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DIE
KRANKHEITEN DES AUGES,
für praktische Ärzte
geschildert
Dr. Ferd. Arlt,
o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Wien.
I. Band.
Die Krankheiten der Binde- and Hornhaut.
Mit eitler lithographirten TufeL
Fünfter unveränderter Abdruck.
Prag, 1S60.
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Verlag- von 3F» .A_. C2:m?^c1_:ml4&:«?«
k, k. Hof-Buch- und Kunsthändler.
MAR 26 1917
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Druck der k. k. Hofbuchdruckerei von Gotttiob Haase Sühne in Prag, 1860.
Die
Krankheiten der Binde- und Hornhaut,
für
praktische Ärzte
geschildert
Dr. Ferd. Arlt,
o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Wien.
Mit einer lithographirten Tafel.
Fünfter unveränderter Abdruck.
Prag, 1860.
Verlag von ZBT. JÄ_. Cx*edmev9
k. k. Hof-Buch- und Kunsthändler.
Vorrede
über den Zweck und die Anlage dieses Werkes.
Ich schrieb für praktische Ärzte, zum ersten Unterrichte,
zum Nachschlagen am Krankenbette.
Der praktische Arzt hat die Aufgabe, die krankhaften Verän-
derungen und Verrichtungen der einzelnen Organe zu erkennen,
mit möglichster Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit die nach dem
jeweiligen Befunde zu erwartenden weitern Veränderungen voraus
zu bestimmen, und die Verhältnisse oder die Mittel anzugeben,
welche, wo möglich, einen günstigen Ausgang herbeizuführen
vermögen.
Der sicherste Weg zur Erlangung der hiezu nöthigen Kennt-
nisse ist, bei gehöriger Vorbildung in den physikalischen Wissen-
schaften, die eigene Beobachtung am Krankenbette. Doch würde
VI Vorrede.
die Summe der eigenen Erfahrungen allein viel zu gering aus-
fallen, wollte man nicht zur Belehrung, zur Aneignung fremder
Erfahrungen greifen.
Die Mittheilung bringt aber den Übelstand mit sich, dass wir
gewisse Reihen krankhafter Erscheinungen (dem Räume und
der Zeit nach) unter gemeinschaftliche Namen zusammenfassen,
dass wir uns durch Abstraction gewisse Begriffe bilden müssen,
welche demjenigen, der sie nicht durch eigene sorgfältige und
vielfache Beobachtung erworben, oder doch geläutert hat, mehr
weniger unklar, unrichtig und irreleitend bleiben. So sprechen
wir von Krankheit überhaupt, von Fieber, Entzündung, Typhus
u* dgl. ; wir sind nicht im Stande, jemanden durch Worte allein
genaue Begriffe davon beizubringen; nur wer möglichst viele
und gute Beobachtungen am Krankenbette gemacht hat, wird den
möglichst richtigen und klaren Begriff von dem besitzen, was mit
diesen Worten bezeichnet sein soll. — Ein weiterer Nachtheil,
der mit der Belehrung durch Andere selbst am Krankenbette
verbunden ist, ist der, dass, indem der Lehrer dem Schüler
gewisse Gruppen und Reihen abnormer Erscheinungen als Krank-
heiten und Krankheitsprocesse vorführen muss, Lehrer und Schü-
ler nur zu leicht sich gewöhnen, von dieser oder jener Krank-
heit so zu sprechen, als ob diese etwas Selbstständiges wäre,
indess man doch jederzeit dessen eingedenk bleiben sollte, dass
man es immer und überall nur mit krankhaften Veränderungen
und Erscheinungen eines oder mehrerer Organe zu thun hat. —
Vorrede. VII
Wir werden der Ontologie, wie man diese Art, in der Medicin
vorzugehen, zu benennen beliebte, nie ganz entgehen, so lange
Lehrer und Lernende sich der Sprache als Mittels zur Mit-
theilung bedienen werden. Die Schriften jener, welche gegen
die verpönte Ontologie zu Felde ziehen, liefern die besten Be-
weise dafür. Im günstigsten Falle zergliedert man die gang-
baren Begriffe, indem man die einzelnen Veränderungen und
Erscheinungen einer genauem Betrachtung unterwirft, und so an
das Concrete des Abstracten erinnert; am Ende aber bildet man
doch wieder allgemeine Begriffe, und — schafft allenfalls dafür
neue Namen. Man spricht heute noch so gut von Pneumonie,
wie vor 50 Jahren; nur der Begriff ist ein anderer geworden,
und der Name ist hier zufällig derselbe geblieben. Wenn ich
aber von Pneumonie , deren Behandlung , deren Ausgängen,
Arten etc. spreche, so bin ich nicht weniger Ontolog, als der
Auetor, der vor 50 Jahren darüber geschrieben, und meine On-
tologie ist nur in so fern eine bessere, als ich mir bei dem
Worte Pneumonie genauer und richtiger alle jene krankhaften
Veränderungen und Erscheinungen (neben und nach einander) ge-
genwärtig halte, welche das als pneumonisch bezeichnete Organ
darbietet und darbieten kann.
Indem ich nun daran ging, das, was mir über die krank-
haften Veränderungen und Erscheinungen des Auges bekannt ist,
behufs der Belehrung niederzuschreiben,* suchte ich die nöthige
Übersicht zunächst durch Einhaltung der anatomischen Ordnung
VIII Vorrede.
zu erzielen, und die Nomenclalur vorzüglich nach dem Sitze der
Krankheit festzustellen. So entstand die Haupteintheilung in
Krankheiten der Binde-, Hörn-, Regenbogenhaut, Linse u. s. w. —
Da jedoch in sehr vielen Fällen nicht ein anatomisch gegebenes
Gebilde allein, sondern mehrere zugleich leidend gefunden wer-
den, so musste sofort unterschieden werden, ob in solchen Fällen
mehrere Gebilde schon von vorn hinein gleichzeitig erkrankt seien,
oder ob die Totalaffection nur durch consecutives Erkranken des
zweiten und dritten Gebildes zu Stande gekommen sei. In letz-
terem Falle galt der Grundsatz : a potiori fit denominatio ; in er-
sterem mussten Doppel- oder allgemeine Bezeichnungen (z. B.
Keratoiritis, Mikrophthalmus, Scorbut, Krebs des Auges u. dgl.)
gewählt, und zur Besprechung allgemeiner Zustände eigene Ca-
pitel offen gelassen werden. — Man kann den bisherigen Lehr-
und Handbüchern vor allen den Vorwurf machen, dass sie, irgend
einem künstlichen Systeme folgend, sehr oft das Zusammenge-
hörende unnatürlich trennten, dagegen die heterogensten Zustände
und Processe zusammenstellten. Ich will zum Belege für diesen
Ausspruch nur an die Lehre von den sogenannten Nachkrank-
heiten der Entzündungen, an die Capitel Adiaphanosen, Hydro-
psien, Atrophien u. dergi. erinnern. Durch solche Systeme wird
dem Lernenden das Versländniss der Krankheiten erschwert, und
er wird unvermerkt angeleitet, jede Krankheit als etwas Selbst-
ständiges zu betrachten, in jedem Organe gleichsam Repräsen-
tanten für die eine oder die andere Krankheitsfamilie zu rekru-
tiren. Auf diesem Wege entstand mancher Name und Begriff
Vorrede. IX
dem System zu lieb, wurde mancher Zustand isolirt als Krankheit
hingestellt, dessen Verständniss dem Leser entgeht, so lange er
ihn nicht seihst am Krankenbette in seiner Entstehung und Ent-
wicklung beobachtet und erfasst hat. Man denke nur an die Lehre
vom Staphyloma corneae, von Xerophthalmus u. dgl.
Von den Beobachtungen, die mir zu Gebote stehen, aus-
gehend, ordnete ich dieselben sodann nach gewissen constanten
Charakteren, die natürlich nicht in dem örtlichen Befunde allein,
sondern in dem umsichtigen Auffassen aller abnormen Erschei-
nungen im Gesammtorganismus gegeben und zu suchen waren.
Dabei stellte sich vor allem heraus, dass gewisse Gruppen und
Reihen abnormer Erscheinungen, welche vermög ihres constanten
Neben- und Nacheinanderseins als in innigem Nexus stehend be-
trachtet werden müssen, an dem Auge oder dessen Nebenorganen
einzig und allein vorkommen, in andern Fällen dagegen zugleich
in andern Organen oder im Gesammtorganismus beobachtet werden,
mit andern W,orten : es ergab sich, dass gewisse Krankheiten des Au-
ges als rein örtliche, andere dagegen als allgemeine (Theilerschei-
nung oder Folge allgemeiner Krankheiten) zu betrachten seien.
Dieses in die Aufgabe des Arztes (Prognosis und Therapie) so
tief eingreifende Verhältniss musste nächst dem Sitze der Affection
vor allem berücksichtigt, in den Begriff der Krankheit mit auf-
genommen, und wo möglich auch durch den Namen angedeutet
werden. Nächst den Amaurosen stellte sich dieses Bedürfniss
vorzüglich bei jenen Fällen heraus, welche mit vorwaltend ent-
X Vorrede.
zündlichen Erscheinungen verlaufen. Hier genügte es nicht, sie
einfach dem Sitze nach als Conjunctivitis, Keratitis, Iritis u. s. w.
vorzuführen ; hier machte sich vor allen das causale Moment
(äussere oder innere Krankheitsursache) geltend, und drängte
zur Sonderung und Gruppirung der Formen, wenigstens in so
weit, als aus den örtlichen Erscheinungen selbst (dem Raum und
der Zeit nach aufgefasst) mit mehr weniger Sicherheit auf das
causale Moment zurück geschlossen werden kann, die Form der
Entzündung, ihr Entstehen, ihr Verlauf und ihr Vorkommen, wenn
nicht positiv, so doch negativ (durch Ausschliessung) Schlüsse
auf das causale Moment erlaubt. Es konnte hier, wenn dem prak-
tischen Arzte mit der Diagnosis auch schon die Hauptmomente
zur Prognosis und Therapie geboten sein sollten, wenn die Termi-
nologie nicht ihren Hauptzweck verfehlen, und wenn nicht we-
sentlich verschiedene Zustände unter Einem Namen zusammengefasst
werden sollten, durchaus nicht genügen, nach Velpeaus Vorgange
etwa bloss von Conjunctivitis im Allgemeinen oder von Iritis als
stets einer und derselben Krankheit zu sprechen. Weither hat zu
diesem Vorschlage treffend bemerkt, dass man dann consequenter
Weise gegen jede Conjunctivitis nichts anzuwenden hätte, als
etwa eine Lösung von Nitras argenti oder eine Salbe mit rothem
Prä dpi tat, und bezüglich der Iritis wurde, was das Einseitige
dieses Vorganges am besten zeigt, gerathen, alle Mittel als unnütz
zu betrachten, nur Belladonna gleichsam als Specificum zu geben,
die Iritis möge nun durch eine Verletzung, oder durch Syphilis
oder irgendwie bedingt sein. — Die Beschaffenheit des Exsudates
Vorrede. XI
allein, so wichtig auch deren Beachtung, konnte ebenso wie irgend
ein anderes Merkmal der Entzündung schon aus dem Grunde nicht
als Eintheilungsmoment für die entzündlichen Krankheiten ange-
nommen werden, weil dieselbe sogar in einem und demselben
Krankheitsfalle nicht constant ist, und wir die chemische Be-
schaffenheit desselben nicht eruiren können, um die Bedingungen
zu dessen Metamorphosen näher angeben zu können.
Vermög dieser Grundsätze gruppirten sich somit die sämmtli-
chen Beobachtungen nach dem ausschliesslich oder vorwaltend und
primär ergriffenen Gebilde in Krankheiten der Binde-, Hörn-, Regen-
bogen-, Aderhaut u. s. w., die Krankheiten der einzelnen Gebilde
in solche, welche mit mehr oder weniger oder gar keinen entzünd-
lichen Zufällen auftreten und verlaufen (ein strenger Unterschied
zwischen entzündlich und nicht entzündlich lässt sich am Ende nicht
durchführen), und in solche, die als rein örtliche Leiden, oder als
Theilerscheinung allgemeinen Erkranktseins zu betrachten sind. In
der Anwendung am Krankenbette wird auch dieses System, wie
jedes andere, seine Mängel und Schwierigkeiten zeigen ; man wird
gar oft nicht im Stande sein zu bestimmen, welches Gebilde in
vorliegendem Falle das primär und vorwaltend leidende sei; man
wird gar oft sich begnügen müssen, irgend eine Krankheit bloss
als Entzündung der Iris, als Congestion der Chorioidea, als Leiden
der Netzhaut u. s. w. im allgemeinen zu bezeichnen, ohne die
nächste oder die entfernteren Ursachen andeuten zu können; —
dem kann überhaupt durch kein System, durch keine Art von
XII Vorrede.
Terminologie abgeholfen werden, und die grössten Fehler sind na-
mentlich auf Kliniken dadurch begangen worden, dass man glaubte,
jeder specielle Fall müsse in eine oder die andere Rubrik des
Systemes, dem man eben huldigte, eingepasst werden. In jedem
Systeme müssen ferner die einzelnen Zustände oder Erschei-
nungen weit mehr differenzirt angegeben werden, als diess in der
Wirklichkeit im Allgemeinen vorkommt, d. h. es kann die Schil-
derung der einzelnen Krankheiten nur nach den exquisiteren Fällen
entworfen werden. So theilen wir z. B. die Entzündungen der
Bindehaut ab : in Katarrh, Blennorrhoe, Trachom, scrofulöse Bin-
dehautentzündung u. s. w. Geben wir uns nun nicht einer cruden
Ontologie hin, betrachten wir diese Krankheiten nicht als Para-
siten, sondern gleichsam als verschiedene Richtungen, nach denen
hin der normale Zustand zum abnormen wird : so werden wir
nicht übersehen, dass diese Richtungen bald mehr, bald weniger
deutlich ausgesprochen sein, und dass wir Fälle zu Gesicht be-
kommen können, bei denen sich in dem Momente der Beobach-
tung noch nicht bestimmen lässt, ob diese Art des Erkranktseins
die eine oder die andere Richtung einschlagen werde. Die Be-
rücksichtigung der ätiologischen Momente kann, wo der Befund
am Auge zweideutig oder ganz unbestimmt ist, wohl mehr we-
niger Wahrscheinlichkeit für das eine oder das andere, niemals
aber für sich allein den Ausschlag geben.
Die Überzeugung, dass ein richtiges Verständniss der Krank-
heilen eines Organes nur bei möglichst genauer Kenntniss der Anatomie
Vorrede. XIII
und Physiologie derselben möglich ist, bestimmte mich, jedem
Capitel eine kurze Übersicht unserer anatomischen und physio-
logischen Kenntnisse des betreffenden Organes vorauszuschicken.
Diese Trennung der Anatomie schien einerseits durch das heft-
weise Erscheinen des Ganzen geboten zu sein, und dürfte andrer-
seits dem praktischen Arzte manchen Vortheil gewähren, den
ihm die systematischen Abhandlungen über Anatomie und Physio-
logie des Auges in verschiedenen Lehr- und Handbüchern nicht
darbieten. Mein erster Versuch dieser Art *) scheint wenigstens
Beifall gefunden zu haben, da seitdem mehre ähnliche Bearbei-
tungen, zum Theil auch Copien dieses Gegenstandes erschienen sind.
Rücksichtlich der Terminologie habe ich keinen Ruhm darin
gesucht, neue Namen einzuführen ; ich wollte meinen Lesern das
Verständniss anderer, namentlich älterer Auetoren nicht erschweren,
noch die Zahl der auf Hypothesen gestützten Namen vermehren.
Nur wo mir eine oder die andere bisher übliche Bezeichnung
irrige Nebenbegriffe anzudeuten schien, erlaubte ich mir eine Än-
derung. So wählte ich* z. B. den Ausdruck Keratoektasie für den
Namen Staphyloma pellucidum, da dieser Zustand der Cornea mit
jenem, den man ursprünglich Staphyloma genannt hat, nicht die
entfernteste Analogie und, ausser der Bildung einer Vorragung,
nicht ein einziges Merkmal gemein hat. Andere Namen, wie :
Taraxis, Chemosis, Ophthalmia interna, PanOphthalmitis u. dgl.
*) Physiologische und pathologisch-anatomische Bemerkungen über die Bindehaut,
Prager medicinische Vierteljahrschrift. 12. Band. S. 70.
XIV Vorrede.
mussten nach dem obersten Grundsätze (Basirung auf Anatomie)
theils aufgegeben, theils auf ihre eigentliche Bedeutung zurück-
geführt werden.
Von der numerischen Methode habe ich absichtlich keinen
Gebrauch gemacht. Die bisher gelieferten Proben erschienen mir
eben nicht sehr aufmunternd. Soll diese in der Idee allerdings vor-
treffliche Methode für die Wissenschaft von Nutzen sein, so müsste
entweder ein Arzt in einem gewissen grösseren Bezirke alle Fälle
von Augenkrankheiten, welche daselbst vorkommen, zu beobachten
Gelegenheit haben, oder es müssten mehrere Arzte, welche auf
gleicher Bildungsstufe stehen, und eine durchaus gleiche Termino-
logie in Anwendung bringen, sich zur Verzeichnung sämmtlicher
Fälle vereinen, und selbst dann würden die Resultate eben nur
für diese Gegend und für diesen Zeitraum gelten, wo die Beob-
achtungen angestellt wurden. Zahlenverhältnisse, in einem Spitale
aufgenommen, müssen aus leicht begreiflichen Gründen sehr we-
sentlich von jenen differiren, welche sich dem Privatarzte er-
geben, und auch dieser bekommt eine Menge Augenleiden, die
unter dem, Volke vorkommen, nicht zu Gesichte. Es darf uns
demnach nicht Wunder nehmen, wenn z. B. hier ein Arzt, der
seine Angaben auf Beobachtungen im Spitale stützte , behauptet,
der Augenkatarrh sei eine viel seltenere Erscheinung, als gewöhn-
lich angenommen werde, und dort wieder ein anderer sagt, dieses
Leiden sei so häufig, dass man nicht viele Menschen finden werde,
welche nicht ein oder mehrere Male daran gelitten haben.
Vorrede. XV
Dagegen habe ich keinen Anstand genommen , so oft es
nothig schien, einzelne Beobachtungen und Krankengeschichten in
den Context aufzunehmen. Ich halte sie für das beste Mittel zur
Erläuterung des im Allgemeinen Gesagten, und zur Controlle der
Theorie ; sie bieten die Thatsachen, welche der Auetor zur
Bildung seiner Ansichten benützte, und machen es noch dem
späten Leser möglich, die Wahrhaftigkeit einzelner Angaben
sowohl als des Auetors überhaupt zu beurtheilen; sie vor allem
haben bleibenden Werth, denn die Theorie unterliegt einem steten
Wechsel. J. N. Fischer's „klinischer Unterricht" und W, Maken-
zie's „praktische Abhandlung über die Krankheiten des Auges"
waren mir beim Eintritte in das praktische ärztliche Leben durch
ihre instruetiven Krankengeschichten gleichsam lebendige Consu-
lenten, bei denen ich mich über analoge Fälle am leichtesten
Rathes erholen konnte. Desshalb wird man mir auch wohl keinen
Vorwurf daraus machen, dass ich hie und da seltene und gute
Beobachtungen von Andern entlehnte.
Endlich glaubte ich da und dort in die Erörterung von Streit-
fragen näher eingehen zu müssen, als es vielleicht in ein Lehr-
buch gehört, wie z. B. bei den Krankheiten der Bindehaut über
die Contagiosität der Blennorrhoe, bei den Krankheiten der Horn-
haut über Staphylom u. dgl. m. Ich hielt es nicht für genügend,
dem Leser meine Ansichten einfach als Theoreme hinzustellen ;
er sollte zum Nachdenken und Selbstforschen angeregt, er sollte
in Stand gesetzt werden, mich zu controlliren, wie ich zu dieser
XVI Vorrede.
oder jener Ansicht über die eine oder die andere Krankheit oder
Krankheitserscheinung gekommen bin, und ob ich mir dabei nicht
'etwa Fehler im Beobachten oder Fehler im Folgern der Schlüsse
zu Schulden kommen liess. Wenn ich mir dabei mitunter kri-
tische Bemerkungen über andere Ansichten erlaubte, und dabei die
Namen einzelner Vertreter nannte, so wolle der Leser in letzterem
nicht persönliche Angriffe erkennen, und nicht übersehen, dass ich
mir's im Allgemeinen zum Grundsatze gemacht habe, so viel als
möglich und nöthig überall die Quellen anzuführen, auf welche
meine Angaben und Behauptungen gestützt sind. Tritt Jemand
meinen Ansichten entgegen, so ist es mir lieber, er nennt mich
als Vertreter derselben, und gibt somit dem Leser Gelegenheit,
das Original nachzuschlagen, als er fertigt diese Ansichten, aus
dem Zusammenhange herausgerissen und mannigfach entstellt, mit
ein paar vornehm verachtenden Worten ab.
Prag, im December 1850. Dr. Arlt.
Abermals hat sich die Auflage des ersten Bandes vergriffen.
Um den vielseitigen Nachfragen entsprechen zu können, liess die
Verlagshandlung einen fünften Abdruck veranstalten, der ganz
unverändert und gleichlautend mit der ersten Auflage ist.
I. Buch.
Die Bindehaut, Tunica conjunctiva.
A. Anatomische und physiologische Bemerkungen.
Bindehaut nennen wir jene Membran, welche, als Fortsetzung- der
allgemeinen Bedeckung, die innere Fläche der Lider und den freien Theil
des Augapfels überzieht, und in dieser Ausbreitung' die Eigenschaften der
Schleimhäute vollständig oder theilweise darbietet.
In früherer Zeit wurde auch die Scheidenhaut des Augapfels , Tunica vaginalis
hulbi, als mit dem Stroma conjunctivae innigst zusammenhängend, darunter mit inbe-
griffen, und noch jetzt nimmt man häufig den vordersten Theil der Tunica vaginalis zur
Conjunctiva. Dieser geht zwar mit der Bindehaut eine immer engere Verbindung ein,
je näher beide der Cornea kommen, und verschmilzt endlich mit derselben am Rande
der Cornea gänzlich; dessen ungeachtet aber ist es naturgemässer, beide Membranen
als verschieden zu betrachten, so weit sie sich mit dem Messer ungezwungen tren-
nen lassen.
Der Flächenraum, den die Bindehaut einnimmt, ist grösser, als man
gemeinhin dafürhält. Der Durchmesser vom Rande der Cornea bis zum
freien Lidrande nach oben und nach unten beträgt beim Erwachsenen
etwas über, der nach den beiden Winkeln hin etwas unter 1 Zoll. Man
begreift dieses Verhältniss bei der geringen Breite der Lidknorpel nur
dann, wenn man bedenkt, dass die Bindehaut in jenem Theile, welcher
den Übergang von den Lidern auf den Augapfel vermittelt, mehr weniger
Arlt, I. |
2 Bindehaut.
beträchtliche Falten bildet. Am stärksten tritt diese Faltung im innern
Winkel hervor, bekannt als halbmondförmige Falte; diese verliert sich,
immer schmäler werdend, allmälig gegen den äusseren Winkel hin, wo
die Bindehaut hinter der äussern Commissur statt der Faltung buchtige
oder blindsackige Erweiterungen bildet, welche sich selbst im Cadaver
nicht leicht ausbreiten lassen. An flachliegenden Augen stülpen sich die-
selben bisweilen bei stärkerem Abziehen des obern Augenlides nach
aussen hervor, und können — freilich nur auf kurze Zeit - — dem Anfän-
ger leicht für etwas Abnormes imponiren.
An dem untern Lide hält es in der Regel nicht schwer, die Bindehaut in ihrer
ganzen Ausbreitung zu Gesichte zu bekommen, bei flach liegenden Augen, indem man
das untere Lid stark abzieht und dann gegen den Orbitalrand ausdrückt, bei tief liegen-
den, indem man das Lid abzieht, und dann den Bulbus stark nach unten rollen lässt.
An dem obern Lide hingegen bekommt man den Übergangstheil der Bindehaut sehr
selten zu Gesichte, am wenigsten, indem man, wie gewöhnlich gerathen wird , das
obere Lid einfach umstülpt, eher noch, wenn man das Lid stark gegen den Augen-
brauenbogen hebt und abzieht, und die Pupille abwärts richten lässt.
In dieser Ausdehnung bietet die Bindehaut mehrere Verschiedenheiten
der Structur dar, nach welchen wir folgende Partien unterscheiden:
1. Der Tarsaltheil, vom freien oder Cilienrande des Knorpels an
bis etwa §"' über den Orbitalrand des Knorpels hinaus, zeigt alle Elemente
der Schleimhäute : «. eine dünne Lage von Epithelium aus cylindrischen
Zellen^ ß. darunter Papillarkörper, bestehend aus grösstenteils reihen-
weise angeordneten fadenförmigen Papillen, welche der Bindehaut ihr
ganz feinkörniges oder sammetartiges Aussehen geben *), welches unter
der Loupe so erscheint, als ob die Bindehaut mit einer unzähligen
Masse glatter, glänzender Hügel besäet wäre, zwischen welchen feine
Gefässchen verlaufen ; y. endlich als Grundlage vielfach durchschlungene
Bindegewebsfasern, mittelst welcher diese Partie aufs innigste mit dem
Knorpel verbunden ist.
Diese Partie wird von äusserst zahlreichen Gefässchen und Nerven
durchzogen. Erstere geben ihr, so weit die Meibom'schen Drüsen rei-
chen, welche deutlich durch dieselbe durchscheinen, ein blassrothes
Aussehen **) ; letztere sind Zweige des N. trigeminus, und bedingen die
grosse Empfindlichkeit dieser Partie.
*) Die Papillen fangen erst 1I2 Linie hinter der innern Lefze des Lidrandes an, und erstrecken sich am untern Lide
etwa '/»'", am obern etwas über 1'" über den Orbitalrand des Tarsus hinaus, und sind in letzterer Gegend
am mächtigsten.
"*) Gegen die Winkel hin, besonders am obern Lide , erscheinen die feinen Wärzchen der Bindehaut immer nicht
nur etwas grösser, stärker entwickelt, sondern auch röther, selbst bläulich roth.
Anatomie — Physiologie. 3
2. Im Übergangstheile treffen wir keinen Papillarkörper mehr, wohl
aber (nach Krause) gehäufte Schleimdrüschen, theils einfach, theils traubig
verbunden *). Das zellige Stroma der Conjunctiva ist weit lockerer, und
hängt mit der Fascia tarso-orbitalis, welche vom Orbilalrande des Knor-
pels zu der Fascia vaginalis bulbi übergeht, durch grobmaschiges, zu serö -
sem und blutigem Ergüsse sehr geneigtes Bindegewebe zusammen. Diese
Partie erscheint im normalen Zustande durchaus blass, nur von einzelnen
stärkeren Gefässen durchzogen. Die Schleimfollikel sieht man entweder
gar nicht, oder als senfkorngrosse, krystallhelle oder mattgelbliche Bläs-
chen. Sie treten bei congestiven und entzündlichen Zuständen der Binde-
haut deutlicher hervor, Die Übergangsfalte, als deutliche Fortsetzung der
halbmondförmigen Falte, erscheint bei älteren Individuen als ein etwas
gelblicher und gelockerter, bandähnlicher Streifen.
Der Übergangstheil ist wenig empfindlich, wenigstens können fremde
Körper sehr lange in demselben haften, ohne dass der Kranke von ihrer
Gegenwart weiss. Beim Katarrh und bei der Blennorrhoe wird dieser
Theil jedesmal und gleich von Anfang an ergriffen.
Es geschieht bei Hervortreihung des Bulbus aus der Orbita (Exophthalmus)
z. B. durch Markschwammablagerung , dass die Lider umstülpt und die Bindehaut in
ihrer ganzen Ausdehnung bloss gelegt wird. Solche Fälle sind es, welche den Unter-
schied zwischen dem Tarsal- und Übergangstheil recht deutlich hervorstehen lassen. Jener
zeigt stets ein fein warziges, sammetartiges und stärker geröthetes Aussehen , während
dieser bei der enormen Ausdehnung und Spannung der ganzen Bindehaut eben so glat
erscheint als der Scleraltheil.
Ich besitze ein Präparat, an welchem in Folge syphilitischer Geschwüre und
Karben fast rings um die Orbita die Cutis so von den Lidern abgezogen ist, dass die
ganze Conjunctiva vollständig auswärts gewendet und ausgeglättet erscheint. Die Grenze
zwischen Cutis und Conjunctiva ist nur durch einen leichten Wulst und einige Cilien
angedeutet; der Tarsaltheil ist sammt den Tarsis auf einen sehr schmalen Streifen re-
ducirt; der ganz ausgeglättete Übergangstheil zeigt eine Menge kleiner Grübchen, von
denen ich nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie durch Verlust der Follikel ent-
standen, oder ob sie als enorm erweiterte Mündungen der Follikel zu betrachten sind.
3. Der Scleraltheil unterscheidet sich vom Übergangstheile nur
durch die Abwesenheit der Schleimfollikel, und durch den Mangel sicht-
barer Gefässe (im normalen Zustande).
c) ..In fast allen Schleimbänlen findet man Bläschen oder Zellen von 0,012-0,03'" Durchmesser, welche bald
wasserhell, bald mit einem körnigen Inhalt erfüllt sind. Schleimhäute, welche man für ganz drüsenlos hält,
sind stellenweise mit solchen Bläschen besetzt, aber sowohl ihr Sitz als ihre Zahl sind unbeständig; sie sind
hald einzeln zerstreut, bald haufenweise zusammengeordnet, und scheinen zu verschiedenen Zeiten und an ver-
schiedenen Orten zu entstehen und wieder zu vergehen. Sie sind rund oder oval, vollkommen geschlossen,
aus einer structurlosen Haut gebildet, und so iu der Dicke der Schleimhaut vergraben, dass sie diese weder
hügelförmig erheben, noch in der Tunica nervea merkliche Eindrücke zurücklassen." Henle, allgemeine Ana-
tomie, Leipzig, 1841 S. *91.
1*
4 Biinlehaut.
Die Äderchen, welche man an jedem Auge von den Fnsertionsstellen der geraden
Augenmuskeln her gegen die Cornea verlaufen sieht, gehören nicht der Bindehaut,
sondern der Tunica vaginalis bulbi, oder vielmehr, sie verlaufen unter dieser Tunica
zum vordersten Theile der Sclera, wo sie sich spalten, und theils die Sclera durch-
bohren, theils in den vordersten Theil der Conjunctiva bulbi (Limbus) und in die Cornea
treten. Sie erscheinen je weiter gegen die Peripherie hin, desto mehr bläulich, weil die
Tunica vaginalis dorthin immer mächtiger wird; sie lassen sich nicht verschieben, wenn
man die Bindehaut allein oder diese sammt der Tunica vaginalis (was nur gegen die
Peripherie hin möglich ist) über der Sclera verschiebt. Es sind diess die vordem
Ciliararlerien und die sie begleitenden Venen. Bei etwas glotzenden Augen kann man
durch momentanen Druck mittelst des Fingers auf den Lidrand den Blutstrom in ihnen
unterbrechen, worauf sie sich, je nachdem sie Arterien oder Venen sind, von der Pe-
ripherie her oder umgekehrt füllen. Die Venen zeigen einen mehr geraden, die Arterien
einen geschlängcllen Verlauf.
Die der Conjunctiva selerae angehörenden Gefässe werden nur bei
Reizung- der Bindehaut durch fremde Körper und bei Entzündung- dersel-
ben, am deutlichsten bei heftigeren Augenkatarrhen und ßlennorrhöen
niedern Grades sichtbar; man kann sie genau aus der Überyangsfalte
bis gegen die Cornea hin und umgekehrt verfolgen; sie zeigen immer
eine scharlachrothe Färbung, und einen stark geschlängelten, zickzack-
artigen Verlauf.
Das Epilhelium erweist sich im Scleraltheile unzweifelhaft als Pflaster-
epithel ; das Stroma der Bindehaut ist sehr locker, daher zu serösen und
blutigen Infiltrationen sehr geneigt, über der Tunica vaginalis (gegen die
Peripherie hin) leicht verschiebbar, sehr dünn und beinahe vollkommen
durchsichtig. Je näher gegen die Cornea, desto minder locker wird der
Zusammenhang der Bindehaut mit der Tunica vaginalis und sclerotica.
Am Rande der Cornea selbst hängt die Bindehaut fest mit dieser zusammen,
bis endlich bloss ein in mehreren Schichten aufliegendes Pflasterepithel,
gleichsam als Fortsetzung der Bindehaut über die Hornhaut, übrig bleibt.
4. Der Epifhelialübermg der Cornea besteht aus regelmässig ge-
kernten Pflasterepithelien , welche in den obersten Schichten platt und
sechseckig, in den tiefern kleiner und polyedrisch sind, und zunächst den
Hornhautfasern eigentlich nur den Umriss des Kernes unterscheiden lassen.
Dieser vollkommen durchsichtige Überzug wird bald nach dem Tode trüb,
und lässt sich in Form einer dünnen, leicht zerreibliehen membranartigen
Schicht ablösen 5 die Cornea erscheint sodann wieder spiegelglatt, wie
im Leben.
Die oberste Lage dieser Epithelialschicht löst sich (nach Martini*) wahrscheinlich
*) Von dem Einflusses der Seoretionsflüssitfkcitcn auf den menschlichen Körper etc. 2. Theil 1. Hälfte, Belle-Vue
bei Conslunz 1843.
Anatomie — Physiologie. 5
in der Thränenfeuchtigkeit auf und wird abgespült, wodurch die ^Cornea fortwährend
ihren Glanz, ihre Glätte bewahrt. In manchen Krankheiten scheinen einzelne 'Zellen
verloren zu gehen, auszufallen, wodurch die Cornea das Aussehen erhält, als I wäre sie
mit Nadeln gestochen worden ; in anderen geht das Epithclium in grösserer Ausdehnung
und Tiefe verloren, und zwar in Folge- mechanischer oder chemischer Zerstörung, oder
in Folge flüssiger Ergüsse unter dasselbe; in andern erscheint dasselbe übermässig
angehäuft und in den Thränen unlöslich.
Binddiautstroma, als Grundlage dieses Epitheliums, lässt sich auf
dem mittlem Theile der Cornea durchaus nicht nachweisen, wohl aber
noch auf dein Rande dieses durchsichtigen Gebildes, besonders von oben
und von unten her.
Wird die Bindehaut etwa in der Gegend der Augenmuskelschnen ringsum durch-
schnitten, und sodann vorsichtig gegen die Cornea hin lospräparirt, so kann man sie
als Membran bei den meisten Augen am obern Rande 2/3 — 3/4'", am untern '/3 — l/a"S
zu beiden Seilen '/, — 1/3'" weit von der Hornhaut loslösen, so dass der blos von
Epithel bedeckte Theil der Cornea nicht rund, sondern eiförmig erscheint.
Wir nennen diesen Theil der Bindehaut Limbus conjunctivae corneae,
Bindehautsaum; er ist von den Anatomen als Conjunctivalwulst der Cornea,
Annulus conjunctivae, jedoch nicht ganz naturgetreu, beschrieben worden.
Er spielt in der Lehre von den Krankheiten der Binde- und Hornhaut
eine sehr wichtige Rolle. Bei älteren Individuen findet man diesen von
wahrer Bindehaut gebildeten Saum der Hornhaut, welcher oben einen
breiteren, unten einen schmäleren Meniscus darstellt, durchaus mächtiger,
breiter, deutlicher ausgesprochen, in viel geringerem Grade durchschei-
nend, bisweilen ganz undurchsichtig, weisslichgrau; ebenso bei Augen, die
viel an congestiven oder entzündlichen Zuständen (zumal der Bindehaut)
gelitten haben; er ist, wie wir sehen werden, von dem, was man Arcus
senilis nennt, wohl zu unterscheiden.
Bei normaler Spannung der einhüllenden Membranen des Bulbus gibt sich die
Demarcationslinie zwischen dem von Epithclium und dem von Conjunctiva bedeckten
Curnealfelde durch eine leichte Erhabenheit kund , welche um so deutlicher in die
Erscheinung tritt, je mehr der von der Bindehaut bedeckte Kandtheil deprimirt erscheint.
Schabt man von einem Auge erst die Epithelialschichte der Cornea sorgfältig ab, und
präparirt man dann auf die oben angegebene Weise die Bindehaut so weit als möglich
von dem Rande der Cornea weg, so tritt diese Depression des von der Bindehaut ein-
gesäumten Randtheües der Cornea erst recht deutlich hervor.
Dieser Bindehautsaum ist sehr gefässreich; in ihm stossen die fein-
sten Endigungen der Bindehautgefässe mit den zahlreichen Ästchen zu-
sammen, welche die vordem Ciliararterien zu diesem Gebilde liefern.
Unter ihm und durch ihn hindurch treten die feinsten Ästchen der Ciliar-
arterien in die Cornea, Gefässe, welche im normalen Zustande kein rothes
Blut führen, daher nicht sichtbar sind.
6 Bindehaut.
Wenn irgendwo, so sieht man an dieser und der nächst angrenzenden Partie
der Bindehaut und dem unterliegenden Bindegewebe, dass es sogenannte Vasa serosa
geben muss; denn kaum hat ein fremder Körper die Cornea verletzt, kaum ist ein
Staubkörnchen zwischen das obere Lid und die Cornea gelangt ; und schon sieht man
eine Unzahl der feinsten Äderchen rings um die Cornea von Blut strotzen, von denen
man wenig Minuten vorher keine Spur bemerkte. — Dieser Bindehautsaum ist einer
beträchtlichen Anschwellung fähig, nicht nur durch Blutüberfüllung, sondern auch durch
Erguss von serösem oder faserstoffigem Exsudate (in umschriebener oder diffuser Form).
Er ist es, auf welchem nicht nur vesiculöse und pustulöse Eruptionen, analog denen
auf der Haut, am häufigsten vorkommen, sondern auch die angeborenen Warzen der
Bindehaut, welche an die Bedeutung der Bindehaut — Einstülpung der allgemeinen
Bedeckungen — mehr als alles andere erinnern.
Die Function der Bindehaut besteht in der Befeuchtung und in der
Vermittlung- der Beweglichkeit des Augapfels. Sie liefert ohne Zweifel
einen grossen Theil jener Flüssigkeit, welche das Auge feucht erhält.
Wenn man eine Partie des umstülpten obern Lides sorgfältig abtrocknet,
wird sie doch fast augenblicklich wieder feucht. Degeneration oder Ex-
stirpation der Thränendrüse führt weder beim Menschen noch bei Thieren
zur Vertrocknung der Bindehaut ; diese liefert dann — nach Martini —
noch immer eine kochsalzhaltige Flüssigkeit. Die obersten Schichten ihres
Epifheliums lösen sich fortwährend in der Thränenflüssigkeit auf. Diese
Auflösung scheint unerlässliche Bedingung zur Erhaltung der Durchsich-
tigkeit des Hornhautüberzuges zu sein. *::")
Ihr Blut erhält die Bindehaut grösstenteils aus Zweigen der Arteria
ophthalmica von der Carotis interna, zum Theil jedoch, besonders im
Tarsaltheile, auch aus ~ der Carotis externa durch die Art. angularis, tem-
poralis und infraorbitalis. Die Art. tarsea superior et inferior und die
Art. lacrymalis bilden das Gefässnelz, welches man bei katarrhalischen
Augenentzündungen von der Peripherie gegen die Cornea hin immer
schütterer und feiner werden sieht; die Art. musculares und ciliares an-
ticae, welche unter der Scheidehaut des Augapfels liegen, und daher
bläulich erscheinen, anastomosiren mit jenem oberflächlichen Netze in der
Nähe der Cornea.
Die Venen führen vom innern Theile aus in die Vena facialis anterior
(profunda et superficialis), vom äussern Theile in die Venae temporales.
Die Saugadern laufen an den Venen gegen den Unterkiefer herab, und
'') Die Flüssigkeit, welche die freie Oberfläche des Augapfels feucht und glänzend erhält, ist ein Gemisch aus dem
Secrete der Thränendrüse und der Bindehaut, und — nach Martini — aus dem Altritus dieser letztem, den auf-
gelösten Epilhelien. Sie besteht — nach Vauquelin — aus ohngefähr 99 Procent Wasser und 1 ProCent fester
Substanz ; letztere enthält Schleim, Kochsalz, kaustisches Natron und Kalk- und Nalronphosphat. Der Schleim
und die phosphoisauren Salze dürften dem aufgelösten Epilhclium, das Kochsalz und das kaustische Natron der
eigentlichen Thränenlliissigkeil zukommen. Sie zeigt demnach eine schwache alkalische Reactiou.
Krankheiten. 7
treten in die obern Halsdrüsen. Auf einen hohen Grad von Resorptions-
kraft deutet der Umstand, dass Extr. belladonnae oder hyosciami, auf die
Conjunctiva gebracht, sehr bald seine Wirkung auf die Iris äussert.
Die Nerven, welche im Tarsaltheile äusserst zahlreich ausgebreitet
sind, und in der ganzen Bindehaut der Empfindung, Absonderung und
Ernährung vorstehen, sind Zweige vom N. trigeminus , und zwar vom
Raums ophthalmicus: Zweigchen des N. supraorbitalis, supra- et infra-
trochlearis uud lacrymalis, und vom Raums maxillaris superior: Zweigchen
des N. snbculaneus malae und infraorbitalis. Die Exstirpation des Ganglion
cervicale supremum oder die Durchschneidung des N. trigeminus diesseits
des Ganglion Gasseri, und die darauf folgende Entzündung und Ver-
schwärung der Binde- und Hornhaut haben den Einfluss dieser Nerven
auf die Ernährung und Absonderung der Bindehaut zur Evidenz nachge-
wiesen. Die Lichtscheue, der Thränenfluss und die häufige oder selbst
anhaltende Contraction des vom N. facialis versorgten Muse, orbicularis
palpebrarum, welche durch Reize auf die Bindehaut oder Entzündung der-
selben hervorgerufen werden, zeugen von der nahen Beziehung, in welcher
die Nerven der Bindehaut zu den Ciliarnerven, zum Thränendrüsen- und
Antlitznerven stehen, worauf wir später zu sprechen kommen werden.
B. Krankheiten der Bindehaut
Die Bindehaut finden wir sehr häufig in krankem Zustande, und
zwar meistens unter Erscheinungen , welche im Allgemeinen mit dem
Namen Entzündung bezeichnet werden. Nennen wir die hieher gehörigen
Zustände überhaupt Conjunctivitis, und berücksichtigen wir die bedeutenden
Verschiedenheiten, welche die hieher gehörigen Fälle in Bezug auf das
Ensemble der Erscheinungen, Sitz und Ausdehnung der Affection, Verlauf
und Ausgänge, Vorkommen und ursächliche Momente darbieten, so können
wir sie am natürlichsten etwa in folgende Gruppen absondern: Conjuncti-
vitis catarrhalis, blennorrhoica, membranacea, scrophulosa, trachomatosa und
Exantheme der Bindehaut (im engeren Sinne des Wortes), denen sich
jene entzündlichen Zustände anschliessen, welche durch mechanisch-
chemische Verletzungen der Bindehaut bedingt werden. Es soll jedoch
mit dieser, die Übersicht im Allgemeinen und die Orientirung in speciellen
Fällen bezweckenden Eintheilung weder eine haarscharfe Absonderung,
noch eine gegenseitige Ausschliessung der einzelnen Formen unter ein-
ander aufgestellt, noch endlich das gemeint sein, dass jeder specielle Fall
8 Bindehaut.
gerade in eine oder die andere dieser Rubriken, wenn man so sagen
darf, eingereiht werden müsse. Die Schilderung der einzelnen Gruppen
und die Beobachtung am Krankenbette wird diess am besten erläutern.
I. Bindehautkatarrh, Conjunctivitis catarrhalis.
Als Augenkatarrh bezeichnen wir jene Entzündung, welche mit ver-
mehrter Gefässinjection, mit leichter Schwellung und Lockerung des Ge-
webes der Bindehaut, und mit Ausscheidung eines veränderten eiweiss-
oder schleimähnlichen Secretes an die freie Oberfläche verläuft. Die Röthe,
Lockerung und Schwellung ergreift stets die Bindehaut vom Lidrande bis
in die Übergangsfalte in ihrer ganzen Ausdehnung, und zwar am obern
und untern Lide zu gleicher Zeit und in gleichem Grade, bei höheren
Graden auch die Conjunct. bulbi.
Symptome. A. Die Röthe erscheint in frischen Fällen hell, Schar-
lach- oder gelblichroth, im Tbarsaltheile dicht, im Übergangstheile schütter
netzförmig , an der geschwellten halbmondförmigen Falte gleichmässig
(fleischroth), in der Übergangsfalte bisweilen ecchymotisch. Später wird
die Röthe dunkler, mehr gleichförmig, mehr auf den Tarsaltheil, nament-
lich gegen die Winkel hin concentrirt (daher Ophthalmia angularis bei
älteren Auetoren"), die Übergangsfalte schmutzig- oder röthiichgelb.
Die Schwellung des Übergangstheiles sieht man am deutlichsten an
der halbmondförmigen und an der Übergangsfalte, welche letztere in Form
eines dunkel- oder gelblichrothen lockeren Bandes den Bulbus umgibt.
Die Schwellung der Schleimfollikel in Form äusserst feiner, krystallheller
oder blassgelblich-dnrchsichtiger Bläschen im Tarsal- , vorzüglich aber im
Übergangstheile ist ein minder constantes Symptom ; sie sitzen im Paren-
chym, ragen nur wenig über die Oberfläche empor, und verschwinden im
Tarsaltheile sehr bald. Sie kommt dem Katarrh nicht ausschliesslich zu.*)
Die Schwellung des Papülarkörpers ist nie beträchtlich; nur nach längerer
Dauer gibt sie dieser Partie ein feinkörniges oder filziges Aussehen mit
gleichmässiger dunkler Röthe. Erst dann geht das Durchscheinen der
Meibom' sehen Drüsen verloren. Nach monate-, jahrelanger Dauer kann
die Bindehaut des Lides stellenweise oder durchaus ein leicht sehnen-
artiges Aussehen bekommen, so als ob sie mit einer dünnen Lage Milch
überzogen wäre.
*) Verschwürung dieser Follikel konnte ich trotz aller Aufmcrksamlieit auf diese Erscheinung niemals wahrnehmen.
Ähnliche staubl(ürnc|\engiosse Erhebungen auf der Conjunctiva palp. sind vielleicht durch Erguss von Serum
unter das Epilheliurn bedingt, da sie sehr bald wieder verschwinden.
Katarrh -~ Symptome. 9
Das Secret, anfangs sparsamer, später reichlicher, erscheint in Form
lichtgrauer oder graugelber Flocken oder eiweissähnlicher Fäden, welche
sich gern in den Übergangsfalten verbergen, oder in wasserklarer Flüs-
sigkeit schwimmen. Die consistenteren Bestandteile legen sich gern an
die Winkel besonders an die Karünkel und an die Cilien an, und ver-
trocknen an der Luft zu gelblichen, spröden Krusten, besonders während
des Schlafes — daher das Verklebtsein der Cilien und Lider beim Er-
wachen. Reichlicher ausgeschieden, und die Lidspalte überströmend, er-
weicht es die Epidermis der Lidränder — Excoriationen — nicht sowohl
durch eine gewisse Schärfe, wie allgemein angegeben wird, als vielmehr
durch die beständige Benetzung. Es reagirt nicht stärker alkalisch, als
die. Thränenflüssigkeit im normalen Zustande, und enthält nur mehr Epi-
thelien, theils aufgelöst, theils unzerstört (einfach abgestossen), Schleim-
und Fettkugeln (letztere wohl von den stärker absondernden Meibom'schen
Drüsen). Auf eine gesunde Bindehaut übertragen, ruft es nicht eine gleiche
Reihe von Krankheitserscheinungen hervor, ist also nicht ansteckend.
So fand ich es wenigstens in einigen, freilich nicht genug zahlreichen
Fällen, welche ich zu Impfversuchen benützte. Andere, später anzufüh-
rende Thatsachen machen es jedoch sehr wahrscheinlich, dass auch ganz
einfache Katarrhe durch Überpflanzung vervielfältigt werden können, we-
nigstens unter gewissen besonderen Verhältnissen.
Die Bindehaut des Augapfels kann auf doppelte Weise in Mitleiden-
schaft gezogen werden, theilweise nämlich, oder durchaus. Im erstem
Falle bildet sich unweit der Cornea gegen den äussern Winkel hin eine
partielle starke Gefässeinspritzung sowohl in als unter der Bindehaut, und
an der Spitze derselben eine Pustel mit consecutiver Geschwürbildung,
mit Auflockerung und Anschwellung der umgebenden Bindehautpartie.
Diese Form hat man desswegen Ophthalmia catarrhalis pustularis ge-
nannt. Wird hingegen die Bindehaut des Augapfels durchgängig ergriffen,
so sieht man mehr weniger zahlreiche Gefässe aus dem Übergangstheile
gegen die Cornea hin verlaufen, und bei höheren Graden zu einem grob-
maschigen Netze sich ausbreiten. Diese Gefässe . erscheinen auffallend
hochroth, erweitert, zickzackähnlich verlaufend, gegen die Cornea hin
nicht selten mit kleinen Ecchymosen umgeben, und in dem Maasse, als
die Bindehaut serös geschwellt ist, leicht verschiebbar. Hiedurch sowohl,
als durch ihre Farbe unterscheiden sie sich sogleich von den unter der
Tunica vaginalis bulbi verlaufenden vorderen Ciliargefässen, welche bei
derlei heftigen Augenkatarrhen gleichfalls stärker injicirt erscheinen, und
bisweilen selbst einen rosenrothen Saum um die Cornea herum bilden
10 Bindehaut.
(da sie mit den Conjunctivagefässen nahe an der Cornea anastomosiren).
Solche Formen hat man Ophthalmia catarrhalis genannt, zum Unterschiede
-von der auf den Tarsair- und Übergangs theil beschränkten, dem einfachen
Augenkatarrh. Fälle dieser Art, wenn sie mit Ecchymosen und starker
seröser Schwellung auftreten, wurden wohl auch als rolhlaufartige Binde-
hautentzündung beschrieben.
Die seröse Schwellung des Übergangs- und des Scleraltheiles und
submucösen Zellstoffes erreicht bisweilen, namentlich bei älteren Indivi-
duen und nach plötzlicher Verkältung (scharfem Wind, kalten Umschlägen),
einen so hohen Grad, dass die Conjunctiva bulbi schlaffe, gelbliche Wülste
oder einen förmlichen Wall um die Cornea herum bildet. QOedema calidum
auct.). In solchen Fällen ist dann auch ödematöse Schwellung der Cutis
an den Lidern, mindestens längs der Ränder, vorhanden.
Mit dieser Schwellung der Conjunctiva bulbi kommt in seltenen Fäl-
len -partielle Erweichung der Bindehaut vor. Es bilden sich nahe an der
Cornea hirse- bis hanfkorngrosse weisse Stellen, an denen das Epithelium
abgestossen zu sein scheint ; die Umgebung derselben ist etwas stärker
geröthet und geschwellt; zur Eiterbildung auf denselben kommt es nicht;
sie verzögern die Heilung, ohne anderweitige nachtheilige Folgen zu haben.
Die Hornhaut wird beim Augenkatarrh in der Regel nicht betheiligt;
nur bei altern Leuten erfolgt gern Verlust des Epitheliums derselben, und
zwar nächst dem Limbus conjunctivae, und in Folge dessen oberflächliche
Verschwärung der Hornhautfasern, welche dann wohl auch den centralen
Theil in Form einer Sichel oder eines Reifens umkreist. Durchbohrung
sämmtlicher Faserlagen sah ich niemals eintreten.
B. Unter den subjectwen Erscheinungen des Augenkatarrhs steht
das Gefühl von Druck, als ob Staub oder Sand unter dem obern Lide
läge, obenan. Es kommt besonders in der ersten Zeit, bei noch nicht
chronisch gewordenem Leiden vor. Da fremde Körper übrigens alle Er-
scheinungen des Katarrhs hervorrufen können, nehme der Arzt in allen
Fällen, wo der Kranke dieses Gefühl angibt, eine genaue Besichtigung
der Bindehaut vor, und halte diese Erscheinung erst dann für ein Symp-
tom eines einfachen Katarrhes, wenn er sich von dem Nichtvorhandensein
einer solchen mechanischen Ursache überzeugt hat. (Vergl. über fremde
Körper.) Nach längerer Dauer pflegt mehr das Gefühl von Jucken,
Beissen, Brennen u. dgl. vorhanden zu sein. Es kommen auch Fälle
vor, wo der Kranke über gar keinen Schmerz oder lästiges Gefühl klagt,
oder blos über Trockenheit der Augen und Schwere der Lider (Abends
oder Morgens beim Erwachen").
Katarrh — Ätiologie. 11
Ohngefähr dasselbe Verhältniss findet statt in Bezug auf Lichtscheue
und Thränenfluss ; künstliches Licht belästigt derlei Augen weit mehr,
als das Tageslicht (wegen der freien, strahlenden Wärme).
Alle diese Sensationsanomalien treten in den Abendstunden stärker
hervor, häufig auch schon Nachmittags. *) Sie können auch fehlen.
Der farbige Dunstkreis, welchen derlei Kranke gewöhnlich um die
Kerzenflamme sehen , scheint so wie das zeitweilige Trübsehen durch
dünnne Schleimschichten auf der Hornhaut bedingt zu sein, wenn nicht
durch Störung in dem Epithelialleben des Hornhautüberzuges.
Vorkommen und Ursachen. Der Augenkatarrh kommt bald
als substantives, bald als consecutives Leiden vor; in andern Fällen stellt
er gleichsam nur eine Theilerscheinung, nur die Theilnahme der Schleim-
haut des Auges an gleicher Erkrankung der Schleimhäute der Respirations-
organe etc. dar.
In letzterer Eigenschaft erscheint er bei vielen Blutkrankheiten,
Typhus, Masern, Scharlach, beim acuten Luftröhren- und Nasenkatarrh
in Folge von Verkältung bei Entzündung der Tonsillen , während des
Zahnens, bei Hydrocephalus acutus etc. Nach Professor Fischers Beob-
achtung wird der Augenkatarrh wenn auch nicht geradezu erzeugt, so
doch begünstigt und unterhalten durch abnormen Zustand der Verdau-
ungsorgane; er macht insbesondere aufmerksam auf den Geuuss von
Branntwein, von sehr fetten oder stark gesalzenen Nahrungsmitteln.
Als consecutive Erscheinung finden wir den Augenkatarrh bei behin-
derter Durchgängigkeit des Thiänennasencanales , bei Entzündung der
Augenliderdrüsen (sowohl der im Tarsus eingeschlossenen, als der um
die Haarzwiebeln gelagerten), bei mechanischer Reizung der Bindehaut
durch fremde Körper **) , beim Trachoma zur Zeit frischer Infiltration,
bei Hornhautentzündungen mit Geschwürsbildung, bei congestiven und
entzündlichen Zuständen der Chorioidea. Bei Greisen finden wir sehr oft
einen dem katarrhalischen sehr nahe oder gleichkommenden Zustand von
Röthe, Lockerung und abnormer Secretion der Bindehaut. Er kommt mit
einem gewissen Grade von Erschlaffung der Haut und der Muskeln vor,
am Auge namentlich mit starker Runzelung der Haut und verminderter
Energie des Augenlidschliessers, daher sich der Rand des untern Lides
B) Beer meinte, diese Verschlimmerung hängt mit der erhöhten Turgescenz aller Schleimhäute während der Ver-
dauung zusammen. Dass eine solche Verschlimmerung eintritt, und zwar anch dann< wenn der Kranke sicji
keinem künstlichem Lichte aussetzt, ist Thatsache der Beobachtung.
"*) Ein katarrhalischer Zustand der Bindehaut wird oft begünstigt und unterhalten durch Chalazien, besonders wenn
sie nach innen aufgebrochen sind ; bei altern Leuten sind häufig Concremente, gelbliche harte Körner in den
.tleibom'schen Drusen, die Ursache langwieriger katarrhalischer Zufälle.
12 , Bindehaut.
gern senkt, oder auch mehr oder weniger auswärts umstülpt. Er scheint
auf Atomie der Bindehaut und ihrer Gefässe zu beruhen; die Hyperämie
ist eine passive {Ophthalmia senilis auctorum.)
Als Substantive s Leiden erscheint der Augenkatarrh theils allein,
theils neben andern entzündlichen Affectionen des Auges bei Individuen
jeden Alters und jeder Constitution in Folge unreiner, zumal mit anima-
lischen Ausdünstungen überfüllter Luft, und in Folge plötzlich unter-
drückter Transpiration. Zu gewissen Zeiten, die jedoch nicht an den
Stand der Erde zur Sonne gebunden sind, wie manche glauben, erscheint
er epidemisch ; es erkranken dann Individuen unter den verschiedensten
Verhältnissen. Der Umstand, dass dann in manchen Familien die meisten
oder sämmtliche Mitglieder ergriffen werden, erregt mindestens gegrün-
deten Verdacht auf Contagiosität, wenn auch diese bisher nicht direct
(durch Impfungen) nachgewiesen werden konnte. Die Veränderungen
der Atmosphäre, welche das Entstehen der Katarrhe überhaupt hegünstigen,
kennen wir nicht.
Den Katarrh mit Pustelbildung auf der Sclera, gegen den äussern
Winkel hin, sah ich beinahe nur bei jungen Leuten (am häufigsten zwi-
schen dem 15. und 25. Jahre) vorkommen. Ich kenne Leute, welche
durch mehrere Jahre hindurch jeden Frühling oder Herbst von dieser
Form befallen wurden, bald auf dem einen, bald auf dem andern Auge.
Bei den meisten waren anderweitige Manifestationen von Scrophulosis
zugegen, oder früher da gewesen.
Vorhersage. Der Augenkatarrh setzt weniger Exsudat ins Paren-
chym, als vielmehr an die freie Oberfläche. Daher erleidet die Bindehaut
nur bei längerer Dauer eine bleibende Veränderung, die oben erwähnte
oberflächliche Schrumpfung, welche aber weiter keinen Nachtheil bringt.
Die wichtigste Veränderung ist eine gewisse Erschlaffung des Gewebes
und Erweiterung der Blut efässe; sie begünstigen das Fortbestehen
der lästigen Secretion. Katarrhalisch afficirte Augen sind aber für
äussere Schädlichkeiten weit empfänglicher, und so kommt es, dass sie
leicht einerseits von acuter Bindehautblenorrhöe (siehe diese) befallen
werden, dass der Katarrh, wie man gewöhnlich sagt, unter ungünstigen
Verhältnissen in acute Bindehautblennorrhöe übergeht, und dass zum Ka-
tarrh andererseits gern Entzündung der Hörn- oder Regenbogenhaut oder
beider zugleich hinzutritt. Letzteres erfolgt insbesondere häufig, wenn
Vorhaltung durch scharfen Wind, Zugluft, kalte Umschläge, unzeitig oder
Katarrh — Prognose. 13
unzweckmässig angewendete Augenwässer auf ein solches Auge ein-
wirken *).
Durch die Excoriationen kann der langwierige Katarrh zu Blepharo-
phimosis, durcli die Hornhautgeschwüre bei alten Leuten zu peripherischen
Trübungen führen. Professor Fischer behauptet, in Folge langwieriger
Katarrhe wahre Gesichtsschwäche, — Amblyopia — beobachtet zu haben.
Der Substantive Augenkatarrh ist leicht zu heilen, .in 6 — 10 Tagen,
wenn nur die erregenden und ähnlich wirkenden Schädlichkeiten beseitigt
werden können ; er schwindet dann auch wohl von selbst.
Als Theilausdruck allgemeinen Schleimhautleidens hat er eine sehr
untergeordnete Bedeutung, und wird an sich wohl nicht leicht ärztliche
Obsorge erheischen.
Beim consecutiven hängt die Prognose von der Möglichkeit ab, das
Gründübel zu heilen. Er nimmt hier gewöhnlich einen chronischen Ver-
lauf an, oder kehrt doch, wenn auch für eine Zeit beseitigt, über kurz
oder lang wieder zurück.
Doch hinterlässt auch der ganz einfache Augenkatarrh längere Zeit
*) Diese Behauptung folgt aus einer Menge verlässlicher Beobachtungen. Ich will in aller Kürze nur einige erwäh
nen. Ein Bäcker erkrankte im Sommer 1846 — zu welcher Zeit mir ungewöhnlich viele Augenkatarrhe vorka-
men — zuerst auf dem linken, und nach einigen Tagen auf dem rechten Auge. Seiner Angabe nach war die
Krankheit beiderseits eine Ophthalmia catarrhalis massigen Grades gewesen, wie ich sie auch noch auf dem
linken Auge vorfand. Er Hess mich wegen des rechten Auges rufen, an welchem ich die Zeichen einer Kera-
toiritis fand. Er hatte sich auf dieses Auge durch 2 Tage kalte Umschläge gegeben, nicht weil es heftiger er-
krankt war, sondern weil er diese nicht zugleich auf beide Augen geben konnte, ohne in seiner Beschäftigung
unterbrochen zu werden. Fast zu derselben Zeit rief mich ein Beamter, der, wie mir sein Ordinarius sagte,
schon früher an einem Augenkatarrh gelitten hatte und jetzt ganz auf dieselbe Weise erkrankt zu sein angab.
Es waren beide Augen zugleich und in gleichem Grade ergriffen worden. Er hatte sich auf das rechte ein
Stückchen rohes Fleisch über die Lirler gebunden - auf den Rath eines Laien — und mit dem andern fortge-
arbeitet. Am andern Tage wurde er durch Trübsehen und heftige Schmerzen auf diesem Auge erschreckt. Ich
fand Keratitis (die Cornea durchaus leicht getrübt und gelockert, wie mit Nadeln gestochen, ringsherum eine
starke Rosenröthe, heftige Lichtscheue, keine schleimige Secretion , wie auf dem andern Auge). Im November
1849, wo mir sowohl im Spital als in meiner Privatpraxis das häufigere Vorkommen von Augenkatarrhen auffiel,
war ein Müllergesell an einer Entzündung des rechten Auges erkrankt, welche, seinen Angaben zufolge, höchst
wahrscheinlich nichts anderes war, als eine Ophthalmia catarrhalis Er war in das Spital der Barmherzigen
Brüder gegangen, wo man ihm anfangs einfache, später eiskalte Umschläge gegeben hatte. Nach 14tägiger
energischer Anwendung von diesen Umschlägen und von Abführmitteln wurde er auf die Augenklinik gebracht. Die
Hornhaut war in ihrer untern Hälfte eitrig infiltrirt, nach unten und aussen mit einem hanfkorngrossen Geschwüre
versehen, mehr als die Hälfte der vordem Kammer mit einem eiterähnlichen Exsudate angefüllt, die Iris entfärbt
und aufgelockert. — Ich, nach meinen Erfahrungen, begreife nicht, wie Ruete die Anwendung kalter Umschläge
bei Augenkatarrhen so unbedingt empfehlen konnte. Dr. von Hasner meint, „das häufige (?) Entstehen der Iris
beim Katarrh in den meisten (!) Fällen durch die Fortpflanzung der Hyperämie auf die Hornhaut, den Ciliarkör-
per und die Iris" erklären zu können, weil er in keinem Falle die geringste Spur von Rheumatismus nachwei-
sen konnte. Aber wie diese Fortpflauzung geschehe, das zu beantworten bleibt er natürlich schuldig. Er will
„die Fortwanderung des Processes auf die Iris deutlich genug beobachtet haben."
14 Bindehaut.
eine gewisse Empfindlichkeit gegen grelles Licht, scharfe Luft, Anstren-
gung bei Kerzenlicht, und eben desshalb zu Recidiven.*)
Behandlung. Diese ist verschieden, je nachdem wir die Binde-
haut im Zustande der Reizung (activen Hyperämie, Congestion) oder der
Erschlaffung (passiven Hyperämie) finden. Der erstere Zustand pflegt nur
einige Tage (3—5) vorhanden zu sein, und gibt sich durch lebhafte
Röthe, Thränenfluss und Lichtscheue und drückenden Schmerz unter dem
obern Lide kund. In diesem Stadium wende man keine örtlichen Mittel
an, nur bei statker ödematöser Schwellung der Lider oder der Con-
junetiva bulbi trockene warme Tücher. Allgemeine Blutentziehungen sind
nie, örtliche wohl nur selten angezeigt.
Ist gleichzeitig Nasen- oder Luftröhrenkatarrh da, so halte man den
Kranken in gleichmässiger Temperatur, gebe reichlich Wasser oder Thee
zu trinken, und wirke bei trockener Haut durch kleine Gaben Brechwein-
stein oder Brechwurzel auf die Transpiration.
Wo keine Anzeige vorhanden, auf die Haut zu wirken, hingegen
Stuhlverstopfung mit oder ohne erhöhten Blutandrang zum Kopfe besteht,
reiche man kühlende Abführmittel, namentlich Mittelsalze.
Die Augen schütze man vor Rauch, Staub, scharfer Luft, Anstren-
gung bei Kerzenlicht, welche sich übrigens gewöhnlich von selbst ver-
bietet, überhaupt vor reizenden Einflüssen. Selten wird es nöthig sein,
den Kranken das Zimmer oder selbst das Bett hüten zu lassen ; selten
wird eine Beschränkung in den Nahrungsmitteln, etwa mit Ausnahme von
Bier- oder Weingenuss, erforderlich sein.
Sind Lichtscheue und Thränenfluss sehr heftig, wie diess gewöhnlich
bei scrophulösen Individuen der Fall ist, so müssen erst diese Zufälle ge-
mildert werden, was nebst dem bereits Angegebenen in der Regel durch
Einreibungen von Unguetitum cinereum mitExtr. belladonnae bald erreicht
wird. Man gibt 5—10 Gran Extr. beilad. auf 1 Drachme und lässt die
Salbe alle 3 — 4 Stunden bohnengross an die Stirn und Schläfe aufstrei-
chen, so dass die Stirn immer fett bleibt. Darüber kommt ein einfacher
Papierschirm. **)
Ist das Stadium der Erschlaffung eingetreten, dann sind adstrin-
") Von einer besomlern Modification des lialarrhes, welche sich durch Bildung eigentümlicher, fischrogen- oder
frosclilaichähnlicher Exsudate unter dem Epithelium der Bindehaut auszeichnet, und welche ich bisher nur in
geschlossenen Körperschaften unter dem Einflüsse unreiner, gesperrter, durch Uberfüllung mit Menschen ver-
derbler Luft beobachtet habe, kann füglich erst im V. Abschnitte, bei der lehre vom Trachoma die Rede sein.
") Ein Viertelbogen Papier wird so zusammengelegt, dass er etwas langer und breiter als die Slirn ist, um mittelst
eines durchgezogenen Bindefadens so befestigt zu werden, dass er die Stirn und die Schlafen bedeckt, und
etwa 1 Zoll über die Augenbrauen herabreicht.
Katarrh — Therapie. 15
girende Augenwässer angezeigt. Für einfache frische Fälle sind am wirk-
samsten Lösungen von Silbersalpeter oder von Sublimat. Argenti nitrici
gr. I — IV in aq. dest. uncia, D. in vitro Charta nigra obducto, S. Täg-
lich 1 — 2mal einige Tropfen in's Auge zu träufeln. *) Die Sublimatlösung
nach Conradi enthält */4 Gran Ätzsublimat in 2 Unzen Aq. destill, mit
Y2 Drachme Quittenschleim und 6 — 8 Tropfen Laudan. liquid. Sydenh.
Eine kleine Dosis davon wird erwärmt (ungefähr wie frisch gemolkene
Milch), und damit werden die Lidränder 2— 3mal des Tages gehörig be-
netzt, mittelst der Finger oder mittelst eines Leinwandfleckchens. Zu
bemerken ist, dass in Fällen, wo deutliche abendliche Verschlimmerung
auftritt, die Anwendung von Collyrien zu dieser Zeit sehr oft nicht gut
vertragen wird, die Zufälle steigert. Andere Ärzte empfehlen eine Lösung
von 4 — 8 Gran Alumen crudum, andere die von 6 — 10 Gran Sulfas zinci
in 4 Unzen destillirten Wassers mit oder ohne Opiumtinctur.
Hat der Katarrh über die Zeit gedauert, in welcher er von selbst
zu heilen pflegt, ist die Schleimhaut mehr gelockert und dunkler geröthet,
die Secretion reichlicher und consistenter, Excoriationen veranlassend :
dann sind stärkere Collyrien nöthig, Für solche Fälle können insbeson-
dere empfohlen werden: Lapid. divini gr. XVI, Aq. dest. unc. IV, Tinct.
aiiodyn. dr. I, aceti litharg. gutt. IV**); oder Collyrii adstr. lutei, aquae
dest. ää unc. IL ***) M. D. S. wie die Aqua Conradi zu gebrauchen, oder
eine stärkere Lösung von Argent. nitricum. Solche Kranke mögen wohl
scharfen Wind und Regenwetter vermeiden, übrigens aber sehr fleissig
sich in freier reiner Luft bewegen. Das Verweilen in Räumen, wo viele
Menschen beisammen sind, wirkt auf katarrhalisch afficirte Augen in der
Regel auffallend nachtheilig.
Manche Individuen vertragen durchaus keine Augenwässer, dagegen
recht gut Augensalben. Abgesehen von jenen acuten Fällen, wo heftige
Lichtscheue und starker Thränenfluss oder Ödem der Lider und der
Conjunctiva bulbi noch jede Art von Collyrium verbieten, sind es insbe-
sondere jene chronischen Formen, welche von einem krankhaften Zustande
der Augenliderdrüsen unterhalten werden, welche den Gebrauch von
*) Diess geschieht am besten mittelst eines Federkieles ; dieser wird oben und unten etwas abgeschnitten, mit dem
dickern Ende in die Flüssigkeit eingetaucht, dann das dünnere mit dem Zeigefinger bedeckt, und letzterer, so
wie die Flüssigkeit abtropfen soll, entfernt. (Heber.)
M) Lapis divinus St. Yvessi : Cupri sulphurici, cali nitrici, alumin. crudi aa unica mit 1j2 Drachme Camphora rasa;
Beers Präparat enthält Aerugo statt Cuprum sulphur.
***) Collyr. adstr. luteum (Aqua Horsti) : Salis ammon. gr. XV, Sulfat, zinci dr. dimid., solulis in aq. dest. comm.
unciis V adde Camphorae in uncia una alkoholis grav. specif. 0,850 solutae gr. IX, Croci austr. gr. duo. Mixta
diger in calore Reaum. 30° — 35° ad perfectam croci extract. Refrige'r. fiitr. et exhib. usui.
16 Bindehaut.
Augensalben erheischen. Hier können empfohlen werden : eine Salbe
aus '/2 — 2 Gran weissein und die aus eben so viel rothem Präcipitat auf
1 Drachme Fett, abends an die Lidränder, später an die innere Fläche
der Lider erbsengross eingestrichen; ist das Auge noch zu empfindlich
dagegen, so streiche man sie, aus 2 — 4 Gran auf 1 Drachme bereitet,
an die äussere Fläche der Lider. Bei stärkerer Erschlaffung und reich-
licher Seeretion fand ich folgende Mischung sehr vortheilhaft : Hydr. praec.
rubri gr. II — IV, Lapid. divini alkoholis. gr. IV — VIII, Land. liq. Syd.
gtt. X — XV auf 1 Drachme Fett, bei Ophthalmia senilis noch mit y2 Gran
Campher versetzt, den man übrigens auch der einfachen rothen Präcipi-
tatsalbe beimischen kann.
Der Katarrh mit Pustelbildung an der Conjunctiva bulbi erfordert
keine abweichende Behandlungsart, ausser dass man, da man es gewöhn-
lich mit sogenannten vollsaftigen, torpiden Individuen zu thun hat, die
Cur mit etwas stärkeren Abführmitteln, Senna oder Jalappa, beginnt, und
sobald die Pustel geborsten, täglich 1 — 2mal reines Laudan. Sydenh. auf-
träufelt. In einigen Fällen musste das Geschwür mit Cuprum sulphuricum
oder mit Lapis infernalis touchirt werden, um die Heilung zu beschleunigen.
Gegen die grosse Empfindlichkeit der Augen, welche bis weilen noch
längere Zeit zurückbleibt, sind zu empfehlen: die Aqua opii*) oder ver-
dünnte Aqua laurocerasi zur mehrmaligen lauwarmen Bähung der Lider
die Tinctura Galbani, mittelst eines mehrfach zusammengelegten Leinwand-
fleckes lauwarm auf die geschlossenen Lider zu legen.
Gegen das zurückbleibende lästige Gefühl von Trockenheit und
Schwere, namentlich früh beim Erwachen : Bestreichen der Lidränder mit
Speichel oder abends vorher mit Mandelöl, mit einer schwachen weissen
Präcipitatsalbe. Fischer behauptet in einigen Fällen gegen dieses lästige
Übel nur die Quellen von Teplitz wirksam gefunden zu haben.
Ich habe vorzüglich nur solche Mittel aufgeführt, deren Wirksamkeit ich durch
vielfache Anwendung zu erproben Gelegenheit hatte. Erst vor Kurzem behandelte ich
eine Schauspielerin an einem Katarrh des rechten Auges, mit dunkelrother , sammet-
artiger Bindehaut der Lider, reichlichem, gelblich grauen und ziemlich dicken Secrete,
starken Excoriationen und äussest lästigem Jucken und Beissen. Zugleich war die
Schleimhaut der rechten Seite der Nase stark aufgelockert und dunkelroth, und sonderte
eine sehr consistente, eiterähnliche, zu harten Krusten vertrocknende Flüssigkeit reich-
lich ab. Der Zustand der Nasenschleinihaut besserte sich und heilte endlich ganz nach
Anwendung einer starken weissen Präcipitatsalbe. Das Augenleiden besserte sich auf
eines und das andere der oben angeführten Mittel, kehrte aber immer von Zeit zu Zeit
wieder. Auch Touchirungen der Bindehaut mit Cuprum sulphuricum hatten keinen blei-
*) Opii puri uiic. jj, aq. comm. libr. j, abstruhanlur illieo in retorta vilrea lege artis unc. vjjj.
Katarrh — Therapie. 17
benden Erfolg'. Ich löste nun einen Skrupel Borax in einer Unze Aqua opii und Aqua
destill, comm., zu lauwarmen Bähungen der Lider, und in Zeit von 14 Tagen war das
Übel bleibend behoben , das uns über 3/4 Jahre gequält hatte. Es waren eben keine
Veränderungen in den Gesundheits- oder äussern Verhältnissen der Kranken eingetreten,
denen ich die Heilung hätte zuschreiben können.
Ich will demnach nicht gesagt haben, dass man, auch bei richtig gestellter Dia-
gnosis, immer mit diesen Mitteln ausreichen werde. Noch weniger aber mag ich jenen
beipflichten, welche aus dem Umstände, dass man von den verschiedenen Auetoren so
verschiedene und so viele Mittel empfohlen findet, schliessen dürfe, sie nützen alle
nichts, die Krankheit heile am Ende von selbst. Ich habe absichtlich hierüber control-
lirende Beobachtungen angestellt, unter möglichst gleichen Verhältnissen, auch bei dem-
selben Individuum nur an einem der gleich erkrankten Augen, und habe die Über-
zeugung gewonnen, dass eines und das andere Mittel, gehörig angewandt, die Krank-
heit schneller behebt, ja auch dass die Krankheit Monate lang fortbesteht, trotz Entfer-
nung äusserer Schädlichkeiten, wenn man auf das erkrankte Gebilde nicht die geeig-
neten Mittel anwendet. Ehe man aber über die Wirksamkeit eines Mittels sich ein
Urtheil erlaubt, muss man überzeugt sein: a) dass man dasselbe wirklich für den Zu-
stand verordnet, für den es empfohlen wurde, 6) dass nicht äussere oder innere (im
Organismus oder am Auge selbst vorhandene)'Verhältnisse die Wirksamkeit des Mittels
vereiteln ""'), und c) dass der Kranke das Mittel auch wirklich so anwendet, wie es an-
gewandt werden soll ; gar oft findet man, dass es der Patient mit der ärztlichen An-
ordnung eben nicht so genau genommen.
Makenzie'"'"') bemerkt über die Behandlung der katarrhalischen Ophthalmie S. 325:
„Die katarrhalische Ophthalmie weicht' leicht einer sehr einfachen Behandlung, die
hauptsächlich örtlicher und stimulirender Art ist. Ich erstaunte zuerst über die Wahr-
heit dieser Thatsache, als ich im Jahre 1817 zu Wien Zeuge war, mit welchem glück-
lichen Erfolge Prof. Beer die Krankheit behandelte. Diese Besultate meiner eigenen
Praxis haben in mir die Überzeugung befestigt, ■ — dass eine örtliche stimulirende Be-
handlung die zuverlässigste sei." „Die Empfindung, als ob Sand im Auge sei, wird
durch Anwendung des salpetersauren Silbers (2—4 Gran auf eine Unze täglich einmal
einen grossen Tropfen einzuträufeln) jederzeit gemildert und die Entzündung gedämpft.
Ich habe manchmal andere Ärzte in bedenkliche Unruhe versetzt, wenn ich vorschlug,
auf die Oberfläche eines so äusserst vasculösen Auges eine Auflösung von Höllenstein
zu träufeln, und es hat mir nicht wenig Vergnügen gewährt, sie in Erstaunen zu finden,
wenn den folgenden Tag nach Anwendung dieses Mittels alle Symptome sich sehr ge-
bessert hatten. — Ich habe viele hundert Fälle nach dem oben auseinander gesetzten
Plane und immer mit demselben Erfolge behandelt." Makenzie erklärt sich gegen die
Anwendung des essigsauren Bleies und des schwefelsauren Zinkes. — Mit Makenzie
und Beer stimmen so ziemlich die meisten Auetoren überein. Dagegen entlehne ich
*) Ein Apothekergehülfe litt seit mehreren Monaten an Zufällen des linken Auges, wie sie ein Katarrh zu erregen
pflegt. Er hatte verschiedene Mittel gebraucht, und war endlich auf die Vermuthung gekommen, ein etwa hirse-
korngrosses, hartes Wärzchen im innern Drittel des obern Lides, zwischen der äussern und innern Lefze des
Randes, möge die Ursache sein; ich möchte dieses entfernen. Ich widersprach dem, fand aber bald dass er
Recht hatte; nach Abtragung dieses Wärzchens wichen jene Zufälle von selbst. Seitdem sind mir noch zwei
Fälle dieser Krankheit vorgekommen, worauf ich bei den Krankheiten der Lider zu sprechen kommen werde.
*a) Praktische Abhandlung über die Krankheilen des Auges, Weimar 1832.
Arlt, I. O
18 Bindehaut.
aus Dr. Hasner's Buche *) folgende Stelle, Seite 37: „Wir warnen vor der Anwendung
reizender adstringirender Collyrien, welche so gern die Hyperämie der Scleralconjun-
ctiva steigern und zur Iritis Veranlassung geben. Zur Heilung dieser Krankheit genügte
uns fast in allen Fällen die Entfernung der schädlichen Potenzen, ein geregeltes augen-
diätetisches Verhalten, Vermeidung von übermässigem Lichtreiz, von Anstrengung der
Augen. Bei stärkerer Hyperämie haben wir nebstdem ein leichtes antiphlogistisches Salz
als Purgirmittel angewendet." — Die Erfahrung wird dem Leser am besten zeigen, wer
viel und gut beobachtet, wer die Wahrheit gesprochen.
II. Blennorrhoische Bindehautentzündung, Conjunctivitis blen-
norrhoica, Bindehautblennorrhöe.
So nennen wir jene Entzündung- der Bindehaut, welche nicht nur
mit reichlicherer Ausscheidung schleimig-eitrigen Secretes an die freie
Oberfläche, wovon sie ihren Namen erhielt, sondern auch mit Erguss
serös-plastischen Exsudates in das Parenchym der Bindehaut, nament-
lich in den Tarsal- und Übergangstheil verläuft.
Sie befällt jederzeit die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung, und
zwar am obern und untern Lide zugleich und in demselben Grade ; nur
die Conjunctiva bulbi kann, bei niederen Graden, sehr wenig betheiligt
sein. Das überall gleichmässige und gleichzeitige Erkranken des Papillar-
körpers und die Ausscheidung des schleimig-eitrigen Secretes an die
Oberfläche charakterisiren eigentlich diese Krankheit, und bald ist die
eine bald die andere dieser Erscheinungen die vorwaltende. Das Secret
ist ansteckend.
Symptome. Die Erscheinungen, von denen diese tiefere Erkran-
kung des Bindehautgewebes begleitet wird, sind verschieden je nach dem
rascheren oder langsameren Verlaufe des Processes, und je nach dem
Grade von Heftigkeit, den sie erreicht hat oder zu erreichen droht.**)
1. Reihe. Fassen wir zuerst jene Fälle in ein Schema zusammen,
welche gleich von Anfang einen sehr raschen Verlauf und die Tendenz,
den höchsten Grad zu erreichen, darbieten.
A. Im 1. Grade lässt sich die Krankheit vom Katarrh, als dessen
Polenzirung sie in vielen Beziehungen betrachtet werden kann, nur dann
unterscheiden, wenn abgesehen von ätiologischen Momenten (constatirter
Impfung , massenweisem Vorkommen) folgende Erscheinungen ausge-
prägt sind :
*) Entwurf einer anatom. Begründung der Augenkrankheiten, Prag 1847.
***) Die Umstünde, weiche auf den Verlauf und die Steigerung der Krankheit Einfiuss nehmen, können füglich erst
in dem Absätze ober Vorkommen und Ursachen erörtert werden.
Blennorrhoe — Symptome. 19
«) wenn die Bindehaut der Lider nicht bloss gelockert und ge-
schwellt (im Tarsaltheile feinkörnig, im Übergangstheile wulstig), son-
dern auch (wenigstens über dem Tarsus) gleichmässig geröthet (hoch-
oder dunkelroth) ist, so dass die Meibom'schen Drüsen nicht mehr
durchscheinen. — Ist dabei auch die Augapfelbindehaut von mehr weniger
zahlreichen, hochrothen, aus der Übergangsfalte gegen die Cornea hin
verlaufenden und sich allmählig verlierenden, leicht verschiebbaren Ge-
fässen durchzogen, oder selbst serös infiltrirt, ergibt sich aus dem Be-
funde selbst oder aus anamnestischen Momenten, dass dieser Zustand
erst seit kurzem besteht, so hat man Ursache, denselben als Beginn einer
Blennorrhoe zu betrachten.
b) Sollte aber die Secretion nicht bloss vermehrt und verändert
sein, nicht bloss in reichlicher wasserklarer Flüssigkeit mit gelblichen
Flocken bestehen, sondern trüb, molken- oder fleischwass er ähnlich sein
(mit consistenteren gelblichen Flocken oder Fäden), so kann man sicher
sein, dass man es mit einer Blennorrhoe zu thun haben wird, welche
um so gewisser bald in den 2. Grad übergeht, wenn bereits auch die
Lider über dem Tarsus angelaufen, wärmer oder selbst geröthet sind
(acutes Odem).
Bei der Mehrzahl der sporadisch auftretenden Blennorrhöen ist dieser
Zustand von so kurzer Dauer (12 — 36 Stunden), dass der Arzt im All-
gemeinen ihn selten zu Gesichte bekommt
Im 2. Grade ist die Schwellung der hoch- oder dunkelroth ge-
tünchten Bindehaut vom Lidrande bis in die halbmondförmige und Über-
gangsfalte schon beträchtlich, so dass nicht nur die Meibom'schen Drüsen
nicht mehr durchscheinen, sondern auch die innere Lidkante nicht mehr
scharf erscheint, und die Aufsaugung der Thränen wegen Wegdrängung
der Thränenpunkte und Schwellung der halbmondförmigen Falte behindert
ist. Die Schwellung ist besonders im Übergangstheile auffallend. Derselbe
erscheint glatt, hell- oder dunkelroth, wulstig, weich und sulzartig, oder
derb und prall*); die hell- oder dunkelrothe halbmondförmige Falte ragt
bisweilen zwischen den Lidern hervor , und die ziegel-, fleisch- oder
bläulichrothe Übergangsfalte läuft wie ein Gürtel um den untern Umfang
des Bulbus. — Die Bindehaut der Sclera erscheint schon deutlich serös
infiltrirt, von zahlreichen , ziegel- oder scharlachrothen, mehr weniger
dicht verzweigten und leicht verschiebbaren Gefässen (wenigstens an der
-) Die Wülste oder Falten, welche der Übergangstheil bildet, werden bei etwas langsamerem Verlaufe manchmal
uneben angetroffen, durch etwas erhabene, etwas lichtere, fast durchscheinend Aussehende Hügel, welche viel-
leicht geschwellte Follikel, vielleicht auch partielle Erhebungen des F.piiheliums durch serösen Er^uss sind
2*
20 Bindehaut.
Peripherie) durchzogen, oft auch stellenweise ecchymotisch. Das Secret
ist bereits trüb, anfangs dünn, lichtgraulich, molkenähnlich oder gelb-
lich-röthlich, mit consistenteren gelben Flocken, später dicker, weissgelb,
in manchen Fällen als zäher Schleim den Bulbus überziehend, in andern
als rahmähnliche Flüssigkeit aus der Lidspalte vorquellend, die Haut ex-
coriirend. Die Geschwulst der Lider ist in der Regel schon so stark,
dass die Lidspalte wenig- oder gar nicht geöffnet werden kann, und selbst
die Falte der Haut des obern Lides bisweilen verstrichen ist, rosen- oder
violeüroth (die Röthe nimmt gegen die Peripherie hin ab), weich, nur
bei tieferem Drucke empfindlich, wärmer anzufühlen.
NB. In manchen Fällen ist die innere Fläche der Lider mit einer
dünnen Schichte croupösen, sehr bald zerfliessenden Exsudates bedeckt,
welches gewöhnlich nur bei Blennorrhöen des 3. Grades, doch auch da
nicht constant beobachtet wird. Ich sah in einigen solchen Fällen Rück-
bildung und Genesung- eintreten, ohne dass es zu den Zufällen des 3.
Grades kam. Ebenso zeigt die Hornhaut bisweilen auch schon beim 2.
Grade der Krankheit einen erhöhten Glanz.
Ist die Blennorrhoe zum 3. Grade gestiegen, so sind alle Erschei-
nungen des 2. Grades, nur gesteigert, vorhanden, und dazu kommt noch
Gesehwulst der Conjunctiva bulbi. — Die Lider können wegen der Ge-
schwulst selten mehr umsiülpt, oder auch nur so weit abgezogen werden,
dass man ihre Bindehaut ganz zu Gesichte bekäme. Die Geschwulst pflegt
die Höhe des Augenbrauenbogens zu übersteigen und über das Wangen-
bein hinabzureichen; sie ist vom innern bis zum äussern Winkel gleich-
massig (weil seeundär zur Entzündung der Bindehaut), und unterscheidet
sich schon hiedurch von der durch andere Affectionen bedingten. — Das
Secret, durchaus trüb und mehr gleichmässig, eiterähnlich oder jauchig-,
bald dicker, bald dünner, ist reichlich, häufig so, dass es stromweise über
die Wange herabfliesst. — Die Geschwulst der Conjunctiva bulbi ist ent-
weder gleichmässig, und umgibt die Hornhaut als ein gespannter, derber,
ziegel- oder blaurother Wall, oder ungleichmässig, in Form von schlaffen,
blasenähnlichen Wülsten, welche bisweilen die Cornea theilweise, selten
gänzlich bedecken. Sie schreitet von der Übergangsfalte gegen die Cor-
nea hin vor, und ist durch seröse Infiltration des submueösen Bindege-
webes bedingt *).
") In mnnchen Fällen sichl man beim Beginn des 3. Grades, seilen früher, nahe an der Cornea, und zwar fast immer
gegen einen oder gegeu beide Winkel hin dreieckige weisse Stellen entstellen, welche gegen die intensivere
Rothe ringsherum abstechen. Sie haben weder diagnostische noch prognostische Bedeutung, indem sie allmälig
spurlos verschwinden. Form und Lage deuten darauf hin, dass der Druck der I.ider zu ihrer Bildung beiträgt.
Wir haben hei der Ophthalmia catarrhalis von einer ähnlichen Erscheinung gesprochen.
Blennorrhoe — Symptome. 21
Die Cornea zeigt bei diesem Grade meistens einen erhöhten Glanz
und wird später sehr häufig gefährdet, entweder durch Entzündung und
Versch wärung (in Folge des Druckes durch die Geschwulst der Lider
und des BindehautwahVs) , oder durch partiellen Epithelialverlust und
seichte Geschwüre (Resorptionsgeschwüre); seltener geschieht es, dass
sich Pannus auf derselben entwickelt. — Tritt Entzündung der Cornea
ein, so bekommt dieselbe durchaus oder theilweise ein mattes, licht-
graues oder graulichweisses Ansehen , wird endlich in dieser Partie
weissgelb und zerfliesst (verschwärt) , oder schwillt an und berstet in
wenig Stunden oder Tagen. Die Zerstörung reicht nie bis in die Sclera
hinein. Die Entwicklung des. Pannus (Ausscheidung von Exsudat und
Gefässentwicklung unter dem Epithelium der Cornea) erfolgt ebenfalls
sehr rasch, bisweilen selbst binnen 12 Stunden, indem sich gleichsam
der gelockerte, geschwellte und gefässreiche Limbus conjunctivae cor-
neae von oben her ausbreitet, und einen mehr weniger weit herab-
reichenden Überzug der Cornea bildet.
Das croupöse Exsudat auf der Bindehaut der Lider, dessen wir
schon beim 2. Grade erwähnten, fehlt bei heftigen Fällen des 3. Grades
selten. Wo es vorhanden ist, hat man Grund, Entzündung und Verschwä-
rung der Cornea zu befürchten. Entfernt man dasselbe durch Aufspritzen
von Wasser oder durch Abstreifen mit einem Tuche, Spatel u. dgl., so
blutet die Bindehaut, eine Erscheinung, die bisweilen auch spontan und
ohne deutlich croupöses Exsudat eintritt, und. an und für sich ohne Be-
deutung für die Prognosis ist.
Dii; Blennorrhoe des 3. Grades gehört vermög ihrer Heftigkeit unter
jene Augenkrankheiten, welche Fieber erregen, ausgenommen bei sehr
torpiden Individuen und minder stürmischem Verlaufe der Krankheit.
B. Die subjeetiven Erscheinungen sind beim 1. Grade im Ganzen
dieselben, wie beim Katarrh, von welchem sich, wie gesagt, die Krankheit
so zu sagen nur durch das tiefere Erkranktsein des Bisidehautparenchyms
unterscheidet.
Beim 2. Grade fehlen heftige Lichscheue und starke, reissende,
drückende oder stechende Schmerzen nur bei etwas langsamerem Verlaufe
oder bei sehr torpiden Individuen, bei welchen diese Erscheinungen auch
im 3. Grade und unter ganz acutem Verlaufe häufig in auffallend niedri-
gem Grade auftreten, wohl auch fehlen.
Bei praller, hochrother und heisser Geschwulst der Lider und des
Bindehautwalles um die Cornea haben die Kranken in der Regel fürch-
terliche Schmerzen zu ertragen, zu welchen noch, wenn die Geschwulst
22 Bindehaut.
den' Bulbus drückt, lästige Lichterscheinungen kommen, die Qual des
Übels zu vollenden.
Ich habe diese Krankheit, welche von den mildesten bis zu den heftigsten For-
men so verschiedene Erscheinungen darbietet, und doch, wie die allmäligen Übergänge
zeigen, immer einen und denselben Process darstellt, nach Graden geschildert, nicht
etwa, um hiedurch strenge Grenzen zwischen den einzelnen Formen zu ziehen, welche
in der Natur nicht vorkommen, sondern nur, um es mir bei der Beschreibung möglich
zu machen, die Aufmerksamkeit auf die relative Heftigkeit der einzelnen Erscheinungen
zu lenken. Nicht die Gegenwart des einen oder des andern Symptoms an und für sich
entscheidet, wenn man fragt, ob die Krankheit eine Blennorrhoe und wie heftig diese
sei, sondern ein gewisses Verhältniss mehrerer Symptome neben und nach einander.
Würde dieser Satz immer fest im Auge behalten, die acute Bindehautblenorrhöe,
diese so gefährliche Krankheit des Auges, würde nicht so oft mit andern ähnlichen
Entzündungsformen verwechselt werden. Es wird nicht überflüssig sein, durch einige
Beispiele anschaulich zu machen, wie wichtig die Festhaltung obigen Satzes für die
Diagnosis, und mithin auch für die Prognosis und Therapie ist.
Ein junger Mann wird von einem Arzte ins Spital angewiesen „mit acuter ßin-
dehautblennorrhöe." Das obere Lid des linken Auges ist so stark geschwollen, dass
die Geschwulst die Höhe des Augenbrauenbogens überragt, und die Falte des obern
Lides verstrichen ist ; das untere Lid ist wenig geschwollen, im innern Winkel ist eine
massige Menge Schleim angesammelt, die Cilien sind in Büschel verklebt; der Kranke
klagt über heftige Schmerzen und Lichtscheue; beim Öffnen der Lidspalte entleert sich
eine wasserklare Flüssigkeit. Es ist der 3. Tag der Krankheit. Bei so starker Ge-
schwulst der Lider und am 3. Tage noch kein gleichmässig schleimig-eitriges, minde-
stens trübes Secret; das kann keine Blennorrhoe sein. Die Lider werden auseinander
gezogen, der Kranke jammert dabei vor Schmerz; die Bindehaut im Tarsallheile injicirt,
im Übergangs- und in der äusseren Hälfte des Scleraltheiles stark ödematös. Letztere
Erscheinung fordert zur Betastung des obern Lides gegen den äussern Winkel hin auf;
nahe der äussern Commissur fühlt man eine erbsengrosse Stelle hart, äussest empfind-
lich, die Haut darüber etwas mehr geröthet. Wir verordnen warme Umschläge; nach
einigen Tagen bricht der Abscess nach aussen auf, der Kranke ist in kurzer Zeit von
— einem Gerstenkorn geheilt.
Ein Doctor der Medicin ruft mich zu seinem 4jährigen Knaben, der schon eini-
gemale an scrofulöser Augenentzündung gelitten hatte. Seit 5 Tagen klagt der Knabe
wieder über das linke Auge, ist lichtscheu und hält es verdeckt. Heute, nach besonders
heftigen Schmerzen, sieht der Vater das Auge an, findet die Geschwulst des obern
Lides so stark, dass es über das untere herabragt, und zu seinem grössten Schrecken
die Lidspalte voll eitriger Flüssigkeit. Auf den ersten Anblick glaube ich ebenfalls eine
Blennorrhoe vor mir zu haben; ich öffne die Lidspalte, um die Hornhaut zu sehen, der
Knabe schreit vor Schmerz. Es entleert sich der Eiter und etwas blutige Flüssigkeit, aber
die Hornhaut ist rein, und die Conjunctiva bildet keinen Wall um die Cornea, sie ist
nur etwas stärker injicirt; die Bindehaut des untern Lides ausser netzförmiger Röthe
normal, die Meibom'schen Drüsen deutlich durchscheinend. — Das ist also bestimmt
keine Bindehautbleiinorrhöe. Beim Betasten des obern Lides fühlt man in der Gegend
des obern Randes des Knorpels eine etwa erbsengrosse, härtere und sehr empfindliche
Blennorrhoe — Symptome. 23
Stelle. Ich ziehe das Lid etwas vom Bulbus ab , und sehe nun die Stelle, wo ein
Gerstenkorn sich nach innen entleert hat.
Eine Dienstmagd wird von einem Augenarzte wegen Bindehautblennorrhöe des
linken Auges auf die Augenklinik angewiesen. Die Geschwulst der Lider ist so , wie
bei einer Blennorrhoe 3. Grades. Es ist der 3. Tag der Krankheit. Beim Offnen der
Lider kein Schmerz: die Conjunctiva bulbi bildet rings um die Cornea einen blassrothen
Wall, welcher aber in der innern Hälfte des Bulbus stärker ist, und die Cornea nicht
ganz erreicht; heftige Kopfschmerzen, massige Lichtscheu, reichlicher Thränenfluss ; im
innern Winkel und an den Cilien zäher gelblicher Schleim; die Bindehaut des untern
Lides über dem Tarsus gleichmässig hellroth; der Übergangstheil kann der Geschwulst
wegen nicht besichtigt werden. So heftige Erscheinungen und noch wasserklares
Secret (trotz der ziemlich reichlichen Schleimflocken) am 3. Tage — man betastet genau
die Gegend des Thränensackes und überzeugt sich: die Affection der Lider und des
Bulbus ist consecutiv zu einer Thränensackentzündung.
Und so können Rothlauf der Lider, Verletzungen der Bindehaut, Entzündung der
Chorioidea u. s. w. mehr weniger für Blennorrhoe imponiren.
Schubert Johanna, 27 Jahre alt, kam am 10. October 1848 in die Anstalt. Die
Lider des linken Auges massig geschwollen (die Falte des obern Lides nicht verstri-
chen), leicht geröthet, die Cilien durch Schleim zu Büscheln verklebt, die Conjunctiva
bulbi zu einem gleichförmigen 3/4 — 5/4';/ hohen blassrothen Walle rings um die Cornea
erhoben, auf dieser nach unten und aussen ein leichtes Resorptionsgeschwür; die Binde-
haut im Tarsal- und Übergangstheile dicht netzförmig und hoch geröthet, wenig ge-
lockert, nicht mit Schleimflocken besetzt, nur über der Karunkel etwas gelblicher
Schleim ; brennende und drückende Schmerzen im Auge und in der entsprechenden
Kopfhälfte. Die Anamnesis gab über diesen sonderbaren Befund Aufschluss. Die Kranke
hatte vor 5 Tagen einen drückenden Schmerz im linken Auge bekommen (sie handelt
mit Holzkohlen), und den Tag darauf das Auge mit Seifenwasser ausgewaschen; nun
wurde das Auge röther, die Lider schwollen an, und die entsprechende Kopfhälfte
schmerzte heftig. Sofort wendete die Kranke ein Collyrium aus Cuprum sulfuricum und
nachher kalte Umschläge an, und da das Leiden ärger wurde, brachte man sie auf die
Au^enkrankenabtheilung. Wir hatten es offenbar mit einer durch chemisch wirkende
Schädlichkeiten bedingten oder doch gesteigerten Bindehautentzündung zu thun. Der
Verlauf bestätigte diese Ansicht.
Auf die Ähnlichkeit mit Fällen von Trachoma acutum können wir erst später zu
sprechen kommen.
2. Reihe, In einer zweiten Reihe von Fällen, welche wir gleichfalls
als Blennorrhöen bezeichnen müssen, finden wir mehr einen schleppenden
(chronischen) Verlauf und nicht die Tendenz zur Ophthalmoblennorrhoe
von vorn herein, insofern als die Krankheit hauptsächlich auf die Binde-
haut der Lider beschränkt bleibt (Blepharoblenorrhöe), und eine Steige-
rung nur durch die Einwirkung neuer Schädlichkeiten nach bereits er-
folgtem Ausbruche der Krankheit eintritt. Während in der ersten Reihe
die Ausscheidung schleimig-eitriger Flüssigkeit an die Oberfläche vorwaltet,
24 Bindehaut.
und die Infiltration der Gewebe im Allgemeinen mehr eine seröse ist,
finden wir in der zweiten Reihe die Schleim- oder Eitersecretion spär-
licher, relativ zur Schwellung der Bindehaut, diese hingegen mehr von
plastischem (faserstoffigem) Exsudat durchsetzt und desslialb wuchernd,
die sogenannten Granulationen bildend*).
Der 1. Grad, oder wenn man will , das 1. Stadium, lässt sich we-
sentlich von einer Ophthalmia catarrhalis nicht unterscheiden, wenn nicht
anamnestische Momente (vorzüglich das massenweise Auftreten der Krank-
heit) oder das Missverhältniss zwischen den objectiven und subjecliven
Symptomen, das rasch eingetretene sammetarlige hoch- oder dunkelrothe
Aussehen des Tar •saltheiles und die stärkere Schwellung und intensi-
vere Röfhe der halbmondförmigen und der Übergangs falte gegründeten
Verdacht erregen, dass man es mit einer beginnenden Blennorrhoe dieser
Art zu thun haben werde. Dieser Zustand kann mehrere Tage andauern,
ohne dass sich das befallene Individuum für krank hält, zumal wenn es
das Verklebtsein der Augen nach dem Schlafe wenig beachtet.
Aufmerksame Kranke klagen beim Beginn der Krankheit über das
Gefühl der Trockenheit oder Rauhigkeit, später über Drücken oder Bren-
nen, das Auge sieht wie verweint aus, und geht, wie man zu sagen pflegt,
leicht über, nölhigt zum öftern Auswischen.
Untersucht man so eine Bindehaut, gut abgetrocknet, mit der Loupe, so sieht
man in der ersten Zeit wohl noch eine dicht netzförmige, bald aber mehr eine gleich-
massige oder vielmehr aus lauter Punkten oder Gruppen von Punkten bestehende
Röthe. Die Anordnung dieser Punkte erinnert auf den ersten Blick an den warzigen
Bau der Bindehaut unter dem Mikroskope betrachtet, wie ihn unter Andern Eble (Über
den Bau der Bindehaut, Wien 1828) auf der 1. Tafel Fig. 4 unübertrefflich abgebildet
hat. — In manchen Fällen sieht man einzelne glänzende, bläscheuähnliche Hügel, deren
Deutung ■ — ob Erhebungen durch Serum, ob geschwellte Follikel — mir noch proble-
matisch ist. Sie sind jedenfalls nichts Charakteristisches, da sie auch bei einfachen
acuten Katarrhen beobachtet werden.
Im 2. Grade (Stadium) ist die Krankheit schon deutlich charakteri-
sirt. Die auffallendsten und constantesten Symptome sind: die Schwel-
lung, Infiltration der Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung, vom Lid-
rande bis in die halbmondförmige Übergangsfalte , ihre gleichmässige
ziegel-, fleisch- oder dunkelrothe Färbung, so dass vom Durchscheinen
der Meibom'schen Drüsen — ausser etwa in einem linearen Streifen längs
*) Je nachdem man bald das eine, bald das andere dieser 3 Momente mehr in's Auge fasste, hat man die hieher
gehörigen Fälle — im Gegensalze zu der 1. Reihe, der acuten Bindehautblennorrhöe — bald als chronische
Bindehautblennorrhöe, bald . als Blepharoblennonhüe, bald auch als granulöse Bindehautentzündung bezeichnet.
Von andern Standpunkten aus hat man für die hieher gehörigen Fälle den Namen ophihalmia militaris aegypliaca
u. dgl. gehraucht.
Blennorrhoe — Symptome. 25
des Lidrandes — keine Spur vorhanden ist, und das gleichmässige oder
doch nur sehr wenig verschiedene (in anatomischen Verhältnissen be-
gründete) Auftreten dieser Veränderung auf dem obern und untern Lide
zugleich ; mehr variabel ist schon die Alienation der Secreiion.
So weit im gesunden Zustande der Pupillarkörper reicht, also am
untern etwa lj&'", am obern gegen 1'" über den Orbitalrand des Tarsus
hinaus erscheint die deutlich infiltrirte, geschwellte, verdickte Bindehaut
mit dicht aneinander gedrängten, ziemlich gleich hohen und gleich gros-
sen Wärzchen besetzt, welche je nach der verschiedenen Dauer bald
feiner (staubähnlich) und weicher, bald gröber und derber sind, mit der
Zeit jedoch an Grösse mehr ungleich werden. Sind sie sehr weich,
ziegel-, fleisch- oder bläulichroth, so bluten sie leicht bei Berührung,
(nachdrücklicherem Abtrocknen, Bestreichen mit Cuprurn sulfuricum); nach
monatelangem Bestehen werden sie, falls keine Rückbildung (Heilung)
eintritt, an der Oberfläche blässer, durch den gegenseitigen Druck fast
palissadenähnlich aneinander gedrängt, wohl auch an der anfangs glatten
und rundlichen Oberfläche durch den Druck des Bulbus etwas abgeplattet,
eckig, hahnenkammähnlich und knorpelhart. Nie kann man eine deutliche
Basis solcher Wärzchen unterscheiden, und beim starken Abziehen des
untern oder beim Umstülpen des obern Lides erscheinen sie wie durch
Einrisse oder Schrunden getrennt. Die stärkste Tendenz zur Wucherung
zeigt sich immer gegen den Orbitalrand hin und etwas hinter demselben,
besonders am obern Lide, wo die mit Exsudat durchsetzten und über-
deckten Papillen in späterer Zeit manchmal zu einer oder zu zwei darm-
ähnlichen (erst rothen, dann grauen) Wülsten verschmolzen sind.
Indem man sich gewöhnte, so zu sagen jede Unebenheit, jede Erhöhung auf der
Bindehaut mit dem übrigens sehr schlecht gewählten Worte Granulation zu bezeichnen,
und sofort es nicht der Mühe werth fand, die Bedeutung dieses Wortes zu erfassen,
d. h. in jedem speciellen Falle sich Rechenschaft zu geben, wodurch denn eigentlich
solche Erhöhungen bedingt seien , warf man die verschiedensten Zustände zusammen
und brachte, je mehr man sich an die einseitig aufgefasste Erscheinung hielt, desto
mehr Verwirrung in die Lehre von den Bindehauterkrankungen. Vier verschiedene Zu-
stände sind es vorzüglich, welche uns als einander mehr weniger ähnliche Erhöhungen
auf der Bindehaut des Tarsal- und Übergangtheiles erscheinen, und wovon 2 als Ver-
größerung normaler Elemente der Bindehaut, 2 als Neubildungen (katexochen) zu be-
trachten sind. Zu den ersteren gehören: «) die vergrösserten geschwellten Follikel,
welche vorzugsweise im Übergangstheil vorkommen, nie eine bedeutende Grösse zei-
gen, stets mehr durchscheinend und nur wenig emporragend sind, und bei den ver-
schiedensten Zuständen der Bindehaut (mit Hyperämie und seröser Schwellung) auftreten
können. Wir haben ihrer bereits mehrmal Erwähnung gethan, und werden ihnen auch
bei der Conjunctivitis scrofulosa wieder begegnen. 6) Die vergrösserten Pupillen des
26 Bindehaut.
Tarsaltheiles der Bindehaut, die wir so eben als der Bindehautblennorrhöe vorzüglich
zukommend bezeichneten und beschrieben. Sie kommen aber auch, wenn gleich mehr
sammetartig, feinzottig oder feinkörnig bei länger dauernden (chronischen) katarrhali-
schen Zuständen der Bindehaut, und mehr als secundäre, keineswegs constante oder
wesentliche Erscheinung bei jener Krankheit vor, die wir weiterhin als Trachoma be-
schreiben werden.
Als reine Neubildungen beobachtet man c) ganz kleine, höchstens mohnkorn-
grosse fast krystallhelle Bläschen, bedingt durch serösen Erguss unter das Epithelium
bei acuten Processen, und desshalb niemals lange (mehrere Tage) bestehend, theils über
den Tarsus, theil im Übergangstheile , wohl auch nächst dem Limbus conjunctivae
cornea und auf der Cornea selbst vorkommend, d) Erguss von eiweiss-faserstoffigem
Blastem m Form rundlicher Körner, theils unter das Epithelium, theils in das Parenchym
der Bindehaut oder selbst in die tiefen Gebilde. Wir können diese Erscheinung erst
bei der Lehre von Trachoma, bei welcher Krankheit diese Neubildung das primäre,
constante und maassgebende Phänomen ist, einer genauen Besprechung in Bezug auf
sein Auftreten, Vorkommen und Umwandeln unterziehen, und erwähnen hier nur, dass
solche Bildungen, wenn auch nur als untergeordnete und secundäre Erscheinung,
nicht nur bei unserer zweiten Reihe von Blennorrhöen, sondern auch, wie uns zuverläs-
sige Beobachtungen belehrten, bei Fällen der ersten Reihe, bei acuten (selbst bei durch
Impfung mit Trippersecret entstandenen) Schleimflüssen der Bindehaut beobachtet wer-
den können.
Bisweilen schon bald nach dem Eintritte, in der Regel aber est nach längerem
(Wochen — Monate) Bestehen des 2. Grades dieser Blennorrhoe, aber auch nach un-
vollständiger Lösung von höchst acut aufgetretenen (sogenannten Tripper-) Blennor-
rhöen findet man ein lichtgraues, beinahe durchscheinendes Exsudat in Form von rund-
lichen, glatten Hügelchen , theils auf den Papillen , theils unter dem Epithelium des
Übergangstheiles abgelagert, bald mehr bald weniger von Gefässchen überschlängelf
Oft, wo ich bloss einfache Vergrösserung der Papillen vor mir zu haben glaubte, zeigte
mir die Loupe, dass hie und da auf den etwas stärker vorragenden Papillen diese
Neubildung begann. Eben dieses genauere Betrachten mit einer möglichst scharfen
Loupe überzeugte mich , dass die Bildung von lichteren , fischrogen- oder froschlaich-
ähnlichen Bläschen oder Hügelchen an und für sich nicht, wie ich früher glaubte, dem
Trachoma eigenthümlich sei, sondern, dass man bei der Frage , ob man eine blennor-
rhoische oder eine trachomatöse Conjunctiva vor sich habe, noch auf andere Momente
Rücksicht nehmen müsse. Von diesen wurden einige bereits angedeutet; die vollstän-
dige Diagnostik kann erst bei der Lehre vom Trachoma gegeben werden.
Ali der halbmondförmigen und Übergangsfalte erscheint die Wul-
stung oder Verdickung- der Bindehaut nicht warzig, sondern gleichmässig,
beinahe glatt, nur nach längerem Bestehen bisweilen etwas uneben (durch
stellenweise etwas mehr gehäuftes grauliches Exsudat), übrigens ebenfalls
durchaus fleisch- oder dunkelroth; die Übergangsfalte läuft wie ein wul-
stiges Band um den untern Umfang des Bulbus. Man kann in ihr nicht
leicht einzelne Gefässe unterscheiden; nur in der Scleralbindehaut sind
gewöhnlich sehr zahlreiche Gelasse, in der ersten Zeit wohl auch Ec-
Blennorrhoe — Symptome. 27
chymosen oder ein rosenrother Saum urn die Cornea herum vorhanden.
In minder heftigen Fällen oder nach längerer Dauer reicht die Gefäss-
einspritzung der Scleralbindehaut nicht bis in den Limbus conjunctivae hinein.
In der ersten Zeit schwimmt das Auge in Thränen — man sieht
oft deutlich, dass der Lidrand wegen Schwellung des Papillarkörpers sich
nicht an den Bulbus anschmiegen kann, — und in dem klaren Secrete
schwimmen mehr weniger zahlreiche gelbliche Flocken. In andern Fällen
ist das Secret durchaus trüb, molkenähnlich, mit dickeren Flocken. Nach
längerem Bestände findet man mehr ein dickes , schleimig-eitrig aus-
sehendes, oder auch in Fäden gewalztes Secret, welches oft erst nach
künstlicher Entfaltung des Wülste bildenden Übergangstheiles sichtbar wird,
oder sich in den Schrunden und Furchen, zwischen den hypertrophischen
Papillen verbirgt. Die Secretion wird in dem Maasse sparsamer, als die
Wucherungen des Papillarkörpers blässer und derber werden. Bei trocke-
nem heiterem Wetter ist die Secretion geringer, der Kranke fühlt sich
wohler, durch Secret, Lichtscheu und verschiedene Sensationsanomalien
weniger belästigt als in feuchter, namentlich aber in gesperrter, durch
Zusammenwohnen Vieler verunreinigter Luft.
Die ödematöse Schwellung und blasse Röthe der Lider (nur über
dem Tarsus), welche hier nie einen sehr hohen Grad erreicht, besteht
nur die ersten 6 — 10 Tage, falls die Krankheit sich nicht (unter ungün-
stigen äussern Verhältnissen) zum 3. Grade steigert. Die Lidspalte er-
scheint dann auch nicht sowohl in Folge der Lichtscheu etwas weniger
geöffnet, als vielmehr durch eine gewisse Schwere (vermöge der Binde-
hautwucherung des obern Lides.)
In welcher Weise endlich auch die Cornea betheiligt werden könne,
ohne dass die Krankheit sich zur eigentlichen Ophthalmoblennorrhoe ge-
steigert haben muss, werden wir bei den „Ausgängen" dieser Krankheit
anführen.
Die Steigerung zum 3. Grade ist bei diesen Fällen, die gleich von
vorn hinein sich mehr durch Infiltration der Bindehaut als durch reich-
liche Secretion und Odem der Lider auszeichnen, im Allgemeinen selten,
und erfolgt in der Regel nur dann, wenn nach erfolgtem Ausbruche der
Krankheit noch namhafte schädliche Einflüsse auf das Auge einwirken.
Ist aber die Krankheit zur Ophthalmoblennorrhoe gestiegen, so stimmen
solche Fälle der 2. Reihe ganz mit denen der 1. Reihe überein, es lässt
sich kein einziges erhebliches Unterscheidungsmerkmal mehr angeben. *)
*) In die Erörterung- der Frage, ob die in die 2. Reihe gestellten Fälle von denen der 1. Reihe nicht etwa wesent-
lich verschieden seien, können wir erst später eingehen.
28 Bindehaut.
Aul' die Gefahr hin, weitschweifig zu erscheinen, will ich, um nur meinen Lesern
ein möglichst klares Bild von dem Ensemble der Erscheinungen vorzuführen, 'die Schil-
derung einiger Fälle, so viel als möglich naturgetreu wieder gegeben, aus meinem
Tagebuche hier einschalten. Sie können in so fern als Repräsentanten von mehr als
500 Fällen,, welche ich beobachtete, betrachtet werden, als sie keine absichtlich aus-
gewählten, sondern mehr zufällig herausgegriffen sind.
L. Andrioli, Gemeiner des Infanterieregiments Haugwitz, gross, von kräfti-
gem und gesundem Aussehen, schwarzem Haar, lichtgrauer Iris, mit ziemlich flach-
liegenden Augen, angeblich seit 2 Monaten krank, kam am 20. September 1850
(als sogenannt reeidiv aus dem Filialspitale) in das Artilleriespital am Hradschin.
Sehr wenig Lichtscheue, sehr wenig Thränenfluss, keine Schmerzen, kein Odem
der Lider, keine Ansammlung von Schleim im innern Augenwinkel, nur zwischen
den Falten des Übergangstheiles gelbliche Flocken und Fäden. Beide Augen in glei-
chem Grade erkrankt, die Veränderungen am obern und untern Lide nicht mehr von
einander verschieden , als es eben in der Verschiedenheit der anatomischen Verhältnisse
bedingt ist. Die Lidbindehaut ist bis in den Übcrgangstheil gleichmässig hochroth und
geschwollen, über dem Tarsus feinkörnig, Körnchen an Körnchen gedrängt. Wird das
obere Lid umstülpt und sorgfältig und wiederholt abgewischt, so erscheint die Binde-
haut dennoch fortwährend glänzend, glatt, mit einer Unzahl glatter Hügelchen besetzt.
Vermeidet man bei Anwendung einer Loupe das Spiegeln der eben zu betrachtenden
Partie, so sieht man ein lichtgraues Gitterwerk, ähnlich den feinsten Blattrippen eines
Eichenblattes (getrocknet und durch Nadelstiche des Parenchyms beraubt), mit dazwi-
schen eingelagerten, etwas hervorragenden Gruppen von rothen Pünktchen und Fleck-
chen. Nur gegen den Lidrand hin sieht man senkrecht auf denselben auslaufende rothe
Streifchen. Bei Betrachtung des Übergangstheiles am untern Lide sieht man die 2
Wülste nächst dem Tarsus uneben durch minder dicht an einander gedrängte, ganz
flache, unter der Loupe graue und etwas durchscheinende, körnchenähnliche Erhaben-
heiten; die Übergangsfalte selbst ist gleich der halbmondförmigen glatt und eben, ohne
einzelne Exsudatkörner, ohne einzelne Gefässe, bläulichroth. Die Coujunctiva bulbi ist
durchaus netzförmig geröthet, die Äderchen scharlachroth, sehr leicht verschiebbar, bis
in den limbus conjunctivae corneae hinein eingespitzt, die Bindehaut dazwischen gelb-
lich; die vordem Ciliaraterien sind wenig injicirt, bilden wenigstens keinen rosen-
rothen Saum um die Cornea. Die Hornhaut normal.
M. Stabe, Gemeiner vom Dom Miguel Infanterie-Regimente, von gesundem Aus-
sehen, bereits Ende Juni erkrankt, dann in das Spital der Reconvalescenten transferirt,
wurde vor vier Tagen, wie man sagte, reeidiv, und bot am 20. September 1850 fol-
gende Erscheinungen dar. Heftige Lichtscheu, starke, drückende Schmerzen , leichtes
Odem der Lider (die Lidspalte wird geschlossen gehalten, obwohl die Falte des obern
Lides nicht verstrichen ist), die Cilien durch Schleim in Büschel verklebt, reichliche
Absonderung wasserklarer Flüssigkeit mit einzelnen gelblichen Flocken, die Ränder der
Lider etwas geröthet mit Spuren von Excoriationen. Die Bindehaut am obern und untern
Lide beider Augen gleichmässig ergriffen, durchaus hellroth, geschwellt, dicker, grob
sammetaitig oder feinkörnig, von Thränen überfluthet auch nach mehrmaligem Abwi-
schen (am obern Lide) stets feucht und glänzend, hie und da nebstdem mit feinen,
staubähnlichen, glatten Erhebungen besetzt. Unter der Loupe sieht die Bindehaut licht-
grau aus mit dazwischen eingesprengten hochrothen Punkten und Gruppen von solchen
Blennorrhoe — ,S3rmptome. 29
Punkten; nur gegen den Lidnind hin kann man mit der Loupe noch einzelne Gefäss-
reiserchen unterscheiden; gegen den Orbitalrand des Tarsus hin ist die Wucherung der
Bindehaut etwas stärker. Der Übergangstheil des untern Lides bildet 4 Wülste, davon
die erstem 3 mit einzelnen, leichten, flachen, nur ein wenig lichteren Erhöhungen
durchsetzt, die halbmondförmige und Übergangs falte hochroth und eben. Die Conjun-
ctiva bulbi massig serös infiltrirt, von einzelnen Gelassen durchzogen; um die Cornea
ein schmaler, rosenrother Gefässsaum, Cornea und Iris normal, die Pupille enger. Vom
20. Juli, also aus der Zeit der ersten Invasion , finde ich folgende Beschreibung in
meinen Notizen. Der Mann, 24 Jahre alt, von gesundem Aussehen, bietet bloss solche
Erscheinungen dar, wie man sie bei gewöhnlichen Augenkatarrhen findet. Keine Licht-
scheue, in den innern Winkeln etwas gelblicher Schleim , zwischen den Falten des
Übergangstheiles einige Schleimfäden. Die Bindehaut des obern und untern Lides beider
Augen "blassrotb , wenig gelockert , über dem Tarsus fein sammetartig, die Meibom'schen
Drüsen sichtbar, die Übergangs- und halbmondförmige Falte leicht geschwellt. Dieser
Fall wurde damals unter die Katarrhe gerechnet; er wäre, gleich beiläufig 20 andern,
gar nicht in's Spital gekommen, wenn nicht angeordnet gewesen wäre, jeden der so-
genannten Ophthalmia militaris Verdächtigen sogleich unter besondere Obhut zu stellen.
Johann Hoftmann, von Prinz Emil Infanterie, kam am 24. Juli 1850 in's Spital,
nachdem er bereits im Mai erkrankt war. Aufnahme des Befundes am 20. September:
Der Mann ist gross, hat eine kräftige Muskulatur, gesundes Aussehen, und fühlte sich
weder vor noch nach dem Ausbruche der Augenkrankheit irgendwie unwohl. Er hat
blonde Haare, blaue Iris, die Augen weder flach noch tief liegend. Keine Lichtscheue;
beim Anblick der Augen fällt nur die Vergrösserung der halbmondförmigen Falte auf;
auf der Karunkel ein wenig Schleim. Das obere und untere Lid beider Augen in glei-
chem Grade erkrankt; die Bindehaut vom Lidrande bis in den Übergangstheil ge-
schwellt und hochroth, über dem Tarsus feinwarzig (durchaus gleich grosse Wärzchen),
unter der Loupe (die etwa 4'/2mal vergrössert) sieht man lauter kleine Wärzchen, die
bei schief auffallendem Lichte glänzen, bei gerader Ansicht als aus rothen Punkten be-
stehend erscheinen, und durch gelblichgraue, lichte Streifen getrennt sind. Am untern
Übergangstheile sieht man grössere Erhabenheiten, graulich, etwas durchscheinend, hie
und da von Gefässchen überschlängelt, welche erst unter der Loupe deutlich werden,
mit ziemlich deutlich umschriebener Basis ; über dem Tarsus fehlen dieselben. Zwischen
den Falten des Übergangstheiles consistentere, gelbe Flocken.
Ich benützte diesen Mann , der in seiner Muttersprache mit mir reden konnte und
Bildung genug zu haben schien, seinen Angaben Glauben zu schenken, zur Erhebung
anamnestischer Momente. Er war bereits Ende Mai erkrankt, und zwar binnen 2 Tagen
auf beiden Augen, in einem Dorfe (mehrere Meilen von Prag), wo 72 Mann lagen.
Hievon sollen .7 — 8 augenkrank geworden sein. Er war mit noch 8 Andern in einem
Hause einquartirt, wovon nebst ihm noch 2 erkrankten, und beschuldigte als Ursache
den Umstand, dass sie bei grosser Hitze auf einem 1 Stunde entfernten Ackerfelde
exerciren mussten , und starkem Staube ausgesetzt waren. Sie schliefen übrigens alle
9 auf einem Boden unmittelbar unter einem Ziegeldache, wo die Hitze sehr gross und
kein Luftzug war. Von den Dorfbewohnern war ihm nicht bekannt, dass Jemand er-
krankt wäre; auch soll Niemand mit einem ähnlichen Augenleiden behaftet unter sie
se kommen sein. Ein Kamerad von ihm, ebenfalls noch im Spitale, bestätigte diese
Angaben.
30 Bindehaut.
Johann Muntian , von Dom. Miguel Infanterie, klein, schwarzes Haar, lichtbraune
Iris, nicht sehr muskulös, ziemlich blass aussehend, doch seiner Aussage nach sonst
gesund. Die Lidspalte etwas weniger geöffnet, wässeriges Aussehen der Augen, ganz
leichtes Ödem der Lider, Abstehen der Lidränder vom Bulbus (wegen Schwellung der
Bindehaut), Schleim im innern und äussern Winkel und zwischen den Cilien. Beide
Augen am obern und untern Lide in gleichem Grade ergriffen. Das Secret, welches
beim Abziehen der untern Lider zwischen denselben und den Bulbis erscheint, ist mol-
kenartig trüb mit einzelnen zäheren gelbgrauen Flocken , welche sich bisweilen auch
auf die Cornea legen. Die Bindehaut von der innern Lefze des Lidrandes bis in die
Übergangsfalte hochroth, über den Tarsus feinkörnig, wie bestaubt, unter der Loupe
glatt, glänzend, lichtgrau mit Gruppen rother Punkte dazwischen; auch gegen die innere
Lefze des Lidrandes hin kann man keine Gefässchen unterscheiden. Nach längerer
Umstülpung des obern Lides und wiederholtem Abtrocknen (durch 8 — 10 {Minuten)
blieb die Bindehaut immer gleich feucht, und bildeten sich feine, zähe, eiweissähnliche,
nur sehr schwer mit dem Nagel abstreifbare Fäden. Der Mann, im Juni erkrankt, war
mehrere Wochen im Filialspitale gewesen, und nach erneuerter Heftigkeit des Übels
den 19. September wieder in's Garnisonsspital am Hradschin gekommen.
Johann Ferensuk, von Dom Miguel Infanterie, mit lichtbraunem Haar und blauer
Iris und sonst von gesundem Aussehen, kam Anfangs Juli in's Spital ; am 16. Juli notirte
ich folgenden Befund. Die Lider von aussen normal; fast gar keine Lichtscheue; die
Bindehaut vom Lidrande bis in die halbmondförmige und Übergangsfalte blassroth, ge-
schwellt, feinwarzig; zahlreiche Wärzchen bieten an der Spitze ein gelbliches Aussehen
dar, und verleihen der Bindehaut (des obern Lides) ein gelblich punktirtes Aussehen;
die Meibom'schen Drüsen nicht mehr durchscheinend, die halbmondförmige Falte massig
gelockert und geschwellt, und gleich der Übergangsfalte glatt und eben; die Conjun-
ctiva bulbi fast gar nicht geröthet; die Secretion besteht in wenig seröser Flüssigkeit
mit gelblichen Flocken im innern Winkel. — Dieser Zustand wurde als 1. Grad des
fraglichen Übels bezeichnet. — Befund am 21. Juli. Die Krankheit hat allmälig zuge-
nommen, und zwar auf beiden Augen gleich. Die Cutis der obern Lider ist bis zu
den Augenbrauen, die der untern bis über die Wangen herab geschwollen, blassroth,
weich, wärmer, die Falte des obern Lides ist jedoch nicht verstrichen; die Lidspalte
wird besonders wegen der heftigen Lichtscheue nur von Zeit zu Zeit ein wenig ge-
öffnet; am innern und äussern Winkel und längs des untern Lidrandes sind ziemlich
starke Excoriationen vorhanden. Die Bindehaut stark geschwellt, vom Lidrande an bis
in die Übergangsfalte hellroth, im Tarsaltheile sammetartig. mit einer ganz dünnen
Schichte graulichen Exsudates belegt, welches sich nur theilweise abstreifen lässt; der
flüssige Theil des Secretes eiterähnlich, ziemlich reichlich ; die halbmondförmige Falte
sehr stark geschwollen, besonders am linken Auge. Die Conjunctiva bulbi sehr stark
injicirt und gelockert, auf dem linken Auge einen flachen Wall um die Cornea bil-
dend. Am 24. Juli fand ich bereits in der linken Cornea einen hanfkorngrossen Durch-
bmch, die Iris vorgefallen, die vordere Kammer aufgehoben. — Blennorrhoe 3. Grades.
Johann Henne , von derselben Conipagnie , war einer der wenigen, die nur auf
Einem Auge erkrankten. Das rechte obere Lid war am 16. Juli massig geschwollen,
die Lidränder etwas exeoriirt, die Lichtscheu massig ; die Conjunctiva durchaus er-
krankt, blassroth, über den Tarsus nur wenig sammetartig, die Meibom'schen Drüsen
nicht durchscheinend., der Übergangstheil nicht stark gewulstel, so auch die massig
Blennorrhoe — Verlauf — Ausgänge. 31
stark inücirte Conjunctiva bulbi. Massig reichliches wässeriges Secret mit einzelnen
gelben Flocken. — Bis zum 21. Juli war die Krankheit (unter Anwendung örtlicher
Blutentziehungen, Eisumschläge, Einspritzungen von Nitras argenti, nebst sehr fleissi-
ger Reinigung des Auges und Anwendung von Purganzen) so weit gestiegen , dass
ich die Cornea bereits erweicht und eitrig infiltrirt fand. Die Geschwulst des obern
Lides war bereits wieder geringer, als 2 Tage vorher. — Dies war eigentlich der
einzige Fall, der mit totaler Zerstörung der Hornhaut verlief, unter etwa 120 Soldaten,
die ich im Artilleriespitale am Hradschin zu sehen Gelegenheit hatte. Das linke Auge
blieb gesund.
Verlauf und Ausgänge. Die Blennorrhoe durchläuft, wie zum
Theil aus dem Vorhergehenden erhellt, nicht immer alle 3 Grade ; sie
kann mit dem zweiten eben so gut rückgängig werden, wie nach dem
ersten. Wovon diess abhänge, welche Umstände hierauf Einfluss nehmen,
wird aus dem weitern Verfolge dieser Abhandlung ersichtlich werden.
Ist der Grund der Steigerung zum 3. Grade schon gleichsam mit dem
Entstehen der Krankheit selbst gegeben (z. B. durch Übertragung von
eiterähnlichem Secrete eines blennorhoischen Auges), so durchläuft sie
den 2. und vorzüglich den 1. Grad so schnell, dass der Arzt selbst schon
24 Stunden nach dem Beginn der Krankheit den 3. Grad völlig ausge-
bildet finden, und das Auge in 36 — 48 Stunden (vom Beginn) unrettbar
verloren sein kann, durch Zerstörung der Hornhaut.
Bleibt die Krankheit auf den 1. Grad, beschränkt, so nimmt sie
einen langsamen Verlauf (sich selbst überlassen), wird häufig für Katarrh
angesehen und behandelt, häufiger gar keiner ärztlichen Behandlung un-
terworfen. Als solche liommt sie wohl häufig bei Neugebornen vor, doch
auch bei Erwachsenen, wo sie nicht, selten eine Menge von Individuen
befallen hat. *) ehe der Arzt eines (etwa wegen grösserer Hartnäckigkeit
oder wegen Steigerung zu höhern Graden) zur Behandlung bekommt. Sie
kann unter günstigen Verhältnissen von selbst heilen, unter minder gün-
stigen zu leichter Hypertrophie des Pupillarkörpers , Erschlaffung des
Übergangstheiles und massiger Schleimsecretion führen, und durch Ein-
wirkung äusserer Schädlichkeiten (unreiner Luft, Verkältung) zur Blen-
norrhoe 2. oder 3. Grades gesteigert werden.
Erreicht die Blennorhöe den 2. Grad, so geschieht diess in der
Regel schon unter so heftigen objectiven und subjecliven Erscheinungen,
dass die Kranken bestimmt werden, ärztliche Hülfe zu suchen. Diese
Steigerung entsteht entweder in Folge von Misshandlung des 1. Grades,
') Die Herren Militärarzte, welche beim Ausbruche dieser Krankheit unter den Truppen ffanze Bataillons visitirten,
wissen dies wohl am besten.
32 . Bindehaut.
oder in Folge heftigerer äusserer (innerer?) Schädlichkeiten gleich von
vorn hinein.
Gerade in den milderen, nicht gleich zum Übergange in den 3. Grad
strebenden Fällen zeigt die Krankheit wenig Neigung zur spontanen Hei-
lung, im Gegentheile entschiedene Tendenz zur Wucherung des Papillär-
körpers, und zu bald sparsamer, bald reichlicherer Secretion schleimig-
eitriger Flüssigkeit, so wie zu hartnäckiger, Monate, Jahre langer Dauer,
nachdem an die Stelle der ödematösen Geschwulst der Lider eine mehr
weniger beträchtliche Verdickung und selbst Vergrösserung der Lider
gelreten ist.
Solche wahrhaft chronische Blennorrhöen können durch Einwirkung
äusserer Schädlichkeiten jeden Augenblick zum 3. Grade gesteigert wer-
den, ausserdem aber zu mannigfaltigen Structurveränderungen der Binde-
haut und der benachbarten Gebilde führen.
Das in die Bindehaut, namentlich in und auf die Papillen abgelagerte
Exsudat organisirt sich, wenn es nicht resorbirt und somit die Bindehaut
wieder normal geworden ist, allmählig mehr und mehr, nachdem das nor-
male Gewebe durch den Druck des Infiltrates mehr weniger verdrängt
worden, und. so tritt an die Stelle des normalen Bindegewebes in grös-
serer oder geringerer Ausdehnung und Tiefe ein Narbengewebe. Dieses
erscheint glatt, sehnenartig-glänzend, silber- oder bläulichweiss, flächen-
oder streifenartig ausgebreitet. Bedeutende Schrumpfung der Bindehaut
in Folge dieses Processes tritt jedoch nicht ein, auch nicht nach mehr-
jährigem Bestehen dieser Infiltration des PupillarkÖrpers (ich kenne Fälle
von mehr als 5jähriger Dauer), ausser nach unzweckmässiger Anwendung
von Atzmitteln behufs der Zerstörung dieser sogenannten Granulationen.*)
Die Exsudatablagerung findet nur in der Bindehaut, besonders im
Papillarkörper statt, ebenso die consecutive Schrumpfung. Verschrumpfung
des Knorpels erfolgt daher niemals, eher eine leichte Vergrösserung, und
die Krankheit führt demgemäss nie zur Einwärtswendung des Lidrandes
(Trichiasis und Entropium), hingegen durch starke Wucherung der Binde-
haut leicht zur Auswärt sslülpung des Lides, Ectropium, bald des obern,
bald des untern, nicht leicht beider zugleich, und dann besonders werden
die Wucherungen gern hart und trocken. Bei Kindern scheint diese Art
Ectropium, nach meinen Erfahrungen, leichter zu entstehen.
c) Schon aus diesem Grunde allein sollte mau dieseu unpassenden Namen aufgeben, da derselbe immer zu dem
gewohnten Schlendrian Veranlassung gehen wird, den hypertrophischen Papillarkörper s"o wie wuchernde Ge-
schwhrsgranulation zu behandeln.
Blennorrhoe — Verlauf — Ausgänge. 33
In andern Fällen wird das Lid nicht nur dicker, sondern auch
breiter (von oben nach unten), besonders das obere, und hängt dann
vermöge seiner Schwere tiefer herab, stellt den sogenannten Vorfall des
obern Lides, Ptosis palp. superioris dar.
In Folge der lang andauernden vermehrten Secretion kann sich,
wie beim Katarrh, durch Excoriationen Blepharophimosis bilden.
In seltenen Fällen entsteht consecutive ein chronisch verlaufender
blennorrhoischer Zustand des Thränenschlauches', häufiger kommt aber
das umgekehrte Verhältniss vor, nämlich rlass nach lange bestellendem
blennorrhoisehem Zustande des Thränenschlauches sich ein chronisch-
blennorrhoischer Zustand der Bindehaut entwickelt.
Die Hornhaut wird in jenen Fällen, wo die Zufälle des 3. Grades
nicht auftreten, nur wenig gefährdet, in der ersten Zeit durch kleine und
mehr oberflächliche Geschwüre, nach monatlanger Dauer und öfterer Ver-
schlimmerung der entzündlichen Zufälle durch Pannus, obwohl dieser
unter die seltenem Nachkrankheiten der Blennorrhoe überhaupt gehört.
Aus den vielen Fällen von Blennorrhoe, welche uns im Jahre 1848 das Findel-
haus lieferte, und wovon viele der ersten, die meisten aber der zweiten Eingangs ge-
schilderten Reihe angehörten, will ich, bevor ich diese Endemie ausführlicher bespreche
(siehe weiter unten), wenigstens einen Fall herausheben.
Jos. Spotterbach, 8 Jahre alt, Findling, erkrankte einige Tage vor seiner Auf-
nahme auf die Augenkrankenabtheilung des allgemeinen Krankenhauses am 9. April
1848 auf dem rechten Auge. Der Knabe , für sein Alter gehörig entwickelt, von ge-
sundem Aussehen, gut genährt, mit schwarzbraunem Haar und blaugrauer Iris , weiss
über das Frühere nichts Verlässliches anzugeben. Die Lider des rechten Auges stark
geschwollen, blassroth, wärmer; die Cilien durch wässrige Flüssigkeit zu Büscheln
verklebt, der Lidrand etwas stärker geröthet. Die Bindehaut, etwa 3/4 Linien hinter der
innern Lefze des Lidrandes angefangen , über den Tarsus und im Übergangstheile
gleichmässi^ hochgerothet, mit vielen einzelnen bläschenartigen Erhabenheiten besetzt,
welche auf der Übergan°-s- und halbmondförmigen Falte fehlen ; die Meibom'schen
Drüsen nicht sichtbar, ausser längs des Lidrandes in der oben angegebenen Breite von
'/2 — 3/4 Linien. Die Conjunctiva sclerae von einzelnen hochrothen, leicht verschieb-
baren Gefässen durchzogen , doch nicht geschwollen, die Cornea rein, die Secretion
massig, das Secret serös mit einzelnen Schleinillocken. Am linken Auge die Lider
nicht geschwollen, bloss die Lidränder etwas angelaufen und geröthet, die Cilien durch
Schleim in Büschel verklebt, die Conjunctiva im Tarsal- und Übergangstheile massig
injicirt, nur wenig gelockert, die Conjunctiva sclerae und die* übrigen Gebilde normal.
Brennende Schmerzen im rechten Auge, massige Lichtscheu*). Am 16. April war
*) Ich behandelte damals absichtlich bloss mit kalten Umschlägen und leichten Abführmitteln bei grösster Sorse füf
Reinigung der Augen. Da diess einer der ersten Fälle war, so machten mich die bläschenartigen Erhabenheiten
auf der Conjunctiva sluliig ob ich es nicht etwa mit Trachomen zu thun habe, um so mehr, da fast nur seröse
Serrtlion der Bindehaut vorhanden war. Ich wurde inuess bald durch diesen Fall und Hoch mehr durch das
Arlt. 1. 3
34 Uimlt'liaiit.
die Geschwulst der Lider fast verschwunden , die Cilien durch vertrockneten
Schleim verklebt, die Secretion unbedeutend, schleimig, die Bindehaut dagegen
noch stark infiltrit, und besonders gegen den Übergangstheil hin mit stärkeren
Wärzchen besetzt. Am 19. waren plötzlich wieder die Lider stark geschwollen, die
Geschwulst hellroth, die Coijjunctiva zeigte eine stärkere Entwicklung des Papillarkör-
pers, das Secrel war nicht nur reichlicher, sondern auch molkig trüb. Dasselbe Krank-
heitsbild entwickelte sich nun auch auf dem linken Auge. Am 25. April war die linke
Cornea noch rein, die rechte aber nach unten etwa V" oberhalb des Randes im Um-
fange eines Hanfkornes getrübt, eitrig inliltrirl. Es entstand ein Geschwürchen, welches
am 29. bereits ganz reine Ränder zeigte . trotzdem aber doch zum Durchbruche der
Cornea führte. Der Knabe musste, nachdem die Secretion längst wieder serös gewor-
den und der Irisvorfall fest überhäutet war, dennoch wegen der Infiltration des Papil-
larkörpers bis Mitte Juni im Spital behalten werden.
Rud. Limbek, 21 Jahre alt, Corporal von Dom Miguel Infanterie, stark blond, von
gesundem, blühendem Aussehen, erkrankte bereits den 1. Mai 1850. Am 15. Juli no-
tirle ich folgenden Befund. Ausdruck massiger Lichtscheu, ziemlich reichlicher Thrä-
nenfluss, sparsame Schleimflocken ; die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung ergriffen,
und zwar auf beiden Augen ; vom Lidrande bis an die Übergangsfalte gleichmässig hell-
roth und stark geschwellt, über den Tarsis feinkörnig, feiuwarzig, im Übergangstheile
wulstig, uneben (mit einzelnen, gleichsam eingesprengten, lichteren, graulichen Er-
höhungen, deren Basis nicht deutlich begrenzt erscheint) , die halmondförmigen Falten
stark geschwollen und dunkelroth; die Conjunctiva bulbi von zahlreichen Gefässen
durchzogen, die vorderen Ciliargefässe stark injicirt, rings um die Cornea einen rosen-
rothen Saum bildend. Der Limbus conjunctivae deutlich geschwellt, mit kleinen, staub-
ähnlichen lichten Körnchen besetzt und von zahlreichen Gefässen durchzogen, oben
gegen //", unten gegen lL'" breit. Der durchsichtige Theil der Cornea theils mit
kleinen halbdurchsichtigen, bläschenähnlichen Erhabenheiten besetzt, theils mit kleinen
Grübchen versehen, und desshalb das Sehen etwas getrübt; auf der rechten Cornea ist
der durchsichtige Theil der Cornea ganz normal. Am 24. Juli war (nach Einreibungen
von weissem Präcipitat mit Extr. bellad. an die Stirn und Schläfe) die Besserung der
Zufälle am Bulbus aulfallend, die Lichtscheu schon sehr gering, der Thränenfluss massig,
die Infiltration der Conjunctiva palpebr. fast gleich. Als ich — nach meiner Rückkehr
von Wien — am 20. September das Spital wieder besuchte, war der Mann bereits
geheilt entlassen.
Fälle, welche die Zeichen des 3. Grades darbieten, was, wie gesagt,
bald in sehr kurzer Zeil, bald nach längerem Bestände des 1. oder 2.
Grades geschieht, nehmen durchgehends einen acuten und in der Regel
äusserst gefährlichen Verlauf.
Die Gefahr liegt in dem Ergriffenwerden, der Cornea; auf diese ist
also vor allem die Aufmerksamkeit zu richten. Die Hornhaut wird nicht
leicht ergriffen, bevor nicht die übrigen Krankheitserscheinungen ihren
rasche Nachfolgen von nahe an 50 Füllen (lauter restiluirlcn Findlingen aus einem und demselben Gebäude) voll-
kuiliincn überzeugt, dass ich es mil Blennorrhoe, nicht mit Trachom zu ihun halle; einige spätere Fälle zeigten
sehr reichliches," schleimig-eitriges, selbst eroupöses Exsudat.
Blennorrhoe — Verlauf — Ausgänge. 35
Höhepunkt erreicht haben. Wenn die Geschwulst des obern Lides bereits
zu sinken beginnt, die Haut leichte Runzeln bekommt, und die Schmerzen
anfangen nachzulassen: dann wird man durch die Affection der Hornhaut
aus dem Wahne, das Ärgste glücklich überstanden zu haben, aufge-
schreckt. Vor dem Ablaufe dieses Zeilpunktes und vor genauer Besich-
tigung- der Cornea stelle man also nie eine günstige Prognose. Binnen
wenig- Stunden kann man die Hornhaut ganz rein — und getrübt oder
schon in Verschwörung begriffen linden. Die Erweichung, eitrige Infil-
tration und Zerstörung- der Cornea betrifft gewöhnlich einen sehr grossen
Theil, oft die ganze Cornea, bei Neugebotenen am häufigsten die Mitte.
Die Zerstörung trifft die oberen Faserschichten der Cornea in grösserer
Ausdehnung als die tiefern, führt jedoch nur in äusserst seltenen Fällen
nicht zur Durchbohruno- der letztern und zur Berstung der Descemel'schen
Haut, mithin zum Ausflusse des Humor aqueus, Prolapsus iridis u. s. w.
Aus dem Umstände, dass im Verlaufe heftiger Bindehautblennorrhöen so häufig
Horiihautgesclncüre und Excorialionen an der Cutis der Lider entstehen, hat man ge-
schlossen, dass die Schärfe des Secretes die Ursache dieser Erscheinungen sei, ja man
hat sogar die Behauptung aufgestellt, dass die Blennorrhoe aufhören würde gefährlich
zu sein, wenn man ein Mitlei hätte, die Hornhaut vor der Berührung mit jener Flüs-
sigkeit zu schützen.
Zuvörderst muss bemerkt werden, dass Jene, welche diese Behauptung auf-
gestellt haben, es unterlassen hatten , diese Flüssigkeit auf ihre chemische Beaction zu
untersuchen. Sie hatten sich wohl vorzüglich auf das gleichzeitige Vorkommen der
Exfoliationen an den Lidrändera gestützt. Allein zu diesen möchte wohl die beständige
Benetzung der Haut weit mehr beitragen, als die Schärfe des Secretes. Anhaltende
Benetzung der Epidermie mit einer indifferenten Flüssigkeit reicht am Ende auch hin,
diese zu erweichen. Höhere Temperatur, und wenn auch nur schwach alkalische
Reaction, oder die Gegenwart von Neutralsaizen wird natürlich diese Wirkung beför-
dern. Daher kommen auch bei einfachen katarrhalischen und scrophulöteea Bindehaut-
entzündungen solche und oft noch ausgedehntere Excoriationen vor, und doch hat
Niemand behauptet, dass bei diesen das Secret der Cornea ätze. — Vor Kurzem kam
ein übrigens ganz gesunder Mann auf die Augenklinik ; es war ihm vor 3 Wochen ein
Steinsplitter in's rechte Auge geflogen und hr.tte die Hornhaut durchbohrt. Ein kleiner
Theil der Iris war vorgelagert, die übrige Iris grünlich, die Pupille eng und verzogen,
rings um die Hornhaut dunkle Rosenröthe, die Bindehaut über dem Tarsus dicht-, im
Übergangstheile schütter-netzförmig geröthet. reichliche Absonderung einer ganz wasser-
klaren. die gewöhnliche Reaction der Thränen zeigenden Flüssigkeit — und doch war
das untere Lied in seiner ganzen Länge auf 3'" breit, gerade so weit, als die benetzten
Wimpern des obern Lides über das untere Verabreichten, sehr stark excoriirl. — Auch bei
Blennorrhöen des 2. Grades kommen eben so in- und extensive Excoriationen vor, und
dennoch bleibt die Cornea unversehrt. Diese wird erst dann ergriffen, wenn die Ent-
zündung von den Lidern auf den Bulbus übergegangen, wenn die Blennorrhoe, wie man
sagt, zur Ophthalmoblennorrhoe geworden ist.
3*
3(5 Bindehaut.
Der Trübung und Verschwärung der Cornea geht ein erhöhter Glanz derselben
voraus. Auch nachdem sie trüb geworden, sieht man ihre Oberfläche noch eben und
glatt, mindestens ohne Grübchen. In manchen Fällen sieht man die Trübung wieder
verschwinden, ohne dass es zu einem Substanzverinste der Cornea, ja auch nur ihres
Epitheliums kommt. In einigen Fällen, wo das von acuter Blennorrhoe ergriffene Auge
an einer Hornhautnarbe (aus früherer Zeit) litt, sah ich (beim Eintritte des 3. Grades)
mehrere Gefassehen in der Hornhaut sichlbar werden, welche zu der Narbe verliefen.
— Ganz anders verhält sich die Cornea, wenn wirklich ätzende Substanzen, Mineral-
säuren, flüssige Alkalien u. dgl. mit ihr in Berührung gekommen sind. In den gelin-
desten Fällen wird wenigstens das Epithelium zerstört und abgestossen.
Man nehme das Secret von einem blennorrhoischen Auge, dessen Hornhaut eben
in Verschwärung begriffen ist, und bringe es auf die Hornhaut eines Kaninchens: es
wird sich keine Spur von Ätzung zeigen. Prininger hat blennorrhoisches Secret in die
Augen von Amaurotischen gebracht ; es erfolgte wohl später eine Blennorrhoe, keines-
wegs aber augenblicklich in einigen Stunden eine Veränderung der Cornea. Tripper-
kranke bringen das Secret von den Genitalien an die Augen ; es ensteht eine Blennorrhoe
der Bindehaut, welche zur Verschwärung der Cornea führt, aber nur, nachdem die Blen-
norrhoe den 3. Grad erreicht hat ; es ist nicht ein einziger Fall bekannt, wo die Horn-
haut gleich von vorn herein angegriffen worden wäre. Wir kennen keine scharfe Flüs-
sigkeit, kein Ätzmittel, welches, mit einem organischen Gebilde in Berührung gebracht,
dasselbe mehrere Tage unversehrt Hesse, und erst dann zerstörte.
Ferner müsste man annehmen, dass das blennorrhoische Secret seine ätzende
Eigenschaft plötzlich verliere, während es alle seine physicalischen Eigenschaften, die
Anstecknngskraft nicht ausgenommen, beibehält. Wäre die Zerstörung der Hornhaut
Folge der Ätzung durch das Secret, dann wäre nicht einzusehen, warum nicht in
allen Fällen die ganze Cornea zerstört wird, warum sich das Secret sehr oft gerade
nur eine kleine Stelle zur Zerstörung aussucht, und zwar bis auf die Descemet'sche
Haut, indess doch die ganze Oberfläche der Hornhaut demselben ausgesetzt ist. Nun
diese eine Stelle einmal durchbrochen ist, bleibt die übrige Cornea unversehrt; nicht
einmal von den Geschwürsrändern aus, wo doch das schützende Epithelium fehlt, sieht
man bisweilen weiter eine Zerstörung eintreten, trotzdem, dass das Secret noch eben
so reichlich, noch eben so gefärbt, eben so dick- oder dünnflüssig ist, wie zu Anfang
jener Zerstörung, und trotzdem, dass das Secret aus dieser Periode durch Fbertragung
auf ein gesundes Auge eine ebenso heftige Blennorrhoe hervorzurufen vermag, wie das
vom Beginne der Verschwärung.
Wir können demnach die Verschwärung der Cornea nicht als Folge der ätzenden
Eigenschaft des Secretes betrachten; sie ist vielmehr durch das Übergreifen der Ent-
zündung auf der Hornhaut bedingt. Offenbar wird jede rapide Zerstörung der Cornea,
welche die Ophthalmoblennorrhoe zu den traurigsten Augenübeln stempelt, durch ge-
hemmten Rücklluss des Blutes von derselben verursacht. Die Cornea erhält einen
grossen , wenn nicht den grössten Theil ihres Blutes aus jenen Zweigen der vordem
Ciliararlerien , welche durch und unter dem Limbus conjunctivae corneae verlaufen-
Hält man sich die anatomischen Verhältnisse gegenwärtig, und bedenkt man, wie gross
der Druck sein muss, den nicht nur die Lider, namentlich das unlere (welches ge-
wöhnlich von dem obern bedeckt wird), sondern insbesondere der Bindehautwall (die
bis zur innersten Grenzt des Limbus conjunctivae infiltrirte Conjunctiva bulbi) auf die
Blennorrhoe — Verlauf — Ausgänge. 37
Tunica vaginalis bulbi (die darin und darunter verlaufenden Ciliargefässe) ausüben, so
müsste man sich sogar wundern, wenn unter solchen Umständen in der Cornea sich
keine Stasis entwickeln sollte. Wir können demnach den Vergleich dieser Art von
Hornhautzerstörung mit dem brandigen Absterben anderer Organe nur für einen tref-
fenden, bezeichnenden erklären. Die untere Partie der Cornea wird häufiger von dieser
Yerschwärung ergriffen; die ihr entsprechenden Gefässe haben aber auch häufiger einen
grösseren Druck zu erleiden, als die am übrigen 'Umfange der Cornea befindlichen. Mit
dein Durchbruche der Cornea und dem Ausflüsse des Humor aqueus kann die Span-
nung bedeutend gemindert oder ganz behoben, die Circulation in der Cornea bedeu-
tend freier werden, mithin die Entzündung und Verschwärung der Cornea auf eine
kleine Partie beschränkt werden, Hierauf können natürlich noch andere Umstände
Einfluss nehmen, wie wir bei der Lehre von den Hornhautgeschwüren sehen werden.
Ich habe zwar die von mehreren Praktikern vorgeschlagene Punction der Cornea hier
noch nicht geübt; sie dürfte aber, zu rechter Zeit vorgenommen, von grossem Nutzen
sein. Aus diesem Grunde erweisen sich auch — meines Erachtens — Excisionen aus
dem Bindehautwalle so nützlich, wenn sie nur zu rechter Zeit und gehörig vorgenom-
men werden.
Hiemit soll keineswegs gesagt sein, die Cornea werde einzig und allein nur auf
diese Weise gefährdet. In minder acut verlaufenden Fällen sieht man nicht selten
Hornhautgeschwüre noch auf ganz andere Art entstehen, entweder halbmondförmig
längs des Randes, innerhalb des Limbus conjunctivae, oder rundlich und gleichfalls
mehr im peripherischen Theile. Diese entstehen, indem an irgend einer hirse- bis
liasengrossen Stelle die Cornea trüb, graulich-gelb und undurchsichtig, sofort erweicht
und in Eiter verwandelt wird. Die auf diese Weise entstandenen Geschwüre nehmen
keinen so zerstörenden Charakter an , greifen namentlich nicht so weit und so
rasch in die Breite, eher noch in die Tiefe, und führen demnach wohl oft zu Horn-
hautnarben, seltener zu Irisvorfällen, und noch seltener zu wesentlicher Beeinträchtigung
des Sehvermögens.
Eben so soll mit obigem Nachweise keineswegs gerathen sein, die fleissige Rei-
nigung der Augen von dem blennorrhoischen Secrete zu vernachlässigen , so wenig
man rathen könnte, irgend eine andere, dem Auge fremde Substanz zwischen den
Lidern zurückzulassen. Aber ich sorge für die Abspülung dieses Secretes, nicht weil
ich diess für hinreichend halte, der Zerstörung der Hornhaut vorzubeugen, sondern weil
ich ein blennorrhoisches Auge auch vor grellem Lichte, Rauch, Staub, unreiner Luft und
dgl. zu schützen Ursache habe.
Diese Horiihautgeschwüre haben das Eigenthümliche, dass nie eine
Eiiersenkang zwischen den Faserschichlen der Cornea, ein Unguis, dabei
auftritt. (Vergl. Krankheiten der Cornea.)
Hingegen gesellt sich, wenn die Verschwärung bis auf die tiefern
Schichten gedrungen, nicht selten Iritis dazu, gleichviel, ob bereits
Durchbruch erfolgt ist, oder nicht.*)
-) Der Grund hievon liegt vielleicht darin, dass die tieferen, nächst der Descemefschen Haut liegenden Gelassenen
der Cornea von jenen Zweigchen der vordem Ciliararterien kommen, welche dureh die Sclera zur Iris treten.
38 Bindehaut.
Diese kündigt sich durch das Auftauchen heftiger Schmerzen nach
dem Verlaufe der sensitiven Zweige des N. trigeminus, stärkere Licht-
scheue und reichlicheren Thränenfluss an. Wird ein grosser oder der
grösste Theil der Hornhaut erhalten und mit der Zeit wieder durchsich-
tig, so findet man die Pupille verengert und mehr oder weniger voll-
ständig durch Exsudat verdeckt, wenn nicht etwa der ganze Pupillarrand
in die. Hornhautnarhe hineingezogen erscheint
Die übrigen Gebilde des Bulbus nehmen selbst bei der heftigsten
Bindehautblennorrhöe nicht an der Entzündung Theil.
Hornhautgeschwüre können endlich im Verlaufe der Blennorrhoe,
und zwar nicht bloss im 3., sondern auch beim 2. Grade entstehen durch
partiellen Verlust des Epitheliums und consecutive Zerstörung (Erwei-
chung?) der Hornhautfasern; es sind diess die sogenannten Resorptions-
geschwüre. Sie zeigen weder einen grauen Grund, noch eitrig infiltrirte
Rander, können daher der Beobachtung leicht entgehen, wenn man das
Auye nicht spiegeln lässt. Sie sind in der Rege! klein, i/q — 1 Linie im
Durchmesser, und führen äusserst selten zur Durchbohrung der Hornhaut.
Die weitern Veränderungen und Folgen der Hornhaulgeschwüre
werden füglich erst bei der Lehre von den Krankheiten der Hornhaut
besprochen werden können, da sie dieselben sein können, wie nach an-
derweitig entstandenen Hornhautge.schwüren.
So wie die Blennorrhoe gradatim bis zur grössten Höhe steigt, so
erfolgt auch die Rückbildung in Abstufungen, die Hornhaut mag nun be-
schädigt worden sein, oder nicht. Blieb diese unversehrt, so kann auch
eine sehr heftige Form in 4 Wochen ganz beendigt sein, da die Blen-
norrhoe 3. Grades lange nicht die Neigung zum Übergange in die chro-
nische Form, zur Wucherung des Papillarkörpers zeigt, wie insbesondere
die des 2. Grades. Relativ seilen findet man an Augen, welche solche
Veränderungen der Hornhaut darbieten, wie sie nur in Folge des 3.
Grades vorkommen können, jene Nachkrankheiten, welche wir beim 2.
Grade beschrieben haben. Doch ist die Behauptung, dass die eigentlichen
Bleunorrhöen, z. B. die durch Übertragung mit Tripperschleim entstan-
denen, keine sogenannten Granulationen hinterlassen, ganz gewiss irrig.
Ich habe in constatirten Fällen dieser Art nicht nur Hypertrophie des
Papillarkörpers, sondern auch sogenannte graue Granulationen selbst im
Übergangslheile beobachtet.
Häufiger hingegen kommen hier einige andere vor, welche nur als
Folgen des 3. Grades beobachtet werden, a) Wucherung der Scleral-
bindehaut, derart, dass diese in Form schlaffer, fleischrother Wülste die
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursache«. 39
Cornea zum Theil oder gänzlich verdeckt, und die Lider aus einander
drängt, oder umstülpt (als exophthalmia fungosa beschrieben). Es ist
vorgekommen, dass man solche Fälle mit Carcinoma bulbi verwechselte,
und die Ausrottung des ganz gesunden Augapfels vornahm, weil man
unterlassen hatte, sich mittelst einer Sonde von dem Zustande der Cornea
zu überzeugen, b) Wucherung der Bindehaut in Form eines Flüge/feiles.
(Siehe die Abhandlung über dieses.) c) Wucherung der halbmondför-
migen Falte oder lappenarlige Verlängerung der Übergangsfalte.
Manche Auetoren führen unter den Nachkrankheiten der acuten
Bindehautbleunorrhöe 3. Grades noch vermehrte Ansammlung des Humor
aqueus (Hydrops camerae) und Verflüssigung und Vermehrung des Glas-
körpers (Hydrops corporis vitrei, hydrops oculi posterior) oder beides
zugleich (Hyilrophtbalmus mixtus , Buphthalmus), so wie andererseits
Schwund des Augapfels ohne vorausgegangene Verschwärung der Cornea
(Alrophia bulbi) an; aus eigener Beobachtung kenne ich diese Zustände
als unmittelbare Folgen der Bindehautblennorrhöe nicht.
Vorkomme!! und Ursachen. Die Bindehautblennorrhöe kommt
am häufigsten vor bei Neugeborenen und bei Erwachsenen des Jünglings-
und Mannesalters, besonders bei Soldaten und Findelhaus ammen. Der
Grund hievon liegt nicht in einer besondern Disposition, sondern in den
Verhältnissen, unter den' n diese Individuen leben, wie wir weiter unten
sehen werden.
Die Blennorrhoe , als eine durch äussere Einflüsse hervorgerufene
Krankheit, verschont, wo diese einwirken ; kein Alter, kein Geschlecht,
keine Constitution u. s. w. Sie wird nur selten — siehe weiter unten —
als Ausdruck eines Allgemeinleidens zu betrachten sein, und nur insofern
könnte man von einer gewissen Disposition dazu sprechen, als uns die
Erfahrung zeigt, dass äussere Einflüsse bei gewissen Individualitäten zur
Blennorrhoe führen, die bei andern nur Katarrh erregen. Einen solchen
Einfluss der Individualität sehen wir zwar bei Neugeborenen, bei scro-
fulösen Kindern, bei schlecht genährten, durch langwierige Schleimflüsse
und profuse Eiterungen herabgekommenen Individuen, bei alten Leuten
mit Erschlaffung der Haut und der Schleimhäute sich geltend machen:
wir sind jedoch nicht im Stande, die besondern Merkmale solcher Indi-
vidualitäten, das Eigentümliche dieser Disposition, näher zu bezeichnen.
Die Blennorrhoe erscheint theils sporadisch, bei einzelnen Indivi-
duen und zu unbestimmten Zeiten, theils massenweise, zu gewissen Zeiten
häufiger, besonders aber in geschlossenen Körperschaften in rascher Auf-
40 Bindehaut.
einanderfolge. — Den näheren Erörterungen hierüber müssen wir eine
genauere Betrachtung des blennorrhoischen Secreles vorausschicken.
Das Secret einer blennorrhoischen Bindehaut ist in Bezug auf seine
Menge und sonstigen Eigenschaften nicht immer eines und dasselbe. Bei
den Fällen der i. Reihe ist es nur relativ kurze Zeit nach dem Beginn
wasserklar mit consistenteren, gelblich grauen Flocken; so wie die übri-
gen Erscheinungen heftiger werden, erscheint das Secret durchaus trüb,
graulich-gelblich, rötblich, dünn, mit consistenteren Flocken, molken-
fleischwasser-ähnlieh oder gleichmässig dicker, rahmähnlich, grünlich gelb.
Letztere Eigenschaft zeigt es in der Regel dann, wenn auch die übrigen
Erscheinungen für den höchsten Grad der Entzündung sprechen. Doch
finden in dieser Beziehung sehr viele Ausnahmen statt, und es wäre
durchaus gefehlt, die Consistenz und überhaupt das Aussehen des Se-
cretes allein als Massstab für die Heftigkeit der Entzündung aufzustellen.
Bei Neugeborenen ist das Secret im Allgemeinen reichlicher und consi-
stenter, als bei Erwachsenen; es quillt da, auch wenn der Bulbus nicht
ergriffen und die Geschwulst der Lider nicht gerade sehr gross ist, sehr
oft als eine dicke, eiterähnliche Masse hervor, sobald man die Lidspalte
öffnet, und kann wegen seiner Consistenz gewöhnlich nur durch Auf-
träufeln oder Einspritzen lauen Wassers vollständig entfernt werden.
Auch bei Erwachsenen steht seine Menge und Consistenz nicht immer
in geradem Verhältnisse zur Heftigkeit und Gefährlichkeit der Krankheit.
So wie die übrigen Krankheitserscheinungen ihren höchsten Grad
erreicht haben, ist in jedem einzelnen Falle auch das Secret am reich-
lichsten und dicksten: von da an bleibt es mehrere Tage unverändert,
wenn auch die übrigen Zufälle, namentlich die subjectiven, und die Ge-
schwulst der Lider schon bedeutend nachgelassen haben. Sodann wird
es wieder sparsamer und dünner, wie gewöhnlich bei Blennorhöen des
2. Grades, endlich scheidet es sich wieder in einen wasserklaren Theil
und mehr weniger dicke Flocken.
So lange das Secret trüb ist, zeigt es stets eine Menge von Eiter-
kugeln und Eiterkörperchen *) ; rothes Lakmuspapier färbt es schneller
") „Die nähere Untersuchung des Entzündungsproductes stellt dasselbe in die Classc der croupösen Exsudate als
blassgelbes oder weissgraues, opakes, auf der Oberfläche der Bindehaut erstarrendes Product, welches in Eiter
zerfällt, und dadurch die Gewebe in einen Schmelzungsprocess zu versetzen (?) im Stande ist. Mikroskopische
Untersuchung: bei dem zu einer' Membran erstarrten, der Bindehaut fest anklebenden Exsudate, auf welches
kein Wasser eingewirkt halle — geronnener Faserstoff als Stroma, in welchem die Eiterzellen sitzen; bei der Exsu-
dalschichte, welche nach der Einwirkung der Douehe abgezogen wurde - Faserstroma, Kernzellen mit 1 — 3
Kernen, nackte grosse Kerne und Epithelialzellen; nach der Einwirkung einer Hüllensleinlösung von 2 Gran auf
1 Unze — eine verschieden gefaltete, aus Faserstoff und Exsudalkcruen bestellende iUcmbram : bei dem zerflossenen
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Secret — Impfung. 41
und stärker blau, als das wasserklare Secret. Auf die Cutis gebracht,
bringt es gar keine Veränderung hervor. Auf eine gesunde Bindehaut
übertrafen, bewirkt es zwar anfangs keine Veränderung, aber nach Ver-
lauf von Yjj bis 4 Tagen dieselben krankhaften Erscheinungen, welche
das Auge darbot, von dem der Impfsloff genommen wurde. Das blen-
norrhoische Secret ist also ansteckend, und zwar durch unmittelbare
Übertragung, durch Betastung.
Diesen Satz , der sich im Allgemeinen schon aus einer Menge von Beobachtun-
gen ergeben hatte, hat Piringer durch eine Reihe von sinnreichen Versuchen zur Evi-
denz nachgewiesen. Nach ihm bewirkt das rein seröse, wasserklare Secret von Blen-
norrhoe des 1. Grades, so wie die wasserklare Flüssigkeit chronisch gewordener Blen-
norrhöen gar keine Ansteckung. — Das molkige oder fleischwasserähnliche Secret des
1., so wie auch des schwach ausgebildeten 2. Grades, welches nur wenig- Spuren eines
wahren Schleimes (wenig Eiterkugeln) zeigt, bewirkt nur eine Blennorrhoe des 1. Gra-
des, und diese bleibt in der Regel bei diesem Grade stehen, wenn sie nicht durch
äussere Einflüsse gesteigert wird. Dasselbe gilt von dem dünnen Secrete chronischer Blen-
norrhöen. — Hingegen bewirkt das schleimige Secret einer Blennorrhoe des 2. Grades
so gut stets eine Blennorrhoe, die zum 3. Grade steigt, wie das dicke, eiterähnliche Se-
cret des 2. oder 3. Grades. Eine solche Blennorrhoe verläuft immer sehr acut, erreicht
den 2. oder den 3. Grad sehr schnell. *
Die Änsteckungskrrift kann gemindert, selbst auf gehohen werden durch starke Ver-
dünnung mit Wasser, durch Verstockung und lange Aufbewahrung. — Der Schleim einer
acuten Blennorrhoe 3. Grades verliert seine Kraft selbst durch 50 — lOOmalige Verdünnung
nicht. — Ein Leinwandläppchen, mit Schleim besudelt, und an der Luft getrocknet, kann
ohne Anstand von nicht blennorrhoischen Augenkranken zum Abwischen der Augen ver-
wendet werden, wenn der getrocknete Schleim bereits über 36 Stunden alt ist. So wie
Impfstoff aufbewahrt, steckt er nach 60 Stunden noch an, nach längerer Zeit nicht mehr.
— Hieraus ergibt sich, wie und wann Waschweiber durch die Wäsche, Leute durch den
gemeinsamen Gebrauch von Schwämmen, Waschschüsseln und Handtüchern angesteckt
werden können, und warum bei der Unreinlichkeit der ärmeren Leute und bei der gros-
sen Zahl von Tripperkranken — das blennorrhoische Secret der Genitalien verhält sich
auf gleiche Weise — dennoch die Blennorrhoe des Auges nicht noch häufiger vorkommt,
als dies der Fall ist. Hieraus ergibt sich auch die Nutzlosigkeit mancher Massregeln,
Avelche man behufs der Verhütung der Weiterverbreitung des Übels vorgeschlagen und
wirklich ausgeführt hat, das Verbrennen der Kleider, Aufreissen des Fussbodens, Aus-
weissen der Zimmer u. dgl.
Je höher der Grad der den Impfstoff liefernden Blennorrhoe ist, je acuter sie
verläuft, desto schneller folgt auf die Impfung der Ausbruch . der Blennorrhoe, von
Blennorrhoe des 3. Grades schon in 6 — 12 Stunden, von Blennorrhöhe des 2. Grades in
12- — 24. längstens 36 Stunden. Das frische molkige Secret einer Blennorrhoe des 1.
Grades wirkt meistens erst nach 60 — 70 Stunden, das frische schleimige Secret einer
Exsudate — Eiterzellen; in dem 1 — 2 Minuten alten Exsudate findet man rängliche, spindelförmige Kerne, welche
sogar in einigen Fällen zu sehr kurzen, dünnen, scharf conlourirlen Fasern ausgezogen erscheinen." Dr. Bednar
über Jie Bknnurrh uta neonaturum in der Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Ärzte, 5. Jahrg. 2. Heil, S. 138.
42 BSiidehaut.
chronischen Blennorrhoe in 72 — 96 Stunden. Schneller wirkt übrigens das Secret aus
dem Stadium der Zunahme, des Steigens der Blennorrhoe, langsamer das von einer
bereits in der Abnahme oder Bückbildung begriffenen. Später erfolgt der Ausbruch,
wenn das Secret einige Zeit der Luft ausgesetzt, noch später, wenn es bereits einge-
trocknet war.
Bei reizbaren Individuen erfolgt der Ausbruch früher. Ganz gesunde oder bloss
katarrhalisch erkrankte Bindehäute erkranken viel schneller, leichter, und zum Theil
auch viel heftiger, als solche, welche durch chronische Entzündung bereits organische
Veränderungen erlitten haben. — Gesteigert wird die Empfänglichkeit der Augen für
das Contagium durch den Aufenthalt in gesperrter, unreiner, mit animalischen Dünsten
geschwängerter Luft.
So gut als ein Handtuch, das Waschwasser u. dgl. kann auch die
Luft zum Träger des Confagiums werden- Das blennorrhoische Secret
imprägnirt die Luft durch Verdunstung, durch Suspension feiner Parti-
kelclien desselben in der Luft. So wie aber starke Verdünnung dieses
Secretes mit Wasser hinreicht, die Ansteckungskraft desselben zu mildern
oder ganz aufzuheben, so ivirkt auch nur eine stark imprägnirle Luft
ansteckend, und eine minder imprägnirte Luft nur dann, wenn sie bereits
katarrhalisch afßcirte Augen trifft oder auf gesunde Augen längere Zeit
einwirkt. — Die Ansteckung durch die Luft, welche durch eine Menge
Beobachtungen nicht nur wahrscheinlich gemacht, sondern bestimmt nach-
gewiesen ist, geschieht also hier keineswegs so, wie bei jenen Krank-
heiten, welche ein sogenanntes flüchtiges Contagium entwickeln, wie die
Blattern, die Masern, der Scharlach, der Typhus u dgl. Die Festhaltung
dieses Unterschiedes ist natürlich von grössler Wichtigkeit in Bezug auf
die Prophylaxis, in Bezug auf medicinisch-poüzeiliche Massregeln.
Soll die Luft hinreichend imprägnirt werden, so ist nothwendig,
dass in einem relativ engen Räume viele an Bindehautblennorrhöe Er-
krankte sich befinden, dass die Luft wenig erneuert wird, und dass die
Temperatur derselben einen gewissen Grad von Höhe erreicht. Feuch-
tigkeit der Luft begünstigt diese Weiterverbreitung wesentlich, und es
dürfte nach den Thatsachen, die zu diesem Postulate drängen, nicht mehr
als Hypothese zu betrachten sein, wenn die Wasserdünste, die feinen
Bläschen, welche bekanntlich unsere Atmosphäre durchtränken, für die
Träger des Contagiums durch die Luft erklärt werden.
Gegen die Annahme eines flüchtigen Contagiums (im gewöhnlichen und eigentli-
chen Sinne des Wortes) hat bereits Piringer schlagende Beweise angeführt. ,«) In
Spitälern wurde von einem hochgradig blennorrhoischen, und daher im Bette liegenden
Kranken noch nie ein anderer Kranker angesteckt ; wenn ja einmal ein Kranker neben
einem Blennorrhoischen diese Krankheit bekam, so Hess sich wenigstens die NichtÜber-
tragung niemals nachweisen, war im Gegentheil die Übertragung nachweisbar oder
Blennorrhoe — Vorkommen —Ursachen — Contag. in distans. 43
doch sehr wahrscheinlich. So im Spital zu Gratz, wo Piringer zur Zeit der Epidemie
1838 unter 17 Aügenkranken stets 8 — 11 meistens hochgradige Blennorrhöen liegen
hatte; so im Jahre 1841 und 1848 zu Prag, wo auf der Klinik und Abtheilung
für Augenkranke ein ähnliches Verhältniss stattfand, als das Findelhaus eine Menge
Ammen mit acuter Bindehautblennorrhöe in die Anstalt lieferte. — Im Jahre 1842 ent-
stand bei einem Kranken, dem der Assistent Dr. Seikora ein Flügelfell abgetragen
hatte. 3 Tage nach der Operation eine acute Bindehautblennorrhöe. Durch 3 Betten
getrennt von diesem lag ein Kranker mit acuter Bindehautblennorrhöe. Es entstand
eine kleine Debatte zwischen uns, welche damit endete, dass ich nachwies, die Wär-
terin habe — aus Bequemlichkeit denselben hölzern Napf, der für den Blennor-
rhoischen zu den Eisumschlägen verwendet worden war, nachher für den Operirten
gebraucht. b) Piringer fand, dass ein zum Einstreichen von Laudanum in ein blen-
norrhoisch.es Auge gebrauchter Pinsel die Krankheit nicht überpflanzte , wenn er nur
einlach mit Löschpapier abgewischt wurde, während er häufig Ansteckung bewirkte,
wenn man diese Abstreifung des Schleimes unterlassen hatte. — c) Es ist auffallend,
dass in Spitälern und Findelhäusern Arzte und Wärterinnen frei bleiben, wenn nicht
unmittelbare Übertragung oder sehr langes Verweilen in den überfüllten Zimmern statt
findet. Eben so bleiben bekanntlich unter dem Militär die Officiere, Ärzte und Kran-
kenwärter frei, ausser sie stecken sich durch nachweisbare Unvorsichtigkeit oder über-
mässig langes Verweilen in inficirter Luft an. — d) Die Krankheit wird nie durch
Gesunde in fremde Y\ ohnungen verschleppt, was bei den flüchtig-contagiösen Krank-
heiten nachgewiesen ist. — e) Bloss an die Haut, selbst an die Lider (und das reich-
lich) gebracht, bewirkt auch das eiterähnliche Secret keine Ansteckung, was bei nur
einiger Flüchtigkeit des Contagiums der Fall sein müsste. — f) Endlich verlaufen alle
Krankheiten , welche ein wichtiges Corttagiunj erzeugen, stets mit heftigem Fieber,
welches der Entwicklung der charakteristischen Zufälle vorausgeht. Die Blennorrhoe
erregt erst nachträglich und nur dann Fieber, wenn sie sehr heftig und das Individuum
sehr reizbar ist. Was man zur Vertheidigung der Lehre von einem flüchtigen Conta-
gium dieser Krankheit angeführt hat, ist theils unwahr, z. B. dass man beim Eintritt
zu solchen Kranken ein eigenthi'unliches Jucken in den Augen verspüre, theils feilsch
gedeutet, wie z. B. dass die Blennorrhöen sich verschlimmern, wenn mehrere solche
Kranke in ein Zimmer gelegt werden, oder dass auch andere Bindehautkrankheiten
bei längerem Verweilen unter Biennorrhoischen gern den blennorrhoischen Charakter
annehmen.
In Bezug auf die materielle Übertragung verhält sich das blennor-
rhoische Secret von den Genitalien ganz so, wie das einer blennorrhoi-
schen Bindehaut. Tripperschleim auf die Bindehaut gebracht, ruft ganz
dieselben Erscheinungen hervor. Diess ist durch directe Versuche, na-
mentlich von Piringer, nachgewiesen worden, abgesehen von zahlreichen
(zufälligen) Beobachtungen.
Die acute Bindehautblennorrhöe kommt (abgesehen von Neugebore-
nen und -\om sogenannten epidemischen Auftreten — wovon später — )
beinahe nur bei Leuten vor, welche bereits mannbar sind; bei Leuten,
die über 50 Jahre alt sind, ist die sporadische Blennorrhoe eine Selten-
44 Bindehaut.
heit. Es konnte ferner selbst dem oberflächlichsten Beobachter kaum
entgehen, dass diese Art blennorhoisch Erkrankter fast durchgehends an
Blennorrhoe der Genitalien eben gelitten haben oder noch litten. Diese
Thatsachen waren so auffallend, dass sie die Arzte auf einen ursäch-
lichen Zusammenhang dieser Umstände aufmerksam machen mussten.
Aber nur wenige gingen auf den Gegenstand tiefer ein, und viele be-
gnügten sich gar bald mit der Annahme eines Consensus zwischen der
Schleimhaut der Genitalien und der Bindehaut. Andere machten sich die
Erklärung dadurch leicht, dass sie, eben so willkürlich, von einer Über-
tragung des Tripperstoffes mittelst des Blutes, von sogenannter Metastasis
sprachen. Hingegen gingen auch manche von jenen, welche in der ma-
teriellen Übertragung, in der Verunreinigung der Augen mit dem Secrete
der Genitalien das richtige Verhältniss beider Affectionen zu einander
erkannt hatten, in so fern zu weit, als sie jede Bindehautblennorrhöe,
welche sie kurz nach oder während eines Trippers beobachteten, schon
ohne weiteres in ursächlichen Zusammenhang mit diesem brachten, nicht
bedenkend, dass ja Tripperkranke so gut wie Nichttripp er kranke durch
andere äussere Einflüsse eine Bindehautblennorrhöe bekommen können,
weil man sonst annehmen müsste, dass der Genita lienschleimfluss vor dem
Bindehautschleimflusse schütze.
Unter mehr als 200 Fällen von acuter Bindehautblennorrhöe (bei
Erwachsenen, jedoch ohne Einschluss des Militärs, *) worunter 30 spo-
radische, konnte ich keinen für consensuell oder metastatisch erklären
Die Beweise, welche die Aucloren für dieses ursächliche Verhältniss an-
führen, sind durchaus nicht genügend.
Feldmann (Walther und Ammons Journal für Chirurgie und Augenheilkunde.
N. F. 3. J.) beruft sich gegen Riccord auf die Behauptung Trousseau's, dass Individuen,
bei denen Hautwunden früher sehr leicht heilten, nachdem sie an Wunden gelitten,
deren Heilung nothwendig an langwierige Eiterung gebunden war, hiedurch eine solche
Vulnerabilität der Haut erhalten, dass von nun an selbst kleinere Verletzungen nicht
mehr ohne Eiterung heilen. Auf analoge Weise könne es auch geschehen , dass in
Folge eines Trippers eine solche Umwandlung des Blutes eintrete, dass wenn durch
irgend eine Ursache ein Augenkatarrh hervorgerufen wird, dieser sodann als Blen-
norrhoe verläuft.
Hecher (Erfahrungen im Gebiete der Chirurgie und Augenheilkunde, Erlangen
1845) nimmt sowohl die metastatische als die consensuelle Form an. Beide sollen sich
rücksichtlich der Heftigkeit und schnellen Entwickelung von einander wenig unterschei-
den. Er meint, wenn bei einem Tripperkranken z. B. durch Verkältung ein Augen-
katarrh entstehe, so nehme dieser eine eigenthümliche speeifische Richtung, ohngefähr
"J Die beim Militär beobachteten Falle weiden .später besonders besprochen.
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Tripper. 45
so, wie bei einem scrophulösen Individuum ein gewöhnlicher Augenkatarrh auch einen
eigentümlichen Charakter annehme. Eis sei durch zahlreiche Beobachtungen erwiesen,
dass nicht iu allen Fällen von Augentripper unmittelbare Übertragung des Secretes von
den Genitalien auf die Augen statt finde, sondern in vielen Fällen müsse diese (con-
sensuelle) Entstehungsweise angenommen werden. Immer seien hier beide Augen
ergriffen, einige Subjecte bekommen erfahrungsgemäss bei jedem Tripper die Augen-
entzündung und können diess selbst mit Sicherheit voraussagen , und nicht selten ent-
stehe gleichzeitig mit der Augenentzündung eine (gleichfalls consensuelle) Gelenksent-
zündnng, welche beide in unverkennbarer Wechselwirkung stehen und bei gehöriger
Berücksichtigung des Harnröhrenleidens schnell und sicher gehoben werden können. —
Ich gestehe, dass ich den Behauptungen Hecker's Glauben schenken würde, wenn er
nicht offenbar Falsches als Thatsache angeführt hätte, namentlich: „durch Besudlung
des Menschenauges mit Tripperschleim entsteht gewöhnlich nur eine unbedeutende,
mehr auf die Schleimhaut der Lider beschränkte Entzündung." Diese von Beer und
Walther aufgestellte Behauptung ist längst durch verlässliche Beobachtungen und, was
mehr sagen will, durch directe Versuche widerlegt. Das gleichzeitige Auftreten der
Entzündung an beiden Augen nimmt Hecker ebenfalls nicht so genau, denn er sagt
später : „nicht selten wandert der Krankheitsprocess von einem Auge zu dem andern
in 12—24 Stunden."
In derselben Lage sind wir zu Walther (System der Chirurgie, 1848, 3. Band
S. 190). „Die Übertragung des Trippersecretes pflegt nur eine geringe schnell vor-
übergehende Entzündung der Conjunctiva bulbi (Taraxis) zu erzeugen; der Augentripper
(jede durch Suppression, Consensus oder Metastasis erzeugte Bindehautblennorrhöe)
sei sogleich in seinem ersten Entstehungsmomente Ophthalmopyorrhöe , ohne voraus-
gegangenes blepharopyorrhoisches Stadium." Man trete unbefangen zum Krankenbette,
oder, wenn das nicht genügend erscheint, man impfe mit Tripperschleim (in pannöse
oder amaurotische Augen), und man wird sehen, was man von solchen Angaben zu
halten hat. 3Ian versuche nur, ob man im Stande sei, aus der Blennorrhoe eines Neu-
geborenen jederzeit und mit Sicherheit anzugeben, ob die Mutter an einem Scheiden-
tripper (syphilitisch) leide, oder nicht; denn das müsste man, wenn Walthers Behaup-
tung wahr wäre, offenbar im Stande sein.
Hingegen sind folgende Thatsachen wohl zu berücksichtigen : a) Gar oft besteht
noch ein leichter Ausfluss aus den Genitalien, wo man denselben schon für beendigt
hält, und gerade wenn der Ausfluss nicht mehr reichlich ist, vernachlässigt der Kranke
die Reinigung der Finger leichter als vordem, b) Man beobachtet den Augentripper
(nach Piringer u. A.) häufiger bei Männern, eben weil hier die Reinigung umständlicher
ist. und weil hier öfter Veranlassung zur Besudlung der Finger gegeben Avird. Freu-
denmädchen werden viel seltener von acuter Bindehautblennorrhöe ergriffen als mit
der Gefahr eines Scheidenschleimflusses Unbekannte, c) Meistens wird zuerst das
rechte Auge ergriffen, und, wird der Kranke vor Übertragung gewarnt, so bleibt die
Blennorrhoe auf ein Auge beschränkt, was bei der Annahme von Consensus oder Meta-
stasis nicht wohl begreiflich wäre.
Man würde sehr irren, wenn man nur bei jenen, die selbst an
Blennorrhoe der Genitalien leiden, diese als Ursache der Augenblennorr-
höe ansehen wollte. Nicht selten geschieht die Übertragung- von den
46 Bindehaut.
Genitalien des einen Individuums auf die Augen eines zweiten mittelst
des Waschwassers, des gemeinschaftlichen Gebrauches eines Handtuches,
desselben Bettes u. dgl.
Eine Dienstmagd wusch sich mit dem Wasser, mit welchem blennorrhoische
Augen gereinigt worden waren. (Piringer.) Aminen im Findelhaus thun dieses bisweilen
absichtlich, um wegen „böser Augen" aus der Anstalt entlassen zu werden. Diess ge-
standen mir mehrere nachträglich ein. — Ein Kanonier kam mit einem Tripper in seine
Heimat ; sein Bruder schlief mit ihm, und bekam eine Bindehautblennorrhöe, dann der
2. Bruder, endlich auch die Mutter. (Piringer.)
Eben so braucht wohl nicht erst hervorgehoben zu werden, dass
bei Frauen nicht jede Vaginalblennorrhöe eine Ansteckung voraussetzt,
dass bei manchen kurz vor oder nach der Periode ein schleimiger Aus-
fluss besteht u. s. w. Durch Verunreinigung mit diesem Ausflusse kann
eine Bindehautblennorrhöe hervorgerufen werden — wie ich in zwei
Fällen bestimmt erfahren habe — ohne dass zur Zeit, wo die Augen-
krankheit ausbricht, 2 — 4 Tage später, ein Ausfluss aus den Genitalien
mehr besteht, ohne dass die betreffende Person die darauf gestellte Frage
bejahet, im Gegentheile sie vielleicht entschieden zurückweist.
Fälle dieser Art müssen wohl jeden Arzt zur grössten Vor- und
Umsicht bestimmen, wenn es sich um Erforschung der Ursache einer
sporadischen Bindehautblennorrhöe handelt. Zum Glück liegt hier rück-
sichtlich der Prognosis und Therapie weniger an der Constatirung der
Ursache, die man gar oft nicht erfährt, als an den örtlichen Erschei-
nungen, was allerdings nicht der Fall sein würde, wenn die Lehre von
der Metastasis des Trippers wahr wäre ; denn dann hätte man, wie auch
ihre Anhänger rathen, nichts Eiligeres zu thun, als den Genitalientripper
wieder in Fluss zu bringen. Dann würde man aber auch meistens sagen
können : Deliberante Roma — Sagunthus perit.
Mitunter, wenn auch selten, kommen Fälle acuter Blennorrhoe vor,
wo man durchaus nicht im Stande ist, eine Ansteckung von andern Augen
oder von den Genitalien nachzuweisen, wo nicht der mindeste Anlass zu
einem Verdachte hierauf vorhanden ist, im Gegentheile, wo man anneh-
men muss, dass sich die Blennorrhoe spontan und primär entwickelt
habe. Dieselben Umstände, welche die katarrhalische Bindehautentzündung
erregen, scheinen auch die blennorrhoische Entzündung hervorrufen zu
können, sobald sie heftiger einwirken, und das Individuum hiezu disponirt
ist. Zwischen heftigem Katarrh und gelinder Blennorrhoe, Blennorrhoe
des 1. Grades, kann ohnehin erst dann streng unterschieden werden,
wenn das Secret trüb geworden ist, oder der Papillarkörper deutlich
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Atmosphäre. 47
infiltrirt erscheint. Das trübe Aussehen des Secretes fehlt aber auch
wieder zu Ende der Blennorrhoe, selbst der heftigsten. Es liegt demnach
nichts Widersinniges in der Behauptung, dass Katarrhe durch äussere
Einflüsse zu Blennorrhöen gesteigert werden können , dass zwischen
Katarrh und Blennorrhoe unter gewissen Umständen nur ein Gradunter-
schied vorhanden sei.
Es ist Thatsache der Beobachtung, dass die Bindehautblennorrhöen
zu gewissen Zeiten häufiger vorkommen und gefährlicher verlaufen, und
dass man weder für die eine noch für die andere Erscheinung irgend
einen hinreichenden Grund auffinden kann. Man sucht diesen in atmo-
sphärischen, jedoch nicht näher gekannten Veränderungen. Mehr als alles
andere, mehr weniger Hypothetische dürfte der hygrometrische Zustand
der Atmosphäre zu beachten sein. Wenigstens deuten eine Menge Er-
scheinungen darauf hin, dass ein grosser Wassergehalt der Atmosphäre
die Weiterverbreitung des Übels begünstigt.
„In Ägypten, wenigstens zu Cairo, herrscht das Leiden immer fort, im Juli und
August häufiger, aber in manchen Jahren nur wenig und mehr unter der ärmeren Classe,
in manchen Jahren dagegen so, dass arm und reich, jung und alt ergriffen wird. In
solchen Zeitperioden bemerkt man, dass die meisten Erkrankungen an jenen Individuen
vorkommen, die einen geschlossenen Verein bilden, zahlreich beisammen wohnen, na-
mentlich unter Soldaten." Piringer. (S. 30.) — Derselbe bemerkt hierüber ferner: „In
den Wintermonaten 1838 kamen zu Graz sowohl unter den Erwachsenen, als unter
den Neugeborenen fast gar keine Blennorrhöen vor, obgleich das Findelhaus sehr mit
Kindern und Ammen angefüllt war, und wegen strenger Kälte nicht so gut gelüftet
werden konnte. Die einzigen wenigen Blennorrhöen zeigten sich nur an den Kindern
blennorrhoischer Mütter. Kaum trat im März Thauwetter, unstäte Witterung, viele
Winde, häufiges Schwanken in der Quecksilbersäule ein, so wurde das für die blen-
norrhoischen Kinder bestimmte Zimmer bald überfüllt, obwohl die Zahl der Gebärenden
jetzt viel geringer war, und die Zimmer fleissig gelüftet werden konnten. Gleichzeitig
gab es in der Privatpraxis sehr viele blennorrhoische Neugeborene , und unter den
Kindern bis zum 10. Jahre herrschten ungewöhnlich viele Blennorrhöen des 1. und 2.
Grades, die sich bei einigen auch zum 3. Grade steigerten." — Guillie (Bibliotheque
ophthalm. Paris 1820. Tom. I. *) , welcher sich durch Einimpfung blennorrhoischen
Secretes bei 4 amaurotischen Kindern (mit gesunder Bindehaut) von der Ansteckungs-
kraft desselben überzeugt hat, erzählt folgende Thatsache: „Das französische Sklaven-
schiff Rödeur verliess Hävre am 24. Jänner 1819, um nach der Küste von Afrika zu
segeln, erreichte seine Bestimmung den 14. März, und warf ßonny gegenüber die Anker
aus. Die Schiffsmannschaft, aus 22 Köpfen bestehend, war die ganze Reise über und
während ihres Aufenthaltes zu Bonny bis zum 6. April gesund. Keine Spur von Oph-
thalmie war unter den Bewohnern der Küste zu bemerken gewesen, und erst nachdem
der Rödeur 15 Tage lang unter Segel war und beinahe den Äquator erreicht hatte,
i
') Mali enzie 1. c. S. 311.
48 Bindehaut.
brachen die ersten Symptome dieser fürchterlichen Krankheit aus. — Man machte zuerst
die Bemerkung, dass die Neger, 160 an der Zahl und zusammengedrängt im Schiffs-
räume (Schiff von 200 Tonnen) und zwischen den Verdecken, von einer beträchtlichen
Röthe in den Augen befallen seien , welche sich rasch von einem Auge aufs andere
verbreitete. Anfangs schenkte die Schiffsmannschaft dieser Erscheinung geringe Auf-
merksamkeit, in der Meinung, dass der Mangel an frischer Luft im Schiffraume und
die spärlichen Wasserrationen daran Schuld seien; denn bereits war die Ration für den
Tag auf 8 Unzen beschränkt, und etwas später kam auf den Mann täglich nur ein
halbes Glas. Man hielt es für hinlänglich, ein Augenwasser aus einem Aufgüsse von
Fliederblüthen anzuwenden , und nach dem Rathe eines Mannes , der den Schiffsarzt
machte, die Neger der Reihe nach auf's Verdeck zu bringen. Diese heilsame Mass-
regel musste aber bald aufgegeben werden, denn die unglücklichen Afrikaner stürzten
sich aus Herzensangst über das Schreck, iche ihrer Lage und aus Schmerz über ihre
verlorene Freiheit einander umarmend, über Bord. — Die Krankheit, welche sich unter
den Negern ebenso fürchterlich als rasch verbreitet hatte, fing jetzt an, selbst die
Schiffsmannschaft zu bedrohen. Der erste von der Mannschaft, den die Krankheit er-
griff, war ein Matrose, welcher unter dem Verdeck, dicht an der vergitterten Abtheilung
schlief, welche mit dem Schiffsräume in Verbindung stand. Den folgenden Tag ergriff
die Ophthalmie einen jungen Burschen, und von hier an innerhalb 3 Tagen war der
Capitän und fast die ganze Schiffsmannschaft afficirt. — Des Morgens beim Erwachen
empfanden die Patienten ein schwaches Prickeln und Jucken in den Lidrändern, welche
roth und angeschwollen wurden. Den folgenden Tag hatte die Geschwulst der Augen-
lider zugenommen und war mit starkem Schmerz verbunden. Um denselben zu mindern,
wurden Breiumschläge von Reis so heiss aufgelegt, als man dieselben vertragen konnte.
Am 3. Tage der Krankheit stellte sich ein Ausfluss von gelblichem Eiter ein, welcher
anfangs ziemlich dünn war, aber nachher zähe und grünlich wurde. Er war dabei so
reichlich, dass die Patienten ihre Augen nur alle Viertelstunden öffnen konnten, wo er
sich in Tropfen ergoss. Vom Beginn dieser Krankheit an fand beträchtliche Empfind-
lichkeit gegen das Licht und Thränenfluss statt. Als endlich der Reis verbraucht war,
wurden gekochte Nudeln zu Breiumschlägen benutzt. Den 5. Tag bekamen einige
Patienten Blasenpflaster auf den Nacken ; da aber die Canthariden bald erschöpft wa-
ren, so versuchte man sie damit zu ersetzen, dass man mit Senf verschärfte Fussbäder
anwendete , und die geschwollenen Augenlider heissen Wasserdämpfen aussetzte. —
Der Schmerz nahm von Tag zu Tag zu, wie auch die Zahl derjenigen, welche ihr
Gesicht verloren, so dass die Schiffsmannschaft, ausser der Furcht eines Aufstandes
unter den Negern, noch die schreckliche Anwartschaft hatte, nicht im Stande zu sein,
das Schiff bis zu den Caraibischen Inseln zu fuhren. Ein einziger Malrose war der
Contagion entgangen, und auf ihm beruhte die Hoffnung Aller. Der Rödeur war bereits
mit einem spanischen Schiffe, dem Leon, zusammengetroffen, dessen ganze Mannschaft
so sehr an derselben Krankheit litt, dass sie das Schiff nicht mehr zu führen vermochte,
sondern die Hilfe des Rödeur ansprach. Die Matrosen des Rödeur konnten indessen
wegen der Neger ihr eigenes Schiff nicht verlassen, und hatten auch keinen Raum, die
Mannschaft des Leon aufzunehmen. Die Schwierigkeit, so viele Patienten in einem so
engen Räume zu verpflegen, und der Mangel an Proviant wie an Medicamenten Hess
die Überlebenden diejenigen beneiden, welche starben. — Einige Matrosen tröpfelten
Branntwein zwischen ihre Augenlider und spürten davon einige Erleichterung. Den
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Atmosphäre. 49
12. Tag kamen die Matrosen, die sich etwas erleichtert fühlten, auf das Verdeck, um
den andern beizustehen. Manche waren dreimal von der Krankheit befallen worden.
— Als das Schilf Guadeloupe am 21. Juni erreichte, befand sich die Schiffsmannschaft
in einem traurigen Zustande ; aber bald nachher wurde sie durch den Genuss frischer
Lehensmittel und durch ein einfaches Waschmittel von süssem Wasser und Citronensaft,.
was eine Negerin angerathen hatte , auffallend besser. Nachdem sie 3 Tage gestanden
waren, wurde der einzige Mann , welcher unterwegs frei geblieben war, nun auch von
denselben Symptomen befallen, und die Ophthalmie hatte denselben Verlauf, wie am
Bord des Schiffes. — Von den Negern blieben 39 gänzlich blind, 12 von ihnen hatten
jeder ein Auge verloren, und 14 hatten mehr oder weniger beträchtliche Flecken auf
der Cornea. Von der Schiffsmannschaft verloren 12 ihr Gesicht, von 5 verlor jeder
ein Auge; 4 derselben hatten beträchtliche Flecken und Adhäsionen der Cornea mit
der Iris.«
Eine Epidemie in der Erziehungsanstalt für Soldatenkinder zu Chelsea im Jahre
1*0 1 beschreibt Patrick Macgregor. *) — „Zu Anfang April wurden zwei Brüder mit entzün-
deten Augen in die Krankenanstalt gebracht; die Entzündung war aber so unbedeutend,
dass ihre Aufnahme nicht nöthig war. Sie wurden desshalb ausser der Anstalt behandelt,
und durch die gewöhnlichen Mittel binnen 8 — 10 Tagen, hergestellt. Zu Ende dieses
Monats wurden 6 Knaben zu mir gebracht ; drei derselben hatten die Krankheit in einem
heftigen Grade, und wurden in die Anstalt aufgenommen, die 3 andern erhielten die
Anweisung täglich zu erscheinen, um ärztliche Hilfe zu erhalten. — Im Mai wurden
nicht weniger als 44 Knaben und 5 Mädchen, mit Ophthalmia behaftet, in die Anstalt
gebracht. Die schlimmsten wurden aufgenommen, aber für alle war nicht Raum, und
selbst einige von den aufgenommenen mussten unter andern Patienten unterbracht
werden. — Am Morgen des 4. Tages nach ihrer Aufnahme wurden 2 Knaben in dem-
selben Krankensaale, die an andern Krankheiten litten, von Entzündung der Augen
ergriffen, und im Verlaufe dieser Woche bekam auch die Wärterin die Krankheit, und
zwar in einem so heftigen Grade, dass sie mehrere Tage lang des Gesichtes beraubt
und 3 W ochen lang unfähig war, die Geschäfte ihrer Stelle zu besorgen. Etwa um
dieselbe Zeit bekam ihr Sohn, ein 12jähriger Knabe, welcher die Wartung der Kranken
besorgt hatte, und einige Tage nachher ihre beiden Jüngern Kinder, wie auch mehrere
andere Patienten in demselben Krankensaale die erwähnte Augenkrankheit. — Im Juni
wurden 58 Knaben und 32 Mädchen ergriffen. Es wurde im Allgemeinen die Bemer-
kung gemacht, dass bei ihnen die Krankheit heftiger sei als bei jenen, welche im Mai
erkrankt gewesen waren. Im Verlaufe dieses Monats bekam auch die Wärterin des
Mädchenspitals die Krankheit, und ihr Ehemann, ein pensionirter Bewohner des Chelsea-
Hospitals , der täglich seine Frau besuchte , wurde auch , nebst 2 zuweilen dienst-
tuenden Wärterinnen von der Krankheit ergriffen. Bei näherer Untersuchung fand sich,
dass der eben erwähnte Pensionär um diese Zeit im Chelsea-Hospital die einzige an
Ophthalmie leidende Person gewesen sei. — Die Frau eines Feldofficiers war um diese
Zeit im Military-Asylum zum Besuche. Sie hatte einen Sohn von 5 — 6 Jahren, welcher
mit den andern Kindern zu spielen pflegte. Er zog sich die Ophthalmie zu, und 4 oder
5 Tage nach dem Ausbruche derselben wurde auch seine Schwester , ein 2jähriges
Kind, ja einige Tage später sogar die Mutter selbst davon ergriffen. — Diese Umstände
;) Makenzie c. I. S. 343
Ar lt. J. &
50 Bindehaut.
erregten Aufsehen , und es wurden jetzt mit besonderer Aufmerksamkeit diejenigen,
welche einige Symptome der Krankheit hatten, sogieich von den andern Patienten ge-
trennt, und auch die andern Mittel benützt, welche gewöhnlich angewendet werden,
um den Fortschritt einer Contagion zu hemmen. — Im Juli verbreitete sich die Oph-
thalmie noch immer, und mehrere derjenigen Kinder, welche die Krankheit gehabt
hatten und genesen waren , bekamen sie zum 2. Male. 65 Knaben und 30 Mädchen
wurden diesen Monat von der Krankheit befallen. Sie schienen die Krankheit heftiger zu
haben, und wurden auch nicht so leicht hergestellt, als jene, welche in den vorherge-
henden Monaten afficirt gewesen waren, obschon die Behandlung bei allen dieselbe blieb.
Die Witterung war jetzt weit wärmer, als im Juni. — Im August bekamen 69 Knaben
und 21 Mädchen die Krankheit; ein Knabe und ein Mädchen von ihrer eigenen Mutter
aus Schottland gebracht, langten eines Abends zu Ende dieses Monats im Asylum an,
und wurden sogleich aufgenommen. Die Kinder wurden von der Wärterin ohne mein
Vorwissen in einen Saal gebracht, in welchem sich Patienten befanden, die an Oph-
thalmie litten. Als ich die Krankenanstalt am nächsten Vormittag besuchte, liess ich die
Kinder sogleich in einen andern Saal bringen, und dennoch hatten beide Kinder am
3. Morgen nach ihrer Ankunft Symptome der Ophthalmie, die in keiner Hinsicht, von
jenen verschieden waren , welche bei den andern Patienten beobachtet wurden. — Alle
Knaben von 5 — 6'/2 Jahren bilden eine einzige Gesellschaft. Es wurde die Bemerkung
gemacht , dass im vergangenen und gegenwärtigen Monate fast die ganze Gesellschaft
die Ophthalmie bekam. Der Fortschritt der Krankheit konnte in den Schlafsälen dieser
Knaben in der Ordnung der Betten , von einem zum andern, nachgewiesen werden,
bis endlich fast alle afficirt waren. Die zwei Wärterinen dieser Gesellschaft schliefen
immer in ihren Sälen und waren die einzigen der Anstalt (diejenigen im Krankenhaus
ausgenommen), welche an der Krankheit litten. Gegen die Mitte dieses Monats bekam
auch ich die Ophthalmie, und obgleich die entzündlichen Symptome in 10 Tagen sich
gaben, so erholte ich mich von ihren Wirkungen doch erst nach 5 — 6 Wochen. — Im
September bekamen 16 Knaben und 4 Mädchen die Krankheit; im October 16 Knaben
und 7 Mädchen ; im November 9 Knaben und 6 Mädchen, und vom 22. November bis
Ende December sind nur 2 Fälle vorgekommen, und zwar bei 2 Brüdern, die zusam-
men geschlafen, und im Monat August die Krankheit in einem heftigen Grade gehabt
hatten." — P. Macgregor hebt zum Schlüsse noch hervor, dass die Krankheit ziemlich
einen Monat unter den Knaben geherrscht hatte, ehe die Mädchen von ihr afficirt
wurden, dass alle Erwachsene , die sich nicht mit den Patienten vermischten, von der
Krankheit frei blieben, während diejenigen, welche mit den Patienten in Verbindung
standen, sämmtlich von der Ophthalmie ergriffen wurden, mit alleiniger Ausnahme des
Assistenzwundarztes. „Es schien auch, als ob eine innigere Verbindung mit der affi-
cirten Person als bei den meisten andern contagiösen Krankheiten zur Mittheilung er-
forderlich sei. Diess lässt sich von den Dienstboten des Krankenhauses und von den
beiden Wärterinen folgern, welche die kleinen Knaben warteten, und die Sache zu
leichtsinnig nahmen, wogegen die andern Dienstboten der Anstalt verschont blieben."
„Die Krankheit war weit heftiger in ihren Anfällen und von längerer Dauer bei heisser
und schwüler, als bei kalter, oder gemässigter Witterung." „Man hat Grund, anzuneh-
men, dass sie am nieisU^fj^oiStal^El^^ÄBiCaiigsstadium gewesen sei, wo nicht nur
eine active. Enlzündu4W~p ^sondern auch ein^b^trächtlicher, purulenter Ausfluss vor-
handen war." ^Qj
Mftim1917
Blennorrhoe — Vorkoni men — Ursachen — Neugeborene. 51
Was die Blennorrhoe bei Neugeborenen betrifft, so müssen die
Fälle, welche in der Privafpraxis vorkommen, getrennt betrachtet werden
von jenen in Findclhä'usern.
Man hat im Allgemeinen eine Menge Umstände als Ursache der
Blennorrhoea neonatorum angeführt. — a) Grelles Licht. Es ist schwer
zu begreifen, warum hier das Licht gerade nur auf die Bindehaut, und
nicht auf die Netzhaut schädlich einwirken soll, da es bekannt ist, dass
die Sehkraft in Folge solcher Bleunorrhöen niemals leidet, wenn nicht
durch Hornhaut- oder Kapseltrübungen. *) — 6) Verhältung wird nur zu
häufig als Ursache angegeben, wenn man es unterlässt, nach andern zu
forschen, oder wenn man solche nicht sogleich auffindet. Man hat sogar
das Tragen der Kinder zur Taufe beschuldigen wollen, und doch ist die
Krankheit in Ländern, wo diess nicht geschieht, erwiesenermassen nicht
seltener. Wir wollen nicht in Abrede stellen, dass hie und da ein Kind
aus dieser Ursache eine mehr weniger heftige Bindehautentzündung be-
komme; nur sei man mit dieser Ursache nicht so allgemein bei der
Hand, wie es manche thun. — c) Unreine Luft mag wohl mitunter Ur-
sache sein, doch gewiss nicht so allgemein, als man glaubt. Die Krank-
heit müsste sonst bei armen Leuten weit häufiger vorkommen, als bei
wohlhabenden, was eben nicht der Fall ist. So viel aber ist gewiss, dass
unreine Luft die einmal ausgebrochene Krankheit steigert und bösartiger
macht. — d) Jener Einßuss der Luft, den wir den epidemischen nennen,
kann nicht geläugnet werden. Es ist Thatsache, dass zu gewissen Zeiten
sowohl in als ausser den Findelhäusern häufiger solche Bleunorrhöen vor-
kommen. Dieser Einfluss dürfte sich jedoch weniger in der ursprüngli-
chen Erzeugung als vorzüglich durch Verschlimmerung der leichteren
Grade dieser Krankheit geltend machen, welche als solche selten zur
Kenntniss der Arzte gelangen. — e) Sichergestellt ist die Ansteckung
durch blennorrhoisdien Schleim beim Durchgange des Kopfes durch die
Geburtswege, wobei man denn natürlich nicht immer gleich an Syphilis
denken wird. Die Constatirung dieser Ursache ist nicht immer wohl zu-
lässig, und erheischt grosse Vorsicht von Seite des Arztes. Man hat
Grund, diese Ursache zu vermuthen, wenn die Blennorrhoe des Auges in
Bezug auf die Zeit des Ausbruches sich so verhält, wie der nach einem
unreinen Beischlafe entstandene Tripper, wenn die Bindehautblennorrhöe
zwischen dem 2. und 5. Tage nach der Geburt auftritt. Doch ist zu
e) Chelius, Ausenheilkunde I. B. S. 121 meint, dass auch bei Erwachsenen durch starke Einwirkung des Lichtes
nicht selten „Blephnrophlhalmie" erregt werde. Dieser Ausdruck ist so vag, dass es unmöglich ist, sich auf eine
Widerlegung dieser Behauptung einzulassen. Er beweist mindestens für die in Bede stehende Frage gar nichts.
52 Bindehaut.
bemerken, dass der erste Beginn leicht übersehen wird, zumal wenn das
ansteckende Secret sehr mild war, und dass solche Fälle oft erst später
durch obgenannte (a — d) ungünstige Einflüsse einen die Aufmerksamkeit
oder Besorgniss der Umgebung erregenden Grad von Heftigkeit erlangen,
daher sehr leicht dafür imponiren, als wären sie durch starkes Licht,
Zugluft u. dgl. hervorgerufen worden, erst am 10., 14. Tage oder noch
später entstanden. Bei Schwängern mit Blennorrhoea vaginae kann man
mit grösster Wahrscheinlichkeit voraussagen, das Kind werde an Binde-
hautblennorrhöe erkranken ; wie es komme, dass dennoch manche Kinder
von solchen Müttern ganz gesund bleiben, ist schwer zu erklären. Viel-
leicht hat die schnellere oder langsamere Geburt hierauf den meisten
Einfluss. Wir bemerken übrigens dasselbe Verhältniss, wenn mehrere
Männer kurz nach einander den Coitus mit einer an Blennorrhoea vaginae
leidenden Person pflegen. — /) Dr. Em. Mildner (im 13. Bd. der Präger
inedicinischen Vierteljahrschrift) hat meines Wissens zuerst darauf auf-
merksam gemacht, dass bisher gewöhnlich unter dem Namen Blennorrhoea
neonatorum eine Menge von Augenentzündungen zusammengefasst wur-
den, die davon ganz verschieden sind, und, was nicht minder wichtig ist,
dass diese Entzündung der Bindehaut gar oft nur als Reflex gewisser
Allgemeinlciden aufs Auge, oder als Theilnahme der Bindehaut an all-
gemeinen katarrhalischen und croupösen Entzündungen anderer Schleim-
häulparfien zu betrachten sei.
Dr. Mildner fand im hiesigen Findelhause unter 300 augenkranken Neugeborenen
112 mit Katarrh der Luftwege oder des Darmeanales, 94 mit croupösen Affectionen der
Mund- und Rachenschleimhaut, 6 mit Odem der Unterextremitäten, 5 mit Zellgewebs-
sclerois, 9 mit wanderndem Rothlauf, 3 mit Nagelgefässentzündung, 7 mit Entwicklung
acuter Abscesse in verschiedenen Gegenden. Von diesen 300 Augenkranken sind 37
gestorben. — Er betrachtet die Bindehautblennorrhöe bei Neugeborenen mit überwie-
gender Wahrscheinlichkeit als Localkrankheit, wenn die Mutter gesund ist, und das
Kind lebenskräftig und gesund aussieht, wenn eine der ohgenannten schädlichen Po-
tenzen local einwirkte, die Ophthalmie nur an Einem Auge auftrat oder doch viel
früher begann, besonders aber keine Symptome einer Allgemeinkrankheit, namentlich
keine katarrhalischen oder croupösen Processe auf andern Schleimhäuten vorhanden
sind. — Eine solche Blennorrhoe beginnt immer (primär) in der Bindehaut, erzeugt
selten Ulcerationen der Hornhaut, und das gewöhnlich nur partielle, und nur unter
fortwährender Einwirkung ungünslisjer Einflüsse bedeutendere Zerstörungen ; sie wird
nur bei grosser Heftigkeit von fieberhaften Allgemeinsymptomen begleitet; ihre Dauer
ist (relativ) kurz; die Heilung kann mit rein örtlichen Mitteln, und zwar oft binnen
wenig Tagen erzielt werden. — Stammt dagegen das Kind von einer kranken Mütter,
ist es schlecht genährt, leidet es bereits an katarrhalischen oder croupösen Processen
anderer Schleimhäute, ist kein local einwirkendes Moment nachweisbar, beginnt die
Ophthalmie an beiden Augen gleichzeitig und mit gleicher Intensität und ist gleich
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Fintleliiäuser. 53
anfangs Fieber vorhanden oder selbst vorausgegangen : so wird man selten einen
Fehlschluss machen, wenn man die Blennorrhoe für den Ausdruck eines Allgemein-
leidens hält. — Verlauf, Dauer und Proguosis dieser Art unterliegen so vielen Verschie-
denheiten, dass sich keine allgemeinen Anhaltspunkte angeben lassen. Die zu Grunde
liegende fehlerhafte Blutmischung bezeichnet Dr. Mildner theils als Albuminosis, krank-
haftes Üherwiegen des Eiweissstoffes , welches besonders durch das Einathmen sauer-
stoffarmer Luft, daher durch Zusammenhäufen vieler Menschen in Einem Locale begün-
stigt werde, theils als Pyämie, welche bei Neugeborenen häufig durch Entzündung der
Vabelii'efässe eingeleitet wird. — Diese wären demnach beim Auftreten der Blennor-
rhoea neonatorum vor allem als letzte Ursachen scharf ins Auge zu fassen, und zwar
auch dann, wenn die Blennorrhoe als ein örtliches Leiden begonnen, im weitern Ver-
laufe einen schlimmen Charakter annimmt.
In Findelhäuscrn kommt die Krankheit ungleich häufiger vor, als
bei einer gleich grossen Anzahl ausserhalb solcher Anstalten Geborener,
und sie verläuft hier im Allgemeinen bei weitem heftiger und bösartiger.
Wenn man auch annimmt, was Piringer behauptet, das die Kinder der
Erstgebärenden im Allgemeinen leichter an Blennorrhöen erkranken, und
dass die Kinder syphilitischer Mütter selten von der Blennorrhoe verschont
bleiben, so muss es doch gewiss ausser diesen, allerdings in Gebärhäu-
sern öfters vorkommenden Umständen, und ausser den oben erwähnten
äussern und innern Ursachen der Bindehautblennorrhöe noch andere Ver-
hältnisse geben, wrelche die Erkrankung so häufig und so bösartig machen.
Hieher sind zu rechnen : vor allem das Zusammengedrängtsein vieler In-
dividuen in Einem Hause, in Einem Zimmer, welches sich in solchen An-
stalten oft nicht vermeiden lässt, oft genug aber mehr als nöthig erhöht
wird. Man denke sich nur Ein Zimmer, wenn auch sehr geräumig, mit
10 — 12 Ammen, jede mit einem, viele auch mit zwei Kindern. Wenn auch
keines der Kinder bereits blennorrhoisch erkrankt wäre: schon die er-
höhte Ausdünstung der Wöchnerinnen, der Loehialfluss, die Excremenle
der Kinder müssen die Luft verunreinigen ; nehmen wir nun noch hinzu
die geringe Reinlichkeilsliebe solcher Leute von Haus aus, und die Un-
lust, mit welcher viele die Kleinen, grossentheils nicht ihre eigenen, pfle-
gen; und man wird es begreiflich finden, wie schwer es für das Wart-
personale und für die inspicirenden Ärzte wird, den gehörigen Grad von
Reinlichkeit zu erhalten. Alle diese Umstände müssen um so nachthei-
liger wirken, wenn unter diesen Kindern sich auch nur einige blennor-
rhoische befinden: wie aber erst dann, wenn man alle blennorrhoischen
Kinder in ein sogenanntes „Augenkrankenzimmer* legt!
Die Zahl der Individuen mit acuter Bindehautblennorrhöe, welche ich theils im
allgemeinen Krankenhause (vom April 1840 bis April 1842, und vom Anfang Oc tober
54 Bindehaut.
1846 bis Ende 1849), theils in der Stadt genauer zu beobachten Gelegenheit hatte,
beträgt 281.
Hierunter waren 107 Ammen, 4 Wärterinen und 52 fünf- bis eilfjährige Kinder
aus der Findelhausanstalt, 70 sporadische Fälle bei Erwachsenen, 45 Neugeborene (aus
der Stadt und Umgebung) und 3 scrophulöse Kinder von 2 — 5 Jahren.
Diese Krankheit, welche im hiesigen Findelhause so zu sagen nie ausgeht, kam
besonders im Jahre 1841 und 1846 unter den Ammen, im Jahre 1848 unter den grössern
Kindern in der Findelanstalt auffallend häufig vor.
A. Vom October 1838 bis Juli 1839 waren 11 Ammen auf die Augenklinik ge-
bracht worden, 4 mit Blennorrhoe, welche rasch den 3. Grad erreichte, 7 mit Blennor-
rhoe des 1. Grades, von Professor Fischer gewöhnlich Ophthalmia calarrhalis in puer-
pcris genannt, und in seinem Lehrbuche*) Seite 92 beschrieben. Die Frage, ob sie
nicht etwa mit dem Secrete von den Augen der Kinder an ihre Augen gekommen
wären, verneinten Alle. Eine beschuldigte starke Zugluft als Ursache ; diese fieberte
gleich zu Anfang der Krankheit, und litt auch an Nasenkatarrh. Die meisten und hef-
tigsten Fälle kamen Ende Februar, im März und Anfang April vor.
Vom October 1839 bis Juli 1840 kamen 19 leichter und 2 schwerer erkrankte
Ammen ins Spital. Davon hatten 14 in eigens dazu bestimmten Zimmern augenkranke
Kinder gesäugt, 7 behaupteten, nicht in die Nähe solche Kinder gekommen zu sein;
einige hievon beschuldigten Zugluft (auf den Gängen) als Ursache. Der Ausbruch der
Krankheit war 14 Tage bis 3 Monate nach der Entbindung erfolgt. Nur 1 erkrankte
Ende November, 1 im December, 6 im Jäner, 4 im Februar, 1 im März, 2 im April, 5
im Mai und 1 im Juni.
Im Schuljahr 1841 stieg die Zahl rasch auf 55, bei 30 in der mildern, bei 25
in der heftigem oder heftigsten Form. Im October erkrankten 2 (mit sogenannten
Puerperalkatarrh), im November 9 (davon 7 an Blennorrhoe höheren Grades), im De-
cember 8 (davon 5 heftiger), im Jänner 8 (davon 3 heftiger), im Februar 7 (davon 2
heftiger), im März 5 (davon 1 heftiger), im April 5 (davon 1 heftiger), im Juni 2 (1
heftiger), im Juli 1 (heftiger), im August 4 (3 heftiger), im September 4 (1 heftiger),
und von da an bis Ende April 1842 Niemand. Die heftigsten Formen traten im No-
vember auf, zu welcher Zeit auch 4 anderweitig entstandene Blennorrhöen in die An-
stalt kamen. Mehr als 30 waren in den für blennorrhoische Kinder bestimmten Zimmern
der Findelhausanstalt als Aminen verwendet, einige in wenig Tagen, andere 2 — 6 Wochen
nach ihrem Aufenthalte daselbst ergriffen worden. Drei gestanden, sich absichtlich mit
dem Wasser gewaschen zu haben, mit welchem die Augen der Kinder gereinigt worden
waren, um „böse Augen" zu bekommen und desshalb aus der Anstalt entlassen zu
werden; sie büssten leider mit dem Verluste eines, die eine auch mit dem Verluste
beider Augen. Andere hatten sich ihre Augen mit dem Leinwandflecke gerieben, der
zum Abwischen der blennorrhoischen Augen des Kindes benutzt worden war. Mehrere
halten den Ausbruch des Übels bemerkt, kurz nachdem sie heftig geweint, einige
nachdem es (bei stürmischem Wetter) in den Zimmern geraucht, mehrere nachdem sie
sich (auf den Gängen) heftiger Zugluft ausgesetzt hatten. Vier meinten sich dadurch
angesteckt zu haben, dass sie das augenkranke Kind des Nachts zu sich in's Bett ge-
") Lehrbuch Her Entzündung und organischen Krankheiten des menschlichen Auges, Prag 1846, bei Burrosch
und Andre.
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Fiiulelhänser. 55
nominell hatten. Die Mehrzahl wusste keine Veranlassung" anzugeben, und diess war
auch bei vielen der Fall, welche weder in dem Augenkrankenzimmer verwendet wor-
den waren, noch in andern Zimmern blennorrhoische Kinder zu saugen gehabt hatten.
Die Zahl der blenorrhoischen Kinder war nämlich so gross, dass fast in jedem Zimmer
der Anstalt einige belassen werden niussten.
Die Findelanstalt, im 2. Stocke des Gebärhauses auf dem sogenannten „Wind-
berge" gelegen, bot damalt. mehrere Übelslände (in Bezug auf die Blennorrhoe) dar,
welche im Frühling 1841 von einer Conunission erhoben wurden, und hier nicht un-
erwähnt bleiben dürfen. Bei der alljährlich wachsenden Zahl der daselbst Aufzuneh-
menden war zunächst nicht genug Raum vorhanden, so dass die Zimmer mit Ammen
und Kindern überfüllt werden musslen. Die Augenkranken wurden in drei Zimmern un-
terbracht, wovon 2 untereinander, und das 3. mit einem für Syphilitische bestimmten
conimunicirten. Zu je zweien führte nur Ein Zugang vom Corridor. In dem 1. Zimmer
waren 9 Kinder mit 6 Ammen, in dem zweiten 8 Kinder mit 6 Aminen, in dem dritten
1 1 Kinder mit 6 Ammen, in dem vierten 2 Kinder mit 1 Amme und 4 grössere (re-
stituirte) Findlinge. Zur Zeit des grössten Andranges stieg die Zahl der blennorrhoi-
schen Kinder in den beiden ersten, eigentlich nur Einen Raum bildenden Zimmern auf
24. in dem 3. auf 16 Kinder, nebst den erforderlichen Ammen. Die Verdunkelung
wurde mittelst Fensterläden und Vorhängen, die Lüftung mittelst Öffnen der Fenster
(im Winter nur der kleinern Flügel) vorgenommen. Die Ammen bedienten sich eines
Waschbeckens und Handtuches gemeinschaftlich. Für sämmtliche blennorrhoische Kinder
war nur eine Wärterin bestimmt, und ausser dem Primärarzte und dem Hauschirurgen,
welcher nebstdem andere, viel Zeit raubende Geschäfte zu besorgen hatte, kein Arzt
vorhanden.
Diesen Übelständen wurde sofort möglichst abgeholfen, und namentlich ein
eigener Arzt dem Primarius zur Aushilfe beigegeben. Seitdem ist die Blennorrhoe unter
den Ammen wohl zu verschiedenen Zeiten wieder häufiger und heftiger aufgetreten,
aber nie mehr in dem Grade, wie 1841. Man ersieht diess aus der nachfolgenden
Tabelle, welche ich nach den Protokollen der Klinik und Abtheilung für Augenkranke
und nach den Monatsberichten der Findelanstalt entworfen habe, nachdem mir der Herr
Primarius Dr. Böhm und der Herr Director Dr. Riedl die Einsicht in dieselben bereit-
willigst gestatteten.
56
Bindehaut.
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181
185
2411201
37
32
30
47
40
38
30
34
37
31
12
4
16
1849
Jäner
Februar
März
April
Mai
Juni
Juli
August
September
October
November
December
70
71
70
66
73
58
74
59
51
52
52
238
215
222
205
232
222
213
162
184
203
230
210
27 i
196
20
193
32
167
31
208
39 1
174
32 i
202
26
154
16
266
17
173
30
188
33
—
—
12
16
21
19
19
11
11
13
14
12
16
1 —
58 Bindehaut.
Dieses Vorkommen der Bindehautblenorrhüe unter den Ammen der Findelanstalt
gibt in mehrfacher Beziehung Aufschluss über diese Krankheit.
1. Eine Quelle derselben liegt in der unmittelbaren Übertragung des Secretes
durch Belastung, mittelst der Finger, eines Tuches, des hinreichend gesättigten Wasch-
wassers u. dgl. Diese Verbreitungsweise liess sich bei einigen constatiren, bei vielen
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit supponiren (bei jenen, welche die Krankheit vom
Weinen, vom Rauche, vom Schlafen mit dem Kinde herleiten) ; allein sie war bei
einer sehr grossen Zahl ganz gewiss nicht vorhanden.
2. Das Ergriffenwerden so vieler Individuen in Einem Räume, ohne dass eine
Übertragung durch Betastung stattgefunden hatte , führt natürlich zu der Annahme
einer Ansteckung durch die Luft. Ein flüchtiges Contagium entwickelt diese Krankheit
ganz gewiss nicht , wenigstens nicht so wie Masern, Scharlach, Blattern u. dgl. Die
Annahme einer besondern Verderbniss der Luft als Folge des Zusammcnwohnens Vieler
in einem Locale genügt auch nicht. Hingegen deuten alle Umstände darauf hin, dass
die Suspension des eitrigen Secrets in der Luft es ist , welche die Ansteckung in
distans bewirkt. Nur wo die Luft wenig erneuert, zugleich in eine höhere Temperatur
versetzt, und wo so viel Secret zur Verdunstung vorhanden ist, kann ^die Luft so mit
demselben imprägnirt werden, dass sie zum Träger des Contagiums wird. So erklärt
sich das häufigere Vorkommen bei strenger Kälte und in den heissen windstillen Som-
merlagen; so erklärt sich, warum erst längeres Verweilen in derart imprägnirter Luft
ansteckt; so erklärt sich, warum die Aminen nicht mehr erkranken, seitdem die Blen-
norrhoe den Neugeborenen durch Anwendung der ektrolischen Methode minder lang-
wierig und minder ergiebig an Secret geworden ist ; *) so erklärt sich endlich, warum
dem Umsichgreifen der Krankheit am sichersten ein Ziel gesetzt wird, wenn man die
Blennorrhoischen unter andere Augenkranke oder Gesunde vertheilt. Wo nicht viel
Secret zur Verdunstung vorhanden ist, da kann die Luft nicht leicht bis zu jenem
Grade gesättigt werden, dass sie dem gesunden Auge ein gehörig concentrirtes Con-
tagium zuführen könnte. Starke Verdünnung mit Wasser reicht ja auch hin, die An-
steckungskraft des eitrigen Secretes aufzuheben, oder doch so zu schwächen, dass es
nur eine ganz gelinde, dem Katarrh mehr weniger nahe stehende Entzündung zu er-
zielen vermag. — Hier drängt sich natürlich die Frage auf, ob bloss das blennor-
rhoische Secret der Bindehaut geeignet sei, durch Suspension in der Luft gesunden
Augen gefährlich zu werden, oder ob auch ähnliche Secrete von andern Schleimhäuten,
namentlich von den weiblichen Genitalien nach dem Puerperium, eine gleiche Wirkung
hervorzubringen vermögen. Scheint auch das häufigere Vorkommen der Bindehaul-
blennorrhöe zu Zeiten, wo Puerperalfieber herrschen, zur Bejahung dieser Frage ein-
zuladen, so ist man doch bei den gegenwärtig vorliegenden Prämissen noch nicht zu
einem solchen Schlüsse berechtigt.
3. Die Ansteckung in distans, welche unbedingt zugegeben werden muss, und nur
durch Sättigung der Luft mit dem verdünsteten Secrete erklärt werden kann, reicht
aber noch keineswegs hin, über das Vorkommen aller, nicht durch Betastung entstan-
denen Fälle während jener Zeit Aufschluss zu geben. Wir bekamen viele Ammen aus
Ä) Ich bin überzeugt, dass die seil 1848 auf meine Empfehlung eingeführte Ahorlivmelhode nach Chassaignac und
Bednar die Ursache ist, dass 1849 so wenig Aminen erkrankten. Vergl. Dr. Grün in der Prager medicinischen
Vierteljahrschr.fl B. XXII. S. To und B. XXIII. S. 141, und Dr. Olar B. XXV, S. 112.
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Findelhäuser. 59
der Findelanstalf, welche nicht im Augenkrankenzimmer gewesen, viele, welche nicht
einmal in die Nähe blennorrhoischer Kinder gekommen waren, noch an ßlennorrhoea
vaginae gelitten hatten. Wir sind genöthigt, noch eine besondere Disposition in der Luft
oder tellurische Einflüsse anzunehmen, wenn gleich wir dieselben näher zu bezeichnen
nicht im Stande sind. Alle Welt gibt zu, dass Entzündungen gewisser Schleimhautpartien
zu gewissen Zeiten auffallend häufig und heftig vorkommen, und man war noch nicht im
Stande, die atmosphärisch-tellurischen Veränderungen, auf die man zuletzt hingewiesen
wird, näher zu bezeichnen. Ich will nur auf die Influenza hindeuten, deren Verhältniss
zum gewöhnlichen Katarrh der Luftwege vor allen an das Verhältniss zwischen der
Bindehautblennorrhöe und dem Augenkatarrh erinnert. Dass aber
4. die Bindehautblennorrhöe in Beziehung auf atmosphärisch-tellurische Einflüsse
mit dem Augenkatarrh ganz gleiche Bedeutung habe , nur heftigere Formen darbiete :
das sahen wir eben an den Ammen, welche aus der Findelanstalt in's Spital gebracht
wurden. Bei den sogenannten Puerperalkatarrhen konnte gar oft nicht bestimmt wer-
den, ob die Krankheit auf dieser Stufe stehen bleiben, oder aber zur Blennorrhoe des
3. oder mindestens des 2. Grades steigen werde. Oft von ganz gleichen Formen war
die eine binnen wenig (5 — 12) Tagen geheilt, die einfache Versetzung aus der Findel-
in die Augenheilanstalt (wo in einem Saale auch 15 — 18 Personen, aber mit verschie-
denen Augenkrankheiten zusammen wohnten) hatte zur Heilung der Krankheit hinge-
reicht, indess bei andern (auch wenn kein Verdacht auf Ansteckung durch Betastung
vorhanden war) das Übel unaufhaltsam bis zum 3. Grade stieg, oder doch in einiger
Zeit die bekannte Wucherung des Papillarkörpers und schleimig-eitriges (zur Impfung
geeignetes) Secret zeigte. Man hatte die Nützlichkeit dieser einfachen Entfernung aus
der Findelanstalt sehr bald erkannt, und desshalb auch einige leichtere Fälle geradezu
in ihre Heimat entlassen. Von diesen nun kam eine Amme, welche bereits 8 Tage zu
Hause gewesen war, und in dieser Zeit nur an den Erscheinungen eines einfachen
Augenkatarrhs gelitten hatten, mit einer heftigen Bindehautblennorrhöe auf die Augen-
klinik, nachdem sie 2 Tage vorher bei stürmischem Wetter eine Fussreise gemacht hatte
(Mai 1841).
B. Noch mehr bestärkt in diesen Ansichten wurden wir durch die Bindehaut-
blennorrhöe, welche im Jahre 1848 unter den restituirten Findlingen herrschte. (Vergl.
obige Tabelle.)
Findlinge, welche verschiedenen Parteien auf dem Lande zur Verpflegung über-
lassen worden waren, werden aus verschiedenen Ursachen der Findelanstalt zurückge-
geben, namentlich in jenem Alter, wo die Anstalt die geringste Vergütung für dieselben
leistet, also besonders zwischen dem 5. und 10. Jahre, und zwar mehr Knaben als
Mädchen, welche letztere man in Haushaltungen eher verwenden, nutzbar machen kann.
Die Zahl dieser restituirten Kinder in der Findelanstalt kann demnach leicht auf 20—30
männliche und 10 — 20 weibliche Individuen steigen. Von diesen Findlingen nun, wel-
chen in der Anstalt einige Zimmer zugewiesen sind, kamen im Jahre 1848 allein 46
mit acuter Bindehautblennorrhöe in die Augenheilanstalt. Die Zahl der Erkrankten war
aber weit grösser, wie ich mich bei der im Sommer 1848 abgehaltenen Commission
überzeugte; denn nur die heftiger erkrankten waren in's Spital übersetzt worden.
Die Blennorrhoe unter den restituirten Findlingen verlief im Allgemeinen viel
milder als bei den Ammen. Nur bei 3 von jenen 46 Erkrankten entstand Hornhaut-
Entzündung mit Verschw ärung. und nur 1 Auge hievon erblindete. Die Krankheit blieb bei
60 Bindehaut.
den meisten auf den 2., bei sehr vielen auf den 1. Grad beschränkt, und die Steige-
rung zum 3. Grade erfolgte meistens erst nach längerem Bestehen des 1. und 2. Grades.
Sie charakterisirle sich mehr durch Schwellung der Lidbindehaut, als durch reichliche
Seeretion, und führte desshalb in einigen Fällen zu Ektropium. Der Verlauf war dem-
nach minder gefährlich als hartnäckig ; nur wenige der Kranken konnten schon nach
einigen Tagen entlassen werden, wie diess bei den leicht erkrankten Ammen sehr häutig
der Fall gewesen war; viele mussten bloss wegen Hartnäckigkeit der Wucherungen
des Papillarkörpers und der schleimig -eitrigen Secretion 4 — 5 Monate im Spitale zu-
rückbehalten werden.
Wenn man auch annimmt, der Keim zu diesen zahlreichen Erkrankungen sei
durch einen oder einige Findlinge in die Anstalt gebracht worden , welche von der
in der ersten Kindheit überstandenen Blennorrhoe vielleicht niemals völlig befreit, oder
später zufällig daran erkrankt gewesen waren; wenn man auch annimmt, dass das
Übel sich von einem Kinde auf das andere verbreitet habe, sei es durch Betastung oder
durch die imprägnirte Luft (die Kinder schliefen zu 6' — 8 — 10 in kleinen Zimmern eines
wegen Platzmangel gemietheten Privatgebäudes) , so bleibt es doch noch immer un-
erklärt, warum die Krankheit gerade in diesem Jahre eine solche Ausbreitung gewann,
wie nie zuvor, niemals nachher. Wie viel aber die Ansteckung durch tastbare Gegen-
stände und noch mehr durch die Luft in den Wohn- und Schlafzimmern zur Verbrei-
tung der Krankheit beigetragen hatte, das zeigte der Erfolg der Massregeln, welche
die Commission in dieser Beziehung anordnete, und welche vorzüglich die Sonderung
der Gesunden von "den Kranken, fortwährende Sorge für Erneuerung der Luft und eine
gehörige Dislocation und ärztliche Pflege auch jener bezweckten, deren Übersetzung
in's Spital nicht für nothwendig befunden wurde. (Anwendung von Cuprum sulfur. in
Substanz, von Argent. nitricum in mehr weniger concentrirter Lösung.)
C. Sporadische Fälle bei Erwachsenen kamen mir theils im Spitale, theils in
der Privatpraxis 70 vor, 29 bei männlichen, 41 bei weiblichen Individuen. (Ich zähle
nur die acuten Fälle und nur jene, welche wegen der Blennorrhoe selbst, nicht wegen
der einen oder der andern Nachkrankheiten, z. B. Staphyloma corneae, Cataracta centralis
u. dgl. zur Behandlung kommen.)'")
«) Von den 29 Männern litten 16, von den 41 Weibern 14 zur Zeit der Ent-
stehung der Augenblennorrhöe an Blennorhöe der Genitalien in verschiedenen Stadien.
Das Übel befiel in den meisten Fällen nur Ein Auge, wenn der Kranke gleich in den
ersten Tagen in ärztliche Behandlung gekommen war; es trat 20mal zuerst am rechten,
lOmal zuerst am linken Auge auf; nur in 6 Fällen wurde auch das 2. Auge ergriffen.
Nur wenige wussten sich zu erinnern, dass sie bei dieser oder jener Gelegenheit mit
dem Secrete der Genitalien an die Augen gekommen sein könnten. Viele , von den
weiblichen Individuen die meisten, läugneten ganz dreist jede Aftection der Genitalien;
wo sich die Untersuchung der Genitalien nicht Avohl vornehmen liess, wurde die Wäsche
*) Dr. von Hasner, welcher seine Beobachtungen ebenfalls grösslentheils im hiesigen Spital machte, vom Juli 1S44
bis Oclober 1846, bezeichnet das Verhältniss der weiblichen Individuen mit Bindehautblennorrhöe zu den männ-
lichen mit den Zahlen 6 :1 (98:15), ohne hervorzuheben, dass dieses Verhältniss in unserer Anstalt durch be-
sondere Umstände bestimmt werde, nämlich dadurch, dass das Spital die meisten Blennorrhoischen aus dem
Findelhause erhält (in jenem Zeiträume, laut obiger Tabelle mindestens 30), und dass übrigens von den Hand-
werkern, welche Zünfte bilden, fast nur die Schlosser und Tischler in's Spital, die übrigen aber zu den „Barm-
herzigen" gebracht werden.
Blenori'höe — Vorkommen — Ursachen — Sporadisch. 61
besichtigt, und diese gab uns oft ganz unzweideutige Beweise, dass eine Blennorrhoe
der Genitalien vorhanden war. Aus dem Status praesens jedoch, und auch aus dem
Verlaufe Hess sich niemals bestimmen, ob die Bindehautblennorrhöe durch Übertragung
von den Genitalien oder auf irgend eine andere Art entstanden war.
b} Bei 6 Individuen (2 männlichen, 4 weiblichen) hatte Ansteckung von andern
Kranken bestimmt oder höchst wahrscheinlich statt gefunden. Ein Knabe von 8 Jahren
kam mit seinem Vater, welchem beide Hornhäute in Folge von Blennorrhoe (aus nicht
ermittelbarer Ursache) zerstört waren, 1840 (Juni) in's Spital, und ein Knabe von 14
Ja Inen, dessen älterer Bruder an einem Tripper litt, bekam im Juni 1849 eine Blen-
norrhoe 3. Grades, nachdem auch mehrere Geschwister an Blennorrhoe 1. Grades er-
krankt gewesen waren. Die Frau eines Schlossers , welche ein an Blennorrhoe er-
kranktes Kind säugte, erkrankte kurz nach einander auf dem rechten und linken Auge,
und 3 Dienstmädchen waren in Verkehr mit Personen gestanden, welche, der Beschrei-
bung nach , an chronischer Bindehautblennorrhöe litten. So war z. B. die eine auf
Besuch zu ihren Verwandten nach Hause gegangen, welche sämmtlich schon länger an
Böthe und vermehrter Absonderung der Augen litten, und war schon den 2. Tag,
nachdem sie mit ihnen gemeinschaftlich ein Handtuch gebraucht hatte, von Drücken
und Schneiden und heftigem Thränen der Augen, und den 4. Tag von allen Symptomen
einer Blennorrhoe befallen worden, welche jedoch im Ganzen einen milden und kurzen
Verlauf (3 Wochen) machte.
c) Bei 40 Individuen, 4 männlichen und 6 weiblichen, musste Verhüllung als
alleinige, oder doch wesentlich beitragende Ursache angenommen werden. Ich will 2
Fälle dieser Art etwas genauer anführen. S. E., 34 Jahre alt, verheirathet, kam am 11.
October 1847 auf die Augenkrankenabtheilung. Die Lider beider Augen geschwollen,
doch die Falte des obern Lides nicht verstrichen, die Lidränder gleichmässig geröthet,
die Cilien durch Schleim in Büschel verklebt. Die Bindehaut der untern Lider gleich-
massig hochroth. leicht geschwollen, feinkörnig, im Übergangstheile wulstig ; auch der
Baum zwischen der äussern und innern Lefze (Kante) des Lidrandes hochroth und fein
granulirt; die Bindehaut über dem Tarsus überdiess mit einer dünnen, florähnlichen
Läse weisslieh grauen Exsudates bedeckt; die Bindehaut des obern Lides, so weit
man sie untersuchen kann, von derselben Beschaffenheit. Die Conjunctiva bulbi zu
einem schlaffen, blassrothen Walle rings um die Hornhaut erhoben. Die Hornhaut des
linken Auges nach innen von einem hanfkomgrossen Geschwüre eingenommen, dessen
Mitte weissnrau und etwas hervorgetrieben erscheint ; die vordere Kammer aufgehoben.
Die rechte Hornhaut nach innen und unten, !/2'" vom Rande entfernt, gleichfalls ein
durchbohrendes Geschwür darbietend, die Öffnung durch die Iris verlegt, die vordere
Kammer nur etwas kleiner. Massig reichliches molkenartiges Secret mit dicken gelben
Flocken. — Die Kranke hat vor 2 Jahren einen Rheumatismus im Kniegelenk über-
standen; die Fragen nach verschiedenen Affectionen, welche auf das Augenleiden Bezug
haben konnten , beantwortete sie verneinend ; man überzeugte sich , dass keine Blen-
norrhoe der Genitalien vorhanden war; sie war mit keinem Augenkranken in Berührung
gekommen. Sie war als Wäscherin häufig dem Einflüsse der feuchten und ziehenden
Luft ausgesetzt. Vor 10 Tagen trat ohne Veranlassung ein Gefühl von Druck im
äussern Winkel des rechten Auges ein , dann Empfindlichkeit gegen das Licht und
etwas Röthe; früh war dasselbe durch Schleim verklebt. Da auch Kopfschmerzen hin-
zutraten , räucherte sie Tücher mit Flussrauch und band sie über die leidende Seite.
02 Bindehaut.
Die Zufälle wurden ärger; dessen ungeachtet beschäftigte sich die Kranke den 3. Tag
mit Wäsche und Fussboden-YYaschen, wobei sie starker Zugluft ausgesetzt war. Die
Menstruen, welche sonst immer regelmässig durch 8 Tage flössen, und jetzt ungefähr
um dieselbe Zeit eingetreten waren, wo das Auge zu leiden anfing, wurden von diesem
Tage an sparsamer, und hörten schon den 5. Tag ganz auf. Am 4. Tage hatten sich die
Zu (alle am rechten Auge verschlimmert, und am 5. erkrankte auch das linke Auge, auf
beiden gesellte sich alsbald starke Geschwulst der Lider, Ausfluss einer eiterähnlichen
Flüssigkeit und zuletzt Unmöglichkeit, Gegenstände wahrzunehmen, hinzu. Wir fanden
beiderseits eine Blennorrhoe 3. Grades. — Z. J., Kellner, 24 Jahre alt, erkrankte am 26.
Jäner 1842 auf dem linken Auge; er empfand leichte drückende Schmerzen, und be-
merkte, dass es thränte. Denselben Tag Abends musste er sehr häufig bald in einen
mit xWenschen überfüllten und hell beleuchteten Saal, bald in's Freie. In der Nacht schwoll
das Auge an, die Schmerzen wurden heftiger, das Thränen reichlicher. Am 27. über-
schlug er kaltes Wasser, jedoch nur kurze Zeit, da Geschwulst und Schmerzen dabei
ärger wurden. Abends gesellte sich Fieber dazu. Am 28. verordnete ein Arzt, ein
gelbes Augenwasser; das Übel wurde ärger, der Ausfluss aus dem Auge reichlich,
weisslich. Am 29. fanden wir die Lider gleichmässig ödematös bis zur Höhe des Augen-
brauenbogens geschwollen, etwas empfindlich, wärmer, gegen den Rand violett; die
Lidspalte konnte spontan nicht geöffnet werden, die Cilien waren in Büschel verklebt;
die Conjunctiva palpebr. bläulichroth, geschwollen, die Übergangsfalte wulstig; die
Conjunctiva bulbi bildete einen 3'" hohen Wall rings um die Cornea; diese rein und
glänzend; auf der Bindehaut zahlreiche Flocken, zum Theil in einer molkenähnlichen
Flüssigkeit schwimmend. Brennende Schmerzen im Auge, Lichtscheue, abendliche
Exacerbation , massiges Fieber. — Der Kranke ist von zarter Constitution ; er soll im
18. und 19. Jahre an Lungenentzündung, im 21. an Bluthusten gelitten haben. Nebstdem
litt er zu verschiedenen Zeiten an reissenden Schmerzen in verschiedenen Partien, zur
Zeit, als das Auge erkrankte, in der Gegend des rechten Musculus sternocleidoma-
stoideus, so dass er den Kopf schief halten musste. Er gestand offen, wohl in früherer
Zeit an Tripper gelitten zu haben, jetzt aber seit mehr als einem Jahre sei er ganz
gesund, auch mit Niemandem, von dem er sich hätte anstecken können, in Berührung
gekommen ; er sei bloss in Folge der Verkältung erkrankt, und zwar so bedeutend,
weil er sich, bereits erkrankt, nicht habe schonen können. Da wir keine Ursache
hatten, gegen die Angaben des Kranken Zweifel zu hegen, auch keine Spur von Tripper
fanden, setzten wir 10 Blutegel an die Schläfe und gaben 4 Gran Tart. stibiatus in 3
Unzen Aq. dest., alle 10 Minuten 1 Esslöffel, fleissige Reinigung des Auges mit lauem
Wasser, strenge Diät, gleichmässige Temperatur. Es erfolgte 4mal Erbrechen und eini-
gemal Stuhl. Am 30. war die Geschwulst der Lider um die Hälfte kleiner, das Secret
weniger reichlich, der Puls normal. Unter Fortsetzung des Tart. stib. r. d. bis zum. 2.
Februar gingen alle Symptome gleichmässig zurück, nur die Schwellung der Conjunctiva,
namentlich des Papillarkörpers blieb bis gegen Ende Februar. Am 4. Februar Abends
traten, ohne dass man eine Veranlassung eruiren konnte, heftige Schmerzen, vom Auge
sich über den Kopf verbreitend, ein,, verloren sich jedoch nach Anwendung eines Bla-
senpflasters auf den Nacken . und eines Abführmittels, und am 22. Februar stellte sich,
gleichfalls ohne bekannt gewordene Ursache, eine heftige Angina tonsillaris mit Fieber-
bewegungen ein, wesshalb der Kranke erst am 2. März als völlig gesund erklärt werden
konnte.
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 63
d) Von den 24 Fällen, wo durchaus nichts über die Ursache ermittelt werden
konnte, kommen die meisten auf die Jahre 1847 und 1848. Von den 7 Männern hievon
war der jüngste 20, der älteste 40 Jahre alt, jener ein Schullehrergehilfe, dieser ein
Bauer (Vater des eben erwähnten 8jährigen Knaben). Unter den andern 5 waren 4
Taglöhner und ein Pferdeknecht, von 24 — 30 Jahren. Unter den 17 weiblichen Indi-
viduen mit gänzlich zweifelhafter oder unbekannter Ursache war ein 11 jähriges
Mädchen mit Blennorrhoe mildern Verlaufes (seit 6 Wochen) auf beiden Augen, und eine
12jährige Taglöhnerstochter mit hochgradiger Blennorrhoe des rechten Auges, dann eine
ledige Taglöhnerin von 46 Jahren mit hochgradiger Blennorrhoe (seit 14 Tagen), und
eine 36jährige ledige Person, welche bereits mehrere Wochen lang wegen eines Vitium
org. cerebri auf der Internabiheilung behandelt und daselbst auf dem linken Auge an
einer Blennorrhoe höhern Grades erkrankt war. Unter den übrigen 13 waren 7 ledige
dienstlose Mädchen, 2 Nähterinnen, 1 Nadelstechers-, 1 Schmiedstochter und eine Fa-
briksarbeiterin, alle im Alter von 18 — 27 Jahren, endlich ein Ziegeldeckerseheweib,
letztere zur Zeit der Aufnahme bereits 14 Tage krank.
Dreimal wurde ich zu Kindern (Mädchen von 2 — 5 Jahren gerufen), welche an
acuter Bindehautblennorrhöe erkrankt waren, ohne dass man eine äussere Ursache, am
wenigsten Ansteckung, supponiren konnte. Es waren blonde Kinder mit dünnem Kno-
chenbau, zarter Haut, leichten gerötheten Wangen, lebhaftem Wesen. Das Leiden war
mehr eine heftige Blepharoblennorrhöe, und zwar beider Augen; in allen diesen Fällen
war die Conjunct. palp. mit einer mächtigen croupösen Exsudatschichte belegt, welche
sich bei zweien erst nach einigen Tagen durch Erweichung und Zerfliessung ablöste.
Trotzdem die Geschwulst der Lider gross und das Secret dann reichlich und dickflüssig
war, blieb doch in allen Fällen die Conjunctiva bulbi von Geschwulst und somit auch
die Cornea von Entzündung frei ; die Kranken genasen bei fleissiger Reinigung der
Augen unter Anwendung gelinder Abführmittel und Einreibungen von Unguentum cine-
reum mit etwas Extr. belladonnae an Stirn und Schläfe.
Unstreitig in der grössten Ausbreitung und Heftigkeit ist die Binde-
liautblennorrhöe unter dem Militär in den stehenden Heeren des jetzigen
Jahrhunderts vorgekommen.
Nach dem Berichte Larrey 's, *) obersten Militärarztes des französischen Heeres,
entwickelte sich diese Augenentzündung,' welche in Ägypten einheimisch ist, bald nach
der Landung der Truppen daselbst (2. Juli 1798), und verbreitete sich so schnell unter
denselben, dass schon in den letzten Monaten dieses und in den ersten des folgenden
Jahres fast alle Soldaten (das ganze Heer bestand aus etwa 32000 Mann) davon ergriffen
waren. Nach Assalini, einem der ausgezeichnetsten Ärzte bei dieser Expedition, wurden
jedoch diejenigen Truppen, welche längs den Ufern des Nils aufgestellt waren, ferner
jene, die im Delta verblieben, dann die Division Desaix, welche den Nil in Oberägypten
besetzt hielt, und besonders die Sappeurs, welche man bei dem Bau der fliegenden
Brücke zwischen Gizeh und der Insel Raoudah verwendete, vorzüglich mitgenommen.
Larrey leitet die ungeheuer schnelle Ausbreitung dieser Entzündung, oder, besser ge-
sagt, das schnelle Ergriffenwerden fast aller Soldaten, von den beschwerlichen Märschen
'") Die geschichtlichen Bemerkungen sind entlehnt ans B. Eble's Monographie über die sogenannte contagiose oder
ägyptische Augenentzändung, Stuttgart 1839, bei Imle und T.iesching.
64 Bindehaut.
her, welche die Truppen in jener Zeit mitten durch dürre, wasserleere Sandwüsten
machen, und sich hier nun auf einmal erst der glühenden Tageshitze, dann der feuchten
Kälte in der Nacht Preis geben mussten, ohne sich dagegen schützen zu können. In
dem folgenden Feldzuge, 1800, hatten Ruhe, die nöthige Vorsicht auf den Märschen
und die Acclimatisirung das Übel fast unmerklich gemacht. Als aber die Armee im
Anfang des Jahres 1801 gegen die bei Abukir gelandeten Engländer marschiren mussle,
und am 21. März die Schlacht bei Alexandrien geliefert hatte, bewirkten diese Um-
stände, dann die Hitze, die beschwerlichen Schanzarbeiten und die kalten Nächte den
abermaligen Ausbruch des Übels, welches jetzt die schwächsten Individuen, z. B.
Blessirte und solche, die schon einmal daran gelitten hatten, befiel. Ein grosser Theil
der Truppen, welche in den feuchten Gegenden campiren mussten, wurden aügenkrank,
und in 2'/2 Monaten wurden mehr als 3000 Mann in 's Spital geschickt. Die Krankheit
yynrde von Larrey, Assalini und' den andern Ärzten als katarrhalische Ophthalmie
(Fluxion catarrhale) behandelt, und scheint nur in sehr wenig Fällen schlimme Folgen
hinterlassen zu haben. Nachdem der Rest der Armee (13000 Mann) nach Frankreich
zurückgekehrt war, nahm diese Augenentzündung bedeutend ab, und es ist seitdem in
den verschiedenen Armeen Frankreichs nie mehr eine solche Augenentzündungsepi-
demie vorgekommen.
Dagegen wurde die italienische Armee, welche einen Theil des grossen franzö-
sischen Heeres bildete, seit dem Jahre 1805 bis zu ihrer Auflösung 1815 von diesem
furchtbaren Übel in verschiedenen Garnisonen häufig, und zwar jederzeit epidemisch
heimgesucht. Zuerst trat die Krankheit bei der italienischen Legion, dem nachmaligen
6. Infanterieregiment, welche 1803 die Insel Elba gemeinschaftlich mit dem früher in
Syrien gestandenen 6. französischen Regimente besetzte, auf. Weil nun, wie Laverini
berichtet, unter dem letzten Regimente, welches schon in Syrien Augenkranke dieser
Art gehabt haben soll, auch während seines Aufenthaltes auf Elba immer solche Au-
genkranke vorkamen, und seitdem die Augenkrankheit auch unter dem 6. ital. Regi-
mente um sich griff, so behaupteten Omodei u. A., die Krankheit sei aus dem Orient
aus Ägypten eingeschleppt worden. Omodei und die Anhänger seiner Ansicht behaupten,
dass diese Krankheit durch 3 Bataillons des 6. italienischen Regiments, welche 1808
nach Spanien geschickt wurden, nach Spanien, durch die übrigen Bataillons aber von
Elba aus 1810 nach Mantua und 1811 nach Ancona verpflanzt, und so auch den übri-
gen hier befindlichen Truppenabtheilungen mitgetheilt worden. Indessen herrschte nach
Assalini die Krankheit schon im Mai 1791 unter einigen Bataillons modenesischer
Truppen, welche nach Reggio geschickt wurden, und beschränkte sich auch später
keineswegs auf das 6. italienische Regiment und die mit ihm in Berührung gekommenen
andern Regimenter, sondern es befiel 1808 auch das 1. leichte italienische Infanterie-
regiment zu Vicenza so stark, dass, nach Assalini, 600 Mann erkrankten, nach Cimba
1809 die italienischen Garde-Grenadiere auf ihrem Marsche nach Ungarn, nachdem sie
schon 2 Jahre früher in Mailand viele derlei Augenkranke hatten, und 1809 die Zög-
linge der Militärschule zu Mailand, welche Assalini speziell untersuchen musste. Am
heftigsten wüthete die Krankeit in Ancona. Zuerst brach die Epidemie 1811 in dem
6. Regimente aus, und erreichte 1812 eine solche Stärke und Bösartigkeit, dass von
1500 Soldaten 97 auf einem und 49 auf beiden Augen erblindeten. Auch 1813 dauerte
das Übel noch fort, so dass in diesem Jahre noch 65 Mann das Augenlicht verloren.
In allen diesen Epidemien unter den italienischen Truppen zeigte sich übrigens sehr
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 65
auffallend, dass die Infanterie vorzugsweise vor der Cavallerie, und dass die Rekruten
am häufigsten ergriffen wurden. Bis 1817 kam in Oberitalien unter dem Militär weiter
keine Epidemie vor ; Ende dieses und Anfangs des folgenden Jahres erschien die
Krankheit in dem Militärspitale zu Livorno, und von da bis 1824 hörte sie daselbst nie
ganz auf, doch nahm ihre Verbreitung von Zeit zu Zeit ab.
Die englische Armee, welche 1800 bei Abukir landete, wurde nach" Larrey's
Angabe, gleichzeitig mit den Franzosen und auch eben so häufig von dieser Augen-
krankheit befallen. Auch ergriff das Übel die Bemannung einzelner vor Anker liegender
Kriegsschiffe in Masse, und brach nach der 1803 erfolgten Räumung Ägyptens durch
die nach Malta, Sicilien, Gibraltar und England zurückkehrenden Truppen unter der
Garnison dieser Orte wieder aus. In Gibraltar, dessen Garnison eine Zeit lang fast
ganz aus Regimentern bestand, welche in Ägypten gewesen 'waren, und mehr oder
weniger an der Augenentzündung gelitten hatten, herrschte dieselbe sehr häufig, und
ergriff später nicht nur die übrigen Regimenter, welche den ägyptischen Feldzug nicht
mitgemacht hatten , sondern auch die Civilbewohner von Gibraltar. Nach J. Vetch
stimmten alle englischen Militärärzte darin überein, dass alle Regimenter der englischen
Armee , welche mit jenen in Garnison zu liegen kamen, die an dieser Krankheit in
Ägypten oder auf dem mittelländischen Meere gelitten hatten, von derselben heimge-
sucht wurden; doch gesteht er selbst ein, dass jene Soldaten seines (52. Infanterie-)
Regiments, bei welchem die Krankheit zuerst erschien, früher an derselben in Irland
bereits gelitten, und sie von da unter die Freiwilligen der irländischen Miliz, welche
zu diesem Regimente gestossen waren, verpflanzt hatten. Vom 2. Bataillon dieses Re-
gimentes, welches aus mehr als 700 Mann bestand, sind vom August 1805 bis August
1806 allein 663 mit dieser Krankheit in's Spital aufgenommen worden, und hievon 40
auf einem, 50 auf beiden Augen erblindet. Nach Adams hat diese Augenkrankheit seit
der Zeit, als die brittische Armee in Ägypten war, in England unter den Regimentern
die schrecklichsten Verheerungen angerichtet. In dem 52. Regimente sollen vom Juli
1805 bis Mai 1806 im Ganzen 1341 Mann augenkrank geworden sein, und das Übel
bis zum December desselben Jahres mit gleicher Heftigkeit fortgedauert haben, ja das
Regiment noch in den Jahren 1809 und 1810 nicht ganz davon befreit gewesen sein-
in Malta erlosch die Krankheit erst 1805, und in Sicilien, wo sie 1806 nach der Lan-
dung der Engländer ausgebrochen war, dauerte sie fast stationär fort bis zum Abzug
der Truppen. Später hat sich die Krankheit vorzüglich unter den in Frankreich stehen-
den Truppen häufig gezeigt. Im Jahre 1815 wurden 300 — 400 Mann von einem Garde-
Regiment bei Waterloo augenkrank ; in andern Regimentern herrschte das Übel nur etwas
gelinder ; aber zu Cambrai, wo die Engländer ein Spital errichtet hatten, belief sich
die Zahl solcher Augenkranken täglich auf 150 — 250 Mann, so dass kein Mann der in
dieser Stadt einquartirten Coldstream-Garden verschont blieb. Unter dem Civile jedoch
verbreitete sich die Krankheit nicht. In dem Militär-Asyl, einer Anstalt für Soldaten-
waisen, welche gewöhnlich 1200 bis 1400 Kinder enthält, kamen vom Jahre 1804, wo
die Krankheit zum ersten Male beobachtet wurde, bis zum Jahre 1811 beinahe 1500
Krankheitsfälle, die Recidiven mitgerechnet, vor. Doch war das Übel nicht so bös-
artig, als unter den Soldaten. Im Jahre 1818 gab es mehr als 500 blinde Invaliden
in England.
Was das österreichische Militär betrifft, so liegt, nach Eble, bis zum Jahre 1822
nicht eine einzige Thatsache vor, woraus man auf eine unter denselben epidemisch
Arll, I. 5
66 Bindehaut.
herrschende Augenlidblennorrhöe schliessen könnte. Im Jahre 1822 — 1823 trat dieselbe
zu Klagenfurt im 13. Infanterieregimente auf, welches 1814 aus den Überresten der
ehemaligen französisch-italienischen 1., 2., 4. und 6. leichten Infanteriereginlenter ge-
bildet worden war, und in welchem sich bei seiner Zusammensetzung mehrere Indivi-
duen befanden, die theils wirklich unter der Armee in Ägypten gedient hatten und
daselbst sogar augenkrank gewesen waren, theils die Epidemie zu Ancona mitgemacht,
oder auf Elba, Palma nouva, in Spanien, Sicilien, Mantua und zu Vicenza dieselbe oder
eine ähnliche Augenkrankheit überstanden hatten ; es sollen sogar einige derselben noch
augenkrank zum Regiment gekommen sein. Diese Umstände zusammen genommen gaben
Veranlassung zu der Behauptung, die im Jahre 1822 epidemisch ausgebrochene Augen-
krankheit stamme aus Ägypten. Diese Behauptung erhielt neue Stärke durch den
Umstand, dass dieses Regiment schon 1815 zu Brunn und 1816 zu Klagenfurt viele
Augenkranke hatte, worunter selbst 3 Unterärzte, und dass überhaupt dieses Übel bis
zum Jahre 1822 niemals ganz getilgt wurde. Das Regiment verlor vom Jahre 1815 bis
1822 im Ganzen 52 Mann durch theilweise oder gänzliche Erblindung. Im Frühjahr
1822 steigerte sich die Krankheit, begünstigt durch die strengen Waffenübungen, die
ausserordentlich heisse und sehr oft plötzlich wechselnde Witterung, so wie durch die
häufigen Orkane. Im April erkrankten plötzlich 12 Mann, und nun nahm die Zahl bis
Ende August immer mehr zu, dann bis Ende December wieder ab, so dass von 402
Augenkranken nur noch 27 Mann verblieben. Als man aber auf Veranlassung des hiezu
eigens nach Klagenfurt abgeschickten Dr. Wernek im Jänner 1853 das ganze Regiment
in seinen verschiedenen Stationen, so wie auch die Knaben des dortigen Militärerzie-
hungshauses einer genauen Untersuchung unterzog, erwies sich die Zahl der Kranken
als 492, wozu im Februar weitere 131, im März 30, im April 102, im Mai 113, im
Juni 59, im Juli 19, im August 5 und im September 10 kamen, so dass seit Anfang
1823 zusammen 961, und während der ganzen Epidemie 1300 Individuen, worunter
über 200 mit acuter Blennorrhoe, erkrankt waren. Dennoch war der Ausgang über-
haupt günstig zu nennen, besonders von dem Augenblicke an, als man die Krankheit
zweckmässiger behandelte und für ansteckend betrachtete. Die Zahl der ganz und
theilweise Erblindeten war 76, und davon fallen 72 ganz allein in die Zeit vor dem
Jäner 1823. — Nach einer 10jährigen Pause, während welcher die ganze österreichi-
sche Armee von jeder epidemischen Augenentzündung frei blieb, brach an demselben
Orte und fast unter gleichen atmosphärisch-tellurischen und Militärdienstes-Verhältnissen
(1832) eine der eben beschriebenen an Stärke nicht viel nachstehende, aber doch
nicht so bösartige Epidemie aus. Diesmal waren es nicht Italiener, sondern das 2.
Bataillon vom Peterwardeiner und das 1. und 2. Bataillon vom Grasdiner Grenzregi-
ment und 1 Bataillon des 7. Infanterieregimentes, welche in und um Klagenfurt kaser-
nirten. Die Erziehungskuaben blieben diesmal verschont. Man war durchaus nicht
im Stande, einen ursächlichen Zusammenhang der jetzigen mit der früheren Epidemie
nachzuweisen. Diesmal, wo man die früheren Erfahrungen verständig benützte, er-
blindete von 946 Augenkranken, worunter gegen 100 acute Blennorrhöen, kein einziger
ganz, 2 nur einerseits, und 5 wurden wegen unheilbarer Nachkrankheiten für dienst-
untauglich erklärt. Vom 2. Bataillon des Peterwardeiner Grenzregimentes, also von
1238 Mann, erkrankten 920, vom Gradiscaner Regiment nur 13, vom Bataillon des 7.
Infanterieregiments ebenfalls nur 13 Mann. Die Epidemie dauerte vom Juli bis De-
cember, und erreichte ihre grösste Höhe am 3. October. Das hauptsächlich ergriffene
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 67
Bataillon lag in der Waisenhauskaserne, und die Epidemie begann, nachdem kurz vor-
her die Kaserne gereinigt und geweisst worden war, was bei sehr ungünstiger Witte-
rung geschah. Im Juli und August überschritt die Krankheit nie den niedern Grad,
wurde daher auch für eine gewöhnliche katarrhalische gehalten und als solche be-
handelt. Erst im September erreichte das Übel mit steigender Extensität auch eine
immer grössere Intensität, nämlich den 2. und in ein paar Fällen den 3. Grad.
Die grösste Ausbreitung erlangte die Krankheit unter den preussischen Truppen
vom Jahre 1813 bis 1820. Unter dem Armeecorps, mit welchem General York die
ans Russland fliehenden Franzosen verfolgte, nahm die früher herrschende Nervenfieber-
Epidemie im Frühjahre 1813 bedeutend ab ; dagegen zeigten sich die ersten Spuren
einer Augenentzündung in den verschiedenen Truppenabtheilungen, vorzüglich bei der
Infanterie des 3. Armeecorps , welches die Franzosen bis Magdeburg verfolgt hatte.
Dr. Krantü zählte bei dem 1. ostpreussischen Infanterieregiment von seinem Marsche
aus Königsberg bis zur Schlacht bei Leipzig an 700 Augenkranke (katarrhalische *f)\
welche sämmtlich ohne üble Folgen wieder hergestellt wurden. Vom Infanterieregiment.
Kolberg, welches ebenfalls bei mancherlei Mängeln und Noth den grössten Mühselig-
keiten ausgesetzt war , wurden 1813 im Mai 250 Mann von einer (katarrhalischen)
Augenentzündung befallen, und auch diese sollen alle beim Regimente glücklich be-
handelt und geheilt worden sein. Nicht minder erfreuliche Berichte erhielt man vom
2. Ostpreussischen Grenadierbataillon, welches vom 1. Mai bis Ende August desselben
Jahres 185, vom 13. Infanterieregimente, welches in diesem Jahre 267, dann vom 1.
Landwehr-Infanterieregimente, welches binnen Jahresfrist 1500, und vom 1. ostpreussi-
schen Infanterieregimente, welches während der Belagerung von Torgau an 200 derlei
.Augenkranke hatte. Fast auf gleiche Art lauten die Berichte "von den übrigen Infan-
terieabtheilungen; nur bei dem 6. Reserve-Infanterieregimente, welches bei den Bela-
gerungen von Stettin, Torgau und Wittenberg verwendet und ebenfalls von dieser
Krankheit epidemisch heimgesucht wurde , 'steigerte sich dieselbe öfters bis zur Oph-
thalmoconjunctivitis (Chemosis und Phlegmone), wurde aber doch, bis auf sehr wenige
Fälle, eben so leicht und vollständig wie bei den andern Regimentern bezwungen.
Die sämmtlichen Cavallerieregimenter blieben fortan von der Epidemie verschont, und
die katarrhalische Augenentzündung kam bei ihnen höchstens sporadisch, und da ver-
hältnissmässig selten vor. Die preussischen Mililitärärzte dieser Zeit machen auf ein
gewisses Wechselverhältniss der Augenepidemie mit der Typhusepidemie unter den
Truppen aufmerksam. Mit dem Herbste 1813 zeigte sich diese Augenkrankheit bald
bei einzelnen Individuen , bald bei mehreren zugleich , und vorzugsweise bei einer
beträchtlichen Anzahl von Individuen bestimmter Truppengattungen in sehr heftigem
Grade und mit nicht selten sehr unglücklichen Ausgängen, daher man sie denn auch
Ophthalmia maligna vel perniciosa nannte. Als solche trat dieselbe vorzüglich auf,
nachdem die Armee während des Waffenstillstandes die Gegenden von Dresden, Torgau,
Wittenberg und Magdeburg eingenommen hatte. In den Jahren 1814 und 1815 mehrte
sich die Zahl der perniciösen Angenentzündungen am stärksten bei den Infanterie-
abtheilungen, namentlich bei dem 1. und 3. Bataillon des 5. ostpreussischen Landwehr-
regiments, beim 16. Infanterieregiment, welche beide früher immer verschont geblieben,
ferner in dem Füselirbataillon des 1. westpreussischen Infanterieregiments zu Kosel.
Als die preussische Armee in Eilmärschen nach Frankreich rücken musste, liess sie in
Münster . Mainz . Koblenz . Düsseldorf. Wesel, Aachen. Lüttich. Namur und Mastricht
68 Bindehaut.
viele Blennorrhoische zurück, welche in die Behandlung von Gräfe kamen. Nach def
Schlacht bei Waterloo schien die Krankheit als Seuche unter der preussischen Armee
ihre grösste Höhe erreicht zu haben. Mit dem eintretenden 2. Frieden und der kalten
Jahreszeit nahm das Übel bedeutend ab, zeigte sich jedoch unter einzelnen Truppen-
körpern noch immer vorherrschend, und wüthete namentlich 1818 am vorherrschendsten
im 2. Garderegiment zu Berlin selbst. Ungeachtet sich die Anzahl der von 1813 — -1817
von dieser Augenentzündung Befallenen nicht genau bestimmen lässt, lässt sich jedoch
annehmen, dass sie 20.000 bis 25.000 betrug. Hievon sind ungefähr 150 ganz und
250 halb blind geworden. Merkwürdig ist , dass die fliehenden Franzosen nur vom
Typhus, nicht aber von der Augeneutzündung heimgesucht wurden, und ferner dass,
nach Dr. Balte, die Krankheit unter den Soldaten zuerst in den östlichen Gegenden,
namentlich in Königsberg, Danzig und Breslau, welche zu Sammelplätzen des Heeres
dienten, zum Vorschein kam. Auch wurden vorzüglich die Rekruten, besonders jene
der Landwehr- und der Reserveregimenter und die Reservelazarethe in Pommern und
Brandenburg davon heimgesucht. So wie die Sammel- und EinÜbungsplätze nach dem
Innern des Landes hin sich mehrten, und wie die schon formirten Truppentheile von
Ostpreussen und Schlesien sich der Oder und Elbe näherten, so vermehrte sich auch
unter ihnen die Zahl der Augenkranken, welche übrigens bei den Belagerungstruppen
am grössten war, wogegen die Artillerie meist verschont blieb. Im Jahre 1818 erschien
das Übel mit seiner alten Bösartigkeit unter den preussischen Besatzungstruppen von
Mainz, während die Österreicher gänzlich davon frei blieben. Es ergriff zuerst das 34.
Infanterieregiment, welches aus Schlesien nach Mainz gekommen war, dann auch die
andern preussischen Regimenter daselbst. Die Augenkrankheit entwickelte sich im
Juni und Juli, wurde im August und September höchst bösartig, zeigte diesen Charakter
im October und November nicht mehr so allgemein, legte ihn im December, Jäner und
Februar 1819 gänzlich ab, und gab so Hoffnung, den gelindesten Grad anzunehmen.
Aber bald stieg sie wieder zum 2. und 3. Grade, und übte ihre ganze Bösartigkeit
vorzüglich an den während des Winters eingetroffenen Rekruten, welche sie fast ohne
Ausnahme ergriff. Als im März und April 1819 das Übel immer mehr wuchs, wurde
Piust nach Mainz geschickt. Damals war bereits der 3. Theil von dem preussischen
Antheil der Besatzung ergriffen, also 1146 Mann: am letzten April belief sich die ganze
Zahl der Augenkranken auf 329, am 9. Mai auf 529. Rust ordnete sehr gut combinirte,
sowohl auf Zerstörung des Contagiums, als auf Verhinderung seiner Wiedererzeugung,
Fortpflanzung und Übertragung abzweckende, medizinisch-polizeiliche Massregeln an,
und regelte die Behandlung durch eine eigene ärztliche Instruction. Im Juni wuchsen
201, im Juli 63, im August 54, im September noch 53 Augenkranke zu. Mit der Zahl
des Zuwachses verminderte sich auch die Intensität, so dass die letzten Zuwächse
schon binnen einigen Tagen das Spital wieder verlassen konnten. Im October war die
Epidemie als beendigt anzusehen. Die Gesammtzahl aller von dieser Epidemie ergriffen
gewesenen Soldaten belief sich sonach auf 1798 Mann, worunter jedoch 250 Recidive.
Üherdiess waren 1 Regimentsarzt, 2 Lazarethchirurgen und 12 Krankenwärter erkrankt.
Zu den 11 gänzlich Erblindeten und 38 mit mehr weniger Störung des Gesichtes davon
Gekommenen waren seit der Ankunft Rust's nur 8 unglücklich endende Fälle, worunter
2 mit bedeutenden Fehlern auf beiden Augen, hinzugekommen. — Nach Baltz hat man
die Gesammtzahl der vom Jahre 1813 — 1821 von dieser Augenentzündung ergriffenen
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 69
preussischeu Soldaten auf 30.000 und die der Erblindeten auf 1100 gesetzt; erstere
scheint ihm zu hoch, letztere zu niedrig angesetzt zu sein.
Die Schilderung des Auftretens dieser Krankheit unter den schwedischen,
neapolitanischen, russischen und belgischen Truppen etc. kann füglich übergangen
werden, da sie zur Erörterung der hier in Rede stehenden Fragen kaum neue Belege
liefern dürfte.
Die Schilderung der Augenentzündung unter dem Militär, wie sie
uns die verschiedenen Auetoren überliefert und zum Theil durch Abbil-
dungen *) dargestellt haben, beweist, dass diese Entzündung theils als
Katarrh, theils als Blennorrhoe niedem und höhern Grades angesprochen
werden muss, und mit der katarrhalischen und blennorrhoischen Entzün-
dung, wie wir sie in Findelhäusern beobachten, in allen wesentlichen
Zufällen übereinstimmt. **) Der Name Ophthalmia militaris ist demnach
ganz zu verwerfen. Dasselbe gilt von dem Ausdrucke Ophthalmia aegy-
ptiaca, welcher seit Omodei gang und gäbe geworden ist. Abgesehen
davon, dass sich ein objeetiver Unterschied zwischen einer durch Impfung
von Blennorrhoea neonatorum oder Tripperschleim erzeugten Blennorrhoea
conjunctivae und einer sogenannten Ophthalmia aegyptiaca durchaus nicht
nachweisen lässt, konnte auch der vermeintliche ägyptische Ursprung bei
verschiedenen Epidemien gar nicht nachgewiesen werden, es waren im
Gegentheile Momente genug vorhanden, welche die spontane Entwicklung
der Krankheit als Ophthalmia catarrhalis und deren Steigerung zur Blen-
norrhoea leicht begreiflich machen, und diess rasche Umsichgreifen der-
selben einzig und allein erklären. Epidemien von Augenentzündungen —
und epidemisch können nur Bindehautentzündungen auftreten — wurden
übrigens schon im 17. und 18. Jahrhunderte beobachtet und beschrieben
(z. B. 1565 in Holland, 1699 und 1701 in Schlesien, 1703 zu Rom, 1712
zu Ferrara, 1761 unter den Soldaten in Westphalen, 1777 in Wien),
wenn auch zu unvollständig, als dass sich aus der Beschreibung selbst
der Idenditätsbeweis herstellen liesse; Epidemien einfach katarrhalischer
Augenentzündung kommen auch heut zu Tage an verschiedenen Orten
vor; die Steigerung solcher Fälle zu Blennorrhöen möglich zu finden
braucht man in der That nicht die Zuflucht zu einem aus Ägypten stam-
menden Stoffe zu nehmen, man sieht sie oft genug erfolgen auch bei
-) J. B. Müller, „Erfahrungen über die contagiöse Augenentzündung, Mainz 1821" und „die neuesten Resultate
über die ansteckende Augenliderkrankheit am Niederrhein, Leipzig 1823;" Eble, „Bau und Krankheiten der
Bindehaut, Wien 1828" und „Die contagiöse oder ägyptische Augenentzündung, Stuttgart 1839;" Gräfe, „Die
epidemische contagiöse Augenblennorrhöe Ägyptens, Berlin 1823" u. A. m.
c-) In wie fern auch Fälle, welche als Trachoma anzusprechen sind, mit in jene Schilderungen einbezogen wurden,
soll später, wo vom Trachoma die Rede sein wird, erörtert werden.
70 Bindehaut.
sporadischen Fällen, sobald nur einzelne der Übelstände einwirken, denen
das Militär, namentlich die Infanterie, in dem ersten Viertel dieses Jahr-
hunderts so reichlich ausgesetzt war.
Mit meiner Arbeit über die Krankheiten der Bindehaut beinahe zum Abschluss
gekommen, erhielt ich endlich auch Gelegenheit, die sogenannte Ophthalmia militaris
contagiosa seu aegypliaca selbst in grossen Massen zu beobachten. Nachdem mir An-
fang Juni 1850 auffallend viele Leute aus der Stadt mit Ophthalmia catarrhalis zuge-
kommen waren, so dass ich auch meine Schüler auf diesen Umstand aufmerksam zu
machen veranlasst war, sagte mir Anfang Juli der Stabsarzt Dr. Metzler von Andelberg,
dass nun seit einigen Wochen auch in der Prager Garnison die bereits seit mehren
Monaten in Galizien herrschende Augenkrankheit sich zu zeigen anfange, und zwar bei
dem ungarischen Regimente Dom Miguel, welches in der Karolinenthaler Kaserne auf
einem Dachboden einquartirt war. Durch die Güte des Regimentsarztes Dr. Bleyle
erhielt ich Gelegenheit, die im Artilleriespital am Hradschin unterbrachten Augenkranken
so oft und so viel ich wollte zu untersuchen und zu beobachten. Eine Menge Um-
stände jedoch — worunter Mangel an- der nöthigen Zeit und Unkenntniss der unga-
rischen, walachischen etc. Sprache nicht die geringsten — machten es mir unmöglich,
die Krankheit in ihrem ganzen Auftreten und in allen ihren Beziehungen zu den äussern
Verhältnissen so zu beobachten, dass ich eine streng wissenschaftliche und umfassen-
dere Schiiderung dieser Epidemie — wenn man so sagen darf — zu liefern im Stande
wäre. Es möge hier vorläufig genügen, dass ich hier in Prag im Ganzen etwa ISO
Fälle von verschiedener Heftigkeit und Dauer zu sehen bekam, in Salzburg 15, und in
Wien beiläufig 370 (229 in der Rennwegkaserne durch die Güte der Herren Doctoren
Opitz und Low, 140 im Josephinum durch die Güte des Hrn. Stabsarztes Dr. Brmn
und der Herren Doctoren Kolarschik und Gernath~). Nebstdem sah ich Leute, grössten-
theils Invaliden, welche in den letzten 3 Jahren in Italien (Florenz), in Ungarn (Te-
mesvar), in Galizien (Cernovic, Lemberg, Krakau), in Mähren (Olmütz) und in Böhmen
(Königgrätz) erkrankt waren.
Ich gewann zunächst die Überzeugung, dass an diesen Orten ganz dieselbe
ie herrscht oder herrschte, welche nebst vielen Andern Müller in Mainz, Eble
'in Wien, Wernek und von Rosas in Klagenfurt beobachtet und beschrieben haben, und
dass diese Ophthalmie von jener, welche ich 1848 unter den restituirten Findlingen ge-
sehen, in keinem wesentlichen Punkte differirt.
1. Es kamen, wenigstens zu Anfang hier in Prag, zahlreiche Fälle vor, welche
man, hätte man sie isolirt im Civile gesehen, ganz gewiss nur für Ophthalmia catar-
rhalis erklärt haben würde. Mehrere davon blieben als solche stehen, und konnten nach
mehreren Tagen für geheilt erklärt werden.
2. In der Mehrzahl der Fälle waren die Erscheinungen vorhanden, welche ich
oben als den ersten oder den zweiten Grad der Blennorrhoe minder schnellen Verlaufes
(Liepharoblennorrhöen) bezeichnend, angeführt habe. Im Allgemeinen war die Infil-
tration der Augenlidbindehaut vor der Production schleimig-eitriger Flüssigkeit an der
freien Oberfläche vorherrschend ; doch fehlte es nicht an Fällen, wo das Secret nicht
nur sehr reichlich, sondern auch durchaus trüb, molken- oder fleischwasserähnlich
erschien.
3. Die Infiltration der Bindehaut gab sich in solchen Fällen nicht nur durch
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 71
gleichmässige hohe oder dunkle Röthe und Undurchsichtigkeit der Bindehaut, sondern
auch durch deutliche Schwellung derselben kund. Bald sah man den Tarsaltheil sam-
metaftig, wie mit dicht an einander gedrängten Stauhkürnchen hesäet, bald fein-, bald
grobkörnig, die einzelnen Erhabenheiten dicht an einander gedrängt, hoch- oder dun-
kelroth, von ziemlich gleicher Grösse. Der Übergangstheil erschien entweder einfach,
wulstig und glatt (ohne körnige Erhabenheiten), oder er war durch Einsprengung licht-
grauer Körner zugleich etwas uneben.
4. Das Vorkommen lichtgrauer oder gelblicher bläschen- oder körnchenähnlicher
Exsudate, sogenannter grauer Granulationen, welche nicht als einfach vergrösserte Pa-
pillen, sondern als selbstständige Ablagerungen auf oder neben die Papillen betrachtet
werden mussten, war, ohne Zuziehung einer Loupe, nur als relativ seltene Erscheinung
zu betrachten. In der Rennwegkaserne, wo ich in Bezug auf dieses Symptom eine
Zählung vornahm, fand ich dasselbe nur bei 25 von 228 Kranken. — Unter der Loupe
betrachtet, zeigten die etwas mehr vergrösserten Papillen gleichsam die Anfänge sol-
cher Neubildungen, massenhaft auf die Papillen aufgelagertes Exsudat. Oft schienen
mehrere Papillen durch solche Exsudate in Eins verschmolzen zu sein. Eine solche
Verschmelzung war oft schon mit freiem Auge über dem Orbitalrande des Knorpels
zu erkennen, wodurch 1 — 2 graue Wülste entstanden. Man erinnere sich der S. 28
mitgetheilten Krankheitsgeschichten.)
5. Viele Fälle, welche heute noch als Ophthalmia catarrhalis gelten konnten,
zeigten nach 2 — 3 oder mehr Tagen die Erscheinungen, welche das tiefere Erkrankt-
sein der Bindehaut nicht mehr verkennen Hessen. In einem solchen Falle entwickelten
sich unter unsern Augen in 5 — 6 Tagen die Erscheinungen einer exquisiten Blennorrhoe
(3. Grades) auf beiden Augen.
6. Die Steigerung zum 3. Grade war im Allgemeinen sehr selten ; ich sah in
Prag nur 3, in Wien nur 5 heftigere Fälle. Unter den Invaliden, die ich in Prag
sah, waren 8, welche nach den Veränderungen der Cornea und nach ihren Beschrei-
bungen zu schliessen, die Krankheit im 3. Grade überstanden haben mussten.
7. Auf 100 Kranke kamen nur 2 — 3, welche zur Zeit, wo ich sie sah, bloss
auf einem Auge erkrankt waren; bei den übrigen waren beide Augen zugleich, oder
binnen wenigen Tagen ergriffen worden.
8. Alle boten daher nicht nur an dem obern und untern Lide, sondern auch
auf beiden Augen im Ganzen dieselben Erscheinungen (bis auf die Hornhaut) und in
demselben Grade dar.
9. In keinem einzigen Falle, auch nicht bei den Invaliden, wovon einige bereits
vor 2'/2 Jahren erkrankt waren, sah ich Verschrumpfung der Bindehaut — ausser nach
intensiven Ätzungen mit Lapis infernalis — niemals eine Spur von Verschrumpfung
oder Verbildung des Knorpels, oder eine Einwärtswendung der Wimpern oder des
ganzen Lidrandes. Ich sah hier aber auch kein Ectropium, wie ich es unter den re-
stituirten Findlingen doch 2mal zu Gesicht bekommen hatte. Von den Invaliden litten
2 an Pannus.
10. Der Grund, dass ich unter den 500 Fällen in Prag und Wien so selten die
Erscheinungen der Ophthalmoblennorrhoe, und im Ganzen darunter nur 4 Augen un-
rettbar (durch Verschwärung der Cornea) verloren zu sehen bekam, liegt wohl nicht
so sehr in dem mildern Auftreten der Krankheit an und für sich, als vielmehr in den
zeitig genug eingeleiteten entsprechenden Sanitäts-Massregeln, im Verein mit einer im
72 Bindehaut.
Allgemeinen sehr zweckmässigen Behandlung. Man Hess es, wenn man so sagen darf,
gar nicht zur höhern Potenzirung des Contagiums kommen. Die weitern Sätze werden
diesen Ausspruch rechtfertigen, wenn wir uns gegenwärtig halten, dass wir uns unter
Krankheit nicht überhaupt etwas zu denken haben, das gleichsam als etwas Selbst-
ständiges seinen Sitz da oder dort im Organismus aufschlägt, sondern nur eine Reihe
zusammenhängender abnormer Erscheinungen, deren Auftreten entweder in der ur-
sprünglichen Form und Mischung der organischen Materie selbst, oder in der Einwir-
kung abnormer äusserer Verhältnisse, oder in beiden zugleich gegeben ist, und deren
Weiterentwicklung nebst ihren ursächlichen Momenten überdiess noch von den bereits
hiedurch eingeleiteten Veränderungen eines oder mehrer Organe abhängt.
11. Die Augenkrankheit unter den Soldaten musste .als durch äussere Momente
bedingt und zwar als bloss auf das Auge beschränkt, als ein rein örtliches Leiden be-
zeichnet werden. Ich sah Leute von allen Nationen von den verschiedensten Körper-
constitutionen u. s. w. ergriffen. Ich konnte keinen Unterschied finden in Bezug auf
die Farbe des Haares oder der Iris, in Bezug auf die Beschaffenheit der Haut ; auch
Individuen mit deutlichen Attributen der Scrofulosis litten nicht an heftigeren Zufällen,
als andere kerngesund aussehende. Die Leute, wenn nicht von heftigen Schmerzen
oder von der Furcht \or Erblindung gequält, befanden sich körperlich ganz wohl;
diejenigen, welche ich genauer um ihr gegenwärtiges und früheres Befinden befragen
konnte, sprachen nie von Störungen der Gesundheit im Allgemeinen, welche mit dem
Augenleiden auch nur im Entferntesten hätten in ursächlichen Zusammenhang gebracht
werden können. Auch von katarrhalischen Affectionen anderer Schleimhautpartien,
namentlich des Tractus respiratorius, war im Allgemeinen keine Rede. Ein gleiches
Verhältniss hatte ich 1848 unter den restituirten Findlingen beobachtet.*)
12. Eine besondere Beschaffenheit der Atmosphäre als begünstigendes iMoment
zur Hervorrufung dieser Krankheit ist möglich, selbst wahrscheinlich, jedoch nicht
nachweisbar. Wir dürfen sie daher bei dem gegenwärtigen Standpunkte unseres Wis-
sens weder negiren, noch in den Vordergrund stellen. Vor allem darf der Umstand
nicht übersehen werden, dass die Krankheit mitten in dichtbevölkerten Städten unter
den Soldaten auftrat, ohne dass das Civile in einer auch nur proportionirten Anzahl
erkrankte. Man kann diese Krankheit daher keineswegs eine epidemische, streng ge-
Wenn Dr. Gulz , der uns in seiner Monographie über die sogenannte ägyptische Augenentzündung, Wien 1850
(Keck & Sohn), eine so treffliche Abhandlung über diese Krankheit geliefert, dass, wenigstens was die beiden
ersten Abschnitte (Katarrh und Blennorrhoe) betrifft, ihm wohl jeder Sachverständige darüber die vollste Aner-
kennung zollen wird, sich veranlasst sieht, eine besondere Dyskrasie, eine allgemeine Krankheit als Ursache des
massenweisen Auftretens der Ophthalmie unter dem Militär anzunehmen, und somit diese Ophthalmie in 3 Formen
zu scheiden, wovon die im 3. Abschnitte besprochene, das Trachoma, von den beiden ersten — Katarrh und
Blennorrhoe — keineswegs graduell, sondern wesentlich verschieden sein soll, so kann ich ihm in dieser Hin.
sieht durchaus nicht beistimmen. Meines Erachtens sind wir nicht berechtigt, eine Dyskrasie anzunehmen, welche
sich einzig und allein an der Bind.ehaut und sonst nirgends am ganzen Körper offenbart. Wir sind nicht be-
rechtigt anzunehmen, dass Jemand, der sich ein paar Stunden in einer mit „Trachomatöseu" angefüllten, schlecht
gelüfteten Localität aufhält und nun eine Ophthalmie bekommt, die sich von der bei den bereits Erkrankten nicht
unterscheiden lässt, plötzlich auch die Dyskrasie eingeimpft erhalten habe. Oder soll man in allen solchen
Fällen — und deren sind eine Masse constatirt — annehmen, sie haben jene Dyskrasie latent in sich getragen?
Freilich gibt es da einen Ausweg, man sagt: derart entstandene Fälle seien nur Katarrh oder Blennorrhoe.
Dann möchte ich aber doch lieber sagen: die Fälle, welche den Stoff hiezu lieferten, waren wohl auch nur
Katarrhe und Bleiinorrhöeii mit dem vorwaltenden Symptome der sogenannten Granulation.
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 73
nominen auch nicht eine endemische nennen. — Zwar ist es Thatsache, dass entzünd-
liche Affectionen der Schleimhäute und katarrhalische Erscheinungen der Bindehaut
insbesondere zu gewissen Zeiten auffallend häufig vorkommen, so dass man am Ende
auf atmosphärische Abnormitäten als bedingende Momente nothwendig hingewiesen
wird, doch würde man gewiss sehr fehlen, wenn man diesem unbekannten Etwas alles
in die Schuhe schieben, es als den allgemeinen Sündenbock hinstellen wollte. Wir
müssen das epidemische Auftreten von Bindehautkatarrhen zugeben , weil es That-
sache der unmittelbaren Beobachtung ist; die Steigerung katarrhalischer Bindehaut-
entzündungen zu Blennorrhöen und deren massenhaftes Auftreten jedoch ist zunächst
durch das Hinzukommen anderer Momente bedingt,
13. Der Soldat lebt unter mancherlei Einflüssen, welche seine Augen, in specie
die Bindehaut um so mehr zu reizen im Stande sind, je weniger er daran gewöhnt ist.
Es dürfte vielleicht nicht so viel Gewicht auf ungewohnte, den Rückfluss des Blutes
vom Kopfe behindernde Kleidung, nicht so viel Gewicht auf den Einfluss grellen Lich-
tes, als vielmehr auf den Staub, den Rauch und die verschiedenen scharfen Dünste,
so wie auf den oft grellen Temperaturwechsel zu legen sein, welchem der Soldat theils
beim Exerciren, theils beim Kasernenleben, theils beim Beziehen mancher Wachtposten
ausgesetzt ist. Diese Umstände vermögen schon an und für sich, wie factisch erwie-
sen, Bindehautkatarrhe zu erregen, sie vermögen, wie nicht minder constatirt, das
einmal ausgebrochene Leiden zu steigern. Bindehautkatarrhe, auf diese Weise entstan-
den, kommen unter dem Militär wohl eben so häufig, wenn nicht öfter «vor, wie unter
dem Civile. Sie imponiren aber nicht als Epi- oder Endemie, so lange sie vereinzelt
dastehen, so lange nicht noch Umstände hinzugekommen sind, welche das massenweise
Auftreten bedingen.
14. Die Bedingungen zum massenweisen Auftreten sind aber gegeben, wenn,
vorläufig abgesehen von dem Einflüsse, welchen vielleicht eine specielle Luftconsti-
tution gibt, die Soldaten ungewöhnlich zahlreich zusammengedrängt werden, und das
(bei sich durch Übertragung weiter verbreitet. Mit der Zusammendrängung ist schon
die stärkere und leichtere Einwirkung der unter 12 angeführten Schädlichkeiten im
Allgemeinen gegeben; für sich allein würde dieser Umstand das so häufige Erkranken
nicht erklären, wenn wir nicht, durch andere Umstände belehrt, die Überzeugung ge-
wonnen hätten, dass das Übel unter den bestimmten Verhältnissen ein contagiöses sei.
15. Ich war zwar nicht in der Lage, beim Militär mich direct von der Conta-
giosilät dieses Leidens zu überzeugen , bin aber von dieser vollkommen überzeugt
durch folgende Thatsachen : a~) Dass nicht nur die aar' et-o/r/v sogenannte acute Binde-
hautblennorrhöe, sondern auch das Secret der chronischen, wie sie unter dem Civile
mitunter vorkommt , ansteckend sei , darüber kann nach den Versuchen von Jäger?
Piringer u. A. kein Zweifel mehr obwalten ; ich habe mich selbst durch Impfungen
überzeugt. — 6) Die unter den Findlingen 1848 herrschende Bindehautkrankheit,
welche ich anfangs für Trachoma zu halten geneigt war, später aber nothwendig als
Blennorrhoe mildern, im Allgemeinen mehr durch Infiltration der Lidbindehaut als durch
reichliches Secret charakterisirten Verlaufes anerkennen musste, war offenbar anstek-
kend, und sie war, nach allen Erscheinungen zu schliessen, in keinem wesentlichen
Punkte von dieser Ophthalmia militaris verschieden. — c) Unter den Leuten, welche
sich im Juni 1850 in auffallender Zahl mit Ophthalmia catarrhalis bei mir Rathes er-
holten, war auch ein Einnehmer von der Kettenhrücke. Die Zufälle twaren so heftigi
74 Bindehaut.
dass ich ihm rieth, zunächst einige Tage zu Hause zu bleiben, fleissig Bitterwasser zu
trinken, und ein entsprechendes Verhalten zu beobachten; nach Besänftigung der Zu-
fälle — in 4 — 5 Tagen — gab ich ihm ein Collyrium aus 1 — 2 Gran Nitras argenti auf
1 Unze. Der Zustand besserte sich mehr und mehr, und nach 10 — 12 Tagen erschien
er nicht mehr bei der Ordination. Ich hielt ihn für geheilt. Nach ohngefähr 14 Tagen
kam er wieder, mit dem Bilde einer Blennorrhoe 2. Grades. Die Bindehaut war durch-
aus hochroth, stark geschwellt , grobsammetartig, im Übergangstheile wulstig, die Se-
cretion reichlich, etwas trüb mit zahlreichen gelben Flocken, am linken Auge auch die
Conjunctiva bulbi deutlich serös geschwellt. Er schrieb diese Verschlimmerung dem
Umstände zu, dass er, noch nicht völlig- geheilt, seinem Amte wieder vorgestanden,
und dass ihm der Wind vielleicht den Kalkstaub (von einem Baue in der Nähe) in die
Augen getrieben habe. Ich stellte ihm nun die Gefahr vor, und besuchte ihn in seiner
Wohnung. Dort fand ich seine Frau bereits an demselben Übel erkrankt, und ebenso
sein 3 — 4jähriges Kind, nur dass bei diesen beiden das Secret bloss wässrig mit gelben
Flocken und die Conjunctiva bulbi bloss leicht injicirt war. Sie wussten nicht, wie
sie zu diesem, seit einigen Tagen allmälig entstandenen Übel gekommen waren, und
genasen unter derselben Behandlung, wie der Mann, ohne dass die Erscheinungen
früher ärger wurden. — d) Im Winter 1850 herrschte dasselbe Übel unter den Militär-
Erziehungsknaben am Slup (in dem Thale, welches den Wysehrad von Prag trennt).
Kunde davon erhielt ich durch 2 Knaben, welche des Augenleidens wegen von ihren
Angehörigen rfcich Hause genommen und zu mir gebracht worden waren. Die Er-
scheinungen waren dieselben, wie ich sie später so oft unter dem Militär sah, als 2.
Grad des Übels mit trübem Secrete. Es sollen damals über 20 Knaben solche „böse
Augen" gehabt haben. Bevor ich mir Gelegenheit verschafft, die Anstalt selbst zu be-
suchen, waren leider die Kinder schon zu den Faschingsferien nach Hause entlassen
worden, und, wie man mir sagte, das Übel bereits grösstentheils behoben. Nur 2 Zu-
rückgebliebene zeigten noch die bekannte feinkörnige und wulstige Beschaffenheit der
Bindehaut. Von den oben genannten beiden Knaben nun machte ich die Angehörigen
auf die Gefahr der Ansteckung aufmerksam. In dem einem Hause wurde alles befolgt,
in dem andern liess man einen Bruder in demselben Zimmer schlafen, und nach wenig
Tagen kam dieser, und etwas später auch die Schwester mit demselben Übel behaftet
zu mir. — e) Unter den Invaliden , welche mich wegen verschiedenen Nachkrankheiten
an der Cornea consulirten, waren mehrere, welche wegen Blessuren , Wechselfieber
u. dgl. in's Spital gekommen, in sogenannte Augenkrankenzimmer gelegt worden, und
nach kürzerem oder längerem Aufenthalte daselbst von demselben Übel wie ihre Ka-
meraden ergriffen worden waren, ohne über das Wie und Warum irgend Rechenschaft
geben zu können. Von einem Artilleriecorporal , welcher mit einem partiellen Horn-
hautstaphylome des rechten und völliger Genesung des linken Auges (nach 3monatIi-
cher Dauer) davon gekommen war , erhielt ich folgende Angaben. Seine Compagnie,
aus 180 Mann bestehend, war am 29. September 1849 zusammengesetzt, und mit einer
Division von Bainer-Infanterie (über 500 Mann) in einer Kasemattenkaserne einquarlirt
worden. Dieses Locale war zwar geräumig, aber sehr feucht und kalt, und konnten
bei der später eintretenden strengen Kälte die Fenster sehr wenig geöffnet werden.
Die ganze Compagnie hatte nur einen Ausgang aus den Zimmern. Nach und nach
erkrankte wenigstens die halbe Compagnie an den Augen, aber nur 20 — 30 Mann so
stark, dass sie in's Spital gebracht werden mussten. Von der Infanterie sollen nur
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 75
wenige erkrankt sein. Dieser Corpora! selbst hatte das Übel in einem sehr hohen
Grade, die Lider zwar nicht gar stark geschwollen, aber sehr roth, beständiger Ansiluss
von wässriger Flüssigkeit und Eiter, fürchterliche Schmerzen, besonders Brennen,
so dass er durch 5 — 6 Wochen Tag und Nacht nicht geschlafen zu haben versichert.
Um die Ursachen des Augenleidens befragt, wusste er ausser den oben erwähnten
Umstanden nichts anzugeben, und bemerkte, es sei möglich, das dasselbe durch einen
eben auf diese Art an den Augen leidenden Kanonier eingeschleppt worden sei, wel-
cher mit Transport aus Galizien angekommen und unter sie eingereiht worden sei,
wenigstens seien in der nächsten Umgehung dieses Mannes die ersten Erkrankungen
vorgekommen. — f) Alle Thatsachen, welche sowohl bei dem gegenwärtig als bei
dem seit Anfang dieses Jahrhunderts an verschiedenen Orten massenweise aufge-
tretenen Augenübel in Bezug auf Contagiosität und Nichtcontagiosität angeführt worden
sind, linden ihre einfache Erklärung in dem, dass man zugibt, auch dieses Übel sei
ansteckend, und zwar nicht bloss durch Contaet, sondern auch in distans, letzteres
jedoch nur dann , wenn gewisse Bedingungen hiezu vorhanden sind. Ich muss hier,
um unnothige Wiederholung zti vermeiden, auf das zurückweisen, was ich S. 40 über
das blennorrhoisehe Secret überhaupt, und S. 54 über meine Beobachtungen im hiesigen
Gebär- und Findelhause bereits angeführt habe, und hebe nur noch hervor, dass man,
um die graduelle Verschiedenheit der einzelnen Fälle sowohl als der einzelnen Epide-
mien (ich bediene mich dieses Wortes nur der Kürze wegen) zu begreifen, aller jener
Umstände eingedenk bleiben muss, welche, wenn ich so sagen darf, auf die Potenzi-
rung des Contagiuins erfahrungsgemäss Einfluss nehmen. Ich sehe in Bezug auf die
Weiterverbreitung dieser Bindehautentzündung unter dem Militär die grösste Analogie
dieses Processes mit dem Hospilalbrande und mit dem Puerperalfieber. — Diese Au-
genkrankheit kommt unter der Infanterie nur desshalb ungleich häufiger vor, weil bei
dieser die Momente theils zur Entstehung, theils.zur Verbreitung in distans am häufig-
sten gegeben sind, vor allem in der massenhaften Zusammenhäufung. Lassen wir
andere Truppenkörper in gleiche Verhältnisse treten, und sie sind weder durch ihre
Kleidung noch durch ihre Nahrung u. dgl. geschützt. — Anfüllung der Luft mit Was-
serdünsten, sei sie nun allgemein in dem Zustande der Atmosphäre, .oder durch Bezie-
hen feuchterer Gegenden und Wohnungeu , oder endlich durch Zusammenleben in
relativ engen und wenig, gelüfteten Localiläten gegeben, begünstigt die Verbreitung in
distans mehr als alles' Andere. So sehen wir die Franzosen in Ägypten an den Nie-
derungen des Nils, im Delta, die Sappeurs (beim Brückenschlagen) vorzüglich leiden,
so die Engländer in ihren Schiffräumen, so die Preussen am meisten an der Elbe, am
Niederrhein u. s. w. So sehen wir die Krankheit in- und extensiver sich entfalten, wenn
die Atmosphäre schwül ist, wenn Gewitter im Anzüge sind. So sehen wir strenge Kälte
der Krankheit Einhalt legen, falls die Truppen nicht in enge, wenig gelüftete Räume
zusammengedrängt werden. Je mehr die Luft, die den Mann umgibt, mit Wasserdünsten
gefüllt ist, welche in Form der kleinen Bläschen in derselben schweben, je mehr
Partikelchen des Secretes von der erkrankten Bindehaut mit diesen Bläschen in der
Lull suspendirt sind, eine desto kürzere Zeit des Verweilens in solcher Luft reicht hin,
die Krankheit an gesunden und um so leichler an gereizten Augen hervorzurufen. Je
heftiger die Blennorhöe. deren Secret zur Imprägnirung der Luft dient, desto leichter
die Infection und desto heftiger die dadurch hervorgerufene Krankheit. — </) Und so
begreifen wir endlich auch, wie alle sanitäts-polizeilichen .Massregeln, welche .sich bei
76 Bindehaut.
den verschiedenen Epidemien (sit venia verbo) heilsam erwiesen, endlich darauf hinaus-
laufen, dass sie, nebst der unmittelbaren Übertragung durch tastbare Gegenstände, die
Imprägnirung der Luft mit dem Secrete solcher Augen möglichst verhindern. Man hebe,
sobald sich die ersten Erkrankungen in einem Truppenkörper zeigen, alle Leute, die
auch nur katarrhalische Erscheinungen darbieten, aus den gesunden heraus ; man prüfe
die Quartiere, in welchen die ersten Erkrankungen vorkamen, in Bezug auf die hier
wichtigen Momente, und dringe auf die gehörige Abstellung der Übelstände ; man son-
dere die leichter Erkrankten von den schweren Fällen, und sorge in dem Masse, als
das Secret reichlicher und mehr eiterähnlich ist, um so mehr für relativ grosse Locali-
täten zur Unterbringung derselben ; und endlich, man lasse in den Krankenzimmern lieber
Licht und frische Luft, als Finsterniss und allerhand Dünste herrschen ; und ich zweifle
nicht, dass man auch künftighin dasselbe günstige Resultat überall erreichen wird, wel-
ches diessmal hier in Prag und in Wien erreicht wurde.
16. Schliesslich will ich noch bemerken, dass ich mich mit der in neuester
Zeit geltend gemachten Ansicht, diese Krankheit sei „Trachoma oder granulöse Oph-
thalmie" zu nennen, durchaus nicht einverstanden erklären kann, einmal, weil ich zwi-
schen dieser Krankheit und dem, was man allgemein Blennorrhoe zu nennen überein-
gekommen ist, durchaus keinen wesentlichen Unterschied finden konnte , und dann,
weil ich, anf den Sprachgebrauch, wenigstens auf Celsus und Rosas gestützt, *i) den
Namen Trachoma für eine ganz andere Reihe krankhafter Veränderungen und Erschei-
nungen gewählt habe. Sorgfältige Beobachtung und Vergleichung jener Bindehaut-
krankheiten, welche mit sogenannten Granulationen verlaufen, und von meinem Lehrer
Professor Fischer und Andern im Allgemeinen nur als Blennorrhöen (acuten oder chro-
nischen Verlaufes) bezeichnet wurden, hatte mich bereits im Jahre 1844 zu der Über-
zeugung gebracht, dass hier zwei ganz verschiedene Krankheiten zusammen geworfen
wurden, verschieden in Bezug auf die ätiologischen Momente, verschieden in Betracht
des jeweiligen Ensemble und der Reihenfolge der Erscheinungen, verschieden endlich
in Bezug auf die Folgen für die der Bindehaut benachbarten Gebilde, und somit auch
verschieden in Bezug auf Prognosis und Therapie im weitesten Sinne des Wortes.
Professor Fischer nahm in sein zu Ende 1845 erschienenes Lehrbuch wohl die beiden
Namen Trachoma und Blennorrhoe auf, ohne jedoch die Unterscheidungsmerkmale ge-
nauer anzugeben. Nun schrieb Dr. Hasner von Artha, welcher mich jene Unterschei-
dung am Krankenbette (während meiner Supplirung als Primärarzt im Herbste 1844)
praktisch durchführen gesehen hatte, 1846 seinen „Entwurf zur anatomischen Begrün-
dung der Augenkrankheiten", und stellte darin die Behauptung auf, die sogenannte
Ophthalmia militaris seu aegyptiaca sei nichts Anderes, als Trachoma. Da ich bis dahin
ebensowenig wie er Gelegenheit gehabt hatte, das fragliche Übel unter dem Militär
selbst zu beobachten, so begnügte ich mich, jenen Aufsatz über Trachoma zu veröffent-
lichen, es der Zukunft überlassend, ob mir Gelegenheit würde, mich mit eigenen Augen
zu überzeugen. Diese hatte ich nun, und ich würde über diesen Punkt weiter kein
Wort verloren haben, wenn nicht, wie ich aus den in Wien erschienenen Schriften
ersehe, Hasner's Ansicht*'"") — obwohl stark modificirt — adoptirt worden, und somit
*") Siehe meinen Aufsatz über Trachoma in der Prager medicinischen Vierteljahrschrift, 1848, IS. B. S. 41 etc.
**) Hasner hat uns nicht gesagt, was er unter Granulationen versiehe. Er lässt dieselben auch aus andern patholo-
gischen Processen entstehen, erklärt sie aber doch für ein substanlives Erkranken, soll wohl hcissen : für eine
Blennorrhoe — Vorkommen — Ursachen — Militär. 77
wieder die alte Begriffsverwirrung in dieses Feld gezogen worden wäre. Nach meinen
Ansichten über Terminologie thut man sehr unrecht, wenn mann diese Krankheit unter
dem Militär „granulöse Ophthalmie oder Trachoma" nennt. Mir ist der Käme für irgend
eine Krankheit das Mittel, eine gewisse Reihe krankhafter Veränderungen und Erschei-
nungen zu bezeichnen, welche neben und nach einander vorkommen und in einem
gewissen Verhältnisse zum Organismus und zu den Aussendingen stehen, und deren
notwendiger (sich gegenwärtig bedingender) Zusammenhang entweder bereits als sol-
cher erkannt und in einzelnen Fällen nachweisbar ist, oder doch aus dem mehr we-
niger constanten Vorkommen neben und nach einander postulirt werden muss. Soll
der Ausdruck „granulöse Ophthalmie, Trachoma" bloss anzeigen, dass bei der in Rede
stehenden Ophthalmie die Bildung sogenannter Granulationen ein hervorragendes —
denn constant ist es offenbar nicht — Symptom sei, will man jeden Complex von Er-
scheinungen , bei welchen dieses zweideutige Symptom auftreten kann, Granulations-
process oder Trachoma nennen, so habe ich nichts einzuwenden, als dass man eben
nur ein Symptom , nicht aber eine Krankheit damit bezeichnet. Man stellt sich dann
auf denselben Standpunkt, wie jene, welche den Ausdruck „Diarrhöe, Erbrechen,
Hornhautfleck" u. dergl. als Krankheitsnamen gelten lassen wollen. Man wende nicht
ein, dass ich in denselben Fehler verfalle, wenn ich diese Krankheit „Blennorrhoe"
nenne. Uns ist der Ausdruck „Blennorrhoe," wenn gleich in Ermangelung eines bes-
sern, das Wesen vielleicht näher bezeichnenden , nur von einer Erscheinung ent-
lehnt, gleich vielen andern , durch den Sprachgebrauch sanctionirten , z. B. Typhus,
Scharlach, Brechruhr u. dgl. nicht mehr die blosse Bezeichnung eines Symptomes, son-
dern einer Reihe von neben und nach einander bestehenden Erscheinungen, geknüpft
an bestimmte, nur nach dem Grade und der raschern oder langsamem Aufeinanderfolge
verschiedene Veränderungen der Bindehaut und ihrer Nachbarorgane, welche, einmal
vorhanden, nur auf eine bestimmte Reihe ätiologischer Momente zurück - und auf eine
bestimmte Reihe nachfolgender Veränderungen und Erscheinungen weiter schliessen
lassen. Und das ist ja am Ende die Aufgabe ^der Terminologie. Bedient man sich
aber des Ausdruckes „Trachoma" zur Bezeichnung der unter dem Militär herrschenden
Ophthalmie, so gebe man entweder zu, dass man damit nur ein Symptom bezeichnen
will, welches bei dieser Krankheit nebst andern auch vorkommt, aber auch bei andern,
vermög des Vorkommens, der Ursachen, der consecutiven Veränderungen etc. als von
dieser ganz verschiedenen Krankheiten vorkommen kann , oder man wähle dann für
diese, und zwar für jene Krankheit einen andern Namen, welche ich nach Celsus und
Rosas als selbstständig und von der Blennorrhoe verschieden nachgewiesen habe, und
auf welche ich im Verlaufe dieser Abhandlnng noch ausführlich zu sprechen kommen
werde. — Wenn man, wie diess in Wien geschehen, sagt, diese Krankheit unter dem
Militär erscheine theils als Katarrh, theils als Trachoma, theils als Blennorrhoe, so sin-
ken diese Namen zur blossen Symptombezeichnung herab. Es kommt mir gerade so
vor, als wenn man zur Zeit einer Epidemie die leichteren und schwereren Fälle als
eigenthümliche, selbständige Krankheit. Ihm ist es über jeden Zweifel erhaben, dass die Krankheit epidemisch,
endemisch und sporadisch auftreten könne — was versteht er wohl unier Epidemie ? — Über die Contagfosität
dagegen konnte er zu keinem bestimmten Resultate kommen, gibt dieselbe jedoch, um nicht in Widerspruch zu
gerathen, halb und halb zu, und erwähnt dann noch einer besondern KörperbeschafTenheit, selbst einer besondern
ElutbeschafJenheit als disponirender Ursache. Diejenigen, welche dies fragliche Übel jetzt beim Militär beobach-
teten, werden am besten beurlheilen, was von diesen Angaben zu halten ist.
78 Bindehaut.
verschiedene Krankheiten aufstellen, z. B. bei einer Ruhrepirlemie von Diarrhöen und
Dysenterien sprechen wollte. Eine solche Auffassung kann nicht ohne wichtige Conse-
quenzen bleiben, weder für die Wissenschaft, noch für die Praxis. Hier sehe ich ein
Individuum mit den sogenannten Granulationen der Bindehaut Monate, Jahre lang unter
den Mitgliedern einer zahlreichen Familie leben, entweder ohne Ahnung von demsel-
ben, oder mit bald mehr bald weniger entzündeten Augen, am Ende wohl auch (durch
Pannus u. dergl.) erblinden, und keines der im nächsten Verkehr mit ihm stehenden
Individuen erkrankt an denselben Zufällen; dort trägt auch ein oder das andere Indi-
viduum die sogenannten Granulationen mit bald mehr bald weniger entzündlichen Zu-
fällen der Bindehaut an sich, und kaum ist es in einen Verein von Individuen einge-
treten, so bekommen schon mehrere derselben die nämlichen Erscheinungen. Was
nützt mir's, den granulösen Zustand der Bindehaut zu kennen , wenn ich mir nicht
Rechenschaf! zu geben weiss, warum in dem einen Falle Ansteckung erfolgt, in dem
andern nicht, und warum auch Augen, die keine Granulationen darbieten, anstecken
können.
Die Prognosis ist verschieden, je nach dem Grade und Stadium,
so wie nach dem rascheren oder langsameren Auftreten der Krankheit,
und nach deren sporadischem oder massenweisem Vorkommen; bei Kin-
dern ist vor allem darauf Rücksicht zu nehmen, ob das Leiden local oder
als Ausdruck eines Allgemeinleidens zu betrachten ist. — Dass äussere
Verhältnisse, insbesondere die Möglichkeit für reine Luft zu sorgen, und
die Kranken zu dislociren, sehr wohl zu berücksichtigen sind, ergibt sich
aus dem über die Ätiologie Bemerkten. — Kennt man die Quelle der
durch Betastung entstandenen Blennorrhoe, dann kann man sich bei der
Prognosis zum Theil auch nach der Qualität des Impfstoffes richten.
Wo die Krankheit nur den 2. Grad erreicht, bloss als Blepharoblen-
norrhöe verläuft, ist für das Sehvermögen wenig, oder nichts zu fürchten;
solche Fälle sind eher hartnäckig, als gefährlich. — Croupöses Exsudat
auf der Bindehaut der Lider deutet beim 3. Grade der Krankheit immer
auf grosse Gefahr für die Hornhaut. — Spontane Blutungen an . und für
sich haben weder eine günstige noch eine ungünstige Bedeutung. —
Starkes Überragen des Bindehautwalles über die Cornea oder grosse Derb-
heit desselben, lässt Zerstörung derselben durch Druck befürchten.
Die verschiedenen Ausgänge haben wir bereits bei der Schilderung
der einzelnen Grade kennen gelernt, theils werden wir sie bei der Lehre
von den Krankheiten der Hornhaut noch näher besprechen. — Wo die
Hornhaut nicht ergriffen wird, wo keine Geschwüre auf derselben ent-
stehen, gefährdet die Krankheit das Sehvermögen nicht.
Die Dauer der Krankheit ist sehr verschieden; Fälle des 1. Grades
können in 5 — 8 Tagen geheilt sein; Fälle des 2. Grades können in 2—3
Wochen verschwinden, aber auch eben so viele Monate — Jahre dauern;
IlfcnnorBiiöe — Prognosis — Behandlung. 79
Fälle des 3. Grades werden in der Regel nur durch Krankheiten der
Cornea langwierig, seltener durch Wucherung des Papillarkörpers.
Die Behandlung erfordert:
/. Berücksichtigung der ätiologischen Momente.
a) Im Allgemeinen sind schädliche Einflüsse möglichst zu beseiti-
gen; grelles Licht, Zugluft, Rauch, Staub, Verunreinigung der Luft durch
Zusammenhaufen vieler Kranken, Trocknen der Wäsche im Zimmer u. dgl.,
damit die Krankheit nicht gesteigert werde. Neugeborene sollen gar nicht,
oder nicht viel gebadet werden. Die schwer, Erkrankten sind von den
leicht Erkrankten und Reconvalescenten zu sondern. Die Augen sind
fleissig von dem Secrete zu reinigen, alle 1/4 — 1/<i Stunden, je nach der
Reichlichkeit und Consistenz desselben. Bleibt es zwischen den Lidern
zurück, so wirkt es reizend, steigernd auf die Krankheit der Bindehaut.
Das Reinigen geschieht durch Einträufeln oder Einspritzen lauen Wassers ;
letzteres muss sehr vorsichtig geschehen, am besten mit der Mildner'-
schen Glasspritze, welche einen vorn abgerundeten und am Halse leicht
gekrümmten Schnabel hat.
b) Die Weiterverbreitung ist möglichst zu verhüten, sowohl die durch
Betastung, als die durch die Luft. Es ist weit mehr Gewicht zu legen
auf die fleissige Erneuerung der Luft, als — wie man gewöhnlich thut
. — auf die Verdunklung des Zimmers ; die Temperatur ist eher etwas nied-
riger, als höher zu halten. — Der Kranke und die Wärtersleute müssen
auf die ansteckende Beschaffenheit aufmerksam gemacht werden, welche
so lange fortdauert, als das Secret noch trüb, schleim- oder eiterähnlich
ist, — Bei reichlichem Secret kann es geschehen, dass dasselbe unver-
merkt über den Nasenrücken fliesst, zumal während des Schlafes.
c) Dem zu besorgenden Ausbruche der Krankheit ist möglichst vor-
zubeugen, bei Kindern blennorrhoischer Mütter durch augenblickliche Aus-
spülung der Augen mit lauem Wasser, nach zufälliger Impfung durch
energische Anwendung eiskalter Umschläge. Nach Piringers Versuchen
kann der Ausbruch der Blennorrhoe hiedurch sicher verhindert werden,
auch wenn zur Impfung das Secret einer höchstgradigen Blennorrhoe
verwendet wurde, sobald nur bald nach der Impfung energisch kalte Um-
schläge angewendet werden.
2. Berücksichtigung des Grades der Krankheit, ihres mehr acuten
oder mehr chronischen Verlaufes und des Stadiums, so wie einzelner
besonderer Zufälle und Ausgänge (symptomatische Behandlung).
a) Mittel, um die Entzündung zu dämpfen :
«. Ein Aderlass kann nöthig werden nur bei erwachsenen und
80 Bindehaut.
kräftigen Individuen, wenn die Entzündung rasch zunimmt, oder bereits
den 3. Grad erreicht hat und Fieber erregt, mit intensiver Rölhe, hoher
Temperatur, Prallheit und Empfindlichkeit der Lidgeschwulst und des Bin-
dehautwalles, und mit heftigen anhaltenden Kopfschmerzen verläuft (sy-
nochöser Charakter). Die Menge des Blutes: 8 — 12 Unzen; zu wieder-
holen : wenn diese Erscheinungen zwar nachgelassen, aber bald wieder-
kehren. Der Aderlass hat nur symptomatischen Werth; nie glaube man,
durch die Reichlichkeit oder Häufigkeit desselben der Blennorrhoe
Meister werden zu können. Man bedenke stets, dass, wenn die Krankheit
trotz des Aderlasses zu Hornhautgeschwüren führt, die Verschwärung um
so rascher und ausgedehnter, und die Heilung um so langsamer erfolgt,
je mehr man den Kranken durch zu reichliche Antiphlogose herunter
gebracht hat.
ß. Unter den örtlichen Blutentziehungen ersetzen Blutegel bei Neu-
geborenen die Stelle des Aderlasses, sind also nur bei kräftigen Kindern
anzulegen, zu i höchstens 2 Stück, ohngefähr 1 Zoll vom Auge entfernt,
über dem Jochbogen. Auch bei Erwachsenen sind sie an die Schläfe-
gegend und so weit als möglich vom Auge entfernt anzulegen, und zwar
mindestens 6 Stück, sonst nützen sie nichts. Sie passen nach voraus-
geschicktem Aderlass, oder, wo dieser nicht nothwendig erschien, wenn
die entzündlichen Zufälle rasch zuzunehmen drohen, oder wenn bei schon
ausgebildeter Blennorrhoe des 2. oder 3. Grades die Geschwulst der
Lider derb, heiss, hellroth, empfindlich, das Auge sehr lichtscheu, die
Schmerzen im Auge und Kopfe heftig sind. Ihre Wirkung fand ich in
vielen Fällen auffallend, nicht nur in Bezug auf Erleichterung des Kran-
ken, sondern auch in Bezug auf die Verminderung der Augenlidgeschwulsl.
— Keinen Nutzen sah ich in dieser Beziehung von Scarißcationen der
Bindehaut, , öfters dagegen eclatanten Erfolg vom Ausschneiden kleiner
Stückchen aus dem Bindehautwalle, wenn sich's darum handelte, die Cor-
nea von dem Drucke zu befreien, welchen der Bindehautwall auf diese
und deren Rand ausübt.
Martini'") hat dieses Mittel verworfen, weil er seiner Theorie zufolge befürchtete,
das scharfe Secret der Bindehaut könne dann um so leichter auf die tiefern Gewebe
zersetzend einwirken. Ich fand, dass die dadurch gesetzten Wunden im Gegentheilc
sehr rasch heilen, in 24 — 48 Stunden. Auch die Furcht vor nachfolgender Verkürzung
der Bindehaut wird durch die Erfahrung widerlegt; ohnehin ist ja die zu einem Wall
erhobene Bindehaut so ausgedehnt, dass ein 2 Linien breiter Streifen, aus der ge-
dehnten Bindehaut ausgeschnitten, gewiss nicht '/2 Linie der normalen Bindehaut beträgt.
*) Über den Einfliiss der Secretionsflüssigkeiten.
Blennorrhoe — Behandlung. 81
y. Knappe Diät ist bei den ßlennorrhöen der 1. Reihe nothwendig,
so lange die entzündlichen Zufälle noch steigen und in hohem Grade
anhalten ; doch hüte man sich, die Reproduction zu weit herabzudrücken,
aus demselben Grunde, der unter a. angegeben wurde. Bei nicht stür-
mischem Auftreten der Krankheit ist eine merkliche Beschränkung in der
Nahrung ganz überflüssig.
d. Derselbe Gesichtspunkt gilt für den Gebrauch von Abführmitteln,
Ein wohlthätiger Einfluss derselben auf das entzündete Auge überhaupt
kann nicht in Abrede gestellt werden. Es liegen zahlreiche und un-
zweifelhafte Beobachtungen hierüber vor. Doch wird man nie eine Binde-
hautblennorrhöe durch Purgirmittel allein heilen.
s. Brechmittel und schw eis streib ende Mittel werden insbesondere in
solchen Fällen, wo Yerkältung zur Entstehung beigetragen hat, von
Anfang zu versuchen sein, ohne dass man indess darüber die rechte Zeit
zu wirksameren Mitteln zu versäumen hat. Von allgemeinen Bädern sah
ich keinen Nutzen , sie können leicht schaden , besonders bei Neu-
geborenen. Professor Fischer *) sah guten Erfolg von Spiritusbädern
nach Dzondi.
s. Die energische Anwendung eiskalter Umschläge, so lange die
entzündlichen Zufälle der Bindehaut und der Lider zunehmen, gehört zu
den wichtigsten, wirksamsten Mitteln. Wo die Anzeige zu Blutentzie-
hungen vorhanden ist, müssen diese voraus geschickt werden.
Man nimmt 4 — 6fach zusammengelegte Leinwandflecke, so gross, dass sie ein
wenig über den Augenhöhlenrand hinausragen; vom Eise genommen, müssen sie
so weit ausgedrückt werden, dass sie nicht triefen. Sie sollen das Auge nicht drücken,
aber überall gut anliegen. Sie müssen, je nach der Wärmeentwicklung, selbst alle
3 — 5 Minuten gewechselt werden, und zwar Tag und Nacht. Wo man sie nicht gehörig
geben kann, fange man lieber gar nicht damit an. Wo die Cutis gegen die fortwährende
Benetzimg sehr empfindlich ist, schütze man sie durch ein Stückchen Wachstaffet. Mit
dem Nachlass der Wärmeentwicklung werden diese Umschläge dem Kranken gewöhnlich
lästig, wenigstens nicht mehr angenehm; dann sind sie wegzulassen. Bei Neugeborenen
genügt kaltes Wasser; doch dürfte auch dieses, nach meinen Erfahrungen zu schliessen,
bei Kindern in der Regel entbehrt werden können. Hat man kein Eis, so setze man
zu 1 Pfund Wasser '/2 Drachme Bleizucker oder % Unze Bleiessig, oder gebe Aqua
Goulardi. Lerche hat eine Mischung aus 1 Theil Branntwein, 1 Theil Essig und 12
Theilen Wasser empfohlen, besonders für jene Kranken, welche Eis- oder einfache
Wasserumschläge nicht gut vertragen.
rj. Hautreize sind unnütze Plagen für den Kranken, sowohl beim
acuten, als beim chronischen Verlaufe.
') Lerbueh der Entzündungen und organischen Krankheilen, S. 130
Arlt, I.
82 Bindehaut.
Es ist unbegreiflich , wie Ärzte bei dieser Krankheit noch Vesicantien an den
Nacken oder hinter die Ohren legen können ; sie nehmen auf die Blennorrhoe nicht den
geringsten Einflnss. Ebenso weiss man nicht, was 'man zu dem Rathe jener sagen soll,
welche auf die äussere Fläche der Lider ein Vesicans legen, oder durch Anwendung
des Höllensteines daselbst einen Brandschorf erzeugen. Nützen etwa solche Mittel beim
Harnröhren- oder Scheidentripper?
&. Einreibungen von Unguentum cinereum an die Stirn und Schläfe
erweisen sich in gelinderen Fällen bei Neugeborenen sowohl als bei Er-
wachsenen sehr wohllhätig, allein oder mit Opium oder Extr. belladonnae,
je nachdem Lichtscheu und erhöhte Empfindlichkeit oder Schmerzen ner-
vöser Art da sind. Im 2. Stadium und bei mehr torpidem Auftreten
nimmt man lieber eine Salbe aus 3 — 6 Gran weissem Präcipitat auf 1
Drachme Fett. Diese Salbe, etwas schwächer, wird auch mit gutem Erfolg
an die Lider äusserlich 2 — 5mal täglich aufgestrichen, wenn die Krank-
heit mit starker Wucherung der Bindehaut und reichlicher dicker Secre-
tion mehr chronisch verläuft. *)
b) Mittel gegen die nervösen Schmerzen. Die heftigen Schmerzen,
welche die acute Bindehautblennorrhöe begleiten, sind nicht immer durch
die Entzündung der Bindehaut oder — bei tiefer dringenden Hornhaut-
geschwüren — der Iris bedingt. Bei reizbaren Individuen treten nicht
selten äusserst heftige Schmerzen im Auge und der entsprechenden Kopf-
hälfte ein; sie sind nicht anhaltend, kommen mehr anfallsweise, besonders
in der Nacht; sie dauern fort, auch nachdem die Heftigkeit der Entzün-
dung gebrochen ist, werden durch Anlegung von Blutegeln und Eis-
umschlägen nicht gemildert, oft im Gegentheile gesteigert. Am hilfreichsten
erwies sich mir das von Fischer,. Gobee und A. empfohlene Pulver aus
2 Gran Sulfas chinini mit */„ Gran Opium, nächst dem: Pulvis Doveri oder
Einreibungen von Ung. cinereum mit Opium (6 — 10 Gran auf 1 Drachme)
oder Mandelöl mit Morphium aceticum (4 — 6 Gran auf 1 Drachme); bis-
weilen sind trockene warme Tücher an die entsprechende Kopfhälfte von
guter Wirkung. Rust und Müller haben die China in Pulverform, alle 2
Stunden */„ Drachme, als das wirksamste Mittel empfohlen.
c) Mittel gegen die Wucherung des Papillarkörpers, der Übergangs-
falte und der Scleralbindehaut, welche nach gebrochener Heftigkeit der
*) Das Aufsireichen von Ungucnt. cinereum mil 2—4 Gran extract. hyosciami an die Stirn und Schläfe, alle 2 — 3
Stunden wiederholt, scheint mir bei den Fällen von Blennorrhoea neonatorum, welche ich in der Privatpraxis zu
behandeln halte, nächst dem fleissigen Reinigen der Augen mit lauem Wasser und der Sorge für reine Luft das
wirksamste Mittel zu sein. Erst dann, wenn die Geschwulst der Lider zu sinken begann, habe ich eine Lösung
von 1j2 — 2 Gran Arjenl. nitricum in 1 Unze Wasser oder slark verdünnte Oniumtinotur eingeträufelt, innerlich
nichts, ausser ein leichtes Abführmittel verordnet, und ich habe in der Tbat nicht Ursache, mit den Resultaten
unzufrieden zu sein. Ich werde bei den Horuhaulkrniikhcilcn auf diesen Gegenstand zurückkommen.
Blennorrhoe — Behandlung. 83
Entzündung gern zurückbleiben. Oben an steht die Tinctura opii crocata,
welche schon sehr bald nach dem Eintritte des 2. Stadiums angewandt
werden kann, anfangs verdünnt, später rein. Ihr zunächst stehen Einrei-
bungen der Salbe aus weissem Präzipitat (3 — 6 Gran auf 1 Drachme)
an die äussere Fläche der Lider, oder, halb so stark, an die innere
Fläche. Sind "einzelne Wucherungen so gross, dass man sie mit der
Scheere abtragen kann, so zögere man nicht, es zu thun, zumal wenn
sie nicht bald dem Bestreichen mit Laudanum weichen. Sind sie nicht
so gross, locker, leicht blutend, so touchire man sie mit Cuprum sulfu-
ricum oder mit einer Pasta aus Lapis infernalis und Gummi arabicum
(z. B. 1 Scrupel Argent. nitricum und 2 Scrupel Gummi mit Aq. dest.
angemacht und in Stängelform gebracht) ; oder nach Demarres Vorschlag
Argentum nitricum mit Kali nitricum (in verschiedenen Proportionen) zu-
sammengeschmolzen; sind sie härter, so nehme man Lapis infernalis in
Substanz, doch ohne zu tief einzuwirken.
d) Die Behandlung der verschiedenen Hornhautgeschwüre und ihrer
Folgen, so wie auch des Pannus folgt bei der Lehre von den Krankheiten
der Cornea.
3. Nebst dieser, im Allgemeinen den Symptomen angepassten Be-
handlung sind noch mehrere sogenannte specifische Methoden vorgeschla-
gen worden. Hieher gehören:
a) Die Touchirung mit Lapis infernalis in Substanz, zuerst von
englischen Ärzten, dann aber besonders von den Niederländern Kerst
und Gobee empfohlen, und zwar nicht nur bei chronischen, sondern auch
bei ganz acuten und bei den heftigsten Fällen. Selten wird ein Aderlass
vorausgeschickt, noch seltener Blutegel. Beim 2. Grade touchirt man
bloss die Bindehaut der Lider, beim 3. auch die des Bulbus, bis ein
weisser Brandschorf entsteht; dann wird Milch eingeträufelt, bei heftiger
Geschwulst ein Aderlass gemacht, bei heftigen Schmerzen Chinin mit
Opium verabreicht. Der Schorf löst sieh in 1 — 2 Tagen, und die Tou-
chirung wird dann wiederholt, wenn nicht die Geschwulst der Bindehaut
und die Secretion merklich abgenommen haben. Selten ist eine dritte Tou-
chirung nothwendig. Nach gebrochener Heftigkeit der Entzündung wird
die Goulhriesche Salbe eingestrichen, aus 2 — 6 Gran x\rgent. nitricum auf
1 Drachme Fett.
Ich habe diese Methode in 6 Fällen 3. Grades angewandt; bei 4 Individuen
war der Erfolg überraschend . namentlich in Bezug auf das schnelle Sinken der Lid-
geschwulst und Nachlassen der Kopfschmerzen ; bei 2 traten aber so gut wie bei der
symptomatischen Behandlung Hornhautgeschwüre ein. Für die Privatpraxis dürfte diese
6*
84 Bindehaut.
Methode am wenigsten passen, da sie einen so energischen Eingriff erheischt, ohne
völlige Sicherheit zu gewähren. ,
ö) Auflösungen von Lapis infernalis in verschiedener Stärke wurden
von verschiedenen Auetoren, namentlich von Engländern als speeifisch
empfohlen. In neuester Zeit legte Chassaignac *) besonders Gewicht
darauf, dass vor der Anwendung der Silberlösung das croupöse Exsudat,
welches die Bindehaut in allen Fällen überziehen soll, durch kräftiges
Aufspritzen kalten Wassers mittelst eines Douche- Apparates zu entfernen
sei. Bednar **) in Wien überzeugte sich, dass warmes Wasser dieselben
Dienste leiste, ja zu diesem Zwecke noch besser sei, und Grün ***) in
Prag führte statt des Doucheapparates die Mildner'' sehe Glasspritze ein.
Je heftiger der Fall, desto stärker muss die Silberlösung sein, 5 — 10
Gran Argent. nitricum auf 1 Unze Aquae dest.; Primarius Böhm lässt
selbst 15 Gran auf 1 Unze zu diesen Einspritzungen nehmen, und zwar
bei Neugeborenen. Wesentlich noth wendig ist, dass die Bindehaut vor
der Anwendung der Silberlösung genau gereinigt werde, und dass, wenn
die Bindehaut nach der Anwendung der Silberlösimg abermals einen
grauen Überzug zeigt, dieser neuerdings mittelst eines kräftigen Wasser-
strahles oder selbst mittelst einer Pincette entfernt werde. Dieses Manöver
wird 2 — 3mal in 24 Stunden wiederholt.
Die Resultate, welche Bednar im Wiener und Grün im Prager Findelhause mit
dieser Methode erzielten, lauten überraschend günstig. Nach den wenigen Fällen, welche
ich bisher auf diese Weise zu behandeln Gelegenheit hatte, muss ich annehmen, dass
man bei Erwachsenen mit dieser Methode auch kein günstigeres Verhältniss erzielen
werde, als bei der sogenannten symptomatischen Behandlung.
c) Varlez's Methode f), eine filtrirte Lösung von 1 Scrupel bis 1 Drachme Chlor-
kalk auf 1 Unze Aq. destill, zwei- bis dreimal des Tages einzuträufeln, scheint wenig
Aufnahme gefunden zu haben. Ammon empfahl l/2 Drachme Chlorkalk auf 6 Unzen
Wasser, später Chlorwasser mit Belladonnaextract in destillirtem Wasser vorzüglich bei
Blennorhoea neonatorum ff).
d) Hanke f f f ) rühmt vorzüglich das Jod als gegen die Wucherung und Secretion
der Bindehaut wirksam. Er wendet verschiedene Jodpräparate theils zu Fomentationen
der Lider, theils zu Injectiouen zwischen die Lider, theils auch innerlich an. — Ich
habe diese Methode so genau als möglich nach Hanke's Angabe in 4 Fällen angewen-
det, bin jedoch eben nicht zu weiteren Versuchen aufgemuntert worden. Bloss die von
Hanke empfohlenen Einspritzungen von 1 — 2 Gran Zincum muriat. in einem Infusum
") Gazette roedio. 1847 N. 35. Prag. Vjschr. 18. B. AnaleUten.
»») Zeilschr. d. Gesellschaft d. Ärzte in Wien, 5. Jahrg. 2. Heft. S. 138. Prag. Vjschr. 2t. B., Analeklen, S. 88.
***) Die Abortivmethode bei Ophth. neonat.. Prager Vjschr. 22. B., Originalaufs. S. 25, u. 23. B. Orig. S. MI.
t) Gerson und Julius Magazin, 1828, S. 132.
ff) v. Walther's und Ammon's Journal. I. B. 1. St.
+tf) Die contagiöse Augenblennorrhöe, Leipzig, 1840.
Blennorrhoe — Behandlung. 85
herbae hyosciami schienen mir eine wohlthätige Wirkung durch Beschränkung der Se-
cretion zu üben.
e) Vom Einblasen fein gepulverten Calomels nach Dupuytrens und Fricke's Vor-
gang, so wie von dem von Mayor in Lausanne (wohl mehr für chronische Fälle) em-
pfohlenen Einführen eines mit Calomelpulver gepuderten Baumwollbäuschchens zwischen
den Bulbus und die Lider erhielt ich nicht den gerühmten Erfolg, von ersterem in zwei
Fällen sogar entschiedenen Nachtheil, starke partielle Enzündung der Conjunctiva bulbi
da, wo sich zufällig etwas Pulver angehäuft hatte.
f) Nicht glücklicher war ich mit dem Einstreuen von 1 — 2 Gran feingepulvertem
Plunibum aceticum neutrum, welches Dr. Buys in Bruges und Cunier in neuester Zeit
so bewährt gefunden haben wollen. Ich habe es gleichfalls nur bei chronischen Fällen
(eigentlich bei Trachoma) gegen die sogenannten Bindehautgranulationen versucht. Ich
sah bei einem Soldaten, dem dieses Pulver in Mainz aufgestreut worden war, dasselbe
nach 4 Monaten noch an der Bindehaut des obern Lides haften, ohne dass desshalb
die Granulationen beseitigt werden.
Eine für alle Fälle und für jeden Zeitraum passende specifische
Methode haben wir Bisher trotz den Lobpreisungen so Vieler, nicht er-
hallen, und — wir werden sie auch nie erhalten. Das sehlendrianmässige
Handhaben der einen oder der andern Methode, wie sich ein solches
namentlich da gern einschleicht, wo Kranke in grossen Massen zu be-
handeln sind, wird immer möglichst zu vermeiden sein. Vergessen wir
nie, dass wir es nicht mit einem Parasiten, mit der personificirten Krank-
heit, zu thun haben, den wir gleichsam ausrotten müssen, sondern mit
einem Organe, dessen Structur und Function in Folge abnormer äusserer
— vielleicht auch innerer — Einflüsse verändert sind, und dass auf das
hiedurch veränderte Sein dieses Organes nicht bloss äussere, sondern
auch innere, im Organismus selbst gelegene Momente einen sehr wich-
tigen Einfluss nehmen können, welche bei der Prognosis und Therapie —
der Aufgabe des Arztes — sehr zu berücksichtigen sind.
III. Conjunctivitis membranacea.
Diese Form von Entzündung der Bindehaut steht — morphologisch
betrachtet — der Conjunctivitis blennorrhoica seu pyorrhoica in so fern
sehr nahe, als sie gleichfalls faserstoffiges Exsudat nicht nur in's Paren-
chym, sondern vorwaltend an die freie Oberfläche setzt, unterscheidet
sich jedoch von dieser dadurch, dass dieses Exsudat an der Oberfläche
nicht bald in Eiter übergeht, sondern in Form einer Membran gerinnt,
und selbst Verwachsung der Conjunctiva bulbi mit der Conjunctiva palpe-
brarum herbeiführen kann. Ich hatte noch nicht Gelegenheit, diese wenig-
86 Bindehaut.
stens in ihrer exquisiten, durch den höchsten Grad von Plasticilät des
Exsudates ausgezeichneten Form deutlich von der Blennorrhoe verschie-
dene Krankheit hinreichend oft zu beobachten, um selbständig eine Schil-
derung derselben entwerfen zu können. Bei Kindern, sowohl bei neu-
geborenen, als bei mehrjährigen, habe ich Fälle beobachtet, welche man
zwar noch als Blennorrhoe gelten lassen konnte, welche aber doch vor-
waltend durch die Bildung eines sehr plastischen Exsudates an der freien
Oberfläche der Bindehaut ausgezeichnet waren. Ich möchte auch hier,
wie bei allen andern Entzündungsformen der Bindehaut, welche wir
gleichsam als verschiedene Species hinstellen, in Erinnerung gebracht
wissen, dass nur extreme Fälle sich auf den ersten Blick als der einen
oder der andern Reihe (Species) angehörend kundgeben, dagegen überall
Fälle vorkommen, bei denen man nur unter Berücksichtigung aller Mo-
mente (auch der anamnestischen) mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit,
oft aber auch gar nicht, sich für das eine oder für das andere ent-
scheiden kann. — Folgender Fall, den uns Dr. Bouisson in Cunier's
Annales d'oeulist. T. XVII. S. 100 mitgetheilt hat, möge als Repräsentant
exquisiter Fälle von Conjunctivitis membranacea dienen. — Ein Mann von
46 Jahren kam Ende November 1845 in's Spital zu Montpellier. Man fand
nicht nur die Conjunctiva palpebr. et bulbi heftig entzündet, sondern auch
das den Bulbus umgebende Zellgewebe der Orbita, indem der Bulbus
etwas nach vorn gedrängt erschien, und das obere Lid stark anspannte.
Zugleich war die chemotisch angeschwollene Conjunctiva bulbi in Form
hochrother Wülste zwischen den Lidern vorgetrieben, und ergoss sich
eine reichliche Menge eitrigschleimiger Flüssigkeit aus der Lidspalte ; von
der Cornea konnte man wegen der Grösse der Geschwulst nichts wahr-
nehmen. Dabei heftiger Schmerz und Gefühl von Pulsation im Auge,
Kopfschmerzen, Fieber, gänzliche Schlaflosigkeit. Dieses Übel war in
Folge von Verkältung entstanden, und scheint Anfangs für eine acute
Bindehautblennorrhöe gehalten worden zu sein. Trotz einem reichlichen
Adeilasse, 20 Blutegeln an die Schläfe, und Einreibungen von Ung. cinereum
mit Bellad. an die Umgebung des Auges stieg die Entzündung noch immer.
Den 30. wurden die Blutegel wiederholt, Pillen aus Calomel mit Opium
verordnet und, da die Conjunct. bulbi sehr stark geschwollen war, eine Par-
tie derselben ausgeschnitten. Hierauf wurde die Absonderung etwas spar-
samer, aber eine graue Exsudatschichte überzog nun die Bindahaut, und
wurde immer dicker. Den 31. wurde wegen der beträchtlichen Spannung
der Lider die Lidspalte erweitert, was dem Kranken Erleichterung ver-
schaffte. Allmälig verdickte sich jene grauliche Membran so, dass sie B.
:
Conjunctivitis naenibranacea. 87
für abgestorbene Bindehaut hielt und dieselbe mit einer Pincette anzog,
um sie zu entfernen. Sie folgte dem Zuge leicht, und bot zur nicht gerin-
gen Überraschung des Arztes die Merkmale einer mit Eiter infiltrirten Pseudo-
membran dar; die Bindehaut darunter erschien roth, sehr gefässreich
und empfindlich. Tags, darauf, den 3. December, hatte sich wieder eine
ähnliche Membran gebildet, welche am 4. abermals abgezogen wurde.
Sie bot das Aussehen einer fest gewordenen Fibrin dar, und war in den
Maschen der untern Fläche mit Eiter infiltrirt; nach ihrer Entfernung,
welche sich ohne Schmerz und leicht bewerkstelligen Hess, blutete die
Bindehaut ein wenig. Ins Wasser gelegt, um den Eiter abzuspülen, nahm
sie ein filziges und gefranztes Aussehen an. Am Auge bildete sich als-
bald wieder eine Pseudomembran, so wie auch die Stelle am Nacken,
welche einige Tage vorher mittelst eines Vesicators entblösst worden
war, mit sehr dicken plastischen Gerinseln bedeckt erschien. Am 5.
December drohte auch das rechte Auge von demselben Processe ergriffen
zu werden, was jedoch durch ein Collyrium aus Nitras argenti verhindert
wurde ; als man vom linken Auge die Pseudomembran zum 3. Male ab-
löste, zeigte sich die Cornea theilweise durch Eiterung zerstört. Das Ca-
lomel musste ausgesetzt werden, da bereits Salivation eingetreten war.
Es bildete sich nun keine Pseudomembran mehr, und der Bulbus schrumpfte
unter reichlicher schleimigeitriger Absonderung mehr und mehr zusammen,
nachdem sich ein grosser Tlieil seines Inhaltes entleert hatte. Die Binde-
haut der Lider war verdickt , stark gewulstet , und veranlasste ein
Ektropium, das nach ungefähr 1 Monat von selbst zurückging. Ende
Jäner verliess der Mann das Spital. Später sah B. denselben zu wieder-
holten Malen. Die Bindehaut war nun trocken, gleichsam in Cutis um-
gewandelt, und mit einer leichten Schichte kleienartiger Schüppchen be-
deckt. (Xerophthalmus.) — Dr. Guersant fils veröffentlichte in der Gaz.
des höpit. 1845' Nr. 41 eine Beobachtung, welche, wenn auch unvollstän-
dig, doch in mehrfacher Beziehung höchst interessant, und über die
Bildung faserstoffigen Exsudates auf der Conjunctiva Aufschluss gebend
erscheint. Ein Mädchen von 3 Jahren wurde in das Kinderspital zu Paris
aufgenommen. Sie bot eine in ihren äussern Erscheinungen nur wenig
heftige Ophthalmie dar. Obwohl die Lider nur wenig geschwollen, und nur
ein leichter Ausfluss eiterförmigen Secretes vorhanden war, nahm man
doch eine zweimalige Cauterisalion der Palpebralbindehaut vor. Während
dem, den 2. oder 3. Tag nach der Aufnahme des Kindes, zeigten sich
die Prodrome von Scarlatina, und das Kind erlag nach einigen Tagen
dieser Affection in einem Zustande von Schwäche und äusserster Nieder-
88 Bindehaut.
geschlagenheit. Die Untersuchung des Rachens hatte keine Zeichen von
Angina membranacea geboten; die Sprache war etwas behindert gewesen;
das einzige beunruhigende Zeichen war der Zustand allgemeiner Schwäche
gewesen. Die Autopsie aber zeigte auf den Tonsillen eine Lage eines
graulichen Breies, welche auch die ganze hintere Partie des Gaumen-
segels bedeckte, und von da in die Choannen, vielleicht auch noch weiter
vorwärts, was man nicht untersuchen konnte, sich erstreckte. Eine Pseudo-
membran bedeckte die Bindehaut sowohl an den Lidern als auch auf
dem ganzen Bulbus. Dieselbe war sehr dick, wenigstens l1/,, Millimeter,
und konnte mit einer Pincette fas.t in ihrer ganzen Ausdehnung, ohne
einzureissen, abgezogen werden. G. behauptet, dass diese Membran nicht
als Product der Cauterisation betrachtet werden könne; dass sich diese,
nach seinen Erfahrungen, ganz anders verhalten, lange nicht eine so hohe
Consistenz und Cohäsion darbieten. Guersant der Vater versicherte, dass
er während seiner langjährigen Praxis in mehreren (5 — 6) Fällen die Bil-
dung solcher Pseudomembranen auf der Conjunctiva bei Kindern auch ohne
jene AiFection der Rachenschleimhaut beobachtet habe. Jene Pseudomem-
bran, in Weingeist aufbewahrt, zeigt ohngefähr 1 Millim. Dicke, eine gelb-
lichweisse Farbe, und die Form eines eingestülpten Blindsackes, welche
gegeben ist, wenn man sich denkt, dass die Membran nicht nur die Binde-
haut in ihrer ganzen Ausdehnung, sondern auch die Cornea als ein
dunkler und dichter Schleier überzog.
Die Conjunclivis membranacea scheint zuerst von Prof. Fr. Jäger als eine be-
sondere Form der Bindehantentzündung' unterschieden worden zu sein (Babor. disser.
tatio inaug. de conjunetivide membranacea, Viennae 1835). Einzelne Beobachtungen
finden sich bei : Joann. Seikora, dissertatio inauguralis medica de Xerophthalmo, Pragae
1842; Rifjler, Augenkrankheiten des Orients, in der Zeitschrift der Gesellschaft der
Wiener Ärzte, 1849, Märzheft S. 726 ; D. Pilz, Prager inedicinische Vierteljahrschrift ,
1850, 27. Band, S. 14; D. Guh, die sogenannte ägyptische Augenentzündung, Wien
1850, S. 34 u. m. A.
IV. Conjunctivitis scrofulosa.
Die scrofulöse Bindehautentzündung charakterisirt sich im Allgemei-
nen durch umschriebene Exsudation unter das Epithetium der Conjunctiva
sclerae oder der Cornea in Form von Bläschen, Pusteln oder Knötchen,
und durch Gefässentwicklung in der Conjunctiva bulbi, welche dieser
Exsudation in Bezug auf Sitz und Ausdehnung entspricht, also eigentlich
partiell ist und nur bei zahlreicher Eruption ausgebreitet, selbst allge-
mein wird.
Conjunctivitis serofulosa — Symptome. 89
Sie kommt vorzüglich im Kindes- und Knabenalter, ziemlich häufig
im Jünglingsalter, seltener in spätem Jahren vor. Sie zeigt entschiedene
Tendenz zur Eiter- und Geschwürbildung. Die Reactionser scheinungen
(Röthe, Schmerz, Lichtscheu) stehen in keinem Verhältnisse zur Product-
bildung, sind bald ungemein heftig, bald auffallend gering und in ersterem
Falle offenbar des Morgens heftiger, als Abends.
Sie zeigt überdiess die Charaktere scrofulöser Entzündungen überhaupt; ein von
äussern (unmittelbar auf's Auge wirkenden) Schädlichkeiten mehr weniger unabhängiges
Auftreten und häufiges Recidiviren, hartnäckige Dauer der einzeln Anfälle, Übersprin-
gen von einem Auge zum andern, und Wechseln mit andern scrofulösen Affectionen,
Symptome. Sitz der Entzündung ist die Bindehaut des Augapfels,
und zwar vorzüglich der Bindehautsaum der Hornhaut; selten erfolgt
die Exsudation diesseits, in der Scleralbindehaut, häufig dagegen jenseits
im Bereiche der durchsichtigen Hornhaut, deren Epithelium, wie man hier
deutlich sieht, als Fortsetzung der Bindehaut auf die Hornhaut zu be-
trachten ist *). — Gewöhnlich erscheint die Exsudation nur an Einer
Stelle; seltener erscheinen mehrere Bläschen oder Pusteln zugleich, und
nur ausnahmsweise geschieht die Exsudation so, dass der ganze Binde-
hautsaum infiltrirt oder der ganze Epithelialüberzug der Cornea dadurch
emporgehoben und uneben (hügelig) erscheint.
Das Exsudat ist niemals wasserklar, und bildet entweder grauliche
halbdurchsichtige Bläschen auf der Cornea, welche allmälig verschwinden,
oder in kurzer Zeit bersten und seichte Geschwürchen mit graulichem
oder fasl reinem Grunde hinterlassen, — oder es bildet gelbliche, oft
sehr wenig erhabene Pusteln, welche bisweilen nicht aufbrechen, ge-
wöhnlich aber früher oder später tiefere Geschwüre mit eifrig inßltrirlem
Grunde und Rande zur Folge haben, und welche im Bereiche der Sclera
so gut , wie in dem der Cornea vorzukommen pflegen, — oder endlich
das Exsudat ist consistenter, und erscheint in Form von Knötchen auf der
Cornea, von wulstigen Erhabenheiten auf dem Rande derselben, oder in
Form eines staubähnlichen, graulichen, von zahlreichen Gefässen durch-
setzten Überzuges der ganzen Hornhaut, als sogenannter Pannus
scrofulosus.
'J )Iau hat die Krankheit, wenn die Eruption über der Sclera erfolgt: Conjunctivitis, wenn über der Cornea:
Keratitis genannt, und beide getrennt abgehandelt. Die Exsudalion findet indess so oft zu gleicher Zeit oder
kurz nach einander auf der Cornea und über der Sclera statt, dass eine solche Trennung ganz unnatürlich er-
scheint. Der Krankheitsprocess erscheint als ein der Conjunctiva angehüriger, und die Affection der Cornea als
eine secundäre ; diese als eine „superfizielle" zu bezeichnen, und demgemäss der „parenchymatösen'1 gewisser-
massen entgegen zu setzen, ist unrichtig, weil der Process oft sehr tief eingreift, selbst das ganze Parenchym
der Cornea zerstören kann.
90 Bindehaut.
Die Gefässeinspritzwig ist partiell, bündeiförmig, wenn die Exsuda-
tion partiell ist; sie verbreitet sich mehr weniger auf die ganze Con-
junctiva bulbi, wenn mehr weniger ausgebreitete Bläschen-, Pustel- oder
Knötchen-Eruption statt findet. Zur Zeit und kurz vor der ersten Ex-
sudation erscheinen gewöhnlich nur die entsprechenden vordem Ciliar—
arterien stärker injicirt, und man sieht desshalb nicht selten eine hiedürch
bedingte Rosenröthe rings oder zum Theil um den Rand der Cornea
herum; die Gefässe der Bindehaut, die eigentlich das bilden, was die
Auetoren als charakteristisch (bündeiförmig) beschrieben haben, erscheinen
gewöhnlich erst einige Zeit nach schon erfolgter Exsudation. Sie laufen
wie Besenrüthchen aus der Übergangsfalte gegen die Exsudate hin, selbst
wenn diese auf der Hornhaut sitzen. Auf der Cornea verlaufen sie bis-
weilen in Form eines Bändchens, vom Limbus conjunctivae aus gegen die
Mitte, indem sie ein grauliches oder gelbliches Exsudatkügelchen gleich-
sam vor sich her drängen, und eine gerade Linie oder einen Bogen, wie
ein Hufeisen, beschreiben, Formen, welche Prof. Fischer als scrofulöses
Gefässbändchen und Pseudogefässbändchen zu bezeichnen pflegte. Ihre
Bahn bleibt noch lange, nachdem dieses Exsudatknötchen verschwunden
ist, als linearer graulich weisser Streifen auf der Cornea zurück.
Die Bindehaut der Lider kann bei der Conjunctivitis scrofulosa sich
ganz normal verbalten ; in der Regel findet man sie jedoch im Tarsal-
theile netz- oder selbst gleichförmig geröthet, wohl auch serös ge-
schwellt, und mit äusserst feinen, krystallhellen Bläschen (serösen Erguss?
geschwellten Follikeln?) durchsetzt, letzteres besonders im Übergangs-
theile. Nach lange dauernden oder nach wiederholten Anfällen kann die
Bindehaut , wenigstens über den Tarsis , - ganz dieselbe Beschaffenheit
zeigen, welche wir beim chronischen Katarrh geschildert haben.
Veränderung der Secretion der Bindehaut kommt der Conjunctivitis
scrofulosa als solcher nicht zu; hingegen findet vermehrte Thränenabson-
derung und hiemit parallel gehende Lichtscheu sehr häufig statt. Ist die
Lichtscheu heftig, dann pflegen mich die Lider krampfhaft geschlossen
zu werden, dann klagen die Kranken auch gewöhnlich über heftige, die
Augen von Zeit zu Zeit durchzuckende, flüchtige Stiche, selbst in der
Nacht.
Diese Zufälle (Thränen, Lichtscheu, Augenlidkrampf und Schmerzen)
stehen nicht in geradem Verhältnisse zur In- and Extensität der Af-
fection des Bulbus, fehlen oft, wo letztere einen hohen Grad erreicht hat,
sind oft unglaublich gross, wo man die partielle Entzündung am Bulbus
kaum auffinden kann, und unterscheiden sich von den gleichnamig-on
Conjunctivitis scrofulosa — Vorkommen — Ursachen. 91
Erscheinungen bei andern Bindehautentzündungen durch ihre morgendliche
Exacerbation und abendliche Re- oder Iniermisston,
Neben den Symptomen der Conjunctivitis scrof. können zugleich die
des Augehkat'arrhes vorhanden sein. Dann ist letzterer gewöhnlich das
zuerst auftretende Übel, seltener das hinzutretende; letzteres geschieht
besonders dann, wenn am Bulbus Geschwürbildung entstanden ist.
Vorkommen und Ursachen. Diese Form von Entzündung kommt
so häufig mit anderweitigen Erscheinungen von Scrofulosis (Tubercu-
losis) vor, dass man alle Ursache hat, dieselbe als Theilerscheinung
dieses Allgemeinleidens zu betrachten. Bisweilen bildet sie das erste
Glied in der Reihe jener Erscheinungen, deren Grund man allgemein in
jener, leider nicht näher gekannten Blutmischling sucht, welche die scro-
fulöse genannt wird.
Die Scrofulosis ist entweder als Anlage ererbt oder angeboren, oder
sie ist erworben, durch mancherlei schädliche Einflüsse nach der Geburt
hervorgebracht *). Verschiedene äussere Einflüsse sind im Stande, die
fehlerhafte Blutmischung früher und stärker, als es unter andern Verhält-
nissen geschehen würde, durch mancherlei krankhafte Processe in die
Erscheinung treten zu machen. Dieselben Schädlichkeiten sind im Stande,
die fehlerhafte Blutmischung bei ganz gesunden Kindern zu erzeugen, so
wie wir täglich unter Vermeidung dieser Schädlichkeiten die bereits er-
worbene, ja selbst die bestimmt ererbte oder angeborene krankhafte Dia-
thesis auf Jahre oder für immer zurücktreten und verschwinden sehen.
Zu diesen Schädlichkeiten gehören laut Erfahrung vor allen : 1.
*) Diese Anschauungsweise hat besonders in neuerer Zeit manchen Widerspruch gefunden. Einige meinen, man
solle überhaupt gar nicht von Scrofulosis und scrofulösen Krankheitsformen als Ergebniss einer besondern Blut-
mischung sprechen, weil wir nicht wissen, worin diese bestehe. Wir werden diese Meinung bejptlichten, sobald
man überhaupt nicht mehr von fehlerhafter Blutmischung als Grundursache gewisser Krankheiten, z. B. des
Typhus, des Scorbutes, der Tuberculosis u. dgl. sprechen wird. Eine gewisse Reihe von krankhaften Erschei-
nungen, als deren Grund wir bei dem gegenwärtigen Standpunkte der Wissenschaft eine fehlerhafte Mischung
des Blutes zu bezeichnen angewiesen sind, nennen wir Scrofulosis, Tuberculosis, Syphilis, Krebs u. s. w., gleich-
wie wir eine gewisse Reihe von Erscheinungen als elektrische, magnetische u. s. w. bezeichnen, ohne am Ende
den letzten Grund dieser Erscheinungen anders als mit dem Namen Elektricität, Galvanismus u. s. w. angeben zu
können. — Andere erklären sich dagegen, dass man sagt, gewisse Krankheiten oder Anlagen hiezu seien erblich.
Die Erscheinungen, welche zur Annahme dieser Erblichkeit geführt haben, Hessen sich ganz einfach und einzig
und allein aus der Einwirkung der Aussendinge auf den menschlichen Organismus erklären. Diess heisst ohnge-
fähr so viel, als sagen: Jedes Ding ist das, was es ist, nur durch das, was ausser ihm ist, was auf dasselbe
einwirkt. Es wird hiebei Wirkung ohne Gegenwirkung als möglich supponirt. Gibt man aber zu, dass die Materie,
welche bei der Zeugung -den Stoff zur Weiterbildung, zum künftigen Organismus gibt, nicht stets eine und die-
selbe sei, dann muss man auch zugeben, dass sie gegen das, was ausser ihr ist, verschieden reagiren werde,
und dass ihr späteres Sein, ihre materielle Beschaffenheit (ihre Anlagen, ihre Kräfte) als Product aus 2Factoren,
dem -Urslofle und den äussern Einflüssen, zu betrachten sei. Zeigt dieses Product krankhafte Erscheinungen, so
kann die Ursache in dem einen Factor so gut wie in dem andern zu suchen sein.
02 Bindehaut
Ungesunde, insbesondere, feuchte und dumpfige Luft in den Wohnzimmern,
wenn die Wände feucht sind, wie so häufig in ncugebaulen, zu früh be-
zogenen Häusern, oder in den gegen Norden gelegenen, oft halb unter-
irdischen S.tuben armer Stadtbewohner oder in Zimmern, welche mit
Menschen überfüllt sind und wenig gelüftet werden, zumal wenn zugleich
darin gekocht, gewaschen und Wasche getrocknet wird, und wenn die
Kinder wenig Gelegenheit haben, sich im Freien- m bewegen. — 2.
Schlechte Nahrung, Unordnung im Essen. Nicht so sehr an und für
sich, als vielmehr in Verbindung mit Mangel an frischer Luft und freier
Bewegung, wirken schwer verdauliche Speisen nachtheilig auf die Ulut-
bereitung, und auch die besten Nahrungsmittel führen zu schlechter Blut-
bildung, wenn die Kinder überfüttert werden, und so oft, als es ihnen
eben einfällt, Ess- oder Nascljwaaren bekommen. — 3. Harte Behandlung
so wie vorzeitige und übermässige Anstrengung der Geisteskräfte schei-
nen nicht ohne begünstigenden Einlluss auf die Entwicklung der Scro-
fulosis zu sein. — 4. Nach schweren Krankheiten, namentlich nach Blat-
tern, Masern, Scharlach u. dgl. bemerkt man häulig die Zeichen der Sero-
fulosis bei früher anscheinend ganz gesunden Kindern.
Das scrofulöse Allgemeinleiden gibt sich durch verschiedene Er-
scheinungen kund. Man unterscheidet gewöhnlich den sogenannten tor-
piden und den erethischeu scrofulösen Habitus. In der Wirklichkeit kommt
der eine wie der andere selten so rein ausgeprägt vor, wie sie die ab-
Stracte Schilderung darstellt; von einem Extrem zum andern gibt es all—
mälige Übergänge. Als Attribute des erethischen bezeichnet man: schlan-
ken Körperbau, dünne Knochen, langen Mals, schmalen Brustkorb, dünne
/arte Haut mit leicht gerötheten Wangen, lebhaftes Temperament, frühe
lünlwieklung der geistigen Anlagen. Den torpiden eharakterisiren: ein
mehr schwerfälliger Körperbau mit kurzem Halse und grossem Unter-
leibe, blasse, mehr aufgedunsene als gut genährte Maul und Muskulatur,
dicke, wulstige, baldig exeoriirle Nasenflügel und Oberlippe, Anschwellung
der llalsdrüsen, verschiedene chronische Hautausschläge, schwerfälliger
(Jang, träges Temperament, geringe oder verspätete Entwicklung der
geistigen Anlägen.
Hei solchen Individuen nun entwickeln sich, theils auf äussere Ver-
anlassungen, theils ohne solche, Bindehautentzündungen mit den oben be-
schriebenen Merkmalen, und zwar bei den erelhisch-scrofulösen gewöhn-
lich mit Bläschenbildung, heftiger Lichtscheue und starkem Thränenflusse-,
selbst mit Augenliderkrampl'e, bei den torpiden hingegen mehr mit Pu-
Conjunctivitis scrofulosa — Vorkommen — Ursachen. 93
Stelbildung und relativ geringen oder gar keinem der oben genannten
Zufälle.
Den Anstoss zu solchen Entzündungen pflegen zu geben: 1. acute
oder chronische Hautausschläge, Masern, Scharlach, Milchschorf u. dgl. —
2. Katarrhalische Augenentzündungen, oder vielmehr die Veranlassungen
zu diesen; bei scrolulösen Individuen verläuft der Katarrh gewöhnlich
nicht wie bei andern, sondern combinirt sich meistens mit der als Con-
junctivitis serofulosa geschilderten Form. — 3. Verletzungen der Augen ;
ein Staubkorn, das in's Auge geräth, ein leichter Sloss mit dem Finger
u. dgl. reicht oft hin, diese Form hervorzurufen. — 4. Starke Anstrengung
der Augen, zumal bei künstlichem Lichte, bewirkt oft dasselbe. — 5.
Sehr häufig entsteht sie ohne äussere Veranlassung, vorzüglich zur Zeit
des Zahnens, zur Zeit der Pubertät. — 6. Unverkennbar ist der Einfluss
der Jahreszeiten; am häufigsten kommt diese Form im Spälherbste und
zeilig im Frühlinge vor; besonders wenn die Witterung feucht und
s für /irisch ist.
Sie befällt seilen beide Augen zugleich, gewöhnlich eines nach dem
andern, wechselt oft, indem sie auf dem schon für genesen gehaltenen
Auge mit erneuerter Heftigkeit ausbricht, und kehrt oft durch viele
Jahre um dieselbe Zeit wieder. — Sie wechselt bisweilen mit andern
scrolulösen Affeetionen, namentlich mit Ohrenilüssen, Beinhautentzündung
und Hautausschlägen, am Auge selbst mit Augenliderdrüsenenlzündung und
sogenannten Gerstenkörnern, kommt übrigens auch mit diesen und andern
acuten Eruptionen, namentlich mit Schwellung der Oberlippe und Nasen-
katarrh zugleich vor. — Den Ausbruch der Augenkrankheit kündigen,
namentlich bei reizbaren, schlecht genährten Kindern, nicht selten Fie-
bererscheinungen an, und diese dauern dann mehr oder weniger lange
fort. Die Kinder sind besonders in der Nacht unruhig, schreien oft aus
dem Schlafe auf, zeigen verminderte Esslust, vermehrten Durst, erhöhte
Temperatur, sehr frequenten Puls, Sluhlverstopfung, trüben Urin u. dergl.
— Sie erscheint am häufigsten in der Zeit zwischen dem 1. und 2. Zah-
nen (inclusive), häufig um die Zeit der Pubertät, und da ist sie gewöhn-
lich am hartnäckigsten und gefährlichsten, seltener im Mannes- und hö-
hern Alter. Sie ist überhaupt eine der häufigsten Augenkrankheiten.
Verlauf und Ausgänge. Beim ersten Beginn, bevor man noch
deutliche Exsudate an der Conjunctiva bulbi wahrzunehmen vermag, be-
merkt man stärkere Turgescenz und lebhafte Rölhe der Bindehaut über
den Meibom'schen Drüsen. Gehört das Individuum zu den reizbaren,
oder tritt die Conjunctivitis zugleich mit Hautausschlägen (chronischen
94 Bhfidehaut.
oder acuten) auf, so kündigt die Krankheit ihren Ausbruch zugleich durch
heftige Lichtscheue und reichlichen Thränenßuss, häufig auch durch mehr
weniger anhaltenden Augenliderkrampf und flüchtige Stiche im Auge an.
