
opferung des  Augapfels,  weil  die  Fälle  der  Einkapslung  doch  ungleich 
selten  sind  gegenüber  jenen,   wo  durch   die  nachfolgende  Entzündung 


Druck  auf  die  Orbitalwandiingeii.  43 1 

nicht  nur  das  Auge  zerstört,  sondern  auch  der  Tod  herbeigeführt  wurde. 
(Gern  würde  ich  eine  Reihe  von  Beobachtungen,  durch  die  man  sich, 
am  besten  instruiren  kann,  hier  anführen,  wenn  mich  nicht  der  Raum 
drängte.  Auch  über  dieses  Capitel  findet  man  bei  Makenzie  1.  c.  S. 
6 — 30  eine  Sammlung  lehrreicher  Beispiele. 

c)  Formveränderungen  betreffen  die  ganze  Orbita  als  Verengerung- 
oder Erweiterung,  oder  nur  die  eine  und  die  andere  Wand  durch  Ver- 
drängung des  Knochens  von  innen  oder  von  aussen  her.  —  Vergröße- 
rung der  Orbita  und  Zurücksinken  des  Bulbus,  analog  der  Vergrösse- 
rung  der  Schädelhöhle,  kann  wahrscheinlich  auch  durch  senilen  Knochen- 
schwund bedingt  werden;  durch  Druck  von  Seite  ihres  Inhaltes  wird 
sie  herbeigeführt  bei  beträchtlicher  Vergrösserung  des  Bulbus,  Hyper- 
trophirung  des  Fettgewebes,  Entwicklung  von  Geschwülsten  in  der  Or- 
bita. "Wir  haben  schon  früher  bemerkt,  dass  es  vorzüglich  die  obere 
(concave)  Wandung  ist,  welche  verdrängt  wird,  und  fügen  nur  noch  hin- 
zu, dass  nicht  die  Usur  des  Knochens  und  der  Druck  auf  das  Gehirn 
allein  es  ist,  was  Gefahr  bringt,  sondern  dass  oft  schon  früher  Perio- 
stitis, Eiterung  oder  Meningitis  auftritt.  —  Verkleinerung  entwickelt  sich, 
wenigstens  bei  jugendlichen  Individuen,  nach  Verlust  oder  Schwund  des 
Bulbus,  bei  Hypertrophie  und  Sclerosis  des  Knochens,  welche  indess 
wohl  nur  selten  auf  die  Orbitalwandungen  beschränkt  auftritt,  am  häu- 
figsten bei  chronischem  und  angeborenem  Hydrocephalus  (Verkürzung 
und  Compression  von  oben  nach  unten).  Am  häufigsten  erfolgt  Verdrän- 
gung und  Usur  der  einen  und  der  andern  Orbitalwand  (mit  oder  ohne 
Caries)  in  Folge  von  Ausdehnung  der  Nachbarhöhlen ,  besonders  aber 
in  Folge  von  Geschwülsten,  die  sich  daselbst  entwickeln.  Diese  sind 
an  der  innern  Wand:  die  Nasen-  und  Stirnhöhle,  welche  letztere  sich 
zugleich  an  der  obern  Wand  aus-  und  rückwärts  ausbreitet;  an  der 
untern  Wand:  die  Oberkiefer-  und  gegen  die  Spitze  hin  die  Keilbeins- 
höhle ;  an  der  äussern  Wand :  die  Schläfen-,  die  Flügelgaumen-  und  die 
mittlere  Schädelgrube,  welche  gerade  hinter  der  Orbita  liegt;  an  der 
obern  Wand  die  Schädelhöhle  mit  der  vordem  Grube.  Die  Erschei- 
nungen im  Bereiche  der  Orbita  sind  in  der  Regel  die  des  Druckes  auf 
die  Muskeln  oder  ihre  Nerven  (Luscitas,  Ptosis),  auf  den  Opticus,  Bulbus, 
die  Ciliarnerven  (Abnahme  des  Sehvermögens,  Exophthalmus,  Mydriasis), 
auf  Zweige  des  Trigeminus  (Neuralgie,  neuroparalytische  Erscheinungen 
an  der  Binde-,  Hornhaut  u.  s.  w.);  es  können  aber  auch  die  Zufälle 
von  Entzündung  der  Periorbita  und  des  Orbitalfettgewebes  auf-  und  in 
den  Vordergrund  treten.  In  dem  einen  wie  in  dem  andern  Fall  wer- 
den daher  die  Nachbarhöhlen  und  Organe  einer  genauen  Durchmuste- 