Diese Erscheinungen stehen, wie schon bemerkt wurde, in keinem geraden
Verhältnisse zur Heftigkeit der Affection des Bulbus, im Gegentheile: gerade bei dem
heftigsten Blepharospasmus pflegt der Bulbus sehr wenig zu leiden. Sie sind nichts
anderes, als Folgen des Reflexes, welchen die Reizung der im Tarsaltheile verzweigten
sensitiven Äste des Trigeminus auf die Ciliar- und den Thränendrüsennerven und auf
den Nervus facialis ausüben. — Man hat diese Erscheinungen bald von Mitleidenschaft
der Sclera und Retina, bald von gleichzeitiger Entzündung des Corpus ciliare herzu-
leiten versucht. Die beste Widerlegung finden diese Hypothesen darin, dass ein Staub-
körnchen, an die- innere Flache der Lidknorpel gerathen, dieselben Erscheinungen au-
genblicklich hervorruft, und, bald entiernt, eben so schnell wieder verschwinden lässt,
so wie ferner darin, dass die Conjunctivitis scrofulosa, auch wenn diese Erscheinungen
im höchsten Grade und selbst Monate lang- vorhanden waren, dem Sehvermögen nie-
mals Gefahr bringt, ausser durch Trübungen der Hornhaut in Folge von Exsudation auf
derselben. Wenn wir aber bei Ophthalmia catarrhalis, und noch mehr, wenn wir bei
Blennorrhoea acuta, wo doch die Bindehaut des Tarsaltheiles noch mehr leidet, diese
Erscheinungen lange nicht in so hohem, nicht in entsprechendem Grade auftreten sehen,
so dürfen wir nicht übersehen, dass wir hier Individuen vor uns haben, bei denen das
Nervensystem, namentlich im Bereiche des Sympathicus, noch auf andere Reize krank-
haft erhöht reagirt. Unter den vielen Erscheinungen, welche auf diese krankhafte
Reizbarkeit hindeuten , will ich nur an die bei scrofulösen Kindern so häufig vorkom-
mende Erweiterung der Pupille erinnern , welche man gewöhnlich dem Wurmreize
zuschreibt, wenn auch Jahre lang keine Spur von Enthelminthen in den Excrcmenten
bemerkbar wird. Schon das Typische in dem Auftreten - — die ganz gewiss nicht von
der Dämpfung des Lichtes allein abhängige -abendliche Remission — hätte den Finger-
zeig geben sollen, da man es hier nicht mit einer rein durch Entzündung, sondern
durch Affection des vegetativen Nervensystems bedingten Erscheinung zu thun habe'
abgesehen von der Wirkung der Heilmittel — auf welche wir weiter unten zu spre-
chen kommen werden.
Es geschieht, dass man Tage-, ja Wochen - lang die Augen
nicht zu sehen bekommt, wenn man nicht zum gewaltsamen Öffnen der
Lider sich entschliessen will. Man vermeide dieses, wo man nicht Ur-
sache hat, zu vermuthen, es möchte dem Kinde ein fremder Körper
zwischen die Lider gerathen sein. So lange der Rand des obern Lides
nicht geschwollen und geröthet erscheint, und in der Lidspalte sich nicht
ein schleimigeitriges Secret ansammelt, kann man sicher sein, dass sich
keine grösseren Hornhautgeschwüre entwickelt habenj mithin dem Sehver-
mögen noch kein Nachlheil erwachsen ist. Wo aber diese Erschei-
nungen eingetreten sind, ist die Untersuchung des Auges, selbst wenn
sie einige Gewalt erforderte, dringend nothwendig, nicht nur wegen der
Prognosis, sondern auch, um sich vor Verwechslung mit andern Zu-
Conjunctivitis scrofulosa — Verlauf — Ausgänge. 95
ständen, namentlich mit acuter Bindehautbleimorrhöe oder einem nach
innen aufgebrochenen Gerstenkorn zu sichern.
Die passendste Zeit zur Untersuchung- sehr lichtscheuer Augen ist gegen die
Abenddämmerung. Solche Kinder fürchten sich in der Regel sehr vor der Berührung,
ja schon vor der Besichtigung ihrer Augen. Man thue gar nicht, als ob man ihr Auge
untersuchen wolle, unterrede sich anscheinend mit der Mutter oder einem der Geschwi-
ster, nehme eine der Spielsachen in die Hand u. dgl. So bekommt man bei Benützung
eines günstigen Augenblickes am ehesten Gelegenheit, das Auge des Kindes zu sehen.
Zureden nützt nichts; gutmüthige Kinder bemühen sich oft auf eine Mitleid erregende
Art vergebens, sich absichtlich in's Auge sehen zu lassen; furchtsame oder verwöhnte
gerathen in den Zustand der grössten Aufregung, wenn man gleich brevi manu über
sie herfällt, auch nachher noch, so oft man nur in's Zimmer tritt, so oft sie nur vom
Arzte hören. Ich bin zu Kindern gerufen worden, deren Altern mich gleich im voraus
baten, ich möchte nur nichts merken lassen, dass ich der Doctor sei. Hat man sich das
Zutrauen des Kindes auf obige oder ähnliche Weise gewonnen, dann ist die genauere
Untersuchung selten schwierig. Wo nicht Gefahr im Verzuge, warte man lieber einige
Tage zu. Später, wenn im Verlaufe der Behandlung grössere, durchbohrende Horn-
hautgeschwüre entstehen, kommt es dem Arzte gar sehr zu Gute, das Kind ohne ge-
waltsames Sträuben untersuchen zu können. Schreitet man hiezu, so thue man es in
einer solchen Lage des Kindes, dass man wo möglich gleich beim ersten Emporziehen
des obern Lides die Hornhaut mit Einem Blicke übersehen könne. Nie ziehe man beide
Augenlider gleichzeitig ab, aus einander, am Avenigsten dann, wenn im äussern Winkel
Excoriationen vorhanden sind. Dass man bei kleineren Kindern auf unvermuthete Wen-
dungen des Kopfes, bei grösseren auf unwillkürliches Abwehren mit den Händen, und
dadurch mögliches Anstossen des Auges an die Finger gefasst sein müsse, braucht wohl
nur für den Anfänger in der Praxis bemerkt zu werden.
Die Conjunctivitis scrofulosa ist bald ganz ohne, bald wieder von
der grössten Gefahr für das Sehvermögen. Diess hängt ab: von dem
Sitze des Exsudates, von dessen Beschaffenheit und von den hiedurch be-
dingten Folgezuständen; nebstdem sind die Körperbeschaffenheit des
Kranken und die Verhältnisse, unter denen er lebte oder leben inuss,
jederzeit mit in Anschlag zu bringen. — Erfolgt die Exsuclalablagerung
bloss über der Sclera oder knapp am Rande der Cornea, im Limbus con-
junct. corneae, so ist das Sehvermögen niemals gefährdet, das Exsudat
mag wie immer beschaffen sein. Geschah die Exsudatablagerung im cen-
tralen Theile der Cornea, gegenüber der Pupille oder nahe daran, dann
sind temporäre oder stationäre Störungen des Gesichtes, in argen Fällen
selbst gänzlicher Verlust des Sehorganes zu fürchten. — Erscheint das
Exsudat auf der Cornealoberfläche diffus, in Form zahlreicher Körnchen,
von Gefässen durchsetzt, als Pannus scrofulosus, so ist die Krankheit
nicht so sehr gefährlich, als langwierig. Eine stationäre Beeinträchtigung
des Gesichtes ist hiebei nur nach längerer Dauer zu besorgen, und zwar,
69 Bindehaut.
wenn entweder die Cornea an Elasticität und Resistenz verloren und dess-
halb eine stärkere Wölbung angenommen hat, was fälschlich als Hydrops
camerae bezeichnet wurde, oder wenn das zwischen die Cornea und deren
Epithelialüberzug abgelagerte Exsudat bereits so fest (organisirt) ge-
worden ist, dass es nicht mehr durch Resorption eliminirt werden kann
(Vergl. Lehre von den Hornhautkrankheiten.) — Erscheint die Conjun-
ctivitis als sogenanntes scrofulöses Gefässbändchen, so bringt sie dem
Gesichte nur in so fern Gefahr, als sie eine bandartige Trübung zurück-
lässt, welche in der Regel sehr hartnäckig ist, viele Monate, selbst Jahre
lang fortbesteht. Völlig stationär ist jedoch eine solche Trübung nicht. —
Erscheint die Conjunctivitis mit Rläschen- oder Pustelbildung, so hängt
die Redeutsamkeit derselben von dem Umstände ab , ob sie zur Ge-
schwürsbildung auf der Cornea führt, oder nicht. Je deutlicher das
Exsudat über die Umgebung sich erhebt, desto sicherer kommt es zur
Schmelzung, zur Geschwürsbildung. Je staturirter, je mehr gelb (eiter-
ähnlich) das Exsudat aussieht, desto leichter führt es zu tiefer und aus-
gebreiteter Zerstörung der Hornhautfasern. Daher wird die Conjunctivitis
mit Bläschenbildung im Allgemeinen für weniger gefährlich geschildert,
als die mit Pustelbildung. Risweilen findet man bloss einen kleinen, grau-
oder weissgelben Punkt auf der mittlem Partie der Cornea, vielleicht in
einer Zeit, wo die partielle Gefässeinspritzung, die bei seinem Entstehen
vorhanden war, bereits wieder verschwunden ist; derselbe führt weder
zu tieferem, noch zu ausgebreitetem Substanzverluste, und doch hinter-
lässt er eine Trübung, welche Monate — Jahrelang fortbestehen kann.
Die Trübungen, welche zurückbleiben, nachdem die Rläschen oder Pusteln,
ohne zu bersten, resorbirt worden sind, pflegen nur transitorisch zu sein.
Wenn das Exsudat zur Geschwürsbildung Veranlassung gegeben hat,
dann können die Folgen sehr verschieden sein. War das Exsudat wenig
saturirt (Rläschenform), so führt es in der Regel nur zu seichtem und we-
nig ausgebreitetem Substanzverlusle. Solche Geschwürchen können leicht
übersehen werden, weil ihr Grund wenig oder gar nicht getrübt erscheint.
Erst mit der Zeit, wenn die zum Ersätze ausgeschwitzte Substanz
fester zu werden beginnt, pflegen solche Stellen trüb zu werden; es
entwickelt sich eine Narbe, halbdurchsichtig, graulich oder milchblau,
mit verwaschenen Rändern. Es sind mir Kinder vorgeführt worden, bei
denen die vorausgegangene Entzündung, Rläschen- und Geschwürsbildung
nicht beachtet, oder fast vergessen worden war, und wo die auf diese
Weise sich kundgebende Heilung für eine besondere neue Krankheit,
für das Wachsen eines Fleckes auf dem Auge gehalten wurde. Selten
Conjunctivitis serofulosa — Folgen — Prognosis. 97
führen solche Geschwüre (nach Bläschenbildung) zu tieferem Substanz-
Verluste oder gar zur Durchbohrung der Hornhaut. Die Folgen der
tiefern Hornhautgeschvvüre werden wir bei den Krankheiten der Hornhaut
näher angeben.
Hornhautgeschwüre mit deutlich grauem oder gelbem Grunde, in
der Regel die Folge von Pustelbildung bei dieser Ophthalmie, zeigen weit
mehr Tendenz, sowohl sich auszubreiten, als auch die Hornhaut zu durch-
bohren. Die Zerstörung der Hornhaut gewinnt aber hier nicht bloss durch
eitrige Infiltration der Ränder an Ausdehnung, sondern bisweilen auch
dadurch, dass der Eiter sich zwischen den Faserschichten der Hornhaut
senkt, und in Gestalt der Lunula am Nagel in der untersten Partie der
Cornea ansammelt, was man Unguis genannt hat. In glücklichen Fällen
wird ein solcher Congestionsabcess durch Resorption entfernt; in andern
erfolgt Erweichung und Zerstörung der untern Hornhautpartie. — Bei
grösseren und tieferen Eiterherden in der Cornea tritt bisweilen Iritis
mit Exsudatbildung in der vordem Kammer (Hypopiuni) hinzu. Wenn die
Symptome der Iritis, wie gewöhnlich, nicht deutlich ausgesprochen sind,
•fcder wenn der Zustand der Iris, wegen Trübung der Cornea nicht sicher
beurtheilt werden kann, ist es schwer, Hypopium von Unguis zu unterschei-
den. Die Anhaltspunkte für die Diagnosis können erst später angegeben
weiden. — Auf welche Weise derlei Geschwüre die -Veranlassung zu gros-
sen Hornhautnarben, Hornhautfisteln, Staphylomen u. s. w., so wie zu Ent-
zündung und Zerstörung des ganzen Augapfels führen können, lässt sich
ebenfalls erst später erörtern. — Eben so kann auf andere, mehr indi-
rect bedingte Nachübel vorläufig nur nominell hingedeutet werden. Hieher
gehören : Einwärtsstülpung des Lidrandes in Folge anhaltenden Augen-
lidkrampfes (sehr selten), Verwachsung der Cutis des obern Lides mit
der des untern vom äussern Winkel her (Blepharophimosis) in Felge
anhaltender Benetzung durch die Thränen (Excoricationen) , Schielen,
Kurzsichtigkeit, Schwäche der Retina (in Folge dessen, dass der Kranke
sich gewöhnt, nur Eines Auges sich zu bedienen), Verkrümmung der
Wirbelsäule (in Folge der wegen Lichtscheue fehlerhaften Haltung des
Kopfes) u. dgl.
Bei der Stellung der Prognosis sind überdiess sowohl die äussern
als die innern Verhältnisse des Kranken, und die Möglichkeit oder Un-
möglichkeit, hierauf günstig einzuwirken, wohl in Anschlag zu bringen.
Wo das scrofulöse Allgemeinleiden ererbt oder angeboren, oder wo es
durch unabänderliche Schädlichkeiten erworben ist und fort genährt wird,
da sind nicht nur die einzelnen Anfälle der Conjunctivitis hartnäckig,
Arlt, I. 7
98 Bindehaut.
sondern kehren auch häufig- bald auf dein einen, bald auf dem andern
Auge zurück, namentlich im Frühlinge und Herbste. Durchaus hartnäckiger
und gewöhnlich auch gefährlicher sind jene Anfälle, welche um die Zeit
eintreten, wo das Individuum mannbar werden soll, oder einige Jahre
später. Weibliche Individuen derart bekommen ihre Menstruation ge-
wöhnlich sehr spät, um's 17. — 20. Jahr herum, und sehr unregel-
mässig. Je mehr die Attribute des sogenannten torpiden Habitus ausge-
prägt sind, desto langwieriger pflegt der Verlauf, desto schwieriger die
Cur zu sein; den günstigsten Einfluss pflegt auf das Ausbleiben der Re-
cidive der Eintritt gewisser Lebensepochen zu nehmen, der Zahnwechsel
um's 7. Jahr, der Eintritt der Pubertät, die erste Schwangerschaft. — Auf
gleiche Weise überraschend wirkt oft der gänzliche Wechsel der Le-
bensweise und Lebensverhältnisse, die Übersiedlung in eine andere Ge-
gend , der Besuch eines Badeortes , längerer Aufenthalt auf dem
Lande u. dgl.
Die Behandlung muss eben so gut auf das allgemeine als auf
das örtliche Leiden gerichtet werden, sonst würde gar oft nicht nur eine
Recidive nach der andern erscheinen, sondern auch der einzelne Anfall
sehr in die Länge gezogen und gesteigert werden. Sie erfordert
zunächst :
Ä) Besondere Rücksicht auf die oben erwähnten disponirenden und
excilirenden Momente, die Krankheit mag nun erblich, angeboren oder
erworben sein.
1. Sorge für gesunde Luft. In feuchten, dumpfigen, überfüllten,
zumal gegen Norden gelegenen, Jahr aus Jahr ein den Sonnenstrahlen ent-
zogenen Zimmern wird man nicht leicht einen Anfall scrofulöser Augen-
entzündung schnell und sicher beheben, geschweige denn das Übel von
Grund aus heilen. Wo es die Umstände nicht erlauben, eine bessere
Wohnung zu beziehen, oder einige Monate auf dem Lande zuzubringen,
lasse man so viel als möglich die Zimmer lüften, und die Kinder in's
Freie bringen, wenn nicht gerade nasskaltes oder stürmisches Wetter ist.
Einem Kinde3 wegen einfacher Conjunctivitis scrofulosa den Genuss der
frischen Luft zu versagen, ist mindestens unnöthig.
2. Sorge für zweckmässige Nahrung. Diese bestehe, im Allgemeinen
gesagt, in einfachen und leicht verdaulichen Speisen.
Sauere, sehr feite, sehr gewürzte Speisen und Zuckerwerk müssen vermieden
werden, chcnso Hülsenfrüchte; Gemüse (ausgenommen die gclhcn Rüben und die grü-
nen Ebsen gekocht oder gedünstet, Spinat und Spargel), so wie Erdäpfel und ßrod
dürfen nur in geringer jffenge gegeben werden, besonders wenn das Kind wenig Be-
Conjunctivitis serofulosa — Therapie. 99
wegung im Freien machen kann. Obst reiche man mir in ganz ausgereiftem Zustande,
sauere Äpfe!, Johannes- und Stachelheeren, Birnen, Nüsse, Kastanien, Mandeln u. dgl.
lieher gar nicht. Die Entzündung am Auge ist keineswegs der Art, dass man Ursache
hätte, den Genuss von Fleischspeisen zu untersagen. Den sogenannten Erethischen
sagt im Allgemeinen eine reizlose, kühlende, mehr aus Vegetabilien bestehende Kost
zu, während Torpide mehr animalische Kost, selbst mit Zusatz von etwas Gewürz, besser
vertragen. Zum Getränke in der Regel Wasser, für schlecht genährte, jedoch nicht zu
reizbare Kinder etwas Bier, wenn sonst keine Gegenanzeige vorhanden ist.
Eine Hauptsache ist strenge Ordnung. Nichts stört die Verdauung und
Chylusbildung mehr, als das fortwährende Vollstopfen mit Ess- und Nasch-
waaren. Lieber lasse man die verwöhnten Kinder durch einige Tage
trotz der Augenentzündung weinen ; diess schadet ihnen lange nicht so
sehr, als die alte Unart ; in wenig Tagen sind sie anders gewöhnt, wenn
man sich's nur angelegen sein lässt.
3. Wohl zu berücksichtigen sind ferner der Einfluss des Lichtes, der
Wärme und der Reinlichkeit. In Bezug auf das Licht, dessen wohlthä-
ligen Einfluss auf die Vegetation wohl Niemand verkennt, soll hier nur
bemerkt werden, dass man dem Streben solcher Kranken, sich dem Lichte
zu entziehen, nur bis zu einem gewissen Grade nachgeben darf; sonst
wird die Lichtscheue nur um so heftiger und hartnäckiger. Insbesondere
schadet es, derart entzündete Augen zu verbinden. Das Auge wird unter
dem von Thränen durchfeuchteten Verbände förmlich gebrüht und dem
Lichte noch mehr entwöhnt; eine häufige Folge des Verbindens ist das
Schielen, oder auch die Gewohnheit, sich nur eines Auges zum genaueren
Sehen zu bedienen. — In Bezug auf die Pflege der Reinlichkeit muss
bemerkt werden, dass Bäder nicht gut vertragen werden, so lange die
Augen noch lichtscheu sind; später können sie, nach allgemeinen Regeln,
bald mit Malz, bald mit Steinsalz oder andern Mitteln versetzt, bald auch
einfach und zwar warm oder kalt verordnet, von entschiedenem Nutzen
gegen das Allgemeinleiden sein.
4. Geistige Anstrengung und moralische Behandlung sind nicht
ausser Acht zu lassen. Kinder mit solchen Augenentzündungen werden,
weil man ihnen des Augenleidens wegen alles gewährt, gern so verzogen,
dass sie die Tyrannen ihrer Umgebung spielen. Andererseits ist man oft
hart gegen sie, indem man sie zum Lernen anhält, ehe noch die über-
mässige Empfindlichkeit gegen das Licht ganz beseitigt, und ehe heilbare
Hornhautflecke geheilt sind. Die Folgen davon sind Kurzsichtigkeit, Schie-
len, baldige Recidive der Entzündung.
5. Dass äussere Schädlichkeiten, welche im Allgemeinen zu katar-
rhalischen Bindehautentzündungen Anlass geben, bei Kindern mit scrofulöser
110 Bindehaut.
Augenentziindung oder besonderer Neigung hiezu insbesondere zu meiden
sind, braucht wohl kaum erst erörtert zu werden.
B) Würdigung der Erscheinungen am Auge selbst.
1. Ist Lichtscheu und Thränenfluss in hohem Grade vorhanden, oder
sogar Augenliderkrampf, so müssen diese Zufälle vor allem gemildert
werden. Ist dabei das Kind ohne Fieber, und keine Diarrhöe, im Ge-
gentheile, wie gewöhnlich, Stuhlverstopfung vorhanden, so beginne man
die Cur mit einem Abführmittel, bei reizbaren Individuen mit einem ecco-
proticum. bei torpiden mit einem drasticum, bei letzteren wohl auch mit
einem Brechmittel Diese Mittel sind auch, falls keine Gegenanzeige vor-
handen, im weitern Verlaufe der Behandlung von Zeit zu Zeit zu wieder-
holen. Blutentziehungen, selbst örtliche, sind mindestens überflüssig, bei
Kindern geradezu schädlich.
Als die wirksamsten Mittel gegen Lichtscheue und Augenlidkrampf
kann ich nach vielfältiger Erfahrung empfehlen :
a) Einreiben oder vielmehr Aufstreichen einer Salbe aus 4 — 6
Gran Präcipitatus albus und 6 — 12 Gran Extractum belladonnae mit 1
Drachme Fett gut verrieben, an die Stirn und Schläfe, von den Augen-
brauen bis zum Kopfhaar, alle 2 — 4 Stunden erneuert, so dass die Haut
immer gehörig fett bleibt. Das Abwischen verhindert man durch einen
einfachen Papierschirm. *) Ist das Präparat gut, und wird es fleissig aufge-
strichen, so bewirkt es binnen wenig Tagen einen pustulösen Ausschlag
auf der Stirn 5 dann ist es wegzulassen, ingleichen, wenn die Pupille
anfängt, weiter zu werden. Hiemit ist auch die Lichtscheu, sehr oft auch
grösstenteils die Entzündung behoben. Wirkt es nach 8 — lOtägigem
Gebrauche nicht, so bestehe man nicht länger darauf, und wähle an-
dere Mittel.
6) Nächstdem erwiesen sich mir besonders wirksam Einreibungen
der Autenrieth' sehen Salbe zwischen die Schulterblätter, l/<i Drachme
Tartarus stibiatus auf 2 Drachmen Fett, und, um den Schmerz zu mildern
und minder grosse Pusteln hervorzurufen, mit 1 Scrupel Pulv. corticis
mezerei versetzt. Bei fieberhafter Aufregung dürfen sie gar nicht, bei
reizbaren Individuen müssen sie sehr vorsichtig angewendet werden ; bei
Kindern unter 5 — 6 Jahren werden sie nicht leicht nothwendig. Man setze
sie nicht zu lange fort, damit keine zu tiefen Geschwüre oder Intoxi-
") Augenschirme aus Karlenpapier oder aus Taflet über Draht gespannt werden von den Kindern nicht wohl ver-
■ tragen. Ich lasse ein Elatt weisses oder wenn mau will grünes Papier so zusammenlegen, dass es etwas breiler
wird, als die Stirn, und etwa so lang, als der Abstand von einem Ohr zum andern. Dieses wird miltelst eines
oben durchlaufenden Fadens so um 'den Kopf befestigt, dass es etwas über die Augen herabragt.
Conjunctivitis scrofulosa — Therapie. 101
cationserscheinungen eintreten. Ich würde einem so unliebsamen Mittel
nicht das Wort führen, wenn ich nicht durch bestimmte Thatsachen von
seiner Wirksamkeit tiberzeugt worden wäre.
c) Ein vorzügliches Mittel besitzen wir in dem Conhim maculatum
{Cicuta virosa). Dasselbe wird innerlich verabreicht, als Pulvis herbae zu
2 — 5 Gran, oder als Extractum zu % — 1 Gran, oder als Alkaloid, Coniin
zu Y10 — 7S Gran täglich 2 — 3mal, bei anhaltendem Augenlidkrampfe am
besten in allmälig gesteigerter Gabe. Man beginnt z. ß. mit 1 Gran Extr.
conii, gibt den 2. Tag 2, den 3. Tag 3mal 1 solches Pulver, den 4. Tag
nichts, den 5. Tag 3, den 6. Tag 4, den 7. Tag 5 Stück, den 8. Tag
nichts, den 9. Tag 5 u. s. w. Man wird nicht leiclit nöthig haben, und
es wäre auch nicht gerathen, auf mehr als 8 Gran in 24 Stunden zu
steigen. Bei Säurebildung in den ersten Wegen verbinde man es zweck-
mässig mit Maynesia carbonica oder mit Baryta muriatica. Die Anwen-
dung dieses letzteren Mittels erheischt jedoch, wie bekannt, grosse Vorsicht.
Eine zweckmässige Formel ist z. B. Barytae muriaticae, Extracti conii ma-
culati a'a scrupulum, solve in aquae dest. vel aquae cinnamoni et Syr.
cort. aurant. ä~a unica dimidia, täglich 2 — 3mäl 20 — 30 Tropfen, allmälig
steigend zu nehmen. Ein verlässlicheres Präparat ist das Coniin. Coniin
grana duo , solve in spiritus vini scrupulo et aquae dest. unc. quatuor
täglich 2 — 3mal 20 — 40 Tropfen, allmälig steigend; oder: Coniini %0
Gran mit Eleosacch. cort. aurant. Charta cerata, täglich 1 — 2mal.
d) 3Ian wird nicht leicht nöthig haben, nach andern Mitteln sich umzusehen;
dennoch wird es gut sein, deren mehrere zu kennen. Fomente mit einer Lösung aus
72 — 1 Drachme Borax und eben so viel Aqua laurocerasi in 7 Unzen dest. Wassers
täglich 2 — 3mal durch l/2 Stunde lauwarm angewandt leisteten mir in den paar Fällen,
wo ich sie verordnete, ganz gute Dienste. Prof. Fischer (Win. Unterr. 'S. 273 und
Lehrbuch S. 213) sah gute Wirkung von der Tinctura bignoniae, mit 2 — 3 Theilen
Wasser verdünnt, täglich 2 — 3mal lau in's Auge geträufelt. Derselbe empfiehlt auch
die Tinclura Galbani, mittelst eines Leinwandbäuschchens einige Male des Tages durch
einige Minuten lauwarm über die Lider zu legen, oder innerlich einige Tropfen der
Tinctura Fabae Ignalii oder der Tinctura Rhois toxicodendri in Zuckerwasser zu ver-
abreichen. Cunier (Annales d'Ocul. T. lo. p. 62) rühmt die Blausäure, namentlich ein
Collyrium aus 3 Unzen Aqua belladonnae dest. mit % Drachme Acidum hydrocian.
medicin. (Acidi prussici puri pars 1 in aq. part. 8) zu Einträuflungen oder zu Wa-
schungen und Bähungen der Lider, letztere alle 20 — 30 Minuten vorzunehmen, oder 6
Gran Cyanuretum potassae in 2 Unzen Aq. belladonnae. Deval (Ann. d'Oc. T. 13. p.
71) lässt nach Demours das Kerbelkraut (Chaerophyllum sativum Lam.) durch 10 Mi-
nuten kochen und die Nacht hindurch in Form von Cataplasmen auf die Lider anwen-
den, sodann das Auge oft mit einer concentrirten Abkochung desselben waschen. Vom
Eiublasen oder Einstreuen des Kalomelpulvers nach Flicke u. A. bin ich durch einige
102 Bindehaut.
Fälle, wo es sich über der Conjunctiva bulbi in Klümpchcn angesammelt und partielle
Entzündung erregt hatte, abgeschreckt worden. — Zu Jüngkens Methode, die licht-
scheuen Kinder gewaltsam starkem Tageslichte auszusetzen, oder mit dem Kopfe mo-
mentan in ein Gefass voll kalten Wassers einzutauchen, konnte ich mich bisher eben
so wenig entschliessen, wie zu Ruele's Verfahren, kalte Umschläge anzuwenden; am
wenigsten scheinen mir diese Behandlungsweisen für die Privatpraxis zu passen. Kalte
Umschläge ordinären sich hierorts die Laien von selbst, und man kann so zu sagen
täglich beobachten, wie viel damit Unheil gestiftet wird, auch in Fällen, wo sie nach
Ritete angezeigt wären.
2. Ist die Heftigkeit der Lichtscheue gebrochen, dann kommt es auf
den Zustand der Cornea an, welche Behandlung einzuleiten ist.
a) Bei den sogenannten scrofulösen Gefässbändchen, welche Form
nur mit sehr geringer oder gar keiner Lichtscheu verläuft, besteht die
örtliche Behandlung in der Einreibung- einer Salbe aus 3 — 6 Gran weissem
Präcipitat auf 1 Drachme Fett, 3— 4mal in 24 Stunden, an die äussere
Fläche der Lider. Ist das Kind nicht verständig genug, nachher mit ge-
schlossenen Augen Y2 — 1 Stunde liegen zu bleiben, so wähle man die
Zeit des Schlafes hiezu.
6) Beim Pannus scrofufosus sind Einträuflungen von lauwarmer
Aqua Conradi, von Laudanum liq. Sydenh., in hartnäckigen Fällen von
Collyrium adstr. luteum, die wirksamsten der örtlichen Mittel.
c) Jene seltene Form, welche mit der Bildung eines gelblich- oder
graulich -sulzigen Exsudates in Form von Knötchen oder Wülsten im
Limbu& conjunet. corneae auftritt (Vergl. Prager Vjschr.e12. Band, Seite 73),
und sehr langsam verläuft, erfordert das Bestreichen mit Laudanum Syd.,
Cuprum sulfur. oder gummirtem Lapis.
d) Bei der Bildung kleiner Bläschen oder Pusteln ist oft schon das
leichte Abführmittel oder die Mercurialsalbe an die Stirn und Schläfe hin-
reichend, die Rückbildung einzuleiten; nach gemilderter Lichtscheue mag
man eine schwache Lösung von Sublimat, von Nitras argenti oder Lau-
danum einträufeln; in der Regel aber ist dann der rothe Präcipitat, 1 — 2
Gran auf 1 Drachme, vor dem Einschlafen an die Lidränder eingerieben,
das beste Mittel, die Resorption zu beschleunigen. — Sind die Bläschen
oder Pusteln etwas grösser, namentlich erhabener, so erfolgt die Abstos-
sung des überkleidenden Epitheliums, und somit die Umwandlung in ein
Geschwür bald früher, bald später von selbst. Ich habe das Betupfen
solclier Pusteln mit einem zugespitzten Lapis inf. in zahlreichen Fällen
angewendet, kann ihm aber nicht das günstige Zeugniss geben, das ihm
gegeben worden ist. Einreibungen von Unguentum ciiiereum oder von
einer etwas stärkern weissen Präcipitatsalbe an die Stirn und Schläfe
Conjunctivitis scrofulosa — Therapie. 103
und Verabreichung- gelinderer oder stärkerer Abführmittel, je nachdem
die einen oder die andern sonst zulässig- oder angezeigt waren, schienen
mir noch am ehesten geeignet, der Vergrösserung solcher Exsudationen
Schranken zu setzen. Auch den Einträuflungen von verschieden starken
Lösungen des Argentuni nitricum, des Sublimates, des Cadmium sulfuricum
u. s. w. kann ich in dieser Beziehung durchaus nicht das Wort reden.
e) Seichte Geschwürchen mit reinem oder nur wenig trübem Grunde
erfordern in der Regel keine andere Behandlung, als die eben angege-
bene. Greifen sie aber weit um sich oder in die Tiefe, oder bleiben sie
Tage-, Wochenlang stationär, dann ist zu unterscheiden, ob diess unter
Forlbestehen oder Steigerung der Gefässeinsprilzung, des Thränenflusses
und der Lichtscheu, oder aber unter Nachlass oder völliger Abwesenheit
dieser Erscheinungen geschieht, mit andern Worten, ob ihre Zunahme,
ihr Bestand mit entzündlichen Zufällen, oder mit einem sogenannten tor-
piden Zustande des Auges und Gesammtorganismus einhergeht. Im
erstem Falle sind Abführmittel zu reichen, die Nahrung einzuschränken,
31ereurialeinreibungen an die Umgebungen der Augen vorzunehmen ; im
letzteren Falle ist durch örtliche Beizmittel, durch kräftige Kost, durch
tonische und erregende Arzneimittel der zur Narbenbildung uöthige Grad
von Reaction anzustreben. — Unter die örtlichen Reizmittel gehören
a) trockene warme Tücher oder Kräutersäckchen (Flor, chamomillae, flor.
sambuci a~a unc. dimid., farin. fabarum vel secalin. unciam, in doppelte
feine Leinwand eingenäht und gut durchsteppt), wenn bei eitriger Infil-
tration ödematöse Schwellung der Bindehaut oder der Lider auftritt;
ß) Einträuflungen von verdünntem oder selbst reinem Laudanum liq. Syd.,
1— 2mal in 24 Stunden, oder von einer Lösung aus 1 — 5 Gran Nitras
argenti in 1 Unze Wasser, oder von 2 — 4 Gran Lapis divinus mit Y2 — 1
Scrupel Tinctura opii simpl. in 1 Unze Wasser; y) selten wird man in
die Lage kommen, ein Geschwür wegen Mangel an Reaction mit Tinctura
jodinae oder mit Lapis infernalis in Substanz betupfen zu müssen; mit
letzterem sei man, besonders in der Privatpraxis, namentlich als Anfänger,
nicht zu schnell bei der Hand.
f) Sind die Hornhautfasern bis auf die tiefsten oder bis auf die
Descemet'sche Haut zerstört, und diese in Form eines durchsichtigen
Bläschens vorgetrieben, Keratokele, oder ist bereits völliger Durchbruch
der Cornea, einfach oder mit Vertreibung der Iris erfolgt, dann ist nebst
dem unter e~) auseinander gesetzten Verfahren noch ruhige Lage des
Kranken, mindestens Vermeidung jeder stärkeren Muskelanstrengung und
heftigem Bewegung nothwendig, um so strenger, je mehr dadurch Gefahr
104 BindeBiaut.
zur Verziehung oder gar Schliessung der Pupille gesetzt ist, und sich
Staphyloma partiale oder totale zu entwickeln droht. Die Begründung
dieser Vorsichtsmaassregel, so wie die weitere Behandlung des Irisvor-
falles und der Folgezustände können füglich erst bei der Lehre von den
Hornhautkrankheiten gegeben werden.
C) Auswahl der Arzneimittel, welche theils zur Beseitigung des
einzelnen Anfalles von Conjunctivitis, theils zur Verbesserung des con-
stitutionellen Übels innerlich zu geben sind.
Der angehende Praktiker findet eine Menge Mittel gegen die Scrofulosis empfoh-
len. Es würde voreilig sein , daraus den Schluss zu ziehen, dass eigentlich keines
etwas tauge. Allerdings besitzen wir kein Mittel, das in allen Fällen hilft, aber es
gibt Mittel von ausgezeichnetem, erprobtem Nutzen. Die Kunst des Arztes besteht
hier im Individualisiren und in der gehörigen Beharrlichkeit. Eigene sorgfältige Beob-
achtung am Krankenbette muss hier das Meiste thun ; die Erfahrung Anderer kann nur
die allgemeinsten Anhaltspunkte geben. Wenn irgendwo, so scheint es hier nothwendig,
vor dem Schlendrian so mancher Arzte zu warnen, welche, so oft ihnen ein Kind mit
scrofulöser Augenentzündung vorkommt, nach gewohnter Weise das Mittel verschreiben,
das in ihrer Feder steckt, ohne Wahl, selbst ohne Rücksicht auf die Dosis. Kinder,
zum Skelett abgemagert, werden ohne weiters" mit Abführmitteln oder Vesicantien
hinter den Ohren tractirt, während Andere nichts zu kennen scheinen, als irgend ein
Collyrium, dessen Formel ihnen noch von der Schule her geläufig ist.
1. Salzige Abführmittel bekommen den scrofulösen Kindern im
Allgemeinen nicht gut; man sei also damit eben so vorsichtig, wie mit
Blutentziehungen. Für Reizbare passen: ein leichter Aufguss von Senna,*)
Aqua laxativa Viennensis, für kleinere Kinder Hydromel infantum, Syrup.
cichorei cum rheo, für Torpide ein stärkeres Infusum sennae oder Ele-
cluarium lenitivum, Kalomel mit Jalappa in Zwischenräumen von einigen
Tagen. Abführmittel sind besonders bei torpiden Individuen, namentlich
wenn chronische Hautausschläge im Gesichte oder am Kopfe vorhanden
sind , von Zeit zu Zeit etwas stärker anzuwenden. Bei Crusta lactea
habe ich den Thee aus Herba jaceae mit Milch, und damit es die Kinder
leichter nehmen, mit ein wenig Caflee, oder, wo ich zugleich purgiren
wollte, mit Sennesbtättern, oft mit augenscheinlich gutem Erfolge ange-
wandt. — Bei Zeichen von Magensäure verbinde man mit dem Abführ-
tränkchen Bicarbonas sodae, Lapis cancrorum, oder Magnesia,, oder reiche
diese Mittel, falls die Kinder sie nehmen, in Pulverform, allein oder mit
Rheum.
«) Um da» Leibschneiden, welches sie verursachen, zu vermeiden, lasse man die miltelst Alkohol entharzten Blätter
nehmen. Sehr gut genommen und vertragen werden sie auch, wenn man sie nach Beseitigung der Stiele mit
dem CulTee infundirl, den man zum Frühstück gihl.
Conjunctivitis scrofulosa — Therapie. 105
2. Brechmittel zu Anfang der Cur, wohl auch später immer nach
einigen Tagen wiederholt, fand ich oft von entschieden guter Wirkung
bei torpiden Individuen, namentlich wenn grosse Hornhautpusteln oder
Geschwüre mit gelben, wulstigen, oder von zahlreichen Gefässen über-
zogenen Rändern — jedoch ohne Durchbruch oder Gefahr hiezu — oder
wenn Eiter zwischen den Hornhautfasern oder in der vordem Augenkammer
angesammelt war. — Tartarus stibiatus r. d. passt besenders, sobald es
die Verdauungsorgane zulassen, bei frequentem Pulse und leicht erreg-
barem Blutandrange zum Kopfe. Den Aethiops antimonialis habe ich
(nach von Walthers Rath bei schlecht genährten torpiden Individuen,
besonders wenn gleichzeitig chronische Hautausschläge vorhanden sind)
theils allein, theils mit Conium, Magnesia oder Rheum verabreicht; ich
sah zwar niemals eine eclatante Wirkung, glaube jedoch die Beobach-
tungen noch weiter fortsetzen zu müssen. Aethiops mineralis, Pulvis
Plumeri, so wie überhaupt stärkere Mercurialpräparate, bei Serofulösen
durch längere Zeit anzuwenden, halte ich wenigstens bei Conjunctivitis
scrof. nicht für angezeigt.
3. Die Hauptrolle bei der arzneilichen Behandlung spielen die
tonischen Mittel, deren viele als Specißca empfohlen wurden. Hieher ge-
hören der Eichelcaffee, die grünen Schalen und Blätter von Nux juglans
regia, der Calamus aromaticus u. dgl. Die China, welche von Kindern
am besten als Infus um oder Extractum frigide paratum vertragen wird;
das Chinin, bei Kindern zu 1, bei Erwachsenen zu 2 Gran 2 — 3mal des
Tages verabreicht, hat Makenzie als ein vorzügliches Mittel empfohlen,
wenn nach Vorausschickung eines Abführ- oder Brechmittels Lichtscheu
und Thränenfluss noch heftig sind, der Puls jedoch nicht sehr rasch ist,
in welchem Falle kleine Gaben von Brechweinstein angewendet werden
sollen. Das Eisen, am besten als Ferrum carbonicum sacharatum
allein oder, wenn es gelind eröffnend wirken soll, mit Rheum; letztere
Eigenschaft hat auch die Verbindung von weinsteinsaurem Eisen und Kali
(Ferri tartrici, Kali tartrici et Elaeosacch. aurant. a~a Drachmam D. in
dos. aeq. XII, täglich 2-3 Stück). Das Jod, Jodkali , Jodeisen, bei
möglichster Vermeidung stärkmehlhaltiger Nahrungsmittel in entsprechender
Gabe angewandt, ist unstreitig eines der wirksamsten Mittel gegen Scro-
fulosis im Allgemeinen. Es eignet sich mehr für torpide Individuen, und
kann meistens erst nach behohenem Anfalle, oder bei sehr schleppendem
Verlaufe der Conjunctiwitis angewendet werden. Dasselbe gilt von der
Adelheidsquelle und dem Haller Wasser. Ein unschätzhares Mittel bei
erethischen (atrophischen) serofulösen Individuen ist der Leberthran. Er
10G Bindehaut.
kann ohneweiters schon während des Anfalles der entzündlichen Zufälle
am Auge in Anwendung gezogen werden. Man gibt ihn täglich zweimal
zu 1 Kaffee - Kinder - Esslöffel , zur Milderung des unangenehmen
Geschmackes mit etwas Syrupus emulsivus oder mit etwas Citronensaft.
Kinder, welche ihn nicht nehmen wollten , Kinder, welche bei äusserster
Abmagerung zugleich an erschöpfendem Durchfalle litten, liess ich vor dem
Schlafengehen am ganzen Körper damit einreiben und in ein Leintuch
einwickeln ; es gibt wenig Mittel, von denen ich so entschieden gute
Wirkung gesehen, wie von diesen Einreibungen. Ob die Baryta muria-
tica wirklich die Heilkräfte habe, die man ihr gegen die Scrofulosis zu-
geschrieben, muss ich nach meinen Erfahrungen noch dahin gestellt sein
lassen. Ich reichte sie selten allein, meistens in Verbindung mit der
Cicuta, deren bereits oben Erwähnung geschah, oder mit Eisen (Terrae
ponderosae saht, et ferri muriat. a~a dr. semis, Aq. dest. com. et Syr,
aurant. a~a unciam, M. D. S. Täglich 2 — 3mal ]/2 — 1 Kaffeelöfel voll
zu nehmen).
4. Zum Schlüsse erwähnen wir noch der Gegenreize, Vesicantien,
Fontanelle, Haarseile. Erstere fand ich meist unnütz, letztere beide
geradezu schädlich. Wann Gegenreize anzuwenden sind, und dass hiezu
die Authenrieth'sche Salbe wohl das beste Mittel, wurde bereits erörtert.
V. Conjunctivitis trachomatosa, Trachoma s. asperitudo
conjunctivae.
Die irachomatöse Bindehautentzündung charakterisirt sich durch
Ablagerung eines sulzigen Exsudates in Form isolirter, selbstständiger
Körner oder Hügel, nicht bloss unter das Epithelium der Bindehaut der
Lider und (bei höhern Graden) selbst des Bulbus, sondern auch in das
Parenchym der Bindehaut und in die tiefern Gebilde (Knorpel und Zell-
stoff), und durch Einleitung von Schrumpfung der infiltrirfen Gewebe.
Sie besteht nicht in primärer Erkrankung des Papillarkörpers, geht
nicht nothwendig und nicht gleich von Anfang mit Schwellung der ganzen
Bindehaut und Ausscheidung flüssigen Exsudates an die freie Oberfläche
einher, und ist nicht ansteckend, wie die Blennorrhoe, mit der sie bisher
so häufig verwechselt oder für gleichbedeutend gehalten wurde. Die
Ursache der Ablagerung jener umschriebenen, gelblichen, sulzigen Exsudate
unter das unversehrte Epithelium und in die tiefern Gebilde muss zuletzt
in einem Allgemeinleiden, in Krankheit des ganzen Organismus gesucht
Trachoma — Symptome. 107
werden. Das Vorhandensein vermehrter und unveränderter Secretion ist
hier nicht wesentlich, und findet nur unter besondern Verhältnissen statt.
Eine gewisse Rauhigkeit oder vielmehr Unebenheit der Lidbindehaut,
welche eben durch den Namen angedeutet wird, bleibt immer eine her-
vorstehende Erscheinung dieser Krankheit in allen ihren Formen und
Stadien, wenn sie auch derselben nicht ausschliesslich zukommt. Diese
Rauhigkeit ist bedingt durch die Exsudate, welche in Bezug auf ihre
Form (Kugelform) und ihren Sitz (unabhängig von einem bestimmten
Elemente der Bindehaut, Papillarkörper oder Schleimfollikel) eine gewisse
Selbstständigkeit darbieten, und durch die Veränderungen, welche die
davon infiltrirten Gebilde durch diese Exsudate und deren Metamorphosen
erleiden.
Die Ausscheidung der Exsudate kann ohne merkliche Röthe,
Schwellung und Secretionsveränderung der Bindehaut vor sich gehen;
sie beginnt in der Regel am untern Lide, und kann von da auf das obere,
zuletzt auch auf die Conjunctiva bulbi und auf die Cornea übergehen.
Die Krankheit ist an keinen bestimmten Verlauf gebunden, kann Jahre
lang dauern, von Zeit zu Zeit frische Nachschübe bildend. Sie com-
binirt sich häufig mit den Zufällen der Conjunctivitis scrofulosa, häufiger
noch mit denen der Conjunctivitis catarrhalis, und schliesst die Erschei-
nungen der Blennorrhoe nur in so fern aus, als diese durch rasche Ent-
wicklung und Heftigkeit des entzündlichen Processes Resorption der das
Trachom charakterisirenden Exsudate herbeiführen.
Die Symptome sind verschieden, je nachdem die Exsudate bloss
an der Oberfläche der Bindehaut, unter dem Epithelium — aufgelagert —
oder auch zugleich im Parenchym — inßltrirt — erscheinen, ferner je
nachdem die Exsudate rasch, unter heftigen Reactionserscheinungen oder
allmälig und unvermerkt abgelagert werden, endlich je nach den Meta-
morphosen, welche die Exsudate selbst und die davon infiltrirten Gewebe
bereits erlitten haben.
1. Grad. Auflagerung. Auf der Bindehaut im Tarsal- und im Über-
gangstheile, bisweilen auch an der Peripherie des Scleraltheiles sieht man
mohn- bis hirsekorngrosse, grauliche oder gelbliche, glatte, etwas
durchsichtige, hügelartige oder halbkugliche Erhabenheiten mit deutlich
begrenzter rundlicher Basis emporragen. — Diese Exsudathügel erscheinen
zuerst im Tarsaltheile der Bindehaut, mit Ausnahme eines ohngefähr 1
Linie breiten Streifens längs der innern Lefze des Lidrandes, welcher
nur selten, und zwar erst nach Monate langer Dauer hie und da von
einem solchen Korne eingenommen erscheint. Alsbald treten sie im
108 Bindehaut.
Übergangs theile auf, dessen lockeres Bindegewebe ihrer Ausbreitung viel
günstiger zu sein scheint. Oft, wo die über dem Tarsus sitzenden sehr
klein und flach, oder aber bereits wieder verschwunden sind, ist der
Übergangstheil bis zur Sclera hin mit zahlreichen, weit grösseren, aber
auch in der Regel blasseren und etwas tiefer eingesenkten Körnern
besetzt. Doch gibt es auch Fälle, wo der Übergangstheil beinahe oder
ganz verschont bleibt, selbst nach langer Dauer, (bei der Infiltration);
worauf wir später zu sprechen kommen werden. — Niemals, sie mögen
noch so gedrängt an einander sitzen, verlieren sie die rundliche Form
des Scheitels ; sie werden nie eckig, nie palissaden- oder hahnenkamm-
ähnlich angeordnet ; im Übergangstheile jedoch verschmelzen sie durch
Aneinanderstossen gern zu 2 — 3 Wülsten mit transversalen Einschnü-
rungen, nachdem sie oft lange reihenweise an einander gestellt, gleich
Perlenschnüren bestanden haben. — Solche Ablagerungen können nicht
nur an der halbmondförmigen Falte und an der Thränenkarunkel, sondern
auch an der Scleralbindehaut vorkommen, und zwar in letzterer anfangs
einzeln und fast krystallhell , später confluent, drüsenartig und gelblich-
sulzig, wie gekochter Sago*).
Geschieht der Erguss des dieselben bildenden Blastems unter das
Epithelium allmälig, so erscheint die Bindehaut zwischen diesen isolirt
stehenden Hügeln selbst über dem Tarsus nur wenig injicirt und noch
so durchscheinend, wie im normalen Zustande , nur gleichsam etwas
schlaffer und mehr gelblich, oder blass gelblichroth, und von veränderter
oder vermehrter Seeretion ist dann gewöhnlich keine Spur vorhanden.
Sehr oft wissen die Kranken gar nicht, dass sie ein Augenleiden an sich
tragen ; man bekommt daher die Krankheit in dieser Form nur selten
zu Gesichte.
Zu 2 Mädchen von 8 bis 10 Jahren (beide aus wohlhabenden Familien) wurde
ich gerufen, weil sie, wie die Altern sagten, sich ein häufiges Zwinkern angewöhnt
hatten, und selbes nicht lassen wollten; ein Mädchen von 9 Jahren kam mit ihrer au-
genkranken Pflegemutter zu mir, und ich wurde nur nebenbei befragt, wie es komme,
dass die Augen des Mädchens, wenn sie weine, immer längere Zeit roth bleiben ; von
3 im Jünglingsalter stehenden Individuen consultirten mich 2 wegen Kurzsichtigkeit,
und 1 befragte mich wegen Drücken in den Augen nach längerem Lesen oder Schrei-
*) Diese auf- oder oberflächlich eingelagerten, sulzigen Exsudate müssen unterschieden werden nicht nur von jenen
winzigen,, fast nur staubkorngrossen, durchsichtigen Erhebungen des Epitheliums im Tarsaltheile, welche nach
2 — 3 Tagen wieder verschwinden, sondern auch von den ebenfalls kryslallhellen oder matlgrauen, höchstens
mohnsamengrossen Erhabenheilen im Übergangstheile, welche durch Schwellung der Follikel bediugl sind. Wir
haben von beiden bereit» in den früheren Abschnitten gesprochen.
Traehonia — Symptome. 109
ben. Alle, bis auf das 9jährige Mädchen, boten diese Erscheinung nur an den untern
Lidern dar.
In andern Fällen bietet die Bindehaut der Lider nebst diesen Ex-
sudaten noch die Zeichen der katarrhalischen Entzündung dar, namentlich
die Schleimsecretion und Hyperämie, und der Kranke klagt über das Ge-
fühl eines fremden Körpers unter dem obern Lide, auch wenn dieses
sowohl im Tarsal- als im Übergangstheile von solchen Auflagerungen
noch ganz frei ist. 'Die Zufalle, welche wir dem Katarrh (sensu stricto)
zuschreiben, können beseitigt werden, sobald der Kranke aus der ge-
sperrten unreinen Luft entfernt wird, und etwa noch ein adstringirendes
Collyrium anwendet: jene Exsudate aber bestehen fort (wochenlang),
und geben der Bindehaut ein lockeres, unebenes, gelblichrotb.es Aus-
sehen. — Von Aussen erscheinen die Lider ein wenig angelaufen, die
Lidspalte wird nicht gehörig geöffnet, das Auge ist empfindlicher gegen
grelles Licht, gegen scharfe Luft, Staub, Rauch, Anstrengung der Seh-
kraft u. dgl., die Lider können nach dem Schlafe schwerer geöffnet wer-
den, auch wenn sie nicht gerade verklebt sind , und ermüden besonders
bei künstlicher Beleuchtung so, als ob man nicht ausgeschlafen hätte.
Geschieht hingegen die Ausscheidung rasch, so erscheint die Binde-
haut durchaus serös geschwellt und mehr weniger hyperämisch, mit den
genannten Körnern besetzt, und von Thränen überfluthet, in welchen hie
und da Schleimflocken schwimmen. Die seröse Schwellung ist natürlich
im Übergangstheile am stärksten ; in heftigeren Fällen schwillt auch die
Conjunctiva bulbi und die Cutis der Lider stärker an (ödematös). Dabei ist
der Kranke sehr lichtscheu, und wird gewöhnlich von heftigen, drückenden
oder reissenden und stechenden Schmerzen gequält. — Ist das umgebende
Gewebe stark hyperämisch, dann sieht man ganz feine Gefässreiserchen von
demselben auf diese Exsudathügel emporsteigen, und ihnen eine röthlich-
gelbe Farbe verleihen; der Scheitel derselben bleibt jedoch immer noch
durchscheinend, opalartig glänzend: mittelst der Loupe sieht man um die
noch immer deutliche Basis herum nicht selten kleine Ecchymosen. —
Diese Hyperämie tritt von Zeit zu Zeit, wenn frische Nachschübe erfol-
gen oder die Bindehaut sonst gereizt wird, stärker auf; man bemerkt
sie aber auch oft, wenn Resorption jener Exsudate statt findet. Bei län-
gerer Dauer macht sie den Papillarkörper über den Tarsus intensiv roth,
fein zottig oder fein warzig, selbst deutlich hypertrophisch, ein Zustand,
der noch fortbestehen kann, nachdem jene Exsudatkörner grösstentheils
oder ganz verschwunden sind, oder bloss noch im Übergangstheile oder
am obern Lide aufgefunden werden können. Mit diesem Zustande der
110 Bindehaut.
Hyperämie und der Schwellung- des Papillarkörpers ist dann auch Ver-
mehrung und Veränderung der Secretion, wie beim Katarrh, vorhanden.
Ich war lange der Ansicht, dass der bisher geschilderte Befund-, stets nur als
erster Grad des Trachoma zu betrachten sei, indem ich oft genug darauf die weitern
Veränderungen der Bindehaut und Nachbargebilde eintreten sah, welche mit jenen zu-
sammengenommen uns eben den Begriff dieser Krankheit geben, und indem ich auch
in zahlreichen Fällen auf jene ursächlichen Momente zurückgeführt wurde, welche das
weiter vorgeschrittene Übel voraussetzt. Allein unbefangen und sorgfältig fortgesetzte
Beobachtungen überzeugten mich, dass man auch hier, wie überall, sich nicht an eine
Erscheinung allein halten dürfe, dass es kein an und für sich pathognomonisches Sym-
ptom gebe, kurz, dass diese sulzigen, rundlichen Exsudate nicht bloss bei der in Rede
stehenden Krankheit (Trachoma) vorkommen, sondern auch als Theilerscheinung, wenn
gleich ungleich seltener und nur unter gewissen Verhältnissen, bei Katarrh und bei der
Blennorrhoe nieder« Grades und langsameren Verlaufes. Hatten mich früher einzelne
Fälle auf die Vermuthung geführt, es können wohl auch bei rein örtlichen Krankheiten,
beim Katarrh und bei der Blennorrhoe unter gewissen Verhältnissen ganz gleiche Exsudate
auftreten, so wurde ich endlich durch die Beobachtung der sogenannten Ophthalmia mili-
taris (vergl. S. 70) und durch nachfolgende Beobachtung über dieses Verhältniss aufgeklärt.
Aus dem hiesigen Waisenhause zu Set. Johann, welches ohngefähr 80 Knaben
im Alter von 6 — 13 Jahren versorgt, wurden mir vom Med. Ordinarius des Hauses,
Dr. Junyk, seit dem Sommer 1849 mehrere Zöglinge zugeschickt, welche auf beiden
Augen jenen Zustand darboten, den ich oben als Trachoma 1. Grades mit katarrhali-
schen Zufällen beschrieben habe. Der Umstand, das bis Mitte Jänner 1850 bereits 5
derart erkrankte Knaben mich besuchten, bestimmte mich, das ganze Institut zu unter-
suchen. Ich fand Anfang Februar unter 78 Zöglingen, welche eben zu Hause waren,
nur 39 ganz gesund ; von den erkrankten zeigten 9 bloss eine mehr weniger dicht
netzförmige Injection und Lockerung oder leichte Schwellung der Bindehaut über dem
Tarsus und im Übergangstheile, und nur geringe, eiweiss- oder schleimähnliche Se-
cretion (in Form eines halbdurchsichtigen Fadens oder einer blassgelblichen Flocke),
ohne dass sie übrigens von Lichtscheu, Thränenfluss , Druck unter dem obern Lide
u. dgl. merklich belästigt wurden. Bei den übrigen (30) sassen theils über dem Tarsus
(mit Ausschluss eines etwa 1 Linie breiten Saumes längs der innern Lefze), theils im
Übergangstheile und besonders in der Übergangsfalte, bei vielen aber auch in der
Coiijunctiva bulbi (nächst der Concavität der halbmondförmigen Falte und im oberen
Umfange der Scleralbindehaut) gelbliche, sulzige, halbdurchsichtige, glatte Körnchen
oder Hügel, welche in der Übergangsfalte häufig zu länglichen, darmähnlichen Wülsten
verschmolzen waren. Diese Hügel konnten weder für hypertrophische Papillen , noch
für geschwellte Follikel gehalten werden, weil sie auch an der Conjunctiva bulbi be-
obachtet wurden. Sie erschienen in allen Fällen über dem Tarsus viel kleiner, als im
Übero-ano-stheile. Die Bindehaut selbst war in mehreren Fällen auffallend bla^s (bei
schwächlicheren, schlechter aussehenden Kindern), in andern dicht netzförmig und hell
geröthet, in den meisten gelblich roth, und im Allgemeinen etwas schlaffer und locke-
rer aussehend, wenigstens im Übergangstheile; rücksichtlich der Secretion und der
Sensationsanomalien verhielten sich diese Fälle im Allgemeinen nicht anders, als die,
welche (\tn Zustand eines einfachen Kalarrhes darboten. Nur eine geringe Zahl der
Trachoma — Symptome — Diagnosis. 111
Kinder war iür auffenkrank gehalten worden; man war daher nicht wenig üherrascht,
dass ich so viele für krank erklärte. Es konnten mir daher auch üher die Dauer, Ent-
stehung und Ausbreitung des Übels keine Aufschlüsse gegeben werden. — Die Kinder
wohnen seit dem Herbste 1849 im Piaristenkloster, nachdem das für sie bestimmte, viel
gesünder gelegene, mit einem grossen Hofraume und Garten versehene und geräumige
Zimmer enthaltende Waisenhaus anfangs zu einem Choleraspilal, später zu einer Militär-
Kaserne bestimmt worden ist. Die im Piaristenkloster ihnen zugewiesenen Zimmer sind
niedrig, relativ klein, für Licht und frische Luft wenig zugänglich; auch bei offenen
Fenstern (in den Frühlings- und Sommermonaten) kam mir die Luft darin noch immer
dunstig und dumpfig vor. -»
Zunächst drang sich die Frage auf, ob das Übel ansteckend sei, oder ob so
viele Individuen zugleich (oder doch kurz nach einander) nur desshalb ergriffen wor-
den waren, weil sie alle denselben schädlichen Einflüssen ausgesetzt waren. Stellte
sich das Übel als ansteckend heraus, so war zu ermitteln, ob das Contagium von
aussen eingeschleppt oder in der Anstalt selbst sich entwickelt hatte. Leider war ich
nicht in der Lage, alle notwendigen Erhebungen zur Beantwortung dieser Fragen
pflegen zu können. So viel aber kann ich in Bezug auf die Contagiosität mit Be-
stimmtheit versichern, dass von dem Lehr- und Dienstpersonale des Institutes Niemand
erkrankte (und die Lehrer waren doch viele Stunden des Tages, 4 — 5, in den gedrängt
vollen Lehrsälen), dass auch von Verschleppung der Krankheit durch die Kinder zu
ihren Altern oder Geschwistern trotz der öfter stattfindenden Besuche kein Fall aus-
findig gemacht werden konnte, dass trotz der Einführung von Vorsichtsmaassregeln,
welche geeignet waren, die Ansteckung durch Übertragung (Betastung) zu verhüten,
dennoch in den nächsten 6 Wochen noch viele Knaben (zusammen über 50) erkrank-
ten, und dass mehrere Impfungen, welche ich mit dem schleimigen Secrete vornahm,
keinen Ausbruch der Krankheit bewirkten. — Musste nun der Grund des Übels mit
grösster Wahrscheinlichkeit nicht in Ansteckung, sondern in Einwirkung schädlicher
Einflüsse gesucht werden , welchen diese Kinder sämmtlich ausgesetzt waren, und
welchen nur die geringere Zahl widerstand, so f'rug sich's, ob diese Einflüsse sich nur
bei jenen geltend machen konnten, welche schon eine krankhafte Disposition in sich
trugen, oder auch bei ganz gesunden Kindern, und ob diese Einflüsse auf die ganze
Consituation einwirkten, oder aber ob sie bloss die Augen, die Bindehaut trafen"")- —
Eine genaue Untersuchung sämmtlicher (78) Zöglinge nach den Ferien (am 12, Octo-
ber) ergab folgenden Befund. Von 23 Neuaufgenommenen hatten nur 15 noch ganz
gesunde Augen; bei 1 zeigte bloss das linke, bei 2 das rechte und linke Auge netz-
r förmige Röthe und Lockerung der Bindehaut mit sparsamer Schleimsecretion, und bei
5 waren nebstdein an den untern Lidern staub- und mohnkorngrosse, gelbliche Hügel-
chen vorhanden, welche sich bei dem einen auch bereits an den obern Lidern zeigten.
Von diesen 8 Knaben war nur der eine (und zwar der, welcher bereits oben und
unten solche Exsudate darbot) erst 8 Tage, die andern aber 2 bis 8 Wochen in der
°) Zwischen Luft und Bindehaut iindet ohne Zweifel eine Wechselwirkung slalt, welche für die Vegetation der Bin-
dehaut von grossem Einflüsse ist. Die Qualität der Lull dürfte für die Function der stets feuchten Bindehaut
eben so wenig gleichgültig sein, als für die Schleimhaut der Respirationsorgane. Übermässig langes Wachen
führt zu stärkerer Injectiou der Bindehautgefässe ; aber auch nach dem Schlafe sind dieselben mehr injicirt; wer-
den viele Personen längere Zeit in einem engen Räume eingeschlossen, so wird die Bindehaut des Augapfels
gleichfalls riilher und schlaffer.
112 Bindehaut.
Anstalt; von den 15 Gesunden war nur Einer 14 Tage, die andern alle eine kürzere
Zeit daselbst. Von den übrigen (55) Kindern, welche bereits länger (1 — 5 Jahre) in
der Anstalt waren, konnten nur 5 für ganz gesund erklärt werden; 2 zeigten bloss
netzförmige Injection, Lockerung und sparsame Schleimsecretion der Bindehaut; 48
boten nebstdem die Bildung jener Exsudate in den mannigfachsten Abstufungen (nach
Grösse, Zahl und Ausbreitung) dar. — Als ich nun am 22. December d. J. wieder alle
Kinder durchmustert, und den Befund mit der Beschreibung vom 12. October verglich,
ergab sich, dass von jenen 23 Neulingen seitdem wieder 5 erkrankt waren, 1 mit ein-
fach katarrhalischen Erscheinungen, 4 überdiess mit jenen kleinen solitären Exsudaten-;
dagegen waren von den früher Kranken 2 genesen, und 1 zeigte nun auch an den
obern Lidern solche Körnchen. Der Zustand der altern 55 Zöglinge war im December
im Allgemeinen besser, als im October, wobei übrigens nicht unbemerkt bleiben darf,
dass man in der Zwischenzeit alle mögliche Sorgfalt angewandt hatte, die Luft in den
Zimmern rein zu erhalten, und die Kinder in's Freie zu schicken. Wir fanden nament-
lich bei allen die Injection und die Schleimproduction der Bindehaut viel geringer, bei
vielen Fällen mit Granulationen letztere ganz fehlend ; die 5 im October gesund Be-
fundenen waren es noch, die 2 mit einfach katarrhalischen Erscheinungen waren jetzt
ganz genesen, 7 mit leichter Exsudatbildung waren nun auch von dieser befreit, und
bei 5 waren die Granulationen sparsamer und flacher (selbst nur als gelbe Flecke
wahrnehmbar) geworden; nur bei 3 erschienen die Exsudate grösser, und bei 1 hatten
sie sich auch an den obern Lidern stark entwickelt.
Zur Erläuterung möge die specielle Beschreibung einiger Fälle dienen. Kallas
A., 1 Jahr in der Anstalt, von gesundem Aussehen, leidet seit unbestimmt langer Zeit
an beiden Augen. Befund am 12. October. Die Bindehaut der Lider gelblich roth,
gelockert, die Meibomschen Drüsen deutlich durchscheinend; etwa V" hinter der innern
Lefze des Lidrandes beginnen zahlreiche , kaum mohnkorngrosse , fischrogenähnliche
Körnchen ; der Tarsaltheil das obern Lides zeigt denselben Zustand, nur sind diese
Körnchen gegen den Winkel und gegen den Orbitalrand des Tarsus hin gedrängter und
grösser ; der Übergangstheil frei von solchen Körnern , nur leicht geschwellt ; keine
Schleimsecretion (wenigstens nicht im Momente der Untersuchung) , keine Klage über
Drücken, Lichtscheu u. dgl. Unter der Loupe erschien die für das freie Auge gelblich
röthliche Bindehaut massig dicht injicirt, hie und da röthlich punktirt, und darauf opal-
artig glänzende, halbdurchsichtige, ganz glatte Hügelchen. Am 22. Dezember war der
Befund im Ganzen derselbe, nur der Übergangstheil bereits auch mit solchen Körnchen
besetzt. - — Hepncr, 2 Jahre in der Anstalt, hatte im Herbste 1849 dasselbe Leiden mit
exquisit grossen Körnern gehabt, und mich desshalb durch einige Monate besucht, um _
mit Cuprum sulfuricum touchirt zu werden. Nachdem die Exsudate grösstentheils resorbirt
waren, war er nicht mehr bei mir erschienen. Wir fanden am 12. October 1850 die
Exsudate bis auf kleine lichte Stellen verschwunden , nur im Übergangstheile noch
zahlreiche, hirschkorngrosse Körner , und am 22. December waren auch diese völlig
verschwunden, die Bindehaut durchaus normal, nur etwas mehr gelblich uad schlaffer,
als gewöhnlich. — Martinovsky, 4 Jahre in der Anstalt. Am 12. October : Die Binde-
haut schütter netzförmig injicirt, über dem Tarsus zerstreute und kleine, im Übergangs-
theile etwas grössere und mehr gedrängt stehende Körnchen; der Befund an den obern
Lidern beinahe derselbe, nur die Exsudate kleiner und sparsamer; im obern Umfange
der Conjuncliva bulbi zahlreiche, halbdurchsichtige gelbliche Hügel ; zwischen den
Ti'ciehoina — Symptome — Diagnosis. 113
Cilien einige Schleimkrusten. Am 22. December konnte der Knabe unter die Gesunden
gezählt werden. — Seidl, 1 Jahr in der Anstalt, von blühend gesundem Aussehen. Am
12. October gleichfalls beide Augen ergriffen; zwischen den Cilien ein wenig Schleim,
alle 4 Lider leidend, die obern jedoch relativ wenig; die Bindehaut überall vollkom-
men durchscheinend , schütter netzförmig geröthet , an den untern Lidern über dem
Tarsus kleine und solitäre, im Übergangstheile und an der halbmondförmigen Falte
hirschkorngrosse, gelbliche, sulzige, rosenkranzähnlich an einander gereihte Körner; an
dem linken Auge auch auf der Conjunctiva bulbi einige solche Exsudate. Am 22.
December waren auch an den obern Lidern namentlich gegen die Winkel hin ziemlich
grosse Körner zu bemerken.
Alle Thatsachen, welche ich an den Zöglingen des Waisenhauses im Verlauf
von fast 1 Va Jahren wahrgenommen, bringen mich zu dem Schlüsse, bei diesen Kin-
dern habe sich in Folge der Verhältnisse, unter denen sie leben, namentlich in Folge
der gesperrten Luft eine eigenthümliche Vegetationsanomalie der Bindehaut erzeugt,
welche jenem Zustande, den wir Katarrh nennen, noch am nächsten steht. Ich sah
mehrmals in Fällen, wo anfangs nur rein katarrhalische Zufälle an der Bindehaut wahr-
genommen worden waren, jene eigenthümliche Exsudate auftreten, und dabei die
übrigen Zufälle fortbestehen oder auch mehr weniger zurücktreten. Ich möchte diesen
Zustand nicht zu den Blennorrhöen rechnen ; es fehlte das primäre Schwellen des Pa-
pillarkörpers , es fehlte die Production schleimig eitrigen Secretes, oder dieses war
doch auffallend spärlich, es fehlte endlich die Contagiosität, oder musste wenigstens
sehr in Zvveifel gezogen werden. Ich kann diese Krankheit aber auch nicht als Tra-
choma bezeichnen, weil, ausser der Bildung jener eigenthümlichen Exsudate die übri-
gen Erscheinungen, welche zusammen genommen uns eben den Begriff des Trachoma
geben, nicht vorhanden waren , und namentlich die consecutiven Zufälle in keinem
Falle beobachtet wurden. Ich habe bei einigen Knaben hirse-, ja beinahe hanfkorn-
grosse Auflagerungen durch mehr als 6 Monate beobachtet, und demnach weder eine
Infiltration des Knorpels, noch auch nur eine nachträgliche Schrumpfung der Bindehaut
eintreten sehen. Ich habe in keinem einzigen der mitunter sehr heftigen Fälle den
Bulbus auf andere Weise mitleiden sehen, als dass in der Sclerabindehaut sich ein-
zelne derlei Exsudate zeigten. Ich fand durchaus keinen wesentlichen Unterschied am
Auge; ob nun das Kind ganz gesund oder schwächlich oder manifest scrofulös aussah.
Ja gerade zwei Kinder, die lange an Conjunctivitis scrofulosa litten, zeigten auch nach
mehrmonatlichem Aufenthalte unter den übrigen Kindern keine Spur jener sogenannten
Granulationen.
Ich betrachte demnach die Bildung dieser eigenthümlichen Exsudate als etwas
Accessorisches, um so mehr, nachdem ich mich überzeugt habe, dass solche graue Gra-
nuletionen , wie man sie auch genannt hat, auch bei Blennorrhoe auftreten können,
und zwar nicht blos bei Blennorrhöen, welche unter dem Militär und andern geschlos-
senen Körperschaften massenweise auftreten , sondern auch bei isolirt vorkommenden,
z. B. durch Impfung mit Triperschleim erzeugten Blennorrhöen. Nur durch diese An-
schauungsweise glaube ich der Anforderung genügen zu Können, dass man jede Krank-
heit und jedes Glied derselben nach allen Beziehungen auffasse, nicht aber eine Erschei-
nung allein aus der ganzen Reihe herausgreife, und sodann als Krankheit hinstelle. Wer
aber jede Krankheit der Bindehaut, welche jene „grauen Granulationen" darbietet, ohne-
Arli, i. o
114 Bindehaut.
weiters Trachoma nennt, der hat einen andern Standpunkt gewählt; er nennt mit diesem
Worte ein Symptom, nicht eine Krankheit.
Um in jedem speciellen Falle zu bestimmen, ob dieser Befund die
Bedeutung eines rein örtlichen, bloss durch aussetze Verhältnisse bedingten
Leidens habe, oder aber als Ergebniss eines Allgemeinleidens, als erste
Reihe jener Erscheinungen zu betrachten sei, welche wir als dem Tra-
choma zukommend noch weiterhin angeben werden, hat man jedesmal
nebst dem örtlichen Befunde auch alle die Momente zu berücksichtigen,
welche auf die Herbeiführung dieses Zustandes Einfluss genommen haben
konnten, und welche wir theils im I. und II. Abschnitte angeführt haben,
theils in diesem Abschnitte (über Verlauf — Ursachen und Vorkommen des
Trachoms) noch anführen werden. Wir werden auch hier gar oft nicht
im Stande sein, eine bestimmte Diagnosis zu stellen, wie wir bei Blen-
norrhöen minder heftigen Verlaufes gleichfalls oft nicht sogleich zu ent-
scheiden vermögen, ob wir einen Katarrh oder eine Blennorrhoe vor uns
haben (nach dem momentanen Befunde).
Anders verhält sich's, wenn die Krankheit bereits den 2. Grad
erreicht hat. — Im Stadium der Infiltration der Exsudate in das Pa-
renchym der Bindehaut und der unterliegenden Gebilde sind die Erschei-
nungen am Auge selbst schon so charakteristisch, dass gewöhnlich schon
aus ihnen allein die Diagnosis „Trachoma" gestellt werden kann.
Nebst den Auflagerungen, welche wohl auch schon grösstentheils
resorbirt sein können, sieht man entweder im Tarsal- oder im Über-
gangstheile, in der Regel aber in beiden zugleich ganz dieselben gelb-
lichen, sulzigen, etwas durchsichtigen Körner tief eingebettet, und zwar
stellenweise, einzeln oder gruppenweise (Aggregate von gelatinähnlichen
Kugeln) oder durchaus als mehr gleichmässige, nur durch flache Erhe-
bungen unebene sulzige Infiltration der ganzen Bindehaut, und dabei auch
die Lidknorpel dicker, minder geschmeidig, derb und prall.
Untersucht man die Bindehaut zur Zeit der eben stattfindenden Abla-
gerung oder zur Zeit eines frischen Nachschub es von Exsudaten, was bei
etwas acuterem Vorgange des Processes unter starker Hyperämie, Lichtscheu,
Thränenfluss und heftigen Schmerzen geschieht, so erscheint der zwischen den
Infiltraten befindliche Papillarkörkörper blutreich (hell- oder dunkelroth) und
stark geschwellt, der Übergangstheil licht- oder schmutzig-roth, von den ger-
nannten Körnern durchsetzt, und in dem reichlichen wasserklaren Secrete
schwimmen hie und da gelbliche Flocken. Tritt nun auch noch seröse Schwel-
lung der Bindehaut des Augapfels und Ödem der Lider dazu, so könnte die
Krankheit wohl mit einer Blennorrhoe des 2. oder 3. Grades verwechselt
Trachoina — Symptome — Diagnosis. 115
werden; doch steht die Menge des consistenten Secretes hier in keinem
Verhältnisse zur Schwellung der Bindehaut und der Lider, und die Be-
achtung der Entwicklung, des Verlaufes und des eigentümlichen Ver-
haltens jener selbstständigen Exsudate vermag die Diagnosis zu sichern.
Das eigenthümliche Verhalten der Exsydate liegt eben darin, dass sie
auch im Tarsaltheile tief eingebettet, wenn nicht als gleichmässig tiefere
Infiltration, und nicht, wie bei Blennorrhöen langsameren Verlaufes, als
mächtiger aufgelagertes Exsudat auf den vergrößerten Papillen erscheinen.
Erfolgte diese Ablagerung allmälig, oder ist die damit auftretende
Blutüberfüllung und seröse Schwellung bereits zurückgegangen, so findet
man weiter keine oder nur sehr wenig Absonderung schleim- oder
eiweiss-ähnlieher Materie, und die Bindehaut erlangt allmälig nicht nur
ein zur Schwellung (Verdickung) auffallend blasses (gelblichtroth.es), son-
dern auch ein relativ mehr trockenes Aussehen. Die den Tarsus über-
ziehende Partie erscheint gewöhnlich durchaus graugelblich, aufgewulstet,
wie sulzig, doch derb, anämisch, und auf dieser ziemlich gleichmässig
verbreiteten Wulstung sieht man hie und da noch sagoähnliche Erhö-
hungen. In andern Fällen erscheinen nur einzelne Partien so verändert,
und zwischen denselben sieht man Papillarkörper in hypertrophischem, hy-
perämischem und geschwelltem, oder auch in ziemlich normalem Zustande.
Die Übergangsfalte ist blassroth oder gelblichroth, von sulzigen Körnern
wie von gekochtem Sago durchsetzt, nach längerem Bestände des Übels
oft in eine Art Wulst erhoben, welche bei starkem Abziehen des untern
Lides frei emporragt, und auch durch die stärkste Ausdehnung sich nicht
verschwinden machen (ausglätten) lässt. In solchen Fällen ist auch die
Veränderung der Lidknorpel bereits deutlich ausgesprochen. Besonders
ist es das obere Lid, welches dicker, minder geschmeidig und schwerer
umstülpbar wird.
Mit dieser Infiltration der Bindehaut, des Knorpels und des sub-
mueösen Bindegewebes (im Übergangstheile) tritt nun in der Regel auch
Exsudation an der Conjunctiva bulbi, namentlich am Limbus conjunctivae
und von da auf der Cornea ein. Letztere ist unter dem Namen Pannus
beschrieben worden. Die Bildung des Pannus erfolgt gleichfalls entweder
allmälig, unvermerkt, oder stürmisch, unter heftigen Zufällen. Sie hat die
grösste Ähnlichkeit mit dem Vorgange bei Conjunctivitis scrofulosa, welche
in vielen Fällen auch schon früher, gleichsam als Vorläufer, intercurrirt.
Es wird nämlich das Bindehautblättchen (die Epithelialschicht) der Cornea
— gewöhnlich vom obern Rande her — trüb, mattgrau, sueculent, und
allmälig von Gefässen durchzogen, welche deutlich als Fortsetzungen der
8*
116 Bindehaut.
Gefässe der Conjunctiva bulbi, zum Theil auch der vordem Ciliargefässe
erscheinen; weiterhin wird das Epithelium hie und da durch grauliche
Exsudate in Form kleiner Hügelchen emporgehoben, die Oberfläche der
Cornea deutlich uneben, wie mit Staub oder Gries bestreut. Dabei kann
die Gefässentwicklung so reichlich sein, dass die Cornea, ja der ganze
Bulbus wie mit einem rothen Tuche belegt aussieht (Pannus vasculosus
s. tenuis). In andern Fällen wird die Cornea mit einer dicken Schichte
graulichgelben Exsudates — stellenweise oder durchaus — und von
mehr weniger zahlreichen Gefässen tiberzogen, so dass die tiefern Ge-
bilde gar nicht mehr durchscheinen (Pannus carnosus s. crassus), und
bleibt Wochen-, Monate -lang in diesem Zustande. Die Exsudate
durchlaufen dann ähnliche Metamorphosen, wie die an den Lidern ab-,
gesetzten, worauf wir später zu sprechen kommen werden. Es geschieht
aber auch, dass solche umschriebene Exsudate auf der Cornea sich ganz
so verhalten, wie jene bei der Conjunctivitis scrofulosa, zur oberfläch-
lichen oder tieferen Geschwürsbildung führen. Das Nähere hierüber kann
erst bei der Schilderung des Verlaufes und der Ausgänge dieser Krank-
heit gegeben werden.
Der folgende Fall mag zur Erläuterung des acuten Auftretens tieferer Infiltration
dienen. — F. E., 20 Jahre alt, Ladendienerin in einer Schnittwaarenhandlung, schlief in
einer engen, finstern, mit Menschen überfüllten Wohnung der Judenstadt, war aber
stets gesund und seit 3 Jahren regelmässig menstruirt. Sie ist kräftig gebaut, üppig
genährt, mit lebhaft gerötheten Wangen. Vor 3 Monaten erkrankte sie an den Augen-
ohne bekannte Ursache, ohne in die Nahe eines Augenkranken (mit Verdacht auf An,
steckung) gekommen zu sein, unter drückenden Schmerzen in beiden Augen, mit
Lichtscheu, Thränenfluss und starker Röthe des Weissen im Auge; die ersten Erschei-
nungen waren constant am Morgen intensiver, und Hessen von circa 3 Uhr Nachmittags
in der Regel nach. Das Übel wechselte unter der Behandlung mit Blutegeln, Augen-
salben, Vesicantien und Purgirmitteln , wurde "bald geringer, bald heftiger. Am 30.
September kam die Kranke in's Spital. — Ausdruck heftiger Lichtscheu, so dass die
genauere* Untersuchung erst den 3. Tag vorgenommen werden konnte. Die Lidränder
etwas angelaufen und geröthet, reichlicher Thränenfluss, keine Schleimansammlung-
Die Bindehaut im Tarsal- und Übergangstheile des rechten Auges gleichmässig gerö-
thet, in letzterem geschwellt, die Meibom'schen Drüsen nur gegen den Lidrand her
etwas durchschimmernd; ohngefähr V" hinter dem Lidrande und weiterhin bis in die
Übergangsfalte sieht man in der stark gelockerten Bindehaut zahlreiche, mohn-, hirsen-
korngrosse, sulzige, froschlaichähnliche, durchscheinende, hügelartige Auflagerungen,
die Conjunctiva sclerae von der Peripherie her von zahlreichen Gefässen durchzogen
(wovon einzelne wie Besenrüthchen zur Cornea streichen), aufgelockert, hie und da I
mit ähnlichen Exsudaten durchsetzt; der Limbus conjunctivae von oben und von innen
her stark injicirt, infiltrirt, wie bestaubt; im Bereiche der durchsichtigen Hornhaut
einige punktförmige, gelblichgraue, ganz wenig erhabene Exsudate, zu welchen sich
Trachoma — Symptome — Diagnosis. 117
einige Gefässchen vom benachbarten Limbus conjunctivae erstrecken. Brennende und
reissende Schmerzen in den Augen. — Massige Verdunklung, Infus, sennae c. sale
aniaro, 6 Gran weissen Präcipitates mit 10 Gran Extr. beilad. auf 1 Drachme Fett alle
3 Stunden an die Stirn und Schläfe abzustreichen, die Nahrung auf Suppe und Obst-
speise beschränkt. — Bis zum 6. October war die Lichtscheu grösstenteils behoben,
am 10. konnten die Auflagerungen der Bindehaut bereits mit Cuprum sulphuricum tou-
chirt werden, nachdem die Schwellung des Limbus conjunctivae zurückgegangen und
die Exsudate auf der Cornea grössentheils resorbirt waren. Am 21. waren auch die
Exsudate im Tarsal- und Übergangstheile schon bedeutend kleiner, und am 26. befand
sich die Kranke bereits so wohl, dass wir keinen Anstand nahmen, sie zu entlassen.
Das linke Au°-e hatte ausser Hyperämie der Bindehaut keine merklichen krankhaften
Erscheinun°en dargeboten. — Am 20. November kam die Kranke wieder in die An-
slalt. Angeblich nach Verkühlung hatten sich brennende und stechende Schmerzen in
den Augen und heftige Lichtscheu eingestellt; diese Symptome waren auch diesmal
des Morgens viel heftiger gewesen. Wir fanden das obere Lid des rechten Auges
stark geschwollen, den Augenbrauenbogen etwas überragend, blassroth, weich, nicht
besonders empfindlich, noch wärmer; das untere Lid minder stark geschwollen; Aus-
druck der heftigsten Lichtscheue, beim gewaltsamen Offnen der Lidspalte entleert sich
ein Strom heisser, wasserklarer Flüssigkeit. Die Bindehaut über dem Tarsus des untern
Lides nicht netzförmig geröthet, gelockert und geschwellt; hie und da sieht man gegen
den Rand her die Meibom'schen Drüsen durchschimmern; weiterhin sieht man hirse-
korngrosse, gelbe, von Gefässchen überschlängelte Körnchen auf der Bindehaut sitzen,
am zahlreichsten in dem stark geschwellten Übergangstheile. Die Bindehaut des obern
Lides, so weit sie besichtigt werden konnte, ebenso beschaffen. Die Conjunctiva bulbi
grobmaschig injicirt, in einzelnen Fällen mit mohnkorngrossen, blassgelblichen, halb-
durchsichtigen Bläschen versehen, besonders nach oben und innen. Der Limbus con-
junctivae von oben her stärker injicirt; im Bereiche der durchsichtigen Cornea mehrere
gelblichweise, hirsekorngrosse , ein wenig erhabene Flecken (flache Pusteln). — Am
linken Auge die Cornea und Conjunctiva bulbi frei, die Bindehaut der Lider fast eben
so beschaffen, wie auf dem rechten Auge. Dumpfer Kopfschmerz, glühend heisse und
rothe Wangen, beschleunigter Puls , zeitweise Schwindel. — Behandlung wie beim 1.
Anfalle ; gar keine Linderung. Am 25. Eintritt der Menstruation, hierauf Linderung der
Kopf- und Augenschmerzen und der qualvollen Lichtscheue. Vom 29. an wurde % Gran
Coniin täglich 2mal verabreicht, musste jedoch bald mit einem kühlenden Abführmittel
vertauscht werden. Die Exsudate auf der Cornea erweichten, und es entstanden kleine
Geschwürchen mit zahlreicher Gefässentwicklung; die Lichtscheu dauerte in gleichem
Grade fort, mit unbedeutenden Schwankungen. Am 12. December setzten wir 8 blutige
Schröpfköpfe in die Kreuz- und Lendengegend, und rieben die Brechweinsteinsalbe
mit Seidelbast zwischen die Schulterblätter ein, während innerlich Decoct. graminis mit
Kali tartaricum fortgesetzt wurde. Vom 16. an besserte sich der Zustand täglich mehr
und mehr; nicht nur Lichtscheu und Schmerzen wurden geringer, sondern auch die
Exsudate in der Conjunctiva nahmen merklich ab. Jetzt erst konnten wir die Binde-
haut in ihrer ganzen Ausbreitung untersuchen. Die beinahe farblosen Exsudatkörnchen
in der Conjunctiva bulbi waren grösstentheils verschwunden ; wurde das obere Lid stark
aufwärts gezogen, und zugleich der Bulbus abwärts gerollt, so bemerkte man eine
gegen 2 Linien breite und an 3/4 Linien dicke Wulst, die geschwellte und von zahl-
1 1 8 Bindehaut.
reichen, hirsrkorngrossen, gelblichen, su!zi»en Exsudatkugeln durchsetzte Übergangs-
falle, welche den Bulbus oben gürtelförmig umfassle. Unter Fortsetzung der Medicin
wurde durch mehrere Tage die Salbe von weissem Präzipitat und Extr. beilad. an die
Stirn eingerieben, und tätlich ein Tropfen laudanum liq. in's Auge geträufelt. Dabei
verlor sich die Lichtscheu gänzlich, die Lockerung und der Gefässreichthum der Binde-
haut nahmen zusehends ab, die seichten Hornhatitgeschwüre wurden reiner. Vom 3.
Jüner konnten bereits die Touchirungen der Lidbindehaut und jenes wulstigen Gür-
tels am oben) Unifange der Sclera vorgenommen werden. Die Verabreichung von
Medicamenteri erschien weiter nicht nothwendig, die Kranke wurde so viel als möglich
in's Freie geschickt ; am 5. Februar konnte sie entlassen werden. Die rechte Hornhaut
bot nun an der Stelle der früheren Exsudate und Geschwürchen leichte Trübungen, die
Conjnnctiva palpebr. nur im Übergangstheile leichte Schwellung mit kleinen Resten der
kornigen Exsudate dar. Das linke Auge hatte keine ortliche Behandlung erfordert.
Die Exsudatkörner im Tarsal- und Übergangstheile waren hier allmälig verschwunden,
die Conjunctiva bulbi und die Cornea nie afficirt worden. Von Schleimsecretion war
während der ganzen Krankheit äusserst wenig zu bemerken, nur Verklebung der Cilien
in Büschel war durch längere Zeit vorhanden gewesen.
In wie fern der jeweilige Symptomencomplex durch die Metamorphosen,
welche die Exsudate selbst und die davon infiltrirten Gebilde erleiden,
und welche oft an dem einen Lide oder auch nur an einem Theile eines
Lides bereits eingetreten sind, während an andern Partien noch frische
Infiltration statt findet, mit der Zeit verändert wird, kann erst im nächsten
Absätze auseinander gesetzt werden.
Verlauf und Ausgänge. Die Krankheit zeigt im Allgemeinen
einen chronischen Verlauf, selbst wenn sie unter acuten Zufällen aufge-
treten ist; sie dauert Monate-, in der Regel Jahre-lang, und setzt
auch der rationellsten Behandlung nicht selten die grösste Hartnäckigkeit
entgegen, sei es nun dadurch, dass von Zeil zu Zeit wieder frische Ex-
sudate nachkommen, oder dadurch, dass die Resorption der vorhandenen
nicht vor sich gehen will. Sie führt sehr häufig zu mehr weniger be-
trächtlicher Beeinträchtigung des Sehvermögens, selten jedoch zu gänz-
lichem (und unheilbarem) Verluste desselben.
Die Krankheit entwickelt sich oft, nachdem die Erscheinungen der
Conjunctivitis scrofnlosa längere Zeit oder zu wiederholten Malen vor-
ausgegangen sind, seltener nach Blepharadenitis. Die entzündlichen Zufälle?
Virelche die raschere und namentlich die tiefere Infiltration begleiten,
zeichnen sich häufig durch enorme Lichtscheu und Thränenabsonderung,
durch morgendliche Exacerbation, nicht selten mit Bläschen- oder Pustel-
eruption auf der Cornea oder deren Linibus aus. Diese Erscheinungen
treten oft ohne äussere Veranlassung auf, machen bei der sorgfältigsten
Pflege und Behandlung bald auf dem einen, bald auf dem andern Auge
Traelioma— Verlauf — Ausgänge.. 119
Recidive, am häufigsten im Spätherbste oder zeitig im Frühlinge, und
dauern mit einer Hartnäckigkeit an, die den Kranken, wie den Arzt muth-
los machen kann. Solchen Anfällen geht manchmal ohne alle andere
Ursache Fieber voraus. Der 1. Grad lässt vollständige Heilung zu, von
selbst oder durch Unterstützung von Seite der Kunst. Die Exsudate
werden allmälig resorbirt. Die Körner werden flacher, und es erscheint
dann an der Stelle des gelben Hügels (über dem Tarsus) bloss ein gelb-
licher lichter Fleck, bisweilen selbst eine lichte Vertiefung, welche allmälig
kleiner wird, wohl auch ein schiefergraues Pünktchen (durch einige Zeit)
hinterlässt. Allmälig wird dann auch die umgebende Bindehaut wieder
blässer und durchscheinend , endlich durchaus normal. — Piringer *),
welcher diesen Zustand der Bindehaut ganz naturgetreu beschrieben hat?
sah denselben durch 5 Jahre an einem 15jährigen scrofulösen Militär—
erziehungsknaben unverändert fortbestehen. — Vereiterung oder Ver-
jauchung dieser Exsudathügel sah ich nie eintreten; nur in einem Falle
erfolgte eine Art Zerfallen des Exsudates, jedoch ohne consecutive Ge-
schwürsbildung in der Bindehaut.
J. B., 36 Jahre alt, Schneider, früher Soldat, kam am 5. November 1849 wegen
Entzündung des rechten Auges auf die Augenklinik. Beide Augenlider geschwollen,
die Geschwulst blassroth, wenig empfindlich, wenig wärmer, höher als der Augen-
brauenbogen. Die Lidspalte kann kaum auf 1 Linie weit geöffnet werden; die Cilien
durch etwas gelblich-schleimiges Secret und Thränen in Büschel verklebt, in dem
reichlichen, wasserklaren Secrete der Bindehaut (Thränen ?) schwimmen einzelne gelb-
liche Flocken. Die Bindehaut über dem Tarsus leicht geschwellt, netzförmig injicirt,
durchscheinend (die Meibom'schen Drüsen sichtbar), dagegen im Übergangstheile stark
geschwollen, wulstig, gleichmässig geröthet, hie und da ecchymotisch, mit zahlreichen
Erhabenheiten bezetzt, welche sich zum Theil in den Tarsaltheil herein erstrecken.
Diese Erhabenheiten oder Körner sind mohn-, hirsekorngross, durchscheinend, gelblich
grau, einige davon gelblich weiss und matt, wie erweichter Tuberkel; die meisten
dieser Körner sitzeji gleichsam im Parenchym, ragen wenig über die Oberfläche der
gelockerten und gewulsteten Bindehaut empor. Die Conjunctiva bulbi stark geschwol-
len, einen gegen 1 Linie hohen schlaffen Wall um die Cornea bildend, gelblich blass-
roth (serös infiltrirt und von zahlreichen Gefässen durchzogen), auf dem Bande der
Cornea (limbus conjunctivae) als weisslicher Beifen noch fest anliegend. Die Cornea
und die übrigen Gebilde des Auges normal. Massige Lichtscheu, Gefühl und Druck
unter den Lidern, zeitweise Stechen im Auge, über Tag fehlend oder nur gering,
Abends und in der Nacht ziemlich stark vorhanden. — Das linke Auge wird als ge-
sund bezeichnet, doch findet man seine Bindehaut etwas mehr injicirt, den Übergangs-
theil mit zahlreichen, mohnkorngrossen , graugelben, glatten, etwas durchscheinenden
Körnchen besetzt, am untern Lide zahlreicher und mächtiger, als am obern, übrigens
•) Die Blennorrhoe am Slensehenau^e, Gratz 1851, S. 278.
120 Bindehaut.
durchaus keine Abnormität an diesem Auge. — Der Kranke gibt an, er sei vor 8 Jah-
ren an Tuberculosis pulmonum erkrankt, und nach 3wochentlicher Behandlung ziemlich
gesund aus dem Mililärspital entlassen worden. Vor 3 Jahren erkrankte er an Hämoptoe
und in der letzten Zeit wurde er in der Stadt an Husten und Brustschmerzen ärztlich
behandelt. Er ist schlecht genährt, die Haut blass, die Muskulatur schlaff, in der Spitze
der rechten Lunge etwas gedämpfter Percussionsschall. — Vor 3 Jahren nun traten
zum ersten Male Zeichen eines Augenleidens auf, wie bei einem Augenkatarrh, verlo-
ren sich jedoch bald wieder von selbst, und der Mann hielt seitdem seine Augen nicht
für krank, obwohl er zu verschiedenen Zeiten ein leichtes Drücken unter dem obern
Lide und manchmal etwas Verklebtsein der Cilien beim Erwachen bemerkte. Als Ur-
sache der gegenwärtigen Entzündung des rechten Auges, welche vor 6 Tagen begann,
bezeichnet der Kranke eine Reise bei starkem Winde, welche er vor 8 Tagen zu Fuss
gemacht hatte. — Den Befund des rechten und linken Anges zusammen haltend, und
die sonstigen positiven und negativen Angaben des Kranken und seinen allgemeinen
Zustand berücksichtigend, konnten wir diese Affection als Trachoma bezeichnen, wenn
gleich wir keine völlige Sicherheit hatten , ob die auf beiden Augen bestehenden Ex-
sudate nicht etwa bloss als Folge von äusseren Schädlichkeiten, das ganze Leiden
mithin als ein rein örtliches (katarrhalisehes, mit dieser eigenthümlichen Modifikation) zu
betrachten seien. Die heftigen Zufälle am rechten Auge konnten sofort als Folge der
Verkältung, aber auch als Zeichen frischer Infiltration zu betrachten sein. Wir ent-
schieden uns für letzteres, weil diese Zufälle bloss auf dem rechten Auge auftraten,
und weil relativ zu ihnen die Production schleimigen Secretes sehr gering war. Durch
die Aufnahme in's Spital war mehreren Anzeigen entsprochen ; wir legten 8 Blutegel
an die rechte Schläfe, reichten ein Purganz aus Senna und Glaubersalz, und machten
Einreibungen von Ung. einer, auf die Stirn und Schlafe. Die meisten Exsudatkörner
wurden weiss, erweichten und zerfielen in eine schleimige Masse, wie Tuberkel ohne
Geschwürbildung , die übrigen schwanden durch allmälige Resorption. Nachdem die
Geschwulst der Lider und der Conjunctiva bulbi binnen 4 Tagen zurückgetreten war,
wurde Laudan. liq. Syd. eingeträufelt, und vom 8. Tage der Behandlung an die Binde-
haut der Lider, und diess auch auf dem linken Auge, mit Cuprum sulfuricum touchirt,
Diese Touchirungen wurden nach dem 15. Tage, an welchem der Mann die Anstallt
verliess, in Zwischenräumen von einigen Tagen fortgesetzt, und in Zeit von 6 Wochen
war die Bindehaut zum normalen Zustande zurückgeführt. — Es muss noch bemerkt
werden, dass nachträglich auch die Frau dieses Mannes unsere Hilfe in Anspruch nahm.
Sie hatte in der letzten Zeit beim Nähen öfters ein lästiges Drücken in ihren Augen
empfunden, jedoch niemals entzündliche Zufälle an denselben bemerkt. Das Leiden auf
dem linken Auge ihres Mannes hatte sie auf die Vermuthung geführt, ob sie nicht
ebenfalls an ihren Augen denselben Zustand habe. Sie bot auf beiden Augen den-
selben Befund dar, wie der Mann auf dem linken, und wurde durch die Touchirungen
mit Cuprum sulfur. in Zeit von 7 Wochen geheilt. Es liess sich auch bei ihr das Leiden
nicht mit Gewissheit als Trachoma erklären; wenn Jemand behauptet hätte, dass gleiche
Vorkommen bei beiden deute auf Ansteckung oder auf gemeinschaftliche Einwirkung
äusserer Schädlichkeiten, etwa feuchter, gesperrter Luft u. dgl., so hätten wir ihn nicht
widerlegen können; das aber muss auf der andern Seite auch angeführt werden, dass
sie an deutlich nachweisbarer Tuberculosis pulmonum litt und sehr schlecht aussah,
obwol die Leute gerade nicht unter den schlechtesten Verhältnissen lebten. Sei dem
Trachoma — Verlauf — Ausgänge — Schrumpfung. 121
nun, wie immer, ich wollte hier nur auf eine eigenthümliche Metamorphose jener Ex-
sudate aufmerksam gemacht haben.
Unter dem fortwährenden Einflüsse ungünstiger Umstände allmälig
oder nach Einwirkung heftig excitirender Momente auch plötzlich geht
die Krankheit in den 2. Grad über. Dann ist völlige Heilung in dem
Maasse weniger möglich, als die Infiltration tiefer eingedrungen ist, und
weiter um sich gegriffen hat, oder als sie länger fortbestanden und ver-
schiedene consecuüve Zustände eingeleitet hat.
Die tiefere Ablagerung dieser körnigen Exsudate scheint gar nicht
erfolgen zu können, ohne dass die davon infiltrirten Gewebe blutreicher,
und namentlich von Serum durchfeuchtet und erweicht werden. Mehrere
Erscheinungen deuten darauf hin, dass durch diese infiltrirten Exsudate
das Gewebe nicht nur der Bindehaut, sondern auch des submucösen Zell-
stoffes und der Lidknorpel sammt den Meimbomschen Drüsen allmälig ver-
drängt werde, und dass die Exsudate endlich selbst zum Theil resorbirt,
zum Theil in Fasergewebe umgewandelt werden, welches nach und nach
bis zu einem gewissen Grade schrumpft, und der verkürzten Bindehaut
durchaus oder stellenweise ein sehnenartiges Aussehen gibt.
Waren die Ablagerungen im Tarsaltheile sehr mächtig, dazwischen jedoch noch
immer Papillarkörper frei geblieben, so erhält die Bindehaut nach dieser Umwandlung
ein unebenes und geflecktes Aussehen, durch sehnenartige Streifen und dazwischen
befindliche erhabene oder vertiefte dunkelrothe Stellen. Die erhabenen sind entweder
hypertrophischer oder hyperämischer, massig geschwellter Papillarkörper, welcher all-
mälig zur Normalität zurückkehren kann, oder aber es sind Reste der auf und in die
Bindehaut abgelagerten Exsudate, welche durch Absonderung des übermässig angehäuf-
ten Epitheliums, durch Aufsaugung der flüssigen Theile . und Umwandlung derselben in
Fasergewebe (Exsudatfaser, Bindegewebsfaser) ihre Form eingebüsst haben, unregel-
mässig zackig, blass, grau und gelblich, hie und da ecchymotisch gesprenkelt aus-
sehen (im Bereiche des Knorpels), und nach unsanfter Berührung oder nach Umstülpung
des Lides wohl auch ein wenig Blut ergiessen. — Die Vertiefungen zwischen den ge-
nannten sehnigen Streifen scheinen dadurch bedingt zu sein, dass einzelne der tiefer
eingebetteten Körner abgestossen oder resorbirt wurden. Niemals fsah ich an demselben
eine Blutung, niemals eine Secretion wie bei Geschwüren. Solche Grübchen erschei-
nen fein punktirt, fein warzig, und werden allmälig von einer feinen, glatten Membran
ausgekleidet, die noch lange Zeit etwas deprimirt bleibt. — Da sehr häufig an einer
Stelle noch frische Exsudation geschieht, während an andern bereits Abstossung, Re-
sorption und Schrupfung eingetreten ist, so bemerkt man oft dunkelrothe, erhabene
oder vertiefte Stellen wie Inseln zwischen sehnenartig glänzenden Streifen oder Elek-
ken, und daneben noch hie und da fischrogen- oder froschlaichähnliche Körner zu-
gleich auf demselben Lide. — Die Bildung solcher sehnigen Streifen oder Flecke ist
keine Erscheinung, welche in allen Fällen eintreten muss. Auch nach ziemlich reich-
licher Durchsetzung der Bindehaut und der tiefern Gebilde mit solchen Exsudaten kann
der Process ohne bedeutende bleibende Structurveränderung rückgängig werden. Die
122 Bindehaut.
Bindehaut bleibt dann während und oft noch lange nach der Beseitigung jener Exsu-
date in einem Zustande von Wulstung, dunkler Röthe und Absonderung mehr weniger
reichlichen und consistenten Schleimes, und nur die Vergleichung des Zustandes beider
Lider vermag in der Regel da, wo die eigenthümlichen Exsudate bereits verschwunden
und nicht durch sehnige Streifen versehen sind, die Diagnosis zu sichern, da der Pro-
cess, wie wir weiterhin sehen werden, wenigstes beim chronischen Verlaufe, niemals
beide Lider zugleich und in gleichem Grade ergreift.
Dichte sehnige Streifen entstehen nur im Bereiche des Knorpels,
viel häufiger und mächtiger am obern als am untern Lide. Der mäch-
tigste läuft gewöhnlich ohngefähr 1 Linie hinter der innern Lefze des
Lides, und ist von dieser durch einen dunkelrothen, feinwarzigen Saum
getrennt. Diese Erscheinung fällt zusammen mit der oben angeführten
Thatsache, dass die Infiltration der genannten Körner den Lidrand fast
niemals erreicht, sondern erst ohngefähr 1 Linie hinter demselben be-
merkt wird. Von diesem Streifen rückwärts, gegen den Übergangstheil
hin, erscheint dann, nachdem die Exsudate in Fasergewebe umgewandelt
sind, die Bindehaut entweder von einzelnen, netzartig angeordneten
sehnigen Streifen durchsetzt, oder durchaus glatt, blutarm, nur von ein-
zelnen, tiefer gelegenen Gefässen durchzogen, bläulichweiss glänzend
(wie mit einer dünnen Schichte Milch überzogen), ohne Spur von Pa-
pillarkörpern, ohne Spur von Schleimfollikeln, und in ihrer Flächenaus-
breitung mehr weniger verkleinert. Auch die Meibom'schen Drüsen gehen
nach und nach verloren.
Im Jahre 1848 starb J. S., welchen wir auf der Augenkrankenabtheilung in den
Jahren 1846 und 1847 zu wiederholten iMalen mit Trachoma cum panno behandelt
hallen, endlich im allgemeinen hrankenhause an Tuberculosis pulmonum. Auf dem
rechten Auge war die Cornea und die angrenzende Partie der Scleralbindehaut xero-
tisch; aus Rücksicht auf die Glaubensgenossen des Todten konnte ich bloss die Tarsi
der obern Lider extirpiren. Die Conjunctivalfläche der Tarsi erschien glatt, glänzend,
hie und da mit kleinen Grübchen besetzt. Die hintere Hälfte der Tarsi war dünner,
während die vordere fast die normale Dicke hatte ; in jener war die Bindehaut sammt
dem Tarsus in ein festes, glänzendes, weisses Narbengewebe umgewandelt, welches
auf der dem Bulbus zugekehrten Fläche deutlich einige strahlige und unregelmässig
verzweigte ästige Ausläufer besass, und ein Netz bildete, welches zwischen sich die
obbemerklen Grübchen erkennen liess. Hier war von einer Meibom'schen Drüse keine
Spur zu sehen. Die vordere (untere) Hälfte zeigte bis zum Rande noch deutlich das
Fasergevvebe der Augenlidknorpel; die in ihm sitzenden Meibom'schen Drüsen fehltan
an zahlreichen Stellen , nur hie und da waren noch einige erhalten , welche beim
Drucke eine spiralförmig gewundene, weisslichc Schmeermasse austreten Hessen. Keine
reichte über die Mitte des Knorpels hinaus. Die innere Kante des Lidrandes war we-
niger scharf, hie und da ganz verwischt.
Dieser Ausgang an und für sich, wenn nicht zugleich einer oder
Trachoma — Verlauf — Ausgänge — Schrumpfung. 123
der andere von den übrigen Folgezuständen (die wir eben anführen
wollen) mit vorhanden ist, kann als ein relativ günstiger betrachtet wer-
den. Die also veränderte Bindehaut scheint die Fähigkeit zu Recidiven
verloren zu haben, und dennoch die wesentlichen Eigenschaften zu ihrer
Function wieder zu besitzen. Der folgende Fall scheint mir vor vielen
andern diess insbesondere darzuthun.
B. Z. kam in ihrem 18. Jahre, den 10. Jäner 1839, auf die Augenklinik mit
chronischer Bindehaulblennorrhöe, wie wir damals, unter Prof. Fischer, die Krankheit
nannten. (Ich will zunächst einen getreuen Auszug aus der damals abgefassten Kran-
kengeschichte liefern, und erst dann den weitern Verlauf und Befund angeben.) Sie
hatte in Gemeinschaft mit vielen Andern ein feuchtes, in einer sumpfigen Gegend ge-
legenes Zimmer bewohnt, und als Kind lange an Kopfgrind und Anschwellungen der
Lymphdrüsen des Halses gelitten. Die Katamenien traten im 16. Jahre ein, flössen aber
unregelmässig, setzten mehrmals durch viele Monate aus; dabei hatte sie häufig an
Kopfschmerzen, Herzklopfen und stechenden Schmerzen in den Waden gelitten, war
bei jeder körperlichen Anstrengung sehr leicht ermüdet , und hatte, so wie auch itzt,
in der Regel blass ausgesehen. Das Augenleiden begann in ihrem 14. Jahre auf dem
rechten Auge mit Thränenfluss und Lichtscheu ; dazu kam das Gefühl von Druck unter
dem obern Lide, Verklebtsein der Lider beim Erwachen, und abendliche Verschlimme-
rung. Dieser Zustand dauerte durch etwa ein halbes Jahr, bald mit Verschlimmerung,
bald mit Nachlass der genannten Zufälle, wobei jedoch das Weisse des Auges beständig,
obgleich nicht in gleichem Grade, roth gewesen sein, und das Sehvermögen nach und
nach abgenommen haben soll, so dass endlich die Kranke nur noch grössere Gegen-
stände, und zwar wrie durch einen dichten Nebel wahrnehmen, weder lesen noch nähen
konnte. Nach '/.2 Jahre wurde das linke Auge auf dieselbe Weise ergriffen. Es inter-
currirten häufige Vasenkatarrhe. Als das Übel unter Anwendung verschiedener Mittel
über 1 Jahr gedauert hatte, wurde sie im Jahre 1838 auf die Augenklinik aufgenom-
men, wo man wegen Einwärtswendung der Cilien zuerst am rechten, bald aber auch
am linken obern Lide die Abtragung des Lidrandes nach Heister vornahm, und sodann
eine Salbe aus weissem Präcipitat an die innere Fläche der Lider einstrich. Nach
20wöchentlicher Behandlung w7urde sie entlassen. Nachdem sie sich längere Zeit für
geheilt gehalten hatte, wurde sie, ihrer Beschreibung nach, wieder häufig von Katar-
rhen der Augen und der Nase befallen. Während der jedesmaligen Dauer solcher
Entzündungen soll jedoch das Weisse des Auges immer roth, in der Zwischenzeit nur
von einzelnen Gefässen durchzogen gewesen sein. Nach der mehrmaligen Wiederkehr
solcher Entzündungen bemerkte sie abermals am rechten Auge allmälige Abnahme des
Gesichtes, welche sich Anfangs December 1838 auch auf dem linke Auge einstellte :
auch sah sie jetzt manche Gegenstände doppelt. Anfang Jäner setzte sie sich bei
schwitzendem Körper starker Zugluft aus ; bald darauf wurden die entzündlichen Er-
scheinungen an den Augen heftiger; dazu kamen stechende, aussetzende Schmerzen in
der Umgebung des rechten Auges und heftige Lichtscheu. — Befund am 10. Jäner
1839. An beiden obern Lidern fehlt der Rand — in Folge der Operation; an beiden
untern ist die innere Kante abgerundet. Die Bindehaut des rechten untern Lides gleich-
förmig dunkelroth, geschwellt, über dem Tarsus sammetaitig, die des linken untern
142 Bindehaut.
Lides gleichförmig blassroth; der Übergangstheil beiderseits eingeschrumpft; die Binde-
haut der obern Lider dunkelroth, sammetartig, gegen den obern Rand des Tarsus und
im Übergangstheile mit zahlreichen körnigen Exsudaten besetzt, der Knorpel schmäler
(von oben nach unten) und dicker, wulstig. Die rechte Hornhaut von aussen her ge-
trübt, wie mit Staub bestreut und von einzelnen Gefässchen durchzogen; die angren-
zende Partie der Scleralbindehaut aufgelockert, von zahlreichen Gelassen durchsetzt,
welche einzelne Ästchen auf die Cornea abgeben, und deutliche Falten bilden, wenn
die Kranke dieses Auge nach aussen wendet ; nach innen sitzt in der Hornhaut am
Rande ein rundlicher, undurchsichtiger Fleck (Narbe). Die linke Hornhaut in der Mitte
leicht getrübt in Folge oberflächlicher Geschwürchen ; am innern Rande derselben ein
sehnenartig glänzender, undurchsichtiger Fleck, zu welchem einige erweiterte Gefässe
aus der Scleralbindehat verlaufen ; mit diesem Auge allein werden einzelne Gegen-
stände doppelt gesehen. — Im Verlaufe der Behandlung intercurrirten mehrmals Ver-
schlimmerungen der entzündlichen Zufälle am Auge, einige Male mit der Eruption
eines Bläschens am Rande der Cornea und partieller Gefässentwicklung, so dass das
Einstreichen der weissen Präcipi talsalbe zeitweise ausgesetzt werden musste. Ferner
mussten mehrmals aus den untern Lidern einzelne Cilien, welche sich gegen den Bul-
bus gekehrt hatten, ausgezogen werden. Nach und nach wurde die Bindehaut blässer;
man sah aber, dass sie einschrumpfte und stellenweise ein glattes, sehnenartig glän-
zendes Aussehen bekam. Am 16. Juni 1839 glaubte man die Kranke als geheilt ent-
lassen zu können. Allein schon am 25. August kehrte sie in die Anstalt zurück unter
der Diagnosis ; Blennorrhoea chronica oc. utr. cum panno. oc. sin. et intercurrente ca-
tarrho. Ihr Zustand scheint diessmal nicht nur sehr hartnäckig, sondern auch mit der
Zeit schlimmer geworden zu sein; denn als ich Anfang April 1840 als Assistent in
die Anstalt kam, war auf beiden Augen ein sehr dicker Pannus vorhanden, wie ich
ihn seither nie mehr in solcher Ausdehnung zu sehen bekam. Auf der einen wie auf
der andern Cornea lag eine dicke, gegen 1 Linie hohe Exsudatschichte, von sehr zahl-
reichen Gefässen durchzogen, hie und da gleichsam speckig. Das Exsudat erstreckte
sich nach oben noch über die Cornea hinaus , unten jedoch blieb ein kleiner Theil
Cornea noch sichtbar, obgleich auch getrübt und von Gefässen überzogen. — Die
Fruchtlosigkeit der bisherigen Behandlung — Einstreichen einer weissen Präcipitalsalbe
und Einträufeln von Laudanum liq. Sydenh. — bald einsehend, entschloss ich mich,
diesen Ülierzug der Hornhäute mit Lapis infernalis in Substanz zu entfernen. Das
Mittel wurde in Zwischenräumen von 2 — 3 Tagen sehr gut vertragen ; Exsudate und
Gefässe schwanden bis auf eine leichte Trübung, gegen welche Laudanum eingeträufelt
wurde. Aber nach einigen Wochen erfolgte eine Recidive der Art, dass jene Entar-
tung noch ärger war. Nach fruchtlosen Einträuflungen von Solutio sulfatis zinci wurde
der Lapis infernalis abermals angewandt, bis die Hornhaut sichtbar wurde, dann aber
Solutio argenti nitrici — 2 — 4 Gran auf 1 Unze — durch mehre Wochen fortgesetzt.
Bei einem ziemlich guten Zustande der Augen musste die Kranke am 10. August we-
gen einer Intermittens zu den Internisten transferirt werden ; nach ihrer Genesung hie-
von, am 18. August, wurden Tonica angewendet und die Kranke fleissig in's Freie
geschickt. Den 4. October konnte sie als geheilt entlassen werden. An den Lidern
zeigte sich keine Spur von Granulationen, auch nicht im Übergangstheile ; die Binde-
haut war im Ganzen massig geschrumpft, überall glatt, stellenweise sehnenartig glän-
zend. Wegen Neigung des untern Lidrandes zur Einwärtswendung war beiderseits die
Traehonia — Verlauf — Ausgänge — Symblepharon poster. 125
Ausscheidung einer Hautfalte gemacht worden. — Am 23. November 1840 kam die
Kranke abermals in die Anstalt. An der Bindehaut war nichts Abnormes, ausser einer
eigentümlich schwäralichen (bleigrauen) Farbe über der Sclera, welche dieselbe in
Folge der langen Anwendung der Lapislösung angenommen halte. Aber die Kranke
konnte das rechte Auge nicht schliessen. Es war Lagophthalmus eingetreten, theils in
Folge der Abtragung des Lidrandes, theils in Folge der Schrumpfung des Knorpels und
der Bindehaut; in einem geringen Grade war dieses Übel auch auf dem linken Auge
vorhanden. Die Augen wurden durch Licht, scharfe Luft, Staub u. dgl. sehr belästigt,
so dass sie ihrer Arbeit als Dienstmädchen bei einem Bauer nicht wohl vorstehen
konnte. Der Versuch, am linken obern Lide Cilien durch Transplantation einzuheilen,
blieb ohne Erfolg. Ich schob nun eine Hornplatte unter das rechte obere Lid, und
führte parallel dem Lidrande und 2 Linien von demselben entfernt einen Schnitt durch
die Cutis und alle Gebilde darunter, die Conjunctiva mit begriffen. Der Schnitt begann
am äussern Orbitalrande über den Knochen, und endete am innern Ende des Tarsus ;
in diese horizontale Spalte pflanzte ich ein entsprechendes Hautstück, welches aus der
Wangenhaut gebildet und an der Basis umgebogen wurde, mittelst der umschlungenen
Naht. Die Einheilung desselben gelang, nur an der Spitze (nach innen) starb ein
kleiner Theil ab. Der Lagophthalmus war dadurch gehoben und blieb es, obwohl in
der Folge (nach einigen Jahren) das eingepflanzte Hautstück in Form einer dicken
Wulst etwas vorsprang. Die Kranke ist nun seit ihrer Entlassung am 24. März 1841
ganz gesund geblieben. Erst im Jahre 1850 kam sie wieder in die Anstalt, wegen
Einwärtswendung einiger Cilien der untern Lider, welche die Ätzung mit Schwefelsäure
erheischte. Beide Hornhäute sind fast ganz rein, die Kranke kann wieder nähen, lesen
u. dgl. Ihre Bindehäute sehen wie gegerbt aus, glatt, feucht, glänzend, blass ; die
Ubergangsfalten fehlen, die Conjunctiva bulbi bildet bei stärkeren Bewegungen des
Bulbus leicht Falten.
Der Übergangstheil wird in Folge des Processes eigenthümlich glatt,
minder durchsichtig, in ein dichtfasriges, fibroides Gewebe verwandelt.
Zunächst sieht man die Übergangsfalte verstrichen; weiterhin entstehen,
wenn man das untere Lid abwärts zieht, während man den Kranken auf-
wärts blicken lässt, senkrecht (von oben nach unten) verlaufende Fältchen;
in einem noch höhern Grade der Schrumpfung fehlt der ganze Über-
gangs-, und im höchsten Grade auch der Scleraltheil der Bindehaut. Auf
diese Weise führt die Krankheit zu dem Zustande, welchen von Ammon
Symblepharon posterius genannt hat, und, wenn wegen gänzlicher Ver-
schrumpfung (gleichsam Verzehrung) der Bindehaut der Lidrand mit dem
Cornealrande unmittelbar verbunden erscheint, und desshalb der Augapfel
von den Lidern nicht mehr bedeckt werden kann, zu dem Zustande, den
man Legophthalmus nennt.
Es gibt Fälle, in welchen die Infiltration und consecutive Schrumpfung mehr
oder ganz allein im Tarsaltheile und Tarsus mit den Meibomschen Drüsen, und andere,
in welchen sie vorzugsweise im Übergangstheile der Bindehaut in die Erscheinung
126 Bindehaut.
tritt ; in der Regel tritt die Schrumpfung in beiden Theilen zugleich oder kurz nach
einander und in ziemlich gleichem Grade auf.
Dieses Verdrängtwerden des normalen Bindegewebes durch das
infiltrirte Exsudat, und das nothwendig darauf folgende Umgewandelt-
werden der Bindehaut in eine einfache Zellenmembran, welche mit der
Zeit mehr und mehr in sich zusammenschrumpft, kann endlich auch zur
Störung der Thränenabsonderung führen. Abgesehen davon, dass die
Ausführungsgärige der Thränendrüse verengert und endlich verschlossen
werden müssen, wenn dieser Process die betreffende Partie der Bindehaut
des obern Lides ergreift, kann auch die grossentheils oder durchaus
in ihrer Struetur veränderte Bindehaut ihren Beitrag zur Thränenflüssigkeit
nicht mehr liefern, und das gleichfalls veränderte Epithel an ihrer Ober-
fläche löst sich nicht mehr in der allenfalls noch vorhandenen Thränen-
flüssigkeit auf,' sondern erscheint trocken, anfangs fettglänzend, später
ganz matt, rauh, und mit trockenen Schüppchen belegt. Mit einem Worte :
es entwickelt sich partieller oder totaler Xerophthalmus. Während der
partielle Xerophthalmus auch in Folge anderer Krankheitsprocesse be-
obachtet wird, namentlich bei Hornliautslaphylomen, sah ich den totalen
mit Ausnahme einiger seltenen Fälle , wo wahrscheinlich Conjunctivitis
membranacea vorangegangen war, nur in Folge von Trachoma mit allge-
meiner Schrumpfung der Bindehaut, also mit Symblepharon totale und
Lagophthalmus.
J. P., 19 Jahre alt, Schlossergesell, klein und schwächlich gebaut, von einem
tuberculosen Vater abstammend, und selbst die Attribute der Scrofulosis darbietend,
leidet seit drei Jahren an den Augen. Als Ursache bezeichnet er Sand, der ihm vom
Winde in's rechte Auge getrieben worden sei. — Als besonders hervorstechende
Erscheinungen werden Lichtscheu und Thränenfluss und heftige stechende Schmerzen,
welche besonders in den Morgenstunden stark auftraten, bezeichnet. Das Übel war
bald besser, bald schlimmer gewesen; nach ungefähr 1 '/2 Jahren fand sich ein Arzt
bestimmt, am rechten untern Lide einen Theil des Haarzwiebelbodens abzutragen. Aber
auch nachher war er von seinem Übel nicht befreit, bis es ihn, Anfang Jäner 1845,
zwang, in's allgemeine Krankenhaus zu geben. Ich notirte damals folgenden Status
praesens""): „An seinen Augen sieht man den Process der Schrumpfung der Conjun-
ctiva ganz so, und zwar in verschiedenen Stufen, wie ich ihn in dem Aufsatze über
Trichiasis und Entropium (7. Band S. 46) geschildert habe. Das linke Auge scheint
dem Ansehen nach ganz gesund zu. sein, aber die innere Fläche des untern Lides er-
scheint glatt, milchweiss, serös glänzend, gegen den Lidrand und gegen den äussern
Winkel hin noch wie eine Mucosa aussehend, fein warzig, dunkelroth und aufgelockert ;
die Uhergangsfalte und die halbmondförmige Falte geschwunden ; am obern Lide sieht
man (innen) einige sehnige Streifen, ziemlich parallel dem Lidrande, durch einige
•
*) Siehe meinen Aufsalz über das Flügelfell, in der Prager Vierleljahrschrift, 8. Ed., S. 90.
Trachonia — Verlauf — Ausgänge — Xerophothalmus. 127
Zwischenstreifen unregelmässig verbunden, und dazwischen, wie Inseln, einige dunkel-
rothe Stellen, davon 3 deutlich vertieft, im Grunde glatt: der Knorpel von oben nach
unten höchstens 2l/i'" breit, minder geschmeidig als im normalen Zustande. Am rech-
ten Auge wurde wegen partieller Trichiasis bereits ein Theil des untern Lidrandes ab-
getragen. Die Bindehaut ist hier so stark geschrumpft, dass sie als glatte, sehnen-
artige Membran beinahe unmittelbar von der Narbe am Lidrande auf den Bulbus über-
geht, besonders in der Mitte des Lides ; auch am obern Lide ist die Schrumpfung so
bedeutend, dass gegen den innern Winkel hin eine vom Lide auf den Bulbus gehende
Falte entsteht, sobald man das Lid ein wenig aufwärts zieht; der Knorpel ist sehr
schmal und muldenförmig gerollt, von dichten, glänzenden, weissen Streifen an der
Innenfläche durchzogen, am Rande wulstig; die initiiere Partie des Lidrandes einwärts
gewendet, so dass die Wimpern den Bulbus berühren. Im innern Winkel ist die Scle-
ralbindehaut ganz so beschaffen, wie bei einem gewöhnlichen Flügelfelle, und zwar
von der Hornhaut an bis zu der ganz zerstrichenen halbmondförmigen Falte (oder
vielmehr bis zur Karunkel hin), nämlich etwas verdickt und sehnenartig glänzend. Auf
der Hornhaut sieht man gegen den innern Winkel hin eine flache Narbe, rundlich, von
etwa ll/2"' im Durchmesser, ziemlich tief in die Hornbautsubstanz hineinragend. Die
genannte Entartung der Bindehaut erstreckt sich noch auf einen Theil dieser Narbe ;
lässt man den Kranken nach innen oder schief nach unten und innen, oder aber schief
nach oben und innen sehen, so sieht man, dass die verdickte, sehnenartige Bindehaut
auf dem innern Theile der Narbe nicht so fest aufsitzt, indem sie Falten bildet. Der
Streifen, an welchem die entartete Bindehaut so locker auf der Cornea sitzt, ist etwas
über xi,1'" breit. Auf ähnliche Art ist die verdickte und sehnenartige Bindehaut, welche
sich von der Mitte des untern Lides auf den Bulbus fortsetzt, von dem untern Theile
des Hornhautrandes losgelöst (darüber in Falten verschiebbar), nur bemerkt man hier
keine Narbe in der Bindehaut. Der übrige Umfang d er Cornea, mit einem leichten
Pannus überzogen, wurde ganz rein, nachdem die einwärts gewendeten Wimpern waren
abgetragen worden." — Der Kranke wurde am 13. März 1845 in einem leidlichen
Zustande seiner Augen entlassen, und betrieb wieder seine Profession. Am 21. No-
vember 1848 starb derselbe auf der Abtheilung für Brustkranke an Tuberculosis (acute
Infiltration in den Lungen mit Cavernenbildung und im Darmkanale mit Geschwürsbil-
dung). Das rechte Auge, welches ich sammt der Thränendrüse und dem Thränensacke
aufbewahre, bietet nun die Erscheinungen eines vollständig ausgebildeten Xerophthal-
mus dar. An dem untern Lide fehlen die Cilien im mittlem Theile — da wo früher
ein Arzt den Haarzwiebelboden abgetragen hatte; am obern Lide fehlen sie in den
äussern 2 Dritteln — da, wo auf der Klinik dieselbe Operation gemacht worden war.
Die noch übrigen Cilien stehen äusserst verworren, nach den verschiedensten Rich-
tungen hin. Am obern Lide ist der Knorpel kaum noch 2 Linien breit, am untern ist
er auf einen etwa 1,2//' breiten Saum geschwunden. Die Bindehaut geht am untern
Lide fast unmittelbar vom Rande des Lides auf den Bulbus über, am obern überzieht
sie den Knorpel in einem etwas über 1 Linie breiten Streifen (rückwärts vom Lid-
rande), und hängt dann ebenfalls mit dem Bulbus zusammen. Von der halbmondiör-
migen Falte ist keine Spur vorhanden , auch die Thränenpunkte und die Thränen-
karunkel lassen sich nicht mehr auffinden. Die Bindehaut selbst erscheint ganz trocken,
grau, nur wenig durchscheinend, fein runzlich und mit kleinen Schüppchen bedeckt.
Sie lässt sich von der Sclera und selbst von der Cornea bis zum Umfange der obge-
128 Bindehaut.
nannten Narbe als eine zähe Membran lospräpariren. Die Peripherie der Cornea dar-
unter erscheint fast normal, nur etwas weniger durchsichtig. — Der Thränensack ist
zu einem übergrossen durchscheinenden Säckchen ausgedehnt, mit Flüssigkeit gefüllt,
seine Mündung in den Thränennasenkanal obliterirt. Die Thränendrüse ist kaum als
solche zu erkennen, hat nur '/3 der normalen Grösse, und ist in eine fettähnliche Masse
umgewandelt. (Weiter wurde das Präparat, um es für weitere Demonstrationen zu er-
halten, nicht untersucht.) An dem linken Auge kann man an der nur wenig kleinern
Thränendrüse deutlich die einzelnen Acini unterscheiden. Der Tarsus des obern Lides
ist 3"- breit, innen ganz glatt, sehnig glänzend; nach aussen hin sieht man einige ver-
tiefte Pünktchen, welche mir die Mündungen der Thränengänge zu sein schienen; von
den Meibom'schen Drüsen sieht man nur am Rande kurze Spuren. Der Knorpel ist in
eine fibroide Platte umgewandelt.
Die Infiltration und nachträgliche Schrumpfung des Knorpels, deren
wir bereits mehrmals erwähnt haben, führt sehr häufig zur Einwärtswen-
dung der Cilien als Distichiasis oder als Trichiasis, oder des ganzen
Lidrandes, als Entropium. *)
In Folge der Infiltration allein schon, oft ehe es noch zu merk-
licher Schrumpfung der Bindehaut und des Knorpels gekommen ist, bemerkt
man, dass mehr weniger Wimpern den Lidrand in abnormer Richtung
durchbohren, mehr gegen die innere Kante hin hervorsprossen, und so
gleichsam eine 2. Reihe von Cilien — Distichiasis — bilden. Diese, in
abnormer Richtung und an abnormer Stelle wachsenden Cilien sind ge-
wöhnlich dünner und blässer, als die in der äussern Kante sitzenden, und
deuten hiedurch sowohl als durch ihre Verkrümmung auf Erkrankung des
Haarzwiebelbodens hin.
Zur Einwärtswendung der an normaler Stelle hervorsprossenden
Cilien — Trichiasis — oder endlich selbst der Cutis des Lidrandes —
Entropium — tragen mehrere Umstände bei. Wir haben bemerkt, dass
die Bindehaut längs des Lidrandes, ohngefähr \'" breit, von den ge-
nannten sulzigen Exsudaten frei zu bleiben pflegt. Hat aber die Krank-
heit den 2. Grad erreicht, so erscheint dieser Saum geschwellt, fein
warzig, dunkelroth, daher die innere Kante des Lidrandes minder scharf,
gleichsam abgerundet; so wie aber diese Hypertrophie des Papillarkörpers
endlich zurückgeht, schrumpft auch diese Partie zusammen, und die
innere Lidkante geht verloren, erscheint wie abgeschliffen. Die Folge
davon ist, dass die äussere Kante mit den Cilien ihre Lage zum Bulbus
ändert, und dass letztere allmälig dem Bulbus zugewendet werden, längs
des ganzen Lidrandes oder an einem grösseren Theile desselben. — Hat
der Knorpel bedeutend gelitten, so schrumpft er von oben nach unten,
") Vergl. meinen Aufsatz hierüber in der Prager Vierteljahrschrift, 1845, 3. Heft.
Trachoma — Verlauf — Ausgänge — Entropium — Pannus. 129
wird schmäler, und zugleich muldenförmig gekrümmt. Diess begün-
stigt nun die Einwärtswendung des Lidrandes noch mehr. Dazu kommt
noch, dass an solchen Augen die innere Portion des musculus orbicularis
palp. (Muse. Albini) in Folge der häufigen, selbst krampfhaften Schliessung
der Lidspalte bei den von Zeit zu Zeit heftiger auftretenden entzündlichen
Zufällen in einen Zustand habitueller Contraction geräth, und den Lidrand
auch wenn die innere Kante nicht abgerundet wäre, einwärts drängt, so
wie endlich die Blepharophimosis, welche als Folge der Excoriationen
bei den einzelnen entzündlichen Anfällen sehr häufig zu diesen Übeln
hinzutritt, und schon an und für sich geeignet ist, Entropium zu bewirken,
bei inveterirten Trachomen selten fehlt.
Die gegen den Bulbus gerichteten Cilien reizen denselben fort-
während, unterhalten und steigern die Entzündung der Bindehaut und
gefährden das Gesicht durch ihre Wirkung auf die Cornea. Sie erregen
oder steigern den schon vorhandenen Pannus; noch mehr aber schaden
sie dadurch, dass sie Verschwörung der Cornea, theilweis oder durchaus,
und deren weitere Folgen einleiten; in seltenen Fällen bildet sich,
gleichsam zum Schutze der Cornea, eine Art Schwiele oder Verdickung
des Epithelialilberzuges, welche so aussieht, als ob man ein Stückchen
Papier oder ein dünnes, fettglänzendes oder trocknes Häutchen auf einen
Theil der Cornea angeklebt hätte, ein wenig erhaben ist, und scharf
begrenzte Ränder zeigt. Solche schwielige Partien können auch im Be-
reiche der Scleralbindehaut entstehen, wenn diese lange einen solchen
mechanischen Reiz, Druck oder Reibung zu ertragen hat. Sie werden
mit der Zeit ganz trocken (partieller Xerophthalmus), auch wenn sonst
der ganze Bulbus gehörig feucht und glänzend erscheint.
Jene Form des Pannus, welche einzig und allein Folge der mechanischen Rei-
zung ist. und eigentlich als Keratitis traumatica bezeichnet werden muss, lässt sich in
der Regel leicht von dem eigentlichen Pannus, welcher die Bedeutung der Conjuncti-
vitis scrofulosa oder des Trachoma hat, unterscheiden. Der Pannus (als Theilerschei-
nung des Trachoma) entwickelt sich immer vom Limbus conjunctivae aus, und charak-
terisirt sich durch Auflagerung von Exsudaten auf die Cornea ; er ist nie auf die
Cornea allein beschrankt, sondern erscheint nur als Fortsetzung der Entzündung von
der Conjunctiva bulhi auf das ßindehautblättchen der Cornea, welches — physiologisch,
sowohl als pathologisch — nur als Fortsetzung der Scleralbindehaut auf die Cornea zu
betrachten ist. Jene Keratitis hingegen, welche einzig und allein durch einwärts ge-
wendete Wimpern erregt wird, zeigt nicht Auflagerung, sondern Infiltration des Exsu-
dates in das Cornealgewebe selbst; die Gefä'sse, welche man dabei bemerkt, kommen
gleichsam unter dem Linibus conjunctivae hervor, oder gehen unter demselben weg zu
den Zweigen der vordem Ciliargei'ässe. Haben solche Trübungen längere Zeit bestan-
den, so widerstehen sie lange oder für immer jeder Behandlung.
Arlr, i. 9
130 Bindehaut.
Der Pannus ist, wie bereis erwähnt wurde, nur als Fortsetz nng des
Krankheitsprocesses von den Lidern auf den Bulbus, in specie auf die
Cornea, zu betrachten. Dieselbe Affection, wie auf der Cornea, kann
immer auch in der Conjunctiva sclerae nachgewiesen werden, namentlich
unter dem obern Lide, wo die Bindehaut dann gelblich, uneben und von
zahlreichen Gebissen durchzogen erscheint. Geschieht die Exsudatabla-
gerung rascher, und unter zahlreicher Gefässenlwicklung, so wird die
Substanz der Cornea serös durchfeuchtet und erweicht; sie verliert ihre
Elasticität, gibt dem Drange des Humor aqueus nach, und wölbt sich
stärker nach vorn. So entsteht jener Folgezustand, welchen man, wie
von selbst einleuchtet, ganz unrichtig Wassersucht der Augenkammer
genannt hat (Hydrops anterior oder Hydrops camerae). Der Name Kcrat-
ektasia ex panno dürfte die Natur dieses Übels besser bezeichnen. Der-
selbe entsteht häufiger bei Pannus vasculosus als bei Pannus crassus.
Der Pannus erscheint sehr häufig im Gefolge des Trachoma. Er entwickelt sich
beinahe immer von oben her. Es lag demnach sehr nahe, die Ursache desselben in
den sogenannten Granulationen, in der Reizung der Hornhaut durch dieselben zu su-
chen, und ihn desshalb als traumatisch zu bezeichnen. Das mechanische Moment mag
vielleicht einigen Einfluss auf die Entstehung, wenigstens auf die Unterhaltung dieses
Zustandes üben, gewiss aber einen sehr untergeordneten. Er kommt nicht bloss da vor,
wo solche Granulationen, einwärts gewendete Cilien u. dgl. vorhanden sind, sondern auch
bei bereits glatt gewordener Bindehaut; er steht in keinem geraden Verhältnisse zu
der Grösse, Härte und Dauer der sogenannten Granulationen ; er tritt bald ganz allmä-
lig, bald aber auch rasch, gleichzeitig mit andern entzündlichen Erscheinungen auf,
welche jede frische, durch äussere oder innere Ursachen erregte Infiltration begleiten,
und welche die Auetoren als scrofulöse, katarrhalische oder katarrhalisch-rheumatische
Ophthalmien bezeichnet haben. "") Ich sah dieselben mehrmals ohne alle äussere Ver-
anlassung in der grössten Heftigkeit, selbst mit fieberhafter Aufregung des Gesainmt-
organismus auftreten, **) und dabei den Pannus selbst in 24 Stunden über die Hälfte,
über die ganze Cornea sich ausbreiten. Vom Limbus conjunctivae corneae, welcher
bekanntlich oben an 3/4'" breit ist, geschieht an der Spitze der allmälig vorrückenden
Gefässe- Ablagerung organisationsfähigen Blastem- unter das Epithelium der Cornea.
Sehr häufig sieht man die Cornea mit ähnlichen Bläschen oder vielmehr Körnern be-
deckt, wie die trachomatöse Conjunctiva palpebrarum ; in andern Fällen, namentlich
bei stürmischer Ausscheidung, berstet das Epithelium, und es kommt zur oberflächli-
chen Geschwürsbildung. Bei Trichiasis und Entropium , wo erwiesener Massen die
•) l'iiinqi:r 1. c. S. 161. „Auf unserer Abtheilung war mehrmals ein Srhuslergesell mit einer katarrhaliseh-rheuma-
lischen Augenentzündung, bei deren Abnahme sich jederzeit ein leichter, bald wieder schwindender Pannus ein-
gestellt halle. Diessjährig sahen' wir bei demselben im Laufe eines solchen Entzündunganfalles in der Tiefe
der nur weniir katarrhös ergriffenen, blassrolhen und kaum aufsrelockerlen Bindehaut des linken Auges drei
solche Bläschen" — wie heim Trachom — „entstehen und verschwinden. Es folgte aber keine Blennorrhoe,
wohl aber kam wieder ein Pannus nach."
'"") Vergl, Fischer klin. Unterricht, S. 60.
Trachoma — Verlauf — Ausgänge— Pannus — Cornealgesclnv. 131
Cilien und der Lidrand die Cornea anhaltend reiben und drücken, 'sehen wir" endlich
ganz andere Folgen auf der Cornea auftreten, A\ie bereits S. 129 angegeben wurde.
Wäre der Pannus Folge des Druckes, der Reibung der Cornea" durch die Granulatio-
nen, dann Hesse sich in der That das Auftreten des sogenannten Hydrops camerae
nicht begreifen.
Wenn der Pannus nicht zur Ausdehnung der Cornea führt, so lässt
er eine Restitutio ad integrum zu, vorausgesetzt, dass er einerseits nicht
zu tieferer Geschwürsbildn.ng, anderseits nicht zur Umwandlung des Exsu-
dates in stationäres Narben- oder Fasergeivebe geführt hat. Nach län-
gerem Bestände organisirt sich nämlich das Exsudat, und schrumpft zu
einem dünnen, halbdurchsichligen, sehnenartig glänzenden, unveränder-
lichen Überzuge, welchen schon Piringer als unheilbar erkannt, und
Pannus siecus genannt hat. Zum Glück reicht derselbe selten bis vor die
Pupille herab.
Dieselbe Form, welche wir als Conjunctivitis scrofulosa beschrieben
haben, pflegt nicht selten dem Auftreten des Trachoma vorauszugehen,
und noch häufiger während der verschiedenen Grade und Stadien des-
selben zu intercurriren. Oft lange, nachdem der grösste Theil des Ex-
sudates und der Gefässe von der Oberfläche der Cornea verschwunden
sind, sieht man leichte Abschliffe, sogenannte Resorptionsgeschwüre fort-
bestehen, welche oft nur beim Spiegeln der Cornea wahrnehmbar werden,
sich äusserst langsam ausfüllen, und oberflächliche Trübungen für lange
oder für immer zurücklassen. In andern Fällen führt die rasche Schmel-
zung dieser umschriebenen Exsudate ganz auf dieselbe Weise, wie bei
der Conjunctivitis scrofulosa, zu tieferen, selbst durchbohrenden Geschwü-
ren und deren Folgezuständen.
Auf andere, als die bisher besprochene Weise, bringt das Trachoma
an und für sich dem Auge keine Gefahr.
Zerstörung der Cornea durch Malacie oder eitrige Infiltration wie bei der acuten
Bindehautblennorrhöe habe ich auch bei den heftigsten Fällen nicht beobachtet. Schwä-
chung der Sehkraft durch Beeinträchtigung der Ernährung des Auges, veränderte Pi-
smentalablaijerunff u. s. w., wie Dr. Hasner angibt, ist weder durch untrügliche Zeichen
an Lebenden, noch durch Sectionen nachgewiesen.
Die Krankheit beginnt im untern Lide. Man trifft sehr oft Kranke,
bei denen bloss das untere Lid leidet, das obere (bis etwa auf leichte
Hyperämie und Schwellung der Bindehaut) ganz gesund befunden wird,
hingegen wohl nie einen Fall, wo bei Auflagerung oder Infiltration an
dem obern Lide das nntere normal gefunden würde. Die Krankheit geht
aber auch am untern Lide früher zurück, und scheint überhaupt, nach
den consecutiven Veränderungen zu schliessen, hier öfters sich mehr in
q*
132 Bindehaut.
oberflächlicher Exsudalion zu erschöpfen, als in die Tiefe zu greifen.
In der Mehrzahl inveterirter Fälle, die dem Arzte zu Gesichte kommen,
sind die Körner am untern Lide bereits geschwunden, die Bindehaut er-
scheint dann über dem schmalen Knorpel entweder gleichmässig dunkel-
roth und sammtartig aufgelockert, allenfalls gegen die Winkel hin noch
mit einem oder dem andern blassen Korne versehen, oder stellenweise
wie mit Milch überzogen, und der Übergangstheil ist verstrichen, wenn
nicht schon Symblepharon posterius beginnt. In solchen Fällen kann man
leicht glauben, man habe einen chronischen Katarrh vor sich, wenn man
das obere Lid nicht umstülpt, und auch hier seine Aufmerksamkeit vor-
züglich auf den Übergangstheil richtet, denn auch hier können die ge-
nannten Körner über dem Tarsus bereits geschwunden sein, während sie
im Übergangstheile noch fortbestehen.
Nur in Fällen, welche mehr acut aufgetreten zu sein scheinen,
findet man die genannten Körner und die dadurch eingeleiteten Ver-
änderungen am obern und untern Lide so ziemlich auf gleicher Entwick-
lungsstufe.
Niemals, die Körner mögen noch so gross und zahlreich sein, ent-
steht in Folge dieser Krankheit Ektropium, sehr leicht dagegen, wenn
spontane Schrumpfung eintritt, Trichiasis oder Entropium, häufig Symble-
pharon posterius, in seltenen Fällen selbst Xerophthalmus.
Dieses verschiedene Verhalten in Bezug auf Verlauf und Ausgänge
bietet eines der wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale dieser Krankheit
von der Blennorrhoe, mit welcher sie so häufig zusammengeworfen wurde.
Vorkommen und Ursachen. Das Vorkommen des Trachoma,
dieser zusammenhängenden Beihe krankhafter Erscheinungen, welche wir
in den vorhergehenden beiden Absätzen beschrieben haben, steht in einem
so auffallenden Verhältnisse zu dem Vorkommen der Scrofulosis und Tu-
berculosis, dass eine innigere Beziehung zu diesem Allgemeinleiden nicht
in Abrede gestellt werden kann.
Es soll hieniit nicht gesagt sein, dass solche Exsudate, wie wir sie so eben
kennen gelernt, unmittelbar das Ergebniss einer fehlerhaften Blutmischung seien; es
soll nicht gesagt sein, dass diese Exsudate selbst vielleicht scrofulöse oder tuberculöse
Ablagerungen in der Bindehaut seien, denn sie kommen erwiesener Maassen auch bei
solchen Individuen vor, bei denen sich nie, weder zur Zeit, noch vor, noch nach dem
Auftreten des Augenleidens eine solche Dyskrasie anderweitig nachweisen lässt, und
wir sind weder mit freiem Auge, noch mit der Loupe oder mit dem Mikroskope im
Stande, in der Form, Structur, oder den Metamorphosen einen namhaften Unterschied
dieser sogenannten Granulation anzugehen, gleichviel ob sie bei innerlich gesunden
Individuen (bei Katarrh und Blennorrhoe) oder bei ausgesprochenem A'llgenieinleiden
Trachoma — Vorkommen — Ursachen. 133
vorkommen. Aber der Grund, dass diese anfänglich so wie heim Katarrh und der
Blennorrhoe nur oberflächlich abgelagerten Exsudate endlich auch das Farenchym der
Bindehaut, den Knorpel, den submucösen Zellstoff und die Cornea einnehmen, liegt
eben in dem Umstände, dass die Augenentzündung' zuletzt durch ein Allgemeinleiden
bedingt ist Und eben das auf diese Weise zu •Stande gekommene entzündliche Bindc-
hautleiden mit diesen körnigen Exsudaten und seinem immer eigenthümlicher gestalte-
tten Verlaufe, je weiter es gediehen ist, haben wir, um es als von andern ähnlichen
wesentlich verschieden zu, bezeichnen, Trachoma genannt. Will man aber den Aus-
druck Trachoma überall in Anwendung bringen , wo man die in Rede stehenden Ex-
sudate vorfindet, dann unterscheide man nur, ob das Übel bloss durch äussere Momente
(unreine Luft, Contagium etc.) allein, oder durch innere Ursachen vorwaltend bedingt
sei; man bediene sich dann etwa, um diesen für den Arzt gewiss wichtigsten Unter-
schied anzudeuten, allenfalls der Ausdrücke: Trachoma catarrhale, blennorrhoicum,
scrofulosum, und füge noch hinzu, dass die erstem beiden erfahrungsgemäss jene Me-
amorphosen nicht herbeiführen, welche das letztere bei langer Dauer fast constant
nach sich zieht.
Das Trachoma entwickelt sich beim Vorhandensein dieser Anlage
spontan, in Folge des Allgemeinleidens allein, oder auf verschiedene
äussere Veranlassungen, welche theils auf das Auge, theils auf den Ge-
sammtorganismus nachtheilig einwirken.
Bisweilen geben traumatische Eingriffe den Anstoss zur Entwick-
lung desselben, häufiger Verkältung, am häufigsten unreine Luft, der
Aufenthalt in feuchten, dumpfigen, wenig gelüfteten, mit Menschen über-
füllten Localitäten, dürftige und schlechte Nahrung, kümmerliche Lebens-
verhältnisse überhaupt. Die Krankheit kommt unverkennbar unter Leuten,
die in dürftigen Umständen leben, bei weitem häufiger vor, als bei wohl-
habenden, obwohl auch diese nicht davon verschont bleiben, sobald sie
Einflüssen ausgesetzt werden, welche die Constitution des Körpers her-
unterbringen.
Rücksichtlich des Alters fällt die Zeit der Entstehung am häufigsten
mit den Jahren des Mannbarwerdens zusammen, und zwar vor dem Zu-
standekommen desselben. Bei Kindern unter 5 Jahren kommt es — nach
meinen bisherigen Beobachtungen — gar nicht, und von da bis zum 12.
Jahre auch nur ausnahmsweise vor. Im Mannes- und Greisenalter ent-
wickelt es sich sehr selten ; bei Individuen dieses Alters datirt es
meistens aus einer früheren Periode ; doch kommen mitunter Fälle vor, wo
das erste Auftreten in die Zeit der Involution (der klimakterischen Jahre)
fällt. — Es liegen mir mehrere Beobachtungen vor, aus denen ich, theils
nach den consecutiven Veränderungen am Auge, theils nach den An-
gaben der betreffenden Kranken annehmen muss, dass diese in den
Jünglingsjahren an Trachoma litten, denn durch 15—20 Jahre von dem-
134 Bindehaut.
selben wenigstens scheinbar geheilt, i. e. von entzündlichen Zufällen ver-
schont blieben, und erst zur Zeit der Involution neuerdings von solchen
Zufällen, namentlich von Ablagerung auf der Cornea (Pannus) befallen
wurden. Es kehrten Leute, welche in der hiesigen Klinik vor 15 — 20
Jahren an sogenannter chron. Blennorrhoe (Fischer) behandelt und nach
Abtragung des Haarzwiebelbodens (wegen Trichiasis oder Entropium) ge-
heilt entlassen worden waren, und sich Jahre lang wohl befunden hatten,
in ihrem spätem Alter mit Trachoma cum panno in die Anstalt zurück.
Es erscheint eniwecler auf beiden Augen zugleich, und schreitet auch
auf beiden in ziemlich gleichem Grade vorwärts, oder es befällt das 2.
Auge erst nach längerer Dauer auf dem erst ergriffenen. Nur selten
bleibt es Monate lang auf ein Auge beschränkt, und niemals noch kam
mir ein Fall von weit gediehenem Trachom (mit Schrumpfung) des einen
Auges bei noch ganz frei gebliebener Bindehaut des andern Auges vor.
Bei mehr als zwei Dritteln der Kranken, welche ich an Trachoma
zu behandeln hatte, und von denen mir genaue Erhebungen vorliegen,
bot entweder der Status praesens oder die Anamnesis unzweideutige
Merkmale der Scrofulosis dar. Bei vielen der Erwachsenen Hess sich Tu-
berculosis pulmonum mit grösster Wahrscheinlichkeit, bei mehreren mit
Bestimmtheit nachweisen. Aber auch die übrigen zeigten fast durchge-
hends eine blasse und aufgedunsene, oder erdfahle und welke Haut, ge-
ringe und schlafFe Muskulatur, Trägheit in den Bewegungen des Körpers,
Trägheit in den Verrichtungen des Unterleibes. Bei der Mehrzahl der
weiblichen Individuen war die Menstruation ungewöhnlich spät, meistens
erst nach dem 17. Jahre, eingetreten, und erfolgte sofort sparsam oder
unregelmässig. Nur eine sehr geringe Zahl konnte für relativ gesund
erklärt werden.
Es findet bei dieser Krankheit, wenigstens im Stadium der Infiltration und noch
mehr in dem der Schrumpfung-, ein gleiches Yerhältniss statt, wie bei der Conjuncti-
vitis scrofulosa, bei der Iritis syphilitica u. s. w. Es gibt Formen, welche so charak-
teristisch sind, dass man nur das Auge zu sehen braucht, um zu wissen, was für
einem Individuum es gehört, dass man aus den Produkten am Auge mit Sicherheit
auf das bedingende Allgemeinleiden zurückschliessen kann. Ist aber umgekehrt das
Augenleiden weder in Bezug auf den Befund, noch in Bezug auf den bisherigen Ver-
lauf und die Entstehungsweise so charakterisirt, dass man Grund hat, auf das fragliche
Allgemeinleidcn als bedingendes Moment zuriickzuschliessen , dann können gleichzeitig
vorhandene oder vorhergegangene sonstige Merkmale der Scrofulosis oder Tuberculosis
wohl mehr weniger Verdacht auf einen ursächlichen Zusammenhang zwischen dem
örtlichen und diesem allgemeinen Leiden erregen, nie aber für sich allein den Aus-
schlag geben.
Bisher habe ich zwar nur fünfmal Gelegenheit gehabt. Individuen
Trachoma — Vorkommen' — Ursachen. 135
zu seciren. an denen ich im Lehen Trachoma diagnoslicirt hatte, aber alle
zeigten Tuberculosis pulmonum, oder waren geradezu in Folge dieses
Leidens gestorben.
Zu diesen gehören der oben erwähnte J. Peter (S. 126) und J. S. (S. 122). Aus
dem Jahre 1844 bewahre ich ein Präparat von Xerophthalinus als Ausgang von Tra-
choma; es stammt von einem Maane, bei welchem nebst andern auch obsolete Lungcn-
tuberculosis gefunden worden war. — A. Jelinek, 45 Jahre alt, Taglöhnerin aus Kosir
starb am 15. Mai 1846 an Tuberculosis pulm. Ich hatte sie nur einige Tage vor dem
Tode gesehen, und aus den consecutiven Veränderungen am linken Auge geschlossen,
dass der partielle Xerophtalmus des rechten Auges nichts anderes, als das Ergebniss
von Trachoma sein könne. — An Tuberculosis starb auch der ßuchbinderssohn Dvorsky
(in der Stadt), bei welchem ich im Jahre 1842 wegen Pannus als Folge mehrjährigen
Trachomas die Einimpfung der acuten Bindehautblennorrhöe unternommen, jedoch nur
vorübergehende Besserung erzielt hatte. Seine Mutter und seine Schwester litten gleich-
falls an Trachoma ; bei ersterer waren, als ich sie in Behandlung nahm, Bindehaut und
Lidknorpel bereits so weit geschrumpft, dass nach und nach an sämmtlichen Lidern
der Haarzwiebelboden hatte abgetragen werden müssen (theils von Herrn Dr. Ryba,
theils von mir), letztere genas unter Touchirungen mit Cuprum sulfuricum und ent-
sprechender Allgemeinbehandlung (welch letztere namentlich Eisen- und Chinapräparate
erforderte) in Zeit von 4—5 Jahren, und befindet sich jetzt tm Allgemeinen so wohl,
dass, wer ihr jahrelanges Kranksein nicht selbst beobachtet, kaum glauben würde, sie
sei früher scrofulös (tuberculös) gewesen, und nur die sehnigen Streifen der verkürzten
Bindehaut und die Verschmälerung der Lidknorpel verräth dem Sachkundigen das vor-
ausgegangene örtliche Uebel.
Hat man Gelegenheit, Leute mit Trachoma zu Hause, als Familien-
mitglieder zu beobachten, so wird man nicht selten überrascht durch die
Bemerkung, dass mehrere Mitglieder der Familie an Trachoma leiden,
oft ohne es zu wissen, und es kommen Fälle vor, welche man weder
durch Supponirung eines Contagiums, noch durch die Annahme, dass
dieses Übel durch gemeinschaftliche äussere Schädlichkeiten erzeugt oder
unterhalten worden sei, erklären kann, im Gegentheile, man wird zur
Annahme einer innern Disposition gedrängt, welche selbst als ererbt oder
angeboren betrachtet werden muss.
So litt in der Familie Dworsky auch der Vater, ein Buchbinder, an den Augen,
aber das Uebel gab sich hier nur als chronischer Katarrh kund, und obwohl ich den
Mann durch mehr als 6 Jahre beobachtete , konnte ich doch nie solche Exsudate, wie
beim Trachoma, und noch weniger die consecutiven Erscheinungen wahrnehmen. —
Eine Frau von 30 und etlichen Jahren, welche seit beiläufig 20 Jahren zu verschiedenen
Malen durch Zufälle belästigt wurde, wie sie die Leute gewöhnlich bei katarrha-
bscher Bindehautentzündung angeben , consultirte mich vor 4 Jahren wege dieses
Übels. Ich fand Trachoma, die Bindehaut bereits merklich geschrumpft. Nach einiger
Zeit brachte sie mir ihre 1 1 '/Jährige Tochter, welche öfters an Conjunctivitis scrofu-
losa leidet. Diese bot an den untern Lidern das Stadium der tiefern, an den obern
136 Bindehaut.
das der oberflächlichen und solitären Exsudatablagerung dar. Mit den Entzündungs-
zufällen am Auge, welche sich deutlich als Conjunctivitis scrofulosa erwiesen, und oft
von sehr heftiger und hartnäckiger 'Lichtscheu begleitet waren , traten gewöhnlich
starke Anschwellung der Oberlippe, Excoriationen an den Nasenlöchern und stärkere
Anschwellung der Lymphdrüsen am Halse ein. Die 2. Tochter dieser Frau kam in
spälerer Zeit einmal mit der älteren Schwester zu mir, „weil ihre Augen auch etwas
roth wären", mit oberflächlichen Exsudaten an den untern Lidern ; weiterhin wurde
mir die dritte Tochter wegen einer Struma vorgeführt, und endlich auch die jüngste, 6
Jahre alt, beide mit geringer oberflächlicher Ablagerung. Die Mutter war erstaunt,
dass ich auch diese beiden für angenkrank erklärte. Der Vater ist gesund, ebenso der
Dienstbote, welchem die Kinder , da die Mutter wenig zu Hause ist, den ganzen Tag
überlassen sind. — In andern Fällen leidet ein und das andere Glied der Familie an
Trachoma, andere dagegen an andern krankhaften Erscheinungen, welche wir als Aus-
druck der Scrofulosis zu betrachten berechtigt sind. — Eine Jüdin vom Lande litt seit
einer langen Reihe von Jahren an ihren Augen; beim Herrannahen der klimakterischen
Jahre wurde sie häufiger von entzündlichen Zufällen belästigt. Allmälig war Schrum-
pfung der Bindehaut und der Knorpel eingetreten, und mussten die Cilien von Zeit zu
Zeit ausgezogen, endlich sammt den Zwiebeln entfernt werden. Vor 3 Jahren brachte
sie ihre 17jährige Tochter wegen hartnäckiger Blepharadenitis und theilweiser Madarosis
zu mir, und nach einiger Zeit ihren 15jährigen Sohn, welcher bereits seit 2 Jahren bei
einem Kaufmann in der Lehre stand, und nun wegen beginnendem Pannus (Trachoma
im Stadium der tiefern Infiltration und theilweise Schrumpfung) sich gleichfalls längerer
Behandlung unterziehen musste. — Von 3 Schwestern aus der Gegend von Pilsen kam
die eine vor 2, die andere vor 1 Jahre mit Trachoma und consecutiver Trichiasis in's
allgemeine Krankenhaus. Die Eltern sind längst todt; die jüngste Schwester, 20 Jahre
alt, diente bereits seit ihrem 14. Jahre in Marienbad; erst dort erkrankten ihre Augen,
und zwar fand ich bei ihr dasselbe Leiden, wie bei ihren beiden altern, ihr übrigens
so ähnlichen Schwestern, dass ich sie anfangs mit der einen verwechselte. Sie- war
seit ihrem 14. Jahre mit ihre Schwester nicht in Berührung gekommen, und versi-
cherte, auch in Marienbad mit Niemanden zusammen gekommen zu sein, von dem sie
sich etwa hätte anstecken können.
Bei Leuten aus der ärtnern Classe, wo das Trachoma ungleich häu-
figer beobachtet wird, kann man leicht auf die Vermuthung kommen, ob
nicht Unreinlichkeit, dürftige Nahrung, Kummer und Elend die Ursachen
seien, dass diese Kranken im Allgemeinen so schlecht aussehen. Ich
habe indessen die Krankheit auch oft bei wohlhabenden Leuten gefunden,
die in durchaus günstigen Verhältnissen lebten, und diese insbesondere
waren es, welche mich aufmerksam machten, dass ein von äussern Ver-
hältnissen mehr weniger unabhängiges, ein constitutionelles Leiden als
letzte Ursache dieser Augenkrankheit angenommen werden müsse. Die
ungünstigen äusseren Verhältnisse, welche die Armuth mit sich bringt,
wirken theils direct auf die Bindehaut (unreine Luft u. dgl.), theils indi-
rect, durch ihren Einfluss auf die ganze Constitution.
Traf homa — Vorkommen — Ursachen. 137
Den Antheil, welchen das innere, constitntionelle Leiden an der Er-
zeuouno- dieses Auoenübels hat. finden wir bereits von sehr vielen ßc-
obachtern anerkannt, und mehr weniger deutlich bezeichnet. So finden
wir bei Celsus *) folgende denkwürdige Stelle : „Haec autem (asperitudo)
inflammationem oculorum fere sequitur, interdum major, interdum levior;
nonnunquam etiam ex asperitudine lippitudo fit; deinde asperitudinem
ipsam äuget fitque ea in aliis brevis, in aliis longa, et quae vix unquam
finiatur. In hoc gener e valetudinis quidam crassas durasque palpebras
et ßculneo folio et asperato specillo, et interdum scalpello eradunt, ver-
sasque quotidie medicamentis suffricant. Quae neque nisi in magna ve-
tustaque asperitudine, neque saepe facienda sunt. Nam melius eodem ratione
virtus et idoneis medicamentis pervenifur." Diese Stelle enthält unsere
Lehre vom Trachoma gleichsam in nuce. Wer nur einige Übersicht über
die Krankheiten hat, welche am Auge vorkommen, kann nicht verkennen,
dass die Palpebrae durae, crassae et intus asperae nichts anders bedeuten
können, als Trachom im Stadium der tiefern Infiltration. Auch das Ver-
halten der Krankheit in Bezug auf die entzündlichen Zufälle ist in dieser
Stelle genau so angedeutet, wie wir es heute bei den Fällen finden, die
wir als Trachoma bezeichnen. Und bei dieser Krankheit wird nun ge-
warnt, sich zu viel auf örtliche Mittel zu stützen; es wird die Diät (im
weitern Sinne des Wortes) und die Verabreichung passender Arznei-
mittel als wichtiger, zweckmässiger erklärt, der Einfluss, den ein Allge-
meinleiden auf das örtliche Übel übt, bestimmt anerkannt. Kann man
nicht läugnen, dass Celsus die Krankheit in Bezug auf ihre Erscheinungen
und auf ihren Verlauf der Hauptsache nach richtig, ich möchte sagen
classisch, gezeichnet habe, so darf man wohl auch annehmen, dass seine
Worte über die Therapie auf richtige Beobachtungen gestützt seien; und
könnte man auch die Worte „ratione victus" anderweitig deuten, die
Worte „idoneis medicamentis" können nur auf ein inneres Leiden als
Ursache dieses Augenübels bezogen werden. Rosas **) unterscheidet das
secundäre Trachom von dem primären, und bezeichnet letzteres als ein
kacheklisches Leiden, welches, sobald es bei kachektischen Individuen
vorkomme, leicht wiederkehre, so lange, als der allgemeine krankhafte
Zustand fortbestehe.
Wer durch eine Reihe von Jahren Gelegenheit hatte, verschiedene
Augenkrankheiten zu beobachten, der wird finden, dass das, was die
") De "re medica, 1. VI.
•*) Handbuch der Augenheilkunde. Wien 1-530, II. S. 300.
138 Bindehaut.
Auetoren Pannus genannt haben, im Allgemeinen am häufigsten als
Symptom, als Theilerscheinung des Trachorna vorkommt, und dass somit,
wenn dieselben von Allgemeinleiden als Ursache des Pannus sprechen,
diese Behauptung vorzugsweise auf das Trachom zu beziehen ist. *)
Bei der Prognosis kommen jederzeit alle die Momente zur Be-
rücksichtigung und Combination, welche wir in Bezug auf den Grad, den
Verlauf und die Ausgänge, so wie auf die disponirenden, excitirenden und
unterhaltenden Verhältnisse besprochen haben. Bei keiner andern Krankheit
der Bindehaut wird es in der Regel so schwer sein, sich über die wahr-
scheinliche Dauer auszusprechen, wie hier, wo man gar oft, wenn die
Beseitigung der entzündlichen Zufälle und der Exsudate an den Lidern,
auf der Cornea, nach Wochen-, Monate-langer Behandlung gelungen ist,
trotz der sorgfältigen Regelung und Überwachung der diätetischen Ver-
hältnisse plötzlich durch einen frischen Nachschub (an den Lidern, auf der
Cornea) auf den alten Standpunkt zurückgeworfen wird. Ist man nun selbst
unter den günstigsten äussern Verhältnissen vor Rückfällen nicht sicher,
so ist man es im Allgemeinen um so weniger, wenn, wie das am häu-
figsten der Fall ist, es absolut unmöglich ist, die Diät — im weitern
Sinne des Wortes — gehörig zu reguliren. Leute, die mit ganz glatter
Binde- und Hornhaut aus der Behandlung entlassen wurden, kehren nicht
selten über kurz oder lang mit dem frühem Zustande, oder, wenn -die
geschrumpfte und verkürzte (grösstenteils oder ganz in Narbengewebe
verwandelte) Bindehaut zu neuen Ablagerungen gleichsam unfähig ge-
worden ist, mit einem mehr weniger ausgebreiteten und mächtigen Pannus
zurück. Nur mit dem Eintreten eines bessern Aussehens des Kranken,
mit den Zeichen der Besserung oder Behebung des Allgemeinleidens
kann man auf dauernde oder bleibende Beseitigung des örtlichen Übels
rechnen. Andererseits ist nicht zu übersehen, dass der einmal eingeleitete
örtliche Process, auch wenn die äussern und innern Verhällnisse des
Kranken sich günstiger gestaltet haben, an und für sich von der Art ist,
dass er Wochen, Monate zur Rückbildung erfordert, und dass sich diese
Rückhildung nur gleichsam reguliren und befördern, keineswegs erzwingen,
präeipitiren lässt. Bei der Stellung der Prognose, bei der Belehrung, dass
diese Krankheit einer sorgfältigen Bflege und ärztlichen Behandlung be-
dürfe, wenn sie ohne Gefahr für das Auge ablaufen soll, vergesse der
*) Vcrgl. Walther Lehre von den Augenkrankheiten, 1819, I!. S. 312, Andrae Augenheilkunde, 1946, II. S. 414.
Fischer ktin. Unterricht, 1832, S. t'<$, Piringer I. ovo. 121, Beer Lehre von den Augenkrankheiten, 1817, S.
031 II. m. A.
Trachoma — Prognosis — Therapie. 139
Arzt nie, dass es mitunter Fälle gibt, wo selbst der 2. Grad der Krank-
heit am Ende von selbst und ohne wesentliche bleibende Naehtheile
verschwindet.
Behandlung. So wie man einen Kranken mit Trachoma in Be-
handlung nimmt, lenke man sein Augenmerk vor allem auf die Verhält-
nisse, unter deren Einflüsse derselbe lebt. Welche Momente hier vorzüglich
zu berücksichtigen seien, bedarf nach dem bisher Gesagten wohl keiner
weitern Auseinandersetzung, und es möge hierüber nur noch das reca-
pitulirt werden, was bei der Behandlung der Conjunctivitis scrofulosa in
dieser Beziehung bemerkt wurde. Insbesondere aber will ich noch darauf
aufmerksam machen, dass nächst der Regulirung der Diät im weitesten
Sinne des Wortes, so weit sie nur zulässig ist, die Aufheiterung des Ge-
rn Utk es eine Hauptsache für die Behandlung bildet. Diese Kranken, welche
gewöhnlich erst nach Monate-, Jahre-langer Dauer zum Arzte kommen,
und zwar erst dann, wenn sie durch wiederholte entzündliche Anfälle oder
durch pannöse Trübung der Hornhaut in ihren Verrichtungen gehindert
werden, oder wenn sie bereits nicht mehr ohne Führer herumgehen
können, sind in der Regel theils äusserst kleinmüthig, theils in Folge von
allerhand fruchtlosen Heilversuchen höchst unschlüssig und unbeständig.
Man mache also einem solchen Kranken vor allem andern begreiflich, wie
das Eine nicht minder als das Andere jeden Heilversuch paralysire, man
fordere Zutrauen und Ausdauer auch für den Fall, dass die Cur länger
dauern, die Heilung durch unverschuldete Rückfälle verzögert werden sollte.
Das zweite Moment der Behandlung bildet die genaue Berücksich-
tigung des Allgemeinbefindens des Kranken, welches dann theils für die
Diät, theils für die zu verabreichenden Medicamente maassgebend sein
wird, wenn irgend Abnormitäten vorhanden sind, welche auf das örtliche
Leiden einen Einfluss nehmen können. Die allgemeine Behandlung wird
sich nach dem, was über die Beziehung des Trachoma zum Gesammt-
organismus und zu den Schädlichkeiten, welche diesen treffen, gesagt
wurde, im Allgemeinen und im Besondern dem praktischen Arzte von
selbst ergeben. Bald wird Entfernung aus ungünstigen Verhältnissen das
Wirksamste sein, bald werden Purgantia oder Solventia speciellen Indi-
cationen entsprechen, bald endlich die sogenannten Emenagoga oder Ro-
borantia, namentlich Tonica am ehesten den Zustand des Gesammtorga-
nismus zu verbessern die meiste Aussicht geben. (Vergl. das über die
Behandlung der Scrofulosis S. 98 — 106 Gesagte.)
In Bezug auf die örtlichen Erscheinungen ist zu unterscheiden, ob
entzündliche Zufälle als Begleiter frischer Infiltration oder als zufällige
140 Bindehaut.
Complicalionen vorhanden sind. Erstere vertragen durchaus keine ört-
lichen Mittel, namentlich keinerlei Augenwässer. Am besten werden sie
durch Darreichung entsprechender Abführmittel und durch Einreibungen
von Mercurialsalben an die Stirne und Schläfe, der Lichtscheu entspre-
chend mit Extr. hyosciam. oder beilad. versetzt, beschwichtigt. Örtliche
Blutentziehungen werden selten, allgemeine niemals noth wendig; kalte
Umschläge habe ich nie versucht, wohl aber von Laien oft fruchtlos an-
wenden sehen. Diese Erscheinungen, namentlich Lichtscheu. Thränenfluss
und Schmerzen im Auge und im ganzen Kopfe, sind bisweilen nicht nur
äusserst heftig, sondern auch so hartnäckig, dass am Ende kein Mittel
anschlägt, wie z. B. in dem Falle, den Professor Fischer in seinem Lehr-
buche, Prag 1846 S. 141, beschrieben hat, oder der, den Eble (1. c.
1828) S. 82 anführt. Man hüte sich in solchen Fällen, das constitutio-
nelle Leiden über dem örtlichen ausser Acht zu lassen, dieses auf Kosten
des Gesammtorganismus durch stark eingreifende Mittel brechen zu wollen.
— Man überzeuge sich überdiess jedesmal, ob solche heftige Zufälle
nicht etwa durch die Einwärtswendung von Cilien, oder durch einen
fremden Körper erregt und unterhalten werden, oder ob etwa eine Com-
plicalion, z. B. Iritis vorhanden sei. — Sind diese heftigen Zufälle so
weit gemildert, dass es möglich wird, das obere Lid zu umstülpen, so
nehme man, wenn nicht etwa Hornhautgeschwüre mit heftig entzündlichem
Charakter, oder frischer Durchbruch der Hornhaut und Irisvorfall vor-
handen sind, keinen Anstand, die Körner mit einem Stück Lapis oder Cu-
prum sulfuricum zu touchiren, da die Erfahrung gezeigt hat, dass man
dadurch den Rest jener Zufälle oft schnell beseitigt.
Beim Bestreichen der Exsudathügel auf und in der Bindehaut mit
Lapis infernalis oder mit Cuprum sulfuricum darf man nie ausser Acht
lassen, dass man nicht so sehr durch Ätzung zerstören, als vielmehr
durch einen gewissen Grad von Reizung schnellere Resorption einleiten
will. Ob man täglich touchiren soll, und wie stark, das kann immer
nur nach der Wirkung der letzten Application des Mittels bestimmt werden.
Das Auge muss sich von der jeweiligen Reizung stets wieder erholt
haben, und es müssen während des Zeitraumes, wo die Touchirungen vor-
genommen werden, die entzündlichen Zufälle, namentlich die Röthe, Licht-
scheu u. dgl., von Zeit zu Zeit merklich abnehmen, sonst hat man Grund
zu vermulhen, dass man zu slark oder zu oft touchirt. Nicht immer ist
es nothwendig, die ganze Lidfläche zu touchiren ; oft wird es gerathen
sein, nur das eine Lid zu bestreichen. Es gibt Fälle, in welchen das
Touchiren weder mit Lapis noch mit Cuprum, vertragen* wird, und in
Trachoma — Therapie. 141
andern Fällen kann der Arzt nicht hinreichend oft zum Kranken kommen,
um die Touchirungen vorzunehmen. In solchen Fällen lasse man eine
Salbe aus 3 — 6 Gran weissem Präcipitat (auf 1 Drachme) an die äussere
Fläche der Lider, oder eine aus 1 — 4 Gran (allmälig steigend) an deren
innere Fläche einstreichen, was am besten mittelst des Fingers geschieht.
Dieses Mittel führt jedoch im Allgemeinen langsamer zum Ziele, nützt
wohl auch gar nichts, selbst bei gehöriger Anwendung. Etwa vorhan-
dener Pannus contraindicirt diese Salbe keineswegs, wie man behauptet
hat. Ich habe namentlich auf Professor Fischer's Klinik unläugbare Wir-
kung davon gesehen, bediene mich jedoch im Allgemeinen am liebsten
des Cuprum, oder des mit Gummi arab. vermischten Lapis.
Der Nutzen dieser Behandlung der mit Exsudaten durchsetzten Binde-
haut besteht darin, dass so rasch als möglich Resorption derselben
(thejlweise auch Zerstörung) eingeleitet, mithin (abgesehen von der Ab-
wendung der Gefahren, welche der Cornea aus -dem langen Bestehen der
Krankheit erwachsen) die Verdrängung, die Atrophirung der Elemente der
Bindehaut durch diese Neugebilde so viel und so zeitig als möglich ver-
hütet, und hiermit die traurigen Folgen dieser Verschrumnfung der Binde-
haut und des Knorpels (Trichiasis, Entropium, Xerophthalmus) möglichst
abgehalten oder beschränkt werden.
Der Pannus, in der Regel das Übel, das den Kranken trieb, ärzt-
liche Hilfe zu suchen, weicht im Allgemeinen mit den Exsudaten in der
Lidbindehaut gleichen Schrittes zurück, besteht indess manchmal hart-
näckig fort, oder entwickelt (verschlimmert) sich von neuem, auch wenn
die Lider bereits glatt geworden sind. Ich habe bereits einen Fall an-
geführt, wo ich keinen Anstand nahm, die Exsudate auf der Cornea selbst
mit dem Lapis zu ätzen und nachträglich Nitras argenti einzuträufeln. In
der Regel reichen die Touchirungen der Lider hin, auch den Pannus
schwinden zu machen. Einträuflungen von Laudanum liq. Sydenh., z. B.
Abends, wenn man Morgens touchirt hat, pflegen die Heilung des Pannus
sehr vortheilhaft zu unterstützen. Scarificationen der zur Cornea lau-
fenden Gefässe hielt ich a priori für unnütz , und Circumcisionen der
Cornea für zu wenig gleichgiltig , als dass ich mich dazu hätte ent-
schliessen können, ohne vorher alles Andere versucht zu haben. Die
Bindehaut schrumpft ohnehin leider nur zu oft; wie könnte man sich da
ohne die grösste Noth entschliessen, Stücke aus der Bindehaut auszu-
schneiden oder durch Umkreisen der Cornea mit Lapis zu zerstören?
Dagegen habe ich auf Fr. Jägers und besonders auf Piringers Versuche
und genaue Angaben gestützt, mich nicht gescheut, die Heilung ver-
142 Bindehaut.
zweifelter Fälle von Pannus durch Impfung- blennorrhoischen Secretes zu
versuchen, und in den 3 Fällen, wo ich sie vorgenommen, nicht Ursache
gehabt, dieses Mittel als zu riskant zu verwerfen. Man sei nur vorsichtig
in Bezug auf die Wahl des Impfstoffes. (Vergl. S. 41, über die Eigen-
schaften des blenn. Secretes.) Die Impfung nützt nichts, wenn nicht eine
Blennorrhoe höhern Grades hervorgerufen wird, doch würde es auch ge-
fehlt sein, den Impfstoff von einer Blennorrhoe zu nehmen, die eben zum
3. Grade steigt, oder mit Zerstörung der Cornea verläuft.
Nachdem der Pannus der Hauptsache nach verschwunden ist, bleiben
oft durch längere Zeit leichte Trübungen oder kleine Tacetten zurück,
welche das Gesicht mehr weniger beeinträchtigen. Man lasse die Kranken
so viel als möglich sich im Freien bewegen, wie überhaupt während der
ganzen Cur, und setze entweder die zeitweiligen Einträufelungen von
Laudanum liquid. Sydenh. oder Lapis inf. fort, oder lasse eine massig
starke weisse Präcipitatsalbe an die äussere Fläche der Lider einstreichen.
— Entstehen im Verlaufe des Trachoma mit Panuusbildung tiefere oder
selbst durchbohrende Geschwüre der Hornhaut, so ist der Fall nach den
S. 103 gegebenen Momenten zu beurtheilen und zu behandeln.
Der sogenannte Pannus siccus widersteht selbst der Impfung. Die
callöse Verdickung des Epitheliums nach anhaltender Reibung der Cornea
habe ich in 2 Fällen durch Abtragung mit dem Staarmesser unschädlich
zu machen gesucht; doch blieb die Stelle nachher trüb; hingegen hellte
sich in einem Falle (der Zustand kommt eben nur sehr selten vor) eine
derartige Trübung bedeutend auf, und dürfte vielleicht mit der Zeit ganz
geschwunden sein unter dem fortgesetzten Gebrauche der weissen Prä-
cipitatsalbe an die Lidränder.
Unheilbar ist die consecutive Ausdehnung der Cornea, sobald sie
einigermassen beträchtlich geworden ist. In zwei solchen Fällen trat beim
Einreiben von Veratrinsalbe (2 — 3 Gran auf eine Drachme) an die Stirn
und Schläfe, in einigen andern beim Gebrauche der Jodkalisalbe (4 — 6
Gran) an derselben Stelle, und in einem Falle unter Anwendung der Ma-
gnetelektricität merkliche Abnahme der Cornealwölbung ein; doch sind
meine diessfälligen Beobachtungen noch zu wenig zahlreich, als dass
ich diese Veränderung- geradezu jenen Mitteln zuschreiben dürfte, um so
mehr, da diese mich in einigen andern Fällen im Stiche Hessen. Fruchtlos
dagegen erwies sich die Punction der Cornea, auch wenn ich sie mehrmal
und in kurzen Zwischenräumen (2—3 Tagen) nach einander vornahm.
Die Blepharophimosis, welche in Folge von Excoriationen der Cutis
vom äussern Augenwinkel her enthteht, unterhält durch den häufigem Augen-
Traehonia — Therapie — Blepharophimosis — Trichiasis. 143
lidschlag eine beständige Reizung der Bindehaut, macht das so noth-
wendige Umstülpen des obern Lides *) sehr schwierig oder unmöglich,
und kann endlich, auch wenn Bindehaut und Knorpel nicht merklich oder
gar nicht geschrumpft sind, zur Einwärts Wendung der Wimpern, wenig-
stens im äussern Winkel führen. Sie lässt sich durch ein sehr einfaches
operatives Verfahren beheben. Es handelt sich darum, die abnorme Ver-
wachsung zu trennen und die Wiedervereinigung zu verhüten. Das Erstere
erreicht man durch Einführen eines gekrümmten Spitzbistouri's zwischen
den Bulbus und die äussere Commissur bis zum Orbitalrande hin (bei
sehr unruhigen Kranken auf einer als Leiter vorgeschobenen Hohlsonde),
Ausstechen in der Gegend des Orbitalrandes und Trennen der Verwach-
sung sammt der äussern Commissur beim Vorschieben des Messers
Ist nun auf diese Weise sowohl am obern als am untern Lide eine
a b
^\™^/ förmige Wunde gebildet, deren Spitze a nach innen, und
c
deren Schenkelenden b und c nach aussen gerichtet sind, so dass die
Wundfläche bei stark auseinander gezogenen Lidern etwa folgende Figur
c e ,
^i -y6
beschreibt %2\S. und die Blutung gestillt, so erreicht man den 2.
y
Zweck durch Anlegung der blutigen Naht, derart, dass man, wo möglich,
zuerst die Bindehaut in dem Punkte a fasst und mit b zusammen zu heften
sucht, oder, wo diess nicht möglich, sich begnügt, blos c mit d, e mit f,
i mit k und g mit h durch Hefte zu vereinen. Die Punkte f und g sind
gewöhnlich so gelegen, dass man die Nadel durch die Bindehaut führen,
mithin die Conjunctiva an die Cutis heften muss, was bekanntlich die
Vereinigung per primam intenlii nein nicht hindert. Sollte diess auch nur
an einem Schenkel, z. B. in % k und g h gelingen, so ist dem Wieder-
eintritte der Blepharophimosis hinlänglich vorgebeugt, wie ich nach zahl-
reichen Beobachtungen versichern kann.
Bei Distichiasis, Trichiasis oder Entropium hat die Ausdehnung
*) Wenn ich mich von dem Zustande der Bindehaut am obern Lid einmal überzeugt, und Touchirungen mit Cnprum
sulf. für nothwendig erkannt habe, so umstülpe ich das obere Lid nicht zu jeder Touchirung, sondern nnr von
Zeit zu Zeit, um mich von dem Fortschritte der Heilung zu überzeugen. Ich ziehe nämlich, um zu touchiren,
das obere Lid stark vom Bulbus ab, die Cutis über den Orbitalrand aufwärts rollend, und bringe das etwa 1 Zoll
lange, 3 — 4 Linien breite und beiläutig 2 Linien dicke, vorn wohl abgerundete und geglättete Stück Kupfervitriol
zwischen Bulbus und Cornea so bis zum Cbergangslheile hinauf, dass ich es beim langsamen Hin- und Herbe-
wegen immer gegen das Lid aneedrückt halte. Auf diese Weise werden immer auch die Exsudate im Ühergangs-
theile berührt. Will man sich dieses, allerdings einige Fertigkeit erfordernden Manövers nicht bedienen, und
dennoch auch den Übergangstheil des obern Lides touchiren, so fahre man, wie im 12. Bande der Prager medic.
Vjschr. angegeben, mit dem Ätzmittel zwischen dem Orbitalrande des umstülpten Lides und dem Bulbus 2— 3mal
von eitlem Winkel zum andern hin und her.
144 Bindehaut.
und der Grad des Übels, sein Vorkommen an dem obern oder untern
Lide, und die Bereitwilligkeit des Kranken, sich dem einen oder dem
andern Verfahren zu unterziehen, einen wichtigen Einfluss auf die
Wahl dieses letztern; nicht minder ist auch der jeweilige Zustand
der Bindehaut zu berücksichtigen. — Erscheint die Distichiasis oder
Trichiasis partiell, nur auf wenige Cilien beschränkt, so ist wohl im
Allgemeinen das öftere Ausziehen derselben mit der Beer'schen Cilien-
pincette das Beste, ausser der Kranke kann dasselbe nicht oft genug vor-
nehmen lassen oder selbst vornehmen, oder will ein für alle Mal davon
befreit sein. Dieses Ausziehen kann übrigens auch bei ausgedehnter ab-
normer Richtung der Cilien (aus was immer für Ursache) vorge-
nommen werden, sobald die Radicalhilfe verschmäht wird, oder noch
nicht räthlich erscheint ; man kann 20 und mehr Cilien in einer Sitzung
ausziehen, ohne dass man sich vor zu heftiger Reizung zu fürchten
braucht. Nach Monate-, Jahre-lang wiederholtem Ausziehen werden die
nachwachsenden Cilien immer dünner und sparsamer, bleiben wohl auch
ganz aus. — Das Abhalten der Cilien mittelst eines gut klebenden Gold-
schlägerhäutchens oder mittelst Collodium nützt bei dieser Art von Tri-
chiasis und Entropium nichts. Wir werden später darauf zurückkommen.
— Radicale Hilfe gewähren nur einige operative Eingriffe. Bevor man sich
bei Distichiasis, Trichiasis oder Entropium, durch Trachoma bedingt, zu
irgend einer Operation entschliesst, muss man den Zustand der Bindehaut
und des Knorpels in Bezug auf die bereits eingetretene oder mit Grund
noch zu fürchtende Schrumpfung und Verkürzung sehr genau prüfen.
Hievon hängt zum Theil die Wahl der Methode, zum Theil auch die Art
der Ausführung jeder einzelnen Methode ab. — Die hier anwendbaren
Operationen haben den Zweck, entweder die Cilien sammt dem Haar-
zwiebelboden zu entfernen, oder ihnen sammt dem Lidrande eine andere
Stellung zum Bulbus zu geben.
Die älteste Methode, schon von Bartisch und Heister geüht, bestellt in der Ab-
tragung des Haarzwiebelbodens sammt dem ganzen Lidrande, vom Thräncnpunkte bis
zur äussern Commissur. Sie setzt somit nocb stärkere Versclimälerung des ohnehin
geschrumpften Augenlides, führt nachträglich leicht zu Lagophthalnius, und befreit den
Bulbus, auch wenn dieser Nachtheil nicht eintritt, von einem Reize, um ihn in der
Regel einem andern , nicht minder gefährlichen auszusetzen. Diesen übt theils die
scharfe Kante , welche die Narbe bildet, theils die Cutis, welche relativ zur Bindehaut
viel zu lang, sich gern über den Lidiand gegen den Bulbus überschlägt, und überdiess
noch in Folge der beständigen Befeuchtung exeoriirt und mehr schmerzhaft wird. —
Beer und Fr. Jäger*) verschonten die Knorpel und die Conjitnctiva hei der Abtragung
") llo.sp, iliss. de diagnosi et cura radic. Trfch., Dislich. el Enlröpif, Viennae 1618.
Trachoma — Therapie — Trichiasis. 145
des Haarzwiebelbodens, indem sie, den Bulbus gleichfalls durch eine unter das Lid ge-
schobene Hornplatte schützend, einen etwa 1 % — 2 Linien breiten Hautstreifen vom Thrä-
nenpunkte bis zur äusseren Commissur mit einem Bauchscalpell umschrieben, und den-
selben, an dem einen Ende mit einer Pincette gefasst, sammt den Haarzwiebeln in rasch
auf einander folgenden Messerzügen vom Knorpel lospräparirten. Hiedurch wurde zwar
die Verschmälerung des Augeulides und die nachfolgende Einwärtswendung der Narbe
vermieden, doch der untere Wundrand oft sehr ungleichmässig, leicht zackig, und
die exacte Entfernung aller Haarzwiebeln äusserst shhwierig. — Flarer in Pavia"*)
half diesen Übelständen dadurch ab, dass er, nach eingeführter Hornplatte, ein Spitz-
bistouri in den Lidrand einsticht (nahe am Thränenpunkte) und, den Mündungen der
Meibom'schen Drüsen folgend, das etwa 1 V2 Linien tief eingesenkte Messer bis zum
äussern Ende des Lidrandes führt. Er spaltet durch diesen Schnitt den Lidrand auf
1 '/j Linien tief in 2 Platten, deren innere die Conjunctiva und den Lidknorpel mit den
Meibom'schen Drüsen, deren äussere die Cutis, die Fasern des Muse. Albini und die Cilien
sammt ihren Zwiebeln in sich fasst. Nun führt er, gleich Jäger, einen Schnitt durch
die äussere Platte, zu Anfang und zu Ende in den Lidrand ausmündend , fasst den
Lappen an dem einen Ende mit der Pineete, und hebt ihn einfach ab, oder trennt,
was wohl fast immer nöthig ist, die noch gebliebenen Verbindungen mit dem Messer
oder mit der Scheere. — Ich habe dieses Verführen, seit es mir bekannt geworden^
immer dem Beer'schen unbedingt vorgezogen. Bisweilen wird es nothwendig, in Bezug
auf die eine oder andere Cilie nach gestillter Blutung noch eine Nachlese zu halten ;
die allenfalls zurückgebliebenen Bulbi verrathen sich auch schon dem sanft über die
Wunde hinstreifenden Finger. — Fröbelius in Petersburg'""") verfuhr im Wesentlichen
auf dieselbe Weise, nur führte er den ersten Schnitt weiter rückwärts, schon in der
Conjunctiva, und den zweiten halbmondförmigen in der Mitte mehr aufwärts, so dass
er ein 2 — 3 Linien breites Hautstück umschrieb, welches er dann vom Muse, orbicularis
mittelst Pincette und Scalpell löste, worauf er dann, gegen den ersten Schnitt vor-
rückend, die Exstirpation der Bulbi nach Jäger's Manier vollendete. Sofort heftete er die
Conjunctiva an die Cutis, und versichert, auf diese Weise dem Übelstande des Jäger'-
schen Verfahrens, nämlich der bisweilen nachfolgenden Einwärtswendung der schar-
fen Narbe, sicher vorgebeugt zu haben. — Vacca Berliitghieri führte vom Thränen-
punkte bis zum äussern Ende des Knorpels einen Schnitt durch die Cutis, parallel dem
Lidrande und etwa 2 Linien von demselbem entfernt und führte sodann vom innern
und äussern Ende dieses Schnittes je einen senkrechten, also etwa 2 Linien langen
Schnitt bis zum Lidrande; sodann drang er, diesen Lappen zurückschlagend, bis auf
die Bulbi ein, "exstirpirte jeden derselben, und brachte die Cutis wieder in ihre Lage
"zurück. Die ihrer Zwiebel beraubten Cilien wurden nach geschehener Vertheilung
ausgezogen, wenn sie nicht von selbst ausfielen. Wie sinnreich auch dieses Verfahren,
so scheint es doch eben eine nur gut ausgedachte, wohl aber schwerlich ausführbare
Methode zu sein.
Alle diese Methoden haben leider den Nachtheil, dass sie das Auge des Schutzes
und der Zierde berauben, welche die Cilien demselben bieten.
Das schon von Celsas geübte Ausschneiden einer Falte aus der Haut der Lider,
*) Zanerini, dissert. sopra Trichiasi, Pavia 1829.
*) Caspers Wochenschrift für die ges, Hcilkde. 1845 N. 4.
AHI, 1. l(j
146 Bindehaut.
so wie das Zerstören einer Partie derselben durch Schwefelsäure (nach Callisen, Hel-
ling u. A.) kann bei der durch Schrumpfung der Bindehaut und des Knorpels beding-
ten Einwärtswendung der Cilien im Allgemeinen nur einen sehr geringen und unbe-
ständigen Pfützen gewähren, wenigstens an den obern Lidern, wo selbst der breiteste
Substanzverlust in der Cutis den vermeintlichen Zweck, das Gleichgewicht in der
Spannung zwischen Cutis und Conjunctiva wieder herzustellen, nicht verwirklichen
würde. An den untern Lidern sah ich, wenn die Knorpel nicht bedeutend verbildet
war, mehrmals guten und bleibenden Erfolg von dem einen wie von dem andern. —
Bei starker Verbildung des Knorpels (am obern Lide) hat Adams dem Crampton'schen
Verfahren,"") bei welchem der Augenlidrand nächst dem Thränenpunkte und nächst
der äussern Commissur auf 2 Linien hoch senkrecht gespalten, das Mittelstück nach
Aussen gebogen , und durch Heftpflaster bis zur Heilung jener Wunden in der ge-
hörigen Lage erhalten werden soll, dadurch mehr Sicherheit des Erfolges zu geben
gesucht, dass er jene senkrecht durch alle Schichten des Lides geführten Schnitte mit-
telst eines Querschnittes durch die Augenlidbindehaut bis tief in den Tarsus vereinigt,
und so fort, um die Auswärtsrollung zu bewirken und zu erhalten, eine mehr weniger
breite Falte aus der Haut des obern Lides ausschneidet. Ich kann aus eigener Erfah-
rung kein Urtheil über die Wirksamkeit dieeses Verfahrens abgeben, da ich mich seit
dem Jahre 1844 eines eigenen Verfahrens bediene, und noch nicht Ursache hatte, von
demselben wieder abzugehen. Ich habe dasselbe als eine Modification der von Jäsche
angegebenen Methode""*) bereits in der Prager medicinischen Vierteljahrschrift, 1845,
im 7. Bande beschrieben ; es besteht in Folgendem. Nachdem man eine Hornplatte
unter das obere Lid gebracht, und selbe einem Gehilfen übergeben hat, rollt man das
obere Lid auf derselben aufwärts, so dass der Lidrand so weit als nöthig von der
Platte absteht, sticht ein Spitzbistouri nächst dem Thränenpunkte mit auswärts gerich-
teter Schneide mitten zwischen der äussern und innern Lefze des Lidrandes (da, wo die
Mündungen der Meibom'schen Drüsen erscheinen) auf 1 1/2 Linien Tiefe ein, und spaltet
das Lid durch Fortführen des Messers auf die Art in eine innere und äussere Platte, wie
oben bei der Flarer'schen Methode angegeben wurde. Alsdann führt man, die Haut
des Lides über der Platte gehörig spannend , parallel dem Lidrande und etwa 1 V2
höchstens 2 Linien über demselben, einen Schnitt durch die äussere Platte, welcher so-
wohl nach innen, als nach aussen um wenigstens eine Linie länger sein soll, als der
am Lidrande geführte. Indem die zweite Wunde senkrecht auf die erste geführt wird,
soll, wie bei Flarer's Verfahren, die äussere Platte, welche die Cutis, die Fasern des
Orbicularis und die Cilien sammt ihren Zwiebeln zu enthalten hat, falls die Schnitte
gehörig geführt sind, in eine förmliche Brücke verwandelt sein, welche nur zu beiden
Seiten mit dem Lide noch verbunden ist. Wäre diess nicht der Fall, die Brücke, we-
nigstens in der Mitte, nicht verschiebbar, so führe man das Spitzbistouri durch die
obere Wunde so ein, dass die Spitze in der untern zum Vorschein kommt, und be-
werkstellige durch Fortschieben des Messers die Communication beider Wunden. Ist
diess erreicht, so schreitet man zur Ausschneidung eines halbmondförmigen Hautstückes,
dessen Breite verschieden gross zu sein hat, je nach dem Grade der Einwärtswendung
des Lidrandes und je nachdem die Haut mehr weniger schlaff und ausgedehnt, gleich-
•) Essay of the Enlropion, London 1805
") MediC. Zeit. Russlands, 1S11 N. 9.
Traehoiua — Therapie — Tricliiasis. 147
sam überschüssig ist. Die Secante des Halbmonds bildet der oben genannte zweite
Schnitt; die Bogenlinie beschreibt man als 3. Schnitt mit dem Messer, vom Anfange
des 2. Schnittes ausgehend und am Ende desselben endend. Hierauf fasst man die Cutis
an einem Ende mit der Pincette, und präparirt sie mit einer krummen Scheere oder mit dem
31esser von M. orbicularis los. Sollte letzterer muthmasslicher Weise in Folge der habituellen
Contraction zur Unterhaltung des Entropiums beitragen , stärker entwickelt sein, so
durchschneide man die innern (gegen den Lidrand hin liegenden) Fasern desselben
senkrecht, und schreite dann zur Anlegung der blutigen Naht, wobei dann das mittelste
Heft zuerst anzulegen ist. Bei Ausschneidung einer Falte aus der ganzen Länge des
Lides ist die Anlegung von 5 Heften nothwendig und hinreichend. So wie die Naht
vollendet ist, klafft die erste Schnittwunde stark, und man sieht die Meibom'schen
Drüsen im Knorpel bloss liegen, indem die äussere (obere) Pfatte des Lidrandes höher
hinaufgerückt und so gestellt ist, dass die Cilien wagrecht oder selbst etwas aufwärts
gerichtet stehen. Überschläge von kaltem Wasser werden mehr zur Linderung des
brennenden Schmerzes als wegen zu besorgender heftiger Reaction gegeben. Nach
30 — 36 Stunden können und müssen die Hefte entfernt werden. Die Wunde am Lid-
rande bedeckt sich mit einer, sehr plastischen, röthlichgelblichen Substanz, und heilt in
3 — 6 Tagen ohne Eiterung. Der schlimmste Zufall ist, dass, wenn man nicht sehr
vorsichtig operirt, manchmal die Hautbrücke an einer oder der andern Stelle durch
Eiterung zerstört wird; vielleicht auch dass manchmal die Ursache der Eiterung im
Individuum selbst liegt. Es gehen dann die Cilien verloren, oder man muss nach-
träglich die Abtragung des Haarzwiebelbodens vornehmen. Wenn man die Narkoti-
sirung durch Schwefeläther oder Chloroform vornimmt, ist die Operation einerseits
leichter und genauer ausführbar, andererseits nicht so abschreckend für die Kranken,
wie sie es sonst sein müsste. Ausser der Eiterung kann kein schlimmer Zufall ein-
treten, es müssten denn einige Cilien wieder in nachtheiliger Richtung nachwachsen,
was indess fast immer durch die sich bildende Narbe später verhindert wird, oder es
wendet sich der Lidrand wieder einwärts, uud erfordert dann die Abtragung. Diejeni-
gen, welche im Verlaufe der letzten 4 Jahre meine Klinik besuchten, werden mir be-
zeugen, dass ich genug befriedigende Resultate erhielt, um diese Methode auch ferner
vor allen andern zu versuchen und zu üben.
Ich hatte erwähnt , dass man , bevor man zu einer oder der andern Operation
schreitet, den Zustand der Bindehaut genau prüfen, und bedeutende Exsudate so gut
als möglich früher zur Resorption zu bringen trachten solle, weil, wenn die Operation
dem gegenwärtigen Zustande angepasst wird, später, wenn beträchtliche Schrumpfung
nachfolgt, auch der günstigste Erfolg vereitelt werden kann. Ich hatte diese Warnung
bereits in meinem oben citirten Aufsatze über Trichiasis und Entropium ausgesprochen,
besonders für jene Fälle, wo man die Abtragung des Haarzwiebelbodens vornimmt,
schon auch aus dem Grunde, weil sich dann das Lid schwer oder gar nicht umstülpen,
mithin die Krankheit sich nicht in ihrem Heerde angreifen Iässt. Dr. von Hasner hat
darüber bemerkt, er habe auch nach abgetragenen Cilien die Lider sehr leicht um-
stülpt. Trotzdem kann ich nicht umhin, meinen Rath zu wiederholen, und gestehe
offen, dass ich wenigstens nicht in allen Fällen im Stande war, derlei verstümmelte
Lider zu umstülpen.
10*
148 Bindehaut.
VI. Exantheme der Bindehaut.
Wenn schon die in den beiden vorhergehenden Abschnitten bespro-
chenen Krankheiten mehr weniger Analogie mit jenen Erkrankungen der
allgemeinen Bedeckungen, die wir exanthematische Processe nennen, dar-
bieten, so ist diess noch viel mehr der Fall bei jenen, welche wir in
diesem Abschnitte erörtern wollen, und bei denen wir keinen Anstand
nehmen, sie geradezu als Exantheme der Bindehaut zu bezeichnen. Sie
stellen, wenn man die Bindehaut als Fortsetzung, als Einstülpung der
Cutis betrachten will, nur eine Theilerscheinung der allgemeinen Haut-
krankheil dar. Es muss jedoch in Bezug auf die acuten Exantheme gleich
in vorhinein bemerkt werden, dass nur jene Eruptionen auf der Binde-
oder Hornhaut als Exantheme, als Theilerscheinung der Hautkrankheit
betrachtet werden können, welche mit der Efflorescenz der Hautkrankheit
zugleich auftreten, jene Eruptionen dagegen, welche z. B. bei Blattern im
Stadium der Abtrocknung oder nach gänzlich vollendetem Krankheits-
process der Cutis auf dem Auge vorkommen, eine ganz andere Bedeu-
tung, namentlich die der Conjunctivis scrofulosa haben, da es bekannt ist,
dass nach Scharlach, Masern, Blattern u. dgl. gar oft in verschiedenen
Organen Manifestationen der Scrofulosis auftauchen, von denen man vor
jenen Krankheiten keine Ahnung hatte.
Die Blattern (Variola, Variolosis) schlagen ihren Sitz nicht nur an
der Cutis der Lider, nicht nur in dem Zwischenräume zwischen der
äussern und innern Lefze des Lidrandes; besonders des untern, sondern
auch an der Conjunctiva, und zwar nächst der innern Lefze des Lidrandes
(etwa 1 Linie weit), oder nächst dem Limbus conjunctivae corneae oder
auf der Cornea selbst auf. — An dem Lidrande werden sie leicht den
Haarzwiebeln und den Meibom'schen Drüsen gefährlich, hinterlassen Ma-
darosis (bleibenden Verlust einzelner Cilien), Distichiasis, partielle Tri-
chiasis, Verwachsung einer oder der andern Mündung der Meibom'schen
Drüsen, Stockung des Secretes in den letzteren, Bildung von harten, kalk-
artigen, die Bindehaut mehr weniger reizenden Concrementen, kleine rölh-
liche Vertiefungen und Einkerbungen des Lidrandes (Narben), und somit
gewöhnlich auf die eine oder die andere Weise einen gereizten Zustand
des Auges, welcher dasselbe zu grösserer Anstrengung unfähig und über-
haupt für äussere Schädlichkeiten empfänglicher macht. — Blattern in der
Gegend des Limbus conjunctivae werden nur in dem Maasse gefährlich,
als sie weiter in die Cornea hineingreifen. Ich sah sie in mehreren Fällen
sehr zeitig bersten, durch baldigen Durchbruch des Epitheliums gleichsam
Exantheme — Blattern — Masern — Scharlach. 149
abortiv zu Grunde gehen. — Blattern auf der Cornea selbst sollen,
wenn sie, ohne zu bersten grösser werden, mit einer Staarnadel oder mit
einem fein zugespitzten Lapis infern, geöffnet werden, um der tiefern und
weitern Infiltration der Cornea vorzubeugen. Die nach denselben entste-
henden Geschwüre sind nach den bei der Lehre von den Krankheiten der
Cornea gegebenen Momenten zu beurtheilen und zu behandeln.
Da mir nicht hinreichende Erfahrungen zu Gehote stehen, so nehme ich keinen
Anstand, der Vollständigkeit wegen einige mir wahr und wichtig scheinende That-
sachen aus Beer L. c. II. S. 517 etc. zu entlehnen. „So lange hloss vermehrter Thrä-
nenfluss, aber keine merkliche Lichtscheu mit der variolösen Augenlidentzündung ver-
bunden ist, darf man versichert sein, dass die Bindehaut des Augapfels von dem Reflexe
der Entzündung noch völlig unangetastet ist; findet der Arzt aber Trockenheit des
Auges und Lichtscheue, eine Empfindung, als ob Sand oder ein fremder Körper im
Auge wäre, so muss er, so gut es sich thun lässt, mit möglichster Schonung die
Augenlidspalte öffnen, um sich von dem Zustande des Bulbus zu überzeugen." „Die
Pocken der Augenlider müssen, sobald sie vollgefüllt sind, mit einer Staarnadel ge-
öffnet werden ; die Lidränder müssen von dem Eiter und später von den Borken ge-
reinigt und jedesmal gut abgetrocknet werden ; dem Lichte und der trockenen, wo
möglich warmen Luft, - muss (während der Eiterung und Abtrocknung) freier Zutritt
gestattet werden." Beer hat beobachtet, dass vorzüglich bei scrophulösen Kindern mit
der Blatterneruption sich nicht selten eine Blepharo-, selbst Ophthalmoblennorrhoe
entwickelt, welche fast immer mit Zerstörung der Cornea verläuft. — Auf das Mit-
leiden des Thränenschlauches bei der Blatternkrankheit werden wir später zu sprechen
kommen. — Droht Blatterneruption auf dem Bulbus, namentlich auf der Cornea, so
empfiehlt Beer kalte Umschläge auf das Auge. Trifft der Arzt bereits gefüllte Pusteln,
so räth Beer sie mit einer Staarnadel oder Lanzette zu öffnen. Dieselben Mittel, welche
man zur Verhütung von Blatternarben im Gesichte empfohlen hat, können auch an den
Lidern versucht werden, als : Bestreichen derselben mit einer Mischung von gelbem
Wachs und Baumöl; Auflegen eines Goldblättchens mittelst Gummiwassers, früh und
Abends erneuert, vom 1. Tage der Eruption bis zum Eintritt des Eiterungsfiebers; Be-
streichen mit Ung. hydr. cinereum; Auflegen des Emplastr. de Vigo (empl. ammon.
cum hydrarg.) beim ersten Erscheinen des Exanthemes, wodurch alle damit bedeckten
Pusteln in kleine Tuberkel verwandelt werden sollen, die durch Abschuppung schwinden.
Alle (Ost. Wochenschr. 1842, N. 50) hat eine Mischung aus 10 Gran Campher mit 2
Drachmen Schwefeläther, mittelst Compresschen auf die Lider gelegt, bewährt gefunden.
Bei Masern und Scharlach participirt die Bindehaut an dem
Leiden des Haut- und Schleimhautsystemes bald in Form von Hyperämie,
bald in Form von Katarrh, seltener in Form von Katarrh mit unge-
wöhnlich starker Lichtscheu, starker Injection der vordem Ciliararterien
(rosenrothem Gefässsaum um die Cornea), erhöhtem Glanz und nach-
folgender Bläscheneruption auf der Cornea. (Acutes Odem der Cornea, Kera-
titis serosa?). Dieses Augenleiden verdient daher . im Allgemeinen keine
besondere Berücksichtigung, ausser der nöthigen Temperirung des Lichtes
lö( ) Bindehaut.
und Entfernung des Secretes mit lauem Wasser. Bei zu heftiger Licht-
scheu werden Einreibungen von Unguent. cinereum mit Extr. beilad. an
die Stirn und Schläfe Linderung verschaffen. Sind in Folge der klehien,
bald berstenden Wasserbläschen auf der Cornea Geschwürchen entstanden,
so hat man sich nach den Regeln zu benehmen, welche weiter unten bei
den Krankheiten der Cornea gegeben werden. Treten andere, als die ge-
nannten Erscheinungen auf, so sind sie gewiss nicht in dem exanthema-
tischen Processe als solchem allein, sondern durch andere Verhältnisse
bedingt. Diese müssen eruirt, und darnach Prognosis und Terapie ein-
gerichtet werden. — Auf die Malacia corneae, welche sich bisweilen nach
solchen Ophthalmien entwickelt, werden wir bei den Krankheiten der
Cornea zu sprechen kommen.
Bei Leuten, die an chronischen Hautausschlägen litten, habe
ich einige Male Bindehautentzündungen beobachtet, welche in Bezug auf
die Form grosse Ähnlichkeit mit der Conjunctivis scrofulosa darboten,
jedoch rücksichtlich des Verlaufes und des Vorkommens durchaus nicht
für solche gehalten werden konnten, im Gegentheil als gleichbedeutend
mit der Hautkrankheit betrachtet werden mussten. Leider ist die Zahl
meiner Beobachtungen zu gering, und da einige in die erste Zeit meines
ärztlichen Wirkens fallen, zum Theil auch zu wenig exact, als dass ich
hierüber eine selbstständige Schilderung zu entwerfen vermöchte. Ich er-
wähne dieser Affection keineswegs, um die mit Recht aufgegebene Lehre
von der Psorophthalmie, von den Augenentzündungen nach unterdrückten
Hautausschlägen u. dgl. wieder aufzunehmen, sondern nur um anzudeuten,
dass über das Vorkommen von Bläschen, Pusteln u. dgl. an der Conjun-
cliva bulbi, als in ursächlichem Zusammenhange mit Hautkrankheiten stehend,
die Acten noch lange nicht als geschlossen betrachtet werden können.
Im Jahre 1840 kam ein 20j ähriges Mädchen auf die Augenklinik, welche in
ihrem 12. Jahre an einem Kopfausschlage gelitten hatte, übrigens aber gesund gewesen
war, obwohl sie unter sehr ärmlichen Verhältnissen gelebt hatte. Im 16. Jahre, einige
Monate nach ihrer ersten Entbindung, hatte sie sich durch Ansteckung die Krätze zuge-
zogen, von welcher sie sich in einigen Tagen durch eine Salbe befreite und geheilt
blieb. Im 20. Jahre erkrankte das rechte Auge; es zeigten sich einzelne Pusteln an
den Augenlidern und deren Umgebung, welche allmälig in Krusten übergingen; dazu
gesellte sich Druck unter dem obern Lide, reichlicher Thränenfluss, Verklebung der
Lider beim Erwachen und starkes Jucken an den mit Pusteln besetzten Partien. Sie
wurde, wie ich nachträglich aus dem Protokoll ersah, damals mit Ophthalmia impeti-
nosa auf die Klinik genommen, und erst nach einer halbjährigen Behandlung mit Sub-
limatwaschungen und Schwefelpulvern geheilt entlassen. In ihrem 23. Jahre kam sie
wieder auf die Augenklinik. Wir fanden die Lidränder des rechten Auges etwas an-
gelaufen, stellenweise excoriirt, £egen den innern Winkel hin der Cilien verlustig, die
Verletzungen — Zufälle. 151
vorhandenen Cilien an der Basis mit kleinen, harten Krusten umgeben, die Haut des
untern Lides verkürzt (ohne sichtbare Narbe), daher der Lidrand etwas auswärts ge-
wendet (leichtes Ectropium), die Bindehaut gleichförmig geröthet, aufgelockert, sam-
metartig; die Conjunctiva im äussern Drittheil netzförmig injicirt, die Sclera darunter
rosenroth, in der Bindehaut etwa 1 Linie nach aussen vom Hornhautrande eine gelbe,
hirsekorngrosse Pustel, welche durch viele Tage unverändert fortbestand ; nächst dem
Augenbrauenbogen in der Schläfe zwei gelbliche, zugespitzte, mit einem rothen Hof
umgebene, stark juckende Pusteln ; eine solche auch am rechten Oberarme. Gefühl,
als läge Sand unter dem obern Lide, massige Lichtscheu, häufiges Thränen, festes Ver-
kleben der Lider am Morgen. Es wurde ein Purgans und sodann täglich 2mal 5
Gran flor. sulfuris gegeben, örtlich Waschungen mit 1 Gran Sublimat und 1 Skrupel
Laudan. liq. in 4 Unzen Wasser; die Kranke verliess nach 14 Tagen die Anstalt
ganz gesund.
VII. Verletzungen der Bindehaut.
Die Bindehaut kann durch fremde Körper mechanisch oder chemisch
verletzt werden. — Mechanisch wirkende Körper erregen entweder bloss
die Zufälle der Reizung, Schmerz, Thränenfluss, Lichtscheue und Gefäss-
injection, oder Entzündung, also überdiess Lockerung des Gewebes und
Exsudation mit oder ohne consecutive Wucherung oder Verschwäruno-
der Bindehaut, oder endlich Trennung des Zusammenhanges, Blutung,
Ecchymosen, Verschwärung oder abnorme Verwachsung. — Die chemisch
wirkenden haben je nach dem Grade ihrer Einwirkung bald oberfläch-
lichen, bald tiefem Substanzverlust, weiterhin Verschwärung, Schrumpfung
und gegenseitige Verwachsung der sich berührenden Bindehautplatten
zur Folge.
Die gewöhnlichsten fremden Körper, welche in's Auge zu gerathen
pflegen, sind: kleine Stückchen von Steinen, Glas, Kohlen, Eisen, Stroh,
Federn, Nägel, Holz oder Knochen, ferner Insecten (oder Theile davon),
Wimper- oder Kopfhaare, Grannen, Samenhülsen, Tabak, Pfeffer, Schiess-
pulver, endlich Asche, Kalk oder Mörtel, Ätzkali, Lapis infernalis, sie-
dendes Wasser, Mineralsäuren, glühende oder geschmolzene Metalle.
Die Zufälle nach der Einwirkung einer solchen Schädlichkeit sind
in der Regel so heftig, dass der Kranke bald ärztliche Hilfe sucht, und
die Ursache ausdrücklich bezeichnet. Dann ist nichts nöthig, als dass
der Arzt weiss, wie er den fremden Körper aufzusuchen, zu entfernen,
und die Folgen desselben zu behandeln hat. Es geschieht aber auch,
dass diese heftigen Zufälle erregt werden, und der Kranke sich der Ver-
anlassung dazu nicht im mindesten bewusst ist, oder dass der fremde
Körper erst in sehr später Zeit Zufälle erregt, welche den Kranken be-
1$2 Bindehaut.
stimmen, ärztliche Hilfe zu suchen, nachdem er auf das Eindringen eines
fremden Körpers ganz vergessen hat, oder gar nicht meint, dass zwischen
diesem uud seinem gegenwärtigen Augenleiden ein ursächlicher Zusam-
menhang statt finden könne. Dieser letztere Fall kommt besonders dann
vor, wenn der fremde Körper in den faltigen Übergangstheil gerathen ist.
Er gibt dann entweder zu hartnäckiger Lichtscheu mit Augenlidkrampf,
oder zu partieller Wucherung der Bindehaut und Einkapselung, oder bloss
zu den Erscheinungen eines chronischen Augenkatarrhes Veranlassung.
In allen diesen Fällen muss man oft die Gegenwart eines fremden Körpers
als möglich voraussetzen, und genau untersuchen; und anderseits muss
wieder in Erwägung gezogen werden, dass diese Zufälle oft noch fort-
dauern können, nachdem der fremde Körper längst durch Zufall entfernt
wurde, und dass eine mechanische Verletzung nicht selten den ersten
Anstoss zu einer Augenentzündung gibt, welche in ihrem weitern Be-
stehen durch ein Allgemeinleiden bedingt wird, wie z. B. Conjunctivitis
scrofulosa, Trachoma, Iritis syphilitica.
Wenn man Verdacht auf die Gegenwart eines fremden Körpers hat,
so untersuehe man die Bindehaut in ihrer ganzen Ausdehnung. Augen-
lidkrampf oder sehr heftige Lichtscheu können vorher die Anwendung
eiskalter Umschläge oder lauwarmer Fomente aus Infusum herbae hyos-
ciami und Temperirung des Lichtes notbwendig machen. Nie setze man
den Kranken gerade dem Licht gegenüber, sondern so, dass dieses von
der Seite her einfällt. Man weiss ferner aus Erfahrung, dass der Kranke
das eine Auge viel leichter offen halten und beliebig dirigiren kann,
wenn er das andere mit der Hand oder mittelst einer Binde geschlossen
hält. — Zuerst ziehe man das untere Lid abwärts, und mache den Über-
gangstheil dadurch vortreten, dass man das abgezogene Lid ein wenig
gegen den untern Orbitalrand rückwärts drückt, und den Kranken nach
oben sehen lässt. Bei etwas tiefer liegenden Augen wird der Übergangs-
theil leichter sichtbar, wenn man den Kranken bei fixirtem Lide das
Auge stark abwärts rollen lässt. Iudem man sofort den Kranken nach
aussen blicken heisst, sei man zugleich auf die halbmondförmige Falte
aufmerksam, hinter welcher sich bisweilen der fremde Körper verbirgt.
— Am häufigsten jedoch sitzen kleine fremde Körper, die durch den
Wind oder auf Eisenbahnen in die Augen getrieben werden, an der
innern Fläche des obern Lides, etwa 1 Linie hinter der innern Lefze
desselben. Man umstülpe daher das Lid, und benutze, um auch durch-
sichtige Theilchen, Kiesel- oder Glassplitterchen zu entdecken, das Spie-
geln der Conjunctiva bei seitlich einfallendem Lichte, oder man fahre
Verletzungen — Fremde Körper. 153
sanft mit dem Finger über diese Stelle hin. Ist die Umstülpung nicht
möglich, so kann man versuchen, den fremden Körper dadurch zu besei-
tigen, dass man das obere Lid über das untere herabzieht und schnell
auslässt; nicht selten streifen die Cilien des untern Lides denselben ab.
— Um fremde Körper im Übergangstheile des obern Lides zu erkennen,
ziehe man dessen Haut stark gegen den Orbitalrand an, und lasse den
Bulbus abwärts rollen, oder man fasse die Cilien des obern Lides mit
Daumen und Zeigefinger, und ziehe sie ein wenig abwärts an und vom
Augapfel ab, indem man den auf einem Stuhle sitzenden Kranken den
Kopf stark zurückbeugen lässt. In manchen Fällen kann noch das Ein-
gehen mit einer Knopfsonde oder mit einem Daviel'schen Löffel nöthig
werden. Häufig fällt der fremde Körper bei diesen Manövern von selbst
heraus, und man merkt diess wohl auch aus dem plötzlichen Verschwinden
des Druckes, Stechens u. dgl.
Bleiben fremde Körper längere Zeit im Tarsaltheile sitzen, so
werden sie gewöhnlich durch Eiterung flott gemacht, und durch das
reichlichere Secret-der Bindehaut fortgespült. Bisweilen geschieht es
jedoch auch, dass die Entzündung ringsum zur Wucherung der Bindehaut
oder zur förmlichen Einkapselung des fremden Körpers führt. Letztere
beiden Folgen treten weit häufiger in dem lockeren und weniger em-
pfindlichen Übergangstheile ein.
Makenzie "") S. 186 erzählt Fälle von Monteath, einen, wo ein Strohhalm von
y.2 Zoll Länge im Übergangstheile einen sogenannten Schwamm der Bindehaut von der
Grösse einer Haselnuss hervorgerufen hatte, und erst nach wiederholter Exstirpation
entdeckt wurde , und einen zweiten, wo ein Baumzweig von 3/4 Zoll Länge und der
Dicke eines Rabenfederkieles durch 5 Monate eine Entzündung unterhielt, die mit den
verschiedensten Mitteln behandelt worden war. Der Kranke war beim Herabgehen von
einem steilen Berge in ein Gesträuch gefallen; in dem Augenblicke hatte er die Em-
pfindung gehabt, als ob irgend ein Theil seines Auges verletzt worden sei; das Auge
war seitdem immer empfindlich geblieben. Monteath umstülpte endlich das obere Lid,
und fand hoch oben im Übergangstheile einen schwammigen Zustand der Bindehaut;
durch Untersuchung mit einer Sonde gewann er die Überzeugung von der Gegenwart
des fremden Körpers. — Prof. Fischer**) zog einer Frau ein langes, zusammenge-
rolltes Hauthaar aus, welches in der Gegend des äussern Augenwinkels nur mit der
Spitze aus der partiell angewulsteten Bindehaut hervorragte, und von welchem früher
Niemand eine Ahnung gehabt hatte. Derselbe erzählt S. 10 folgenden Fall. Ein Forst-
mann kam auf die Klinik, weil er das rechte Auge, an dem er sonst keine Schmerzen
hatte, nicht öffnen konnte; er stemmte sich gegen jeden Versuch, es zu öffnen, wegen
heftiger Schmerzen. Es hatte ihn drei Wochen vorher ein Zweig ins Auge geschlagen,
*") Prakt. Abhandlung- über die Krankheiten des Auges, Weimar 1822.
•*) Lehrbueh der Entrundungen etc. Prag 1846, S. 9.
154 Bindehaut.
als er durch's Geslripp eilte. Als nun die Lider mit Gewalt geöffnet wurden, fiel ein
y4 Zoll langes, dürres Stück eines Fichtenzweiges, grösstentheils in Schleim gehüllt,
aus dem sonst ganz gesunden (?) Auge. — Zweier Fälle, wo Krebsaugen unter das
obere Lid geschoben und langst vergessen (oder vielmehr für wieder herausgefallen
erachtet) worden waren, habe ich in der Prager Vierteljahrschrift im 12. Bande Seite
76 erwähnt.
Ist der fremde Körper vermöge seiner spitzigen Oberfläche oder
vermög der Gewalt, mit welcher er namentlich die Conjunct. bulbi traf,
in die Substanz der Bindehaut oder noch tiefer eingedrungen, so erregt
er entweder Eiterung und Ausstossung, oder auch Einkapselung und Ein-
heilung. Makenzie 1. c. S. 187 erzählt, dass Wardrop ein Stückchen Ba-
salt in einer Zellenmenibran dicht an der Sclera eingeschlossen fand,
welches bereits vor 10 Jahren eingedrungen war.
Sitzen fremde Körper derart, dass sie die Cornea reiben oder
drückene, so führen sie entweder eine Art Hornhautschwiele herbei, oder
eine pannöse Trübung (Keratitis superficialis), gewöhnlich aber Verschwä-
rung und die traurigen Folgen der Hornhautgeschwüre. Diese treten ins-
besondere häufig ein, wenn Grannen oder die Spelzen von gewissen Ge-
treidearten ins Auge gerathen, und gar nicht oder nur unvollständig ent-
fernt werden. (Vergl. den Artikel Hornhautentzündung.)
Im Jahre 1845 wurde ich zu einem Mädchen von 4 Jahren gerufen, Niemand
hatte eine Ahnung, dem Kinde könne Etwas in's Auge gefallen sein. Das Kind litt sein
3 Tagen au heftigem Blepharospasmus, und konnte nicht wohl näher untersucht wer-
den ; da es in der linken Achselgrube einige geschwollene Drüsen hatte, glaubte ich
ein scrofulöses Augenleiden vor mir zu haben, und leitete demgemäss die Behandlung
ein. Nach 3 Tagen nahm man einen andern Arzt, weil das Kind noch immer nicht
besser werden wollte. Etwa '/2 Jahr später bekam ich das Kind zufällig zu sehen,
und bemerkte ein Staphylom, welches die untere Hälfte der Cornea einnahm. Jetzt
erfuhr ich, dass ungefähr 14 Tage nach meinem Ausbleiben ein Stückchen Stroh aus
dem Auge gekommen, welches dem Kinde wahrscheinlich in der Nacht in's Auge ge-
rathen war.
Die Beschaffenheit der fremden Körper und ihr Sitz gibt im Allge-
meinen an, wie man sie zu entfernen habe. — Bei oberflächlichen sitzenden
reicht das Abstreifen mit dem Zipfel eines leinenen Tücheis oder mit einem
Daviel'schen Löffel u. dgl. hin ; in andern Fällen, namentlich bei Tabak
oder Pfeffer ist das Einspritzen lauer Milch oder lauen Wassers das
zweckmäsigste. — Feine Glassplitterchen bleiben am leichtesten an einem
mit Leinwand umhüllten Griffel haften. — Tiefer sitzende und längere
Körper müssen oft mit einer Pincette gefasst werden. Pulverkörner, Glas-
spliltcr u. dgl., wenn sie in die Conjunctiva bulbi eingedrungen, fassl
man sammt einem möglichst kleinen Theile der Bindehaut mit der Pin-
Verletzungen — Fremde Körper — Atzung. 155
cette und entfernt sie mittelst der Scheere. So kleine Substanzverluste
werden von der nachgiebigen, durch Beiziehung der Wundränder verhei-
lenden Bindehaut ohne Nachtheil ertragen ; die Narbe wird unsichtbar,
während z. B. eingeheilte Pulverkörner sehr entstellen.
Mit der Entfernung des fremden Körpers schwinden in der Regel
auch die Folgen, die Zufälle der Reizung und Entzündung zum Verwun-
dern schnell, und man hat im Allgemeinen dem Kranken nichts zu sagen.
als dass er sich bis zur völligen Erholung des Auges vor Anstrengung
desselben, Staub, Rauch, Zugluft u. dgl. hüte. War die Verletzung in-
und extensiver, so bilden kalte Umschläge in frischen Fällen das sou-
veraine Mittel , neben welchem nur ausnahmsweise die Vorausschickung
einer örtlichen Blutentziehung und kühlender Abführmittel bei Ruhe des
Körpers und beschränkter Kost nothwendig werden dürfte. Fand zugleich
beträchtliche Quetschung statt, so setze man zu den kalten Umschlägen
bald etwas Weingeist oder spir. roris marini, spir. serpylli u. dgl. zu, und bei
grössern Blutaustretungen Tinctura arnicae. — Ist aber das Stadium der
Reizung und Ausschwilzung vorüber, ist bereits Eiterung, schleimig-
eitrige Secretion, dunklere Röthe und mehr Erschlaffung der Bindehaut ein-
getreten, dann dassen kalte Umschläge nicht mehr, und man hat den
Fall nach den bei der Ophthalmia catarrhalis gegebenen Grundsätzen zu
behandeln. — Partielle Wucherungen der Bindehaut werden mit der
Scheere abgetragen, oder mit Lapis geätzt, wenn ihre Heilung mittelst
Laudanumaufträuflungen nicht zu erreichen sein sollte.
Die Einwirkung ätzender Stoffe pflegt den Kranken in der Regel
sogleich zur ärztlichen Hilfe zu treiben. Man überzeuge sich zunächst,
ob nicht noch etwas davon zurückgeblieben sei und noch fortwirke. Kalk,
Mörtel, Asche, Lapis u. dgl. müssen sogleich durch Einspritzen, Einträu-
fein oder Einpinseln von Flüssigkeiten entfernt werden, welche sie nicht
chemisch lösen, sondern wo möglich zersetzen oder mindestens einhüllen,
wie Öl, zerlassene Butter, Rahm, Milch; ist nichts dergleichen bei der
Hand, so suche man sie durch einen raschen Wasserstrahl rasch abzu-
spülen, ehe sie sich noch auflösen können.
Die darauf folgende Entzündung pflegt in der Regel sehr heftig zu
sein, und erheischt strenge Antiphlogose. Nebstdem aber ist wohl zu be-
rücksichtigen, ob nicht in Folge der Anätzung Verwachsung der Lider
untereinander, Anchyloblepharon, oder der Lider mit dem Bulbus, Sym-
blepharon (anterius), oder beides zugleich zu besorgen sei. Diess ist
beinahe immer der Fall, wenn Mineralsäuren oder geschmolzene Metalle
in's Auge gespritzt sind. Nebst der energischen Anwendung eiskalter
156 Bindehaut.
Urnschläge ist dann das wiederholte Einträufeln schleimiger oder öliger
Mittel und häufiges Abziehen der sich berührenden Flächen von einander
nothwendig, leider aber oft genug erfolglos. Jeder Fall will hier indivi-
duell aufgefasst sein. Bisweilen kann die Unterhaltung eines künstlichen
Ectropiurns mittelst Heftpflasterstreifen oder mittelst auf die Haut ge-
strichenen Collodiums von Nutzen sein, bisweilen das Einlegen einer
dünnen Schale von Wachs, wie ein künstliches Auge geformt. Jede Linie
Raum, die man der um sich greifenden Verwachsung abtrotzt, ist Gewinn
für die nachträglich vorzunehmenden Operationsweisen des Anchylo- und
Symblepharon.
Ist bei Verwachsung des Bulbus mit der innern Lidfläche die Cor-
nea ganz oder grösstentheils (wenigstens so weit, dass noch nötigenfalls
eine künstliche Pupille gebildet werden könnte) frei geblieben, und nimmt
die Verwachsung nicht mehr als höchstens die Hälfte des obern oder des
untern Lides ein, so kann man noch mit Aussicht auf günstigen Erfolg
ein operatives Verfahren zur Behebung dieses Zustandes in Anwendung
bringen. Das Schwierige der Aufgabe liegt nicht so sehr in der Trennung
der Verwachsung, als vielmehr in der Verhütung der Wiederverwachsung.
Dr. Gulz hat meines Wissens zuerst darauf aufmerksam gemacht,
dass es auch hier, wie bei ähnlichen chirurgischen Fällen, z. B. bei ver-
wachsenen Fingern, vor allem darauf ankomme, die Wiederverwachsung
von der Stelle aus, wo die beiden Wundflächen in einem Winkel zusam-
menstossen, dadurch zu verhindern, dass man jener Stelle früher einen
Epithelialüberzug zu verschaffen sucht. Wenn demnach die Verwachsung
bis zur Übergangsfalte rückwärts reicht, und nicht mit einer Sonde um-
gangen werden kann, so führe man einen dünnen Bleidraht mittelst einer
krummen Nadel so durch die Basis (den hintersten oder tiefsten Theil)
der Verwachsung zwischen Lid und Bulbus durch, dass derselbe ohn-
gefähr in der Gegend und der Richtung der Übergangsfalte verläuft.
Die beiden Enden des Bleifadens werden dann entweder auf die äussere
Fläche des Lides geführt und angeklebt, oder auch früher einmal ge-
kreuzt, so als ob man die Verwachsung abbinden wollte. Nun bleibt der
Faden so lange (8 — 14 Tage) liegen, bis er sich sehr leicht hin und her
bewegen und auch vor- und rückwärts schieben lässt, kurz bis man an-
nehmen kann, dass der Kanal, in welchem er verläuft, callös, mit Epi-
thelium überkleidet, in eine Art Fistelgang verwandelt sei. Man kann
den Bleidraht so anfertigen lassen, dass ein Theil dünner, der andere
allmälig dicker wird, und dass man durch Weiterziehen desselben jenen
Kanal allmällig weiter und weiter macht. Erst dann darf man zur Tren-
Verletzungen — Symblepharon — Anchyloblepharon. 157
nung der Verwachsung schreiten, und von der Anwendung der oben
angegebenen Mittel Erfolg erwarten. — Ist die Verwachsung brei-
ter (in der Richtung von einem Winkel zum andern), so dass die
Durchführung des Fadens durch die ganze Länge der Basis unmöglich
wird, so fasse man nur einen Theil derselben in die Ligatur, und nehme
bei der 2. oder 3. Partie dasselbe Manöver vor. Ich habe in drei Fällen
durch dieses Verfahren den günstigsten Erfolg erreicht, und würde das-
selbe allen andern vorziehen.
Angedeutet, wenn man will, findet man dieses Verfahren in der Idee schon bei
Fabric von Hilden (Observat. chirurg. Centur. VI. p. 503. Francofurti ad Moenum 1646),
welcher bei Verwachsung der Augenlider unter einander einen seidenen Faden von
einem Augenwinkel zum andern unter der Verwachsung durchführte, die Enden des
Fadens sodann zusammen knüpfte, ein Gewicht daran hing, jmd binnen 8 Tagen die
Verwachsung gehoben sah. — Nach Ruete*') hat bereits Himly die Einführung eines
Bleidrahtes oft mit dem günstigsten Erfolge angewendet ; er drehte den Bleidraht täglich
enger zusammen (die Schlinge verkleinernd), uud Hess denselben bis zur Durchschnei-
dung der Adhäsionen liegen. — Amnion verfuhr bei kleineren Verwachsungen in dem
mittlem Theile des Lides derart, dass er mittelst einer Scheere an jeder Seite der Ver-
wachsung einen Schnitt führte, welcher den andern so traf, wie die beiden Schenkel
eines V, und sodann die Wunde wie bei einem Coloboma oder wie bei einer Hasen-
scharte vereinigte, wobei das aus dem Lide excidirte Vförmige Stück auf dem Bulbus
sitzen blieb. Nach geschehener Vereinigung der Wundränder unter einander soll das
am Bulbus zurückgelassene Stück abgetragen werden. — Dieffenhach verfuhr derart,
dass er zuerst die Verwachsung trennte, dann den der Gilien beraubten Lidrand (mittelst
einer durch das Augenlid bis auf dessen Cutis gegen den Orbitalrand durchgeführten
Schlinge) nach innen umklappte, und auf diese Art der Wundfläche am Bulbus die
Cutis gegenüber zu stehen brachte , bis die Wundränder der Conjunctiva bulbi ein-
ander verwachsen waren. — dinier '""*) will einen Fall von Symblepharon, wo das
obere Lid nach Verbrennung mit einem glühenden Eisen in grosser Ausdehnung mit
dem Bulbus, znm Theil auch mit der Cornea verwachsen war, dadurch geheilt haben,
dass er, nachdem er die Verwachsung mit dem Messer getrennt hatte, die Wundfläche
des Lides und des Bulbus mit Lapis infernalis in Substanz , und die folgenden Tage
abwechselnd, bald die erstere, bald die letztere, mit einer Lösung von 10 Gran Argent.
nitricum in 1 Drachme Wasser bestrich.
Die Beseitigung des Anchyloblephwon ist wohl nur dann anzu-
streben, wenn der Bulbus noch zum Sehen geeignet ist oder doch ge-
macht werden kann (was durch umsichtige Untersuchung mit der Sonde
und mittelst Sehversuchen nicht minder als durch genaue Erhebung der
Anamnesis möglichst sicher zu stellen ist), oder wenn der Kranke die
Einlegung eines künstlichen Auges wünscht, und Hoffnung ist, die Be-
*) Lehrbuch der Ophthalmologie, Braunschweig 1846, S. 395.
*■) Annales d'oculisl. B. XI. S. 270.
158 Bindehaut.
dingungen hiezu zu erreichen. Es versteht sich übrigens hier wie überall,
dass die allgemeinen Bedingungen zu operativen Eingriffen gegeben sein
müssen. Ist mit dem Anchyloblepharon nicht zugleich Symblepharon vor-
handen, so wird die Trennung auf einer untergeschobenen Halbsonde
oder mittelst eines Knopfbistouris nicht so schwierig sein, und die Wie-
derverwachsung dadurch am besten verhindert werden können, dass man
an dem obern oder an dem untern, wo möglich an beiden Lidern zugleich
die Conjunctiva an die Cutis durch feine Nähte anheftet, wenigstens gegen
den äussern Winkel hin, und die Lider möglichst von einander entfernt
zu halten sucht.
Nach diesen Regeln mag man beurtheilen, ob etwas, und was bei
Fällen von Complication des Ankylo- und Symblepharon noch mit Wahr-
scheinlichkeit auf günstigen Erfolg zu thun sei.
VIII. Flügelfell, Pterygium.
So nennt man eine , durch Entzündung bedingte, partielle , dem
Flügel einer Fliege nicht unähnliche Entartung der Conjunctiva bulbi, deren
Basis gegen die Peripherie des Bulbus gerichtet ist, deren Spitze über
den Limbus conjunctivae in die Cornea hineinreicht, und deren Ränder,
wenigstens nahe an der Hornhaut, nicht nur scharf begrenzt, sondern
auch deutlich umstülpt erscheinen. Es fällt in der Regel sogleich durch
seinen Reichthum an erweiterten Blutgefässen auf, welche von der Peri-
pherie convergirend gegen die Cornea verlaufen, und erst nach dem Er-
löschen aller entzündlichen Thätigkeit in dieser Partie verschwinden. Je
nach dem Blutreichthume und der Menge des in diesem Theile abgela-
gerten Exsudates hat man ein Pt. lernte und crassum s. carnosum
unterschieden.
Sein Sitz entspricht im Allgemeinen der Richtung eines der geraden
Augenmuskeln ; am häufigsten kommt es im innern, seltener im äussern
Winkel, noch seltener nach oben oder unten vor. — Die Basis des
Flügelfelles liegt vom Rande der Hornhaut mehr weniger entfernt, je
nach der Dauer und Ausbildung der Krankheit. Sie verliert sich bis-
weilen kaum l1/^ Linien von der Cornea entfernt allmälig in gesunde
Bindehaut. Bei weiterer Entwicklung reicht es bis an die halbmondför-
mige oder Übergangsfalte, bei noch höherem Grade sieht man namentlich
die erslere ganz verstrichen, selbst die Drüschen der Karunkcl auf den
Flügelfell — Diagnosis — Entwicklung. 159
Bulbus herübergezerrt, und zuletzt wohl auch die ganze betreffende Partie
des Übergangstheiles so geschrumpft, dass der Lidknorpel an den Bulhus
angeheftet erscheint (Symblepharon posterius wie bei Trachoma). —
Die Ränder des auf der Sclera befindlichen Theiles (Rumpfes) sind ge-
wöhnlich ein wenig über die Umgebung erhaben, doch nicht immer
scharf markirt; beide Erscheinungen treten gegen die Cornea hin immer
deutlicher hervor, und in der Gegend des Limbus conj. erscheinen die
Ränder in der Regel, wenigstens der eine, so stark umstülpt, dass man
mit einer Sonde oder Borste % — 1 Linie, selbst noch tiefer darunter
eindringen kann. — Der Hals des Flügelfelles (über dem Hornhautrande),
dessen Breite von der Breite der Entartung auf der Cornea abhängt, lässt
sich in der Regel mit einer Blömerschen Pincette leicht von seiner Un-
terlage emporheben, und nach Abtragung desselben erscheint in der
sonst unveränderten Cornea eine Art Furche oder Eindrückung. Er ist
anfangs graulich und weich, bei älteren Pterygien weisslich, sehnenartig,
glänzend und derb, nicht selten von knorpelähnlicher Beschaffenheit. Er
zeigt, wenn er etwas breiter ist, centripetale Vertiefungen und Erhö-
hungen, Riefen, welche fächerartig gegen die Basis hin verlaufen und
sich allmälig verflachen. — Die Spitze des Flügelfelles ist in der Regel
nicht spitzig, wie man sie gewöhnlich abgebildet findet, sondern rundlich,
oder vieleckig, zackig, und stellt mehr einen unregelmässigen, etwas er-
habenen Fleck, bisweilen selbst von 2 Quadratlinien Umfang dar. Sie ist
im Allgemeinen grauliehweiss, bisweilen stellenweise mehr gesättigt und
undurchsichtig, nächst dem Hornhautrande deutlich erhaben und begrenzt,
im übrigen Umfange allmälig abgeflacht und in gesunde Substanz über-
gehend. — So lange das Flügelfell lebhaft geröthet erscheint, findet man
auf der Cornea nächst der Spitze der Trübung oder auf derselben ein
oder einige kleine, ziemlich reine Geschwürchen ; sie werden oft erst
dann sichtbar, wenn man das Spiegeln der Cornea benützt, und können
Wochen-, Monate-lang in derselben Form und Lage beobachtet werden.
Sind sie geheilt, so sieht man an ihrer Stelle entweder eine flache Narbe
oder eine seichte Vertiefung mit glatter Oberfläche.
Die Entwicklung des Flügelfelles erfolgt vom Limbus conjunctivae
aus ; es vergrössert sich von hier allmälig gegen die Peripherie hin, und
andererseits rückt die Spitze allmälig gegen das Centrum der Cornea vor.
Mit Ausnahme der nach acuter Bindehautblennorrhöe entstandenen, immer
sehr rasch entwickelten Flügelfelle findet man allgemein, dass nur lange
bestehende Pterygien weit in die Cornea hineinragen. Der Process kann
nicht nur die Mitte der Cornea erreichen, sondern auch dieselbe über-
160 Bindehaut.
schreiten. *) Das Flügelfell ist als eine Herbeiziehung oder Herein-
zerrung der Bindehaut auf die Cornea zu betrachten, seine 'Entstehung setzt
zunächst seichte Geschwürchen auf dem Rande der Cornea und Herbei-
ziehung des Limbus conjunctivae zur Vernarbung; weiterhin eine gestei-
gerte Nachgiebigkeit der Bindehaut (Erschlaffung), anhaltende und doch
nie über einen gewissen Grad gesteigerte Reizung derselben, und dadurch
bedingte Durchtränkung der Bindehaut mit Exsudat, Verdrängung ihres
Gewebes und endliche Schrumpfung der also erkrankten Partie voraus.
Das Flügelfell kommt fast nur bei Leuten vor, welche bereits ein
höheres Alter erreicht haben und vermög ihrer Beschäftigung häufig
mechanisch-chemisch wirkenden Schädlichkeiten ausgesetzt sind. Aus dem
Umstände, dass Flügelfelle meistens im innern Winkel, welcher solchen
Einflüssen besonders zugängig ist, und grösstenteils nur bei Leuten vor-
kommen, welche dem Einfallen von Kalktheilchen, Steinsplitterchen, Staub
u. dgl. ausgesetzt sind, zog bereits Beer den Schluss, dass die Entste-
hung des Flügelfelles hauptsächlich durch dieselbe bedingt werde, ohne
übrigens anzugeben, wie diess geschehen möge. Benedict (Abhandlungen
aus dem Gebiete der Augenheilkunde) beschuldigt nebstdem hauptsächlich
scharfe, ammoniakalische Ausdünstusigen, weil er dieses Leiden besonders
bei Leuten, die sich viel mit der Pferdezucht abgeben, häufig beobachtet
habe. Wenn Jüngken (Lehre von den Augenkrankheiten, Berlin 1832)
katarrhalische Augenentzündungen mit abdomineller Complication als Ur-
sache ansieht, und meint, das Flügelfell müsse eigentlich im Unterleibe
curirt werden, so scheint diese Ansicht einzig und allein auf das vor-
zugsweise Vorkommen bei altern Leuten und. auf das Vorhandensein er-
weiterter Gefässe basirt zu sein. Ich habe zu den allgemeinen bekannten
(oben genannten) Ursachen, welche auch mir ein sorgfältiges Examen in
mehr als 50 Fällen nachwies, nur noch die Explosion und den Dampf
von Schiesspulver, so wie das Einspritzen verdünnter Mineralsäuren ins
Auge hinzuzufügen.
Unter 36 genauer aufgezeichneten Fällen war die Krankheit nur bei 3 Weibein
und 2 Männern unmittelbare Folge von acuter Bindehautblennorrhöe mit Hornhaut-
geschwüren ; von den übrigen 25 Männern und 6 Weibern war das jüngste Indivi-
duum 36, die meisten über 50 Jahre alt. Der Beschäftigung nach befanden sich
darunter: 3 Maurer, 1 Töpfer, 1 bei einer Kalkbrennerei Beschäftigter, 1 Müller,
1 Strassenmeister, 1 Schneider, 1 Seiler, 3 auf Schüttböden mit ;Getreide Beschäftigte,
1 Bräuergesell, 1 Bürstenbinder, 2 Viehhirten, 1 Kutscher, 1 Jäger, 1 Bergmann und 13
Taglühner. Die Entartung kam bei allen im innern Winkel vor, bei 10 Individuen
*) Yergl. meinen Aufsatz über Pleryyium in der Prager medic. Vierleljahrschrift, 1845, VIII. B. S. 73.
Flügelfell — Ätiologie. 161
bloss am rechten, bei 6 bloss am linken, bei 15 an beiden Augen; nur bei einem Tag-
löhner war zugleich am äussern Winkel des rechten Auges ein Flügelfell, während in
jedem Innern Winkel ein stärker entwickeltes sass. Von gleichzeitigen Krankheiten am
Auge kamen vor: 12mal chronischer Katarrh oder Trachom (darunter 3mal mit Tri-
chiasis oder Distichiasis an demselben oder an dem andern Auge), 7mal Cataracta (dar-
unter 3mal mit hintern Synechien), 3mal mit Hornhautflecken ausser dem Bereiche des
Flügelfells, lmal Glaucom, lmal Amblyopia congest. Bei vielen waren Augenentzün-
dungen (nach ihrer Aussage) vorausgegangen,, ohne dass die Patienten sie mit der in
Rede stehenden Folgekrankheit in unmittelbaren Zusammenhang zu stellen wussten, da
diese sich unbemerkt, ohne viel Schmerz und Röthe entwickelt hatte.
Als Folge acuter Bindehautblennorrhöe sieht man das Flügelfell nur dann, wenn
Hornhautgeschwüre entstanden waren. Hier, wo die Ausbildung der äussern Umrisse
viel rascher zu Stande gekommen ist, sieht mau oft geradezu einen Theil der sonst
nicht sehr veränderten Bindehaut in die Hornhautnarbe hineingezogen. Wenn ich recht
beobachtet, so trägt zu dieser Herüberziehung der Bindehaut über den unzerstörten
Hornhautrand vor allem der Umstand bei , dass die Bindehaut, nachdem sie früher
wallartig geschwellt war, nun bei beginnender^ Hornhautvernarbung schlapp sich über
den Cornealrand hereinschlägt und mit dem zur Deckung des Cornealsubstanzverlustes
abgesetzten Exsudate wahrscheinlich desshalb verwächst, weil sie selbst noch an einer
oder der andern Stelle des Epithels verlustig, excoriirt ist. Desshalb entstehen auch in
Folge von Ophthalmoblennorrhoe relativ zu andern Stellen Flügelfelle am häufigsten
nach oben, und ich habe einen Fall gesehen, wo die Conjunctiva bulbi mit einer Stelle
des Obitalrandes des obern Knorpels (nach Touchirungen) verwachsen und gegen diese
Stelle so hingezogen war, wie sonst gegen den Cornealrand.
Fragen wir uns, wie es komme, dass mechanisch-chemisch wirkende Schädlich-
keiten es sind, welche als veranlassende Momente zur Bildung des Flügelfelles be-
trachtet werden müssen, so liegt, die Annahme sehr nahe, dass oberflächliche Verlez-
zung, Zerstörung des Epitheliums, seichte Geschwürsbildung die nächste Folge dersel-
ben sei, und dass auf diese Weise, wenn die Bindehaut etwas schlafler ist, wenn sie,
nächst dem Limbus conjunctivae excoriirt, sich über den angrenzenden, gleichfalls ex
coriirten Cornealtheil hereinlegt, Verwachsung der Bindehaut mit der Hornhaut einge-
leitet werde. — Diess zugegeben, erklären sich die weiteren Folgen sehr einfach. Die
wenn auch geringe Hereinzerrung der Bindehaut zur Cornea setzt an und für sich
schon Reitzung der betreffenden Partie; wirken nun, wie in der Regel, noch fortwäh-
rend äussere Reize auf diese Partie ein, so geräth diese in Entzündung, wird gefäss-
reicher, lockerer, von Exsudat durchtränkt. Das also veränderte Gewebe unterliegt
nach Resorption der flüssigen Theile des Exsudates einer um so stärkeren Schrumpfung,
je mehr es durch die Entzündung in ein Neugebilde verwandelt ist, je mehr das nor-
male Gewebe verdrängt, durch Exsudat ersetzt worden ist. Ist auf diese Art nur die
dem Hornhautrande nächste Partie verändert worden, so reicht diess hin, die entfern-
tem Partien nach und nach in denselben Process zu ziehen, indem durch die Schrum-
pfung der zuerst ergriffenen Stelle, die nächst angrenzende von ihrer Unterlage gegen
die früher erkrankte Stelle herübergezogen wird. Andererseits kann die Heilung der
oberflächlichen Geschwürchen an der Cornea nicht leicht zu Stande kommen, theils
weil die Reaction zu unbedeutend ist, theils weil wohl in den meisten Fällen immer
wieder ähnliche schädliche Einflüsse einwirken, ohne heftigere Zufälle zu erregen.
Arlt, I. 11
162 Bindehaut.
Untersucht man abgetragene Flügelfelle mikroskopisch, so findet man, je nach
dem Alter und der Consistenz derselben, nebst mehr weniger Bindegewebsfasern Ex-
sudat auf verschiedenen Stufen der Organisation, bis zum förmlichen Faser- oder Nar-
bengewebe, als welches sich übrigens wenigstens der Halstheil schon mit freiem Auge
an seinem sehnigen Glänze und seiner Knorpelhärte oft deutlich erkennen lässt. Hält
man bei Flügelfellen, welche bereits Ausglättung der halbmondförmigen Falte herbei-
geführt haben, den Augenlidschlag einige Zeit ab, so werden die sehnenartigen Partien
desselben mehr weniger trocken. — Breitet man ein Taschentuch über ein Bett oder
Canape, fasst es an einer Seite mit 2 Fingern, und zieht es dann in der Richtung
der Ebene, in der es liegt, an, so entsteht eine fächerähnliche Faltung, welche die
Form des Flügelfelles vollkommen repräsentirt.
Wenn bei vielen Entzündungen, namentlich bei der Conjunctivitis scrofulosa, Ge-
schwürchen auf dem Hornhautrande vorkommen, und dennoch keine Flügelfelle ent-
stehen, so darf man nicht vergessen, dass hier auch die übrigen Bedingungen nicht
vorkommen, nämlich: dass der Substanzverlust nur oberflächlich und daher keine ge-
hörige Reaction vorhanden ist, und dass die Scleralbindehaut theils wegen höhern Alters,
theils wegen wiederholter Reizungszustände (in Folge der chemisch-mechanischen Schäd-
lichkeiten, denen solche Leute in der Regel Jahre lang ausgesetzt waren) in einen Zu-
stand von Erschlaffung (Faltung beim Einwärtswenden des Bulbus) und theilweiser
Excoriation nächst dem Bulbus conjunctivae gerathen ist. Stärkere Anätzungen, oder
tiefere Geschwüre geben aber desshalb keinen Anlass zur Bildung ejnes Flügelfelles,
weil sie tiefer eindringen, mit heftigerer Reaction in der Umgebung verlaufen, und zur
festen Verwachsung mit der Sclera oder mit dem Rande der Cornea führen, wodurch
dem Verzerren der Bindehaut vorgebeugt wird. Die glaubwürdigsten Auetoren ver-
sichern, dass das Flügelfell , wenn es noch nicht zu weit gediehen, in der ferneren
Entwicklung gehemmt (geheilt) werden könne, bald durch Scarificationen, bald durch
Einträufeln von Laudanum , beld durch stark adstringirende oder ätzende Mittel. Die
Wirkung kann wohl keine andere sein, als dass durch Erregung eines gehörigen Gra-
des von Reaction rasche Vernarbung des Cornealgeschwüres herbeigeführt wird.
Das Flügelfell gehört mehr unter die entstellenden als unter die
gefährlichen Krankheiten des Auges; doch ist es eben nicht ohne Gefahr
für die Functionen desselben. Bisweilen heilt es von selbst, wahrscheinlich,
wenn das Auge weiterhiu den erregenden schädlichen Potenzen nicht
mehr ausgesetzt wird. Das Geschwürchen auf der Hornhaut vernarbt,
die flügelähnliche und mehr weniger entartete Falte der Bindehaut wird
blass, gefässarm. Hat das Flügelfell eine beträchtliche Grösse erreicht
und ist es sehr dick und blutreich, dann bietet auch die übrige Binde-
haut die Zeichen der (katarrhalischen) Entzündung dar. Ist es bereits
zur Verzerrung der halbmondförmigen Falte gekommen, dann wird auch die
Aufsaugung der Thränen, und weiterhin selbst die freie Beweglichkeit
des Bulbus mehr weniger behindert. — Dass das Flügelfell (mittelst der
Geschwürchen) bis zur Mitte der Hornhaut und selbst darüber hinaus
vorrücken kann, wurde bereits früher erwähnt. Hiemit droht es auch
Flügelfell — Prognosis — Therapie. 163
dem Gesichte nachtheilig zu werden. Es versichern aber glaubwürdige
Auetoren (Prof. Fischer in seinen Vorlesungen, und Chelius*), dass bei
Flügelfellen, welche noch nicht bis in die Gegend der Pupille reichen,
das Gesicht oft merklich beeinträchtigt sei. Es lässt sich diese Beobach-
tung auf zweierlei Weise erklären: a) entweder haben diese Beobachter
kleine Facetten an der Spitze des Flügelfelles übersehen, oder &) was
mir wahrscheinlicher ist, das Flügelfell wirkt mittelst Druck auf die
Cornea störend auf deren Wölbung ein. Wenn wan nämlich Flügelfelle
mit etwas härterem Halse abträgt, so kann man sie auf der Cornea nächst
dem Rande förmlich wie aus einer Grube herausheben; sie hängen nur
am Umfange der Spitze fest mit der Cornea zusammen.
Die Behandlung des Flügelfelles richtet sich , abgesehen von der
Abhaltung äusserer Schädlichkeiten, sofern solche möglich ist, vorzüglich
nach dem Grade der Entartung. Sie ist nicht bloss aus kosmetischen,
sondern auch aus prophylaktischen Rücksichten einzuleiten, wenn gleich in
der Regel nur erstere es sind, die den Kranken zur ärztlichen Hilfe drängen.
Bei noch wenig grossen und frischen Flügelfellen versuche man, durch
Betupfen der Spitze mit laudanum liquidum, mit Cuprum sulfur. oder mit
Lapis infernalis einen hinreichenden Grad von Reaction, Vernarbung ein-
zuleiten. Wo diess erfolglos bleibt, wegen Verhältnissen des Kranken nicht
anwendbar erscheint, oder wegen längeren Bestandes und grösserer Aus-
dehnung der Entartung nicht den gehörigen Erfolg (wenigstens in Bezug
auf die Entstellung) verspricht, schreite man zur Abtragung.
Indem der Gehilfe das obere und das untere Lid gehörig fixirt, und
der Kranke das Auge nach der entgegengesetzten Seite wendet, fasse
man das Flügelfell über dem Rande der Cornea mit einer anatomischen,
oder, was viel zweckmässiger, mit einer etwas stärkeren Blömer'schen
Pincette, und ziehe den gefassten Theil etwas gegen sich an. Hierauf
stosse man ein feines Spitzbistouri oder ein Staarmesser zwischen den
Hals des Flügelfelles und die Cornea, und präparire, gegen das Centrum
der Cornea hin, die Spitze (den Kopf) des Flügelfelles so rein als möglich
von der Cornea los, was bisweilen in 1 — 2 Zügen gelingt. Sodann ziehe
man den auf einer Seite frei gewordenen Hals etwas stärker gegen sich
an, und trenne den entarteten Theil, den Rändern folgend, mit einer
geraden oder nach der Fläche gekrümmten Scheere auf 1 — 2 Linien über
den Hornhautrand hinaus (gegen die Peripherie hin) so knapp als möglich
von der Sclera los, und vereine die beiden divergirenden Schnitte sodann
*) Handbuch der Augenheilkunde, Stuttgart 1839, S. 410.
11*
164 Bindehaut.
durch 2 convergirende derart, dass die ganze Wundfläche ein Rhomboid
darstellt, von welchem der eine spitzige Winkel gegen die Mitte, der
andere gegen die Peripherie des Bulbus gerichtet ist. Für die Errei-
chung des Zweckes ist es nicht nothwendig, und in anderer Beziehung
sogar nachtheilig, sehr grosse Flügelfelle bis zur Peripherie, z. B. bis zur
halbmondförmigen Falte oder Karunkel hin abzutragen; nur von dem
Rande der Cornea und von dem angrenzenden Theile der Sclera (bis auf
wenigstens 1 Linie weit von der Cornea weg) muss alles Krankhafte
sorgfältig entfernt werden, und wo diess nicht sogleich gelungen, muss
man entweder noch mit Scheere oder Messer nachhelfen, oder nachträg-
lich mit Lapis infernalis ätzen. Ist es gelungen, in der Gegend, wo der
Limbus conjunctivae sein sollte, eine feste Verwachsung der Wundränder
unter sich und mit der Sclera und Cornea zu bewirken, so hat man
auch keine Recidive zu fürchten. — Die Weisung, die Wunde nicht drei-
eckig, sondern rhomboidal zu formen, beruht auf der Beobachtung, dass
Substanzverluste der Scleralbindehaut durch Beiziehung von der Seite her
gedeckt werden. Nach 2—3 Tagen erscheint die Wunde mit weissem
plastischem Exsudate bedeckt, die angrenzende Bindehaut lebhaft injicirt
und geschwellt. Allmälig zieht sich jene Exsudatmasse gleichsam auf das
Centrum zurück, und die angrenzende Bindehaut rückt über die lebhaft
gerötheten (fein granulirenden) Ränder gegen dasselbe vor: es entsteht
eine strahlige Narbe, welche, wenn der Substanzverlust nicht zu gross
war, immer weniger und weniger bemerkbar wird, doch nie ganz ver-
schwindet. Hat man, nach obiger Angabe, die Sclera gehörig bloss
gelegt, so erscheint die Narbe etwas vertieft, i. e. die Bindehaut an die
Sclera angeheftet, und eine fernere Verzerrung der Bindehaut an dieser
Stelle unmöglich. Hat man aber auch diese Vorsicht beobachtet, aber,
wie gewöhnlich gerathen wird, der Wunde eine dreieckige Form gegeben,
so ist nicht nur der Substanzverlust unnöthig grösser, sondern es bildet
sich die Narbe auch derart, dass gleichsam ein zweites, wenn auch kür-
zeres, die Cornea nicht erreichendes Flügelfell (Pterygium secundarium)
entsteht. Nachstehende Figuren werden die Sache besser erläutern, als
Worte. Fig. 1 e\ 1 ) ) Fig. 2. eT"jp ) Wenn bei Fig. 1. Heilung
d Ty^^s a
eintritt, so wird a mit b und c mit d vereint, die Narbe mehr linear;
wenn bei Fig. 2 Heilung eintritt, so wird zwar a mit b vereint, bei
c und d aber entstehen spitze Winkel, indem die Linien ac, bd, cd mit
ihrem mittleren Theile gegen das Centrum der Wundfläche vorrücken,
und namentlich der Punkt e stark gegen die Cornea hingedrängt wird.
FHig-elfell — Therapie. 165
Die Figur bekommt vor noch erfolgter Vernarbung ohngefähr folgende
c
Gestalt B^-i und nacn derselben liegt e als Spitze eines einem Fliigel-
d
feile nicht unähnlichen Dreiecks nahe am Hornhautrande.
Sinnreich ist Szokalsky's Verfahren.*) Er nimmt einen seidenen Faden, und führt
jedes Ende in eine besondere krumme Nadel, sticht die eine im innern Winkel am obern
Rande des Flügelfelles ein, führt sie zwischen dem Flügelfelle und der Sclera abwärts,
und unter dem untern Rande demselben aus. Die Spitze der Nadel wird mit der Pin-
cette gefasst und aus der Wunde gezogen, so dass der doppelte Faden ungefähr 4 Zoll
lang zum Vorschein kommt. Die 2. Nadel wird auf dieselbe Weise nächst dem Horn-
hautrande durchgeführt, und der hier ebenfalls doppelte Faden eben so lang durch-
gezogen. Durch Abschneiden der Nadeln zerfällt der Faden in 3 Theile. Mittelst des
ersten wird durch Verknüpfung des obern und untern Endes die Basis, mittelst des
3. die Spitze zusammengeschnürt ; der mittlere, welcher nach oben eine Schlinge bildet,
wird langsam angezogen, und am untern Rande des Flügelfelles zugebunden, so dass
durch diese Ligatur der zwischen der 1. und 3. Ligatur befindliche Theil des Flügel-
felles von der Sclera abgeschnürt wird, und die gesunde Conjunctiva oberhalb des
Flügelfelles mit der unterhalb desselben in Berührung kommt. Die Fäden dieser 3
Ligaturen werden unter dem Augenlide mit Heftpflaster befestigt, die Lider verklebt und
kalte Umschläge gegeben. Nach 4 Tagen wird der Verband abgenommen, der zwi-
schen den Ligaturen eingeschnürte Theil mit der Pincette gefasst, und aus dem Auge
entfernt. Die Vernarbung soll iu kurzer Zeit, und niemals sollen Recidiven erfolgen.
— Hasner 1. c. S. 78, die Thatsachen, welche für das Weiterschreiten des Flügelfelles
und die ähnliche Gefährdung des Gesichtes sprechen, ignorirend, und dazu noch die
ganz irrige Behauptung aufstellend, bei jeder Operatio pterygii „müsse ein beträcht-
liches Stück der gesunden Bindehaut entfernt werden," hat den originellen Rathschlag
gegeben, jedes Pterygium ohne Unterschied sich selbst zu überlassen. Über den Werth
solcher Vorschläge können nicht Worte, nur unparteiische Beobachtungen und Versuche
am Krankenbette entscheiden. Ein einziger Fall von Heilung durch die Operation be-
weist mehr, als die sogenannte „tägliche Erfahrung" misslungener Fälle, sobald diese
nicht umständlich angeführt werden.
Mit dem Flügelfelle nicht zn verwechseln ist der sogenannte Fettfleck, Pingue-
cula, Pterygium pingue. Man findet diese Erscheinung sehr häufig bei Leuten mittlem
und höhern Alters ohne alle Beschwerden, ohne alle krankhafte Erscheinungen weder
am Auge, noch sonst wo im Körper, ohne nachweisbare Veranlassung. Sie besteht in
einem gelblichen, gewöhnbch dreieckigen, mit der Basis zur Cornea, mit der Spitze
gegen den innern und äussern Winkel hin gerichteten Flecke, welcher gerade so aus-
sieht, als ob die Bindehaut hier mit Fett unterpolstert wäre, und kommt stets nur in
der Richtung der Lidspalte, gerade zu einer oder zu beiden Seiten der Hornhaut vor
Ausser der partiellen Entfärbung des Weissen des Auges bringt der Fettfleck niemals
einen Nachtheil. Nach Wellers chemischer Untersuchung soll dieses Gebilde kein Fett,
sondern Eiweissstoff und Gallerte enthalten. Es wird wohl kaum je ein 3Iensch so eitel
sein, dass er sich zur Exstirpation dieses Fleckes entschlösse, und von andern Mitteln
dürfte gar nichts zu erwarten sein.
Archiv für physiologische Heilkunde, von Roser und Wunderlich, 1845, N. 2.
166 Bindehaut.
IX. Partielle Wucherung der Bindehaut.
a) Partielle Wucherungen, analog den Wundgranulationen, bemerkt
man am häufigsten im Tarsaltheile der Bindehaut, und zwar in Folge von
Abscessen (Gerstenkörnern), welche sich nach innen (durch die Binde-
haut) entleert haben. Oft findet man zwischen den warzen- oder poly-
penähnlichen dunkelrothen Auswüchsen mittelst einer Sonde noch den
Eingang in die Abscesshöhle. An den Bestand dieser Granulationen (im
eigentlichen Sinne des Wortes) knüpft sich in der Regel ein Zustand der
Bindehaut, welcher dem als Katarrh beschriebenen mehr weniger nahe
oder gleich kommt; diesen letzteren gründlich zu beseitigen, müssen jene
Karunkeln abgetragen oder abgeätzt, und etwaige Reste des Hagel- oder
Gerstenkorns nach den (weiter unten anzugebenden) Regeln beseitigt
werden. Von ähnlichen Wucherungen als Hüllen fremder Körper in oder
unter der Bindehaut haben wir bereits Seite 153 gesprochen.
b) In dem innern Augenwinkel habe ich bei 3 Individuen, einem
Goldarbeiter von 42, einem Lederlakirer von 45, und einem Dienst-
mädchen von 20 und etlichen Jahren eine eigenthümliche Form schwam-
miger Excrescenz der Bindehaut gesehen. Bei dem Mädchen, welches
ein Jahr vorher an einem äusserst heftigen (acuten) Gelenksrheumatismus
gelitten hatte, übrigens aber stets gesund gewesen war, hatte sich im
innern Winkel eine erbsengrosse Warze gebildet, welche mit einem sehr
dünnen Stiele zwischen der Thränenkarunkel und der halbmondförmigen
Falte fest sass, und sehr oft reichlich blutete. Nachdem ich den Stiel
knapp an seinem Ursprünge mit einer Scheere durchschnitten hatte, musste
ich den Stumpf wiederholt mit Lapis infernalis betupfen, um die Blutung
zu stillen. Bei den zwei Männern war die ebenfalls auf einem dünnen,
aber sehr kurzen Stiele sitzende Wucherung der Form nach blumenkohl-
ähnlich, blassroth und feinwarzig, wie eine Walderdbeere, weder blutend
noch schmerzend; nur nach der Abtragung erfolgte auffallend reichliche
Blutung, so dass ich jedesmal Lapis oder Cuprum sulfur. anwenden
musste. Überdiess hatten diese Fälle das Eigenthümliche, dass bei dem
einen durch iy2, bei dem andern durch zwei Jahre die Abtragung und die
Atzung der Basis von Zeit zu Zeit wiederholt werden musste, da immer
wieder an irgend einer andern Stelle ein neuer Schwamm emporschoss
und wucherte, bis endlich die ganze Partie vom Thränenpunkte bis zur
albmondförmigen Falte und Thränenkarunkel in Folge der wiederholten
Polypöse und schwammige Excrescenzen — Krebs. 167
Touchirung ein glattes, gleichsam gegerbtes Aussehen bekam. Der Gold-
arbeiter ist jetzt gegen 2, der Lakirer über 4 Jahre geheilt geblieben.
c) Der Markschwamm der Bindehaut (den ich nach eigenen Be-
obachtungen wenig kenne) entsteht nach Chelius *) entweder unter der
Form von blass- oder gelblichrothen, den gewöhnlichen Schleimpolypen
ähnlichen Geschwülsten, welche einzeln oder zu mehreren von der Con-
junctiva bulbi, vorzüglich an der untern Übergangsfalte sich entwickeln,
verschiebbar und schmerzlos sind, und bei ihrer Vergrösserung sich über
die ganze Bindehaut ausbreiten ; oder es bildet sich ein rother oder
bläulicher Fleck in der Conjunctivae welcher sich zu einem Knötchen
erhebt, und in kürzerer oder längerer Zeit sich zu einer weichen schwam-
migen Masse vergrössert; oder es entsteht in dem wuchernden Knötchen
ein Geschwür, aus dem sich die fungöse Masse erhebt. — In dem einen
wie in dem andern Falle vergrössert sich die Masse oft sehr rasch, und
treten dann die Charaktere solcher Geschwülste und Geschwüre deut-
licher hervor, während zu Anfang eine Unterscheidung von den soge-
nannten gutartigen Geschwülsten und Wucherungen oft nicht möglich ist.
Chelius erzählt S. 488 folgenden Fall. „Bei einem 50 Jahre alten, dem Anscheine
nach völlig gesunden Manne entstanden auf beiden Augen hohnengrosse, in ihrer Be-
schaffenheit den Schleimpolypen vollkommen ähnliche , schmerzlose und bewegliche
Geschwülste in der Conjunctiva sclerae, welche ausser einer höchst unbedeutenden
Beschwerde bei den Bewegungen der Augenlider und des Augapfels mit gar keiner
weitern Veränderung des Auges verbunden waren. Die Geschwülste wurden mitttelst
Pincette und Scheere vollständig exstirpirt, und die Wunden heilten schnell ohne irgend
einen Zufall. — Nach einiger Zeit entstanden wieder ähnlische Geschwülste in der
Conjunctiva, zugleich aber auch eine Anschwellung der linken Mandel und Beschwerde
beim Schlingen. Nachdem diese wieder abgetragen waren, wurde der Kranke, da jetzt
der bösartige Charakter des Übels sich offenbar zeigte, der Schmier- und Hungercur
unterworfen, welche kräftig einwirkte, den Kranken in den höchsten Grad von Abma-
gerung versetzte, und die Anschwellung der Mandel völlig entfernte. Der Kranke er-
holte sich bald und gewann ein gutes Aussehen; es wurde ihm ein Haarseil in den
Nacken gesetzt. Da das Wohlbefinden lange Zeit ganz ungestört blieb, und keine Spur
der früheren Geschwülste sich zeigte, so liess der Kranke das Haarseil eingehen —
und nun dauerte es nicht lange, so stellten sich ähnliche Anwüchse in beiden Nasen-
höhlen ein, welche sich schnell vergrösserten, so dass ich eine Masse derselben mit
der Polypenzange auszog , welche eine ganze hohle Hand füllte. Nach einiger Zeit
entstand Auftreibung der Nasenwurzel, die Knochen wurden durchbrochen, und es ent-
wickelte sich ein Schwammgewächs, welches die Grösse einer Faust erreichte, häufig
blutete, und plötzlich unter den heftigsten Schmerzen sich abstiess. Der Krake erholte
sich wieder, und es hatte den Anschein, als weun die eiternde Stelle sich vernarben
*) Handbuch der Augenheilkunde, Stuttgart 1839, II. B. S. 166.
168 Bindehaut.
wollte. Allein die Wucherung des Schwammgewächses begann wieder, und führte
später den Tod durch Hirnaffection herbei.
X. Ergüsse unter der Bindehaut.
1. Blutergüsse (Apoplexie) unter die Conjunctiva, namentlich am
Bulbus, kommen dem praktischen Arzte ziemlich häufig- zu Gesichte wegen
des Schreckens, in welchen sie den Betroffenen zu versetzen pflegen.
Sie haben indessen in der Regel sehr wenig zu bedeuten, und erfordern
an und für sich kaum jemals eine ärztliche Behandlung. Sie entstehen
theils nach Schlägen auf die Augen und deren Umgebung, theils nach
forcirtem Blutandrange und gehemmtem Rückflusse, wie z. B. beim Heben
schwerer Lasten, beim Erbrechen, schwerer Stuhlentleerung, Niesen,
Husten, besonders Keuchhusten u. dgl., theils auch ohne äussere Veran-
lassung, namentlich bei älteren Personen, und in Folge allgemeiner Blut-
erkrankung, beim Scorbut. Will man ihre Aufsaugung beschleunigen, oder
den etwa misstrauischen Kranken von andern Mitteln abhalten, so gebe
man Einreibungen von Tinct. arnicae mit Spir. roris marini an die äussere
Fläche der Lider. Dem massenhaft angehäuften Blute durch einen Ein-
schnitt in die Bindehaut einen Ausweg bahnen zu müssen, wird wohl
selten angezeigt sein. Der Ecchymosen bei Entzündungen der Bindehaut
wurde bereits oben erwähnt.
Lufterguss (Emphysem) unter der Bindehaut soll, als äusserst
seltene Erscheinung, bei Knochenbrüchen, namentlich des sinus front, vor-
kommen. Sollte derselbe grosse Spannung verursachen, so mache man
einen feinen Einstich, und lasse den Kranken das Schneuzen vermeiden.
Seruinerg&iss (Ödem) kommt als selbstständige Krankheit wohl
selten vor, meistens symptomatisch, und zwar bei Hydrops anasarca, mit
Ödem der Lider zugleich, bei Ophthalmia catarrhalis, namentlich bei altern
Leuten, wo das Oedema conjunctivae bulbi bisweilen auffallend in den Vor-
dergrund der Erscheinungen tritt, bei Erysipelas faciei et palpebr., bei
rheumatischer Hörn- und Regenbogenhautentzündung, insbesondere aber
bei Entzündungen mit Eiterbildung, diese mag nun in den Lidern, im Thränen-
sacke, in den Gebilden des Bulbus oder in den demselben benachbarten tie-
fern Organen ihren Sitz haben. Das Ödem der Conjunctiva bulbi erscheint
in Form gleichmässiger, weicher, mehr weniger hoher durchscheinender
und blasser Schwellung und Lockerung der Bindehaut, oder in Form
blassgelber oder blassrother (von feinen Gefässchen überschlängelter)
Ödem— Abscess — Einfache Cysten. 169
Wülste zuerst an der Peripherie, dann auch nächst der Cornea — dem
Sitze des Abscesses, wenn es durch einen solchen bedingt ist, im Allge-
meinen immer zunächst, oder daselbst doch früher und stärker ent-
wickelt. Es ist bisweilen das erste -Symptom, welches den Arzt auf einen
benachbarten Entzündungs- oder Eiterherd aufmerksam macht. Nach dem
Schwinden desselben bleiben gern ecchymotische Stellen zurück. Es er-
fordert an und für sich keine Behandlung, nur verbietet es, es mag was
immer für eine Bedeutung haben, jederzeit die Anwendung kalter Um-
schläge, und ebenso alle Arten von Augen wässern, Tropfen, Salben u. dgl.
aufs Auge. Trockene warme Tücher, leicht über das Auge herabhängend,
ohne es ganz zu verdecken oder zu drücken, sind im Allgemeinen das
Mittel, welches die Gegenwart dieses Zufalles erheischt.
Eine Art chronischer seröser Infiltration der Bindehaut rings um
die Hornhaut, als ein l1/^ — 2 Linien breiter flacher Wulst kommt bisweilen
in Folge von Entzündung der vordem Partie der Selera vor, welche bald
mit Keratitis, bald mit Iritis combinirt auftritt, und später besonders be-
sprochen werden soll. Die Kunst scheint nichts beitragen zu können,
diesen Zustand rückgängig zu machen.
Eitererguss (Abscesse) unter der Bindehaut habe ich einige Male
bei scrofulösen Kindern gegen den äussern Augenwinkel hin gesehen,
ohne ermitteln zu können, welche Erscheinungen vorausgegangen waren.
Ich halte die Bildung solcher umschriebener Eiterherde für analog der
Bildung von Gerstenkörnern in den Lidern, und glaube, das Makenzie,
1. c. S. 189 solche Fälle vor sich gehabt habe, als er die Schilderung
der „phlegmonösen Entzündung unter der Bindehaut" entwarf. Ich füge
nur noch hinzu, dass der Eiter in einigen Tagen verschwand, ohne dass
es zu irgend einem Durchbruche der Bindehaut kam, welche überhaupt
wenig (nur durch Hyperämie) an dem Processe Antheil zu nehmen schien.
Cystenbildung unter der Conjunctiva bulbi gehört unter die sel-
tensten Erscheinungen. Die Bildung einfacher seröser Cysten unter der
Bindehaut habe ich in Folge von Stössen auf den Bulbus beobachtet. *)
Einen Fall dieser Art, den ich im Jahre 1841 auf der Klinik beobachtete,
hat Prof. Fischer in seinem Lehrbuche S. 23 beschrieben.
Eine Frau von 43 Jahren stiess sich mit einem Baumaste an das rechte Auge
(s/4 Jahre vor ihrer Aufnahme) , worauf sich Verlust des Gesichtes und heftige ent-
zündliche Zufälle einstellten. Nach Verlauf einiger Tage sah sie wieder, jedoch doppelt.
(Das linke Auge war von Jugend auf phthisisch.) Wir fanden unterhalb der Cornea
*) Vergl. Schön, pathologische Anatomie de» Auges, Hamburg 1828, S, 166.
170 Bindehaut.
eine zuckererbsengrosse, weisslichgraue, elastische, verschiebbare, unschmerzhafte, von
den Lidern nicht ganz bedeckbare, mit einer klaren, eiweissähnlichen Flüssigkeit ge-
füllte Blase , welche zwischen der Conjunctiva und der Sclera sass, und nach Auf-
schlitzung der erstem leicht angeschält werden konnte. Die Iris war nach oben und
innen vom Ciliarbande in mehr als l/4 ihres Umfanges losgetrennt, und dieser Streifen
so gelagert, dass neben der in einen schmalen Streifen verwandelten natürlichen Pupille
noch eine grosse, dreieckige, künstliche Pupille (nach innen und oben) bestand, und
nur durch letztere das Sehen vermittelt wurde. Theils nach diesem Befunde, theils
nach den Angaben der Kranken musste man annehmen, dass der Stoss das untere Lid
und durch dasselbe den Bulbus gerade da getroffen hatte, wo sich später jene Cyste
entwickelte. — Auf welche Weise solche Cysten von der durch einen Riss der Sclera
unter die Conjunctiva bulbi vorgefallenen Krystalllinse unterschiedeu werden können,
kann erst bei den Krankheiten der Krystalllinse angegeben werden.
Spontan entwickelt sich unter der Conjunctiva bulbi der Cysticercus
cellulosae (Finnenwurm). Ich fand in den zwei Fällen, die ich beobach-
tete, eine erbsengrosse Blase mit fast durchsichtigen Wandungen und
fast wasserklarem Inhalte; an der Basis erschien die Hervorragung etwas
eingeschnürt; die Cyste liess sich auf der Sclera hin und her schieben,
und die sie bedeckende Bindehaut war von einzelnen Gefässen überzogen.
Sicher stellen liess sich die Diagnosis erst nach dem Ausschälen der
Cyste, aus dem Auffinden der eigenen Hülle, der Saugnapfe und des
Hakenkranzes. Die Cyste hatte sich ohne bekannte Veranlassung unter
geringen entzündlichen Zufällen entwickelt, und in Zeit von einigen Mo-
naten die genannte Grösse erreicht. Eine besondere Disposition liess
sich nicht nachweisen, die Individuen waren jugendlich, das eine 32, das
andere 26 Jahre alt. Sichel (Gaz. d'Hop. 1845 N. 55) beobachtete einen
Cysticercus subconjunctivalis bei einem l1^ Jahre alten Knaben mit scro-
fulöser Anlage. Baum (Ammons Monatschr. 1838 H. 1) und Höring (ibid.
1839 H. 5) haben ähnliche Beobachtungen veröffentlicht.
In den Tropenländern hat man nicht selten Gelegenheit, Augenentzündungen zu
beobachten, welche durch die Gegenwart von Filaria medinensis unter der Conjunctiva
(im Übergangs- und Scleraltheile) erregt und unterhalten werden. (Vergl. Mongin in
Richter's Chir. Bibl. I. B. S. 90, Bajon über die Krankh. auf der Insel Cayenne 1781,
Gärtner in Schön's pathol. Anat. 1828, S. 226, Larrey, der die Filaria mehrmals in
Ägypten beobachtete, u. m. A.)
XI. Warzen der Bindehaut.
Die hier zu besprechende, meines Erachtens stets angeborene Ab-
normität ist unter den verschiedensten Namen beschrieben worden, von
Verruca. 171
Himhj*) als Chondroma conjunctivae, auch als Lipoma crinosum, von
Gräfe**) als Trichosis bulbi, von Makenüe (Wardrop) einfach als Ge-
schwülste oder Sarkome d. r Conjunctiva, von fiyba ***) als behaarte
Muttermäler u. dgl. m. f) Man findet an der Conjunctiva bulbi dieselbe
Missbildung, welche an der Cutis unter dem Namen Warze, Verruca be-
kannt ist. Ihr Sitz ist zum Theil auf der Cornea, zum Theil auf der
Sclera, also eigentlich in der Gegend des Limbus conjunctivae, da, wo
wir auch die an die Analogie der Conjunctiva mit der Cutis erinnernde
Bläschen- und Pustelbildung am häufigsten bemerken. Unter 5 Fällen,
wozu noch 2 an Thieraugen kommen, war der Sitz des Gewächses nur
ein einziges Mal nicht gegen den äussern Winkel hin, sondern nach innen
und unten. Die Haarbildung auf demselben wird entweder gleich in der
ersten Jugend oder erst zur Zeit der Mannbarkeit bemerkt.
Anna Hrba, 24 Jahre alt, trägt am rechten Auge eine Warze, genau so beschaf-
fen, wie die gewöhnlichen angeborenen Warzen z. B. in der Gesichtshaut vorkommen.
Dieses Gebilde sitzt zum grössern Theile über der Sclera, zum Theile über der Cornea,
gegen den äussern Winkel hin. Es ist von aussen nach innen etwa b'" lang, von
oben nach unten fast 4'" breit, an der erhabensten Stelle etwas über 2'"' hoch, von
der Farbe der allgemeinem Bedeckung, mit vielen kurzen, braunen Härchen besetzt,
gegen die Spitze hin trocken, beim Anfühlen derb, elastisch, nicht schmerzhaft, ein
wenig verschiebbar. Auf der Cornea steiler, gegen den äusseren Winkel hin sich all—
mälig abflachend, geht es unmerklich in die Cornea und in die Conjunctiva bulbi über ;
aus letzterer sieht man, besonders vom äussern Winkel her, viele erweiterte Gefässe
zu demselben hinstreichen. Beim Schliessen der Lider wird es nicht völlig bedeckt.
Von der Hornhaut sind etwa 3/4 frei, vollkommen durchsichtig, und normal gewölbt'
sonst sind alle Theile des Auges gesund, das Sehvermögen etwas schwächer. Das
Gewächs besteht von Geburt an, und soll in den letzten 6 — 7 Jahren merklich an
Grösse zugenommen haben. — Ich nahm die Abtragung mittelst Pincette, Scalpell und
Scheere vor; Blutung und Schmerz waren ziemlich stark; Sclera und Cornea zeigten
sich darunter unversehrt; mit ersterer hing die Geschwulst durch kurzes und derbes
Zellgewebe so fest zusammen, dass ich Mühe hatte, diese Membran rein zu präpariren;
auf der letzteren war die Verbindung bloss an der Peripherie der Geschwulst inniger,
sonst liess sich diese hier leicht ablösen, und die Cornea erschien darunter rein,
durchsichtig, weder merklich vertieft, noch erhaben, und an der Trennungsfläche von
der Warze mit zahlreichen Blutpunkten besetzt. Unter Anwendung von kalten Um-
schlägen bedeckte sich die Wundfläche mit einer weisslichen, dicken, eiterähnlichen
*) Die Krankheiten und fllissbildungen des menschlichen Auges, Berlin 1632, B. II. S. 15 u. 19
••) Gräfe und Walther's Journal, 3. u. 4. B.
*") Ryba in Ammon's Monatsehrift, I. B. G. H.
•y Vergl. meinen Aufsatz in der Prager Vierteljahrschrift, 1846, B. 12, S. 78; ferner Dusensy Dissertation über die
Krankheiten der Hornhaut, Prag 1833 ; Fronmüller in Walter und Ammon's Journal, N. F. II. B. S. 180, und
Küchler ibid. III. B. S. 58 ; Pluskai österreichische medicinische Wochenschrift, 1843, S. 48, und Fischer
Lehrbuch, 1846, S. 303.
172 Bindehaut.
Masse, und nach einigen Tagen mit lebhaft rothen Granulationen ; nach etwa 6 Tagen
rückte die Conjunctiva bulbi von den Rändern her allmällig gegen das Centrum der
Wunde, und umschnürte den 14. Tag die indess hoch emporwuchernden Granulationen,
welche sofort mit Lapis infirnalis touchirt werden mussten. Die entblösstc Stelle der
Cornea wurde allmälig weisslich, sehnig glänzend, doch nicht kleiner. Die Kranke
ging Ende der 4. Woche, noch vor gänzlicher Vernarbung, nach Hause. — Die
abgetragene Warze, einer genauen Untersuchung unterworfen , zeigt alle 3 Schichten
der allgemeinen Bedeckung, Epidermis, Corium und Panniculus adiposus, und ist
zahlreich mit Haaren besetzt. Die Grösse dieser Warze war besonders durch reiche
Fettablagerung in das grobmaschige Zellgewebe ihrer untersten Lagen gegen den
äussern Augenwinkel hin bedingt. Ich bewahre dieselbe nebst einem von Dr. Ryba
dem pathologisch-anatomischen Cabinete übergebenen Auge von einem Rinde mit einer
ähnlichen Bildung auf.
Anhang*.
XII. Krankheiten der Thränenkarunkel,
Die Thränenenkarunkel erscheint als ein röthlichgelbes feinkörniges
Hügelchen auf dem innern Rande der halbmondförmigen Falte, umgeben
von dem hufeisenförmigen Wall, welchen die Cutis bei ihrem Übergange
in die Bindehaut zwischen den Thränenpunkten und dem Ligamentum
palpebr. internum bildet. Sie besteht aus Talgdrüsen, welche durch
lockeres Bindegewebe verbunden sind, und trägt an der Oberfläche feine,
oft kaum bemerkbare Härchen. Die ziemlich regelmässig geordneten
Drüsen sind (nach Huschke) kegelförmige, überall mit Acinis besetzte
Körper, die an der Seite jedes Haares zu 2 — 4, mit ihrem acinösen Aus-
führungsgange allmälig zugespitzt nach der Oberfläche laufen, und sich
in der Haarscheide öffnen. Das Secret ist talgartig, und bestimmt, das
Überfliessen der Thränen über die umgebende Cutis zu verhindern.
Die Entzündung der Karunkel findet man unter dem Namen En-
kanthis inflatn. beschrieben. Ich habe nur Einen Fall beobachtet, den
ich nach den Angaben der Äuctoren für dieses Leiden halten konnte und
inusste. Ein ganz gesund aussehendes, jedoch von einer in hohem Grade
scrofulösen Mutter geborenes Kind von 3/4 Jahren bekam binnen 24
Stunden nach einem Spaziergange Röthe im innern Augenwinkel, Licht-
scheu und Thränenfluss, und äusserte starken Schmerz. Den 3. Tag war
das Auge (das linke) stark nach aussen gedrängt; im innern Winkel sah
Caruncula lacrymalis — Enkanthis inflammata. 173
man eine hellrothe , bohnen- , später haselnuss - grosse Anschwellung
statt der halbmondförmigen Falte und Thränenkarunkel. Da ich an die
Lehre von der Enkanthis nicht recht glaubte, weil ich in der Zeit von
mehr als 6 Jahren nie etwas dergleichen gesehen hatte, so dachte ich
an die Ablagerung von Krebsmaterie in dieser Gegend, und ordinirte
nichts, ausser entsprechende Diät. Nach 5 Tagen ging die Geschwulst
zurück; es schien an einer Stelle sich etwas Eiter entleert zu haben ;
der Augapfel kehrte in seine gehörige Lage zurück, und es blieb zuletzt
keine Spur der Krankheit übrig.
Beer 1. c. I. B. S. 377 sah diese Entzündung ^nach dem Eindringen
fremder Körper, Monteath (bei Makenzie 1. c. S. 198) in Folge einwärts
gewendeter Wimpern, Makenzie nach Verkältting entstehen; Benedikt
eHandb. Thl. I. S. 266) und Weller (Augenkrankh. 1830. S. 169) sahen
sie überdies in Folge griesartiger Concremente der Karunkel selbst
entstehen.
Als Ausgänge dieser Entzündung führen die Auetoren an : a) eitrigen
Schwund, Rhyas, und b) bleibende Vergrösserung oder Wucherung, En-
kanthis. Letztere soll dem Bestreichen mit Laudanum Sydenh. weichen
und ist wohl zu unterscheiden von der medullären und melanotischen
Infiltration dieses Gebildes, welche nicht so selten vorkommen sollen.
Überdiess ist zu bemerken, dass sich auf der Thränenkarunkel bis-
weilen stärkere und längere Wimperhaare entwickeln, welche die Binde-
haut beständig reizen, und desshalb fleissig ausgezogen werden müssen
Trichiasis s. Trichosis caruneulae, und dass sich in derselben so wie
in den Meibom'schen Drüsen nicht selten kalkige Concremente bilden
lithiasis caruneulae, die man einfach anszuschälen hat. Auch Filaria
medinensis und Cysticercus wurden in dieser Partie beobachtet.
II. Buch.
Die Hornhaut, Tunica cornea.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen*^)
Die Hornhaut bildet etwas mehr als den 6. Theil der heutigen
Kapsel des Bulbus, und kann füglich mit einem Uhrglase verglichen werden.
Ihre vordere Fläche ist spärlich gewölbt (nach einem Radius von
3,495'" im Mittel), ihre hinlere ausgehöhlt (nicht sphärisch, sondern para-
bolisch, nach einem Parameter von 5 — 6'" — Krause). Die Basis
der vordem Fläche ist nicht kreisrund, sondern oval, und misst von
einer Seite zur andern 5"', (42/3 — 51//"), von oben nach unten 41/0/",
(475 — 44/5"") ; die Basis der hintern Fläche ist kreisrund, und misst
5 — ÖVg'" im Durchmesser. Die Dicke der Hornhaut, zwischen 0,3 — 0,7'",
also im Mittel l/a'"j ist in der Mitte nicht dieselbe, wie gegen die Peri-
pherie hin, und zwar bei Erwachsenen in der Mitte relativ geringer, beim
Kinde dagegen relativ grösser als am Rande (Rosas), wo sie stets we-
nigstens 7,2 "' beträgt.
Die Wichtigkeit der Kenntniss dieser Grösrenverhältnisse kann erst bei der Lehre
von den Krankheiten der Linse, insbesondere bei der Lehre von der Operation des grauen
Slaares gehörig gewürdigt werden. Rücksichtlich der regelmässig sphärischen Wölbung der
") Hiezu wurden vorzüglich benützt : Rosas Augenheilkunde, 1S30, B.I., -Hyrtl Anatomie, Huschke in Sömmering's
Anatomie, Leipzig 1844, Pappenheim Gewebelehre des Auges, Breslau 1842 und E. Brücke Anatomische Be-
schreibung des menschlichen Augapfels, Berlin 1847,
Anatomie — Physiologie. 175
Cornea soll hier nur in vorhinein bemerkt werden, dass uns die spiegelglatte Ober-
fläehe der Cornea ein Mittel an die Hand gibt, jene zu beurtheilen. Die Cornea stellt
nämlich einen Convexspiegel dar, welcher uns die vorgehaltenen Gegenstände in ver-
kleinertem Maassstabe zeigt. Die Grösse des Spigelbildes auf der Cornea wird bei glei-
cher Grösse und gleicher Entfernung des leuchtenden Objectes, wozu man am besten
die Rahmen eines Fensters wählt, offenbar von der grössern oder geringern Wölbung
der vordem Fläche der Cornea abhängen, und zwar wird eine stärker gewölbte Cornea
(ceteris paribus) ein kleineres Bild geben. Wir werden auf dieses diagnostische Hilfs-
mittel bei der Lehre von der Accomodation des Auges, von der Kurz- und Weitsichtig-
keit zurückkommen, und erwähnen nur noch, dass uns die Abspiegelung der Fenster-
rahmen auf der Cornea zugleich das sicherste und bequemste Mittel bietet, die Regel-
mässigkeit der Cornealoberfläche, die Gegenwart kleiner Erhöhungen öder Vertiefungen
zu erkennen und zu beurtheilen. Ich weiss, dass Fälle mit leichten Vertiefungen (Re-
sorptionsgeschwürchen), oder mit leichter Erhebung des Centruins der Cornea (Kerato-
konus im ersten Beginn) für Schwäche der Sehkraft selbst, für Amblyopia amaurotica
gehalten und behandelt wurden, welche mich das Prüfen des Spiegelbildes der Cornea
sogleich als Cornealleiden erkennen Hess.
Um sich von dem Rande der Cornea und seiner Vereinigung mit
der Sclera eine richtige Vorstellung zu machen, denke man sich den-
selben beinahe parallel zur Sehachse abgeschnitten. (Vergl. Fig. 7 u. 8 der
beigegeb. Tafel). Indem sich die etwas dünnere Sclera an diesen schiefen
Rand anschmiegt, oder vielmehr, indem die Comealfasern in dieser Gegend
plötzlich ihre Natur ändern, in Scleralfasern übergehen, reichen die ober-
flächlichen Faserlagen der Sclera weiter nach vorn, als die tiefern. Dieses
Übergreifen der Sclera über den Rand der Cornea hat im obern und im
untern Umfange der Cornea eine grössere Ausdehnung, als zu beiden
Seiten, gegen welche hin es allmälig geringer wird. Und hiemit erklärt
sich die obige Angabe, dass nur die hintere Fläche der Cornea durch
eine Kreislinie, die vordere dagegen durch eine (ziemlich) ovale Linie
begrenzt sei. Denkt man sich die Scheibe oder Ebene, welche die Iris
bildet, vergrössert, so würde sie von dem vordersten Theile der
Sclera einen Reifen abschneiden, dessen äussere Fläche zu beiden Seiten
mindestens eine halbe, oben nahezu eine ganze, unten etwa 3/4 Linie
breit sein würde. Bei Kindern tritt das Übergreifen der Sclera über die
Cornea weniger (im horizontalen Durchmesser fast gar nicht), bei Greisen
dagegen stärker hervor ; bei Kindern erscheint daher auch die vordere
Fläche der durchsichtigen Hornhaut beinahe kreisrund, bei Greisen stets
eiförmig (das stumpfere Ende von innen, das minder stumpfe nach aussen).
Die Hornhaut besteht aus 2 Membranen, der eigentlichen Hornhaul-
s-ub stanz und der Descemet' 'sehen Haut, und hat sowohl an ihrer vordem
als an ihrer hintern Fläche einen Epithelialüberzug. Den der vordem
176 Hornhaut.
Fläche haben wir gleichsam als Fortsetzung der Binde- über die Horn-
haut bereits kennen gelernt; der der hintern Fläche besteht aus einer
einfachen Lage dünnwandiger sechseckiger Pflasterzellen mit runden
Kernen, und geht nach dem Tode sehr bald verloren.
Die eigentliche Hornhautsubstanz liegt zwischen dem sogenannten
Bindehautblättchen und zwischen der Descemet'schen Haut. Sie besteht
aus Bindegewebsfasern, welche sich netzförmig kreuzen, und mehr in die
Breite als in die Tiefe verflechten, so dass man die Cornea leicht in Fa-
serschichten oder Blätter zerlegen kann, welche deren Fläche parallel
verlaufen. Die Primitivfasern (von 0,005 Millim. Breite und 0,003 Millim.
Dicke) sind glatt, farblos und durchsichtig, und liegen in den einzelnen
Bündeln regelmässig neben einander. Im Wasser werden sie opalartig
getrübt, und schwellen rosenkranzähnlich an. Sie schliessen viel farblose,
durchsichtige, wässrige Flüssigkeit zwischen sich ein, nach deren gewalt-
samer Auspressung die Cornea welk, matt und undurchsichtig erscheint ;
sie wird aber wieder hell, wenn man sie in Wasser legt. Durch längeres
Kochen löst sich das Hornhautgewebe in Chondrin (Knorpelleim), also
nicht wie die Sclera und anderes Bindegewebe in Leim (Tischlerleim)
auf; durch Mittel, welche Eiweiss und Gallerte gerinnen machen (Wein-
geist, Mineralsäuren, siedendes Wasser), verliert sie ihre Durchsichtigkeit.
Das Gewebe der Hornhaut muss daher als ein eigenthümliches, von dem
der Sclera in vielen Beziehungen verschiedenes bezeichnet werden. —
Das Gewebe der Hornhaut geht unvermerkt in das der Sclera über. Die
Faserbündel schieben sich gleichsam in einander. Die Verbindung der
Sclera mit der Cornea ist eine unzertrennlich feste, und die Grenzlinie
ist an der vordem Fläche nur durch die Durchsichtigkeit und Undurch-
sichtigkeit der Fasern angegeben. An der hintern Fläche dagegen be-
findet sich eine Furche, welche, indem sie durch die Descemet'sche Haut
gedeckt wird, ein Kanälchen, den Canalis Schlemmii *) darstellt, bei Er-
henkten oft mit Blut gefüllt, und ungefähr so geräumig sein soll, um
eine dünne Borste aufzunehmen (Brücke). (?)
An die Hornhautsubstanz hinten angelagert, und mit ihr fest, wenn
auch nicht unzertrennlich vereinigt, ist die Descemet'sche Haut, schon
1729 von Buddel zu London, später (1758) von Descemet und Demours
beschrieben. Nach Henle hat sie mit der Linsenkapsel ganz gleiche phy-
sikalische Eigenschaften und wird als „Glashaut" beschrieben, weil sie
a) Der Canalis Schlemmii scheint eine Art Sinuj venosus für die Cornea zu sein; Brücke gelang es, von demsel-
ben aus die Venen zu injiciren , welche die vordem Ciliararterien begleiten. I. c. S. 50
Anatomie — Physiologie. 177
farblos und so gleichförmig durchsichtig ist, wie Glas. Sie lässt durchaus
keine Faserung, höchstens eine leichte Streifung wahrnehmen*), kann
vermög ihrer Brüchigkeit und festen Vereinigung mit der eigentlichen
Cornea von dieser nur in kleinen Partien gelöst werden, und rollt sich
sogleich wie Papier, welches lange zusammen gerollt war. Nur nach
längerer Maceration der Cornea in Wasser wird ihre Verbindung mit
dieser so gelockert, dass man sie in ihrer ganzen Ausdehnung ablösen
kann.**) Sie selbst wird weder durch diese Maceration, noch durch
Aufbewahrung in Weingeist oder in Säuren getrübt. Sie reicht etwas
weiter rückwärts, als die Cornea, endet ringsum (Henle) mit einem zu-
geschärften Rande zwischen Cornea und Ligamentum ciliare da, wo von
diesem die Iris nach dem Centrum hin abgeht, hängt mit jenem Liga-
mentum fest zusammen, und bedeckt somit den Canalis Schlemmii von
innen her. Gefässe und Nerven sind in ihr ebenso wenig nachgewiesen,
als deutliche Faserung. Sie ist, wie wir sehen werden, einer bedeu-
tenden Ausdehnung fähig, wen diese allmälig erfolgt.
Huschke betrachtet diese Membran, welche nach Henle l/l43'", nach Krause y2So'"
dick ist, als Fortsetzung der Lamina fusca, etwa in der Art, wie man die Cornea als
Fortsetzung der Sclera betrachten kann. „Untersucht man die Haut kurz vorher, ehe
sie sich mit dem Ciliarband verbindet, so wird man sehen, dass sie die glasartige Be-
schaffenheit verliert, und die beginnende zellfaserige Textur nicht verkennen. Sie wird
zugleich hier locker, dicker, und zieht man sie an, und hebt das Ligamentum pecti-
natum iridis mit ab, so kann man sie über den Boden der Scleroticalfurche weg ver-
folgen, und es werden Stücke von der innern Hautschicht der Sclerotica {Lamina fusca)
mit abgelöst."
Die Hornhaut ist farblos, vollkommen durchsichtig, sehr fest und
dicht, biegsam und elastisch. Nach Rosas ist sie in spätem Jahren dichter,
als bei Kindern, wo sie dafür, wenigstens in der Mitte, relativ dicker ist.
Sie ist einer sehr starken momentanen Abplattung fähig, ohne zu bersten :
diess beweisen jene Fälle, wo die Iris theilweise oder ringsum vom Ciliar-
bande losreisst, wenn ein Stoss die Hornhaut trifft. Eher berstet die
Sclera an irgend einer Stelle ihres vordem Umfanges und lässt die Con-
tenta des Bulbus, namentlich die Iris oder die Linse unter die Bindehaut
austreten; Rupturen der Cornea gehören zu den grössten Seltenheiten.
5) Dr. von Hessling in Jena (Froriep's Notizen, 1848, N. 111) will in der Descemefschen Haut des Ochsenauges
deutliche Faserung gesehen haben, was auch Pappenheim und Valentin behaupten.
-~) An einem Kaninchenauge, an welchem ich 10 Tage vorher die Discissio capsulae lentis per corneam gemacht
hatte, und massige Entzündung der Iris eingetreten war, blieb, als Prof. Bochdalek die. Sclera in der Gegend
der Insertionsstellen der 31. recti durchschnitten hatte, und diese sammt der Cornea nun vorsichtig abzog, die
ganze Descemet'che Haut iu ihrer Verbindung mit dem Ligamentum ciliare zurück, offenbar weil ihre Verbindung
mit der Curnea locker geworden war. Ich bewahre das Präparat in Weingeist.
Arlt, I. f2
178 Bindehaut.
Ein Fall dieser Art soll von St. Yves beschrieben worden sein; Dr. Müdner
schildert einen Fall in der Prager Vierteljahrsschrift, 13. B. S. 65. Der Riss ging in
beiden Fällen von der Descemet'schen Membran aus, und betraf jedenfalls nur die
tiefern Schichten, wenn nicht vielleicht die Wasserhaut allein.
In den ersten Monaten des Fötuslebens ist die Hornhaut undurch-
sichtig, opalartig; eine solche Trübung bleibt bisweilen nach der Geburt
Monate- Jahre-lang zurück. — Andrerseits tritt im hohem Alter, aus-
nahmsweise schon ums 40. Jahr herum, eine Trübung der Hornhaut ein,
welche von eigentlich krankhaften Zuständen wohl unterschieden werden
muss. Es ist diess der unter dem Namen Greisbogen (Gerontoxon, Arcus
senilis) bekannte graue Streifen, welcher den Kand der Hornhaut in Form
eines Regenbogens ganz oder zum Theil einnimmt, und worauf wir später
zurückkommen werden.
Die Hornhaut besitzt bei ihrer bekannten geringen Empfindlichkeit
dennoch nicht nur Nerven, welche Bochdalek, Schlemm, Pappenheim u. A.
als Zweige der Ciliarnerven ziemlich weit über den Rand hinein ver-
folgt haben, sondern auch Gefässe, und zwar Vasa serosa, welche für
gewöhnlich nur Blutplasma, bei congestiven und entzündlichen Zuständen
aber auch Blutkügelchen führen. Römer, Schröter, van der Kolk, Hyrll
und J. Müller haben Blutgefässe der. Cornea injicirt, und Huschke glaubt
wenigstens beim Pferdeauge , durch vordere Ciliararterien Leimmasse
in die Hornbautgefässe getrieben zu haben. — Beobachtungen am Kran-
kenbette haben mich überzeugt, dass es eine doppelte Lage von Blut-
gefässen in der Cornea gibt, nämlich eine oberflächliche, nahe unter dem
Eptlhelium der Cornea, und eine tiefere, nächst der Wasserhaut. — Die
oberflächlichen Gefässe kommen ganz gewiss von den vordem Ciliar—
und den Muskelästen der Arteria ophlhalmica. Diese werden bekanntlich
in der Gegend der Sehnen der geraden Augenmuskeln als bläulich rolhe
Äderchen auf der Sclera sichtbar, laufen geschlängelt gegen die Cornea
hin und spalten sich hier in oberflächliche und tiefere Zweige. Die tiefern
dringen 1 — 2" hinter der vordem Grenzlinie der Sclera, durch diese in die
Tiefe zur Iris und zum Corpus ciliare. Sie sind nicht an allen Augen
gleich mächtig und zahlreich, und werden manchmal, auch nachdem sie
längere Zeit sehr stark ausgedehnt gewesen waren, wieder unsichtbar;
rostfarbige oder schiefergraue Punkte, wie Stecknadelstiche bleiben dann
als Spuren an den Durchbohrungsstellen der Sclera zurück. Die ober-
flächlichen lösen sich in jenes feine Gefässnetz auf, welches im vor-
dersten Theile der Tunica vaginalis bulbi mit jenem Gefässnetze anasto-
mosirt, welches die von der Arteria larsea superior et inferior und Art.
Anatomie — Physiologie. 179
lacrymalis kommenden Gefassehen der Conjunctiva bulbi bilden. Dieses
Gefässnetz der vordem Ciliararterien ist im normalen Zustande nicht
sichtbar, tritt aber oft wie mit einem Schlage, nach Einwirkung eines
heftigen Reizes auf den Augapfel, noch deutlicher bei acuten Entzün-
dungen der Cornea, Iris oder Chorioidea als die feinste Injection, als
rosenrother Saum rings um die Cornea in die Erscheinung. Aus diesem
Netze nun entwickeln sich ringsum zahlreiche Gefässreiserchen, welche
theils in den Limbus conjunctivae corneae eintreten, theils unter demselben
wie unter einem Gürtel in die Substauz der Cornea oberflächlich ein-
dringen, und dort centripetal verlaufen. (Nach Römer theilt sich jedes
solches Gefässreiserchen in der Cornea in 2 — 3 sehr feine Ästchen, deren
Ende sich in der Mitte der Cornea deutlich in die Tiefe senken, und in
deren Substanz verlieren.) — Die tiefere Gefässlage der Cornea erhält
ihre Zweigchen wahrscheinlich aus dem Circulus arteriosus iridis major,
also von den hintern langen Ciliararterien, und wohl zugleich auch viele
von jenen Zweigchen der vordem Ciliargefässe, welche die Sclera nahe
an der Cornea durchbohren ; erstere dürften die Ciliarnerven, welche vom
Ligamentum ciliare zur Cornea treten, in ihrem Laufe begleiten.
Man sieht häufig Zweigchen der vordem Ciliararterien so nahe am Rande der
Cornea, kaum V2'" weit von der Grenzlinie der vordem Cornealfläche entfernt, sich
durch die Sclera in die Tiefe senken, dass sie, ohne unter einem spitzigen Winkel
rückwärts zu gehen - — was jeder Wahrscheinlichkeit entbehrt — gar nicht zur Iris
gelangen könnten. — Alan kann die Gefässe, welche man am Krankenbette in der
Cornea beobachtet, und deren mehr weniger tiefe Lage sich am besten nach ihrem
Abstände vom Limbus conjunctive schätzen lässt, keineswegs sammt und sonders für
neugebildete halten; man wird sich bald überzeugen, dass sich in sehr vielen Fällen
das Dasein von blutführenden Gefässen nicht als Neubildung, wohl aber als Erweite-
rung schon bestehender Kauälchen deuten und begreifen lässt; man wird diese Deu-
tung einzig und allein -zulassen müssen, wenn man findet, dass der Verlauf solcher
Gefässe ein bestimmter, centripetaler ist, wenn man sie in ganz durchsichtiger Substanz
und zwar sehr bald — ■ 2 bis 3 Tage — ■ nach dem Beginn der Entzündung verlaufen
sieht, wenn man sie an Augen findet, welche die Zeichen von Iris oder Chlorioiditis,
keineswegs aber deutliche (plastische) Exsudation in der Cornea darbieten. — Ich sah
mehrere Male nach Beendigung des, noch ganz im Bereiche des durchsichtigen Theiles
der Cornea geführten Hornhautschnittes (behufs der Extractio cataractae) eine leichte
Blutung eintreten, welche, da auch die Iris nicht im mindesten verletzt worden war,
sich nur dann begreifen liess, wenn man annahm, es seien mit dem Durchschneiden
der Cornea zugleich Gefässchen durchschnitten worden, welche etwas Blut austreten
lassen konnten. *) — Mit der Breite des für den Eintritt der Ciliararterien in die Cornea
*) Dr. Pilz, welcher zu der Zeit, wo ich diesem Gegenstände speciell meine Aufmerksamlieit widmete, mein Assistent
war, und gemeinschaftlich mit mir Beobachtungen und Untersuchungen darüber anstellte, hat bereits im Jah
181S im 20. Bande der Prager Vierteljahrschrift einen grossen Theil derselben veröffentlicht.
12*
180 Hornhaut.
bestimmten Saumes der Sclera und Conjunctiva stimmt auch die Zahl und Mächtigkeit
der vordem Ciliararterien überein. Die stärksten und zahlreichsten Ästchen derselben
kommen von oben, wo jener Saum bekanntlich am breitesten ist; von der Sehne des
M. rectus externus her kommt nur eine vordere Ciliararterie, und dem entsprechend ist
auch jener Saum gegen den äussern Winkel hin am schmälsten. ' Wie die Iris ihre
mächtigsten Blutgefässe (die hintern langen Chiliararterien) im horizontalen, so erhält
die Cornea ihren Nahrungsstoff vorwaltend im verticalen Durchmesser ihrer Basis.
Was den Einfluss der Nerven auf das Leben der Cornea betrifft, so ist derselbe
bekanntlich durch Fodera, Mayo, Magendie u. A. hinreichend nachgewiesen worden,
und ich erlaube mir, die Resultate der Versuche, welche Szokalsky *) mit Longet und
Pappenheim hierüber angestellt haben, in Kürze mitzutheilen. Nach Durchschneidung
des Trigeminus diesseits des Ganglion Gasseri geht zunächst das Tastgefühl im Bereiche
der durchschnittenen Nerven verloren, und es wird somit auch die Bindehaut un-
empfindlich. Die Pupille verengert sich stark, ohne ihre Veränderlichkeit bei verschiede-
nen Lichteindrücken einzubüssen. Einige Stunden nachher fängt die Pupille an, weiter
zu werden, ohne ihre Beweglichkeit zu verlieren. Um dieselbe Zeit den 2. Tag fängt
die Hornhaut an, undurchsichtig zu werden, und zwar zuerst in ihrer Mitte, ohne ihre
Glätte an der Oberfläche zu verlieren. Die Cornea erscheint, wenn man sie jetzt ana-
tomisch untersucht, an der Stelle der Trübung dicker, ohne dass man in derselben
Spuren einer Neubildung nachweisen kann. — Lässt man das Thier länger leben, so
merkt man, dass die Hornhauttrübung sich gleichmässig von der Mitte nach der Peri-
pherie verbreitet. Am 8. oder 10. Tage ist sie milchweiss, und sieht wie angeschwollen
(erhaben) aus. Anatomisch untersucht erscheint die Hornhaut jetzt noch mehr verdickt,
und zwar nicht bloss wie früher durch wässerigen Erguss, sondern auch durch ein
organisationsfähiges, körniges Exsudat. — Bleibt das Thier noch länger am Leben, so
fängt die Cornea an, sich in der Mitte zu erweichen, das Bindehautblättchen fällt ab,
und die Cornealsubstanz löst sich schichtenweise auf. Durchlöcherung der Cornea und
Entleerung der Contenta des Bulbus sind die weitern Folgen. — Wenn man den
Krankheitsprocess, welcher in der Hornhaut nach der Durchschneidung des N. trige-
minus statt findet, in nähere Erwägung bringt, so sieht man, dass er sich wesentlich
von dem Entzündungsprocesse unterscheidet. „In den zahlreichen Untersuchungen,
welche ich mit Dr. Pappenheim gemacht habe, hat keiner von uns in der entarteten
Hornhaut weder Entzündungskugeln noch Eiterkörperchen gefunden; der aus der Ver-
wesung der Cornea hervorgegangene Detritus bestand aus dem körnigen Exsudat und
den in kleinere Theilchen zerfallenen Hornhautfasern." Es muss übrigens noch bemerkt
werden, dass, wenn die Durchschneidung zwischen dem Ganglion Gasseri und dem
Gehirn vorgenommen wird, wohl das Tastgefühl verloren geht, die Hornhaut aber ihre
Durchsichtigkeit behält, mithin die Trübung und Zerstörung der Cornea eigentlich von
der Zerstörung des Ganglion Gasseri und des grossen sympathischen Nerven abhängt,
welcher mit diesem Ganglion und mit dem Ramus ophthalmicus trigemini in nähere
Vcrhindung tritt. Welchen Einfluss die Durchschneidung des Halstheiles des Sympath.
inagnus auf die Ernährung des Auges, in specie der Cornea nehme, hat bereits
Poürfour du Petit 1712 durch Experimente an Hunden gezeigt.
'■) Ruscr un.l Wim. Ii-rliu'li Aichiv, b. Jalll
Anatomie — Physiologie. 181
Der Stoffwechsel in der Cornea muss ein sehr lebhafter sein, weil
beträchtliche Wunden derselben in kurzer Zeit per primain intentionem
heilen, weil selbst bedeutende Substanzverluste vollkommen (ohne blei-
bende Narben) gedeckt werden können, und weil ausgebreitete Exsudate
in derselben von selbst (oder unter Anwendung reizender Mittel) zur
Resorption gebracht werden. Diejenigen, welche der Cornea Blutgefässe
(Vasa serosa) absprechen, suchen die Quelle ihrer Ernährung im Humor
aqueus. Dieser kann aber zu diesem Zwecke nicht bestimmt sein, weil
die Cornea von ihrer Durchsichtigkeit nichts verliert, wenn der Humor
aqueus durch irgend eine Öffnung (Fistel) der Cornea Tage- Wochen-lang
aussickert, oder wenn die Iris und die Cornea durch faserstofl'iges
Exsudat so mit einander verklebt sind, dass die Durchtränkung der Cor-
nea mit Humor aqueus nichts weniger als wahrscheinlich ist.
Die Function der Cornea besteht vorzüglich in der Aufnahme und
Brechung der Lichtstrahlen, welche unter einem kleineren Winkel als
48° auf ihre Oberfläche gelangen. Sie wirft jedoch nicht nur die unter
einem grössern Winkel, sondern auch einen Theil der unter einem kleinern
Winkel auffallenden Strahlen zurück, da sie gleich andern durchsichtigen
Medien nicht absolut für alles Licht permeabel ist; hierauf beruht das
Phänomen der Spiegelung der Cornea. — Wenn wir auch nicht im
Stande sind, die Strahlenbrechung durch die Cornea und den Humor
aqueus mathematisch nachzuweisen, da uns hiezu nicht nur mathematisch
scharfe Angaben über die Krümmungshalbmesser der Cornealoberflächen
und über die Dicke der Cornea, sondern auch über die Brechungs-
exponenten (Dichtigkeitsverhältnisse) dieser durchsichtigen Medien fehlen :
so sind wir doch im Besitze positiver Thatsachen, welche beweisen, dass
Cornea und Humor aqueus vereint die Lichtstrahlen convergent zum
Achsenstrahle brechen, und dass namentlich die Krümmung (Wölbung)
der Cornea für den Refractionszustand des Auges nichts weniger als
gleichgiltig ist. Vorläufig möge es genügen, zu bemerken, dass Leute,
denen die Krystalllinse mangelt (nach Staaroperationen — wo, wie wir
nachweisen werden, von einer Regeneratio lentis keine Rede sein kann),
mit freiem Auge noch so feine Gegenstände in verschiedenen Distanzen
zu unterscheiden vermögen, dass eine Vereinigung der Lichtstrahlen auf
der Netzhaut nothwendig vorausgesetzt werden muss.
Dr. Meyer *) fand an Ochsenaugen die Brennweite länger, wenn er Cornea und
Humor aqueus entfernt hatte, und vindicirt der Cornea im Verein mit dem Humor
-) Prager medic. Vierteljahrschrift, 28. Band, ausserordentliche Beilage, S. 1.
182 Hornhaut.
aquens als einen Sammelmeniscus einen wesentlichen Antheil an der Strahlenbrechung.
Wenn dagegen Professor Engel *) die Linse als das einzige lichtbrechende Medium
angesehen wissen will, so kann seinen Angaben schon darum kein Vertrauen geschenkt
werden, well er einen der wichtigsten Umstände ganz übersehen hat, nämlich dass
die Linse im Auge nicht wie bei seinen Experimenten von Luft, sondern von Medien
umgeben ist, welche die Brechung der Lichtstrahlen beim Ein- und Austritte aus der
Linse wesentlich modificiren müssen. „Es beruht auf einem Irrthume, wenn man glaubt,
die Krystalllinse müsse die stärkste Brechung einleiten, weil sie den höchsten absoluten
Brechungscoeflicienten (= 1,47) hat. Sie wirkt vielmehr schwächer, als die Hornhaut,
weil diese ihren absoluten (=1,33), jene dagegen nur ihren verhältnissmässigen Bre-
chungscoefficienten (= 1,102) in Rechnung bringen kann." Valentin. **)
Wenn aber die Cornea als ein zur Strahlenbrechung wesentliches
Organ des Auges erklärt, und ihr somit ein entschiedener Einfluss auf
den Refractionszustand des Auges (Kurz- oder Weitsichtigkeil) vindicirt
wird, so soll damit keineswegs behauptet sein, dass die momentanen Ver-
änderungen, welche man mit dem Worte Accomodation des Auges an-
zudeuten pflegt, irgendwie in der Cornea zu suchen seien, im Gegentheil
wir werden bei der Lehre von der Accomodation beweisen, dass die
Cornea an dieser Function sich durchaus nicht betheilige, nicht betheiligen
könne. — Nicht nur die Durchsichtigkeit, sondern auch die Glätte und der
Glanz der Cornea setzen zunächst die normale Erzeugung des Epitheliums
auf der Cornea und dessen beständige Auflösung in der Thränenflüssigkeit
voraus. Hiezu ist vor allem die öftere Wiederholung des Augenlidschlages
nothwendig, und das Mattwerden der Cornea der Sterbenden ist gewiss
vor allem dem längeren Offenstehen der Augen zuzuschreiben. Die An-
nahme, dass die Cornea durch das Durchdringen des Humor aqueus feucht
erhalten werde, lässt sich nicht rechtfertigen, am wenigsten durch die
Erscheinungen, die man an todten Augen hiefür angeführt hat. Somit kann
man auch nicht behaupten, dass die Cornea ihren Antheil zur Thränen-
feuchtigkeit liefere. Hiemit soll übrigens nicht gesagt sein, dass die Cornea,
wenn sie nicht von den Thränen befeuchtet würde, schon an und für
sich trocken erscheinen müsste.
*) Prager medic. Viehteljahrschrift, 25 B. S. 167 u. f.
**) Lehrbuch der Physiologie, Braunschweig 1818, B. II. S. 105.
Entzündung — scrofulöse — Symptome. 183
B. Krankheiten der Cornea.
I. Entzündung der Hornhaut. Keratitis.
Die Entzündung der Hornhaut kommt entweder selbstständig und für
sich allein, oder in Folge von Entzündungen anderer Gebilde und ge-
meinschaftlich neben diesen vor.
Sie gibt sich im Allgemeinen kund : durch Trübung und Lockerimg
des Gewebes der Hornhaut, und durch stärkere Injection der vordem
Citiararterien (Bildung eines mehr weniger breiten und intensiven rothen
Saumes um die Cornea).
Symptome,, Verlauf, Ausgänge und Verhalten gegen die Therapie sind
auch bei den selbstständigen Formen sehr verschieden, je nach den
ursächlichen Momenten. Daher unterscheiden wir eine Keratitis scrofu-
losa, rheumatica und traumatica. — Von dem Antheile, welchen die
Substanz der Cornea an den Entzündungen der Bindehaut nehmen kann,
haben wir bereits im I. Buche gesprochen ; ihre Mitleidenschaft bei Ent-
zündung der tiefern Gebilde des Auges werden wir bei diesen kennen
lernen.
1. Scrofulöse Hornhautentzündung, Keratitis scrofulosa.
Die scrofulöse Hornhautentzündung oharakterisirt sich im Allge-
meinen durch die Ablagerung plastischen, nie zu Eiterung führenden
Exsudates in die Substanz der Cornea, mit mehr wetiiger deutlicher Ge-
fässentwicklung in derselben, durch ihr von äussern Schädlichkeiten zu-
nächst unabhängiges Auftreten, hartnäckiges Fortbestehen und Wiederkehren
(Bedingtsein im Allgemeinleiden), und durch die Notwendigkeit einer
allgemeinen Behandlung. Sie ist vorzugsweise eine Krankheit des Jüng-
lings- und Knabenalters.
Symptome. Die Trübung der Hornhaut erscheint gefleckt (wenig-
stens stellenweise gesättigter) , wolkig (mit verwachsenen Rändern),
weisslich- oder gelblichgrau und matt; nur selten und da nur auf
kurze Zeit wird die Cornea durchaus und fast gleichförmig getrübt,
gelblich weiss oder grau und undurchsichtig. — Die Lockerung des Ge-
webes gibt sich dadurch kund, dass die Cornea minder glatt und glänzend,
wie mit äusserst zahlreichen und feinen Nadelstichen getupft erscheint,
ohne jedoch irgend beträchtliche Erhabenheiten oder Verliefungen (Ge-
schwüre) zu zeigen; nur bei höheren Graden und nach längerer Dauer
184 Hornhaut.
wird der mittlere Theil der Cornea etwas prominenter. — Die Gefäss-
einspritzung betrifft nicht nur das capillare Netz rings um die Cornea
und die Stämmchen der Ciliararterien, sondern auch die Gefässe im Be-
reiche der Cornea selbst, und zwar die in und unter dem Limbus con-
junctivae verlaufenden, oft auch die tiefern (nächst der Descemet'schen
Membran).
In manchen Fällen tritt die Exsudatablagerung, in andern die Gefässeinspritzung
mehr in den Vordergruud des Eindruckes, den der erste Blick auf den Beobachter
macht; aber nie fehlt die eine oder die andere dieser Erscheinungen gänzlich, wenn
man die Krankheit in ihrem ganzen Verlaufe zu beobachten Gelegenheit hat. Es scheint
demnach weder nothwendig, noch zweckmässig, diese Fo.rm mit Fischer, Schindler
u. A. in Keratitis vasculosa und lymphatica zu trennen. So lange noch Lockerung der
Cornea besteht, wird man auch die Gefässeinspritzung in derselben (oberflächlich oder
tief) kaum jemals vermissen. Die Trübung (das Exsudat) besteht aber oft noch sehr
lange (Monate — Jahre) fort, wenn der exsudative Process längst erloschen ist. Solche
Fälle können aber, wenigstens vom prognostischen und therapeutischen Standpunkte
aus, nicht mehr als Entzündungen betrachtet werden. — Man wird die Eigentümlich-
keit in den Erscheinungen dieser Form von Keratitis leicht begreifen, wenn man be-
denkt, dass die Exsudation ursprünglich nicht diffus, sondern circumscript, in lauter
kleinen Herden neben einander geschieht, daher nur bei grösserer Menge confluent
wird, und dass bei einem exsudativen Processe, welcher Tage-, Monate- lang dauert,
ohne das Gewebe der Cornea total zu verändern, die Erweiterung und Überfüllung der
Gefässe kaum fehlen kann.
Diese Form kann mit bedeutender Exsudation auftreten, ohne erheb-
liche nervöse Zufälle, Schmerzen, Lichtscheu und Thränenfluss zu erregen
Trübung des Gesichtes ist nicht selten die erste Erscheinung, die den
Kranken zum Arzte treibt. Die Schmerzen bestehen meistens nur in
leichtem Drücken oder Stechen. Wenn aber die Exsudation unter stär-
kerer Gefässeinspritzung rascher erfolgt, dann sind auch diese Zufälle
ausserordentlich heftig, und der Kranke jammert vor Schmerzen nicht nur
im Auge, sondern auch in der entsprechenden Jyopfhälfte, und hält die
(bisweilen leicht ödematösen und durch die beständige wässrige Secretion
excoriirten) Lider wegen enormer Lichtscheu krampfhaft geschlossen. In
der Mehrzahl solcher Fälle ist eine Verschlimmerung dieser Zufälle in
den Morgenstunden manifest.
Verlauf und Ausgänge. Der Verlauf ist, auch wenn die Krank-
heit mit heftigen Reaclionserscheinungen auftritt, immer ein äusserst lang-
samer, Wochen, ja viele Monate lang andauernd, continuirlich oder mit
wechselnder Besserung und Verschlimmerung.
Zunächst zeigt sich bei erhöhtem Glänze der Cornea (Congestion ?)
eine mehr weniger intensive und ausgebreitete Röthe auf dem vordersten
Entzündung — scrofulöse — Verlauf — Ausgänge. 185
Theile der Sclera (manchmal nur in der obern oder untern Hälfte);
sofort erscheinen die unter dem Limbus conjunctivae zur Cornea tre-
tenden Gefässchen injicirt, in der Regel bloss im obern Umfange der
Hornhaut, selten bloss im untern, öfter an beiden zugleich. Man sieht an
der ergriffenen Partie einen von äusserst dicht neben einander liegenden
Gefässchen gebildeten Meniscus von % — 73'" Breite, und darüber auch
den Linibus conjunctivae selbst injicirt und etwas geschwellt. Die con-
cave Seite jenes Meniscus erscheint, indem die centripetal verlaufenden
Gefässchen alle in der Bogenlinie wie abgeschnitten endigen, scharf, be-
grenzt, die convexe stösst unmittelbar an das capillare Netz über der
Sclera. Alsbald sieht man an den Spitzen der Gefässe ein lockeres grau-
liches Exsudat in Form kleiner Körnchen oder Fleckchen in die Substanz
der Cornea abgelagert werden. Dieses wird allmälig oder plötzlich (über
eine Nacht) mächtiger, und breitet sich, bald mit, bald ohne gleichzei-
tiges Vorrücken jener Gefässchen, bis in oder über das Centrum der
Cornea aus. Zugleich entwickeln sich nun auch in der Tiefe der Cornea
Gefässchen gleichfalls centripetal verlaufend, und manchmal so dicht an
einander gedrängt, dass man glauben könnte, der dadurch bedingte tiefere
Meniscus sei durch Blutaustritt in der Cornea nächst der Descemet'schen
Haut bedingt. Bisweilen sieht man ein oder das andere tiefere Gefäss
in noch ganz durchsichtiger Substanz verlaufen. Ihre tiefe Lage kann
man am besten nächst oberflächlichen Gefässchen oder nächst dem Horn-
hautrande nach ihrem Abstände von jenen oder vom Limbus conjunctivae,
besonders mit Hilfe einer scharfen Loupe, bemessen. In Fällen, die
mit heftigen subjectiven Zufällen un<l stürmischer Gefässinjection ver-
laufen, rücken endlich die oberflächlichen und die tiefen Cornealgefässe
von allen Seiten her, am weitesten jedoch von oben und von unten her
gegen das Centrum der Cornea vor, und drängen, der Cornea das Aus-
sehen eines rothen Tuches gebend, das Exsudat gleichsam vor sich her.
Haben die Gefässe den centralen Theil der Cornea noch frei gelassen,
und ist dieser stark von Exsudat durchsetzt und daher gelblichweiss und
mehr weniger prominirend: so glaubt man jeden Augenblick, es müsse
zur Verschwärung dieser Partie kommen, was. ich indessen bei mehr als
100 Fällen (von Keratitis scrofulosa überhaupt) nur zwei Mal, und zwar
bei sehr vernachlässigten und äusserst herabgekommenen Kranken ein-
treten sah.
Anfang Oclober 1848 wurde ein 9jähri^es, äusserst blass und abgemagert aus-
sehendes Mädchen (mit dünnen Knochen und sehr aufgetriebenem Unterleibe) zu mir
gebracht. Beide Augen boten das Bild einer Keratis scrofulosa dar, so ausgeprägt,
186 Hornhaut.
wie ich es bis dahin noch nie beobachtet hatte. Nebst der Rosenröthe auf dem vor-
dem Theile der Sclera war- die Cornea ringsum von äusserst zahlreichen Gefässen
durchzogen, röthlich aussehend, in der Mitte dagegen graulich weiss und stärker vor-
ragend, übrigens durchaus gelockert, wie mit Nadeln gestochen, matt und glanzlos-
Ich ordinirte Einreibungen von weissem Präcipitat mit Extr. belladonnae an die Stirn
und Schläfe (wie bei Conjunctivitis scrofulosa mit starker Lichtscheu), innerlich Ma-
gnesia mit Coniiun maculatum, entsprechende Diät. Am 12. October war der Zustand
des rechten Auges besser, der des linken schlimmer. Die Cornea sah hier einem ab-
gestutzten Kegel ähnlich. Die Abstutzungsfläche, i. e. der centrale Theil der Cornea,
von ungefähr 1V2'" Durchmesser, war seicht gewölbt, gelblich weiss, stark aufge-
lockert, wie zum Verschwären angeschickt; der Mantel (der peripherische Theil) stieg
vom Rande ziemlich steil empor (der mittelste Theil der Cornea konnte gut 2"' über
die Basis der Cornea emporgehoben sein), war ziemlich glatt, von zahlreichen' Gefässen
durchzogen, beinahe blutroth aussehend. Nebst obigen Mitteln Einreibungen des gan-
zen Körpers mit Oleum jecoris aselli. Am 16. October, der Zustand des rechten Auges
viel besser, die Hornhaut gegen die Peripherie hin schon stellenweise durchsichtig »
am linken Auge fast derselbe Zustand. Am 20. October. Rechts nur noch wenige Ge-
fässe im Bereiche der Cornea, und das Exsudat viel sparsamer; links fast keine Än-
derung des Zustandes , nur weniger Gefässe. Die Salbe musste wegen Ekzem der
Stirnhaut ausgesetzt werden ; die Einreibungen von Oleum jecoris werden fortgesetzt,
innerlich: Decoct. taraxaci ex unc. dimid. unc. quatuor, Melag. graminis et syr. eich. c.
rheo ä~a unciam , extracti conii scrupulum, bicarb. sodae scr. duos. M. D. Alle 3 Stun-
den 1 Esslöffel. Am 28. October. Rechts auffallende Besserung; keine Lichtscheue;
die Kranke erkennt einen kleinen Schlüssel, Kupfer- und Silbermünzen selbst am Ge-
präge; links ist der weisse Pfropf aus dem Centrum der Cornea gleichsam heraus-
gefallen, die Öffnung durch die Iris verstopft, die Iris an die bereits halb durchsichtige
Peripherie der Cornea angelegt. Am 7. November war die rechte Hornhaut beinahe
ganz rein, links dagegen eine centrale Grube, von etwa V" im Durchmesser, die Iris
noch nicht ganz überhäutet, wesshalb Einträuflungen verdünnter Opiumtinctur ordinirt
wurden. Weiterhin wurde die Kranke nicht mehr zu mir gebracht. *) Erst im Jahre
1850 kam der Vater mit diesem Kinde wieder zu mir. Ich erkannte dasselbe anfangs
nicht, denn es hatte ein viel gesünderes Aussehen gewonnen, und, was mich am mei-
sten überraschte, das linke Auge zeigte bloss eine kleine, halbdurchsichtige Narhe ohne
Spur einer vordem Synechie. Hätte ich mir den Befund vom November 1848 nicht
genau aufgeschrieben und aufgezeichnet gehabt; ich würde jetzt es für unmöglich hal-
ten, dass an dieser Stelle die Cornea durchbohrt und die Iris bloss gelegt gewesen war.
Die Ursache, wesshalb das Kind neuerdings zu mir gebracht wurde, war eine Recidive
am rechten Auge.
So wie der eigentlich exsudative Process aufhört; sieht man die
Besserung damit eintreten, dass zunächst die oberflächlichen, der Corneal-
gefässe sparsamer werden, und hiemit auch der peripherische Theil der
Cornea sich aufhält; im mittleren Theile dagegen bleibt die Cornea in der
Regel am längsten getrübt. Das Zerfallen gleichmässig trüber Flecke in
'■') Znrda, tlc Keratitide scro,fulosa, Ticini regii 1824, eiwähiil HtfiLjchp Beobachtungen!
Entzündung — scrofulose — Verlau f — Ätiologie. 187
einzelne kleinere ist immer ein günstiges Zeichen. Mit dem Beginn dieser
Resorption scheinen bisweilen in der Tiefe neue Gefässe aufzutauchen.
In andern Fällen findet nur geringe, bisweilen kaum merkliche Ge-
fässentwicklung bei relativ reichlicher Exsudation statt; dann pflegen auch
die übrigen Zufälle sehr gelind, der Verlauf aber um so hartnäckiger zu
sein. Stets wird man auch hier die Injection in der Gegend des Limbus
conjunctivae und ein oder dss andere tiefere Gefässchen mittelst der
Loupe auffinden können, und die stärkere Injection der Ciliararterien über
der Sclera, selbst ein rosenrother Gefässsaum, wird wenigstens nach
etwas längerer Besichtigung des Auges bemerkbar werden. Die voraus-
gegangene Erweiterung der Ciliargefässe lässt sich oft lange nach dem
Erlöschen des exsudativen Processes noch an rostfarbigen oder schiefer-
grauen Punkten in dem vordem Theile der Sclera erkennen. — Die Trü-
bung wird, wenn sie auch einige Zeit beinahe gleichmässig gesättigt aus-
sah, bald wieder wolkig und fleckig, *) und in manchen Fällen zeigen sich
dann kreideähnliche Stellen, offenbar durch Verkalkung des Exsudates
entstanden; diese widerstehen zwar der Resorption sehr lange, doch
selten für immer. Nur dann , wenn solche Exsudate überhaupt sehr lange
(viele Monate- Jahre-lang) fortbestanden, und die Hornhautfasern durch
Druck in grösserer Ausdehnung zum Schwinden gebracht haben, bleibt
die Hornhaut daselbst unheilbar getrübt. Sonst aber hellen sich derart
getrübte Hornhäute zum Verwundern vollständig auf, und die Krankheit
gehört somit im Allgemeinen unter die wenig gefährlichen. — Auch
stärkere Wölbung der Cornea sieht man höchst selten,, und bei weitem
nicht so oft, wie nach Pannus zurückbleiben. Nur der Limbus conjun-
ctivae bleibt oft zeitlebens als ein mehr weniger breiter und langer trüber
Bogen oder vollständiger Kreis zurück, und in Fällen, wo diese Keratitis
mit Iritis oder Scleritis zugleich verlief — worauf wir später zurück-
kommen werden — sehen wir eine mehr weniger breite, weiter gegen
das Centrum der Cornea hineinragende Trübung (die sogenannte Sclero-
sirung der Cornea) zurückbleiben, jedoch an und für sich das Sehver-
mögen nicht beeinträchtigen.
Vorkommen und Ursachen. Diese Krankheit kommt im Allge-
meinen eben nicht häufig vor. In der Art, wie sie eben geschildert wurde,
erscheint sie nur bei scrofulösen (tuberculösen) Individuen.
*) Fr. Järjrr (in Rohm's Dissertation de scrofuloseos ad oculum formis, Vindobouae 1838) erinnert an die Ähnlich-
keit der Trübungen, welche der Randtheil df-r Cornea nach Rückgang der GfTjSseinsjjntzun^ zeigt, mit dem aus
Fibrillen zusammengesetzten Barte einer Schreibfeder ; man sieht, wie das Exsudat längs der Wandungen der. Ge-
fäschen ahselagert wurde.
188 Hornhaut.
Sie erscheint am häufigsten um die Jahre der Pubertät, selten vor
dem 12., selten nach dem 25. Jahre; niemals sah ich sie vor dem 6.
Jahre auftreten; bei Weibern sah ich sie bei Annäherung der klimakte-
rischen Jahre wiederkehren, wo sie um die Zeit der Pubertät schon vor-
handen gewesen war.
Die davon befallenen Individuen, wenn sie nicht, wie in der Regel,
deutliche Zeichen der Scrofulosis an sich tragen, sind im Allgemeinen
schlecht genährt, haben eine schlaffe Musculatur, blasse, spröde und
trockene Haut, und leiden an habitueller Trägheit der Leibesöffnung. Bei
weiblichen Individuen sind gewöhnlich Störungen der Menstruation vor-
handen. — Zur Section habe ich bisher nur ein Individuum bekommen,
welches unzweifelhaft diese Form gehabt hatte ; die Untersuchung der
Lungen wies Tuberculosis nach.
Diese Krankheit befällt ihre Individuen bald ohne wahrnehmbare äus-
sere Veranlassung, bald nach dieser oder nach jener Schädlichkeit, wofür
u. A. in Fischer' s klin. Unterrichte S. 307 — 321 die lehrreichsten Beispiele
angeführt sind. Beinahe oder völlig schon beseitigt, kehrt sie bald auf
demselben, bald auf dem andern Auge wieder. Meistens befällt sie beide
Augen kurz nach einander, selten eins im Knaben-, das andere erst im
Mannesalter u. s. w. — Unter den sogenannten äussern Veranlassungen
nehmen jene den ersten Platz ein, welche das Auge mehr indirect treffen ;
wir müssten in dieser Beziehung nur die beim Trachom erörterten Mo-
mente wiederholen.
Prognosis. Diese ergibt sich im Allgemeinen aus der Würdigung
der örtlichen Erscheinungen, mit Berücksichtigung dessen, was über den
Verlauf, die Ausgänge und die ätiologischen Momente gesagt wurde. —
Fälle mit vorwaltender Gefässeinspritzung nehmen im Allgemeinen einen
minder schleppenden Verlauf. — Fälle, die um die Zeit der Pubertät oder
später auftreten, sind im Allgemeinen hartnäckiger, als die im Knabenalter.
— Nach eingetretener Schwangerschaft sah ich das Leiden von selbst zu-
rückgehen, nachdem es Monate-lang der arzneilichen und diätetischen Be-
handlung widerstanden hatte. — Gleichzeitige Affection der Iris oder Sclera
lässt rücksichtlich der Cornea unheilbare Trübung befürchten.
Behandlung. Das Leiden ist in zweifacher Beziehung aufzufassen,
als Entzündung mit mehr weniger heftigen Reactionserscheinungen, und
als Ausdruck eines im ganzen Organismus haftenden Übels.
Bei starkem Blutandrange zum Auge, Schinerzen, Lichtscheu und
Thränenflnss beginne man die Behandlung mit einer örtlichen Blutent-
ziehimg an der Schläfe oder hinter dem Ohre und mit einem kühlenden
Entzündung — scrofulöse — Therapie. 189
Abführmittel. Den bereits \on Makenzie empfohlenen Tart. stibiatus, be-
sonders in Verbindung mit Glaubersalz fand ich unter solchen Umständen
auch hier besonders nützlich. Die antiphlogistische Behandlung ist zu
wiederholen, so oft die Zeichen stärkeren Blutandranges neuerdings auf-
treten ; nur vergesse man nicht, dass derlei Individuen die schwächende
Behandlung nicht in dem Grade wie Andere vertragen, und die mehr
chronische Affection vehement eingreifende Mittel gar nicht erfordert.
Nur bei reichlichem Exsudate, wo Gefahr bleibender Trübung oder ab-
normer Wölbung der Cornea droht, mag man Calomel oder Sublimat mit
Opium bis zu den Vorboten der Affection des Zahnfleisches reichen : je
schlechter das Individuum aussieht, und insbesondere bei Frauenzimmern
mit Menstruationsanomalien, hüte man sich vor innerlichem Mercurialge-
brauch. Diese fordern im Gegentheile Mittel aus der Reihe der sogenann-
ten Solventia und Tunica. Die Präparate von China, namentlich Extractum
frig. par., und Sulfas chinini, yon Ferrum, besonders Carbonas, Tartras und
Melas ferri mit Rheum, Extractum conii macul., bei Menstruationsanomalien
mit Aloe, Mirrha, Frond. sabinae u. dgl. verbunden, können in dieser Be-
ziehung als wahre Antiphlogistica betrachtet werden. Bei altern Individuen
sind vorzüglich Solventia angezeigt, namentlich Mineralwässer: Kreuz-
brunnen, Ragozi, Salzquelle, die kühlem Quellen von Karlsbad u. dgl. In
Bezug auf die allgemeine Behandlung rnuss überhaupt auf das bei den
Abschnitten über Conjunctivitis scrofulosa und Trachoma Gesagte zurück-
gewiesen werden. — Örtlich werden, sobald der eigentlich exsudative
Process nachlässt, sehr bald Stimulantia vertragen, Einträuflungen von Lau-
danum liquidum, von Aqua Conradi, Cadmium sulfuricum; weiterhin der
rothe Präcipitat. das Jodkali in Salbenform (letzteres besonders an die
Stirn und Schläfen), die Elektricität.
Der Lehrer wird aus dieser Darstellung entnehmen, dass meine Angaben, auf
sorgfältige und vielfache Beobachtungen gestützt, im Wesentlichen mit denen von
Flarer (in Zardas oben citirter Dissertation, welche die erste Abhandlung über diese
Form bildet), Cheliiis (1. c. I. B. S. 187), Rosas (S. 435), Makenzie (S. 407) und
Fischer (klin. Unterr. S. 307) übereinstimmen. Amnion (bei Wendler) hat die Formen,
welche zu kalkartigen Trübungen führen, Keratitis phosphotica, Walther jene, welche
bei weiblichen Individuen mit Monstruationsanomalien auftritt, Keratitis amenorrhoica
genannt. Andere haben jene Fälle, welche mit stärkerer Gefässeinspritzung verlaufen,
als Pannus beschrieben, mithin ganz verschiedene Processe unter einem Namen zusam-
mengefasst. Zur Erläuterung des Ganzen mögen hier noch einige meiner Beobachtun-
gen einen Platz finden.
Ein Lehrergcl.ilfe von 30 Jahren wurde im Schulj;hre 1847 auf die Augenklinik
aufgenommen, wegen einer Entzündung auf dem rechten Auge. Wir fanden rings um
die Cornea einen gegen 1'" breiten Gefässsaum, die Stämmchen der Ciliararterien etwas
190 Hornhaut.
erweitert, die Cornea im obern Drittel leicht getrübt, graulich, wolkig, an der Ober-
fläche fein gestichelt, nebstdem noch 2 grössere graue Fleckchen mit verwachsenen
Rändern beinahe der Pupille gegenüber; das Sehvermögen getrübt, so dass er Buch-
staben von s/4"' Höhe nur mühsam, von 2//" Höhe gar nicht erkannte: Lichtscheu und
Thränenfluss gering; die übrigen Gebilde des Auges normal. Der Kranke sah schlecht
aus, hatte eine luride Gesichtsfarbe, trockene, spröde Haut, geringe Muskulatur. Er
hatte das Sehvermögen des linken Auges — das weiter unten beschrieben werden soll
— bereits durch eine Entzündung in seinem 8. Jahre verloren, lebte in dürftigen Ver-
hältnissen, musste z. B. durch Abschreiben (in den Abendstunden bei Kerzenlicht) sich
einen Theil seiner Lebensbedürfnisse decken, und wohnte seit einem Jahre in einer
feuchten und kalten Stube. Schon im vorigen Winter hatte sich mehrere Male eine
Entzündung beider Augen eingestellt, welche mit partieller Röthe und Pustelbildung
nächst dem Cornealrande verlaufen war. Endlich war er durch eine mehrtägige Hä-
moptoe sehr herabgekommen, und bald nachher hatte das jetzige Übel begonnen, mit
lebhaftem Brennen im innern Winkel des rechten Auges, mit zeitweiligen flüchtigen
Stichen, und mit Lichtscheue, welche ihn besonders in den Morgenstunden belästigte;
in der dritten Woche dieser Krankheit begann auch das Gesicht trüb zu werden, und in
der 6. Woche kam er zu uns mit obigem Zustande. Obwohl nun das Übel dem Grade
nach unbedeutend erschien, so zeigte es sich äusserst hartnäckig, und fing erst dann
an , den örtlichen Mitteln (Einträuflungen von Aqua Conradi , rother Präcipitatsalbe,
endlich Jodkalisalbe an Stirn und Schläfe) zu weichen, als der Kranke beim Gebrauche
des Oleum jecoris aselli, bei einer nahrhaften Kost und fleissiger Bewegung im Freien
ein auffallend besseres Aussehen bekam. Er konnte nach 10 Wochen entlassen wer-
den, jedoch noch mit merklichen Trübungen im obern Segmente der Cornea. Im Jahre
1850 besuchte mich derselbe wieder, sich zu zeigen, wie gut er aussehe, und wie
ungestört er nun sein Auge brauchen könne. Die damals auch durch Percussion nach-
weisbare Tuberculosis pulmonum scheint seitdem rückgängig geworden zu sein. —
Das linke Auge befindet sich noch wie damals in folgendem Zustande. Es ist grösser
als das rechte (in der Achse), birnförmig, härter anzufühlen; die Cornea ist "rings um
verdunkelt, von oben und von unten auf beinahe 2'" Breite, in der Mitte durchsichtig
(der durchsichtige Theil 4'" lang, 1V2"; breit); der verdunkelte Theil der Cornea ist
bläulich weiss, porzellainartig; durch den durchsichtigen Theil erkennt man die etwa
1 \l2'" hinter der Cornea gelegene gelbbräunliche Iris, in deren Pupille eine dünne
Membrann ausgespannt erscheint. Die bimförmige Gestalt des Bulbus ist dadurch be-
dingt, dass die Basis der Cornea nach vorn gerückt ist, durch Ausdehnung des vor-
dersten Theiles der Sclera, was man auch den Einmündungsstellen der erweiterten
vordem Ciliararterien in der Sclera beurtheilen kann. — Aus diesem Befunde ergibt
sich, dass dieser Kranke in seinem 8. Jahre dieselbe Krankheit, Keratitis scrofulosa,
jedoch im Verein mit Scleritis und Iritis gehabt habe — was übrigens in der Abhand-
lung über die Krankheiten der Sclera seine volle Begründung erhalten wird — dass
derselbe sodann von Augenentzündungen frei blieb, bis endlich missliche Verhältnisse
neuerdings die Manifestation des Allgemeinleidens am Auge hervorriefen, erst als Con-
junctivitis, dann als Keratitis scrofulosa. — B. Th., 26 Jahre alt, in früher Jugend
scrofulös, später jedoch meistens gesund, kam Ende December 1847 auf die Klinik.
Auf beiden Augen waren die Augenlidränder leicht geröthet und geschwellt, die untern
gegen den äussern Winkel exeoriirt, die Conjuncliva im Tarsaltheile netzförmig injicirt,
Entzündung — scrofulüse — Therapie. 191
im Übergangstheile etwas gelockert, im Scleraltheile normal. Unter letzterem sieht
man am linken Ange die stark injicirten, dunkelrothen, vordem Ciliargefässe gegen die
Cornea hin verlaufen, und rings um diese dann einen l'/o'" breiten rosenrothen Saum
bilden. Oben und unten an der Cornea- erscheint der Linibus conjunctivae stark injicirt,
etwas geschwellt und gelockert, grauroth (durch Exsudat und äusserst zahlreiche Ge-
fässchen); die unter dem Limbus verlaufenden (oberflächlichen) Gefässe der Cornea
siud nach oben und aussen so gedrängt, dass sie dem freien Auge als ein blutrother
Meniscus erscheinen ; einzelne Gefässchen ziehen in der Oberfläche der Cornea gegen
deren Mitte hin. Die Cornea ist (mit Ausnahme des 4. Theiles nach innen und unten)
durchaus wollkig getrübt, lichtgrau, aufgelockert, fein punktirt, nach oben und aussen
auch etwas prominent (geschwellt?); durch den nach innen und unten befindlichen
durchsichtigen Theil der Cornea kann man sich überzeugen, dass die Iris nicht mit-
leidet. Geringe Schmerzen, geringe Lichtscheu, massiger Thränenfluss , bedeutende
Störung des Sehens. Die Kranke schreibt dieses Übel, welches vor 4 Wochen be-
gonnen, dem Unistande zu, dass sie vor 8 Wochen eine feuchte Wohnung bezogen, in
welcher sie sich auch sonst unwohl . wenn nicht gerade krank befand. Sie sieht
blass und etwas gedunsen aus, zeigt eine dicke Oberlippe, breite Nasenflügel, schlaffe
Muskulatur. Das Augenleiden begann mit drückenden Schmerzen im linken Auge, wozu
sich später Röthe des Weissen und Thränen gesellten ; nachdem diese Erscheinungen,
welche immer des Morgens bis gegen die 9. Stunde heftiger gewesen, allmälig zuge-
nommen hatten, bemerkte die Kranke zu Ende der 3. Woche, dass sie wenig sah, und
suchte desshalb ärztliche Hilfe. Wir legten 8 Blutegel an die linke Schläfe, liessen
alle 3 Stunden Ung. Cinereum an die Stirn und Schläfe aufstreichen, verabreichten ein
Decoct. graminis mit kali tartr., tinct. rhei und malago gram., und erlaubten eine leichte
Fleischkost. Nach einigen Tagen mussten abermals Blutegel gesetzt und ein infus,
sennae gegeben Averden. Hierauf ordinirten wir Pulver aus l/3 Gran Calomel, l/4 Gran
Digitalis (pulv. fol.) und 2/3 Gran Extr. conii macul. mit Magnesia, und entliessen die
Kranke über dringendes Verlangen in bedeutend gebessertem Zustande, jedoch mit
noch ziemlich starken Hornhauttrübungen. — Ein Zufall liess mich dieselbe etwa '/2
Jahr später wieder sehen; ich erkannte sie nicht sogleich: sie hatte, da sie nun in
bessern Verhältnissen lebte, ein blühend gesundes Aussehen erlangt, und sah ganz gut;
nur eine ganz kleine maculöse Trübung der Cornea nach oben und aussen, und einige
schiefergraue Punkte in der Sclera (etwa 1 1/%" von der Cornea weg) liessen mich das
vorangegangeue Leiden noch erkennen. — Kr. F., 8 Jahre alt, kam am 17. Jäner 1848
auf die Klinik. Links die Conjunctiva im Tarsaltheile netzförmig injicirt, sonst normal ;
die Cornea in ihrer ganzen Ausdehnung durch weisslich graue, wolkige Flecke ge-
trübt, normal glänzend, normal gewölbt; man sieht die Pupille durchscheinen; die
Ciliargefässe sind noch etwas ausgedehnt. Rechts sind die Lidränder leicht ödematös,
die Conjunctiva tarsi netzförmig injicirt; die Conjunctiva bulbi zeigt nach innen und
oben 3. nach unten und aussen 2 stärker injicirte , scharlachrothe, verschiebbare Ge-
fässe; unter derselben sieht man eine Menge bläulich rother Gefässe von den Muse,
rectis aus der Tiefe kommend, die sich gegen die Cornea hin verzweigen, und einen
etwa 1 i/2'" breiten, rosenrothen Saum bilden. In der Mitte der Cornea ein gelblich
weisser, unregelmässijrer und nicht scharf begrenzter Fleck, gegen 2'" im Durchmesser,
die Cornea daselbst undurchsichtig, matt, gelockert, etwas prominirend (bei der Seiten-
ansicht deutlich erkennbar) ; der peripherische Theil der Cornea, mit Ausnahme einer
192 Hornhaut.
Stelle nach innen und oben blntroth, wie von ausgetretenem Blute durchsetzt; die
genauere Besichtigung zeigt, dass diese Färbung durch eine Menge feiner, dicht neben
einander liegender Gefässchen bedingt ist, welche vom Rande der Cornea sich in deren
Substanz gegen die Mitte hin verzweigen. Die Schmerzen nicht bedeutend, Morgens
und Abends stärker; die Lichtscheu heftig, das Sehvermögen besonders auf dem rech-
ten Auge sehr getrübt. — Der Kranke ist körperlich wenig entwickelt, schlecht genährt,
von torpid-scrofulösem Habitus. Das Augenleiden begann vor 10 Wochen (Anfang
November 1847) links mit Schmerzen, Lichtscheu, Thränenfluss und allmäligem Trüb-
sehen; 14 Tage später erkrankte das rechte Auge unter denselben Zufällen. Ein Arzt
hatte ein Vesicans an die Schläfe, später an den Nacken, und ein Augenwasser ver-
ordnet; nach Anwendung des letzteren soll sich das Leiden auffallend verschlimmert
haben. — ■ Wir ordinirten Einreibungen von Ung. cinereum an die Stirn und Schläfen,
Pulver wie im vorigen Falle, leichte Fleischkost, Nach eiuigen Tagen minderte sich
die Röthe der Sclera, das Exsudat in der Cornea wurde jedoch mehr von Gefässen
eingeengt ; statt jener Pulver gaben wir tart. stib. d. refr., und gingen Anfang Februar
zu einem Decoct. graminis mit Syr. eich. c. rheo, Ende Februar zum Jodkali (1 Dr.
in 6 Unzen, täglich 2 Esslöffel) über. Allmälig begann die Aufhellung der Cornea unter
Abnahme der Gefässe daselbst von der Peripherie her, was wir (vom 26. Februar an)
durch Einreibungen einer Jodkalisalbe an die Stirn und Schläfe (5 — 7 Gran auf 1 Dr.)
zu befördern suchten. Mitte März war die Peripherie der Hornhäute fast ganz rein,
die Centra zeigten jedoch weissliche, kalkige Trübungen. Auch diese nahmen allmälig
ab, und waren zur Zeit der Entlassung, welche den 18. Mai geschehen musste, bis
auf ganz kleine, das Gesicht wenig störende Fleckchen geschwunden.
2. Rheumatische Hornhautentzündung^ Keratitis rheumatica.
Soll V er kältung am Auge eine Entzünduno; der Hornhaut erregen
— denn nur diess wollen wir durch den Beisatz „rheumatica" bezeichnet
wissen — so muss sie schon heftiger eingewirkt haben, und eben desshalb
erscheint die Cornea selten ganz allein ergriffen. Es leidet fast immer
die Conjunctiva, insbesondere aber die Tunica vaginalis bulbi; bei höheren
Graden auch der vorderste Theil der Sclera, und noch häufiger die
Iris mit.
Diess gibt uns Aufschluss, warum die Beschreibung dieser Form bei den ver-
schiedenen Auetoren unter verschiedenen Namen (rheumatische, rheumatisch-katarrha-
lische oder katarrhalisch-rheumatische) Ophthalmie zu suchen ist, und warum dieselben
von der Affeclion der Cornea oder der Iris nur nebenbei und als von etwas Accesso-
rischem Erwähnung thun. Häufig sind wohl auch Fälle von acutem Auftreten des Tra-
chöma und von Keratitis scrofulosa, wenn sie gerade mit Lichtscheu, Thränenfluss und
reissenden oder stechenden -Schmerzen höheren Grades verliefen, für Keratitis rheuma-
tica oder Ophthalmia catarrhalis-rheumatica genommen worden, wie sich diess z. B. in
den Schriften von Fischer, Sichel u. A. nachweisen lässt. Ich behielt aber den Aus-
druck „rheumatisch" bei, weil man ihn einmal für Krankheiten, die durch Verkältung
entstehen, angenommen hat, und weil diese Ophthalmie mit jenen Affectionen andere
Entzündung — rheumatische — Symptome. 193
Oreane. die man rheumatische nennt, in Bezug auf Symptome, Verlauf, Ausgänge und
Therapie die grösste Ähnlichkeit zeigt.
Die hielier gehörigen Fälle zerfallen ohne Zwang in zwei Reihen
oder Formen, die sich zu einander ohngefähr so verhalten, wie Katarrh
und Blennorrhoe; eine strenge Sonderung ist nicht möglich. Zum An-
haltspunkte dient das Exsudat, welches bei der einen Form vorwaltend
serös oder serös-albuminös, bei der andern vorwaltend faserstoffig ist
und zur Eiterung führt.
Allgem. Charakter. Die durch Verkältung herbeigeführte und hie-
durch einzig und allein (nicht gleichzeitig durch Aligemeinleiden) be-
dingte Hornhautentzündung tritt im gelinderen Grade mit gleichmässig
verbreiteter graulicher Trübung der Hornhaut, im höhern Grade mit
Abscessbiklung in derselben auf. Gefässentwicklung in der Cornea zeigt
sieh nie, ausser bei längerem Bestände oder nach bereits erfulgtem
Aufbruche des Abscesses. Sie ist immer von einiger seröser Schwellung
der 'Scleralbindehaut begleitet, so wie auch von heftigen subjectiven Er-
scheinungen, Schmerz und Lichtscheu. Der mindere Grad gehört zu den
leichtesten, in kurzer Zeit vollständig heilbaren Formen, da bloss vor-
waltend seröses Exsudat ins Parenchym gesetzt wird; der höhere, mit
eitrigem Exsudate auftretende Grad gehört zu den gefährlichsten, theils
wegen Zerstörung der eitrig infiltrirten Hornhautpartie, theils wegen Eiter-
senkung, theils endlich wegen der fast constant hinzutretenden Iritis mit
reichlichem Exsudaterguss in die vordere Kammer und in die Pupille.
Der Verlauf ist im Allgemeinen sehr acut (wenn man die Folgen der
Eiterung nicht mit einrechnet). *)
Symptome, a) Bei der rheumatischen Hornhautentzündung mit
vorwaltend serösem Exsudate erscheint die Trübung über die ganze Horn-
haut oder doch über den grössten Theil derselben ausgebreitet, fast
durchaus gleich gesättigt, lichtgrau, halbdurchsichtig, wie ein ange-
hauchtes Glas, die Cornea an der Oberfläche matt und eben, oder hie
und da mit kleinen Wasserbläschen oder nach deren Berstung mit kleinen
Facetten versehen; der Limbus conjunctivae von zahlreichen, hellrothen
fast parallelen Gefässchen injicirt, welche sich meistens über den Cor-
-') Die hieher gehörige« Fälle in dieser \rt auffassen!, werden wir nicht genö hig't sein, zur Erklärung iler Eigen-
tümlichkeiten in Bezug auf Symplome and Verlauf irgend etwas Specilisches, etwa eine besondere Blutmischung
u. dgl. zu supponiren. Die besondere Veranlassung macht, dass mit der Cornea zugleich die Conjuncliva und
die Tunica vaginalis bulbi mit erkrankt, dass serös albuminöses oder eitriges Exsudat und zwar sehr rasch aus-
geschieden wird, und eben hieraus resulliren Erscheinungen, welche in exquisiten Füllen so einzig in ihrer Art
sind, dass man aus ihnen wieder auf die Ursache zurück, und auf den weitern Verlauf vorwärts schliessen kann,
während sie in audern Fällen dagegen sehr wenig Charakteristisches zeigen.
Arli, i. i3
194 Hornhaut.
nealrand hinaus verfolgen lassen, die Cornea selbst von jeder Gefässein-
spritzung frei, dagegen von einem blass-rosenrothen Gefässsaume rings
über dem vordem Theile der Sclera (gewöhnlich über \'" breit) umgeben,
die Conjunctiva bulbi, wenn nicht von scharlachrothen Gefässchen durch-
zogen, .so doch ödematös gelockert oder geschwellt. Bei dieser an-
scheinend geringen Affection klagt der Kranke über heftige Schmerzen
in der Umgebung des Auges, in der ganzen Kopfhälfle; er bezeichnet
dieselben in der Regel von selbst als ziehend, reissend, aussetzend,
Abends und in der Nacht gesteigert; ebenso pflegen Lichtscheu und
Thränenßuss in auffallend hohem Grade vorhanden zu sein , und bei
schneller auftretenden Fällen werden häufig auch febrile Erscheinungen
wahrgenommen, namentlich in den ersten Tagen. Vermehrte Schleim-
secretion der Bindehaut kommt dieser Form an und für sich nicht zu
6) Der rheum. Hornhautentzündung mit eitrigem Exsudate gehen
entweder die eben genannten Erscheinungen durch einige Zeit voraus,
oder die Entzündung tritt sehr bald mit der Bildung eines Abscesses in
der Substanz der Hornhaut auf. Man sieht dann im mittlem Theile der
Cornea im Umfange eines Hanfkornes und darüber einen Eiterherd, diese
Partie weissgelb, undurchsichtig, wohl auch prominirend, oder die vordem
Blätter schon zerstört, den Abscess in ein Geschwür mit eitrig infil-
trirtem Grunde und eben solchen Rändern verwandelt, oder endlich die
Stelle des Abscesses grau, eingesunken , und den Eiter zwischen den
Faserschichten der Cornea gesenkt, an der untersten Stelle in Form
eines Mensicus oder unregelmässig begrenzten Klumpens angesammelt,
Congeslionsabscess (Unguis, Onyx). So lange nicht bereits Resorption
(Reinigung des Geschwüres) und Wiederersatz des Substanzverlustes be-
gonnen hat, sieht man keine Gcfässe im Bereiche der Cornea; rings um
die Cornea sieht man eine doppelte Gelasslage, eine tiefere, welche als
violett roiher Saum uro die Cornea erscheint (Injection der Ciliaraterien)
und eine oberflächliche, Scharlach- oder blutrothe, welche der Coniun-
ctiva angehört und bis zum coneaven Rande des Limbus conjunctivae
reicht ; die Conjunctiva ist überhaupt in ihrer ganzen Ausdehnung ge-
lockert, geschwellt, von hoch- oder dunkelrolhen Gefässen durchzogen,
an den Lidern gleichmässig mth und eine schleimig-eitrige Flüssigkeit
absondernd. Fast immer erscheint auch die Cutis längs des Lidrandes
serös geschwellt und blass- oder bläulichroth. Schmerzen, wie die bei
a) beschriebenen, Lichtscheu und Thränenfluss sind von Anfang, zur Zeit
der Exsudation, in sehr hohem, später oft in auffallend niedrigem Grade
Eidzündiiug — rheumat. — Verlauf— Ausgänge— Prognosis. 195
vorhanden. Dasselbe gilt von der Beschleunigung des Pulses, der er-
höhten Temperatur der Cutis, und den übrigen febrilen Erscheinungen.
Verlauf, Ausgänge, Prognose. Der Verlauf ist im Ganzen ge-
nommen ein sehr rascher; die Krankheit hat in wenig Tagen ihren Höhe-
punkt erreicht, und es hängt sodann von äussern Verhältnissen des (übri-
gens gesunden) Individuums ab, ob das Auge früher oder später der
Genesung zugeführt wird. Hat man Gelegenheit, die Krankheit im Beginn
zu beobachten, so kann man sie noch nicht mit Bestimmtheit als Keratitis
diagnosticiren. Durch kürzere oder längere Zeit, selbst 5 — 6 Tage,
sieht man nämlich noch keine Trübung, im Gegentheile bisweilen sogar
einen erhöhten Glanz der Cornea, wohl aber jene lebhafte Rosenrölhe
über dem vordersten Theil der Sclera und jene fein in den Limbus con-
junctivae hereinsprilzenden Gefässchen, dabei Lichtscheue, Thränenfluss und
Schmerzen im Auge und in der entsprechenden Kopfhälfte in auffallend
hohem Grade. Da nun nach diesem Befunde eben so gut Iritis als Kera-
titis oder beides zugleich auftreten kann und aufzutreten pflegt, so be-
greift man leicht, warum ältere Auetoren denselben eigens als Oph-
thalmia rheumatica abhandelten, deren Sitz in die Sclera verlegten, und
von Keratitis oder Iritis als etwas zufällig Hinzutretendem sprachen.
Möglich, dass sie Fälle beobachteten, wo es nicht zur deutlichen Trübung
der Cornea oder zu deutlichen Zeichen der Iritis kam. (Ich sah jeder-
zeit das eine oder das andere nachkommen.)
Die Keratitis rheumatica mit lymphatisch-serösem Exsudate gehört,
für sich allein, nicht unter die gefährlichen Krankheiten; sie bewirkt nur
eine leichte Trübung, welche in der Regel von selbst verschwindet, oder
mehr weniger zahlreiche und grosse Facetten, welche gleichfalls, freilich
oft erst nach Wochen, von selbst heilen.
Die Hornhautentzündung mit Abscessbildung hingegen gehört zu den
gefährlichsten Augenübeln. Sie zerstört die Faserschichten der Hornhaut
in verschiedener Ausdehnung und Tiefe. Im günstigsten Falle bilden sich
oberflächliche Narben, welche jedoch nur bei jugendlichen und sonst ge-
sunden Individuen, und da nur so lange, als sie noch nicht zu fest ge-
worden sind, eine Aufhellung durch Ersatz normaler Hornhautsubstanz
zulassen. Der Hornhautabscess hat aber gewöhnlich auch Eitersenkung
zwischen den Faserschichten zur Folge, und führt hiedurch nicht selten
zu weit ausgedehnterer Zerstörung, als man befürchtet hatte. — Es ist
ferner bekannt, dass er, wenn er in ein Geschwür übergegangen, gern
tiefer dringt, und endlich Blosslegung und Berstung der Descemet' sehen
Haut und deren Folgen einleitet. — Aber auch schon vor einem solchen
13*
196 Hornhaut.
Durchbruche, und selbst wenn es nicht zu diesem kommt, pflegt zugleich
die Iris in Entzündimg versetzt zu werden, sobald ein tieferer Eiterherd
in der Hornhaut zu Stande kommt, und es erscheint dann in Folge dieser
Iritis in der vordem Augenkammer ein gelbliches eiterähnliches Exsudat
angesammelt — eine Erscheinung, welche man Hypopium spurium ge-
nannt hat, weil man glaubte, diese Flüssigkeit sei Eiter, welcher in die
vordere Kammer gelange, wenn so ein Abscess nicht nach vorn, sondern
rückwärts in das Kammerwasser sich entleere.
Ich konnte mich von dieser Entstehungsweise des sogenannten Hypopium niemals
überzeugen, eben so wenig, als davon, dass der Eiter die Descemet'sche Haut rück-
wärts drängen, und also nur scheinbar in der vordem Kammer gelagert sein sollte
(wie Dr. Pilz meint) ; wohl aber weiss ich aus genauen Beobachtungen, dass in Fällen,
die sich auf diese Weise hätten erklären lassen, diese Annahme durch kein Zeichen be-
gründet werden konnte, hingegen anderweitige Zeichen offenbar auf Iritis hinweisen. —
Eben so wenig konnte ich mich jemals von der sogenannten Eintrocknung eines Cor-
nealabscesses überzeugen, und glaube, man habe hievon dann gesprochen, wenn der
Eiter allmälig resolbirt worden war, und einer dichten gelblichen Narbe Platz gemacht
hatte. — Ich betrachte diese Iritis als Folge der Keratitis , weil ich sie auch bei Blen-
norrhoe mit tieferer Hornhauteiterung, und was noch klarer für diese Ansicht spricht,
weil ich sie in Fällen beobachtete, wo die Hornhaut z. B. durch ein Stückchen Ätzkalk
in Eiterung versetzt, die Iris ganz gewiss nicht verletzt worden war.
Als erstes Zeichen der Resorption und der beginnenden Vernarbung
sieht man gewöhnlich zahlreiche oberflächlich, und einzelne tief in der
Cornealsubstanz verlaufende Blutgefässe auftreten , welche häufig noch
lange fortbestehen, nachdem rings um die Cornea alle abnorme Gefäss-
injection verschwunden ist. Die weitern Folgen dieser Hornhautabscesse
werden wir in dem Abschnitte über die Hornhautgeschwüre näher
erörtern.
Vorkommen und Ursachen. Diese Krankheit kommt eben nicht
häufig vor, wenigstens ungleich seltener, als die durch atmosphärische
Einflüsse bedingte Conjunctivitis. Sie setzt keine besondere Disposition
voraus, wenn man auch zugeben muss, dass Individuen, die einmal daran
gelitten, leichter als andere wieder davon befallen werden. Wenn sie im
Kindesalter nie, im Knabenalter selten beobachtet wird, so liegt der
Grund wohl darin, dass Individuen dieses Alters nie oder selten den be-
treffenden Gelegenheitsursachen ausgesetzt werden. Als Veranlassung
bezeichnen die davon Befallenen in der Mehrzahl der Fälle Verkältung,
namentlich schnelle Abkühlung, scharfen Wind oder Zugluft hei schwiz-
ztiidem Kopfe. Insbesondere pflegen diese Schädlichkeiten dann zu jenem
Zustande zu führen, wenn sie auf bereits katarrhalisch affieirte Augen
Entzündung — rheumatische — Behandlung. 197
einwirken. Ingleichen entsteht diese Form gern, wenn auf derlei Augen
kalte Umschläge, Augenwasser u. dgl. unzeitig und unzweckmässig an-
gewendet werden. (Vergl. S. 13.) bei alten Leuten bedarf es im Allge-
meinen eines weit geringeren Grades von Verkältung, diese Krankheit
zu erregen, und bei diesen vor allen kommt es gern zur Abscessbildung.
— Die Krankheit ergreift selten beide Augen zugleich, und wenn auch
beide Augen ergriffen sind, so findet man das Leiden doch selten auf
beiden Augen in gleichem Grade ausgesprochen.
Die BehandSnng erfordert:
1. Strenge Abhaltung der Gelegenheitsursache und ähnlich wirkender
Potenzen, so wie alles dessen, was bei acuten Augenentzündungen über-
berhaupt zu meiden ist, wie : grelles Licht, Anstrengung des andern Auges,
erhitzende Getränke u. dgl. Der Kranke muss das Zimmer, wenn nicht
selbst das Bett hüten.
2. Antiphlogose. Ein Aderlass ist bei einfacher Keratitis nicht noth-
wendig; Blutegel hingegen werden bei einigermassen starken Reactions-
erscheinungen nicht leicht umgangen werden können; dasselbe gilt von
kühlenden, salzigen Abführmitteln.
3. Die nach hinreichender Blutentziehung noch vorhandenen Schmer-
zen werden am besten durch trockene warme Tücher (6 — 8fach zusam-
mengelegte Leinenservietten) um die entsprechende. Kopfhälfte (etwas über
das Auge herabhängend) und reichliche Einreibungen von UnguenL einer-
mit Opium (5 — 8 Grad auf 1 Dr.) an die Stirn und Schläfe gemildert.
Das Aufstreichen dieser Salbe soll vor dem Eintritte der abendlichen
Exacerbation geschehen
4. Nach gebrochener Heftigkeit der entzündlichen Zufälle Diaphore-
tica: tart. stibiatus r. d., Pulv. Doveri, infusum ipecac, spir. Minderen,
roob sambuci. Hautreize (Kren- oder Senfteige, Kantharidenpflaster am
Nacken) können sodann viel zur Linderung der Kopfschmerzen beitragen,
und letztere zeigen sich namentlich zur Abstumpfung der durch längere
Zeit zurückbleibenden Empfindlichkeit der Augen gegen Licht und scharfe
Luft sehr erspriesslich. Bäder sind erst beim Eintreten der Reconvales-
cenz zulässig, und besonders bei etwas mehr protrahirtem Verlaufe der
gelindern Form (a) oder bei entschiedener Neigung zu Recidiven sehr
wohlthätig.
5. Ist viel Eiter zwischen den Faserschichten der Hornhaut, oder
viel Exsudat in der Augenkammer angesammelt, so sind Brechmittel am
geeignetsten, die Resorption zu bethätigen, falls nicht die Entzündung
noch so heftig ist, dass fortwährend noch reichliche Exsudatioa erfolgt.
198 Hornhaut.
Wo jedoch die Cornea nahe daran ist zu bersten, sind Brechmittel wegen
der dadurch herbeigeführten Anstrengung gegenangezeigt. Von Dr.
Schmalz wurde die Polygala senega (Decoct. ex dr. jj — dr. jjj) vorge-
schlagen; sie wirkt jedenfalls nur s^hr langsam. Mit Abführmitteln muss
man in solchen Fällen, namentlich bei minder jugendlichen und kräftigen
Individuen, vorsichtig sein.
6. Die künstliche Entleerung des in der Augenkammer reichlicher
angesammelten Exsudates durch einen gegen 3"' langen Einstich am untern
Rande der Cornea, ist bisweilen das einzige Mittel, das Sehvermögen
ganz oder doch zum Theil zu retten, oder doch den Kranken wenigstens
von den wüthenden Kopfschmerzen zu befreien.
So sehr ich früher gegen diesen Eingriff war, so haben mich einige eclatante
Erfolge nun von der Vortrefflichkeit desselben überzeugt; nur darf man, sobald das
Exsudat mehr als l/3 der vordem Augenkammer ausfüllt, und den unter 5) angeführten
Mitteln nicht in 2 — 3 Tagen zu weichen beginnt, nicht lange damit zögern, und muss
die völlige Entleerung dadurch vermittelt werden, dass man entweder beim Herausziehen
des lanzenförmigen Messers oder nachträglich die Wunde gehörig klaffen macht.
7. Mercurialmittel sind behufs der Resorption innerlich nicht anzu-
wenden, bei a nicht nothwendig, bei b leicht schädlich. Örtlich dagegen,
an die Stirn und Schläfe erweisen sich Einreibungen von Ung. cinereum
allein oder mit Opium oder Hyosciamus selbst während des exsudativen
Processes als sehr willkommene Mittel zur Unterstützung der Cur.
8. Die fernere Behandlung des Abscesses oder Geschwüres der
Hornhaut folgt in dem Abschnitte über „Hornhautgeschwüre und Horn-
hauttrübungen."
9. Alle Mittel aufs Auge selbst sind schädlich, so lange noch ent-
zündliche Reizung besteht und frische Exsudation geschieht; den Über-
gang zu der unter 8 angedeuteten Behandlung macht man am besten mit
Einträuflungen von verdünnter Tinctura opii crocata, oder von Lapislösung.
Postmeister W., circa 50 Jahre alt, von sehr gesundem und kräftigen Aussehen,
kam Ende Juni zu mir mit einer Entzündung des linken Auges. Der Rand des obern
Lides war etwas ödematös angelaufen, die Conjunctiva palpebr. dicht netzförmig inji-
cirt, die Conjunctiva bulbi von ziemlich zahlreichen, leicht verschiebbaren, hochrothen
Gefässchen durchzogen, die vorderen Ciliararterien stark injicirt; rings um die Cornea
einen gegen 2 Linien breiten, bläulichrothen Saum bildend, die Cornea und die Iris voll-
kommen normal, das Sehen ungetrübt, der Kranke nur durch Lichtscheu und Thränen,
vorzüglich aber durch heftige, reissende Schmerzen in der Umgebung des Auges be-
lästigt ; im innern Winkel war ein Klümpchen gelblichen Secretes angelagert. Der
Mann war sehr ängstlich, weil er bereits vor 2 Jahren auch eine Augenentzündung
mit ähnlichen Erscheinungen gehabt, lange damit zugebracht, und doch noch einen
bedeutenden Fleck fetwa eine linsengrosse. halbdurchsichtige Narbe) fast mitten auf
Entzündung — rheumatische — Behandlung. J99
der Cornea davongetragen hatte; er war um so mehr besorgt, weil er schon zu ver-
schiedenen Malen an Gichtanfällen gelitten hatte. Dieses letztere Leiden hatte ihn be-
stimmt nach Karlsbad zu gehen, und dort hatte ihn eben, als er mit der Cur ziemlich zu
Ende war, die Augenentzündung befallen. Wenn ich nun auch seine Furcht in Bezug
auf eine gichtische Affection des Auges nicht theilte , so konnte ich mich bei mir selbst
doch nicht ganz beruhigen , weil ich nicht recht wusste, was jene starke Rosenröthe
und die heftigen Schmerzen eigentlich bedeuten sollten. Hatte gleich die Krankheit
mit den gewöhnlichen Erscheinungen einer Conjunctivitis catarrhalis begonnen, so war
sie diess gegenwärtig offenbar nicht mehr. Ich hielt daher den Kranken streng im
Zimmer, bei temperirtem Lichte, etwas restringirter Kost und völliger Ruhe, und ordi-
nirte ein trockenes, gewärmtes Leintüchel über die entsprechende Kopfhälfte, und ein
leichtes, kühlendes Abführmittel, nach 2 Tagen Einreibungen von Ung. cinereum mit
Opium an die Schläfegegend, und den 3. Tag Kren (Meerrettig) mit Mehl und warmem
Essig gemischt, handtellergross zwischen die Schulterblätter. Nachdem hierauf jene
Zufälle merklich abgenommen, stellte sich den 6. Tag eine leichte Trübung der Cornea
ein. wie wenn man ein Glas angehaucht hätte, und hiemit leichtes Trübsehen. Beides
verlor sich nach 4 Tagen, und der Kranke war somit den 10. Tag der Behandlung
reconvalescent. Jetzt verdiente wohl auch die Angabe des Kranken, dass er sich sein
Übel durch die nächtliche Reise von Karlsbad hieher verschlimmert habe, mehr Berück-
sichtigung, als ich ihr Anfangs zu schenken geneigt gewesen war.
Ein Bäckergesell von 46 Jahren und gesundem Aussehen kam am 12. Mai 1850
auf die Klinik. Beide Augen werden wegen Empfindlichkeit gegen das Licht nur halb
geöffnet; gegen den äussern Winkel hin leichte Excoriationen, im innern Winkel etwas
Schleim. — Am rechten Ange die Conjunctiva palp. netzförmig blass geröthet, leicht
geschwellt, die Meibom'schen Drüsen undeutlich durchscheinend; der Übergangstheil
blassroth, wulstig, mit einigen Schleimfäden belegt; die Conjunctiva bulbi von sehr
sparsamen und wenig ausgedehnten Gefässen durchzogen, serös iniiltrit, leicht in
Falten verschiebbar. Die Cornea zeigt beinahe in der Mitte zwei etwa hirsekorngrosse,
an der Oberfläche glatte und glänzende Flecke (Narben nach einer Entzündung im 5.
Lebensjahre). Des Morgens sind die Lider verklebt ; sonst ist dieses Auge normal.
(Conjunctivitis catarrhalis — maculae corneae.) — Auf dem linken Auge bietet die
Conjunctiva palp. dieselben Erscheinungen dar; die Conjunctiva bulbi ist von zahlrei-
chen hochrothen Gefässen durchsetzt, bedeutend serös geschwellt ; die Cornea beinahe
durchaus leicht getrübt, graulich matt, minder glänzend, etwa 2'" vom äussern Rande
einwärts mit einem seichten graulichen Grübchen versehen; der Limbus conjunctivae
ringsum fein injicirl, auf dem vordem Theile der Sclera ein rospnrother Gürtel. Das
Sehvermögen bedeutend getrübt; Lichtscheu und Thränenfluss heftiger, als rechts,
nebstdem drückende und reissende Schinerzen im Auge und dessen Umgebung. — Der
Kranke soll in seinem 5. Jahre eine Augenentzündung mit heftiger Lichtscheu über-
standen, und nach mehrmonatlicher Dauer einen Fleck auf dem rechten Auge behalten
haben. Vor 10 Tagen bekam er drückende und brennende Schmerzen in beiden Au-
gen, welche roth wurden, das Licht nicht gut vertrugen, und des Morgens verklebt
waren. Zur Linderung wandte er kalte Umschläge an, wobei sich das Übel jedoch
steigerte, und Trübung des Gesichtes (auf dem linken Auge) auftrat. — Wir setzten
S Blutegel vor das linke Ohr und verabreichten '/2 Gran Tart. stib. in 6 Unzen Eibisch-
decoct bei übrigens gehörigem Verhalten. Es erfolgte keine Erleichterung; wir setzten
200 Hornhaut.
zu derselben Medicin eine halbe Uuze Glaubersalz, und Hessen Ung. einer, mit Opium
(6 Gran auf eine Drachme) an die Umgebung aufstreichen. Schon den |5. Tag der Be-
handlung war die Gefässinjection sehr gering, das Cornealgeschwürchen ganz rein, die
katarrhalischen Symptome ganz gewichen, und der Kranke genas binnen 12 Tagen bis auf
eine leichte Facette der Cornea, deren Heilung der Kranke nicht abwartete.
Ein 38 Jahre alter, rüstig gebauter und gut genährter Müllerbursch , welcher
früher nie krank gewesen zu sein versichert, erkrankte den 20. November 1849 auf
dem rechten Auge , angeblich in Folge von Zugluft bei schwitzendem Körper. Er
bemerkte des Morgens leichten Schmerz und bedeutende Röthe dieses Auges ; da der
Schmerz bald sehr heftig wurde, ging er in's Spital der Barmherzigen, wo man ihm
bloss eiskaltes Wasser überschlug. Da er nebst Steigerung der übrigen Zufälle endlich
auch Abnahme des Gesichtes bemerkte, kam er den 2. December auf die Klinik. —
Hier fanden wir: die Lider normal, nur rechts die Hautvenen etwas ausgedehnt, die
Conjunctiva im Tarsal- und Übergangstheile netzförmig injicirt, stark gelockert (die
Meibom'schen Drüsen wenig durchscheinend), die Conjunctiva bulbi besonders in der
untern Hälfte stark injicirt, serös infiltrirt, den Limbus conjunctivae ringsum von zahl-
reichen Gefässen eingespritzt und . etwas geschwellt , den vordem Theil der Sclera
violettroth, die Cornea getrübt und gelockert, wie mit Nadeln gestochen. Unterhalb
der Mitte der Cornea sieht man einen hanfkorngrossen Substanzverlust, an welchen
nach oben und aussen eine etwas seichtere , jedoch breitere Vertiefung der Cornea
stösst. Während man durch die obere Hälfte der Cornea noch die Iris und die Pupille
wahrnehmen kann, erscheint die untere Hälfte überdiess durch ein gelblich graues Ex-
sudat getrübt. Die Iris ist entfärbt, gelblich röthlich , von der Pupille nur die Hälfte-
sichtbar, die untere Hälfte der Augenkammer mit einer eiterähnlichen Materie angefüllt.
Die Lichtempfindung undeutlich, kein Schmerz, geringe Lichtscheu, massige Thränen-
secretion mit etwas Schleim. — Wir stellten die Prognosis zweifelhaft und ordinirten
ein Emeticum und Ung. cinereum an die Stirn und Schläfe. Da sich keine Besserung
zeigte, öffnete ich am 4. December die vordere Kammer durch einen gegen 3'" langen
Einstich knapp am untern Rande der Cornea. Gleich nach der Operation entleerte sich
nur wenig von der Flüssigkeit, und wie es schien, grösstenteils nur der zwischen
den Faserschichten der Cornea angesammelte Theil, denn die Cornea wurde daselbst
sogleich durchscheinend, und das Exsudat in der vordem Kammer verlor nicht seine
convexe Oberfläche. Am 5. December jedoch war beinahe alles Exsudat bis auf eine
geringe Spur au-; der vordem Kammer verschwunden, und nur eine Art Pfropf in der
Pupille zurück, welcher diese ausfüllte. Die Cornea war auffallend reiner, bis auf die
Stelle des tiefern Geschwüres, dessen Grund und Ränder noch getrübt erschienen. Der
heftige Schmerz, der bisher jede Nacht eingetreten war, war die letzte Nacht ausge-
blieben , die Lichtempfindung deutlicher geworden. Den 6. December. Der obere und
äussere Theil des Pupillenrandes hat sich von dem geschrumpften und weniger gelb
aussehenden Exsudate zurückgezogen; der Kranke kann die Zahl der vorgehaltenen
Finger richtig angeben. Die Injection der Ciliargefässe ist noch bedeutend, von neuer
Exsudation jedoch nirgends eine Spur vorhanden. Einreibungen von Ung. einer, wie
früher, trockene, wanne Tücher über das Auge leicht herabhängend, innerlich Decoct.
graminis mit '/^ Unze Kali tart. und Melago graminis. Den 7. December. Die obere
Hälfte <ltr Cornea normal; man sieht die untere Hälfte der Iris mit einem leichten
Grau belegt, den kleinen Kreis dunkler gefärbt. Vom 8. December an wurde folgende
Entzündung — rheumatische — Behandlung. 20t
Mixtur verordnet: Decocti rad. polyg. senegae ex dr. jj. unc. V, Kali tart., mucil. gummi
arab. et melag. gramin. a*a unc. ß. Alle 3 Stundqn 2 Esslöffel. Von nun an nahm die
Injection allmälig so ab, dass wir am 17. December bereits Laud. liq. Sydenh. einträu-
feln konnten. Wir Hessen nun den Kranken ohne Medicin, verabreichten ihm nahr-
haftere Kost, und Hessen ihn herumgehen. Den 29. December. Die Injection der Con-
jnnctival- und Ciliargcfässe sehr gering, das Hornhautgeschwür flach, ohne Gefässe,
leicht getrübt, die übrige Cornea rein, die Iris der Farbe nach der andern gleich. Der
Pupillarrand nach innen und unten durch hintere Synechien fixirt, nach oben und
aussen mit Einträuflungen von Belladonna stark zurückweichend. Einträuflungen einer
schwachen Lösuug von Lapis infernalis. — Zustand bei der Entlassung am 11. Jäner-
Der Kranke erkennt mit diesem Auge nicht nur grössere Gegenstände, sondern auch
die Zeiger einer kleinen Taschenuhr, er kann selbst Druckschrift von V" Höhe lesen,
wenn die Pupille durch Belladonna erweitert wird. Die Iris ist nämlich in 2/s ihres'
Umfanges (nach innen und unten) fixirt, durch graubraune Fäden, welche von ihr zu
ei nein inohnkorngrossen Exsudate auf der Kapsel verlaufen. Die Cornea zeigt an der
Stelle des Geschwüres eine seichte, durchscheinende, noch nicht ausgeglättete Vertie-
fung, welche ringsum von einer sich allmälig verwischenden, bläulich grauen Trübung
umgeben wird. Die Stelle des Einstiches ist nur undeutlich erkennbar. Man sieht
nirgends Gefässe in der Cornea; der Zustand des Bulbus ist im Allgemeinen durchaus
nicht gereizt.
Ein Fiacre von 54 Jahren , dem Branntweintrunke ergeben, früher angeblich nie-
mals krank, bemerkte den vorletzten December 1848 drückende Schmerzen in den
Augen und etwas Röthe derselben. Am Sylvesterabend musste er bei heftig entgegen
wehendem kaltem Kordostwinde vor die Stadt fahren (nach Karolinenthal). Der Wind
traf vorzüglich das linke Auge, er konnte dasselbe vor Schmerz nicht offen halten*
von Zeit zu Zeit entleerte sich ein Strom von Thränen. Als er spät in der Nacht nach
Hause kam. bemerkte er, dass ihm zwar nicht, wie er geglaubt hatte, etwas ins Auge
gefallen, dasselbe jedoch geröthet sei. Er band es daher mit einem Tuche zu und
legte sich nieder, konnte jedoch vor heftigen Schmerzen nicht schlafen. Trotzdem sass
er am Neujahrstage wieder auf dem Bocke, musste jedoch, da die Schmerzen und die
Lichtscheu unerträglich wurden, die folgenden 3 Tage zu Hause, theils im Stalle, theils
in der Stube zubringen , und am 4. Jäner Abends ins Spital gehen. Wir fanden am
5. Jäner das linke obere Augenlid leicht ödematös geschwollen, an den Cilien und im
äussern Winkel einen weissiiehen Schaum, ziemlich reichlichen Thränenfluss, starke
Lichtscheu. Die Conjunctiva bulbi stark netzförmig injicirt, leicht verschiebbar; dar-
unter die Ciliargefässe blauroth, rings um die Cornea einen violettrothen Gürtel bil-
dend, bis in den Limbus conjunctivae eingespritzt. Die Cornea nur in der Mitte deut-
lich getrübt, mitten in der trüben Stelle des Epitheliums verlustig (wie abgeschliffen).
Die Iris leicht entfärbt, minder lebhaft beweglich, die Pupille enger, doch ohne Ex-
sudat. Umflortes Sehen, Lichtscheu, Thränenfluss, über Tag zeitweilig-, in der Kacht
anhaltend -stechende Schmerzen, welche sich über die entsprechende Kopfhälfte aus-
breiten. Der Puls etwas beschleunigt, die Temperatur der Haut erhöht, die übrigen
Functionen ungestört. Nebst entsprechender Regulirung der Diät und des Lichtes:
Ruhe im Bett, 10 Blutegel an die linke Schläfe, Einreibungen von Ung. einer, mit
e\tr. opii aquos.. darüber trockene warme Tücher , und infus, sennae cum sale Glaub.
Den 6. Jänner. Das Geschwür auf der Cornea grösser, die Iris mehr beweglich, die
202 Hornhaut.
Pupille gleich contrahirt; die übrigen Erscheinungen unverändert. Den 7. Jäner. Die
Schmerzen in der Nacht geringer, ebenso die Injection der Scleralbindehaut. Das Ab-
führmittel bleibt weg. Vom 8. bis 14. Jäner keine merkliche Veränderung am Auge;
Abnahme des Appetites. Den 15. Jäner. In der Nacht geringere Schmerzen, wenig
Schlaf, über Tag nur Gefühl von Druck im Auge; die Conjunctiva bulbi gegen den
äussern Winkel hin stärker serös infiltrirt, das Cornealgeschwür tiefer, breiter und
trüber, die Ins in ihrer Bewegung freier. Infus, sennae c. sale Glaub., Ung. einer, c.
opio. Den 17. Jäner. Diarrhöe. Ein lauwarmes Bad. Den 18. Jäner. Im untern
Umfange der Cornea erscheint eine Eitersenkung, mit horizontaler Begrenzung nach
oben; wie der Kranke seine Lage wechselt, ändert sich bald auch die Lage dieser
Flüssigkeit. Fortdauer der Diarrhöe. Ein warmes Bad. Den 19. Jäner. Im Bade war
der Kranke ohnmächtig geworden, hierauf ein reichlicher Schweiss am ganzen Körper
ausgebrochen. Der Kranke versichert, die erste Nacht gut geschlafen zu haben. Als er
des Morgens aufstehen wollte, empfand er einen stechenden Schmerz im linken Kniegelenke,
so dass er nicht gehen konnte. Das Auge fanden wir bedeutend besser, die Röthe der
Conjunctiva und Sclera geringer, das Geschwür reiner, den Onyx jedoch unverändert.
Das Kniegelenk war leicht geschwollen, besonders über dem untern Ende des innern Con-
dylus femoris, bei Berührung schmerzhaft. Die Diarrhöe hat aufgehört. Blutegel an
diese schmerzhafte Stelle, Einreibungen von Ung. cinereum, Umhüllung mit Cumpressen.
Den 20. Jäner. Die Geschwulst am Knie grösser, jede Bewegung unmöglich. Abermals
8 Blutegel an die äussere Seite, und Einwicklung in Werg. Den 22. Jäner. -Der Onyx
ist breiter geworden, das Geschwür länger und tiefer, sein Grund ziemlich rein. Der
Eiter zwischen den Hornhautfasern stellt einen Halbmond dar, und nimmt die innere
Partie ein, da der Kranke nur auf der rechten Seite liegen kann ; dass aber der Eiter
wirklich nur in der Cornea sich befinde, lässt sich bei Besichtigung der vordem Kam-
mer von oben und aussen her erkennen. Das Exsudat in der Kniegelenkskapsel ver-
mindert, aber der ganze Unterschenkel bis zum Fussriicken geschwollen, an letzterem
ödematös, an der Wade geröthet und derb anzufühlen. Der Puls beschleunigt, voll,
die Zunge trocken, belegt, der Durst erhöht, Aufstossen, nach reichlicherem Trinken selbst
Erbrechen, Meteorismus, Diarrhöe, mit vielen flüssigen Stühlen ohne Blut, ohne Schleim-
flocken. Mixt, gummosa mit extract. opii aquos. Den 24. Jäner. Des Nachts Deliriren,
häufige Entleerungen, oft ohne dass es der Kranke meldet, dunkler, sparsamer Urin ;
früh ein starker Schüttelfrost, und im Allgemeinen ein Krankheilsbild von Pyämie, mit
Metastase auf die Lunge, zwei Tage später auch mit Bildung von Eiterpusteln über die
ganze Cutis. Im Auge füllte sich die vordere Kammer mehr als zur Hälfte mit Eiter,
die Iris wurde entfärbt, die Cornea aufgelockert und getrübt, die Conjunctiva bulbi
stark ödematös. Der Kranke starb auf der Internabtheilung, wohin wir ihn am
28. Jäner transferirt hatten. — Scctionsbefund, Auf der Cornea fehlt das Epithelium in
der nächsten Umgebung des Geschwüres; dieses ist etwa 2'" lang, 1 '/2'" breit, und reicht
in der Mitte bis nahe an die Descemefsche Haut; diese selbst ist unversehrt, nirgends
durchbrochen. In der vordem Kammer theils flüssiges, theils festes Exsudat, letzteres
sowohl an der Iris als an der Cornea locker haftend, und unter dem Mikroskope Eiter-
kugeln zeigend. Eine grauliche Exsudatschichte soll auch auf der Zonula Zinii gelegen
haben *). Die Kniegelenkskapsel mit Eiter gefüllt, in der Scheide des M. gastrokuemius
*) Ii'h war rin Zeil dieser Section erkrankt, und kann demnach nur lias mitlheilen, was mir mein Assistent adnotirl hat.
Entzündung — traumatische — Verletzungen. 203
namhafte Eiterablagerungen; im rechten Pleurasäcke sulziges Exsudat, entsprechend
dem untern Lungenlappen, der sich im Zustande schlaffer Hepatisation befand.
5. Traumatische Entzündung der Hornhaut, Keratitis traumatica.
Von einem Zusammenfassen der hieher gehörigen Fälle unter eine
gemeinschaftliche Schilderung kann keine Rede sein, nachdem die Ver-
letzung der Art und dem Grade nach unendliche Verschiedenheiten dar-
bieten kann, und somit auch die Reaction als Folge derselben schon bei
ein und derselben Individualität sehr variiren müsste. Dennoch lassen
sich diese Fälle ohngefähr in zwei Reihen ordnen, je nachdem die Ein-
wirkung des fremden Körpers blosse Ausschwilzung plastischen Exsudates
zur Wiedervereinigung der Wunde oder zum Wiederersatz der Hornhaut-
substanz herbeiführt, oder aber Vereiterung der betroffenen und angren-
zenden Partie. Bloss objeetiv aufgefasst, werden sich die hieher gehö-
rigen Fälle von der Keratitis rheumatica nicht durchgehends unterscheiden
lassen, wrenn nicht etwa die Einwirkung eines fremden Körpers an be-
sondern Merkmalen, z. B. linearem Verlaufe der Trennung des Zusam-
menhanges u. dgl. zu erkennen ist. Im Allgemeinen müssen demnach
die anamnestischen Momente genau erhoben, und wo diese unglaubwürdig
erscheinen (z. B. bei Simulanten, in gerichtlichen Fällen) der weitere
Verlauf abgewartet werden. Die nähere Belehrung hierüber lässt sich
erst in dem folgenden Abschnitte geben.
II. Verletzungen der Hornhaut.
1. Durch mechanisch wirkende Schädlichkeiten.
a) Quetschung der Hornhaut verursacht in der Regel eine heftige
Entzündung derselben mit Abscessbildung und deren Folgen, der fremde
Körper mag nun in die Substanz eingedrungen (gequetschte Wunde), oder
sogleich abgeprallt sein.
b) Kleinere fremde Körper haften bisweilen oberflächlich an der
Cornea, und erregen gewöhnlich so heftige Zufälle, dass der Betroffene
so bald als möglich Hilfe sucht. Dennoch geschieht es, dass der fremde
Körper Tage-, Wochen-lang sitzen bleibt, und erst später heftige Ent-
zündung der Hornhaut, gewöhnlich mit Eiterbildung erregt.
So wird ein Fall von Morgagni erzählt, wo der Flügel eines kleinen Insektes, in
der Cornea zurückgeblieben war, und ein Geschwür erzeugte, welches augenblicklich
besser wurde, als man die Ursache erkannt und entfernt hatte. Nach Wenzt blieb die
204 Hornhaut.
Hülse eines Samenkorns 4 Monate auf der Cornea eines Kindes sitzen, und wurde
für eine Pustel gehalten. Es waren aber rings um die Cornea eine Menge varicöser
Gefässe vorhanden , die wie die Radien eines Kreises nach allen Seiten verliefen.
Wetizl überzeugte sich, dass die vermeintliche Pustel nichts anderes war, als die harte
Schale eines Hirsekorns, welche auf der Cornea dergestalt sass, dass ihr scharfer Rand
sich an die Cornea angelegt, ihre glatte, convexe Oberfläche wie eine Pustel ausge-
sehen hatte ""')• Salomon **) beschreibt einen Fall, wo ein feines Häutchen von Hafer-
stroh beinahe ein Jahr auf der Cornea haftete, bis er es erkannte und entfernte.
c) Andere fremde Körper dringen in die Substanz mehr weniger
tief ein, z. B. Funken glühenden Eisens, Stein- oder Glassplitterchen,
Pulverkörner u. dgl. Dieselben erregen augenblicklich stärkere Injeetion
der vordem Ciliararterien, Thränenfluss, Lichtscheu, Schmerz, seihst Au-
genlidkrampf. Eben dieses plötzliche Auftreten der Zufälle muss den Arzt
auf die Vermuthung eines fremden Körpers führen, wenn nicht schon die
Aussage des Kranken ihn darauf leiten sollte. — Wird die Ursache nicht
bald erkannt und entfernt, so dauern nicht nur jene Zufälle fort, sondern
es kommt auch zur Ausschwitzung plastischen und noch häufiger eitrigen
Exsudates in die angrenzende Partie oder in die ganze Hornhaut. Die
Eiterung führt entweder einfach zur Flottmachung und Abstossung des
fremden Körpers, oder zur Senkung des Eiters zwischen die Faser-
schichten der Cornea, und falls sie tiefer greift, auch gern zu Iritis mit
eitrigem Exsudat in der Augenkammer. Solche Fälle verhalten sich dann
im Allgemeinen so wie die von Keratitis rheumat. mit Abscessbildung.
Seltener geschieht es, dass der fremde Körper in eine Schicht plastischen
Exsudates eingehüllt wird, fortan keine entzündlichen Zufälle erregt,
und für immer sitzen bleibt, oder erst nach langer Zeit, wenn neuerdings
Schädlichkeiten auf die Hornhaut einwirken, zur Entzündung mit Eiterung
führt. Pulverkörner wachsen noch am ehesten ohne weitere Zufälle ein.
— Wenn der fremde Körper bereits von selbst oder durch Eiterung ent-
fernt, wenn er sehr klein oder durchsichtig, oder endlich, wenn er durch
Exsudat und Gefässentwicklung verdeckt ist, dann kann die Diagnosis in
Ermanglung verlässlicher Angaben von Seite des Kranken sehr schwierig,
und oft nur mittelst Ausschliessung auf überwiegende Wahrscheinlichkeit
gestellt werden. Hiebei ist nicht zu übersehen, das eine Verletzung des
Auges z. B. bei scrofulösen Individuen nicht selten den ersten Anstoss zur
Localisirung eines Allgemeinleidens abgibt, und dass bei ganz gesunden in
Folge verkehrten Verhaltens nach einer Verletzuno; eine Hornhautent-
*) Mnltcnzie 1. c. S 294.
■ro) Atomon'« Zeitschrift, ii. S. 332.
Verletzungen — Fremde Körper. 205
Zündung- entstehen kann, welche nicht Folge der Verletzung; sondern von
Verkühlung oder von Misshandlung mit allerhand widersinnigen Mitteln ist.
Kleine Körper, die nicht zu tief eingedrungen sind, lassen sich
meistens mit dem Spatel des Daviel'schen Löffels oder mit der convexen
Seite einer Rosas'schen Sichelnadel absireifen; selten wird es nöthig,
sie mit einer Staarnadel herauszugraben. Man hüte sich, die Reizung- und
Verletzung der Cornea unnöthig- zu vermehren. — Man setze, wenn man
keinen geeigneten Gehülfen zur Hand hat, den Kranken so, dass dessen
Kopf eine feste Lehne finde, und das Licht so einfalle, dass es den
Kranken möglichst wenig blendet, und das Spiegeln der Cornea die ge-
naue Einsicht auf den betroffenen Fleck nicht hindert. Der Kranke schliesse
mit der einen Hand das andere Auge, und werde angewiesen, mit der
andern nicht nach der des Operateurs zu greifen. Je nachdem es be-
quemer ist, bald mit der rechten, bald mit der linken Hand, fasst nun der
Operateur das Instrument, und versucht die Entfernung des fremden
Körpers, indem er mittelst des Daumens einer- und mittelst des Zeige-
fingers andererseits die Lider auseinander zieht und leicht an den Bulbus
andrückt. (Zieht man die Lider stark vom Bulbus ab, so wird derselbe
sehr unruhig.) Hat man ein spitziges Instrument, so sei man auf un-
vermuthete Bewegungen des Bulbus um so mehr gefasst, als die Gefahr
der Verwundung der Cornea grösser ist. Der braune Beschlag-, welcher
nach dem Eindringen von Eisenfunken zurückbleibt, soll abgekratzt werden,
wenn es ohne Gefahr übermässiger Reizung geschehen kann. Leichter
füllt sich das dadurch bewirkte Grübchen wieder aus, als ein solcher Be-
schlag verschwindet. Es versieht sich, dass man dabei auf die geringe
Dicke der Hornhaut nicht zu vergessen hat. — Den Vorschlag, Eisen-
splitter mittelst eines starken Magnetes anzuziehen, oder mittelst gehörig
verdünnter Essigsäure aufzulösen, wird man wohl selten in Anwendung
zu bringen nöthig haben.
Ist der fremde Körper tiefer eingedrungen, oder läuft er schief
zwischen den Hornhautfasern fort, wie z. B. Holz- oder Glassplitter, dann
hat man zu berücksichtigen, ob man ihn noch fassen kann, oder nicht.
Darnach wird man ihn entweder mit einer Pincette fassen, oder den
Wundkanal mit einem Staarmesser erweitern. Man hat sich weniger zu
scheuen, eine etwas grössere Schnittwunde zu machen, als durch ver-
gebliche Versuche den spröden Körper abzubrechen oder noch tiefer
hineinzutreiben, oder durch Zerrung und Zerreissung die Wunde zu ver-
grössern. Nicht gar zu fest sitzende Glassplitter lassen sich oft mittels
eines mit Leinwand umhüllten Griffels abstreifen.
206 Hornhaut.
d. Wunden der Cornea, ohne Gegenwart fremder Körper, erregen
verschiedene Zufälle, je nachdem sie rein geschnitten, oder zugleich
gequetscht sind, wie die meisten Stich- und die Risswunden, und je nach-
dem sie durchbohrend sind, oder nicht, ersteres mit oder ohne Verlust
d^s Humor aqueus, mit oder ohne Vorfall der Iris. — Wunden mit
Quetschung der Ränder oder Erschütterung der ganzrn Cornea führen
sehr leicht zu mehr weniger ausgebreiteter Entzündung und Vereiterung.
— Reine Schnittwunden bedingen diese Folgen nur dann, wenn sie kleine
Lappen bilden, oder wenn die Vereinigung per primam intentionem durch
schlechtes Verhalten gehindert wird, oder wenn das Individuum sonst
krank ist, insbesondere, wenn es stark herabgekommen, an Lues gelitten
und viel Merkur gebraucht, öftere Anfälle von Rothlauf gehabt hat, über-
haupt zu Eiterung einfacher Hautwunden disponirt ist. Es versteht sich
übrigens von selbst, dass auch die Grösse der Wunde und das unge-
störte Anliegen der Wundränder an einander von grossem Einflüsse ist,
— Durchdringende Hornhautwunden setzen theüweisen oder gänzlichen
Verlust des Kammerwassers, häufig auch Vorfall der Iris und dessen wei-
tere Folgen. Wir werden darauf in dem Abschnitte über „Hornhautge-
schwüre" zurückkommen, und erwähnen nur in voraus, dass in Fällen
durchdringender Hornhautwunden überhaupt ruhige Lage des Kranken die
erste Bedingung zur Heilung ist. — Entsteht die Frage, was mit der
vorgefallenen Iris zu geschehen habe, so muss man wissen, dass die
Entfernung derselben aus der Hornhautöffnung nur dann wünschenswerth
und zulässig erscheint, wenn sich letztere nachher durch Berührung der
Wundränder völlig schliessen kann. Das Zurückgehen der Iris wird
begünstigt: durch Abhaltung aller Muskelanstrengung, durch sanftes Hin-
und Herstreichen mit dem Daumen über die geschlossenen Lider und
dann rasches Öffnen der Lidspalte, durch Anwendung des Galvanismus
nach Schindler (mittelst einer Pincette, deren einer Arm, von Silber, an
den prulapsus, der andere, von Kupfer, an die Sclera angehalten wird),
oder, bei mehr centralen Vorfällen durch Einträuflung von Belladonna
Wollte man die prolabirte Iris mit dem Daviel'schen Löffel zurück-
schieben, so müsste man wenigstens sehr vorsichtig zu Werke gehen.
Wäre ein Theil der Iris fest eingeklemmt und nur sehr schwer oder gar
nicht zurückschiebbar, so würde ich ihn lieber mit einer Scheere ab-
schneiden, als reponiren oder mit Lapis infernalis ätzen.
Verletzungen— Chemische Substanzen. 207
2. Durch chemisch wirkende Substanzen.
Verbrühung der Hornhaut mit siedendem Wasser bewirkt, bei leich-
terem Grade, nur TriÜ ung und Abstossung des Epitheliums, welches sich
unter gelinden Zufallen bald wieder ersetzt. — Verbrühung mit Mineral-
säuren oder geschmolzenen Metallen führt in der Regel nicht nur zu
Verwachsung des Bulbus mit den Lidern (vergl. S. 155), sondern auch
zu unheilbarer Trübung der etwa frei gebliebenen Cornea, und zwar
mittelst Suppuraiion oder Sphacelus. — Gerieth ungelöschter Kalk oder
Mörtel auf die Cornea, so kann man sicher sein, dass eine heftige sup-
purative Entzündung nachfolgt, und dass, auch wenn es nur zu ober-
flächlicher Veischwärung kommt, eine niemals völlig aufhellbare Narbe
zurückbleibt. Greift aber die Veischwärung etwas tiefer, so tritt Iritis und
Hypopium hinzu. Das Anschlagen von Feuerflammen an die offenen Augen
versetzt nicht nur die Hornhaut, sondern gewöhnlich den ganzen Bulbus
in suppurative Entzündung.
Rücksichtlich der Folgezustände nach den verschiedenen mechanisch-
oder chemisch wirkenden Schädlichkeiten ist noch zu bemerken, dass,
wenn fremde Körper nicht bei Zeiten entfernt werden, wenn die Ver-
letzung mit einer gewissen Erschütterung erfolgte, die Wunde gerissen
oder stark gequetscht ist, wenn nachher nicht bald entsprechende Hilfe
geleistet wird, oder das Individuum überhaupt sehr vulnerabel ist: die
Entzündung nicht nur die Cornea, sondern mehrere Gebilde, namentlich
die Conjunctiva bulbi und die Iris, ja selbst die Chorioidea, den ganzen
Bulbus ergreifen, die sogenannte Chemosis oder Panophthalmitis trauma-
tica vorstellen !<ann.
Chemosis nannte man jede Entzündung am Augapfel, welche mit starker Infiltra-
tion der Conjunctiva bulbi, so dass dieselbe einen förmlichen Wall um die Cornea bil-
dete, und mit hinzutretender Entzündung der Cornea, häufig auch der Iris verlief, und
entschiedene Tendenz zur Vereiterung der Cornea zeigte. Nach dieser Anschauungs-
weise war die Bindehautblenorrhöe 3. Grades so gut eine Chemosis, wie die Keratitis
rheumatica oder traumatica mit Eiterung. — Panophthalmitis nannte man die Augen-
entzündung dann, wenn nebst Entzündung der Cornea und Iris und der wallähnlichen
Geschwulst der Conjunctiva auch heftigere Entzündung der Chorioidea mit plastischem
oder eitrigem Exsudate auftrat, und wegen der damit verbundenen serösen Infiltration
der Tunica vaginalis bulbi im hintern Umfange des Bulbus (analog der Schwellung der
Conjunctiva im vordem Bereiche) der Augapfel unter heftigen Schmerzen und feurigen
Erscheinungen aus der Orbita vorwärts gedrängt wurde.
Behandlung der consecutiven Zufälle. Ist der fremde Körper ent-
fernl, oder war ein solcher gar nicht zurückgeblieben, dann hängt es
208 Hornhaut.
von den bereits eingetretenen oder mit Wahrscheinlickeit zu erwar-
tenden Zufällen ab, welche Behandlung- einzuleiten sei. — Dauern Licht-
scheu, Tliränenfluss und Schmerzen nach Entfernung des fremden Körpers
noch fort, so gebe man kalte Umschlüye ; steigen sie noch, so sind über-
diess örtliche Blutentziehungen und starke salzige Abführmittel angezeigt;
fangt die Conjunctiva bulbi noch vor dem Eintritte der Eiterung an zu
schwellen, womit gewöhnlich auch Anschwellung und stärkere Wärme
des obern Lides und heftige Schmerzen im Auge und der Umgebung ver-
bunden sind, so kann bei kräftigen Individuen und raschem Steigen der
Zufälle selbst ein Aderlass nöthig werden. — So wie aber Eiterung ein-
getreten ist, was gewöhnlich unter dunklerer Böthe und schleimig eitriger
Absonderung der Bindehaut, so wie unter zeitweiligem Nachlasse der
Schmerzen geschieht, dann sind weder allgemeine ßlutentziehungen noch
starke Purganzen, am wenigsten aber kalte Umschläge angezeigt ; im Ge-
gentheile, der Kranke fühlt sich nach vorausgeschickter örtlicher Blut-
entziehung, wo diese wegen starker Congestion nöthig erschien, bei
Anwendung trockener warmer Tücher und Einreibungen von Ung. cinereum
mit Opium an die Stirn und Schläfe wohler. — Dass übrigens Ruhe des
Körpers und Gemüthes, restringirte Diät, so wie Abhaltung aller reizenden
Einflüsse um so strenger zu beachten sind, je grösser die In- und Exten-
sität der Verletzung, braucht wohl kaum erst näher erörtert zu werden.
Zur leichtern Orientirung mögen folgende Beispiele dienen. ■ — Einem jungen
Manne war, als er seinen Zögling mit einer dürren Rathe züchtigte, ein Stückchen
derselben ins rechte Auge gesprungen. Er empfand sogleich lebhaften Schmerz, als
ob etwas im Auge läge, Lichtscheu und Tliränenfluss und kam 3 Stunden darauf zu
mir. Ich fand keinen fremden Körper, nur die Cornea oberflächlich verletzt, das Epi-
thelium an einer hanfkorngrossen Stelle unterhalb der Pupille abgestreift, rings um die
Hornhaut einen sehr stark injicirten Gefässsaum, die Pupille ausserordentlich eng. Unter
Anwendung von kalten Umschlägen, Ruhe und etwas Bitterwasser war der Kranke den
4. Tag vollkommen genesen. — Eine Frau von 50 Jchren hatte sich, 4 Stunden bevor
ich sie sah, an ein heisses Ofcnthürl gestossen, derart, dass die Kante desselben mitten
über den Nasenrücken und die rechte Cornea (bei offenem Auge) gegangen war. Ich
fand auf dem Nasenrücken einen röthlichen Streifen (1. Grad von Verbrennung), auf
der Cornea vom innern bis zum äussern Bande einen etwa 1'" breiten, weissgrauen,
weder erhabenen, noch vertieften Streifen, die übrige Cornea rein, die Bindehaut nir-
gends verletzt, weder unter dem obern, noch unter dem untern Lide einen fremden
Körper, dennoch das Auge ungemein lichtscheu, von Thränen überströmt, und anhal-
tend heftig schmerzend, die Lider leicht angelaufen. Buhe, Eisumschläge, Diät, ein
Eccoproticum. Den 3. Tag war die Trübung der Cornea verschwunden, das mittler-
weile abgestossene Epilhelium vollständig ersetzt, die Iris frei, aber dennoch Lichtscheu
und Thränenfluss heftig. Den 5. Tag konnte die Verletzte wieder ausgehen. — Bei
einem jungen Manne fanden wir 24 Stunden, nachdem ihm frisch angemachter Mauer-
Verletzungen. — Beispiele. 209
kalk ins linke Auge gespritzt war, die Lider massig geschwollen, die Conjunctiva
palp. nächst dem Rande der Lider in einer Ausdehnung von 3'" Länge und V" Breite
mit graulich weissem, fest aufsitzendem Exsudate überzogen, in der Umgebung gleich-
förmig hochroth und aufgelockert, die Conjunctiva bulbi dicht netzförmig, gegen den
innern Winkel hin stellenweise ecchymotisch geröthet, und die Cornea in der untern
Hälfte ihres Epithelialüberzuges beraubt. Der Fall wurde interessant dadurch, dass
sich das Epithelium der Cornea binnen 24 Stunden bis auf eine hirsekorngrosse Stelle
ersetzte. Schon den 6. Tag der Behandlung verlangte der Kranke entlassen zu werden,
da die Trübung des Gesichtes schon den 4. Tag völlig verschwunden, und die Re-
actionserscheinungen von der Anätzung der Conjunctiva palpebr. bis auf ein Minimum
herabgesunken waren. — Eine Dienstmagd, welche bereits mehrmals an Augenentzün-
dungen und an Anschwellungen der Halsdrüsen gelitten hatte, wurde Anfang Septemcer
1846 von einer Kuh mit dem Schweife in das linke Auge geschlagen. Die nächsten
Folgen waren brennender Schmerz, Röthe des Weissen, später Gefühl von Druck unter
dem obern Lide, Lichtscheu und Thränenfluss. Dennoch blieb die Kranke bei ihrer
Beschäftigung, und kam erst 7 Wochen später, als nämlich auch auf dem rechten
Auge Röthe, Schmerz und Lichtscheu auftraten, auf die Klinik. Das rechte Auge bot
das gewöhnliche Bild einer Ophthalmia catarrhalis pustularis dar, nebst mehrern Horn-
hautflecken als Folge vorausgegangener scrofulöser Bindehautentzündungen. Auf der
linken Hornhaut bemerkte man nach unten und aussen einen erbsengrossen, schmutzig-
geblichen, undurchsichtigen Fleck. Auf den ersten Blick konnte man ihn für eine
Pustel halten ; bei näherer Untersuchung ergab sich, dass er durch Eindringen eines
fremden Körpers und die dadurch gesetzte Reaction bedingt war. Mit dem Spatel des
Daviel'schen Löffels wurde ein gelbliches, sprödes, etwas knirschendes Klümpchen
entfernt, worauf ein hanfkorngrosses Grübchen mit grauem Grunde sichtbar wurde.
Man hätte nun erwarten sollen, dass die Reaction abnehmen, und das Geschwür ver-
heilen-würde. Im Gegentheile, trotz energischer Antiphlogose kam es zum Durch-
bruche der Hornhaut an der verletzten Stelle. Leider entzog sich die Kranke der weitern
Beobachtung, da indessen das rechte Auge, dessentwegen sie in's Spital gekommen
war, vollkommen genesen war. — Ein achtjähriger Knabe hatte sich mit der Spitze
eines Messers in's rechte Auge gestochen. Man hatte einige Stunden kalte Umschläge
gegeben, und, da der Kleine weiter über nichts klagte, ihm erlaubt, vor's Thor zu
gehen, wo er sich tüchtig herumtummelte, so dass er ganz erhitzt nach Hause kam.
In der Nacht waren Schmerzen eingetreten. Als ich den 2. Tag Morgens gerufen
wurde, fand ich eine etwa V" lange Stichwunde unterhalb der Pupille, wahrscheinlich
nicht durchdringend, weil weder Humor aqueus fehlte, nocK die Iris gegen jene Stelle
verzogen war. Das Auge war nur massig lichtscheu, in der Umgebung der Wunde
leicht geröthet. Ich verordnete Ruhe und kalte Umschläge, alle 5 Minuten zu wech-
seln, und stellte die Prognosis günstig. Der Knabe war zwar schwächlich und mager,
hatte eine sogenannte Vogelbrust, sah jedoch übrigens gesund aus. Den 3. Tag fand
ich die Cornea durchaus matt und trüb, in der Peripherie nur undeutlich durchschei-
nend, die Ciliargefässe stark, die Conjunctivalgefässe massig injicirt, die Lider etwas
angelaufen, Lichtscheu und Thränenfluss heftig. Ich liess die kalten Umschläge aus-
setzen, dafür Ung. einer, mit Opium an die Stirn und Schläfe aufstreichen und gab
ein Infusum sennae mit syr. cichorei c. rheo. Am 4. Tage keine Änderung; am 5. die
Hornhaut in der Mitte heller, so dass der Kranke die Finger wieder zählen konnte;
Arlt, i. 14
210 Hornhaut.
an der Stelle der Verletzung klafft die Hornhaut, so dass man einen linearen Streifen
der Iris bloss liegen sieht. Dieselbe Therapie. Am 6. Tage fand ich Alles verändert,
die Hornhaut in voller Eiterung, nach unten und aussen bereits erweicht, wie in Fetzen
zwischen den Lidern vorragend, starkes Odem der Conjunctiva bulbi und der Lider.
Man hatte wider mein Gebot den lebhaften Knaben nicht nur aufstehen, sondern auch
auf den Gang gehen lassen. Von nun an trat unaufhaltsam Vereiterung der Cornea,
Blosslegung der Iris und Verlust der Linse ein, und durch etwa 14 Tage ragte selbst
eine Flocke Glaskörper vor, die sich durch Vereiterung abstiess. Die Verletzung hatte
Anfang September statt gefunden ; die Vernarbung mit massiger Verminderung der
Grösse des Bulbus war erst Ende October vollendet. — Prof. Fischer (Lehrbuch S. 45)
beschreibt folgenden Fall als Chemosis. Ein 40jähriger Schnitter von starker Körper-
constitution hatte sich zur Zeit der Ernte mit einer Kornähre das rechte Auge verletzt.
Trotz Schmerz, Lichtscheu und Röthe arbeitete er nicht nur denselben und den fol-
genden, sondern, mit verbundenem Auge, auch den 3. Tag noch fort. Am 4. Tage
musste er vor Schmerzen in dem Dorfe bleiben, wo man ihm ein Krebsauge unter das
Augenlid schob, und mancherlei Hausmittel gebrauchen liess. Da die Zufälle täglich
ärger wurden, ging der Kranke den 8. Tag nach Prag, wo das verletzte Auge den
28. Juli in folgendem Zustande gefunden wurde: die Lidränder stark angelaufen; unter
der Mitte der Hornhaut ein Geschwür, dessen Umgebung, besonders nach unten, grau-
lich weiss und aufgelockert; die übrige Hornhaut matt, grau getrübt, doch noch durch-
sichtig, besonders nach oben, von wo man erkennt, dass in der vordem Kammer eine
gelbe, eiterähnliche Flüssigkeit bis zum Pupillenrande herauf angesammelt ist; die
Pupille selbst und die Regenbogenhaut bieten keine merklichen Veränderungen dar;
rings um die Hornhaut ist die Scleralbindehaut in einen hochrothen Wall erhoben,
welcher in der untern Hälfte viel höher ist, als in der obern. Der Patient klagt nebst
Blindheit des Auges über anhaltende, drückend-spannende, stechend-reissende Schmer-
zen im Auge und im Kopfe, welche ihn schon mehrere Nächte nicht schlafen Hessen;
er hat kein Verlangen nach Speisen, erhöhten Durst, frequenten Puls, Stuhlverstopfung.
Ordination : ein Aderlass auf 12 Unzen, ein Purgans antiphlog., ruhige Lage, strenge
Diät. Den 29. Juli. Nach dem Aderlass hat der Kranke fast die ganze Nacht geschla-
fen; es sind 2 Stühle erfolgt; der Eiter in der vordem Kammer hat auffallend abge-
nommen; übrigens keine Änderung. Mittags nahmen die Schmerzen im Auge und
Kopfe wieder zu, und gegen Abend sah man wieder mehr Exsudat in der vordem
Kammer; es wurde desshalb wieder ein Aderlass gemacht und das Purgans fortgesetzt.
Darauf erfolgte eine ruhige Nacht, des Morgens 4 Stühle. Am 31. Juli. Des Niveau
des Eiters wieder niedriger, als am 30., doch nicht so, wie am 29. Am 2. August
wurde neuerdings zur Ader gelassen; die darauf folgende Erleichterung der Schmer-
zen war unbedeutend und der Eiter erreichte gegen Abend schon den Pupillarrand,
wesswegen wir die Hornhaut an ihrem untersten Ende öffneten; der Eiter entleerte
sich ganz, und der Schmerz im Auge und Kopfe verschwand augenblicklich. Am
3. August war der Kranke, der die Nacht sehr gut geschlafen hatte, ganz neberlos. Am
5. August musste die Hornhaut neuerdings punktirt werden, um den wieder angesam-
melten Eiter zu entleeren. Vom 6. August an erfolgte keine solche Ansammlung mehr
und bedeutende Besserung, so dass vom 7. August an bereits eine schwache Lösung
von Lapis divinus cum laud. Sydenh. eingeträufelt werden konnte, der Zustand des
Kranken bei nahrhafter Kost von Tag zu Tag besser wurde, und derselbe Ende August
Malacie. 211
mit gerettetem Sehvermögen entlassen werden konnte, da die Hornhautnarbe nicht im
Bereiche der Pupille lag.
III. Malacie der Hornhaut
Auf diese seltene Affection hat meines Wissens zuerst Prof. Fischer
in seinem Lehrbuche S. 275 aufmerksam gemacht. Er bezeichnet sie
als Folge unterdrückter Masern, und erinnert an die Ähnlichkeit mit der
Versehwärung der Cornea, welche nach Durchschneidung des Ganglion
cervicale supremum oder des Trigeminus diesseits des Ganglion Gasseri
bei Thieren beobachtet wird. *) Er beobachtete diese Form 3mal bei
Kindern unter grosser Unruhe und Gehirnaffection nach einem heftigen
Fieber, die Hornhaut wurde in Folge des gehemmten Nerveneinflusses
auf die Ernährung ergriffen, bei normalen Augenlidern, auffallender
Anästhesie der Augen und erweiterten Blutgefässen der ConjuncL bulbi
trüb, vollkommen undurchsichtig, aufgelockert, weich, und in 24 — 48
Stunden durch Exulceration zerstört; die Kinder starben in kurzer Zeit
nach dem Ausbruche des Übels an den Augen.
Da meine diessfälligen Beobachtungen gleichfalls nicht zahlreich
sind, so ziehe ich es vor, statt einer allgemeinen Schilderung dieselben
speciell anzuführen. — Dr. K. Hess mich in ein Haus rufen, in welchem
im August 1847 drei Kinder an Scarlatina erkrankt waren. Zwei derselben
waren bereits reconvalescent, das dritte, ein Knabe von 47a Jahren, war
vor 8 Tagen von Fieber und darauf von sehr reichlichem Exanthem be-
fallen worden. Seit einigen Tagen hatte man ein leichtes Verklebtsein der
Augen, seit gestern eine leichte Trübung der rechten Hornhaut bemerkt.
Ich fand (am 8. Tage der Krankheit) den Knaben sehr abgemagert (seit
etwa 3 Tagen), die Haut durchaus auffallend Mass, brennend heiss, die
Lippen trocken, rissig, den Athem übelriechend, die Stimme heiser, das
Athmen beschleunigt, den Unterleib eingesunken, den Stuhlabgang häufig
und sehr dünnflüssig; der Knabe lag wie betäubt, ohne Theilnahme, bei
jeder Berührung ächzend, übrigens oft sich unruhig hin und her werfend.
— Die rechte Hornhaut war durchaus gleichmässig getrübt, undurch-
sichtig, aufgelockert, erweicht ; die linke Hornhaut matt, leicht getrübt,
ohngefähr so wie bei einem Cadaver 36 Stunden nach dem Tode. Die
Bindehaut war auf beiden Augen blass, nur im untern Theile über der
Sclera von einigen Gefässchen mit einzelnen Ecchymosen versehen und
*•) Vgl. Slilling über Spinalirration, Leipzig 1840, und SrokaUki in Rojcr und Wunderlich1» Archiv, 1846, S. I o3.
14*
212 Hornhaut.
etwas aufgelockert. Wir verabreichten eine Medicin mit Extr. chinae
frig. par. Am 9. Tage erschien die linke Hornhaut eben so verändert,
wie am 8. die rechte; der Zustand dieser war im Ganzen derselbe. Wegen
profuser Diarrhöe wurde nebstdem Plumb. acet. verordnet. 10 Tag:
rechts die Cornea in eine Masse wie Schmierkäse erweicht, in der Mitte
bereits abgestossen , daher die unverletzte Descemet'sche Haut als
durchsichtige, krystallhelle Blase in der Grösse einer Linse (Ervum lens)
sichtbar; links die Hornhaut undurchsichtig, aufgelockert, doch noch ganz
vorhanden. Die Injection der Conjunctiva bulbi noch immer auffallend
gering. 11 Tag: die Descemet'sche Haut ist geborsten, etwas später
die Linse abgegangen, eine klare durchsichtige Masse (Glaskörper) ragt
aus der Öffnung hervor; das linke Auge heute so, wie gestern das
rechte. Die Conjunctiva bulbi etwas mehr aufgelockert, doch nur sparsam
von Gefässen durchzogen. Bis zum 14. Tage waren beide Hornhäute
ganz abgestossen, die Conjunctiva bulbi zu einem flachen und leicht ge-
rötheten Walle erhoben. Am 15. Tage zeigten sich Eiterablagerungen
an der rechten Handwurzel, und am 17. Tage erfolgte nach einem mehr-
tägigen gänzlich soporösen Zustande der Tod. Die Section wurde nicht
gestaltet. — Am 18. October 1847 wurde ich zu einem Bäcker gerufen,
dessen 7 Monate altes Kind vor 3 Wochen abgestillt, und wenige Tage
darauf von Diarrhöe und Aptlien befallen worden war. Dasselbe schien
von Natur aus stark zu sein, sah aber jetzt ganz anämisch aus, wie aus
weissem Wachs geformt, war trotz der sorgfältigen Einhüllung am ganzen
Körper kühl, machte nur selten eine geringe Bewegung mit den Extre-
mitäten, hielt die tief eingefallenen Augen halb geöffnet, lag ganz apa-
thisch da, und gab nur manchmal einen leisen, kreischenden Laut von
sich. Der behandelnde Arzt hatte die Ursache in unzweckmässiger Er-
nährung des Kindes erkannt, und bereits seit einigen Tagen geeignete
Anordnung getroffen, um diesem Übelstande abzuhelfen. Seit 4 Tagen
hatte man etwas Schleimabsonderung an den Augen, doch ohne erheb-
liche Röthe derselben bemerkt; Tags vorher waren dem Arzte kleine
Flecke auf den Hornhäuten aufgefallen. Ich fand auf jeder Hornhaut ein
Hanfkorn-, beinahe Linsen-grosses Geschwür, oder vielmehr die Hornhaut
war in der Mitte in eine eiterähnliche Masse verwandelt und durch-
brochen, denn die Iris war an die Cornea angelagert, der Humor aqueus
also ausgeflossen. Diese Stelle war auf dem rechten Auge etwas unter-
halb des Centrum der Cornea, auf dem linken etwas auswärts davon ge-
lagert, beinahe cirkelrund, und von der umgebenden, übrigens vollkommen
durchsichtigen und glatten Hornhautsubstatiz scharf abgegrenzt. Die
Geschwüre — Vorkommen — Ursachen. 213
Augen boten, indem der Lidsehlag sehr selten und langsam erfolgte, ein
eigenthümliches befremdendes Aussehen dar. Die Conjunctiva bulbi war
nicht im mindesten von Gefässen durchzogen, die Ciliargefässchen nicht
abnorm injicirt; die Lider weder geschwollen, noch geröthet; keine Spur
von Lichtscheu oder Schmerz; man konnte die Augen ganz bequem
untersuchen. Wir verordneten nebst der sorgfälltigsten Pflege Kukuruz-
wasser mit Milch zur Nahrung, und Extr. chinae frig. par. mit Acid. phos-
phor. in einer M. gummosa. Schon den 20. ging es dem Kinde im Allge-
meinen auffallend besser. Die Diarrhöe war gering, der Mund reinigte
sich; die Haut wurde wärmer und besser gefärbt, die Extremitäten mehr
bewegt. Die Hornhautgeschwüre waren nicht nur nicht grösser, sondern
auch reiner, die kleine Öffnung in der Descemet'schen Haut durch die Iris
verlegt, die Augenkammer wieder hergestellt. Am 22. sah man deutlich,
dass das Kind nun bei zweckmässiger Pflege und Nahrung gedieh ; die
Hornhautgeschwüre fingen an kleiner zu werden. Von nun an, schritt
die Besserung sichtlich vorwärts, und das Kind kam mit leichten Horn-
hautnarben davon. Anfangs Jäner 1851 suchte ich dieses Kind auf; es
sieht blühend gesund aus, und hat auf jedem Auge eine etwa hirsen-
grosse Hornhautnarbe . mit vorderer Synechie, welche das Gesicht nicht
stört. Die Cornealwölbung ist weder an der Stelle der Narbe, noch in
der Umgebung verändert.*)
IV. Geschwüre der Hornhaut.""""*)
In Folge verschiedener, meistens entzündlicher Affectionen des Auges
bemerkt man Vertiefungen in der Hornhaut, durch mehr weniger bedeu-
tenden Substanzverlust bedingt, und noch nicht mit Epithelium überzogen.
Diese Vertiefungen, im Allgemeinen Geschwüre genannt, zeigen entweder
den Grund und die Ränder grau oder gelblichweiss, eitrig infiltrirt, bald
*) Dieser Fall erinnert unwillkürlich an Hagendie's bekannte Versuche an Hunden, bei welchen, nachdem er sie
bloss mit Zucker und destillirtem Wasser gefüttert hatte, vordem Tode centrale durchbohrende Hornhautgeschwüre
entstanden. Memoire sur les Propietes nutritives des Substances, qui ne contiennent pas d'Azote, Paris 1816
**) Wenn ich dem aufgestellten Systeme nicht streng folgend, der Besprechung der hieher gehörigen Zustände der
Cornea einen eigenen Abschnitt widme, somit dieselben gleichsam als selbständig, als Krankheiten hinstelle, so
geschiet diess nur der Kürze und der Deutlichkeit wegen. Diese Zustände stellen nur Mittelglieder dar, denen
verschiedene andere vorausgehen und nachfolgen können. Sie bieten aber, gleichviel ob auf diese oder auf jene
Weise entstanden, so viel gemeinschaftlich zu Bosprechendes dar, dass ihnen ein eigener Abschnitt gewidmet
werden, und aus den einzelnen Capiteln darauf hingewiessen werden musste, wenn nicht häufig dasselbe wieder-
holt werden wollte, und ebeu durch diese Zusammenfassung konnte ihre Schilderung nur an Klarheit und Deut-
lichkeil gewinnen.
214 Hornhaut.
mit, bald ohne Blutgefässentwickelung in der Umgebung, und heissen dann
Eitergeschwüre, oder sie erscheinen ganz rein, oft nur durch die Seiten-
ansicht (beim Spiegeln der Cornea) erkennbar, stets ohne Gefässentwick-
lung, als sogenannte Resorptionsgeschwüre. Letztere erscheinen entweder
gleich von vornherein als solche, oder als Folgezustand der ersteren; nicht
leicht (ohne besondere Veranlassung) findet der umgekehrte Fall statt.
Hornhautgeschwüre überhaupt kommen vor: 1. Bei Conjunctivitis
catarrhalis; diese sind peripherisch gelagert, gewöhnlich sichelförmig,
innerhalb des Limbus conjunctivae verlaufend, haben meistens die Charak-
tere der Resorptionsgeschwüre, und werden daher selten gefährlich. —
2. Bei Conjunctivitis blennorrhoica. Hier entstehen entweder Resorptions-
geschwüre (bei minder acutem Verlaufe), oder Eitergeschwüre durch
partielle Entzündung mit Eiterbildung, oder durch Verschwärung,
Nekrosirung eines mehr weniger grossen Theiles, selbst der ganzen
Cornea. Die Eitergeschwüre haben hier das Eigentümliche, dass sie
nie zur Eitersenkung zwischen den Faserschichten der Cornea führen,
und dass sie, auch wenn sie weit um sich greifen, nie ganz bis zur Sclera
hinreichen. — 3. Vielleicht die häufigste Quelle von Hornhautge-
schwüren ist die Conjunctivitis scrofulosa mit Bläschen- oder Pustel-
bildung auf der Cornea, so wie auch das ihr nahe stehende Trachom auf
gleiche Weise, und Exantheme, namentlich die Blattern, durch Eruption
auf der Cornea zu Geschwüren Anlass geben. Diese Geschwüre sind im
Allgemeinen rund, bald rein, mehr oberflächlich und daher ohne Gefahr
(Resorplionsgeschwüre, besonders bei Conjunctivitis scrofulosa und Tra-
choma mit Bläschenbildung), bald eitrig infiltrirt, Grund und Ränder grau
oder gelblichweiss, tiefer dringend, und alle hiemit verbundenen Gefahren
einleitend. Diese Geschwüre sitzen, gleich den Pusteln, bisweilen halb auf
der Cornea, halb auf der Sclera und zerstören bisweilen auch den Rand-
Iheil der letzteren. — 4. Der Resorplionsgeschwürchen beim Pterygium
wurde bereits Erwähnung gethan. — 5. Die Keratitis rheumatica setzt
bald ganz oberflächliche, reine und gefahrlose Geschwürchen, bald aus-
dehnte und in die Tiefe oder ganz durchdringende Geschwüre, welche
fast immer, wenn nicht die Folgen des Durchbruches, so doch unheil-
bare Trübungen zurücklassen. — 6. Dasselbe gilt von Substanzverlusten,
welche durch mechanisch- oder chemisch-wirkende Schädlichkeiten ein-
geleitet werden. — Eitergeschwüre, durch Conjunctivitis scrofulosa, Va-
riola, Keratitis rheumatica oder traumatica eingeleitet, vergrössern die
Zerstörung der Hornhaut sehr gern durch Senkung des Eiters zwischen
den Fiiserschichten der Cornea. — 7. Die spontane Verschwörung oder
Geschwüre — Folgen — Heilung. 215
Malacie der Cornea endlich gebort, wie wir gesehen haben, an und für
sich in der Regel unter die gefährlichsten Zerstörungen der Hornhaut-
substanz. — 8. Nicht übergangen werden dürfen endlich jene Hornhaut-
geschwüre, welche bei schwer erkrankten Individuen (an Typhus, Cholera,
Puerperalfieber u. dgl.) in dem untern Segmente der Cornea entstehen,
wahrscheinlich in Folge des mehr weniger aufgehobenen Augenlidschlages.
Zuerst wird bei solchen Kranken die Bindehaut, namentlich in der untern
Hälfte des Bulbus, stärker injicirt, und sondert eine sehr bald zu gelben
Krusten vertrocknende Flüssigkeit ab; sofort sieht man eine solche gelb-
liche Kruste längs des Randes des untern Lides über die Cornea streichen,
und gleichsam an diese angetrocknet ; entfernt man dieselbe, so findet
man die Cornea darunter bereits mehr weniger getrübt, selbst schon
erweicht, und in ein Geschwür mit grauem Grunde verwandelt. Wenn
der Kranke dem Allgemeinleiden nicht erliegt, so kann dieser Zustand
der Cornea viele Tage lang unverändert bleiben, ohne Durchbruch der
Cornea und mit Hinterlassung einer unbedeutenden Narbe heilen.
Sobald ein Hornhautgeschwür Gegenstand der Prognosis und The-
rapie wird, genügt es nicht, bloss dessen Sitz, Ausdehnung und Tiefe,
die Beschaffenheit seines Grundes, seiner Ränder und Umgebung, seiner
Entstehungsweise aus diesem oder jenem Krankheitsprocesse u. s. w.
möglichst genau zu eruiren — man muss überhaupt wissen, auf welche
Weise der Substanzverlust wieder gedeckt werden kann, welche Folge-
zustände durch Geschwüre eingeleitet werden können, und welche Um-
stände auf dieses verschiedene Verhalten Einfluss zu nehmen pflegen.
Wo immer eine Vertiefung in der Cornea durch Substanzverlust
entstanden ist, da wird diese niemals durch Beiziehung der benachbar-
ten Partien gedeckt, sondern dureh plastisches Exsudatf welches jene
Vertiefung mehr weniger vollständig ausfüllt, und welches die Eigen-
schaften jener Elemente, zu deren Ersatz es geliefert wurde (der Horn-
hautfasern und Epithelien), in mehr weniger Zeit und in mehr weniger
Vollkommenheit oder aber niemals wieder erlangt.
Denken wir ans, um das Gesagte mehr in concreto zu betrachten, z. B. ein
Hornhautgeschwür von etwa 1 1/2'" Durchmesser, trichterförmig wie gewöhnlich, in der
Mitte etwa V3'" tief, Grund und Ränder grau, letztere etwas geschwellt, weil von Ex-
sudat infiltrirt. Soll ein solches Geschwür nicht weiter um sich greifen, so muss zu-
nächst die Schmelzung der Ränder und des Grundes, die Eiterbildung aufhören, Grund
und Ränder müssen ein reineres Aussehen annehmen. So wie diess geschehen ist,
finden wir eine allmälige Abnahme sowohl der Tiefe ab des Umfanges. Nach und
nach, wie diess Grübchen kleiner geworden, erscheint die betroffene Stelle nicht mehr
so rein und hell, sondern mehr weniger getrübt, und diese Trübung kann in dem
216 Hornhaut.
Maasse zunehmen, wie die Vertiefung endlich ausgefüllt wird. Diese Erscheinung ist
selbst Laien bekannt; sie bezeichnen sie oft als eine neu entstehende Krankheit, als
das Wachsen eines Fleckes oder Felles auf dem Auge, in dem sie die das Geschwür
einleitende Krankheit bereits verschwunden wähnen. Sobald nun kein eigentliches
Grübchen mehr vorhanden ist, sobald die afficirte Stelle wieder glatt, mit Epithelium
überkleidet erscheint, findet man die mehr weniger trübe Stelle entweder vollkommen
gewölbt, das Spiegelbild z. B. von den Fensterrahmen regelmässig, wie auf gesunden
Hornhautpartien, oder diese Stelle erscheint leicht aufgeflacht, wie wenn man die Horn-
haut daselbst abgeschliffen hätte. Diess hängt nämlich davon ab, ob das plastische
Exsudat, welches zum Ersatz geliefert wurde, vor dem völligen Abschlüsse durch Epi-
thelium in hinreichender oder in zu geringer Menge gesetzt wurde. Nur selten, unter
weiter unten zu erörternden Umständen, geschieht es, dass der Callus, wenn man so
sagen darf, in excessiver Menge abgelagert wird und eine Erhöhung an dieser Stelle
bewirkt. In dem Falle, wo der Substanzverlust nicht vollkommen gedeckt wurde,
bleibt dann in der Regel jener leichte Abschliff zurück. Wurde die Grube gänzlich
und gehörig ausgefüllt, so hängt es zwar zunächst von der Beschaffenheit des Exsu-
dates ab, ob dasselbe nach längerem Bestände trüb und undurchsichtig, als einfaches
Faser- oder Narbengewebe stehen bleibt, oder ob es allmälig in ein den Cornealfasern
völlig analoges, homogenes Gewebe verwandelt werde oder nicht; es haben aber auf
die Möglichkeit dieser Umwandlung noch eine Menge Umstände Einfluss, welche wir
zum Theil in diesem, zum Theil aber auch erst in dem folgenden Abschnitte (über
Hornhauttrübungen) ausführlicher besprechen können.
Es ist Thatsache der Beobachtung, dass mehr weniger grosse Par-
tien der Hornhaut, welche durch Eiterung zerstört und, gleichsam pro-
visorisch, durch ein mehr weniger trübes Gewebe ersetzt worden waren,
nach einiger Zeit wieder vollkommen durchsichtig, gewölbt und glatt
werden können. Man sieht in den Fällen, wo diese Metamorphosen auf
einander folgen, niemals weder eine Spur von Beiziehung der Geschwürs-
ränder, wie z. ß. nach Substanzverlusten in der Cutis oder in einer
Schleimhaut, daher auch niemals strahlige Narben, noch ein einfaches
Nachwachsen gesunder Hornhautsubstanz vom Cornealrande her (als Ma-
trix), wie bei den Horngebilden (Nägeln oder Haaren). Man muss
demnach obigen Vorgang als wirkliche Regeneration verloren gegangener
Hornhautpartien betrachten, man muss zugeben, dass die Hornhaut, we-
nigstens unter gewissen Bedingungen, regenerationsfähig sei.
Ich hatte diesen Satz, über dessen Richtigkeit man mit sich im Reinen sein
muss, bevor man in die Lehre von den Cornealgeschwüren und deren Folgen weiter
eingehen kann, zuerst in meinem Aufsatze über das Hornhautstaphylom (Prag. Vjchr.
1844, B. II.) und über Centralkapselstaar (Österr. med i ein. Woehenschr. 1845, N. 10
und 11) durch Beobachtungen nachzuweisen versucht. Dr. Hasner 1. c. S. 97 fertigt
meine Behauptung, ohne auf jene Beobachtungen hinzuweisen, mit der einfachen Ver-
dächtigung ab, „sie beruhe auf Täuschung." Er gibt dagegen folgende Erklärung: „Wenn
ein Theil des Hornhautparenchyms durch Vereiterung zu Grunde gegangen ist, so ent-
Geschwüre— Regeneration. 217
wickeln sich in der Tiefe des Geschwüres Gefässe, welche die Ansetzung des pla-
stischen Exsudates vermitteln, das in Fasern umgewandelt wird. Diese Fasern an die
Geschwürsränder geheftet, bringen bei ihrer Contraction Schrumpfung, eine Dehnung
der Hornhaut (!) hervor. In eben dem Maasse, als demnach die Narbe kleiner wird,
gewinnt der durchsichtige Theil der Hornhaut an Breite; wenn zudem noch das paren-
chymatöse Exsudat in der Umgebung des Geschwüres resorbirt wird, so erscheint nach
vollendeter Vernarbung ein grösserer Theil der Hornhaut durchsichtig, als bei der um-
fangreichen Zerstörung hätte vermuthet werden können. Dass eine Dehnung der Horn-
haut, besonders so lange sie infiltrirt ist, leicht möglich ist, beweist der oben ange-
führte Fall (mit Ausdehnung der Cornea in Folge entzündlicher Infiltration) und die Ver-
grösserung der Hornhaut bei der Kammerwassersucht. Aus denjenigen Fällen übrigens,
welche zum Beweise der Regeneration der Hornhaut angeführt werden, ergibt sich leicht,
dass keine andern, als die angeführten Umstände im Spiele waren." — Die Dehnbarkeit
der Cornea hat Niemand geläugnet. Hasner hat nur ignorirt oder übersehen, dass die
Hornhaut 1. an Stellen, wo sie in beträchtlicher Ausdehnung und Tiefe (selbst mit
Durchbruch zerstört war, in manchen Fällen wieder vollkommen durchsichtig, und 2.
auch wieder vollkommen gewölbt vorgefunden wird, und 3. dass man auch die unver-
sehrt gebliebenen Partien .in Bezug auf ihre Wölbung nicht im mindesten verändert fin-
det, seihst wenn die Cornea z. B. in der Mitte eine sehr dichte und unheilbare Narbe
darbietet. — Ist auch Hasner 's Angabe, dass sich in der Tiefe des Geschwüres Gefässe
entwickeln, sehr ungenau, selbst unrichtig, weil nicht allgemein giltig, so ist doch so
viel wahr, dass im Grunde des Geschwüres plastisches Exsudat abgelagert wird, sobald
die Yernarbung beginnt. Man denke sich nun, naeh Hasner's Angabe, es beginne die
Organisirung dieses Exsudates, die Bildung von Fasern und sofort Schrumpfung
derselben; man denke sich eine solche Faser, mit beiden Enden an gegenüberstehende
Punkte des Geschwürsrandes geheftet, allmälig contrahirend , mit solcher Kraft,
dass die umgebende gesunde Partie nachgeben, sich ausdehnen muss. Die fixen Punkte
sind die Anheftungsstellen an den Geschwürsrand. Könnte bei diesem Vorgänge jene
schrumpfende Faser wohl jemals in der Mitte vorwärts gewölbt werden? müsste sie
nicht vielmehr stets in gerader Linie verlaufen? Und doch sehen wir in jenen Fällen,
wo Hornhautnarben mit der Zeit spurlos verschwanden, die Wölbung der Cornea da-
selbst nicht im mindesten verändert. - — Hasner's Erklärung geräth aber auch in direk-
ten Widerspruch mit der Erfahrung, dass man, und zwar eben nicht selten, von
offenbaren Cornealgeschwüren nach mehr weniger langer Zeit gar keine Spur mehr
vorfindet. Hasner's Erklärung liesse sich noch annehmen bei Hornhautnarben, welche
durch das ganze Leben hindurch bleiben, und nur allenfalls mit der Zeit kleiner wer-
den. Was ist aber aus jener, die angebliche Dehnung der Cornea vermittelnden Ex-
sudatfaser geworden, wenn endlich keine Spur des Geschwüres und der consecutiven
Narbe mehr vorhanden ist? Ist diese etwa spurlos verschwunden, oder endlich auch
durchsichtig geworden? Und endlich, hat man denn je eine positive Erscheinung
wahrgenommen, welche jene Dehnung der umgebenden Partie nachwiese? Hat man
je beobachtet, dass die umgebende Cornealpartie eine Andeutung von Faltung darbiete,
wie wir bei Narben der Cutis oder einer Schleimhaut bemerken.? Faltung der Cornea
wird allerdings beobachtet, aber nie bei einfachen Hornhautnarben; immer wird man
finden, dass die Cornea dann gegen einen peripherischen fixen Punkt hingezogen ist,
wie z. B. wenn die Hornhautwunde nach dem Schnitte behufs der Extraction durch
218 Hornhaut.
Eiterung heilt. — Ich kann demnach heute noch nicht anders, als vor mehreren Jah-
ren mir die Thatsachen des spurlosen Verschwindens von Hornhautgeschwüren und
Narben erklären; ich muss annehmen, dass das zur Deckung des Substanzverlustes
gesetzte plastische Exsudat unter gewissen Bedingungen in ein den Cornealfasern völlig"
homogenes Gewebe umgewandelt werden könne, und diese Erklärung scheint mir auch
richtiger, als die, zu welcher Demours durch jene überraschende Erscheinung de*
spurlosen Verschwindens von Hornhautnarben bestimmt wurde. Dieser Auetor meinte-
nämlich, die Cornea wachse vom Rande her nach, wie der Nagel von der Matrix, und
auf diese Weise werden bisweilen Hornhautnarben völlig eliminirt. Ich brauche wohl
kaum zu erwähnen, dass diese Erklärung mit unsern Kenntnissen über Anatomie und
Physiologie der Cornea durchaus nicht im Einklang steht, und dass dann kleine peri-
pherische Cornealtrübungen oder eingeheilte fremde Körper, z. B, Rostflecke, Pulver-
körner, allmälig von der Peripherie gegen das Centrum vorrücken müssten. Wollte
man jene Erscheinung des endlichen Verschwindens von Narben ja als Nachwachsen
gesunder Cornea betrachten, so müsste wenigstens die von den tiefern Cornealgefässer»
durchzogene tiefste Schicht der Cornea als Matrix angenommen werden.
Die vorzüglichsten Bedingungen zur Regeneration zerstörter Horn-
hautpartien sind:
1. Dass die Descemet'sche Haut unversehrt geblieben, nicht bleibend
vorgewölbt noch eingerissen wurde ; wenn letzteres statt gefunden, so
darf der Riss nicht gross gewesen sein, und es müssen sich die Zipfel
derselben, welche beim Einreissen entstanden, nachträglich wieder voll-
kommen mit einander vereinigt haben. Wo immer die Descemet'sche
Membran in ihrer Continuität bleibend gestört ist, z. B. durch Einheilung
eines Theiles der Iris in die Cornealöffnung, da kann von einer Wieder-
aufhellung der Cornea an dieser Stelle keine Rede sein.
2. Jugendliches Alter des Kranken und günstiger Zustand der Er-
nährung überhaupt. Die schlagendsten Fälle von Regeneration der Cornea
findet man unstreitig bei Kindern, welchen in Folge von Blennorrhoe eine
mehr weniger beträchtliche Partie der Cornea zerstört worden war. Bei
herabgekommenen, namentlich bei alten Individuen hinterlassen relativ
kleine Geschwürchen der Cornea bleibende Trübungen.
3. Ein gewisser Grad von Reaction (Vergl. S. 103). Nicht nur die
Ausfüllung der Vertiefung mit plastischem Exsudate, sondern auch dessen
Umwandlung in Fasern, welche der Cornea homogen sind, kann durch
äussere Einflüsse bald befördert, bald behindert und vereitelt werden.
Der alte Erfahrungssatz, dass unter Anwendung von Bleisalzen Hornhaut-
geschwüre zwar leichter vernarben, aber auch unheilbare Trübungen hin-
terlassen, ist eben so wahr als bekannt. — Die nähere Erörterung dieser
und ähnlich wirkender Umstände kann erst später gegeben werden.
a) Blosse Erosionen oder Epithelialverluste, wie wir sie in Folge
Geschwüre — Erosionen — Resorptionsgeschwüre. 219
von katarrhalischen und rheumatischen Entzündungen, am reinsten aber
nach leichten Verletzungnn mit mechanisch- oder chemisch-wirkenden
Substanzen beobachten, ersetzen sich in jedem Alter ohne erhebliche
Reaction vollständig, selbst wenn sie über einen grossen Theil der Cornea
sich ausdehnen. Sie erfordern keine besondere örtliche Behandlung.
b) Sogenannte Facetten oder Resorptionsgeschwüre erstrecken sich
nicht, wie man fälschlich angegeben, bloss auf das Epithelium, sondern
stets auch auf die obersten Schichten der Cornealfasern. Hieven kann
man sich überzeugen, wenn man eine derart facettirte Cornea aus dem
Cadaver nimmt, und das Epithelium überall abstreift; an der Stelle der
Facette bleibt ein mehr weniger tiefes Grübchen in der Hornhautsubstanz
zurück. Diese Resorptionsgeschwüre, welche am häufigsten nach Con-
junctivitis scrofulosa mit Bläschenbildung zurückbleiben, werden bei eini-
germassen lebenskräftigen Individuen in kurzer Zeit unter den Erschei-
nungen eines wenig oder gar nicht gereizten Zustandes des Auges von
plastischem Exsudate ausgefüllt, welches in der Tiefe Hornhautfasern, an
der Oberfläche Epithelium bildet, und in relativ kurzer Zeit vollkommen
durchsichtig wird. Sie können aber auch Monate lang ziemlich unver-
ändert fortbestehen, bevor es zu dieser Umwandlung kommt. Findet hin-
gegen übermässige Reizung statt, wird das Anschiessen plastischen Stoffes
gleichsam präeipitirt, so bleibt derselbe längere Zeit trüb, es bildet sich
eine grauliche, später bläuliche und halbdurchsichtige Narbe, welche
jedoch, wenn sie noch nicht Jahre lang bestunden hat,, und das Indivi-
duum nicht zu sehr herabgekommen ist, von selbst verschwinden oder
durch örtliche Reizmittel zum Schwinden gebracht werden können. —
Sie erfordern nur dann die Anwendung leichter Reizmittel, wenn sie ohne
Zeichen von Reizungen des Bulbus lange Zeit unverändert fortbestehen.
Eine schwache Lösung von Nitras argenti oder das Betupfen mit anfangs
verdünntem, später mit reinem Laudanum liq. Sydenh. schienen mir die
zweckmässigsten örtlichen Mittel, den Ersatz des Substanzverlustes zu be-
günstigen.
Ich habe einige Male derlei kleine Trübungen im Cadaver zu untersuchen Gele-
genheit gehabt und gefunden, dass wenn ich die Cornea mit einem Scalpell abgeschabt
hatte, um den Epithelialüberzug vollständig zu entfernen, an der Stelle der Trübung
nur eine seichte Depression oder ein leichtes Grübchen zurückblieb, woraus ich schlies-
sen möchte, dass daselbst wegen unzureichender Reaction die Cornealfasern nicht er-
setzt, und die Vertiefung durch dicker aufgehäuftes Epithel ausgefüllt wurde; denn
vor dem Abschaben hatte ich in mehreren Fällen, wo ich genau darnach forschte, daselbst
nicht die mindeste Vertiefung wahrnehmen können. Solche Trübungen Hessen sich im
Leben vielleicht dadurch beseitigen, dass man das Epithelium abschabte, und hiedurch
220 Hornhaut.
zugleich das Anschiessen plastischen Exsudates und die Bildung von Cornealfasern an
jener Stelle einleitete. Es ist jedoch mehr als wahrscheinlich, dass man diesen Zweck
auch durch andere Mittel erreichen kann, wie wir in dem Abschnitte über Hornhaut-
trübungen nachweisen werden.
c) Die Eitergeschwüre sind bald sehr klein, wie häufig bei Con-
junctivitis scrofulosa, bald sehr gross, selbst über die ganze Cornea aus-
gedehnt, wie bei der Bindehautblennorrhöe. — Die Ränder sind entweder
sehr steil oder terrassenförmig; sie sind nur dann unterminirt, wenn das
Geschwür aus einem Abscess entstanden ist, oder wenn der Eiter sich
zwischen den Faserschichten der Cornea senkt; sie erscheinen dann ein
wenig eingesunken, während sie sonst gewöhnlich etwas erhaben oder
aufgeworfen erscheinen (durch Erweichung und Infiltration). — Das
Wichtigste dabei ist, zu bestimmen, ob sie noch den entzündlichen Char-
akter an sich tragen, oder mehr in einem torpiden Zustande verharren,
oder aber zur Heilung sich anschicken,*} Im ersteren Falle erscheint
die nächste Umgebung leicht getrübt und gelockert oder geschwellt, der
Process von Thränenfluss, Lichtscheu, lebhafter Injection der entspre-
chenden vordem Ciliar- und ßindehautgefässe, wohl auch von mehr we-
niger lebhaften Schmerzen im Auge und dessen Umgebung oder selbst
von ödematöser Schwellung des obern Augenlides begleitet, und der Sub-
stanzverlust greift sichtlich (in wenig Tagen) in die Tiefe oder Breite,
allein oder zugleich, um sich. — Im 2. Falle fehlen die genannten Re-
actionserscheinungen ganz oder grösstenteils ; es können sich wohl auch,
wie im 1. Falle, eine Menge von erweitesten Gefässen entwickeln, welche
vom Limbus conjunctivae zum Geschwüre laufen, aber die Grösse des
Geschwüres und die Infiltration der Ränder nimmt sichtlich weder zu
noch ab, der Zustand bleibt viele Tage, ja Wochen-lang ziemlich unver-
ändert, bis endlich Durchbruch der Cornea und hiemit stärkere Reaction
eintritt. Diesen Charakter zeigen die Geschwüre gern, wenn sie klein
aber tief sind, und etwas weiter vom Rande der Cornea entfernt sitzen.
— Tritt Heilung ein, so werden die Ränder und allmälig auch der Grund
reiner, und es schiesst plastische Lymphe an, welche die Vertiefung
allmälig ausfüllt. Dieses Anschiessen plastischer Lymphe ist nicht selten
von Gefässentvvicklung in der Tiefe der Hornhautsubstanz begleitet, oder
vielmehr diese geht demselben schon voraus. Bei grösseren Geschwüren,
namentlich wenn sie nahe an den Hornhautrand reichen, entwickeln sich
oft, als Zeichen der beginnenden Vernarbung, auch an der Oberfläche
*) Ich brauche woh! kaum zu erinnern, dass mit dieser Unterscheidung nur einige Anhaltspunkte, keine haarscharfe
Sunderuug gegeben sein seil.
Geschwüre — Eitergeschwüre — Heilung — Narben. 221
eine Masse Gefässe, vom Limbus conjunctivae und unter demselben
hervor kommend, dicht an einander gedrängt, und einen förmlichen* Wulst
bildend, oder einzeln; endlich nehmen diese Gefässe an Zahl und Umfang
ab, und in demselben Maasse erscheint die ausgeschwitzte Lymphe minder
klar, wird graulich, allmälig dichter und trüber, von einzelnen Gefässchen
durchzogen, zuletzt auch eben, sich dem Niveau der unversehrten Um-
gebung anschliessend, oder etwas deprimirt, selten darüber erhaben und
höckerig. Jene Partien der Cornea, welche unter starker Gefässentwick-
lung restituirt werden, erlangen weit seltener einen so hohen Grad von
Durchsichtigkeit, wie die durch Anschliessen von Lymphe unter minder
heftigen Erscheinungen ersetzten. Doch hat auf die Möglichkeit der nach-
folgenden Aufhellung auch der Umstand Einfluss, ob die tiefern Hornhaut-
schichten ihre normale Wölbung beibehalten oder nicht ; wo diese stär-
ker vorgetrieben wurden, erlangt das die oberflächlichen Schichten er-
setzende Exsudat nie völlig die Eigenschaften normaler Hornhautsubstanz.
In Bezug auf die Behandlung solcher Hornhautgeschwüre an und
für sich kann füglich auf das bei Besprechung der Conjunctivitis scro-
fulosa S. 103 lit. e Gesagte verwiesen werden. Prognosis und Therapie
können jedoch durch mancherlei Folgezustände der Cornealgeschwüre
wesentlich modificirt werden, und desshalb müssen wir diesen letzteren
eine ausführlichere Betrachtung widmen.
1. Der Substanzverlust wird vollständig durch plastisches Exsudat
gedeckt , welches früher später in vollkommen durchsichtige Horn-
hautsubstanz mit normalem Epithelium an der Oberfläche umgewandelt
werden kann, mithin, wenigstens mit der Zeit, völlige Heilung zulässt.
Das den Übergang bildende trübe Gewebe kann als eine Art von provi-
sorischem Callus betrachtet werden. Unter welchen Bedingungen dieser
Ausgang zu erwarten stehe, wurde bereits (S. 218) angegeben. Welche
Mittel anzuwenden sind, um diese Aufhellung zu begünstigen, werden wir
in dem nächsten Abschnitte (über Hornhauttrübungen) erörtern.
2. Ersatz des Substanzverlustes durch Exsudat, welches als Nar-
bengewebe gleichsam auf einer niedrigeren Organisationsstufe stehen
bleibt, und nie mehr eine Aufhellung zulässt. Dieses einfache Faser-
oder Narbengewebe füllt entweder die Grube vollständig aus, oder un-
vollständig, mit einer Depression oder Abplattung (ein sehr häufiger Fall),
oder es ragt etwas über das Niveau der nicht zerstörten Umgebung
empor, auch bei unveränderter Wölbung der tiefsten Schichten und der
Wasserhaut. Der erste und zweite Zustand können zugleich vorkommen,
dieser in der Mitte oder nach der einen Seite hin, jener in der Umge-
222 Hornhaut.
bung oder überhaupt da, wo die Zerstörung minder tief eingedrungen
war; der letzte Befund ist immer mit krankhafter Epithelialproduotion
vereint, und relativ selten. — Solche unheilbare Trübungen stehen zu
befürchten, wenn der Substanzverlust (auch ohne Durchbruch) sehr tief
geht, namentlich bei sehr steilen Geschwürsrändern, wenn torpide Eiter-
geschwüre sehr lange fortbestehen, wenn das Individuum älter oder sehr
herabgekommen ist, wenn das Auge durch örtliche Mittel überreizt wird;
namentlich sind es die bleihaltigen, nach Kunier auch die aus Kupfer-,
Zink- oder Kadmium-Salzen und Opiumtinctur bereiteten Augenwässer,
welche in dieser Beziehung nachtheilig wirken.
3. Der Eitersenkung {Unguis, Onyx) zwischen den Faserschichten
der Cornea wurde bereits mehrmal Erwähnung gethan. Beim Bestände
eines Eitergeschwüres in der Cornea sieht man nicht selten einen gelben
Streifen, ähnlich der Lunula am Nagel oder einem Halbmonde, an der
tiefsten (abhängigsten) Stelle der Cornea, einen kleinen Congestions-
abscess, welcher indess nach oben nicht immer durch eine gerade oder
regelmässig gekrümmte Linie begrenzt ist.
4. Eiterbildung in der vordem Augenkammer (Hypopium), welche
höchst wahrscheinlich das Ergebniss von Iritis ist. Wir haben bereits
mehrmal erwähnt, dass bei grösseren, und namentlich bei tieferen Horn-
hautgeschwüren und bei Hornhautabscessen (Vergl. S. 37, 196) die Zeichen
von Iritis bemerkt werden. Diese Iritis tritt nur bisweilen mit der Bildung
reichlichen eiterähnlichen Exsudates in der vordem Augenkammer auf,
welches, indem es die unterste (abhängigste) Stelle einnimmt, zu oberst
durch eine gerade oder Bogenlinie begrenzt erscheint, und in seltenen
Fällen sogar mehr als die Hälfte der Augenkammer einnimmt.
Wenn die Eiteransammlung nicht sehr bedeutend ist, kann die Be-
antwortung der Frage, ob man Unguis oder Hypopium vor sich habe,
sehr schwierig, selbst unmöglich sein, wenigstens für den Augenblick.
Der Eiter senkt sich, er mag zwischen den Faserschichten der Cornea
oder zwischen Cornea und Iris eingeschlossen sein, stets nach der tiefsten
Stelle, und wechselt somit seinen Ort je nach der Stellung oder Lage
des Kranken. Auf die Zeit, binnen welcher diese Ortsveränderung er-
folgt, darf man desshalb nicht viel Gewicht legen, weil ein dünner Eiter
zwischen den Hornhautfasern früher seine Lage ändern wird, als ein
dicker Eiter in der Augenkammer, und weil wir eben ein anderweitiges
Kennzeichen für die Consistenz des Eiters nicht besitzen. Zudem macht
sich die Attraction der festen Wandungen der Augenkammer auf dieses
Contentum um so mehr gegen das Gesetz der Schwere geltend, je ge-
Geschwüre — Unguis — Hypopium. 223
ringer dessen Menge ist. Ingleichen kann eine kleine Quantität in der
Cornea eingeschlossenen Eiters sich dem Auge des Beobachters, wenn
er die Cornea gerade von vorn betrachtet, ebenso leicht entziehen, als
Eiter in der Augenkammer, wenn er zwischen den hintersten Faser-
schichten der Cornea gelagert ist, und somit durch die Scleralfalze ge-
deckt wird. Eher noch kann eine scharfe Loupe Aufschluss geben. Sitzt
nämlich der Eiter zwischen den Faserschichten, so erscheint er der
Oberfläche der Cornea näher, und für die Oberfläche der Cornea gibt der
Limbus conjunctivae einen Anhaltspunkt, wenn nicht! oberflächliche Ge-
fässchen, welche aus dem Limbus in's Bereich der Cornea hineinragen.
Ganz sicher aber kann man über den Sitz der Eiteransammlung in der
Cornea dann sein, wenn sich von dem Geschwüre bis zum Unguis ein
trüber Streifen gleichsam als Bahn des Eiters zwischen den Faserlagen
der Cornea verfolgen lässt, was indessen nur selten der Fall ist. Dennoch
habe ich es beobachtet, und begreife desshalb nicht, wie man überhaupt
an der Eitersenkung in der Cornea, an dem Vorkommen der Unguis
zweifeln konnte. — Andererseits kann bei geringer Eiteransamm-
lung nur die Gegenwart von unzweifelhaften Symptomen der Iritis den
Ausschlag für Hypopium geben. Die Verengerung der Pupille und die
geringere Beweglichkeit der Iris können jedoch hier nichts entscheiden,
da beide Symptome auch bei einfachen Hornhautgeschwüren (ohne Unguis
oder Hypopium) vorzukommen pflegen. Ist aber mehr Eiler vorhanden,
dann kann man sich hinreichende Gewissheit über dessen Sitz ver-
schaffen, wenn noch eine Partie der Cornea so weit durchsichtig ge-
blieben ist, dass man durch dieselbe zwischen der Iris und Cornea hin-
einsehen kann, was in der Regel von oben her am ehesten möglich ist.
Unguis und Hypopium bilden sich jederzeit nur bei jenem Zustande
der Eitergeschwüre, welchen wir als den entzündlichen geschildert haben.
Beide, insbesondere aber das Hypopium, bestehen aber bisweilen noch
fort, wenn der Zustand des Cornealgeschwüres mehr ein torpider ge-
worden ist. In Bezug auf die Behandlung müssen wir daher auf die S.
103 und 197 gegebenen Anhaltspunkte verweisen. Am schwierigsten ist
es zu bestimmen, wenn man von der antiphlogistischen zu der reizenden
Behandlung zu übergehen habe. Es ist mir, zur grossen Belehrung meiner
Kliniker widerfahren, dass der bereits verschwundene Unguis wieder er-
schien, nachdem ich (vorzeitig) Laudan. liq. eingeträufelt, oder die Wu-
cherungen der Bindehaut (bei Trachoma) mit Cuprum sulfur. touchirt hatte,
und zwar in demselben Falle 2— 3mal. Sie konnten so am besten durch
eigene Anschauung kennen lernen, wie vorsichtig man mit den gegen
224 Hornhaut.
Hornhautgeschwüre viel zu allgemein empfohlenen örtlichen und allge-
meinen Reizmitteln sein müsse. — Die Folge des Unguis ist, sobald man
nicht vorsichtig zu Werke geht, Zerstörung der Cornea in grossem Um-
fange. Die Folgen des Hypopium sind zunächst fürchterliche Schmerzen,
wie bereits auseinandergesetzt wurde, weiterhin Zerstörung der Cornea,
selbst des ganzen Bulbus, aber auch in günstigeren Fällen die Ausgänge
der Iritis, wovon später.
5. Wenn die tiefsten Schichten in etwas grösserer Ausdehnung
bloss gelegt sind, #und, bevor sie noch durch Exsudat gedeckt wurden,
dem Andränge des Kammerwassers nachgeben, oder, wenn diess mit der
allein noch unversehrten Wasserhaut geschieht, so entsteht der Zustand,
welchen man Keratokele genannt hat. Es erhebt sich aus dem Grunde
des Geschwüres ein krystallhelles Bläschen, oder es wird der mehr we-
niger umfangreiche und früher concave Grund des Geschwüres in Form
einer kleinen Kuppel convex. Die weitern Folgen sind verschieden, je
nachdem diese Keratokele berstet oder nicht.
Die Folgen des Durchbruches werden wir unter 6. betrachten. Ent-
steht kein Durchbruch, was nur selten geschieht, so wird das jene Vor-
treibung allmälig überkleidende Exsudat in der Regel in eine undurch-
sichtige und stationäre Narbensubstanz verwandelt. Als seltener Ausgang
kommt hier das vor, dass die in grösserem Umfange (auf 1"' Durch-
messer und darüber) bloss gelegten und kuppelartig über das Niveau der
Umgebung vorgewölbten tiefern Faserlagen einen Überzug von Exsudat
erhalten, welches stellenweise oder durchaus einen sehr hohen Grad von
Durchsichtigkeit erlangt, nachdem es fest geworden und mit Epithel über-
zogen ist; nur rings herum bezeichnet constant ein permanent undurch-
sichtiger Reifen die Stelle, wo die vorgewölbte Partie mit den oberfläch-
lichen Faserlagen der Umgebung verwachsen ist. Dieser Zustand, der
eigentlich nichts anders als eine stationär gewordene Keratokele ist,
wurde bisher in seiner Bedeutung und Entstehung meistens verkannt.
Einige Auetoren rechneten ihn zu den Staphylognen, und nannten ihn
Staphyloma pellucidum, und zwar je nach der Form bald conicum, bald
globosum; andere hielten ihn mit dem, was man Keratokonus oder Hy-
perkeratosis genannt hat, für identisch, worauf wir später zurück kommen
werden; nur Prof. Rosas (Lehrb. S. 738) hat denselben unter dem
Namen Keratokele seu Uvalio corneae ziemlich getreu beschrieben. Die
grösste stationäre Keratokele, welche ich gesehen, glich der Hälfte einer
Zuckererbse; die hemisphärische Vortreibung war nicht central, mehr
nach oben und aussen gelesen, ringsum von einem schmalen weissen
Geschwüre — Keratokele — Durchbruch. 225
Reifen umgeben, an der Oberfläche vollkommen glatt und glänzend, stel-
lenweise halb-, grösstenteils aber ganz durchsichtig, die vordere Kammer
entsprechend vergrössert, in der Pupille einige Exsudatfäden. — Der Vor-
schlag, dieser Vorwärtswölbung dadurch zuvorzukommen, dass man den
Humor aqueus durch einen seitlich gemachten Einstich abzapft, verdient
gewiss Beachtung. Nach eigener Erfahrung kann ich indess noch kein
Urtheil darüber abgeben. Man wird in jedem speciellen Falle in Er-
wägung ziehen müssen, ob ein solcher Einstich ohne Gefahr, starke Re~
action zu erregen, geschehen könne oder nicht. Ist die Keratokele einmal
fest geworden, dann nützt weder die Punction noch die Ätzung derselben
mit Lapis.
6. Wenn in Folge eines tiefer dringenden Geschwüres die Desce-
mefsche Haut berstet, so fliesst zunächst der Humor aqueus aus, und der
Bulbus ändert seine Form. Zwischen den Wandungen und dem Inhalte
des Bulbus findet nämlich, da beide elastisch sind, permanent ein ge-
wisser Grad gegenseitigen Druckes statt. Wird dieser plötzlich an einer
Stelle gehoben, so muss das Kammerwasser schon aus dieser Ursache
allein nach dieser Stelle gedrängt werden und ausfliessen, selbst dann,
wenn die Öffnung nach oben gerichtet ist. Das Gesetz der Schwere
kommt hier gar nicht in Betracht. Wohl aber kann eine verstärkte Cou-
traction der Augenmuskeln sowohl das Bersten der Wasserhaut als auch
den Ausfluss des Kammerwassers begünstigen und beschleunigen.
Die Augenmuskeln sind im Stande, einen Einfluss auf die Hülle und den Inhalt
des Bulbus zu üben, sobald erstere in ihrer Integrität (Continuität, Elasticität und Re-
sistenz) gestört ist. — Denken wir uns den Bulbus durch eine Kreislinie in eine vor-
dere und hintere Halbkugel geschieden, und nennen wir jene Linie den Äquator, das
Centrum der Cornea den vordem, das der Sclera den hintern Pol, so liegen die In-
sertionsstellen der Muse, recti einige Linien diesseits, die der Muse, obliqui mehrere
Leuen jenseits des Äquators. Die fixen Punkte der M. recti liegen rings um das Fora-
m n optieum. die der M. obliqui am Orbitalrande (ohngefahr in gleicher Ebene mit der
Basis corneae). Denken wir uns nun den Bulbus fix, sein Centrum (den Drehpunkt)
unverrückbar; so sind auch die Insertionsstellen jener Muskeln am Auge fixe Punkte
(im Momente simultaner, gleichmassiger Contraction) , und dieselben müssen, da sie
offenbar krumme Linien beschreiben (mit der Concavität sich an den grössten Umfang
des Bulbus am Äquator anschmiegen), bei jeder simultanen stärkern Contraction einen
erhöhten Druck auf die Sclera und hiemit auch auf den Glaskörper ausüben, sobald
der Bulbus überhaupt compressibel ist. Compressibel ist er aber ganz gewiss, sobald
seine Hülse (Cornea oder Sclera) ihre Resistenz und Elasticität verloren, und noch
mehr, sobald die Cornea durchbrochen ist. — Es ist klar, dass man über diese Frage
im Beinen sein muss. wenn man die consecutiven Zustände tieferer oder durchboh-
render Cornealgeschwüre deuten will. Ich hatte desshnlb in meinem oben citirten
Aufsatze über das Hornhautslaphyloni diesen Einfluss der Muskeln auf die Contenta des
ah., l. \ 5
226 Hornhaut.
Bulbus aus pathologischen Beobachtungen nachzuweisen versucht, und ihn kurzweg als
Vis a tergo bezeichnet. Szokahki*) gebührt das Verdienst, denselben im Wege des
Experimentes erwiesen zu haben. „Vor der Entdeckung der erschlaffenden Eigenschaft
des Äthers und des Chloroforms gelang es mir in nieinen ophthalmologischen Vorle-
sungen nie, die Extraction der Cataracta an Kaninchen zu demonstriren ; unmittelbar
nach dem Hornhautschnitte sprang die Linse aus dem Auge heraus." „Schneidet man
an einem Kaninchen alle geraden Muskeln des einen Auges durch, und öffnet man
dann die Hornhaut auf beiden Augen so, wie man es bei der Extraction der Cataracta
zu machen pflegt, so stürzt die Linse aus dem Auge vor, dessen Muskel unberührt
blieben, während sie in dem vorher präparirten Auge ganz ruhig an ihrer Stelle bleibt.
Dieser Umstand zeigt augenscheinlich, dass es die geraden Augenmuskeln sind, welche
die Linse nach vorn drängen." Jener Einfluss der Augenmuskeln macht sich insbeson-
dere geltend, so oft andere Muskelgruppen in erhöhter Thätigkeit sind; so beim Hu-
sten, beim Erbrechen, bei stärkerer Wirkung des Preliun abdominale, beim Heben
schwerer Lasten u. dgl. Sie erfolgt gegen unsern Willen, synergisch. — Halten wir
uns diese Thatsachen gegenwärtig, so werden wir leicht begreifen, warum Ruhe des
Körpers vor Allem nothwendig ist, wenn durchdringende Geschwüre oder Wunden der
Hornhaut heilen sollen. Es ist eine bekannte Sache, dass man Leuten, denen die ver-
dunkelte Linse extrahirt wurde, in den ersten Tagen nichts Hartes zum Kauen gibt,
dass man ihnen verbietet, sich z. B. mit den Füssen anzustemmen, um sich auf ihrem
Lager höher hinaufzuschieben u. s. w. ; es ist eine bekannte Sache, dass wenn ein
derart Operirter vom Niesen oder Husten befallen wird, die bereits verharschte Horn-
hautwunde leicht wieder aufreisst, gleichviel, ob der Schnitt nach oben oder nach unten
geführt wurde.
So wie der Humor aqueus ausfliesst, erfolgt weder ein merkliches
Einsinken der Cornea, noch Eintritt von Luft in die Kammer, sondern
Iris und Linse rücken vorwärts, und somit auch der Glaskörper, was
nicht gedacht werden kann, ohne dass die Sclera mit der Neiz- und Ader-
haut letzterem folgen; mit andern Worten: der Bulbus wird in seinem
Umfange kleiner, seine Durchmesser im Äquator werden relativ kürzer,
itidess die Achse von einem Pole zum andern dieselbe bleibt. Erfolgt
der Abiluss des Kammerwassers mit einer gewissen. Rapidität, was nur
bei grössern Hornhautöffniingen und unter gesteigerter Contraction der
Augenmuskeln zu geschehen pflegt, so kann in diesem Momente zugleich
die Zonula Zinnii einreissen, und Glaskörper ausfliessen, oder, was sel-
tener geschieht, die vordere Kapsel bersten, worauf wir später zurück-
kommen. — Ob bei diesem Vorgänge sogleich oder erst später auch ein
Theil der Iris mit in die Hornhautöffnung hineingedrängt werde, hängt
theils von der Lage und Grösse dieser letzteren ab, theils von der Ge-
schwindigkeit des Stromes, mit welcher das Kammerwasser ahfliesst, **)
-) II. .»er und WunderKch's Archiv, 7. Jahrgang S. »595.
"') Di-ui Voi fallen rler Iris beim Hqri\uaii(schnilte behufs ilcr Extractian ISssl sich bekanntlich am beste« vorbeugen.
Geschwüre — Diirchhruch — Fistel. 227
theils endlich von dem Einflüsse, welchen die Augenmuskeln nachträglich
ausüben.
Fragen wir uns nun, ob unter solchen Umständen noch Heilung
möglich sei, unter welchen Bedingungen, und wie sie zu Stande kommen
könne, überhaupt welche Folgezustände zu erwarten stehen, so müssen
wir vor allem unterscheiden: an welcher Stelle der Durbruch erfolgte,
wie gross die Öffnung in der Descemet' sehen Haut, wie weit die Zer-
störung der Hornhaulfasern in den oberflächlichen, wie weil in den tie-
fem Schichten um sich gegriffen habe, ob eine weitere Zerstörung
noch ferner zu besorgen sei, ob auf lebhaften Stoffwechsel und auf Ruhe
van /Seite des Kranken -zu rechnen sei, ferner ob die Iris bloss ange-
lagert oder in die Öffnung mehr weniger stark hineingetrieben sei, ob
ein so/elter Vorfall seif kurzem oder schon lange bestehe, ob die vor-
gefallene Iris entzündet sei, und endlich ob dem Abflüsse des Kammer-
wassers Schranken gesetzt seien, oder nich}.
Jeder sieht ein, dass, wenn das Auge nicht zu Grunde gehen soll,
dem Aussickern des Humor aqueus zuerst bleibende Schranken gesetzt
werden müssen. Dieser Zweck wird zunächst durch mechanische Ver-
legung oder Verstopfung der Ausflussöffnung, weiterhin aber durch or-
ganische Schliessung, durch Verwachsung mittelst plastischen Exsudates
vermittelt. Zur Verlegung oder Verstopfung der Öffnung dient in den
meisten Fällen die Iris, selten die Kapsel allein, bisweilen beide zugleich.
Dieser mechanische Abschluss der Atigenhülse ist unerlässliche Bedin-
gung zu dem nachfolgenden organischen. Würde das Kammerwasser fort-
während aussickern können, so würde eine Vereinigung der Geschwürs-
ränder durch plastisches Exsudat niemals zu Stande kommen. Das erste
günstige Zeichen nach erfolgtem Durchbruche der Cornea ist demnach
das, dass sich zwischen der Iris und Cornea wieder Humor aqueus an-
sammelt, und zwar nicht bloss auf einige Stunden, sondern bleibend.
Letzteres findet nur dann statt, wenn von Seite der Geschwürsränder
plastisches Exsudat geliefert wird, und den Grund der Öffnung ausfüllt
oder überzieht, oder wenn die Iris förmlich in die Öffnung eingeklemmt
wird. Den Zustand permanenter oder häufig wiederkehrender Entleerung
des Kammerwassers durch eine solche Hornhautöffuung nennt man Horn-
hautfistel. Wenn er Wochen- Monate-lang besteht, so führt er endlich
wenn man den Schnilt nicht zu rasch beendig!, und umgekehrt lässt sich bei der Beer'schen Irideklomie das
hier erwünschte Vorfallen der Ins g;e«öhnlich dadurch erzielen, dass man das pyramidale Messer tiefer einstössl
und sehr ra ch zurückzieht.
15*
228 Hornhaut.
zu bleibender Lageveränderung der Linse und der Iris mit mehr weniger
deutlicher Abplattung der Cornea, oder Verkleinerung des ganzen Bulbus,
wenn nicht — auf gewisse Veranlassungen — zu heftiger, mit Eiterung
verlaufender Entzündung sämmtlicher Gebilde {? anophthalmitis) und end-
lich zu Phthisis bulbi.
Von der grössten Wichtigkeit ist das Verhalten der Descemet'schen
Haut. Dieselbe reisst im Momente der Berstung in Zipfel, und diese
schlagen sich nach aussen um den Geschwürsrand um. Wird demnach
die Iris nicht weit in die Öffnung hineingetrieben, so kommt sie mit den
Geschwürsrändern gar nicht in Berührung. Das fernere Verhalten ge-
staltet sich nun verschieden je nach der Grösse des Einrisses und der
hiedurch gebildeten Zipfel der Wasserhaut.
Ist die Öffnung central gelagert, oder peripherisch, aber so klein,
dass die Iris gleichfalls nicht stark in dieselbe hineingedrängt werden
kann, so können jene Zipfel allmälig wieder in ihre ursprüngliche Lage
zurückgedrängt werden, und zwar dadurch, dass von den Geschwürs-
rändern plastisches Exsudat abgelagert wird. Während nun der Abfluss
des Kammerwassers noch rein mechanisch abgehalten wird, werden jene
Zipfel einfach wieder an einander gelegt und durch mehr weniger mächtig
aufgelagertes Exsudat in ihrer Lage erhalten. Hiernit ist der organische
Ahschluss der Augenhülse gegeben, und zwar bleibend, wenn die zarte
Exsudatschichte nicht durch wiederholten stärkern Andrang des Kammer-
wassers durchbrochen wird. Ist aber dieser Abschluss geschehen, dann
ist auch der physicalische Grund entfallen, durch welchen Iris oder Kapsel
an die Cornea angedrängt wurden, der Humor aqueus sammelt sich zwi-
schen Iris und Kapsel einerseits und • zwischen der Cornea anderseits
wieder an, und der weitere Verlauf ist von nun an derselbe, wie bei
tiefern Hornhautgeschwüren überhaupt. Das Merkwürdige dabei aber ist
das, dass es Fälle gibt, wo sowohl der Einriss der Descemet'schen Haut
als die darüber gebildete provisorische Hornhautnarbe mit der Zeit spurlos
verschwinden, dass somit nicht jeder Hornhautdurchbruch eine unheil-
bare Trübung hinterlassen muss.
Diese Behauptung, so paradox sie auch erscheinen mag, besonders den Ansichten
gegenüber, die- wir in verschiedenen ophlhalniologischen Schriften hierüber finden,
ist nichts desto weniger wahr und auf unzweifelhafte Beobachtungen gestützt. Den
Satz, dass die Dcscemet'sche Haut in Zipfel reisst, und sich gleichsam als schützender
Überzug (gegen Berührung der Iris mit den Geschwürsländern bis zu einem gewissen
Grade) über die Geschwür»riinder nach aussen umschlägt, hat zuerst mein verehrter
Geschwüre — Durchbrach — Heilung — Prolapsus iridis. 229
Freund Dr. Müdner*) durch zahlreiche Untersuchungen an Leichen nachgewiesen, und
ich habe mich von der Richtigkeit seiner Angahen hierüber oftmals überzeugt. Ich habe
ferner Fälle beobachtet, wo längere Zeit nach constatirtem Durchbrucoe der Hornhaut
diese nicht die geringste Spur einer Trübung darbot; ich habe Fälle beobachtet, wo
man die Stelle des Einschnittes, den man behufs der Extraction oder der Künstlichen
Pupillenbildung in der Cornea gemacht halte, nach einiger Zeit nicht mehr aufzufinden
vermag; ich habe überdiess Augen anatomisch untersucht, und ohne Spur einer Narbe
in der Wasserhau! gefunden, obwohl aus anderweitigen Veränderungen (Trübung der
Cornea gegenüber einem Ceutralkapselstaare) angenommen werden musste, dass die
Cornea an dieser Stelle durchbrochen gewesen war. Da man jedoch diesen letzteren
Schluss als einen Circulus vitiosus bezeichnen könnte, so will ich vorläufig nur anfüh-
ren, dass auch in der Linsenkapsel, welche bekanntlich ganz gleiche Eigenschaft«*
zeigt, wie die Descemet'sche Haut, kleinere Wunden spurlos vernarben können. Als
Beleg für diese Behauptung führe ich einen von mir genau beobachteten Fall an, wel-
chen Professor Fischer in seinem Lehrbuche (S. 324). veröffentlicht hat. Ein junger Mann
starb (1840) den 17. Tag, nachdem ich die Zerstücklung eines weichen. Staares durch die
Cornea vorgenommen hatte. Wir hatten deutlich einige Stückchen der Linse in die
vordere Kammer treten und nach mehreren Tagen verschwinden gesehen ; die Kapseln
waren also ganz gewiss eröffnet worden. Bei der Section, welche Professor Bochdalek
mit seiner bekannten Genauigkeit vornahm, und bei welcher insbesondere die Kapseln
näher untersucht wurden, weil der Staar so ausgesehen hatte, wie ihn ältere Auetoren
als Kapsellinsenstaar schildern, fand sich, dass die Kapseln wohl schlaff, etwas eingesun-
ken, aber nirgends getrübt waren, ja es Hessen sich sogar die Stellen der Einschnitte
nicht auffinden, die Kapseln waren ohne Spur einer Narbe wieder völlig geschlossen,
und die scheinbare Trübung der Kapsel erwies sich als ein feiner, leicht abschabbarer
Beschlag ihrer Innenfläche mit trüber Rindensubstanz.
Ist die Öffnung in der Wasserhaut etwas grösser, so wird, selbst
wenn sie ziemlich central liegt, gewöhnlich ein mehr weniger grosser
Theil der Iris in dieselbe hineingedrängt, sogleich oder nach einiger
Zeit ; es entsteht das, was man Vorfall der Iris nennt. Auch durch eine
nicht gar grosse Öffnung kann ein relativ grosser Theil der Iris heraus-
gedrängt werden; die Grösse des Vorfalles ist also nicht nach der Basis
allein zu beurlheilen. In der Regel spricht man von Prolapsus iridis nur
da, wo noch mindestens 1/3 der Hornhaut nicht geöffnet ist; diesem
Theile entsprechend ist dann auch noch vordere Augenkammer und, we-
nigstens nach einiger Zeil, wieder Humor aqueus vorhanden, wenn nicht
dessen Ausfliessen neben der blossgelegten Irispartie noch gestattet ist.
Von der totalen Blosslegung der Iris werden wir erst später sprechen
können. — Kleinere und frische Irisvorfal'e können wieder zurückgehen,
ohne r'ass eine Verwachsung zwischen Iris und Cornea zurückbleibt, ja
es kann selbst die Hornhaut an einer solchen Stelle wieder vollkommen
£J Präger medicinisohe Vierteljahrschriil. 13. B S 56.
230 Hornhaut.
durchsichtig werden, wenn sonst die Bedingungen hiezu vorhanden sind.
Der grösste Prolapsus, welchen ich (ohne Synechie) heilen sah, war ohngefähr
hanfkorngross. Es versteht sich von selbst, dass so ein Vorfall weder
eingeklemmt noch entzündet sein darf. Die Iris muss durch die nach
aussen umgeschlagenen Zipfel der Wasserhaut vor Verwachsung mit den
Geschwürrändern der Cornea geschützt sein, und sie muss, so wie von
diesen plastisches Exsudat abgelagert wird , zurückgedrängt werden
können. Ich kann, auf unzweifelhafte Beobachtungen gestützt, gegen
Ruete, von Walther u. A. ganz bestimmt behaupten, dass nicht jeder
Prolapsus iridis eine vordere Synechie hinterlassen müsse.
Wenn hingegen die Iris eingeklemmt oder entzündet ist, so ist auf die
Heilung ohne bleibende Merkmale der frühern Vereinigung nicht zu rechnen.
Einklemmung erfolgt, wenn eine grössere Irispartie in eine relativ enge
Öffnung der Wasserhaut hineingetrieben wurde, Entzündung des vor-
gefallenen Theiles erfolgt fast immer, wenn die Basis des Vorfalles
grösser ist, mehr als l'/2/// im Durchmesser beträgt; doch können auch
kleinere Vorfälle sich entzünden, wenn sie stark eingeklemmt sind, oder,
wenn sie von aussen stark gereizt werden, durch Collyrien, Salben, Be-
tupfen mit Lapis, durch Staub u. dgl. Dann schwillt die blossgelegte Iris-
partie an, wird dunkler gefärbt, später bJass- oder fleischrolh, oft deut-
lich granulös, und hie und da von Gefässchen durchzogen. Eine solche
Entzündung bleibt in der Begel auf die blossgelegte Partie beschränkt?
und geht nur unter besonders ungünstigen Verhältnissen, bei neuerdings
auf das Auge einwirkenden Schädlichkeiten, auf die ganze Iris über. Der
entzündete Prolapsus bedeckt sich mit einer Schicht plastischen Exsudates,
welches mit dem von der Cornea ausgeschwitzten in Eins verschmilzt,
und nach erfolgter Organisation unzertrennliche Verbindung zwischen Iris
und Cornea bedingt. Diesen Zustand hat man im Allgemeinen Synechia
anterior genannt ; man gebraucht jedoch diesen Namen gewöhnlich nur
zur Bezeichnung kleinerer Verwachsungen. Wenn nämlich die Hornhaut-
narbe endlich völlig consolidirt , und die Augenkammer wieder herge-
stellt erscheint, so nimmt die nicht betheiligt gewesene Irispartie wieder
ihre normale Lage ein, und nur der getroffene Theil streicht zur Horn-
hautnarbe vorwärts. In seltenen Fällen sieht man die Iris durchaus
wieder in ihrer normalen Lage, und nur ein Faden fest gewordenen Ex-
sudates, welcher von der Hornhautnarbe zu dem gegenüber liegenden
Punkte der Iris verläuft, deutet auf den vorausgegangenen Zustand; mit-
unter trifft man auch einen Fall, wo auch diese fadenförmige Verbin-
dung zerrissen ist (durch Schrumpfung des Exsudates ?) und einige
Geschwüre — Durchbrucli — Vord. Synechie. 231
Parlikelchen vom Pigmente der Iris in die Hornhautnarbe eingeheilt sind,
ein Befund, welcher um so gewisser als Rest der ehemaligen Verbindung
zwischen Iris und Cornea gedeutet werden kann, wenn die gegenüber-
liegende Partie der Iris noch in ihrer Farbe und Structur verändert er-
scheint. Häufiger geschieht es, dass ein Theil der Iris ganz in die Horn-
hautuarbe einheilt, und man denselben als einen bräunlich- oder bläu-
lich-grauen oder schwarzen Fleck mitten in der Hornhautnarbe erkennt.
Die altern Auetoren nannten diesen Zustand nach der Ähnlichkeit mit
dem Kopfe eines in ein Brett geschlagenen Nagels Clavus. — Je nach-
dem nun solche Narben mit verderer Synechie verschieden gelagert sind,
oder verschieden grosse Stellen einnehmen, setzen sie mehr weniger
Nachtheil für das Sehvermögen. Sitzen sie peripherisch, so schaden sie nur
dann, wenn sie grösser sind, und eine merkliche Verziehung der Pupille
nach dieser Gegend hin verursachen. Sehr hohe Vorfälle können, auch wenn
sie keinen grossen Umfang an der Basis haben, selbst völlige Verschlies-
sung der Pupille bedingen, indem ein zu grosser Theil der Iris in die
Narbe eingelöthet wird. Die schlimmsten Fälle sind aber jene, wo das
Cornealgeschwür mehr central sitzt, und der Pupillarrand theilweise oder
total mit der Hornhaut verwächst; bleibt auch noch ein Theil des Pupil-
larrandes frei, so wird diese Öffnung doch gewöhnlich durch die Narbe
verdeckt, welche sich eben nicht bloss auf die Stelle der Verwachsung
selbst beschränken muss, sondern sich in der Regel noch darüber hinaus
erstreckt. Narben, welche die Spuren von vorausgegangener oder noch
bestehender Verwachsung der Iris mit der Cornea in sich tragen, sind
absolut nie mehr aufhellbar, wenigstens so weit nicht, als die Ver-
wachsung oder deren Spur sich erstreckt.
Den Vorgang, wo ein Vorfall spurlos zurücktritt, oder wo derselbe ohne blei-
bende Vortreibung über das Niveau der Umgebung in die Wunde einheilt, bezeichnet
man gewöhnlich mit dem Ausdrucke: „die vorgefallene Iris ziehe sich zurück." Diese
Bezeichnung ist in so fern unrichtig, als dadurch der Iris eine gewisse Activität bei-
gelegt wird, indess sie sich dabei doch mehr passiv verhält, ihre Contractionen auf
den geschilderten Vorgang wenig oder gar keinen Einfluss nehmen. Die eingeklemmte
oder entzündete Iris wird allmälig mit Exsudat überdeckt, welches, wenn nicht von
der Iris zugleich, so doch von den Geschwürsrändern der" Cornea geliefert wird.
Dieses den Vorfall überkleidende Exsudat wird allmälig fester und dichter, und ver-
wandelt sich in eine anfangs durchsichtige, später graue oder bläulich-weisse Mem-
bran, welche mit dem Hornhautgewebe ein Continuum bildet, und in dem Maasse
schrumpft, als sie fester und resistenter wird. Dieses Exsudat ist nicht immer gleich-
massig verbreitet, indem es stellenweise mächtiger ist; besonders da, wo der Ge-
schwürsrand vorspringende Winkel (Vorsprünge in die Hornhautgrube) bildet, entstehen
einzelne balkenähnliche Verbindungen gegenüberstehender Punkte des Geschwürsrandes
232 Hornhaut.
welche den Prolapsus in zwei, drei und mehrere Abtheilungen theilen. Hiedurch er-
halten grössere Vorfälle einige Ähnlichkeit mit einer Brombeere oder mit einer Wein-
traube- Wir werden diesen Zustand, welcher tu dem Namen Staphyloma racemosum
Veranlassung gegeben hat, weiterhin noch einmal besprechen- — Nach dem Gesagten
mag der Leser beurtheilen, was von dem allgemein aufgestellten Rathschlage zu halten
sei, bei Irisvorl'allen Mydriatica anzuwenden, den Vorfall mechanisch zurückzuschieben,
ihn mit Lapis infernalis zu ätzen, mit der Scheere abzuschneiden u. dgl. Wenn irgend
wo, so gilt wohl hier der Satz: „Qui bene distinguit, bene medcbitur."
7. Ist das durchbohrende Geschwür mehr central gelegen, so wird
es, je nach der Lage und Ausdehnung der Öffnung in der Wasserhaut,
entweder durch die Kapsel allein, oder durch diese und die Iris zugleich
verlegt. Die Folge davon kann einfache Heilung mit oder ohne statio-
näre Hornhautnarbe sein, oder es entsteht nebstdem eine Art Cataracta
capsulae centralis, oder permanente Verwachsung der tordern Kapsel
mit der Hornhautnarbe (mit oder ohne gleichzeitige Synechia anterior),
oder es kommt zur Berstung der Kapsel und deren weiteren Folgen,
die wir später erörtern werden. — So wie der Humor aqueus abfliesst,
und Iris und Linse an die Cornea rücken, wird auch die Pupille constant
verengert, und bleibt eng, bis die Cornealöffnung wieder geschlossen ist.
Diess erklärt uns, warum die Kapsel, wenn sie bei Hornhautgeschwüren
in Mitleidenschaft gezogen wird, stets nur in ihrem Centrum oder doch
nicht weil davon erkrankt. Es ist übrigens eine interessante Erscheinung,
dass, wie früher die Wasserhaut, so nach erfolgtem Durchbruche auch
die Kapsel ihre Integrität oft durch viele Tage behauptet. *) Dieses Durch-
sichtigbleiben der Kapsel setzt bekanntlich Kranke, deren Hornhaut durch
Eiterung mehr weniger zerstört ist, für eine Zeit in den Wahn, sie
werden wieder selten^ weil sie, nachdem die Kapsel bloss gelegt ist,
wieder Gegenstände wahrnehmen. — Kehren wir indess zum eigent-
lichen Gegenstande unserer Betrachtung zurück. War die Durchbruchstelle
sehr klein, und beginnt in der Cornea der Process der Heilung mit der
Reinigung des Geschwüres und dem Ansätze plastischer Lymphe, so kann
bei Verlegung der Öffnung durch die Kapsel ganz dasselbe eintreten,
was wir bei einfacher Verlegung durch die Iris beobachten. Wir sehen
aber auch, namentlich bei etwas grösserer Öffnung, bisweilen eine andere
Folge eintreten. Es bleibt nämlich auf der Kapsel, in oder nahe am
Centrum derselben, ein Klümpcheh Exsudat zurück, welches nach und nach
durch Abschluss der Öffnung in der Wasserhaut von dieser abgeschnürt
Wollte man die Zerstörung der Cornea bei der acuten Bindeh.itithlennorrhoe der „Schärfe des Secretes" zu-
schreiben, so müssle muu annehmen, dass Wjsscrltaut und Kapsel dieser atzenden Pjteuz sehr lange widerstehen
Geschwüre — Durchbruch — C'entralkapselstaar. 233
wird, und nach Wiederherstellung der Augenkammer als ein mehr
weniger erhabenes Hügelchen auf der Kapsel sitzen bleibt. Hellt sich
dann die restituirte Cornea wieder auf, so wird derjenige, welcher diese
Krankheit nicht in mannigfaltigen Übergangsgliedern gesehen hat, an jede
andere Ursache eher denken, als an die wahre, das durchbohrende Horn-
hautg-eschwür.
Diese Ansicht über das Eitstehen dieser Form von Cataracta centralis capsnlae
anter. habe ich bereits 1845 in der österreichischen Wochenschrift Nr. 10 und 11 aus-
gcspiochen. Ich habe sie seitdem nicht, nur durch zahlreiche Beobachtungen an Le-
benden, sondern auch durch mehrere Sectionen ergänzt und bestätigt gefunden. Am
häufigsten ist es die Blennorrhoe der Neugeborenen, welche zur Entstehung derselben
Veranlassung gibt ; doch sah ich sie auch in Folge von Pustel- und Geschwürsbildung
bei Blattern und bei Conjunctivitis scrofulosa. Sobald durch den oben geschilderten
Vorgang die Hornhautöffnung völlig geschlossen ist, und das Auge durch den Wieder-
ersatz des Humor aqueus seine normale Spannung erlangt, weicht auch die Kapsel mit
der Linse wieder in ihre Lage zurück. In der Regel bleibt nun keine Spur von der
Anlagerung der Kapsel an die Wasserhaut übrig, als ein Klümpchen jenes Exsudates,
welches die Cornea lieferte, auf der Kapsel; ausnahmsweise sieht man jedoch diesen
Klumpen noch durch einen Exsudatfaden mit der HornKautnarbe in Verbindung bleiben,
ja in einem Falle sah ich die Kapsel mittelst dieses Exsudates mit der Hornhautnarbe
enj verwachsen, und dadurch das ganze Linsensystem vorwärts gezogen. Dieser Fall
betraf einen 13jährigen Kaufmannslehrling, welchen ich auch meinen Zuhörern auf der
Klinik vorführte. Die linke Hornhaut ist in Folge einer in der ersten Kindheit über-
sttndenen Augenentzündung in der Mitte in eine undurchsichtige Narbe verwandelt,
und diese steht mittelst eines weissen Pfropfes, welcher, ohne den ringsum freien Pu-
pilarrand zu berühren, durch den humor aqueus rückwärts verläuft, mit der Kapsel in
Verbindung. Die Basis dieses Pfropfes auf der Kapsel hat 2/3— 3/4'" im Durchmesser;
dit Iris bewegt sich, wie gesagt, ganz frei; die vordere Kammer ist natürlich sehr
enff. der Pupillenrand von der hintern Wand der Cornea etwa '/2'" weit entfernt. —
W'ller hat diesen Vorgang nach Blennorrhoea neonatorum ganz richtig aufgefasst und
beschrieben; nur meinte er, das Exsudat auf der Kapsel werde durch Entzündung
di«ser letztern und von dieser selbst geliefert. Bei dieser Ansicht ist aber schwer zu
begreifen, warum das Exsudat, welches nicht seiten auf der Kapsel in Form einer Py-
ranide aui'<jethürmt ist, sich auf einen so kleinen Funkt beschränkt, warum keine hin-
tere, im Gegentheil häufiger vordere Synechien zugleich angetroffen werden, und
A\arum die Stelle des Exsudates auf der Kapsel in Fällen, wo noch eine Hornhautnarbe
schtbar ist. auch immer genau dieser letztern entspricht. — Hmcranek (Österreichische
Vochenschrift. 1847, Nr. 35) nimmt an, „dass das Exsedat auf der Kapsel von der
entzündeten Hornhaut geliefert werde, aber ohne Durchbruch dieser letztern; er meint,
das gelockerte und poröser gewordene Cornealgewebe lassen den Humor aqueus durch-
treten, mithin Kapsel und Cornea in Berührung treten; wegen starker Verengerung der
Pupille werde nur auf den centralen Theil der Kapsel Exsudat abgelagert ; werden nun
mit dem Nachlasse der Entzündung die exsudirten Massen resorbirt, erscheine mit dem
V\ iedereintreten der vitalen und physicalischen Eigenschaften der Humor aqueus in der
234 Hornhaut.
Augenkammer, lasse der Druck der Sclera in Fol^e des festeren Haltpunktes am Cor-
nealrande nach, und nehme mit dem Umfange dieses auch der Raum des Bulbus zu:
so trete die Kapsel, sich von der Innenfläche der Cornea ablösend, in ihrer Mitte mit
einem Theile der anklebenden Exsudatinasse belegt, zurück und stelle auf diese Weise
die centrale Kapselcataracta dar." Diese Ansicht bedarf wohl kaum einer Widerlegung;
sie beruht auf einer Menge viel zu unwahrscheinlicher Voraussetzungen. — Dr. von
Hasner, 1. c. S. 185, findet es unbegreiflich, wie man Cornealgeschwüre zum Entstehen
des centralen Kapselstaares für nöthig halten konnte; er habe denselben sehr häufig
im Verlaufe der Iritis vor seinen Augen entstehen sehen ; auch der angeborene Cen-
tralstaar, wenn er überhaupt vorkomme, dürfte durch eine fötale Iritis entstehen." Man
möchte nach diesen Worten fast zweifeln, ob Hasner wisse, was die Auetoren lisher
Centralkapselstaar genannt heben. Er, der sonst die Angaben „sehr häufig, oft etc."
tadelt, gibt uns hier keine numerischen Verhältnisse. Mit diesr allgemeinen Redensart
sind die bestimmten Beobachtungen, welche ich in dem oben citirten Aufsatze um-
ständlich angeführt, weder widerlegt, noch anders erklärt. Wenn aber Iritis die Ur-
sache dieses Staares ist, warum entsteht derselbe, wie allgemein bekannt, beinahe nur
im Kindesalter, und am häufigsten nach Blennorrhoea neonatorum? warum kommt Jer-
selbe dann so oft mit Hornhauttrübungen und mit vordem Synechien, und warum nie
mit hintern Synechien vor? warum findet man so häufig an demselben oder an dem
andern Auge anderweitige Folgen durchbohrender Hornhautgeschwüre, dagegen riienals
die Folgen primärer und substantivier Iritis? Gefährdet etwa die Blennorrhoe mehr die
Iris als die Cornea? Die Iritis erzeugt, wie jedermann weiss, Exsudat am Pupillm-
rande und in der Pupille; diese Exsudate werden wohl theilweise, nie aber ringsum
von dem Pnpillenrande frei. Die Wissenschaft würde übrigens dem Dr. Häsner Dnik
schulden, wenn er auch nur einen jener zahlreichen Fälle, von denen er spricht, ge-
nau beschrieben und allenfalls abgebildet hätte. So lange diess nicht geschehen, müssen
wir seine Angaben als unbegründet zurückweisen. — Beck (Ammon's Zeitschrift, I. B.
I. H.) hat einen Fall beschrieben und abgebildet. Ein 20jähriger Mann gab das Leiden
seines linken Auges als angeboren an; genauere Nachforschung machte es wahr-
scheinlich, dass er an Ophthalmia neonatorum gelitten hatte. Beck sah „in der Pup.lle
eine Cataracta caps. centr. anterior, und dieser entsprechend eine Trübung der Des;e-
mel'schen Haut, etwas unter der mittlem Höhe der Pupille; weiter nach unten waen
noch einige trübe Stellen in dem Descemet'schen Homhaultheile. Von der obersen
Hornhauttrübung, welche dem untern Pupillarrande (bei massig verengerter Pupile)
gegenüber lag, ging ein Gefäss, welches unter der Loupe sehr deutlich wurde, duich
den Humor aqueus nach oben und rückwärts zum obern Pupillarrande ; dieses Gefass
spaltete sich auf der Mitte des Weges in 5 kleine Ästchen, welche sich in die vorda-e
Fläche des kleinen Iriskreises inserirten und verloren; wurde die Pupille künstlich er-
weitert, so bildete sie in dieser Gegend, wo die Gefässe in die Iris mündeten, einm
Vorsprung." — Ich halte diesen Fall nicht für angeboren, wie Beck, welch»r
die hier bemerkten Gefässe für Reste der Pupillarmembran hält; mir ist es wahr-
scheinlicher, dass in Folge von Blennorhöe die Hornhaut durchbohrt war, und einer-
seits Hornhautnarben zurückblieben, andererseits eine Auflagerung auf der Kapsel, unci
als Rest der frühern Synechie zwischen Iris und Cornea die genannte Gefässverbin-
dung. — Es würde mich zu weit führen, die von mir genau beobachteten Fälle an
Lebenden hier zu beschreiben ; mehrere der instruetivsten sind in dem oben citirten
Geschwüre — Durclibrudt — Centralkapselstaar. 235
Aufsätze angegeben. Seit jener Zeit habe ich überdiess 6mal Gelegenheit gehabt,
vordere Centralkapselstaare im Cadaver zu untersuchen. Ich lasse hier die Beschrei-
bung von zweien Folgen. Am 20. März 1849 untersuchte ich das linke Auge einer
auf der Frauenabtheilung gestorbenen Wöchnerin. Das stark nach innen abgelenkte
(schielende) Au<je bot eine Hornhautnarbe in der innern Hälfte der Cornea dar ; das
Centrum dieser Narbe entsprach ohngefähr dem innern Pnpillarrande bei mittlerer
Weite der Pupille. Diese Narbe war mit der entsprechenden Partie der Iris verwach-
sen, und dadurch die Pupille etwas nach innen verzogen ; auf der vordem Kapsel
sass, etwas einwärts vom Centrum, ein mohnkorngrosser, kreideweisser, scharf-
begrenzter Hügel; er Hess sich mit einem Scalpelle ablösen, ohne dass die Kapsel ein-
riss. Diese erschien aber an dieser Stelle ein wenig eingedrückt, und die Rindensub-
staiiz der Linse war unter diesem Grübchen ein wenig getrübt. Jener Hügel verhielt
sich unter dem Mikroskope ganz wie fibroides oder Narben-Gewebe. — Am 1. iMärz
1850 untersuchte ich das linke Auge eines auf der chirurgischen Abthcilung verstor-
benen 16jährigen Jünglings. Die Cornea schien vollkommen durchsichtig und glatt zu
sein : bei genauerer Besichtigung bemerkte man vom Centrum nach innen eine leichte
Trübung. Es wurde nun das Epithelium von der ganzen Cornea sorgfältig abgestreift,
und nun sah man in der Mitte der Cornea eine leichte Depression, und da, wo man
den Fleck bemerkt hatte, also etwas mehr nach innen, eine zweite, etwas grössere
und tiefere Depiession. Es schienen die obersten Faserschichten zu fehlen, und die
Grübchen oder Abschliffe durch mächtigeres Epithel ausgeglichen gewesen zu sein.
Diese Abschliffe waren übrigens vollkommen glatt, der grössere leicht getrübt. Die
vordere Kammer normal, die Farbe der Iris matter, ihre Structur unverändert; die
Pupille vollkommen rund, etwas über 2'" im Durchmesser haltend; mitten auf der
Kapsel ein knorpelähnlicher Kegel mit einer warzenähnlichen Spitze, welche in die
vordere Kammer hereinragt. Die Basis etwa 3/t'" im Durchmesser scharf begrenzt,
nicht regelmässig rund. Hinter diesem Kegel sieht man den Kern der Linse getrübt,
mattgrau, etwa 2'" im Durchmesser. Nach Eröffnung des Bulbus fand man die hintere
Wand der Cornea, die Wasserhaut vollkommen normal, auch da, wo man vorn die
vertiefte Trübung bemerkt. Die vordere Kapsel durchaus undurchsichtig, eben so die
Zonula Zinnii. An der Linse Hessen sich 3 Regionen unterscheiden; die äusserste,
l/3'" breit, war vollkommen durchsichtig, normal; die zweite, '/2'" breit, war durch-
scheinend, nur sehr wenig getrübt; die dritte war eben der oben besprochene ganz
trübe Hern von etwas über 2'" Durchmesser. 31itten auf der Kapsel sass jene pyra-
midenförmige Erhabenheit. Die warzenähnliche Spitze wurde mit einer Pincette ge-
fasst ; sie löste sich los. doch riss die Kapsel dabei von einer Seite zur andern ein,
und man konnte nicht unterscheiden, ob ein Stückchen von der Kapsel mit der Pyra-
mide in Verbindung geblieben war, oder nicht. Nach Entfernung der Pyramide sah
man eine Grube in der Linsensubstanz an dieser Stelle. — In einem dritten Falle
zeigte die liapsel rings um diesen Hügel eine leichte Runzelung. im zweiten konnte ich
keine Depression der Kapsel bemerken; es waren Augen von Kindern, die erst kurz
vorher an Blennorrhoe gelitten hatten. In keinem Falle war ich im Stande, Spuren
der Pupillarmembran oder Spuren von Iritis aufzufinden, ausgenommen die Stelle, wo
die Iris mit der Hornhaut verwachsen war. In jenen 2 Fällen von Kindern war das
Exsudat auf der krystallhellen Kapsel noch ziemlich weich und auch nicht so gesättigt
weiss, sondern an den Rändern etwas durchscheinend. In allen Fällen, die ich zur
23(3 Hornhaut.
Section bekam, waren die Hornhäute in der mittlem Partie getrübt, und war die frü-
here Durbruchsstelle der Descemet'schen Membran in 4 Fällen noch deutlich zu er-
kennen. Im Jahre 1849 kam ein Mann von 30 Jahren auf die Klinik.. In Folge einer
in den ersten Lebenslagen überstandenen Augenentzündung war das linke Auge phthi-
sisch, das rechte bot beim Bestände einer Cataracta capsularis centralis (pyramidalis)
mit Nystagmus ein so unvollständiges Gesicht dar, dass der Mann genöthigt war, als
herumziehender Musiker sich sein ßrod zu suchen. In der letzten Zeit war ihm auch
das Alleingehen beschwerlich geworden ; ein Grund dieser Verschlimmerung konnte
nicht aufgefunden werden. Ein Arzt, der diesen Mann von Jugend auf genau kannte,
versicherte mich, diese Trübung im rechten Auge ganz gewiss schon von jeher bemerkt
zu haben. Die Hornhaut erschien vollkommen normal, die Iris frei beweglich; auf der
Kapsel sass ein alabasterähnlicher Zapfen, an der Basis etwa 2/3'" im Durchmesser;-
ob die Spitze bis an die Cornea reiche, Hess sich nicht bestimmen. Ich betäubte den
Kranken durch Chloroform, um das beständige Hin- und Herrollen des Bulbus zu be-
seitigen, machte am äussern Hornhautrande einen 3"' langen Einschnitt, und zog den
nächst der Spitze mit einer feinen Pincette gefassten Zapfen leicht heraus. Die Wunde
war bald geheilt ; aber es trübte sich die Linse, weil die Kapsel trotz aller Vorsicht
geborsten war. Nachdem nun die Linse a ina *% resorbirt worden und die Pupille voll-
kommen schwarz geworden war, entdeckten wir, was unserer Forschung früher ent-
gangen war, nämlich eine leichte diffuse Trübung des mittlem Theiles der Cornea,
offenbar, weil jetzt der Grund hinter dieser Trübung schwarz war.
8. Eine nicht seltene Folge grösserer und zugleich durchbohrender
Hornhautgeschwüre isl das sogenannte Hornhaut* taphylom. Die Alten
gebrauchten diesen Namen nur zur Bezeichnung jener krankhaften Zu-
stände des Auges, namentlich der Cornea, welche eine gewisse Ähnlich-
keit mit einer Weinbeere darbieten. Eist in späterer Zeit wurd' n auch
andere Zustände so benannt, und die verschiedenartigsten Krankheiten
unter einen Namen zusammengefasst. Wir können nur jene Krankheits-
formen mit dem Namen Staphyloma belegen, welche folgende Merkmale
darbieten: a) Hervorragung der Hornhaut über die natürliche Wölbung,
so dass diese Erhabenheit mindestens dem Drittel (Segmente) einer mehr
weniger grossen Beere gleicht; ß) Trübung mit Struclurveränderung der
vorragenden Partie, wenn nicht durchaus, so doch im grössteu Theile,
und y) Verwachsung der getrübten Partie mit der Iris.
Beinahe alle spätem Auetoren sprechen auch von einem Staph^Ioina pellucidum,
und setzen dann zur Bezeichnung der eigentlichen und ursprünglich so genannten Krank-
heit das Beiwort opacum zu. Auf diese Weise wurden die heterogensten Zustände
zusammengeworfen, so dass am Ende jede partielle Vorragung am Bulbus als Staphy-
loma angesprochen werden müsste. So figurirt der sogenannte Hydrops camerae, auf
den wir später noch zurückkommen, als Staphyloma pellucidum sphacricum ; so jene
seltene Form, die man Kerakotpnus oder Hyperkeratosis nennt, als Staphyloma pellu-
cidum conicum ; jene Keraloektasie endlich, welche wir als stationär gewordene Kera-
tokele kennen gelernt haben, wird, je nach der rein zufälligen Form, bald als kugel-,
Geschwüre — Durchbruch — Staphylom. 237
hafd als kegelförmiges durchsichtiges Staphylom aufgeführt, obgleich es manchmal eher
ein opakes zu nennen wäre.
Das nach diesen Merkmalen charakterisirte, eigentliche Hornhaut-
staphylom ist entweder ein totales, wenn die Verbildung die Hornhaut
ganz oder beinahe ganz betrifft, oder ein partielles, wenn mindestens
noch ein Drittel der Cornea normal ist; bei totalen wird sich zeigen,
dass der Befund nicht nur äusserlich, sondern auch im Innern des Auges
ein verschiedener ist, je nachdem es als globosum (sphaericum) oder
conicum erscheint.
Dieses Staphylom nun ist eigentlich nichts anderes, als die theil-
weise oder durchaus mit Narbengewebe überzogene und vorwärts 'ge-
drängte Regenbogenhaut. Ein etwas grösserer (breiterer) Clavus z. B.,
zugleich stark nach aussen gewölbt, gibt ein partielles Staphylom; die
Veränderung, welche wir beim Clavus finden, über die ganze Hornhaut
verbreitet, und dabei merklich ausgedehnt, (kegel- oder kugelförmig vor-
wärts getrieben), gibt das Bild eines totalen Staphyloms. In der That
kommen am Krankenbette zwischen Clavus und Staphylom so verschie-
dene Zwischenglieder vor, dass der eine Diagnostiker einen Fall noch
als Clavus bezeichnen wird, den der andere schon Staphyloma nennt.
Das Staphylom entsteht niemals, ohne dass Entzündung der Cornea
vorausgegangen, und zwar Entzündung mit Geschwürsbildung in der
Cornea. Sämmtliche Angaben der Auetoren über die Ätiologie dieser
Krankheit führen uns auf Entzündungen zurück, welche zu ausgedehnterer
Verschwärung der Cornea zu führen pflegen. Soll aber ein Geschwür
der Cornea zu Staphylombildung führen können, so müssen deren Faser-
schichten nicht nur in die Tiefe, sondern auch in die Breite auf mindestens
2 Quadratlinien Umfang zerstört sein. Nach kleineren Zerstörungen der
Hornhautfasern sah ich nie ein Staphylom sich entwickeln. Der physi-
kalische Grund hievon soll später angegeben werden. Es muss ferner
die Wasserhaut nicht nur eingerissen, und somit der Humor aqueus ab-
geflossen sein, sondern es muss auch die Iris in einiger Ausdehnung
bloss gelegt, und mit dem an die Stelle der Cornea tretenden Narben-
geicebe verwachsen sein. Wo ein beständiges oder zeitweises Aussickern
des Humor aqueus gestattet ist, bildet steh niemals ein Staphylom. Mit
andern Worten: nur bei grösseren und die Hülse des Bulbus völlig ab-
schliessenden Irisvorfällen steht die Bildung eines Staphyloma überhaupt
zu besorgen, und wo diese Bedingungen nicht vorhanden sind, kann alles
andere, nur kein Staphylom entslehen. Die Gefahr der Staphylombildung
238 Hornhaut.
besteht aber auch nur unter diesen Verhältnissen nur so lange, als das die
Iris bereits überkleidende Exsudat noch weich und dehnbar ist. Ein mit
schon völlig organisirtem, dichtem, sehnenartig glänzend aussehendem
Exsudate überzogener Irisvorfall, ein förmlich ausgebildeter Clavus kann
nie in ein Staphylom übergehen, er müsste denn abgetragen oder durch
Ulceration zerstört werden. Die letzte Bedingung zur Slaphylombilduno-
ist endlich die, dsss ein solcher Vorfall durch momentanen oder anhal-
tenden Druck von hinten wirklich ausgedehnt werde, was in der Recrel
durch stärkere Contraction der Augenmuskeln eingeleitet wird.
Den ersten Anstoss zur Staphylombildung gibt unter den eben angegebenen
Verhältnissen eine momentane Vorwärtsdrängung der flüssigen Contenta des Bulbus.
Das noch nicht hinreichend resistent gewordene Exsudat über der Iris, welches den
Bulbus im Verein mit dieser nach vorn abschliesst, gibt in diesem Momente den An-
dränge von hinten nach, und zieht sich, da es natürlich der gehörigen Elasticität ent-
behrt, nicht wieder auf das frühere Volumen zusammen. Der leere Raum, welcher
nun beim Nachlass der stärkeren Muskelcontraction in dem Auge entstehen müsste,
wird allmälig durch Erguss seröser Flüssigkeit ausgefüllt. Dieser Erguss findet ent-
weder bloss in der hintern Augenkammer, zwischen der vorgefallenen Iris, der Kapsel,
der Zonula und dem Corpus ciliare statt, oder er erfolgt, wenn der Glaskörper bei
jener Ausdehnung stark mit beiheiligt wurde, in diesem. Wir werden darauf später
zurückkommen, und wollen nur erst die Veränderungen in der Iris und Cornea be-
trachten. Jenem Andränge wird nicht nur die von nachgiebigem Exsudate überzogene
Iris, sondern auch die Cornea, so weit ihre Resistenz durch Vereiterung der oberfläch-
lichen und Erweichung der allenfafls noch übrig gebliebenen tiefern Schichten ver-
mindert ist, mehr weniger nachgeben, und wegen mangelnder Elasticität auch nicht
mehr zu ihren) früheren Umfange zurückweichen. Die ganze Vortreibung wird durch
den nachdrückenden serösen Erguss allmälig wieder gespannt. Übersehen wir dabei
nicht, dass jene momentane Einwirkung auf das ohnehin noch greeizte oder entzündete
Auge wohl kaum ohne Einfluss auf gesteigerte Ausschwitzung in demselben bleiben
kann: so werden wir begreifen, wie von nun an die einmal über das Niveau der
Umgebung vorgetriebene Partie durch letzteren Vorgang allein allmälig mehr und
mehr ausgedehnt werden kann , wie von nun an die Hervortreibung allmälig zu-
nehmen kann. Bei dem anhaltenden Reizungszustande, in welchem der Vorfall und
sein Überzug durch diese fortwährende Ausdehnung und durch den Druck von Seile
der Lider, so wie durch den Reiz der Luft u. dgl. versetzt wird, ist es ferner begreif-
lieh, dass fortwährend nicht nur seröser Erguss im Innern des Auges erfolgt, sondern
dass auch in den vorgetriebenen Geweben selbst Ausschwitzungen erfolgen. Diese
verlaufen theils mit weiterer Lockerung und Erweichung der betroffenen Gewebe, theils
mit Blulgc Tassentwicklung in der Umgebung und in der Pseudomembran« selbst, theils
endlich mit Verstärkung der letztern durch Ansatz von .Faserstoff, welcher sich allmälig
organisirt. Auf diese Weise geschieht es, dass Staphylome, welche in der ersten Zeit
nach ihrem Eitstehen durch enorme Ausdehnung der blossgelegten Iris und Rarefici-
rung ihrer Fasern förmlich durchsichtig waren (von der Seite her, bei durchfallendem
Lichte angesehen), nach längerer Zeit völlig undurchsichtig werden. — Trägt man in
Geschwüre — Purchlmich — Staphylom. 239
diesem Zeitpunkte so ein Staphylom ab, so findet man, dass es aus einem weichen,
succulenten , wenig elastischen , hie und da von erweiterten Gefässen durchzogenen,
gegen den Rand und gegen die hintere Fläche hin wohl auch noch ziemlich unver-
änderte Hornhautfasern zwischen sich einschliessenden Faser- oder Narbengewebe
besteht, bisweilen dünner, bisweilen aber auch 2 — 3mal so dick, als die normale
Hornhaut. An der vordem Fläche findet man eine mächtige Lage mehr weniger ver-
änderter Epithelialzellen. Dieses Epithelium von einer abnormen Matrix geliefert,
wird gewohnlich stellenweise abgestossen , wodurch kleine Excoriationcn entstehen,
indess es an andern Stellen übermässig angehäuft wird, sich in den Thränen nicht
mehr auflöst, und mehr weniger trocken erscheint. An der hinteren Fläche sieht mau
stellenweise noch Reste der Wasserhaut und darüber Hornhautfasern. Diese Reste er-
scheinen manchmal als Zipfel oder Balken, an der Innenfläche und an den Seitenrän-
dern (durch Umschlagen der Descemet'chen Haut über die unzerstörten Hornhaut-
partien) glatt, und von den Rudimenten der enorm ausgedehnten Iris leicht (durch
Abstreifen) zu befreien. Wo aber die Wasserhaut fehlt, da erscheint die hintere Fläche
der Pseudocornea rauh, uneben, durch Querbalken auf grubenähnliche Vertiefungen
netzähnlich, mit den Irisfasern und Pigmentzellen innigst A'ereint. Mit diesem Befunde
stimmt der Vorgang überein, welchen wir am Krankenbette bei der Überhäutung grös-
serer Irisvorfälle beobachten, dass nämlich, wie bereits oben bemerkt wurde, von den
Geschwürsrändern der Cornea durch Anschiessen plastischen Exsudates sich Vorsprünge
bilden, welche , wenn zwei gegenüberstehende sich endlich erreichen, gleichsam Brük-
ken oder Bänder darstellen, die den Vorfall einschnüren, in mehrere kleinere Vorfälle
abtheilen, während die zwischenliegenden Inseln erst später mit einer dünnern Mem-
bran überzogen werden. Jene Bänder nun stellen beim ausgebildeten Staphylom die
genannten balkenähnlichen Vorragungen der hintern Fläche vor. Wenn es geschieht,
dass anfangs diese dickern Streifen der Vis a tergo widerstehen, die dazwischen be-
findlichen Partien dagegen nachgeben, so bekommt das Ganze eine Ähnlichkeit mit
einer Brombeere, und wurde, wie schon bemerkt, von den altern Staphyloma race-
mosum genannt. Es liegt am Tage, dass dieser Zustand leicht in ein Staphyloma ve-
rum übergehen kann. — Die Pseudomembran, welche die Stelle der Cornea ganz oder
theilweise vertritt, schrumpft wie alle derlei Neugebilde mit der Zeit etwas zusammen ;
sie wird dichter und derber, und setzt dann dem Andränge der Contenta des Bulbus
einen festen Widerstand entgegen. In ihr, wie in allen solchen Neugebilden, sieht
man hie und da bisweilen fettige und kalkige Ablagerungen. Die Abschieferung des
krankhaften Epitheliunis , vielleicht auch die übermässige Spannung, und hie und da
wohl auch die mangelhafte Ernährung bewirken bisweilen kleine Verschwärungen; in
Folge derselben wird an dieser Stelle das Gewebe so dünn, dass es durchscheinend,
ja beinahe durchsichtig wird, und der Kranke vermag dann, wenn sonst keine Hinder-
nisse da sind, selbst Gegenstände grösseren Umfanges zu unterscheiden. In andern
Fällen erfolgt Durchbruch, Ausfluss wässeriger Flüssigkeit und Znsammensinken der
Geschwulst bis zu einem gewissen Grade. Diese Öffnung schliesst sich dann wieder,
bricht abermals auf, und so wiederholt sich der Process durch Monate, Jahre, bis
bleibende Schliessung oder Panophthalmilis (wovon später) eintritt. Ah den meisten
alten Staphylomen lässt sich eine oder die andere dünne, durchscheinende, bläulich-
schwarze Stelle auffinden. — Wir haben bei der Schilderung der Entwickelung des
Staphyloms von serösem Ergüsse im Innern des Auges gesprochen, Derselbe erfolgt
240 Hornhaut.
entweder unmittelbar hinter der Iris, oder in die Zellen des Glaskörpers, oder an bei-
den Orten zugleich. Denken wir uns a) den Fall, dass eine mehrere Quadratlinien
grosse Partie der Hornhaut bis auf die tiefsten Schichten oder auch gänzlich zerstört,
und dass nach Abfluss des Humor aqueus die Öffnung bloss durch die Iris und Exsudat
verlegt sei. In einem solchen Falle besteht die hintere Augenkainmer, und vielleicht
theilweise auch die vordere. Der Umstand, ob beide noch communiciren (durch die
mehr weniger beschränkte Pupille) oder nicht, hat auf die weitern Folgen keinen Ein-
fluss, wohl aber der, ob unter diesen Verhältnissen die Linse momentan stärker vor-
getrieben oder selbst die Zonula zerreissen wird, ä) Wird die Linse einfach vorgetrie-
ben, ohne dass ihr Aufhängeband (die Zonula) oder die Hülse (die Kapsel) berstetl
so drängt sie einfach den Humor aqueus und durch diesen den nachgiebigen Theil der
vorderen Wand des Bulbus auswärts, und weicht beim Nachlass der stärkern Muskel-
wirkung wieder in ihre Lage zurück. Geschieht diess plötzlich, so fällt der ausge-
dehnte Prolapsus etwas zusammen, und wird erst in dem Maasse wieder gespannt, als
die den Humor aqueus separirenden Gebilde serösen Erguss liefern; erfolgt das Zu-
rücktreten der Kapsel und Zonula in ihre normale Lage allmälig, so wird der Prola-
psus durch den Humor aqueus in gleicher Spannung erhalten. ß~) Riss wegen stärkeren
Andranges des Corpus vitreum die Zonula ein , so tritt Glaskörper in die hintere
Kammer, und es kann nun, je nachdem mehr seröses oder mehr faserstoffiges Exsudat
geliefert wird, zu zellig-fibröser Verwachsung der Glashaut mit dem Prolapsus kommen,
oder zu einfach serösem Ergüsse, bald in die hintere Augenkammer, bald in das Cor-
pus vitreum. y) Riss endlich die Kapsel ein, so wird die Linse allmälig resorbirt, oder
sie schrumpft sammt der Kapsel zu einem Klumpen zusammen, welcher entweder mit
der Zonula und Hyaloidea noch verbunden bleibt, oder von beiden mehr weniger iso-
lirt wird. Diess ist nun der Befund partieller oder totaler Staphylome, bei welchen die
Vergrösserung des Bulbus allein oder vorzugsweise durch serösen Erguss zwischen
Prolapsus und Corpus vitreum gebildet ist. — b) Wenn dagegen die Hornhautöffnung
so gelagert oder so gross ist. dass zu ihrer Verlegung nothieendig auch die vordere
Kapsel beitragen muss, dann wird der Umstand, ob bloss das Centruin oder die ganze
Kapsel mit der Iris und Pseudocornea verwächst, zunächst von Einfluss auf die weitern
Metamorphosen sein. Dann wird relativ wenig oder gar kein seröser Erguss zwischen
Iris, Kapsel und Zonula entstehen können, und wir finden die Vergrösserung des Bulbusl
ausschliesslich oder vorwaltend durch Vermehrung und Verflüssigung des Glaskörpers
bedingt, offenbar desshalb, weil, wenn durch momentan stärkere Wirkung der Augen-
muskeln die mit der Pseudocornea verwachsene Linse mit vorwärts gedrängt wurde,
die Zellen des Glaskörpers einreissen und hiemit der Anstoss zur Erkrankung des Glas-
körpers gegeben wurde. — Wir haben oben der Thatsache erwähnt, dass nur grössere
Irisvorfälle die Gefahr der Staphylombildung einschliessen , kleinere niemals. Nach
meiner Ansicht liegt die Ursache in einem physikalischen Gesetze. Wenn bei stärkerem
Andränge der Contenta des Bulbus (durch Muskeleinwirkung) der Druck auf eine klei-
nere Partie gerichtet ist, so widersteht sie demselben nicht und reisst ein ; es kommt
zur Berstiing. nicht aber zur Ausdehnung jener Partie, welche nicht den entsprechen-
den Widerstand zu leisten vermag. Wenn der Druck hingegen auf eine grössere nach-
giebige Partie gerichtet ist, so kommt es nur zur Ausdehnung, und erst bei ungleich
höherer Kraft des Druckes zur Berstung, Eben so wird, wenn das den Irisvorfall
Geschwüre — Durchbruch — Staphylom. 241
überkleidende Exsudat bereits fest geworden, in stationäres Fasergewebe unigewandelt
ist, dasselbe eber bersten, als sich ausdehnen.
Hat der ausgedehnte Irisvorfall sammt seiner Bedeckung einen ge-
wissen Grad von Festigkeit erlangt, so dass er nicht weiter ausgedehnt
werden kann, und erfolgt ob der Fortdauer des Congestions- und Reizungs-
zuslandes der Ciliargefasse vermehrte Ausscheidung von Humor aqueus:
so wird auch der vorderste Theil der Sclera, da, wo ihn die Ciliar-
gefasse zahlreich durchsetzen, in Mitleidenschaft gezogen. Nachdem die
Cornea lange von einem violetten Saume in dieser Gegend umgeben
war, bei strotzender Überfüllung der Ciliargefasse, erweicht dieser Theil
der Sclera, gibt dem Drange des Humor aqueus nach, und wird in Form
bläulicher Wülste, ähnlich den Hügeln varicöser Hautvenen, hervorge-
trieben. Man hat solche Staphylome varicöse genannt, weil man diese
Ausdehnung für Varices des Corpus ciliare hielt. Diese Wülste liegen
aber, wie mich Sectionen gelehrt haben, immer noch diessseits, i. e. vor
dem Corpus ciliare, und müssen wohl unterschieden werden von jenen,
welche bei Erkrankung des Glaskörpers oder der Chorioidea beobachtet
werden. Ihre Lage lässt sich am besten nach den Eintrittsstellen der
vordem Ciliararterien in die Sclera beurtheilen. Bläuliche Wülste, welche
diesseits jener Eintrittsstellen sich befinden, deuten jederzeit nur auf
vermehrte Ansammlung des Humor aqueus, auf einen wahren Hydrops ca-
merae posterioris. Wir sehen ihn bisweilen auch in Folge chronischer
Iritis, worauf wir später zu sprechen kommen werden. Die Basis der
Cornea oder Pseudocornea ist dann, wenn die Sclera ringsum jenem
Drucke nachgegeben hat, vom hintern Pole des Augapfels weiter ent-
fernt, als bei einem einfachen Staphylome. — War die Muskelcontraction,
welche den ersten Anstoss zur Vorwärtswölbung gab, heftiger, so kommt
es nicht immer zur einfachen Ausdehnung des Vorfalles und zum Serum-
erguss hinter demselben, sondern es kann auch geschehen, dass die Lin-
senkapsel berstet, oder dass die Zonula Zinnii und die Zellen des Glas-
körpers einreissen. Daher finden wir bei Totalstaphylomen nicht selten die
Linse fehlen ; sie wird, nachdem die vordere Kapsel geborsten, resorbirt,
und der Raum durch seröse Flüssigkeit gefüllt; in seltenen Fällen
schrumpft die blossgelegte Linse zu einem unförmlichen, mitunter auch
Kalkconcremente, selbst Knochenbildung enthaltenden Klumpen sammt der
Kapsel zusammen, oder man findet sie, in der Kapsel eingeschlossen und
von der Zonula sowohl als von der Hyaloidea isolirt, frei in der Höhle
des Staphylomes schwimmend. Doch kann die Linse auch schon vor dem
Abschluss des Auges durch die Iris und die sie bedeckende Pseudo-
Arlt, i. \ Q
242 Hornhaut.
membran abgegangen sein, wie schon oben bemerkt wurde, ein Zufall, der
vor der Slaphylombildung keineswegs sichert. — Die Einreissung der
Zonula und der Glashaut pflegt einen hydropischen Zustand des Glas-
körpers, Verflüssigung und Vermehrung der Glasfeuchtigkeit, zur Folge
zu haben. In Folge dessen wird der Augapfel in seinem hintern Um-
fange vergrössert, die Sclera wird durchaus oder stellenweise verdünnt
und ausgedehnt, die Netzhaut gelähmt; es entstehen die sogenannten
Varices chorioideae oder Staphyloma cum varicositate bulbi, wie sich die
Altern auszudrücken pflegen. — Die Berstung der Kapsel oder der Zo-
nula kann übrigens bei Totalstaphylomen noch durch einen Umstand be-
günstigt werden, den wir besonders hervorheben müssen. Wenn bei aus-
gedehnter Yerschwärung der mittlere Theil der Cornea zerstört wurde,
so wird die Öffnung nicht durch die Iris allein, sondern auch durch die
vordere Kapsel verlegt, oder, wenn Iritis entstand, durch einen Exsudat-
pfropf in der Pupille. Die Folge hievon ist Verwachsung der Kapsel
mit der Iris und Pseudocornea. Tritt nun eine stärkere Muskelcontraction
ein, bevor die Pseudocornea noch das hinreichende Widerstandsvermögen
erlangt hat, so muss entweder die Kapsel bersten oder die Zonula, und
hiemit sind dann die Bedingungen zu den genannten krankhaften Ver-
änderungen solcher Augen gegeben.
Wir haben Eingangs erwähnt, dass wir ein allgemeines und ein
theilweises Hornhautstaphylom unterscheiden. Beim partiellen ist noch
mindestens V3 der Cornea vollkommen gesund, und dem entsprechend
auch vordere Augenkammer vorhanden. Nimmt das partielle Staphylom
weniger als % der Hornhaut ein, so ist in der Regel auch noch Pupille
vorhanden, nur ein Theil des Pupillarrandes der Iris mit der Pseudo-
cornea verwachsen. Doch pflegt beim partiellen Staphylom auch der
gesunde Theil der Cornea nicht die normale Wölbung zu besitzen, son-
dern dachförmig zu der vorgetriebenen Pseudocornea aufzusteigen. Der
Sitz des partiellen Staphyloms ist gewöhnlich in der untern Hälfte der
Hornhaut, selten in der obern; der Grund liegt darin, dass Hornhaut-
geschwüre an und für sich in der obern Partie nicht so häufig vorkom-
men, und dass die im horizontalen Durchmesser sitzenden sich gern
durch Eitersenkung nach untenzu vergrössern; vielleicht auch, dass das
obere Augenlid der Vis a tergo einigen Widerstand entgegensetzt.
Treten die Bedingungen zur Staphylombildung bei centralen Horn-
hautgeschwüren auf, so entwickelt sich gern Totalstaphylom, und zwar,
wenn ringsum noch ein breiter Saum Hornhaut unversehrt ist, ein kegel-
förmiges. Es verwächst dann die Pseudocornea gewöhnlich nicht nur mit
Geschwüre — Durchbrach — Staphylom. 243
dem ganzen Pupillarrande, sondern auch mit dem Centrum der vordem
Kapsel, und die Muskelcontraction, welche eben den ersten Anstoss zur
Vorwärtsfcreibung der Pseudocomea gibt, bewirkt Zerreissung der Zellen
des Glaskörpers und der Zonula durch Vorwärtszerrung der Kapsel und
Linse, wenn nicht etwa die Kapsel selbst berstet. Das Staphylom muss aber
in solchen Fällen, wo noch ringsum ein Saum von unversehrter Cornea
besteht, und nur der centrale Theil derselben bis auf die Wasserhaut zer-
stört ist, eine kegelförmige Gestalt annehmen, weil die Vis a tergo nur
in der mittlem Partie nicht den gehörigen Widerstand findet. Ringsum,
nächst der Basis corneae, erscheint dann die Iris einfach an die Cornea
angelagert. Dass aber der Vorgang wirklich so ist, wie wir eben an-
gegeben haben, beweist der übereinstimmend gleiche Befund bei allen
kegelförmigen Totalstaphylomen. Bei allen diesen findet man die Kapsel
mit der Pseudocomea verwachsen, und, wo sie nicht geborsten ist, auch
die Linse mit vorwärts gezogen; bei allen findet man den Glaskörper
verflüssigt und vermehrt. Daher ist es auch das kegelförmige Total-
staphylom insbesondere, welches zu Ektasien der Sclera im hintern Um-
fange des Bulbus führt.
Das partielle Staphylom an und für sich stört das Sehvermögen
nur in so fern, als es die Pupille verzieht oder aufhebt, oder als es
den unversehrten Homhauttheil in eine schiefe Fläche verwandelt. Den
Inhalt der kuppelähnlichen Vortreibung bildet seröse Flüssigkeit, Humor
aqueus; in manchen Fällen mag wohl auch durch die an einer Stelle
eingerissene Zonula etwas Glaskörper in diesem Raum eingedrungen sein :
in solchen Fällen dürfte auch das Linsensystem eine mehr weniger
schiefe Lage einnehmen. Beim totalen pflegt die Lichtempfindung nur
dann aufgehoben zu sein, wenn der Glaskörper bedeutend verflüssigt
und vermehrt, und die Sclera ektatisch ist.
Diese Ansichten über das Hornhautstaphylom , im Wesentlichen bereits in dem
oben citirten Aufsatze enthalten, sind seitdem der Hauptsache nach angenommen wor-
den, wie die Aufsätze von Sichel, Frerichs. Hasner. Hawranek u. A. zeigen. Die Lehre
vom Staphylom ist somit heutzutage wesentlich verschieden von der, w.elche Beer und
nach ihm Viele aufgestellt hatten. Hifr von einem Punkte der Ueer'schen Theorie
konnten sich mehrere, namentlich Chelius jun. und Hasner nicht trennen, nämlich da- l
von . dass Abschluss der vordem Augenkammer von der hintern (Pupillensperre) zur
Staphylombildung nothwendie sei. Dr. Hasner. eine Vis a tergo nicht zugebend, er-
klärt „die Vortreibung der Iris einfach durch die hebende Wirkung der im Auge ange-
sammelten Flüssigkeit." — ^Die Regenbogenhaut, im normalen Zustande eine per-
forirte Membran kann leicht durch pathologische Zustände zur imperforirten werden,
wo sodann die hintere Augenkammer einen vollkommen geschlossenen Sack darstellt.
Es ist leicht erklärlich, welchen wesentlichen Einfluss auf das Entstehen von Form-
16*
244 Hornhaut.
fehlem des Auges ein solcher Abschluss der mit Flüssigkeit gefüllten Aucrenkammer
haben muss, besonders in solchen Fällen, wo die vordere Kammer durch Zerstörung
der Hornhaut vernichtet wurde. Die dehnbare Iris muss sodann durch die Flüssigkeit,
welche sie einschliesst und deren Secretion fortwährt, immer mehr hervorgedrängt,
und auf diese Art die Höhle des Auges bedeutend vergrössert werden." — „Die den
Vorfall von einigem Umfange überkleidende Pseudomembran vermag nur dann dem
Drucke des Humor aqueus zu widerstehen , wenn die Iris mit ihrer hintern Wand
gleichzeitig an die Kapsel geheftet ist; ist eine solche Verwachsung nicht vollständig
eingetreten, dann wird häufig nach einiger Zeit die Secretion des Humor aqueus wieder
bedeutender, und es tritt eine neue Vorbauchung auf. Auch die Entfernung der Linse
schützt nicht immer; nur dann, wenn die Verwachsung der Iris mit der vordem Kapsel
fest geworden ist, sind wir vor Recidiven sicher." — Nach diesen Angaben muss ich
annehmen, dass Hasner wenig oder gar kein staphylomatöses Auge anatomisch unter-
sucht habe. Ich will, um nicht meine Untersuchungen als maassgebend aufzustellen,
nur auf Frerichs *) Angaben verweisen, welche sich auf 17 Objecte beziehen, und
denen wohl Niemand Wahrhaftigkeit absprechen wird. „Unter 17 Fällen von Staphy-
loma war lOmal die Linsenkapsel sammt der verdunkelten Linse durch Exsudat fest an
die Iris angeklebt, die hintere Augenkammer also verschwunden, in 1 Falle fehlte die
Linse ganz, in den 6 übrigen Eällen war sie in. ihrer Stellung geblieben, und hier er-
schien die hintere Augenkammer geräumiger, als gewöhnlich." — „Der Glaskörper war
in mehreren Fällen über das Corpus ciliare vorgefallen, und durch bandartige Adhäsionen
fest mit der hintern Fläche des Staphyloms verwachsen." Mit Frerichs Angaben stimmen
auch die von Rosas u. A. überein, wenigstens in Bezug auf das kegelförmige Staphylom,
von welchem ausdrücklich gesagt wird, „dass nicht allein die verbildete Cornea mit
der Iris ganz oder theilweise verwachsen, sondern auch die Iris mit dem Krystallkörper
und dieser mit den Nebengebilden fest verbunden, somit die Secretion der wässrigen
Feuchtigkeit unterdrückt, die hintere Augenkammer völlig aufgehoben, und der Glas-
körper entmischt und angehäuft sei." Von Ammons **) acht genaue Krankengeschichten
dienen gleichfalls zur Bestätigung des Gesagten. — Zum Schlüsse sei nur noch an die
bekannte Thatsache erinnert, dass auch bei noch offener Pupille sich ziemlich grosse
Staphylome entwickeln, und dass die Anlegung einer künstlichen Pupille, wo solche
noch anwendbar, weder das Entwickeln noch das Weiterschreiten der staphylomatösen
Verbindung zu hindern im Stande ist.
9. Als Folgen durchbohrender Hornhautgeschwüre sind endlich jene
Zustände zu bezeichnen, welche im Allgemeinen unter den Namen:
Phthisis corneae, applanatio corneae, und phthisis bulbi bekannt sind. Mit
dem Namen Phthisis corneae belegt man jenen Zustand der Hornhaut, wo
dieselbe in Folge von Eiterung ganz oder grösstentheils zerstört und
mehr weniger durch stationäres Narbengewebe ersetzt, letzteres jedoch
nicht beträchtlich vorwärts gewölbt, sondern eher platt oder selbst vertieft
erscheint. Abplattung der Cornea nennt man gewöhnlich jenen Zustand,
wo die Cornea nur theilweise durch Eiterung zerstört, sonst aber normal,
*) Hannov. Annat. 1847, H. 4.
**) Zeilschr. für Ophlhalm. 1. B. S. 80 — 102.
Geschwüre — Phthisis corneae — Phthisis bulbi. 245
nur platt oder selbst runzlich eingezogen erscheint. Hiebei können selbst
noch 2/3 der Hornhaut durchsichtig und durch eine geringe Menge Humor
aqueus von der Iris geschieden sein; aber es fehlt die Wölbung der
Hornhaut, und die Pupille ist durch Verwachsung des Pupillarrandes mit
der Hornhautnarbe aufgehoben. Die Iris hat in solchen Fällen immer
ihre normale Structur und Farbe mehr weniger eingebüsst. Man kann
leicht verleitet werden, in solchen Fällen auf Anlegung einer künstlichen
Pupille anzutragen, weil dieser Befund an und für sich die sonstigen Be-
dingungen zur Pupillenbildung nicht ausschliesst. Es nützt jedoch die
Operation nichts, weil (wie ich mich in einigen Fällen überzeugt habe)
der Kranke auch durch die schönste Pupille nicht mehr sehen kann, als
vordem. Der Grund davon liegt wahrscheinlich nicht so sehr in dem
Verluste der Wölbung der Cornea, als vielmehr darin, dass ein solcher
Zustand eigentlich dadurch zu Stande kommt, dass dem Humor aqueus
vor der völligen Vernarbung durch längere Zeit das Aussickern gestattet
war, und hiedurch die Ernährung des Auges zu stark beeinträchtigt
wurde. Es muss übrigens bemerkt werden, dass Bulbi, welche äusserlich
nur die Merkmale von Phthisis oder Applanatio corneae (ohne Verklei-
nerung des hintern Umfangs des Bulbus) darbieten, bei der Eröffnung
bisweilen dieselben Erscheinungen zeigen, wie phthisische Bulbi. — Die
Phihisis bulbi, schon äusserlich durch mehr weniger beträchtliche
Schrumpfung des ganzen Augapfels und in der Begel auch durch Ein-
kerbung in der Gegend der Muse, recti (viereckige Gestalt) leicht erkenn-
bar, bietet bei der Section im Allgemeinen die Folgen von Chorioiditis
und Schwund des Glaskörpers, oft auch Verlust der Linse dar, und wird
demnach bei den Krankheiten der Chorioidea erst ausführlich besprochen
werden. Hier kann zunächst nur angedeutet werden, auf welche Weise
diese Folgen durch Hornhautgeschwüre eingeleitet werden. — Ich glaube
diess am füglichsten durch einige Krankengeschichten erörtern zu können.
Eine Frau, 28 Jahre alt, welche in Folge von Hornhautgeschwüren auf der
rechten Hornhaut mehrere übernarbte Irisvorfälle hatte, wovon der grösste, etwas un-
terhalb und vor der beinahe aufgehobenen Pupille, ein wenig (etwa 1/4 Linie) über
das Niveau der Umgebung vorragte, fühlte beim Zerbrechen eines Holzastes (über's
Knie) in ihrem Auge eine Veränderung; es thränte, wurde roth, schmerzte mehr und
mehr, und wurde, da sie ihre häuslichen Geschäfte fort verrichtete, binnen wenig
Tagen in einen Zustand versetzt, den ich, als ich gerufen wurde, als beginnende Pan-
ophthalmitis erkannte. Jener Vorfall war geborsten, die Iris in die Öffnung einge-
klemmt, die Conjunctiva bulbi ringsum in einen Wall erhoben, der Bulbus aus der
Orbita vorgedrängt. Der Ausgang in Phthisis bulbi war nicht mehr zu verhüten. —
Ich trug ein nach acuter Blennorrhoe entstandenes zuckererbsengrosses , nach unten
und innen von der etwas verzogenen Pupille sitzendes Staphylom wegen Entstellung
246 Hornhaut.
und wegen Reibung am untern Lide hei einem 19jährigen Mädchen ah; nach Abnahme
des Verbandes (am 5. Tage) hatten sich die Wundränder nach Wunsche genähert, und
das Übrige war durch eine durchscheinende Membran verschlossen, welche die nächsten
Tage dicker und fester zu werden schien, aber, nachdem wir der Kranken am 8.
Tage erlaubt hatten, ein wenig aufzusitzen, sich vorwärts wölbte, wesshalb wir die
Kranke abermals 5 Tage ruhig liegen Hessen, und eine Lösung von Lapis divinus ein-
träufelten. Die Narbe schien nun hinlänglich fest zu sein , um die Kranke nicht nur
sitzen, sondern auch herumgehen zu lassen. Aber schon nach einigen Tagen , als die
Kranke trotz unserer Warnung, nichts Schweres zu heben, sich selbst aufbettete und
die Matratze hob, trat Berstung und Ausfluss eines guten Theiles vom Glaskörper ein.
Das so glücklich wieder hergestellte Sehvermögen (die gegen das Staphylom schief
aufsteigende Hornhaut vor der Pupille hatte wieder die gehörige Lage erhalten) wurde
leider bei der darauf folgenden Vernarbung sehr beschränkt, sei es nun durch Verlust
des Glaskörpers, oder, was mir wahrscheinlicher, durch Verrückung der Linse. —
Anfang Juni 1840 wurde ich zu einem 13jährigen Knaben gerufen, welcher seit 4
Wochen an einer Augenentzündung litt. Ende Mai hatten mehrere Kinder der zahl-
reichen Familie an Augenentzündung gelitten, welche der Beschreibung nach ein etwas
heftiger Katarrh gewesen zu sein scheint. Anfang Juni war auch dieser Knabe so
erkrankt; bei ihm soll jedoch das Übel heftiger geworden sein, nachdem er an einem
heissen Tage 1 Stunde Weges sehr schnell gegangen, und noch vom Schweisse trie-
fend, den Rückweg in einem offenen Wagen gemacht hatte. Der Umstand, dass bei den
übrigen Kindern das Übel unter der Behandlung eines Wundarztes mit Augenwässern
und kalten Umschlägen zurückgegangen war, hatte die Altern zu der Meinung gebracht,
es werde auch hier nichts zu bedeuten haben, obwohl der Knabe bereits 4 Wochen
krank, die Lider stark geschwollen, und der Ausfluss eiterähnlich war, bis ein be-
kannter Arzt zufällig in's Haus kam, und sie auf die Grösse der Gefahr aufmerksam
machte. — Ich fand die Lider bereits massig geschwollen, bläulich -roth, runzlich
die Lidbiudehaut hochroth , stark geschwollen , die Scleralbindehaut nur einen flachen
Wall bildend, das Secret eiterähnlich und ziemlich reichlich; die rechte Hornhaut war
unterhalb des Centrums durchbrochen, das Geschwür etwa hanfkorngross mit gelblich-
grau infiltrirten Rändern, die Iris an die Cornea angelagert, die Pupille von oben her
sichtbar, hirsekorngross ; links war nur die untere Hälfte der Cornea erhalten, die
obere Hälfte zerstört, die Iris blossgelegt, die Pupille durch Verziehung der Iris ge-
schlossen. Der Knabe war übrigens gesund, eine Vergrösserung der Geschwüre war
nicht leicht zu besorgen , auf gehörige Pflege war zu rechnen ; ich stellte also die
Prognosis bezüglich des rechten Auges günstig, bezüglich des linken zweifelhaft,
ordinirte ruhige Lage, fleissige Reinigung der Augen mit lauem Wasser, Einträuflungen
einer Lösung von Nitras argenti, Einreibungen von weissem Präcipitat mit Extr. bella-
donnae an die Stirn und Schläfe, und eine leichte, nahrhafte Kost. Bald reinigten sich
die Geschwüre, und der Humor aqueus sammelte sich wieder an; rechts heilte nur
eine ganz kleine Partie der Iris in die Narbe ein, links wurde der Vorfall von Exsudat
und allmälig von einer dünnen Membran überzogen. Ende August war das rechte
Auge so gut als möglich geheilt, nämlich mit einer etwa 1'" im Durchmesser haltenden
Narbe, welche nur mit ihrem obern Rande einen kleinen Theil der Pupille deckte , und
mit einer die Rundung und Beweglichkeit der Pupille kaum störenden vordem Syne-
chie; an dem linken Auge war die untere Hälfte der Hornhaut vollkommen gewölbt
Geschwüre — Phthisis bulbi. 247
und durchsichtig, die obere Hälfte durch eine bläulich-weisse Membran ersetzt, welche
die Iris deckte und fast im Niveau der normalen Wölbung zurückhielt, die Pupille war
jedoch aufgehoben , indem der Pupillarrand durchaus in jene Narbe hineingezogen, und
die untere Hälfte der Iris sehr ausgedehnt erschien. Da der Knabe nun beinahe 12
Wochen das Zimmer und grösstentheils auch das Bett gehütet hatte, liess ich ihn an-
fangs im Zimmer und nach 8 Tagen auch im Garten herumgehen. Ende September
wurde ich plötzlich gerufen. Der muntere Knabe , den man schon für genesen hielt,
war, trotzdem ich ihm wiederholt Vorsicht rücksichtlich stärkerer Muskelanstrengung
dringend empfohlen hatte, auf einen Baum geklettert, und hatte darauf Schmerzen im
linken Auge bekommen. Man hatte ihn in's Bett gelegt, und kalte Umschläge gegeben.
Ich fand den 3. Tag den Vorfall so stark ausgedehnt, dass er schon von aussen an
der Wölbung des obern Lides sichtbar war. Zugleich waren die Lider etwas ange-
laufen, die Conjunctiva bulbi ödematös geschwellt, die Ciliargefässe stark injicirt.
Nachdem diese consecutiven Erscheinungen unter Anwendung von Blutegeln und Eis-
umschlägen bei ruhiger Lage zurückgegangen waren , blieb der Zustand des Vorfalles
(Staphyloms) unverändert, und ich nahm mir vor, dasselbe später abzutragen, weil
die Familie in Kurzem in die Stadt übersiedeln sollte. Ehe es noch hiezu kam, überass
sich der Knabe (am Kirchweihfeste) und bekam Erbrechen. Den 2. Tag gerufen, fand
ich die rechte Cornea an der Stelle der Narbe geborsten, aus der Öffnung etwas Glas-
körper heraushängend , die Lider und die Conjunctiva bulbi ziemlich stark ödematös
geschwollen. Man kann sich meinen Schrecken denken ; der Knabe hatte mit diesem
Auge bereits wieder gelesen und geschrieben, und nun musste ich es gleichfalls für
verloren halten. Trotzdem that ich, was zu thun war, suchte der weitern Ausbildung
von Entzündung des Glaskörpers und der Chorioidea mit dem Ausgange fin Eiterung
und Phthisis bulbi (denn dieser Gang war nach den vorhandenen Zufällen offenbar
zu befürchten) durch örtliche Blutentziehungen, Eisumschläge, Diät u. s. w. vorzu-
beugen, und war in der That so glücklich, das Auge mit unversehrtem Sehvermögen
genesen zu sehen, Nachdem diess geschehen, der Riss wieder vernarbt und der Knabe
in die Stadt gebracht worden war, nahm ich gegen Ende November die Abtragung des
Staphyloms an dem linken Auge vor. So wie ich den Hornhautschnitt vollendet hatte,
trat die krystallhelle Linse sammt der Kapsel heraus. Da ich den Kranken im Bette
operirt hatte, ging wenig Glaskörper verloren, und nach 14 Tagen war an die Stelle
des Staphyloms eine ziemlich feste Narbe getreten , der Bulbus nur wenig kleiner als
der andere. Von nun an sah ich den Knaben, der wieder anfing, seine Studien fort-
zusetzen, selten, bis zwei Tage nach Weihnachten. Das rechte Auge war abermals an
derselben Stelle geborsten; die Veranlassung wnrde mir, wahrscheinlich aus Furcht
vor neuerlichen Vorwürfen, verborgen gehalten; ein Mitschüler gab nachträglich an,
der Knabe habe einen schweren Schubladkasten vorgezogen. Diessmal entwickelten sich
unaufhaltsam die bekannten Symptome der sogenannten Panophthalmilis , und endeten
mit Phthisis bulbi, nachdem die Cornea vereitert und die Linse abgegangen war. So
gingen durch eine Reihe unvorhergesehener Zufälle beide Augen eines hoffnungsvollen
Knaben zu Grunde; denn der Hoffnung, durch Anlegung einer künstlichen Pupille im
untern Theile des linken Auges das Gesicht wenigstens theilweise herzustellen, gebe
ich selbst fast keinen Raum.
Mit der Kenntniss der Folgen, welche Hornhautgeschwüre je nach
ihrem Sitze, ihrer Grosse und Tiefe haben können, und der Bedingungen
248 Hornhaut.
unter denen Heilung- oder doch Abhaltung- schlimmerer Ausgänge möglich
ist, haben wir auch die wichtigsten Anhaltspunkte für die Proynosis und
Therapie gewonnen. Durchbohrende Geschwüre sind zunächst wie alle
Hornhautgeschwüre nach ihrem Charakter zu behandeln, welcher bald ent-
zündlich, bald torpid ist oder eben den zum Ersätze des Substanzverlustes
hinreichenden Grad von Reizung zeigt. (Vergl. S. 96, 103 u. 220.) — So-
dann ist alles zu vermeiden, was die Augenmuskeln primär oder synergisch
zu stärkerer Contraction anregen, die bereits verlöthete Öffnung wieder
sprengen oder die Iris vorwärts drängen und einklemmen könnte. Alle
andern Mittel, die Iris zurückzubringen, sind fruchtlos oder geradezu
schädlich. Das Atzen mit Lapis infernalis ist nur dann zulässig, wenn
eine Fistel besteht, und selbst da wird man es nicht selten umgehen
können, wenn es gelingt, auf die Reproduction im Allgemeinen durch
gute Kost, frische Luft, Aufheiterung des Gemüthes u. dgl. günstig ein-
zuwirken, und örtlich den gehörigen Grad von Reizung durch Einträufeln
einer elwas stärkern Lösung von Lapis infernalis, Lapis divinus, Alumen,
besonders aber von Opiumtinctur zu erregen.
Bei frischen, nicht entzündeten oder eingeklemmten Vorfällen lasse
man den Kranken nicht bloss strenge Rückenlage beobachten, sondern
auch die Augen geschlossen halten, nöthigenfalls durch Verkleben der
Lider. — So lange der Irisvorfall die Zeichen von Entzündung darbietet,
muss mehr weniger antiphlogistisch, mindestens nicht reizend verfahren
werden. — Ist der Vorfall höher und breiter, so dass sich Staphylom zu
entwickeln droht, so trage man den erhabensten Theil desselben mit
einer nach der Fläche gekrümmten Scheere vorsichtig ab. Die hinter dem
Prolapsus angesammelte wässrige Flüssigkeit entweicht, und ehe die
Schnittwunde heilt, hat das den Vorfall überkleidende Exsudat in der
Regel die gehörige Consistenz gewonnen, um dem weitern Andränge der
Flüssigkeit entsprechenden Widerstand zu leisten. Die blosse Punction
gewährt nicht diesen Erfolg, wenigstens nicht so sicher, und muss ge-
wöhnlich oft wiederholt werden. Die Atzung mit Lapis infernalis oder
mit Butyrum antimonii mittelst eines Pinsels erregt leicht zu starke Rei-
zung; es kann heftige Entzündung darauf folgen, selbst eitrige Zerstö-
rung der ganzen Cornea oder des Bulbus. Bei messerscheuen Indivi-
duen begnüge man sich damit, dass man täglich 1 — 2mal einen Tropfen
anfangs verdünnter, später reiner Tinct. opii crocata mittelst eines Haar-
pinsels auf den Prolapsüs träufelt. Der Erfolg tritt langsamer, aber
dennoch ziemlich sicher ein. Ist aber der Überzug eines grössern und
stärker vorgetriebenen Prolapsus bereits in eine dichte Pseudomembran
Geschwüre — IJeliandlung nach erf. Durchbruche. 249
umgewandelt, dann nützt weder das Einträufeln von adstringirendreizenden
Mitteln, noch die Excision; man hat dann ein förmliches Staphylom vor
sich, und muss unterscheiden, ob es partiell oder total ist.
Beim partiellen Staphylom fragt sich's, ob noch Pupille vorhanden
ist, oder nicht, und ob dieselbe nicht etwa durch Verziehung bis zu einer
für die Lichtstrahlen kaum durchgängigen Spalte, oder durch Verziehung
hinter die das Staphylom umgebende Hornhauttrübung, oder endlich durch
dachförmiges Aufsteigen des gesunden Hornhauttheiles unbrauchbar
gemacht ist. Wo keiner dieser Fälle statt findet, sei man mit jedem
operativen Eingriffe sehr vorsichtig, wohl bedenkend, dass der Erfolg
jeder Operation (auch unter den günstigsten Bedingungen unternommen)
durch unvorhergesehene und unvermeidliche Zufälle vereitelt werden
kann, und dass der Kranke hier nichts Geringeres riskirt, als die Function
eines Auges. Ist das Sehen durch dachförmiges Aufsteigen der gesunden
Hornhautpartie beeinträchtigt, so entferne man das Staphylom nach den
weiter unten angegebenen Regeln. Ist die Pupille gesperrt, zu einer
feinen Spalte verzogen, oder durch unheilbare Hornhauttrübung verdeckt,
so ist die Bildung einer künstlichen Pupille allein oder zugleich mit der
Abtragung des Slaphyloms angezeigt, vorausgesetzt, dass die übrigen Be-
dingungen hiezu vorhanden sind (Yergl. Krankheiten der Iris). Letztere
ist dann nöthig, wenn das Staphylom das Auge in gereiztem Zustande
erhält, sich an den Lidern, reibt, Lichtscheu, Thränenfiuss, Schmerzen u.
dgl. unterhält, noch fortwährend zunimmt, oder von Zeit zu Zeit berstet.
Ob nun die Abtragung des Staphylomes oder die Anlegung der Pupille
früher zu geschehen habe, das muss der individuellen Beurtheilung jedes
speciellen Falles überlassen bleiben. Da, wo nur noch die Iridodialysis
möglich ist, kann man vielleicht unmittelbar nach der Abtragung des
Staphyloms durch die Öffnung mit dem Häkchen eingehen, die Iris vom
Ciliarbande lösen, hervorziehen und abschneiden.
Beim Totalstaphylom hat man verschiedene Heilmethoden vorge-
schlagen, die Compression, die wiederholte Punction, die Einziehung
eines Seidenfadens durch die Basis (mit oder ohne Abbindung), die
Atzung der erhabensten Partie mit Lapis infernalis oder mit Spiessglanz-
butter, die Ausschneidung einer kleinen Partie an der grössten Wölbung,
und die gänzliche Abtragung mit Messer und Scheere. Nur diese letzte,
besonders von Beer gewählte und empfohlene Methode hat sich bewährt ;
die andere wendet heutzutage kaum noch Jemand an. Man unternimmt
diese Operation, entweder weil man den Kranken von den lästigen Zu-
fällen, welche das Wachsthum der Geschwulst und deren Reizung durch
250 Hornhaut.
die Lider, Staub u. dgl. mit sich bringt, befreien, oder weil man die
dadurch gesetzte Entstellung beseitigen will. Von einer Wiederherstellung
des Gesichtes kann natürlich keine Rede sein. Man hat wohl vorge-
schlagen, in die durch die Abtragung entstandene Wunde die frisch aus-
geschnittene Hornhaut eines Thieres einzuheilen ; allein schon die Ver-
suche der Einheilung bei Thieren selbst sind misslungen ; die transplan-
tirte Hornhaut verdunkelte sich und verschrumpfte, auch wenn sie wirk-
lich eingeheilt war. *) — Die Abtragung geschieht, indem man ein etwas
stärkeres Staarmesser an einer Seite der Basis des Staphyloms ein- und
an der entgegengesetzten aus-sticht, so dass man beim Fortschieben der
Klinge die Hälfte oder zwei Drittel der Basis durchschneidet. Den hie-
durch gebildeten Lappen fasst man mit einer gutgezähnten Pincette, zieht
ihn etwas an, und führt dann eine hinlänglich starke, am besten eine
etwas nach der Fläche gekrümmte Scheere so ein, dass man mit einem
Schnitte die ganze Pseudomembran abtragen kann. Es versteht sich von
selbst, dass in diesem 2. Momente ein Gehilfe beide Lider fixiren muss,
während im 1. der Operateur selbst das untere abziehen kann. Es ist
besser, den Schnitt mit dem Messer nach unten zu führen; man kann
dann den Lappen leichter fassen und den Bulbus fixiren, der sich gerne
nach innen und oben unter das Lid verbirgt. Es ist wichtig, den Schnitt,
wo möglich, genau an der Grenze zwischen dem etwa noch vorhandenen
gesunden Gewebe an der Peripherie und der Pseudomembran zu führen,
nicht tiefer, weil sonst unnöthig eine grössere Wunde gebildet wird, aber
auch nicht im Bereiche der Pseudomembran, weil diese, besonders wenn
sie bereits sehr fest geworden ist, weniger fähig ist, die zur Deckung
des Substanzverlusles , zur Schliessung der AVunde nöthige plastische
Lymphe auszuschwitzen, und sich gehörig zusammen zu ziehen. Aus
diesem Grunde ist auch die blosse Excision gewöhnlich erfolglos, we-
nigstens bei älteren Slaphylomen. Man lasse den Kranken schon vor der
Operation sich ins Bett legen, besonders wenn man Ursache hat, Aus-
fluss des Glaskörpers zu befürchten. Wo nach Abtragung des Staphyloms
die Linse vorwärts gedrängt erscheint (die vordere Kapsel soll mit den
Ciliarfortsätzen beinahe in einer Ebene liegen), bewirke man deren Aus-
treten sogleich durch einen Kreuzschnitt in die vordere Kapsel,, sonst
heilt die Wunde sehr schwer, und die dieselbe mit der Zeit deckende
Pseudomembran kann neuerdings vorwärts gedrängt werden. — Die
Wunde heilt durch Anschiessen plastischer Lymphe, welche ringsum von
j Suhr den nächsten Abschnitt.
Geschwüre — Behandlung nach erf. Durchbruche. 251
dem Stumpfe der Cornea und Iris geliefert wird. In dem Maasse, als
dieses Exsudat sich organisirt, wird die Öffnung enger, nach Verlust der
Linse bisweilen etwas vertieft. Nach Abtragung von Totalstaphylomen
wird die Basis corneae durch Schrumpfung des Narbengewebes kleiner,
wenigstens dann, wenn die Linse oder ein beträchtlicher Theil des Glas-
körpers verloren gingen. — Im Allgemeinen muss man den Kranken selbst
nach der Abtragung eines partiellen Staphyloines durch 8 — 12 Tage ruhig
und mit verklebten Augen auf dem Rücken liegen, und nur nach den
ersten 4 — 6 Tagen etwa zum Essen sitzen lassen. So lange die vordere
oder, nach Abgang der Linse, die hintere Kapsel noch krystallhell zu
Tage liegt, ja so lange dieselbe nicht von einer Pseudomembran tiber-
zogen ist, welche graulich getrübt, und etwas derber aussieht, muss der
Kranke jede die Muskeln mehr in Anspruch nehmende Bewegung unter-
lassen. Wo immer die neugebildete Pseudomembran sich merklich über
das Niveau der Umgebung erhebt, ist man nicht sicher, dass nicht Ber-
stung oder neue starke Hervortreibung derselben eintritt.
Die Vorsichtsmaassregeln, welche man bei Irisvorfällen überhaupt zu
beobachten hat, sind in noch grösserer Strenge und Umsicht einzuhalten,
wenn rasche totale Vereiterung der Cornea eintritt, weil hier um so
leichter Berstung der Kapsel oder Zonula und hiemit Verlust der Linse
und eines Theiles, ja des ganzen Glaskörpers erfolgt. In manchen Fällen,
wenn der Druck, den die gespannten Wandungen des Bulbus auf den
flüssigen Inhalt üben, plötzlich aufgehoben wird, wie dieses unter andern
auch nach Abtragung von Staphylomen geschieht, bersten die Gefässe der
Chorioidea, und es erfolgt ein so starker Bluterguss entweder zwischen
Sclera und Chorioidea, oder zwischen Chorioidea und Retina, dass die
von dem apoplektischen Herde einwärts gelegenen Gebilde vorwärts
und durch die Öffnung mehr weniger herausgedrängt werden. Diess ge-
schieht gewöhnlich unter fürchterlichen Schmerzen und lästigen Licht-
entwicklungen, oft mit Erbrechen, welche Zufälle oft durch nichts zu
stillen sind, als dadurch, dass man die durch die Hornhautöffnung hervor-
gepressten Gebilde mit einer Scheere abträgt, und den Kranken unter
Anwendung kalter Umschläge ruhig liegen lässt. Die Erscheinungen, die
darauf folgen, sind fast immer die der Panophthalmitis und endlich die der
PlUhisis bulbi. — Schliesslich wollen wir noch bemerken, dass in Fällen,
wo die Cornea so gut als verloren ist, dennoch alles aufgeboten werden
muss, die Bildung eines Staphylomes oder den Ausgang in Phthisis bulbi
zu verhüten ; für die Kranken wird es nicht gleichgiltig sein, ob sie sich
nachträglich noch der Operation des Staphyloms zu unterwerfen haben
252 Hornhaut.
oder nicht, und für die meisten wird es auch als Gewinn zu betrachten
sein, wenn der Stumpf des Bulbus wenigstens so gross bleibt, djss nach
Eiulegung eines künstlichen Auges dieses noch eine gewisse Beweglich-
keit erhalten könne. Wir werden darauf noch zurückkommen.
V. Trübungen der Hornhaut. *)
Störung der Durchsichtigkeit der Cornea pflegt man nur dann mit
diesem allgemeinen Namen zu bezeichnen, wenn dieselbe nicht als Theil-
erscheinung der noch bestehenden Entzündung wahrgenommen wird.
Wenn demnach eine trübe Stelle der Cornea noch deutlich gelockert
oder geschwellt erscheint, wenn die Injection der vordem Ciliargefässe
noch auf Fortbestand des exsudativen Processes deutet, oder wenn noch
die Merkmale eines Geschwüres oder einer Wunde vorhanden sind,
spricht man nicht von Trübung, sondern von Entzündung, Geschwürs-
bildung u. s. w.
Bei den hieher gehörigen Zuständen ist es nothvvendig, nicht nur
auf die physicalischen Merkmale, In- und Extensität, Farbe, Oberfläche
u. s. w., sondern auch insbesondere auf den Sitz der Trübung und auf
deren Entstehungsweise genauer einzugehen, wenn sich's um die Feststel-
lung der Prognosis und der Therapie handelt. Rücksichtlich des Sitzes
werden wir, um uns die übersichtliche Schilderung zu erleichtern, zu-
nächst jene Trübungen besprechen, welche ausschliesslich oder vorwal-
tend das Epithelium betreffen, daran die an der Wasserhaut haftenden
reihen, und mit der Betrachtung jener enden, welche das Parenchym
allein oder nebst diesem noch das eine oder beide der ebengenannten
Gebilde zugleich betreffen. — In Bezug auf die Entstehung werden wir
auf Trübungen stossen, welche als Folgen von Entzündung, Geschwürs-
bildung, Verletzung etc. zu betrachten sind, und auf solche, bei welchen
abnorme Ernährung mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit als Ursache
angenommen werden kann. — Beginnen wir unsere Betrachtungen so-
gleich mit den letztgenannten.
1. Es gibt eine angeborene Trübung der Hornhaut. Bis jetzt lässt
*) Ks erschien mir zweckmässig, auch diesen Zustünden der Hornhaut, gleich den Geschwüren, einen eigenen Ab-
schnitt zu widmen. Sind sie auch grösstentheils nur als Mittel- oder als Endglieder von Krankheitsprocassen zu
betrachten, welche in andern Abschnitten besprochen werden, und somit dorthin gehörig, so wird doch, wie ich
mich heim Unterrichte am Krankenbette überzeugte, ihr Studium durch eine gemeinschaftliche und übersichtliche
Betrachtung wesentlich erleichtert.
Trübung — angeborene — Arcus senilis. 253
sich noch nicht entscheiden, ob die Ursache davon Entzündung im Fötus,
oder Hemmung in der Entwicklung ist. In dem Falle, den ich als an-
geboren constatiren konnte, waren die Hornhäute durchaus getrübt, stellen-
weise etwas intensiver, besonders gegen die Mitte hin, an der Peripherie
noch so weit durchscheinend, dass man sich von der Gegenwart der
vordem Kammer und der Pupille überzeugen konnte. Die Hornhäute
waren wie aus Milchglas gebildet, an der Oberfläche ganz glatt und
glänzend, doch matt, ehvas weniger gewölbt, etwas kleiner, nicht rund, und
zwar nicht oval, sondern an ihrer Basis eine Art von Trapezoid darstel-
lend. Der Knabe war 10 Jahre alt, und hatte deutliche Lichtempfindung,
ohne Gegenstände unterscheiden zu können. Er ist leider späterhin nicht
mehr zu mir gekommen. Schön *) beschreibt einige vielleicht hieher ge-
hörige Fälle, unter welchen besonders die von Ferrar interressant sind,
indem derselbe bei neugebornen Kindern, 3 Geschwistern eine sonder-
bare Undurchsichtigkeit der Hornhaut beobachtete, welche nach und nach
vom äussern Winkel her von selbst verschwand." Der eben daselbst
erzählte Fall von Kieser erinnert durch die rhomboidale Form der Horn-
haut sehr an meine Beobachtung, und gewinnt dadurch an Bedeutung,
dass „die Mutter des Kranken an einem ähnlichen Bildungsfehler, jedoch
in viel geringerem Grad, auf beiden Augen gelitten haben soll." Leider
ist die Beschreibung viel zu unvollständig, um eine nähere Deutung zuzu-
lassen. Maclagan **) beschreibt in der London medical Gazette fol-
genden Fall bei einem Neugeborenen: Keine Spur von Entzündung oder
eitrigem Ausfluss; die linke Hornhaut ganz undurchsichtig, die rechte
bloss in den untern zwei Dritteln so beschaffen, indem die Trübung sich
allmälig nach oben verliert; die Trübung veränderte ihre Lage nicht,
war also nicht durch den Humor aqueus bedingt; einige Wochen nach-
her hellte sich die rechte, 3 Monate nach der ersten Untersuchung auch
die linke Hornhaut von oben herauf, und zwar von selbst. Sechs Monate
nach der Geburt war am rechten Auge nur noch ein sehr kleiner Fleck
übrig, und die obere Partie des linken so durchsichtig, dass das Kind
die Pupille den Objecten gerade gegenüber stellen konnte, um sie zu
sehen. Später wurde das Kind der Beobachtung entzogen. Tavignot***)
hat einen Fall von angeborener Hornhauttrübung mit gleichzeitig man-
gelhafter Entwicklung der Iris beschrieben.
2. Ganz gewiss ohne allen Zusammenhang mit vorausgegangenen
*) Palholos. Anatomie des Auses, S. 67.
**) Pra?er medic. Vierteljabrsclirift, 17. B. Aoal S. 66.
'•*) Gaz. med. 1847. X. 29.
254 Hornhaut
congestiven oder entzündlichen Zuständen der Cornea entwickelt sich auf
dem Randtheile der Cornea eine Trübung, welche man wegen ihrer
bogenförmigen Gestalt und wegen ihres Vorkommens im höhern Alter
Greisbogen, Arcus senilis s. Gerontoxon genannt hat. Diese lichtgraue
Trübung nimmt den peripherischen Theil der Cornea in Form eines
Bogens oder eines Ringes ein. Sie ist nach aussen, gegen den Limbus
conjunctivae hin, scharf begrenzt, und von diesem stets durch einen
schmalen, vollkommen durchsichtigen Streifen getrennt; nach innen ver-
liert sie sich allmälig gegen den mittlem Theil der Cornea, ohne deren
Centrum jemals zu erreichen. Daher wirkt diese Trübung an und für
sich auch niemals störend auf das Sehvermögen. Da der Limbus con-
junctivae (zumal bei Älteren) im obern und im untern Segmente der
Cornea breiter ist, als zu beiden Seiten, so erscheint der Arcus senilis,
wenn er rings herum geht, nicht kreisrund, sondern eiförmig. Im Ca-
daver findet man sowohl das Epithelium als die Descemet'sche Haut
normal; nur die Hornhautfasern erscheinen unter dem Mikroskope etwas
breiter, zeigen schärfere und dunklere Contouren und einen mehr ge-
schlängelten Verlauf. — Der Greisbogen kommt nur im höhern Alter vor,
ausnahmsweise schon um's 36. — 40. Jahr; man trifft aber auch Leute
von 70 — 80 Jahren, welche diese Erscheinung nicht darbieten. Ich kenne
eine Dame, welche höchstens 40 Jahre alt ist, ihrem Aussehen nach
jedoch auf 30 geschätzt werden könnte, und doch auf beiden Augen
einen vollständig ausgebildeten Arcus senilis darbietet. Sie hat nie an
den Augen gelitten, ist jedoch in hohem Grade weitsichtig. Auffallend
ist, dass Leute mit Gerontoxon stets zugleich an Weitsichtigkeit leiden
(nicht aber umgekehrt) ; ja ich habe Fälle beobachtet, wo das Gerontoxon
bloss an einem Auge vorkam, und auch nur dieses eine Auge an Weit-
sichtigkeit litt. Worin aber der letzte Grund dieser Trübung endlich zu
suchen sei, wissen wir nicht. Sie lässt sich, wenn man will in Parallele
setzen mit dem Ergrauen der Haare und mit dem Trübwerden der Linse
(Cataracta senilis), mit welchen Erscheinungen sie häufig zugleich vor-
kommt. Doch erscheint sie auch ganz für sich allein. (Vergl. den Ab-
schnitt der Cataracta.)
3. Punkt- oder fleckenartige Trübungen an der hintern Wand der
Cornea sind als Exsudate zu betrachten, welche in Folge von Iritis durch
Präcipitation aus dem Humor aqueus dorthin abgelagert werden. Ihren
Sitz erkennt man nicht sowohl durch die Seitenansicht, wie gewöhnlich
angegeben wird, als vielmehr aus der Art ihres Entstehens (anderwei-
tigen Spuren vorausgegangener Iritis), und aus ihrem Abstände von der
Trübung — der Wasserhaut — des Epitheliums. 255
vordem Fläche, namentlich wenn sie mehr gegen die Peripherie hin
liegen, wo der Limhns conjunctivae einen guten Anhaltspunkt für die
vordere Cornealfläche abgibt Wir werden von diesen Trübungen erst
bei der Besprechung der Iritis ausführlicher handeln können.
4. Trübungen des Epithelialüberzuges der Cornea erscheinen theils
für sich allein, theils mit Trübungen des Parenchyms der Hornhaut. Die
häufigste Veranlassung dazu gibt der Pannus (vergl. Conjunctivitis scro-
fulosa und Trachoma), sodann die Einwärtswendung von Cilien oder die
Gegenwart kleiner fremder Körper j wenn nach Resorptionsgeschwüren
Trübungen zurückbleiben, so ist, wie wir sehen werden, schon das Pa-
renchym der Cornea selbst mehr weniger dabei betheiligt.
ä) Wenn der Pannus lange fortbesteht, und endlich das unter das
Epilhelium der Cornea abgelagerte Exsudat nach dem Verschwinden der
sichtbaren Gefässe in ein fibroides Gewebe umgewandelt worden ist, so
findet man die Cornea durchaus oder theilweise (besonders in der obern
Hälfte) getrübt, durchscheinend oder halbdurchsichtig, eben und glatt, aber
sehnenartig glänzend, wie mit einer dünnen Aponeurose überzogen. Pi-
ringer scheint diesen Zustand unter Pannus siccus verstanden zu haben.
Er ist unheilbar; nur in zwei Fällen sah ich einige Besserung nach be-
harrlicher Anwendung der weissen Präcipitatsalbe (auf's Auge) ein-
treten. — Hat man Gelegenheit , so ein Auge am Cadaver zu unter-
suchen, so findet man, dass zwischen Cornea und Epithelium eine Art von
Bindegewebe eingeschoben ist, welches als Neugebilde, als organisirtes
Exsudat, betrachtet werden muss. Man kann dann eine dünne Membran
als unmittelbare Fortsetzung der Bindehaut über den Limbus conjunctivae
herein präpariren, unter welcher die Cornea mehr weniger unversehrt zum
Vorscheine kommt. Demnach könnte man diesen Zustand auch als Über-
häutung der Cornea bezeichnen. Ich besitze mehrere Präparate, welche
diesen Befund sehr schön nachweisen.
6) In Folge partieller Reizung durch einwärts gekehrte Cilien findet
man bisweilen eine schwielenähnliche Verdickung des Epitheliums auf
der Hornhaut. Es sieht so aus, als ob man ein Stück dünnes Häutchen
auf die Hornhaut aufgelöthet hätte. Die mehr weniger unebene Ober-
fläche solcher Plaques erscheint seidenartig — oder fettglänzend, oder
ganz trocken, wohl desshalb, weil sich das massenweise angehäufte und
in seinen Zellen (welche mehr epidermisartig sind) veränderte Epithe-
lium nicht mehr in der Thränenflüssigkeit auflöst. Eine ähnliche Epithe-
lialwucherung kommt übrigens auch nicht selten bei tiefern und grössern
Hornhautnarben, insbesondere aber bei Staphylomen vor. Sie ist gleich-
256 Hornhaut.
falls unheilbar, und die dagegen vorgeschlagene Abtragung der Entartung
erwies sich (mir wenigstens) erfolglos.
c) Ich habe mehrmals in Cadavern kleine, halbdurchsichtige, nebel-
ähnliche Trübungen, sogenannte Nebelflecke der Cornea untersucht. Nach-
dem ich das Epithelium von der ganzen Oberfläche sorgfältig mit einem
Scalpell abgeschabt hatte, zeigte sich die Cornea an jener Stelle voll-
kommen rein und glänzend, aber deutlich vertieft oder wie abgeschliffen.
Die Trübung war also in solchen Fällen ganz oder grösstenteils durch
reichlicher angehäuftes (mehr weniger verändertes?) Epithelium bedingt,
welches den Verlust der Hornhautsubstanz verdeckt hatte. Die Trübungen
setzten mithin offenbar Substanzverlust der Cornea voraus, und gehören
demnach füglich zu den in dem folgenden Absätze zu besprechenden.
5. Die Trübungen, welche in Folge von Entzündung der Corneal-
substanz selbst (mit oder ohne Geschwürsbildung primär oder secundär)
zurückbleiben, sind bei weitem die häutigsten, und sie sind es vorzugs-
weise, welche gewöhnlich unter dem allgemeinen Namen „Hornhaut-
trübungen" aufgeführt werden.
Man hat diesen Trübungen von Alters her die verschiedensten Namen beigelegt,
als : Macula, Nephelium, Nebula , Nebecula , Achlis , Aegis seu Aegias seu Macula nu-
bosa ; Leucoma , Margarita seu Perla, Albugo seu Paralampsis; Cicatrix u. s. w. —
Beer suchte die Lehre von den Hornhauttrübungen besser zu begründen und zu ver-
einfachen, indem er sie dem Grade nach in Maculae, Leucomata und Cacatrices unter-
schied, und dabei zugleich auf die verschiedene Entstehungsweise und auf die ver-
schiedenen anatomischen Veränderungen hindeutete. Maculae nannte er halbdurchsich-
tige Trübungen mit verwachsenen Rändern ; er bezeichnete sie als meistens nur ganz
oberflächlich sitzend, und leitete sie von „der Gerinnung des zwischen den Lamellen
der Hornhaut in dem äusserst zarten Bindungsgewebe befindlichen lymphatischen Dun-
stes" her. Leucoma nannte er undurchsichtige Trübungen , die sich gegen die Peri-
pherie hin allmälig verlieren; er meinte, in solchen Fällen habe sich der lymphatische
Dunst schon zu einer Pseudomembran umgebildet, daher erscheine die Trübung weiss,
kreideweiss oder perlmutterartig glänzend, über das Niveau mehr weniger sanft auf-
gewölbt, beim Berühren mit der Sonde hart, callös, Cicatrix s. Oule hingegen nannte
er undurchsichtige Trübungen mit scharf begrenzten Rändern ; sie erscheinen nach ihm
immer perlenmutterartig glänzend und bei der Berührung mit der Sonde hart, abge-
plattet oder deutlich vertieft, häufig mit vordem Synechien vereint; er leitete nur diese
Trübungen von wirklicher Zerstörung der Hornhautfasern durch Eiterung und von un-
mittelbarer Verwachsung der Hornhautfasern unter einander ab. — Auf diese einfache
Diagnostik nun stützte Beer seine prognostischen und therapeutischen Regeln. Er er-
klärte die Narben für absolut unheilbar, die Leucoma für bedingt heilbar, die einfachen
Flecke (Maculae) für in der Regel leicht und vollständig heilbar , und theilte seinen
Ansichten über die pathologisch-anatomischen Veränderungen gemäss auch die von der
Empirie gebotenen Heilmittel in 2 Hauptclassen , welche wir weiter unten ausführlich
besprechen werden.
Trübung — Einlaches Exsudat — Narben. 257
Diese Trübungen können bedingt sein : a) durch Ablagerung- faser-
sloffigen Exsudates zwischen die mehr weniger unversehrten Fasern der
Cornealsubstanz; b) durch Exsudat, welches an die Stelle der durch Ei-
terung-, Atzung u. dgl. zu Grunde gegangenen Cornealfasern getreten ist,
und entweder «) noch einer weitern Umwandlung (in wahre Corneal-
fasern) fähig ist, oder /?) bereits unveränderliches Faser- oder Narben-
gewebe darstellt; c) durch a und b zugleich und zwar, wie gewöhnlich,
b in der Mitte, a in der Peripherie der getrübten Stelle.
Trübungen, einzig und allein durch Exsudat zwischen den Hornhaut-
fasern bedingt, sind meistens die Folge jener Form von Keratitis, die
wir als scrofulosa geschidert haben. Sie sind in der Regel heilbar, selbst
wenn sie undurchsichtig sind, hie und da wohl auch ein kreideartiges
Aussehen zeigen. Nur nach längerem Bestände reichlicher Exsudate ge-
schieht es, dass die davon eingeschlossenen Hornhautfasern durch Druck
zu Grunde gehen , und eine solche Stelle nie mehr völlig durchsichtig
wird. Die genannte Hornhautentzündung combinirt sich ferner zuweilen
mit Entzündung der Iris und des vordersten Theiles der Sclera, und nach
dieser Combination bleibt nicht selten eine opalartige Trübung des peri-
pherischen Theiles der Cornea (ringsum oder stellenweise) zurück, ein
Zustand, den man Sclerosirung der Cornea genannt hat. Diese letzt-
genannte Veränderung der Cornea ist jederzeit unheilbar; es scheint, dass
sie mit Obliteration der unter dem Limbus conjunctivae zur Cornea tre-
tenden Zweige der vordem Ciliararterien complicirt ist.
Die häufigste Quelle der Hornhauttrübungen im engern Sinne dieses
Wortes sind Geschioüre oder Abscesse der Hornhaut. Man kann sich
davon überzeugen, entweder indem man Kranke mit Hornhautgeschwüren
oder Abscessen hinreichend lange beobachtet, oder wenn man sich die
Mühe nimmt, bei den verschiedenen Hornhauttrübungen auf die Art ihrer
Entstehung genau zurückzugehen. Man wird sich so am besten üher-
zeugen, dass man es in den meisten Fällen mit Narben (im wahren Sinne
des Wortes) zu thun habe, mit Trübungen, welche dadurch bedingt sind,
dass an der betreffenden Partie Hornhautfasern verloren gegangen waren,
und an ihre Stelle Exsudat getreten ist, welches den Substanzverlust
mehr weniger vollständig deckt, und welches die Wiedererzeugung nor-
maler Hornhautfarern an dieser Stelle vermittelt (provisorischer Callus),
oder förmlich unmöglich macht (Narbengewebe). In nicht gar lange be-
stehenden Fällen findet man auch die umgebenden unversehrten Horn-
hautfasern noch von Exsudat durchsetzt.
Bevor wir nun zur näheren Betrachtung dieser Zustände übergehen,
Arie, i. 17
258 Hornhaut.
erscheint es nolhwendig, auf die Functions Störungen, welche dadurch be-
dingt werden können, aufmerksam zu machen, damit die Wichtigkeit der
nachfolgenden Erörterungen um so klarer hervortrete. — Jede noch so
geringe Hornhauttrübung setzt, sobald sie der Pupille gegenüber liegt,
eine Störung des Gesichtes. Man hat gesagt, ganz kleine (punktförmige) Trü-
bungen stören das Sehvermögen nicht. Als Beweis hat man angeführt,
dess viele Augen mit derlei kleinen, ja selbst mit merklich grössern
Trübungen ein vollkommenes Gesicht besitzen, und dass solche trübe
Stellen auf die Klarheit des Netzhautbildes keinen Einfluss nehmen können,
weil sie der Linse zu nahe liegen 5 man solle nur ein Convexglas, z. B.
von 1 Zoll Brennweite nehmen, es dem Fenster gegenüber vor eine
weisse Wand halten, und man werde keinen Unterschied in dem Licht-
kreise (focus) bemerken, ob man nun vor dem Glase einen Stecknadel-
kopf vorhalte, oder nicht. Dieser Vergleich passt offenbar nicht hieher,
denn am Auge ist die Linse nicht das einzige, ja sogar das untergeord-
nete Organ für die Strahlenbrechung. Fleckchen auf der Cornea sind also
vielmehr mit Fleckchen oder Schrammen auf Glaslinsen (Loupen oder
Brillen) zu vergleichen. Wie nachtheilig aber selbst die feinsten Schrammen
oder Flecke auf Augengläsern wirken, wissen die Brillenträger am besten.
— Es ist allerdings wahr, dass Viele von der Gegenwart einer kleinen
Trübung an einem oder an beiden Augen gar nichts wissen, ja dass Viele
trotz dem ganz gut sehen. Das zeigt aber nur, dass dem Auge Mittel
zu Gebote stehen, jene Störung mehr weniger unschädlich zu machen.
Diese Mittel liegen theils in unwillkürlicher (durch Reflex angeregter)
Abänderung des Refractionszustandes , theils in psychischer Intention,
welche gleichsam instinktmässig von gewissen störenden Eindrücken ab-
strahiren lehrt.
Dass grössere und dichtere Hornhauttrübungen das Gesicht stören, und zwar um
so ärger, je mehr sie den Lichtstrahlen den Zutritt zu der Pupille verwehren , ist all-
gemein bekannt und anerkannt. Um den Einfluss kleiner und unscheinbarer Trübungen
kennen zu lernen, stehen uns zwei Wege zu Gebote : der des Experimentes, und der
der Beobachtung an Kranken. — Da die Cornea (im Verein mit dem Kammerwasser)
eine Sammellinse darstellt, so können wir aus Experimenten mit Convexgläsern wohl
auf das Verhalten der Cornea unter «ähnlichen Verhältnissen zurückschliessen. Bringen
wir Jemanden, der zu feinem Arbeiten Convexgläser nöthig hat, auf dem einen oder
auf beiden Gläsern im mittlem Theile kleine Flecke oder Schrammen an, so sieht er
nicht mehr so gut, wie durch das reine und unversehrte Glas. Muss er sich dennoch
dieses Glases weiter bedienen, so reichen seine Augen zu jenen Arbeiten nicht so aus'
wenigstens nicht so lange, als vordem, sie ermüden leicht, oder er muss die Brille
twas weiter vom Auge rücken, oder das Object etwas entfernter halten, oder aber
stärkeres Licht suchen. Sein Auge wird also, wo nicht ganz unfähig, mit einem sol-
Trübung — Folgen — Gesichtsslürnng. 259
eben Glase zu arbeiten, entweder vorzeitig ermüdet, oder es ändert seinen Refractions-
zustand, und wird nach langer fortgesetztem Gebrauche solcher Gläser weitsichtiger,
d. h. es bedarf, wenn die beschädigten Gläser erst nach längerer Zeit mit reinen ver-
tauscht werden, schon etwas mehr gewölbte Gläser, um wieder so klar und in der-
selben Nähe, wie früher, zu sehen, während, wie man aus andern Fällen ersieht,
wenn das beschädigte Glas bei Zeiten mit einem reinen von derselben Brennweite
vertauscht wird, das Auge in gleichem Refractionszustande verbleibt. — Wenn Jemand,
der gewohnt ist, sich beider Augen zu bedienen , und der auf beiden Augen nicht nur
die gleiche Energie , sondern auch denselben Refractionszustand besitzt, ein leicht ge-
trübtes (z. B. blassblaues oder über einer Kerzenflamme leicht angerauchtes) Glas vor
das eine Auge, z. B. vor das linke hält, und nun mit beiden Augen liest, so wird er
bemerken, dass er das Lesen auf diese Art nicht so lange aushält, als wenn er mit
beiden Augen frei oder mit dem reehten Auge allein (bei völlig verdecktem oder zu-
gehaltenem linken) liest. Er wird finden, dass er bei diesem Experimente die Schrift
nicht so rein erkennt, dass bei längerer Fortsetzung des Experimentes das freie Auge
sich mehr anstrengen muss, dass endlich die Buchstaben anfangen Farbensäume zu
bekommen, zu schwanken, zu verschwimmen u. s. w. Woher diese Erscheinung?
Wir sehen mit beiden Augen zugleich bekanntlich nur Ein Bild des Objectes, so lange
die Lichtstrahlen identische Netzhautstellen treffen. Wie das eine Auge seitlich ab-
gelenkt wird, somit die Lichtstrahlen von demselben Objecte nicht auf correspondirende
Netzhautstellen fallen, erscheint ein Doppelbild jenes Objectes. Sollen wir aber scharf
sehen, so muss das Bild, das dein einen Auge angehört, dem des andern auch an
Deutlichkeit völlig oder nahezu gleich kommen , i. e. der Gesichtseindruck muss auf
beiden Augen die gleiche Energie besitzen, die Bilder, welche durch Deckung in
Einen Eindruck verschmelzen, müssen auch eine gleiche oder nahezu gleiche Deutlich-
keit besitzen. Wenn demnach auf dem einen Auge das Netzhaulbild minder deutlich
ist, als auf dem andern, so entsteht die Wahrnehmung eines Doppelbildes, welches
jedoch vermög der Deckung nicht als ein getrenntes, sondern als Mischung aus einem
deutlichen und undeutlichen wahrgenommen wird. Dieser Gesammteindruck hält dann
das Mittel der Deutlichkeit, welches eben aus jener Mischung resultirt. Ich kenne
einen Collegen, welcher ein sehr scharfes Gesicht beider Augen besitzt, mit der Eigen-
thümlichkeit, dass ihm das rechte Auge allein die Gegenstände etwas röthlich, das
linke allein etwas grünlich erscheinen lässt ; mit beiden Augen zugleich sieht er die
Gegenstände in der natürlichen Farbe. Diesen Zustand, welcher die Deckung der
Netzhautbilder, ihre Verschmelzung in Einen Gesammteindruck am besten zeigt, kann
man künstlich nachmachen, wenn man vor das eine Auge ein röthliches, vor das aiv5-
dere Auge ein grünes Glas hält, oder auch andere complemenläre Farben wählt; man
wird dann beim Gebrauche beider Augen das Object weder roth noch grün, sondern
in der natürlichen Farbe erkennen. Während dieses Experiment die Qualität betrifft,
zeigen uns andere Experimente mehr den Einfluss der Quantität oder Itensität. Man
träufle Jemanden, der auf beiden Augen gleiche Sehkraft und gleiche Refraction be-
sitzt, in das eine Auge einige Tropfen gelösten Belladonnaextractes ein. So wie sich
die Pupille dieses einen Auges erweitert hat , mithin der Refractionszustand desselben
geändert ist, sieht derselbe namentlich nahe Gegenstände undeutlich; so wie man das
veränderte Auge zuhält, sieht er wieder so gut, wie vorher. Die Schwäche des Ge-
sammteindruckes ist offenbar das Resultat aus der Mischung des deutlichen und un-
17*
260 Hornhaut.
deutlichen Eindruckes. Dasselbe Resultat erhalt man, wenn man ein schwach con-
caves oder ein schwach convexes Glas vor das eine Auge hält, und auf demselben
physiologischen Gesetze beruht die oben angegebene Erscheinung bei dem Experimente
mit einem vor das Auge gehaltenen schwach getrübten Glase. So wie man aber ein
stark convexes, oder ein stark coneaves, oder ein sehr trübes Glas vor das eine Auge
hält, also die Formirung eines die Netzhaut noch hinreichend anregenden Bildes ver-
hindert, ist man in derselben Lage, wie wenn man dieses Auge ganz verdeckt. —
Wenden wir das Gesagte auf die Hornhauttrübungen an (in dem Abschnitte über die
Trübungen der Linse werden wir ganz dasselbe wiederfinden), so finden wir, dass
bei grössern und dichtem Hornhautflecken des einen Auges gar kein oder nur ein so
undeutliches Bild erzeugt wird, dass es, falls das andere Auge gesund ist, ganz ver-
nachlässigt wird, dass es die Netzhaut zu schwach anregt, um wahrgenommen und be-
achtet zu werden. Geringere Trübungen der einen Hornhaut wirken aber gerade da-
durch störend auf die Function des andern (gesunden) Auges ein, dass sie ein nicht
genug deutliches Bild zulassen, welches mit dem des andern (gesunden) Auges ver-
schmelzend, den Gesammteindruck schwächt. Wir finden in der That diese Erscheinung
am Krankenbette so oft, dass sie wohl jedem aufmerksamen Beobachter bekannt sein
dürfte. Insbesondere sind es Leute mit frisch entstandenen leichten Hornhauttrübungen
(oder Resorptionsgeschwüren) , und noch öfter Leute mit beginnender und langsam
vorschreitender Linsenverdunklung des einen Auges , an Avelchen man diese Wahrneh-
mung machen kann. Sie müssen, wenn sie mit dem gesunden Auge feinere Gegen-
stände genauer betrachten wollen, das kranke Auge förmlich zuhalten ; sie sagen : das
kranke Auge blende sie ; Cataractöse wünschen sich ordentlich die völlige Verdunklung
desselben. Nicht selten berichten solche Cataractöse dann , wenn die Trübung des
einen Auges hinreichend dicht geworden ist, dem Arzte mit einer gewissen Freude^
dass sie nun mit dem andern Auge wieder besser sehen. Und auf gleiche Weise fand
ich Patienten, welche in Folge überstandener Hornhautentzündung Flecke behielten,
darüber in Bestürzung gerathen, dass sie durch den nach und nach dünner und kleiner
gewordenen Fleck im Sehen mehr genirt waren, als früher durch die grössere Trü-
bung, indem sie diese Erscheinung natürlich auf Rechnung des bisher gesund geblie-
benen Auges schreiben zu müssen glaubten.
Nicht minder interessant ist es, die Mittel kennen zu lernen, durch welche diese
Störung ausgeglichen zu werden pflegt. Viele Erscheinungen, die nichts als Folgen
leichter Hornhauttrübungen des einen oder beider Augen sind, werden nur dann ver-
ständlich, wenn man das so eben erörterte Gesetz der Deckung eines vollkommen
klaren und eines undeutlichen Bildes und der dadurch gesetzten Verschmelzung in
einen minder deutlichen Gesichtseindruck kennt.
Kleinere Trübungen des mittlem Theiles der Cornea führen, zumal
bei jugendlichen Individuen , zur Kurzsichligheit. Wird ein Gegenstand
dem Auge näher gebracht, so gelangen relativ mehr Lichtstrahlen von
demselben zum Auge, als dann, wenn er entfernter gehalten wird. Die
Menge der Lichtstrahlen, welche — bei gleich gross gedachter Pupille —
von ein und demselben Gegenstande aus verschiedenen Entfernungen zur
Netzhaut gelangt, verhält sich bekanntlich umgekehrt wie die Quadrate
Trübung — Folgen — Kurzsiöfitigkeit — Ermüdung. 261
dieser Entfernungen. Da ferner die Lichtstrahlen' von einem nahen Ge-
genstände mehr divergent zum Auge gelangen , als die von einem ent-
fernten , so werden von einem nahen Gegenstande auch aus diesem
Grunde mehr Lichtstrahlen neben einem kleinen Hornhautflecke zur Pu-
pille gelangen, als von einem entfernten. Aus diesen Gründen nun ge-
schieht es, dass ein Kranker mit solchen Trübungen sich gewöhnt, alle
Gegenstände relativ näher zu bringen , als ein Gesunder , und diese Ge-
wohnheit führt, wie wir in dem Abschnitte „über die Krankheiten des
Accommodationsvermögens" nachweisen werden , wenigstens in früheren
Lebensjahren zu einer bleibenden Veränderung des Refractionszustandes,
zur Kurzsichligkeit, welche auch nach dem Verschwinden der Ursache
(der Hornhauttrübung) fortzudauern pflegt. Der Veränderung des Re-
fractionszustandes kommt noch der Umstand zu Gunsten, dass bei cen-
tralen Hornhauttrübungen die Pupille caeteris paribus etwas grösser zu
sein pflegt. — Ob nun die Trübung auf beiden oder nur auf einem Auge
vorhanden ist, das pflegt in Bezug auf dieses Endresultat gleich zu sein;
dennoch kommen Fälle vor, wo bloss das eine Auge kurzsichtig wird
und bleibt, das andere dagegen den normalen Refraclionszustand nicht
einbüsst. Dieses hängt vorzüglich von der Art und Weise ab, wie der
Kranke seine Augen zur Zeit der Dauer der Trübung verwendete. Wir
müssten , um diesen Ausspruch schon hier vollständig zu rechtfertigen,
das ganze Capitel über die Accommodation ausführlich besprechen, wess-
halb wir lieber auf dasselbe verweisen. — Entstehen leichte Hornhaut-
trübungen in spätem Jahren , wo eine Abänderung des Refractions-
zustandes in den Zustand der Kurzsichtigkeit nicht so leicht möglich ist,
so pflegen andere Störungen einzutreten , welche wir so eben besprechen
wollen. Die gewöhnlichste ist Mangel an Ausdauer beim Betrachten
naher und kleiner Objecte, und Unfähigkeit, entferntere Gegenstände
deutlich wahrzunehmen.
Der Zustand vorzeitiger Ermüdung der Augen, des Mangels an
Ausdauer beim Lesen, Schreiben u. dgl. ist häufig die Folge kleiner und
unscheinbarer Hornhautflecke. Man sieht diesen Zustand nicht bloss dann
eintreten, wenn Erwachsene , deren Beruf grössere Anforderungen an die
Sehkraft stellt, von solchen Trübungen befallen werden, sondern er ent-
wickelt sich auch bei Leuten, welche derlei Flecke vielleicht seit der
ersten Jugend an sich tragen , sobald sie in die Lage kommen , ihre
Augen mehr als früher zur anhaltenden Betrachtung winziger Gegen-
stände verwenden zu müssen. Dieser Zustand entwickelt sich nicht etwa
bloss bei beiderseitigen Trübungen, sondern auch, wenn die eine Cornea
262 Hornhaut.
allein betroffen ist, und die Kranken kommen dann gewöhnlich den Arzt
zu consultiren , nicht wegen des einen Auges , das die ohnehin ge-
wöhnlich als von lange her schwächer bezeichnen, sondern wegen des
andern, bisher gesunden, nun aber die Dienste bei der Arbeit versagenden
Auges. Man kann sich in den Zustand solcher Leute leicht versetzen,
wenn man sich selbst vor das eine Auge ein leicht getrübtes Glas hält,
und nun längere Zeit liest. Das unverdeckte Auge hält die Anstrengung
nicht lange aus. Es sucht nämlich — um figürlich zu sprechen — gleichsam
das an Deutlichkeit des Gesammteindruckes zu ersetzen, was demselben
durch die Mischung mit dem undeutlichen Bilde des nndern Auges ent-
zogen wird, und die Retina und die Aceommodationsorgane halten diesen
Zustand nicht lange aus. Es kommt dabei häufig zu der bekannten Er-
scheinung des Mücke ns ehe ns — auf die wir in dem Capitel über das Aecom-
modationsvermögen zurückkommen — und zu den Erscheinungen der
Ermüdung, welche unter den Namen Asthenopie, Hebetudo visus, Ambly-
opia ex abusu visus u. dgl. beschrieben worden sind.
Bei bloss einseiliger Trübung, oder bei einerseits etwa stärkerer
Trübung erfolgt in Fällen, ico die Trübung in der Jugend entsteht, die
Gewohnheit zu schielen, in Fällen späterer Erkrankung die des zeitwei-
ligen Zukneipens der Lider des schlechteren Auges. Es geschieht diess
unwillkürlicb , instinktmässig, durch Reflex auf einen der Musculi recti
oder auf den Muse, orbicul. palpebrarum. So wie bei andern nicht allzu-
bedeutenden Störungen des Gesichtes, geschieht es auch bei leichten
Hornhauttrübungen, dass der Kranke, der gewohnt ist, zur Betrachtung
der gewöhnlichen Gegenstände sich beider Augen zu bedienen (weil bei
diesen die Ulideutlichkeit des einen Bildes nicht so sehr in Anschlag
kommt), das schwächere Auge zukneipt, und zwar je nach dem Refrac-
tionszustande dieses und des gesunden Auges entweder bei Betrachtung
eines winzigen und nahen Gegenstandes, oder so oft er mit dem bessern
Auge deutlich in die Ferne sehen will. Leute, die es in diesem Zukneipen
noch nicht zu einer gewissen Fertigkeit gebracht haben , pflegen das
schwächere Auge geradezu mit der Hand zu verdecken. — Die Ablen-
kung des Auges durch einen der geraden Augenmuskel, das Schielen,
erfolgt in der Regel nach innen, seltener nach aussen, ausnahmsweise
uach oben oder nach unten. Ist das Individuum zur Zeit der eintreten-
den Gesichtsslürung noch jung, werden seine Augen ausschliesslich oder
vorwaltend für nahe Gegenstände in Anspruch genommen , so erfolgt
beinahe conslant die Ablenkung nach innen, Strabismus internus s. con-
vergens. Tritt die Gesichtsstörung (aus was immer für einer Ursache,
Trübung — Schielen) — Nystagmus — Eins. Sehen. 263
also nicht bloss hei Hornhautflecken) erst in spätem Jahren ein, so
kommt, es fast ausschliesslich nur zur Ablenkung nach aussen, Strabismus
ext rem US s. divergens. Die Intention zu dieser Ablenkung geht eben von
jener Störung des Gesainmleindruckes durch das undeutliche Bild des
schwächeren Auges aus. Sie tritt anfangs nur vorübergehend, nur beim
genauem Betrachten eines Gegenstandes ein , wird aber später gewöhn-
lich permanent. Doch gibt es Leute, welche nur dann schielen , wenn sie
etwas genauer betrachten wollen. Dieses Schielen hat demnach ganz
denselben Zweck, wie das Zukneipen oder Zuhalten des schwächern Au-
ges, nämlich den störenden Eindruck, das Nebelbild zu beseitigen, um
dann mit einem Auge allein und somit besser, deutlicher zu sehen. Es
ist unbegreiflich, wie ein Wal/her u. A. behaupten konnten, das mit einem
Hornhautflecke versehene Auge werde abgelenkt, damit neben einem Flecke
vorbei die Lichtstrahlen zur Netzhaut gelangen können. Wenn man auch
aller Kenntnisse über die Physiologie des Auges und namentlich über
das Einfachsehen mit zwei Augen bar wäre: die einfache Beobachtung
allein müsste diesen Männern Fälle genug vorführen , wo das Auge ge-
rade so abgelenkt wird , dass ein Wahrnehmen des Objectes dann um so
weniger möglich wird. Da wir jedoch den Erörterungen über das Schie-
len überhaupt in dem Abschnitte „über die Krankheiten der Augen-
muskelu nicht unnöthig vorgreifen wollen, so genüge das Gesagte zum
Nachweise, dass Hornhautrübungen nicht selten zu Strabismus führen,
und dass diese seeundäre Affeclion der Augenmuskeln fortbestehen kann,
auch wenn die Ursache, die Hornhauttrübung, längst verschwunden ist.
Bestehen bedeutendere centrale Hornhauttrübungen von der ersten
Kindheit an, so werden sie Ursache des beständigen Oscitlirens der
Bulbi, des Nystagmus. Da hier nur von den geringeren Hornhauttrü-
bungen die Rede sein soll, um die Wichtigkeit der folgenden Erörterun-
gen (über die Behandlung derselben) hervorzuheben, so muss rücksicht-
lich dieses Folgezustandes gleichfalls auf den Abschnitt „über die Krank-
heiten der Augenmuskeln" verwiesen werden.
Man kann diesen Ansichten über die genannten conseculiven Ge-
sichtsfehler entgegenstellen, dass eine Ungleichheit der Sehkraft (mit oder
ohne Hornhauttrübungen) und ein ungleicher Refractionszusland bei sehr
vielen Menschen wahrgenommen wird , ohne dass jene Zustände, die wir
als Folgen jener Ungleichheit bezeichneten, vorkommen. Wir kennen
diese Thatsache, und sind weit entfernt, sie im mindesten in Abrede zu
stellen. Aber sie zeigt uns eben nur, dass im Organismes, wo jederzeit
so viele Momente zugleich in Anschlag zu bringen sind, wenn sich's
264 Hornhaut.
darum handelt, aus Wirkungen auf Ursachen zurückzuschliessen, eben ein
Moment für sich allein nicht hinreicht, eine genügende Erklärung zu
geben. So gut wir nicht wissen , warum es in dem einem Falle bloss
zum zeitweiligen Schielen oder Zukneipen der Lider , in dem andern zur
Kurzsichtigkeit, und in einem dritten zum Mangel an Ausdauer im Sehen
kommt, können wir auch nicht bestimmen, warum in andern Fällen keine
dieser Folgen eintritt. Mancher Mensch gewöhnt sich, nur mit dem bessern
Auge zu sehen, wenigstens zu genauerem Unterscheiden sich bloss des
bessern zu bedienen, ohne dass es zu einer Ablenkung etc. des schwä-
chern Auges kommt ; ein anderer arbeitet mit dem einen Auge , ohne
dass ihn das schwächere Bild, welches das andere liefert, nur im min-
desten stört. Es darf uns bei Beurtheilung solcher Fälle nicht entgehen,
dass man — bald mit, bald ohne Bewusstsein oder Absicht — von ge-
wissen störenden Sinneseindrücken abstrahiren lernen kann. Wer sich
mit dem Mikroskope beschäftigt, weiss, dass ihn der feinste Ritz des
Glases, welches das Object trägt oder deckt, anfangs beträchtlich, allmälig
aber gar nicht beirrte ; er weiss, dass es ihn anfangs viele Mühe kostete,
den Eindruck auf das linke (offen gehaltene) Auge zu vernachlässigen,
während er mit dem rechten in das Instrument sah. — Wenn man übri-
gens Leute mit nur wenig differenter Sehkraft oder Sehweite beider
Augen aufmerksam beobachtet und examinirt, so wird man finden, dass
es doch gewisse feine Arbeiten oder gewisse Distanzen gibt , bei denen
ihre Augen nicht jene gehörige Schärfe und Ausdauer zeigen, welche sie,
nach dem bessern Auge allein zu schliessen, zeigen sollten. (Ich ver-
weise in dieser Beziehung auf meine Abhandlung über Amblyopie im 4.
Bande der Prager Vierteljahrschrift.) Die meisten Leute mit ungleicher
Sehkraft oder Sehweite bedienen sich zu dem gewöhnlichen Sehen beider
Augen; so wie sie aber eine feinere Arbeit verrichten oder in die Ferne
sehen wellen, bedienen sie sich nur des einen, hiezu allein geeigneten
Auges , und abstrahiren von dem schwächeren Eindrucke des andern.
Wo aber der Gesichtseindruck des einen Auges überhaupt ein sehr
schwacher ist, da ist eine solche Abstraction gar nicht nolhwendig. Diess
ist z. B. der Fall bei Schielenden, und hierin liegt der Grund, dass sie
in späterer Zeit nicht doppelt sehen.
Man wird, wenn ich mich klar ausgesprochen habe, aus dieser Dar-
stellung ersehen, wie wichtig es ist, dass man der kleinsten Hornhaut-
trübung, sobald sie im Bereiche der Pupille liegt, seine tolle Aufmerk-
samkeit schenke, dass man bei allen solchen Hornhauttrübungen jede
grössere Anstrengung der Sehkraft untersage, so lange es nicht gelungen
Trübung — Prognosis. 2(55
ist, die Aufhellung der Hornhaut zu bewerkstelligen, falls diess überhaupt
möglich ist, namentlich bei Kindern, und dass es gewissenlos ist, die
Ellern nicht hierauf aufmerksam zu machen. Man nehme sich nur die
Mühe, alle, die an Ermüdung der Augen (Asthenopie), an Schielen, an
Kurzsichtigkeit leiden, genau zu examiniren und zu untersuchen, und man
wird sich überzeugen, dass das, was soeben über Hornhauttrübungen
gesagt wurde, eben so wahr als wichtig ist.
Es fragt sich nun : kann der Arzt bei Hornhauttrübungen etwas zum
Besten des Kranken thun, oder hat er diesen ohneweiters seinem Schick-
sale zu überlassen? — Schon Beer beklagte sich, dass viele, selbst be-
rühmte Augenärzte dieser wichtigen Frage nicht die gehörige Aufmerk-
samkeit schenken, daher es komme, dass nicht selten Quacksalber manchen
als unheilbar erklärten Augenkranken heilen. Trotz den seither ge-
machten Erfahrungen hat man in neuester Zeit wieder behauptet, die
Hornhauttrübungen heilen entweder von selbst, oder gar nicht; es be-
ruhe auf Täuschung, wenn man glaube, die Kunst vermöge etwas dagegen.
Allein dadurch, dass man die Ansichten älterer Arzte bespöttelt, ohne die
von ihnen aufgestellten Behauptungen mit wissenschaftlichen Gründen zu
widerlegen, wird der Wissenschaft und Kunst kein Dienst erwiesen. Wir
haben gerade bei Hornhauttrübungen, wenn sie bei einem und demselben
Individuum auf beiden Augen in ganz gleicher Weise vorkommen, was doch
nicht selten der Fall ist, die schönste Gelegenheit zu prüfen, ob die so-
genannten „Hornhaut-aufhellenden Mittel" etwas zu leisten im Stande
sind, oder nicht. Meine Versuche hierüber haben mich zu dem Resultate
geführt, dass die von Beer u. A. aufgestellten Grundsätze der Hauptsache
nach richtig sind.
Wir kennen nur zwei wesentlich verschiedene Formen von Trü-
bungen des Hornhautparenchyms (in Folge von entzündlichen Zuständen),
nämlich: Exsudate zwischen den noch bestehenden Hornhautfasern, und
Exsudate an der Stelle der durch Eiterung oder mechanisch - chemisch
wirkende Einflüsse zerstörten Hornhautfasern. Es braucht wohl kaum
wiederholt zu werden, dass beide Formen neben einander zugleich vor-
kommen können, ja dass die letztere fast nie ohne die erstere (in der
Umgebung der Narbe) vorkommt. Man hat sich somit bei jeder Horn-
hauttrübung zu fragen, ob zur Beseitigung derselben einfache Resorption
des Exsudats oder wirkliche Regeneration der betroffenen Partie not-
wendig sei , und weiterhin , ob auch die Bedingungen %u der einen oder
zur andern vorhanden seien. — Trübungen der ersten Art schwinden in
der Regel von selbst, sobald der exsudative Process erloschen ist, und
266 Hornhaut.
man hat sich hier sehr zu hüten, dass man nicht vorzeitig örtliche Reiz-
mittel anwende. Sie schwinden um so leichter, je mehr das Exsudat ein
seröses ist; doch gehen auch sehr faserstoffreiche, ein gelblichweises Aus-
sehen darbietende Trübungen nicht selten von selbst zurück. Wir sind jedoch
durch bestimmte Beobachtungen zu der Einsicht gekommen, dass sich
die Aufhellung solcher Hornhäute durch entsprechende Behandlung be-
schleunigen lässt, und dass derlei Trübungen nach Jahre-langem Bestände
oft in kurzer Zeit durch die Kunst beseitigt werden können. Eine Aus-
nahme findet nur dann statt, wenn nach langem Fortbestehen reichlichen
Faserstoffexsudates die eigentlichen Hornhautfasern atrophirt sind, was
sich nach vorausgegangener merklicher Schwellung der Cornea dadurch
kund gibt, dass die von dem allmälig schrumpfenden Exsudate durchsetzte
Hornhautpartie etwas platter und flacher, sehnen- oder porzellanartig glän-
zend aussieht oder bei Berührung mit einer Sonde derb und hart erscheint.
Bei den durch Substanzverlust der Cornea und unvollständige Re-
generation gesetzten Trübungen fragt sich's , abgesehen von der Compli-
calion mit der durch einfache Exsudation gesetzten Trübung der Um-
gebung, zunächst, wie tief die Zerstörung reichte. Eine oberflächliche
Trübung dieser Art erscheint in der Regel halbdurchsichtig oder stark
durchscheinend , nebel- oder rauchähnlich mit verwachsenen Rändern.
Solche Trübungen sind, wenn sonst die Bedingungen von Seite des Ge-
sammtorganismus günstig sind, leicht heilbar. Doch lasse man sich nicht
täuschen; bisweilen bietet eine solche Trübung durchaus ein solches Aus-
sehen dar, und reicht doch sehr tief; diess ist der Fall, wenn die ge-
trübte Stelle zugleich vertieft oder abgeschliffen erscheint, weil das zur
Deckung des Substanzverlustes gesetzte Exsudat schon mit Epitheliuin
überzogen wurde, bevor es noch das Niveau der Umgebung er-
reichte. Solche vertiefte Hornhauttrübungen sind schwer oder gar nicht
heilbar. — Tiefere Geschwüre lassen gerne das zurück, was Beer
Leucoma nannte , nämlich eine in der Mitte undurchsichtige , weisse
oder gelblichwcisse Trübung von glattem dichtem Aussehen. Solche
undurchsichtige Trübungen mit verwachsenen Rändern sind bald heilbar,
bald unheilbar. Diess hängt hauptsächlich von dem Zustande des Ge-
sammtorganismus und von der Dauer dieser Krankheit ab. Bei Kindern,
welche in Folge von Blennorrhoca neonatorum sehr bedeutende Leu-
come darboten, sah ich die Cornea allmälig maculös (halbdurchsichlig)
und endlich wohl auch vollkommen durchsichtig werden. — Trübungen,
welche nach durchbohrenden Hornhautgescliwüren oder Wunden mit
vordem Synechien entstanden, sind wenigstens so weil, als die Yerwach-
Trübung — Prognosis. 2(37
sung mit der Iris reicht, absolut unheilbar. — Derb aussehende undurch-
sichtige Trübungen mit deutlicher Vertiefung oder Abflachung in der
Mitte sind unheilbar. — Trübungen mit vermehrter Wölbung des getrübten
Theiles hellen sich niemals auf. Stellen sie eine geheilte Keratokele dar,
so bleibt das Gesicht permanent gestört, auch wenn der centrale Theil einen
ziemlich hohen Grad von Durchsichtigkeit erlangt. — Trübungen, welche
wegen abnorm angehäuften und veränderten Epitheliums über die Wöl-
bung der Cornea emporragen, lassen sich wahrscheinlich auch durch
Abtragung desselben nicht beheben. — Der Umfang der Trübung hat
wohl einigen, aber lange nicht so viel Einfluss auf die Heilbarkeit, als
man glauben sollte; gerade ganz kleine, aber tief reichende Trübungen
sind oft weit hartnäckiger, als ausgedehntere, aber mehr oberflächliche.
Eine zweite Frage bei dieser Form von Hornhauttrübungen, den
eigentlichen Hornhautnarben, ist die, wie lange die Trübung bereits be-
stehe, und welchen Grad von Festigkeit oder Dichtheit sie bereits an-
genommen habe. Das an die Stelle der verloren gegangenen Hornhaut-
fasern getretene Exsudat wird, wenn es nicht in normale Hornhautfasern
umgewandelt worden ist, mit der Zeit immer dichter und fester, und
bekommt ein silber- oder sehnenartig glänzendes, mitunter auch kreiden-
weisses oder fettartiges Aussehen. Der Grad seiner Consistenz lässt sich
auf diese Art nicht bloss mit der Sonde, sondern auch schon durch den
einigermassen geübten Blick beurtheilen. Bisweilen bilden sich selbst
Kalkconcremente, nach einigen Beobachtern auch wahre Verknöcherungen
in denselben. Je weiter nun diese Metamorphose gediehen ist, desto
schwieriger wird die Elimination und der Ersalz durch neues Exsudat,
welches in normale Hornhaut umgewandelt werden kann.
Die 3. Frage endlich betrifft den Zustand des Gesammtorganismus
überhaupt, und den des Auges insbesondere. Je jünger, je gesünder,
lebenskräftiger das Individuum überhaupt, desto mehr kann man auf Eli-
mination des Exsudates und auf Umwandlung des an seine Stelle tre-
tenden frischen Ergusses in homogenes Hornhautgewebe rechnen. Bei
Individuen, die das 40. Jahr überschritten, bei Individuen, die vor der
Zeit gealtert, sehr herabgekommen sind, können auch kleine und un-
scheinbare Hornhauttrübungen jedem Heilversuche widerstehen. Bei
Kindern, deren Cornea ihr Wachsthum noch nicht vollendet hat, sieht
man Farben, die bis in die tiefsten Schichten reichen, selbst solche, die nach
durchbohrenden Geschwüren entstanden waren, wenn nur die Wölbung
der Cornea nicht gelitten, und die Iris nicht mit der Cornea in Verbin-
dung geblieben, in Zeit von einigen Monaten oder Jahren sogar von
2G8 Hornhaut.
selbst spurlos oder bis auf leichte unscheinbare Trübungen ver-
schwinden.
Beer 1. c. II. B. S. 91 erzählt folgenden Fall. „Ich hatte ein Sjähriges Mädchen,
welches durch eine von Seite des Augenarztes vernachlässigte scrofulöse Augenentzün-
dung des Gesichtes vollkommen beraubt war, indem die rechte Hornhaut gänzlich Ieuco-
matös. in der Hornhaut des linken Auges aber ein ungeheurer, vertrockneter, leuco-
matöser Abscess *) zurückgeblieben war, durch volle 7 Jahre in der Cur ; aber es
wurde auch für seine unerschöpfliche Geduld so reichlich belohnt, dass das rechte
Auge kaum eine merkliche Spur des Leucoms am untersten Rande der Hornhaut und
das linke Auge eine ldeine, dem Gesichte gar nicht hinderliche JVarbe trägt." S. 93.
,.E> ist für denjenigen, der es nicht selbst erfahren hat, oder der wenigstens nie
Augenzeuge davon war . wirklich unglaublich, xcie viel Gutes der Arzt in derlei Fällen
oft für die gerne Zukunft seines Kranken thuii kann, wenn er seinen mit ungetrübter
Einsicht regulirten Heilplan auch mit ausharrender Geduld durchführt. Es stiessen mir
in meiner Praxis mehrere Fälle auf, in welchen ich durch die völlige Beseitigung des
maculösen oder leucomatösen Umfanges von Hornhautnarben dem Kranken das Gesicht
an diesem Auge, das er schon seit seiner Kindheit für verloren hielt, vollkommen
wieder gab. und somit den Unglücklichen von gänzlicher Blindheit rettete, welcher so
eben durch Eiterung das andere Auge plötzlich verloren hatte, das er bis dahin allein
gebrauchen konnte. — In andern Fällen dieser Art, in welchen es nur auf Wiederher-
stellung des Gesichtes in Einem Auge ankam, indem das andere verloren war, gelang
es mir durch die völlige Beseitigung des maculösen oder leucomatösen Umfanges der
Hornhautnarbe, in der Hornhaut einen so bedeutenden Terrain zu gewinnen, dass ich
nachher mit dem glücklichsten Erfolge zunächst der Xarbe eine künstliche Pupille an-
legen konnte." Man mag allerhand gegen Beers Theorien einzuwenden haben; aber Wahr-
heitsliebe und die Gabe, gut zu beobachten, wird ihm gewiss Niemand absprechen können.
Welche Miffel man nun zu wählen habe, um derlei Trübungen zu
beseitigen, dazu hat uns Beer folgende Anhaltspunkte gegeben: 1. Je
mehr die Farbe der Verdunklung oder des Fleckes der Hornhaut ins
Dunkelgraue fällt, 2. je mehr sich die verdunkelte Stelle an ibrem Um-
fange verwäscht, folglich je weniger sichtbar ihre angeblichen Grenzen
sind, 3. je matter die verdunkelte Stelle aussieht, je weniger sie irgend
einen Glanz zeigt, und endlich 4. Je mehr feine, kaum sichtbare Blut-
gefasschen aus der zunächst angrenzenden Bindehaut der Sclera gegen
die getrübte Stelle der Hornhaut hinlaufen, ohne diese wirklich zu er-
reichen, und noch viel weniger zu überströmen: desto bestimmter sind
'") An eine Eintrocknung des F.ilers im Siune Beer's u. A. glaubt heut zu Tage natürlich Niemand mehr; dass aber
diesem schlecht gewählten Ausdrucke wirklich eine eigenlliümllche Trübung der Hornhaut zu Grunde liegt, welche
sich nach Abscessen entwickelt, ist nicht zu läugnen. Es durfte nicht ohne Interesse sein, zu hören, wie sich
ein Mikroskopiker unserer Tage, nämlich Szokalski, in Roser und Wunderlich'* Archiv, ls46, S. 227, hierüber
ausspricht. „Der zwischen den Homhaulfasern gebildete Eiler kann sich im weitern Verlaute entweder entleeren,
oder er vertrocknet in der Hornhaulsubslanz. Sein Eiterserum verschwindet durch Resorption, die Eiterkürperchcn
verschmelzen zu einer gelblichen Masse, und verbinden sich organisek mit der Hornheulsubslanz, in Jcrcii Mille
sie einen äusserst schwer beilbaren Flecken bilden."
Trübung — Therapie. 269
sogleich mischungsändcrnde Mittel angezeigt, welche nach Maassgabe
ihrer Wirksamkeit stufenweise verstärkt werden müssen. — Hingegen
1. je weisser, je undurchsichtiger die getrübte Stelle der Hornhaut ist,
je mehr sich ihre Farbe dem Kreidenweiss nähert, je mehr der Fleck
dabei glänzt, 3. je mehr sich die getrübte Stelle über die Oberfläche der
Hornhaut aufwölbt, und 4. je reiner von Blutgefässen die zunächst an-
grenzende Bindehaut der Sclera ist, desto weniger sind gleich anfangs
mischungsändernde Mittel angezeigt, desto mehr muss man anfangs die
schwächsten mischungsändernden Mittel mit den vorbereitenden (öligen,
schleimigen, erweichenden) vermengen. — Man mag von Beer's Theorie
über das Wesen der Hornhauttrübungen und über die Wirkung der
Mittel dagegen denken, was man will : praktisch bleiben die von dem-
selben gegebenen Anhaltspunkte für die Wahl der Medicamente unter
allem, was seine Nachfolger hierüber gesagt haben, noch immer die ver-
lässlichsten und brauchbarsten.
Wollen wir nicht annehmen, dass alle die Männer, welche verschie-
dene Mittel, ursprünglich meistens den sogenannten Volks- und Geheim-
mitteln angehörig, als in der That heilsam und bewährt anempfohlen
haben, sich selbst täuschten, oder Andere absichtlich täuschen wollten,
so bleibt nichts übrig, als dieselben am Krankenbette selbst zu ver-
suchen, und mit Hilfe unserer gegenwärtigen medicinischen Kenntnisse
und Ansichten eine rationelle Anschauung über deren Wirkungsweise an-
zustreben ; denn nur das auf bestimmte Grundsätze gestützte Handeln
kann den Arzt von dem einfachen Empiriker unterscheiden. Zunächst
erscheint demnach die Kenntniss dieser Mittel und ihrer Anwendungsweise
nothwendig. Alle diese Mittel zerfallen in solche, welche die allmälige
Umwandlung der trüben Stelle in eine durchsichtige anstreben, und in
solche, welche die Trübung mehr weniger rasch (durch chemische oder
mechanische Zerstörung) beseitigen. Die vorläufige Aufzählung der ge-
rühmtesten dieser Mittel und ihrer Anwendungsweise wird dem Pharmako-
dynamiker und Pathologen die Würdigung ihres Heilwerthes wesentlich
erleichtern. Beginnen wir mit der ersten Reihe.
A) Zu den Mitteln, welche allmälige Umwandlung der getrübten in
durchsichtige Hornhaut bewirken sollen, gehören:
1. Die Elektricität und die Acupunctur. Bei Anwendung der ersteren
wird der Strom, so stark ihn der Kranke verträgt, durch das obere Augen-
lid und irgend eine andere Stelle des Körpers durch 5 — 10 Minuten ge-
leitet, bis das Auge reichlich thränt und die Bindehaut sich stark injicirt ;
die letztere besteht in der schrägen Einführung einer feinen Acapunctur-
270 Hornhaut.
nadel mitten in die trübe Stelle und Belassung in dieser, bis dieselben
Zufälle eintreten.
2. Wasserdämpfe, mittelst eines engen und langen Trichters un-
mittelbar auf den Augapfel geleitet, ingleichen warmer Malvenaufguss
oder gewärmter Quittenschleim. 10 — 12mal des Tages in's Auge zu träu-
feln. Beer, der diese Mittel empfiehl, macht aufmerksam darauf, dass
bei Anwendung dieser Mittel, besonders wenn letztere nicht gewärmt
oder (relativ) zu häufig gebraucht werden, leicht bedeutende Auflocke-
rung und Ödem der Conjunctiva bulbi, selbst Ödem der Lidränder ent-
stehen. Die Hornhauttrübungen selbst sollen dadurch ein mehr lockeres
und sulziges Aussehen bekommen.
3. Ölige Mittel, wie : Axungia viperina, Liquamen hepatis muslelae
fluviatilis (Aalrutenleberöl), Oleum jeeoris asselli, reine Ochsen- oder
Fischgalle, Nussöl und ähnliche bekannte Volksmittel, täglich 2 — 4mal
mittelst eines Pinsels wo möglich auf die Cornea selbst aufgetragen, und
mittelst des obern Lides gut verrieben, haben nach Beer u. A. im frischen
Zustande mehr eine erweichende, im ranzigen Zustande mehr eine rei-
zende, die Resorption direct betätigende Wirkung. Den ranzigen Ölen
und dem (r»ur in geringer Dosis zur Fisch- oder Ochsengalle beizumen-
genden) Honig anzureihen sind die brenzlichen Öle, z. B. Papieröl, und
einige ätherische Öle, z. B. Wachholderöl, welche das Auge auch in
kleiner Dosis stark reizen.
4. Verschiedene Substanzen in Wasser gelöst, täglich 1 — 2mal
mittelst eines Pinsels einzuträufeln. Setzt man bei jenen, deren Vehikel
nicht speciell genannt ist, eine Unze Aqua destill, als Suscipiens voraus,
so können sie rücksichtlich der Intensität ihrer Wirkung ohngefähr in
nachstehende Reihenfolge gebracht werden.
a) Extr. cicutae (ein Scrupel in zwei Drachmen Wasser gelöst);
b) Extr. chelidonii majoris oder Extr. aloes aquos. (zehn Gran auf
zwei Drachmen), mittelst eines Pinsels einzuträufeln ;
c) Laudanum liquid. Sydenh., anfangs mit Wasser verdünnt, später
unvermischt ;
d) Sublim, corros. ein Viertel Gran mit vier — acht Tropfen Lau-
danum liquid, oder: sublim, corros. gr. dimid. cum opii colati gr. quatuor ;
e) Argenti nitrici gr. */a — 2 ; *)
*) Die unter c, d und e genannten Mittel, namentlich das Laudantim, sind besonders bei frisch entstandenen Trü-
bungen, sobald nur der exsudative oder ulcerüse Process aufgehört hat, unschätzbare Mittel, die Resorption zu
belhätigcn. Vgl. über Hornhautentzündung und Horiihaiit<reschv.nre.
Trübung — Therapie. 271
f) Cadmi sulfurici gr. 1—2;
g~) Salis ammon. et sacch. albi a~a scrup. in aquae menlhae unica ;
h) Boracis venetae et sacch. albi a~a gr. quindeeim cum extraet.
aloes aquos. et extr. opii aq. a~a gr. tribus;
i) Aquae benedict. Rulandi (Vini slibiali) uncia cum essentiae aloes
et liquam. myrrhae a~a drachma ;
/r) Barylae muriaticae gr. quinque in aquae laurocer. uncia, alle 2
Stunden zu 1 Tropfen ;
/) Kali caustici oder Kali carbonici (Salis tartari) gr. duo ;
tri) Salis volat. cornu cervi (Carbon, ammon. pyro-oleosi) dr. decem
cum salis tartari dr. una et melis despum. dr. tribus, mittelst eines Pin-
sels aufzutragen.
5. Mittel in Salbenform. Als Vehikel nimmt man frische unge-
salzene Butter, frisches Schweinfett, Cacaobutter, eine Mischung von
Wachs und Mandelöl, oder eine Mischung aus 4 Theilen Wallralh, 2
Theilen weissem Wachs, 16 Theilen Mandelöl und 12 Theilen Rosen-
wasser (Ung. anglican. album nach Wendler*).
Da bei diesen Salben aber viel darauf ankommt, dass die festen Bestandteile immer
sehr gut vertheilt sind und bleiben, so wird man nicht nur den Apotheker hiezu durch
den Beisatz „51. exaetissime" oder „-M. F. ung. ophthalm." anzuweisen, sondern auch bei
der Wahl des Vehikels die Temperatur, die Jahreszeit zu berücksichtigen haben. Bei den
folgenden Formeln wird eine Drachme Excipiens als Normale vorausgesetzt. Diese
Salben werden am besten vor dem Schlafengehen, bei Kindern, welche sich dawider
strauben, während des ersten festen Schlafes linsen-, erbsen-gross zwischen die Lider
gebracht, mittelst eines Pinsels oder mit der Spitze eines Fingers, und dann durch
sanftes Reiben der geschlossenen Lider möglichst gut verlheilt.
a) Merc. praec. rubri gr. unum — quatuor ;
Merc. praec. rubri gr. sex et tutiae praepar. (oxydi zinci) gr. tritt ;
Praecip. rubri gr. sex, vitrioli cyprini pulveris. gr. quinque et cam-
phorae oleo ovor. subact. gr. duo.
Praecip. rubri, cerae flavae et butyri rec. a~a drachma una.
Praecip. rubri gr. octo, flor. zinci gr. tria, axung. et liquam. hepat.
mustel. fluviat. a~a drachma una, nach Beer, wenn man die Wirkung noch
steigern will, noch mit einigen Granen zum feinsten Staub gepulverten
Glases (Yitrum alkoholisat.) vermischt;
6) Unguentum citrinum Ph. Lond. (Ware);
c) Kali hydrojodici gr. duo — quatuor Chelius) ; **)
*) Wallher und Ammon's Zeitschrift für Augenheilkunde, 8. B. 4. St.
•") Ich wende dieses Präparat lieber zu zehn - fünfzehn Gran auf zwei Drachmen Fett zu Einreibungen auf die Slirne
272 Hornhaut.
d) Salis volat. cornu cervi gr. quinque, felis tauri inspiss. dr. unam
et extr. chelidonii dr. duas, M. exactiss. (bei Rosas) ;
e) Kali canstici gr. tria cum olei nucis jugland. drachma (bei
Rosas).
6. Pulver, theils aus löslichen, Iheils aus unlöslichen Bestandtheilen,
mittelst eines Pinsels auf die Hornhaut aufzustreuen (von Laien mittelst
einer Federspule eingeblasen). Ihre Anwendung erheischt in Bezug auf
die gleiehmässige Vertheilung grosse Vorsicht, wenigstens bei den wirk-
sameren. Beispielsweise nur einige derselben , als : Fein gepulverter
Zucker, fein gepulvertes Glas ; eine Drachme Natrum muriat. mit einer
halben Drachme Lapis cancrorum ; eine Drachme Weinstein und Zucker
mit einer halben Drachme pulv. oss. sepiae ; eine Drachme Borax mit
zehn Gran limat. stanni alkoholis. und zwei Drachmen Zucker, allenfalls
auch noch mit etwas Bimsstein gemischt u. s. w.
Die meisten, vielleicht alle diese Mittel wirken dadurch, dass sie
einen gewissen Grad von Entzündung erregen. So weit uns der Vorgang,
den wir Entzündung nennen, überhaupt bekannt ist, wissen wir, dass mit
dem Momente der Erweiterung der Gefässe und mit der Verlangsamung
des Blutstromes darin, zugleich Durchschwitzung des Blutserums in das
umgebende Parenchym, somit Lockerung und Durchfeuchtung desselben,
und erst bei höheren Graden und längerer Dauer des Processes auch
Austretung von Faserstoff statt findet. Wenn demnach die genannten
Mittel wirklich einen gewissen Grad von Entzündung (nach Rosas „einen
an Entzündung grenzenden Reizungszustand" der Binde- und Hornhaut)
erregen, so lässt es sich recht gut denken, dass sie, indem sie serösen
Erguss bewirken, dadurch einerseits Erweichung, Auflösung und Resorp-
tion fest gewordener Exsudate vermitteln, anderseits das Anschiessen
plastischen Exsudates und Umwandlung desselben in normale Hornhaut-
fasern möglich machen, falls sonst die Bedingungen hiezu vorhanden sind.
Dass aber die meisten jener Mittel einen gewissen Grad von Entzündung
erregen, wenn sie „lege artis" angewendet werden, sieht man nicht nur
aus ihren pharmakodynamischen Eigenschaften, sondern auch aus den
Vorschriften, wie sie angewendet werden sollen. Es wird ausdrücklich
bemerkt, dass sie auch beim Vorhandensein aller sonstigen Bedingungen
nichts nützen, wenn sie nach der jedesmaligen Anwendung nicht einen
gewissen Grad von Reaction hervorrufen, und dass sie geradezu schaden,
und Schlafe an, alle 3 — 4 Stunden bohnen-gross. und verstärke die Wirkung durch Zusatz von 1 — 2 Gran reiner
Jodine, Auf diese Weise kann es schon sehr bald nach beendigter Entzündung ungewandt werden, und isl, wie
ich oft beobachtete, von entschiedener Wirkung.
Trübung — Therapie. 273
wenn diese Reaetion zu bedeutend wird. Wir werden auf diese Vor-
schriften noch zurückkommen, und bemerken nur, dass es von wenig
Consequenz zeugt, wenn man behauptet, fest gewordene Exsudate (Gra-
nulationen) in der Bindehaut lassen sieh durch Bestreichen mit Cuprum
sulfurieum, durch Scarificationen, durch Einstreichen von Mercurialsalben
iL dgl. zur Resorption bringen, dieselben oder ähnliche Mittel seien da-
gegen unnütz bei fest gewordenen Exsudaten der Cornea. Diese solle
man sich selbst überlassen, während jene mit allerhand Mitteln anzu-
greifen seien. Auch gegen fest gewordene Bindehautexsudate sind eine
„Unzahl von Mitteln" empfohlen worden, aber hier hat man Anstand ge-
nommen, jene beliebte Beweisführung in Anwendung zu bringen. Die
Hervorrufung eines acuten Processes durch Einimpfung blennorrhoischen
Secretes bei inveterirtem Pannus ist gewiss die klarste und bestimmteste
Antwort, welche uns die Natur auf die Anfrage gibt, auf welche Weise
bereits fest gewordene, mehr weniger organisirte Exsudate eliminirt werden.
Meduna Franziska, 24 Jahre alt, kam Ende Juli 1850 in's Krankenh'aus. Das
rechte Auge bot nebst Erweiterung der vordem Ciliargefässe eine allgemeine Trübung
der Cornea dar; die Cornea war gehörig gewölbt, an der Oberfläche glatt, bläulich
weiss, in der untern Hälfte undurchsichig, in der obern etwas durchscheinend. Durch
letztere konnte man noch wahrnehmen, dass die Iris wenigstens hier nicht mit der
Cornea verwachsen sei und eine dunkle Farbe habe; auch deutete eine dunklere Stelle
darauf hin, dass die Pupille, wenn auch eng, doch wahrscheinlich nicht völlig gesperrt
sei. Die Kranke, auf dem linken Auge völlig und unheilbar erblindet, hatte auf dem
rechten Auge noch deutliche Lichtempfindung, konnte jedoch nicht einmal die Zahl der
vorgehaltenen Finger bestimmen, und musste geführt werden. — Dieses Auge befand
sich angeblich seit 10 Jahren in diesem Zustande, und zwar in Folge einer Entzün-
dung, welche ohne manifeste Veranlassung entstanden war und allmälig zur Erblindung
geführt hatte. Das linke Auge war 2 Jahre später (im 16. Lebensjahre) erkrankt, nach
Angabe der Kranken auf dieselbe Weise, jedoch unter ärztlicher Hilfe wieder besser
geworden, so dass sie wieder arbeiten konnte (als Taglöhnerin) ; heftiges und anhal-
tendes Weinen soll vor 5 Jahren Verschlimmerung und Erblindung des (linken) Auges
herbeigeführt haben, wahrscheinlich durch Keratoiritis. Im Jahre 1846 hatte der Assi-
stent der Augenklinik zu wiederholten Malen die Anlegung einer künstlichen Pupille,
jedoch ohne Erfolg, vorgenommen; jetzt ist mit diesem Auge absolut nichts mehr anzu-
fangen. — Den Befund des rechten und linken Auges und die freilich sehr mangelhaften
Angaben über dessen Zustandekommen mit dem Aussehen der Kranken und deren sonstigem
Befinden zusammenhaltend, konnten wir mit grosser Wahrscheinlichkeit annehmen, die
Trübung der rechten Hornhaut sei einfach durch Ablagerung von Exsudat zwischen die
Hornhautfasern (Keratitis scrofulosa) zu Stande gekommen, und versuchten es, dieselbe
aufzuhellen. Wir begannen die Cur mit Einträuflungen von Oleum jecoris aselli,
und mit einer Einreibung aus 5 Gran Jodkali an die Stirn und Schläfe. Diese Mittel
hatten bis Mitte September keinen andern Erfolg, als dass die Kranke angab, sie nehme
Licht und Schatten deutlicher wahr, und dass der obere Theil der Cornea mehr licht—
Arlt, I. 18
274 Hornhaut.
grau wurde. Die Cur wurde nun auf einige Wochen dadurch unterbrochen, dass die
Kranke einen Abortus erlitt; Anfang October setzten wir dieselbe damit fort, dass wir
2 Gran Jodkali , mit einer Drachme Fett verrieben, täglich 2mal zwischen die Lider
einstrichen. Am 14. November fanden wir plötzlich bei der Morgenvisite die Lider
ödematös geschwollen, die Bindehaut der Lider dicht netzförmig injicirt und aufgelockert,
die Conjunctiva bulbi zu einem blassrothen Wall rings tun die Cornea erhoben, die Cornea
durchaus stärker getrübt und sulzig aufgelockert, wie zur Verschwörung bereit, die Kranke
von Lichtscheu, Thränenfluss und heftigen Schmerzen gequält. Ungewiss, woher diese
Erscheinungen, ordinirten wir ein starkes Abführmittel, Blutegel an die Schläfe, Ruhe
Diät. Bei genauerem Nachforschen zeigte sich's, dass die Jod kalisalbe durch Ranzig-
werden des Fettes zersetzt worden war, und das Auge zu heftig gereizt hatte, wie ich
schon einige Male, wenn auch nicht in so hohem Grade, beobachtet habe. (Die Fett-
säure verbindet sich mit dem Kali, und Jod wird frei.) Nachdem nun diese Zufälle bis
am 22. October wieder verschwunden waren, zeigte sich die obere Hälfte der Cornea
so bedeutend aufgehellt, dass der Fall Alle, die ihn beobachteten, überraschte.
Ob die von Beer als vorbereitende, als einfach Erweichung und
Auflösung- der Exsudate bewirkende Büttel bezeichneten Arzneistoffe, wie
z. B. der Wasserdunst, die fetten Öle u. dgl. wirklich bloss diese Wir-
kung haben, müsste erst durch vielfältige umsichtige Beobachtungen und
Versuche noch weiter bestätigt werden. Vorläufig kann man bloss auf
die analoge Wirkung dieser Mittel in andern Organen hindeuten.
Mit dem bisher Gesagten glauben wir im Allgemeinen den Weg, den man bei
heilbaren Hornhauttrübungen einzuschlagen hat, so weit als möglich vorgezeichnet zu
haben. Möglichst genaue Kenntniss des pathologisch -anatomischen Zustandes der
Cornea und der Bedingungen, unter denen Aufhellung der getrübten Cornea 'zu er-
warten steht, ist das erste Erforderniss, welches der Arzt zum Krankenbette mitbringen
muss, Dieselbe nützt ihm jedoch wenig, wenn er nicht durch die nöthige Ausdauer
und durch die Kunst, gut zu beobachten, unterstützt wird. Man kann z. B. recht gut
wissen, wann eine Operation vorzunehmen oder zu unterlassen sei; man kann recht
gut gelernt haben, welcher Vorgang bei einer Operation einzuhalten, welche Instru-
mente, welche Gehilfen etc. nöthig, und welche Zufälle einen überraschen können,
ohne desshalb schon, auch bei grosser manueller Fertigkeit, ein guter Operateur zu
sein. Was der Anfänger oder der Stümper mit den gerühmtesten und künstlichsten
Instrumenten nicht zu bewirken vermag, erreicht der Gebüte, der Meister mit einer
einfachen Klinge. So auch der Heilkirnstier bei Hornhauttrübungen; er braucht nicht
viele der Mittel, aber er versteht es, die wenigen zu rechter Zeit und in rechter Form
und Dosis anzuwenden, weil er weiss, welche Gegenwirkung er von Seite des Orga-
nismus zu erwarten hat. — Obwohl wir nun überzeugt sind, dass jeder Arzt sich hier
seinen Weg selbst bahnt, und der denkende und beharrliche Beobachter der Natur die
rechte Bahn am Ende von selbst findet, so mögen doch einige specielle Andeutungen
hier noch ein Plätzchen finden.
1. Sich selbst und dem Kranken einen sichern Anhaltspunkt zur
Beurtheilung des Erfolges der Cur zu verschallen, stelle man nicht nur
beim Beginn, sondern auch während der Dauer derselben von Zeit zu
Trübung — Therapie. 275
Zeit genaue Sehversuche an, der Art, dass man den Kranken Gegen-
stände von verschiedener Grösse bestimmen lässt. Gesetzt, er unter-
scheide noch Buchstaben von %'" Höhe und xjtl4" Dicke, so zeigt man
ihm auch kleinere Lettern, etwa von 1 a/2"' Höhe; erkennt er auch diese
noch, so gehe man zu noch kleineren über, so lange, bis man zu solchen
kommt, welche er nicht mehr zu unterscheiden vermag. Werden dann
nach einigen Wochen wieder Sehversuche gemacht, und erkennt der
Kranke unter übrigens gleichen Verhältnissen den Gegenstand, den er
früher nicht erkannte, so wird ihm das der beste Sporn zum Ausharren
und zur gewissenhaften Befolguno- des ärztlichen Rathes sein. Arzt und
Kranker läuschen sich nur zu leicht mit dem, was sie hoffen, oder ver-
lieren die Geduld, wenn nicht bald eclatante Veränderungen eintreten.
2. Wenn bei der Anwendung der sogenannten vorbereitenden oder
erweichenden Mittel sich weder die Farbe noch die Consistenz des
Fleckes ändert, so soll man nach Beers Rathe nicht nur mit den Mitteln
wechseln, sondern selbst die trübe Stelle mit einer Staarnadel seicht sca-
rißciren, und nach neuerlichem Gebrauche jener Mittel diese Operation
nach Umständen wiederholen, versteht sich, wenn man es nicht mit einem
absolut unheilbaren Flecke zu thun hat.
3. Wenn das Auge nach einiger Zeit sich gleichsam an den Reiz
des einen oder des andern Mittels gewöhnt hat, so soll man entweder
vorerst mit den wirksamen Bestandtheilen in der Dosis steigen, oder zu
stärkern Mitteln übergehen. Oft wird es gerathen sein, die Receptivität des
Auges durch mehrtägige Pausen zu steigern. Mittel in Pulverform wirken
im Allgemeinen heftiger, als die Mittel in Salbeform, und diese heftiger
als Lösungen. — Als Zeichen, aus denen man auf den gewünschten
Grad von Reaction schliessen kann, gelten : massiger Thränenfluss, leichte
Röthe und Schwellung der Lidränder oder wenigstens der Bindehaut, er-
höhte Empfindlichkeit gegen das Licht, mehr weniger lebhafter Schmerz
— welche Zufälle jedoch nicht über eine Stunde anhalten sollen (Rosas).
Je nach dem Grade und der Dauer dieser Zufälle mag man dann beur-
theilen, ob man die Dosis vermindern, oder ein milderes Mittel wählen,
oder dasselbe Mittel nur jeden 2. oder 3. Tag anwenden solle.
4. In wie fern das diätetische Verhalten, nahrhafiere Kost, Bewegung
in Freien, Anregung des Auges zum Sehen u. s. w. die Cur unterstützen
können, dürfte sich nach den früher gegebenen Andeutungen beurtheilen
lassen. Durch innere Mittel direct auf Hornhauttrübungen wirken zu
wollen, hat man theils als fruchtlos, theils als zu gewagt längst aufge-
geben. Ein gleiches Loos dürfte auch der Rath verdienen, die Cur der
18*
276 Hornhaut.
Hornhauttrübungen durch Etablirung von künstlichen Geschwüren u. dgl.
zu unterstützen. — Beim Gehrauche der Karlsbader Mineral-Wässer hat
man (Dr. Ryba, Wagner, Fleckles) öfters zufällig die Wahrnehmung ge-
macht, dass Hornhautflecke abnahmen oder verschwanden.
B. Trübungen, welche auf die genannte Weise gar nicht oder nur
sehr langsam behoben werden können, suchte man mehr direct, theils
auf chemischem, theils auf mechanischem Wege, und in kürzerer Zeit
zu beseitigen.
G. Crusell *) Hess den negativen Pol einer aus 4 — 6 vierzölligen Plat-
tenpaaren bestehenden galvanischen Säule mittelst einer stumpfen Spitze oder
eines metallenen Knöpfchens an die getrübte Stelle der Hornhaut halten.
Richter u. A. riethen, in der getrübten Stelle eine kleine Grube
zu machen, und in diese etwas Butyrum antimonii oder Lapis infernalis
zu bringen.
Das Ausschneiden oder Abtragen der verdunkelten Partie, schon zu
Galens Zeiten gekannt, später mit verschiedenen Modificationen von Mead,
Larrey, Wardrop, Darwin u. A. wieder geübt, wurde in neuester Zeit
über Dr. Gulz's **) Anregung besonders von französischen Ärzten, na-
mentlich von Malgaigne ***) empfohlen.
Ich war nicht so glücklich, weder mit dem Galvanismus, noch mit der viel-
besprochene Abrasio corneae erfreuliche Resultate zu erzielen. Fast alle Auetoren,
welche diese Methoden mit Glück geübt haben wollen, haben die Hauptsache, um die
sich's hier handelt, übersehen oder nur nebenbei erwähnt. Die einfache Entfernung
der getrübten Partie wird nichts nützen, wenn an die Stelle der entfernten Substanz
nicht normales Hornhautgewebe erzeugt wird. Die Frage über die Regeneration der
Hornhaut und deren Redingungen hätte vor allem erörtert werden müssen. Nur
Malgaigne spricht von Wiederersatz der Cornea , und darum trägt der von ihm ver-
öffentlichte Fall noch am ehesten die Charaktere der Glaubwürdigkeit in sich. Er
stellte der Akademie der Wissenschaften zu Paris ein 18jähriges Mädchen vor, welches
er durch Abtragung der vordem Hornhautlamellen von einer anderweitig unheilbaren (?)
Verdunklung geheilt hatte. Diese hatte in ihrem 13. Jahre wiederholt an Augenent-
zündungen gelitten, und seitdem bestand auf dem rechten Auge ein Fleck, der das
Gesicht bedeutend störte, und bis zum 16. Jahre stationär blieb. Diesen zu entfernen,
wurde derselbe mit einem Kreisschnitte, etwa 2'//" im Durchmesser, umschrieben, und
die vordem Blätter der Cornea (bis zur Hälfte ihrer Dicke) abgetragen. Der Erfolg
war nicht bloss bis zum Austritte aus dem Spitale befriedigend, sondern auch noch
2 Jahre später, im Mai 1845, obwohl das Auge bei unzweckmässiger Beschäftigung
neuerdings mehrmal von Entzündungen heimgesucht worden war. Es hatte sich der
Substanzverlust allmälig wieder ersetzt, und die Kranke konnte nun ohne Anstand
*) Über den Galvanismus als chemisches Heilmillel gegen örtliche Krankheiten, Petersburg 1811.
"") Österreichische Wochenschrift, 1842, N. 24.
•••) Cunier Ann. d'Ocul T. X1I1 , und Journal de Chirurgie, par Malgaigne, T. V., 1845.
Abiioriiitäteii der Wölbung. , 277
nähen und lesen. — Wenn Dieffetibaoh *) ein hervorragendes Centralleucom bei einem
2jährigen Kinde entfernt haben will, indem er dasselbe aus der ganzen Dicke der Horn-
haut herausschnitt, und die Wunde durch einen Faden heftete, so ist ein Zweifel gegen
das glückliche Resultat wohl erlaubt, um so mehr, da derselbe Auclor z. B auch be-
hauptet, Strabismus nach innen und oben durch die Durchschneidung des M. obliquus
superior geheilt zu haben. — In gleicher Lage sind wir zu Hasuers **) Vorschlag der
Keratektomie. „Ich verrichte diese Operation, welche nur in Fällen hartnäckiger, be-
sonders verkalkter Exsudate an der Hornhautoberfläche, niemals aber bei Trübungen der
Hornhautsubstanz angezeigt ist, mit dem Staarmesser, der Fischer'schen Pincette und
Louis'sehen Scheere. Vorerst wird das Messer zur Seite der Trübung in die Hornhaut
eingestochen, unmittelbar zteischen dem Cornealüberzuge und der Cornea selbst durch-
geführt, und an der andern Seite der Trübung ausgestochen. Der durch Fortbewegung
des Mcs;>ers gegen die Nase hin gebildete oberflächliche Lappen wird nun mit der Pin-
cette gefasst und an seinem Grunde mit der Scheere scharf abgeschnitten. Sorgfältig muss
hiebet die Verletzung der Hornhaut selbst vermieden werden, indem eine Abtragung ihrer
Fasern selbst eine neue Verdunklung herbeiführen könnte." — Mehr kann man von der
Kunst (oder von der Gläubigkeit des Lesers?) nicht verlangen.
Reisinger, Himly, Stilling u. A. versuchten bei total und unheilbar
getrübter Hornhaut diese rein abzutragen, und in die Öffnung die Horn-
haut eines Thieres einzuheilen. Allein die transplantirte Hornhaut wurde,
auch wenn die Einheilung erfolgte, in kurzer Zeit trüb und schrumpfte
zusammen, f)
Autenrieths ff) Idee , bei unheilbarer Hornhautverdunklung eine
künstliche Pupille in der Sclerotica anzulegen, führte zwar zu zahlreichen
Versuchen an Thieren, jedoch nie zu einem auch nur einigermassen ent-
sprechenden Resultate.
Unter welchen Umständen bei theilweisen unheilbaren Hornhautver-
dunklungen dem Kranken durch Anlegung einer künstlichen Pupille noch
zu einem mehr weniger guten Gesichte verholfen werden könne, wird
bei der Lehre von den Krankheiten der Iris angegeben werden.
VI. Abnormitäten in der Wölbung der Cornea.
Die meisten der hieher gehörigen Zustände der Cornea sind als
Folgen der bisher besprochenen Krankheiten der Binde- . und Hornhaut
*) Über Excision ron Cenlralleucomen, in AtnmoiTs Zeitschrift für Ophthalmie. 1831. B. I.
**) 1. c. S. 123.
t| Über Keratoplastik, siehe nebstdem Ttwme dissert. de corneae Iransplant. Bonae 1 S34, Slrauah in Kasper's Wo-
chenschrift, 1S40, X. '23, Feld nann in Walther und Ammon's Journal für Chirurgie, 1844, B. III oder Gaz.
med. de Paris, 1842, Pf. 45 und 51.
ii) Tübinger Blätter für Naturwissenschaft, B. I. S. 83, Amman, die Sclerektomie in dessen Zeitschrift für Augen-
hei.kuade,lS3l,B. I.
278 Hornhaut.
zu betrachten, und wurden demnach gehörigen Ortes bereits erwähnt und
erörtert. Bisweilen, wenn gleich selten, finden wir jedoch die Wölbung
der Cornea auch ohne vorausgegangene Entzündung verändert. Hieher
gehören :
1. Die kegelförmige Verbildung der Hornhaut, Keratoconus, von
Himly als Hyperkeratosis, von Andern als Staphyloma pellucidum conicum
beschrieben.
Man sieht den mittlem Theil der Cornea kegelförmig erhaben; der
Randtheil hat, wenigstens so lange der Zustand noch nicht zu einem
höheren Grade entwickelt ist, seine normal»' Wölbung; der Übergang in
den Kegel ist kein plötzlicher, sondern ein allmäliger : die Spitze des
Kegels ist mehr weniger abgerundet, wie ein Zuckerhut, und entspricht
nicht immer streng dem Centrum der Hornhaut. Die Durchsichtigkeit der
Hornhaut ist eben so wenig gestört, als ihre Glätte und ihr Glanz ; man
erkennt daher die Krankheit nur dann, wenn man die Cornea von der
Seite her ansieht, oder wenn man das Bild betrachtet, welches die Cornea
vermög ihrer spiegelnden Oberfläche von den gegenüber befindlichen Ob-
jeeten entwirft; die queren und senkrechten Balken eines gegenüber be-
findlichen Fensters erscheinen nicht mehr als regelmässig krumme Linien.
Das eigenthümliche Funkeln und Opalisiren, welches man als charakteristisch
angegeben hat, ist nicht immer vorhanden, mag nur bei höheren Graden
und bei gewissen Wendungen des Auges gegen das Licht vorkommen.
Dasselbe gilt von der Trübung an der Spitze des Kegels, welche nach
Einigen, z. B. Sichel, constant vorkommen soll. — Die subjeetiven Er-
scheinungen werden sehr verschieden beschrieben. Im Allgemeinen lässt
man diese Kranken kurzsichtig sein, weil sie aufhören, fernere Gegenstände
unterscheiden zu können. Diess gibt jedoch den Begriff dessen, was wir
Kurzsichtigkeit nennen, durchaus nicht ; es fehlt hier ein wesentliches
Merkmal dieses abnormen Refractionszustandes , nämlich die Fähigkeit,
nahe und kleine Gegenstände mit gehöriger Schärfe und Ausdauer be-
trachten, und mit Hilfe entsprechend coneaver Gläser auch entfernte Ob-
jecto deutlich wahrnehmen zu können. Die Störung des Gesichtes ist ver-
schieden, je nach dem Sitze und der Grösse jener kegelförmigen Vorra-
gung. Einige sehen gewisse Gegenstände doppelt, oder mehrfach, Andere
sehen die Objecte mit Farbenkreisen umgeben, Andere verworren, Andere
endlich überhaupt Undeutlich oder auch gar nicht. Die Erscheinung des
Doppelt- oder Mehrfachsehens tritt insbesondere bei leuchtenden oder
glänzenden Gegenständen hervor; eine Kerzenflamme, ein Metallknopf
Keratocoiius. 279
wird 10 — 20 und mehrmach bemerkt. Brewster *) erklärt diese Erschei-
nung durch feine Unebenheiten an der Oberfläche des Kegels ; er will
dieselben an einer grossen Menge von Fällen constant beobachtet haben ;
Andere konnten sich von deren Gegenwart nicht überzeugen.
Die übrigen Gebilde des Auges können dabei vollkommen normal
sein und bleiben. Das Hornhautübel selbst entwickelt sich öfters nur
auf einem, seltener auf beiden Augen zugleich oder bald nach einander.
Die Entwicklung erfolgt in der Regel langsam und unvermerkt, ohne
Schmerz, ohne Röthe, ohne Lichtscheu u. dgl. Es macht sich nur durch
Störung des Gesichtes bemerkbar. Zu einem gewissen Grade gediehen,
bleibt es dann Jahre-lang, selbst zeitlebens unverändert ; nur die Spitze
pflegt mit der Zeit trüb zu werden. Spontane Berstung einer solchen
Cornea ist bisher nie beobachtet worden.
Die Cornea scheint an der betroffenen Stelle verdünnt und hervor-
getrieben, nicht aber, wie Adams, Himly, Rosas u. A. meinten, verdickt
zu sein. M. Jage?' **) und Walker f) fanden nach dem Tode den Kegel
verdünnt. Die Vortreibung der Cornea ist wahrscheinlich durch partielle
Erweichung des Gewebes derselben bedingt, deren Grund man mit
Pickford ff) in mangelhaftem Nerveneinflusse auf die Ernährung der
Cornea suchen kann.
Es gibt wenig Krankheitsformen am Auge, über welche so verschiedene An-
sichten aufgestellt wurden, wie über diese. Wir werden der Erörterung derselben
einige verlässliche Beobachtungen vorausschicken; dadurch dürften wir am ehesten in
Stand gesetzt werden, jene verschiedenen Ansichten zn würdigen. — Den 1. Fall von
Keratocoiius sah ich bei Prof. Fr. Jäger in Wien an einem chlorotischen Mädchen von
15 — 16 Jahren. Genau beobachtet habe ich jedoch nur einen 2. Fall hier in Prag.
Fräulein von Gr., 18 Jahre alt, wurde im Jahre 1846 von Dr. Friedr. Bach zu mir
gebracht. Dieser Arzt, welcher seit Jahren fast täglich in das Haus dieses Mädchens
kam. befürchtete die Entwicklung einer Amaurosis des linken Auges, indem das Mädchen
seit beiläufig 8 Wochen über Abnahme des Sehvermögens auf diesem Auge und über
Blendung des rechten Auges durch das linke klagte. Er hatte das Aiige von Anfang
an wiederholt und sorgfältig besichtigt, jedoch kein Zeichen von Entzündung des
Auffes oder von Trübung der durchsichtigen Medien wahrnehmen können. Als ich nun
das Auge untersuchte, und namentlich die Cornea in Bezug auf ihre physicalischen
Eigenschaften prüfte, fanden wir zu nicht geringer Überraschung, dass das Bild der
Fensterrahmen auf der linken Cornea sich nicht regelmässig abspiegelte , und die An-
sicht von der Seite her verschaffte mir Gewissheit, was ich vor mir hatte. Die voll-
-') Makenzie 1. c. S. 512.
"p Schmidt, Dissertation über Hyperkeratosis, Erlangen 1830.
f) Principles uf Ophthalmie surgery, London 1834, S. 80.
James Picktord, ou the con cal Cornea. Dublin 1844.
280 Hornhaut
kommen durchsichtige und spiegelglatte Cornea ragte in ihrem Centrum (ein klein wenig
nach aussen und oben vom mathematischen Mittelpunkte) gegen '/2 Linie mehr vor-
wärts, und zeigte, von der Seite betrachtet, einige Ähnlichkeit mit einer Fenster-
scheibe, die einen kleinen durchsichtigen Wirbel enthält. Von einer Trübung, von
einem Substanzverluste oder von einer Lockerung des Gewebes der Cornea war eben
so wenig eine Spur vorhanden, wie von Thränenfluss, Lichtscheu, Schmerz und In-
jeetion der vordem Ciliargefässe. Die Kranke war einfach im Lesen, Nähen u. dgl.
gehindert, und musste, um feinere Sachen länger gut auszunehmen, das linke Auge
verdeckt halten. Nähere Gegenstände unterschied sie zwar (mit dem linken Auge)
noch eher, als entfernte, aber doch auch nicht deutlich, und das Auge ging ihr bald
über (fing an zu thränen). Das Mädchen hatte durch mehr als 3 Jahre an Chlorosis
gelitten, und litt unzweifelhaft an Tuberculosis, welcher Krankheit auch bereits ihre 2
Brüder erlegen sind. Kurze Zeit vor dem Auftreten des Augenleidens war sie durch
mehre Wochen von einer äusserst heftigen Prosopalgie, angeblich Folge von Ver-
hältung, geplagt worden. Ich wendete örtlich keine vehementen Mittel an, nur Ein-
träuflungen von Laudanum Syd. , und später von einer schwachen Silberlösung, und
leitete vielmehr eine gegen das Allgemeinleiden gerichtete diätetische und arzneiliche
Behandlung ein, liess die Kranke namentlich längere Zeit und zu wiederholten Malen
Eisenpräparate nehmen, und die bessere Jahreszeit beim Gebrauche des Giesshübler
und des Liebwerder Wassers auf dem Lande zubringen. Ohngefähr 2 Jahre nach dem
Beginn des Augenübels bildete sich an der Spitze des Kegels eine leichte Trübung
(man könnte sie mit einem Fixsterne am Firmamente vergleichen, wenn man sich statt
des Glanzes ein mattes oder bläuliches Weiss denkt), und zwar ohne Spur von Ent-
zündung oder von Substanzverlust, und diese Trübung besteht nun beiläufig 3
Jahre unverändert fort. Sie ist jetzt durch das Leiden des linken Auges im
Arbeiten mit dem rechten viel weniger behindert, jedoch noch immer nicht im Stande,
feinere Gegenstände mit Ausdauer zu betrachten. Mit dem linken Auge allein kann
sie den feinsten Druck lesen, wenn sie ihn auf 3 Zoll nähert; Personen kann sie bei
einer Entfernung von mehr als 4 Schritten nicht mehr genau unterscheiden. Ihr
Allgemeinbefinden ist seit einem Jahre ziemlich gut, wenigstens besser als in früheren
Jahren.
Dr. Heyfelder "") hat folgenden Fall veröffentlicht. „Bei einem 32 Jahre alten Manne
von scrofulösem Habitus und auffallend flacher Stirnbildung zeigte die Hornhaut beider Augen
jene konische Hervortreibung, welche von einigen Hyperkeratosis, von Andern Cornea
conica, von noch Andern Staphyloma conicum genannt worden ist. Auf dem rechten Auge
bildete die vorzugsweise stark ausgesprochene Hervortreibung eine zuckerhut-ähnliche
Pyramide, deren Spitze dem Centrum der Pupille und der Hornhaut entsprach, auf dem
linken Auge war die Hervorragung weniger scharf gezeichnet, und glich mehr einem
Maulwurfshügel, aber auch hier entsprach der höchste Punkt dem Centrum der Cornea.
Auf beiden Augen war die Hornhaut vollkommen durchsichtig. Das Licht reagirte nur
wenig auf die Regenbogenhaut; die Pupille erweiterte sich jedoch auf Anwendung von
Belladonna,. Von vorn beobachtet erschienen beide Augen, wie wenn sie der Pupille
gegenüber Peilen trügen; von der Seite betrachtet, hatte die konische Hornhaut einen
krystallartigen , opalisirenden Schein. Das Sehvermögen des linken Auges war nicht
*) Aninioc"a Zeibcfirifl lur Ophthalmie. IV. B. S, 1>9.
Keratoconus. 281
in dem Grade schwach als auf dem rechten; dennoch konnte der Mann auf 6 Schritte
nicht mehr unterscheiden. Genau erkannte er nun diejenigen Dinge, welche er nicht
gerade den Augen gegenüber, sondern seitwärts oder unter die Nase hielt. Besser
ging dicss einige Minuten nach dem Eintröpfeln der Bilsenkrautauflösung von statten.
— Der Kranke hatte dieses Augenübel seit seiner frühesten Kindheit. Nach den Ver-
sicherungen seiner Mutter ist er nicht mit demselben auf die Welt gekommen, sondern
hat es im 2. Lebensjahre während des Keuchhustens , an welchem er ungewöhnlich
litt, unter einem heftigen Hustenanfalle bekommen. In wie fern diess richtig ist, muss
dahin gestellt bleiben." — Walther *) fane einen „Keratoconus bei einem 21jährigen
scrofulösen Manne nach einer heftigen Blepharophthalmie. Nach 2jährigem Bestehen
des Übels sah man am rechten Auge eine halbkugliche Hervorragung der Cornea,
welche im ganzen Umfange krystallhcll und durchsichtig, an der Spitze aber weiss-
grau getrübt war. Die Hervorragung hielt die Mitte zwischen der Kegel- und Kugel-
form, und war an der höchsten Stelle etwa 1'" höher als die Cornea im gewöhnlichen
Zustande. Die Kegelspitze entsprach nicht dem Centrum der Cornea, sondern sass von
diesem nach unten und innen. Das Verhalten der Iris in jeder Beziehung normal. Von
dem Leuchten und Funkeln der Cornea konnte man bei keiner Stellung etwas be-
merken. Der Kranke sah alle, auch entfernte Gegenstände deutlich (?), doch wie
durch einen Nebel. Dreiecke, Vierecke und andere geometrische Figuren unterschied
er als solche, aber mehrere etwas fein und in einander gezogene Linien flössen ihm
gleichsam zusammen. Um die Kerzenflamme sah er prismatische Farben. — Der Fall,
den Schön **J beobachtete, „betraf einen 31jährigen Mann von kachektischem Äusseren,
der schon von seiner frühesten Kindheit mit grosser Kurzsichtigkeit behaftet war, wel-
cher später eine wirkliche Amblyopie folgte, die sich jetzt zur fast vollkommenen
Amaurose ausgebildet hat, so dass der Mann nur noch sehr schwach sehen kann. Die
ersten Spuren der kegelförmigen Hervortreibung der Hornhaut beider Augen zeigten
sich vor ohngefähr 8 Jahren, und sie hat sich jetzt so weit ausgebildet, dass ihre
Höhe auf dem rechten Auge l'/2'", auf dem linken fast 2'" beträgt. Der Mittelpunkt
des durchsichtigen Hornhautkegels befindet sich etwas unterhalb des queren Durch-
messers der Hornhaut, und ist an der äussersten Spitze am linken Auge etwas getrübt,
während der am rechten noch vollkommen durchsichtig ist. Beide Hornhäute funkeln
wie ein Krystall, so dass man die Pupille nicht sehen kann. Die blaue Iris ist noch
etwas beweglich, die Pupille nicht verzogen und schwarz." — Ammon ***) will das
Übel, welches übrigens schon Taylor 1766 unter dem Namen Ochlodes beschrieben,
als angeboren beobachtet haben. „Im Juli 1830 kam ein junger 21 jähriger Mann zu
mir. der auf beiden Augen eine Cornea conica hatte. Dieses Übel war, so viel ich
erfahren konnte, angeboren. Der Mensch war blond, und ausser seinem Augenleiden
gesund : nur der Schädel war oben sehr schmal (Spitzkopf); er hatte im 16. Lebens-
jahre die Schneiderei zu lernen angefangen, allein nach 5 Jahren hatte er, wegen
bedeutender Kurzsichtigkeit, das Geschäft wieder verlassen müssen. Auf dem rechten
Auge war das Übel am stärksten; in der Ferne sah er mit demselben gar nicht, in
der Nähe mit Mühe. Zu bemerken war hiebei , dass er leicht einen Gegenstand für
*) Journal für Chirurgie und Augenheilkunde von Walther und Ammon, N. F. 5. Heft.
**) Pathologische Anatomie, Hamburg lö^ö S. IUI
•"*) Zeitschrift für Ophthalmologie. I. B. S. I2'i.
282 Hornhaut.
zwei, zwei für drei, und drei für 5 ansah, wenigstens war diess ziemlich constant der
Fall, wenn ich ihn die Zahl der vorgehaltenen Finger bestimmen liess. In der Spitze
der conischen Hornhaut war weder auf dem rechten noch auf dem linken Auge eine
Trübung wahrzunehmen , die viele Beobachter bei diesem Leiden beobachtet haben
Nichts desto weniger hat das Auge einen eigenlhümlichen opalisirenden Schein, wenn
man es aus einer näheren Entfernung beobachtet, und vorzüglich dann, wenn man es
von der Seite betrachtet. Diess ist bei weitem weniger auf dem linken Auge der Fall,
wo die sehr spitze Wölbung der Cornea aber auch gewiss 1 '/2 — 2'" geringer ist. Ich kann
nicht sagen, dass die kranke Wölbung der Cornea zuckerhutförmig sei; es liegt jedoch
ausser allem Zweifel, dass sie sehr hoch und sehr spitzig [ist. Sieht man gerade auf
das Auge, so bemerkt man über der Pupille gleichsam einen Glasring, der über jene
hinweg geht, und von dem eigentümlichen Lichtreflex herkommt."
Adams und seine Nachfolger haben ihre Ansicht, dass dieses Übel in krankhafter
Verdickung der Cornealsubstanz bestehe , nur mit sehr zweideutigen Gründen unter-
stützt. Der veränderte Refractionszustand des Auges und das funkelnde Aussehen sind
eben so wenig beweisend hiefür, als das harte Anfühlen oder das schwierigere Ein-
dringen der Nadel bei der Punktion. — Sichel *) hat offenbar Unrecht, wenn er be-
hauptet, diese Krankheit setze Hornhautgeschwüre voraus und biete constant an der
Spitze eine Trübung (wenigstens unter der Loupe) dar. Ich weiss wenigstens von
dem einen Falle ganz bestimmt, dass weder Entzündung vorausgegangen, noch Trü-
bung vorhanden war , und viele der besten Beobachter versichern dasselbe. Auch
Lhommeau **) , der Sichers Angaben auf Berardüs Klinik an 2 Fällen prüfte, konnte in
dem einen weder mit freiem noch mit bewaffnetem Auge etwas von jener narbigen
Verdunklung auffinden. — Chelius ***) u. in. A. halten dafür, die Ausdehnung der Horn-
haut sei durch den Druck übermässig abgesonderten Kammerwassers bedingt, die Krank-
heit also eine Art Hydrops, und somit die Kegelform ganz unwesentlich.
Nach meiner Ansicht ist aber die kegelförmige Verbildung der Hornhaut von der
mit bleibender Vortreibung geheilten Keralokele nicht minder verschieden, als von der
nach Pannus oder Keratitis zurückbleibenden Ausdehnung der Cornea, welche man
unpassend genug als Hydrops camerae oder als Staphyloma pellucidum sph. beschrieben
findet. Allen 3 Zuständen kommt vermehrte Ansammlung von Kammerwasser als Fol<je
verminderter Resistenz der Cornea zu, und der Name Hydrops ist desshalb ungenau,
weil der Grund der Verwölbung der Cornea zunächst nicht in vermehrter Ausscheidung
des Humor aqueus, sondern in der verminderten Resistenz der Cornea liegt. Die Ur-
sache der verminderten Resistenz ist aber bei diesen Zuständen eine sehr verschiedene,
bei dem einen Verschwärung der obern Faserschiehten der Cornea, bei dem zweiten
entzündliche Erweichung und Lockerung des Cornealgewebes , und bei dem dritten
keines von beiden, sondern höchst wahrscheinlich mangelhafte Innervation. Erinnert
man sich des Einflusses, welchen die Ciliarnerven auf den Zustand der Cornea aus-
üben (Vergl. S. 180), und übersieht man nicht, dass die Individuen, bei welchen diese
Krankheit der Cornea beobachtet wird, im Allgemeinen die Zeichen allgemeiner Ge-
sundheitsstörung mehr weniger deutlich ausgeprägt an sich tragen, so wird man sehr
<') Cuiiier Annales d'Octil. Suppl. II. p. 125.
*»j Ibid. S. 17'.).
*'*) Handbuch der Augenheilkunde, I!. B. S. .TU.
Keratoconiis. 283
versucht, diese Umstände mit einander in ursächlichen Zusammenhang zu bringen, we-
nigstens die Disposition zu dem örtlichen Leiden in einem Allgemeinleiden zu suchen.
Bei dem einen von mir beobachteten Individuum ist Tuberculosis bestimmt nachgewie-
sen ; das andere war chlorotisch, beide jugendlich. M. Jägers Fall erlag der Phthisis.
Rosas 1. c. S. 635 beobachtete das Leiden vorzugsweise bei „Mädchen unter 14 Jahren,
die mit der ScroIVldiathcsc behaftet sind"; mehrere Fälle, die Andreae vorkamen, „be-
trafen sehr serol'ulöse Frauen, die vorlängst syphilitisch gewesen waren.
Unter den bisher vorgeschlagenen Heilmethoden dürfte die von Pickford em-
pfohlene noch am ehesten Hilfe leisten (wenigstens palliativ für das zweite Auge). Sie
besteht in der Anwendung tonischer Mittel, denen in der Regel ein Brech- oder Ab-
führmittel vorausgeschickt wird. Die von ihm angeführten Krankengeschichten sind in
Kürze folgende: 1. Fall. Ein Frauenzimmer von 28 Jahren wurde am 1. Mai 1832 mit
conischer Hornhaut des linken Auges aufgenommen. Ein Blasenpflaster auf die Schläfe,
nachher mit Gerat, canthar. verbunden; innerlich 8 Gran von den blauen Pillen alle
Abende, und eine Mixtur aus Chinin und Magn. sulfur. 2mal täglich. 5. Mai : Jod in-
nerlich, äusserlich als Collyrium, und jeden Abend in Salbenform in die Augenlider
eingerieben. 7. Juni: neben dem Jod ein Brechmittel aus Zincum sulfur. 2mal wö-
chentlich früh Morgens zu nehmen. 12. Juli: eine Disposition zu demselben Übel auf
dem rechten Auge bedeutend vermindert; es ist noch immer ein Kreis um die mit
diesem Auge angeschauten Gegenstände, doch kann die Kranke mit demselben besser
und in grösserer Entfernung lesen. 26. Juli: die Brechmittel werden nun alle Morgen
gereicht, Jod innerlich und äusserlich fortgesetzt, von Zeit zu Zeit Blutegel an das
Auge, und statt der Jodsalbe eine stärkere Mercurialsalbe. 25. October: bedeutend
gebessert entlassen. — 2. Fall. Anna H., 21 Jahre alt, hysterischen Krampfanfällen un-
terworfen, aufgenommen am 12. März 1833 mit kegelförmiger Hornhaut nur des linken
Auges. Zinc. sulfur. 1 Scr. mit Magn. sulfur. 4 Dr. alle Morgen zu nehmen. Nach 12
.Monaten vollkommen geheilt entlassen. Ungefähr 13 Monate später wegen eines Rück-
falles wieder aufgenommen. Dieselbe Behandlung wurde einige Monate hindurch mit
gleich gutem Erfolge angewendet. — 3. Fall. Maria B., 27 Jahre alt, Schneiderin, am
17. September 1839 wegen sehr bedeutend conischer Hornhaut des linken Auges auf-
genommen. Tart. emet. granum mit Magn. sulfur. dr. 2 jeden Morgen zu nehmen.
13. December: entschieden besser, die Hornhaut flacher. 4. Februar 1840: die Horn-
haut noch flacher, die Kranke sagt, sie könne besser sehen. 24. November : bedeutend
gebessert, und nach eigenem Wunsche entlassen. Am 10. Mai 1842 wieder aufgenom-
men mit conischer Hornhaut; dieselbe Behandlung. Am 2. Mai 1843 wurde die Kranke
entlassen, hinlänglich hergestellt, ihr Geschäft wieder aufzunehmen, und mit gebessertem
Allgemeinbefinden.
Chelius 1. c. S. 353 versichert, bei einem Mädchen von 20 Jahren durch ein
Setaceum am Nacken, durch von Zeit zu Zeit gereichte Abführmittel, durch fortgesetzten
Gebrauch von Spongia tosta mit Digitalis und durch Einreibungen von Jodkalisalbe
an die Umgegend des Auges bedeutende Besserung bewirkt zu haben. Sichel empfiehlt
methodisch wiederholte Betupfung der Spitze des Kegels mit Lapis infernalis, während
Andere die oftmalige Punction der Cornea empfehlen. Gibson will zwei Schwestern
durch die Anwendung eines Chinadecoctes mit Alaun geheilt, und Ware vom täglich
3 — 4maligen Einträufeln /eines starken Tabakaufgnsses bessern Erfolg, als von vielen
andern Mitteln gesehen haben.
284 Hornhaut.
2. Vergrösserung und vermehrte Wölbung der ganzen Hornhaut
kommt bald als angeborener, bald als erworbener Zustand, wenn gleich
höchst selten vor. Die Cornea variirt nicht nur in ihrer Dicke, sondern
auch in ihrer Grösse und in ihrer Wölbung bei verschiedenen Individuen
in hohem Grade. Ich kenne einen jungen Mann, der auf dem einen Auge
eine merklich grössere und gewölbtere Cornea besitzt, als auf dem andern,
und diesem Zustande entsprechend ist auch das eine Auge kurz-, das
andere weitsichtig. Vor 2 Jahren kam mir ein Mann zur Operation des
grauen Staars, welcher auffallend grosse Hornhäute hatte (über 6'" im
Durchmesser) ; dieselben waren vollkommen rein und regelmässig gewölbt,
und gaben vermög ihrer stärkern Convexität kleinere Spiegelbilder, als
normale Hornhäute. Vom Vorausgehen irgend einer entzündlichen Affe-
ction war bei diesem überhaupt zu genaueren Angaben über seinen Zu-
stand nicht geeigneten Individuum nichts zu eruiren. — Vergrösserung
der Hornhaut mit allgemeiner Vergrösserung der Bulbi habe ich nur
einmal bei einem Knaben von 15 Jahren, angeblich als angeborenen
Zustand beobachtet, jedoch damals nicht gehörig gewürdigt.
3. Abnorme Kleinheit und verminderte Wölbung. Wenn wir von
unbeträchtlichen Schwankungen in der Grösse der Basis Corneae bei ver-
schiedenen Individuen und Nationen absehen, so kommt hier nur jene
regelwidrige Kleinheit der Cornea in Betracht, welche bei Mikrophthalmus
congenitus vorkommt, und jene, welche selbst unbeschadet der übrigen
physikalischen Eigenschaften bisweilen an atrophischen Bulbis beobachtet
wird. Es ist in der That eine interessante Erscheinung, an einem Auge,
welches in Folge von Chorioiditis oder in Folge von Glaskörperverlust,
z. B. durch eine penetrirende Scleralwunde, auf % seines Volumens re-
ducirt ist, die Cornea, gleichsam en miniature, ganz durchsichtig und
glänzend zu finden. Dass bei jenem Refractionszustande, welcher unter
dem Namen Weitsichtigkeit bekannt ist, nicht sowohl verminderte Wöl-
bung der Cornea, als vielmehr andere Veränderungen des Auges im Spiele
sind, um diesen Zustand zu bedingen, werden wir in dem Capitel über
diesen Zustand erörtern, und erinnern vorläufig bloss, dass man nur zu
häufig von verminderter Wölbung der Cornea zu sprechen gewohnt ist, wo
man eigentlich bloss von verminderter Grösse der Augenkammer sprechen
sollte. Nicht geringere Wölbung der Cornea, sondern Vorwärtsgerücktsein
der Iris und der Linse bildet (wenigstens zum Theil) den objeetiv wahr-
nehmbaren Befund jener Augen, welche die Fähigkeit verloren haben, nahe
Gegenstände mit der gewöhnlichen Schärfe und Ausdauer zu erkennen*
Erklärung der Abbildungen.
Fig. 1, 2, 3 und 4 stellen Veränderungen dar, welche die Binde-
und Hornhaut in Folge acuter Bindehautblennorrhöe bei einem 22jährigen
Mädchen (mit Blennorrhoea vaginae) in der 4. Woche darboten.
Fig. 1. Das Auge in natürlicher Grösse gezeichnet, das untere Lid möglichst
stark abwärts gezogen. Die Cornea bis zum Rande zerstört, die Iris blossgelegt, durch
einzelne balkenähnliche Streifen zurückgehalten und eingeschnürt, aber auch an den
leicht vorgewölbten inselähnlichen Partien schon grösstenteils mit einer bläulichweissen,
mehr weniger durchscheinenden Membran überzogen. — Die Bind haut zeigt über dem
Tarsus eine Menge kleiner, dicht aneinander gedrängter, hochrother, warzenähnlicher
Hüffelchen (vergrösserte Papillen) , welche den freien Rand des Lides nicht erreichen ;
unmittelbar dahinter (darüber) erscheint der etwas weniger rothe, stark geschwellte,
wulstig vortretende Übergangstheil , mit 6 gelblichen, halbdurchsichtigen, lichten und
glatten Körnern besetzt, welche wie kleine Kügelchen von gekochtem Sago zur Hälfte
über die Oberfläche der Umgebung emporragen; zwischen diesem wulstigen Theile und
dem Bulbus läuft die stark geschwellte Übergangsfalte als unmittelbare Fortsetzung der
halbmondförmigen Falte nach aussen, und zeigt gleichfalls mehrere derlei Körnchen.
Fig. 2 stellt dasselbe Auge vergrössert dar , wie dasselbe unter der Loupe
erschien. Am Tarsaltheile erscheint längs des Lidrandes ein von zahlreichen feinen Ge-
fässchen durchzogener, nicht merklich geschwellter Saum; die rothen warzenähnlichen
Hüjelchen des Tarsaltheiles erscheinen, wie noch deutlicher aus der, einen noch mehr
vergrösserten Theil der Bindehaut darstellenden.
Fig. 3 ersichtlich wird, ziemlich regelmässig angeordnet, gleichsam aus Gruppen
rother Punkte zusammengesetzt und durch lichtere Streifen geschieden; Übergangstheil
und Falte zeigen einzelne Gefässchen und die genannten ovalen Exsudatkörner ver-
grössert. Am Bulbus selbst erscheinen mehrere erweiterte Gefässe, von welchen einige
28ß Erklärung der Abbildungen.
gleichsam unter dem Lirabus conjunctivae cjmeae zu dem Narbengewebe der Cornea
hin durchtreten, und sich daselbst verzweigen.
Fig. 4 zeigt das obere Lid desselben Auges vergrössert; die beiden- lichten
Flecke nach innen und oben stellen solche lichte, sagoähnliche Exsudate dar, welche
gleichsam auf die vergrosserten Papillen aufgelagert sind, und gleich denen am untern
Lide unter der stärksten Loupe, die uns zu Gebote stand, an und für sich durch kein
Merkmal von jenen Gebilden unterschieden werden konnten, von denen bei Fig. 5 und
6 die Rede sein wird.
Fig. 5 und 6 stellen die Veränderungen der Bindehaut dar, welche
bei einem Weibe von 35 Jahren als Trachoma constatiit wurden.
Fig. 5 zeigt das umstülpte obere Lid des rechten Auges, etwas vergrössert. Das
Lid ist ungemein verdickt, prall, schwer zu umstülpen ; die Bindehaut längs des Lid-
randes fast normal, nur von feinen Gefässchen durchzogen , die feinern Ringelchen
stellen die vergrosserten Papillen vor , welche zwischen den zahlreich und massenhaft
aufgelagerten und tief infiltrirten sulzigen Exsudathügeln noch sichtbar geblieben sind ;
an der Conjunctiva bulbi erscheinen zahlreiche Gefässe, welche sich bis auf die an ihrer
Oberfläche leicht getrübte und unebene Cornea erstrecken (Pannus).
Fig. 6 zeigt das untere Lid des linken Auges in natürlicher Grösse. Auf dem
Tarsaltheile sitzen ziemlich tief eingebettet einzelne sulzige Exsudate, nur wenig empor-
ragend, fast parallel dem Lidrande angeordnet; der Übergangstheil ist fast durchaus
in eine sehnig glänzende, bläulichweisse, fast gefässlose Membran verwandelt, und so
geschrumpft, dass die Übergangsfalte fehlt, und beim Aufwärtsblicken nahezu verticale
Falten entstehen, deren grösste schräg nach innen und oben zur halbmondförmigen
Falte hinzieht.
Fig. 10. Das untere Lid eines Knaben aus dem Waisenhause.
(Siehe S. HO.)
Längs des Lidrandes ist die Bindehaut normal, nur von einzelnen Gefässchen
durchzogen ; weiterhin sieht man die ganze Bindehaut mit dicht an einander gedrängten
lichtgelben Hügeln besetzt, welche über den Tarsus ungefähr mohnkorngross und
nicht confluent, auf dem Übergangstheile dagegen an %'" hoch aufgethürmt und zu
unregelmässigcn Wülsten verschmolzen sind. Das obere Lid desselben Auges, welches
auf der andern Seite der Tafel abgebildet war, musste wegen einiger wesentlicher
Fehler radirt, und konnte dann nicht mehr gezeichnet werden. Es zeigt die Bindehaut
durchaus normal, nur etwas lockerer und gelblichroth, und mit punktförmigen bis mohn-
korngrossen, ganz isolirt stehenden lichtgelben Körnchen besetzt.
Diese Abbildungen haben den Zweck, zu zeigen, dass ich ganz dieselben
Exsudatabbildungen, welche man wohl auch als „graue Granulationen" beschrieben hat,
und welche bald der sogenannten Ophthalmia aegyptiaca, bald dein Trachoma als charak-
teristisch zukommend bezeichnet wurden, bei verschiedenen Erkrankungsweisen der
Bindehaut beobachtet habe. Sie können demnach nicht als pathognomonisches Zeichen
Erklärung der Abbildungen. 287
für die eine oder die andere Art der Entzündung der Bindehaut betrachtet werden. Nur
im Verein mit sämmtlichen übrigen Erscheinungen (dem Raum und der Zeit nach auf-
gefasst) kann ihre Bedeutung vorstanden werden. In den ersten 4 Figuren tritt offenbar
die Schwellung des Papillarkörpers, die gleichmässige dunkle Rüthe und die starke Schwel-
lung der Bindehaut selbst in den Vordergrund der Erscheinungen, nachdem die reich-
liche schleimig- eitrige Secretion, kurze Zeit vorher das auffallendste Symptom, beinahe
ganz verschwunden ist. Die Bildung jener isolirten sulzigen Exsudate spielt sowohl an
dem untern als an dem obern Lide eine sehr untergeordnete accessorische Rolle. — In
Fig. 5 dagegen fällt die Bildung dieser sulzigen Exsudate , ihre tiefe Infiltration und
die dadurch bedingte Verdickung des Lidknorpels sogleich als die bedeutendste Er-
scheinung auf, und Fig. 6 zeigt nebst frischen Exsudaten bereits jene Metamorphosen,
welche — auf Grundlage anderweitiger Beobachtungen — als Endglieder jener Reihe
von Erscheinungen erkannt werden, welche wir mit dem Namen Trachoma belegen. —
Fig. 10 endlich zeigt jene Exsudatbildung als vorwaltende Erscheinung, aber ohne er-
hebliche Veränderung der umgebenden Bindehaut (am obern Lide), ohne erhebliche
Veränderungen der Secretion, ohne Verdickung des Lidknorpels. Die Bedeutung dieser
Exsudate kann hier nur nach Wochen-, Monate-langer Beobachtung, oder, wie es hier
der Fall war, nach dem Vorkommen der niedrigsten Grade des Beginnens der Krank-
heit bei massenweisem Auftreten mit Sicherheit bestimmt werden.
Die Figuren 7, 8 und 9 haben den Zweck, zunächst das Verhältniss
der Cornea zur Sclera, und weiterhin überhaupt die Lage und Anordnung
der einzelnen Gebilde des Bulbus in einem Durchschnitte zu zeigen.
Dieselben lassen zwar noch manches zu wünschen übrig, dürften indessen in der
Hauptsache, Lage und Verhältniss der einzelnen Theile zu einander, noch immer rich-
tiger sein als die bisher erschienenen. Was indess in diesen Zeichnungen noch fehler-
haft oder unklar dargestellt erscheinen sollte, kann sich der Leser sehr leicht corrigiren,
dadurch, dass er sich die Durchschnitte führt, so wie ich sie geführt habe , und eine
gute Loupe zur Hand nimmt.
Man nehme ein möglichst frisches Auge, schäle es aus der Tunica vaginalis und
Conjunctiva bulbi gleichsam heraus, und stutze sowohl die Muskeln als den Nervus
opticus nahe an der Sclera ab. Sodann messe man die Achsen vom vordem zum hintern
Pol und im Äquator (vertical und horizontal), den Längen- und den Höhendurch-
messer der Cornea innerhalb des Limbus conjunctivae, und die Entfernung der Inser-
tionsstellen der M. recti vom Cornealrande, und lege dann den Bulbus mit dem hintern
Pole auf ein Stückchen Holz ; indem man sofort mit den Fingern der linken Hand den
Bulbus leicht frört, setzt man ein möglichst scharfes Messer (Rasirmesser) senkrecht auf
die Cornea, und dringt mit 3 — 4 ziehend-drückend geführten Schnitten ohngefähr bis
zu den Insertionsstellen der Recti vor. Um die Luxation der Linse so viel als möglich
zu vermeiden, wird nun der Schnitt durch die Sclera bis zum hintern Pole mittelst einer
Scheere vollendet, und der über die Scleraränder überhängende Glaskörper abgeschnitten.
Wenn man nun jede Hälfte des Bulbus sogleich in eine mit Wasser gefüllte Schale legt,
so wird man mit dem Zirkel sich überzeugen , dass die Durchmesser genau dieselben
geblieben sind, somit die festen Theile des Auges ihre frühere Form und Lage wieder
288 Erklärung der Abbildungen.
einnehmen. AVer selbst nicht zeichnen kann , lege sich das Auge in ein Schälchen,
welches gerade so tief ist, dass die Durchschnitsebene der auf die Convexität gelegten
Augenhemisphäre gerade in's Niveau des Randes der Schale zu liegen kommt, und
giesse so viel Wasser zu, dass dasselbe noch etwas über den Rand der Schale empor-
ragt ; darauf nun decke man ein möglichst dünnes Glas (Cylinderuhrglas), welches auf
der einen Seite mittelst Bimsstein ein wenig matt geschliffen ist, so dass man mit einem
etwas härteren Bleistifte bequem darauf schreiben, und doch die Conturen des dar-
unter liegenden Auges und seiner Theile genau sehen kann (bei Sonnenschein).
Fig. 7 stellt die untere Hälfte eines Auges (linken) von einer 30-
jährigen Frau dar.
Fig. 8 zeigt einen solchen Durchschnitt (von der rechten Seite) ver-
grössert (Durchmesser = 2).
Fig. 9. Äussere Hälfte eines von oben nach unten durchschnittenen
Bulbus einer 50jährigen Frau.
Eine Menge Durchschnitte möglichst frischer Bulbi zeigte mir ein ganz anderes
Verhältniss der Iris und des Ligamentum ciliare zur Cornea und Sclera, als namentlich
Prof. Brüche in seiner sonst so schätzenswerthen Abbildung des menschlichen Auges
angegeben hat. Die Iris entspringt nämlich nicht, wie Brücke es dargestellt, am Rande
der Cornea von dem Ligamentum ciliare, sondern sie tritt nächst den Ciliarfortsätzen
aus jenem Gebilde hervor, so dass die vordere. Augenkammer nicht von der Cornea
und Iris allein, sondern zwischen diesen beiden auch noch von der vordem Fläche
des im Duchschnitte dreieckig erscheinenden Ligamentum ciliare begrenzt wird. Übrigens
liegen die Firsten des Processus ciliaris stets noch vor dem Rande der Linse, und die
Iris sah ich niemals in einer Ebene liegen, sondern jedesmal ein wenig nach vorn
ausgebaucht. Das Nähere hierüber folgt bei der Lehre von den Krankheiten der Iris.
Binde .und Komi tut
DIE
KRANKHEITEN DES AUGES,
für praktische Ärzte
geschildert
Dr. Ferd. Arlt,
früher o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Prag, jetzt zu Wien.
IL Band.
Die Krankheiten der Sclera, Iris, Chorioidea und
Linse.
Fünfter unveränderter Abdruck.
Prag, 1863.
Verlag von F. A. Credner,
k. k. Hof -Buch- und Kunsthändler.
DIE
KRANKHEITEN DER SCLERA,
IRIS, CHORIOIDEA UND LINSE,
für
praktische Ärzte
geschildert
Dr. Ferd. Arlt,
früher o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Prag, jetzt zu Wien.
Fünfter unveränderter Abdruck.
Prag, 1863.
Verlag von F. A. Credner,
k. k. Hof -Buch- und Kunsthändler.
III. Bach.
Die weisse oder Lederhaut, Tunica sclerotica,
und die Scheidenhaut, Tunica vaginalis.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
a) Die Sclera bildet gleichsam das Gehäuse des Augapfels, in
welches die Cornea gleich einem Glase eingefügt ist. Sie wird durch
die flüssigen Contenta des Bulbus gespannt erhalten, und übt auf die-
selben vermöge ihrer Elasticität einen gewissen Druck aus. Diese bei-
den Momente sind bei Beurtheilung ihrer Grösse und Gestalt jederzeit
in Anschlag zu bringen.
Sie bildet im Allgemeinen die Schale einer Kugel, welche, wenn
man sich die Cornea in gleicher Flucht fortlaufend denkt, von vorn
nach hinten sehr stark abgeplattet, und überdiess an jenen Stellen, wo
die Musculi recti ihre Wölbung berühren, seicht eingedrückt erscheint.
Im Innern der Sclera kann das Verhältniss der Durchmesser ohngefähr
so bezeichnet werden, dass der horizontale Durchmesser im Äquator
um '/*"' länger erscheint, als der verticale, und dieser noch um 72'"
länger als die Achse von vorn nach hinten (wenn man sich die Cornea
nicht stärker gewölbt denkt, als die Sclera).
Die Dicke dieser Schale ist nicht überall gleich. Am beträchtlichsten
ist sie am hintern Pole, also 1%"* auswärts vom Centrum der Inser-
tionsstelle des N. opticus;* hier misst sie im normalen Zustande über
5 2 Linie (0,580'"j; von hier an wird sie in ihrer Ausbreitung allmälig
dünner; vom Äquator bis zur Insertion der Musculi recti kann die
Dicke auf *J* — V5"' geschätzt werden; durch die Sehnen dieser Muskel
verstärkt, zeigt sie im vordem Drittel eine Dicke von 2/5'". Die Dicke
dieser Membran ist gleich der der Cornea in der Jugend beträchtlicher,
als im höhern Alter, und steht zur Dicke der Cornea immer in dem
Arlt Augenheilkunde. II. 1
2 Lederhaut.
Verhältnisse, dass die dickste Partie (am hintern Pole) noch immer
etwas dünner ist, als die Cornea gegen den Rand hin.
An ihrer äussern Fläche ist sie rauh (filzig) und durch laxes Binde-
gewebe mit der Tunica vaginalis bulbi locker verbunden. Ihre innere
Fläche ist glatt, und von der Lamina fusca ausgekleidet, einer dünnen
zelligen Membran, welche eigenthümliche stark pigmentirte braune Zel-
len zeigt. Mit der innerhalb derselben liegenden Chorioidea hängt sie
nur durch die Nerven und Gefässe zusammen, welche durch die Sclera
hindurch zur Ader- und Regenbogenhaut verlaufen; an ihrem vordem
Ende jedoch ist sie mit dem Ciliarbande sehr fest verbunden. Hievon
später.
An der Eintrittsstelle des N. opticus hängt sie fest mit dessen
Scheide zusammen, wesshalb sie Einige als Fortsetzung derselben be-
trachten. Die 2 Sehnen der M. obliqui im hintern, und die 4 Sehnen
der M. recti im vordem Umfange der Sclera gehen mit ihren Fasern
unmittelbar in deren Gewebe über, indem sie sich fächerartig ausbrei-
ten. Die Verbindung mit der Cornea wurde bereits besprochen. (S.
Hornhaut, Seite 175 und Taf. I. Fig. 7, 8, 9.)
Die Sclera besteht aus dicht zusammengewebten Fasern, welche
gegen ihre innere Fläche zu immer dichter in einander verflochten sind,
und in verschiedenen Richtungen sich durchkreuzen. Im hintern Um-
fange scheinen die longitudinalen, von der Sehnervenscheide gegen die
Peripherie hin und vorwärts verlaufenden, die vorwaltenden zu sein;
wenigstens findet man in dieser Gegend bisweilen verdünnte Stellen,
welche diese Richtung einhalten, und durch das Auseinanderweichen
dieser Fasern bedingt zu sein scheinen; im vordem Umfange sind die
querverlaufenden Fasern vorherrschend. — Durch Maceration wird sie
in 2 — 3 Wochen zu einer breiigen Masse aufgelöst; durch Kochen wird
sie in Leim verwandelt. — Sie ist sehr fest, viel weniger elastisch.
Fälle von Berstungen der Sclera kommen eben nicht selten vor, we-
nigstens in ihrem vordem Drittel.
Ihre sparsamen Gefässe entspringen theils aus den hintern kurzen,
theils aus den vordem Ciliararterien und von den Muskelästen der
Art. ophthalmica. Sie bilden ein weitmaschiges Netz von Capillaren
letzter Ordnung {Brücke). — Nerven hat Professor Bochdalek*) mit Be-
stimmtheit in ihr nachgewiesen. Sie sind Zweige der Ciliarnerven.
Die dichte fasrige Structur, die Armuth an Gefässen und Nerven
und die sehr untergeordnete Bestimmung der Sclera, die Flüssigkeiten
des Bulbus zu umschliessen und den Muskeln feste Angriffspunkte zu
») Präger Vierteljahrschrift, Bd. 24. S. 119.
Anatomie — Physiologie. 3
gewähren, machen es begreiflich, warum die Sclera der Entzündung*
nur sehr wenig unterworfen ist, ja selbst gegen directe Eingriffe, che-
mische und mechanische Verletzungen, auffallend wenig reagirt. Nicht
nur Stich- und Schnitt-, sondern auch Risswunden der Sclera heilen
ohne merkliche Röthe oder Schwellung der Ränder. Sie kann von
Eiter, im Innern des Auges angesammelt, durchbrochen werden; auch
Enkephaloidablagerung kommt in derselben vor. Nach meiner An-
schauungsweise bietet sie, wenigstens ihre oberflächliche Schicht, auch
das Substrat entzündlicher Erscheinungen dar, deren Beschreibung weiter
unten folgt.
b) Die Scheidenhaut des Augapfels, Tunica vaginalis bulbi, ist eine
den Bulbus, so weit die Sclera reicht, umhüllende zelligfibröse Mem-
bran von bläulich weisser Farbe, welche nur durch schlaffes, äusserst
dehnbares und fettloses Bindegewebe mit der Sclera zusammenhängt,
und somit eine Art Kapsel oder Scheide bildet, in welcher sich der
Bulbus nach jeder Richtung leicht drehen kann. Sie entspringt an der
Eintrittsstelle des Sehnerven in die Orbita, umgibt diesen und die um
denselben liegenden Ciliarnerven, umfasst sodann den Bulbus, wird von
den 6 Augenmuskeln schief durchbohrt, hängt mit den Sehnen dersel-
ben zusammen, schmiegt sich vor den Musculis rectis mehr und mehr
an die Sclera und an die Bindehaut darüber an, und verliert sich unter
der Conjunctiva bulbi allmälig gegen den Hornhautrand hin, nachdem
sie dünner und dünner geworden, und in der Nähe der Cornea mit
dem Stroma conjunctivae gleichsam in Eins verschmolzen ist.
Von der Gegend, wo die Musculi recti in diese Hülle eintreten,
um noch eine Strecke in derselben zu verlaufen, geht ein ähnliches
zelligfibröses Gewebe gleichsam als Unterlage für die Bindehaut unter
derselben bis zum Orbitalrande des obern und des untern Lidknorpels,
und vermittelt so einen festeren, wenn gleich äusserst dehnbaren Zu-
sammenhang der Tunica vaginalis bulbi mit der Fascia tarso-orbitalis,
jener schon viel dichteren und resistenteren Membran, welche vom Or-
bitalrande der Knorpel an den freien Knochenrand rings um die Orbita
verläuft.
Hat man die Conjunctiva und die Tunica vaginalis bulbi hinter den
Sehnen der geraden Augenmuskel, so wie diese selbst ringsum durch-
schnitten, so kann man den Bulbus leicht wie aus einer Schale her-
auslösen, indem man nur noch die M. obliqui und den N. opticus sammt
den ihn umgebenden Gefäss- und Nervenzweigchen zu trennen braucht.
Die Scheidenhaut des Augapfels, oder vielmehr das lockere Binde-
gewebe zwischen ihr und der Lederhaut ist einer bedeutenden Schwel-
4 Lederhaut.
hing durch seröse Infiltration fähig; diese kann so bedeutend werden,
dass der Bulbus dadurch aus der Orbita hervorgedrängt wird, und dass
der vordere Theil sanimt der Conjunctiva jenen 2—3'" hohen Wall
rings um die Cornea darstellt, von welchem bei den Krankheiten der
Bindehaut die Rede war.
Vermöge ihrer Zähigkeit verhindert sie, wenn man einen der Muse,
recti noch im Bereiche derselben durchschneidet, das freie Zurückwei-
chen des • Muskelbauches, so dass sie in einem gewissen Grade die
durchschnittene Sehne vertritt, und die Beweglichkeit des Bulbus nach
dieser Seite hin vermittelt ; nur wenn der Muskel ausserhalb dieser zel-
ligfibrösen Scheide durchschnitten, oder wenn die Wunde in derselben
sehr lang (über 3'") gemacht worden ist, wird die Herrschaft des be-
treffenden Muskels über den Bulbus mehr weniger vollständig aufge-
hoben. (Näheres hierüber bei der Lehre vom Schielen.)
Der hintere Theil, vom Opticus bis zu den Insertionsstellen der
M. recti, wurde als Bomiefsche Kapsel, der vor jenen Insertionsstellen
gelegene hingegen als Tenon'sche Membran beschrieben.
B. Krankheiten der Sclera.
I. Entzündung der Scle?*a
kommt entweder selbstständig und isolirt, oder gleichzeitig mit Keratitis,
Iritis oder Chorioiditis vor; in letzterem Falle erscheint sie meistens als
consecutives Leiden.
1. Die selbstständige ScleiHtis tritt — nach meinen Beobachtungen
— nur partiell auf, und zwar im vordem Umfange, in der Gegend, wo
die vordem Ciliararterien die Sclera durchbohren.
Symptome und Verlauf. Auf der Sclera, ein bis zwei Linien
vom Bande der Hornhaut entfernt, entsteht ein licht-, dann dunkel-
rosenrother Fleck, in welchen sich stark eingespritzte Ciliargefässe auf-
lösen. Dieser Fleck wird alsbald zu einer leichten Erhabenheit, welche
die Form und Grösse einer halben Linse, selbst einer halben Zucker-
erbse (nur etwas flacher) erreicht. Man könnte meinen, es sei eine
Conjunctivitis pustularis im Anzüge; man überzeugt sich jedoch bald,
dass das Infiltrat nicht in, sondern tief unter der Bindehaut sitzt, ja es
gewinnt sehr bald das Aussehen, als wäre die geröthete Sclera selbst
an dieser Stelle emporgedrängt, so allmälig ist der Übergang von der
gesunden zur erkrankten Partie. Das Infiltrat erscheint als eine derbe
gleichmässige Aufwulstung ; in manchen Fällen jedoch sieht man an der
Entzündung. 5
ergriffenen Stelle ein Aggregat von gelblichen Körnern, welche durch
geschwelltes Bindegewebe und zahlreiche Blutgefässe zu Einem Hügel
vereint sind. Nachdem ein solcher Hügel einige Wochen bestanden
hat, wird er nach und nach flacher; die ergriffene Stelle wird zunächst
vom Rande her, dann durchaus dunkelviolett, schiefergrau, bleifarben,
endlich (nach Monaten) normal. Das Exsudat wird einfach resorbirt,
ohne jemals in Eiterung zu übergehen oder bleibend zu induriren. —
Der Process kann mit der Bildung eines einzigen Hügels abgethan
sein; es können aber auch 2 — 3 kurz nach einander entstehen; meistens
findet aber der Vorgang statt, dass während der Rückbildung an Einer
Stelle eine frische Ablagerung in der Nachbarschaft entsteht, und hie-
durch die Dauer der Krankheit auf ein halbes Jahr und darüber aus-
gedehnt wird.
Die Kranken, namentlich ältere Personen, werden in der Regel
nur durch ein lästiges Gefühl von Druck unter dem obern Lide (der
Process verläuft meistens in der obern Hälfte des Bulbus), durch dumpfen
Kopfschmerz, weniger durch Empfindlichkeit gegen Licht, scharfe Luft
und Anstrengung der Sehkraft belästigt. Über Störung des Gesichtes
klagen sie nur dann, wenn die Infiltration des Exsudates bis in die
Hornhaut hereinreicht, und die Umgebung (bis vor die Pupille hin) auf-
gelockert und mehr weniger getrübt wird. Bei Einwirkung der ge-
nannten Reize tritt leicht vermehrte Thränenabsonderung ein, und
die Bindehaut liefert bisweilen ein Secret, wie bei Katarrh, ohne in-
dess mehr als die Zeichen von Hyperämie darzubieten.
So hartnäckig und lästig dieses Übel auch ist, so bringt es doch
— nach meinen Beobachtungen — weder der Function noch der Form
des Auges bleibenden Nachtheil. Niemals sah ich, auch nach Jahre
lang fortgesetzter Beobachtung solcher Individuen, weder eine Formver-
änderung (Hervortreibung) der Sclera, noch bleibende Störung der Seh-
kraft nachfolgen.
Diese Krankheit ist meines Wissens zuerst yon Dr. Sichel *) naturgetreu beschrieben
worden , und zwar als „partielle Entzündung der Chorioidea und des subconjunctivalen
Zellgewebes." Auch Prof. J. N. Fischer führt sie in seinem 1846 erschienenen Lehrbuche
S. 57 und 1S3 als Chorioiditis an. Ich habe mich bereits in einem Eeferate über Sichel' s
Aufsatz **) für die Ansicht ausgesprochen, dass das Substrat dieses Processes die Sclera
(ihre äussern, minder dichten Faserlagen) sei, und bin durch spätere Beobachtungen hierin
nur bestärkt worden. Zum Schlüsse dieses Artikels werden einige Beobachtungen mög-
lichst getreu beschrieben werden, wornach dann der Leser selbst sich sein Urtheil bilden
mag ; vorläufig will ich zur Begründung meiner Behauptung nur folgende Punkte hervorheben.
*) Bulletin ge'ner. de Therapeut. 1S4T.
**) Prager Vierteljahrschr. 17. Bd., Anal. S. 88.
6 Lederhaut.
Nimmt man an, die Chorioidea, der Ciliarkörper sei der eigentliche Herd der
Krankheit, so kann man das Entstehen der oft beträchtlichen Erhöhungen (bis zu 1 '/&'")
doch nur von gleichzeitiger Infiltration entweder der Tunica vaginalis bulbi oder der Sclera
selbst erklären. Denn es lässt sich nicht denken, dass ein Infiltrat der Aderhaut allein
die Sclera an einer umschriebenen Stelle so beträchtlich hervortreiben könne, ohne auch
nach innen einen Druck auszuüben , welcher sich offenbar durch Störung des Gesichtes,
mindestens durch Veränderungen in der Iris kund geben müsste. Bei der Schilderung
der Krankheiten der Chorioidea wird sich herausstellen, dass eine nur einigermassen er-
hebliche Exsudation in diesem Gebilde jederzeit manifeste Veränderungen in der Function,
selbst in den physikalischen Eigenschaften der Iris bedingt, und dass namentlich jenen
Stellen, wo die Chorioidea mit der Sclera verwachsen und diese sofort hügelartig vor-
getrieben ist, Atrophirung des Irisgewebes entspricht. — Positiv beweisend, dass diese
hügeligen Anschwellungen nicht durch Auswärtsdrängung der Sclera, und eben so wenig
durch Infiltration des „subconjunctivalen Zellgewebes" allein bedingt sein können, sind
jene Fälle dieser Krankheit, wo das Centrum der infiltrirten Stelle etwas weiter vorn
liegt, und ihre Peripherie noch in die durchsichtige Hornhaut hereinreicht. Hält man
sich in solchen Fällen die relative Lage der Cornea, Sclera und Iris zum Corpus ciliare
genau gegenwärtig, und sieht man sofort von der Seite her zwischen der infiltrirten
Cornealpartie und der Iris gegen das Ligamentum ciliare hin in die vordere Augenkam-
mer hinein, so erkennt man leicht, dass der Ciliarkörper es nicht sein kann, von dem
die krankhaften Erscheinungen ausgehen, und eben so wenig die Tunica vaginalis bulbi,
weil beide nicht so weit nach vorn reichen. — Wenn man überdiess sieht, dass mitunter
ein solcher Hügel deutlich aus einzelnen kleineren Erhöhungen (Körnern) zusammenge-
setzt ist, so gibt man die Ansicht, die Sclera sei hier von einem unter ihr befindlichen
Exsudate nach aussen gedrängt, gewiss ohne Weiteres auf. — Die missfarbigen Stellen,
welche nach Resorption des Infiltrates zurückbleiben, zeigen deutlich, dass der Sitz des-
selben nicht in der Tunica vaginalis allein gesucht werden kann. Man sieht nämlich die
Verfärbung deutlich unter den Ciliargefässen, während jene Hülle mit der in dieser Gegend
schon innig mit ihr zusammenhängenden Bindehaut über denselben liegt.
Es gibt Arzte, welche der Sclera überhaupt die Fähigkeit absprechen, in jenen
Zustand,, den wir Entzündung nennen, zu übergehen, einmal wegen ihrer Armuth an
Gefässen und Nerven, und dann, weil sie nicht im Stande waren, durch absichtliche
Verletzungen bei Thieren Scleritis hei-vorzurufen. Auf den ersten Grund gestützt, hätte
man vor nicht gar langer Zeit auch der Cornea die Fähigkeit, sich zu entzünden, ab-
sprechen können, denn es waren weder Gefässe noch Nerven in dieser Membran ana-
tomisch erwiesen. Der Umstand, dass ein Organ auf mechanisch-chemische Verletzungen
nicht mit entzündlichen Erscheinungen antwortet, berechtigt uns — meines Erachtens —
noch nicht, ihm die Entzündungsfähigkeit überhaupt abzusprechen. Mit der Eigentüm-
lichkeit des Baues und der Ernährung eines Organes im normalen Zustande sind auch
schon Eigenthümlichkeiten jener abnormen Zustände gegeben, welche wir, nach allgemei-
nen Principien, als Entzündung bezeichnen müssen. In dem gleichzeitigen "Vorkommen
der genannten Exsudate im Bereiche der Sclera mit Exsudaten in der Cornea erkennen
■wir — nach unserer Anschauungsweise — die histologische Verwandtschaft dieser im
Fötus noch nicht differenzirten Membranen selbst, und es kann eben nur in der vorge-
fassten Meinung, dass die Sclera sich überhaupt nicht entzünden könne, der Grund ge-
sucht werden , dass man Erscheinungen , die man in der Sclera bemerkt , auf andere
Gebilde bezogen hat. — Will man aber den Ausdruck Scleritis für die in Rede stehende
Entzündung. 7
Krankheit desshalb nicht gelten lassen , weil das Exsudat in der Sclera noch nicht mit
dem Messer, mit dem Mikroskope nachgewiesen ist, so streiche man vorläufig auch den
Namen Chorioiditis oder Kyklitis für diese Form, denn auch in dem Corpus ciliare hat
man — für diese Fälle — das supponirte Exsudat noch nicht nachgewiesen.
Vorkommen, Ursachen. Diese Form von Scleritis kommt selten
vor. Ich habe nur 16 Fälle davon beobachtet, 9 bei Männern, 7 bei
Weibern. Zwei Männer und eine Frau waren circa 70, zwei Männer
über 50, ein Mann und eine Frau über 40, die übrigen (2 männlich,
5 weiblich) zwischen 20 und 30, ein Knabe 12 und einer 9 Jahre alt.
Keines dieser Individuen konnte, abgesehen von dem Augenleiden, für
gesund erklärt werden. Bei den altern waren deutliche Symptome trä-
ger Circulation in den Unterleibsorganen, bei den Jüngern (bis auf
einen Mann, welcher eben eine Iritis syphilitica überstanden hatte),
waren Zeichen von Scrofulosis noch vorhanden oder früher da gewesen.
— Das Augenleiden entstand ohne äussere Veranlassung, bei 1 Indivi-
duum angeblich nach Verkühlung-, bei 1 nach längerem Weinen. Frische
Eruptionen erfolgten, auch nachdem die Kranken unter günstige Ver-
hältnisse und unter den Einfluss von Medicamenten, welche eben an-
gezeigt erschienen, gesetzt waren. Nur in zwei Fällen wurden beide
Augen ergriffen, und in zweien kehrte das Übel nach jahrelanger
Pause auf demselben Auge wieder.
Behandlung. Diese muss (nach der mir zu Gebote stehenden
Erfahrung) mehr eine allgemeine, diätetische und pharmaceutische sein,
entsprechend dem Zustande des Gesammtorganismus. Örtliche Mittel
sind theils unnöthig (Blutentziehungen), theils schädlich (Collyrien, kalte
Umschläge). Kur Einreibungen von Mercurial- oder Jodkalisalben an
die Stirn und Schläfe, und in einem späteren Stadium, wenn die Ge-
lasse dunkler und mehr ausgedehnt erscheinen, Einträuflungen von
Tinctura opii crocata, können beschleunigend auf den Eesorptionsprocess
einwirken. Die Art und Weise, wie ich solche Fälle behandelt habe,
dürfte aus den nachfolgenden Krankengeschichten besser, als aus all-
gemeinen Angaben ersichtlich werden.
Ein rüstig gebauter Schänkwirth von 50 Jahren kam im December 1845 zu mir
mit dieser Form am rechten Auge. Man sah von der Cornea nach innen und oben einen
dunkelbläulich-rothen Hügel auf der vordem Partie der Sclera, 2 — 3"' im Durchmesser,
V" hoch, das Centrum Vi — 2'" vom Rande der Cornea entfernt. Der Hügel sah wie
eine flache Pustel, jedoch ohne Spur von Eiter aus, war von zahlreichen erweiterten
Gefässen durchzogen und umgeben , und von einem violettrothen Hofe der Sclera ein-
gesäumt, in welchen er sieh allmälig verflachte. Dabei keine Lichtscheu, keine Störung
des Sehens, nur Druck im Auge, und zu Zeiten Kopfschmerz in der rechten Schläfe-
und Stirngegend. Iris und Cornea in jeder Beziehung normal. Träge Stuhlentleerung,
öfters Ejreuzschmerzen. zuweilen Abgang von Blut mit dem Stuhle. — Leicht verdauliche
8 Lederhaut.
Kost, Beschränkung im Genüsse von Kaffee und Bier, Cremor tartari mit Rheuni und etwas
Schwefelblumen. Ende Februar kam der Kranke wieder. An der Stelle des Hügels sah
man einen schiefergrauen Fleck in der Sclera; daneben nach innen ein neuer Hügel,
Cornea und Iris frei; das Auge leicht thronend, drückender Kopfschmerz; die Sehkraft
nicht geschwächt. Acht Blutegel an die Schläfe, dann Einreibungen mit Ung. cinereum
mit Opium an die Stirn lind Schläfe; innerlich Bitterwasser, täglich zweimal 1/z Seidel.
Anfang Mai erschien der Kranke zum dritten Male. An der Stelle der ersten und zweiten
Infiltration livide Färbung der Sclera; daneben (unter dem obern Lide) ein neuer, jedoch
minder erhobener und breiter Hügel, welcher etwas näher an der Cornea sitzt, und mit
seiner Peripherie noch in diese hereinreicht. Der Kranke sieht wie durch einen leichten
Rauch. Nach fünfwöchentlichem Gebrauche des Marienbader Kreuzbrunnens erfolgte keine
frische Exsudation mehr, und das Auge war im August d. J. bereits zum normalen Zu-
stande zurückgekehrt.
„W. W.,*) eine 40jährige Frau von zarter und reizbarer Körperconstitution, krän-
kelt seit Jahren an einer Plethora abdominalis, welche sich durch Vollsein des Unterlei-
bes, Wechsel des Appetites und der Verdauung, leichte Hämorrhoidalbeschwerden , harte
Stuhlentleerung über den zweiten, dritten Tag mit abwechselnder, erleichternder Diarrhöe
etc. kund gibt. Die Leber ist etwas vergrössert; die Menstruation war und ist stets
regelmässig. Seit mehreren Monaten leidet sie am linken Auge. Nach der Erzählung
ihres Arztes fing die Krankheit mit einer partiellen venösen Gefässinjection im äussern
Winkel an, diese Scleralstelle war bläulich von Farbe, etwas hügelig, mit mehreren Schichten
varicöser Blutgefässe sowohl in der Sclera als Conjunctiva bedeckt. Patientin klagte
dabei über Eingenommenheit des Kopfes, über einen leichten drückenden Schmerz in
der linken Schläfegegend, und über ein lästiges Vollsein dieses Auges, als wäre es etwas
grösser. Dasselbe war wohl nicht lichtscheu, aber doch gegen grelleres Sonnenlicht
mehr empfindlich, als das gesunde rechte Auge. Iris und Pupille waren normal, das
Sehvermögen nicht gestört. Blutegel wurden mit Erleichterung der Schmerzen gesetzt,
das Ung. hydr. ein. eingerieben und auflösende Salze, Tart. tartaris. etc. gebraucht. Nach
einiger Zeit minderte sich das Übel bedeutend, aber nach einer starken Verkältung durch
Zugluft trat es stärker und hartnäckiger als zuvor auf. Dasselbe Krankheitsbild zeigte
sich nun mehr nach aufwärts, und verliess die vorige Stelle ganz sammt der hügeligen
Erhabenheit, mit Hinterlassung einer bläulichen Färbung in der Sclera. Dieselben Heil-
mittel wurden angewendet; die Eingenommenheit des Kopfes, der Stirnschmerz wichen,
aber das örtliche Übel des Auges verliess nur seinen Platz, um weiter hin, gegen den
innern Winkel von Neuem auszubrechen: auf diese Art umkreiste es die ganze Scleral-
fläche, und nahm auch einigemal die alten Stellen wieder ein. Es mochten 6 — 7 bald
grössere bald kleinere Hügel entstanden sein; wenn sich ein neuer erhob, verschwand
der vorhergehende allmälig. Man hatte die Aqua Conradi versucht ; sie wurde nicht
vertragen ; auf Einträuflungen von Tinct. opii vin. war es offenbar schlimmer geworden.
Von der Patientin um unsere Meinung gefragt, fanden wir die Sclera schon wieder ganz
eben, aber von bläulicher Farbe, die Bindehaut noch mit einzelnen, stark varicösen Ge-
lassen durchzogen, sonst keine Abweichung vom normalen Zustande. Wir riethen ihr die
Mineralcur von Marienbad an , Heiterkeit des Geistes und sehr fleissige Bewegung in
freier Luft. Verhindert durch häusliche Verhältnisse trank sie zu Hause durch mehrere
Monate die Egerer Salzquelle, und ihr Auge verlor jede Spur der frühern Krankheit.
*) Dieser Fall ist in Prof. Fischers Lehrbuche S. 183 beschrieben, und hier desshalb aufgenommen, weil
ich diese Kranke, im Jahre 1844, mit demselben Übel wieder behaftet, beobachtete.
Entzündung. 9
Ein Jahr später zwang sie ihr Leberleiden, sich der Cur in Karlsbad zu unterziehen." —
So weit Prof. Fischer, dessen Erzählung sich auf die Jahre 1841 und 1842 bezieht. Mitte
November 1S44 erkrankte sie abermals auf dem linken Auge, ohngefähr auf dieselbe
Weise. Ich fand intensive Röthe und Anschwellung der Sclera unter dem obern Lide,
etwa 2'" breit und 3'" lang, mit ziemlich scharf begrenzten Rändern. Die Röthe und
Schwellung wanderte von hier allmälig gegen den innern "Winkel herunter. Diessmal
war das Sehvermögen getrübt, und zwar dadurch, dass von der afficirten Stelle der Sclera
her auch die Cornea leicht getrübt und gelockert war. Thränenfluss und Lichtscheu
waren massig, die Pupille war vollkommen rund und schwarz, die Iris in jeder Bezie-
hung normal. Ich liess die Kranke Karlsbader Schlossbrunnen trinken, und später Jod-
kalisalbe an die Stirn und Schläfe aufstreichen. Nach ungefähr 8 Wochen waren alle
Zufälle bis auf Missfarbigkeit der Sclera verschwunden. Den folgenden Sommer gebrauchte
die Kranke die Kur von Franzensbad (Salzquelle). Sie ist bis heutigen Tages an ihren
Augen vollkommen gesund.
In dem folgenden Falle trat das in Rede stehende Leiden während des Verlaufes
einer Keratitis scrofulosa auf. P. J., 29 Jahre alt, Dienstmagd, von massig starkem Körper-
bau, schlecht genährt, am Halse mehrere Narben von vereiterten Lymphdrüsen darbietend,
wurde Ende October iS49 auf die Klinik aufgenommen , und zwar mit den (bekannten)
Svmptomen einer Keratitis scrofulosa, welche auf dem rechten , erst seit 4 Wochen er-
krankten Auge in voller Blüthe stand, auf dem linken, nach viermonatlicher Dauer, nur
noch einzelne Exsudatflecke in der Cornea und Erweiterung der vordem Ciliargefässe
zeigte. Während der Behandlung dieses Leidens entwickelte sich Ende November auf
dem rechten Auge eine umschriebene Entzündung der Sclera. Wir fanden am 26. No-
vember folgenden Zustand : Das linke Auge frei von Entzündung. Am rechten die Cornea
durchaus leicht getrübt, ungleichmässig, stellenweise gelblichgrau, von Gefässen durch-
zogen, und zwar innerhalb des obern und des untern Limbus conjunctivae am stärksten;
die Gefässe liegen theils oberflächlich in der Cornea, theils tief, namentlich in der untern
Partie der Cornea. Die Injection der Ciliargefässe ist massig. Nach unten und aussen
von der Cornea erscheint eine zuckererbsengrosse Stelle der Sclera dunkelroth, ein
wenig erhaben, die Bindehaut deutlich durch ein unter ihr gelegenes Infiltrat empor-
gehoben. Lichtscheu und Thränenfluss heftig; flüchtig stechende Schmerzen im Auge.
— Die Erhöhung wurde sehr bald flacher, minder gefässreich, ringsherum missfarbig;
am 4. December war die betreffende Stelle bloss durch schiefergraue Färbung zu er-
kennen. Am 18. December erfolgte eine neue Eruption etwas unterhalb der frühern,
etwa l'V weit vom Hornhautrande entfernt. Die Trübung der Cornea hatte indess
so weit abgenommen, dass man die Iris und Pupille mit Bestimmtheit als normal bezeich-
nen konnte. Anfang Februar wurde die zuerst ergriffene Stelle der Sclera , welche nun
nahezu ihre normale Färbung erlangt hatte, neuerdings roth und erhaben. Das Fort-
schreiten der Aufhellung der Cornea wurde dabei nicht beeinträchtigt, und das Sehver-
mögen dem entsprechend besser, bis die Kranke endlich am 12- April als geheilt (bis
auf einige trübe Fleckchen der rechten Hornhaut und eine etwa haselnussgrosse bleigraue
Stelle der Sclera) entlassen werden konnte. — Die Behandlung bestand nebst Regulirung
der Diät (leichte Fleischkost in massiger Menge) anfangs in Verabreichung eines Decoct.
gTaminis mit Kali tartar. und Tinct. rhei aquosa, später von Pillen aus Baryta muriat.,
Sapo medic, Extr. aloes und Extr. millefolii, wobei die Kranke auch allmälig ein besseres
Aussehen gewann, und die früher sehr unregelmässige Menstruation in Ordnung kam.
Örtlich wurden anfangs Einreibungen von Ung. cinereum mit Belladonna, später von Jod-
1 0 Lederhaut.
kali au die Stirn und Schläfe, zuletzt Einträufiungen von Laud. liq. Syd. auf das Auge
angewendet.
Str. A. , 9 Jahre alt, schon in den ersten Jahren seines Daseins von mancherlei
scrofulösen Affectionen, namentlich von Infiltration der L)'mphdrüsen am Halse und von
Augenentzündungen heimgesucht, und unter sehr dürftigen Verhältnissen lebend, erkrankte
im Frühlinge 1S47 abermals an Entzündung beider Augen, welche so hartnäckig — mit
einzelnen Remissionen — fortbestand, dass derselbe Ende November endlich nach Prag
gebracht wurde. Zur Zeit der Aufnahme auf die Klinik charakterisirte sich das Augen-
leiden theils durch oberflächliche Hornhautnarben (Folgen von Bläschen- oder Pustel-
und Geschwürsbildung auf der Cornea), theils durch frische umschriebene Exsudate in
Form von mohn- bis hirsekorngrossen Hügelchen auf der Cornea, und durch ober-
flächlich (aus der Conjunctiva bulbi über die Cornea) verlaufende einzelne Gefässchen,
bei massiger Lichtscheu und normaler Beschaffenheit der übrigen Gebilde. Da der Knabe
sehr herabgekommen aussah, reichten wir ihm Fleischkost, und nach Yorausschickung
eines Infusum sennae täglich 2mal 1 Löffel Oleum jecoris aselli ; an die Stirn und Schläfe
wurde eine Salbe aus 12 Gran weissem Präcipitat und 1 Scrupel Extr. beilad. mit zwei
Drachmen Fett 5 — 6mal täglich aufgestrichen, später verdünntes Laudanum Sydenh.
auf die Bulbi eingeträufelt. Das Auftreten heftigerer Lichtscheu bestimmte uns, vom 7.
December an, Pulver aus Extr. conii maculati mit Magnes. carbon. und etwas Aethiops
antim. zu verwenden. Unter dieser Behandlung besserte sich das Augenleiden so, dass
am 20. December die Lichtscheu verschwunden, und die Exsudate auf der Cornea um
mehr als die Hälfte resorbirt waren. In den nächsten Tagen erfolgte jedoch frische
Exsudation , und zwar im Bereiche der Sclera. Wir bemerkten den 25. December an
dem linken Auge, nach aussen von der Cornea, die Sclera intensiv geröthet und etwas
geschwellt (in einer Ausdehnung von etwa 3 Quadratlinien). Dass das Infiltrat nicht in
der Bindehaut sitze, liess sich daran erkennen, dass diese Membran, von einzelnen hell-
rothen Äderchen durchzogen, und leicht serös infiltrirt, sich deutlich darüber verschieben
liess. Die bläuliche Färbung, der tiefe Sitz der geschwellten und gerötheten Partie, und
das Verhalten der vordem Ciliararterien zu denselben bestimmten uns, den Sitz des In-
filtrates noch unter der Tenon'schen Kapsel anzunehmen. An dem rechten Auge fanden
wir zwischen der Hornhaut und dem äusseren Augenwinkel drei solche, jedoch kleinere
Stellen. Am 28. December war die ergriffene Partie des linken Auges bloss an violett-
rother Färbung (ohne Schwellung) zu erkennen, der Zustand des rechten Auges unver-
ändert. Mitte Jäner 1848 erweichte eines der Exsudate auf der rechten Hornhaut; es
entstand ein Geschwürchen, welches zu Durchbohrung der Cornea und zu Anlagerung
der blossgelegten Irispartie an letztere führte. Mitte Februar wurde der Knabe von
Masern befallen, welche auf den Zustand der Augen keinen merklichen Einfluss nahmen.