432  Augenhöhle. 

rung  zu  unterwerfen  sein.  (Lehrreiche  Beispiele  hieher  gehörender  Affec- 
tionen  findet  man  bei  Makenzie  1.  c.  S.  59 — 84.) 


C.    Operationen  in  der  Orbita. 

Die  manuellen  Eingriffe  bei  Abscessen  in  der  Augenhöhle,  bei  durch 
Caries  und  Necrosis  bedingten  Fisteln,  behufs  der  Abstemmung  von  Exo- 
stosen, der  Ausrottung  von  Geschwülsten  u.  s.  w.  gestalten  sich  nach 
den  individuellen  Verhältnissen  so  verschieden,  dass  sich  ausser  den  be- 
reits gegebenen  Andeutungen  keine  allgemeinen  Vorschriften  oder  Nor- 
men aufstellen  lassen.  Wir  beschränken  uns  daher  bloss  auf  die  Be- 
schreibung des  Verfahrens  bei  der  Ausrottung  des  Bulbus  und  bei  der 
Ausrottung  des  gesummten  Inhaltes  der  Orbita.  Beide,  obwohl  wesent- 
lich verschieden,  wurden  bisher  unter  dem  gemeinschaftlichen  Namen 
Exstirpatio  bulbi  zusammengefasst. 

Die  Ausrottung  des  Bulbus  allein  genügt  und  ist  nothwendig,  wenn  die  Ablage- 
rung medullärer  oder  melanotiscber  Krebsmasse  bloss  auf  die  Gebilde  des  Bulbus  be- 
schrankt oder  nach  Durchbruch  der  Sclera  doch  nicht  weit  rückwärts  gedrungen  ist. 
Die  Lage  und  Beschaffenheit  des  Bulbus  und  die  Anamnesis  kann  hierüber  wohl  mei- 
stens Aufschluss  geben.  Zeigt  sich  während  der  Operation,  dass  die  Krebsmasse  weiter 
rückwärts  greife ,  als  man  angenommen  hatte ,  so  lässt  sich  das  Entartete  noch  iinmer 
nachträglich  entfernen.  Die  Beschränkung  der  Ausrottung  auf  den  Bulbus  hat  aber  nicht 
bloss  den  Vortheil  der  leichtern  Ausführbarkeit,  sie  bringt  auch  das  Leben  des  Kranken 
nicht  so  leicht  in  Gefahr,  wie  die  Ausrottung  des  gesammten  Orbitalinhaltes.  Wo  es 
sich  bloss  um  Volumensverminderung  des  übermässig  ausgedehnten  (staphylomatösen) 
Bulbus  handelt,  wird  man  besser  thun,  bloss  die  Punction,  oder  die  partielle  Abtragung 
(vergl.  Hornhautstaphylom)  oder,  wie  ich  in  neuester  Zeit  mit  dem  besten  Erfolge  ge- 
than,  die  Einziehung  eines  Fadens  und  Belassung  bis  zu  hinreichender  Reaction  vorzu- 
nehmen (nach  Flarer). 