In der Zeit bis Anfang Mai traten wiederholt Eruptionen an der Conjunctiva bulbi (theils
am Limbus conjunctivae, theils im Bereiche der Cornea) auf, welche wir lediglich als
Conjunctivitis scrofulosa bezeichnen mussten. Anfang März bildete sich an dem obern,
Anfang Mai an dem untern Lide des rechten Auges ein Gerstenkorn; an verschiedenen
Stellen des vordem Umfanges der Sclera zeigte sich zu wiederholten Malen intensive
Pvöthung mit mehr weniger deutlicher Schwellung und Hinterlassung missfarbiger Flecke.
Gegen Anfang Mai entstand, nachdem der Knabe durch mehrere Tage gefiebert hatte,
frische und sehr ausgedehnte Infiltration der Sclera oberhalb der Hornhaut (an beiden
Augen), und ruckte allmälig bis ins Bereich der Hornhaut herein, so dass man hier die
Grenze zwischen Cornea und Sclera nicht mehr bestimmen konnte. Das Infiltrat erwies
Entzündung. 1 1
sich als ein Conglomerat von lichten gelblichen Körnern und zahlreichen Blutgefässen ;
auf der Sclera Mar es von einem violetten, auf der Cornea von einem lichtgrauen Hofe
eingesäumt. Wir Hessen nun den Knaben Adelheidsquelle, später Haller Wasser trinken.
Zu Anfang Juni, wo derselbe von Blattern ergriffen wurde, war auf beiden Augen die
Sclera wieder normal , bis auf livide Färbung an den zuletzt ergriffenen Partien. Bald
nach seiner Genesung von den Blattern musste er wegen Periostitis an der rechten Hand-
wurzel auf die chirurgische Abtheilung transferirt werden. Von diesem Übel befreit,
und am 30. Juli wieder auf die Augenabtheilung aufgenommen, blieb der Knabe nun
von frischen Anfällen verschont, und wurde am 28. August in seine Heimat entlassen,
mit der Weisung, bei Wiederkehr der Augenentzündung zurückzukommen. Diess geschah
Ende April 1 $49, nachdem das Übel im März mit erneuerter Heftigkeit als Keratoscleritis
aufgetreten war. Nach 4wöchentlicher Behandlung ging der Knabe abermals in ge-
bessertem Zustande (das Sehvermögen war nur durch die Hornhautflecke beeinträchtigt)
nach Hause, erlag jedoch, zwölf Wochen später, einem acut aufgetretenen Brustleiden,
welches Verwandte von ihm, die mir die Kunde davon überbrachten, als Auszehrung
bezeichneten.
2. Viel häufiger finden wir an der Sclera Erscheinungen, welche
füglieh nur auf Entzündung dieser Membran bezogen werden können,
vereint mit Entzündung der Chorioidea, Iris oder Cornea, und zwar in
dem Verhältnisse, dass die Scleritis als einfach neben Iritis oder Kera-
titis bestehend, oder aber als Folge von Keratitis, Iritis oder Chorioiditis
betrachtet werden muss. In manchen dieser Fälle beschränken sich die
entzündlichen Erscheinungen in der Sclera auf eine kleine und um-
schriebene Stelle dieser Membran, in der Mehrzahl aber leidet die vor-
dere Partie derselben rings oder doch um einen grossen Theil des Um-
fanges der Hornhaut herum.
Es ist durch verlässliche Beobachtungen sicher gestellt, dass bei
Chorioiditis mit eitrigem Exsudate bisweilen nicht die Cornea es ist,
welche vom Eiter durchbrochen wird, sondern die Sclera. Man kann
sich diesen Vorgang ohne Erweichung und Infiltration des Gewebes der
Sclera selbst nicht wohl denken. — Wir werden ferner in dem Ab-
schnitte über die Krankheiten der Chorioidea finden, dass bei Chorioi-
ditis mit faserstoffig-plastisckem Exsudate einzelne Stellen der Sclera
aufs Innigste mit der Chorioidea und Retina verwachsen, und sofort in
Form bläulichschwarzer Hügel hervorgetrieben werden können. Auch
dieser Befund lässt mit grösster Wahrscheinlichkeit auf Theilnahme der
Sclera an dem Entzündungsprocesse schliessen.
Bei gewissen Formen von Iritis und Keratitis wird der vorderste
Theil der Sclera (auf 2 — 3'" Breite) ringsum (oder doch in einem gros-
sen Theile des Unifanges) nicht nur intensiv geröthet, sondern auch
merklich geschwellt, dann violett und livid, endlich so ausgedehnt, dass
entweder die Basis der' Cornea weiter vorwärts rückt, und der Bulbus
1 2 Lederhaut.
von vorn nach hinten länger (birnförmig) wird, oder dass an der be-
troffenen Partie stationäre schwarzblaue Hügel oder Wülste entstehen.
Dieser Zustand des vordem Umfanges der Sclera kommt am häufigsten
mit Symptomen von langwieriger Iritis vor, deren Grundursache in
scrofulösem (tuberculösem) Allgemeinleiden gesucht werden muss. In
sehr vielen Fällen leidet auch die Cornea, und zwar in jener Form,
welche wir als Keratitis scrofulosa kennen gelernt haben. Dann ent-
wickelt sich häufig die sogenannte Sclerosirung der Cornea, indem
diese Membran in mehr weniger grosser Ausdehnung vom Rande her
mit Exsudat durchsetzt wird, und nach Organisirung desselben ein der
Sclera ähnliches Aussehen erhält, so dass die Grenze zwischen Cornea
und Sclera sich mehr weniger verwischt. — Die genannten Verände-
rungen des vordersten Theiles der Sclera nimmt man auch bisweilen
bei Hornhautstaphylomen wahr (vergl. S. 241). Nachdem intensive
Röthe, Lockerung und Schwellung dieser Partie lange Zeit bestanden
haben, rückt die Basis der Cornea weiter vorwärts, oder es entwickeln
sich unmittelbar hinter derselben bläuliche Hügel oder Wülste — ein
Zustand, den man als Staphyloma annulare, Staphyloma corporis ciliaris
beschrieben findet. In andern Fällen findet man, nachdem intensive
Röthe und Schwellung der Sclera rings um die Cornea lange bestanden
hat, nicht Ausdehnung, sondern Einschrumpfung der betroffenen Partie
der Sclera. Diese Einschrumpfung gibt sich durch eine in der Gegend
des Canalis Schlemmii verlaufende Rinne und schiefergraue Färbung
der Sclera kund. Dabei können die Iris und die Cornea die Spuren
vorausgegangener Entzündung zeigen, aber auch (eine oder die andere)
ganz normal erscheinen. Seltener noch, als dieser Ausgang, ist der in
bleibende Verdickung der Sclera und der darübergelegenen Tunica va-
ginalis und Conjunctiva. Letztere beiden erscheinen dann über der
porzellainartig aussehenden Sclera gleichsam ödematös, einen flachen
Wall um die Cornea bildend.
Man kann hier fragen, ob diese Erscheinungen durch Hyperämie, Lockerung-,
Schwellung und Infiltration der Sclera selbst bedingt, oder ob sie, wie von Amnion, Ta-
vignot und m. A. angenommen haben, als Folgen von Entzündung des unter diesem Theile
der Sclera gelegenen Corpus ciliare zu betrachten seien. — Ich theilte früher die Meinung,
dass die bläulichen Hügel und Wülste, welche man namentlich bei Hornhautstaphylomen
und nach chronischer Iritis unmittelbar hinter der Basis corneae findet, durch Entzündung
und Verwachsung des Corpus ciliare und der darüber liegenden Sclera eingeleitet werden.
Durch die anatomische Untersuchung eines besonders eclatanten Falles dieser Art bin
ich jedoch überzeugt worden , dass solche Wülste noch vor dem Corpus ciliare liegen
können, und dann bloss durch Verdünnung und Ausdehnung jenes schmalen Saumes der
Sclera bedingt sind , welcher diessseits des Corpus ciliare liegt. (Siehe die den Krank-
heiten der Kinde- und Hornhaut beigegebene Tafel, Fig. 7, S und 9.) An diesem Bulbus
Entzündung. 13
ist von der Hornhaut nur noch der äusserste Rand vorhanden , alles Übrige durch ein
kugelförmig gewölbtes und mit der Iris verwachsenes Narbengewebe ersetzt; umgeben ist
die Cornea von einem dunkelblauen, darmähnlichen Wulste, welcher oberhalb der Cornea
gegen 3'", unterhalb etwa 1 lf%ul- breit und ohngefähr in derselben Proportion auch nach
aussen vorgewölbt ist. Hinter diesem Wulste ist die Sclera nirgends partiell hervorge-
trieben, noch bedeutend verfärbt, wohl aber durchaus verdünnt tind ausgedehnt, so dass
der Bulbus vom vordem zum hintern Pole fast l'/a, im Äquator gegen l'A Zoll im
Durchmesser misst. Ein Durchschnitt, vou vorn nach hinten geführt, zeigte, dass die
Vergrösserung im hintern Umfange durch Verflüssigung und Vermehrung der Glasfeuchtig-
keit und consecutive Ausdehnung der ihn umgebenden 3 Membranen (Retina, Chorioidea
und Sclera) verursacht war. Das Corpus ciliare war gleichfalls dünner und ausgedehnt,
aber nirgends mit der Sclera verwachsen, und die genannte partielle Ausdehnung (der
bläuliche Wulst rings um die Cornea) liegt, wie man noch jetzt an dem Präparate deut-
lich seilen kann, vor dem Ligamentum ciliare. Die mit der Pseudocornea verwachsene
Iris war demnach vom Ligamentum ciliare losgezerrt, und stand mit demselben nur durch
einzelne Fäden (Gefässe?) in Verbindung. Die Zonula Zinnii war (durch Zerrung) zer-
rissen, und die in der Kapsel eingeschlossene Linse war geschrumpft, und schwamm in
der ungeheuer erweiterten (hintern) Augenkammer. — Nach diesem Befunde wird man
versucht, die bläulichen Hügel, welche man bei obgenannteu Zuständen des Auges un-
mittelbar hinter der Cornea findet, als einfache Ektasien der Sclera, ohne Verwachsung
dieser Membran mit dem Corpus ciliare zu betrachten, und ihren Sitz noch vor dieses
Gebilde zu versetzen. Und in der That erhält diese Ansicht eine feste Stütze in dem
Verhalten der vordem Ciliararterien zu diesen Wülsten. Wo man diese Gefässe erst jen-
seits (hinter) solcher Wülste sich in die Sclera einsenken sieht, da hat man guten Grund
anzunehmen, dass auch das Corpus ciliare hinter denselben liegt.
Hält man sich gegenwärtig, dass die vordem Ciliararterien (und die ihnen ent-
sprechenden Venen) in und unter der Tunica vaginalis^bulbi zum vordersten Theile der
Sclera verlaufen, mit ihren Hauptzweigen 1 — 1 1h'" hinter dem Hornhautrande durch die
Sclera eindringen, um durch das Ligamentum ciliare zur Iris zu gelangen, mit zahlrei-
chen Astchen aber nicht nur die Tunica vaginalis bulbi und die mit dieser innig zu-
sammenhängende vorderste Partie der Bindehaut, sondern auch die Cornea und die Sclera
selbst versorgen, und dass diese Gefässe mit den hintern langen und kurzen Ciliararterien
(und Venen) innerhalb der Sclera durch zahlreiche Verbindungen zusammenhängen : so
hegreift man leicht, wie bei Hyperämie oder Entzündung der Chorioidea, der Iris oder
der Cornea auf dem vordersten, ja auf dem ganzen sichtbaren Theile der Sclera reich-
liche Gefässinjection, selbst gleichmässige Röthe sichtbar werden kann, ohne dass dess-
halb schon Entzündung der Sclera selbst vorhanden sein rnuss. Wir sind demnach weit
entfernt, aus intensiver und weit verbreiteter Röthe (der Sclera) allein schon Scleritis zu
diagnosticiren, und noch weniger stimmen wir jenen bei, welche die Sclera vorzugsweise
zum Herde der sogenannten rheumatischen Ophthalmien machten. Das Irrige dieser
Anschauungsweise ist in den letztverflossenen zehn Jahren hinreichend erwiesen worden.
Wir können aber auch jenen nicht beitreten, welche der Sclera die Fähigkeit, sich zu
entzünden, a priori absprechen, und der schlecht begründeten altern Ansicht von der
Scleritis die nicht viel besser bestellte von der Kyklitis substituiren.
Dr. von Arnmoris Angaben über die Entzündung des Orbiculus ciliaris (ligamentum
ciliare) *) waren nicht geeignet, die Ophthalmologen zu überzeugen, dass das Ligamentum
*) Rust's Magazin für die gea. Heilkunde, 1830, 30. Band, S. 240.
1 4 Leclerhaut.
ciliare es sei, von welchem die entzündlichen Erscheinungen ausgehen, die dieser Autor
beschrieb. Die jener Abhandlung beigegebene illuminirte Tafel gibt noch ein sehr un-
richtiges Bild von der Form und Lage des Ciliarbandes. Die zwei Jahre später veröffent-
lichten*) pathologisch anatomischen Untersuchungen zeigten wohl, dass im Ligamentum
ciliare Veränderungen vorkommen, wie wir sie in andern Organen nach Entzündung vor-
finden ; der Beweis aber, dass diesen Veränderungen gerade jene Erscheinungen vorangingen,,
welche eben als „Entzündung des Orbiculus ciliaris" oder als „Ophthalmodesmitis" be-
schrieben wurden, wird sowohl in diesem Aufsatze, als in den 1838 erschienenen „Klini-
schen Darstellungen der Krankheiten des menschlichen Auges" S. 23 Taf. VIII. vergeblich,
gesucht. Tavignot's Abhandlung über Kyklitis**) bewirkte wohl, dass seitdem am Kran-
kenbette sowohl als in den Schriften verschiedener Autoren sehr häufig die Rede von
Kyklitis ist; besser begründet aber wurde diese Lehre weder durch Tavignot noch durch,
seine Nachbeter. Es wurde überdiess, was Ammon bloss vom Orbiculus ciliaris behauptet
hatte, auf das ganze Corpus ciliare übertragen, obwohl Ammon nebst der Entzündung
des Orbiculus eil. ausdrücklich noch von Entzündung des Corpus ciliare spricht. — Da
dieses Organ der unmittelbaren Beobachtung entzogen ist, so müssen erst genaue und
vollständige Krankengeschichten — Symptome während des Lebens und Sectionsbefund
— beigebracht werden, bevor wir es unternehmen können, aus Erscheinungen an der
Sclera, Cornea und Iris auf Kyklitis als Grundursache zurückzuschliessen. Wir können
wohl annehmen, dass bei jeder heftigen Entzündung der Iris und Chorioidea (im engern
Sinne des "Wortes), wahrscheinlich auch der Cornea, das Corpus ciliare mit entzündet sei;
es ist auch möglich, dass die Entzündung eines oder des andern dieser Gebilde so zu
sagen vom Corpus ciliare ausgehe, aber nachgewiesen ist dieses Verhältniss noch nicht,
und eben so wenig kennen wir die Symptome, welche der Kyklitis an und für sich,
zukommen. Wenn wir dagegen in der zu Tage liegenden Sclera intensive und gleich-
massige Böthe, Lockerung und deutliche Schwellung, nachträglich schiefergraue Färbung
und häufig auch bleibende Structurveränderung — Erweichung und Ausdehnung — oder
consecutive Schrumpfung — auftreten sehen, so müssen wir annehmen, dass die Sclera
selbst an dem Entzündungsprocesse Theil nehme, dessen Herd möge nun die Cornea,
oder die Iris oder das Corpus ciliare sein.
L. A. , 22 Jahre alt, wurde am 23. October 1850 auf die Klinik aufgenommen.
Zustand des rechten Auges: Der Bulbus beiläufig 1'" länger in der Achse, als im nor-
malen Zustande ; die Basis der Cornea weiter vorwärts gerückt durch Ausdehnung des
vordem Theiles der Sclera; die Form des Bulbus daher konisch, birnähnlich. Die
Sclera unmittelbar hinter der Cornea auf 2 — VI-*.'" Breite schiefer- oder bleigrau; von
den zahlreich sichtbaren , jedoch massig erweiterten vordem Ciliargefässen dringen
die stärksten schon an der hintern Grenze jenes missfarbigen Ringes durch die Sclera
in die Tiefe; mehrere dieser Einmündungen machen sich als rostfarbige Punkte bemerk-
bar. Der Limbus conjunctivae corneae sehr ausgeprägt, breit und trüb; seine coneave
Grenze unregelmässig, indem hie und da Trübungen bis zur Grösse eines Hanfkornes
in das Bereich der durchsichtigen Hornhaut vorspringen. Dem unteren Theile des Pu-
pillarrandes gegenüber drei gesonderte rundliche, halbdurchsichtige, graue, hirsekorn-
grosse Flecken in der Cornea (an der Descemetschen Haut?), ausserdem die Cornea
rein und glänzend. Die vordere Augenkammer grösser als gewöhnlieh, indem die eine
*) Amnions Zeitschrift f. d. Ophthalmologie, 2. Bd., S. 215—221.
**) De la cyclite ou inflammation du cercle ciliaire in L'expe'rience, Journal de me'decine et de chirnrgie,
Mai 18-14, Nr. 359 u. 360.
Wunden — Berstungen. 15
ebene Scheibe vorstellende liehtbraime Iris so tief liegt, dass sie, durch die Sclera nach
aussen verlängert gedacht, diese ohngefähr 1 '/a'" hinter der concaven Grenze des Limbus
conjunctivae durchschneiden würde. Farbe und Structur der Iris lassen nichts Abnormes
wahrnehmen ; der Pupillarrand ist von braunpigmentirtem, nur mit einer Loupe erkenn-
barem Exsudate eingesäumt, welches die Iris auf Licht und Schatten nur wenig reagiren
lässt; die mittlere Grösse der nahezu runden Pupille beträgt llk'". Die Kranke kann
mit diesem Auge noch lesen. — Zustand des linken Auges : Der Bulbus etwas kleiner,
als im normalen Zustande , die Conjunctiva bulbi bildet rings um die Cornea einen ge-
gen 3'" breiten und zk'" hohen "Wulst, welcher allem Anscheine nach durch seröse
Infiltration bedingt ist, und die Charaktere eines chronischen Ödems darbietet. Diese
Wulstuug erscheint farblos , das Serum lässt sich zur Seite drücken , und nimmt seine
frühere Lage erst nach längerer Zeit wieder ein ; unter ihr verlaufen stark injicirte
jedoch nicht sehr zahlreiche Gefässe , welche sich in die Sclera einsenken ; an der
Bildung derselben ist auch der Limbus conjunctivae betheiligt. Von diesem aus ragen
einzelne getrübte Flecke in die durchsichtige Hornhaut hinein. Diese zeigt unterhalb
ihrer Mitte eine Narbe, nach einer in früher Jugend erhaltenen Schnittwunde. In diese
Narbe ist der Pupillarrand eingewachsen und hiedurch die Pupille gesperrt. Dieses Auge
zeigt trotzdem noch deutliche Lichtempfiudung. — Die Kranke verlor vor 3 Monaten
ihren Mann , dann auch den Vater und Bruder durch die Cholera , wesshalb sie viel
weinte. Sofort wurden ihre Augen roth und lichtscheu, thränten viel, und das Gesicht
(des rechten Auges) trübte sich allmälig unter anfangs heftigeren, später gelinderen
Schmerzen in den Augen, besonders aber nach der Bichtung des Nervus infraorbitalis.
Zur Zeit der Aufnahme waren alle diese Zufälle, auch die Böthe der Sclera (des
Weissen im Auge) bereits seit 14 Tagen geschwunden, nur die Trübung des Gesichtes
besonders für die Fernsicht hatte die Kranke bestimmt, bei uns Hilfe zu suchen. Die
Kranke versicherte wohl, stets gesund gewesen zu sein, sah aber sehr schlecht aus, und
bot beinahe hühneieigrosse Anschwellungen der Lymphdrüsen am Halse dar. "Wie und
wann dieselben entstanden seien, wusste sie nicht. Auf ihre Aussagen konnte man sich
überhaupt, bei ihrer geringen geistigen Entwicklung, wenig verlassen. Wir haben be-
reits bei den Krankheiten der Hornhaut S. 188 einen ähnlichen Fall beschrieben, und
werden bei den Krankheiten der Iris noch einige anführen, welche den Antheil, den
der vordere Theil der Sclera bei Entzündung der Cornea oder Iris nehmen kann, an-
schaulich zu machen geeignet sein dürften.
LT. Wunden und Berstungen der Sclera.
Wunden, welche der Sclera absichtlich — bei Staaroperationen —
oder zufällig beigebracht werden, heilen ohne merkliche Entzündungs-
zufälle und in kurzer Zeit. Nur in so fern, als sie etwa zu viel (über
1 3 ) Glaskörper austreten lassen, oder als die Netzhaut durch Erschüt-
terung gelitten, können sie bedenklich werden. Wenn Glaskörper durch
die Wunde heraushängt, so wird er allmälig trüb und eiterähnlich, end-
lich abgestossen. Wunden nächst der Cornea lassen bisweilen die Iris
vorfallen, bei grösserer Ausdehnung und gleichzeitiger Erschütterung
auch die aus ihrer Kapsel gelöste Krystalllinse. Ein solcher Irisvorfall
1 6 Lederhaut.
kann zunächst die Zufälle der Einklemmung (heftige Kopfschmerzen,
Erbrechen) erregen; nach Vernarbung der Wunde und Einheilung der
Iris in dieselbe bleibt die Pupille verzogen (Coloboma) oder selbst ge-
sperrt (durch Verziehung der Iris gegen die Wunde hin).
Berstung der Sclera ist eine nicht gar seltene Folge von Stössen
auf das Auge. Die Stelle der Berstung liegt (nach den mir bekannten
Beobachtungen) nie weiter als 3y// hinter dem Kande der Hornhaut,
meistens ganz nahe an diesem; die Richtung des Risses ist eine ver-
schiedene, nahe an der Cornea jedoch der Basis dieser Membran so
ziemlich parallel. Durch die Wunde dringt entweder Humor aqueus,
oder Iris, oder Glaskörper, in seltenen Fällen die ganze Linse vor.
Diese Vorfälle sind dann, da die Tunica vaginalis und die Conjunctiva
eher ausgedehnt als zerrissen werden, von einer oder von beiden Mem-
branen bedeckt. Die Linse kann allmälig resorbirt werden; ich besitze
ein Präparat, wo einige Kalkconcremente als Rest derselben übrig ge-
blieben sind. Die Iris heilt in den Riss ein, und hinterlässt einen
schwärzlichen etwas eingezogenen Fleck. Auch Ciliarfortsätze können
mit in die Narbe hineingezerrt werden. Die ausgetretenen Flüssigkei-
ten können allmälig resorbirt werden, aber auch zu einfacher Cysten-
bildung Anlass geben, welche Cysten dann mit sehr breiter Basis auf
der Sclera aufsitzen und eine wasserklare oder weingelbe dünne Flüs-
sigkeit enthalten.
Einem 17 Jahre alten Schlossergesellen flog am 8. December 1851 ein Stück
stumpfspitziges Eisen in den innern Winkel des rechten Auges, und durchbohrte die
Bindehaut und Sclera circa 1'" hinter dem Eande der Cornea, also gerade Yor der In-
sertion des Muse, rectus internus. Wir fanden am 10. Decbr. die von oben nach unten
(dem Hornhautrande nahezu parallel) verlaufende Wunde 2'" lang, nicht genaii linear,
sondern zackig und in der Mitte auf 3/V" klaffend. Die Wundränder waren durch eine
blasenähnlich vorgewölbte eiweissartige Substanz (Glaskörper) auseinander gedrängt. Der
Kranke, welcher mit diesem Auge noch ziemlich gut zu sehen versicherte, wurde zu
schleunigem Eintritt in's Spital aufgefordert, kam jedoch erst am 14. December. Bis dahin
hatte er unserer Ordination gemäss fleissig kaltes Wasser übergeschlagen. Am Tage
des Eintritts in die Klinik fanden wir den Glaskörper etwas weniger vorgewölbt, doch
vollkommen wasserblau," die Wunde schmäler, und in der Mitte auf lh'" Breite klaffend,
die Wundränder vom obern und untern Winkel her durch brückenähnliche Faden
der Sclera und Bindehaut mit einander verbunden. Die Conjunctiva bulbi durchaus von
zahlreichen Gefässen durchzogen und serös infiltrirt; Röthe und Schwellung in der
nächsten Umgebung der Wunde am stärksten, im obern Umfange des Bulbus am gering-
sten. Die vordem Ciliargefässe stark injicirt, die Sclera rosenroth, so weit man
sie sehen kann. Der Bulbus etwas kleiner und weich anzufühlen. Fast keine Lichtscheu ;
reichliches Thränenträufeln, da wegen Veränderung der Form des Thränensees die Auf-
saugung der Thrünen gehindert ist. Die Cornea in jeder Beziehung normal. Die vordere
Kammer vergrössert, weil die Iris und die Linse rückwärts gesunken sind. So weit, als
Wunden — Berstungen. 17
hinter der Iris die Ciliarfortsätze gegen die Achse hereinragen, hat die Iris ihre normale
Lage ; innerhalb dieses Kreises aber liegt die Iris tiefer, was man bei seitlieh einfallendem
Lichte an einer Art Kreisfurche deutlich erkennen kann, welche dadurch gebildet wird,
dass der kleine Kreis und der grösste Theil des grossen Kreises, der Iris sich an die
Krystalllinse anschmiegen, also von jener Kreisfurche an sich wieder sanft aufwölben.
Im Übrigen erscheint die Iris vollkommen so beschaffen, wie an dem linken Auge, selbst
in Bezug auf die Beweglichkeit, indem sie auch (selbst bei verdecktem linken Auge)
lebhaft gegen Licht und Schatten reagirt; nur ist die (vollkommen runde und schwarze)
Pupille etwas enger, als auf dem linken Auge (IV2'" im Durchmesser, wenn die des
letzteren 2'" misst). Der Verletzte sieht die gewöhnlichen Gegenstände, aber minder
deutlieh; die Zeiger einer kleinen Taschenuhr erkennt er, jedoch nicht über 10" Entfer-
nung; durch eine V" weite Öffnung in einem Kartenblatte erkennt er sie auf 12 — 14",
aber auch uicht rein und scharf. Weitere Schversuche vorzunehmen wagten wir nicht,
wegen Gefahr, das Auge zu sehr zu reizen. Der Kranke klagte nicht über Schmerzen.
Erbrechen oder Neigung dazu war nie vorhanden gewesen. — Wir Hessen den Kranken
mit geschlossen gehaltenen Augen ruhig liegen, verabreichten ein Eccoproticum, und
liessen fleissig kaltes Wasser mit etwas Tinctura arnicae überschlagen. Der durch die
Wunde vorragende Glaskörper wurde allmälig trüb. Am 26. December war diese trübe
Flocke bereits abgestossen, und die Wunde der Bindehaut sowohl als die der Sclera ge-
schlossen. Die Veiheilung des Scleralrisses war ohne deutliche Schwellung der Wund-
ränder erfolgt ; die Narbe gab sich nur durch schiefergraue Färbung zu erkennen. Der
Verletzte verlangte am Hl. December entlassen zu werden. Der Bulbus war noch immer
etwas kleiner, die Iris lag noch tiefer, das Sehvermögen verhielt sich so wie am Tage
der Aufnahme. Unserer Aufforderung, nach einigen Wochen (zur Erhebung des Befundes)
wieder zu kommen, hat der Kranke leider nicht entsprochen.
Ein Tag lühner von 50 Jahren, auf dem linken Auge von Jugend auf beinahe gänz-
lich erblindet, wurde 3 Monate vor seiner Aufnahme auf die Klinik (am 5. Juni 1850)
von einem Ochsen mit dem Hörn in das rechte Auge gestossen. Heftige Schmerzen,
Abfluss von Thränen und Blut, und Verlust des Gesichtes waren die Erscheinungen, die
er als unmittelbare Folgen bezeichnet. Die ärztliche Behandlung bestand in örtlichen
Blutentleerungen, kalten Umschlägen, Einreibungen einer Salbe an die Stirn und Schläfe,
und später in Einträuflungen brauner Tropfen. Nachdem die entzündlichen Erscheinungen
sich verloren hatten, war in der 9. Woche soviel Sehkraft wiedergekehrt, dass er die
Zahl der vorgehaltenen Finger anzugeben vermochte. Die Pupille soll immer rein ge-
wesen, und die Hervorragung am Bulbus, welche wir so eben beschreiben wollen, soll
gleich nach der Verletzung entstanden und seit 4 Wochen etwas kleiner geworden sein.
— Wir fanden den Bulbus in Bezug auf Grösse, Form und Beweglichkeit normal, etwas
weicher, die Cornea rein; nach innen und oben von letzterer lag unter der Bindehaut (und
Tunica vaginalis?) auf der Sclera ein Körper, der ohne Weiteres als die vorgefallene
Linse erkannt werden konnte. Sie war bernsteingelb und halbdurchsichtig, gegen 3'/a"-
breit, über V" dick, -und liess sich ein wenig verschieben. Die Bindehaut darüber und
in der Umgebung war gelblich und von einzelnen Gefässen durchzogen. Die vordere
Kammer grösser. Die Iris, in der äussern und untern Partie normal, nach innen und oben
vom Ciliarbande abgelöst, und (ohngefähr im horizontalen Durchmesser des Auges)
in der Pachtung vom Ciliar- zum Pupillarrande quer durchrissen, so dass die Pupille
hier bis zur Peripherie reicht, und das abgelöste Irisstück in Form eines lichtgrauen
Bändchens gleichsam als Scheidewand zwischen der alten und der neuen Pupille im
Arlt Augenheilkunde. II. 2
18 Lederhaut.
Kammerwasser herabhängt. Die nach innen und unten gelegene Partie der Iris hinter
den Rand der Sclera zurückgezogen, wahrscheinlich gegen den Einriss in der Sclera,
welcher durch eine schiefergraue Stelle, V" hinter dem Limbus conjunctivae, angedeutet
erscheint. Da zu erwarten stand, die vorgefallene Linse werde allmälig aufgesogen wer-
den, so unternahmen wir nichts zur Beseitigung derselben. Dagegen versahen wir den
Kranken mit einer Staarbrille von drei Zoll Brennweite, mit welcher er einen kleinen
Schlüssel, die Zeiger einer Taschenuhr, das Gepräge von Geldmünzen und drgl. erkannte,
und ganz beglückt die Rückreise in seine Heimat am 17. Juni antrat.
Ein Mädchen von 10 Jahren stach sich im 7. Jahre mit einem Messer in das
rechte Auge. Das Messer muss, nach den später eingetretenen Veränderungen zu schliessen,
schief durch den obern Theil der Cornea und Sclera bis zum Glaskörper eingedrungen
sein, jedoch so, dass die Bindehaut über der Sclera wenig oder gar nicht verletzt wurde.
Längere Zeit — die Kranke erinnert sich der Zufälle nicht genau — währten Lichtscheu,
Thränenfluss und Schmerzen; das Sehvermögen nahm aber erst allmälig ab, bis auf Licht-
empfindung, welche erst vor 4 Monaten gänzlich verloren ging. Zu dieser Zeit erhob
sich nämlich, ohne dass neuerdings eine Schädlichkeit eingewirkt hatte, und ohne dass
anderweitige Zufälle eintraten, bloss unter dem Gefühle von Spannung in der obern
Hälfte des Bulbus (unter dem Lide) eiu gelbliches Bläschen, welches nach und nach die
gegenwärtige Grösse erreichte. Wir fanden die Cornea normal gewölbt, glatt und glän-
zend, in dem nach unten und aussen gelegenen Drittel vollkommen durchsichtig, von
da nach innen und oben aber bläulich weiss undurchsichtig. Die schiefergraue (an dem
gesunden Auge lichtblaue) Iris nahezu an die Cornea anliegend. Eine lineare, ganz weisse
Nai-be, durch die Cornea von innen nach aussen und oben verlaufend, und nach aussen
und oben noch circa 2'" weit in die Sclera hineinreichend, bezeichnete die Richtung des
Schnittes. Oberhalb dieser Narbe zeigte sich folgende Veränderung. Es erhob sich auf
der Sclera eine blassgelbe, durchscheinende, blasenähnliche, elastische, nicht verschiebbare
und mit breiter Basis aufsitzende Geschwulst, welche zum Theil noch über den Rand
der Hornhaut herein reichte. Sie erstreckte sich vom obern Rande des Muse, rectus
internus bis zum untern Rande des Rectus externus herum, und von der Cornea bis über
den Aequator bulbi hinauf, und erhob sich mindestens 4'" hoch über der Sclera. Wenn
man bei möglichst stark abgezogenem obern Lide die Kranke abwärts blicken Hess, sah
man deutlich, dass die Geschwulst von der Bindehaut und der Tunica vaginalis bedeckt
war. Das Fluidum war also zwischen diesen beiden Membranen einerseits, und zwischeu
der Sclera (zum Theil auch der Cornea) andererseits eingeschlossen, und es konnte nur
das nicht bestimmt werden, ob dasselbe durch irgend eine Öffnung in der Sclera mit
den Flüssigkeiten im Innern des Bulbus in Verbindung stehe oder nicht. Um für den.
Fall der Communication das Contentum nicht zu schnell zu entleeren, wurde durch den
erhabensten Theil (nach innen und oben, nahe an der Cornea) mittelst einer krummen
Nadel ein Faden durchgeführt, die Schlinge angezogen, und mittelst einer kleinen Louis-
schen Scheere ein 2 Quadratlinien grosses Stück aus der Wandung des sogleich collabirenden
Sackes ausgeschnitten. Das wasserklare gelbliche Fluidum war albumenhaltig. Die Hülle
schmiegte sich nun an die Sclera und Cornea an ; an der entblössten Stelle lag die Sclera
frei zu Tage. Es erfolgte nicht die geringste Reaction ; nach 4 Wochen, wo die Kranke
entlassen zu werden verlangte, hatte sich die Öffnung in der Binde- und Scheidenhaut
fast um gar nichts verkleinert. — Ich bin des Erachtens, dass in diesem Falle durch di&
Scleralwunde etwas Glaskörper ausgetreten war und nach Verheilung der Wunde zur Bil-
dung dieser Cyste Veranlassung gegeben hatte, welche sowohl über der Sclera als über
Ausdehnungen — Staphylome. 19
der Cornea die Bindehaut, soweit diese sich noch über jene erstreckt, allmälig empor-
drängte.
III. Ausdehnungen de?' Sclera, Ektasiae et Staphylomata sclerae.
Ausdehnung und Verdünnung- der Sclera, in ihrem ganzen Umfange
oder an einzelnen Partien, kommt als Folge sehr verschiedener Zu-
stände vor, deren Verständniss grösstenteils die Kenntniss der Krank-
heiten der tiefern Gebilde, namentlich der Chorioidea, der Retina und
des Glaskörpers voraussetzt.
Gleichmässige Ausdehnung und Verdünnung aer ganzen Sclera fin-
den wir zunächst bei Vermehrung und Verflüssigung der Glasfeuchtig-
keit, einem Zustande, den man bei altern Autoren unter dem Namen
Hydrops posterior und Buphthalmus beschrieben findet. Seröser Erguss
zwischen der Sclera und Chorioidea oder zwischen dieser und der Re-
tina bewirkt selten allgemeine, häufiger partielle Sclerektasie.
Partielle Ausdehnung und Verdünnung kommt entweder im hintern
Umfange des Bulbus vor, und ist dann im Leben nicht mit Sicherheit
zu erkennen, oder seitlich, am Äquator bis zur Gegend des Corpus ci-
liare, oder endlich vorn, nächst der Cornea, und zwar vor dem Corpus
ciliare. Diese Zustände sind als Staphyloma posticum, St. laterale und
St. anticum (St. corporis ciliaris, St. annulare), in früherer Zeit auch
als Cirsophthalmus oder Varicositas bulbi beschrieben worden.
Eine Art Staphyloma posticum kommt als angeborener Zustand mit
Coloboma iridis et chorioideae vor, und zwar in der untern Partie der
hintern Hemisphäre des Bulbus. Die vollständige Beschreibung des
Befundes folgt weiter unten, bei den Krankheiten der Iris und Cho-
rioidea.
Eine andere Form von Ausdehnung und Verdünnung der hintern
Hemisphäre, worauf Scarpa zuerst aufmerksam gemacht hat, entsteht
erst in späterer Zeit, und zwar vom hintern Pole aus. Man findet die
Sclera zunächst in der Gegend des hintern Poles, also auswärts vom
Eintritte des N. opticus, bei höheren Graden aber auch weiterhin, selbst
rings um den Opticus herum verdünnt und hemisphärisch ausgedehnt,
daher den Bulbus von vom nach hinten verlängert, auf 13 bis 17/y/.
Die Ein- und Ausmündungsstellen der hintern Ciliararterien und Venen
sind so erweitert, dass sie sogleich als schwarze oder rostbraune Punkte
in die Augen fallen; hie und da laufen dunkle Streifen, entstanden
durch das Auseinanderweichen der Scleralfasern , vom hintern Pole
gegen den Äquator hin. Der Übergang der verdünnten und ausge-
dehnten Partie in die übrige, normale Sclera ist ein allmäliger. Inner-
halb der Sclera sind die Aderhaut und Netzhaut als continuirliche und
2*
20 Lederhaut.
isolirte Membranen vorhanden, aber gleichfalls verdünnt und ausge-
dehnt, und erstere, so weit die Sclerektasie reicht, auffallend pigment-
arm. Die Glasfeuchtigkeit ist vermehrt und in dem hintersten Drittel
des Raumes dünnflüssig, jedoch gegen die Linse hin oder auch durch-
aus von ziemlich normaler Consistenz. Die übrigen Gebilde des Bulbus
können dabei völlig normal sein.
Ich hatte diesen Befund mehrmals zufällig an Augäpfeln älteier Individuen beob-
achtet, die ich behufs der Untersuchung von Arcus senilis oder von Linsentrübungen
secirte, und denselben als senilen Schwund der Sclera, analog dem der Schädel-
knochen betrachtet.*) Einige spätere Untersuchungen und ein Sectionsbefund, welchen
Professor Ritterich veröffentlicht hat, lassen mich vermuthen, dass dieser Zustand in
inniger Beziehung zur Kurzsichtigkeit stehe. Iiitterich fand nämlich diesen Zustand an
dem Auge eines in hohem Grade Kurzsichtigen, und ich fand ihn wiederholt bei centra-
ler Hornhaut- und zweimal bei centraler Kapseitrübung, welche bekanntlich mit dem
Eefractionszustande kurzsichtiger Augen zugleich vorzukommen pflegen. Leider konnte
ich in den mir vorgekommenen Fällen nichts über den Befractionszustand dieser Augen
während des Lebens erfahren, und muss die Erörterung dieser Frage spätem Nach-
forschungen anheimstellen. Wir werden bei der Lehre von der Kurzsichtigkeit darauf
zurückkommen.
Das Staphyloma sclerae anticum (annulare) erscheint in Form ein-
zelner dunkelblauer Hügel oder Wülste unmittelbar hinter der Cornea.
Die Hügel variiren von der Grösse eines Hirsekornes bis zu der einer
halben Zuckererbse, oder einer halben Bohne; die darmähnlichen Wülste
sind in der Regel oberhalb der Cornea am breitesten und höchsten,
sodann unterhalb derselben, können aber auch in Form eines Ringes
die ganze Cornea umschliessen. Durch starke Ausdehnung können
ihre Wandungen so dünn werden, dass sie (von der Seite her ange-
sehen) das Licht wie eine Blase durchlassen. An ihrer hintern Grenze
sieht man die Ein- und Austrittsstellen der vordem Ciliargefässe , an
ihrer vordem den concaven Rand des Limbus conjunctivae corneae.
Sie kommen entweder für sich allein vor, oder gleichzeitig mit Ektasien
in der Gegend des Corpus ciliare oder der eigentlichen Chorioidea,
welche wir als Staphylomata lateralia beschreiben werden. An Augen,
deren Hornhaut ganz oder grösstentheils in Narbengewebe verwandelt
und mit der Iris verwachsen ist, kommt mit diesem Staphyloma sclerae
anticum bisweilen allgemeine Ausdehnung und Verdünnung der Sclera
vor, wodurch der Bulbus den Umfang einer grossen Wallnuss erlangen
kann. Der innere Befund eines solchen Auges wurde bereits S. 12 be-
schrieben. Auch dann, w^enn in Folge chronischer Iritis die Iris vom
Ciliarrande her mit der Cornea verwachsen ist, können solche Staphy-
lomata antica sich entwickeln, indem die vorderste Partie der Sclera
*) Prager mediciu. Vierteljahrachrift. 19. Band. S. 58.
Ausdehnungen — Staphylogne. 21
allmälig erweicht und ausgedehnt wird, die Cornea und Iris vorwärts
rücken, das Ligamentum und die Processus ciliares aber an ihrer Stelle
bleiben, und somit der Raum, den wir hintere Kammer nennen, mehr
weniger erweitert wird. (VergL Krankheiten der Iris.)
Die seitlichen Scleralstaphylome erscheinen als isolirte oder aggre-
girte bläuliche Hügel in der Gegend des Äquators, öfters vor demselben,
wohl auch in der Gegend des Corpus ciliare. Sie sind in der Mehr-
zahl als Folgen von Entzündung der Chorioidea zu betrachten, und be-
ruhen dann auf Verwachsung der Sclera, Chorioidea und Retina unter-
einander. Diess ist durch Sectionen und Wahrnehmungen während des
Lebens nachgewiesen. Ob Exsudation zwischen der Sclera und Cho-
rioidea oder Vermehrung und Verflüssigung des Glaskörpers allein solche
partielle Ektasien der Sclera bewirken können, muss erst durch ge-
nauere und verlässlichere Beobachtungen, als die bisher bekannt ge-
wordenen, festgestellt werden. Sarcomatöse und melanotische Ablage-
rungen, sie mögen von der Netz-, Ader- oder Lederhaut ausgehen,
können mehr weniger ähnliche Hügel bewirken.
Die Prognosis und Behandlung hängt, wie aus dem Gesagten er-
hellt, von der zu Grunde liegenden Krankheit ab. Ausführlicheres
hierüber kann also erst bei den Krankheiten der Iris, der Chorioidea
und des Glaskörpers gegeben werden.
IV. Buch.
Die Regenbö gen hau t, Iris.
A. Anatomische und physiologische Bemerkungen.
Die Regenbogenhaut hat die Gestalt einer in der Mitte durchbohr-
ten Scheibe, welche zwischen die Hornhaut und Krystalllinse eingescho-
ben ist, und die Augenkanmier in eine vordere und hintere scheidet.
Sie steht nur an ihrer Peripherie mit den festen Gebilden des Auges
in Verbindung; sonst ist sie überall vom Kammerwasser umspült.
Die vordere Fläche der Iris , welche verschiedene Farbentöne von
Blau, Grau, Gelb und Braun, und mehr weniger deutliche Faserung
darbietet, bildet — streng genommen — keine Ebene; sie erhebt sich
vom Pupillarrande ziemlich steil bis in die Gegend einer zackigen, dem
Pupillarrande parallel verlaufenden Kreislinie, und verflacht sich dann
allmälig gegen den Ciliarrand hin. Diese zackige Linie, welche beson-
ders an liebten Regenbogenhäuten deutlich ausgeprägt erscheint, schei-
det somit die Vorderfläche der Iris in eine innere schmale, und in eine
äussere breite Zone, welche sich Uberdiess durch Verschiedenheit der
Faseranordnung und der Färbung in demselben Auge von einander un-
terscheiden. Die innere Zone — der kleine Kreis — erscheint wegen
seiner dichteren und mehr regelmässig centripetalen Faserung etwas
wulstig, strahligfaltig, sammetähnlich, und in der Regel dunkler gefärbt,
als der grosse Kreis; nur an dunkelbraunen Regenbogenhäuten zeigt er
oft eine hellere Färbung, als jener. Die äussere Zone — der grosse
Kreis — zeigt zahlreiche, an lichten Augen fast weisse Fasern, welche
wellenförmig gekrümmt vom Ciliarrande gegen den Pupillarrand hin
verlaufen. Sie weichen, bevor sie in den kleinen Kreis eintreten, häu-
f • auseinander, lassen hiedurch verschieden grosse, meist rhomboidale
Lucken zwischen sich (Oryptae iridis), und bilden dann durch zahl-
Anatomie — Physiologie. 23
reiche Anastomosen die genannte zackige Linie, innerhalb welcher sie
theils in Bündeln vereint, und daher ähnliche Lücken oder Gruben
zwischen sich lassend, theils einzeln neben einander zum Vorschein
kommen, und sodann dicht gedrängt zum Pupillarrande verlaufen.*) —
Der Randtheil dieser Fläche, welcher unmerklich in die der vordem
Augenkammer zugewendete Fläche des Ciliarbandes übergeht, ist dem
Auge des Beobachters von vorn her entzogen, weil der Durchmesser
der Vorderfläche der Iris an jedem Auge mindestens x\itil grösser ist,
als der Durchmesser der durchsichtigen Hornhaut.
Die hintere Fläche, etwas kleiner als die vordere, verläuft von den
Ciliarfortsätzen in Einer Flucht bis zum Pupillarrande, und zeigt von
ihrer Peripherie her strahlenförmige Erhabenheiten, welche gleichsam
Ausläufer der Ciliarfortsätze darstellen. Sie erhält durch die an ihr
haftende dicke Pigmentlage das Aussehen eines dunkelbraunen Sammtes.
Indem diese Pigmentschicht auch den Pupillarrand überzieht (ein-
säumt), erscheint dieser schwarzbraun, wovon man sich mit einer Loupe
(bei getrübter Linse auch mit freiem Auge) überzeugen kann. Die im
Allgemeinen kreisrunde Pupille, welche bei verschiedenen Zuständen
des Auges — wovon später — einen verschiedenen Durchmesser (von
1 — ö'") zeigen kann, liegt nicht genau im Centrum der Iris, sondern
etwas ('/V") nach innen, so dass der Abstand des Pupillarrandes vom
Ciliarrande an der Schläfenseite etwas grösser ist, als an der Nasen-
seite.
Der CiUarvand, welcher auf der innern Fläche des Ciliarbandes
haftet, ist nach hinten durch Gefässe mit den Ciliarfortsätzen, nach
vorn durch eigenthümliche elastische Fasern (das Döllingersche Band)
mit der Descemetschen Haut verbunden. Ein massiger Zug an der
Iris mittelst eines Häkchens oder einer Pincette reicht hin, die Iris aus
dieser dreifachen Verbindung zu lösen; diese Lösung erfolgt nicht sel-
ten in mehr weniger grossem Umfange, selbst ringsherum, wenn durch
einen Stoss aufs Auge die Cornea abgeplattet, und ihre Basis sammt
dem Ciliarbande momentan erweitert wird. Während des Ablösens der
Iris vom Ciliarbande nimmt man deutlich wahr, dass die Anheftung der
Iris mehr eine zackige, als continuirliche ist, und zwar den Ciliarfort-
sätzen entsprechend.
*) An vielen Augen sieht man noch eine dritte Zone, einen äussersten oder grössten Kreis der Iris. Er
ist in lichtgrauen oder lichtblauen Regenbogenhäuten an dunklerer (schwarzblauer) Färbung zu erken-
nen, in dunkelbraunen von dem eigentlichen grossen Kreise durch einen lichten (flammenden) Reifen
getrennt. Diesem äussersten Kreise entsprechen an der Hinterfläche der Iris die Fortsätze des Cor-
pus ciliare, und dem eben genannten Reifen entsprechen die Firsten der Ciliarfortsätze oder der Rand
der Linsenkapsel.
24 Regenbogenhaut.
Die Lage der Iris ist im Allgemeinen senkrecht auf der Sehachse.
Sie erscheint aber dem Auge des Beobachters immer etwas näher an
der Cornea, und etwas nach vorn gewölbt, auch wenn sie letzteres
wirklich nicht ist. Der Grund hievon liegt in der Strahlenbrechung
durch die Cornea und den Humor aqueus. Aus demselben Grunde er-
scheint uns auch, worauf E. R. Weber*) zuerst aufmerksam gemacht
hat, die Pupille immer etwas grösser, als sie wirklich ist.
Legt man ein pianconvexes Glas auf die Zeilen eines Buches , so bemerkt man
dieselbe Erscheinung an den Buchstaben. Diese "Wirkung der Cornea wird aufgehoben,
wenn man vor dieselbe Wasser bringt. In dem Momente, wo man einen Bulbus mit
der Cornea unter Wasser senkt, erscheint auch die Pupille enger, und die Iris flach und
zugleich tiefer hinter der Cornea gelagert; so wie das Auge wieder auftaucht, erscheint
die Pupille grösser, die Iris nach vorn gewölbt und der Cornea näher gerückt. Doctor
Cermdk**) hat einen Apparat (Orthoskop) construirt, um diese Phänomene auch an Le-
benden beobachten zu können. — Eine bequeme Methode, die Pupille und Iris des eigenen
Auges vergrössert zu sehen, hat Weber in derselben Abhandlung S. 3 gegeben. „Lentem
vitream ex piano convexam ad speculum planum cera ita affigas, ut superficies ejus plana
piano speculo insideat. Guttula aquae in marginem illata efficies, ut spatium perexiguum
inter planas superficies interpositum aqua repleatur. Hoc modo enim aer interpositus
removebitur, et nimia lucis reflexio arcebitur. Quo facto, speculoque oculo nostro satis
admoto, radii lucis ab iride tua profecti primum per corneam in aerem transgrediuntur :
hie prima lucis refractio oritur, qua fit, ut pupillam amplificatam eernamus ; deinde con-
vexam lentis superficiem intrantes secunäam refractionem patiuntur, eoque modo imaginem
iridis iterum augent; hinc per planam lentis superficiem in speculum ineidunt, ibique
reflexi lentem vitream penetrant, et per convexam superficiem ejus in aerem redeuntes
tertiam refractionem subeunt, qua itidem amplior iridis imago redditur. Sic radii lucis in
eundem oculum, quo profecti sunt, redeuntes efficiunt, ut oculo oculi eiusdem imaginem
miruin in modum amplificatam eernamus." Linsen unter 3" Brennweite eignen sich zu
diesem Versuche nicht, weil man dann den Spiegel zu nahe an das Auge halten muss,
und sich hiedurch zu viel Licht benimmt.
Eine Ebene, durch die Peripherie der Iris gelegt und nach aussen
durch die Sclera verlängert, würde diese letztere nahezu V" hinter dem
Cornealrande durchschneiden. Man kann daher auch von der Sclera
aus bequem in die vordere Augenkammer mit einem Messer eindrin-
gen, ohne die Iris anzustechen. (Siehe später „Bildung künstlicher
Pupillen".)
Die Entfernung einer durch den Pupillarrand gelegten Ebene von
dem Centrura der Descemetschen Haut variirt von 3/i — l1/*'"» abgesehen
von krankhaften Zuständen, welche noch stärkere Abweichungen bedin-
gen können. Die Lage des Pupillarrandes hängt von der Lage der
Linse und ihrer Kapsel ab, und steht daher in innigster Beziehung zur
*) Annotationcs anatomicae et physiologicae , prograaimata collecta, fasciculi tres, Lipsiae apuü C. F.
Kühler, 1851.
**) Prngcr medicin. Vicrteljahrschrift. 32. Bd., S. 154.
Anatomie — Physiologie. 25
Grösse der Augenkaimner, zur Menge des Humor aqueus. Denn der
Pupiliarrand, oft auch die ganze innere Zone der Iris, liegt, sobald die
Pupille nicht über 1,u weit ist, knapp an der vordem Kapsel an.
Diese Angabe über die Lage des Pupillarrandes der Iris zur Kapsel widerspricht
zwar fast allen bisherigen, ist aber nichts desto weniger richtig. Was ich schon aus dem
so leichten Entstehen von Anlöthungen der Iris an die Kapsel, aus der häufig beobach-
teten, genau der Wölbung der Kapsel entsprechenden Vorwärtswölbung der innern Partie
der Iris, und aus der Nähe (oder vielmehr aus dem Mangel aller Entfernung) verdunkelter
Kapselpartien zur Iris vermuthet hatte, erwiesen mir glücklich gelungene Staaroperationen
zur Evidenz. Aus vielen mag eine, auch anderweitig sehr interessante Beobachtung hier
einen Platz finden, um den Leser anzuregen, sich in analogen Fällen selbst zu überzeugen.
E. A., 41 Jahre alt, Dienstmagd, wurde Ende August 1851 mit folgendem Befunde
aufgenommen. Das rechte Auge schielt nach innen. Die Iris reagirt gegen Licht und
Schatten lebhaft, und erscheint an diesem Auge etwas stärker vorwärts gewölbt, als auf
dem linken : die Tiefe der Augenkammer kann auf 3/V" geschätzt werden. Die vordere
Kapsel erscheint vollkommen durchsichtig. Die Linse ist verflüssigt, denn hinter der Kapsel
sind eine Menge lichtgrauer Schüppchen suspendirt, welche bei jeder Bewegung des Bulbus
in Bewegung gerathen, und bei gewissen Stellungen zum Lichte wie Glimm erblättchen
glänzen. Das Schillern dieser Blättchen erscheint in verschiedener Tiefe hinter der Kapsel,
doch scheinen sie nicht tiefer zu reichen, als bis zur Gegend der hintern Kapsel. An dem
linken Auge erscheint bloss der Kern der Linse getrübt, bläulich weiss, Kapsel \md Bin-
densubstanz durchsichtig. Die Regenbogenhaut an diesem Auge auch iu Bezug auf die Lage
normal. — Um die Diagnosis, dass hier die Linse verflüssigt und zum Theil in Cholesteariu-
krystalle verwandelt sei, völlig sicher zu stellen, eröffnete ich bei künstlich erweiterter
Pupille die Hornhaut des rechten Auges (durch einen etwa 2'" langen Einstich am Bande der-
selben), schlitzte von diesem Einstiche aus mit einer Staarnadel die Kapsel ein, und fing den
Inhalt derselben mit einem an die Wange gehaltenen Uhrglase auf. Er bestand aus einer klaren
Flüssigkeit mit tafelförmigen Krystallen, die sich als Cholestearin erwiesen, aus Fettkörnchen
und feinen Xadeln. Als am vierten Tage der Verband vom Auge abgenommen wurde, zeigte
das Auge weder Eöthe noch Lichtscheu. Die Kranke zählte die vorgehaltenen Finger
prompt und richtig. Die Untersuchung bei hinreichend starkem Lichte zeigte nun die
Lage der Iris merklich verändert; diese Membran erschien nicht mehr ausgebaucht, sondern
ganz eben, dabei aber frei beweglich, und bei raschen Wendungen des Bulbus schlotternd.
— Später wurde dieselbe Beobachtung der Lageveränderung auch an dem linken Auge
gemacht, nachdem die Discission der Kapsel einmal von der Cornea und später von der
Sclera aus gemacht worden war. — Für die in Rede stehende Frage halten wir jedoch
nur die Beobachtung an dem rechten Auge für strenge beweisend, weil hier das Zurück-
weichen der Iris nach Entleerung der Kapsel auf keine andere Weise erklärt werden
kann, das Auge weniger als bei jeder andern Staaroperation verletzt wurde, keine Spur
von Reaction zeigte, hintere Synechien, Veränderungen in der Form des Glaskörpers,
u. s. w. gar nicht supponirt werden können. Auch die Seite 16 angeführte Beobachtung
ist in Bezug auf die Lage der Iris zur Kapsel sehr instruetiv.
V\'enn die vordere Kapsel der Cornea näher liegt, als 5/V", dann
liegt auch der Pupiliarrand weiter nach vorn, als der Ciliarrand. Diess
sehen wir bei Neugeborenen, deren Linse vermöge ihrer grössern Wöl-
bung weiter nach vorn ragt, aber auch bei Greisen (richtiger gesagt:
26 Regenbogenhaut.
bei Presbyopischen), deren Linsensystem der Cornea näher gerückt er-
scheint, — Zwischen die vordere Kapsel und den Pupillartheil der Iris
ist jederzeit nur so viel Humor aqueus eingeschoben, als nach den Ge-
setzen der Attraction zwischen zwei Platten eindringen muss. Diese
mittelbare Anlagerung der Iris an die Kapsel sichert dem Pupillartheile
der Iris seine ruhige Lage bei den verschiedenen raschen Bewegungen
des Bulbus; bei mehr Flüssigkeit zwischen Iris und Kapsel müsste die
Iris beständig vor- und rückwärts schwanken, schlottern. Und in der
That sieht man diese Erscheinung im Bereiche des grossen Kreises, so
oft man die Iris unmittelbar nach einer raschen Bewegung des Bulbus
scharf tixirt, eben weil hinter dem grossen Kreise schon eine mächti-
gere Lage von Humor aqueus vorhanden ist. Wenn die Linse ver-
schrumpft oder aufgesogen, oder selbst nicht mehr (mittelst der Zonula
Zinii) fest an den Ciliarkörper angeheftet ist, dann sieht man die Iris
in ihrer ganzen Ausdehnung schlottern, und die Spannung der Iris
durch die Kreisfasern am Pupillarrande (die Verengerung der Pupille)
ist nicht im Stande, der Iris eine ruhige Lage zu sichern. Sie muss
sich gleich jedem andern in einer Flüssigkeit beweglich suspendirten
Körper nach den Gesetzen der Trägheit (der ihm von aussen ertheilten
Geschwindigkeit) bewegen.
Die vordere Kapsel und die innere Portion der Iris verhalten sich
wie zwei Platten, welche nur durch so viel Flüssigkeit getrennt sind,
als nach physikalischen Gesetzen nothwendig ist. Die Iris muss daher
der Linse folgen, wenn diese (sammt der Kapsel) ein wenig zurück-
weicht, und behauptet nur in so fern eine gewisse Selbstständigkeit,
als sie sich an der Kapsel in centripetaler und centrifugaler Kichtung
fortschieben kann. Man hat nicht selten Gelegenheit zu sehen, dass
eine kleine Portion der Iris in eine Hornhautnarbe eingeheilt ist, und
dass die ganze übrige Iris eine Ebene oder doch keine stärkere Wöl-
bung bildet, als an andern Augen, wo eine solche Synechie fehlt. Ich
wüsste nicht, wodurch dieses Bestreben der Iris, ihre normale Lage so
viel wie möglich wieder einzunehmen, erklärt werden könnte, wenn
nicht dadurch, dass man annimmt, die Iris werde durch eine ganz
dünne Flüssigkeitslage bestimmt, sich an die Kapsel anzuschmiegen.
Das Gewebe der Iris ist sehr weich, locker und ungemein dehn-
bar. Es kann auf die doppelte Dimension (und darüber) ausgedehnt
werden, ohne einzureissen. Es besteht vorwaltend aus Arterien und
Venen, welche theils direct, theils durch Capillarien in einander über-
gehen, aus zahlreichen Nerven und aus Muskelfasern; diese Elemente
sind durch zartes, mit mehr weniger Pigment durchsetztes Bindegewebe
Anatomie — Physiologie. 27
mit einander vereinigt. Ihre Vorderfläch©', welche durch die Arterien
und Nerven jenes fasrige Aussehen erhält, ist mit dem nämlichen Pfla-
sterepithel belegt, wie die hintere Fläche der Cornea, und gewinnt hie-
dureh einen gewissen Glanz, während ihre Hinterfläche eine gleiche,
nur viel mächtigere Pigmentlage zeigt, wie die Innenfläche der Aderhaut.
Seit Zinn nahmen die meisten Anatomen an, dass die Descemetsche Haut als Tu-
nica serosa sich auf die Yorderfläehe der Iris fortsetze. Henle, Brücke u. m. A. fanden
diess nicht bestätigt. Huschte *) schliesst auf das Vorhandensein eines serösen Überzuges
der Vorderfläehe aus ihier Glätte, aus der Gegenwart von Pflasterepithel, und aus ihrer
Verbindung mit der Descemetschen Haut; überdiess sehe man sie als einen hellen dünnen
Hand an Falten einer frischen, und an Durchschnitten von gehärteter und getrockneter
Iris. Luschka**) hat nicht bloss den Epithelialüberzug, sondern auch eine Lage seröser
d. i. den serösen Häuten eigenthümlicher Fasern auf der Vorderfläche der Iris (bis zur
Innern Zone hin) gefunden. — Nach demselben Auetor ist auch die hintere Fläche von
einer zwischen die Iris und das Pigment eingeschobenen Schicht seröser Fasern und
Epithelium überzogen, auf welcher dann das Pigment frei aufliege, während nach HuschJce
und Hyrtl das Pigment unmittelbar auf dem Gewebe der Iris aufliegen, aber durch ein
was<erhelles Häutchen (Membrana limitans, Pacini ) gedeckt und zusammen gehalten
werden soll.
Von der Menge und Vertheilung des Pigmentes in der Substanz der Iris hängt
die dunkle Farbe der Eegenbogenhaut ab. Die Neger haben eine so dunkelbraune Iris,
dass man aus einiger Entfernung ihre Pupille kaum unterscheiden kann. Leute mit blon-
den Haaren haben in der Regel eine blaue oder blaugraue Iris. Die Iris der Neuge-
borenen erscheint blau, weil das Stroma iridis noch kein Pigment enthält, und das Pig-
ment der Hinterfläche durch das weissgraue Gewebe der Iris durchschimmert. Bei den
Kakerlaken , wo auch das Pigment der Hinterfläche fehlt , erscheint die Iris hellblau-
röthlich, durch die von den Blutgefässen der Chorioidea zurückgeworfenen Strahlen. —
In seltenen Fällen erscheint die Iris des einen Auges braun, die des andern blau; in
andern findet man die äussere oder innere Hälfte blau, die andere braun; minder selten
zeigen lichte Regenbogenhäute einzelne dunklere Flecke oder Punkte als Folge partieller
Pigniententwickelung.
Die Arterien, der Iris sind die zwei hintern langen Ciliararterien,
welche ihr fast ausschliesslich angehören, und zahlreiche Aste der hin-
tern kurzen und der vordem Ciliararterien. — Die hintern langen Ciliar-
arterien verlaufen, nachdem sie im hintern Umfange des Bulbus die
Sclera durchbohrt haben, zwischen dieser und der Aderhaut vorwärts
zum Ciliarbande, und zwar in oder etwas über dem horizontalen Meri-
diane der Schläfen- und Nasenseite, und jede von einem stärkeren Ci-
liarnerven begleitet. Im Ciliarbande theilt sich jede in einen auf- und
in einen abwärts steigenden Ast, aus welchem zahlreiche Zweigchen
für das Ciliarband, vorzüglich aber für die Iris entsjn'ingen , in deren
*) S. Th. Sbmmering's Lehre von den Eingeweiden und Sinnesorganen , umgearbeitet von Huschke,
Leipzig, 1S44. S. 702.
**) Die Structur der serösen Häute des Menschen, Tübingen, 1851. S. 3S.
28 Regenbogenhaut.
Peripherie zuletzt auch die Euden dieser vier Äste eintreten. — Von
den vordem Ciliar arterien (vergl. I. B., S. 178) durchbohren die für die
Iris bestimmten Äste die Sclera 1— l'/a'" hinter dem Eande der Cornea,
und dringen durch das Ciliarband, von wo sie Zweigchen an den Ci-
liarkörper abgeben, in den Ciliarrand der Iris ein. Hier bilden sie ge-
meinschaftlich mit den meisten Zweigen der hintern langen Ciliarar-
terien durch gabelförmige Spaltung und gegenseitige Anastomosen ein
kreisförmiges Gefässnetz, den grossen Oefässkreis der Iris, aus welchem
zahlreiche geschlängelte Zweigchen gegen den Pupillarrand verlaufen.
— Eine grosse Menge ihres Blutes endlich erhält die Iris aus jenen
zahlreichen Zweigen der hintern kurzen Ciliararterien, welche zwischen
den Ciliarfortsätzen der Chorioidea bis zur Iris fortkriechen, und sich
in dieselbe, mehr von der hintern Fläche her, einsenken. — Innerhalb
des grossen Gefässkreises der Iris verlaufen die zahlreichen Äderchen,
sie mögen nun aus diesem Kreise oder direct aus den genannten drei
Quellen entspringen, mehr weniger stark geschlängelt gegen die innere
Zone, an deren Peripherie sie durch zahlreiche Anastomosen abermals
einen Gefässkranz, den kleinen Gefasskreis der Iris, bilden. Die aus
diesem hervorgehenden Ästchen lösen sich in der innern Zone endlich
in Capillargefässe auf, oder biegen am Pupillarrande einfach in Venen
um. — Die Arterien der Iris zeichnen sich nebst ihrem stark geschlän-
gelten Verlaufe besonders durch verhältnissmässig (zu ihrem Lumen)
dicke Wandungen aus, daher sie auch ihr Contentuni nicht durchschei-
nen lassen.
Die Venen der Iris liegen hinter dem Arteriennetze, und verlaufen,
durch häutige Anastomosen verbunden, vom Pupillar- zum Ciliarrande.
— Die zahlreichsten und mächtigsten entsprechen den hintern kurzen
Ciliararterien, und führen ihr Blut durch die Chorioidea zu den Wir-
belvenen dieser Haut. — Andere Zweigchen vereinigen sich zu zwei
Stämmchen, welche den hintern langen Ciliararterien entsprechen, und
diese begleiten. — Ob die den vordem Ciliararterien entsprechenden
Venen der Iris in den Schlemnischen Canal eintreten, wie Brücke
(nach Arnold und Retsius) annimmt, ist zweifelhaft; wahrscheinlicher
ist es, dass die Venen, welche man aus dem vordem Theile der Sclera
neben den gleichnamigen Arterien austreten sieht, direct aus dem Ci-
liarbauclc und der Iris kommen. Wenn der Schlemmsche Canal als
ein Blutleiter zu betrachten ist, so muss man schon aus seiner Lage
(zur Cornea und Iris) schliessen, dass er für das aus der Cornea, nicht
aber für das aus der Iris zurückfliessende Blut bestimmt sei. Brücke
1. c. S. 50 führt auch an, dass es ihm selbst nie gelingen wollte, Venen
Anatomie — Physiologie. 29
der Blendung mit Sicherheit in den genannten Canal hinein zu verfol-
gen, oder von demselben aus einzuspritzen.
Durch die Ciliarnerven wird die Iris mit motorischen, sensitiven
und sympathischen Nervenfasern reichlich versehen. Sie verzweigen
sich vorzüglich an der Vorderfläche der Iris, und bilden in der Gegend
des kleinen Gefässkreises zahlreiche Bögen und Schlingen.
Die Ciliarnerven kommen mit Ausnahme von 1 — 2 Stämmchen (den
langen Ciliarnerven, welche direct von N. nasociliaris abgehen) sämmt-
lich (12 — 17) aus dem Ganglion ciliare, einem plattrunden Knötchen von
etwa {'" Durchmesser, welches an der äussern Seite des N. opticus,
ohngelahr 3 i" hinter dessen Eintrittsstelle in den Bulbus liegt. Dieses
Ganglion entsteht constant aus 3 Wurzeln, nämlich aus der kurzen
oder motorischen vom N. oculomotorius, aus der langen oder sensitiven
vom N. nasociliaris (einem Aste des R. ophthalmicus N. trigeminij, und
aus Fasern des N. sympathicus, welche vom Carotidengeflechte aus dem
Sinus cavernosus durch die obere Augenhöhlenspalte zur Radix longa
oder zum Ganglion selbst gelangen. — Nachdem diese Nerven die
Sclera unweit vom N. opticus schräg durchbohrt haben, und in der
äussern Fläche der Chorioidea bis zum Ciliarbande vorgedrungen sind,
spalten sie sich gabelförmig, und verschmelzen in diesem Gebilde zu
einem unentwirrbaren Geflechte, aus welchem die zahlreichen für die
Iris bestimmten Zweige hervorgehen.
Dass die Iris Muskelfasern besitze, und zwar glatte, nicht querge-
streifte, dafür sprechen die mikroskopischen Untersuchungen von Va-
lentin, Pappenheim, Krause, Brücke u. m. a., und die Bewegungen der
Iris, welche man sich füglich nicht anders, als durch Muskeln vermittelt
denken kann. Am leichtesten erkennbar sind die Ringfasern. Diese
umgeben den Pupillarrand in Form eines gegen lJ2w breiten Ringes,
und liegen hinter den Gefässen und Nerven unmittelbar unter der Pig-
mentschicht, so dass man an blauen Augen nur das Pigment abzuspü-
len braucht, um diesen derberen und dunkleren Reifen schon mit freiem
Auge zu erkennen. Die Radialfasern entspringen von jenem Theile
des Ciliarbandes , welcher sich mit dem vordem Ende der Sclera fest
verbindet, und werden durch einen Ring von circulären Fasern, den
Annulus tendinosus Doellingeri, zugleich an das Ende der Descemetschen
Membran geheftet. Gleich nach ihrem Ursprünge lassen sie die Arte-
rien und Nerven zwischen sich hindurch treten, verlaufen centripetal,
und mseriren sich in den äussern Rand des Sphinkters.
Durch die Ringfasern wird die Pupille verengert, durch die Strah-
lenfasern erweitert. Die Bewegungen der I?ns erfolgen, ohne dass wir
30 Regenbogenhaut.
uns derselben bewusst werden, und sind zunächst der Adaptirung des
Auges zum Sehen untergeordnet. Durch die verschiedene Grösse der
Pupille wird die Menge des Lichtes für die Netzhaut regulirt.
Lässt man auf Ein Auge (oder beide) abwechselnd bald stärkeres,
bald schwächeres Licht einfallen, so verengert und erweitert sich die
Pupille beider Augen, entsprechend dem Grade des Lichtes.
Diese Bewegung der Iris erfolgt nicht vermöge directer Reizung
der Iris durch das Licht, sondern in Folge von Erregung der Netzhaut,
Fortpflanzung auf das Sensorium commune, und Reflex auf die zur Iris
tretenden Fasern des N. oculomotorius beider Augen.
E. H. Weber setzte eine Linse in eine kleine Öffnung eines Kartenblattes, und
Hess, 'während beide Augen beschattet waren , das im Brennpunkte vereinigte Licht bloss
auf die Iris wirken; dabei blieb die Pupille weit; sie verengte sich aber augenblicklich,
wenn der Lichtkegel durch die Pupille auf die Netzhaut geleitet wurde.
Durchschneidet man, wie Mayo*) und Magendie**) zuerst gethan, den N. opticus
in der Schädelhöhle, so wird die Pupille (nach momentaner Verengerung) weit, und
verengt sich auch bei dem stärksten Lichte nicht. Durchschneidung des N. oculomotorius
bringt dieselbe Wirkung hervor. — Kneipt man den Opticus, so verengert sich die Pupille
so oft, als man den Sehnerven berührt; dasselbe erfolgt auf Reizung des N. oculo-
motorius. — Wird, bei unversehrtem Oculomotorius, das peripherische Ende des durch-
schnittenen Opticus gezerrt, so bleibt die Pupille unverändert: sie verengert sich augen-
blicklich, so wie man das centripetale Stück dieses Nerven reizt. Wurde aber der N.
oculomotorius früher durchschnitten , so bewirkt jedwede Reizung des N. opticus keine
Veränderung der Pupille.
Wird, wenn beide Augen dem Lichte ausgesetzt sind, das eine Auge
beschattet, so erweitert sich nicht nur die Pupille des letzteren, son-
dern auch die des andern Auges, und beide Pupillen nehmen sofort
einen Grad von Weite an, welcher ungefähr die Mitte hält zwischen
der Weite, welche der beiderseitigen Beschattung, und der, welche der
beiderseitigen Beleuchtung entspricht. Diese Erscheinung harmonirt mit
dem oben aufgestellten Gesetze, dass der Reflex auf den Oculomotorius
nicht unmittelbar von der Netzhaut auf die Ciliarnerven, sondern mittelst
des Sensorium commune ausgeht. Wird nur Eine Netzhaut dem Lichte
ausgesetzt, so ist die Erregung des Centralorganes nur halb so stark,
als wenn beide Netzhäute gereizt werden.
Verengerung der Pupillen erfolgt auch, wenn die sensitiven Zweige
des Trigeminus, namentlich die Zweige des R. ophthalmicus gereizt wer-
den, z. B. durch einen fremden Körper in der Binde- oder Hornhaut
u. dgl., vorausgesetzt, dass die Fortpflanzung des Reizes zum Sensorium
*) Mayo sur les nerfs ce're'braux etc. Anatomical and physiologieal commentaries, London 1S23.
**) Mageudie journ. de Physiologie exp. 1824, T. IV. p. 311.
Anatomie — Physiologie. 31
commune und der Reflex von diesem auf die Iris mittelst des Oculo-
motorius nicht unterbrochen ist.
Die Durchschneidung des Trigeminus hebt bloss die Empfindlichkeit der von ihm
■versehenen Partien auf, stört aber das Verhältniss zwischen Opticus und Oculomotorius
nicht. Die Eetina bleibt nach Durchschneidung der Trigemini noch eben so empfindlich
für das Licht, und die Pupillen verengern sich auf Eeize, die den Opticus oder Oculo-
motorius treffen, noch eben so lebhaft, wie vorher.
Die Pupillen verengern sich, wenn die Sehachsen mehr convergent
werden, also beim Betrachten naher Gegenstände; sie erweitern sich,
wenn sie — beim Fixiren entfernter Objecte — minder convergent
werden. Diese Bewegung der Iris hängt nicht von dem Grade der
Beleuchtung der Objecte, nicht von der grössern oder geringern Diver-
genz der ins Auge kommenden Lichtstrahlen, noch von der Accommo-
dation des Auges für nahe und ferne Gegenstände, sondern lediglich
von der Veränderung der Convergenz der Sehachsen zu einander ab. *)
Man halte einen dunkeln Körper sehr nahe vor die Augen , so dass nur wenig
Licht in dieselben gelangen kann. Ein Beobachter daneben wird die Pupille sehr ver-
engert finden, so lange die Augen auf einen Punkt dieses nahen Körpers gerichtet wer-
den, sogleich aber sehr erweitert, sobald durch ein gegenüberstehendes Fenster entfernte
Objecte betrachtet werden, trotzdem die Augen jetzt weit stärkerem Lichte ausgesetzt
sind. — Dass die grössere oder geringere Divergenz der Lichtstrahlen, welche von nahen
und fernen Objecten in unser Auge gelangen, nicht die nächste Ursache dieser Iris-
bewegung ist, hat JE. H. Weber theils durch Versuche mit coneaven und convexen
Gläsern nachgewiesen — das Vorhalten von Concavgläsern bewirkte bei unveränderter
Achsenstellung keine Pupillenverengerung — theils aus Beobachtungen an Cataractösen
gefolgert, bei welchen diese Irisbewegung mit der Achsenänderung auf dieselbe Weise
wie bei Gesunden erfolgt. — Aus Versuchen , welche Weber theils an sich , theils an
Andern machte, ergab sich, dass die Pupillen sich verengerten, sobald die Augen ein-
wärts gewendet gehalten wurden , gleichviel ob man ein nahes oder ein fernes Object
betrachtete. Der Impuls zu dieser Veränderung der Pupille geht gleichzeitig mit dem
Impulse, das Auge einwärts zu richten (die Sehachsen mehr convergent zu machen), vom
Sensorium commune aus. Durch Übung kann man es dahin bringen , beide zu isoliren,
die Bewegung der Iris hervorzurufen, ohne die Achsenstellung zu verändern. Auf
diesem Acte der Isolirung beruht das sogenannte willkürliche Bewegen der Iris, auf
welches Purkyne**) zuerst aufmerksam gemacht hat.
Ein eigentümliches Schwanken der Iris zwischen Verengerung und Erweiterung
der Pupille beobachtet man gleichsam als allmälig ersterbenden Nachhall, wenn die Iris
durch Wechsel von Licht und Schatten oder direct vom Oculomotorius aus in stärkere
Bewegung versetzt worden war. Dieser Zustand (Hippus) kann sowohl an gesunden,
als auch an amaurotischen Augen vorkommen, und bei letzteren leicht zu der Annahme
verleiten , dass die Netzhaut noch für Licht und Schatten empfindlich sei , wenn diess
auch in der That nicht mehr der Fall ist.
*) Ausführlicheres hierüber in E. H. Weber de motu iridis (Annotationes anatom. physiolog. etc. wie
oben).
**) Beobachtungen und Versuche zur Physiologie der Sinne, Prag 1819.
32 Regenbogenhaut.
Die Pupillen verengern sich am meisten während des Schlafes.
Diese Erscli einuiii;- ist analog der Contraction anderer Schliessmuskeln,
namentlich des Spbincter vesicae und des Spliincter ani. Während des
Schlafes vermag der erstere eine weit grössere Menge Urin zurückzu-
halten, als beim Wachen.
Eine eben so starke, aber bleibende Verengerung der Pupille er-
hält man hei Säugethieren, namentlich beim Hunde, wenn man den N.
sympathicus in der Gegend des 3. oder 4. Halswirbels durchschnitten
hat. Diese Verengerung beruht darauf, dass die Radialfasern gelähmt
sind, und nun den Ringfasern kein Antagonist mehr entgegensteht.
„"Wird bei einem Hunde der N. sympathicus und vagus, die innigst zusammen-
hängen, am Halse durchschnitten, so erfolgt (wie Ruete*) oft gesehen zu haben ver-
sichert) zuerst durch den Reiz der Durchschneidung eine starke Erweiterung, und gleich
darauf mehrmals wiederholte, verstärkte und dann bleibende Contraction der Pupille." „Hatte
JBifJi den N. vagus allein oberhalb seiner Verbindung mit dem N. sympathicus im Hunde
durchschnitten, so verengerte sich die Pupille (nach vorhergegangener Erweiterung in
Folge des Reizes). Reizte Biffi den aufsteigenden Ast des obersten Halsknotens vom
Sympathicus mechanisch, so erweiterte sich das Sehloch in auffallendem Grade. Wurde
derselbe gänzlich entfernt , so verkleinerte sich die Pupille innerhalb einer halben
Minute, und blieb sofort hartnäckig verengert. Wenn Valentin nach Durchschneidung
des Sympathicus die verengte Pupille durch Belladonna erweiterte, so erreichte sie nie-
mals jene Grösse, welche sie vor jener Durchschneidung durch dieses Mittel annahm."**)
Verengerung der Pupille erfolgt demnach entweder in Folge erhöh-
ter Action des N. oculomotorius und der von ihm versehenen Ringfasern,
oder in Folge geschwächten (aufgehobenen) Einflusses des N. sympa-
thicus (vagus?j auf die Strahlenfasern, wodurch der Spbincter pupillae
ein relatives Übergewicht erhält.
Erweiterung der Pupille hingegen entsteht entweder in Folge ver-
minderten (aufgehobenen) Einflusses des N. oculomotorius auf den
Spbincter, oder in Folge vermehrten Einflusses des Sympathicus auf
den Diktator pupillae.
Die Kenntniss dieser Gesetze gibt uns den Schlüssel zur Erklärung einer Menge
pathologischer Erscheinungen.
Lähmung des N. oculomotorius oder der Ciliarnerven hat jederzeit Erweiterung und
Unbeweglichkeit der Pupille des entsprechenden Auges zur Folge — Mydriasis.
Bei einfacher Lähmung der Netzhaut oder des Sehnerven — Amaurosis — erscheint
die Pupille, wenn das andere Auge gesund ist, weder erweitert (relativ zu der des ge-
sunden Auges) noch unbeweglich; sie wird aber gross und starr, sobald man das ge-
sunde Auge vollständig verdeckt (mit Ausnahmen, welche bei der Lehre von den Krank-
heiten der Netzhaut näher besprochen werden sollen).
Wenn ein Amaurotischer seinen Sehachsen plötzlich eine stärkere oder geringere
*) Lehrbuch der Ophthalmologie, Braunschweig 1845, S. 181.
**) Valentin Lehrbuch der Physiologie, Braunschweig 1819, II. B. S. 424.
Anatomie — Physiologie. 33
Convergenz gibt, so können die Pupillen eine merkliche Bewegung zeigen, synergisch.
mit dem Impulse auf die Muskeläste des N. oculomotorius.
Die Beobachtung, dass bei manchen Amaurotischen bei ruhiger Haltung der Bulbi,
folglich auch bei unverrückter Achsenstellung dennoch deutliche Irisbewegungen auf Licht
und Schatten bemerkt ■werden, obwohl die Kranken den Unterschied zwischen Licht und
Schatten selbst nicht wahrnehmen , steht mit den angeführten Gesetzen nur in schein-
barem, nicht in reellem Widerspruche. Ein Lichteindruck, viel zu schwach, um das Sen-
sorium commune zur Empfindung von Licht oder Schatten anzuregen, kann stark genug
sein, jene Reflexwirkung im Bereiche des Oculomotorius zu erzeugen. "Wenn ein Kranker
Licht und Schatten nicht zu unterscheiden vermag, so folgt daraus noch nicht, dass der
-wechselnde Eindruck, der dabei auf die Netzhaut geschieht, in der Netzhaut gleichsam
zu Grunde gehe, im Gegentheil, er kann fortgepflanzt und auf den Oculomotorius reflectirt
werden, wenn er auch nicht zum Bewusstsein gelangt. Ich habe mehrmals Amaurotische
untersucht, welche bei gewöhnlicher Tageshelle Licht und Schatten nicht unterscheiden
konnten, und doch dabei merkliche Bewegungen der Iris darboten. Liess ich aber sehr
helles Licht mit dichtem Schatten wechseln, so hatten sie auch bestimmt und untrüglich
die Empfindung von diesem Wechsel. Es dürfen übrigens jene Schwankungen der Iris,
deren wir oben unter dem JSTamen Hippus gedachten, nicht mit Bewegungen verwech-
selt werden, welche unmittelbare Folgen des Lichtwechsels sind.
Wird die Pupille eines Auges durch Belladonna erweitert, so wird sie auch starr,
und verändert sich bei wechselndem Lichteinflusse auf das andere Auge nicht. Hieraus
folgt, dass die Belladonna nicht auf die Netzhaut, sondern nur auf die Ciliarnerven und
zwar auf den Sphincter pupillae lähmend einwirkt ; denn würde sich die Pupille wegen
gesunkener Energie der Netzhaut erweitern , so müsste sie den Veränderungen der
Pupille des gesunden Auges eben so gut folgen , wie an einem Auge, welches z. Beisp.
durch Erschütterung der Netzhaut oder durch Durchschneidung des Sehnerven allein er-
blindet ist. Valentin' s Versuch zeigt überdiess, dass an der höchsten Erweiterung der
Pupille durch Belladonna auch der Dilatator pupillae activen Antheil nimmt, insofern er
nach Lähmung des Sphinkters keinen Antagonisten zu überwinden hat, und sich contrahirt.
Träufelt man in ein Auge, dessen Iris durch vielfache Synechien an die Kapsel geheftet
ist, wiederholt eine hinreichend starke Lösung von Belladonna ein, so bekommt die
Pupille zwischen den Synechien starke Ausbuchtungen, eine Erscheinung, die sich
nicht durch blosse Erschlaffung oder Lähmung des Sphinkters erklären lässt, sondern
positiv Contraction der Radialfasern voraussetzt. Hieraus ergibt sich, wie und wann
die wiederholte Einträuflung von Belladonna zur Behebung hinterer Synechien nützlich
werden könne, wann und wie dasselbe Mittel bei Prolapsus iridis eine Wirkung er-
warten lasse, und was von der Besorgniss jener Ärzte zu halten sei, welche die Ein-
träuflung von Belladonna bei peripherischen Vorfällen der Iris aus Furcht, selbe zu ver-
grössern, widerrathen.
Erweiterung der Pupillen ist eines der constantesten Symptome von Depression der
Gehirnthätigkeit, z. B. durch Schädelbrüche, Geschwülste, Blut- oder Serumerguss ; hier ist
der Sphinkter erschlafft oder gelähmt. Sie erscheint aber auch bei gastrischen Zuständen, bei
Wurmreiz, bei Onanie u. dgl., und ist hier höchst wahrscheinlich durch Reizung des Sym-
pathicus und Vagus, mithin durch excessive Contraction des Dilatator pupillae bedingt.
Verengerung der Pupille hingegen begleitet Zustände mit stärkerer Erregung des
Gehirnes, so wie andrerseits Zustände mit deprimirtem Einflüsse des N. sympathicua.
Zeichen von Erkrankung des Rückenmarkes (medulla oblongata) und Amaurosis mit auf-
Arlt Augenheilkunde. II. 3
34 Regenbogenhaut.
fallend verengerter Pupille kommen so häufig zusammen vor, dass eine enge Pupille bei
Amaurotischen jederzeit zur sorgfältigsten Untersuchung des Rückenmarkes (seiner
Functionen) auffordert.
Ausserdem steht die Weite der Pupille in einem gewissen Verhält-
nisse zum Refractions zustande des Auges. Relativ grössere Pupille und
tiefere Lage der Iris und Linse hinter der Cornea (daher grössere vor-
dere Augenkamnier, nicht wie es gewöhnlich heisst: stärkere Wölbung
der Cornea) kommen so häufig mit Kurzsichtigkeit vor, dass man aus
jenen auf diese und aus dieser auf jene (in der Regel) schliessen kann.
Bei Weitsichtigen ist die Pupille auffallend eng und die Iris sammt der
Linse vorwärts gerückt. — Nach Senkung der Linse (spontan oder
durch Operation) oder nach Entfernung derselben (durch Extraction
oder Resorption) wird die Pupille jederzeit enger gefunden, als vorher
(auch in solchen Fällen, wo durchaus keine Synechien vorhanden sind).
— Entleerung des Humor aqueus macht die Pupille jederzeit eng, oft
auch wenn sie stark durch Belladonna erweitert worden war.
Die Iris hat ausser dem, dass sie durch verschiedene Weite der
Pupille die Menge des Lichtes für die Netzhaut regulirt, offenbar auch
die Bestimmung der sogenannten Diaphragmen an optischen Instrumen-
ten, nämlich die Abhaltung der Randstrahlen zur Vermeidung von Zer-
streuungskreisen auf der Netzhaut. Insofern als die Pupille beim Be-
trachten naher Objecte sich verengert und die Bildung von Zerstreuungs-
kreisen, welche hier am stärksten ausfallen müsste, verhindert, bethei-
ligt sie sich an der Accommodation des Auges, und vervollkommnet
dieselbe.
Aus dem grossen Gefässreichthume der Iris darf man schliessen,
dass sie (im Vereine mit den Ciliarfortsätzen) zur Absonderung des
Humor aqueus bestimmt sei. Sie kann aber nicht die einzige Quelle
dieser Flüssigkeit sein, weil der Humor aqueus nicht versiegt, wenn
die Iris, wie ich in einem Falle beobachtet, ringsum losgerissen und
zu einem unscheinbaren Klumpchen zusammen geschrumpft ist.
Eben so darf die Resorption der Linse, wenn die vordere Kapsel
hinreichend eröffnet ist, oder von Blut und Exsudat in der Augenkam-
mer nicht der Iris allein zugeschrieben werden; denn in jenem Falle
totaler Iridodialysis war das Blut, welches die gauze Kammer ausge-
füllt hatte, in Zeit von 8 Wochen vollständig resorbirt worden.
Über das Verhalten der Iris gegen verschiedene mechanische Ein-
wirkungen siehe Iritis traumatica.
Eiitziindimg im Allgemeinen — Symptome. 35
B. Krankheiten der Regenbogenhaut.
I. Entzündung der Iris.
A. Im All gemeinen.
Die Iris befindet sich oft mit andern Gebilden des Auges zugleich
im Zustande der Entzündung; sie ist im Verlaufe einer Augenentzün-
dung häufig das zuerst und vorwaltend, häufig das consecutiv oder se-
cimdär ergriffene Organ; sie kann aber auch ganz allein für sich jene
Veränderungen durchmachen, welche wir Entzündung nennen. Dem-
nach basirt sich das Verständniss sehr vieler krankhafter Zustände am
Auge auf die Kenntniss der Iritis und ihrer Folgen.
Die Symptome, welche durch Iritis gesetzt werden können, sind:
1. Vermehrte Injectioii der vordem Ciliararterien, gewöhnlich als
ein rosenrother Saum auf der Sclera rings um die Hornhaut wahrnehmbar.
Da diese Gefässe der Iris einen beträchtlichen Antheil ihres Blutes zuführen, und
mit den tiefern Ciliargefässen anastomosiren, so ist es begreiflich, warum diese abnorme
Injection bei keinem Falle von Iritis fehlen kann. Diese zonenfürmige Röthe kann partiell
erscheinen, "wenn die Iritis partiell ist ; sie wird bei schleichendem Verlaufe der Entzün-
dung oft nur dann deutlich, wenn das Auge momentan durch grelleres Licht, scharfe
Luft. Weinen u. drgl. gereizt wird; sie wird bei heftigen Entzündungen selbst über 2'"
breit, und bei gleichzeitiger Affection der Bindehaut bald durch ein mehr weniger dichtes,
verschiebbares, Scharlach- oder hochrothes Gefässnetz, bald durch gleichmässige Böthe
und Schwellung der Binde- und Scheidenhaut (Chemosis) verdeckt.
Diese Injection der vordem Ciliararterien, respective der rosenrothe Gürtel um die
Cornea herum, ist im Allgemeinen das erste Zeichen des Beginnens, ihre Abnahme das
erste Zeichen des Sinkens der Entzündung. An und für sich jedoch hat sie keine spe-
cifische Bedeutung für Iritis ; sie kommt auch bei Entzündung der Bindehaut (mit Exsu-
dation am Limbus», der Hornhaut, der Aderhaut etc. vor.
2. Verfärbung der Iris, partiell oder durchaus, ins Graue, Grüne
oder Röthliche.
Man kann im Allgemeinen sagen, eine lichte Iris werde grünlich, eine dunkle
röthlich ; besser ist's, sich in jedem Falle gegenwärtig zu halten, wodurch diese Farben-
änderung bedingt werden könne. Drei Momente sind hiebei vorzüglich in Anschlag zu
bringen. «. Die Hyperämie der Iris und die Stasis, vermöge welcher die überfüllten Ge-
fässe leicht der Iris ein röthliches Aussehen geben, selbst für das freie oder bewaffnete
Auge sichtbar werden können ; bei hohen Graden acuter Iritis kann daher auch eine
blaue oder graue Iris ein röthliches Aussehen darbieten, und bei chronischer Iritis werden
bisweilen einzelne sehr erweiterte Gefässe der Iris schon für's freie Auge sichtbar, ß. Das
zweite Moment ist die veränderte Consistenz der Iris; das entzündete Organ ist nicht nur
blutreicher, sondern auch lockerer, serös durchfeuchtet, und kann schon desshalb allein
nicht in der normalen Farbe erscheinen, y. Das wichtigste Moment ist die Ausscheidung
3*
36 Regenbogenhaut.
graulich-gelben Exsudates, welches sich entweder als ein dünner Anflug auf der Vorder-
fläche der Iris ablagert, oder einige Zeit in halbflüssigem Zustande im Humor aqueua
suspendirt bleibt, bis es sich in Form von Punkten oder Flocken an die hintere Wand
der Cornea niederschlägt, oder als gelbliche Masse in der Augenkammer zu Boden setzt.
Es werden demnach den von der Iris zurückgeworfenen Lichtstrahlen graugelbe (von
dem halbdurchsichtigen Exsudate) beigemengt, und die Farbe der Iris hiedurch mannig-
fach nuancirt. Die Mischung blauer und gelber Strahlen lässt die Iris grünlich erscheinen;
es kann aber auch eine braune Iris wie mit einem leichten Grau überzogen aussehen.
Die Verfärbung der Iris ist der Eeihe nach das zweite Symptom der Iritis, welches
sich deutlich wahrnehmen lässt. Sie bleibt oft lange nach dem Erlöschen des Exsuda-
tionsprocesses zurück. Stationäre Farben-Veränderung der Iris, stellenweise oder durchaus,
wird jedoch nur durch Ablagerung von Exsudat in das Gewebe der Iris selbst bedingt.
Sie lässt sich von der durch Atrophie der Iris bedingten Entfärbung (siehe Chorioiditis)
ebenso leicht unterscheiden, wie von angeborenen partiellen oder totalen Farbenspielen,
deren schon im vorigen Abschnitte Erwähnung gethan wurde.
Grünlich wird die entzündete Iris eigentlich nur im grossen (ge-
wöhnlich lichter gefärbten) Kreise; der kleine Kreis wird gewöhnlich
dunkler als früher, und diese Farbenveränderung pflegt eines der ersten
Symptome zu sein im Verein mit einer leichten Schwellung derselben
Partie der Iris. Dunkelfarbige Eegenbogenhäute nehmen meistens eine
matte, wie durch grau gedeckte Farbe an; ein röthliches Aussehen tritt
nur bei höhern Graden von Iritis auf.
3. Exsudation, in den Humor aqueus, an die Oberfläche der Iris,
besonders am Pupillarrande, in das Parenchym der Iris. Das Exsudat
ist entweder serös mit wenig Faserstoff, oder vorwaltend faserstoffig
(eitrig), selten hämorrhagisch. Weder die Plasticität, noch die MeDge
des Exsudates steht immer in geradem Verhältnisse zur Heftigkeit der
übrigen Zufälle der Entzündung.
So lange man nicht im Stande ist, Exsudat als Product der Iritis wahrzunehmen,
lässt sich auch die Gegenwart von Iritis selbst nicht mit Bestimmtheit behaupten. Man
muss demnach wissen, wo und wie die Exsudate aufzutreten pflegen.
Auf Exsudation im Parenchym kann man schliessen, wenn das Gewebe der Iris
deutlich geschwellt, ihre Faserung merklich verändert, verwischt erscheint. Der kleine
Kreis ist es insbesondere, welcher zuerst und am meisten ein aufgelockertes, schwammig-
filziges Aussehen bekommt. Die Exsudation im Parenchym tritt aber auch bisweilen um-
schrieben auf, in Form von gelben Knötchen oder Hügeln, welche von feinen Gefässchen
überschlängelt sind.
Die Exsuddtion an der Vorderfläche der Iris erscheint als lichtgrauer oder gelblicher
Anflug, und trägt das Meiste zur Verfärbung der Iris bei.
Wird plastisches Exsudat am Pupillarrande ausgeschieden, und diess geschieht bei
jeder nur einigermassen heftigen Iritis sehr bald, so wird der Pupillarrand an die Lin-
senkapsel angelüthet, und zwar stellenweise oder ringsherum, oder es bildet sich eine
förmliche Membran, welche die Pupille wie ein Spinngewebe ausfüllt; bei heftigen Fällen
wird die Pupille durch eine dickere Exsudatlage verschlossen.
Entzündung im Allgemeinen — Symptome. 37
Sectionen haben nachgewiesen, dass auch an der hintern Fläche der Iris Exsudat
ausgeschieden werden kann, ja dass bei manchen Formen die Exsudation vorzugsweise
an der hintern Fläche erfolgt — Uveitis mancher Autoren. Das Exsudat drängt dann
die Iris stellenweise vor, oder es zeigt sich als ein lichtgrauer Saum, welcher am Pu-
pillarrande gleichsam von der Hinterfläche der Iris vorgeschoben erscheint, oder in Form
von Zacken oder Fransen, und ist in solchen Fällen bald mehr bald weniger mit dunkel-
braunem Pigmente belegt.
Sehr oft wird bei Exsudation an der Hinterfläche der Iris etwas
Pigment abgestossen. Dasselbe präcipitirt sich dann allein oder mit
faserstoffigem Exsudate vermengt an die hintere Wand der Cornea, in
Form brauner oder schwärzlicher Punkte.
Der in den Humor aqueus ausgeschiedene Faserstoß' verursacht anfangs allgemeine
Trübung desselben, was leicht für Trübung der Cornea imponiren kann. Rasch und in
grösserer Menge ausgeschieden, senkt er sich in der vordem Augenkammer sogleich oder
in kurzer Zeit zu Boden, und bietet eine dem Unguis (vergl. I. B. S. 222) ähnliche Er-
scheinung dar. Xur selten wird so viel Exsudat geliefert, dass es die Hälfte oder selbst
zwei Drittel der Augenkammer einnimmt. Diese Erscheinung hat man Hypopyum verum
genannt. — Minder rasch und minder reichlich ausgeschieden, präcipitirt sich der faser-
stoffige Theil des Exsudates allmälig auf die den Humor aqueus umschliessenden Gebilde,
und wird als gleichmässige Trübung, später in Form von graugelben oder graubrau-
nen Punkten an der hintern Wand der Cornea, in selteneren Fällen auch auf der vordem
Fläche der Linsenkapsel sichtbar. — Ist das Exsudat vorwaltend serös, so kanD Yergrös-
serung der Augenkammer eine Zeit lang die einzige Erscheinung sein, welche dessen
Gegenwart andeutet.
4. Die Schwellung und Lockerung des Geioebes der Iris, deren be-
reits erwähnt wurde, tritt nur bei gewissen Formen und bei höheren
Graden der Iritis so deutlich auf, dass sie als Anhaltspunkt für die Dia-
gnosis benützt werden kann.
Die Iris erscheint etwas matter, dann leicht sammtartig- , endlich grobfilzig-aufge-
lockert. und in demselben Masse dicker, wulstig, endlich selbst der Cornea näher gerückt.
Diese Veränderung betrifft zuerst und vorzugsweise die innere Zone der Iris, und muss
wohl unterschieden werden von der jjassiven Vorwärtsdrängung der Iris, welche gleichfalls
in Folge von Entzündung einerseits durch Anlöthung der Iris an die Cornea, andererseits
durch Anhäufung von Humor aqueus oder von faserstoffigem Exsudat zwischen ihr und
der Linsenkapsel bewirkt wird.
5. Verminderte oder aufgehobene Beweglichkeit der Iris, mit mehr
weniger beträchtlicher Verengerung der Pupille. Beides kann vorhan-
den sein, noch bevor es zur Fixirung des Pupillarrandes durch Exsu-
dat gekommen ist. *
Durch die Hyperämie und Stasis, noch mehr aber durch die seröse Durchträn-
kung und Schwellung des Gewebes werden die Muskelfasern der Iris auf gleiche "Weise
in ihrer Function beeinträchtigt, wie in andern Organen, z. B. die Muskeln des Darm-
Lkanals bei Peritonaeitis oder bei Dysenterie. Ist die Entzündung über die ganze Iris
verbreitet, so müssen die Strahlenfasern so gut wie die Ptingfasern ergriffen, gelähmt
werden. Bevor es jedoch zur völligen Unterdrücke g der Muskelaction kommt, bringt
38 Regenbogenhaut.
die Affection der sensitiven Zweige des Ciliarsystems eine vermehrte Contraction des
Spkinctcr pupillae hervor. Schon der gewöhnliche Lichtreiz anf die Netzhaut ruft ver-
möge dieser Reizung der Ciliarnerven in dem entzündeten Organe eine schmerzhafte
Empfindung hervor, und die Folge davon ist eine verstärkte (ungewöhnliche) Reflex-
action im Oculomotorius, im N. lacrymalis und im N. facialis. Daher wird auch die
Pupille des andern (gesunden) Auges in erhöhtem Masse verengert, und zwar, da hier
der Sphinkter dem Impulse frei folgen kann, nicht selten weit mehr, als in dem kranken
Auge; daher entsteht vermehrte Thränenab sonderung, Verengerung oder Verschli essung
der Lidspalte. Wenn nun, wie gewöhnlich, noch vor völliger Lähmung des Sphinkters
Exsudation am Pupillarraude erfolgt, so wird die Iris bei enger Pupille an die Kapsel
angelöthet, und kann sofort aus diesem Grunde sich nicht mehr zurückziehen. Diese
Fixirung des Pupillarrandes bei verengerter Pupille wird aber wahrscheinlich auch noch
durch einen andern Umstand begünstigt. Es erfolgt nämlich die Exsudation vorzugs-
weise zur Nachtzeit. Während des Schlafes ist die Pupille enger, als bei dem inten-
sivsten Lichtreize , wahrscheinlich nicht allein wegen erhöhten Nerveneinflusses auf den
Sphinkter, sondern auch wegen gleichzeitiger Erschlaffung des Dilatators der Pupille.
Schläft nun der Kranke während oder nach der Exsudation, so erfolgt die Anlöthung
der Iris an die Kapsel bei enger Pupille. Bei genauer Beobachtung findet man sehr
häufig, dass sich Partien der Iris, welche nicht an die Kapsel angeheftet sind, auf ver-
schiedenen Liehtreiz noch deutlich bewegen. — Iritis mit weiter Pupille gehört unter
die Seltenheiten, daher auch über das Ursächliche dieser Ausnahme vor der Hand nichts
Bestimmtes angegeben werden kann. So viel ist gewiss, dass die Verengerung der
Pupille bei Iritis, so lange nicht Exsudate den Pupillarrand vielseitig fixiren, in geradem
Verbältnisse zur Lichtscheu und zum Thränenflusse steht. Wo Schwellung und Locke-
rung des Parenchyms der Iris deutlich ausgesprochen sind, pflegt die Pupille relativ
enger zu sein, als bei jenen Formen, welche sich durch Exsudation in den Humor aqueus
mit Präcipitation auf die hintere Fläche der Hornhaut auszeichnen.
6. Störung des Sehens kann in sehr verschiedenem Grade stattfin-
den, vom leichtesten Trübsehen bis zur blossen Lichtempfindung'.
Sie ist zum Theil durch die behinderte Beweglichkeit der Iris, vorzüglich aber
durch die Gegenwart von Exsudat in der Augenkammer, an deren Wandungen und in
der Pupille bedingt. Völlige Blindheit wird durch einfache Iritis niemals gesetzt, sondern
nur, wie wir weiter unten zeigen werden, durch das Hinzutreten von Chorioiditis. Auf
Entzündung, mindestens auf bedeutende Congestion der Chorioidea deuten übrigens auch
die Lichterscheinungen, welche bisweilen bei acuter Iritis bemerkt werden, während das
Mückensehen, welches bei chronischer Iritis ziemlich häufig vorkommt, zuvörderst in der
Trübung der durchsichtigen Medien und in der gestörten Accommodation des Auges be-
gründet ist. (Siehe unten die betreffenden Kapitel.)
7. Sehmerzen im Auge und nach der Ausbreitung des Nervus supra-
oder infraorbitalis,
8. Gesteigerte Empfindlichkeit gegen das Licht und gegen jede An-
strengung der Sehkraft, vom niedrigsten Grade bis zur heftigsten Licht-
scheu, und
9. Thränenfluss sind Erscheinungen, welche aus einer und dersel-
ben Quelle, aus der Affection der sensitiven Zweige der Ciliarnerven
Entzündung im Allgemeinen — Verlauf — Ausgänge. 39
entspringen, daher mit einander immer so ziemlich gleichen Schritt
halten, bald in kaum merklichem, bald im höchsten Grade vorhanden
sind. Sie geben im Vereine mit der Injection der Ciliargefässe den
sichersten Massstab für den rascheren oder langsameren Verlauf, so wie
für das Steigen und Fallen der Entzündung ab.
Die Schmerzen nach dem Verläufe der sensitiven Zweige des Trigeminus und der
Thränenfluss sind Eeflcxerscheinungen von der Affection der Ciliarnerven, und sind daher
auch von der Erregbarkeit des Nervensystems überhaupt abhängig, und in so ferne
können sie auch mit mehr weniger deutlichen Re- und Intermissioncu auftreten. Diese
letztere Erscheinung gab Veranlassung zur Annahme einer Iritis intermittens.
Die Lichtscheu hängt auch bei Iritis nicht, wie Cad€ und Tavignot behaupteten,
von der schmerzhaften Zerrung ab, welche die Bewegungen der Iris in dem gleichzeitig
entzündeten (?) Strahlcnbande verursachen sollen; denn sie dauert auch bei völlig unbe-
weglicher Iris und bei völlig geschlossener Pupille häufig noch fort. Sie ist direct in
der Reizung der Ciliarnerven durch den Exsudationsprocess selbst begründet, und der
gewohnte Reiz des Auges, das Licht, wird vermöge der physiologischen Beziehung, in
welcher Netzhaut und Ciliarnerven zu einander stehen, eben so wenig ohne Schmerz
vertragen, als z. B. ein leichter Druck auf das entzündete Auge, oder rascher Tempe-
raturwechsel u. dgl. — Der Ansicht Sichel's, dass heftige Lichtscheu bei Litis auf Ent-
zündung der Netzhaut deute, steht die schon von Makenzie angeführte Thatsache ent-
gegen, dass eine künstliche Pupille oft das Gesicht wieder herstellt, wenn nach Iritis mit
der heftigsten Lichtscheu die Pupille durch Exsudat verschlossen ist.
10. Hyperämie und Ödem benachbarter Gebilde, der Conjunctiva
Tbulbi, der Cornea, der Augenlider.
Bei acut und heftig auftretenden Fällen selbst einfacher Iritis kann es geschehen,
dass nicht nur die Conjunctiva bulbi von zahlreichen Gefässen durchzogen und durch
Serumerguss geschwellt, sondern auch die Cornea matt, glanzlos, ödematös wird; Röthe
und Schwellung des obern Augenlides (längs des Randes) deuten immer auf einen hohen
Grad einer acut verlaufenden Iritis.
11. Fieber, gastrische Erscheinungen. Die Iritis gehört unter jene
Augenentzündungen, welche an und für sich, durch ihre Heftigkeit
allein, den Gesammtorganismus in Mitleidenschaft ziehen können, offen-
bar mittelst des Ciliarnervensystemes , so wie es eine bekannte Sache
ist, dass selbst leichtere Verletzungen der Ciliarnerven Brechneigung
und wirkliches Erbrechen zu erregen pflegen.
Dem gegenüber muss aber, um kein irriges Bild von der Iritis zu entwerfen,
auch bemerkt werden, dass es Fälle gibt, wo Kranke, namentlich solche, die ihre Augen
nicht zu besonders feinen Arbeiten verwenden, auf dem einen Auge allmälig durch
Iritis erblinden, und erst durch irgend einen Zufall auf diesen Verlust aufmerksam ge-
macht werden. So gering können die Zufälle sein, welche den exsudativen Process in
der Lis begleiten.
Verlauf und Ausgänge. Die Symptome, welche der Iritis zu-
kommen, variiren in den verschiedenen Fällen sowohl in Bezug auf
den jeweiligen Complex, als in Bezug auf ihre Reihenfolge mehr, als
40 Regenbogenhaut.
vielleicht bei irgend einer andern Augenentzündung. Nur selten wird
man die meisten oder alle genannten Symptome wahrnehmen; in der
Regel muss die Diagnosis auf das Vorhandensein mehrerer, und auf die
Unmöglichkeit, deren Gegenwart anderweitig zu erklären, gestützt werden.
a. In einer Reihe von Fällen, die man als acute bezeichnen kann,
kündigt sich der Ausbruch der Entzündung dem Kranken durch ein
Gefühl von Druck oder Völle im Augapfel, alsbald auch durch mehr
weniger heftige Schmerzen nach dem Verlaufe des N. supra- oder in-
fraorbitalis, durch Lichtscheu, Tbränenfluss und Trübung des Gesichtes
an. Untersucht man das Auge, so findet man die vordem Ciliararterien
stärker injicirt, gewöhnlich einen rosenrothen Saum um die Cornea
bildend, die Pupille von mittlerer Grösse oder enger, die Iris minder
beweglich (langsamer und kleinere Excursionen machend), mehr weni-
ger verfärbt (besonders im kleinen Kreise dunkler), minder glänzend
(matt). Bald früher, bald später sieht man die Iris (im kleinen Kreise)
gelockert und geschwellt, den Pupillarrand minder scharf, die Pupille
minder schwarz (wegen Trübung des Humor aqueus oder wiegen Exsu-
daten im Bereiche der Pupille). — Bisweilen sind heftige Schmerzen
in der Stirn (wohl auch im Hinterhaupte) und Übligkeiten oder Er-
brechen die ersten Zufälle, welche Iritis ankündigen.
b. In einer andern Reihe von Fällen besteht durch einige Zeit (oft
viele Tage) stärkere Injection der Ciliararterien oder zonenförmige
Röthe auf dem vordem Umfange der Sclera, gesteigerte Empfindlich-
keit des Auges gegen Licht und Anstrengung, und vermehrte Thränen-
absonderung; erst allmälig gesellen sich Trübung des Gesichtes, dann
leichtere, endlich heftigere Schmerzen, letztere oft paroxysmenweise, und
Zeichen von Exsudation im Humor aqueus, in der Pupille oder in der
Iris hinzu. Solche Fälle sind häufig für Scleritis gehalten wrorden, zu
welcher, wie man meinte, erst später Iritis hinzutrete. Bei minder stür-
mischem Auftreten kann es vorkommen, dass man die Iris wenig oder
gar nicht verfärbt, die Beweglichkeit ringsum oder bis auf eine und
die andere Stelle ungestört, die Pupille unverengert oder selbst erwei-
tert, und dennoch bereits Exsudat an der hintern Wand der Hornhaut,
an einer und der andern Stelle des Pupillarrandes , oder in der Sub-
stanz der Iris selbst (in Form eines gelblichen Hügels oder Knotens;
findet.
c In andern Fällen endlich, grösstenteils als Iritis chronica be-
schrieben, ist Exsudation und dadurch bedingte Störung des Sehver-
mögens das erste Symptom, welches die Gegenwart von Iritis andeutet
Einige graue Punkte an der hintern Wand der Cornea, oder eine viel-
Entzündung im Allgemeinen — Verlauf — Ausgänge. 41
leicht nur partielle Anschwellung und Verfärbung der Iris und ein oder
mehrere vorspringende Winkel, welche der Pupillarrand bei gewöhnlichem
Stande oder bei (kunstlicher) Erweiterung der Pupille bildet, oder aber
eine spinnwebenartig in der Pupille ausgebreitete Membran, dabei etwas
stärkere Injection der vordem Ciliararterien (und Venen) und grössere
Empfindlichkeit gegen helleres Licht und Anstrengung der Augen —
welche letzteren Symptome oft erst im Momente genauerer Unter-
suchung des Auges deutlich hervortreten : diess kann die Summe der
Erscheinungen sein, welche dem Arzte die Anwesenheit der Iritis ver-
rathen. Solche Fälle sind daher auch als Iritis occulta beschrieben
worden. Der minder aufmerksame, und selbst der minder geübte Beob-
achter kann leicht ein Leiden der Netzhaut — Amblyopie — vor sich
zu haben vermeinen.
Die Iritis, sie mag wie immer auftreten, bedroht das Sehvermögen
einmal durch die Exsudate, welche sofort das freie Eindringen der Licht-
strahlen bis zur Krystalllinse mehr weniger behindern, noch ärger aber
durch Veränderungen der Chorioidea und Netzhaut, in gewissen Fällen
auch der Hornhaut, welche die Sehkraft absolut vernichten.
1. Die häufigste Folge von Iritis sind einzelne hintere Synechien.
Der Pupillarrand wird durch plastisches Exsudat an einer oder an meh-
reren Stellen an die Linsenkapsel angelöthet, und zwar für immer oder
für unbestimmt lange Zeit. Solche Verklebungen entstehen gewöhnlich
schon in einer sehr frühen Periode des Iritis, und geben sich durch
vorspringende Winkel des Pupillarrandes kund. Sie sind entweder grau
oder durch Pigment gedeckt. Sie kommen bald ringsherum, bald nur
an einer und der andern Stelle vor, in letzterem Falle bei weitem häu-
figer in der untern als in der obern Hälfte des Pupillarrandes. Wenn
die Pupille zur Zeit, wo man das Auge betrachtet, ebenso eng ist, als
zur Zeit ihrer Entstehung, so können sie der Beobachtung leicht ent-
gehen. Ihre Gegenwart lässt sich, falls die Beweglichkeit der Iris nicht
gänzlich aufgehoben ist (bei sehr heftiger Entzündung), durch Beschat-
tung der Augen, noch besser durch Einträufeln von Belladonna erkenn-
bar machen. — Sie beeinträchtigen die Function des Sehens um so
mehr, je weiter sie gegen das Centrum der Kapsel vorragen, und je
mehr sie die Bewegung der Iris hindern. Diese Störung des Gesichtes,
-welche sich am meisten bei rascheren Übergängen zwischen Licht und
Schatten, und unter Verhältnissen, die eine genauere Accommodation des
Auges erfordern, fühlbar macht, ist besonders in der ersten Zeit lästig;
nach und nach vermindert sie sich, und es können Kranke, welche auf
einem oder auf beiden Augen beträchtliche Synechien darbieten, sich
42 Regenbogenhaut.
eines nahezu normalen Gesichtes erfreuen. Manche Synechien verlieren
sich mit der Zeit spurlos; andere hinterlassen graue oder braune Punkte
auf der Kapsel; die meisten sind bleibend. — Ob die Kunst etwas ver-
möge, Synechien schwinden zu machen, lässt sich bis jetzt weder be-
jahen noch verneinen. Ich habe in mehreren Fällen solche Augen durch
Einstreichen von rothem Präcipitat (in Salbenform) stark gereizt (hin-
reichend lange nach erloschenem Exsudationsprocesse), und dann in
Zwischenräumen von 3 — 5 Tagen Belladonna (3 — 4 Gran Extr. auf
\ Drachme Wasser) eingeträufelt, konnte mich aber von der Nützlich-
keit dieses mehrseitig empfohlenen Verfahrens bisher noch nicht ge-
nügend überzeugen. In physiologischer Beziehung interessant ist die
Thatsache, dass der Pupillarrand überall, wo er frei ist, gegen die Peri-
pherie zurückweicht. Darf man annehmen, dass die Belladonna den
Sphincter pupillae erschlafft, dann kann dieses Phänomen wohl nur da-
durch entstehen, dass durch diese Erschlaffung die Kadialfasern ihres
Antagonisten entledigt werden, und nun sich frei contrahiren können.
Dann hat aber auch die wiederholte künstliche Erweiterung der Pupille
behufs der Tilgung hinterer Synechien einen Grund a priori für sich.
In chronisch verlaufenden Fällen von Iritis bildet sich ein Zustand
aus, den man als ringförmige hintere Synechie bezeichnen kann. Der
Pupillarrand wird mittelst eines bald mehr bald weniger breiten Saumes
von Exsudat fixirt, Dieser Saum ist lichtgrau oder braun, nimmt die
Hälfte, zwei Drittel oder den ganzen Eand der Pupille ein, und heftet
die Iris bleibend an die Kapsel. Seine Lage zum Pupiilarrande ist oft
eine solche, dass es aussieht, als wäre dieser Saum von der hintern
Augenkammer aus zwischen Iris und Kapsel vorgeschoben worden.
Gegen das Centrum der Pupille hin verliert sich dieser Saum allmälig,
indem er dünner und dünner wird; die Pupille selbst ist dann nur in
ihrer innersten Mitte frei von Exsudat.
2. In andern Fällen wird die Pupille ganz oder Iheilweise gesperrt
durch eine bald dünnere, bald dickere, membranartig in derselben aus-
gespannte Exsudatschichte. Ganz dünne Membranen haben mit einem
Spinnengewebe grosse Ähnlichkeit, nicht nur in Bezug auf den eigen-
thümlichen Glanz und auf den Grad der Durchsichtigkeit, sondern auch
in Bezug auf die Anheftung an den Pupillarrand. Der Eand einer sol-
chen Membran ist meistens an einzelnen Stellen frei, nur durch isolirte
Zacken an die Iris angeheftet. Indem die dadurch entstehenden Lücken
völlig schwarz erscheinen, machen sie die Gegenwart der Membran
selbst leicht erkennbar. Dickere Membranen fallen sogleich durch ihre
Undurchsichtigkeit auf. Auch sie stehen — nach längerem Bestände —
Entzündung im Allgemeinen — Verlauf — Ausgänge. 43
oft nur durch einzelne Zacken mit der Iris in Verbindung. Es kom-
men Fälle vor, wo das Exsudat die Form eines Sternes, oder eines
Kreuzes darbietet. Totale Pupillensperre durch unmittelbare Berührung
(Verwachsung) des Pupillarrandes dürfte wohl unter die grössten Sel-
tenheiten gehören. Immer, die Pupille mochte noch so stark verengert
sein, konnte ich das dieselbe verschliessende Exsudat als einen licht-
grauen oder gelblichen Pfropf in derselben wahrnehmen. — Je dünner
die Exsudatschichte, oder je grösser einzelne Lücken zwischen ihr und
der Iris, desto weniger bedeutend ist die Störung des Sehvermögens.
Es gibt Kranke, welche durch eine sehr enge Öffnung (wie ein Nadel-
stich) für die Nähe und Ferne noch ein auffallend scharfes Gesicht be-
sitzen. — Derlei Exsudate in der Pupille verschwinden niemals, wohl
aber können sie dünner werden, und an einer oder der andern Stelle
sich von der Iris loslösen. Dass ein Exsudat, welches die Mitte der
Pupille einnimmt, jemals ringsum frei geworden wäre, und somit einen
ähnlichen Befund, wie bei Catar. capsul. centralis dargestellt hätte
(vergl. I. B. S. 233), habe ich niemals beobachtet. Es ist diess auch
sehr unwahrscheinlich. — Ich habe mehrere Augen mit solchen Membra-
nen in der Pupille secirt, und gefunden, dass sich die Iris sammt der
Membran sehr leicht von der Kapsel abheben Hess. Die Kapsel war
darunter vollkommen glatt und durchsichtig. In andern Fällen ist die
Anlöthung des Exsudates an die Kapsel eine feste. In seltenen Fällen
entwickeln sich Gefässchen (vom Pupillarrande aus) in dickeren Exsu-
daten. Zwischen der Kapsel und diesen Exsudaten selbst besteht wohl
selten eine eigentliche organische Verbindung. — Der Kunst bleibt in
Fällen, wo den Lichtstrahlen der Durchgang zum Innern des Auges
durch solche Exsudate verwehrt ist, nur noch ein operatives Eingreifen
übrig, die Anlegung einer künstlichen Pupille, wovon im nächsten Ab-
schnitte die Rede sein wird.
Wenn, wie nicht selten geschieht, in derart veränderten Augen Trübung der Linse
hinzutritt, so entsteht das, was man Cataracta accreta genannt hat. Die Exsudate in der
Pupille selbst, bei ungestörter Durchsichtigkeit der Kapsel und der Linse, hat man in frü-
herer Zeit als Cataracta spuria, lvmphatica u. dgl. bezeichnet. Letztere Benennung ist
heut zu Tage ziemlich allgemein — und mit Recht — ausser Gebrauch gekommen.
3. "Wenn bei Iritis sehr viel faserstoffiges Exsudat in den Humor
aqueus ausgeschieden wird, so setzt sich dasselbe zu Boden, und stellt
das sogenannte Hypopyum dar. Man sieht eine gelbliche Materie zwi-
schen Cornea und Iris in dem untersten Theile der Augenkammer ange-
sammelt; ihre obere Fläche erscheint concav, mit zwei Hörnern wie ein
Halbmond, wenn nur wenig Exsudat sich zu Boden gesetzt hat, oder
44 Regenbogenhaut.
eben, wenn die Flüssigkeit ein Drittel oder die Hälfte der Augenkam-
mer ausfüllt, oder uneben und höckerig, wenn das Exsudat sehr con-
sistent und mehr zu einem Klumpen geronnen ist. Von der Menge und
von der Consistenz des Exsudates hängt es auch ab, ob dasselbe seinen
Ort mit der Lage des Kranken verändert oder nicht. Ich habe noch
keinen Fall gesehen, wo das Exsudat den Humor aqueus ganz ver-
drängt hätte. In dem ärgsten Falle war noch */» desselben vorhanden.
— Ob das Exsudat eitrig sei oder nicht, lässt sich selten mit Gewiss-
heit bestimmen. Man darf diese Beschaffenheit voraussetzen, wenn
gleichzeitig Keratitis mit Abscess- oder Geschwürsbildung, oder Chorioi-
ditis mit eitrigem Exsudate (s. Krankheiten der Chorioidea) vorhanden
ist. Alsdann steht Verschwärung und Durchbruch der Cornea mit deren
weiteren Folgen zu befurchten. Ausserdem werden solche Exsudate,
sofern sie nicht künstlich (durch die Punctio corneae) entleert werden
müssen — vgl. I. Bd. S. 197 — allmälig resorbirt. In den meisten die-
ser Fälle bleibt dann eine mehr weniger dicke Exsudatmembran in der
Pupille zurück. ■ — Ausserdem können solche Exsudate auch zur Ver-
klebung des peripherischen Theiles der Cornea und Iris führen, worauf
wir später noch zurückkommen.
Beer*) und nach ihm Viele haben die Behauptung aufgestellt, dass heftige Iritis zur
totalen Verwachsung der Iris und Cornea und sofort zur Entstehung von Hornhautstaphylom
führen könne. Diese Ansicht muss dahin berichtigt werden, dass Iritis nur dann zur
Staphylombildung Anlass geben kann, wenn sie dxirch eitriges Exsudat Verschwärung und
Durchbohrung der Cornea gesetzt hat. Durch das bei Iritis gelieferte Exsudat können
Iris und Cornea wohl in grosser Ausdehnung mit einander verklebt werden; eine eigent-
liche Verwachsung findet aber niemals statt, und noch weniger eine Hervorlreibung beider
Gebilde zusammen. Auch die Combination von Iritis und Keratitis führt niemals zur
Staphylombildung, ausser wenn die Cornea (durchaus oder in einer grössern Partiel durch
Eiterung bis zum Durchbruche zerstört worden ist.
Man spricht ferner seit Beer fast allgemein von Eiteransammlung in der vordem
Augenkammer als Folge von Abscessen in der' Iris. Ich war bisher auch bei den heftigsten
Fällen von Iritis nicht im Stande, jene gelben Hügel in der Iris aufzufinden, welche bersten
und Eiter in die Augcnkammer ergiessen sollen , und eben so wenig konnte ich jemals
ein Geschwür oder gar eine Durchlöcherung der Iris durch ein Geschwür wahrnehmen.
4. Punktförmige Trübinuj der hintern Flüche der Cornea ist eine
Erscheinung, welche sehr häufig längere Zeit nach Iritis zurückbleibt.
Es gibt Fälle von Iritis, wo diese Erscheinung schon während der Iritis
selbst in den Vordergrund der Symptome tritt, während sie in andern
Fällen gänzlich fehlt, oder eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Man
sieht mehr weniger zahlreiche lichtgraue oder graubraune (schwärzliche)
Punkte oder Flecke, deren Sitz bei genauerer Betrachtung auf die hiu-
*) Lehre von dun Augenkrankheiten, Wien 1813, I. B. S. 438.
Entzündung im Allgemeinen — Verlauf — Ausgänge. 45
tere Wand der Cornea bezogen werden muss. Bisweilen löst sich eine
scheinbar gleichmässige Trübung der Hornhaut erst unter der Loupe in
solche Punkte auf. Die Loupe ist auch im Allgemeinen das beste Mit-
tel, die Entfernung dieser Exsudate von der vordem Fläche der Horn-
haut zu beurtheilen. Mit freiem Auge entdeckt man sie am ehesten,
wenn man das Auge so stellen lässt, dass die Pupille (als schwarzer
Hintergrund] hinter dieselben zu stehen kommt. Braune Punkte wer-
den an Augen mit blauer oder grauer Iris dieser gegenüber besser
sichtbar. — Sie verursachen, wenn sie der Pupille gerade gegenüber
sitzen, mehr weniger Störung des Gesichtes; allmälig jedoch verschwin-
den sie, ohne einen bleibenden Nachtheil zu hinterlassen, von selbst. —
In Fällen frischer Präzipitation erscheint bisweilen die Cornea darüber
leicht getrübt und gelockert, wie mit feinen Nadeln gestichelt (Ödem
der Cornea), ein Zustand, welcher von Entzündung der Cornea, Infiltra-
tion derselben mit Exsudat selbst, wohl unterschieden werden muss.
Da bei manchen Formen von Iritis die übrigen Zufälle der Entzündung sehr gering-
fügig sein können, da namentlich Verengerung und Verzogensein der Pupille fehlen können,
so wurde in solchen Fällen von vielen Beobachtern die Affection der Iris übersehen oder
als Nebensache betrachtet, und die Quelle dieser Exsudate in Entzündung der Desceniet-
schen Haut gesucht. Von der Irrthümlichkeit dieser Anschauungsweise überzeugt, nehmen
wir keinen Anstand jene Fälle, welche seit Wardrop als Hydromeningitis (Jüngken), Hy-
datoditis {Fischer) , Aquocapsulitis (Malcenzie) , Keratoiritis (Rosas) , Keratite pointille'e
(Desmarres) u. dgl. beschrieben worden sind, als Iritis anzusprechen.
Niemals treten solche Punkte an der hintern Wand der Hornhaut auf, ohne dass
Zeichen von Iritis vorhanden sind. Diese Punkte erscheinen in der Mehrzahl der Fälle
nur an der untern Hälfte der Cornea, und wenn ja an der obern Hälfte welche vorkom-
men, so sind diese kleiner und spärlicher, als in der untern. Warum sollte die Desce-
metsehe Haut, wenn sie sich überhaupt jemals entzündet (?), gerade nur immer in der untern
Hälfte (mehr) Exsudat liefern ? — Der schlagendste Beweis aber ist der, dass man bisweilen
Gelegenheit bekommt, einzelne Exsudatflocken oder Punkte vor der Präcipitation im Kam-
merwasser hin und her schweben zu sehen. Ich habe ferner zwei Fälle beobachtet, wo
solche Exsudate , nachdem der Kranke während der Iritis beständig auf der Einen Seite
im Bette gelegen war , in der entsprechenden Seitengegend der Cornea , und nicht, wie
gewöhnlich, in der untern Hälfte derselben abgelagert waren. — Die zu Klümpchen ge-
ronnenen Exsudate folgen denselben Gesetzen (der Schwere und Trägheit), welchen z. B.
frisch geronnener Käse folgt, wenn man Flocken davon in eine mit Wasser gefüllte Flasche
gibt , diese verstopft , und dann rasch hin und her bewegt. Daher kann man bisweilen
schon aus der Form und aus der Anordnung dieser Trübungen erkennen, dass sie an die
hintere Hornhautwand gleichsam angeschwemmt sind, wie Sand am Ufer. Die vorwalten-
den Bewegungen des Bulbus sind die von oben nach unten, und umgekehrt. Daher sieht
man auch bisweilen ganz deutlich, dass in den Fluctuationen, von welchen die Exsudat-
moleküle vor ihrer Präcipitation bewegt wurden, diese Richtung vorwaltete, und die mei-
sten oder sämmtliche Präcipitate haben Anhängsel, die alle nach Einer Richtung hin sich
allmälig verlieren. Ein andermal sind um einen Kernpunkt Exsudate angelagert, wie
46 Regenbogenhaut.
ein Hof um eine Kerzenflamme. Dass dem Auftreten dieser Punkte allgemeine Trübung
des Kammerwassers (scheinbar der Hornhautfläche) vorhergeht, hat man oft genug Ge-
legenheit zu beobachten. — In einigen Fällen habe ich ganz dieselben Punkte zugleich
auf der vordem Fläche der Linsenkapsel wahrgenommen. — Wenn Wardrop versichert,
durch die Entleerung des Kammerwassers (Paracentesis corneae) in frischen Fällen die
Durchsichtigkeit der vordem Kammer augenblicklich wieder hergestellt zu haben, so kann
er offenbar nur Fälle vor sich gehabt haben, wo die Exsudate noch im Humor aqueus
suspendirt oder lose an die Cornea angelegt waren.
5. Nach chronischer Iritis mit Ausscheidung von Exsudat in das
Kamnierwasser und in die Pupille als vorwaltender Erscheinung tritt
sehr oft Anlötkurig der Iris an die Cornea ein, und zwar von der Peri-
pherie her, stellenweise oder ringsherum. Wenn in solchen Fällen zu-
gleich der Pupillarrand ringsum oder theilweise an die Kapsel fixirt
ist, so erhält der mittlere (zwischen Ciliar- und Pupillarrand gelegene)
Theil der Iris ein eigenthümlich buckliges Aussehen, ähnlich einer
Kugelhupfform oder einem feuerspeienden Berge mit vertieftem Krater.
Die Ursache dieser Form- und Lageveränderung der Iris liegt theils in
jener Anlöthung an die Cornea, theils in der Fixirung des Pupillarran-
des; dass auch Exsudat (flüssiges oder festes) hinter der Iris sich an
diesem Effecte betheiligen könne, ist durch Sectionen erwiesen. Nie-
mals aber liegt diesem Zustande eine Anschwellung oder Verdickung
der Iris selbst zu Grunde, und die von Amnion eingeführte Bezeich-
nung Iridauxesis ist daher eine irrige; denn die Iris ist in solchen
Fällen jederzeit verdünnt, und wird allmalig atrophisch. Sie zeigt im
Allgemeinen eine licht schiefergraue Färbung und stellenweise, wo ihre
Fasern aus einander weichen, dunklere Flecke oder Streifen. Das die
Iris und Cornea verklebende Exsudat ist bisweilen so dünn, dass man
es, wenigstens in späterer Zeit, nicht mehr als das bindende Mittel
wahrnehmen kann. — Dieser Zustand ist in der Regel bleibend, und
kommt sehr häutig mit einem der beiden folgenden Zustände vor.
6. Wenn die entzündliche Affection der Iris sehr lange fortbesteht,
oder mit scheinbaren oder wirklichen Intervallen öfters und durch län-
gere Zeit wiederkehrt, so geschieht es, dass der vorderste Theil der
Sclera erweicht und ausgedehnt wird und bläuliche Hügel oder Wülste
unmittelbar an der Basis corneae bildet. Die Sclera wird durch den
in überflüssiger Menge ausgeschiedenen Humor aqueus ausgedehnt und
hervorgetrieben (Staphyloma sclerae anticum). Dabei kann das Sehver-
mögen gänzlich aufgehoben sein (durch den Druck nach rückwärts),
oder auch den mechanischen Hindernissen (Exsudaten in der Pupille)
entsprechend sich verhalten. In wie fern das Corpus ciliare an der
Zustandebringung dieser Veränderung des Bulbus Theil nehme, lässt
Entzündung; im Allgemeinen — Vorkommen — Ursaehen. 47
c9 na "»o
sich nicht bestimmen; so viel aber ist gewiss, dass in manchen Fällen
die vorderste Partie der Sclera selbst von Exsudat durchtränkt und so-
fort in ihrem Gewebe verändert werde. (Vergl. Krankh. der Sclera,
S. 11—15.)
7. Durch Hinzutreten von Chorioiditis kann die Iritis zu gänzlicher
und unheilbarer Blindheit führen. Dieser traurige Ausgang kann bei
acut verlaufender Iritis unter Steigerung sämmtlicher Zufälle eintreten;
er wird aber bei weitem häufiger nach chronischer Iritis beobachtet,
wo er sich ganz allmälig und unvermerkt entwickelt. Eine klare Dar-
stellung dieses Zustandes kann erst in dem Buche über die Krankhei-
ten der Chorioidea gegeben werden. Hier sei vorläufig nur bemerkt,
dass, wenn Chorioiditis zu chronischer Iritis hinzugetreten ist, der Bul-
bus allmälig entweder verkleinert oder vergrössert wird. In ersterem
Falle verliert der Bulbus an Consistenz, wird weicher, teigig anzufüh-
len, endlich viereckig, in der Gegend der Musculi recti eingedrückt,
atrophisch; in letzterem Falle entstehen, unter vermehrter Consistenz
des Bulbus, jenseits des Corpus ciliare bläuliche Hügel oder Hervor-
treibungen der Sclera (Staphyloma sclerae laterale).
Die Thatsaehen , dass nach, chronischer Iritis nicht selten Atrophie des Bulbus, in
andern Fällen dagegen Vergrösserung mit theilweiser Ausdehnung der Sclera folgt, dass
sehr oft, auch wenn die Form des Bulbus nicht verändert ist, dennoch die Sehkraft ver-
nichtet erscheint, und zwar durch Lähmung der Netzhaut, und dass an Augen, welche
durch chronische Iritis bis auf mehr weniger deutliche Lichtempfindung erblindet sind,
auch ganz gut gelungene künstliche Pupillen nichts nützen, diese Thatsaehen Hessen wohl
ein Erkranken der tiefern Gebilde des Bulbus (Chorioidea, Retina, Glaskörper) errathen,
und eine allmälige Ertödtung der Netzhaut bestimmt voraussetzen ; dass jedoch die Cho-
rioidea das Gebilde sei, von welchem aus jene Erscheinungen eingeleitet werden, ist —
mir wenigstens — erst in letzterer Zeit aus einigen Sectionen klar geworden. Der Sym-
ptomencomplex, welcher seit Beer unter der Aufschrift: Ophthalmia interna (communis)
beschrieben wurde , darf fernerhin wohl mit Becht auf die Combination von Chorioiditis
mit Iritis bezogen werden. Bei der Lehre von den Krankheiten der Chorioidea werden
anatomische Befunde solcher Augen beschrieben werden.
Vorkommen und Ursachen. Die Iritis kommt am häufigsten im
Jünglings- und Mannesalter vor, selten im Greisen- und Knabenalter.
Vor das 6. Lebensjahr fällt unter 100 Fällen von Iritis kaum einer, es
müsste denn durch einen traumatischen Eingriff oder consecutiv bei
Hornhautgeschwüren Iritis entstanden sein. Das Geschlecht macht —
nach meinen Zählungen — keinen erheblichen Unterschied. Dunkle
Farbe der Begenbogenhaut scheint dem Entstehen von Iritis günstiger
zu sein, als lichte. Das linke Auge wird häufiger ergriffen, als das
rechte, und wenn — wie gewöhnlich bei schleichendem Verlaufe —
beide Augen nach einander erkranken, so beginnt der Process häufiger
48
Regenbogenhattt.
an dem linken Auge. Fälle von gleichzeitiger Erkrankung beider Augen
sind selten.
Eine übersichtliehe Zusammenstellung sämmtlicher Fälle von Iritis , welche in den
Jahren 1847 bis 1851 in das hiesige allgemeine Krankenhaus aufgenommen wurden, und
welche sich, mit Ausschluss der traumatischen und consecutiven Fälle, auf 162 belaufen,
ergibt folgende Data.
Vom 5.-
-8. Jahre
8.-
-15.
15.-
-25.
25.-
-45.
45.-
-70.
Mannlich
"Weiblich
M. W.
M. W.
M. W.
M. W.
acut chron.
acut chron.
ac, ehr. ac. ehr.
ac. ehr.
ac. ehr.
ac. ehr.
ac. ehr.
ac. ehr.
ac. ehr.
— 1
1 1
2
1 6
7
— 3
3
6 13
12 22
21 22
13 13
8 4
12
7 8
1
19
34
43
26
15
Zahl der Männer 82, der Weiber 80. Bloss auf dem linken Auge litten 40, bloss auf
dem rechten 35 , auf beiden 87 Individuen. Die Zahl der chronischen Fälle, und, was
hiemit in nahem Zusammenhange steht, die Zahl beiderseitiger Iritiden nach dieser
Tabelle kann keinen Massstab abgeben für das wirkliche Vorkommen ; denn in die Augen-
heilanstalt der Hauptstadt kommen — aus leicht begreiflichen Gründen — viele bloss auf
Einem Auge Erblindete nicht so leicht, als beiderseits Erblindete, und acute Fälle un-
gleich seltener als chronische.
Dass traumatische Eingriffe an und für sich hinreichen, Iritis zu
erregen, ist durch zahlreiche Beobachtungen erwiesen. Durch Versuche
an Thieren hat Jedermann Gelegenheit, sich davon zu überzeugen. Zu-
fällige Verletzungen sind es viel seltener, welche die Iris allein in Ent-
zündung versetzen, als absichtliche Eingriffe, namentlich Staaropera-
tionen. (Das Nähere hierüber kann erst bei den Krankheiten der Linse
angeführt werden.)
Dass Verhüllung in mannigfacher Weise Iritis erregt, ist gleichfalls
Thatsache der Beobachtung. Es wurde bereits S. 12 und 13 im I. B.
bemerkt, dass katarrhalisch afficirte Augen sehr leicht von Keratitis
oder Iritis befallen werden, wenn Verkältung durch scharfen Wind,
Zugluft, kalte Umschläge, unzweckmässig angewendete Augenwässer
u. dgl. auf sie einwirken. Dasselbe beobachten wir aber auch an früher
ganz gesunden Augen und bei ganz gesunden Individuen, unmittelbar
nachdem sie bei erhitztem Körper sich der Zugluft oder rascher Abküh-
lung des Kopfes ausgesetzt haben. In andern Fällen ist ein länger
einwirkender (gewöhnlich ein wenig beachteter) Luftzug die einzige
Schädlichkeit, Avelcher der Kranke vor dem Entstehen der Iritis ausge-
setzt war. — Wer in zahlreichen Fällen und oft auf überraschend über-
einstimmende Weise Iritis nach derlei Einflüssen der Temperatur ent-
stehen sah, dem wird sich die Vermuthung, dass diese selbst die Ur-
sache von Iritis sein können, unwillkürlich aufdrängen. Man kann ihm
aber das bekannte „post hoc: propter hoc" entgegenhalten, so lange
Entzündung im Allgemeinen — Vorkommen — Ursachen. 49
sein Schluss nicht noch durch andere Gründe unterstützt wird. Nun
zeigt aber die Beobachtung- solcher Fälle in Vergleich mit anderweitig
entstandenen Fällen von Litis unzweideutig ein verschiedenes Verhal-
ten sowohl in der Reihenfolge als auch in der Gruppirung der Symptome,
und ein verschiedenes Verhalten in Bezug auf die ärztliche Behand-
lung. Sehen wir vorläufig von den Symptomen ab, von denen weiter
unten ausführlicher gesprochen werden soll, so wird das verschiedene
Verhalten solcher Fälle zur Therapie allein schon genügen, darzuthun,
dass obiger Schluss nicht bloss auf das ,,post hoc: propter hoc" gestützt
sei. In der Mehrzahl der Fälle traumatischer (durch Verletzung allein
bedingter) Iritis ist nebst örtlicher Blutentziehung die Anwendung kal-
ter Umschläge das verlässlichste Mittel, nicht nur dem Kranken Linde-
rung zu verschaffen, sondern auch dem Fortschreiten des Exsudations-
processes Schranken zu setzen. Bei rheumatischer (durch Verkältung
überhaupt bedingter) Iritis werden kalte Umschläge nicht nur nicht ver-
tragen, sondern sogar nachtheilig (durch Steigerung der Entzündung);
trockene Wärme dagegen wirkt entschieden wohlthätig, und Schutz vor
Temperaturwechsel ist hier vor Allem zur Milderung des Übels not-
wendig.
Dass allgemeine Syphilis die einzig und allein hinreichende Ur-
sache von Iritis werden kann, ist durch dieselbe Schlussweise nachge-
wiesen worden. Es musste aufmerksamen und unbefangenen Beobach-
tern sehr bald auffallen, dass bei Leuten, die an Chancre gelitten, nicht
selten ganz ohne örtlich einwirkende Schädlichkeit Iritis entstand. Das
noch häufigere gleichzeitige Vorkommen von Iritis mit anderweitigen
Manifestationen allgemeiner Syphilis machte es noch mehr wahrschein-
lich, dass die Iritis so gut wie das Exanthem oder das Halsgeschwür
u. dgl. Ausdruck des Allgemeinleidens sei. Unterstützt wurde dieser
Schluss durch manche Eigenthümlichkeiten im Auftreten und Verlaufen
solcher Fälle — wovon weiter unten die Rede sein wird — und zu
solcher Gewissheit, dass heutzutage Niemand mehr daran zweifelt, er-
hoben wurde dieser Schluss durch das Verhalten solcher Fälle zur The-
rapie. Man überzeugte sich nämlich bald, dass solche Fälle vor Allem
eine gegen das Allgemeinleiden gerichtete Behandlung erfordern.
Auf ähnliche Weise, wie die Syphilis, verhält sich auch die Scro-
fulosis zur Iritis. Bei Individuen, welche in früherer Zeit mehr weniger
deutliche Symptome dieses Allgemeinleidens an sich trugen, und noch
mehr bei Individuen, welche in späterer Zeit noch an andern Gebilden
des Körpers Affectionen darbieten, die zuletzt nur auf Scrofulosis oder
Tuberculosis bezogen werden können, entwickelt sich häufig ohne direct
Arlt Augenheilkunde. II. 4
50 Regenbogenhaut.
wirkende äussere Schädlichkeiten Iritis, welche hartnäckig fortbesteht,
scheinbar erloschen wieder auflodert, über kurz oder lang auch das an-
dere Auge ergreift, und beide Augen mit gänzlichem Verluste des Seh-
vermögens bedroht, sofern es nicht gelingt, im Gesammtorganismus
günstige Veränderungen hervorzurufen, die Blutmischung, so zu sagen,
zu verbessern.
Eine auffallend langsam und mit gelinden Zufällen verlaufende,
meistens aber durch Hinzutreten von Chorioiditis mit gänzlicher Ver-
nichtung der Sehkraft endende Iritis sehen wir auch bei sonst gesun-
den Individuen entstehen, nachdem sie durch deprimirende Einflüsse,
anhaltenden Kummer, schlechte und unzureichende Nahrung, schwere
Krankheiten (Typhus, Intermittens, Missbrauch von Mercur) u. dgl. sehr
herabgekommen sind. Das unvermerkte Auftreten auf dem einen und
über kurz oder lang auch auf dem andern Auge, ohne dass irgend eine
äussere Schädlichkeit oder eine bekannte Dyskrasie mit dem Augen-
leiden in ursächliche Beziehung gebracht werden kann, und die in
allen Fällen deutlich ausgesprochene Neigung zur Vernichtung der Seh-
kraft nicht nur durch Pupillensperre, sondern auch durch Atrophirung
der Iris, des ganzen Bulbus, falls es nicht bei Zeiten gelingt, durch
diätetische und arzneiliche roborirende Behandlung günstig auf die Er-
nährung überhaupt einzuwirken, machen es mehr als wahrscheinlich,
dass in dem kachektischen Zustande des Gesammtorganismus die haupt-
sächlichste, wenn nicht die einzige Ursache der Erkrankung des Auges
zu suchen sei. Andeutungen über diese Form, bei welcher die soge-
nannte antiphlogistische Behandlung nachtheilig wirkt, finden wir bei
verschiedenen Autoren, namentlich bei Makenzie (1. c. S. 484 „pseu-
dosyphilitische Iritis") und bei Rosas (Handbuch der Augenheilkunde,
2. Band, S. 604 „Lymphkachexie der Iris"j.
Wenn durch heftige Entzündung mit Eiterung das eine Auge ver-
loren gegangen ist, namentlich nach Verletzungen, so sehen wir in vie-
len Fällen kurz darauf das andere Auge unter den Erscheinungen chro-
nischer Iritis und Chorioiditis allmälig erblinden, ohne dass man irgend
ein anderes ätiologisches Moment auffinden kann, als eben die unmit-
telbar vorhergegangene Vernichtung des ersten Auges durch Entzün-
dung. In manchen Fällen treten mehr die Erscheinungen von Iritis
auf, in andern mehr die von Chorioiditis, und zwar in letzterer so,
dass man anfangs eine primär und für sich bestehende Erkrankung
der Netzhaut (Amaurosis) vor sich zu haben vermeint. Der Schluss,
dass die Erkrankung des zweiten Auges mit dem Verluste des ersten
in ursächlichem Zusammenhange steht, beruht nicht auf dem blossen
Entzündung im Allgemeinen — Vorkommen — Ursachen. 51
„post hoc", sondern vorzüglich auf der vielfach bestätigten Wahrneh-
mung', dass die Erkrankung des zweiten Auges vorzüglich dann erfolgt,
wenn dasselbe schon der gewohnten Anstrengung oder starkem Licht-
einflusse ausgesetzt wird, so lange in dem bereits vernichteten noch
Entzündung fortbesteht, und dass das zweite Auge durch hinreichend
lange fortgesetzte Schonung — bis in dem Stumpfe ein unwandelbarer
Zustand eingetreten ist — am sichersten vor Erblindung geschützt wer-
den kann. Ob in solchen Fällen der Sehnerv (dessen Neurilem bis
zum Chiasma) das vermittelnde Agens sei, oder der N. trigeminus und
Sympathicus (die Ciliarnerven), lässt sich bei dem gegenwärtigen Stande
unseres Wissens nicht entscheiden ; das Letztere ist das Wahrscheinlichere.
Diese Aufzählung von ursächlichen Momenten der Iritis macht keinen Anspruch auf
Vollständigkeit. Es ist möglich, dass es ausser den genannten noch andere gibt, welche
Iritis an und für sich zu bedingen im Stande sind. So muss es vorläufig noch unentschieden
bleiben, ob grelles Licht und übermässige Anstrengung der Augen beim Betrachten feiner
Gegenstände Iritis zu erzeugen vermögen. Wenn ein und der andere Kranke diesen
Schädlichkeiten das Entstehen einer Augenentzündung (Iritis) zuschreibt, so genügt diess
offenbar nicht, diesen Schluss zu rechtfertigen. Auch das ist noch kein Beweis, wenn
ein Autor sich begnügt, zu bemerken, er habe zwei oder drei Fälle von Iritis durch
grelles Licht entstanden beobachtet. Unwillkürlich drängt sich bei solcher Angabe die
Frage auf, wie sich in diesen Fällen die Netzhaut verhalten habe. Bis jetzt liegen wohl
verlässliche Beobachtungen über Blendung der Netzhaut durch grelles Licht und über
Ermüdung der Accommodationsorgane durch übermässige Anstrengung vor; die Entste-
hung einfacher Iritis auf diese Weise hingegen hat weder verlässliche Beobachtungen,
noch triftige Gründe a priori für sich. So viel darf jedoch als erwiesen betrachtet wer-
den, dass der gereizte Zustand verletzter Augen, namentlich nach Staaroperationen, durch
vorzeitig und übermässig einwirkendes Licht sehr leicht zur Entzündung (auch der Iris)
gesteigert werden kann. Wer auch nur eine massige Zahl von Staaroperationen gemacht
hat, der ist gewiss aus eigener Anschauung überzeugt, dass die Begulirung des Lichtes
bei der Nachbehandlung von grösster Wichtigkeit sei. Eben so leicht kann man sich
überzeugen, dass bereits entstandene Iritis durch relativ zu starkes Licht gesteigert werde.
Dasselbe gilt, mutatis mutandis, von vorzeitiger und von übermässiger Anstrengung
der Augen.
Wir werden beim Studium der Ätiologie der Iritis auf dieselbe Weise, wie bei
der Conjunctivitis , Keratitis etc. z\ir Entscheidung der Frage hingedrängt, ob die Iritis
immer in gleicher Weise auftrete und verlaufe, sie möge nun durch dieses oder jenes
ursächliche Moment erregt und bedingt werden, oder ob sie sich in ihren Erscheinungen
je nach der Verschiedenheit der ätiologischen Momente verschieden verhalte.
Gesetzt, es wäre in einem gegebenen Falle erwiesen, dass die Entzündung der Iris
durch ein bestimmtes ursächliches Moment , z. B. durch Syphilis bedingt sei. Dann
unterliegt es wohl auch keinem Zweifel, dass die Behandlung eine andere sein müsse,
als wenn die Entzündung durch ein anderes Moment, z. B. durch Verkältung oder durch
ein Trauma bedingt wäre. Wer diess nicht zugibt, der braucht überhaupt gar keine
Ätiologie. Ich zweifle indessen, dass es irgend Jemanden gebe, welcher im Ernst meint,
man könne (um bei dem einmal gewählten Falle zu bleiben) in der That eine durch
4*
52 Regenbogenhaut.
Syphilis bedingte Iritis eben so behandeln, wie eine anderweitig bedingte, und habe sich
nur an den Grad und allenfalls an hervorstechende Symptome zu halten.
Ist es aber nöthig, verschieden bedingte Fälle auch verschieden zu behandeln, dann
muss das ätiologische Moment, wo möglich, noch vor der Behandlung sicher gestellt wer-
den. Um diess zu können, mag zunächst der Kranke erzählen, was der Entstehung der
Iritis unmittelbar vorausging, mag auch vielleicht bis auf die erste Lebenszeit zurückge-
gangen werden. Sodann muss der Arzt an die Erfahrung appelliren , und untersuchen,
ob die Anamnesis und der Befund des ganzen Körpers solche Momente aufweisen, welche
bereits in zahlreichen Fällen als Ursachen der Iritis beobachtet und als solche constatirt
wurden, oder ob allgemeine Gesetze der Anatomie, Physiologie und Pathologie überhaupt
es als zulässig und als wahrscheinlich erscheinen lassen , dass im vorliegenden Falle die
Iritis vielleicht auch auf eine bisher noch nicht beobachtete Weise hervorgerufen worden
sei. Durch diesen Vorgang wird man jedoch in der Pegel nur so weit kommen, dass
man sagen kann: im vorliegenden Falle ist die Iritis gewiss oder wahrscheinlich nicht
durch diese oder jene vermeintliche Ursache bedingt , sie ist mit mehr weniger Wahr-
scheinlichkeit aus dieser oder jener Veranlassung hervorgegangen. Viel Sicherheit wird
man aber auf diese Weise kaum jemals erlangen.
Gesetzt aber, es wäre durch vielfältige Beobachtungen sicher gestellt, dass die Art
und Weise, wie die Iritis in die Erscheinung tritt (von ihrem Beginn bis zu ihrem Ende),
Verschiedenheiten zeigt, welche der Verschiedenheit der ätiologischen Momente entspre-
chen, z. B. dass eine durch Verkältung bedingte Iritis anders in die Erscheinung trete,
als eine durch Syphilis bedingte, dann würde dieser Erfahrungssatz, zu dem vorerwähnten
Vorgange hinzugenommen, offenbar in jedem speciellen Falle dem Schlüsse auf das Cau-
salmoment um so mehr Leichtigkeit und Sicherheit gewähren, je deutlicher in ihm die
von der Erfahrung angegebenen Kennzeichen ausgesprochen sind. Ja es wird dann der
Vorgang am Krankenbette , dass man zuerst den Befund des Auges genau aufnimmt,
ehe man den Kranken anderweitig untersucht und um das Vorausgegangene befragt, in
der Pegel der beste sein, weil dann die Angaben des Kranken den Arzt nicht präoecu-
piren können.
Die Erfahrung hat uns in der That viele sehr schätzenswerthe Thatsachen in Bezug
auf Verschiedenheit der Symptome und des Verlaufes je nach Verschiedenheit der ätio-
logischen Momente an die Hand gegeben. Wir finden sie niedergelegt in den Schilde-
rungen, welche seit Beer bei verschiedenen Autoren unter den Namen traumatische
(genuine), rheumatische, syphilitische, scrofulöse, arthritische etc. Iritis entworfen wurden.
Es lag aber in dem Entwickelungsgange, den die medicinischen Wissenschaften überhaupt
und die Augenheilkunde insbesondere genommen haben, dass man diese Schilderungen
mehr und mehr zu speeificiren suchte, dass man solchen Schilderungen, welche auf einer
mehr weniger beschränkten Zahl von Beobachtungen fussten, mitunter zu viel Allgemein-
giltigkeit zuschrieb , und vorzüglich , dass man sich gewöhnte, Krankheiten und Krank-
heitsprocesse als etwas für sich Bestehendes, gleichsam als Parasiten im Organismus und
nicht bloss als das Abweichen einzelner oder mehrerer Organe und ihrer Function vom
normalen Zustande zu schildern. So entstanden endlich die bekannten Krankheitsfamilien,
z. B. des Rheuma , der Syphilis , der Gicht u. dgl., welche der Idealisirung und der Sy-
stemsucht einen weiten Spielraum eröffneten. Man stützte die Unterschiede häufig auf
isolirt aufgefasste Erscheinungen , wo doch nur durch scharfe Auflassung der gesammten
Erscheinungen am Auge sowohl als am übrigen Körper die Diaguosis gefunden werden
kann. Man suchte für jede Krankheit pathognomonische Kennzeichen. — Diese Blossen
Entzündung im Allgemeinen — Vorkommen — Ursachen. 53
nuissten bald erkannt werden. Man begann aber nicbt damit, das Schlechte vom Brauch-
baren auszuscheiden, sondern man warf Alles zusammen über Bord, und behauptete sofort,
„die Iritis sei immer nur eine, ob sie durch diese oder jene Ursache hervorgebracht
werde." Mit gleichem Rechte kann man auch sagen, es gebe nur Eine Conjunctivitis.
Diese Auffassuugsweise ist aber unseres Erachtens kein Fortschritt, sondern ein Rück-
schritt in der Augenheilkunde. Mit der Annahme dieses Principes hört man auf, in je-
dem einzelnen Falle zu forschen, in welcher Beziehung Augenkrankheiten zum Gesammt-
organismus stehen.
Es gibt eine Thatsache , welche Jene wohl beherzigen mögen , die da behaupten,
die Art und Weise, wie die Iritis auftritt und verläuft, sei durchaus unabhängig von dem
ätiologischen Momente, es lasse sich aus den Symptomen der Iritis niemals ein Rückschluss
auf die ätiologischen Momente ziehen. Diese Thatsache ist die, dass Arzte, welche die
Erscheinungen der Iritis in zahlreichen Fällen beobachtet und mit den jeweiligen ätio-
logischen Momenten verglichen haben, aus den Symptomen am Auge allein, noch vor Un-
tersuchung des Gesammtorganismus und vor Befragung des Kranken um ursächliche Mo-
mente, in vielen Fällen mit grösster Wahrscheinlichkeit, und nach Eruirung des bisherigen
Verlaufes selbst mit Gewissheit das ätiologische Moment bestimmen. Diess wäre offenbar
nicht möglich, wenn die Erscheinungen der Iritis niemals und in keiner Weise durch
da? ätiologische Moment modificirt würden. Prof. Ruute meint zwar, man pflege, ehe man
eine Augenentzündung z. B. für scrofulös erklärt, sich doch früher erst das Individuum
anzuschauen, und stütze sich eigentlich nicht auf die Erscheinungen am Auge, sondern
vielmehr auf die Merkmale der Scrofulosis am übrigen Körper. Möglich, dass ein und
der andere Praktiker auf diese Weise vorging. Der rationelle Arzt wird aber gewiss
eine Bindehautentzündung, welche bei einem eclatant scrofulösen Individuum vorkommt,
nicht schon dieses Vorkommens wegen , sondern nur dann für scrofulös erklären , wenn
dieselbe Charaktere zeigt, welche sie in zahlreichen andern Fällen gezeigt hat, wo ihr
Bedingtsein durch Scrofulosis auch anderweitig nachgewiesen worden war. (Vgl. I. B.
S. 89.) Denn wenn ein eclatant scrofulöses Individuum seine Augen z. B. mit Tripper-
schleim verunreinigt und eine Blennorrhoe bekommt , so wird doch wohl Niemand diese
Bindehautentzündung für eine scrofulöse erklären. Man mag dann sagen: Blennorrhoea
in individuo scrofuloso, aber niemals: Blennorrhoea scrofulosa. — Auf gleiche Weise
können bei einem Indididuum Zeichen allgemeiner Syphilis und zugleich Iritis vorhanden
sein , und ich werde mich dadurch allein noch keineswegs bestimmen lassen, die Iritis
schon wegen dieses Vorkommens allein mit Gewissheit für syphilitisch zu erklären. —
Wenn mir ein Kranker mit einer Bindehautblennorrhoe versichert, er habe diese Krank-
heit davon, dass ihn Jemand ins Auge gestossen , so werde ich ihm das nicht glauben,
weil mich eigene und fremde Erfahrung gelehrt hat, dass diese Reihe krankhafter Erschei-
nungen niemals aus einer traumatischen Einwirkung allein hervorgehen kann. Wenn ein
Kranker mit Iritis zu mir kommt, welche dieselben Erscheinungen darbietet, wie ich sie
oft an Kranken beobachtet habe, welche an Lues litten, und welche auch nur mit dieser
zugleich gründlich geheilt werden konnte, so werde ich berechtigt sein , auf's Genaueste
nachzuforschen , ob nicht Merkmale einer primären Affection vorhanden sind. Auf eine
solche Untersuchung aber in jedem Falle zu dringen, wäre wohl eben so gefährlich als
lächerlich. Diess müssen aber jene Arzte, welche die Modifikation der Iritis durch die
ätiologischen Momente in Abrede stellen, offenbar jederzeit thun, wenn sie nicht etwa
sich mit der blossen Angabe des Kranken begnügen oder die Entzündung nach all-
gemeinen Principien überhaupt behandeln wollen. Denn es ist Thatsache der Beobach-
54 Regenbogenhaut.
tung, dass die Reihe der seeundären Erscheinungen auch mit Iritis beginnen kann, dass
die Lues nicht jedem am Gesichte geschrieben steht, und dass ihre Einimpfung auch nicht
immer einen lockeren Lebenswandel voraussetzt. Es gibt Fälle, wo Entzündungen der Haut
(Exantheme) sich in ihren Erscheinungen, in der Art und Weise, wie sie beginnen und
fortschreiten, so eigentümlich verhalten, dass der geübte Diagnostiker daraus allein mit
grosser Sicherheit, selbst mit Gewissheit auf Syphilis als Grundursache zurückschliesst.
Es kommen Entzündungen der Schleimhäute (Geschwüre an den Genitalien, am Eachen
u. s. w.j vor, wo die Erscheinungen an und für sich hinreichen, das Grundübel erkennen
zu lassen, auch dann wenn die Infection in Abrede gestellt wird. Hat man wohl einen
Grund a priori, bei Entzündung der Eegenbogenhaut ein gleiches Verhalten zu negiren?
Wenn 'wir aber behaupten, es sei möglich, aus der Art und Weise, wie die Iritis
auftritt und verläuft, auf das ursächliche Moment zurückzuschliessen, so müssen wir, um
Missverständnissen vorzubeugen, noch zwei wesentliche Punkte besonders hervorheben.
Erstens stützt sich dieser Schluss immer nur auf Indnction undAnalogie, und wir werden
daher bei der Gegenwart charakteristischer Merkmale in einem gegebenen Falle immer
nur sagen können : da sich dieser Fall von Iritis so verhält, wie gewöhnlich bei Syphilis,
Scrofulosis u. s. w., so ist anzunehmen , dass auch in diesem Falle Syphilis, Scrofulosis
zu Grunde liege. Der Befund am Auge kann uns in keinem Falle der anderweitigen
Constatirung der Ursache (durch Anamnesis und Untersuchung des übrigen Körpers) über-
heben. — Und zweitens wir behaupten nicht, dass sieh jede z. B. durch Syphilis bedingte
Iritis immer so äussern müsse , wie wir später angeben werden ; wir behaupten nicht,
dass in Fällen, wo die Erscheinungen am Auge nicht so scharf wie in constatirten ecla-
tanten Fällen ausgeprägt gefunden werden, das Vorhandensein des entsprechenden ätiolo-
gischen Momentes schon negirt werden könne. Es kommen Fälle genug vor, wo die Er-
scheinungen am Auge so wenig markirt sind , dass sie gar keinen Anhaltspunkt geben,
auf die Ursache der Iritis zu schliessen. Dann wird aber auch die Angabe des Kranken
und die Constatirung dieses oder jenes Allgemeinleidens einer genaueren Diagnosis keine
hinreichende Stütze geben, und man wird sich mit der allgemeinen Diagnosis : Iritis be-
gnügen müssen , bis etwa der weitere Verlauf oder das Verhalten zu Arzneimitteln von
bekannter Wirkung nähere Aufschlüsse geben.
Obwohl wir nun an die Schilderung der Iritis nach den ätiologischen Momenten
weit geringere Anforderungen stellen, als bisher gewöhnlich geschehen ist, so sind wir
doch überzeugt, dass sie für den pi-aktischen Arzt von wesentlichem Nutzen, ja unent-
behrlich sein werde.
Zum Schlüsse dieser — vielleicht schon etwas zu weitläufigen Erörterungen will
ich noch durch einen speciellen Fall die Bedeutung dieser Anschauungsweise für das
praktische Leben erläutern. In mein Ordinationszimmer trat ein junger Mann mit Ent-
zündung des linken Auges. Ohne ihn weiter zu fragen, untersuchte ich das Auge, und
sagte ihm, er habe wohl vor kürzerer oder längerer Zeit an einem Chancre gelitten,
denn ich fand die Zeichen der Iritis so, wie in der Regel bei Lues. Anfangs war der
junge Mann betroffen — er war Bräutigam — dann gestand er mir, dass er seit 8 Wo-
chen von einer solchen Affection geheilt sei. Er war besonders desshalb erstaunt, weil
sein Arzt ihn noch Tasjs vorher gesehen , und gar nichts von einem solchen Übel er-
wähnt hatte. Derselbe hatte ihm anfangs ein Augenwasser, später innerlich Tart. stibi-
atus r. d., und zuletzt, als heftige Lichtscheu dazu kam, Einreibungen von Autenrieth-
scher Salbe zwischen die Schulterblätter verordnet. Und doch mussten die Symptome,
welche Syphilis vermuthen Hessen, bereits seit einigen Tagen deutlich vorhanden gewesen
Entzündung - traumatische — Symptome. 55
sein ! Oder meinte dieser Arzt, man könne eine Iritis syphilitica mit Tart. stibiatus hei-
len, weil es nur Eine Iritis gibt?
B. Arten der Iritis.
1. Iritis traumatica; Verletzmigen der Iris überhawpt.
Die Iris verträgt, trotz ihres Gefäss- und Nervenreichthumes , sehr
bedeutende mechanische Verletzungen, ohne sich zu entzünden. Nur
Druck und Quetschung-, zumal wenn sie länger andauern, haben gern
Iritis zur Folge.
Die beste Gelegenheit, das Verhalten der Iris gegen traumatische
Eingriffe beim Menschen zu studiren, bieten die Staaroperationen und
die Pupillenbildungen. Es geschieht, dass man beim Hornhautschnitt
(behufs der Extraction) ein Stückchen aus der Iris ausschneidet, und
zwar entweder aus dem grossen oder aus dem kleinen Kreise. Im er-
sten Falle entsteht eine zweite Pupille, welche nur dann durch Exsudat
verschlossen wird, wenn die Öffnung sehr klein war, im zweiten Ver-
größerung der (natürlichen) Pupille, entsprechend der Grösse des aus-
geschnittenen Stückes, niemals jedoch Entzündung der ganzen Iris, höch-
stens Verwachsung der Wundränder mit der Kapsel. Hat man behufs
der Pupillenbildung bei freiem Pupillarrande einen Theil des letzteren
durch die Hornhautwunde herausgezogen und abgeschnitten, so erfolgt
gleichfalls keine Iritis, sondern nur eine Vergrösserung der Pupille nach
der entsprechenden Richtung hin; die Wundränder bleiben frei oder
wachsen im Bereiche des kleinen Kreises an die Kapsel an, und bieten
dem Sphincter pupillae fixe Punkte zur Contraction. Trennt man durch
einen Querschnitt die Ringfasern, was bisweilen bei der Extraction nöthig
wird, so entsteht eine bleibende Spalte, Coloboma iridis (traumaticum).
Schnitte oder Stiche, welche die Radialfasern quer getroffen haben, hin-
terlassen nur dann eine bleibende Öffnung, wenn der Sphinkter durch
vordere oder hintere Synechien fixirt und der grosse Kreis der Iris hie-
durch zugleich sehr ausgedehnt und straff gespannt war.
Nach mechanischen Einwirkungen auf das Auge, welche geeignet
sind, dasselbe momentan zu comprimiren und die Cornea für einen
Augenblick abzuplatten, geschieht es, dass die Iris in mehr weniger
grossem Umfange vom Ciliarkörper los- und wohl überdiess auch noch
quer (vom Ciliar- zum Pupillarrandej durchgerissen wird. Dieser Unfall
hat wohl in der Regel starken Blutaustritt in die Augenkammer, nie-
mals jedoch (mindestens sehr selten) Entzündung der Iris in ihrer To-
56 Regenbogenhaut.
talität zur Folge. Der Bluterguss steht nicht immer in geradem Ver-
hältnisse zur Verletzung der Iris; bisweilen kann man die Stelle, aus
welcher das Blut kam, selbst nach erfolgter Aufsaugung desselben nicht
auffinden. Es ereignet sich auch, dass in Folge ähnlicher Gewalttä-
tigkeiten die vorderste Partie der Sclera an irgend einer Stelle berstet,
die entsprechende Irispartie von dem zur Öffnung strömenden Kammer-
wasser mit fortgerissen und in dieselbe eingeklemmt wird, und den-
noch eben so wenig allgemeine Iritis nachkommt, wie wenn eine Por-
tion der Iris in eine Wunde oder Geschwürsöffnung der Hornhaut vor-
fällt und allmälig einheilt. Würde in solchen Fällen das Sehvermögen
nicht durch Erschütterung der Netzhaut (und hiedurch bedingte Amblyo-
pie oder Amaurosis) gefährdet — ein Unfall, der selten ausbleibt —
würde nicht, was jedoch seltener erfolgt, nachträglich die Linse getrübt
(wegen Zerreissung der vordem Kapsel oder der Zonula Zinnii), so
würden solche Fälle eben nur in so fern von Bedeutung sein, als sie
Vergrösserung oder Verziehung der Pupille, oder Doppeltsehen (durch
Entstehung einer peripherischen Pupille) setzen.
Wird dagegen die Iris bei absichtlichen oder zufälligen Verletzun-
gen gequetscht, oder wird sie durch eingedrungene fremde Körper,
durch die dislocirte Linse, oder durch einzelne Staarreste anhaltend ge-
drückt, so entsteht sehr häufig Entzündung derselben. Die Fälle, wo
kleine fremde Körper in der Substanz der Iris oder in der vordem
Kammer durch partielle Entzündung eingekapselt werden, sind äusserst
selten. In der Regel erregen sie allgemeine Iritis, zu welcher fast
immer auch Chorioiditis und Keratitis mit eitrigem Exsudate hinzutritt.
Eine Iritis, welche nach einer Verletzung des Bulbus entsteht, kann
zu dieser in einem sehr verschiedenen Verhältnisse stehen. Einmal ist
die Iritis als unmittelbare Folge der Verletzung der Iris selbst zu be-
trachten; die Verletzung reichte an und für sich hin, die Iris in Ent-
zündung zu versetzen; die Reactionserscheinungen folgen hier der Ver-
letzung so zu sagen wie der Schatten dem Lichte. — In andern Fällen
entzündet sich die Iris nicht sowohl wegen der Verletzung selbst, als
vielmehr desshalb, weil sie durch einen im Auge zurückgebliebenen
Körper, oder durch die entkapselte Linse, oder durch einzelne Staar-
reste gereizt wird. Hier kann die Entzündung der Iris mehrere Tage,
selbst Wochen lang nach der Verletzung entstehen. Ihr Verlauf ist
bald äusserst heftig, und droht mit Eiterung, consecutiver Keratitis,
Chorioiditis, Panophthalmitis, bald ungewöhnlich protrahirt und mit Pu-
pillensperre endend. — In einer 3. Reihe von Fällen litt durch die Ver-
letzung vielleicht nur die Cornea, und die Iris entzündet sich erst, nach-
Entzündung — traumatische — Symptome. 57
dem sich ein Abscess oder ein tieferes Geschwür der Cornea entwickelt
hat (vergl. I. B. S. 222), oder die Iris wird von der verletzten Chorioi-
dea aus in Mitleidenschaft gezogen. — Es gibt endlich Fälle, wo das
Auge durch eine Verletzung im Ganzen wenig leidet, und erst desshalb
Iritis (oder Keratoiritis u. dgl.) entsteht, weil der Kranke bei gereiztem
Zustande des Auges dieses anstrengte, starkem Lichte oder einer Ver-
kältung aussetzte, oder an einer Dyskrasie, z. B. an Lues leidet.
Es ergibt sich hieraus, dass nicht jede Iritis, welche nach einer
traumatischen Beleidigung des Auges entsteht, desshalb schon für eine
traumatische, d. h. durch das Trauma allein bedingte zu erklären sei.
Die Constatirung dieses Verhältnisses kann in einzelnen Fällen von
hoher Bedeutung sein; nicht nur behufs der Prognosis und Therapie,
sondern auch in gerichtsärztlicher Beziehung. Der Arzt muss sich auch
hier vor Allem an die Symptome und deren Aufeinanderfolge und an
das halten, was bisher aus Erfahrung über solche Fälle bekannt ist,
uni von objectivem Standpunkte aus auf das ursächliche Moment zu-
rtickschliessen zu können.
Die meisten Individuen haben in dem Momente, wo die Iris ver-
letzt wird, die Empfindung eines lebhaften Schmerzes im Auge. Wenn
Ubliijkeiten, Brechneigung, wirkliches Erbrechen nach einer Verletzung
des Auges auftreten, so hat man guten Grund, auf Beleidigung der lie-
genbogen- oder Aderhaut zu schliessen, es müsste denn (nach andern
Umständen und Zufällen) Gehirnerschütterung anzunehmen sein. Diese
Zufälle können vorübergehen, ohne dass es zur Iritis kommt. Sie sind
aber als Zeichen von beginnender und in der Regel mit grosser Hef-
tigkeit drohender Iritis (Chorioiditis) zu betrachten, wenn sie erst mehrere
Stunden oder Tage nach erfolgter Verletzung auftauchen. Die Wahr-
scheinlichkeit, dass Iritis eintrete, steigt noch höher, wenn Schmerzen
in der Umgebung des Auges, in der Stirn, in der Nasenwurzel, in den
Zähnen des Oberkiefers hinzutreten. Doch können diese Zufälle feh-
len, oder sie können noch auf zeitweilige flüchtige Stiche im Auge be-
schränkt sein, wenn bereits Iritis vorhanden ist, durch Besichtigung des
Auges constatirt werden kann. Da jedoch das verletzte Auge sehr
häufig nicht so starkem Lichte ausgesetzt werden kann, als zur Unter-
suchung der Iris selbst nöthig ist, da bei durchdringenden Wunden des
Bulbus, namentlich nach der Extraction des grauen Staares, schon die
Abnahme des Verbandes (Öffnung der Lickpalte) das Auge grosser Ge-
fahr aussetzen kann, so ist es nöthig, jene Erscheinungen zu kennen,
welche mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit auf Iritis schliessen lassen,
auch ohne dass man den Bulbus selbst (genauer) zu untersuchen braucht.
58 Regenbogenhaut.
Nach jeder Verletzung tritt vermehrte Thränenabsonderung ein.
Dieselbe vermindert sich jedoch, namentlich nach Operationen, in Zeit
von einigen Stunden, und wird in Kurzem aufs Normale reducirt, falls
nicht eine anderweitige, als die zur Verschliessung der Wunde nöthige
Eeaction eintritt. Wurde das verletzte Auge durch Verklebung der
Lider (mittelst Streifen englischen Pflasters) wohl verschlossen, so kann
es geschehen, dass die im Bindehautsacke angehäuften Thränen das
Gefühl von Drücken oder Stechen erregen, welches jedoch verschwin-
det, sobald die Thränen sich einen Ausweg gebahnt haben. Der Ver-
letzte pflegt die über die Wangen herabfliessenden Thränen als heiss zu
bezeichnen, sobald Entzündung der Iris (Cornea oderChorioidea) im Zuge
ist. Wenn vor dem dritten Tage nach einer Staaroperation oder Pupillen-
bildung im innern Winkel mehr Schleim angesammelt erscheint, als an dem
unversehrten andern Auge, und nicht etwa schon vor der Verletzung ein
Zustand der Bindehaut vorhanden war, welcher vermehrte und veränderte
Secretion derselben bedingt, so hat man Grund, diese Erscheinung als
Zeichen von Entzündung der Hörn- oder Begenbogenhaut zu betrachten.
Erhöhung der Temperatur der Cutis an der verletzten Seite, namentlich
über dem Wangenbeine, ist geeignet, Verdacht auf Iritis zu erregen. Sie
fehlt nur bei sehr gelind auftretender und langsam verlaufender Entzün-
dung, kann aber auch anderweitig veranlasst sein. Schnullt das obere
Augenlid an, wenn auch nur am Rande, so hat die Entzündung der Iris
(oder Cornea) sicher schon einen bedeutenden Grad erreicht.
Wenn eine nach einem Trauma entstandene Iritis nicht als unmittel-
bare Folge der Verletzung selbst auftritt, so werden die Erscheinungen
und der Verlauf je nach den mitwirkenden ursächlichen Momenten man-
nigfaltig modificirt, und es lässt sich für solche Fälle eben keine allge-
meine Schilderung entwerfen.
Die von mechanischen Momenten allein oder vorwaltend abhängigen
Fälle totaler Iritis zeichnen sich durch deutliche Entfärbung, Lockerung
und Schwellung des Gewebes, häufig auch durch deutliche Gefassein-
spritzung auf der Iris aus. Stets ist dabei die Pupille sehr verengert,
falls nicht mechanische Hindernisse entgegenstehen oder die Chorioidea
der Ausgangspunkt der entzündlichen Zufälle ist, und mehr als bei irgend
einer andern Form droht hier die Gefahr, dass die Pupille durch reich-
liches faserstojfiges Exsudat gesperrt werde. Bei grösserer Heftigkeit
kommt es auch zur Eiter ansammlung in der Augenkammer. Mit dieser
raschen und faserstoffreichen Exsudation zugleich bemerkt man starke
Tnjection der vordem Ciliar arter ien (einen rosen- oder violettrothen Saum
um die Cornea) und consecutive Hyperämie, selbst Schwellung der Con-
Entzündung — traumatische — Behandlung. 59
»s
jimctiva bulbi, letztere oft so stark, dass die Bindehaut einen hoch- oder
dimkeirothen Wall um die Hornhaut herum darstellt. Wenn heftige
Schmerzen, Lichtscheu und Thränenfluss, auffallend gedrückte Gemüths-
stimmung, Appetitlosigkeit, Brechneigung, Pulsbeschleunigung, erhöhte
Hautwärme u. dgl. auch in den ersten Tagen bisweilen fehlen, oder nur
unbedeutend sind, so bleiben sie doch bei andauernder und zunehmender
Entzündung selten aus.
Es geschieht mitunter , dass ein Individuum , dessen Iris bei einer Operation oder
zufalligen Verletzung arg mitgenommen wurde, ohne Entzündung derselben durchkommt,
waä dass hingegen Iritis auftritt, wo der Operateur weder sich noch dem Kranken einen
Torwurf machen kann, und sich doch keine andere Ursache der Iritis, als eben das
Trauma selbst, constatiren lässt. Man macht z. B. die Extraction bei einer ganz gesun-
den Person; die Operation geht nach Wunsche von Statten, und der Kranke verhält sich
auch nachher zweckmässig. Es treten den 2. und selbst den 3. Tag weder subjective
noch objective Erscheinungen ein , welche Verdacht auf Entzündung überhaupt erregen
könnten. Auf einmal in der Nacht etwa träumt der Operirte, er habe sich an das Auge
ge.?tossen. oder er wird durch einen flüchtigen Stich im Auge erschreckt, und es fliessen
einige Zähren über die Wange. Des Morgens findet der Arzt vielleicht ein und das
andere der obgenannten objectiven Svnrptonie, vielleicht auch keines derselben (oder
nicht verlässlich ausgesprochen). Er wartet noch einen Tag zu , da keine eclatanten
Zu! alle auftreten, und entfernt den 5. oder 6. Tag den Verband. Der Kranke sieht nichts,
oder wenig. Der Arzt erkennt, dass Iritis mit mehr weniger reichlichem Exsudate ein-
getreten ist, auch schon bei sehr massiger Beleuchtung, wenn nämlich die Hornhaut-
wunde geschlossen, die Hornhaut ungetrübt, und dennoch das Auge ohne Glanz, ohne
jenes Feuer erscheint, welches die offene Pupille dem Auge auch im Halbdunkel verleiht,
und wenn zugleich das Weisse des Auges rings um die Hornhaut deutlich geröthet ist.
Wenn zu den Symptomen, die auf einfache Iritis deuten, nicht in
wenig Tagen Erscheinungen hinzutreten, welche von Theilnahme der
Cornea, der Chorioidea oder sämmtlicber Gebilde des Augapfels an dem
Entzündungsprocesse zeugen, so hat man ausser mechanischer Beschrän-
kung oder Aufhebung des Sehvermögens (partieller oder totaler Pupil-
lensperre) nichts zu fürchten, und es ist dem Processe mit diesem Aus-
gange gleichsam die Spitze abgebrochen. Eine Ausnahme machen nur
jene Fälle, wo ein fremder Körper im Auge zurückgeblieben ist, oder
wo das Auge durch die dislocirte oder entkapselte Linse beständig ge-
reizt wird, und die Entzündung jeden Augenblick mit erneuerter Hef-
tigkeit auflodern kann, gewöhnlich aber die Sehkraft auf eine mehr
schleichende und unvermerkte Weise (durch allmälige Exsudation im
Glaskörper oder von Seite der Chorioidea) vernichtet wird.
Behandlung. So wie bei jeder Verletzung muss auch hier zu-
vörderst untersucht werden, ob nicht irgend ein fremder Körper in die
Iris oder noch tiefer eingedrungen sei. Man wird ihn natürlich zu
60 Regenbogenhaut.
entfernen suchen, wo dieses geschehen kann, ohne das Auge durch die
hiezu nöthigen Eingriffe noch grösserer Gefahr auszusetzen , als das
Zurückbleiben desselben dem Auge zu bringen droht. Nähere Andeu-
tungen hierüber lassen sich nicht geben. Sodann ist wo möglich zu
ermitteln, ob die Linse durch die Verletzung etwa dislocirt oder min-
destens die vordere Kapsel eingerissen wurde, weil dann nicht nur Ca-
taracta, sondern auch Reizung der Iris durch dieselbe zu fürchten steht.
Das Nähere hierüber kann erst bei der Lehre von den Krankheiten
der Linse angegeben werden. Wie man sich bei Vorfällen der Iris
durch Hornhautwunden zu benehmen habe, wurde bereits B. I. S. 229
besprochen. Dieselben Grundsätze gelten auch bei Vorfällen der Iris
durch Einrisse oder Wunden der Sclera.
Nicht minder wichtig ist, dass man bei Verletzungen, welche den
Bulbus einer Erschütterung aussetzten, des lähmenden Einflusses nicht
vergesse, welchen diese auf die Netzhaut auszuüben pflegt. Bei Augen,
welche in Folge eines Stosses, Hiebes u. dgl. eine Lostrennung der Iris
vom Ciliarbande, eine Zerreissung ihres Parenchyms, starke Blutaus-
tretung in der vordem Augenkammer u. s. w. darbieten, ist nicht so
sehr die nachfolgende Reaction (Entzündung der Iris) zu fürchten, als
Amblyopie oder Amaurosis. Am ehesten kann man diesem traurigen
Ausgange noch durch frühzeitige Anwenduug spirituös-aromatischer Um-
schlüge vorbeugen. Ich gehe in solchen Fällen sehr bald, selbst den
ersten Tag noch, von Eisumschlägen zur Anwendung der Tinctura ar-
nicae montanae über, indem ich sie mit kaltem Wasser, später mit Spi-
ritus vini, spir. roris marini, oder einem ähnlichen Mittel (allmälig we-
niger und weniger) verdünne.
Steht nach der Art der Verletzung oder nach den bereits eingetre-
tenen Zufällen eine heftige Iritis zu befürchten, oder ist diese bereits
in vollem Gange, so säume man nicht, wenn sonst die Individualität
des Verletzten es zulässt, einen Aderlass vorzunehmen, oder mindestens
eine entsprechende Zahl Blutegel (8 — 16) an die Schläfe und hinter
das Ohr zu setzen, und beide oder nur letztere zu wiederholen, sobald
nicht ein merklicher und dauernder Nachlass der entzündlichen Zufälle
eingetreten ist. Unmittelbar nach den Blutentziehungen sind kalte Um-
schläge, gehörig angewendet, das zweckmässigste Mittel, vorausgesetzt,
dass nicht bereits Eiterung eingetreten ist. Es versteht sich, dass man
die Cur durch knappe Diät, strenge Ruhe (der Augen und des Körpers),
Abhaltung aller örtlichen und allgemeinen Reize, namentlich Temperi-
rung des Lichtes, und durch sahige Abführmittel unterstützen muss;
bei drohender oder bereits vorhandener reichlicher Exsudation in der
Entzündung — traumatische — Behandlung. 61
Pupille reiche man Ccrfomel in grossen Gaben, etwa zu 2 Gran alle
3 bis 4 Stunden. Ist die Heftigkeit der Zufälle gebrochen, so mache
man Einreibungen von Unguentum cinereum mit Opium an die Stirn
und Schläfe (4 — 8 Gran auf 1 Drachme); Belladonna oder Hyoscyamus
können erst viel später in Anwendung kommen, wenn keine Exsuda-
tion mehr erfolgt und auch die auf Congestion beruhenden Erscheinun-
gen ganz oder giösstentkeils verschwunden sind.
Die Ansichten der Ärzte über die Wirkung der Belladonna (des Hyoscyamus) sind
sehr verschieden. Sie erweitert im gesunden Auge die Pupille, wenn man sie in ent-
sprechender Dosis innerlich verabreicht, oder von einer Lösung des Extractes (2 — 3
Gran in 1 Drachme Wasser) einige Tropfen in den Bindehautsack bringt, oder dasselbe
Präparat (S — 10 Gran mit t Drachme unguentum) an die Stirne und Schläfe aufstreicht.
Wir haben uns bereits oben (S. 33) ausgesprochen , dass wir uns diese Wirkung nur
durch Erschlafl'uug des Sphinkters und ungeschwächte Thätigkeit der Badialfasern er-
klären können. Wir haben ferner, gestützt auf Analogie, S. 38 uns für die Ansicht ent-
scheiden müssen , dass bei jeder heftigen Iritis sowohl der Sphinkter als der Dilatator
ihr Contractionsvermögen verlieren. Wir begreifen also schon a priori nicht, wie die
Belladonna ihren EinÜuss auf den Sphinkter während heftiger Iritis geltend machen, oder
wie sie ihn bei Zunahme der Entzündung bleibend ausüben könne.
Ich bin aber auch nie im Stande gewesen, während einer nur einigermassen hef-
tigen Iritis (abgesehen von mechanischen Hindernissen in der Pupille) die Pupille durch
Belladonna zu erweitern, oder durch zeitige Anwendung von Belladonna die Pupille er-
weitert zu erhalten, wenn Iritis im Anzüge war. Ich habe Versuche hierüber theils nach der
Extraction, theils nach der Reclination gemacht, in Fällen, wo Iritis zu befürchten stand
und auch wirklich eintrat. Ja ich bin sogar von der Anwendung der Belladonna während
der Dauer der Entzündung auch in minder heftigen , selbst in chronischen Fällen ganz
abgegangen, weil ich in einigen Fällen nach ihrer Anwendung offenbare Verschlimmerung
beobachtet habe. Einer dieser Fälle, der auch in anderweitiger Beziehung viel Interesse
. wird weiter unten ausführlich mitgetheilt werden.
Wenn endlich der Exsudationsprocess selbst erlischt, und die Hy-
peramie mehr eine passive geworden, besonders aber wenn Eiterung
eingetreten ist, so pflegen die Kranken die kalten Umschläge nicht mehr
zu vertragen, nach ihrer Anwendung über stärkere Schmerzen zu kla-
gen, hingegen trockene warme Tücher (von der Stirne über das Auge
herabhängend) sich zu loben. Die Einreibungen von Unguentum cine-
reum mit Opium sind auch jetzt noch das beste Mittel, heftige Schmer-
zen zu lindern; in seltenen Fällen werden auch diese nicht vertragen,
und es müssen Opiate innerlich angewendet werden.
Ist viel Eiter in der Augenkammer angesammelt, so entleere man
denselben durch einen 2 — 3"' langen Hornhautstieh , zumal dann, wenn
das Hypopyum von heftigen Schmerzen (im Auge und in der entsprechen-
den Kopf hälfte) begleitet wird. Die Punction dürfte auch in jenen Fällen
erlaubt und von grossem Nutzen sein, wo durch Aufquellen der entkapsel-
62 Regenbogenhaut.
ten Linse grosse Spannung des Bulbus und heftige Schmerzen unterhalten
werden. Von der innerlichen Anwendung der Polygala senega allein oder
mit weinsteinsauren Salzen darf man Beförderung der Resorption im Bul-
bus erwarten, jedoch nur allmälig.
Ist das heftige und hartnäckig anhaltende Erbrechen, welches sowohl
nach zufälligen als nach absichtlichen Verletzungen des Bulbus nicht sel-
ten beobachtet wird, durch die beginnende und steigende Reaction bedingt,
dann wird es am ehesten durch die eben angegebene Antiphlogose gestillt.
Wäre Einklemmung der Iris in der Cornea oder Sclera vorhanden, und
mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als Ursache jenes Zufalles zu be-
trachten, dann müsste man diese entweder durch Abtragung des vorgefal-
lenen Stückes oder nach den B. I. S. 206 gegebenen Regeln zu beseitigen
suchen. Wie man sich zu benehmen habe, wenn Druck auf die Iris oder
Chorioidea durch die zu tief in den Glaskörper hineingedrückte, rück-
wärts an die Iris angelehnte, oder in die vordere Augenkammer vorge-
fallene Linse, oder durch die zu stark aufgequollenen Theile derselben
als Ursache dieses Zufalles erklärt werden muss, kann erst bei der Lehre
von den Staaroperationen angegeben werden. Es kann übrigens hef-
tiges und hartnäckiges Erbrechen auch in übermässiger Empfindlichkeit
des Nervensystemes allein oder vorwaltend bedingt sein. In solchen
Fällen ist vor Allem Tröstung des übermässig ängstlichen Kranken
nöthig; kleine Gaben Brausepulver, Aqua laurocerasi , Morphium aceti-
cum, Sulfas chinini mit Opium, eine Tasse guter Fleischbrühe, Infusum
menthae piperitae oder forum chamomillae sind die vorzüglichsten Se-
dativa, bei deren Wahl man in speciellen Fällen durch besondere Ver-
hältnisse geleitet werden mag.
2. Iritis rheumatica.
Es gibt Fälle, wo sich unmittelbar nach einer Verkältung eine
Augenentzündung entwickelt, welche sich vorwaltend oder nebenbei
durch die Zufälle von Iritis kund gibt. Gewöhnlich ist es die Con-
junetiva bulbi, oft die Hornhaut, selten die Aderhaut, welche mit der
Iris zugleich im Zustande der Entzündung gefunden wird. Nicht selten
entwickelt sich diese Iritis, gleich der Keratitis rheumatica, erst nach
längerem Bestehen eines Augenkatarrhs, und die Erscheinungen dieses
letzteren bestehen dann in gleichem Grade fort, oder sie treten nach
dem Erscheinen der Iritis mehr weniger in den Hintergrund. Es gibt
Fälle, wo nach einer Verkältung der Betroffene von Lichtscheu, Thrä-
nenfluss, heftigen Schmerzen im Auge und dessen Umgebung, wohl
Entzündung; — rheumatische — Symptome. 63
auch von leichter Trübung des Gesichtes befallen wird, das Auge nur
einen lebhaft gerotteten Saum rings um die Cornea, netzförmige Röthe
und leichte Schwellung der Conjunctiva bulbi darbietet, und erst nach
einigen Tagen die Zeichen von Keratitis oder Iritis , oder von beiden
zugleich sichtbar werden.
Solche Fälle wurden bisher gewöhnlich unter dem Namen Ophthalmia catarrhalis
rheumatica beschrieben. Die Autoren, welche sich dieser Benennung bedienten, waren
der Meinung, es sei ursprünglich nur die Conjunctiva und die Sclera entzündet, und erst
später trete Iritis hinzu. Diess scheint uns nicht ganz richtig zu sein. Die Sclera ist bei
jenem Zustande, den man Ophthalmia rheumatica oder Scleritis rheumatica genannt hat,
wohl niemals entzündet, höchstens im Zustande von Congestion und etwas seröser Durch-
leuchtung; denn niemals sehen wir bei dieser Form weder die Zeichen noch die Folgen
wirklicher platischcr Exsudation in der Sclera, welche doch bald in der Cornea, bald in
der Iris mehr weniger deutlich hervortreten. Ich bin der Ansicht, die Bosenröthe des
vordem Umfanges der Sclera sei nur durch starke Congestion im Bereiche der vor-
dem Ciliararterieu bedingt, eine Erscheinung, [ohne welche man sich Entzündung der
Cornea oder Iris nicht wohl denken kann, und welche dieser Entzündung allerdings
durch längere Zeit vorausgehen , aber auch wieder verschwinden kann , bevor es noch
zur Ausscheidung faserstoffigen Exsudates in irgend einem der genannten Gebilde ge-
kommen ist. Diesen rothen Gürtel von Entzündung des Corpus ciliare (Kyklitis) her-
zuleiten, wie in neuerer Zeit Einige gethan haben, heisst an die Stelle einer als
unhaltbar erkannten Hypothese (Scleritis) eine andere, nicht um ein Haar besser be-
gründete setzen.
Symptome. Exquisite Fälle von Iritis rheumatica beginnen immer
mit sehr lebhafter Injection der vordem Ciliargefässe, mit zonenförmi-
ger lichter Rosenröthe rings um die Cornea, unter heftigen* gewöhnlich
stechenden oder reissenden, anhaltenden oder aussetzenden Schmerzen
im Auge und dessen Umgebung, meistens in der ganzen entsprechenden
Kopfhälfte, mit heftiger Lichtscheu und reichlichem Thränenßusse. Da-
bei können die Veränderungen in der Iris relativ noch sehr gering
sein, und sich auf Verengerung der Pupille ohne Exsudat in derselben,
geringere Beweglichkeit der Iris und leichte Entfärbung derselben, viel-
leicht bloss im kleinen Kreise (dunklere Färbung) beschränken. Äusserst
selten wird man selbst bei diesem geringen Grade odcmatöse Infiltra-
tion der Conjunctiva bulbi bis in den Übergangstheil , und selbst des
obern Augenlides vermissen, welche sonst nur den höhern Graden an-
derer Formen von Iritis zukommt. Vergrösserung der vordem Augen-
hammer kann das einzige Zeichen bereits erfolgter Exsudation sein,
aber auch fehlen. Erst bei höherer Steigerung des Übels wird die
Schwellung und Lockerung des Gewebes der Iris, vom kleinen Kreise
aus, und die Ausscheidimg faserstoffigen Exsudates in der Pupille und
im Humor aqueus deutlich wahrnehmbar. Das Exsudat ist anfangs mehr
64 Regenbogenhaut.
serös als faserstoffig, daher die vordere Augenkammer (durch Zurück-
drängung der Iris) gewöhnlich grösser, die Cornea mehr gespannt und
glänzend erscheint; in andern Fällen erscheint die Cornea matt, wie
mit zahlreichen Nadelstichen besetzt (ödematös?) oder durch Präcipita-
tion von Exsudat an der Descemetschen Haut getrübt (gleichmässig, wie
ein angehauchtes Glas, oder punktförmig), oder in jenem Zustande, den
wir als Keratitis rheumatica kennen gelernt haben. Nur bei wiederholter
oder sehr heftiger Einwirkung der Ursache (unzweckmässiger Behand-
lung) und bei Hornhautentzündung mit Eiterung kommt es zu reichlicher
Ausscheidung faserstoffigen (eitrigen) Exsudates in die Pupille oder in
den Humor aqueus, so dass partielle oder totale Pupillensperre oder
Senkung des Exsudates in der vordem Augenkammer erfolgt. Die
Schwellung des Parenchyms erreicht auch in diesen heftigsten Fällen
nicht leicht einen hohen Grad. Blutgefässe in der Iris werden aus dem-
selben Grunde niemals sichtbar, ausser nach längerem Bestehen, wel-
ches wieder durch andere Momente bedingt ist. Auch tritt die durch
Verkältung bedingte Iritis niemals partiell auf.
Vorkommen. Die Iritis rheumatica kommt am häufigsten im Man-
nesalter vor, minder häufig nach dem 50., selten vor dem 20. Jahre.
Die Aifection befällt nicht leicht beide Augen zugleich oder kurz nach-
einander. Eine besondere Anlage dazu kennen wir nicht; es muss
jedoch bemerkt werden, dass eine grosse Zahl der betreffenden Kran-
ken angeben, sie haben schon früher an Affectionen der Augen oder
anderer Körpertheile gelitten, welche mit Gewissheit oder mit mehr
weniger Wahrscheinlichkeit als rheumatische bezeichnet werden können.
Vergl. Keratit. rheum. Bd. I. S. 196.
Prognosis. Frische, nicht vernachlässigte oder misshandelte Fälle
lassen im Allgemeinen eine günstige Prognosis zu, sowohl was die
Dauer als die Ausgänge betrifft. Das Auge kommt ohne oder mit leich-
ten hintern Synechien, höchstens mit Pupillensperre (durch eine dünne
Exsudatschichte) durch. Selbst bei reichlich angesammeltem Faserstoffe
in den Augenkammern (Hypolympha) ist nichts mehr, als Pupillensperre
zu fürchten. Nur bei Eiteransammlung (Hypopyum), welche jedoch viel-
leicht nur bei gleichzeitiger Keratitis mit Abscess- oder Geschwürs-
bildung vorkommt, drohen dem Auge solche Veränderungen, welche jede
Aussicht auf Wiederherstellung des Sehvermögens benehmen. Wären
Zeichen von Chorioiditis vorhanden (Erweiterung der Pupille, feurige
Erscheinungen, grössere Störung des Sehvermögens, als nach den sicht-
baren mechanischen Hindernissen angenommen werden kann), so müss-
ten diese bei der Prognosis wohl in Anschlag gebracht werden.
Entzündung — rheumatische — Behandlung. 05
Behandlung. Vor Allem muss für gleiehmüssige Temperatur ge-
sorgt werden. Der Kranke soll nicht nur, wie bei jeder acuten Iritis,
im Zimmer bleiben, sondern lieber das Bett hüten. Ich weiss, dass ich
mit Kranken nicht fertig werden konnte, denen ich gestattet hatte, im
Zimmer herumzugehen, sich das Gesicht mit frischem Wasser zu wa-
schen u. dgl. Das Licht werde je nach der Lichtscheu temperirt, doch
lasse man das Zimmer niemals so stark verdunkeln, dass selbst das
zur Besichtigung des Auges erforderliche Licht einen grellen Wechsel
nöthig machen würde.
Bei lebhafter Röthe der Sclera und heftigen Schmerzen beginne
man die Behandlung mit 8 — 10 Blutegeln an die Schläfe. Bei der Nach-
blutung lasse man dafür sorgen, dass nicht neuerdings Verkühlung statt-
finde. Sodann werde eine Salbe aus 4 — 8 Gran Extr. opii aquosum mit
1 Drachme Cng. cinereum an die Stirn aufgestrichen, ein Stückchen
Papier darüber gelegt, und die entsprechende Kopfhälfte mit einer ge-
wärmten Serviette oder mit Watte u. dgl. bedeckt, so dass dieselbe wie
ein Schirm über das leidende Auge herabhängt, und noch Luft und
Licht zum Auge treten lässt. Statt der Salbe habe ich auch das Em-
plastrum mercuriale, mit Opium versetzt und auf Leder gestrichen, mit
grossem Nutzen angewendet. Innerlich reiche man Tart. stibiatus refr.
dosi allein oder mit Glaubersalz, bei heftigen Fällen, namentlich bei
reichlichem Exsudate in der Augenkammer als Brechmittel oder in
grossen Gaben. Bei Diarrhöe oder Neigung hiezu verbinde man den
Tart. stib. refr. dosi mit einem Opiate, oder gebe Opium allein, mit
einer kleinen Dosis Calomel, oder ein Infusum ipecaeuanhae , natürlich
nicht promiscue oder pro libitu, sondern mit Auswahl, je nach dem Zu-
stande des ganzen Organismus. Bei schwächlichen, herabgekommenen
Individuen habe ich vom Pulvis Doveri überraschende Erfolge, nament-
lich baldige Linderung der Schmerzen und der Lichtscheu beobachtet.
— Fuss- oder allgemeine Bäder habe ich, dem Rathe meines verehrten
Lehrers folgend, nie angewendet, so lange nicht die Röthe der Sclera
verschwunden war. Ebenso habe ich Senfteige, Vesicantien u. dgl^
anfangs nicht, sondern erst dann verordnet, wenn die Entzündung so
gut als gehoben war, und nur noch leichte Röthe und grosse Empfind-
lichkeit gegen das Licht zurückblieb. Blutige Sckröpfköpfe hingegen,
10 — 12 Stück längs der Wirbelsäule, wurden oft schon früher, und in
vielen, namentlich mehr protrahirten Fällen, mit sichtbarem Nutzen
applicirt. (Vergl. Keratitis S. 197.)
Ailt Augenheilkunde. II.
66 Regenbogenhaut.
3. Iritis syphilitica.
Vorkommen. Die syphilitische Regenbogenhautentzündung ist der
Ausdruck allgemeiner Syphilis am Auge. Sie tritt bei Individuen, welche
an Chancre gelitten haben, bald gleichzeitig mit andern secundären
Erscheinungen auf, namentlich mit Hautausschlägen oder Halsgeschwü-
ren, bald erst, nachdem diese schon einige Zeit bestehen oder auch
schon zurückgegangen sind, in seltenen Fällen auch bevor sich das All-
gemeinleiden noch in irgend einem andern Organe manifestirt hat. —
Am Auge selbst gehen ihr nicht selten andere Entzündungsformen vor-
aus, namentlich die Erscheinungen eines gewöhnlichen Bindehaut-
katarrhes.
Sie entwickelt sich entweder ohne äussere Veranlassung, ohne so-
genannte Gelegenheitsursache, oder nach den verschiedensten Einflüs-
sen, z. B. nach einem Stosse an's Auge, einem Luftzuge, nach stärkerer
Anstrengung des Auges, u. dgl. Je nach der verschiedenen Entstehungs-
weise können die ihr eigenthümlichen Erscheinungen von Anfang mehr
weniger verwischt oder maskirt werden; im weitern Verlaufe wird e&
jedoch beinahe jedesmal möglich, aus dem Verhalten der Entzündung
selbst mit grösster Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, ob die Iritis als-
Localausdruck der Syphilis zu betrachten sei oder nicht.
Symptome. Entsteht die Krankheit, ohne dass irgend eine andere
Ursache einen merklichen Antheil an deren Provocirung genommen hat,
so können Trübung des Gesichtes und etwas gesteigerte Empfindlichkeit
gegen Licht, Anstrengung u. dgl. die ersten, und mehrere Tage lang auch
die einzigen Zufälle sein, welche den Kranken auf sein Auge aufmerk-
sam machen. Diese Form zeichnet sich nämlich vor Allem durch Lie-
ferung eines sehr plastischen Exsudates aus. Man kann daher, auch
wenn es vielleicht noch nicht zu beträchtlicher Röthe auf der Sclera,
noch nicht zu heftiger Lichtscheu, Schmerzen u. s. w. gekommen ist,
schon manifeste hintere Synechien und einen gleichmässigen oder punk-
tirten Beschlag der hintern Hornhautwand bemerken, welcher letztere
jedoch auch oft genug mangelt. Es sind Fälle beobachtet worden, wo
Klumpen plastischen Exsudates bis zur Grösse eines halben Hanfkornes
an die Descemetsche Haut angelagert waren. Vergrösserung der vor-
dem Kammer (durch serösen Erguss) wird man bei einfach durch Sy-
philis bedingten Formen kaum jemals beobachten; auch kommt es sel-
ten vor, dass das in den Humor aqueus ausgeschiedene Exsudat so
wenig consistent ist, um sich daselbst zu Boden zu setzen und seine
Lage je nach der des Kranken ändern zu können. Vor Allem ist es>
Entzündung — syphilitische — Symptome. 67
das Parenchym der Iris, in welches faserstoffiges Exsudat abgelagert
wird. Es kommen Fälle vor, wo die übrigen Zufälle der Entzündung
keinen hohen Grad erreicht haben, und dennoch der kleine Kreis —
ringsum oder stellenweise — verfärbt (gewöhnlich dunkler), deutlich
aufgelockert und geschwellt, selbst mit sichtbaren Blutgefässchen durch-
zogen erscheint. Am auffallendsten gibt sich die plastische Exsudation
durch die Bildung geldlicher oder gelblichröthlicher Knötchen im Gewebe
der Iris selbst kund.
Sie gleichen mehr den Tuberkeln , als den Condylomen der Cutis und kommen in
der überwiegenden Mehrzahl der hieher gehörigen Fälle vor. Ausser bei Syphilis sah
ich sie (unter mindestens 400 Fällen) nur in zwei Fällen, welche ich weiter unten aus-
führlich mittheilen werde. Man beobachtet diese Knötchen öfters im kleinen, als im grossen
Kreise; in letzterem Falle entwickeln sie sich von der äussersten Peripherie der Iris her ; sie
dürften manchmal vom Ligamentum ciliare ausgehen. Erheben sie sich mehr gegen die
vordere Irisfläche, so erscheinen sie wie lichtgelbe Mohn-, Hirse- oder Hanfkörner, welche
zur Hälfte in den Humor aqueus vorragen, und durch mehr oder weniger deutlich sichtbare
Blutgefässchen (an ihrer Basis und Oberfläche) einen Stich ins Gold- oder Böthlichgelbe
erhalten. In andern Fällen erheben sie sich mehr gegen die Uvea hin, und bilden kleine
knotige Anschwellungen oder Vorspränge des Pupillarrandes, deren Zahl zwischen 1 und
7 — 10 schwankt, oder sie drängen die Iris an einer (mehreren) Stelle so vorwärts, als ob
sie zwischen diese und die Kapsel eingeschoben wären. Sie können so gross werden,
dass sie den grössten Theil, ja das ganze Lumen der vordem Kammer ausfüllen. Ich
habe zwei Fälle beobachtet, wo solche Exsudatknoten, vom Ciliarrande der Iris ausgehend,
so gross wurden, dass sie endlich nicht nur die vordere Kammer aufhoben, sondern auch
den angrenzenden Theil der Sclera und die Cornea auswärts drängten, und eine Hervor-
wülbung von der Grösse einer halben Haselnuss bildeten. Sie schienen hier, wenigstens zum
Theil, vom Ligamentum ciliare ausgegangen zu sein. In dem einen dieser Fälle waren
die Scleralfasern durch den Druck des Exsudates allmälig resorbirt oder weit auseinander
gedrängt worden, und es hatte den Anschein, als müsste der Inhalt der durch die Bindehaut
durchscheinenden gelben Geschwulst flüssig, eitrig sein ; ein hinreichend grosser Einstich mit
einem Staarmesser belehrte uns, dass die Masse consistent und derb, speckähnlich war.
Diese Masse wurde endlich resorbirt, und der Bulbus schrumpfte, ohne irgendwo auf-
gebrochen zu sein, zu einem unförmlichen Klumpen zusammen. Derselbe Ausgang erfolgte
auch in dem zweiten Falle, wo übi-igens Anfangs, bevor das Condylom noch eine solche
Ausdehnung zu gewinnen angefangen hatte , durch längere Zeit auch etwas flüssiges
Exsudat zu unterst der Augenkummer angesammelt gewesen war.
So wenig ich mich jemals von wirklicher Eiteransammlung in der vordem Augen-
kammer (bei dieser Form) überzeugen konnte, so sah ich auch niemals eitrige Schmel-
zung solcher Exsudatknoten eintreten. Sie nahmen — mit Ausnahme der genannten
zwei Fälle — allmälig an Grösse ab , und die grösseren hinterliessen gewöhnlich sehr
lange bestehende missfarbige (schmutzig braune oder schiefergraue) Flecken in der Iris.
"Wo eine mehr gleichmässige Infiltration des Gewebes der Iris bestanden hatte, erlangte
die Iris so lange, als ich Gelegenheit hatte, die Fälle zu beobachten, ihr normales Aus-
sehen in Bezug auf Farbe und Faserbau nicht wieder.
Sehr häufig kann man gerade bei dieser Form schon mit freiem
5*
t»s Regenbogenhaut.
Auge Blutgefässe auf der Iris wahrnehmen, namentlich in der innern
Zone und im Umfange der genannten Exsudatknoten. Bei anderen For-
men von Iritis sieht man diese Erscheinung nur dann, wenn die ganze
Iris entzündet und deutlich angeschwollen, oder wenn sie nach längerem
Bestände der Entzündung in ihrer Structur gariz verändert, der Rück-
fluss des Blutes durch die Chorioidea (wegen hinzugetretener Chorioi-
ditis) gehindert ist; bei dieser Form sah ich mehrmals nur eine Stelle
der Iris inriltrirt und mit hellrothen Gefässreiserchen versehen, während
die übrige Iris weder verfärbt, noch in ihrer Beweglichkeit merklich
beeinträchtigt war.
Die Entzündung kann sieh tätigere Zeit als eine partielle behaupten.
Wie eigenthümlich die Mehrzahl der hieher gehörigen Fälle sich ge-
staltet, ersieht man am besten daraus, dass manche Autoren diese Af-
fection der Iris nicht als Entzündung, sondern als einen exanthemati-
schen Process betrachtet wissen wollen.
Beer und viele Autoren nach ihm haben Verrückung der Pupille
nach innen und oben als charakteristisch bezeichnet. Ist man auf dieses
Symptom bei einer grossen Zahl verschiedener Fälle von Iritis aufmerk-
sam, so findet man, dass dasselbe auffallend häufig und deutlich ausge-
prägt bei der syphilitischen Iritis vorkommt; es erscheint aber weder
constant, noch ausschliesslich bei dieser Form.
Bei der Auffassung dieser Erscheinung muss man sich gegenwärtig halten, dass
die Pupille im normalen Zustande etwa '/s'" weiter nach innen liegt, und dass der Scleral-
und Bindehautsaum von oben her viel weiter über den Band der Cornea hereingreift.
Steht das beobachtende Auge etwas höher, als das beobachtete, so erscheint die Pupille
jederzeit ein wenig nach innen und oben verrückt. Will man also die Lage des Pupillar-
randes zum Ciliarrande der Iris richtig beurtheilen, so muss man das Auge auch von unten
und aussen her betrachten. — Wenn bei einer Iritis plastisches Exsudat an die Oberfläche
(am Pupillarrande, in den Humor aqueus) geliefert wird, bevor noch der Sphinkter durch
starke Hyperämie und ödematose Schwellung in seiner Function gehemmt ist, so kann
es leicht geschehen, dass zu einer Zeit, wo die Pupille sehr verengert ist (während des
Schlafes), der Pupillarrand an die Kapsel angelöthet wird, und dass die angeklebte Partie
fixirt bleibt, wenn die Pupille (im wachen Zustande) wieder grösser wird. Die Anlöthung
kann an zahlreichen Stellen des ganzen Umfanges erfolgen; sie findet aber erfahrungs-
gemäss am häufigsten in der untern Partie statt. Die Ursache hievon ist wohl die, dass
das in den Humor aqueus ausgeschiedene plastische Exsudat sich zwischen die Iris und
Kapsel einsenkt, oder sich in der untern Hälfte des Pupillarrandes an die Kapsel anlegt
vn& beide verbindet. In allen Fällen, wo eine wirkliche Dislocation der Pupille nach
innen und oben oder nach aussen und oben vorkam, überzeugte ich mich, dass der
untere Theil der Iris an einem dem Centrum der Kapsel näher gelegenen Theile dieser
letztern fixirt, der obere Theil (73 oder zh) aber noch frei beweglich war.
In Bezug auf die Grösse und Gestalt der Pupille finden überhaupt grosse Schwan-
kungen statt. Es gibt Fälle, wo die Pupille beträchtlich verengert, aber auch Fälle, wo
Entzündung — syphilitische — Verlauf — Ausgänge. 69
sie auffallend gross, selbst continuirlich (wie durch "Belladonna) erweitert ist. Man kann
annehmen, dass in Fällen mit erweiterter Tupille die Chorioidea, namentlich das Ciliarband
der Sitz von Exsudaten sei. — Gerade in solchen Fällen steht die Störung des Gesichtes
in keinem Verhältnisse zur Trübung der durchsichtigen Medien ; die Kranken klagen, wenn
die Coi-nea, der Humor aqueus und die Pupille bereits rein geworden sind, über mehr
weniger starke Trübung. Weiter unten folgt die Beschreibung eines Falles, welcher mit
Bestimmtheit für Chorioiditis syphilitica erklärt werden kann. — Wenn die Pupille nicht
verengert ist, so kann man oft eine grosse Zahl isolirter und etwas wulstiger hinterer
Synechien wahrnehmen , und in gelinderen Fällen kann man bisweilen bemerken , dass
die eine oder die andere Synechie nach ein- oder zweitägigem Bestände -verschwindet,
dagegen vielleicht an einer zweiten oder dritten Stelle wieder auftaucht. *
Ein heftiger bohrende/' Schmers in der Gegend des Sinns fron-
talis ist ein hervorragendes S}-mptom dieser Form von Iritis. Kranke,
welche über Tag- selbst in's Freie gehen können, werden Abends von
Lichtscheu und Thränenfluss, und bald darauf von anhaltendem Schmerze
in der Stirn, wohl auch in der ganzen Kopfhälfte befallen, oder plötz-
lich in der Nacht durch denselben aus dem Schlafe geweckt, und auf
eine bisweilen fürchterliche Art gequält, bis derselbe nach Mitternacht
oder gegen Morgen von selbst verschwindet. Nach jedem solchen
Schmerzanfalle findet man mehr Exsudat in der Pupille oder in der
Iris. Wenn bei einer Iritis derlei Anfälle auftreten, hat man Grund,
Syphilis als Ursache zu vermuthen; sie treten jedoch nicht in allen
Fällen so deutlich markirt hervor; in vielen Fällen sind die Schmerzen
mehr anhaltend oder bloss remittirend, in andern nicht gerade an jene
Tageszeit gebunden. Es gibt Fälle, welche gleich in den ersten Tagen
mit solchen Schmerzen auftreten und dadurch ihre Natur verratken,
aber auch Fälle, wo die Entzündung — nach der Injection der Ciliar-
gefässe und nach der Menge des Exsudates zu schliessen — bereits einen
hohen Grad erreicht hat, und dennoch nicht nur über Tag-, sondern auch
des Nachts weder Schmerzen noch Lichtscheu (in erheblichem Grade)
vorhanden sind; sie erscheinen als seltene Ausnahmen von der Regel.
Verlauf — Ausgänge. Diese Entzündung tritt fast immer nur
an Einem Auge auf, und zwingt durch die genannten Schmerzanfälle
selbst jene Kranke, ärztliche Hilfe zu suchen, bei welchen die Ab-
nahme der Sehkraft allein hiezu noch nicht hinreicht. Wenn aber das
Allgemeinleiden nicht gänzlich behoben worden ist, so pflegt, bald
noch während das eine Auge entzündet ist, bald erst kürzere oder
längere Zeit nachher, auch das andere Auge ergriffen zu werden.
Die Entzündung kann, auch wenn ihr keine ärztliche Behandlung
entgegen gesetzt wird, einfach mit Pupillensperre, oder bloss mit
hintern Synechien enden; es kommen wenigstens Fälle vor, wo man
70 Regenbogenhaut.
auf dem einen Auge diesen Ausgang, auf dem andern unzweifelhaft
eine syphilitische Iritis findet ? und nach den Angaben des Kranken
annehmen kann, dass an dem zuerst erkrankten Auge derselbe Process
stattgefunden habe. — Ein eigenthümlicher Ausgang ist der in exor-
bitante Vergrösserung der genannten Exsudatknoten und unrettbare
Zerstörung der Sehkraft (durch Chorioiditis).
Nebst den bereits erwähnt en zwei Fällen habe ich in späterer Zeit noch einen dritten zu
beobachten Gelegenheit gehabt; seine Beschreibung folgt weiter unten. Solche Fälle waren
es wohl, welche Makenzie vor Augen hatte, wenn er S. 428 Folgendes schrieb: „"Wenn
die syphilitische Iritis vernachlässigt wird, so verschliesst sich nicht allein die Pupille sehr
schnell, und wird durch ergossene Lymphe mit der Linsenkapsel verklebt, sondern die
Iris verändert sich auf eine merkwürdige Weise in ihrem Aussehen, und zwar weit mehr,
als bei irgend einer andern Art von Iritis. Auch die Cornea wird neblig, und manchmal
mit winzigen braunen Flecken punktirt. Die vordere Kammer nimmt an Grösse ab, indem
die Iris vorwärts gedrängt wird , und die Cornea endlich an Durchmesser verliert. Die
Sclerotica, Chorioidea und Retina nehmen sämmtlich an der Entzündung Theil ; die Eetina
wird unempfindlich für das Licht, während die Chorioidea durch die abgezehrte Sclerotica
hie und da in dunkelblauer Farbe vorragt. Die Linse und die Glasfeuchtigkeit sind auch
desorganisirt." — „Das oben erwähnte Aussehen entspringt nicht aus einer Ansammlung
purulenter Flüssigkeit, und es fliesst nichts aus, nachdem man mit der Lanzette die Häute
durchdrungen hat. Wenn der Organismus unter den Einfluss des Quecksilbers gesetzt
worden ist, so schrumpft unter diesen Umständen das Auge zu einem kleinen Volumen ein ;
ist dieses aber nicht geschehen, oder ist eine unzulängliche Quantität Quecksilber gereicht
worden, so kann die Sclerotica zerreissen, und ein schwammiger Auswuchs hervortreten."
Den von Beer u. A. erwähnten Ausgang in Erweichung des Glas-
körpers (?) habe ich bloss ein Mal beobachtet. Ich wurde zu einem
jungen Manne gerufen, welcher wegen Iritis syphilitica mit Mercur bis
zum Eintritte reichlicher Salivation behandelt worden war. Die Pupille
war ziemlich rein geworden, aber der Kranke konnte nicht einmal
die Zahl der vorgehaltenen Finger bestimmen. Die Untersuchung
zeigte den Bulbus weich, matsch, etwas kleiner, in der Gegend der
Musculi recti eingedrückt. Es wurden warme Bäder verordnet, dem
Kranken eine nahrhaftere Kost verabreicht, und, da die Jahreszeit es
zuliess, auch der Genuss der frischen Luft sehr bald gestattet. Nach
5 Wochen war das Auge vollkommen genesen.
Behandlung. Bei dieser hat man sein Augenmerk so gut auf
das Allgemeinleiden, wie auf die örtlichen Erscheinungen zu richten.
So sehr gefehlt es wäre, die Entzündung der Iris ohne Rücksicht auf
ihr ursächliches Verhältniss bloss nach den allgemeinen Principien der
Antiphlogose behandeln zu wollen, so verderblich würde es auch sein,
von einer gegen das Allgemeinleiden allein gerichteten Behandlung
alles Heil erwarten zu wollen.
Entzündung — scrofulöse — Symptome. 71
Als örtlicher Process aufgefasst, erfordert diese Iritis je nach den
verschiedenen Zufällen eine verschiedene Behandlung. Bei gelindem
Auftreten der Entzündung bedarf dieselbe bei Abhaltung der verschie-
denen schädlichen Einflüsse, z. B. Anstrengung des andern Auges,
grellen Lichtes, geistiger Getränke u. dgl. keiner örtlichen Mittel.
Bei starker Gefässinjection, Lichtscheu, Thränenfluss und Schmer-
zen sind örtliche Blutentziehungen nothwendig, um so reichlicher und
wiederholt, wenn diese Zufälle und die Exsudation auf stetes Steigen
der Entzündung deuten. Die meiste Gefahr bringen die nächtlichen
Schmerzanfälle, und diese sind es auch, von welchen solche Kranke
vor Allem befreit sein wollen. Nach vorausgeschickter Blutentziehung,
wo die Anzeige dazu vorhanden, werden sie am schnellsten und sicher-
sten behoben, wenn man (noch vor der Exacerbation) unguent. Jieapolit.
mit J — 8 Gran Opium (auf 1 5) an die Stirn und Schläfe reichlich
(und nach 2—3 Stunden wiederholt) einreiben lässt, und dann eine
trockene warme Compresse darüber herabhängt. Andere Narcotica sind
weniger verlässlich, und die Mvdriatica (nach meiner Erfahrung) schäd-
lich. Alle Mittel aufs Auge selbst sind auch hier, wie bei jeder Iritis
überhaupt, schädlich.
Die Behandlung des Allgemeinleidens richtet sich grösstenteils
nach der Individualität und den Verhältnissen des Kranken mit Be-
rücksichtigung der Affection des Auges sowohl, als anderweitiger
syphilitischer Erscheinungen.
Es kau^ hier nicht unsere Aufgabe sein , aus einander zu setzen, wie die Syphilis
überhaupt zu behandeln sei. Ich will daher nur jene Methoden in Kürze anführen, welche
ich angewendet habe. — Bei einfachen Formen habe ich sehr oft den besten Erfolg von
dem zweckmässigen Gebrauche des Calomels allein oder mit Opium gesehen , täglich
•2 — 3mal zu ik Gran verabreicht, bis zu den Vorboten der Salivation. Sublimat, am besten
in Pillenform (nach Dzondi oder Hofmann) passt mehr für inveterirte Fälle. Der Gebrauch
der Jodpräparate ist nur bei jenen Fällen zulässig, welche mit gelinden Keactionserschei-
nungen verlaufen , UDd wo bereits viel Mercur (unzweckmässig) genommen wurde. Von
strenger Durchführung der Entziehungscur, unterstützt durch Holztränke, sah ich in einigen
Fällen, wo gleichfalls schon viel Mercur gebraucht worden war, vortreffliche Wirkung.
Mit Terpentinöl nach Carmichael habe ich in den wenigen Fällen, die ich damit behan-
delte, keinen günstigen Erfolg erhalten.
4. Iritis scrqfulosa.
Scrofulosis (Tuberculosis) ist sehr oft die Ursache, dass am Auge
eine Reihe krankhafter Erscheinungen auftritt, welche wir als Iritis be-
zeichnen müssen. Individuen, welche anderweitige Zeichen dieses All-
gemeinleidens mehr weniger deutlich ausgeprägt darbieten, erkranken
72 Regenbogenhaut.
auf dem einen, und über kurz oder lang auch auf dem andern Auge
an Iritis, bald ohne äussere Veranlassung, selbst während des zweck-
mässigsten Verhaltens, bald nach diesem oder jenem Einflüsse, und die
Iritis nimmt sofort einen eigenthümlichen Verlauf.
A. Wird ihr Ausbruch nicht durch heftigere Gelegenheitsursachen
erregt, so macht sie Anfangs sehr gelinde Zufälle, und zeigt einen mehr
langsamen, schleichenden Verlauf. Sie zeichnet sich dann, gleich der
syphilitischen Iritis, vorzüglich durch Ausscheidung plastischen Exsuda-
tes bei relativer Geringfügigkeit der übrigen entzündlichen Zufälle aus.
Diese Ausscheidung geschieht aber nicht wie bei jener vorzugsweise
in's Parenchym der Iris, sondern hauptsächlich in de?i Humor aqueus,
und präcipitirt sich dann an die Descemetsche Haut oder am Pupillar-
rande, in der Pupille. Erst nach längerer Dauer und bei grösserer
Heftigkeit wird das Gewebe der Iris selbst infiltrirt und mannigfach
verändert. Desshalb sind die hieher gehörigen Fälle auch meistens
als Hydromeningitis, Iritis exsudativa, Iritis chronica u. dgl. beschrieben
worden.
Alhnälige Abnahme der Sehkraft ist in solchen Fällen fast immer
der erste Zufall, welcher den Kranken auf sein Auge aufmerksam
macht. Der Arzt kann leicht eine Amblyopie vor sich zu haben ver-
meinen, denn es kann die Injection der vordem Ciliar arterien dabei
sehr gering, die Farbe und Beweglichkeit der Iris kaum merklich ver-
ändert, der Kranke von Schmerz und Lichtscheu ganz frei sein. In
diesen Irrthum kann man um so leichter verfallen, wenn %lie Pupille
eher erweitert als verengert, dabei nicht entrundet, und die Iris minder
lebhaft beweglich gefunden wird, was gerade bei dieser Form nicht
selten vorkommt. Untersucht man aber das Object genauer, so werden
graue oder braune Punkte an der hintern Wand der Cornea (an der
untern Hälfte, der Pupille gegenüber) wenigstens dem bewaffneten Auge
nicht entgehen, und die nächste Umgebung der Cornea wird dabei,
falls der Exsudationsprocess noch im Gange ist, eine abnorme Injection
annehmen. Leichter ist der Sitz und die Natur des Augenleidens zu
erkennen, wenn bereits hintere Synechien eingetreten sind.
Die Krankheit kann auf dieser Stufe mit wechselnder Besserung
und Verschlimmerung Wochen, Monate lang stehen bleiben, und auch,
ohne weiter zu gehen, wieder verschwinden. Die Exsudate an der Cor-
nea, bisweilen selbst hintere Synechien verlieren sich mit der Zeit voll-
ständig. Vergrösserung der vordem Augenkammer, Kurzsichtigkeit,
Mückensehen und Unvermögen zu anhaltender Anstrengung der Augen
bleiben häufig durch längere Zeit zurück.
Entzündung — scrofulöse — Symptome. 73
Wemi hintere Synechien entstanden sind, so ändern sich auch der
Glanz, die Farbe, die Faserung und die Beweglichkeit der Iris, und die
entrundete Pupille erscheint in manchen Fällen excentrisch, aus ihrer
Lage verrückt. — In andern Fällen bemerkt man nach kürzerem oder
längerem Bestände der Entzündung eine in der Pupille spinnwebenartig
ausgespannte feine Membran, oder einen vollständigen oder theilweisen
E.vsudatring innerhalb des Pupillarrandes. Dabei können die Exsudate
an der Wasserhaut fehlen, aber auch so zahlreich sein, dass sie die
Gegenwart des Exsudates in der Pupille Anfangs gar nicht oder nicht
bestimmt erkennen lassen. Die meisten Fälle von ganzlieher Pupillen-
sperre und von Cataracta accreta, welche dem Arzte vorkommen, sind
durch Iritis scrofulosa bedingt. Schon Adam Schmidt, der erste Autor
über Iritis, spricht von Pupillensperre durch „scrofulöse Iritis".*)
Diese Form von Iritis ist es vor allen, welche gern zur Verkle-
bung der Iris and Cornea von der Peripherie führt. Wenn dann zu-
gleich der Pupillarrand durch ringförmig oder membranartig abgelager-
tes Exsudat an die Kapsel angelötriet ist, so geschieht es, dass die
zwischen dem Ciliar- und Pupillarrande gelegene Partie der Iris durch
flüssiges oder festes Exsudat hinter ihr hervorgetrieben, und allmälig
in ihrer Farbe und Structur verändert, durch Druck atrophisch wird.
Während dieser Ausgang im Anzüge ist, sieht man bisweilen einzelne
Gefässe (Venen) auf der Iris sehr erweitert, und durch Berstung ver-
möge des gehinderten Rückflusses auch Blut in die Augenkammer aus-
getreten. In mehreren Fällen sah ich auch Gefässe vom Pupillarrande
aus auf die Exsudatschichte übergehen, welche die Pupille verlegte.
(Vergl. Ausgang 5, S. 46.)
Gänzlich vernichtend für die Sehkraft werden hieher gehörige Fälle
durch das oft unvermerkte und häufig wohl auch unabwendbare Hinzu-
treten von Chorioiditis. (Vergl. Ausgang 7, S. 47.) Wenn dieser Aus-
gang sich auch nicht durch verminderte Consistenz und allmäliges
Schrumpfen des Bulbus oder aber durch abnorme Spannung und Ver-
grösserung des Bulbus mit oder ohne Staphylomata sclerae kund gibt,
wenn selbst das Auge noch nicht alle Lichtempfindung verloren hat,
so vermag doch in der Regel weder eine entsprechende diätetisch-
pharmaceutische Behandlung, noch die Anlegung einer künstlichen Pu-
pille (mit oder ohne Beseitigung der oft verdunkelten Linse) das Seh-
vermögen wieder herzustellen.
Objectiv und bloss nach dem Befunde am Auge lassen sich solche
*) Himly's ophthalm. Bibliothek, 2. Band, 1. Stück. S. 22, 34 und 35.
74 Regenbogenhaut.
Fälle nur selten von anderweitig bedingten, namentlich von jenen un-
terscheiden, welche in Folge deprimirender Einflüsse (siehe S. 50) ent-
stehen, besonders dann, wenn das Individuum, das an Scrofulosis (Tu-
berculosis) leidet, sehr herab gekommen ist. Es kann dann nur die
Erhebung des allgemeinen Befundes und der Anamnesis für das
eine oder das andere ursächliche Moment überwiegende Wahrschein-
lichkeit geben. Häufig muss man sich mit der Bezeichnung „chronische
Iritis oder Iridochorioiditis" begnügen.
B. Tritt diese Iritis mit heftigen Reactionserscheinungen von Seite
des Gefäss- und Nerveiisystenies auf, was in der Eegel nur nach ma-
nifesten äussern Veranlassungen oder bei Combination mit Keratitis
oder Scleritis scrofulosa geschieht, dann pflegt auch die Ausscheidimg
faserstoffigen Exsudates in die Augenkammern reichlich zu sein, so
dass sich dasselbe in Form grosser Flocken an den untern Theil der
Cornea anlegt, oder als lichtgelbe, mehr weniger bewegliche Masse
halbmondförmig zu unterst ansammelt. — Es gibt Fälle, welche sogleich
mit heftigen Erscheinungen beginnen, während andere Male erst nach
längerem Bestehen der Entzündung auf demselben oder auf dem an-
dern Auge so heftige Zufälle beobachtet werden. Die Injection der
vordem Ciliararterien reicht dann bis in den Limbus conjunctivae,
welcher bisweilen etwas geschwellt und so stark geröthet erscheint,
dass es aussieht, als ob daselbst Blut ausgetreten wäre. In andern
Fällen sind es bloss die tiefern, nächst der Descemetschen Haut in die
Cornea eindringenden Astchen der Ciliararterien, welche so stark inji-
cirt erscheinen, dass sie ein Blutextravasat vortäuschen. Oft ist diese
Injection das erste Zeichen des Hinzutretens von Keratitis; häufiger
findet der Fall statt, dass zu den Zeichen der Keratitis oder Kerato-
scleritis scrofulosa die der Iritis hinzutreten, und dass wegen der Horn-
hauttrübung die Veränderungen in der Iris und Pupille längere Zeit
nicht mit Bestimmtheit erkannt werden können. Wegen der heftigen
Schmerzen, die im Auge als drückend, in der Umgebung als stechend
oder reissend bezeichnet zu werden pflegen, begleitet von starker Licht-
scheu und reichlichem Thränenjlusse, sind solche Fälle häufig als rheu-
matisch bezeichnet worden. In vielen Fällen treten die Zufälle von
Seite des Nervensystems, ja selbst die Trübung des Gesichtes, durch
die Exsudation entschieden in den Morgenstunden starker auf. — In
solchen heftigen Fällen fiebern die Kranken, und magern, da das Übel
hartnäckig anhält, zusehends ab. In den meisten Fällen ist es nicht
mit einem Anfalle abgcthan ', die Krankheit bricht, oft ohne alle äussere
Veranlassung, nach einem Stillstande von Wochen oder Monaten mit
Entzündung — scrofulöse — Ausgänge — Vorkommen. ' 75
erneuter Heftigkeit auf demselben oder auf dem andern Auge aus, und
lässt dann selten noch eine Restitutio ad integrum zu.
Die Ausgänge sind im Ganzen dieselben, wie die unter A ange-
gebenen. Mir ist kein einziger Fall vorgekommen, wo bei der grössten
Heftigkeit der entzündlichen Erscheinungen Panophthalmitis mit Ver-
eiterung der Cornea vorgekommen wäre, ein Ausgang, der nach Iritis
traumatica eben nicht selten eintritt. Durch reichlicheren Lympherguss
kann, wenn nicht bald Resorption eintritt, die Iris einerseits von der
Peripherie her an die Cornea, andererseits theilweise oder ringsum an
die Kapsel angelöthet, oder die Pupille durch eine mehr weniger dicke
Lage bleibend gesperrt werden ; durch gleichzeitiges oder späteres Hin-
zutreten von Chorioiditis droht dem Bulbus Verlust seiner innern Ener-
gie und seiner äussern Form; durch die Complication mit Keratitis oder
Keratoseleritis, welche letztere jedoch nur selten ohne gleichzeitige Cho-
rioiditis besteht, werden in der Regel unheilbare Hornhauttrübung (Scle-
rosirung der Cornea, besonders von der Peripherie her) und bleibende
Structurveränderung der Sclera, häufig mit Ausdehnung derselben (Sta-
plivloma sclerae anticum) herbeigeführt.
Vorkommen. Der erste Ausbruch dieser Krankheit auf beiden
oder doch auf dem einen Auge fällt bei mehr als 2/3 der Individuen
zwischen das 15. und 25. Lebensjahr. Die Krankheit zeigt in dieser
Beziehung die grösste Analogie mit dem Trachoma, mit welchem sie
fast nie (ich sah nur 2 Fälle), und mit der Keratitis scrofulosa, mit
welcher sie am häutigsten combinirt vorkommt. Auch in Bezug auf
das Allgemeinbefinden und auf den äussern Habitus zeigen diese Indi-
viduen völlige Übereinstimmung mit den von Trachoma oder von Kera-
titis scrofulosa Befallenen. Der untergeordnete Einfluss äusserer, direct
wirkender Schädlichkeiten zeigt sich am deutlichsten in dem gleichar-
tigen Erkranken des zweiten Auges selbst bei dem besten Verhalten,
und in dem Wiederauflodern des Processes ohne alle äussere Veran-
lassung. Deprimirende Einflüsse, namentlich anhaltende GemüthsafTecte,
schlechte Nahrung und Wohnung sind die häufigsten und leider auch
selten gänzlich und dauerhaft zu beseitigenden erregenden und unter-
haltenden Ursachen. Hat man Gelegenheit, die Familienmitglieder sol-
cher Individuen näher kennen zu lernen und durch eine längere Reihe
von Jahren zu beobachten, so kommt man zu denselben Resultaten,
welche wir beim Trachoma in dieser Beziehung angeführt haben.
{I. B. S. 135.)
Beim Übertritte aus dem Mannes- zum Greisenalter, namentlich beim ■weiblichen
Geschlechte, in den klimakterischen Jahren, entwickeln sich die Zufälle chronischer Iriti8
76 Regenbogenhaut.
auf beiden Augen zugleich oder kurz nach einander. Die Befallenen wissen entweder
gar keine Ursache anzugeben, oder beschuldigen Umstände, nach denen man bei sonst
Gesunden keine Iritis auftreten sieht. Die Symptome und der Verlauf zeigen grosse Ähn-
lichkeit mit den unter A S. 72 beschriebenen Fällen, nur erscheinen die Exsudate im Allge-
meinen sparsamer, mehr am rupillarrande als an der hintern Hornhautwand abgelagert,
und meistens mit Pigment untermischt oder davon gedeckt. Niemals findet man bei solchen
Individuen die Pupille erweitert, fast immer dagegen auffallend verengert, den Pupillarrand
theilweise oder ringsherum von einem lichtgrauen , häufig jedoch durch Pigment gedeck-
ten, daher ganz oder grösstentheils dunkelbraunen Exsudate eingesäumt, weiterhin die
Pupille auch in der Mitte durch eiue dünne Exsudatschichte verlegt. Die im höhern Alter
ohnehin fast immer enge vordere Augenkammer wird in solchen Fällen häufig noch mehr
dadurch verengert, dasfe die Iris von der Peripherie her an die Cornea angelöthet wird.
Wenn solche Fälle von Iritis sich selbst überlassen bleiben, oder wenn es nicht bei
Zeiten gelingt, günstig auf den Gesammtorganismus einzuwirken, so fuhren solche Fälle
nicht bloss zu der schon erwähnten Pupillensperre, sondern auch zu allmäliger Einschrum-
pfung des Bulbus. Vordere oder seitliche Scleralstaphylome dagegen entstehen nach dem,
was ich beobachtet, in solchen Fällen nie. Sie sind als Uveitis chronica beschrieben
woiden. — Forscht man nach den ätiologischen Momenten, so wird man selbst bei einer
massigen Zahl von Beobachtungen, sobald man sie sorgfältig erhoben und zusammen-
gestellt hat, zunächst auf Störungen im Bereiche des Pfortadersystemes hingewiesen, auf-
fallend häufig aber finden, dass bei solchen Individuen in früheren Jahren Zufälle von
Scrofulosis (Tuberculosis) vorhanden waren. Wir können bei dem gegenwärtigen Stand-
punkte unseres Wissens auf die Erörterung der hier sich aufdiingenden Fragen nicht
eingehen, und wollten mit dieser kurzen Notiz nur wiederholt auf ein Gebiet der weitern
Forschung aufmerksam machen. Es wäre allerdings bequemer gewesen, über solche
brennende Fragen mit einer Abhandlung über Iritis im Allgemeinen wegzugleiten , von
Entzündung der Iris als nur einer und derselben Krankheit zu sprechen ; wir glauben
aber, jede Erkrankung eines Organs überhaupt und also auch die Iritis werde einseitig
und daher sehr leicht auch irrig aufgefasst, wenn man nicht jedesmal den Zustand des
Gesammtorganismus und seine Beziehungen zur Aussenwelt sowohl als zu einzelnen
Organen so weit als möglich aufzufassen sucht. Und diese Aufgabe ist wohl die erste
für die Therapie, das praktische Problem des Arztes, gleichwie für die wissenschaftliche
Forschung der Gelehrten.
Die Behandlung muss vorzugsweise eine allgemeine sein, und
zwar mehr eine diätetische als pharmaceutische.
Nur bei heftigeren entzündlichen Zufällen am Auge wird es nöthig,
die Behandlung mit einer örtlichen Blutentziehung zu beginnen. Sie
sei eher etwas massiger als zu stark, weil man darauf gefasst sein
muss, sie von Zeit zu Zeit zu wiederholen. Die Anwendung der Kälte
ist hier eben so unnütz und verwerflich, wie bei Iritis rheumatica und
syphilitica. Purganzen werden bei Individuen, die nicht sehr herabge-
kommen sind, mit entschiedenem Nutzen angewendet. Bei reizbaren
Individuen (mit leicht gerütheten Wangen, beschleunigtem Pulse, Con-
gestionen zum Kopfe) wendeten wir nach Makenzie's Vorschlage Tart.
Entzündung — scrolülüse — Behandlung. 77
■s
stibiatus r. d. mit Salpeter oder Glaubersalz sehr oft mit gutem Er-
folge an.
Ist viel flüssiges Exsudat in der Augenkammer angesammelt , so
reiche man, falls keine Gegenanzeige besteht, ein Emeticum; tritt in
2—3 Tagen keine Resorption ein, so wiederhole man dasselbe, oder
eröffne die Cornea. In einigen Fällen habe ich vom Calomel, alle 2 — 3
Stunden zu 2 Gran verabreicht, den gewünschten Erfolg gesehen. Subli-
mat passt mehr für chronische Fälle. Aus der Schilderung der Aus-
gänge der Iritis überhaupt und der scrofulösen insbesondere dürfte sich
wohl ergeben, bei welchen Zuständen überhaupt von Arzneimitteln
etwas erwartet werden kann. Bei membran- oder pfropfähnlichen Ex-
sudaten in der Pupille z. B. etwa Verflüssigung und Resorption durch
innerliche Mittel, namentlich Mercurial- oder Jodpräparate, anzustreben,
■wäre vergebliche und in der Regel wohl auch verderbliche Mühe.
Einreibungen von Ung. cinereum an die Stirn und Schläfe, bei
heftigen Schmerzen und Lichtscheu reichlich mit Opium versetzt, tragen
wesentlich bei, die entzündlichen Zufälle zu massigen und Resorption
einzuleiten.
Ruhe im Zimmer oder selbst Verweilen im Bette wird nur so lange,
als heftige Zufälle vorhanden sind, noth wendig. Ausserdem lasse man
solche Kranke so viel, als es die Witterung zulässt, im Freien zubrin-
gen, die Augen jedoch, falls das eine noch dazu geeignet wäre, durch-
aus nicht anstrengen, und schütze sie gegen grelles Licht durch blass-
blaue oder graue, die Beleuchtung mehr weniger dämpfende Brillen.
Grell retiectirtes Licht und starke Contraste in der Beleuchtung sind
vorzüglich sorgsam zu meiden.
Bei Anwendung der sogenannten antiphlogistischen Methode lasse
man nicht ausser Acht, dass man es nicht mit übrigens gesunden, son-
dern kranken Individuen zu thun habe, deren Kräfte man nicht durch
Losstürmen mit heroischen Mitteln und durch zu knappe Kost so kühn
herunterbringen darf, wie diess wohl sonst bei gesunden und kräftigen
Individuen bisweilen ungestraft geschehen kann; namentlich setze man
Mercurialmittel nicht zu lange fort und verabreiche sie nie, wo der
Kranke nicht ein entsprechendes diätetisches Verhalten beobachten
kann oder mag.
Ist die Heftigkeit der entzündlichen Zufälle (Röthe, Lichtscheu,
Thränenfluss, Schmerzen) gebrochen, oder waren solche gleich zu An-
fang der Behandlung nicht in höherem Grade vorhanden, dann bildet
die Regulirung der Diät im weitesten Sinne des Wortes, wie bei der
Behandlung der Scrofulosis und Tuberculosis überhaupt, den wesent-
78 Regenbogenhaut.
lichsten Theil der Aufgabe des Arztes. Bei sehr lange dauernden Fäl-
len unterlasse man nicht, auf die in der Regel sehr gedrückte Gemüths-
stimmung des Kranken so viel als möglich hebend einzuwirken. Man
unterrichte ihn im Voraus, dass er — wenn überhaupt — nur allmälig
genesen kann.
Die Anzeigen zu den innerlichen Heilmitteln und Heilmethoden lie-
fert die Berücksichtigung des Gesammtorganismus und der Verhältnisse
des Kranken. Bei älteren Individuen, wo diese Iritis in der Regel
schleichend und mit Ansatz faserstoffigen Exsudates am Pupillarrande
(als sogenannte Uveitis) verläuft, und meistens die Zeichen der soge-
nannten Plethora abdominalis vorhanden sind, hat man von jenen Mit-
teln am meisten zu erwarten, welche die Alten Solventia nannten.
Oben an stehen die Mineralwässer, Marienbader Kreuzbrunnen, Egerer
Salzquelle, Kissinger Ragozi, Saidschützer oder Püllnaer Bitterwasser,
in der kältern Jahreszeit Gramen, Taraxacum, Rheum, kleine Gaben von
Aloe und verwandte Mittel in Verbindung mit kohlensauren oder wein-
steinsauren Salzen. — Bei jüngeren Individuen lässt sich von dem Ge-
brauche der Adelheidsquelle, des Haller Jodwassers, des Jodkalium,
der Baryta muriatiea. der Cicuta, des Oleum jeeoris aselli am ehesten
eine günstige Einwirkung auf das Allgemeinleiden erwarten. Bei jün-
geren Frauenzimmern kommt diese Form von Iritis sehr häufig mit
Menstruationsanomalien vor. Eisenpräparate allein oder mit Rheum,
kleinen Gaben von Aloe, Myrrka, Borax, Sabina sind durch die Iritis
chronischen Verlaufes nicht contraindicirt, im Gegentheile oft die besten
Antiphlogistica. Schon Ware*) hat Eisenpräparate gegen solche Fälle
von Iritis empfohlen, und auf unserer Klinik wurden sie bereits unter
Prof. Fischer öfters mit dem besten Erfolge gegeben.
In der Zeit der Re- oder Intermission der entzündlichen Zufälle
suche man örtlich die Resorption zu bethätigen und die Exsudate in
der Pupille zum Losreissen zu bringen. Zu ersterein Zwecke sind als
das gelindeste, auch schon während des Exsudationsprocesses anwend-
bare Mittel Einreibungen von Ung. einer, an die Stirn anzuwenden;
stärker wirken schon das Einstreichen der weissen Präcipitatsalbe an
die äussere Fläche der Lider, und Einreibungen von Jodkaliumsalbe
an die Stirn, am stärksten das Einbringen von Salben aus rothem Prä-
cipitat oder Jodkalium in die Lidspalte. Letztere werden daher nur
nach dem Verschwinden der abnormen Gefässinjection am Auge ver-
tragen. Ebenso dürfen Einträuflungen von Extr. belladonnae, um den
*) Chiruigischo Beobachtungen von James Ware, übersetzt in Himly's nphthalm. Bibl. , Göttingen
1809, Bd. I., S. 130.
Entzündung — unbestimmte Formen. 79
Pupillarrand wieder frei zu machen, alle 3 — 4 Tage wiederholt, in der
Kegel erst nach völligem Erlöschen des Exsudationsprocesses angewen-
det werden. Zu demselben Zwecke kann man auch 2 — 3 Gran Atro-
pin mit 1 Drachme Fett bohnengross an die Stirn und Schläfe einrei-
ben lassen.
5. Unbestimmte Formen von Iritis.
Wenn schon bei frischen und acuten Fällen von Iritis sowohl der
Befund am Auge, als auch eine sorgfältige Berücksichtigung des Ge-
sammtorganismus und des bisherigen Verlaufes nicht jederzeit mit Be-
stimmtheit, ja nicht einmal immer mit hoher Wahrscheinlichkeit auf
das ursächliche Moment der Augenkrankheit schliessen lassen, so ist
diess bei chronischen, bei vernachlässigten, und noch mehr bei man-
nigfach misshandelten Fällen sehr häufig der Fall, und man muss sich
begnügen, einfach Iritis oder Iridochorioiditis u. dgl. zu diagnosticiren,
und theils durch Ausschliessung eines und des andern ursächlichen Mo-
mentes, theils durch Berücksichtigung anderweitiger Erscheinungen im
Organismus nebst Beachtung der bereits vorhandenen Veränderungen
am Auge Anhaltspunkte für die Prognosis und Therapie zu gewinnen.
Die Diagnosis wird überdiess auch dadurch erschwert, dass eine Iritis
z. B. durch Syphilis bedingt sein kann, ohne zur Zeit der Beobach-
tung gerade auf die oben beschriebene Weise charakterisirt zu erschei-
nen, und noch mehr dadurch, dass häufig nicht eines der bekannten
ursächlichen Momente allein es ist, welches die Iritis bedingt und un-
terhält, sondern dass die Erscheinungen durch mehrere Momente zugleich
oder nacheinander modificirt werden können. Zu alle dem kommt aber
noch, dass Fälle von Iritis vorkommen, wo man weder äussere Schäd-
lichkeiten noch allgemeine Gesundheitsstörungen in ursächlichen Zu-
sammenhang mit dem Augenleiden zu bringen vermag oder darf, wenn
man sich nicht eben willkürlichen Deutungen hingeben will. Es eröff-
net sich hier noch ein weites Feld für spätere Forschungen. — In die
Schilderung der combinirten Formen, z. B. der rheumatisch-scrofulösen,
scrofulös-syphilitischen etc. einzugehen, wie mehrere Autoren gethan
haben, ist wohl überflüssig. Der Geübte braucht das nicht, der Anfän-
ger wird dadurch eher verwirrt als orientirt. Das Studium der rein
ausgeprägten einfachen Formen bildet die beste Grundlage zu dem der
complicirten, und gibt hinreichende Anhaltspunkte auch für jene Fälle*
wo man über das ursächliche Moment nicht in's Klare kommen kann.
Auf zwei ursächliche Momente chronischer Iritis haben wir S. 50
80 Regenbogenhaut.
hingewiesen. Es ist vorläufig noch nicht möglich, in Bezug auf die
Gruppirung und Reihenfolge der Symptome nähere Andeutungen zu
geben, als eben dort geschah. In derselben Lage sind wir zu vielen
andern Fällen von Iritis, wo wir selbst in Bezug auf die ätiologischen
Momente noch viel weniger anzugeben vermögen.
Was die Behandlung solcher nicht näher bestimmbaren Formen
betrifft, so glauben wir in dem über die bekannten Formen Gesagten
bereits die wichtigsten Anhaltspunkte gegeben zu haben, wollen jedoch
die Art und Weise, wie wir in solchen Fällen und bei Iritis überhaupt
am Krankenbette vorgingen, durch specielle Krankheitsgeschichten zu
erläutern suchen. Getreue und möglichst genaue Beschreibungen von
Fällen verschiedener Art unterrichten den Anfänger vielleicht besser,
als allgemeine Schilderungen und Deductionen.
Diesen Krankheitsgeschichten mag noch eine Übersicht der von uns im Spitale be-
obachteten Fälle von Iritis nach den ätiologischen Momenten vorausgehen.
Unter 162 Fällen gab sich die Iritis als rheumatisch kund bei 33 Individuen, als
syphilitisch bei 20, als scrofulös bei 55, nicht näher bestimmbar, jedoch meistens bei
sehr herabgekommenen, unter ungünstigen Verhältnissen lebenden Individuen 38 , bald
nach Verletzung und Vernichtung des andern Auges lOmal.
Von den als rheumatisch erkannten Fällen kommen 1 beim männlichen und 3 beim
weiblichen Geschlecht auf das Alter vom 15. bis zum 25. Jahre, 14 M. 5. W. vom 25. bis 45.,
4 M. 5 W. vom 45. bis 70. Jahre. Die meisten kamen zwischen dem 4. bis 14. Tage
nach dem Beginn der Krankheit in Behandlung (15 in den ersten 8 Tagen, 9 in der 2.,
4 in der 3. "Woche, und 4 zwischen der 4. und 8. Woche). In 15 Fällen litt bloss das
linke , in ! 5 bloss das rechte , in 3 beide Augen. Vollständig oder bis auf leichte
Synechien geheilt wurden 24 , mit mehr weniger beeinträchtigtem Sehvermögen (durch
Exsudate in der Pupille), jedoch sehend entlassen wurden 6, mit Pupillensperre 2 (Kerato-
iritis rheumat. mit Hypopyum). Die kürzeste Dauer der Behandlung war 5 Tage, die
meisten konnten im Verlauf der 2. oder 3. Woche entlassen werden, sechs erst nach 5,
zwei erst nach 10 Wochen.
Iritis syphilitica. Männlich 9, weiblich 17. Vom 15. bis 25. Jahre 3 M. 7 W.
vom 25. bis 45. J. 4 M. 9 W., vom 45 bis 55. J. 2 M. 1. W. Dauer der Krankheit bis
zum Eintritt: vom 4 bis 8. Tage 2, in der 2. Woche 7, 3. Woche 7, 5. Woche 6, 6. Woche 1,
8. Woche 1, 4. Monat 1, 5. Monat 1, bei einem 48jährigen Weibe war das linke Auge
vor 3 Jahren durch Pupillensperre erblindet, das rechte Auge litt seit 3 Wochen an Iritis.
Bloss das linke litt bei 11, bloss das rechte bei 6, beide (nach einander, meistens das
linke zuerst) bei 9 Individuen. Geheilt mit wenig oder gar nicht beeinträchtigtem Seh-
vermögen 18, mit merklich gestörtem Sehvermögen durch Exsudate in der Pupille 5, mit
gänzlicher Pupillensperre 1, ungeheilt (mit consecut. Schrumpfung des Bulbus) 2 Individuen.
Kürzeste Zeit der Behandlung 14 Tage, längste 5 Wochen, mittlere 18 Tage. Von den
unglücklich abgelaufenen Fällen waren 2 durch 8 Wochen in Behandlung ; ein Fall wurde
erst nach 7 Wochen geheilt.
Iritis scrofulosa. Im 7. und 8. Jahre erkrankten zwei Mädchen, zwischen dem 8. und
15. Jahre 5 Knaben, 3 Mädchen, vom 15. bis 25. Jahre 11 M. 16 W., vom 25. bis 35.
Entzündung — Krankengeschichten. 81
Jahre 6 M. 9 W., vom 35. bis 45. Jahre nur 3 Männer. Bloss auf dem linken Auge
litten 8, bloss an dem rechten 3, an beiden 44 ; von letzteren waren die meisten zuerst
auf dem linken Auge erkrankt, in Zwischenräumen von einigen Wochen, Monaten, selbst
von mehreren Jahren. Nur 1 Fall kam nach Stägiger Dauer, 4 nach 14 Tagen, 3 nach
3 "Wochen, 5 nach 4 — S Wochen, 6 nach 3 — lOMon., die übrigen erst nach 1 bis 6jähr. Dauer.
Sehend entlassen wurden nur 15, in gebessertem Zustande 6 ; der Ausgang in Pupillensperre
oder Catar. accreta war schon bei der Aufnahme oder während der Behandlung einge-
treten bei 25, und bei 9 nützte auch die Anlegung einer Pupille nichts wegen neuerlicher
Entzündung oder bereits hinzugetretener Amblyopie Chorioiditis). Kürzeste Zeit der Be-
handlung (in den günstigen Fällen) 3 Wochen ; längste, wo noch Heilung erzielt wurde,
3 Monate. Mehrere dieser Individuen wurden im Verlaufe einiger Jahre wiederholt in
die Anstalt aufgenommen.
Ton den 10 Fällen, wo die Iritis bald nach Phthisis des andern Auges auftrat,
wurde nur 1 geheilt, 1 gebessert; die andern endeten mit Pupillensperre, mehrere auch
mit Atrophia bidbi.
Die 3S nicht näher bestimmbaren Fälle waren bis auf einige wenige chronischen
Verlaufes. Bei mehr als 2/3 davon war zur Zeit der Aufnahme schon Pupillensperre
eingetreten. Bei allen, mit wenig Ausnahmen, waren beide Augen ergriffen ; 23 gehörten
dem männlichen, 15 dem weiblichen Geschlechte; dem Alter nach fallen 2 männliche
vor das 15., 2 männl. 7 weibl. zwischen das 15. und 25., 14 männl. zwischen das 25.
und 45., 5 männl. und 8 weibl. zwischen das 45. und 55. Lebensjahr.
1. Bei einem Beamten von 45 Jahren fand ich am rechten Auge das obere Lid
etwas ödematös, die Conj. palp. et bulbi von einem dichten Gefässnetze durchzogen,
vom Übergangstheile an bis zum Cornealrande leicht serös infiltrirt; die vordem Ciliar-
arterien stark injicirt, rings um die Hornhaut einen breiten rosenrothen Saum bildend;
die Hornhaut rein und glänzend; die Pupille eng, etwas über V" im Durchmesser, nicht
ganz rund, leicht getrübt, die Iris etwas grünlich entfärbt (links blau), unbeweglich;
Lichtscheu und Thränenfiuss heftig, so dass die Untersuchung nur mit Mühe vorgenom-
men werden konnte, Gefühl von Druck im Auge; das Gesicht getrübt, entsprechend der
Trübung der Pupille. Das Leiden hatte vor 3 Tagen mit Böthe des Auges und lästigem
Drücken angefangen. — Das rasche Auftreten und Steigen der Entzündung bis zu einem
so hohen Grade, die Heftigkeit der Zufälle von Seite des Gefäss- und Nervensystemes
bei so geringer Ausscheidung faserstoffigen Exsudates, und die ödematöse Beschaffenheit
der Bindehaut und der Cutis bestimmten mich, die Iritis für eine durch Verkältung bedingte
zu halten. Dieser Schluss wurde unterstützt durch den Umstand, dass der Mann bereits
vor 3 Jahren an einer Iritis rheumatica desselben Auges gelitten hatte, und noch mehr
dadurch, das„s er den Tag vor dem Ausbruche beim Besteigen eines Berges sich stark
erhitzt und bei schwitzendem Kopfe den Hut abgesetzt hatte. — Ich stellte die Prognosis
günstig, in Bezug auf den Ausgang sowohl als auf die Dauer. — Der Kranke musste
bei restringirter Kost im Bette bleiben; an die Schläfe wurden 8 Blutegel gesetzt,
dann eine gewärmte Serviette über die entsprechende Kopfhälfte gelegt; innerlich ein
Infusum sennae mit Glaubersalz. Den zweiten Tag (3. August 1849) Tart. stib. r. d. mit
1z Gran extr. opii aquos., an die Stirn und Schläfe Ung. einer, mit Opium. Den 3. Tag
früh wieder das Infus, sennae und Abends ein Vesicans an den Nacken. Den 4. Tag
-waren Ödem und Injection der Bindehaut fast ganz verschwunden, das Sehen noch sehr trüb
ohne deutlich -wahrnehmbares Exsudat in der noch immer gleich engen Pupille, die Iris
noch unbeweglich und entfärbt. Innerlich absque medicamine. Am 6. Tage durfte der
Arlt Augenheilkunde. II. 6
82 Regenbogenhaut.
Kranke mit verbundenem Auge ausgehen. Von nun an -gingen die Symptome der Ent-
zündung rasch zurück, so dass am 1 1. Tage bloss noch eine leichte Trübung des Gesichtes
und etwas gehemmte Beweglichkeit der Iris übrig war. Am 15. Tage war der Kranke
vollständig genesen.
2. Eine Wittwe von 39 Jahren kam am 6. Juli 1850 mit folgendem Zustande des
rechten Auges in die Anstalt. Das obere Lid leicht geröthet und geschwollen, die Conj.
palp. wenig injicirt, die Conj. bulbi dicht netzförmig geröthet und ödematös, die Sclera
auf 2'" breit um die Hornhaut herum rosenroth, die Cornea normal, die Iris dunkler,
unbeweglich, die Pupille verengert, entrundet und etwas getrübt, ohne deutlich be-
stimmbares Exsudat, das Sehvermögen so gestört, dass nur grössere Gegenstände er-
kannt werden, drückende Schmerzen im Kopfe , zeitweiliges Stechen im Auge , Licht-
scheu und Thränenfluss heftig. — Die Kranke hat als Taglöhnerin unter misslichen
Umständen gelebt, ist schlecht genährt, doch sonst ohne erhebliche Störung der Ge-
sundheit. Die Augenaffection war vor 10 Tagen ohne bekannte Veranlassung entstanden,
mit brennenden Schmerzen, Thränenfluss , Lichtscheu und Röthe. Ein Arzt hatte den
3. Tag der Krankheit Blutegel an die Schläfe, ein Empl. euphorb. hinter das Ohr und
ein Infus, sennae mit arc. dupl. ordinirt; die Kranke war aber ihrer Arbeit nachge-
gangen. Tags darauf hatten sich die Kopfschmerzen und die Abnahme des Sehver-
mögens einzustellen angefangen. — Wir ordinirten der Kranken Kühe im Bette, Schutz-
vor Zugluft, Temperaturwechel, grellem Lichte etc., restringirten die Kost auf '/ä Por-
tion, und Hessen sie 3mal des Tages zweigranige Dover'sche Pulver nehmen. In den
nächstfolgenden 2 Nächten litt die Kranke noch an heftiger reissenden Kopfschmerzen;
diese milderten sieh vom 10. Juli an allmälig, kehrten aber bald bei Tage, bald bei Nacht
in verschieden hohem Grade wieder, wesshalb wir Ung. einer, mit Opium an die Stirn
und Schläfe einstreichen, diese Gegend sodann mit einem warmen Tuche bedeckt halten
Hessen, und am 15. ein Vesicans an ;den Nacken legten. Am 18. war das Auge noch
geröthet und lichtscheu, die Pupille klein und leicht getrübt, die Kranke jedoch frei
von Schmerzen. Da am 22. nur noch Trübung des Gesichtes und Verengerung der
Pupille bestand, so Hessen wir Extr. beilad. (10 Gran auf 1 Drachm. Ung. einer.)
an die Stirn und Schläfe einreiben, worauf die Pupille sich erweiterte und deutlich
einspringende "Winkel zeigte. Am 29. konnte die Kranke als völlig geheilt entlassen
werden , da nichts mehr übrig geblieben war , als einige unbedeutende hintere
Synechien.
3. Ein Fuhrmann von 50 Jahren, kräftigen Körperbaues, auffallend blassen Aus-
sehens und leidender Gesichtsmiene, suchte am 26. Mai 1852 Hilfe wegen seines rechten
Auges auf der Klinik. Das obere und untere Lid längs des Randes geröthet und stark
geschwollen (ödematös), die Falte des oberen Lides jedoch nicht verstrichen, Licht-
scheu und Thränenfluss heftig, das Auge wird beständig geschlossen gehalten. Die
Conj. palp. über dem Tarsus netzförmig geröthet, im Übergangstheile blass, aber öde-
matös geschwellt, die Conj. bulbi bis zum Cornealrande stark serös infiltrirt und von
feinen , leicht verschiebbaren Gefässchen durchzogen , die Sclera rings um die Cornea
rosenroth, dicht an einander gedrängte Gefässchen bis zum coneaven Rande des Limbus
conjunctivae injicirt. Die Cornea durchaus leicht getrübt, wie angehaucht, doch an
ihrer Oberfläche und in ihrer Wölbung nicht verändert. Die Iris verfärbt, im grossen
Kreise grünlich, im kleinen dunkler, etwas gelockert, träger und weniger beweglich,
die Pupille etwas verzogen (nach oben und aussen) , etwas enger. Das Gesicht um-
flort; Gefühl von Druck im Auge, heftige reissende Schmerzen in der Stirn, Schläfe
Entzündung — Krankengeschichten. 83
und Jochbeingegend. — Der Mann hat vor sechs Jahren eine Brustkrankheit überstanden,
mit Seitenstechen, Husten und zeitweiligem Blutauswurfe, und war nach Anwendung
einer streng antiphlogistischen Behandlung wieder ganz gesund geworden, bis er vor
12 Wochen in Folge häufiger und heftiger Verkühlungen — wie er angibt — von
Reissen in verschiedenen Gelenken befallen wurde (Fuss, Knie, Hand, Schulter und Nak-
ken), welches sich steigerte, verschiedene Gegenden abwechselnd ergriff, und ihn endlich
an's Bett fesselte. Die Schmerzen exacerbirten Abends und raubten ihm Tage lang allen
Schlaf. In den letzten Wochen dieses Leidens bekam der Kranke ein Gefühl von Drücken
in beiden Augen, ohne Böthe derselben und ohne vermehrte Absonderung, und sah
die Gegenstände um sich herum nicht mit der gewohnten Deutlichkeit. Vor 3 Wochen
trat Lichtscheu, Thränenfluss und Röthe der Augen ein, die Lider schwollen an, und
der Kranke sah eine Zeit lang Alles doppelt. Der Zustand des linken Auges hatte
sich in den letzten Tagen wohl gebessert — wir fanden dasselbe nahezu normal, —
der des rechten war aber um so ärger geworden. — Unter diesen Umständen hatte
die Annahme, das Augenleiden sei rheumatischen Ursprunges, die meiste Wahrschein-
lichkeit für sich, wesshalb wir diesen Fall im Allgemeinen so behandelten, wie den
vorher geschilderten ; nur verabreichten wir dem Kranken eine bessere Kost (Braten),
und gaben ihm, da die Doverschen Pulver nicht hinreichten, die besonders in der
Nacht heftigen Schmerzen zu mildern, innerlich 2 Gran Sulfas chinini mit V4 Gran
Opium. Die Wirkung war überraschend. Der Kranke konnte schon am 12. Juni (18. Tag
nach der Aufnahme) vollständig geheilt entlassen werden.
4. Ein Mädchen von 24 Jahren , welches vor mehreren Monaten an einem Ulcus
syphilit. und einige Wochen nachher an einem maculösen Hautausschlage gelitten hatte,
erkrankte 10 Tage vor ihrer Aufnahme in die Anstalt auf dem linken Auge mit Eöthe,
drückenden Schmerzen und Trübung des Sehvermögens, wogegen kalte Umschläge,
jedoch ohne Erleichterung, angewendet wurden. Wir fanden ausser der Narbe von
jenem Geschwüre keine Spur einer syphilitischen Affection. Das obere Lid geröthet
und leicht geschwollen, die Conjunctiva leicht hyperämisch , die Sclera rings um die
Cornea rosenroth, die Hornhaut rein, die Iris dunkler, besonders im kleinen Kreise,
daselbst auch aufgelockert und am Pupillenrande nach unten durch 2 hintere Syne-
chien fixirt, unbeweglich, die Pupille entrundet, rauchig getrübt, Thränenfluss und Licht-
scheu heftig, Abends und in der Nacht reissende Schmerzen im Auge und in der linken
Kopfhälfte. Wir hielten demnach die Affection für rheumatisch, und ordinirten, nebst
entsprechendem Verhalten, bloss täglich 3mal Pulvis Doveri und Einreibungen von Ung.
einer, mit Opium an die Stirn und Schläfe. Schon am 3. Tag waren die Schmeren, die
Lichtscheu und Injection auffallend geringer, die Pupille weniger getrübt. Am 4. Tage
wurde ein Vesicans an den Nacken gelegt; den 7. Tag waren nur noch die Synechien
und eine leichte Injection vorhanden. Durch 3 Tage wurden warme Bäder gebraucht
und am 11. Tage ging die Kranke völlig genesen nach Hause.
5. Ein bei einem Bräuhause angestellter Fassbinder, 36 Jahr alt, von hohem Wüchse
und kräftigem Körperbaue, wurde am 18. December 1851 auf die Klinik aufgenommen.
Der linke Bulbus war merklich aus der Orbita vorgetreten, etwas weicher, teigig anzu-
fühlen, frei beweglich. Zahlreiche und stark injicirte Gefässe durchzogen die Conj. bulbi.
Die stark eingespritzten vordem Ciliargefässe bildeten rings um die Hornhaut einen über
2'" breiten violettrothen Saum. Die Hornhaut normal. Die vordere Kammer sehr enge
durch Vorwärtswölbung der Iris. Die Farbe der Iris matt, dunkelbraun, das Gewebe etwas
gelockert, die Pupille klein (1"') und unbeweglich ; in ihr ein spinnewebenähnliches, kaum
6*
34 Regenbogenhaut.
merkbares Häutchen ausgespannt, welches nur nach oben einen kleinen Theil der Pupille
frei lässt, welcher schwarz erscheint. An dem rechten Auge dieselben Erscheinungen,
nur in etwas minderem Grade, dagegen aber die Pupille vollständig durch ein ähnliches
Häutchen verlegt. Drückende Schmerzen in den Augen, gänzlicher Verlust des Sehver-
mögens. Ausserdem war eine Blennorhoea urethrae vorhanden, übrigens aber keine
Störungen im Organismus nachzuweisen. Der Kranke, über den Verlust des Gesichtes
(selbst der Lichtempfindung) trostlos, hatte ein erdfahles Aussehen und war in den letzten
Tagen zusehends abgemagert. Er war nämlich verheirathet, Vater mehrerer Kinder, und
hatte sich vor 4 Wochen eine Gonorrhöe zugezogen, gegen welche ihm vor 14 Tagen
ein Laie eine weisse Medicin verschafft hatte. Darauf hatte der Ausfluss beinahe gänzlich
aufgehört, und da um dieselbe Zeit das Augenleiden mit heftigen entzündlichen Zufällen
aufgetreten war und binnen drei Tagen Erblindung herbeigeführt hatte, so war der
herbeigerufene Arzt und mit ihm der Kranke der Meinung, das Augenleiden sei Folge
der Unterdrückung des Trippers. Diese Meinung hatte auch den Arzt bei seiner Behand-
lung geleitet, und er hatte unter Anderem auch eine Salbe mit Tart. stib. in die Harnröhre
eingebracht. — Wir fragten den Kranken zunächst nach den Erscheinungen, wie er sie
der Reihe nach an seinen Augen bemerkt habe , und erfuhren Folgendes. Er hatte an
einem Samstag Abends, von seiner Arbeit aus dem Bräuhause zurückgekehrt, am linken
Auge heftige brennende Schmerzen, reichliches Thränen und grosse Empfindlichkeit gegen
das Licht bemerkt. Etwas später waren diese Erscheinungen auch auf dem rechten
Auge eingetreten. Den anderen Tag waren diese Zufälle heftiger, das Weisse beider
Augen stark geröthet. Gegen Abend gesellten sich feurige Erscheinungen dazu, und
unter den heftigsten Schmerzen in den Augen sowohl als im Kopfe war Montags das Licht
des linken, Dienstags auch das des rechten Auges völlig erloschen. Zu gleicher Zeit
kam es dem Kranken vor, als seien die Augäpfel angeschwollen und würden aus den
Augenhöhlen herausgedrängt. Die Schmerzen wurden nach und nach geringer, dielästi-
gen Lichtentwickelungen schwanden, die übrigen Erscheinungen blieben ziemlich unver-
ändert. — Sowohl die noch vorhandenen, als die früheren Erscheinungen und deren
Reihenfolge liessen sich erklären, wenn man annahm, es habe hier eine faserstoffig-seröse
Exsudation an der Innenfläche der Chorioidea und an der Iris stattgefunden. Das Vor-
gedrängtwerden der Bulbi konnte kaum anders als durch acutes Ödem der Tunica
vaginalis bulbi erklärt werden. Die Erfahrung gab uns keine verlässliche Beobachtung
an die Hand, wo ein solcher Zustand durch unterdrückten Tripper hervorgerufen worden
wäre. Zudem überzeugten wir uns, dass der Tripper noch fortbestand, und nie ganz
verschwunden gewesen war. Wohl aber kannten wir Fälle , wo ein solcher Process
durch plötzlich unterdrückte Transspiration eingeleitet worden war, und wir hatten in
Einem (ganz analogen) Falle Gelegenheit gehabt, durch Autopsie uns über den inneren
Zustand solcher Augen zu unterrichten,*) — Wir fragten nach der Beschäftigung
des Kranken am Tage vor dem Ausbruche des Augenleidens, und erfuhren, dass er im
Bräuhause gearbeitet, etwas mehr Bier getrunken, und erhitzt und schwitzend sich gegen
Abend nach Hause begeben hatte. Es war damals bei ungewöhnlich hoher Kälte und
stürmischem Wetter viel Schnee 'gefallen. Der Kranke hatte, durch das Getränk auf-
geregt, auf diese Umstände nicht geachtet, und in seiner Gewissensangst nur an das
Leiden der Genitalien gedacht. Uns war die plötzlich unterdrückte Transspiration die
*) Dieser Fall ist ia der Prager Vjschr. 14. Bd., S. 59 beschrieben ; wir werden ihn bei den Krankheiten
der Chorioidea in den Context aufnehmen.
Entzündung — Krankengeschichten. 85
wahrscheinlichste Ursache des Übels. Sofort ordneten wir ein dieser Voraussetzung- ent-
sprechendes Regimen an, legten an die Schläfe 8 Blutegel und reichten innerlich Tart.
stib. mit Glaubersalz. Den 2. tind 3. Tag wurden fliegende Vesicatore um die Augen-
höhlen herum applicirt, doch Alles ohne Erfog. Wir suchten Resorption des serösen
Ergusses auf möglichst rasche "Weise einzuleiten durch Hervorrufung einer vicarirenden
Secretion, und reichten vom 4. Tage an dem Kranken alle 4 Stunden 2 Gran Calomel.
Mit dem Eintritte der Salivation am 7. Tage fing der Kranke an, Licht und Schatten
zu unterscheiden. Drei Tage später erkannte er bereits, vom Lichte abgewendet, die Umrisse
der um das Bett stehenden Eleven der Klinik. Das Calomel wurde nun seltener und in
kleineren Gaben verabreicht, und am 30. December (12. Tag der Behandlung) ganz ausge-
setzt. "Wir gingen nun zu einer nahrhafteren Kost über, und Hessen, nachdem die Gefäss-
injection an den Augen nahezu verschwunden war, den Kranken jeden 3. Tag ein lauwarmes
Bad nehmen. Das Sehvermögen besonders des rechten Auges besserte sich von Tag zu
Tag, so dass der Mann am 2 1 . Jäner, dem Tage seiner Entlassung , nicht nur grössere
Gegenstände, sondern auch die Zeiger einer kleinen Taschenuhr gut erkannte, selbst
einen etwas grössern Druck lesen konnte. Die Störung des Gesichtes entsprach dem
mechanischen Hindernisse, den spinnwebenähnlichen Exsudaten in den Pupillen. Die
Bulbi waren in ihre normale Lage zurückgetreten , und hatten ihre gehörige Consistenz
wieder erlangt. Die Iris des linken Auges war noch immer etwas stärker vorwärts ge-
wölbt, Einträuflungen von Belladonna bewirkten keine Erweiterung der Pupillen, obwohl
die Iris auf Licht und Schatten Spuren von Reaction zeigte.
6. F. E., 29 Jahre alt, kräftig gebaut und gut genährt, kam am 8. November 1847
auf die Klinik, mit Entzündung des linken Auges. Das obere Lid ein wenig angelaufen,
die Bindehaut der Lider etwas gelockert und stärker injicirt, die Conj. bulbi netzförmig
geröthet, die Sclera rings um die Cornea rosenroth , die Gefässchen bis zum coneaven
Rande des Limbus conjunet. dicht eingespritzt, die Cornea rein, die Iris ein wenig ver-
färbt und aufgelockert, besonders im kleinen Kreise, daselbst nach unten und aussen ein
hirsekorngrosser, gelber Knoten , welcher unter der Loupe einige Gefässchen an seiner
Basis wahrnehmen lässt, die übrige Partie der Iris fast normal beweglich ; geringe Licht-
scheu, unbedeutende Störung des Gesichtes (der Kranke kann lesen), Gefühl von Druck
im Auge. — Diese Erscheinungen lassen uns auf Syphilis als Ursache des Augenleidens
schliessen, um so mehr, als der Kranke noch angibt, er habe in den letzten Nächten nicht
schlafen können vor Kopfschmerzen. Der Kranke selbst schrieb sein Augenleiden dem
Umstände zu, dass er, von Bier etwas berauscht, seine Augen grellem Lichte ausgesetzt
hatte, weil bald darauf Schmerz, Lichtscheu und Thränenfluss des linken Auges aufgetreten
waren. "Wir erfuhren nun, dass er vor 10 Jahren an einer Gonorrhöe und vor 2 Jahren
an einem Chancre gelitten. Letzterer hatte durch 6 Monate angedauert, und war endlich
durch Sublimat in Pillenform geheilt worden. Gegen die dazugetretene Anschwellung der
Leistendrüsen waren Einreibungen von Ung. neapolit. und ein Pflaster aus Empl. mercur.,
cicutae et diaehyl. comp, angewendet worden. Ein halbes Jahr nach vermeintlicher Hei-
lung hatte der Kranke an der Stirn, an der Brust und am Rücken ein Exanthem und eine
Anschwellung des linken Zitzenfortsatzes mit heftigen Schmerzen bekommen, von welchen
Zufällen er binnen 5 "Wochen durch den Gebrauch von Jodkali befreit worden war. Vor
4 Monaten hatten sich am After Condylome gezeigt, welche binnen 6 "Wochen nach dem
Gebrauche von Calomel (im Ganzen '/2 ühze) und von lauen Bädern verschwanden.
Seitdem hatte sich der junge Mann für ganz gesund gehalten , bis er vor 8 Tagen auf
die obengenannte Veranlassung an dem linken Auge erkrankte. Ein Arzt ordinirte ihm
$6 Regenbogenhaut.
ein Ycsicans hinter das Ohr und ein warmes Fassbad. Durch das Auftreten heftiger
bohrender Schmerzen oberhalb der Augenbrauen wurde der Kranke bestimmt, Hilfe im
Spitale zu suchen. — Da der Kranke bereits grosse Massen von Quecksilber- und Jod-
präparaten genommen, aber dabei niemals das hiezn erforderliche Regimen diaeteticum
beobachtet hatte, und ausser den Kopfschmerzen keine sehr drängenden Zufälle vorhan-
den waren, so wählten wir für diesen ohne Zweifel durch Syphilis bedingten Fall die
Entziehungscur (täglich 3mal Suppe und einige Loth "Weissbrod) und Hessen , nachdem
die regelmässig jeden Abend wiederkehrenden Dolores osteocopi durch Einreibungen von
Ung. neapolit. mit Opium gemildert und behoben worden waren, den Kranken bloss von
Zeit zu Zeit ein Eccoproticum, fortlaufend aber eine Abkochung von Gramen, Taraxacuni
Bardana und Carex arenaria, zum Schlüsse der Cur aber einige warme Bäder nehmen.
Zuerst verschwanden die Schmerzen, dann die Rüthe der Sclera, endlich auch der Exsudat-
knoten, und es waren am Tage der Entlassung (23. November, 15. Tag der Behandlung)
nur zwei bräunliche Synechien nach unten und aussen übrig.
7. Ein 40 Jahre alter Maler, früher stets gesund, litt vor 2 Jahren an einer Gonorrhöe.
Seit 5 "Wochen bemerkte er anhaltende Schmerzen am innern Knöchel des linken Fusses,
welche durch den geringsten Druck vermehrt wurden. Vor 14 Tagen erkrankte das linke
Auge ohne äussere Veranlassung mit dem Gefühle von Druck, massigem Thränen, Röthung
des Weissen, wozu sich alsbald leichte Trübung des Gesichtes gesellte. Nach einigen
Tagen stellte sich auch heftiger, halbseitiger, stechender Kopfschmerz ein, welcher regel-
mässig um 7 Uhr Abends eintrat und bis 5 Ehr Morgens anhielt, so dass der Mann fast
gar nicht schlafen konnte. Seit 5 Tagen bemerkte er den gelben Punkt im Auge, welchen
wir weiter unten beschreiben werden. Er gebrauchte auf Anordnung eines Arztes ein
Augenwasser (Aqua Conradi) und Einreibungen von Ung. einer, an die Stirn. Am 19.
November 184S fanden wir folgenden Zustand: Der Kranke ist gut genährt, jedoch von
erdfahler Hautfarbe, und bietet ausser dem Augenleiden und der Knochenauftreibung am
Knöchel keine krankhaften Erscheinungen dar. Die Lider des linken Auges etwas geröthet,
das obere gegen den äussern Winkel hin leicht angelaufen. Die Bindehaut der Lider
etwas röther , sonst normal ; die Sclera von einem hellrothen Gefässnetze der Bindehaut
(besonders gegen den äussern Winkel hin) verdeckt, rings um die Cornea rosenroth.
Die Cornea normal. Die Iris grau, ihre Faserung undeutlich, wie verschwommen, auf-
gelockert, sammetartig, starr; gegen den äussern Winkel hin sitzt auf ihrer innern Zone
ein graugelber, von feinen röthlichen Gefässchen umgebener und überzogener Knoten
von der Grösse eines Hanfkornes, welcher ebenso in die vordere Kammer hereinragt, als
er sich durch die Pupille nach rückwärts ausdehnt ; die Pupille ist auf diese Art beinahe
bis zur Hälfte von diesem in der Iris sitzenden Knoten eingenommen. Das Sehen un-
deutlich, wie durch Nebel. Gefühl von Druck im Auge. Abends regelmässig heftiger
Kopfschmerz. — Das Augenleiden trat hier so charakteristisch auf, dass wir dasselbe
ohne Weiteres für syphilitisch erklärt haben würden, auch wenn wir keinen Tophus (am
Knöchel) vorgefunden, und der Kranke die vorausgegangene Affection der Genitalien in
Abrede gestellt hätte. Wir ordinirten : Buhe im Bette, l/-i der Spitalskost , Temperirung
des Lichtes, 8 Blutegel an die Schläfe, Einreibungen von Ung. einer, mit Opium an die
Stirn und Schläfe (namentlich vor dem Eintritte der nächtlichen Schmerzen), so wie auch
an den Malleolus, und innerlich alle 4 Stunden 1 Gran Calomel mit '/* Gran Opium. Die
nächsten 2 Abende kehrte der Schmerz trotz der Einreibungen wieder, wesshalb wir, da
die Gefässinjeetion am Auge noch sehr beträchtlich war, abermals 8 Blutegel anlegten.
Abends gegen 7 Uhr stellte sich ein leichter Schmerz im Auge ein , verschwand aber
Entzündung — Krankengeschichten. 87
bald nach wiederholter Einreibung, und der Kranke hatte zum ersten Male wieder seit
Langem eine ruhige Nacht. Wir beschränkten die Nahrung auf eine Milchviertelportion,
Hessen den Kranken fleissig eine Abkochung von Rad. graminis, bardanae, taraxaci et
liquiritiae trinken, die Pulver und die Salbe wie früher fortgebrauchen. Am 5. Tage der
Behandlung trat von S bis 12 Uhr, am 6. Tage von 8 bis 10 Uhr Nachts ein drückender
Schmerz im Auge, spater aber durchaus kein Schmerz mehr ein. Am 7. Tage konnte
man deutlich nicht nur Abnahme der Eöthe und der Lichtscheu wahrnehmen, sondern
es war auch der Exsudatknoten an der Iris kleiner, flacher und flockig aufgelockert.
Nach dem Eintritte von Salivation am 8. Tage wurden die Mercurialmittel sogleich weg-
gelassen, und ein Infus, sennae mit Natrum sulfur. verabreicht. Von nun an schwand
das Exsudat sichtlich bis auf eine dünne Membran, welche ungefähr l/3 der Pupille (nach
unten und aussen) einnahm, die freie Partie der Iris war wieder beweglich, und die
Pupille erschien daher bei gedämpftem Lichte nach innen und oben erweitert (excentrisch).
Tom 20. Tage an konnte bereits eine Salbe aus 2 Gran rothern Präcipitat Abends in
die Lidspalte eingestrichen , von Zeit zu Zeit ein warmes Bad verordnet , und die
Pupille durch Belladonna erweitert werden. Am 20. December (4 "Wochen nach dem
Eintritte) verliess der Mann vollkommen geheilt (bis auf eine kleine hintere Synechie)
die Anstalt.
S. Eine Dienstmagd, 27 Jahre alt, früher gesund und seit dem 16. Jahr regelmässig
menstruirt, durch 4 Monate auf der Abtheilung für Syphilitische in ärztlicher Behandlung
(nächtliche Knochenschmerzen, ein papulös-schuppiges Exanthem, Blennorrhoe der Scheide)
erkrankte während des Gebrauches der Sublimatpillen nach Dzondi vor 14 Tagen an den
Augen mit Küthe, stechenden Schmerzen, Lichtscheu und häufigem Thränen ; früh beim
Erwachen waren die Augenlider etwas verklebt. Diese Zufälle verloren sich auf dem
rechten Auge nach drei Tagen, auf dem linken aber hielten sie an unter Hinzutritt von
stechenden Schmerzen in der linken Stirn- und Jochbeingegend, von anhaltendem Drucke
im Augapfel und allmäliger Trübung des Gesichtes. Nach Anlegung von Blutegeln an
die Schläfe und Einreibungen von Ung. cinereum an die Stirn minderten sich die beson-
ders in der Nacht und gegen Morgen heftigen Zufälle, doch ohne Bestand. Am 13. October
1S47 fanden wir folgenden Zustand. Die Kranke, schwächlich gebaut und schlecht ge-
nährt (schlaffe erdfahle Haut, wenig entwickelte Muskulatur), bietet fast'am ganzen Körper
ein papulös-squamüses Exanthem und am Nacken ein Geschwür dar, über deren Natur
schon das Aussehen Aufschluss gibt. An der rechten Tibia eine flache Knochenauftreibung
mit heftigen nächtlichen Knochenschmerzen. Die Stimme heiser, die linke Arcade etwas
geröthet und aufgelockert. Blennorrhoe der Vagina mit Excoriationen am Muttermunde.
— Das rechte Auge normal. Die Lider des linkeu Auges äusserlich normal, die "Wimpern
durch Schleim in Büschel verklebt ; die Bindehaut des untern Lides netzfrömig injicirt,
glatt, durchscheinend: die Übergangsfalte von wenig Gefässen durchzogen, etwas geschwellt,
die Conj. bulbi netzförmig injicirt, aufgelockert und leicht serös infiltrirt (besonders gegen,
den Cornealrand hin) ; die Sclera auf 3'" breit intensiv-bläulichroth durchscheinend ; die
Cornea rein, glänzend, gehörig gewölbt; der Limbus conj. corneae im ganzen Umfange
mattweiss, nur oben von zahlreichen Gefässchen durchzogen; die Iris (von Natur aus
lichtbraun) wie mit einem mattgrauen Überzuge belegt, aufgelockert (besonders im kleinen
Kreise), von feinen Gefässchen durchzogen ; nach innen und unten sieht man einen hanf-
korngrossen, lichtgelben, von zahlreichen Gefässchen umgebenen und durchzogenen Ex-
sudatknoten im grossen Kreise der Iris sitzen, gleichsam zwischen der Cornea und Iris
herauswachsend und so in der Iris sitzend, dass der Schliessmuskel von demselben gegen
SS Regenbogenhaut.
die Pupille hingedrängt -wird; die übrige Partie der Iris zeigt noch einige Beweglichkeit
hei grellem Contraste zwischen Licht und Schatten ; die Pupille ist vermöge jenes Ex-
sudatknotens und einiger hräunlicher Flocken am untern und äussern Theile des Pupillar-
randes excentrisch, nach oben verrückt; das Sehvermögen wenig gestört, indem selbst
Geldmünzen erkannt werden; Gefühl, als werde der Bulbus von oben her gedruckt; die
Empfindlichkeit gegen das Licht gering ; Schmerzen in der Umgebung des Auges, bei der
Mor^envisite gar keine. — Sublimatpillen nach Dzondi fortgesetzt, Ruhe im Bette, massige
Temperirung des Lichtes, l/i Portion der Spitalskost. — i 5. Oct. Bis 3 Uhr Morgens hat
die Kranke gut geschlafen, dann wurde sie durch Schmerzen in der Stirn- und "Wangen-
beingegend geweckt; nach Einreibung einer Salbe aus Ung. einer, und Opium schlief
sie wieder ein. Die Injection der Conjunct. bulbi etwas geringer; die Cornea gegenüber
der Pupille leicht getrübt; sieht man von oben herab in die Augenkammer, so findet
man, dass sich der Zustand der Iris nicht geändert hat. An dem innern Condylus des
rechten Oberarmes eine wallnussgrosse, harte, unbewegliche, schmerzhafte Geschwulst
(Tophus). 16. Oct. Gastrische Zufälle vom Sublimat, am 1 7. Oct. auch Zeichen von Salivation
wesshalb die Pillen ausgesetzt, und Mixt, oleosa mit Opium verabreicht wurde. 19. Oct. Die
Zufälle vom Sublimatgebrauche fast ganz verschwunden, die Injection am Auge geringer,
die Hornhaut nur nach innen, gegenüber dem Irisexsudate getrübt, die Iris weniger ge-
lockert, der Exsudatknoten blässer, fast ohne Gefässe, hellgelb, die Pupille fast ganz rein,
der freie Theil der Iris deutlich beweglich, das Sehen besser, keine Schmerzen. 22. Oct.
Schmerzen in dem linken Stirnbeine; rechts am Winkel des Unterkiefers eine schmerz-
hafte Knochenauftreibung ; das Exanthem schuppt sich ab. Täglich 2mal Vi o Gran Proto-
jodur. hydrarg. Auch dieses Mittel musste am 28. wieder weggelassen werden, da der
Unterleib in der Magengegend schmerzhaft wurde, 4 flüssige Stühle erfolgten, Übligkeiten
und Mercurialgeruch eintraten. Mixt, oleosa cum opio. Am 4. Nbvemb. erkrankte, nachdem
an dem linken Auge der oben beschriebene Zustand sich noch merklich gebessert hatte
das rechte Auge. "Wir fanden die Conjunctiva bulbi von zahlreichen Gefässen durchzogen,
die Sclera rings um die Cornea rosenroth, die Cornea rein, die Iris matt, etwas auf-
gelockert, träge beweglich, und unten am Pupillarrande mit einem gelben hirsekorngrossen
Knötchen besetzt, die Pupille oval (der Längendurchmesser von innen nach aussen), das
Sehvermögen fast ungestört, keine Schmerzen. Den folgenden Tag war auch an dem
linken Auge das Exsudat grösser, und die Gefässinjection stärker, und diese Erscheinungen
nahmen von nun an bei Verabreichung eines Decoctum graminis et taraxaei täglich zu.
Am 12. war der Zustand folgender: Rechts das Exsudat fast ganz aufgesogen, die In-
jection gering, das Sehen nahezu normal. Links das obere Lid längs des Randes merklich
angeschwollen, die Conj. palp. et bulbi dicht injicirt, die Sclera auf 3'" breit um die
Hornhaut bläulich roth, dem Irisexsudate entsprechend (nach innen und unten) jedoch
wulstig hervorgetrieben. Diese "Wulst ist längs des Hornhautrandes gegen b'" lang, vom
Limbus conjunct. an gegen die Peripherie hin 2'/,2"/ breit, und ohngefähr l1/»'" hoch;
durch einige querlaufende Einschnürungen erhält sie ein darmähnliches Aussehen; die
Hügel zwischen diesen Einschnürungen erscheinen hellgelb, als ob Eiter oder in Erwei-
chung begriffener Markschwamm die Sclera ausgedehnt und emporgedrängt hätte; die-
Abdachung gegen die Peripherie hin erscheint graubraun, in den Vertiefungen verlaufen
Gefässchen zur Cornea. Von der Cornea aus erhebt sich die Geschwulst steil, gegen die
Peripherie hin flacht sie sich allmälig ab. Das Exsudat in der Iris nimmt die nach innen
und unten gelegene Hälfte der Iris sowohl als der vordem Kammer ein, und liegt mit
seiner Wölbung unmittelbar an der Cornea an; an seiner Abdachung gegen die Pupille
t
Entzündung — Krankengeschichten. 89
hin ist dasselbe von zahlreichen Gefässchen durchzogen, und daher röthlich gelb. Die
Pupille besteht demnach nur noch als eine nach aussen und oben gerückte Spalte,
getrübt durch ein dünnes lichtgraues Hä\itchen ; das Sehen ist ganz aufgehoben ; über
Tag keine Schmerzen, wohl aber in den schlaflosen Nächten. — Ein gegen V" langer
und 2'" tiefer Einstich in die bis zum 14. Nov. bohnengrosa gewordene Geschwulst ent-
leerte nichts als etwas Serum und Blut *) — Das Exsudat nahm von nun an noch
immer an Grösse zu, bis es fast die ganze vordere Augenkammer ausgefüllt, die Sclera
über dem Corpus ciliare rareficirt und zu einem 3'" hohen Wulste emporgehoben und
dadurch die Cornea so nach oben und aussen gedrängt hatte, dass man dieselbe nur
dann sehen konnte, wenn die Kranke den Bulbus abwärts rollte und das obere Lid auf-
wärts gezogen wurde. Sodann, als es endlich gelungen war, der Lues Meister zu werden
— die Kranke war Ende November auf die Abtheilung für Syphilitische zurücktransferirt
worden — sank der linke Bulbus allmälig zusammen und wurde atrophisch, ohne dass
Eitemng eingetreten war. Das rechte Auge kam mit einer leichten Synechie nach unten
davon.
9. Eine 4i Jahre alte Taglöhnerin kam am 22. Juli 1851 auf die Klinik mit fol-
gendem Befunde des linken Auges : Die Lider normal, der Übergangstheil und die untere
Hälfte der Conj. bulbi blassroth, ödematös infiltrirt, nächst der Cornea einen gegen 2'"
breiten und ['" hohen "Wall bildend. Nach unten und aussen von der Cornea, etwa 2'"
von dieser entfernt, ist die Sclera schwarzgrau, flach vorgetrieben, etwa wie eine halbe
Linse ; eine ähnliche, jedoch längliche Hervortreibung sieht man nahe am Cornealrande
(nach unten). Die vordem Ciliargefässe massig erweitert. Die Cornea leicht getrübt,
matt, wie aufgelockert. Die vordere Augenkammer eng, fast aufgehoben, die (am rechten
Auge dunkelblaue) Iris gelbbraun, sehr aufgelockert, ihre Fasern stellenweise auseinander
gedrängt, ein Unterschied zwischen grossem und kleinem Kreise nicht wahrzunehmen.
Die enge Pupille durch einen weissgrauen Exsudatpfropf gesperrt. Nach unten und aussen
gleichsam von der Peripherie her zwischen die Iris und Cornea eingeschoben eine grau-
gelbe Masse in der vordem Kammer, mit 2 starken Gefässstämmchen, die sich auf dieser
Massegegen die Pupille hin verzweigen. Der Bulbus etwas härter. Keine Lichtempfindung.
Continuiiliche drückende und reissende Schmerzen im Auge und in der linken Hälfte
des Kopfes, mit nächtlicher Verschlimmerung. — Auf die Angaben der Kranken kann
bei ihrer geringen geistigen Entwicklung wenig Gewicht gelegt werden. Sie versichert
stets gesund gewesen zu sein. Die Katamenien waren im 17. Jahre eingetreten. In ihrem
25. Jahre hatte sie sich verheirathet und 2mal ohne Desondere Zufälle das Wochenbett
überstanden. — Sie ist von schwachem Körperbau, abgemagert, die Muskulatur wenig
entwickelt und schlaff, die Haut schmutzig gelb und trocken, die sichtbaren Schleimhäute
auffallend blass. Die Untersuchung der Brust- und Unterleibsorgane, so wie auch der
Vagina und des Uterus ergab nach der Versicherung des Assistenten der Klinik nichts,
was mit der Augenkrankheit in Zusammenhang gebracht werden konnte. Die Kranke
leugnete auch jede Infection um so mehr, als sie mit Niemandem als mit ihrem Manne
geschlechtlichen Umgang gepflogen habe. — Das Augenleiden soll vor 3 Monaten mit
Kopfschmerzen begonnen haben, ohne dass das Auge roth war; erst nach einiger Zeit
bemerkte sie drückende Schmerzen im Auge und Trübung des Gesichtes, wozu endlich
auch Böthe des Auges gekommen sein soll. — Unter diesen Umständen konnten wir
*; Makenzie 1. e. S. 426. „Das oberwähnte Aussehen entspringt nicht aus einer Ansammlung purulenter
Flüssigkeit, und es fliesst nichts aus, nachdem man mit der Lanzette die Häute durchdrungen hat."
90 Regenbogenhaut.
keine bestimmte Diagnosis machen. Der Status praesens Hess sich verschieden deuten,
und von einer eigentlichen Anamnesis war bei dieser Kranken, die ihrem Gesundheits-
zustande so wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte, gar keine Rede. Ablagerung von
Markschwamm in die Chorioidea (Corpus ciliare) und Iris schien uns endlich noch das
"Wahrscheinlichste. Wir verabreichten ihr bei guter Kost durch einige Tage Decoctum
solvens und dann versuchsweise Kali hydrojodicum, täglich zu 1 Scrupel — 2 Scrupel.
Die lichtgelbe Masse an der Peripherie der Iris wurde erst etwas breiter, dann aber all-
mälig kleiner. Am 21. August war der Bulbus etwas weicher, bei Berührung sehr schmerz-
haft, die nach unten und aussen gelegene Hervorragung an der Sclera dunkler und
schärfer abgegrenzt. Am 3. September war die seröse Infiltration der Conj. bulbi fast
ganz geschwunden, die Injection auf einzelne Gefässchen reducirt, die Sclera erschien
schmutzig braun, die vordere Kammer grösser, die gelbe Masse in der Peripherie der
Iris kleiner; die nächtlichen Schmerzen traten nur manchmal ein. Das Allgemeinbefinden
der Kranken nicht gebessert. Am 7. September wurde sie auf ihr Verlangen entlassen.
— Am 4. November kam die Kranke mit folgendem Status praes. wieder : Der linke
Bulbus um die Hälfte kleiner, in die Orbita zurückgesunken, viereckig; die Sclera an
jenen Stellen, wo sie ausgedehnt gewesen war, bloss dunkelgrau, nicht emporgehoben.
Die Cornea um die Hälfte kleiner als im normalen Zustand, abgeflacht, jedoch vollkom-
men durchsichtig. Die Iris, welche ganz filzig und gelblichbraun aussieht, an die Cornea
angelegt, die Pupille durch einen Exsudatpfropf geschlossen ; das in der Peripherie der
Iris nach unten und aussen sitzende Exsudat noch als ein schmutzig gelber, sichelförmiger
Streifen wahrnehmbar. Der Bulbus teigig anzufühlen, unschmerzhaft. — Die Kranke war
nicht wegen des Auges in die Anstalt zurückgekehrt, sondern wegen Auswüchsen am
After und am Scheidencingange, welche sich unzweifelhaft als Condylome erwiesen, und
auf der Internabtheihmg auch bald einer auf diese Ansicht basirten Behandlung wichen.
Auch jetzt leugnete die Kranke noch jede Infection, und waren die Spuren der primären
Affection nicht aufzufinden. — Wir glauben nicht zu irren, wenn wir diesen Fall, so wie
den vorhergebenden für Iridochorioiditis syphilitica erklären. Makenzie 1. c. S. 428 scheint
ähnliche Fälle vor sich gehabt zu haben. Ist aber diese Ansicht richtig, dann zeigt eben
dieser Fall, wie schwer es ist, die syphilitische Natur eines Augenleidens zu erkennen,
wenn nicht am Auge selbst die Erscheinungen so ausgeprägt sind, dass man aus ihnen
•und aus dem Verlaufe auf die Ursache schliessen kann. Uns war diese Art des Auftretens
von Syphilis am Auge bis dahin aus eigener Anschauung noch zu wenig bekannt gewesen,
als dass wir dem Verdachte, es liege hier Syphilis zu Grunde, gleich Anfangs hätten
mehr Baum geben können.
10. Pr. W., 39 Jahre alt, Drescher, kam am 13. October 1S51 auf die Klinik. Die
Anamnesis ergab ausser der Zeit des Beginnens keine Anhaltspunkte: das linke Auge
«oll vor 4, das rechte vor 3 Wochen erkrankt sein, mit Abnahme des Gesichtes und
Kopfschmerzen. Der Kranke wusste nicht einmal, ob die Augen roth waren, oder nicht.
Status praesens an dem rechten Auge: Die Conj. palp. unbedeutend injicirt, die Conj.
bulbi zeigt einzelne erweiterte Gefässe, welche gegen die Cornea hin verlaufen; die
vordem Ciliararterien stark injicirt, rings um die Cornea einen 2'" breiten Saum bildend.
Die Cornea normal, bis auf eine leichte Trübung, welche unter der Loupe sich in zahl-
reiche graugclbe Punkte auflöst, die besonders in der untern Hälfte zahlreich erscheinen.
Die Iris bellbraun und so aufgelockert, dass man weder ihre Faserung, noch einen Un-
terschied zwischen dem grossen und kleinen Kreise erkennen kann. Die Pupille bedeu-
tend erweitert, im vertiealen Durchmesser über 2'", im horizontalen gegen 3'" gross,
Entzündung — Krankengeschichten. 91
unveränderlich, vermöge eines gelblieh grUnen Reflexes aus der Tiefe nicht schwarz.
Der Bulbus weder härter noch weicher, selbst bei tieferem Drucke nicht schmerzhaft.
Der Kranke erkennt die Finger, einen kleinen Schlüssel, Geldmünzen nach Grösse und
Farbe, kleinere Gegenstände nicht. Linkes Auge: Das untere Lid ödematös geschwellt,
in einigen Meibom'schen Drüsen eingedicktes Schmeer, die Bindehaut der Lider wenig
geröthet; die Scleralbindehaut von vielen feinen Gefässchen durchzogen, welche bis zum
coneaven Bande des Limbus conj. reichen ; die vordem Ciliaiarterien bilden einen bläu-
liehvothen Saum rings um die Cornea, besonders in- und extensiv nach aussen und unten.
Die Cornea scheinbar etwas kleiner als rechts (wegen Trübung und Injection des Limbus
conjunctivae), glatt, glänzend, durchsichtig bis auf punktförmige Exsudate an der hintern
Wand, besonders in der untern Hälfte. Die Iris gelbbraun, unbeweglich, schwammig auf-
gelockert, uneben und stellenweise so vorgebaucht, dass sie, namentlich an einer nach
unten gelegenen Stelle, die Cornea berührt. Zwischen ihren Fasern drängt sich hie und
da eine lichtgelbe Masse hervor, welche in das Gewebe selbst infiltrirt erscheint. Auch
sieht man das Iris-Gewebe deutlich, von einigen hellrothen Gefässchen durchzogen. Die
Pupille bildet ein unregelmässiges Viereck. Sieht man von oben und innen hinter die
Iris herab, so erkennt man deutlich, dass die in die Iris infiltrirten gelblichen Massen
auch in die hintere Kammer hineinragen. Die Consistenz des Bulbus unverändert, das
Sehvermögen so weit bescln-änkt, dass der Kranke kaum die Zahl der vorgehaltenen
Finger zu bestimmen vermag. Nach unten und aussen, entsprechend den lichtgelben
Massen in der Iris, war die Sclera nächst der Cornea etwas her vorgetrieben. Keine
Lichtscheu, weder in den Augen noch in deren Umgebung Schmerzen. Diagnosis: Iritis,
wahrscheinlich auch Chorioiditis, und zwar im Bereiche des Corpus ciliare, was jedoch
nicht mit Gewissheit bestimmt werden kann. — Der Mann ist von grosser Statur, stark
abgemagert, hat ein erdfahles Aussehen, ist in seinem ganzen Wesen auffallend torpid.
Zunächst dachten wir an Syphilis, obwohl die bei solchem Befunde am Auge kaum jemals
fehlenden Kopfschmerzen nicht vorhanden waren. Es fand sich jedoch nirgends eine
Spur einer primären oder seeundären Affection. An der rechten Wange bemerkten wir
eine wallnussgrosse, harte, nicht elastische und schmerzlose Geschwulst, welche weder
mit dem Knochen zusammenhing, noch von der Haut selbst ausgegangen sein konnte.
Die linke Scrotalhälfte faustgross, gespannt, die Haut darüber verschiebbar, vorn und
unten deutlich fluetuirend ; nach hinten und oben fühlte man den vergrösserten, sehr
harten, jedoch nicht höckerigen Hoden. Im untern Drittel des linken Unterschenkels ein
Geschwür, welches von oben nach unten 3 V^" breit war, die Extremität rings umfasste,
.zackige harte Bänder hatte, leicht blutete und eine sehr stinkende (brandige) Jauche in
reichlicher Menge absonderte. Ausserdem war nichts Krankhaftes nachweisbar. — Da
vorläufig alle Anzeigen zu irgend einer eingreifenden Behandlung fehlten, verabreichten
wir dem Kranken bloss ein Decoct. graminis mit Tinct. rhei aquosa, gaben ihm eine
nahrhafte Kost, und sorgten für fleissige Beinigung des Geschwüres. Verlauf. Etwas Blut
vom 13. bis 14. October in die vordere Kammer des linken Auges ergossen, war am 16.
grösstentheils resorbirt. An diesem Tage bemerkten wir in der vordem Augenkammer
des rechten Auges eine gelbliche Flüssigkeit, wie die Lunula am Nagel, auf xl%"1 Höhe
angesammelt. Am 17. die Pupille des rechten Auges kleiner, die Iris mehr gelockert
und vorgebaucht. Tom 19. an verabreichten wir dem Kranken täglich 1 Scrupel Jodkali
und stiegen damit von 2 zu 2 Tagen um 10 Gran. Am 20. zeigte sich an dem linken
Auge, an welchem die Irisexsudate grösser und consistenter geworden zu sein schienen,
jrings um die Hornhaut vom äussern bis zum innern Winkel unten herum eine gegen 3'"
92 Regenbogenhaut.
breite und Vi,'** hohe sulzige Wulstung der Bindehaut ; trotzdem gab der Kranke Besserung
des Gesichtes an. Vom 25. bis 28. , wo wir bei einer Drachme Jodkali stehen blieben,
nahm die Schwellung der Iris und die Trübung der Cornea an dem linken Auge ab, die
Pupille wurde mehr rund. Am 29. stand die Iris des linken Auges bereits in ihrer not-
malen Lage, die Pupille war schwarz, etwas über 2'" im Durchmesser, nur unten durch
einen einspringenden Winkel entrundet (nierenförmig) ; auch am rechten Auge hatten die
Exsudate in der Iris merklich abgenommen. Am 30. und 31. wieder bedeutendes Hypoaema,
das jedoch in den nächsten Tagen wieder verschwand. Die allmälig gansei-grosse Ge-
schwulst an der rechten Wange wurde mit Tr. jodinae bestrichen, die Ränder des Fuss-
geschwüres mit rother Präcipitatsalbe verbunden; das Jodkali innerlich wurde bis zum 24.
November fortgesetzt. Bis zum 28. November trat noch 2mal Ilypoaema auf; an diesem
Tage wurde der Kranke wegen des Unterschenkelgeschwüres auf die chirurgische Ab-
theilung transferirt, mit folgendem Zustande der Augen. Links: Die Conj. palp. etbulbiund
die Cornea normal, die Iris in ihre normale Lage zurückgetreten, grünlich verfärbt, träge
beweglich, die Pupille schwarz, oval (von unten nach oben) ohne sichtbare Exsudate.
Rechts : die Bindehaut massig injicirt, ebenso einige vordere Ciliararterien, die Iris träge
beweglich, grünlich, noch etwas gelockert, der grosse und kleine Kreis nicht zu unter-
scheiden, die Pupille schwarz, durch einige vorspringende Winkel entrundet: in der
vordem Kammer etwas Blut ergossen und überdiess grauweisses flockiges Exsudat zu
Boden gesetzt, wodurch die Iris rückwärts gedrängt wird. Das Gesicht des Kranken hatte
sich so weit gebessert, dass er namentlich mit dem linken Auge, welches bei der Auf-
nahme kaum die vorgehaltenen Finger erkannt hatte, den Stand der Zeiger an einer
kleinen Taschenuhr richtig angab. — Der Kranke musste wegen des brandigen Ge-
schwüres in ein abgesondertes Local gelegt werden. Er magerte nun noch mehr ab
und wurde so schwach, dass er das Bett nicht mehr verlassen konnte, ganz indifferent
da lag, und auf Fragen kaum antwortete; die erdfahle Haut wurde welk, am Handrücken
und an den Wangen röthlichblau, die Absonderung des Geschwüres profus und stinkend,
die Geschwulst an der Wange beinahe faustgross. Allmälig verschlimmerte sich auch der
Zustand der Augen wieder. Befund am 15. December: Rechterseits die Conj. palp. et bulbi
von einem grobmaschigen Gefässnetze durchzogen, die vordem Ciliararterien stark inji-
cirt, die Cornea in ihrer untern Hälfte des Epithels beraubt, sonst normal, die Iris in
ihrer normalen Lage, grünlich, aufgelockert, unbeweglich, die Pupille buchtig erweitert,
rauchig getrübt, ohne sichtbares Exsudat, in der vordem Augenkammer gelbliche Flüssig-
keit auf 1 l/i*u Höhe angesammelt. Links der Zustand der Binde- und Hornhaut wie rechts,
die vordere Kammer vergrössert, die Iris durch gelbliche Flüssigkeit, welche die Hälfte
der Kammer ausfüllte, rückwärts gedrängt, von der Iris und Pupille nur die obere Hälfte
sichtbar; ob der Kranke noch etwas sehe, liess sich bei seinem apathischen Zustande
nicht ermitteln. Zwei Tage später fanden wir das Exsudat in der rechten Kammer bis
zum untern Pupillarrande gestiegen, an dem linken Auge die Cornea nach unten ver-
schwärt und durchbrochen. Am 31. December erfolgte der Tod. Befund des rechten Auges : *)
Durchmesser in der geraden Achse lO'/t'", im Äquator horizontal 10'", vertical lO'/a'".
Die untere Hälfte der Cornea mit einer schmierigen gelblichen Masse (grösstentheils Epi-
thelial-Detritus und unversehrtes Epithelium) bedeckt; nach Entfernung derselben erschien
die Cornea daselbst durchsichtig, jedoch oberflächlich arrodirt, mit seichten Gruben versehen.
*) Da ich am 1. Jäner, wo die Section gemacht wurde, nicht in Prag war, so wurden die Bulbi in ver-
dünnten YWingeist gelegt, und erst am 2. Jäner anatomisch untersucht.
Entzündung — Krankengeschichten. 93
Nach Entfernung der Cornea mittelst eines hinter ihrer Basis geführten Schnittes fand man
die Descemetsche Haut unversehrt. In der vordem Augenkammer nebst Humor aqueus
eine Menge trüber Flüssigkeit, und am untersten Theile eine consistentere, blutig tingirte,
eiterähnliche Masse. Erstere zeigt unter dem Mikroskope Blutkörperchen, Eiterzellen
und körnige Substanz, letztere aber massenhaften plastischen Eiter, durch eine gallertartige
Substanz verbunden. Die Iris gelbgrau, sehr gelockert, besonders im kleinen Kreis,
geschwellt und verdickt. Von der faserigen Structur der Iris und von einem Farbenunter-
schiede zwischen dem grossen und kleinen Kreise keine Spur wahrzunehmen. Unter der
Loupe erscheint der kleine Kreis gewulstet, graugelb, am Pupillarrande mit einigen fran-
senähnlichen Exsudatanhängseln versehen. In der Pupille eine halbdurchsichtige dünne
Exsudatlage, die nach unten ziemlich fest am Pupillarrande haftete, und unter der Loupe
membranartig ausgespannt, stellenweise (mehr nach oben) punktirt erschien. Die Verbin-
dung zwischen Sclera und Ligamentum ciliare bot nichts Abnormes dar. Die Sclera wurde
in der Gegend der Ora serrata ringsum durchschnitten, und zeigte auch nichts Ungewöhn-
liches. Das Ligamentum ciliare dagegen war auffallend dick (über '/a'") und graugelb.
Prof. Engel, der dasselbe genauer untersuchte, erklärte die Verdickung als Folge von
Exsudatinfiltration in dasselbe. Die Chorioidea wurde hinter der Oia serrata durchschnitten
und sammt Iris und Ligamentum ciliare abgezogen, wobei die Zonula Zinnii grösstenteils
unversehrt mit dem Glaskörper und der Linsenkapsel verbunden zurück blieb. Sie selbst
erschien nur an einer Stelle etwas röther (nach unten), ob durch äusserst feine Gefäss-
chen oder durch Extravasat, konnten wir nicht ermitteln. Auf der Kapsel war an einigen
Stellen die Pigmentschichte der hintern Fläche der Iris zurückgeblieben. Auf ihrem mitt-
lem Theile, der Pupille entsprechend, lag eine dünne weisslich-graue Exsudatscheibe, die
sie a mit dem Messer leicht abstreifen Hess, und unter welcher die Kapsel unverändert und
durchsichtig erschien. Der Durchmesser dieser Scheibe betrug 1 '/-i'", der der Pupille war
2'" gross. An der hintern Fläche der Iris war keine Spur von Exsudat zu finden, an der
Zonula Zinnii und an den Ciliarfortsätzen konnten wir keine Veränderung auffinden,
ebenso nicht an der Linse, dem Glaskörper, der Netzhaut. Resultat : Fasserstoffig-eitriges
Exsudat im Ligamentum ciliare und in der Iris, in der vordem Kammer und in der Pupille.
— -Befund des linken Auges: Die Durchmesser, namentlich im Äquator, um V" kürzer,
die Form viereckig, die Sclera an den Berührungsstellen der Muse, recti eingedrückt, am
meisten am Bectus infer., die Cornea platt, ihre untere Hälfte durch Vereiterung zerstört,
die Öffnung durch eine graue Masse verlegt, welche sich leicht von der darunter liegen-
den Iris abziehen Hess. Die Pupille durch eine lichtgraue Membran, welche sich nur
mit Gewalt von der vordem Kapsel und von der Iris ablösen Hess, vollständig verschlossen.
Von letzterer blieb der grösste Theil des Pigmentes an der Kapsel sitzen. Die Iris licht-
braun, wie mit einem leichten Grau bedeckt, undeutlich faserig, nicht von Exsudat infil-
trirt, hinten durchaus mit Pigment belegt. Das Ligamentum eil. nur 1'" breit, W" dick,
weder mit der Sclera noch mit der Iris abnorm verbunden, die Ciliarfortsätze unverän-
dert, ebenso die Zonula Zinnii, welche sich sammt dem Glaskörper und der Linsenkapsel
unverändert und leicht vom Corpus ciliare entfernen Hess. Höchst wahrscheinlich war
auch hier früher in der Iris und im Ligamentum ciliare Exsudat vorhanden gewesen, und
später wieder aufgesogen worden. Befund am übrigen Körper nach dem Gutachten des
Herrn Prof. Engel: Medullarsarkom im Conus arter. pulmonalis, im Pancreas, im linken
Hoden, Samenstrang und den Leistendrüsen, in der Regio buccalis dextra, ein gangrä-
nöses Geschwür am linken Unterschenkel, metastatische Pneumonie des untern Lappens
der linken Lunge, supplementäres Emphysem der rechten Lunge, alte Reste von Pleuritis,
94 Regenbogenhaut.
frische umschriebene Pericarditis, acuter Milztumor. — Wir theilten diesen Fall desshalb
so ausführlich als wir konnten mit, weil er uns, wir gestehen es, nach dem Sectionsbe-
funde noch mehr, als während des Lebens, räthselhaft erscheint, und weil uns durchaus
keine analogen Beobachtungen zu Gebote stehen. Er kann vielleicht für spätere For-
schungen Anhaltspunkte geben.
II. Ein 17 Jahre alter Schuhmacherlehrling kam am 2. Juni 1852 auf die Klinik.
Linkes Auge: An den Lidern und an der Bindehaut nichts Abnormes; die Ciliargefässe
stark entwickelt, bei längerer Betrachtung des Auges wird ein rosenrother Saum um die
Cornea herum sichtbar. Die Cornea in jeder Beziehung normal, nur in der untern Hälfte
etwas gelockert (fein gestichelt) und getrübt; die Trübung erscheint bei genauerer Be-
trachtung zusammengesetzt aus zahlreichen lichtgrauen Punkten an der hintern "Wand
der Cornea, wovon man sich besonders mit einer Loupe überzeugen kann. Diese Punkte
liegen zum Theile der Pupille gegenüber, vorzüglich aber von da nach abwärts ; die mäch-
tigsten liegen in der Mitte des getrübten Theiles. Die Grösse der vordem Kammer nicht
merklich verändert. Die Tris graugrünlich, im kleinen Kreise dunkler, beweglich, jedoch
träger; die Pupille ganz rund, etwas grösser, als an andern Augen bei gleicher Beleuch-
tung, im Mittel 2'/ä"- im Durchmesser haltend. Kein Schmerz, keine Lichtscheu, ausser
bei grellem Lichte; der Kranke kann mit diesem Auge Druckschrift von IV2'" Höhe bei
8"' bis 12'" lesen, sieht aber alle Gegenstände, besonders entferntere, wie durch einen
leichten Nebel gedeckt; er klagt überdiess, dass ihm besonders des Morgens und am mei-
sten bei Kerzenlicht zahlreiche geschlängelte Reihen von Punkten und Ringen vorschwe-
ben, welche sich gleichsam im Gesichtsfelde bewegen. Diagnosis: Iritis mit Exsudation
in den Humor aqueus und Präcipitation an die Descemetsche Haut. — Rechtes Auge:
Binde- und Hornhaut normal, die Ciliargefässe nur wenig mehr als gewöhnlich einge-
spritzt: mittelst der Loupe sieht man auch hier an der untern Hälfte der Descemetschen
Haut graue Punkte, aber weder so zahlreich, noch so gross. Die vordere Kammer scheint
etwas grösser zu sein. Die Iris ist graublau, im kleinen Kreise braungrau, die Pupille
hat ungefähr l'/a'" im Durchmesser, ist jedoch unregelmässig rund, nur nach oben er-
weiterbar (bei Beschattung) ; in der untern Hälfte (nahezu in -/z) ist der Pupillarrand
von einem grauweisslichen Exsudatstreifen eingesäumt und fixirt. Die Mitte und der
obere Theil der Pupille schwarz, der Bulbus von normaler Consistenz, das Sehen be-
deutend beschränkt , so dass die Zeiger einer Uhr nicht erkannt werden. Weder Röthe
noch Lichtscheu, noch Schmerzen. Diagnosis: Ausgang von Iritis mit Exsudation am
Pupillarrande und Präcipitation an die Descemetsche Haut. Anamnesis: Der Kranke
versichert stets gesund gewesen zu sein. Das rechte Auge erkrankte vor 3 Monaten,
das linke 4 Wochen später, ohne bekannte Veranlassung. Er bemerkte zuerst Jucken
in den Augenwinkeln, öfteres Thränen, besonders beim Arbeiten, Empfindlichkeit gegen
stärkeres Licht, nur unbedeutende drückende Schmerzen. Die Trübung des Gesichtes
wurde erst in einigen Wochen so bedeutend, dass er nicht mehr arbeiten konnte und
ärztliche Hilfe suchen musste. Das Mückensehen, welches erst in den letzten 14 Tagen
auftrat, bestimmte den Krauken, nach Prag zu reisen. — Mit einem solchen Symptomen-
complexe und von solchem Verlaufe wie hier haben wir die Iritis bei scrofulösen, aber
auch bei solchen Individuen , welche durch deprimirende Einflüsse sehr herabgekommen
waren , auftreten und verlaufen gesehen. Die Eltern des Knaben sollen ganz gesund
sein ; er selbst hat keine schwere Krankheit gehabt, ist aber auf sein Alter wenig ent-
wickelt, schlecht genährt, blass, beinahe erdfahl, und bietet am Unterkieferwinkel einige
haselnussgrosse infiltrirte Lymphdrüsen dar. Er hat unter sehr dürftigen Verhältnissen
Entzündung — Krankengeschichten. 95
gelebt, und eine kleine, feuchte, noch von anderen 6 Individuen bewohnte Stube inne
gehabt. Alles diess zusammen genommen, gibt uns die grüsste Wahrscheinlichkeit, dass.
die Iritis als Ausdruck von Scrofulosis zu betrachten sei. Das rechte Auge kann nie mehr,,
das linke mit grösster Wahrscheinlichkeit zum normalen Zustande zurückgeführt werden-
Bliebe der Kranke sich selbst überlassen, so würde das linke Auge allmälig wohl demsel-
ben Schicksale verfallen , wie das rechte. Behandlung : Durch die Aufnahme des Kran-
ken auf die Klinik ist für Ruhe des Auges, für eine bessere Wohnung und Kost ge-
sorgt. Der Kranke erhält Vs der Spitalskost und einen Braten, wird bei trockener Wit-
terung soviel als möglich ins Freie geschickt, über seinen Zustand getröstet, und erhält
innerlich ein Decoctum graminis mit Tr. rhei aquosa, vom S. Tage der Behandlung an
Oleum jeeoris aselli, welches er auch gut vertrug; aufs Auge und dessen Umgebung
wurde nichts angewendet. In Zeit von 5 Wochen bekam der Jüngling zusehends eine
bessere Gesichtsfarbe, und nachdem noch einige ähnliche Punkte, wie an der Descemet-
schen Haut, auf der vordem Kapsel des linken Auges bemerkt worden waren, nahm auch
die Pupille mehr eine normale, der Intensität der Beleuchtung entsprechende Grösse an,
die Iris bewegte sich lebhafter, und das Fortschreiten der Resorption zeigte sich an dem
Verschwinden der kleinem Punkte an der Cornea. Das Gesicht hatte sowohl für die
Nähe als für die Ferne viel an Schärfe gewonnen. Am 3. Juli, dem Tage der Abfassung
dieser Krankengeschichte , konnte der Kranke nahezu als reconvalescent erklärt werden.
12. Ein 21 Jahre alter Leinweber, angeblieh früher immer gesund, erkrankte 3
Jahre vor seiner Aufnahme auf die Klinik im Frühlinge, ohne dass er irgend eine Schäd-
lichkeit als Ursache zu bezeichnen vermochte , mit etwas Röthe des Weissen im Auge,
leichtem Stechen daselbst, massigem Thränen und Lichtscheu, Alles jedoch so gering,
dass er es nicht beachtet haben würde, wenn er nicht zugleich Alles wie durch einen
Nebel gesehen hätte. Diese Erscheinungen schwanden in den folgenden Sommermonaten
bis auf eine leichte Trübung des Gesichtes, kehrten aber im nächsten und im 3. Frühling
ebenso wieder , und der Kranke musste wegen Abnahme des Gesichtes im 2. Jahre von
der Weberei zur Landwirthschaft , im 3. Sommer aber in's Spital gehen. Wir fanden
Ende Mai 1S40 beide Augen ziemlich gleich erkrankt. Im untern Theile der Hornhaut,
und zwar deutlich an ihrer hintern Fläche einige weisslichgraue hirsekorngi-osse Flecke,
und an einer Stelle war die unterste Partie der Iris an die Cornea angelöthet; bei Son-
nenlicht oder mittelst der Loupe sah man noch sehr viele kleinere Punkte an der hintern
Wand der Hornhaut; die Farbe der blassblauen Iris schien ebensowenig verändert zusein,
wie ihre Faserung; nur der kleine Kreis erschien dunkler, und der Pupillarrand durch
mehrere Synechien rückwärts fixirt, die Pupille entrundet, von etwa l"' Durchmesser,
die Beweglichkeit der Iris sehr beschränkt. Während der Untersuchung der Augen bil-
dete sich von den an Zahl und Grösse vermehrten Ciliararterien aus ein schmaler rosen-
rother Saum um die Hornhaut herum und die Bindehautsäcke füllten sich mit Thränen.
Das Sehvermögen so beschränkt, dass der Kranke nur an bekannten Orten noch allein
herumgehen kann; Geldmünzen erkennt er nur nach der Grösse und Materie, nicht nach
dem Gepräge. — Um die Resorption zu bethätigen, verordneten wir dem Kranken Ein-
reibungen von Ung. einer, an die Umgebung des Augen, innerlich Calomel mit Opium,
und in Zwischenräumen von mehreren Tagen ein stärkeres Abführmittel. Nach 3 Wochen,
wo bereits Besserung des Gesichtes angegeben wurde, strichen wir eine Salbe aus 1/z bis
1 Gran rothem Präcipitat auf 1 Drachme Fett jeden Abend in die Lidspalte, und wandten
von Zeit zu Zeit Einträuflungen von Belladonna an. Nach acht Wochen wurde statt der
Mercurialmittel, welche keine Spur von Salivation erregt hatten, Jodkali innerlich und an
96 Regenbogenhaut.
die Umgebung der Augen angewendet, und Anfang August der Kranke auf sein Verlan-
gen entlassen. Die kleinern Punkte an der Descemetschen Haut und mehrere Synechien
■waren geschwunden, und das Gesicht so weit gebessert, dass der Mann meinte, er werde
Feldarbeiten ohne Anstand verrichten können.
13. B. C, 22 Jahre alt, Mutter von 3 Kindern, obwohl — nach ihrer ausdrückli-
chen Versicherung — noch nie menstruirt, von schwächlichem Körperbau, schlaffer Mus-
kulatur, trockener und spröder Haut, doch sonst gesund aussehend, hatte in ihrer Kind-
heit lange an Kopfgrind gelitten. Vor 4 Jahren war sie von reissenden, stechenden, zeit-
weilig aussetzenden Schmerzen in den Oberextremitäten ergriffen worden, welche Abends
schlimmer wurden , sowie auch jedesmal , wenn sie sich im Freien beschäftigen musste.
Vor einem halben Jahre befielen diese Schmerzen die beiden Unterschenkel, und während sie
sich aus diesen verloren, trat das Augenleiden auf. Die Kranke fühlte vor 7 Wochen
ohne weitere Veranlassung eines Morgens einen tiefen dumpfen Schmerz im linken Auge,
wie wenn die Augenhöhle mit Sand angefüllt wäre, wozu bisweilen heftige flüchtige Stiche
kamen; das Auge soll zugleich von vielen Äderchen durchzogen und lichtscheu gewesen,
das Sehvermögen allmälig getrübt worden sein. Vor 3 "Wochen erkrankte auch das rechte
Auge, gleichfalls ohne äussere Veranlassung. Zustand am 30. Mai 1841. Linkes Auge:
Die Lidbindehaut netzförmig geröthet , unter der Scleralbindehaut zahlreiche und erwei-
terte Gefässe , welche rings um die Cornea zu einem 1 '/»"' breiten blassbläulichrothen
Saume zusammentreten ; über diesem Saume bilden zahlreiche kleine Gefässchen, welche
bis an den concaven Rand des Limbus conjunct. corneae reichen, ein schütteres Netz. Die
Cornea von normaler Grösse und "Wölbung, in der nach oben und aussen gelegenen
Hälfte hell und durchsichtig, in der nach innen und unten gelegenen gleichmässig
graulich getrübt, matt, wie mit äusserst zahlreichen Nadelstichen punktirt, und an ihrer
hintern Wand mit ohngefähr;l5 ziemlich scharf begrenzten, saturirt weisslichgrauen, durch
nahes Beisammenstehen zum Theil zusammenfliessenden, ohngefähr mohnkorngrossen Punk-
ten besetzt. Die vordere Kammer schien nicht vergrössert zu sein. Die dunkelbraune
Iris war frei beweglich, nur nach unten durch drei hintere Synechien fixirt. Die Kranke
erkennt mit diesem Auge Silber- und Kupfermünzen selbst nach dem Gepräge, in der ge-
wöhnlichen Entfernung, Buchstaben jedoch nicht. Rechtes Auge: Die Rosenröthe um die
Cornea intensiver , auch die Injection des Bindchautsaumes stärker, die Cornea normal,
nur in dem nach unten und innen gelegenen Drittel ein wenig getrübt, matt, wie mit
Nadeln gestochen, und an der hintern Wand mit ohngefähr 9 grösseren, saturirten, und
mehreren kleinern und blässern Punkten besetzt. Die Iris nur unten durch eine Synechie
fixirt, sonst frei beweglich. Mit diesem Auge werden Buchstaben mittlerer Grösse in der
gewöhnlichen Entfernung erkannt. Die Kranke ist sehr wenig lichtscheu und klagt
ausser über Trübung des Gesichtes nur über dumpfe stechende und reissende Schmerzen
besonders in dem rechten Auge. Diagnosis : Iritis mit Exsudation in's Kammerwasser,
Präcipitation an die Hornhaut und an den Pupillarrand. Rücksichtlich des ursächlichen
Momentes schliesst sich dieser Fall theils nach dem Umstände, dass wir reichliches faser-
stoffiges Exsudat ausgeschieden finden , während die Iris selbst fast gar nicht mehr er-
griffen zu sein scheint und die Erscheinungen von Seite des Nervensystems relativ äusserst
gering sind, theils nach dem allmäligen Auftreten auf dem einen und dann auch auf dem
andern Auge ohne äussere Veranlassung an jene Fälle an, wo wir aus dem Zusammen-
treffen sämmtlicher Umstände mit Sicherheit auf Bedingtsein des Processes durch Scro-
fulosis schliessen konnten. Die Aussagen der Kranken geben in dieser Beziehung keine
Anhaltspunkte, wenn man nicht etwa auf hartnäckigen Kopfgrind Gewicht legen will.
Entzündung — Krankengeschichten. 97
Das Aussehen der Kranken jedoch, welche als ziemlich wohlhabende Bäuerin im Ganzen
nie in dürftigen Verhältnissen gelebt hat, schliesst die Annahme jener Anlage nicht aus,
macht sie im Gegentheil sehr plausibel. Die vorausgegangene schmerzhafte Affection
der Extremitäten berechtigt durchaus nicht zur Annahme einer rheumatischen Affection.
Behandlung : Wir legten S Blutegel an die rechte Schläfe und rieben reichlich Ung. einer,
an die Stirn ein, indess wir innerlich Sal Glauberi cum tart. stib. r. d. verabreichten,
bei Buhe im Bette und '/a der Spitalskost. Am 4. Tage wurde ein Yesicans an den
Kacken gelegt , und nachdem am 8. Tage die Injection an den Augen bedeutend ver-
mindert erschien, Hessen wir an die Stirn und Schläfe Jodkaliumsalbe (fünf Gran auf eine
Drachme) einreiben , die Kranke herumgehen und innerlich täglich 2mal Pulver nehmen
aus 6 Gran Pulv. fol. digitalis, 8 Gran Pulv. herbae und Extr. conii maculati mit 1 6 Gran
Pulv. rad. polyg. senegae (auf S Theile). Schon zu Ende der 3. Woche war die Trübung
der rechten Hornhaut bis auf einige Punkte an der Descemetschen Haut verschwunden,
die der linken Hornhaut auffallend geringer. Von Zeit zu Zeit wurde ein lauwarmes
Bad ordinirt, und nachdem zu Ende der 4. Woche die Digitalis Intoxicationserscheinungen
erregt hatte, dazwischen ein Eccoproticum verabreicht. Die Kranke genas allmälig, vor-
züglich beim Gebrauche der Jodkaliumsalbe, und bot zu Ende der 9. Woche nur noch
einige Exsudatpunkte an der Descemetschen Haut (rechts 2, links 3) dar, welche das
Sehen nicht weiter störten.
14. B. J. , Näherin, 26 Jahre alt, erkrankte im Juli 1846 ohne bekannte Ursache
an dem linken Auge, indem sich das Weisse desselben röthete, Lichtscheu, Thränenfluss
und Schmerzen (stechend-drückend, besonders in der Nacht heftig) und allmälig Trübung
des Gesichtes hinzutraten , so dass sie nach 4 Wochen Alles wie durch einen Flor sah.
Nach dem Gebrauche von Eccoproticis und Einreibungen von Ung. cinereum an die Stirn
verloren sich alle Erscheinungen bis auf eine leichte Trübung des Gesichtes. Mitte August
trat dasselbe Leiden wieder ein , doch mit gelinderen Zufällen und kürzerer Dauer bei
derselben Behandlung. Anfang November erkrankte sie zum 3. Male, und kam endlich
nach fruchtloser Anwendung verschiedener Mittel am 10. Decbr. 1846 auf die Klinik.
Linkes Auge: Die Lider normal; die Sclera rings um die Hornhaut (1'") rosenroth. Die
Hornhaut leicht getrübt, wie ein -etwas angelaufener Metallspiegel; an der untern Hälfte
ihrer hintern Fläche mehrere nebeneinander stehende, lichtgraue, scharf markirte Punkte,
dreieckig, mit der Basis nach unten, mit der Spitze allmälig nach oben verlaufend (ähn-
lich einer Kerzenflamme) ; an der obern Hälfte der Hornhaut bemerkt man nur mittelst
einer scharfen Loupe zahlreiche solche Punkte auf der Descemetschen Haut. Farbe und
Faserung der Iris lassen sich wegen der Hornhauttrübung nicht verlässlich beurtheilen ;
jedenfalls ist die Pupille enger, als an dem normalen rechten Auge, die Iris nur wenig
und träge beweglich, die vordere Kammer etwas vergrüssert. Das Sehvermögen so
geschwächt , dass entfernte (selbst grosse) Gegenstände gar nicht wahrgenommen werden ;
bei 5 — 6 Zoll Entfernung erkannte die Kranke noch die Buchstaben von 1 l/-i" Höhe.
Schmerzen und Empfindlichkeit gegen das Licht bereits seit einigen Tagen gering. Dia-
gnosis: Iritis mit Exsudatpräcipitation an die Descemetsche Haut. Der genannte Sym-
ptomencomplex und der bisherige Verlauf bieten überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür,
dass diese Iritis als Ausdruck von Scrofulosis (Tuberculosis) zu betrachten sei. Die Kranke
hat in ihrer Kindheit längere Zeit an Anschwellungen der Halsdrüsen gelitten. Die Men-
struation erschien im 15. Jahre, und zwar stets regelmässig, bis vor 9 Jahren, wo die
Kranke durch 2 Monate an den Zufällen von Bleichsucht litt. Vor 7 Jahren litt sie
längere Zeit an Gliederreissen , welches sie als B.heumatismus bezeichnet, vor 5 Jahren
Arlt Augenheilkunde. II. 7
98 Regenbogenhaut.
angeblich an einer Leberentzündung. Von 5 Schwangerschaften führte nur die letzte
(vor 13 Wochen) zu einer normalen Entbindung, indem früher jedesmal in den ersten 4
Monaten Abortus erfolgte. Sie nährte das Kind selbst, musste jedoch vor einigen Tagen
auf ärztliche Anordnung abstillen, da sie neuerdings von Haemoptoe befallen wurde,,
welche schon vor 4 Wochen sich durch einige Tage eingestellt hatte. — Die Kranke
lebte in den letzten Jahren unter kümmerlichen Verhältnissen, und bewohnte eine dunkle,
leuchte und dumpfige Stube. Sie ist von schwächlichem Kürperbau, blasser Hautfarbe,
schlaffer und welker Muskulatur, und leidet, wie die Untersuchung ergiebt, an tuberculöser
Infiltration der rechten Lunge bis zur 6. Eippe herab. Behandlung Durch die Aufnahme
auf die Klinik ist mehreren Anzeigen entsprochen. Temperirung des Lichtes, Kühe im Bette,
l/i der Spitalsportion, innerlich Mixt, oleosa mit Nitrum, örtlich TJng. cinereum an die
Stirn und Schläfe. Nach Stägiger Behandlung waren die Exsudate an der Hornhaut bis
auf die grössern Punkte resorbirt; man konnte nun deutlich auch ein spinnewebenähnliches
Exsudat in der auf ohngefähr 1"' verengerten Pupille wahrnehmen. Am 6. Jäner (27.
Tag) wurde die Kranke auf ihr Verlangen entlassen , sie vermochte Buchstaben von 2'"
Höhe in der Entfernung von 8 — 1 0" zu lesen.
15. L. Anna, 19 Jahre alt, angeblich von gesunden Eltern abstammend und unter
günstigen Verhältnissen aufgewachsen , in ihrer Kindheit stets gesund (bis auf häufig
wiederkehrenden hartnäckigen Schnupfen und habituelle Stuhlverstopfung), seit ihrem
15. Jahre regelmässig, jedoch sehr sparsam menstruirt, und bis zum 18. Jahre häufig
an Zufällen von Chlorosis leidend, erkrankte im 17. Jahre ohne bekannte Veranlas-
sung an den Augen. Sie bekam heftige bohrende Schmerzen in der Stirn und Schläfe,
dumpfes Drücken in den Augen, Lichtscheu und Röthe des Weissen, und Trübung
des Gesichtes zuerst an den linken, nach einigen Wochen auch an dem rechten Auge.
Einige Tage vor dem Eintritte der Menstruation wurden die Zufälle immer ärger, beson-
ders in den Morgenstunden, nachher verschwand die Röthe und Lichtscheu, die Augen-
und Kopfschmerzen -wurden geringer, die Trübung des Gesichtes (besonders das Vorschwe-
ben von Mücken, Spinnweben u. dgl.) nahm jedesmal zu, niemals ab. Nach Anwendung
von Abführmitteln, von Blutegeln an die Schläfe und von Vesicantien an den Nacken,,
trat Milderung der Zufälle, jedoch keine Heilung ein. Nach 3'jjähriger Dauer des Übels
mit wechselnder Besserung und Verschlimmerung, jedoch gradatim steigender Trübung
des Gesichtes ging die Kranke im November 1S45 ins allgemeine Krankenhaus nach
Prag, wo sie laut Protocoll mit „hintern Synechien beider Augen" aufgenommen, und
mit Einreibungen einer grauen Salbe an die Stirn und Einträuflungen von Extr. bellad.
durch 10 Tage behandelt wurde. Im März 1846 kam die Kranke wieder nach Prag, und
trat in meine Behandlung. Nebst den Synechien waren zahlreiche Exsudatpunkte an der
hintern Fläche der Hornhäute vorhanden , und die Fortdauer des Exsudationsprocesses-
verrieth sich durch einen gereizten Zustand beider Augen , namentlich durch stärkere
Injection der Ciliargefässe und durch Auftreten eines rothen Gürtels rings um die Horn-
häute, sobald man die Augen einige Zeit untersuchte. Nebst Regulirung der Diät, so wie
bei Scrofulösen — es waren in der letzten Zeit die Lymphdrüsen am Halse beträchtlich
angeschwollen — wurde zuerst Oleum jeeoris aselli mit Tinct. jodinae, späterhin Eisen
mit Rhabarber in Pillenform verordnet. Die entzündlichen Zufälle Hessen nach, die Zufälle
der Chlorosis verloren sich gänzlich und bleibend, und die Kranke ging Ende Juni nach
Hause. Nach abermaliger Verschlimmerung trank die Kranke im August und September
Egercr Salz- und Franzensquelle, jedoch auch ohne bleibenden Erfolg. Da das Sehen
allmälig trüber wurde, das Mückensehen sich vermehrte, und auch die Menstruen wieder
Entzündung — Krankengeschichten. 99
■viel spärlicher flössen, so wurde die Kranke am 5. December IS 16 von mir auf die
Klinik aufgenommen. — Die Kranke ist von schlankem zartem Körperbaue, blasser
Hautfarbe mit leicht gerötheten "Wangen, die Nasenflügel und die Oberlippe wulstig, die
Schleimhaut der Nase stark geröthet , die Lymphdrüsen an der Seite des Halses nicht
mehr infiltrirt. Die Augen etwas glotzend, ihre Consistenz etwas vermehrt. Die Bindehäute
normal. Die Sclera auffallend bläulich weiss, die Ciliargefässe etwas erweitert, Hornhäute
normal. Die braunen Regenbogenhäute etwas matt und aufgelockert, weiter vorwärts
gelagert , die rechte gar nicht, die linke trag beweglich. Die Pupillen eng, mehr oval,
durch ein kaum wahrnehmbares Häutchen etwas getrübt. Diese Exsudatmembran steht
durch zackige Fransen mit dem Pupillenrande in Verbindung , und lässt nur zwischen
diesen Zacken kleine schwarze Stelleu übrig. Alles, was sie sieht, erscheint ihr wie
durch einen Flor oder leichten Nebel gedeckt; Geldmünzen erkennt sie nach dem Metall
und der Grösse, nicht nach dem Gepräge; Buchstaben erkennt sie nur dann, wenn sie
mindestens l" lang sind und mehr von der Seite her vorgehalten werden (dem linken
von aussen oder innen, dem rechten von innen her). Die Störung des Gesichtes ist dem-
nach bloss durch die Pseudomembran in der Pupille bedingt — Die Kranke wurde durch
8 Monate Im Spitale behandelt und musste endlich am 3. August 1847 ungeheilt entlassen
werden. Zuerst hatten wir durch kleine Gaben von Calomel und Digitalis die mit wech-
selnder Besserung und Verschlimmerung verlaufende Entzündung zu bekämpfen gesucht.
Sie nahm diese Mittel täglich 3mal zu '/i Gran bis zum 17. Februar, .und nur von Zeit
zu Zeit ein Abführmittel dazwischen. Während dieser Zeit hatten wir 3mal versucht, die
Pupillen durch Einträuflung von Belladonna zu erweitern, jedoch endlich davon abstehen
müssen, weil jedesmal den folgenden Tag die entzündlichen Zufälle augenscheinlich hef-
tiger wurden , das 3. Mal sogar frische Exsudation in der Augenkammer auftrat. Vom
17. Februar bis zum 8. März Hessen wir die Kranke Sublimatpillen in allmälig gestei-
gerter Gabe nehmen , mussten sie aber wegen Salivation und wegen Vermehrung der
entzündlichen Zufälle an den Augen aussetzen. Vom 16. März bis Anfang Mai nahm die
Kranke mit wenig Unterbrechungen (durch den Eintritt der Menstruation) täglich '/a bis
1 '/* Drachme Oleum terebinthinae, sodann bis Ende Mai Polygala senega mit Kali tarta-
ricum, und im Juni Marienbader Kreuzbrunnen : Alles ohne den gewünschten Erfolg. Der
Kreuzbrunnen musste schon nach 14 Tagen weggelassen werden, weil offenbar Conge-
stionen zum Kopfe und zu den Augen entstanden waren , und wegen Steigerung der
entzündlichen Zufälle an den Augen wiederholt örtliche Blutentziehuugen nöthig wurden.
Im Juli versuchten wir, da die Menses zwar immer in ohngefähr 4 Wochen, doch nie
länger als durch 36 — 48 Stunden eingetreten waren, Pillen aus Ferrum sulfuricum mit
Bicarbonas sodae und Extr. aloes aquosum , welche jedoch ebenfalls nicht vertragen
wurden. — Der Zustand bei der Entlassung war nicht beträchtlich verschieden von dem
bei der Aufnahme. — Nach drei Jahren, am 1. August 1850, wurde die Kranke, welche
nun nicht mehr allein gehen konnte, in die Anstalt zurückgebracht. Sie hatte in der
Zwischenzeit bloss mehrmal durch einige Wochen Oleum jeeoris aselli genommen, und
im letzten und vorletzten Frühjahre Egerer Salzquelle getrunken. Von Zeit zu Zeit,
namentlich wenn die Menstruation kommen sollte, war Verschlimmerung an den Augen;
und so allmälig gänzliche Erblindung, bis auf deutliche Lichtempfindung, eingetreten.
Zustand der Augen am 1. August 1850: die Bulbi etwas glotzend, die Sclera auffallend
bläulich, wie bei kleinen Kindern, die Ciliargefässe etwas erweitert und zahlreich, die
vordere Kammer sehr eng, die Iris lichtbraun, sammtartig aufgelockert, stark nach vorn
gewölbt, die Pupillen klein, winklig, unveränderlich, beiderseits sieht man hinter der sie
7*
100 Regenbogenhaut.
auskleidenden Pseudomembran die Linse getrübt, links wenig, rechts bedeutend; auf
der Membran in der rechten Pupille ein Knäuel feiner Gefässchen, welche vom Pu-
pillarrandc ausgehen. Die Kranke kann selbst mit dem linken Auge die Zahl der
Finger nicht mehr bestimmen. Ich unterwarf am 3. August das rechte Auge folgender
Operation: Die Kranke wurde zu Bette gebracht, die Hornhaut nach unten wie zur Ex-
tractio cataraetae geöffnet, jedoch nur 2/s des Umfanges, dann ein Häkchen oben am
Pupillarrande in die Pseudomembran und vordere Kapsel eingehakt; dem Zuge folgte
nicht nur die von der Iris sich lösende Pseudomembran, sondern gleichzeitig die ganze
Linse in der vordem und hintern Kapsel eingeschlossen, dann einige Tropfen klarer
Flüssigkeit, jedoch kein Glaskörper. Die Kranke erkannte die Finger. Wir fanden die
vordere Fläche der Kapsel mit einer dünnen, leicht abstreifbaren und von einigen Ge-
fässchen durchzogenen Exsudatmembran belegt ; auf der innern Fläche war die Kapsel,
mit Ausnahme eines gegen V" breiten Reifens an der Peripherie, durch Auflagerung
einer lichtgrauen, körnig faserigen, in Schichten ablösbaren , jedoch nicht völlig von Un-
trennbaren Masse verdickt; die Linse lichtgrau getrübt, nur in einzelnen Meridianen
weiss und durchsichtig, eher weicher als härter. Nach Abnahme des Verbandes zeigte
sich die untere Hälfte der Iris vorgefallen, die Cornealwunde klaffend. Allmälig erfolgte
Vernarbung, jedoch auch Verschli essung der Pupille und Verlust des Gesichtes. Nachdem
sich das Auge von der Verletzung völlig erholt, wurde am 12. October eine künstliche
Pupille durch Iridektomie nach aussen angelegt. Dieselbe wurde jedoch im Verlauf einiger
Wochen allmälig durch Exsudation bis auf eine kleine Stelle verschlossen, und das Seh-
vermögen erstreckte sich nur auf grössere und lichte Gegenstände. Am 15. November
wurde nun das linke Auge derselben Operation unterworfen , wie zuerst das rechte ;
nur wurde nach Eröffnung der Hornhaut die untere Partie der Iris vom Pupillarrande
aus hervorgezogen und ein Stückchen abgeschnitten, und durch diese Pupille dann die
Kapsel geöffnet und die Linse extrahirt. Allmälig wurde aber auch diese Öffnung durch
Exsudat gesperrt, und die obere Hälfte der Iris gegen die Hornhautnarbe herabgezerrt
und straff angespannt, das Sehen bis auf deutliche Lichtempfindung aufgehoben. Unter
diesen Umständen nahm ich, nachdem alle Reactionserscheinungen völlig verschwunden
waren, den 20. December an diesem Auge die Iridotomie vor. Ich führte ein Staarmesser
vom obern Rande der Cornea aus in die vordere Kammer, und stiess es so in die Iris
ein, dass ich die straff gespannten Radialfasern derselben quer, i. e. durch einen hori-
zontalen, etwa I'/ä'" langen Einstich trennte. Sogleich klaffte die Wunde auf etwa 3W"
und blieb fortan offen und schwarz, ohne dass im mindesten Entzündung nachfolgte.
Die Kranke hatte nun eine völlig centrale, etwas mehr als hirsekorngrossse Pupille, durch
welche sie mittelst einer Staarbrille (N. 3) fast ebenso gut sah, wie Staaroperirte. Am
2. Jäner 1851 ging sie nach Hause.
16. Ein "jähriges :Mädchen wurde am 14. März 1S50 von seinem Vater in die
Anstalt gebracht mit Iritis chronica oc. utr., Linkes Auge: Grösse und Resistenz des
Bulbus normal; dem M. rectus int. und inf. entsprechend die Ciliargefässe stark injicirt,
gegen die Hornhaut in einen (partiellen) Gefässraum übergehend ; die Hornhaut nor-
mal; die Iris auffallend stark vorwärts gerückt und gewölbt, fast an die Cornea an-
liegend, in ihrer Structur und Farbe durchaus abnorm und vollkommen unbeweglich;
der Pupillarrand etwas eingezogen und zackig, die mittlere Region der Iris lichtgrau
und sammetähnlich, die äussere Region bräunlich. Geringe Empfindlichkeit gegen stärkeres
Licht, kein Schmerz, bedeutende Trübung des Gesichtes, so dass z. B. die Zahl der vor-
gehaltenen Finger nur bis auf 10 Zoll Entfernung erkannt wird. Rechtes Auge: Der
Entzündung — Krankengeschichten. 101
Bulbus weicher und in der Gegend der Musculi recti eingedrückt, bereits viereckig-
werdend; die Sclera schmutzig gelblich; einzelne Ciliargefässe stark ausgedehnt. Die
Hornhaut leicht getrübt, an der Oberfläche glatt, in ihrer Wölbung allem Anscheine nach
unverändert. Die Pupille durch eine gelblichgraue Masse verlegt und verengert, erscheint
nach oben rückwärts gezogen, daher die Augenkammer nach dieser Richtung hin merk-
lich grösser; die äussere Zone der Iris dunkelbläulich (zwischen einzelnen gedehnten
Fasern schimmert eine dunkle Grundlage durch), die innere bräunlich und filzig. Keine
Schmerzen, keine Lichtempfindung. Andmnesis. Der Vater litt angeblich in seinem 20.
Lebensjahre an einer Halsentzündung, in Folge deren der Nasenrücken einsank und die
Stimme verändert wurde. Man findet an der hintern Wand des Pharynx eine tiefe Narbe
mit callösen Rändern , gegen welche das Zäpfchen hingezogen ist. Er leugnet jede
Infection, und lebt als Taglöhner in sehr kümmerlichen Verhältnissen. Das so eben auf-
genommene Mädchen hatte in frühern Jahren an Halsdrüsengeschwülsten gelitten, welche
in Eiterung übergingen und Narben hinterliessen. Vor einem Jahre bekam sie am
Scheitel eine Beule, welche ebenfalls aufbrach, und viel übelriechenden Eiter entleerte.
Das Augenleiden begann vor 9 Monaten ohne bekannte Veranlassung; über den Verlauf
konnten wir nichts Verlässliches erfahren ; die Erblindung erfolgte allmälig. Das Kind
sah sonst ziemlich gut aus, war jedoch mager und von schlaffer Muskulatur. Der Nasen-
rücken war sehr flach, doch nicht eingedrückt. Keine Zeichen von Ozaena. Diagnosis.
Chronische Iritis, zu welcher rechts bereits Atrophia bulbi (Chorioiditis?) hinzugetreten
ist. Das Augenleiden ist wohl Folge (Theilerscheinung) des Allgemeinleidens ; ob here-
ditäre Syphilis im Spiele sei, lässt sich nicht bestimmen. Behandlung. Durch die Aufnahme
der Kranken in die Anstalt war den wichtigsten Anzeigen entsprochen ; wir verabreichten
ihr gute Kost und Hessen sie viel im Freien herumgehen. Von Arzneien wurde bloss
Oleum jeeoris aselli ordinirt. Am 25. März erkrankte das Mädchen an einem heftigen
Bronchialkatarrh, wodurch diese Behandlung für einige Zeit unterbrochen wurde. Ende
April hatte sich das Aussehen der Kranken merklich gebessert, auch das Sehvermögen
(des linken Auges) schien minder schwach zu sein, und die Gefässinjection war geringer.
Von Mitte Mai an , wo das Oleum jeeoris nicht mehr vertragen wurde , bis Ende Juni
beschränkten wir uns bloss auf die diätetische Behandlung. Anfangs Juli war nicht nur
das Aussehen der Kranken ein auffallend besseres, sondern es hatten sich auch an dem
linken Auge alle entzündlichen Zufälle verloren, und die Kranke unterschied jetzt selbst
kleinere Gegenstände, einen kleinen Schlüssel, eine Schreibfeder, einen Bleistift u. dgl.
Die enge und winklige Pupille war durch eine dünne Exsudatschichte verlegt. Durch
Anlegung einer künstlichen Pupille (Iridektomie) Ende Juli wurde das Gesicht nicht ver-
bessert, offenbar weil in der Chorioidea und Netzhaut bereits Veränderungen erfolgt, das
Sehen nicht bloss mechanisch von Seite der Iris behindert war. Ende August mussten
wir die Kleine entlassen.
Gegenwärtig (1S52) befinden sich ein lOj ähriges Mädchen und ein 11 jähriger Knabe in
der Ansalt, bei welchen das Augenleiden als chronische Keratoiritis (beider Augen) ver-
läuft, das Allgemeinleiden und der Habitus die grösste Ähnlichkeit mit dem im vorhergehenden
Falle zeigen, und constitutionelle Syphilis der Eltern (der Väter) vor der Zeugung nach-
gewiesen ist. Bei dem Mädchen ist nach 3wöchentl. Gebrauche von Jodkalium (täglich
1—2 Scrupel) so auffallende Besserung eingetreten, dass wir gänzliche Heilung erwarten
dürfen. Vielleicht werden zahlreichere Beobachtungen mit der Zeit Aufschluss geben, ob
und welchen Einfluss constitutionelle Syphilis der Eltern auf die Augen der Kinder
nehme.
102 Regenbogenhaut.
17. K. J. 19 Jahre alt, Findling, seit einigen Jahren als Pferdeknecht dienend, und
körperlich sowohl als geistig verwahrlost, von starkem Körperbau und eigentümlich auf-
gedunsenem Aussehen, die Wangen bläulichroth, Oberlippe und Nasenflügel wulstig, Na-
senrücken flach, die Ohrmuscheln und Extremitäten blauroth und. fast beständig kalt und
schwitzend, in seinen Bewegungen und im Sprechen auffallend trag, kam im October
IS 49 in die Anstalt. Er wusste von dem Vorangegangenen nichts mitzutheilen, als dass
er einmal längere Zeit an Ohrenfluss gelitten und im letzten Frühjahre an dem linken,
dann auch an dem rechten Auge erkrankt war , mit Abnahme des Sehvermögens , wozu
sich Röthe der Bulbi, Lichtscheu, Thränenfluss und Brennen der Augen hinzugesellt hatten
Er verrichtete seine Arbeit bis vor 4 Wochen, wo die Störung des Gesichtes durch diese
Zufälle plötzlich so arg wurde, dass er kaum mehr vom Felde nach Hause traf. — Massige
Lichtscheu, häufiger Thränenfluss, intensive Röthe um die Hornhäute, brennende Schmerzen
in den Augen ; die Hornhäute rein, die Kammern enger, die Iris beiderseits verfärbt, grau-
braun, deutlich aufgelockert und geschwellt, in der innern Zone links mit zwei, rechts
mit einem lichtgelben, fast hanfkorngrossen, an der Peripherie und Oberfläche von feinen
Gefässchen durchzogenen Exsudatknoten versehen, wie wir sie sonst nur bei Iritis in
Folge von Syphilis gesehen hatten; in den massig verengerten Pupillen bereits membran-
artig ausgespanntes Exsudat. Nirgends eine Spur von Syphilis, keine Knochenschmerzen,
keine nächtliche Verschlimmerung. — Der Kranke wurde bis Ende September 1850 nach
verschiedenen Methoden behandelt, welche jedoch nur vorübergehende Besserung, keine
bleibende Heilung bewirkten. Die knotigen Exsudate in der Iritis wurden allmälig auf-
gesogen. Bei den nachfolgenden zeitweiligen Verschlimmerungen kam es wiederholt zur
Bildung punktförmiger Trübungen der hintern Cornealwand, einige Male auch zur Ansamm-
lung faserstoffigen Exsudates zu unterst der vordem Kammer, später zum Auftreten er-
weiterter Gefässe in der verfärbten und in ihrer Faserung mehr und mehr veränderten Iris,
so wie auch zu Blutaustretung in den Humor aqueus, endlich zu Verklebung der Iris mit
der Cornea von der Peripherie her (besonders unten) und zu Fixirung des Pupülarrandes
und Rückwärtsziehung gegen die Kapsel. Die vorderste Partie der Sclera wurde dunkel-
blauroth, dann schiefergrau, endlich auch an zwei Stellen hügelig vorgetrieben. — Als der
Kranke unserer Aufforderung entsprechend Ende März 1851 behufs der Pupillenbildung
in die Anstalt zurück kam, fanden wir folgende Veränderungen. Die Ciliargefässe bei-
derseits stark injicirt und erweitert, links einen schwachen Gefässsaum um die Cornea
bildend. Die rechte Iris beinahe an die Cornea anliegend imd an zwei Stellen (nach unten
und nach innen) durch eine graue Exsudatschichte mit der Cornea verwachsen, die enge,
durch eine halbdurchsichtige Exsudatlage verlegte und von einem bräunlichen Ringe
umgebene Pupille lag tiefer , als der mittlere Theil der Iris ; das Sehvermögen bis axif
Lichtompfindung erloschen, die Sclera schmutzig weiss, rings um die Cornea (auf V"
breit) schiefergrau, nirgends vorgetrieben. Mit dem linken Auge, das auf ähnliche Weise,
jedoch in minder hohem Grade verändert war, erkannte der Kranke noch die vorgehaltenen
Finger, die Farbe der Kleider u. dgl. Der wiederholte Versuch, ein Pupille durch Iridek-
tomie anzulegen, hatte keinen Erfolg, wegen nachfolgenden Blutaustrittes in die vordere
Kammer und Verschliessung durch Exsudat. Der Kranke wurde den 22. Mai 1851 ungeheilt
(rechts total erblindet, links sehr wenig sehend) entlassen. — Dieser Fall bot in der
ersten Zeit grosse Ähnlichkeit mit einer durch Syphilis bedingten Iritis dar; im weitern
Verlaufe gestalteten sich die Veränderungen so, wie bei Iritis scrofulosa; es konnte
indess weder das eine noch das andere Allgemeinleiden mit Gewissheit als ätiologisches
Moment angenommen werden , da weder die Erscheinungen am Auge bestimmt für das
Entzündung — Krankengeschichten. 103
eine oder das andere sprachen, noch auch anderweitig die Constatirung eines bestimmten
A'.lgemeinleidens möglich war. Vielleicht, dass analoge Fälle uns nähern Aufschluss geben
werden.
IS. Eine Dienstmagd von 42 Jahren, in Folge von Rhachitis einen auffallend grossen
Kopf mit Glotzaugen darbietend, in ihrer Kindheit von verschiedenen scrofulösen Affectionen
geplagt, vom 2-1. bis zum 39. Jahre regelmässig menstruirt, seit mehreren Jahren an stechen d-
r lassenden Kopfschmerzen leidend — angeblich in Folge von Zugluft, der sie als "Wä-
scherin häufig ausgesetzt ist — erkrankte im Jahre 1S3S zuerst an dem rechten, einige
"Wochen später auch an dem linken Auge ohne besondere äussere Veranlassung, nachdem
einige Monate vorher die Menstruation, gleichfalls ohne bekannte Ursache ausgeblieben war.
Das Augenleiden begann mit lästigem Drücken, Jucken und Brennen, und mit anhaltend
umnebeltem Sehen, angeblich ohne Röthe der Lider oder des "Weissen im Auge. Sie war
desshalb im Jahre 1S3S auf der Klinik an Uveitis mit Einreibungen von Ung. cinereum
an die Stirn und Schläfe, Einträuflungen von Extr. belladonnae, und innerlich mit Calomel
behandelt, und auf ihr Verlangen (in gebessertem Zustande) nach 4 Wochen entlassen
worden. Sie hatte, da ausser leichter Trübung des Gesichtes keine lästigen Zufälle
2urückgeblieben waren, ihr Geschäft als Wäscherin fortgeführt, bis sie im Frühlinge
iv4! nach einer Verkühlung wieder von heftigen Schmerzen in der Stirn und im Scheitel
und von starker Trübung des Gesichtes befallen wurde. "Wir fanden damals die Augen
glotzend, die Sclera schmutzig, die Ciliargefässe stärker injicirt, die (von Natur licht-
braune i Iris mattgrau, im kleinen Kreise röthlichbraun, fast unbeweglich, den Pupillarrand
zackig, mit bräunlichen Franzen besetzt, welche gleichsam von der hintern Fläche der
Iris her vorgeschoben sind, die Pupille eng, die rechte vier-, die linke vieleckig; der
linken Pupille gegenüber zeigt die Cornea eine leichte halbdurchsichtige (wahrscheinlich
ans den Kinderjahren nach Conjunctivitis scrofulosa zurückgebliebene) Trübung. Die Kranke
sieht wie durch dichten Nebel; es scheinen ihr schwarze Fäden über die Augen ge-
zogen zu sein. Wir Hessen Ung. cinereum mit Extr. belladonnae an die Stirn und Schläfe
einreiben, und verabreichten ihr, da habituelle Stuhlverstopfung vorhanden war, Deeoctum
L-raminis et taraxaci mit Kali tartaricum und Syr. eich. c. rheo, nebstdem täglich 3mal
Pulver aus ' 2 Gran Calomel, '/< Gran Opium und l/e Gran Extr. belladonnae. Nach vier
"Wochen wurde statt des Ung. cinereum eine Jodkaliumsalbe an die Umgebung der Augen
eingerieben, und bloss die Mixtur angewendet. In der 9. Woche wurde die Kranke als
nahezu geheilt entlassen, da sie in der gewöhnlichen Sehweite ohne Anstand lesen konnte.
Die Trübung der linken Hornhaut war fast verschwunden, die Iris minder verfärbt und
viel freier beweglich. Die Heilung war jedoch nur eine temporäre. Bis zum Jahre 1850
war die Kranke beiderseits vollständig und unheilbar (durch Hinzutritt von Chorioiditis)
erblindet. Es war nicht möglich gewesen, die Kranke in bessere Lebensverhältnisse zu
versetzen. Von Zeit zu Zeit kamen gleichsam frische Nachschübe von Exsudation. Weder
die Wiederholung der frühern Behandlung, noch der Gebrauch von Mineralwässern —
Egerer Salzquelle, Marienbader Kreuzbrunnen — von Pillen aus Soda, Sapo , Rheum
und Aloe, und einigen anderen Mitteln sicherten die Kranke im Verlaufe dieser Jahre vor
stufenweiser Abnahme des Sehvermögens. — Ich kenne viele analoge Fälle, wo durch
eine ähnliche Behandlung Heilung oder Besserung erzielt wurde. Die Fälle gänzlicher und
bleibender Heilung würden sich jedoch wahrscheinlich auf eine geringe Zahl beschränken,
wenn man öfter Gelegenheit hätte, solche Individuen durch eine längere Reihe von Jahren
zu. beobachten.
104 Regenbogenhaut.
II. Abnormitäten in der Lage, Farbe und Faserung
der Iris.
a. Wenn die Lageveränderung der Iris nicht durch Entzündung*
derselben bedingt ist, so ist der Grund davon jederzeit in Verhältnis-
sen ausserhalb der Iris zu suchen.
Die Lage der Iris (relativ zur Cornea) steht zunächst mit dem Alter
des Individuums und mit dem Refractionszuslande des Auges im Ein-
klänge. Die Iris erscheint bei Neugeborenen wegen stärkerer Wölbung
der Linse weit nach vorn gerückt und vorgewölbt, und nimmt in der
Kegel im höhern Alter wegen Ahnahme des Humor aqueus wieder eine
ähnliche Lage ein. Diesem Zustande entspricht ein relativ kleiner
Durchmesser (Engheit) der Pupille. Am grössten ist die vordere Kam-
mer im Kindes- und Jünglingsalter, und dabei die Pupille relativ weit.
Bei Kurzsichtigen liegt die Iris mehr in einer Ebene und tiefer
hinter der Basis corneae, bei Weitsichtigen erscheint sie nicht nur mehr
gewölbt, sondern auch mit ihrem peripherischen Theile weiter vorwärts
gelagert.
Bei Mangel der Linse, wie namentlich nach Staaroperationen , bei
Verschrumpfung des Linsensystemes (Catar. membranacea, aridosiliquata)
und bei spontaner Senkung der Linse im Glaskörper liegt die Iris tiefer
hinter der Cornea als sonst.
Vorwärts gedrückt erscheint die Iris sammt der Linse sehr häufig-
nach Chorioiditis, wenn es zu reichlicher Exsudation zwischen Retina
und Chorioidea gekommen ist; vorwärts gezerrt, partiell oder total,
finden wir sie nach Hornhautdurchbrüchen.
Rückwärts gezogen erscheint sie bei Schwund des Glaskörpers und
bei Fehlen der Linse, sobald der Pupillarrand an die Kapsel fixirt ist.
An der Peripherie vorwärts gezogen, mit dem Pupillarrande hingegen
rückwärts fixirt finden wir die Iris in Folge chronischer Iritis oder
Iridochorioiditis.
b. Bei den Bewegungen des Bulbus bleibt die Lage der Iris un-
verändert. Leicht erzitternde, wellenförmige oder schlotternde Bewe-
gungen (von vorn nach hinten und umgekehrt) beobachtet man bei Ver-
grösserung der vordem Kammer durch abnorme Wölbung der Cornea,,
bei Mangel oder Verschrumpfung der Linse (falls nicht hintere Synechien
sie fixiren), bei Verflüssigung des Glaskörpers und Lockerung der Ver-
bindung zwischen Linsenkapsel und Ciliarkörper (Synchysis corporis-
Abnorme Lage — Schlottern — Atrophie. 105
vitrei, spontane Senkung der Linse, Luxatio lentis, Cataracta natatilis
et tremula). Von Amnion hat diesen Zustand Irdidoonem genannt.
c. Matte Färbung (lichte Nuancen und geringen Glanz) rindet
man oft an Augen, welche von Natur aus mit geringer Energie der
Sehkraft begabt sind, gleichzeitig mit Kleinheit der vordem Kammer.
Der eigentümlichen Färbung bei Kakerlaken, so wie der angeborenen
Flecken und einseitigen Farbenverschiedenheit der Iris wurde bereits
S. 27 erwähnt. Einzelne dunkle Flecke rinden sich oft nach congesti-
ven oder entzündlichen Zuständen in der Iris.
d. Hypertrophie des Irisgewebes dürfte sich ohne deutlich ausge-
sprochene Entzündungszufalle in der Iris nie entwickeln, und selbst
nach sogenannter parenchymatöser Iritis niemals lange erhalten. Was
von Amnion Iridauxesis genannt hat, ist unseres Erachtens nicht durch
Hypertrophie der Iris bedingt, im Gegentheile mit Rareficirung des Iris-
gewebes gepaart. (Vergl. S. 46.)