Behufs  der  Ausschälung  des  Bulbus  aus  der  Timica  vaginalis  (nach 
Bonnet)  wird  der  Kranke  narkotisirt  und  bequem  gelagert.  Der  Ope- 
rateur stellt  sich  an  die  rechte  Seite  des  Kranken,  ein  Gehilfe,  der  das 
obere  und  untere  Lid  mit  hakenförmig  gekrümmten,  an  die  innere  Fläche 
der  Lider  einzusetzenden  Platten  (Elevateurs  nach  Desnuwres)  auseinan- 
der zu  ziehen  hat,  zur  Kopfseite,  und  ein  zweiter  Gehilfe,  der  das  Ab- 
tupfen des  Blutes  besorgt,  zur  linken  Seite  des  Bettes.  Der  Operateur 
fasst  den  Bulbus  mittelst  eines  spitzigen  (einfachen  oder  doppelten)  Ha- 
kens, so  dass  er  nicht  leicht  ausreissen  kann,  und  führt  mittelst  eines 
bauchigen  Messers  einen  Bogenschnitt  von  einem  Winkel  zum  andern 
erst  am  untern,  dann  am  obern  Umfange  des  Bulbus,  um  die  Binde- 
und  Scheidenhaut  in  der  Gegend  hinter  der  Insertion  der  M.  recti  zu 


Operationen  in  der  Orbita.  433 

trennen,  ergreift  sodann  eine  flach  gebogene  Scheere,  durchschneidet 
die  Recti  nahe  an  ihrer  Insertion,  löst  nun  mit  der  Scheere  (geschlossen) 
oder  mit  dem  Scalpellhefte  die  Sclerotica  ringsum  von  der  T.  vaginalis 
bis  zum  hintern  Umfange  des  Bulbus,  wo  er  nun  bloss  die  beiden  M. 
obliqui  und  den  N.  opticus  mit  der  Scheere  (vom  äussern  oder  innern 
Winkel  aus)  zu  durchschneiden  hat.  Die  Blutung  ist  in  der  Regel  un- 
bedeutend und  wird  leicht  durch  Einspritzen  kalten  Wassers  gestillt. 
So  wie  diess  geschehen,  wird  es  leicht  sein,  mit  dem  Auge  oder  doch 
mit  dem  Finger  zu  erkennen,  ob  man  alles  krankhaft  Entartete  mit 
weggenommen,  worüber  in  der  Regel  auch  die  Besichtigung  des  Exstir- 
pirten  Aufschluss  gibt.  Sollte  die  Blutung  stärker  sein,  so  fülle  man 
die  Grube  mit  Charpie  aus,  einfach  oder  mit  einer  Lösung  von  Hessel- 
back'schem.  Pulver  getränkt,  und  führe  dann  eine  Binde  über  die  Lider 
um  den  Kopf.  Die  Charpie  wird  nach  24  Stunden  entfernt,  und  die 
Wunde  dann  einfach  gereinigt  und  verbunden. 

Die  Entfernung  sämmtlicher  Weichtheile  aus  der  Orbita  (mit  Ein- 
schluss  der  Thränendrüse)  wird  nothwendig,  wenn  bösartige  Pseudo- 
plasmen  sich  über  den  Bulbus  hinaus  oder  bis  zum  Sehnervenloche 
erstrecken.  Vorbereitung,  Gehilfen  und  Instrumente  wie  bei  der  Aus- 
schälung. Das  erste  Operationsmoment  besteht  hier  in  der  Spaltung 
der  äusseren  Commissur  durch  einen  horizontalen  Schnitt  bis  über  den 
Orbitalrand  hinaus.  Sind  die  Lider  dicht  über  den  stark  hervorgetriebe- 
nen, von  harten  Geschwülsten  umgebenen  Bulbus  gespannt,  so  löse  man 
sie  von  diesem  Schnitte  aus  gegen  den  inneren  Winkel  hin  los,  mit 
möglichster  Schonung  ihrer  Bindehaut,  oder  trage  am  äusseren  Winkel 
ein  Stück  ab,  wie  bei  der  Tarsoraphie,  um  die  Lider  dann  freier  aus- 
einander drängen  lassen  zu  können.  Der  Bulbus  muss  hier  meistens 
mit  den  Fingern  nach  der  andern  Seite  gedrängt  werden,  wenn  man 
mit  dem  Messer  zwischen  der  harten,  hühnerei-  bis  faustgrossen  Ge- 
schwulst und  dem  Orbitalrande  in  die  Tiefe  dringen  will.  Der  Blutung 
wegen  beginne  man  am  untern  Rande.  Ob  man  nun  zum  weitern  Ein- 
dringen das  Messer  oder  die  Scheere  gebrauchen  soll,  wird  sich  im  Mo- 
mente des  Operirens  selbst  ergeben;  nur  halte  man  sich  die  Lage  und 
Richtung  der  Orbitalwandungen  gegenwärtig  und  verletze  nicht  unnö- 
thiger  Weise  die  Bindehaut.  Wo  und  sobald  es  nur  thunlich  ist,  führe 
man  den  Finger  als  Leitungssonde  und  an  diesem  das  schneidende  In- 
strument ein.  Ist  es  möglich,  das  Pseudoplasma  sammt  seiner  Umhül- 
lungsmembran (von  verdichtetem  Bindegewebe)  ohne  Zerstücklung  aus- 
zuschälen, oder  unmittelbar  längs  der  glatten  Beinhaut  vorzudringen,  so 
erleichtert  man  sich  das  Beseitigen  des  gleichsam  den  Stiel  des  Pseu- 

Arlt  Augenheilkunde,  in.  28 


434  Augenhöhle. 

doplasma  bildenden  tiefsten  Theiies,  welcher  oft  mürb  und  brüchig  ist, 
und  sich  nicht  gut  mit  Pincetten  fassen  lässt.  Für  den  Fall,  dass  die 
Entartung  irgendwo  fest  am  Knochen  sässe,  soll  man  Meissel  und  Schab- 
eisen in  Bereitschaft  haben.  Ganz  in  der  Tiefe  kann  man  wohl  nur 
mit  der  Scheere  an  dem  als  Leitungssonde  eingeführten  Finger  operiren. 
Man  erinnere  sich  der  Entfernung  des  Sehnervenloches  von  der  Orbi- 
talöffnung und  der  Lage  der  obern  Augenhöhlenspalte.  —  Die  Blutung 
sucht  man  zunächst  durch  Einspritzen  von  Eiswasser  zu  stillen;  sollte 
die  Art.  ophth.  (die  weit  hinten  noch  an  der  Schläfeseite  des  Opticus 
liegt)  stark  spritzen,  so  würde  man  sie  torquiren  müssen,  was  indess 
wohl  nicht  leicht  vorkommen  wird.  Die  Blutung  ist  meistens  venös,  oft 
sehr  reichlich.  Ich  bin  ihrer  immer,  wenn  nicht  einfach  durch  Eiswasser 
und  Tamponade,  so  mit  Hesselbach'schem  Pulver  Herr  geworden.  Sollte 
das  Glüheisen  nothwendig  werden,  so  sei  es  von  kleinem  Umfange  und 
werde  weder  der  obern  Wand  noch  der  obern  Augenhöhlenspalte  nahe 
gebracht,  weil  sonst  leicht  Meningitis  entstehen  kann.  —  Die  Thränen- 
drüse  zurückzulassen  ist  nur  dann  zulässig,  wenn  man  nicht  wegen 
Krebs  exstirpirt.  —  Schliesslich  wird  die  Wunde  am  äussern  Winkel 
durch  die  Naht  vereinigt  und  die  Orbita  schichtenweise  mit  kleinen 
Charpieballen  ausgefüllt.  Wegen  der  Gefahr  nachträglicher  Blutung 
muss  der  Kranke  durch  24 — 48  Stunden  unter  steter  Obsorge   bleiben. 