Atrophie des Irisgewebes kommt partiell vor, nach partieller ent-
zündlicher Infiltration der Iris, besonders am Pupillarrande, und partiell
oder total nach Chorioiditis oder Iridochorioiditis. Wo Chorioiditis vor-
ausgegangen ist, da wird die unbewegliche Iris theilweise oder durch-
aus auf einen schmalen Saum reducirt, ihres Glanzes und Faserbaues
beraubt, schiefer- oder bleigrau. Diese Art von Atrophie der Iris be-
ruht auf Veränderungen der Chorioidea, von denen bei der Lehre über
die Chorioiditis die Rede sein wird. Atrophirung des Irisgewebes fin-
det man auch, wenn die Iris durch enge Papillensperre und Vorwärts-
drängung der Linse, noch häufiger aber, wenn sie durch partielle Ver-
wachsung mit der Hornhaut (besonders nach einem grösseren Prolapsus
iridis) stark nach einer Richtung hin angespannt und gezerrt wird. Die
einzelnen Fasern (Radialfasern) werden rareficirt, weichen auseinander,
lassen dunkle Gruben (durchscheinende Uvea) oder förmliche Lücken
zwischen sich, und reissen wohl auch quer durch oder vom Ciliarbande
los — Dehiscenz der Iris, spontane Pupillenbildung durch Iridodialysis.
Diese Art von Atrophie kommt auch dann vor, wenn der peripherische
Theil der Iris an die Cornea, der Pupillarrand an die Kapsel ange-
löthet, und die mittlere Zone durch Exsudat zwischen Iris und Kapsel
vorwärts gedrängt ist. — Wenn bei Pupillensperre durch Exsudat in
der Pupille oder durch Einheilung einer mehr weniger grossen Irispor-
tion in eine Homhautnarbe die Farbe der Iris wie vergilbt aussieht,
und die Faserung gleichsam verwischt erscheint, so hat man Grund,
Veränderungen des Glaskörpers, der Netzhaut und der Chorioidea an-
zunehmen, welche die Wiederherstellung des Sehvermögens durch An-
106 R egenbogenhaut.
legung einer künstlichen Pupille mehr weniger vereiteln, trotzdem, dass
yon solchen Augen vielleicht noch deutlich Licht und Schatten unter-
schieden wird. Das Gewebe der Iris erweist sich dann bei der Opera-
tion gleichsam morsch, leicht zerreisslich, und Blutaustritt in die Augen-
kammer erfolgt entweder sogleich nach der Operation, oder erst einige
Tage nachher. Die Unterscheidung, ob die Atrophirung der Iris in einem
speciellen Falle bloss durch Zerrung oder zugleich durch gestörte Er-
nährung von Seite der Chorioidea bedingt sei, ist demnach eben so
wichtig als schwierig, und setzt nebst umsichtiger Auffassung des Sta-
tus praesens auch genaue Erhebung des bisherigen Verlaufes und der
ätiologischen Momente voraus. Bei der Auffassung des Befundes muss
vorzüglich die Consistenz des Bulbus jederzeit genau geprüft werden;
bei Erhebung der Ananmesis ist besonders darauf Rücksicht zu nehmen,
ob nicht Zufälle von Chorioiditis oder Retinitis, namentlich feurige Er-
scheinungen vorausgegangen seien.
III. Aftergebilde in der Iris.
Melanotische und medulläre Ablagerungen gehen, nach den bisher
bekannt gewordenen Beobachtungen zu schliessen, wohl höchst selten
von der Iris aus, obwohl sie den Augapfel im Ganzen ziemlich häufig
befallen. Diese Membran wird fast immer erst dann ergriffen, wenn
bereits andere Gebilde, namentlich die Netz- und Aderhaut schon in
grossem Umfange infiltrirt und destruirt sind.
Ein von Prof. Stöber in Strassburg beobachteter Fall von Melanosis iridis scheint
Tins zur Orientirung in ähnlichen Fällen besonders geeignet, wesshalb wir ihn aus Ammon's
Monatschrift I. B. S. 70 entlehnen.
„North, ein Bäcker, 62 Jahre alt, wurde im Laufe des Decembers 1830 von einer
Entzündung des rechten Auges befallen, welche nach Verlauf einiger Tage ohne deut-
liche Ursache aufs linke Auge sich übertrug, auf welchem ein Fleckchen erschien. Die
Entzündung zertheilte sich fast vollständig ohne Heilmittel, da aber der Flecken zurück-
blieb, so wandte sich der Kranke den 27. December 1830 an Herrn Dr. Stöber.
Er war von starker Constitution und guter Gesundheit, obgleich er sich ziem-
lich schlecht nährte. Das rechte Auge war wieder hergestellt, aber die Conjunctiva des
linken Auges war noch leicht entzündet, die Cornea normal; die Iris braun, wie die des
andern Auges, war an ihrem untern Drittheil durch eine schwarzbraune Geschwulst, welche
Ähnlichkeit mit geronnenem Blut hatte, bedeckt. Die Basis dieser Hervorragung ruhte
auf dem Grunde der vordem Augenkammer; ihr oberer convexer Rand war gegen die
Pupille gerichtet, und war von derselben durch eine Falte der durch die Hervorragung
vorgedrängten Iris getrennt.- Diese Falte bildete eine gerade Linie, welche das untere
Drittheil der Pupille abschnitt, welche in den zwei übrigen obern Drittheilen keineswegs
entartet war. Die Iris war fast unbeweglich. Betrachtete man das Auge im Profile, so
Aftergebilde — Melanosis. 107
sah man den untern Theil der vordem Augenkammer durch eine fremde Masse ausgefüllt.
Die Cornea war nicht verändert.
Der Kranke unterschied mit diesem Auge die Umrisse und Farben der Gegenstände,
sie schienen ihm aber mit einem Nebel bedeckt; auf dem andern Auge war das Gesicht
sehr gut.
North hatte in dem kranken Auge nur ein Gefühl von Yollsein, das bei dem Drücken
■des Augapfels, dessen Consistenz normal war, sich vermehrte. Seit einigen Tagen hatten
sich wenig heftige Schmerzen über der Augenhöhle gezeigt.
Im Zweifel über die wahre Natur dieser Afterbildung und in der Absicht, die
Aufsaugung derselben wo möglich zu befördern, unterwar-f man den Kranken einer sowohl
innern als äusseren Mercurialbehandlung. Die Schmerzen über der Orbita verschwanden
zwar, auf die Bildung selbst aber blieb die Behandlung ohne Erfolg, wesshalb man sie
verliess. Man wandte Schröpfköpfe an, ohne Besserung zu verspüren.
Den 25. Januar 1S31 hatte die Hervorragung ein wenig zugenommen; das Allge-
meinbefinden des Kranken war fortwährend befriedigend. Da man die Geschwulst nicht
für eine bösartige hielt, und in Rücksicht auf die Unwirksamkeit der Heilmittel, war man
der Meinung, die Krankheit sich selbst zu überlassen. Der Umfang der Erhabenheit nahm
nach und nach zu ; und zugleich verminderte sich die Grösse der Pupille. Im August
nahm die Excrescenz die ganze vordere Augenkammer ein. Die Pupille war durch die-
selbe ausgefüllt, und von dem obern und dem Ciliarrande der Iris sah man nur noch
einen kleinen Streif. Das Gesicht war auf diesem Auge vollkommen verloren , aber der
Kranke empfand keinen Schmerz in demselben und genoss im Übrigen einer ziemlich
guten Gesundheit.
Im April 1832 wurde Patient von einer leichten Ophthalmie befallen; sein Auge
•war schmerzhaft und thränte, die Augenlider waren angeschwollen, und die Conjunctiva
injicirt. Die Afterbüdung schien mehr ab- als zugenommen zu haben, auch war sie
nicht mehr so umschrieben. — Man sah an dem obern Theile der vordem Kammer eine
durch einen schwarzen Streif, der von dem Tumor ausging, abgetheilte Portion der Iris;
die Cornea war weniger hell als früher, daher die Untersuchung des krankhaften Productes
schwieriger. Im Laufe des Januars 1833 wurde North von Neuem von einer Augen-
entzündung rheumatischer Natur befallen. Sie ergriff die Hornhaut und trübte sie ein
wenig; doch zeigte der obere Theil der Iris, der allein noch sichtbar war, nur wenig
Änderung in seiner natürlichen Farbe ; das Yolumen des Fungus war dasselbe. Die
Phlyctaena verursachte eine Hornhautpustel.
Im April fühlte der Kranke in seinem Auge sehr lebhafte Schmerzen, welche ihn
zwangen , sich ins Bett zu legen , aber bald nachliessen. Die Conjunctiva war in dieser
Zeit leicht injicirt, und das Geschwür der Cornea hatte sich ein wenig vergrössert; die
Hornhaut selbst sprang da, wo sich das Geschwür befand, als wenn sie dort hätte zer-
reissen oder ein kegelförmiges Staphylom bilden wollen, ein wenig vor.
Die vordere Augenkammer befand sich noch in demselben Zustande. Man unter-
schied den obern Theil der Iris und der Pupille, während die untere Partie dieses Raumes
immer mit einer schwärzlichen Substanz von unbestimmten Grenzen ausgefüllt war. Die
Iri~ war vorgetrieben, und die Krystalllinse von schwarzgrauer Farbe schien den obern
Theil der Pupille einzunehmen und die ebengenannte Membran vorzudrängen. Wenn man
das untere Augenlid stark herabzog, so bemerkte man eine schwarze gelappte Erhaben-
heit , von der Grösse einer Erbse , gerade da , vro die Bindehaut vom unteren Augenlid
108 Regenbogenhaut.
zum Augapfel übergeht; man konnte sich nicht überzeugen, ob dieses kleine Froduct
mit dem im Innern des Auges in Verbindung stand.
Das Geschwür der Cornea vernarbte bald. Die schwarze Excrescenz der Sclerotica
nahm an Umfang zu, und im Zeitraum eines Monats war sie von der Cornea nur durch
ein weisse?, sehr schmales Bändchen getrennt.
Jetzt nach einem Zeiträume von zwei Jahren bietet die "Wucherung nicht viel
Veränderung dar.
Die schwarze Farbe nimmt die ganze vordere Augenkammer ein, ausgenommen
ein kleiner Theil, wo man die Iris sieht; die Färbung der Sclerotica erstreckt sich von
dem untern Rande der Cornea bis zum untern Augenlid, das soweit als möglich herunter-
gelassen ist; sie ist grösser als der Durchmesser der Hornhaut, und scheint sich auch
noch über den dem Auge unzugänglichen Theil des Augapfels zu erstrecken.
Eine leichte Herabdrückung und ein kleiner weisslicher Strich zeigen den Abgren-
zungspunkt zwischen der Cornea und der Excrescenz der Sclerotica. Die letztere ist
ein wenig höckerig. Die Hornhaut bildet an ihrem untern Theile einen kleinen gräulichen
Vorsprung, in ihrem Mittelpunkte bemerkt man eine schwarze Stelle, wo früher das Ge-
schwür bestand. Der Augapfel scheint nun sehr wenig an Volumen zu haben."
Der Kranke ist seitdem ohne Schmerzen geblieben, und sein Allgemeinbefinden ist
ziemlich befriedigend. — Im 6. Hefte derselben Zeitschrift schrieb Prof. Stöber an den
Redacteur Dr. von Amnion (S. 659) : „Bei meinem Kranken ist die Melanose äusserlich
stationär geblieben, hat sich aber auf das Gehirn ausgedehnt; der Kranke starb an den
Symptomen einer chronischen Encephalitis; die Section wurde leider verweigert."
Minder selten scheint die Bildung von Cysten in der Iris. Ich habe
zwei Fälle beobachtet, wovon den ersteren bereits Prof. Fischer (Lehr-
buch, 1 846. S. II ) veröffentlicht hat.
H. A. 18 Jahre alt, Binderstochter, von gesundem Aussehen, eher schwacher, als
starker Constitution, lebte in einer, besonders im Winter feuchten Wohnung, und litt in
ihrer Kindheit an einer Augenentzündung, wahrscheinlich scrofulöser Natur, da sich später
auch Drüsenanschwellungen am Halse zeigten. Von jener Entzündung blieb eine leichte
Trübung des Sehvermögens am rechten Auge zurück, beding* durch eine noch jetzt
wahrnehmbare Macula in der Mitte der rechten Hornhaut. Nebstdem sieht man in der
vordem Augenkammer des r. A. gegen den äussern Winkel hin eine fast linsengrosse,
aber mehr ovale, perlgraue Blase, wenigstens muss man es nach der rundlichen Gestalt
und dem durchscheinenden Inhalte dafür ansehen. Diese Blase beginnt unmittelbar vor
der Verbindungsstelle der Cornea, Sclera und Iris, und scheint mit der Cornea in ge-
nauester Verbindung zu stehen; vielleicht bilden die Descemctsche Haut und das Epithelium
der Iris constituirende Theile der Blase, denn man kann bei aüseitiger Betrachtung
durchaus keinen Zwischenraum, keine Zwischenlage, kein Bindungsmittel entdecken.
Die Hornhaut ist an dieser Stelle rein, von der Mitte der Berühruugsstelle mit der Blase
gegen den äussern Rand hin leicht getrübt, stark durchscheinend; über diese getrübte Stelle
laufen äusserst feine Gefässchen, wie es scheint, von der Conjunctiva aus, auf '/:>'" weit
vom Bande gegen die Mitte der Cornea. Die innere Wand der Blase wendet sich ge-
wölbt zum Pupillarrande nach hinten, so dass dieselbe weiter gegen die Augenachse
vorragt, als der Pupillarrand ; ebenso sind die obere und iintere Wand gewölbt, so dass
also die Basis, wo die Blase mit der Iris zusammenhängt oder vielmehr in dieselbe über-
zugehen scheint, leicht eingeschnürt erscheint, somit nicht etwa eine allroälige Abdachung
Aftergebilde — Cysten. 109
gegen die vordere Fläche der Iris stattfindet. Der der Iris zunächst liegende Theil
erscheint als bräunlichgelblieher Saum, so dass diese Färbung nächst der Iris am inten-
sivsten ist, nach vorne sich allmälig verliert. Diese Färbung erscheint auch gegen die
Pupille hin, wo man vom Rande der Iris nichts mehr sieht. Auch bei stark erweiterter
Pupille (durch Belladonna) war man nicht im Stande , eine Ausbauchung der Iris oder
der Blase nach hinten zu bemerken. Auf dem am meisten gewölbten Theile der Blase,
also von jener getrübten Hornhautstellc an bis nahe gegen den Pupillarrand , sieht man
von oben nach unten 6 weisse, stark markirte, im Zickzack angeordnete Streifchen, eine
halbe Linie lang, ohne dass man ihre Fortsetzungen nach aussen durch jene Trübung,
oder nach innen bis zum Pupillarrande zu verfolgen im Stande ist, selbst nicht mit be-
waffnetem Auge. Der Inhalt der Blase ist klar wie Eiweiss, und doch nicht vollkommen
durchsichtig, so dass man am Grunde, welcher schmutzig stahlgrau erscheint, nichts deut-
lich wahrnehmen kann. Mitten in der Blase sieht man einen Punkt, wie ein Kleesamen-
korn. von der Farbe der Iris (braun), welchen wir, als die Kranke aus einem dunkeln
in ein helles Zimmer gebracht, lind das Auge unmittelbar dem Sonnenlichte aus-
gesetzt wurde , bei ganz ruhigem Auge zu wiederholten Malen spontan auf- und ab-
steigen sahen, und zwar nicht senkrecht, sondern in einer krummen oder schrägen
Linie. Ahnliche doch viel raschere Bewegungen erfolgten jedesmal, wenn wir den Strom
eines magnetoelektrisehen Apparates durch die beiden Augenlider und den Bulbus leiteten.
"Wir stellten diese Versuche sehr häufig an. — Wann sich diese belebte Cyste in der
vordem Kammer gebildet habe, weiss die Patientin nicht anzugeben. Zum ersten Male
bemerkte sie vor 5 Jahren im Spiegel einen fadenähnlichen, über 2'" langen weisslichen
Körper, nach ihrem Ausdrucke nächst der Grenze zwischen dem Weissen und Braunen
im Auge. Der Streifen verlief im Bereiche des letzteren , schief von aussen und oben
nach innen und unten, Bewegungen desselben nahm sie keine wahr ; bezüglich des Wachs-
thumes sagte sie bloss, dass das Übel vor zwei Jahren noch kleiner gewesen, als voriges
Jahr, und damals kleiner als heuer, vor 8 Wochen jedoch habe es rasch gegen die Pu-
pille hin zugenommen, sei zugleich mehr rund geworden, und habe das Gesicht nach
aussen so beschränkt, dass sie fürchte, das Sehvermögen ganz zu verlieren. Den 17.
Xovember 1S41 wurde iu Gegenwart des Prof. Hyrtl, welcher den Körper mikroskopisch
untersuchen wollte, mit einem Lanzenmesser l/-z'" weit vom äussern Rande der Cornea
und mit diesem parallel ein Einstich in die letztere gemacht , so dass die innere Wand
der Blase unversehrt blieb. Indem sich ihr Inhalt entleerte, stülpte sich die innere Wand
durch die Wunde nach aussen um, und wurde mit einer Scheere abgetragen. Vergebens
hatte man gesucht, jenes braunen Punktes habhaft zu werden; er war beim Austreten des
Inhalts der Blase verloren gegangen. Am Balge selbst sahen wir deutlich jene graulich weissen
Streifen als unvollständige Scheidewände oder als Vorsprünge der Wandung in die Höhle.
Die Vernarbung erfolgte in wenigen Tagen, und abgesehen von der Verwachsung der
Iris mit der Cornea nach aussen , war die Form und Function des Auges ganz normal.
Ein Kaufmann von 45 Jahren hatte in der Jugend die Blattern gehabt, und dadurch
einen hirsekorngrossen Clavus an der rechten Hornhaut (nach unten und aussen) mit
etwas schwächerem Sehvermögen behalten. Als er sich im April 1846 wegen allmäliger
Erblindung dieses Auges an mich wandte , fand ich folgenden Zustand : In der vordem
Kammer, jedoch zum Theil in der Iris sitzend und daher auch hinter die Iris zurückragend,
eine etwa erbsengrosse gelblichgraue, halbdurchsiehtige Cyste. Sie erstreckt sich von
der nach unten und aussen ganz an der Peripherie gelegenen Hornhautnarbe nach oben
bis über die Mitte der Pupille hinauf, und nimmt ohngefähr ' z der vordem Augenkammer
110 Regenbogenhaut.
und der Iris ein. Ihre vordere Wand ist gelblichgrau, stark durchscheinend, gleichmässig,
ohne Streifen oder Punkte, und liegt an der Cornea an; ihre hintere Wand erscheint,
wenn man durch die Pupille von oben herabsieht, mit Pigment bedeckt, bräunlich und
liegt weiter rückwärts, als die unversehrten zwei Drittel der Iris. Die Grenze zwischen
der normalen Iris und der gleichsam aus einer Partie der Iris herausgewachsenen Cyste
ist durch einen weissgrauen Reifen angedeutet. Der Inhalt der Blase scheint wasserklar
zu sein. Die Pupille besteht nur noch als schmale Spalte oberhalb der Cyste ; etwa */%"'
hinter dem Pupillarrande sieht man die von der Cyste rückwärts gedrängte und verdun-
kelte Linse, deutlicher nach Erweiterung durch Belladonna. — Der Kranke sieht, diesen.
Verhältnissen entsprechend, ohngefähr so wie ein Cataractöser. Ausserdem ist am Bulbus
nichts Abnormes wahrzunehmen, weder Röthe, noch Lichtscheu, nur ein Gefühl von
Spannung. — Vor '/2 Jahre hatte der Mann mit diesem Auge noch so gut gesehen, wie
von Jugend auf; durch allmälige Abnahme des Gesichtes war er auf die Gegenwart der
Blase aufmerksam geworden, welche damals etwa die Grösse eines Hanfkornes gehabt
hatte. Das Wachsthum der Cyste und die Trübung des Gesichtes hatten allmälich zuge-
nommen. — Ich machte wie in dem Vorhergehenden Falle einen Einstich an der Peri-
pherie der Cornea, und zwar von der Narbe aus, so dass das Messer in das Cavum der
Blase eindrang. Der klare wässrige Inhalt floss aus, der Sack stülpte sich nicht um; er
wurde mit einer Pincette vorgezogen und sodann abgeschnitten. Nach der Operation
zeigte sich, dass die Iris an dieser Stelle fehlte, offenbar weil sich die Cyste auf Kosten
des Parenchyms der Iris entwickelt hatte. Der Kranke bekam gleich nach der Operation
heftige Schmerzen und Zuckungen am ganzen Körper ; man durfte selbst die Wange nicht
berühren ohne diese Zufälle neuerdings zu erregen. Kalte Umschläge, Bitterwasser, Buhe
im Bett. Nach 3 Tagen war die Wunde vernarbt. Das Auge blieb noch mehrere Tage
etwas geröthet, lichtscheu und stark thränend; der Kopfschmerz hatte sich schon den
1. Tag verloren, ebenso die Zuckungen. Nach 14 Tagen ging der Kranke nach Hause,
mit Coloboma Iridis (Vergrösserung der Pupille nach unten und aussen) und mit Cataracta
lenticularis. Ein Jahr später hatte sich der Zustand nicht geändert, die Cyste war
bleibend beseitigt.
Zwei Fälle von Cysticercus cellulosae in der vordem Augenkammer hat Chelius in
sein Handbuch *) aufgenommen. Da mir keine ähnliche Beobachtung zu Gebote steht, so
führe ich die-elben hier wörtlich an.
In dem von Schott und Sömmering (Okens Isis 1S37, H. 7. S. 717) beobachteten
Falle zeigte sich bei einem 18jährigen, übrigens gesunden Mädchen in der vordem
Augenkammer des linken Auges ein lebender Cysticerus cellulosae von der Grösse einer
Wicke. Er schien nach einer heftigen Angenentzündung sich gebildet zu haben, wenig-
stens wurde das trübe Fleckchen oder Fellchen zuerst bemerkt. Sömmering zeichnete
ihn etwa 2 Monate nach dieser Entzündung, deren Spuren so vollkommen verschwunden
waren, dass man nur einen leichten Anflug von Röthe rings um die Hornhaut bemerkte,
wenn das Auge erhitzt war. Auch erregte er keinen Schmerz, kaum eine leichte Em-
pfindung bei seinen stärkeren Bewegungen und hinderte das Gesicht nur dann, wenn er
weiter vor die Pupille trat. Gewöhnlich lag ei-, ganz wie eine noch nicht völlig auf-
gelöste, in die vordere Augenkammer gefallene Staar-Linse am Boden derselben als eine
ziemlich durchscheinende Kugel, die nur an einer Stelle eine milchweisse, undurchsichtige
Hcrvorragung zeigte. Aus dieser Stelle sah man zuweilen von sich selbst oder bei gelindem
*) Handbuch der Augenheilkunde, Stuttgart 1839. II. Bd. S. 527.
Aftergebilde — Cysten. 111
Reiben des Augendeckels den dicken, runzligen Theil des Halses hervortreten; dann
schob sich langsam die dünne, fadenförmige Hälfte desselben hervor, "welche in den, mit
4 Saugmündungen und einem doppelten Hakeukranze versehenen Kopf endigte ; letztern
erkannte man jedoch nur nach der Herausnahme des "Wurms unter dem Mikroskope. —
Der Blasenkörper des Wurmes änderte bald langsamer, bald schneller seine kuglige
Form in eine mehr breite, ovale oder birnförmig zugespitzte ab. Meist lag er noch eine
halbe oder ganze Linie vom unteren Eande der Hornhaut entfernt, weil daselbst der Raum
zwischen Iris und Cornea zu enge für ihn wurde. Der Hals hing meistens nach unten
herab und bewegte sich frei hin und her, so dass er, wenn das Mädchen den Kopf be-
wegte, diesen Bewegungen, vorzüglich aber der Neigung nach allen Seiten der Peripherie
der Hornhaut hin folgte. Selten schien er etwas fest zu halten. Nachdem er 7 Monate
im Auge geblieben , und während der Zeit der Beobachtung sich um das Doppelte ver-
größert hatte, wurde er von Schott durch einen kleinen Einschnitt in die Hornhaut
mittelst einer Haken-Pincette noch lebend hervorgezogen. Iu lauem Wasser bewegte er
sich noch eine halbe Stunde und nachdem er weiss und trübe geworden war, konnte man
die 4 Saugwavzen mit ihren Mündungen und den doppelten Hakenkranz in der Mitte
deutlich unter dem Mikroskope wahrnehmen.
Der von Logan (Case of animalcule in the Eye of a child 1833) beschriebene Fall
betriift ein Mädchen von 7 Jahren, welches an wiederholten Anfällen von Entzündung im
linken Auge gelitten hatte. Bei der Untersuchung fand Logan die Cornea so getrübt und
die Ophthalmie so heftig, dass er völligen Verlust des Sehvermögens befürchtete. Er be-
handelte den Fall als eine scrofulöse Augenentzündung, und nach dem Gebrauche alteri-
render Mittel und eines Blasen-Pflasters hinter das Ohr verloren sich die entzündlichen
Erscheinungen, Hessen jedoch eine leichte Trübung an dem untern Theile der Hornhaut
zurück. Nach einer "Woche wurde das Kind wieder zu Logan gebracht, welcher zu sei-
nem grossen Erstaunen einen halbdurchsichtigen Körper von ungefähr 2 Linien im Durch-
messer frei schwimmend in der vorderen Augenkammer wahrnahm. Dieser Körper erschien
vollkommen ktigelig, nur dass von seinem unteren Theile ein dünner Fortsatz von weis-
ser Farbe und leicht bulbösem Ende hervorragte. Dieser Anhang war schwerer, als der
übrige blasige Theil, so dass er sich immer in der abhängigsten Lage befand; auch be-
merkte man, dass er sich von Zeit zu Zeit verlängerte und zurückzog, so wie die Blase
auch verschiedentlich ihre Form änderte. — "Wenn die Kranke den Kopf ruhig hielt bei
massigem Lichte, so deckte der Wurm die zwei unteren Drittheile der Pupille. Manch-
mal wurde der blasige Theil mehr oder weniger sphärisch und nahm dann eine abge-
plattete Form an, wobei der Kopf sich plötzlich bis zu dem Boden der vorderen Augen-
kammer verlängerte und schnell sich so vollkommen wieder zurückzog, dass er kaum be-
merkbar war. Beim Zurückbeugen des Kopfes wandte sich die Blase schnell so, dass nun
der Kopf des Wurmes nach dem oberen, jetzt aber mehr abhängigen Theile der vordem
Augenkammer gerichtet war; wurde der Kopf wieder nach Vorne geneigt, so nahm die
Blase wieder ihre frühere Lage ein, und hinderte die Kranke am Sehen in gerader Rich-
tung. Während Logan diesen Fall beobachtete, bemerkte er kein Wachsthum des Thieres
Meikle beobachtete es sorgfältig während 3 Wochen und bemerkte keine andere Verände-
rung , als eine leichte Zunahme der Undurchsichtigkeit der Cyste. — Man schlug ver-
schiedene Mittel vor, um das Thier zu tüdten, worauf man ein Verschrumpfen desselben
wie bei der Linsenkapsel erwartete : elektrische und galvanische Schläge durch das Auge
zu leiten, Terpentinöl in die Umgegend des Auges einzureiben, kleine Dosen dieses Mit-
tels innerlich zu geben, so wie anhaltenden Gebrauch des schwefelsauren Chinins oder
112 Regenbogenhaut.
eines andern bittern Mittels. — Später vergrösserte sich der Wurm, die Gefässe der Con-
junetiva und Sclerotica wurden turgescirend, die Iris veränderte ihre Farbe, war weniger
frei in ihren Bewegungen, und das Kind klagte über Schmerzen im Auge, worauf die
Ausziehung des Thieres beschlossen, und die Operation von Robertson vorgenommen
wurde. Die Incision der Cornea geschah ohne die geringste Schwierigkeit, hierauf aber
war das Kind auf keine Weise mehr zu bestimmen, die Augenlider zu öffnen, es wurde
so unruhig, und die Muskeln pressten den Augapfel so heftig zusammen, dass die Linse
herausgetrieben wurde und die Hydatide zerriss. Die Kranke wurde zu Bett gebracht ;
am Abend konnte man dieselbe bestimmen , das Auge zu öffnen , wo sodann mit einer
Zange die Reste des Thieres in Stücken ausgezogen wurden. Ein Irisvorfall blieb in der
Wunde, weil nichts das Kind zu einem Versuche, ihn zurückzubringen, bestimmen konnte.
Nach der Heilung blieb die Hornhaut hell, nur an der Stelle der Verwachsung war sie
halbdurchsichtig ; die Pupille war in Folge der Verwachsung der Iris elliptisch, und in
ihr sah man die verdunkelte Linsenkapsel. Die Kranke hatte Lichtempfindung.
IV. Motilitätsstörungen der Iris.
A. Mydriasis nennt man jenen Zustand des Auges, bei welchem
die Pupille abnorm erweitert, und die Beweglichkeit der Iris ganz oder
nahezu aufgehoben ist, ohne dass Entzündung am Auge, mechanische
Hindernisse oder Abstumpfung der Empfindlichkeit der Netzhaut als
Ursache nachgewiesen werden können. Die Schwärze der Pupille lei-
det nur insofern, als — abgesehen von zufälliger Combination mit Ca-
taracta — mehr Licht in den Grund des Auges eindringt und also auch
reflectirt wird, und sie verengert sich weder bei stärkerer Neigung der
Sehachsen, noch beim Betrachten naher Objecte, noch auch bei stärke-
rem Lichteinflusse. Ein solcher Kranker, der sich in der Regel bloss
wegen Störung des Gesichtes an den Arzt wendet, ist niemals .blind,
sondern nur geblendet; er sieht im Allgemeinen nur nahe Gegenstände
schlecht, kann z. B. nicht lesen, während er ferne Objecte relativ gut
unterscheidet, vielleicht selbst die Zeiger einer Thurmuhr erkennt. Es
gibt Fälle mit sehr starker Erweiterung der Pupille ohne beträchtliche
Störung im Nahesehen. Der Beweis, dass in solchen Fällen die Ge-
sichtsstörung nur von Affection der Regenbogenhaut (Ciliarnerven) ab-
hängt, und die Netzhaut ganz unverändert fungirt, bloss durch zu viel
Licht geblendet wird, lässt sich dadurch herstellen, dass so ein Kran-
ker mit dem betroffenen Auge auch in der Nähe ganz gut oder doch
viel besser sehen kann, sobald man ihn durch eine nicht über V" grosse
Öffnung in einem Kartenblatte die Objecte betrachten lässt. Convex-
gläser erleichtern in der Regel das Erkennen naher Objecte nicht;
Temperirung des Lichtes wird vom Kranken instinetmässig gesucht.
Mydriasis. 1 1 3
Zeichen von Congestion oder Entzündung; fehlen, oder stehen, wenn sie
vorhanden sind, in keiner Beziehimg' zur Affection der Iris selbst.
Ursachen. Der nächste Grund dieser Erscheinung liegt entweder
in Lähmung (verminderter oder aufgehobener Energie) des Sphincter
iridis, respective in Lähmung jener Zweige der Ciliarnerven, welche
vom N. oeulomotorius zur Iris gelangen, oder in erhöhter Contraction
der Radialfasern der Iris, relativ gesteigerter Action der vom N. sym-
pathicus (vagus?) zur Iris gehenden Zweige der Ciliarnerven. Demnach
kann man eine Mydr. paralytica und Mydr. spastica annehmen.
Eine ganz reine und einfache Form von Mydr. paralytica können
wir jeden Augenblick hervorrufen durch die Anwendung der Mittel,
welche Himly als mydriatica bezeichnet hat, vorzüglich der Belladonna,
des Hyoscyamus, der Datura'stramojiium. Combinirt mit Lähmung der
vom N. oeulomotorius versehenen Augenmuskeln beobachten wir die
Mydr. paralytica bei peripherischer und hei centraler Affection des N.
oeulomotorius mit deprimirter oder aufgehobener Action desselben.
Näheres hierüber kann erst bei den Krankheiten der Augenmuskeln
angeführt werden. Einfach für sich bestehend oder combinirt mit Läh-
mung des Muse, levator palp. superioris sehen wir Mydr. paralytica
auch nach Einwirkung eines Luftzuges ofer nach Verkältimg bei schwitzen-
dem Kopfe, nach längerem Auf enthalte in feuchten und dunklen Loca-
litdten auftreten. Ware*) bemerkt, dass die meisten Personen, die er
an Mydriasis hat leiden sehen, durch Strapazen oder Sorgen geschwächt
worden waren, ehe man die Krankheit entdeckte. Nach Makenzie
(ibid.) sollen auch Schläge auf das Auge und andere Verletzungen
manchmal eine Mydriasis ohne Affection des Sehnerven (?) herbeiführen.
Auf Spasmus (überwiegender Contraction) der Kadialfasern zu be-
ruhen scheint die Mydriasis in jenen Fällen, wo gastrische Zufalle
/Reizung des N. sympathicus und Vagus?) vorausgingen oder noch fort-
dauern. Man hat Mydriasis nach heftigem Erbrechen beobachtet. Hel-
minthiasis, namentlich Taenia, wird von mehrern Autoren als Ursache
von Mydriasis aufgeführt. Dr. Warnatz bezeichnet Masturbation als
häufige Ursache von abnorm weiter Pupille (Schmidt's Jahrb. 1842 S.
256>, und Chelius (Handbuch I. S. 389) rechnet auch Hypochondrie und
Hysterie unter die ursächlichen Leiden.
Es gibt Fälle von Mydriasis, wo man nicht im Stande ist, eines
oder das andere dieser ursächlichen Momente nachzuweisen, — Ausser-
dem ist noch zu bemerken, dass abnorme Grösse der Pupille mit mehr
*j Makenzie, praktische Abhandlung. Weimar, 1S32. S. 674.
Arlt Augenheilkunde. II. S
1 i 4 Regenbogenhaut.
weniger beschränkter Beweglichkeit der Iris auch als angeborener Zu-
stand vorkommt, auf einem oder auf beiden Augen. Die Energie der
Sehkraft ist in solchen Fällen immer eine geringere, wahrscheinlich
wegen Abnormitäten in der Netzhaut selbst. Solche Fälle sind dem-
nach ebenso wenig für Mydriasis anzusprechen, als die Pupillenerwei-
terung bei Kurzsichtigen. Auffallend weit findet man die Pupille oft
nach Verlust des andern Auges durch heftige Entzündung (Phthisis
bulbi).
Simulirt Jemand Amaurosis oder Amblyopie durch künstlich unter-
haltene Erweiterung der Pupille, so können die eben angeführten That-
sachen, scharf und umsichtig auf den speciellen Fall angewendet, wohl
oft zur Entlarvung des Betrügers führen, in der Regel aber wird das
fragliche Object einer fortgesetzten strengen Beobachtung unterworfen
werden müssen. Die Wirkung des Mydriaticum hält je nach der Dosis
und Wiederholung desselben und je nach der individuellen Empfäng-
lichkeit (jüngere Individuen sind in höherem Grade empfindlich) 1—3
Tage an. Himhj*) führt folgende ihm von Dr. Spangenberg mitge-
theilte Thatsache an: „Das häufige Vorkommen von Mydriasis bei Os-
nabrückschen Militärpflichtigen erregte Verdacht, man nahm sie dess-
halb in's Hospital auf und alle Effecten ihnen ab; allein demungeachtet
dauerte das Übel fort, bis warme Bäder ihm plötzlich abhalfen, und
nun die Betrüger gestanden, auf Anrathen eines Thierarztes Belladon-
naextract angewandt zu haben, welches sie unter dem Nagel der gros-
sen Zehe verborgen hatten."
Diese Krankheit, welche überhaupt nur selten vorkommt, setzt
nach der Angabe jener Autoren, welche mehrere Fälle zu beobachten Ge-
legenheit hatten, im Allgemeinen keine ungünstige Prognosis. Nach
Demours wurden 7 von 9 Fällen geheilt. In vielen Fällen verschwand
die Affection allmälig von selbst.
Bei der Behandlung wird der Arzt vor Allem die nächste Ursache
des Übels durch Eruirung der sogenannten entfernten Causalmomente
zu constatiren suchen. Von der Empirie sind meistens örtliche Reiz-
mittel empfohlen worden, welche wohl nur in jenen Fällen, wo Läh-
mung des Sphincter pupillae vorhanden ist, von Nutzen sein dürften.
Fliegende Vesicantien an die Stirn und Schläfe, Linimentum volatile
eben daselbst, Ammoniakdämpfe an das offen gehaltene Auge. Das
stimulirende Verfahren, wTelches Demours anwendete, besteht nach
Makenzie darin, dass man kleine elektrische Funken gegen das Auge
*j Die Krankheiten und Miasbildungen des menschlichen Auges. Berlin 1S43. Bd. II. S. 123.
Mydriasis. 1 1 5
leitet, alsdann letzteres eine halbe Minute mit dem Ende einer silber-
nen Sonde, welche so gebogen ist, dass sie einen King bildet, sanft
reibt, und alsdann auf das Auge sogleich einen kalten Tabaksblätter-
aufguss tröpfelt. Serres hat die Peripherie der Cornea mit Lapis in-
fernalis geätzt. Kochanoicsky (siehe die weiter unten mitgetheilte Be-
obachtung) hat das Seeale cornutum als speeificum bei Mydr. paralytica
empfohlen, Neuhausen Euphorbia cyparissias.
1. Ein Kaufmann, 21 Jahre alt, kam Mitte December 1849 zu mir mit den ge-
wöhnlichen Erscheinungen eines Augenkatarrhes, welcher bereits 8 Tage bestanden hatte.
Nach 5tägigem Gebrauche eines Collyriuius von Lapis divinus war er davon befreit.
Ende December wurde das rechte Auge auf ähnliche Weise ergriffen, wie früher das
linke. Da er gerade viel zu schreiben hatte , und ihn anhaltendes Brennen im Auge
belästigte, so machte er sich durch etwa '/* Stunde Überschläge von kaltem Wasser,.
und setzte seine Arbeit den ganzen Tag über fort. Abends bemerkte er, vom Schreiben
ermüdet, als er zufällig in einen Spiegel schaute, dass die Pupille des rechten Auges
sehr erweitert war. Den folgenden Tag fand ich die Bindehaut der Lider dieses Auges
dicht netzförmig geröthet und gelockert; verklebt war das Auge beim Erwaehen nicht
gewesen. Die Pupille war so erweitert, dass ihr Durchmesser 4'" betrug, und die Iris
nur einen '/*'" breiten, ganz unbeweglichen Saum darstellte. Der Mann fühlte sich durch
das Tageslicht etwas geblendet , und durch ein Gefühl von Druck im Auge und in der
Stirn etwas belästigt, konnte jedoch ohne Anstand lesen und schreiben. Er erkannte
die Buchstaben bei 8" Entfernung ebenso gut, wie bei 16". Ausserdem konnte ich nichts
Abnormes wahrnehmen. Ich ordinirte Überhängen trockner warmer Säckchen aus Flor,
sambuci, flor. chamom. und farina secalina und Ruhe im Zimmer. Der Mann ist weiter
nicht mehr zu mir gekommen.
2. Ein Finanzwachaufseher kam Ende Februar 1850 auf die Klinik. Wir fanden
die Pupille des rechten Auges auffallend erweitert ; der Mann sah mit demselben schlech-
ter; während er mit dem linken Auge mittlem Druck bei 8" Entfernung (und darüber)
ganz gut las, konnte er mit dem rechten erst bei 20" und da mit Mühe lesen ; hielt man
ihm ein Kartenblatt mit einer engen Öffnung vor das rechte Auge, so las er auch bei
10 — S" Distanz. Ausserdem fanden wir nichts Abnormes, weder an den Augen, noch in
andern Organen. Der Kranke war bereits 2 Jahre in diesem Zustande, und leitete die
Entstehung desselben davon ab , dass er bei seinem Geschäfte (Überwachung der Bräu-
häuser) oft in die Flammen der Öfen gesehen und bei schwitzendem Körper häufig der
Zugluft ausgesetzt gewesen war. Er bemerkte vor 2 Jahren, wenn er gegen das Firma-
ment blickte , lichte Strahlen vor seinen Augen , wurde durch starkes Licht geblendet,
hielt das Lesen und Schreiben nicht mehr so lange aus, wie früher, und fand vor dem
Spiegel die rechte Pupille stark erweitert. Nach dem Genüsse geistiger Getränke soll die
Pupille jedesmal noch grösser geworden sein. Da der Kranke wegen dringender Geschäfte
noch nicht in die Anstalt eintreten konnte, so gaben wir ihm indessen, um die Netzhaut
vor übermässigem Lichte zu schützen , blaue Brillen. Er ist jedoch später nicht mehr
zu uns gekommen.
3. Beob. von Dr. Kochanowski in Warschau. *) Die dauerhafte Erweiterung der
Pupille, Mydriasis, ist meistentheils nur symptomatisch, eine Folge anderer Krankheiten,
*) Von Ammons Monatschrift B. I. S. 301.
8*
116 Regenbogenhaut.
und kann leicht, durch den Gebrauch von Narcoticis, namentlich durch das aufs Auge
applicirte Extr. Bellad. entstehen. Seltener ist die Erweiterung idiopathisch, welche aus
einem paralytischen Zustande der Iris hervorgeht, und nach der Meinung der Autoren
in der Heilung sehr hartnäckig ist. Ich hatte Gelegenheit, mich von der Hartnäckigkeit
dieser Krankheit bei den bis jetzt gegen dieses Übel empfohlenen Mitteln zu überzeugen,
und so nahm ich denn Veranlassung, ein neues Mittel, das Seeale cornutum, dagegen
anzuwenden.
Bei der Lehrerin Frau W. , einige 30 Jahre alt, die lange schon an Hämorrhoiden
und unregelmässiger Menstruation gelitten und im Mai 1835 meine Hilfe in Anspruch
nahm, war ohne deutliche Ursache die Pupille des rechten Auges so stark erweitert, dass
die Iris nur einen kleinen Ring darstellte und auf den stärksten Einfluss des Lichtes gar
nicht reagirte. Das linke Auge war ganz normal. Das Gesicht im rechten Auge war
jedoch nicht beeinträchtigt , obschon im Lesen eine grössere Beschwerlichkeit als sonst
sich zeigte. Auch gesellte sich ein leichter Schmerz und Schwere des Kopfes auf der
rechten Seite, in der Tiefe des Auges hinzu. Pat. befand sich, Hämorrhoiden abgerech-
net, an denen sie gewöhnlich litt, im Ganzen wohl.
Indem so mit keiner Gewissheit die nächste Ursache zu ermitteln war, glaubte ich,
dass dieser Stand der Pupille ein Vorbote zur Amaurosis sei , zu deren Entwicklung der
seit einiger Zeit gehemmte Hämorrhoidenfluss Veranlassung gegeben hätte. Ich Hess
daher Blutegel ad anum setzen und verschrieb zum innerlichen Gebrauche Pulver aus
Kali tartaricum, Kali nitricum und Rheum.
Nach dem Gebrauche dieser Mittel erfolgte, obschon die Hämorrhoidalbeschwerden
sich milderten, in Betreff des Zustandes der Pupille gar keine Veränderung. Am dritten
Tage der Krankheit, als die Kranke eine Schwere über dem leidenden Auge fühlte, Hess
ich Blutegel hinter die Ohren setzen. Es verschwand zwar die Eingenommenheit des
Kopfes, allein die Erweiterung der Pupille blieb wie früher. Am fünften Tage verordnete
ich hinter das Ohr der leidenden Seite ein Vesicatorium zu legen, welches eine Erleich-
terung verschaffte, indem das Spannen im leidenden Auge nachliess ; allein die Iris blieb
unthätig. Bei diesen Verhältnissen hielt ich es für nöthig, noch andere Arzte zu Rathe
zu ziehen. Diese erklärten als Ursache der Krankheit das wahrscheinliche Vorhandensein
eines Bandwurmes, wofür mir jedoch keine Zeichen zu sprechen schienen, und ich äusserte,
wenn die Krankheit aus dieser Ursache hervorgegangen wäre, müssten doch beide Pa-
pillen verändert sein. Indessen musste ich der Mehrheit der consultirenden Stimmen
nachgeben, da Fälle angeführt wurden, wo durch den Bandwurm Convulsionen eingetre-
ten waren, die den halben Körper einnahmen. Ich verschrieb daher das Ol. terebinthi-
nae §j , des Morgens nüchtern zu nehmen ; darauf wurde, um auf das Auge selbst zu
wirken, das Ol. cajeput. in die Augenbrauen eingerieben. Der Gebrauch des Terpentinöls
verursachte grossen Ekel , Leibschmerzen und Ohnmächten. Es war daher nicht mehr
daran zu denken , den Gebrauch dieses Mittels zu wiederholen. Am zehnten Tage ver-
schrieb ich das Ol. aeth. filicis maris Scr. j., mit einer hinreichenden Quantität Pulver
der Wurzel desselben Mittels, und Hess daraus 24 Stück 3granige Pillen bereiten, in 2
Abenden zu verbrauchen; den Tag darauf nahm Pat. nüchtern 2 Unzen Wiener Tränk-
chen. Am 13. Tage Hess ich die Pillen nochmals machen, indem ich die Dose des Ol.
filicis bis zu '/ä Drachme vergrösserte , den Tag darauf nahm die Kranke ebenfalls das
Wiener Tränkchen, doch der Bandwurm zeigte sich nicht.
Hieraus schloss ich denn, dass die Erweiterung der Pupille bei dieser Kranken ein
idiopathisches Leiden sein müsse, das von Lähmung der Iris herrührte. Ich begann daher
Mydriasis. 117
die dagegen gerühmten Mittel in Gebrauch zu ziehen. Ich verschrieb innerlich zu neh-
men die Kad. Yalerianae und Flores Arnieae, auf's Auge selbst wandte ich mehrere Eeiz-
mittel an ; ausserdem legte ich ein Yesicatorium über die Augenbrauen. Nach mehrtägi-
gem vergeblichen Heilverfahren -wendete ich Mittel an , die gegen Amaurosis empfohlen
sind, nämlich das Extr. Pulsat. ; aber trotz des länger fortgesetzten Gebrauchs dieses
Mittels und der mehrmaligen Einreibungen von Canthariden in der Nähe des Auges trat
nicht die mindeste Veränderung ein.
Unter diesen Umständen war ich genöthigt , ein wirksameres Heilverfahren auszu-
mitteln , und durch Folgerung kam ich auf die Anwendung des Mutterkorns. Von der
Idee ausgehend , dass das Extr. Bellad., auf das Innere des Auges applicirt, eine Erwei-
terung der Pupille bewirkt, und dass dasselbe Mittel gleichzeitig in der Geburtshilfe be-
nutzt wird, um den Krampf des Gebärmuttermundes zu heben, schloss ich, dass ein sol-
ches Mittel, welches iuuerlich angewandt eine Contraction der Gebärmutter verursacht,
eine ähnliche "Wirkung atif die Iris ausüben könnte. Ich war um so mehr zu dieser An-
nahme berechtigt, als ich mit einigen Autoren die Meinung theile , dass die Zusammen-
ziehung und Erweiterung der Pupille von Contraction der Fasern, welche sowohl auf der
vordem als hintern Fläche der Iris sich befinden und welche zusammengenommen, die
Zirkel- und Strahlfasern, einen Musculus orbicularis bilden, abhängig sei. Die Natur die-
ser Uasern ist nicht ganz dieselbe als die der Muskelfasern, steht ihnen jedoch sehr nahe;
sie seheinen den Fasern der Gebärmutter, welche zur Zeit der Schwangerschaft deutlicher
hervortreten, am meisten ähnlich zu sein.
Als ich, dieser Ansicht zufolge, den 22. Tag der Krankheit, Pulver von Seeale cor-
nutum , 3 Gr. p. D. 4mal täglich zu nehmen verordnet hatte, erfuhr ich am folgenden
Tag mit der grössten Verwunderung, dass Pat. eine Veränderung im leidenden Auge be-
merkte, indem sie angab, dass auf den Einfiuss des Lichtes sie das Gefühl empfände, als
rühre sich etwas im Innern des Auges, und dass sie selbst im Spiegel eine Verkleinerung
der Pupille wahrgenommen hätte. Nach Besichtigung des Auges bemerkte ich wirklich
eine Veränderung in der Grösse der Pupille des leidenden Auges; sie war jedoch noch
immer grösser, als die des andern. Indem ich nun die Dose auf 15 Gran vergrösserte,
bemerkte ich immer zunehmende Besserung.
Da zu derselben Zeit die monatliche Reinigung eingetreten war, so setzte ich den
Gebrauch des Mittels, welches so stark auf den Uterus wirkt, aus, um nicht die normale
Function zu stören. Allein mit dem Aussetzen des Mutterkorns vergrösserte sich von
Neuem die Erweiterung der Pupille, obgleich die Pi.eaction auf den Lichteinfluss nicht
ganz verschwunden war. Nach beendigtem Monatfiusse kehrte ich sogleich zum Gebrauche
des Mittels , welches sich früher so erfolgreich gezeigt hatte, zurück und bemerkte von
Neuem eine auffallende Besserung. Ich verschrieb zuerst 18 Gr. in Pulverform, nachher
Scr. j. in Decoct. Nach einigen Tagen verschwand die Erweiterung ganz, die Iris zog
sich vollkommen zusammen, und es ward nicht der kleinste Unterschied zwischen beiden
Augen wahrgenommen.
Im Juli 1S36 sah ich Frau W. wieder, es war nichts Abnormes im kranken Auge
zu bemerken , und ich erfuhr auch, dass während der ganzen» Zeit die Krankheit nicht
wiedergekehrt ist.
Der so augenscheinliche und rasche Erfolg des von mir in Anwendung gebrachten
Mittels scheint, im Vergleich zu der Erfolglosigkeit anderer versuchter Heilverfahren , zu
beweisen, dass die Heilung dieser im Allgemeinen für sehr hartnäckig gehaltenen Krank-
heit einzig und allein dem Gebrauche des Mutterkorns zuzuschreiben sei. Ich hatte mir
1 1 8 Regenbogenhaut.
vorgenommen , vor Bekanntmachung dieser Beobachtung sie durch weitere Versuche zu
bekräftigen , allein es sind schon 2 Jahre verflossen, dass weder in der Privat- noch in
der Hospitalpraxis mir ein solcher Fall vorgekommen ist.
Dr. Hanmann *) heilte durch dasselbe Mittel eine Mydriasis, welche bei einem 30-
j übrigen Manne auf dem rechten Auge entstanden war. Der Mann war übrigens gesund,
hatte sich etwa ein halbes Jahr vor Entstehung des Übels auf einer Geschäftsreise heftig
erkältet, und seitdem öfters ein Eeissen im Kopfe bemerkt. In 6 Wochen war die Cur
vollendet , welche sich lediglich auf die Darreichung des Seeale corn. beschränkte ; es
wurden täglich 3mal Pulver, von 6 Gran bis zu l Scrupel steigend, verabreicht, gegen
Ende der Cur die Dosis wieder vermindert. Nebenher wurde einige Male ein Drouotsches
Pflaster hinter das Ohr gelegt, Naphtha aceti gegen das Auge verdunstet, und ein Augen-
schirm getragen.
Mac-Evers**) heilte eine Mydriasis bei einem 50jährigen Manne, der den grössten
Theil seines Lebens in den Tropenländern zugebracht hatte , und seit 3 "Wochen damit
behaftet war, durch Seeale cornutum in Form von Schnupfpulver.
Dr. Neuhausen ***) will Mydriasis vorzüglich bei Fassbindern, die in dunklen Kel-
lern, bei Schneidern, die viel bei künstlichem Lichte und an dunklen Stoffen arbeiten,
und bei Bäckern, die bei schwacher Beleuchtung sich dem intensiven Lichte des Back-
ofens aussetzen, beobachtet haben, und zwar, mit Ausnahme eines einzigen Falles, immer
auf beiden Augen zugleich. Er wandte in einem Falle mit gutem Erfolge den frischen
Saft der Euphorbia cvpar. , einen Tropfen auf 2 Unzen "Wasser, zu Einträuflungen an,
und stieg bis zur Entstehung massiger Conjunctivitis.
B. Myosis nennen wir nur jene bleibende Verengerung der Pu-
pille, welche ohne entzündliche Erscheinungen am Bulbus, ohne me-
chanische Ursachen (Exsudate in der Pupille, Einheilung einer Iris-
partie in eine Hornhautnarbe) und ohne Erkrankung der Netzhaut auf-
tritt. Die ganze reine, runde, bisweilen nur V2'" grosse Pupille er-
weitert sich auch beim stärksten Dunkel, das man anwenden kann,
ohne die Beobachtung unmöglich zu machen, sehr wenig. Auch auf
Anwendung von Belladonna vergrössert sich die Pupille gar nicht, oder
doch nicht in so hohem Grade, wie in normalen Augen. Die Augen-
kammern erscheinen dabei eng, weil Iris und Linse der Cornea ge-
nähert sind, und die Möglichkeit, den Refractionszustand des Auges
abzuändern, ist auf sehr enge Grenzen beschränkt; die meisten müssen
sich starker Convexgläser bedienen, um in der Nähe gut zu sehen,
und der Blick trägt trotzdem oft nur in geringe Entfernungen.
Abnorme Engheit und geringe Erweiterbarkeit der Pupille auf
einem oder auf beiden Augen scheint in manchen Fällen angeboren zu
sein. Am reinsten ausgeprägt, gewissermassen als Gegensatz der My-
*) Ammons Monatsschrift 1839, Bd. II. 8. 580.
**) Annales d'oeulist. B. XXI.
***; Correspondenzbl. rbein. und westph. Ärzte. Bd. III. Nr. 3.
Myosis. 119
driasis paralytica finden wir die Myosis bei Individuen, welche sich
lange und anhaltend mit der Betrachtung' winziger und glänzender
Gegenstände beschäftigt haben, zumal wenn sie bereits in Jahren vor-
gerückt sind, und in früheren Jahren einen normalen Refractionszustand
hatten (nicht kurzsichtig- waren). Daher finden wir diesen Zustand
häufig bei Uhrmachern, Graveuren, Goldarbeitern u. dgi.; sie wenden
sich eigentlich erst dann an den Arzt, wenn sie nicht mehr im Stande
sind, feine Gegenstände mit Ausdauer zu erkennen, wenn sie nur noch
bei intensiverem Lichte oder mit Hilfe starker Convexgläser zu arbeiten
vermögen, oder durch Mückensehen geängstigt werden. — Man kann
diesen Zustand als habituelle Contraction des Sphincter iridis be-
trachten, analog dem Zustande der geraden Augenmuskeln beim
Schielen.
Von entgegengesetzter Natur, auf verminderter oder aufgehobener
Energie der Radialfasern der Iris beruhend, scheint jene Pupillenver-
engerung zu sein, welche bei Individuen mit Erkrankung der Medulla
oblongata beobachtet wird, und nicht nur einen constanten Begleiter,
sondern auch häufig einen Vorläufer von Spinalamaurosis darstellt,
daher wir auch bei Besprechung dieser letzteren näher darauf eingehen
werden.
Nach H/m/// (1. c. IL S. 125) kommt Myosis auch bei Hydro-
phobie, bei schwerem Typhus vor ; nach Hahneinann bewirkt der innere
Gebrauch von Daphne Mezereum, nach Heise der örtliche Gebrauch
von Nicotiana tabacum Verengerung der Pupille. Als Folge von Iritis
oder andern Augenentzündungen, wovon Beer (1. c. IL S. 261) spricht,
ist mir dieser Zustand niemals vorgekommen. Hingegen muss ich dem
Ausspruche Makenzie's (1. c. S. 671) beistimmen, dass die Individuen,
welche an dieser Affection leiden, in der Regel geschwächte, kachektisch
aussehende Personen sind.
Man wird diesen Zustand selten an und für sich zum Gegenstande
der Behandlung bekommen. Die Eruirung der nächsten und der ent-
fernteren Ursachen allein kann Anhaltspunkte für die Prognosis und
für die Therapie bieten. Leider sind die sogenannten entfernteren Ur-
sachen fast durchgehends von der Art, dass sich wenig oder nichts
dagegen unternehmen lässt.
120 Regenbogenhaut.
V. Mangel und Spaltung der Iris, Verschliessung der
Pupille.
A. Irideremie. Der angeborene gänzliche oder theihveise Mangel
der Iris wurde, mit Ausnahme eines von Morison beschriebenen Falles,
bisher immer auf beiden Augen zugleich beobachtet. In einigen Fällen
musste man Erblichkeit supponiren. Man konnte entweder gar keine
Spur von der Iris sehen oder nur einen äusserst schmalen Eeifen, oder
Rudimente davon in einem Drittel, in der Hälfte des Umfanges. Dabei
waren die Bulbi kleiner (Mikrophthalmus) oder von gewöhnlicher Grösse,
die Hornhäute normal, oder an ihrer Basis oblong und nicht scharf
von der Sclera geschieden, in einigen Fällen auch im Centrum etwas
getrübt, die Linsen durchsichtig, oder in der Mitte, nächst der hintern
Kapsel verdunkelt. In einiger Entfernung und bei gewissen Stellun-
gen zum Kranken und zur Richtung des einfallenden Lichtes sieht man
den Grund des Auges eigenthümlich (fast wie eine polirte Kupferplatte)
leuchten; ausserdem erscheint die Pupille niemals so rein schwarz, wie
bei vorhandener Iris und gewöhnlicher Grösse der Pupille. Die Ciliar-
fortsätze lassen sich auch bei vollständigem Mangel der Iris nicht wahr-
nehmen. Diese optischen Erscheinungen ergeben sich einfach aus den
Gesetzen der Brechung und Zurückwerfung der Lichtstrahlen. — Die
Energie der Sehkraft ist in der Regel geringer, was man gemeinhin
als Kurzsichtigkeit bezeichnet hat, weil nahe Gegenstände im Allgemeinen
eher und genauer Avahrgenommen werden, als entfernte. Kontrollirende
Versuche mit Linsengläsern und mit künstlichen Diaphragmen sind
jedoch nicht gemacht worden. Wegen dieser Unvollständigkeit der
Sehkraft werden die Bulbi beständig hin und her gerollt oder leicht
um die Sehachse gedreht. (Vergl. später Nystagmus oscillatorius et
rotatorius.) Die Kranken sehen im Allgemeinen bei temperirtem Lichte
besser als im Hellen, und instinctmässig wird die Lidspalte wenig ge-
öffnet, wesshalb das obere Lid in späterer Zeit habituell einen tiefern
Stand einnimmt, und sofort nicht mehr gehörig emporgehoben werden
kann. Auf diese Weise dürfte sich die in einigen Fällen beobachtete
Abnahme der Lichtscheu erklären.
Zu Erblindung durch Lähmung der Netzhaut hat dieser Fehler —
nach den bisher bekannten Beobachtungen — niemals geführt; in eini-
gen Fällen dagegen wurden wiederholte Anfälle von Entzündung der
Binde- und Hornhaut, in andern allmälige Trübung der Linse (einfack
Irideremie. 121
oder mit Ablösung von den Ciliarfortsätzen und von der Hyaloidea —
Cataracta tremula, natatilis) beobachtet.
Ob das Tragen blauer Augengläser oder künstlicher Diaphragmen
(dunkle Platten oder Gläser mit einer 1—2'" grossen lichten Öffnung
in der Mitte) solchen Kranken wesentliche Dienste leisten würde, müsste
erst durch Versuche ermittelt werden.
Mehr weniger vollständige Beobachtungen von Irideremie findet man bei Demours
Tom. II. obs. 277, in von Amnions Zeitschrift B. I. S. 52, B. IL S. 10 und B. V. S. 10
und 78, in dessen Monatschrift B. I. S. 56 und S. 501, B. III. S. 58, von Ammon's und
Walther's Journal für Chirurgie und Augenheilkunde, Neue Folge B. II. S. 327, in Cunier
Annales d'oculist. Tom. XII. S. 43, u. a. m. Abbildungen von totalem und partiellem
Irismangel findet man bei Amnion Angeborne Krankheiten des menschl. Auges, Berlin
1848, Tab. XII. Text pag. 50.
Mangel der Iris in Folge i^on Losreissung derselben vom Ciliar-
bande habe ich in zwei Fällen beobachtet. Den ersten hat Prof. Fischer
in sein Lehrbuch S. 24 aufgenommen.
Lak Prokop, 24 Jahre alt, ein gesunder kräftiger Fuhrmann, erlitt 16 Tage vor
seinem Eintritte in die augenärztliche Abtheilung unseres Spitales (27. Juni 1840) einen
heftigen Schlag auf das linke Auge, indem ein hölzerner Biegel beim Spannen der Kette
eines Fraehtwagens mit voller Kraft seiner Elasticität an den Rücken der Nase, den
Augenbrauenbogen und das Auge anprallte. Es war ihm dabei, als führe ein Blitz durch
das Auge: sogleich stürzte Blut aus Mund und Nase, und in Kurzem schwollen die ge-
troffenen Theile so an, dass man durch 3 Tage die Lider nicht öffnen konnte, um das
Auge zu besichtigen. Er legte fort kalte Umschläge über. Der Mann war gerade mit
einer Frachtespedition nach Wien begriffen, und besuchte dort am 8. Tage die Klinik
des Professors von Rosas, wo ihm wegen heftiger Schmerzen in der Oberkiefer- und
Stirngegend Opiumeinreibungen verordnet wurden. Die kalten Umschläge wurden fort-
gesetzt. Das Sehvermögen, tdessen Schwächung am 4. Tage bei Eröffnung der Lidspalte
wahrgenommen worden war, soll späterhin weder zu- noch abgenommen haben. Da ihm
das gewöhnliche Licht zu grell war, beschattete er dasselbe auf seiner Rückreise nach
Prag. Hier sahen wir den Bulbus ganz normal in Bezug auf Grösse, Gestalt und Be-
weglichkeit, nur die Sclera (in Folge der frühern Gefässinjection) etwas schmutzig, die
Hornhaut rein, und gehörig gewölbt, die Iris ringsum fehlend. Sie war zu einer weiss-
lich grauen, florähnlichen, bei jeder Bewegung des Bulbus hin und her, auf und ab
schlotternden Flocke zusammengeschrumpft, welche nur unten leicht fixirt zu sein schien.
Die auf diese Art enorm grosse Pupille erschien schwarz, etwas in's Grünliche spielend.
Der Kranke erkannte grössere Gegenstände, und selbst kleinere, z. B. einen Silberzwan-
ziger, nach Grösse und Farbe, ein Federmesser, einen Bleistift, wenn man dieselben in
einer Entfernung von 8 — 10 Zoll vom äussern Winkel her vorhielt. Er verliess am 1
Juli die Anstalt in gleichem Zustande.
Ther. W., 38 Jahre alt, hatte sich 2 Jahre, ehe ich sie sah, an das rechte Auge
gestossen, indem sie in der Nacht sich aus dem Bette bückte, \ind mit dem Auge an
die Lehne eines Stuhles fuhr. In demselben Augenblicke sah sie gleichsam ein Flammen-
meer vor sich, sodann entwickelten sich heftige Schmerzen, Geschwulst und Röthe der
Lider, und das Weisse des Auges soll noch durch ein halbes Jahr geröthet geblieben
122 Regenbogenhaut.
sein. Ich fand das Auge etwas grösser, als das linke, die Sclera mehr bläulich, und
oberhalb der Cornea etwas ausgedehnt, stellenweise (etwa K'i'" hinter der Basis corneae)
mit halberhabenen blauen Fleckchen besetzt. Die sonst normale Hornhaut bot nach innen
und unten eine längliche Narbe dar, in welche die Iris eingeheilt war. Die Iris, ringsum
vom Ciliarbande abgerissen, war nur noch als ein graugelber Streifen vorhanden, an
der obgenannten Hornhautnarbe fixirt, sonst wie eine Fahne flatternd. Die Pupille zeigte
einen Stich aus dem Schwarzen ins Braunröthliche ; der Grund des Auges schillerte ein
wenig, fast wie bei Katzenaugen. Die Kranke sah mit diesem Auge, jedoch schwach;
sie erkannte Geldmünzen nur nach dem Metall und nach der Grösse. Nahe und Ferne
schien keinen wesentlichen Unterschied zu bewirken; das Sonnenlicht blendete sie; eine
Kerzenflamme sah sie dreifach. Die Linse war ungetrübt, und die Ciliärfortsätze konnte
ich nicht wahrnehmen. In einem andern Falle (mit theil weiser Lösung der Iris vom
Ciliarkörper) waren die Ciliärfortsätze sehr deutlich sichtbar.
B. Die angeborene Spalte der Iris, Coloboma iridis s. Irido-
schisma, eine der Hasenscharte ähnliche Missbildung, ist bis auf einige
wenige Ausnahmen nur nach unten oder nach unten und innen beob-
achtet worden. Sie reicht vom Pupillarrande bald mehr bald weniger
tief gegen den Ciliarrand hin, und ist verschieden breit. Ihre Ränder
verlaufen in der Regel convergirend (vom Pupillar- zum Ciliarrand),
selten parallel oder divergirend; demnach erhält die Pupille die Gestalt
einer Birne, eines Schlüsselloches, einer Glocke u. dgl. — Als seltene
Varietät ist jene Spalte zu betrachten, welche bloss den grossen Kreis
betrifft; man findet dann eine dreieckige peripherische Pupille von der
normalen durch einen Querbalken (den ungespaltenen Sphinkter?) ge-
trennt. Die Colobome mit divergirenden Rändern und leichten Vor-
sprüngen oder Anhängseln am Pupillarrande stehen gleichsam als
Mittel- oder Übergangsglieder da. Stilling*) fand bei einem 12jährigen
Mädchen auf dem übrigens normalen linken Auge ein gewöhnliches
Coloboma iridis mit ovaler, nach unten ausgebuchteter Pupille ; auf dem
rechten Auge war die Pupille vollkommen rund, aber unmittelbar unter
ihr befand sich, nur durch ein feines horizontales Filament von ihr ge-
trennt, eine halbeiförmige Spalte in der Iris, deren absteigende Schen-
kel sich am Rande der Cornea nicht mit einander vereinigten, sondern
vielmehr noch etwas weiter divergjrten, als die Irisschenkel am linken
Auge. — Von gleicher Bedeutung ist das sogenannte oberflächliche
Iriscolobom. Da wo die Spalte sein sollte, sieht man nur eine dünne
Membran, welche so dunkel erscheint, dass es aussieht, als sei hier
bloss die Uvea, die Pigmentschicht der Iris vorhanden.
Bei dem gewöhnlichen Coloboma iridis nach unten findet man die
obere Hälfte der Iris, etwas breiter, wohl desshalb, weil der Sphincter
*) Ammon's Zeitschrift, Bd. V. S. 462.
Coloboma iridis. 123
iridis keinen Ring, sondern gleichsam ein Hufeisen vorstellt, mit dessen
Endpunkten (an der Grenze zwischen der eigentlichen Pupille und der
Spalte) sich die Radialfasern vereinen, daher denn die Wölbung gegen
die Seitentheile der Spalte herabgezogen werden muss. Die Iris bietet
demnach nur an der dem Coloboma gegenüberstehenden Irispartie das
Phänomen der Verengerung und Erweiterung der Pupille dar, und die
das Colobom begrenzenden Seitentheile können sich einander nicht
näher rücken, sich höchstens etwas verkürzen und verlängern. Diese
Seitentheile sieht man, wenn die Spalte bis zum Ciliarrande reicht,
gegeii die Peripherie hin etwas rückwärts gezogen, und an dem freien
Rande bisweilen ein wenig nach hinten umgestülpt. .
Das Colobom setzt an und für sich weniger Störung des Gesichtes,
als man erwarten sollte, sowohl in Bezug auf die Energie der Seh-
kraft, als in Bezug auf den Refractionszustand und dessen Abänderung
(die Accommodation für nahe und ferne Objecte). Augen mit Iris-
colobom scheinen nach den Beobachtungen von Beer, Rathke, Lechla,
Amnion, Helling, M. Jäger, Jüngken, Wutzer, Bloch und Sichel*) eine
besondere Disposition zur Trübung der Linse zu besitzen. Ich habe
unter S Fällen von Iriscolobom 3 mit später entstandenem Linsenstaare
beobachtet. (Ein Mann von 45 Jahren mit Colobom beider Augen nach
innen, welches bloss den grossen Kreis betraf; ein Weib von 61 Jahren
mit bilateralem, vollständigem und sehr breitem Colobom, und einen
Jüngling von 22 Jahren, mit bilateralem, gleichfalls vollständigem,
jedoch nicht sehr breitem Colobom. Der Mann wurde durch Reclina-
tion, das Weib durch Extraction geheilt; bei dem Jünglinge, dessen
Mutter auch an Cataracta gelitten hatte, nützte die Operation (Recli-
nation) wenig, wegen geringer Energie der Netzhaut.)
Das Colobom erscheint entweder nur auf einem Auge, und zwar
ungleich häufiger auf dem linken, oder auf beiden zugleich, und dann
immer in correspondirender Richtung gerade nach unten, oder nach
innen und unten, gewöhnlich auch in gleichem Grade, wenn jedoch un-
gleich, so auf dem linken Auge grösser (weiter gegen den Ciliarrand
hin reichend). Die angeborenen Abnormitäten, mit welchen zugleich
man dasselbe beobachtet hat, sind vorzüglich: Mikrophthalmus, ovale
und am Rande getrübte Cornea, Pyramidenstaar, Colobom des oberen
Lides, Hasenscharte, Hypospadias, Hydrocephalus, Enkephalokele. Con-
stant sind die weiter unten angeführten Abnormitäten der Chorioidea.
Es sind mehrere Beobachtungen bekannt (von Hagström, Conradi,
*) Fichte zur Lehre von den angeborenen Missbildungen der Iris , in Henle und Pfeufer's Zeitschrift
H. F. Bd. II. S. 140.
1 24 Regenbogenhaut.
Erdmann, Rosas, Stilling, Gescheidt u. A.), wo man Erblichkeit des
Übels anzunehmen berechtigt war, und zwar meistens von väterlicher
Seite. Mehrere Beobachter, darunter Ammon und Heyfelder, erwähnen
des sogenannten Versehens der Mutter in der Schwangerschaft.
Die Entstehung dieser Missbildung zu erklären versuchte zuerst (1821) Ph. von
Walther.*) Er nahm an, das Auge bilde' sich aus zwei seitlichen Hälften; wenn das
Zusammenwachsen derselben nach unten unvollständig erfolge, so entstehe die Irisspalte,
analog der Hasenscharte iind Spina bifida, also als Hemmungsbildung. Dieser Hypothese
traten zunächst von Amnion und Gescheidt**) entgegen, indem sie die Entstehung des
Bulbus aus 2 Seitenhälften nicht bestätigt fanden. Die Section von zwei Augen mit
dieser Missbildung der Iris, 1830 von Ammon***) vorgenommen, hatte nebst der Iris-
spalte auch Spaltung der Chorioidea und der Retina ergeben, und durch anderweitige
Beobachtungen war nachgewiesen, dass die Chorioidea in ihrer ersten Anlage constant
eine Spalte nach unten und innen darbietet, welche sich allmälig von vorn nach hinten
schliesst. Sofort behaupteten Ammon und Gescheidt, die Iris sei in ihrer ursprünglichen
Anlage nicht gespalten, sondern sie entstehe als ein geschlossener schmaler Ring vom
Corpus ciliare aus erst dann, wenn der Chorioidealspalt sich bereits geschlossen habe.
Bleibe nun dieser über die normale Zeit offen, so könne sich auch in der Gegend der
Lücke die Iris gar nicht oder doch nicht vollständig entwickeln, somit sei die Spalte der
Iris nur Folge der gehemmten Entwicklung der Chorioidea. Arnold 'f) suchte den näch-
sten Grund in mangelhafter Vereinigung der Blendungsgefässe zu vollständigen Bögen,
daher man auch bisweilen nur den grossen Kreis gespalten finde, und Seiler bezeichnete
Obliteration einzelner Blendungsarterien als Ursache hievon. Dagegen hat jedoch von
Ammon mit Recht eingewendet, dass die primäre Bildung eines Organes nicht von seinen
Gefässen abhängig gemacht werden könne, dass das Irisparenchyni in seiner Primär-
form als ununterbrochener Ring schon vor der Bildung der Irisgefässe vorhanden sei.
Was die Colobome nach aussen, nach oben und nach innen betrifft, so erklärte von
Ammon deren Entstehung aus einer pathologischen Spalte der Chorioidea. -J-j-) Er fand
nämlich zu wiederholten Malen an bebrüteten Hühnchen ausser dem gewöhnlichen Spalt
der Chorioidea nach unten einen zweiten Spalt dieser Membran zur Seite oder etwas
nach oben gerichtet. Dieser Spalt sei etwas Pathologisches, und gleichfalls fähig, sich
zu schliessen. Es könne jedoch, bevor dieses geschehe, zur Zeit, wo sich die ersten
Spuren der Iris entwickeln , an dieser Stelle eine Unterbrechung stattfinden , und somit
ein Irisspalt entstehen, der einer pathologischen Veranlassung, der abnormen Chorioideal-
spalte, seine Entstehung verdanke. Nach Huschke's *{"j"|") Beobachtungen besteht nicht nur
in der Fisch- und Amphibien-Iris eine Spalte unwidersprechlich deutlich, sondern ent-
wickelt sich auch bei den Vögeln die Iris nicht gleichmässig auf einmal in ihrem ganzen
Umfange (als geschlossener Ring), sondern später an der Stelle des Chorioidealspaltes,
und ist folglich regelmässig durch eine gewisse Zeit des fötalen Zustandes gespalten.
„Man sieht hier einen flachen Einschnitt von der noch weiten Pupille bis zum Ciliarrande
*) Gräfe und Walther Journal für Chirurgie, Band II. S. 598.
**) Gescheidt: De colobomate iridis, praefat. est D. F. A. ab Ammon, Dresden 1831.
***) Ammon's Zeitschrift für Ophthalmologie, Bd. III. S. 50.
-j) Anatom, u. physiol. Untersuchungen über das Auge, Heidelberg 1S32, S. 152.
-tf) Monatschrift, 1840, Band III. S. 538.
ift) Sömmerrirjg's Lehre von den Eingeweiden, Leipzig 1814, S. 803.
Coloboma iridis. 125
durchgehen, von welchem aus sich die Iris allmälig erhebt und breiter wird. Bleibt
dieser Einschnitt also, so hat man das gewöhnliche Colobom."
Man sieht aus dieser gedrängten Übersicht, dass über die Entstehung dieses merk-
würdigen Bildungsfehlers noch manche Frage zu beantworten übrig bleibt. *J Die fol-
genden Sectionsbefunde machen diesen Mangel noch fühlbarer.
Den ersten Sectionsbefund colobomatöser Augen hat von Amnion geliefert. Er
zeigte : Colombom beider Augen nach unten, bis in den Ciliarrand reichend, mit conver-
girenden Bändern, die Bulbi von normaler Grösse, nur unten in der Medianlinie mit
einer staphylomähnlichen Ausbauchung der verdünnten Sclera versehen, 5'" lang, 2 - 3'"
breit, L ' V" hoch, l]\'u hinter der Cornea beginnend, und sich nahezu bis zur Insertion
des X. opticus erstreckend. Im Corpus ciliare (bis zur Ora serrata retinae) eine Baphe.
an deren vorderem Ende die Ciliarfortsätze fehlten ; zu beiden Seiten derselben stärkere
Pigmentablagerung; hinter derselben eine '"' lange, 2 — 3'" breite Spalte in der Aderhaut
sowohl als in der Netzhaut, mit deutlich und scharf begrenzten Bändern ; Netzhaut ohne
Centralloch; die Linse etwas oval (?), so dass zwischen ihr und dem Corpus ciliare an
der betretfenden SteUe eine Lücke bestand.
R. Wagner**) fand in einem Auge mit Colobom der (rechten) Iris, welches nach
unten und etwas nach innen gerichtet war, und nur den kleinen Kreis der Iris betraf,
weder in der Chorioidea noch in der Eetina eine Spur von Spaltung, den Glaskörper
höchst dünnflüssig, die Linse gegen den untern, dem Colobom entsprechenden Band ge-
rade, wie abgeschnitten, als wenn ein Segment davon entfernt worden wäre, in der
Mitte getrübt.
Auch Heyfelder***) sah bei einem nach unten gerichteten Iriscolobom die Chorioi-
dea und Netzhaut normal, nur das Corpus ciliare (so wie Amnion) birnförmig, so dass
zwischen ihm und der Linse eine Lücke blieb.
Gescheidt ■}■) secirte die Augen eines 6 Monate alten Kindes , dessen Vater auf
beiden Augen an Iridoschisma litt. Das rechte Auge zeigte in der Iris nach unten eine
bis in den Grund der Augenkammer reichende Spalte, das Corpus ciliare etwas oval,
indem nach unten ein halbmondförmiges, Va'" breites Stück desselben fehlte, gleichsam
ausgeschnitten war. so dass man zwischen der Linse und dem Corpus ciliare durch die
Lücke in der Iris durchsehen konnte. Chorioidea, Betina, Glaskörper und Linse normal;
die Zqnula Zinnii oval, hinsichtlich der Form dem Corpus ciliare entsprechend ; das Liga-
mentum ciliare breit, an der Stelle der Spaltung ziemlich fest adhärirend. — Das linke
Auge zeigte an der Stelle des Iridoschisma einen '/a'" breiten, dunkelschwarz gefärbten,
am Pupülarrande beginnenden, und bis in den Grund der Augenkammer herabsteigenden
Streifen. Das Corpus ciliare oval ; am Irisrande, der Stelle des schwarzen Streifens ent-
sprechend, waren die Falten desselben unterbrochen, ebenso wie am rechten Auge, nur
mit dem Unterschiede, dass hier der kleine Ausschnitt des Corpus ciliare von Irissubstanz
ersetzt war. Die Iris war an der Stelle des genannten schwarzen Streifens ausserordent-
lich dünn, gleichsam als ob die vordere Fläche der Iris fehlte, und nur die Uvealfläche
vorhanden wäre. Chorioidea, Sclerotica, Betina und Glaskörper normal, die Zonula
Zinnii länglich.
*; Vergl. Fichte's vortreffliche Abhandlung über das Iriscolobom in Heule und Pfeufer's Zeitschrift
N. F. 1S52. Band II. S. 140.
**) Ammon's Zeitschrift, Bd. III. S. 283.
***) Ibidem, S. 467.
f) Ibid. Band IV. S. 436.
1 26 Regenbogenhaut.
Warnatz*) fand bei einem Haushuhne die Spalte bloss auf die Iris beschränkt,
und im Corpus ciliare nur eine leichte Einbeugung, alle übrigen Gebilde normal.
Hannover**) zergliederte die Augen eines Mannes mit birnförmigen, abwärts ge-
richteten, bis zum Cilianande reichenden Colobomen, nachdem er sie ein Jahr lang in
Chromsäure erhärtet hatte. Auf der untern Fläche der Sclerotica eine Protuberanz, die
sich ungefähr 2'" vom Eintritte der Sehnerven nach vorn erstreckte in einer Länge von
3' i'" und einer Breite von 2'/V". Die Ausbuchtung war auswendig ziemlich genau
begrenzt und stark durchscheinend. Von innen angesehen, erschien dieselbe als eine
Grube, in welcher die Netz- und Aderhaut durchaus fehlten, und nur eine feine, zusam-
menhängende faserige und mit wenigem Pigmente gemischte Membran, wahrscheinlich die
Arachnoidea oculi, als Überzug der verdünnten und ausgedehnten Scleralpartie vorhanden
war. Eine Linie vor und etwas ausserhalb des vordem Endes der Grube war in der
Netzhaut eine kleine Vertiefung, nach vorn von einem hervorstehenden halbmondförmigen
und feingezackten Eande begrenzt, unter den sich eine Sonde 3/i'" tief fuhren Hess. Das
Foramen centrale retinae, durch diese Vertiefung gebildet, lag auf diese Weise wegen der
zwischenliegenden Grube mehr als 6'" vom Eintritte des Sehnerven. Vor dem Foramen
centrale sah mau eine Raphe als Spur der frühern Spaltung des Auges ; diese Eaphe war leicht
erhaben und deutlich in der Netz- \mä Aderhaut, die vor dem vordem Ende der Grube
sich wieder vorfand. Die Eaphe setzte sich sowohl in der Netzhaut als in der Aderhaut
fort bis zu der Spitze der birnförmigen Pupille, und trat besonders vom deutlich hervor.
Die Sclera zeigte bloss au der innern Fläche nach vorn eine leichte Spur einer Eaphe.
Im Glaskörper war die Spaltung besonders deutlich in die Augen fallend. Die Sectoren
zeigten sich auf dem Querschnitte, der den Bulbus senkrecht in eine vordere und hintere
Hälfte getheilt hatte, hufeisenförmig gelagert, so dass die Spitzen nach unten and gegen
die Mitte des Auges convergirten, während sie in der untern Augenhälfte auf beiden
Seiten einer senkrechten Mittellinie gestellt waren. Etwas unterhalb der Mitte des Auges
sah man eine runde Öffnung im Glaskörper, die zur hintern Kapselwand der Linse führte,
und folglich den Canalis hyaloideus für die Art. centralis bildete. — Die Processus ciliares
standen concentrisch um die Iris, so dass sie also in Birnform mit der Spitze nach unten
gestellt waren; sie stiessen an beiden Seiten der Eaphe zusammen, und wurden hier
etwas kleiner. Sie wurden vom Corpus ciliare umgeben, das an beiden Seiten der Eaphe
herabging, parallel den Processus ciliares und folglich von derselben Form. Die Linse
war durch die feinen Fasern der Zoimla an die Spitzen der Ciliarfortsätze geheftet; die
Verbindung war am stärksten unten gegen die Eaphe, und die Fasern hier am längsten'
sie war nicht vollkommen kreisförmig, sondern nach unten stumpf zugespitzt, mit der
Spitze gegen die Eaphe. — Endlich fand sich in beiden Augen ein höchst merkwürdiges
Organ. In der Substanz der Netzhaut nämlich und mit ihr in ununterbrochenem Zusammen-
hange lag auf jeder Seite der Eaphe eine riatte, ungefähr 6'" lang von vorn nach
hinten und 3— 3'/^'" breit, von etwas unregelmässiger rhomboidalischer Form, jedoch sehr
genau begrenzt. Diese Platten fingen mit einem abgerundeten Eande auf jeder Seite der
Gmbe an, etwas hinter ihrem vordem Ende, gingen vorwärts an beiden Seiten der Eaphe,
I ' V" von ihr entfernt, und reichten bis an den äussern Eand des Corpus ciliare. Han-
nover glaubt in diesen Platten ein Analogon des Kammes des Vogelauges gefunden zu
haben, und erklärt mit Berufung auf Huschke's Entwicklungsgeschichte des Auges den
ganzen Befund dieser Augen für einen fötalen (etwa aus der 6. — 7. Woche).
*) Ammon'a Zeitschrift, Band V. S. 460.
**; J. Müller's Archiv für Anatomie und Physiologie, 1845. S. 482.
Coloboiua iridis. 127
Neuerlich hat von Amnion*) einen Fall von Iriscolobom anatomisch beschrieben.
Bloss das linke Auge (einer "26 Jahre alten Frau) bot die Spaltung der Iris dar, und
zwar nach unten tief hinter den Rand der Hornhaut herabreichend, mit fast parallelen
Schenkeln. Das Auge war vor der Zergliederung erst einige "Wochen in Spiritus aufbe-
vrahrt worden. Die Sclera war nach hinten und unten verdünnt und protuberirend, die
Chorioidea zwar nicht gespalten, aber gefässarm und ohne Pigmentlage (etwa 3'" lang und
1'" breit nach Fig. 6 der beigegebenen Tafel), die Netzhaut zeigte ein Foramen centrale
mit starkem wallartigem Rande, jedoch nicht perforirt, sondern von einem dünnen Häut-
chen bedeckt. Die Linse war gehörig gestaltet, die Cornea ciliaris zeigte unten eine
rückwärts spitzig vorspringende Ausbiegung; vor und an den Ciliarfortsätzen fand sich
an der Stelle des Peristoma Doellingeri ein heller, weissröthlicher, pigmentloser, 2'" breiter
Ring; die Ciliarfortsätze waren meist ganz pigmentlos; auch zwischen denselben fehlte
das Pigment. Ton einer Raphe im Corpus ciliare oder von veränderter Form und Lage
der Ciliarfortsätze hinter der Irisspalte ist im Texte nichts erwähnt; nach der Zeichnung
(Fig. 4) ging der Substanzmangel nicht nur durch die Iris, sondern auch durch den
pigmentlosen Theil des Corpus ciliare mit scharf begrenzten Rändern. Der Übergang
der Pupille in die Irisspalte war durch stark vorspringende Winkel deutlich bezeichnet ;
der Ringmuskel der Iris war gegen '/•>'" breit, und endete am Rande der Spalte wie
abgeschnitten ; die Pigmentlage der Iris war mächtig. Die Cornea wird als etwas konisch,,
jedoch rund bezeichnet, die äussere Gestalt des Bulbus als die eines Fötus im 4. — 5.
Monate angegeben.
Eigene Beobachtungen. 1. Fall. Am 4. Mai 1849 fand ich an dem Cadaver einer
73 Jahre alten Frau ein Colobom des linken Auges, und unterwarf sofort beide Bulbi der
anatomischen Untersuchung. Linkes Auge: Der Bulbus etwas kleiner, als der rechte;
der durchsichtige Theil der Hornhaut mass horizontal 4'/2"/, vertical 4'". Vordere Kammer
etwa 3V" tief. Die Iris lichtbraun, oben vom Ciliar- bis zum Pupillarrande 2'" breit,
die Pupille birnförmig, ihr unterster Theil durch den undurchsichtigen Rand der Hornhaut^
welche hier gleichsam früher in die Sclera überging, verdeckt. Hinter dem Äquator
bulbi erhob sich die offenbar verdünnte, bläulich durchscheinende Sclera allmälig in eine
halbkuglige Vortreibung, welche etwa 3'" hinter der Insertion des M. rectus inf. begann
und bis zur Insertion des X. opticus reichte, ja dieselbe noch zum Theil umfasste. Die
Grenzen ihres Cmfanges, dessen Durchmesser beiläufig 6'" betrug, waren nicht scharf
bezeichnet; die höchste Stelle stand l'/z — 2'" höher als die Sclera bei normal gedachter
Wölbung. Der Bulbus wurde durch einen horizontalen Schnitt in eine obere und untere
Hälfte getheilt. In der obern verhielten sich alle Theile normal. Der Glaskörper war
etwas dünner, als im rechten Auge. Entsprechend der eben beschriebenen Hervortreibung
der Sclera erschien der Bulbus innen ganz weiss, als ob Netz- und Aderhaut in dieser
Grube ganz fehlten. Die Ränder dieser Grube zu beiden Seiten waren scharf begrenzt
und durch einen etwas wulstigen, schwarzbraunen Saum markirt ; sie convergirten nach
vorn bis in die Gegend des Äquators, wo sie nur noch gegen 3y" weit von einander
abstanden. Von hier an, also vom vordem Ende der lichten Grube bis zur Gegend der
Ciliarfortsätze lag eine dunkelbraune Platte, V" breit, ysz'" lang, von einem halbdurch-
sichtigen dünnen Häutchen gedeckt, das durch eine von der genannten Grube bis zum
vordem Ende des Ciliarkörpers verlaufende dunklere Linie in 2 gleiche Hälften ge-
theilt erschien. Diese dunkelbraune Platte war gleichfalls zu beiden Seiten scharf begrenzt.
*) Münchener illastr. med. Zeitung, Jahrgang lg52, Heft VI.
128 Regenbogenhaut.
Es Hessen sich nämlich die sämmtliuhen Elemente der Netzhaut nur bis zum Rande dieser
Platte verfolgen, der halbdurchsichtige Überzug der Platte bildete wohl ein Continuum
mit der Netzhaut, und Hess sich von der dunkelbraunen Platte (der Chorioidea) bis zu
der obgenannten linearen Raphe abziehen, zeigte aber die Eigenschaften der Netzhaut
selbst nicht. Von einem ähnlichen halbdurchsichtigen Häutchen war die ganze obgenannte
Grube ausgekleidet. Auch hier bildete dieses Häutchen ein Continuum mit der Netzhaut,
aber auch zugleich mit der Aderhaut, indem diese beiden Häute am Rande der Grube
sowohl als in der nach vorn verlaufenden Raphe fast unzertrennlich mit einander ver-
einigt waren. Die in Rede stehende Auskleidung der Grube war keineswegs die Lamina
fusca oder Arachnoidea oculi, denn diese konnte überall nur bis zum Rande der Grube
und vorn bis zu den Rändern der Raphe verfolgt werden, und war an diesen Stellen
innigst mit der Sclera verwachsen. Überall, wo sich normale Chorioidea nachweisen
Hess, befand sich darunter Lamina fusca. — Die Ciliarfortsätze waren am vordem Ende
der genannten Raphe gleichsam seitlich und rückwärts gezogen, daselbst verkümmert
und in zwei Hörnchen verschmolzen , welche ihre Convexität der zur Iris laufenden
Raphe zuwendeten. An der äussern Fläche des Corpus ciliare verlief eine lineare Raphe
vom vordem Rande des Ligamentum ciliare rückwärts bis zu der obgenannten Grube.
Längs dieser Raphe konnte diese Partie nur durch Zerreissung von der Sclera getrennt
werden, welche dem entsprechend einen linearen, kaum merklich erhabenen Streifen
zeigte. Das blassgelbe Ligamentum ciliare erstreckte sich zu beiden Seiten der Raphe
etwas weiter nach rückwärts, so dass es daselbst fast noch einmal so breit erschien, als
in seinem übrigen Umfange. Die Linse zeigte gegenüber der Raphe im Corpus ciliare
eine seichte Einkerbung. In der Iris war der Sphinkter nur in etwas mehr als der obern
Hälfte vorhanden, also hufeisenförmig ; die Schenkel des Coloboms waren nur von den
Radialfasern gebildet; die Enden des Ringmuskels wurden durch je zwei dunkle Streif-
chen bezeichnet, deren Pigment sich durchaus nicht beseitigen Hess. Die Spalte der
Iris erstreckte sich, wie man jetzt deutlich sehen konnte, sowohl an der vordem als an
der hintern Fläche der Iris nicht ganz bis zum Ciliarkörper ; der Irisring war beiderseits
noch gegen ll%"' breit; mitten durch die Pigmentschicht der hintern Fläche (uvea) jedoch
verlief ein weisser Streifen bis zum Pupillarrande, i. e. bis zum Scheitel der Irisspalte.
Rechtes Auge: Grösse und Gestalt des Bulbus normal. Horizontaler Durchmesser
der Cornea 5"', verticaler 473"' (innerhalb des Linibus). Die Iris lichtbraun, die vordere
Kammer klein. Die Pupille im horizontalen Durchmesser ll/->'", im verticalen 13,V", also
nach unten ein wenig ausgebuchtet. Alle innem Gebilde normal, bis auf das Corpus
ciliare. Gerade nach unten sind nämlich 2 Ciliarfortsätze etwas grösser; hinter denselben
macht die Ora seirata einen leichten Vorsprung nach hinten, so dass also das Corpus
ciliare hier etwas breiter erscheint. Von der Furche zwischen jenen zwei Ciliarfortsätzen
bis zur Spitze dieses Vorsprunges verläuft eine weissliche Linie, und zu jeder Seite der-
selben noch eine ähnliche etwas gekrümmte ; letztere beide divergiren jedoch nach
hinten ein wenig und verlieren sich hinter der Ora serrata allmälig in der Chorioidea.
An der äussern Seite bildet das graugelbe Ligamentum ciliare gleichfalls einen Vorsprung
nach hinten, so dass es um 3W" breiter erscheint, als in seinem übrigen Bereiche. Im
Baue der Iris ist keine Abnormität wahrzunehmen. Die genannten 3 lichten Streifen er-
innern, wenn man das rechte und linke Auge neben einander legt, unwillkürlich an die
Raphe und an die Begrenzungslinien der dunkelbraunen Platte, die wir beim linken Auge
beschrieben haben.
Diese Veränderungen im Corpus ciliare des rechten Auges waren mir bei der
Coloboma iridis. 129
ersten Untersuchung ganz entgangen, und ich bin erst in jüngster Zeit bei wiederholter
und genauerer Besichtigung darauf aufmerksam geworden. Dieser Irrthum hatte leider
das zur Folge, dass ich in den spätem 3 Fällen immer nur das mit Colobom der Iris
versehene linke Auge untersuchte. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ich auch in dem
andern, äusserlich wohlgestalteten Auge Andeutungen der Chorioidealspalte gefunden haben
würde; denn ich glaube in späterer Zeit oft an ganz gesunden Augen eine Andeutung der
Chorioidealspalte darin gefunden zu haben, dass sich gerade an der untersten Stelle die Ora
serrata etwas weiter rückwärts erstreckt, einen spitzigen Vorsprung nach hinten bildet.
2. Beobachtung. Linkes Auge eines 22jährigen Mädchens mit brauner Iris, birn-
förmigem, bis in den Ciliarrand hinabragendem Colobom. Die Cornea normal. Die Sclera
unten vor dem Opticus ektatisch, etwas verdünnt, die bläuliche "Wulst gegen 3'" breit,
6'" lang, nicht ganz 1"' hoch über das Niveau der Umgebung emporgehoben. Der
Bulbus wurde durch 3 Tage in Chromsäure erhärtet und dann von mir und Dr. Cermdk
untersucht. Im Glaskörper fand sich längs des scheinbaren Retinal- und Chorioidealspaltes
in der hintern Hälfte des Bulbus eine von hinten nach vorn gehende längliche Höhlung,
deren Verhältnisse sich jedoch nicht näher bestimmen Hessen. Die sonst ganz nor-
male Netzhaut bildete nach unten eine Art Becessus oder Divertikel mit scharf be-
grenzten Bändern. Dieses Divertikel begann 2'" von der Eintrittsstelle des N. opticus
und erstreckte sich bis in die Gegend der Ora serrata; seine grösste Breite betrug etwas
über 2'", seine Tiefe etwas über 1'". Der scharfe, gleichsam durch Ausstülpung der
Netzhaut entstandene Band dieser Grube war hinten parabolisch gekrümmt und stellte
somit eine Art hufeisenförmiger Falte vor ; nach vorn, wo der Band minder scharf, und die
Grube allmälig flacher wurde, näherten sich die Schenkel dieser scheinbaren Netzhaut-
spalte bis auf etwa llh'u. In diesen Becessus der Betina hinein erstreckte sich eine
Ausstülpung des Glaskörpers. Im Grunde des Becessus Hessen sich alle Formbestandtheile
der Netzhaut mikroskopisch nachweisen, aber wie auseinandergezogen und schütter, so
dass die Netzhaut daselbst sehr verdünnt erschien. Unter dieser Partie der Netzhaut
fand man die Chorioidea, jedoch sehr gefässarm und ohne Pigment bis zur Ora serrata
retinae hin. Die Lamina fusca war daselbst mit dem Bindegewebe der Chorioidea ver-
schmolzen und fest an die verdünnte Sclera adhärirend. In der vordem Hälfte des Bulbus
zeigten sich folgende Abweichungen. Die Iris war oben vom Pupillar- bis zum Ciliar-
lande 2'" breit. Der Pupillarrand ging zu beiden Seiten unmittelbar in die Spaltenränder
über, welche nach unten konisch zusammenliefen; die Pupille niass demnach bis zur
Spitze der Spalte 3'". Die Schenkel der Spalte reichten aber noch hinter das Döllin-
gersche Band hinab und waren an die Baphe im Corpus ciliare angeheftet, daher etwas
rückwärts gezogen. Der Sphincter iridis umfasste nur 3/i des Kreises der Pupille, die
Schenkel der Spalte waren bloss durch Badialfasern gebildet. Das Ligamentum ciliare er-
schien in dieser Gegend viel breiter, gleichsam rückwärts gezogen und ausgedehnt. Von der
innern Ansicht des Corpus ciliare wird man sich am ehesten eine richtige Vorstellung
machen, wenn man sich aus dem Binge, den die Ciliarfortsätze bilden, ein V-förmiges
Stück ausgeschnitten denkt, dessen Spitze rückwärts gerichtet ist, und dass nun einige
Ciliarfortsätze so zu diesem gestellt sind , wie die übrigen zu der Kreislinie , die ihre
vorderen Enden beschreiben. Diese gleichsam rückwärts gezerrten Ciliarfortsätze nehmen
somit die Gegend ein, die sonst der flache Theil des Corpus ciliare behauptet, und dieser,
an seiner dunklen Färbung erkennbar , erstreckt sich hinter die Kreislinie rückwärts,
welche der Verlauf der Ora serrata retinae bezeichnet. Auf diese "Weise entstand zwischen
4er lichten Grube und zwischen den Ciliarfortsätzen eine länglich viereckige dunkelbraune
Arlt Augenheilkunde. II. 9
130 Regenbogenhaut.
Platte, durch die mitten durchlaufende Raphe in 2 Seiten half ten getheilt. Die Linse war
an der betreffenden Stelle am Rande flach eingekerbt, und so entstand zwischen ihr und
den rückwärts gezogenen und folglich auch mehr von der Augenachse entfernten Ciliar-
fortsätzen eine dreieckige Lücke, bloss durch die durchsichtige Zonula Zinnii ausge-
füllt. Die innere Fläche der Sclera, in der Richtung des untersten Meridianes, fest mit
dem Ciliarkörper bis zum Rande der obgenannten Grube verwachsen, bot nach Losreissung
der Chorioidea an ihrer Innenfläche eine leise Spur einer Raphe dar.
3. Beobachtung. An dem Cadaver eines Mannes von etwa 40 Jahren fiel mir eine
leichte Ausbauchung der linken Pupille nach unten auf, wesshalb ich den Bulbus exstir-
pirte. Der Befund war im Wesentlichen derselbe, wie in den frühem Fällen, jedoch
mit einigen merkwürdigen Abweichungen. Der Bulbus zeigte nach unten in der hintern
Hälfte eine Scleralektasie , welche knapp vor dem Opticus begann, und ungefähr 4'"
hinter dem Hornhautrande endete. Die Cornea normal, die Pupille nach unten leicht
ausgebaucht, die Iris oben 2'", unten 1 ',V" breit. Der Bulbus wurde in eine obere und
untere Hälfte gespalten. Ob der Glaskörper eine Spalte, die Linse eine Einkerbung be-
sitze, habe ich in diesem Falle nicht untersucht. Eine Linie vor der Eintrittsstelle des
Opticus begann eine seichte, nahezu ovale Grube, etwa 5'" lang, etwas über 3'" breit,
auffallend durch ihre weisse Farbe. Sie war hinten tiefer, vorn flacher. In dieselbe
hineingestülpt waren die Aderhaut, die Netzhaut, und eine Art Hernie des Glaskörpers.
Indem die Netzhaut sich in dieses Divertikel hinausstülpte , bildete sie einen scharfen
Rand, welcher besonders hinten stark hervortrat, wie eine hufeisenförmige Falte mit vor-
wärts gewendeter Concavität. Am vordem Ende der Grube stehen ihre Schenkel noch
etwa 2'" weit von einander ab. Vor der Grube nun liegt eine dunkelbraune Platte,
gegen 2'" breit, 27a"' lang, zu beiden Seiten von normaler Netzhaut deutlich abgegrenzt,
vorn unmittelbar in den gleichfalls dunkelbraunen flachen Theil des Corpus ciliare über-
gehend. Mitten durch diese Platte geht von der genannten weissen Grube an bis zum.
vordem Ende der Ciliarfortsätze eine Raphe in Form einer weissen Linie , welche nach
vorn allmälig breiter und höher wird, und sodann an die später zu beschreibende Spalte
in der Iris übergeht. Die Ciliarfortsätze, ringsum regelmässig gestellt, weichen da, wo die
Raphe an ihren Ring gelangt, etwas gegen dieselbe zurück, und je 2 (zu jeder Seite}
wenden ihre Spitzen der Raphe zu; mit andern Worten : der Ring, den die Ciliarfortsätze
bilden, hat unten einen V-förmigen Ausschnitt, auf dessen Schenkeln je 2 etwas ver-
kümmerte Ciliarfortsätze senkrecht stehen , und von der Spitze des Ausschnittes geht
rückwärts die Raphe wie ein sehr in die Länge gezogener Ciliarfortsatz bis zur obge-
nannten Grube. An der äussern Fläche erscheint das Ligamentum ciliare in der Gegend
der Raphe gegen 3"' breit, während es sonst nur etwas über ['" breit ist. Eine festere
Verbindung zwischen Sclera und Corpus ciliare an dieser Stelle fand sich in diesem Falle
nicht vor. Die Iris erscheint in diesem Falle nicht gespalten, nur unten schmäler, als
oben, wie schon oben bemerkt wurde, aber es findet sich eine Spalte in der Uvea, in der
Pigmentschicht der Iris, V-förmig, die Basis am Pupillarrande , die Spitze gegen den
Ciliarrand gerichtet, an der Basis '/a'" breit, von der Basis bis zur Spitze über l"ylang.
Die Iris verhält sich also hier analog der Chorioidea in der hintern Hälfte des Bulbus;
es fehlt nur ihre Pigmentschicht. Das Verhalten der Circulär- und Radialfasern der Iris.
wurde nicht untersucht, um eben diese bisher noch nicht beobachtete Pigmentspaltung
nicht zu verwischen und das Präparat als augenfälligen Beweis aufbewahren zu können.
4. Beobachtung. Linkes Auge eines 20jährigen Mädchens mit einer nur den kleinen
Kreis betreffenden Irisspalte. Ausser der Iris bietet nur das Corpus ciliare bis zur Ora,
Pupillensperre — Pupi Neubildung. 131
serrata Abnormitäten dar. Hinter der Irisspalte sind nämlich nur zwei Ciliarfortsätze
etwas länger, und dem entsprechend reicht auch der flache Theil des Corpus ciliare etwas
weiter nach hinten, so dass die Ora serrata daselbst eine stumpfe, nach hinten vor-
ragende Spitze bildet. An der äussern Fläche erscheint das Ciliarband um ' '%'" breiter,
bildet also auch eine rückwärts vorspringende stumpfe Spitze. Bei durchfallendem Lichte
bemerkt man im flachen Theile eine mittlere und zwei seitliche lichte Streifen ; die mitt-
lere nimmt die Stelle und Richtung des untersten Meridianes ein, ist also eine Andeutung
der Raphe, die beiden seitlichen, ein wenig gekrümmten und nach hinten divergirenden
liegen so, wie die seitlichen Begrenzungslinien der dunkelbraunen Platte, deren wir in
der ersten Beobachtung ausführlicher erwähnten. Diese Linien lassen sich jedoch nicht
über die Ora serrata rückwärts hinaus verfolgen. — Wie weit der Sphincter iridis vor-
handen war, konnte ich nicht genau eruiren; an der abgerundeten Spitze der Spalte
fehlte er jedoch ganz bestimmt.
Piipillenbildung — Coremorphosis.
Wenn Jemand desshalb nicht sieht, weil die Pupille gesperrt oder
durch partielle unheilbare Hornhauttrübungen verdeckt ist, so können
wir ihm unter gewissen Verhältnissen durch Anlegung einer künstlichen
Pupille wieder zu einem mehr weniger guten Gesichte verhelfen. Wir
können nämlich entweder am Rande der Hornhaut einen 2 — 3'" langen
Einstich machen, einen Theil der Iris durch denselben mit einer Pin-
cette hervorholen, und mit einer Scheere abschneiden, oder wir können
nächst der Mitte der Cornea einstechen und eine Partie der Iris mit-
telst eines Häkchens vom Ciliarbande ablösen, herausziehen und mit
einer Scheere abschneiden; in gewissen Fällen können wir auch schon
dadurch eine künstliche Öffnung in der Iris hinter dem durchsichtigen
Theile der Hornhaut erhalten, dass wir die Iris bloss mit einem Messer
— quer auf ihre Radialfasern — anstechen oder einschneiden.
I)ie Zustände, welche die Bildung einer künstlichen Pupille nothwendig
machen, sind:
1 . Verdeckung der Pupille durch partielle unheilbare Verdunkelung
der Hornhaut. Man findet entweder die Iris hinter der Hornhauttrü-
bung in jeder Beziehung normal, oder, was viel häufiger vorkommt,
ein mehr weniger grosser Theil des Pupillarringes ist an die Hornhaut
angewachsen, und der Rest der mehr weniger verzogenen und veren-
gerten Pupille wird durch die Peripherie der Hornhautnarbe verdeckt.
2. Verschliessung der Pupille durch Verwachsung des ganzen Pu-
pillarrandes mit einer umschriebenen Hornhautnarbe. Dieser Zustand
entsteht am leichtesten nach centralen Durchbrüchen der Hornhaut mit
Prolapsus iridis; es kann aber auch bei peripherischen Wunden oder
9*
132 Regenbogenhaut.
Geschwüren die Pupille dadurch ganz aufgehoben werden, dass der
ganze Pupillarrand zur Öffnung hingezogen und daselbst fixirt wird.
Insbesondere finden wir an Augen, bei denen nach der Extractio cata-
ractae die Heilung mittelst Eiterung oder Irisvorfall erfolgt war, die
Iris gegen die Hornhautnarbe hin gezerrt, und die Pupille theils hie-
durch, theils durch Exsudat verschlossen.
3. Pupillensyerre durch Exsudate, als Folge von Iritis. Das Ex-
sudat erscheint in Form einer mehr weniger dicken und undurchsich-
tigen Membran oder eines kleinen Pfropfes ; es haftet in der Regel viel
fester am Pupillarrande, als an der hinter ihm befindlichen Linsenkapsel.
4. Cataracta accreta, Verdunkelung der Kapsel oder der Linse,
gewöhnlich beider zugleich, mit zahlreichen hintern Synechien, oder auch
mit völliger Anheftung des Pupillarrandes an die Kapsel.
Diese Zustände können jedoch die Vornahme der Pupillenbildung
nur dann rechtfertigen, wenn :
a) auf keine leichtere, sicherere und vollständigere Weise Hilfe er-
wartet werden kann, wenn die Hornhauttrübung wirklich unheilbar ist,
wenn auf theilweise Öffnung der Pupille durch Freiwerden des Pupil-
larrandes (Verschwinden hinterer Synechien) nicht mehr gerechnet wer-
den kann, wenn die Cataracta accreta weder durch Zerreissung oder
Ausziehung der Kapsel, noch durch Reclination der Linse (siehe Krank-
heiten der Linse) beseitigt werden kann, und wenn spontane Pupillen-
bildung sich nicht mehr erwarten lässt. Ist zur Zeit, wo der Bulbus
noch nicht seine normale Grösse erlangt hat, Einheilung des Pupillar-
randes in eine Hornhautnarbe erfolgt, so geschieht es bisweilen, dass
mit dem Wachsthunie des Bulbus überhaupt und der Cornea insbeson-
dere die Iris straff gespannt und desshalb vom Ciliarbande losgezerrt
wird, oder auch mitten in ihrem Gewebe dehiscirt. Diese Art sponta-
ner Pupillenbildung kann man in jedem Blindeninstitute beobachten,
welches eine gewisse Zahl von Individuen beherbergt, die ihr Gesicht
durch Blennorrhoea neonatorum verloren haben. Die auf diese Weise
entstandenen Pupillen sind zwar selten so gross und so gelegen, dass
sie einen wesentlichen Nutzen gewähren; indessen sind doch Fälle be-
obachtet worden, wo durch diesen Vorgang ein auffallend gutes Gesicht
restituirt wurde. Ich kenne einige Fälle, wo der in früher Jugend ge-
machte Vorschlag, eine künstliche Pupille zu bilden, nach Verlauf eini-
ger Jahre auf diese Weise überflüssig wurde. — Ebenso würde man
auch die Ausbildung des Bulbus (der Grösse nach) abzuwarten haben,
wenn der Fall vorkäme, dass die Membrana pupillaris (Wachendorfi)
nach der Geburt noch fortbestünde, und erst dann, wenn bis zum 8.
Piipillenbilduiig. 133
Lebensjahre keine spontane Dehiscenz der Iris eingetreten wäre, zur
Pupillenbildung schreiten dürfen.
b) Das andere Auge muss, wenn nicht rettungslos , so doch so er-
blindet sein, dass seine Function mindestens nicht auf eine bessere
Weise hergestellt werden kann. Man bedenke stets, dass auch die
bestgelungene künstliche Pupille, selbst wenn sie im Centrum angelegt
wäre — was nur äusserst selten möglich ist — immer nur eine unbe-
wegliche Öffnung darstellt. Je weiter aber vom Centrum entfernt die
Pupille angelegt werden muss, desto geringer ist der Nutzen für den
Operirten. Ist das eine Auge gesund, dann wird dem Kranken die
künstliche Pupille des andern Auges nichts nützen, in der Regel sogar
schaden, durch Blendung oder, wenn sie excentrisch ist, selbst durch
Doppeltsehen. — Wäre das eine Auge zur Pupillenbildung geeignet,
das andere dagegen nur durch Pannus oder eine heilbare Trübung der
Hornhautsubstanz in seiner Function behindert, dann würde jedenfalls
dieses Auge erst in Behandlung zu nehmen sein. Aber auch dann,
wenn dieses zweite Auge an (heilbarer) Cataracta litte, würde ich in
der Regel früher die Staaroperation auf dem einen, als die Pupillen-
bildung auf dem andern Auge vornehmen; denn es steht in solchen
Fallen fast immer auch auf dem zweiten Auge Verdunkelung der Linse
zu besorgen, und dann muss dennoch die Staaroperation vorgenommen
werden.
Bedingungen, welche die Pupillenbildung überhaupt voraussetzt:
1. Normale Beschaffenheit eines hinreichend grossen Theiles der
Hornhaut. Diese muss zunächst durchsichtig sein. In Fällen, wo der
centrale Theil der Hornhaut durch Eiterung verloren gegangen und die
Pupille aufgehoben ist, kann man sich über die Durchsichtigkeit des
Randtheiles leicht täuschen. Leichte Trübungen der Hornhaut sind
nämlich da, wo sich bloss Iris dahinter befindet, bisweilen schwer oder
gar nicht zu erkennen, und werden erst dann sichtbar, wenn man einen
schwarzen Hintergrund (die künstliche Pupille) hinter dieselben be-
kommt. Man sei also in Fällen, wo man nach dem, was vorausgegan-
gen ist, Ursache hat, zu vermuthen, dass auch die dem Anscheine nach
durchsichtige Hornhautpartie nicht rein sein dürfte, mit der Prognosis
sehr vorsichtig. In welcher Ausdehnung die Hornhautpartie, hinter
welcher man die Pupille bilden will, durchsichtig sein müsse, wird aus
der Beschreibung des Vorganges, den man bei der Operation einzu-
schlagen hat, am besten einleuchten; als Minimum möchten wir Vft"
ansetzen. — Diese Hornhautpartie muss ferner gehörig gewölbt sein.
134 Regenbogenhaut.
Bei jenem Zustande, den wir als Abplattung der Hornhaut beschrieben
haben, nutzt auch die schönste künstliche Pupille nichts; der Kranke
hat nach wie vor deutliche Lichtempfindung, aber er vermag nicht ein-
mal allein herumzugehen. Bei partiellen Hornhautstaphylomen steigt
bisweilen der gesunde Rest der Hornhaut dachförmig zu der genannten
Difformität empor. Auch hier nützt die Anlegung einer künstlichen
Pupille wenig oder nichts; es muss früher das Staphylom beseitigt
werden; wird dann die Wölbung der gesunden Hornhautpartie nahezu
normal, dann erst kann man von der Pupillenbildung Erfolg erwarten.
2. Es muss vordere Augenkammer vorhanden sein, in solchem
Masse, dass man mit den erforderlichen Instrumenten zwischen die
Cornea und Iris eindringen kann. Anlöthung der Iris an die Cornea,
wie bei manchen Totalstapbylonien in der noch ziemlich durchsichtigen
Peripherie der Hornhaut, macht den operativen Eingriff an sich unmög-
lich; aber auch starke Vorwärtswölbung der Iris und Anlegung dersel-
ben an die Cornea in Folge von Iritis (Iridochorioiditis) tritt der Pu-
pillenbildung hindernd entgegen. Man trifft diesen Zustand auch nach
penetrirenden Hornhautwunden (mit nachfolgender Iritis oder Iridocho-
rioiditis) besonders nach der Extractio cataractae. Wo die Iris so stark
vorwärts gewölbt ist, dass sie die Cornea berührt, da sind überdiess
bereits hinter ihr Veränderungen vorhanden, welche jede Art künst-
licher Pupille unnütz machen, auch wenn sich eine solche anlegen Hesse,
und auch wenn noch Lichtempfindung vorhanden wäre.
3. Die hinter der Iris gelegenen Gebilde müssen gesund sein, mit
Ausnahme der Linse, welche verdunkelt, verschrumpft oder ganz besei-
tigt sein kann.
Das wichtigste Zeichen, dass die tiefern Gebilde gesund seien, ist
das, dass der Kranke bestimmt und unzweifelhaft erkennt, ob man
ihm zwischen das zu operirende Auge und das gegenüber stehende
Fenster einen dunklen Körper, z. B. die Hand vorhält. Man muss bei
dieser Prüfung sehr umsichtig zu Werke gehen, damit keine Täuschung
stattfinde, besonders in jenen Fällen, avo der Pupillarrand fixirt ist, und
daher die Eeaction der Iris auf Licht und Schatten nicht auftreten
kann. Die Gegenwart von Cataracta hinter der gesperrten oder ver-
deckten Pupille kann die Lichtempfindung wohl schwächen, niemals
jedoch aufheben.
Es kann aber ein Auge noch ganz bestimmt für Licht und Schal-
ten empfindlich sein, und dennoch in functioneller Beziehung sich zur
Pupillenbildung nicht eignen. Wir haben bei dem Artikel über Iritis
bemerkt, dass namentlich nach chronischer Iritis (Iridochorioiditis) ein
Pupilleiibildung. 135
Zustand mit Pupillensperre und deutlicher Lichtempfiudung zurückblei-
ben kann, wo der Kranke dennoch durch die Anlegung- einer künst-
lichen Pupille nichts gewinnt. Nebst der Lage der Iris, von der schon
die Rede war, ist es auch die Farbe und Faserung derselben, auf welche
man in solchen Fällen sein Augenmerk zu richten hat. Je mehr die
Iris in dieser Beziehung vom normalen Zustande abweicht, ohne
dass Zerrung derselben als Ursache davon nachgewiesen werden kann,
desto weniger hat man von der Pupillenbildung zu erwarten. Nebst-
dem ist aber auch die Form, die Grösse und die Consislenz des Bul-
bus jederzeit sorgfältig zu erheben; deutliche Abweichung vom norma-
len Zustande in einer dieser Beziehungen contraindicirt die Pupillen-
bildung entschieden, für immer oder mindestens temporär.
4. Der entzündliche Process, der das Auge in einen der obgenann-
ten Zustände versetzt hat, muss völlig beendet sein. Hornhautgeschwüre
müssen völlig vernarbt, Irisvorfälle mit einer hinreichend consistenten Ex-
sudatlage überkleidet seiu. Wenn die vordem Ciliargefässe sich noch
stark injiciren, oder gar einen förmlichen Saum um die Cornea bilden,
sobald man das Auge etwas genauer besichtigt, so kann man sicher
seiu, dass das Auge noch nicht zu jenem stationären Zustande zurück-
gekehrt ist, welcher erfordert wird, wenn dasselbe den operativen Ein-
griff ungestraft vertragen soll.
Allgemeine Regeln für die Pupillenbildung.
1. Man lege die Pupille stets so nahe am Centrum an, als es die
Verhältnisse des Auges gestatten; ganz centrale Pupillen zu bilden ist
jedoch äusserst selten möglich.
2. Eine künstliche Pupille nach innen (innen und unten, innen
und oben) angelegt, leistet dem Operirten ceteris paribus bessere Dienste,
als eine nach aussen anlegte; nach unten gebildete Pupillen werden
leicht vom untern, nach oben gebildete stets vom obern Lide bedeckt.
We die Möglichkeit der Pupillenbilduug bloss nach oben gegeben ist,
durchschneide man 8 — 14 Tage vorher den Muse, rectus superior, um
das Auge bleibend nach unten abzulenken. Minder gut ist es, die
Muskeldurchschneidung nachträglich vorzunehmen. (Siehe Krankheiten
der Augenmuskel.)
3. Man hüte sich, die künstliche Pupille zu gross zu machen.
AVie diess zu vermeiden sei, wird weiter unten (Iridectomie) angegeben.
Durch zu grosse Pupillen werden die Operirten geblendet; durch klei-
nere sehen sie ceteris paribus besser. Pupillen von 2"J Durchmesser
oder gar darüber sind im Allgemeinen schon zu gross.
136 Regenbogenhaut.
4. Sind beide Augen in gleichem Grade zur Pupillenbildung ge-
eignet, so kann man die Operation auf beiden vornehmen, jedoch nur
dann, wenn die Pupillen correspondirend (central, nach innen, oder nach
innen und unten) angelegt werden können. Käme eine Pupille z. B.
nach aussen, die andere nach innen, so würde der Operirte höchst
wahrscheinlich doppelt sehen.
5. Dass die Linse, wenn sie noch vorhanden und gesund ist, nicht
verletzt, und dass der durchsichtige Theil der Cornea nicht etwa durch
die auf den Einstich folgende Narbe zum Nachtheile der Sehfunction
verdunkelt werden solle, versteht sich so zu sagen von selbst.
Anforderungen an künstliche Pupillen.
Das Resultat, welches in einzelnen Fällen durch eine künstliche
Pupille erzielt werden kann, ist ausserordentlich verschieden. Es hängt
zunächst davon ab, ob die Linse noch vorhanden und gesund ist, ob
die Pupille mehr central als peripherisch angelegt werden kann, und
ob die Hornhaut gegenüber der Stelle, wohin die Pupille kommt, in
genügend grossem Umfange normal ist. Ich habe einem Beamten mit
beiderseitiger Pupillensperre (nach Iritis) auf jedem Auge nach innen
und unten eine hanfkorngrosse Pupille angelegt; er kann stundenlang
in seinem Bureau arbeiten, aber auch das Vergnügen der Jagd gemes-
sen. In andern Fällen ist man froh, so viel erlangt zu haben, dass
der Operirte die gewöhnlichen häuslichen Geschäfte verrichten, minde-
stens ohne Führer herum gehen kann.
Methoden, künstliche Pupillen zu bilden.
1 . Iridotomie.
Diese besteht darin, dass man ein Beersches oder Kosassches
Staarmesser an der Peripherie der Cornea einsticht, so dass der Schnitt
dem Hornhautrande parallel verläuft, und sofort mit der Spitze des In-
strumentes die Radialfasern der straff gespannten Iris quer (auf 1 — 1"*
Länge) durchschneidet.
Sie ist offenbar die einfachste Methode, verletzt das Auge am we-
nigsten, und hat überdiess desshalb einen hohen Werth, weil die so
gebildete Pupille so viel als möglich central gelagert wird und niemals
übermässig gross ausfallen kann.
Sie lässt sich jedoch nur in zwei Fällen anwenden, nämlich: a)
wenn nach vorausgegangener Extraction Pupillensperre durch Verzie-
hung des Pupillarrandes zur Hornhautnarbe eingetreten ist; b) wenn
bei noch vorhandener Linse die Iris gegen eine seitlich gelegene Hörn-
Pupilleiibildiing. 137
hautnarbe hingezogen und straff angespannt ist. Im ersteren Falle
kann man das Messer keck durch die Iris durchstossen, weil eben die
Linse mangelt; in letzterem muss das Messer, nachdem es in die vor-
dere Kammer eingedrungen ist, behutsam so gewendet werden, das»
es wohl die Iris durchdringt, aber die Kapsel dahinter nicht verletzt.
Klafft die Wunde nicht, nachdem man das Messer zurückgezogen
hat, so kann man die Iridotomie als erstes Moment zur Iridectomie be-
trachten, und sofort deren zweites Moment vornehmen. Der Einstich
in die Cornea muss desshalb von dem Einstiche in die Iris 1 — l1^"'
entfernt sein.
2. Iridectomie.
Diese besteht darin, dass man durch einen 2 — 3/;/ langen Einstich
am Rande der Cornea mit einer Pincette (oder mit einem Irishäkchen)
in die vordere Kammer eingeht, die Iris am Pupillarrande oder nächst
ihrer Verwachsung mit der Cornea fasst, hervorzieht, und ausserhalb
der Cornea mit einer Scheere abschneidet.
Sie kann, wie wir zeigen werden, in allen Fällen geübt werden,
welche sich überhaupt zur Pupillenbildung eignen, so dass die dritte
Methode, die Iridodialysis (Iridectomedialysis) gegenwärtig ganz ent-
behrlich geworden ist.
Die Stellung des Operateurs und des Assistenten zum Kranken sei
dieselbe, wie bei den Staaroperationen (siehe Krankheiten der Linse).
Angstliche und unruhige Patienten werden durch Chloroform oder
Schwefeläther anästhesirt und im Bette liegend operirt.
Im 1. Momente fixirt der Gehilfe das obere, der Operateur mit der
einen Hand das untere Lid. Den Einstich macht man mit einem gera-
den Lanzenmesser; wenn jedoch der Nasenrücken, der obere oder un-
tere Augenhöhlenrand hindernd entgegen tritt, so wählt man ein Lan-
zenmesser, dessen schneidender Theil vom Halse unter einem Winkel
von 30 — 40 Graden (knieförmig) abgebogen ist. Der Einstich wird im
Allgemeinen am Rande der Cornea und demselben parallel gemacht.
Ist jedoch der durchsichtige Theil der Cornea schmal, wie sehr oft bei
ausgebreiteten Hornhautnarben, so steche man im Limbus conjunctivae
corneae oder selbst noch durch den vordersten Theil der Sclera ein,
um in die vordere Kammer zu gelangen. Ist die Hornhaut in grosser
Ausdehnung oder durchaus durchsichtig, so steche man im Bereiche
des durchsichtigen Theiles ein. Es soll nämlich der Einstichspunkt
dem Angriffspunkte weder zu nahe noch zu fern liegen; anderthalb
Linien kann im Allgemeinen als das Mittel der Entfernung bezeichnet
werden. Diese Entfernung bezieht sich auf die Stelle, wo das Messer
138 Regenbogenhaut.
die Descenietsche Haut durchdringt, und auf die Stelle, wo mau die
Iris fasst. — Ist der Einstich beendet, und das Messer zurückgezogen,
so lasse man den Kranken das Auge schliessen und einen Augenblick
ausruhen.
Im 2. Momente fixirt der Gehilfe das obere Lid mit der einen,
das untere mit der andern Hand, jedoch so, dass er den Operateur
nicht hindert. Diess geschieht am sichersten, wenn er das obere Lid
mit der gleichnamigen Hand fixirt (also mit der rechten, wenn das
rechte Auge operirt wird) und die andere um das Kinn des Kranken
so herumschlägt, däss er mit dem Zeigefinger das untere Lid er-
reicht, die übrigen flach an das Gesicht anschmiegt. — Der Operateur
fasst mit der einen Hand die Pincette, mit der andern die Scheere.
Die Pincette sei möglichst fein, mit dünnen Branchen, an der einen
mit einem, an der andern mit zwei* feinen Widerhäkchen versehen,
welche genau in einander greifen. Bei der Pupillenbildung nach innen,
nach oben oder nach unten ist es nothwendig, dass die Pincette leicht
gekrümmt sei. Die Pincette wird mit dem Daumen und Zeigefinger
gefasst, und die Volarfläche der Hand wird dem Gesichte des Kranken
zugewendet, um die Hand, wo nöthig, mit dem Mittel- oder Kingfinger
am Gesichte aufstützen und allen Bewegungen des Bulbus leicht folgen
zu können. Man führt die Pincette — mit der Convexität zum Bulbus
gewendet — geschlossen durch die Wunde bis zu der Stelle, wo man
die Iris fassen will, bei freiem Pupillarrande bis zum Sphinkter, und
öffnet sie. Dieses Offnen reicht in der Kegel hin, dass sich die Iris
dazwischen hineinlegt; wo nicht, so drückt man sie ein wenig an die
Iris an, und schliesst sie alsogleich. Sowie man auf diese Weise die
Iris gefasst hat, zieht man sie aus der Wunde hervor und vom Bulbus
ab, und schneidet sie rasch mit der Scheere ab. — Die gleichfalls
möglichst fein gebaute Scheere sei nach der Fläche massig gebogen.
Man nimmt sie so in die Hand, dass die Convexität dem Bulbus zuge-
wendet wird. Am leichtesten und sichersten wird man sie handhaben,
wenn man in das eine Ohr den Daumen, in das andere den Eingfinger
einlegt, und den Zeigefinger an das Schloss stützt; der Mittelfinger
bleibt dann disponibel, sich nöthigenmlls an die Stirn zu stützen. Die
Scheere muss schon beim Eingehen mit der Pincette so vor dem Auge
in Bereitschaft gehalten werden, dass man die Iris sogleich, wie sie
hervorgezogen ist, abschneiden kann.
Aus diesem Vorgänge wird ersichtlich, warum wir oben auf die Entfernung des
Einstichs- vom Angriffspunkte Gewicht legten. Durchdringt das Messer die Descemetsche
Haut kurz vor dem Punkte, wo man die Iris fassen muss, so kann man, wie leicht be-
Pupillenbildiing. 139
greiflich, wenig oder gar keine Iris fassen und hervorziehen. Desshalh ist es auch
nöthig, den Einstich in die Cornea oder Sclera nahezu senkrecht (auf die tangirende
Ebene) zu beginnen, und erst dann, wenn die Spitze in die Kammer eingedrungen ist,
der Fläche des Messers eine zur Iris parallele Richtung zu geben (indem man das
Heft zum Kopfe des Operirten senkt, und die Spitze gegen den Angriffspunkt vorschiebt).
"Wird dicss nicht, beobachtet, so kann man mit dem Messer zu lange zwischen den Horn-
hautfasern bleiben, und die innere Fläche vielleicht erst da verlassen, wo man die Iris
fassen will und muss. Ist andrerseits die Wunde (von der Descemetschen Haut an ge-
rechnet) zwei Linien oder gar darüber vom Angriffspunkte entfernt, so wird man in der
Kegel zu viel Iris aus der Wunde herausgezogen haben , ehe man zum Abschneiden
kommt. Eine zu grosse, und namentlich eine zu weit gegen den Rand hin reichende Pu-
pille, und somit Blendung des Operirten durch das Licht ist die traurige Folge davon.
— Dieser schlimme Zufall kann dem Operateur auch dann begegnen, wenn der Kranke un-
vermuthct das Auge schnell nach derselben oder nach der entgegengesetzten Seite rollt. Da-
bei reisst aber dann auch die Iris leicht vom Ciliarbande los. Man muss auf das Verdrehen
des Auges um so mehr gefasst sein, weil der Operirte in der Regel lebhaften Schmerz
empfindet, so wie man die Iris mit der Pincette fasst. Dadurch, dass man die Pincette
leicht (auf die oben beschriebene Weise) führt, mit ihr den Bewegungen des Bulbus so-
gleich folgt, und mit der Sc^eere rasch bei der Hand ist, kann man diesem Unfälle ent-
gehen ; bisweilen aber wird es nöthig , lieber locker zu lassen , als dass man sich der
Gefahr aussetzt, zu viel Iris herauszuziehen. Dies wird z. B. dann der Fall sein, wenn
der Kranke in dem Momente, wo man die Iris eben herausgezogen hat, den Bulbus so
stark unter das obere Lid verdreht, dass man mit der Scheere nicht zum Abschneiden
kommen kann. Man unterbreche die Operation auf einen Augenblick, und fasse die Iris
neuerdings. — Am leichtesten ist die Iridectomie in jenen Fällen auszuführen, wo die Pupille
bloss verdeckt ist. Da kann man bisweilen dadurch, dass man den Einstich 2 — 3'" lang
macht, und das Messer unter einer leichten Di-ehung um seine Achse rasch herauszieht
plötzlichen Ausfluss des Kammerwassers und Vorfall der Irispartie, die man eben ausschnei-
den will, bewirken. Ich ziehe es jedoch vor, das Kammerwasser erst beim Eingehen mit
der Pincette völlig austreten zu lassen, weil bei plötzlicher Entleerung desselben die
Linse momentau vorwärts rücken muss, und dabei die Zonula Zinii oder auch die vordere
Kapsel bersten, mithin Cataracta nachfolgen kann. Ich habe das einige Male beobachtet.
— Dadurch, dass man die auszuschneidende Partie der Iris, nämlich den Pupillarrand, den
Sphincter iridis, mit der Pincette hervorholt, sichert man sich auch viel leichter vor der
Bildung einer doppelten Pupille. Wo nämlich noch Pupille besteht, da soll diese nur er-
weitert werden, was offenbar nur durch Trennung der Ringfasern geschehen kann. Es
ist also nicht gleichgiltig , an ivelcher Stelle man die Iris fasst, welche Partie man aus-
schneidet. Wäre es trotz aller Vorsicht geschehen, dass zwischen der natürlichen und
zwischen der künstlichen Pupille eine Brücke übrig geblieben wäre, d. h. dass man bloss
aus der Mitte (aus dem grossen Kreise) der Iris ein Stück ausgeschnitten hätte, und dess-
halb die neue Pupille nicht gehörig klaffte , so müsste man mit einem stumpfspitzigen
Irishäkchen eingehen, und jene Brücke hervorholen oder zerreissen.
Bei Anwachsung des Pupillarrandes an die Cornea kann man , wenn man besorgt,
die Iris werde sich nicht leicht abreissen lassen, dieselbe mit der Spitze des Messers
knapp an der Cornea einstechen, so wie wenn man die Iridotomie machen wollte.
Bei einfacher Pupillensperre fasse man die Iris nächst dem Pupillarrande mit der
Pincette, und ziehe sie gegen die Wunde hin an. Da die Partie, welche man fasst, nur
140 Regenbogenhaut.
sehr klein ist, so reisst sie leicht von dem Exsudate los, oder es folgt selbst die Exsudat-
membran dem Zuge.
Bei Cataracta accreta muss die Iridectomie mit der Extraction der verdunkelten Kapsel
oder Linse vereinigt, oder vielmehr, sie muss gleichsam als Voract der Extraction vorgenommen
■werden. "Wir werden daher den Vorgang hierbei erst bei den Staaroperationen beschreiben.
Ich ziehe den Gebrauch einer feinen (Blömerschen) Pincette dem des Irishäk-
chens bei dieser Operationsmethode vor, desshalb, weil man sich mit der Pincette nie der
Gefahr aussetzt, die Linsenkapsel zu verletzen, weil die Pincette sicherer fasst und das
Gefasste nicht mehr auslässt, während das Häkchen bisweilen durchreisst, und weil über-
diess die Pincette viel leichter zu handhaben ist, als das Häkchen, wie wir bei der Be-
trachtung der Iridodialysis sehen werden, bei welcher die Pincette nicht wohl angewen-
det werden kann.
Seit ich weiss, dass man bequem noch im Bereiche der Sclera einstechen kann,
um in die vordere Augenkammer zu gelangen, und dass man die Iris, wenn sie mit der
Cornea verwachsen ist, mit der Spitze des Messers von derselben lostrennen kann, übe
ich nur die Iridectomie, und bin überzeugt, dass man sie in allen Fällen verrichten kann,
wo überhaupt die Bedingungen zur Pupillenbildung vorhanden sind. Ich lasse daher die
Beschreibung der Iridodialysis (Iridectomedialysis) nur desshalb folgen, damit der Leser
sich um so leichter die Vorzüge der Iridectomie vergegenwärtigen könne.
3. Iridodialysis (Irideetomedialysis).
1. Moment. Der Einstich in die Hornhaut wird im mittlem Theile
derselben gemacht, V(z — 1llt vom Bande entfernt imd demselben par-
allel. Soll z. B. die künstliche Pupille an dem linken Auge nach
innen angelegt werden, so nimmt der Operateur das gerade lanzenför-
mige Messer in die rechte Hand, und setzt es so an die Cornea, dass
die eine Schneide nach oben, die andere nach unten, die Spitze nahe-
zu senkrecht auf die tangirende Ebene des Einstichspunktes gerichtet
ist. So wie man mit der Spitze in die vordere Kammer eingedrungen
ist, was man sogleich an dem Gefühle des aufgehobenen Widerstandes
erkennt, wendet man das Heft des Messers gegen die Schläfe, damit
die Spitze zwischen der Iris und Cornea gegen das Ligamentum ciliare
hin vorgeschoben werden könne. Ist bei diesem Vordringen die Wunde
(an der Descemetschen Haut gemessen) 1 — l1^'" lang geworden, so
zieht man das Messer einfach zurück; kann man aber wegen Mangel
an Kaum die Spitze nicht so weit vorschieben, um der Hornhautwunde
die genannte Länge zu geben, so vergrössere man dieselbe dadurch,
dass man beim Herausgehen das Heft des Instrumentes rasch (gleich-
sam schnellend) nach oben bewegt, wodurch die Wunde nach unten er-
weitert wird. Diese Bewegung des Messers wird dadurch erzielt, dass
man die Beuger der drei Finger, welche das Messer halten, schnell
contrahirt, mithin die Schneide des Messers gleichsam gegen die Hohl-
hand her anzieht. Auf diese Weise wird die Wunde an der Desce-
Pupilleubildung. 141
inetschen Haut niiudesteiis eben so gross, als an der Vorderfläche der
Hornhaut. Damit der Einstich wenigstens l1/?" vom Limbus conjun-
ctivae entfernt sei, wird man in Fällen, wo die Hornhauttrübung so
nahe an den Hornhautrand hinreicht, am Rande oder noch im Bereiche
der Trübung einstechen müssen, sonst könnte leicht der durchsichtige
Streifen der Hornhaut durch die nachfolgende Narbe und deren trüben
Hof noch schmäler werden.
2. Moment. Während der Gehilfe mit der linken Hand das obere,
mit der rechten das untere Lid fixirt — wenn wir bei dem obgewähl-
teu Falle bleiben — hält der Operateur mit der linken Hand die
Scheere horizontal über den Nasenrücken her vor dem Auge in Bereit-
schaft, und geht mit dem Irishäkchen auf dieselbe Weise ein, wie
früher mit dem Messer. Die Spitze des Häkchens wird dabei nach
unten, der Kücken nach oben gehalten. Um nicht zwischen die Faser-
lagen der Hornhaut zu kommen, führt man das Häkchen ziemlich senk-
recht in die Wunde, und wendet erst, nachdem man in die Augen-
kammer eingedrungen ist, das Heft so weit gegen die Schläfe, dass
das Häkchen an der hintern Wand der Cornea zwischen dieser und
der Iris vorgeschoben werden kann, bis sich seine Krümmung hinter
dem Scleralfalze verbirgt. Sofort wird das Instrument einen Viertel-
kreis um seine Achse gedreht, vom Zeigefinger gegen den Daumen, so
dass die Spitze des Häkchens rückwärts zu stehen kommt; in dem-
selben Momente wird das Heft leicht gehoben, so dass die Spitze des
Häkchens sich in die Iris einsenkt. So wie diess" geschehen, wird
das Instrument in die frühere Lage zurückgedreht, also die Spitze
wieder nach unten gerichtet, zugleich aber gegen die Wunde her an-
gezogen. So wie man sieht, dass die Iris dem Zuge folgt, wird das
Heft des Instrumentes nicht nur von der Wunde abgezogen, sondern
auch zugleich etwas gegen die Schläfe gedrückt, so dass also der ge-
krümmte Theil desselben, das eigentliche Häkchen, continuirlich an die
Cornea angedrückt, der Wunde sich nähert. Durch dieses Andrücken
der Convexität des Häkchens an die Descemetsche Haut, während die
Spitze, an der die Iris haftet, nach unten gerichtet, und der Rücken
dem obern Wimdwinkel mehr genähert ist, bewirkt man zunächst das,
dass die Wunde klafft, dann, dass die Spitze sich weder in dem untern
Wundwinkel noch in der hintern Wundlefze fangen kann, endlich das,
dass die hervorgezogene Partie der Iris sogleich derart von der
Cornea abgelenkt wird, dass man die Scheere bequem zwischen dieser
und dem Häkchen anlegen kann, ohne den continuirlichen Zug zu
unterbrechen.
142 Regenbogenhaut.
Die richtige Handhabung des Irishäkchens gehört offenbar unter die schwierig-
sten Acte der Augenoperationen überhaupt. "Wer die eben beschriebene Führung des-
selben nicht genau beobachtet, bleibt damit leicht in der Cornea hängen. So wie man
merkt, dass sich das Häkchen gefangen hat, mache man mit demselben eine kurze
rückgängige Bewegung, gebe ihm die oben beschriebene Richtung, und führe es sofort
nach der angegebenen Weise heraus. Käme man in Gefahr, eher mit dem Häkchen die
Iris oder Cornea zu durchreissen oder gar das Häkchen abzubrechen, als dass man die
Iris herausbrächte, so wende man das Heft nach unten und innen, so dass also der
Rücken und die Convexität des Häkchens der Wunde zugewendet werden, und die Spitze
beim Herausführen aus der Wunde der letzte Theil ist.
Durch die Iridodialysis kann man jederzeit nur eine dreieckige Pupille erhalten;
die Basis bildet das Ciliarband, von welchem man die Iris ablöst, die Spitze entspricht
dem Einstiche in die Hornhaut. Solche Randpupillen können schon desshalb keinen
grossen Nutzen gewähren, weil die Strahlenbrechung sehr gestört wird. Ein grosser
Theil der Lichtstrahlen, welche zur Öffnung in der Iris gelangen, ist durch Beugung beim
Vorbeigehen am Limbus conjunctivae mehr weniger von dem Achsenstrahle abgelenkt,
und trifft, wenn nicht auf die Ciliarfortsätze, so doch auf die Zonula Zinnii und den äusser-
sten Rand der Linse. Man betrachte nur die dem I. Bande beigegebenen Durchschnitte,
oder noch besser, man mache sich selbst nach der dort angegebenen Weise solche
Durchschnitte von frischen Augen, und man wird sich bei Anwendung der bekannten
Gesetze der Optik leicht überzeugen, dass bei solchen Pupillen bedeutende Zerstreuungs-
kreise auf der Netzhaut entstehen müssen. — Nach der Iridodialysis erfolgt Blutaustritt
häufiger und stärker , als nach der Iridectomie. Wird die Spitze des Häkchens nicht
bald nach dem Einhaken abwärts gewendet, so kann man leicht die Linsenkapsel ver-
letzen. Wird das Häkchen nicht bis zur Vereinigungsstelle der Iris mit dem Ciliar-
bande vorgeschoben, oder ist die Iris an der äussersten Peripherie mit der Cornea ver-
klebt (vergleiche Iritis S. 46), so folgt die Iris dem Zuge des Häkchens nicht. Es ist
mir auch begegnet, dass ich gleichsam nur das vordere Blatt der Iris abgelöst und her-
ausgezogen hatte , die scheinbar gelungene Pupille noch durch eine Pigmentlage ver-
deckt war.
Verband, Nachbehandlimg.
So wie die Iris gehörig eingestochen oder ein Stückchen derselben
abgeschnitten ist, lasse man das Auge ein Weilchen schliessen, und
sehe dann, ob man seinen Zweck erreicht habe, und was allenfalls zur
Erreichung desselben noch nothwendig und zulässig sei.
Blutaustritt in der vordem Kammer macht leider die Beurtheilung
bisweilen unmöglich. Steht die Blutung bald still, so kann man sich
die nöthige Einsicht dadurch verschaffen, dass man das Blut austreten
macht, indem man mittelst des Lides leicht auf die Cornea gegen die
Wunde hin drückt, oder diese mit dem Davielschen Löffel lüftet. Hart-
näckige Blutung tritt in der Regel nur da ein, wo das Gewebe der
Iris durch Entzündung sehr verändert und der Rückfluss des Blutes
durch die Gefässe der Chorioidea (wegen vorausgegangener Chorioiditis)
mehr weniger beeinträchtigt ist. In solchen Fällen sieht man das Hy-
Piipillenbilfluiig. 1 43
poaema wochenlang nach der Operation fortbestehen oder von Zeit zu
Zeit wiederkehren, und die Pupille wird, auch wenn sie gross war,
wieder verschlossen. Kalte Umschläge, das einzige Mittel, das wir
solcher Blutung entgegensetzen können, sind in derlei Fällen leider
auch oft erfolglos.
Findet man, dass Reste der hervorgezogenen Iris in der Wunde
eingeklemmt sind, so kann man sie dort belassen; es wird indess im
Allgemeinen besser sein, sie mit dem Spatel des Davielschen Löffels
zurückzuschieben, damit die Wunde schneller und sicherer ohne stärkere
Reaction verheile. Nach der Iridodialysis jedoch lasse man, falls die
Pupille nicht sehr gross ist, die Iris lieber in der Wunde eingeklemmt,
weil sie, wenn nicht ein hinreichend grosser Theil ausgeschnitten ist,
sich sonst gern wieder in die frühere Lage zurückzieht.
Ist kein Blut ausgetreten, so prüfe man zur eignen und zu des
Operirten Beruhigung den Erfolg durch einige nicht anstrengende Seh-
versuche. Der Lichtreiz wirkt überdiess in jenen Fällen, wo der
Sphinkter getrennt wurde, erweiternd auf die neue Öffnung, also
günstig ein.
Die Augen werden durch englische Heftpflaster geschlossen und
mit einer leichten Compresse bedeckt (siehe Staaroperation) ; der Kranke
soll einige Stunden ruhig liegen, damit sich die Wunde früher schliesse,
das Zimmer werde massig (weniger als nach Staaroperationen) ver-
dunkelt, die Diät werde durch einige Tage etwa auf ein Drittel der
vollen Portion herabgesetzt. Treten die Zeichen excessiver Reaction
ein, so benehme man sich so, wie wir später bei den Staaroperationen
augeben werden. Nach 4S— 60 Stunden kann man ohne Anstand den
Verband entfernen , und das Auge bloss durch einen Schirm schützen.
Entzündung tritt übrigens nach den eben beschriebenen Methoden der
Pupillenbildung auffallend selten ein, und man kann die Kranken mei-
stens schon nach 6 — 8 Tagen in's Freie lassen.
Geschichtliche Bemerkungen.
a. Die erste Idee zur Bildung einer künstlichen Pupille gab Thomas Woolhouset
Augenarzt des Königs Jakob II. von England. Sein Schüler Cheselden veröffentlichte im
Jahre 172S die Operationsgeschichten von zwei Fällen, bei denen in Folge von Depres-
sio cataractae Pupillensperre eingetreten war. Er setzte ein schmales (gegen \'" breites)
einschneidiges Messerchen an der Schläfeseite des Bulbus etwa 1 Va'" hinter der Cornea
an die Sclera an (die Schneide rückwärts gerichtet!, drang damit durch die Sclera und
durch die Iris in die vordere Augenkammer, führte die Spitze bis zum Nasenrande der
Iris und schnitt diese beim Zurückziehen des Messers horizontal von innen nach aussen
ein, in dem einen Falle etwas oberhalb, in dem andern unterhalb der gesperrten Pupille,.
— Wenn seine Nachfolger häufig keinen Erfolg erzielten, so kam diess wohl meistens
144 Regenbogenhaut.
daher, dass sie diese Methode unter Verhältnissen anwendeten, für welche sie nicht
passte. In Cheseldens Fällen war nämlich die Linse beseitigt, die Iris wahrscheinlich
in ihrer Structur wenig verändert und ziemlich straff gespannt, und der Schnitt wurde
quer durch die Kadialfasern geführt, die Wunde konnte also hinreichend klaffen,
und es war weder Verletzung der Linse noch excessive Reaction (Entzündung) zu
fürchten. — Die häufigen Nichterfolge führten zunächst dazu, dass Einige (zuerst
Heuermann 1756) das schneidende Instrument durch die Cornea einführten. Beer (1805)
stiess ein lanzettförmiges Messerchen in einem Momente schräg durch die Cornea und
Iris, und schnitt (bei Pupillensperre) die gespannten Fasern der Iris quer durch, oder
löste sie (bei vorderer Synechie) von der Cornea ab. Er übte also die Iridotomie im
"Wesentlichen auf dieselbe Weise und unter denselben Verhältnissen, wie wir sie oben
angegeben haben.
Am meisten Anklang, weil in einer viel grossem Zahl von Fällen anwend-
bar, fand die Methode von Maunoir, welche bereits durch das Verfahren von Gu€rin
(1769) und von Janin ( L772) vorbereitet war. Guerin hatte nämlich der Hornhaut in
ihrer untern Gegend einen Lappenschnitt beigebracht, durch die Wunde ein kleines
Messer eingeführt, und mittelst eines Kreuzschnittes in der Iris eine ziemlich runde Pu-
pille erhalten. Janin hatte nach gleicher Eröffnung der Cornea statt des Messers eine
krumme Scheere gebraucht, sie an der Peripherie durch die Iris durchgestossen, und die
Eadialfasern (von unten nach oben) quer durchschnitten. Maunoir (1812) öffnete die
Cornea am Rande wie zur Extractio cataractae, jedoch nur auf 1/i — Vä ihres Umfanges,
und zwar nach aussen, wenn die Pupille nach innen angelegt worden sollte, und führte
durch diese Öffnung eine eigene, knieförmig gebogene Scheere geschlossen ein. War
die Pupille bloss verdeckt, oder verzogen und verdeckt, so nahm er eine an beiden
Spitzen mit einem Knöpfchen versehene Scheere, führte den einen Arm durch die Pupille
hinter, den andern vor der Iris bis zum Ciliarrande, und durchschnitt die Iris vom Pu-
pillarrande gegen den Ciliarrand hin. In den übrigen Fällen bediente er sich einer
Scheere, deren unteres Blatt spitzig, deren oberes geknöpft war. Bei Pupillensperre in
Folge von Staaroperationen wurde das spitzige Blatt mitten durch die Iris gestossen,
und hinter dieser fortgeführt, bis das geknöpfte Blatt den Ciliarrand erreicht hatte ; durch
Schliessung der Scheere wurde die Iris durchschnitten, dann die Scheere so gewendet, dass
ihr auf gleiche Weise ein zweiter Schnitt beigebracht werden konnte, welcher mit dem ersten
ein V bildete, dessen Basis gegen den Ciliarrand gerichtet war. Die Pupille entstand dadurch,
dass der V-förmige Lappen sich allmälig gegen die Basis zurückzog. Bei Pupillensperre
mit Verdunklung der Kapsel oder Linse wurde das spitzige Blatt nicht bloss durch die
Iris, sondern auch durch die Kapsel und Linse gestossen, und durch einen zweiten glei-
chen Schnitt eine V-förmige Öffnung in der Iris gebildet, durch welche dann die zer-
stückelte Linse aus dem Auge theils mittelst Druck , theils mittelst eines Davielschen
Löffels oder mittelst einer gefensterten Pincette entfernt wurde. — Die Schattenseiten
dieser Methode sind: die Grösse der Hornhautwunde, wenn man die Scheere ohne
Quetschung derselben handhaben will, die grosse Gefahr, die Linse zu verletzen, auch
wenn man sie schonen will, die Schwierigkeiten, die verdunkelte Linse vollständig zu
extrahiren , und die Unmöglichkeit der Pupillenbildung da , wo nur ein kleiner Theil
durchsichtiger Hornhaut und vorderer Kammer vorhanden ist.
b. Der Erfindung der Iridotomie folgte zunächst die der Iridectomie durch Wenzel
(1780). Dieser eröffnete bei Atresia pupillae (einfach, mit Verdunklung der Linse, nach
vorausgegangener Extraction) die Cornea wie zur Extraetion; indem er jedoch, mit der
Pupiüenbilduiig. 145
Spitze seines Staarniessers in der vordem Kammer angelangt, dieselbe etwa ]/z'" vor der
Mitte der Iris durch diese in die hintere Augenkammer senkte, und sie dann wieder
durch die Iris in die vordere Kammer und in die Hornhaut führte, brachte er durch
Fortsehieben des Messers sowohl der Iris als der Hornhaut einen Lappenschnitt bei.
Durch die Hornhautwimde ging er mit einer Davielschen Scheere so ein, dass er damit
den Irislappen abschneiden konnte. Durch die auf diese Weise gebildete Pupille konnte
nöthigenfalls die Linse entfernt werden. Einen wesentlichen Nachtheil dieser Methode,
die Verletzung der Linse in Fällen einfacher Pupillensperre, beseitigte Sabatier (1805)
dadurch, dass er mit seinem Staarmesser bloss die Cornea (in ihrem untern Umfange)
durchschnitt, den Hornhautlappen mit einem Davielschen Löffel emporhob, die mittlere
Partie der Iris mit einer Pincette anzog, und mit einer Scheere abschnitt. Das Verfahren
von Wenzel sowohl als das von Sabatier genügt allen Anforderungen bei Cataracta ac-
creta. Es erscheint aber eine so bedeutende Hornhautwunde auch nur da gerechtfertigt,
wo sich's darum handelt, die verdunkelte Linse durch dieselbe zu entfernen. Für die
übrigen Fälle der Pupillenbildung hat Beer (179B) ein so zweckmässiges Verfahren an-
gegeben, dass nur wenig mehr daran zu verbessern übrig blieb. Er brachte der Horn-
haut (möglichst nahe am Rande, um Beeinträchtigung des durchsichtigen Theiles dersel-
ben zu verhüten) einen mindestens V" langen Einstich bei, zog die Iris, wenn sie nicht
von selbst durch die Wunde vorfiel, mit seinem Staarhaken (etwas grösser als die jetzt
gebräuchlichen Irishäkchen) oder mit einer feinen Pincette aus der Wunde hervor, und
schnitt sie mit einer Scheere ab. Bei einfacher Verdeckung der Pupille rechnet Beer
auf spontanen Vorfall der Iris mit dem Ausflüsse des Kammerwassers ; bei Verdeckung
und theilweiser vorderer Synechie führt er gleich nach dem Hornhautschnitte „den kleinen
Staarhaken auf solche Art zwischen die Regenbogenhaut und Hornhaut ein, dass seine
Spitze weder gegen die Cornea noch gegen die Iris gerichtet ist, sucht durch eine schiefe
Richtung des Hakens den Pupillarrand der Iris zu fassen, und schneidet den auf diese
Art gefassten und sofort hervorgezogenen Theil sogleich mit der Davielschen Scheere
üb : er schneidet somit nur die normale Pupille so weit aus, dass sich ihre Grenzen jetzt
weiter hinter den durchsichtigen Theil der Hornhaut gegen ihren Rand hin erstrecken,
wodurch folglich auch das Gesicht in vorzüglichem Grade wieder hergestellt werden
muss. weil durch eine so gestaltete Pupille die Lichtstrahlen weniger auf den Rand, son-
dern mehr auf den mittlem Theil der Krystalllinse fallen." „Ist die Regenbogenhaut auch
an der Stelle, wo die künstliche Pupille angelegt werden muss, mit ihrem Pupillarrande
an die Hornhaut geklebt, dann muss man sie mittelst des eingebrachten Hakens, oder,
wenn dieser etwa immer ausreisst, mit einer feingespitzten gezähnten Pincette in ihrem
grossen Kreise fest anfassen, zwischen die Wundlippen herausziehen, und die Spitze des
dadurch gebildeten Kegels noch etwas inner der Wundlippen abschneiden, weil man bei
stärkerem Hervorziehen die Iris auf eine für den Erfolg der Operation nachtheilige Weise
2erreissen würde. Die normal beschaffene Linsenkapsel und Linse kann in allen diesen Fällen
durchaus nicht verletzt werden, wenn sich der Kranke nur halbwegs vernünftig beträgt."
— Als eine wesentliche Verbesserung der Beerschen Methode ist Benedicts (1810J Rath
anzusehen, dass man, wenn nur ein schmaler Streifen durchsichtiger Hornhaut vorhanden
ist. durch den hervorspringenden Rand der Sclera einstechen solle, um jede Beeinträch-
tigung der Durchsichtigkeit zu verhüten. Dadurch, dass man das Messer durch die Sclera
in die vordere Kammer führt, kann man nun eben so gut und noch besser Marginalpupillen
erhalten, als durch die Iridodialysis. Um die Iridectomie auch an der Nasenseite leicht
üben zu können, hat ./. N. Fischer zuerst ein gekrümmtes Lanzenmesser und eine kurze
Arlt Augenheilkunde. II. 10
146 Regenbogenhaut.
gekrümmte Pincette angewendet, weil man mit geraden und langen Instrumenten häufig
durch die Höhe des Nasenrückens im Einstiche sowohl als im Fassen und Hervorziehen
der Iris gehindert wird. Ein (auf obige Art) kniefürmig gebogenes Lanzenmesser habe
ich zuerst von Dr. Gulz aus "Wien erhalten.
c. Die Unmöglichkeit, die Wenzelsche Iridectomie und ihre Varianten allgemein
anzuwenden , und die Beobachtung spontaner Pupillenbildung durch Ablösung der Iris-
vom Strahlenbande führten zwei ausgezeichnete Augenärzte zu Anfang des jetzigen Jahr-
hunderts, Adam Schmidt in Wien und Anton Scarpa in Pavia, auf die Idee der Irido-
dialysis. Schmidt eröffnete zuerst die Hornhaut und löste die Iris mit einer Pincette vom
Ciliarbande ab ; später aber operirte er so wie Scarpa, nur bediente er sich einer minder
stark gekrümmten Nadel. Scarpa führte die Nadel durch die Sclerotica so wie bei der
Depressio cataractae zwischen der Iris und Linse bis zur Nasenseite der Iris vor, stach
dann die Spitze der Nadel durch die Iris in die vordere Kammer, und löste durch hebel-
artige Bewegungen des Instrumentes die Iris vom Ciliarbande los. Himly und Beer
änderten dieses Verfahren zunächst dahin ab, dass sie die Nadel gleich nach dem Ein-
stiche in die Sclerotica durch die Iris in die vordere Kammer und durch diese gegen den
Nasenrand der Iris hin führten; später senkten sie die Nadel sogleich durch die Cornea
ein, um in die vordere Kammer zu gelangen. Alle diese Encheiresen waren nicht nur
sehr verletzend für das Auge, sondern auch höchst unsicher in Bezug auf das Offenbleiben
der Pupille. Die Iris legte sich oft wieder an das Ciliarband an. Diess zu vermeiden,
machte Langenbeck (1S15) einen Einstich in die Cornea mit einem Staarmesser, 3'" vom
Angriffspunkte entfernt, ging mit einem feinen Häkchen ein, um die Iris vom Ciliarbande
abzulösen, in die Hornhautwunde hineinzuziehen und daselbst durch Einklemmung zwischen
den Wundlefzen zu fixiren (Iridoencleisis). Assalini (1818), welcher die Iris mit einem
eigenen zangenartigen Instrumente vom Ciliarbande loslöste, schnitt die aus der Horn-
hautwunde hervorgezogene Partie der Iris mit einer Davielschen Scheere ab (Iridectome-
dialysis). Rosas (1830) bediente sich zur Eröffnung der Hornhaut eines lanzenförmigen
oder Staarmessers, zur Ablösung und Hervorziehung der Iris des Langenbeckschen Häk-
chens , und zum Abschneiden einer Davielschen oder kleinen Louisschen Scheere. —
Zum Ablösen und Vorziehen der Iris wurden mehrere, mitunter sehr sinnreich erdachte,
aber auch höchst complicirte und schwer tractable Instrumente vorgeschlagen, welche
jedoch gegenwärtig wohl allgemein und mit Recht nicht mehr in Anwendung kommen.
Hieher gehören : Langenbeck's Coreoncion, Schlagintweit's Iriankistron, Gräfe 's Corconcion,
Wagner's Staarnadelzange , Einden's Eaphiankistron , Geigers Lanzenhaken , Nowicki's
Labidobelonankistron etc. Abgebildet und beschrieben sind sie in Blasius Akiurgie
XVII. 47-92.
Zur Fixirung der Augenlider sind verschiedene Augenlidhalter , zur Fixirung des
Bulbus Ophthalmostaten erfunden worden. Ich bediene mich in der Regel weder der
einen, noch der andern, weil man, wie ich bei Prof. Fr. Jäger in Wien sah, auch ohne
diese Hilfsmittel recht gut operiren kann, wenn man sich gleich Anfangs nicht daran ■
gewöhnt, und sich überhaupt geübt hat. Zur Fixirung des Bulbus kann man sich im
Nothfalle eines etwas grösseren und stärkeren Irishäkchens bedienen, welches man in die
etwa vorhandene Hornhautnarbe oder in den vordersten Theil der Sclera einsetzt. Stände
grosse Unruhe des Kranken zu besorgen, so wende man lieber die Narkose durch Chloro-
form oder Schwefeläther an.
V«, Bach.
Die Aderhaut, Tunica chorioidea.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Die Aderhaut erstreckt sich innerhalb der Sclera vom Umfange
der Eintrittsstelle des Sehnerven nach vorn bis zum Rande der Horn-
haut. Nur ihr hinteres und ihr vorderes Ende ist mit der Sclera fest
verbunden, im übrigen Verlaufe ist sie einfach an die Sclera ange-
lagert, so dass man sie nach Zerreissung der Nerven- und Gefäss-
stämmchen, welche durch die Sclera zu ihr treten, leicht von derselben
ablösen kann.
Obwohl sie ein continuirliches Ganzes bildet, so muss sie doch
wegen einiger Verschiedenheiten im Baue in einen hintern grössern
Theil — die Chorioidea im engeim Sinne — und in einen vordem
kleinern, den Strahlenkörper, corpus ciliare — unterschieden werden.
Die Grenze zwischen beiden bezeichnet das zackige oder sägeförmige
Ende der Netzhaut — Ora serrala retinae — , welches ungefähr l1^'"
hinter dem Hornhautrande fast wie ein Parallelkreis verläuft. Indem
die Zone, welche der Strahleükörper zwischen der Hornhaut und der
Ora serrata einnimmt, an der Nasenseite um i\a'u schmäler ist, als an
der Schläfenseite, fällt die Ora serrata nahezu in die Gegend, in wel-
cher sich aussen die geraden Augenmuskeln an die Sclera anheften.
a. Die Aderhaut im engern Sinne ist im hintern Umfange 1/i 5 — 'W,
in der Gegend des Äquators nur '/3o"' dick, sehr weich, dehnbar, leicht
zerreisslich. Sie besteht aus Blutgefässen, welche durch zartes Binde-
gewebe mit einander verbunden sind, und aus zahlreichen Zellen,
welche einen schwarzbraunen Farbestoff, das Pigmentum nigrum, ent-
halten. Nach der ungleichen VertheiluDg dieser Elemente kann man
sich die Chorioidea als aus drei concentrischen Lagen bestehend
10*
148 Aderhaut.
denken, welche in folgender Ordnung von aussen nach innen auf ein-
ander folgen: a) die Bindegewebsschicht , ß) die Geiässschicht, be-
stehend aus dem Venengeflechte und den Arterien mit einem äusserst
feinen Capillargeiassnetze, und y) die Pigmentlage.
a. Das »ellige Siroma bildet eine dünne Lage, welche der äussern
Fläche ein lichteres Ansehen gibt. In und auf demselben verlaufen
die Ciliarnerven als weissgraue Streifen nach vorn zur Iris. Diese
dünne Bindegewebslage wurde von Arnold als Analogon der Arach-
noidea cerebri betrachtet, und im Verein mit der Lamina fusca scle-
roticae als Arachnoidea oculi beschrieben.
ß. Die Arterien sind die hintern kurzen Ciliararterien, welche
(gegen 20 an der Zahl) in der Umgebung des hintern Poles und des
Sehnerven durch die Sclera zur Chorioidea eindringen. Diese Arterien
verzweigen sich grösstenteils in der Chorioidea allein, indem sie sich
fortwährend gabelförmig spalten; zum Theile jedoch gehen sie auch
zum Strahlcnkörper und zur Iris. Sie biegen theils einfach in Venen
um, theils mittelst eines äusserst feinen und dichten Capillargefässnetzcs,
welches den Arterien und Venen nach innen aufliegt. Dieses Capillar-
gefässnetz wurde von Uni/seh dem Sohne als eine eigene Membran be-
trachtet, und seinem Vater zu Ehren Membrana Kuyschiana genannt. —
Die Venen, welche diesen Arterien entsprechen, sind theils die hintern
kurzen Ciliarvenen, welche als zahlreiche kleine Stämmchen die Sclera
im Umfange des hintern Poles und des Sehnerven durchbohren, theils
die Wirheivenen oder Vasa vorlieosa S/enonis, welche in 4 — 6 ziemlich
symmetrisch angeordnete Wirbel zusammen tretend, mit eben so vielen
Stämmchen ungefähr 2"' hinter dem Äquator aus dem Bulbus treten.
Nur einige kleinere Stämmchen durchbohren die Sclera in der Gegend
des Äquators»
y. Zwischen diesen Elementen der Chorioidea, zu welchen noch
feine Astchen von Cüiarnerven eintreten, sind die Pignientzellen reich-
lich eingebettet, welche endlich an der Innenseite der Chorioidea so
zahlreich auftreten, dass sie gleichsam eine eigene Lage, das Stratum
■pigmenti, bilden. Dieses stellt eine einfache Schicht von sechseckigen
gekernten Zellen dar, welche mit braunem körnigem Pigmente gefüllt
sind; dasselbe ist einfach an die Netzhaut (die Stäbchenschicht der-
selben) angelagert, und lässt sich sehr leicht von derselben abheben.
Eine eigene seröse Membran zwischen der Chorioidea und Retina, wie
in früherer Zeit unter dem Namen der Jakobsehen Haut beschrieben
wurde, existirt zuverlässig nicht. Das, was als Jakobsche Haut bezeichnet
wurde, ist nämlich nichts anderes als die Stäbchcnschicht der Netzhaut,
Anatomie — Physiologie. 149
welche an etwas macerirten oder in Sublimat erhärteten Augen stuck-
weise an der Innenfläche der Aderhaut hängen bleibt.
b. Der Strahlenkörper stellt einen 2'/2— 3'" breiten Gürtel zwischen
der Ora serrata und dem Scleralfalze am Hornhautrande dar. Seine
hintere flache Hälfte ist V20""**/*5"'» seine vordere wulstige Hälfte
gegen 1'" dick. Letztere besteht aus dem Strahlenbande (Ligamentum
ciliare) und aus den Strah/c/t/ortsätzcu (Processus ciliares).
ct. Die flache Hälfte oder der ungefaltete Theil des Ciliarkörpers
unterscheidet sich von dem bisher beschriebenen Theile der Chorioidea
dadurch, dass er an der Innenfläche mit der Zonula Zinnii — wovon
später — sehr fest verbunden ist und mehr Pigment enthält, daher viel
dunkler erscheint; dass die Gefässc sich nicht mehr in Capillarien auf-
lösen, und dass er kleine Riefen zeigt, welche sich von der gezackten
Linie allmälig gegen die Ciliarfortsätzc bin erheben.
ß. Ungefähr in der Mitte der vom Strahlenkürpcr gebildeten Zone
d sich schon an der Farbe zwei verschieden organisirte Theile des-
selben unterscheiden. Der nach aussen (an der Sclera) liegende ist
weiss* oder gelb-grau, gleichmässig derb, und wird nach vorn immer
dicker. Senkrecht von aussen nach innen und von vorn nach hinten
durchschnitten erscheint er dreieckig oder keilförmig. Es ist diess das
(iliarhand , welches in früherer Zeit als Fortsetzung und Verdickung
der Bindcgewebsscliichte der Chorioidea und als gangliöse Ausbreitung
der darin verlaufenden Ciliarnerven (Sömmerring) betrachtet wurde, von
Brücke, Bownian, Kölliker u. A. aber für ein rein muskulöses Organ
— Spannmuskel der Chorioidea — erklärt wird. — Seine äussere, an
die Sclera angelehnte Fläche bildet die unmittelbare Fortsetzung der
äussern Fläche der Chorioidea, und ist nur durch die hier ein- und
austretenden vordem Ciliargefässe an die Sclera stellenweise ange-
heftet. Sie ist etwas über V" breit. Seine innere (leicht coneave)
Fläche entfernt sich je weiter nach vorn desto mehr von der äussern
Fläche, so dass das Ciliarband zuletzt die Dicke von mehr als fa"
erreicht. Sie ist nicht frei, sondern in unmittelbarer Verbindung mit
der (später zu beschreibenden) Gefäss- und Pigmentschicht des Ciliar-
körpers, und etwas schmäler als die äussere Fläche. Seine vordere
Fläche ist in ihrer äussern Hälfte der vordem Augenkammer zuge-
kehrt, und von dem Döllingerschen Bande (Ligament, pectinatum iridis:
Huek) überzogen; auf der innem Hälfte sitzen die Iris und weiter nach
hinten die vordem Enden der Ciliarfortsätzc Seine hintere Kante ist
sehr scharf, verläuft sich eigentlich in das zellige Stroma der Chorioidea
und in die zahlreich eintretenden Ciliarnerven. Die innere Kante ist
1 50 Aderhaut.
beinahe rechtwinklig, jedoch abgerundet. Der Kreis, den sie be-
schreibt, hat 5'" im Lichten. Die äussere Kante ist nach vorn in die
Lauge gezogen, und vermittelt die feste Verbindung zwischen dem
Ciliarbande und den daran haftenden Gebilden einer- und zwischen
der Sclera und Cornea andrerseits. Sie entspringt gleichsam mit zwei
Wurzeln, mit einer vordem (oder innern) dünneren von dem Rande
der Cornea, und mit einer hintern (oder äussern) dickeren von der
Sclera (an deren Randfalze). Zwischen beiden sieht man (an Durch-
schnitten von vorn nach hinten) eine längliche Spalte, welche sich als
Durchschnitt des Schlemmschen Canales erweist. (Vergl. B. I. S. 176.)
Die innere Wandung dieses Canales ist nicht unmittelbar von der
Wasserhaut gebildet, sondern von dieser noch durch feine halbdurch-
sichtige Fasern getrennt, welche von den tiefsten Faserschichten der
Cornea zur äussern Kante und zur vordem Fläche des Ligamentum
ciliare verlaufen.
y. Die Gefäss- und Pigmentschicht der Chorioidea läuft an der
innern Fläche des Ciliarbandes, welches zwischen dieselbe und zwi-
schen die Sclera wie ein scharfer Keil gleichsam eingeschoben ist, un-
unterbrochen nach vorn und innen bis zur hintern Fläche der Iris fort,
in welche sie gewissermassen übergeht ; man sieht wenigstens nirgends
eine Andeutung von einer Grenze zwischen beiden. Die Riefen, welche
schon im flachen Theile des Corpus ciliare beginnen, werden nach vorn
zu plötzlich höher, und gestalten sich zu 70 — 80 weissgrauen Falten
oder Wülsten, welche wie eine Krause rings um den Rand der Kry-
stalllinse gelagert sind, ohne jedoch denselben zu berühren. Diese
Falten sind unter dem Namen Ciliarfortsätze bekannt. Jede derselben
gleicht einem vielfach eingeschnürten und verschiedenartig gewundenen
Darme, dessen Hauptrichtung von hinten nach vorn und innen geht.
Jede solche Falte sitzt gleichsam reitend auf der innern Kante und auf
dem vordem Theile der innern Fläche des Ciliarbandes. Jede ist un-
gefähr 4/5'" lang und 2/5'" hoch. Eine Ebene, durch die erhabensten
(am meisten gegen die Augenachse vorragenden) Punkte oder Firsten
derselben gelegt, würde 4I/2/// im Durchmesser haben, und von dem
vordem Pole der Hornhaut 2'" weit abstehen. Eine Ebene, durch die
grösste Peripherie der Linse gelegt, würde noch den grössten Theil
der Ciliarfortsätze vor sich haben.*) Von der Grösse der Oberfläche
jedes einzelnen Ciliarfortsatzes kann man sich nur dann eine annähernd
richtige Vorstellung machen, wenn man an einem in Chromsäure er-
*) Tn der von Brücke I. c. gegebenen Abbildung liegen die Ciliarfortsätze hinter der Äquatorialebene
der Linse, was offenbar irrig ist.
Anatomie — Physiologie. 151
Ii arteten Auge einen die Augenachse senkrecht treffenden Durchschnitt
macht, welcher mit der Cornea noch einen etwa 1 — Vji'H breiten Kei-
fen der Sclera mit fort nimmt. Die auf diese Art quer durchschnit-
tenen Ciliarfortsätze erscheinen dann trauben- oder blumenkohl-ähnlich.
Die innere Fläche des Ciliarkörpers ist durch die Zonula Zinnii
unzertrennlich fest mit der Netzhaut an der Ora serräta, und mit dem
Glaskörper vor dieser gezackten Linie verbunden; der vorderste (freie)
Theil der Zonula vermittelt eine ziemlich feste, jedoch bewegliche Ver-
bindung mit dem Krystallkörper. Von der Ora serrata an vorwärts bis
zu den Falten des Ciliarkörpers kann man weder die Netz- noch die
Glashaut als solche verfolgen; sie gehen gemeinschaftlich in eine dünne,
durchsichtige und sehr feste, durch eigenthümliche Fasern verstärkte
Membran, den Ciliartlieil der Zonula Zinnii, über, welche mit der
inuern Fläche des Ciliarkörpers so fest zusammenhängt, dass sie sich
von derselben nicht trennen lässt. Nur an etwas macerirten Augen
löst sich diese Membran vom Ciliarkörper, und bleibt als ein Continuum
der Netz- und Glashaut auf dem Glaskörper zurück, wenn man die
Sclera und Chorioidea weggenommen hat. Bei dieser künstlichen
Trennung des Ciliarkörpers von der Zonula Zinnii bleibt der grösste
Theil des Chorioidealpigmentes, namentlich vom flachen Theile des Ci-
liarkörpers, auf dieser Membran zurück, und bildet einen krönen- oder
kranzähnlichen Abdruck, den man Corona ciliaris genannt hat.
An der Grenze zwischen dem flachen und dem gefalteten Theile
des Ciliarkörpers trennt sich die Zonula in zwei Blätter, ein hinteres
und ein vorderes. Das hintere Blatt zeigt alle Eigenschaften der Glas-
haut, und geht als Umhüllung des Glaskörpers zur tellerförmigen
Grube, wo es sich mit dem hintern Blatte der Linsenkapsel fest ver-
einigt, ohne jedoch, wie in neuester Zeit Kölliker wieder behauptet,
daselbst zu verschwinden oder mit der Kapsel in Eins zu verschmelzen.
Indem dieses Blatt zu der hintern Kapsel nach innen verläuft, und also
zwischen den "Wurzeln der Ciliarfortsätze und dem Rande der hintern
Kapselhälfte ausgespannt ist, bildet es centripetal verlaufende und
fächerähnlich gestaltete Fältchen, welche sich in dem unterliegenden
Glaskörper abdrücken (seichte Vertiefungen für die Ciliarfortsätze bil-
den . — Das vordere Blatt geht in den Vertiefungen und auf den Er-
habenheiten des Ciliarkörpers als fest anhaftender Überzug desselben
weiter nach vorn, und verlässt ihn erst in der Gegend der Firsten,
indem es gerade nach innen (zur Achse), mithin zum Kande der vor-
dem Kapsel verläuft, somit gleichfalls fächerähnliche centripetale Fält-
chen bildet, weil es auf der Höhe jedes Fortsatzes weiter nach vorn
152 Aderhaut.
gekommen ist, als in den Furchen dazwischen. Die Insertion in die
vordere Kapsel geschieht nicht genau am Rande derselben, sondern
ungefähr l.fa"i innerhalb desselben. Diesen zwischen den Firsten der
Ciliarfortsätze und dem Rande der vordem Kapsel ausgespannten Theil
der genannten Membran, welcher die oberwähnten eigenthümlichen
Fasern in grosser Menge zeigt, nennt man den freien Theil der Zonula
Zinnii, der Kürze wegen wohl auch ausschliesslich Zonula Zinnii oder
Strahlenblättchen. Besser ist es, ihn nach Retzius das Aufhängeba?ul
der Linse zu nennen. Er bildet einen Theil der Wandung der hintern
Augenkammer, und lässt sich in seiner ganzen Breite und Ausdehnung
am besten sehen, wenn man von einem Bulbus die Cornea vollständig
abgetragen und die Iris vom Ciliarkörper ringsum abgezogen hat.
Indem das obgenannte vordere Blatt aus der Gegend der Firsten
zur vordem Kapsel, das hintere Blatt aus der Gegend der Wurzeln der
Ciliarfortsätze zur hintern Kapsel geht, bleibt zwischen beiden eine
Spalte, im Ganzen eine Art Canal um den Rand der Linse herum, be-
kannt unter dem Namen Canalis Petiti. Dadurch, dass man die vordere
Wand desselben an einer Stelle einritzt, und durch diese Öffnung Luft
einbläst, kann man sich von der Existenz eines solchen Zwischen-
raumes, wenigstens von dem Auseinanderweichen der genannten beiden
Blätter überzeugen. Das beste Mittel, sich über die mechanischen Ver-
hältnisse der bisher betrachteten Gebilde zu unterrichten, sind Durch-
schnitte ganz frischer oder in Chromsäure erhärteter Bulbi von vorn
nach hinten.
Über den feinern Bau der Chorioidea, namentlich des Ciliarbandes und der Zonula
Zinnii haben sich bisher die tüchtigsten Forscher nicht einigen können. Nach Krause?
dem im Wesentlichen auch Huschke*) beistimmt, besteht das Ciliarband aus einer ober-
flächlichen, vorwaltend durch Bindegewebe gebildeten, und aus eiuer tiefern Lage, welche
ein mit Ganglienzellen durchsetztes Nervengeflecht bildet. Blutgefässe sind besonders
gegen seine äussere Fläche hin in sehr geringer Proportion vorhanden. Bochdalek**)
fand dasselbe vorwaltend aus Nervenmasse bestehend, und schliesst sich der schon von
Sömmerring aufgestellten Ansicht an, dass dieses Gebilde eine Art Ganglion sei, welches
mich Eble"s Ausdruck als Centralorgan der Sensibilität und Irritabilität des vordem Thei-
les des Augapfels anzusehen sei. Brücke ***) erklärt diesen lichtgrauen Ring am vordem
Ende der Chorioidea für ein muskulöses Organ, und nennt ihn den „Spannmuskel der
Chorioidea." „Die Primitivfasern dieses Muskels stimmen mit denen des Verengerers
und des Erweiterers der Pupille vollkommen überein, und haben die wesentlichen Charak-
tere der organischen Muskelfasern , wie man sie im Darmkanale findet." „Die Fasern
verlaufen von hinten nach vom, und liegen also neben einander, wie die äussern Holz-
*i Sömmerring, Eingeweidelohre. Leipzig, 1814. S. 68G.
**) Prager Vierteljahrschr. 1852. 25. Bd., S. 157.
***) Müller's Archiv 1846. S. 370, und : AnatoA. Besehreibung des menschl. Augapfels. Berlin, 1847»
S. 18 u. 21.
Anatomie — Physiologie. 153
scheite eines Kohlenmeilers; er heftet sich an die innere "Wand des Canalis Schlemrnii,
mit der er oft so fest verbunden ist, dass sie beim Ablösen der Sclerotica an ihm han-
gen bleibt. Der Muskel spannt die Chorioidea mit der Eetina um [den Glaskörper an,
indem er seine geschlossene Oberfläche verkleinert, welche durch ihn selbst, durch die
Cornea und durch die Chorioidea gebildet wird ; zugleich hebt er die mit den Ciliar-
fortsätzen verklebte Zonula Zinnii etwas nach vorn, und vermindert die Spannung der-
selben in dem Theile, der zwischen der Linse und den Ciliarfoitsätzen liegt. Ob hier-
durch eine Bewegung der Linse nach vorn verursacht wird , lässt sich noch nicht be-
stimmen , weil man nicht weiss, in wie weit der Humor aqueus ihr Vortreten gestattet."
— ..An dem Ursprunge des Spannmuskels spaltet sich das zellige Stroma der Chorioidea
in zwei Partien , von welchen die innere mit den grossen Gefässen zur Blendung hin-
zieht, und in dieselbe übergeht, die äussere in Gestalt einer Fascie über den Spann-
nraskel hinwegzieht. Am vordem Bande des Muskels nimmt diese Fascie wieder einen
Theil der Elemente der innern Partie auf und geht mit ihnen in ein starkes Netz von
verzweigten kernlosen Fasern ganz eigenthümlicher Bildung über , welches sich an die
innere Wand des Schlemmschen Cauales gleichsam als kurze ringförmige Sehne des
Spannmuskels anheftet."' Bowman*) und Kölliker**) beschreiben gleichfalls solche Mus-
kelfasern in diesem Gebilde; nach den beigegebenen Zeichnungen haben jedoch diese
Fasern grossentheils einen andern Verlauf, als Brücke ihn angegeben hat. Beide lassen
nämlich die Fasern von der innern Wand des Schlemmschen Canales wie von einem
Brennpunkte aus nach innen (gegen die Iris), nach hinten (gegen die Ciliarfortsätze) und
nach aussen (gegen die hintere spitzige Kante des Ciliarbandes) ausstrahlen. — Dass
in dem fraglichen Gebilde wirklich Fasern vorkommen, welche den von Bowman beschrie-
benen Verlauf nehmen , davon kann man sich an Durchschnitten des Bulbus unter dem
Mikroskope überzeugen. Diese Fasern verhalten sich ganz so, wie die Muskelfasern der
Iris. Dass indess dieser ganze graue Bing nur die Bedeutung eines Muskels habe, da-
gegen erheben sich gegründete Bedenken , wenn man auch Bochdaleks Behauptung :
„im menschlichen Ligamentum ciliare lasse sich durchaus nichts von einer organischen
Muskelfaser entdecken," nicht beipflichten kann. Das Verhältniss der auffallend zahlrei-
chen Xerven, die in dieses Gebilde eintreten, hätte von jenen Autoren, welche dasselbe
einfach für einen Muskel erklärten, jedenfalls mehr, als es geschehen ist, in's Aiige ge-
fasst werden sollen , und was die Bestimmung betrifft , die man seit Brücke demselben
zuweist, so drängen sich gewichtige Zweifel dagegen auf. Es lässt sich nicht annehmen,
dass eine so weiche und lockere Membran, wie die Aderhaut, durch Muskelzug so stark
angespannt werden könne, dass daraus eine Form- oder Lageveränderung der durchsich-
tigen Medien entstehen möchte. Das Bedenken, das sich gegen die Locomotion der Linse
von Seite der Incompressibilität des Kammerwassers erhebt, hat Brücke selbst mit den
Schlussworten des oben angeführten ersten Citates angedeutet. Bei der Lehre von der
Accommodation werden wir zeigen, dass das Vorwärtsrücken der Linse behufs der Refraction
für nahe Objecte nach optischen Gesetzen gerade das Gegentheil von dem, was nöthig ist,
bewirken müsste. Wollte man den Ciliarmuskel ausschliesslich oder doch vorzüglich als
Organ für die Accommodation betrachten , so würde man ihm die Function eines will-
kürlichen Muskels zuweisen, während er doch seinem Baue nach ganz mit der Iris,
einem unwillkürlichen Muskel, übereinstimmt. Der Act der Accommodation steht minde-
*) Lectares on the Parts concerned in the Operations on the eye etc. London, 1849. S. 52.
**, Handbuch der Gewebelehre des Menschen. Leipzig, 1552. S. 5S6.
154 Aderhaut.
stens eben so stark unter der Herrschaft des "Willens, als die Bewegungen der Augen.
— Die in Rede stehenden Muskelfasern können nur die Ciliarfortsätze und das damit
-verwachsene Aufhängeband der Linse ein wenig nach der Gegend des Schlemmschen
Canales hinziehen, und somit durch eine entsprechende Spannung das Linsensystem in
seiner Lage erhalten , welches sonst nach vorn rücken und eine stärkere "Wölbung der
Cornea (mittelst des Humor aqueus) bewirken müsste, sobald der Glaskörper, durch den
Einfluss der M. recti et obliqui comprimirt, nach vorn und hinten auszuweichen strebt.
Die vollständige Durchführung unserer Ansicht über die Accommodation können wir erst
in dem Buche über die Augenmuskeln bringen.
Was die Zonula Zinnii betrifft, so stimmen fast alle neueren Forscher der alten Ga-
lenschen Ansicht bei, dass die Netzhaut sich über die Ora serrata bis zu den Ciliarfort-
sätzen hin erstrecke. Nach Huschke, Valentin, Bidder , Krause u. A. setzen sich alle
Elemente der Netzhaut, mit Ausnahme der Stäbchenschicht, bis zum Bande des Krystall-
körpers fort; nach Brüche ist es jedoch bloss die innerste glashelle Schicht der Netz-
haut, die Membrana limitans (Pacini) , welche vereinigt mit der Glashaut den in Rede
stehenden Überzug des Corpus ciliare (die Zonula) bildet. Kölliker 1. c. dagegen be-
hauptet, dass die Netzhaut an der Ora serrata gänzlich aufhöre, und dass die Zonula
nichts anderes als eine Fortsetzung der Glashaut sei. „Sie ist ein dünnes, durchsichtiges,
aber ziemlich festes Häutchen, das von der Ora serrata bis zum Rande der Linse sich
erstreckt, und besteht aus eigenthümlich blassen Fasern, welche etwas hinter der Ora
serrata an der Aussenseite der Hyaloidea , jedoch in dem innigsten Zusammenhange mit
derselben beginnen, als eine Anfangs lockere, dann immer dichtere Lage grösstentheils par-
allel neben einander nach vorn verlaufen , bis sie am freien Theile der Zonula eine
vollkommen zusammenhängende Lage, jedoch immer noch mit einzelnen isolirbaren Bün-
deln bilden , und dann mit der vordem Kapselhälfte verschmelzen." „Die Zellen an
ihrer äussern Fläche gehören nicht zur Netzhaut, sondern zur Chorioidea; sie sind nur
als innerster, nicht gefärbter Theil der Pigmentschicht des Ciliarkörpers zu betrachten,
und verhalten sich zu derselben so, wie in gefärbter Haut die farblosen zu den farbigen
Epidermiszellen." Diese Angaben Köllilcei-'s stimmen mit denen von Henle*) in der
Hauptsache überein.
Über die Bestimmung und Function der Chorioidea überhaupt
wissen wir nur Einiges mit ziemlicher Sicherheit.
1. Ihre Pigrnentlage steht in inniger Beziehung zur Function der
Eetina, und zwar theils durch Abhaltung, theils durch Absorption von
Lichtstrahlen. So wie die Iris ist auch der ungefaltete Theil des Ciliar-
körpers mit einer auffallend mächtigen Pigmentlage versehen, und be-
schränkt das Eindringen von Lichtstrahlen durch den frei zu Tage lie-
genden Theil der Sclera in hohem Grade. — Von den durch die
Pupille in das Innere des Auges gelangenden Lichtstrahlen wird, da
alle von der Chorioidea umschlossenen Gebilde durchsichtig sind, wohl
der grösste Theil in der dunkeln Pigmentschicht absorbirt. Bei den
Kakerlaken, deren Augen dieses Pigmentes entbehren, ist das Gesicht
immer unvollständig. „Um das hinter Sammellinsen erscheinende Bild
*) Söuimerriug, allgemeine Anatomie. Leipzig, 1841. S. 332.
Anatomie — Physiologie. 155
mit möglichster Schärfe aufzufangen, muss alles seitliche, nicht dazu
gehörige Licht abgehalten und jede Spiegelung der Fläche, auf der
sich das Bild formirt, möglichst verhütet werden. Zu diesem Zwecke
besitzt das Auge, gleich einer Camera obscura, ein schwarzbraunes
Pigment. Augen, die zu wenig oder gar kein Pigment besitzen, wer-
den daher leicht geblendet und sind lichtscheu."*) Dass aber eine ge-
wisse Portion Lichtes vom Grunde des Auges durch die Pupille aus
dem Auge herausgeworfen wird, hat Brücke zuerst bestimmt nach-
gewiesen, und Heimholt* hat diese Entdeckung durch die Con-
struction eines Augenspiegels**) zu einer der wichtigsten für die Dia-
gnostik der Augenkrankheiten erhoben.
Auf die Schwärze der Pupille, welche zum Theil von der Absorption des Lichtes
in der Chorioidea abhängt, haben noch einige andere Momente Einfluss.
Zunächst muss die Grösse der Pupille — respective die Menge des einfallenden
Lichtes — in Anschlag gebracht werden. Die Pupille verliert jederzeit an Schwärze, sobald
sie idurch Belladonna) erweitert worden ist. Stellt man sich einem Auge mit stark er-
weiterter Tupille auf 2 — 3 Schritte Entfernung und unter einem sehr spitzigen Winkel
zum einfallenden Licht gegenüber, so sieht man den Grund der Pupille eigenthümlich
röthlich leuchten . beinahe so , als ob in der Tiefe des Auges eine polirte Kupferplatte
läge. Dieser rothliche Schein rührt ohne Zweifel von dem Lichte her, welches die Ge-
fässe der Xetz- und Aderhaut aus dem Auge zurückwerfen. (Dieses Phänomen tritt am
deutlichsten hervor, wenn der zu Untersuchende in einem etwas tieferen Zimmer, das
nur Ein Fenster hat, diesem gegenüber und so weit als möglich davon entfernt sitzt.)
Bei älteren Leuten findet man die Pupille bei gleicher Grösse und bei ungestörtem
Sehvermögen niemals so rein schwarz, wie bei jüngeren. Insbesondere ist es ein eigen-
thümlicher Lichtreflex aus der Tiefe des Bulbus, der dem Auge des Beobachters entge-
gen tritt. Er erscheint als eine lichtere, gewöhnlich etwas grau- oder grüngelbliche
kleine Scheibe , die sich von ihrem Mittelpunkte zu ihrer Peripherie allmälig verliert,
ganz wie ein selbstleuchtender runder Körper aussieht, und deren Lage, relativ zum
Centrum des durch die Pupille sichtbaren dunklen Hintergrundes, sich jedesmal mit der
Stellung des Beobachters und des beobachteten Auges zum Fenster ändert. Man hat
diese längst gekannte Erscheinung von Pigmentmangel der Aderhaut abgeleitet. Es ist
nämlich seit Petit bekannt, dass in spätem Lebensjahren das Pigment der Chorioidea
etwas spärlicher und blässer ist. Das in Rede stehende Phänomen hängt indess wohl
hauptsächlich von der Krystalllinse ab. Diese bekommt unbeschadet ihrer Durchsichtig-
keit, wenigstens unbeschadet der Schärfe des Gesichtes, ungefähr vom 40. Lebensjahre
an allmälig eine gelbliche Färbung (wie Österreicher Wein). Mit dieser Färbung hängt
jener eigenthümliche Reflex zusammen. Denn er fehlt, sobald die Linse fehlt, und er
ist nicht vorhanden, so lange die Linse farblos ist. Man kann ihn auch an Cadavern
beobachten, wenn man die Augen möglichst frisch untersucht, und den Glanz der Horn-
haut nöthigenfalls durch Abstreifung der Epithelialschicht wieder herstellt. Wird nun an
einem solchen Auge die Linse reclinirt, so verschwindet auch dieser Reflex. An Leben-
den , welche an Cataracta (durch was immer für eine Methode) operirt worden sind,
*) Euete in Wagner's Handwörterbuch der Physiologie. Bd. III. Abth. 2. S. 247.
**) Beschreibung eines Augenspiegels. Berlin, 1851.
156 Aderhaut.
findet sich im höchsten Alter nie eine Spur eines solchen Reflexes, den man doch sonst
ohne Ausnahme in spätem Jahren bemerkt. Es ist also nicht bloss Durchsichtigkeit,
sondern auch Farblosigkeit der Linse erforderlich, wenn uns die Pupille in ihrer norma-
len Schwärze erscheinen soll.
Die Netz- und Aderhaut liegen, worauf Kussmaul*) zuerst aufmerksam gemacht
hat, bei normalem Zustande des Auges im Brennpunkte der lichtbrechenden Medien des-
selben. Die durchsichtige Netzhaut und die dunkle Aderhaut bilden den Schirm; die
Hornhaut und Linse mit dem dazwischen eingeschlossenen Kammerwasser bilden das
Objectivglas einer Camera obscura. Daher kann ein Beobachter vor dem Auge auch
lichte Theile des Augengrundes, wie die Eintrittsstelle des Sehnerven und die Central-
arterien der Netzhaut nicht wahrnehmen, und der Grund des Auges erscheint gleichmässig
dunkel. Man nehme , nach Helmholtzens Vorschlag , die Ocularröhre eines Mikroskopes
und entferne das Ocularglas. „Ist die Röhre genau so lang, als die Brennweite des
Collectivglases , so setze man sie mit dem Ende, welches das Ocular enthielt, auf eine
weisse Tafel auf, und man hat eine Camera obscura, bei welcher dieselben Gesetze gel-
ten, wie am Auge. Es werden in diesem Apparate sehr helle Bilder der umgebenden
lichten Gegenstände auf der weissen Tafel entworfen, und doch sieht das Innere des
Instrumentes, wenn man durch die Glaslinse in beliebiger Richtung hineinsieht , absolut
schwarz aus. Nimmt man das Convexglas fort, oder ändert man dessen Entfernung von
der Papierfläche bedeutend, so erscheint dem Beschauer sogleich die helle weisse Farbe
der letzteren." Auf gleiche Weise kann uns auch der Grund des Auges sichtbar werden,
wenn er nämlich vom Brennpunkte der Hornhaut und Linse bedeutend abgelenkt, nach
vorn oder nach hinten gerückt ist. Wird z. B. die Netzhaut von Enkephaloidmasse
infiltrirt, so dass sie undurchsichtig und ihre Innenfläche um mindestens lj-J" weiter
vorwärts gerückt ist, so erscheint uns der Grund eines solchen Auges nicht nur in der
Farbe der Enkephaloidmasse, sondern wir können auch einzelne Gefässchen darauf deut-
lich wahrnehmen. Die Gefässchen erscheinen uns grösser, und die ganze Masse tiefer
hinter der Linse, als sie es wirklich sind. Um sich die hier in Anwendung kommenden
optischen Gesetze durch ein Experiment anschaulich zu machen, nehme man eine Con-
vexlinse, z. B. von 2" Brennweite, und halte sie vor einen Gegenstand, etwa vor die
Ziffer der Seite eines Buches. Betrachtet man nun in einer Entfernung von 12 — 15 Zoll
das Object durch diese Convexlinse, indem man sie gerade 2" vor demselben vorhält,
so erhält man kein Bild des Objectes; rückt man die Linse näher an das Object, so sieht
man dasselbe vergrössert, aufrecht und scheinbar weiter entfernt; hält man aber die
Linse weiter als 2" vor dem Objecte, so sieht man dasselbe verkehrt und vergrössert.
Wenn man, wie Mary bereits 1704 gcthan**), eine lebende Katze unter ^Wasser taucht,
und in das Innere des Auges schaut , so erkennt man das Tapetum in seiner grünen
metallglänzenden Farbe und die Stelle, wo die Sehnerv eintritt. Mittelst des Ce?-?»aZ;'-
schen Orthoskopes kann man auch am lebenden Menschenauge (bei gehöriger Beleuchtung
und Erweiterung der Pupille) den Grund desselben sichtbar machen ; denn dadurch, dass
man Wasser vor die Hornhaut bringt , wird der Brennpunkt weit hinter die Netzhaut
verrückt. Das Orthoskop hat vor dem Helmhol tz'schen Augenspiegel den Vorzug, dass
man den Grund des Auges in natürlicher Beleuchtung sehen kann. Kussmaul ist der
Ansicht, die obgenannte lichte Scheibe in Greisenaugen sei die Eintrittsstelle des Seh-
*) Die Farbenerscheiuungcu im Grunde des menschlichen Auges. Heidelberg, 1*45.
**; Kussmaul 1. c. S. 28.
Anatomie — Physiologie. 157
nerven, welche sichtbar werde, weil im Greisenalter die Hornhautflächen und die Masse
des Glaskörpers vermindert sei , wofür schon die Weitsichtigkeit solcher Augen spreche.
Es ist indess in Greisenaugen so lange keine andere Störung , als blosse Weitsichtigkeit
vorhanden ist, die Netzhaut nie so beträchtlich aus der Brennweite der Linse und Horn-
haut verrückt, dass man die Pupilla nervi optici sehen könnte, uud man kann den Ort
jener lichten, gleichsam selbstleuchtenden Stelle beliebig ändern, je nachdem man das
Licht gerade von vorn, etwas von der äussern oder etwas von der innern Seite her ein-
fallen lässt und darnach auch seinen eigenen Standpunkt zum Auge ändert. Mosas*)
führt an , dass man an Augen , wo man wegen mangelhaften Pigmentes eine grauliche,
concave, tiefe Trübung im Hintergründe der Pupille bemerkt, die Gefässe der sichtbar
gewordenen Netzhaut selbst mit freiem Auge unterscheiden könne. Ich war niemals im
Staude, diess zu constatiren.
2. Der Ciliarkörper, und zwar der flache Tkeil, und die Ciliarfort-
sätze werden mit Grund als Matrix der Augenflüssigkeiten, des Kammer-
wassers und Glaskörpers, vielleicht auch der Krystalllinse betrachtet.**)
Der Gefässreichthum dieses Gebildes ist ausserordentlich gross, nament-
lich in den Ciliarfortsätzen. Diese letzteren erinnern durch ihre wun-
derbar vervielfältigte Oberfläche unwillkürlich an die Falten und Zotten
der Schleimhäute. Der Ciliarkörper steht durch die Zonula Zinnii in
innigster Verbindung mit dem Glas- und mit dem Krystallkörper. Wenn
bei Entzündung der Chorioiclea reichlicher Erguss an ihrer innern
Fläche erfolgt, so wird sie stets nur bis zur Ora serrata von der Netz-
haut abgelöst; vor dieser Linie findet man niemals Exsudat zwischen
der Aderhaut und der Zonula, sondern jederzeit nur innerhalb dieser
letzteren, also im Glaskörper abgelagert. — Entzündung der Chorioidea
führt häufig zur Vermehrung und Verflüssigung, oder aber zum Ver-
schrumpfen des Glaskörpers. — Ebenso führt Entzündung der Cho-
rioidea früher oder später immer zu Trübung der Linse, während Ent-
zündung der Iris erst dann diese Folge nach sich zieht, wenn zu ihr
Entzündung der Chorioidea hinzugetreten ist. Wollen wir nicht an-
nehmen, dass die Hornhaut oder die Linse den Humor aqueus liefere,
so müssen wir die Quelle desselben offenbar im Ciliarkörper suchen,
da die Iris bekanntlich ganz aus dem Auge entfernt werden kann, ohne
dass nachher das Kammerwasser versiegt.
3. Von hohem Interesse, so dass es hier noch besonders hervor-
gehoben werden muss, ist das Verhältniss der Chorioidea zur Iris. Die
Chorioidea ist es, durch welche sämmtliche Nerven und die meisten
Gefässe zur Iris vordringen. Die Ciliarnerven sind in die äussere, vor-
waltend zellige Schicht der Aderhaut eingelagert. Zwei derselben,
durch besondere Entwicklung ausgezeichnet, verlaufen im horizontalen
*) Handbuch der Augenheilkunde. Bd. I. S. 174.
**) Senie 1. c. S. 3-12 ; Rosas, S. 174.
158 Aderhaut.
Meridiane, der eine an der Nasen-, der andere an der Schläfenseite.
Denselben Verlauf nehmen auch die hintern langen Ciliararterien und
die sie begleitenden Venen. Auf dieses Verhältniss muss man insbe-
sondere bei Operationen, welche einen Einstich in die Sclera erhei-
schen, Rücksicht nehmen. Durch die Chorioidea nimmt das Blut aus
der Iris seinen Rückfluss, bis auf jenen Theil, der durch die vordem
Ciliarvenen zurückfliesst. Die Integrität der Chorioidea ist mithin uner-
lässlich zur Integrität der Iris.
B. Krankheiten der Chorioidea.
I. Entzündung- der Chorioidea, Chorioiditis.
A. Allgemeine Bemerkungen.
Die Chorioidea ist weit öfter, als man bisher im Allgemeinen an-
genommen hat, der Herd, von welchem krankhafte Erscheinungen am
Auge ausgehen, welche zuletzt als Entzündung bezeichnet werden
müssen, und andererseits geräth die Chorioidea häufig consecutiv nach
Entzündung der Hörn- oder Regenbogenhaut in den Zustand der Ent-
zündung. Die Chorioiditis erscheint bald als rein örtliche Krankheit,
und besteht als solche fort oder zieht den Gesammtorganismus in Mit-
leidenschaft; bald ist sie, und zwar in der weit überwiegenden Mehr-
zahl der Fälle, als Folge von Allgemeinleiden zu betrachten. Nach
diesen Verhältnissen sind nun die Erscheinungen der Chorioiditis, in
ihrem jeweiligen Complexe und in ihrer Aufeinanderfolge samint den
sogenannten Ausgängen aufgefasst, ausserordentlich verschieden.
Zum Verständnisse der Symptome, des Verlaufes und der Aus-
gänge der Chorioiditis überhaupt ist nebst dem eben Gesagten und
nächst der Kenntniss der anatomischen, physiologischen und optischen
Verhältnisse, die wir unter A angedeutet haben, vor Allem die Kennt-
niss der Sectionsbefunde noth wendig, welche in Folge von Aderhaut-
entzündung beobachtet wurden. In der Seltenheit der Gelegenheit,
Augen mit Chorioiditis überhaupt, und während des Exsudationsprocesses
insbesondere zu seciren, liegt der Grund, dass unsere Kenntnisse
über die Entzündung dieses wichtigen, der unmittelbaren Anschauung-
leider entzogenen Gebildes in vielfacher Beziehung noch so mangel-
haft sind.
Entzündung im Allgemeinen. 159
Sectionsei^gebnisse.
Wenn sieh die Aderhaut entzündet, so erfolgt die Aasscheidung
von Exsudat vorzugsweise an ihrer innern (concaven) Oberfläche, da
wo das arterielle Gefässnetz liegt, und zwar jenseits der Ora serrata
zwischen Chorioidea und Retina, diessseits aber in den Glaskörper, in
den Petitschen Canal, in die hintere Augenkammer. Eine deutliche
Infiltration, eine beträchtliche Verdickung ihres Gewebes durch Exsudat
findet nicht statt, ausser im Bereiche des Corpus ciliare bei gleich-
zeitiger Iritis; eher geschieht es, dass, wenigstens stellenweise, auch
die Lamina fusca, und selbst die Sclera die Zeichen von Entzündung
darbieten, und dass die Chorioidea und Sclera mit einander verkleben,
verwachsen.
Zu Anfang des Processes findet man die Chorioidea mit Blut über-
füllt, von mehr röthlichem als braunem Aussehen, wohl auch stellen-
weise ekchymotisch, das Bindegewebe serös durchfeuchtet und gelockert,
das Pigment an der innern Fläche vom Exsudat verdrängt oder auch
fortgeschwemmt, und im Exsudate oder im Kammerwasser suspendirt
(an der hintern Wand der Cornea präcipitirt). Die Ekchymosen zeigen
sich an der innern Fläche der Aderhaut oder an der äussern der Netz-
haut. Die Entzündung beschränkt sich eine Zeit lang auf umschriebene
Stellen, zumeist in der Nähe des Aequator bulbi, oder sie ergreift
gleich Anfangs einen grossen Theil, die ganze Chorioidea, selbst mit
Einschluss des Corpus ciliare.
Mit dem Nachlasse der Hyperämie wird das Pigment allmälig spar-
samer, geht stellenweise ganz verloren, wird aber auch bisweilen in
Form von Punkten oder Flecken angehäuft, die dann schwarzblau er-
scheinen. Nach und nach wird dann die Chorioidea blutarm, dünn,
atrophisch, bloss im hintern Umfange, oder auch im Bereiche des Cor-
pus ciliare. Bei croupösem Exsudate hingegen wird sie stellenweise
oder durchaus zerstört.
Das Exsudat ist entweder vorwaltend serös mit einem verschiedenen
Antheile von Eiweiss und Faserstoff, oder vorwaltend, selbst ausschliess-
lich faserstoffig, und dann plastisch — zu weitern Metamorphosen ge-
eignet, oder eitrig — die Gebilde, mit denen es in Berührung kommt,
schmelzend, zerstörend.
1. Befund bei albuminös-serösem Exsudate (mit relativ wenig Faser-
stoff». Man findet Fälle, wo zwischen Chorioidea und Retina bloss Serum
mit mehr weniger Eiweissstoff (10—12 Procent) und etwas Salzgehalt
(salzsaurem Natron) ergossen, und die Aderhaut partienweise mit der
Sclera verwachsen oder auch einfach an diese angelagert ist.
160 Aderhnut.
In solchen Fällen ist dann die Netzhaut bloss in einem Theile des
hintern Umfangcs oder von der Eintrittsstelle des Sehnerven bis zur
Ora serrata und rings herum von der Aderhaut losgelöst, nach innen
gedrängt, und endlich in dem Masse , als der Glaskörper geschwunden
erscheint, in einen Trichter verwandelt (ähnlich der Corolla von Con-
volvulus), dessen Spitze an die Lamina cribrosa, dessen Saum an die
Ora serrata geheftet ist. Nach Erscheinungen im Leben (wovon später),
ist es wahrscheinlich (durch die Section von Pferdeaugen — siehe
weiter unten 3. Beobachtung — bestätigt), dass die Netzhaut in man-
chen Fällen zufolge der entzündlichen Erweichung mitten durchreisst
(oder ganz aufgelöst wird), und dann in dem Exsudate (und verflüs-
sigten Glaskörper?) herumflattert. Doch kommt es vor, dass an einer
oder der andern Stelle (in der Gegend des Aequator bulbi) auch die
Netzhaut mit der Aderhaut verwachsen ist und dann eine seitliche Aus-
stülpung des oberwähnten Trichters bildet.
Durch den Druck des Exsudates nach aussen kann die Sclera
gleichmässig oder stellenweise ausgedehnt, der Bulbus in seinem hin-
tern oder ganzen Umfange mehr weniger vergrössert, oder durch par-
tielle Ausdehnung höckerig werden. Zu dieser partiellen Ausdehnung
(Staphylom der Sclera) scheint Verwachsung der Sclera mit der Cho-
rioidea nothwendig zu sein. — Durch Eesorption der flüssigen und
durch Schrumpfung der festen Bestandteile des Exsudates kann es zu
allmäliger Schrumpfung und Einziehung der Sclera und Chorioidea, zu
Verkleinerung des ganzen Bulbus (ohne sichtbare Narbe an der Cornea
oder Sclera — Atrophia bulbi) kommen. (Vergl. unten 3. und 5. Beob-
achtung.)
Der Ciliarkörper, namentlich das Ligamentum ciliare, bietet nach
längerer Dauer dieses Zustandes theilweise oder ringsum die Zeichen
der Atrophie dar, ingleichen die Iris, deren hintere Fläche überdiess
manchmal stellenweise oder durchaus mit einem zu einer derben Mem-
bran umgewandelten Exsudate bedeckt erscheint
Die Linse wird allmälig trüb, Anfangs weich, später bisweilen
auffallend hart, wenigstens im Kerne, bisweilen von der Oberfläche her
in Kalkconcrement umgewandelt. Der mittlere Theil der vordem Kapsel
wird bisweilen vor, in der Regel jedoch erst nach erfolgter Trübung
der Linse durch Auflagerung einer körnigen Masse an ihrer hintern
Fläche, später durch innige Verschmelzung mit dieser getrübt, verdickt,
knorpelartig hart. Die Verbindung der hintern Kapsel mit der Hya-
loidea wird allmälig so gelockert, dass man nach Zerreissung der
Zonula Zinnii, wenn diese nicht schon von selbst (durch Schrumpfung
Entzündung im Allgemeinen — Sectionsbefund. 161
der vordem Kapsel und des Cüiarkörpers) erfolgt war, die Linse
sammt der ganzen Kapsel aus der tellerförmigen Grube heraus-
heben kann.
Vom Glaskörper ist zwischen der Hyaloidea in der tellerförmigen
Grube und der Netzhaut bald mehr bald weniger Masse vorhanden.
Er fehlt ganz, wenn der Saum, den die Netzhaut vor ihrer Endigung
an der Ora serrata bildet, mit der vordem (innern) Fläche an den
flachen Theil des Corpus ciliare angezogen ist.
Ich habe in diese Schilderung nur das aufgenommen, was ich aus eigener An-
schauung kenne, und halte es daher für nöthig, mehrere der speciellen Fälle, auf welche
dieselbe gestützt ist, in mögliebst getreuer Beschreibung anzuführen. Die Beobach-
tungen 1, 2 und 3 betreffen jene Form von Chorioiditis mit serös-albuminösem Exsudate,
welcbe unter dem Namen Glaucoma und Ophthalmia arthritica beschrieben worden ist;
die 4. und 5. bieten den Befund von Iridochorioiditis (mit faserstoffig-serösem Exsudate),
welche als Iritis chronica, Ophthalmia interna u. dgl. aufgeführt wurde.
1. Beobachtung. Ri/ba Dorothea, 76 Jahre alt, starb Mitte Juli 1846 in Folge von
Magenkrebs. Sie war vor 7 Jahren auf dem rechten Auge unter heftigen Schmerzen
und Röthe des Weissen im Auge, und 4 Jahre später und unter geringeren Zufällen
allmälig auch auf dem linken Auge erblindet. Ich hatte Gelegenheit gehabt, sie durch 2 Jahre
vor ihrem Tode zu beobachten. Beide Augen boten während des Lebens die Erschei-
nungen von vollständig entwickeltem Glaucom dar, wie wir sie weiter unten schildern
werden. *) Das Magenleiden hatte sich erst 2 Jahre vor dem Tode kund gegeben.
Befund des rechten Auges. Durchmesser von vorn nach hinten 1 1 lß'", im Äquator
11'"; nach oben und aussen jedoch, zwischen dem M. rectus sup. und ext., und hinter
dem Äquator ist die Sclera hügelartig erhoben und dunkelblau. Die Hornhaut matt,
jedoch vollkommen durchsichtig, bis auf einige schwärzliche Punkte in ihrer untern
Hälfte, die sich nach Eröffnung des Auges als Anlagerungen von Pigment an die Des-
cemetsche Haut erwiesen. Der Bulbus wurde von vorn nach hinten durchschnitten, so
dass der Schnitt etwas oberhalb des M. rectus externus (also durch die bläuliche Aus-
bauchung der Sclera) und unterhalb des M. rectus internus verlief. Man sah nun im
Innern des Bulbus eine Höhle, in welcher eine klare gelbliche Flüssigkeit enthalten war,
die beim Erhitzen grösstentheils gerann. Mitten durch die Höhle verläuft ein gelblich-
grauer Strang, die zusammengefaltete Netzhaut, welche sich von der Eintrittsstelle des
Sehnerven bis zur Ora serrata erstreckt, jedoch nach oben und aussen einen Ausläufer
bildet, der sich zur Mitte der oberwähnten Scleralausdehnung begibt. Von der Gegend an,
wo eine durch den Aequator bulbi gelegte Ebene die Netzhaut durchschneiden würde, ver-
wandelt sich die Netzhaut, indem sie zur Ora serrata verläuft, gleichsam in einen Trichter,
in dessen Höhlung man deutlich Eeste des Glaskörpers erkennt. Die Chorioidea, durch-
aus an die Sclera angelagert, ist von der Lamina cribrosa bis zur Ora serrata ringsum
sehr verdünnt, und blass bräunlich grau, in der nächsten Umgebung der Lamina cribrosa
aber ganz pigmentlos. An der Stelle, welche von aussen bläulich und hervorgetrieben
erschien, ist die Chorioidea im Umfange von beiläufig ?>'" Durchmesser fest mit der hier
auffallend verdünnten Sclera verwachsen, durch einzelne Pigmentpunkte und Flecken
*) Diesen Fall habe ich bereits in der Prager Vierteljahrschrift, Jahrgang 1847, S. 56, beschrieben und
auf der beigegebenen Tafel Fig. TV. abbilden lassen.
Arlt Augenheilkunde. IT. 1 l
162 Aderhaut.
braun und blau gesprenkelt, und zur Mitte dieser Stelle ist der obgenannte Ausläufer der
Netzhaut durch innige Verwachsung mit der Chorioidea und Sclera hingezogen. Die
Vortices vasorum Stenonis lassen sich nicht mehr wahrnehmen ; von den Ciliarnerven
sind nur hie und da dünne Zweigchen zu erkennen. Der Ciliarkörper ist da, wo hinter
ihm das Scleralstaphylom liegt, derart atrophisch, dass man vom Ligamentum ciliare gar
nichts mehr sieht; an der Nasenseite scheint er nicht verändert zu sein. Die Ciliar-
fortsätze sind nicht kleiner, werden jedoch erst dann sichtbar, wenn man eine Exsudat-
schicht, welche von der Zonula Zinnii in den rudimentären Glaskörper hineinreicht, mit
einiger Gewalt abgezogen hat. Die Netzhaut, an der Ora serrata fixirt, ist so gegen den
flachen Theil des Corpus ciliare hingezogen , dass eine Ebene , durch die Ora serrata
gelegt, noch einen guten Theil von der Netzhaut abschneiden würde, d. h. sie erstreckt sich
auf ihrem Wege von der Mitte zur Peripherie gewölbt nach vorn , und biegt dann , um.
zur Ora serrata zu gelangen , wieder nach hinten um. Die dunkelbraune , stellenweise
schiefergraue Iris ist nach oben und aussen (i. e. da, wo hinter ihr das Corpus ciliare
atrophisch und die Sclera staphylomatös ist) auf einen so schmalen Saum reducirt, dass
man, durch die Cornea in's Auge blickend, denselben gar nicht wahrnehmen konnte. An
dem nicht geschwundenen Theile der Iris war der Pupillarrand röthlich und durch Exsudat
locker mit der vordem Kapsel verklebt. An der hintern Fläche der Iris sieht man einige
weissgraue Stellen, Exsudat auf der Iris, welches die Stelle der Pigmentlage einnimmt
und mit der Iris innig zusammenhängt. Mit Ausnahme dieser Stellen erscheint die Pig-
mentlage der Iris normal. Die dunkelgelbe, im Kerne fast braune und sehr harte Linse
liegt sammt der Kapsel etwas weiter vorwärts , als im normalen Zustande. Desshalb,
und weil der Ciliarkörper (nach aussen und oben) geschrumpft ist, erscheint der freie
Theil der Zonula Zinnii ausgedehnt und die Verbindung der Kapsel mit dem Ciliarkörper
gelockert. Auch die hintere Kapsel ist mit der etwas getrübten und verdickten Hyaloidea.
in der tellerförmigen Grube nur lose verbunden. Man konnte demnach die Linse sammt
der Kapsel leicht aus ihrer Grube herausheben. Die vordere Kapsel ist in ihrem mittlem
Theile verdickt, hart, undurchsichtig, bläulich weiss; diese von dem vollkommen durch-
sichtigen Randtheile scharf, jedoch unregelmässig abgegrenzte Stelle misst gegen 2'" im
Durchmesser; und gleicht einem flachen, mitten auf die Kapsel aufgeklebten Knopfe. Der
Band dieses Knopfes hing mit dem Pupillarrande der Iris locker zusammen.
Linkes Äuge. Die Durchmesser dieses Bulbus etwas grösser, als die des rechten;
die Sclera hinter dem Äquator in grosser Ausdehnung bläulich und hervorgetrieben.
Der Bulbus wurde ohngefähr in der Gegend und Eichtung des Äquators geöffnet, und
der Schnitt rings herum geführt. Es entleerte sich eine klare, gelbliche, eiweisshaltige
Flüssigkeit. Da man von der Eintrittsstelle des Sehnerven einen weissgrauen Kegel
vorwärts verlaufen sah, so ergab sich's, dass diess die Netzhaut sei, und dass der Schnitt
rings herum auch die Chorioidea in eine vordere und hintere Hälfte zerlegt hatte. Es
gelang mit leichter Mühe, die vordere Hälfte der Sclera und Chorioidea sammt der Iris
von der Netzhaut, Zonula Zinnii und Krystalllinse abzulösen , da das Auge schon ein
wenig macerirt, und die Verbindung zwischen Corpus ciliare und Zonula Zinnii hiedurch
gelockert worden war. Die Chorioidea erscheint rings um die Eintrittsstelle des Seh-
nerven herum dunkelbraun. Diese Färbung erstreckt sich an der Nasenseite bis in die
Nähe des Äquators, an der Schläfeseite jedoch ist sie nur 2 - 3;" breit. In der vordem
Hälfte ist die Chorioidea auffallend verdünnt, blass, ganz pigmentlos, an der Schläfeseite
jedoch, und zwar entsprechend der Ausbauchung der Sclera, marmorirt, mit zahlreichen
dunkelblauen Tunkten und Flecken besetzt, und zugleich mit der auffallend verdünnten.
Entzündung im Allgemeinen — Sectionsbefund. 163
Scleralpartie unzertrennlich verwachsen. Im Corpus ciliare fällt nur die Dünnheit des
Ligamentum ciliare als abnorm auf. Die Iris von vorn stellenweise schiefergrau, hinten
fast durchaus gehörig- mit Figment belegt, ist auf einen nicht ganz l'" breiten Saum ge-
schrumpft. Die Linse getrübt, zwischen 6 centripetaien weissgrauen Streifen der Binden-
substanz und durch die vollkommen durchsichtige Kapsel ambragelb durchscheinend,
etwas weiter, als im normalen Zustande, vorwärts gerückt. In dem von der Netzhaut
gebildeten Trichter halb durchsichtige Reste des Glaskörpers eingeschlossen. Die zur Iris
verlaufenden Ciliarnerven auffallend dünn, an dor Schläfescite fehlend.
2. Beobachtung. Von einer 60 Jahre alten Bürgersfrau, welche in ihrer frühesten
Jugend an Bhachitis gelitten hatte, im Jahre 1843 auf dem linken, 1S47 unter meiner
Behandlung auch auf dem rechten Auge an Glaucoma ziemlich rasch und unter heftigen
Zufällen erblindet war, erhielt ich 1851 das linke Auge zur Section. Durchmesser
von vorn nach hinten I0:,V", im Äquator horinzontal ll'/V", vertical lO'A'"; Durch-
messer der durchsichtigen Hornhaut horizontal b'", vertical 4'/2/;;. An der Schläfeseite
in der Gegend des Äquators ein Scleralstaphylom von etwa V" Höhe, 2—3 Quadrat-
linien Basis. Eröffnung von vorn nach hinten ; der Schnitt verlief durch den obern
Band der Cornea, dann durch das Scleralstaphylom, und endete knapp oberhalb des
Opticus. Sieht man nun von oben in die bei weitem grössere untere Hälfte des Bulbus
hinein, so bemerkt man Folgendes. Die Sclera nur in der Gegend des Staphyloms ver-
dünnt. Die Chorioidea rings um die Lamina cribrosa und an der Nasenseite bis zur Ora
serrata auffallend dunkelbraun, jedoch in der Umgebung des Scleralstaphylomes an der
Schläfeseite und von da nach oben und unten bis zur Ora serrata ganz blass, pigmentlos
und verdünnt, an der Stelle des Staphylomes selbst nach aussen mit der Sclera, nach
innen an einer kleinen Stelle mit einem Theile der Netzhaut unzertrennlich verwachsen.
Die Partie der Verwachsung ist so mit Pigment durchsetzt, dass die Sclera auch von
aussen schwarzblau marmorirt erscheint. Die Netzhaut ist in einen Trichter verwandelt,
mit der Spitze an der Eintrittsstelle des Sehnerven, mit der Basis an der Ora serrata be-
festigt, undurchsichtig, weissgrau. Gegen die Schläfeseite verläuft etwas hinter dem
Äquator eine Ausstülpung desselben, deren Spitze fest mit der Chorioidea und Sclera
verwachsen ist. Der durch den Bulbus geführte Schnitt hat sowohl den Haupt- als den
Nebentrichler von vorn nach hinten geöffnet. Der Baum zwischen Chorioidea und Betina
war von einer klaren eiweisshaltigen Flüssigkeit ausgefüllt. In der Höhlung der Netzhaut
findet man Rudimente des Glaskörpers, welche nächst der Hyaloidea in der tellerförmigen
Grube noch vollkommen durchsichtig sind. An der letztgenannten Stelle ist auch die Hyaloidea
noch vollkommen durchsichtig. Gegen die Zonula Zinnii hin (an der innern Fläche des
Ciliarkörpers) ist der Glaskörper trüb, weisslich, von lichten Fäden durchzogen, mit dem
Ciliarkör.er sowohl als mit der Netzhaut fest vereinigt. Auch in diesem Falle würde eine
Ebene, durch die Ora serrata gelegt, einen guten Theil der Netzhaut mit abschneiden, in-
dem diese, bevor sie zur Ora serrata gelangt, weiter vorwärts gezogen erscheint, und dann erst
wieder zur Ora serrata zurückläuft. Das Ciliarband ist so geschrumpft, dass man es auf
der Durchsehnittsfläche kaum erkennt, die Ciliarfortsätze werden erst dann sichtbar, wenn
man jene weissliche Masse, welche innerhalb des Corpus ciliare den Glaskörper durchzieht
mit einiger Gewalt davon abzieht. Die Linse lässt sich sammt ihrer Kapsel leicht aus einer
Höhle herausheben, welche hinten von der Hyaloidea, zur Seite von den Ciliarfortsätzen,
vorn von der Iris gebildet wird. Die Linse ist etwas geschrumpft, ihre Bindensubstanz
theilweise verkalkt, der Kern hart, bräunlich gelb. Der mittlere Theil der vordem Kapsel
ist getrübt, verdickt, knorpelähnlich, aussen glatt, innen rauh. Die dunkelbraune, stellen-
11*
164 ■ Aderhaut.
weisse schiefergraue Iris ist gegen \.l/-i'" breit, die Pupille hat 2'" im Durehmesser; sie
ist unregelmässig rund und durch eine Exsudatmembran verlegt, welche sich über die ganze
hintere Fläche der Iris bis zu den Ciliarfortsätzen hin ausbreitet. Dadurch, dass das Ciliar-
band ganz verschrumpft und das Linsensystem etwas weiter vorwärts gelagert erscheint,
ist auch die Iris so weit gegen die Cornea vorgerückt, dass sie dieselbe beinahe berührt.
3. Beobachtung. Ein Thierarzt schickte mir 1847 zwei Pferdeaugen mit der An-
gabe, das Thier habe an Glaucom gelitten. Das linke hatte die normale Grösse, die Conj.
palp. et bulbi ziemlich stark netzförmig geröthet, nicht aufgelockert, noch verdickt.
Unter derselben an der untern Peripherie des Bulbus auf der Sclera ein sehr erweitertes
blaurothes, von Blut strotzendes Gefäss, welches aus der Tiefe unter der Übergangsfalte
hervorkam, und sich gegen die Hornhaut hin in 3 Zweige theilte, wovon 2 in der Ent-
fernung von l'a — 2'" vom Hornhautrande sich in die Sclera senkten, eines gegen den
Canthus internus hin den Hornhautrand in einer 3 — 4'" langen Strecke umkreiste, und
daselbst sieh in äusserst feine Zweige verästelte. Das dicke Gefäss, der Stamm, war
von zwei dünnen blassrothen Adern eingefasst, welche man nur bei grösserer Aufmerk-
samkeit durch die Tunica vaginalis und Conjunct. bulbi hindurchschimmern sah. Die
Cornea ganz rein und durchsichtig, die Iris schwarz, der Pupillarrand zackig, stellen-
weise gleichsam angefressen; die Linse grau weiss, knapp an der Iris anliegend. Als
ich die Sclera und die an ihr fest anhängende Chorioidea im Äquator ringsum durch-
schnitten hatte, fioss eine Menge wässriger, klarer, gelblicher Flüssigkeit aus, welche
eine von der Chorioidea umschlossene Höhle ausgefüllt hatte. Nach hinten sah ich nun
an der Eintrittsstelle des Opticus einen etwa 1'" hohen Stumpf der Netzhaut frei empor-
stehen. An der vordem Wandung jener Höhle haftete etwa 1/-i Kaffeelöffel voll Glaskörper,
von einer weisslichen Membran überdeckt. Diese war offenbar die Betina, was ich aus
der festen Verbindung mit dem hintern Bande des Ciliarkörpers und nachträglich auch
aus der mikroskopischen Untersuchung erkannte. Der Best des Glaskörpers war zäh,
fadenziehend, durchsichtig, wie gesunder Glaskörper. Ich legte nun den Zeigefinger auf
die Cornea und umstülpte die vordere Hälfte des Bulbus, indem ich die Bänder gegen
den Finger hin zurückschlug. Die Linse war dabei nicht aus ihrer Verbindung gewichen,
wohl aber Hess sich nun der Best des Glaskörpers hinter der Linse leicht entfernen. Ich
umkreiste sofort die Linse mit der Branche einer Pincette, die Kapsel schonend und nur
die Verbindung mit den Ciliarfortsätzen, die Zonula Zinnii lösend. Diese Verbindung
schien mir abnorm fest zu sein. Nachdem ich nun die ziemlich harte Linse sammt der
unversehrten Kapsel aus dem Auge genommen, spiesste ich sie vom Bande her mit
einer Nadel an, dass ich sie frei halten konnte, und löste dann bequem zuerst die hintere,
sodann die vordere Kapsel ab. Erstere war vollkommen krystallhell und löste sich ganz
rein ab; die hintere Oberfläche der Linse blieb glatt, die vordere Kapsel aber erschien
nicht nur getrübt, völlig undurchsichtig, graulich weiss, sondern auch auf 3,V" stellen-
weise verdickt. Ihre vordere Fläche war glatt; an der hintern schienen Linsenreste
zurückgeblieben zu sein; als ich den scheinbaren Beschlag mit dem Messer abzustreifen
suchte, war ich diess nicht im Stande ; eher hätte ich die Kapsel selbst zerrissen. Die
vordere Kapsel war so steif, dass sie ihre Gestalt behielt und, wenn ich sie auch künst-
lich veränderte, dennoch wieder annahm, nämlich vorn convex, hinten concav. Die Stelle,
wo ich abgeschabt hatte, was sich abschaben liess, sah so aus wie Milchopal. Gefässe
konnte ich auch mit einer scharfen Loupe keine entdecken. Der Bandtheil der vordem
Kapsel war noch vollkommen durchsichtig; nur am Äquator (grössten Kreise der Kapsel)
zeigten sich einzelne Kalkablagerungen.
Entzündung im Allgemeinen — Sectionsbefund. 165
Das rechte Auge auf 2 5 des normalen Volumens geschrumpft, von vorn nach hinten
zusammengedrückt, die hintere Hälfte ganz ahgeplattet. Die Hornhaut kleiner und uneben,
opalartig getrübt, die vielfältig eingebogene Sclera sehr verdickt, rings um den Opticus
mehr als ['" dick. Die Chorioidea fest mit ihr vereint; von der Retina nur ein Stumpf
an der Eintrittsstelle des Opticus vorhanden ; das Cavum innerhalb der Chorioidea mit
einem gelblichen, klaren, tropfbarflüssigen Exsudate ausgefüllt; von der Retina und dem
Glaskörper weiter keine Spur. Von der Ora serrata an zog sich gegen die Mitte hin
eine röthliehe verdickte, an der Peripherie sehnig glänzende Membran (durch Exsudat
zusammengeschmolzene Retina und Hyaloidea?). Vor derselben, in einer glatten Hülse
eingescblossen, und weiterhin ringsum von einer schwarzen Masse (zusammengeschmol-
zene Iris und Ciliarkörper) umfasst, lag die Linse, auf '/•» ihres normalen Volumens
geschrumpft, stark runzlig, bläulich grau, nicht vollkommen durchsichtig, sondern
an den Kanten der Durchschnittsfläche durchscheinend. Die hintere Wand der Cornea
ungemein stark runzlig oder vielmehr faltig, knapp an der Iris anliegend.
4. Beobachtung. Das rechte Auge eines 50jährigen, an Tuberculosis pulmon. ver-
storbenen Mannes bot auf dem Leichentische den Befund von Cataracta aecreta dar. Grösse
normal , Resistenz etwas geringer , die Hornhaut normal , die vordere Kammer eng,
die Iris in der Peripherie an die Cornea angelagert, mit dem Pupillarrande trichter-
förmig rückwärts gezogen, licht graublau, die Pupille gegen V" im Durchmesser,
unregelmässig rund , der zackige Pupillarrand mit der Kapsel verwachsen , diese und
die Linse weissgrau getrübt. Die Sclera wurde hinter der Insertion der Muse, recti
rings herum durchschnitten und sammt der Cornea von der Chorioidea und Iris ab-
gelöst. Die Cornea war mit der Peripherie der Iris durch eine dünne Exsudatlage
ziemlich fest, doch nicht unzertrennlich verbunden. Das Ciliarband erschien als ein
gegen 2'" breiter gelblichgrauer Saum, im Durchschnitte etwa 1/z'" dick. Von ihm liess
sieh die Iris auf die gewöhnliche Weise leicht ablösen. Die Iris erschien ungewöhnlich
dünn und an zahlreichen Stellen , besonders im grossen Kreise ohne Pigmentlage. Sie
liess sich sammt den die Pupille ausfüllenden dünnen Exsudathäutchen leicht von der
Kapsel abheben, war also nicht mit dieser, wie es geschienen hatte, verwachsen. Hinter
der Iris befand sich eine sehr geräumige, von wasserklarer Flüssigkeit ausgefüllte Höhle,
in welcher die in ihrer Kapsel eingeschlossene Linse schwamm. Diese stellt der Form
nach mehr eine Kugel als eine Linse dar. Sie misst im Äquator S'/i'", in der Achse
23 4". Die hintere Kapsel ist vollkommen durchsichtig, die vordere tiüb und vom Centrum
zur Peripherie gerunzelt. Die Runzeln verlaufen von der Insertionsstelle der Zonula
Zinnii centripetal zu einem etwas erhabenen Exsudatknöpfchen auf dem mittleren Theile
der vordem Kapsel. Am Rande verlaufen zwei bräunlich pigmentirte Reifen, davon der
eine der Insertionsstelle der Zonula Zinnii in die vordere Kapsel, der andere der Anla-
gerung der Hyaloidea an die hintere Kapsel entspricht. Die Hyaloidea bildet die hintere,
das Corpus ciliare mit den Ciliarfortsätzen aber die seitliche Wandung jener Höhle, in
welcher die Linse sammt ihrer Kapsel lag. Diese wurde nicht geöffnet. Als nun die Cho-
rioidea ungefähr an derselben Stelle wie die Sclera eröffnet wurde, entleerte sich eine
wässrige, etwas gelbliche Flüssigkeit, und man sah die zusammengefaltete Netzhaut von
der Eintrittsstelle des Opticus bis zur Ora serrata nach vorn verlaufen. Vom Glaskörper
ist in diesem Falle keine Spur vorhanden, und die Netzhaut ist, so weit sie nicht durch
die Fixirung an der Ora serrata gehindert ist, förmlich gegen die innere Fläche des
Corpus ciliare vorwärts gezogen. Die Chorioidea ist nirgends mit der Sclera oder
Retina verwachsen (ausser mit letzterer in der Gegend der Ora serrata) ,
166 Aderhaut.
«twas dünner als im normalen Zustande, und zeigt nicht die normale Menge von
Pigment.
5. Beobachtung. Der linke Bulbus eines an Cholera verstorbenen, etwa 35jährigen
Mannes wurde mir wegen Hornhauttrübungen vom Sectionsdiener überbracht. Dureh-
messer von vorn nach hinten 10'", im Äquator Q'fe"'; in der hintern Hälfte ist der Bulbus
an mehreren Stellen, besonders aber an der Nasenseite stark eingezogen, daher höckerig,
während die Cornea und die Sclera in der vordem Hälfte von der normalen Wölbung
nicht merklich abweichen. Die Cornea, an der Oberfläche glatt und ohne Erhabenheit
oder Vertiefungen, erseheint besonders in ihrer untern Hälfte getrübt, die Iris licht braun-
grau, im kleinen Kreise schwarzbraun, der Cornea sehr genähert; die Pupille durch eine
lichtgraue Membran vollständig verschlossen, nicht ganz 1'" im Durchmesser. Der Bulbus
in eine obere grössere und untere kleinere Hälfte zerschnitten, zeigte im Innern folgende
Veränderungen: Der innere Baum ist in zwei grosse Höhlen geschieden, eine vordere
und hintere. Die vordere ist gebildet: von der stark vorwärts gedrängten Iris, von dem
Corpus ciliare bis zur Ora serrata, und von der tellerförmigen Grube, welche jedoch so weit
zurückgedrängt erscheint, dass ihre Kuppel gerade in der Mitte des Bulbus liegt. Diese
Höhle misst demnach von der Pupille bis zum Centrum der tellerförmigen Grube 4'/2'">
und innerhalb des hintern Endes des Corpus ciliare 7'". In ihr befindet sich wasserklare
Flüssigkeit und darin schwimmend der ganz harte und dunkelbraune Kern der Krystall-
linse. Von der Kapsel ist nur die vordere Hälfte vorhanden; diese ist durch Exsudat
an die hintere Fläche der Iris angelöthet; nach Ablösung von dieser erscheint sie in
ihrer mittleren Partie (fast zwei Quadratlinien) weissgrau, verdickt, innen und aussen
rauh, im Randtheile dagegen, der von den Ciliarfortsätzen (der Zonula) abgerissen ist,
zum Theil durchsichtig, zum Theil braun pigmentirt. — Durch die hintere, vermöge der
seitlichen Einschrumpfung des Bulbus viel kleinere Höhle zieht ein weisser Strang von
der Lamina cribrosa gerade nach vorn zur Kuppel der tellerförmiger Grube, eingehüllt
von einem grauen, lockeren Gewebe, welches zusammengeballtem Spinngewebe nicht un-
ähnlich ist. Diese Masse streicht dann an der Bückseite der zur Ora serrata verlaufenden
Netzhaut gegen die Peripherie hin und geht in eine stellenweise knorpelharte, lichtgraue
Masse über, welche in der Gegend des Aequator bulbi über 1'" mächtig auf der Cho-
rioidea aufsitzt, von da nach vorn (bis zur Ora senata) und nach rückwärts allmälig
abnimmt, und mit der Chorioidea sowohl als mit der glatten Membran, welche die vordere
Höhle nach hinten begrenzt, innigst zusammenhängt, gleichsam in Eins verschmolzen ist.
Im hintern Umfange, etwa 3'" breit um die Eintrittsstelle des Opticus herum, ist die hintere
Höhle, welche von einer klaren, jedoch gelblichen Flüssigkeit erfüllt war, von der Chorioidea
begrenzt, welche daselbst des Pigmentes fast gänzlich beraubt und an der Nasenseite (nach
innen von der Eintrittsstelle des Opticus) unzertrennlich mit der hier merklich verdickten
Sclera verwachsen ist. Sonst ist die Chorioidea (mit Einschluss des Corpus ciliare) nirgends
mit der Sclera abnorm verbunden. Am Corpus ciliare ist nicht bloss das Ligamentum
ciliare fast ganz geschwunden, sondern es sind auch die Ciliarfortsätze viel kleiner.
Sie wurden erst dann sichtbar, wenn man den getrübten und durch Exsudat ver-
dickten Ciliartheil der Zonula Zinnii mit Gewalt ablöste , wobei die ganze Pigment-
schicht an dieser haften blieb. Die Iris, auffallend dünn und an ihrer innern Fläche
nur im kleinen Kreise und an einzelnen Stellen des grossen Kreises mit Pigment belegt,
durch eine halbdurchsichtige Membran in der Pupille in eine undurchbohrte Scheibe
verwandelt, war in ihrer untern Hälfte durch eine dünne, weisse (auf dunklem Grunde
bläulich weisse) Membran mit der Descemetschen Haut verklebt. Bei der Ablösung blieb
Entzündung im Allgemeinen — Sectionsbefund. 167
diese Pseudomembran an der Iris sitzen, mit welcher sie jedoch nur nach unten fest ver-
bunden ist.
2. Befund bei Chorioiditis mit croupösem Exsudate.
Die Chorioiditis pyuemica, wie diese Form mit Rücksicht auf ihr
ätiologisches Moment füglich genannt werden kann, tritt mit Ablagerung
croupösen Exsudates au der Innenfläche der Chorioidea auf, und er-
greift diese Membran in kurzer Zeit in ihrer ganzen Ausdehnung, von
der Lamina cribrosa bis zur Iris.
Zunächst ist es die Netzhaut, welche in ihrer Function und Form
beeinträchtigt, zerstört wird. Sie erweicht und zerfliesst in dem eitri-
gen Exsudate.
Gleichzeitig oder schon früher wird die Tunica vaginalis und die
' 'onjunctiva bulbi durch serösen (auch faserstoffig-serösen) Erguss enorm
geschwellt; auch die Lider participiren an der ödematösen Infiltration.
Die Sclera wird (an einer oder der andern Stelle) lebhaft ge-
röthet, aufgelockert, und in späterer Zeit kann Erweichung und Durch-
bohrung derselben (im vordem Umfange beobachtet) eintreten.
Vom Ciliarkörper aus, der an seiner ganzen inuern Fläche mit
croupösem Exsudate bedeckt wird, erfolgt Eitererguss in den Humor
aqueus, und Ansammlung von Eiter in der vordem Augenkammer, in
den Petitsehen Canal, und in den Glaskörper, welcher Anfangs wolkig,
Aveiterhin durchaus getrübt, endlich in eine schleimig-eitrige Masse ver-
wandelt wird.
Die Iris und die Cornea werden zunächst ödematös, und weiter-
hin gewöhnlich in den Schmelzungsprocess gezogen.
Der gewöhnliche Ausgang ist der in Durchbruch der Cornea, und
Entleerung der Linse und des vereiterten Glaskörpers. Selten ist der
oben erwähnte Ausgang in Durchbruch der Sclera, noch seltener der
in Resorption des Eiters und Zusammenschrumpfung des Bulbus. Nach
letzterem Ausgange ist als merkwürdige Erscheinung die Thatsache zu
bemerken, class man bisweilen an den mehr weniger zusammenge-
schrumpften Bulbis die Hornhaut nach längerer Zeit ('/ä Jahr) vollkom-
men durchsichtig, obwohl um ungefähr die Hälfte kleiner, und von der
entfärbten und rückwärts gezogenen Iris durch ganz klaren Humor
aqueus geschieden findet.
6. Beobachtung. Auf der Abtheilung des Prof. Jaksch war ein Mann in Folge
von Caries am Körper des Keilbeins gestorben. Ich fand an beiden Augen die Conjunct.
bulbi stark ödematüs . und am linken auch von sehr zahlreichen Gefässen durchzogen,
und dachte desshalb an Chorioiditis pyaemica , wesshalb ich die Bulbi exstirpirte. Der
rechte zeigte nichts Abnormes , ausser dass das Pigment der Chorioidea sparsamer war,
168 Aderhaiit.
die Yasa vorticosa von Blut strotzten , und die innere Fläche der Chorioidea eine hell-
rothe Farbennuance zeigte. Links fand ich nach Eröffnung der Sclera eine linsengrosse
weisslich°-elbe Stelle der Chorioidea, und zwar, in der Gegend des Äquators gerade nach
unten , unmittelbar vor dem daselbst liegenden Gefässwirbel. Die Chorioidea war da-
selbst von croupüsem Exsudat infiltrirt und mit der ringsum etwas gerütheten Sclera
massig fest verklebt. Als ich die Chorioidea von der Netzhaut abhob, blieb an der
letzteren viel Pigment zurück, und die durch Exsudat bezeichnete Stelle der Chorioidea
erschien, von innen angesehen, bloss als weissgelblicher Fleck. Im übrigen Umfange
zeigte die Innenfläche der Chorioidea ein mehr hellrothes als braunes Aussehen. In
den übrigen Gebilden fand ich nichts Auffallendes.
7. Beobachtung. Der rechte Bulbus einer Puerpera, welche in Folge von Ento-
metritis und Pyämie gestorben war, und durch 8 Tage vor dem Tode Erscheinungen
von Cboi-ioiditis dargeboten hatte , welche wir weiter unten schildern werden , zeigte
folgende Veränderungen : Achse 103/*;"> Äquatorialdurchmesser 10'/3;", Resistenz geringer ;
Cornea normal, nur ein wenig getrübt, wie angehaucht; Conjunctiva bulbi ödematös
geschwellt, und theils durch Gefässinjection , theils durch kleine Blutaustretungen ge-
röthet. Tunica vaginalis rings um den Bulbus herum serös infiltrirt, am stärksten an der
Schläfeseite im hintern Umfange des Bulbus. In der Gegend der Insertion des Muse,
obliquus inferior und von da nach vorn bis zur Insertion des M. rectus ext. erschien die
Sclera unter der verdickten und injicirten Tunica vaginalis gleichfalls intensiv geröthet
und auf der Durchschnittsfläche etwas dicker. Die Eöthe war auch an der Innenfläche
daselbst bemerkbar. Es wurde nämlich der Bulbus in eine obere und untere Hälfte
getheilt. In der vordem Augenkammer zu unterst ein wenig eitriges Exsudat (Hypopyum).
Die Iris nicht merklich verändert, die Pupille gegen 2'" im Durchmesser. Die Chorioidea,
an ihrer äussern Fläche stark injicirt, doch überall frei an die Sclera anliegend, an ihrer
innern Fläche durchaus mit einem faserstoffig-eitrigeu Exsudate überzogen; nur an der
Nasenseite ist nächst der Ora serrata eine kleine Partie frei davon , und lichtbraun pig-
mentirt. Die Exsudatlage nimmt im Bereiche der Chorioidea im engern Sinne des Wortes
gleichsam die Stelle der Pigmentlage ein, und ist stellenweise '/6 — l/s'" dick. Das Ex-
sudat lässt sich nicht von der Chorioidea ablösen. Die Netzhaut ist nicht nur getrübt,
sondern auch im hintern Umfange stellenweise ekehymotisch (an ihrer äussern Fläche
roth gesprenkelt). Der Glaskörper ist etwas weicher und so getrübt, als wenn er von
Eauchwolken durchzogen wäre. Der Kern des Auges (Glaskörper und Linse) sammt der
Retina Hess sich wie gewöhnlich an etwas macerirten Augen leicht von der Chorioidea
ablösen. Das Corpus ciliare erschien nicht schwarzbraun, sondern grauweiss, nämlich
durchaus mit einer Lage croupösen Exsudates überzogen. Dieses Exsudat nahm hier
nicht die Stelle der Pigmentschichte ein, sondern lag auf dieser, und Hess sich,
wenigstens stellenweise, davon abziehen. Ebenso waren die Ciliarfortsätze ringsum
davon übersponnen und eingehüllt, und zwar nicht nur an dem in den Petitschen
Canal, sondern auch an dem in die hintere Augcnkammer hineinragenden Theile. Am.
Ciliarbande liess sich keine Veränderung wahrnehmen, nicht einmal Schwellung oder
Röthe. Die vordere Kapsel erschien ungetrübt, ebenso die Linse. "Wie sich der freie
Theil der Zonula Zinnii verhielt , konnte ich nicht verlässlich bestimmen ; ebenso blieb
es unentschieden, wie der Ciliartheil der Zonula beschaffen war, weil der von ihr
überzogene (vorderste) Theil des Glaskörpers nächst derselben von Exsudat durchsetzt
und gelblichgrau getrübt war.
8. Beobachtung. In dem vom Prof. Bochdalek aufgenommenen SectionsbefuncL
Entzündung im Allgemeinen — Sectionsbefund. 169
des rechten Auges von einer an Pyämic gestorbenen Puerpera*) sind ganz analoge
Veränderungen aufgeführt, nur hatte der Process länger gedauert und war weiter vor-
gerückt. Die Tunica vaginalis bulbi im hintern Umfange des Bulbus durch faserstoffiges
plastisches Exsudat bedeutend verdickt. Die Sclera schmutzig weiss, an ihrer innern
Fläche von vielen, sehr feinen , dunkelrothen Blutgefässen durchzogen. Die Chorioidea
(im engern Sinne) grösstentheils durch Eiterung zerstört, nur um den Sehnerven herum
noch erhalten, daselbst sehr aufgelockert, mit zahlreichen und stark injicirten Gefässen durch-
zogen und mit der Sclera fest zusammenhängend ; ebenso ist vorn noch ein Stück Adei--
haut vorhanden, welches mit dem hintern durch einen etwa 3'" breiten Streifen an der
Schläfeuseite zusammenhängt. Die Retina ganz durch Eiterung zerstört, nur hie und da
Rudimente derselben vorhanden. Zwischen der Sclera und Chorioidea und zwischen
dieser und dem Glaskörper eine ziemlich beträchtliche Menge eines dünnen, flüssigen,
graulich weissen Eiters. Die Membrana hyaloidea grösstentheils durch Eiterung zerstört ;
der Glaskörper trüb , schmutzig gelb ; in ihm schwammen gelbliche Flocken. Auf der
vordem und hintern (innern) Fläche des Corpus ciliare ein weisslichgraues Exsudat. Die
Zonula Zinnii ungeheuer ausgedehnt, der Petitsche Canal ganz mit einer dickflüssigen
gelblichweissen , eiterartigen Masse ausgefüllt, über 2'" weit. Die Linse weiter vorwärts
gelagert, durchsichtig, gelblich. Die Iris an ihrer hintern Fläche normal, an ihrer vordem
mit einer dünnen Schichte eines weissgrauen Exsudates belegt, welches sich mit einer
Pincette in Fäden abziehen liess; die Pupille vollkommen rund, von gewöhnlicher Grösse,
ohne Spur von Exsudat. An der Descemetschen Haut eine etwa lk'" dicke Lage eines
ähnlichen Exsudates, wie auf der Vorderfläche der Iris und auf dem Ciliarkörper. Diese
Exsudatscheibe reicht nicht bis zum Rande der Descemetschen Haut, sondern endet
früher, und sendet bloss fadenförmige Ausläufer bis zur Gegend des Schlemmschen
Canales. Sie hängt mit der Descemetschen Haut duichaus nicht zusammen, sondern ist
einfach auf dieselbe gelagert. Der Schlemmsche Canal sehr erweitert und ganz mit
einer dicken , graulichweissen Masse angefüllt. Die Cornea selbst bietet keine Verände-
rung dar.
9. Beobachtung. Bei einem Kinde, welches an Nabelvenenentzündung und Chorioiditis
des linken Auges gelitten hatte, fand ich den Bulbus etwas kleiner, collabirt, sehr weich
anzufühlen; die Cornea halb durchsichtig, sehr aufgelockert, geschwellt, sulzig, an bei-
den Oberflächen glatt und glänzend ; die Sclera mit röthlichem ,Serum infiltrirt, nicht
erweicht, die Chorioidea grösstentheils aufgelöst, von der Retina keine Spur, an ihrer
Stelle Eiter, den Glaskörper hie und da von Eiterflocken durchsetzt, die Hyaloidea zer-
stört, die Linse nicht getrübt, die Kapsel geborsten, die vordere Kammer etwas Eiter
enthaltend. — Bei einem an lobulärer Pneumonie verstorbenen Kinde, bei welchem
nebst Abscessen an den Schädeldecken auch Entzündung des linken Auges beobachtet
worden war, fand ich den Bulbus etwas grösser, jedoch weicher, die Cornea weiss,
aufgelockert, die Hyaloidea in der Mitte zerstört, ebenso die nächsten Faserlagen der
Cornea, so dass es beinahe zum Durchbruche von hinten her gekommen wäre, die
Retina durchaus, die Chorioidea grösstentheils durch Eiterung zerstört. Genauer wurde
dieses Auge damals leider nicht untersucht.
3. Befund bei Chorioiditis mit vorwaltend plastischem (faserstoffi-
gem) Exsudate.
"Wenn man Augen zergliedert, welche ausgedehnte Hornhautnarben
*> J. N. Fischer, Lehrbuch der Entzündungen etc. Prag, 1846. S. 287.
170 Aderhaut.
und mehr weniger beträchtliche Schrumpfung der Hornhaut oder Sclera
(oder beider zugleich) darbieten, so findet man meisteris im Innern der-
selben Veränderungen, welche unzweifelhaft darthun, dass Chorioiditis
mit vorwaltend plastischem Exsudate stattgefunden habe. Um die Netz-
haut, welche auch in diesen Fällen durch das Chorioidealexsudat nach
innen verdrängt, und überdiess sehr oft ganz in geronnenes und man-
nigfach verändertes Exsudat eingehüllt ist, nicht zu verfehlen und so-
fort für verschwunden zu halten, muss man solche Augen immer von
hinten nach vorn (mitten durch die Eintrittsstelle des N. opticus) durch-
schneiden, und in eine obere und untere Hälfte zerlegen. Die Netz-
haut ist auch in diesen Fällen gegen den flachen Theil des Corpus
ciliare hingezogen, so dass sie zur Ora serrata wieder etwas rückwärts
laufen muss.
Vom Glaskörper findet man nur die Hyaloidea in der Gegend der
tellerförmigen Grube und dahinter eine derbe faserige oder knorpelar-
tige Masse, welche ringsum mit dem Ciliarkörper, hinten aber mit der
Netzhaut unzertrennlich fest zusammen hängt.
Fehlt die Linse, so steht diese Masse auch mit Resten der vordem
Kapsel und mit der Iris, und mittelst dieser selbst mit der Hornhaut-
uarbe in fester Verbindung. In einzelnen Fällen findet man wahre
Knochenbildung in dieser zwischen Netzhaut und Iris befindlichen
Masse. Ist die Linse vorhanden, so ist sie getrübt, bisweilen von der
Peripherie aus mehr weniger tief verkalkt.
Ist der Bulbus nicht bloss durch Abplattung der Hornhaut allein
verkleinert, so erscheint die Sclera meistens an den Anlagerungsstellen
der Muse, recti eingedrückt, bisweilen jedoch auch an andern Stellen
einwärts gezogen, uneben, höckerig, und in Folge der Reduction auf
einen kleinern Umfang verdickt.
Die Chorioidea ist in der Regel einfach an die Sclera angelagert,
nirgends mit dieser verwachsen ; sie ist meistens verdünnt und stellen-
weise oder durchaus pigmentarm. Mit dem ihrer Innenfläche auflie-
genden Exsudate hängt sie bald mehr bald weniger fest, in Fällen, wo
der Process längst abgelaufen, das Exsudat bereits organisirt ist, jen-
seits der Ora serrata niemals unzertrennlich zusammen.
Ist das Exsudat zwischen der Chorioidea und der Netzhaut durch-
aus faserstoffig, so nimmt seine Consistenz von der Chorioidea gegen
die Netzhaut hin allmälig ab. Die Umwandlung in Verkalkung, welche
bei weitem am häufigsten vorkommt, oder in Knorpel- und wahre
Knochenmasse (mit deutlicher Knochenzellenbildung) zeigt sich immer
zunächst an der Peripherie, bald im hintern, bald im vordem, oder
Entzündung im Allgemeinen — Sectionsbefund. 171
auch im ganzen Umfange der Chorioidea jenseits der Ora serrata. —
Wurde nebst Faserstoff noch eine mehr weniger beträchtliche Menge
von Serum und Albumen ausgeschieden, so erscheinen die festen (pla-
stischen) Bestandteile an der Chorioidea, bisweilen jedoch auch an der
Netzhaut zugleich präcipitirt (vergl. die oben angeführte Beobachtung);
Verkalkung oder Yerknöcherung kommt jedoch hier nur an der Cho-
rioidea vor, und man findet dann an der Stelle, die im normalen Zu-
stande von der Netzhaut eingenommen wird, eine mehr weniger mäch-
tige knochenharte Schale. — In bloss geronnenen Exsudaten findet
sieh bisweilen Fettbildung; krystallisirt in kleinen, viereckig länglichen,
glimmerartig glänzenden Tafeln kann man mitunter einen Theil des
Fettes in dem flüssigen Theile des Exsudates herumschwimmen sehen.
Da die Gelegenheit zur Section phthisischer Bulbi minder selten ist, so will ich.
aus der grossen Zahl, die mir vorgekommen sind, nur 2 zur Erläuterung des eben Ge-
sagten im Detail anführen, und um nicht missverstanden zu werden, im voraus noch be-
merken, dass nicht jeder phthisische Bulbus auch die Zeichen vorausgegangener Chorioi-
ditis darbiete.
10. Beobachtung.*) Der rechte Bulbus eines alten Weibes, welches 1846 gerichtlich
obducirt wurde, ist auf 2 3 des gewöhnlichen Umfanges geschrumpft, an den Anheftungs-
stellen der geraden Muskel eingedrückt. In der Hornhaut eine 1'" breite, 4'" lange
quer von innen nach aussen verlaufende Narbe ; die Hornhaut in der obern Hälfte durch-
scheinend, etwas abgeplattet, in der untern Hälfte mit der Iris verwachsen; die Pupille
ganz aufgehoben. Der Sehnerv atrophisch. Die Sclera sehr verdickt, besonders im hintern
Thtile. Die Cborioidea dünn, fast ohne Pigment; an ihrer innern Fläche eine Knochen-
schale (Kalkconcrement) , stellenweise i/-i'" dick, stellenweise äusserst dünn oder selbst
durchlöchert, an die Chorioidea fest angeschmiegt, doch von derselben ohne Zerreissung
lösbar, bis zum Ciliarkörper vorwärts reichend. Innerhalb dieser Schale eine wässrige,
klare , etwas gelbliche Flüssigkeit. Durch den von dieser Flüssigkeit erfüllten Raum
zieht die zu einem weissen Strange zusammen gefaltete Eetina von der Lamina cribrosa
"bis zur Ora serrata, nach vorn sich trichterförmig erweiternd, ähnlich dem Endstücke
einer Trompete mit etwas umgestülptem Eande. In der Höhlung dieses Trichters Reste
des Glaskörpers. Vor dem Trichter liegt in einer von der Iris, dem Glaskörper und der
tellerförmigen Grube gebildeten Höhle die in einen steinharten weissgrauen Körper ver-
wandelte Linse, gegen 4"' im Durchmesser, und über V" dick, vorn convex, an die mit
der Iris durchaus und fest verwachsene Kapsel angelagert, hinten etwas abgeflacht, ge-
gen den Rand hin höckerig, und an eine glatte trübe Membran (die Hyaloidea in der
tellerförmigen Grube?) knapp anschliessend. Das Corpus ciliare nicht geschwunden; die
Iris sehr verdünnt , längs der Narbe an die Cornea angeheftet, hinten durchaus mit der
Kapsel verwachsen.
11. Beobachtung. Linkes Auge eines an Lungenbrand verstorbenen, 62 Jahr alten
Mannes. Durchmesser zwischen den Polen 93V", im Äquator 9'a'", die Cornea abge-
plattet, in der Mitte narbig verdunkelt, am Rande durchscheinend, auf der Narbe an 2
*j Diese und die folgende Beobachtung findet sich bereits in der Prager Vierteljahrschrift, 14. Bd.,
S. 4S und 49.
172 Ader haut.
Stellen mit knochenharten Schüppchen Delegt , nach deren Entfernung Grübchen zurück-
blieben. Die Iris an der Cornea anliegend, und in der Mitte unzertrennlich mit ihr ver-
wachsen ; in diese Verwachsung ist auch die getrübte und verdickte Kapsel hineingezogen.
Von der Linse ist keine Spur vorhanden. Auf einem horizontalen Durchschnitte (von
vorn nach hinten) sieht man zu beiden Seiten der Iris das gegen '/»'" dicke, lichtgraue
Ciliarband, nach innen durch eine schwarze Linie (die Gefäss- und Pigmentlage des Ci-
liarkörpers) begrenzt. Die Ciliarfortsätze lassen sich nicht auffinden. Der Raum , den
das Corpus ciliare als ein 2"' breiter Reifen umschliesst, ist von der weissgelblichen,
derben, fast knorpelharten Platte erfüllt, die mit dem Ciliarkörper zur Seite und mit der
Iris nach vorn unzertrennlich fest zusammenhängt, und deren hintere Grenze die trichter-
förmige Ausbreitung der Netzhaut bildet. Es streicht nämlich die Netzhaut als ein dünner
Slrang von der Eintrittsstelle des Sehnerven mitten durch den Bulbus zu einer Ebene,
die man sich durch die Ora serrata. gelegt denken kann, und strahlt dann nach allen
Seiten gegen die Peripherie dieser Ebene hin aus. Der Raum nun, der sich zwischen
der also verdrängten Netzhaut und zwischen der Chorioidea befindet, ist von Exsudat
ausgefüllt, welches in den vordem zwei Dritteln fest geronnenen Faserstoff darstellt,
im hintern Drittel, um die zusammengerollte Netzhaut herum aber halb flüssig, halb ge-
ronnen ist, so dass nach Abfluss dieses Theiles vor der Eintrittsstelle des Sehnerven eine
Zuckererbsen-grosse Höhle entstand , welche in der Mitte bis an den Aequator bulbi
reicht. Die Chorioidea ist in der hintern Hälfte des Bulbus wenig verändert, in der vor
dem Äquator gelegenen Zone jedoch fast ganz ohne Pigment, so dass man das lichtgraue
Exsudat schon nach Eröffnung der Sclera hatte durchscheinen sehen. Die faserstoffige
Exsudatmasse wird von der genannten Höhle nach aussen (gegen die Chorioidea) und
nach vorn (gegen die Ora serrata und die fächerförmige Ausbreitung der Netzhaut) immer
dichter und härter, zeigt jedoch noch nirgends Umwandlung in Kalk-, Knochen- oder
Knorpelmasse. Sie erwies sich unter dem Mikroskope als amorpher Faserstoff mit Fett
in Tropfenform und als Cholestearine.
Die Symptome, welche durch Chorioiditis hervorgerufen werden
können, sind im Allgemeinen zu suchen :
a) in der Resistenz, Grösse, Form und Lage des Bulbus,
b) im Bereiche der Sclera, Tunica vaginalis und conjunetiva,
c) in der Cornea und in der Augenkammer,
d) in der Iris,
e) in der Pupille,
f) in der gestörten Function der Netzhaut,
g) in sympathischer Affection des Trigeminus, Sympathicus und
Vagus.
Ad a. Eines der ersten Zeichen, durch das sich jede Chorioiditis
ankündigt, ist vermehrte Resistenz des Bulbus. Leidet bloss Ein Auge,
so ist die Prüfung der Resistenz für den betastenden Zeigefinger nicht
schwer, nur beobachte man die Vorsicht, dass man immer beiderseits
auf gleichnamige Stellen drücke, z. B. beiderseits auf die Hornhaut
oder beiderseits von oben her auf die Sclera. Ist das andere Auge
nicht ganz gesund, dann nehme man zum Vergleichen gesunde Augen.
Entzündung im Allgemeinen — Symptome. 173
Auf geringe Differenzen ist kein Gewicht zu legen, es müssten denn
anderweitige Symptome mit in die Wagschale fallen.
Mit den Augen messbare Vergrösseruwg des Bulbus kommt nur
dann gleich in der ersten Zeit vor, wenn die Chorioiditis in Folge
traumatischer Einflüsse mit faserstoffig-eitrigem Exsudate auftritt. Sie
ist nicht bleibend; auf sie folgt jederzeit Verkleinerung des Bulbus,
gleichviel ob der Eiter mittelst allmäliger Resorption, oder mittelst
Ausstossung durch die Cornea oder Sclera beseitigt worden ist. —
Später auftretende und bleibende Vergrösserung tritt nur in Folge von
Chorioiditis mit vorwaltend serösem oder albuminös -serösem Exsudate
auf. — Allmälige, gewöhnlich erst nach Monaten oder Jahren eintre-
tende Schrumpfung kommt sowohl nach vorwaltend serösen, als nach
faserstoffigen Exsudaten vor.
Die Schrumpfung gibt sich meistens zuerst dadurch zu erkennen,
dass der Bulbus seine Form verliert, in der Gegend der Musculi recti
eingedrückt, viereckig erscheint. Da aber auch an ganz normalen
Augen nicht selten daselbst eine leichte Abplattung der Sclera bemerkt
werden kann, so ist auf dieses Symptom nur dann Gewicht zu legen,
wenn es sehr deutlich ausgesprochen ist, oder wenn es zugleich mit-
mehr weniger verminderter Resistenz beobachtet wird. Beide Symptome
vereint haben insbesondere in jenen Fällen einen hohen diagnostischen
Werthj wo Iritis vorausgegangen und noch deutliche Lichtempfindung
vorhanden ist. — So wie der Bulbus weicher und kleiner wird, ist in
der Regel auch die Lage des obern Augenlides , namentlich der Haut-
falte, welche dasselbe beim Offnen gewöhnlich bildet, verändert.
Wird der Bulbus merklich vergrössert und zwar in seinem hintern
Umfange, so tritt er mehr weniger aus seiner Lage hervor. Die Lage-
veränderung aus dieser Ursache allein ist indessen selten; meistens ist
sie Folge von seröser oder faserstoffig-seröser Infiltration des die Sclera
umgebenden Bindegewebes, welche bei Chorioiditis mit faserstoffig-
eitrigem Exsudate niemals fehlt.
Ad b. Diese seröse Infiltration erstreckt sich bei der eben ge-
nannten Form, welche nur nach heftigen traumatischen Eingriffen und
bei Pyämie auftritt, nicht bloss auf die Tunica vaginalis bulbi und das
umgebende Bindegewebe in der Orbita, sondern auch auf die Binde-
haut und auf die Augenlider. Die Bindehaut erscheint dann entweder
bloss von Serum oder auch von Blut stark geschwellt, so dass sie bloss
Wülste oder einen förmlichen Wall rings um die Cornea bildet, sich
selbst über diese hinübeiiegt. Durch diese Geschwulst gewinnen die
hieher gehörigen Formen von Chorioiditis eine bei oberflächlicher Un-
174 Aderhaut.
tersuchung leicht täuschende Ähnlichkeit mit der acuten Bindehautblen-
norrhöe. Die Diagnosis wird indessen leicht, wenn man einerseits die
Abwesenheit der Schwellung des Papillarkörpers und des schleimig-
eitrigen (trüben) Secretes, andererseits die dabei immer schon merk-
liche Hcrvortreibung des Bulbus, die Abnahme der Sehkraft und die
Gegenwart von Lichterscheinungen (Photopsie) berücksichtigt.
In allen Fällen, wo die eben besprochene Infiltration fehlt, wird
im Bereiche der Sclera eines der wichtigsten Symptome sichtbar, näm-
lich die zahlreichere und stärkere Injeclion der vordem Ciliargefässe.
Anfangs sind es mehr die Arterien, später mehr die Venen, welche dem
Beobachter auffallen. Sie wurden bisher gewöhnlich als „varicöse oder
abdominelle Gefässe der Bindehaut" aufgeführt. Die Arterien verlaufen
geschlängelt, sind lichter gefärbt, und füllen sich von der Peripherie
zur Cornea, wenn man sie mittelst des Lides und Fingers comprimirt
hat (was an etwas glotzenden und gespannten Augen sicher gelingt).
Die Venen verlaufen mehr gestreckt, sind dunkler, und füllen sich nach
momentaner Compression in entgegengesetzter Richtung. Die Blutüber-
füllung in den Arterien geht bei manchen Formen oft lange dem Ex-
sudationsprocesse voraus, und pflegt nur so lange als der Exsudations-
process selbst zu dauern. Hat die Congestion und Exsudation nachge-
lassen, dann zeigen bisweilen kleine rostbraune oder schiefergraue
Punkte in der nächsten Umgebung der Cornea die Stellen an, wo er-
weiterte Gefässe durch die Sclera in den Bulbus eingedrungen waren.
Die stärkere Entwickelung der Venen tritt erst dann auf, wenn der
Rückfluss des Blutes durch die hintern (langen und kurzen) Ciliarvenen
vermöge des Druckes, den das Chorioidealexsudat ausübt, oder ver-
möge Verwachsungen zwischen Chorioidea und Sclera behindert ist.
Nicht immer ist es leicht, zu entscheiden, ob die Injection der vordem Ciliargefässe
wirklich ahnorm, und insbesondere, ob sie als Symptom eines entzündlichen (congestiven)
Zustandes der Chorioidea zu betrachten sei. So findet man unter andern bei den meisten
Kurzsichtigen die Ciliargefässe viel stärker und zahlreicher entwickelt, ohne dass man
im Geringsten Ursache hat, an ein Chorioidealleiden zu denken; ingleichen bei Leuten,
die in Jahren vorgerückt sind, die ihre Augen viel anstrengen, die öfter oder länger an
Entzündung äusserer Gebilde des Auges gelitten haben u. s. w. — Ist das zweite Auge
ganz gesund, so kann eine sorgfältige Vergleichung leicht Aufschluss geben. An und für
sich hat dieses wichtige Symptom keinen positiven Werth für die Diagnosis; es müssen
noch andere Merkmale vorhanden sein, welche direct auf Congestion oder Entzündung
der Chorioidea deuten.
Bei rascher Exsudation an der Chorioidea bilden die vordem Ci-
liararterien ein so dichtes Nets im Umfange der Hoi^nhaut, dass der
vorderste, wohl auch der ganze sichtbare Theil der Sclera roth tingirt
Entzündung im Allgemeinen — Symptome. 175
erscheint. Über dieser tiefen Röthe können auch die Gefässe der Bin-
dehaut reichlich injicirt sein, und zwar bis in den concaven Kand de&
Liinbus conjunctivae.
Bleibt der Linibus conjunctivae heim Bestände dieser tiefern und
oherflächlichen Injection uneingespritzt, so erscheint letztere von der
Cornea durch einen bläulich weissen Ring getrennt, eine Erscheinung,
welche Beer als Annulus arthriticus bezeichnet und abgebildet hat. *)
Sichel**) und Ruete***) haben diese Erscheinung von Blutüberfüllung im Canalis
Sehlemmii hergeleitet. Das Irrige dieser Deutung ergibt sich schon aus der Lage dieses
Ringes, verglichen mit der Lage jenes Canales. Die Gegend dieses letzteren macht sich
dagegen bei chronischen Formen von Chorioiditis oder Iridochorioiditis bisweilen durch
eine Art Einziehung (flache Furche) und dadurch bemerkbar, dass die Ciliargefässe da-
selbst sich in kleinen Bögen verbinden und einen schmalen Gefässkranz bilden , oder
auch (später) durch beinahe schiefergraue Färbung der Sclera in der Richtung dieser
Furche.
Die Farbe der Sclera kann trotz des Bestandes von Chorioiditis
normal sein; bisweilen ist sie in der Art bläulich weiss wie bei Kin-
dern. Nach längerem Bestände der Chorioiditis wird sie in der Regel
schmutzig, in's Gelbliche, Graue oder Dunkelblaue, letzteres meistens
nur stellenweise, und namentlich da, wo sich Ektasien bilden.
Schiefergraue oder dunkelblaue Hügel erheben sich im Bereiche
der Sclera erst nach langem Bestände, und nur bei gewissen Formen
der Chorioiditis (mit flüssigem Exsudate). Nur die Staphylomata late-
ralia (vergl. Krankh. der Sclera S. 19 — 21) kommen der Chorioiditis
als solcher zu. Blaue Hügel in der Gegend des Äquators, so wie gleich-
massige Vergrösserung des hintern Umfanges des Bulbus können übri-
gens auch bei Vermehrung und Verflüssigung der Glasfeuchtigkeit
(ohne Chorioiditis) vorkommen. Um die Gegenwart der Lateralstaphy-
lome nicht zu übersehen, muss man den Bulbus so weit als möglich
nach allen Seiten hin rollen lassen, und dabei die Lider stark abziehen.
Staphylome in der Gegend des Corpus ciliare (vor den Insertionsstellen
der Muse, recti und hinter oder an den Einmündungsstellen der vordem
Ciliararterien) trifft man eher nach Iridochorioiditis als nach primärer
Chorioiditis an.
Ad c. Die Hornhaut bleibt in den meisten Fällen von Chorioidi-
tis unverändert. — Ist Pyämie die Ursache der Chorioiditis, so wird
sie gewöhnlich durch Eiterung zerstört. Dasselbe kann erfolgen, wenn
nach einem Trauma, z. B. nach Dislocation des Staares, Chorioiditis
*) Lehre von den Augenkrankheiten, Wien, le13. Bd. I. Taf. II. Fig. 5 und 6, Taf. III. Fig. 1.
**) Memoire snr le glaueome, Cnnier annales d'ocnlist. T. V. p. 183.
***) Lehrhuch der Ophthalmologie. BraunBehweig, 1S46. 8. 560.
176 Aderhaut.
mit Eiterbildung entsteht. — Bei Chorioiditis mit vorwaltend flüssigem
Exsudate wird die Cornea nur während stürmischer Exsudation getrübt.
Sie erscheint dann in ihrer ganzen Ausdehnung matt, glanzlos, wie ein
angehauchtes Glas, oder wie die Hornhaut an Cadavern. So wie die
Gefässinjection und der heftige Supraorbitalschmerz — wovon später —
nachgelassen haben, bekommt die Hornhaut wieder ihren Glanz und
ihre Durchsichtigkeit, um sie beim Wiederauftreten dieser Zufälle
(Nachschub von Exsudat) abermals auf einige Zeit einzubüssen.
Gefässentwicklung in ganz durchsichtiger Hornhautsubstanz, Ver-
grösserung der ganzen Cornea unbeschadet ihrer Durchsichtigkeit, Ab-
lagerung von Kalkconcrementen in derselben, so wie eitrige Consum-
tion als Folge von Druck und mangelhafter Ernährung sind seltene
Folgen der Chorioiditis, auf die wir bei Besprechung der einzelnen
Formen aufmerksam machen werden.
Die obgenannte Trübung der Cornea, die wohl füglich als acutes
Ödem derselben bezeichnet werden kann, wird in manchen Fällen (mit
vorwaltend flüssigem Exsudate) durch Trübung des Kammerwassers
scheinbar vermehrt. Es wird nämlich bei rascher Exsudation Pigment
vom vordem Ende der Ciliarfortsätze, vielleicht auch von der Iris los-
geschwemmt, und gibt dem Kammerwasser (vor der Pupille) das Aus-
sehen, als ob Euss oder Tusch darin aufgelöst wäre. Wenn dann die
Cornea ihren Glanz und ihre Durchsichtigkeit wieder erlangt hat, so
kann man schwarze Punkte an ihrer hintern Fläche (in der untern
Hälfte) präcipitirt finden, mit der Loupe oder schon mit freiem Auge
(vergl. Sectionsbef. 1. Beob.).
Eitererguss in die Augenkammer ist bei den durch Pyäinie und
durch traumatische Eingriffe bedingten Formen nicht selten ein früh-
zeitiges Symptom. Bluterguss kann bei chronischen Formen mit vor-
waltend flüssigem Exsudate in späterer Zeit und zu wiederholten Malen
auftreten.
Ad d. Von grösster Wichtigkeit für die Diagnosis der Chorioiditis
ist das Verhalten der Iris, zumal dann, wenn die Entzündung nicht
von der Iris aus begann oder sich gleichzeitig auf diese erstreckt.
Man begreift diess, wenn man sich erinnert, class die Iris ihre Nerven
und die meisten ihrer Gefässe via chorioideae erhält.
Zunächst leidet die Beilegung der Iris und mit ihr die normale
Weite der Pupille. In Fällen, welche sich aus mehr weniger lange be-
stehender Cougestion der Chorioidea allmälig entwickeln, findet man
Anfangs keine Veränderung der Iris, ausser dass sie beim Wechsel des
Lichtes langsamere uud kleinere Excursionen macht, und dass die Pu-
Entzündung im Allgemeinen — Symptome. 177
pille etwas vergrössert erscheint. Bei raschem Ergüsse wird die Pupille
meistens sehr stark erweitert und die Iris gänzlich gelähmt. Ungleich-
massige Erweiterung lässt auf partielle oder partiell vorwiegende Ent-
zündung der Chorioidea schliessen, und die schmälste Stelle der Iris
entspricht dann dem Herde der Entzündung in der Chorioidea. Liegt
die Partie, von welcher die Entzündung der Chorioidea ausgeht, z. B.
an der Schläfeseite , so erscheint die Pupille nach dem Schläfewinkel
hin erweitert, also eiförmig mit horizontalem Durchmesser u. s. w. —
Bei Amaurosen, welche von der Netzhaut (mit unversehrter Chorioidea)
oder vom Sehnerven ausgehen, sieht man nicht selten die Iris des völ-
lig erblindeten Auges synergisch mit der Iris des andern, für Licht
und Schatten noch empfindlichen Auges sich bewegen; bei Amaurosis
von oder mit tieferem Chorioidealleiden ist dies nie der Fall. Gleich-
massige Erweiterung der Pupille kann bei Amaurosis so gut wie bei
Chorioiditis (und deren Ausgängen) vorkommen, ungleichmässige, buch-
tige, ovale u. dgl. nur in Folge von Chorioiditis.
Die Farbe der Iris kann lange Zeit, auch nach gänzlicher Erblin-
dung, unverändert bleiben. Sie kann vorübergehend (durch Ödem) und
scheinbar (durch Trübung der Hornhaut oder des Kammerwassers) ver-
ändert sein. Bleibende Verfärbung der Iris tritt gewöhnlich erst später
ein, wenn das Gewebe atrophisch wird.
Mit dem Beginn der Atrophie des Irisgewebes wird die Iris matt,
wie gebleicht, stellenweise oder durchaus, im Allgemeinen schmutzig
grau, sie mag nun früher blau, grau oder braun gewesen sein. Der
Pupillarrand erscheint dann als ein schwarzer Saum, wie von vorge-
schobenem Pigmente. Das Gewebe der Iris verliert allmälig sein eigen-
thümliches faseriges Aussehen, und der Unterschied zwischen dem
grossen und kleinen Kreise geht verloren. Die Iris wird dünn, fast
durchscheinend, und kann, wenn sie nicht durch Synechien an die
Kapsel fixirt ist, auf einen nicht mehr wahrnehmbaren Saum zusam-
menschrumpfen, stellenweise oder ringsherum. Ist irgendwo in der
Sclera ein Staphylom vorhanden, so entspricht ihm auch die am meisten
geschrumpfte Partie der Iris. — Atrophirung des Irisgewebes ist jedoch
keineswegs eine nothwendige Folge einer jeden Chorioiditis.
Über die ungleichmässige Erweiterung der Pupille bei Chorioiditis, namentlich bei
jener Form, die Beer 1. c. B. I. S. 58J als Iritis arthritica beschrieben hat, lässt sich
noch keine durchaus genügende Erklärung 'geben. Dass die später auftretende buchtige
Erweiterung auf mehr weniger ausgebreiteter Atrophie der Iris und des Ciliarkörpers
beruht, ist durch Sectionen erwiesen (vergl. Sectionsbef. 1. Beob.). Anders verhält es
sich mit der während des Exsudatprocesses selbst vorkommenden, bald gleich-, bald un-
gleichmässigen (buchtigen , ovalen) Erweiterung. Lähmung des Sphinkters durch Druck
Arlt Augenheilkunde. II. 12
178 Lederhaut.
auf die Ciliarnerven kann nicht die Ursache sein, dass die Iris an einer oder der an-
dern Stelle schmäler erscheint. Ph. v. Walther's*) Ansicht, die Pupille erscheine desshalb
erweitert , weil die Netzhaut den Lichteindruck nicht mehr empfinde, folglich auch kein
Keflex auf den N. oculomot. stattfinden könne, findet ihre Widerlegung einfach in der
Thatsache, dass nach Lähmung der Netzhaut, Durchschneidung des Opticus u. s. w. die
Pupille zwar grösser, niemals aber so wie nach Chorioiditis entrundet, oval etc. gefunden
wird. Partielle oder doch partiell vorwaltende Entzündung der Chorioidea hinter der
schmälern Partie der Iris ist ganz gewiss die Ursache, dass die Iris gegen den Ciliarrand
zurückgezogen erscheint; das Wie aber weiss ich mir nicht zu erklären. Ich habe einige
Male nach der Reclination von Cataracta eine solche ungleichmässige Erweiterung der
Pupille beobachtet, wenn auch der Erfolg der Operation nicht durch nachfolgende allge-
meine (ausgebreitete) Chorioiditis vereitelt wurde. Die Iris war nach unten oder nach
unten und aussen schmäler; dabei war aber auch auf der Sclera unmittelbar hinter dieser
Irispartie intensive Eöthe und starke Gefässinjection, selbst leichte ödematöse Schwellung
der Conj. bulbi zu bemerken. Vielleicht muss mit der ungleichmässigen Erweiterung
der Pupille der an glaucomatösen Augen beobachtete Sectionsbefund in Zusammenhang
gebracht werden, dass die Iris an ihrer hintern Fläche mit faserstoffigem Exsudate belegt
erschien. Vergl. Sectionsbefund 1 und 2.
Die Lage der Iris wird in Folge von Chorioiditis sehr häufig und
beträchtlich verändert. Rückwärts gezogen bloss mit dem kleinen oder
auch mit dem grossen Kreise wird die Iris nur dann, wenn sie in
Folge von Iritis mit der Linseukapsel verwachsen ist, und wenn das
Chorioidealexsudat zusammengeschrumpft, also reich au Faserstoff ist»
Vorwärts gedrängt werden (sammt der Linse) kann die Iris, gleichviel,
ob die Pupille offen und erweitert, oder aber gesperrt ist, sowohl bei
vorwaltend flüssigem, als auch bei faserstoffreichem Exsudate. Näheres
hierüber bei den einzelnen Formen.
Ad e. Noch wichtiger sind die Erscheinungen, welche die Unter-
suchung der Pupille liefert. Vorausgesetzt, dass die Linse noch nicht
getrübt — wovon später — und dass nicht etwa Iritis vorausgegangen
oder gleichzeitig vorhanden ist, findet man die Pupille fast ohne Aus-
nahme nicht nur erweitert, sondern auch ihrer normalen Schwärze ver-
lustig, und zwar, wie schon der blosse Augenschein zeigt, vom Grunde
des Auges her.
Der Farbenton, welcher dem Beobachter aus der Tiefe der erwei-
terten Pupille entgegen tritt, kann sehr mannigfaltig sein, weil von ver-
schiedenen Umständen abhängig. — Je weiter die Pupille, desto weni-
ger schwarz erscheint — ceteris paribus — ihr Hintergrund. — Je
mehr die Linse vermöge der vorgerückten Jahre des Individuums be-
reits eine gelbliche Farbe angenommen hat, desto weniger schwarz,
desto mehr in's Mattgraue, Gelbliche oder Grünliche spielend erscheint
*) System der Chirurgie. Freiburg, 1848. Bd. III. S. 224.
Entzündung im Allgemeinen — Symptome. 179
der Grund des Auges. — Ist im Kammerwasser Pigment suspendirt,
so erscheint die Pupille gleichsam rauchig, oder so, wie wenn den
durchsichtigen Medien ein wenig Russ beigemengt wäre.
Das wichtigste Moment ist die Veränderung an der hintern Wand
des Bulbus selbst. So wie zwischen die Chorioidea und Netzhaut Ex-
sudat eingeschoben wird, wird die Netzhaut, welche dann wohl selten
oder niemals den ihr im normalen Zustande zukommenden Grad von
Durchsichtigkeit behauptet, mehr weniger weit vor den Brennpunkt der
Hornhaut und Linse vorwärts gerückt. Das Auge hat aufgehört, eine
richtig accommodirte Camera obscura zu sein. — Nächstdem kann aber
auch die Beschaffenheit des Exsudates für die Absorption und Reflexion
der Lichtstrahlen nicht ohne wichtigen Einfluss sein.
Geronnene faserstoffige Exsudate verwandeln den Grund des Auges
in eine weisse oder weissgelbe Schale, welche alles auf sie fallende
Licht reflectirt, und dadurch, dass dieses Licht die Linse und Horn-
haut passiren muss, einen eigenthümlichen Glanz erhält. Solche Fälle
gehören zu der Form, welche Beer „amaurotisches Katzenauge" ge-
nannt hat. Die Ablagerung von Markschwamm in der Netzhaut oder
Chorioidea kann ein sehr ähnliches Verhalten des Augengrundes bewir-
ken, so dass die Diagnosis schwer und ohne länger fortgesetzte Beob-
achtung des Falles selbst unmöglich werden kann. Dasselbe gilt von
grössern, unvollständig resorbirten Blutergüssen.
Flüssige (seröse, serösalbuminöse, faserstoffigseröse) Exsudate las-
sen noch Licht bis zur Chorioidea, und von dieser wieder zurück durch
die mehr weniger getrübte Netzhaut, den Glaskörper u. s. w. dringen,
und modificiren das Aussehen des Augengrundes mannigfaltig. — Bei
wenig gefärbtem und klarem Exsudate und wenig getrübter Netzhaut
weichen- die Verhältnisse der Reflexion zu wenig von den gewöhnlichen
ab, als dass eine auffallende Trübung oder Verfärbung des Augengrun-
des sichtbar werden könnte. Bei klarem Exsudate geschieht es auch,
dass die Netzhaut, durch die entzündliche Erweichung von der Ora
serrata abgelöst und in einen trüben Strang zusammengefaltet, in dem
Exsudate (und aufgelösten Glaskörper?) hin und her schwankt, so oft
der Bulbus bewegt wird. — Bei flüssigen und mehr weniger durch-
sichtigen Exsudaten muss die Beschaffenheit der Chorioidea, ihr Pig-
mentgehalt und ihr Blutreichthum wohl in Anschlag gebracht werden.
Letzterer ist jederzeit vermehrt, ersterer an der hintern Wandung des
Bulbus nicht immer auffallend vermindert. Leuchtet schon im norma-
len Zustande der Grund des Auges bei weiter Pupille mit einem röth-
lichen Scheine, sobald der Beobachter die richtige Stellung zum einfal-
12*
180 Aderhaut.
lenden Lichte gefunden hat, so muss diess in einem an Chorioiditis
leidenden Auge um so mehr der Fall sein, wenn nur die Medien vor
der Chorioidea farblos und nicht zu sehr getrübt sind.
Bei der häufigsten Form von Chorioiditis, dem Glaucom, zeigt der
Augengrund eine meer- oder bouteillengrüne Farbe mit einer eigen-
thümlichen matten Trübung. Diese Trübung liegt tief hinter der Iris,
zeigt keinen Schlagschatten von dieser, und tritt immer in der Rich-
tung des einfallenden Lichtes am intensivsten hervor. Ist zugleich der
Kern der Linse bereits verdunkelt, so erscheint auch diese meistens in
etwas grünlichem Lichte; die Trübung ist aber dann der Iris näher
gelegen, so wie bei Cataracta überhaupt, und immer im Centrum am
meisten saturirt, in welcher Richtung man auch das Licht einfallen
lassen und in die Pupille hineinsehen mag.
Makenzie*), Canstatt**) und Sichel"**) haben den grünlichen Teint aus der Mi-
schung gelber und blauer Lichtstrahlen zu erklären versucht. Ihre Ansicht geht dahin,
dass die gelben Strahlen von der Linse, die blauen von der Chorioidea geliefert werden.
Makenzie spricht sich über letztere nur vermuthend aus ; Sichel meint, die Chorioidea
nehme bei venöser Congestion eine bläuliche, nach verlaufener Entzündung eine violette
Farbe an. Ersteres lässt sich überhaupt nicht durch Sectionen nachweisen, letzteres fand
ich nicht bestätigt (vergl. oben Sectionsbefunde). — Bringt man eine etwas gelb gewor-
dene Linse (von einem altern Individuum) auf eine Unterlage , welche eben nicht blau,
sondern überhaupt nur dunkel zu sein braucht, so erscheint die Linse bei durchgehendem
(von der Unterlage durch die Linse reflectirtem) Lichte ganz deutlich grünlich. — Es
kann aber auch noch eine ganz andere physikalische Erklärung gegeben werden. Die
vordem Ciliargefässe z. B. erscheinen uns bläulich , weil ihr Blut durch eine durchschei-
nende lichte Membran , die Tunica vaginalis bulbi , gedeckt ist. Je dünner die Sclera
bei grossem Blutreichthume der Chorioidea, wie namentlich bei kleinen Kindern, desto
mehr erscheint sie blau. Wenn nun vor der von Blut strotzenden Chorioidea eine durch-
scheinende Exsudatschichte und die mehr weniger getrübte lichtfarbige Netzhaut liegt,
so kann sie aus gleichem Grunde wie die Ciliargefässe blaues Licht reflectiren, welches
dann, durch die gelbliche Linse durchgehend, dem Beobachter als schmutzig grün er-
scheinen wird. — Wir dürfen übrigens die Begriffe „Trübung" und „Farbenveränderung"
der Pupille nicht, wie gewöhnlich, mit einander verwechseln. Der Grund des Auges
kann verfärbt, z. B. goldgelb, grau, röthlich u. dgl. und dabei doch ganz klar erschei-
nen. Hiezu gehört, dass die vor dem Augengrunde liegenden Medien ganz klar sind, und
dass alles reflectirte Licht von einem und demselben Planum ausgeht. Wird aber das Licht
von verschieden tief gelegenen Partikelchen des Augengrundes reflectirt, wie bei serös-
albuminösem Exsudate und halbdurchsichtiger Netzhaut, so muss derselbe jederzeit mehr
weniger trüb (nebelig) erscheinen. Bei klarem Chorioidealexsudate und durchsichtiger
Netzhaut kann daher der Grund der Pupille schwarz oder röthlich, niemals jedoch getrübt
erscheinen. Durch feste Ablagerungen in der Netzhaut oder zwischen dieser und der
*) Krankheiten des Auges. Weimar, 1832.
**) Über den Markschwamm des Auges. Würzburg, 1831.
***) Bei Canstatt und in Cunier annales d'oculist. T. V. p. 184.
Entzündung im Allgemeinen — Symptome. 181
Chorioidea kann die rupillc verschieden verfärbt, aber nicht getrübt werden. Verfärbung
und Trübung des Augengrundes zugleich finden wir beim Glaucom, weil dieselben Be-
dingungen stattfinden, wie bei trübem "Wasser, das die Lichtstrahlen aus verschiedener
Tiefe zum Auge des Beobachters sendet.
Wenn man die physikalischen Bedingungen, welche auf die Trübung
und Verfärbung des Augengrundes Einfluss nehmen, im Allgemeinen
kennt und am Krankenbette richtig anzuwenden bemüht ist, dann wird
man auch hierin niemals ein pathognomonisches Zeichen für Chorioiditis
überhaupt oder auch nur für eine Unterart derselben suchen. So kann
z. B. bei jener Form von Chorioiditis, welche von der grünlichen Trü-
bung des Augengrundes den Namen Glaucoma erhalten hat, gerade
dieses Symptom zur Zeit der Beobachtung fehlen, und andrerseits kann
ein grünlicher Reflex auch aus einem Auge zurückstrahlen, welches an
nichts weniger als an Chorioiditis leidet. Siehe unten: Cataracta.
Verdunklung der Kry stalllinse allein oder auch der vordem Kap-
sel ist eine häufige Folge der Chorioiditis. Es gibt wohl kein durch
Chorioiditis erblindetes Auge, an welchem nach längerer Zeit die Linse
noch normal befunden würde. Da aber die Trübung der Linse bei
weitem häufiger ohne Spur vorausgegangener Chorioiditis beobachtet
wird, so kann dieses Symptom für die Diagnosis der Chorioiditis nie
von Bedeutung sein. Wichtiger ist die Lageveränderung des Krystall-
körpers, deren schon bei den Veränderungen, welche die Iris erleidet,
gedacht wurde, und auf welche wir bei der Lehre von den Krankhei-
ten der Linse zu sprechen kommen werden. Die Verbindung des Kry -
stallkörpers mit den Ciliarfortsätzen kann einerseits durch Atrophie
des Ciliarkörpers und andrerseits durch Verschrumpfung der vordem
Kapsel aufgehoben werden. In der Linse selbst erfolgt entweder In-
duration oder aber Erweichung, späterhin bisweilen allmälige Umwand-
lung in Kalkconcremente.
Ad f. Abnahme der Sehkraft und verschiedene subjective Licht-
empfindungen sind die constanten Erscheinungen, welche jede Chorioi-
ditis vermöge ihres Einflusses auf die Netzhaut mit sich führt. Sie
entstehen durch den Druck, welchen die mit Blut überfüllte und ge-
sehwellte Chorioidea, späterhin das an ihre innere Fläche ausgeschie-
dene Exsudat auf die Netzhaut ausüben. Ist die Chorioiditis partiell,
so kann auch die Lähmung der Netzhaut längere Zeit partiell sein,
allmälig dehnt sie sich aber auf die ganze Ausbreitung des Sehner-
ven aus.
Die Abnahme der Sehkraft erfolgt in acuten Fällen plötzlich und
meistens unter lästigen Lichterscheinungen in wenig Tagen oder Stun-
182 Aderhaut.
den, in chronischen Fällen alknälig, und zwar stetig oder schubweise,
und es können Monate, Jahre vergehen, ehe völlige Blindheit ausge-
sprochen ist.
Nur bei Fällen chronischen Verlaufes, und auch da im Ganzen
sehr selten, kann man mitunter den Beginn der Krankheit aus ander-
weitigen Symptomen erkennen, bevor der Kranke noch über Abnahme
der Sehkraft selbst klagt.
Minder selten geschieht es, dass das Gesicht zu Anfang nur an-
fallsweise durch einige Stunden oder Tage getrübt wird, wie durch
einen leichten Rauch oder Nebel, und zwar entweder ohne sonstige
subjective Erscheinungen, oder unter Photopsien, Lichtscheu, Gefühl
von Druck im Auge oder Vorderkopfe, oder unter heftigen Schmerzen
nach dem Verlaufe des N. supra- oder infraorbitalis.
In den meisten Fällen chronischen Verlaufes klagen die Kranken
über stetig oder schubweise zunehmenden Rauch oder Nebel, der die
Objecte einhüllt und undeutlich, zuletzt unsichtbar macht. Viele dieser
letztern machen auch die Bemerkung, dass sie in den Morgenstunden
minder schlecht sehen, als gegen Mittag und Abends.
Von den verschiedenen subjectiven Erscheinungen von Seite der
Netzhaut werden wir bei den einzelnen Formen sprechen.
Ad g. Durch die Reizung und den Druck, welchen die Ciliarner-
ven erleiden, erklären sich die dumpfen Schmerzen im Auge und die
grosse Empfindlichkeit gegen das Licht, welche manche Fälle begleiten,
und nach dem bekannten Gesetze der sympathischen peripheren Rei-
zung in andern Zweigen des Trigeminus der Thränenfluss und die
manchmal zu einem fürchterlichen Grade gesteigerten Schmerzen nach
dem Verlaufe des N. supra- und infraorbitalis. Die Empfindlichkeit
gegen das Tageslicht ist bisweilen auch dann noch lästig, wenn der
Kranke schon keinen Gegenstand mehr erkennt.
Auffallend ist, wie bei Iritis, in vielen Fällen die gedrückte Ge-
müthsstimmung, die Appetitlosigkeit, das Auftreten von Brechneigung
und wirklichem Erbrechen.
Fieber kann durch jede Chorioiditis mit rascher Exsudation erregt
werden; bei Chorioiditis pyaemica geht es der Affection am Auge
voraus.
Verlauf und Ausgänge. Der Verlauf ist bald sehr langsam, so
dass Jahre vergehen, bevor es zur völligen Erblindung kommt, bald ist
die Sehkraft sehr schnell, selbst binnen 24 Stunden temporär oder für
immer verloren. Manche Formen lassen noch Rettung der Sehkraft zu,
wenn noch bei Zeiten eine entsprechende Behandlung eingeleitet wer-
Entzündung im Allgemeinen — Ätiologie. 183
den kann, in andern muss gleich von vorn herein, sobald nur der Ex-
sudationsprocess diagnosticirt werden kann, die Prognosis rücksichtlich
der Sehkraft oder selbst auch rücksichtlich der Form des Auges ab-
solut ungünstig gestellt werden.
Die jeweilige Gruppirung der Symptome, ihre Reihenfolge und die
Ausgänge gestalten sich je nach der Beschaffenheit der Exsudate und
in letzter Instanz nach der Verschiedenheit der ätiologischen Momente
so mannigfaltig verschieden, dass sich nur von einzelnen Formen,
nicht aber von der Chorioiditis im Allgemeinen eine Schilderung ent-
werfen lässt.
Ätiologie. Verletzungen des Bulbus, absichtliche (Operationen)
oder zufällige, sind häufig an und für sich hinreichend, dass sich die
Cliorioidea allein oder zugleich mit andern Gebilden entzündet; in an-
dern Fällen geben sie hiezu gleichsam nur den ersten Impuls. Das-
selbe gilt von Verkältüng der Augengegend allein oder des ganzen
Körpers. Übermässige Anstrengung der Augen scheint nur im Verein
mit Störungen in der Circulation, namentlich im Pfortadersysteme oder
durch organische Herzfehler zu Congestion und seröser Exsudation in
der Cliorioidea zu führen.
Von Allgemeinleiden sind es Pt/ämie, Tuberculosis, selten Syphilis,
am häufigsten venöse Dyskrasie, welche sich so zu sagen in der Clio-
rioidea localisiren. Näheres hierüber kann erst bei den einzelnen For-
men angegeben werden.
Consecu tiv tritt Chorioiditis zu Iritis, namentlich zu Iritis chronica
bei verschiedenen Allgemeinleiden, und zu Keratitis mit Eiterung und
Durchbruch der Cornea, namentlich nach Berstung überhäuteter Iris-
vorfälle und nach allmäliger Ausdehnung von Hornhautnarben. So wie
Iritis kann auch Chorioiditis die nächste Ursache sein, dass ein Auge
erblindet, nachdem das andere durch Eiterung zerstört worden ist.
Formell. Bei dem Bestreben, eine grössere Zahl verschiedener Fälle von Cho-
rioiditis übersichtlich zusammen zu stellen und zu ordnen, kann man von zwei verschie-
denen Principien ausgehen, von der Beschaffenheit des Exsudates, oder von den ätiologi-
schen Momenten. Xach jenem erhielten -wir: Chorioiditis mit vorwaltend serösem, serös-
albuminösem, und faserstoffigem Exsudate, letzteres plastisch, tuberculös oder croupös ;
nach diesem hingegen Chorioiditis traumatica, rheumatica, pyaemica, tuberculosa etc.
Die Diagnosis, welche übrigens die Beschaffenheit des Exsudates so weit als möglich in
sich schliessen muss, lässt sich indessen oft nur bei Berücksichtigung der ätiologischen Mo-
mente feststellen. Zudem mahnt die Eintheilung nach den ätiologischen Momenten den
Arzt jederzeit daran, dass er die krankhaften Veränderungen am Auge unter steter Be-
rücksichtigung des Gesammtorganismus und der Lebensverhältnisse des Individuums auf-
zufassen habe, während man sich sonst nur zu leicht verwöhnt, sich mit der möglichst
184 Aderhaut.
genauen Bestimmung des örtlichen Befundes zufrieden zu stellen, und sich so dem prak-
tischen Theile der Aufgabe des Arztes zu entfremden. Diess bestimmt mich, letztere Ein-
theilung der ersteren vorzuziehen. Ein so vollständiges Schema, dass jeder vorkommende
Fall ohne Weiteres in eine oder die andere Rubrik desselben eingereiht werden könnte,
lässt sich Überhaupt nie erreichen, man mag nun dieses oder jenes oder ein anderes Prin-
cip der Eintheilung zu Grunde legen.
1. Chorioiditis e congestione chronica
(Chorioiditis simplex, Amblyopia et Ainaur. congest., Cirsophthalmia, Hydrops
sub cliorioidea etc.)
Blutüberfüllung, Gefässer Weiterung und Serumerguss zwischen die
Chorioidea und Ketina bilden das Wesentliche der anatomischen Ver-
änderungen in den hieher gehörigen Fällen.
Allniälige oder ruckweise Abnahme der Sehkraft unter verschiede-
nen subjectiven Erscheinungen, träge oder aufgehobene Beweglichkeit der
Iris bei unveränderter Farbe und Faserung, mehr weniger starke Er-
Weiterung der Pupille bei völliger Schwärze oder nur geringer Verfär-
bung und Trübung, vermehrte Injection der vordem Ciliargefässe und
erhöhte Resistenz des Bulbus nebst dem Gefühle von Spamiung in den
Augen oder von dumpfen Schmerzen im Vorderhaupte — sind die
wichtigsten und beständigsten Symptome während und kurz nach er-
folgter Exsudation.
Vorauszugehen und bisweilen noch längere Zeit fortzubestehen pfle-
gen verschiedene, durch Druck der erweiterten Gefässe oder des Exsu-
dates auf die Netzhaut bedingte Lichtempfi?idu?igen. Gewöhnlich klagen
die Kranken über kleine Wolken vor dem Auge, oder über dunkle
Punkte oder Flecke, welche immer dieselbe Stelle des Sehfeldes ein-
nehmen, gewisse Stellen, z. B. das Centrum, oder die eine Hälfte von
den fixirten Objecten verdecken, und sich durch diese relative Unbe-
weglichkeit von den sogenannten fliegenden Mücken unterscheiden. In
andern Fällen erscheinen Funken, Sterne, Blitze, blaue Flammeu u. dgL
bei offenen oder bloss bei geschlossenen Augen, bei Tage oder bloss
in der Dämmerung. Gewöhnlich sind diese Erscheinungen im Dunkeln
hell, glänzend, leuchtend, im Hellen dagegen matt, grau oder schwarz.
— Alle Momente, welche das Gefässsystem aufregen, oder die Circula-
tion hemmen, der Genuss geistiger Getränke, stärkere körperliche Be-
wegung, Anstrengung der Augen, Gemüthsaffecte , gebückte Stellung,
Heben oder Tragen von Lasten u. dgl. rufen diese Erscheinungen her-
vor oder steigern sie.
Nach längerem Bestände des Exsudationsprocesses kann die Sclera
verfärbt, selbst ektatisch, der ganze Bulbus vergrössert und glotzend
Entzündung in Folge von Congestion. 185
werden; dann bietet auch die Iris die Zeichen der Lähmung, manch-
mal auch die der partiellen oder totalen Atrophie dar. Die Vergröße-
rung des Bulbus pflegt von heftigen, oft unerträglichen Kopfschmerzen
begleitet zu werden. — Während einzelner Nachschübe von Exsudat,
welche bisweilen in Folge äusserer Einflüsse, z. B. Verkältung, stärke-
rer Aufregung u. dgl. stürmisch erfolgen, kann die Pupille durch Trü-
bung des Kammerwassers ein rauchiges Aussehen bekommen. Auch
Hypoaema habe ich in Fällen mit Scleralektasien beobachtet. — Bis-
weilen tritt noch vor völliger Ertödtung der Netzhaut Cataracta dazu,
lenticularis allein oder auch capsularis. Bei noch deutlicher Licht-
emplindung und wenig oder gar nicht veränderter Iris kann man dann
das Chorioidealleiden leicht übersehen. Staare, die zufolge congestiver
oder entzündlicher Zustände der Chorioidea entstehen, pflegen weich
zu sein, und sammt der Iris etwas weiter nach vorn gerückt zu er-
scheinen. Man muss in solchen Fällen das Verhalten der vordem Ci-
liargefässe, die Resistenz des Bulbus, bei nicht zu weit vorgeschritte-
ner Trübung der Linse das Verhältniss zwischen der Functionsstörung
und dem sichtbaren mechanischen Hindernisse, und aus der Anamnesis
insbesondere den Umstand berücksichtigen, ob Erscheinungen von Druck
auf die Netzhaut oder dumpfe Kopfschmerzen vorausgegangen sind.
Die Krankheit entwickelt sich (nach meinen Beobachtungen) vor-
züglich im Jünglings- und Mannesalter, nach übermässiger Anstrengung
der Augen bei sitzender Lebensweise, nach übermässigem Genüsse gei-
stiger Getränke, bei Individuen mit Aorten- und Herzkrankheiten, bei
Individuen mit bläulich rothein Gesichte und glotzenden Augen, bei ha-
bitueller Stuhlverstopfung, Menstruationsanomalien. Sie befällt beide
Augen zugleich oder in kurzer Zeit nach einander.
Die Prugnosis richtet sich theils nach dem Grade, bis zu welchem
die Krankheit vorgeschritten ist, theils nach den ätiologischen Momen-
ten, welche leider nur zu oft nicht beseitigt oder unschädlich gemacht
werden können. Daher ist die Heilung oder Besserung oft nur tempo-
rär, und der Kranke verfällt endlich doch dem Schicksale der gänz-
lichen Erblindung.
Die Behandlung ergibt sich aus der Berücksichtigung des Gesagten
im Allgemeinen von selbst. Die Mittel und Methoden, welche mir
Nutzen gewährten, sind in den nachfolgenden Krankengeschichten an-
gedeutet.
1. Beobachtung. L. J., 28 Jahre alt, Richteramtscandidat, kam am 24. Juli 1847 in die
Anstalt. Er v>"ar auf dem rechten Auge allmälig erblindet, angeblich nach einem Schlage auf
dasselbe vor 10 Jahren. Wir fanden Cataracta lenticularis mit deutlicher Lichtempfindung und
186 Aderhaut.
Strabismus convergens, der sich nach und nach eingestellt hatte. Der Mann lebte unter
dürftigen Verhältnissen, und musste fast den ganzen Tag in der Kanzlei eines Advocaten schrei-
ben. Vor neun Tagen bekam er nach einem Spaziergange an einem heissen Tage plötzlich
druckenden anhaltenden Kopfschmerz in der Scheitelgegend und Vorschweben von dunklen
Flocken und Streifen vor dem linken Auge. Letztere Erscheinung hörte zwar denselben
Tag wieder auf, und am Morgen des folgenden Tages sah er durch einige Stunden wieder
so gut, wie früher. Als er jedoch einige Stunden geschrieben hatte, bildete sich vor
dem linken Auge ein Nebel, und der Kopfschmerz in der Scheitelgegend wurde heftiger.
Die völlige Wiederkehr der Sehkraft in den Morgenstunden und das Wiedereintreten des
Trübsehens und des Kopfschmerzes nach einiger Arbeit fand durch 3 Tage ohne alle andere
Erscheinungen statt ; dann aber gesellte sich das Sehen von hellen Kadern bei offenen und
geschlossenen Augen dazu, und er konnte zuletzt gar nicht mehr arbeiten. Wir fanden an dem
Auge ausser stärkerer Injection der Ciliargefässe nichts Abnormes. Er erkannte die feinsten
Objecte, musste sie jedoch dem Auge sehr nahe bringen, und hielt deren Fixirung nicht
lange aus. Ein ruhiges Verhalten beim Gebrauch kleiner Gaben von Tart. stibiatus — da
der Puls aufgeregt und die Temperatur des Kopfes erhöht war — reichte hin, dass alle
genannten Erscheinungen in wenig Tagen ausblieben und der Kranke Ende des Monates
(scheinbar) genesen die Anstalt Arerlassen konnte.
Am 9. October 184S kam er in bedeutend verschlimmertem Zustande zurück. Schon
einige Wochen nach seiner Entlassung war das Nebelsehen nach längerem Herumgehen oder
nach längerem Schreiben zurückgekehrt, und allmälig continuirlich geworden. Statt der lieh"
ten Räder hatten sich helle, lichte Streifen eingestellt. Seit einigen Monaten war er ohne
Beschäftigung in seiner Heimath gewesen. Wir nahmen nun den Zustand genauer auf als das
erste Mal. — Die Augen etwas glotzend, besonders das linke, und härter anzufühlen. — Lider
und Bindehaut normal, ihre Gefässe jedoch zahlreicher und stärker injicirt. Hörn- und Regen-
bogenhaut normal. Rechts nicht nur die Linse , sondern auch die mittlere Partie der
vordem Kapsel getrübt, die Lichtempfindung deutlich. Links die Pupille schwarz, bei
hellerem Lichte enger, vollkommen rund; der Kranke erkennt das Gepräge von Geld-
münzen, die Zeiger einer kleinen Taschenuhr, kann jedoch nicht lesen, ausser sehr
grossen Druck. Das Gesicht gewöhnlich roth und wärmer, turgescirend , der Puls sehr
voll, nicht beschleunigt. Die Untersuchung des Herzens ergab eine massige Insuffizienz
der Mitralklappen.
Wir verordneten ruhiges Verhalten , vorwaltend vegetabilische Kost , von Zeit zu
Zeit blutige Schröpfköpfe längs der Wirbelsäule, innerlich einige Zeit Tart. stibiatus refr.
dosi mit Glaubersalz , dann Infusum fol. digit. purp. , später Decoct. graminis mit Kali
tartar., zuletzt durch längere Zeit Cremor tartari mit Saccharum. Das Sehvermögen wurde
wohl zeitweilig etwas besser, dann aber wieder schlechter, und wir mussten den Kranken
endlich Mitte Jäner 1849 ungeheilt entlassen.
Als er Anfang Februar z\irückkehrte , waren die Pupillen für gewöhnlich etwas
grösser, als früher bei gleicher Beleuchtung, und es entwickelte sich unter unsern Augen
— er blieb bis Mitte April in der Anstalt — allmälig Trübung der Linse. Zunächst be-
merkten wir nach unten und aussen etwa 2/s"' vom Rande der Linse einwärts (gegen
ihr Centrum hin) eine kleine, unrcgelmässige , lichtgraue Trübung, dem Sitze nach ent-
weder in der Kapsel selbst oder knapp an ihr in der Rindensubstanz. Wir untersuchten
diese Stelle , die sich allmälig gegen das Centrum und nach den Seiten hin ausbreitete,
und mehr ein milch- dann kreideweisses Aussehen annahm, zu wiederholten Malen und
bei verschiedener Beleuchtung mit einer scharfen Loupe, konnten jedoch niemals Gefäss-
Entzündung in Folge von Congestion. 187
entwicklung wahrnehmen. Wurde die Pupille möglichst stark durch Belladonna erweitert,
so sah man, dass die Trübung nicht bis zum Rande der Kapsel reichte, sondern l/a — 2/3'"
vom Eande derselben anfing, und von dem durchsichtigen Randtheile der Kapsel scharf
abgegrenzt war. Dieses Hinzutreten von Kapselstaar war uns nachträglich ein Beweis
mehr, dass der Frocess am Auge nichts anderes gewesen als Chorioiditis, die Anfangs
als Amblyopia — Amaurosis congestiva aufgetreten war.
2. Beobachtung. Fraulein St. v. B. , 28 Jahre alt, trat Anfang Februar 1843 in
meine Behandlung, nachdem sie von zwei Ärzten längere Zeit an „Amblyopia conge-
stiva" behandelt worden war. Sie war gross, hager, blond, mit lichtblauer Iris, von
bläulich rother Gesichtsfarbe, von sehr lebhaftem Temperamente. Sie litt — nach Angabe
des Prof. Jaksch — an Hypertrophia cordis. — Ich fand das linke Auge etwas mehr
hervorragend, prall anzufühlen, die Farbe der Iris minder lebhaft und rein, als am rechten
Auge , die Pupille mittelgross, nicht rein schwarz, sondern so wie wenn Tusch oder Euss
darin aufgelöst wäre; die Bewegung der Iris sehr beschränkt, das Sehvermögen bis auf
Lichtempfindung erloschen; die Subconjunctivalgefässe des Bulbus stark turgescirend.
Dieses Auge war in Zeit von zwei Jahren allmälig ohne auffallende entzündliche Er-
scheinungen erblindet.
Mit dem rechten Auge sah sie noch, konnte stricken , selbst etwas lesen, doch nur
Buchstaben von mindestens 2"' Höhe, besser die ersten Buchstaben längerer "Wörter. Sie
sagte, sie sehe Alles, aber dunkel, und es verwische sich Alles, sobald sie es länger
betrachte. Sie wendete bald das Auge, bald das Buch, gleichsam als müsse sie durch
eine bewegliche Spalte durchblicken, die nur in einer gewissen Richtung Licht durchlässt.
Das Auge war etwas gespannt, die Sclera bläulich weiss, von stark erweiterten Gefässen,
die sich vorn in der Tiefe verloren, überzogen; die Iris blau, lebhaft beweglich, die
Pupille dem Lichtgrade entsprechend weit und rein schwarz.
Das Übel hatte hier im November (vor 3 Monaten)J begonnen, nachdem die Kranke
sich mit feinen Arbeiten (Stickereien) viel angestrengt hatte. Anfangs waren die Er-
scheinungen wie nach Überreizung der Sehkraft überhaupt aufgetreten, Thränen, Übergehen
der Augen, vorübergehender Xebel, bisweilen Funkensehen ; später zeigten sich dunkle
Flecke vor dem Atige , welche vor den fixirten Objecten schwebten. Bei körperlicher
und geistiger Ruhe und des Morgens befand sie sich besser, Körper- oder Gemüths-
■aufregung verschlimmerte den Zustand und erregte zugleich dumpfe Kopfschmerzen. Sie
klagte, dass ihre Hände und Füsse immer kalt seien, dass ihr dagegen das Blut oft ohne
Teranlassung gegen den Kopf ströme, und ihre Wangen glühen. Wegen habitueller Stuhl-
verstopfung hatte sie seit Jahren Abführmittel gebraucht, in der letzten Zeit Saidschützer
Wasser, das ihr am besten bekam. Die Menstruation trat regelmässig, aber sparsam ein.
Xach einem in der letzten Zeit vorgenommenen Aderlasse hatte sich eher Verschlimme-
rung als Besserung ihres Zustandes eingestellt.
Um nicht weitschweifig zu werden, will ich von diesem Falle nur noch das bemerken,
dass die Kranke binnen Jahresfrist gänzlich erblindete, und gegenwärtig (1852) auf beiden
Augen das Bild eines völlig ausgebildeten Glaucoms (mit Ausnahme der grünlichen Färbung
der Pupillen) darbietet ; auf dem linken ist auch die Linse verdunkelt. In den ersten Monaten
llS43i konnte man die stufenweise Zunahme des Übels daran erkennen, dass von Zeit
zu Zeit die Pupille auf einige Tage trüb wurde, so wie wenn Tusch im Kammerwasser
aufgelöst wäre, wobei jedesmal das Sehvermögen auf eine niedrigere Stufe herabsank.
Dann wurde die Pupille wieder rein, die Iris in ihren Bewegungen freier, und das Seh-
vermögen etwas besser, ohne jedoch den Grad vor dem Anfalle wieder zu erreichen.
188 Aderhaut.
Endlich wurde der Nebel dichter, es trat öfter die Erscheinung lichter gelber Scheiben
ein, „so wie wenn man in die Sonne gesehen hat" und noch längere Zeit nach gänz-
lichem Erlöschen der Sehkraft wechselten „helle und dunkle Tage," wovon die ersteren
sie am meisten belästigten, weil sie meinte, sie müsse durch den lichten dichten Nebel
hindurch sehen.
3. Beob. K. J., 29 Jahre alt, Polizeisoldat, von starkem Körperbaue und blaurother
Gesichtsfarbe, mit Glotzaugen (von Jugend auf?), kam am 27. Novemb. 1841 in's Spital.
Zustand des linken Auges: Der Bulbus vergrössert, hart anzufühlen; die Vergrösserung
kömmt auf Rechnung blauer Hügel und Wülste der Sclera, welche 2—3'" hinter der
Cornea beginnen, und nach innen und unten, dann nach oben und aussen am stärksten
entwickelt sind, nur nach oben liegt ein kleiner dunkelblauer JJügel ganz nahe an der
Basis corneae. Auf der Sclera erscheinen überdiess viele einzelne sehr erweiterte Gefässe,
von den Insertionsstellen der Muse, recti kommend, und nahe an der Cornea sich in die
Sclera einsenkend, zum Theil auch auf derselben sich verästelnd. Unterbricht man durch
Andrücken des Lides mit dem Finger für einen Augenblick den Blutstrom, so kann man
in dem Momente, wo man das Lid wieder abzieht, in den dunkler gefärbten und mehr
gestreckt verlaufenden das Blut von der Cornea her, dagegen in den heller gefärbten
und geschlängelt verlaufenden von den Muskeln her in das momentan entleerte Gefäss
einströmen sehen. Erstere sind also Venen, letztere Arterien. Die Hornhaut, übrigens
normal, scheint von oben her etwas verkleinert zu sein , indem der Scleralfalz und der
Bindehautstamm daselbst breiter sind. Die Pupille misst über i'" im Durchmesser, indem
die unbewegliche, lichtblaue Iris auf einen schmalen Saum zusammengeschrumpft erscheint,
an dem man keine deutliche Faserung mehr erkennen kann. Die Linse weiter nach vorn
gelagert, verdunkelt, weissgrau, in der Mitte mit einem kreideweissen, etwa erbsengrossen,
am Bande scharf begrenzten, doch etwas zackigen Flecke belegt. Zwischen dem Rande
der Linse und dem schwarzbraunen Pupillarrande der Iris kann man noch gleichsam in
die Tiefe sehen (dunkler Reifen rings um die Linse).
Dieses Auge ist schon seit mehreren Jahren gänzlich erblindet. Der Kranke erhielt
im 15. Jahre einen kräftig geführten Bajonnetstich in die Gegend des linken Augen-
brauenbogens, welcher unter der Haut 1" weit gegen die Stirn hinauf ging; die Wunde
heilte ohne Nachtheil für's Auge. Im 19. Jahre entstand, nach einer Blatter auf der
linken Wange , ein Gesichtsrothlauf , wobei die Lider beider Augen so geschwollen
waren, dass er sie nicht öffnen konnte. Die Lider blieben längere Zeit schlaff, und die
Krankheit endigte mit Abschuppung. Seitdem soll das Gesicht des linken Auges etwas
schwächer geworden sein ; doch begann die eigentliche (störende) Gesichtsabnahme des-
selben erst im 21. Lebensjahre, und nahm in den folgenden 5 Jahren so überhand, dass
er in seinem 25. Jahre mit diesem Auge ferne Gegenstände gar nicht wahrnehmen, und
selbst mittleren Druck nur mit Anstrengung lesen konnte. Dabei erweiterte sich die Pupille
allmälig mehr und mehr, blieb jedoch schwarz. Um diese Zeit soll auch einmal nach
drückenden Schmerzen in der Stirn und starkem Schwindel ein eiteiartiger, stinkender
Ausfluss aus der Nase durch 5 Tage stattgefunden haben, worauf das Augenübel rascher
zunahm. Im 26. Jahre war der Mann bei einem Feldlager grossen Strapazen und vielem
Staube ausgesetzt, wobei sich das Auge öfter röthete, die Pupille ohne alle Schmerzen
nach und nach grau und endlich weiss wurde, aber doch noch grössere Gegenstände
wahrgenommen werden konnten. Ein halbes Jahr darauf, im Winter, röthete sieh das
Auge neuerdings unter etwas Lichtscheu, Thränenfluss und drückenden Schmerzen in und
hinter dun Auge und in der Stirn mit dem Gefühle, als würde der Kopf zusammen-
Entzündung in Folge von Congestion. 189
geschraubt. Diese Schmerzen, bei Tage nicht vorhanden, traten nur Abends ein, und
nahmen bis Mitternacht zu. Ein halbes Jahr später, also vor 2 Jahren, nachdem bereits
alle Sehkraft erloschen war, entstanden allmälig und ohne Schmerz oder Röthe die
blauen Wülste in der Sclera und erreichten binnen 4 Wochen die gegenwärtige Grösse
und Gestalt. Zu derselben Zeit begann auch das Sehvermögen am rechten Auge schwä-
cher zu werden; dabei wurde die Pupille ohne Röthe, ohne Schmerz im Auge weiter
und weiter.
Rechtes Auge: Der Bulbus glotzend, hart, frei beweglich. Die Sclera schmutzig
weiss, ins Gelbliche spielend; die vordem Ciliargefässe stark erweitert, die Hornhaut
normal. Die Iris blassblau, beweglich, die Pupille erweitert, nicht völlig schwarz, gleich-
sam rauchig, das Sehvermögen ist merklich geschwächt; er kann nur grossen Druck und
nur auf kurze Zeit lesen ; ferne Gegenstände nimmt er noch weniger wahr ; gegen Mittag
und Abend, besonders aber nach jeder Anstrengung bekommt er einen leichten Nebel
vor das Auge, der dann auch das Sehen naher Gegenstände erschwert oder ganz ver-
hindert. Nach starker Anstrengung, z. B. beim Exerciren in den Morgenstunden, bilden
sich selbst feurige Bäder vor den Augen, welche, wenn er sich niederlegt und schläft,
verschwinden, sonst aber bis Abends fortdauern. Der Kranke leidet häufig an Kopf-
sehmerzen, besonders nach jeder stärkern Bewegung; er fühlt dann, wie er sich aus-
drückt, das Blut heiss gegen den Kopf strömen, und bekommt selbst Schwindel, den
letzteren auch, wenn er Bier getrunken hat.
Wir konnten keine Ursache dieser Erscheinungen auffinden ; er litt nicht an Unter-
leibsbeschwerden ; Auscultation und Percussion ergaben weder eine Herz- noch eine
Lungenkrankheit. Demnach war unser Heilverfahren mehr symptomatisch. Wir gaben
Anfangs ein Decoct. graminis mit Tart. tartaris., zum Getränke Wasser mit Weinstein,
setzten den Mann auf sparsame Kost (Suppe, eine Semmel, gekochte Pflaumen), und em-
pfahlen ihm die möglichste Buhe des Körpers und Gemüthes. Dennoch kamen einige
Male Anfälle von heftigem Blutandrange zum Kopfe ; dabei wurde das Gesicht blauroth,
die Temperatur erhöht, der Puls nicht sehr beschleunigt, klein, hart, und der Kranke
musste sich wegen Schwindel und Schwäche der Füsse zu Bette legen. Ein andermal
fühlte er starke , von der Brust gegen den Kopf aufsteigende Hitze , dann Athmungs-
beschwerden, als ob es ihn erdrücken wollte, heftiges Herzklopfen, wobei er nicht liegen
konnte, dann Nebel vor den Augen mit röthlichem Schimmer, zu Ende des Zustandes
reichlichen Schweiss auf der Stirn, worauf er die Nacht hindurch ruhig schlief. Nach
Verabreichung eines Infus, fol. sennae mit Arcan. duplic. fuhren wir mit obigem Decocte
fort, und unterhielten vom 7. Dec. an hinter jedem Ohre ein künstliches Geschwür in leb-
hafter Eiterung. Den 16. Dec. war die Pupille des rechten Auges nicht mehr so weit. Der
gegen Mittag eintretende Nebel war bereits seit 8 Tagen nicht wieder gekommen, ebenso
die feurigen Räder und die Congestionsanfälle. Den 20. Dec. gab der Kranke bereits merk-
liche Besserung des Sehvermögens an. Den 9. Jäner verordneten wir unter Beibehaltung
der schmalen Kost Pillen aus Pulvis und Extract. rad. polyg. senegae und einen Trank
aus Rad. polyg. gramin. et althaeae. Von nun an blieb der Kranke frei von dem Nebel
vor dem rechten Auge, konnte gegen Ende Jäner selbst mehrere Minuten lang ohne alle
Anstrengung lesen, und erkannte, als wir ihn nun auch ins Freie gehen Hessen, die
Zeiger einer Thurmuhr auf mehr als 500 Schritte Entfernung, was er seit Jahren nicht
im Stande gewesen war. In diesem Zustande von Besserung musste der Mann, aus
Dienstesrücksichten, Mitte Februar die Anstalt verlassen.
Allein schon nach einigen Wochen kehrten die frühern Zufälle wieder, und der
190 Aderhaut.
Mann erblindete noch im Verlaufe desselben Jahres so weit, dass er nicht mehr Dienste
leisten konnte. Er musste endlich dem Invalidenhause übergeben werden, wo er in Zeit
von 2 Jahren gänzlich erblindete. Er besucht nun seit dem Jahre 1847 alljährlich einige
Male die Klinik zum Unterrichte der Studenten. Es haben sich auch an dem rechten
Auge bläuliche Hügel der Sclera'ausgebildet, und die Iris ist auf einen nicht ganz V" breiten
Saum zusammengeschrumpft. Die ungleichmässig erweiterte Pupille ist nicht rein schwarz,
gleichsam rauchig getrübt. Die Linse hat bis jetzt ihre Durchsichtigkeit behauptet. Mehr-
mals sahen wir an diesem Auge Bluterguss in der vordem Kammer, wobei zugleich der
Glanz der Cornea vermindert war. Zweimal war dieser Erscheinung heftiger Kopfschmerz
vorausgegangen.
2. Chorioiditis ex dyscrasia venosa.
{Ophthalmia arthriüca et glaucoma auctorum.)
Die anatomischen Veränderungen, welche nach Ablauf der hier
zu besprechenden Entzündung gefunden (und Seite 159 bis 165 ge-
schildert) wurden, bestehen im Wesentlichen in partieller Verwachsung
der Chorioidea mit der Sclera oder zugleich auch mit der Ketina in
der Gegend des Aequator bulbi, in Erguss von Serum mit Eiweissstoff
zwischen die Chorioidea und Retina bis zur Ora serrata, und in con-
secutiven Nutritionsstörungen in der Iris, dem Glaskörper, der Linse.
Symptome. Mehr weniger starke Injection und Erweiterung der
vordem Giliargefässe , träge oder aufgehobene Beweglichkeit, partielle
oder totale Entfärbung und Structurveränderung der Iris, ungleichmäs-
sige Erweiterung und rauchige oder grünliche Trübung der Pupille, und
allmäliges oder rasches, zu dieser Trübung nicht in Verhältniss stehen-
des Erlöschen der Sehkraft unter mannigfachen subjectiven Lichter-
scheinungen und mehr weniger heftigen Schmerzen im Auge und dessen
Umgebung sind die vorzüglichsten der örtlichen Erscheinungen, welche
diesen Vorgang im Auge begleiten. Die Symptome des Allgemeinlei-
dens, welches dem örtlichen zu Grunde liegt, werden weiter unten, bei
der Ätiologie, angeführt.
In vielen Fällen sind nebst diesen noch andere Erscheinungen von
hoher Bedeutung für die Diagnosis vorhanden, in andern fehlt selbst
eine und die andere der eben genannten. Überdiess kommt keine der-
selben der in Rede stehenden Krankheit ausschliesslich zu. Die je-
weilige Gruppirung der Symptome gestaltet sich wegen des bald äus-
serst raschen, bald ausserordentlich langsamen Verlaufes sehr man-
nigfaltig.
1. Die stärkere Injection und Enveiterung der vordem Ciliarge-
fässe ist in jedem der hieher gehörenden Fälle vorhanden. Bei chro-
nischem Verlaufe oder nach längerem Bestände acut aufgetretener Fälle
Entzündung — Glauconia — Symptome. 191
sieht man bloss einzelne erweiterte Gefässe, bei raschem Ergüsse eine
mehr weniger breite Zone dunkler Röthe rings um die Hornhaut, nicht
selten von dieser durch den nicht injicirten, daher bläulichweissen Lim-
bus conjunctivae getrennt. Dann ist auch die Bindehaut gewöhnlich
stark injicirt, selbst etwas ödematös.
2. Die Beweglichkeit der Iris wird in acuten Fällen in wenig
Stunden oder Tagen, in chronischen Fällen bisweilen erst nach Wochen
oder Monaten völlig vernichtet. In chronischen Fällen sah ich einige
Male nur die schmäler gewordene, dem Ausgangspunkte der Chorioi-
ditis entsprechende Partie gelähmt, die übrige Iris noch so lange auf
Licht und Schatten reagirend, als noch Lichtempfindung bestand.
Die Entfärbung der bis, bald partiell in Form blei- oder schiefer-
grauer Flecke des grossen Kreises, bald total und so, als ob die Iris
gebleicht worden oder vergilbt wäre, tritt gewöhnlich erst später ein.
Dasselbe gilt von der Atrophirung des Gewebes der Iris.
Wird die Lage der Iris verändert, so geschieht diess jederzeit nur
dadurch, dass sie sammt der Linse, welche dann meistens schon merk-
lich verdunkelt erscheint, nach vorn gedrängt wird.
3. Erweiterung der Pupille muss als eine der beständigsten Er-
scheinungen bezeichnet werden. Sie kann bei allmälig entstehenden
Fällen eine Zeit lang fehlen ; bei rascher Exsudation ist sie gleich An-
fangs und in autfallend hohem Grade vorhanden. Sie ist fast immer
eine ungleichmässige, indem die Iris an der einen oder der andern Stelle
schmäler geworden ist. Mitunter kommt es vor, dass man bei mani-
fester glaucomatöser Erblindung die Pupille weder bedeutend vergrös-
sert, noch merklich entrundet findet. Ich habe diess in einigen Fällen
gesehen, wo in einem frühem Zeiträume beide Erscheinungen deutlich
ausgesprochen gewesen waren.
4. Die eigenthümliche mehr weniger deutlich grünliche Trübung
der Pupille, von welcher die Krankheit den Namen Glaucoma erhalten
hat, kann bei chronischem Verlaufe in der ersten Zeit lange fehlen,
bei acuten Fällen durch Trübung der Hornhaut oder des Kammerwas-
sers verdeckt werden, wodurch das Auge dann ein eigenthümlich düste-
res, leichenhaftes Aussehen bekommt. Dass ein ähnlicher Reflex auch
ohne Chorioiditis vorkommen könne, wurde schon erwähnt.
5. Abnahme des Sehvermögens (von leichter Trübung bis zum Ver-
luste aller Lichtempfindung) gehört unter die constanten und in der
Regel auch unter die ersten Zufälle dieser Krankheit. Die verschiede-
nen Modifikationen in Bezug auf dieses Symptom wurden bereits bei
der Besprechung der Symptome im Allgemeinen S. 181 angeführt.
192 Äderhaut.
6. Mannigfaltig, zum Theil eigentümlich sind die subjectiven Er-
scheinungen von Seite de?' Netzhaut vor, während und nach der Erblin-
dung. Leute, bei denen sich Glaucoma entwickelt, stehen bereits in
einem Alter, in welchem Presbyopie nichts Ungewöhnliches ist, und in
so fern können die Erscheinungen mangelhafter Accommodation, Man-
gel an Ausdauer zu feinern Arbeiten, Mückensehen u. dgl. bloss als
Folge dieses senilen Zustandes vorhanden sein, ohne dass eben Con-
gestion oder Entzündung der Chorioidea dabei sein muss. In näherer
Beziehung zu dem Leiden der Chorioidea selbst steht das Wahrnehmen
von fixen dunkeln Punkten, Flecken, Wolken (Skotomen) und von ver-
schiedenen Lichterscheinungen (Photopsien), welche sich so verhalten,
wie bei der Seite 184 geschilderten Form. In einigen der von mir be-
obachteten Fälle hatten die Kranken eine Zeit lang vorher manche Far-
ben, namentlich das Koth des menschlichen Antlitzes, nicht mehr er-
kannt, daher alle Gesichter gelb oder erdfahl gesehen. So wie vor
dem Eintreten beträchtlicher Gesichtsschwäche regelmässig jeden Morgen
Besserung und um eine bestimmte Stunde Verschlimmerung des Ge-
sichtes einzutreten pflegt, so tritt ein gewisser Typus gewöhnlich noch
deutlicher nach völliger Erblindung darin hervor, dass der Kranke so-
genannte helle und dunkle Tage hat. An diesen herrscht das Gefühl
völliger Dunkelheit vor dem Auge; an jenen glaubt der Kranke, er
müsse sehen, wenn nur der „lichte, aber dicke Nebel vor den Augen"
etwas dünner wäre. Der Wechsel zwischen der Empfindung des Dun-
keln und des Lichten tritt oft durch viele Tage oder Wochen nach
einander immer zur selben Stunde ein, z. B. Morgens 4 Uhr, wenn
auch aussen völlige Dunkelheit herrscht. Oder es tritt die Empfindung
des Hellen täglich durch einige Stunden, z. B. regelmässig von 1 bis
4 Uhr Nachmittags ein. Dieser Wechsel dauert gewöhnlich so lange,
bis das Auge atrophisch zu werden anfängt. Er erhält die Kranken
meistens in einer sehr unangenehmen Gemüthsaufregung , und verhin-
dert, dass sie sich mit dem Gedanken unheilbarer Erblindung befreunden.
7. Schmerzen im Auge und in der Umgebung und abnorme Em-
pfindlichkeit gegen das Tageslicht können sehr gering sein, — selten
fehlen sie gänzlich — aber auch eines der ersten und auffallendsten
Symptome bilden. In chronischen Fällen sind die Schmerzen entweder
continuirlich und dumpf, weniger im Auge selbst, als über den Augen-
brauen, oder nachlassend, selbst aussetzend und dann meistens sehr
heftig. Sie dauern oft lange nach bereits erfolgter Vernichtung der
Sehkraft fort und versetzen den Kranken in einen bedaurungswürdigen
Zustand. Eben so ist die Empfindlichkeit gegen das Tageslicht biswei-
Entzündung — Glauconia — Verlauf. 193
leii auch dann noch sehr gross, wenn der Kranke längst keinen Ge-
genstand mehr erkennt.
Die Uhrigen Symptome reihen wir in die Besprechung des Verlaufes
und der Ausgänge ein.
Verlauf und Ausgänge. Diese Chorioiditis, welche, wie wir
weiterhin sehen werden, zu gewissen Krankheiten der Unterleibsorgane
in naher Beziehung steht, ist in der Regel längst durch Stasis in den
Chorioidealgefässen gleichsam vorbereitet. Sie beginnt wahrscheinlich
im vordem Umfange der eigentlichen Chorioidea (am Scheitel des einen
oder des andern Gefässwirbels) als umschriebene Affection, welche zu-
nächst zu Verwachsung der Chorioidea mit der Sclera allein oder auch
mit der Eetina führt. Bald nach längerem Bestände einer oder mehrerer
solcher partieller Affectionen, bald gleichzeitig damit erfolgt der albu-
minös-seröse Erijuss, welcher die Netzhaut von der Aderhaut trennt und
je nach seiner langsamen oder raschen Zunahme allmälige oder plötz-
liche Erblindung bewirkt.
Nur bei dieser Annahme, zu welcher übrigens zum Theil schon
die Sectionsbefunde berechtigen, wird uns der eigenthümliche Entwick-
lungsgang des Glaucomes begreiflich. Die häufigere Anwendung des
Helmholtz'schen Augenspiegels und des Cze?*mak'scken Orthoskopes zur
Untersuchung des Augengmndes wird uns wohl von der Richtigkeit
dieser Annahme bald überzeugen.
1. Das Stadium der Hyperämie und Stasis wird gewöhnlich von
den Kranken nicht beachtet, weil es in der Regel nur wenig Beschwer-
den verursacht, und von uns Ärzten oft genug nicht als erstes Glied
der nachfolgenden ernsten Störungen erkannt, weil die Zufälle meistens
von der Art sind, dass sie füglich auch von andern Ursachen abgeleitet
werden können.
In manchen Fällen treten Erscheinungen auf, welche der minder
Aufmerksame leicht Ji'/r eitlen einfachen und selbstständigen Augen-
katarrh nehmen kann. Der in Jahren vorgerückte Kranke, dessen
Bindehaut abnomi injicirt erscheint, klagt vielleicht über das Gefühl
eines fremden Körpers unter dem obern Lide, oder über das Gefühl
von Schwere oder Trockenheit der Lider (Abends beim Arbeiten, Mor-
gens beim Erwachen). Dabei kann vermehrte und veränderte Abson-
derung der Bindehaut vorhanden sein, oder auch fehlen. Die Hyper-
ämie der Bindehaut pflegt aber in verdächtigen Fällen besonders im
Bereiche der Sclera hervorzutreten, und mit abnormer Injection der
vordem Ciliargefässe, Gefühl von Völle im Auge und vermehrter Resi-
stenz des Bulbus vereint zu sein. Unter solchen Verhältnissen muss
Arlt Augenheilkunde. II. 1 3
194 Aderhaut.
die Gegenwart der (weiter unten angeführten) constitutionellen Störun-
gen (Disposition) wenigstens zur "Vorsicht in der Prognosis und Therapie
auffordern, und namentlich von der Anwendung kalter Umschläge, stark
adstringirender Augenwässer u. dgl. abhalten.
In andern Fällen ist es auffallende Veränderung des Refractions-
zustandes, Mangel an Ausdauer beim Schreiben, Lesen u. dgl., Mücken-
sehen, erhöhte Empfindlichkeit gegen die natürliche oder künstliche
Beleuchtung, insbesondere aber das Wahrnehmen von Skotomen oder
von Lichterscheinungen, und zeitweiliges Trüb-, Doppelt- oder Halb-
sehen, was den Kranken auf sein Auge aufmerksam macht. Jeder
dieser Zufälle ist an und für sich geeignet, die Aufmerksamkeit des
Arztes auf die verschiedenen ätiologischen Momente im höchsten Grade
anzuregen. Lässt sich dabei die Spannung des Bulbus und die Injec-
tion der Ciliargefässe als abnorm constatiren, so werden sie mit gutem
Grunde auf Chorioidealcongestion bezogen, und bei dem Vorhandensein
der allgemeinen Disposition hat man alle Ursache, die Entwicklung
von Glaucom zu besorgen, und darnach die Behandlung einzuleiten.
2. Stadium der Exsudation. Nachdem einer oder mehrere der ge-
nannten Zufälle eine Zeit lang angedauert haben, oder auch ohne dass
solche bemerkt wurden, tritt allmälig flüssiger Erguss, meistens aber
zunächst umschriebene Entzündung (im vordem Umfange), und erst
später (allmälig oder schubweise) allgemeine Exsudation auf; in den
heftigsten Fällen ist die partiell intensivere Aifection sogleich von all-
gemeiner Exsudation begleitet.
Es gibt Fälle, welche sich zunächst dadurch bemerkbar machen,
dass die Sehkraft abnimmt, indem alle Gegenstände wie in Rauch oder
Nebel gehüllt erscheinen. Diese Erscheinung nimmt stetig oder ruck-
weise zu, oft mit der Eigenthümlichkeit, dass das Sehen des Morgens,
bei heiterem Wetter, bei heiterer Gemüthsstimmung minder schlecht ist.
Die Zeichen der Hyperämie pflegen in solchen Fällen nicht sehr aus-
gesprochen zu sein, dagegen sind die Bewegungen der Iris gewöhnlich
auffallend gering und träge, die Iris vorwärts gewölbt, und der Grund
des Auges wird nach und nach deutlich getrübt. Die Unterscheidungs-
merkmale von Amaurosis und Cataracta incip. werden wir in den be-
treffenden Abschnitten nachtragen.
Schnelle Erblindung (über eine Nacht), ohne dass anderweitige
Symptome vorausbemerkt wurden, hat man {Fischer, Lehrbuch S. 205)
bei Individuen beobachtet, welche bereits ein Auge durch Glaucom ver-
loren hatten. Sie mag wohl eben so gut auch auf dem zuerst be-
fallenen Auge in gleicher Weise eintreten; denn manche Kranke
Entzündung — Glauconia — Verlauf. 195
wissen g-ar nicht anzugeben, wann und wie sie das eine Auge ver-
loren haben.
In seltenen Fällen tritt das Übel wie eine Neuralgie der Ciliar-
nerven oder des Trigeminus auf, mit einzelnen Anfällen von heftigen
Schmerzen im Auge oder nach dem Verlaufe des N. supra- oder in-
fraorbitalis, Lichtscheu, Thränenfl uss , unbedeutender Röthe des Bulbus
imd Trübung des Gesichtes. Die subjectiven, selbst die objectiven
Symptome verschwinden nach einigen Tagen ganz oder grösstenteils,
und solche Anfälle können sich nach deutlichen Ee- oder vollständigen
Intermissionen in Zwischenzeit von einigen Tagen, Wochen oder Mona-
ten, selbst mit einer gewissen Regelmässigkeit wiederholen, bis endlich
allmälig oder nach einem solchen Anfalle auch Zeichen allgemeiner
Exsudation manifest hervortreten.
Viel häutiger kündigt sich der Ausbruch der Entzündung durch an-
haltende oder remittirende dumpfe Schmerzen im Auge, in der Orbita,
über den Augenbrauen an, und anhaltende Trübung des Gesichtes wird
sogleich oder kurz darauf bemerkbar. In solchen Fällen sind die Zei-
chen der Hyperämie (Injection der Ciliargefässe, vermehrte Spannung
des Bulbus, reichlichere Secretion der Bindehaut) jederzeit, die der
partiellen Entzündung (ungleichmässige Erweiterung, ovale Gestalt der
Pupille, partielle Verfärbung der Iris, theilweise Lähmung der Netzhaut)
meistenteils vorhanden; häutig findet man auch das Kammerwasser
deutlich getrübt. — Oft erholt sich das Gesicht nach einem solchen
Anfalle so bedeutend, dass der Kranke Volle Hoffnung schöpft, und
selbst der Arzt getäuscht werden könnte, wenn er nicht wüsste, dass
es über kurz oder lang zum allgemeinen Ergüsse zwischen Chorioidea
und Netzhaut kommen werde und müsse. Die Schmerzanfälle wieder-
holen sich, auch beim besten Verhalten von Seite des Kranken und bei
der rationellsten Behandlung, bald in längeren bald in kürzeren Zwi-
schenräumen, und nach jedem Anfalle treten die Zeichen des allge-
meinen Ergusses und Druckes auf die Netzhaut (die Abnahme der
Sehkraft und die Verfärbung und Trübung des Augengrundes), dann
auch die Lähmung, Verfärbung und Structurveränderungen der Iris
deutlicher hervor.
Den eben geschilderten Verlauf nehmen über kurz oder lang auch
jene Fälle an, welche bloss mit Trübung des Gesichtes begonnen hatten.
Hier können viele Monate, selbst ein bis zwei Jahre vergehen, bevor
es zur völligen Vernichtung der Sehkraft kommt.
Mit heftigen Zufällen von Seite des Gefäss- und Nervensystemes
zugleich und mit reichlichem Ergüsse albuminös-serösen Exsudates
13*
196 Aderhaut.
in wenig Stunden oder Tagen beginnt diese Krankheit nur dann, wenn
sie bei vorhandener allgemeiner Disposition durch äussere Momente,
Verkältung, Verletzungen, Excesse im Essen oder Trinken, heftige de-
primirende GemüthsafYecte u. dgl. erregt wird. Dann ist sie auch ge-
wöhnlich von Fiebererscheinungen begleitet.
3. Nach erfolgter partieller und allgemeiner Exsudation werden in
verschiedenen Gebilden des Auges mannigfache Veränderungen be-
merkbar. Die Resistenz des Bulbus ist erhöht. Die Scle?m erhält im
Allgemeinen ein schmutziges, in's Gelbe oder Graue spielendes Aus-
sehen, und zeigt tiberdiess häufig einzelne blei- oder schiefergraue
Flecke, die sich im weitern Verlaufe in dunkelblaue oder schwärzliche
Hügel erheben oder auch flach bleiben. Die erweiterten Ciliargefässe
bilden mehr weniger zahlreiche Aste, welche sich zum Theil in die
Sclera senken, zum Theil durch gabelförmige Spaltung und Anastomo-
sen einen mehr weniger vollständigen Kranz in der Gegend des
Schlemmschen Canales bilden. Die Hornhaut wird wieder glänzend
und vollkommen durchsichtig.*) (Ihre weiteren Veränderungen werden
weiter unten nachgetragen.) In der Iris entwickeln sich fast ohne
Ausnahme die bereits oben angegebenen Zeichen der partiellen oder
totalen Atrophie. In den nicht atrophirten Partien derselben werden
bisweilen einzelne erweiterte Gefässe schon dem freien Auge sichtbar,
wahrscheinlich Venen, welche in Folge des gehinderten Rückflusses des
Blutes durch die Chorioidea ausgedehnt werden. Auf derselben Ur-
sache scheinen die Blutaustretungen in der Augenkammer zu beruhen,
welche sich in manchen Fällen von Zeit zu Zeit (auch ohne entzünd-
liche Zufälle) wiederholen. Die eigenthümliche , meer- oder bouteillen-
grüne Trübung des Augengrundes, welche jederzeit, nur manchmal
früher, manchmal später zum Vorschein kommt, wird früher oder später
durch das Trübwerden der Linse verschieden verändert. So lange noch
einiges Licht durch die Linse hindurch und vom Grunde des Auges
durch dieselbe zurückgehen kann, spielt die Farbe eines solchen Staares
mehr weniger deutlich in's Schmutziggrüne. Ist Verkalkung der Linse
eingetreten, oder ist vorderer Kapselstaar und in Folge verausgegange-
ner oder später eingetretener Iritis Verwachsung der Kapsel mit der
Iris vorhanden, so kann der Staar ein gelblich- oder kreideweisses
Aussehen darbieten. In allen Fällen von Glaucom wird die Linse mit
*) Ich habe in einigen Fällen, wo das Glaucom schon mehrere Jahre bestand, am Rande der ganz klaren
Hornhaut deutliche Gefässinjection beobachtet. Ein kurzes Stämmchen , am Rande aus der Tiefe
hervorkommend, spaltete sich (unten) in einen äussern und innern Ast, welche etwa V2" vom Nim-
bus conjunctivae abstehend und zu diesem parallel, bis zum horizontalen Durchmesser (an der Schlä-
fen- oder Nasenscite) emporstiegen und dort fein zugespitzt endeten.
Entzündung — Claticoma — Ausgänge. 197
der Zeit allmälig vorwärts gedrängt (bisweilen selbst bis an die Horn-
haut), niemals rückwärts gezogen, ausser wenn schon ein hoher Grad
von Atrophie des Bulbus eingetreten ist.
Diese Veränderungen entwickeln sich entweder allmälig ohne an-
derweitige Zufälle, oder es treten von Zeit zu Zeit die Zeichen frischen
Nachschubes ein. Unter heftigen Schmerzen und lästigen Lichter-
scheinungen zeigt sich stärkere Injection der Gefässe, reichlicher
Thränenlluss , Trübung der Cornea und des Kammerwassers. Dann
wird das Auge wieder rein und glänzend, und der Kranke wird bloss
von dem Wechsel des Hellen und Dunkeln beunruhigt, bis endlich, oft
erst nach jahrelanger Dauer, ein stationär ruhiger Zustand des Auges
eintritt. — In Folge solcher Anfälle entwickelt sich manchmal blei-
bende Trübung des mittlem Theiles der Cornea (mit nachfolgender
Verkalkung des Exsudates ), oder werden die nicht atrophischen Partien
der Iris an die Kapsel angelöthet.
In einzelnen, zum Glück seltneren Fällen tritt bedeutende Ver-
größerung des Bulbus ein, indem einzelne Stapkylorne oder die ganze
Sclera dem Drucke des Exsudates nachgeben. Wenn diese Vergrösse-
rung nicht sehr allmälig erfolgt, so haben die Kranken wüthende
Schmerzen zu ertragen. Sie wollen um jeden Preis nur von der uner-
träglichen Spannung befreit sein. Die Punction des Bulbus ist das
einzige verlässliche Mittel, ihnen Genüge zu thun.
In andern tritt Entzündung und Verschwärung der Hornhaut dazu,
von selbst, oder nach Einwirkung von äusseren Schädlichkeiten, oder
wenn die Linse bis an die Hornhaut vorgerückt ist. Heftige Blutung
pflegt die nächste, allgemeine Entzündung des Augapfels mit eitriger
Consumtion desselben die weitere Folge zu sein. Diese Zufälle sind
besonders dann zu befürchten, wenn ein glaucomatöses Auge zufällig
oder absichtlich verletzt wird. Von spontaner Berstung des Bulbus
(ohne Verschwärung der Hornhaut) ist mir kein Fall bekannt.
Ich wurde in einem Falle zu Käthe gezogen, wo der behandelnde Arzt Krebs-
ablagerung im Auge befürchtete. Die Frau war, wie die Anamnesis später ergab, all-
mälig an Glaucom erblindet, sodann war Verschwärung und Durchbruch der Hornhaut,
und Chorioiditis mit faserstoffig- eitrigem Exsudate (PanOphthalmitis) eingetreten. Der
Bulbus erschien nun yergrössert und etwas hervorgetrieben, die Lider blauroth, die Con-
junctiva bulbi in einen lividrothen Wall erhoben, die Hornhautöffnung durch die blass-
röthliche , etwas granulirende Iris und durch eine gelbliche , erweichtem Encephaloid
ähnliche blasse ausgefüllt. Dabei heftige Kopfschmerzen, Abmagerung und kachektisches
Aussehen der Kranken. Einreibungen von TJng. cinereum mit Opium an die Stirn und
Schläfe, trockne warme Tücher, innerlich Chinin mit Opium brachten der Kranken
Erleichterung. In wenigen Tagen verlor sich auch die Geschwulst, und der Bulbus
wurde phthisisch. Ihre Schwester hatte ich an Keratitis scrof. behandelt (I. B., S. 190 u. 191).
198 Aderhaut.
In vielen Fällen endlich tritt nach wiederholten Entzündungsanfällen
allmälig Atrophie des ganzen Bulbus ein. Der Kranke hat hiemit die
Form des Auges, aber auch in der Kegel alle lästigen Zufälle verloren.
Der Begiun der Atrophie gibt sich immer durch verminderte Resistenz
und später durch Einkerbungen nach dem Verlaufe der M. recti kund.
In den Fällen, in welchen ich den Ausgang in Atrophie lange genug
zu beobachten Gelegenheit hatte, schrumpfte der Bulbus immer auf
einen sehr kleinen Stumpf zusammen, was nach andern Formen von
Chorioiditis nicht immer der Fall ist. Diese Fälle waren acut aufge-
treten, und die Atrophie war in der Zeit von 1 bis 2 Jahren vollendet.
Vorkommen und Ursachen. Das Glaucom bildet die häufigste
Form der Chorioiditis, und ist auch im Allgemeinen keine seltene Krank-
heit des Auges. Es bildet nächst der Cataracta und der chronischen
Iritis wohl die häufigste Affection der inneren Gebilde des Bulbus im
höheren Lebensalter.
Es entwickelt sich zunächst nur auf Einem Auge, in der Mehrzahl der
Fälle zuerst auf dem linken, befällt jedoch über kurz oder lang (in wenig
Tagen oder Wochen, aber auch erst nach vielen Jahren) auch das zweite.
Es kommt nur in der zweiten Lebenshälfte vor, am häufigsten zwi-
schen dem 40. und 60. Jahre, selten entsteht es erst in den siebziger,
noch seltener schon in den dreissiger Jahren.
Würde man , wie Sichel gethan , die grünliche Färbung der Pupille als ein we-
sentliches Merkmal dieser Krankheit betrachten, dann hätte die eben ausgesprochene
Behauptung keinen andern Sinn, als wenn man sagte, vor dem 40. Jahre sei die Linse
noch nicht in so hohem Grade gelb , als dass diese Färbung zu Stande kommen könne.
Dann müsste man aber auch mit Sichel sagen, „das Glaucom entstehe manchmal auch
nach Amaurosis oder nach Chorioiditis", dann würde das Wort Glaucom nicht mehr
einen ganzen Process, eine Krankheit, sondern nur einen Theil davon, ein späteres
Stadium bezeichnen. Wir fassen die oben ausgesprochene Thatsache so auf, dass wir
annehmen, die innern Bedingungen zu dieser Form von Chorioiditis kommen in den
Blüthejahren nicht vor. Wir werden demnach keinen Anstand nehmen, Glaucom zu
diagnosticiren , auch wenn der grünliche Teint fehlt, sei es nun, weil die Linse nicht
gelb ist, oder weil sie durch eine Operation beseitigt wurde, oder weil die Veränderun-
gen im Grunde des Auges noch zu wenig ausgebildet sind.
Die Mehrzahl der Ergriffenen sind Frauenzimmer, und zwar in den
klimakterischen Jahren. Selten entwickelt sich die Krankheit bei noch
regelmässig erfolgender Menstruation, oft dagegen erst dann, wenn
diese Function längst (mehrere Jahre) aufgehört hat. Ein ähnliches Ver-
hältniss zeigt sich bei Männern zum Hämorrhoidalblutflusse.
Die von Glaucom befallenen Individuen bieten überhaupt fast durch-
gehends Störungen im Allgemeinbefinden dar, wie man sie z. B. bei
einer gleich grossen Anzahl Cataractöser nicht findet. Diese Störungen
Entzündung — Glauconin — Ätiologie. 199
können im Allgemeinen auf Abnormitäten in der Beschaffenheit und in
den Functionen der zum Pfortadersystem gehörenden Unterleibsorgane
bezogen werden. Sie sind von verschiedenen Autoren unter verschie-
denen Namen, als Plethora abdominalis, als Arthritis anomala, als
venöse Dyskrasie u. s. w. beschrieben worden.
Es kann hier nicht unsere Aufgabe sein, diese verschiedenen Functionsstörungen
in der Verdauung, in der Stuhlentleerung a. s. w. aufzuzählen und noch weniger, uns
auf den Nachweis der dabei vorhandenen anatomischen Veränderungen in den einzelnen
Unterleibsorganen einzulassen. Letzteres ist überhaupt heut zu Tage noch nicht durch-
aus möglich, wie die moderne Lehre von den Hämorrhoiden am besten zeigt. Man
wird in jedem speciellen Falle den Zustand des Gesammtorganismus und die auf den-
selben nachtheilig einwirkenden äussern Verhältnisse möglichst genau kennen zu lernen
trachten müssen, um für die Prognosis und Therapie weitere und sichrere Anhaltspunkte
gewinnen zu können, als sie der Befund am Auge an und für sich bietet. Diess Letztere
ist der Grund , warum wir diese Form von Chorioiditis Eingangs mit dem Beisatze „ex
dyscrasia venosa" bezeichneten. "Wir machen keinen Anspruch darauf, hiemit das Wesen
der Krankheit selbst näher bestimmt zuhaben; wir wollen damit nur an uns und unsere
Leser die Forderung gestellt haben , die zu Grunde liegenden Veränderungen in jedem
einzelnen Falle aufzusuchen. Wir haben den von Beer u. A. gewählten Beisatz „arthritisch"
desshalb verlassen, weil die Arthritis selbst wohl eben so gut nur als Folge jener
Abnormitäten in den Unterleibsorganen zu betrachten sein dürfte, welche dieser Chorioiditis
zu Grunde liegen, und weil Individuen, die von dieser Entzündung des Auges befallen
werden , nicht immer auch von jener Gelenkentzündung befallen werden , weder früher
noch später.
Unter die disponirenden Momente ist von vielen Beobachtern Erb-
lichkeit gezählt worden.
Benedict*) spricht sich hierüber folgendermassen aus: „Ein alter General war
wegen seiner fürchterlichen Gichtanfälle bekannt. Sein Sohn war ebenfalls in argem
Grade mit der Gicht behaftet, blieb aber in seinen spätem Jahren, indem er blaue Augen
hatte, mit dem Glaucom verschont. Seine beiden Töchter hatten dagegen dunkel ge-
färbte Augen: beide sind, als sie ein bestimmtes Alter erreicht hatten, auf beiden Augen
an dem Glaucom erblindet. Ähnliche Fälle kommen nicht so gar selten vor." — Ich
kenne zwei an Glaucom erblindete Schwestern, deren Mutter durch dasselbe Übel ihr
Augenlicht verloren hatte, ferner eine Frau, deren Mutter, und einen Mann, dessen Vater
und zwei Brüder an Glaucom erblindet waren.
Die meisten der Kranken , welche ich gesehen habe , hatten eine dunkelfarbige,
nur wenige eine blaue oder lichtgraue Iris. Dasselbe ist von Rosas, Benedict, Fischer,
JSichel u. A. beobachtet worden.
Unter 110 notirten Fällen (65 Weibern, 45 Männern) sind 11 Israeliten, darunter
4, die nicht unter ungünstigen Verhältnissen lebten.
Auffallend ist das Verhältniss des Glaucoms zur Scrofulosis. Bei mehr als der
Hälfte der von mir beobachteten Fälle von Glaucom waren in früheren Jahren Zufälle
vorhanden gewesen, aus denen man auf Scrofulosis oder Tuberculosis schliessen konnte.
Zu Trachoma sah ich nur in 3 Fällen Glaucoma hinzutreten. Viele der hieher gehörigen
*) Abhandlungen ans dem Gebiete der Augenheilkunde. Breslau, 1842. S. 125.
200 Aderhaut.
Individuen waren in den dreissiger oder -vierziger Jahren ungewöhnlich corpulent
geworden.
Förmliche Gichtanfälle hatten nur wenige überstanden, dagegen hatten viele, nament-
lich herabo-ekommene, schlecht genährt aussehende Individuen mehr weniger oft und heftig
an reissenden, unsteten, besonders die Extremitäten befallenden Schmerzen gelitten.
Einer besondern Beachtung würdig ist das Verhältniss zioischen Cataracta und
Glaucoma. Während, wie oben gezeigt wurde , in glaucomatösen Augen fast ohne Aus-
nahme über kurz oder lang Trübung der Linse auftritt, findet das umgekehrte Verhältniss
fast niemals statt, worauf schon Beer aufmerksam gemacht hat. Mir ist nur Ein Fall
vorgekommen, wo ein ganz einfach cataractöses Auge von Glaucom ergriffen wurde,
und zwar unter heftigen Zufällen , nachdem die Kranke , eine 60jährige schwächliche
Beamtenswittwe, an einem sehr kalten Tage über eine Stunde in der Kirche gewesen
war und anhaltend geweint hatte. Dagegen sind mir 4 Fälle vorgekommen , wo das
eine Auge cataractös, das andere glaucomatös war ; bei dreien davon hatte die Extraction
einen günstigen Erfolg.
Eine wichtige Eolle unter den disponirenden Momenten nehmen die
deprimirenden Gemüthsaffecte ein, Kummer und Nahruugssorgen, Trauer
und anhaltendes Weinen, Ärger u. dgl., ferner sitzende Lebensweise und
Anstrengung der Augen, feuchte und dumpfe Wohnung, schwer verdau-
liche Kost, üppige Lebensweise, übermässiger Genuss geistiger Getränke,
Lxcesse in venere.
Wo der Organismus auf die eben besprochene Weise gleichsam
vorbereitet ist, entsteht dieses Augenleiden bald allmälig und ohne fer-
nere Veranlassung, bald plötzlich, von selbst oder nach verschiedenen
excitirenden Momenten, nach einer Verletzung, einer Verkältung,
Schrecken oder Zorn, nach einem Excesse im Essen, Trinken u. dgl.
Die Prognosis wird sich nach dem, was wir über die Ätiologie,,
den Verlauf und die Ausgänge gesagt haben, in den einzelnen Fällen
leicht bestimmen lassen. Sie ist selbst dann zweifelhaft, wenn das
Leiden noch im Stadium der Congestion erkannt wird; sie ist fast ohne
Ausnahme ungünstig zu stellen, sobald die Zeichen umschriebener oder
allgemeiner Exsudation eingetreten sind.
Nicht in der Beschaffenheit des Exsudates , nicht in der In- und Extensität des
örtlichen Processes, nicht in einem speeifiseh deletären Vorgänge im Auge, wie etwa
bei croupösem oder krebsigem Exsudate, ist nach unserer Anschauungsweise das Trost-
lose dieser Form von Chorioiditis zu suchen , sondern darin vor Allem , dass wir im
Allgemeinen nicht im Stande sind, das ätiologische Moment, die zu Grunde liegende
allgemeine Gesundheitsstörung — man mag sie nun Gicht, venöse Dyskrasie oder wie
immer benennen — zu beseitigen. Auf gleiche Weise führt auch die Iritis syphilitica
zur Vernichtung der Sehkraft nur dann, wenn das Allgemeinleiden nicht behoben wird,
bevor der örtliche Process bis zu einem gewissen Grade vorgeschritten ist.
Nur zu oft lässt sich selbst in vielen Fällen, welche bei Zeiten erkannt werden,
und wo nicht so sehr organische Veränderungen, als vielmehr ungünstige äussere Ver-
hältnisse zu beseitigen sind, desshalb nichts ausrichten, weil der Kranke nicht Muth und
Entzündung — Glaiioonia — Prognosis. 201
Ausdauer genug besitzt, sich einer so durchgreifenden diätetischen und arzneilichen
Behandlung zu unterziehen, als hier erforderlich ist, und noch öfter desshalb, weil der-
selbe hiezu auch beim besten Willen nicht die nöthigen Mittel hat.
Soll der Arzt dem Kranken sagen, woran er ist? Die Beantwortung dieser Frage
ist für den gewissenhaften Arzt in einzelnen Fällen nicht so leicht, als es Anfangs
scheint. Manche Ärzte vertrösten den Kranken auf eine in späterer Zeit vorzunehmende
Operation. Dieses Verfahren hat das für sich, dass man die Kranken abhält, allerhand
äussere oder innere Mittel zu versuchen , wodurch sie sich oft grossen Schaden zufügen.
Dennoch erhält es dieselben in einer oft nachtheiligen Spannung und Aufregung, und
veranlasst sie oft, den letzten Zehrpfennig anzuwenden, eine weite Reise zu diesem
oder jenem Operateur zu unternehmen, um endlich doch enttäuscht zu werden. Für
schädlich müssen wir diesen Vorgang dann erklären , wenn zur Zeit , wo diese Ver-
tröstung geschieht, das zweite Auge noch gesund ist. Wir können zwar nicht beweisen,
dass durch die bisher empfohlene prophylaktische Behandlung — wovon später — die
Ausbildung des Glaucomes auf beiden oder auf dem zweiten Auge sicher verhindert
oder doch hinausgeschoben werden könne. Es kann aber auch Niemand das Gegentheil
erweisen, und so lange diess der Fall ist, ist es die Pflicht des Arztes, Alles, was fremde
Erfahrung und eigene Einsicht ihm bietet, anzuwenden, wenn nur dem Kranken dadurch
nicht geschadet wird. Müssiges Zuwarten, bis auch das zweite Auge dem Schicksal verfällt,
lässt sich nicht verantworten. Ist das eine Auge glaucomatös, das andere noch gesund,
so dürfte es unseres Erachtens das Beste sein, dem Kranken Hoffnung für dieses Auge
zu lassen, sofern er sich der weiter unten zu besprechenden Behandlung mit Beharrlichkeit
unterzieht. Späterhin wird sich wohl meistens Gelegenheit finden, ihm den wahren Grund
zu sagen. Ihn selbst sogleich auf die Gefahr für das zweite Auge aufmerksam zu machen,
kann leicht eine schädliche Rückwirkung auf das Gemüth nehmen, welches eher auf-
geheitert , als deprimirt werden soll. Nur Leichtsinnige und Unfolgsame mag man
zuletzt auf das Damoklesschwert aufmerksam machen. Sind beide Augen schon von
dem Processe ergriffen, so ziehe ich in der Regel vor, den Kranken bald über seine
Lage zu unterrichten , statt ihn mit eitler Hoffnung lange hinzuhalten. Es kommt eben
darauf an, was für Charaktere man vor sich hat. Die meisten Kranken werden, sobald sie
wissen, dass ihnen nicht mehr zu helfen ist, wieder ruhig, selbst heiter, während die-
jenigen, die sich immer noch Hoffnung machen, und sie immer nicht erfüllt sehen, sich
und Andern zur Last werden.
Behandlung. Wo es sich darum handelt, dein drohenden Aus-
bruche des Exsudationsprocesses vorzubeugen, oder das noch gesunde
Auge so lange als möglich zu erhalten, lege man vor Allem auf eine
allgemeine, namentlich diätetische Behandlung das meiste Gewicht.
Die sogenannte Vorbauungscur besteht vorzüglich in der Änderung
imzweckmässiger Lebensweise. Besonders zu meiden sind: feuchte
Wohnung, anhaltendes Sitzen, Anstrengung der Augen, schwer verdau-
liche Speisen, erhitzende Getränke, deprimirende Gemüthsaffecte, Diät-
fehler im weiteren Sinne des Wortes. — Eine heilsame UmStimmung
wurde oft erzielt durch den Gebrauch von Karlsbad, Marienbad, Kis-
singen, Franzensbad (Salzquelle*; nachtheilig erwiesen sich Teplitz,
Baden (bei Wien), Trentschin und ähnliche Quellen. Benedict 1. c.
202 Aderhaut.
warnt nachdrücklich vor dem Gebrauche von Kaltwassercuren. Unter
den innern Mitteln sind zu empfehlen: die gelind auflösenden und
tonischen, namentlich weinsteinsaure und kohlensaure Salze, Gramen,
Taraxacum, Kheum, Aloe in kleinen Gaben; von äussern Mitteln: von
Zeit zu Zeit Schröpfköpfe an die Kreuz- und Lendengegend, Blutegel
an's Perinäum, warme Fussbäder mit Asche oder Senfmehl, künstliche
Geschwüre am Nacken oder Oberarme.
Die Augenentzündung selbst erheischt dann, wenn sie rasch und
unter heftigen Erscheinungen auftritt, die sogenannte antiphlogistische
Behandlung nur in massigem Grade. Die Individuen sind meistens so
beschaffen, dass sie allgemeine, zumal reichliche Blutentziehungen nicht
gut vertragen. Auch mit örtlichen Blutentziehungen, besonders nahe
am Auge, muss man sehr vorsichtig sein. Raschere Erblindung des
ergriffenen und Gefährdung des andern Auges stehen zu besorgen.
Leichter werden kühlende Abführmittel vertragen.
Verläuft die Krankheit chronisch, so ist die Behandlung im Ganzen
dieselbe, wie die oben als Prophylaxis angegebene.
Alle Mittel auf das Auge selbst sind beim acuten sowohl als beim
chronischen Verlaufe schädlich, am meisten Augenwässer und kalte
Umschläge. Nicht leicht wird ein diagnostischer Irrthum härter bestraft,
als wenn man ein beginnendes Glaucom für einen Augenkatarrh hält,
und Augenwässer verordnet, oder für Asthenopie, und kalte Douche,
spirituöse Einreibungen, Ammoniakdämpfe u. dgl. anwenden lässt.
Gegen die heftigen Schmerzen und die Lichtscheu, welche den
Kranken oft auch nach erfolgter Erblindung noch quälen, sind zu em-
pfehlen: Einreibung von Extr. opii aquosum allein oder zu 5 — 8 Gran
auf eine Drachme Fett, oder Morphium aceticum 6—8 Gran in 1
Drachme Mandelöl, nach Weller ein Liniment aus 2 Drachmen Linim.
volat., 1 Drachme Laud. liq. Syd. und 1 Scrupel Oleum sabinae, nach
Cunier 3 — 4 Gran Cyanuretum zinci auf 1 Drachme Fett, oder Oleum
essent. amygd. amar. an die Stirn und Schläfe. Trockene warme
Tücher über die entsprechende Kopfhälfte und das Auge sind oft das
beste Mittel, die Schmerzen zu lindern. Bei starker Spannung des
Bulbus leisteten mehrmals Cataplasmata emollientia entschieden gute
Dienste; in argen Fällen dieser Art bleibt zur Beseitigung der uner-
träglichen Schmerzen nichts übrig, als den Bulbus mit einem Staar-
messer oder mit einer Lancette zu punctiren, und zwar, wenn nicht
etwa bläuliche Hügel den Einstichspunkt bestimmen, etwas rückwärts
von der Stelle, wo man bei Staaroperationen durch die Sclera einsticht.
Beer erzählt, dass ein Mann sich selbst durch einen Eiü stich mit einem
Entzündung — Glauconin — Therapie. 203
Federmesser von den Schmerzen zu befreien gewusst hat. — Unter
den iimern Mitteln sind Morphium aceticum zu Vis — J/16 Gran, bei
schwächlichen, sehr herabgekommenen Individuen Ferrum carbon.
sacchar. zu 5 — 6 Gran p. d. allein oder mit Rheum zu empfehlen. Die
auffallendste günstige Wirkung sah ich jedoch vom Sulfas chinini, zu
1 — 2 Gran 2— 3mal des Tages verabreicht, allein oder mit '/4 — i/3 Gran
Extr. opii aquosum.