Systematische  Übersicht 


Band.  Seite 
I.   Bindehaut. 

I.        Anatomie  und  Physiologie I.          1 

Entzündung:         Catarrhus                (Ophthalmia  catarrhalis)    ....  —         8 

(ophth.  cat.  pustularis) —         9 

(ophth.  erysipelatosa) —       10 

(ophth.  senilis)     —       11 

Blennorrhoea          (acuta,  ophthalmoblennorrhoea)  —       18 

(chron.,  blepharoblennorrhoea) .  —       23 

(gonorrhoica) ■ —       43 

(neonatorum) —       51 

(sporadica) —       46 

(atmosphaerica) —       47 

(militaris,  aegyptiaca,    contag.)  —       63 

Conjunctivitis  membranacea —      85 

Conjunctivitis  scrofulosa    —      88 

Trachoma                 (Conjunctivitis  trachomatosa)  .  .  —     106 

Symblepharon  posterius     ....  —     125 

Xerophthalmus     —     126 

(87) 

Distichiasis 1  —     128 

Trichiasis j  (143) 

Entropium —     128 

(143) 

Blepharophimosis —     129 

(143) 

Pannus —     130 

(33,  89) 
Keratektasia   (hydrops  camerae, 

staphyloma  pelluc.  spbaer.)   .  —     130 
Conjunct.  bei  Exanthemen,  Blattern,  Masern, 
Scharlach,   chronisch.  Hautaus- 
schlägen    —     148 

28* 


436  Systematische  Übersicht. 

_-.     .   .        .                                                                                                                                         Band.  Seite 

Bindehaut. 

fremde  Körper,  (  . 

m                         Laesiones  traumatieae I.  151 

Trennung,  < 

,T                                 —           cheinicae —  155 

Verwachsung :     [ 

Symblepharon  anterius —  156 

Anchyloblepharon —  157 

Pterygium —  158 

Erguss:    von         Blut,                            ecehymoma  conj —  168 

Luft,                            emphysenia  conj —  168 

Serum,                       oedema  conj —  168 

Eiter,                           abscessus  conj —  169 

Pseudoplasmen :   Partielle  Wucherung —  166 

Cysten  und  Entozoen —  169 

Warzen,                  (Verrucae  conj.) —  170 

Krebs,                        (Carcinoma  conj.)     —  167 

Thrünenkarunkel ,  Krankheiten  derselben —  172 

II.  Hornhaut. 

Anatomie  und  Physiologie —  174 

Entzündung:         Keratitis                   scrofulosa —  183 

K.  rheumatica —  192 

K.  traumatica —  203 

,r    ,                      (  mechanische           Verletzungen —  203 

VerletZUDg'                                                 Fremde  Körper -  203 

fremde  Körper,  I     ,  _    , 

[  chemische                Verletzungen     —  207 

Erweichung:        Malada  corneae —  211 

(Neuroparalyt.  Affectionen)  ...  —  180 

Geschwüre:          Ulcera  corneae —  213 

(Regeneration  der  Hornhaut) .  .  —  215 

(Narbenbildung) —  221 

Unguis  (onyx) —  222 

Hypopyum  (Vergl.  Iritis)     ...  —  222 

Keratokele —  224 

Perforatio  corneae —  225 

Fistula  corneae —  227 

Prolapsus  iridis  (clavus)   ....  —  229 

Synechia  anterior  (atresia  pup.)  —  230 

Catar.  caps.  centr.  anterior    .  .  —  232 

Staphyloma    corneae   (opacum.)  —  236 

Phthisis    et  applanatio  corneae  —  244 

Phthisis  bulbi —  245 

(Sectionsbefund) —  245 

(II.  171) 

Trübungen:           Defectus  pelluciditatis  congen —  252 

Arcus  senilis         (Gerontoxon) —  253 

Entzüudlingsresiduen  an  der  Wasserhaut    ...  —  254 

am  Epithelium —  255 

in  der  Hornhautsubstanz  ....  —  256 


Systematische  Übersicht.  437 

Hornhaut.                                                                                                 Band'  Seite 
Formfehler:          Abnorme  Wölbung;  (Staphyloma  pellucidum). 

Keratoconus I.  278 

Keratoectasia  ex  panno    ....  —  130 

Keratoectasia  ex  ulcere  corneae  —  224 

Abnorme  Grösse —  284 

III.  Leder-  und  Scheidehaut.    (Sclera  et  Tunica  vaginalis  bulbi.) 

Anatomie  und  Physiologie IL         l 

Entzündung:        Scleritis  simplex  et  substant —         4 

complic.  et  consecut —       11 

Verletzung:  Vulnera —       15 

Rupturae    —      16 

Ausdehnung:        Staphyloma  sei.  posticum     —       19 

(III.  213  u.  235) 

anticum —       20 

(II.  46,  75) 

laterale —       21 

(II.  160,  175) 

Pseudoplasmen :    Krebs  (sarcom.  medull.  et  melan.)     .  .  (II.  237) 

IV.  Regenbogenhaut. 

Anatomie  und  Physiologie —  22 

Entzündung:        Iritis                          im  Allgemeinen —  35 

(Synechia  posterior)     —  41 

(Atresia  pupillae)  ! —  42 

(Catar.  aecreta) —  43 

(Hypopyum) —  43 

(209,  229) 

(Hydromeningitis) —  45 

I.  traumatica —  55 

I.  rheumatica —  62 

I.  syphilitica     —  66 

I.  scrofulosa —  71 

I.  innominata  (chronica)  ....  —  79 

Lagen-  und  Farben  Veränderung  (Schlottern,  Vorfall  etc.)    . —  104 

(I.  229) 

Atrophie:                Atrophia  iridis    (atroph,  bulbi)      —  105 

(47) 

Pseudoplasmen:      Krebs                       sarcoma  medull.  et  melan.   ...  —  106 

Cysticercus           (iridis,  camerae  ant.) —  108 

(110) 

Motilitätsstörung:  Mydriasis               (paralytica  et  spastica) —  112 

Myosis                     (paralytica  et  spastica) —  118 

Mangel,  Spalte:     Irideremia             (congenita,  acquisita) —  120 

Coloboma              (congenitum,  acquisitum)     ...  —  122 

Pupillenbildung —  131 

V.  Aderhaut  (Ciliarkörper). 

Anatomie  und  Physiologie —  1^7 


438 


Systematische  Übersicht. 


_  ,      .        ,                                                                                                                                            Band.  Seit© 

Aderhaat. 

Entzündung:        Chorioiditis           im  Allgemeinen     II.  158 

(Sectionsergebnisse) —  159 

Ch.  simplex  (ex  congest.)    ...  —  184 

Ch.  arthritica,  Glaucoma  ....  —  190 

Ch.  pyaemica  (metast.) —  209 

Ch.  syphilitica     —  219 

Ch.  scrofulosa  (tubercul.)     ...  —  212 

Ch.  rheumatica —  218 

"Verletzung:                                              Ch.  traumatica     —  224 

(panophthalmitis) —  228» 

Bluterguss:            Apoplexia                externa  et  interna     —  231 

(III.  10} 

Serumerguss:        Hydrops                   inter  scler.  et  chor —  234 

Pseudoplasmen:    Cysticercus           echinococcus  (?) —  235 

Krebs                        sarc.  medull.  et  melan —  236 

Spaltung:              Coloboma                (siehe  Col.  iridis) —  238 

(122) 

Pigmentmangel:   Leucosis                  congenita     —  238 

acquisita  (atrophia  chorioideae)  (III.  238} 

Tl.  Krystallkorper. 