Ich bin, wie ein Vergleich mit Fischer's „klinischem Unterricht, Prag 1832" zeigt,
in Bezvig auf die Behandlung dieser Krankheit den Grundsätzen meines verehrten Lehrers
treu geblieben. Zu Anfang meiner Praxis Hess ich mich in einigen Fällen durch das
stürmische Auftreten der entzündlichen Erscheinungen zu reichlichen Blutentziehungen
verleiten , leider zum offenbaren Nachtheile der Kranken. — Desshalb habe ich es auch
nie versucht, die sogenannten Antarthritica, das Gummi quajacum, das Extr. aconiti, die
Flores sulfuris. das Sulfur auratum und ähnliche Mittel, von deren Gebrauche Rosas,
Fischer, Benedict \md Andere abrathen, anzuwenden. — Die von diesen Beobachtern
empfohlene Etablirung künstlicher Geschwüre, namentlich das Tragen eines Fontanelles
oder eines Emplastrum euphorbiae am Oberarme habe ich in Fällen einseitiger Erblin-
dung öfters angewendet. Doch sind mir mehrere Fälle vorgekommen, wo das zweite Auge
nach einer Zeit von 5 bis 1 1 Jahren von Glaucom ergriffen wurde. Wenn dieses Mittel
etwa; nützt, so ist es vielleicht nur dadurch, dass es den Kranken stets ermahnt, auch
die übrigen Mittel gewissenhaft zu gebrauchen, namentlich von der vorgeschriebenen Diät
nicht abzuweichen. — Nach der günstigen Wirkung in einigen Fällen meinte ich in dem
Chinin ein wirksames Mittel nicht nur gegen die Schmerzen, sondern auch gegen das
Fortschreiten des Processes selbst gefunden zu haben. Ich überzeugte mich jedoch, dass
die Erblindung endlich doch eintrat, wenn auch später, als es ohne Verabreichung dieses
Mittels wahrscheinlich der Fall gewesen sein würde. — Ich habe unter die nachfolgen-
den Krankheitsfälle keinen von jenen aufgenommen, wo ich des Erachtens bin, dass
durch den rechtzeitigen und durch mehrere Jahre fortgesetzten Gebrauch der obgenannten
Mineralquellen der Ausbruch dieser Entzündung verhütet worden sei, weil zu solchen
Beobachtungen eine grössere Zahl von Fällen und eine längere Reihe von Jahren ge-
hört, als mir bis jetzt zu Gebote stehen.
1. Beob. Ein Kaufmann, 42 Jahre alt, kam am 14. Jäner 1845 zu mir.*) Das linke
Auge kleiner, weicher, an den Anheftungsstellen der Muse, recti ein wenig eingedrückt, die
Sclera rings um die Hornhaut dicht netzförmig geröthet, die Röthe etwas düster, die
Hornhaut durchsichtig, glänzend, von einem schüttern Gefässnetze durchzogen. Diese
Gefässe liegen nicht oberflächlich, wie bei Pannus, sondern in der Substanz der Hornhaut.
Die Augenkammer enger, die Iris nach oben und nach aussen auf einen schmalen Streifen
reducirt, entfärbt, ohne deutlich fasrige Structur, die Pupille daher sehr stark und un-
gleichmässig erweitert, überdiess durch die in sie herein ragende gelblichweisse Linse
verlegt. Nach oben und aussen ist die Sclera bläulich schiefergrau , doch nicht vorge-
trieben, und zwar von der Cornea an bis 2 Linien davon entfernt und 3 — 4 Linien in
die Länge, doch unregelmässig, zum Theil inselförmig.
*) Diese Beobachtung, obwohl nicht vollständig notirt, enthält doch so viel Merkwürdiges, dass ich sie
der MittheUung würdig erachte.
204 Aderhaut.
Das rechte Auge war gesund; doch hatte der Kranke auch schon einen Anfall
gehabt, wo ihm schwarze "Wolken vorschwebten, wesshalb ihm Blutentzichungen und
Abführmittel angcrathen worden waren.
Der Mann war von blühender Gesichtsfarbe, auffallend corpulent, an ein sehr
üppiges Leben gewöhnt. — Ich rieth ihm eine frugale Lebensweise, fleissige Bewegung,
Sorge für tägliche Öffnung durch gelinde Abführmittel und Etablirung eines Fontanelies
am rechten Oberarme.
Anfang Mai 1846 kam der Kranke, der mir so wenig als seinem Ordinarius gefolgt
hatte, wieder nach Prag. Das linke Auge ist entschieden atrophisch, nach dem Zuge der
geraden Augenmuskel eingedrückt, die Cornea um '3 kleiner, aber vollkommen durchsich-
tig, in der vordem Kammer liegt die verdunkelte, eingeschrumpfte, verkalkt aussehende
Linse ; von der bleigrauen Iris nur nach innen und unten ein Streifen sichtbar.
Bechtes Auge. Die Lidspalte wenig geöffnet, wegen grosser Empfindlichkeit gegen
das Tageslicht; die innere Fläche der Lider wenig geröthet; unter der Conjunctiva bulbi
einzelne erweiterte Gefässe. Die Sclera eigentümlich blau, wie bei kleinen Kindern,
nächst der Cornea von einem schüttern Gefässnetze gedeckt. Die Grösse und Besistenz
des Bulbus nicht merklich verändert. Die Cornea ganz rein. Die Pupille stark und un-
gleichmässig erweitert, gleichsam nach aussen und oben aus der Lage getreten Die Iris
nach innen und unten noch schön braun gefärbt, daselbst auch die Faserung und der
grosse und kleine Kreis deutlich unterscheidbar, und dieser Theil, etwas mehr als ^'3 der
ganzen Iris , zeigt bei wechselndem Lichteinflusse allein noch sichtbare Bewegungen,
die andern 2/s sind auf einen schmalen Streifen zusammengeschrumpft, ohne Faserung,
entfärbt, wie ausgebleicht, bläulichgrau. Die Pupille wie rauchig, leicht getrübt, nicht
grünlich. "Wegen der grossen Empfindlichkeit gegen das Licht trägt der Mann blaue
Augengläser. Er sieht wie durch Nebel, des Morgens und auch nach längerem Schlafe
am Tage besser, so dass er noch lesen und schreiben kann, wenn er sich eines Convex-
glases von 36" Brennweite bedient. Er muss aber, so oft er etwas genau sehen will,
das Object nach aussen und oben halten, weil nur die nach innen und unten gelegene
Partie der Netzhaut noch empfindlich ist. Nach unten und innen vorgehaltene Objecte
erkennt er nicht. — Die Affection des rechten Auges war im December 1845 mit hefti-
gen Schmerzen eingetreten. Ich schickte den Kranken nach Marienbad. Er ist später
nicht mehr zu mir gekommen.
2. Beobachtung. R. J. , 58 Jahre alt, Essigerzeuger, wurde am 23. October 1842
mit folgendem Zustande auf die Augenklinik gebracht : Beide Bulbi hai-t anzufühlen,
gegen Druck empfindlich ; in der Conjunct. bulbi ein Netz stark injicirter Gefässe, welche
linkerseits rings um die Hornhaut eine dunkelrothe Zone bilden. Die vordem Ciliargefässe
so zahlreich und stark injicirt, dass der vordere Theil der Sclera links violett, rechts
schmutzig blauroth erscheint. Die Gefässinjection reicht nur bis an den Rand der Cornea;
derLimbus conjunctivae corneae erscheint daher als ein schmaler bläulichweisser Ring auf
der Basis der Hornhaut. Die Hornhäute matt, glanzlos. Die Regenbogenhäute entfärbt, vom
Braunen ins Graue, ein Unterschied zwischen dem grossen und kleinen Kreise nicht
wahrnehmbar; der Pupillarrand scharf, gleichsam nach hinten umgestülpt; von Beweglich-
keit der Iris keine Spur: die Pupillen stark und ungleichmässig erweitert, oval (Längen-
durchmesser von oben und aussen nach unten und innen), meergrün. Das Sehvermögen
des rechten Auges gänzlich erloschen ; mit dem linken werden noch die Finger der
Hand erkannt. Heftige, schneidende und stechende, aussetzende Schmerzen in der Stirn
und Schläfe, anhaltendes Gefühl von Druck in den Augen und unter den Augenbrauen.
Entzündung — Glaucoma — Krankengeschichten. 205
Sehr gedrückte Gemüthsstimmung, Appetitlosigkeit; langsamer, zusammengezogener Puls.
Hauteolorit erdfahl.
Der Mann hatte in seiner frühen Jugend oft an Halsdrüsenanschwellungen , in
seinem 43. Jahre angeblich an heftigem Rheumatismus gelitten. Er lebte unter günstigen
Verhältnissen, war an spirituöse Getränke gewöhnt, bewohnte aber seit 3 Jahren eine
feuchte Stube. Seit seinem 48. Jahre litt er an sogenannten blinden Hämorrhoiden, und
war gewohnt, sich der Anfangs alljährlich, später halbjährig wiederkehrenden Kreuz-
sehmerzen durch Anlegung von Blutegeln an die Kreuzgegend zu entledigen. Als diese
Schmerzen das letzte Mal (13. Sept.) wiederkehrten, und er nichts dagegen unternahm,
wurden sie heftiger, und erstreckten sich bis zum Nacken. Während dieser Zeit (17. Sept.
früh morgens) war er bei der Essigsiederei vor dem Ofen im Freien beschäftigt, und wurde,
am ganzen Körper schwitzend, besonders im Gesichte, von einem kalten Winde getroffen.
Alsbald bekam er heftige, stechende, schneidende Schmerzen im rechten Auge, die sich
von da auf die entsprechende Kopfhälfte verbreiteten. Zugleich nahm das Sehvermögen
schnell ab , und erlosch noch an diesem Tage bis zur blossen Lichtempfindung. Feurige
Erscheinungen fanden dabei nicht statt. Er nahm Bittersalz, Hess sich 3 Blutegel an den
Nacken setzen, und rieb eine rothe Salbe an die Augenlider ein. Den 3. Tag (19. Sept.)
nahm er ein Dunstbad und als Schwitzmittel Warmbier mit Zucker, worauf auch das
linke Auge auf dieselbe Weise erblindete; doch konnte er mit diesem noch die Finger
zählen. Am 4. Tage (20. Sept.) liess ein Arzt einen Aderlass machen, 6 Blutegel an die
Kreuzgegend setzen,, und auf die Augen kalte Umschläge machen.
Am S. Tage verordneten wir ein lauwarmes Halbbad, dann 1 2 Blutegel an's Mittel-
fleisch und 8 blutige Schröpfköpfe an die Kreuzgegend, innerlich Decoct. graminis et
tarax. mit Tart. tartaris. und Mellago graminis. Während der öwöchentlichen Behand-
lung — mit verschiedenen anderen Mitteln — traten die über Tag gewöhnlich nachlas-
senden Schmerzen in den Augen und deren Umgebung mehrmal mit erneuerter Heftig-
keit auf. und das Sehvermögen erlosch auch auf dem linken Auge gänzlich. Am 21. Nov.
waren die Pupillen ungeheuer und ungleichmässig erweitert und meergrün, die Hornhäute
matt und glanzlos, die von zahlreichen erweiterten Gefässen überzogene Sclera schmu-
tzigweiss.
Am 4. November 1845 kam der Kranke zu mir, in der Meinung, der mittlerweile
entstandene ..graue Staar" seiner Augen könne operirt werden. Rechtes Auge: Die Re-
sistenz vermehrt ; die Sclera schmutzig weiss ; die Ciliargefässe (Venen) stark erweitert,
bläulich braunroth. Die Cornea von normaler Grösse und Wölbung, glatt, glänzend,
durchsichtig bis auf ]/2 nach unten und aussen, wo sie milchweiss, doch noch durch-
seheinend, und von einigen Äderchen durchzogen ist. Die Iris ganz fehlend (geschwun-
den) bis auf einen schmalen bläulich schwarzen Streifen nach innen und unten. Die
Linse etwas vorwärts gerückt, an der Peripherie ambragelb, in der Mitte graulich weiss ;
von hier aus erstrecken sich 10 Streifen, wie die Speichen eines Rades, bis zum Äquator
der Linse, und zwischen diesen zeigt die Linse die genannte gelblichgraue Farbe. Der
Zwischenraum zwischen der Linse und den Ciliarfortsätzen erscheint als ein schwarzer
Reifen. Linkes Auge: Consistenz und Sclera so wie rechts. Die Cornea durchaus nor-
mal. Die Iris ist nur in der innern Hälfte vorhanden, gelblich braun. Die vordere Kam-
mer durch VoiTückung der Iris und Linse verkleinert. An diesem Auge ist die mittlere
Partie der Kapsel getrübt, bläulich weiss, gegen den Rand hin scharf, jedoch unregelmäs-
sig begrenzt. Mit dieser Partie der Kapsel hängt der Pupillarrand des Irisrestes zusam-
men, und es verlaufen schon mit freiem Auge wahrnehmbare Gefässchen vom Pupillar-
•206 Aderhaut.
rande auf die Kapsel. In der äussern Hälfte, wo die Iris fehlt, sieht man zwischen 3
weissgrauen speichenartigen Streifen den ambrafarbenen Randtheil der Linse, und diesen
von einem schwarzen Reifen (durchsichtige Zonula Zinii?) umgeben. Der Kranke ist seit
zwei Jahren frei von Schmerzen.
Am 29. December 1850 kam der Mann das 3. und letzte Mal zu mir. Rechts der-
selbe Zustand wie 1845, doch lag der Rest der Iris jetzt knapp an der Cornea an, und
die Linse war fast bis an diese Membran vorgerückt. In der Cornea verlief ein Gefäss
von unten bis zur Mitte, wie ein Ast sich verzweigend, der Lage nach nächst der De-
scemetschen Haut. Links der Irisrest (in der inneren Hälfte nicht ganz 1'" breit) mit
dem etwas röthlichen Pupillarrande an die Kapsel angewachsen. Daselbst auch mit der
Loupe keine einzelnen Gefässe wahrnehmbar. Die Kapsel zeigt einen unregelmässig vier-
eckigen, gelblichweissen, undurchsichtigen, etwa 2 Quadratlinien grossen Fleck. Sie ist
sammt der Linse nicht nur vorwärts , sondern auch nach innen (gegen die Nasenseite)
verrückt, so dass die Peripherie der Linse an der Schläfeseite gegen 1'" weit von den
Ciliarfortsätzen absteht, zwischen ihr und dem Ciliarkürper ein halbmondförmiger dunkler
Zwischenraum erscheint.
3. Beobachtung. Z. A., 47 Jahr alt, von erdfahler Hautfarbe und schlaffer Musku-
latur, kam am 12. April 1847 auf die Klinik. Linkes Auge. Die vordem Ciliargefässe
zahlreicher und stärker injicirt, rings um die Hornhaut einen V" breiten, bläulichrothen
Saum bildend, mit zahlreichen dickeren Zweigen in den vordem Theil der Sclera ein-
dringend. Die Farbe der Sclera hinter dem genannten Saume schmutzig weiss. Die Con-
junctiva bis zum Limbus an der Cornea schütter netzförmig geröthet. Die Cornea durch-
sichtig, jedoch matt, minder glänzend. Die Iris etwas mehr nach vorn gelagert, blaugrau,
unbeweglich, nach innen und unten nur etwa V2'", im übrigen Umfange gegen 1'" breit,
die Pupille daher erweitert, nach innen und unten ausgebuchtet, rauchig getrübt, das
Sehvermögen so weit gestört, dass der Kranke kaum die Zahl der Finger bestimmen
kann. — Rechtes Auge. Der Zustand im Wesentlichen ebenso, nur die Gefässinjection
etwas geringer, die Pupillenerweiterung gleichmässig, und das Sehvermögen noch so weit
erhalten , dass Geldmünzen (bei A" Entfernung) noch zur Noth nach dem Gepräge er-
kannt werden. In der Umgebung des rechten Auges, besonders in der Stirn und Schläfe
heftige, aussetzende, reissende Schmerzen. — Kein Fieber, sehr gedrückte Gemüthsstim-
mung, trockene, schlaffe Haut, Stuhlverstopfung.
Der Mann , früher in günstigen Verhältnissen, und angeblich nie von einer erheb-
lichen Gesundheitsstörung heimgesucht , lebt seit 7 Jahren als Taglöhner in einer sehr
kümmerlichen Lage. Feuchte Wohnung, geringe Kost, grösstentheils Erdäpfel. Seit bei-
nahe 2 Jahren bemerkte er von Zeit zu Zeit, besonders in den Morgenstunden, einen
Nebel vor dem linken Auge, der in den letzten 3 Monaten endlich auhaltend und dichter
wurde , angeblich ohne Veranlassung, ohne Röthe, ohne Schmerz. — Ende März sass er,
mit dem Repariren von Holzuhren beschäftigt, mehrere Stunden am offenen Fenster bei
seiner Arbeit Abends bekam er Schmerzen in der linken Seite des Halses , woselbst
sich einige Drüsenanschwellungen zeigten, und in der Nacht durch 4 Stunden andauern-
den Frost; dann schlief er ein, und des Morgens war die linke Seite des Halses und
das ganze Gesicht so geschwollen, dass er die Augen nicht öffnen konnte. — Erysipel.
Dazu traten heftige reissende Schmerzen in beiden Schläfegegenden. Am 7. Tage —
nach Verschwinden der mit Abschuppung endenden Geschwulst, bemerkte er nebst Röthe
der Augen bedeutende Abnahme des Gesichtes, und zwar auch auf dem rechten Auge.
Durch 14 Tage soll der Zustand im Ganzen derselbe geblieben sein. — Wir verord-
Entzündung — Glauconia — Krankengeschichten. 207
neten Euhe im Bette, Temperirung des Lichtes, leichte Fleischkost, an jede Schläfe 8
Blutegel, innerlich Infus, flor. tiliae mit V2 Gran Tart. stib. und I/t Unze Glaubersalz.
Da die Schmerzen nur wenig nachgelassen hatten , wurden den folgenden Tag abermals
Blutegel gesetzt, jederseits 6 Stück, dieselbe Medicin fortgereicht. Am 14. April. Die
Schmerzen an der linken Seite gänzlich verschwunden, die Injection beiderseits geringer,
das Sehvermögen des rechten Auges merklich besser. 15. April. "Wegen Stuhlverstopfung
Infus, sennae mit Glaubersalz; Abends wieder heftige Schmerzen. l(i. April. Zwölf blu-
tige Schröpfköpfe an die Kreuz- und Lendengegend, Decoctum polyg. senegae ex dr. 2
unc. q\iatuor, Kali tartarici unc. dimid., Mellag. gramin. unciam. IS. April. In den Mor-
genstunden dichter Nebel vor beiden Augen. Alle 3 Stunden 2 Gran Calomel. 20. April.
Um 6 Uhr Morgens heftige reissende Schmerzen, starke Lichtscheu, fast völliger Verlust
des Sehvermögens. Abermals 12 S chröpf köpfe , 2 Gran Calomel mit etwas Jalappa fort-
gesetzt. Vom 22. bis 26. April massige Salivation , daher innerlich Infus, sennae mit
Glaubersalz, dann warme Fussbäder mit Senfmehl, und jeden Abend 2 Gran Chinin mit
1 3 Gran Opium (wegen der fast regelmässig wiederkehrenden Schmerzen). Vom 28. April
an wurde beim Gebrauche der Polygala senegae mit Kali tart. und Pulpa prunor. allmälige
Besserung des Sehvermögens bemerkt, so dass der Mann am 10. Mai mit beinahe voll-
ständig hergestelltem Sehvermögen des rechten (jedoch fast gänzlich erloschenem des
linken) Auges entlassen werden konnte. Unserem Rathe, seine sitzende und die Augen
anstrengende Beschäftigung mit einer andern zu vertauschen, ist der Mann nicht nach-
gekommen. Er trieb das Uhrenrepariren wieder bis zum December desselben Jahres.
Da. nach einer leichten Verkältung, ergriff ihn das Übel neuerdings. Er kam den 11.
December in einem ähnlichen Zustande wie im April in die Anstalt, wo er durch neun
"Wochen , jedoch vergebens , behandelt wurde. Wir mussten ihn mit Glaucoma oc. utr.
evolutum entlassen. Nach 2 Jahren suchte er abermals Hilfe daselbst, weil die mittler-
weile ganz verdunkelten Linsen (Cataracta glaucomatosa) von seiner Umgebung für ein-
fachen grauen Staar gehalten worden waren.
4. Beobachtung. F. J., 46 Jahre alt, "Wirthschaftsbeamter, mit blondem Haar, licht-
blauer Iris, gut genährt, mit Ausnahme des linken Auges gesund, kam am 8. März in
die Anstalt. Das rechte Auge normal. Am linken die Lider leicht geschwollen und ge-
röthet, die Bindehaut von einzelnen Gefässen durchzogen, die Ciliargefässe stark injicirt,
rings um die Cornea einen breiten rosenrothen Saum bildend. Die Cornea normal, an
ihrer hintern Fläche mit zahlreichen Punkten besetzt, wie mit Staub bestreut. Die Iris
grünlich entfärbt, unbeweglich, ohne durch Synechien flxirt zu sein; die Pupille rund,
bedeutend weiter als rechts , rauchig getrübt. Starke Lichtscheu ; heftige Schmerzen im
Auge und der entsprechenden Kopfhälfte, völliger Verlust des Sehvermögens.
Im Sommer des vorigen Jahres trat ohne bekannte Veranlassung die Erscheinung
dunkler Körperchen vor dem linken Auge auf, diese ging allmälig ohne Lichterscheinun-
gen in Trübung des Gesichtes über, so dass er die gerade vor dem Auge befindlichen
Objecte nicht erkannte; eher nahm er sie noch wahr, wenn sie zur Seite waren, nicht
fixirt wurden. Vor 4 Wochen gesellten sich Röthe des Auges, Lichtscheu und heftige
reissende , Abends ärger werdende Schmerzen dazu , welche ihn bestimmten , in's Spital
zu gehen.
Wir legten S Blutegel an die linke Schläfe, Hessen dann Ung. einer, mit Opium,
an die Stirn und Schläfe einreiben, gaben eine Mixtur mit Tart. stibiatus und Glauber-
salz, und restringirten die Kost auf '/* der Spitalsportion. Den 4. Tag mussten wir wegen
der heftigen , allabendlich wiederkehrenden Schmerzen Chinin mit Opium verschreiben.
208 Aderhaut.
Vom 8. Tage an nahm der Kranke Pillen aus Pulv. et extract. polyg. senegae mit Sapo
med. und Massa pil. Rufi. Bei dieser Behandlung gingen die Schmerzen, die Lichtscheu
und die Injection (bis auf einzelne stark erweiterte Ciliargefässe) allmälig zurück, nur
die Blindheit blieb, und mit ihr die Erweiterung und Trübung der Pupille und die Ver-
färbung der unbeweglichen Iris. In der 3. Woche der Behandlung schwanden auch die
trüben Punkte an der hintern Wand der Cornea, und zwar unter der interessanten Er-
scheinung, dass in der Cornea, welche nie der Sitz von Exsudation gewesen war, vom
untern Rande her centripetal verlaufende Gefässchen auftraten, welche nächst der Desce-
metschen Haut zu liegen schienen. — Wir schickten den Kranken prophylaktisch wegen
des rechten Auges nach Marienbad, wo er durch 6 Wochen Kreuz- und Ferdinands-
brunnen trank.
Am 2. September kam der Kranke in die Anstalt zurück, wegen unerträglicher
Schmerzen, die sich in den letzten 3 Wochen entwickelt hatten. Der Bulbus war grösser,
hart anzufühlen, bei Berührnng sehr schmerzhaft, die Lider und die Conj. bulbi etwas
ödematös und von erweiterten Venen durchzogen, die Sclera in der Gegend des Äquators
und von da nach hinten an der Schläfeseite sowohl auf- als abwärts bläulich schwarz
und hervorgetrieben, die Cornea durchsichtig, doch matt und fast ohne Glanz, die Pu-
pille bouteillengrün , die Iris auf einen etwa '/z'" breiten Saum reducirt. Der Kranke
wollte um jeden Preis nur von den Schmerzen befreit sein. Ich machte daher mit
einem Staarmesser einen Einstich in die Sclera, ohngefähr am untern Eande des
Muse, rectus externus und 4'" hinter der Cornea. Es entleerten sich gegen 2 Drachmen
einer klaren, gelblichen, eiweisshaltigen Flüssigkeit. Durch Auspolsterung mit Charpie
und Anlegung einer Binde um den Kopf suchten wir eine entsprechende Compression zu
bewirken. Darüber wurden kalte Umschläge, innerlich salzige Abführmittel gegeben. Am
9. September verliess der Kranke wegen dringender Geschäfte die Anstalt. Der Bulbus
war beinahe auf seine normale Grösse reducirt, weich anzufühlen, Schmerzen und Licht-
scheu fast ganz verschwunden.
Am 18. December musste ich die Punction wiederholen. Diesmal entleerten sich
etwa zwei Kaffclöffel voll blutig gefärbter Flüssigkeit, worauf bei ruhiger Rückenlage so-
gleich Eisunischläge gegeben und durch drei Tage fortgesetzt wurden. Am 27. Dec.
war das Auge nicht lichtscheu, nicht thränend, nicht schmerzend, mir wenig grösser und
härter als das rechte, die Sclera schmutzig gelblich weiss, an der Stelle der Ektasie min-
der dunkel , als früher , die Cornea normal, die Iris etwa iji'" breit, mit ganz schwar-
zem und feingezacktem Pupillarrande, die Kapsel und Linse durchsichtig. Von -weitem
(3 — 4 Schritte) schillerte der Grund des Auges röthlich; bei näherer Untersuchung und
gehöriger Stellung zu dem einfallenden Lichte sah man den Grund des Auges fast gold-
gelb mit einem röthlichen Schimmer. Gefässentwicklung auf diesem lichten Grunde war
keine wahrzunehmen. Der Kranke verlangte entlassen zu werden; da der Zustand sich
mehrere Tage gleich geblieben war, so willfahrten wir ihm. Im Jahre 1851 und 1852
besuchte er wiederholt Marienbad. Das Auge ist nun (1852) allmälig zur Grösse eines
Taubeneies zusammengeschrumpft, und zuletzt ist auch die Cornea, welche durch zwei Jahre
ihre Durchsichtigkeit behauptet hatte , nicht nur um vieles kleiner, sondern auch etwas
trüb geworden. Der Mann befindet sich nun als Kassabeamter in Staatsdiensten.
Entzündung — pyämische. 209
3. Chorioiditis pi/aemica (metastatica Fischer).
Der Sectionsbefiind reducirt sich auf Ablagerung eitrigen Exsu-
dates im Innern des Auges, als deren Ausgangspunkt die Chorioidea
angesehen werden rauss. Siehe S. 167 — 169.
Vorkommen und Ursachen. Der hier zu schildernde Process im
Auge entwickelt sich nur in Folge von Pyämie, und ist gleichsam als
localer Ausdruck derselben zu betrachten. Am häutigsten rindet man
ihn nach dem Puerperium, wo er früher als Milchmetastasis , als Phleg-
masia alba dolens oculi u. dgl. bezeichnet wurde, dann bei Neuge-i
borenen mit Nabelvenenentzündung, wo er, zumal wenn das Grundleiden
übersehen wird, leicht für Blennorrhoea neonat, gehalten werden kann,
seltener nach chirurgischen Operationen, nach zufälligen Verletzungen
und nach Caries (des Keilbeines, des Felsenbeines), wenn Plebitis dar-
nach eingetreten ist.
Zur Erregung desselben bedarf es dann keiner besondern Veran-
lassung oder Disposition des Auges. Bald ist es das linke, bald das
rechte Auge (letzteres seltener), welches zuerst ergriffen wird; einmal
werden beide Augen zugleich oder kurz nach einander befallen, ein
andermal stirbt das Individuum, bevor das zweite Auge in Mitleiden-
schaft gezogen wird.
Symptome. Die Eiterablagerung im Auge kündigt sich bald zu-
erst durch Schmerzen daselbst (meistens flüchtige Stiche), bald durch
rasche Abnahme oder schnellen Verlust der Sehkraft (in wenigen Stun-
den i mit oder ohne feurige Erscheinungen an, und ist immer von netz-
förmiger Infection und seröser Infiltration der Conjunct. bulbi begleitet.
Die ödematöse Schwellung der Bindehaut bildet in der Mehrzahl der
Fälle das hervorragendste Symptom. Zu ihr tritt über kurz oder lang
auch gehinderte Beweglichkeit und Hervordrängung des Bulbus aus der
Orbita, bedingt durch Infiltration der Tunica vaginalis bulbi und des
dieselbe umgebenden Binde- und Fettgewebes. Die Cornea bleibt rein
oder wird ödematös oder mit Exsudat an ihrer hintern Fläche beschla-
gen. In der vordem Kammer erscheint nämlich sehr bald, oft schon
zur Zeit, wo die Eiterablagerung in der Chorioidea noch auf eine kleine
Stelle (im vordem Theile der eigentlichen Chorioidea) beschränkt ist,
eitriges Exsudat in Form schwimmender Klümpchen oder Flocken oder
als Hypopyum. Die Iris erscheint grünlich oder wie von einem leichten
Grau gedeckt, Anfangs beweglich, später starr. Die Pupille bleibt
meistens rund und schwarz, und nimmt selten einen höhern Grad von
Arlt Augenheilkunde. II. 14
210 Aderhaut.
Erweiterung an. Bisweilen zeigten sich einzelne hintere Synechien
oder eine förmliche Exsudatmembran in der Pupille.
Verlauf — Ausgänge. Wenn das Individuum nicht schon während
der Entwicklung der genannten Erscheinungen dem Allgemeinleiden
erliegt, so tritt entweder Fortschreiten des Processes und Durchbruch
der Cornea oder der Sclera, oder aber allmälige Resorption des Eiters
und Zusammenschrumpfung des Bulbus auf einen unansehnlichen
Stumpf ein.*)
Durchbruch durch die Sclera sah ich in zwei Fällen eintreten, in dem einen nach
unten, in dem andern nach aussen, und zwar in der Gegend, wo sich die betreffenden
•«Recti inseriren. In dem ersten Falle erschien dann einige Zeit später der Grund des
Auges durch die wieder rein gewordene Cornea und etwa l^/i'" im Durchmesser haltende
Pupille gelblichweiss und eigenthümlich schillernd.
Der zweite Fall war sowohl durch seine Entstehung als durch seinen Ausgang
höchst merkwürdig. Bei einem 60jährigen, kachektisch aussehenden Manne trat nämlich
den 3. Tag nach der Extraction einer Cataracta oc. sin., wobei die Iris stichweise ver-
letzt worden war, ein heftiger Schüttelfrost ein, dann äusserst frequenter Puls , trockene
Hitze, Delirien und allmälig das ganze Krankheitsbild, wie es bei Pyämie vorzukommen
pflegt. Eine sorgfältige Untersuchung des ganzen Körpers ergab Exsudat in der linken
Brusthöhle. Der Bulbus schien nicht zu leiden, war den 5. Tag, wo der Verband gelöst
wurde , wenig geröthet , die Hornhautwunde geschlossen , die Pupille offen , doch das
Sehvermögen gänzlich erloschen. Allmälig entwickelte sich das Krankheitsbild, welches
ich schon öfter bei Chorioiditis in Folge von Pyämie gesehen hatte, doch mit dem
Unterschiede, dass nicht die Hornhaut, sondern die Sclera durchbrochen wurde, und
zwar in der Gegend der Insertion des Muse, rectus externus, worauf der Bulbus allmälig
phthisisch wurde, und auch die Hornhaut, ohne dass sich die bereits vernarbte Wunde
wieder geöffnet hatte , allmälig schrumpfte. Der Kranke genas , nachdem die Pleuritis
einen günstigen Ausgang genommen hatte.
In einem andern Falle, wo beide Augen ergriffen gewesen waren, und das Indi-
vidmim gleichfalls mit dem Leben davon kam, entwickelte sich allmälig Atrophia bulbi.
Die Cornea blieb vollkommen glatt und durchsichtig, obwohl auch sie allmälig kleiner
wurde. Ein ähnliches Verhalten der Cornea habe ich auch an atrophisch gewordenen
glaueomatösen Augen beobachtet.
Behandlung. Die Aufgabe des Arztes kann, was das Auge be-
trifft, höchstens in der Linderung der. Schmerzen bestehen. Da nicht
nur die Function, sondern auch die Form des Auges jederzeit un-
rettbar verloren ist, so erscheint die Punction desselben, falls die Span-
nung zu heftige Schmerzen erregte, zu diesem Behüte wohl erlaubt.
4. Chorioiditis syphilitica.
Die Syphilis localisirt sich am Auge fast ohne Ausnahme in der
Iris, und dann ist es im Allgemeinen nicht schwer, das Leiden des
*) Einige vollständige Krankengeschichten sanimt Sectionsbefund hat Prof. Fischer in seinem 1846 er-
schienenen Lehrbuche S. 287—293 veröffentlicht.
Entzündung — syphilitische. 211
Auges in Bezug auf sein ätiologisches Moment zu erkennen. Dass zu
einem solchen Leiden der Iris bisweilen eine ähnliche Affection des
Corpus ciliare und der Chorioidea (im engern Sinne des Wortes) hin-
zutrete, und aus welchen Erscheinungen man auf dieses Weitergreifen
des Processes schliessen könne, wurde bereits bei der Lehre von der
Iritis S. 69) bemerkt. Wir haben dort (S. 89) auch eine Beobachtung*
mitgetheilt, in welcher uns die eigentliche Natur des Iridochorioideal-
leidens entgangen war. Die nachfolgende Krankengeschichte zeigt,
dass auch die Chorioidea primär und ganz allein (ohne die Iris) der
Sitz eines durch Syphilis bedingten Exsudationsprocesses sein könne.
M. A., 4L Jahre alt, Gastwirth, dem Trünke von Bier ergeben, doch angeblich
früher stets gesund, zog sich vor 1 Jahre ein Ulcus syphil. penis zu, an welchem er
von einem Chirurgen auf dem Lande durch z/\ Jahre behandelt wurde (örtlich mit Lapis,
innerlich mit Calomel, ohne Beobachtung der nöthigen Diät). Später trat Angina auf,
welche nach Pillen in steigender Dosis (Dzondi ?) vor 6 Wochen heilte. Vor 3 Wochen
erkrankte er an dem rechten Auge mit drückenden, später reissenden und stechenden
Sehmerzen und Empfindlichkeit gegen starkes Licht, jedoch ohne starke Böthe des
Weissen im Auge; allmälig nahm das Gesicht ab, und ging endlich bis auf die Wahr-
nehmung grösserer Gegenstände verloren. Acht Tage später erkrankte auch das linke
Auge unter denselben Erscheimmgen, nur soll die Erblindung, die hier total ist, sehr
schnell (in 2 Tagen) eingetreten sein. Man hatte ihm Blutegel angesetzt , Vesicantien
hinter die Ohren gelegt, eine abführende Mixtur verordnet, und eine Salbe zum Einreiben
in die Augen verschrieben.
Wir fanden die Lider normal, die Bindehaut nur wenig injicirt, dagegen die Ci-
liargetasse zahlreich und erweitert, um die Hornhaut einen schmutzigrothen, etwa V"
breiten und durch einen bläulichweissen Ring von der Hornhaut getrennten Saum bil-
dend. Die Hornhäute normal, die Regenbogenhäute aufgelockert, ihre Fasern undeutlich,
ihre Farbe ins Grünliche spielend, ihre Beweglichkeit bei Lichtwechsel ganz aufgehoben.
Die rupillen l'/a — '!'" weit, oval, ohne sichtliche hintere Synechien, in der Tiefe
graugrünlieh. Die Consistenz der Bulbi nicht verändert. Lichtscheu und Thränenfluss
sehr gering. Im linken Auge drückender Schmerz , im rechten zeitweilig Gefühl von
Zusammenziehen. Beim Bewegen der Augen schweben dem Kranken blaue Sterne bei
geschlossenen Augen Funken oder feurige Räder vor. Rechts werden zur Roth noch
grössere Gegenstände wahrgenommen, links scheint gar keine Lichtempfindung vorhanden
zu sein.
Wir Hessen den Kranken das Bett hüten, setzten ihn, da er ziemlich gut genährt
aussah, auf schmale Kost und verabreichten ihm zunächst grosse Dosen Calomel mit
Jalappa, dann Calomel in kleinern Gaben allein, später Polygala senega, zuletzt warme
Bäder. Wir bemerken nebenbei, dass nach der Consumtion von 36 Gran Calomel binnen
14 Tagen keine Spur von Salivation eintrat. Er war den 25. August aufgenommen
worden. Vom 3. September an trat allmälig Besserung des Sehens auf dem rechten,
und am 13. auch Lichtempfindung auf dem linken Auge ein. Heftige Schmerzen, welche
am 20. September eintraten, und vorzüglich von 9 — 11 Uhr Abends wütheten, so als ob
die Augen aus ihren Höhlen herausgerissen werden sollten , machten die Anwendung
von grauer Salbe mit Opium durch 5 Tage nothwendig. Bis zum 7. October war der
14*
-212 Aderhaut.
Kranke so weit geheilt, dass er mit dem rechten Auge auch die kleinsten Gegenstände
erkannte, auf dem linken jedoch nur deutliche Lichtempfindung hatte. Er verlangte
dringend, entlassen zu werden, was wir ihm nicht verweigern durften.
5. Chorioiditis scrofulosa (tuberculosa).
Hieher gehörige Fälle wurden in früherer Zeit wohl mit zu Beer's amaurotischem
Katzenauge gerechnet; von Ammon, Prael, Bredov u. A. betrachteten sie als Mark-
schwamm der Netzhaut mit dem Ausgange in Schrumpfung.
Bei Kindern von 1 — 10 Jahren hat man Ablagerung einer blass-
gelben Masse im Grunde des Auges, allmäliges Vordringen derselben
gegen die Iris bald mit, bald ohne zeitweilige Vergrösserung des
Bulbus, zuletzt aber Schrumpfung dieser Masse und des ganzen Bulbus
beobachtet.
Die von diesem Processe Befallenen sind zarte blonde Kinder,
nach Chelius' *) und meinen Beobachtungen scrofulös. Das Übel beginnt
ohne alle äussere Veranlassung auf dem einen und über kurz oder
lang auch auf dem andern Auge. Doch kann das 2. Auge auch
Jahre lang — für immer? — verschont bleiben. Es kommt im Ganzen
selten vor.
Der Beginn des Leidens macht sich manchmal dadurch bemerkbar,
dass das Auge etwas geröthet erscheint, leicht thränt, und gegen das
Licht abnorm empfindlich ist, oder dadurch, dass das Kind beim Er-
greifen kleiner Objecte herum tappt oder einen stieren Blick bekommt.
In andern Fällen wird die Umgebung erst durch den eigenthümlich
glänzenden Lichtreflex aus der Tiefe des Auges auf das Übel aufmerk-
sam gemacht. Wird der Arzt um diese Zeit consultirt, so findet er die
vordem Ciliargefässe zahlreicher und stärker injicirt, die Sclera auf-
fallend bläulichweiss, die Pupille ohne Farben- und Structurveränderung
der Iris mehr weniger erweitert und träge, oder gar nicht beweglich,
den Grund des Auges (ganz oder theilweise) lichtgrau, matt- oder gelb-
lich-weiss, bei den Bewegungen des Bulbus schillernd oder gleichsam
leuchtend, das Sehvermögen ganz oder theilweise aufgehoben.
Mit der Zunahme der Tuberkelablagerung, welche bald gleich-
massig vorwärts rückt, bald an einer oder der andern Stelle auffal-
lende Erhöhungen (Höcker) zeigt, und in dem einen wie in dem andern
Falle bisweilen die Gefässe der vorwärts gedrängten Netzhaut wahr-
nehmen lässt, treten die Ciliargefässe auf der Sclera stärker hervor,
und die Iris verliert ihre Farbe und schrumpft in mehr weniger grosser
Ausdehnung auf einen schmalen Saum zusammen. Meistens tritt nun
*) Handbuch der Augenheilkunde. Bd. I. Stuttgart, 1843. S. 242.
Entzündung — scrofulöse — Symptome. 213
auch seröser Erguss dazu, und unter heftigen Schmerzen, starker Ge-
fässentwicklung und ödematöser Schwellung der Bindehaut und der
Augenlider wird die Sclera an einer oder der andern Stelle bläulich
hervorgetrieben und die Linse sammt der Iris vorwärts gedrängt.
Bis hieher zeigt die Krankheit einen ganz gleichen oder doch
sehr ähnlichen Verlauf mit dem Markschwamm der Netzhaut (siehe
unten Krankheiten der Netzhaut) und lässt mit gutem Grunde Durch-
bruch der Sclera oder der Cornea befürchten. Statt dessen tritt jedoch
alliuälig Resorption des flüssigen Exsudates und über kurz oder lang
Schrumpfung des Bulbus ein. In andern Fällen werden während des
serösen Ergusses die vordere Partie der Sclera und die Cornea erweicht,
und dadurch 'die vordere Augenkammer vergrössert, bald mit unver-
änderter "Wölbung und Durchsichtigkeit, bald mit Trübung und Form-
veränderung der Cornea.
Wir glauben die Eigenthümlichkeiten der hieher gehörigen Fälle
unsern Lesern nicht besser vor Augen führen zu können , als wenn wir
einige fremde und eigene Beobachtungen speciell anführen. Aus diesen
Fällen wird sich auch zugleich ergeben, dass bei dieser Form von
Chorioiditis dem Arzte nichts zu thun übrig bleibt, als etwa lästige Zu-
fälle zu mildern. Wäre bloss ein Auge ergriffen, so Hesse sich das
Erkranken des andern vielleicht durch innere Behandlung wie bei
Scrofulosis überhaupt verhüten.
Die Unterscheidung dieser Krankheit vom Markschwamm der Netz-
haut, welche in prognostischer Beziehung so wichtig ist, wird bei dem
gegenwärtigen Standpunkte der Diagnostik leider erst dann möglich,
wenn einerseits Durchbruch des Markschwammes durch die Cornea oder
Sclera, oder anderseits Atrophie des Bulbus beginnt. Lawrence*) spricht
sich hierüber folgendermassen aus: „Wir haben in unserer Heilanstalt
Kinder gesehen, welche die Erscheinungen des Fungus haematodes
(Markschwammes) im ersten Stadium darboten, nämlich die veränderte
Farbe der Pupille, den metallischen Pteflex auf dem Boden des Auges
etc. Das jedesmal ungünstige Resultat der Exstirpation hatte uns ab-
geschreckt, die Operation in Vorschlag zu bringen. Ganz aber gegen
unsere Erwartung blieb in einigen Fällen Alles in diesem Zustande,
und nachher schrumpfte der Augapfel, statt zerstört zu werden, bloss
etwas ein und wurde atrophisch."
Ein Knabe von Wh Jahren**) ward im Jäner 1828 wegen gänzlicher Erblindung
in das Dresdner Blindenerziehungshaus aufgenommen. Er war bis auf sein Augenübel
*) Makenzie 1. c. S. 534.
**) v. Ammon in Hecker's liter. Annal. 5. Jahrgang, 1829, Sept., S. 1.
214 Aderhaut.
von Kindheit an gesund gewesen, hatte einen scrofulösen Habitus, war jedoch ziemlich
gross und sehr gut genährt. — Das rechte Auge hatte er durch einen Fall eingebusst,
wodurch der Beschreibung nach eine Rhexis bulbi herbeigeführt worden war. — Das
linke obere Lid war sehr hervorragend und sammt der Schläfegegend von grossen und
dunkelblauen Venen durchzogen. Die Berührung desselben war äusserst schmerzhaft;
der Bulbus selbst zeigte fast alle charakteristischen Zeichen eines in der stärksten Ent-
wicklung begriffenen Markschwammes des Auges (Sarcoma medulläre oculi). Die Oph-
thalmo- conjunetiva war mit blaurothen varicösen Gefässen durchzogen, die Cornea sehr
gespannt und glänzend; dicht an ihr lag die schmutzig bläulichgrüne, convex hervor-
getriebene Iris; der Übergang der Cornea in die Sclera war durch eine Menge varicöser
Gefässe sehr schwer zu unterscheiden , machte sich jedoch durch einen blaurothen erha-
benen Ring in der Gegend des Ciliarkörpers kenntlich. Dicht hinter der sehr grossen
Pupille, die mehr oval als rund war, befand sich ein strohgelber, glatter Korper, der
durch seine Grösse die Iris von hinten nach vorn drückte. Auf diesem Körper waren
weder mit freiem noch mit bewaffnetem Auge Gefässe zu entdecken. Der Bulbus war
wenig vergrössert, jedoch etwas hervorgetrieben und sehr gespannt. — Nach der Aussage
der Mutter war der Knabe bereits seit mehreren Jahren erblindet. Über die Entstehung
war nichts Bestimmtes zu erfahren. — Mehrere Wochen blieb der Zustand unverändert.
Sodann bemerkte von Amnion eines Morgens den Raum zwischen der Cornea und dem
gelben Körper etwas verringert und auf letzterem ein nicht unbedeutendes Blutextravasat.
Dabei mehr Gefässinjection, heftigere Schmerzen und Fieber ohne äussere Veranlassung.
Nach wenig Tagen wurde das Blut allmälig resorbirt, doch behielt der gelbe Körper
eine mehr dunkelgelbe Farbe. Nach 6 Tagen neuer Bluterguss. Das Auge schmerzte
heftig, und von allen Seiten desselben erstreckten sich Gefässe nach der Mitte der
Hornhaut, welche jetzt immer trüber, dunkler und blauer wurde, in ihrem Centrum sich
mehr erhob, und ein karfunkelartiges Aussehen erhielt. Die Lider waren ödematös ge-
schwollen. Allmälig verlor sich die dunkle Röthe des Bulbus, die einzelnen varicösen
Gefässe verschwanden, allein es blieb eine solche Trübung der Cornea zurück, dass man
nicht mehr in die vordere Kammer zu sehen vermochte. Von jetzt an verharrte ein
dumpfer drückender Schmerz viele Monate lang im Auge, an dem man nur die Verän-
derungen wahrnahm, dass durch zeitweilige Congestion das Volumen des Auges bald zu-
bald abnahm. Alsdann vergrösserte sich das Volumen des Augapfels auffallend, und der
gelbe Körper schien ganz bis an die getrübte Cornea vorgerückt zu sein. (Juli 1S2S.)
Als von Ammon den Kranken Ende September wieder sah, hatte sich der früher sehr
hervorgetriebene und vergrösserte Bulbus zurückgezogen und um ein Viertheil verkleinert,
ohne dass der befürchtete Durchbruch eingetreten war. Die Cornea war abgeplattet,
vom Rande her in eine undurchsichtige fibröse Membran verwandelt und daselbst von
vielen varicösen Gefässen durchzogen ; dicht an ihr lag die Iris ; die eckige Pupille von
einer schmutziggelben Masse angefüllt; der Bulbus schmerzlos, weich anzufühlen.
Dr Prael*) hat zwei ähnliche Fälle beschrieben. Beide betreffen blonde Mädchen
in den Kinderjahren, welche, nach dem Aussehen zu schliessen , übrigens gesund waren.
Das eine wurde zu Ende des 1. Lebensjahres von Krämpfen befallen. Einige Wochen
nachher verlor das Kind seine muntere Laune, das linke Auge thränte und war gegen
stärkeres Licht empfindlich. Sonstige Zeichen von Entzündung waren nicht vorhanden,
das Sehvermögen erloschen , die blaue Iris unbeweglich , auch a\xf Belladonna nicht re-
agirend; die regelmässig gestaltete Pupille weder widernatürlich erweitert, noch verengert.
*) Journal für Chir. und Augenheilkunde von Gräfe und Walther. Band 14. (1830.) S. 534.
Entzündung — scrofulose — Krankengeschichten. 215
Prael bemerkte im Hintergrund des Auges eine blassgelbe, etwas in's Grünlicbe schil-
lernde Verdunklung. Xach einigen Wochen wuchs aus dieser Verdunklung eine Masse
hervor, die, allmälig im Umfange zunehmend, als ein flach abgerundeter strohgelber
Körper dicht hinter der Pupille lag, und auf der glatten Oberfläche Gefässverzweigungen
sehen liess. Bei dem normalen Aussehen der äussern Häute des Auges und der Iris
hätte ein Ungeübter das Leiden für Cataracta halten können. Gegen die Annahme eines
Medullarsarcomes stritt der gute derbe Gesundheitszustand des Kindes. — Von jetzt an
vegetirte das parasitische Gebilde rascher, so dass die Iris, welche keine Veränderung
der Farbe erlitt, von einem ovalen Körper nach vorn gewölbt und bald darauf dicht an
die Hornhaut angedrängt wurde. Liehtscheu und Thiänenfluss nahmen indessen zu,
varicöse Gelasse gruppirten sich auf der Vorderfläche des Augapfels ; endlich trübte sich
•die Cornea und verlor ihre regelmässige Wölbung (im 6. Monate). Statt des befürchteten
Aufbruches erfolgte zuerst Stillstand aller drohenden Symptome, dann Zurückschreiten
derselben, und Atrophia bulbi beschloss den Krankheitsverlauf.
Der zweite fall betrifft ein blondes rothwangiges Mädchen von 6 Jahren. Der
Verlauf war langsamer (bis zur Akme 1 Jahr). Auch nachdem die Krankheit ihren
Höhepunkt erreicht hatte, trat nicht so bald Atrophie ein, sondern erst nach beiläufig
einem Jahre, und das Kind hatte, wie Prael ausdrücklich bemerkt, noch 6 Jahre nach
Beginn der Krankheit sehr deutliche Lichtempfindung. Dieser Umstand erklärt sich da-
durch, dass das Aftergebilde nicht vom Hintergrunde des innern Augenraumes entsprang,
sondern an der Insertionsstelle der Iris. Es drängte diese Membran vom Ciliarrande
ab, und ragte sodann anfänglich als ein rundes, glattes, blassgelbes Körperchen über den
obern Rand der Eegenbogenhaut, nach dem JSasenwinkel zu, seitwärts in die vordere
Kammer ljttu weit hervor. Die blaue Iris wurde dadurch nach unten herabgedrängt, so
dass die Pupille bohnenförniig erschien. Zu dieser Zeit war das Gesicht noch vorhanden,
bloss geschwächt ; im Verlaufe der Krankheit verschwand es , indem das abnorme Pro-
duet als eine glatte, strohgelbe, ovale Masse innerhalb und hinter der Pupille bemerk-
bar wurde.
Ein 3. Fall von demselben Autor*) betrifft die blonde Tochter eines Schuhmachers,
welche ebenfalls blaue Augen hatte. „Bei einem leukophlegmatischen Habitus zeigte sie
•eine frühe Geistesentwicklung. Sie erreichte das 4. Lebensjahr ohne namhafte Störung
ihrer Gesundheit. In diesem Alter entwickelte sich eine sogenannte lymphatische Ge-
schwulst an dem rechten Ellbogengelenke. Sie überstand die Masern, und in der Pe-
convalescenz litt sie an einer hartnäckigen entzündlichen Affection der Augenlider. Mit
einem grünlichen Scheine hinter der erweiterten Pupille begann jetzt die verderbliche
Krankheit; derselbe ging in eine nebelgraue Trübung über, und die Sehkraft nahm bis
■zur gänzlichen Blindheit ab. Bei der fortschreitenden Afterbildung in dem Bulbus
gruppirten sich venöse Aderstränge im äussern Augenwinkel, und es entstand eine An-
schwellung, auf welcher ein linsengrosser Knoten, die Sclerotica durchdringend, erschien.
Heranwachsend spannte derselbe das obere Lid dergestalt empor, dass das Auge nicht
-mehr geschlossen werden konnte. Jenes entzündete sich stark und schwoll an. Jetzt
hatte der Krankheitsprocess mit der Akme seinen Wendepunkt erreicht. Anstatt einer
fortschreitenden Wucherung begann ganz unerwartet der Rückbildungsprocess. Die
Excrescenz schrumpfte von nun an dermassen ein, dass das Auge wieder geschlossen
-werden konnte, und die Peizungssymptome desselben zusehends nachliessen. Mit der
- Von AmmoE's Zeitschrift, Band I. Heft 5. (1838), S. 4S5.
216 Aderhaut.
Besserung des Auges hielt auch das Allgemeinbefinden der Kleinen gleichen Schritt. Denn
mit dem Verschwinden des Gastricismus trat eine rege Esslust und ein gesünderes Aus-
sehen ein. — Doch nicht lange dauerte die tauschende Besserung. Es entwickelte sich
der Gastricismus von neuem mit gleichem Verluste der Esslust, und Patientin starb bald
darauf sehr abgemagert nach einem Krankheitsverlaufe von 6 Monaten. — Das Heilver-
fahren bestand bei der vorhandenen Neigung zu Obstructio alvi und einiger Intumescenz
des Bauches in kleinen Dosen Rheum etc. — Die Section der Leiche wurde nicht ge-
stattet, die des kranken Auges ergab folgendes Resultat : Vermittelst eines dünnen Stiels
entsprang das Medullarsarcom aus der Lamina cribrosa n. optici ; die verdickte Chorioidea
lag unmittelbar auf dem Aftergebilde, welches bis auf den Umfang einer Haselnuss
zurückgegangen war. Die verdunkelte Linse befand sich in der vordem Augenkammer.
Die Iris war ebenfalls verdickt, die Pigmentabsonderung sehr stark. Von der Retina
war keine Spur mehr vorhanden.
Es ist zu bedauern , dass der Sectionsbefund des Auges so mangelhaft aufgenom-
men worden ist. Das haselnussgrosse Gebilde , welches nach Dr. Praels Angabe mittelst
eines dünnen Stieles von der Lamina cribrosa entsprang, war wohl kein Medullarsarcom,
sondern die nach innen gedrängte und den Rest des Glaskörpers umschliessende Netz-
haut. — Ich habe leider noch keine Gelegenheit gehabt, derart erkrankte Augen zu
seciren, noch einen genauen Sectionsbefund irgendwo in der Literatur aufzufinden. Es
hat jedoch die Annahme, dass die Chorioidea das Gebilde sei, von welchem der Process
ausgeht, und dass dieser in Tuberkelablagerung bald mit, bald ohne serösen Erguss be-
stehe, die meiste Wahrscheinlichkeit für sich. Die von mir beobachteten 5 Individuen,
zwei Knaben und drei Mädchen, boten deutliche Zeichen von Scrofulosis dar.
C. Anna, 5 Jahre alt, blond, hager, schlecht genährt, wurde von einer Person,
welche über die Anamnesis keinen Aufschluss zu geben vermochte, auf die Augenklinik
gebracht. Wir fanden den rechten Bulbus auf '/3 des normalen Volumens eingeschrumpft,
in der Gegend des M. rectus inferior und internus mit tiefen Furchen versehen, die
Hornhaut um die Hälfte kleiner, von oben und innen nach unten und aussen 2"', von
oben und aussen nach unten und innen 2V2'" im Durchmesser haltend, vollkommen
durchsichtig, bis auf zwei lineare kreideweisse Streifen, wovon der eine fast horinzontal,
der andere fast vertical verlief, die Iris rückwärts gezogen , die kleine winklige Pupille
durch einen gelblichweissen , kalkig aussehenden Pfropfen verlegt. Das linke Auge von
normaler Grösse, etwas weicher, die vordem Ciliargefässe etwas stärker injicirt, die
Hornhaut vollkommen gewölbt und durchsichtig, die Iris auf einen schmalen stahlgrauen
Reifen zusammengeschrumpft, nach oben ganz fehlend, die Linse und ihre Kapsel voll-
kommen durchsichtig, letztere jedoch unterhalb ihres Centrums mit einem röthlichen
Fleckchen besetzt, welches sich unter der Loupe als ein Convolut feiner Gefässchen er-
wies, ohne dass man diese bis zur Peripherie hin verfolgen konnte. Der Grund des Auges
metallisch glänzend, in den untern zwei Dritteln blassgoldgelb, in dem obern Drittel
trüb gelblichgrau. Die reflectirende Fläche zeigt die Form eines Trichters mit unregel-
mässig eingebogenen Wandungen, dessen Spitze der Eintrittsstelle des N. opticus ent-
spricht. An der äussern und untern Wand dieses Trichters lassen sich deutlich Blut-
gefässchen wahrnehmen. Oberhalb der Cornea und nahe an derselben, also entsprechend
der Stelle, wo die Iris ganz verschwunden erscheint, ist die Sclera in einen flachen,
bläulichen , länglichen Hügel erhoben , welcher sich bis in die Gegend des Äquators
rückwärts erstreckt, \ind von einem dichten Gefässconvolut mit deutlicher Auflockerung-
der Bindehaut umgeben ist.
Entzündung — scrofulose — Krankengeschichten. 217
H. J., geboren IS36, seit einem halben Jahre total erblindet, bot (Anfang 1S48)
folgenden Znstand dar. Rechtes Auge. Die Grösse scheint normal zu sein, die Con-
sistenz ist vermindert. Die vollkommen durchsichtige und spiegelglatte Hornhaut ist
grösser (Durchmesser an der Basis 5'/a — 6'")) scheinbar jedoch nicht wirklich stärker
gewölbt , wenigstens erscheint das Spiegelbild von den gegenüberstehenden Fenster-
rahmen genau so gross, wie an einem in gleicher Entfernung und Richtung befindlichen
normalen Auge. Die Cornea liegt etwas weiter vorn, als im normalen Zustande, was
dadurch bedingt ist, dass der noch von Bindehaut und von Sclera eingefasste Rand
derselben ausgedehnt, im obern Umfange 5 '\'", im untern 3/*'", zu beiden Seiten über
i 2" breit ist. Die vordere Augenkammer erscheint demgemäss mindestens noch einmal
so gross, als sonst in diesem Alter. An dieser Vergrößerung hat jedoch auch der Um-
stand Autheil , dass die Iris zurückgezogen erscheint. Der Ciliarrand der Iris scheint
seine normale Lage, relativ zur Sclera, einzunehmen ; der Pupillarrand ist an die Linsen-
kapsel angewachsen ; die zwischen dem Ciliar- und dem Pupillarrande befindliche Portion
der Iris (der grosse Kreis) erscheint deutlich rückwärts gezogen , liegt tiefer als der
Pupillar- und Ciliarrand, und bildet somit eine flache Rinne oder Mulde; daher sind
die Fasern der im Allgemeinen graugrünlich aussehenden Iris in der Mitte aus ein-
ander gezerrt, und stellen ein grobmaschiges Netz mit dunkleren Flecken (Grübchen)
dar: dieses Auscinnnderweicben ist besonders in der untern Hälfte so stark, dass es
scheint, als könnte man nach hinten durchsehen. Die Pupille ist etwa VI*'" gross,
wenig entrundet und durch eine gelblichweisse , undurchsichtige, solide Masse verlegt.
Diese Masse ist in der Mitte hellroth gefärbt, wie von ausgetretenem Blute. Schon
mit freiem Auge sieht man einzelne Gefässchen von dieser Stelle zum Pupillarrande
der Iris (in der untern Hälfte) hinlaufen. Unter der Loupe löst sich auch die hell-
rothe Mitte in ein Convolut äusserst feiner Gefässchen auf, welche durch die etwas
stärkeren Gefässchen mit dem Pupillarrande in Verbindung stehen. Auf der Sclera
sieht man die Gefässe, welche von den Muse, rectis herkommen, stark erweitert, unter
der Bindehaut sich in ein äusserst feines Gefässnetz ausbreitend, das um so dichter und
feiner wird, je näher es der Cornea rückt; dadurch erhält die ganze sichtbare Sclera
ein blassrosenrothes Aussehen.
Linkes Auge. Dasselbe ist nicht nur weicher, sondern auch kleiner, was man
nebst dem Augenschein auch an dem veränderten Stande der Falte des obern Lides
erkennt. Die linke Cornea ist stärker gewölbt; das Bild der Fensterrahmen erscheint
kleiner als an dem rechten und als an einem gesunden Auge. In dem nach unten und
aussen gelegenen Quadranten derselben ist die Durchsichtigkeit beeinträchtigt, wie es
scheint, durch verkalktes Exsudat (wolkig, kreidig, weissgelblich). An dieser Stelle ragt
die Oberfläche der Cornea ein wenig mehr vor, ist uneben, rauh. Gefässentwicklung in
der Cornea lässt sich auch mit der Loupe keine erkennen. Die vordere Kammer ist
auf ähnliche Weise wie rechts vergrössert, doch nicht so stark, und die Cornea misst
an der Basis nicht ganz 5'". Die Pupille ist durch eine weissgelbe, solide, kalkartig
aussehende Masse verlegt, welche ein wenig über das Niveau des Pupillarrandes nach
vorn emporragt. Die Iris grünlich-grau, das Grau dunkler, beinahe schiefergrau. Vom
Pupillarrande der Iris ziehen eine Menge äusserst feiner, bloss durch die Loupe be-
merkbarer Gefässe über die Masse in der Pupille hin. Die Verkleinerung des Bulbus
fällt hauptsächlich auf das Geschrumpftsein der hintern zwei Drittel des Bulbus ; na-
mentlich nach innen und unten erscheint die Sclera eingezogen , so dass man daselbst
eine förmliche Grube bemerkt.
218 Aderhaut.
Der Knabe sieht gesund aus. Er ist auffallend blond, die Augenbrauen sind so
licht wie bei Kakerlaken, das Kopfhaar ist röthlich, die Gesichtsfarbe hellroth. Er ist gut
genährt und gehörig entwickelt. Bei Untersuchung der Schleimhäute zeigte sich eine so
starke Vergrösserung der Mandeln, dass zwischen beiden nur etwa der kleine Finger hätte
durchgeführt werden können. — Die Eltern sollen gesund sein. Der Knabe gibt an, dass
ihn sein Kindermädchen, als er V2 Jahr alt war, an die Sonne gelegt, und er davon ein
schwaches Gesicht bekommen habe. Als er 5'i Jahr alt war, bemerkte man, dass er öfters
über Gegenstände im Zimmer stolperte. Doch sah er bis in sein 11. Jahr so viel, dass
er allein herumgehen konnte, und mit dem rechten Auge auch endlich anfing, etwas lesen
zu lernen. Das linke Auge soll bereits in seinem 7. Lebensjahre gänzlich erblindet gewesen
sein. Die völlige Erblindung des rechten Auges erfolgte in seinem 11. Jahre, angeblich
über eine Nacht, unter Köthe des Auges, doch ohne Schmerzen. Zu bemerken ist, dass
er im 7. Jahre, vor der Erblindung des rechten Auges, eine Krankheit überstanden, welche
aller "Wahrscheinlichkeit nach Scarlatina war.
Ich sah den Knaben, der in's Blindeninstitut aufgenommen wurde, bis jetzt, wo
er 17 Jahre alt ist, von Zeit zu Zeit daselbst. Das rechte Auge ist nun in demselben
Zustande wie früher das linke, das sich seitdem nicht verändert hat. Man sieht nun
auch in der rechten Hornhaut einige wolkige kreideähnliche Flecken und Streifen, und
die Gefässentwicklung in der Pupille ist beiderseits verschwunden. Das rechte Auge
ist noch immer etwas grösser als das linke. Ich habe bei ihm, seit er im Blinden-
institute ist, zu wiederholten Malen Anschwellungen der Lymphdrüsen am Halse
beobachtet.
6. Chorioiditis rheumatica.
In Folge von Zugluft oder von plötzlicher Abkühlung des Kopfes
entstellt bisweilen Chorioiditis mit serösem oder faserstoffig serösem
Exsudate. Ihr Beginn kündigt sich dem Betroffenen entweder bloss
durch Beeinträchtigung des Sehvermögens oder auch zugleich durch
mehr weniger lebhafte Schmerzen im Auge und der Umgebung, durch
Empfindlichkeit gegen das Licht, Thränenfluss und Röthe des Weissen
im Auge an.
Die Störung des Gesichtes, welche hier immer das eminente Sym-
ptom bildet, bemerkt der Kranke Morgens beim Erwachen, oder wenn
er seine gewohnte Arbeit vornehmen will. Das ergriffene Auge blendet
ihn, oder bewirkt Doppeltsehen, gibt ein Schattenbild neben dem wah-
ren, lässt eine gerade Linie krumm, an einem Ende auseinander
fahrend erscheinen u. dgl. und muss desshalb geschlossen oder ver-
bunden gehalten werden, oder die Sehkraft desselben ist ganz aufge-
hoben, was jedoch, ausser in sehr heftigen oder in veralteten und miss-
handelten Fällen, meistens nur einen Theil der Netzhaut betrifft.
Zu Anfang ist es meistens eine nach aussen (aussen und oben, aussen und unten)
gelegene Partie der Netzhaut, welche allein oder vorwaltend in ihrer Function beeinträch-
tigt ist. Der Kranke sieht z. B. tou einem weissen Bogen Papier die eine Hälfte rein,
die andere schmutzig weiss, grau, gelblich, grünlich, oder auch gar nicht; er muss, um
Entzündung — rheumatische — Symptome. 219
mit dem afficirten Auge ein Object zu sehen, dasselbe einer seitlichen Partie, gewöhn-
lich der innem der Netzhaut gegenüber halten, also schief sehen. Später pflegt mehr
die untere Hälfte der Netzhaut zu leiden, indem der Kranke nur die untere Hälfte der
Objecte wahrnimmt, eine Erscheinung, welche auf allmälige Senkung des flüssigen Er-
gusses zu deuten scheint. Die Begrenzungslinie zwischen dem Deutlichen und Undeut-
lichen oder Fehlenden des Sehfeldes ist gerade oder zackig, meistens wellenförmig.
In der Mehrzahl der Fälle ist sie, wenigstens in früherer Zeit, wandelbar, ohne dass
man einen bestimmten Zusammenhang mit der Lageveränderung des Kopfes nach-
weisen kann.
Empfindlichkeit gegen das Licht, Thränenfluss und stärkere Injection
in und unter der Conjunctiva bulbi pflegen nur während und kurze
Zeit nach erfolgter Exsudation vorhanden zu sein. Dasselbe gilt von
dem Gefühle von Spannung oder Druck im Auge. Länger fortzube-
stehen pflegen: Seröse Infiltration der Conjunctiva an der Peripherie
des Bulbus, reissende oder schneidende Schmerzen in der entsprechen-
den Kopfhälfte, und ein mehr weniger hoher Grad von Lähmung des
Levator palpebrae superioris oder des M. rectus extemus. Doch kann
jeder dieser Zufälle gleich von Anfang oder doch zur Zeit der ärzt-
lichen Beobachtung fehlen.
Die erstgenannten Symptome werden, wenn die Störung des Gesichtes nicht be-
trächtlich ist, der Kranke sie nicht besonders hervorhebt, der Arzt sie nicht durch ge-
naue Sehversuche bei Verse hliessung des gesunden Auges erhebt, überhaupt bei ober-
flächlicher Beobachtung leicht für Zufälle eines Bindehautkatarrhes genommen. Die
seröse Infiltration lässt sich am sichersten durch Vergleichung mit dem nicht afficirten
Auge und durch Verschieben der Conjunctiva mittelst des an den Bulbus angedrückten
untern Lides (von der Peripherie her) erkennen. Geringe Affection des Levator pal-
pebrae verräth sich oft nur durch veränderte Lage der Falte des obern Lides zum
Augenbrauenbogen. Die Lähmung eines der geraden Augenmuskel gibt sich nur dann
durch Schiefstehen des Auges und durch Doppeltsehen kund, wenn der Anatagonist bereits
«in starkes Übergewicht gewonnen hat, und die Energie der Netzhaut nicht zu tief ge-
sunken ist. Leichte Grade von Beeinträchtigung der Energie eines geraden Augen-
muskels lassen sich dadurch erkennen, dass kleinere scharf markirte Objecte (eine
verticale Linie auf weissem Papier, ein polirtes Metallstäbchen, eine Kerzenflamme u. dgl.)
doppelt oder wie von einem Schattenbilde gefolgt erscheinen, wenn man sie in gleich-
bleibender Entfernung vor beiden Augen langsam von rechts nach links oder von unten
nach oben — und umgekehrt — bewegt. — Ein Kranker mit einem kaum merklichen
Grade von Lähmung des M. rectus ext. oc. sin. und geringer Gesichtsstörung des linken
Auges klagte, dass er seit S Tagen mit dem linken Auge nichts (i. e. schlecht) sehe,
und dass er auch mit beiden Augen zugleich nicht gut lesen könne, indem an jedem
Buchstaben gleichsam ein Schattenbild hänge. Ich Hess ihn einen kleinen Schlüssel
(vertical gehalten) in der Entfernung von 10-12" fixiren. Mit dem rechten Auge
allein erkannte er ihn rein metallisch glänzend, mit dem linken matt und undeutlich,
mit beiden Augen so, als ob ein Schatten daran hinge. Wurde nun der Schlüssel
vom Mittelpunkte des Horopters nach rechts bewegt, so schien der Schatten abzunehmen ;
wurde der Schlüssel dagegen nach links abgelenkt, so trat das Schattenbild deutlicher
220 Aderhaut.
hervor und entfernte sich mehr von dem reinen Bilde. Aus der blossen Stellung und
Bewegung des Auges liess sich in diesem Falle die Muskelaffection nicht erkennen.
Der Mann, 36 Jahre alt, von blühend gesundem Aussehen, und ausser einigen rheuma-
tischen Affectionen in der linken Schulter, die er durch russische Dampfbäder verloren
hatte, seit Jahren von keiner Gesundheitsstörung heimgesucht, genas in sechs Tagen
vollständig nach Anwendung eines Vesicans an die Stirn und Schläfe, bei ruhigem und
warmem Verhalten im Zimmer und dem Gebrauche von Saidschützer Bitterwasser.
Die Iris und die Pupille liefern bei geringeren Graden dieses Lei-
dens keine Anhaltspunkte für die Diagnosis. Bei mittlem Graden findet
man die Pupille nur massig erweitert, die Iris etwas träger beweglieh,
bisweilen auch etwas verfärbt (das Blau in's Grünliche verwandelt);
nur bei völliger Erblindung ist der Sphincter iridis gelähmt, die Pupille
gross und starr.
Die Fälle, wo bei weiter und starrer Pupille in der vordem Augen-
kammer faserstoffiges Exsudat angesammelt erscheint, als Hypolympha
oder in Form von Punkten an der hintern Wand der Cornea, gehören
unter die seltensten. Häufiger dagegen treten mit den Zeichen der
Chorioiditis die von fritis auf Einen eclatanten Fall dieser Art haben
wir S. 83 mitgetheilt.
Leichtere Fälle dieser Art heilen bei gehörigem Verhalten des
Kranken von selbst. Mittlere und selbst hohe Grade — mit vollstän-
diger Unterdrückung der Netzhautfunction — gestatten immer noch
eine günstige Prognosis, zumal wenn der Druck auf die Netzhaut noch
nicht lange besteht, das Individuum Gelegenheit und festen Willen zu
der nöthigen Behandlung hat, und nicht etwa der Eintritt von Glaucom
wegen constitutioneller Verhältnisse desselben zu fürchten ist. (Ver-
gleiche Glaucom S. 198.)
Rücksichtlich des Vorkommens ist zu bemerken, dass ich diese
Affection fast nur in den mittlem Lebensjahren (20 — 40) beobachtet
habe. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, dass sie nicht auch früher
oder später vorkommen könne. Die Individuen waren meistens ausser-
dem vollkommen gesund, wenigstens von blühendem Aussehen und
kräftiger Muskulatur. Viele hatten bereits an anderweitigen rheuma-
tischen Affectionen gelitten; einige bezeichneten Muskelrheumatismus
als die einzige Krankheit, die sie heimgesucht hatte. Eine Kranken-
wärterin wurde in Zeit von 4 Jahren zweimal von demselben Leiden
an dem linken Auge befallen.
Wenn irgendwo, so ist es gewiss bei Krankheiten der Netzhaut, sie mögen nun
primär oder seeundär auftreten, wo der Arzt volle Ursache hat, alle Umstände genau
zu erheben, unter welchen die Störung des Gesichtes zuerst bemerkt wurde, was der-
selben mittel- und unmittelbar vorausging, womit sich der Kranke zu beschäftigen
Entzündung — rheumatische — Behandlung. 221
pflegte u. s. w. Nur auf diese Weise erfuhren wir in mehreren Fällen die Veranlassung
zu diesem Übel, ohne uns nur im mindesten der Gefahr ausgesetzt zu haben, dem
Krauken die Antwort in den Mund zu legen. Es bedurfte mehrmals nur einer Recapi-
tulation des ganzen Verhaltens des Kranken einen oder einige Tage vor der ersten
Wahrnehmung des Augenleidens, um von dem Kranken unzweifelhafte Angaben zu er-
halten ; die Aussagen der Kranken allein geben indessen keine Sicherheit, da viele der-
selben nur zu leicht von vermeintlicher Verkältung Affectionen herleiten, welche nach-
weisbar von andern Ursachen abstammen.
Behandlung. Vor Allem muss dafür gesorgt werden, dass der
Kranke der Zugluft, dem Temperaturwechsel u. dgl. entzogen werde.
Er muss, wenn nicht im Bette, so doch mindestens in einem trockenen
warmen Zimmer gehalten werden. Bei Lichtscheu, Schmerzen und
lebhafter Gefässinjection beginne man die Cur mit einer örtlichen Blut-
entziehung (Blutegel an die Schläfe, blutige Schröpfköpfe an die Kreuz-
und Lendengegend), lasse sofort, wenn die Schmerzen es erheischen,
LTng. cinereum mit Opium an die Stirn und Schläfe einreiben, die ent-
sprechende Kopfhälfte mit einem trockenen gewärmten Leintuche be-
deckt halten, und verabreiche innerlich nebst reichlichen lauwarmen
Getränken bei kräftigen Individuen Tart. stibiatus r. d. mit einem
Mittelsalze, bei Schwächlichen oder zu Diarrhöe Inclinirten Pulv, Doveri.
Beer*), welcher die hieher gehörigen Fälle als Amaurosis rheumatica
beschrieben hat, worin ihm Rosas u. A. gefolgt sind, empfiehlt Extr.
quajaci mit Camphora, nach Milderung der Schmerzen Extractum aconiti
mit Antimonialpräparaten und Schwefelblumen. Wenn die Zeichen,
welche zur Antiphlogose auffordern, bereits verschwunden sind, und
Wiedererregung derselben nicht zu besorgen steht, geht man zu ört-
lichen Reizmitteln über. Günstige Wirkung erhielt ich durch fliegende
Yesicantien an die Stirn und Schläfe, jeden zweiten Tag 1 — l*/2
Quadratzoll Empl. canthar. an eine andere Stelle der Cutis aufgelegt,
von Einreibungen einer Salbe aus 1—2 Tropfen Oleum crotonis Tiglii
mit 1 Drachme Fett, von 2 — 3 Gran Veratrin mit demselben Vehikel
allein oder zugleich mit 4—5 Gran Jodkali, von der Magnetelektricität
(einen Pol an das obere Lid, den andern hinter das Ohr oder an den
Nacken angelegt).
Folgenden Fall entlehne ich aus Fischers Lehrbuche S. 190 als ein etwas selte-
neres Beispiel einer heftigen selbstständigen Chorioiditis rheumatica. ,,A. P. , eine 24jäh-
rige torpide Wollsortirerin, litt seit ihrer Jugend an den Augen. Ihre Katamenien, die
im IS. Jahre spärlich aufgetreten, flössen erst nach der Geburt des zweiten Kindes
häufiger. Vor S Jahren überstand sie eine Hämoptoe. Zwei Tage vor der Aufnahme
in die Anstalt arbeitete sie in einer schlecht verwahrten, der Zugluft ausgesetzten Küche,
und fühlte in der darauf folgenden Nacht heftige, stechend reissende, halbseitige Kopf-
*) Lehre von den Augenkrankheiten. 1S17. Bd. II. S. 526.
222 Aderhaut.
schmerzen, später starke Lichtscheu und Thränenfluss des linken Auges. Nebst den ge-
nannten Symptomen, die durch kalte Wasserüberschläge unerträglich gesteigert wurden,,
fanden wir bei der ganz fieberlosen Kranken in der Sclera einen 2'" breiten rosenrothen
Saum um die Cornea, welche letztere in der Mitte etwas getrübt war. Die sonst blaue
Iris erschien hellgrün, unbeweglich, die Pupille ein wenig erweitert, doch vollkommen rund.
In der vordem Augenkammer befand sich ein Hypopyum, das Sehvermögen war voll-
kommen aufgehoben. Es wurden örtliche Blutentziehungen gemacht, Calomel und Ung.
einer, verordnet. In der darauf folgenden Nacht entwickelte sich eine so grosse ent-
zündlich üdematöse Geschwulst der Lider, der Schläfe und Wangengegend, dass nur
mit Mühe ein Theil der normal weissen Sclera sichtbar gemacht werden konnte. (Diese
Geschwulst war wohl nur Folge der Blutegelstiche.) Nach einem Diaphoreticurn mit
Brechweinstein und nach Anwendung trockener Wärme sank die Geschwulst etwas, und
wir erblickten den 3. Tag einen blassrothen, um die Cornea laufenden ConjunctivalwaÜI,
der sich in die Lidspalte einklemmte. Die Kranke klagte über ein Gefühl, als würde
der Augapfel aus der Höhle gepresst, dann über heftiges remittirendes Stechen im
Bulbus, welches sich durch die Bewegung des letzteren sehr verschlimmerte. Gleich-
zeitig wurde die Iris des rechten Auges gegen den Pupillarrand hin grünlich. Unter
diesen fast trostlosen Umständen Hessen wir kräftige Einreibungen der Autenriethschen
Salbe zwischen die Schulterblätter machen, und gaben innerlich eine Auflösung des
Tart. emet. r. d. Die heftigen Schmerzen minderten sich und die Patientin konnte
wieder Stunden lang schlafen. Schon den 4. Tag überraschte uns die Kranke, obschon
sich die objeetiven Symptome nicht geändert hatten, mit der Äusserung, sie habe beim
Öffnen der Lider die Hand erkannt. Die objeetiven Symptome traten nun allmälig
zurück, das Sehvermögen nahm allmälig zu, und die Kranke verliess am 15. Tage nach
ihrer Aufnahme unsere Klinik, ohne die geringste Spur einer überstandenen Augen-
krankheit."
Ein Student kam Ende Jäner 1853 auf die Klinik, weil er mit dem rechten Auge
seit 4 Wochen schlecht sah, und dasselbe ihn auch im Gebrauche des linken (durch
Blendung und Doppeltsehen) hinderte. Wir fanden ausser den Merkmalen massiger
Kurzsichtigkeit beider Augen (grössere Augenkammer und etwas stärkere Injection der
vordem Ciliargefässe) weder an dem einen noch an dem andern Auge etwas Abnormes.
Er konnte mit dem rechten Auge allein nicht nur nicht lesen, sondern auch selbst
grössere Gegenstände (auch Personen) in gerader Bichtung nicht erkennen. Aus den
Angaben des Kranken ergab sich, dass ungefähr 2/3 der Netzhaut in ihrer Function* be-
einträchtigt waren, das nach innen und unten gelegene Drittel wenig oder gar nicht
litt. Hielt man ihm ein weisses Blatt Papier vor, so sah er nur die rechte obere Ecke
deutlich, das Übrige war wie mit einem dichten grauen Nebel verdeckt; er erkannte
auch mit Bleistift darauf geschriebene, etwas grössere Buchstaben, wenn er das Blatt
oder das Auge in die entsprechende Richtung bringen konnte. Diese Scheidung des
Sehfeldes in eine dunkle und helle Partie hatte er gleich zu Aufang der Krankheit be-
merkt, jedoch so, dass damals beim Versuche zu lesen die untere Hälfte des Buches
verdeckt erschien. Er hatte vor acht Tagen einen Arzt zu Bathe gezogen; da er sich
aber über die Art, wie das Gesicht gestört sei, nicht näher ausgesprochen, und der
Arzt die Conjunctiva bulbi abnorm injicirt gefunden hatte, so war das Übel für einen
Augenkatarrh gehalten und demgemäss behandelt worden.
Der junge Mann, 24 Jahre alt, von blühend gesundem Aussehen, war früher nie-
krank gewesen, bloss mehrere Male, besonders wenn er sich der Zugluft ausgesetzt hatte, von.
Entzündung — rheumatische — Krankengeschichten. 223
mehrtägigen Schmerzen in den Schultern oder im Hinterhaupte befallen worden. Da er
sich eben auf die Staatsprüfungen vorbereitete, hatte er seine Augen in der letztern
Zeit viel angestrengt. Er wusste keine Veranlassung zu seinem Leiden anzugeben, und
bemerkte nur, dass er 3 Tage vor dem Ausbruche desselben (am Sylvesterabend) etwas
mehr getrunken — was sonst nie seine Gewohnheit war, und erhitzt in der kalten
Nacht durch einige Strassen nach Hause gegangen war. Den andern Tag war er
einigemal von einem leichten Frösteln befallen worden. Als ich meinen Zuhörern er-
klärte, man könne hier füglich nur plötzlich erfolgten serösen Erguss zwischen Chorioidea
und Netzhaut annehmen, wie ich ihn namentlich dann beobachtet habe, wenn der er-
hitzte Kopf von einem kalten Luftzuge getroffen worden war, erklärte der Kranke, das
müsse wohl auch bei ihm der Fall sein, indem er am 2. Jäner gegen Abend in einem
Kaffeehause, wo es sehr heiss war, so zu sitzen gekommen sei, dass ihn der Zug von
einem offenen Fenster traf; dieser Zug sei ihm unerträglich gewesen, so dass er Anfangs
sich den Kockkragen aufstülpte, und als diess nichts nützte, endlich das Local verliess.
Und noch denselben Abend bemerkte er, als er lesen wollte, die obgenannte Erschei-
nung, dass ihn das linke Auge blendete, und dass er mit demselben nur die untere
Hälfte des Buches sah. Am 3. Jäner hatte sich der Zustand in so fern geändert, dass
die Grenzlinie zwischen dem hellen und dunkeln Theile des Sehfeldes nicht mehr hori-
zontal, sondern schief von links oben nach rechts unten verlief, so dass er z. B. von
einem Buche (mit dem rechten Auge allein) nur die rechte obere Ecke deutlich sah.
Der helle Theil des Sehfeldes war im Verlaufe von 4 Wochen allmälig immer kleiner
geworden, so dass er am 28. Jäner den Eingangs geschilderten Zustand darbot.
Der Kranke wollte nicht in's Spital eintreten und blieb beim Gebrauche gelinder
Diaphoretica zu Hause im Bette. Da er indess daselbst nicht die nöthige Pflege hatte,
gab er am 31. Jäner meinen ernsten Vorstellungen nach. Der Zustand des Auges hatte
sich in so fern gebessert, dass er bereits auch in gerader Bichtung die vorgehaltenen
Finger zählen und Buchstaben von lfn" Höhe erkennen konnte. Die Scheidung des
Sehfeldes in einen dunkeln und hellen Theil war nicht mehr deutlich, ausser bei Be-
trachtung kleiner Objecte. Betrachtete er (bei verdecktem linken Auge) einen Druck von 3"*
Höhe, so erkannte er die eben fixirten Buchstaben nicht, wohl aber die etwa '/a — 1" nach
aussen befindlichen. Fixirte er 2 parallele verticale Linien, so traten sie in der Mitte
näher an einander; betrachtete er eine etwa 20 Schritte entfernte Bettblende, so kam
sie ihm in der Mitte schmäler vor; zugleich schienen ihm die Objecte näher vor dem
rechten Auge zu sein, als vor dem gesunden. Horizontale Linien erschienen nur in der
Mitte ein wenig wellenförmig gekrümmt. — Buhe im Bette, Sorge für gleichmässige
Temperatur. Vermeidung grellen Lichtes und aller Sehversuche, massig restringirte Kost,
Decoct. althaeae mit Glaubersalz und Brechweinstein (V2 Gran). Am 2. Februar konnte
er bereits IV2" hohen Druck bei 9 — 10" Entfernung lesen. Fixirt er a) 2 parallele
verticale, 0,5 Millim. dicke Linien, welche 1,3 Millim. von einander abstehen, so erkennt
er sie an der fixirten Stelle noch als zwei, aber einander stark genähert ; b) 2 eben so-
dicke Linien mit 0,5 Millim. Abstand verschmelzen an der fixirten Stelle in eine dickere,
und zwar sowohl bei verticaler als bei horizontaler Stellung. Eine einfache verticale
Linie erscheint an der fixirten Stelle gekrümmt, und zwar mit der Convexität nach
rechts, wenn der Bulbus nach aussen, und links, wenn er nach innen gewendet wird.
An horizontalen Linien bemerkt der Kranke nur eine geringe Schlängelung, c) Linien
von 0,2 Millim. Dicke und l Millim. Abstand verschmelzen an der fixirten Stelle sowohl
bei verticaler als bei horizontaler Richtung, d) "Wenn dieselben Linien weiter von ein-
224 Aderhaut.
ander abstehen, 1,5 — 2 Millim., so verschwinden sie an der fixirten |Stelle beinahe, indess
sie ober- und unterhalb derselben als 2 erkannt werden, e) 2 Linien von 0,18 Millim.
Dicke und 0,5 Millim. Abstand werden in verticaler Richtung nur als eine nicht so
schwarze gesehen, in horizontaler Richtung als zwei. Der fixirte Theil ist bei beiden
Richtungen undeutlich. — Nebst der frühern Behandlung noch Einreibungen Auten-
riethscher Salbe zwischen die Schultern. — Am 4. Februar erkannte er die unter b, c
und d angeführten Linien auch an der fixirten Stelle als zwei, die Schlängelung bei
verticaler Richtung hatte abgenommen, und Druck von 1"' Höhe konnte gelesen wer-
den. Bis zum 10. Febroar wurde ein Vesicans hinter das Ohr, dann an die Schläfe
gelegt; die Besserung des Gesichtes schritt ohne Unterbrechung vorwärts. An diesem
Tage machte der Kranke auch die Bemerkung, dass er mit dem rechten Auge jetzt
ohne sein gewohntes Concavglas besser sehe, als mit demselben, wahrscheinlich dess-
halb, weil die Netzhaut noch immer durch den serösen Erguss zwischen ihr und der
Chorioidea etwas voiwärts gedrängt war. Vom 20. Februar an war auch die Störung des
linken durch das Doppelbild des rechten Auges verschwunden. Dieses Doppelbild war,
da sich durchaus keine Spur von Ablenkung der Sehachse nachweisen Hess, wohl nur
dadurch bedingt gewesen, dass die Netzhaut, etwas aus ihrer Lage verdrängt war. Das
dem rechten Auge entsprechende undeutliche Bild war immer etwas unterhalb des deut-
lichen (des linken Auges) gesehen worden. Unter der Anwendung einer Salbe aus 2 Gran
Veratrin und 5 Gran Jodkali auf 1 Dr. Fett an die Stirn und Schläfe hatte sich das Ge-
sicht bis [. März (dem Tage der Redaction dieses Artikels) so weit gebessert, dass der
Kranke mit dem rechten Auge schon einen zk'" hohen Druck bei 6" Entfernung durch
einige Minuten lesen konnte. Doch erschienen ihm noch alle Gegenstände vor dem
rechten Auge etwas kleiner und 2 parallele verticale Linien an der fixirten Stelle ein-
ander etwas genähert.
7. Chorioiditis traumatica.
Nach zufälligen oder absichtlichen Verletzungen des Bulbus sehen
wir Erscheinungen auftreten, welche ausschliesslich oder vorzüglich
durch Entzündung der Chorioidea bedingt werden. Das zwischen Netz-
und Aderhaut eingeschobene Exsudat ist vorwaltend faserstoffig, in
heftigeren Fällen eitrig schmelzend. Der Exsudationsprocess tritt ent-
weder bloss im Bereiche der Chorioidea auf, und führt bei wenig oder
gar nicht veränderter Form des Bulbus einfach zur Beschränkung oder
Vernichtung der Function desselben, oder das Leiden tritt als Irido-
chorioiditis mit Pupillensperre und consecutiver Einschrumpfung des
Bulbus auf, oder aber es werden auch der Glaskörper, die Cornea, so
zu sagen alle Gebilde des Auges mit ergriffen — PanOphthalmitis —
Function und Form des Auges in kurzer Zeit durch Eiterung im Innern
desselben vernichtet.
a. Beschränkt sich der Exsudationsprocess auf die Chorioidea , so
pflegen die entzündlichen Zufälle minder heftig zu sein. Selten tritt
deutliche Schwellung der Conjunctiva bulbi, meistens nur abnorme In-
jeetion im Bereiche der vordem Ciliargefässe auf, partiell bei partieller
Entzündung — traumat. — Symptome. — Au gänge. 225
Chorioiditis, und sehr wenig- ausgesprochen bei mehr chronischem Ver-
laufe. Die Iris erscheint verfärbt und träge oder unbeweglich, und die
mehr weniger erweiterte und entrundete Pupille bietet bald früher bald
spater einen lichtgrauen, silberweissen oder yoldgelbeji Reßea,- dar, be-
dingt durch eine Platte oder Schale, welche die ganze hintere Wan-
dung (bis zur Ora serrata) oder bloss einen Theil derselben einnimmt,
und in manchen Fällen Ekchymosen oder Blutgefässchen wahrnehmen
lässt. Das Sehvermögen wird, falls der Process nicht bei Zeiten durch
entsprechende Antiphlogose gehemmt werden kann, über kurz oder
lang merklich beschränkt oder völlig aufgehoben. Die Grösse und
Form des Bulbus wird wenig oder gar nicht verändert.
Zur Erregung dieser Entzündung reicht bisweilen die Einwirkung
eines Stosses oder Schlages aufs Auge hin. Sie ist aber auch nach
Verletzungen der Sclera mit Trennung des Zusammenhanges, nach der
Reclination und nach der Discission der Cataracta beobachtet worden.
Ich sah diese Form zum ersten Male 1842 bei einem 24jährigen Dienstmädchen,
welches vor einem Jahre von einer Kuh mit dem Schweife in das linke Auge geschlagen
worden war, und vor '/a Jahre sich mit einem Strohhalme in das rechte Auge gestossen
hatte. Prof. Fischer*) hat diesen Fall als Eetinitis chronica beschrieben. Zehn Jahre
später (1552) war das silberweisse Exsudat, vorzüglich an der innern "Wandung des
linken Bulbus, noch ebenso deutlich sichtbar, so wie überhaupt der ganze Befund beider
Bulbi noch nahezu derselbe, wie ihn Prof. Fischer geschildert hat; nur das Sehver-
mögen des rechten Auges war bedeutend schwächer.
Einen Fall, den ich hieher rechnen zu dürfen glaube, hat Canstatt in seiner
trerflichen Abhandlung über den Markschwamm der Netzhaut S. 70 beschrieben. „Man
bemerkte bei einem 5jährigen Knaben von scrofulösem Habitus, dem ein eiserner Nagel so
in das linke Auge gesprungen war, dass die Sclera 2'" hinter der Hornhaut (an der Schläfe-
seite) durchbohrt worden war, den 3. oder 4. Tag Röthe des Auges und bald darauf
„etwas Trübes im Sterne des Auges" und Verlust des Sehvermögens. Am 7. Tage er-
schienen lauf Prof. Jäger's Klinik) die Augenlider leicht geröthet, ihre Bindehaut so
wie die des Bulbus ziemlich gleicbmässig von einer rosigen Röthe überzogen, nach
aussen rings um die Stelle der Verwundung etwas aufgewulstet, saturirter und ekchy-
motisch gefärbt. Durch die etwa linsengrosse Spalte der Sclera hatte sich ein nadel-
kopfgrosser Theil der Chorioidea hervorgedrängt und bildete einen kleinen Wulst von
livider Farbe. Die Iris des kranken, im Veigleich zur hellbraun gefärbten des gesunden
Auges war ins Dunkelgrüne entfärbt, die Pupille nach aussen kaum merkbar verzogen.
Das Auge thränte etwas, war aber nicht lichtscheu. Das beim ersten Anblicke Auf-
fallendste war aber die in der Tiefe des Auges wie eine concave schimmernde Gold-
platte sichtbar gewordene, gleichmässig ebene und ungefleckte hochgelbe Fläche der
Retina. Das Sehvermögen war auf diesem Auge bis auf die geringste Lichtempfindung
völlig erloschen. Der Knabe klagte besonders über nächtliche Schmerzen, war aber bei
Tage munter beim Spielen und zeigte keine Störung in den übrigen Functionen. Am
*) Lehrbuch S. 60.
Arlt Augenheilkunde. H. 15
226 Aderhaut.
19. Tage waren die entzündlichen Symptome bis auf geringe Röthe der Bindehaut fast
völlig verschwunden, die Wunde der Sclera vernarbt, die Veränderung der Iris und
Retina dieselbe. Das Kind wurde noch durch 4 Wochen beobachtet. In dieser Zeit
wurden auf der früher ganz reinen gleichförmigen Hohlfläche in der Tiefe zuerst ein
paar kleine Blutpunkte bemerkt, die sich später zu rothen Gefässreisern entwickelten."
Makenzie 1. c. S. 535 erwähnt eines von Travers erzählten Falles, „wo in dem
Auge einer jungen Dame die rehfarbene glänzende Oberfläche (im Grunde des Auges)
mit einer Verzweigung von rothen Gefässen bedeckt gewesen sei , und sich so stark
markirt habe, dass er sie sicher für den Anfang von Markschwamm der Netzhaut gehalten
haben würde, wenn nicht der Umstand vorgelegen wäre, dass diese Erscheinung 14 Tage
nach einer Verwundung mit einer feinen Scheere eingetreten war. Das Instrument war
in schräger Richtung zwischen den Rand der Iris und das Corpus ciliare gedrungen.
Es stellte sich eine tiefsitzende Entzündung ein, und nach 3 Tagen vollständige Blindheit.
Die Linse blieb Monate lang durchsichtig, so dass man die beschriebenen Erscheinungen
beobachten konnte. Endlich folgte grauer Staar mit zusammengezogener Pupille auf die
chronische Entzündung der Iris, und der Augapfel, der sich nie vergrössert hatte, schrumpfte
allmälig zusammen." — Der Umstand, dass diese Veränderung des Augengrundes sich
nach einem Trauma entwickelt hatte, berechtigte keineswegs zur Exclusion von Mark-
schwamm der Netzhaut, denn auch diese Ablagerung kann bekanntlich durch traumati-
sche Einflüsse eingeleitet werden. Desshalb lässt sich auch in dem aus Canstatt citirten
Falle , welcher nur kurze Zeit lang beobachtet wurde, nicht entscheiden , ob die ge-
nannte Verletzung nicht etwa bloss den ersten Impuls zur Markschwamm- oder Tuberkel-
ablagerung gegeben, oder an und für sich zur Ausscheidung faserstoffigen Exsudates
geführt hatte.
Wenn sich nach der Reclination oder nach der Discission von Cataracta die Zu-
fälle einfacher Chorioiditis entwickeln, so geschieht dies — nach meinen Beobachtungen
— unter ziemlich heftigen Zufällen, namentlich unter starker Injection auf der Sclera
mit mehr weniger beträchtlicher Schwellung der Conjunctiva bulbi, unter Thränenfluss,
Lichtscheu und Schmerzen im Auge und in der entsprechenden Kopfhälfte, und unter
mehr weniger deutlichen Photopsien, bei einfach oder ungleichmässig erweiterter Pu-
pille, mehr weniger verfärbter Iris, nach der Reclination auch mit Hypopyum. " — Der
unglückliche Ausgang, von welchem hier die Rede ist, ist nicht die unmittelbare Folge
des operativen Eingriffes selbst, sondern Folge des Druckes, den die zu tief reclinirte
oder die zu rasch aufquellende entkapselte Linse ausübt. Ich habe Fälle beobachtet,
wo nach der Reclination (nach Wilburg) nur in der Gegend des Muse, rectus inferior
starke Injection der vordem Ciliargefässe und der Bindehaut mit mehr weniger merk-
licher Schwellung dieser letzteren sichtbar wurde, und wo dem entsprechend auch die
Pupille nur nach unten ausgebuchtet war, indem die Iris daselbst auf einen schmalen
und unbeweglichen Saum zusammengezogen erschien ; die Function der Netzhaut war
wohl überhaupt etwas beeinträchtigt, doch bloss in der untern Partie gänzlich aufgehoben.
Ein solcher Befund kann offenbar nur auf partielle Chorioiditis bezogen werden. —
Allgemeine Chorioiditis sah ich einige Male nach der Discission durch die Hornhaut
auftreten. Der erste Fall betraf einen jungen Mann von 32 Jahren. Dieser litt auf
beiden Augen an Catar. lentic. nuclearis (siehe Krankheiten der Linse) , welche an-
geblich vor 15 Jahren entstanden und seit langer Zeit ganz unverändert geblieben war.
Er konnte noch zur Noth lesen und schreiben, \md dem Amte eines Wirthschaftsverwal-
ters vorstehen. Ich glaubte nichts zu risquiren, wenn ich die Discission der Kapsel durch
Entzündung — traumat. — Symptome — Ausgänge. 227
die Cornea vornähme. Die Operation verlief auch ohne Gefahr für die Cornea und
Iris. Allein nachträglich quoll der Staar allmälig so stark auf, dass er sich in die vordere
Kammer herein — und die Iris seit- und rückwärts drängte. Dieser Vorgang war von
heftigen Zufällen (Lichtscheu, Thränenfluss, Gefässinjection am Bulbus, Photopsien und
halbseitigen Kopfschmerzen) begleitet, welche durch örtliche Blutentziehungen, Opium-
einreibungen, Abfuhr- und Mercurialmittel nur gemildert, nicht beseitigt werden konnten.
Der Bulbus wurde hart und gegen jede Berührung empfindlich, allmälig auch grösser,
von vorn nach hinten länger. Endlich begann die Resorption der Linse, und die Pupille
wurde im 3. Monat nach der Operation rein. Das Sehvermögen war jedoch erloschen,
die Iris auf einen schmalen Streifen reducirt, die Sclera nächst der Cornea ausgedehnt
(einen schmalen dunkelblauen Ring bildend) , die Ciliargefässe stark erweitert. Ob
späterhin der Grund des Auges auch verfärbt wurde, wie in dem folgenden Falle, ist mir
nicht bekannt, da sich der in seiner Erwartung getäuschte Kranke der fernem Beobach-
tung entzog. — Ich vermuthete in diesem Falle, dass ich bei dem Bestreben, die vor-
dere Kapsel gehörig zu spalten, vielleicht mit der Spitze der Nadel die Ciliarfortsätze
verletzt . und dadurch Anstoss zu den nachfolgenden Erscheinungen gegeben hätte. Die
folgende Beobachtung zeigte indess, dass etwas anderes Schuld sein musste. Ich modi-
ficirte nämlich bei einem 18jährigen Mädchen, welche seit 4 — 5 Jahren ebenfalls an
Catar. nuclearis oc. utr. litt, die Discission dadurch, dass ich bei stark erweiterter Pu-
pille mit einem lancettfürmigen Messerchen einen gegen 2'" langen Einstich in die
Cornea machte (etwas über I /;/ vom Rande entfernt und demselben parallel) und die
Kapsel mittelst eines durch diesen Einstich eingeführten Häkchens einriss. Die Wunde
war bei Abnahme des Verbandes am 4. Tage ohne exeessive Reaction verheilt, und ich
Hess die Operirte schon vom 6. Tage an im Zimmer herumgehen. Am 12. Tage stellten
sich Lichtscheu, Thränenfluss, Röthe des Bulbus und Kopfschmerzen ein, welche in wenig
Tagen so zunahmen , dass ich Blutegel , Eisumschläge und Abführmittel , und, da die
Conjunctiva bulbi merklich anschwoll, auch einige Dosen Calomel zu 2 Gran zu verordnen
mich bemüssigt sah. Der Staar war aufgequollen und drängte sich durch die Pupille
gegen die vordere Kammer. "Wohl gingen die genannten Zufälle allmälig zurück und
die aufgequollene und zerklüftete Linse wurde nach und nach resorbirt, selbst von der
vordem Kapsel ist nur noch unten ein Rest als weisser Streifen bemerkbar; allein das
Sehvermögen nahm nicht in dem Masse zu, als die Pupille schwarz wurde, und die
zahlreichen erweiterten Ciliargefässe, die ungleiche Erweiterung und Starrheit der Pu-
pille, und das Wahrnehmen feuriger Erscheinungen Hessen endlich kaum mehr einen
Zweifel übrig , dass die Sehkraft durch Chorioiditis vernichtet worden sei. Gegenwärtig,
l'/a Jahre nach der Operation, wirft der Grund des Auges einen lichtgelben Reflex zurück,
so wie ich ihn bei Markschwamm der Netzhaut gesehen habe, die Lichtempfindung ist
aUmälig bis auf die letzte Spur verschwunden, die Iris auf einen schmalen schiefergrauen
Saum zusammengeschrumpft, der unmittelbar an die Cornea angrenzende Saum der
Sclera im obern Umfange der Cornea in eine schmale dunkelblaue Wulst erhoben, die
Ciliargefässe enorm erweitert , der Bulbus hart , prall , in der Richtung von hinten nach
vorn etwas vergrössert.
b. Ist nebst der Chorioiditis auch Iritis vorhanden, so sind die Er-
scheinungen der erstem durch die der letztern mehr weniger maskirt.
Deutliche Anschwellung der Conjunctiva bulbi, mehr weniger merkliche
Vorwärtsrückung des Bulbus, Ansammlung eiterähnlicher Flüssigkeit in
15*
228 Aderhaut.
der vordem Augenkaminer (mit oder ohne Blut; und unverhältnissniäs-
sig (zu den Zeichen der Iritis) starke Beeinträchtigung des Gesichtes
mit oder ohne Photopsien sind die Zufälle, aus deren Gegenwart man
mit Wahrscheinlichkeit oder mit Gewissheit auf das Mitleiden der Cho-
rioidea schliessen kann.
Auch bei dieser Form kann bisweilen durch rechtzeitige und ener-
gische Behandlung noch Rettung des Sehvermögens oder doch so viel
erlangt werden, dass bloss Pupillensperre mit Erhaltung der Lichtem-
pfindung zurückbleibt. Ausserdem tritt entweder Pupillensperre und
völlige Unempfindlichkeit gegen das Licht ein, oder es erfolgt nach-
träglich auch Schrumpfung der hintern Hemisphäre (des ganzen Bulbus),
oder aber es entwickelt sich das unter c zu beschreibende Bild der
Panophthalmitis und Phthisis bulbi.
Diese Form entsteht nach zufälligen Verletzungen des Bulbus mit
Durchbohrung der Cornea oder der Sclera. Am besten kann man sie
vom ersten Anfang an nach den Operationen beobachten, welche die
Heilung des grauen Staares bezwecken. Wann Iritis nach zufälligen
oder absichtlichen Verletzungen des Auges zu besorgen sei, wurde be-
reits S. 55- 59 angedeutet. Wenn sich nach einer durchdringenden
Hornhautwunde und erfolgter Pupillensperre die Iris kugelförmig nach
vom wölbt, so dass sie gleichsam eine zur Cornea concentrisch gelegene
Schale darstellt, oder wenn die Iris nach erfolgter Pupillensperre trich-
terförmig rückwärts gezogen erscheint, so kann man schon aus diesem
Verhalten allein schliessen, dass nebst Iritis auch Chorioiditis vorhan-
den war, mithin an Wiederherstellung des Sehvermögens auf keine
Weise zu denken sei, auch wenn zur Zeit der Beobachtung etwa noch
Lichtempfindung vorhanden wäre.
c. Dass jener Reihe von Zufällen, welche man als Ophthalmitis
totalis (Rosas) oder PanOphthalmitis (Fischer) beschrieben hat, vorzugs-
weise Ausscheidung faserstoffigen Exsudates zwischen Chorioidea und
Retina zu Grunde liege, ergibt sich aus dem Befunde der meisten
phthisischen Bulbi, den wir S. 170—1.72 geschildert haben.
Wenn die in Rede stehende Entzündung im Anzüge ist, so schwel-
len die Augenlider, besonders das obere, vom Rande her an, werden
roth und heiss, und gegen die leiseste Berührung empfindlich. Gleich-
zeitig schwillt auch die schon früher stark injicirte Conjunctiva bulbi
an, und erhebt sich sofort zu einem derben und hochrothen Walle um
die Cornea. Der Bulbus wird in dem Masse, als die Tunica vagina-
lis infiltrirt wird, aus der Orbita vorgedrängt und in seinen Bewegungen
Entzündung — traumal. — Symptome — Ausgänge. 229
gehindert. Die Geschwulst der Bindebaut wird weiterhin namentlich
im untern Umfange des Bulbus so gross,' dass sie sich zwischen den
Lidern hervor- und das untere abwärts und zurückdrängt. Der Kranke
erblindet, wenn er nicht schon vor Beginn der Entzündung blind war,
in kurzer Zeit; er klagt über heftige Schmerzen, meistens auch über
feurige Erscheinungen. Die Schmerzen erstrecken sich nach dem Ver-
laute des 3. und 2. Astes des Trigeminus über die entsprechende Kopf-
häute, und werden im Auge selbst als heftiger Druck oder als die Em-
pfindung, wie wenn der Bulbus aus der Orbita herausgedrängt würde,
bezeichnet. Die Kranken sind fast ohne Ausnahme von heftigem Fie-
ber ergriffen. — Die Erscheinungen von Seite der Cornea und Iris sind
verschieden, je nachdem der Proeess von der Chorioidea ausging oder
durch Berstung der Cornea (in Folge verschiedener Ursachen — wo-
von später — ) eingeleitet wurde. In ersterem Falle, wie z. B. nach
der Reclination, erscheinen zunächst die Zufälle heftiger Iritis (vergl.
Iritis traumat. S. 55) mit oder ohne Hypopyum. Alsbald wird auch
die Cornea ergriffen, eitrig infiltrirt und meistens unter wüthenden
Schmerzen durchbrochen. Seltener geschieht es, dass die Cornea un-
versehrt bleibt und der Eiter sich durch die Sclera Bahn bricht.
Diesen Ausgang sah ich merkwürdiger Weise bei einem jungen Officier ein-
treten , welchem ein Stückchen Zündhütchenkapsel mitten durch die Cornea und Linse
in den Glaskörper eingedrungen war. Der fremde Körper wurde, nachdem die Schwel-
lung der Gebilde schon merklich gesunken war, eines Morgens zwischen dem untern
Lide und dem Bulbus , aus dem er in der Gegend der Insertion des Muse, rectus infer.
: getreten war, vorgefunden. Die Hornhautwunde hatte sich schon während des
Steigens der Entzündung geschlossen und blieb es auch nachher.
Diese Form, für welche man füglich den Namen PanOphthalmitis
beibehalten kann, entsteht an ganz gesunden Augen nach in- oder ex-
tensiv heftigen, mechanisch oder chemisch wirkenden Verletzungen des
Bulbus. Sie entwickelt sich von der Chorioidea aus, wenn fremde
Körper tiefer in das Auge eingedrungen sind, nach der Dislocation
oder Discission von Cataracta, nach heftiger Erschütterung des Bulbus
durch eine stumpfe Gewalt, wie z. B. durch einen Prellschuss, durch
den Luftdruck an der Mündung eines eben explodirenden Kanonen-
rohres u. dgl. Sie entwickelt sich, wenn die Cornea durch Entzün-
dung, z. B. in Folge acuter Bindehautblennorrhöe, in Folge mechanisch
oder chemisch wirkender Schädlichkeiten u. s. w. in Verschwörung ge-
rathen ist. Sie ist es, welche nach der Discission durch die Cornea,
besonders aber nach der Extraction die Function und die Form des
Auges vernichtet. Sie entwickelt sich endlich nach der Berstung von
Hornhautnarben, von nicht hinreichend fest überhäuteten Irisvorfällen,
230 Aderhaut.
nach der Abtragung von Hornhautstaphv.lonien u. dgl. (Vergi. B. I.
Hornhautstaphyloin S. 236 und Pkthisis bulbi S. 245, 246 und 247.)
Behandlung. Die Grundsätze, von denen man in allen diesen
Fällen auszugeben bat, wurden bereits bei den „Verletzungen der Horn-
haut (B. I. S. 203) und der Regenbogenhaut" (B. IL S. 59) angegeben.
Wie man sich zu benehmen habe, wenn nach Staaroperationen Chorioi-
ditis zu besorgen steht, oder wenn gleiche oder ähnliche Verhältnisse
durch zufällige Verletzungen herbeigeführt wurden, wird bei Besprechung
der einzelnen Operationsmethoden erörtert werden.
So lange die entzündlichen Zufälle noch im Steigen begriffen sind,
lässt sich durch Anwendung örtlicher Blutentziebungen, kalter Umschläge,
kühlender Abführmittel und strenger Diät bisweilen Milderung dersel-
ben, selbst Verhinderung des Überganges in Eiterung erzielen. Sind
die Zeichen von Eiterbildung eingetreten, so ist die Form und Function
des Auges sicher verloren, und es handelt sich nur darum, die heftigen
Schmerzen zu mildern und vom Bulbus, wo möglich, so viel zu erhal-
ten, dass nachher die Lider nicht zu stark einsinken, und der Stumpf
sich in späterer Zeit zur Anlegung eines künstlichen Auges eigne.
Einreibungen von Ung. cinereum mit Opium an die Stirn und Schläfe
und trockene warme Compressen so über das Auge herabhängend, dass
sie dasselbe nicht drücken, verschaffen unter solchen Umständen bis-
weilen merkliche Erleichterung. Weller, v. Rosas u. A. empfehlen die
Anwendung feuchtwarmer Umschläge, und, sobald sich an irgend einer
Stelle ein bedeutender Eiterpunkt zeigt, die Eröffnung der Hornhaut
mittelst eines Staarmessers (an ihrem untern Rande). Letztere habe
ich bisher nicht vorgenommen, ausser in einer viel frühern Periode,
wenn wegen zu raschen Aufquellens der Linse, oder wegen Vorfall
derselben in die vordere Kammer (nach der Reclination) Iridochorioi-
ditis im Anzüge war, oder wenn nebst andern Zeichen von Iridocho-
rioiditis beträchtliche Ansammlung von eiterähnlicher Flüssigkeit in der
vordem Kammer vorhanden war. Die von denselben und andern Auto-
ren angeführte brandige Zerstörung des Bulbus habe ich bisher weder
nach zufälligen noch nach absichtlichen Verletzungen eintreten gesehen.
Es dauert immer mehrere Monate, ehe in dem zurückbleibenden
Stumpfe ein gewisser Grad von Ruhe eintritt. Bis dahin erscheint es
gerathen, das andere Auge möglichst wenig anzustrengen. Vergl. B. H.
S. 50.
Ein künstliches Auge kann erst dann eingelegt werden, wenn so-
wohl die Form als die Farbe (Injection) des Stumpfes eine Zeit lang
stationär geworden sind. Wird gegen diese Regel gefehlt, so setzt
Bluterguss. 231
man sich der Gefahr aus, dass neuerdings entzündliche Zufälle eintre-
ten, und der Bulbus in Folge dessen zu einem viel zu kleinen Stumpfe
zusammenschrumpft.
II. Bluterguss aus der Chorioidea.
Bluterguss, von der Chorioidea ausgehend, kann wahrscheinlich
sowohl an der innern als an der äussern Fläche stattfinden. Aus Sec-
tionsbefunden kenne ich nur den Bluterguss zwischen Chorioidea und
Sclera. Er erfolgt wahrscheinlich nur dann, wenn die Spannung des
Bulbus plötzlich aufgehoben wird, durch Verwundung oder Berstung
der Cornea. Er ist es namentlich, welcher nach der Abtragung von
Hornhautstaphylomen den schon von Beer geschilderten Zustand her-
vorruft, wo Glaskörper, Retina und Chorioidea unter fürchterlichen
Sehmerzen, Erbrechen und mehr weniger reichlicher Blutung aus der
Hornhautöflfuung herausgedrängt werden. (S. B. I. S. 251.)
An dem Cadaver einer 80jährigen Frau fand ich das rechte Auge etwas kleiner
als das linke , die Hornhaut abgeplattet, in der Mitte mit einer grossen und durchdrin-
genden , wie es schien , noch nicht sehr alten Narbe versehen. Bei Eröffnung der
Sclera nach der Richtung des Äquators floss eine Menge hellrothen Blutes aus, ohne
dass die Chorioidea eingeschnitten worden war. Das Blut war zwischen Chorioidea und
Lamina fusca scleroticae enthalten gewesen , und zwar in der äussern Hälfte der hintern
Hemisphäre. Eine gelbliche, innen glatte Membran, welche dasselbe umschlossen hatte,
hing mit der Sclera ziemlich fest, doch nicht unzertrennlich zusammen. Der etwas
verdrängte (an Volumen verminderte) Glaskörper erschien in normaler Beschaffenheit,
ebenso liess sich an der Netzhaut weder mit freiem Auge noch mit der Loupe eine
Abnormität nachweisen, ausser der abnormen Lage, die wir unten noch genauer be-
zeichnen wollen. Nicht nur die Netzhaut und die eigentliche Chorioidea, sondern auch
der Ciliarkörper waren an der Schläfeseite gegen die Sehachse hin aus ihrer Lage ge-
treten, so dass die Ciliarfortsätze , von hinten angesehen , keinen Kreis darstellten , son-
dern an der Schläfeseite gegen die Pupille hin gezogen erschienen. Die durch eine
grauliehe Membran verschlossene und an die Hornhautnarbe angelöthete Pupille nahm
nicht genau die Mitte ein, sondern lag etwas nach aussen und unten, und in sie hinein-
gezogen und mit ihr verwachsen war ein Zipfel der Netzhaut; denn von der Linse und
Kapsel war keine Spur vorzufinden. — Aus diesem Befunde liess sich schliessen, dass
die Linse sammt der Kapsel durch eine centrale Hornhautöffnung abgegangen waren,
und dass durch Bluterguss zwischen der Chorioidea und Sclera ein Theil des Glas-
körpers, der Netzhaut und der Aderhaut in die Öffnung hinein gedrängt worden, und so-
fort mit dem die Öffnung endlich abschliessenden Narbengewebe verwachsen war.
Blutei^uss wird während des Lebens bisweilen im Grunde des
Auges, tief im Glaskörper beobachtet. Es lässt sich, da keine verläss-
lichen Sectionsbefunde vorliegen, gegenwärtig nicht entscheiden, ob er
von den Xetz- oder von den Aderhautgefassen ausgeht. Er wird bis-
232 Aderhaut.
weilen ohne bekannte Veranlassung1 beobachtet, entsteht aber meistens
nach Stössen oder Schlägen auf's Auge, nach Heben schwerer Lasten,
Husten, Niesen, Erbrechen und ähnlichen Schädlichkeiten. Er kündigt
sich durch mehr weniger ausgebreitete Störung der Lichtperception bald
mit, bald ohne Photopsie an, und lässt sich durch das plötzliche Ein-
treten nach einer der genannten Veranlassungen, durch röthliche Fär-
bung oder Einsäumung der Gesichtsobjecte, falls solche noch wahrge-
nommen werden, durch allmäliges Übergehen des Rothen in's Braune,
Gelbe, Grüne u. dgl., am sichersten aber durch Anwendung des Helm-
holtzschen Augenspiegels erkennen. Erweiterung der Pupille ist nur
dann vorhanden, wenn die Netzhaut förmlich gelähmt ist, und stärkere
Injection der Ciliargefässe nur bei nachfolgender entzündlicher Reaction.
Kleinere Extravasate werden allmälig resorbirt, ohne irgend einen blei-
benden Nachtheil zu hinterlassen. In andern Fällen wird der geron-
nene Faserstoff nach geraumer Zeit im Grunde des Auges als gold-
oder röthlichgelbe oder rostbraune Masse sichtbar, und kann leicht für
ein Chorioidealexsudat oder für Markschwammablagerung gehalten
werden.
Die Behandlung besteht in frischen Fällen nebst der Abhaltung des
fernem Einflusses schädlicher Momente, z. B. fest anliegender Halsbin-
den, gebückter Stellung u. dgl., in der Anwendung spirituöser Fomente
auf das Auge, vorzüglich von verdünnter Tinctura flor. arnicae mon-
tanae. In späterer Zeit mag man durch den Gebrauch von Jodkali-
salbe in der Umgebung des Auges, von Elektricität, von Ammoniak-
dämpfen an das offene Auge u. dgl. Resorption einzuleiten versuchen.
Fischer (Lehrbuch S. 25) empfiehlt den Gebrauch von Polyg. senega
und antiphlogistische Purgirmittel.
Folgende drei Krankengeschichten entnehmen wir aus Fischer's Lehrbuche S. 26,
weil sie uns in mehrfacher Beziehung lehrreich erscheinen.
„Ein 60 Jahre alter Mann bemerkte nach einem kräftigen Schlage auf das rechte
Auge, als er sich von der dadurch veranlassten Betäubung erholt hatte, völlige Blindheit
dieses Auges und drückende Schmerzen daselbst. Zwölf Stunden nach der Verletzung
fanden wir den Bulbus scheinbar vergrössert, die Bindehaut durch Bluterguss aufge-
wulstet, die Hornhaut normal, in der vordem Kammer bis zur Hälfte der sehr stark er-
weiterten und starren Pupille Blut, das Sehvermögen bis auf Lichtempfindung erloschen.
Der Kranke klagte über starken drückenden Schmerz im Auge und über das Gefühl,
als würde der in seinen Bewegungen träge Bulbus von allen Seiten gewaltsam zu-
sammengepresst. Bei fleissig fortgesetzter Anwendung weingeistiger Einreibungen in
die Umgebung des Auges und solchen Umschlägen auf das Auge selbst, und kräftig
wirkender Ableitung auf den Darmkanal, wurde das extravasirte Blut nicht nur auf-
gesaugt, sondern das Sehvermögen besserte sich im weiteren Verlaufe der Krankheit
so sehr, dass deT Kranke bei seiner Entlassung, die 7 Wochen nach der Verletzung
Bltiterguss. 233
geschah, bei normaler Iris und Pupille nicht nur grössere Gegenstände, sondern selbst
einen kleinen Uhrschliissel , einen Fingerring , kleine Silbermünzen, jedoch ohne deren
Prägung wahrzunehmen, deutlich erkannte."
„Ein 32jähriger, robuster Kutscher erhielt von einem Pferde einen Stoss mit dem
Kopf ins rechte Auge. Einige Stunden darauf fanden wir die Scleralbindehaut des ver-
letzten Auges geröthet, in der vordem Augenkammer ein bedeutendes Blutextravasat, das
bis zum Pupillarrande reichte, die Pupille selbst sehr erweitert, ein grosses, schief ge-
gen den innern "Winkel hin liegendes Oval bildend , und die Eegenbogenhaut unbeweg-
lich. Der Patient klagte über ein schmerzhaftes Gefühl im Auge und über sehr trübes
Sehen. "Wir gaben ihm ein antiphlogistisches Abführmittel, vei-ordneten eine schwache
antiphlogistische Diät, Ruhe des Körpers, und Hessen weingeistige Fomente über das
Auge legen. Schon nach zwei Tagen besserte sich das Sehvermögen, obschon noch Blut
in der vordem Augenkammer vorhanden war. Wir gingen nun zu warmen Umschlägen
von rothem Weine über, welcher über Posmarinblätter infundirt war. Nach 8 Tagen
war das Sehvermögen vollkommen hergestellt, die Pupille zwar noch etwas grösser als
in dem gesunden Auge, aber vollkommen rund und schwarz, die Iris beweglich, aller
Blutergu-s aufgesogen." '
„W. J.. 45 Jahre alt, von starkem, untersetztem Körperbaue, etwas bläulichrothem
Gesichte, leidet seit längerer Zeit an heftigem Husten, und beschäftigt sich viel mit
Sehreiben und Zeichnen. Am 3. März in der Nacht erfolgte nach dem Genüsse von
zwei Seideln Wein , an den er nicht gewöhnt war , zweimaliges Erbrechen und gegen
Morgen ein ungewöhnlich starker Anfall von Husten. Als es Tag wurde, bemerkte er,
da<s er mit dem linken Auge Alles trüb , und gegen Mittag schon beinahe gar nichts
mehr sehe. Patient beschreibt den damaligen Zustand, den er auch durch eine Zeichnung
zu versinnlichen suchte, auf folgende Weise : „Ich erkannte mit dem kranken Auge wohl
grössere Gegenstände, aber sehr undeutlich, besonders blieb mir die Mitte derselben fast
unsichtbar, deun es schwebte mir in einer Entfernung von etwa 24 Zoll vor dem Auge
eine dunkle coneave Scheibe vor, in etwas einem tiefen Uhrglase ähnlich; ihr Längen-
durchmesser betrug l'/äj ihr Querdurchschnitt l '/4 Zoll; ersterer verlief schräg von oben
und aussen nach unten und innen. Anfangs war die Scheibe ganz dunkel. Als ich am
T. März in Prag ärztliche Hilfe suchte, erschien sie mir ganz blutroth, nur am obern
Rande von einem linsengrossen und daneben von einem viel kleinern schwarzen Flecke
bedeckt.'* Dr. Arlt fand Iris und Pupille normal, er behandelte die Krankheit als Blut-
austretung in der Tiefe des Auges und verordnete strenge Diät, Ruhe der Augen und
warme Fomente aus Infus, flor. arnicae et herb, rutae; später Einreibungen von Jodkali-
salbe an die Umgebung des Auges. Unter Anwendung der Fomente verminderte sich die
Entfernung von 24 auf 1 S und bis zum 3. April auf 1 2 Zoll, während in gleichem Masse
auch die Grösse der Scheibe abnahm.
Patient erzählte ferner: „Bei raschen Bewegungen des Auges blieben während der
Behandlung des Hrn. Doctors jene beiden Flecke fix, und das Übrige schwebte hin und
her, ungefähr wie eine am Stiele hängende, hin und her schwankende Pflaume; es kam
mir bei jeder Veränderung der Lage des Auges vor, als bewege sich ein Strom mit Blut-
punkten gefüllter Flüssigkeit von oben und hinten, nach vorne gegen diese vertiefte
Scheibe ; ich bemerkte darin dunklere Punkte und Streifen, die sich bei raschen Wendun-
gen des Auges hin und her bewegten. Legte ich mich auf den Rücken, so verdeckte
die Scheibe jene schwarzen Flecke, und wenn ich mich wieder setzte, so erschienen sie
234 Aderhaut.
wieder am obern Scheiben-Rande, und von ihnen zogen sich dunklere rothe Streifen an
der Scheibe herab."
„Am 16. April, wo der Kranke auf die Klinik kam, bemerkte man objectiv an dem
Auge gar nichts Krankhaftes. Die genannte Scheibe schien ihm nur noch 7 Zoll von
dem Auge entfernt zu sein; der Fleck am obern Eande war dunkelroth , der kleinere
Fleck hatte sich in einen halbmondförmigen dunklen Streifen verwandelt, der bei Be-
wegungen des Auges seine Lage änderte ; unterhalb der Mitte der Scheibe sah Patient
einen kleineren Fleck, einer Spinne vergleichbar, die übrige Scheibe war wie aus lauter
Blutpunkten zusammengesetzt, und erregte bei den Bewegungen des Auges in dem Kran-
ken die Empfindung, als ob eine Flüssigkeit hin und her ströme. Der Patient unterschied
verschiedene Farben und erkannte grössere Gegenstände, selbst grössere Lettern, doch
Alles nur von der Seite her, weil die genannte Scheibe in gerader Richtung vor dem
Auge schwebte. Da die genannten Fomente sich nützlich erwiesen hatten, wurden die-
selben fortgesetzt und nach einigen Tagen durch Rad. polyg. seneg. verstärkt. Die inner-
lich gereichte Polyg. seneg. wurde nicht vertragen, und desshalb ein Infus, sennae c. sale
Glaub, gegeben. Am 24. April nahmen die Blutpunkte in der Scheibe eine rostgelbe
Farbe an, und das Sehvermögen besserte sich so, dass P. kleinere Gegenstände auch in der
Entfernung erkannte, die er früher nicht wahrgenommen hatte. Es wurde nun Spir. vini
rectificatiss. an die Umgebung des Auges eingerieben, und innerlich Cremor tart. gereicht.
Allmälig schwanden die blässer gewordenen kleineren Körperchen in der Scheibe, und
der bewegliche Fleck wurde sammt dem halbmondförmigen Streifen lichter. Häusliche
Verhältnisse zwangen den Kranken, zu Ende April in diesem Zustande der Besserung
die Klinik zu verlassen. Zu Hause wurde unter dem Fortgebrauche der weingeistigen
Einreibungen in dem Zeiträume von 8 Monaten die Scheibe immer blässer und kleiner
sammt den zwei dunkleren Flecken, als der Patient nach einem heftigen Anfalle von Hu-
sten plötzlich von derselben Augenkrankheit in demselben Grade befallen wurde, deren
Ausgang uns aber bisher unbekannt blieb."
Zwei höchst interessante Fälle von plötzlich und ohne alle Vorboten entstandener
Blindheit mit nachfolgendem Sichtbarwerden einer grauen oder weissen Platte im Grunde
des Auges hat von Amnion in seiner Zeitschrift B. I. S. 319 — 335 beschrieben, und die
Ansicht aufgestellt, dass in diesen Fällen Chorioidealvevknöcherung obwaltete. Hält man
den Satz fest, dass nur Chorioidealexsudate das Substrat von Kalk- und Knochenbildung
abgeben können, und dass in den genannten Fällen sowohl vor als nach der Erblindung
die Zufälle von Entzündung mit faserstoffigem Exsudate fehlten, so kann man kaum an-
ders , als annehmen , dass Apoplexia retinae oder chorioideae stattgefunden, und der co-
agulirte Faserstoff jenen lichten Körper im Grunde des Auges dargestellt habe, welcher
für Knochenmasse imponirte.
III. SerumergTiss unter der Chorioidea.
Seit Wardrop*) sprechen fast alle Autoren von Wasseransamm-
lung zwischen der Chorioidea und Retina, und zwischen der Chorioidea
und Sclera. Was die erstere betrifft, so ist sie durch Sectionen nach-
gewiesen, jedoch nur als Folge von Chorioiditis; das Vorkommen des
*) Morb. Anatom, of the Eye. Vol. II.
Cysteiibildung. 235
sogenannten Hydrops chorioideae externus seu subscleroticae bedarf noch
weiterer Bestätigung-. Amnion *) ist meines Wissens der einzige, welcher
einen Sectionsbefund von Ansammlung „gelber seröser Feuchtigkeit,
welche die Chorioidea nach innen und die verdünnte Sclerotica nach
aussen drängte," veröffentlicht hat.
IV. Cystenbildung an der Chorioidea.
Hydatiden zwischen Chorioidea und Retina will Rossi**) gefunden
haben, und einen Echinococcus Dr. Gescheidt. ***) Nach der Beschrei-
bung des letzteren möchte ich nicht annehmen, dass Dr. Gescheidt einen
Echinococcus vor sich gehabt habe , sondern ein Exsudat zwischen
Chorioidea und Retina. Dr. von Ammon\), welcher das Präparat noch
besitzt, hat die Vermutbung aufgestellt, ob der vermeintliche Echino-
coccus nicht etwa für eine Metamorphose der Jakobschen Haut zu hal-
ten sei. Ich halte es demnach nicht für überflüssig, die Beschreibung
dieses Falles nach Gescheidt hier wörtlich aufzunehmen.
Die Beobachtung wurde bei einem 24jährigen Zöglinge des Dresdner Blindeninsti-
tutes gemacht, der an Phthisis tuberculosa starb. In seiner Jugend hatte derselbe an
einer heftigen Ophthalmitis gelitten, die, Anfangs vernachlässigt, mit unheilbarer Blindheit
endigte. Der Zustand der Augen , als ich denselben vor 2 Jahren zum erstenmal sah,
war folgender: Die Augenlider und die übrigen den Bulbus umgebenden Theile waren
regelmässig, der Bulbus der rechten Seite stark gewölbt, im geringen Grade glotzend,
gespannt und härtlich anzufühlen; die Sclerotica und Cornea regelmässig, die Iris braun
gefärbt, auf derselben an einigen Stellen gelbliches Lymphexsudat bemerkbar, die Pupille
verzogen, das obere Segment der Linse in geringem Grade getrübt, und in der Tiefe des
Auges eine schmutzig-gelb gefärbte und weitausgebreitete Trübung vorhanden.
Der linke Bulbus, dem rechten hinsichtlich der Form und Härte gleich, zeigte eine
hellblaue Iris, auf deren Oberfläche kleine Gefässverzweigungen sich unterscheiden Hessen.
Die verdunkelte Linse war nach unten gedrängt, so dass man nur das obere Segment
durch die weite Pupille, die übrigens von einer gelblich-braunen Masse ausgefüllt war,
durch die mehr gelblich-weiss gefärbte Trübung unterscheiden konnte.
Die Untersuchung der Augen, 4S Stunden nach dem Tode vorgenommen, ergab nun
folgende Besultate : Als das rechte durch einen Querschnitt, der mit einer Davielschen
Scheere geführt wurde , in zwei Segmente , in ein vorderes und ein hinteres getrennt
werden sollte, bemerkte man, nachdem der Schnitt etwa einen halben Zoll lang war,
dass sich zwischen der durchschnittenen Chorioidea und Sclerotica eine feine weisse Haut
in den Schnitt drängte, die man für die Retina zu halten veranlasst wurde; als jedoch
der Schnitt in der Peripherie, ohne dass die hervortretende weisse Haut verletzt wurde,
vollendet und das hintere Segment von dem vordem abgezogen und etwas umgebogen
*) Zeitschrift Bd. II. S. 252.
**) Hecker's Annalen, 1831. Band 21. S. 499.
***) Ammon's Zeitschrift. Band III. S. 437.
t) Klinische Darstellungen etc. Berlin, 1838. Bd. I. 3. 62 mit Taf. XXr, Fig. VII. und VIII.
236 Aderhaut.
war, zeigte sich folgende höchst interessante Erscheinung. Die Chorioidea war bräun-
lich gefärht, des Pigmentes berauht und mit vielen varicösen Gefässen versehen. Die
Retina erschien mit dem Glaskörper in eine weisse, röthlich-blaue Masse vereinigt und.
zusammengedrängt, so dass dieselbe vom Eintritt des Sehnerven ganz strangförmig er-
schien, nach vorn aber, an Breite und Umfang zunehmend, gefaltet wurde und mit der
Coi-ona ciliaris und den Processus eil. innig verwachsen war. Es zeigte sich also, wenn
man das hintere Segment abzog, die mit dem Glaskörper vereinigte Retina, wie der Klöp-
pel in der Glocke.
Der Raum nun zwischen der pigmentlosen, wie ausgewaschenen Chorioidea und der
klöppelförmig zusammengedrängten Retina wurde von einer weissen Blase, deren obere
"Wand sich schon durch den Schnitt hervorgedrängt hatte, ausgefüllt, und dieselhe bald
als ein Echinococcus erkannt. Es ging derselbe nämlich von der Mitte der untern
Fläche der klöppeiförmigen und gefalteten Retina aus, legte sich links um dieselbe herum
und füllte den Raum zwischen dieser und der Chorioidea in der Art aus, dass seine bei-
den sackförmigen Enden nach oben zusammenstiessen. Die äussere Haut desselben war
weiss, wenig durchscheinend und ziemlich fest. Als sie geöffnet wurde, ergoss sich eine
geringe Quantität seröser Flüssigkeit, und zugleich erschien eine zartere, bläulichweisse
Haut, als von der erstem eingeschlossen. Aus dieser kam, nachdem sie aufgeritzt worden
war, ebenfalls seröses Fluidum, welches aber eine Menge kleiner, tbeils runder, theils
ovaler und olivenförmig gestalteter Wurmkörperchen enthielt. Ausser den mit dem Flui-
dum herausgekommenen konnten noch mehrere Wurmkörper, die an der innern Fläche
der zarten Haut sasssn, wahrgenommen werden. An einigen derselben, die unter das
Mikroskop gebracht wurden, besonders an den ovalen, konnte man deutlich kleine runde
Saugmündungen unterscheiden. Übrigens bildeten sie eine ganz homogene Masse und
von innerer Structur war gar nichts wahrzunehmen. Ein Hakenkranz konnte nicht be-
bemerkt werden.
Um das Präparat , welches Herr Prof. v. Amnion in seiner Sammlung aufbewahrt,
nicht weiter zu zerstören , wurde die Untersuchung der übrigen Theile des Auges nicht
vorgenommen.
Das linke Auge, welches durch einen Longitudinalschnitt getrennt wurde, Hess Fol-
gendes bemerken : Beim Einschnitt floss eine grosse Menge einer gelblich braunen ziem-
lich dicken Flüssigkeit aus, auf der deutlich unterscheidbar kleine abgelöste Stückchen
des Pigmentes herum schwammen. Die Chorioiodea war nach vorn hellbraun und pig-
mentlos, nach dem Sehnerven zu jedoch dunkler und theilweise noch mit Pigment be-
deckt. Retina, Glaskörper, Linse etc. lagen als ein weissbräunliches Convolut hinter
der Pupille. Von dieser mit der Uvea fest verwachsenen Masse, auf der übrigens eine
Menge feiner Gefässverzwcigungen bemerkbar waren, ging ein feiner Faden nach hinten
bis zum Eintritte des Sehnerven (Rudiment der Retina). Der Sehnerv selbst war sehr
dünn. "Weder in dem ausgeflossenen Fluidum, noch in den übrigen Theilen des Auges
konnte jedoch ein Entozoon entdeckt werden.
V. Krebsablagerung in der Chorioidea.
Die Ablagerung von Markschwarnin im Innern des Auges gebt,
namentlich bei Kindern, wohl immer von der Netzbaut (der Eintritts-
stelle des Opticus in den Bulbus) aus, und die Chorioidea wird gar
Markschwamui — Melanosis. 237
nicht oder erst später infiltrirt. Fälle, wo die Ablagerung zuerst in
der Chorioidea stattfand, sind — mir wenigstens — nicht bekannt. In
dem Falle, den ich so eben beschreiben will, war die Conjunctiva
bulbi, die Sclera und die Chorioidea sammt dem Corpus ciliare von
Markschwamm infiltrirt, die Netzhaut jedoch völlig frei.
Eine Wittwe von 57 Jahren, seit 8 Jahren nicht mehr menstruirt, litt seit 1 Jahre
wiederholt an heftigem Blutausflusse aus den Genitalien, welcher bisweilen von Schmer-
zen nach dem Verlaufe des Nerv, ischiadicus begleitet war. Sie war bei gutem Appetite
ziemlich rasch abgemagert, und ihre Hautfarbe hatte sich in eine schmutzig blassgelbe
verwandelt. Bei der Untersuchung der Genitalien am 10. August 1852 fand man die
obere und hintere Hälfte der Vagina hart und höckerig infiltrirt, die Vaginalportion des
Uteras in eine gelappte und zerklüftete Geschwulst verwandelt; eine mit Blut gestreifte
schleimig-jauchige und übelriechende Flüssigkeit entleerte sich aus der Vagina. Am 3.
Sept. klagte die Kranke über ein Gefühl von Druck im linken Auge und Empfindlichkeit
gegen das Licht; die Conjunctiva bulbi war zwischen der Hornhaut und der Karunkel
stark geröthet und gelockert, der Bulbus sonst in jeder Beziehung normal. Bis zum
6. Sept. hatte sich in der Mitte der injicirten Stelle unter ziemlich heftigen Supraorbital-
schm erzen ein flacher, etwa hanfkorngrosser, graugelber Knoten entwickelt. Am 17. Sept.
bemerkte man neben dieser Infiltration unter der Conjunctiva bulbi noch eine zweite,
und heftig reissende Schmerzen , starke Lichtscheu und Verdrängung der Iris von der
Nasenseite gegen die Pupille hin, so dass diese nierenförmig erschien, Hessen auf Infil-
tration des Corpus ciliare an der Nasenseite schliessen. Die Beweglichkeit und die
Sehkraft dieses Auges waren am 1. Oct. noch nicht merklich gestört. Diess geschah
erst vom 4. Oct. an, indem die Hügel unter der Bindehaut schon so zunahmen, dass der
Bulbus etwas auswärts gestellt wurde, der Rand der Cornea sich trübte, die innere
Hälfte der Iris verfärbt, gelockert und von einigen Gefässen durchzogen erschien. Am
13. October erfolgte der Tod, nachdem in den letzten Tagen wieder heftige Metrorrhagie,
dann Dysenterie und allgemeiner Collapsus eingetreten waren. — Der linke Bulbus
wurde durch einen von vorn nach hinten geführten Schnitt in eine obere und untere
Hälfte zerlegt und ergab folgenden Befund. Die Hornhaut normal, nur an der Nasenseite
nächst ihrer Vereinigung mit der Sclera etwas dicker und getrübt. Die Sclera von der
Insertion des Opticus bis zur Gegend der Ora serrata an der Nasenseite von Maikschwamm
infiltrirt, ihre Fasern durch geschwänzte Zellen mit grossen runden Kernen (Krebszellen,
junges Bindegewebe) auseinander getrieben, so dass die infiltrirte Partie einerseits nach
innen (gegen die Höhle des Bulbus), andererseits nach aussen (gegen das Orbitalfett)
vorragt, und an der mächtigsten Stelle (zwischen Opticus und Äquator) über 4'" dick erscheint.
Von der Gegend der Ora serrata treten die Fasern der Sclera wieder zusammen, und findet
die Sarcomablagerung bloss in der Tunica vaginalis und Conjunctiva bis in den Lirabus
conjunctivae corneae hin statt. Innerhalb der Sclera, deren Elemente mitten in der ge-
nannten Geschwulst nur als spärliche weisse Fasern zu erkennen sind, liegt die Chorioidea
an der Nasenseite von der Eintrittsstelle des Opticus bis zum Schlemmschen Canale
fest, jedoch im Bereiche des Corpus ciliare nicht unzertrennlich mit der Sclera zusam-
menhängend, und in dieser ganzen Ausdehnung mit Markschwamm infiltrirt, daher vom
Opticus bis zur Ora serrata etwa '/•»'", im Bereiche des Ligamentum ciliare gegen 3/V"
dick. Ihre Pigmentschicht und die Ciliarfortsätze unverändert. Die Netzhaut durchaus
normal, nur durch die genannte Infiltration sammt der Chorioidea um etwa 2'" einwärts
238 Aderhaut.
gedrängt. Dem entsprechend nimmt der sonst gehörig beschaffene Glaskörper ein klei-
neres Volumen ein. Linse und Kapsel normal. Die Iris nirgends infiltrirt, an der Nasenseite
jedoch auf ihrer vordem Fläche mit einem lichtgrauen geronnenen Exsudate bedeckt.
Melanotische Ablagerungen im Bulbus gehen viel häufiger von der
Sclera als von der Chorioidea aus.*) Fritscki**) hat die bis zum
Jahre 1 843 bekannt gewordenen Beobachtungen zusammengestellt. Aus
denselben ergibt sich, dass sich die Gegenwart solcher Pseudoplasmen
im Auge erst dann bestimmt diagnosticiren lässt, wenn dieselben sich
bereits durch die Sclera nach aussen Bahn gebrochen haben. Wir
werden darauf noch bei Besprechung des Markschwammes der Netz-
haut zurückkommen.
VI. Angeborene Spaltung- der Chorioidea und Pigmentmangel.
Von dem angeborenen theilweisen Mangel der Chorioidea, welcher
nur mit demselben Fehler der Iris vorkommt, wurde bereits S. 122 —
130 gehandelt.
Der angeborene Pigmentmangel der Chorioidea (Albinismus) beruht
darauf, dass ihre Pigmentzellen wenig oder keine Pigmentkörnchen
enthalten und platter sind. Gleichzeitig fehlt auch an der Iris das Pig-
ment mehr weniger vollständig. Hiedurch erhält das Auge das be-
kannte Aussehen, welches man an weissen Kaninchen zu beobachten
am häufigsten Gelegenheit hat.
In Folge dieses Zustandes ist das Gesicht mehr weniger unvoll-
kommen. Nystagmus und Empfindlichkeit gegen helles Tageslicht be-
gleiten die höhern Stufen desselben. Bei mehreren Kakerlaken hat
man beobachtet, dass die Störung des Gesichtes sowohl als die Empfind-
lichkeit gegen das Tageslicht mit dem Eintritte des Mannesalters ge-
ringer wurde.
Diese Anomalie kommt bald nur bei einem einzigen Gliede einer
Familie vor, bald bei mehreren Geschwistern, bald auch bei verschie-
denen Gliedern in auf- und absteigender Linie. ***)
Das Tragen von Brillen mit grossen, runden, blassblauen oder blass-
grauen Gläsern dürfte das beste Mittel sein, für solche Augen das Licht
entsprechend zu temperiren.
*) Vcrgl. Reuss cüssert. inaugur, de melanosi, Pragae, 1833. und Eyba, Prager Viertel) ahrschr. Bd. 8.
(1845) S. 133.
**) Die bösartigen Schwammgeschwülste des Augapfels. Freiburg, 1843.
***j Am ausführlichsten ist das über diesen Bildungsfehler Bekannte zusammengestellt in Ed. Cornaz
Abnormit. congeniales des yeux. Lausanne, 1848.
VI. Buch.
Die Kry stalllinse und ihre Kapsel , Lens cry-
stallina et Capsula lentis.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Der Krystallkörper, zwischen der Iris und dem Glaskörper gelegen,
und seiner Gestalt nach so ziemlich einer Linse entsprechend, misst von
einem Punkte seines Bandes zum entgegengesetzten gewöhnlich 4"';
seine Achse, welche mit der Sehachse (vom Centrum der Cornea bis
zur Macula lutea der Netzhaut) zusammenfällt, variirt zwischen 1 3/i und
2'/4/". Im Kindesalter ist die Achse relativ zum Durchmesser, im
Greisenalter hingegen der Durchmesser relativ zur Achse grösser.
Das absolute Gewicht beträgt im Allgemeinen 4 Gran; das speci-
fische 1,0790, das des Kernes allein 1,112. Das specifische Gewicht
des Glaskörpers wird auf 1,0053 angegeben.*)
Die vordere Fläche ist weniger, die hintere mehr convex; eine
Ebene, durch den Rand (Äquator) des Krystallkörpers gelegt, also
senkrecht auf die Achse, würde dem vordem Pole um */« — '/V" näher
liegen als dem hintern.
Der vordere Pol ist vom Centrum der Descemetschen Haut im
Mittel V" weit entfernt, bei Kurzsichtigen weiter, bei Weitsichtigen we-
niger; der hintere Pol befindet sich ungefähr b1J2— 6'" vor der Macula
lutea.
Der Krystallkörper ist mittelst der Zonula Zinnii an den Strahlen-
körper und durch Anlagerung an den Glaskörper befestigt. Vergl. S.
151. Die Verbindung mit den Strahlenfortsätzen ist in so fern locker,
als sie ein Vorwärtstreten des Krystallkörpers gestattet, ohne zu zer-
*) Huächke 1. c.
210 Krystalllinse.
reissen, fest hingegen, insofern die Lösung des Kiystallkörpers aus
dieser Verbindung, die Zerreissung der Zonula Zinnii, eine gewisse
Gewalt erfordert.
Entleert man den Humor aqueus durch einen Einstich in die Cornea, so rücken
Iris und Krystallkörper knapp an die in ihrer Wölbung unverändert bleibende Cornea
an. Ei ss kann nur geschehen, indem auch der Glaskörper nachrückt und der Bulbus
in den Äquatorialdurchmessern verkleinert wird. Da hiebei die Ciliarfortsätze ihre rela-
tive Lage zu einander und zur Cornea nicht ändern können, so muss es die Zonula
Zinnii sein, welche ein Vorrücken des Linsensystemes um ['" und darüber gestattet.
Die hintere Hälfte der Linsenkapsel ist (in der tellerförmigen Grube
des Glaskörpers) ziemlich fest, doch nicht unzertrennlich mit der Glas-
haut vereinigt. Hat man die Zonula, das Aufhängeband der Linse,
ringsum vorsichtig getrennt, so kann man auch die Linse sammt ihrer
Kapsel aus der tellerförmigen Grube herausheben, ohne die Hyaloidea
daselbst zerreissen zu müssen.
a. Die Kapsel, welche gewöhnlich in eine vordere und hintere
(Hälfte) unterschieden wird, bildet ein ununterbrochenes Ganze, und
umschliesst die Linse ungefähr in der Art, wie die Schale eines Apfels
das Parenchvm. Es ist irrig, wenn man meint, die Linse liege in der
Kapsel, wie eine Erbse in der Hülse, oder gar sie sei durch Flüssig-
keit (Humor Morgagni!) von derselben getrennt.
Die vordere Hälfte der Kapsel, welche durch Verschmelzung mit
der an sie tretenden Zonula Zinnii und mit der metamorphosirten Mem-
brana capsulo-pupillaris (siehe unten Entwicklungsgeschichte) bedeutend
verstärkt wird, ist nichts weniger als spröde, sondern elastisch und
ziemlich zähe.
Einer stumpfspitzigen Nadel widersteht sie nur dann nicht, wenn sie straff ge-
spannt ist und rasch getroffen wird. Eben so weicht sie der Schneide der Nadel leicht
aus, wenn sie bereits eingeschlitzt ist, und die Spitze beim Schneiden nicht neuerdings
an ihre vordere Fläche angesetzt wird. Durch einen einfachen Schlitz kann selbst die
ganze Linse herausgedrückt werden, ohne dass die beiden Seitenhälften in Zipfel ein-
reissen müssen, obwohl diess häufig geschieht.
Lappen oder Zipfel der Kapsel rollen sich allmälig von der Spitze
her ein, und ziehen sich runzelig gegen den Äquator hin zusammen.
Kleinere Stücke, mit einer Pincette gefasst, reissen bei noch unversehr-
ter Zonula leicht ab, wenn man sie in der Richtung ihrer Fläche an-
zieht, ausserdem lassen sie sich leicht über die ganze vordere, selbst
weit in die hintere Kapsel hinein vergrössern.
Die Kapsel ist vollkommen durchsichtig, und bewahrt diese Eigen-
schaft selbst nach jahrelanger Aufbewahrung in Weingeist, Sublimat,
Essigsäure u. dgl. Man hat bisher weder Gefässe noch Nerven, nicht
Anatomie — Physiologie. 241
einmal deutliche Faserimg in derselben nachgewiesen. Ihre vordere
Fläche ist mit einem ähnlichen Epithelium überzogen wie die Desce-
metsche Haut (Brüche). Ihre hintere (innere Fläche) kann nur durch
sorgfältiges Abstreifen und Abspülen von den Linsenzellen befreit
werden.
Kach lluschke entsteht die Kapsel im Embryo durch Einstülpung
der äussern Bedeckungen ; indem der also gebildete Sack , in welchem
später die Linse als körnige Masse gefunden wird, sich nach vorn ver-
engert und abschnürt, wird er zu einer selbstständigen Kapsel, deren
vordere Fläche mit der allmälig ihren Gefässreichthum einbüssenden
Membrana capsulopupillaris verschmilzt, während sich über beide vom
Rande her die Zonula gleichsam vorschiebt. — Wird die Kapsel durch
Gefässe ernährt, so kann sie dieselben in ihrer vordem Hälfte nur mit-
telst der Zonula, in ihrer hintern nur mittelst der Hyaloidea erhalten.
b. Die Linsensubstanz kann deutlich in zwei verschiedene Lagen
geschieden werden, den Kern und die Rinde. Der sogenannte Liquor
Morgagni/', ein Tröpfchen klarer Flüssigkeit, welche in Cadavern aus
einem Einstiche in die Kapsel hervorquillt, enthält durchsichtige und
farblose kernhaltige Blasen von sechseckiger Gestalt, die Linsenkugeln.
Sie dürften als die jüngsten Elemente zur Bildung der Fasern zu be-
trachten sein, welche man, je weiter gegen das Centrum der Linse hin,
desto deutlicher ausgeprägt findet.
Die Rindensubstanz ist eine körnig-faserige, krystallkelle und farb-
lose, weiche, etwas klebrige und schmierige, fast gallertartige Masse,
welche den Kern rings umgibt. Am mächtigsten ist sie gegen den Rand
hin, gegen 1 1'" dick, minder mächtig im vordem Umfange, am vordem
Pule etwa i z'" dick, am dünnsten im hintern Umfange, am hintern
Pole gewöhnlich nur '/5 — V«'". Sie erfüllt also den Raum, der übrig-
bleibt, wenn man das Volumen des Kernes (3'" Durchmesser, i1^'"
Achse) von dem der Kapsel (4'" Durchm. , 2'" Achse im Mittel) abzieht.
Der Kern liegt somit der hintern Kapselwand näher als der vordem.
Der Kern unterscheidet sich von der Rindensubstanz durch seine
grössere Consistenz. Er allein ist es, welcher in der 2. Lebenshälfte eine
mehr und mehr gelbliche Färbung annimmt. Bloss der Kern wird im
Weingeiste hart; die Ptinde bleibt mehr weniger weich und schmierig
oder bröcklieh.
Ein Zerklüften der Kernsubstanz, wie wir in der Rinde beobachten, habe ich
wenigstens an den in Weingeist aufbewahrten Cataracten nie gefunden. — Besonders
schön sah ich den Unterschied zwischen Kern- und Rindensubstanz an einem wegen
Sarcoma melanodcs esstirpirten Bulbus. Die melanotisch-sarcomatöse Masse füllt den
Arlt Augenheilkunde. II. 16
242 Krystalllinse.
Bulbus ganz aus , und hat die Sclera im Äquator durchbrochen ; ein senkrecht von oben
nach unten geführter Durchschnitt hat den Bulbus und die Linse in eine innere und
äussere Hälfte geschieden. In der innen ganz glatten Kapsel, durch welche die mit
ihrer äussern Fläche verschmolzene melanotische Masse durchscheint, liegt die Linse, in
der Mitte der Kern, dunkelgelb, hart, 3'" im Durchmesser, 1 'As'" in der Achse, ringsum
die Rinde graulich-weiss, käseartig, wie eine Schale, vorn mächtiger, hinten dünner.
Sowohl der Kern als die Rinde besteht aus concentrisch über ein-
ander liegenden Blättern, welche aus Fasern zusammengesetzt sind. Diese
Blätter werden gegen die Pole hin dünner, als sie am Rande sind.
Ihre Verbindung unter einander geschieht durch eine formlose oder fein-
körnige flüssige Masse. Dieser Bitidestojf scheint gegen die Kapsel hin
reichlicher vorhanden zu sein als im Kerne, wenigstens ist in den
oberflächlichen Schichten die Verbindung der Blätter unter einander
lockerer. — Die Faser?i, welche durch Nebeneinanderliegen ein Blatt
bilden, sind die feinen und regelmässig geordneten Grundelemente der
Linsensubstanz. Sie laufen in jedem Blatte von dem Äquator nach den
Polen dicht neben einander und ohne sich zu kreuzen. Die Gestalt jeder
Faser ist platt, aber mehr weniger sechsseitig prismatisch. Jede Faser
wird in ihrem Verlaufe vom Äquator gegen die Pole hin dünner. Jede
Faser läuft über den Rand der Linse von der vordem oder hintern
Fläche. Den Ausgangspunkt auf der einen und den Eingangspunkt jeder
Faser auf der entgegengesetzten Oberfläche bilden die Pole und Meridiane
der Linse.
Die wirklichen (nicht die mathematischen) Pole der Linse sind drei-
oder viereckige Stellen in der Achse der Linse, von welchen die Meri-
diane Avie die Speichen eines Rades gegen den Rand der Linse hin
auslaufen. Die Pole sowohl als die Meridiane sind gebildet durch eine
Masse aus runden, gekernten, sehr durchsichtigen und unzusammen-
hängenden Zellen von verschiedener Grösse, so wie wir sie an der
äussersten Peripherie (in den jüngsten Schichten) finden.
Die Meridiane sind theils Hauptmeridiane, welche vom Pole gegen
den Rand hin laufen, ohne denselben zu erreichen, theils Nebenmeridiane,
welche gleichsam als dichotome Spaltungen der Hauptmeridiane gegen
den Äquator hin erscheinen. Die Zahl der Hauptmeridiane ist in der
menschlichen Linse drei in der vordem, und drei oder vier in der hin-
tern Hemisphäre. In der vordem geht der eine nach oben, der andere
nach unten und aussen, der dritte nach unten und innen, in der hintern
dagegen der eine nach unten, der andere nach oben und aussen, der
dritte nach oben und innen. Ein solches Wechselverhältniss der Rich-
tung an der hintern und vordem Hemisphäre findet auch bei einer
grössern Anzahl von Hauptmeridianen (6), welche nicht selten vorkommt,
Anatomie — Physiologie. 243
und bei den Nebenmeridianen statt. Indem die Meridiane sämmtlicher
Blätter der vordem Hemisphäre sich decken, und eben so die der hin-
tern, geht also die sie bildende KernzeUensubstanz nirgends durch die
ganze Dicke der Linse, und es kann daher von einem Zerklüften, von
einer Dehiscenz der Linse, bedingt durch Zerstörung dieser Kernzellen-
substanz, nie in dem Sinne die Rede sein, als ob ein Spalt durch die
ganze Dicke der Linse entstehen könnte. Legt man die Linse in Wein-
geist, so zerklüftet nur die Rindensubstanz in der Richtung der Meri-
diane. Man sieht 3, 5, 6 — 12 solche speichenartig verlaufende weisse
Streifen in derselben. (Nie sah ich sie am Kerne.)
Bestandtheile nach Berzelius: Wasser 58,0, eiweissartige Materie
35,9; Alkoholextract mit salzsauern und milchsauern Salzen 2,4, im
Wasser lösliche Materie mit phosphorsauern Salzen 1,3, unauflösliche
Theilchen 2,4. Die Asche enthält Spuren von Eisen; sie beträgt 0,005
vom Gewichte der frischen Linse.
Auf welche Weise die Linse und die Kapsel ernährt werde, ist bei
dem Umstände, dass sich in der Kapsel bei Erwachsenen durchaus keine
Gefässe nachweisen lassen, noch unbekannt. Sie erfolgt höchst wahr-
scheinlich vom Rande her aus den Ciliarfortsätzen durch den Petitschen
Canal. Dort wenigstens ist die mächtigste Schichte der Elemente, welche
man als die jüngste der Linse zu betrachten berechtigt ist. Ausserdem
Hesse sich nur annehmen, dass die Ernährung von der Zonula Zinnii
und von der vordem Kapsel her durch Vasa serosa erfolge. Blutführende
Gefässe sind nur im embryonalen Zustande sowohl in der vordem als
in der hintern Kapsel bestimmt nachgewiesen. Erstere kommen von der
Zonula her, letztere von der Art. centralis corp. vitrei.
Die Linse durchläuft, abgesehen von Erkrankung, auch nach der
Geburt noch mehrfache namhafte Veränderungen. Nebst der Torrn und
Lage, von denen schon die Rede war, ändern sich auch ihre Consistenz
und ihre Farbe. Im Kindesalter hat sie ungefähr die Consistenz eines
dicken Breies und lässt sich leicht zwischen den Fingern zerdrücken.
Noch in den zwanziger Jahren findet man ihre Consistenz so gering,
dass sie einer x\i— -jz'" breiten Reclinationsnadel nicht ausweicht, wenn
man sie in den Glaskörper hineinzudrücken versucht, sondern sich in
2 Hälften trennt. Im Greisenalter zeigt sie auch bei völliger Durch-
sichtigkeit ungefähr die Härte des Schweizerkäses. Lässt man von einem
Kinde die Linse mit uneröfifneter Kapsel einige Zeit an der Luft liegen,
so wird die Kapsel runzlig, was bei Linsen älterer Individuen nicht so
"bald oder gar nicht geschieht. — Bis zum 30. Jahre ist die Linse voll-
kommen farblos; von da an wird sie blassweingelb und allmälig wie
16*
244 Krystalllinse.
Topas oder Bernstein. Diese Veränderungen erfolgen so constant, dass
man aus der Farbe und Consistenz einer Linse allein mit Sicherheit
bestimmen kann, ob sie aus dem Cadaver eines jugendlichen oder eines
bejahrten Individuums genommen wurde.
Lässt man bei Thieren Sonnenlicht durch ein starkes Brennglas
auf die Linse fallen, so zerklüftet sie in der Richtung der Meridiane
und wird trüb. Wemek*) hat bei einem Steinröthel und bei einem Jagd-
hündchen durch concentrirtes Licht cataracöse Linsen zum Zerspringen
gebracht, und hiedurch Resorption derselben eingeleitet. Dr. Fron-
müller**) sah eine Catar. lenticularis plötzlich bei einem 65jährigen
Manne entstehen, welchem durch eine blasenartige Convexität in einer
Fensterscheibe concentrirtes Licht in's Auge gefallen war (?). Vom Ver-
halten der Linse gegen den galvanischen Strom wird bei den Staar-
operationen die Rede sein. Luft in die vordere Kammer eingebracht,
erregt nach Dr. Höring's***) Versuchen Entzündung nicht nur der Zonula
Zinnii , sondern auch der vordem Kapselwand (?). Über mechanische
und chemische Verletzimg en der Kapsel bemerkt derselbe Autor S. 15:
„Wir machten den Versuch bei Thieren, wir rieben und stachen die
Kapsel, wir kauterisirten sie mit salpetersaurem Silber f) und mit ver-
dünnten Säuren, doch ungeachtet unserer Mühe und jeder nur mög-
lichen Sorgfalt brachten wir es nur selten dahin, in der Linsenkapsel
eine Entzündung hervorzurufen, welche wir durch Section nachweisen
konnten. Es ist wahr, dass in Folge dieses Verfahrens die Linse in ihren
organischen Verhältnissen oft verändert war; sie wurde dunkel, erweicht
oder zur Hälfte resorbirt. Auch die Kapsel war auf den ersten Anblick
weisslich und neblig, aber wenn man die dunkeln Stellen derselben
unter dem Mikroskop untersuchte, zeigten sich Gruppen kleiner Falten,
dadurch entstanden, dass die Membran sich zusammenzog, während wirk-
liche plastische Ausschwitzungen sehr selten waren".
Kleine Stich- und Schnittwunden der vordem Kapsel können spur-
los vernarben.
Im Jahre 1S40 machte Prof. Fischer bei einem 25jährigen an Tubercul. pulm.
leidenden Manne die Discission beider Kapseln durch die Cornea. Der sehr weiche,
bläulich weiss aussehende Linsenstaar wurde in den nächsten Tagen etwas gesättigter.
Am 17. Tage erlag der Kranke plötzlich seinem Lungenleiden. Prof. Bochdalek fand bei
der Untersuchung die Kapseln schlaff, doch überall geschlossen, ohne Spur einer Narbe,
und nach Abstreifung eines feinen Beschlages von der Innenfläche überall vollkommen
*) Ammon's Zeitschrift 1834. Bd. II. S. 14.
**) Walther und Ammon's Journal N. F. Band II. S. 174.
***) Preisschrift über den grauen Staar. Heilbronn, 1814. S. 16. Beob. 5.
f) Wemek 1. c, S. 18., ätzte die Kapsel mit Lapis milchblau, und es blieb -weder ein Fleck noch eine
Narbe zurlick.
Anatomie — Physiologie. 245
durchsichtig-. Trof. Fischer, dem ich assistirtej hatte beiderseits die Kapseln einfach ein-
geschnitten, ohne förmliche Lappen zu bilden, weil gleich nach Eröffnung der Kapseln
etwas milchige Flüssigkeit in den Humor aqueus austrat. Im October 1849 untersuchte
ich mit Prof. Engel die Augen einer Kranken, an welchen ich 5 Wochen vor dem Tode
die Discission durch die Cornea gemacht hatte. Die Ursache der Cataracta und des Todes
■war Diabetes mellitus. Es fanden sieh in beiden vordem Kammern mehrere Stückchen
Linsensubstanz, deutliche Linsenfasern mit Kugeln untermischt; die Kapseln zeigten deut-
liche Öffnungen, nirgends eine Trübung.
An Tbieren haben insbesondere Dietrich*), Beger**) und Wer-
We/.'***) d^ Verwundbarkeit des Krystallkörpers geprüft. Durch ein-
fache Stichwunden der vordem Kapsel drängt sich vermöge der Elasti-
cität dieser Membran eine kleine Partie der halbflüssigen Rindenschicht ■
hervor, und bildet, indem sie trüb und weisslich wird, die so genannte
Rrystallflocke. Diese ist kegelförmig, mit ihrer Basis auf der Kapsel
und Linse sitzend, mit ihrer Spitze in die Augenkammer hineinragend,
oder (meistens) an die Hornhautwunde sich anlehnend. Sie scheint un-
mittelbar nach der Verwundung zu entstehen, obgleich sie gewöhnlich
erst nach mehreren Stunden sichtbar (trüb) wird. Sie verschwindet
allmälig, so wie sich die Kapselöffnung schliesst. An ihrer Stelle bleibt
in der Regel keine Trübung, weder der Linse noch der Kapsel zurück.
Auch Schnittwunden pflegen keine andern Folgen zu haben, und
selbst gerissene Kapselwunden, wenn nur ohne gleichzeitige Erschütte-
rung des Krystallkörpers beigebracht, können unbeschadet der Durch-
sichtigkeit der Kapsel und Linse wieder vernarben.
Der Zutritt des Kammerwassers zur Linse durch eine Kapselöffnung
scheint durch das Verlegtwerden derselben mittelst der Rindensubstanz;
abgehalten zu werden, und erst bei grösseren Öffnungen oder bei
solcher Beschaffenheit derselben, dass sie nicht leicht verlegt werden
können (Zipfelbildung), sieht man das Kammerwasser auf die Linse der-
art einwirken, dass diese getrübt und sofort erweicht, aufgelockert und
verflüssigt wird.
Verwundungen der hintern Kapselhälfte, wenn dabei die Linse nicht
verrückt wird, heilen oft wie die Wunden der vordem Wand; wird
aber die Kapselwand stark zerrissen, so erfolgt Trübung derselben, oft
mit, oft ohne Verdunkelung der ganzen Linse. Nach Wernek ist es
ferner nicht gleiehgiltig, ob ein Stich in das Fasergewebe oder in die
Kernzellensubstanz (des Poles und der Meridiane) gedrungen ist; in
letzterem Falle bleibe gewöhnlich nur am Einstichspunkte eine Trübung
zurück.
*) Über Verwundungen des Linsensystemes. Tübingen, 1824.
**) Ammon's Zeitschrift. Bd. III. S. 167.
«**) Ammon's Zeitschrift. Bd. IV. S. 18.
216 Krystalllinse.
Nichts bewirkt leichter Trübung der Linse, als Erschütterung. Diet-
rich, Beger und Wernek stimmen in dem Punkte überein, dass Ver-
rückung- der Linse in ihrer Kapsel ohne Weiteres Trübung der Linse
zur Folge habe. Hierauf ist daher nach Verletzungen besonders Rück-
sicht zu nehmen, wenn man bestimmen soll, ob Linsentrübung nach-
folgen werde oder nicht. Nur so löst sich der Widerspruch, welcher
scheinbar darin liegt, dass oft die geringste Verletzung, der Stich mit
einer Nähnadel, schon Cataracta herbeiführt, hingegen weit grössere
Stich- und Schnittwunden keine Trübung zur Folge haben. Die Anord-
nung der halbflüssigen peripherischen Linsenzellen und Linsenfasern,
welche den Zusammenhang der Kapsel mit der festeren Linsensubstanz
vermitteln, scheint demnach eine bestimmte und für die Ernährung der
Linse unumgänglich nothwendige zu sein.
. Regenerirt sich die Linse ? Vieles ist dafür, vieles dagegen vorge-
bracht worden. Die verschiedenen Behauptungen stützen sich theils auf
Vivisectionen, theils auf die anatomische Untersuchung operirter catarac-
töser Augen. — Versuche an Thieren habe ich nicht gemacht; in Bezug
auf die von Andern vorgenommenen muss bemerkt werden, dass man
es unterlassen hat, sich zu überzeugen, ob durch die Operation die ge-
stimmte Linse aus der Kapsel entfernt wurde, oder ob nicht ein Theil
derselben, die Rindensubstanz, zurückgelassen worden war. Man hat die
extrahirten Linsen nicht genau gemessen.
Selbst Dr. Löwenhardt's Versuche*) geben keinen hinreichenden Beweis für die
Regeneration der Linse. Er machte am 6. Juli 1827 bei einem 10- und bei einem
12monatlichen Kaninchen die Extraction der Linse; als er nach etwas mehr als 9 Mona-
ten die Operation wiederholte, erhielt er Krystalllinsen (?), welche viel abgeplatteter
und auch weniger consistent waren, als die ersten, namentlich an den Rändern. Bei dem
einen Kaninchen fand er 3 Monate nach der Wiederholung der Operation in der Kapsel
nur etwas gallertartigen Schleim. Am 16. Juli wurden zwei Cmonatliche Kaninchen durch
Extraction operirt; bei Wiederholung der Operation nach 1 Jahre fand sich nur etwas
gelatinöser Schleim vor. Auch Textor der Sohn**), welchem wir eine sehr sehätzens-
werthe Abhandlung über diesen Gegenstand mit vortrefflichen Abbildungen verdanken,
hat gleich den übrigen Autoren weder Messungen der extrahirten Linsen , noch mikro-
skopische Untersuchungen jener Masse vorgenommen, welche er für wieder erzeugte
Linse hielt. Prof. Mayers Angabe, dass er nur dann Linsensubstanz vorfand, wenn das
Thier erst mehrere Wochen nach der Operation getödtet wurde, wäre allerdings geeignet,
für Wiederersatz von Linsensubstanz zu sprechen, wenn sie nicht mit den Angaben An-
derer im Widerspruch stünde, und wenn sie sich nicht immer bloss auf ein Auge bezöge.
Ebenso hat Valentin ***) die durch Extraction beseitigten Linsen nicht gemessen , und
uns den Zweifel nicht benommen, ob er nicht einen beträchtlichen Theil der Linse (Rin-
*) Froriep's Notizen N. 418 Sept. 1841.
**) Über die Wiedererzeugung der Krystalllinse. Würzburg, 1n42.
***) Zeitschrift für rationelle Modicin von Henle und Pfcuffer, Bd. I. 1844, S. 227.
Anatomie — Physiologie. 247
densubstanz) zurückgelassen hatte. Er entfernte am 24. Juni 1842 bei einem jungen und bei
einem alten Kaninchen die Linse des linken Auges durch Extraction möglichst vollständig (?).
Die Kapsel 'war in der untern Hälfte eröffnet worden. Die anatomische Untersuchung er-
folgte am IS. October desselben Jahres. Bei dem jüngeren Thiere erschien die Pupille ganz
rein; an der Stelle der Linse erschien ein heller, kreisförmiger plattrundlicher Theil von
4 V*'" Durchmesser, der nur nach unten hin defect und ausgeschnitten war. Diese Lücke,
welche sich bis nach dem Centrum hin, der Pupille gegenüber erstreckte, ergab eine grösste
Länge von etwas mehr als 2'" und eine Breite von 2[/s'", erschien unregelmässig drei-
eckig und hatte ihre Basis nach aussen und unten , ihre Spitze nach dem Centrum der
Linse gerichtet. Durch sie fand eine ziemlich innige Anheftung zwischen der regenerir-
ten Linse und der Iris, so wie mittelbar mit der Hornhautnarbe statt (?). Die Linse des
rechten Auges hatte 43/V" im Durchmesser, und war von vorn nach hinten ungefähr
etwas mehr als noch einmal so stark, wie der neue Krystallkörper des linken Auges.
Dieser zeigte schon dem freien Auge alle Charaktere der ächten Linsenmasse. Wurde
er im Ganzen mit der Linsenkapsel und der anhaftenden Partie des Glaskörpers unter
das Mikroskop gebracht, und bei massig starker Vergrösserung betrachtet, so fielen in
der Xähe der Oberfläche sogleich die eigenthümlichen Linsenzellen und mehr in der
Tiefe die schwächer, aber bestimmt gezeichneten Linsenfasern auf. Die gesammte Masse
aber bot unregelmässige , bald irregulär gehäufte, bald deutlicher geschichtete Fragmente,
welche bei gesunden und vollständigen Linsen nicht vorkommen, und auch dem Krystall-
körper des gesunden Auges fehlten, dar. Die Linsenzellen wurden sowohl an der vor-
dem , als an der hintern Oberfläche der Linse , und zwar an dieser reichlicher als an
jener wahrgenommen, theils isolirt, theils zusammen gehäuft. Die Linsenfasern, die meist
den obeu erwähnten Fragmentai-bestandtheilen der Linse entsprechend verliefen, zeigten
sich an vielen Stellen scharf begrenzt, und hatten neben ihren bestimmten Bändern bis-
weilen anliegende kleine Körnchen, wie dieses auch bei gesunden Linsen nicht selten
vorkommt. An andern Stellen konnten die Fasern nicht immer innerhalb der bröcklichen
Masse mit Bestimmtheit verfolgt werden. Die oberflächlichen Linsenschichten massen
0,0035'"— 0,0070'" während die des gesunden Krystallkörpers 0,0025'"— 0,0035'" er-
gaben ; jene waren also im Durchschnitte bedeutend breiter, als diese. Die Substanz der
Linsenkapsel zeigte sich in beiden Augen gleich durchsichtig. An der vordem Fläche
der Kapsel der wiedererzeugten Linse glaubte V. ein schwaches Gefässnetzwerk wahr-
zunehmen, welches er sowohl an deren hinterer Fläche als in der Kapsel des gesunden
Bulbus vergeblich suchte. Der regenerirte Krystallkörper wurde durch Weingeist ebenso
milchweiss und undurchsichtig, wie der gesunde.
Bei dem altern Kaninchen hatte die Linse des operirten Auges Vj-i.'", die des
rechten Auges 41 V" im Durchmesser; jene war von vorn nach hinten ebenfalls mehr
abgeplattet, der Hornhautnarbe gegenüber unvollständig (Lücke wie bei dem Jüngern),
und gleichfalls mit dieser durch Exsudat verbunden, im grössten Theile ihrer Peripherie
hell und durchsichtig, im Centrum und etwas nach hinten und unten milchweiss getrübt.
Die Linsenzellen bildeten eine dünne Lage an der Oberfläche, hinten dünner als vorn. Die
meisten Linsenfasem waren scharf gezeichnet und vorn regulär bogenförmig geordnet'
hinten dagegen unregelmässiger durch einander geworfen, und selbst an einzelnen Stellen
innerhalb der weicheren bröcklichen, wie Gummifragmente gebrochenen Masse nicht deut-
lich kenntlich; die oberflächlichen Fasern waren gleichfalls etwas breiter, als die des
rechten Auges. Die gesammte Linsenmasse war bis auf den hartem Kemtheil von einer
.Flüssigkeit durchdrungen, in welcher einzelne Linsenzellen schwammen. Auch hier war
248 Krystalllinse.
die Kapsel durchsichtig und mit feinen Körnchen besetzt. Spuren von Gefässnetzen wur-
den hier vergeblich gesucht. Auf diesem Auge war stärkere Reaction eingetreten gewe-
sen, vmä hatte eine breitere Hornhautnarbe hinterlassen. Das Auge des älteren Kanin-
chens war nach allen Durchmessern beinahe um V" geschrumpft, während bei dem jungem
Thiere die Schrumpfung der 3 Durchmesser nur beiläufig '/*'" betrug. Bei dem älteren
Thiere war auch Verflüssigung des Glaskörpers eingetreten.
Bis jetzt kann nur so viel als sicher angenommen werden, dass
man nach der Extraction noch Linsensubstanz in der Kapsel vorgefun-
den hat. Diese Substanz war durchaus weich. Eine Wiedererzeugung
des Kernes hat Niemand nachgewiesen. Die Frage der Regeneration
hat nur insofern Interesse, als es sich um die Wiederherstellung der
Form und der Function der beseitigten Linse handelt. Ob vom Rande
her etwas Linsensubstanz regenerirt werden könne oder nicht, das kann
so ziemlich als müssige Frage betrachtet werden. Übrigens ist wohl
nicht zu übersehen, dass, wenn auch die theilweise Regeneration der
Linse schon durch Vivisectionen sicher gestellt wäre, doch zwischen
dem gesunden Auge eines jungen lebenskräftigen Thieres und dem
cataractösen Menschenauge noch ein grosser Unterschied in Bezug auf
die vegetativen Verrichtungen obwalten müsse. Und doch will man bei
alten abgelebten Greisen nichts Geringeres als Regeneration der Linse
gefunden haben! Retzius*) will daraus erklären, warum Operirte mit
der Zeit oft minder starke Gläser brauchen, und Volkmann**), Valentin
1. c. u. A. sind dieser Ansicht beigetreten, ohne zu bedenken, dass bei
den bisher untersuchten Menschenaugen die Lücke der Linsensubstanz,
welche Valentin bei den Kaninchen nach unten beobachtete, im Centram,
also gerade da gefunden wurde, wo die Lichtstrahlen die Linse zu pas-
siren haben. Lässt sich wohl denken f dass eine so unregelmässig ge-
baute Linse, wie Valentin sie selbst bei den jungen Kaninchen fand, der
Function der Strahlenbrechung genügen könne? Wir werden bei der
Lehre von der Accommodation, welche mit dieser Frage innigst zusam-
menhängt, entscheidende Thatsachen anführen.
Alle Befunde an Menschenaugen, welche seit Vrolik (1801) von
W. Sömmerring (1828), Beck (1830), Wernek (1834), Retzius (1837),
Tcxtor (1842) u. A. veröffentlicht worden sind, beweisen nicht, dass die
Linsensubstanz, welche man in der Kapsel eingeschlossen fand, eine
regenerirte war, sondern vielmehr , dass sie ein Theil der Linse war,
welcher nicht aus der Kapsel entfernt worden. Ich habe sowohl durch
Extraction als durch Reclination operirte Augen in Zeit von einigen Wochen
*) Tidskrift for Läkare 1837, siehe Textor.
**) Wagner's Handwörterbuch der Physiologie. Bd. III. S. 305.
Anatomie — Physiologie. 249
und in Zeit von mehreren Jahren nach der Operation zu untersuchen
Gelegenheit gehabt, und halte mich dadurch in Stand gesetzt, die An-
gaben Anderer zu beurtheilen. Die Beschreibung einiger meiner Prä-
parate, von denen ich mehrere aufbewahre, folgt weiter unten (siehe
Veränderungen nach Staaroperationen). Man kann sich eine regnerirte
Linse wohl nicht denken, ohne dass auch die Kapsel wieder einen völ-
lig geschlossenen und durchsichtigen Sack darstellt. Erweitert man
nun in jedem Falle, wo nach einer Staaroperation die Pupille vollkom-
men (!) schwarz und das Sehvermögen so gut ist, dass man an Rege-
neration der Linse denken könnte, die Pupille so weit als möglich durch
Belladonna, so wird man durch die weissen Streifen in der Gegend des
Aequator lentis schon vom Gegentheil überzeugt werden. Aber auch die
tiefere Lage und das Schlottern der Iris sind schon hinreichend, zu
zeigen, dass die Linse fehle. — Der Umstand, den Retzius anführt,
nämlich dass Operirte in späterer Zeit schwächerer Gläser bedürfen,
beruht darauf, dass operirte Augen erst in späterer Zeit die zur Accom-
modation nöthige Spannung erlangen, wie wir weiter unten erörtern
werden.
Function der Linse. Der Krystallkörper lässt die Lichtstrahlen,
welche durch die Pupille zu ihm gelangen, nicht einfach durch sich
hindurch gehen, sondern er verändert ihre Richtung derart, dass sie sich
hinter ihm in Einem Punkte vereinigen; er ist eine biconvexe Linse,
gleich denen, die wir zu optischen Zwecken anwenden. Er ist aber bei-
nahe vollkommen achromatisch, weit mehr, als unsere besten Instru-
mente dieser Art, die aus Crown- und Flintglas construirten Linsen, mit
welchen er, nach Hannovers*) Vermuthung, eine analoge Zusammen-
setzung (aus einer vordem coneaveonvexen und einer hintern bicon-
vexen Hälfte) besitzt. Bei ihm ist endlich, abgesehen von dem beweglichen
Diaphragma, der Iris, die sphärische Aberration künstlicher Linsen be-
trächtlich vermindert (wahrscheinlich durch die verschiedene Dichtigkeit
der peripherischen und der Kernschichten).
Hielt ich die Linse von Neugeborenen , in ihrer Kapsel eingeschlossen und mög-
lichst unverändert (namentlich mit Vermeidung jeder Compression), einem Fenster gegen-
über vor eine ■weisse Fläche, so bildeten sich die Fensterrahmen bei einer Entfernung
von L'/a — 2'" am deutlichsten ab; bei Linsen Erwachsener wechselte die Brennweite
zwischen 3 und 4"'. Im Auge, tvo vor der Linse das Kammerwasser, hinter derselben
der Glaskörper ist, muss natürlich — abgesehen von der Cornea — der Focus viel weiter
von der Linse entfernt sein. — Augen , denen die Linse fehlt (nach gelungenen Staar-
operationen), sind in der Eegel nicht im Stande zu lesen, zu schreiben u. dgl. ; so wie
man ihnen ein die Stelle der Linse vertretendes Convexglas (von 2 — b" Brennweite)
*) Mtiller's Archiv für Anatomie, Physiologie etc. 1846. Heft 5.
250 Krystalllinse.
vorhält, wird ihr Gesicht auch für nahe Gegenstände hinreichend scharf. Es kommt aber
auch vor, wenn gleich selten und nach meiner Ei-fahrung nur bei nicht bejahrten Ope-
rirten, dass sie selbst ohne Gläser lesen, nähen, eine Nadel einfädeln u. dgl. Diese
Tbatsachen zeigen, dass an der Strahlenbrechung im Auge nicht die Linse, sondern die
Hornhaut mit dem Kammerwasser den grössern Antheil habe. Der Dichtigkeitsunterschied
zwischen Luft und Hornhaut ist ein viel grösserer, als der zwischen Kammerwasser und
Krystallkörper. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden , dass in Augen , deren Linse
beseitigt worden ist, die Hornhaut von der Netzhaut im Allgemeinen weiter entfernt liegen
dürfte, als vordem. Siehe unten: Veränderungen nach Staaroperationen.
Der Krystallkörper bildet im Verein mit der Hornhaut und dem
dazwischen fest eingeschlossenen Kammerwasser ein unveränderliches
System von zwei Sammellinsen. Bei der Lehre von der Accommodation
werden wir nachweisen, dass sich bei der Adaptation des Auges für
nahe und ferne Gegenstände weder die Krümmung der Hornhaut und
der Linse, noch ihre relative Lage zu einander ändert. Nur bleibende
Änderung des Refractionszustandes, der Übergang in Kurz- oder Weit-
sichtigkeit, ist an Änderung der relativen Lage der Linse zur Hornhaut
gebunden.
B. Krankheiten der Kapsel und Linse.
I. Trübung- — Cataracta.
A. Die Trübung der Linse, Cataracta lenticularis, betrifft
entweder den Kern der Linse — Cat. nuclearis, oder die Rindensub-
stanz — Cat. corticalis, oder beide zugleich — Cat. totalis. Partielle
Trübungen können mehr weniger lange als solche fortbestehen, oder mit
der Zeit in totale verwandelt werden.
1. Als Kernstaar bezeichnen wir die Trübung der Linse dann,
wenn sie sich auf den Kern oder auf einen Theil desselben beschränkt.
a. Eine partielle stationäre Form ist der Centrallinsenstaar , ein
scharf begrenzter, mohnkorngrosser, grauweisser Punkt im Centrum der
Linse, bisweilen von einem lichtgrauen wolkigen Hofe umgeben. Er
ist angeboren, meistens bilateral, oft mit Irideremie oder Coloboma
iridis combinirt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Centralkapsel-
staare, von welchem später die Rede sein wird, und mit welchem er
übrigens auch zugleich vorkommen kann.
b. Eine andere Form ist der stationäre Kernstaar jugendlicher In-
dividuen. In der Regel ist nur der Kern allein verdunkelt. Man sieht
ziemlich tief iu der Pupille, etwa ljs — Y2"' hinter der Iris, einen gelb-
Trübung — Cataracta lenticularis. 251
lich-grauen, im Ganzen noch etwas durchscheinenden Körper, welcher,
wenn die Pupille stark (mindestens auf 3"'j erweitert wird, ringsum
scharf begrenzt erscheint und beiläufig 3//y im Durchmesser hat. In
manchen Fällen sieht man in der Gegend des vordem Poles einen grau-
weissen Punkt oder Knopf, in andern sitzt ein solcher Punkt tiefer,
wahrscheinlich im Centrum der Linse, in andern endlich laufen vom
Pande des Kernes gegen die Ciliarfortsätze hin, also in der Rinden-
substanz 3, 4, 5 und mehrere speichenähnliche grauweisse Streifen. Solche
Staare sehen klein aus und sind, wenn die lichten Streifen der Punkte
fehlen, nicht immer gleich auf den ersten Blick zu erkennen. Einige
Individuen bekam ich nur desshalb zu sehen, weil sie der Optiker zu
mir schickte, der für sie kein passendes Glas finden konnte. Die Con-
sistenz des Kernes erwies sich bei der Discission, welche ich in solchen
Fällen anwende, wachsartig, derb und zäh, in andern etwas weicher,
fast bröcklieh.
Zu dieser Form gehören wahrscheinlich die Fälle , welche Ammon 1. c. B. III.
T. XIV. F. 1 — 4 abgebildet hat. Auch Wernek*) hat ganz gewiss solche Staare beob-
achtet : er rechnet sie zu der scrofulösen Form. „Der Staar gewinnt das Ansehen einer
auf einem mattgrauen Grunde weiss, irregulär und grob schraffirten Scheibe. Oft ist es
der Fall, dass der Rand der Linse auf '/a'" und mehr ungetrübt bleibt; dann sieht, man
an diesem schwarzen Kreise den Sitz der Schraffirungen deutlich. ■ — Auf dieser Aus-
bildungsstufe bleibt das Übel gewöhnlich stehen, besonders dann, wenn das Individuum
dem Mannbarwerden entgegenrückt." Ich habe mehrere Individuen mit solchen Staaren
durch 5 — S Jahre beobachtet, und nicht die geringste Veränderung im Volumen oder in
der Farbe des Staares wahrnehmen können. Bei einem Beamten, welcher seit der Zeit,
wo er die Schule besuchte, immer kurzsichtig gewesen zu sein versicherte, und erst im
40. Jahre seine Concavbrille (N. 14) mit einer etwas stärkern vertauschen wollte, hatte
ich guten Grund anzunehmen, dass sich das Übel seit seiner ersten Jugend wenig oder
gar nicht verändert hatte. — Über die Entstehung dieser Form konnte ich bisher zu
keiner bestimmten Ansicht kommen. Ich habe sie bei IG — "20 Individuen beobachtet,
welche in dem Alter von 8 — 40 Jahren standen. In vielen Fällen blieb es unentschieden,
ob das Übel angeboren oder in der ersten Lebenszeit entstanden war ; in mehreren musste
eine spätere Entstehung (zur Zeit des Zahnwechsels, der Pubertätsentwicklung) als das
Wahrscheinlichste angenommen werden. Nur bei drei Individuen waren unzweifelhafte
Symptome von Scrofulosis vorhanden. In einem Falle war das Übel gewiss erst im
1 1 . Jahre nach Typhus entstanden.
c. Der hurte Kemstaar älterer- Individuen ist eine der häufigsten
Formen des Staares überhaupt. Es ist Thatsache, dass die Verdunk-
lung der Linse oft im Centrum derselben beginnt, und von da allmälig
gegen die Peripherie hin fortschreitet. Eben so sichergestellt ist es,
dass die Trübung Jahre lang auf den Kern allein beschränkt bleiben
kann, wenn gleich der Fall der häufigere ist, dass sich zur Trübung
*) Ammon's Zeitschrift. Bd. III. 1833. S. 481.
252 KrystalUinse.
des Kernes in Kurzem auch Trübung' der Rindensubstanz gesellt. Die
Fälle, wo die Trübung zuerst in der Rinde auftritt, werden wir weiter
unten besprechen.
Zu der Verfärbung und Erhärtung des Kernes, welche schon im
physiologischen Zustande auftreten, kommt im höhern Alter (nur aus-
nahmsweise schon vor dem 45. Jahre) nicht selten auch Trübung des-
selben, mehr weniger gestörte Durchsichtigkeit, welche zunächst im
Centrum bemerkbar wird, nach und nach gegen die Peripherie vor-
rückt und niemals scharf begrenzt erscheint. Diese Trübung zeigt eine
gelblichgraue oder graugelbe , bisweilen in's Grünliche schillernde
Färbung.
Die Erkenntniss solcher Staare im ersten Beginnen wird durch den
Umstand sehr erschwert, dass bei altern Personen überhaupt die Pupille
nicht rein schwarz erscheint, sondern den schon beschriebenen Reflex
zeigt, den man irrthümlich von Pigmentmangel hergeleitet hat. Es müssen
dann zur Diagnosis zunächst die Erscheinungen der Funciionsstörung —
wovon weiter unten — benützt weiden. — Die Anwendung der Gesetze
der Katoptrik auf das Auge führte Purkynje zu dem bekannten Versuche
mit einem vor das Auge gehaltenen Kerzenlichte, welchen Sanson zur
Diagnosis der Cataracta benützte.
Hält man bei geschlossenen Fensterladen vor ein gesundes Auge (am besten bei
künstlich erweiterter Pupille) ein Kerzenlicht, so kann man bei entsprechender Stellung
3 hinter einander gelegene Spiegelbilder wahrnehmen. Das erste deutlichste und grösste
steht aufrecht, und entsteht durch die von der Cornea zurückgeworfenen Lichtstrahlen ;
das zweite kleinere steht verkehrt, und entsteht durch die hintere Kapsel (Hohlspiegel) ;
das dritte oder hinterste und gleichfalls aufrechte, weil von der vordem Kapsel reflectirte,
ist am schwächsten ausgeprägt. Dieses Experiment kann dem sehr Geübten in so fern
ein diagnostisches Hülfsmittel abgeben, als bei Verdunklung des Kernes der Linse das
verkehrte Bild fehlen kann ; es ist in so fern imsichcr, als dieses Bild bei geringer Trü-
bung noch vorhanden sein kann. Zur Erkenntniss von Trübungen an der hintern oder
an der vordem Kapselwand ist es, wie wir weiterhin sehen werden, ganz überflüssig.
Das verlässliehste Mittel , auch die geringsten Trübungen im Be-
reiche der Linse und ihrer Kapsel nachzuweisen, ist die Anwendung-
des Ilelmholtzschen Augenspiegels. Sobald mittelst desselben der Grund
des Auges hell beleuchtet erscheint, kann man jede Trübung vor dem-
selben als ein graues Wölkchen unterscheiden, was um so leichter ist,
als hiebei der Gebrauch der Concavgläser wegfällt, welcher zur Unter-
suchung des Augengrundes selbst nothwendig ist.
Hat die Trübung so weit um sich gegriffen, dass sie den Kern
ganz oder grossentheils einnimmt, dann unterliegt die Diagnosis keiner
Schwierigkeit, um so weniger, wenn ihre Farbe hellgrau ist. Wegen
Trübung — Cataracta lenticularis. 253
■B
der Entfernung des getrübten Körpers von der Iris sieht man dann auch
den Schatten, welchen letzterer bei seitlich einfallendem Lichte wirft
{Schlagschatten), in Form eines mehr weniger breiten dunkeln Halb-
mondes. Wenn jedoch die Farbe des undurchsichtig gewordenen Linsen-
kernes sehr dunkel ist, wie die Schalen der Rosskastanie oder wie
Mahagoniholz, so kann selbst bei grossem Umfange der Trübung die
Wahrnehmung derselben sehr schwierig sein, und man muss, falls der
Hef/nho/tz-'seke Spiegel nicht zu Gebote steht, sich vorzüglich auf die
Merkmale verlassen, welche auf die Functionsstörung basirt sind.
Eine sehr genaue Beschreibung der Cataracta nigra hat Edwards*) geliefert. „Des
que 1'oeil fut ouvert, on fut surpris de la couleur noire, qu'offrait le crystallina on le
lava. et il conserva la meine couleur; ses couches superficielles, surtout dans sa circon-
fe'rcnce, ctaient transparentes ; il avait beaucoup de solidite. Desse'che il presenta deux
parties bien distinctes ; l'une centrale de forme lenticulaire, qui en constituait les trois-
quarts, avait une couleur marron claire; aussi le crystallin dessecbe et examine en entier
paraissait-il d'un noir rougätre; ^ais, lorsqu'on l'avait retire de I'oeil, il e'tait tres-noir;
pareeque les |Couches superficielles etaient transparentes, et qu'elles laissaient passer la cou-
leur noire du centre." Janin und Lusardi fanden extrahirte schwarze Linsen, hinter ein
Kerzenlicht gehalten, von durchscheinend rother Färbung, im Centrum gesättigter. Eine
Catar. fere nigra, welche ich in Weingeist aufbewahre, erscheint auch bei durchgehendem
Tageslichte röthlich durchscheinend, umgeben von käseartig geronnener weissgrauer ßin-
densubstanz. Rothbraune, ins Eöthliche schillernde Linsenkerne habe ich mehrere extrahirt.
Diese Form ist von Beer, Cheliiis u. A. als harter Staar, von
Walther als Marasmus lentis senilis oder atrophische senile Cataracta,
von Wertiek als Cataracta senilis, von Pauli, Stricker u. A. als Phako-
skleroma beschrieben worden. Sie ergreift gewöhnlich das eine Auge
früher als das andere. Das zuerst ergriffene Auge erblindet in der Regel
viel laugsamer als das zweite. Zur Trübung des Kernes tritt bald
früher bald später Trübung der Rindensubstanz hinzu, wovon wir wei-
ter unten sprechen werden. In dem später ergriffenen Auge findet man
nicht selten den umgekehrten Gang der Verdunklung, nämlich von der
Rinde zum Kerne, nachdem auf dem ersten, durch Monate — Jahre ein-
facher Kernstaar bestanden hatte. Ganz irrthümlieh ist die Ansicht, dass
man es in den Fällen, wo der Staar wegen noch nicht erfolgter Ver-
dunklung der Rinde klein erscheint, wirklich mit einem kleinen Staare
zu thuu habe, zumal wenn man bei diesem Ausdrucke an Volumenab-
nahme der Linse denkt.
d. Der weiche Kernstaar kommt sowohl im jugendlichen als im
Mannes- und Greisenalter vor. Er beginnt als eine lichtgraue, Anfangs
*) Dissert. sur l'inflammation de l'iris et la cataracte noire, Paris, 1S14, citirt yon Warnatz in Ammoris
Zeitschrift, Bd. IL S. 295.
254 Krystalllinse.
bläuliche , weil noch durchscheinende , rauchwolkenähnliche , ziemlich
ausgebreitete und nirgends scharf begrenzte Trübung des Kernes, welche
in dem Masse, als sie saturirter erscheint, der Iris näher rückt, im
Vergleiche zum harten Staare rasch fortschreitet und sehr bald, in Zeit
von einigen Wochen oder Monaten, selten erst nach Jahren, zu einem
Totalstaare wird. Wegen dieser raschen Umwandlung werden wir die
nöthigen Bemerkungen über diese Form erst bei Betrachtung des Total-
staares machen.
2. Als Rindenstaar, welche Benennung von Sichel*) eingeführt
wurde, ist grösstenteils das anzusprechen, was Beer u. A. als Kapsel-
staar beschrieben haben. Wernek**) hat eine Art desselben unter dem
sehr unpassenden Namen Gichtstaar ziemlich genau geschildert. Er be-
ginnt in zweierlei Form; als gleichmässige Trübung, welche sich rauch-
oder spinnwebenähnlich gleichsam als Beschlag der Kapsel über die
vordere Oberfläche der Linse ausbreitet, oder, in Gestalt einzelner weiss-
oder gelbgrauer Streifen, welche in der Regel vom Äquator gegen die
Pole hin verlaufen. An der vordem Peripherie zeigen sowohl der gleich-
mässige Beschlag als die verdunkelten Streifen bei günstig auffallendem
Lichte einen etwas matten Glanz (wie Spinnengewebe, Aponeurosen,
Perlmutter u. clgl.). Die im hintern Umfange vom Rande zum Pole ver-
laufenden Streifen und Flecke erscheinen meistens gelblichweiss und
opalisirend. In den meisten Fällen sind es die peripherischen Fasern,
in andern die Zwischenfasersubstanz, welche zuerst undurchsichtig werden.
Ihr Verlauf ist jedoch nicht immer streng centripetal, bisweilen unter-
brochen oder ganz unregelmässig.
Der Ausgangspunkt des Rindenstaares ist in der Regel der Rand
der Linse. Man findet ihn daselbst sehr oft in Augen alter Individuen,
namentlich mit Arcus senilis corneae zugleich, wo man bei Untersuchung
der Pupille keine Ahnung davon hatte, und wo auch während des Lebens
kein Grund vorhanden war, die Gegenwart von Cataracta zu vermuthen.
Solche nur den Rand einnehmende Verdunkelungen findet man oft bei
Leuten, welche mit dem betreffenden Auge noch ganz gut sehen, und
nur wegen Cataracta des andern Auges ärztliche Hilfe suchen. Sie stel-
len, wenn man die Pupille gehörig erweitert, oft das erste und am
leichtesten zu constatirende verlässliche Zeichen der nachfolgenden tota-
len Verdunklung dar. - — Was Schön und Ammo?i***) als Arcus senilis
Capsulae lentis beschrieben haben, ist nichts anderes, als Catar. corti-
*) Annnies d'oculist. T. VIII. p. 139. 169 etc.
**) Ammon's Zeitschrift. Bd. III. S. 475.
***) Ibid. Band I. S. 101 mit Abbildungen auf T. III.
Trübung — Cataracta lenticularis. 255
calis, vom Rande her beginnend. Vielfache und sorgfältige Untersuchungen
haben mich darüber belehrt.
a. Vom Rande aus entwickeln sich die weissgrauen Streifen ent-
weder gegen den hintern oder gegen den vordem Pol hin, oder nach
beiden zugleich. Die Verdunklung de?' hintern Rindensubstanz besteht nur
selten längere Zeit isolirt, und kann dann mit Trübungen, welche vom
Grunde des Auges ausgehen, mehr weniger Ähnlichkeit darbieten. Sie
wird meistens in kurzer Zeit durch Trübung des Kernes oder der vor-
dem Rindensubstanz verdeckt.
Der hintere Rindenstaar kann eine ziemlich grosse Ausdehnung
erlangt haben, ehe er das Sehvermögen stark beeinträchtigt und den
Kranken bestimmt, ärztlichen Rath zu suchen. Wo die Lagen vor ihm
noch so viel Licht durchlassen, dass man ihn zu erkennen im Stande
ist, da erscheint er in Form grauweisser zackiger oder keilförmiger
Streifen, welche dadurch, dass die von diesen zurückgeworfenen Licht-
strahlen durch den gelben Kern hindurchgehen, einen gelblichen oder
bouteillengrünen Teint und einen opalartigen Glanz erhalten. Sind diese
Streifen mächtiger geworden und verschmolzen, so sieht man eine un-
gleichmässig getrübte, unebene Schale von dem genannten Teint und
Glänze in der Gegend der hintern Kapsel.
b. Der vordere Rindenstaar erscheint, wie schon erwähnt wurde,
in Form gleichmässiger Trübung oder in Form linearer oder konischer
meist centripetaler Streifen. Seine Farbe ist immer lichtgrau; sie wird
nur durch die Unterlage und durch die Mächtigkeit der verdunkelten Rin-
denfasern verschieden modificirt. Ist die Trübung noch durchscheinend,
so erscheint sie bläulich-weissgrau, wie eine dünne Lage Milch auf
schwarzer Unterlage, oder wie eine Rauchwolke, gewöhnlich hie und
da intensiver. Wenn von den tieferen Lagen, nämlich von dem gleich-
zeitig verdunkelten Kerne noch Lichtstrahlen zwischen den Rindenfasern
durch reflectirt werden können, so bemerkt man auch hier den soge-
nannten Schlagschatten der Iris, nur nicht so scharf abgegrenzt. Ist die
Trübung dichter und mächtiger, so nähert sie sich dem Kreideweiss,
ohne dessen Reinheit und Gleichmässigkeit völlig zu erreichen. Liegen
die getrübten Partien dicht an der Kapsel, so dass sie gleichsam einen
Beschlag ihrer hintern Fläche bilden, so verleiht ihnen diese einen
Spinneweben-, sehnen- oder perlmutter-ähnlichen Glanz, wie das Spiegel-
glas dem Staniol. Diese lichte Farbe und dieser lebhafte Glanz stiebt
bisweilen sehr stark ab gegen die grau- oder dunkelgelbe Färbung und
die Glanzlosigkeit des gleichzeitig verdunkelten Kernes, wenn man ihn
noch durch das Centrum und die Meridiane, welche oft noch durchsich-
256 Krystalllinse.
tig sind, wahrnehmen kann. — So lange der vordere Eindenstaar nur
noch etwas durchscheinend ist, erscheint die Trübung immer gegen den
Äquator hin gesättigter, weil die Eindensubstanz gegen den Äquator
hin an Dicke zunimmt. Was Beer vom Kapelstaare sagt, nämlich, dass
dieser bei seiner Ausbildung nur höchst selten von der Mitte der Pu-
pille ausgehe, dass er sich gewöhnlich vom Rande her bald da bald
dort in Form einzelner, sogleich ziemlich weisser, glänzender Punkte,
Streifen oder Flecke ausbilde, und immer eine sehr helle, auch nach
völliger Ausbildung niemals gleichmässig gesättigte Farbe darbiete, gilt
demnach nur vom vordem Eindenstaare ; der wahre Kapselstaar gibt
sich, wie wir weiterhin sehen werden, durch ganz andere Merkmale
kund. — Beer hat noch eine andere Erscheinung hervorgehoben; er
meint, indem die vordere Kapsel merklich dicker werde, als im gesunden
Zustande, beschränke sie die hintere Augenkammer. Andere Autoren
geben an, manche Staare könnten wohl so gross werden, dass sie die
hintere Kammer aufheben, selbst die Iris vorwärts drängen. Weder das
Eine noch das Andere ist richtig. Die Erscheinung, dass bei solchen
Staaren die vordere Kapsel, folglich auch die Iris näher gegen die
Cornea rückt, hat ihren Grund darin, dass die Eindensubstanz oder die
ganze Linse abnorm weich oder selbst flüssig geworden ist, mithin die
Kapsel das Formgebende ihres Inhaltes eingebüsst, und nun den Ge-
setzen einfacher Cysten mit flüssigem Inhalte gemäss, im Ganzen eine
mehr der Kugelform sich nähernde Gestalt augenommen hat. Doch
kann diese Erscheinung auch dadurch bedingt sein, dass die Linse aus
andern Ursachen (unabhängig von der Verdunklung) sammt ihrer Kap-
sel etwas mehr nach vom gerückt ist. — Wir werden weiter unten
zeigen, dass die Eindensubstanz, bis zu einem gewissen Grade ver-
dunkelt, etwas aufquillt und erweicht, und dass später, wenn ein
Theil davon resorbirt ist, wieder Abnahme des Volumens der Linse
eintritt.
c. Sehr selten kommt jene Form des Eindenstaares vor, welche
Sichel Cataracta dehiscens genannt hat. Sie besteht in Trübung der
Linsenzellensubstanz nach der Eichtung eines oder einiger Meridiane,
und kann Jahre lang in Gestalt eines drei- oder sechsstrahligen Sternes
{Catar. stellata antiq.?) bestehen, bevor die zwischenliegenden Sectoren
getrübt werden. Wenn ein oder der andere Meridian ungetrübt bleibt,
kann die Figur eine scheinbar unregelmässige Gestalt erhalten. — Hie-
her gehören wahrscheinlich auch Fälle von Catar. punctata auctorum,
wenn nämlich von den linearen Meridianen nur einzelne Stellen oder
Punkte getrübt sind. Die symmetrische Anordnung solcher Punkte zum
Trübung — Cataracta lenticularis. 257
Centrum und zu einander macht es mehr als wahrscheinlich, dass ihr
Sitz nicht in der Kapsel, sondern in der Eindensubstanz ist.
Am schönsten sah ich die Cataracta dchiscens bei einem 60jährigen Pfründler von
Set. Bartholomäus. Am rechten Auge strahlen vom vordem Pole der Linse 3 lineare
kreideweissc Streifen in der Richtung der 3 Hauptmeridiane aus (nach oben, nach innen
und unten, nach aussen und unten) ; die zwischen liegenden drei gleich grossen Sectoren
sind in hohem Grade durchsichtig, denn man sieht durch dieselben deutlich die vom
Äquator vorrückenden lieht graugelben Zacken des sich allmälig mehr und mehr ent-
wickelnden hintern Kindenstaares. Jene 3 linearen Streifen sind jeder an l'/a'" lang
(auf mehr als 3'" lässt sich die Pupille durchaus nicht erweitern), scharf begrenzt, im
ganzen Verlaufe gleich mächtig, etwa 1fc — l,i"t breit; ihre Tiefe lässt sich nicht genau
angeben: sie greifen wie Scheidewände zwischen den 3 Sectoren in die Tiefe, allem
Anscheine nach nicht über Vi'" , ganz gewiss nicht durch die ganze Dicke der Linse.
Am linken Auge ist nur Ein Meridian so verdunkelt, der nach unten und aussen laufende,
und oberhalb desselben ein Nebenmeridian und der zwischen beiden befindliche Sector
der Eindensubstanz. Ton Verdunklung der hintern Eindensubstanz kann man an diesem
Auge nichts wahrnehmen; auch sieht der Mann mit diesem Auge noch so viel, dass er,
von Profession ein Schuster, noch etwas arbeiten kann. Nachdem ich ihn durch ohn-
gefähr 5 Jahre einige Male gesehen hatte, fand ich ihn nicht mehr in dem Institute.
d. Als Cataracta Morgagnii hat man jene Fälle bezeichnet, wo die
Eindensubstanz getrübt und verflüssigt, der Kern mehr weniger durch-
sichtig ist. Mit völlig erhaltener und längere Zeit fortbestehender
Durchsichtigkeit des Kernes jedoch habe ich diese Form niemals zu
sehen bekommen. Die Gegenwart einer, milchig- oder molkigtrüben
Flüssigkeit zwischen Kapsel und Linsenkern gibt sich dadurch zu er-
kennen, dass die Trübung in der untern Hälfte oder im untern Drittel
saturirt ist und sich in Bezug auf ihre Lage überhaupt so verhält, wie
flüssige Exsudate in der vordem Augenkammer. Zur Constatirung
der Diagnosis ist meistens die künstliche Erweiterung der Pupille
uothwendig.
Die neunjährige Tochter eines Goldarbeiters, dessen Frau in Bezug auf die Ätio-
logie besonderes Gewicht auf den Umstand legt, dass sie während der Schwangerschaft
mit diesem Kinde häufig durch epileptische Anfälle ihres Sohnes sehr erschreckt wurde,
körperlich und geistig sehr gut entwickelt, mit etwas grösserem Kopfe und grossen, bei-
nahe glotzenden Augen, litt an Linsenstaar beider Augen, wahrscheinlich seit der Geburt,
da man das Übel schon in der 6. — 8. Woche bemerkt hatte. Die noch etwas durch-
scheinenden gelblichgrauen, hie und da lichtgrau gefleckten Cataracten standen von der
Iris noch etwa ' iu> ab, und die Kranke sah noch so viel, dass sie recht gut allein her-
umgehen konnte. Ich glaubte halb harte Kernstaare mit unvollständig verdunkelter
Eindensubstanz vor mir zu haben. Als ich jedoch die Pupillen gehörig erweitert hatte,
fand ich jederseits unten eine milchige Flüssigkeit zwischen Linse und Kapsel angesam-
melt, einem Hypopyuni nicht unähnlich. Sie wechselte ihre Lage nach längere Zeit ver-
änderter Haltung des Kopfes. Durch zwei volle Jahre hatte sich dieser Befund nicht im
geringsten geändert, und da das Gesicht von Jugend auf ziemlich gleich geblieben war,
liess sich mit Grund annehmen, dass der Zustand der Linse eben so lange sich nicht viel
Arlt Augenheilkunde. II. 17
258 Krystalllinse.
verändert haben mochte. Am 22. Mai 1849 (im 11. Lebensjahre) nahm ich die Zerschnei-
dung der vordem Kapsel durch die Hornhaut vor. Zwei Jahre vorher hatte ich von
der Operation abstehen müssen, da das Kind zu unruhig wurde, so oft ich die Cornea
mit der Nadel berührte. Diessmal nahm ich mir vor, sie mittelst Chloroform zu betäu-
hen. Es gelang mir jedoch, ohne dieses Mittel die Operation glücklich zu vollenden,
nachdem ich den Kunstgriff gebraucht hatte, rasch nach meinem Eintritte in das Zimmer
die Kranke zu setzen, dem Assistenten zu winken, und die Nadel durch die Cornea ein-
zuführen, ehe das Kind noch recht an die Operation denken konnte. Die Kapsel wurde
nach verschiedenen Richtungen eingeschnitten ; beim Herausziehen der Nadel entleerte sich
eine Menge trüber Flüssigkeit, und die Pupille des linken Auges erschien vollkommen,
die des rechten beinahe völlig schwarz. Das Kind erkannte die Finger der vorgehaltenen:
Hand, ein Taschentuch u. dgl. Nach dem achten Tage entwickelten sich Zeichen von
Iritis, jedoch nicht so heftig, dass ich etwas anderes als kalte Umschläge für nöthig
erachtete. Ich erkannte die Entzündung als Iritis erst den 12. Tag an den bekannten
punktförmigen Exsudaten auf der Descemetschen Haut bei nicht merklich verengerter
Pupille, und an einer leichten Rosenröthe rings um die Hornhaut. Die Linsen wurden
allmälig trüber und voluminöser und nach einem Vierteljahre gänzlich resorbirt. Das
Mädchen erlangte jedoch trotz der völligen Schwärze der Pupillen und Immunität der
Hörn- und Regenbogenhäute kein scharfes Gesicht, und sieht auch durch verschieden
starke Staargläser noch jetzt, 4 Jahre nach der Operation, nicht viel besser. War die
Netzhaut ursprünglich nicht gehörig entwickelt? war ihre Energie wegen Mangel an
Übung durch 10 Jahre zurückgeblieben und gesunken? Hatte sie durch Druck von dem.
aufquellenden Staare gelitten? Ich konnte darüber zu keiner Entscheidung kommen.
C. Totaler Linsenstaar. Obwohl der Rindenstaar so gut wie der
Kernstaar lange für sich isolirt bestehen, obwohl gewisse Formen selbst
stationär bleiben können, so stellen beide doch in der Regel nur ver-
schiedene Entwicklungsstufen der totalen Verdunklung dar. Bald geht
die Verdunklung vom Kerne, bald von der Rinde, bald von beiden zu-
gleich aus. Was Beer von seinem Kapselstaar bemerkte, „dass er
niemals lange für sich allein bleibe, dass sich immer früher oder
später eine fehlerhafte Mischung des Krystallkörpers hinzugeselle", gilt
eigentlich vom Rindenstaare. Es ist irrig, wenn man angibt, die Lin-
sentrübung beginne bei dem sogenannten Phakoskleroma stets im Kerne
und schreite allmälig gegen die Peripherie hin vor. Im Gegentheile,
der harte Kernstaar älterer Individuen tritt sehr häufig erst dann auf,
wenn schon lange Rindenstaar bestanden hat, wie schon oben erwähnt
wurde.
Der totale Linsenstaar bietet ein verschiedenes Aussehen dar, je
nach seiner Ausdehnung und je nach seiner Consistenz. Bald schim-
mert der Kern noch durch die lichteren, dünn aufgetragenen oder
unterbrochenen Trübungen der Rindensubstanz hindurch, zumal in der
Mitte der Pupille, bald ist er der Wahrnehmung gänzlich entzogen
durch die vollständig verdunkelte Rinde. Hiernach ist der im Allge-
Trübung — Cataracta lenticularis. 259
meinen richtige Satz zu modificiren : Je dunkler die Farbe, desto härter
der Staar. Jederzeit niuss, um sich über dieses für die Wahl der
Operationsmethode wichtige Verhältniss zu unterrichten, die Pupille ge-
hörig erweitert werden. Weiter unten werden wir hören, dass rasch
(in Zeit von wenig Wochen oder Monaten) entstandene und ausge-
bildete Staare niemals hart sind, und dass bei Individuen unter 40
Jahren harte Staare selten sind. Nur darf bei Erhebung des ersten
Umstandes nicht vergessen werden, dass die Gegenwart partieller Lin-
sentrübung auf einem Auge gar oft nicht bemerkt wird (vom Betroffenen),
und dass, wenn nach länger bestehender partieller Trübung z. B. des
Kernes, in kurzer Zeit ausgebreitete Verdunklung (Trübung der Rinden-
substanz) hinzutritt, man leicht einen rasch entstandenen und schnell
vorgeschrittenen Staar vor sich zu haben vermeinen kann.
Eine gleichmässig gesättigte, weiss-, bläulich- oder gelblich-graue
Färbung findet man nur bei completer Verdunklung der Rinde, insbe-
sondere bei beträchtlicher Erweichung oder bei völliger Verflüssigung
dieser letztern allein oder der ganzen Linse. Verkalkung des Krystall-
körpers bietet auch bisweilen ein gleichmässiges , kreideweisses oder
lichtgelbes Aussehen dar, doch sind in solchen Fällen, wie wir weiter-
hin sehen werden, auch noch andere Symptome vorhanden.
Bei Verflüssigung der Rinde allein sieht man bisweilen den harten,
dunkeln (gelben oder röthlichbraunen) und specifisch schwerern Kern,
welcher übrigens auch durch Verflüssigung seiner obern Lagen merk-
lich kleiner geworden sein kann, bei den Bewegungen des Auges ver-
schiedene Lagen einnehmen. Oft ist es nöthig, den Kranken eine Zeit
lang den Kopf vorwärts geneigt halten zu lassen, um sich von der
Gegenwart eines solchen Kernes zu überzeugen.
Der totale Linsenstaar erscheint für immer oder doch eine Zeit
lang unmittelbar hinter (an) der Iris, und bietet demnach, auch wenn
er hart ist, keinen Schlagschatten dar. Es ist nicht schwer, den
Schlagschatten zu unterscheiden von der schwarzen Einsäumung (Pig-
ment; des Pupillarrandes, welche bei lichter Regenbogenhaut und licht-
farbigem Staare besonders deutlich zu bemerken ist.
Zur Zeit, wo ausgebreitete Verdunklung der Rinde erfolgt, schei-
nen ihre Fasern etwas aufzuquellen oder durch einen flüssigen Erguss
etwas auseinander gedrängt zu werden, denn man findet jetzt den Staar
scheinbar grösser, die Iris etwas stärker vorwärts gedrängt und selbst
in ihrer Bewegung mehr weniger beeinträchtigt. Dieser Zustand endet
nach dem, was ich bisher beobachtet, bisweilen mit Verflüssigung der
Rinde oder der ganzen Linse, von der schon die Rede war. In der
17*
260 Krystalllinse.
Regel aber tritt der Ausgang ein, dass das Volumen der Linse wieder
■abnimmt, und die Kinde in eine etwas consistentere Masse verwandelt
wird, welche mit dem Kerne mehr weniger fest zusammenhängt, da-
gegen mit der Kapsel so wenig, dass man jetzt mit Recht sagen kann,
die Linse (Kern und Einde) liege wie eine reife Frucht in der Kapsel.
Zur Bezeichnung dieser Veränderung werden wir, der Kürze wegen,
den Ausdruck Cataracta matura anwenden, der bekanntlich oft in noch
ganz anderem Sinne gebraucht worden ist.
Dieser Sachverhalt ergibt sich: 1. aus monate-, jahrelang fortgesetzter Beobachtung
cataractöser Individuen, welche sich nicht operiren lassen wollen u. dgl. 2. Aus dem
Vergleiche beiderseitiger, jedoch nicht gleichzeitig entstandener und gleichmässig fort-
geschrittener Cataracten, daher man fast ohne Ausnahme schon aus der aufmerksamen
Betrachtung des rechten und linken Auges allein bestimmen kann, welches Auge früher
erkrankt sei. In so fern jedoch manchmal die Trübung des Kernes auf dem einen Auge
beginnt und dann monate-, jahrelang fast unverändert stehen bleibt, indess das andere
Ton der Binde oder auch vom Kerne aus relativ schneller verdunkelt wird, trifft man
bisweilen Fälle, in denen die Angaben des Kranken dem nach dem blossen Anblicke
gestellten Ausspruche nicht entsprechen. 3. Aus dem Umstände, dass viele Staarkranke
(ältere) , welche die Erblindung des zweiten Auges abwarten , bevor sie sich zur Ope-
ration melden, die Bemerkung machen, dass sie in einer spätem Zeit mit dem zuerst
ergriffenen Auge wieder etwas sehen , grosse lichte Gegenstände nach ihren Umrissen
wieder wahrnehmen u. dgl. Ich schenkte dieser Angabe , die mich überhaupt zuerst
bestimmte, den etwa zu Grunde liegenden materiellen Ursachen nachzuforschen, desshalb
Glauben , weil ich fand, dass auf dem in Rede stehenden Auge die Iris nicht mehr so
vorwärts gedrängt war, wie an dem andern, und dass der Staar mehr in eine compacte
Masse verschmolzen, dunkler gefärbt und offenbar etwas kleiner war, als der des andern
Auges (durch theilweise Resorption der Rindensubstanz!. 4. Wenn man ältere, ganz
ausgereifte Staare extrahirt, so treten sie caeteris paribus (bei gleich grosser Hornhaut-
öffnung u. s. w.) viel leichter vollständig aus der Kapsel, was man leicht daran erkennt,
dass sie ganz glatte und der Form der Linse überhaupt genau entsprechende Oberflächen
haben, während von unreifen Staaren meistens Reste zurückbleiben.
2. Kapselstaar.
Trübung der Kapsel kommt fast ausschliesslich nur im Bereiche
der vordem Hemisphäre vor, und zwar entweder nur als Auflagerung
von Exsudaten auf der äussern Fläche (Cataracta spuria), oder als Ver-
änderung der Kapsel selbst, so dass man sie an der erkrankten Partie
auch unter dem Mikroskope nicht mehr als solche erkennen kann.
A. Als hinterer Kapselstaar dürfte eine angeborene Trübung in
der Gegend der hintern Kapsel zu betrachten sein, welche in Form
einer etwa hanfkorngrossen , scharf begrenzten, beinahe viereckigen,
centralen weissen oder weissgelblichen und etwas schillernden Scheibe
vorkommt. Durch Sectionen ist jedoch der Sitz solcher Trübungen
noch nicht ermittelt. Von Amnion hat im I. B. seiner klin. Darst. auf
Trübung — Cataracta capsularis. 261
T. XIV. Fig. 5 einen solchen Stäar abgebildet. Ich habe ihn nur
zweimal beobachtet, bei einem Mädchen von 15 und bei einem Manne
von 40 Jahren. In früherer Zeit wurde wohl manches als hinterer
Kapselstaar angesehen, was nichts anderes als hinterer Rinden-
staar war.
B. Der vordere (wahre) Kapselstaar erscheint, wenn wir vor-
läufig von den durch mechanische Eingriffe bedingten Formen absehen,
als eine bläulich- oder kreideweisse, wenig oder gar nicht durch-
scheinende, gleichmässig ausgebreitete oder stellenweise stärker ge-
sättigte Trübung unmittelbar hinter der Iris. Eine solche Trübung
zeigt niemals eine symmetrische Anordnung nach den Radien und Sec-
toren der Linse. Was den Ausschlag gibt, ist der Befund bei gehörig
erweiterter Pupille. Die Trübung nimmt nur den mittlem Theil der
Kapsel ein, reicht wenigstens nie und nirgends bis zum Rande der-
selben. Sie hört stets mindestens x\i'" vom Rande entfernt und scharf,
wenn gleich unregelmässig, begrenzt auf. Eine mehr weniger grosse
Partie der Kapsel ist undurchsichtig und durch Infiltration und Auf-
lagerung einer körnigen Masse verdickt, derb und zäh, so dass sich
diese Partie mit einer Nadel im Auge nicht zerschneiden lässt. Die
genannte körnige Masse lässt die innere Fläche der Kapsel uneben und
rauh erscheinen, und kann auf keine Weise, weder durch Abspülen
noch durch Schaben mit einem Messer u. dgl. von der Kapsel entfernt
werden. An Durchschnitten, senkrecht auf die Fläche derselben ge-
führt, lässt sich die Kapsel auch unter dem Mikroskope nicht als solche
verfolgen. Die äussere Fläche der erkrankten Partie ist glatt, manch-
mal etwas runzlig.
Ob die Kapsel verdunkelt und in ihrer Structur verändert werden könne, darüber
ist in neuerer Zeit viel discutirt worden, seit Malgaigne aus 25 Sectionen alter Leute
mit Cataracta (im Bicetre 1840) den Schluss gezogen hatte, es gebe keinen Kapselstaar.
Malgaigne wäre im vollen Rechte geblieben, wenn er aus seinen Leichenbefunden nicht
mehr gefolgert hätte , als logisch gefolgert werden konnte, nämlich dass er auch da die
Kapsel durchsichtig gefunden habe, wo man nach der bisherigen Ansicht Kapselstaare
zu diagnosticiren berechtigt war. Noch in später erschienenen Handbüchern (von
Chelius, Himly, Andreae, Walther) werden die Zeichen des Rindenstaares für Zeichen
von Kapselstaar ausgegeben. Ruete, Hasner u. A. haben dem übereilten Schlüsse Mal-
gaigne's dadurch Allgemeingiltigkeit zu viudiciren gesucht, dass sie der Kapsel die Mög-
lichkeit sich zu verdunkeln aus anatomischen Gründen absprachen. Ich 'kann einem
jeden, der sich durch Autopsie überzeugen will, eine Auswahl getrübter, verdickter,
knorpelähnlicher, innen rauher, aussen glatter Kapseln zeigen, und auch eine und die
andere zur mikroskopischen Untersuchung überlassen, da ich alljährlich immer wieder
einige frische bei der Extraction gewinne.
Auf die oben angegebenen Zeichen gestützt, nehme ich, wo ich nebst Trübung der
262 Krystalllinse.
Linse auch Trübung und Verdickung der Kapsel finde, meistens die Extraction vor, derart,
dass ich den Kranken liegen lasse, und im 2. Momente nicht mit einer Nadel, sondern mit
einem Irishäkchen eingehe, dieses am obern Rande der Verdunklung in die Kapsel ein-
pflanze , und sofort die ganze verdunkelte und verdickte Partie der Kapsel herausziehe.
Bei diesem Vorgange ist es mir mehrmals begegnet, dass die ganze (vordere und hintere)
Kapsel sammt der Linse dem Zuge folgte. Ich kann mehrere solche Staare (wahre Balg-
staare aufweisen. Diese Lösung des Krystallkürpers aus seiner Verbindung mit den
Ciliarfortsätzen (durch Zerreissung der Zonula ohne gewaltthätige Einwirkung von aussen)
und mit der Hyaloidea erfolgt vermöge eines gewissen Grades von Schrumpfung der in-
filtrirten vordem Kapselpartie. Die Linse selbst ist bei diesem Befunde meistens weich,
wohl auch mehr weniger verflüssigt; bisweilen findet man auch Kalkconcremente inner-
halb der Kapsel, besonders da, wo sich die Zonula inserirt.
Nur in Fällen, wo die vordere Kapsel getrübt und verdickt ist, lässt sieh die also
veränderte Partie derselben, und nur da, wo die Verbindung mit der Zonula und dem
Glaskörper gelockert ist, lässt sich die ganze Kapsel sammt der Linse bei der Extraction
aus dem Auge entfernen. Eine gesunde Kapsel sammt dem "Staare auszuziehen, wie
JRuete 1. c. S. 759 angibt, ist mir nie gelungen, nicht einmal bei Versuchen an Cadavern.
In Hasners Entwürfe einer anatomischen Begründung der Augenkrankheiten kann man
S. 185 folgende Stelle lesen: „Ich habe im Sommer 1846 bei einem Manne die Extraction
der Linse wegen Phakomalacie mit Pyramidenstaar vorgenommen. Als ich nach Eröffnung
der Augenkammer behufs des Kapselschnittes das Exsudat mit der Staarnadel nur leicht
berührte , löste es sich sogleich vollständig von der Kapsel und fiel zur Hornhautwunde
heraus; die nachträglich entfernte Kapsel aber erschien vollkommen durchsichtig ohne Spur
einer Substanzentartung. " Wie es möglich war, eine solche Kapsel nachträglich zu ent-
fernen, ist mir nach meinen Versuchen an Lebenden und an Cadavern nicht begreiflich.
Diese Form von Cataracta scheint mit Congestiv- und Entzün-
dungszuständen der Chorioidea in ursächlichem Zusammenhange zu
stehen. Am häufigsten trifft man sie an glaueomatösen Augen in einem
spätem Zeiträume, und nach Iridochorioiditis chronica, wo sie meistens
als Catar. aecreta erscheint. (Vergl. Iritis S. 100, und Chorioiditis S.
162, 163, 165, 166 und die Krankengeschichten auf S. 185, 188 und
205.) Doch findet man diese Erkrankungen der Kapsel auch bei ganz
einfachen Cataracten älterer Personen, jedoch öfter bei weicher als bei
harter Linse. Ob der ganze Vorgang als Entzündung der Kapsel zu
betrachten sei, lässt sich wohl zur Zeit noch nicht entscheiden, um so
weniger, als bisher noch keine verlässliche Diagnostik der sogenannten
Periphakitis existirt, wenn man auch ohne die vorausgefasste Meinung,
die Kapsel könne sich nicht entzünden, und mit den besten optischen
Hilfsmitteln an das Krankenbett tritt.
Der Process, welcher hier an der Kapsel vorgeht, hat nach dem, was mich ana-
tomische Untersuchungen gelehrt haben, grosse Ähnlichkeit mit der Erkrankung der
inneren Gefässhaut der Arterien , welche Rokitansky *) als „ excedirende Auflagerung
von innerer Gefässhaut" geschildert hat, und als deren Endglieder er Atheroma und
*) Handbuch der patholog. Anatomie. Wien. Bd. I. S. 534.
Trübung — Cataracta capsularis. 263
Yerknöcherung bezeichnet. Wirkliche, mikroskopisch nachweisbare Knochenbildung oder
eigentlich Yerknöcherung der verdickten Kapsel selbst habe ich in zwei phthisischen
Bulbis gefunden.
Während des Lebens Entzündung der Kapsel mit Bestimmtheit zu erkennen war
ich bisher nicht im Stande, so sorgfältig ich auch nach den Charakteren suchte, welche
von Walther*) und Sichel**) dafür angegeben haben. Durch die häufigere Anwendung
des Helmholtzscheu Augenspiegels dürfte wohl auch diese Frage in kurzer Zeit entschie-
den beantwortet werden. Walther's Diagnostik hat durch das, was uns Sichel 1. c. S. 117
darüber mitgetheilt, einen argen Stoss erlitten. „Die Beobachtung, sowie die mündlichen
Erörterungen, welche wir über diesen Gegenstand mit diesem ausgezeichneten Praktiker
gehabt haben, bestärken uns in der Ansicht, dass er die pigmentösen Filamente , welche
man nicht selten auf der Kapsel antrifft, als Gefässbildungen der Kapsel angesehen habe.
Wir haben sogar mit einander einen Kranken beobachtet, bei dem Herr von Walther
eine der deutlichsten und auffallendsten Gefässbildungen in der vordem Crystalloide
diagnosticirte ; die Loupe indess liess mich in dem Auge dieses Subjectes nur pigmentöse
braune und punktartige Blättchen entdecken, welche mit lymphatischen, gleichfalls mit
Pigment überzogenen Filamenten abwechselten, und eine ungleiche Oberfläche darboten."
In seinem 1849 erschienenen Handbuche B. IL S. 550 ersieht man deutlich, dass Walther,
der den Kapselstaar als Folge von Periphakitis betrachtete , denselben noch mit dem
Bindenstaar zusammen warf. Die §§. 1755, 1756 und 1757 sind schlagende Beweise
dafür. Dasselbe gilt von Dr. Stricker's Charakteristik des Phakoskleroma und der Phako-
malacia, welche letztere als Folge der Capsitis bezeichnet wird, in seiner sonst aus-
gezeichneten gekrönten Preisschrift über die Krankheiten des Linsensystemes , Frankfurt
a. M. 1845.
Gefässentwicklung auf der mehr weniger getrübten oder erst später sich trübenden
Kapsel habe ich wohl in mehreren Fällen sehr deutlich gesehen ; doch konnte ich nicht
entscheiden, ob sie nicht einer von der Iris ausgehenden Exsudatschichte oder der Kapsel
selbst angehörten: denn immer waren zugleich unzweifelhafte Erscheinungen von Iritis
zugegen. — A. Perwolf, 36 Jahre alt, kam am 5. August 1849 mit folgendem Zustande
der Augen in die Anstalt. Links: die vordem Ciliargefässe abnorm erweitert, bei Unter-
suchung des Auges sehr bald einen rosenrothen Gürtel um die Cornea bildend. Die
Cornea in jeder Beziehung normal. Die von Natur dunkelbraune Iris minder deutlich
faserig, unbeweglich, gegen den Ciliarrand hin an mehreren Stellen an die Hornhaut an-
gelöthet. Die Pupille rund, etwa P/a"' im Durchmesser, keine hintern Synechien zeigend,
auch durch wiederholte Anwendung von Extr. belladonnae nicht erweiterbar. Hinter der
Iris sieht man deutlich die Linse getrübt, und zwar nach dem Abstände von der Iris
und nach der gelblichen Farbe zu schliessen, nur im Kerne. Die Kranke unterscheidet
mit diesem Auge noch grössere Gegenstände, kann zur Noth allein herumgehen, die
Finger zählen u. dgl. Bei genauerer Besichtigung fielen mir eine Menge feiner rother
Äderchen auf, welche offenbar die Lage der vordem, nirgends getrübten Kapsel einnah-
men, und von der Peripherie gegen das Centrum verliefen, jedoch nicht streng centri-
petal. Es wäre nun nöthig gewesen zu ermitteln, woher diese Gefässe kamen. Bei dem
Umstände, dass sich die Pupille nicht erweitem liess, war diess jedoch nicht möglich.
In der Iris waren keine Gefässe wahrnehmbar. Auf der Kapsel zählte ich sieben isolirte
*) Abhandlungen ans dem Gebiete der Medicin 1S10. S. 53., und Lehre von den Augenkrankheiten,
Freiburg, 1S49. Bd. I. S. 112.
-**) Über die Augenentzündungen, deutsch von Gross. Stuttgart, 1S40. S. 110.
264 Krystalllinse.
und einfache Reiserchen; nur eines spaltete sich in zwei Ästchen, welche über das
Centrum hinüberliefen, ohne mit den entgegen kommenden in Verbindung zu treten.
Einige Tage nach der Aufnahme trat eine Hernia inguinalis incarcerata ein, welche den
Bruchschnitt, mithin die Transferirung auf die chirurgische Abtheilung nöthig machte.
Als die Kranke Ende October wieder auf die Augenklinik zurückkam , sah man
die früher (mit Ausnahme der Gefässchen) ganz durchsichtige Kapsel an einer Stelle-
getrübt, welche, etwa ''3'" breit, quer durch die Pupille verlief, matt, weissgrau, in der
Mitte undurchsichtig, mit verwaschenen Rändern, nicht uneben, die Äderchen noch sicht-
bar in die Trübung hineinragen. Auch jetzt gelang es nicht, die Pupille durch Bella-
donna zu erweitern. Von der Gegenwart der Gefässchen in oder auf der übrigens
ganz durchsichtigen Kapsel überzeugten sich nebst vielen Andern auch mein Assistent
Dr. Seydl und Prof. Engel. Bei der am 2. November vorgenommenen Extraction, welche
Methode ich wählte, um die Kapsel zur mikroskopischen Untersuchung zu erhalten, miss-
lang der Versuch, die Kapsel mit einem in die obere Partie eingepflanzten Häkchen
herauszuziehen , indem das Häkchen beim Anziehen mitten durch die Kapsel durchging.
Die Entfernung der ziemlich weichen Linse gelang ohne besondere Schwierigkeit ziem-
lich vollständig; nach derselben sah man die vordere Kapsel wegen eines leichten Be-
schlages mit Rindensubstanz auf dem nun schwarz gewordenen Hintergrunde durchaus
graulich weiss, wie einen senkrecht gespaltenen Vorhang hinter der Iris ausgespannt;
mit einer feinen Pincette gefasst, riss sie ein, ohne dem Zuge zu folgen. Durch jene
Spalte, die sich bei gelindem Drucke auf den Bulbus erweiterte, nahm die Kranke die
vor ihr stehenden Personen wahr. Nach erfolgter Heilung blieb so wie in andern Fällen
nach einfach geschlitzter, nicht in Zipfel gespaltener Kapsel, Catar. seeund. capsul. zurück.
Ich habe somit auch in diesem Falle nicht evident nachweisen können , dass wirklich
Entzündung der vordem Kapsel stattgefunden hatte.
C. Auflagerungen auf der vordem Kapsel kommen in ver-
schiedener Form und Grösse vor. Insofern die Kapsel darunter ganz
unverändert, mindestens vollkommen durchsichtig- sein kann, was sich
jedoch während des Lebens nicht mit Sicherheit bestimmen lässt, kann
man die hieher gehörigen Formen als Catar. spuria bezeichnen.
a. Hieher gehört zunächst der erworbene vordere Centralkapsel-
staar, Catar. capsulae anterioris centralis, welchen wir im I. Bande S.
232—236 besprochen haben.
b. Derselbe darf nicht verwechselt werden mit dem angeborenen
vorderen Centralstaare, welcher gleichfalls in Form eines Punktes oder
in Form einer Pyramide (Cat. pyramidalis) vorkommt. Der angehorene
-punktförmige vordere Centralkapselstaar erscheint fast ohne Ausnahme
auf beiden Augen zugleich als ein lichtgrauer Punkt, ein wenig nach
oben und innen vom Centrum der Pupille scharf begrenzt, matt, nicht
im mindesten erhaben, noch in die Tiefe reichend. Durch eine Section
von Amnion*) ist es sicher gestellt, dass die Trübung nicht bloss in
der Linse, sondern auch in der Kapsel ihren Sitz hat. Er fand die
*) Zeltschrift, Band III. S. 76.
Kapselauflageruiigeii — Catar. spuria. 265
Catar. centr. in 2 Fällen als einen Centralfleck auf der vordem Kapsel-
wand, konnte jedoch weder mit unbewaffnetem noch mit bewaffnetem
Auge eine Erhabenheit auf derselben entdecken. Die dunkle weisse
Stelle auf der Linsenkapsel unterschied sich von andern Punkten der
Linsenkapsel durch grössere Dichtigkeit. Beide waren von Kindern,
die etwa 14 Tage vor der Zeit geboren waren. — Den angeborenen
Pijramidenstaar sah ich im Jahre 1839 bei zwei Geschwistern aus
Welmschloss, einem IS- und einem 13jährigen Mädchen, als einen
stumpfspitzigen, zuckerhutähnlichen Kegel mit etwa l x\i'" breiter Basis
ziemlich tief hinter der Iris anfangend, nirgends mit der Iris zusam-
menhängend, mit der Spitze bis nahe an die Cornea reichend, weiss
wie frisch geronnener Käse, an der Spitze etwas glänzend.
Das eine Auge von der altern wurde von Dr. Paulus plastisch nachgebildet, und
diese? sehr gelungene -Präparat wird in der Sammlung- der Augenklinik allhier aufbe-
wahrt. Die Bulbi waren ziemlich vollkommen entwickelt, die Regenbogenhäute etwas?
matter gefärbt, das Sehvermögen sehr beschränkt. Sie erkannten grössere Gegenstände,
die Finger, einen Schlüssel u. dgl. , und konnten allein gehen. Bei beiden machte Prof.
Fischer die Depression durch die Sclera, bei der altern auf dem rechten Auge, wo nur
deutliche Lichtempfindung bestand, bei der Jüngern links, wo das Sehvermögen von
dem rechts nicht verschieden war; bei jener stieg der Staar wieder auf, bei dieser
blieb er liegen, und ich sah diese 1852 wieder in Karlsbad, wo sie in Dienst stand.
Da sie mir versprach, nach Prag zu kommen, habe ich ihren Zustand nicht genauer erhoben.
Sie ist leider nicht gekommen. — Von Amnion*) verdanken wir einen genauen Sections-
befund eines solchen Staares. „Die ganze Linse hing innigst mit der Kapsel zusammen,
so dass beide nur mit Mühe von einander getrennt werden konnten. Die Kapsel bildete
hie und da einzelne Falten, war aber nicht verdickt, und frei von aller Wucherung.
Die pyramidale Erhabenheit sah so aus, als hätte sich durch ein kleines Loch der vor-
dem Kapsel im Centrum ein Stückchen Linsensubstanz hervorgedrängt. Die theilweise
von der verdunkelten gelben Linsensubstanz , wenn auch mit Mühe trennbare Kapsel
konnte im Centrum da, wo die pyram. Hervorragung stattfand, nicht abgezogen werden,
sondern verschmolz hier mit der Linsenmasse gänzlich. Auffallend war die abgeflachte
hintere Linse." — Beers**) Angaben über den anatomischen Befund bei solchen Staaren
sind zu allgemein gehalten, und dürften sich eher auf jene Pyramidenstaare beziehen,
welche in Folge durchbohreuder Hornhautgeschwüre entstehen, als auf die angebornen.
c. Als mehr flache und dem Sitze und der Form nach nicht so
constante Auflagerungen auf der vordem Kapsel kommen mehrere
Arten sogenannter Kapselstaare vor, denen man je nach der verschie-
denen Form, welche ziemlich gleichgiltig ist, verschiedene Namen bei-
gelegt hat. Es sind diess die Cataracta punctata, marmoracea, striata,
fenestrata, stellata, trabecularis , dendritica, chorioidealis s. pigmentosa
etc. Vor Allem muss bemerkt werden, dass ähnliche Figuren, wie
*) Zeitschrift, Bd. III. S. 79.
**) Lehre von den Augenkrankheiten. Wien, 1617. Bd. II. S. 298.
266 Krystalllinse.
diese Namen andeuten, auch durch partielle Trübung- der Rindensubstanz
hervorgerufen werden können. Hier ist nur von jenen Zuständen die
Rede, wo von der Iris ausgeschiedene Exsudate mit oder ohne Pigment
auf der Iris hängen. Diese Trübungen können im Allgemeinen leicht
als Producte von Iritis nachgewiesen werden , bald mit Hilfe der Ana-
mnesis, bald nach der Inspection allein. Letzteres ist besonders dann
leicht möglich, wenn sogenannte hintere Synechien oder wenn zugleich
Pigmentablagerungen auf der Kapsel vorhanden sind. Dass nicht in
allen Fällen, wo der Pupillarrand ringsum oder stellenweise an die
Kapsel angelöthet zu sein scheint, wirkliche Verwachsung- oder auch
nur Anlöthung- stattfindet, wurde schon bei der Lehre von der Iritis
bemerkt.
Sichel 1. c. S. 110 betrachtet diese Trübungen als Folge von Periphakitis. In der
Schilderung, die er von dieser entworfen hat, kann ich nichts anderes erkennen, als die
Zeichen von Iritis, namentlich von Iritis chronica, welche frühere Autoren als Uveitis,
Iritis occulta, Iritis exsudativa, Hydromeningitis u. dgl. beschrieben haben. Stricker will
aus allgemein pathologischen Sätzen schliessen, dass Exsudate und Pigmentmolekeln, von
der Iris geliefert, nur dann an der Kapsel haften bleiben können, wenn diese zur Zeit
der Anlagerung selbst entzündet war. Man ersieht aber aus seiner Schilderung der
Phakomalacie , dass er auch da Periphakitis annimmt, wo entschieden keine vorhanden
ist, namentlich bei Catarr. corticalis. Es ist Thatsache der Beobachtung, dass in Folge
von Iritis Pigmentablagerungen bemerkt werden, und zwar nicht nur an der Kapsel,
sondern auch mitunter an der Descemetschen Haut. Am häufigsten aber bemerkt man,
wie schon Beer hervorgehoben hat, Pigmentauflagerungen an der vordem Kapsel nach
traumatischen Einwirkungen auf das Auge, und diese Pigmentflecke auf der Kapel findet
man in der Mehrzahl der Fälle ohne alle Spur vorausgegangener Iritis.
IL Verschrumpfung des Krystallkörpers.
Wenn die vordere Kapsel derart verletzt worden ist, dass sie dem
Kammerwasser durch längere Zeit freien Zutritt zur Linsensubstanz
gestattet, wenn, selbst bei unbedeutender Verletzung der Kapsel, ihre
Verbindung mit der Linse gestört (durch Erschütterung, Verschiebung
der Linse innerhalb der Kapsel), oder wenn der Zusammenhang der
Kapsel mit dem Ciliarkörper durch Zerreissung der Zonula Zinnii in
grösserer Ausdehnung getrennt worden ist, so verliert die Linse und
meistens auch die Kapsel nicht bloss ihre Durchsichtigkeit, sondern
auch ihre Form und ihr Volumen, indem die Linse mehr weniger ver-
flüssigt und aufgesogen wird und die Kapsel ihre Gestalt und Ausdeh-
nung nicht selbstständig behaupten kann. Hieraus entstehen mehrere
Arten von Cataracten, welche nebst der Trübung auch Schrumpfung
Schrumpfung — Catar. membranacea. 267
des Krystallkörpers zeigen. Je nachdem liiebei die Linse ganz oder
nur zum Theile fehlt, ist der Staar ein Kapsel- oder ein Kapsellinsen-
staar. Der Form nach erscheint der Staar als Catar. membranacea
(traumatica, secundaria), als Catar. arida siliquata, oder als Catar.
eystica (tremula, natatilis).
Wenn die Linse fehlt oder merklich verschrumpft ist, so liegt die
Iris tiefer und zeigt bei raschen Wendungen des Bulbus ein deutliches
Schlottern. Fehlt auch die Kapsel (im Bereiche der Pupille), so zeigt
die Pupille eine reinere Schwärze, wenigstens bei Erwachsenen, als im
normalen Zustande. Das Schlottern der Iris wird nur dann vermisst,
wenn der Pupillarrand an die Kapsel angewachsen und rückwärts ge-
zogen ist. Bei Catar. eystica kann die Iris auch abnorm vorwärts ge-
drängt sein, wie wir weiterhin sehen werden.
a. Erscheint der Staar als Catar. membranacea in Form einer hin-
ter der Iris ausgespannten Membran oder Platte, so ist diese ungefähr
1 2'" hinter der Iris gelegen, d. i. in einer Ebene, welche durch die
Firsten der Ciliarfortsätze gezogen gedacht wird. Es ist durchaus irrig,
wenn man meint, nach Beseitigung der Linse, wie namentlich nach
Staaroperationen, werde die hintere Kapsel in der tellerförmigen Grube
aus einer coneaven in eine convexe Fläche verwandelt. Sie rückt
immer nur bis zu der genannten Ebene vor, wie wir weiter unten
noch erläutern werden. Bei Catar. membranacea erscheint die Trübung
durchaus oder nur stellenweise undurchsichtig, und dann knorpel-,
kreide- oder gelblich-weiss , oder sie ist mehr weniger durchscheinend,
bläulich weiss, spinnwebenähnlich u. dgl. Die Consistenz ist bald
knorpel- oder lederartig, bald mürbe, bröcklich, leicht zerreisslich.
Ihre Anheftung an die Ciliarfortsätze ist in dem einen Falle unzertrenn-
lich fest, so dass, wenn man sie stark anzieht, selbst die Sclera ein-
wärts gezogen wird, in andern Fällen ziemlich locker, so dass sie dem
Zuge eines Irishäkchens oder einer Nadel weicht. Nach hinten hängt
eine .solche Membran in der Eegel mit der Glashaut zusammen, wenig-
stens fliesst, wenn man sie durch einen Einstich in die Cornea noch so
vorsichtig anzieht, immer etwas Glaskörper aus, und zwar von vermin-
derter Consistenz.
In andern Fällen, namentlich nach Staaroperationen, sieht man
hinter der Pupillaröffnung der Iris einzelne Streifen oder Zipfel ver-
dunkelter Kapsel, bald frei in der genannten Ebene ausgespannt, bald
mit dem Pupillarrande verwachsen, wohl auch, wenn nach der Extrac-
tion Irisvorfall entstanden war, durch die Pupille zur Hornhautnarbe
streichend und mit dieser unzertrennlich verschmolzen. Man bezeichnet
268 Krystalllinse.
diese Membranen mit Rücksicht auf ihre Entstehung gewöhnlich als
Catar. secundaria, Sie sind sehr häufig durch Pupillensperre verdeckt.
Legt man in Fällen, wo z. B. nach der Extraction die Pupille gesperrt
wurde, sei es einfach durch Iritis oder durch allmälig vernarbten Iris-
vorfall, durch Iridectomie eine Öffnung in der Iris an, so findet man
nicht selten hinter derselben eine trübe Membran ausgespannt, die den
Zweck der Coremorphose vereitelt, falls man nicht sofort mit Häkchen
oder Pincette eingeht, und dieselbe auszieht oder einreisst, was jedoch
nicht immer gelingt.
Dass diese Membranen keine blossen Exsudate, und auch nicht immer bloss ge-
runzelte und mit Linsenresten beschlagene, sondern meistens in ihrer Structur gänzlich
veränderte Kapseln sind, dafür spricht nicht nur ihre flache Ausbreitung hinter der Iris, mit
welcher sie gar oft nicht im mindesten zusammenhängen, nicht nur ihr Auftreten in
Fällen, wo nicht eine Spur von Entzündung bemerkt worden war, sondern auch und
vor Allem die anatomische Untersuchung von operirten Augen, auf die wir weiter unten
zurückkomnen. Man wird selten ein von Cataracta geheiltes Auge zu Gesicht bekommen,
wo nicht Beste verdunkelter Kapsel (vorderer) schon bei gewöhnlicher Weite der Pupille
sichtbar wäi-en. Man kann bei der Operation bis zu einer gewissen Grenze vorausbe-
stimmen, ob Kapselnachstaar zu besorgen sei oder nicht. Es hängt diess hauptsächlich
von der Art und AVeise ab , wie die vordere Kapsel geöffnet wird. In jenen Fällen , wo
bei der Extraction die verdunkelte und verdickte vordere Kapsel vor oder nach dem
Austiitte der Linse extrahirt worden war, habe ich später nicht ein einziges Mal solche
Nachstaare, solche getrübte membranöse Ausbreitungen hinter der Pupille bemerken
können. Auch da, wo die Extraction mit Glaskörperverlust verläuft, findet man äusserst
selten , und da nur gegen die Peripherie hin , solche Nachstaare , welcher Umstand
bekanntlich zu dem Vorschlage geführt hat, unmittelbar nach Vollendung der Extraction
etwas Glaskörper abfliessen zu machen. Auch nach der Eeclination ist man nur dann vor
dem Nachstaar absolut sicher , wenn die vordere Kapsel , in ihrem mittlem Felde ge-
trübt und so verdickt , dass die an sie aufgesetzte Nadel nicht durch sie durchgehen
kann, ringsum von der Zonula losgerissen, mit in den Glaskörper versenkt wird und
dort liegen bleibt.
Die Catar. membranacea (secundaria) kann durch verschiedene
Substrate bedingt sein, durch Schrumpfung und Faltung der vordem
Kapsel, durch Auflagerung von Exsudat an ihre Aussenfläche von der
Iris oder von den Ciliarfortsätzen und der Zonula her, durch Präcipita-
tion getrübter Linsenpartikelchen an die Innenfläche oder endlich durch
Substanzveränderung (Folge von Entzündung?) der Kapsel selbst, wobei
immer ihre Innenfläche mehr weniger rauh und uneben erscheint.
Meistens sind mehrere dieser Zustände zugleich vorhanden. — Trübung
durch Schrumpfung und Runzelung der vordem Kapsel allein kommt
ganz gewiss vor. Man kann sich davon überzeugen, indem man nach
Ausgleichung der Falten unter dem Mikroskope die vorher trüb er-
scheinende Kapsel wieder glashell findet. Eine solche Trübung hat
Schrumpfung — Catar. arida siliquata — cystica. 269
auf dem schwarzen Hintergründe des Auges nie ein gesättigt weisses
Aussehen ; sie gleicht mehr einem Spinnengewebe. — Auflagerungen
auf der Aussenfläche der Kapsel als Producte von Entzündung der Iris
kann man nur in jenen Fällen supponiren, wo die Iris an einer oder
der andern Stelle Adhäsionen mit der Kapsel zeigt. Sie sind niemals
ganz gleichinässig vertheilt, haben ein seimig glänzendes Aussehen,
und bilden für sich allein niemals eine flächenförmig ausgespannte,
sondern eine faden- oder bandförmige Trübung. — Auflagerungen von
Linsenresten an der Innenfläche der vordem Kapsel bieten Anfangs ein
lockeres lichtgraues Aussehen dar; mit der Zeit werden sie resorbirt
oder gehen nach Anlöthung der vordem an die hintere Kapsel in einen
derben und stationären Zustand über, in welchem man sie als solche
nicht mehr erkennen kann. Die hiedurch entstandene Masse ist bald
knorpelähnlich, lederartig zäh, bald kreide- oder gypsartig, hart oder
bröcklich.
b. Jene Formen, wo die rückständige und gleichsam eingedickte
oder eingetrocknete Linsensubstanz sammt der sie umschliessenden ge-
schrumpften Kapsel eine mächtige (bis V" dicke), ganz undurchsich-
tige, weisse oder weissgelbe, kuchenförmige Masse darstellt, hat man
(seit Ad. Schmidt und Beer) wegen Ähnlichkeit mit einer eingetrock-
neten Schotenfrucht Catar. arida siliquata genannt. Oft ist bei diesem
Zustande die Kapsel nicht bloss gerunzelt, sondern auch in ihrer Sub-
stanz verändert. Diese Formen scheinen sich hauptsächlich nach Er-
schütterungen des Linsensystenies, nach Störung des Zusammenhanges
zwischen Kapsel und Linse zu entwickeln. Zur Zeit ist es noch un-
entschieden, ob eine Verschiebung der Linse innerhalb der Kapsel er-
folgen könne, ohne dass diese zugleich eingerissen wurde. Ist letzteres
nothwendig, so muss man wohl annehmen, dass sich die Kapselötfnung
wieder geschlossen, bevor das Kammerwasser Auflösung der Linse be-
wirken konnte. In so fern als eine solche Eindickung und Verschrumpfung
auch nach ausgedehnter Störung der Verbindung des Krystallkörpers
mit dem Ciliar- und Glaskörper eintreten und dadurch eine mehr we-
niger freie Beweglichkeit einer solchen Catar. bei den verschiedenen
Wendungen des Bulbus bemerkbar werden kann, wurden auf diese For-
men auch die Ausdrücke: Zitter- oder Schwimmstaar (Catar. tremula
vel natatilis) angewendet. Meistens aber hängen trockenhülsige Staare,
so wie die häutigen an einer oder an mehreren Stellen wider Ver-
muthen fest an der Peripherie, und steigen daher bei wiederholten Ver-
suchen, sie in den Glaskörper hineinzudrücken, immer wieder auf, wo-
her die Bezeichnung Catar. elastica entstand.
270 Krystalllinse.
c. Bisweilen findet man die Linse getrübt und mehr weniger er-
weicht oder verflüssigt, die vordere Kapsel in ihrer mittlem Partie ge-
trübt und verdickt, den ganzen Krystallkörper etwas geschrumpft, seine
Verbindung mit dem Ciliar- und Glaskörper bedeutend gelockert oder
völlig aufgehoben, und in Folge dieser Veränderungen in eine kugel-
runde schlaffe Blase verwandelt. Man hat diesen Zustand Balgstaar?
Catar. cystica genannt, und auch hier bei völliger Lösung den Ausdruck
Catar. natatilis, bei theilweiser: Catar. tremula gebraucht. Am häufig-
sten findet man diesen Zustand des Linsensystemes an Augen, welche
an Chorioiditis oder Iridochorioiditis gelitten haben, und es ist mehr
als wahrscheinlich, dass die Verdickung und Schrumpfung der vordem
Kapsel Ursache der Ablösung vom Ciliar- und Glaskörper ist; doch
kommt er auch nach Erschütterungen des Auges vor. Von der ver-
schiedenen Lagerung solcher Linsen soll im nächsten Abschnitte die
Rede sein. Hier haben wir nur noch zu erinnern, dass in Folge dieses
Zustandes das Bild einer Catar. arida siliquata oder auch Verkalkung
der Linse ohne völligen Verlust der äussern Form eintreten kann.
Beer 1. c. S. 296 und 297 bemerkt über diese Form Folgendes:
„Der Balgstaar charakterisirt sich durch schneeweisse Farbe; bald liegt
er so nahe an der Traubenhaut, dass er sogar die Regenbogenhaut vor-
wärts drängt, bald scheint er wieder von derselben etwas entfernt zu
sein, und dieses hängt fast immer nur von der Richtung des Kopfes
ab; denn er nimmt leicht eine Kugelform an und drängt sich daher bei
vorwärts geneigtem Kopfe an die Traubenhaut, ja zuweilen scheint er
bei stark vorwärts geneigtem Kopfe sogar durch die Pupille in die
vordere Kammer vordringen zu wollen." „Ich habe die Kapsel bei
diesem Staare einige Male wirklich eine starke Linie dick und so zähe
wie dichtes Leder gefunden; die Linse selbst war sulzig oder milchar-
tig entmischt, jedoch die Quantität dieser Flüssigkeit stand niemals im
Verhältniss mit dem Volumen einer gewöhnlichen Linse. Im Wasser
erscheint die Form des ausgezogenen Staares völlig kugelrund, ausser-
dem Wasser liegt er ziemlich platt wie ein nicht ganz vollgefüllter Sack
auf. Meistens springt dieser Staar gleich nach der zweckmässigen Öff-
nung der Hornhaut von selbst und unversehrt aus dem Auge." Ich
habe Beer's Angaben vielfältig bestätigt gefunden, bis auf das, dass
ich die vordere Kapsel nie so dick, und die hintere niemals in ihrer
Substanz verändert sah.
Die Schrumpfung des Krystallkörpers wird viel häufiger hei jugendlichen Indivi-
duen beobachtet, als bei älteren , wenn nicht äussere traumatische Einflüsse den Anstoss
dazu gegeben haben. Man beobachtet sie namentlich oft nach Convulsionen im Kindes-
Luxation des Krystallkörpers. 271
alter. Es fragt sich, ob die Erkrankung des Krystallkörpers durch die Convulsionen
(mechanisch) herbeigeführt wurde, oder ob beides, Erkrankung der Linse und Convul-
sionen, durch ein gemeinschaftliches Grundleiden, z. 33. Hydrocephalus , bedingt werde.
Im ersten Falle müsste man annehmen , dass durch die Couvulsionen, durch die Gewalt,
welche die convulsivisch bewegten Muskeln auf die Contenta des Bulbus ausüben , Zer-
reissung der vordem Kapsel oder der Zonula bewirkt werde ; im 2. Falle dürfte Hemmung
in der weitern Entwicklung, Störung in der Ernährung des Krystallkörpers zu supponiren
sein. Wenn man bedenkt, dass bei den Convulsionen die Bulbi oft mit Blitzesschnelle
von einer Richtung zur entgegengesetzten geworfen werden und dass bei dieser raschen
Bewegung die specifisch schwerere Linse offenbar eine grössere Geschwindigkeit an-
nehmen muss, als die wässrige und die Glasfeuchtigkeit, so lässt sich's wohl denken,,
dass entweder die Kapsel oder die Zonula dadurch zum Zerreissen gebracht werden
könne. Vielleicht auch, dass die rasche Compression des Bulbus, welche durch die
spastische Contraction sämmtlicher Augenmuskeln bewirkt werden dürfte, dieselbe "Wir-
kung auf die Kapsel oder Zonula herbeizuführen vermag, wobei man jedoch bei der In-
compressibilität des Humor aqueus et vitreus momentane Nachgiebigkeit der Cornea oder
Sclera annehmen müsste. Denn es darf nicht unbemerkt bleiben, dass bei Erwachsenen
nach den heftigsten Convulsionen, z. B. bei Hysterie, die Entstehung von Cataracta nicht
beobachtet wird.
III. Verrückiing der Linse aus ihrer Lage.
In Folge von Stössen auf das Auge kann es geschehen, dass die
Linse allein oder sammt ihrer Kapsel unter die Bindehaut der gebor-
stenen Sclera vorfällt. Siehe Krankheiten der Sclera S. 16 und Kran-
kengeschichten S. 17.
Eines von Franke beobachteten Falles dieser Art erwähnt Himly*) S. 204. „Man
sah nach einem heftigen Stosse die Linse l/z'" vom obern Hornhautrande unter der Con-
junctiva und auf einem Risse der Sclera liegen ; nach einem Jahre war sie ausser einer
etwas grössern Trübung unverändert; da die Geschwulst fast gar nicht belästigte, das
Gesicht auch allmälig sich besserte, so dass die Frau mit einer Staarbrille ziemlich deut-
lich Gegenstände unterschied, so ward keine Operation vorgenommen."
Ist die vordere Kapsel absichtlich oder zufällig in grosser Ausdeh-
nung eröffnet worden, so kann es geschehen, dass die getrübte oder
ungetrübte Linse in die vordere Kammer vorfallt. Erregt sie daselbst
keine entzündlichen Zufälle, so kann sie ihre Durchsichtigkeit durch
2—3 Wochen behalten, wird sodann trübe, ringsum erweicht, und ent-
weder vollständig oder nur theilweise aufgesogen. Die Aufsaugung
kann nämlich dadurch verhindert werden, dass der Kern der Linse von
Kalksalzen incrustirt oder auch ganz in ein kalkiges Concrement ver-
wandelt wird, und dann gleich einem fremden Körper in der vordem
Kammer verweilt, oder abwechselnd bald vor bald hinter der Iris seinen
*) Krankheiten und Missbildungen des menschliehen Auges. Berlin, 1843. Bd. II.
272 Krystallliiise.
Sitz aufschlägt. — In den meisten Fällen jedoch erregt die vorgefallene
Linse Entzündung, bloss der Iris und der Cornea, oder des ganzen
Bulbus (Panophthalmitis). Entzündung tritt besonders dann ein, wenn
das Auge nebst der Sprengung der Kapsel sonst noch durch Erschütte-
rung oder Verwundung bedeutend gelitten hat, wenn die Linse nur
zum Theile in die vordere Kammer treten kann und gleichsam von der
Iris umklammert wird, wenn sie rasch aufquillt oder wenn ein solches
Auge nicht sorgfältig vor irritirenden Einflüssen geschützt wird. Wie
man in einem solchen Falle vorzugehen habe, werden wir bei der
Nachbehandlung nach der Reclination, nach welcher dieser Zufall am
häufigsten vorkommt, erörtern.
Ist die Verbindung des Krystallkörpers mit dem Ciliar- und Glas-
körper ganz oder grösstentheils getrennt, so kann derselbe seine Form
und Durchsichtigkeit im Allgemeinen wohl nicht lange behaupten, und
es erfolgt, je nachdem dabei die vordere Kapsel eingerissen oder ganz
geblieben war, früher oder später Resorption, oder Catar. membranacea,
arida siliquata oder cystica, von denen schon die Rede war. Es kom-
men aber auch Fälle vor, wo die aus ihrer Lage getretene Linse Monate,
selbst Jahre lang ihre Durchsichtigkeit beibehält, wohl desshalb, weil
sie nicht nur noch in der Kapsel eingeschlossen, sondern auch noch
durch ihr Aufhängeband mit den Ciliarfortsätzen in Verbindung geblie-
ben ist. Man kann diesen Zustand füglich als Luxatio lentis bezeich-
nen. Er setzt einerseits Erweichung, Verflüssigung des Glaskörpers,
andererseits Erschlaffung, Ausdehnung der Zonula voraus. Ich habe
einen Fall von spontaner Luxation des Krystallkörpers nach oben und
zwei Fälle mit Vorfall in die vordere Kammer beobachtet.
Ende October 1849 wurde ein Mädchen von 24 Jahren zur Beobachtung auf die
Klinik aufgenommen. Sie war im Findelhause geboren, besass von Kindheit an ein sehr
mangelhaftes Gesicht, hatte desshalb weder lesen noch schreiben gelernt, und konnte
nur etwas nähen (in gröberem Zeuge) ; Geldmünzen erkannte sie auch nach dem Gepräge.
Alle feineren Gegenstände musste sie dem rechten Auge auf 3 — 4 Zoll nahe bringen; auf
dem linken hatte sie von jeher „nur einen Schein." Sie sah gesund aus, war gut ent-
wickelt, und versicherte nie krank gewesen zu sein, auch niemals entzündete Augen
oder Kopfschmerzen gehabt zu haben. Gegen Ende September hatte sie ohne bekannte
Veranlassung angefangen, allmälig weniger zu sehen, was sie bewogen hatte, im Spitale
Hilfe zu suchen. — Die Bulbi von normaler Grösse, Lage und Beweglichkeit, etwas
weicher anzufühlen. Der Blick wie bei Amaurotischen. Die Pupille des linken Auges
ein wenig nach innen und oben abweichend, wenn die des rechten gerade nach
vorn gerichtet ist (Strabismus convergens). Die Hornhäute normal; die Regenbogenhäute
blaugrau, matt, ziemlich lebhaft, beweglich, selbst bei leichteren Bewegungen der Augen
stark schlotternd, in der untern Hälfte etwas zurückgetreten, innen und oben dagegen vor-
wärts gewölbt. Die Pupillen rund, nicht vollkommen schwarz ; sieht man genauer hinein,
Luxation des Kry stall Körpers. 273
so erkennt man die Linse wie einen dunklen Rauehtopas, offenbar aus ihrer Lage getre-
ten, und zwar nach innen und oben, und daselbst die Iris vordrängend, denn es erseheint
nach unten ein vollkommen schwarzer, etwa '/a'" breiter Meniscus, dessen eonvexen Eand
die Iris, den concaven die Linse bildet. Erweiterung der Pupille durch Belladonna Hess
diesen Meniscus grösser erscheinen und gab hinreichenden Aufschluss über die Lage der
Linse. Diese änderte sich weder nach längerer Rückenlage noch nach wiederholter Vor-
wärtsneigung des Kopfes (Bauchlage). Die Störung des Gesichtes schien mehr durch
Erkrankung der Netzhaut und des Glaskörpers, als durch die ohnehin geringe Trübung
der Linse bedingt zu sein. Hieraus erklärt sieh wohl, warum kein Doppeltsehen vorhan-
den war, welches bei normaler Energie der Netzhaut wohl kaum gefehlt haben würde.
Die Kranke wurde in statu quo entlassen.
Die Beschreibung des folgenden Falles, den ich 1842 sah, theilte mir der königl.
ständische Augenarzt Dr. Ryba zur Veröffentlichung mit.
Anton Thum aus Birkstein, 13 Jahre alt, im Verhältnisse zu seinem Alter körper-
lich und geistig wenig entwickelt und mit Spuren von Rhachitis behaftet, wurde mir
nebst seiner achtjährigen Schwester Theresia zu Anfang Juni 1842 vorgeführt. In den
vordem Kammern beider Augen des Knaben zeigten sich runde, abgeplattete, im Umfange
hellspiegelnde, vollkommen durchsichtige Körper von etwas mehr als 2,/2i" Durchmesser,
welche mit ihrem untern Rand dem Boden der vordem Augenkammern, ohne diesen
vollends zu berühren , sehr genähert lagen , mit ihrem obern Rande die ganze Pupille
überragten und durch ihre blass weingelbe Färbung von der farblosen wässerigen Feuch-
tigkeit abstachen. Beide Augen waren bis dahin von aller Entzündung frei geblieben.
Die braune Iris hatte ihre normale Structur und Contractilität behalten , auch die durch
die vorgefallenen Linsen deutlich sichtbaren Pupillen waren schwarz und rein, nur an
ihrem untern Rande etwas herabgedrückt, so wie der ganze mittlere Theil der Iris bei
dieser Lage der Linsen etwas concav oder zurückgedrängt erschien. Im Dunkel bei der
Rückenlage des Kranken schlüpften in beiden Augen die vorgefallenen Linsen leicht in
die hintere Augenkammei zurück; dann erschien die Iris wieder plan, reagirte um so
freier gegen das Licht, zeigte aber zugleich, mehr am rechten als am linken Auge, ein
deutliches Wogen oder Schlottern (Iridodonesis). In der Mitte der übrigens reinen Cornea
war ein Nebelfleckchen , etwas kleiner am rechten als am linken Auge , zu bemerken.
Im Umkreise der Cornea Hess die verdünnte Sclera steUenweise die Chorioidea mehr
oder weniger durchscheinen. Übrigens bot der Bulbus in Form, Grösse und Anfühlen
nichts Abnormes dar. Das Sehvermögen beider Augen, insbesondere des rechten, war
noch ziemlich gut erhalten, so dass der Kranke sowohl mit dem rechten als linken Auge
Gegenstände mittlerer Grösse in beträchtlichen Femen unterschied, gewöhnlichen Bücher-
druck aber mit dem rechten Auge nur auf 4 Zoll, mit dem linken sogar nur auf 3 Zoll
Ferne zu lesen vermochte. Die Linsen waren bereits vier Monate früher, als ich den
Kranken zuerst sah, in beiden Augen zugleich ohne bekannte Veranlassung in die vor-
dem Augenkammern vorgefallen. Da von ihrem langem Verbleiben daselbst grosse
Nachtheile zu besorgen waren, so entschloss ich mich sogleich zur Extraction derselben,
und zwar vorerst auf dem linken Auge, wo das Sehvermögen bereits schwächer zu
werden begann. Ich verrichtete also diese Operation im St. Lazarusspitale am 12. Juni
1S42 in Gegenwart mehrerer Ärzte. Obwohl der Kranke seit einigen Tagen an den
Anblick der Instrumente, die er mit dem zu operirenden Auge deutlich sah, durch täglich
wiederholte Scheinangriffe gewöhnt worden, welche Proben er zuletzt recht gut zu be-
stehen schien, so gebärdete es sich doch, als es zur wirklichen Operation kam, höchst
Arlt Augenheilkunde. II. 18
274 Krystalllinse.
■widerspenstig und konnte nur mit Gewalt festgehalten werden. Ich führte das Staarmesser
so durch die vordere Augenkammer, dass in einem und demselben Acte zugleich mit
dem Hornhautschnitte auch die Lösung der in ihrer Kapsel eingehüllten Linse von ihren
übrigen organischen Verbindungen und ihre Entfernung aus der vordem Augenkammer
vollzogen war. In der That drang die in ihrer unverletzten Kapsel eingeschlossene Linse
zuo-leich mit Vollendung des Hornhautschnittes hervor, und da das operirte Auge also-
gleich geschlossen und der Kranke eiligst auf den Rücken gelegt wurde, so ging auch
von dem Glaskörper fast nichts verloren. Es stellte sich keine beträchtliche Entzündung
in dem operirten Auge ein. Bei der Wiedereröffnung desselben am 17. Juni erschien
die Hornhautwunde gut geschlossen, ungetrübt, die Conjunctiva bulbi fast gar nicht ge-
röthet. Nachdem er aber am 20. Juni über Nacht wegen der Abreise seiner Mutter vieL
geweint, und laut der Aussage der "Wärterin das operirte Auge beim Abwischen der
Thränen mit der Hand oftmals gedrückt hatte , zeigte sich am folgenden Morgen längs
der Schnittwunde eine graue Trübung, welche auch in der Folge nicht völlig verschwand,
jedoch ganz ausser dem Bereiche der vollkommen reinen Pupille verblieb. Da keine
weitere Entzündung folgte, so wurde der Kranke den 26. Juni geheilt entlassen. Das
Sehvermögen des operirten Auges hatte sich soweit gebessert, dass der Knabe damit in
der gewöhnlichen Sehiveiie ohne Brillen leicht lesen und schreiben, den Schulunterricht
benützen und nach einigen Jahren das Fleischerhandwerk erlernen konnte, während das
nicht operirte rechte Auge allmälig vollständig erblindete, da die fahrlässigen Eltern des
Knaben sich mit dem einerseits errungenen Erfolge begnügten.
Die mir mit Anton Thum zugleich vorgeführte achtjährige Schwester desselben
Theresia Thum soll nach der Erzählung ihrer Eltern vor mehr als anderthalb Jahren^
ebenso wie jetzt ihr Bruder, in beiden Augen dieselben Erscheinungen spontan vorge-
fallener Linsen dargeboten haben. Diese waren im Anfange ebenfalls rein und durch-
sichtig, nur etwas gelblich gefärbt und, wie der Vater sich ausdrückte, „Öltropfen ähnlich."
Erst seit 7 Monaten sollen sie sich allmälig verdunkelt haben. Ein Jahr nach dem ersten
Erscheinen der Krankheit stellten sich, angeblich in Folge eines zufälligen Sturzes auf's
Gesicht, bei dem Mädchen wiederholte Anfälle sehr hartnäckiger Augenentzündungen ein.
Als ich das Mädchen zuerst sah, war sie auf beiden Augen vollkommen erblindet. Im.
rechten Auge war noch eine äusserst schwache Lichtempfindung übrig, im linken
Auge war auch diese ganz und gar erloschen. Die völlig verdunkelten Linsen haben
überdiess durch Ausdehnung einen so grossen Umfang erreicht, dass sie, weil die vordem
Augenkammern sie nicht mehr fassen konnten, sich in den hintern Baum der Kammern
zurückzogen , wo man sie durch die weit ausgedehnten Pupillen unbeweglich festsitzen
sah. Um die weit geöffneten Pupillen bildete die missfarbige, atrophische Iris nur einen
sehr schmalen Streif, und im Umkreise der glanzlosen Cornea zeigte die offenbar sehr
verdünnte Sclera mehrere bleigraue Wülste. Die Augen fühlten sich hart und gespannt
an, der ganze linke Augapfel war beträchtlich vergrössert. Mehr aus Curiosität, als in
Erwartung irgend eines namhaften Erfolgs unternahm ich auf wiederholtes dringendes
Bitten der Eltern eine Kapseldiscission durch die Cornea auf dem rechten Auge. Es
erfolgte keine grössere entzündliche Reaction , aber auch keine wesentliche Änderung in
dem Gange der Krankheit, die Linsensiibstanz erwies sich weich, nicht flüssig, und di&
Kranke verliess zu bald (zugleich mit ihrem Bruder) das Spital.
Einer mir zugekommenen Nachricht vom Jahre 1S45 zu Folge war das rechte,
nicht operirte Auge des Anton Thum auch schon in den eben beschriebenen Zustand
der Augen seiner Schwester übergegangen. „Der rechte Augapfel ist vergrössert, drängt.
Spontane Senkung der Linse. 275
sich kegelförmig aus der Augenhöhle heraus , so dass er beim Schliessen der Augenlider
nur unvollkommen bedeckt wird. Mit Ausnahme einer nur geringen Lichtempfindung ist
sein Sehvermögen gänzlich erloschen, auch treten zeitweilig Schmerzen ein." — „Das
operirte Auge zeigt mit Ausnahme einer Hornhautverdunklvng, die sich indessen von der
Schnittnarbe etwas mehr hinauf verbreitet hatte, nichts Abnormes. Der (nun 16jährige)
Operirte sieht alle Gegenstände ohne Rücksicht auf Nähe und Ferne ganz deutlich, und
übt sein Fleischerhandwerk ungehindert aus."
Die spontane Senkung der ungetrübten Linse hat Sichel*) zuerst
genauer geschildert. Da mir selbst nicht hinreichende Beobachtungen
zu Gebote stehen, so will ich die Bemerkungen dieses erfahrenen Autors
auszugsweise mittheilen.
„/. Stadium. Da die Senkung gewöhnlich langsam, höchst selten
schnell erfolgt, so entsteht zuerst Trübung des Gesichtes, indem das
Schwanken des durchsichtigen Krystallkörpers das Gesicht trüb und
unsicher macht. Der Kranke kann besonders kleine Gegenstände nicht
mehr genau sehen, und ermüdet sehr bald bei der Arbeit; manchmal
scheinen ihm auch die Gegenstände eine schwankende, wogende oder
sonstige Bewegung zu haben, ohne dass andere, auf beginnende Amau-
rosis deutende Symptome vorhanden sind. Die Pupille erscheint dabei
regelmässig und beweglich, aber man sieht auf den ersten Blick ein
mehr oder minder starkes Zittern der Iris. Nimmt man dabei noch
die Bewegung der Linse selbst wahr, indem sich diese von Zeit zu
Zeit hinter der wogenden Iris als eine dieselbe nach vorn drängende
und sich in ihr gleichsam abdrückende Scheibe oder Scheibenportion
darstellt, so setzt diess die Diagnosis ganz ausser Zweifel. Es bleibt
dann nur noch zu untersuchen, ob zugleich Syncbysis vorhanden sei.
— 2. Stadium. Je tiefer die Linse sich senkt, desto deutlicher wer-
den die genannten Zeichen, zu welchen zunächst Veränderung der Seh-
weite hinzutritt. Der Kurzsichtige wird weniger kurzsichtig, der Fern-
sichtige wird noch mehr fernsichtig; beide verlieren aber für jede Ent-
fernung viel von der Deutlichkeit des Bildes, und ermüden leichter als
sonst. Der Kranke erkennt wohl die Massen, aber ihre Formen je
nach ihrer Grösse gar nicht oder undeutlich; er sieht besonders kleinere
Gegenstände undeutlich, auseinander gezogen, grösser, mehr oder weniger
schlangenförmig gewunden, und nicht genau begrenzt. Die Farben kann
er nicht mehr vollkommen unterscheiden. Es entsteht Doppeltsehen
mit Einem Auge, wenn eine doppelte Eefraction stattfindet, die eine
durch den Band der Linse, die andere bloss durch die übrigen durch-
sichtigen Medien. Der Kranke fängt an, das Bild der Linse zu sehen,
eine weisslichgraue oder graue, verschieden bewegliche Scheibe, oder
*) Oppenneim's Zeitschrift Bd. XXX. Heft 3 und 4.
18*
276 Krystalllinse.
auch einen ebenso gefärbten Kreisabschnitt, besonders wenn er auf
dem Kücken liegt. Ein auffallendes Symptom ist die Verschiedenheit
des Seheris bei verschiedenen Lagen des Kopfes. Ist die Linse getrübt,
so muss sich der Kranke so stellen, dass sie niedersinkt und liegen
bleibt. Mehr oder weniger convexe Brillen können das Gesicht merk-
lich verbessern. Ist die Linse durchsichtig, so erkennt man sie nur
am Hin- und Herschwanken und am Anlegen an die nachgiebige Iris.
Die Pupille wird meistens etwas erweitert; manchmal verursacht das
beständige Flottiren der Linse Erscheinungen von Reizung und Ent-
zündung im Auge ; in Folge derselben entstehen plastische Aussehwitzun-
gen auf und in der Kapsel, wodurch diese zuweilen einen kalkartigen
Überzug erhält, und das ganze Linsensystem grösser und härter wird.
— '3. Stadium. Bei der grössten Entwicklung ist die Unruhe des Kran-
ken durch die Fortdauer und Zunahme der Gesichtstrübung und der
Reizung des innern Auges aufs Höchste gestiegen. Es erscheinen ihm
zuweilen bei Tag und Nacht Funken oder Flammen vor den Augen.
Oft sieht er die Linse in Form eines Bogens, einer Scheibe, einer Fliege
oder ähnlicher Gestalten, und empfindet selbst die Bewegung derselben
als eine im Innern herumrollende Wasserkugel. Gewöhnlich schwin-
den sowohl die feurigen Erscheinungen als das Bild des Krystallkör-
pers, wenn dieser sich endlich völlig gesenkt hat, und die Reizung ge-
schwunden oder glücklich bekämpft worden ist; das Sehvermögen ist
dann ohngefähr so, wie nach einer Staar Operation, und nicht selten weit
schwächer wegen der fortdauernden Undülationen der Linse. Die ob-
bemerkte Reizung ruft jedoch bisweilen auch Amblyopie und Amauro-
sis hervor. (Eine vollständige Senkung kann ohne Lösung der Kapsel
von der Zonula oder dieser von dem Ciliarkörper nicht zu Stande
kommen.) — Die nächste Ursache liegt wohl in Synchysis corporis
vitrei. Dafür sprechen theils directe Beobachtungen, theils die aus den
anatomischen Verhältnissen gezogenen Folgerungen. Man muss aber
nebst dieser Verflüssigung zugleich eine Erschlaffung und Ausdehnung
des Aufhängebandes der Linse annehmen. Eine vollständige Zerreis-
sung der Zonula kann wenigstens längere Zeit hindurch nicht vorhan-
den sein, weil sonst die Linse nicht so lange durchsichtig bleiben
könnte. Denn es ist bekannt, dass die Linse, wenn sie sammt der
Kapsel los gelöst ist, zu dem trockenhülsigen Zitter- oder Schwimm-
staare zusammenschrumpft, und dass sie, Avenn sie aus der zerrissenen
Kapsel herausgetreten ist, sich bald verdunkelt und wenigstens theil-
weise aufgesogen wird."
Cataracta — Functionsstörung. 277
Störung des Gesichtes bei Cataracta.
Nächst der Kenntniss der bisher geschilderten objectiven Symptome
bei den verschiedenen Arten und Entwicklungsstufen der Cataracta ist
es nothwendig zu wissen, in welcher Weise die Function des Auges
durch dieselben gestört werde, damit man in jedem speciellen Falle
beurtheilen könne, ob man es bloss mit Cataracta oder überdiess noch
mit einer Krankheit der Ketina, Chorioidea u. s. w. zu thun habe. Zu-
dem erhält bei geringen und matten Trübungen des Krystallkörpers
(Catar. nuclearis incipiens und stationaria) , falls man nicht etwa die
Pupille durch Belladonna erweitern und den Helmholtzschen Spiegel
auwenden kann, die Diagnosis erst durch genaue Übereinstimmung der
Angaben des Kranken rücksichtlich der Functionsstörung einen so hohen
Grad von Wahrscheinlichkeit, als unter solchen Verhältnissen überhaupt
möglich ist.
Das durch die Trübung des Krystallkörpers gesetzte Hinderniss im
Sehen ist ein rein mechanisches, daher jederzeit der In- und Extensität
und der Lage der Trübung adäquat, und nach den Gesetzen der Diop-
trik erklärbar. Es ist kein Grund vorhanden anzunehmen, dass bei
der Strahlenbrechung durch die Linse des Auges wesentlich andere Ge-
setze obwalten, als bei der durch künstliche Linsen; nur darf man nie
ausser Acht lassen, dass vor dem Krystallkörper noch ein Sammelme-
niscus (die Hornhaut mit dem Kammerwasser) liegt, welcher Lichtstrah-
len, die nicht stark divergiren, auch bei mangelndem oder verschrumpf-
tem Krystallkörper noch zu Bildern auf der Netzhaut zu vereinigen
vermag.
Annäherungsweise kann man sich die durch partielle Linsentrübungen bewirkten
Störungen in der Strahlenbrechung anschaulich machen, wenn man sich auf eine ziemlich
starke Glaslinse (von mindestens '/a" Brennweite) Kügelchen und Streifen von Wachs
aufklebt, von verschiedener Grösse und Form, bald auf der hintern, bald auf der vordem
Fläche, bald in der Gegend der Pole, bald auf dem Rande. Durch Zusammenkleben
von zwei planconvexen Linsen mit Freilassung eines mehr weniger breiten Saumes an
der Peripherie lassen sich Kernstaare nachbilden, und durch Vorhalten einer undurch-
sichtigen, mit einer mehr weniger grossen Öffnung versehenen Scheibe lässt sich der
Einfluss, den die Iris mit ihrer verschieden grossen Pupille auf die Strahlenbrechung
nimmt, ohngefähr ersetzen.
Übereinstimmend mit physikalischen Gesetzen finden wir: a) dass
kleine punktförmige Trübungen, sie mögen wo immer sitzen, nicht nur
keinen Schatten auf die Netzhaut werfen (daher auch nicht als solche
wahrgenommen werden können), sondern auch zu wenig Lichtstrahlen
abhalten oder durch Beugung an ihren dunklen Rändern ablenken, als
dass hiedurch eine merkliche, die Lichtintensität des Netzhautbildes
278 Krystalllinse.
störende Verminderung oder Zerstreuung des Lichtes, oder aber eine
Abänderung der Focaldistanz bewirkt werden könnte.
b) Bei etwas grösseren, breiteren Trübungen in und nächst der
Achse macht sich die Menge "des dadurch von der Netzhaut abgehalte-
nen Lichtes durch Undeutlichkeit des Bildes um so mehr fühlbar, je
enger die Pupille ist, und je näher an der Iris die Trübung liegt.
Trübungen, welche so gelegen und ausgebreitet sind, dass sie die in
und nächst der Achse einfallenden Strahlen abhalten, so dass nur die
durch die Randschichten gebrochenen Strahlen zur Vereinigung gelan-
gen und ein Bild hinter der Linse erzeugen können, verändern eben
desshalb die Brennweite der Linse, und zwar so, dass das Bild nicht
nur lichtärmer, matter, undeutlicher wird, sondern auch caeteris paribus
minder weit von der Linse liegt, als es bei Abwesenheit der Trübung
liegen würde. Hieraus erklärt sich, warum bei jeder Cataracta, welche
vom Mittelpunkte der Linse aus beginnt, zunächst das Wahrnehmen
und Unterscheiden entfernter Objecte behindert ist.
c) Von der Peripherie herkommende Trübungen, wie beim vordem
und hintern Rindenstaare , machen ihren störenden Einfluss, falls sie
nicht weiter hereinreichen, als die gewöhnliche Grösse der Pupille be-
trägt, eben nur bei erweiterter Pupille geltend , und zwar meines Er-
achtens dadurch, dass zahlreiche Lichtstrahlen im Vorbeigehen an den
dunkeln Kanten dieser Streifen und Punkte durch Inflexion abgelenkt
werden, wodurch das Netzhautbild vorzüglich an Schärfe der Begren-
zung leidet.
d) Einzelne dunkle Streifen, quer durch die Pupille streichend, wie
bei seltenen Fällen von Rindenstaar, am häutigsten bei Catar. secun-
daria, sind unter gewissen Verhältnissen im Stande, Doppelt- und Mehr-
fachsehen zu bewirken, auf analoge Weise, wie durch ein Kartenblatt
mit zwei kleinen Öffnungen, welche nicht weiter aus einander liegen,
als eben der Durchmesser der Pupille beträgt, die von einem Objecte
kommenden Lichtstrahlen in 2 Kegel getheilt werden und somit das-
selbe doppelt erscheinen lassen, wenn man jene Öffnungen nahe an
das Auge hält. Das Doppelt- und Mehrfachsehen wird von Staarkran-
ken meistens nur bei Betrachtung selbstleuchtender oder spiegelnder
Objecte wahrgenommen, beim Betrachten des Mondes, einer Kerzen-
flamme, eines polirten Metallknopfes u. dgl.
e) Listing*) hat zuerst gezeigt, dass man bei theilweiser Trübung
die einzelnen Punkte, Flecke und Streifen dem Kranken dadurch zur
Anschauung bringen kann, dass man ihn durch eine möglichst feine
*) Beitrag zur physiologischen Optik. Göttingen, 1845.
Cataraeta — Functionsstörung. 279
Öffnung in einem Kartenblatte (noch besser in einer Metallplatte), ganz
nahe an die Hornhaut gehalten, gegen das Firmanieut blicken lässt.
Die dunkeln Partien der Linse sowohl als der übrigen durchsichtigen
Medien des Auges werfen hiebei Schatten auf die Netzhaut und wer-
den ebendesshalb nach ihren Umrissen zur Anschauung gebracht. Die
Benützung dieses diagnostischen Hilfsmittels von objectivem Werthe
setzt eine genauere Kenntniss der Optik voraus, und kann selbst da,
namentlich bei minder gebildeten Kranken, leicht zu Täuschungen
führen.
Immerhin wird es noth wendig, sich durch Übung an constatirten
Fällen einfacher Cataracta sein Urtheil über das Verhältniss des me-
chanischen Hindernisses zur Functionsstörung zu schärfen, um auch in
solchen Fällen, wo sich die Gegenwart einer Linsentrübung nicht be-
stimmt durch das Gesicht wahrnehmen lässt, oder wo die Functions-
störung nicht im Einklänge zur sichtbaren Trübung steht oder zu stehen
scheint, nicht zu voreiligen Schlüssen verleitet zu werden. — Zur Er-
leichterung hiebei mögen folgende Thatsachen der Erfahrung dienen,
die sich hauptsächlich auf die Cataracta nuclearis stationaria und inci-
piens beziehen, da die übrigen Formen und Entwicklungsstufen ohne-
hin leicht durch die Anschauung bei künstlich erweiterter Pupille er-
kannt werden können.
Bei beginnender Cataracta fängt der Kranke zunächst an, ent-
fernte Gegenstände minder deutlich wahrzunehmen. Weiterhin sieht er
auch nähere Gegenstände wie durch Nebel verdeckt. Bis zu der Zeit,
wo völlige Verdunklung der Rindensubstanz erfolgt, sieht er nahe Ge-
genstände unter allen Umständen besser, unter denen die Pupille einen
grössern Durchmesser hat, daher besser des Morgens und Abends,
besser bei temperirtem als bei hellem Tageslichte, besser im Zim-
mer als im Freien, besser wenn das Licht von rückwärts einfällt,
besser bei Beschattung der Augen durch die Hand, die Hutkrempe
11. s. w. Leute mit langsam vom Centrum aus vorschreitender Linsen-
trübung beider Augen nehmen eine eigentümliche Physiognomie in
der Haltung des Kopfes und im Gange an, die einen auffallenden Con-
trast zu dem Benehmen Arnblyopischer und Amaurotischer darbietet;
sie tragen den Kopf vorwärts gebeugt, die Augenbrauen herabgezogen,
die Lidspalte nur massig geöffnet und gehen sehr bedächtig einher,
während Amaurotische gewöhnlich von alldem das Gegentheil zeigen.
Man kann vielen dieser Kranken durch künstlich unterhaltene, jedoch
massige Erweiterung der Pupille (am besten mittelst einer mit Atropin
vernetzten Salbe an die Stirn und Schläfe) Monate lang eine wesent-
280 Krysialllinse.
liehe Erleichterung ihres Zustandes verschaffen. Insofern als Convex-
gläser nahe Objecte mehr weniger vergrössert erscheinen lassen, ge-
währen dieselben bei manchen altern Leuten mit Catar. lenticularis so
lange einigen Vortheil beim Lesen, Schreiben u. dgl., als bloss der
centrale Theil des Kernes leicht getrübt ist; so wie die Trübung in-
und noch mehr so wie sie extensiver geworden ist, erweisen sie sich
nutzlos.
Wir haben schon oben bemerkt, dass diese Schilderung nur für
jene Fälle gilt, wo die Trübung vom Centrum ausgeht. Bei Trübungen,
welche von der Peripherie her vorrücken, kann gerade das Gegentheil
stattfinden, wie schon Ad. Schmidt*) in folgender Stelle, die leider wie-
der in Vergessenheit gerathen zu sein scheint, sehr richtig bemerkt
hat. „Man nimmt an (Richter), dass die Verdunklung der Linse immer
in der Mitte anfange, und sich von da aus nach den Rändern fortsetze ;
das geschieht zwar oft, aber nicht immer. Ich nahm bestimmt wahr,
dass die Verdunklung der Linse auch von den Rändern ausging. Wo
die Verdunklung von der Mitte der Linse nach dem Umfange hin er-
folgt, sieht der Patient alle Objecte Anfangs wie in Nebel gehüllt; all-
mälig wird dieser Nebel dichter, zuletzt undurchsichtig. Steht der Pa-
tient gegen das Licht, so sieht er schlechter oder unterscheidet kein
Object; stellt er sich aber etwas zur Seite oder gar mit dem Rücken
gegen das Licht, so sieht er besser. Der Grund ist: gegen das Licht
verengert sich die Pupille so, dass die Lichtstrahlen gerade auf die
Mitte der Linse fallen, wo die Undurchsichtigkeit am grössten ist; vom
Lichte abgewendet erweitert sich die Sehe, und die Lichtstrahlen fallen
auf den durchsichtigen Rand der Linse. Solche Menschen sehen schlech-
ter bei hellem Tageslichte" etc. — „Ganz anders verhält sich alles in
dem Falle, wenn sich die Linse von der Seite nach der Mitte hin ver-
dunkelt. Der Patient sieht dann besser bei verengerter Pupille in star-
kem Lichte und schlechter bei erweiterter Pupille, vorausgesetzt, dass
die Verdunklung die Linse noch nicht erreicht hat."
Anderweitige subjeetive Erscheinungen, wie Funkensehen, Schmer-
zen u. dgl. werden durch die gebildete oder sich eben entwickelnde
Linsen- oder Kapseltrübung eben so wenig veranlasst, als Gefässinjec-
tion am Bulbus, Lichtscheu, Thränenfluss u. dgl. Es kommt allerdings
bisweilen vor, namentlich bei der Entwicklung weicher Cataracten bei
Individuen, die noch nicht sehr gealtert sind und mehr weniger kränk-
lich aussehen, dass sich Cataracta unter sogenannten entzündlichen Er-
scheinungen entwickelt; diese sind jedoch weder Zeichen noch Folgen
*) Ammon's Zeitschrift, Band I. S. 354.
Cataracta — Functionsstörung. 281
der Erkrankung des Krystallkörpers , und lassen sich meistens mit
gutem Grunde auf einen congestiven, selbst exsudativen Process in der
Chorioidea oder Iris beziehen, zu welchem sich dann die Erkrankung
der Linse wie Folge zur Ursache verhält. Das vielbesprochene Mücken-
sehen, auf das wir bei den Abnormitäten des Eefractionszustandes und
der Accommodation zu sprechen kommen werden, ist auch bei Cata-
racta imperfecta, wo es nicht selten vorkommt, nur in so fern durch
die Trübung bedingt, als diese den Refractionszustand des Auges ver-
ändert oder Zerstreuungskreise veranlasst.
In Bezug auf die Störung, welche eine theilweise Trübung der einen
Linse in der Function des andern (gesunden) Auges hervorrufen kann,
und über die Art und Weise, wie derlei Störungen wieder unschädlich
gemacht zu werden pflegen (durch Schielen, Zukneipen, Abstrahiren)
gilt von Linsentrübungen dasselbe, was S. 258 im I. B. über Hornhaut-
trübungen gesagt wurde. Warum das Schielen, welches bei langsam
und vom Kern aus erfolgender unilateraler Cataracta alter Leute sehr
häufig vorkommt, fast ohne Ausnahme ein divergirendes ist, werden wir
bei Besprechung der Krankheiten der Augenmuskeln zu erklären suchen.
Dort können wir uns auch erst über die Beziehung des Nystagmus
zur Cataracta congenita vel in aetate infantili exorta in Erörterungen
einlassen. Einen Folgezustand der Cataracta müssen wir jedoch schon
jetzt näher betrachten, nämlich die Verminderung der Energie der
Netzhaut in Folge von länger gehemmter Function. Bei Erwachsenen
kann Cataracta completa durch 10 und mehrere Jahre bestehen, ohne
dass die Energie der Netzhaut sinkt, und ist vom Aufschieben der Ope-
ration in dieser Beziehung nichts zu fürchten. Anders verhält es sich
— nach meiner Ansicht — bei Kindern, wenn die Cataracta angeboren
oder frühzeitig entstanden ist.
Ich habe mehrere Individuen in dem Alter von 8 — 17 Jahren operirt, bei denen
Cataracta schon wenige Wochen nach der Geburt oder doch im Yerlaufe des 1. bis 2.
Lebensjahres bemerkt worden war. Die Formen waren 2 einfache weiche Linsenstaare,
2 weiche Linsenstaare mit Verflüssigung der Kindensubstanz, 2 stationäre Kern- und 3
geschrumpfte Kapsellinsenstaare (membranacea und arida siliquata). Der Erfolg der Dis-
cission oder Reclination war trotzdem, dass die Pupillen ganz oder doch hinreichend
frei wurden, auch da kein befriedigender, wo der traumatische Eingriff keinen nach-
theiligen Einfluss genommen haben konnte. War nun die nachträglich bemerkte Schwäche
der Sehkraft gleich der Cataracta die Folge primärer mangelhafter Entwicklung des
Auges überhaupt? war die Schwäche der Netzhaut so gut als die Trübung der Linse
etwa die Folge der Conrulsionen [die in einigen Fällen waren beobachtet worden), und
des diesen zu Grunde liegenden Hirnleidens? Oder hatte die Netzhaut desshalb nicht die
gehörige Energie erlangt, weil ihre Function schon von frühester Jugend an mehr we-
niger behindert gewesen war? Es ist Thatsache, dass die Energie eines jeden Sinnes
282 Krystalllinse.
durch entsprechende Übung der Function bis zu einem mehr als gewöhnlichen Grade
gehoben, durch Nichtübung aber unter die Norm herabgedruckt werden kann, und dass
in dieser Beziehung das jugendliche, besonders das Kindesalter von Einfluss ist. Es
liegen exacte Beobachtungen vor, dass Leute, welche in den Kinderjahren sich gewöhn-
ten zu schielen, i. e. nur mit Einem Auge zu fixiren und das andere ganz gesunde von
den Objecten abzulenken, auf diesem letzteren mit der Zeit ein so schwaches Gesicht
bekamen, dass sie damit nicht mehr lesen, schreiben u. dgl. konnten, und dass durch
Verbinden des gesunden und methodische Übung des in seiner Energie gesunkenen
Auges dieses wieder zum normalen Zustande zurückgeführt werden konnte. Es ist auch
"bekannt, dass Augen, welche Jahre lang z. B. nach innen geschielt haben, nicht selten
die empfindlichste Stelle der Netzhaut nicht in der Macula lutea, sondern einwärts von
dieser zeigen, und desshalb, sobald das gesunde Auge verdeckt wird, dem Objecte nicht
grade, sondern schief (etwas nach innen abgelenkt) gegenüber gehalten werden müssen,
um noch relativ am besten zu sehen. Joh. Müller (Physiologie des Gesichtssinnes) hat
diese Fälle als Strabismus incongruus bezeichnet, weil er der Ansicht war, der Fehler
"beruhe auf angeborener fehlerhafter Organisation der Netzhaut. Das Vorkommen dieses
Zustandes in Fällen, wo das Schielen erwiesener Massen erst in F'olge von Hornhaut-
trübungen entstand, dient indess als Beweis, dass dieser Zustand der Netzhaut nicht das
Primäre, sondern das Consecutive ist, dadurch entstanden, dass jene Stelle, welche sich
eben noch als die relativ empfindlichste erweist, beim Schielen noch am meisten zum
indirecten Sehen verwendet wurde, mithin am wenigsten von ihrer Energie einbüsste.
Ganz analog verhält es sich bei Cataracta. Diess sieht man in jenen Fällen, wo bloss
Catar. nuclearis oder Catar. pyramidata besteht. Individuen mit solchen theilweisen
Staaren sind nie ganz blind. Sie sehen noch mehr weniger gut, wenn sie die Objecte
nahe und von der Seite her betrachten. Man beseitigt die Cataracta; das Auge leidet
gar nichts, und die Pupille wird rein, aber der Operirte sieht auch jetzt die Objecte
in der gewohnten Richtung noch relativ am besten, und Staargläser von den verschie-
densten Abstufungen nützen nichts, das Gersicht für die Ferne zu verbessern. Erst all-
mälig, nach einigen Jahren, gewinnt der Blick in die Ferne etwas mehr an Sicherheit
und Schärfe, ohne indess jenen Grad von Vollkommenheit zu erreichen, welchen Augen
caeteris paribus erlangen, die vor der Entwicklung der Cataracta ihre Netzhaut bereits
gehörig geübt hatten. — Ich hielt diese etwas längere Digression für nöthig, um im
voraus den weiter unten folgenden Vorschlag zu begründen, dass man angeborene und
in der ersten Zeit des Lebens entstandene Staare so zeitig als nur möglich operiren solle.
Jedenfalls ist, das Verhältniss zwischen der angeborenen oder frühzeitig entstandenen
Cataracta und dem genannten Zustande der Netzhaut mag nun ein coordinirtes oder ein
bedingtes sein, in allen solchen Fällen grosse Behutsamkeit bei der Stellung der Pro-
gnosis dringend geboten.
Hilfsmittel zur Diagnostik.
Wenn bei einem Krauken, der über allmälige Abnahme, Schwäche
oder Trübung- des Gesichtes klagt, die Pupille nicht vollkommen
schwarz erscheint, und desshalb Verdacht auf Cataracta entsteht, so
halte man sich einerseits die (S. 155 angeführten) Momente, welche auf
die Schwärze der Pupille überhaupt Einfluss nehmen, andererseits die
Zustände gegenwärtig, welche bei ungestörter Durchsichtigkeit der Linse
Cataracta — Diagnostik. 283
zu einer solchen Klage bestimmen können. Diese sind: leichte Horn-
hauttrübungen, dünne Exsudatmembranen in der Pupille, Leiden der
Chorioidea und Retina (mit Einschluss des Sehnerven, Gehirnes und
verlängerten Markes), Fehler des Refractionszustandes (Kurz- und Weit-
sichtigkeit) und der Accommodationsfähigkeit (Ermüdung des Auges, Ko-
piopie s. Asthenopie). Je mehr von diesen Zuständen mit Bestimmt-
heit ausgeschlossen werden können, desto grösser wird die Wahrschein-
lichkeit für Cataracta. Hiebei darf man jedoch nie vergessen, dass
Cataracta auch mit jedem dieser Zustände zugleich vorhanden sein
kann.
Um die Gegenwart geringer Linsentrübungen positiv zu erkennen,
muss man so wie bei unscheinbaren Hornhautflecken das Auge in einem
Zimmer besichtigen, welches sein Licht nur durch ein Fenster, wo
möglich etwas von oben her und unmittelbar vom Firmamente erhält.
Durch Wechsel seiner Stellung zum Auge suche man Täuschung durch
Reflexe zu vermeiden. Man sehe bald in der Richtung der Achse,
bald schief und so viel als möglich gegen den Rand der Linse hin in
die Tiefe. Bisweilen ist nebst der Kerntrübung auch schon ein leichter,
seiden- oder spinnwebenartig glänzender Beschlag der vordem Kapsel
vorhanden und durch Spiegelung wahrnehmbar; häufiger fludet man in
der Gegend des Randes der Linse eine gelblich -weisse Trübung in
Form von Streifen, die gegen die Pupille hereinspitzen. Erweiterung
der Pupille lässt diese noch besser unterscheiden, und die Anwendung
der Belladonna (noch besser des schwefelsauren Atropins) beseitigt in
den meisten Fällen jeden Zweifel. Durch eine gute Loupe kann man
Trübungen, die nicht zu tief hinter der Iris liegen, jederzeit deutlicher
machen. Das empfindlichste und sicherste Hilfsmittel ist, wie schon
bemerkt wurde, die Beleuchtung und Betrachtung des Augengrundes
mit dem Helmholtzschen Spiegel. So geringe Trübungen, dass man sie
auch ohne dieses Instrument nicht mit freiem Auge wahrnehmen könnte,
kommen selten auf beiden Augen und in gleichem Grade vor. Ein
sorgfältiger Vergleich der hinter der Iris sichtbaren Trübung und der
durch Sehversuche ermittelten Gesichtsstörung des einen und des an-
dern Auges kann daher auch in vielen Fällen zur Bestätigung der Dia-
gnosis dienen, vorausgesetzt, dass es sicher bekannt ist, ob der Kranke
in früherer Zeit mit dem einen Auge so gut wie mit dem andern ge-
sehen habe, oder verschieden.
Wenn bei jüngeren Personen, wo man wegen der Seltenheit des
Vorkommens nicht sogleich an Cataracta zu denken pflegt, die Fähig-
keit, entferntere Gegenstände wahrzunehmen, abnimmt oder verloren
284 Krystall linse.
geht, so werden sie, wie ich mehrmal erfahren, auch von Ärzten ohne
Weiteres für kurzsichtig gehalten. Liegt dieser Functionsstörung Trü-
bung der Linse zu Grunde (so gering, dass sie nicht gleich in die
Augen springt), so kann man sich bald überzeugen, dass Concavgläser
nichts nützen oder dass wenigstens ein wesentliches Merkmal der ein-
fachen Kurzsichtigkeit fehlt, das nämlich, dass solche Personen die
normale Schärfe des Gesichtes besitzen, jedoch nur bis zu einem ge-
wissen, dem Auge abnorm nahe liegenden Fern- oder Grenzpunkte.
Auch wird man finden, dass ein einfach Kurzsichtiger z. B. das Buch
zum Lesen allenfalls schief zum Gesichte, niemals aber schief zum Auge
hält, um eine excentrisch gelegene Netzhautstelle zum directen Sehen
zu benützen.
Am meisten wird man versucht, an Cataracta incipiens zu denken,
wenn bei altern Personen die Fähigkeit verloren geht, nahe Gegen-
stände deutlich und mit Ausdauer zu erkennen. Denn in dieser Lebens-
zeit findet man wegen der verminderten Schwärze des Augengrundes,
vorzüglich aber wegen der gelben Färbung der Linse jederzeit jenen
eigenthümlichen lichtgrauen Reflex, der als Pigmentmangel beschrieben
worden ist. In dieser Epoche gehört es zur Norm, dass die Brenn-
weite des aus Hornhaut, Kammerwasser und Linse gebildeten Oculares
unserer Camera obscura abnimmt, daher kleine und nahe Objecte trüb
und wie umflort erscheinen. Wird das Auge trotzdem zur Betrachtung
solcher Objecte verwendet, so verfällt es leicht in den Zustand der Er-
müdung, welcher sehr oft von der beängstigenden Erscheinung des
Mückensehens begleitet ist, und allmälig vermindert sich auch das Ver-
mögen, entfernte Objecte scharf und deutlich wahrzunehmen. In die-
selbe Epoche fällt aber auch die Entwicklung von Glaucom, und die
viel häufigere Entwicklung von Cataracta. Die obgenannten Erschei-
nungen können bei dem einen wie bei dem andern Zustande vorkom-
men. Wo indess eine verlässliche Anamnesis möglich ist, kann der
Umstand benützt werden, dass bei Catar. incipiens die Functionsstö-
rung zuerst bei fernen Objecten wahrgenommen wird, was meistens
auch bei ganz allmälig entwickeltem Glaucom der Fall ist. Glaucom
und Cataracta beginnen kaum jemals auf beiden Augen zugleich, wäh-
rend die Presbyopie niemals unilateral ist, vorausgesetzt, dass früher
beide Augen in Bezug auf Energie und Refractionszustand gleich waren
oder doch nicht merklich differirten. Convexgläser können bei allen
diesen Zuständen gute Dienste leisten, jedoch bei Cataracta und bei
Glaucoma nur kurze Zeit, da diese Übel von ihrem ersten Beginn an
stetig fortschreiten. Glaucoma, Presbyopie und Asthenopie können
Cataracta — Diagnostik. 285
plötzlich dadurch sich ankündigen, dass das Auge den gewohnten Dienst
versagt; bei Cataracta ist diess nicht der Fall, wenigstens wird man
da, wo Leute wegen Cataracta von einer raschen Abnahme der Seh-
kraft sprechen, immer auch schon eine so starke Trübung finden, dass
über die Ursache der Functionsstörung kaum ein Zweifel mehr obwal-
ten kann. Man sagt, dass massige Erweiterung der Pupille durch Bel-
ladonna bei Cataracta incipiens gute Dienste leiste, bei Glaucom und
Presbyopie dagegen nicht. Diess ist im Allgemeinen wahr, und man
kann allerdings vielen Cataractösen Monate lang durch dieses Mittel
Erleichterung verschaffen; doch sind mir mehrere Kranke vorgekom-
men, welche auch in der ersten Zeit, so lange die Trübung noch nicht
einmal den ganzen Kern einnahm, selbst durch massige Erweiterung
der Pupille (mittelst Atropin. sulfur.) nicht erleichtert, im Gegentheile
belästigt (geblendet) wurden. — Congestion und Entzündung der Cho-
rioidea kommt nie ohne abnorme Injection der vordem Ciliargefässe
vor, während der Process der Trübung des Krystallkörpers an und für
sich niemals die Zufälle von Congestion oder Entzündung erregt. Doch
darf nicht übersehen werden, dass die Entwicklung von Cataracta con-
gestive und entzündliche Zustände anderer Gebilde des Auges nicht aus-
schliesst, und dass congestive und entzündliche Zustände der Chorioidea
nicht selten gleichsam den ersten Anstoss zur Erkrankung der Linse geben,
welche sodann fortbestehen und vorwärts schreiten kann, ohne dass die
Affection der Chorioidea weiter gehen und merkliche Zufälle von Seite der
Netzhaut, Iris, Sclera etc. herbeiführen muss. — Die Angabe, dass bei
Trübungen der Pupille durch Chorioidealkrankheiten die Trübung tie-
fer liege, concav erscheine, einen grünlichen Teint zeige, nützt dem
Anfänger in der Diagnosis nichts. So fand ich es wenigstens beim
eigenen Studium und beim klinischen Unterrichte. Auch bei Cataracta
incipiens ist sehr oft ein grünlicher Teint vorhanden. Der Reflex, wel-
cher bei gelbgewordener Linse in spätem Jahren vorkommt, ist eben
auch durch das vom Grunde des Auges zurückgeworfene Licht bedingt;
er verliert durch stärkere und ausgebreitetere Trübung des Kernes der
Linse an Intensität und Glanz; leichte Linsentrübungen ändern ihn in
beiden Eigenschaften wenig oder gar nicht. Wenn die Erkrankung
der Chorioidea bereits so weit gediehen ist, dass die physikalischen
Bedingungen der Reflexion des Lichtes vom Grunde des Auges dadurch
abgeändert werden, dann gibt sich dieselbe bereits durch anderweitige,
viel verlässlichere Erscheinungen von Seite der Iris, Netzhaut u. s. w. kund.
Die Unterscheidung der Cataracta incipiens et imperfecta von Am-
blyopie und Amaurosis setzt eine genauere Kenntniss dieser Zustände,
286 Krystalllinse.
ihrer Symptome und ihrer Entwicklung voraus, wesshalb wir die Mo-
mente, auf die es hier ankommt, erst im 3. Bande, bei den Krankhei-
ten der Netzhaut, hervorheben können.
Complicatio?ien.
Es reicht niemals hin, erkannt zu haben, dass ein Auge an Cata-
racta leide; man muss jederzeit auch bestimmen, ob bloss Cataracta,
oder noch anderweitige Abnormitäten im Auge oder im übrigen Orga-
nismus vorhanden seien.
Alle Abnormitäten, welche mit Cataracta zugleich vorhanden sein
können, hier aufzuzählen, würde, selbst wenn wir uns bloss auf die
am Auge vorkommenden beschränken möchten, zu weitläufig und auch
überflüssig sein. Auf jene Zustände, welche bei den einzelnen Opera-
tionsmethoden von Einfluss sind, werden wir in der Lehre von den
Operationen aufmerksam machen. Hier soll vorläufig nur von jenen
die Eede sein, welche bei der Prognosis, ob ein Staar überhaupt heil-
bar sei , und ob man mit mehr oder weniger Wahrscheinlichkeit auf
einen günstigen Erfolg rechnen könne, in Betracht zu ziehen sind.
Hintere Synechien werden der Beobachtung nie entgehen, wenn
man sich's zur Regel gemacht hat, bei jedem Staare die Pupille künst-
lich zu erweitern, bevor man sich über die Verhältnisse ausspricht,
welche auf die Prognosis Einfluss haben. Bei ringförmiger hinterer
Synechie und noch mehr bei Verschliessung der Pupille durch mehr
weniger dicke Exsudate (nach abgelaufener Iritis) ist es bisweilen un-
möglich, zu bestimmen, ob und wie weit die Linse und die Kapsel ge-
trübt sind, und ob das Gesicht bloss durch Abhaltung der Lichtstrahlen
oder durch Erkrankung der Netzhaut gestört sei. Wir müssen in die-
ser Beziehung auf das über Verlauf und Ausgänge der Iritis und Iri-
dochorioiditis Gesagte verweisen. Vergl. S. 42, 47, 72, 98 (15. Fall),
101 (17. Fall) und 166 (5. Beob.).
Abnorm festen Zusammenhang zwischen Kapsel und Linse oder
zwischen Kapsel und Glashaut, wovon mehrere Autoren sprechen, habe
ich nie gefunden, weder bei Operationen noch in Cadavern. Ich wüsste
auch nicht, wie man ihn vorher erkennen sollte. Dass membranöse
und trockenhülsige Staare gewöhnlich ringsum oder stellenweise fest
an den Ciliarfortsätzen haften, wurde bereits oben erwähnt. Verwach-
sung von Kapselresten (Nachstaar) mit der Iris gibt sich durch par-
tielle oder totale Rückwärtsziehung dieser letztern und durch die Un-
möglichkeit kund, die Pupille hinreichend durch Belladonna zu er-
weitern.
Cataracta — Complicationen. 287
Ob Verflüssigung des Glaskörpers (Synehysis) bei Cataracta vor-
handen sei, lässt sich — meines Erachtens — nicht immer mit Gewiss-
heit bestimmen. Wo Chorioiditis oder Iridochorioiditis vorausgegangen
ist, hat man immer Ursache, Synehysis zu fürchten. Ebenso lässt deut-
liche Verminderung der Resistenz des Bulbus auf diesen Zustand schlies-
sen. Aber auch bei vermehrter Resistenz, zumal bei grossen und flach-
liegenden (glotzenden) Augen findet man, ohne dass jemals deutliche
Zeichen von Entzündung zugegen waren, oft den Glaskörper flüssiger
als im normalen Zustande. In einigen solchen Fällen fand ich nur den
Kern der Linse getrübt, von dunkler, fast kastanienbrauner Farbe und
das Gesicht mehr gestört, als sonst bei gleicher Extensität der Trü-
bung. Schlottern der Iris wird allgemein als Zeichen von Synehysis
aufgeführt. Es kommt allerdings bei diesem Zustande vor, viel häuti-
ger aber zeigt es nur Volumenabnahme des Krystallkörpers an. Wo
die Iris desshalb, weil der Glaskörper verflüssigt ist, in Schwankungen
geräth, da muss an diesen auch die getrübte Linse partieipiren. Bei
Cataracta cystica ist wahrscheinlich immer ohne Ausnahme auch Syn-
ehysis vorhanden. Die Synehysis ist im Anfange von Kurzsichtigkeit*),
in späterer Zeit aber fast ohne Ausnahme von Amblyopie begleitet, und
Staare in solchen Augen lassen auch, abgesehen von den Schwierig-
keiten bei der Operation, immer nur eine sehr zweifelhafte Progno-
sis zu.
Die Complication mit Krankheiten der Netzhaut (Amblyopie und
Amaurosis), diese mögen nun durch primäre Affection derselben, z. B.
durch übermässiges Licht, durch Erschütterung nach Sehlägen auf das
Auge u. dgl. , oder seeundär, durch Congestion und Entzündung der
Chorioidea bedingt sein, von Affectionen des Sehnerven, des Gehirnes
oder des verlängerten Markes abhängen, oder aber in Bezug auf ihr
ätiologisches Moment bloss als sympathische Leiden bezeichnet werden
müssen, lässt sich bei gänzlichem Mangel der Lichtempfindung sehr
leicht, bei mehr weniger deutlicher Lichtempfindung hingegen mitunter
sehr schwer, selbst gar nicht bestimmt erkennen.
Als leitend gilt der Satz, dass bei einfacher Cataracta die Func-
tionsstörung dem mechanischen Hindernisse entspricht. Wenn auch
Kapsel und Linse getrübt sind, selbst wenn überdiess noch die Pupille
*) Dass Verflüssigung des Glaskörpers den Refractionszustand abändere, lässt sich schon a priori erwar-
ten. Je dünner das Fluidum hinter der Linse (relativ zu dieser), desto mehr muss der aus dieser
austretende Strahl vom Einfallslothe abgelenkt werden, desto früher also müssen Lichtstrahlen, die
aus einer gleich grossen Entferuung kommen, in einen Punkt vereinigt werden. Strahlen von ent-
fernten Objecten entwerfen daher ihr Bild schon vor der Netzhaut, und nur von nahen Objectea
fallen die Bilder gerade auf diese.
288 Krystalllinse.
gesperrt ist, so hat der Kranke dennoch Lichtempfindung, sobald die
Energie der Netzhaut nicht zu sehr gesunken ist. Würde auch alles
durch die Cornea einfallende Licht aufgefangen, das durch die Sclera
eindringende kann durch Cataracta niemals von der Netzhaut abgehal-
ten werden.
Es stehen uns zwei Mittel zu Gebote, die Empfindlichkeit der
Netzhaut für das Licht zu prüfen, die Eeaction der Iris und die Anga-
ben des Kranken. Bei Benützung des einen wie des andern muss jedes
Auge für sich bei wohl verdecktem andern geprüft werden. Während
man, wenn sich's darum handelt, zu bestimmen, wie viel der Kranke
noch sieht, am besten thut, den Kranken mit dem Bücken gegen das
Fenster zu stellen, ist es da, wo es sich um die Bestimmung handelt,
ob noch Lichtempfindung vorhanden sei, am gerathensten, das Gesicht
dem Lichte zuzuwenden. Die Untersuchung jedes Auges für sich ist
nothwendig, weil der Fall vorkommen kann, dass bei beiderseitiger
Cataracta nur das eine Auge amaurotisch wäre, und man, falls man
nur Ein Auge der Operation unterwürfe, gerade das amaurotische treffen
könnte.
Wo sich nun, bei gut verdecktem zweiten Auge, die Pupille er-
weitert, sobald man das zu untersuchende Auge in den vollen Schatten
der nahe vorgehaltenen flachen Hand bringt, und sich nach rascher
Beseitigung derselben wieder verengert, da kann man sicher sein, dass
deutliche Lichtempfindung vorhanden ist. Wo die Iris sich gar nicht
oder nur undeutlich bewegt, kann man nur dann auf mehr weniger
vollständige Lähmung der Netzhaut schliessen, wenn sich kein ander-
weitiges Hinderniss der Irisbewegung (Exsudate in der Pupille, Vor-
wärtsdrängung der Linse, Myosis oder Mydriasis) nachweisen lässt. Zu
diesem Behufe ist zunächst die Anwendung der Belladonna nothwen-
dig. Bei Myosis in Folge anhaltender Beschäftigung mit feinen Arbei-
ten bewirkt jedoch dieses Mittel bisweilen keine merkliche Erweiterung,
und da Amblyopie und Amaurosis mit abnorm enger Pupille auf Be-
dingtsein in einem Leiden der Meclulla oblongata schliessen lässt, so
muss in dieser Beziehung eine gehörige Erhebung des Status praesens
und der Anamnesis eingeleitet werden. Ist der Staar weich (durchaus
oder nur an der Peripherie) und die vordere Kapsel desshalb stärker
vorwärts gewölbt, oder ist die Linse überhaupt weiter vorwärts gerückt,
so findet man die Pupille (bei unversehrter Netzhaut) gewöhnlich eng
und die Iris in ihren Bewegungen beschränkt. Die Ursache scheint
eine mechanische zu sein. Wenn nach Eröffnung der Cornea das Kam-
merwasser abfliesst, und Iris und Linse vorwärts gedrängt werden, so
Cataracta — Complicationen. 289
verengert sich die Pupille jederzeit beträchtlich, und diese Erscheinung
fand ich auch an Cadavern, 48 und mehr Stunden nach dem Tode.
Völlig aufgehoben wird die Beweglichkeit der Iris durch Catar. allein
niemals. — Da Bewegungen der Iris nicht bloss durch .Reflex von der
Netzhaut, sondern auch durch anderweitigen Impuls auf den N. oculo-
motorius, insbesondere synergisch mit der Accommodationsthätigkeit er-
folgen, so muss man sich vor Täuschung dadurch schützen, dass man
das Auge während der abwechselnden Beschattung und Beleuchtung
möglichst ruhig halten lässt. Am besten ist es, man sagt dem Kran-
ken, er solle es so machen, als wolle er einen Finger seiner ausge-
streckten Hand fixiren, und während er diess thut, lässt man abwech-
selnd Licht und Schatten einwirken. Man wird sehr häufig finden, dass
bei Leuten mit vollständiger Cataracta die Pupille in steter Schwan-
kung zwischen Erweiterung und Verengerung schwebt, auch wenn die
Beleuchtung immer die gleiche ist, und die Augen ruhig gehalten wer-
den. Dasselbe Phänomen kann auch bei Amaurotischen vorkommen,
wo der Oculomotorius und die Ciliarnerven immun sind. Diese Schwan-
kungen scheinen davon herzurühren, dass, nachdem der Kranke nichts
mehr fixiren kann, die vom Sensorium commune aus noch immer ange-
regte Accommodationsthätigkeit ihren Regulator, die Fixirung reeller
Obiecte, eingebüsst hat, und nun bei dem Bestreben, zu sehen, bald
auf nahe, bald auf ferne (imaginäre) Objecte geleitet wird.
Diesen Einfluss der Accommodationsthätigkeit habe ich bei mehreren Amaurotischen
bestimmt beobachtet; am bestimmtesten aber konnte ich ihn im letzten Semester bei
einem Kranken mit Mydriasis auf der Klinik demonstriren. Bei diesem reagirte die Iris
des linken Auges auch auf den grellsten Wechsel zwischen Licht und Schatten nicht im
mindesten, obwohl der Mann durch eine kleine Öffnung in einem Kartenblatte so gut wie
mit dem rechten ganz gesunden Auge sah. Die Pupille verengerte sich aber augenblick-
lich, nahm statt 4'" ungefähr 2'/2 — 2y" Durchmesser an, sobald der Mann angewie-
sen wurde, ein 6—8" genähertes Object (seinen Finger) zu fixiren, gleichviel ob das
rechte Auge verdeckt wurde oder nicht. Über die Entstehung dieses Leidens war nichts
zu ermitteln; der Mann hatte Blendung des Gesichtes (mit beiden Augen) wahrgenommen,
nachdem er in Folge eines leichten Bausches sich erbrochen hatte. Zufällige Verdeckung
des linken Auges hatte ihn belehrt, dass das rechte Auge gesund war. Die Verengerung
der Pupille hielt so lange an, als die Fixirung des nahen Objectes. Als ich die Binde-
haut rings um die Cornea mit einem zugespitzten Lapis ätzte, verengerte sich die Pupille
augenblicklich bis auf 2'", zeigte jedoch schon eine halbe Stunde nachher wieder einen
grössern und eine Stunde nachher den gewöhnliehen Durchmesser von 4'". Der Mann
musste, da auch die übrigen gegen Mydriasis empfohlenen Mittel nichts nützten, nach
5 Wochen ungeheilt entlassen werden.
Leute, die durch Glaucom erblindet sind, pflegen, wenn sich end-
lich auch Cataracta eingestellt hat, Hilfe durch eine Staaroperation zu
Arlt Augenheilkunde. II. 19
290 Krystalllinse.
verlangen, und suchen, besonders wenn sie schon von einem Operateure
wegen Mangel an Lichtempfindung zurückgewiesen oder vertröstet wor-
den sind, den Arzt dadurch zu täuschen, dass sie versichern, sie nehmen
wahr, ob es Tag oder Nacht sei, wo in einem Zimmer sich die Fenster
befinden u. dgl. Da nun auch nach längerem Bestände der glauco-
matösen Erblindung die Iris nicht noth wendig charakteristische Zeichen
(bis auf die Unbeweglichkeit) darbieten muss, und die Symptome, die
man im Bereiche der Sclera wahrzunehmen pflegt, fehlen oder auch
eine anderweitige Deutung zulassen können, so ist es nöthig, die Probe
auf Lichtempfindung so anzustellen , dass sie an Sicherheit einem ob-
jectiven Merkmale gleich kommt. Man muss mit der Beschattung und
Beleuchtung derart wechseln, und die Versuche in solcher Weise vor-
nehmen, dass der Kranke nicht etwa nach dem Wechsel selbst oder
mittelst eines andern Sinnes wahrnehmen kann, wann das Auge be-
schattet werde, wann nicht.
Nicht so sicher lässt sich bestimmen, ob bei weit ausgebreiteter
Cataracta zugleich Amblyopie vorhanden sei oder nicht. Hier kann nur
die Erhebung der Anamnesis und des übrigen Status praesens mehr
weniger verlässliche Anhaltspunkte gewähren. Bei angeborener und von
frühester Kindheit an bestehender Cataracta wird es, wie schon be-
merkt wurde, im Allgemeinen gerathen sein, die Prognosis nicht so
günstig zu stellen, wie caeteris paribus bei später entstandener Cata-
racta. Wo die Trübung der Linse in Folge eines Trauma entstanden
ist, oder wo später eine Gewalt eingewirkt hat, von welcher Erschüt-
terung der Netzhaut befürchtet werden kann, lässt sich auch bei sehr
deutlicher Lichtempfindung nicht für die Integrität der Netzhaut ein-
stehen. Dasselbe gilt von Staaren, welche sich unter Zufällen entwickelt
haben, die auf Congestion oder Entzündung der Chorioidea deuten, wenn
auch diese längst verschwunden sind, und in den sichtbaren Gebilden
keine merklichen Spuren zurückgelassen haben.
Vorkommen und Ursachen.
Die Trübung der Linse ist vorzugsweise eine Krankheit des höheren
Alters, so dass man bei jeder Gesichtsstörung in dieser Epoche immer
an Cataracta denken muss; sie kommt jedoch auch bei jüngeren Indi-
viduen nicht so selten vor.
Nach der folgenden Übersicht der von 1840 bis 1852 in die Anstalten, an denen
ich tkätig zu sein Gelegenheit hatte , zur Operation aufgenommenen Cataractakranken
dürften sich manche auf diese Krankheit Bezug habende Fagen eher annäherungsweise
beantworten lassen, als durch allgemeine Angaben, um so mehr als man annehmen kann,
dass die Zahl der hier Aufgenommenen mindestens zwei Drittel der in Böhmen (mit bei-
nahe 4'/2 Mill. Einwohnern) überhaupt alljährlich operirten Staarkranken betrage.
Cataracta
Vorkommen — Ursachen.
291
Die Anstalten sind: die seit 1820 bestehende Augenklinik mit 20 Plätzen, eine
seit 1S40 eigens für Augenkranke bestimmte Abtheilung des k. k. allgemeinen Kranken-
hauses, "welche über 40—50 Betten verfügen kann, und das im Jahre 1808 unter Mit-
wirkung Prof. Fischers von Privaten gegründete Blindeninstitut (Erziehungsanstalt) in
welches seit 1S2S jährlich 2— 3 Mal (Mitte Mai, Anfang Juli und Mitte August) je 16—17
Mittellose mit Cataracta oder Pupillensperre zur Operation aufgenommen werden können.
Yon 1 S40 — 1S42, wo ich als Prof. Fischer's Assistent angestellt war, und von
1S47 — 1S52, wo ich als Professor und Primärarzt wirke, sind alle in diesen Anstalten
an Cataracta Opcrirten nicht bloss in der 1. Tabelle numerisch aufgeführt, sondern auch
in Bezug auf Alter, Beschäftung, Operationsergebniss u. s. w. weiter unten zusammen-
gestellt. Ton den 1843 — 1846 auf der Klinik und Spitalsabtheilung Behandelten konnte
ich ausser Zahl und Geschlecht nichts in die Tabellen aufnehmen, weil ich von diesen
nur einen kleinen Theil selbst beobachtet, operirt und behandelt habe. Hingegen sind,
da von Wohlhabenden nur wenige sich in den Anstalten operiren lassen , 43 privatim
Operirte in die Tabelle aufgenommen. Die meiner Beobachtung nicht angehörenden
Fälle sind in der nächsten Tabelle mit * bezeichnet. Klinik- und Abtheilungskranke sind
in eine Rubrik zusammengesetzt.
Sp
tal
Institut
Privatim
Zusammen
Jahr
Hauptsumme.
Männl.
Weibl.
Männl.
Weibl.
Männl.
Weibl.
Männl.
Weibl.
1840
18
■
12
20
12
38
24
62
1S41
38
24
21
10
59
34
93
1842
20
27
23
10
2
3
45
40
85
1S43
IS*
16*
21
11
2
3
23
14
37 1 71
+34/ tl
+ 18
+ 16
1S44
19*
19*
17
15
2
1
19
16
+38 } 73
+ 19
+ 19
1S45
30*
IS*
19
11
2
1
21
12
+48 } 81
+30
+ 18
1846
47*
19*
18
14
2
2
20
16
+66 }102
-
+47
+ 19
1847
23
16
16
15
3
2
42
33
75
1S4S
37
22
17
17
1
1
55
40
95
1849
40
26
18
10
1
1
59
37
96
1850
31
30
18
14
2
1
51
45
96
1851
42
29
24
4
4
4
70
37
107
1852
64
40
18
14
2
1
84
55
139
13 J.
313
226
250
157
23
20
586
403
989+186
539+1
86=7 25
4(
)7
4
3
1175
Als angeborenes Übel kommen nicht nur theilweise, sondern auch
totale Linsentrübungen vor. Der partiellen wurde schon S. 260 und 263
gedacht.
Einen weichen Staar beider Augen sah ich bei einem cyanotischen Kinde schon
einige Tage nach seiner Geburt. Es hatte weder übermässiges Licht noch eine Quet-
schung oder sonst eine äussere Schädlichkeit eingewirkt. Ausser der Cataracta, welche
19*
292 Krystalllinse.
ich durch '/a Jahr von Zeit zu Zeit beobachtete, war an den Augen keine Missbildung'
■wahrzunehmen. Das Kind erlag gegen Ende des 1. Jahres dem die Cyanosis bedingenden
organischen Herzfehler, was ich zu spät erfuhr, um die Section anzusprechen.
Dass Cataracta als erbliche Krankheit vorkomme, dafür haben Beer,
Lusardi u. A. interessante Beobachtungen angeführt. Wenn in einer Fa-
milie in coordinirter oder in auf- und absteigender Linie Cataracta be-
obachtet wird, so kann man wohl nur dann auf Erblichkeit schliessen,
wenn der Staar auf beiden Augen in derselben Form (nach dem, was
ich beobachtet, als weicher Linsenstaar) in derselben Lebensepoche, und
zwar nicht erst im höhern Alter, sondern in der ersten Hälfte des Le-
bens sich entwickelt. Bei der Lehre von der Accommodation werde ich
die Krankengeschichte eines jungen Mannes mittheilen, der einer Fa-
milie angehört, in welcher nebst ihm noch zwei Mädchen in den zwan-
ziger Jahren cataractös geworden sind.
Von den in obiger Tabelle aufgenommenen 989 Fällen konnte bei 13 (6 männl.,
7 weibl.) mit Gewissheit oder grösster Wahrscheinlichkeit das Übel als angeboren be-
trachtet werden. Die Fälle partieller angeborener Trübungen der Linse oder der Kapsel
\md Linse, welche das Gesicht wenig oder gar nicht beeinträchtigen , sind natürlich hier
nicht einbezogen.
Bei 42 der zur Operation aufgenommenen Individuen war die Cataracta (meistens
membranacoa, aridosiliquata oder nuclearis stationaria) schon im ersten Lebensjahre oder
im Kindes- und Knabenalter, überhaupt vor dem 15. Lebensjahre bemerkt worden. Da-
von gehörten 30 dem männlichen, 12 dem weiblichen Geschlechte.
Zwischen das 15. und 25. Jahr fiel die Erblindung bei 52 Individuen (21 männl.
31 weibl.). Als ursächliches Moment waren theils Erblichkeit, theils traumatische Einflüsse,
in der Mehrzahl jedoch nichts mit Bestimmtheit oder überwiegender Wahrscheinlichkeit
zu ermitteln.
Bei Individxien des Mannes- und Greisenalters war theils das Alter theils der Stand
und die Beschäftigung nothwendig mit in Anschlag zu bringen. Es ergaben sich in die-
sen Beziehungen folgende Zahlen :
Zwischen dem 25. und 35. Jahre waren erblindet
„ 35.
, 45
„ 45.
, 60
„ 60.
, 70
„ 70.
, 80
„ 80.
, 85
25 M. -f 26 W.
= 51
59 „ + 76 „
= 135
218 „ + 154 „
= 372
181 „ + 73 „
= 254
40 „ -f 23 „
= 63
6 „ + 1 „
= 7
Zusammen: 529 „ + 353 „ = 882
Darunter waren: Taglöhner und Dienstleute 307, Bauersleute 138, Bürger (ohne
bestimmte und constante oder von nicht constatirter Beschäftigung) 90, Leinweber mit
Einschluss von 2 Tuchmachern und 1 Strumpfwirker) 43, Schuster (und einige Schuste-
rinnen) 34, Schneider (und einige Näherinnen) 30, Schmiede (meistens Grobschmiede und
einige Schlosser) 27, Maurer 19, Invaliden (1 Officier, die meisten in späterer Zeit Tag-
löhner) 19, Beamte (mehr als die Hälfte subalterne) 15, Müller 13, Glashüttenarbeiter 12,
Graveure (einige Steinschneider und Formstecher) 11, Zimmerleute 10, Jäger 9, Schul-
lehrer 8 , Kaufleute 7 , Bergleute 7 , Bräuer 6 , Bäcker 6, Geistliche 6, Ärzte 5, Sattler
Cataracta — Vorkommen — Ursachen. 293
(Riemer) 5, Tischler 5, Fleischhauer 4, Färher 4, Gelbgiesser 3, "Waldheger 2, Hut-
macher 1. Dazu kommen noch 36 Juden (männl. und weibl.), bei welchen Glaucom offen-
har häufiger vorkommt, als Cataracta.
Man sieht, dass Zahlen über den Einfluss der Beschäftigung und Lebensweise nur
wenig Aufschluss geben können. Es sind der Umstände, die hier in Computation zu
bringen sind, zu viele, und der Arzt erfährt die meisten davon nicht oder doch nicht
so verlässlich, als dass er auf solche Prämissen giltige Schlüsse stützen könnte. — So
viel ergibt sich indess wohl mit Sicherheit, dass Leute, welche unter dürftigen Umständen
leben und vor der Zeit zu Greisen werden, früher und häufiger an Cataracta erblinden,
als "Wohlhabende. Der Vorgang in der Linse erinnert unwillkührlich an das Ergrauen
der Haare und den Arcus senilis corneae, welche Veränderungen übrigens sehr oft mit
Cataracta zugleich vorkommen , obwohl sie bei offenbarer Cataracta senilis s. Marasmus
lentis nicht immer vorhanden sind. — Unsere Zahlen stimmen für die von Beer, Walther
u. A. gemachte Beobachtung, dass übermässige Einwirkung des Lichtes, namentlich des
Feuers bei Hochöfen u. dgl. unter die Momente gehört, welche das Trübwerden der Linse
begünstigen. Die Zahl der Feuerarbeiter, namentlich der Schmiede und Glashüttenarbei-
ter , ist mit Eücksicht auf die bei solchen Gewerben überhaupt Beschäftigten auffallend
gross. Mehrere Individuen datirten die Entstehung des Staares auf ziemlich glaubwür-
dige Weise von Feuersbrünsten her. — Dass von jenen Individuen, welche mit spontan
und in der 2. Lebenshälfte entstandener Cataracta zur Beobachtung kamen, die Mehrzahl
blaue oder doch lichte Auge hatte, stimmt gleichfalls mit den Angaben anderer Autoren
überein. Dieser für die Diagnosis , Prognosis und Therapie sterile Satz würde einiges
Interesse für die Nosogenie gewinnen , wenn man sich den Schluss erlauben darf, dass
in solchen Augen wegen des geringeren Pigmentgehaltes der Iris die Linse mehr der
Einwirkung des Lichtes preisgegeben sei. — Über das Verhältniss des rechten Auges
zum linken in Bezug auf Linsentrübung habe ich nur bei den 407 im Blindeninstitute
Operirten so genaue Vorbemerkungen geführt , dass ich verlässliche Zahlen hierüber an-
gehen kann. Bei 184 Individuen war früher das rechte, hei 127 früher das linke, bei.
77 waren beide angeblich zu gleicher Zeit erkrankt. Ob dabei der Staar weich oder
hart, und ob das Individuum jünger oder älter war, das ergab keinen wesentlichen Un-
terschied. Die übrigen neunzehn konnten hier nicht in Rechnung gebracht werden,
weil das Übel bei ihnen angeboren, erblich, durch Verletzungen bedingt, oder weil das
2. Auge anderweitig zu Grunde gegangen war. In 41 der genannten Fälle war zur Zeit
der Operation bloss das rechte, in 27 bloss das linke cataractös. Mit Walther's Angabe,
dass der Staar öfter auf dem linken als auf dem rechten Auge beginne, stehen die Auf-
zeichnungen in den Protokollen der Anstalt, welche zur Einsicht vorliegen, in "Wider-
spruch. — Wo die Linsentrübung nicht durch rein unilaterale Momente, z. B. Verletzung,
Chorioiditis u. dgl. bedingt ist, tritt sie früher oder später immer auch auf dem zweiten
Auge auf. Die Angabe Serres u. A., dass durch rechtzeitige Operation des einen Auges
die Linsentrübung des andern verhütet, selbst rückgängig gemacht werden könne, habe
ich nicht in einem einzigen Falle zu verificiren Gelegenheit gehabt; im Gegentheile , ich
habe in den letzten Jahren mehrere Individuen operirt, welche vor mehreren Jahren, wo
das zweite Auge noch von jeder Gesichtsstörung frei gewesen war, von mir oder von
Andern operirt worden waren.
Die Linsentrübung kann bei den gesündesten Leuten vorkommen,
obwohl in der Regel nur im Greisenalter. Die Individuen, welche vor
dem 45. Jahre ohne äussere Veranlassung von Cataracta befallen wer-
294 Krystalllinse.
den, und nicht etwa vor der Zeit zu Greisen geworden sind, bieten mit
wenig Ausnahmen immer ein mehr weniger kränkliches Aussehen dar.
Es war mir indess nicht möglich, das Allgemeinleiden näher zu be-
zeichnen, und noch weniger, die Linsenerkrankung damit in nähern
Zusammenhang 'zu bringen. Nur von der Harnruhr (Diabetes melli-
tus) ist es gewiss, dass sie Ursache von Cataracta ist. Eine solche
Cataracta ist immer eine weiche, vom Centrum allmälig gegen die
Peripherie hin vorschreitend, und eine langsame (Monate lange) Entwick-
lung einhaltend. So habe ich es wenigstens bei sechs im allgemeinen
Krankenhause Beobachteten gefunden. Vier davon wurden durch Dis-
cission operirt, zwei mit Erfolg; einer ist gestorben, und die Augen
wurden anatomisch untersucht. — Eine directe ursächliche Beziehung
zur Scrofulosis oder Tuberculosis konnte ich nicht nachweisen; dasselbe
gilt von Syphilis.
Die letzte Operation, welche Prof. Fischer vorgenommen hat, war die Extraction
bei einem 6Sjährigen Gutsbesitzer, welcher in Folge von Lues die Uvula verloren hatte
und durch die Schmiercur geheilt worden war. Die Staare waren hart. Der Erfolg war
ein ausgezeichnet günstiger. In einem andern ähnlichen von mir operirten Falle trat
Vereiterung der Hornhaut ein.
Die Fasern einer getrübten Linse findet man unter dem Mikroskope
lange nicht so bedeutend verändert, als man veramthen sollte, nament-
lich bei harten Staaren. Sie erscheinen bloss stärker gezackt und dunk-
ler contourirt. Von der Ablagerung irgend eines fremdartigen Stoffes
zwischen die Fasern findet man wenigstens im Kerne keine Spur. Dass
die dunkle Färbung nicht von Pigmentablagerung herkommt, sieht man
an feinen Durchschnitten (Blättern) und unter dem Mikroskope. Die
dunkle Färbung ist durch die grössere Dichtigkeit, vielleicht auch durch
chemische Einwirkung des Lichtes bedingt. Des Vorkommens von Fett
in mannigfacher Form, namentlich in schönen tafelförmigen Krystallen,
und von Kalksalzen innerhalb der Kapsel haben Avir schon bei den
Krankheiten der Iris und Chorioidea erwähnt.
Die Unterscheidung in Phakoskleroma und Phakomalacia kann beibehalten werden,
insofern sie auf nichts mehr Anspruch macht, als die Consistenz des Staares anzuzeigen.
Wenn man aber das Wesen der Cataracta hiemit näher bezeichnet zu haben vermeint,
wenn man die Phakomalacia von verminderter Alkalescenz oder Säure des Kammerwassers,
oder von entzündlichen Zuständen der Iris und Chorioidea ableiten will, so ist man hie-
mit bloss um eine Hypothese reicher geworden. Dieser Ansicht zufolge soll die zu Glau-
coma hinzutretende Cataracta ein Muster der Phakomalacie sein. Und doch kann man
in glaueomatösen Augen auch wahrhaft indurirte oder sclerosirte Linsen finden. Die
Cataracta bei Diabetes mellitus zeigt alle Charaktere der Phakomalacie, und doch entsteht
sie ohne Spur von Congestion oder Entzündung am Auge. Ganz harte Staare kommen
auch vor dem 40. Jahre vor.
Cataracta — Behandlung. 295
Behandlung«
Die Trübungen der Linse sowohl als der Kapsel widerstehen, so-
bald sie nur einigerinassen deutlich ausgesprochen sind, in der Regel
jeder diätetischen und pharmaceutischen Behandlung und heutzutage
weiss Jedermann, dass der graue Staar nicht anders, als durch opera-
tive Hilfe beseitigt werden kann. Spontan kann Wiederherstellung des
Gesichtes eintreten: durch Senkung des Krystallkörpers in den verflüs-
sigten Glaskörper, durch Berstung der vordem Kapsel und Resorption
der Linse, durch Verschrumpfung der Kapsel, Auflösung und Aufsaugung
der Linse bei Catar. traumatica.
Mit Recht ist man schon seit längerer Zeit von den dreisten Ver-
suchen abgegangen, den grauen Staar durch eingreifende, den Zustand
des Gesammtorganismus auf's Spiel setzende allgemeine Behandlung,
Mercurial-, Antimonial-, Abführmittel u. s. w. heilen zu wollen.
Dennoch sind in neuester Zeit wieder mehrere zum Theil sehr beachtenswerthe
Stimmen über Heilbarkeit beginnender Cataracten durch diätetisch- pharmaceutische Be-
handlung erschollen. Prof Rau*), Sichel**) und Walther gehen von der Ansicht aus,
dass die Bildung vieler Staare auf Kapselentzündung beruhe und sofort, zeitig genug er-
kannt, gehemmt und rückgängig gemacht werden könne. Rau führt 10 genau auf-
genommene Fälle an, wo es ihm gelang, bereits deutlich wahrnehmbare, jedoch nicht
hochgradige Trübungen des Linsensystemes ganz oder grösstentheils und bleibend zu
beheben. Die Mittel, die Rau anwandte, sind keine neuen. Jeder Fall wurde so viel
als möglich in jeder Beziehung gewürdigt, und darnach die Heilmethode ausgewählt.
Vorzüglich waien es Sublimat, Jodkalium, Polygala senega, Sulfur auratum antim., Mi-
neralwässer und Mercurialeinreibungen um das Auge, von denen er Gebrauch machte.
Zur Schilderung seines Verfahrens will ich einige seiner Beobachtungen hier getreu
mittheilen.
..2. Fall. Ein robuster Sechziger mit beginnender Cataracta beider Augen musste
schon seit einiger Zeit aufs Lesen verzichten. Ausser einer gleichmässigen rauchigen
Trübung beider Pupillen keine Abnormität. Rheumatische Glieder- und Kopfschmerzen
waren vorausgegangen und bestanden in geringem Grade noch fort. Entsprechende Diät ;
Pillen von Senega mit Goldschwefel und Arnicaextract ; es trat sehr bald merkliche Auf-
schwellung der Linsen ein; nach 2 Monaten keine Spur der Trübung, und die frühere
Schärfe des Gesichtes hergestellt."
4. Fall. Ein öOjähriger athletisch gebauter Schmidt. Bedeutende Abnahme des
Gesichtes ohne bekannte Veranlassung seit '/s Jahre. Die Trübung der Linse so be-
trächtlich, dass sie schon in einiger Entfernung erkannt werden konnte. In ätiologischer
Beziehung kein sicherer Anhaltspunkt, ausser Neigung zu geistigen Getränken. Strenge
Diät. Enthalten vom Arbeiten am Feuer, Pillen aus Senega und Goldschwefel, Mercurial-
einreibungen. Nach zweimonatlicher Behandlung keine Besserung ; daher durch 3 Wochen
Jodkalium in steigender Gabe. Hierauf konnte der Patient wieder grobe Druckschrift
lesen, die' Pupille schien nur noch wie durch einen leichten Eauch verhüllt. In allmälig
*) Rau in Walther und Ammon's Journal Bd. 8. N. 3.1 prag_ vjschr_ ß(L ^ g_ g9 ^^^
**> Sichel in Gazette des Höpit. 1S4S. N. 96. '
296 Krystalllinse.
-verminderter Dosis wurde nun das Mittel noch einige Zeit lang fortgesetzt, und in Zeit
von 4 Monaten war vollständige Zertheilung des Staares eingetreten."
5. Fall. Ein 57jähriger Beamter, früher mit Hämorrhoidalbeschwerden behaftet,
verlor vor 3 Jahren ohne bekannte Veranlassung einen habituellen Fussschweiss. Nach
1 Jahre bemerkte er allmälige "Verminderung der Sehkraft mit Mückensehen, welche
durch mehrfach versuchte Brillen nicht gebessert wurde und nach 2 Jahren so weit vor-
geschritten war, dass die grösste Schwierigkeit beim Lesen eintrat, und bekannte Per-
sonen kaum auf 3 Schritte weit unterschieden werden konnten. Er wandte sich nun an
einen bekannten Augenarzt; dieser diagnosticirte beginnenden grauen Staar und vertrö-
stete auf die Operation. Im Juli 1845 kam er zu Rau. Dieser fand dasselbe, an beiden
Augen eine ziemlich gleichm'assige, im Centrum etwas stärkere Linsentrübung ; künstliche
Erweiterung der Pupillen zeigte, dass die Linsenränder noch ziemlich frei von der Trü-
bung geblieben waren. Keine Spur eines entzündlichen Zustandes, unregelmässiger,
träger Stuhlgang. Strenge Diät, Pillen aus Rhabarber mit Aloeextract, und Ätzkalk mit
Salmiak in die Strümpfe zu streuen. Trotz dieses und anderer Mittel wurde der beab-
sichtigte Zweck nur unvollkommen erreicht; bei stärkeren Fussreisen schwitzten die
Füsse wieder, bei ruhigem Verhalten zeigte sich keine merkliche Ausdünstung. Nach
Verbrauch der Pillen erhielt der Kranke Schwefel mit Rhabarber und Weinstein, und be-
merkte nach 2 Monaten eine geringe Besserung, welche aber nur von den verminderten
Congestionen zum Kopfe abzuhängen schien, da die Trübung keine Veränderung wahr-
nehmen Hess. Er erhielt nun Pillen aus Senega und Goldschwefel, deren längere An-
wendung eine nicht verkennbare Abnahme der Trübung zur Folge hatte. Da die Besserung
bis zum Jäner 1846 nur sehr langsame Fortschritte machte, wurde Jodkalium in Pillen-
form mit Althäapulver und Gummischleim verordnet, bei dessen alleinigem Gebrauche
eine so überraschend günstige Veränderung eintrat, dass die Trübung beider Linsen bis
zum August vollständig verschwunden war. Prof. Troxler hatte neulich Gelegenheit, sich
von der vollständigen Aufhellung beider Linsen zu überzeugen. Der Mann versicherte
voll Freuden, dass er nun auf 100 Schritte besser sehe, als zuvor auf drei."
Bei Kapseltrübungen beobachtete Rau Aufhellung nur da, wo sie minder intensiv
auftraten, während die noch nicht weit gediehene Trübung der Linse mehrmals selbst
spurlos verschwand. Rau erwähnt nebst Pugliaü's Versuchen mit der äusserlichen An-
wendung des Jodkalium in Verbindung mit der Cauterisation der Schläfen durch Ammo-
nium noch der Versuche Bartenstein's mit Einreibungen von 2 Drachmen Ung. einer, und
1 Scrupel bis 1 l/a Drachme kohlensauren Ammonium an die Stirn , welche gleichfalls
sehr günstige Resultate liefern sollen. Zum Schlüsse gedenkt er noch der Heilversuche
Malfatti's, bei welchen ebenfalls das Jodkalium die wichtigste Rolle zu spielen scheint.
Wir heben aus dem interessanten Aufsatze dieses rühmlichst bekannten Berner Professors
noch folgende Stelle hervor : „Um mich von der unmittelbaren Einwirkung des Jodkalium
auf die getrübte Linse zu überzeugen, legte ich einen frisch extrahirten Linsenstaar in
eine ziemlich concentrirte Jodkalilösung. Es war eine Catar. senilis. Die bernsteingelbe,
kaum durchscheinende Linse mit bräunlichem, ganz undurchsichtigem Kerne wurde auf ein
bedrucktes Blatt Papier gelegt, wobei nur durch die Ränder ein undeutliches Durchschim-
mern der Buchstaben stattfand. Wenige Stunden nach dem Einlegen in die in einem
weissen Reagentiengläschen befindliche Jodkalilösung hatte sich die Anfangs unmittelbar
unter der Oberfläche schwebende Linse zu Boden gesenkt. Nach 12 Stunden war die
Oberfläche der Linse mit ganz kleinen Flöckchen bedeckt. Ausserdem waren 2 vom
Rande bis zum Kerne dringende, stark klaffende Spalten entstanden. Eine merkliche
Cataracta — Behandlung — Extra ction. 297
Vergrösserung der Linse 'war nicht eingetreten. Dagegen hatte sich in 24 Stunden die
ganze Suhstanz bis zum Kerne hin so auffallend aufgehellt, dass man von den Rändern
bis zu letzterem unmittelbar unter das Gläschen gehaltene Druckschrift ohne Mühe zu
erkennen im Stande war. Der Linsenkern -war kaum etwas durchscheinender geworden.
Nach drei "Wochen war keine weitere Veränderung eingetreten. Ein Versuch mit einer
zweiten Linse zeigte, dass die Aufhellung nicht dem Wasser, sondern dem Jodkalium zu-
zuschreiben war."
Mir ist es nur in drei Fällen gelungen, geringe, jedoch bestimmt vorhandene
Linsentrübung rückgängig zu machen , einmal bei einer Dame von 68 Jahren , durch
monatelang fortgesetzte Einreibungen einer Jodkalisalbe an die Stirn und Schläfe und
den Gebrauch der Egerer Salzquelle, dann bei einem 68 Jahre alten, corpulenten Manne,
der wegen Plethora abdominalis seit einer Eeihe von Jahren Marienbad besucht hatte,
durch zweimaligen Gebrauch der Trinkcur in Karlsbad, und bei einem fünfzig und einige
Jahre alten Gutsbesitzer durch den einmaligen Besuch und Gebrauch von Karlsbad. Den
ersten Fall hat Prof. Jaksck, den letzten Prof. Waller mit mir beobachtet, und sich von
der Gegenwart der Cataracta sowohl als von deren Beseitigung überzeugt. Auch Doct.
Fleckles in Karlsbad hat eine von Prof. Ritterich in Leipzig constatirte Heilung einer Ca-
taracta durch Karlsbad veröffentlicht. In einem Falle, den ich mit Dr. Klinger behandle,
hat die beiderseitige, sehr deutliche Cataracta bei dem Gebratiche von Jodkalisalbe (wegen
der hier sehr wohlthätigen Pupillenerweiterung mit 1 Gran Atropin versetzt) in Zeit von
anderthalb Jahren nicht den mindesten Fortschritt gemacht. In zwei andern Fällen liess
mich dieses Mittel trotz zeitiger und gehöriger (?) Anwendung im Stiche. — Ich übersehe
nicht, indem ich diess niederschreibe, dass mancher Leser hier' Täuschung vermuthen
wird. Hier kann nur eigene unbefangene und beharrliche Prüfung zur Überzeugung
führen : a priori lässt sich in solchen Sachen nicht absprechen.
Trübungen der Linse, der Kapsel oder beider zugleich, welche das
Gesicht aufheben oder doch so beeinträchtigen, dass der Kranke durch
glückliche Beseitigung derselben nur gewinnen kann, sind der Gegen-
stand der operativen Hilfe, welche wir im nächsten Abschnitte einer
ausführlichen Erörterung unterziehen wollen.
Staaroperationen.
Auf operativem Wege können wir den Staar durch verschiedene
Methoden beseitigen, welche sich auf 3 Grundtypen zurückführen lassen.
a. Der Staar wird durch eine seiner Grösse entsprechende Öffnung, die
man der Cornea iSclera) beibringt, aus dem Auge entfernt, Ausziehung,
Extractio caturaetae. b. Der Staar wird so in den Glaskörper ver-
senkt, dass er aus dem Bereiche der Pupille verschwindet, Nieder-
drückung oder Umlegung, Depressio vel Reclinatio, auch Dislocatio cata-
raetae genannt, c. Die getrübte Linse wird durch Einschneiden oder
Einreissen der vordem Kapsel dem Einflüsse des KammerwTassers aus-
gesetzt, damit sie allmälig verflüssigt und aufgesogen werde, Zerstück-
lung, Discissio caturaetae.
In allen Fällen, wo die vordere Kapsel gesund, wenigstens weder
298 Krystalllinse.
getrübt noch verdickt ist, wird immer nur die Linse extrahirt, dislocirt
oder der Aufsaugung preisgegeben; die Kapsel bleibt an ihrem Orte,
wenigstens in Verbindung mit der Zonula Zinnii und dem Glaskörper,
und die Schwärze der Pupille wird eben nur dadurch hergestellt, dass
die vordere Kapsel in Zipfel zerschnitten oder zerrissen, sich gegen die
hintere Kapsel und Zonula hin zurückzieht (allmälig einrollt und zusam-
menschrumpft), die hintere Kapsel aber ihre Ausbreitung und Durchsich-
tigkeit auch dann behauptet, wenn sie durch den durch sie hindurch-
gedrückten Staar zerrissen worden war. Die hintere Kapsel rückt im
Allgemeinen nur etwas weiter vor, indem sie sammt der Glashaut der
tellerförmigen Grube aus einer concaven zu einer ebenen Membran
wird. — Der Kest des von der Linse verlassenen Kaunies wird nach
erfolgter Heilung durch Kammerwasser ausgefüllt. Näheres hierüber bei
Betrachtung der Veränderungen nach Staaroperationen.
Die Nebenmethoden und Varianten, und die nöthig erscheinenden
Bemerkungen über ihre Vor- und Nachtheile werden wir theils der
Besprechung der Hauptmethoden anreihen, theils in die am Schlüsse
folgenden geschichtlichen Notizen aufnehmen.
1. Die Extraction.
Unter Extractio cataractae versteht man gewöhnlich nur die Ent-
fernung der verdunkelten Linse durch eine entsprechend grosse Öffnung
der Hornhaut und der vordem Kapsel. Die Linse wird dabei nicht her-
ausgesogen, sondern es werden bloss die Bedingungen gesetzt, dass die
Linse herausgleiten kann, ohne dass das Auge mehr, als eben noth-
wendig ist, verletzt wird. Eine förmliche Ausziehung, eine Hervorholung
mit einem Häkchen oder mit einer Pincette wird nur in seltenen Fäl-
len noth wendig, bei Catar. capsularis, membranacea, arida siliquata,
cystica, wovon wir weiter unten besonders handeln werden.
Gut operiren kann am Ende auch ein Routinier, verständig und mit
Bewusstsein der Gründe, warum so und nicht anders, nur ein wohl
unterrichteter und denkender Arzt. Daher schicken wir der Beschrei-
bung des technischen Verfahrens einige allgemeine, auf Anatomie, Phy-
siologie und Physik gestützte Betrachtungen voraus.
1. Bestimmung der Momente zur Erreichung des vorgesteckten
Zweckes.
Das 1. Moment besteht in der schnittweisen Eröffnung der Augen-
kammer. Die Grösse und Richtung der Hornhaut wunde richtet sich nach
der Grösse und Consistenz des Staares. In der Kegel ist es nothwen-
dig, die Hälfte der Hornhaut an ihrer Basis (innerhalb des Limbus con-
Cataracta — Behandlung — Extraclion. 299
jimctivae) zu durchschneiden, wodurch man eine halbkreisförmige Wunde
bekommt, welche (in gerader Linie vom Anfangs- bis zum Endpunkte,
in der Descemetschen Haut gemessen) 4'" lang und (beim stärksten
Klaffen) etwa 2'" breit ist, also den gewöhnlichen Dimensionen der
Linse entspricht. Da die Wunde durch schnelle Vereinigung heilen soll,
so muss sie möglichst rein geschnitten und ohne Zacken sein. Zur Er-
reichung dieses Zweckes, dem Staare eine adäquate Passage zu eröff-
nen, ist es einerlei, ob die obere oder die untere Hälfte der Cornea in
der angegebenen Weise durchschnitten, der Hornhautschnitt nach oben
oder nach unten geführt wird. — Wo die Linse sehr weich oder an
der Peripherie verflüssigt ist, kann die Wunde etwas kleiner (etwa auf
2/s der Basis) angelegt werden. Bei völlig oder nahezu flüssigen Staaren
genügt ein einfacher Einstich von 2 — 3"' Länge.
Wie genau auch bereits Richter und insbesondere Beer*) die Grösse und Form
des Hornhautschnittes bestimmt haben, so hat doch in neuester Zeit Hasner den auf die
Hälfte der Cornea angelegten Schnitt zu gross gefunden, und den Satz aufgestellt, dass
„ein Schnitt von 3"' Breite stets ausreichen dürfte." Man braucht bloss zu wissen, wie
lang eine Linie sei. und welchen Durchmesser die meisten cataractösen Linsen haben, um
2U merken, was von einem solchen Vorschlage zu halten ist. Durch einen Schnitt, genau
nach dieser Angabe gemacht, wird man kaum den Kern der Linse herausquetschen
können. Wie ungerecht übrigens Hasner gegen den vielgetadelten Beer ist, wenn er
sagt: „Gleize und. Beer haben gerathen, den Cornealschnitt so gross als möglich zu machen,"
ersieht man aus folgender Stelle in Beefs eben citirtem Buche: „Wenn der Hornhaut-
schnitt vollkommen zweckmässig beschaffen sein soll, so muss er erstens hinlänglich
gTOSS sein, um dem aus dem Auge tretenden Staare nicht das geringste Hinderniss
in den Weg legen, zu können , und gross genug wird er sein, wenn er gerade die Hälfte
der Hornhaut so nahe als möglich an ihrem Rande öffnet."
Der Hornhautschnitt muss nahe am Bande der Hornhaut geführt werden, weil nur
dann ein Klaffen der Wunde auf P/2 — 1'" möglich ist; einen zweiten Grund werden
wir bei Betrachtung des Vorganges im 3. Momente kennen lernen. Man darf nicht
vergessen, dass das Messer die gegen l 2 Linie dicke Hornhaut schräg durchläuft, mithin
die Öffnung in der Descemetschen Haut überall um mehr als '/V" kleiner ausfällt, als
an der Vorderfiäche der Hornhaut. Da die Hornhaut innerhalb des Limbus conjunctivae
gemessen von einer Seite zur andern im Mittel 5'", von oben nach unten V/2'" hat, so
ist unsere mit Beer u. A. übereinstimmende Angabe anatomisch begründet, wenn man
nicht den Staar durch die Wunde durchpressen, die Iris quetschen, die Rindensubstanz
abstreifen und überdiess noch Sprengung der Zonula und Glaskörperausfluss riskiren will.
Innerhalb des Limbus conjunctivae soll der Schnitt desshalb geführt werden, weil
dieser sich sonst bei Beendigung des Schnittes leicht ablöst, die Zipfel sich zwischen
die Wundlefzen umschlagen und die schnelle Vereinigung vereiteln können.
So wie das Kammerwasser nach dem Hornhautschnitte abfliesst,
rücken Kapsel und Linse vorwärts, und nehmen den leer gewordenen
Raum ein. Hiemit müssen auch, da man in der Regel keine Runze-
*) Lehre von den Augenkrankheiten. Bd. II. S. 3>j7.
300 Krystalllinse.
lung (Collabiren) der Cornea oder Sclera bemerkt, die Durchmesser des
Bulbus im Äquator vermindert worden sein. Der Glaskörper muss näm-
lich der Linse folgen. Das Vorrücken der Linse setzt Ausdehnung der
Zonula voraus. Erfolgt dieser Vorgang zu rasch oder gewaltsam, so
kann BerstiiDg der Zonula und Glaskörperausfluss entstehen. Daher darf
der Hornhautschnitt nie zu rasch oder unter Zerrung des Bulbus voll-
endet werden.
Das 2. Moment besteht in der Spaltung der vordem Kapsel in
3—4 Zipfel. Austreten könnte die Linse auch durch einen einfachen
Schlitz der Kapsel, wenn auch in der Regel minder leicht. Man kann
auch annehmen, dass die einmal aufgeschlitzte Kapsel beim Vordringen
der Linse von selbst nach mehreren Richtungen hin zerreissen würde.
Was man indess durch positiven Eingriff sicher und ohne Nachtheil
erreichen kann, soll man nicht dem Zufalle überlassen. Die Spaltung
der Kapsel in 3 — 4 Zipfel ist vorzüglich wegen Verhütung von Cata-
racta capsularis secundaria nothwendig. Nur Zipfel der Kapsel können
sich nachträglich gegen die Peripherie hin zurückziehen. Die -f- förmig
verlaufenden Schnitte brauchen nicht länger zu sein, als lJ/2 — 2"'; durch
das Andringen der Linse werden sie von selbst hinreichend vergrössert.
Führt man die Schnitte zu weit gegen die Zonula hin, so kann diese
verletzt und Glaskörperausfluss bewirkt werden. Nach Eröffnung der
Kapsel tritt die Linse in der Regel noch um ein wenig mehr vorwärts,
und die Pupille wird dabei etwas grösser.
Das 3. Moment kann füglich als Entbindung der Linse bezeichnet
werden. Wir wollen der Kürze wegen den Vorgang bei der Extraction
nach unten beschreiben. Mutatis mutandis ist er bei dem Schnitte nach
oben derselbe.
Die erste Bedingung zum Austreten des Staares ist die, dass sich
die Linse um ihre horizontale Achse drehe, so dass der untere Rand
nach vorn und ein wenig nach oben rückt. Die zweite ist die, dass
die Iris nachgebe, die Pupille sich erweitere und dass der Staar nicht
von der Iris wie von einer Schleife oder einem aufgeblähten Segel um-
fangen werde.
Wenn Hornhaut und Kapsel in gehöriger Weise eröffnet sind, und
auch von Seite der Iris keine Hindernisse obwalten, so pflegt der Staar
oft ganz von selbst auszutreten, sobald man den Kranken das Auge auf-
wärts wenden heisst. Die dadurch angeregte stärkere Contraction der
Augenmuskeln ist die Ursache davon. (Vergl. B. I. S. 225.) Wo diess
nicht ausreicht, muss mittelst des auf das untere Lid angelegten Zeige-
fingers ein gelinder Druck auf den Bulbus ausgeübt werden, derart,
Cataracta — Behandlung — Extraction. 301
dass man das untere Lid an die Sclera etwas unterhalb der Cornea
und gegen das Centrum des Bulbus hin drückt.
Was bei dem von Seite der Muskeln oder von Seite des Operateurs ausgeübten
Drucke im Innern des Auges vorgehe, ist nicht schwer zu begreifen. Der Druck, der
auf irgend einen Punkt der Oberfläche des Bulbus ausgeübt wird, trifft nicht mehr, wie
hei uneröfl'neter Hornhaut, die gesammte Wandung des Bulbus, sondern bloss jene Partie,
welche eben nachgiebig geworden ist, und so muss die untere Partie der Linse, und
zunächst nur sie allein, vorwärts gedrängt werden. Das Gesetz der Schwere kommt
hiebei gar nicht in Betracht ; daher erfolgt das Austreten der Linse durch einen nach
oben gerichteten Hornhautschnitt eben so leicht, als nach unten.
Wenn im 3. Momente der das obere Lid fixirende Gehilfe auf den Bulbus drückt,
wenn der Kranke kneipt oder andere Muskelpartien krampfhaft zusammenzieht , z. B. die
Arme des Operationsstuhles mit den Händen fest umklammert, und die Augenmuskeln
synergisch in zu grosse Spannung gerathen , oder aber wenn der Operateur mit dem
Drucke auf den Bulbus ein gewisses Mass überschreitet, so berstet die untere Partie
der Zonula, und der ausströmende Glaskörper drängt die Linse aufwärts.
Während man den Kranken aufwärts blicken lässt, oder die mangel-
hafte Muskelcontraction durch gelinden Druck auf das untere Lid zu
ersetzen bemüht ist, muss man sein Augenmerk vor Allem darauf rich-
ten, ob der Staar sich um die Achse werfe, sich mit dem untern Rande
gegen die Wunde einstelle. Wo diess nicht geschieht, prüft man noch-
mals, ob nicht eines der genannten Hindernisse von Seite der Horn-
haut, der Iris oder der vordem Kapsel iNichteröffnung derselben) die
Ursache sei. Falls diess nicht der Fall ist, so suche man das Werfen
des Staares dadurch zu vermitteln, dass man auf die obere Hälfte der
Cornea mittelst eines Davielschen Löffels oder mittelst des obern Lides
einen gelinden Druck ausübt, also die obere Hälfte des Staares etwas
rückwärts drängt.
Dieses Manöver, welches mir mit einem Male Aufschluss gab, worauf es im 3-
Moment eigentlich ankomme, und warum bei Prof. Rosas Extractionen etwa unter
40 Fällen nur einmal Glaskörperausfluss erfolgt, während wir hier in Prag früher kaum
unter 10 Fällen 9 ohne dieses unwillkommene Ereigniss trotz aller Sorgfalt durchbrachten,
lernte ich auf der Klinik des genannten Herrn kennen, als ich im Jahre 1846 mehreren
seinen Operationen zusah. Rosas legt seine Sichelnadel in der Gegend des obern Randes
der Linse an die Cornea. Ausfluss von Glaskörper ist nun auch an unserer Klinik eine
seltene Erscheinung geworden.
Wer die mechanischen Bedingungen für das Austreten der Linse
erfasst hat, der sieht nun auch den zweiten Grund ein, warum der
Hornhautschnitt nahe am Rande und demselben parallel (concentrisch)
verlaufen soll, namentlich bei harten Staaren. Liesse man unten einen
so breiten Rand von Hornhautsubstanz stehen, dass derselbe über den
Rand der Linse vorragen möchte, so würde sich die Linse unten an
diesen Vorsprung anstemmen, und sich schwer oder gar nicht zur
302 Krystalllinse.
Wunde einstellen, und im günstigsten Falle müsste die Iris mehr weniger
gequetscht werden.
Sobald die Linse im Durchschneiden begriffen, mit ihrem grössten
Durchmesser in die Pupille getreten ist, muss jeder Druck vermindert
und allmälig aufgelassen werden. Lieber setze man, falls er nicht wei-
ter vorrückt, den Davielschen Löffel an den Rand an, und werfe ihn
vollends heraus, oder man führe, wenn man sieht, dass einzelne Stücke
sich ablösen und zurückbleiben wollen, dieses Instrument so ein, dass
man diese sammt der Hauptmasse sogleich mit herausleiten kann.
4. Moment. Sorge für Reinheit der Pupille und genaues Schliessen
der Wunde. Zur Sicherung eines günstigen Ausganges ist dieses Mo-
ment ebenso wichtig, als jedes der vorhergehenden für den momen-
tanen Erfolg.
Soll die Extraction die Vortheile, die man ihr zuschreibt, und zwar
mit Recht, wirklich bieten, so muss die Linse so viel als möglich voll-
ständig aus dem Auge entfernt werden. Davon überzeugt man sich zu-
nächst durch Besichtigung des eben ausgetretenen Staares, durch Prü-
fung der Pupille in Bezug auf ihre Schwärze, und nöthigen Falls durch
Sehversuche. Wie diess zu geschehen habe, davon später, hier nur die
Begründung.
Beträchtliche Reste der Linse, im Auge zurückgelassen, können
Veranlassung werden, dass Nachstaar (Catar. membranacea secundaria),
Iritis mit Nachstaar oder Pupillensperre, Ausdehnung oder Sprengung
der Hornhautwunde, Vorfall der Iris, Vereiterung eines Theiles oder der
ganzen Hornhaut eintritt.
Soll die Pupille nachträglich rein bleiben, so muss sich die vordere Kapsel aus dem
Bereiche derselben zurückziehen. Beträchtlichere Eeste von Rindensubstanz, zwischen der
vordem und hintern Kapsel liegend, können dieses Zurückziehen gegen die Peripherie ver-
hindern, denn sie müssen nicht nothwendiger Weise resorbirt werden. Dafür gibt der so-
genannte Krystallwulst in Augen, die der Extraction unterworfen waren, den augenschein-
lichen Beweis. Der Befund in dieser Beziehung unterschied sich in Fällen, wo die Section
2 — 3 Wochen nach der Extraction gestattet war, nicht wesentlich von jenen, die erst
nach Monaten oder Jahren untersucht wurden. Es scheint, dass durch das Anlegen (An-
schmiegen) der vordem an die hintere Kapsel die Auflösung solcher Keste im Kammer-
wasser verhindert werden könne. Doch dürfte auch Entzündung und sofort Anlöthung
der vordem Kapsel an die hintere, bevor noch deren Zurückziehung erfolgen konnte,
mehr weniger Antheil daran haben.