Anatomie  und  Physiologie II.  239 

Entzündung  der  Linsenkapsel  (?) —  26$ 

Trübung:               Cataracta                 lenticularis     .  .  .  .' —  250 

capsularis —  260 

spuria  (Auflagerung) —  264 

Schrumpfung:       Catar.  vieta            membranacea  (secundaria)    ...  —  267 

arida  siliquata     —  269 

cystica  (tremula,  natatilis)  ...  —  270 

Dislocirung:         Prolapsus  lentis  per  scleram —  271 

in  cameram —  271 

Luxatio  caps.  et  lentis.    (Senkung  der  Linse)  .  —  27& 

(HI.  5} 

Verletzung:    Verwundung  der  Kapsel,   Erschütterung  (s.  cat.  vieta)  .  —  245 

(267) 

Staaroperationen :  Extractio               (totalis,  partial.) —  298 

Dislocatio              (reclinatio,  depressio) —  327 

Discissio                (Keratonyxis,  Scleronyxis)    ...  —  336 

(Anzeigen,  Folgen) —  339 

VII.  Glaskörper. 

Anatomie,  Physiologie    III.       1 

Entzündung  (?)     Exsudate  im  Glaskörper —  19 

Bluterguss    —  10 

Verflüssigung —  14 

Cysticercus —  22 


Systematisehe  Übersicht.  439 

VIII.  Netzhaut  und  Sehnerv.  Band'  Seite 

Anatomie     III.     24 

Physiologie                                                (Theorie  des  Sehens) —  31 

(Entoptische  Erscheinungen)  .  .  —  56 

(Augenspiegel) —  62 

Amblyopie  und  Amaurosis  im  Allgemeinen    .  —  89 

Retinalleiden         angeborne  Schwäche —  98- 

mangelhafter  Farbensinn  ....  —  100 

angeborner  Nachtnebel —  101 

Mangel  an  Übung —  10  t 

(320) 

Erschütterung —  103 

Blendung —  106 

Hemeralopie —  109 

Nyktalopie —  112 

Entzündung  der  Netzhaut  ...  —  116 

(Ablösung  der  Netzhaut)  ....  —  119 

Bluterguss —  133 

Verkältung  (Serumerguss)    ...  —  135 

Cystenbildung —  136 

Markschwamm —  137 

Orbitalamaurose  im  Allgemeinen —  142 

(Krankheiten  der  Orbita)  ....  —  422 

Cerebralamaurose  im  Allgemeinen    —  144 

Verletzungen  am  Kopfe    ....  —  148 

Circulationsstörungen —  151 

Syphilis     —  155 

Unterdrückte  Ausscheidungen  .  —  157 
Geschwülste     in     der    Schädel- 
höhle    —  16  t 

Spinalamaurose —  166 

Sympathische  Amaurose  im  Allgemeinen  ...  —  167 

vom  Trigeminus —  168 

von  Unterleibsleiden    ......  —  170 

von  Uterusleiden —  171 

in  Folge  von  Giften —  172 

von  Erschöpfung —  173 

IX.  Augenmuskeln  (Acconimodation). 

Anatomie —  175 

Physiologie —  183 

(Accommodationstheorie) —  194 

Accommoda-        Kurzsichtigkeit  (Myopia) —  230 

tionsfehler:         Weitsichtigkeit  (Presbyopia) —  251 

Übersichtigkeit  (Hyperpresbyopia) —  257 

Augenmattigkeit  (Kopiopia,  Asthenopia) —  261 

Brillen,  concave —  243 

—        convexe —  258 


440  Systematische  Übersicht. 

Augenmuskeln.                                                                                          Band  Seite 

Motilitätsstörung:  Paralysis               Lähmung  der  Augenmuskeln   .  III.  267 

(Doppeltsehen,  binoculäres  ...  —  269 

—            monoculäres)    .  .  —  270 

Lähmung  des  musc.  r.  externus  —  278 

Oculomotoriuslähmung —  282 

Trochlearislähmung —  288 

Strabismus             Schielen  (Operation) —  293 

Nystagmus             Augenzittern —  333 

X.  Augenlider. 

Anatomie,  Physiologie —  336 

Entzündung :         Hautentzündung  Phlegmone —  344 

Erysipel —  344 

Chron.  Ödem —  345 

Furunkel —  345 

Zellgewebsentzündung,  Abscess ,  .  .  —  345 

Drüsenentzündung  Hordeolum —  345 

Chalazion —  346 

Blepharitis  marginalis —  351 

(Phthiriasis) —  355 

Pseudoplasmen :  Milium .  .  1 

Hydatis I  —  356 

Atheroma J 

Warzen  ( Verruca) —  356 

Teleangiektasia    : —  357 

Krebs  (epithelioma) —  357 

Motilitätsstör. :      Lähmung                 Zittern  der  Lider —  360 

Insuffizienz  des  Schliessmuskels  —  361 

Lähmung  des  Schliessmuskels  .  —  361 

Krampf  blepharoptosis  paralyt 1 

mechan.  (ptosis)  / 

Spastische  Contraction —  363 

(blepharospasmus)  (I.  94) 

Fehlern.  Lage :     Entropium              von  Bindehautschrumpfung  ...  — '  365 

(I.  118,  143) 

von  Blepharospasmus —  366 

senile —  366 

Ectropium               sarcomatosum —  368 

senile  et  paralyticum —  370 

von  Hautverlust —  370 

(Blepharoplastik) —  (373) 

Verwachsung:       Symblepharon      posterius —  375 

(1.  125) 

anterius —  375 

(I.  155) 

Anchyloblepharon —  375 

(1.  157) 


Systematische  Übersicht. 


441 


..             ..  ,                                                                                                                                       Band.  Seite 

Augenlider. 

Spaltung:              Coloboma                congenitum III.  375 

Mangel:                 DefeetliS  et  destructio  palp —  375 

(Epicanthus)      —  376 

Hl.  Tkränenorgane. 

Anatomie :                                                  der  Thränendrüse —  377 

des  Tlnünenschlauches —  378 

der  Thränem  ührchen —  382 

Physiologie                                                (Theor.  d.  Fortleitung  d.Thränen)  —  383 

Krankheiten:        der  Thranendriise —  389 

der  Thränenröhrcheii —  391 

des  Thränenschlauches —  394 

Blennorrhoea  sacci  lacrym. ...  —  394 

(Atonia  sacci  1.)     ) 

*                          '                         l     397 

(Hydrops  sacci  1.) { 

Dacryocystitis —  400 

(Anchylops) —  402 

Fistula  sacci  lacrym —  403 

(Geschichtliche  Notizen)    ....  —  416 
XII.  Orbita. 

Anatomie,  Physiologie —  419 

Krankheiten  der  Orhita                          im  Allgemeinen —  422 

(Exophthalmus) —  423 

(Prolapsus  s.  ptosis  bulbi)  ...  —  423 

der  Gefässe             aneurysma  arter.  ophth —  423 

teleangiektasia  orb —  424 

des  Fettgewebes  Entzündung —  425 

(acutes   Ödem) 

(Eiteransammlung) 

(Tuberkelablagerung) 

(Hypertrophie) —  426 

Hyperämie 

Apoplexie —  427 

Geschwülste —  428 

der  Knochen   und  Beinhaut —  429 

Entzündung —  429 

(Caries,   Necrosis) 
(Hyperostosis,  Exostosis) 
(Osteosarcoma) 

Verletzungen —  429 

Formveränderung  (Usur)   ....  — r  431 

Operation  in  der  Orbita  (exstirpatio  bulbi) —  432 


Druck  von  J.  B.  Hirschfeld   in  Leipzig. 


f,m 


w  -f 


sä 


■4    /,