Die Linse, dem Kammerwasser ausgesetzt, quillt auf. Die Volumenzunahme erfolgt
um so rascher, je grösser die Berührungsfläcbe mit dem Kammerwasser ist. Prof. Fr.
Jäger pflegte in seinen Privatcursen zu sagen : Wirft man eine ganze und eine zer-
schnittene Semmel in Wasser, so quellen beide auf, aber die letztere in gleicher Zeit
weit mehr, als die erstere. Je beträchtlicher die nach der Extraction im Auge belassenen
Linsenreste sind, desto beträchtlicher die Anschwellung. Das Anschwellen und die nun
Cataracta — Behandlung — Extraction. 303
beginnende Resorption setzen erhöhte Gefässthätigkoit und vermehrte Ausscheidung von
Kammerwasser, überhaupt einen Zustand, der von Entzündung vielleicht nur durch die
Abwesenheit faserstoffigen Exsudates unterschieden ist. Bei der Besprechung der Discissio
cataractae werden wir sehen, dass durch das Aufquellen der Linse allein Entzündung oder
doch ein Zustand, der dieser sehr nahe steht, herbeigeführt werden kann. Dass diese
Umstände in einem der Extraction unterworfenen Auge um so schwerer in die "Wagschale
fallen, leuchtet von selbst ein. Entzündung der Iris, Sprengung oder doch Ausdehnung
des die Hornhautwunde bereits verklebenden Exsudates (Keratokele) wird nach meiner
Überzeugung oft auf diese "Weise hervorgerufen.
Zurückgebliebene, von der Linse abgestreifte, sogenannte scabröse Reste werden,
wenn sie nicht in der Falze, welche durch die vordere und hintere Kapsel an der Pe-
ripherie gebildet wird, fest sitzen, über kurz oder lang gegen die Hornhautwunde, selbst
aus derselben heraus gedrängt. Hieran scheint sich nicht so sehr die Schwere als die
durch die Muskeln gesetzte Compression zu betheiligen, denn es macht nicht viel Unter-
schied, ob der Schnitt nach oben oder nach unten geführt wurde. Man kann diesen Act
mit der Expulsion der Nachgeburt (placenta) vergleichen. Vorfall der Iris, Sprengung
der schon verklebten "Wunde, Vereiterung des Hornhautlappens entstehen nach meiner
Überzeugung in vielen Fällen nur auf diese Art. Deval*) citirt eine Beobachtung von
TVenzel d. Ä. , wo der im Auge zurückgelassene Linsenkern am 2. Tage nach der Ex-
traction in der Lidspalte vorgefunden wurde. „Un jeune homme, vint en 1765 consulter
mon pere ä Londres. Son oeil droit, qui etait affecte d'une cataracte dont la couleur
etait extremement blanche, presenta dans l'ope'ration une circonstance assez singuliere.
Des que la corne'e et la cristallo-anterieure furent ouvertes, et avant que la section füt
tout-ä-fait acheve'e, il sortit par la pupille une matiere laiteuse qui, se melant ä l'humeur
aqueuse et s'ecoulant avec eile par l'incision de la cornee, laissa voir la pupille aussi
nette que celle d'un oeil dont on a extrait exactement le cristallin. On crut d'abord que
c'etait la matiere meme du cristallin tombe' en suppuration ; le malade paraissait jouir
de la vue; on lui presenta plusieurs objects assez petitz qu'il apercut et distingua par-
faitement. On lui fit essayer un verre ä catararcte ainsi qu'on a assez souvent coutume
de faire, mais il vit trouble ä la distance ordinaire, comme cela a lieu pour les yeux
sains; ce fait parut fort etonnant. Au reste, il se coucha apres que son oeil eut ete
couvert. Le lendemain, en levant Vappareil, on apercut un e'cartement produit par un
corps oranger et qu'on reconnut facilement pour le cristallin lui-meme, qui ne paraissait
point avoir rien perdu de sa transparence ; la maladie ne pouvait donc avoir eu son
sie'ge que dans l'humeur de Morgagni, puisque le cristallin e'tait dans son etat naturel
et pour la transparence et pour le volume. Le malade, apres sa gue'rison, d'apres les
essais qui furent faits, ne vit plus que comme les autres personnes qui ont subi l'opera-
tion, et il eut besoin de verres ä cataracte."
"Wenn man, wie ich in den meisten Fällen es thue und thun muss, beide Augen
in Einer Sitzung der Extraction unterwirft, und nur auf Einem Auge Iritis, Prolapsus
iridis, Chemosis oder Panophthalmitis entsteht, so kann man wohl nicht Unruhe des Kran-
ken oder allgemeine Ursachen (schlechte Constitution u. dgl.) supponiren. "Wenn übrigens
demselben Operateur einer dieser Zufälle bald auf dem einen, bald auf dem andern,
öfters sogar auf dem Auge begegnet, wo die Operation viel leichter vor sich ging, so
kann man auch nicht wohl in mangelhafter Kunstfertigkeit den Grund suchen. Ich habe
viel über die Ursachen dieser Zufälle nachgedacht, zahlreiche Fälle vor, während und
*] Chirurgie ocnlaire, Paris 1844, S. 26 (Wenzel fils, Tratte- de la Cataracta, Paris 1786, p. 145).
304 Krystalllinse.
nach der Operation genau uotiren lassen und unter einander verglichen; ich bin zu
dem Schlüsse gekommen, dass das Zurücklassen von Staarresten an und flir sich Anlass
zu jenen Zufallen geben kann, obwohl mir auch mehrere Beobachtungen vorgekommen
sind, wo aas Auge trotzdem gut durchkam.
Mau folgere daraus nicht, dass icli der häufigen und wiederholten
Anwendung des Davielschen Löffels damit das Wort rede. Ein hin-
reichend grosser Hornhautschnitt und Abwarten der Reife des Staares
(in dem S. 260 angegebenen Sinne) sind weit bessere Mittel, die Linse
vollständig aus der Kapsel zu entfernen.
2. Beschreibung des Vorganges vor, bei und nach der Operation.
a. Vorbereitung mir Operation. Man wähle ein Zimmer, in welchem
der Kranke vor Lärm, plötzlichem Schrecken u. dgl. möglichst gesichert
ist. Operirt man im Winter, so versichere man sich vorher, ob nicht
etwa Zurückschlagen des Rauches zu besorgen sei. In einem gegen
Norden gelegenen Zimmer lässt sich am leichtesten eine gleichmässige
Temperirung des Lichtes erzielen. Die Fenster werden mit 2 — 3fachen
grünen oder grauen Vorhängen bedeckt. Der Grad der Verdunklung
sei nur so stark, dass man nach einem Aufenthalt von einigen Minuten
die Gesichtszüge des Kranken deutlich wahrnehmen kann. Das plötzliche
Einfallen grellen Lichtes beim Offnen der Thüre muss durch ein ver-
dunkeltes Vorzimmer oder durch Vorhänge vor der Thüre verhütet
werden. Erneuerung der Luft muss ohne Störung der Verdunklung
möglich sein.
Das Bett muss so vorbereitet werden, dass der Kranke eine ruhige
Lage mit nicht zu sehr erhöhtem Kopfe durch 5 — 6 Tage aushalten
kann. Als Unterlage sind Rosshaarmatratzen das Zweckmässigste. Notk-
wendige Utensilien sind eine Leibschüssel, ein Uringlas, ein feiner
Waschschwamm, einige Leinwandflecke, so zugeschnitten, dass sie ein-
fach zusammengelegt die Grösse einer Hand haben, eine schmale Binde
zur Befestigung derselben über der Stirn, für den Fall einer Ohnmacht
ein Analepticum, etwas Essig, frisches Wasser u. dgl.
Eine verlässliche Wärterin, welche über die möglichen Zufälle bei
der Nachbehandlung gut unterrichtet sein muss, und das Nachtwachen
aushält, ist unumgänglich nothwendig. Nie vertraue man die Pflege des
Operirten den Angehörigen oder Untergebenen desselben. Die ersten
6 — 8 Tage ist es am besten, wenn ausser dem Arzte und der Wärterin
Niemand mit dem Kranken verkehrt.
Nie unternehme man die Extraction ohne einen gut unterrichteten
und eingeübten Assistenten. Derselbe stellt sich hinter den Kranken,
der auf einem Stuhle so sitzt, dass er, falls Glaskörperausfluss einträte,
Cataracta — Behandlung — Extraction. 305
sogleich rücklings umgelegt werden kann. Er muss eine solche Stel-
lung einnehmen, dass er mit etwas (über den Kopf des Kranken) vor-
gebeugtem Kopfe das zu operirende Auge von obenher übersehen kann.
Soll die Extraction am linken Auge vorgenommen werden, so fixirt er
mit der linken Hand das obere Lid, und drückt mit der um das Kinn
des Kranken geschlagenen Rechten den Kopf an seine Brust, diesen
dem Operateur etwas entgegenneigend, und dem unwillkürlichen Streben
des Kranken, sich vom Operateur wegzubeugen, gehörig entgegenwir-
kend. Um das obere Lid gehörig, sicher und bleibend zu fixiren, legt
er in dem Momente, wo der Operateur den Kranken anweist, gerade
auf ihn zu schauen, und das untere Lid fasst, den Zeigefinger der ge-
nannten Hand so an, dass die Gegend des 3. Gelenkes an die Augen-
braue, die Spitze des Fingers an die Cilien kommt. Mit dem ersten
Punkte wird die Augenbraue (die Portio major musculi orbicularis palp.
und der Corrugator supercil.) über den Knochen hinaufgerollt und hin-
reichend fest an diesen angedrückt, mit der Spitze des Fingers wird
das eigentliche Lid sajnnit den Cilien berührt und so fixirt, dass es
zwar höher zu stehen kommt, jedoch nicht vom Bulbus abgezogen und
noch viel weniger an den Bulbus angedrückt wird. Im erstem Falle
würde Luft in den Bindehautsack eintreten, diesen reizen und Reflex-
actionen im Orbic. palp., Corrug. superc. und in den Augenmuskeln
erregen; Druck auf den Bulbus führt leicht zu Glaskörperausfluss. Die
Richtung und der Zug des Zeigefingers muss der Richtung und dem
Zuge des Corrug. superc. entsprechen. Man lege daher die flache Hand
in der Medianlinie oben an die Stirn an, und greife mit dem Zeige-
finger nach unten und aussen vor, so dass der Zug dann von der Ge-
gend des Foramen (der Incisuraj supraorbit. nach der Mitte der Stirn
hin geschehen kann. Der Mittelfinger wird neben dem Zeigefinger an
die äussere Hälfte des Lides gelegt, um diesen nötigenfalls zu unter-
stützen. Die Finger werden nur massig gebogen, nicht geknickt, damit
man keinen Schatten mache. So oft ein Moment beendet ist, wird das
Lid locker gelassen. Schwitzen die Finger oder das Lid, so hülle man
den Zeigefinger in ein kappenförmig umschlungenes dünnes Leinwand-
läppchen.
Auf diese Weise kann das Lid jederzeit sicher und zweckmässig fixirt werden.
Augenlidhalter sind nach meiner Erfahrung durchaus überflüssig. Sie vermehren die Angst
des Kranken, machen leicht Schmerz, und erregen stärkere Reaction von Seite der
Muskeln.
Der Kranke werde durch freundliche Zuspräche und Belehrung be-
ruhigt. Man sorge dafür, dass er am Tage der Operation oder Tags
Arlt Augenheilkunde; II. 20
306 Krystalllinse.
vorher eine Entleerung habe. Man lasse ihn etwa eine Stunde vor der
Operation frühstücken. Er werde nicht zu lange in Erwartung gehalten.
Tag und Stunde der einmal festgesetzten Operation sollen ohne triftige
Gründe nicht abgeändert werden. In einem Zimmer, welches unmittel-
bar vom Firmamente Licht erhält, kann man auch an einem trüben
Tage operiren. Es ist sogar nachtheilig, wenn der Blick des Kranken
nach dem Austreten des Staares auf sonnenbeschienene Stellen fällt.
Wo die Fenster weit zum Boden herabreichen, lasse man die untern
Scheiben verdecken. Es ist besser, wenn das Licht nur von Einem
Fenster her einfällt. Der Kranke werde so gesetzt, dass das Licht über
die linke oder rechte Schulter des vor ihm um ohngefähr einen halben
Kopf höher sitzenden Operateurs her einfällt. Der Kranke sei zur Ope-
ration nur mit den nöthigsten Kleidungsstücken angethan, und so, dass
von diesen, wenn er zu Bette gebracht wird, auch jene* leicht entfernt
werden können, welche die bequeme Lage, die Application der Leib-
schüssel u. dgl. hindern könnten. Bei Frauenzimmern darf in dieser
Beziehung auch auf die Zurechtlegung des Kopfhaares nicht vergessen
werden.
Wer das Auge der Gefahr gänzlicher Zerstörung aussetzt, übernimmt auch die
"Verantwortlichkeit für Zufälle, die sich voraus besorgen lassen. Alles, was in Berück-
sichtigung gebracht werden muss, aufzuzählen, ist weder möglich noch nöthig. Beispiels-
weise will ich nur noch bemerken, dass ich einige Mal in die unangenehme Lage ge-
kommen bin, Leuten, welche im Liegen durchaus nicht harnen konnten , den Catheter
zu appliciren.
Rücksichtlich der Iris wird noch eine Vorbereitung nothwendig.
Man muss entweder die Pupille durch vorläufiges Einträufeln von Atro-
pin- oder Belladonnaextractlösung gehörig erweitern, oder man muss
die Augen durch eine halbe Stunde vor der Operation dem vollen
Lichte aussetzen. Es ist bekannt, dass die Pupille eine Zeit lang nach
dem Übergange in helleres Licht sich stark und energisch verengert,
dann aber auch in hellem Lichte wieder die gewöhnliche AVeite an-
nimmt. Ich ziehe die Anwendung dieses Gesetzes behufs der Extraction,
damit sich die Iris bei der stärkeren Beleuchtung nicht gegen die an-
dringende Linse stemme, im Allgemeinen der künstlichen Pupillener-
weiterung vor. Nur wo das Durchfuhren des Messers durch die vordere
Kammer wegen Ausbauchung der Iris nach vorn schwieriger ist, erwei-
tere ich die Pupille, um beim Hornhautschnitte weniger Gefahr zu laufen,
die Iris zu verletzen.
Die Instrumente, die man bei der Extraction zur Hand haben mussr
sind: zwei i?eer'sche Staarmesser, eine gerade zweischneidige oder eine
JRosas'sche sichelförmig gekrümmte Nadel, ein ZWe/'scher Löffel; für
Cataracta — Behandlung — Extraction. 307
besondere Zufalle : ein Irishäkehen, eine gerade und eine krumme Blömer-
sche oder einfach gekerbte feine Pincette, eine kleine nach der Fläche
gekrümmte Scheere. Das Staarmesser werde jedesmal, bevor man es
in die Hornhaut einstösst, durch Einstechen in ein papierdünnes Stück
Leder geprüft. Ist die Spitze gehörig beschaffen, so darf hiebei kein
Geräusch entstehen. — Die verschiedenen Ophthal mostaten (Instrumente
zur Fixirung des Bulbus) sind nach meiner Ansicht nicht nur über-
flüssig, sondern auch nachtheilig, indem sie Schmerz und stärkere Re-
action von Seite der Muskeln erregen. Sie können überdiess höchstens
behufs der Fixirung während des Hornhautschnittes angewendet werden.
Zur Anwendung von Schwefeläther, Chloroform oder von einer Mischung
beider habe ich mich niemals entschliessen können, indem man nicht
sicher sein kann, ob nicht Erbrechen oder convulsivische Muskelbewegun-
gen nachkommen.
b. Verrichtung der Extraction selbst. Soll das rechte Auge ope-
rirt werden, so nimmt man die Instrumente in die linke, zur Operation
des linken dagegen in die rechte Hand. Mit dem Zeigefinger der zwei-
ten Hand wird das untere Lid abwärts gezogen und fixirt, dass es sich
weder umstülpt noch beträchtlich vom Bulbus entfernt : die übrigen drei
Finger werden leicht an die andere Hälfte des Gesichtes angelegt. —
Wenn beide Augen in derselben Sitzung operirt werden sollen, so kann
man zuerst an dem einen die Operation ganz zu Ende führen und das-
selbe während der Operation des zweiten mit einem weichen Lein-
wandbäuschchen bedecken, das der Assistent mit der um das Kinn
herum geschlungenen Hand sanft andrückt; in der Regel wird es besser
sein, nach dem 1. Momente auf dem einen dasselbe Moment auf dem
andern Auge und so fort wechselnd bis zur völligen Reinheit der Pu-
pille durchzuführen. Soll bloss ein Auge operirt werden, so verbinde
man das andere, weil der Kranke dann die Bewegung des einen bes-
ser in seiner Gewalt hat und der Anblick der Instrumente ihn nicht
erschreckt.
1. Moment. Sobald der Operateur sich in der angegebenen Weise
vor den Kranken gesetzt hat, und der Assistent hinter diesem bereit
steht, fasst er, wenn das linke Auge operirt werden soll, das Staar-
messer in die rechte Hand, sagt dem Kranken, er möge gradaus schauen,
fixirt in diesem Momente das untere Lid mit der linken Hand, und
stösst sofort die Spitze des Messers in die Hornhaut ein. Die rasche
Aufeinanderfolge dieser einzelnen Tempi ist nächst dem Vertrauen, das
der Arzt dem Kranken durch sein Benehmen und durch die nöthige
Aufklärung über die Operation eingeflösst hat, das beste Mittel, sich
20*
308 Krystallliiise.
vor unruhigem Hin- und Herrollen des Bulbus zu schützen. Ich ziehe
es vor, auch bei einer minder bequemen Stellung einzustechen, als durch
oft wiederholtes Auffordern gerade die passendste Stellung erzwingen
zu wollen. Um aber das Messer zweckmässig einstechen und bis zu
Ende handhaben zu können, muss man das Messer, die Hand und den
Arm in eine Lage bringen, welche den Übergang aus jeder Position in
die nachfolgende möglich macht, ohne die Leichtigkeit und Sicherheit
zu beeinträchtigen. Das Messer werde daher so in die Hand genommen,
dass der Ballen des Mittelfingers an das vordere Ende, der des Zeige-
fingers 1 — 1 i\i" davon entfernt, und der des Daumens an die entgegen-
gesetzte Seite des Heftes ohngefähr in der Mitte zwischen jenen beiden
zu liegen kommt. Diese drei Finger werden daher weder gestreckt,
noch in irgend einem Gelenke spitzwinklig gebogen (eiü geknickt).
Während nun der Oberarm wenig oder gar nicht vom Brustkorbe ent-
fernt wird, legt man den Ring- und kleinen Finger an die linke Wange
des Kranken so an, dass der Rücken der Messerklinge horizontal vor
die Lidspalte zu stehen kommt.
Durch stärkere Beugung des Zeige- und Mittelfingers im 2. und 3.
Gelenke und Anziehung des Daumens gegen die Mittelband wird die
Klinge so weit zurückgezogen, dass die Spitze an das Schläfeende des
horizontalen Durchmessers der Hornhaut innerhalb des Limbus con-
junctivae zu stehen kommt. Durch eine leichte Wendung der Hand zur
Pronation wird das Messer so zur Hornhaut gestellt, dass man dieselbe
an der bezeichneten Stelle beinahe senkreht durchbohren kann. So wie
die Spitze des Messers in die vordere Kammer eingedrungen ist, wird
das Messer durch eine leichte Drehung zur Supination (Wendung des
Heftes gegen die Schläfe) so gestellt, dass die Fläche der Klinge paral-
lel zur Ebene der Iris steht, indess ihr Rücken horizontal verläuft (die
Spitze nach dem Ausstichspunkte am entgegengesetzten Ende der Horn-
haut hinsieht). Durch raschen Übergang von Beugung zur Streckung
des Mittel- und Zeigefingers und Abduction des Daumens von der Mit-
telhand wird nun das Messer durch die vordere Kammer geführt, so
dass es, wenn es hiebei von der angegebenen Lage zur Iris und zum
horizontalen Durchmesser der Cornea nicht etwa abgelenkt worden ist,
gerade am innern Ende dieses Durchmessers, und zwar noch vor dem
Limbus conjunctivae herausdringen muss. Die Einhaltung dieser Lage
der Klinge zur Iris macht es möglich, auch dann richtig auszustechen,
wenn der Kranke das Auge so stark nach innen rollt , dass man den
Ausstichpunkt nicht sehen kann. Die Anlegung der Hand mit der Dor-
salfläche an die Wange des Kranken gestattet alle Übergänge von der
Cataracta — Behandlung — Extraction. 309
Supination bis zur stärksten Pronation und umgekehrt, so dass man dem
Auge immer in gleichem Abstände von demselben und mit grösster
Leichtigkeit folgen kann, wenn es bald nach aussen, bald nach innen
gewendet wird.
So wie die Spitze im innern Winkel in die Cornea eingedrungen
ist, hat man den Bulbus ganz in seiner Gewalt. Könnte man den Aus-
stichspunkt nicht sehen, so dränge man, ohne die Klinge zurückzuziehen,
das Heft ein wenig gegen die Schläfe, was bei der angegebenen Lage
der Hand leicht möglich ist. Auf diese Art kann man den Bulbus gerade
stellen, ohne vorzeitigen Ausfluss des Kammerwassers zu riskiren. Zeigt
sich's dann, dass die Spitze über oder zu tief unter dem horizontalen
Durchmesser steht, oder dass man jenseits des Hornhautrandes (im
Limbus, in der Sclera, durch die Iris) oder zu weit diessseits (viel über
lJ2w) ausstechen würde, so ziehe man die Klinge, so viel als zur Be-
freiung der Spitze nöthig erscheint, zurück und stosse diese an der ge-
hörigen Stelle durch. Nach erfolgtem Ausstiche stelle man den Bulbus,
wenu er zu weit einwärts gerollt ist, dadurch in die Mitte oder ein
wenig einwärts, dass man das Heft etwas gegen die Schläfe drängt,
ohne die Klinge zurückzuziehen. Sollte die Schneide von der vorge-
zeichneten Operationsebene nach vorn oder nach hinten abweichen, so
werde sie durch Drehung des Heftes vom oder zum Daumen gehörig
gestellt, und erst dann werde das Messer durch weitere Streckung des
Mittel- und Zeigefingers und Abduction des Daumens so weit vorge-
schoben, bis der Schnitt vollendet ist. Die Beendigung des Schnittes
geschehe eher langsam als zu schnell oder schnelzend, weil sonst leicht
die Zonula gesprengt werden kann.
Liefe man bei diesem Vorgange Gefahr, in die Nase einzustechen, so werde das
Heft stärker gegen die Schläfe gedrängt. Könnte man mit der Klinge nicht weiter vor-
dringen , weil der Mittelfinger an den äussern Orbitalrand anstiesse, so müsste man zu-
nächst den Daumen, dann den Zeige-, endlich den Mittelfinger etwas weiter rückwärts
am Hefte ansetzen, nicht aber, wie diess Anfänger gern thun, den Mittelfinger ganz
vom Hefte entfernen. Denn mit zwei Fingern allein kann man das Heft nicht mehr fest
halten und noch vielweniger sicher fortschieben.
Dem Umbiegen oder Abbrechen der Messerspitze beim Einstechen beugt man am
besten vor durch Wahl guter Instrumente und dadurch, dass man das Messer nicht
unter einem zu grossen Winkel zur tangirenden Ebene des Einstichspunktes ansetzt.
Wer einige Übung besitzt, kann die Klinge sogleich in der bezeichneten Operationsebene
(durch die Basis corneae parallel zur Irisebene) ansetzen und einstechen, ohne desshalb
Gefahr zu laufen, dass dasselbe eine zu lange Strecke oder gar durchaus zwischen den
Hornhautfasern fortgleite. Diese Haltung beim Einstechen hat zugleich den Yortheil, dass
man nicht so leicht durch zu tiefes Einsenken der Spitze die Iris ansticht. Wäre diess
310 Krystalllinse.
geschehen , so müsste man natürlich dasselbe sogleich, so viel als zur Befreiung der
Spitze nöthig ist, zurückziehen.
Dringt die Spitze (weil sie sich bei zu senkrechtem Einstiche umgebogen hat) im
iiincrn Winkel nicht leicht heraus, so lege man den Mittelfinger von der andern Gesichts-
hälfte herüber und drücke ihn am Ausstichspunkte an den Bulbus an. Fliesst vor Beendigung
des Schnittes Kammerwasser ab, so wird die Iris vorgedrängt und schlägt sich gleichsam
lim die Schneide des Messers herum. Ereignet sich dieser Zufall noch vor dem Ausstiche,
so stehe man, wenn es nicht gelingt, die Spitze trotzdem zwischen Iris und Cornea zur
erforderlichen Stelle vorzuschieben, lieber von der Operation ab. Schlägt sich die Iris
nach erfolgtem Ausstiche um die Schneide, so drücke man während des Vorschiebens
des Messers mit der Spitze des Mittelfingers so auf den untern Theil der Cornea, dass
dieser abgeplattet wird, wodurch die Iris gewöhnlich zum Bückzuge bestimmt wird.
Wird eine Portion aus dem kleinen Kreise der Iris ausgeschnitten, so ist gewöhnlich zu
grosse Pupille (Coloboma) und Blendung des Operirten durch grelles Licht die Folge
davon. Wird eine etwas grössere Partie aus dem grossen Kreise allein ausgeschnitten,
so entsteht eine zweite Pupille, in welcher sich die Linse beim Austreten verfangen kann,
wenn man nicht die Brücke zwischen den Pupillen spaltet, was (im 3. Momente) mit
der Nadel oder mit einer Scheere geschehen muss.
Ging der Schnitt unten so nahe an die Sclera, dass sich Bindehaut abschälte , so
muss man diese vom Hornhautlappen mit einer Scheere knapp abschneiden, damit sie
sich nicht in die Wunde hineinschlage.
Nachträglich verbessern ( vergrössern ) lässt sich der Hornhautschnitt nur dann,
wenn der Ein- oder der Ausstichspunkt zu tief unter dem horizontalen Durchmesser
geschah. Man nehme eine nach der Fläche gekrümmte Scheere in die rechte Hand,
führe einen Arm zwischen Iris und Cornea in der Richtung des Schnittes ein, und ver-
längere denselben. Das Nämliche kann man, wenn auch minder leicht, mit dem Staar-
messer erreichen ; mit diesem gelingt die Erweiterung eher nach aussen.
Wird der Hornhautschnitt auf die angegebene Weise verrichtet, so bekommt man
eine möglichst reine und gleichmässige, zackenlose Wunde, und das Auge wird nicht
gezerrt. Immer ist die ganze Kraft nur gegen die Spitze gerichtet, nicht auf die Schneide.
Je continuirlicher die Kraftanwendung, desto gleichmässiger der Schnitt, desto leichter
das Aneinanderlegen der Wundlefzen. Den Schnitt durch Vorschieben, Zurückziehen und
Wiedervorschieben vollenden heisst Sägen. Ausser Hasner S. 220 hat diess meines Wis-
sens noch Niemand empfohlen.
Nach Beendigung des Hornhautschnittes lässt der Gehilfe das obere,
der Operateur das untere Lid aus, und der Kranke wird angewieseu,
beide Augen so zu schliessen, als ob er schlafen wollte. Auf die Menge
des abfliessenden Kamnierwassers muss man Acht haben, weil Fälle
vorkommen, wo der Glaskörper so flüssig wie Wasser ist, und dieser
Zustand nicht immer vor der Operation sicher erkannt werden kann.
Wäre nun diess der Fall, so müsste man den Kranken ohne Weiteres zu
Bette bringen, und in Erwägung- ziehen, ob die Fortsetzung der Opera-
tion nicht etwa im Bette noch zulässig sei. Wie man sich bei Glas-
körperausfluss zu benehmen habe, werden wir beim 3. Momente be-
sprechen. Hätte sich die Iris vor die Wunde gelagert, so werde das
Cataracta — Behandlung — Exlraction. 311
geschlossene Auge leicht mit dem an das obere Lid angelegten Daumen
sanft gerieben und dann geöffnet. Selten wird die Reposition mit dem
Davielschen Löffel nöthig sein. Indess nun der Kranke die Augen ge-
schlossen hält, reinige man das Keratom, tröste den Kranken allen-
falls damit, dass das Schlimmste bereits überstanden sei u. dgl., trockne
das etwa feucht gewordene untere Lid ab, und nehme die Staarnadel
zur Hand.
2. Moment. Indem man den Kranken anweist, beide Augen zu
öffnen, fixirt der Assistent wieder das obere, der Operateur das untere
Lid. Durch gelindes Andrücken des untern Lides an den Bulbus und
Anweisung des Kranken, nach oben zu schauen, macht man die Wunde
etwas klaffen. Die Nadel — ich bediene mich in der Regel einer zwei-
schneidigen, spitzigen und geraden — wird ebenso gefasst, wie das
Staarmesser, Oberarm und Hand werden in dieselbe Stellung gebracht,
wie im ersten Momente, nur kommt die Hand etwas mehr unterhalb
des Auges zu liegen. Bei diesem Vorgange kommt nun die Nadel, mit
der einen Fläche dem Bulbus zugewendet, im iunern Winkel an das
innere Ende des Hornhautschnittes zu liegen. Ihre Spitze sieht ohnge-
fähr gegen die Glabella frontis, ihr Heft etwa gegen den Winkel des
Unterkiefers. Nur aus dieser Position ist der Übergang in die zweite
— gleich zu beschreibende — leicht möglich. So wie beim ersten Mo-
mente vor Allem das frühzeitige Abfliessen des Kammerwassers vermie-
den werden muss, so hat man sich im 2. Momente am meisten vor
Anspiessimg der Iris zu hüten. Die Nadel darf daher nie mit der Spitze
voraus in die Pupille eingeführt werden. Diess erreicht man, wenn
man die in oben angegebener Weise gehaltene Nadel flach an den Horn-
hautrand anlegt, und durch leichte Beugung des Mittel- und Zeigefingers
und Adduction des Daumens gleichsam mit der Schneide und mit dem
Halse voraus in die Wunde hereingleiten macht, bis ihre Spitze am
obern Ende des senkrechten Durchmessers der Pupille angelangt ist.
Hieniit ist das erste Tempo (die erste Position) beendet. Sollte das Auge
zu stark nach innen fliehen, so kann man schnell die Rolle der Hände
wechseln und die Nadel mit der linken Hand von der Schläfe her auf
analoge Weise einführen. Dreht der Kranke das Auge stark nach oben,
so muss der Assistent das obere Lid vom Bulbus abziehen und den
Kopf des Kranken etwas rückwärts neigen, um dem Operateur die nöthige
Einsicht möglich zu machen.
Ist die Nadel oben in der Pupille angelangt, so wird durch eine
halbe Pronation (Bewegung der Radialseite gegen die Nase des Kranken)
die Nadel so gewendet, dass man ihre Schneide der Kapsel zukehrt.
312 Krystalllinse.
Sofort werden der Kapsel ein oder zwei verticale Schnitte beigebracht,
nicht dadurch, dass man die ganze Hand bewegt, sondern nur durch
rasche Biegung der die Nadel haltenden Finger, namentlich des Dau-
mens im letzten Gelenke. Ist diess geschehen, so wird die Spitze der
Nadel an die vordere Fläche der Kapsel angebracht, zwischen den Fin-
gern vom Daumen zu den beiden andern gedreht, so dass die eine
Fläche nach oben (und vorn) gerichtet ist, und am innern Ende des
horizontalen Durchmessers der Pupille auf die Kapsel angesetzt, um
auf ähnliche Weise einen oder zwei horizontale Schnitte auszuführen,
indem die Hand ganz leichte Schwankungen zwischen Pronation und
Supination macht. Ist diess geschehen, so kann man, wenn man recht
sicher einen Kreuzschnitt (+) erlangen will, und der Patient ruhig hält,
dasselbe Mannöver auch von der Schläfe her vornehmen. Ist die Spal-
tung beendet, so wird die Nadel gegen den Unterkietervvinkel hin, also
mit dem Halse voraus, entfernt.
Bei diesem Vorgange hat man nicht nöthig, die Wunde so weit zu lüften, dass
Luft einträte, was übrigens nicht viel zu bedeuten hat. Man hüte sich, die Nadel zu
weit gegen die Zonula Zinnii hinzuführen. Mit der Spitze der Nadel nach Beendigung
des verticalen Schnittes wieder an die Vorderfläche der Kapsel zu kommen , erfordert
einige Übung, und ist doch nothwendig, weil sonst die Kapsel leicht ausweicht, und
dann horizontal nicht eingeschnitten wird. Man hüte sich vor jeder Kraftanwendung,
und namentlich bei harter Linse vor Druck auf dieselbe. Verschiebung derselben und
daher schwieriger Austritt im 3. Momente kann ebenso leicht, ja noch viel leichter die
Folge sein, als Sprengung der Zonula und Glaskörperausfluss. Die Iris soll weder an-
gestochen noch gequetscht werden. Blutung und gehinderte Einsicht, Schmerz und Un-
ruhe des Kranken, nachträglich Entzündung können laut Erfahrung die Folgen davon
sein. Wenn Hasner S. 221 die Jris für unempfindlich hält, so ist das heutzutage wohL
eben nur seine Meinung.
Sind hinlere Sipiechien vorhanden, so müssen diese im 2. Momente
mit der Nadel gelöst werden, indem man die Kapsel concentrisch mit
dem Pupillarrande einschneidet. Das bei Catar. accreta zu beobachtende
Verfahren geben wir weiter unten an.
Ist vorderer Kapselstaar vorhanden (siehe S. 261), so ist an Zer-
schneidung der Kapsel gar nicht zu denken, da diese dann hiezu viel
zu derb und zäh ist. Da solche Trübungen jedoch nur höchstens bis
zur Insertionsstelle der Zonula hinreichen, so führe man statt der Nadel
ein Irishäkchen ein, die Convexität voraus, pflanze nach einer halben
Drehung (Pronationsbewegung) die Spitze desselben am obern Rande
der getrübten und verdickten Partie ein, und ziehe sodann die ganze
Platte heraus. In manchen Fällen folgt diesem Zuge nicht nur die vor-
dere, sondern auch die hintere Kapsel sammt der Linse, wenn nämlich
in Folge von Schrumpfung der vordem Kapsel die Verbindung des-
Cataracta — Behandlung — Extraction. 313
Krystallkörpers mit dem Ciliar- und Glaskörper gelockert oder getrennt
ist. Obwohl es bisweilen geschieht, dass bei dieser eigentlichen Extrac-
tion der vordem Kapsel allein oder selbst des ganzen Krystallkörpers
kein Glaskörper nachfolgt, so steht diess doch immer zu besorgen, und
ich verrichte daher, seit ich im Stande bin, den vordem Kapselstaar
vor der Operation zu erkennen, diese gewöhnlich so, dass ich den
Kranken im Bette liegen lasse, und mich, wenn das linke Auge operirt
werden soll, an die rechte Seite des Kranken stelle.
Die Verrichtung der Extraction bei Rüchenlage des Kranken im Bette ist allerdings
etwas schwieriger für den Operateur, jedoch in manchen Fällen unumgänglich nothwen-
dig, in andern von übenviegendem Vortheile. Kranke, welche sehr corpulent sind, ver-
krüppelte Extremitäten haben u. dgl. sind nach vollendeter Extraction mitunter sehr
schwer zu Eette zu bringen. Kranke, welche sehr ängstlich sind, deren Muskeln bei
jedem Versuche, das Auge mit dem Instrumente zu berühren, in krampfhafte Zusammen-
ziehung gerathen, werden oft dadurch, dass man sie sogleich oder nach dem 1. oder 2.
Momente zu Bette bringt, viel ruhiger. Kranke endlich, bei denen mehr weniger Grund
vorhanden ist, Verflüssigung des Glaskörpers anzunehmen, bringe man gleich Anfangs zu
Bette. Was Hasner, der den Einfluss der Augenmuskeln auf die Contenta des Bulbus,
die Vis a tergo und folglich auch die synergische Contraction derselben in Abrede stellt,
für einen Grund hat, die Rückenlage des Kranken zu empfehlen (S. 219), ist uns in der
That unbegreiflich; denn das Gesetz der Schwere ist, wie schon A. G- Richter bemerkt
hat, beim Austreten der Glasfeuchtigkeit gar nicht in Anschlag zu bringen. Dieser Zufall
erfolgt bei dem Hornhautschnitte nach oben eben so leicht, wie bei dem nach unten,
wenn man seine Ursachen nicht kennt und ihm nicht vorzubeugen weiss.
Im 3. Momente hat der Operateur nur wenig oder gar nicht direct
einzugreifen. Bisweilen, namentlich wenn der Staar weich ist, und der
Kranke die Muskeln stärker wirken lässt, wird der Staar schon nach
einfacher Schlitzung der vordem Kapsel herausgedrängt, in welchem
Falle dem Bestreben, die Lider zu schliessen, weiter kein Widerstand
entgegen gesetzt werden darf.
Hat der Kranke nach Eröffnung der Kapsel einige Secunden aus-
geruht, und der Operateur die Nadel und sodann das untere Lid abge-
trocknet, so wird der Davielsche Löffel zur Hand genommen, so dass
der Ballen des Mittelfingers noch vor dem Hefte an die convexe Seite
desselben zu liegen kommt, mithin bei Anlegung der Hand mit der
Dorsalfläche des Bing- und kleinen -Fingers an die Wangenbeingegend
dieses Instrument in der Gegend des äussern Wundwinkels in Bereit-
schaft gehalten wird, die Panne nach vorn und innen gerichtet. Erfolgt
das Werfen der Linse um die horizontale Achse nicht schon in Folge
stärkeren Aufwärtsrollens des Bulbus oder gelinden Druckes mittelst
des untern Lides auf denselben, so drücke man mittelst des Davielschen
Löffels leicht auf die obere Partie der Hornhaut. Bevor man jedoch
314 Krystalllinse.
irgend einen Druck auf den Bulbus übt, muss man sicher sein, dass
man die Kapsel gehörig eröffnet; hintere Synechien gelöst, den Horn-
hautschnitt nicht zu klein gemacht und den Staar nicht zur Seite ver-
schoben hat. Durch unzweckmässigen Druck kann man auch im 3. Mo-
mente erst die Linse luxiren. Die Verschiebung der Linse gibt sich
bald dadurch kund, dass bei Verstärkung des Druckes die Linse sich
nicht nur nicht wirft, sondern durch den gegen die Wunde andringen-
den Glaskörper noch mehr zur Seite gedrängt wird, aufsteigt. So wie
man diess bemerkt, ist es am besten, den Kranken zu Bette zu bringen.
Dasselbe hat man zu thun, wenn bereits Glaskörper in die Augenkam-
mer oder vor die Wunde tritt. — Wo diess nicht der Fall ist, und der
Staar sich gehörig einstellt, hat man den allenfalls nöthigen Druck nur
bis zum Durchschneiden der Linse durch die Pupille zu verstärken,
dann aber allmälig zu vermindern. Den zur Hälfte entwickelten Staar
kann man durch Anlegung des Löffels an den Schläferand nach innen
und unten herabstreifen. Sieht man, dass sich oberhalb des Kernes
Stücke ablösen und zurückbleiben wollen, so kann man den Löffel vom
äussern Winkel her über den Staar hinaufführen, und den Staar mit
Einem Male austreten machen. Verfängt sich die Linse unten an der
Iris, so nehme man statt des Löffels die Nadel zur Hand, und spalte
lieber die Iris vom Papillär- zum Ciliarrande, ehe man diese Membran
zu grosser Ausdehnung und Zerrung preis gibt.
Wo Glaskörperausfluss droht oder schon eintritt, lasse man die Augen sogleich
schliessen, und den Kranken vom Assistenten rücklings auf das vorgehaltene Knie und
an die Brust umlegen. Selten wird es gerathen sein, noch vor dieser Umlegung sogleich
den Davielschen Löffel von unten her so einzuführen, dass man zwischen der Iris und
dem untern Rande des Staares eindringt, und mit der an dessen hintere Fläche an-
gedrückten Rinne desselben den Staar herausholt. Lieber lege man ein locker zusammen-
geballtes Tuch auf das Auge, lasse es vom Assistenten gelind an dasselbe andrücken,
und den Kranken ins Bett tragen. Die Hervorholung des Staares geschehe dann auf die
angegebene Weise oder, wobei die Linse nicht so an die Iris und Cornea angedruckt
zu werden braucht, mittelst eines gleich dem Davielschen Löffel eingeführten Irishäkchens,
dessen Spitze an die hintere Fläche der Linse eingepflanzt wird.
Nur wenn die Menge des abgeflossenen Glaskörpers nicht mehr als etwa '/s der
ganzen Masse beträgt, lässt sich noch Wiederherstellung des Sehvermögens erwarten.
Wo demnach die Beseitigung der Linse mit' noch mehr Verlust dieser Flüssigkeit droht
lasse man dieselbe lieber im Auge zurück. Es ist eine sehr interessante Thatsache, dass
der zwischen den Wundlefzen heraushängende Glaskörper an und für sich die Heilung
der Wunde ohne Eiterung nicht unmöglich macht. Daher ist es überflüssig, die aus der
Wunde vorragende Partie abzuschneiden, und vergeblich, sie reponiren zu wollen. Bei
dem einen wie bei dem andern riskirt man überdiess noch weitern Vorfall. Da der
Glaskörper die Kapsel seitwärts drängt, so schützt dieser Zufall vor Kapselnachstaar.
Desshalb aber nach vollendeter Extraction absichtlich durch einen Einstich in die teller-
Cataracta — Behandlang — Extraction. 315
förmige Grube Glaskörperabfluss zu bewirken , wie Einige gerathen haben , lässt sich
wohl nicht rechtfertigen. Denn abgesehen davon, dass nach Glaskörperabfluss immer Ver-
ziehung der Pupille mit vorderer Synechie entsteht, und dass der Kranke nach der Operation
die Rückenlage viel strenger und länger (durch mindestens sechs Tage) beobachten muss:
die Vereinigung per primain intentionem wird dadurch an und für sich mehr in Frage
gestellt. Zur Verhütung von Kapseln achstaar besitzen wir übrigens minder gefährliche
Kunstgriffe, die gehörige Spaltung der Kapsel und die möglichst vollständige Beseitigung
des Staares selbst.
4. Moment. In der Regel erkennt man schon unmittelbar nach
dem Austreten der Linse, ob dieselbe vollständig abgegangen sei oder
nicht. Bisweilen zeigt sich's jedoch nach einer kleinen Pause, dass die
Papille nicht so rein ist, als es beim ersten Anblicke geschienen hatte.
Zurückgebliebene Eeste senken sich allmälig gegen die Öffnung (werden
hin gedrängt), wenn sie nicht an der Kapsel, besonders in der Falze
an der Peripherie haften. Es ist daher jederzeit gerathen, wo man nicht
vollkommen überzeugt sein kann, dass die ganze Linse abgegangen ist,
ein AVeilchen zu warten, bevor man den Verband anlegt.
Um das Auge nach Abgang der Hauptmasse nicht zu starkem Lichte
auszusetzen, werde dasselbe beschattet oder verdeckt. Wo nach dem
3. Momente auf dem linken Auge noch dasselbe Moment auf dem rech-
ten vorzunehmen ist, lege man während dessen einen leicht geballten
Leinwandfleck auf das linke Auge und drücke ihn mit dem Mittel- und
Ringfinger der rechten Hand sanft an das Auge an; oder lasse diess
vom Assistenten tlmn (mit der um's Kinn geschlagenen Hand).
Wenn sodann die Besichtigung der Pupille oder der Linse zeigt,
dass noch beträchtliche Reste zurückgeblieben sind, müssen diese nach
einer kurzen Pause herausbefördert werden. Diess kann auf zweierlei
Art geschehen. Die sanfteste ist die, dass der Operateur mit dem Zeige-
finger der linken Hand leicht von unten her auf das untere Lid drückt,
und mit dem an das obere Lid flach aufgelegten Daumen sanft von
oben, innen und aussen her streicht, die an der Peripherie sitzenden
Reste gegen die Pupille und gegen die Wunde hin drängt. Kommt man
so nicht zum Ziele, so nehme man den Davielschen Löffel zur Hand.
Dieser wird vom äussern Winkel her so eingeführt, dass seine Rinne
nach vorn sieht. Ist die Spitze oben am Pupillarrande angelangt, so"
wird er zwischen den Fingern so gedreht, dass die Rinne nach unten
und innen gerichtet ist. Indem man ihn nun hebelartig um den Punkt
dreht, wo er zwischen den Wundlefzen liegt, und das Heft gegen das
Ohrläppchen hin senkt, gleitet das vordere Ende desselben mit seiner
nach oben und ein wenig nach vorn gerichteten Wölbung an der con-
caven Fläche der Cornea herab (sich an diese anschmiegend), ohne
316 Krystalllinse.
dass die Iris gequetscht oder die Wunde stark gelüftet wird. Wären
liiebei oder schon früher Luftblasen eingetreten, so werden diese am
leichtesten auf die oben angegebene Weise mittelst des an das obere
Lid angelegten Daumens herausgestrichen. — Ob und wie oft man mit
dem Davielschen Löffel einzugehen habe, muss in jedem speciellen
Falle wohl erwogen werden. Bei unruhigen Kranken kann man damit
leicht schaden, die Iris oder Cornea quetschen, Glaskörperausfluss be-
wirken u. dgl. Es können Fälle vorkommen, wo die Belassung scabröser
Beste im Auge das kleinere, mithin vorzuziehende Übel ist. — Stücke
der Kapsel, welche in die Pupille hereinragen, mit einer fein gezähnten
Pincette zu fassen und auszuziehen , darf man nur bei liegender Stel-
lung des Kranken wagen.
Die Vornahme von Sehversuchen hat nach dem, was ich darüber
beobachtet habe, keine Nachtheile, im Gegentheile mehrere nicht uner-
hebliche Vortheile für den Kranken und für den Operateur, sofern man
sie nicht zu weit treibt und bei temperirtem Lichte vornimmt. Das
Licht muss dabei vom Bücken oder doch von der Seite her einfallen.
Man überzeuge sich, ob der Kranke in der gewöhnlichen Sehweite die
Finger, ein Taschentuch u. dgl. erkennt; will man noch weiter gehen,
so lasse man nach einer kleinen Pause die Höhe des Wasserstandes in
einem vorgehaltenen Glase mit dem Finger bezeichnen. Das Nicht-
genauerkennen hat mich zur nochmaligen Besichtigung der Pupille be-
bestimmt, und ötters noch ein mechanisches Hinderniss erkennen lassen.
Oft zieht sich die Iris erst bei den Sehversuchen in ihre normale Lage
zurück, die Pupille wird eng, und die Wundränder legen sich genau
aneinander. Für den Kranken ist es eine grosse Beruhigung zu wissen,
dass er sieht, und gut sieht; viel leichter erfüllt er dann den beschwer-
lichsten Theil seiner Aufgabe, das ruhige Liegen. Die neu bestärkte
Hoffnung gibt ihm Kraft und Ausdauer, die Wunde heilt leichter, als
bei gedrückter Gemüthsstimmung. Übermässige Äusserung der Freude
lässt sich leicht moderiren. Auch nach der besten und glücklichsten
Operation kann der Erfolg selbst ohne nachweisbare äussere Veranlas-
sungen im Verlaufe der Nachbehandlung vernichtet werden ; der momen-
tane Erfolg schützt den Arzt wenigstens rücksichtlich der Operation selbst
vor ungerechten Vorwürfen.
Das genaue Anschmiegen der Wundränder an einander kann ver-
hindert werden : durch kleine halbdurchsichtige Linsenpartikelchen, durch
die vorgefallene Iris, durch Blutgerinnsel, durch Anstossen des Lappens
an den Lidrand. Nach der Extraction weicher Staare senken sich bis-
weilen scabröse Beste hiuter der Iris, und drängen diese und den Hörn-
Cataracta — Behandlung — Exlraction. 317
hautlappen etwas vorwärts. — Es wird nicht schwer sein, die Gegen-
wart solcher Hindernisse zu erkennen. Linsenstückchen zwischen den
Wundlefzen werden mit dem Davielschen Löffel abgestreift. Nebenbei
sei auch bemerkt, dass man nachsehen müsse, ob nicht etwa Staar-
stücke (oder Augenwimpern) in den Bindehautsack gerathen sind, wo
sie nach Anlegung des Verbandes als fremde Körper reizen würden.
Die vorgefallene Iris weicht entweder nach einigem Zuwarten von selbst,
oder nach Vornahme der Sehversuche zurück. Diesen Effect kann man
auch dadurch erzielen, dass man die flache Hand an die Stirn und den
Daumen leicht auf das obere Lid anlegt, den Bulbus sanft reibt und
das Lid dann emporhebt. Erst wenn diese Mittel nichts fruchten, wähle
man die Reposition mittelst des Davielschen Löffels. Wurde die Iris
angeschnitten oder der Schnitt zu nahe an der Sclera geführt, so ent-
steht Bluterguss, und das Gerinnsel legt sich gern in die Wunde. In
einigen Fällen habe ich auch Blutung beobachtet, ohne dass die Iris
nur im mindesten verletzt und wo der Schnitt noch ganz gewiss inner-
halb des Liinbus conj. geführt worden war. Man fasse das Blutgerinnsel
mit einer Pincette. Steht der Hornhautlappen ab, weil die Iris vorwärts
gedrängt ist, so drücke man die hinter der Iris angesammelten Staar-
reste mittelst des untern Lides aufwärts zur Pupille, und entferne sie
mit dem Davielschen Löffel. Wo Glaskörperausfluss zu besorgen steht,
bringe man jedoch den Kranken lieber erst zu Bette. Ein solcher Stand
des untern Lides zur Hornhautwunde, dass die innen scharfe Kante
desselben an den Hornhautlappen anstösst, lässt sich voraus erkennen,
und man muss -desshalb lieber den Hornhautschnitt nach oben machen,
oder ihn so führen (etwas tiefer oder höher), dass man diesem fatalen
Zufalle, dessen Folge gewöhnlich Hornhautvereiterung ist, möglichst
vorbeugt, oder man muss wo möglich gar nicht extrahiren. Wird der
Fehler erst nachträglich erkannt, so lasse man den Kranken das Auge
wie zum Schlafen schliessen, indem man das untere Lid ein wenig ab-
gezogen hält, oder man lasse den Kranken etwas abwärts blicken und
lege das untere Lid entsprechend an, ehe der Kranke das Auge völlig
schliesst. Wenn nach dem Abflüsse des Kammerwassers die Linse nicht
vorwärts rückt, so wird die Cornea durch die Atmosphäre eingedrückt,
eine Erscheinung, welche nach erfolgtem Austritte der Linse noch deut-
licher auftritt. Ob die Ursache in mangelhafter Contraction der Mus-
keln liege oder in Eigidität der Zonula und der hintern Kapsel, weiss
ich nicht. Ich habe diese Erscheinung nur bei mehr gealterten und
hagern Individuen beobachtet. Durch entsprechende Compression des
Bulbus kann man sie momentan verschwinden machen. Sie vereitelt
31 8 Krystalllinse.
den Erfolg nicht noth wendig, indem viele Augen trotzdem ganz gut
durchkommen. Sieht man, dass dieser Zufall das Anschliessen der Wund-
ränder verhindert, so ist es vielleicht erlaubt, die hintere Kapsel, nach-
dem der Kranke zu Bette gebracht ist, mit der Staarnadel einzustechen.
Die Kammer füllt sich mit Glaskörper und die Wunde schliesst sich,
wenn jener sich nicht in dieselbe hineindrängt.
c. Verband und Nachbehandlung. Hat der Kranke bei gehörig adap-
tiven Wundrändern das Auge geschlossen, so soll er es nicht mehr
öffnen. Man verklebe nun beide Augen mit Streifen englischen Pflas-
ters, 3 — 4'" breit, \" lang, so eingeknickt, dass der Bug an die Lid-
spalte, '/s an das obere, 2/3 an das untere Lid zu liegen kommen. Der
innere Winkel und 3 — 4"y davon nach aussen müssen unbedeckt bleiben,
damit nachher der Abfluss der Thränen leichter gestattet sei. Auf der
Stirn werden mittelst einer um den Kopf geführten und über der Stirn
zu knüpfenden Binde zwei doppelte Leinwandcompressen so befestigt,
dass sie über die Augen herabhängen und sich an die Nase und Wange
anschmiegen. Sofort wird der Kranke unter Vermeidung stärkerer Mus-
kelanstrengung zu Bette gebracht. Dieses soll nicht zu hoch sein, da-
mit sich der Kranke nach Ablegung der unuöthigen Kleidungsstücke
rücklings in die Mitte desselben setzen kann. Während er sich auf die
Oberextremitäten stützt, lasse man ihm durch den Wärter die Unter-
extremitäten hineinheben. Der Kopf darf nicht zu hoch gelagert wer-
den. Wird der Kopf zu weit rückwärts gebeugt, so entsteht leicht Aus-
trocknung des Halses und Husten. Die Füsse dürfen nicht unten ange-
stemmt, die Hände nicht unter das Kreuz oder den Kopf geschoben
werden. Träte Reiz zum Niesen ein, so drücke der Kranke den Ballen
des Daumens rückwärts von den Schneidezähnen (in der Gegend des
Foramen iueisivum) an den harten Gaumen. Will er trinken, so schiebe
der Wärter eine Hand unter den obersten Polster, um den Kopf leicht
dem Trinkgläschen entgegen zu heben.
Die ersten acht Tage sei die Nahrung nicht nur leicht verdaulich,
sondern auch so beschaffen, dass sie nicht viel gekaut zu werden braucht.
(Ich zweifle, dass Operateure, welche den Einfluss der Augenmuskeln auf
die Gontenta des Bulbus in Abrede stellen, den Kranken gleich in der
ersten Zeit Nahrungsmittel verabreichen werden, welche die Kaumus-
keln stärker in Gebrauch nehmen.)
Man gehe nicht von der Ansicht aus, dass Entzündung durch strenge
Diät, Vermeidung aller Fleischspeisen u. s. w. vermieden, oder dass sie
an und für sich durch Fleischkost erregt werden könne. Da aber der
Cataracta — Behandlung — Extraction. 319
Kranke ruhig liegt, so braucht er auch weniger, und die Verdauung
kann leichter als sonst gestört werden.
Merkt man, dass der Kranke die ununterbrochene Rückenlage nicht
vertragen und sie heimlich selbst zu ändern versuchen würde, so setze
man ihn lieber, wenn nur die ersten 48 Stunden vorbei sind, vorsichtig
auf, wobei man ihn zweckmässig unterstützen und sich anlehnen lässt.
Haben die Kranken den 3. Tag überstanden, so wird ihnen das Liegen
gewöhnlieh minder schwer. Vor dem 6. Tage ist es nicht räthlich, den
Kranken aus dem Bette zu nehmen, und vor dein 10. nicht, ihn her-
umgehen zu lassen. Vor dem 14. Tage habe ich noch keinen Kranken
in's Freie gehen, und vor dem 18. Tage noch keinen aus der Behand-
lung austreten lassen, wenn auch manche sich dazu schon am 14. Tage
zu eignen schienen.
Die Compressen müssen so oft mit frischen vertauscht werden, als
zu besorgen steht, dass sie durch Eintrocknen des Secretes fester an-
kleben würden. Die Pflasterstreifen werden erst nach 5 — 6 Tagen mit
lauem Wasser aufgeweicht und sammt dem die Cilien verklebenden
Secrete sanft abgewaschen. Bei Abnahme des Verbandes muss überhaupt
jeder Druck und jede unsanfte oder unvermuthete Berührung des Auges
vermieden werden.
Die Verklebung der Wunde erfolgt in 24—48 Stunden. Sie geht,
wie ich aus einigen wenige Tage nach der Operation zur Section ge-
kommenen Bulbis entnehmen konnte (von Kranken, die an Dysenterie
oder Pneumonie gestorben waren) von der Mitte der Hornhaut aus; in
der Descemetschen Haut und an der Vorderfläche erfolgt die Vernar-
bung zuletzt. Der die Verklebung vermittelnde Faserstoff kann durch
zurückgebliebene Linsenreste oder durch mechanische Einflüsse ausge-
dehnt, selbst gesprengt werden. In letzterem Falle fliesst das Kammer-
wasser ab, und es erfolgt Anlagerung der Iris an die Wunde oder Vor-
fall derselben, weiterhin Wiedervereinigung mit Einheilung einer Iris-
partie in eine mehr weniger breite Hornhautnarbe, oder Eiterung mit
Vernichtung eines Theiles oder der ganzen Hornhaut, des ganzen Bulbus.
Die blosse Ausdehnung der verharschten Wunde erscheint als darm-
ähnlicher halbdurchsichtiger Wulst, den man Keratokele genannt hat.
Ausserdem kann Entzündung der Iris durch dieselben Momente, durch
Verletzung derselben bei der Operation, durch übermässiges Licht, durch
unzweckmässig und vorzeitig angestellte Sehversuche, durch innere,
nicht näher bestimmbare Ursachen herbeigeführt werden. Der Eintritt
solcher Zufälle von Seite der Wunde ist nur bis zum 8. — 10. Tage zu
fürchten,- Iritis kann auch in der 3. — 4. Woche, überhaupt so lange
320 Krystalllinse.
nachkommen, als das Auge noch in einem gereizten Zustande verharrt,
zumal wenn der Operirte sich zu starkem Lichte aussetzt, oder seine
»Sehkraft an kleinen oder glänzenden Gegenständen prüft. Das recht-
zeitige Erkennen solcher Zufälle ist eben so wichtig, da sich viele dann
noch beseitigen oder unschädlich machen lassen, als schwierig, wenigstens
in der ersten Zeit, wo der Verband noch nicht ohne Gefahr, die Wunde
zu sprengen, abgenommen werden kann. Vor Allem muss man daher
den normalen Verlauf kennen.
In den ersten Stunden nach der Operation pflegen sich die Kranken
bloss über die Empfindung zu beschweren, als ob etwas ins Auge ge-
fallen wäre. Diese Empfindung steigert sich manchmal bis zu flüchtigen
Stichen oder zu einem andauernden Drucke. Wenn diese Empfindungen
allmälig abnehmen und aufhören, wenn sie sich wenigstens weilenweise
ganz verlieren, nachdem sich Flüssigkeit aus dem innern Winkel ent-
leert hat, so kann man wohl annehmen, dass sie bloss durch längere
Zurückhaltung derselben bedingt waren. Hält der Druck länger an, wird
er durch den Abfluss von Thränen wenig oder gar nicht gemindert,
und tritt Kopfschmerz oder Temperaturerhöhung an der Wange der
entsprechenden Seite dazu, so hat man Grund anzunehmen, dass sich
Entzündung entwickele, welche antiphlogistische Behandlung erheischt.
Siehe Iritis traumatica S. 57 und 58.
Im Verlaufe des 4. oder 5. Tages fängt die Bindehaut auch bei
ganz normalem Verlaufe an, etwas Schleim abzusondern, der sich im
innern Winkel ansammelt. Auch ein leichtes Anlaufen des obern Lides
längs des Randes ist an und für sich noch kein Zeichen excessiver Re-
action. Am 5. oder auch schon am 4. Tage bemerken die Kranken
gewöhnlich Jucken der Augen, haben jedoch, wenn sie die Bulbi will-
kürlich oder unwillkürlich bewegen, keine Beschwerde. Vorfall der Iris
oder Keratokele pflegt sich durch das Gefühl eines fremden Körpers
im Auge, zeitweilige flüchtige Stiche, Schmerz beim Bewegen des Bul-
bus und stärkeres Nässen des Auges anzukündigen. Wo Vereiterung des
Hornhautlappens eintritt, bleiben merkliche Schwellung des obern Lides,
Temperaturerhöhung über dem Wangenbeine und Ausscheidung schleimig-
eitriger Flüssigkeit im innern Winkel nicht lange aus, und nehmen sehr
bald (in 24 Stunden) einen hohen Grad ein. Zu Anfang* wird dieser
traurigste aller Zufälle, welcher meistens zu Vereiterung der ganzen
Cornea führt, nicht immer durch Schmerzen im Auge oder Kopfe ange-
kündigt; greift die Entzündung auf die Iris und Chorioidea über (pano-
phthalmitis), so wird nach (2 — 3) wochenlanger Dauer auch die Form des
Bulbus unter den heftigsten Schmerzen vernichtet.
Cataracta — Behandlung- — Extraction. 321
Wo Zeichen von Entzündung auftreten, mache man zunächst kalte
Umschläge, indem man 4 — 6fach zusammengelegte Leinwandfleckchen,
etwa 2" hing und hreit, in kaltes Wasser getaucht oder auf Eis gelegt
und gut ausgedrückt, so auflegt, dass sie sich an die Lider und den
innern Winkel anschmiegen, ohne das Auge zu drücken. Reichen diese
nicht hin oder lässt sich ihre Unzulänglichkeit gleich voraus sehen, so
lege man S — 12 Blutegel an die Schläfe, mindestens i" vom äussern
Winkel entfernt. Vom Aderlassen, das ich in den ersten Jahren meiner
Praxis mehrmal vorgenommen habe, konnte ich keinen entschiedenen
Nutzen wahrnehmen; desshalb und wegen der damit verbundenen Un-
zukömmlichkeiten unter Verhältnissen, wo Ruhe des Gemüthes sowohl
als des Körpers vor Allem noth thut, bin ich später davon abgegangen.
Entleerungen des Darmcanales lassen sich durch Clysmata, Bitterwasser,
Fol. sennae praeparata mit einem Mittelsalze u. dgl. erzielen. Doch
wende ich sie ohne dringende Anzeige nicht vor dem 4. Tage an. Das
Gefühl von Beklemmung oder Stechen auf der Brust, von Aufgebläht-
sein des Unterleibes, von Kopfschmerzen und ähnlichen Zufällen, welche
den 2. — 4. Tag aufzutreten pflegen, wird oft dadurch behoben, dass
man den Kranken einige Zeit sitzen lässt. In mehreren Fällen hat die
Verabreichung von etwas Kümmel wasser, Krausemünzaufguss u. dgl.
gute Dienste geleistet. Doch muss man jedesmal untersuchen, ob sich
nicht etwa Pneumonie entwickle, wie ich mehrere Male beobachtet habe.
Wenn die Zeichen vorhanden sind, welche auf Prolapsus iridis
deuten, und noch mehr wenn man sich nach Abnahme des Verbandes
von dessen Gegenwart überzeugt hat, nehme man es mit der Einhal-
tung der Ruhe etwas strenger, lasse die Augen wieder geschlossen hal-
ten und fleissig kalte Umschläge machen, oder, wenn der Kranke diese
nicht verträgt, mit Aqua Goulardi fomentiren. Zur Punction oder zur
Abkappimg mit einer kleinen Louisschen Scheere schreite man nur bei
grossen Hornhautbrüchen oder Irisvorfällen und erst dann, wenn man
sieht, dass sie mehrere Tage lang unverändert bleiben oder noch zu-
nehmen.
War Glaskörper ausgeflossen, so sieht man nach Abnahme des Ver-
bandes, welcher in diesem Falle nicht vor dem 8. Tage zu geschehen
hat, eine weissliche, schleimige Masse aus der Wunde heraushängen,
welche bei fortgesetzter ruhiger Haltung des Auges völlig abgeschnürt
und abgestossen wird.
Wird die Vernarbung durch Anstossen des untern Lides, oder wie
diess öfters bei alten Leuten mit schlaffer Haut vorkommt, durch Ein-
wärtswendung desselben gegen den Bulbus gestört, so ziehe man das-
Arlt Augenheilkunde. II. 21
322 Krystalllinse.
selbe ein wenig ab und fixire es durch Bestreichen und Fixiren der
Hautfalten mit Collodium.
Nach Abnahme des Verbandes, welche immer bei sehr temperir-
tem Lichte, am besten gegen Abend geschieht, lasse man die Augen
nur. so lange öffnen, als zu ihrer Besichtigung nöthig ist. Zur Vermei-
dung heftiger Gemüthsbewegung für den Fall, dass der Kranke etwa
nicht sähe, mache man ihn schon vor der Abnahme darauf aufmerk-
sam, dass er vielleicht nicht sogleich sehen werde, dass sich manch-
mal etwas vor die Pupille vorlege, was erst später verschwinde, u. dgL
Wird diese Vorsicht ausser Acht gelassen, so riskirt man, dass der
Kranke weine, Hoffnung und Geduld verliere, und das nicht mehr er-
fülle, was zur Wiederherstellung des Sehvermögens (z. B. Zurückziehung
eines Irisvorfalles) nöthig ist. Ob der Kranke sehe, erkennt der Ope-
rateur sogleich an einem eigenthümlichen Glänze des Auges, der durch
die Hornhaut auf schwarzem Hintergrunde (der offenen und freien Pu-
pille) bedingt wird. Nur wo dieser Glanz vorhanden und das Auge
wenig oder gar nicht geröthet ist, mag man dem Kranken die Freude
gönnen, dass er etwa die Zahl der vorgehaltenen Finger bestimme.
Ausserdem verwende man die Zeit des Offnens lieber zur genauen Be-
sichtigung des Auges bei temperirtem, von der Seite her einfallendem
Lichte. — Sieht der Kranke, so gestatte man ihm das Offnen der Augen
Anfangs immer nur durch einige Minuten, 3-, 4-, 5 — 6mal des Tages,
und verbiete ihm, seine Augen an verschiedenen Objecten zu prüfen.
Der ununterbrochene Gebrauch der Augen erscheint erst dann zulässig,
wenn das Herumgehen gestattet werden kann. Eben so gehe man in
der Verminderung der Dunkelheit (durch Abnahme des innersten Vor-
hanges von oben her) stufenweise vorwärts. Beim ersten Ausgehen,
welches Abends geschehe, bemerke man dem Kranken, dass er alles
wie mit Schnee bedeckt sehen werde. Eines Augenschirmes, welchen
man nach Abnahme des Verbandes immer tragen lässt, so dass derselbe
1 — 2 Zoll über die Augenbrauen herabreicht, bedarf der Kranke in der
Eegel bis zu Ende der 6. Woche nach der Operation. Derselbe be-
stehe aus einem etwa 4" breiten und 8 — 9" langen Kartenpapiere, wel-
ches mit einem nicht glänzenden und dunkelfarbigen (grünen) Stoffe
überzogen und mit Bändern um den Kopf herum befestigt wird. Zur
Temperirung des Lichtes kann man einige Wochen lang auch blass-
blaue oder graue Plangläser tragen lassen.
3. Modificationen der Extraction.
a. Extraction mit nach oben gerichtetem Hornhautschnitte. Diese
schon von Richter vorgeschlagene Methode wurde von Fr. Jäger und
Cataracta — Behandlung — Extraction. 323
JRosas der Extraction nach unten vorgezogen, und von ersterem fast
ausschliesslich geübt, Anfangs mit einem eigens construirten Doppel-,
später mit dem einfachen Versehen Staarmesser. Sie unterscheidet
sich in der Ausführung nur dadurch von der Extraction nach unten,
dass die Schneide des Messers aufwärts gerichtet wird, während der
Kranke das Auge abwärts rollt, und der Assistent das obere Lid stär-
ker aufwärts zieht. Ihr Hauptvorzug besteht darin, dass die Wund-
ränder durch Anschliessen des obern Lides genauer in Berührung er-
halten werden und dass die Heilung per primam intentionem nicht so
leicht durch minder ruhiges Verhalten des Kranken, oder durch An-
stossen des Lidrandes an den Hornhautlappen vereitelt wird. Wenn
sich Keratokele oder Prolapsus iridis und sofort eine breite Narbe bil-
det, fällt diese unter das obere Lid; wenn durch Ausschneidung oder
Spaltung des Pupillarrandes der Iris ein Coloboma gebildet wurde,
wird die Entstellung durch das obere Lid gedeckt und die Blendung
verhindert; wenn Pupillensperre durch Verziehung der Iris zur Horn-
hautnarbe entstanden ist, sind die Bedingungen zur Pupillenbildung
günstiger. Diese Vortheile werden jedoch dadurch aufgewogen, dass
diese Methode in allen drei Momenten schwieriger auszuführen ist, um
so mehr, je tiefer (weniger flach) die Augen liegen, je minder ruhig
der Kranke und je minder geübt und verlässlich der Assistent ist. Im
1. Momente kann man dem Streben des Auges, nach innen und oben
zu fliehen, leicht durch gehörige Handhabung des Messers entgegen
wirken; im 2. und 3. Momente dagegen, wo auch die Anwendung von
Ophthalmostaten eine sehr missliche Sache ist, kann man dadurch, dass
der Kranke es nicht über sich bringen kann, abwärts zu schauen, in
grosse Verlegenheit gebracht werden. Das Werfen und Austreten har-
ter und in eine zusammenhängende Masse geronnener Linsen kann
überdiess dadurch sehr erschwert werden, dass man oben einen breitern
Saum Cornea stehen lassen muss, als unten, wo der Limbus conjun-
ctivae viel schmäler ist.
Vor Prolapsus iridis, Eiterung in der Wunde und Vernichtung des
ganzen Auges sichert übrigens auch der Schnitt nach oben nicht, und
Irisvorfälle nach oben dürften (nach meinen vergleichenden Beobachtun-
gen) schwieriger heilen, als nach dem Schnitte nach unten. Endlich
gibt es Augen, bei denen der Stand des obern Lides zur Hornhaut ein
solcher ist, dass die innere Kante gerade an oder noch oberhalb der
Wunde zu liegen kommen würde. (Von 330 im Institute durch Extrac-
tion operirten Individuen wurde bei 5 t der Schnitt nach oben geführt.
Ich hatte also, abgesehen vom Spital e, wo der Schnitt nach oben theils
21*
324 Krystalllinse.
von mir, theils von nieinen Assistenten relativ Läufiger vorgenommen
wurde, GelegenLeit genug, beide Metboden mit einander zu vergleicben.)
b. Die Extraction mit einem kleinern Hornhautschnitte oder einem
blossen Einstiche in die Cornea bietet, wo sie zulässig ist, die Vortheile
der Extraction obne deren Nachtbeile.
Wir baben bereits bemerkt, dass bei sehr weichen und besonders
bei peripherisch flüssigen Staaren der Schnitt bloss auf etwa 2/5 des
Hornhautunifanges angelegt zu werden braucht. Es gibt aber Fälle,
wo es genügt, bei stark erweiterter Pupille die Hornhaut anzustechen,
und ihr eine 2 — 3"' lange Wunde beizubringen. Der Einstich geschieht
am besten mit einem Lanzenmesser, wie bei der Pupillenbildung, und
zwar von aussen oder von unten und aussen her. Der Schnitt laufe
zum Rande parallel, jedoch nahezu \'" davon entfernt, damit, wenn
nach Abfluss des Kammerwassers die Pupille enger wird, die Iris nicht
verletzt werden müsse. Vor einer breiten Narbe hat man sich hier
nicht zu fürchten.
Hat man einen flüssigen oder sehr weichen einfachen Linsenstaar
vor sich, so kann man mit einer geraden oder krummen Nadel ein-
gehen, und die Kapsel mehrfach einschneiden. Ich ziehe jedoch den
Gebrauch des Irishäkchens (wie zur Pupillenbildung) vor, weil es nach
dem Abflüsse des Kammerwassers nicht immer gelingt, mit der Nadel
die Kapsel in Zipfel zu spalten, wogegen das Häkchen nur an dem
vom Einstiche entferntesten Punkte nächst dem Pupillarrande in die
Kapsel eingepflanzt und heraus gezogen zu werden braucht, um ganz
sicher eine Zipfelwunde zu erhalten. Für die hiezu nöthige Ruhe des
Auges lässt sich durch Chloroform oder durch einen Ophthalmostaten
sorgen. — Ist zugleich die vordere Kapsel verdunkelt und verdickt,
so folgt sie dem Zuge des Häkchens und wird durch die Wunde ent-
fernt. Das Austreten der Linse befördert man dadurch, dass man einen
Davielschen Löffel in die Wunde bringt. Wenn die Iris nicht hindernd
entgegentritt, wird es auch erlaubt sein, einzelne Linsenstücke mit die-
sem Instrumente hervorzuholen.
Dieses Verfahren ist von Gibson*) so geübt worden, dass er die Eröffnung der
Kapsel 2—3 Wochen vorher mit einer Nadel unternahm. Doch schon Travers (ibid.\
vereinigte beide Momente in eine Sitzung, indem er mit seinem Staarmesser 1/t des Horn-
hautumfanges eröffnete, und die Zerstücklung der Kapsel mit der Spitze des Messers
verrichtete. „Der flüssige Staar wird augenblicklich mit der wässrigen Feuchtigkeit aus-
geleert: der flockige Staar tritt häufig ganz aus dem Auge und nimmt eine oblonge Ge-
stalt an; der käseartige Staar wird stückweise mit dem Löffelchen ausgeleert, wenn man
den Rand der Pupille sanft deprimirt." — Die Einführung des Häkchens, um getrübte und
*) MaktnzU 1. c. S. (J12.
Cataracta — Behandlung — Extraction. 325
verdickte Kapseln damit einzureissen oder auszuziehen, habe ich von Fr. Jäger kennen
gelernt, welcher diesen Act als Modifikation der Discissio cataractae übte und ihn Disla-
ceratio capsulae nannte. Die Linse selbst wurde nicht entfernt, sondern der Eesorption
überlassen.
Hat man es mit einem hautigen (Nachstaare) oder mit einem
trockenhülsigen Staare zu thnn, so erweitere man die Pupille so viel
als möglich durch Belladonna, und suche jene Stelle auf, wo der Staar
am wenigsten fest mit den Ciliarfortsätzen oder mit der Iris zusammen-
hängt. Dieser Stelle gegenüber (diametral entgegen gesetzt) wähle
man den Einstichspunkt in die Hornhaut, gleichfalls nicht zu nahe am
Rande. Würde sich z. B. bei erweiterter Pupille eine freiere (schwarze
oder durchscheinende) Stelle nach oben gelegen zeigen, oder wäre der
Staar unten mit der Iris verwachsen, so dringe man mit dem Lanzen-
messer durch eine unten (unten und aussen, unten und innen) gelegene
Partie der Hornhaut ein. Auch hier muss für Ruhe und entsprechende
Stellung des Bulbus durch Narkosis oder einen Ophthalmostaten ge-
sorgt werden. Durch diesen Einstich führe man ein etwas stärkeres
Irishäkchen zu der Lücke oder dünnsten Stelle im Staare, und ziehe
diesen zur Wunde heraus. Hängt er zu fest, z. B. unten an der Iris,
so schneide man das hervorgezogene Stück mit der Scheere ab, und
reponire das übrige. Reisst die Masse ein, so prüfe man, ob nicht
etAva schon dieser Einriss oder die Verschiebung nach der Seite ge-
nüge, einen hinreichend grossen Theil der Pupille frei zu bekommen,
ehe man neue Estractionsversuche macht. Da in solchen Fällen der
Abfluss von etwas Glaskörper fast unvermeidlich ist, so lasse man den
Kranken zur Operation im Bette liegen. In der Mehrzahl solcher Fälle
fand ich den Glaskörper flüssiger, als im normalen Zustande. — Manch-
mal ist der häutige oder trockenhülsige Staar so beschaffen, dass man
den Einstich gerade vor einer Lücke machen, und ihn mit einer gut
gezähnten Pincette herausziehen kann, indem man einen Arm durch
die Lücke oder dünnste Stelle der Catar. an ihre hintere Fläche führt.
— Manche dieser Staare haften so fest an dem Ciliarkörper, dass eher
die Sclera nachgibt und einwärts gezogen wird, als dass man sie her-
ausziehen könnte. Solche Staare lassen sich aber auch auf keine an-
dere Weise beseitigen. — Dass grössere Pyramidenstaare (denn nur
diese können Gegenstand der Operation werden) auf dieselbe Weise
mit einer in die vordere Kammer eingeführten Pincette ausgezogen
werden können, wurde schon früher erwähnt.
Sichel hat gerathen, solche Staare mit einer Pincette durch eine Wunde auszu-
ziehen, die man der Sclera etwa V" hinter der Cornea und nach der Richtung eines
vom vordem zum hintern Pole laufenden Meridianes beibringen soll, und Desmarres hat
326 Kry stalllinse.
zu dieser Extraction ein sehr sinnreich construirtes Instrument, das er Serre-tele, später
Pince capsulaire nannte, anfertigen lassen. Da zur Einführung einer gewöhnlichen Pin-
cette eine zu grosse Scleralwunde nöthig ist, so wurde das Instrument so angefertigt,
dass es eine Eöhre von der Dicke einer Stricknadel bildet, an deren Ende beim Nach-
lass eines Druckes auf einen am Hefte angebrachten Knopf zwei V/t'" lange Branchen
auseinander weichen, welche eine Blömer sehe Pincette bilden. Eine Schwierigkeit bei
der Anwendung dieses nur zu leicht verderbbaren Instrumentes besteht darin, dass der
eine Arm vor die zu fassende Membran gebracht werden muss, und die zweite noch grös-
sere darin, dass, wenn die Membran nur etwas grösser ist, sie sich beim Hinziehen gegen
die Wunde zusammenballt und, falls die Wunde nicht etwas grösser ist, im Auge zurück-
bleibt. Die Verletzung, welche das Auge bei Anwendung dieses Instrumentes erleidet,
scheint mir nach dem, was ich aus eigener und fremder Erfahrung davon weiss, beträcht-
licher zu sein, als bei der Extraction durch die Cornea.
c. Die Extraction mit gleichseitiger Pupillenbildung oder Aussclmei-
dung eines Stückes Iris wird hauptsächlich bei ausgebreiteten hinteren
Synechien oder bei förmlich angewachsenen Staai^en nothwendig. Die
Vorsicht erheischt es, den Kranken dabei im Bette liegen zu lassen.
Der Hornhautschnitt wird nur höchstens auf 2/s des Hornhautumfanges
angelegt, da solche Staare meistens weich sind; nöthigenfalls kann man
ihn nachträglich vergrössern. Ist, wie gewöhnlich, die Iris stark vor-
gebaucht, so wird das Staarmesser bald nachdem es in die Augen-
kammer eingedrungen ist, durch die Iris gestossen, etwa 1 — 1 x\itu hin-
ter derselben fort geführt, und sodann wieder durch die Iris und durch
die Cornea ausgestochen. Durch Beendigung des Schnittes wird somit
der Iris sowohl als der Cornea eine Wunde beigebracht, die einen klei-
nen Lappen bildet. Ist die vordere Kammer nicht zu eng, so führe
man das Messer bloss durch die Hornhaut. Im 2. Momente wird statt
der Nadel ein Irishäkchen eingeführt, mit der Convexität voraus, dessen
Spitze am untersten Theile des Pupillarrandes oder in das die Pupille
schliessende Exsudat eingepflanzt, die Iris herausgezogen und mit einer
Scheere abgeschnitten, wobei man darauf zu sehen hat, dass nicht zu
viel Iris weggenommen, die Pupille nicht zu gross werde. Ist dem
Staare der Weg gebahnt, so pflanze man das Häkchen neuerdings in
die Kapsel. Ist diese normal, so reisst sie wie ein Tuch ein, in das
man einen Haken einsetzt; ist sie verdickt, so reisst die verdickte Par-
tie ringsum von der Zonula ab und folgt <5em Häkchen; bisweilen folgt
die ganze Kapsel sammt der Linse dem Zuge. Gewöhnlich, jedoch
keineswegs immer, folgt etwas Glaskörper. Mit der Nachbehandlung
ist es in solchen Fällen eben so streng zu nehmen, wie nach der Ex-
traction mit halber Eröffnung der Cornea, wogegen nach der unter b
beschriebenen Modifikation schon nach 2 — 3 Tagen der Verband abge-
nommen werden kann.
Cataracta — Behandlung — Dislocation. 327
2. Die Dislocation (Reclination oder Depression).
Die Versenkung des Staares in den Glaskörper, so dass er aus
dem Bereiche der Pupille verschwindet, kann nach 3 verschiedenen
Eichtungen vorgenommen werden, a) Die hiezu nöthige Nadel wird zu
oberst auf den Rand der Linse aufgelegt, um diese gerade nach unten
z-u drücken , wobei die vordere Fläche der Linse nach vorn gerichtet
bleibt und mit ihrer Mitte ohngefähr hinter die Ciliarfortsätze zu liegen
kommt. Diese Methode, die älteste der Staaroperationen überhaupt,
ist mit Recht aufgegeben worden, seit man bessere kennt, b) Bei der
1785 von Willburg angegebenen Umlegung des Staares wird die Linse
durch die an ihre Vorderfläche angelegte Nadel so nach hinten und
unten in den Glaskörper versenkt, dass ihre hintere Fläche zur untern,
ihre vordere zur obern, ihr unterer Rand zum vordem, ihr oberer zum
hintern wird, c) Bei der 1803 von Scarpa ausgeführten Seitwärtslage-
rung des Staares wird der gleichfalls an der Vorderfläche gefasste
Staar so in die Gegend zwischen den Muse, rectus extemus und infe-
rior umgelegt, dass seine vordere Fläche nach innen und oben (gegen
die Glabella frontis) gerichtet ist. — Die zur Dislocation erforderliche
Nadel wird von der Schläfe her durch die Sclera zur Linse vorgescho-
ben {Scleronyxis). Die Einführung der Nadel durch die Cornea (Ke~
ratonyxis), seit Buchhorn (1806) und Langenbeck (1811) von verschie-
denen Autoren geübt, ist behufs der Dislocation völlig unzweckmässig.
Obwohl ich im Allgemeinen die Willburg' sehe Umlegung der Scarpa'sehen vor-
ziehe , so lasse ich doch hei den Übungen am Cadaver zunächst die letztere Methode
üben, weil hiebei die Momente, auf die es bei der Reclination überhaupt ankommt, nach
einem einfacheren Principe dargethan , und die Hände besser eingeübt werden. Die
Gründe für diese Behauptungen ergeben sich aus den nachfolgenden Betrachtungen. Wir
werden auch bei dieser Methode zunächst die Momente erörtern, auf deren Bewerk-
stelli°'ung die Erreichung des Zweckes beruht (Mechanismus der Operation), ehe wir
das technische Verfahren sammt den verschiedenen Zufällen und die Nachbehandlung be-
sprechen.
Soll die Reclination ihren Zweck erfüllen, so muss die Linse mög-
lichst vollständig aus der Kapsel entfernt und so in den Glaskörper
versenkt werden, dass sie einerseits den Zutritt der Lichtstrahlen zur
Netzhaut nicht mehr verhindere, andererseits aber auch weder die Re-
genbogen- noch die Netz- und Aderhaut drücke. Die vordere Kapsel
muss, falls sie nicht so dick und zähe ist, dass sie vor der Nadel aus-
weicht, ringsum von der Zonula abreisst, und der Linse folgt, so in
Zipfel gespalten werden, dass sich diese nachher aus dem Bereiche der
Pupille zurückziehen können. Ist die vordere Kapsel, wie in der Regel,
in ihrer Consistenz nicht verändert, so wird sie durch die auf sie wir-
328 Krystalllinse.
keude Nadel nothwendig in der Richtung dieser letztern, gewöhnlich
aber, jedoch zufällig auch nach mehreren andern Eichtungen hin ein-
geschlitzt; die Glashaut und die hintere Kapsel werden durch die gegen
sie andringende Linse zerrissen, und diese verdrängt eine ihrem Volu-
men entsprechende Menge Glaskörpers nach dem früher von der Linse
eingenommenen Räume so lange, bis sie aus dem Glaskörper durch
Resorption beseitigt ist. Diese Resorption erfolgt in verschieden langer
Zeit, nach mehreren Wochen oder Monaten; man hat die mehr weniger
verkleinerte Linse aber auch nach mehreren Jahren noch im Glaskörper
gefunden. Die Hyaloidea und die hintere Kapsel kehren allmälig in
ihre frühere Lage zurück (eigentlich zu einer Ebene, die man sich
durch die Firsten der Ciliarfortsätze gelegt denke) , und vernarben
ohne Trübung. Wurde die vordere Kapsel nicht mit reclinirt oder nicht
in Zipfel zerrissen, so zieht sie sich nicht aus dem Bereiche der Pupille
zurück, wird theils durch Runzelung, theils durch Beschlag ihrer innern
Fläche mit Rindensubstanz oder durch Auflagerung von Exsudat ge-
trübt, und tritt hiedurch dem Zwecke der Operation mehr weniger hin-
dernd entgegen. Aber auch durch Zurückbleiben von Adel Rindensub-
stanz in der Kapsel kann dieses Zurückziehen der Kapsel verhindert
werden, auf dieselbe Weise, wie nach der Extraction, rein mechanisch
oder durch Aufquellen und Erregung von Entzündung.
Soll die Linse durch die hintere Kapsel und Hyaloidea in den
Glaskörper hineingedrückt werden, und zwar mit einer Nadel, die füg-
lich nicht über eine halbe Linie breit sein kann, so muss sie einen ge-
wissen (abnormen) Grad von Consistenz haben.
Nimmt man den Bulbus von einem Individuum, welches das 50. Jahr noch nicht
überschritten hat, reclinirt die Linse, und legt denselben dann in Weingeist oder Chrom-
säure , bevor man ihn eröffnet, so kann man sich leicht überzeugen, dass die flach auf-
gelegte Nadel nicht nur durch die vordere Kapsel, sondern auch durch die Linse hin-
durch gegangen ist. Reclinirt man an einem Auge von einem altern Individuum, wo die
Linse unbeschadet ihrer Durchsichtigkeit schon merklich gelb und hart geworden ist,
so kann man sich auf dieselbe Weise überzeugen, dass wohl der harte Kern, nicht aber
die weiche Rindensubstanz in den Glaskörper versenkt wurde. Letztere haftet dann
theils als trüber Anflug an der Innenfläche der voidern Kapsel, hauptsächlich aber an
der Peripherie in der Falze zwischen der hintern und vordem Kapsel. Demnach können
nur harte und zu Einer Masse zusammengeronnene Staare so vollständig aus der Kapsel
beseitigt werden , dass es nicht dem Zufalle (der nachfolgenden Resorption) überlassen
"bleibt, ob Kapselnachstaar entstehe oder nicht. Ist unsere oben aufgestellte Ansicht wahr,
dass nämlich nach vollendeter Trübung der Zusammenhang zwischen Kapsel und Linse
ein minder inniger sei, dann ist auch rücksichtlich der Reclination die Lehre von deir
Reife des Staares nicht mehr ein Theorem der Klugheit, sondern in pathologisch-anato-
mischen Verhältnissen begründet, und als Ergebniss vielfältiger und umsichtiger Beobach-
tungen älterer Autoren zu betrachten.
Cataracta — Behandlung — Dislocation. 329
2. Beschreibung des Vorganges vor, bei und ?wch der Operation.
a. Die Vorbereitung zur Reelination unterscheidet sich von der zur
Extraction zunächst dadurch, dass die Rücksichten auf das längere
ruhige Verhalten nach der Operation entfallen. Der Operirte kann nach
Belieben sitzen, selbst herumgehen. Das Benehmen des Assistenten ist
im Ganzen dasselbe. Von Instrumenten braucht man nur eine Nadel.
Diese sei zweischneidig und leicht nach der Fläche gebogen, ohnge-
fähr nach dem Radius der vordem Kapsel. Die Flächen seien fast
eben, oblong (hinten ziemlich steil in den Hals, vorn allmälig in die
Spitze auslaufend), lieber etwas breiter als schmäler, doch höchstens
3 5'" breit, vom Halse bis zu Ende der Spitze l4/a — 2'" lang.
Diese Verhältnisse entsprechen dem Baue des Auges and dem Zwecke, den man
erreichen will. Man mache sich nach der im I. B. S. 287 angegebenen Methode einen
frischen Durchschnitt von einem Bulbus, um sich die Dimensionen und die Lage der
Gebilde, welche hier in Betracht kommen, genau zu vergegenwärtigen. Mit einer flach
gekrümmten Xadel läuft man weniger Gefahr, heim Vordringen ihrer Spitze zur Pupille
die Iris, und beim Fortschieben zum entgegengesetzten Theile des Pupillarrandes die
Cornea anzuspiessen, als mit einer geraden. Eine flach gekrümmte Nadel schmiegt sich
ferner bis zu einem gewissen Grade an die vordere Kapsel an. Will man ein Brettchen
in Wasser versenken, so muss man es im Schwerpunkte fassen und den Druck auch in
der Richtung des Schwerpunktes ausüben. Mit der flachen Hand wird man den Schwer-
punkt nicht so leicht verfehlen, als mit einem Finger. Schmiegt sich die Hand an das
Brettchen an, so wird sie von diesem nicht so leicht abgleiten, als ausserdem. Warum die
Länge von der Spitze bis zum Halse höchstens 2'" betragen solle, kann erst durch die
Beschreibung des Vorganges selbst einleuchtend gemacht werden.
Man kann auch hier die Reizempfänglichkeit der Iris gegen das
Licht auf dieselbe Weise, wie vor der Extraction, etwas abstumpfen.
Im Allgemeinen wird es jedoch besser sein, die Pupille durch Atropin
oder Belladonna zu erweitern. Hiedurch verschafft man sich genauere
Einsicht auf den Gang, den die Nadel nimmt, und vermindert die Ge-
fahr, die Iris anzustechen. Man hat rücksichtlich dieses Mittels die Be-
sorgniss ausgesprochen, dass bei erweiterter Pupille der Staar leichter
in die vordere Kammer herein ausgleiten könne, ein Zufall, der in der
That zu den misslichsten gehört. Ich bin indess der Ansicht, man
solle es gar nicht dahin kommen lassen, dass der Iris diese Rolle zu-
gewiesen werde, der sie übrigens bei ihrer Nachgiebigkeit schlecht ge-
wachsen ist. Sie wird dadurch nur der Gefahr der Zerrung, Quetschung
ausgesetzt. Heftiges Erbrechen oder Entzündung der Iris drohen nach-
zufolgen.
Behufs der Reelination ist es zulässig und bei unruhigen oder sehr
furchtsamen Kranken sehr räthlich, die Narkosis durch Äther oder Chlo-
roform anzuwenden, oder wo diese anderweitig gegenangezeigt er-
330 Krystalllinse.
scheint, den Bulbus durch einen Ophthahnostaten (ein etwas stärkeres
Irishäkchen, nächst der Cornea eingepflanzt) zu fixiren, in welchem
Falle der Assistent das untere Lid mit der um das Kinn herumge-
schlungenen Hand herabzieht.
b. Beschreibung de?' Operation, a. Seitwärtslagerung, Reclination
nach Scarpa (am linken Auge). Stellung des Kranken, des Assistenten
und des Operateurs wie bei der Extraction. Der Operateur nimmt die
Nadel so in die Hand, wie das Staarmesser, die Convexität der Nadel
nach oben gerichtet. Das untere Lid wird nach unten und aussen her-
abgezogen. Der Ring- und kleine Finger der rechten Hand werden
mit der Dorsalfläche an die Wange angelegt. Daumen, Mittel- und
Zeigefinger werden massig gebogen und die Hand behufs des Ein-
stiches in die Pronation gebracht. Die Nadel wird von der Schläfeseite
her in die Sclera eingesenkt, und zwar 1 x(z — I'1' hinter dem Hornhaut-
rande, V2 — 1'" unter der horizontalen Durchschnittsebene des Bulbus,
eine Schneide zum vordem, die andere zum hintern Pole des Auges
gewendet, und die Spitze senkrecht auf die Tangirungsebene des Ein-
stichspunktes aufgesetzt (so als wollte man zum Centrum des Bulbus
vordringen).
Die Nadel wird l'/2 — 2'" hinter dem Rande der Cornea eingestochen, damit sie
durch den flachen Theil des Corpus ciliare, also auf dem kürzesten Wege in das Innere
des Eulbus eindringe. Weiter vorwärts würde das Ligamentum ciliare durchbohrt und,
da hier der Wundkanal länger wäre, bei den hebelartigen Bewegungen der Nadel ge-
zerrt werden. Weiter rückwärts hätte man sich nicht so sehr vor Verletzung der Netz-
haut hinter der Ora serrata zu fürchten, da diese hier über 3'" weit hinter dem Horn-
hautrande liegt, als vielmehr davor, dass man dann nicht im Stande sein würde, die
Nadel weiterhin zwischen der Iris und der vordem Kapsel vorzuschieben. Unterhalb des
horizontalen Meridianes soll man einstechen, um die daselbst verlaufende Arteria ciliaris
postica longa und die sie begleitenden stärkern Venen und Nerven nicht zu verletzen.
Sieht die eine Schneide nach dem vordem, die andere nach dem hintern Pole hin, so
dringt die Nadel in derselben Richtung durch die Chorioidea, in welcher deren Nerven
und Gefässe verlaufen , deren Verletzung somit leichter vermieden wird , als wenn eine
Fläche vor-, die andere rückwärts gewendet wäre.
Ist die Nadel bis an den Hals eingedrungen, so wird sie zwischen
den Fingern gerollt (vom Mittel- und Zeigefinger zum Daumen), so dass
nun ihre convexe Fläche nach vorn sieht. Durch Senkung des Heftes
gegen das Ohrläppchen oder den Unterkieferwinkel hin (Supination)
wird sofort der Fläche der Nadel eine solche Richtung gegeben, dass
ihre Spitze beim Vorschieben zwischen dem Pupillarrande und der
vordem Kapsel (an der Schläfeseite, in dem Meridiane des Einstichs-
puuktes) zum Vorscheine kommt, und sofort durch Streckung der Fin-
ger mitten durch die Pupille vorwärts geschoben werden kann, bis ihre
Cataracta — Behandlung — Dislocation. 331
Spitze ohngefähr zur Insertionsstelle der Zonula in die Kapsel (an der
Nasenseite) gelangt.
Die Nadel dringt zunächst durch die Conjunctiva, Sclera und Chorioidea in den
Glaskörper; nach der Drehung und Senkung des Heftes geht sie entweder knapp an den
Ciliarfortsätzen durch den freien Theil der Zonula oder durch die hintere Kapsel, den
Rand der Linse und die vordere Kapsel in die hintere Augenkammer. "Wird hiebei das
Heft zu stark gegen das Ohrläppchen hin gedrängt, so kann man in die Iris stechen,
was sich durch Yerziehung derselben verräth ; wird sie zu wenig gesenkt, so kann man
mit ihr innerhalb der Kapsel bleiben. Der Eintritt der Nadel in die Augenkammer gibt
sich durch rein metallisches Glänzen der Nadel , das Verweilen in der Kapsel durch
Mangel solchen Glanzes kund. "Wird die Nadel zu tief eingestossen, ehe man ihr Heft
senkt, oder ist ihre Spitze zu weit vom Halse entfernt (ihr flacher Theil zu lang), so
wird beim Vordringen derselben die Linse aufgespiesst oder nach vorn luxirt. Kann man
nicht in dem Meridiane des Einstichspunktes über den Eand der Linse in die Augen-
kammer eindringen, so wende man das Heft so, dass man ober- oder unterhalb über den
Rand herüber gleiten könne.
Weiter als höchstens bis zur Insertionsstelle der Zonula an der entgegengesetzten
Seite mit der Spitze vorzudringen ist nicht nur überflüssig, sondern — nach meiner An-
sicht — auch nachtheilig. Man kann dann leicht die Ciliarfortsätze an der Nasenseite
zerren oder selbst anspiessen. Die Folge ist Erbrechen oder Chorioiditis.
Ist man bis zu dem eben bezeichneten Punkte vorgedrungen, so
sehe man darauf, dass die Nadel mitten durch die Pupille laufe, mit-
hin der Schwerpunkt der Linse getroffen werde. Von nun an wird die
Nadel rein als Hebel gebraucht, dessen Hyponiochlium der Einstichs-
punkt in der Sclera bildet. Man nehme sich nur niemals vor, den
Staar in den Glaskörper zu drücken, sondern bloss einen zweiarmigen
Hebel wirken zu lassen. Die Ebene, in welcher der Hebel spielen
muss, ist eine senkrecht auf die vordere Fläche des Heftes und der
Nadel gelegt gedachte. Sie fällt natürlich zusammen mit einer Ebene,
die man sich durch den Meridian des Einstichspunktes, mithin senk-
recht auf die Basis iridis gelegt denkt. Der Hebel wird dadurch in
Bewegung gesetzt, dass man das Heft, welches zu Anfang dieses Tempo
am Mittelhandknochen des Zeigefingers ruht, so zwischen den zu bei-
den Seiten angelegten 3 Fingern bewegt, dass es sich allmälig erhebt
(nach innen und obenj und zuletzt zur Iris einen "Winkel von ohnge-
fähr 120 — 110 Graden bildet. Hiebei darf das Heft weder zurückge-
zogen noch tiefer eingesenkt werden, was leicht auszuführen ist, da
die Hand durch den an die Wange angelegten kleinen Finger ge-
stützt wird.
Je tiefer unter dem horizontalen Meridiane eingestochen worden ist, desto mehr
muss der Oberarm an den Rumpf angezogen gehalten werden. Aus dem Verhältniss des
im Auge befindlichen Hebelarmes (6 — V") zum Hefte (bis da. wo die Finger anliegen^
ergibt sich, dass bei Bewegung des langen Armes weder besondere Kraft noch Schnei-
332 Krystalllinse.
ligkeit nothwendig ist. Bei zu schneller Bewegung wirft sich der Staar leicht um die
Nadel und weicht gegen die Augenkammer. — "Würde man das Heft so stark heben,
dass es senkrecht auf die Irisebene zu stehen käme, so könnte der Staar au die Netz-
und Aderhaut angedrückt werden, und Amaurosis oder Chorioiditis bewirken. An der
Nadel , etwa 6'" hinter der Fläche ein Knöpfchen anzubringen , wie Einige gerathen
haben , ist bei Beobachtung des eben beschriebenen Vorganges überflüssig , da sich die
Hand an den kleinen Finger stützt.
Ist die Nadel in die letztgenannte Position gebracht, so halte man
sie einen Augenblick ruhig, bis der verdrängte Glaskörper wieder
in Ruhe gekommen ist, ziehe sie dann in derselben Sichtung bis zum
Halse zurück, und senke das Heft wieder so, dass die Convexität an
die innere Fläche des Corpus ciliare zu liegen komme. Kehrt der
Staar gegen die Pupille zurück, so braucht man nur die Nadel knapp
an der Iris wieder vorzuschieben, um ihn neuerdings zu reclinireu.
Bleibt er liegen, so wird die Nadel in der Sichtung vom Daumen zu
den beiden andern Fingern gedreht und aus der Wunde entfernt.
Fürchtet man, den Staar beim Hinabdrücken angespiesst zu haben, so drehe man
in dem Momente, wo die Nadel unter 120° zur Iris steht, diese so weit um ihre Achse
(vom Daumen zu den andern 2 Fingern), dass die Convexität dem Staare zugekehrt
wird. Doch kann man dem Emporlieben des Staares mit der Nadel meistens dadurch
entgeheu , dass man diese gegen die "Wunde her zurückzieht , ehe man das Heft senkt.
Gegen vorzeitiges Herausgleiteu der Nadel aus der "Wunde schützt das rasche Breiter-
werden der Nadel vor dem Halse, deren Fläche hei richtiger Haltung jetzt quer zur
Wunde stehen muss. — Wenn man sich gewöhnt, die erste Drehung der Nadel zum,
die zweite vom Daumen zu machen, so weiss man jederzeit, wie die Nadel steht, braucht
nicht erst nach der auf dem Hefte angebrachten Marke zu schauen, und kann seine ganze
Aufmerksamkeit auf die Pupille verwenden. — Den Mittelfinger von der Nadel zurück-
zuziehen, kann bei unvermutheten Wendungen des Bulbus leicht zur Folge haben, dass
die Nadel den andern beiden Fingern entgleitet. — Den Act der Umlegung zu oft zu
wiedei-holen und auf der Erreichung des Zweckes, welcher unter andern auch durch
Verflüssigung des Glaskörpers vereitelt werden kann, zu hartnäckig zu insistiren, erscheint
nicht gerathen. Lieber stehe man vorläufig davon ab.
Nicht selten erscheint die Pupille trotzdem, dass die Linse liegen
geblieben ist, nicht rein schwarz, und man sieht die mit Sindensubstanz
beschlagene Kapsel zu einer oder zu beiden Seiten des durch die Nadel
gebildeten Spaltes wie Spinnengewebe ausgespannt. Man muss dann
die Nadel, bevor man sie aus dem Auge entfernt, wieder in die Pupille
vorschieben und die Kapsel nach oben und nach unten spalten, was
sich am besten bei vorwärts gerichteter Concavität ausführen lässt.
Rosas*) empfiehlt, die vordere Kapsel vor der Niederdrückung der Linse mehrfach
zu durchschneiden. Ich fand, dass mir bei dieser Methode das Umschlagen des Staares
um die Nadel und die Gefahr des Eintretens in die vordere Kammer öfter begegnete.
Die Ursache davon scheint mir in Folgendem zu liegen. Ein ringsum freies Brettchen
*) Handbuch der Augenheilkunde. Bd. III. S. 29G.
Cataracta — Behandlung — Dislocation. 333
lässt sich leicht in Wasser versenken, sobald man nur den Schwerpunkt (Mittelpunkt)
trifft. Anders verhält sich's, wenn das Brettchen an einer oder der andern Seite durch
ein etwas Widerstand leistendes, doch zerreissbares Band fixirt ist. Der Angriffspunkt
muss dann zwischen dem Schwerpunkte und dem Hindernisse gewählt werden, und
zwar um so weiter gegen das letztere hin, je mehr es Widerstand zu leisten vermag.
Dringt man so, wie ich oben angegeben habe, an die Vorderfläche der Kapsel, so genügt
es. den Mittelpunkt der Kapsel und Linse zu fassen, weil das Aufhängeband derselben
ringsum gleichen Widerstand leistet. Geht man, wie Scarpa, Rosas u. A. gerathen, mit
der Nadel erst hinter den Staar und dann über den obern Rand herüber in die Augen-
kammer, so muss die Nadel jedenfalls unter der Mitte angelegt werden; wie weit, ist
schwer zu bestimmen. Eine ähnliche Störung des Gleichgewichts in der Befestigung
scheint mir durch die vorausgeschickte mehrfache Zerschneidung der Kapsel bewirkt zu
werden. Vorläufige Luxation der Linse ist dabei kaum zu vermeiden. Die meistens
ungleichmässige Befestigung am Ciliarkörper scheint die Ursache zu sein, dass membra-
nöse und trockenhülsige Staare auch dann, wenn sie hinreichend fest sind, schwer oder
gar nicht reclinirt werden können, und immer wieder aufsteigen (Catar. elastica).
Einzelne hintere Synechien kann man mit der Nadel lösen, nachdem diese in die
Pupille vorgedrungen ist; bei ausgebreiteten oder totalen Verwachsungen der Kapsel
mit dem Pupillarrande ist von der Reclination so wenig Erfolg zu erwarten, dass ihr die
Extraction mit Pupillenbüdung vorzuziehen ist.
Wenn sich der Staar beim Versenken um die Nadel dreht und vor dieselbe gelangt,
so muss die Nadel so weit als möglich zurückgezogen werden, um wieder von der Peri-
pherie her vor denselben gebracht werden zu können. Wäre dies unmöglich, so spiesse
man ihn leicht an, versenke ihn nach unten, und suche seiner durch Drehen der Nadel
und Auflegen der Convexität auf denselben los zu werden.
Ist er in die vordere Kammer vorgefallen, und kann man ihn ohne Gefahr, die Iris
stark zu quetschen, auch durch das eben erwähnte Spiessen nicht zurück bringen, so
lasse man ihn lieber liegen, und sehe zu, ob er nicht etwa, ohne zu heftige Reaction
zu erregen, allmälig aufgesogen werde. Man hat gerathen, ihn sogleich durch den Horn-
hautschnitt zu beseitigen. In Fällen, wo man die Reclination desshalb wählte, "weil eben
die Bedingungen zur Extraction nicht günstig sind , ist der Arzt in einer fatalen Lage.
Da es dennoch möglich ist, dass der Staar in der vordem Kammer liegen bleibe , ohne
Panophthalmitis zu erregen, so scheint es wohl im Allgemeinen gerathen, sich mit der
Eröffnung der Hornhaut nicht zu übereilen. Diese muss aber unverweilt vorgenommen
werden, sobald die Conjunctiva ringsum die Cornea deutlich anschwillt. Wenn nur einige
Tage vor dem Auftreten dieses Gefahr deutenden Symptomes verstrichen sind , wird man
den Staar an der Peripherie schon mehr weniger erweicht finden und mit einem relativ
kleinern Hornhautschnitte ausreichen.
Hat man sich in der Bestimmung der Consistenz geirrt, erscheint der Staar durchaus
oder nur an der Peripherie erweicht, so gestalte man entweder die Reclination zur
Discission. indem man sich nur bemüht, die Kapsel nach mehreren Richtungen einzuschnei-
den und dieses mit möglichst geringer Verletzung des Auges abzuthun, oder man punk-
tire, namentlich wenn verflüssigte oder sehr weiche Staartheile in die vordere Kammer
getreten sind, die Hornhaut auf die S. 324 angegebene Weise. Man hat nämlich unter
solchen Umständen nachträglich starkes und rasches Aufquellen der Linsenstücke, zu
starke Spannung der Wandungen , Iritis oder Chorioiditis und Arernichtung der Sehkraft
oder selbst auch der Form des Bulbus zu besorgen. Doch kann man mit der Punction
334 Krystalllinse.
der Cornea auch warten , bis solche Zufälle sich durch die bekannten Symptome ankün-
digen (siehe Iritis und Chorioiditis). — Bei Vornahme der Punction gleich nach der
Operation ist mir immer aufgefallen, dass der Bulbus auch dann, wenn durch die Scleral-
wunde gar kein Glaskörper ausgetreten war, viel weicher war, als im gewöhnlichen Zu-
stande. In mehreren Fällen konnte ich die Differenz in der Spannung des Bulbus vor
und nach der Beclination selbst durch Betastung mit dem Finger constatiren. Ich weiss
mir diese frappante Erscheinung nicht anders zu erklären, als dadurch, dass durch die
Zerreissung der Kapsel das Diaphragma, welches den Humor vitreus vom Humor aqueus
scheidet und vom Ciliarmuskel in einer gewissen Spannung erhalten wird, zerstört wor-
den ist. Wir werden bei der Lehre von der Accommodation darauf zurückkommen.
ß. Umlegung des Staares, Reclination nach Willburg. In der
Rückkehr der hintern Kapsel zu ihrer frühern Lage liegt am häufigsten
der Grund, dass der Staar wieder in das Bereich der Pupille zurück-
kehrt. Das sogenannte Wiederaufsteigen des Staares erfolgt entweder
bald nach Entfernung der Nadel aus dem Auge, oder in den ersten
Tagen, selten erst in der 2. — 3. Woche. Je später es erfolgt, desto
mehr geschieht diess gradatim, bald mit, bald ohne deutliche Zufälle
von Reizung oder Entzündung. Die Linse folgt der allmälig zurück-
kehrenden Kapsel, wenn sie mit derselben in grösserer Ausdehnung in
Berührung geblieben war. Vergegenwärtigt man sich den Vorgang bei
der Scarpa'schen Reclination, so erkennt man leicht, dass bei dieser
Methode Kapsel und Linse nur an der Nasenseite vollständig von ein-
ander entfernt werden, an der Schläfeseite dagegen sehr nahe anein-
ander und daher auch leicht in Berührung bleiben. Das Hypomoch-
lium ist dem Angriffspunkte zu nahe gelegen. Anders verhält sich's
bei der Umlegung nach Willburg.
Bei der Umlegung nach Willburg ist der Vorgang derselbe bis zu
dem Momente, wo die Nadel an die Vorderfläche des Staares angelegt
wird und als Hebel zu wirken beginnt. Soll der Staar nach hinten
umgelegt werden, so muss die Nadel etwas oberhalb des Mittelpunktes
aufgesetzt und das Heft nicht in der früher angedeuteten Operations-
ebene, sondern in einer vor und unter dieser gelegenen Curve gegen
die Nasenwurzel hin herum bewegt werden. Ist der Staar auf diese
Weise umgelegt, wobei er, da das Hypomochlium an der Schläfeseite
liegt, immer auch mehr weniger nach aussen hin geschoben werden
muss, so steht sein unterer Rand von der Falze, in der er früher ruhte,
ohngefähr eben so weit rückwärts, als bei der Scarpaschen Methode
der äussere Rand von der gleichnamigen Falze (zwischen der vordem
und hintern Kapsel). Da nun das Hypomochlium bei der Umlegung
so weit vom untern Rande der Linse entfernt ist, dass eine Hebelwir-
kung möglich ist, wenn der untere (jetzt vordere) Linsenrand zum An-
Cataracta — Behandlung — Dislocation. 335
griffspunkte genommen wird, so kann man durch eine zweite Bewegung
der Nadel die Linse rückwärts schieben, mithin die Linse weiter von
der Kapselfalze entfernen, als diess bei der Scarpaschen Methode mög-
lich ist. So wird die umgelegte Linse durch Rückwärtsschiebung voll-
ständig entkapselt; sie wird dann bloss vom Glaskörper, nicht mehr
von der Kapsel umfangen, und eine der wichtigsten und häufigsten Ver-
anlassungen zum nachträglichen Aufsteigen ist beseitigt.
c. Nachbehandlung. Die bei der Extraction für Sehversuche spre-
chenden Gründe sind nach der Reclination nicht vorhanden. Wird das
Gesicht bei temperirtem Lichte nur an gröbern Gegenständen geprüft,
so kann man dem Kranken die Freude gönnen, ohne die mindeste Ge-
fahr, den Erfolg zu vereiteln. Der Operirte nimmt die Objecte mei-
stens schon in dem Momente wahr, wo der Staar noch von der Nadel
niedergehalten oder diese noch im Auge belassen wird, um beim Auf-
steigen wieder verwendet zu werden. (Steigt der Staar erst nach Ent-
fernung der Nadel auf, so möchte ich nicht rathen, sie sogleich wieder
einzuführen.) Die Augen sollen durch einige Tage verklebt und mit
leichten Leinwandflecken wie nach der Extraction verdeckt werden.
Könnte man sich darauf verlassen, dass der Kranke nicht vorwitzig
sein Gesicht prüfen möchte, so würde auch blosse Beschattung hin-
reichen. So viel ist gewiss, dass ein solcher Verband nicht schadet.
Der Operirte kann nachher sitzen oder liegen. Erhöhte Lage des
Kopfes dürfte vorzuziehen sein. Heftige Bewegungen mögen vorsichts-
halber gemieden werden. Kalte Umschläge, Blutentziehungen, Mercu-
rial- und Abführmittel sind nur bei excessiver Reaction angezeigt, oder
wenn man Grund hat, deren Eintritt zu befürchten.
Erbrechen, welches in den ersten Stunden nach der Operation ein-
tritt, hat in der Regel nichts zu bedeuten; bisweilen zeigt es Aufsteigen
des Staares an. Opiate sind im Allgemeinen am wirksamsten dagegen ;
auch Gegenreize auf dem Epigastrium, Potio River! und Eispillen leisten
gute Dienste. — Später wird es nur durch beginnende Iritis oder Cho-
rioiditis erregt, und fordert zu energischer Antiphlogosis auf. — Zeigt
sich nach Abnahme des Verbandes (am 4. Tage) oder später Hypo-
pyum, so muss die Punction der Hornhaut gemacht werden. Aberma-
lige Niederdrückung des aufgestiegenen und nicht resorbirten Staares
ist erst dann zulässig, wenn sich der Bulbus von jeder Spur von Reizung
erholt und wieder die normale Spannung erhalten hat.
Bezüglich des stufenweisen Überganges zum vollen Tageslichte und
gewöhnlichen Gebrauche der Augen sind nahezu dieselben Rücksichten
zu beobachten, wie nach der Extraction.
336 Krystalllinse.
3. Die Discissioii (Discissio catar. recte capsulae anter.).
Wir zerschneiden oder zerreissen die vordere Kapsel in Zipfel, so
dass sich diese gegen die Peripherie hin zurückziehen, und die der
Einwirkung des Kamnierwassers preisgegebene Linse verflüssigt und
aufgesogen werden könne. Die Zerschueidung {Discissio) geschieht mit
einer eigens construirten Nadel, welche entweder durch die Hornhaut
[Kevatonywis) oder durch die Sclera ( Scler ojiyxis) eingeführt wird. Die
Zerreissung [Dilaceratio) wird mit einem durch eine etwa 1'" lange
Hornhautöffnung eingeführten Irishäkchen verrichtet, und unterscheidet
sich von der S 324 beschriebenen Extraction nur dadurch, dass der
Schnitt etwas kleiner angelegt und die Linse im Auge belassen wird.
Die Scleronvxis wird auf dieselbe Weise verrichtet, wie wenn man re-
cliniren will, nur mit einer schmälern Nadel, welche füglich auch ge-
rade sein kann, und ohne absichtliche Zerstückelung der Linse selbst.
Es erübrigt uns daher nur die Beschreibung der Keratomjxis.
Die Momente, auf die es bei der Zweckerreichung durch Discis-
sion und Dilaceration ankommt, sind nur die Erhaltung einer bleiben-
den Öffnung in der vordem Kapsel und die Vermeidung jeder hiezu
nicht streng notwendigen Verletzung. Die Zerstückelung der Linse
selbst ist überflüssig; sie kann übrigens wegen der noth wendig damit
verbundenen grössern Verletzung des Auges und wegen zu raschen
Aufquellens der Linse leicht zu Entzündung führen.
«. Die Vorbereitung zur Discission durch die Cornea ist dieselbe,
wie zur Reclination. Möglichst starke und andauernde Erweiterung der
Pupille (durch wiederholte Anwendung von Belladonna) ist hier unum-
gänglich nothwendig. Ebenso inuss man sich einer ruhigen Haltung
des Bulbus im vorhinein versichern, wo nöthig durch Chloroform oder
Fixirung mit einem Ophthalmostaten. Die Nadel sei zweischneidig,
möglichst fein und von einer solchen Proportion zwischen Hals und
Fläche, dass ersterer die von letzterer gebildete Wunde völlig ausfülle,
und das frühzeitige Abfliessen des Kammerwassers hindere, ohne bei
den hebelartigen Bewegungen der Nadel die Cornea zu quetschen. Die
Fläche sei nur etwa il&'" breit, und sammt der Spitze (bis zum Halse)
höchstens 1 lii'" lang, denn die Spitze soll, wenn die Fläche durch die
Hornhaut eingedrungen ist, wenigstens den Kern der Linse noch nicht
erreichen.
b. Verrichtung der Discission. Man denke sich durch eine hori-
zontale und durch eine verticale Linie die Cornea in vier Quadranten
getheilt; der Einstichspunkt werde ohngefähr in der Mitte des nach
Cataracta — Behandlung — Discission. 337
unten und aussen gelegenen Quadranten, dem Pupillarrande der Iris
gegenüber (oder etwas höher) gewählt. So wie die Lider fixirt sind
und das Auge gradaus gestellt ist, bringt der Operateur die Nadel auf
dieselbe Weise wie im 2. Momente der Extraction vor das Auge, bloss
mit dem Unterschiede, dass, wenn man sie an den Bulbus anlegen
möchte, ihre Spitze dem obersten Theile des Pupillarrandes entsprechen
würde. Die Hand stützt sich dabei mit der Dorsal- oder Ulnarseite
des kleinen Fingers in der Gegend der Fossa canina an das Gesicht,
der Ellbogen ist ganz an den Rumpf (in der Gallenblasengegend) an-
gezogen. Durch Biegung der die Nadel haltenden Finger und Hebung
des Heftes wird die Nadel senkrecht auf die Tangirungsebene des Ein-
stichspunktes aufgesetzt und durch Streckung der Finger bis an den
Hals eingestochen. Eine Fläche sieht somit nach dem Centrum, die
andere nach der Peripherie der Cornea. Indem man nun das Heft der
Nadel, welche jederzeit nur nach Art eines zweiarmigen Hebels ge-
braucht werden darf, senkt, so dass es olmgefähr an den Mittelhand-
knochen des Zeigefingers anzuliegen kommt, gleitet die Spitze nach
oben bis zum Pupillarrande. Nun wird die Nadel, deren eine Fläche
jetzt rückwärts sieht, so gedreht (zum Daumen), dass ihre Schneide
und Spitze oben auf der Kapsel steht. Hebung des Heftes (zwischen
den drei zu beiden Seiten liegenden Fingern), so dass es sich wieder
von der Mittelhand entfernt, bewirkt sofort Herabgleitung der Nadel
an der Kapsel und verticale Einschneidung derselben. Nach 1 — 2ma-
liger Wiederholung dieses Manövers werde das Heft wieder gesenkt,
die Nadel ein wenig zurückgezogen und mit der Spitze vor der Kapsel
zum innern Ende des horizontalen Pupillendurchmessers gebracht, um
sofort durch raschen Wechsel zwischen massiger Pro- und Supination
die Kapsel horizontal zu spalten. *) Wurde der Einstich senkrecht ge-
macht und wird nachher die Nadel rein als Hebel der 1. Art gebraucht,
so bleibt die Cornea unverrückt und zeigt keine Spur von Vertiefung
oder Piimzelung.
Flösse das Kammerwasser vor der Ausführung dieser Schnitte ab,
so müsste man sich begnügen, die Kapsel bloss durch einen Stich oder
Schnitt eröffnet zu haben. Ebenso müsste man von der Operation ab-
stehen, wenn sich die Pupille so verengerte, dass man die Iris quet-
schen müsste, oder wenn die Nadel vorzeitig aus dem Auge herausge-
glitten wäre. — Will man das tiefere Eindringen der Nadel in die
Linse bei den genannten Bewegungen vermeiden, so muss die Nadel
*) Zur ersten Einübung in diesen Mechanismus, den ich von Prof. Fr. Jäger kennen lernte, eignen sich
Schweins- oder Kaninchenaugen wegen der Grösse der Papille am besten.
Arlt Augenheilkunde. II. 22
338 Krystalllinse.
während derselben immer ein wenig zurückgezogen werden, weil sonst
die Spitze der Nadel genau eine Kreislinie beschreiben würde (wie ein
Radius um den Einstichspunkt in der Cornea).
Wie wenig auch die Discission durch die Cornea das Auge verletzt, so ist man
doch vor Entzündung und Vereiterung der Cornea nicht absolut gesichert. Die Cornea
kann leicht gequetscht und gezerrt werden . Auch gelingt die kreuzweise Spaltung der
Kapsel nicht immer so sicher, als man erwartet, und es erfolgt, selbst wenn die Linse
ganz aufgesogen wird, leicht Catar. secundaria. Diese Umstände haben mich in den
letzten Jahren bewogen, statt der einfachen Discission lieber die von Fr. Jäger ursprüng-
lich für den vordem Kapselstaar erfundene Dilaceration zu üben.
Der etwa 2'" lange Einstich in die Cornea bringt dem Auge durchaus keine
Gefahr. Das Kammerwasser fiiesst erst bei der Einführung des Häkchens ab, und um
ja die Iris nicht zu verletzen, wurde schon oben S. 324 der Rath gegeben , den Einstich
mindestens 1/i'" vom Limbus conj. entfernt zu machen. Mit dem Häkchen wird der
Kapsel ganz sicher eine solche Wunde beigebracht, dass mindestens ein Zipfel gebildet
wird. Ist die mittlere Partie der Kapsel getrübt und verdickt, so wird sie mit dem
Häkchen herzausgezogen. Zu Grunde gehen kann das Auge nur noch dadurch, dass
durch zu rasches und starkes Aufquellen der Linse Chorioiditis gesetzt wird. (Vergl. S.
227.) Auch diesem Ausgange hoffe ich künftighin durch rechtzeitige Punction der Cornea
vorbeugen zu können.
c. Nachbehandlung. Im Allgemeinen dürfte es besser sein, das Auge
auf dieselbe Weise, wie nach der Extraction, zu schliessen und zu be-
schatten, ersteres jedoch nur etwa durch 24— 48 Stunden. Dem vollen
Tageslichte darf sich der Kranke so lange nicht aussetzen, als die vor-
dem Ciliargefässe stärker injicirt sind, und das Auge bei stärkerem
Lichte von Thränen überfliesst. Diese Zufälle treten auch bisweilen
ein, nachdem das Auge schon von jeder Reizung frei zu seiu schien,
wenn nämlich die Linse sich durch die Pupille vorwärts drängt oder
stückweise in die vordere Kammer gefallen ist. Desshalb muss der
Kranke so lange in Überwachung gehalten werden, als noch das eine
oder das andere zu besorgen steht; sonst droht Iritis und Pupillensperre
oder Chorioiditis mit allmäliger Vernichtung der Sehkraft für immer.
Drängt sich der Staar zu stark in die Pupille, so kann man von künst-
licher Erweiterung derselben Nutzen erwarten. Wird das Auge abnorm
gespannt und geröthet, so entleere man das Kammerwasser. Auch die
in's Stocken gerathene Resorption kann durch denselben Eingriff wieder
in Gang gebracht werden, indem nach Abfluss des Humor aqueus die
Kapsel vorrückt und wieder einreisst. Man kann hiezu auch ein Staar-
messer wählen und dessen Spitze in die Kapsel einsenken. — Durch
Arzneimittel scheint die Resorption des Staares nicht befördert werden
zu können. Ortlich hat man hiezu Reizmittel, z. B. Animoniakdäinpfe,
innerlich Sublimat, Jodkali, Polygala senega und dergl. versucht.
Cataracta — Operation — Bedingungen dazu. 339
Anzeigen zur Operation und zu den einzelnen Methoden.
Wenn die Gegenwart von Cataracta Consta tirt ist, so fragt sich's:
1. Kann durch Beseitigung des mechanischen Hindernisses das Gesicht
wieder hergestellt oder doch verbessert werden, und lässt sich mit
Rücksicht auf die Mittel (Methoden) erwarten, dass dasselbe werde be-
seitigt werden können? 2. Ist bei unvollständiger Erblindung die Wahr-
scheinlichkeit für Gewinn grösser, als für Verlust? 3. Kann die Ope-
ration sogleich vorgenommen werden, oder stehen temporäre Hindernisse
entgegen? 4. Von welcher Methode lässt sich im gegebenen Falle mit
Rücksicht auf den Staar, das Auge, das Individuum und die äussern
Verhältnisse, unter denen man operiren muss, am ehesten ein günstiger
Erfolg erwarten?
Ad. 1. Die Erledigung des ersten Theiles dieser Frage ergibt sich
aus der Constatirung der Complicationen S. 2S6 — 290. Jede der 3 Haupt-
methoden setzt, abgesehen von der Kunstfertigkeit des Operateurs, die
wir als vollkommen annehmen wollen, gewisse Bedingungen von Seite
des Staares, der übrigen Gebilde des Auges, der Individualität des
Kranken und der äussern Verhältnisse voraus. Es kann der Fall sein,
dass sieh wegen dieser Umstände weder die eine noch die andere dieser
Methoden, noch auch eine Modification derselben anwenden lässt, oder
doch nur so geringe Aussicht auf Erfolg darbietet, dass es vielleicht
gerathener ist, gar nicht zu operiren. Obwohl die Bedingungen zu
den einzelnen Methoden sich aus dem bisher Gesagten leicht entnehmen
lassen, so dürfte es doch nicht unnütz sein, sie hier übersichtlich zu-
sammen zu stellen.
a. Bedingungen zur Extraction. Zu tiefe Lage des Bulbus macht
den (auf die Hälfte berechneten) Hornhautschnitt sehr schwierig, selbst
unmöglich. Es widerspricht der Beobachtung, wenn Hasner 1. c. S. 210
angibt, „das Auge liege niemals so tief, dass die Hornhaut nicht über
den Orbitalrand hervorstünde." Blepharophimosis könnte, wenn man
nur die Extraction wählen wollte oder müsste, dadurch beseitigt wer-
den, dass man einige Zeit vorher die S. 143 B. I. angegebene Opera-
tion vorausschickt. Bei zu fiucher Lage (Glotzauge) kann bisweilen da-
durch, dass man den Schnitt nach oben oder schräg von oben und
aussen nach innen und unten führt (Schrägschnitt nach Wenzel und Le
Roiuv\, die Gefahr der Hornhautvereiterung vermieden werden; doch
wird bei harten Staaren im Allgemeinen die Beclination, bei weichen
die Discission oder die Extraction durch eine 3 — 4//; lange Öffnung
vorzuziehen sein. JDistichiasis, Trickiasis, En- und Ectropium verbieten,
22*
340 Krysfalllinse.
falls sie nicht vorher beseitigt werden können, die Extraction, wenigstens
den auf die Hälfte berechneten Schnitt nach unten. Unwillkürliche
Zuckungen in den Gesichtsmuskeln und die Gewohnheit, das Auge häufig
zuzukneipen, contraindiciren den Hornhautschnitt. Chronische Entzün-
dung der Bindehaut oder des Thränenschlauches stellt, wenn sie nicht
vorher gänzlich und bleibend beseitigt werden kann, die Vereinigung
per priniam intentionem um so mehr in Frage, je grösser die Wunde
gemacht werden muss. Hornhautnurben setzen an und für sich keine
Gegenanzeige zur Extraction, doch muss man darauf gefasst sein, dass
das Messer schwerer durch sie dringen werde. Beer's Rath, dem Arcus
senilis mit dem Messer auszuweichen (wegen nicht erfolgender Ver-
einigung), ist durch vielfache Erfahrungen als unbegründet erwiesen.
Bei kleiner vorderer Kammer ist der Schnitt schwierig auszuführen,
ausser die Pupille lässt sich so stark erweitern, dass man der Iris aus-
weichen kann. Bei vordem oder hinlern Synechien muss erwogen wer-
den, ob dieselben gleich mit dem Messer oder nachher mit der Nadel
oder dem Häkchen und der Scheere werden getrennt werden können,
damit sie dem Austreten der Linse kein Hinderniss entgegen setzen.
Verflüssigung des Glaskörpers ist, wenn der Kranke gleich in die Bücken-
lage gebracht wird, keine Gegenanzeige gegen die Extraction. Der
Staar selbst setzt vermöge seines Sitzes, seiner Grösse und Consistenz
nie eine Gegenanzeige gegen die Extraction, wenn man die Grösse des
Hornhautschnittes genau darnach berechnet. Wichtig dagegen ist, dass
der Staar reif sei (in dem oben bezeichneten Sinne).
Es ist eine originelle Ansicht von Hasner 1. c. S. 211 und 213, wenn er die soge-
nannte Phakohydropsie als Contraindication der Extraction aufstellt, und dagegen die
Paracentese der Kapsel mit einer Staarnadel als einzige Methode empfiehlt. Uns scheint
es rationeller zu sein, bei flüssigen Staaren die Hornhaut durch einen etwa 3"' langen
Einstich zu eröffnen, und durch diesen nach Eröffnung der Kapsel ihr Contentum lieber
zu entleeren, als dasselbe nach Hasners Rathe im Auge zu belassen.
Will man durch einen Lappenschnitt extrahiren, so muss man mit
Grund erwarten können, dass der Kranke bei und nach der Operation
die gehörige Ruhe beobachten werde. Kinder und kindische Greise
eignen sich dazu eben so wenig, als übermässig Furchtsame, Blödsin-
nige, Epileptische u. dgl., oder solche, welche wegen Krankheiten der
Circulations- oder Respirationsorgane, grosser Fettleibigkeit, Skoliosis
u. dgl. die Bückenlage nicht durch längere Zeit auszuhalten vermögen.
Bei Leuten, welche durch schlechte Nahrung, Blutverluste, Missbrauch
von Mercur u. dgl. sehr herabgekommen sind, sind die Bedingungen
zur Heilung der Wunde per primam intentionem in der Regel nicht
vorhanden.
Cataracta — Operation — Bedingungen dazu. 34 i
Ohne einen gut unterrichteten Assistenten, ohne verlässliches Wart-
personale und ohne die übrigen S. 304 — 307 angeführten äussern Er-
fordernisse zu extrahiren, bleibt immer ein gewagtes, meistens nicht zu
rechtfertigendes Unternehmen.
b. Bedingungen zur Reclination. Der Staar muss hart sein.
Vgl. S. 25S. Nur wenn Kern und Rinde zu Einer Masse zusammen-
geronnen sind, darf man erwarten, dass sich die Linse vollständig werde
recliniren lassen. Ist nebst der Linse auch die vordere Kapsel getrübt,
so kann man vor Nachstaar nicht sicher sein, da die veränderte Kapsel-
partie dann mit reclinirt wird. Bei verschrumpften Staaren steht zu be-
sorgen, dass die Nadel mitten durch geht, oder dass die Verbindungen
mit dem (Ziliarkörper nicht gelöst werden können. Bei Catar. cystica
ist die Reclination unmöglich. Hintere Synechien lassen sich nicht
immer so leicht trennen, als man glauben möchte; je zahlreicher und
ausgebreiteter sie sind, desto mehr hat man Verletzung der Iris und
Kapselnachstaar zu fürchten. Bei Catar. accreta ist nur die Extraction
mit Pupillenbildung möglich. Verflüssigimg des Glaskörpers lässt Wieder-
aufsteigen der Linse , wo nicht Unmöglichkeit der Niederlegung selbst
befürchten. Sind congestive oder entzündliche Zustände der Chorioidea
auf demselben oder auch nur auf dem andern Auge vorhanden (ge-
wesen), so wähle man wo möglich lieber die Extraction (wegen Gefahr
von Chorioiditis).
c. Bedingungen zur Biscission. Die Linse muss weich, die
Kapsel zerschneid- oder zerreissbar , das Individuum nicht zu sehr an
Jahren vorgerückt sein. Harte Staare lösen sich zu langsam oder gar
nicht auf. Behufs der Keratonyxis muss die Augenkammer mindestens
V" tief, die Pupille auf 3 '" erweiterbar sein. Bei flüssigen und bei jenen
weichen Staaren, welche unter Zeichen von Congestion oder Entzündung
am Bulbus entstanden sind, oder bei welchen die Ptesistenz des Bulbus
abnorm ist, erscheint die Discission gewagt; sicherer ist es da, wenigstens
einen Theil der Linse durch einen massig grossen Einstich in die Cornea
zu beseitigen.
Ad. 2. Wenn auch die Möglichkeit vorhanden ist, einen Staar zu
beseitigen, und alle Wahrscheinlichkeit auf günstigen Erfolg besteht,
so vergesse man nie die erste Pflicht des Arztes: non nocere. Jede
Operation, unter den günstigsten Auspicien unternommen, kann Nicht-
erfolg, und die nur etwas eingreifenderen können auch Vernichtung der
Sehkraft, selbst der Form des Auges zur Folge haben. Hieraus ergibt
sich, dass man bei partiellen stationären Staaren gar keine, oder doch
nur eine möglichst wenig eingreifende Operation wählen dürfe, und
342 Krystalllinse.
class mau um so bedächtiger zu Werke gehen müsse, wenn der Krauke
nur Eiu Auge aufs Spiel zu setzen hat, oder bloss wegen Behebung
der Entstellung operirt sein will. — Bei partiellen Stachen, deren Fort-
schreiten zu totalen mit Grund zu erwarten steht (Cat. nondum matura),
ist die Verschiebung der Extraction oder Recliuation bis zu dieser Um-
wandlung nicht so sehr ein Act der Klugheit, als vielmehr der Gewis-
senhaftigkeit. Tritt nach einer so eingreifenden Methode, wie es die
totale Extraction und die Recliuation sind, Verlust des Auges bei einem
Kranken ein, welcher vor der Operation noch mehr weniger sah
(grössere Objecte erkennen, allein herumgehen konnte u. s. w.), so wird
dieser nicht nur dem Arzte — denn das wäre noch das Geringste —
sondern auch sich selbst immer Vorwürfe machen, dass er sich operiren
liess, und gerade solche Fälle sind am meisten geeignet, die Furcht
vor Staaroperationen überhaupt im Publicum zu steigern.
Hasner' s Ansicht : „die Operation eines harten Staares "werde stets einen günstigeren
Ausgang nehmen , in je früheren Entwieklungsstadien desselben sie vorgenommen werde,
schon aus dem Grunde, weil die Netzhaut noch immer an grössern Lichteindruck ge-
wöhnt, auch nach Entfernung der Linse das neu einströmende Licht besser vertrage und
durch Reflex ihrer Eeizung nicht so leicht Entzündung der andern Membranen entstehe,"
würde ich schon aus dem eben angeführten Grunde nicht beitreten, wenn ich auch nicht
durch vielfältig vergleichende Beobachtungen zur Überzeugung gekommen wäre, dass die
uralte Lehre von der Reife des Staares eine tiefe, auf pathologisch-anatomische Verhält-
nisse zurückführbare Bedeutung habe. Das Fürchterliche der Extraction liegt einzig und
allein in der Möglichkeit, dass die Hornhaut vereitere. Wie der ungewohnte Lichtreiz
auf die Netzhaut zu Vereiterung der Hornhaut führen solle, ist unbegreiflich. In Bezug
auf die Iritis habe ich meine Ansicht schon S. 51 ausgesprochen.
Ist eine zur Operation geeignete Cataracta bloss auf Einem Auge,
zugleich aber kein Grund vorhanden, Entwicklung desselben Übels auch
auf dem andern gesunden Auge zu befürchten, so kann man den Kran-
ken operiren , um die Entstellung zu beseitigen und das Gesichtsfeld
zu erweitern; man verspreche ihm jedoch keinen Gewinn für die Schärfe
des Gesichtes überhaupt, und übersehe nicht, dass unter gewissen Ver-
hältnissen (vgl. B. I. S. 259 — 264) das gesuude Auge durch das ope-
rirte selbst in seiner Function beeinträchtigt werden könne. Auch beim
glücklichsten Erfolge und durch die passendste Brille kann die Seh-
kraft des operirten Auges der des gesunden nicht gleich gemacht wer-
den. Ich habe bei einem Knaben mit rein örtlich bedingter Catar. uni-
lateralis aus kosmetischen Bücksichten die Keratonyxis gemacht; es
erfolgte Vereiterung der Cornea und Phthisis bulbi. — Beginnt an dem
zweiten Auge schon Cataracta, so kann man den Kranken durch Ope-
ration des ersten wesentliche Dieste leisten. Die Operation des
einen Auges nimmt — nach meiner Erfahrung — weder einen hemmen-
Cataracta — Operation — Bedingungen dazu. 343
den noch einen beschleunigenden Einfluss auf die Entwicklung des
Staares am andern Auge.
Zu warten, bis beide Augen in Einer Sitzung operirt werden können,
lässt sich meines Erachtens im Allgemeinen nicht vertheidigen. Man
hat gegen die unilaterale Operation angeführt, dass bei bilateraler Ope-
ration der Kranke die damit verbundenen Beschwerlichkeiten nur Ein-
mal zu ertragen habe, dass fast immer doch wenigstens Ein Auge gut
durchkomme, dass, wenn nach unilateraler Operation das Auge ver-
loren gegangen, der Kranke sich nicht leicht zur Operation des zweiten
entschliesse und lieber blind bleibe u. s. w. Aber, wer beide Augen
total verloren hat, dem bleibt nicht einmal die Wahl zwischen Opera-
tion und NichtOperation. Manche haben consensuelle Entzündung des
zweiten Auges gefürchtet, Andere haben die Entzündung des einen als
Ableitung vom andern Auge betrachtet. Autoren, die sonst keine Auto-
tität vor und neben sich dulden wollen, haben sich auf die Autoritäten
eines Desmours, Beer, Jäger, Rosas u. A. berufen, welche bekanntlich
häutig und mit dem besten Erfolge beide Augen in Einer Sitzung
operirten. — Worauf es bei Erledigung dieser Frage ankommt, das ist
wohl nebst der Erfahrung, welche die bilaterale Operation im Allge-
meinen als zulässig erklärt, die Rücksicht auf die Methode, welche
man wählt oder wählen muss, und auf die Umstände, unter denen man
die Operation vornimmt. Nur wo alle Verhältnisse von Seite des
Staares, des Auges, des Individuums, der Wartung und Pflege, der
Kunstfertigkeit des Operateurs günstig sind, lässt sich — streng ge-
nommen — die bilaterale Operation vertheidigen, wenigstens entschul-
digen. Wer in öffentlichen Anstalten operirt, wo er es grösstenteils
mit Leuten vom Lande zu thun hat, welche theils wegen Armuth, theils
wegen hohen Alters froh sind, die weite Reise Einmal überstanden zu
haben , und daher meistens die bilaterale Operation verlangen , der
muss wohl öfter beide Augen in Einer Sitzung operiren, als er es
sonst thun würde. Bei jüngeren Individuen habe ich mich, wenigstens
in den letzten Jahren, selten mehr zu bilateraler Operation bestim-
men lassen.
Treffend bemerkt in dieser Beziehung Makenzie 1. c. S. 578: „Operirt man nur ein
Auge, und lässt dasselbe sich nieder erholen, so kann man vielleicht während des Ver-
laufes der Operation und der Genesung einige besondere Umstände bemerken, die für die
zweite Operation von wesentlichem Nutzen sind, oder den Arzt zu bestimmen vermögen,
eine andere und passendere Operation für das zweite Auge zu wählen."
Ad 3. Temporäre Hindernisse können, abgesehen von der be-
reits besprochenen Unreifheit des Staares und früher zu beseitigenden
krankhaften Zuständen des zu operirenden Auges selbst, gesetzt wer-
344 Krystalllinse.
den vom Alter, gewissen Epochen, andern Krankheiten des Individuums,
von herrschenden Epidemien (Hospitalbrand, Dysenterie) und von der
Jahreszeit.
Dass angeborene und in der Jugend entstandene Staare je eher je
lieber operirt werden sollen, dafür haben wir bereits früher unsere
Gründe angeführt. „Indem Dr. Farre*) von den Resultaten der Ope-
rationen des Herrn Saunders spricht, sagt er, dass die Sensibilität des
Auges bei vielen Patienten, welche in einem Alter von 4 Jahren und
darunter geheilt wurden, nicht von derjenigen übertrofifen werden konnte,
welche Kinder besassen, die von der Geburt an des Sehvermögens sich
erfreut hatten; aber in einem Alter von 8 Jahren oder selbst früher
war dieser Sinn, wie man sich deutlich überzeugen konnte, viel weni-
ger activ, in einem Alter von 12 Jahren war er noch stumpfer, und in
einem Alter von 15 Jahren und darüber war er in der Regel sehr un-
vollkommen, und manchmal war nur noch Perception des Lichtes übrig
geblieben. Diese Beobachtungen setzen die bestrittene Zweckmässigkeit
einer frühzeitigen Operation in Fällen von angebornem grauen Staare
ganz ausser Zweifel." Durch Anwendung von Belladonna und von Chloro-
form kann man die zur Discission oder zur Extraction mit stichweiser
Eröffnung der Cornea nöthigen Bedingungen herbeischaffen. Die Ex-
traction mit Lappenbildung und die Reclination sind unzulässig.
Die Zeit des Zahnens, des Zahnwechsels, der Pubertät, der Men-
struation, der Gravidität werden wo möglich vermieden, ebenso die Zeit
des Wechsels. Sehr hohes Alter setzt an sich keine Contraindication.
Sz-okalski z. B. nahm bei einem Greise von 103 Jahren, und Cunier**)
bei einer 1 00jährigen Frau die Reclination mit günstigem Erfolge vor.
Scrofulosis, Tuberculosis und Krebsablagerungen contraindiciren
die Operation nicht, ausser zur Zeit frischer Nachschübe. Bei Scrofu-
lösen sei man mit der Keratonyxis und mit dem halbkreisförmigen
Horateiutscknitte vorsichtig. Cataracta bei Diabetes mellitus gestattet nur
die Discission oder die stichweise Eröffnung der Hornhaut mit oder
ohne Beseitigung der Linse. Bei Säufern ist die Extraction (mit halber
Durchschneidung der Cornea) jederzeit eine gewagte Sache.
Für arme Leute, welche durch die Xoth, die sie im Winter am
meisten drückt, herabgekommen sind, ist der Frühling, wie schon Adam
Schmidt bemerkt, im Allgemeinen die am wenigsten passende Jahres-
zeit, für Corpulente der Sommer. In Anstalten und bei Reichen, wo
man Alles nach Erforderniss einzurichten vermag, kann man zu jeder
*) Citat aus Makenzie 1. c. S. 580.
**) Annales d'oculist. T. XI. p. 272.
Cataracta — Operation — Wahl der Methode. 345
Jahreszeit operireu: nur müssen die Leute, namentlich nach der Ex-
traction, im Winter oft nur zu lange das Zimmer hüten. In der frischen
Luft erholt sich das operirte Auge am schnellsten. Nach dem ersten
Ausgange ist die Röthe und Absonderung der Bindehaut oft wie weg-
gezaubert.
Ad 4. Über den relativen Werth der einzelnen Methoden zu
einander ist viel gestritten worden. Es wäre freilich am bequemsten,
alle Staare nach Einem Modell operiren zu können; das geht indess
eben so wenig, als dass man ein und dieselbe Krankheit bei verschie-
denen Individuen mit demselben Mittel bekämpfe.
Zwei Stellen in Beers Leitfaden (II. B. S. 335 und 347) enthalten ohngefähr Alles,
was sich vernunftiger Weise im Allgemeinen hierüber sagen lässt. „Nach welcher Me-
thode operiren Sie den Staar? — Ich pflege immer zu antworten, nach der Methode, die
ich in dem vorliegenden einzelnen Falle für die zweckdienlichste halte. Nicht die aus-
gezeichnetste Kunstfertigkeit in einer einzelnen Staaroperationsmethode, sondern nur die
mit einleuchtenden Gründen belegte Auswahl der Operationsrnethode für den vorliegen-
den Fall, verbunden mit einem hohen Grade von Kunstfertigkeit in jedem technischen
Curver fahren, beweist den wahrhaft grossen Meister." S. 347. „Jede dieser Methoden
hat in bestimmten Fällen ganz offenbare Vorzüge vor den beiden andern; keine dersel-
ben wird jemals von einem erfahrenen, verständigen und in jeder derselben vollkommen
geübten Augenarzte den beiden andern unbedingt vorgezogen, und für sich allein ge-
pflogen werden." Trotzdem hat Hasner keinen Anstand genommen, 1. c. S. 209 zu
schreiben: „Bekanntlich gab es eine Zeit, wo die Extraction vor allen übrigen Methoden
geübt und empfohlen wurde. Beer und Que'rin riethen sogar, jeden Staar zu extrahiren.u
Wo die Bedingungen zu den einzelnen Methoden eine Wahl zwischen
zweien gestatten, berücksichtige man die Gefahr, welche jede mit sich
bringt, die Sicherheit, mit welcher jede einzelne zum Ziele führt, und
die Zeit, die zur Heilung erfordert wird. Bei genauer Combination aller
dieser Factoren wird man finden, dass in dem einen Falle nur die An-
wendung der einen Methode rationell genannt werden kann, in einem
andern dagegen die Wahl offen bleibt.
Die Extraction ohne Lappenbildung setzt das Auge fast gar keiner
Gefahr aus, und führt beinahe ohne Ausnahme sicher und schnell zum
Ziele; sie ist leider nur selten anwendbar.
Die Discission (Dilaceration) durch die Cornea verletzt das Auge
eben so wenig. Der Zweck wird langsam, doch mit Rücksicht auf den
Umstand, dass man das Manöver nach Verlauf von einigen Wochen
wiederholen oder die Extraction mit stichweiser Eröffnung der Cornea
substituiren kann, sicher erreicht. Vernichtung der Sehkraft droht nur
bei Keratonyxis durch Hornhautvereiterung, bei jeder der Varianten
durch zu rasches Aufquellen oder in Folge unzweckmässigen Verhaltens
durch Iridochorioiditis. Durch die Scleronyxis werden die Iris und die
346 Krystalllinse.
Chorioidea direct gefährdet. Leider ist auch die Discission vermöge
des Principes, auf dem sie beruht, nur iu relativ seltenen Fällen an-
wendbar.
Die Extraction mit dem Lappenschnitte ist in so fern ein gewagtes
Unternehmen, als man für die schnelle Vereinigung der Wunde nicht
einstehen kann. Hievon abgesehen führt sie sicherer und schneller zum
Ziele, als die Discission und die Reclination. Mit der gehörigen Um-
sicht und Kunstfertigkeit unternommen, zieht sie den genannten Unfall
im Ganzen nur selten nach sich, und auch die Discission und die Recli-
nation sichern nicht absolut vor unrettbarer Vernichtung des Auges.
Die Reclination verbirgt in sich weit mehr Gefahr, als man bei
oberflächlicher Betrachtung vermuthen möchte. Man ist nie, weder vor
dem Wiederaufsteigen, noch vor acuter oder chronischer Entzündung
der Chorioidea sicher, auch nach mehreren Wochen nicht; man kann
sogar für den momentanen Erfolg, das Liegenbleiben unmittelbar nach
Entfernung der Nadel aus dem Auge, nicht mit so viel Wahrscheinlich-
keit einstehen als bei der Extraction.
In Fällen, wo die Bedingungen sowohl zur Extraction als zur Re-
cliuation gleich günstig sind, ziehe ich nach den Erfahrungen, die ich
gemacht habe, die Extraction der Reclination vor.
Was man für und gegen die eine oder die andere Methode in Be-
zug auf deren Ausführbarkeit und auf den Grad der Schärfe des Ge-
sichtes, der dadurch erlangt werden kann, angeführt hat, beruht mehr
auf Vorliebe für die eine oder die andere Methode. Eine gut ausge-
führte Reclination macht dem Operateur eben so viel Ehre, als eine
gelungene Extraction. Kapselnachstaar kann nach der einen wie nach
der andern zurückbleiben.
Veränderungen im Auge nach Staaroperationen,
Nach der Extraction verklebt die Wunde sehr bald, bleibend je-
doch — bei ungestörtem Verlaufe • — im Allgemeinen erst nach 24 — 48
Stunden, und hinreichend fest nach 8 — 10 Tagen. Werden die Wund-
ränder gar nicht verrückt, so bleibt nur eine bei genauer Untersuchung
wahrnehmbare Narbe zurück; an jüngeren Individuen kann auch diese
mit der Zeit ganz oder zum Theile unsichtbar werden. Fand Verschie-
bung, leichte Eiterung, Glaskörper- oder Irisvorfall statt, so bleibt eine
etwas breitere, jedoch ganz unschädliche Narbe zurück, in letzterem
Falle mit vorderer Synechie und mehr weniger nachtheiliger Verziehung
der Pupille. Grosse Vorfälle drohen mit Pupillensperre ; sie stören das
Sehen Anfangs auch dadurch, dass der Hornhautlappen vorgedrängt und
Cataraeta — Operation — Prognosis. 347
geknickt wird. An die Stelle der Linse tritt bis zur Ebene, in welcher
die Zonula Zinnii liegt, Kammerwasser, hinter derselben Glaskörper.
In der Mehrzahl der Fälle wird nur ein Theil der Pupille ganz rein
schwarz ; ein mehr weniger beträchtlicher Theil bleibt durch nicht völlig
versehrumpfte Partien der vordem Kapsel verdeckt, welche wegen
Eunzelung oder Beschlag mit Rindensubstanz mehr weniger trüb und
in der Ebene der Zonula gelegen erscheinen. Wo Iritis eingetreten
war, findet man hintere Synechien oder totale Pupillensperre mit Rück-
wärtsziehung des Pupillarrandes. Wo die Linse nicht vollständig ent-
fernt und die zurückgebliebenen Reste nicht ganz aufgesogen wurden,
findet man mehr weniger Rindensubstanz zwischen der vordem und
hintern Kapsel eingeschlossen, namentlich ringsum nächst der Peri-
pherie. Hatte sich Hornhauteiterung und consecutiv Chorioiditis ent-
wickelt, so findet man (wenigstens ich fand es in zwei sehr bald zur
Section gekommenen Fällen) den Glaskörper besonders in seiner vor-
dem Hälfte von eitrigem Exsudate wie von Rauch- oder Nebelwolken
durchsetzt, die Chorioidea und Retina blutreicher, erstere nur im Be-
reiche des Corpus ciliare gelockert und geschwellt, zwischen Chorioidea
und Netzhaut kein Exsudat. (Ist dieser Befund vielleicht, wie Martini
angenommen hat, als Entzündung des Glaskörpers zu betrachten?)
Nach der Reclinaiion wird die Linse im Glaskörper bisweilen
aufgesogen, in der Regel jedoch wenig oder gar nicht verändert.
In einem Präparate von einem Geisteskranken, welcher 9 Jahre vorher von Prof.
Fischer operirt worden war, sieht man vom Kerne der Linse keine Spur im Glaskörper
oder an der Xetzhaut, indess die in der Falze an der Peripherie zurückgebliebene Rin-
densubstanz einen gegen 1'" breiten und ty»"' dicken Ring (Krystallwulst) bildet, dessen
Öffnung den Lichtstrahlen den Weg zur Retina gestattete. Wenzel*) behauptet, bei Zer-
gliederung von Augen lange Zeit nach der Depression die Linse jedesmal in Bezug auf
Grösse und Form unverändert gefunden zu haben. Dupuytren**) sah ganz unverletzte
Staare bei Greisen 2 Jahre nach der Depression. Beer 1. c. S. 363: „Ich habe bis jetzt
keine Gelegenheit versäumt, solche Augen nach dem Tode zu untersuchen, in welchen
beim Leben die Depression oder Reclination des Staares vorgenommen worden war, und
unter diesen befanden sich solche, die man schon vor 20 und mehr Jahren operirt hatte,
aber beinahe in allen fand ich die feste, unauflösbare, meistens merklich verkleinerte
Linse mit und ohne Kapsel etc. Bei einem Lebenden sah ich den Staar, der vor 30 Jahren
niedergedrückt worden war, nach einem Sturze auf den Kopf wieder aufsteigen." Vel-
peau***) fand in 12 Fällen, 1 — 4 Jahre nach der Operation, nur bei Einem die Linse
merklich verändert, bei den andern haftete sie an der Netz- und Aderhaut. Vergleiche
Textor des Sohnes oben citirte Inauguralabhandlung über die Wiedererzeugung der Kry-
stalllinse.
s) Deval, Chirurg, ocul. Paris 1S44. S. 124.
**) Ammon's Zeitschrift, Band I. S. 462.
***) Me'decine ope'ratoire T. III. p. 444.
- 348 Krystalllinse.
In jedem Auge, wo die Linse mehr weniger vollständig aus der Kapsel
entfernt ist, es mag diese oder jene Methode angewendet worden sein,
steht die Iris (abgesehen von Verwachsungen nach Entzündung) tiefer, bil-
det streng eine ebene Fläche, schlottert bei stärkern Bewegungen, und
zeigt eine relativ engere und schwärzere Pupille. Das Diaphragma, wel-
ches durch das Corpus ciliare, den freien Theil der Zonula Zinnii und
die vordere Kapsel zwischen den beiden Flüssigkeiten des Auges gebildet
und durch den Ciliarmuskel in adäquater Spannung erhalten wird, wird
durch jede Staaroperation für einige Zeit zerstört. So lange es nicht wie-
der hergestellt und gehörig gespannt ist — an die Stelle der vordem
tritt sodann die in die Ebene der Zonula vorgerückte hintere Kapsel —
fehlt dem Bulbus seine normale Spannung und somit auch ein zur Accom-
modationsthätigkeit wesentlicher Factor. Mit der Linse ist dem Auge
ein für allemal ein Eefractionsmittel von grosser, wenn auch untergeord-
neter Bedeutung entzogen. Durch convexe Brillen kann dasselbe mehr
weniger, niemals jedoch vollkommen ersetzt werden.
Den Gebrauch von Staarbrillen, Convexgläsern von 5 — 2" Brenn-
weite in Abstufungen von Viertelzollen, gestattet man erfahrungsgemäss
von Alters her erst 2 — 4 Monate nach der Beseitigung der Cataracta. Es
ist besser, ihn später als früher zuzulassen, nicht sowohl wegen der Ge-
fahr der Anstrengung, so lange das Auge noch gereizt ist, als vielmehr
wegen der Schärfe der Sehkraft, der Wiedererlangung eines mehr we-
niger hohen Grades von Accommodationsfähigkeit. Der Grund für diesen
Erfahrungssatz liegt — nach meiner Ansicht — in den so eben erör-
terten mechanischen Veränderungen nach Staaroperationen. Das sub-
stituirte Diaphragma muss erst wieder hinreichend fest geworden sein,
sonst ergeht es dem Operirten ohngefähr so, wie einem jugendlichen
Individuum, welches seine Augen bloss zur Betrachtung naher Ob-
jecte verwendet, oder sich ohne Noth und unzweckmässig concaver
Gläser bedient.
Jugendliche Individuen und jene, welche vor der Entwicklung des
Staares eher kurz- als weitsichtig waren, sehen caeteris paribus besser
und mit minder starken Gläsern, als ältere Personen. Ich kenne meh-
rere Staaroperirte, welche auch ohne Glas z. B. eine Nadel einfädeln
können. Dass Einer ohne Gläser hätte lesen können, ist mir noch nicht
vorgekommen. Ein von mir durch Extraction operirter Mann zeichnete
noch in den siebziger Jahren mit einer und derselben Brille Baumgr.up-
pen, Häuser u. dgl. nach der Natur. Ein durch Dilaceration der Kapel
geheilter junger Mann liest mit Nr. 3 vh sowohl bei sechs als bei vier-
undzwanzig Zoll Entfernung; und erkennt z. B. die Uhr am Neustäd-
Cataracta — Operation — Prognosis. 349
ter Rathliause vom Spitale aus (mit demselben Glase, mehr als 500
Schritte weit.).
Kinder mit so ausgebreiteter Verdunklung des Liusensystcmes, dass sich durch den
Gesichtssinn gar keine Anschauung und Begriffsbildung entwickeln konnte, dürften wohl
selten vorkommen. Ich habe bisher nur einen Knaben von acht Jahren in einem solchen
Zustande nach der Operation (Discission) gefunden. Bevor ich über diesen höchst interes-
santen Zustand mehrere Beobachtungen gemacht habe, erscheint mir eine Beschreibung
und Erörterung verfrüht, da meine Beobachtung in mehieren Punkten von den Angaben
Anderer abweicht.
Behufs der Prognosis, zu welcher die nöthigen Anhaltspunkte in
dem bisher Gesagten gegeben sein dürften, haben wir nur noch zu er-
innern, dass man bei einer grossem Zahl von Operirten wohl von Glück
sagen kann, wenn von 100 Individuen S5 — 90 ihr Gesicht wieder er-
langen. Nach den einzelnen Augen gerechnet, stellt sich ein weit min-
der günstiges Verhältniss heraus.
Zur Beantwortung dieser Frage entlehne ich zunächst von Makensie (1. c. S. 561)
einige interessante Data. Von 34 Kranken, welche David zu Rheims operirt hatte, sahen
17 vollkommen, S leidlich, 9 nicht. Im Juni 1753 operirten an demselben Tage La Faye
6 und Poyet 7 durch Extraction, Morand 6 durch Depression. Von La Faye's Patienten
sahen 2 gut, 2 erträglich, 2 nicht; von Poyefs 2 gut, 2 minder gut, 1 konnte nur das
Tageslicht unterscheiden , und 2 sahen gar nichts ; von Morand 's Kranken konnten 3
ziemlich gut sehen, 3 sahen so wenig als vorher. Dr. Tartra operirte von 1806 — 1810
im Hötel-Dieu 113 Kranke, 70 durch Extraction, 43 durch Depression oder Reclination.
Von den ersteren hatten 19, von den letzteren 24 einen befriedigenden Erfolg, von jenen
6, von diesen 4 einen partiellen; 8 Extractionen und 5 Depressionen waren gänzlich
fehl geschlagen. Die Besultate der übrigen waren unbekannt oder mehr weniger un-
günstig. Dr. Tartra fügt hinzu, man nehme in der Regel an, dass von 5 Operirten 2
ihr Gesicht wieder erlangen.
Ed. Jäger hat in seiner 1S44 erschienenen Dissertation die Resultate veröffentlicht,
welche die Staaroperationen seines Vaters Fr. Jäger im Josephinum von 1826 — 1S44
ergaben. Unter 72S durch die Extraction operirten Augen erblindeten bloss 33, unter
5S durch partielle Extraction operirten 3, unter 87 durch Discission und Dilaceration
operirten 6, unter 129 Reclinirten dagegen 21, mithin unter 1011 nur 63. (Die Über-
sichtstabellen enthalten Rechnungsfehler, die wir uns nicht erklären können; nach dem
Alter [S. 15) gezählt, kamen bloss 680, nach dem Geschlechte (S. 17) dagegen 801 In-
dividuen zur Operation).
Von dem S. 291 aufgeführten 9S9 Staarkranken wurden 9S5 operirt.
350
Krystalllinse.
Individuen
\Pupillensperre
Geheilt , oderNachstaar
(Nichterfolg)
Verlust der
Sehkraft
für immer
Amau-
rosis
Gestorben
oder trans-
ferirt
(Institut
Extraction \ Spital
l Privat
{Institut
Spital
Privat
Discission (Institut
(Dilaceration < Spital
u. part. Ext.) | Privat
Galvanismus Spital
■287
294
24
50
92
12
20
57
2
838
24
39
3
2
11
12
12
1
l
7
2
3
1
89
128
12
19
330
351
28
53]
lll
12j
261
69
3
709
176
9S
985
In die 2. Columne sind jene aufgenommen, bei welchen nach beendeter Cur
(zur Zeit der Entlassung) noch Hoffnung vorhanden war, durch Wiederholung der Ope-
ration (Reclination, Discission, Ausziehung geschrumpfter Linsen- und Kapselpartien) oder
durch Pupillenbildung das Gesicht in späterer Zeit wieder herzustellen. In der 3. Spalte
erscheinen jene, welche ein oder beide Augen, je nachdem eines oder beide operirt
worden waren , unrettbar verloren haben (Chorioiditis, Hornhautvereiterung), in der 4.
Spalte solche, bei denen sich erst bei oder nach der Operation die Complication mit
Amaurosis (hochgradiger Amblyopie) bestimmt zu erkennen gab, wo mithin von einem
Erfolge oder Nichterfolge der Operation als solcher keine Rede sein konnte. Eben so
können die 7 Individuen der letzten Rubrik nicht in Rechnung gebracht werden, da sie
im Verlaufe der Nachbehandlung starben oder auf andere Abtheilungen transferirt werden
mussteu. (I starb an Tuberculosis pulmonum, 1 an Pneumonie, 2 an Dysenterie und 1
an Diabetes mellitus.)
Demnach kommen auf 966 Operirte 838 Geheilte und 128 Nichtgeheilte, auf 100
Operirte nahezu 14 Nichtgeheilte, davon 4 — 5 mit bleibendem Verluste.
Von den im Institute durch Extraction operirten 323 Individuen wurden 106 auf
einem, 217 auf beiden Augen operirt. Von ersteren wurden 85 geheilt, 14 mit Pupillen-
sperre, 7 mit Verlust des Auges entlassen, von letzteren geheilt 202 (beiderseits 130).
mit Erhaltung wenigstens eines Auges flir eine nachträgliche Operation 10, mit gänzlichem
Verluste beider Augen 5. Von 540 der Extraction unterworfenen Augen gingen überhaupt
41 gänzlich verloren.
Von den eben daselbst durch Reclination operirten 53 Individuen wurden 24 auf
einem, 29 auf beideu Augen operirt. Von den ersteren wurden 23 geheilt, einer unheilbar
blind; von den letztern wurden 27 sehend (18 beiderseits), 2 nicht sehend (l Auge
zerstört).
Von den der Discission, Dilaceration oder Extraction geschrumpfter Staare (mit
dem Häkchen oder der Pincette durch eine kleine Hornhautwunde) unterworfenen 26
Individuen wurden 17 auf einem, 9 auf beiden Augen operirt. Von jenen wurden 11
geheilt, 2 nicht, 4 verloren das Auge ganz; von diesen wurden 7 beiderseits sehend, 1
nur auf einem Auge, gänzlich verloren ging keines.
Man kann auf diese Zahlen , so getreu sie auch angegeben sind, dennoch nicht
Cataracta — Operation — Geschichte.- 351
viel Gewicht legen, weil zu viele Umstände Einfluss haben, welche nicht in Computation
gebracht werden können. In öffentliche Anstalten aufgenommen zu werden hat jeder
ein Eecht, bei dem nur noch einige Hoffnung auf Erfolg besteht. In solchen Anstalten
müssen auch Anfänger operiren , um zu lernen , und der Vorstand selbst muss durch
allerhand Versuche und Modificationen zu genauerer Einsicht in den Werth dieses oder
jenes Vorganges zu kommen trachten.
Geschichtliche Bemerkungen. *)
So lange in der Medicin die Galen'schen Ansichten die herrschenden waren, hielt
mau die Linse für das Organ , welches das Sehen vermittle, den Staar für ein vor der-
selben erzeugtes Häutchen, das man niederdrücken müsse, um die Cataracta zu beheben.
Der Ordenspriester Scheine/- ( 1600) war der Erste, welcher die Netzhaut als das Organ
der Lichtperception nachwies, und Kepler (1604) zeigte, dass die Linse bloss zur Strahlen-
brechung bestimmt sei. Sofort erklärten Rolßnk (Professor in Jena) , Lasnier , Quarre'
und Borelli (in Paris) um die Mitte des 17. Jahrhunderts den Staar für Verdunklung der
Linse, und Brisseau und Maiire Jean stellten zu Anfang des 18. Jahrhunderts (1707 bis
1709) den Beweis dafür durch Sectionen her. Heister (Prof. in Altdorf, 1712) verschaffte
dieser Tieuen Lehre in Deutschland Eingang, und Lapeyronie und Morand wiesen (1722)
vor der medicinischen Akademie zu Paris nach, dass auch die Kapsel, wenn gleich selten,
Sitz der Verdunklung sein könne.
Die Depression, wahrscheinlich die älteste der Staaroperationsmethoden und
schon der Alexandrinischen Schule bekannt, wurde von Celsus genau beschrieben. Dieser
unterschied bereits den traumatischen und- den von innern Krankheiten erzeugten, den
unreifen und den reifen, den heilbaren und den unheilbaren Staar. Er ging mit einer geraden,
runden, spitzigen, doch nicht zu dünnen Nadel in der Mitte zwischen der Hornhaut und
dem äussern Augenwinkel ein, drehte, bis zum Staare gelangt, die Nadel ein wenig,
drückte den Staar unter die Pupille hinab , und hielt ihn allda eine kleine Weile fest,
um sein Wiederaufsteigen zu verhindern. Gelang dies nicht, so suchte er die Cataracta
zu zerbröckeln. Das Auge bedeckte er hierauf mit Wolle, die in Eiweiss getaucht war.
Früher die hintere Kapsel von der Mitte nach unten zu schlitzen und durch diese
Öffnung die Linse wie einen Knopf durch ein Knopfloch zu drücken, war seit Ferrein
(1716) und Petit (1722) üblich geworden, bis
Willburg 1785 (Nürnberg) die obengenannte Umlegung angab, welche später (1S03)
durch Scarpa zur Seitwärtslagerung (Umlegung nach unten und aussen) umgestaltet
wurde. In neuester Zeit (1838) hat Dr. Pauli (1836) vorgeschlagen, den Staar aufwärts
zu lagern (Sublatio cataractae*, ein originelles Verfahren, das jedoch — aus leicht be-
greiflichen Gründen — keine Anhänger gefunden hat.
Zweischneidige Nadeln wurden von Ambr. Pare" (15b5), Schnalz (16S4) und Bris-
seau (1706) eingeführt. Ad. Schmidt, Himly und Rosas substituirten den geraden Nadeln,
welche Willburg, Richter, Beer u. A. gebraucht hatten, und der vorn gekrümmten und
trocarformigen Scai-pa' sehen Nadel mehr weniger gekrümmte, flache und zweischneidige
Nadeln, Weinhold (1S09) zwei scheerenartig verbundene Nadeln welche geschlossen ein-
geführt vor den Staar gebracht, und behufs der Umlegung ausgespreizt werden, damit
der Staar nicht umschlagen könne.
•) Nach Rosas Handbuch der Augenheilkunde, Wien 1830, Bd. III. und Himly op. cit. Bd. II.
352 Krystalllinse.
Den Einstichspunkt \'" hinter dem Hornhautrande und l/z'u unter der horizontalen
Durchschnittsebene zu machen, wurde von Saint Yves (1707), Sharp und Richter (17S0)
angegeben und begründet.
Buchhorn (IS06) und nach ihm besonders Langenbeck (1811) und Ph. von Walther
(1814) empfahlen, mit der Nadel durch die Cornea einzugehen, um den Staar aus der
Pupille zu beseitigen (Depressio vel Reclinatio per Keratonyxin), ein Verfahren, welches
wegen der fast unvermeidlichen Gefahr, die Cornea und die Iris zu quetschen, und mit
Rücksicht auf den Mechanismus und den Zweck der Operation (Entkapselung der Linse)
nichts weniger als rationell genannt werden kann.
Um die Entstehung von Kapselnachstaar zu verhüten, empfahl Rosas (1830) die
vordere Kapsel vor dem Dislocationsaete zu spalten, und Ruete (1846) empfahl, mit der
(leicht gekrümmten) Nadel zwischen der Linse und der vordem Kapsel bis zur Mitte der
Pupille vorzudringen, die Kapsel von hinten her in 4 Lappen zu spalten, und dann erst
die Linse zu versenken. (Die Gründe gegen die vorläufige Zerschneidung der vordem
Kapsel wurden bereits oben angegeben.)
Die ExtractlOH soll nach Rhases Angabe schon im ersten Jahrhunderte der
christlichen Zeitrechnung von Antyllus und Lathyrion geübt worden sein, indem sie die
Hornhaut aufschnitten, eine Nadel in die Linse stiessen, sie umdrehten, und mit ihr den
Staar ausgezogen. Nach Avicenna war ein ähnliches Verfahren im 11. Jahrhunderte auch
hei den Persern üblich, und Abulkasem berichtet, dass dieser Vorgang allmälig durch
die Suctionsmethode verdrängt wurde, wobei der Staar durch eine hohle Nadel ausge-
sogen worden sein soll.
Jacob Freitag in Zürich (1694) scheint der Erste gewesen zu sein, welcher im
Abendlande die Ausziehung des Staares mit einer durch einen Hornhautschnitt einge-
führten Hakennadel übte. Aber es fehlte noch die Kenntniss der Anatomie des Auges, und
•erst nachdem man wusste, dass der Staar nichts als die getrübte Linse sei, und nachdem
schon Saint Yves (1707) und Petit (1708) die bei der Depression in die Augenkammer
vorgefallene Linse durch die Hornhaut extrahirt hatten, gelang es dem französischen
Wundarzte Jacob Daviel (in der Mitte des 18. Jahrhundertes), durch die Extraction als
selbstständige Methode so glückliche Resultate zu erzielen, dass sie allgemeinen An-
klang fand.
Die erste Extraction verrichtete Daviel 1745 zu Marseille; seine Methode machte
er 1747 bekannt. Mit einer im Stiele gekrümmten Lanzette durchstach er von unten
die Hornhaut, vergrösserte den Einstich mit einem vorn stumpfen, zu beiden Seiten
schneidenden Messer und hierauf mit zwei (nach ihm benannten, nach der Schneide und
Fläche zugleich gekrümmten) Scheeren, hob den Hornhautlappen mit einem goldenen
Spatel auf, eröffnete mit einer flachen Nadel die nun blossgelegte Kapsel, und drängte
die Linse durch Fingerdruck aus dem Auge; zur Beseitigung von Resten bediente er
sich des noch heutzutage üblichen Löffelchens. In späterer Zeit verrichtete er den Horn-
hautschnitt bloss mit einem spitzigen myrthenblattförmigen Messer und mit den genannten
Scheeren. Daviel durchschnitt ohngefähr zwei Drittel des Hornhautumfanges.
Diese Methode durchlief nun bei dem allgemeinen Interresse, das sie ei-regte, bald
eine Menge theils zweck- theils unzweckmässiger Modifikationen. Zunächst eröffnete
La Faye (1750) die Hornhaut nicht stichweise, sondern mit einem einzigen Schnitte
mittelst eines leicht nach der Fläche gebogenen, nur an der Spitze zweischneidigen
Messcrchens, und gab zur Eröffnung der Kapsel das nach ihm benannte, bis zu Ende
Cataracta — Operation — Geschichte. 353
seines Jahrhuudertes gebräuchliche Cystotom an (ein feines, in einer Scheide verborge-
nes und zwar durch Spiralfederdruck verschiebbares Lanzettchen).
Erst von Aug. Gottlieb Richter in Göttingen (1773), welcher sich um die Vervoll-
kommnung der Extraction sowohl als um die Dislocation durch seine gründlichen Er-
örterungen*) wohl die meisten Verdienste erworben hat, wurde die Grösse und Form
des Hornhautschnittes zuerst nach anatomischen Gründen richtig bestimmt, und ein zweck-
mässiges Keratotom angegeben. {Ware hatte sogar 9/io der Hornhautbasis zu durch-
schneiden gerathen, Sigwart und Santarelli hatten einen dreieckigen, Garengeot einen
rhomboidalen, Wardrop einen geradlinigen Schnitt empfohlen. Wardrops Schnitt verlief
mitten durch die Cornea von der Schläfen- zur Nasenseite, Sigwarts, Santarellis und
Garengeots Lappenschnitte waren gleichfalls mehr weniger vom Rande der Hornhaut
entfernt.)
Den nahe am Rande der Hornhaut und zu diesem parallel verlaufenden Schnitt
führte schon Wenzel d. Ä. (17S6) bisweilen durch die obere Hornhauthäljte, ein Verfahren,
das später von Fr. Jäger (IS27) und Rosas (IS30) für die Normalmethode erklärt wurde,
Demours (1821) durch die äussere Hälfte der Hornhautbasis, während Richter, Barth,
Ad. Schmidt, Beer u. A. nur nach unten extrahirten.
Zur Bildung der Hornhautwunde bediente man sich sogenannter Hornhautschnepper
(Gue'rin), lanzen förmiger Messer (Poyet, Tenon, Bell), Staarnadelmesser (deren Spitze
sich in eine Art zweischneidiger Nadel verlängerte, Palucci, Siegrist, Conradi), endlich
gerader oder gebogener, von der Spitze gegen den Hals hin ailmälig breiter werdender,
ein- oder zweischneidiger Messer, deren Rücken und Schneide bald in gerader, bald in
gekrümmter (convexer oder concaver) Linie verliefen. Den Übergang zu einer zweck-
mässigen Form (mit geradem, nicht schneidendem Rücken) finden wir zunächst in Be-
ranger's Messer, dessen Schneide sich ailmälig vom Rücken entfernt, jedoch noch convex
ist, und in Barth's Keratotom, welches Rücken und Schneide geradlinig hat, und sich von
dem .Beerschen nur durch grössere Länge (relativ zur Breite) unterscheidet. Das von
Rosas angegebene Messer hat die Form des .Beer'schen, ist jedoch auch am Rücken durch-
aus schneidend. **)
Behufs der Eröffnung der Kapel machte La Faye mit seinem Cystotom bloss
einen Einstich, Thurant einen Cirkelschnitt, Tenon einen Kreuzschnitt, Sharp einen Lap-
penschnitt, Cline einen Einriss mit einem Häkchen, und Beer suchte die Kapsel durch
Zerschneidung in mehrere rautenförmige Stücke zu vernichten. Wenzel u. A. eröffneten
die Kapsel gleich im 1 . Momente , indem das etwas länger zugespitzte Messer beim
Durchführen durch die Augenkammer zugleich in die Kapsel eingesenkt, dieser somit
auch ein halbkreisförmiger Schnitt beigebracht wurde.
*) Siehe dessen Anfangsgründe der Wundarzneikunst, AVien 1790, Band III.
**i "Wird das Beer'sche Messer gehörig gehandhabt, so entspricht es vollkommen dem Zwecke. Der Bul-
bus ist eine im das Centrum sehr leicht drehbare Kugel, welche man sich am Opticus so befestigt
denken kann, -wie etwa einen Apfel am Stiele. Soll das an Breite ailmälig zunehmende Messer durch
die 'Basis der Cornea ohne Zerrung derselben durchgeführt werden, so muss es in der Richtung der
Diagonale vorgeschoben werden, welche resultirt aus einer geraden Linie, die den Ein- und Ausstichs-
punkt, und einer zweiten, die den Mittelpunkt der Cornea mit der Eintrittsstelle des N. opticus
verbindet, mit populären "Worten : das Heft des Messers muss beim Vorschieben der Spitze etwas
gegen die Schläfe gedrängt werden. Diess ergibt sich aus dem Parallelogramm der Kräfte, auf die-
selbe "Weise, wie für den Fährmann die Richtung, wenn er über einen Strom fahren will. Ist die
Fläche des Messers gekrümmt, wie beim Lafayeschen Messer, dann läuft der Vordertheil desselben
von selbst in der genannten Diagonale, aber die Iris kann leichter verletzt werden und die Hand-
habung" des Messers ist weit mehr complicirt.
Arlt Augenheilkunde. II. 23
354 Krystalllinse.
Zur Herausbeförderung des Staares im 3. Momente hat Ware eine Zange, Heuer-
mann eine Art Stöpselzieher, Richter bloss gelinden Druck auf das Auge empfohlen.
Richters Vorschlag, die Kapsel samnit der Linse auszuziehen, auch dann, wenn die Kapsel
gesund ist, konnte selbst unter Beer's gewandten Händen nicht gedeihen, weil er auf
unrichtigen Vorstellungen über die Verbindung der Kapsel mit dem Ciliarkörper beruhte.
(Man sollte eine Nadel in den harten Staar einstossen, und durch Umdrehen und Rütteln
die Verbindung der Kapsel mit dem Ciliar- und Glaskörper trennen.)
Den Staar durch die Sclera auszuziehen , versuchte nach Bell's Vorschlag zuerst
Earle (1801), indem er durch eine 4'" lange Sclerahvunde nach der Meridianrichtung
mit einer eigenen Pincette einging. Doch weder er noch Quadri (1818), welcher den
Einstich 'parallel zum Hornhautrande und etwa 2'" hinter demselben machte, konnte
dieser gefährlichen, höchst verletzenden Methode Eingang verschaffen.
Um die Abschaffung der allmälig in Aufnahme gekommenen Ophthalmostaten (von
Pamard, Gue'rin, Demours u. A.), welche mitunter sehr sinnreich erdacht waren, so wie
um die Abschaffung der ehemals üblichen, oft höchst eingreifenden und verderblichen
Vorbereitungscuren und um eine zweckmässige Nachbehandlung haben sich insbesondere
Richter, Beer und Ad. Schmidt bleibende Verdienste erworben. (Die Literatur dürfte in
Himly's Krankheiten und Missbildungen des menschlichen Auges , die Abbildungen der
verschiedenen Instrumente in Blasius' Akiurgie am besten zusammengestellt sein.)
Die DlSClSSlOÜ konnte erst nach dem Gewinn sorgfältiger Beobachtungen und
genauerer anatomisch-physiologischer Kenntnisse als eigene Methode gedeihen. Sie ist
daher, wenn man von gelegenheitlicher Discission, wo man die Dislocation beabsichtigt
hatte, vorläufig absieht, die jüngste.
Nachdem Molineux nachgewiesen hatte , dass die Linse nach der Depression auf-
gesogen werden könne, führte Henkel (1770) eine Staarnadel durch die Sclerotica, und
eröffnete die hintere Kapsel, um den Staar der Resorption und spontanen Senkung zu
überlassen. Pott (1787) spiesste mit der durch die Sclera eingeführten Nadel die Linse
an , und suchte durch vielfältige Zerstückelung der Kapsel und der Linse Resorption
einzuleiten. Später (1812) wurde dieses Verfahren von Adams noch dadurch modificirt,
dass er Stücke der zerschnittenen Linse in die vordere Kammer zu schieben versuchte.
Conradi (in Northeim bei Göttingen) war der Erste, welcher, gestützt auf die von
ihm und schon früher von Wenzel und Gleize bei unvollendeten Extractionen gemachte
Beobachtung, dass weiche Staare nach Eröffnung der vordem Kapsel (von der Hornhaut
aus) resorbirt werden können, im Jahre 1797 absichtlich ein 2' 2 — 2'" breites, bis zur
Hälfte zweischneidiges Messerchen durch die Hornhaut in die vordere Kapsel stiess, um
sie hinreichend weit zu eröffnen. Ein ähnliches Verfahren hatte schon Beer 1785 an 29
Augen geübt, dasselbe jedoch wieder verlassen, weil es mit Ausnahme eines einzigen
Falles keine Resorption oder Kapselnachstaar zur Folge gehabt hatte.
Im Jahre 1809 machte Buchhorn (auf Reifs Antrieb) Versuche an Thieren, indem
er mit einer durch die Hornhaut eingeführten Nadel die vordere Kapsel zerriss , und so
viel sicherer Resorption der Linse einleitete. Langenbeck (1811) wandte nun diese Me-
thode zuerst bei Cataracta an, erweiterte die Pupille durch wiederholte Anwendung von
Belladonna, stiess eine feine, dünne, massig nach der Fläche gekrümmte (in späterer
Zeit eine sichelförmige) Nadel durch die Hornhaut (1 — 2"' vom untern Rande entfernt),
und zerschnitt Kapsel und Linse nach allen Richtungen. Die Nadel wurde auf beiden
Augen mit der rechten Hand geführt, und beim Einstechen an die Spitze des Zeigefingers
der linken Hand wie an eine Stütze angelehnt. Ähnlich verfuhren Gräfe, Siebold, von
Cataracta — Operation — Geschichte. 355
Walther, Benedict u. A. mit verschieden modificirten Nadeln. Fr. Jäger beschränkte die
Zerschneidung bloss auf die vordere Kapsel, und erfand für die Fälle, wo die Unmög-
lichkeit, die Kapsel zu zerschneiden, an der Trübung derselben schon im Voraus er-
kannt werden konnte, die oben beschriebene Dilaceration.
Die Auflösung der Linse durch den galvanischen Strom,
schon von Achermann und Walther (1803) empfohlen, wurde in neuester Zeit besonders
von Crusell (Petersburg 1841), Strauch und Lerche versucht. Die bisherige Art, den
Kupferpol mittelst einer durch die Cornea oder Sclera in die Linse geführten Nadel auf
diese einwirken zu lassen, konnte schon desshalb ihren Zweck nicht erreichen, weil
der Strom offenbar, so lange man den Hals der Nadel nicht isolirte, früher die Cornea
oder Sclera als die Linse treffen musste. Wo Heilung erfolgte, geschah diess einfach
durch Eröffnung der Kapsel.
23*
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig-.
DIE
KRANKHEITEN DES AUGES,
für praktische Ärzte
geschildert
Dr. Ferd. Arlt,
k. k. o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Wien.
III. Band.
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muskeln, der Augenlider, der Thränenorgane und der Orbita.
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Vierter unveränderter Abdruck.
Prag, 1863.
Verlag von F. A. Gredner,
k. k. Hof -Buch- und Kunsthändler.
DIE
KRANKHEITEN
des
Glaskörpers, der Netzhaut, der Augenmuskeln,
der Augenlider, der Thränenorgane und der
Orbita,
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praktische Ärzte
geschildert
Dr. Ferd. Arlt,
k. k. o. ö. Professor der Augenheilkunde an der Universität zu Wien.
Mit Abbildungen.
Vierter unveränderter Abdruck.
Prag, 1863.
Verlag von F. A. Credner,
k. k. Hof -Buch- und Kunsthändler.
VII. Bach.
Der Glaskörper, Corpus vitreum.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Der Glaskörper stellt eine farblose und vollkommen durchsichtige
Masse dar, welche den Bulbus hinter der Linse und den Ciliarfortsätzen
ausfüllt. Die ihn hauptsächlich bildende Flüssigkeit (Vitrina, Humor vi-
treus) ist in ein eigenthümliches loculamentöses Gewebe (Stroma corp.
vitrei) infiltrirt und von einer äusserst dünnen Hülle (Membr. hyaloidea)
umschlossen. Diese Hülle schmiegt sich vorn unmittelbar an die hintere
Linsenkapselhälfte an, bildet dann die hintere Wand des Petitschen
Canales, ist längs des Ciliarkörpers innigst mit diesem verwachsen —
mittelst der Zonula Zinnii, jenseits der Ora serrata einfach an die Netz-
haut angelagert, und erst an der Eintrittsstelle des Sehnerven wieder
fest an die Bulbuswand angeheftet.
Der Glaskörper misst beim Erwachsenen vom Centrum der teller-
förmigen Grube bis zur Macula lutea 6*/a — 1"'*), in der Äquatorial-
ebene des Bulbus horizontal 10— lü1/*"', senkrecht 97a— 10 V*'". Das
absolute Gewicht wird von Krause auf 65 — 75 Gran geschätzt, das
specifische von Chevenix auf 1,0053. Den Brechungsindex setzte Brewster
= 1,336 — 1,3394, wenn der des Wassers = 1,3358 angenommen
wird. — Der Glaskörper als Ganzes ist in hohem Grade elastisch-bieg-
sam, doch kaum mehr als Wasser compressibel, indem die Masse seiner
festen Bestandteile zu den tropfbarflüssigen verschwindend klein ist.
Er ist im Ganzen und in Stücken schlüpfrig, schwer anzufassen, gefasst
aber stark fadenziehend und dehnbar, und lässt sich durch Auspressen
*) Im 2. Bande S. 239 wurde der Abstand des hintern Poles der Linse von der Macula lutea aus Ver-
sehen um 1'" zu kurz angegeben.
Arlt Augenheilkunde. III. 1
2 Glaskörper.
und Filtriren in eine äusserst feine hyaline Substanz und in eine klare
Flüssigkeit scheiden.
Die Glasflüssigkeit, welche nach Abscheidung aller festen Theile
zurückbleibt , ist dünnflüssig , nur schwach klebrig und wenig faden-
ziehend, farblos und wasserklar, und enthält nach Berzelius in 100
Theilen 98,40 Wasser, 0,16 Eiweiss, 1,42 Kochsalz mit einer extract-
artigen Materie, 0,02 in Wasser lösliche Substanz, und nach Mitton
auch etwas Harnstoff, stimmt also in chemischer Beziehung mit dem
Humor aqueus fast überein, welchem sie auch im Brechungsindex sehr
nahe steht.
Die Glashaut bildet einen äusserst dünnen und durchsichtigen, rela-
tiv ziemlich festen, vollkommen geschlossenen Sack, welcher an seiner
glatten äussern, der Netzhaut zugewendeten Fläche und nach Pappen-
heim auch in der tellerförmigen Grube Umrisse von sechseckigen Zellen
wahrnehmen lässt, ähnlich denen von Pflasterepithelien , durch deren
Verschmelzung sie nach Brücke entstanden zu sein scheint. Ausserdem
zeigt sie gleich der Descemetschen Haut und der Linsenkapsel keine
Spur weder von Structur, noch von Gefässen oder Nerven (nach der
Geburtj. Über ihren Zusammenhang mit dem Stroma im Innern des
Glaskörpers ist weiter nichts sicher gestellt, als dass er eben ein sehr
inniger, unzertrennlicher ist.
Das Stroma des Glaskörpers konnte bisher vermöge seiner extre-
men Feinheit und Durchsichtigkeit nicht direet beobachtet werden. Ge-
wiss ist nur, dass die Glasflüssigkeit nicht frei in dem Sacke der Hya-
loidea eingeschlossen ist, wie etwa das Kammerwasser in der Kammer,
und dass sie so zu sagen von einem innern Gerüste getragen und zu-
sammengehalten wird. Ob aber dieses Gerüste aus Zellen, Blättern,
Fäden o. dgl. bestehe, ist unbekannt. Seit Janin, Zinn und Demours,
welche zur Untersuchung gefrorne Bulbi benutzten, nahm man Zellen
im Innern als Träger der Vitrina an; seit Pappenheim, der den Glas-
körper durch kohlensaures Kali erhärtete, Brücke, der sich hiezu con-
centrirter Bleizuckerlösungen bediente, und Hannover, welcher Bulbi
über 1j2 Jahr lang in verdünnter Chromsäure liegen Hess, machte sich
mehr die Ansicht einer blättrig-fächerigen Structur geltend. Virchow
bezeichnet den Glaskörper als Schleimgewebe und stellt ihn histologisch
an die Seite der Whartonschen Sülze des Nabelstranges.
Demours konnte in gefrornen und wieder etwas aufgethauten Glaskörpern von den
einzelnen Eisstückchen , womit dieselben gefüllt erschienen, eine feine Membran mit der
Nadel abheben. Die Eisstückchen , welche gegen die Oberfläche hin lagen, waren die
grössten, nach innen und besonders nach der tellerförmigen Grube hin lagen die kleinsten.
Anatomie — Physiologie. 3
Die grössten waren glatt und länger als breit, ziemlich strahlig um den Mittelpunkt des
hintern Theiles der Linse gelagert, und dichter nach aussen, als nach der Linse zu. —
Nach Janin , Zinn u. A. sind die Zellscheidewände kleine Tellerchen, deren Wölbung
nach aussen, deren Höhlung nach innen gegen die Linse hin gerichtet ist. Um den Mittel-
punkt herum und in der tellerförmigen Grube liegen die kleinsten, an der Peripherie die
grössten. — Nach Pappenheim lässt sich der in kohlensaurem Kali erhärtete Glaskörper
fast zwiebelartig in concentrischen Schichten abblättern, welche denen von gekochtem
Eiweiss ähneln. Jede Schicht besteht aus unmessbar feinen , isolirten , und etwas ge
schwungenen Fäden oder fasern. — Brüche fand bei den Säugethieren die Anordnung
der Blätter oder Scheidewände so wie Pappenheim, beim Menschen dagegen so wie
Hannover. Nach diesem geht eine grosse Menge feiner Häute von der Membr. hyaloidea
einwärts in die Masse des Glaskörpers, ohngefli.hr wie die Scheidewände in einer
Orange. Die durch diese Scheidewände gebildeten Sectoren lagern sich um eine
gerade Linie, die man sich vom hintern Pole der Linse zur Eintrittsstelle der Art.
centralis retinae gezogen zu denken hat, sind jedoch gegen diese Achse hin offen
(fehlend), und übrigens so dünn und schwach lichtbrechend, dass sie sich im natürlichen
Zustande selbst mit bewaffnetem Auge nicht erkennen lassen. Brücke bemerkt in-
dessen , dass diese Septa allein nicht hinreichen , die Consistenz des Glaskörpers zu
erklären, daher man denn auch annimmt, dass die einzelnen Sectoren noch unterab-
getheilt seien durch dünne Zwischenwände , welche die Sectoren quer durchsetzen,
ohngefähr so, dass sie zur hintern Kapsel concentrisch verlaufen.
Gegen alle diese Präparationen und darauf basirten Folgerungen erhebt sich das
Bedenken, ob nicht, da alle die genannten Mittel von aussen nach innen gradatim
einwirken , mechanisch-chemische Einwirkungen allein oder doch vorwaltend die Ursache
einer bestimmten Schichtenbildung seien. Es ist wenigstens auffallend, dass jede dieser
Präparationsweisen eine andere Richtung der Zwischenwände erweist. "Welche Ansicht
über das Stroma des Glaskörpers man adoftiren möge, immer wird man gezwungen
sein, sich die Zwischenräume, in denen die Flüssigkeit haftet, sehr klein zu denken.
Statt mit einer Apfelsine möchte man den Glaskörper besser mit dem Parenchyme eines
Pfirsichs vergleichen, dessen Flüssigkeit von einem verschwindend zarten und spär-
lichen Stroma zusammen gehalten wird. Man kann vom Glaskörper aus den verschie-
densten Regionen immer eine einzige Portion mit einer feinen Pincette fassen und mit
einer Scheere abschneiden ; jede noch so kleine Portion besteht aus einem festen und
flüssigen Theile, und das Stroma scheint in den mittlem und hintern Portionen weder
feiner noch sparsamer, als anderswo zu sein, geschweige denn zu fehlen. Nach
Rosas füllt sich ein seiner Flüssigkeit durch rasches Verdunsten beraubter Glaskörper
gleich einem ausgedrückten Schwämme, wenn man ihn einige Stunden im Wasser liegen
lässt. — Wird bei einer Operation oder Verletzung ein Theil des Glaskörpers aus der
Wunde hervorgepresst , so besteht dieser (bei normaler Beschaffenheit des Glaskörpers
überhaupt) so gut aus Stroma als aus Vitrina. Ein Theil der hervorgepressten Flüssig-
keit fliesst ab, ein anderer Theil aber, am Stroma haftend, bleibt vor der Wunde, und
wird , falls das Ganze nicht allmälig ziirückgleitet , wolkig, trüb, bis es endlich erweicht,
eitrig schmilzt, und abgestossen wird. Vergl. B. IL S. 16.
Die Ernährung des Glaskörpers geschieht wahrscheinlich durch
En- und Exosmose vom Corpus ciliare aus, und zwar durch die mit der
Hyaloidea daselbst verschmolzene Zonula Zinnii hindurch. Wollte man
l*
4 Glaskörper.
auch mit Tluschke plasinaführende Vasa decolora im Glaskörper an-
nehmen, welche nicht sowohl aus den Ciliargefässen, als vielmehr aus
der Centralarterie der Netzhaut entsprängen , so würde man sich doch
vergeblich nach dem zweiten Elemente der unmittelbaren Ernährung,
nach Nerven umsehen. Der Glaskörper dürfte sich hinsichtlich der Er-
nährung analog dem Krystallkörper verhalten. Dort wie hier sind in
der Fötalperiode zahlreiche Gefässe vorhanden, welche von der Central-
arterie der Netzhaut gegen die tellerförm. Grube verlaufen; nach der
Geburt jedoch lässt sich keine Spur davon nachweisen, weder durch
Injectionen noch durch das Mikroskop, und es entwickeln sich auch in
verschiedenen pathologischen Zuständen mit Exsudation in dem Glas-
körper niemals Gefässe, wie etwa in der Hornhaut.
Mehrere pathologisch-anatomische Thatsachen sind es, welche dafür sprechen,
dass die Ernährung des Glaskörpers vom Ciliarkörper her erfolge. Bei hochgradig Kurz-
sichtigen findet man Sclera, Ader- und Netzhaut rings um den hintern Pol rückwärts
ausgedehnt, den Glaskörper bis zur Basis dieser Ektasie normal, von da rückwärts aber
durch wässrige Flüssigkeit ersetzt; zwischen ihm und der Eintrittsstelle des Sehnerven,
ja selbst zwischen ihm und einem grossen Theile der Netzhaut ist jede Spur von Ver-
bindung aufgehoben. — Wenn in Folge weit verbreiteter Chorioiditis Exsudation an
der Innenfläche der Aderhaut erfolgt, so findet man das Exsudat jenseits (hinter) der
Ora serrata jederzeit zwischen Chorioidea und Betina, diessseits jedoch stets auch
an der Innenfläche der Zonula Zinnii und der damit unzertrennlich verwachsenen Hya-
loidea, also im Glaskörper selbst abgelagert, gleichwie solches Exsudat oft auch im
Petitschen Canale und an der Hinterfläche der Iris, selbst in der vordem Kammer vor-
gefunden wird. Vergl. Chorioidea im 2. Bande. Ich habe bei allen bisherigen Sec-
tionen niemals Exsudat im Glaskörper gefunden, ohne dass auch der Ciliarkörper mit
ergriffen war, ausgenommen bei Chorioiditis pyaemica im Beginn, wo ein einzelner
hanfkorngrosser Eiterherd durch die Netzhaut gedrungen, und dieser in den Glaskörper
hineinragende Hügel von einem trüben (wolkenähnlichen) Hofe umgeben war. Wenn,
wie so oft bei chronischer Iritis, auch das Corpus ciliare in den Entzündungsprocess
hineingezogen wird , so leidet der Glaskörper viel früher , als noch die Zeichen von
Netzhautaffcction auftreten. In manchen Fällen wird der Bulbus allmälig weich und
endlich atrophisch; in andern tritt abnorme Spannung des Bulbus und selbst Vergrös-
serung mit Ausdehnung des vordem Umfanges der Sclera ein. In diesem letzteren
Zustande nun kommen Augen vor, bei denen sich Verflüssigung des Glaskörpers mit
Bestimmtheit nachweisen lässt , ohne dass das Gesicht anders , als mechanisch gestört
ist, demnach die Netzhaut als gesund oder doch relativ sehr wenig leidend angenom-
men werden muss.
Ich bin überzeugt, dass Krankheiten des Glaskörpers nur von 'Krankheiten der
Chorioidea, in specie des Ciliarkörpers abhängen, durchaus nicht von Krankheiten der
Netzhaut, ausser diese sind selbst durch Chorioidealleiden bedingt oder mit diesen ge-
meinschaftlich einhergehend. Amaurosis, von Kindheit bis in späte Jahre bestehend,
hat auf die Integrität des Glaskörpers keinen Einfluss; man hat bei vollständiger und
Jahre lang bestandener Atrophie des Sehnerven und consecutiv der Netzhaut den Glas-
körper normal gefunden, wenn die Atrophie nicht vom Auge selbst ausgegangen war.
Anatomie — Physiologie. 5
Andererseits kann Verflüssigung des Glaskörpers viele Jahre lang fortbestehen , ohne
dass die Netzhaut erkrankt. Ich beobachte hier seit beinahe 2 Jahren einen Tischler,
bei welchem sich aus unbekannter Ursache die Linsen, welche ein wenig minder klar
erscheinen, gesenkt haben, und in dem verflüssigten Glaskörper flottiren. Der Mann, 48
Jahre alt, von^blühend gesundem Aussehen, hatte noch während er die Schulen besuchte,
ein ganz gutes Gesicht. Allmälig war er kurzsichtig geworden, ohne sonst etwas
Abnormes in seinen Augen zu bemerken. Im Jahre 1847 wurde er ohne bekannte
Veranlassung von Doppeltsehen (diplopia monocularis oculi utr.) befallen, offenbar be-
dingt durch unvollständige Senkung der Krystallkörper. Der ihn behandelnde Arzt (Dr.
Ryba) hatte ihn besonders vor erschütternden Bewegungen des Kopfes gewarnt. Allmälig,
im Verlauf eines Jahres, verlor sich das Doppeltsehen. AVenn er auf dem Rücken liegt,
bemerkt er auf jedem Auge eine Scheibe, fast wie einen grossen Öltropfen, mit dunk-
lem Rande. Convexgläser , deren er sich Anfangs bediente, hat er wieder ablegen
müssen. Dieser Mann nun steht seinem Geschäfte vor, ohne von seinem Zustande
gehindert zu werden. Er kann selbst noch zeichnen und lesen. Nur in die Ferne
sieht er minder gut. Lesen kann er selbst einen 'As'" hohen Druck. Druck von 1 — 5/V"
Höhe liest er bei S" am besten, doch auch noch bei 5" und bis 12", etwas grösseren
Druck noch weiter (18"). Aber er kann diess nur dann, wenn er die Schrift
ganz nach unten hält, knapp vor der -Brust. Man kann annehmen, dass diess
daher rühre , weil bei dieser Haltung die Linsen sich wieder vorlegen und zur Strah-
lenbrechung mitwirken , denn es braucht immer einige Secunden, ehe er, nach Annahme
dieser Haltung, lesen kann. Die Untersuchung mit dem Augenspiegel wird leider nicht
gestattet. Doch konnte ich nie bemerken, dass etwa die Linse sich an die Iris an-
legte und diese vorwärts drängte. Es muss jedoch, um keine wichtige Thatsache zu
übergehen, noch bemerkt werden, dass der Mann das Lesen, Zeichnen u. dgl. nicht
mehr so lange wie vordem aushält, dass ihm dabei auf eine kurze Zeit das Gesicht ver-
geht (undeutlich wirdl. Den Schlüssel zur Erklärung gibt die Form der Bulbi. Die
Iris liegt tief hinter der Basis corneae und in Einer Ebene, die Pupillen sind (wie bei
mangelnder Linse immer) relativ eng, und die Regenbogenhäute schlottern. Beide Bulbi
sind in der Richtung der Sehachse eclatant verlängert, was man deutlich erkennt, wenn
man z. B. das linke Auge möglichst stark rechts blicken lässt, und nun die äussere
Commissur rückwärts drückt. Die Bulbi messen in der Sehachse mindestens 14"', der
linke noch etwas mehr: derselbe ragt überdicss etwas weiter aus der Orbita hervor als
der rechte, welcher durchaus nicht glotzend erscheint. Als ich diese Dimensionsabwei-
chung erkannt hatte, ergab sich, gleichsam als Rechnungsprobe, dass das linke Auge nur
zwischen 4 — (»" lesen kann, was der Kranke früher nicht gewusst hatte. Dass übrigens
die Engerie der Netzhaut nicht merklich gelitten haben kann , ergibt sich abgesehen
von dem schon Mitgetheilten noch daraus, dass der Mann auch durch eine feine Öff-
nung in einem Kartenblatte lesen kann.
Dass sich der Glaskörper regener ire, ist allgemein angenommen,
aber durchaus nicht erwiesen. Wir wissen nur, dass nach Verlust
eines nicht zu beträchtlichen Theiles davon der leer gewordene Raum
wieder ausgefüllt wird, und dass der Bulbus dann in Bezug auf Grösse
und Spannung nach einiger Zeit oft keine Differenz wahrnehmen lässt.
Das, was ersetzt wird, ist aber wahrscheinlich nicht Stroma, sondern
bloss Humor corporis vitrei oder wohl gar blosses Serum. Glücklicher-
6 Glaskörper.
weise geht bei den Glaskörpervorfällen während der Extraction in der
Regel nicht so viel Stroraa verloren, als man dem Anscheine nach
meinen möchte. Oft weicht das eines Theils seiner Flüssigkeit verlustige
Stroma wieder in seine frühere Lage zurück und füllt sich dann wieder
— so hat es wenigstens den Anschein — mit Vitrina, gleich einem
sich vollsaugenden ausgedrückten Schwämme.
Ich bin oftmals in der Lage gewesen, an Augen Pupillenbildung (durch Iridektomie)
vorzunehmen, wo nach der Extraction mit Glaskörperverlust Pupillensperre durch Ein-
löthung von Iris in die Hornhautnarbe entstanden war. In solchen Fällen stiess ich
nach Ausschneidung eines Irisstückes nicht selten auf eine dahinter gelegene trübe
Membran, gebildet durch die Kapsel und dazwischen eingeschlossene, in fibroide Masse
verwandelte Linsensubstanz. Wurde nun diese Membran mit einem Häkchen einge-
rissen , um den Lichtstrahlen freien Eintritt zu bahnen , so zeigte sich dahinter kein
normaler , sondern ganz verflüssigter Glaskörper oder vielmehr eine wasserklare und
wasserdünne Flüssigkeit, und der Bulbus fing an, mehr weniger stark einzusinken,
daher ich auch jetzt in solchen Fällen immer die Vorsicht gebrauche, den Kranken zu
chloroformiren oder doch bei der Operation liegen zu lassen, um wenigstens die Muskel-
action möglichst ausser Spiel zu bringen. Ich übersehe dabei nicht, dass Glaskörper-
verflüssigung (Verlust oder Zerstörung des Sti-oma) auch in solchen Fällen vorgefunden
wird , wo auch ohne Glaskörperverlust nach Beseitigung oder mehr weniger vollstän-
diger Resorption der Linse Pupillensperre eingetreten ist, aber hier ist diese Ver-
flüssigung keine constante Erscheinung. — Stellwag*) vertheidigt die Regeneration des
Glaskörpers (wenn auch eine unvollkommene) mit Folgendem : „Ich schliesse dieses
aus drei von mir sehr genau untersuchten Fällen, in welchen Cornealnarbenstaphylome
bestanden, der Krystallkörper aber in toto fehlte, an seiner Stelle die von einer ganz
normalen, keine Spur einer Trennung nachweisenden Glashaut überzogene tellerförmige
Grube mit bedeutender Convexität hervorragte und das Corpus vitreum ausser einer
kaum merklichen Consistenzabnahme seines mittleren Theiles keine Abweichung darbot.
Es war hier sicherlich der Krystallkörper unter einem namhaften Drucke durch den
Cornealdurchbruch hindurch entleert worden , und es ist dieses ohne Entleerung der
mittlem Portionen des Glaskörpers kaum denkbar. Hat aber diese stattgefunden , so
ist auch die Regenerationsfähigkeit des Glaskörpers erwiesen , welche übrigens schon
a priori durch dieses Vermögen der Linse und Hornhaut wahrscheinlich gemacht ist." —
Ich finde in dem Gesagten keinen Beweis für das Behauptete. Zunächst gelten die
Gründe a priori nicht, denn die Linse regenerirt sich nicht, mindestens müsste diess
erst nachgewiesen werden, und die Hornhaut hat Nerven und Gefässe (beide jetzt
auch mikroskopisch nachgewiesen). Ferner sagt St. selbst, es sei eine Entleerung der
Linse ohne Glaskörper doch denkbar, denn das kaum negirt nicht. Sie ist aber un-
wahrscheinlich, und unwahrscheinlich ist mir auch das, dass sich der „Krystallkörper
in toto" entleerte, im Auge auch keine Spur von Kapsel gefunden wurde, und doch
die Hyaloidea der tellerförmigen Grube normal, also vollständig regenerirt wieder ge-
funden werden konnte. Ich bin zwar nicht Stellwags Ansicht, dass die hintere Kapsel
unzertrennlich mit der Hyaloidea verwachsen sei, wohl aber der, dass die Zonula
Zinna mit der vordem Kapsel am Rande unzertrennlich verwachsen ist. Wurde der
) Die Ophthalmologie vom naturwissenschaftl. Standpunkte aus bearbeitet. Freiburg im Breisgau, 1853.
Anatomie — Physiologie. 7
Krystallkörper in toto herausgepresst , so musste auch die Zonula Zinnii ringsum los-
reissen, und dann war's auch um den Petitschen Canal geschehen, welcher doch nach
St. die Strömung von den Ciliarfortsiitzen zum Vordertheile des Corpus vitreum, also
die Ernährung und somit auch die Regeneration vermitteln soll. Wenn vom Krystall-
körper wirklich keine Spur vorhanden war, so ist die gewaltsame Entleerung desselben
eben nur Eine der möglichen Ursachen seines gänzlichen Mangels, und gesetzt auch
diese eine Ursache wäre wirklich die hier allein obwaltende gewesen, so folgt daraus
noch nicht, dass damit Glaskörperverlust einherging, denn Verlust von Glasflüssigkeit
ist nicht gleichbedeutend mit Verlust von glashäutigem Fachwerk, wie St. das Stroma
corp. vitrei benennt.
Die Verwundbarkeit des Glaskörpers ist im Allgemeinen sehr ge-
ring. Nicht nur Stich- und Schnitt-, sondern auch Risswunden des-
selben pflegen zu heilen, ohne dass eine wahrnehmbare Abnormität
zurückbleibt. Es ist bekannt, dass auf diese Eigenschaft gerechnet wird,
wenn man Staare dislocirt. Bei jeder Reclination oder Depression wird
nothwendig nebst der hinteren Kapsel auch die Hyaloidea in der teller-
förmigen Grube und ein Theil des Fachwerkes oder Stroma corporis
vitrei zerrissen. Es erfolgt darauf in der Regel keine Entzündung, oft
auch keine Verflüssigung des Glaskörpers, und der Riss der hinteren
Kapsel, also wohl auch der Hyaloidea, verheilt ohne sichtbare Narbe.
Wo auf solche Eingriffe, wie in der Mehrzahl der Fälle, nicht die Zeichen
von Verflüssigung des Glaskörpers folgen, darf und muss man wohl
annehmen, dass das zerrissene Stroma wieder vereinigt sei, und dass
seine Ernährung fernerhin ungestört vor sich gehe. Wo aber die Zeichen
von Verflüssigung auftreten, bleibt es unentschieden, ob diess die un-
mittelbare Folge der Zerreissung, oder secundär durch einen entzünd-
lichen Process seitens der Chorioidea bedingt sei, welcher mit Er-
weichung und Auflösung des Stroma und mit Ausscheidung von Serum
einhergeht.
Der Glaskörper ist bestimmt, den Raum zwischen der Linse und
Netzhaut so auszufüllen, dass letztere immer gespannt erhalten werde.
Wir werden weiterhin sehen, dass der Bulbus eigentlich nicht so viel
Flüssigkeit enthält, als er seinem Lumen nach enthalten könnte, und
dass demnach die Spannung, die er im Leben zeigt, nicht durch die
Contenta allein , sondern erst durch Mitwirkung muskulöser Gebilde zu
Stande gebracht werde. Als biegsam elastisches und doch incompres-
sibles Gebilde ist es einzig und allein der Glaskörper, welcher die zur
Accommodation nothwendigen inneren Veränderungen des Auges (Ver-
längerung des Abstandes zwischen Linse und Netzhaut) gestattet. Zer-
störung seines Stroma muss die Accommodation mehr weniger beschrän-
ken, wo nicht aufheben. Vermöge seiner eigenthümlichen Structur und
8 Glaskörper.
Consistenz trägt er überdiess zur Erhaltung des Krystallkörpers in seiner
Lage bei, und sichert sowohl diesen als die Iris vor zitternden Be-
wegungen und grösseren Exemtionen, in welche beide vermöge ihres
grössern speeifischen Gewichts bei raschen Bewegungen und Erschüt-
terungen des Bulbus versetzt werden mtissten.
Als vollkommen durchsichtiges und homogenes Gebilde von einem
bestimmten Brechungsverhältniss dient der Glaskörper nicht bloss zum
gradlinigen Durchgange der in ihn eingedrungenen Lichtstrahlen, son-
dern nimmt auch auf die Richtung der Lichtwellen beim Übergange
aus der Linse in den Glaskörper einen bestimmenden Einfluss. Nehmen
wir an, was höchst wahrscheinlich ist, dass sein Brechungsindex ent-
sprechend seiner Dichtigkeit falle und steige, so ergibt sich, dass er
den aus der Linse in ihn eintretenden Lichtstrahl um so mehr vom Ein-
fallslose ablenken müsse, je dünner er ist. Verflüssigung des Glas-
körpers (Umwandlung in eine dünnere, wasserähnliche homogene Flüs-
sigkeit nach zerstörtem Stroma) muss daher an und für sich Kurzsich-
tigkeit, i. e. frühere Vereinigung der Lichtstrahlen oder kürzere Brennweite
des Auges bewirken. Bei mangelnder Linse könnte der Glaskörper auch
dann, wenn er an seiner Vorderfläche convex wäre, keinen erheblichen
Einfluss auf den Refractionszustand des Auges nehmen, weil sein
Brechungsindex von dem des Kammerwassers sehr wenig differirt. —
Trübung des Glaskörpers in toto würde die Lichtmenge, die zur Netz-
haut gelangen soll, vermindern und überdiess einen Theil des durch-
gehenden Lichtes diffundiren. Einzelne dunkle (kein Licht durchlas-
sende) Partikelchen, wie etwa Pigmentklümpchen, sind zwar im Stande,
von dem Lichtkegel, den ein Object zur Netzhaut sendet, einzelne
Strahlen aufzufangen, können jedoch nur dann das Wahrnehmen eines
oder des andern Objectpunktes aufheben, wenn sie wegen zu naher Lage
an der Netzhaut und wegen zu grosser Ausdehnung alle von jenem
Objectpunkte kommenden Lichtstrahlen auffangen; wohl aber können
solche einzelne, selbst kleine Partikelchen im Allgemeinen als dunkle
Stellen des Sehfeldes wahrgenommen werden durch den Schatten,
welchen sie auf die Netzhaut bei allgemeiner Beleuchtung derselben
werfen. Siehe später: entoptische Erscheinungen.
B. Krankheiten des Glaskörpers.
Die verschiedenen abnormen Zustände des Glaskörpers sind in ihrer
Entstehung und in ihrem Fortbestande zumeist von dem Zustande der
Krankheiten. 9
ihn unisckliessenden Gebilde abhängig. Es muss ihrer Betrachtung je-
doch ein eigener Abschnitt gewidmet werden, theils um die Umstände
zu erörtern, welche zeigen, ob und in welcher Weise der Glaskörper
mitleide, theils aber auch, um die Metamorphosen zu schildern, welche
bei einmal gegebener Veränderung im Glaskörper, z. B. einem Bluter-
gusse, zu erwarten stehen.
Mit Übergehung des Coloboma corp. vitrei, welches mit dem gleich-
namigen Bildungsfehler der Iris und Chorioidea bereits im 2. Bande S. 122
erwähnt wurde, und der verschiedenen Verletzungen des Glaskörpers,
von denen gleichfalls schon mehrmals die Rede war, werden wir gleich
zur Betrachtung jener abnormen Zustände schreiten, w7elche in ihren
Erscheinungen eine gewisse Selbständigkeit darbieten, und deshalb ge-
wöhnlich als eigentliche Erkrankungen des Glaskörpers beschrieben
werden, obgleich sie von Erkrankung anderer Organe abhängen. Es
sind diess: der Bluterguss, die Verflüssigung und das Vorkommen
faserstoffiger Exsudate im Glaskörper. Die Bildung von Entozoen und
in manchen Fällen vielleicht auch das Zerfallen des Stroma mit oder
ohne Fettbildung innerhalb der Glashaut sind wohl die einzigen Ab-
normitäten, welche dem Glaskörper an und für sich zukommen. Die
eitrige Schmelzung des Glaskörpers, sowie seine Verdrängung durch
Chorioidealexsudate oder durch Pseudoplasmen, welche von den Nach-
barhäuten ausgehen, sind Zustände von so untergeordneter Bedeutung,
dass sie hier keine besondere Besprechung erheischen.
Die Zustände nun, welche hier zur Sprache kommen sollen, haben
ein einziges Symptom constant, wenn auch in verschiedener Weise, im
Gefolge, nämlich Störung des Gesichtes. Veränderungen des Bulbus in
Form, Grösse und Spannung sind in der Regel die Begleiter von Zu-
oder Abnahme der Masse des Glaskörpers, welche meist mit Verände-
rung seiner Dichtigkeit und Zerfall seines Stroma einhergeht. Die Lage
der Iris und der Linse erleidet nur bei höheren Graden dieser Abnor-
mitäten eine für die Diagnosis benutzbare Veränderung. Die Störungen
seiner Durchsichtigkeit lassen sich selten durch Besichtigung der Pu-
pille, meistens hur mittelst des Augenspiegels sicher erkennen, oft je-
doch auch aus den sogenannten entoptischen Erscheinungen nach der
Methode von Listing, Brewster und Donders mit mehr weniger Verläss-
lichkeit in Bezug auf Lage und Ausbreitung erschliessen.
Den Vorgang bei diesen Methoden so wie die Untersuchungsweise mit dem Augen-
spiegel werden wir im nächsten Buche bei der Untersuchung der Netzhaut nachtragen.
10 Glaskörper.
I. Blutergiessungen
im Glaskörper kommen in verschiedener Ausdehnung und nach ver-
schiedenen Veranlassungen vor. Sie entstehen zunächst nach Verletzun-
gen mit momentaner Abplattung oder auch bloss mit Erschütterung des
Bulbus. Ich habe sie beobachtet, wenn ein fremder Körper, etwa ein
Stück Holz, mit einer gewissen Gewalt an den untern oder obern Or-
bitalrand angeprallt war, ohne dass sich am Bulbus selbst äusserlich
eine Verletzung wahrnehmen liess, ja auch ohne beträchtliche Ekchy-
mosen der Lider. Im Momente der Verletzung pflegen feurige Erschei-
nungen aufzutreten, doch nicht immer. Das Sehvermögen ist sogleich,
beschränkt oder aufgehoben , oder es wird erst später mehr und mehr
beeinträchtigt. Die Pupille war zur Zeit, wo ich solche Verletzte zu
sehen bekam, der des andern Auges gleich, oder erweitert, gleich- oder
ungleichmässig (oval) und selbst bei noch deutlicher Lichtempfindung
trag oder ganz unbeweglich. Die Untersuchung mit dem Augenspiegel
liess in einigen Fällen den Hintergrund des Auges gar nicht wahr-
nehmen, offenbar wegen zu reichlichen Blutergusses, denn später, nach
Senkung oder theilweiser Besorption desselben ergab dieselbe Unter-
suchung den Beweis, dass Blutaustretung stattgefunden hatte. Bei
sehr reichlichem Blutergusse kann auch die Spannung des Bulbus ver-
mehrt und die Linse sammt der Iris allmälig etwas vorgedrängt wer-
den. — Wo die Verletzung den Bulbus direct getroffen, ist meistens
auch Blut in der vordem Kammer ergossen, offenbar durch Berstung
von Irisgefässen , wenn man auch einen Querriss oder periphere Ab-
lösung der Iris nicht mit den Augen auffinden kann. Solche Blutaus-
tretungen in der vordem Kammer scheinen übrigens nicht nothwendig
mit Blutergüssen in der Tiefe des Auges verbunden zu sein ; ich schliesse
diess zwar nicht aus directer Untersuchung, vermuthe es aber aus dem
Umstände, dass sich, wenigstens in einigen solchen Fällen, nachher
keine Sehstörung wahrnehmen liess.
Blutergüsse in dem Glaskörper entstehen ferner, obgleich seltener,
nach heftigen körperlichen Anstrengungen mit momentaner Blutstauung
und synergischer Augenmuskelcontraction , wie beim Husten, beim Er-
brechen, beim Heben schwerer Lasten u. dergl., zumal wenn diese bei
erhitztem Körper, in berauschtem Zustande, bei Circulationsstörungen
von Seite des Herzens, der Aorta, der Lungen stattfinden.
Am häufigsten und leichtesten erfolgen kleine Blutergüsse bei
krankhaften Zuständen des Bulbus, bei activer oder mechanischer Hy-
Blutergüsse. 1 1
perämie der Ader- und Netzhaut und bei verminderter Resistenzkraft
der Wandungen des Bulbus (Ektasien der Hornhaut oder der Sclera im
weitesten Sinne des Wortes) spontan oder nach anhaltender Anstrengung
der Sehkraft.
Dr. r. Gräfe*), dem über Glaskörperblutungen eine ausnehmend grosse Zahl ge-
nauer Beobachtungen zu Gebote steht, bemerkt über die Disposition dazu ohngefahr Fol-
gendes: „Die Hauptursache bildet die Sclerotico-chorioiditis posterior, jene Amblyopien
so häufig zu Grunde liegende Krankheitsform, bei welcher durch chronische Entzündung
der Chorioidea die Sclerotica sich um den hintern Augenpol ausdehnt, und die ekta-
tische Partie derselben durch die atrophirte Chorioidea hindurch ein intensives weisses
Lieht hindurchwirft , wesshalb sie das Aussehen einer um den Sehnerveneintritt vor-
■\valtend nach aussen hin anliegenden weissen Plaque gewährt."**) — „Ich habe Kranke
behandelt, welche beinahe periodisch in den Intervallen einiger Monate durch intra-
oculare Blutungen das Sehvermögen vollkommen verloren. Auffallender "Weise waren
sie beinahe durchweg jugendliche Individuen in den 20er, 30er, höchstens 40er
Jahren. In einigen Fällen wies die Oomplication mit apoplektischen Anfällen nicht
ohne Wahrscheinlichkeit auf Gefässleiden hin; in ziemlich vielen Fällen war früher
starkes Nasenbluten vorhanden gewesen, welches seit der Zeit sistirte ; in zwei Fällen
schien die Cessation von Hämorrhoidalblutungen , in einem andern das Ausbleiben von
Fussschweissen in einem ursächlichen Verhältnisse zu dem Übel zu stehen. Diese
Momente sind natürlich für die Behandlung von der grössten Wichtigkeit, da wieder-
kehrende Glaskörperblutungen doch sehr ernste Befürchtungen veranlassen. Es pflegen
nämlich nicht allein von jeder Blutung Glaskörperopacitäten zurück zu bleiben , sondern
die sich häufenden Perforationen der Netzhaut geben zu Defecten im Gesichtsfelde
Anlass; die grösste Gefahr aber ist die, dass sich bei wiederkehrenden Anfällen der
Effusion in den Glaskörper ekehymotische Netzhautablösung substituirt ; desshalb findet
man auch sehr häufig Erblindung auf einem Auge durch Netzhautablösung mit deren
weitem Folgen (Cataracta mollis , aecreta mit oder ohne Atrophia bulbi) , während auf
der andern Seite Glaskörperflocken als Residuen periodisch wiederholter Blutungen
entdeckt werden." — „Bei für sich bestehenden Erkrankungen der Netzhaut ist das
Vorkommen von Blutergüssen in den Glaskörper sehr selten. Als Gelegenheitsursachen
werden neben Verkühlungen und Nachtwachen besonders häufig von den Kranken Ein-
fall hellen , strahlenden Sonnenlichtes und anhaltende Accommodation für die Nähe
angegeben. Diese letztere könnte durch die ununterbrochene Muskelspannung und die
hiemit in Verbindung stehende Behinderung im Ausflusse des Venenblutes allerdings ein
wichtiges Moment abgeben." Mir scheint es, dass nicht im Momente der Spannung,
sondern in dem darauf folgenden der Erschlaffung (zumal bei verminderter Wider-
standsfähigkeit der Bulbuswandungen, also bei Ektasien) die nächste Veranlassung zur
Gefässberstung gegeben sei, und zwar ob des plötzlich aufgehobenen Druckes auf die
Gefässe, welche bekanntlich so gut wie der gesammte Inhalt des Bulbus stets unter
einem nur wenig variablen Drucke (adäquat der Spannung des Bulbus) stehen.
*) Archiv für Ophthalmologie. Berlin 1654. Bd. I. Abth. 1. S.
**) Die Thatsache ist richtig; in der Auffassung derselben jedoch kann ich Gräfe nicht beistimmen. Die
Ausdehnung, von der hier die Rede ist, bisher gewöhnlich Staphyloma posticum Scarpae genannt,
ist nicht durch Entzündung der Chorioidea und Sclera bedingt, wie ich in dem Capitel über Accom-
modation nachweisen werde, wenigstens in der Mehrzahl der Fälle nicht. Zur Hämorrhagie im
Glaskörper steht dieser Zustand nur als Ektasie in ursächlicher Beziehung.
12 Glaskörper. *
Woher das in den Glaskörper ergossene Blut komme, ist noch
nicht völlig- sicher gestellt. In einem Falle, den ich zur Section bekam,
war das Blut wohl vom Corpus ciliare in den Glaskörper gelangt, denn
es war im vordem Bereiche desselben am reichlichsten ergossen und
verlor sich ganz allmälig gegen den hinteren Pol hin, in dessen Nähe
keine Spur davon zu finden war. Mit dem Augenspiegel sieht man mit-
unter kleine Extravasate so nahe an der Netzhaut, dass man sie wohl
als von dieser her eingedrungen betrachten muss. Ob sie aber aus den
Centralgefässen der Netzhaut stammen, oder, wie Gräfe 1. c. annimmt,
aus Chorioidealgefässen durch die Netzhaut hindurch in den Glaskörper
dringen, bedarf noch weiterer Bestätigung.
Wenn intraoculare Blutungen den Ausgangspunkt zu Glaskörperopacitäten bildeten,
so konnte als der Quell dieser Blutung nach stattgefundener Resorption immer die
Chorioidea nachgewiesen werden, denn es waren dann allemal Zeichen von namhaften
Circulationsanomalien in derselben , wie Reste alter Ekchvmosirungen in den Intervas-
cularräumen u. s. w. vorhanden, ja ich konnte in einzelnen Fällen den Ort der Blutung
und der Netzhautperforation deutlich nachweisen. Es scheint, dass, wenn vom hintern
Thcil der Chorioidea Hämorrhagien ausgehen, die Netzhaut Widerstand leistet, und
sich leichter ein ekchymotischer Sack zwischen beiden Membranen bildet, dass diess
aber gegen die Ora serrata hin weit seltener vorkommt, als Durchbruch der Retina
und Erguss in den Glaskörper. Der Durchbruch ist für die Erhaltung des Sehver-
mögens unendlich günstiger, da der meist beschränkte excentrische Durchbruch, welcher
sich später nicht selten durch einen Pigmentfleck verräth, von keinem erheblichen Ein-
fluss ist, und der übrige Theil der Netzhaut, wie es die Rückkehr des Sehvermögens
beweist, der nervösen Leitung nicht entfremdet wird, während die einmal abgelöste
Netzhautpartie meinen Erfahrungen zu Folge niemals die Leitungsfähigkeit wieder er-
langt." Gräfe ibidem.
Das Blut im Glaskörper wird entweder vollständig, oder nach man-
nigfachen Umwandlungen nur theilweise resorbirt. Diese Zersetzung
und Zurücklassung einzelner Bestandtheile von der einen und die Zer-
trümmerung des Glaskörpergerüstes von der anderen Seite bewirken,
dass das Stroma in mehr weniger grosser Ausdehnung bleibend zer-
stört, der Glaskörper ganz oder theilweise in eine einfache dünne Flüs-
sigkeit verwandelt wird, in welcher mehr weniger dunkle Elemente in
Form von Punkten, Fäden, Flocken u. dergl. theils suspendirt, theils
präcipitirt sind, und bei raschen Bewegungen des Bulbus auf dieselbe
Weise aufwallen, wie etwa Käseflocken in einer mit Molken gefüllten
Flasche. — Bei spontan eingetretenen Blutungen ist die Prognosis min-
der günstig, weil sie selbst ohne besondere Veranlassung gern wieder-
kehren, und weil die Kesorption relativ langsamer erfolgt, als nach
Verletzungen, die ein gesundes Auge in einem gesunden Individuum
betroffen haben. Es sind verlässliche Beobachtungen bekannt, wo nach
Blutergüsse. 13
Verletzurlgen mit Blutergiessung, welche das Sehen gänzlich aufgehoben
hatte, vollständige oder doch nahezu völlige Wiederherstellung des Seh-
vermögens (bei geeigneter Behandlung) eintrat. Doch können reichliche
Extravasate auch zu heftiger Entzündung und zu eitriger Zerstörung des
Bulbus führen.
Von den Erscheinungen, welche auf Glaskörperbluterguss nach
äussern Gewalttätigkeiten deuten, war bereits die Rede. Spontane
Blutergüsse kündigen sich gewöhnlich durch das plötzliche Auftreten
eines dunkeln Fleckes, einer Wolke oder eines Nebels im Sehfelde an,
wie wenn sich etwas vor das Auge gelegt hätte, das der Betroifene
durch Reiben, Wischen u. dergl. beseitigen zu müssen vermeint. Bis-
weilen ist auch das Gefühl von Druck, wie von einem fremden Körper
vorhanden. Später geschieht es, dass das Hinderniss des Sehens seine
Natur durch einen röthlichen oder grünlichen Schein, durch eine ge-
wisse Beweglichkeit im Sehfelde und durch eine Form andeutet, welche
füglich nur auf einen vor der Netzhaut gelegenen, specifisch schwerern
und doch flüssigen Körper bezogen werden kann. Eine solche begrenzte
Blutergiessung erscheint dem Betroffenen Anfangs als eine schwarze,
kreis- oder eirunde Scheibe im Sehfelde, von verschiedener scheinbarer
Grösse und Entfernung vor dem Auge, doch im Ganzen immer dieselbe
relative Stelle des Sehfeldes einnehmend, nur mit der Zeit sich senkend
lim Sehfelde höher gelegen). Später, wenn bereits Auflösung oder Re-
sorption im Gange ist, und der specifisch schwerere Theil sich senkt,
oder bei raschen Bewegungen des Bulbus nach dem Gesetze der Träg-
heit eine differente Geschwindigkeit erhält, werden die Contouren wie
verwaschen, und erscheint der dünnere (durchscheinende) Theil röthlich,
rostbraun, dunkelgrün oder grau; dieser Theil erscheint bei ruhigem
Blicke im Sehfelde nach unten, weil vor einem höher gelegenen Theile
der Netzhaut befindlich, bei raschen Seitenbewegungen schweifähnlich
nachziehend (z. B. bei Einwärtsrollung des Auges scheinbar von aussen
nach innen ziehend) u. s. w.
Lässt die Blutmasse noch Raum zur Beleuchtung der Netz- und
Aderhaut frei, so zeigt der Augenspiegel bisweilen dieselbe wenigstens
stellenweise roth (durchscheinend), meistens aber nur schwarz (dunkel);
sie durch auffallendes Licht sichtbar zu machen, ist mir bisher nicht
gelungen. Nach erfolgter Auflösung und theilweiser Resorption des
Blutes sieht man Klümpchen, Flocken oder Fäden; oft entgehen diese
der Beobachtung, weil sie sich in dem verflüssigten Glaskörper zu tief
gesenkt haben, und werden erst sichtbar, wenn man sie durch eine
rasche Bewegung des untersuchten Auges (besonders in verticaler Rieh-
14 Glaskörper.
tung) gleichsam aufrüttelt. „Solche Patienten sehen ihre Opacitäten beim
raschen Blick nach unten, wo sie in den obern Theil des Gesichts-
feldes treten, um bald darauf durch eine aufsteigende Bewegung die
Grenze desselben wieder zu überschreiten. Ich sah häufig Patienten,
welche nur einige Worte oder Zeilen hinter einander lesen konnten,
bis sich das Gesichtsfeld mit den Schatten der Opacitäten verdunkelte,
dann mussten sie, um weiter zu lesen, rasch und mit einer gewissen
Inipetuosität nach oben sehen." (Ginife.)
Bei der Behandlung wird zunächst zu unterscheiden sein , ob man
eine frische Blutung oder bloss deren Kesiduen und Folgezustände vor
sich habe. In letzterem Falle dürfte die Aufgabe der Therapie erschöpft
sein mit der Angabe der Momente, welche fernere Blutergüsse zur
Folge haben können. Bei frischen Blutungen wird natürlich das ätio-
logische Moment nicht zu vernachlässigen sein, jedoch zunächst von Kühe
des Auges sowohl als des Körpers (wobei jedoch massige Bewegung im
Freien im Allgemeinen eher als wohlthätig zu bezeichnen sein wird),
von der Anwendung kalter Wasser- oder weingeistiger Überschläge,
kühlender Abführmittel (weinsteinsaure Salze, Bitterwasser u. dergl.),
besonders aber verdünnter Tinct. arnicae auf die geschlossenen Augen-
lider das Meiste zu erwarten sein. Später Einreibungen von Jodkalium-
salbe an der Stirn- und Schläfegegend.
II. Verflüssigung des Glaskörpers.
Mit dem Namen Synchysis pflegt man Zustände des Glaskörpers
zu bezeichnen, welche die gänzliche oder theilweise Zerstörung und Auf-
lösung des Fächerwerkes mit einander gemein haben, ausserdem aber
mehr weniger verschieden sind, man mag nun auf ihre Entstehung und
pathologische Bedeutung zurückgehen, oder die Menge, die Durchsichtig-
keit und sonstigen physikalischen Eigenschaften der Flüssigkeit betrach-
ten, welche die Stelle des normalen Glaskörpers vertritt.
Die Erscheinungen, aus denen man auf Synchysis schliessen kann,
wurden bereits dort angegeben, wo ihre Erkennung von der grössten
Wichtigkeit ist, nämlich bei der Cataracta im II. Bande S. 287. Bei noch
durchsichtiger oder mangelnder (entfernter oder versenkter) Linse kom-
men der Diagnostik nebst den optischen Störungen noch jene Zeichen
zu Hülfe, welche die Untersuchung mit dem Augenspiegel in jenen
Fällen gewährt, wo in dem aufgelösten Glaskörper dunkle Elemente
schweben oder durch rasche Bewegungen aufgerüttelt werden können.
Es kommen nämlich, ausser den durch Blutergüsse veranlassten Trü-
Verflüssigung — Syuchysis. 15
bungen, noch bei vielen andern Zuständen, namentlich aber bei con-
gestiven und entzündlichen Leiden der Retina und Chorioidea Trü-
bungen in dem verflüssigten Glaskörper vor. Zur Erkennung derselben
möge folgende Schilderung von Gräfe dienen. „Am schwierigsten zu
erkennen (mit dem Augenspiegel) sind die sogenannten diffusen oder
punktförmigen Glaskörperopacitäten, weil sie einen feinen Schleier vor
das Netzhautbild ziehen, welcher die scharfen Contouren des Sehnerven-
eintrittes, der Gefasse u. s. w. verwischt. Bei genauer Untersuchung kann
mau aber diesen Schleier in eine Unzahl von Punkten zersetzen, was
besonders schwierig ist, wenn eben diese Punkte nicht in einer, son-
dern in verschiedenen Schichten des Glaskörpers liegen ; liegen sie in
einer Schicht, so stellen sie eine fein gesprenkelte, durchscheinende
Membran vor, welche sich durch Verschiebung ihrer einzelnen Theile
bald zusammenziehen, bald ausdehnen, und vor dem Augenhintergrunde
wie ein Netz aus zartem Gewebe hin und her zu ziehen scheinen ;
liegen sie in verschiedener Tiefe, so stellt sich das Ganze wie ein un-
endlich feiner Staub oder Regen dar, der nach den Bewegungen des
Auges sich in einzelnen Theilen zu etwas dichteren Massen zusammen-
ballt, um dann bei fixirter Sehachse entweder gleichmässig oder in ver-
schiedenen Zügen, den verschiedenen Regionen des Auges entsprechend,
herabzusinken. Die Kranken haben entweder die Empfindung eines
Nebels, der vor den Objecten schwebt, oder von Strömungen in der
Luft, wie durch Insectenschwärme oder derlei hervorgebracht. Diese
Trübungen stören weit mehr, als grosse, aber umschriebene Trübungen,
weil bei diesen letzteren die dazwischen liegenden Theile des Glas-
körpers vollkommen transparent sind. Es findet in Betreff des Sehver-
mögens etwas Ahnliches statt, wie bei der Hornhaut und der Linse,
in welchen auch compacte, aber umschriebene Trübungen , wenn sie
einen Theil des Pupillargebietes frei lassen, weit geringere Störungen,
als diffuse feinere (durchscheinende) Trübungen hervorbringen. — Fi-
lamentöse Opacitäten erscheinen ophthalmoskopisch als ziemlich dunkle,
einfache oder verschlungene Fäden, die sich bei den Bewegungen ver-
kürzen und wieder verlängern; die Kranken pflegen sie desshalb mit
Schlangen, mit Insectenbeinen u. dgl. zu vergleichen. — Membranöse
Trübungen bilden stark durchscheinende, zuweilen ebenfalls gespren-
kelte Membranen, welche sich bald aufrollen, bald entfalten, und hie-
durch ein sehr polymorphes Ansehen darbieten. Bei den Kranken er-
regen deren Schatten die Erscheinung eines Spinnengewebes, was sich
rasch entwickelt, und dann wieder plötzlich in einzelne Fäden zusam-
menfällt. — Flockige Opacitäten bilden einzelne Pfropfe von verschie-
1 6 Glaskörper.
deuer Ausdehnung;, oder sind gröbern Schneeflocken, kleinen Wölkchen,
organischen Gerinnseln u. s. w. zu vergleichen. — Ein besonders in-
teressantes Ansehen gewinnt der Glaskörper, wenn neben diesen oder
ganz unbestimmbar geformten Opacitäten, wie es nicht selten zu gesche-
hen pflegt, noch zahlreiche Choleslearinkry stalle suspendirt sind, welche
zum Theil diesen Opacitäten adhäriren, zum Theil sich zwischen den-
selben, wie es scheint, frei befinden."*)
Über die Entstehung und pathologische Bedeutung der verschiedenen
Zustände des Glaskörpers mit Verlust seines Gefüges und seiner Con-
sistenz lässt sich wenig Positives angeben. In vielen Fällen ist mecha-
nische Zertrümmerung seines Gerüstes eine nachweisbare Ursache dessen,
dass man statt des Glaskörpers bloss eine wässrige nur etwas salz-
und eiweisshaltige Flüssigkeit findet. Diese Umwandlung betrifft bald
nur einen Theil, bald die ganze Masse. Man beobachtet sie nach Vor-
fall und Verlust eines Theiles des Glaskörpers durch die Extraction,
durch zufällige Verletzungen der Cornea oder Sclera, durch Hornhaut-
geschwttre mit Durchbruch und consecutive Berstung der Glashaut.
Auch die Verflüssigung bei Hornhautstaphylomen scheint zunächst durch
Zerreissung des Glaskörpers (temporärer oder bleibender Luxation des
Krystallkörpers) eingeleitet zu werden, obgleich hier wohl noch ein
zweites Moment, wovon später, hinzuzutreten pflegt. Synchysis tritt
häufig, partiell wahrscheinlich immer ein nach der Depression und nach
der Reclination der Linse. Doch dürfte auch an dieser Verflüssigung
ein entzündlicher Process einigen Antheil nehmen. Sie entsteht ferner
in vielen Fällen nach absichtlicher oder zufälliger Eröffnung der Linsen-
kapsel, wenn die gänzliche oder theilweise Resorption (Verschrumpfung)
der Linse unter heftigeren Zufällen (starker Reaction) erfolgt, daher
man auch hinter der Cataracta aridosiliquata und membranacea sehr
oft einen wässrigen Glaskörper findet. Von der auf Bluterguss folgen-
den Verflüssigung des Glaskörpers war bereits die Rede. — In andern
Fällen scheint die Verminderung des auf den Gefässen im Inneim des
Auges lastenden Druckes den ersten Anstoss zur Ausscheidung von
Serum und zur Verflüssigung des Glaskörpers zu geben. Es ist eine
Art Hydrops ex vacuo, analog der Ansammlung von Serum in der
Schädelhöhle, wenn dieselbe durch Verdünnung der Knochen geräumi-
ger geworden ist. Die Gefasse des Auges stehen unter einem perma-
nenten Drucke, adäquat der Spannung des Bulbus. Ein wesentliches
*) Dass die durch solche Operation verursachten Wahrnehmungen der Kranken von den bekannten
fliegenden Mücken, die jedes gesunde Auge sich vorführen kann, ganz verschieden sind, ergibt sich
schon aus der eben gegebenen Beschreibung derselben. Wir kommen später darauf zurück.
Verflüssigung — Synehysis. 17
Moment zur Erhaltung dieser letzteren bilden die Wandungen, welche
bis zu einem gewissen Grade resistent und elastisch sind. Durch die
Scheidewand, welche der Krystallkörper mit dem freien Theile der Zo-
nula Zinuii und den Ciliarfortsätzen zwischen Humor aqueus und Cor-
pus vitreum bildet, und welche durch den Ciliarmuskel an die Bulbus-
waud befestigt und gespannt erhalten wird, zerfällt der Bulbus in zwei
isolirte Bäume , von denen ein jeder bis zu einem gewissen Grade un-
abhängig von dem andern aus der eben erwähnten Ursache ausgedehnt
werden kann. Geht die Resistenz und Elasticität der Cornea aus was
immer für einem Grunde verloren, so erfolgt vermehrte Ausscheidung
von Serum, und zwar zunächst nur vor der genannten Scheidewand,
so lange diese selbst noch hinreicht, im Verein mit den Augenmuskeln
den hinter ihr gelegenen Theil des Bulbus in gehöriger Spannung zu
erhalten. So erfolgt die Ausdehnung der Cornea in Folge von Pannus
und Keratitis, beim Keratokonus und bei manchen Fällen von Horn-
hautstaphyloin. Analog verhält sich's mit der Ausdehnung der Sclera,
sobald diese ihre Resistenz und Elasticität stellenweise oder durchaus
eiugebüsst hat. Diess geschieht häufig partiell in Folge umschriebener
Entzündung und Verwachsung der Chorioidea und Sclera, aber auch
ohne Entzündung, und zwar in Folge anhaltenden Druckes auf die hin-
tere Wandung des Auges rings um den hintern Pol. Demgemäss finden
wir constant Verflüssigung mit vermehrter Ausscheidung bei Ektasien
der Sclera im Bereiche des Ciliarkörpers , und auf diese Weise dürfte
das Vorkommen rein wässriger Flüssigkeit zu erklären sein, welche
man in Augen mit Staphyloma posticum Scarpae zwischen der Netzhaut
und dem Glaskörper findet, genauer bezeichnet: in welche der Glas-
körper sich nach hinten allmälig auflöst. — In anderen Fällen bemer-
ken wir, dass trotz der Isolirung durch die genannte Scheidewand den-
noch Verminderung der Resistenz und vermehrter Erguss in den einen
Raum Flüssigkeitsvermehrung in dem andern Räume zur Folge hat.
Ich verfolge seit Jahren die Thatsache der Beobachtung, dass Augen
mit etwas ektatischen Hornhautnarben bei reiner und etwas weiterer
Pupille und ohne besondere Zufälle allmälig erblinden, und sich dann
abnorm gespannt anfühlen. War ich schon vor der Anwendung des
Augenspiegels zu dem Wahrscheinlichkeitsscklusse gekommen, dass hier
die Erblindung nicht von Entzündung der Netz- oder Aderhaut aus-
gehe, so hat mich eine möglichst sorgfältige Untersuchung mit diesem
Instrumente in einigen mir jüngst vorgekommenen Fällen um so mehr
in der Annahme bestärkt, dass hier die Netzhautfunction nur durch
Druck von seröser Ausschwitzung im Glaskörper vernichtet werde. Unter
Arlt Augenheilkunde. III. 2
18 Glaskörper.
den hieher gehörigen Fällen waren mehrere, welche nur kleine Narben
mit vorderer Synechie und geringer Verziehung der Pupille darboten,
so dass die ophthalmoskopische Untersuchung ganz gut möglich, und
nur durch die abnorme (gegen die etwas vorgetriebene Narbe auf-
steigende) Wölbung der Hornhaut etwas beeinträchtigt war. Die Ab-
weichung der Cornealwölbung von der Sphäricität Hess sich bestimmt
und deutlich an den Spiegelbildern derselben nachweisen. Das Netz-
hautleiden konnte nicht als Folge des Entzündungsprocesses, welcher
den Cornealdurchbruch bewirkt hatte, betrachtet werden, weil, wie in
einigen Fällen bestimmt erwiesen war, die Kranken nach erfolgter Ver-
narbung noch längere Zeit gut gesehen, selbst mehrere Wochen anhal-
tend sich mit Lesen, Schreiben u. dgl. beschäftigt hatten, theils weil
der Process ein solcher gewesen war, welcher erfahrungsgemäss nicht
tiefer eingreift, wie namentlich Conjunctivitis scrofulosa und Bindehaut-
blennorrhöe mit etwa hanfkorngrosser peripherischer Hornhautdurch-
bohrung (letztere als sogenannte Ophthalmia militaris). — Glaskörper-
verflüssigung finden wir oft in Augen nach Iritis, besonders chronischen
Verlaufes, und zwar, wenn es nicht in Folge von Erweichung der vor-
dersten Partie der Sclera zu Ausdehnung dieser letzteren (Birnform des
Auges oder Staphyloma anticum) gekommen ist, gewöhnlich mit deut-
licher Volumenabnahme oder mit verminderter Spannung des Bulbus.
Man darf hier wohl annehmen, dass die Ernährung des Glaskörpers in
Folge dessen leidet, weil das Corpus ciliare durch Übergreifen des Ent-
zündungsprocesses der Iris auf dasselbe verändert worden ist. Darauf deu-
tet in solchen Fällen auch eine eigenthümliche Veränderung in der Struc-
tur und Farbe der Iris, welche füglich nicht von directer Veränderung
der Iris durch Exsudat, Bluterguss u. dergl., sondern nur von mangel-
hafter Ernährung ob des veränderten Corpus ciliare abgeleitet werden
kann. Übrigens muss noch bemerkt werden, dass Bulbi, die sich wäh-
rend und noch einige Zeit nach Entzündung der Iris weicher anfühlen,
nicht etwa durchaus immer so bleiben, sondern in der Regel allmälig
wieder die normale Spannung annehmen.
Auflösung des Glaskörpers findet sich öfters bei altern Leuten, de-
ren Linse getrübt oder doch auf dem Wege dazu ist. Solche Leute
sind amblyopisch. Diess zeigt das Missverhältniss zwischen der Sehstö-
rung und der sichtbaren Trübung am besten bei der Gräfe'schen Licht-
probe, indem der Kranke den Schein einer Kerzenflamme bei weitem
nicht auf so grosse Distanz wahrnimmt, als es bei gesunder Netzhaut
sein müsste. Die ophthalmoskopische Untersuchung ergab mir, wenigstens
in einigen Fällen, keine Veränderung der Netz- oder Aderhaut, womit
Verflüssigung — Synchysis — Exsudate. 19
freilich das Bestehen feinerer Veränderungen nicht ausgeschlossen ist.
Die Trübung der Linse pflegt sich langsam zu entwickeln, und zwar
vom Kern aus, und dieser erscheint lauge Zeit hindurch grünlich, oder
auch, nach längerem Bestände, mehr weniger dunkelbraun. Die Kran-
ken pflegen, wenn man ihnen nach der Staaroperation ein Glas Wasser,
ein weisses Tuch und dgl. vorhält blau zu sehen. Bei der Extraction
tritt bisweilen das bekannte Collabiren ein, oder es fliesst gleich beim
Hornhautsehnitte mehr Flüssigkeit ab, als in der Augenkammer allein
enthalten sein konnte. Es dürfte diese Veränderung des Glaskörpers
wohl als seniler Schwund seines Gerüstes zu betrachten sein, der bald
mit. bald ohue Abnahme der Menge seiner Flüssigkeit, bisweilen auch
mit Zunahme derselben oder vielmehr mit Vertretung durch eine rein
wässrige Flüssigkeit einhergeht. Welche Veränderungen der Chorioidea
und Netzhaut dabei stattfinden und in welchem Zusammenhange sie da-
mit stehen, ist zur Zeit noch unbekannt. — Mangelhafte Ernährung
dürfte in jenen seltenen Fällen zu beschuldigen sein, wo Glaskörper-
verflüssigung und Amblyopie des einen Auges sich allmälig entwickelt,
nachdem das andere durch Eiterung, besonders nach Verletzungen, zer-
stört worden ist. Solche Bulbi werden allmälig weicher und kleiner. —
In andern Fällen lassen sich entschieden die Erscheinungen von Ent-
zündung, wenigstens von einem länger andauernden co?igestiven Zustande
der Chorioidea und Netzhaut als Ursache der Glaskörperverflüssigung
nachweisen, und ist man, wenn nicht etwa schon Cataracta niollis
hinzugetreten ist, meistens im Stande, mit dem Augenspiegel Glaskör-
peropacitäten nachzuweisen. — Schliesslich muss ausdrücklich bemerkt
werden, dass diese Anführung von Ursachen der Synchysis durchaus
nicht auf Vollständigkeit Anspruch macht.
III. Exsudate im Glaskörper.
Es ist durch Sectionen sicher gestellt, dass im Glaskörper Substan-
zen vorkommen, welche nur als Entzündungsproducte betrachtet werden
können. Es ist aber höchst wahrscheinlich, dass diese Substanzen nicht
im Glaskörper selbst, durch Entzündung seines Gerüstes und seiner
Umhüllungshaut erzeugt, sondern von aussen her in denselben überge-
führt werden. Denn beide, das Stroma sowohl als die Hyaloidea, be-
sitzen weder Gefässe noch Nerven, ohne welche von Entzündung nicht
die Rede sein kann, und niemals trifft man solche Producte im Glas-
körper, ohne dass die Zeichen von Entzündung der Chorioidea vorhan-
den sind. Der Ausdruck Hyalitis verdankt seine Aufstellung nicht der
2*
20 Glaskörper.
Beobachtung von Symptomen, welche nur auf Entzündung des Glaskörpers
bezogen werden konnten, sondern bloss dem Streben, für jedes Gebilde
des Auges eine Reihe von Erscheinungen aufzustellen, welche den Begriff
Entzündung wieder geben sollten, um bei systematischer Vorführung der
Krankheiten keine Lücke zu lassen. Die einzige reelle Stütze fand die
Lehre von der Hyalitis in dem Vorkommen von Entzündungsproducten
im Glaskörper, welches indessen auch auf andere Weise erklärt werden
kann, ja erklärt werden muss. Die in Rede stehenden Substanzen sind
Producte des entzündeten Corpus ciliare der Chorioidea, und gelangen
wohl auf dieselbe Weise, wie im normalen Zustande das ernährende
Plasma, in das Innere des Glaskörpers.
Während des Lebens habe ich bisher in 4 Fällen ein Exsudat in
der tellerförmigen Grube beobachtet, an Augen, welche die Zeichen
chronischer Chorioiditis darboten, mit vermehrter Spannung des Bulbus.
Die Trübung erscheint bei auffallendem Lichte weiss, in der Mitte satu-
rirt, gegen die allmälig sich verwischenden Ränder hin bläulich, rund-
lich oder polygonal. Die Augen waren hochgradig amblyopisch oder
ganz amaurotisch. Zur Section habe ich noch keinen solchen Fall be-
kommen, will demnach nicht geradezu behaupten, dass die Trübung-
wirklich dem Glaskörper angehört, obwohl in dem einen mit dem Augen-
spiegel untersuchten Falle diess das Wahrscheinlichste war.
Reclinirte Staare rufen im Glaskörper einen ähnlichen Process her-
vor, wie Blutextravasate im Gehirn. Man findet rings um die Linse
eine etwas dichtere trübe Masse, welche sich ringsherum allmälig im
normalen Glaskörper verliert, später eine etwas trübe, florähnliche
Kapsel, welche hie und da einen fadenförmigen Ausläufer in den Glas-
körper sendet.
In einem Falle, 9 Jahre nach der Reclination , war keine Linse mehr vorhanden,
und die Stelle, wo sie gelegen , nur an einigen zum Theil kalkigen Fleckchen am Cor-
pus ciliare nächst der Ora serrata zu erkennen. Ich muss jedoch hinzufügen , dass in
den bisher von mir untersuchten Fällen die Linse noch vor der Ora serrata, also im
Bereiche des Corpus ciliare lag. Das aus feinkörniger, amorpher Substanz bestehende
Exsudat war an der der Chorioidea zugewendeten Seite reichlicher, als an der entgegen-
gesetzten. Ich habe in mehreren Fällen nach der Reclination umschriebene Röthe der
Sclera in jener Gegend beobachtet, wo der Staar liegen musste, und zugleich die Pu-
pille nach dieser Richtung hin erweitert gefunden, woraus mit Rücksicht auf die gleiche
Erscheinung bei Glaucoma wohl zu folgern war, dass partielle Chorioiditis stattfand.
Auf Chorioiditis deutet auch die consecutive Netzhautablösung, welche nicht selten
mach der Reclination in etwas späterer Zeit mit dem Augenspiegel wahrgenommen
"wird. Im vorigen Jahre starb hier ein Weib 36 Stunden nach der Reclination auf bei-
den Augen. Bald nach der Operation war Erbrechen aufgetreten. Auf dem rechten
Auge bemerkten wir 24 Stunden nach der Operation den Staar aufgestiegen , auf dem
Exsudate. 21
linken entwickelten sich die Zeichen heftiger Iridochorioiditis mit starker Injection und
Schwellung der Conjunctiva hulbi. Auf diesem Auge zeigte die Section croupös-faser-
stoffiges Exsudat an der nntern äussern Hälfte des Corpus ciliare (Innenfläche) und an
der Hinterfläche der Iris, die nächst angrenzende Partie des Glaskörpers war wolkig
getrübt, der Linsenkern von solchem Glaskörper umschlossen, und die Rindenstücke
lagen theils in der Kapsel, theils zwischen dieser und dem Linsenkerne in dem zer-
rissenen Glaskörper.
Die Exsudate und Metamorphosen, welche im Glaskörper in Folge
von Chorioiditis überhaupt vorkommen, wurden, als consecutive Zu-
stände, bereits bei den Krankheiten der Chorioidea der Hauptsache
nach angegeben und geschildert. Wir haben hier nur noch hervorzu-
heben , dass der Eintritt solcher Exsudate in den Glaskörper höchst
wahrscheinlich vom Corpus ciliare aus erfolgt. In allen frischen Fällen
findet sich das Exsudat im Glaskörper zumeist nächst der Innenfläche
des Corpus ciliare, und wenn noch Partien vom Glaskörper uninfiltrirt
erscheinen, so sind es die seines hintern und um die Achse gelegenen
Theiles. Falls nicht eitrige Schmelzung eintritt, sondern Umwandlung
in fasriges, sehnen- oder knorpelähnliches Gewebe, so übt dieser mit
beträchtlicher Schrumpfung einhergehende Process mehr weniger bedeu-
tenden Einfluss auf die Lageveränderung der Netzhaut, welche in sol-
chen Fällen in Form eines Trichters, mit der Spitze an der Eintritts-
stelle des Opticus haftend, mitten durch den früher vom Glaskörper
eingenommenen Kaum verläuft. Während man in der hintern Partie
die Zusammenfaltung der Netzhaut allenfalls als Verdrängung der Netz-
haut durch das Chorioidealexsudat betrachten darf, kann die Form der
vordem Partie, welche mehr dem Saume der Corolle von Convolvulus
gleicht, nur dadurch erklärt werden, dass man annimmt, das innerhalb
des Corpus ciliare in den Glaskörper ausgeschiedene Exsudat ziehe
die Netzhaut gegen den Ciliarkörper hin. In dieser Auffassung des
Sectionsbefundes finden auch jene Fälle ihre natürliche Erklärung, in
welchen die Hyaloidea der tellerförmigen Grube rückwärts gezogen und
das Innere des Bulbus (hinter der Iris) in zwei grosse Käume geschie-
den erscheint, wo in dem vordem die verschieden veränderte Linse
schwimmt, durch den hintern der strangförmig zusammen gefaltete
Theil der Netzhaut streicht, während die Scheidewand zwischen beiden
theils durch den vordem, zur Ora serrata verlaufenden Saum der Netz-
haut, theils durch das in die vordere Partie des Glaskörpers ergossene,
nun geschrumpfte und in knorpelähnliche Masse verwandelte Exsudat
gebildet wird, und unzertrennlich an dem Gebilde haftet, von dem es
ausgeschieden wurde, nämlich am Corpus ciliare. (Vergl. Sectionshe-
funde bei Chorioiditis.)
22 Glaskörper.
Eine sehr genaue und klare, auf anatomische und mikroskopische Untersuchungen
basirte Schilderung dieser Metamorphosen hat Dr. Stellwag von Carion 1. c. S. 697 bis
713 o-eo-eben. Man muss ihm vollkommen beistimmen, wenn er S. 709 angibt: „Die
Masse des Blastems im Glaskörper ist in solchen Fällen eiue so bedeutende, dass sie
aus der Differenziation normaler Vitrina unmöglich abgeleitet werden kann, es müssen
plastische Elemente in normwidriger Menge in den Glaskörper übergeführt worden sein,
plastische Elemente , welche in Verbindung mit dem proteinogen Antheile der Vitrina
durch Coagulation in die feste Form und aus dieser in die sehnige Textur übergehen."
Wenn er jedoch S. 703 behauptet, es liege der Schluss sehr nahe, dass der grösste
Theil dieser Exsudatmasse durch den Petitschen Humor in den Glaskörper übergeführt
wurde, so verrückt er meines Erachtens den richtigen Standpunkt pathologischer Deu-
tung. Die ganze innere Fläche des Corpus ciliare , von der Ora serrata bis zum Petit-
schen Canale ist es, welche das in den Glaskörper übergeführte Exsudat liefert. "Wenn
bei allgemeiner Entzündung der Chorioidea, also auch des Corpus ciliare, Exsudat nicht
nur im Glaskörper, sondern auch im Petitschen Canale und im Kammerwasser gefunden
"wird, so zeigt diess eben nur, dass die Ciliarfortsätze an ihrer ganzen Innenfläche Ex-
sudat liefern , nicht aber bloss der in den Petitschen Canal hineinreichende Theil. Ich
habe mehrere Fälle untersucht, wo bei Theilnahme des Corpus ciliare an der Entzün-
dung Exsudat wohl im Glaskörper, nicht aber auch zugleich im Petitschen Canale oder
im Kammerwasser war. Stellwag behandelt übrigens auch dieses Thema in dem ihm
eigenthümlichen Tone, als wäre er der Einzige, höchstens Beer ausgenommen, der solche
Augen gehörig untersucht und den Befund richtig aufzufassen vermocht habe. Wenn
ihm auch zur Zeit, wo er seine Untersuchungen über den Glaskörper niederschrieb,
meine Abhandlung über die Krankheiten der Chorioidea vielleicht noch nicht bekannt
war, so war er doch nicht berechtigt zu der Behauptung: man habe bisher ganz
übersehen, dass sich im Inneren der knorpligen und knochigen Concremente in atro-
phischen Augen fast constant die Netzhaut klöppeiförmig zusammengefaltet finde. Ich
hatte schon im Jahre 1847 im 1.4. Bande der in Wien gewiss bekannten Prager Viertel-
jahrschrift wenigstens den grobem Befund phthisischer, atrophischer, glaucomatöser etc.
Augen mit richtiger, wenigstens die Grundzüge der Stellwagschen Auffassung enthal-
tender Deutung angegeben, und der Deutlichkeit wegen einige Abbildungen beigefügt,
die man nicht so leicht überschlagen kann, ohne Notiz davon zu nehmen. Ich hatte dort
auch angeführt, dass schon Dubrenil (1829) Chorioidealexsudate als das Substrat der
sogenannten Verknöcherungen des Glaskörpers, der Retina etc. betrachtet habe.
IV. Cystenbilchmg- im Glaskörper.
Coccius*) theilt folgende Beobachtung mit. „Eine Frau litt seit einem halben
Jahre auf beiden Augen an Amblyopie; diese hatte allmälig zugenommen und war auf
dem rechten Auge in dem Grade vorhanden, dass sie grosse Gegenstände nur als dunkle
Körper ohne scharfe Umrisse sah , während sie mit dem 1. A. ihre häusliche Beschäfti-
gung noch recht gut verrichten konnte. Dieses Auge wurde allmälig ebenfalls sehun-
fähig, so dass die Kranke einer Führerin bedurfte. Das linke Auge liess noch keine
Veränderungen -wahrnehmen, im rechten zeigte die Retina an einzelnen Stellen kleine
*) Über die Anwendung des Augenspiegels. Leipzig, 1853. S. 93.
Cysteiibildiing. 23
gelbliche Erhabenheiten. Bei "Wiederholung der Untersuchung kam in dem übrigens
ganz klaren Glaskörper auf einmal eine Blase zum Vorschein, die bei richtiger Beleuch-
tung weiss erschien. Sie war halbmondförmig, etwa 3 Par. Lin. lang, und lief in 2
spitze Enden aus. An der untern Spitze zeigte sich noch ein kleines Anhängsel, wel-
ches dem ganzen Körper in der Form sehr ähnlich war." Es ist wahrscheinlich, dass
dieser Körper zu den Entozoen des Glaskörpers gehört.
Einen Cysticercus im Glaskörper , der auf Gräfes Klinik *) beobachtet wurde,
hat Dr. Liebreich genau beschrieben. Der Kranke, ein 23 Jahre alter Tischlergesell, litt
zugleich an Bandwurm. Gegen die mit dem Ophthalmoskop gestellte Diagnosis konnte
kein Zweifel mehr obwalten , nachdem von Gräfe an dem ovalen Ende der in einer
besoudem Hülle ruhenden Cyste kleine Bewegungen mit Sicherheit erkannt hatte. Die
bläulich graue, längliche Blase erstreckte sich vom hintern Pol der Linse, wo sich eine
circumscripte Trübung befand, beinahe durch den ganzen Glaskörper rückwärts und
schwankte bei jeder Bewegung des Bulbus. — Da wir weiter unten eine ausführliche
Besehreibung von Cysticercus in retina zu geben gedenken, so genüge es hier vorläufig
bloss auf dieses Vorkommen im Glaskörper aufmerksam gemacht zu haben.
*) Archiv für Ophthalmologie. Band I. Abth. 2. S. 343.
VIII. Bach.
Die Netzhaut, Retina.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Die Netzhaut kann als die häutige Ausbreitung des Sehnerven oder
eigentlich als dessen Anfang im Auge betrachtet werden. Sie beginnt
an der Eintrittsstelle des Sehnerven (l1^"' einwärts vom hintern Pole
des Auges), und erstreckt sich, über den Glaskörper ausgespannt,
zwischen diesem und der Chorioidea bis zur Ora serrata, über welche
hinaus (vorwärts) wenigstens ihre Nervenelemente nicht mehr verfolgt
werden können. Sie bietet in dieser Ausdehnung einen Flächenraum
von circa 300 Quadratlinien (297,35) dar, während die Fläche der Ein-
trittsstelle des Sehnerven (papilla s. colliculus nervi optici) bei einem
Durchmesser von nicht ganz 3/V" nur 0,44 Quadratlinien, also 600mal
weniger misst. Ihre Dicke vermindert sich von 0,1'" in der mittlem
Kegion allmälig bis auf 0,04;/y nächst der Ora serrata.
Sie ist auch während des Lebens nicht vollkommen, sondern nur
halb durchsichtig, und mit Ausnahme eines etwa 1 Quadratlinie grossen
gelben Fleckes (Macula lutea) am hintern Pole leicht weissgrau. Die
Falte, welche an dieser gelben Stelle im todten Auge gefunden wird,
existirt während des Lebens nicht; das sogenaunte Foraraen centrale
ist keine Lücke daselbst, sondern nur eine Verdünnung, bedingt durch
das Fehlen einiger Elemente der Netzhaut in der Mitte des gelben Fleckes.
Unter dem Mikroskope kann man 5 concentrische Lagen oder
Schichten der Netzhaut unterscheiden, und zwar von aussen nach innen:
1) die Stäbchen- und Zapfenschicht, 2) die Körnerschicht, 3) die Lage
der grauen Nervenfasern und Nervenzellen oder die Kugelschicht, 4) die
Ausbreitung der Fasern des N. opticus, und 5) die Grenzhaut oder
Membrana limitans. Durch die Untersuchungen von E. H. Müller (be~
Anatomie — Physiologie. 25
stätigt und vervollständigt von KölUker, Corti und Gerlach) ist nach-
gewiesen, dass die Elemente der ersten Schicht durch äusserst zarte,
gleich dicht an einander gedrängten Radien verlaufende Fasern (Müller's
radiäres Fasersystem) mit der dritten und diese wieder durch dünne
Fädchen mit den Opticusfasern verbunden sind.
Die erste Schicht besteht aus feineu, hellen, das Licht stark re-
flectirenden Röhrchen, welche dicht aneinander senkrecht auf der
2. Schicht stehen, und mit ihren quer abgestutzten (abgerundeten) äussern
Enden leicht in die Pigmentschicht der Chorioidea eingedrückt sind
(eingreifen). Von diesen Röhrchen, welche unter einander durch eine
halbweiche hyaline Masse verbunden sind, haben die Mehrzahl eine cy-
lindrische Gestalt, heissen desshalb Stäbclmi (bacilli), und kommen mit
Ausnahme des Sehnerveneintrittes und gelben Fleckes überall und in
gleicher Menge vor. Sie sind durchschnittlich 0,01"' lang und 0,001'"
dick. Die Minderzahl schwellen gegen ihr inneres Ende hin rüben-
oder spindelförmig an (Zapfen oder Coni), sind durchschnittlich 0,012"'
lang und im mittleren Theile 0,0035"' breit, und kommen zwischen den
Stäbchen in verschiedenen Regionen in verschiedener Anzahl vor. Sie
fehlen gleich den Stäbchen an der Papilla n. opt. , vertreten die erste
Schicht dagegen an der Macula lutea ausschliesslich, und werden von
hier gegen die Ora serrata hin allmälig spärlicher, so dass sie in der
Xähe dieser letzteren nur in Entfernungen von 0,006'" — 0,007"' auf-
treten. Die Stäbchen sowohl als die Zapfen laufen nach innen in
dünne Fasern oder Fäden aus.
Die Körner der 2. Schicht sind 0,003"'— 0,007"' grosse, fein gra-
nulirte, scharf conto urirte, runde oder oblonge Körperchen, welche in
zwei Lagen vorkommen, die jedoch gegen die Ora serrata hin mehr
und mehr an einander rücken. Die Substanz zwischen der äussern und
innern Körnerschicht — die Zwischenkörnerschicht — ist nichts anders,
als die dicht an einander liegenden Fasern, welche, von den Stäbchen
und Zapfen ausgehend, und in der äussern und innern Körnerschicht
gleichsam durch ein Korn durchgehend, zur Kugelschicht verlaufen.
Man kann daher jedes Korn als eine bipolare Zelle betrachten mit
einem nach aussen und einem nach innen abgehenden Faden. Die
äussere Körnerschicht besteht (nach KölUker) aus den an den Zapfen
sitzenden kernführenden Anschwellungen oder den Zapfenkörnern und
aus den etwas kleinern eigentlichen Körnern, welche mit den Stäbchen
in Verbindung sind, und desshalb auch Stäbchenkörner heissen können.
In der innern Schicht liegen nur kleine Zellen von 0,003'" — 0,004'"
Grösse mit meist deutlichem Kern, und verbinden sich theils mit den
26 Netzhaut.
Ausläufern der Zapfen als innere Zapfenkörner, theils mit den Stäbchen
als innere Stäbchenkörner.
In der 3. Schicht begegnen wir den Nervenzellen der Retina, welche
in eine feinkörnige graue Masse eingebettet sind, und durch dieses Ver-
halten ihre Analogie mit den Zellen der grauen Gehirnsubstanz dar-
thun. Diese beiden Elemente sind so zu einander angeordnet, dass
die feinkörnige graue Substanz mehr nach aussen (an der innern Kör-
nerschichtej als continuirliche Lage hervortritt, die 0,006'"— 0,008'"
grossen kernhaltigen Zellen dagegen nach innen (an der Opticusfaser-
schichte) 2 — 3fach übereinander liegen. Diese Zellen verhalten sich
ganz wie die multipolaren Nervenzellen der Centralorgane und besitzen
sämmtlich lange blasse Fortsätze, von denen immer 1 — 2 nach aussen
gerichtet sind und in die erwähnten radiären Fasern der Körnerschichte
übergehen, während die andern höchst wahrscheinlich sich in ächte va-
ricöse Opticusfasern fortsetzen. Corti hat wenigstens in der Eetina
des Elephanten anastomosirende Verbindungen dieser Fortsätze zweier
Zellen beobachtet, und ausserdem gefunden, dass Fibern der Opticus-
faserlage continuirlich in diese Fortsätze übergehen.
Die 0,0005'"— 0,002'" breiten Faseim des Opticus gehen gleich nach
ihrem Durchtritte durch die Lamina cribrosa strahlenförmig nach allen
Eichtungen auseinander, und erscheinen in dieser Flächenausbreitung
als vierte Schichte der Netzhaut. Dieselbe ist diesem Sachverhalte ge-
mäss in der Umgebung der Papilla am dicksten und wird gegen die
Ora serrata hin allmälig dünner. Am gelben Flecke, wenigstens in
der mittleren Partie desselben, finden sich keine Opticusfasern, indem
diese auf ihrem Wege von der Papilla nach aussen vor der Macula lu-
tea auseinander, jenseits aber wieder zusammen treten. Die der Netz-
haut angehörenden Nervenfasern des Opticus sind blass, ohne dunkle
Contouren, ohne Kerne, dagegen mit länglichen Anschwellungen ver-
sehen. Sie unterscheiden sich von den marklosen Fasern auch durch
ihre ausserordentliche Feinheit. Gerlack versichert, einige Male ganz
bestimmt Theilungen an denselben gesehen zu haben. Sie sind zu-
nächst in Bündel von 0,010'"— 0,012"' geordnet. Dass ein Theil der-
selben in die Ausläufer der Ganglienkugeln übergehe, ist nach CortPs
Untersuchungen gewiss. Ob aber alle Fasern mit den Fortsätzen der
Nervenzellen sich verbinden, ist noch nicht erwiesen, wenn gleich wahr-
scheinlich. Nach Külliker tritt ein Theil der radiären oder Müller'schen
Fasern zwischen den Opticusbündeln bis zur Membrana limitans, und
endigen diese Fasern in kleine Anschwellungen, welche mehrere hori-
zontal (in der Ebene der Opticusfasern) verlaufende Fäserchen abgeben
Anatomie — Physiologie. 27
oder sich direct in ein ganzes Büschel feiner Fädehen theilen, von
denen es angewiss ist, ob sie sich mit den Opticusfasern verbinden.
Die Membrana limitans ist ein nur 0,001'" dickes, strukturloses
Häutehen, welches die Netzhaut an ihrer der Hyaloidea zugewendeten
Fläche begrenzt, und nach einigen Autoren sich über die Ora serrata
vorwärts selbst bis auf die hintere Fläche der Iris erstrecken soll. Bei
dieser Ansicht wird angenommen, dass diess Grenzhäutchen von der
Ora serrata mit der Zonula Zinnii verschmolzen sei, an den Ciliarfort-
sätzen sich aber wieder von derselben trenne (da diese einwärts zur
vordem Kapsel geht), und als Überzug der Ciliarfortsätze und der
hintern Fläche der Iris bis zum Pupillarrande sich erstrecke.
Die Eigentümlichkeiten der Macula lutea, der Stelle, mit welcher
wir am schärfsten sehen, bestehen darin, dass daselbst keine Stäbchen,
sondern nur Zapfen vorhanden sind, dass die Körnerschichte eine gelbe
Färbimg zeigt und an einer punktförmigen Stelle fehlt, dass die Opti-
cusfasern nur am Bande etwas hereinragen, und dass endlich auch die
Zweigeheu der Art. centr. retinae schon am Rande so fein werden,
dass in der Mitte dieser Stelle auch bei beträchtlicher Vergrößerung
(20 — 25mal) nichts davon wahrgenommen werden kann. Die gelbe Farbe,
welche sich gegen die Peripherie dieser Stelle allmälig verliert, tritt
nicht unter der Form gefärbter Moleküle, sondern diffundirt auf, und
wird erst einige Tage nach der Geburt vorgefunden.
Die Gefässe der Netzhaut sind Äste der Centralarterie, welche mit
der Centralvene in der Mitte des Sehnerven liegt, und an der Papilla
n. opt. sich strahlenförmig ausbreitet, mit vorwaltend auf- und abwärts
gerichteten Asten. Besser als durch Beschreibung lernt man den Ver-
lauf, die Zahl und die Dicke dieser Äste im normalen Zustande durch
Untersuchung mehrerer gesunder Augen mit dem Ophthalmoskop ken-
nen. Wir wollen nur noch (nach Gerlach) hervorheben, dass sie sich
bald in ausserordentlich feine Capillaren auflösen, welche denselben
Durchmesser wie jene des Gehirnes haben, und hauptsächlich in der
Faser- und Zellenschichte der Netzhaut, denen sie nach innen zu auf-
liegen, sich ausbreiten. Die von diesen Capillaren gebildeten Maschen
sind nicht sehr eng, länglich und abgerundet oder ganz unregelmässig
gestaltet. An der Ora serrata befindet sich ein öfter unterbrochener
venöser Bing (circulus venosus retinae), in welchen die vordem Capil-
larien münden, und der mit der Centralvene in Verbindung steht. Am
gelben Flecke fehlt, wie schon bemerkt, mit der Faserschichte auch
das Capillarnetz, und man sieht hier an gut injicirten menschlichen
Netzhäuten eine ovale wohlumschriebene Lücke des Capillarnetzes von
28 Netzhaut.
0,8'" Länge und 0,5'" Breite. — Die Centralarterie, ein Zweig der Ar-
teria ophthalmica, welche an der äussern Seite des N. opticus durch
das Foramen opticum in die orbita eintritt, dringt 5 — 6 Linien hinter
dem Bulbus von der inneren Seite in den Sehnerven ein.*)
Der ßehnerv geht als ein gegen T" dicker Cylinder vom Bulbus
zum Foramen opticum, umschlossen von einer derben fibrösen Scheide,
die man als Fortsetzung der harten Hirnhaut betrachten kann, und ist
in der Orbita 13 — 14"; lang, während der Abstand der Sclera vom Fo-
ramen opticum nur gegen 12;" misst. Er verläuft demnach stark ge-
schlängelt; die stärkste Krümmung bildet er (bei gerade nach vorn ge-
stellter Pupille) in seiner vordem Hälfte nach aussen, i. e. mit aus-
wärts gerichteter Convexität; minder stark ist die Krümmung nach
unten. Umschlossen wird er knapp vor dem For. opticum von den
Anfängen der 4 Muse, recti, dann aber von dem ungemein elastischen
Fettpolster, welches den Raum zwischen den vorwärts divergirenden
Muskeln und dem Bulbus erfüllt; in der vordem Hälfte umgeben ihn
die hinteren Ciliararterien und die Ciliarnerven, welche auf oder nächst
seiner Scheide in dem genannten Fettgewebe zum Bulbus vordringen.
Das Ganglion ciliare liegt an seiner Schläfeseite 8 — 9'" hinter der
Sclerä. Die Art. ophthalmica schlägt sich in seiner hintern Hälfte über
ihn von der Schläfen- nach der Nasenseite gegen die Rolle des Muse,
obliq. superior, wo sie sich in die Art. frontalis und dorsalis nasi spaltet.
Die Schlängelung der Sehnerven ist zur freien Beweglichkeit des Bulbus um sei-
nen fixen Blinkt (den Drehpunkt) unumgänglich nothwendig. Gerade gestreckt bis zur
straffen Spannung wird der Sehnerv nur dann, wenn der Bulbus von der Mittelstel-
lung bis zu den beiden möglichen Extremen seitwärts gerollt wird, nämlich auswärts:
bis der Rand der Cornea an die äussere Lidcommisur reicht, und einwärts: bis der
entgegengesetzte Punkt des Hornhautrandes sich hinter die halbmondföi-mige Falte zu
schieben beginnt. Wird der Bulbus rasch in das eine oder das andere dieser Extreme ge-
stellt, so nehmen wir (im Dunkeln) die Folge der plötzlichen Zerrung des Opticus
eine runde lichtblitzende Scheibe im Sehfelde wahr. Bei möglichst starker Auf-
oder Abwärtsrollung des Bulbus treten keine solchen Lichtringe auf, scheint demnach
der Opticus nicht bis zur Zerrung gestreckt zu werden. Die Kenntniss dieses Sachver-
haltes mindert unser Verwundern darüber, dass das Sehvermögen nicht aufgehoben zu,
werden pflegt, wenn der Bulbus tim 2 — 3'" vorwärts aus seiner Lage verdrängt wird,
sei es plötzlich durch Verletzungen, sei es allmälig durch retrobulbäre Geschwülste. Im
Nordwesten von Steiermark soll es üblich sein, dass junge Leute einander die Augen
herauszwängen , mittelst des Daumens , der am innern Augenwinkel eingesetzt wird.
Man beabsichtigt bei dieser eigenthümlichen Art, an seinem Nebenbuhler Rache zu üben,,
nur Entstellung und Schmerz, und bewirkt in der Regel auch nichts Anderes, indem
*) Nach //. Müller's neuesten Untersuchungen ist die gefasslose Stelle der Macula lutea nicht so gross,
als Gerlach sie angibt, und dürften die Netzhautgefässe überhaupt vorzüglich in der Zellenschicht
verlaufen.
Anatomie — Physiologie. 29
nach erfolgter Reposition des vor die Lidspalte luxirten Bulbus das Sehvermögen all-
niälig wiederkehrt. Bei successiver Hervortreibung der Bulbi durch Geschwülste scheint
indess nicht blosse Streckung, sondern auch wirkliche Ausdehnung des Sehnerven ohne
Aufhebung seiner Function stattzufinden, da man Bulbi 3—4'" weiter vorn stehend
trifft, ohne dass das Sehvermögen ganz aufgehoben ist. — In wie hohem Grade das
retrobulbäre Fettgewebe elastisch sein müsse, lässt sich erschliessen aus den grossen
Exeursionen, welche das vordere Ende des Sehnerven machen muss, wenn wir das vordere
Ende der Sehachse nach verschiedenen Richtungen stellen, wobei natürlich das hintere
Ende der Sehachse nahezu gleiche Excursionen in entgegengesetzter Richtung machen
muss. — Meine Angaben über das Orbitalstück des Sehnerven sind auf Durchschnitte
festgefromer Köpfe in den letztverflossenen beiden Wintern basirt, und theils älteren,
theils jugendliehen Individuen (worunter auch ein lOjähriger Knabe) entnommen.
Im Foramen opticum ist jeder Sehnerv, 4 — 5'" lang, von der mit
der Beinbaut daselbst fest verbundenen Scheide nur locker, innerhalb
der Schädelhöble aber bloss von der Aveichen Hirnhaut umgeben, welche
ihn iu seinem ganzen Verlaufe bis zum Bulbus eng umschliesst und mit
Gelassen versieht. Schon im For. opt. ändern sie ihre Form, werden
rundlich-platt (2'.2'" breit, l1/*"' hoch), und treten nach einem Verlaufe
von 5 — 6'" convergirend über dem Türkensattel zum Chiasma nerv, op-
ticorum zusammen, jenseits desselben aber etwas stärker divergirend
rückwärts, um sofort als allmälig mehr platt und zuletzt auch schmäler
werdende hellweisse Streifen {Tj^actus opticus) um die Hirnstiele herum
bis zu den Kniehöckern und Vierhügeln zu gelangen.
Das Chiasma, durch Berührung und theilweise Kreuzung der Seh-
nerven gebildet, welche als vordere und hintere Schenkel desselben be-
trachtet werden können, hat vier coneave Bänder und zwei schwach-
convexe Oberflächen, misst von vorn nach hinten 'S — 4J", von einer
Seite zur andern circa 6'", von oben nach unten 1 lli'", und ist über-
all, wo es nicht mit der Hirnsubstanz zusammenhängt, von dt» Pia
mater eng umschlossen. Die untere, durchaus freie Fläche wird durch
die Dura mater von der Hypophysis geschieden. Die obere, nur in
den vordem zwei Dritteln freie Fläche legt sich an die Substantia per-
forata media. Von den Bändern liegt nur der hintere unmittelbar an
Hirnsubstanz und verbindet sich mit dem Tuber cinereum, durch wel-
ches, knapp hinter dem Chiasma, der Trichter von der 3. Hirnkammer
zur Hypophysis hinabsteigt. Über dem dreieckigen Baum zwischen
den vordem Schenkeln liegt die Subst. perforata anterior mit den An-
fängen der Biechnerven. An den Seitenrändern, mitten in der Conca-
vität ihrer Einbiegung, theilt sich die Carotis nach ihrem Austritte aus
dem Sinus cavernosus: 1. in die Art. ophthalmica, welche unmittelbar
an dem vordem Schenkel des Chiasma, und zwar mehr unterhalb als
neben demselben vorwärts dringt; 2. in die Art. corporis callosi, welche
30 Netzhaut.
über die vordem Schenkel des Chiasma einwärts aufsteigt und sich
durch den Raums communicans anterior vor und über dem Chiasma
mit dem der andern Seite verbindet; 3. in die Art. fossae Sylvii, welche
sich nach aussen und oben in diese Grube begibt, und 4. in die Art.
communicans posterior, welche unter dem hintern Schenkel des Chiasma
neben dem Trichter zur Art. basilaris verläuft.
Über den Verlauf der Fasern des Sehnerven in und jenseits des
Chiasma ist nur so viel gewiss, dass im Chiasma eine Kreuzung, jedoch
nur theilweise, die innern Fasern betreffend, stattfindet, und dass sich
jenseits der grössere Theil bis zu den Kniehöckern (corpora geniculata)
und den Vierhügeln (emin. quadrigemina) verfolgen lässt, demnach eine
Verbindung zwischen den Sehnerven und der Medulla oblongata be-
steht. Nicht so sicher gestellt ist der Zusammenhang der Sehnerven
mit den Sehhügeln (thalami) und mit den Grosshirnsstielen (pedunculi).
— Nach Hannover lassen sich im Chiasma unterscheiden : I . Fasern,
welche direct aus dem einen vordem Schenkel in den hintern dersel-
ben Seite verlaufen (Fasciculus sin. et dexter); 2. Fasern, welche aus
dem vordem Schenkel der einen Seite in den hintern der entgegenge-
setzten übertreten (Commissura cruciata); 3. Fasern, welche von dem
einen vordem Schenkel zu dem andern verlaufen, also gar nicht zum
Gehirne jenseits des Chiasma gelangen (Commiss. arcuata anterior);
4. Fasern, welche am hintern Eande des Chiasma aus einem hintern
Schenkel in den andern umbiegen (Comm. arcuata post.); und 5. Fasern,
welche von der Substantia perforata media ausgehend über die obere
Fläche, den vordem Iiand und die untere Fläche zum Tuber cinereum
verlaufen, und das Chiasma gleich einer Schleife umfassen (Comm. ansata).
üie Netzhaut (das Auge überhaupt) steht in ihrer Vegetation und
Function in innigem Kapport zum Nervus sympathicus und zum Raums I.
seu ophthalmicus N. trigemini, welcher Kapport wenigstens einiger-
massen durch anatomische Verhältnisse erklärt werden kann. Vom
Halstheile (ganglion cervicale primum) des grossen sympathischen Ner-
ven steigen zwei beträchtliche Aste mit der Art. carotis interna in die
Schädelhöhle und bilden im Sinus cavernosus ein Geflecht, von welchem
nicht nur zum N. oculomotorius, N. abducens und K. ophthalmicus tri-
gemini, sondern auch direct zum Ganglion ciliare Zweige abgehen.
Theils von diesem Geflechte, theils von den an der Arteria ophthalmica
fortlaufenden Zweigchen treten nun Fäden zur Chorioidea, Iris, Cornea
und (höchst wahrscheinlich auch) zur Ketina, und üben wesentlichen
Einfluss auf die Circulation und den Stoffwechsel in diesen und den
übrigen Gebilden.
Physiologie. 3 1
Auf mehrere physiologische und pathologische Thatsachen, die sich
auf diesen anatomischen Sachverhalt zurückführen lassen, wurde bereits
bei Besprechung der Krankheiten der Binde- und Hornhaut, besonders
aber bei den anatomisch-physiologischen Bemerkungen über die Iris
S. 29 — 34 im 2. Bande hingewiesen; hier, wo sich's um das Verständ-
niss der Erscheinungen bei Krankheiten der Retina handelt, schien es
nothwendig, wenigstens noch mit einigen Worten auf den Einfluss hin-
zudeuten, welchen der Sympathicus und Trigeminus, indem sie der Er-
nährung und allgemeinen Empfindung vorstehen, auf den speeifischen
Sinnesnerven üben; die pathologischen Thatsachen, welche dem anato-
mischen Befunde entsprechen, folgen, sofern sie nicht schon früher an-
geführt wurden, weiter unten bei der Lehre von der Amaurose.
Der Sehnerv vermittelt das Sehen, indem er die durch die Licht-
welleu in der Netzhaut erregten Eindrücke oder Zustände zum Central-
organe fortpflanzt. Alles, was die Leitungsfähigkeit des Sehnerven auf-
hebt, Durchschneidung, Druck u. s. w., macht auch das Sehen unmöglich.
— Das Licht wirkt auf den Sehnerven nur mittelst der Netzhaut; wo
diese nun zerstört (gegen Licht unempfindlich) ist, kann kein Licht
mehr empfunden werden ; das intensivste Licht auf den vorn abgestutz-
ten oder blossgelegten Sehnerven geleitet, erregt das Sensorium com-
mune ebenso wenig, als irgend einen andern Sinnes- oder Empfindungs-
nerven. — Mechanische Reize und der elektrische Strom können mit-
telst der Retina oder des Sehnerven im Centralorgane nur die Empfin-
dung von Licht, niemals die von Schmerz, Wärme u. dergi. erregen.
Wenn Kranke, denen ein Auge exstirpirt wird, im Momente der Durch-
schneidung des Sehnerven vor Schmerzen aufschreien, so darf man bei
Erklärung dieser Erscheinung nicht übersehen, dass in demselben Mo-
mente auch die Ciliarnerven durchschnitten werden müssen, und wenn
dagegen in einem Falle die der Theorie zufolge erwarteten Lichter-
scheinungen nicht wahrgenommen wurden, so muss man bedenken,
dass möglicherweise der Kranke ob der heftigen Schmerzen und des
psychischen Zustandes gar nicht zu einer solchen Wahrnehmung geeig-
net, oder aber, wie in solchen Fällen wohl häufig, der vordere Theil
des Sehnerven bereits leitungsunfähig sein konnte. — In Bezug auf die
Reizung durch Galvanismus ist noch zu bemerken, dass Erregung der
Netzhaut und des Sehnerven (zur Lichtempfindung) auch in distans
eintreten kann, durch Überspringen des zu kräftigen Stromes, z. B.
wenn der eine Pol an das obere Lid oder (bei stärkerem Strome) an
die Schläfe, der andere an die Wange oder Zunge angelegt wird.
Die zum Sensorinm commune fortgepflanzte Erregung des Sehner-
32 Netzhaut.
ven, gleichviel von wo sie ausgeht, wird Gegenstand des Bewusstseins,
der Beziehung auf das Ich, sobald sie nicht zu schwach ist, und sobald
die Aufmerksamkeit nicht davon abgezogen wird (durch den Willen,
durch anderweite starke Erregung), vorausgesetzt, dass die Centralor-
gane perceptionsfähig sind. Diese Beschaffenheit der Centralorgane
ist demnach für das Sehen eine Conditio sine qua non. Die Erregung
ist nahezu gleich, ob sie nun von beiden oder nur von einem Auge
ausgeht, und wir erkennen es aus der Empfindung als solcher nicht,
ob wir mit einem oder mit beiden Augen sehen, wenn die Erregung
nicht sehr ungleichartig ist (wovon später). Es steht aber diese Erre-
gung der Centralorgane in einem merkwürdigen Verhältnisse nicht bloss
zum Bewusstsein, sondern überdiess noch zu andern Thätigkeiten, welche
mehr weniger unabhängig vom Bewusstsein und Willen, gleichsam au-
tomatisch (reflectirt) erfolgen. Solche Keflexwirkungen geben sich zu-
nächst am auffallendsten in der Iris kund. (Vergl. Bd. IL S. 30.) Hie-
her gehört auch mehr weniger die Thätigkeit der Muskeln, welche vom
N. oculomotorius, trochlearis, abducens und facialis (musc. orbicularis)
versorgt werden. Die Netzhaut, durch den N. opticus mit den Cen-
tralorganen verbunden, kann mit einem gewissen Rechte als Regulator
der zweckmässigen Thätigkeit jener Muskeln bezeichnet werden, welche
dem Sehorgane zur Verfügung gestellt sind, und tlieils in, theils ausser
dem Bulbus liegen. Figürlich kann man sagen: die Netzhaut stellt
und gestaltet sich den Bulbus so zweckmässig, als es die obwaltenden
Umstände nur irgend zulassen. Mechanische Hindernisse, die sich ihrer
Function entgegenstellen, z. B. partielle Trübungen der Linse oder
Hornhaut, werden auf diese Weise oft gegen alle Gewohnheit und un-
willkürlich die entferntere Ursache von einfachen oder combinirten Mus-
kelactionen, welche sich ohne solche Hindernisse schwer oder gar nicht
zu Stande bringen lassen. (Vergleiche Krankheiten der Muskeln.) Diese
Thätigkeit der Centralorgane, augeregt durch Lichteinfluss auf die Netz-
haut, ist offenbar schon in den ersten Lebenstagen vorhanden, während
die des Bewusstwerdens viel später zu Stande kommt. Dass übrigens
solche Reflexthätigkeiten auch unabhängig vom Sehnerven hervorge-
rufen werden können, und zwar direct vom Centralorgane oder angeregt
durch andere Nerven (z. B. N. acusticus), sei nur um Missverständnis-
sen vorzubeugen ausdrücklich erwähnt.
Wo die Bedingungen zur Leitung und Aufnahme im Centralorgane
vorhanden sind, können Erregungen der Netzhaut wahrgenommen wer-
den. Die gewöhnliche, natürliche, adäquate Erregung der Netzhaut er-
folgt durch das Licht, welches selbstleuchtende oder lichtreflectirende
Physiologie. 33
Körper zur Netzhaut senden. Die Netzhaut antwortet aber auch auf
Reizung durch Elektricität , Druck , Zerrung u. dergl. , und zwar mit
Lichterscheinungen. Die zum Bewusstsein gelangenden Erregungen der
Netzhaut und des Sehnerven, welche gar nicht oder doch nicht unmit-
telbar durch Licht bedingt werden, nennt man subjective Lichtempfin-
dungen. Hiezu gehören gewissermassen auch die Empfindungen, welche
nach intensiver Erregung der Netzhaut durch Licht mehr weniger lange
zurückbleiben (Nachbilder), während das sogenannte Sehen nicht vor-
handener Objecte, welches bei excessiver Erregung der Centralorgane
vorkommt i Visio phantasmutum, Hallucinaliones), gleich den Traumbildern
in das Bereich der psychischen Thätigkeit gehört. — Die zum Sensorium
commune fortgepflanzte Erregung der Netzhaut durch Licht, wie z. B.
bei geschlossenen Augenlidern, bei completer Linsenverdunkelung, ist
im Allgemeinen Lichtempfindung; zum Sehe?i wird sie erst dann, wenn
sie auch der Form nach auf das lichtsendende (oder hemmende) Ob-
ject bezogen werden kann. Diess ist nicht möglich, ohne ein Bild des
lichtsendenden Objectes (oder eines Schattens) auf der Netzhaut, wie in
einer Camera obscura auf dem Schirme. Zum Sehen gehört demnach
nebst Integrität der bisher besprochenen Nervenelemente noch ein diop-
trischer, jenes Bild vermittelnder Apparat. Die Netzhaut wird zum
Sehen nicht direct durch das lichtsendende Object erregt, sondern mit-
telbar durch dessen Bild. Was für den Tastsinn das Object selbst, das
ist für das Auge (beim Sehen im eigentlichen Sinne des Wortes) das
Bild des Objectes. — Objecte, welche ganz nahe an oder in dem Auge
selbst liegen, können nicht gesehen, wohl aber unter Umständen (wo-
von später) dadurch wahrgenommen werden, dass sie Schatten auf die
Netzhaut werfen. Hieher gehören die sogenannten entoptischen Erschei-
nungen, von denen weiter unten die Eede sein wird. Die gewöhnlichsten
sind die unter dem Namen der fliegenden Mücken bekannten beweg-
lichen Punkte, Fäden, Schnüre u. dgl., welche der davon Gequälte vor
seinen Augen zu sehen vermeint.
T7m sich von dem Zustandekommen und Verhalten des Bildes auf der Netzhaut zu
überzeugen und zu belehren, nehme man vor Allem ein Menschen- oder Kaninchen-
auge, dessen Medien noch gehörig durchsichtig sind, lege es mit horizontaler Sehachse
auf einen Augenbecher, so dass seine Form möglichst unverändert bleibt, entferne durch
vorsichtige Excision ein etvra 2 Quadratlinien grosses Stück Sclera am hintern Pole,
und, falls man scharf beobachten will, eben so viel Chorioidea, und richte nun die
freie Cornea einem Fenster gegenüber, vor welchem sich mit Ausnahme eines oder
des andern grössern Gegenstandes, etwa eines Thurmes, das Firmament frei darstellt.
Man sieht nun (die übrigen Fenster verdeckt) zunächst auf der blossgelegten durch-
scheinenden Netzhaut das Fenster scharf abgebildet, falls dessen Entfernung vom Auge
Arlt Augenheilkunde. III. 3
34 Netzhaut.
eine entsprechende ist, während der entferntere Gegenstand (Tharm), der gleichzeitig
ahgehildet erscheint, minder scharfe Contouren zeigt. Das Bild der Fensterrahmen er-
scheint gleich dem einer andern einfachen Camera obscura dem Beschauenden relativ
zum Objecte verkehrt und verkleinert. — An dem Auge eines etwa 12jährigen Knaben,
dessen Achse 10,8"', Cornealdicke 0,5'", Augenkammer 1,2'", Linsenachse 1,7"' und
Glaskörperachse 6,8'" betrug, zeigte das Bild eines 42" breiten Fensters bei 120" Ent-
fernung des Bulbus vom Fenster eine Breite von 2,1'", bei 204" Entfernung eine Breite
von 1,6'", bei 288" Entfernung eine Breite von 1,1'". Ich schreibe diesen Massen keine
mathematische Schärfe zu, da mir die zu solchen Messungen und Beobachtungen erfor-
derlichen Apparate nicht zu Gebote stehen; es Hessen sich aber auf diesem Wege, wenn
man das eine Auge zur Messung der Durchmesser und Krümmungsradien, das andere
zur Messung der Netzhautbilder bei verschiedener Objectdistanz benützte, vielleicht
brauchbare Resultate für die Lehre vom Sehen gewinnen.
Der Eindruck des Lichtes auf die Netzhaut wird durch die Schwin-
gungen eines elastischen Mediums (Äthers) erregt , deren Anzahl die
Farbe bestimmt, von deren Weite die Helligkeit abhängt, und deren
lineare, kreisförmige oder elliptische Gestalt ihre Polarisation hervor-
bringt. So wie das Ohr sich der Schwingungen der regelmässig erschüt-
terten Luft bewusst wird als eines Tones von bestinimter Höhe, so
sage ich blau, wenn meine Netzhaut eine bestimmte Zahl Schwingun-
gen vollfuhrt, roth bei einer andern Zahl.*) Nach Wheatstone's Ver-
suchen vermag unser Auge Gegenstände noch deutlich zu sehen, wenn
sie auch eine kürzere Zeit als den millionsten Theil einer Secunde be-
leuchtet werden. Zwischen dem sinnlichen Eindrucke und dem Bewusst-
wTerden desselben verfliesst aber eine gewisse Zeit. Ein Eindruck auf
das Auge dauert aber noch einige Zeit fort, wenn die erregende Ur-
sache bereits zu wirken aufgehört hat. Eine rasche periodische Wieder-
kehr gleichartiger Eindrücke nimmt das Auge als eine ununterbrochene
Erscheinung wahr. Wenn wir einen leuchtenden Gegenstand (eine glü-
hende Kohle im Kreise herumgeschwungen) in einer Secunde mindestens
li\ivndX an derselben Stelle sehen, so sehen wir ihn ununterbrochen an
derselben. Der andauernde Lichteindruck bei sich schliessendem Auge
ist das Nach- oder Abklingen der Schwingungen, in welche die Ner-
venelemente durch die Atherschwingungen versetzt wurden; es ist
die allmälige Wiederkehr zur Ruhe, deren wir uns als Dunkel bewusst
werden. **)
*) Dove, Darstellung der Farbenlehre. Berlin, 1853.
**) Wird der Raum zwischen Erde und Sonne (20,686,329 geographische Meilen) in 493,2 Secunden vom
Lichte durchlaufen, so ist der in einer Secunde zurückgelegte Weg 41935 geographische Meilen. Die
Anzahl der Schwingungen, in welche die Netzhaut innerhalb einer Secunde versetzt wird, um die
Farbe zum Bewusstsein zu bringen, welche im Spectrum (Frauenhofer) durch die Buchstaben B, C,
D, E, F, G, H bezeichnet wird, ist demnach folgende:
Physiologie. 35
Die Hornhaut bildet mit dem Kammerwasser und dem Krystall-
körper eine biconvexe Linse, vorn von Luft, hinten von Glasflüssigkeit
begrenzt. Die Achse dieser Linse fallt mit der geraden Linie zusammen,
welche den vordem mit dem hintern Pole des Auges verbindet, und die
Sehachse genannt wird. Die Brennweite derselben (Vereinigungsweite
für parallele Strahlen) ist gleich dem Abstände des hintern Linsenpoles
von der Macula lutea, welche demnach in der hintern Brennpunktsebene
liegt. Strahlen, welche von der Netzhaut aus parallel durch den Glas-
körper vorwärts gingen, würden sich in einem Punkte vereinigen,
welcher um den halben Durchmesser des Bulbus in der Sehachse, etwa
51 -/y/ vor dem Centrum der Cornealvorderfläche, mithin in der vordem
Brennpunktsebene liegen würde. Bei einer durchaus homogenen und
von gleich gewölbten Flächen begrenzten Linse (gewöhnliche biconvexe
Glaslinse) ist es der Mittelpunkt ihrer Achse, durch welchen man von
irgend einem Objectpunkte eine gerade Linie zu ziehen hat, um die
Richtung zu finden, in welcher jenseits der Linse alle von jenem Punkte
aus durch die Linse gegangenen Strahlen sich vereinigen müssen. Bei
der aus verschiedenen Medien zusammengesetzten Sammellinse unseres
Auges liegt dieser Punkt nicht, wie man früher meinte, in der Mitte,
etwa gerade in der Pupille, sondern nahe am hintern Pole der Kiystall-
linse. mithin durchschnittlich zwischen 3 — 3xi%'u hinter dem Centrum
der Cornealvorderfläche. Dieser Punkt, von Volkmann Kreuzungspunkt
der Pdchtungslinien genannt, jedoch als 3,97'" hinter der Cornealvorder-
fläche liegend angegeben, ist ohngefähr dasselbe, was Listing den mitt-
lem Knotenpunkt genannt hat.
Zum deutlichen Sehen sind bis zu einem gewissen Grade scharf
begrenzte und lichte Bilder auf der Netzhaut nothwendig. Jedes leuch-
tende oder lichtreflectirende Object kann als eine Summe leuchtender
Punkte betrachtet werden. Von jedem solchen Punkte gelangt ein Büschel
Strahlen zum Auge in Form eines Kegels, dessen Spitze jener Punkt,
dessen Basis die Cornea ist. Ein Theil dieser Strahlen wird unregel-
mässig- zurückgeworfen (zerstreut), und macht die Cornea sichtbar; ein
anderer wird regelmässig reflectirt (gespiegelt), und gibt die bekannten
bei B. nahe dem rothen Ende. 452,000000,000000
„ C. im Roth 474,000000,000000
„ D. ,, Orange .... 528,000000,000000
„ E. „ Grün 591,000000,000000
„ F. „ Blau 64 [,000000,000000
„ G. „ Indigo .... 724,000000,000000
„ H. ., Violett .... 7S5,000000,000000
Der tiefste Ton entsteht durch 32, der höchste noch wahrnehmbare Ton durch 73000 Schwingungen,
also durch 36500 Ein- und eben so viele Ausbiegungen des Trommelfelles {Dave).
3*
36 Netzhaut.
Spiegel- oder Reflexbilder der Hornhaut, von den durchgelassenen tra-
gen nur so viele zur Bildung des Netzhautbildes bei , als nicht durch
die Iris abgehalten und von der vordem und hintern Kapsel auf gleiche
Weise wie von der Cornea reflectirt werden. Die durchgelassenen con-
vergiren nach ihrem Eintritte in den Glaskörper, wenn der leuchtende
Punkt nicht zu nahe am Auge liegt, kegelförmig nach einem Punkte,
dessen Lage sich durch Ziehung der Richtungslinie (vom leuchtenden
Punkte durch den Kreuzungspunkt) bestimmen lässt; sie bilden einen
Kegel, dessen Spitze auf die Netzhaut fällt, wenn, wie beim deutlichen
Sehen immer, der Refractionszustand des Auges der Entfernung des
leuchtenden Punktes angemessen ist. Dieser Punkt an der Spitze des
innern Kegels ist das Bild des Punktes an der Spitze des äussern, und
somit kann das ganze Netzhautbild eines Objectes als aus so vielen
Punkten zusammengesetzt gedacht werden, als das ihm entsprechende
Object lichtsendende Punkte enthält. Je schärfer die einem jeden Ob-
jectpunkte zugehörenden Strahlen auf einen entsprechenden Punkt der
Netzhaut concentrirt werden, desto genauer ist die in Rede stehende
Bedingung des Deutlichsehens erfüllt, dass nicht mehrere verschiedene
Punkte des Objectes ihr Licht auf eine und dieselbe Stelle der Netz-
haut werfen. — Entspricht der Refractionszustand nicht der Entfernung
des leuchtenden Punktes, so fällt der Vereinigungspunkt vor die Netz-
haut, falls der leuchtende Punkt relativ zu weit entfernt, hinter die
Netzhaut, falls derselbe relativ zu nahe am Auge liegt. In dem erstem
Falle wird die Netzhaut erst von den bereits wieder auseinander fah-
renden, in dem letzteren von den noch nicht völlig vereinigten Strahlen,
mithin von einem Lichtkreise (Kegelschnitte) statt von einem Lichtpunkte
getroffen, und es greifen die Lichtstrahlen des einen Kegels in das Be-
reich des andern über, es ist nicht jeder Objectpunkt gesondert und
begrenzt auf der Netzhaut abgebildet. Bis zu welchem Grade eine
solche Abgrenzung gefordert werde, bis zu welchem Grade und durch
welche Mittel die Bildung von Zerstreuungskreisen wegen nicht ent-
sprechender Objectsdistans verhütet werden könne, soll später noch be-
sprochen werden. — Von dem Lichtkegel, welchen irgend ein leuch-
tender Punkt ins Auge sendet, werden nur jene Strahlen, die in geringer
Entfernung (Elongation) von dem in der Achse des Kegels verlaufenden
(Achsenstrahle) auf die Cornea fallen, in einem und demselben Punkte
jenseits vereinigt; die weiter entfernt auffallenden (Randstrahlen) wer-
den stärker gebrochen, also früher dem Achsenstrahle des innern Licht-
kegels zugelenkt, und fahren demnach bereits wieder auseinander,
wenn die Centralstrahlen eben erst zusammentreten; sie bilden, wenn
Physiologie. 37
die Netzhaut in der Vereinigungs weite der Centralstrahlen liegt, auf
dieser einen Zerstreuungskreis, bedingt durch die sogenannte sphärische
Aberration. Dieser Beeinträchtigung der Schärfe des Bildes ist gröss-
tentheils durch die Iris und die dem Bedürfnisse entsprechende Ver-
engerung und Erweiterung der Pupille abgeholfen. Sie würde beson-
ders beim Betrachten naher Objecte störend einwirken. — Die Zer-
streuung, welche das Licht jedes einzelnen Strahles vermöge seiner
Zerlegbarkeit in verschieden brechbare {farbige) Strahlen beim Durch-
gange durch die brechenden Medien des Auges so gut wie beim Durch-
gänge durch ein Prisma erleidet, macht sich beim Sehen nur dann
geltend, wenn die Vereinigung sämmtlicher Strahlen eines Kegels wegen
mangelhafter Anpassung für die Objectdistanz, wegen sphärischer Aber-
ration oder wegen Abhaltung eines Theiles der Strahlen mehr weniger
verhindert wird. (Schiebt man während der Fixirung eines horizontalen
Fensterstabes ein Kartenblatt knapp am Auge vor die obere Hälfte der
Pupille, so erscheint am untern Bande des Stabes ein rothgelber Far-
bensaum, am obern ein blauer; hat man dagegen den untern Theil
der Pupille verdeckt, so treten dieselben Farben in umgekehrter Ord-
nung auf, gleichviel ob man dem Fenster nahe oder fern steht, wenn
nur hinter demselben weisse Wolken sind. Tourtual.) Da die blauen
Strahlen des Spectrums stärker gebrochen werden, als die gelben, und
diese stärker als die rothen, so gelangen die blauen Strahlen immer
etwas früher zur Vereinigung, als die rothen; indem aber die diametral
entgegengesetzten Strahlen des innern Lichtkegels in oder nächst der
Spitze desselben zusammentreten, compensiren sie sich ohngefähr in
der Mitte zwischen der Vereinigungsweite der blauen und rothen Strah-
len. (Diese Compensation wird in Tourtuals Versuche verhindert.)
Die zum Deutlichsehen erforderliche Helligkeit {scheinbarer Glanz)
des Netshautbildes wird durch die Menge der Lichtstrahlen bedingt,
welche an der Spitze eines jeden innern Lichtkegels die Netzhaut tref-
fen. Die Menge der Lichtstrahlen des innern Lichtkegels hängt zu-
nächst nicht bloss von der Menge ab , welche der leuchtende Punkt
ausstrahlt oder reflectirt, sondern auch von der Entfernung dieses letz-
tern. Je länger der äussere Lichtkegel, also je weiter entfernt das Ob-
ject, desto geringer die Zahl der Strahlen, welche von ihm auf die Cor-
nea fallen. Es verhalten sich die Summen der auf die Cornea fallenden
Strahlen ceteris paribus umgekehrt wie die Quadrate der Entfernungen
des leuchtenden Punktes. Je mehr seitlich von der Sehachse der leuch-
tende Punkt liegt, desto kleiner wird auch bei gleich gross bleibender
Öffnung der Pupille die Summe der Lichtstrahlen sein, welche zur
38 Netzhaut.
Bildung des innern Lichtkegels concurrireu können; denn Strahlen, die
unter einem grössern Einfallswinkel als 48 Grad auf die Cornea treffen,
werden reflectirt, und je schräger die Irisebene zum Achsenstrahle des
leuchtenden Punktes gestellt ist, desto weniger Nebenstrahlen desselben
Kegels können durch die Pupille eindringen. Je vollständiger durch-
sichtig endlich die Medien, welche das Licht vom leuchtenden Punkte
bis zur Netzhaut zu durchdringen hat, desto vollständiger die Beleuch-
tung dieser letztern. Trübung der Medien bewirkt Uberdiess auch Ab-
lenkung (Zerstreuung) der durchgelassenen Strahlen. (Undeutlichsehen
wegen unzureichender Beleuchtung.)
Die Thatsache, dass ■wir unter Umständen, wo ganz gewiss Zerstreuungskreise vor-
handen sind, noch mehr weniger deutlich sehen, wie namentlich hei der Betrachtung
entfernterer Objecte, lässt sich kaum anders erklären, als dass wegen der überwiegenden
Beleuchtung in der Mitte jedes Zerstreuungskreises die relativ schwächere Erregung
der Umgebung nicht wahrgenommen wird. Wird ein Gegenstand, z. B. ein Buchstabe,
so nahe vor das Auge gehalten, dass er undeutlich und farbig eingesäumt erscheint, weil
die zu stark divergirend auffallenden Strahlen erst hinter der Netzhaut zur Vereinigung
gelangen können, so kann man bewirken, dass er in derselben Entfernung augenblicklich
rein und scharf begrenzt erscheint, wenn man ihn durch die enge Öffnung eines Karten-
blattes betrachtet, offenbar weil die Zerstreuungskreise dadurch auf das erforderliche
Minimum reducirt werden, indem durch die nahe vor der Cornea befindliche enge Öffnung
die Basis des eindringenden Lichtkegels, mithin auch sein Durchschnitt auf der Netzhaut
entsprechend kleiner geworden ist. (Ludivig.)
Die Fehlheit (Schärfe) des Gesichtes, analog der Feinheit der übri-
gen Sinne, schätzest wir nach der Fähigkeil, winzige Objecte zu er-
kennen und zwei ganz nahe neben einander befindliche leuchtende Punkte
als zwei zu unterscheiden , sobald die eben besprochenen Bedingungen
des Deutlichsehens vorhanden sind. Diess führt uns zur Betrachtung
der Grösse der Netzhautbilder und der Energie der Netzhaut selbst.
So wie ein feines Gehör ein Geräusch noch wahrnimmt, das von einem
stumpfen auch trotz aller Aufmerksamkeit und Anstrengung nicht mehr
vernommen wird, und so wie ein feiues Getast zwei nahe aneinander
befindliche Spitzen noch als zwei (getrennt) empfindet, welche dem
stumpfen (groben) Gefühle nur eine einzige zu sein scheinen, zeigt sich
auch die Netzhaut in ihrer Fähigkeit, Eindrücke aufzunehmen und zu
unterscheiden, bald fein, bald stumpf, in unendlichen Abstufungen.
Diese Verschiedenheit ist theils in der primären Anlage der Netzhaut
gegeben, theils von der Übung namentlich in den ersten Lebensjahren
abhängig, ausserdem aber Folge (Symptom) mannigfacher Erkrankung.
Sehen wir vorläufig noch von der Verschiedenheit der Energie der
Netzhaut in den einzelnen Kegionen derselben ab, und betrachten bloss
die Wahrnehmung von Bildern, welche auf die empfindlichste Stelle,
Physiologie. 39
die Macula lutea fallen, so sind folgende Sätze zu notiren : a) Die Grösse
des Bildes auf der Netzhaut kann um so kleiner sein, je grössere Licht-
stärke es besitzt, b) Bei gleicher Lichtstärke kann, um noch gesehen
zu werden, ein weisses Bild kleiner sein, als ein gelbes, dieses kleiner
als ein rothes und dieses kleiner als ein blaues {Plateau), c) Wenn
das Bild nach der einen Dimension zunimmt, darf es unbeschadet seiner
Deutlichkeit nach der andern Dimension abnehmen, so dass ein linien-
förmiger Körper noch sichtbar ist, während ein punktförmiger von
gleicher Breite schon verschwindet. Eine kurze Linie, welche in verti-
caler Richtung als Punkt erscheint, kann in horizontaler noch als Linie
wahrgenommen werden. Diess hängt, wie Fick nachgewiesen hat, da-
von ab, dass die durchsichtigen Medien in verticaler Richtung nach
einem kürzern Radius gekrümmt sind, als in horizontaler. Wenn die
Energie der Netzhaut geringer oder gesunken ist, wird dieselbe Druck-
schrift noch gelesen, sobald die Buchstaben etwas weiter von einander
abstehen; von zwei Druckschriften, deren Lettern gleiche Höhe haben,
strengt diejenige mehr an, deren Lettern weniger fett und mehr com-
press sind, d) Ein winziger Gegenstand, der nicht wahrgenommen
werden kann, wenn er ruhig ist, kann wahrgenommen werden, wenn
sein Bild mit einer gewissen Geschwindigkeit nach einander auf ver-
schiedene Netzhautstellen gebracht wird, e) Der Contrast in der Farbe
und Beleuchtung, den ein Körper zu seiner Umgebung bildet, macht
einen winzigen Körper sichtbar, der ausserdem unsichtbar ist. Ein
dunkler Punkt, der auf dunklem Hintergründe unsichtbar ist, wird sicht-
bar auf lichtem Hintergrunde und umgekehrt. Auf diese Weise (d und e)
werden uns die sogenannten Sonnenstäubchen bemerkbar, wenn Sonnen-
strahlen in ein nicht zu lichtes Zimmer fallen.
Die Feinheit des Gesichtes geht , aber nicht bis über eine gewisse
Grenze hinaus; sie ist durch die Energie der Netzhaut als solche be-
schränkt; nur bei einer gewissen Grösse des einem Objecte entsprechen-
den Netzhautbildes kann dasselbe wahrgenommen, und nur bei einer
gewissen Distanz der Bildpunkte auf der Netzhaut, welche zwei leuch-
tenden Objectpunkten entsprechen, können jene in der Empfindung als
distinet auftreten. Wenn auch nicht genau, so doch annähernd lässt
sich angeben, wie weit zwei Bildpunkte auf der Netzhaut abstehen müs-
sen, um noch als zwei wahrgenommen zu werden. Zur Bestimmung der
Distanz zweier Bildpunkte auf der Netzhaut dient der Sehwinkel. Diesen
erhält man, wenn man von den zwei leuchtenden Endpunkten des Ob-
jeetes gerade Linien zum Centrum der Cornealvorderfläche zieht, ge-
nauer jedoch, wenn man dieselben durch den Kreuzungspunkt der
40
Netzhaut.
KichtiiDgslinien gezogen denkt , welche dann eben jene geraden Linien
selbst sind.
Sind a und c (in beistehender Figur nach Volkmann) die Endpunkte
der Dimension des Objectes, für welche die entsprechende Grösse des
Netzhautbildes zu suchen ist, so wird, falls ihre Verbindungslinie ac
senkrecht (normal) auf der Sehachse on steht, und x der Kreuzungs-
punkt der Eichtungslinien ist, der Abstand zwischen b und d die ge-
suchte Dimension des Netzhautbildes sein. Denn wird, was ohne erheb-
lichen Fehler geschehen kann, bd als gerade Linie normal auf der Sehachse
stehend angenommen, so sind die Dreiecke axc und dxb sich ähnlich,
und es verhält sich ac : db=mx: ox, mithin db = = '-
mx xn -f- nm
Nimmt man nach Volkmann ox = 6,23"' und nx = 3,97'" an, so ist
bloss nm und ac durch Messung zu bestimmen. Wenn jedoch , woran
kaum zu zweifeln, da auch Moser 's Berechnungen dafür sprechen, der
Kreuzungspunkt der Richtungslinien (der mittlere Knotenpunkt) noch
nahezu iji Linie vor dem hintern Pole der Linse liegt, so muss bei einem
Auge von 10'" innerem Durchmesser (von der Macula lutea bis zum Centrum
der Descemetschen Haut) ox auf mindestens 6,5"', dagegen nx höchstens
auf 3,5'" angeschlagen werden, wodurch die Dimension des Netzhaut-
bildes merklich grösser ausfällt. — Liegt ein Gegenstand dem Auge
näher, so wird er (wie in obiger Figur z. B. ef) trotz bedeutend ge-
ringerer Grösse dennoch ein gleich grosses Bild entwerfen, sobald
Grösse und Entfernung in einem bestimmten Verhältnisse zu einander
stehen. Bei einer Entfernung von 10 Zoll ist das Netzhautbild gegen
16mal kleiner, als das Object {Volkmann), demnach bei einer Object-
distanz von 5 Zoll vor der Hornhaut ohngefähr Smal kleiner (linear)-
Ein kleiner naher Gegenstand kann demnach einen entfernten grössern
vollständig decken (unsichtbar machen), wenn der Sehwinkel für den
einen und den andern derselbe ist. Man sagt, zwei Gegenstände haben
dieselbe scheinbare Grösse, wenn sie unter gleich grossem Sehwinkel
erscheinen, wenn ihre Bilder einen gleich grossen Raum auf der Netz-
haut einnehmen. Ist uns die objective (durch Masse, Linien, Zolle etc.)
Physiologie. 41
bestimmbare Grösse eines Gegenstandes bekannt, dann schliessen wir
ans der Abnahme der scheinbaren Grösse auf die Entfernung. Die
scheinbare Grösse eines Gegenstandes wird aber auch kleiner, wenn
derselbe bei gleicher Entfernung des von der verlängerten Sehachse ge-
troffenen Punktes desselben aus der normalen in eine schiefe Stellung
zur Sehachse gebracht wird (wie in obiger Figur gh, welches eben so
laug ist, als ac). Die wahre oder objective Grösse eines Gegenstandes
schätzen wir daher nach der scheinbaren, i. e. nach der Grösse des
Netzhautbildes oder der Summe der getroffenen Netzhautelemente und
nach der anderweitig ermittelten Entfernung. Werden wir über die Ent-
fernung getäuscht, oder fehlen uns alle Anhaltspunkte zur Ermittelung
derselben, so ist auch unser Urtheil über die objective Grösse sehr
subjectiv. Die Lage des Kreuzungspunktes der Richtungslinien ist keine
unveränderliche, wenigstens nicht relativ zur Netzhaut. Beim Betrach-
ten naher Objecte rückt, wie wir nachweisen werden, die Macula lutea
weiter rückwärts, wird demnach in obiger Figur ox grösser. Dieser
Veränderung werden wir uns aber durch das Gefühl der zu dieser Ac-
commodation nöthigen Muskelanstrengung bewusst. Halten wir dagegen
eine massig starke Convexlinse vor das Auge, so fällt der Kreuzungs-
punkt der Richtungslinien im Auge weiter vorwärts, die oben mit ox
bezeichnete Grösse wächst, mithin auch die mit bd bezeichnete Aus-
dehnung des Netzhautbildes, der Gegenstand erscheint grösser, und die
Correctur durch das Muskelgefühl fehlt. Eine Concavbrille bewirkt das
Gegentheil, sobald ihre (negative) Brennweite nicht so stark ist, dass
sie die einem Lichtkegel angehörenden Strahlen zu weit hinter der
Netzhaut vereinigt und zu grosse Zerstreuungskreise bewirkt. Bei Kurz-
sichtigen ist ox immer grösser, als im normalen Auge, weil, wie wir
unten nachweisen werden, das Centrum der Netzhaut überhaupt weiter
hinter der Cornea und Linse liegt ; ist dabei die Empfindlichkeit der
Netzhaut und die Durchsichtigkeit der Medien ungestört (reine Kurz-
sichtigkeitj, so ist auch bd immer grösser, als in normalen Augen, und
werden zwei Punkte, die für ein normales Auge zu nahe an einander
liegen, als dass sie noch durch gesonderte Bilder vertreten werden
könnten, im kurzsichtigen Auge noch getrennt abgebildet und empfun-
den, wenn nur die Netzhaut in oder doch nahe an dem Vereinigungs-
punkte der Strahlen des betreffenden Lichtkegels liegt. In diesem Sinne
hat das kurzsichtige Auge (für hinreichend nahe Objectej ein feineres
oder, wie man gewöhnlich sagt, ein schärferes Gesicht.
Der kleinste Sehwinkel, unter welchem weisse Punkte auf schwarzem Grunde noch
sichtbar waren, betrug nach Huek 2,6 Secunden, für weisse Striche nur 1,2 Secunden.
42 Netzhaut.
Einen Spinnenfaden erkannte Huek sogar unter einem "Winkel von 0,6", einen glänzenden
Draht unter 0,2". Volkmann spannte zwei Spinngewebfäden in paralleler Eichtung und
in einer Distanz von 0,0052 Zoll neben einander auf, und fand, dass er (als Kurz-
sichtiger) dieselben bis auf 7 Zoll ^Entfernung als zwei erkannte, aber nicht weiter.
Er berechnete die Distanz der Netzhautbildchen für diesen Fall auf 0,00037" oder 0,00244"'.
Zwei schwarze parallele, 0,016" von einander abstehende Linien auf weissem Grunde
erkennt Volkmann mit Hilfe der Brille auf 27" Entfernung. In diesem Falle ist die
Distanz der Netzhautbildchen 0,00029". Demnach war der Diameter der kleinsten wahr-
nehmbaren Distanz für sein Auge gegen lOmal grösser, als der Diameter des kleinsten
noch wahrnehmbaren Netzhautbildchens. — Fragt man, ob das Unterscheiden zweier
Gesichtseindrücke darauf beruhe, dass zwei verschiedene Netzhautelemente getroffen wer-
den, oder ob auch, wie Volkmann anzunehmen geneigt ist, zwei Netzhautbilder, auf das.
selbe Netzhautelement fallend, noch als different unterschieden werden können, so müssen
wir die Antwort schuldig bleiben, weil wir noch nicht wissen, welche Netzhautelemente
eigentlich bei Aufnahme der Atherschwingungen zunächst betheiligt sind, und weil die
Feinheit des Gesichtssinnes durch Übung so gut gesteigert werden kann, wie die Fein-
heit der übrigen Sinne.
Die Energie der Netzhaut kann durch zu intensive oder über-
mässig lange dauernde Erregung plötzlich oder allmälig erschöpft, durch
entsprechende Übung bis zu einem gewissen Grade gesteigert werden;
sie sinkt durch lange NichtÜbung um so mehr, je früher (in den Kinder-
jahrenj ihre Ausschliessung vom Sehen stattfindet. Wenn das eine Auge
lange nicht zum Sehen verwendet worden ist, so vermag es weder so
feine Objecte zu erkennen und zu unterscheiden, wie das geübte, noch
hält es die Betrachtung erkennbarer kleiner Gegenstände gleich lange
aus; es hält überdiess letztere auch in der Regel für kleiner und min-
der hell beleuchtet. Ein junger Mann, als Chemiker in physikalischen
Dingen wohl bewandert, zur Betrachtung feiner Qbjecte sich (wahr-
scheinlich von Jugend auf) nur des rechten Auges bedienend, konnte
mit dem übrigens völlig normalen linken Auge nicht bis zu so kleiner
Druckschrift aufsteigen, wie mit dem rechten, hielt das Lesen mit dem
linken nicht so lange aus, und machte in meiner Gegenwart die für
ihn überraschende Bemerkung, dass ihm die mit dem linken Auge allein
gelesene Schrift kleiner vorkam, als wenn er sie mit dem rechten Auge
allein oder mit beiden zugleich betrachtete. Verschiedene Farben er-
schienen ihm, mit dem linken Auge allein betrachtet, weniger hell; mit
dem rechten Auge allein sah er etwas deutlicher, als mit beiden zu-
gleich. Die Möglichkeit, in solchen Fällen durch methodische Übung,
wenn nicht völlig, so doch nahezu gleiche Energie der Sehkraft herzu-
stellen, reicht wohl hin zu beweisen, dass weder in der Netzhaut, noch
in dem dioptrischen Apparat oder in den muskulösen Gebilden soge-
nannte organische Veränderungen zu Grunde liegen, um so mehr, als
Physiologie. 43
auch die Energie der übrigen Sinnesnerven, besonders in früher Jugend,
durch Übung bis zu einem kaum glaublichen Grade gesteigert werden
kann. — Innerhalb gewisser Grenzen wächst mit der Intensität des
Lichtes die Stärke der Lichtempiindung. AYahrscheinlich müssen die
durch die Ätherwellen erregten Netzhautschwingungen eine gewisse
Stärke erreicht haben, bevor sie im Stande sind, Empfindung zu er-
regen; haben sie diese erreicht, so erhöht sich allmälig mit der Inten-
sität der Schwingungen die Empfindung; bei fortgesetzter Steigerung
tritt Blendung ein, analog dem Schmerze. Die Empfindlichkeit der Re-
tina gegen weisses Licht sowohl als gegen farbiges nimmt mit der Dauer
ihrer Einwirkung auf dieselbe ab, und zwar um so rascher, je beträcht-
licher die Intensität des Lichtes war. Rucksichtlich des gefärbten Lichtes
ist hiebei bemerkenswerth, dass durch die anhaltende Einwirkung einer
Farbe die Empfindlichkeit der Retina nur für diese, nicht aber zugleich
für andere Farben abgestumpft wird. (Ludwiy.)
Die Netzhaut, ist bei offenem Auge stets mit Bildern von so viel
Objecten bedeckt, als neben einander Lichtstrahlen zu ihr senden können.
Je entfernter ein Object, desto kleiner das ihm entsprechende Bild.
Auf der circa 297 Quadratlinien messenden Oberfläche der Netzhaut ist
daher immer ein aliquoter (beiläufig der dritte) Theil der uns umgeben-
den Objecte abgebildet, und es ist in diesem engen Rahmen stets ein
Ausschnitt bald des Firmaments und der Erdoberfläche, bald der engen
Stube, die wir bewohnen, eingezeichnet. Stellen wir uns vor eine grosse
Mauer, so können wir dieselbe ganz aufnehmen, sobald wir gehörig-
weit entfernt sind; so wie wir uns nähern, den Blick unverrückt auf
einen fixen Punkt heftend, so verengert sich die Scheibe, die wir über-
sehen, mit allmälig verschwindender Peripherie. Wir nennen die Summe
der Objecte, welche bei ruhig gehaltenem Auge neben und hinter ein-
ander wahrgenommen werden können, das Sehfeld. Geben wir dem
Auge eine solche Stellung, dass die Pupille etwas jenseits der Mitte
der Lidspalte steht, mithin der Nasenrücken nicht hinderlich wird, so
finden wir, dass das Sehfeld von dem fixirten Punkte nach der Schläfe-
seite hin sich weiter ausdehnt, als nach der Nasenseite, offenbar dess-
halb, weil an der Nasenseite die Netzhaut weiter nach vorn reicht, und
die Iris etwas schmäler ist, als an der Schiäfeseite. Denn die äusserste
Grenze nach vom, bis zu welcher der dioptrische Apparat Bilder ent-
werfen kann, ist auch bei weiter Pupille die Ora serrata; auf das
Corpus ciliare kann niemals ein durch die Cornea und Linse entwor-
fenes Bild fallen. Durch die Zusammenwirkung beider Augen erhält
das gemeinschaftliche Seh- oder Gesichtsfeld eine grössere Ausdehnung
44 Netzhaut.
nach links und rechts, so dass wir bei gradaus gerichtetem Blicke bei-
nahe die Hälfte des uns umgebenden Gesichtskreises übersehen.
Im Sehfelde ist es immer nur ein relativ kleiner Theil, um den
Endpunkt der verlängert gedachten Sehachse gelegen, den wir so deut-
lich sehen, als es die Entfernung und Beleuchtung der Objecte gestattet.
Der Grund dieser merkwürdigen Thatsache liegt nicht darin, dass wir
etwa die Aufmerksamkeit nur immer einem einzigen Objecte zuwenden
können; denn wir sind im Stande, die Aufmerksamkeit gerade von dem
in der Sehaxe liegenden Objecte ab- und auf ein seitlich gelegenes
Object zu lenken. Zum Theil kann man ihn darin suchen, dass für
eine bestimmte Entfernung der Objecte nur die Macula lutea in der
Vereinigungsweite liegen, also nur in und nächst der Sehachse liegende
Objecte scharf begrenzte Bilder auf der Netzhaut entwerfen können,
während mehr seitlich gegen die Ora serrata gelegene Netzhautpartien
immer nur mehr weniger verwischte Bilder empfangen. Für diese An-
sicht kann man auch geltend machen, dass von gerade vor dem Auge
befindlichen Objecten ceteris paribus mehr Licht durch die Pupille ein-
dringen kann, als von mehr seitlich gelegenen. Die Untersuchungen
von II. Müller und Kölliker machen es indess höchst wahrscheinlich,
dass im Bau der Netzhaut selbst der wichtigste Grund zu suchen sei,
dass die Sensibilität in der Netzhaut selbst ungleich vertheilt sei, ana-
log der Vertheilung des Tast- und Geschmacksinnes. Gleichwie nach
E. II. Weber's Untersuchungen z. B. zwei Zinken einer Gabel an den
Fingerspitzen schon bei sehr geringem Abstände von einander als zwei
wahrgenommen werden können, während sie immer weiter von einan-
der abstellen müssen, wenn sie auf dem Handrücken, am Oberarm, am
Nacken noch als getrennt empfunden werden sollen, scheint auch die
Netzhaut so organisirt zu sein, dass zwei Bildchen, von zwei leuchten-
den Punkten im Sehfelde entworfen, auf der Macula lutea noch als
getrennt wahrgenommen werden, während sie, je weiter gegen die Peri-
pherie hin entworfen, desto mehr auseinander gerückt sein müssen, um
noch als zwei unterschieden zu werden.
Sind die Angaben über die Vertheilung der Zapfen in der Stäbchenschicht richtig,
so wäre bei Erklärung der genannten Thatsache wohl vor Allem an diese zu denken.
Dass die Opticusfasern der Netzhaut, welche gleichfalls gegen die Peripherie hin all-
mälig abnehmen, nicht als die aufnehmenden, sondern nur als leitende Elemente in An-
spruch genommen werden können, ergibt sich aus dem Umstände, dass sie im centra-
len Theile vielfach über einander liegen, dass sie mitten in der Macula lutea fehlen, dass
die Fapilla nervi optici zur Lichtperception wenig, nach Heimholte gar nicht geeignet
ist, und dass rein centrale Retinalamaurosen mit nachweisbarer Veränderung der Macula
lutea vorkommen. Biegen die Opticusfasern um die desorganisirte Macula lutea herum,
Physiologie. 45
dann ist wenigstens begreiflich, wie in solchen Fällen jenseits (gegen die Schläfe hin)
gelegene Netzhautpartien noch fungiren können.
Auf der eben besprochenen Einrichtung des Auges beruht der Unter-
schied zwischen dem sogenannten directen und indirecten Seke?i. Indem
ich schreibe oder lese, kann ich nur einen kleinen Theil der Zeile mit
Einem Blicke deutlich (direct) sehen, und muss die Macula lutea nach
und nach den Stellen, welche deutlich gesehen werden sollen, gegenüber
bringen. Dabei nehme ich die Umgebung des deutlich Gesehenen durch
indirectes Sehen wahr, welches je weiter gegen die Grenzen des Seh-
feldes desto minder deutliche Wahrnehmungen gestattet, selbst dann,
wenn ich meine Aufmerksamkeit, nicht aber die Sehachse, auf ein sol-
ches seitlich gelegenes Object lenke.
Das directe Sehen gibt uns das Bild eines Objectes, das indirecte
vermittelt vorzüglich das Auffassen des Räumlichen, des Neben-, Über-
und grösstenteils auch des Hintereinanderseins der Objecte im Sehfelde.
Viele behaupten, dass wir nur das Neben- und Übereinandersein der
Objecte unmittelbar mit dem Blicke auffassen, dass die Wahrnehmung
der dritten Dimension (Tiefe, Entfernung vor uns) erst durch andere
Hilfsmittel zu Stande gebracht werde. Es ist aber die Wahrnehmung der
Entfernung der Hauptsache nach schon in dem directen und indirecten
Sehen, in der gleichzeitigen Erregung der peripherischen Netzhautpar-
tien gegeben, wenn gleich in dem Muskelgefühl (behufs der Convergenz
der Sehachsen und der Accommodation) und in der Erinnerung an be-
reits gemachte Wahrnehmungen wichtige Unterstützungs- und Controll-
mittel liegen. Was im Sehfelde neben und übereinander liegt, ist auch
auf der Netzhaut neben und über einander abgebildet, sobald es Licht
dahin senden kann, und wird in dieser räumlichen Anordnung wahrge-
nommen. Auf der concaven Netzhautfläche ist aber gleichzeitig auch die
Abbildung hinter einander gelegener Objecte, also die Auffassung der
dritten Dimension möglich, sobald der näher liegende Gegenstand nicht
alles Licht, das der entferntere zum Auge senden kann, abhält. Wäre
die Netzhaut plan, statt concav, dann würden wir in der Auffassung der
dritten Dimension bloss auf das Muskelgefühl, die bekannte Grösse und
Beleuchtung der Objecte u. s. w. angewiesen sein.
Was unmittelbar vor meinen Füssen ist, wirft ein Bild auf den vordem Theil der
obern Hälfte der Netzhaut ; was einige Schritte vor mir liegt, ist auf der Netzhaut eben
daselbst etwas weiter hinten abgebildet, und so fort bis zu dem Punkte des Sehfeldes,
den ich fixire. So kann ich auf unbekanntem Wege fortschreiten, ohne meinen Blick
an den Pfad zu fesseln; die obere Hälfte meiner Netzhaut rapportirt mir bei nur eini-
ger Aufmerksamkeit jedes Hinderniss am Wege, so wie die innere Hälfte mich augen-
blicklich zum Schliessen der Lider bestimmt, wenn etwa ein Insect von der Seite her
46 Netzhaut.
sich dem Auge nähert. In stockfinsterer Nacht oder in einem langen Stollen sind wir
nicht im Stande zu bestimmen, wie weit entfernt ein Licht sei, wenn die zwischen-
liegenden Objecto nicht beleuchtet sind, gleichviel ob wir ein oder beide Augen offen
haben. Selbst wenn uns die Grösse und Helligkeit der Flamme bekannt ist, vermögen
wir mit nur geringer Wahrscheinlichkeit auf ihre Entfernung zu schliessen, sobald die
Wahrnehmung der zwischenliegenden Objecte fehlt. Dem bekannten Beispiele vom
Danebengreifen beim Lichtputzeu, wenn das eine Auge geschlossen wird, lässt sich das
andere entgegenstellen, dass die meisten Jäger beim Zielen das zweite Auge schliesseD.
Stellen wir uns, ein Auge verdeckend, vor ein Doppelfenster so, dass der innere (nä-
here) verticale Stab den äussern verdeckt, so wird letzterer augenblicklich sichtbar,
wie wir das verdeckte Auge öffnen. Der entferntere Stab wird dabei nur mit dem
früher verdeckten Auge gesehen. Derselbe Versuch an den horizontalen Stäben vor-
genommen, kann diese Erscheinung natürlich nicht darbieten. Dieser Versuch zeigt,
wie viel und auf welche Weise das zweite Auge zur Beurtheilung der Entfernung bei-
tragen kann. — Am Anfange einer grossen Ebene stehend, welche am Ende durch
einen Berg begrenzt wird, sind wir nicht im Stande, die Länge der Ebene (Entfernung
des Berges von unbekannter Grösse) zu schätzen, weil gerade Linien von einzelnen
Punkten der Ebene durch den Kreuzungspunkt der Bichtungslinien gezogen auf eine
unverhältnissmässig kurze Strecke der Netzhaut fallen ; beschauen wir aber dieselbe
Ebene von dem Berge aus, so schätzen wir ihre Länge gewiss viel richtiger, weil jetzt
einzelne Punkte (Objecte) derselben neben, eigentlich hinter einander auf der obern
Netzhaulhälfte abgebildet werden können. Stellen wir uns an das Ufer eines eben so
langen Sees, wie die eben supponirte mit mannigfachen Objecten besetzte Ebene, so
schlagen wir auch bei gleicher Höhe unseres Standpunktes über dem Wasserspiegel,
wie früher über der Ebene, die Länge des Sees geringer an, als die der Ebene. Es
mag uns diese Thatsache auf den ersten Blick vielleicht ebenso überraschen, als wenn
wir zum ersten Male hörten, es können auf der Oberfläche eines Berges nicht mehr
Bäume stehen, als auf einer Ebene, welche der horizontalen Grundfläche des Berges
gleicht; und doch ist eins so richtig, als das andere. — Einen von Dove geführten
Beweis dafür, dass wir die sogenannte dritte oder Tiefendimension des Baumes (der
Körper) ohne Mitwirkung der Muskelthätigkeit aufzufassen vermögen, werden wir beim
Besprechen des Einfachsehens mit zwei Augen anfuhren.
So wie das directe und indirecte Sehen sich gegenseitig unterstützen
und ergänzen, so stehen sie auch in einem gewissen Gegensätze zu ein-
ander. Sehen wir durch ein dünnes Bohr, oder schliessen wir die Er-
regung der peripherischen Netzhautpartie dadurch aus, dass wir eine
dunkle Scheibe mit einer kleinen Öffnung nahe vor das Auge halten,
so macht die ausschliessliche Erregung der centralen Netzhautpartie
einen viel stärkeren Eindruck, lässt das Object nicht nur schärfer, son-
dern auch heller hervortreten. Wird dagegen beim Fixiren eines Ob-
jeetes eine seitlich gelegene Netzhautpartie durch ein stärker leuchten-
des Object, z. B. ein Kerzenlicht, eine spiegelnde Fläche angeregt, so
erscheint das fmrte Object minder deutlich. Unverhältnissmässig starke
Erregung der zum directen Sehen dienenden Netzhautpartie ist nicht
minder nachtheilig, als das Gegentheil. Auf dieses Gesetz basiren sich
Physiologie. 47
die Vorschriften über die Beleuchtung der Objecte des Sehfeldes, durch
deren Nichtbeachtung eine Menge gesunder Augen verdorben werden.
Am meisten Verstösse gegen diese Vorschriften werden von jenen be-
gangen, welche ihre Augen viel zu feinen Arbeiten verwenden, beson-
ders bei künstlicher Beleuchtung (mit vorwaltenden gelben und rothen
Strahlen). Bald fehlt man darin, dass man alles Licht auf das Object
des directen Sehens concentrirt und das übrige Sehfeld nahezu dunkel
lässt, bald dadurch, dass man durch zu niedrig gestelltes Licht, durch
zur Seite oder unten befindliche, zu viel Licht reflectirende (spiegelnde)
Objecte die peripherischen Netzhautpartien zu stark erregt.*)
Die Einrichtung des Auges, dass vermöge des dioptrischen Apparates
nur in der Gegend des hintern Poles die relativ schärfsten und hellsten
Bilder entworfen werden können, und dass die Empfindlichkeit der Netz-
haut von der Ora serrata gegen die Macula lutea hin gradatim zunimmt,
in dieser selbst aber am grössten ist, zwingt uns nach dem allgemeinen
Gesetze, dass Reflexbewegungen erfolgen, um eine Function möglichst
vollkommen vor sich gehen zu machen, schon in früher Kindheit, den
hintern Pol des Auges jenem Objecte des Sehfeldes gegenüber zu stel-
len, welches eben die Netzhaut vorwaltend erregt und Gegenstand der
Aufmerksamkeit wird. Da nun dieses in jedem Auge für sich in glei-
cher Weise geschieht, mithin die Sehachse eines jeden Auges auf das
Object gerichtet werden muss, so ergibt sich als Folge der genannten
Einrichtung die correspondirende Stellung und Bewegung der Augen
zum Objecte des directen Sehens. Schon in den ersten Lebenstagen er-
folgen concomitirende Bewegungen beider Bulbi; beide werden gleich-
zeitig links, rechts, nach oben u. s. w. gerollt. Diese Bewegungen müs-
sen als aus einem angeborenen Verhältnisse der betreffenden Nerven zu
den Centralorganen hervorgehend betrachtet werden. Sie erfolgen zu-
nächst unabhängig von Erregung der Netzhaut durch äussere Objecte,
und unabhängig vom Willenseinflusse. Reflexbewegungen, angeregt durch
Sinneseindrücke lauf das Seh- oder Hörorgan) erscheinen erst dann,
wenn es bereits zur Bildung von Vorstellungen, zur Erinnerung an schon
gehabte Eindrücke gekommen ist. Durch den Einfluss der Sinnesein-
drücke mittelst Reflexwirkung auf die Muskeln des Auges wird die
Stellung und Bewegung desselben dem Sehen untergeordnet, die con-
comitirenden Bewegungen erfolgen nicht mehr automatisch, sondern
durch den Reflexeinfluss von der Netzhaut aus beherrscht als associirte,
*) Ob der Gebrauch der von Bonden bei Hornhauttrübungen vorgeschlagenen stenopäischen Brillen,
welcher mir gegen dieses Gesetz zu Verstössen scheint, nach längerer Zeit nicht etwa der Netzhaut
nachtheilig werden könne, muss vorläufig der Ermittelung durch Erfahrungen überlassen werden.
48 Netzhaut.
dem Sehacte dienende und durch denselben geregelte. Müssen aber die
Sehachsen aus dem oben angegebenen Grunde jenem Objecte, welches
die Aufmerksamkeit vorwaltend erregt, notwendiger Weise zugewendet
werden, dann macht der "Wechsel in der Entfernung des Objectes nebst
den associirten noch eine andere Art von Bewegungen nothwendig, die
der gleichnamigen Muskeln, welche jener der gleichseitigen (links,
rechts etc.) entgegen gesetzt ist, ohne sie auszuschliessen. Es ist diess
die accommodative Bewegung, welche bewirkt, dass die Sehachsen bald
näher bald weiter vor dem Auge sich in dem Objecte treffen, gleichviel
ob die Bulbi vorwärts, links, rechts, auf- oder abwärts gerichtet sind.
Die concomitirenden Bewegungen sind, weil auf einem angeborenen
Verhältnisse beruhend, schon beim Neugeborenen vorhanden, und gehen
nie verloren, ausser wenn die Muskeln spastisch oder paralytisch afficirt
werden. Ihre Umgestaltung zu associirten und das Auftreten der accom-
modativen Bewegungen hängt von der Entwicklung und Integrität der
Netzkautthätigkeit ab. Blindgeborene und frühzeitig Erblindete zeigen
stets nur concomitirende Augenbewegungen. Augen, deren Function von
früher Jugend an beträchtlich gestört ist, z. B. durch Hornhautnarben,
unvollständige Linsentrübung, Netzhautabnormitäten, bieten nebst asso-
ciirten auch accommodative Bewegungen dar, aber beide meist unge-
regelt und unstät. Bleibt aber die Function auch nur des einen Auges
intact, so sind die associirten Bewegungen beider Augen geregelt, und
die accommodativen des erkrankten fehlen nur dann, wenn seine Fun-
ction frühzeitig beeinträchtigt wurde oder völlig verloren ging. Diess
beweist, dass der durch Reflex hervorgerufene Impuls zu den Bewegun-
gen jederzeit vom Centralorgane auf beide Augen zugleich gerichtet ist,
wie wir diess bereits hei den Irisbewegungen kennen gelernt haben.
Später, wenn der Wille die Muskeln influenzirt, sind nicht nur die asso-
ciirten, sondern auch die accommodativen Bewegungen bereits in ein
so stabiles Verkältniss zu einander getreten, dass es ihm nur schwer
gelingt, sich gegen dasselbe geltend zu machen. Im Allgemeinen ist es
unmöglich, ein Auge allein nach einer andern Richtung als das andere
zu bewegen. Wir können für gewöhnlich nur, wie es nach den Ge-
setzen der Association und Accommodation gleichsam vorgezeichnet ist,
die gleichseitigen oder die gleichnamigen Muskeln zugleich durch den
Willen in Thätigkeit zu setzen. Indem jedoch, wie schon bemerkt, die
associirte Thätigkeit die accommodative nicht ausschliesst, können wir
auch bei links, rechts, auf- oder abwärts gerichtetem Blicke die Conver-
genz der Sehachsen abändern. Während es aber dem Willenseinflusse
nur in sehr beschränktem Masse gelingt, abändernd in diese Verhältnisse
Physiologie. 49
einzugreifen, z. B. das eine Auge gradatis, das andere einwärts zu stel-
len, bewirken Störungen in der Function der einen Netzbaut oft, und
selbst in spätem Alter durch Reflexaction Abänderungen (Schielen), zum
Zeichen, wie wichtig der Einfluss der Netzhaut auf die Stellung und
Bewegung der i^ugen ist. Ein analoges Verhältniss wie zwischen der
Netzhaut und den dem Sehacte dienenden Muskeln findet zwischen dem
Gehör und den die Sprache vermittelnden Muskeln statt.
Aus diesem Verhältnisse der Muskeln zur Netzhaut ergibt sich
auch die bündigste Antwort auf die oft gestellte Frage, warum wir die
Gegenstände aufrecht sehen, da doch das Bild auf der Netzhaut ein
umgekehrtes ist. Damit, dass man sagt, das Bild ist nur für das be-
schauende, nicht aber für das durch die Lichtwellen selbst erregte Auge
umgekehrt, ist noch nicht erklärt, warum wir einen Eindruck, der auf
einen vom Centralpunkte der Netzhaut links, oben u. s. w. gelegenen
Punkt geschieht, im Bewusstsein auf ein vom Centralpunkte des Seh-
feldes (Ende der verlängerten Sehachse) rechts, unten u. s. w. gelege-
nes Object beziehen. Wir müssen, wie Volkmann bemerkt, um ein auf
der Netzhaut links vom Centrum abgebildetes, also im Sehfelde rechts
liegendes Object zum Gegenstande des directen Sehens zu machen, das
x\uge rechts bewegen, und werden uns dieser Bewegung bewusst. Eben
dieses Bewusstwerden der Bewegung ist nothwendig, wenn sich die
Begriffe von rechts, links, oben u. s. w. entwickeln sollen.
Ein von Kindheit an Blinder lernte nach gelungener Beseitigung des grauen Staa-
res mit dem linken Auge sehen, welches einwärts schielte. „Für ihn lagen also die Ge-
genstände des deutlichen Sehens bei nnangestrengteni Auge rechts, und es bildete sich
"bei ihm erfahrungsmässig die Vorstellung : die Gegenstände des deutlichsten Sehens liegen
auf der Seite der rechten Köiperhälfte. Jetzt wurde der innere Augenmuskel durch-
schnitten, und das Auge stellte sich unbewusster Weise gerade nach vorn. Natürlich
musste er auch jetzt meinen,, der deutlichste Theil des Gesichtsfeldes läge nach rechts,
denn das Muskelgefühl war nach wie vor dasselbe, und eben das Muskelgefühl bedingt
die Torstellung der Bichtung." Volkmann.*)
Ist auf diese Weise die Notwendigkeit eingetreten, dass wir ein
Bild, unterhalb des Centralpunktes der Netzhaut entworfen, i. e. eine
Erregung der Netzhaut durch Licht auf ein Object beziehen, welches
im Sehfelde oberhalb der Sehachse liegt, dann wird auch eine durch
Druck auf den Bulbus gesetzte Erregung der Netzhaut so wahrgenom-
men, als ginge sie von der entgegengesetzten Seite aus. Drücken wir
auf den einen Bulbus z. B. hinter der Insertion des M. rectus internus,
so gelangt die Erregung der Netzhaut als leuchtender Kreis so zum
Bewusstsein, als schwebe derselbe an der Schläfeseite vor dem Auge
*) TVagner's Handwörterbuch, Sehen, Bd. III. S. 344.
Arlt Augenheilkunde. III. 4
50 Netzhaut.
im Sehfelde. Lässt man Nachts die Strahlen einer Kerzenflamme durch
eine Linse von etwas grösserer Öffnung und massiger Brennweite
(*/2 — 1") gerade in ihrer Vereinigungsweite auf die Sclerotica vom äus-
sern Winkel her einfallen, jedoch etwas mehr als 3'" hinter dem Horn-
hautrande, so sieht das davon getroffene (stark einwärts zu wendende)
Auge einen Lichtkreis von der Nasenseite her vorschweben, welcher auf
und ab oder vor- und rückwärts geht, so wie die möglichst concentrirte
Lichtscheibe durch Bewegung des Brennglases auf der Sclera ab- oder
auf-, rück- oder vorwärts bewegt wird. — Wenn mau diese Erschei-
nung damit bezeichnet, dass man sagt, die Netzhaut projicire die Em-
pfindung nach aussen durch den Kreuzungspunkt der Richtung slinien, so
darf man beim Gebrauche dieses bequemen Ausdruckes nie vergessen,
dass er ein figürlicher ist. Wer demnach sagt, wir sehen aufrecht,
weil jeder Punkt der Netzhaut durch Licht, Druck u. s. w. erregt, die
Empfindung durch den Kreuzungspunkt nach aussen projicirt, der gibt
hiermit keine Erklärung, sondern nur eine leicht verständliche Be-
schreibung.
Die eben besprochene Orientirung im Sehfelde setzt voraus, was Volhnann, Burow,
Valentin u. A. sichergestellt haben , dass das Auge bei seinen Bewegungen keine Loco-
motion, sondern Rotationen um einen fixen Punkt erleidet, welcher sich ohngefähr in der
Mitte der Sehachse, zwischen dem vordem und hintern Pole des Auges befindet. Die
relative Lage dieses Drehpunktes zum Knochengerüste der Orbita bleibt sowohl bei den
associirten als bei den accommodativen Bewegungen der Bulbi immer eine und dieselbe.
Der Abstand beider Drehpunkte von einander blieb bei Volkmann's Augen constant 2,4;",
während die Augen sich den verschiedensten Entfernungen zwischen der weitesten Ferne
bis zu 4" accommodirten. Bei verschiedenen Individuen ist der Abstand der Drehpunkte
(Bulbi) von einander etwas verschieden ; bei einem und demselben Individuum ändert sich
die Lage nur in so fern, als starke Abmagerung ein massiges Zurücksinken der Bulbi in
die Orbita zur Folge hat.
Zu den eben besprochenen Verhältnissen in innigster Beziehung
steht die Thatsache, dass wir mit beiden Augen zugleich jedes Object
einfach sehen, welches uns doppelt erscheint, sobald die Sehachsen sich
nicht in ihm treffen. Dieses Doppellsehen wird das binoculäre genannt,
zum Unterschiede von dem monoculären, von welchem später die Eede
sein wird. Es ist Thatsache, dass wir die Objecte, welche das Seh-
feld bilden, alle einfach sehen, sobald die Augen jene Stellung zu ein-
ander behaupten, welche sie nach dem Gesetze erhielten, dass jedes
Auge mit der empfindlichsten Stelle dem Objecte des deutlichen Sehens
zugelenkt werden muss. Dann treffen oder kreuzen sich die Sehachsen
in diesem Objecte. Läge die empfindlichste Stelle einmal nicht im
untern Pole des Auges, dann würde auch die gerade Linie, welche den
Physiologie. 51
hintern Pol mit dem vordem verbindet, für dieses Auge nicht mehr die
Sehachse genannt werden können, oder man müsste sagen, dass in
diesem Falle Einfachselien beider Augen ohne Kreuzung der Sehachsen
im Objecte stattfinde. Wir werden von diesem, wenn überhaupt, so
gewiss höchst selten vorkommenden Zustande vorläufig absehen. Ist
nun der hintere Pol als die zum deutlichen Sehen geeignetste Stelle
eines jeden Auges dem Objecte zugewendet, dann reihen sich um das
Bild dieses Objectes die Bilder der übrigen Gegenstände des Sehfeldes
so an, dass jedes seine Lage auf einer entsprechenden Netzhautstelle
hat, auf einer Stelle, welche jene desselben Bildes in dem zweiten Auge
decken würde, wenn man die eine Netzhaut ohne sonstige Verrückung
in die andere hineingelegt denkt. Man nennt je zwei Stellen, welche
sich bei dieser Ineinanderlegung decken würden, congruent oder iden-
tisch. Nach Volkmann sind je zwei Stellen identisch, welche nach der
gleichnamigen Richtung hin, z. B. beiderseits nach oben, oder beider-
seits nach links, unter demselben Längen- und Breitengrade liegen,
falls man sich jede Netzhaut gleich der Hemisphäre eines Globus vom
Centrum der Macula lutea (Pol) bis zur Ora serrata (Äquator) durch
Meridiane und Parallelkreise gleichmässig eingetheilt denkt.
Unter der Voraussetzung, dass jedes Auge mit der empfindlichsten
Stelle demselben Objecte des Sehfeldes zugelenkt ist, entsprechen sich
aber nicht nur die zwei centralen, sondern auch immer je zwei seit-
liche Bilder, durch dasselbe Object zu Stande gebracht, nebst der cor-
respondirenden Lage auch in Grösse, Form, Farbe und Helligkeit, wenn
das Object zu beiden Netzhäuten Licht senden kann, und der diop-
trische Apparat des einen Auges dem des andern völlig gleich ist. Es
ist dann auch die Richtung der betreffenden Lichtkegel im Glaskörper
relativ zur Totalitat der Netzhaut in dem einen Auge wie in dem an-
dern. Unter solchen Umständen entspricht demnach je einem Bilde
eines Objectes in dem einen Auge ein ganz gleiches oder identisches
in dem andern. Die Empfindung wird aber erst dann identisch, wenn
auch die Empfindlichkeit der betreifenden Netzhautstellen und die Fort-
leitung zum Centralorgane mindestens nahezu die gleiche ist.
Bei völliger Identität den Empfindung werden wir uns des Doppelt-
seins des Eindruckes nicht bewusst. Je lebhafter die Erregung der
Netzhäute, desto strenger ist die Anforderung an Übereinstimmung der
Bilder. Daher je weiter von der Macula lutea ein Bild zu liegen kommt,
desto weniger streng nöthig ist die völlige Gleichheit mit dem entspre-
chenden Bilde des andern Auges. Je feiner der Gegenstand, der er-
kannt werden soll, desto notwendiger ist Gleichheit der Eindrücke.
4*
52 Netzhaut.
Das Wegfallen der Erregung des einen Auges wird von uns in der
Kegel gar nicht wahrgenommen; wir sehen die meisten nahen Körper
an einem oder dem andern Theile nur mit dem einen Auge, ohne es
zu wissen, bis wir das andere Auge verdecken. Die völlige Ausschlies-
sung des einen Auges vom Sehacte fällt uns gar nicht oder nur durch
geringe Verminderung der scheinbaren Helligkeit oder durch Beschrän-
kimg des Sehfeldes nach der betreffenden Seite hin auf.
Bei ungleich starker Erregung beider Netzhäute wird der durch das
stärker angesprochene Auge bewirkte Eindruck bald unterstützt, bald
geschwächt, bald ganz allein wahrgenommen (der schwächere unter-
drückt). Der Grund der Ungleichheit der Erregung liegt entweder im
Netzhautbilde (dioptrischer Apparat) oder in der Netzhaut selbst (Stumpf-
heit). Unterstützt wird das besser sehende Auge durch das schwächere
im Allgemeinen bei jenen Functionen, welche keine scharfen Eindrücke
erfordern, gestört hingegen dann, wenn es sich um feinere Wahrneh-
mungen und Auseinanderhaltung kleinerer Netzhautbilder handelt. Die
relativ zu schwache Erregung» des einen Auges kann aber auch (durch
Abstraction der Aufmerksamkeit?) ganz unterdrückt werden, so dass sie
gar nicht Gegenstand der Wahrnehmung wird. Die Unterdrückung ge-
lingt um so leichter, je schwächer die Erregung in dem einen relativ zu der
Erregung in dem andern Auge ausfällt. Durch Abschwächung der stärkeren
Erregung (z. B. durch ein vor das stärkere Auge gehaltenes getrübtes
oder dunklerfarbiges Glas) kann die Erregung des andern Auges wieder
zum Auftauchen in der Wahrnehmung gebracht werden. — Ungleich-
artige Erregung durch verschiedenfarbiges Licht (farbige Gläser, pris-
matische Farben u. s. w.) zeigt je nach der Qualität und Intensität
(des durchgelassenen Lichtes) bald eine Art von Verschmelzung der
beiden Eindrücke, bald wechselnde oder constante Unterdrückung des
einen Eindruckes (Wettstreit der Sehfelder!. Diese Thatsachen ergeben
sich theils aus Beobachtungen au Kranken, theils aus Versuchen mit
leicht und stark angerauchten, mit farbigen, mit concaven und convexeu
Gläsern, mit Mydriaticis (Veränderung des Refractionszustancles), am
schönsten aber in Versuchen mit dem Wheatstone" sehen Stereoskop.
„Da die Ansicht eines mit dem rechten Äuge betrachteten Objectes von drei Dimen-
sionen, "wenn dieses nicht zu entfernt ist, eine andere ist, als die mit dem linken erhal-
tene, so schloss Wheatstone (1838), dass wir einen Körper als solchen sehen mittelst
zweier verschiedener Netzhautbilder. Diese Überlegung führte ihn zu der Frage, was
geschehen würde, wenn anstatt des Objectes selbst die Projectionen seines Bildes auf eine
ebene Flüche, welche genau so nachgezeichnet wären, als sie einem Auge allein erscheine
müssen, gleichzeitig jedem Auge dargeboten ■würden. Diese Frage beantwortete das von
ihm erfundene Spiegelstereoskop durch die merkwürdige Erscheinung, dass wir statt der
Physiologie. 53
beiden Frojectionen nur den Körper selbst sehen." — „Gegen die Wheatstone' 'sehe Er-
klärung- machte Brücke (1S41) geltend, dass das Urtheil über die Entfernung eines Ge-
genstandes, wenn uns die perspectivischen Hilfsmittel für die Schätzung derselben ab-
gehen, nur aus dem Bewusstsein der Convergenz der Sehachsen sich bildet, unter der
wir denselben sehen ; die in uns hervortretende Vorstellung, dass das, was wir sehen, als
Körper erscheine, involvire daher das Factum, dass verschiedene Punkte in dem Ange-
schauten unter verschiedener Sehweite gesehen werden. Wir schliessen daher aus der
Veränderung der Convergenzpunkte der Sehachsen auf einen Körper, indem wir ab-
wechselnd die näheren und die entfernteren Theile derselben ins Auge fassen." — „In
einem dunkeln Zimmer stellte ich ein gewöhnliches Spiegelstereoskop so auf, dass die
beiden Zeichnungen desselben von einer Lampe gleich hell beschienen waren. An die
Stelle der Lampe wurde nun eine sich selbst entladende Zicme'sche elektrische Flasche
gestellt, welche bei gleichbleibendem Drehen der Elcktrisirmaschine stets nach bestimm-
fcen Zeitintervallen sich entlud. Dadurch wurde es möglich, auf die momentane Er-
scheinung sich vorzubereiten. Ich sowohl als Andere , denen ich diese Versuche zeigte,
sahen vollkommen deutlich das körperliche Eelief, mitunter aber auch die beiden Pro-
jeetionen, aus denen es entsteht. Nach den Versuchen von Wheatstone ist die Dauer
des Leuchtens eines elektrischen Funkens kürzer, als der millionste Theil einer Secunde.
"Während dieser Zeit müsste also der Convergenzwinkel der Augenachsen mindestens ein-
mal um mehr als vier Grade verändert werden. Ob dies wahrscheinlich, mögen die Phy-
siologen entscheiden." Dove. Nach Volkmann's Versuchen nimmt die kleinste Augenbewe-
gung ohngefähr 0.3 Secunde in Anspruch, und nach Heimholte pflanzt sich in den empfinden-
den Nerven ein Eindruck mit einer Geschwindigkeit von ISO Fuss in einer Secunde fort.
Vollständig zu erörtern, warum bei den Versuchen mit verschiedenfarbigen Gläsern
der eine Beobachter die Mischfarbe sieht, ein anderer dagegen nicht, würde uns hier
zu weit führen ; es genüge, aus Dove's Schrift nur einige Stellen herauszuheben. „Wenn
man dem rechten Auge eine andere Farbe darbietet als dem linken, sahen Einige eine
Farbe nach der andern, Einige farbige Flecken der einen neben farbigen Flecken der
andern , endlich Einige die aus beiden Farben entstehende Mischungsfarbe. Streng ge-
nommen liegt in dieser Beschreibung das Gemeinsame , dass Alle zugeben , dass unter
gewissen Bedingungen eine Combination beider Farben möglich sei, denn das Nachein-
ander muss einen Durchgangspunkt haben, wo die abklingende Farbe ebenso stark wird
als die in das Bewusstsein tretende, das Nebeneinander muss Stellen des Überganges
haben, da die Flecken nebeneinander sich nicht scharf gegen einander abgrenzen." —
„Aus Versuchen — in der citirten Schrift nachzulesen — folgt, dass die Convergenz-
linien beider Augen bei deutlichem Sehen für rothes Licht einen spitzem Winkel bilden,
als für blaues. Hält man daher vor beide Augen dasselbe farbige Glas, so wird sich,
wenn man mit der Farbe des Glases wechselt, die Accommodation ändern müssen. Für
die, welche mit beiden Augen gleich gut sehen, wird die Accommodation bei dem ge-
wöhnlichen Sehen für beide Augen stets dieselbe sein, proportional nämlich dem Winkel
der Convergenzlinien beider Augen. Hält nun ein solcher Beobachter vor das eine
Auge ein farbiges Glas, vor das andere ein andersfarbiges, so stellt er den Augen die
Aufgabe, die gleiche Accommodation beider oder wenigstens das Verhältniss derselben
unter der Voraussetzung, dass sie für beide Augen nicht gleich sei, zu verändern, und
da dieser Aufgabe nicht genügt werden kann, so werden sieh die Bilder nicht decken,
sondern aus sich kreuzenden Bichtungen auf eine Fläche projicirt werden, die nicht im
Durchschnittspunkte beider Bichtungen liegt; und in der That dieselben Erscheinungen,
54 Netzhaut.
wie im Stereoskop, treten, freilich weniger deutlich, auch beim gewöhnlichen binocularen
Sehen eines mit weissen Linien auf schwarzem Grunde gezeichneten Gegenstandes her-
vor, nämlich ein paralleles Übereinanderlegen einander berührender farbiger Linien,
wenn man mit dem rechten Auge durch ein Glas ihn betrachtet, dessen Farbe eine an-
dere ist, als die des Glases, durch welches er gleichzeitig mit dem linken Auge ge-
sehen wird."
Seit dem Erscheinen von J. Müller s genialer Abhandlung über die Physiologie des
Gesichtssinnes (Leipzig 1826) hat man sich fast allgemein gewöhnt, das Einfachsehen mit
zwei Augen aus der sogenannten Identität der Netzhäute als etwas Angeborenem zu er-
klären. Es soll immer nur je ein und dasselbe Element der einen Netzhaut mit je einem
und demselben Elemente der andern Netzhaut sich zu Einer Empfindung vereinen kön-
nen, gleichwie auf zwei gleich eingetheilten Hemisphären nur je ein Punkt unter dem
gleichen Längen- und Breitengrade liegen kann, und dieses Verhältniss soll nicht bloss
in der schon oben besprochenen , in der That nachgewiesenen und anatomisch hinrei-
chend begründeten verschiedenen Vertheilung der Empfindlichkeit der Netzhaut, sondern
noch in einer andern angeborenen Einrichtung bedingt sein. Nach Müller's Ansicht sol-
len nämlich immer je zwei solche Punkte oder Elemente der einen oder der andern
Netzhaut durch eine gemeinschaftliche "Wurzel im Centralorgane vertreten sein , und
hätte das Chiasma nerv. opt. diese Einrichtung zu vermitteln. Eine jede Faser des rech-
ten Tractus opticus theile sich im Chiasma in zwei, davon die eine, an der rechten Seite
direct fortlaufend, zur rechten (äussern) Hälfte des rechten Bulbus gehe, während die
andere sich mit den vom linken Tractus opticus herüber kommenden kreuze und zur
rechten (innern) Hälfte des linken Bulbus verlaufe. Diese Erklärung beruht theils auf
unerwiesenen , theils auf geradezu irrigen Voraussetzungen. Unerwiesen, wie Müller 1.
c. S. 93 selbst zugibt, ist das hier supponirte Verhalten der Opticus- und Retinafasern.
Irrig aber ist die noch in die neuesten physiologischen Abhandlungen aufgenommene Be-
hauptung, dass Erkrankung des einen (z. B. rechten) Tractus opticus Lähmung des gleich-
seitigen (rechten) Netzhauthälften bewirke. Müller wurde offenbar durch Wollaston's
Angaben irre geführt, welcher durch Beobachtung von bilateraler Hemiopie theils an
sich selbst, theils an zwei Freunden zu einer Hypothese veranlasst worden war, welche
die Grundzüge der Müller'sohen enthält. Wollaston*) war zweimal von Hemiopie be-
fallen worden, das erste Mal nach einer hastigen, 2 — 3stündigen Bewegung, und etwa
20 Jahre später ohne nachweisbare Veranlassung. Das erste Mal fand er plötzlich, dass
er von einem Menschen nur die linke Hälfte des Antlitzes sehen, von dem Worte „John-
son" nur die Silbe „son" erblicken konnte ; es war einerlei , ob er mit dem rechten
oder mit dem linken Auge schaute. Diese Blindheit war nicht so vollständig, dass sie
bis zur absoluten Schwärze reichte, sie war gewissermassen eine schattige Dunkelheit
ohne deutlichen Umriss. Das Übel war in ohngefähr einer Viertelstunde ganz ver-
gangen. Bei dem zweiten Anfalle konnte er nur das rechte Auge einer gegenüberste-
henden Person wahrnehmen, die Blindheit erstreckte sich jetzt nach rechts von dem
Punkte, auf welchen seine Augen gerichtet waren, durch etwa 20 Minuten. — Bei einem
Freunde entwickelte sich einige Tage nach heftigem Kopfschmerze gegen den linken
Schlaf hin andauernde Hemiopie; die Blindheit war in Bezug auf alle Gegenstände voll-
ständig, welche vom Mittelpunkte des Sehfeldes rechts lagen. Die Affection war in
beiden Augen gleich und bestand in Unempfindlichkeit der Retina auf der linken Seite
*) Philosophical Transactions for 1324, Part I. p. 224.
Physiologie. 55
jedes Auge. — Ein anderer Freund hatte an dieser Krankheit durch 16—17 Jahre ge-
litten, sobald sein Magen in beträchtlichem Grade gestört war; die Blindheit war jeder-
zeit rechts vom Mittelpunkte des Auges, und zwar (höchst wahrscheinlich) beiderseitig
immer durch 15 — 20 Minuten eingetreten, dann aber vollständig verschwunden. Mahenzie,
aus dessen prakt. Abhandlung über die Krankheiten des Auges diese Angaben auszugs-
weise entlehnt sind, bemerkt, dass bei dem Umstände, wo die Macula lutea jederseits
nach aussen vom Sehnerveneintritte liegt, eine solche Vertheilung der Fasern, wie die
hier supponirte, nicht wohl denkbar sei, man vielmehr die Retina als einen Plexus be-
trachten müsse, von welchem jeder Punkt Fasern enthält, die von jeder Seite des Ge-
hirnes herkommen. Mehr Gewicht, als auf dieses Raisonnement, legte er jedoch auf den
Umstand, dass bei weitem der grössere Theil von Thatsachen , welche uns die Pathologie
und Experimentalphysiologie zur Lösung dieser Frage geliefert haben , zum Beweise
dienen, dass Krankheiten und Verletzungen, welche die eine Seite des Gehirnes treffen, nur
Amaurosis in dem einen Auge, nicht aber Hemiopie in beiden Augen erzeugen. — Mag
man für die Müller sehe Hypothese was immer für Argumente anführen, die Thatsachen,
welche uns die Beobachtung am Krankenbette und am Sectionstische rücksichtlich der
anatomischen Begründung derselben geliefert hat, sprechen entschieden nicht dafür, viel-
mehr dagegen. "Wollte der Patholog in Fällen monolateraler Amaurosis, deren Ursache
erwiesenermassen nicht in der Netzhaut gesucht werden könnte, gemäss der Wolla-
ston-Müller sehen Theorie den Sitz der Krankheit im Sehnerven diessseits des Chiasma
suchen , so würde er gewiss ebenso oft fehlen , als wenn er aus Unempfindlichkeit der
gleichseitigen Netzhauthälften, selbst wenn diese permanent wäre, auf monolaterale Er-
krankung jenseits des Chiasma schlösse. Die Veränderungen, die man in Wollaston's
Gehirne etwa 5 Jahre nach der Publication obigen Aufsatzes fand (Umwandlung des
rechten Thalamus in eine fast hühnereigrosse Geschwulst, braune Färbung und geringere
Consistenz des rechte Tractus opticus), konnten, wie Makenzie bemerkt, mit den An-
fallen von Hemiopie in Verbindung stehen, aber auch nicht; denn bei dem ersten An-
falle hatten die nach links, bei dem zweiten die nach rechts befindlichen Gegenstände
ein dunkles Aussehen. Fälle von bilateraler Hemiopie, welche zu unbestimmten Zeiten
und ohne Zeichen von Hirnleiden auftritt, zu Schlüssen auf eine anatomische Begrün-
dung zu benutzen, ist nach unseren bisherigen Kenntnissen über Nervenleiden noch
-nicht gestattet.
Sehen wir aber auch ab von der Beziehung, in welche man bei dieser Theorie des
Einfachsehens die Nervenfaservertheilung in den Netzhäuten zum Chiasma und zum Ge-
hirn gebracht hat, so darf auch die andere Hälfte dieser Theorie noch nicht ohne Weiteres
und ohne alle Einschränkung aufgenommen werden, die nämlich, dass immer nur die-
selben zwei Punkte oder Elemente der beiden Netzhäute sich zu Einer Empfindung ver-
einen können. Da der Drehpunkt des Auges nicht mit dem Kreuzungspunkte der Rich-
tungslinien zusammenfällt, und da die Bulbi selbst in der hintern Hälfte keine regel-
mässige Gestalt besitzen, so ist schon in vorhinein nicht zu erwarten, dass bei den ver-
schiedenen Stellungen, in denen wir doch einfach sehen, auch die mehr peripherischen
Bildpunkte immer auf dieselben anatomisch correspondirenden Netzhautelemente fallen.
Für Bilder auf der Macula lutea und allenfalls noch der nächsten Umgebung kann die
Asymmetrie der innern und äussern Hälfte eines jeden Bulbus und das Nichtzusammen-
fallen des Dreh- und Kreuzungspunktes niemals von Bedeutung sein, wohl aber für weiter
entfernt gelegene Punkte. Dass wir die theoretisch (nach der Müller sehen Annahme)
zu erwartenden Doppelbilder im gewöhnlichen Sehen nicht wahrnehmen, ist schon
56 Netzhaut.
Volkmann aufgefallen, kann aber weder aus der Schwäche der Sehkraft seitlicher
Partien , noch aus den ungünstigen Accommodations - Verhältnissen für die seitlichen
Bilder, noch endlich aus dem sogenannten Wettstreite anatomisch-identischer Netzhaut-
punkte oder aus Mängeln in der Aufmerksamkeit erklärt werden. Fixirt man mit beiden
Augen irgend ein nicht zu weit entferntes kleines Object und stellt eine Kerzenflamme
so weit seitwärts auf, als nur möglich ist, ohne dass der Nasenrücken die Flamme für
das eine Auge verdeckt, so ist man nicht im Stande irgend eine Verdoppelung der
Flamme wahrzunehmen, mag man sie abwechselnd höher oder tiefer, näher oder ent-
fernter aufstellen. Hält man aber bei demselben Vorgange ein Prisma mit einem
brechenden Winkel von 5 — 7 Graden, so sieht man nicht nur das fixirte Object, son-
dern auch die Flamme doppelt. Wenn aber zugegeben werden muss, dass peripherisch
gelegene Theile der Netzhaut beim gewöhnlichen Sehen sehr oft mit relativ diflerenten
Punkten demselben Objecte zugewendet sind, und wir dennoch auch bei lebhafter, die
Aufmerksamkeit gewiss weckender Erregung solcher Punkte , z. B. durch eine seitlich
befindliche Flamme , nicht doppelt sehen, so lässt sich gerade für mehr seitlich gelegene
Netzhautpartien die Müller sehe Auffassung von der Identität der Netzhäute nicht streng
durchführen.
Es ist aber zur Erklärung der Erscheinungen , welche in Bezug auf Einfach- und
Doppeltsehen vorkommen, keine andere Annahme nothwendig, als die durch den ana-
tomischen Befund hinreichend motivirte, dass das Centrum der Netzhaut relativ am
meisten zum Deutlichsehen geeignet ist, und die erfahrungsmässig festgestellte That-
sache, dass wir schon zur Zeit der Entwicklung des Gesichtssinnes genöthigt sind,
immer die empfindlichste Stelle eines jeden Auges dem Objecte der Aufmerksamkeit
zuzulenken. Sowie durch diese Momente die Thätigkeit der Muskeln in ein bestimmtes
und unabänderliches Verhältniss zur Netzhaut gebracht wird, treten auch die einzelnen
Partien jeder Netzhaut für sich und beider zu einander in eine bestimmte Beziehung
zum Bewusstsein, jede Erregung irgend eines Punktes der einen (und der andern)
Netzhaut wird auf einen bestimmten Ort des Sehfeldes bezogen, welcher in so fern fix
genannt werden kann, als der Sehwinkel immer derselbe bleibt, und auf diese Weise
werden die correspondirenden Regionen und Punkte aus einem anatomischen Grunde,
daher nothwendig erweise identisch, mit um so schärferer Differenzirung (Abgrenzung
gegen seitlich gelegene), je näher sie der Stelle des deutlichsten Sehens liegen. Die
Erregung eines Netzhautpunktes, welcher z. B. um zwei Grade links oder um drei
Grade aufwärts vom Centrum der Macula lutea (inneren Ende der Sehachse) liegt, muss
in jedem Auge so empfunden werden, als ob ein erregendes Object um zwei Grade
rechts oder um drei Grade abwärts vom Centrum des Sehfeldes (äussern Ende der
Sehachse) gelegen wäre. Bei der Lehre vom Schielen wird sich zeigen, dass dieses nicht
als Einwurf gegen diese Auffassung der Lehre von der Identität aufgestellt werden kann.
Entoptische Erscheinungen. Gegenstand der Wahrnehmung
durch den Gesichtssinn können auch Objecte werden, welche sich in
oder an den durchsichtigen Medien des Auges selbst befinden. Es sind
diess die schon oben erwähnten entoptischen Erscheinungen (Listing),
als welche sich auch im physiologischen Zustande vorzüglich die Cen-
tralgefässe der Netzhaut und kleine dunkle Körperchen in den durch-
sichtigen Medien geltend machen, die durch Abhaltung von Lichtstrah-
Entoptisehe Erscheinungen.
57
len des Sehfeldes Schatten auf die übrigens hell beleuchtete Netzhaut
werfen, und sofort durch den Contrast hiezu empfunden und für dunkle
Objecte des Sehfeldes selbst gehalten werden. Die Schattenbildung
setzt im Allgemeinen die Gegenwart von Lichtstrahlen voraus, welche
im Glaskörper in einer parallelen, wenig convergenten oder aber diver-
genten Eichtung zur Netzhaut verlaufen; der Schatten kann nur durch
den Contrast zur Beleuchtung und Erregung der umgebenden Netzhaut-
partien und durch Lenkung der Aufmerksamkeit auf die beschatteten,
i. e. nicht erregten Netzhautstellen wahrgenommen werden.
"Wir haben oben bemerkt, dass, sobald das lichtsendende Object
nicht bis zur vordem Brennpunktsebene oder noch näher an das Auge
gerückt ist, dem äussern Lichtkegel ein innerer entspricht, dessen Spitze
in der entsprechenden Richtungslinie vor, auf oder hinter die Netzhaut
fällt, je nach dem Verhältnisse zwischen der Entfernung des Objectes
von der Hornhaut und der Entfernung der Netzhaut hinter der Linse.
Betrachten wir, was hier ohne erheblichen Fehler geschehen kann, die
Vorderfläche der Cornea als die gemeinschaftliche Basis oder Tren-
nungsfläche beider Lichtkegel, so kommt von dieser Vorderfläche ein
etwas grösserer Kreis als die jeweilige Pupillengrösse in Betracht. Ge-
setzt nun, ein Auge, wie in Fig. A, wäre für den leuchtenden Punkt
0 aecommodirt, so würden die bis in den Glaskörper eingedrungenen
Strahlen in dem Punkte 0 ein scharfes und helles Bild entwerfen. Be-
fände sich aber im Verlaufe der Richtungslinie Oxo ein undurchsich-
tiger Körper aß von einem Durchmesser, der kleiner als der der Pupille
ist, so würde trotzdem durch die Randstrahlen noch immer ein schar-
fes, nur weniger helles Bild vermittelt werden, wenn jener Körper aß
auf der Cornea, vordem oder hintern Kapsel u. s. w. bis zu einer ge-
wissen Grenze tiefer sitzt, und wir vorläufig davon absehen, dass durch
Abhaltung aller Centralstrahlen die Vereinigungsweite eigentlich etwas
verkürzt wird. Je weiter rückwärts im Auge sich derselbe dunkle Kör-
per aß befände, desto mehr Strahlen des immer enger werdenden Kegels
würde er auffangen, endlich alle, und nahe vor der Netzhaut würde
58 Netzhaut.
ein ungleich kleinerer Körper hinreichen, sänmitliche Strahlen abzuhal-
ten. (Die punktirten Linien in Fig. A zeigen ohngefähr den Gang der
Lichtstrahlen von einem seitlich gelegenen Objectpunkte U bis zu ihrer
Vereinigung in u, um beiläufig ersichtlich zu machen, bei welcher Lage
und in welchem Grade dunkle Körper, die nicht in die betreffende
Richtungslmie Uxu fallen, Einfluss auf das Netzhautbild eines seitlich
gelegenen Punktes nehmen können.)
Wäre ein Auge nicht für die Objectdistanz accommodirt, sondern
fiele die Vereinigungsstelle der Strahlen eines leuchtenden Punktes merk-
lich vor oder hinter die Netzhaut, dann würde ein dunkler Körper von
derselben Ausdehnung wie im vorigen Falle, sobald er irgendwo hinter
der Pupille läge, ungleich mehr zur Abhaltung von Strahlen eines oder
mehrerer Kegel wirksam sein, wie sich aus der Betrachtung der Figur
B ergibt, wo die aus relativ zu grosser Entfernung kommenden Strahlen
des (in der Zeichnung abgestutzten) Kegels Oba sich schon in o vereini-
gen, und die Netzhaut erst als Zerstreuungskreis treffen, wogegen die
von dem relativ zu nahen Punkte P ausfahrenden Strahlen Pab sich erst
in p vereinigen könnten, daher auf der Netzhaut gleichfalls einen (durch
die punktirten Linien angedeuteten) Zerstreuungskreis bilden würden.
Nimmt man den dunkeln Körper aß ebenso gross an, wie im vorigen
Falle, und vergleicht, welchen Einfluss er, bei correspondirender Entfernung
von der Netzhaut, auf die Abhaltung von Strahlen eines Kegels nehmen
kann, so ergeben sich leicht die wichtigsten Anhaltspunkte für die nö-
thigen Deductionen. — Denkt man sich von a und von ß in irgend einer
Lage (z. B. gerade in der Mitte der Sehachse) gerade Linien nach p ge-
zogen, so gäbe ihr Abstand von einander an der Stelle, wo sie die Netz-
haut schneiden, den Durchmesser des Schattens, den aß in dieser Lage
auf die Netzhaut werfen würde, wenn wir vorläufig nicht in Anschlag
bringen, wie viel von dem beschatteten Areal im Kern- und wie viel
im Halbschatten liegen würde. Die Grösse des beschatteten Areals
würde offenbar verschieden ausfallen, je nach der Entfernung des dun-
keln Körpers aß von der Netzhaut und je nach der Entfernung des ima-
Eutoptisehe Erscheinungen. 59
ginären Vereinigungspunktes p von der Netzhaut (Convergenz der durch
den Glaskörper zur Netzhaut laufenden Lichtstrahlen). Gleichwie aber ein
solcher Schatten einen aliquoten (z.B. 100.) Theil der Netzhaut deckt, nimmt
auch der ihm entsprechende Eindruck, für ein reelles Object des Seh-
feldes gehalten, immer einen gleichgrossen aliquoten (100.) Theil des
Sehfeldes ein., wird mithin beim Blick in die Ferne grösser angeschla-
gen, als beim Blick in die Nähe, weil wir eben nur den Zustand der
Netzhaut empfinden, und weil wir anderweitig erfahren haben, dass ein
fernes Object entsprechend seiner Entfernung grösser ist, als ein nahes,
sobald beide denselben aliquoten Theil des Sehfeldes einnehmen. —
Kennen wir die Thatsache, dass in den durchsichtigen Medien eines
jeden Auges immer einzelne elementare Körperchen vorhanden sind,
welche unter entsprechenden optischen Verhältnissen hinreichen, Schatten
auf die Netzhaut zu werfen, und als solche wahrgenommen werden
können, so ergibt uns eine Vergleichung der beiden Figuren A und B
beiläufig die Erklärung, warum solche Körperchen, bekannt als fliegende
Mücken, vorzüglich bei abnormem Refractionszustande (ungenügender
Accommodation) wahrgenommen werden, und warum z. B. der davon
gequälte Kurzsichtige dieselben momentan verscheuchen kann, wenn er
den Refractionszustand durch eine entsprechende Concavbrille corrigirt,
mithin bewirkt, dass die Strahlen sich nicht mehr vor, sondern erst auf
der Netzhaut vereinigen.
Rücken wir den leuchtenden Punkt bis in die vordere Brennpunkts-
ebene oder noch näher an das Auge, so werden die auf dasselbe Cor-
neaareal tauenden Strahlen so gebrochen, dass sie endlich durch den
Glasköi-per unter einander parallel (wie in Fig. C der Cylinder cdef),
oder divergirend (wie der umgekehrte abge- /?/,, g
stutzte Kegel ehcgi verlaufen. Unter diesen
Verhältnissen können dunkle Körper in den
durchsichtigen Medien auch dann, wenn sie
sehr weit von der Netzhaut entfernt (z. B.
auf der Cornea) sitzen und relativ klein sind,
sehr leicht Schatten werfen, dessen Areal
bei divergentem Lichte sogar noch grösser ausfällt, als der dunkle Kör-
per selbst. Da aber zur Wahrnehmung solcher Schatten helle Beleuch-
tung der umgebenden Netzhautpartien erforderlich ist, so muss man, um
auch ganz kleine Körperchen zur Wahrnehmung zu bringen, in die Ge-
gend der vordem Brennpunktsebene, also 5—6"' vor die Hornhaut, einen
stark leuchtenden Punkt bringen, von welchem aus die Strahlen diver-
girend aufs Auge gelangen. Auf eine sehr einfache Weise erreicht man
60 Netzhaut.
diess, wenn man durch eine möglichst feine Öffnung eines Kartenblattes
(mit einer feinen Nadel gestochen) oder einer geschwärzten Metallplatte
gegen das Firmament oder auf die matt geschliffene Glaskugel einer Öl-
lampe blickt; auch das kleine Spiegelbildchen eines gut polirten Metall-
knopfes oder eines Fingerringes, in der oben bestimmten Entfernung
fixirt, kann hiezu benützt werden, oder eine Convexlinse von sehr kur-
zer Brennweite (wie die Objectivgläser von Mikroskopen), wenn man
sie einer lichten Fläche gegenüber nahe vor dem Auge hält, u. m. A.
Blickt man z. B. durch eine solche feine Öffnung, so bemerkt man zu-
nächst eine lichte Scheibe {df in Fig. Cj, welche der Form- und Grösse
nach der Pupille entspricht, der Form nach jedoch umgekehrt. Wird
während des Experimentes mit dem einen Auge das andere abwechselnd
beschattet und beleuchtet, wodurch bekanntlich Erweiterung und Ver-
engerung nicht bloss einer, sondern beider Pupillen bewirkt wird, so er-
weitert und verengert sich auch die in Bede stehende lichte Scheibe.
Hätte die Pupille des experimentirenden Auges eine dreieckige Gestalt
mit aufwärts gerichteter Spitze (A), so würde dasselbe die lichte Scheibe
dreieckig mit abwärts gerichteter Spitze (v) wahrnehmen, denn die Strah-
len kreuzen sich nicht im Innern des Auges (das von dem Punkte b
in Fig. C rückwärts tretende Licht gelangt zum Punkte f, wird also,
falls wir b und f als oben liegend betrachten, auf einen unten gelege-
nen Punkt bezogen, oder, wenn wir uns genau an diese Zeichnung hal-
ten , da f auswärts von der Macula lutea liegt, so wird eine Erregung
der Netzhaut an dieser Stelle auf ein einwärts gelegenes Object bezo-
gen). Die bei schleichender Iritis fast constant vorkommenden punkt-
förmigen Beschläge an der hintern Wand der Cornea können auf diese
Weise dem Kranken sichtbar gemacht werden, wenn sie noch in dem
Hornhautareal liegen, von welchem Licht durch die Pupille eindringen
kann; er sieht sie im Gesichtsfelde oben, wenn sie, wie in der Regel,
an der untern Hornhauthälfte haften. Bei diesen Experimenten muss
die Platte unverrückt am Gesichte und auch das Auge ruhig gehalten
werden. — In dieser lichten Scheibe nun sieht auch ein ganz gesundes
Auge sehr leicht die unter dem Namen der fliegenden Mücken (Muscae
volitxmtes, Myodes) bekannten Ringelchen oder Kügelchen, welche ein-
zeln, meist jedoch perlenschnurförmig angeordnet im lichten Sehfelde
auftreten. Sie liegen in verschiedenen Schichten oder Lagen hinter-
einander. Die der Netzhaut näher liegenden erscheinen dunkler und
schärfer begrenzt. Alle bieten eine gewisse Beweglichkeit dar; nicht
bloss, dass sie gleichsam ausweichen, wenn man sie, sobald sie zeitlich
von der Sehachse auftreten, ins Bereich des directen Sehens bringen
Entoptische Erscheinungen. 61
(fixiren) will, sie bewegen sich auch noch ein Moment und eine kurze
Strecke im Sehfelde, wenn man das Auge plötzlich still hält, z. B. die
Spitze eines Blitzableiters fixirt. Alles spricht dafür, dass diesen Er-
scheinungen elementare Körperchen der durchsichtigen Medien, beson-
ders des Glaskörpers, zu Grunde liegen, welche unter den gewöhnlichen
Verhältnissen von einem gesunden Auge nicht wahrgenommen werden.
Buete ist nach seinen Untersuchungen über ihre Lage und objective Grösse
geneigt, diese Körperchen für eine Art Zellen zu halten, welche als ein
normaler morphologischer Ausdruck einer im Stoffwechsel begriffenen
Substanz sich erzeugen. Vor Allem möchte hier wohl an die Epithelial-
gebilde des Glaskörpers, vielleicht auch der Linsenkapsel zu denken
sein. — Durch zahlreiche Experimente der eben angegebenen Art hat
Listing nachgewiesen, dass sich in den durchsichtigen Medien der mei-
sten Menschen noch andere, mehr weniger dunkle oder das Licht anders
brechende Stellen befinden, besonders in der Linse, welche für gewöhn-
lich das Gesicht nicht merklich beeinträchtigen. Er hat sie als die
beharrlichen Binnenobjecte des Auges beschrieben und abgebildet. Sie
vermitteln so zu sagen den Übergang zu den pathologischen Trübungen,
welche sich vermöge ihrer Grösse und Zahl durch Functionsstörung
kund geben, und in Bezug auf Sitz und Form dem Kranken durch die
oben erwähnten Experimente, dem Arzte aber durch die Untersuchung
mit dem Augenspiegel zur Anschauung gebracht werden können. Der
Sitz derselben lässt sich ziemlich genau bestimmen, wenn man den leuch-
tenden Punkt (die Schirmöffnung) langsam vor dem Auge verschiebt, wo-
bei die im Niveau der Pupille liegenden unverrückt bleiben, die vor
der Pupille befindlichen sich bei nach rechts gehender Verschiebung
nach links, die hinter der Pupille liegenden dagegen nach der gleichna-
migen Seite des lichten Sehfeldes zu bewegen scheinen.
Von divergirenden Lichtrahlen wird die Netzhaut auch dann ge-
troffen , wenn zu starkes Licht auf die Sclerotica fällt, oder wenn das
Pigment der Ader- und Regenbogenhaut relativ zu spärlich ist, um das
in dieselben eindringende Licht hinlänglich zu absorbiren, aber auch
dann, wenn in den durchsichtigen Medien halbdurchsichtige oder durch-
scheinende, überhaupt solche Trübungen vorhanden sind, die einen re-
lativ grossen Theil auffallenden Lichtes durchlassen. In dem einen wie
in dem andern Falle wird nämlich Licht im Innern des Auges diffundirt,
und trifft die Netzhaut mehr weniger divergent. Gleichwie das auf einen
undurchsichtigen Körper mit rauher Oberfläche auffallende Licht unre-
gelmässig reflectirt (zerstreut) wird, und so diesen Körper sichtbar macht,
wird das durch einen mehr weniger durchscheinenden Körper, z. B. ein
G2 Netzhaut.
transparentes Papier, eine mattgeschliffene Glasplatte u. dergl., durch-
gelassene Licht unregelmässig gebrochen (diftundirt) , und strahlt nun
von der Eiickseite desselben nach allen Richtungen so aus, wie das un-
regelmässig reflectirte von der Vorderseite.*) Durch grössere Mengen
diffusen Lichtes auf der Netzhaut wird aber die Wahrnehmung äusserer
Objecte beeinträchtigt, weil dann theils nicht hinreichend scharf begrenzte,
sondern von Zerstreuungskreisen umgebene Objectbilder zu Stande kom-
men, theils der zum deutlichen Sehen erforderliche Contrast in der Er-
regung der einzelnen Netzhautstellen vermindert wird. Andererseits
aber werden durch diffuses (weil divergentes) Licht die Bedingungen
zu entoptischen Erscheinungen gegeben. — Diese Betrachtung gibt uns
den Schlüssel zur Erklärung, wie das Gesicht bei Pigmentmangel, bei
halbdurchsichtigen Hornhauttrübungen, bei dünnen Exsudaten in der
Pupille u. s. w. weit mehr gestört sein kann, als bei partiellen undurch-
sichtigen Trübungen, und warum diese Zustände so oft von Mückense-
hen begleitet sind. Sie gibt uns das Verständniss der interessanten
Thatsache, dass wir die Centralgefässe der Netzhaut, welche vor den
die Lichtperception vermittelnden Netzhautelementen liegen, uns als
Schatten sichtbar machen können, wenn wir concentrirtes Licht auf eine
Stelle der Sclerotica fallen lassen (nach Listing Sonnenlicht durch eine
kleine Öffnung eines dunkeln Schirmes), oder eine Kerzenflamme in
einem dunkeln Räume nahe vor dem Auge wiederholt im Kreise herum
führen {Purkinje), oder eine feine Öffnung eines Kartenblattes nahe vor
dem Auge hin und her bewegend, den Blick auf eine lichte Wolke oder
auf die matte Glaskugel einer Lampe richten.
Untersuchung mit dein Augenspiegel. Nicht alles Licht, wel-
ches bis zur Netz- und Aderhaut eingedrungen, wird daselbst absorbirt;
ein aliquoter Theil davon wird reflectirt, und zwar unregelmässig, d. h.
nach allen Richtungen durch den Glaskörper zerstreut. Demnach strahlt
von dem beleuchteten Augengrunde immer ein aliquoter Theil Licht so
wie von jedem andern sichtbaren Gegenstande aus, und hängt die Rich-
tung der reflectirten Strahlen nicht wie bei der regelmässigen Reflexion
vom Einfallswinkel der einfallenden Strahlen ab.
*) Frof. Donäers benützte mattes Fensterglas, um ein Zimmer, in welches wegen hoher, nahe vor dem
Fenster befindlicher Gebäude nur schief von oben Licht einfiel, in seiner ganzen Tiefe zu erhellen.
Bei gewöhnlichem durchsichtigem Fenstcrglase fiel das Licht nur in den Thojl des Zimmers, der
dem Fenster nahe war. Sobald man die mattgeschliffenen Scheiben eingesetzt hatte, ward diess von
oben kommende Licht durch das ganze Zimmer diffus verbreitet; das matte Glas wurde Lichtquelle.
Dr. Wyngaarden, über die Anwendung der von Donders entdeckten stenopäischen Brillen, in von
Grä/e's Archiv für Ophthalmologie, Bd. I. Abtheil. 1. 1S54. S. 251.
Augenspiegel. 63
Von dem am Augengrunde reflectirten Lichte gelangt nur ein klei-
ner Theil durch den dioptrischen Apparat vor das Auge. Ein grosser
Theil trifft auf die dunkle Wandung des hintern Augenraumes, nament-
lich auf das Corpus ciliare und die Hinterfläche der Iris, und wird da-
selbst absorbirt; zum Theil auch wieder reflectirt. Die Menge der Strah-
len, welche vermöge ihrer Richtung noch durch die Pupille austreten
könnten, wird endlich noch um etwas vermindert dadurch, dass beim
Übergange derselben aus dem einen in das andere Medium immer einige
Strahlen theils durch Spiegelung, theils durch Zerstreuung abgetrennt
werden, mithin verloren gehen. Da nun die wenn auch nicht völlig,
so doch in hohem Grade durchsichtige Netzhaut mit Ausnahme der
Sehnervenpapilla und der Centralgefässe überhaupt wenig Licht zurück-
wirft, daher im normalen Zustande an und für sich beinahe unsichtbar
ist, da ferner die dunkelpigmentirte Aderhaut den grössten Theil des
auffallenden Lichtes absorbirt, und da endlich die Öffnung für das ein-
fallende und ausfahrende Licht (die Pupille) immer relativ eng ist, so
leuchtet von selbst ein, dass aus einem gesunden Auge unter den ge-
wöhnlichen Verhältnissen überhaupt sehr wenig Licht herausgeworfen
werden kann.
Nach Abschlag der verloren gehenden Strahlen bleibt also für jeden
beleuchteten und lichtreflectirenden Punkt des Augengrundes immer ein
Strahlenkegel übrig, dessen Spitze jener Punkt, dessen Basis ein. die
jeweilige Pupillenweite etwas (an Grösse) übertreffendes Areal der Cor-
nea bildet. Wir können nämlich auch hier ohne beträchtlichen Fehler
als Basis dieses Kegels den mittlem Theil der Cornealvordernache be-
trachten, da die Strahlen bei ihrem Durchgänge durch die Linse und
das Kammerwasser noch immer eine divergente Richtung zu einander
haben. Ebenso können wir, wenn sich's um die Bestimmung der Rich-
tung der ausfahrenden Strahlen vor dem Auge handelt, auch hier wie
früher ohne erheblichen Fehler von einer einfachen Richtungslinie nach
Yolkmann sprechen. Strahlen, welche vom Centrum der Macula lutea
ausgehen, können daher nach ihrem Austritte aus dem Auge, wenn
überhaupt, nur in irgend einem Punkte der betreffenden Richtungslinie,
welche hier mit der Sehachse zusammenfällt, sich vereinigen. Sollten
Strahlen, welche von der Eintrittsstelle der Arteria centr. retinae aus-
gehen, vor dem Auge aufgefangen werden, so müsste man das auffan-
gende Object (das beobachtende Auge) in der Richtung einer geraden
Linie entgegenstellen, welche von jener Eintrittsstelle durch den Kreu-
zungspunkt der Richtungslinie auswärts verliefe.
Ob und wo die von einem Punkte des Augengrundes ausgefahre-
64 Netzhaut.
nen Strahlen sich in der genannten Richtung- vereinigen, das hängt,
wenn wir die Cornea und Linse in ihrer Form und Lage als unverän-
derlich voraussetzen, von der Lage des leuchtenden Punktes, respective
der Netz- und Aderhaut ab. a) Läge die Netzhaut unendlich weit hin-
ten, d. h. gingen die von einem Punkte derselben reflectirten Licht-
strahlen unter einander parallel durch den Glaskörper, dann vereinigten
sich dieselben vor dem Auge in der vordem Brennpunktsebene, also
5 xji'" vor der Hornhaut, b) Läge dagegen die Netzhaut in der hintern
Brennpunktsebene (ohngefähr 10'" hinter der Cornealvorderfläche), dann
verliefen die ausfahrenden Strahlen vor dem Auge parallel zu einander,
und bildeten einen Strahlencylinder, dessen Durchschnitt etwas grösser,
als die jeweilige Pupille, dessen Achse die genannte Richtungslinie
wäre, d. h. wäre ein Auge so fernsichtig, dass nur Strahlen von un-
endlich fernen Objecten gerade auf der Netzhaut, Strahlen von näher
gelegenen Objecten dagegen erst hinter derselben zur Vereinigung
kämen, dann würden die vom Augengrunde ausfahrenden Strahlen vor
dem Auge unter einander parallel verlaufen, c) Rückte die Netzhaut
vor diese Grenze näher zur Linse , so würden die von ihr reflectirten
Strahlen, woher sie auch stammten, nach ihrem Austritte aus dem Auge
noch divergiren, und einen Kegel darstellen, dessen Spitze in dem Auge,
dessen Basis in unendlicher Ferne zu suchen wäre, d) Im Allgemeinen
liegt aber die Netzhaut (der Augengrund) zwischen a und b, und zwar
nicht gar weit hinter b, bilden demnach die von ihr ausfahrenden Strah-
len vor dem Auge einen mehr weniger langen Kegel, dessen Basis auf
der Vorderfläche der Cornea, dessen Spitze bald mehr, bald weniger
weit von dieser Basis entfernt liegt, a) Setzen wir den Fall, ein Auge
sei für eine Objectdistanz von 12 Zoll accommodirt, d. h. die aus einer
Distanz von 12 Zoll von einem Punkte ausgehenden Strahlen werden
genau in einem Punkte der Netzhaut vereinigt, so müssen bei diesem
Accommodations- oder Refractionszustande des Auges auch die von
einem Punkte der Netzhaut ausfahrenden Strahlen in der Distanz von
12 Zoll vor dem Auge zusammentreffen. Wäre aber ein Auge so kurz-
sichtig, dass es ein 12 Zoll entferntes Object nur durch Zerstreuungs-
kreise wahrnehmen könnte, i. e. dass die von dem 12 Zoll entfernten
Objecte kommenden Strahlen schon vor der Netzhaut sich vereinigten,
dann würden die von der Netzhaut aus den Augen fahrenden Strahlen
nicht erst bei 12 Zoll, sondern näher an dem Auge sich vereinigen.
ß) Wäre endlich ein Auge für ein fernes Object z. B. von 20 Fuss ac-
commodirt, so würden die von irgend einer nähern Lichtquelle stam-
menden Lichtstrahlen, z. B. aus 2 Fuss Entfernung, auf ihrer Rückkehr
Augenspiegel. 65
aus dem Auge nicht bei 2, sondern bei 20 Fuss Entfernung vor dem
Auge vereinigt werden. — Die ausfahrenden Strahlen bilden daher unter
den gewöhnlichen Verhältnissen einen Strahlenkegel, dessen Basis ein
die jeweilige Pupillengrösse etwas übersteigendes Hornhautareal, dessen
Achse die Ricbtungslinie des reflectireuden Netzhautpunktes, und dessen
Lauge von dem jeweiligen Acconnnodationszustande des Auges (Abstand
der Netzhaut von der Cornea und Linse, oder Lauge des innern Kegels)
abhängig ist.
Von der Menge, Richtung und Neigung der ausfahrenden Strahlen
vor dem Auge hängt die Möglichkeit ab, die Objecte, von welchen sie
ausgehen (also die Netzhaut, Sehnervenpapille, Chorioidea u. s. w.) zu
sehen, denn nur solche Objecte können gesehen werden , die eine ge-
wisse Menge Lichtes und zwar iu einer bestimmten Richtung in das
beobachtende Auge senden, und deren Strahlen zu einander eine be-
stimmte Neigung haben oder, was dasselbe bedeutet, die unter einem
bestimmten Einfallswinkel auf die Hornhaut gelangen. Während die
ersten beiden Bedingungen wohl von selbst verständlich sind, muss in
Bezug auf die dritte noch bemerkt werden, dass nur divergent oder
nahezu parallel zu unserem Auge gelangende Strahlen auf der Netzhaut
vereinigt werden können, hingegen convergent auffallende Strahlen durch
die Hornhaut und Linse einen solchen Grad von Convergenz erhalten,
dass sie sich schon mehr weniger nahe an der Linse vereinigen, und
die Netzhaut erst jenseits dieser Vereinigung treffen, daher kein Bild,
nur Zerstreuungskreise auf derselben entwerfen können. Ebenso muss
ausdrücklich hervorgehoben werden, dass auch hier, wie bei jedem
Deutlichsehen überhaupt, der Winkel, unter welchem die je zwei Ob-
jectpunkten (des zu beobachtenden Augengrundes) zugehörenden Ach-
senstrahlen (Richtungslinieni in das beobachtende Auge gelangen, i. e.
der Sehwinkel weder zu gross noch zu klein sein darf.
Unter den gewöhnlichen Verhältnissen ist die Menge der aus dem
Auge ausfahrenden Strahlen zu gering, und die Neigung derselben zu
einander eine convergente, oder nahezu parallele. Solche Strahlen, in
ein beobachtendes Auge gelangend, können entweder wegen zu gerin-
ger Menge gar keine Wahrnehmung der lichtsendenden Objecte (Netz-
und Aderhautj erregen, — die Pupille erscheint schwarz, oder sie ver-
mitteln nur eine unbestimmte (formlose; Wahrnehmung, — ein röthliches
Aufleuchten des beobachteten Augengrundes. Die Menge der ausfah-
renden Strahlen fällt auch bei ziemlich weiter Pupille hauptsächlich
dann zu gering aus, wenn die ausfahrenden Strahlen eine convergente
Lage haben, weil dann das beobachtende Auge, um sie aufzunehmen,
Arlt Augenheilkunde. III. 5
66 Netzhaut.
sich dem beobachteten Auge gegenüber stellen, mithin jede stärkere
Beleuchtung des zu beobachtenden Augengrundes hindern muss. Könn-
ten wir mitten durch eine vor unserem Auge befindliche Kerzenflamme
hindurch in das zu beobachtende Auge schauen, dann würden wir des-
sen Grund jederzeit roth aufleuchten sehen, und könnten wir überdiess
die von demselben ausfahrenden Lichtstrahlen eines jeden Kegels für
unser Auge entsprechend divergent, mindestens parallel machen, dann
würden wir die Gebilde im Grunde jenes Auges auch ihrer Form nach
wahrnehmen, die Netz- und Aderhaut sehen können.
Unter abnormen (krankhaften) Verhältnissen kann der Grund des Auges auch ohne
die angedeuteten Hilfsmittel leuchtend, ja selbst sichtbar "werden. Dringt, wie bei den
Kakerlaken, eine grössere Menge diffusen Lichtes durch die Sclerotica und Iris in den
hintern Augenraum, so leuchtet der Augengrund roth auf, sobald wir auch nur einen
Theil der zahlreich reflectirten Strahlen aufzufassen in die gehörige Lage (Richtung)
kommen. Dasselbe findet statt, wenn wegen stark erweiterter Pupille viel Licht ein-
und ausstrahlt. Wird wegen ausgebreiteter Trübung der Netzhaut oder wegen stellen-
weiser Pigmentlosigkeit der Chorioidea , z. B. bei grösserem Chorioidealspalte ( Colo-
boma) ungewöhnlich viel Licht reflectirt, so leuchtet der Augengrund auch bei matter
Beleuchtung in der Farbe der vorwaltend reflectirten Strahlen. — Rückt die Netzhaut
abnorm vorwärts, wobei sie, wie bei Ablösung von der Chorioidea durch Exsudat, auch
getrübt wird, dann müssen die von ihr zahlreich reflectirten Strahlen vor dem Auge
divergent verlaufen, und können in hinreichender Menge und in bestimmter Entfernung
von einem beobachtenden Auge aufgenommen, auf dessen Netzhaut ein Bild der beob-
achteten Netzhaut erzeugen. Strahlen , aus der Gegend der hintern Kapsel reflectirt,
geben uns, weil sie stark divergent aus dem Auge treten, ein aufrechtes und vergrös-
sertes Bild des Objectes, von dem sie ausgehen, so wie wir die Iris, die Pupille, einen
vordem Centralkapselstaar u. s. w. immer etwas vergrössert sehen, indem die von ihnen
ausfahrenden Strahlen vermöge des Durchganges durch das Kammerwasser, die Cor-
nea und die Luft mehr divergent zu unserem Auge gelangen, als es ohne Dazwischen-
kunft der Cornea der Fall sein würde. In allen Fällen, wo das die Lichtstrahlen reflec-
tirende Object, z. B. die vorwärts gedrängte Netzhaut, eine Trübung an der hintern
Kapsel u. dgl. innerhalb der Brennweite der vor ihm liegenden dioptrischen Medien
liegt, wirken diese so wie eine Loupe, und liefern dem beobachtenden Auge ein auf-
rechtes, mehr weniger vergrössertes Bild. — Dass bei von Cataracta Geheilten der
Grund des Auges weder leuchtend noch sichtbar, im Gegentheil die Pupille auffallend
schwarz erscheint, obwohl die Netzhaut nun, wo die Linse fehlt, so weit vor der
Vereinigungsweite für terrestrische Gegenstände liegt , dass die von ihr ausfahrenden
Strahlen vor dem Auge wenigstens parallel verlaufen, hat seinen Grund wohl darin,
dass bei fehlender Linse die Pupille immer relativ sehr eng ist , und dass , wenn sich
die Pupille ja stark erweitern lässt, in den meisten, wo nicht in allen Fällen nur ein
kleines Areal hinter ihr frei von trüben Kapsel- und Linsenresten ist, welche das Er-
kennen der tiefer gelegenen Objecte hindern. ( Wenn wir den Gehörgang mit dem
Ohrenspiegel untersuchen , ist ein einziges Haar , welches in das Lumen des Spiegels
hereinragt, im Stande, uns in der Unterscheidung der Einzelheiten des Trommelfelles zu
iindern.) — Eine in den Glaskörper hineinragende melanotische Ablagerung könnte,
Augenspiegel. 67
obwohl innerhalb der Brennweite der vor ihr liegenden Medien gelegen , nicht sichtbar
werden, wenn sie zu viel Licht absorbirte. Aus diesem Grunde können uns auch dunkle
Glaskörpertrübungen trotz beträchtlicher Grösse , z. B. Blutergüsse , nicht sichtbar wer-
den. — Liegt der Augengrund dagegen abnorm tief hinter der Hornhaut und Linse,
dann kann von den Strahlen, welche ein Punkt daselbst reflectirt, ceteris paribus we-
niger Licht aus dem Auge herausgeworfen werden, weil eben. dieser lichtsendende Punkt
weiter von der Linse und Hornhaut entfernt ist, und die jedem Lichtkegel angehörende
Menge von Lichtstrahlen an der gleichen Basis des Kegels sich umgekehrt wie das
Quadrat der Entfernung derselben vom leuchtenden Punkte verhält. Diess ist wohl der
Grund, warum die Pupille des Kurzsichtigen ceteris paribus reiner schwarz erscheint,
warum Augen mit nachweisbarer auffallender rigmentarmuth in der Gegend des hintern
Poles dennoch eine tief schwarze Pupille zeigen, sofern sie in der Richtung der Sehachse
verlängert sind, was sich, wie wir in dem Capitel über Kurzsichtigkeit zeigen werden,
anderweitig constatiren lässt.
Nachdem Brücke den Vordersatz nachgewiesen hatte, dass vom Grunde des Auges Licht
reflectirt werde, war es dem gleich genialen Königsberger Professor Helmholtz vorbehalten, die
Gründe zu erkennen, warum wir die Netzhaut nicht sehen, und die Mittel zu finden, um dieses
letztere zu ermöglichen. Die Aufgabe war eine dreifache: der zu beobachtende Augengrund
musste hinreichend beleuchtet, das beobachtende Auge in die Richtung der ausfahrenden Strah-
len versetzt, und diesen selbst musste, ohne zu grosse Beeinträchtigung ihrer Menge und des
Sehwinkels für das beobachtende Auge eine solche Neigung zu einander (ein solcher Einfalls-
winkel) gegeben werden, dass sie auf der beobachtenden Netzhaut zu einem Bilde zusammen
treten können, die ausfahrenden Strahlen mussten aus convergenten in parallele oder divergente
verwandelt werden. Die Lösung war der Hauptsache nach gegeben, wenn man das Licht
einer Lampe in einem verfinsterten Zimmer so auf eine gut polirte Glasplatte fallen Hess, dass
die davon reflectirten Strahlen in das zu beobachtende Auge gelangten, der Beobachter von
der Rückseite der Glasplatte durch dieselbe in das beobachtete Auge schaute, und vor sein
Auge ein Concavglas von 6 — 12 Zoll Brennweite hielt.
Es sei, wie in Fig. 1. (S. 69) G das beobachtende, D das beobachtete Auge, A die Flam-
me, und C die Glasplatte, alle in ziemlich gleicher Höhe über dem Fussboden in einem
finstern Zimmer. Bei einer Anordnung, wie ohngefähr in nachstehender Figur, fällt von
der Vorderseite des Glases Licht in das Auge I) und von der Rückseite kann das Auge
G Licht erhalten, welches vom Grunde des Auges D reflectirt wird und durch die
Glasplatte durchgeht. So ist es für G möglich, in derselben Richtung in das .Auge D
zu schauen , in welcher hinreichendes Licht in dasselbe einfällt und aus demselben aus-
fährt: so empfängt G Licht aus der Tiefe von 1) und sieht dessen Pupille scheinbar
leuchten. Damit aber G die Einzelheiten des Augengrundes von D zu unterscheiden
vermöge, müssen noch die von jedem einzelnen Punkte desselben ausfahrenden Strahlen-
kegel wieder in je einem Punkte der Netzhaut G vereinigt werden können , und müssen
überdiess die den zu sehenden Netzhautpunkten von D entsprechenden Richtungslinien in
dem Auge G einen weder zu kleinen noch zu grossen Winkel (Sehwinkel) einschliessen.
Suchen wir zunächst die Vereinigungsweite und zeichnen wir uns wie in Fig. l.den
Gang der Lichtstrahlen für einen leuchtenden Punkt von A. — Von den Strahlen
welche dieser Punkt aussendet, gelangt ein Kegel schräg auf die Glasplatte. Ein Theil
hievon geht in unveränderter Richtung durch, mithin verloren ; ein Theil wird gegen D
hin reflectirt, und zwar regelmässig, mithin unter solcher Richtung und Neigung (Diver-
genz) , als käme er von dem imaginären Punkte B, welcher (wie die gestrichelten
5*
68 Netzhaut.
Linien zeigen) eben so weit hinter der Glasplatte liegt, als A vor derselben. Von den
gegen D hin reflectirten Strahlen können nur die zwischen ac und bd liegenden durch
die Pupille eindringen, doch geht auch von diesen ein Theil durch Reflexion verloren,
namentlich an der Vorderfläche der Cornea, wo ein die Beobachtung mehr weniger stö-
rendes Spiegelbild entsteht. Von diesem wie von dem Verluste durch unregelm'ässige
Reflexion wollen wir vorläufig absehen. Die in das Auge D eindringenden Strahlen
werden ihrer Richtung nach durch Bxe , ihrer Convergenz nach durch die Entfernung
des Punktes B (A) von D bestimmt, wenn x den Kreuzungspunkt der Richtungslinien
bezeichnet. Liegt B in den Grenzen der deutlichen Sehweite für D , und ist D für die
Entfernung von B accommodirt, so fällt die Spitze des innern Kegels in D auf die Netz-
haut, und zwar auf die Macula lutea (o) , falls D nach B , d. i. nach dem Spiegelbilde
auf der Glasplatte visirt, hingegen auf die Sehnervenpapille (e), falls D, wie in der
Zeichnung, neben der scheinbaren Flamme nach H visirt, tmd H ebenso weit von D ab-
steht, als B. Wäre D für einen merklich näheren oder ferneren Punkt accommodirt, so
fiele der Vereinigungspunkt der ^Lichtstrahlen vor oder hinter die Netzhaut, und diese
würde in dem einen wie in dem anderen Falle in grösserer Ausdehnung (Zerstreuungs-
kreis), wenn auch minder intensiv beleuchtet.
"Welchen Gang nehmen nun die von e reflectirten Strahlen ? a) Fällt die Spitze des
inneren Kegels der einfallenden Strahlen gerade auf die Netzhaut, d. h. ist D für B oder H
accommodirt, so müssen die ausfahrenden Strahlen sowohl in als ausser dem Auge D
genau denselben Weg gehen, den die einfallenden hatten. Betrachten wir zuerst diesen
Fall, welcher in Fig. 1 für einen einzigen Netzhautpunkt ausgeführt ist. Die von dem
Netzhautpunkte e aus dem Auge reflectirten Strahlen gelangen in dem convergiren-
den (abgestutzten) Kegel cdab zur Glasplatte; ein Theil davon wird nach A reflectirt,
der andere geht in unveränderter Richtung und Neigung (Convergenz) fort, und würde
sich demnach in B vereinigen, darüber hinaus wieder auseinanderfahren. «) Stellt sich
nun das Auge G denselben noch vor dieser Vereinigung entgegen, so erhält es von e
convergente Strahlen. Diese würden aber durch den dioptrischen Apparat von G noch
mehr convergent, müssten sich mithin schon mehr weniger nahe hinter der Linse ver-
einigen und würden die Netzhaut erst jenseits dieser Vereinigung treffen , könnten mit-
hin wohl die Empfindung von Licht, durchaus aber kein Bild von e im Auge G zu
Stande bringen. Halten wir aber vor das Auge G ein Concavglas L von geeigneter
Brennweite, so können wir den convergirenden Kegel abfg in den divergirenden fglii
verwandeln, d. h. den von ezu G strebenden Strahlen einen solchen Grad von Diver-
genz geben, dass sie, den dioptrischen Apparat von G passirend, genau in einem Punkte
der Netzhaut (k) vereinigt werden, in k ein Bild von e entwerfen. — ß) Das Vorhalten
des Concavglases L, welches immer einen Theil der Strahlen durch Reflexion versplittert,
könnte vermieden werden, wenn sich das Auge G erst jenseits von B, also in einer Ent-
fernung aufstellen würde, wo die Strahlen des Kegels cdfg wieder auseinander fahren,
mithin divergirend auf das Auge G fallen würden. Da aber die Pupille von D auch bei
starker Erweiterung noch immer sehr klein ist, relativ zu der Entfernung, in welcher
sich das Auge G aufstellen müsste, so würde rücksichtlich des einem leuchtenden Punkte
entsprechenden Kegels die zu k gelangende Menge von Lichtstrahlen eine relativ zu geringe
sein, rücksichtlich des Winkels aber, den die Richtungslinien von je zwei leuchtenden
Punkten der Netzhaut D in dem Auge G bilden könnten, dieser Winkel (Sehwinkel) so
klein ausfallen, dass eine Unterscheidung von so kleinen Objecten, wie die Netzhautge-
fässe etc., nicht mehr möglich sein würde.
Augenspiegel.
69
*
B
70 Netzhaut.
b) Fällt in dem Auge D die Spitze des inneren Kegels der einfallenden Strahlen
nicht auf die Netzhaut, sondern vor oder hinter dieselbe, d. h. will oder kann sich das
Auge D nicht für die Distanz des leuchtenden Objectes A accommodiren , dann nehmen
die ausfahrenden Strahlen eines lichtreflectirenden Netzhautpunktes nicht denselben Weg,
wie die einfallenden Strahlen eines entsprechenden leuchtenden Objectes, sie haben eine
andere Neigung zu einander. Um dies zu erörtern, wird es genügen, den einen Fall zu
betrachten, den nämlich, wo die einfallenden Strahlen sich merklich vor der Netzhaut
vereinigen , wie diess geschieht , wenn ein Auge D kurzsichtig ist , oder wenn (wovon
später) einem normalen Auge ein Convexglas vorgehalten wird. — Denken wir uns in
Fig. 2 (S. 71) das zu untersuchende Auge D in der Sehachse merklich verlängert, übrigens
vorläufig Alles wie in Fig 1. Offenbar werden jetzt die von A in das Auge D gelangten
Strahlen sich vor der Netzhaut (in e) vereinigen und auf der Netzhaut rings um den
Punkt n (verlängerte Richtungslinie) einen Zerstreuungskreis bilden. ( Der Gang der
einfallenden Strahlen ist in Fig. 2 durch die punktirten Linien bezeichnet.) Jeder in
diesem Zerstreuungskreise gelegene Punkt der Netzhaut kann nun Licht reflectiren. Be-
trachten wir den Gang jener Strahlen, welche von dem in der verlängerten Richtungs-
linie nx gelegenen Netzhautpunkte n ausfahren, so erhalten wir den Kegel ncd (durch
die ausgezogenen Linien angedeutet), welcher also nicht mit ecd zusammenfällt. Da nun
dessen Spitze weiter hinter der Trennungsebene cd liegt, so muss auch die Spitze des
äusseren Kegels näher am Auge D liegen , also zwischen B und D, nehmen wir an in N.
Ist nun DN die Vereinigungsweite der ausfahrenden Strahlen, was so viel heisst, als das
Auge D würde ein in 0 befindliches Object deutlich sehen {DN=DO in der Sehachse),
so werden die von n ausfahrenden Strahlen vor und hinter der Glasplatte gegen N hin
verlaufen. Die von der Glasplatte nicht durchgelassenen , sondern regelmässig reflec-
tirten Strahlen würden sich in M vereinigen, wenn CM=CN, die durchgelassenen in N.
"Wenn nun N nahe an D liegt, wie bei höheren Graden von Kurzsichtigkeit, so wird
die Entfernung, in welcher sich das Auge G hinter der Glasplatte aufzustellen hat, um
hinreichend divergente Strahlen zu empfangen, nicht mehr zu gross sein, wie im vo-
rigen Falle , und es ist dann nicht nothwendig , vor G ein Concavglas zu halten , na-
mentlich dann nicht, wenn sich G für die Distanz von GN accommodiren kann, wenn
es, wie wir in Fig. 2 durch Verlängerung des Bulbus G anzudeuten suchten, entspre-
chend kurzsichtig ist. (Es sieht dann, wie wir später noch zeigen werden, die Objecte
des Augengrundes von D verkehrt und vergrössert.)
Untersuchen wir nun, in welcher Anordnung zu einander, und unter welchem
Sehwinkel zwei Punkte einer beleuchteten Netzhaut (D) von einem Beobachter (G) ge-
sehen werden können, und wählen, wie in Fig. 1., hiezu zwei normale Augen. Es sei in
Fig. 3 (S. 73) A eine Flamme von dem Durchmesser ab— 8'", die Glasplatte C einen Zoll
von D entfernt, die Distanz AC = 4 Zoll, und das beobachtete Auge D für die Distanz
der Flamme (also auf 5 Zoll) accommodirt, so dass D die Flamme scheinbar in B
deutlich sehen würde [CB=AC). Von dem einen Punkte b gelangt ein (durch die aus-
gezogenen Linien bezeichneter) Strahlenkegel auf die Glasplatte und von da auf die
Hornhaut (cd), und wird auf der Netzhaut von D in ß vereinigt. Um zu finden , wo
ß liegt, denke man sich eine gerade Linie von b' , welches eben so weit hinter der
Glasplatte liegt, als 6 vor derselben , durch den Kreuzungspunkt der Richtunglinien (x)
gezogen. Auf gleiche Weise findet man, an welchem Punkte der Netzhaut D die von
a, scheinbar von «', einfallenden Strahlen vereinigt werden, nämlich in a, wie diess
in Fig. 3 die punktirten Linien anzeigen. Denkt man sich nun mit dem rechten Auge
Augenspiegel.
71
Fig. 2.
B
72 Netzhaut.
an die Stelle von G , und das rechte Auge des Beobachteten an die Stelle von D, so
ergibt sich nach der Zeichnung, dass auf der beobachteten Netzhaut D ein verkleinertes
Bild aß von der Flamme ab entsteht, und dass der Beobachtete (D) das Flammenbild
wie jedes Spiegelbild überhaupt verkehrt sehen muss; denn was dem Auge D links
liegt (b), wird auf seiner Netzhaut links (in ß) abgebildet, mithin so wahrgenommen,
als läge es rechts von dem Mittelpunkte im Sehfelde, nämlich in b'. — Ist die Distanz
zwischen a und b = 8'", der Abstand der Flamme A (oder ab) von dem Auge D = b",
dann wird die Distanz zwischen « und ß ohngefähr [V" sein, in Übereinstimmung mit
dem früheren Satze von Volkmann, dass das Netzhautbild eines 10 Zoll entfernten
Objectes ohngefähr 16mal kleiner ist, als das Object selbst. Die ganze Flamme A wird
also in den Grenzen aß auf der Netzhaut deutlich abgebildet sein, und das ganze Netz-
hautareal ist nun hinlänglich beleuchtet. — Welchen Weg nehmen nun die von jedem
einzelnen Punkte dieses Netzhautareals ausfahrenden Strahlen bis zur Netzhaut von G,
und wo treffen sie dieselbe? Betrachten wir von dem beleuchteten Netzhautareal aß
die beiden Grenzpunkte « und ß. Da D für die Distanz von B accommodirt ist, so»
nehmen die von ß reflectirten Strahlen in und ausser dem Auge D genau denselben
Weg, wie die einfallenden, convergiren also nach ihrem Austritte aus D gegen den
Punkt b', wie die (gezogenen) Linien df und ce andeuten ; eben so werden die von «
reflectirten Strahlen von dem Auge D gegen a' hin verlaufen (wie die punktirten Linien
dg und ch anzeigen). Treffen nun die Kegel cdef und cdgh auf die Concavlinse L,
und werden sie durch diese dem für die Entfernung GE eingerichteten Auge G ent-
sprechend divergent gemacht, so werden die von « ausgegangenen Strahlen durch den
dioptrischen Apparat von G in dem Punkte «', die von ß ausgegangenen in dem
Punkte ß' vereinigt, so als kämen sie von a" und ß". Das Auge G sieht mithin a
links, ß rechts vom Centrum des Sehfeldes, und beide Punkte weiter auseinander ge-
rückt; es sieht mithin das betrachtete Netzhautareal in der wirklichen Ittge (aufrecht)
und etwas grösser als die ursprüngliche Flamme, somit die einzelnen Theile des Netz-
hautareals bedeutend vergrössert , so dass es dieselben deutlich (Einreichend beleuchtet
und unter gehörig grossem Sehwinkel) sehen, mithin unterscheiden kann. Das Auge G
sieht demnach die zwischen aß gelegenen Netzhauttheile von D in der Entfernung
von E und das ganze Areal aß in einem etwas grössern Areal als a"ß", wie sich
leicht ergibt, wenn man von a' und ß' gerade Linien durch x' gezogen und bis zur
Entfernung von E verlängert denkt. Von a und von ß können schon nicht mehr alle
Strahlen nach «' und ß' Strich gelangen, woraus man sieht, dass das Sehfeld bei dieser
Untersuchungsweise ein ziemlich beschränktes ist.
Die Hehnholts'scke Methode leidet an zwei Übelständen, an relativ
zu geringer Beleuchtung des Augengrundes, und an Störung des Beob-
achters durch das oberwähnte Spiegelbild der Cornea. Der exaete
Physiker verminderte dieselben so weit, als es bei dem dieser Methode
zu Grunde liegenden Principe überhaupt möglich war; er nahm vier
statt einer Glasplatte (Polarisation des Lichtes), und fügte sie in ein
innen geschwärztes Gehäus so ein, dass beim Gebrauche des Apparates
die Strahlen unter einem Winkel von 56 Graden auffallen, und nach
ihrer Rückkehr aus dem Auge und durch die Glasplatten eine möglichst
nahe hinter diesen befindliche Concavlinse passiren müssen, welche je
cc E
/
Augenspiegel.
73
L =t
74 Netzhaut.
nach dem Refractionszustande des beobachteten und beobachtenden
Auges verschieden zu wählen ist.*) Das Bedürfniss, diese Übelstände
weiter zu beseitigen, führte bald zu wesentlichen Modifikationen. Zu-
nächst nahm unter Prof. Donders Anleitung der Mechanicus Epkens**)
in Amsterdam einen belegten Glasspiegel, beseitigte an einer ohnge-
fähr der Pupillengrösse eutsprecheudeu Stelle in der Mitte das Amal-
gam, um durch diese Öffnung in das zu untersuchende Auge zu blicken,
und liess mittelst einer convexen Linse convergentes Licht auf den
Spiegel und in das zu beobachtende Auge fallen. Ruete***) wählte
zum Reflector einen concaven in der Mitte durchbohrten Metallspiegel,
und gab dem von hier aus in das zu beobachtende Auge reflectirten
Lichte einen erhöhten Grad von Convergenz durch eine vor dasselbe
gehaltene Convexlinse, welche zugleich dazu diente, das aus dem Auge
zurückkehrende Licht zu einem umgekehrten Netzhautbilde in oder
nächst ihrer Brennweite zu sammeln und dieses dem Beobachter in ge-
eigneter Distanz als Sehobject darzubieten. Dem Epke?is-Do7ide?>s,$ckeia.
Apparate, von welchem Schauenburg (Lahr 1854) eine genaue Abbil-
dung und Beschreibung gegeben hat, so wie dem Ruete'schen , rück-
sichtlich dessen näherer Schilderung wir auf Ruete's neuere Schriften
verweisen müssen, fällt bei den grossen Vortheilen, welche sie darbie-
ten, vorzüglich die Beschwerlichkeit ihrer Handhabung für den prak-
tischen Arzt zur Last, wogegen die Spiegel von Cocains f), gehender ff),
Ed. Jäger und Stellwag fff) , welche im Wesentlichen auf denselben
Principien fussen, wenig zu wünschen übrig lassen.
Ich. muss, der Grenzen dieser Abhandlung eingedenk, auf eine weitere Beschrei-
bung dieser Instrumente verzichten, und will, bevor ich zur Anleitung der Gebrauchs-
weise des CoeaWschen Spiegels übergehe, der als Prototyp der späteren gelten mag,
nur noch einige Erörterungen aus einem Aufsatze von Helmholtz aufnehmen, welchen
dieser ausgezeichnete Forscher 1852 in Vierordt's Archiv für physiologische Heilkunde
veröffentlicht hat.
Ist in Fig. 4 A ein leuchtender Punkt, das zu beobachtende Auge B für die Ent-
fernung AB adaptirt, und C das Bild jenes leuchtenden Punktes A auf der Netzhaut von
B, dann werden die von C reflectirten Strahlen wieder nach A zurückkehren, und ein
Auge D, welches neben A vorbei nach B hinblickt, kann von dem rückkehrenden Lichte
nichts auffangen, sieht die Pupille schwarz. (Der Gang der Lichtstrahlen ist für diesen
Fall durch die ausgezogenen Linien bezeichnet.) Anders verhält sich's, wenn B nicht
*) Beschreibung eines Augenspiegels, Berlin 1851.
**) Ncderl. Weekblad voor Genceskundigen, 21. Dec. 1851.
***) Der Augenspiegel und das Optometer, Göttingen 1852.
■f) Über die Anwendung des Augenspiegels, Leipzig 1853.
It) von Gräfe's Archiv für Ophthalmologie, Berlin 1854.
-j-ff) Theorie der Augenspiegel, Wien 1854.
Augenspiegel. 75
für die Entfernung des lichtsendenden Objectes adaptirt ist. Seine Sehweite bleibe wie
vorher gleich der Entfernung AB, aber der leuchtende Punkt rücke von A nach E.
Jetzt würde der Yereinigungspunkt der von E ausgehenden Strahlen hinter die Netzhaut
fallen , etwa nach F, und die Netzhaut würde in einem Kreise (von dem Durchmesser)
aß beleuchtet. Da der Eefractionszustand von B für die Distanz AB eingerichtet ist, so
werden die Strahlen, die irgend ein beleuchteter Punkt von aß reflectirt, in der Ent-
fernung von AB vereinigt, und zwar z. B. von a in der verlängerten Richtungslinie ax,
also in «', und von ß in ß'. (Der Gang der einfallenden Strahlen ist für diesen Fall
durch die punktirten , der Gang der reflectirten von « durch die gestrichelten Linien
bezeichnet; für ß ist bloss die Richtungslinie bis ß' ausgeführt.) Unter solchen Verhält-
nissen kann D einen Theil des von aß reflectirten Lichtes auffangen, so lange es sich
zwischen den Grenzen von «' und ß' befindet, und sieht die Pupillen von B roth auf-
leuchten. — „Dieses Aufleuchten ist um so stärker, je weniger der Reflectionszustand
des beobachteten Auges für die Entfernung des leuchtenden Körpers eingerichtet ist.
Die Veränderungen im brechenden Apparate des Auges bei der Accommodation für die
verschiedensten Entfernungen sind aber niemals sehr bedeutend, daber die Zerstreuungs-
kreise, welche bei unpassender Adaptation entstehen , stets von geringer Grösse und so-
mit das Leuchten — in dieser Art zuerst von Brücke beobachtet — immer nur schwach.
Aber man kann die Sehweite des zu beobachtenden Auges künstlich in sehr beträcht-
lichem Grade verändern, wenn man ihm ein scharfes Convex- oder Concavglas vor-
setzt. Ebenso wie man ein weitsichtiges Auge durch ein vorgesetztes Convexglas, ein
kurzsichtiges durch ein Concavglas normalsichtig macht, wird ein normalsichtiges durch
ein vorgehaltenes Concavglas einem weitsichtigen ähnlich, durch ein Convexglas einem
kurzsichtigen. "Wenn man ein Convexglas von IV2" Pn-ennweite vor das Auge hält, so
kann man nur solche Gegenstände noch deutlich sehen, welche nahehin 1 '/a" hinter die-
sem Glase liegen ; alle entfernteren entwerfen Bilder mit so grossen Zerstreuungskreisen
auf der Retina, wie es sonst bei den grössten Veränderungen der Sehweite nie geschehen
kann. Das ist aber ausserordentlich vortheilhaft , wenn in diesem Auge das Brücke-
sche Leuchten beobachtet werden soll. Durch diese geringe Modification des Brücke-
schen Versuches kann eine ganz ausreichende Beleuchtung des Augengrundes für den
Beobachter hervorgebracht werden." (Helmholtz.) — In Fig. 5 sei A die Flamme, D das
beobachtende, B das beobachtete Auge, S ein Schirm hinter der Flamme, neben welchem
das Auge D nach B hinblickt, und L eine Convexlinse von der Brennweite LF, die
Distanz LB kleiner als LF. Strahlen, die von irgend einem Punkte der Flamme A
durch die Linse L, also convergent nach B gelangen, werden durch dessen dioptrischen
Apparat schon mehr weniger weit vor der Netzhaut vereinigt (etwa in 0), und treffen
die Netzhaut B erst als Zerstreuungskreis aß. Das Auge B sieht nunmehr vor sich eine
lichte Scheibe und kann sich im Allgemeinen nicht (ausser mit Hilfe des andern Auges)
76
S
^
Netzhaut.
A
\
für eine bestimmte Distanz accommodiren, verhält sich rücksichtlich der Accommodation
passiv, d. h. ist in einem für parallel einfallendes Licht adaptirten Refractionszustande
(wenn es nicht kurzsichtig ist). Unter solchen Umständen werden die von den einzelnen
Punkten des lichten Kreises aß reflectirten Str.ahlen nach ihrem Austritte aus dem Auge
parallel, also als Cylinder fortgehen, deren Richtung durch den leuchtenden Punkt und
durch den Kreuz ungspunkt x bestimmt wird. Die Strahlen nun, welche von irgend einem
Punkte des beleuchteten Netzhautareals reflectirt werden und unter sich parallel aus dem
Auge ausfahren, werden durch die Linse L in deren jenseits gelegener Brennpunktsebene
F (a'ß1) vereinigt. Es wird also in der Fläche a'ß' ein (verkehrtes und vergrößertes)
Bild von dem Netzhautareal aß entworfen, und wenn der Beobachter sein Auge D für
die Entfernung FD adaptirt, kann er hier in a'ß' ein deutliches (umgekehrtes) Bild eines
Theiles der beleuchteten Netzhautpartie sehen. — Nimmt man nun statt des Schirmes
S mit unmittelbar dahinter befindlicher Flamme einen Hohlspiegel (6" Brennweite), wie
Fig. 6.
^
^
rfr
C in Fig. 6, vor das beobachtende Auge D, und versetzt die Flamme neben das zu beob-
achtende Auge B in eine solche Lage, dass der Hohlspiegel Licht durch L in das Auge
B werfen kann, so ist im Wesentlichen nichts gegen Fig. 5 geändert, werden jedoch
zwei beträchliche Vortheile erlangt, nämlich, dass man jetzt nicht neben, sondern gleich-
sam mitten durch die Flamme nach B blicken kann, und dass von C bereits conver-
gentes Licht gegen B hin verläuft, demnach die Linse L nötigenfalls entbehrt werden
kann, was unter Umständen aus später anzugebenden Gründen sehr wünschenswerth
sein kann.
Untersuchung mit dem Spiegel von Coccius. A. im aufrechten Bilde,
was in der Eegel nur in grosser Nähe oder mit Hilfe von Concavglä-
sern möglich ist. Ist, wie in Fig. 7 (S. 78), das zu untersuchende Auge D
das linke, so setze sich der Beobachter dem Kranken an einem rechts
befindlichen Tische so gegenüber, dass er sein (rechtes) Auge G dem
zu untersuchenden D bis auf einige (selbst unter einem) Zoll und in
Augenspiegel. 77
gleicher Höbe über dein Fussbodeu vis-a-vis nähern kann, und stelle
auf dem Tische die Lampe ebenfalls in gleiche Höhe mit den Augen
D und G, vom Kranken links und rückwärts. Dann richte man die
Linse L (gewöhnlich 5" Brennweite), welche so angebracht ist, dass
ihre verlängerte Achse die Mitte des Loches im Spiegel {mn) treffen
würde, schräg zum Spiegel, so dass die Linsenachse mit dem Spiegel-
perpendikel einen möglichst spitzigen Winkel bildet und halte nun das
Instrument so, dass der Spiegel das durch die Linse concentrirte Licht
auf die Wange unter dem zu betrachtenden Auge wirft. Ist die rela-
tive Stellung zwischen Flamme, Linse, Spiegelfläche und Kranken rich-
tig, so sieht man auf der Wange eine lichte Scheibe mit einem schar-
fen runden Schatten in der Mitte, entsprechend dem Loche im Spiegel.
Nun lasse man den Kranken auf den Nasenrücken oder gegen das linke
Auge blicken, oder vielmehr in dieser Richtung vor sich hinstarren,
um die Sehnervenpapille von D ohngefähr in die Richtung der Seh-
achse von G zu bringen. Sollte der Kranke sein Auge nicht nach
dem Gesichtssinne richtig stellen können, wie diess bei ganz Erblinde-
ten der Fall ist, so vermag er es gewöhnlich nach dem Gefühle, wenn
man ihn seinen Finger nach jener Gegend halten lässt, wohin er sein
Auge richten soll. Nun wendet man das Instrument so, dass die lichte
Scheibe mit dem dunklen Flecke gerade mitten auf das Auge D fällt,
und bringt sein Auge G möglichst nahe hinter t??i?i, am besten, indem
man den Augenbrauenbogen an die Spiegelplatte anlegt, um dem In-
strumente zugleich die nöthige Ruhe der Haltung zu sichern. Man
wird nun die Pupille roth, und wenn die Richtungslinie der Sehnerven-
papille von D mit der Sehachse von G wenigstens annähernd zusam-
menfällt, weissgelb (wie helles Lampenlicht) aufleuchten sehen. Hat
man schon die dem Refractiouszustande von I) und von G angemessene
Entfernung oder vielmehr Annäherung getroffen (da die Distanz zwi-
schen Spiegel und Auge D meistens nur l— 3 Zoll beträgt), so erkennt
man bereits die Centralgefässe der Netzhaut, und bei passender Stel-
lung von D auch die Sehnervenpapille als lichte, scharf von dem röth-
lichen übrigen Augengrunde abgegrenzte Scheibe.
Zum Verständniss des Vorganges mag mit Beziehung auf Fig. 7 Folgendes dienen :
Von der Flamme, welche immer mindestens einige Zoll mehr als die doppelte Brennweite
der Linse aLb von dieser entfernt sein muss, gelangt ein Kegel divergenter Strahlen
auf die Linse, und wird durch diese in einen Kegel convergenter Strahlen verwandelt,
dessen Länge etwas mehr als 5" beträgt, wenn die Linse aLb eine Brennweite von 5"
hat. Die Linie FLE zeigt die Pachtung, in welcher die Spitze dieses Kegels zu suchen
wäre. Dieser Kegel wird aber durch die Spiegelfläche unterbrochen und gezwungen, bei
unveränderter Lage oder Neigung der einzelnen Strahlen zu einander in anderer Rieh-
78
Netzhaut.
w
tung, nämlich nach p fortzulaufen, ■welcher Punkt ehen so weit vor dei
Spiegelfläche liegt, als die Kegelspitze ohne Zwischenkunft des Spiegels da-
hinter liegen würde. In Fig. 7 ist der Punkt p dadurch Destimmt worden,
dass von ra und b Perpendikel auf die (verlängerte) Spiegelfläche gefällt, in
jedem derselben jenseits der Spiegelfläche der gleich weit entfernte Punkt, a'
und b' verzeichnet, diese Punkte mit den betreffenden Durchschnittspunkten der
Spiegelfläche c und d verbunden, und diese Verbindungslinien a'c und b'd ver-
längert wurden. Der von der Linse aLb ausgehende Kegel wird also an der
Spiegelfläche cd gleichsam geknickt und gezwungen gegen p hin zu verlaufen.
\fi
Augenspiegel. 79
"Wird ihm nun das Auge D in diesem Laufe entgegen gestellt, so trifft er dasselbe mit dem
Durchschnitte ef. Das Auge D wird also von convergirenden Strahlen getroffen , falls
es sich diessseits von p, also innerhalb der Vereinigungsweite des Apparates aufstellt,
und alles Licht, welches die Linse passirt hat, ist nun auf diesen Durchschnitt ef Con-
centrin, wenn wir vorläufig von den Verlusten durch Zerstreuung, durch die Distanz und
durch das Loch im Spiegel absehen. In dieser Beziehung wirkt also diese Combination
einer Convexlinse mit einem Planspiegel ganz so wie ein in a'b' aufgestellter Concav-
spiegel von entsprechender Brennweite und Spiegelöffnung. Diese Combination hat jedoch
vor dem Concavspiegel voraus, dass das Auge G gleichsam mitten in den Strahlenkegel
hinein versetzt werden, mithin ceteris paribus dem Auge D viel näher rücken kann, wasr
wie wir später sehen werden, in mehrfacher Beziehung Vortheile gewährt; sie hat über-
diess noch das für sich, dass man durch Annäherung der Linse ab an die Spiegelfläche
cd, oder durch Einsetzen einer Linse von anderer, z. B. 4" Brennweite, die Öffnung und
Brennweite des Apparates (quasi Hohlspiegel) nach Bedürfniss leicht ändern kann. Solche
Veränderungen sind nämlich bis zu den nöthigen Grenzen in der mechanischen Con-
struetion der möglichst bequemen und compendiösen Apparate von Coccius und von
Zehender auf eine sehr leichte und wohlfeile Art ermöglicht.
Von dem Lichte, welches auf D fällt, contribuiren zu unserem Zwecke nur jene
Strahlen, welche das die Pupillengrösse von D etwas übertreffende Hornhautareal ik
treffen, also die zwischen gi und hk verlaufenden. Von diesen geht noch ein guter
Theil durch Reflexion an den Trennungsebenen, namentlich durch Spiegelung an der
Vorderfläche der Cornea verloren. Hierauf, so wie auf den Verlust durch das Loch
im Spiegel, kommen wir später >zu sprechen. Die durch ik eindringenden Strahlen
werden nun durch den dioptrischen Apparat von D so gebrochen, dass sie sich mehr
weniger weit vor der Netzhaut vereinigen, etwa in q, und die Netzhaut in einem
Zerstreuungskreise treffen, welcher um so grösser ist, je weiter q vor der Netzhaut
liegt. *) Man sieht , dass dieser Abstand zwischen q und der Netzhaut grösser sein
würde, wenn z. B. die Netzhaut tiefer läge oder die Hornhaut stärker gewölbt wäre,
aber auch dann , wenn p näher an D zu liegen käme ; näher an D würde p zu liegen
kommen, wenn man mit demselben Apparate weiter von D rückte , die Linse in grös-
serer Entfernung vom Spiegel aufstellte, oder eine Linse von kürzerer Brennweite
einsetzte. Da es sich zunächst um gehörige Beleuchtung eines Areals der Netzhaut D
handelt, und da die Pupille (Hornhautscheibe ik) nur bis zu einer bestimmten Grösse
steigen (künstlich erweitert werden) kann , so wird mit Rücksicht auf die angegebenen
und noch anzugebenden Verhältnisse immer eine solche Wahl in diesen Momenten ge-
troffen werden müssen, dass durch ik hinreichend viel Licht eindringen, und dass
dieses Licht nicht auf ein zu grosses Netzhautareal vertheilt, i. e. dass q nicht zu weit
von der Netzhaut entfernt sei. Offenbar könnte man alles Licht, welches zwischen ce und
elf liegt, durch die Pupille in's Auge leiten, wenn man den Apparat so einrichtete oder
so weit von D entfernte, dass sämmtliche Strahlen in einem Querschnitte des Kegels
von dem Durchmesser ik enthalten wären, es würde aber dann einerseits der Zer-
streuungskreis auf der Netzhaut D zu gross ausfallen, mithin in einer Beziehung ver-
loren gehen, was in der andern gewonnen wurde, und andrerseits würde meistens
auch der zweiten Bedingung, dass der Beobachter nicht zu weit von D sein soll —
*) Wir haben in der Zeichnung q weiter vor der Netzhaut angesetzt, als es in der Wirklichkeit der
Fall ist, um die Linien nicht zu eng zusammen zu drängen.
80 Netzhaut.
■wovon weiter unten — Eintrag gethan werden. Wollte man bei einem Abstände des
Spiegels von D wie in Fig. 7 den -Kegelschnitt ef dadurch verengern (auf ik reduciren),
dass man die Linse weiter vom Spiegel rückte, so würde man an Lichtmenge nicht
viel gewinnen, weil dann auch die Lampe weiter entfernt werden müsste, und weil
dann p, mithin auch q näher an die Linse und Hornhaut von D rücken würde. Nähme
man zu demselben Zwecke eine stärkere Linse (aLb), so würde wohl der erstere, nicht
aber der letztere Übelstand vermieden. In dieser Beziehung muss man die "Wahl des
Mittels , welche Zehender traf, als eine ebenso glückliche wie scharfsinnige bezeichnen ;
er nahm eine stärkere Linse (aLb) von 3" Brennweite, welche 3/4 — l'/a" vom Spiegel-
centrum entfernt unter beliebiger Neigung aufgestellt werden kann, und verwandelte
den ebenen Glasspiegel in einen schwach convexen Metallspiegel (von 6" Krümmungs-
halbmesser) und bewirkt hiedurch, indem er die stark convergent, also stark concentrirt
auf den Spiegel fallenden Strahlen zwingt, etwas weniger convergent fortzugehen, dass
eine gleiche Quantität Licht durch die enge Öffnung de eintreten kann, und trotzdem
erst nahe an der Netzhaut von D vereinigt wird. Er drängt dieselbe Lichtmenge in
einen engen Durchschnitt (für ik) zusammen, macht den Kegel bei gleicher Basis .dünn,
und doch weder lichtärmer noch kürzer.
Die Rücksicht, dass selbst mittelst eines compendiösen und leicht zu gebrauchen-
den Apparates möglichst viel Licht durch die Hornhautscheibe ik eindringen könne, ohne
dass q zu weit vor die Netzhaut von D fällt, ist noch durch einen andern Umstand
dringend geboten. Bei der Beleuchtung der Netzhaut mittelst durchbohrter Spiegel
kommt nämlich noch in Betracht, dass dieses Loch, welches nicht viel weniger als 1'"
Durchmesser haben kann (wegen des Beobachters), natürlich kein Licht reflectirt, der
Lichtkegel also in der Mitte einen lichtlosen Kegel enthält, dessen Basis am Spiegel-
loche, dessen Spitze (streng genommen) an der Lichtkegelspitze liegt. Da nun zwischen
mn kein Licht nach D geworfen werden kann, so hat es den Anschein, als werde hie-
durch nicht nur die Lichtmenge für ik merklich vermindert, sondern auch als könnte
dann gerade der in der Richtung der Sehachse von G liegende Theil der Netzhaut D,
also gerade die Mitte des Sehfeldes für G, gar nicht oder doch nicht hinlänglich be-
leuchtet werden. Diess würde auch in der That der Fall sein , wenn die von dem
Spiegel nach D geworfenen Strahlen parallel oder gar divergent auf ik auffielen. Dieser
Nachtheil wird aber durch die Convergenz dieser Strahlen beträchtlich vermindert. Denn
in dem Punkte q und kurz vor und hinter demselben kann (in re) kein Schatten von
dem Loche me vorhanden, nur die Lichtmenge etwas geringer sein, als sie ohne das
Loch me sein würde. (Vergl. über die entoptischen Erscheinungen.) Wenn daher die
Netzhaut nicht gar weit von q liegt, so kann auch das beleuchtete Netzhautareal in der
Mitte keinen Schatten zeigen und überhaupt in der Mitte nicht um vieles schwächer
beleuchtet sein, als in der Umgebung. Nimmt man Glasspiegel, wie Coccius, dann
wird der in Eede stehende Fehler auch noch dadurch merklich corrigirt, dass eine
doppelte Reflexion, an der Glas- und an der Stanniolfläche , also unter zweierlei Win-
keln erfolgt, welche Winkel um so mehr differiren, also jenen Fehler um so mehr ver-
mindern, je dicker die Glasplatte ist. Dicke Glasplatten haben aber den Nachtheil,
dass das Loch dann einen Canal darstellt, dessen Länge gleich der Dicke der Glas-
platte und der zum Schutze des Beleges nöthigen Metallplatte. Da man nun immer
mehr weniger schräg durch diesen Canal durchsehen muss, so wird, je länger derselbe,
desto beschränkter der Raum für die von D nach G zurückkehrenden Strahlen, und
entstehen überdiess durch das von F direct nach L strahlende Licht an den Wandungen
Augenspiegel. . 81
des Canales Reflex- oder Spiegelbilder, welche den Beobachter blenden, und auch da-
durch niemals ganz beseitigt werden können , dass die Wandungen dieses Canales mög-
lichst rauh und dunkel gemacht sind. In dieser Beziehung haben Metallspiegel, wie
in Zehender's Apparate, einen entschiedenen Vorzug, da man das Loch im Spiegel trich-
terförmig mit ganz dünnem Bande anbringen und den Durchmesser desselben an der
polirten Flüche bis auf 1 ',2'" W. M. reduciren lassen kann.
Es lässt sich jedoch die nachtheilige Folge des centralen Loches für die direct
zu sehende Stelle durch einen andern Kunstgriff beseitigen, den man zugleich an-
wendet, um das Spiegelbild auf der Hornhautfläohe ik aus dem Bereiche der Sehachse
des Auges G zu bringen und mehr weniger unschädlich zu machen. Man neigt nämlich,
nach richtiger Einstellung des Apparates, denselben ein wenig nach der einen oder
der andern Seite so ab, dass der Achsenstrahl Lo nicht auf die Mitte des Loches mn
fällt, sondern ein wenig links davon, wenn man einen mehr rechts gelegenen Punkt
der Netzhaut D direct sehen will, und man lässt das Auge D nach und nach seine
Richtung etwas ändern, z. B. etwas aufwärts, wenn man eine höher gelegene Stelle
direct sehen und betrachten will. Es muss nämlich der dem centralen Loche ent-
sprechende lichtärmere Punkt an der Netzhaut von D jederzeit in der Richtung der
Achse des Strahlenkegels liegen; man muss daher, um ihm auszuweichen, den Spiegel
so wenden, dass diese Achse (und ihre Verlängerung) nicht auf die zu betrachtende,
sondern auf eine etwas seitlich gelegene Stelle der Netzhaut D fällt. — Man hält die
Spiegel gewöhnlich an einer Handhabe, welche auf entgegengesetzten Punkten ange-
bracht werden müssen, je nachdem man an dem rechten oder linken Auge beobachten
will. Da nun oft sehr geringe Wendungen der Spiegelfläche nöthig sind, welche leicht
zu gross ausfallen, wenn man sie durch eine solche Handhabe ausführt (besonders
Wendungen nach oben oder unten), indem diese Handhabe als Hebelarm zu betrachten
ist, so habe ich an dem Zehenderschen Spiegel, dessen ich mich in der Regel bediene,
die Handhabe weggelassen, und halte den Apparat an einem etwas grössern Vorsprunge
des Gewindes, das die Linse trägt, wodurch zugleich das Etui, in dem der Spiegel zu
tragen ist, kleiner, mithin bequemer ausfällt.
Kehren wir nun zur Betrachtung der Fig. 7 zurück, um unsere Aufmerksamkeit
auf jene Momente zu lenken, welche in Anschlag zu bringen sind, sofern sich's darum
handelt, die gehörig beleuchtete Netzhaut D mit dem Auge G deutlich zu sehen. Die
wichtigsten Momente sind: der jeweilige Refractionszuständ des Auges D, die his zu
einem gewissen Grade Ton der Beleuchtung abhängige Entfernung zwischen D und G,
und die Accommodationsfähigkeit des Auges G.
a. Das Auge D (in Fig. 7) kann kurz-, normal- oder fernsichtig sein, oder es
liegt das zu beobachtende Object, z. B. die von der Chorioidea abgelöste Netzhaut,
innerhalb der Brennweite des dioptrischen Apparates, ein Fall, der für die Netzhaut
auch bei mangelnder Linse eintritt. In allen Fällen, wo die Netzhaut nicht jenseits
der Brennweite des dioptrischen Apparates liegt, also wo das Auge D nicht kurzsichtig
oder (als normal) nicht für ein nahe gelegenes Object accommodirt ist, kann der diop-
trische Apparat von D als eine Loupe betrachtet werden, muss daher ein in der Rich-
tung der ausfahrenden Strahlen befindliches Auge G das lichtsendende Object sehen
können, sobald dieses eine hinreichende Menge Licht nach G werfen, G sich in pas-
sender Entfernung aufstellen, und parallele oder wenig divergirende Strahlen auf seiner
Netzhaut vereinigen kann. Wer aber einen Gegenstand durch eine Loupe von kurzer
Brennweite |6' 2 — "'") deutlich sehen will, muss sich der Loupe mit seinem Auge um
Arlt Augenheilkunde. III. 6
82 Netzhaut.
so mehr nähern, je weiter hinter der Loupe, d. h. je näher gegen deren Brennweite
hin sich der Gegenstand befindet. Die Loupe zeigt uns dann den Gegenstand durch
ein virtuelles Bild aufrecht und vergrössert. Will man also die in oder diessseits der
Brennweite des dioptrischen Apparates von D liegende Netzhaut im aufrechten Bilde sehen,
so muss man sich dem Auge D jederzeit mehr weniger nähern, ausser man bewaffnet
sein Auge mit einem Concavglase oder man verlängert die Brennweite des dioptrischen
Apparates von D dadurch, dass man ihm eine Concavbrille vorhält. Concavlinsen zu
vermeiden ist aber wünschenswerth, wegen der nothwendig damit verbundenen Ver-
minderung der Lichtmenge für G und wegen der Störung des Beobachters durch Spie-
gelbilder. Indem nun die Apparate von Coccius und Zehender, ohne sehr gross zu
sein, eine hinreichende Menge von Licht in das Auge D zu werfen und das von D
reflectirte Licht in grosser Nähe aufzunehmen gestatten, haben sie eben einen grossen
Vorzug vor andern. — Ist D kurzsichtig, oder ist es normal, aber für die Nähe ac-
commodirt, dann fahren die von der (hinter der Brennweite gelegenen) Netzhaut re-
flectirten Strahlen weder parallel noch divergent aus demselben, dann kann sein diop-
trischer Apparat relativ zur Netzhaut in seiner Wirkung nicht mehr mit einer Loupe
verglichen werden, ausser man setzt ihm ein Concavglas vor. Ist aber das Auge D
nicht in höherem Grade kurzsichtig, kann es z. B. noch bei 10 — 12" Entfernung lesen,
so kann seine Netzhaut von einem normal- oder weitsichtigen Auge dennoch ohne
Concavgläser, wenn gleich nur in grosser Nähe (unter 1 l/-i"), betrachtet werden. Diess
scheint ein Widerspruch mit den beiden Sätzen, dass die aus einem solchen Auge aus-
fahrenden Strahlen convergent verlaufen, und dass solche Strahlen, in ein Auge G ge-
langend, schon vor der Netzhaut vereinigt werden müssen. Wenn man sich indess von
einem leuchtenden Punkte einen Strahlenkegel durch nahe an einander befindliche Linien
auszieht, ohngefähr wie tOu neben Fig. 7, und die Basis tu an die Stelle des Hornhaut-
areals ik von D versetzt denkt, so sieht man, dass, wenn der Beobachter G sich nach vx
oder selbst nach yz versetzt, er, wo nicht völlig, so doch nahezu parallele Strahlen
von tu bekommt, während er weiter von tu entfernt, z. B. in w, schon mehr conver-
gente Strahlen mit seiner Pupille (Hornhaut) auffangen würde. Die Erweiterung der
Pupille durch Atropin oder Belladonna gibt uns übrigens ein treffliches Mittel an die
Hand, die Kurzsichtigkeit von D für einige Zeit zu vermindern, und auch normale Augen
an der oft unwillkürlich erfolgenden Einrichtung ihres Befrationszustandes für nahe
Objecte zu hindern, mithin die aus D ausfahrenden Strahlen zu geringerer Convergenz
zu zwingen, oder selbst parallel zu machen.
b. Was die Entfernung zwischen D und G betrifft, so ergibt sich das zum Ver-
ständniss Nöthige wohl schon aus dem bereits Gesagten, und wollen wir nur noch daran
erinnern, dass sie um so grösser sein kann und muss, wenn das zu sehende Object
von D mehr und mehr von der Brennweite gegen die Linse und Hornhaut hervorge-
rückt ist. Daraus ergibt sich, dass man sich mit demselben Apparate weiter von D
halten muss, wenn man Opacitäten im Glaskörper erkennen, als wenn man die Netz-
haut untersuchen will, dass, wenn man von einem Auge, dem die Krystalllinse fehlt, die
Netz- und Aderhaut oder Glaskörpertrübungen sehen will, diess nur aus einer relativ
grössern Entfernung geschehen kann.
c. Das untersuchende Auge muss, wenn es nicht fernsichtig, also nicht befähigt ist,
parallele oder schwach divergente Strahlen auf seiner Netzhaut zu vereinen, seine Ac-
commodation für die Nähe absichtlich aufgeben, oder, falls es diess nicht kann (viel-
leicht weil es kurzsichtig ist), seinen Refractionszustand durch ein entsprechendes Con-
Augenspiegel. 83
cavglas (6 — 12) corrigiren. In dem neuern (verbesserten) Coccius'schcn und in dem
Ze/iender'schen Apparate können solche Gläser sehr bequem in einen federnden Ring
unmittelbar hinter dem Spiegelloche eingesetzt werden, und zwar, um die Störung durch
Spiegelung zu verhüten, etwas schräg zu demselben.
In Fig. 7 sind nun a und ß in dem Auge D innerhalb des beleuchteten Netzhaut-
areals als zwei leuchtende Punkte angenommen. Der Gang der von a reflectirten
Strahlen, welche aus dem Auge hinausgelangen können, ist durch die punktirten Linien
bezeichnet. Der hier in Betracht kommende innere Lichtkegel ist also ctik. Die Rich-
tung, in welcher diese Strahlen vor dem Auge D fortgehen müssen, ist bestimmt durch
c.x: ihre Neigung zu dieser verlängerten Richtungslinie vor dem Auge hängt von dem
Refractionszustaude des Auges D ab (allgemein ausgedrückt : von der Entfernung des zu
sehenden Punktes hinter dem Kreuzungspunkte der Richtungslinien). Wenn nun D für
unendlich fern eingerichtet ist, und das zu sehende Object, wie hier a, im Brennpunkte
des dioptrisehen Apparates von D liegt, so gehen alle Strahlen von diesem Objecto cc
ausserhalb des Auges D zum Achsenstrahle parallel (bezeichnet durch die Grenzstrahlen
5' und s"\ fort, können jedoch nur theilweise durch das Loch mn treten, wenn a schon
ziemlich weit vom Mittelpunkte des Sehfeldes (aß) liegt, und werden in G ohngefähr
in dem Punkte a' vereinigt, wenn G für parallele Strahlen adaptirt ist. Dasselbe findet
mit den von ß und von allen zwischen a und ß gelegenen Punkten ausfahrenden Strahlen
statt, für welche nur der Achsenstrahl (durch die gestrichelten Linien) angedeutet ist.
Somit entsteht auf der Netzhaut G ein Bild a'ß' von aß, das Auge G sieht das Netz-
hautareal aß aufrecht und vergrössert, indem die Erregung der Netzhaut G in a' so
empfunden wird, als käme das Licht durch den Kreuzungspunkt der Richtungslinien x4
also ohngefähr von a" und ß" hinter dem Auge D.
B. Zu der Untersuchung mit umgekehrtem Bilde der Netzhaut be-
darf mau nebst dem genannten Apparate noch eine zweite, und zwar
starke Convexlinse (von 2 — 3 Zoll Brennweite). Die Vorrichtung dabei
unterscheidet sich von der früheren nur dadurch, dass der Beobachter
weiter von D zurückweicht und die Convexlinse dann vor letzteres
vorschiebt.
Ein Blick auf die Fig. 8 wird zur Erläuterung dienen. Ist Fab das auf die Linse
i1 fallende Lampenlicht, so trifft dieses Licht den Spiegel zwischen c und d, und
wird von diesem so reflectirt, dass es sich in o vor D vereinigen würde, wenn nicht
die Linse L- vorgeschoben würde. Die Linse L1 muss beim C'occtWschen Apparate
mindestens 5" Brennweite haben. Durch die Linse Lr wird aber das zwischen ce und
elf verlaufende Licht schon vor o zur Vereinigung gebracht, nehmen wir an in p, fährt
jenseits wieder auseinander, und beleuchtet die Cornea in der Scheibe gh, welche
übrigens auch kleiner sein könnte, als ik. Wovon es nun abhänge, ob p dem Auge D
näher oder ferner liege, ist nach dem früher Gesagten wohl verständlich. Wir wollen
nur bemerken, dass es dem Auge D nicht zu nahe liegen dürfe, weil in demselben
Masse auch gh grösser würde, und durch ik dann weniger Licht eindringen könnte,
was um so nachtheiliger wäre, als hier ohnehin schon durch die grössere Entfernung
des Spiegels und durch Lr Licht verloren geht, sowohl für die Beleuchtung von D, als
auch auf dem Rückwege für den Beobachter G. (Wir wollen übrigens hier gleich die
Bemerkung einschalten, dass L- immer etwas schräg zu x'x zu halten sei, und dass,
6*
84
Netzhaut.
da L- planconvex ist, die Convexität zu G gerichtet werden müsse, beides aus dem
Grunde um das von L2 entworfene Spiegelbild für das Auge G seitlich abzulenken und
somit für das directe Sehen unschädlich zu machen.) Liegt nun p, wie in Fig. 8., nicht
Augenspiegel. 85
weit vor der vordem Brennpunktsebene des Auges D, dann werden die zwischen ik ein-
dringenden Strahlen durch den Glaskörper nur wenig convergent verlaufen und die Netz-
haut in dem der Pupillengrüsse nahezu gleichen Areal mn beleuchten. Läge p näher
als 5'" an ik, so würden die Strahlen im Glaskörper divergiren, mn grösser, die Beleuch-
tung der Netzhaut schwächer. Umgekehrt, wenn p weiter von D läge.
Betrachten wir nun den Gang der ausfahrenden Strahlen, z. B. von den Punkten»
u und ß, so kann hier das Auge D in Verbindung mit der Linse L2 unter allen Um-
ständen, wo aus dem Auge D parallele oder convergente Strahlen ausfahren, als eine
Loupe betrachtet werden, und zwar als eine Loupe mit zwei Convexlinsen, welche um
weniger als die Summe ihrer Brennweiten von einander abstehen. Die Linse L2 bringt
die durch ik ausgetretenen Strahlen, wenn diese, wie in Fig. 8, parallel sind, in ihrer
Brennweite q, wenn diese ausfahrenden Strahlen aber convergent auf Ll gelangen,
zwischen L- und q zur Vereinigung. Der letztere Fall ist für das beobachtende Auge
G günstiger. So werden die von a ausfahrenden Strahlen in a', die von ß in ß' ver-
einigt, wenn das Auge B für die Ferne accommodirt ist, es entsteht in ß'a' ein reelles,
aber umgekehrtes und nicht stark vergrössertes Bild von aß. Wäre D kurzsichtig,
dann würde schon dieser Umstand so gut hinreichen, dieses umgekehrte Bild näher an D
zu rücken, als z. B. eine stärkere Krümmung von L2. Je weniger aber ß'a' von D ent-
fernt entworfen wird, desto weniger entfernt braucht sich G aufzustellen, um die von
ß'a' wie von einem daselbst befindlichen leuchtenden Objecte ausfahrenden Strahlen auf
seiner Netzhaut zu einem Bilde zu vereinigen. Man sieht daher, dass Kurzsichtigkeit
von D, welche die Untersuchung im aufrechten Bilde erschwert, die Untersuchung im
umgekehrten gerade begünstigt, während für "Weitsichtigkeit von D eher das Gegentheil
gilt. Bei sehr hohen Graden von Kurzsichtigkeit sieht man auch ohne L2 ein verkehrtes
Bild von D, oder braucht doch L2 nur eine geringe Brennweite zu haben, etwa 3 — 4".
Fehlte dem Auge D die Krystalllinse, dann könnte die Untersuchung im umgekehrten
Bilde nur noch mit einer viel stärkern Convexlinse L2 vorgenommen werden. Andrer-
seits eigibt sich rücksichtlich des Beobachters G, dass hier der Kurzsichtige besser daran
ist, als der Weitsichtige, und dass letzterer, wenn er nicht zu weit zurück, weichen will,
sein Auge durch Vorhalten eines Convexglases (12 — 8") in ein kurzsichtiges zu verwan-
deln hat. — Betrachtet nun das Auge G das reelle Bild ß'a', so werden die von ß' wie
von irgend einem leuchtenden Punkte ausfahrenden Strahlen, welche durch das Spiegelloch
durchtreten können, in ß" vereinigt, weil ß', x' und ß" in einer geraden Linie liegen'
ebenso die von a' in a". G sieht also links, was in D rechts liegt, doch nicht stark
vergrössert, und zwar ohngefähr um so vielmal grösser, als aß in a'ß' enthalten ist. —
Die Untersuchung mit umgekehrtem Bilde hat den grossen Vortheil, dass man mit Einem
Blicke einen grössern Theil der Netzhaut übersehen kann. Ein anderer Vortheil besteht
aber darin, dass, wenn man einmal ein Object, z. B. ein Gefäss der Netzhaut deutlich
sieht, man, ohne seines eigenen oder des kranken Auges Stellung wechseln und ohne die
Haltung des Spiegels ändern zu müssen, wodurch leicht die richtige Einstellung bezüglich
der deutlichen Sehweite verloren geht, durch leichte Hin- oder Her-, Auf- oder Abwärts-
bewegung der Linse L2, die man zwischen Daumen und Zeigefinger der an das Gesicht
des Kranken gestützten Hand hält, seitlich gelegenen Partien zum Gegenstande des di-
recten Sehens machen kann. Wir brauchen wohl kaum zu erwähnen, dass diese Bewe-
gung aufwärts geschehen müsse, wenn man eine unter der eben gesehenen liegende Stelle
betrachten will. Hat man gerade die Papille des Sehnerven im Sehfelde, so verschiebe
man, um die Macula lutea zu sehen, die Linse L2 ein wenig gegen die Nase des Kranken.
86 Netzhaut.
Man wird auch bei genauer Keuntuiss des Apparates und seiner
Leistungsfähigkeit immer viel eher zweckmässig zu Werke gehen, wenn
man noch vor Anwendung desselben eine möglichst genaue Erhebung
der krankhaften Veränderungen des Auges (und nöthigenfalls des ganzen
Organismus) vornimmt, durch die äussere Besichtigung, Betastung, Prü-
fung der Functionsstörung, Aufnahme der subjectiven Erscheinungen
und der vorausgegangenen (anamnestischen) Momente, kurz wenn man
den Augenspiegel nur als ein, nicht aber als das einzige und zuerst
anzuwendende diagnostische Hilfsmittel betrachtet. Diess ist schon
darum gerathen, weil wir bis jetzt eine verlässliche Deutung für das
mit dem Augenspiegel Gesehene nur bei relativ wenig Befunden be-
sitzen. Man kann namentlich Befunde an der Netz- und Aderhaut, die
noch zum Normalen gehören, leicht als krankhaft deuten, man kann
wirklich krankhaften Veränderungen leicht für die bestehende Func-
tionsstörung eine viel wichtigere Bedeutung beilegen, als sie wirklich
verdienen, man kann eine Gesichtsstörung, die von ganz andern Ab-
normitäten abhängt, leicht aus dem Augenspiegelbefunde abzuleiten ver-
sucht werden, auch abgeseheu von optischen Täuschungen, welche selbst
einem ziemlich geübten Beobachter bei so subtilen Untersuchungen leicht
begegnen können. Vorläufig bleiben anatomisch-mikroskopische Unter-
suchungen von Netzhäuten, deren Augenspiegelbefund kurz vorher no-
tirt wurde, noch ein pium desiderium. So lange wir solche nicht in
grösserer Menge besitzen, müssen wir von dem Instrumente nicht mehr
verlangen, als es leisten kann, sonst bringen wir diese herrliche Erfin-
dung, im Gebiete der ophthalmologischen Diagnostik wohl die grösste
unsers Jahrhunderts, selbst bei Verständigen in Misscredit.
Eücksichtlich der durchsichtigen Medien gibt uns das Ophthalmo-
skop sichere Antwort auf die Frage, ob sie durchsichtig oder von trüben
Partikelchen durchsetzt sind. Diess ist namentlich für den Glaskörper
äusserst wichtig, obwohl es uns auch bei wenig ausgebreiteten Trü-
bungen des Krystallkörpers sehr zu Statten kommt. Der Augenspiegel
gibt dem nur einigermassen geübten und aufmerksamen Beobachter
verlässliche Thatsachen zur Entscheidung der Frage, ob das untersuchte
Auge kurz- oder weitsichtig sei, sobald diese Zustände eben nicht bloss
die ersten Übergänge vom Normalen zum Abnormen bilden, sondern
schon bestimmt in das Bereich des letzteren zu zählen sind. Seit der
Einführung des Augenspiegels in die Diagnostik ist die Lehre von den
Amaurosen eine wesentlich andere geworden. Die Zahl der Amaurosen
centralen und allgemeinen Ursprunges schmilzt auf eine relativ sehr
geringe herab; bei sehr vielen Amblyopien und Amaurosen lassen sich
Augenspiegel. 87
Veränderungen in der Netzbaut allein oder zugleich im Glaskörper und
in der Aderliaut als hinreichendes Substrat nachweisen, wo man ohne
Hilfe des Augenspiegels kaum mit überwiegender Wahrscheinlichkeit
sich entscheiden könnte, ob die Functionsstörung durch centrale oder
peripherische Veränderungen des nervösen Apparates bedingt sei. Jeder
Fortschritt in der Diagnosis ist aber ein Gewinn für die Aufgabe des
Arztes, die Prognosis und Therapie.
Das oben empfohlene, der Ophthalmoskopie vorauszuschickende
Examen wird im Allgemeinen den Gang vorzeichnen, den dieselbe zu
nehmen hat. Wo dieses Examen nicht schon bestimmt einen oder den
andern Krankheitszustand auszuschliessen berechtigt, gehe man, um
nichts aus der Reihe des Möglichen zu überspringen, in der anatomi-
schen Ordnung von vom nach hinten vor, und prüfe zuerst die durch-
sichtigen Medien, namentlich die Linse und den Glaskörper genau, ehe
mau sich an die Netz- und Aderhaut macht. Ich erinnere mich mehr-
mals bei mehr weniger beträchtlicher Gesichtsstörung keine hinreichend
erklärende Veränderung der Netzhaut gefunden zu haben, wo doch die
wiederholte Untersuchung durch mich oder einen Andern kleine, aber
zahlreiche Glaskörperopacitäten als genügendes Substrat erwies. Da
sich ganz kleine Trübungen der durchsichtigen Medien nur dadurch wahr-
nehmen lassen, dass sie bei heller Beleuchtung des Augengrundes als
dunkle Körperchen erscheinen, gleich den vor hellem Hintergrunde
herabfallenden Schneeflocken, so muss man, um ihre Anwesenheit nicht
zu übersehen, das Instrument zunächst gerade so einstellen, dass der
Angengrund möglichst hell beleuchtet wird, i. e. so weit vom Auge (D)
entfernt, dass die Netzhaut in den Focus des Beleuchtungsapparates,
wenigstens in keinen grössern Zerstreuungskreis zu liegen kommt (dass
in Fig. 7 q auf den Augengrund fällt, in Fig. 8 mn bis zur Grösse des
Flammenbildes verkleinert wird); uud da die dunklen Körperchen im
Glaskörper sich bei ruhiger Haltung des Auges (D) senken, durch rasche
Bewegungen desselben aber aufgerüttelt werden, kleine Körperchen
überdiess minder leicht der Wahrnehmung entgehen, wenn sie in Be-
wegung sind, so wird das Aufsuchen derselben durch rasche Bewegun-
gen des Auges (D) mit kleinen Excursionen besonders nach auf- und
abwärts, wesentlich erleichtert. Bei auffallendem Lichte können undurch-
sichtige Partien der durchsichtigen Medien nur dann wahrgenommen
werden, wenn sie hellfarbig (weiss, grau, gelbj und entsprechend ihrer
Lage hinter der Cornea hinreichend gross sind. Hieher gehören nament-
lich pigmentlose Exsudate in der Pupille, fleckige oder streifige Trü-
bungen im Krystallkörper, Cysten im Glaskörper und dergl. Um solche
88 Netzhaut.
Trübungen bei auffallendem Lichte zu sehen, muss man sich mit dem
Apparate dem Auge nur so weit nähern, dass die Spitze des Beleucli-
tungskegels auf sie fällt (also bei Verdacht auf Cataracta nicht wie in
Fig. 7 auf g, sondern etwa auf sc oder auf die Ebene des Pupillar-
randes). Sind solche Körper, die nicht zu tief liegen, auf diese Art ge-
hörig beleuchtet, so kann man sie als bläulich-weisse Streifen, Flecken
und dergl. auch sehen, wenn man nicht durch das Loch, sondern neben
dem Spiegel vorbei in's Auge sieht, ja es sehen sie dann zur Seite des
Beobachters stehende Personen wohl eben so gut. Man sieht sie natür-
lich aufrecht und mehr weniger vergrössert. Will man sie noch deut-
licher sehen, so kann man die Beleuchtungslinse (X1) so umstellen
(hinter das Spiegelbild), dass sie nicht zur Concentration des Lichtes,
sondern als einfache Loupe für das beobachtende Auge wirkt. — Wie
man die Netz- und Aderhaut am besten untersuche, und in welcher
Beschaffenheit diese Gebilde dem Beobachter unter dem Spiegel er-
scheinen sollen, das muss man vorläufig durch Untersuchung normaler
Augen kennen gelernt haben, ehe man sich erlauben darf, eine Urtheil
darüber abzugeben, ob in einem Auge mit Gesichtsstörung diese auf
eine Abnormität der Netz- oder Aderhaut bezogen werden könne. Ein
jeder kann sich zu einer solchen Untersuchung leicht hergeben, da die
Beleuchtung für seine Netzhaut jedenfalls nicht nachtheiliger sein kann,
als das längere Betrachten der Lampenflamme mit freiem Auge, ja im
Allgemeinen viel weniger : nur bei solchen Augen, welchen der Blick in
eine Kerzenflamme schädlich wäre, könnte die Untersuchung mit dem
Spiegel allenfalls nachtheilig werden, und da nur, wenn das zu unter-
suchende Auge (D) direct nach dem Flammenbilde blickte, was nicht
nöthig, ja nicht einmal wünschenswert!! ist.
B. Krankheiten der Netzhaut und des Sehnerven.
Die Lehre von den Krankheiten der Netzhaut, welche in der Hauptsache mit der
Lehre von der Amaurosis zusammenfällt, ist durch die Einführung des Augenspiegels in
die ophthalmologische Praxis fast durchgehends auf einen andern, weit mehr objectivcn
Standpunkt versetzt worden. Es ist jedoch (mir wenigstens) zur Zeit noch nicht mög-
lich, von diesem Standpunkte aus eine Schilderung der hieher gehörenden Zustände des
Auges systematisch und so umfassend zu entwerfen, als diess bei den Krankheiten anderer
Gebilde der Fall ist. Ich muss daher den nachfolgenden Erörterungen über die Krank-
heiten der Netzhaut die Bemerkung vorausschicken, man möge in denselben nicht eine
abgeschlossene Abhandlung, sondern nur einzelne feststehende Thatsachen suchen, nebst
einer Anleitung, wie in vorkommenden Fällen, allenfalls mit Hilfe dieser Thatsachen und
Krankheiten — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen. 89
gena\ier Beobachtung theils den praktischen, theils den streng wissenschaftlichen Anfor-
derungen nach Zulass der Umstände werde entsprochen werden können.
Die Ausdrücke Amblyopia (nervöse G-esichtsschwäche) und Amau-
rosis (schwarzer Staar) sind es, deren man sich seit langer Zeit be-
dient, um zu bezeichnen, dass in einem gegebenen Falle Schwäche
(Abnahme) oder Verlust des Sehvermögens zunächst durch einen krank-
haften Zustand der Netzhaut, des Sehnerven oder der Centralorgane
bedingt sei. Wir werden diese bequemen Ausdrücke im Allgemeinen
beibehalten dürfen, wenn wir ihnen keine andere als die negirende
Bedeutung beilegen, die nämlich, dass in einem so bezeichneten Falle
das Hinderniss des Sehens nicht im dioptrischen Apparate oder doch
nicht in diesem allein zu suchen sei, und wenn wir überdiess nie ver-
gessen, dass mit der Bezeichnung : „dieser Kranke ist aniblyopisch oder
amaurotisch", eine Diagnosis ebenso wenig ausgesprochen sei, als wenn
wir sagen: dieser Kranke leidet an Krämpfen, Erbrechen, u. dgl. Des
geistreichen Ph. von Walther's Phrase : „Amaurosis sei jener Zustand,
wo der Kranke nichts sieht, und — auch der Arzt nichts", kennzeich-
net vollkommen — nicht die Amaurosis, sondern die Anschauungsweise
der Ärzte früherer Zeiten über dieses Leiden. Man hatte nämlich be-
reits angefangen, gewisse Formen von der generellen Bezeichnung aus-
zuscheiden, jene nämlich, welche schon der oberflächlichen Betrachtung*
des Auges auffallende Veränderungen darbieten, wie z. B. die acute
Entzündung der Netzhaut, welche Beer als Ophthalmia interna idiopa-
thica, Weller, Makenzie, Walther u. A. als Retinitis oder Dictyitis ge-
schildert hatten, den Marksckwamrn der Netzhaut ( Wwdrop), das Glau-
com u. s. w. Andererseits wurden aber in der Lehre von der Amaurosis,
und zwar unter dem Titel : Vitia visus als Vorläufer oder Begleiter des
Netzhautleidens Zustände beschrieben, welche nicht unmittelbar auf ein
solches bezogen werden können, z. B. Myodesopsie, Mikropsie, Megal-
opsie , oder nur als zufällige Begleiter auftreten , wie : Skotomatopsie,
Photopsie, Chrupsie u. dgl. Insbesondere war es nachtheilig, dass man
unter dem Namen Amblyopia ex abusu visus oder Hebetudo ein häufig
vorkommendes Leiden der Accommodationsorgane , zu welchem aller-
dings späterhin ein wirkliches Netzhautleiden hinzutreten kann, als eine
Art schon vorhandenen Netzhautleidens darstellte.
Wird dem Arzte ein gänzlich Erblindeter vorgestellt, dann kann
nach den weiter unten gegebenen objectiven Erscheinungen wohl kaum
mehr ein Zweifel obwalten, ob die Erblindung durch ein Leiden des
nervösen oder des dioptrischen Apparates bedingt sei, und man könnte
sich allenfalls nur noch täuschen, wenn etwa eine Cataracta nigra
90 Netzhaut.
(B. IL S. 253 j oder Simulation vorläge. Wenn aber der Kranke noch
mehr weniger sieht, dann entsteht vorerst noch die Frage, ob das Seh- *
hinderniss wirklich in mangelnder Erregung, Fortleitung oder Percep-
tion liege (I.). Muss man sich für Amblyopie oder Amaurosis entschei-
den, und hat man überdiess noch durch sorgfältige Sehversuche festgestellt,
bis zu welchem Grade die Sehfunction beeinträchtigt sei (IL), dann ist
zu untersuchen, ob und welche materielle Veränderungen sich nach-
weisen lassen, ob der Sitz der Affection als in der Netzhaut, im Seh-
nerven, in den Centralorganen befindlich bezeichnet werden könne oder
nicht (III.). Den Schluss der diagnostischen Untersuchung wird dann
die Entscheidung der Frage bilden, in welcher Beziehung das Leiden
der nervösen zu den übrigen Organen stehe, welche Momente dessen
Entstehung bedingt oder doch dazu beigetragen haben, welche Momente
auf seinen Fortbestand Einfluss nehmen, wie überhaupt die innern und
äussern Verhältnisse des Kranken mit Rücksicht auf dieses Leiden ge-
staltet sind (IV). — Je weniger es gelingt, diese Fragen in einem ge-
gebenen Falle positiv zu beantworten, desto weniger kann von einem
rationellen Vorgange bei der Prognosis und der Therapie die Rede sein,
wenn gleich der Fall noch Heilung zuliesse. Im weiteren Verfolge dieser
Erörterungen wird sich herausstellen, dass schon der diagnostische
Theil der Aufgabe des Arztes bei Amblyopien und Amaurosen ungleich
schwieriger ist, als bei allen andern Augenübeln.
I. Binoculüre Amaurotische bieten eine eigenthümliche Physio-
gnomie und Haltung dar, ähnlich einem gedankenlos vor sich Hinstarren-
den. Bei weit geöffneter Lidspalte, häufig auch etwas zurückgebogenem
Haupte treten die Augen gewissermassen stärker hervor, stieren mit
parallelen oder divergirenden Sehachsen fix oder in zwecklosem Hin-
und Herschweifen gleichsam in unbestimmte Ferne hinaus, richten den
Blick nicht auf die Person, die den Kranken anspricht, und machen
auf diese, indem sie ihr kein sichtbares Sehhinderniss und keinen
Fixations- oder Ruhepunkt darbieten, einen unheimlichen Eindruck,
welcher an den erinnert, den man bei der Unterredung mit einem
Schielenden empfindet. — In diesen Momenten liegen für denjenigen,
der einige Amaurotische aufmerksam betrachtet hat, benützenswerthe
Anhaltspunkte gegenüber einem Simulanten, der sich die Pupillen künst-
lich erweitert hat, namentlich wenn man nicht zu nahe an ihn hinan-
tritt. Denn Augen, welche zu sehen vermögen, fixiren unwillkürlich
irgend ein Object, das in den Grenzen ihrer Sehweite liegt, und dieses
Fixiren übt auf die Haltung der Augen- und Gesichtsmuskeln einen be-
stimmten Einfluss, gibt das, was man Intiütus nennt. Es gehört sehr viel
Krankheiten — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen. 91
Schlauheit imd Übung dazu, dieses unwillkürliche Fixiren dem Beobach-
ter zu verbergen, wenn dieser sich nicht näher, als die Sehweite (Meso-
ropter) reicht, heranstellt.
Bei bilateral Amaurotischen steht die Grösse der Pupillen nicht im
Verhältnisse zur Beleuchtung, um so weniger, je vollständiger die Amau-
rosis ist. Die Pupillen sind häufig abnorm gross, seltener abnorm eng,
oft aber auch von mittlerer Weite. In letzterem Falle kann man in der
Regel nicht sagen, dass die Pupillen starr und unveränderlich seien,
man rindet im Gegentheile gewöhnlich, dass sie zwischen stärkerer und
geringerer Weite schwanken, jedoch nicht beim Wechsel des Lichtein-
flusses, sondern beim Wechsel der Augenstellung. Sehr weite oder sehr
enge Pupillen zeigen selten solche Schwankungen, auch wenn man die
Kranken plötzlich auf ihren nahe vor ihr Gesicht gehaltenen Finger
blicken heisst. Es kann übrigens auch die eine Pupille merklich grösser
und die eine Iris mehr beweglich sein, als die andere, trotzdem die
Amaurosis beiderseits vollständig ist. Aufklärung über diese Verhältnisse
haben wir im 2. Bande Sr 32-34 gegeben.
Bei monoculärer Amaurosis muss zunächst unterschieden werden,
ob das andere Auge als sehkräftig oder als mehr weniger amblyopisch
bezeichnet wird, und ob dasselbe nicht etwa anderweitige augenschein-
liche Veränderungen darbietet, z. B. Cataracta, Pupillensperre, Zeichen
bestehender oder abgelaufener Chorioiditis u. s. w. Ist das andere Auge
gesund oder doch wenigstens noch für Lichteindrücke empfänglich, dann
muss dasselbe während der Untersuchung des fraglichen so verdeckt
werden, dass es von dem Lichtwechsel durchaus nicht berührt werden
kann, nicht etwa bloss mit den Fingern, sondern mit einem mehrfach
zusammengelegten Tuche. In solchen Fällen wird es öfter vorkommen,
dass der Kranke ein Interesse hat, den Arzt glauben zu machen, er
sehe mit diesem Auge noch, als er sehe nichts. Um so mehr hat man
Ursache sich vor Täuschung durch Mitbewegung der Iris (bei Licht-
wechsel und veränderter Stellung der Bulbij zu schützen. Bei unilatera-
ler Amaurosis kommt es — nach meinen Beobachtungen — nicht vor,
dass die Pupille des fraglichen Auges eng bliebe (es sei denn wegen
Synechien), sobald man das andere verdeckt; sie erweitert sich, wenn
sie nicht schon früher grösser war, als die des sehfähigen Auges, was
gleichfalls vorkommt, ohne indess Regel zu sein. Unilaterale Amaurose
verräth sich übrigens dem Geübten häufig durch eine eigenthümlich
matte Färbung der Iris, wenn das andere Auge gesund ist, doch nur
nach längerem Bestände des Leidens. Selbst wenn das eine Auge nur
in etwas höherem Grade amblyopisch ist, und die Affection auch nicht
92 Netzhaut.
von der Chorioidea ausgeht, unterscheidet sich die Farbe der Iris von
der des gesunden ungefähr auf dieselbe Weise, wie Pflanzen, die in
schattigen und gesperrten Bäumen vegetiren, von Pflanzen im Freien.
So habe ich's wenigstens oft gefunden. Nicht rein schwarz, sondern
von der Tiefe her verschieden getrübt (wie bei Glaucoma) kann die
Pupille bei Amblyopie oder Amaurosis erscheinen, entweder weil sie
sehr erweitert ist, oder weil von der Netz- und Aderhaut wegen be-
trächtlicher Gewebsveränderungen ungewöhnlich viel Licht reflectirt
wird. In Bezug auf die Stellung des amaurotischen zu dem andern
Auge ist zu bemerken, dass sie wohl häufig eine abnorme, namentlich
eine mehr weniger nach aussen abweichende sei, dass aber auch Fälle
vorkommen, wo in der Stellung und Mitbewegung zum gesunden keine
Abnormität wahrgenommen werden kann, so wie andererseits Strabis-
mus oder Luscitas noch keineswegs sicher auf Amblyopie oder Amau-
rosis deuten.
Amaurosis mit mehr weniger deutlicher Lichtempfindung, gleichviel
ob uni- oder bilateral, zeigt nur dann eine «ganz starre Pupille, wenn
zugleich im Ciliarnervensysteme beträchtliche Veränderungen vorhanden
sind, welche natürlich ebensowohl im Bulbus selbst als ausserhalb des-
selben in jenen Nerven liegen können, die das Ganglion ciliare mit
motorischen Fasern versehen. Ein Individuum, welches Amaurosis vor-
gibt, und die Pupillen heimlich durch Belladonna in erweitertem Zu-
stande unterhält, kann mit Berücksichtigung dieses Satzes bisweilen
leicht des Betruges überwiesen werden. Untersucht man so ein Auge
mit dem Augenspiegel, und zwar absichtlich mit etwas stärkerer Be-
leuchtung und gerade in der Gegend der Macula lutea, so wird man,
abgesehen davon, dass der Augengrund normal erscheint, schon an der
Unruhe des Auges, an dem öftern Blinzeln, oder am Thränen bald er-
kennen, dass es mindestens noch sehr deutliche Lichtempfindung haben
müsse, während seine erweiterten Pupillen unter allen Umständen starr
bleiben, ein Widerspruch, der für Betrug spricht, sobald sich nicht
anderweitig ein Grund für Lähmung der Ciliarnerven nachweisen lässt.
Wir verweisen in dieser Beziehung auf die im 2. B. S. 288 — 290 an-
geführten Thatsachen.
Gebrauchen wir den Ausdruck Amblyopie für jede Störung von
Seite des nervösen Apparates, bei welcher der Kranke überhaupt noch
Gegenstände zu erkennen vermag, so leuchtet von selbst ein, dass, da
diese Störung in verschiedenen Graden stattfinden kann, eine Ver-
wechslung mit anderweitig bedingten Sehstörungen leicht möglich ist.
Diese letzteren lassen sich sämmtlich auf Fehler der durchsichtigen
Krankheiten — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen. 93
Medien oder des Kefractious- und Accommodationszustandes zurück-
führen, und können nur dann als hinreichende Ursache der Sehstörung
betrachtet werden, wenn sie sich als zu dieser in directem Verhältnisse
stehend nachweisen lassen. — Abnormitäten der Hornhaut, und zwar
zunächst Trübungen, wenn auch noch so klein, werden dem aufmerk-
samen Beobachter nicht leicht entgehen, sobald das Licht gut einfällt
und die Pupille dahinter rein schwarz ist. Die Beiziehung einer Loupe
kann in zweifelhaften Fällen entscheiden. Facetten der Hornhaut ver-
räth am besten das Spiegelbild der Fensterrahmen, wenn man nicht
zu nahe am Fenster untersucht und das Auge mittelst des vorgehal-
tenen Fingers nach und nach in verschiedene Stellungen bringt. Das-
selbe Mittel ist auch das beste, um Veränderungen in der Wölbung der
Cornealvorderfläche (z. B. Keratoconus incipiens) zu entdecken und zu
schätzen. — Dünne Exsudat- und Pigmentablagerungen in den Pupillen
lauf der Kapsel) kommen nur nach Iritis oder Erschütterung des Bulbus
vor, werden schon durch Unregelmässigkeiten des Pupillarrandes ange-
deutet, und können in Bezug auf Ausdehnung und Dicke leicht mit
einer Loupe, nöthigenfalls mit dem Augenspiegel zur Anschauung ge-
bracht werden. — Schwieriger sind diffuse Linsentrübungen zu erkennen,
wenn sie nicht intensiv sind. Diess gilt nicht nur von spinnenweben-
ähnlichen Beschlägen an der vordem Kapsel (vgl. Catar. corticalis),
sondern auch und ganz besonders von beginnenden Kerntrübungen,
zumal bei alten Leuten. Hier erfordert selbst die Benützung des Augen-
spiegels viel Übung, grosse Vorsicht und wiederholte Untersuchung.
Denn es kann bei wirklich nervöser Sehstörung der Augengrund gar
nicht oder doch so wenig verändert sein, dass er normal erscheint; er
kann aber auch zufällige Alienationen darbieten, welche dem minder
Erfahrenen für die Ursache einer Amblyopie imponiren, obwohl sie es
nicht sind. Die Gebilde im Grunde des Auges können wie verschleiert
erscheinen wegen leichter diffuser Trübung der Linse oder des Glas-
körpers, aber auch — wegen mangelhafter Einstellung des Augen-
spiegels. — Mangel oder Senkung der Linse, welche auch ohne vor-
ausgegangene Operation vorkommen und dann leicht mit Amblyopie
verwechselt werden können, verrathen sich dem aufmerksamen Beobach-
ter bestimmt durch tiefere Lage der Iris, durch Schlottern derselben
bei rascheren Bulbusbewegungen, durch auffallend reine Schwärze und
Engheit der Pupille und dadurch, dass starke Convexgläser (von 2 — 5"
Brennweitej dieselben Dienste leisten, wie bei Staaroperirten, voraus-
gesetzt, dass nicht gleichzeitig Amblyopie oder eine ungewöhnliche
Achsenverlängerung des Bulbus vorhanden ist. Denn, wurde der Mangel
94 Netzhaut.
oder die Senkung der Linse durch Erschütterung- des Bulbus eingeleitet
— Avas dem Kranken auch unbekannt sein kann, z. B. wenn sie in
früher Jugend, bei Convulsionen, im Kausche u. dgl. erfolgte — so wird
Amblyopie kaum jemals fehlen, und gab Verflüssigung des Glaskörpers
mit Auflösung der Glashäute die erste Bedingung zur spontanen Lin-
sensenkung, dann ist, wenn nicht zugleich merkliche Amblyopie, wohl
meistens auch Verlängerung des Bulbus in der Richtung der Seh-
achse vorhanden. Vergl. B. IL S. 275 — Bei Glaskörper- und
Chorioidealkrankheiten, wenn sie mit Sehstörung ohne augenscheinliche
äussere Veränderungen des Bulbus einhergehen, kann von einer Ver-
wechslung mit Retinalaffection eigentlich nicht die Rede sein, indem
letztere dann wohl immer zugleich vorhanden ist; doch forciert die
exacte Diagnostik auch in solchen Fällen, dass das Übel nach dem
primär und vorwaltend ergriffenen Gebilde erkannt und benannt werde.
Nach dem, was wir über die Diagnosis der Aderhaut- und Glaskörper-
krankheiten mitgetheilt haben, dürfte es wohl in der Mehrzahl der Fälle
möglich sein, sich über den Ausgangspunkt der Affection zu entschei-
den ; mit Benützung der später anzuführenden Erfahrungssätze über die
ätiologischen Momente der Retinalaffectionen, und nach Zuziehung der
ophthalmoskopischen Untersuchung werden gewiss nur wenige Fälle
übrig bleiben, wo es unentschieden bleibt, von welchem Organe die
Affection ausgehe. — Was die fehlerhaften Zustände der Refraction und
Accominodation betrifft, so werden häufig Fehlschlüsse gemacht, theils
darin, dass man Amplyopie für Kurzsichtigkeit ansieht, theils darin,
dass man mangelhafte oder fehlende Accommodation (für die Nähe) für
Amblyopie erklärt, aber auch darin, dass man nur eines dieser wesent-
lich verschiedenen Leiden supponirt, wo doch beide zugleich, z. B. kurz-
sichtiger Bau des Auges und Amblyopie, neben einander bestehen. Wie
man sich in dieser Beziehung vor Irrthum schützen könne, lässt sich
erst bei der Schilderung der fehlerhaften Refractions- und Accommoda-
tionsverhältnisse verständlich machen.
In jenen Fällen, wo die Sensibilität der Netzhaut nicht in der
ganzen Ausbreitung derselben, sondern nur stellenweise, z. B. in der
Mitte, in der einen Hälfte, vermindert oder erloschen ist, und wo eine
solche partielle Functionsstörung, welche den Kranken nur in gewissen
Richtungen nicht sehen,, oder nur einen Theil des Sehfeldes undeutlich
wahrnehmen lässt, nicht aus Abnormitäten des dioptrischen und Accom-
modationsapparates erklärt werden kann, liegt eben hierin der Beweis
für das Vorhandensein eines Leidens der Netzhaut selbst. Wir werden
bei Besprechung der Kurzsichtigkeit zeigen, dass bei höhern Graden
Krankheiten — Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen. 95
dieses Leidens seitlich gelegene Objecte in gewissen Entfernungen noch
eher unterschieden werden, als in der Mitte des Sehfeldes befindliche,
und verweisen rücksichtlich der partiellen Sehstörungen von Seite des
dioptriscben Apparates auf die Angaben über die entoptischen Erschei-
nungen und über die Krankheiten des Glaskörpers zurück.
II. Ist auf diese Weise die Gegenwart von Amblyopie oder Amau-
rosis eines oder beider Augen als sicher oder doch als wahrscheinlich
festgestellt, wobei zufällige Complicationen, z. B. eine Hornhauttrübung,
gewiss schon mit erkannt werden mussten, dann erscheint es aus mehr-
fachen Rücksichten geboten, zu bestimmen, bis zu welchem Grade die
Se/ifunction beeinträchtigt sei. Die Prüfung muss natürlich an jedem
Auge für sich vorgenommen werden. Für die Ermittlung der Functions-
faliigkeit der Netzhaut bei totaler Linsentrübung oder Pupillensperre
hat A. von Gräfe ein sekätzenswerthes Hilfsmittel angegeben. Man hält
in einem verfinsterten Locale eine Kerzenflamme in allmälig steigender
Entfernung vor das fragliche Auge, und ermittelt, bis wie weit dasselbe
den Flammenschein noch wahrnimmt. Aus wiederholten Versuchen mit
verschiedenen Cataractösen und Amblyopischen wird man sich bald
abstrahiren, wie weit die Fähigkeit, diesen Schein wahrzunehmen, durch
bloss mechanische Hindernisse vermindert werden kann. Zur Bestim-
mung des Grades der Sehstörung hat Ed. Jäger (über Staar und Staar-
operationen, Wien 1854) Druckschriften verschiedener Grösse in 20 Ab-
stufungen von etwa 9'" bis zu x\\'" Höhe zusammengestellt und hiemit
ein jedem Arzte willkommenes, zugleich allgemeine Verständigung und
Übereinstimmung anbahnendes Mittel an die Hand gegeben. Wenn ich
finde, ein Kranker liest z. B. bei 9" Entfernung und massigem Tages-
lichte oder bei einer Kerzenflamme Xr. 1 0 der J%er'schen Drucksorten
{['" hoch), Xr. S (etwa 4/5>" hoch) dagegen nicht, so ist mir hiemit,
abgesehen von einer Sehweite, ein ziemlich sicheres und objeetives
Mass für seine Sehkraft angegeben, ich bin nicht von seinen (oft sehr
unbestimmten) Angaben abhängig, und kann nach Verlauf einiger Zeit
mich leicht versichern, ob die Sehkraft zu- oder abgenommen habe,
vorausgesetzt, class der Versuch wieder so viel als möglich unter den-
selben äussern Umständen vorgenommen wird. Bei Leuten, die nicht
(mehrj lesen können, wird natürlich irgend ein anderer analoger Modus
ausfindig gemacht werden müssen, um die Sehkraft mit Ptücksicht auf
die Accommodationsfähigkeit objeetiv zu messen.
Immer, man mag nun auf diese oder jene Weise vorgehen, wird
die Anstellung verlässlicher Sehversuche bedeutende Vortheile gewäh-
ren. Sie gibt dem Arzte nebst dem schon Angedeuteten auch häufig
96 Netzhaut.
wichtige Aufschlüsse über den Sitz und die Natur des Übels. Man be-
merkt dabei, ob Patient noch in der Richtung der Sehachse oder in
einer andern Richtung relativ am besten sieht, ob er stärkere oder ge-
ringere Beleuchtung sucht, ob ihn hellfarbige und glänzende Gegen-
stände blenden, oder ob er gerade solche Objecte noch eher als dunkle
und matte erkennt, wie sich sein Gesicht in Bezug auf die Unterschei-
dung verschiedener Farben — allenfalls nach einer Farbenmusterkarte —
verhält, ob ihm die Objecte in natürlicher Grösse (so wie im gesunden
Zustande) und Lage erscheinen, wie lange er das Betrachten kleiner
Objecte, z. B. der Buchstaben aushält, ob und wie lange der Eindruck
heller Objecte nachher noch fortdauert, u. s. w. — Dieser Vorgang
dürfte auch desshalb vortheilhaft sein, weil er den Kranken, wenn er
nur einigermassen verständig ist, auf die Umstände aufmerksam macht,
die den Arzt von dem, was vorherging, interessiren , und weil sich an
ihn am zweckmässigsten die Erhebung über die Dauer und Entwick-
lung des Übels bis zum gegenwärtigen Zustande anknüpfen lässt, was
im Allgemeinen viel zweckmässiger ist, als den Kranken gleich im
vorhinein ein Langes und Breites erzählen zu lassen, wobei es leicht
geschieht, dass die Aufmerksamkeit des Arztes auf ganz zufällige, zum
fraglichen Augenleiden in gar keiner Beziehung stehende Umstände ab-
gelenkt, mindestens Zeit versplittert wird. Man wird sich überzeugen,
dass nach genauer Erhebung der Functionsstörung und der dem blossen
Auge wahrnehmbaren Veränderungen mit Benützung der Entwicklungs-
geschichte des Augenleidens in der Regel schon der 3. Punkt, der Sitz
der Affection, und selbst auch die Beschaffenheit und das Ursächliche
derselben (IV.) bestimmt werden kann, somit für die controllirende
Untersuchung mit dem Augenspiegel bereits nützliche Anhaltspunkte
gewonnen sind.
III. Von einer exacten Diagnosis des in Rede stehenden Leidens
kann offenbar die Rede nur da sein, wo der Arzt im Stande ist zu be-
stimmen, welcher Theil des nervösen Apparates und in welcher Art
derselbe leidet. Ist eine solche Localisirung zur Zeit überhaupt oder
doch in einem speciell gegebenen Falle nicht möglich, so nmss wenig-
stens die entferntere Krankheitsursache angegeben werden können; ist
auch diess unmöglich, dann kann von einem rationellen Vorgange bei
Prognosis und Therapie wohl nicht mehr die Rede sein, und möchte
ärztliches Eingreifen unter solchen Umständen nur allenfalls noch in
der Berücksichtigung gewisser Symptomencomplexe , des sogenannten
congestiven, erethischen oder torpiden Charakters der Amaurosis, einige
plausible Anhaltspunkte gewinnen können. Denn: „was soll das ewige
Amblyopie, Amaurosis — Eintlieiliuig. 97
blinde Curiren einer Krankheit, die man nicht kennt'?" Beer 1. c. Bd. IL
S. 420.
So naturgemäss es auch erscheint, hier wie überall, als erstes Eintheilungsprinr 'p
den Sitz der Affection aufzustellen, so ist doch dieser Weg bisher nur wenig und mehr
nebenbei eingeschlagen worden , wohl vorzüglich desshalb , weil es viele Fälle von
Amblyopie und Amaurosis gibt, wo eine Localisirung nicht möglich ist, oder doch ohne
Zuziehung des Augenspiegels nicht möglich war. Man hat daher bald den sogenannten
Charakter der Amaurosen, bald die entfernteren Ursachen, z. B. Saburra, unterdrückte
Fussschweisse, Contusionen u. dgl., wohl auch beides zugleich (durch- und neben-
einander) zum Eintheilungsgrunde gewählt. — Aus dem , was wir unter II. über das
Verhalten der Augen bei den Sehversuchen und bei der äusseren Besichtigung überhaupt
angegeben haben (vergl. auch Band II. S. 1S4), ist wohl unschwer zu entnehmen,
welche Symptomencomplexe auf congestive, welche auf erethische, welche auf torpide
Amaurose (Amblyopie) zu beziehen wären : es ist indess mit dieser Bestimmung wenig
gewonnen, so lange man ungewiss ist darüber , von welchem Theile des nervösen Ap-
parates die Sehstörung ausgehe, und welcher Process ihr eigentlich zu Grunde liege.
Dieser letztere lässt sich oft mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit erschliessen, wenn die
sogenannten entferntem Ursachen, die ätiologischen Momente bekannt sind. Daher fand
die Eintheilung der Amaurosen nach den Ursachen weit mehr Aufnahme , und machte
sich um so mehr geltend, als sie grossentheils schon auf anatomischer Basis beruhte,
wie z. B. Amaurosis von Druck aufs Gehirn, von Erschütterung des Bftlbus u. s. w. ■ —
Der von jeher anerkannte innige Zusammenhang zwischen Sitz und Ursache der Affec-
tion ist es , welcher uns bestimmt , bei der Schilderung nach dem Sitze der Affection
auch schon grösstentheils die ätiologischen Momente erfahrungsgemäss aufzuführen,
indem eines das andere erläutert, und eine gesonderte Aufzählung der ätiologischen
Momente für sich wenig Nutzen bringt, ausgenommen für jene Fälle, wo wir überhaupt
noch nicht im Stande sind anzugeben, welche Begion, welcher Theil des nervösen Ap-
parates zunächst durch die Schädlichkeit ergriffen wird , die doch erfahrungsgemäss als
Ursache der Sehstörung angenommen werden muss, wie z. B. Bleivergiftung.
Die Anatomie gibt uns zunächst die Eintheilung' in centrale und
peripherische Amaurosen ( Amblyopien) an die Hand, und die Unter-
suchung am Krankenbette sowohl als am Leichentische hat dieser Ein-
theilung hinreichende Grundlagen verschafft. Die centralen zerfallen
naturgemäss in cerebrale (Site: der Affection im Bereiche des grossen
oder kleinen Gehirnes, vom Chiasma bis zu den Vierhügeln), und spinale
(Medulla oblongata, Rückenmark). Die peripherischen sind entweder
bulbäre (innerhalb des Bulbus) oder orbitale (vom Bulbus bis zum Fo-
ramen opticum), und bei den ersteren ist die Netzhaut bald das primär
ergriffene Organ (eigentliche Retinalamaurose), oder sie leidet secundär
in Folge von Krankheiten der Chorioidea, des Glaskörpers, mehrerer
Gebilde. — Die Erfahrung weist aber auch noch Fälle von Amaurosen
nach, über deren Sitz zur Zeit noch gar nichts bestimmt werden kann.
Es sind diess Amaurosen von mehr allgemeiner Natur. Wir werden
sie vorläufig als sympathische bezeichnen, nicht vergessend, dass wir
Arlt Augenheilkunde. III. 7
98 Netzhaut.
eigentlich über das Zustandekommen solcher Sehstörungen nichts wis-
sen. Die Angabe und Beschreibung der einzelnen Arten wird zeigen,
was wir mit diesem Namen bezeichnet haben wollen. Man kann den
Namen leicht fallen lassen, nicht aber die Thatsachen.
I. Bulbäre Netzhautaffectionen
mit geschwächter oder aufgehobener Sehkraft.
a) Die vom Glaskörper oder von der Chorioidea ausgehen-
den Netzhautaffectionen wurden bereits besprochen.
b) Einfache oder primäre Retinal-Amblyopie oder Amaurosis.
1. Es gibt Zustände angeborener nervöser Gesichtsschwäche,
welche zunächst bloss auf Abnormität der Netzhaut bezogen werden
kann. Der anatomische Befund — unbekannt. Sie geben sich func-
tionell entweder bloss durch geringere Energie des Gesichtes kund {an-
geborene Stumpfheit), oder durch die Unfähigkeit, einzelne Farben zu
unterscheiden (Baitonismus), oder aber durch Beschränkung des Seh-
feldes mit dem Bedürfnisse stärkerer Beleuchtung (angebojme Hemera-
lopie). Dass diese Zustände angeboren sind, lässt sich nicht absolut
nachweisen, wird jedoch höchst wahrscheinlich, wenn sie neben andern
Bildungsfehlern, wie namentlich mit abnormer Kleinheit der Bulbi, oder
bei mehreren Familiengliedern zugleich vorkommen. Aus den Aussagen
der Kranken oder ihrer Angehörigen lässt sich meistens so viel bestimmt
entnehmen, dass solche Zustände von frühester Kindheit an bestehen;
bei geringeren Graden jedoch liegt es so zu sagen in der Natur der
Sache selbst, dass die Kranken erst in späterer Zeit, wenn an das Ge-
sicht höhere Anforderungen als beim gewöhnlichen Sehen gestellt wer-
den, auf solche Fehler aufmerksam werden.
a) Die Stumpfheit des Gesichtes lässt sich als angeborner Zustand
(Hebetudo retinae congenita) annehmen, wenn sie von früher Jugend
an und auf beiden Augen besteht, anderweitige Ursachen, z. B. Einwir-
kung grellen Lichtes, Oonvulsionen, in der Kindheit nicht stattgefunden
haben, mehrere Glieder der Familie denselben Fehler an sich tragen,
die Bulbi ausserdem noch Merkmale unvollständiger Entwicklung dar-
bieten. Bei Leucosis mag allerdings die Einwirkung diffusen (durch
die Iris und Sclera eindringenden) Lichtes das Meiste zur Sehstörung
Retinalaniblyopie — angeborene. 99
beitragen, dürfte aber auch geringere Energie der Netzhaut von Haus
aus vorhanden sein, weil die Sehkraft auch bei künstlicher Abhaltung
des falschen Lichtes eine geringere Schärfe zeigt. Dasselbe Verhältniss
zeigt sich bei unvollständiger Entwicklung und bei Spaltung der Iris
(Irideremia, Mydriasis et Coloboma iridis congen.). Deutlich ausgespro-
chene Mikrophthalmie ist jederzeit mit mehr oder weniger Stumpfheit
der Netzhaut verbunden. Worauf aber hier eigentlich aufmerksam ge-
macht werden soll, das ist ein Zustand binoculärer angeborner Stumpf-
heit des Gesichtes, welcher dem Beobachter nur bei grosser Aufmerk-
samkeit durch noch einige andere Merkmale bemerkbar, und welcher
gewöhnlich oder doch sehr häufig für Kurzsichtigkeit gehalten wird,
Ist kein anderer Fehler vorhanden, als der in Rede stehende, so wer-
den Gegenstände von bestimmter Grösse, z. B. Buchstaben von 1'"
Höhe, nur in relativ geringer Distanz erkannt, weil für die stumpfe
Netzhaut relativ mehr Licht und ein grösserer Sehwinkel nöthig sind.
Untersucht man genau, so findet man, dass die Annäherung der Ob-
jecte nur bis zu einer gewissen Grenze der Kleinheit nützt, dass bei
sehr feinen Objecten weder stärkere Beleuchtung noch grössere Annähe-
rung im Stande ist, das Erkennen zu vermitteln. Was das Erkennen
entfernter Objecte betrifft, so wird man es auffallend finden, dass ein
solches Individuum z. B. versichert, Personen auf 8 — 10 Schritte nicht
genau zu erkennen, während es doch mittlem Druck vielleicht noch
bei 12 — 15 Zoll Abstand liest. Kurz, das Gesicht zeigt in keiner Di-
stanz die normale Schärfe, während es bei Gegenständen mittlerer
Grösse und Entfernung sich von einem normalen nicht zu unterschei-
den scheint. — Lässt man ein kurzsichtiges Auge kleine Schrift durch
eine mit einer Nadel in eine Karte gestochene Öffnung betrachten, so
kann es dieselbe nicht nur ohne Anstand, sondern auch in viel grösse-
rer Entfernung lesen, als ohne ein solches Diaphragma, welches die
Zerstreuungskreise auf das nöthige Minimum reducirt; ist dagegen das
Auge stumpfsichtig (amblyopisch), so kann es durch eine solche Öffnung
noch minder gut, feineren Druck wohl auch gar nicht lesen. — Bei
geringeren Graden dieses Übels, welche vorzüglich im Erkennen von
mehr entfernten Objecten Schwierigkeiten darbieten, leisten schwache
Concavgläser (von 20 — 30" Brennweitej mehr weniger hiezu hinreichende
Dienste, Gläser, durch welche auch ein normales und selbst ein mas-
sig presbyopisches Auge für die Ferne unterstützt wird; bei höheren
Graden dienen mittelstarke Convexgläser (20— 50") zur Unterstützung
für nah und fern, und bei noch höheren Graden müssen stärkere Con-
vexgläser (10 — 20"j zimi Lesen, Nähen u. dgl. zu Hilfe genommen
7*
100 Netzhaut.
werden. — Je weiter man durch Übung vorgerückt ist in der Fertig-
keit, die Lage der Iris und die Grösse der vordem Kammer zu beur-
theilen, desto sicherer kann man diesen Zustand der Augen jugend-
licher Individuen — meistens werden Kinder von 8—15 Jahren vorge-
führt — durch die blosse Besichtigung erkennen. Man findet nämlich
die durchsichtigen Medien rein, die vordere Kammer enger, die Iris in
ihrer Totalität oder doch in einem beinahe der Linsengrösse entspre-
chenden Areal (Scheibe von 3 — 3..tya'" Durchmesser) vorwärts gelagert
und aufgewölbt, in ihrer Farbe licht und eigenthümlich matt (lichtblau,
lichtgrau, gelblichgrau). Das Auge hat, um populär zu sprechen, nicht
das rechte Feuer. Oft findet man auch die Durchmesser der Cornea
an der Basis kleiner, den horizontalen unter 5'", wenn auch der Bulbus
im Ganzen nicht gerade kleiner aussieht. — Von der einfachen Schwä-
chung der Accommodationskraft für nahe Objecte, dem Mangel an Aus-
dauer für Betrachtung feiner Objecte, welcher weiter unten besprochen
werden wird, unterscheidet sich dieser Zustand durcb den Abgang der
Fähigkeit, solche Objecte wenigstens eine kurze Zeit und bei etwas
grösserer Entfernung zu erkennen. — Dieser Zustand ist stationär, und
schliesst, wenn von dem Auge nicht mehr verlangt wird, als es leisten
kann, keine Gefahr der Erblindung, keine besondere Disposition hiezu
in sich ein. Die Aufgabe des Arztes ist, das Individuum oder seine
Angehörigen in diesem Sinne aufzuklären, damit namentlich bei der
"Wahl der Beschäftigung kein Fehler begangen, nöthigenfalls bei Zeiten
ein anderer Beruf gewählt werde. Man wird auf diesen einzig ver-
nünftigen Rathschlag vielleicht um so eher eingehen, und nicht nach
unnützen und schädlichen Mitteln herumtappen, wenn dabei darauf hin-
gewiesen wird, dass das Auge so Avie andere Organe durch adäquate
Kraftübung gestärkt, durch blindes Forciren geschwächt werden kann,
dass mit der Kräftigung des ganzen Körpers durch Bewegung im Freien,
Turnen, Flussbäder u. s. w. auch auf Kräftigung der Augen gerechnet
werden könne. Brillen sind hier nur als Krücken, höchstens als Con-
servations-, niemals als Heilmittel darzustellen. — Bloss auf dem einen
Auge mag die angeborne Stumpfheit der Netzhaut wohl noch viel öfter
vorkommen; hier wird es aber, wenn nicht offenbar andere Bildungs-
heinmimgen vorkommen, im Allgemeinen schwer sein, sie als angeboren
nachzuweisen; denn es liegt dann ein anderer Grund sehr nahe, näm-
lich Mangel an Übung, worauf wir später zu sprechen kommen. Der
Zustand ist bisweilen erblich.
ß. Die Unfähigkeit, gewisse Farben zu unterscheiden, der mangel-
hafte oder fehlende Farbensinn, ist bisher mit wenig Ausnahmen nur
Retinalanibiyopie — angeborene. 101
als angeborner, oft zugleich erblicher Fehler namentlich beim männ-
lichen Geschlechte beobachtet worden. Das Individuum sieht die ver-
schiedenfarbigen Objecte nur weiss oder grau, oder es fehlt bloss die
Wahrnehmung des Blauen, des Rothen (so dass z. B. Orange einfach
für Gelb gehalten wird), oder sie halten Blau für Roth, Grün für Blau
u. dgl. Einige dieser Zustände haben ein Analogon in dem Verhalten
gesunder Augen bei der Abenddämmerung (Dove). Dieser eben so
merkwürdige als räthselhafte Zustand — mir aus eigenen Untersuchun-
gen nicht bekannt — ist in neuerer Zeit besonders von Seebeck*),
Szokah'ky**), Wartmann***) u. A. genauem Untersuchungen unterwor-
fen worden. Da derselbe nicht nur selten vorkommt, sondern auch
mehr physiologisches als pathologisch-therapeutisches Interesse hat, so
genüge es, auf die genannten Untersuchungen zu verweisen, welche
sich übrigens in Ruete's Lehrbuche der Ophthalmologie 1. Auflage,
S. S3 und besonders in der 2. Auflage S. 179 bündig zusammengestellt
finden.
y. Eine andere Form angeborner (auch erblich vorkommender)
nervöser Gesichtsschwäche gibt sich vorzüglich dadurch kund, dass das
Gesichtsfeld, der fungirende Theil der Netzhaut, kleiner ist, der Kranke
demnach seitlich befindliche Objecte wenig oder gar nicht wahrnimmt.
Dabei kann das Sehvermögen an und nächst der Macula lutea ziemlich
gut sein, obwohl es in der Regel mehr weniger stumpf ist. In so fern
sich diese Sehstörung besonders beim Abgange gleichmässig verbreite-
ter und intensiver Beleuchtung des Sehfeldes, also im Allgemeinen nach
Sonnenuntergang geltend macht, kann sie als angeborner Nachtnebel
(Hemeralopia cong.) bezeichnet werden. (Ich beobachtete unter Andern
einen Goldarbeiter, welcher sein Geschäft recht gut betreiben, Abends
aber nicht allein ausgehen kann, weil er Gefahr läuft, an etwas seitlich
liegende oder entgegenkommende Objecte anzustossen, und welcher
auch bei hellem Tage seitliche Objecte nicht wahrnimmt; bei einem
Kellner, mit beinahe demselben Zustande von Jugend auf, zeigte die
Untersuchung mit dem Augenspiegel nur die Peripherie der Netzhaut
abnorm, nämlich von ziemlich zahlreichen dunkeln Körperchen durch-
setzt (oder bedeckt?], welche durch unregelmässige Ausläufer eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit Knochenzellen unter dem Mikroskope erhielten.)
2. Ein der angebornen Stumpfheit verwandter Zustand der Netz-
haut entwickelt sich als Ilebetudo retinae acquisita in Folge man-
*) Poggendorfs Annalen der Physik und Chemie, 1837. Bd. 42.
54 Über die -Empfindung der Farben in physiolog. und patholog. Hinsicht. Giessen 1842.
**#) y^'a^ii» »ur le Daltonisme ou la Dyschromatoptie. Geneve 1844 und 1849.
102 Netzhaut.
gelhafter Verwendung derselben zum Sehen in früher Jugend, selte-
ner in späteren Jahren (Amblyopia ex anopsia). Mechanische Hinder-
nisse, wie namentlich Cataracta, wenn sie vom zartesten Alter an be-
steben, können diesen Zustand auf beiden Augen herbeiführen, und
zwar in der ganzen Ausdehnung der Netzhaut oder nur in einem
Theile (in der Mitte) derselben (vergl. Bd. IL S. 258, 281 und 282).
Ausserdem entwickelt sich dieser Zustand nur auf einem Auge unter
allen Verhältnissen, wo dasselbe gar nicht oder nur relativ selten zum
directen Sehen verwendet wird. — Welche anatomische Veränderungen
die Netzhaut in Folge längerer Unthätigkeit erleide, ist nicht direct er-
wiesen; vermuthen lässt sich ein analoger Vorgang wie in wenig oder
gar nicht geübten Muskeln. Völlige Atrophirung kann ohne Hinzutritt
anderer Umstände wohl nicht erfolgen, da solche Augen doch niemals
ganz unthätig bleiben, sondern am Sehacte überhaupt immer mehr we-
niger Theil nehmen, wenn auch nur durch indirectes Sehen, durch Ver-
grösserung des Sehfeldes. Ist kein anderweitiges Hinderniss vorhan-
den, so kann die gesunkene Energie der Netzhaut durch methodische
Übung gehoben werden, und eben der Erfolg solcher Übung zeigt,
welchen Antheil an der vorhandenen Gesichtsschwäche eben das in
Kede stehende Übel hatte. — Es ist dasselbe somit bald als für sich
allein bestehend, bald als Zugabe zu andern Sehhindernissen zu be-
trachten, und kommt sowohl in der einen, als in der andern Eigen-
schaft sehr häutig vor. Sicher vorhanden ist es an continuirlich schie-
lenden Augen, in um so höherem Grade, je länger der Strabismus be-
steht. Es kommt aber auch ausserdem in den verschiedensten Abstu-
fungen bei Augen vor, welche für gewöhnlich oder auch selbst unter
allen Umständen keine Deviation der Sehachse von dem fixirten Objecte
wahrnehmen lassen. Es besteht bei sehr vielen Menschen auf dem
einen oder dem andern Auge, öfter auf dem linken, ohne seine Gegen-
wart durch irgend eine Beschwerde zu verrathen. Ein Zufall, z. B.
das Einfallen eines Staubkornes in das gesunde Auge, führt zum Zu-
halten desselben, und nun wird zum grössten Schrecken die mehr we-
niger gesunkene Energie des andern wahrgenommen. Der desswegen
consultirte Arzt wird nun zu untersuchen und zu entscheiden haben,
ob das Übel seit Kurzem besteht, oder bloss nicht bemerkt wurde,
wenn auch der Kranke wie gewöhnlich meint, er habe immer mit bei-
den Augen gut gesehen. Sehr oft ist es vorzeitige Ermüdung (Kopiopie,
Asthenopie) des bessern Auges mit oder ohne Myodesopsie, welche den
Kranken bestimmt, den Arzt zu consultiren, gleichviel, ob ihm der ge-
schwächte Zustand des andern bekannt ist oder nicht. Die Erörterung
Retinalaniblyopie — ex anopsia, traumatica. 103
des gegenseitigen Verhältnisses dieser beiden Affectionen folgt in dem
Capitel über Fehler der Accommodation. — Den Impuls zur Vernach-
lässigung des einen oder doch zur vorwaltenden Benutzung des andern
Auges geben: Ablenkung des einen Auges durch primäre Muskelaffec-
tionen (Strabismus muscularis und Luscitas), längeres Verbinden des
einen Auges bei Entzündungen in früher Jugend, bleibende oder trans-
itorische Sehhindernisse in den durchsichtigen Medien, angeborene
oder erworbene geringere Energie der Netzhaut, Fehler in der Ver-
wendung der Augen in der Jugend, so dass nur das eine Auge allein
oder doch vorzugsweise in Anspruch genommen werden kann, wie
z. B. bei zu starker Annäherung feiner Objecte, unilateralem Gebrauch
von Augengläsern, Loupen u. dergl. — Gegenstand der ärztlichen Be-
handlung wird dieser Zustand fast nur dann, wenn das schwächere
Auge schielt, oder wenn das stärkere anfängt die geforderten Dienste
zu versagen. Desshalb werden wir das Nöthige über die Behandlung,
welche füglich eine gymnastische genannt werden kann, in den Capiteln
über Strabismus und Asthenopie nachtragen.
3. Traumatische Retinal-Amblyopie und Amaurose. Dass
Erschütterung des Bulbus, Druck auf denselben, heftige convulsivische
Bewegungen u. dergl. an und für sich die Energie der Netzhaut herab-
setzen, selbst vernichten können, ist durch verlässliche Beobachtungen
erwiesen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass viele Fälle uni- und selbst
bilateraler Amblyopie hieher gehören, welche man, weil sich der Kranke
keines traumatischen Einflusses zu erinnern weiss, als unbestimmt hin-
stellt, für angeboren hält, oder ganz andern zufälligen Umständen zu-
schreibt. Die Combination mit Trübung, Luxation oder Verschrumpfung
des Krystallkörpers , namentlich bei unilateraler Affection, gibt dieser
Vermuthung besonderes Gewicht, denn unilaterale Linsenerkrankung
ohne entzündliche Erscheinungen kommt eben ohne Trauma nicht leicht
vor. Oft entsinnen sich die Kranken oder ihre Angehörigen erst wäh-
rend eines gründlich eingehenden Examens ganz bestimmt einer trau-
matischen Einwirkung, welche sie bloss desshalb nicht in Beziehung
zu dem gegenwärtigen Übel brachten, weil dieselbe keine anderweiti-
gen unmittelbaren Folgen (Schmerzen, Köthej setzte, und die Sehstö-
rung nicht sogleich bemerkt wurde. — Anatomisch lässt sich der Zu-
stand als analog der Commotio cerebri auffassen. Es findet entweder
nur Verschiebung der einzelnen Netzhautelemente statt, oder förmliche
Zerreissung mit oder ohne Blutaustretung aus den geborstenen Gefäs-
sen. Leidet das Sehvermögen erst durch die nachträgliche Keaction,
so ist die Affection wohl als Retinitis oder Chorioiditis zu betrachten.
104 Netzhaut.
— Die Erscheinungen können in allgemein oder partiell verminderter
oder aufgehobener Netzhautenergie allein bestehen. Wo traumatische
Einflüsse rasch und stark eingewirkt haben, wird nicht selten Erweite-
rung und Trägheit oder Unbeweglichkeit der Pupille bemerkt, welche
besonders dann auffällt, wenn das Sehvermögen nicht ganz erloschen
ist. Die Mitleidenschaft der Ciliarnerven kann sich auch durch Erbre-
chen oder Neigung dazu kund geben. Doch erregt diese Erscheinung
namentlich dann, wenn zugleich dumpfer Kopfschmerz, Schwindel, Läh-
mung eines oder des andern Muskels u. dgl. dazu treten, oder der
Bulbus stärker hervortritt, immer mehr weniger gegründeten Verdacht
auf Fracturirung der Orbitalknochen, Bluterguss in der Orbita, in der
Schädelhöhle u. s. w. Die so gesetzte Amblyopie kann auf der ein-
mal gegebenen Stufe stehen bleiben, sie kann durch nachfolgende Re-
action zur Amaurosis gesteigert werden; sie kann auch ganz allmälig
und unvermerkt in complete Amaurosis übergehen. Heilung lässt sich
in der Begel nur bei geringeren Graden und in frischen Fällen erwar-
ten, selten spontan; bisweilen kann der Arzt durch die weiter unten
angegebene Behandlung so schnelle Besserung oder Heilung herbeifüh-
ren, dass über deren Wirksamkeit kein Zweifel übrig bleibt; bisweilen
nützt auch die rationellste und rechtzeitige Behandlung wenig oder
nichts. — Nach heftigen Convulsionen bleibt nicht selten mehr weniger
hochgradige Amblyopie zurück. Das bisweilen vorkommende allmälige
Hinzutreten von Verdunklung oder Einschrumpfung der Linse (mit oder
ohne Luxation) spricht dafür, dass es nicht in allen solchen Fällen
nothwendig ist, den Grund der Sehstörung im Gehirne zu suchen, ob-
wohl diess, wie bei der hydrocephalischen Amblyopie, oft genug der
Fall ist. Starker Druck auf den Bulbus, ein Stoss oder Schlag, eine
knapp am Auge vorbeistreichende Kugel (Luftdruck) u. dergl. sind im
Stande, die Sehkraft zu schwächen oder aufzuheben, auch ohne dass
sie sonst auffallende Veränderungen hervorrufen. Wir haben schon
früher (Bd. H. S. 15, 121) auf die merkwürdige Thatsache aufmerk-
sam gemacht, dass in Fällen, wo die Sclera berstet, das Sehvermögen
bisweilen nicht so sehr leidet, als wo diess nicht geschieht. Beer er-
zählt, dass ein junger Mann blind wurde, als er sich den Händen eines
Bekannten, der ihm von rücklings die Augen zuhielt, entwinden wollte,
und dieser immer stärker gedrückt hatte. Der Unglückliche blieb trotz
schnell gesuchter Hilfe (von Beer selbst) ganz blind. Erschütterung
der Netzhaut mit ihren Folgen kann auch eintreten, wenn ein heftiger
Stoss oder Schlag die Umgebung des Auges trifft. Die hieher gehöri-
gen Beobachtungen, welche bis in die Zeiten vor Hippokrates hinauf-
Retinalamblyopie — traumatica. 105
reichen, haben in unserem Jahrhunderte zu langen Controversen Ver-
anlassung gegeben in Bezug auf die Deutung der an sich unbestreitba-
ren Thatsache, indem einige Beobachter nebst jenen Fällen, wo offen-
bar Commotio retinae oder Verletzungen in der Schädelhöhle stattge-
funden, noch solche aufstellten, wo die Verletzung zunächst nur Zweige
des Trigeminus getroffen und erst durch Druck oder Zerrung der letz-
teren und durch consecutive Mitleidenschaft des Ganglion ciliare (mit-
telst der Radix longa) das Netzhautleiden eingeleitet haben soll. Der
Streit ist unentschieden , da die Möglichkeit der letzteren Annahme
nicht negirt werden kann.
Sabotier (179 1) suchte die Thatsache, dass mitunter nach eben nicht sehr vehe-
menten Verletzungen am Orbitalrande Amblyopie oder Amaurosis auftritt , anatomisch
zu erklären , indem er annahm , die Quetschung oder Zerrung irgend eines Zweiges vom
Trigeminus (Barn. I. et IL) wirke mittelst der Radix longa auf das Ganglion ciliare und
durch dieses auf die Netzhaut. Beer verschaffte dieser Ansicht dadurch besonderes Ge-
wicht, dass er die von directer Erschütterung oder Zerreissung der Netzhaut, so wie
auch die von gleichzeitig verursachten "Veränderungen in der Schädelhöhle abhängige
Amaurosis streng von dieser consecutiven oder sympathischen geschieden wissen wollte,
dass er angab , in letzteren Fällen trete die Erblindung erst während der Narben-
bildimg am Orbitalrande ein, und dass er sich endlich auf (2) Beobachtungen aus seiner
Fraxis berief, wo die so entstandene Blindheit nach Durchschneidung aller Zweige des N.
supraorbitalis (hinter seinem Austritte aus der Orbita) verschwand (1. c. B. I. S. 171).
Andere, ebenfalls glaubwürdige Autoren (z. B. die von Makenzie citirten Dr. Hennen
und Guthrie) haben von dieser Durchschneidung keinen Erfolg gesehen, wogegen Andreae
(l. c. B. IL S. 7 — 10) einen Fall vor Midlemore und einen von Wallace citirt, in wel-
chen die schon länger bestehende Blindheit durch das Ausschneiden der Narbe geheilt
wurde. Bei der einen wie bei der andern dieser sich widersprechenden Beobachtungen
ist jedenfalls zu bedauern, dass auf das Verhalten der Sensibilität in dem Gebiete des
verletzten X. supra- oder infraorbitalis keine Bücksicht genommen wurde. Diese, von
der Physiologie gebotene Untersuchung und die Anwendung des Augenspiegels werden
in künftigen Fällen dem Sachverhalte wohl eher auf den Grund sehen lassen. Die
plötzliche Entstehung einer Amblyopie oder Amaurose nach Verletzung des Trigeminus
ohne anatomisch nachweisbaren Zusammenhang würde übrigens, wie Andreae bemerkt,
a priori nicht als unstatthaft erklärt werden können , da auch Trismus z. B. nach Ver-
letzung einer Zehe entstehen kann.
Behandlung. In frischen Fällen: geistige und körperliche Ruhe,
Temperirung des Lichtes , Restringirung der Kost, und bei einfacher
Erschütterung kalte Umschläge, allmälig mehr und mehr mit Weingeist
oder Tinctura arnicae versetzt, bei Blutextra vasaten im Bulbus (an der
Retinal nebstdem örtliche Blutentziehungen und kühlende Abführmittel.
Nach längerem Bestände, wo keine entzündliche Reaction eingetreten
ist : stärkere weingeistige Umschläge, spirituös-aromatische Einreibungen
an die Umgebung, Verdunsten von äther- oder ammoniakhaltigen Colly-
106 Netzhaut.
rien vor dein offen gehaltenen Auge, hingegen Behandlung wie bei
Retinitis — wovon später — wenn die Untersuchung mit dem Augenspiegel
das Leiden als solche erweist. — Wie man sich rücksichtlich der etwa
gleichzeitig vorhandenen Verletzung am Orbitalrande oder bei gleich-
zeitiger Hirnaffection zu benehmen habe, gehört nicht hieher.
An die Besprechung der durch mechanische Einflüsse bedingten
Eetinalleiden wollen wir noch die Bemerkung anreihen, dass Amblyopie
und Amaurosis auch durch heftige elektrische Ströme und Stösse bedingt
werden kö?i?ie, wie uns unter andern manche der vom Blitze Getroffenen
zeigen. Wir meinen dieser, zum Glück sehr selten vorkommenden That-
sache nur desshalb erwähnen zu müssen, weil hie und da ein Wunder-
mann bei Amblyopien und Amaurosen sine discrimine et ratione die
Elektrisirmaschine anwendet, und weil dieses Agens auch da, wo es
rationell und mit Erfolg angewendet wird, bei peripherischen Muskel-
lähmungen an oder nächst dem Auge, durch Unvorsichtigkeit für die
Netzhaut Schaden bringen kann.
4. Amblyopie und Amaurosis in Folge von Blendung, Reti-
nalleiden in Folge fehlerhaften Lichteinflusses überhaupt. Das
Licht, der adäquate Reiz und das Lebenselement der Netzhaut ist zu-
gleich deren gefährlichster Feind. Die meisten primären Netzhautleiden
•werden ganz allein oder doch vorzugsweise durch fehlerhaften Lichtein-
fluss eingeleitet. Die Zahl der anderweitig bedingten Amaurosen ist,
wenn man die von der Chorioidea ausgehenden abzieht, eine rela-
tiv kleine.
Der nachtheilige Einfluss des Lichtes auf die Netzhaut effectuirt
sich entweder in einfacher Depression oder Vernichtung ihrer Energie,
oder in Steigerung ihrer Empfindlichkeit gegen Licht und Anstrengung
mit Hyperämie und mehr weniger Beeinträchtigung der Ausdauer und
Schärfe des Gesichtes , oder aber in Einleitung von Blutüberfüllung,
Bluterguss, Exsudation und hiedurch gesetzten mannigfachen Functions-
störungen. Der eine oder der andere dieser Effecte zeigt sich entweder
kurz nach der Einwirkung der Schädlichkeit, und wird dann in seiner
Causalität leicht erkannt, oder aber er macht sich unvermerkt und all-
mälig mehr und mehr geltend, und wird bald diesem, bald jenem zu-
fälligen Umstände zugeschrieben. In solchen Fällen insbesondere zeigt
sich die Nothwendigkeit einer umfassenden Kenntniss der Umstände,
welche von Seite des Lichtes der Netzhaut Gefahr bringen können.
Denn es wird dem Arzte wenig nützen genau zu wissen, in welcher Art
die Netzhaut leidet, welche Veränderungen sie unter dem Spiegel zeigt,
und welche Folgen zu erwarten stehen, es wird ihm wenig nützen, auf
Retinalaniblyopie — von fehlerhaftem Lichteinflusse. 107
dieses Erkennen des Zustandes sein Handeln zu basiren, wenn er nicht
berücksichtigt oder nicht erfährt, unter welchen Einflüssen sich das
Leiden entwickelt hat, wenn er den Kranken noch fort unter schädlichen
Einflüssen lässt, welche dieser nicht für solche hält, Einflüsse, auf
welche selbst der erfahrene und umsichtige Arzt nicht selten erst dadurch
geleitet wird, dass er den Kranken in seinen gewohnten Verhältnissen
beobachtet. Diese Andeutungen mögen genügen, den nachfolgenden Be-
trachtungen über den Einfluss des Lichtes und der Beschäftigung auf
die Augen einen etwas grossem Baum zu vindiciren.
Das Licht kann an und für sich oder mit Rücksicht auf die Be-
schäftigung auf die Netzhaut in sehr verschiedener Weise nachtheilig
einwirken. Durch längere Entziehung dieses gewohnten Reizes wird
die Empfindlichkeit der Netzhaut so gesteigert, dass dann auch ein sonst
unschädlicher Lichtgrad nachtheilig werden kann, zumal bei schnellem
Übergange, bei starkem Contraste, bei oft und bald wiederkehrendem
Wechsel. Daher ist es im Allgemeinen nachtheilig, entzündete Augen
zu verbinden, oder das Krankenzimmer übermässig zu verdunkeln, aus
finstern Localitäten schnell in helle zu treten, an Orten zu schlafen, wo
directes Sonnenlicht die Augen vor oder beim Erwachen treffen kann,
Säuglinge ohne Schutz gegen die Sonnenstrahlen ins Freie tragen zu
lassen, unmittelbar nach dem Schlafe gleich feine Arbeiten vorzunehmen
u. dgl. Eine ähnliche Wirkung auf die Netzhaut übt das Anstrengen
der Augen bei unzureichende)* Beleuchtung, Lesen, Schreiben u. dgl. in
dunkeln Localitäten, worauf wir später noch zurückkommen.
Sehr intensives Licht kann die Sehkraft sogleich, wie durch einen
Schlag vernichten, oder stufenweise, durch Apoplexie und nachfolgende
Entzündung der Markkaut. Die Erzählungen von absichtlicher Blendung
durch directes Sonnenlicht erhalten Glaubwürdigkeit durch die traurigen
Folgen, welche wissenschaftliche Beobachter nach Sonnenfinsternissen
gesehen haben. Unter Andern führt Sönmierring (Pflichten gegen die
Augen i einige Beispiele vom Jahre 1791 an, und Ed. Jäger (über Staar
und Staaroperationen) vom 28. Juli 1851, von welchem Datum auch mir
drei Fälle partieller Amaurosis vorgekommen sind. Einen gleichen Effect
können die Sonnenstrahlen bewirken, wenn sie von einer spiegelnden
Fläche ins Auge geworfen werden, z. B. vom Wasser beim Baden, wie
in einem von Jäger erzählten Falle, welcher zugleich dadurch merk-
würdig ist, dass trotz völliger Amaurosis keine erheblichen materiellen
Veränderungen wahrgenommen werden konnten. In gleicher Weise kann
ein weniger intensives Eicht durch Conlrast zur Umgebung schaden, wenn
nämlich die davon °-etroffene Netzhaut in ihrer übrigen Ausbreitung nicht
108 Netzhaut.
beleuchtet ist. Der Blick in die Gluth eines Hochofens, wenn rings um
die enge Öffnung Alles finster ist, kann dem ungewohnten Auge nahezu
so gefährlich werden, wie der Blick in die Sonne, während doch dieselbe
Gluth beim Tage oder bei künstlicher Beleuchtung der Umgebung ein
gesundes Auge kaum beleidigt. — Länger anhaltende Einwirkung star-
ken Lichtes auf die ganze Netzhaut bewirkt bald Abstumpfung der Em-
pfindlichkeit der Netzhaut, bald Steigerung derselben, und bei wieder-
holter Einwirkung, wenn die Netzhaut sich von einem Male zum andern
nicht völlig erholt hat, bleibende Amblyopie oder Steigerung zur Amaurosis
(Retinitis). Auf diese Weise entsteht die bisweilen massenweise auftre-
tende Hemeralopie (Nachtnebel) und die in den Alpen- und Polarregionen
wohlbekannte Schneeblindheit, selten die sogenannte Nyktalopie (Tag-
nebel), welche sich bestimmt als congestiv-entzündlicher Zustand der
Netzhaut nachweisen lässt. Länger fortgesetzte , mehr durch Contrast
als durch Intensität heicirkte partielle Erregung der Netzhaut, wie sie
z. B. Physiologen behufs der Erzeugung von Nachbildern, Abklingen
der Farben u. dgl. bewirken, wie sie aber auch zufällig und bei man-
chen Beschäftigungen fast unvermeidlich vorkommt, steigert die Empfind-
lichkeit der Netzhaut um so mehr, je öfter sie vor völliger Erholung
derselben wieder vorgenommen wird, und ist ganz gewiss die häufigste
Quelle chronischer Dictyitis. Bei zureichender und gleichmässiger Be-
leuchtung kann ein gesundes Auge Erstaunliches leisten, sowohl in der
Feinheit als in der Ausdauer. (Der Grund davon, dass z. B. Schuster
häufiger von Amblyopie und Amaurosis befallen werden, als Schneider,
scheint mir darin zu liegen, dass bei jenen — hierlands wenigstens — ■
noch immer die Concentrirung des Lampenlichtes auf eine kleine Stelle
mittelst Glaskugeln gebräuchlich ist.) — An dem bekannten nachtheiligen
Einfluss des Nachtwachens auf die Sehkraft dürfte wohl auch die länger
fortgesetzte ununterbrochene Einwirkung des Lichtes grossen Antheil
haben, denn drs Schlafen bei hellen Nachtlampen gewährt den Augen
nicht die gleiche Erholung, und das Auffallen des hellen Mondlichtes
auf die Augen soll (wenigstens in den Tropenländern) entschieden nach-
theilig sein, selbst Erblindung bewirken.
Mit Rücksicht auf die Beschäftigung mit feinen Arbeiten kann das
Licht dem Auge nachtheilig werden, wenn es relativ zu schwach (unzu-
reichend), oder zu stark (grell und blendend), wenn es ungleichmässig
tertheilt (durch Schatten unterbrochen) oder unstät (bald schwächer bald
stärker) ist, wenn es unrein, d. h. farbig ist, und wenn es in fehler-
hafter Richtung einfällt. Auf diese Momente wird vorzugsweise bei jenen
Acht zu geben sein, welche ihre Augen viel bei künstlicher Beleuchtung
Retinalamblyopie — Hemeralopie. 109
zu feineren Arbeiten in Anspruch nehmen. Doch können auch bei Ta-
geslichte wichtige Fehler begangen werden, wenn feine Arbeiten bis in
die Dämmerung fortgesetzt werden, wenn die Sonnenstrahlen unmittelbar
auf oder nahe neben die Objecte fallen, wenn das Licht durch Gitter-
werke oder von entgegengesetzten Eichtungen oder durch gefärbte Me-
dien, z. B. grüne oder rothe Fenstervorbäuge einfällt, wenn Sonnen-
strahlen bei feinen Arbeiten benützt werden, welche von spiegelnden,
blendend weissen, "gelben oder rothen Flächen namentlich von unten
oder von der Seite her ins Auge geworfen werden. Ausführlicheres
über diese Verhältnisse, die sich dem Physiker oder Physiologen wohl
von selbst ergeben, habe ich in einer 1 846 erschienenen populären Schrift
(die Pflege der Augen im gesunden und kranken Zustande nebst einem
Anhange über Augengläser) mitgetheilt.
a) Hemeralopie. Mit diesem Ausdrucke bezeichnet man eine mehr
weniger hochgradige Gesichtsschwäche, welche sich hauptsächlich in der
Zeit von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang geltend macht, während
des Tages aber gar nicht vorhanden zu sein scheint. Mit dem Eintritte
der Abenddämmerung nimmt das Gesiebt mehr weniger rasch ab, so
dass der Kranke noch vor dem Einbrüche völliger Dunkelheit nicht mehr
allein herumzugehen vermag. Auch Mond- und künstliche Beleuchtung
sind nicht genügend, die gleichsam in Torpor versunkene Netzhaut zum
Unterscheiden vonObjecten zu erregen; nur bei sehr intensiver künstlicher
Beleuchtung und in nächster Nähe werden lichtfarbige Objecte allenfalls
noch mehr weniger bestimmt wahrgenommen. Durch das Gebundensein
an die Abnahme und Wiederkehr des Tageslichtes erhält die Affection den
Typus einer intermittirenden Krankheit. Sie tritt indess ohne Ausnahme
jeden Tag und ohne alle Vorboten ein. Ausser etwas dumpfem Schmerze
in der Stirngegend, etwas weiterer und träger Pupille und etwas stär-
kerer Injection der vordem Oiliararterien , welche jedoch auch fehlen
können, dürften alle andern etwa vorhandenen Erscheinungen als zu-
fällig zu betrachten sein. Ob die Kranken im Stande seien, auch wäh-
rend des Tages bei Kerzenlicht (mit Ausschluss des Tageslichtes) scharf
zu sehen, ist — so viel ich weiss — noch nicht verlässlich untersucht
worden. Eben so fehlen noch genaue Bestimmungen über die Schärfe
des Gesichtes und über die Accommodation und Ausdauer zu feineren
Arbeiten bei vollem Tageslichte. — Anatomisch-mikroskopisch oder mit
dem Augenspiegel nachweisbare Veränderungen der Netzhaut dürften
nicht vorhanden sein. Physiologisch lässt sich eine doppelte Deutung
aufstellen: entweder die Energie der Netzhaut ist überhaupt so verän-
dert, dass nur das volle und reine Tageslicht sie noch gehörig erregen
110 Netzhaut.
kann, oder es ist die Summe der durch den Schlaf restaurirten Sehkraft
eben nur bis zum Ablauf des Tages hinreichend. Für die blauen Strahlen
ist gewissermassen auch das gesunde Auge hemeralopisch. Wer an den
Genuss geistiger Getränke gewöhnt ist, arbeitet mit voller Kraft eben
nur dann, wenn er das gewohnte Quantum zu sich genommen hat. —
Nach den Erörterungen von Nette?**) kann wohl kaum mehr daran ge-
zweifelt werden, dass dieser Zustand der Netzhaut durch die längere
Einwirkung grellen reflectirten Lichtes hervorgerufen werde. Sie tritt
immer nur auf beiden Augen zugleich auf; sie ergreift bald nur einzelne
Individuen, bald ganze Massen, namentlich geschlossene Körperschaften;
sie ist in manchen Gegenden so zu sagen einheimisch, und kehrt ge-
wöhnlich um dieselbe Jahreszeit wieder. Diese Umstände und das typische
Auftreten der Functionsstörung führten zu der Vermuthung, die Affection
sei als Intermittens oder als ein Analogon hievon anzusehen, während
Andere feuchte Luft, Erkältung, gastrische Störungen u. s. w. für die
veranlassenden Momente annahmen. Es ist jedoch nicht schwer nach-
zuweisen, dass diese und manche andere Momente, z. B. Skorbut, längeres
Fasten, Onanie u. dgl., nur zufällig vorhanden waren. Die Hemeralopie
herrscht besonders in den Tropenländern, kommt aber auch in verschie-
denen Gegenden Europas vor, besonders im Frühjahre. Auf der See
sind es vorzüglich die Matrosen, zu Lande die gemeinen Soldaten und
die im freien Felde arbeitenden Landleute, welche ergriffen werden.
Aus allen Beobachtungen massenweisen Auftretens ergibt sich, dass
nebst dieser oder jener vermeintlichen Schädlichkeit immer grelles re-
flectirtes Licht die Augen durch längere Zeit getroffen hatte, dieses
allein als die constante Schädlichkeit, mithin als die eigentliche Ursache
bezeichnet werden kann.
Auf Schiffen zwischen den Wendekreisen soll gewöhnlich der zwanzigste Mann
von Nachtnebel befallen sein. Die Matrosen nennen die Krankheit Mondblindheit, weil
sie den Grund derselben darin suchen, dass der Mond den auf dem Verdecke Schla-
fenden in's Gesicht scheine. Sauvages beobachtete die Affection sehr häufig bei Mont-
pellier besonders bei den Soldaten, welche unter freiem Himmel schliefen oder am
Flusse Wache standen; Carron du Villards Vater sah viele Fälle unter den piemontesi-
schen Soldaten (1793), welche Tag und Nacht auf schneebedeckten Bergen bivouacquirten,
Lohmeyer schrieb den Ausbruch und das Umsichgreifen des Übels in Ehrenbreitstein
(1834) dem ungewohnten Bergsteigen, dem blendenden Lichte beim Exerciren und den
dunkeln Casematten zu. Nach Fleury (Gaz. meM. de Paris 1840 N. 4) ist die Heme-
ralopie unter dem Äquator sehr gewöhnlich. Er betrachtet klimatische Verhältnisse im
Allgemeinen als Ursache, weil auf dem Schiffe, wo er seine Beobachtungen machte,
keine Erkrankung mehr vorkam, als dasselbe sich wieder in der gemässigten Zone befand,
und weil zu Cadix und Lissabon, wo sich wieder dieselben klimatischen Verhältnisse,
*) Gazetie me"Uicale de Paris, 1840. Nr. 9.
Retinalamblyopie — Hemeralopie. 111
wie auf den Antillen vorfanden (?) , Rückfälle wieder auftraten. „Demnach wird die
Hemeralopie nicht durch schlechte Nahrung , nicht durch miasmatischen Zustand der
Atmosphäre veranlasst, sondern durch die starke anhaltende Einwirknng der directen
oder reflectirten Lichtstrahlen auf die Retina, welche mit der Länge der Zeit und in
Folge der dadurch bewirkten übermässigen Erregung eine Atonie der Netzhaut, einen
stufenweisen Verlust des Sehvermögens bewirkt, wenn die Retina nicht mehr durch die
nämliche Kraft erregt wird." — Nach Krebel, Fuss, Lerche herrscht die Krankheit in
Kronstadt , Petersburg und Umgebung besonders während der siebenwöchentlichen
Osterfasten; nach Meissner (1819) ist dieselbe in manchen Gegenden Polens besonders
gegen Ende des Winters und bei Schnee, jedoch auch im Sommer, namentlich zur
Erntezeit bei Landleuten (Schnittern) nicht selten. Anfang Mai 1849 erkrankten hier
in Prag binnen 3 — 4 Tagen gegen achtzig Mann von einer Infanterie- Abtheilung,
welche auf einem der höchsten und ganz frei gelegenen Punkte der Stadt (auf der
vom Hradschin durch den Hirschgraben getrennten Marienschanze) campirte; auch hier
blieben die Officiere frei, und es wurde dem fernem Umsichgreifen bald Einhalt gethan,
indem der Mannschaft streng untersagt wurde, sich frei auf die Erde hinzustrecken und
dem grellen Lichte zu exponiren. Die Genesung erfolgte — so viel ich erfahren
konnte — in wenig Tagen und ohne Anwendung von Arzeneien, nachdem die Leute in
Kasernen gebracht und in massig verdunkelten Zimmern gehalten wurden. Verkältung
konnte hier nicht als Ursache angenommen werden, denn die Leute waren mit Aus-
nahme der Augen ganz gesund.
Die Krankheit ist nach der Angabe fast aller Beobachter leicht heil-
bar, wenn gleich die Ansichten über die ätiologischen Momente und über
die Behandlung sehr differiren. Mit Ausnahme weniger Fälle, welche
vielleicht durch Fortwirkung des Causalmomentes zu bleibender Amblyopie
oder Amaurosis gesteigert wurden, ging die Affection in Zeit von wenig
Tagen oder "Wochen (selten erst nach einigen Monaten) zurück, und
zwar, wie es scheint, von selbst. Bei den verschiedenen Behandlungs-
arten entsprach man nämlich der Causalindication wohl meistens unwill-
kürlich, indem man die Befallenen als dienstunfähig in andere Verhält-
nisse brachte, in ihrer Behausung hielt, einer mehr weniger rigorosen
Cur unterwarf und — dabei auch dem grellen Lichteinflusse entzog.
Scarpa, welcher gastrische Zustände als Cäusalmoment annahm, empfahl
Purgir- und Brechmittel; Andere gaben Diaphoretica und Epispastica.
Ein schon von Celsus erwähntes Mittel sind die heissen Dämpfe, die
man von einer gekochten Leber (Bock, Rind, Schwein) gegen die offenen
Augen streichen lässt. Einige reizen die Bindehaut, indem sie Ammoniak
oder camphorirten Weingeist vor den offenen Augen verdunsten, oder
reizende Collyrien einträufeln oder kaltes Wasser an die Augen spritzen
lassen; Andere reizen dagegen die Umgebung der Augen durch Elek-
tricität, fliegende Vesicantien an die Stirn und Schläfe, oder lassen
Autenriethsche Salbe zwischen die Schulterblätter einreiben, selbst ein
Haarseil einziehen. Wharton (the american Journ. of med. science
112 Netzhaut.
1840, Mai) heilte hartnäckige Fälle durch völlige 2— 3 Tage und Nächte
lang fortgesetzte Entziehung des Lichtes. Teniperirung , wenn auch
nicht völlige Entziehung des Lichtes und flüchtige Reize auf die Con-
junctiva oder auf die Cutis der Stirn und Schläfe (Erregung sensitiver
Zweige des Trigeniinus) haben nicht nur die Erfahrung für sich, son-
dern lassen sich auch in ihrer Wirksamkeit nach allgemeinen physiolo-
gischen und pathologischen Gesetzen begreifen. Insbesondere ist die
Anwendung sogenannter fliegender Vesicantien an die Umgebung der
Augen empfohlen worden, namentlich von Bampfield (medicochirurg.
Transact. London 1 814 Vol. V.), welcher über 300 Fälle von Nachtnebel
in verschiedenen Theilen der Erdkugel, besonders aber in Ostindien,
beobachtet hat; er versichert, oft schon nach dem ersten Pflaster ent-
schiedene Besserung, nach 2— 5maliger Wiederholung aber in der Kegel
schon binnen 14 Tagen völlige Heilung erreicht zu haben. Die Anwen-
dung von Chinapräparaten dürfte nur in so fern nützen, als sie einem
etwa gleichzeitig vorhandenen (zufälligen) Allgemeinleiden entspricht.
Ebenso möchte der sogenannten antiscorbutischen Behandlung, auf
welche Bampfield als Schiffsarzt besonders Gewicht legen musste, mehr
ein indirecter Einfluss auf die Beseitigung des Augenleidens zuzu-
schreiben sein.
ß. Unter Nyktalopie wird ein der Hemeralopie gewissermassen ent-
gegengesetzter Zustand der Netzhaut verstanden. Die davon Befallenen
sehen nach Sonnenuntergang ziemlich gut, während des Tages dagegen
schlecht. Ihre Augen bieten bei dieser Functionsanomalie keine äusser-
lich wahrnehmbaren Abnormitäten dar, welche dieselbe erklären können,
wie etwa: Mangel oder Spaltung der Iris, Mydriasis, Albinismus, partielle
Cataracta oder Photophobie als Symptom von Entzündung anderer Ge-
bilde, der Chorioidea, der Iris, der Bindehaut u. s. w., sondern die Seh-
störung lässt sich eben nur auf ein primäres Netzhautleiden zurück-
führen. Nach Ausschluss solcher Fälle, für welche man den Namen
Nyktalopie gar nicht gebrauchen sollte, wird wohl kaum noch einer
übrig bleiben, wo das Gesicht bei gehörig temperirtem Lichte als nor-
mal bezeichnet werden könnte, so wie auch die gegenteilige Angabe
vieler Autoren, als kämen Fälle von völliger Blindheit bei vollem Tages-
lichte vor, so lange in Zweifel gezogen werden muss, als nicht verläss-
liche und detailirte Beobachtungen beigebracht werden. Es scheint
überhaupt, dass die Affectiou, welche man gegenüber der Hemeralopie
füglich als Nyktalopie bezeichnen kann, sehr selten vorkomme, da nur
sehr wenige Schriftsteller sich bei Beschreibung derselben auf eigene
Beobachtungen berufen. (Indem ich mir vorbehalte, den einzigen mir
Retinalaiublyopie — Nyktalopie. 113
vorgekommenen Fall weiter imten mitzutheilen , will ich hier auszugs-
weise aufnehmen, was Carron du Vülards*) Bemerkenswerthes darüber
geschrieben hat.) „Diese Krankheit ist auch Folge der durch den Schnee
bewirkten Lichtreflexe; desshalb tragen die Esquimaux und Lappländer
Hornbrillen, welche die Augen nach unten vollkommen schützen, indem
in ihrer Mitte sich eine horizontale Spalte befindet. In. den letzten
Kriegen des Königs von Sardinien gegen Frankreich (1793), wo mehrere
Kegimenter auf dem Mont Cenis und dem kleinen St. Bernhard canton-
niren mussten, wurden ganze Compagnien von Nyktalopie befallen.
Diese Affection wurde allgemein der blendenden Weisse des Schnees
zugeschrieben, welche durch das Zurückstrahlen des Sonnenlichtes ver-
stärkt wurde. Mein Vater, der die meisten von diesen Soldaten unter-
suchte, fand, dass sie an einer ausserordentlichen Verengerung der Pu-
pille litten. Die Krankheit verschwand bei den Meisten; bei Einigen
aber blieb unheilbare Myosis zurück, welche ihr Sehvermögen sehr
störte." — „Die Nyktalopie ist in den heissern Ländern endemisch.
Nach Hillary findet man in Siam, Ostindien und selbst in Afrika sehr
viele Nyktalopische. Nach Lassus, Pi/e und Richter kann die Nykt-
alopie auch die Folge eines längern Aufenhaltes an dunklen Orten sein.
Larrey erzählt die Geschichte eines Greises, der 33 Jahre in einem Ge-
langnisse zu Brest gefesselt war; dieser erkannte in der Nacht die
kleinsten Gegenstände, während er am Tage vollkommen blind war (?).
Lassus erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der in Folge einer Ge-
hirnüberreizung durch geschlechtliche Ausschweifungen tagblind wurde (?)."
Ramazzini (Krankheiten der Handwerker) erwähnt , er habe öfter
unter den Landleuten und besonders bei Knaben die Beobachtung ge-
macht, dass zur Aquinoctialzeit im März etwa 10jährige Knaben von
Gesichtsschwäche befallen wurden, so dass sie den ganzen Tag hin-
durch wenig oder nichts, Abends dagegen wieder deutlich sahen. Die
Affection verschwand, ohne dass etwas dagegen angewendet wurde, ge-
gen Mitte April von selbst. Der Umstand, dass R. die Pupillen dabei
erweitert gefunden, macht es zweifelhaft, ob hier eine Netzhautaffection
oder bloss Mydriasis vorhanden war. — Carron du Vülards erklärt die
Nyktalopie für ein congestives Leiden der Netzhaut. Nach ihm ver-
schwindet die durch Blendung bedingte Nyktalopie in der Regel von
selbst, wenn man die veranlassende Ursache entfernt, das Licht gehörig
lemperirt. Für hartnäckige Fälle empfiehlt er die schon seit Hippo-
krutes Zeiten in grossem Rufe stehenden warmen Dämpfe von einer
*) Prakt. Handbuch zur Erkenntniss und Heilung der Augenkrankheiten, übersetzt von Schnackenberg.
Quedlinburg und Leipzig, 1841. S. 346.
Arlt Augenheilkunde. III. 8
114 Netzhaut.
gekochten Rindsleber, wie bei Hemeralopie. Bei Nyktalopie in Folge
von Congestionen (?) soll man so wie bei Amblyopia congestiva ver-
fahren, bei starker Verengerung der Pupille und übermässiger Reizung
der Netzhaut innerlich und äusserlich Belladonna (?), bei torpiden Er-
scheinungen Excitantia (?) anwenden.
N. N., ein Mann von circa vierundvierzig Jahren, von kräftiger Constitution und.
gesundem Aussehen, consultirte mich Anfang Juli 1854 wegen eines eigentümlichen
Zustandes seiner Augen. Er versicherte, dass er Abends nach Sonnenuntergang so
■wie früher sehe, selbst schiessen könne, bei Tage jedoch Alles wie mit einem hellen
Nebel oder Scheine bedeckt sehe, daher Personen auf 3 — 4 Schritte nicht mehr deut-
lich erkenne, beim Fahren (er war gewohnt selbst die Pferde zu lenken) Gefahr
laufe, vom Wege abzukommen, überhaupt durch Licht geblendet werde. Diese Behin-
derung im Sehen hat sich in geringem Grade bereits im März oder April bemerkbar
gemacht, indem Patient, der von jeher ein besonders scharfes Gesicht hatte und als ein
ausgezeichneter Schütze bekannt war, zunächst entferntere Objecte nicht mit der ge-
wohnten Deutlichkeit wahrnahm; erst als er einmal beim Schiessen die Mücke am Ge-
wehr nicht mehr erkannte, wurde er um seine Augen besorgt. Als er mich zu Bathe
zog, konnte er mit dem rechten Auge nur noch 2'", mit dem linken V" hohen Druck
lesen (Ed. Jägers 14 und 10), jedoch nur einige Zeilen, indem ihm die Augen bald
übergingen. Durch Entfernen der Schrift über 10 — 12 Zoll wurde an Deutlichkeit und
Ausdauer eher verloren, als gewonnen. Stärkere Verdunklung des Zimmers (zu einem
der Dämmerung nahen Grade) verminderte wohl das fortbestehende unangenehme Gefühl
der Blendung, vermochte aber nicht, das Erkennen kleinerer Lettern zu vermitteln.
Die Angabe des Patienten, dass er nach Sonnenuntergang ganz gut sehe, erwies sich
in so fern unrichtig, als Sehversuche herausstellten, dass er in .der Dämmerung nicht
besser lesen konnte, als am Tage, dass sein Gesicht bei der Prüfung an feineren Ob-
jecten gegen gesunde Augen immer zurückbleibe. Noch auffallender zeigte sich die
Schwächung der Sehkraft an Leseproben bei künstlicher Beleuchtung. Das directe Ein-
fallen künstlichen Lichtes war ihm übrigens nicht minder unangenehm , als das von
lichten Flächen reflectirte Sonnenlicht, daher ihn auch das Anzünden der Strassenlampen
von seinen abendlichen Spaziergängen nach Hause trieb. Bei Mondschein versicherte
er an sein Augenleiden durch gar nichts erinnert zu werden. — Die Augen boten
äusserlich durchaus nichts Abnormes dar, nur die Augapfelbindehaut war constant etwas
stärker injicirt, was jedoch vielleicht habituell ist, da Patient überhaupt lebhaft arteriell,
geröthet aussieht und eine sehr zarte Haut besitzt. Nebstdem konnten die Pupillen
durchschnittlich bei verschiedenen Lichtgraden als relativ zu eng bezeichnet werden,
obwohl die lichtgraublaue Iris sich sonst in jeder Beziehung normal verhielt. Die durch-
sichtigen Medien durchaus intact. Die Untersuchung der Netzhaut mit dem Augenspiegel
ergab keine materielle Veränderung, nur Hyperämie und grössere Empfindlichkeit gegen
den Lichtreiz. Von sogenannten subjectiven Gesichtserscheinungen keine vorhanden,
auch keine Sohmerzen und- abnormen Empfindungen, ausser dem lichten Nebel oder
Scheine, der ihm bei Tageslicht alle Objecte zu überziehen schien. — Patient wusste
über die Zeit der Entstehung des Leidens nichts Bestimmtes anzugeben, noch weniger
über die Veranlassung dazu. Er entsann sich keiner offenbaren Blendung, keiner
Verkältung, überhaupt keiner auffallenden Schädlichkeit. Er befand sich sonst durchaus
wohl , lebt in den besten Verhältnissen , hat seine Augen nie übermässig angestrengt»
Retinalanibl} opie — Nyktalopie. 115
Er hat vor vielen Jahren wegen einer secundären Affection wohl Mercurialcuren durch-
gemacht, doch regelrecht, und bietet keine Nachgehen weder von der einen noch von
der andern dar. Trotzdem er in venere eben nicht sparsam .gelebt, ist er gut genährt
und muskulös kräftig, dabei aber sehr irritabel, physisch sowohl als psychisch. In Bezug
auf Essen und Trinken war er nie unmässig, ausser dass er vor vielen Jahren sehr
an starken Thee mit Eum gewöhnt war. Tabak zu rauchen ist ihm Bedürfniss; doch
konnte auch hierin nicht die Ursache des Augenleidens gesucht werden. Eigenthümlich
ist von Jugend auf eine grosse Neigung zum Schwitzen und eine ungewöhnliche Em-
pfindlichkeit gegen Arzneimittel, namentlich gegen Abführmittel. — Ich empfahl: Meiden
grellen Lichtes, schneller Übergänge und Contraste, jeder Anstrengung der Augen, Ex-
cesse im Essen , Trinken , in venere , Tragen rauchgrauer Gläser , massige Bewegung
im Freien, Egerer Salzquelle, und da diese Schwindel erregte, Saidschützer Wasser in
kleinen Gaben, blutige Schröpfköpfe in der Kreuz- und Lendengegend, nach denen
jedoch Hinfälligkeit mit leichten Muskelzuckungen eintrat, daher später von Zeit zu Zeit
6 — S Blutegel hinter die Ohren , einigemal auch circa anum , endlich kalte Augen-
douche und später kalte Fomente von Aqua dest. mit Aqua laurocerasi und Borax, da
ihm die örtliche Anwendung von Kälte entschieden wohl that. Es erfolgte wohl keine
Verschlimmerung, aber auch keine Heilung. Auf den Bath eines Ende September con-
sultirten Arztes wurde durch längere Zeit Chinin, sulfur. gegeben, Anfangs in Pulver-
form . dann in Verbindung mit Elix. acid. Halleri. Die Ende September von einem
andern, mit dem Ophthalmoskope sehr vertrauten Arzte vorgenommene Untersuchung ergab
gleichfalls keine sichtbare Veränderung der Netzhaut, selbst nicht mehr eine erhebliche
Hyperämie. Die durch zwei Monate fortgesetzte Anwendung des Chinins hatte keinen
günstigen Erfolg, obwohl das diätetische Verhalten erst jetzt streng eingehalten wurde.
Ja Patient war so weit gekommen, dass er auch mit dem linken Auge nur N. 14 lesen
konnte. Ich kehrte daher zu kleinen zeitweiligen Blutentziehungen zurück, und liess
durch vier Wochen Pillen von Polygala senega nehmen und etwas später nebenbei
Veratrinsalbe an die Stirn und Schläfe einreiben. Keine Besserung, keine Verschlim-
merung. Dasselbe Besultat nach wiederholter Application kleiner Vesicantien an die
Schläfe und endermat. Anwendung von Strychnin. Auch Extr. conii macul. mit Magnes.
carbon. in steigender Dosis blieb ohne Erfolg. Ich entschloss mich daher Anfangs März
zu einer Sublimatcur in Pillenform ( ' 20 Gran), konnte jedoch wegen Empfindlichkeit
des Magens bloss auf acht Pillen steigen. Als der Patient wieder bis zu einer Pille
zurückgegangen war, trat zuerst Abnahme der Empfindlichkeit gegen das Licht ein,
daher ich nach einiger Zeit noch einmal bis auf zehn Pillen stieg. Nach Beendigung
der Cur (gegen Ende April) war der lichte Nebel nicht mehr vorhanden , Physiogno-
mien wurden auf 5 — 6, nicht mehr bloss auf 2 — 3 Schritte und viel deutlicher und
reiner erkannt , und von den Jäger'schen Lettern konnte wieder N. 11 mit jedem
Auge gelesen werden. Im Mai wurden noch zwei Arzte consultirt, nach Erwägung
ihrer Eathschläge jedoch und Berücksichtigung des bisherigen Erfolges noch einmal zu
einer etwas modificirten Sublimatcur geschritten (Mitte Juni). Ende Juli, wo ich den
Patienten das letzte Mal (vor Abdruck des Manuscriptes) sah, war die Sehkraft so weit
gebessert, dass von Jägers Musterschriften N. 7 ganz leicht gelesen wurde. Die Bes-
serung hatte sich zuerst im Erkennen entfernter Objecte und durch entschiedene Ver-
minderung der Empfindlichkeit gegen das Licht bemerkbar gemacht. Dieser Erfolg
spricht meines Erachtens dafür, dass in diesem Falle eine chronische Ptetinitis bestand,
wenngleich in der Pietina noch keine Productbildung nachgewiesen werden konnte.
8*
116 Netzhaut.
Ob nun alle Fälle von Nyktalopie als congestiv-entzündliches Netzhautleiden aufzufassen
seien, bleibt fernem Beobachtungen anheimgestellt.
y. Entzündung der Netzhaut. Dictyitis {Retinitis). Dieser Terminus
wurde bisher meistens zunächst auf einen gewissen Symptomencomplex
gestützt, und demgemäss, da chronische Fälle ausser der Sehstörung
keine verlässlichen Erscheinungen darbieten, beinahe nur bei sehr acut
auftretenden Fällen gebraucht. Veränderungen der Netzhaut, welche als
Product von Entzündung derselben aufgefasst werden mussten, waren
nur an Leichen gefunden worden, von denen man im günstigsten Falle
etwa wusste, dass Amaurosis vorhanden gewesen war. Die Anwendung
des Augenspiegels gestattet uns nun, schon während des Lebens ana-
tomische Veränderungen der Netzhaut zu erkennen, zu den anderwei-
tigen Symptomen in Beziehung zu bringen, und somit Entzündung der
Netzhaut auch bei subacutem und chronischem Verlaufe zu diagnosti-
eiren. Nur bleibt noch immer zu bedauern, dass uns genauere und
feinere anatomische Untersuchungen der durch Entzündung veränderten
Netzhaut beinahe durchaus fehlen, somit eine nur einigermassen ge-
nügende Schilderung der anatomischen Veränderungen zur Zeit noch
nicht gegeben werden kann , und dass die feineren mikroskopischen
Veränderungen der Netzhaut auch dem Ophthalmoskope entgehen. Die
älteren Angaben über partielle oder universelle Trübungen, Verfärbun-
gen, Verdickungen, Verhärtungen u. s. w. können nur zum Theil als
Beweise betrachtet werden, dass die* Netzhaut primär- durch Entzündung
verändert werden kann; viele derselben beruhen auf Verwechslung mit
metamorphosirten Chorioidealexsudaten und Extravasaten. Die Augen-
spiegelbefunde sind im Allgemeinen in Verbindung mit anderweitig
constatirten Momenten hinreichend, die Existenz von Netzhautentzün-
dung sicher zu stellen; doch ist dieser Nachweis in speciellen Fällen
nicht immer leicht, selbst bei völliger Vertrautheit mit der Anwendung
dieses Instrumentes. Man hat nämlich zu bestimmen: ob wirklich vor-
handene Abnormitäten des Augengrundes auch als Ursache der ander-
weitig constatirten Sehstörung angenommen werden können, ob diesel-
ben in der Netz- oder Aderhaut oder in beiden zugleich ihren Sitz
haben, und von welcher Natur dieselben seien. Aber auch wenn mit
dem Augenspiegel keine Veränderungen wahrgenommen werden, und
überhaupt nicht wahrgenommen werden können, so folgt daraus noch
nicht, dass die Ursache der Sehstörung anderswo als in der Netzhaut
gesucht werden müsse, denn es gibt Veränderungen der Netzhaut, in
specie entzündliche, welche nur mittelst des Mikroskopes ermittelt wer-
den können. Als Beleg hieflir mag die Untersuchung der amblyopischen
Entzündung der Netzhaut. 117
Augen eines in Folge von Morbus Brightii Verstorbenen dienen, in
welchen Türk (Zeitschr. der Wiener Ärzte, 1850, Nr. 4) im hintern
Abschnitte der Netzhäute bis zu einer Entfernung von 3 — 4/y; von der
Eintrittsstelle des Sehnerven das Gewebe derselben unter dem Mikro-
skope von Körnchenzellen durchsetzt fand, und offenbar ein Exsuda-
tionsprocess in der Netzhaut als Ursache der Amblyopie angesehen
werden musste. Eine ähnliche, also bestätigende Beobachtung hat Prof.
Treitz- bei Diabetes mellitus gemacht; es liess sich Netzhautentzün-
dung unter dem Mikroskope bestimmt nachweisen, ohne dass die Netz-
haut dem freien Auge merklich verändert erschien (mündliche Mit-
theilung).
Die ophthalmoskopisch erkennbaren und durch Entzündung gesetz-
ten Veränderungen der Netzhaut sind: 1. Hyperämie allein oder mit
Ekehyniosirung in frischen, Verminderung des Calibers und dunklere
Färbung der Gefässe bei inveterirten Fällen; 2. dunkel- oder hellfar-
bige Trübung der Netzhaut an einer oder an mehrern Stellen, in ein-
zelnen Eegionen oder in der ganzen Ausdehnung; 3. Veränderungen
der Sehnervenpapille in Bezug auf Farbe, Grösse und Abgrenzung von
der Umgebung. Ad l.Wenn das eine Auge gesund ist, kann man
durch aufmerksame Vergleichung die capilläre Blutüberfüllung leicht
nach der stärkeren Röthe des Augengrundes beurtheilen, ausserdem
aber muss auf das Alter des Individuums, auf die Farbe der Iris, auf
die Reinheit der Flamme, auf die Durchsichtigkeit der Medien und auf
den Refractionszustand des untersuchten Auges (relativ zum Instrumente
und zum Beobachter) Rücksicht genommen werden; man muss über-
haupt viele und verschiedene Augen mit normaler Netzhaut untersucht
haben. Am leichtesten ist die Hyperämie zu erkennen, wenn im Be-
reiche des Sehnervenquerschnittes abnorm viele, namentlich feine Ge-
fässchen vorkommen, wenn derselbe ein förmlich röthliehes Aussehen
hat, wenn hier oder im weitern Verlaufe längs derselben kleine Ekchy-
mosen oder röthlich punktirte Fleckchen sitzen. Die gleichzeitige Ver-
minderung der Energie der Sehkraft supplirt bei solchem Befunde ge-
wissermassen das Auffinden von Exsudaten, welche nämlich noch so
fein sein können, dass die beim Ophthalmoskop zulässige Vergrösserung
und Beleuchtung nicht hinreicht, sie wahrnehmbar zu machen. Doch
ist zu bemerken, dass es auch Fälle gibt — weiter unten wird ein
solcher angeführt — wo der Exsudationsprocess zunächst in der Peri-
pherie der Netzhaut auftritt, die Schärfe des directen Sehens mithin
gar nicht oder kaum merklich beeinträchtigt erscheint. — Nach länge-
rem Bestände der Entzündung ist es nicht sowohl abnorme Röthe des
118 Netzhaut.
Äugengrundes und grössere Zahl von Gefässen, welche auffällt, als viel-
mehr Erweiterung, besonders der Venen, und dunklere Färbung dieser
sowohl als der Arterien. Zahl und Lumen der Centralgefässe können
in diesem Stadium übrigens sogar vermindert sein, und der Augengrund
erscheint in solchen Fällen unter dem Spiegel oft auffallend licht,
während die Pupille beim Tageslichte schon mehr weniger unrein, grau
oder grünlich aussieht, was theils von der Trübung der Netzhaut, theils
von der Verminderung der Pigmentunterlage (und allenfalls auch von
gelblicher Färbung der Linse) abhängt. — Ad. 2. Die Trübung der
Netzhaut erscheint der Farbe nach röthlich, grau-, gelblich- oder bläu-
lich-weiss, oder dunkel (pigmentirt). Die röthlichen Flecke, von denen
schon die Rede war, sind nicht so intensiv und nicht so dunkelroth,
überdiess auch nicht so scharf markirt, wie die Ekchyinosen, welche
auch ohne Entzündung, namentlich bei Verletzungen, vorkommen. Sie
lassen sich bisweilen bei starker Vergrösserung (im aufrechten Bilde)
als fein punktirte oder fein gestrichelte Röthe erkennen. Die lichten
Trübungen sind meistens auf grössere Strecken ausgebreitet, schleier-
ähnlich, mehr weniger stark durchscheinend, sich gegen die gesunde
Umgebung allmälig verlierend, daher relativ am schwersten zu erkennen,
zumal bei minder reichlichem Pigmentgehalte der Chorioidea. Man hat
sich zu hüten, dass man nicht diffuse Glaskörper- oder Linsentrübung
damit verwechselt. Auch ausgebreiteter Pigmentmangel kann für Netz-
hauttrübung gehalten werden. Man muss daher stets auf das Verhalten
der Netzhautgefässe , auf das reine Hervortreten des Sehnervenquer-
schnittes und auf die Sehstörung Rücksicht nehmen. Die pigmentirten
Netzhauttrübungen geben der Netzhaut meistens ein geflecktes oder
getigertes Aussehen, und zwar in mehr weniger grosser Ausdehnung
und in verschiedenen Regionen. Sie kommen nicht bloss in Folge von
Entzündung, sondern auch in Folge von einfachen Blutaustretungen vor,
und können meist nur mit Rücksicht auf ihre Lage zu den Netzhaut-
gefässen von partiellem Pigmentmangel unterschieden werden. Rare-
ficirung der Chorioidea (Durchscheinen der Sclera) zeigt gewöhnlich
einen silberartigen Glanz. (Siehe später: Kurzsichtigkeit.) — Ad. 3.
Die Sehnervenpapille zeigt bei Retinitis während des Congestions- und
Exsudationsprocesses nebst den gewöhnlichen Gefässstämmchen noch
zahlreiche abnorme Zweigchen, wohl auch feine Capillaren, welche der-
selben bei minder starker Vergrösserung (im umgekehrten Bilde; oft
ein röthliches Aussehen geben, das allmälig einem schmutzigen Teint
Platz macht. Weiterhin erscheint die Grenze des Sehnervenquerschnittes
nicht scharf abgesetzt, sondern durch lichte und pigmentirte Trübung
Entzündung der Netzhaut. 119
der nächsten Umgebung unregelmässig erweitert oder vielmehr ver-
wischt. Doch hat man sich zu hüten, einen halbmondförmigen dunkeln
oder lichten Reifen an der einen oder andern Seite der Sehnervenpa-
pille ohne Weiteres für Entzündungsproducte zu halten. Es ist hier so-
wohl Schattenbildung als auch stärkerer Reflex möglich, da die Papille
wie ein stumpfer Hügel mehr weniger stark in den Glaskörper hinein-
ragt und der Bulbus meist etAvas von der Seite her beleuchtet wird.
Auch kommt es in ganz normalen Augen vor, dass an einer oder der
andern Partie der Sehnervenperipherie Pigmentanhäufung einen dunkeln
Streifen oder Reifen bewirkt, so wie andrerseits auch Pigmentmangel
und Rareficirung der Chorioidea in mehr weniger grosser Ausdehnung
um die Pupille herum vorkommen kann, ohne Netzhautentzündung,
z. B. bei Staphylonia posticum Scarpae.
Ablösung der Netzhaut von der Chorioidea dürfte -wohl nie als Folge von Entzündung
der Netzhaut selbst zu betrachten sein. Wo ich diesen eben nicht gar seltenen Zustand
sah , hatte ich Ursache anzunehmen , dass dieselbe durch serösen Erguss in Folge von
Chorioiditis oder in Folge von Apoplexia chorioideae entstanden -war. Der seröse Erguss
entwickelt sich bald plötzlich nach offenbarer Verkältung, bald allmälig bei schleichen-
der Entzündung der Chorioidea (vrgl. Krankheiten der Chorioidea). Dieser Zustand
ist nicht leicht zu übersehen und auch nicht schwer zu erkennen, wenn man bei Unter-
suchung mit dem Augenspiegel damit beginnt, dass man zunächst die durchsichtigen
Medien auf ihre Durchsichtigkeit prüft. Die abgelöste Partie (ich sah sie bisher nur in der
untern Hälfte) erscheint bläulich weiss, uneben, bei jeder Bewegung des Auges schwan-
kend, flatternd oder aufwallend, hie und da von einem dünnen dunkelrostbraunen Ge-
fässchen durchzogen , sonst wie beschneite Hügel oder wie Gletscher bei Abendbeleuch-
tung das Lampenlicht reflectirend. Dabei kann totale oder partielle Erblindung vor-
handen sein; in letzterem Falle fungirt entweder die ganze obere Hälfte der Netzhaut,
oder nur ein mehr weniger kleiner Theil derselben. Abgelöste Netzhautpartien legen
sich, was Graefe zuerst bestimmt ausgesprochen hat, niemals wieder an und werden
nie mehr functionsfähig ; aber auch die nicht abgelösten Partien, namentlich die zu-
nächst gelegenen, sind nicht bloss mit Ablösung bedroht, sondern auch mit Structur-
veränderung durch Entzündung, und in so fern, als diese Entzündung gleichsam als
Eeactionsprocess in der Umgebung der abgelösten Partie betrachtet werden kann , mag
dieser Zustand ein Plätzchen zur Besprechung bei der Entzündung der Netzhaut ge-
funden haben.
Die acute Netzhautentzündung wird als fulminant auftretender Pro-
cess geschildert. Bald nach der Einwirkung intensiven Lichtes ent-
wickeln sich heftige und anhaltende Schmerzen im Auge und Vorder-
haupte, Vorschweben verschiedenfarbiger feuriger Erscheinungen, enorme
Empfindlichkeit gegen jeden Lichtreiz ä reichlicher Thränenfluss und all-
gemeine Unruhe und Aufregung oder auch Abspannung bei rasch ver-
minderter Sehkraft. Verengerung der Pupille dürfte stets in auffallend
120 Netzhaut.
hohem, Gefässinjection auf der Sclera in relativ geringem Grade vor-
handen sein.
Diese Affection kann bei rechtzeitiger und zweckmässiger Hilfelei-
stung vollständig zurückgehen, führt aber gewöhnlich in kurzer Zeit zu
mehr weniger ausgebreiteter Amblyopie oder Amaurose. Nach einigen
Beobachtern können auch die Zeichen von Iritis oder Chorioiditis hinzu-
treten, und die Prognosis noch mehr trüben. Die Erscheinungen allge-
meiner Augapfelentzündung (Panophthalmitis) dürften wohl nur dann zu
besorgen sein, wenn die Netzhaut von andern Schädlichkeiten getroffen
wurde, wenn nebst intensivem Lichte noch andere Momente das Auge
verletzt haben.
Wie man bei dieser, glücklicherweise nur selten vorkommenden
Erkrankung vorzugehen habe, möchte hinreichend aus folgenden Bei-
spielen entnommen werden können.
„Ein junger Staatsbeamte in Wien*), von gesunder starker Körperbeschaffenheit?
hatte den ganzen Tag über Kopf und Augen durch Schreiben und Lesen sehr ange-
strengt; gegen Abend "wohnte er optischen Vorstellungen eines Künstlers bei, unter
welchen ihm der Sonnenaufgang vorzüglich gefiel, den er lange durch ein convexes
Glas mit dem rechten Auge betrachtete. Als er sich entfernte, that ihm dieses Auge
■weh. Den übrigen Abend brachte er unter Freunden in einem hell erleuchteten Salon
zu, und trank denselben Abend auch ein Glas Punsch. Nach Mitternacht erwachte er
unter betäubenden Kopfschmerzen, Vollheit und drückenden Schmerzen im rechten Auge
mit flüchtigen Stichen. Der Schmerz wurde immer heftiger, Blitze, Flammen u. dgl.
feurige Erscheinungen vermehrten sich mehr und mehr, die Lichtscheu wurde immer
stärker, so dass er endlich die Nachtlampe auslöschen musste. Beer wurde sehr zeitig
früh gerufen; er fand das Auge äusserst empfindlich bei der leisesten Berührung; die
geringste Bewegung des Btilbus steigerte den Schmerz. So viel Beer in der Dämme-
rung sehen konnte, war am Auge keine Röthe, die Pupille sehr verengert. Der Patient
versicherte, er sehe mit dem rechten Auge viel weniger. Der Körper war von Fieber
entzündlicher Art ergriffen. Beer liess auf der Stelle einen sehr starken Aderlass ma-
chen, eine grosse Menge Blutegel theils an die Stirngegend, theils hinter das rechte
Ohr setzen, eiskalte Fomente über den Kopf legen, Ung. hydr. einer, alle Stunden in
die Augengegend einreiben, und verordnete ein Purgans anthiphlogisticum, dann, nachdem
dieses letztere mehrere Stühle hervorgebracht, Calomelpulver. Ungeachtet der bedeu-
tenden Erleichterung nach den Blutentleerungen liess Beer gegen Mittag den Aderlass
und die Blutegel wiederholen. Auf diese Art gelang es ihm die Entzündung zu brechen
und das Sehvermögen zu erhalten, welches eine Stunde später vielleicht unrettbar ver-
loren gewesen wäre. Die zurückgebliebene Amblyopie behandelte Beer bloss durch diäte-
tisches Verhalten."
Folgende Beobachtung hat W. Cooper *) veröffentlicht : „Herr G. war am 29. März
1844 beschäftigt, die Nerven der Zunge unter einem starken Mikroskop darzustellen,,
und besah das fertig gewordene Präparat eben, als plötzlich die Sonne mit aller Kraft
*) J. N. Fischer, Lehrbuch, Prag 1846. S. 59.
**) London medical Gazette, 1844 Juli. Oester. mediz. Wochenschrift 1845, Nr. 45.
Entzündung der Netzhaut — acute. 121
darauf zu scheinen begann. Sogleich entstand über den ganzen Bulbus ein so heftiger
Schmerz , dass G. aufsprang und einen heftigen Schrei ausstiess. Durch etwa zwanzig
Minuten sah er nichts als das Spectrum der Sonne; nachher verlor sich dieses und
auch der Schmerz , und er konnte sein Werk wieder fortsetzen , wenn auch das Auge
his zum Abend empfindlich blieb. Tags darauf war aller Schmerz weg und G. ging
an die Vollendung seiner Arbeit. Da trat derselbe Zustand wie Tags zuvor wieder
ein ; die plötzlich zwischen den Wolken hervorbrechenden Sonnenstrahlen wurden vom
Eeflector des Mikroskopes concentrirt ins Auge geworfen. Ein starker und tiefgehender
Schmerz durchzuckte den Augapfel, grosse Lichtscheu und dasselbe Sehen des Sonnen-
bildes stellten sich ein. Den ganzen Abend und die ganze Nacht blieb der Schmerz,
sieh gleich und nahm Tags darauf zugleich mit einem Gefühle von Vollheit und Span-
nung bedeutend zu. Kalte Umschläge brachten keine Erleichterung. Ausser dem
Schmerze fand Cooper grosse Lichtscheu , die obere Hälfte des Bulbus besonders sehr
empfindlich, Thränenfluss, Funkensehen bei jedem Sehversuche, die Iris normal, die
Pupille verengert, die Conjunctiva wenig geröthet, den Puls schwach und beschleunigt,
allgemeine Schwäche und geistige Abgespanntheit. Patient wurde sogleich in ein ver-
dunkeltes Zimmer gebracht, zwölf Blutegel um das Auge gelegt, kalte Fomente und
ein Abführmittel verordnet. Tags darauf befand er sich etwas besser. Einreibung
von Mercurialsalbe mit Opium, innerlich Pillen von Hydrarg. mit Conium, in der
Zwischenzeit Tart. emet. und eine Mixt, salina besserten den Zustand bedeutend.
Nach vierzehn Tagen war das Auge schmerzlos, bloss das Sonnenlicht wurde noch
nicht gut vertragen. Doch blieb die allgemeine Schwäche noch bedeutend, so dass
1 2 Gran Chinin 2mal des Tages und etwas Fleischdiät verordnet wurde ; die Mercurial-
einreibung wurde fortgesetzt. Bei dieser Behandlung im Verein mit einem Derivans
hinter dem Ohre und einem leicht adstringirenden Augenwasser war das Auge bis auf
Funkensehen bei Anstrengung desselben nach einer Woche vollkommen frei. Nach und
nach verlor sich auch dieses Symptom , und die Kräfte nahmen wieder zu , so dass G.
jetzt wieder vollkommen wohl ist."
Eine ähnliche Beobachtung machte ich im April 1847 an einem etwa 16jährigen
Mädchen, welchem ein Soldat, als sie in seiner Nähe im Schatten der Häuser vorüberging
(morgens gegen 10 Uhr), mit einem Spiegel (Hohlspiegel?) das grelle Sonnenlicht in
das rechte Auge geworfen hatte. Der Fall war durch fast gleichmässige blasse Rosen-
röthe der Albuginea, ziemlich starke ödematöse Schwellung der Conjunctiva bulbi (am 3.
und 4. Tage), sehr enge Pupille, vehemente Lichtscheu, Thränenfluss, Vorschweben feuriger
Scheiben und getrübtes Sehen charakterisirt. Die Behandlung bestand in entsprechender
Verdunklung, Ruhe im Bette, örtlicher Blutentziehung, kühlenden Abführmitteln und eis-
kalten Umschlägen, denen späterhin Fomente mit verdünnter Tinct. arnicae substituirt
wurden. Die völlige Genesung erfolgte erst nach 6 Wochen.
Bei der subacut oder chronisch verlaufenden Netzhautentzündung
ist die successive Abnahme des Sehvermögens wenn auch nicht gerade
das einzige, so doch immer das hervorstechende Symptom. Sie wurde
demnach vor Einführung des Augenspiegels gewöhnlich als Amblyopie
oder Amaurosis überhaupt aufgefasst, und je nach anderweitigen Zu-
fällen bald als congestives oder erethisches, bald als torpides Leiden
ohne nähere Bezeichnung des Sitzes und Ausgangspunktes geschildert.
122 Netzhaut.
Die Sehstörung gibt sich bei der chronischen Netzkautentzündung
auf verschiedene Weise kund, und zwar zunächst nach der Gegend und
Ausbreitung der Affection. Bald ist es nämlich vorzüglich die Peripherie
der Netzhaut, welche durch Hyperämie und Exsudation in der Function
beeinträchtigt wird, bald das Centrum (die Gegend der Macula lutea),
bald irgend eine oder mehrere Partien der mittlem Kegion, während
in zahlreichen Fällen das ganze Gesichtsfeld als umflort oder verdun-
kelt bezeichnet wird. Wo eine centrale Partie allein, oder vorwaltend
afficirt ist, fehlt im Sehfelde der entsprechende Theil, sieht das Auge
seitlich von .der zu dieser Stelle gehörenden Achse noch relativ gut
oder am besten. Der Kranke sieht z. B. auf einem Blatte Papier einen
dunklen Fleck, einem vis-a-vis befindlichen Gesichte fehlt die Nase
oder ein Auge u. dgl., während die lichte Fronte eines etwas entfern-
teren Hauses vielleicht noch ohne Unterbrechung, nur minder deutlich
wahrgenommen wird. Innerhalb der Grenzen der deutlichen Sehweite
steigt und fällt die scheinbare Grösse des dunkeln Fleckes mit der
Grösse des Horopters, nimmt immer einen aliquoten, z. B. den 100. Theil
des jeweiligen Sehfeldes ein, und wird demnach bei einem grössern
Sehfelde auch als grösser angeschlagen. Ist die funetionsunfähige Netz-
hautpartie von gesunder Netzhaut scharf abgegrenzt, so erscheint auch
der dunkle Fleck innerhalb der deutlichen Sehweite scharf markirt,
darüber hinaus allmälig verwischt, endlich verschwunden (Visus inter-
ruptus, und bei mehreren solchen isolirten Flecken visus reticularis).
Denselben Effect können natürlich auch umschriebene Blutextravasate,
partielle Emporhebungen durch Chorioidealexsudate u. dgl. bewirken.
Unempfindlichkeit einzelner, umschriebener Stellen der Netzhaut, z. B.
durch Extravasate oder Exsudate, veranlasst die Kranken auch biswei-
len zu der Angabe, dass sie die Gegenstände, z. B. die Nase, den
Mund einer Person verzerrt, verschoben, breiter, grösser u. dgl. sehen
(Ungestaltetsehen, Metamorphopsie). Ein sehr häufiges Symptom centra-
ler Retinalaffection ist das sogenannte Vorbeischiessen der Sehachse
neben dem Objecte, welches gesehen werden will. Es kommt diess, ab-
gesehen von Hindernissen in den durchsichtigen Medien, ausserdem
auch bei inveterirtem Strabismus und bei höheren Graden von Kurz-
sichtigkeit (mit Ausbuchtung des Bulbus um den hintern Pol herum)
vor, und wird desshalb bei diesen Zuständen noch besprochen werden. —
Bei vorwaltend oder ausschliesslich in der Peripherie der Netzhaut auf-
tretendem Exsudationsprocesse ergreift die allmälig auftretende Um-
florung oder Verdunklung das ganze Gesichtsfeld, oder sie engt das-
selbe auf einen mehr weniger beschränkten Eaum ein, selbst bis zu etwa
Entzündung der Netzhaut — chronische. 123
einem Viertelzoll beim Lesen u. dgl. Dieser Zustand ist wenig berück-
sichtigt worden. Ich will ihn daher durch einige authentische Beobach-
tungen erörtern, aus denen zugleich das Eigenthümliche dieses Pro-
cesses erhellen wird.
Ein Hauptmann, -10 Jahre alt, von kräftiger Constitution und ganz gesundem Aus-
sehen klagt über Abnahme seiner Sehkraft seit Juni 1S53. Die Inspection ist nicht im
Stande, einen Fehler im dioptrischen Apparate aufzufinden; auch von fehlerhafter Ee-
fraction oder Accommodation kann keine Rede sein, was in dem Nachfolgenden seine
weitere Bestätigung findet. Ich merkte, dass er etwas unsicher auf mich zuschritt, ob-
wohl sich später ergab, dass er ganz gut lesen konnte und auch nicht etwa doppelt
sah. Er kann die feinste Schrift lesen (selbst Nr. 1 von Jäger), doch nicht mit Aus-
dauer. Er kann nicht mehr dienen, weil er vor der Fronte wohl in der Ferne sieht,
nicht aber. Mas ihm zunächst ist. Er sah Tags vor seinem Besuche bei mir (am 3. Juni
1855) im Theater wohl Alles auf der Bühne, nicht aber seinen etwas kleinern Vorder-
mann, den er erst wieder suchen musste. Er kommt beim Herabgehen über eine Stiege
immer in Gefahr zu stürzen , besonders bei der letzten Stufe ; ebenso geht er im Freien
abwärts viel schlechter als eben oder aufwärts ; hat er über einen Graben zu schreiten,
so kann er dessen Breite nicht ermessen ; er findet überhaupt , dass er Entfernungen
nicht mehr richtig schätzen kann, obwohl er als Officier hierin grosse Übung hatte. Beim
Gehen auf der Strasse längs einer Mauer geschieht's ihm leicht, dass er „an dieselbe an-
schiebt", an einen Entgegenkommenden anstösst, an einen vorbeifahrenden Wagen an-
rennt. (Er wurde auf diese Weise schon bedeutend verletzt.) Objecte, die schnell an ihm
vorübergehen oder fliegen, z. B. Vögel, nimmt er oft nicht wahr, obwohl er ein ander-
mal solche und noch viel feinere Gegenstände und in grösserer Entfernung recht gut
sieht. Indem ich ihm etwa 4 Fuss weit gegenüber sitze und seinen Zustand notire, sieht
er mein Gesicht, wenn er dieses fisirt, nicht aber meine schreibende Hand ; fixirt er die
Feder, so sieht er nur den untersten Theil meines Gesichts. Die Peripherie seines Ge-
sichtsfeldes ist nicht scharf markirt, sondern wie verschwommen. Ging er früher, wo
sein Zustand noch etwas schlimmer war, auf einem Fahrwege, so konnte er nie dessen
beide Bänder zugleich sehen. Der Blick auf unmittelbar von der Sonne beschienene lichte
Stellen ist ihm unangenehm, obwohl er versichert, bei stärkerer Beleuchtung, z. B. bei
Lampenlicht besser zu sehen, als bei Kerzenlicht. Tritt er aus einem lichten in einen
etwas dunkeln Baum, z. B. in eine Hausflur, so dauert es länger, eher ihm die Objecte
deutlich werden, als sonst im gesunden Zustande der Fall war. Gegen Abend, jedoch auch
schon vor Sonnenuntergang, sieht er besser, angeblich wegen der kühlern Temperatur,
doch war's auch im Winter so. Nach Tische oder wenn er sich durch Gehen erhitzt hat, sieht
er stets schlechter. Er hat zuerst im Juni vor 2 Jahren bemerkt, dass er zu Pesth auf
der Promenade die Bäume nicht mehr deutlich erkannte, Giüssende nicht immer gleich
wahrnahm, beim Eintritte in die Hausflur oft Mühe hatte, den Thürgriff oder die ersten
Stufen der Stiege zu finden. Da er sich Abends — er meint wegen der Abkühlung der
Luft — regelmässig besser befand, hielt er den Zustand Anfangs gar nicht für ein Augen-
leiden, sondern bloss für Blutandrang und beschäftigte sich desshalb auch Abends noch
viel mit Lecture. Indess wurde der Zustand bei den Exercirübungen am Rakosfelde in
der heissen Jahreszeit ärger, so dass er ,,in Beih' und Glied seinen Nebenmann nur
durch die Fühlung wahrnahm, sein Vordermann ihm manchmal verschwand." Seine
Ärzte hatten das Leiden als Blutandrang aufgefasst und demgemäss behandelt. Schröpf-
124 Netzhaut.
köpfe, Mineralwässer, kalte Bäder kamen ihm gut zu Statten, so dass er im Mai 1854
den Marsch nach der Bukowina mitmachen konnte. Doch wurde sein Zustand bedeu-
tend verschlimmert , indem er durch 3 Monate in der Kegel jeden Vormittag und hei
jeder Witterung im Freien und auf schlechten Wegen marschiren musste. Der Aufenthalt
in einer Kaltwassercuranstalt hat nun den Zustand wieder etwas gebessert. Die Unter-
suchung mit dem Augenspiegel ergibt unzweifelhaft Hyperämie der Netzhaut und in der
Gegend des Aequator bulbi eine Art Marmorirung derselben , indem theils dunklere
Punkte und Fleckchen (Pigment?), theils einzelne lichte, gelbliche, fast hyaline Pünkt-
chen auf hochrothem Grunde eingesprengt erscheinen. Ich nahm demnach keinen An-
stand, diesen Befund als Retinitis peripherica zu betrachten, und hierauf Prognosis und
Therapie zu stützen. Doch konnte sich dieser Herr einer consequenten Behandlung vor-
läufig noch nicht unterziehen, und ist mir über den weitern Verlauf noch nichts be-
kannt geworden.
Ein Eisenbahnbeamter von 45 Jahren klagte über schlechtes Sehen und beschrieb
seinen Zustand — durch einige Fragen geleitet — ohngefähr folgendermassen. Ich sehe
weder rechts noch links, auch nicht abwärts; zeitweise gerathe ich in einen Zustand
gänzlicher Verwirrung, z. B. wenn ich von der Bahn auf ein Feld treten oder zu einem
Wächterhaus gehen will, verliere ich auf einmal den Weg, und muss mich führen lassen,
obwohl ich gradaus ganz gut sehe. Mit dem Lesen und Schreiben geht's schlecht, wenn
ich eine Zeile geschrieben, so vergeht mir Alles, und immer muss ich, um zu lesen,
den Kopf stark vorwärts neigen. In der Stadt oder auf der Strasse laufe ich Gefahr
zu stolpern oder überfahren zu werden, "weil ich nicht sehe, was seitlich und unmittel-
bar vor mir ist. Ich sehe in der Ferne, wenigstens mit dem rechten Auge sehr scharf,
z. B. auf 500 Schritte einen kleinen Vogel, in der Nähe jedoch nicht, da verschwimmt
mir Alles ; vor dem linken ist auch beim Fernblick gleichsam ein Schleier. Ich kann
über keinen Graben springen, von weitem sehe ich, wie breit der Graben, welchen
Anlauf ich etwa nehmen müsste, wenn ich aber nahe daran gekommen, verlässt mich
das Urtheil über die Breite. Mond und Sterne kann ich wahrnehmen ; nach Sonnenunter-
gang sehe ich schlechter, und wenn auch der Widerschein vom Firmament verschwun-
den ist, muss ich mich führen lassen; ob ich bei Mondschein sehen würde, weiss ich
nicht, weil ich aus Furcht vor einem Unglück mich immer beeile, mit Sonnenuntergang
zu Hause zu sein. Komme ich von der Gasse in ein Vorhaus, welches nicht sehr
licht ist, so sehe ich ungewöhnlich lange gar nichts, bin ganz geblendet. Das volle
Sonnenlicht beleidigt meine Augen, so dass ich starkblaue Gläser tragen muss; auch
muss ich von Zeit zu Zeit meine Augen schliessen, um sie wieder zu Kräften kommen
zu lassen. Meine Nahrung muss ich beinahe kühl zu mir nehmen, weil der Genuss
heisser Speisen meinen Zustand entschieden verschlimmert. — Die äussere Besichtigung
entdeckt nichts Abnormes , ausser etwas minder lebhaften , jedoch nicht gerade stieren
Blick. Will er etwas genau sehen, z. B. lesen, wozu sich nur das rechte Auge noch
eignet, so muss er das linke schliessen. Er vermag höchstens 2 Seiten mittlem Druckes
in continuo zu lesen, und hat sich desshalb in der letzteren Zeit nur auf die unabweisli-
chen Schreibereien beschränkt. Er vermag von der Jäger'schen Druckschrift Nr. 5 zu
lesen, zwischen 10 — 20 Zoll Entfernung, lieber bei 15 — 20", schwer bei 8", gar nicht
bei 6", mit einiger Mühe auch bei 24". Mit dem rechten Auge allein (bei verdecktem
linken) liest er noch Jäger Nr. 2, jedoch nur bei 14", Nr. 3 dagegen zwischen 12 — 15",
bei 20" dagegen nicht. Die Pupillen — wie im vorigen Falle — dem Lichtgrade ad-
äquat, die Iris graublau, ziemlich stark vorgewölbt. Er hatte früher ein sehr scharfes
Entzündung; der Netzhaut — chronische. 125
Auge , und war auch vor Entstehung dieses Zustandes weder kurz- noch fernsichtig. —
Erkrankt war er im Juli l S54 ; als er sich beim Schienenlegen mit dem linken Auge
knapp an die von der Sonne erhitzte Schiene legte (auf dem Boden gestreckt), um zu
sehen, ob dieselbe ganz gradlinig gelegt sei, fielen ihm die Sonnenstrahlen direct in
die Augen ; augenblicklich empfand er so heftige stechende Schmerzen, dass er die Hände
vor die Augen hielt ; dann war er eine kurze Zeit wie geblendet und betäubt. Diese
Zufalle verschwanden, nachdem er sich Gesicht und Kopf mit kaltem Wasser gewaschen
und tüchtig abgekühlt hatte. Nach etwa 3—4 Tagen stellte sich das Doppeltsehen und
Schwindel ein, indem er über jedem Gegenstande noch einen zweiten minder deutlichen
sah. Er versah trotzdem seinen Dienst als Bahnaufseher, obwohl mit grosser Anstreng-
ung, indem er von dem Scheinobjecte allmälig abstrahiren lernte , und gebrauchte auf
Anrathen eines Arztes bloss Bitterwasser. Nach etwa 2 Monaten war er den Winter über
wieder gesund ; nur gegen Abend merkte er , dass seine Sehkraft nicht mehr so scharf
wie früher war, auch übergingen (thränten) ihm die Augen oft, wenn er mehr zu thun
hatte. Im April aber trat wieder — ohne bekannte Veranlassung — Doppeltsehen ein, er
meint, gerade zur Zeit des Yollmondes. Er gebrauchte zunächst "wieder Bitterwasser,
dann Seidlitzpulver , und da keine Besserung eintrat, auf ärztliche Ordination Blasen-
pflaster, die er durch 48 Stunden an der Schläfe liegen lassen sollte. Er legte diese
des Morgens auf; den andern Tag früh, als er erwachte, bemerkte er, dass er beinahe
blind war. Das Pflaster an der rechten Schläfe soll sich in der Nacht verschoben haben,
und nur das linke 24 Stunden liegen geblieben sein. Auf dem linken Auge sah er An-
fangs gar nichts, nach und nach erholten sich beide Augen ohngefähr gleichen Schrittes,
so dass er jetzt mit dem linken noch immer nicht lesen kann. Ich fand mit dem Augen-
spiegel deutlich ausgesprochene Hyperämie der Papille; die Netzhaut in ihrer ganzen
Ausdehnung zu untersuchen, war nicht möglich, da der Kranke bald wieder abreisen
musste (10. Juni 1S55) und künstliche Erweiterung der Pupille unter solchen Umständen
nicht räthlich erschien.
So lange der entzündliche Process noch im Gange ist, sind solche
Patienten immer gegen stärkeres Licht abnorm empfindlich ; sie fühlen
sich bei temperirtem Lichte behaglich oder doch minder unwohl. Diese
Empfindlichkeit tritt besonders bei reflectirtem Lichte (von lichten oder
glänzenden Objectenj, bei ungleicher Vertheilung desselben und bei
schnellen Übergängen oder Contrasten hervor. — Die Meisten klagen
auch über feurige Erscheinungen , besonders im Dunkeln , die sie bald
als rothe, gelbe, blaue oder weisse Flämmchen, oder Funken oder Blitze,
bald als eine Art Gold- oder Silberregen (namentlich beim Lidschlusse)
bezeichnen. Viele entsinnen sich erst während eines genaueren Exa-
mens, dass diese oder ähnliche Erscheinungen, wenn auch nur durch
eine kurze Zeit, doch ganz gewiss vorhanden waren. Seltener sind
verlässliche Angaben über die Gegenwart von mehr weniger deutlich
ausgesprochenem Schmerze über den Augenbrauen, in der Stirn, in der
Tiefe des Vorderhauptes, welche indess bisweilen so stark hervorge-
hoben werden, dass sie als dem Augenleiden vorangegangen, ja als
Ursache desselben bezeichnet werden, und der Arzt verleitet werden
126 Netzhaut.
kann, die Ursache anderswo als im Auge selbst zu suchen. Alle diese
Zufälle werden gesteigert durch excitirende Momente, echauffante Bewe-
gung-, geistige Getränke, heisse Speisen, Anstrengung der Augen, inten-
siveres Licht u. dgl. Eine nicht seltene Erscheinung, vorzüglich bei der
aus übermässiger Anstrengung der Augen bei unzweckmässiger Be-
leuchtung allmälig entstehenden Netzhautentzündung ist in der ersten
Zeit ein Gefühl von Trockenheit und Schwere der Lider oder von
Druck, wie bei Katarrh; die Kranken können des Morgens die Augen
nicht öffnen, ohne sie früher (allenfalls mit Speichel) benetzt zu haben. —
Zu den objectiven äussern Erscheinungen dieses Stadiums gehören:
leichte Röthe der Lidränder, mehr weniger bestimmt als abnorm zu
bezeichnende Injection der vordem Ciliararterien und relativ engere
Pupille. — Alle diese subjectiven und objectiven Erscheinungen sind
zwar weder einzeln noch zusammengenommen beweisend, schon dess-
halb nicht, weil sie einzeln und zusammen fehlen oder auch anderwei-
tig bedingt sein können; aber es ist nöthig zu wissen, dass sie durch
Retinitis erregt werden können; sie müssen den Arzt auf die Möglich-
keit dieses ernsten Leidens leiten, schon zu einer Zeit, wo die Hauptsache,
die Abnahme der Sehkraft, vielleicht noch gar nicht vom Kranken wahr-
genommen wird, wo erst genaue Versuche die Schwäche des Gesichtes
constatiren, wo der Kranke vielleicht nur eine passende Brille sucht,
ein calmirendes Mittel wünscht, u. dgl.
Nach mehr weniger langem Bestände dieses Stadiums, welches
man füglich als das erethisch-congestive bezeichnen kann, treten all-
mälig, selten rasch die Zeichen eines torpiden oder paralytischen Zu-
standes der Netzhaut auf. Die Empfindlichkeit gegen das Licht nimmt
ab und weicht zuletzt einem gewissen Bedürfnisse nach heller Beleuch-
tung der Gegenstände, und die feurigen Erscheinungen machen allmälig
der Wahrnehmung dunkler Flecke, Wolken, allgemeiner Umneblung oder
Verdunklung des Gesichtes Platz. Dabei wird (an dem betroffenen Auge)
gewöhnlich die Pupille etwas iceiter, die Iris träger, der Augengrund
minder rein, bisweilen zeigen sich auch Spuren chronischer Iritis (braune
Zacken am Pupillarrande) und zahlreichere oder doch stärker entwickelte
Ciliargefässe, schmutzige Farbe der Sclerotica, seltener Veränderungen
in der Spannung des Bulbus.
Die chronische Netzhautentzündung entwickelt sich bald nur auf
einem Auge, bald auf beiden zugleich oder kurz nach einander. Sie
kann in jedem Alter auftreten, kommt aber im Allgemeinen am häu-
figsten im Mannesalter vor, was wahrscheinlich mit den erregenden
Entzündung der Netzhaut — chronische. 127
Momenten zusammenhängt. Selten kommt sie im höhern Alter, noch
seltener in früheren Jahren vor. Als besonders disponirend dazu möch-
ten vor Allem höhere Grade von Kurzsichtigkeit, frühzeitig eingetretene
Accommodationsbeschränkung für nahe Objecte, Störung des Gesichtes
durch leichte Hornhauttrübungen zu betrachten sein, insofern diese Zu-
stände leicht Veranlassung zu relativ übermässiger Anstrengung der
Augen geben. — Unsere Kenntnisse über die Ursachen der chronischen
Netzhautentzündung müssen als noch sehr mangelhaft bezeichnet wer-
den. Nur Einiges lässt sich mit Sicherheit angeben. Retinitis entwickelt
sich, wie schon bemerkt wurde, bisweilen nach Verletzungen. Ebenso
nach Blutaustretungen in oder an der Retina, sie mögen wodurch immer
veranlasst sein. Eine häufige Ursache ist die Einwirkung intensiven
Lichtes, momentan wie beim Anblick der Sonne, oder anhaltend —
von lichten Flächen oder glänzenden Objecten reflectirt. Den Beobach-
tungen von Ed. Jäyer kann ich einen mit dem Augenspiegel unter-
suchten Fall beifügen, wo nach dem Betrachten der Sonnenfinsternis»
am 28. Juli 1851 chronische Retinitis entstanden war. Coccius und
Ruete haben einen von mir früher beobachteten Fall von Retinitis in
Folge von Insolation ophthalmoskopisch untersucht und beschrieben.*)
Weit häutiger jedoch führt übermässige Anstrengung der Sehkraft bei
Betrachten feiner Objecte direct oder indirect (mittelst kleiner Blutaus-
tretungen) zu einem schleichenden Exsudationsprocesse in der Netzhaut,
namentlich dann, wenn die Beleuchtung dabei in irgend einer der
oben angegebenen Beziehungen ungehörig ist, wenn das Auge wegen
Fehler in den durchsichtigen Medien oder im Accommodationsappa-
rate sich relativ mehr anstrengen muss, wenn Blutandrang zum Kopfe
überhaupt durch fehlerhafte Lebensweise oder durch Krankheiten be-
günstigt wird (üppige Nahrung, geistige Getränke, sitzende Lebens-
weise, u. s. w.).
Die weiter unten zu schildernde Kopiopie oder Asthenopie, welche
in früherer Zeit als Amblyopia erethica, in neuester Zeit jedoch mit Recht
zunächst als Leiden der Accommodationsorgane aufgefasst und beschrie-
ben wurde, kann in der That bei Forcirung der Augen zum Arbeiten
alhnälig zu Hyperämie, zu Blutaustretungen und zu wirklicher Entzün-
dung der Netzhaut führen. Ob die Abnahme des Sehvermögens bei
manchen Fällen von Morbus Brightii immer, wie in dem von Türk unter-
*) Coccius, über die Anwendung des Augenspiegels, Leipzig 1S53. 8. 111. Abgebildet in einer Disser-
tation von Erdmann und von Ruete, Bildliche Darstellung der Krankheiten des menschlichen Auges,
Bd. I. Seite 50. Tab. IV. Fig. 3.
128 Netzhaut.
suchten Falle, durch Retinitis bedingt sei, bedarf noch zahlreicherer Be-
obachtungen.
In einem von mir ophthalmoskopisch untersuchten Falle war es
wahrscheinlich, dass Lues den Anstoss zum Exsudationsprocesse in der
Netzhaut gegeben hatte. Die Ablagerung tuberculöser und medullärer
Masse in die Netzhaut kann füglich als von eigentlicher Entzündung
verschieden betrachtet werden. — Es ist nicht zu läugnen, dass viele
Fälle von Amblyopie und Amaurosis vorkommen, welche man als durch
Retinitis bedingt erklären muss, von denen sich aber die entferntere
Ursache nicht weiter angeben lässt, wenn man sie nicht in dem ersten
besten, vom Kranken beschuldigten Momente anzunehmen beliebt; ich
glaube indess nicht zu viel zu behaupten, wenn ich sage, dass in der
Mehrzahl der Fälle die Retinitis als Folge grellen Lichteinflusses und
fehlerhaften Gebrauches der Augen zu betrachten sei. Was mich zu
diesem Ausspruche bestimmt, ist das bisherige Resultat meines Kran-
kenexamens. Nur darf man, wenn sich's um Constituirung der ver-
anlassenden Momente handelt, nicht ausser Acht lassen, dass man bei
inveterirten Fällen und bei ungebildeten oder unachtsamen Leuten selten
etwas Verlässliches über die Momente erfährt, welche vor und während
der Entstehung der Krankheit, die sich eben nur allmälig entwickelt,
zugegen waren.
Auch rücksichtlich der Pt^ognosis können vor der Hand nur einige
Andeutungen gegeben werden. Die peripherische Retinitis ist minder
ungünstig als die centrale; sie bleibt auf die Peripherie beschränkt,
oder schreitet doch nur sehr langsam vor. Vor einigen Jahren starb hier
eine Dame in hohem Alter, welche — nach dem was ich erfuhr — höchst
wahrscheinlich an diesem Übel gelitten: ihre Sehkraft war im Verlauf
vieler Jahre allmälig bis auf eine etwa erbsengrosse Stelle des Seh-
feldes beim Lesen eingeschränkt worden, in dieser Ausdehnung aber
gut geblieben. Centrale Aufhebung der Sehkraft, durch Entzündung
der Netzhaut bedingt, sah ich noch nie in völlige Genesung übergehen ;
sie greift mehr weniger rasch um sich ; im günstigsten Falle behält die
nächste Umgebung und Peripherie einen leidlichen Grad von Seh-
kraft. — Man muss sich sehr hüten, die Prognosis, wenn auch nur
vielleicht für sich im Stillen — auf den Befund mit dem Augenspiegel
allein zu basiren. Die Sehstörung steht in den meisten Fällen gar
nicht in Proportion zu den ophthalmoskopisch wahrnehmbaren Netzhaut-
veränderungen. Einmal sind bei unbedeutender Amblyopie beträcht-
liche, wenn gleich disseminirte (nicht continuirliche) Trübungen vorhanden,
während ein andermal bei förmlicher Amaurosis ausser der Hyperämie
Entzündung der Netzhaut — ehronische. 129
kaum einige oder nur unbedeutende Veränderungen wahrgenommen wer-
den können, welche die Diagnosis Retinitis im Verein mit andern Mo-
menten stützen.
Wo nebst Amblyopie und allenfalls noch einem oder dem andern
subjectiven Symptome bloss Hyperämie der Netzhaut vorhanden ist,
Utsst sich wohl eher Besserung, vielleicht auch Heilung erwarten, als
wo bereits mehr weniger beträchtliche Veränderungen der Netzhaut
sichtbar sind. Wichtige Anhaltspunkte für die Prognosis liefern ferner
die Dauer der Affection, die Entstehungsv^ise, die disponirenden, exci-
tirenden und unterhaltenden Momente. Die meisten Kranken wenden
sich erst in einem schon viel zu weit vorgerückten Stadium an den
Arzt; die wenigsten besitzen die gehörige Geduld und Ausdauer; viele
können ihrer Verhältnisse wegen beim besten Willen den vorgeschrie-
beneu Bedingungen nicht nachkommen; andere betinden sich bereits
in einer viel zu gedrückten Gemüthsstimmung, welche ihnen so zu
sagen das Blut in den Adern stocken macht. Mehr aus diesen Grün-
den, als an und für sich und ihrer selbst wegen scheint uns die
Netzhautentzündung im Allgemeinen eine wenig günstige Prognosis zu-
zulassen.
Bei der Behandlung der chronischen Netzhautentzündung ist vor
Allem auf entsprechende Temperirung des Lichtes und auf Enthaltung
der Augen von jeder Anstrengung zu sehen. Diese Indication ist schon
durch das analoge Verfahren bei Pneumonie, Gastritis u. s. w. gerecht-
fertigt. Die Temperirung des Lichtes erfordert das Vermeiden stark
reflectiiten Lichtes, des Ausgehens bei Sonnenschein oder auch selbst
bei hellem Tageslichte, das Tragen hinreichend grosser blauer Plan-
gläser u. s. w. Am wenigsten aufregend wirkt bekanntlich das Ver-
weilen des Blickes auf matten, grün oder blau gefärbten Objecten.
Sehproben, womit die Kranken sich häufig zu quälen pflegen, sind nur
von Zeit zu Zeit, etwa von 8 zu 8 Tagen und vom Arzte vorzunehmen.
— Positiv nützlich sind locale Blutentziehungen an der Schläfe, am
Zitzenfortsatze, am innern Augenwinkel, mittelst Blutegeln oder kleinen
Schröpfapparaten (z. B. von Heurteloup), nicht zu reichlich auf einmal,
lieber öfter in kurzen Zwischenräumen wiederholt. Nach jeder Blut-
entleerung durch einige Stunden kalte Umschläge auf die geschlossenen
Augen, stärkere Verminderung des Lichtes und stundenlange Ruhe des
Körpers, daher am besten einige Stunden vor dem Schlafengehen. Von
Zeit zu Zeit blutige Schröpf köpfe längs der Wirbelsäule, Blutegel am
Mittelfleische. Kühlende Abführmittel, gelind solvirencle Mineralwässer,
kleine Gaben von Tartarus stibiatus, bei entsprechend regulirter Diät
Arlt Augenheilkunde. III. 9
130 Netzhaut.
im weitesten Sinne des Wortes. — Reizende, doch nicht erhitzende
Fussbäder mit Senfmehl, Kochsalz, Lauge, Aqua regia. Die Nütz-
lichkeit künstlicher Geschwüre am Nacken oder Oberarme scheint mir
wenigstens noch nicht erwiesen zu sein. Gegenreize in der Nähe des
Auges (Schläfe, Stirn, Bindehaut) sind gewiss nachtheilig. — In weiter
vorgerückten oder hartnäckigen Fällen ist es völlig gerechtfertigt, die
Constitution unter den Einfluss des Quecksilbers zu setzen, Sublimat-
oder Inunctionscur, Zittmannsches Decoct. — Von den narkotischen
Mitteln, zu deren Anwendung die Empfindlichkeit gegen das Licht ein-
ladet, möchte Belladonna nur mit grösster Vorsicht anzuwenden sein,
damit nicht etwa durch Erweiterung der Pupille die Netzhaut noch
mehr dem Lichteinflusse preisgegeben werde, eher Conium maculatum,
und bei gesteigerter Herzaction Digitalis und Aqua laurocerasi. — Bei
der dem Auge meistens wohlthuenden Anwendung kalter Fomente oder
einer ganz milden und feinen Regendouche (Staubregen-Douche) ist die
gehörige Vorsicht bezüglich der erregenden Nachwirkung nicht ausser
Acht zu lassen. — Die Anwendung erregender Mittel, sowohl innerer
als äusserer, ist auch dann, wenn die Krankheit bereits unter dem
Bilde der sogenannten torpiden Amaurose fortbesteht, positiv schädlich,
mindestens unnütz. Es gilt diess wenigstens vom Strychnin, von der
Pulsatilla, vom Phosphor, von der Elektricität , vom Ammonium, von
den Naphthen, von den ätherischen Ölen. Diese und ähnliche Mittel
dürften ihre Aufnahme in die Therapie gegen Amaurosis grösstentheils
der Annahme verdanken, dass dieser letztern eine Art von Schwäche
oder Lähmung der Netzhaut zu Grunde liege. Die sorgfältige Be-
nützung des Augenspiegels wird wohl bald im Stande sein, den alten
Schlendrian auszumerzen, dass man bei jeder Amblyopie gleich mit äus-
sern oder selbst innern Reizmitteln bei der Hand ist. — Nach einigen
Beobachtungen von Ruete (Bildliche Darstellungen der Krankheiten etc.)
dürfte nach vorausgeschickter Antiphlogose die vorsichtige Verabreichung
von Eisen- oder Chinapräparaten von Nutzen sein. In einem Falle
glaube ich durch die nachträgliche Anwendung des Elixir. acid. Halleri
einige Besserung erzielt zu haben. — Einreibungen von Jodkalium-
oder Mercurialsalben an die Stirn und Schläfe sind, wenn auch viel-
leicht ohne Nutzen (?, doch mindestens nicht schädlich, ausser sie wer-
den zu lange fortgesetzt.
J. N., 50 Jahre alt, Tischler, früher angeblich stets gesund, jetzt aber (durch
Kummer" und Nahrungssorgen?) sehr herabgekommen, wurde am 21. December 1854
als erblindet vorgeführt. Blick und Haltung eines Amaurotischen, Divergenz der Seh-
achsen, die ziemlich rein schwarzen Pupillen weiter, als bei gleicher Beleuchtung im.
Entzündung der Netzhaut — chronische. 131
normalen Zustande. Der Mann kann nicht mehr allein gehen. Er nimmt, mit dem
Rücken zum Fenster gewendet, grössere und hellfarbige Objecte, z. B. die Hand, das
Gesicht, das weisse Halstuch einer vor ihm stehenden Person wahr; dabei bemerkt man
aber, dass er nicht die Macula lutea, sondern eine seitlich gelegene Partie dem Objecte
gegenüberstellt. Auf dem linken Auge ist von der Sehkraft nicht viel mehr als deut-
liche Lichtempfindung übrig. Iris lichtgraublau, trag beweglich; Pupillen rund, circa
2Va — 3'" Durchmesser, verengen sich beim Blick gegen das Fenster höchstens auf 2'".
Auf der Sclera einige schiefergraue Punkte an den Eintrittsstellen früher erweiterter
Ciliararterien. — Anfang der Sehstöriing vor 3Va Jahren. Er bemerkte an einem hellen
Frühlingsmorgen bei einer Militärparade, dass er Personen auf höchstens 15 — 20 Schritte
gut erkennen konnte, auf grössere Distanz aber alle Objecte wie durch Nebel sah. In
seiner Arbeit war er noch nicht gehindert, bloss stärkeres Licht musste er meiden.
Im September war er bereits genöthigt , einen Arzt zu consultiren , welcher das Übel
für beginnende Cataracta gehalten zu haben scheint, weil er ihm nichts ordiniite, und
ihn im Frühlinge wieder kommen hiess. Allmälig erstreckte sich die Trübung auch auf
das Erkennen naher Objecte, so dass er nur gröbere Arbeiten verrichten konnte. An
trüben Tagen sah er besser, als wenn die Sonne schien. Im nächsten Frühlinge (1853)
war jedoch diese Verschlimmerung wieder zurückgegangen, so dass er jenen Arzt erst
im Herbste aufsuchte , als das Übel neuerdings ärger geworden war, und zwar ärger
als im Herbste 1S52. Er konnte nun bloss bei Tageslicht noch etwas arbeiten, und
bemerkte besonders Morgens beim Erwachen Funkensehen, welches immer einige Mi-
nuten andauerte , ausserdem auch beim Husten , Niesen , Lastenheben u. dgl. hervor-
gerufen wurde. Manchmal kam es ihm vor, als senkten sich glühende Sägespäne vor
seinen Augen in der Luft herab. Allmälig war es so weit gekommen, dass er alle
Arbeit aufgeben musste, ja dass er endlich (im Sommer 1854) nur nach Sonnenuntergang
noch allein auszugehen wagte. Nun hatte sich nebst der Photopsie auch das Vor-
schweben dunkler Flecke und Streifen oder "Wolken eingestellt, und er sah jetzt an
hellen Tagen besser, als an trüben, nur durften die Objecte nicht von der Sonne be-
schienen und nicht glänzend sein, weil ihm sonst die Augen leicht übergingen und
schmerzten. Lichte Gegenstände schienen ihm mit einem Spinnengewebe überzogen zu
sein. — Diagnosis nach diesen Erhebungen allein : Amblyopie , höchst wahrscheinlich
Betinitis chronica. Die Untersuchung mit dem Augenspiegel bestätigte diese Annahme.
Die durchsichtigen Medien normal. Die Sehnervenpapille nicht scharf begrenzt, mit
verwaschenen Bändern, schmutzig röthlich ; in der nächsten Umgebung einige Gefäss-
zweigchen durch graubraune Trübungen unterbrochen , die Gegend der Macula lutea
licht- und schwarzgrau marmorirt. — Kein ätiologisches Moment mit Bestimmtheit zu
ermitteln. Der Kranke will früher stark an Fussschweissen gelitten haben, die ohn-
gefähr seit eben so langer Zeit nachgelassen haben sollen. Anfangs Blutegel an die
Schläfe und innerlich Tart. stibiatus refr. dosi, und durch längere Zeit die Füsse in
trockne warme Tücher und in Wachstaffet eingehüllt, dann Veratrinsalbe an die Stirn
und Schläfe eingerieben. Nicht eine Spur von Besserung. Mitte Jäner Sublimatcur
nach Dzondi. Als der Kranke bis auf 12 Pillen des Tages gestiegen war, erfolgte Ab-
nahme der Photopsie , Zunahme des Gesichtes ; er konnte bereits die vorgehaltenen
Finger in grösserer Distanz gut zählen. Die nun wieder mehr hervortretende Empfind-
lichkeit gegen das Licht machte das Tragen blauer Brillen räthlich. Bei der Anwendung
von lauen Bädern nach beendeter Cur trat wieder Verschlimmerung ein, wesshalb nach»
einiger Zeit dieselbe Cur noch einmal wiederholt wurde. Die jetzt eintretende Besserung
9*
1 32 Netzhaut.
ging so weit, dass der Mann selbst die Zeiger einer kleinen Taschenuhr richtig angeben,
und die mit Kreide auf schwarze Tafeln geschriebenen Buchstaben auf 10 — 12 Schritte
erkennen konnte. Nun wurde noch durch einige Zeit ein Decoctum chinae bei guter
Kost verabreicht, zuletzt wegen noch immer anhaltender Empfindlichkeit gegen stärkeres
Licht Conium maculatum. Mitte April verliess der Kranke die Anstalt. Anfangs Juni (1855)
besuchte er die Anstalt wieder, uns zu zeigen, dass die erzielte Besserung Bestand habe.
Auffallend und mir unerklärlich war, dass er im Allgemeinen entferntere Gegenstände
besser erkannte , als nahe. "Versuche mit Convexgläsern habe ich leider nicht angestellt.
Etwas Ähnliches bemerkte ich auch bei G. K., dessen Krankengeschichte oben bei der
Nyktalopie (S. 114) mitgetheilt wurde, als er mich Ende Juli 1855 besuchte. Er war in
Bezug auf das Erkennen sehr ferner Objecte mit seinem Sehvermögen fast vollkommen
zufrieden, nur Physiognomien von mehr als 5 — 6 Schritte entfernten Personen vermochte
er noch nicht zu erkennen.
Folgende 2 Beobachtungen sind aus Ruete's letzt citirtem Werke entlehnt : „Ein
zart gebautes, etwas chlorotisches Mädchen von 21 Jahren, welches sich mit "Weissnähen
ernährte, hatte ohne nachweisbare Schädlichkeit, ohne Schmerzen und sonstige Er-
scheinungen zuerst am linken und später auch am rechten Auge eine Abnahme des
Sehvermögens verspürt, die es ihr unmöglich machte, ihr Geschäft fortzusetzen. Das Auge
zeigte nichts Abnormes, die Pupille war normal und vollkommen beweglich beim Lichtreize.
Bei der Untersuchung des linken Auges mit dem Spiegel bei erweiterter Pupille sah
man die Sehnervenpapille gesund, die Retina aber in ihrem ganzen Umfange getrübt,
daher die Centralgefässe etwas verschleiert. Nebst passender Diät einige Schröpfköpfe
an die Schläfe und innerlich Tart. tartaris. mit Extr. taraxaei. Nachdem die Kranke dieses
Mittel etwa 8 Tage genommen hatte, wurden 14 Tage hindurch Einreibungen von Jod-
kalisalbe in die Umgegend der Augen gemacht und innerlich Jodkali gegeben. Unter
der Einwirkung dieser Mittel besserte sich das Sehvermögen', ohne dass die Trü-
bung der Retina, welche mit dem Augenspiegel zu verschiedenen Zeiten unter-
sucht wurde, sich vermindert hatte. Daher wurde jetzt zum Gebrauche des Eisens
geschritten, nach dessen längerer Anwendung sich das Sehvermögen bedeutend
verbesserte, aber die Retina nicht wieder aufgehellt wurde. „Ähnliche Zustände
habe ich (Ruete) sehr häufig beobachtet und dabei leider die Erfahrung gemacht, dass
selten eine bleibende Heilung zu erzielen ist. Gar häufig erfolgen nämlich, meistens
ohne besonders auffallende Schädlichkeiten, Recidive , die dann immer schlimmer sind
als der erste Anfall."
„Ein 38 Jahre alter Schriftsetzer behauptete seit einigen "Wochen eine bedeutende
Abnahme seines Sehvermögens des linken Auges, ohne dass er davon eine besondere Ur-
sache anzugeben vermochte, bemerkt zu haben. Auch uns war es unmöglich, bei dem
anscheinend guten Gesundheitszustande des Kranken eine ausreichende eonstitutionelle
Ursache aufzufinden. Das Aussehen des Auges war, bis auf eine geringe Erweiterung
und Trägheit der Pupille und rauchige Farbe des Augenhintergrundes, vollkommen
normal. Bei der Untersuchung mit dem Augenspiegel fand sich die Retina stark nebei-
förmig getrübt, so dass sie die Centralgefässe etwas umschleierte; die Papilla nervi
•optici war verhältnissmässig gross, hatte ganz in der Mitte einen schwarzen Fleck, auf
diesen folgte eine kleine weisse Scheibe, auf diese ein breiter grauröthlicher Ring, der
an der äussern Grenze von einem weissen Ringe eingeschlossen wurde; die Central-
gefässe verzweigten sich in der Peripherie sehr frühzeitig mit zahlreichen Ästen. Die
Apoplexie der Netzhaut. 133
Diagnose wurde auf Retinitis gestellt, in der Mitte des Sehnerven mit einem etwas ver-
alteten kleinen Blutextravasate, und mit einem entzündlichen Exsudate in der Suhstanz
des Nerv, opticus, wovon der graurothe Ring abzuleiten war. Eine strenge Antiphlogose
mit der entsprechenden Diät, zur Nachcur Chinin und Eisen stellten den Kranken in
wenigen "Wochen vollkommen wieder her, wobei auch der graurothe Ring fast ganz
verschwand."
5. Amblyopie (Amaurosis) in Folge von Netzhautblutung,
Apoplexia retinae. Die Retinalapoplexie tritt nach Verletzungen, nach
Blendung- und übermässiger Anstrengung der Augen, aber auch ohne
diese und überhaupt ohne bestimmt nachweisbare Ursachen auf. Ich
beobachtete sie öfter an kurzsichtigen Augen. Ob Rigidität der Arterien
dazu besonders disponire, konnte ich nicht eruiren, obgleich sich dieses
Leiden in einigen Fällen als gleichzeitig vorhanden constatiren liess.
Mechanische Hyperämie und Blutaustretung in der Netzhaut kommt
auch bei Krankheiten in der Schädelhöhle vor, wenn der Rückfluss des
Blutes durch die Vena ophthalmica erschwert ist, wovon später. — Bei
einem Knaben von etwa 14 Jahren, welcher in Folge schlechter und
unzureichender Nahrung sehr herabgekommen und an zahlreichen Stel-
len der Körperoberfläche mit kleinen Ekchymosen bedeckt war, fand
ich auch an den Netzhäuten viele kleine Blutaustretungen , welche ich
als Ursache der sehr weit vorgeschrittenen Amblyopie betrachten musste,
um so mehr, als die Sehstörung und das Allgemeinleiden na^h dem
Gebrauche von China mit Elixir. aeid. Halleri bei besserer Kost in
Zeit von einigen Wochen fast ganz behoben wurde. Überhaupt kann
über das Auftreten der Retinalapoplexie im Allgemeinen dasselbe ge-
sagt werden, wie über Chorioidealblutungen und über Blutergüsse im
Glaskörper. *)
Blutaustretungen in der Netzhaut verursachen Sehstörung entweder
an und für sich, durch die Grösse, Lage oder Zahl der Herde, oder
aber durch die nachfolgende Reaction. Die Sehstörung kann demnach
fehlen oder relativ gering sein; sie kann plötzlich — wie mit einem
Schlage, — aber auch allmälig mehr und mehr hervortreten. Plötzlich
auftretende Sehstörung erregt stets Verdacht auf Apoplexie im Auge
oder in den Centralorganen. Kleine Extravasate stören das Gesicht an
und für sich nur dann, wenn sie in oder nahe an dem Centrum der
Netzhaut auftreten; peripherische werden erst bei grösserer Ausdehnung
*\ Bei Amblyopie oder Amaurosis nach heftigem Zorne oder Schrecken, wovon bei älteren Schrift-
steilem Beobachtungen notirt sind, dürfte wohl Blutaustretung im Auge oder auch im Gehirne z*
Grunde liegen. In einem von Rostna mitgeteilten Falle fand man im grossen Gehirn zahlreiche
Blutpunkte und Erweichung des kleinen Gehirnes.
134 Netzhaut.
nachtheilig. Was solche Blutungen bedenklich macht, ist theils die
Wiederkehr an verschiedenen Stellen, zu verschiedenen Zeiten, selbst
ohne weitere äussere Veranlassung, theils die reactive Entzündung in
mehr weniger grosser Ausdehnung.
Rücksichtlich der Behandlung können wir füglich auf das über Blut-
ergüsse in den Glaskörper Gesagte (Bd. II. S. 232 und Bd. III. S. 10)
verweisen.
Folgende Beobachtung von Ruete (Midi. Darst.) mag als Beispiel dienen: „Ein
Schriftsetzer von 36 Jahren, etwas hagerer Constitution und von blassem Aussehen, be-
hauptete, in einer Nacht plötzlich mit dem linken Auge fast erblindet zu sein, nachdem
er in Folge einer heftigen Gemüthsbewegung an Kopfschmerz und etwas Schwindel ge-
litten hatte. Bei der Untersuchung zeigte sich die Pupille etwas erweitert und träge;
die Farbe des Augenhintergrundes aber und die übrigen Gewebe des Auges, selbst die
Blutgefässe der Conjunctiva boten nichts vom gesunden Zustande Abweichendes dar;
auch hatte der Kranke durchaus nicht an subjectiven Licht- und Farbenerscheinungen
gelitten, sondern klagte nur über einen dicken schwarzen Nebel vor dem Auge, der ihn
verhinderte, auch selbst helle grosse Gegenstäude deutlich zu sehen. Bei der Unter-
suchung mit dem Augenspiegel zeigten sich die brechenden Medien normal, ebenso der
N. opticus und die dort hervortretenden Centralgefässe. In einiger Entfernung aber von
diesem, namentlich in der Gegend des directen Sehens, lagen im Niveau der Retina eine
grosse Zahl kleiner, unregelmässig begrenzter rother Flecken'., unter denen in der Mitte
ein verhältnissmässig grosser und dunkler Fleck zu sehen war. Nach oben hin verlief
noch ein dunkles Gefäss, dessen feinere Äste von den Flecken bedeckt wurden. Es
unterlag keinem Zweifel, dass man hier eine frisch entstandene Capillarapoplexie in der
Netzhaut vor sich hatte. Zur Beseitigung des Übels wurden Schröpfköpfe, kalte Über-
schläge, kühlende Abführungsmittel, Schonung der Augen, geistige und körperliche Ruhe
und eine massige Diät anempfohlen. Unter dieser Behandlung besserte sich das Seh-
vermögen allmälig, und als das Auge nach 2 Monaten von mir wieder untersucht wurde,
waren die rothen Flecke fast ganz verschwunden. Jetzt wurden zur Nachcur Martialia
empfohlen, unter deren Einwirkung das Sehvermögen beinahe ganz wieder hergestellt
ist." — „Derartige feine apoplektische Ergüsse könnten bei oberflächlicher Betrachtung
allenfalls mit einer Capillarhyperämie verwechselt werden. Berücksichtigt man aber, be-
sonders bei Anwendung stärkerer Vergrösserungen , den Gefässcharakter der letzteren , so
•wird ein solcher Fehler in der Diagnose nicht so leicht vorkommen."
Dass Hämorrhagie der Netzhaut und die hierdurch zunächst bedingte Erblindung,
welche man nach dem Augenspiegelbefunde für eine peripherische halten möchte , auch
durch ein Leiden der Centralorgane, und zwar durch Druck auf die Hirnblutleiter bedingt
sein könne, hat Dr. Türk *) durch eine eben so sorgfältige und verlässliche, als anatomisch
wichtige und interessante Beobachtung nachgewiesen.
Eine 37jährige Kranke, welche in den letzten 10 — 11 Monaten amaurotisch gewesen
war, starb in Folge einer etwas mehr als wallnussgrossen Krebsgeschwulst an der obern
Fläche des linken Vorderlappens vom grossen Gehirn. Die Geschwulst hatte, insbesondere
auch durch consecutive Schwellung des Gehirnes, einen vorwaltend linkerseits tiefgrei-
*) Zeitschrift d. Wiener Ärzte, 1853, Nr. 3. Prag. Vierteljahrsctir. Bd. 39.
Amblyopie — von Erkältung. 135
fenden Detritus der innern Schädelfläche bewirkt. Der Druck, den die Sehnerven,
namentlich das Chiasma, an der Schädelbasis erlitten, musste als Ursache der Amaurosis
angenommen werden. Die mikroskopische Untersuchung der Sehnerven zeigte dieselben
Veränderungen, wie in andern Fällen, wo dieselben gleichfalls eine Compression erlitten
batten. (Grosse Körnchenzellen im Chiasma, von da gegen die Netzhaut hin allmälig
an Zahl gering, rückwärts dagegen bis zum Corpus geniculatum sehr zahlreich.) In der
Netzhaut beider Augen fand T. sehr zahlreiche, kleine, hellrothe Blutextravasate von der
Grösse der kleinsten, dem freien Auge noch wahrnehmbaren Punkte bis zu der eines
Hirsekornes. Diese Ertravasate fanden sich am vordem Abschnitte der Retina bedeutend
zahlreicher und grösser als am hintern, und im linken Auge an Grösse und Zahl über-
wiegend über jene des rechten. Die Gefässe der Netzhaut waren kaum blutreicher als
gewöhnlich ; wenige derselben in einer kurzen Strecke zu beiden Seiten von kleinen
Blutpunkten umgeben. Die Stäbchenschicht war verschwunden, die Körnerschicht noch
ziemlich deutlich. Neubildungen zeigten sich nirgends. In der Chorioidea war nach
Entfernung der Retina keine Spur von Extravasat, auch beim ungewöhnlichen Blut-
reichthum wahrnehmbar. Linse und Glaskörper normal. Dieser Hämorrhagie lag weder
«in dyskrasischer Process, Scorbut u. dgl., noch Entzündung, noch atheromatöse Erkran-
kung der Netzhautgefässe , welche bekanntlich in anderen Geweben nicht selten Veran-
lassung zur Blutung gibt, zu Grunde, und T. kommt so zu dem Schlüsse', dass der
erschwerte Rückfluss des venösen Blutes von der Retina zum Gehirn das veranlassende
Moment war. Denn durch den Druck der Aftermasse war die Sattellehne grösstenteils
zerstört, dadurch das Band niedergedrückt, welches die Ausführungsstelle des Sinu3
petrosus superior in den Sinus basilaris brückenartig überwölbt, mithin den Rückfluss des
Blutes behindert oder erschwert.
Ich war voriges Jahr nicht wenig überrascht, in einem Falle completer Amaurosis
bei einem Mädchen von 22 .Jahren die Netzhäute von zahlreichen kleinen Ekchymosen
durchsetzt zu finden (mit dem Augenspiegel), nachdem die Erhebung des Status praesens
und der Anamnesis zur Diagnosis eines Centralleidens mit Druck — wahrscheinlich Me-
ningitis ad basin cerebri — geführt hatte. Ich erwähne dieses Falles nur, um die Be-
merkung zu machen, dass der ophthalmoskopische Befund, wenn er auf Hyperämie,
Apoplexie oder Entzündung der Netzhaut deutet, an und für sich noch nicht zu dem
Schlüsse berechtigt , man habe es mit einer peripherischen Amaurosis zu thun ; das
peripherische Leiden kann eben Folge des centralen sein. Es dürfte diese Bemerkung
besonders für jene nothwendig sein, welche die ophthalmoskopische Untersuchung, wo
nicht überschätzen, doch dem anderweitigen Examen vorausschicken und eben desshalb
leicht davon präoccupirt werden.
6. Amblyopie (Amaurosis) in Folge von Verkältung — Amblyopia
rheuinatica. Wenn in Folge von Verkältung Trübung oder Verlust des
Sehvermögens auftritt, und nach dem Ensemble der Erscheinungen bloss
auf ein Leiden des Auges, in specie der Netzhaut geschlossen werden
kann, so ist allerdings a priori nicht in Abrede zu stellen, dass die
Affection auch auf die Netzhaut allein beschränkt sein könne, und es
lassen sich Gründe für die Annahme anführen, dass dieselbe in Hy-
perämie und seröser Durchfeuchtung oder Ausschwitzung bestehe; es
wird indess aus der Zusammenhaltung hieher gehörender Beobachtungen,
136 Netzhaut.
namentlich aus dem Verlaufe und den Ausgängen sehr wahrscheinlich,
dass die Chorioidea jederzeit, wenn nicht vorwaltend, so doch gleich-
zeitig mitergriffen sei. Desshalb habe ich die Affection als Chorioiditis
rheumatica im 2. Bande S. 218 geschildert, und füge nur noch hinzu,
dass dieses Leiden eine nicht seltene Quelle der gleichfalls schon ge-
schilderten Netzhautablösung (B. III. S. 119) bildet. — In andern Fällen
dagegen liegt der durch Verkältung veranlassten Erblindung ein krank-
hafter Process nicht am Bulbus, sondern in der Schädelhöhle zu Grunde.
Es muss hier ausdrücklich bemerkt werden, dass bei rein peripheri-
scher rheumatischer Amblyopie nicht selten Lähmung des Levator pal-
pebrae sup., des Muse, rectus externus, irgend eines oder mehrerer
anderer Augenmuskel und davon abhängig: Doppeltsehen, Schwindel,
Eingenommenheit des Kopfes, Übligkeiten vorhanden sein, und den.
minder geübten und minder aufmerksamen Beobachter leicht zur An-
nahme eines centralen Leidens verleiten können. Ist der Schwindel
bloss vom Doppeltsehen abhängig, so verschwindet er sammt der Brech-
neigung beim Verbinden des afficirten Auges. Ist bloss der Levator
palpebrae gelähmt, so ist die Affection als peripherisch anzusehen.
Ebenso spricht Ödem des Lides oder der Conjimctiva bulbi, stärkere
Injection der Ciliargefässe u. dergl. für bloss peripherische Affection.
Wenig verlässlich, wenn auch immer beachtenswerth, dürfte der Um-
stand sein, ob die Verkältung eine reine locale oder eine allge-
meine war.
7. Cysteiibilduiig in der Netzhaut. Dr. von Graefe*) hat vier
Fälle von Cysticercus der Netzhaut beobachtet. Es wird genügen, eine
dieser exaeten Beobachtungen hier auszugsweise aufzunehmen.
Eine Frau, 28 Jahre alt, von gesundem Aussehen, ohne Cysticerken an der Kürper-
oberfläche und ohne Bandwurmbeschwerden (welche in einem andern Falle vorhanden
waren) , hatte 3 "Wochen vor ihrem Erscheinen auf Gräfe's Klinik einen Nebel vor dem
linken Auge bemerkt, welcher zuerst den mittlem Theil des Gesichtsfeldes einnahm, und
sich dann allmälig nach den Seiten ausbreitete. Unter dem Ophthalmoskop zeigten sich
Linse und Glaskörper klar, aber, den mittlem Theil der Netzhaut bedeckend, erschien ein
glänzend grünlicher Körper, welcher mit einem überall nach aussen convexen kreisrunden
Grenzrande gegen die benachbarte', vollkommen gesunde Netzhaut scharf abschnitt. Bei
der Untersuchung im umgekehrten Bilde zeigte sich derselbe als eine vollkommen runde
grünliche Blase , im Durchmesser etwa 4mal so gross , als der Sehnerveneintritt , der
Netzhaut fest aufsitzend, und mit der vordem Wand in den Glaskörper hineinragend. Aus,
den umgebenden normalen Netzhautpartien zogen sich einige spitzenförmig endigende:
*) Archiv für Ophthalmologie, Bd. I. Abth. 1. S. 457. u. Abth. 2. S. 32G.
Retinalamblyopie — Cystenbildung — Markschwaiuni. 137
Gefässe auf die seitlichen Theile der Blase in die Höhe. In der Mitte der vordem Wand
gewahrte man einen mehr undurchsichtigen und weissen knopfartigen Appendix. Derselbe
sprang mehr als die übrigen Theile der vordem Wand in das Innere des Auges hervor,
obwohl der Grad dieses Hervortretens in verschiedenen Momenten der Beobachtung etwas
variirte. Ebenso konnte einige Verschiebung des Knopfes an der Blase selbst deutlich
nachgewiesen werden , vom Centrum der Blase nach der Seite hin. Ich bemühte mich
vergeblich, einzelne Theile von dem Knopfe oder wo möglich einen denselben tragenden
Halstheil zu entdecken, und konnte desshalb zu keinem positiven Resultate gelangen,
weil das Bild überhaupt wie leicht verschleiert erschien, ein Anblick, welcher mich im
Verein mit dem Vorhandensein der oben geschilderten aufsteigenden Gefässäste zu der
Überzeugung brachte, dass die ganze Blase noch mit einer feinen Umhüllungsmembran
bekleidet sei , was sich später noch klarer herausstellte und auch in andern Fällen
beobachtet wurde. Bei vollständig fixirter Sehachse sah ich an einzelnen, oft gleichzeitig an
mehreren Theilen der Blase Abflachungen oder napfförmige Vertiefungen entstehen, welche
die im Ruhezxistand sphärische Form mannigfach veränderten. — Drei Wochen später hatte
sich die Blase ungefähr '/a diametral vergrössert. Der Knopf sass jetzt nicht mehr im
Centrum, sondern dicht unter dem obern Rande, und zwar inmitten eines blasigen Vor-
sprunges, welcher wie eine zweite kleinere Blase aus der früheren hervorgewachsen zu:
sein schien. Der Kopf des Entozoon war also durch die Umhüllungsmembran heraus-
getreten und man erkannte an ihm jetzt nicht allein deutliche seitliche Anschwellungen,
sondern auch den früher vermissten Halstheil, welcher bald gestreckt, bald eingezogen
wurde. Das Sehen war jetzt bis auf einen schwachen Lichtschein nach aussen und unten
erloschen. — Zehn Wochen später hatte die Blase ihr grünliches Aussehen verloren und
war stärker durchscheinend, die Gefässe waren zum Theil spurlos verschwunden. Da-
gegen war der blasenförmige Appendix vergrössert, so dass er ungefähr das Volumen
der ursprünglichen Blase erreicht hatte, eine grünliche Farbe darbot und von der frühern
Blase durch eine Einschnürung abgegrenzt erschien. — Fünf Monate nach der 1. Be-
obachtung war die erste Blase vollständig zerfallen, und sah man an deren Stelle nur eine
faltige , auf- und abschwankende , durchscheinende Membran ohne bestimmte Contouren.
Auch die zweit-entwickelte Blase war mit ähnlichen Membranen bedeckt. Trotzdem war
das Thier nicht abgestorben ; der Kopf mit dem Halstheil lag jetzt ganz gegen die Nase
zu, so dass man die Kranke stark nach rechts blicken lassen musste, um ihn zu sehen.
— Von dem ursprünglich projectirten Einstiche durch die Sclera stand Gräfe später ab,
weil das Sehvermögen nicht zu retten war. Die örtliche Anwendung von wurmwidrigen
Mitteln (Einträuflungen von filicinsaurem Kali, 4 Gran auf 1 Unze, später von einem
Santoninpräparate) hatte selbst nach monatelanger Fortsetzung keinen Erfolg auf die
Tödtung des Thieres. Der Wurm zeigte sich noch 8 Monate nach der 1. Beobachtung
lebendig.
8. Amaurosis von 3Iarkschwanmiablagerung in der Netz-
haut. Die primitive Ablagerung von Krebs, und zwar als Medullar-
Carcinom oder als Melanose in der Netzhaut ist durch genaue Leichen-
untersuchungen nachgewiesen. Der Ausgangspunkt ist bald die flache
Ausbreitung in mehr weniger grosser Ausdehnung, bald die Papille des
Sehnerven; in mehreren Fällen wurde gleichzeitig Ablagerung im
Stamme der Sehnerven gefunden.
138 Netzhaut.
Die Ablagerung erfolgt in den meisten Fällen ganz unvermerkt, in
andern nach leichten Irritationszufällen am Bulbus. Die Abnahme der
Sehkraft, obwohl der Natur der Sache nach einer der ersten Zufälle,
wird desshalb meistens erst bei ziemlicher Ausbreitung des Übels wahr-
genommen. Die an die Ablagerung gebundene Sehstörung kann eine
Zeit lang auch bloss auf einen Theil der Netzhaut beschränkt sein, da-
her z. B. auch als Hemiopie auftreten, wie ich es in einem Falle be-
stimmt beobachtet habe. Dagegen machen sich der Umgebung des
Kranken, namentlich bei Kindern, die bekanntlich am häufigsten davon
befallen werden, zwei andere Erscheinungen sehr bald bemerkbar: Er-
weiterung der Pupille und ein eigenthümliches Leuchten oder Funkeln
des Augengrundes. Die Erweiterung der Pupille ist hier nicht einfach
von der Aufhebung der Perceptionsfähigkeit der Netzhaut abhängig,
denn sie macht sich auch bei bloss monolateraler Affection geltend; sie
ist wenigstens mitbedingt durch gehinderte Leitungsfähigkeit der Ciliar-
nerven, durch Druck auf dieselben (Infiltration der Chorioidea?), daher
auch die Farbe und Beweglichkeit der Iris in ähnlicher Weise wie
bei Chorioiditis verändert erscheint. Das Funkeln oder Leuchten des
Augengrundes, bald gold- oder pomeranzengelb, bald grau- oder silber-
weiss, bei Kindern gewöhnlich der erste Verräther des Übels, und An-
fangs nur bei gewissen, dem Einfallen und der Pteflection des Lichtes
günstigen Stellungen bemerkbar, wird in dem Masse auffallender, als
die Netzhaut in grösserer Ausdehnung infiltrirt wird und weiter und
weiter vor die Brennweite der durchsichtigen Medien des Auges rückt.
Der Arzt kann dann auch schon mit freiem Auge mehr weniger deut-
lich die unebene Oberfläche der Masse und die Gefässe unterscheiden,
welche derselben den röthlichen Anstrich geben; es sind diess entwe-
der die Centralgefässe der Netzhaut — wenigstens zu Anfang — oder
aber neuentwickelte Ramificationen im Pseudoplasma selbst. Wie dick
oder mächtig die Masse sei, lässt sich mit blossem Auge kaum ermes-
sen; gewöhnlich wird man nach dem blossen Anblicke verleitet, die
Masse noch tief hinten befindlich anzunehmen, wo sie doch schon weit
nach vorn vorgerückt ist. Der Augenspiegel wird über beides, das Ver-
halten der Gefässe und das Vorgerücktsein des Pseudoplasma, gewiss
verlässliche Aufschlüsse geben. Mir ist indess seit zwei Jahren kein
Fall dieser Krankheit vorgekommen. Die Unterscheidung dieser
Krankheit von Vorwärtsdrängung der Netzhaut durch serösen Er-
guss (siehe oben: Netzhautablösung) oder durch feste Exsudate (Cho-
rioiditis traumatica, tuberculosa etc.), welche bisher nur in einzel-
nen Fällen und da oft bloss mit Wahrscheinlichkeit gemacht werden
Retinalaiuaurose — Markst hwannn der Netzhaut. 139
konnte, dürfte von nun an wohl viel leichter und sicherer mög-
lich sein.
Diese Unterscheidung fällt leider wieder weg, wenn bei dem all-
mäligen Vorwärtsdringen des Parasiten die Linse getrübt und mehr we-
niger vorwärts gedrängt worden ist, wenn Blut oder eiterartiges Exsu-
dat in die vordere Kammer ergossen worden ist. Hiezu bedarf es bald
nur einiger Wochen, bald vieler Monate. Aber nach und nach wird
auch die Linse gleich dem Glaskörper zum Schwinden gebracht oder
seitwärts gedrängt. Dabei ist der Bulbus mehr weniger hart, vergrös-
sert und schmerzhaft geworden, bietet das Auge überhaupt die Erschei-
nungen dar, welche im IL Bd. S. 212 angeführt wurden. Endlich
wird auch die Hornhaut getrübt, von Gelassen durchzogen, dann er-
weicht und durchbrochen, oder aber die schon früher an einer oder der
andern Stelle ihres vordem Umfanges staphylomatös hervorragende
Sclera gestattet dem Sarcome Durchtritt nach aussen unter die Binde-
haut, wobei die Cornea nach der entgegengesetzten Seite hin verdrängt
wird.
Nach erfolgtem Durchbruche der Cornea oder Sclera tritt der Mark-
schwamm als eine weiche, dunkelgelbe oder livide, leicht blutende, bis-
weilen fluctuirende, einen Abscess vortäuschende, endlich exulcerirende
oder vielmehr verjauchende Masse hervor, der längst herabgekommene
Kranke verfällt nun zusehends und wird von hektischem Fieber vollends
consumirt. Er erliegt den Folgen dieser Ablagerung aufs Auge, oder
neuen, kurz nacheinander dazu tretenden Ablagerungen im Gehirn, in
den Lungen, u. s. w.
Der Markschwamm der Netzhaut kommt am häufigsten im Kindes-,
am seltensten im Mannesalter vor. Nach FritscMs*) Zusammenstellung
der bis zu seiner Zeit bekannten Beobachtungen fällt die grösste Zahl
der Erkrankungen zwischen das 3. und 5. Jahr, die kleinste zwischen
das 20. und 30. Jahr. Das Übel befällt meistens nur Ein Auge, und
zwar häufiger das linke als das rechte. Eine auffallend grosse Zahl
der Befallenen (26 unter 72) wurde als scrofulös bezeichnet, doch ist
die Zahl derer, von denen ausdrücklich gesagt wird, sie seien übrigens
gesund gewesen, weit grösser (38). Als excitirende Momente sind die
verschiedensten Dinge bezeichnet worden. Rücksichtlich der ziemlich
oft beobachteten und desshalb auch beschuldigten traumatischen Ein-
wirkungen bemerkt Makensie, es möge wohl auch das der Fall sein,
*) Die bösartigen SchwammgeschTriilste des Angapfels. Freiburg im Breisgau 1834.
140 Netzhaut.
dass die bereits Erkrankten, namentlich Kinder, wegen des mangel-
haften Gesichtes sich an's Auge stossen. Interessant sind zwei Beob-
achtungen von Ed. Jäger (über Staar und Staaroperationenj , wo die
Entwicklung von Markschwamm unmittelbar nach Blendung durch in-
tensives Licht auftrat. Die Ablagerung, welche in beiden Fällen durch
längere Zeit mit dem Spiegel beobachtet und verfolgt wurde, ging in
beiden zwar nicht von der Retina, sondern von der Chorioidea aus
(der eine Fall wurde gleich nach der Exstirpatio bulbi anatomisch-mi-
kroskopisch untersucht), und zwar in beiden genau von der Gegend des
directen Sehens. Im Ganzen genommen müssen wir gestehen, dass
wir über die Hauptsache der Ätiologie, über die Disposition nicht mehr
wissen, als dass ein Allgemeinleiden überhaupt angenommen werden
muss, weil auch dann, wenn die Exstirpation des Bulbus zu einer Zeit
vorgenommen wird, wo das Übel anatomisch noch rein auf den Bulbus
beschränkt erscheint, nachträglich Ablagerungen in der Orbita oder in
andern, selbst entfernten Organen auftreten.
Die Prognosis ist demnach jederzeit traurig. Makenzie hat be-
merkt, „dass die Affection auf dem Boden des Auges wohl drei Jahre
lang gleichsam geschlafen hat, aber binnen einigen Wochen, nachdem
sie einmal vorwärts zu schreiten begonnen hatte, die ganze Cavität des
Bulbus einnahm, denselben um mehr als das Dreifache vergrösserte,"
und dann rasch in Verjauchung überging. Derselbe Autor führt auch
einige Sectionsergebnisse an, welche völlig für die Ansicht sprechen,
dass auch die zeitig vorgenommene Exstirpatio bulbi nicht im Stande
sein würde, das Individuum zu retten.
Er untersuchte ein von Dr. Monteath im ersten Stadium dieser Krankheit exstirpirtes
Auge von einem etwa 3jährigen Kinde unmittelbar nach der Operation. Iris und Chorioi-
dea unversehrt; die Netzhaut, obgleich hie und da mangelhaft und zerrissen, doch noch
so weit ganz, dass sie der ganzen innern Oberfläche der Chorioidea einen weissen Über-
zug gab ; die Markschwammmasse , welche den ganzen Raum der Glasfeuchtigkeit und
Linse einnahm, hatte sich von der Sehnervenpapille aus entwickelt und aller Wahrschein-
lichkeit nach die Hyaloidea vor sich hergedrängt, denn „sie war in eine Membran ein-
gehüllt, wie die der Membrana hyaloidea." Der Sehnerv ausserhalb der Sclerotica schien
nicht krank zu sein. Einige Monate nach der Operation hatte sich die Augenhöhle mit einer
neuen Geschwulst gefüllt, und das Kind starb bald nachher. In der Augenhöhle sass
eine kranke Masse, welche sich aus dem Schnittende des Sehnerven erhoben hatte, und
dieselbe Beschaffenheit zeigte, wie die früher im Bulbus vorgefundene. In der Schädel-
höhle fanden sich die Sehnerven von ihrem Ursprünge bis zum Chiasma gesund, vor
demselben aber war der der kranken Seite bis zum Foramen opticum so dick wie ein
Mittelfinger ; im For. opt. war er wie durch eine Ligatur eingeschnürt, bei seinem Eintritte
in die Orbita jedoch breitete er sich wieder aus, so dass er den Zwischenraum zwischen
Retiiialaniaurose — Markschwaiiim der Netzhaut. 141
den M. rectis ausfüllte. — Makenzie bemerkt noch, es seien Fälle vorgekommen, wo sich,
die Geschwulst, vom Ende des Opticus ausgehend , zwischen die Sclerotiea und Chorioidea
gedrängt hatte, während in den andern Fällen der Schwamm aus dem Sehnerven noch vor
seinem Eintritte ins Auge entstanden war, und die Zerstörung dieses Organes durch seinen
Druck von aussen her bewirkt hatte. Er spricht überdiess von dem Entstehen mehrerer
schwammiger Gewächse nach einander an verschiedenen Stellen, z. B. eines hinter der
Sclerotiea. ein anderes zwischen dieser und der Chorioidea und ein drittes zwischen die-
ser und der Retina, welche dann zusammen fortschreiten.
Unter etwa 7 Fällen , wo ich Markschwamm der Netzhaut in früheren Stadien mit
Sicherheit diagnosticirt hatte, weiss ich von fünfen, dass sie gestorben sind. Ein Kind
erlag, nachdem ein anderer Arzt die von mir verweigerte Exstirpation vorgenommen hatte.
Ein Fall ist in Prof. Fischers Lehrbuch S. 353 beschrieben. „B. Caroline , 7 Jahre
alt , von sehr zartem Körperbau, erethisch-scrofulöser Constitution, Kind gesunder Land-
leute, Mar von Geburt an stets sehr schwächlich, aber ausser öfterem Abgang von Peit-
schen- lind Spulwürmern hatte man an ihr nichts von Krankheit bemerkt. Von ihren 2
Geschwistern hatte bloss die ältere eine Drüsengeschwulst am Halse. Das Augenleiden
begann vor 10 "Wochen; ihre Schwester hatte sie beim Spielen mit dem Finger in's rechte
Auge gestossen. Darauf Schmerz von kurzer Dauer, am andern Tage geringe Röthe im
innern "Winkel : das Mädchen lief wieder munter wie früher herum. Am 3. Tage gleichmässige
starke Röthe des Auges, leichte Geschwulst der Lider und dumpfer Schmerz. Aufschlagen
kalten Wassers. Nach einigen Tagen waren Röthe und Geschwulst verschwunden. Etwa
14 Tage später fiel dem Vater eine Entfärbung des Auges auf, und es zeigte sich, dass
das Kind das Sehvermögen, selbst die Lichtempfindung verloren hatte, obschon sie etwas
lichtscheu war. "Während dieser ganzen Zeit hatte sie zeitweilig dumpfe Schmerzen im
Auge gehabt. Ein Arzt ordinirte eine weisse Salbe und braune Tropfen. Die Steigerung
der Schmerzen bestimmte den Vater, das Kind auf die Augenklinik zu bringen (27. Oct.
1S4U. Wir fanden unter der Conj. bulbi rings um die Cornea ein schütteres Gefässnetz,
Sclera und Cornea normal, die früher blaue Iris schmutzig grau, unbeweglich, die Pupille
stark und ungleichmässig erweitert. Man konnte durch die vollkommen durchsichtigen
Medien in die Tiefe des Auges sehen. Dort bemerkte man eine ziemlich senkrecht auf
der Sehachse stehende runde, im Ganzen flache, doch durch Erhabenheiten unebene,
ockergelbe Fläche, deren innerer Rand weiter nach vorn stand, als der äussere. Auf
dieser Fläche schwebten leichte orangegelbe Flocken, welche beim Bewegen des Auges
ich ebenfalls zu bewegen schienen. Sah man gegen die der Nase zugekehrte Wandung
des Augapfels , so schien sich jene gelbliche Platte auf dieselbe fortzusetzen , doch so,
dass sie hier etwas concav, mehr uneben, stellenweise unterbrochen aussah, während die
äussere Wandung ein mehr dunkles, fast meergrünes Aussehen darbot. Bei den verschie-
denen Bewegungen zeigte jene Platte einen eigenthümlichen, opalähnlichen Glanz. Das
Allgemeinbefinden Hess keine Störung wahrnehmen. Das linke Auge gesund, doch em-
pfindlich gegen stärkeres Licht. Heilversuche mit Jodkali äusserlich und innerlich blieben
fruchtlos. Nachdem das Mädchen in ihre Heimat zurückgekehrt war, entwickelte sich das
Übel allmälig weiter bis zum Durchbruche, worauf Verjauchung, Zehrfieber und ohngefähr
im 11. Monate der Tod eintrat."
Der einzige Fall, in welchem es mir erlaubt wurde, nach dem Tode das Auge zu
exstirpiren, betraf ein Mädchen von Vli Jahren (Petrak Annaj. Die Mutter hatte es am
26. März 1553 auf die Klinik gebracht, weil ihr ein gewisses Funkeln des Auges im
142 Netzhaut.
Dunkeln und Erblindung desselben aufgefallen war. Die Dauer wurde auf etwa 6 Monate
angegeben. Sehr zarter Körperbau, keine deutlichen Merkmale von Scrofulosis; die Iris
grau, die Haare blond, das rechte Auge gesund. Am linken die objectiven Erscheinungen
ohngefähr wie im vorigen Falle. Der Tod erfolgte am 20. Juni 1853 unerwartet nach
Convulsionen, ehe die Geschwulst noch bis an die Linse herangerückt war. Untersuchung-
30 Stunden nach dem Tode. Der am Bulbus sitzende etwa £'" lange Stumpf des Seh-
nerven nächst dem Bulbus etwas dicker, als weiter hinten, ohne dass deutliche Infiltration
nachgewiesen werden konnte. Der Bulbus wurde durch einen Schnitt von vorn nach
hinten in eine obere und untere Hälfte zerlegt. Die Iris auf einen schmalen Saum ge-
schrumpft, die Linse etwas vorwärtsgedrängt, dahinter eine kleine Portion durchsichtigen
Glaskörpers ; der Baum zwischen der Linse und der Chorioidea mit Ausnahme dieses
Glaskörperrestes von einer gelblich-weissen , von zahlreichen Gefässreiserchen durch-
setzten Masse ausgefüllt; diese Masse, im Allgemeinen breiartig, gleichsam in ein
Gerüst oder Flechtwerk von Gefässchen infiltrirt, war nach vorn bis zum Ausfliessen
erweicht, nur vor der Sehnervenpapille etwas consistenter; von der Netzhaut keine Spur.
Die Chorioidea zum Theil ohne Pigment, 1'" nach aussen vom hintern Pole in einer
Ausdehnung von 2 — 3 Quadratlinien von derselben Masse infiltrirt und daselbst auch mit
der unterliegenden Sclera verwachsen. Die Besichtigung des Präparates selbst, welches
in der hiesigen Sammlung der Augenklinik aufbewahrt wird, lässt keinen Zweifel übrig
dass in diesem Falle die Infiltration von der Sehnervenpapille ausgegangen war ; die Unter-
suchung des übrigens Körpers wurde verweigert.
B. Orbitalamaiirose.
Die Erkrankung des Sehnerven in der Orbita (vom Bulbus bis zum.
Chiasma) geht entweder von ihm selbst (Nervenmark, Central- Arterie
und Vene, Nervenscheide), oder von den umgebenden Gebilden (Orbi-
talfett, Muskeln, Beinhaut etc.) aus. Die selbständigen Affectionen las-
sen sich während des Lebens wohl kaum jemals mit Sicherheit erken-
nen. Heister sah complete Amaurose bei einem Soldaten, dem eine
Bleikugel von der einen Schläfe zur andern mitten durch den Kopf
gegangen war; die Wunde heilte, die Blindheit blieb, die Bulbi zeigten
sonst keine merkliche Veränderung. Nach Makenzie besitzt Prof.
Schmidler zu Freiburg ein Präparat, welches ein Aneurysma der Ar-
teria centr. retinae darstellt, entnommen von einer Badenschen Prinzes-
sin, welche lange Zeit blind war, und Plenk, Richter u. A. zu Hilfe
gerufen hatte; sie sah ein wenig, wenn sie abwärts schaute; die Aneu-
rysmen comprimirten die Sehnerven. Beer bezieht sich auf Sectionen,
welche ihm Verhärtung und Verwachsung der Sehnerven mit ihren
Scheiden als Ursache der Amaurosis erwiesen hatten; in drei Fällen
fand er Hydatiden zwischen den Scheiden des Sehnerven, von deren
Orbitalamaurose. 1 43
Vorkommen auch andere Beobachter sprechen. Demours fand einmal
einen Tuberkel, einmal einen Eiterherd im Sehnerven. Böhm (das
Schielen und der Sehnenschnitt, Berlin 1845, S. 448) fand bei einem
an Lungenschwindsucht gestorbenen 19jährigen Jünglinge, dessen rech-
tes Auge vom 6. Lebensjahre an nach aussen und oben abgelenkt, all-
mälig aus der Orbita vorgetreten und zwar amblyopisch, jedoch durch-
aus nicht amaurotisch gewesen war, den Sehnerven um das Mehrfache
verlängert und zu einem spindelförmigen Neuroma angeschwollen (nach
der Zeichnung gegen 2 Zoll lang und an 3/4 Zoll dick). Nur der
vorderste, dem Bulbus zunächst befindliche Theil erschien eine kurze
Strecke von natürlicher Beschaffenheit, ebenso der hinterste nächst dem
gleichfalls normalen Chiasma. Die weisse, spindelförmige, namentlich
in der Peripherie hart anzufühlende Nervengeschwulst sah auf dem
Querdurchschnitt fein maschenartig aus und bestand wesentlich aus dem
verdickten Neurilem. Durch die mikroskopische Untersuchung Hessen
sicji noch bestimmter der in die Geschwulst eintretende Nerv und die
krankhaft vermehrten fibrösen Fascikeln des Neurilems unterscheiden,
deren dichteres Gewebe nach dem Umfange der Geschwulst hin die
Oberhand gewann. Der Atrophie des Sehnerven gedenken viele Auto-
ren, doch war dieselbe wohl jederzeit consecutiv, häufig nach Phthisis
bulbi, seltener nach Krankheiten der Netzhaut oder nach Aifectionen
in der Schädelhöhle. Die Atrophie erstreckte sich meistens nur bis
zum Chiasma, nach Einigen auch darüber hinaus, und zwar auf der-
selben Seite, obwohl auch Beobachtungen bekannt sind (von Sömmerring,
Ackermann, Michaelis, Wenzel u. A.), wo die Atrophie jenseits des
Chiasma auf der entgegengesetzten Seite bis zu den knieförmigen Kör-
pern fortgegangen sein soll.
Von den Krankheiten der Augenhöhle, welche durch Compression
oder Zerrung des Sehnerven störend auf dessen Function einwirken
und sich bei höheren Graden vorzüglich durch veränderte Lage und
Beweglichkeit des Bulbus verrathen, werden wir in einem spätem,
eigens hiefür bestimmten Abschnitt sprechen. Es musste ihrer an die-
ser Stelle bloss desshalb gedacht werden, weil Amaurosis eine Zeit
lang das einzige oder doch vorwaltende Symptom sein kann, das sie
verursachen.
144 Netzhaut.
C. Cerebralamaurose.
Amblyopie und Amaurosis sind oft Symptome von anatomisch nach-
weisbarer Erkrankung sowohl des grossen als des kleinen Gehirnes oder
ihrer Hüllen, von Erkrankung des Sehnerven innerhalb der Schädel-
höhle. In der Kegel sind dann nebstdem noch andere Symptome vor-
handen,* welche wenigstens so weit zu schliessen erlauben, dass der
Sitz des Grundleidens in der Schädelhöhle zu suchen sei. Doch kom-
men auch Fälle vor, wo durch mehr weniger lange Zeit solche ander-
weitige Zufälle fehlen oder sehr unbestimmt ausgesprochen sind. So
wie demnach das Nich tauffinden von Netzhautveränderungen mit dem
Augenspiegel nicht zu dem Schlüsse berechtigt, in einem speciellen
Falle könne die Amblyopie oder Amaurose nicht durch primäre Affec-
tion der Netzhaut allein bedingt sein, und so wie selbst bei ophthal-
moskopisch wahrnehmbaren Veränderungen des Auges immer noch in
Erwägung zu ziehen ist, ob dieselben nicht als secundäre zu betrach-
ten seien, wie z. B. Atrophie der Retina in Folge von Compression des
Chiasma, oder mechanische Hyperämie der Netzhaut in Folge von
Compression des Sinus cavernosus u. s. w. , so erlaubt dagegen auch
das Fehlen der anderweitigen sogenannten encephalischen Erscheinun-
gen noch nicht die Ausschliessung von Centralleiden, selbst nicht von
anatomisch nachweisbaren.
Die Erscheinungen, auf welche man zu achten hat, wenn sich's
darum handelt, zu bestimmen, ob die Sehstörung von einem Leiden der
Centralorgane herstamme, sind sehr zahlreich und mannigfaltig. Man
hat dafür zu sorgen, nicht nur dass man keine derselben übersieht,
sondern auch dass man sie in ihrer Reihenfolge, wie sie nach einander
auftreten, und in ihrer Beziehung zum Augenleiden gehörig auffasse.
Nirgend weniger als bei den Amaurosen kann allgemein medicinische
Bildung in Bezug auf Diagnosis, Prognosis und Therapie entbehrt wer-
den; der Oculist hört hier auf, Specialist zu sein. Die Lehre von den
Amaurosen fällt mit der Lehre von den Krankheiten des Nervensy-
stemes zusammen. Demnach wird man auch in einer Abhandlung über
die Amaurosen nicht eine förmliche Darstellung der Lehre von den
Krankheiten des Gehirnes suchen, deren Kenntniss hier, als anderweitig
erworben, vorausgesetzt werden muss. Eine gedrängte Schilderung der
Erscheinungen jedoch, welche bei encephalischer Amaurosis vorkommen,
und ebenso eine übersichtliche Zusammenstellung der Affectionen, als
Cerebralaiiiauro.se. 145
deren vorwaltendes Symptom Amblyopie oder Amaurosis beobachtet
■wurde, erläutert durch verlässliche Krauken- und Sectionsbefunde, dürften
zur leicbtereu Orientirung in diesem weiten Gebiete dem Leser einigen
Nutzen gewähren.
Die Erscheinungen am Sehorgane selbst sind, wenn auch nicht
pathognomonisch, doch in vielen Fällen immerhin eigentümlich genug,
um einige diagnostische Anhaltspunkte zu gewähren. — a) Zunächst ist
zu bemerken, dass die Sehstörung bei centralen Amaurosen sich immer
auf das ganze Gesichtsfeld bezieht. Amblyopie oder Amaurosis, welche
bloss auf das Centrum oder bloss auf die Peripherie der Netzhaut be-
zogen werden kann, ist sicher niemals centralen Ursprunges. Es ist
auch keine verlässliche Beobachtung bekannt, wo Hemiopie von einer
anatomisch nachweisbaren Veränderung der Centralorgane hätte abge-
leitet werden können. Ruete's Ausspruch (Seite 119), dass Krankheiten
des Sehhügels oder der einen Hälfte der Vierhügel fast immer eine
Störung der Function der Retina derselben Seite in beiden Augen zur
Folge haben, inuss jedenfalls erst durch Thatsachen erwiesen wer-
den. — Die Sehstörung tritt bald plötzlich, bald allmälig auf, in
der Kegel zunächst nur auf Einem Auge; sie bleibt selten auf Ein
Auge beschränkt, auch wenn die encephalische Affection zunächst nur
die eine Hemisphäre betrifft. Sie kann trotz des Fortbestandes der
Hirnkrankheit mit deutlichen Re- und selbst mit Intermissionen auftre-
ten, was seine Erklärung in der bald mehr bald weniger hervor-
tretenden, die Hirnaffection begleitenden Hyperämie finden dürfte. —
Sie ist nicht sowohl von Scotomen (dunkeln oder hellen) als vielmehr
von Hallucinationen begleitet; auch ist die Empfindlichkeit der Augen
gegen das Licht im Allgemeinen eher vermindert, als vermehrt, ausser
bei Hyperämie, bei Meningitis ad basin und bei Hydrocephalus acutus
in der ersten Zeit.
b) Im Allgemeinen hat der alte Erfahrungssatz seine Giltigkeit,
dass bei Hirndruck die Pupille erweitert ist, doch kann auch bei com-
pleter encephalischer Amaurose der Durchmesser der Pupille ein mitt-
lerer sein, und während des unstäten Hin- und Herbewegens der Bulbi
— wie bei chronischem Hydrocephalus so oft — selbst Schwankungen
zwischen Erweiterung und beträchtlicher Verengerung darbieten. Die
Erweiterung ist eine gleichmässige, wobei freilich nicht übersehen wer-
den darf, dass leichte Abweichungen von der Kreisform, namentlich bei
nicht zu enger Pupille, häufig auch an ganz gesunden Augen beobachtet
werden können. Die Schwärze der Pupille leidet nur im Verhältniss
zur Erweiterung derselben, erst nach langem Bestände encephalischer
Axlt Augenheilkunde. III. 10
146 Netzhaut.
Amaurosen scheint die Durchsichtigkeit der Netzhaut und der Pigment-
gehalt der Chorioidea so zu leiden, dass der Grund des Auges mehr
Licht als im normalen Zustande reflectirt.
c) Die Stellung und die Beweglichkeit der Augen kann in ein-
zelnen Fällen viel zur Entscheidung der Frage über den Sitz des Lei-
dens beitragen. Geht die Sehkraft des einen Auges rasch verloren, so>
bleibt die Stellung und Beweglichkeit normal, ausser es leidet ein oder
der andere Muskel wegen primärer oder vom Gehirn ausgehender Affec-
tion. Erblindet ein Auge allmälig, während das andere gesund oder
doch relativ besser ist, so reicht dieser Umstand allein hin, eine in-
stinctmässige (reflectirte) Ablenkung des schwächeren Auges zu bewir-
ken. Bei Erwachsenen erfolgt diese Ablenkung meistens auswärts als
Strabismus divergens; es tritt dasselbe ein, wie bei Hornhaut- oder
Linsentrübungen (B. I. S. 262 und B. II. S. 281). Ist die Sehkraft
beiderseits gleichmässig erloschen oder hochgradig geschwächt, gleich-
viel ob langsam oder schnell, so ist die Stellung der Sehachsen parallel
oder bloss ein wenig divergent, und die weit geöffneten Augen irren
entweder unstät umher oder stieren in unbestimmte Ferne hinaus.
Unter Berücksichtigung dieser Momente deutet Ablenkung eines oder
beider Augen von der gewöhnlichen Haltung, insbesondere aber Unbe-
weglichkeit nach einer oder der andern Richtung (Muskellähmimg) in
allen Fällen auf centrale Ursache der Amblyopie oder Amaurose, wenn
nicht etwa wie bei rheumatischer Bulbär- oder bei Orbitalamaurose,
die Muskelaffection aus einem peripherischen Leiden abgeleitet wer-
den muss.
Die Erscheinungen, welche bei encephalischer Amblyopie und Amau-
rosis in den übrigen Organen vorkommen, sind leider (für den Diagno-
stiker) in vielen Fällen namentlich zu Anfang noch nicht vorhanden,
zum Theil auch zweideutig. Um so sorgfältiger müssen sie aufgesucht,
um so schärfer aufgefasst und in ihre wahre Beziehung zum Augen-
leiden gebracht werden, a) Die geistigen Functionen, Gedächtniss, Ur-
theil, u. s. w. sind bei Kindern rücksichtlich ihrer Entwicklung, bei
Erwachsenen rücksichtlich ihrer Störung zu. berücksichtigen. Verän-
derung der Gemüthsstimmung, des Gesichtsausdruckes, Theilnahmlosig-
keit, Schlafsucht u. dgl. b) Besichtigung und Betastung des Schädels.
Bei Amaurosis von chronischem Hydrocephalus fand ich am häufigsten
den queren Durchmesser des Schädels (von einem Schläfetheil des
Felsenbeines zum andern) auffallend vergrössert; seltener ist das Cra-
nium an der Stelle der grossen Fontanelle stark hervorgetrieben; in
diesem letzteren Falle sind bisweilen auch die Bulbi glotzend (Herab-
Cerebralaiuaurose. 147
drückung der obern Orbitalwand). — Krankheiten der Schädelwan-
dungen, welche durch Druck nach innen nachtheilig wirken, lassen sich
bisweilen auch durch Hervorragungen an der Aussenfläche erkennen.
Andere, zum Beispiel Tophi, geben vielleicht Anhaltspunkte für die
Existenz ähnlicher Affeetionen, die nach innen wirken. Spuren von
vorausgegangenen Verletzungen -des Kopfes verdienen besonders dann
Berücksichtigung, wenn seit der Verletzung irgend welche Gesund-
heitsstörungen bestehen, die darauf bezogen werden können. Doch ist
zu bemerken, dass erfahrungsgemäss Jahre vergehen können, ehe der
Verletzte von deutlichen Zufällen einer Hirnkrankheit befallen wird.
Der Kranke denkt zur Zeit, wo sein Gesicht gestört wird, vielleicht
gar nicht mehr an die Verletzung. — c) Kopfschmerzen (Eingenommen-
heit, Schwere des Kopfes u. dgl.), verschiedenartig nach Intensität,
Qualität und Typus, sind ein häufiger Vorläufer und Begleiter von
Amblyopie und Amaurosis. Zu bemerken ist, dass auch die chronische
Retinitis häutig von mehr weniger lebhaften Schmerzen in der Stirn-
oder Scheitelgegend begleitet wird, und dass manche Individuen die
Krankheit (Erblindung) dem Symptome (den Kopfschmerzen) zuschrei-
ben, weil sie die Kopfschmerzen früher bemerkten, als die noch in zu
geringem Grade vorhandene Abnahme des Gesichtes. — d) Schwindel,
bald mit Hyperämie, bald mit Anämie im Zusammenhange stehend, ist
häufig auch bloss durch Lähmung eines geraden oder schiefen Augen-
muskels bedingt, fordert daher jederzeit zur genauesten Prüfung der
Muskelfunctionen auf. Mehr hierüber bei den Krankenheiten der Augen-
muskel. — e) Störungen in andern Sinnesorganen, Gehör, Geruch, der
Sensibilität im Bereiche des Trigeminus u. s. w. — f) Störungen der
Motilität, im Bereiche des Facialis, Trigeminus u. s. w. Bei rechtssei-
tiger Affection des X. opticus und des Oculomotorius oder Abducens
treten die Lähmungserscheinungen am Gesichte, an der Zunge, am
Zäpfchen, an den Extremitäten linkerseits auf. Epileptische Anfälle,
Contracturen , Lähmungen. — g) Gehemmte peristaltische Bewegimg,
Torpor in der Entleerung der Fäces oder des Harnes u. dgl. —
h) Gastrische Erscheinungen, Erbrechen, Übligkeiten u. dgl. sind theils
Vorboten, theils Begleiter encephalischer Amaurosen.
Die krankhaften Vorgänge und Veränderungen im Gehirne und in
seinen Hüllen, welche Aniblyopie oder Amaurosis im Gefolge haben,
sind ausserordentlich mannigfaltig und verschieden in Bezug auf ihren
Sitz (Knochen, Meningen, Schlagadern an der Basis, Hirnanhang, ein-
zelne Regionen des grossen und kleinen Gehirnes), auf ihre Natur und
anatomische Beschaffenheit (Veränderungen des Zusammenhanges, des
10*
148 Netzhaut.
Volumens, der Textur, Neubildungen u. s. w.), und in Bezug auf die
entfernteren Veranlassungen dazu (Störungen der Kreislaufsorgane,
äussere Gewalttätigkeiten, Dyskrasien, namentlich Lues, Krebs, Tuber-
kel u. s. w.). Diese letzteren insbesondere sind geeignet, Licht auf
die Natur des krankhaften Vorganges im Gehirne zu werfen. Schon
dieser Umstand allein fordert bei jeder Amaurosis zu einer vollständigen
Durchmusterung des ganzen Körpers, aller Organe, Systeme und Func-
tionen, sowie zu einer scrupulösen Erhebung der anamnestischen Mo-
mente vor, während und nach dem Eintritte des Augenleidens auf.
Leider müssen wir bei dem gegenwärtigen Stande der Diagnostik der
Gehirnkrankheiten uns nur zu oft begnügen, zu wissen, dass überhaupt
ein solches Centralleiden vorhanden ist; auf die Bestimmung des Sitzes
der Affection müssen wir meistens verzichten; auf die Natur derselben
lässt sich grösstentheils nur mit Wahrscheinlichkeit sckliessen; eher
noch lässt sich angeben, diese oder jene Affection könne nicht zu
Grunde liegen. Immerhin ist auch damit schon Einiges gewonnen, das
uns bestimmte Anhaltspunkte zur Prognosis gibt, und, wo nicht directe,
>so doch indirecte Indicationen zum therapeutischen Verfahren. Wer
durch seine Behandlung nicht schadet, hat viel voraus nicht nur vor
Demjenigen, der blindlings eingreift, sondern auch vor dem, der
nichts thut.
Die Literatur ist reich an Beobachtungen über Amaurosen, leider
arm an verlässlichen und vollständigen. Den einen fehlt die anato-
mische Begründung, welche vor Erfindung des Augenspiegels zum Theil
unmöglich war; die andern liefern wohl mitunter gute Sectionsbefunde,
aber — ■ mit wenig Ausnahmen — keine gehörige Angabe der Erschei-
nungen während des Lebens.
Über Aufforderung meines verehrten Lehrers Fischer hatte ich zum Gegenstande
meiner Inauguraldissertation (1839) einige Beobachtungen sogenannter organischer Amau-
rosen gewählt und daran eine übersichtliche Zusammenstellung der mir zugänglichen
Beobachtungen früherer Zeiten gereiht. Die nachfolgenden Fälle sind grösstentheils die-
ser Schrift entlehnt.
1. Amaurosis in Folge von Verletzungen am Kopfe.
In Folge von Verletzungen nicht bloss des Auges und seiner näch-
sten Umgebungen, sondern auch von entfernteren Regionen des Kopfes
ist Amaurosis als erstes oder doch eminentes Symptom bald sogleich,
bald erst nach längerer Zeit beobachtet worden. In manchen Fällen
entwickelt sich die Hirnkrankheit, deren Symptom die Amaurosis ist,
unmittelbar aus der Verletzung; in andern gibt diese gleichsam nur
Cerebralaniaurose. 149
den Impuls zur Ent Wickelung einer Hirnkrankheit, auf dieselbe Weise,
wie wir schon beim Markscbwamm der Netzbaut bemerkt baben. Zu
den ersteren geboren Knochenemdrücke, Fissuren an der Schädelbasis
(Keilbein), Blutaustretung, Aneurysma, Entzündung- der Hirnhäute, des
Gehirnes mit ihren verschiedenen Ausgängen; zu den letzteren die
Entwicklung von Markschwamm und von Processen, denen Tubercu-
losis zu Grunde liegt. Zur Erläuterung einige Beispiele.
Eine zweiundvierzigjährige gesunde und kräftige Frau fiel rücklings auf der Strasse
nieder, indem sie, ein Brett voll«gebackenen Brotes nach Hause tragend, auf den glatten
Steinen ausglitt. Man brachte sie scheintodt nach Hause. Nach einer Stunde war das
Bewusstsein und die Bewegung zurückgekehrt, das Gesicht beider Augen verloren ; nur
mit dem linken Auge glaubte die Kranke, wenn sie es nach oben wandte, eine geringe
Lichtempfindung zu verspüren. Die erweiterten Pupillen waren nur wenig beweglich und
etwas unregelmässig verzogen; sonst an den Augen keine Veränderung wahrnehmbar.
Zugleich heftiger drückender Kopfschmerz in der Stirn, und andere Symptome eines Ex-
travasates in der Schädelhöhle. (?) Tod nach vierundzwanzig Stunden. Bei der Section
eine kleine sugillirte Stelle unter der Galea aponeurotica an der Stelle des Hinterhauptes,
auf welche die Frau gefallen war. Bei der Herausnahme des Gehirnes kam, als die grossen
vordem Lappen aufgehoben wurden, eine wallnussgrosse, blaurothe Geschwulst zum Vor-
schein, icelche den Türkensattel bedeckte, nach dem rechten Schläjebein hin sich erstreckte,
und in den Soden der dritten Hirnhöhle und das Tuber cineremn eine Vertiefung einge-
drückt hatte. Ebenso wurden das Chiasma und die Sehnerven, doch mehr der rechte, als.
der linke, zusammengedrückt. Nach Herausnahme des Gehirns zeigte sich, dass die Ge-
schwulst aus dem Canalis caroticus dexter herauskam, und aus einem, von der äussern
Haut der geborstenen Carotis gebildeten Sacke bestand, der geronnenes Blut enthielt; nach
Abspülung des Inhaltes entdeckte man, dass die Carotis dextra da, wo sie aus dem Sinus
cavernosus heraustrat, geborsten war. Sonst war nirgends etwas Krankhaftes zu finden.
(Stilling in Amnions Zeitschr. B. III. S. 465.)
Ein alter Mann, welcher mit einem Karren überfahren worden war, wurde in's Spi-
tal aufgenommen. Es war eine Fractur nebst einer Depression des einen Scheitelbeines
vorhanden. Der Mann besass sein Bewusstsein, gab aber langsam Antworten, war
stöckisch und gänzlich blind. Herr Gunning entfernte eine Portion des Scheitelbeines
mit der Trephine, und hob den deprimirten Knochen empor. Die Operation bewirkte
indessen keine Änderung in den Symptomen. Etwa 36 Stunden nach dem Ereignisse
wurde der Puls häufig, und der Patient begann irre zu reden. Er blieb des Sehver-
mögens gänzlich beraubt, glaubte eingebildete Gegenstände zu sehen, war sich der vor
seinen Augen befindlichen gänzlich unbewusst. Tod nach Ablauf des fünften Tages.
Man fand die Hirnhäute entzündet und mit Eiter und Lymphe verunreinigt. An der
Basis des Schädels war eine Querfractur, welche sich durch das Keilbein erstreckte, mit
so verschobenen Bruchrändern, dass sie auf die Sehnerven unmittelbar hinter den Augen-
höhlen drückten, und sich so der gänzliche Verlust des Gesichtes erklärte. (Brodie, bei
Makenzie, Krankheiten des Auges, Weimar 1832 S. 771.)
Ein zwölfjähriger Knabe empfing in der Schule mit der Schärfe eines breiten
Lineales wegen Trägheit im Lernen einen Schlag auf das rechte Seitenwandbein. Die
Wunde war klein, heilte aber erst nach sechs Jahren ganz zu. Bald nachher nahm das
Sehvermögen ab, allmälig bis zur völligen Blindheit. In der letzten Zeit traten auch
150 Netzhaut.
epileptische Anfülle ein. Man versuchte die Trepanation, fand jedoch den Knochen an
der Stelle der Narbe nicht einmal missfarbig, geschweige denn krankhaft. Nach Entfer-
nung des mit der Trephine abgelösten Knochenstückes trat etwas Blut und seröse Flüs-
sigkeit zwischen dem Knochen und der harten Hirnhaut hervor. Letztere schien nicht
verändert zu sein. Den nächsten Tag hatte die Pupille jedes Auges ihre natürliche Sen-
sibilität wieder erlangt, indem sie sich je nach dem Giade des Lichtes erweiterte und
zusammenzog, aber die Blindheit blieb absolut, wie vor der Operation. Drei Tage nach
der Operation starb der Patient — Man fand den Knochen und die Dura mater überall
gesund. Unter dem Theile, wo letztere durch die Trephine blossgelegt worden war, also
unter der Stelle der ursprünglichen Verwundung bot die Pia mater die Zeichen chronischer
umschriebener Entzündung dar. Als in das Gehirn eingeschnitten wurde, fand man es
bis zu einem beträchtlichen Grade verhärtet, und diese Verhärtung hatte sich auf den
ganzen mittlem Lappen des Gehirnes ausgebreitet, begann auf der Oberfläche, und setzte
sich durch das Gehirn bis zur Basis des Schädels fort. (Hoioship, bei Makenzie 1. c. 7S2.)
Bei einem 44 Jahre alten Manne stellte sich nach einem Falle auf das Hinter-
haupt allmälig Gesichtsschwäche und Schielen (Schiefsehen?) ein; nach drei Jahren kam
dazu heftiger Schmerz im Hinterhaupte, stierer Blick, Erweiterung der rechten Pupille,
endlich gänzlicher Verlust des Gesichtes und der Sprache bei ungestörter Geistesthätig-
keit. — Man fand zwei Drittel vom linken Lappen des kleinen Gehirnes in einen Brei
verwandelt, die umgebende Arachnoidea zerstört, die Dura rnater innen braunroth, aussen
vom Knochen abgelöst. (Monod in Andrafs Clinique medicale, T. V. p. 496.)
Ein Frauenzimmer hatte in ihrem 1 5. Jahre einen nicht gerade heftigen Schlag
auf die rechte Seite ihtes Kopfes erhalten. Er verursachte augenblicklich sehr heftigen
Schmerz, wurde aber nicht weiter berücksichtigt, weil man weiter keine Folgen beob-
achtete, nur stellte sich öfter Kopfweh ein, welches immer in dem geschlagenen Theile
begann. — Nachdem sie solchen Anfällen über dreissig Jahre ausgesetzt gewesen war,
wurde sie trag und manchmal stupid und schläfrig, ohne dass man dafür eine andere
Ursache hätte angeben können. Dieser Zustand verschlimmerte sich, so dass es in den
letzten l '/2 Jahren ihres Lebens sehr schwer war, sie wach zu erhalten ; wenn sie aber
einmal wachte, und sollte es auch nur auf '/a Stunde sein, so entfaltete sie den ganzen
natürlichen Glanz ihrer Unterhaltung; dann verfiel sie wieder in Schlaf, ohne dass man
sie aus demselben aufrüttelu konnte. Das Sehvermögen hatte allmälig abgenommen, so
dass sie einige Zeit vor dem Tode fast in gänzliche Dunkelheit gehüllt war. Sie starb
unter Convulsionen. — Eine Portion des rechten Seitemvandbeines von der Grösse eines
Kronthalers gerade da, wo der Schlag eingewirkt und der Kopfschmerz immer begonnen
hatte, zeigte eine sehr dunkle Farbe. Der Knochen war von innen aus fast gänzlich ab-
sorbirt und durchsichtig ; die Dura mater daselbst durch Absorption verschwunden ; die
Hirnportion darunter verhärtet, scirrhös und dunkellivid, und zwar durch den ganzen
mittlem Lappen des Gehirnes ; die Sehnerven an ihrem Ursprünge zusammengedrückt
wie ein Band. Sonst weder in der Schädelhöhle noch im Thorax oder Unterleibe eine
erhebliche Abnormität. (Howship bei Makenzie 1. c. S. 783.)
Ein eilfjähriges Mädchen, lange Zeit zu Kopfweh mit Schwäche des Sehvermögens
und einer eigenthümlichen Empfindlichkeit der Bedeckungen des Kopfes geneigt, verletzte
sich durch einen Fall (Herbst 1314) an der Stirn, und litt seitdem an Kopfweh und
häufigem Nasenbluten. Einige Monate später (Ende December) kamen zu dem gesteiger-
ten Kopfweh noch Fieber, Empfindlichkeit gegen das Licht und gegen Geräusch, Schielen
und convulsivische Paroxvsnien, die eine Zeit lang alle halbe Stunden zurückkehrten.
Cerebralaniaurose. 151
Im März IS 15 trat auffallende Besserung bezüglich der Kopf Symptome ein, wogegen sich,
scrofulüse Geschwüre am Hals und Beine entwickelten. Nach etwa einjährigem Bestände
dieser Besserung (im Mai 1816) bemerkte man wieder Verschlimmerung, namentlich
Steigerung der Empfindlichkeit gegen Licht und Geräusch, Schielen und allmälige Ab-
nahme der Sehkraft bis zur völligen Blindheit (im Juli). Tod im October; die Geistes-
kräfte Maren ungeschwächt geblieben. — Bei der Section fand man eine wallnussgrosse
Geschwulst auf dem Türkensattel sitzen, welche das Chiasma comprimirte; sie bestand
aus einer Marksubstanz von gelblicher Farbe und war von einer dünnen und feinen
Haut bedeckt. (Tuberkel?) (Beob. von Dr. Hai/, aus Abercrombie 's patholog. und prak-
tischen Untersuchungen über die Krankheiten des Gehirns entlehnt von Makenzie 1. c.
S. 797.)
Bei einem siebenjährigen Knaben stellten sich nach einem Falle auf die Stirn
Kopfschmerzen ein, nach einigen Monaten Amblyopie und Amaurosis, dann auch Epi-
lepsie, allmälig zunehmende Schwäche der Extremitäten, endlich Lähmung derselben,
Coma und Tod; die Geisteskräfte waren bis auf die letzten Tage ungestört. Dauer der
Krankkeit fünf Vierteljahre. — Eine weisse, flache, feste, bohnengrosse Geschwulst unter
dem Chiasma; in den Ventrikeln 12 Unzen klarer Flüssigkeit; der rechte Lappen des
kleinen Gehirnes verhärtet, der linke in eine eiterförmig scrofulöse Masse verwandelt.
(Abercrombie, des malad, de l'enceph. , trad. de l'anglais par Gendrin, Brux. 1837. Edit.
III. p. 210.)
2. Amaurosis in Folge von Circulationsstörungen im Kopfe.
Schwächung* der Sehkraft ist ein häufiges Symptom von activer,
passiver oder mechanischer Hyjjerämie in der Schädelhöhle; zur voll-
ständigen und anhaltenden Erblindung jedoch kommt es in der Regel
nur dann, wenn Hämorrhagie mit Zertrümmerung oder Compression
der betreffenden Fasern eingetreten ist, wenn erweiterte und rigide Ge-
fässe oder förmliche Aneurysmen auf den Sehnerven drücken, wenn
nebst der Hyperämie bereits Ausscheidung von Serum zwischen den
Meningen, in den Ventrikeln oder Entwicklung von Neoplasmen u. dergl.
bestellt. Bei beträchtlicher Hyperämie des Gehirnes sind in der Regel
auch die Zeichen von Hyperämie am Bulbus, namentlich an der Binde-,
2\etz- und Aderhaut nachweisbar, und bei der activen und mechanischen
sind zugleich mehr weniger deutlich ausgesprochene subjective Erschei-
nungen vorhanden, welche auf Erregung der Fasern des Opticus deu-
ten, Empfindlichkeit gegen das Licht, Sehen von Flammen, Funken,
Blitzen u. dergl., oder förmliche Hallucinationen, Sehen von äusserlich
nicht vorhandenen Gegenständen. Dieser innige Zusammenhang lässt
sich, wo nicht völlig, so doch grösstentheils schon aus der nahen und
innigen Beziehung erklären, in welcher die Arteria ophthalmica zu den
Hirnarterien und die Vena ophthalmica zu den Hirnblutleitern, nament-
lich zum Sinus cavernosus steht. — Was die Apoplexie betrifft, so ist
zu bemerken, dass Schwächung oder Aufhebung der Sehkraft bisweilen
1 52 Netzhaut.
eine Zeit lang das eminente, wenn auch nicht gerade einzige Symptom
eines kleinen Extravasates sein, und in sofern als Vorbote der Apoplexie
betrachtet werden kann, als über kurz oder lang an mehrern Stellen
oder in grösserer Menge Hämorrhagie mit eclatanten anderweitigen Zu-
fällen dazu tritt. — Sorgfältiges Forschen nach primären oder conse-
cutiven Gefässerkrankungen und Circulationsstörungen, z. B. Druck auf
die Jugular- oder absteigende Hohlvene, Krankheiten der Aorta, des
Herzens, der Lunge u. s. w. wird demnach in allen Fällen von Amau-
rosis nothwendig sein, wo die Ursache derselben nicht schon klar zu
Tage liegt.
Eine 53jährige Stubenmagd, seit 4 Jahren nicht mehr menstruirt, litt schon vor 20
Jahren an Blutungen aus den Mastdarm venen. Vor 10 Jahren ohngefähr erkrankte sie
angeblich an einem biliösen Fieber, seit welcher Zeit heftige Kopfschmerzen, grosse Mat-
tigkeit, Herzklopfen und Abnahme des Sehvermögens die Patientin quälten. Bei der
Untersuchung fand man: das Aussehen beider Augen matt, die obern Lider etwas herab-
hängend, schwer beweglich, die Scleralbindehaut von einigen Gefässen durchzogen, die
Sclera schmutzig, bleifarben, die braune Iris wie ausgewaschen, am rechten Auge ganz,
unbeweglich, am linken auf starkes Licht schwach reagirend, die weiten Pupillen eckig,
rauchig, das Sehvermögen des rechten Auges aufgehoben, das des linken bis auf undeut-
liches Wahrnehmen grösserer Gegenstände beschränkt. Zeitweiliges Funkensehen, heftige
drückende Schmerzen im Vorderkopfe, gestörte Verdauung, Stuhlverstopfung. Bei der
Untersuchung des Herzens fand man die Erscheinungen von Insufficienz der Aortaklappen
mit Erweiterung des linken Ventrikels. Man behandelte die Kranke durch einige Wo-
chen mit Tonico-solventibus, bis sie ohne bekannte Ursache von einem Erysipel befallen
wurde, das am linken obern Lide mit Abscessbildung endete. Nach einigen Tagen ma-
gerte die Kranke zusehends ab, litt an anhaltenden Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit,
und war psychisch sehr verstimmt. Endlich verfiel sie in Geistesabwesenheit mit zeitwei-
ligen heftigen Delirien und starb. Sectionsbefund: Insufficienz der Aortaklappen in Folge
von Verknöcherung derselben, Erweiterung des linken Ventrikels, Erweiterung der rechten
Carotis um beiläufig ein Drittel, atheromatöse Ablagerungen an ihrer innern Fläche; die
Art. ophthalm. rechterseits gleichfalls erweitert, ihre Glashaut auf ähnliche Weise verän-
dert, der Sehnerv dieser Seite vom Chiasma bis zum Bulbus in einen dünnen Strang
verwandelt, der Sehnerv der linken Seite anscheinend verändert. Ausserdem im linken
vordem grossen Gehirnlappen in der Gegend des Corpus striatum ein anscheinend einige
Wochen alter apoplektischer, wallnussgrosser Herd. In der Leber eine taubeneigrosse
Angiotelektasie. Die Untersuchung der Augen wurde leider nicht gestattet. [Blodig
Zeitschrift der Gesellschaft der Wiener Ärzte, 1851, 6. Heft S. 423.)
Ein Herr von 48 Jahren, stark und plethorisch, Gastronom und fröhlicher Lebemann,
litt seit einigen Tagen an congestiver Amblyopie. Diese offenbarte sich durch die ge-
wöhnlichen Symptome, und der Kranke sah ausserdem alle Gegenstände roth. Drei Tage
hindurch stellte ihm Carron du Villards die Notwendigkeit eines reichlichen Aderlasses
vor; er aber weigerte sich hai-tnäekig. Als sich einige apoplektische Erscheinungen (?)
zu denen der Amaurose gesellten, liess er sich 8 — 10 Blutegel an den After setzen. Als
diese eine halbe Stunde gesogen hatten, rief er aus, er sehe nur Blut, und fiel bewusst-
los nieder. C. liess ihm sogleich zur Ader; er erhielt sein Bewusstsein wieder, allein
Cerebralamatirose. 153
das Sehvermögen auf dem rechten Auge war durch ein Blutextravasat in dem Humor
aqueus getrübt (?), und kehrte nicht wieder. In der Nacht erfolgte ein zweiter Anfall;
es wurde ein zweiter Aderlass gemacht; der Mund war etwas verzerrt und die Bewegung
der Zunge gehemmt. Diese Symptome verschwanden nach einiger Zeit bei einer zweck-
mässigen Behandlung. Das extravasirte Blut wurde resorbirt, und die andern amauro-
tischen Erscheinungen sind jetzt alle verschwunden, nur sieht der Mann auf dem rechten
Auge etwas schlechter, als auf dem linken. (Carron du Villards, prakt. Handb. der
Augenkrankh. übers, von Schnackenberg, 1841 S. 352.) — Diese Beobachtung, wie viel
sie auch zu wünschen übrig lässt, scheint doch desshalb beachtenswerth, weil hier höchst
wahrscheinlich Apoplexie im Auge mit Apoplexie, wenigstens mit bedeutender Hyperämie
des Gehirnes zugleich stattgefunden hat.
Ein 67 Jahre alter Mann war vor 21 Jahren zuerst am rechten, dann am linken Auge
erblindet, allmiilig, ohne Schmerzen an den Augen, jedoch unter Kopfschmerzen. Später
traten zuweilen arthritische Augenentzündungen ein, welche jedoch immer behoben wur-
den, ohne dass die Augen dadurch eine merkliche Veränderung erlitten. Als Professor
Beck (ohngefähr im 4. Jahre) die Augen sah, fand er rechterseits die Cornea und Iris
normal, die Pupille erweitert und starr, die Conjunctivalgefässe varicös, die Sclerotica
schmutzig gelb, die Linse weiss und an die Iris angedrückt, das Auge hart anzufühlen,
frei beweglich; linkerseits dieselben Veränderungen, nur die Linse grünlich, und das Auge
nicht härter. Der Zustand änderte sich, zeitweilige entzündliche Zufälle an den Augen
abgei-echnet, im Verlaufe vieler Jahre nicht; auch das Allgemeinbefinden war im Ganzen
gut, bis etwa ' i Jahr vor dem Tode, wo sich bedeutende Abnahme der Kräfte, Appetit-
losigkeit, Schwerathmigkeit, Anschwellung der Füsse und Herzklopfen bei ungestörter
Gehirnthätigkeit und ohne Fieber einstellten. Es bildeten sich Aphthen und zuweilen
trat Erbrechen einer schwärzlichen Flüssigkeit ein. Erst einige Tage vor seinem Tode
zeigte sich die geistige Thätigkeit auffallend gesunken. — In der Bauchhöhle fand man :
"Cberfüllung der Venen, des Darmcanals und der Pfortaderzweige der sonst nicht verän-
derten Leber, den sehr ausgedehnten Magen mit einer dünnen schwarzen Flüssigkeit ge-
füllt, seine "Wandungen verdünnt und mürbe, ohne Ulceration oder Gangrän, die Venen
an seiner innern Fläche varicös, die Milz etwas vergrössert. In der Brusthöhle : die
Lungen normal, die Vorderkammern des Herzens von geronnenem Blute stark ausgedehnt,
die Substanz des Herzens welk, die Semilunarklappen der Aorta verknöchert. In der
Schädelhöhle : hochgradiger Hydrops membranarum cerebri, die Venen mit Blut überfüllt,
die Hirnsubstanz etwas erweicht, die Art. carotis int. in ihrem Verlaufe unter den Seh-
nerven und im ganzen Sitius cavernosus beiderseits verknöchert und in ihrem Lumen erwei-
tert, beide Sehnerven atrophisch, um die Hälfte dünner, welk, grau, und so weich, wie
sonst die Geruchsnerven. — Das rechte Auge zeigte verminderte "Wölbung der Cornea,
keinen Humor aqueus (?), die Iris braungelb, sonst normal, ebenso die Pupille ; die Cho-
rioidea auf beiden Flächen gelbbraun, aber pigmentlos, sehr verdickt, auf der Schnittfläche
silbergrau. Von der Retina konnte keine Spur aufgefunden weiden, und es war höchst
wahrscheinlich, dass sie mit der Chorioidea verwachsen war. Die Hyaloidea stellte sich
in der ganzen Ausbreitung bis in die tellerförmige Grube verknöchert dar, die Hyaloidea
cellularis war verdickt, parthienweise verknorpelt und verknöchert, die Zellen mit einer
weiss geronnenen Masse angefüllt. Die Linse undurchsichtig, weiss, fest, die Kapsel an
ihrer hintern Wand stellenweise ossificirt. Am linken Auge: die Hornhaut flach, die
Augenkammer klein, wenig Humor aqueus : Iris, Chorioidea und Sclera normal. Zwischen
Sclera und Chorioidea eine ungewöhnliche Menge Flüssigkeit. Kein Scleralstaphylom. Die
154 Netzhaut.
Retina fester und dicker; auf ihrer äussern Oberfläche viele rothe Flecke, welche unter
der Loupe etwa3 erhaben, gleichförmig, im Centrum dichter waren, und sich unmerklich
in einzelne dünne Fädchen verloren. Die Retina sonst von mehreren Blutgefässen durch-
zogen. Die Glasfeuchtigkeit im Auge grünlich, nach ihrer Entleerung vollkommen durch-
sichtig, hell und farblos. Die Linse etwas vergrössert und meergrün. Der Sehnerv in
beiden Augenhöhlen so wie in der Schädelhöhle. — Diese Beobachtung ist leider sehr un-
vollständig, und in Bezug auf den Augenbefund gewiss irrig aufgefasst. Am rechten Auge
hatte man offenbar den Ausgang von Chorioiditis mit verkalktem Exsudat vor sich. Dennoch
ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Erkrankung im Gefässsystem der Augenkrankheit
vorausging und zu Grunde lag. {Ammon Zeitschr. B. V. S. 191.) Eine ähnliche Beob-
achtung findet sich bei Makenzie 1. c. S. 777 betreffend einen 57 Jahre alten blinden
Taglöhner, beobachtet von Spurgin. Die Section ergab ein Aneurysma am Circulus arter.
Willisii, welches auf den rechten Sehnerven drückte, nebstdem einen Eiter- und einen
■apoplektischen Herd im grossen Gehirne, Verdickung der Scheide des rechten Sehnerven.
Auch hier bot die Retina eine röthlich-graue Farbe dar und war von zahlreichen Gefäss-
verästlungen der Centralvene durchzogen, dabei die hintere Kapsel der Krystalllinse ganz,
die Linse halb verdunkelt und letztere bis auf die Hälfte ihres natürlichen Volumens ge-
schwunden. Zu bemerken ist noch, dass kurz vor dem Tode bei völliger Blindheit und
bei völliger TJnbeweglichkeit der Pupillen die des rechten Auges erweitert, die des linken
verengert war, wofür in dem Sectionsbefunde kein Erklärungsgrund aufzufinden war.
Bei einem im 63. Jahre apoplektisch gestorbenen Manne hatte sich 14 Jahre vorher
Abnahme der Sehkraft gezeigt, welche sich bestimmt als Amblyopie kund gab, und sich
allmälig zu völliger Amaurose steigerte. Später wurde auch das Gehör auffallend schwä-
cher. Drei Jahre vor dem Tode wurde ein apoplektischer Anfall beobachtet, nach wel-
chem Lähmung der Gliedmassen, vorzüglich auf der rechten Seite, zurückblieb. Die
Sprache war lallend und unverständlich ; über Kopfschmerzen klagte er niemals. An den
Augen und Lidern war nie etwas Abnormes in Bezug auf Bau, Stellung oder Bewegung
zu bemerken: die Pupille verharrte in einem Mittelzustande zwischen Verengerung und
Erweiterung. Eine specifische Dyskrasie als auf die Krankheit Einfluss nehmend konnte
nicht vorgefunden werden; man nahm an, dass die ausschweifende Lebensweise, die der
Mann geführt (in Venere et Baccho), besonders der Missbrauch geistiger Getränke bei
dem Mangel körperlicher Thätigkeit zur Entstehung des Übels Anlass gegeben habe. —
Es wurde nur die Untersuchung des Kopfes und der Augen gestattet, obgleich die Unter-
suchung des ganzen Körpers zu wünschen war, da die Zeichen allgemeiner Wassersucht
•sich vorfanden. Die Schädelknochen ungewöhnlich dick und ohne Diploe; Wasseranhäu-
fung zwischen den Hirnhäuten; Verknöcherung an der Art. vertebralis, basiliaris, fossae
ßylvii und Carotis cerebralis; keine Hirnhöhlenwassersucht. Der rechte Thalamus opt.
war durch eine trichterförmige Höhle, welche harte, callöse, ' gelblichbraune Ränder und
Wände hatte, und weder Eiter noch Blut enthielt, grösstentheils zerstört. Diese Höhle
setzte sich, schmäler werdend, bis auf die Corpora geniculata fort. Der linke Sehhügel
war verkleinert, von der weissen Substanz kaum noch eine Spur vorhanden. (Offenbar
Folgen früherer Apoplexie.) Die Sehnerven beiderseits geschwunden, auf der linken Seite
mehr, als auf der rechten, und zwar vor ihrem Ursprünge über das Chiasma fort bis zu
den Bulbis, in der Augenhöhle am meisten. In den Bulbis keine besondere Veränderung,
ausser dass in der Retina des rechten Auges die Macula lutea nicht wahrgenommen wer-
den konnte. Professor Beck, der diese Beobachtung mittheilt, bemerkt noch, der schnelle
Cerebralaniaiirose. 155
Tod möge wohl nicht allein vom Gehirn, sondern vom Herzen oder von den Lungen aus-
gegangen sein. [Ammon 1. c. B. V. S. 447.)
Ich wurde vor Kurzem von einem alten, übrigens sich ganz wohl befindenden Herrn
wegen plötzlicher Erblindung des rechten Auges consultirt. Da ich keine Veränderung
im Auge und auch sonst keine Veranlassung zur Blindheit auffinden konnte, aber stark
rigide Arterien bemerkte, so zog ich aus diesen Umständen die Vermuthung, es sei die
Blindheit wohl Folge einer kleinen Hämorrhagie im Gehirn und stützte hierauf meine
Ordination ; vierzehn Tage darauf las ich in der Zeitung, dass der Mann an Apoplexie
gestorben sei.
3. Amaurosis in Folge von Lues.
Besondern Schwierigkeiten unterliegt die Diagnosis syphilitischer
Leiden der Centralorgane dann, "wenn die Affection als umschriebene
Entzündung der Hirnmasse mit consecutiver Sclerosirung und Atrophi-
rung auftritt, wenn die anderweitigen Manifestationen der Syphilis in
den allgemeinen Decken, in den Schleimhäuten, im Knochengerüste nie
eminent auftraten, nicht beachtet wurden, oder auch fehlten, wenn die
Merkmale der primären Infection (Narben) nicht aufzufinden sind, wenn
die Infection auf ungewöhnlichem Wege (nicht von den Genitalien aus)
erfolgte, wenn die Lues angeboren ist. Möge das Gesagte genügen,
den Praktiker aufmerksam zu machen, dass er bei unklaren Fällen
nicht vergesse, an Syphilis zu denken. Ein Übersehen dieser Art
möchte um so mehr bedauerlich sein, als gerade solche Fälle in der
Eegel noch Heilung gestatten, sich selbst überlassen dagegen wohl
immer traurig enden.
Ein Mann von 43 Jahren, welcher in Folge von Lues und Mercurialkachexie bereits
die Knochen der Nasenhöhle verloren batte, erblindete nach heftigen Kopfschmerzen auf
beiden Augen nach und nach gänzlich. Die Untersuchung nach mehrmonatlichem Bestände
des Augenleidens zeigte : die Bulbi und die Iris frei beweglich, die Pupillen erweitert, in
der Tiefe eigenthümlich getrübt, die Thränenfortleitung ungestört. Der Tod erfolgte ohn-
gefähr 4 Jahre später, in Folge von Entzündung der Schleimhaut des Darmcanales. Bei
Eröffnung der Schädelhöhle und der Augen fand man : die Schädelknochen sehr dick,
vorzüglich in der Gegend der Glabella; auf der innern Fläche der linken Seite eine
nicht unbedeutende Exostose; die Crista galli durch Caries zerstört, vom Siebbein fast
keine Spur , auch der Türkensattel bereits von Caries angegriffen ; die harte Hirnhaut
verdickt , die Gehirnmasse härter als gewöhnlich , die Sehnerven hinter dem Chiasma
dünner, vor demselben dagegen auffallend dicker durch Volumszunahme ihrer Hülle ; die
Jibröse Scheide des Sehnerven in der Orbita sehr verdickt und härter; zwischen der fibrö-
sen Hülle und dem eigentlichen Neurilema starke lymphatische Ausschwitzungen, das Neu-
rilema glänzender und härter, als gewöhnlich; die einzelnen Nervenfäden der Nerven-
masse mehr auseinander gedrängt; die Art. centralis nächst dem Bulbus erweitert und
mit Blut überfüllt. Im Bulbus ausser Pigmentarmuth der Chorioidea und Arerdünnung
der Netzhaut keine erhebliche Abnormität. (Ammon, Zeitschrift, B II. S. 285).
156 Netzhaut.
Ein 3S Jahre alter Mann , welcher sehr kachektisch aussah, über heftige Kopf-
schmerzen und allgemeine Kraftlosigkeit klagte, wandte sich an Amnion (ibid. S. 290)
wegen Trübung seiner sonst immer gut gewesenen Sehkraft. Amnion überzeugte sich,
dass der Mann syphilitisch gewesen war, und fand eine ziemlich grosse Perforation des
harten Gaumens. Dem Tode gingen die Erscheinungen von Meningitis vorher. Die Hirn-
schale an einigen Stellen ungewöhnlich dick, an andern regelwidrig dünn. Auf dem Tür-
kensattel der Knochen mürb, cariös, von Jauche durchdrungen ; die Glandula pituitaria fast
ganz zerstört. Auf der Schädelbasis ungefähr 3 Unzen röthlich gefärbter Flüssigkeit;
die ganze Oberfläche der Arachnoidea mit plastischem Exsudate bedeckt, das Gehirn un-
gewöhnlich weich, die 3. Hirnhöhle und der Zugang zur Sylvischen "Wasserleitung sehr
erweitert, in den erweiterten Seitenventrikeln mehrere Unzen hellgelber Flüssigkeit. Die
Sehnerven hinter dem Chiasma sehr dünn und weich, ebenso dieses selbst, vor demselben
jedoch voluminös, und zwar durch Verdickung der fibrösen Hülle., die man als Fortsetzung
der Dura mater zu betrachten pflegt ; zwischen der fibrösen Hülle und dem Neurilema
kein Exsudat. In den Bulbis — mit erweiterter Pupille — nichts Abnormes.
Wilson in London wurde zu einem Kranken gerufen , über welchen er folgende
Mittheilung erhielt. Im Frühlinge 1803, als die Influenza sehr herrschend war, wurde
Hr. C. , ein muskulöser Mann von 28 Jahren , von einem sehr heftigen tiefsitzenden
Schmerze in der Höhle des linken Auges befallen. Ein streng antiphlogistisches Verfah-
ren, Ton einem ausgezeichneten Arzte empfohlen, wurde eine beträchtliche Zeit ohne
Erfolg fortgesetzt. Nachher w&rden Medicamente , welche in nervösen Krankheiten Er-
leichterung zu verschaffen geeignet sind, in grossen Quantitäten angewendet. Diess sowohl
als Veränderung des Wohnortes und verschiedene andere Mittel blieben fruchtlos. All-
mälig wurde linkerseits das Ohr taub , der M. levator palpebrae und der rectus internus
paralytisch, und das Auge bei starr erweiterter Pupille blind. Dazu kam Verziehung des
Mundes nach der rechten Seite, ausserordentliche Heiserkeit und bis zur Unverständlichkeit
behinderte Aussprache. Endlich verlor er die Fähigkeit, feste Substanzen zu schlucken,
konnte selbst Flüssigkeiten nur mit grosser Schwierigkeit zu sich nehmen, und musste
den Speichel, den er weder zu schlucken noch auszuwerfen vermochte, mit der Zunge
aus dem Munde zu fördern trachten. Dabei die hartnäckigste Stuhlverstopfung. — Als
Wilson den Kranken besuchte, fand er auch die rechten Extremitäten vollständig gelähmt.
Nebst sehr heftigem Schmerze in der linken Augenhöhle bestand auch noch beträchtlicher
Schmerz in den Halswirbeln und auf der Höhe der Schulter. Lag der Kranke im Bette,
so war er nicht im Stande, seinen Kopf vom Kissen zu erheben; er konnte fast gar
nicht schlafen, und der quälende Schmerz liess nicht einen Augenblick nach, man sah
seinem Tode stündlich entgegen. — Wilson erfuhr, dass der Patient vor Anfang der
Krankheit zu 2 — 3 Malen Chancres und beginnende Bubonen gehabt hatte, dass ihm da-
gegen Quecksilber verordnet worden war, bis die örtlichen Zufälle verschwanden, und
dass der behandelnde Arzt die Heilung dann für vollständig erklärt hatte. Den Sommer
vor seiner Krankheit hatte er sich beim Springen im Rücken weh gethan, und eine kurze
Zeit darauf entstand ein Bubo in der rechten Leiste. Dieser wurde mit besonderer
Sorgfalt behandelt, und zwar unter der Voraussetzung, dass er venerischer Art sein
könnte. Er suppurirte und heilte endlich, ohne dass Quecksilber angewendet worden
war. — Da Wilson in der Gestalt des einen Beines des Patienten etwas Eigenthüm-
liches bemerkte, so bat er um Erlaubniss, dasselbe untersuchen zu dürfen, und als der
Strumpf abgenommen war, bemerkte er nicht nur eine Narbe von beträchtlicher Aus-
breitung, sondern auch, dass die Tibia sehr aufgetrieben sei. Der Patient empfand aber
Cerebralnniaurose. 157
in diesem Knochen keinen Schmerz. Er schrieb mit seiner linken Hand nieder, dass er
mehrere Jahre vorher einen heftigen Schlag auf dieses Bein bekommen habe, und dass
ein grosses Knockenstück abgegangen sei ; er konnte sich indess nicht entsinnen, ob er
damals Quecksilber bekommen; er glaube nicht, dass die Knochenkrankheit damals für
venerisch gehalten worden sei. Er erinnerte sich nicht, jemals Flecken auf der Haut
oder Geschwüre im Schlünde gehabt zu haben , und sein gegenwärtiges Übel sei noch
von keinem der consultirten Arzte jemals für venerisch gehalten worden. — Als Wilson
den Nacken des Patienten untersuchte, fand er mehrere Wirbelbeine sehr aufgetrieben ;
er entdeckte auch eine grosse Geschwulst am Acromion der rechten Scapula und eine
beträchtliche Auftreibung längs der Spina dieses Knochens. Die rechte Clavicula war
wenigstens 3mal so dick als im gewöhnlichen Zustande, und auch am Oberarmknochen
konnte man , da die Muskeln geschwunden waren, ein wenig über der Insertion des M.
deltoideus eine Auftreibung wahrnehmen. Da diese Geschwülste venerischer Natur sein
konnten, so hielt Wilson die Anwendung des Quecksilbers für gerechtfertigt. Die Ver-
wandten befürchteten , dass die ausserordentliche Schwäche und der allem Anscheine
nach baldige Tod den Versuch nutzlos machen würden , willigten endlich doch ein ,
indem der Tod, wenn nicht etwas gethan und zwar schnell gethan wurde, unvermeidlich
zu sein schien. Demgemäss wurde 1 Drachme starke Mercurialsalbe mit 5 Gran Campher
jeden Abend in die Haut eingerieben. Nach 4 Tageu wurde der Mund vom Quecksilber
afficirt: nach 10 Tagen war das Schlucken schon nicht mehr so schwierig, der Patient
hatte guten Schlaf, imd nach 14 Tagen waren seine Schmerzen beinahe vergangen, die
Geschwulst der Clavicula hatte sichtlich abgenommen, und die Muskeln des Patienten
waren weit voller und fester; der Patient konnte sich wieder durch die Sprache ver-
ständlich machen. Jetzt wurde die Salbe auch des Morgens zu 1 Drachme eingerieben,
und ihr Gebrauch durch 1 1 "Wochen fortgesetzt. Gegen den letztern Theil dieser Zeit,
als Patient ganz bequem schlucken konnte, nahm er täglich e;wa 8 Unzen der Decoctio
sarsaparillae composita und dann und wann ein Chinapräparat. — Obschon während
dieser Cur der Mund beträchtlich afficirt war, so nahm der Patient doch täglich an
Kräften zu und war vor Beendigung der Cur fett geworden. Seine Muskeln hatten bei-
nahe ihre ursprüngliche Stärke, seine Glieder ihre frühere Bewegungsfähigkeit erhalten;
die Schmerzen waren ganz beseitigt, und die Verdickung der Knochen hatte sehr abge
nommen. Seine Heilung war mit folgenden Ausnahmen vollkommen, und hatte sich —
zur Zeit der Veröffentlichung des Falles — über 2 Jahre so erhalten. Die Pupille
des 1. A. blieb etwas erweitert und das Lid konnte nicht sa hoch wie ehedem gehoben
werden ; aber der Patient konnte Gegenstände und Farben einigermassen mit diesem
Auge erkennen , und selbst kleine Gegenstände, wenn er sich einer grünen Planbrille
bediente und nur dieses eine Auge anwendete. Bei gleichzeitigem Gebrauch beider
Augen sah er noch doppelt. Er sprach immer mit einer sehr heisern Stimme, aber
seine Aussprache war ziemlich deutlich. (Makenzie, Krankh. des Auges, Weimar 1832,
S. 806).
4. Amaurosis nach Unterdrückung der Transpiration, Men-
struation, purulenter Ausflusse u. dgl.
Die nachstehenden Beobachtungen haben den Zweck, aufmerksam
zu machen, dass bestimmte Angaben der Kranken über unterdrückte
Ausscheidungen, sie mögen nun von selbst oder auf besonderes Nach-
158 Netzhaut.
fragen gemacht werden, immerhin volle Beachtung verdienen. Man
wird sich allerdings hüten müssen, dass man nicht ohne Weiteres post
hoc propter hoc schliesse, denn es kann ein Hirnleiden ganz unabhän-
gig von einem solchen Momente entstanden, ja es kann sogar das Aus-
bleiben einer Ausscheidung Folge der bereits bestehenden Encephalo-
pathie sein ; nichts desto weniger bleibt es Thatsache, dass in einzelnen
Fällen z. B. Verkältung ebenso gut Ursache des Hirnleidens wird, als
eine traumatische Einwirkung, und es wird die richtige Auffassung des
ursächlichen Zusammenhanges zwischen dem in Rede stehenden Mo-
mente und der Krankheit, als deren Symptom Amaurosis besteht, offen-
bar von grösstem Einflüsse auf die Prognosis und Therapie sein. Von
minderem Einflüsse, wenn gleich an und für sich wichtig, ist die Frage,
ob die Amaurosis, wenn sie in der That als Folge der unterdrückten
Ausscheidung zu betrachten ist, in einem speciellen Falle durch pri-
märe oder secundäre Netzhautaffection bedingt sei. Dass Meningitis,
Encephalitis, besonders aber Hydrocephalus in manchen Fällen das
Mittelglied ist, steht fest; dass in andern Fällen Entzündung der Netz-
und Aderhaut die Folge solcher Unterdrückungen sei, kann auch kaum
bezweifelt werden. Ob und auf welche andere Weise sonst noch Amau-
rosis durch Suppression hervorgerufen werde, bleibt ferneren Beobach-
tungen und Untersuchungen anheimgestellt.
Ein etwa 30 Jahre alter Schriftsetzer litt seit 4 Jahren an Amaurose, die sich, an-
geblich nach starkem Tanzen und Erkältung des schwitzenden Kopfes, allmälig ausge-
bildet hatte. Das Gesicht verlor sich in einen immer dichter werdenden Nebel; kein
Ungestaltet-, kein Funkensehen; Zufälle der Reizlosigkeit, keine Entwicklung von Blut-
gefässen; träge, massig erweiterte, kreisrunde, etwas rauchige Pupille. Periodisches hef-
tiges Kopfweh, besonders in der linken Seite über der Stirn; Schielen; die linke Augen-
braue höher gezogen. Später Anfälle von Krämpfen in den Extremitäten mit Bewusst-
losigkeit, zuweilen unfreiwillige Ausleerung des Urins und des Stuhls, beständiges Gefühl
von Taubheit in der linken Seite. Doch ging Patient noch am Tage vor seinem Tode
aus, welcher nach einem heftigen Krampfanfalle plötzlich erfolgte. — Sehr dünner Schädel,
der Schuppentheil des linken Schläfebeines wie ein Kartenblatt. Der Kranke hatte ein
Cauterium von Höllenstein nach Gräfe auf den Scheitel gelegt, und oft noch geargwöhnt,
die immer wachsenden Kopfschmerzen möchten von einer zu tiefen Einwirkung des Mittels
herrühren. Es fand sich aber kaum in der Kopfschwarte eine Spur davon, im Schädel
und innerhalb desselben gar nichts , was darauf hingedeutet hätte. Die Hirnhäute
waren sehr blutreich, das Gehirn quoll stark hervor. Als man durch Horizontalschnitte
bis in die Nähe der Decke des linken Seitenventrikels kam, hob sich dasselbe beträcht-
lich, platzte und entleerte eine grosse Menge (1 P/2 Tassen voll) bräunlichrothen, schmutzi-
gen Wassers. Der linke Seitenventrikel übermässig ausgedehnt; der ganze linke vordere
Lappen erstreckte sich weit über die Mitte nach der rechten Seite, beengte den rechten
vordem Lappen , und hatte ihn zum Theil aus seiner Lage gedrängt. Das Pavimen-
tum , besonders nach vorn zu, der gestreifte Körper und ein Theil des Sehhügels auf
Cerebralaniaurose. 159
der linken Seite waren zerstört, und in eine gelbbräunliche schmierige Masse verwandelt.
Die Marksubstanz des ganzen linken Hirnlappens war viel dünner als im gewöhnlichen
Zustande, und zum Theil, besonders nach unten zu, in jene gelbbraune Masse verwan-
delt. An der Basis cerebri erstreckte sich diese Entartung bis zur Gland. pituitaria,
welche sehr klein war. Das Chiasma war bräunlich, an der Oberfläche sowohl als im
Innern fast ohne Marksubstanz, platt, zusammengeschrumpft und wie durchlöchert;
ebenso die Sehnerven sowohl hinter dem Chiasma als bis zu den Bulbis fadenartig,
nicht zum 4. Theile so dick als im gesunden Zustande, ohne deutliche Marksubstanz;
der linke war noch dünner und zugleich länger, indem das Chiasma etwas nach der
rechten Seite hinüber gedrängt lag. Der rechte Seitenventrikel war ebenfalls mit Wasser
gefüllt, welches nur eine leise bräunliche Färbung hatte, aber nicht so ausgedehnt.
Die Section der Augen wurde nicht gestattet. (Andrea bei Amnion 1. c. B. V. S. 409).
Eine ähnliche Beobachtung machte Holscher (Annalen, 2. Band) bei einem 22jäh-
rigen starken und sonst ganz gesunden Mädchen. Sie hatte in Folge einer starken Er-
kältung unter heftigen Kopfschmerzen ihr Gesicht verloren, schien aber ausserdem eine
untadelhafte Gesundheit zu gemessen. Die Pupillen stark erweitert, und bei starkem
Lichtreize sich langsam contrahirend, der Blick stier, sonst nichts Abnormes. Setaceum
am Nacken, dann die Schmiercur : am 7. Tage, als erst 3 Drachmen ung. cinereum ein-
gerieben waren, starb die Kranke plötzlich. Gehirnhäute, Mark- und Rindensubstanz des
Gehirnes normal; in beiden Seitenventrikeln 12—14 Unzen klares Serum. Weder die
Thalami noch die Optici selbst zeigten eine pathologische Veränderung.
Makenzie I. c. S. 7S7 beruft sich auf zwei Beobachtungen von Arrachart, welche
wohl kaum anders gedeutet werden können, als dass die Erblindung durch ein Hirnleiden
in Folge unterdrückter Transpiration veranlasst gewesen sei, wenn gleich keine Section
zum Beweise des erstem Theiles dieser Behauptung vorliegt. Eine junge Frau hatte
während der höchsten Sommerhitze eine Last Wäsche nach dem Flusse getragen , und
von Schweiss triefend ihre Hände ins Wasser getaucht. Es überfiel sie Kälte, ihre Haut
wurde augenblicklich trocken, und binnen einer Viertelstunde war sie blind. Der zweite
Fall betrifft einen sehr corpulenten jungen Mann, der eine Zeit lang in einem stark ge-
heizten Zimmer sich aufgehalten , und dasselbe dann mit Schweiss bedeckt verlassen
hatte. Die kalte Luft unterdrückte plötzlich den Schweiss. Er legte sich mit heftigen
Kopfschmerzen zu Bette und erwachte den andern Morgen blind. In beiden Fällen
blieben die Pupillen schwarz, erweitert und unbeweglich, die Augen stier, die
Haut trocken.
In einem von Howship erzählten Falle war beinahe völlige Blindheit bei einem alten
Manne, welcher stark an Fussschweissen litt und auf den Bath eines Nachbars die Blät-
ter von Rumex auf die Fusssohlen gelegt hatte, noch während der Anwendung dieses
Mittels, und zwar binnen einer Stunde eingetreten. Dieser raschen Abnahme der Seh-
kraft war grosse Übligkeit und heftiger Schmerz über der Stirn vorangegangen , welche
sich schon eine halbe Stunde nach dem Gebrauche des Piumex eingestellt hatten. Der
Mann wurde wieder gesund, nachdem man Blasenpflaster hinter die Ohren und an die
Seitentheile der Füsse gelegt, kleine Gaben Calomel in Zwischenräumen verabreicht und
die Füsse früh und Abends in warmes Wasser gesetzt und darauf sehr warm in Flanell
gewickelt hatte. Kopfschmerz und Amblyopie nahmen schon 24 Stunden nach Legung
der Vesicatore merklich ab, und wichen endlich vollständig, als die Mercurialcur den
Mund in hohem Grade zu afficiren begonnen hatte.
160 Netzhaut.
Ein Frauenzimmer von etwa 40 Jahren bekam während einer Fussreise bei sehr
warmer Witterung die Katemenien und trank, während sie sehr erhitzt war, reichlich
kalte saure Milch. Fast augenblicklich darauf entstand Beklemmung in der Präcordial-
gegend, Kopfweh und gänzliches Ausbleiben des Blutflusses, einige Stunden später Stei-
gerung des Kopfschmerzes, Zeichen von Hemiplegie und Amaurosis des linken Auges.
Durch reichlichen örtlichen und allgemeinen Aderlass, durch Blasenpflaster und Purganzen
wurde beträchtliche Erleichterung erlangt, aber die Affection des Auges blieb dieselbe.
Die Menstruation blieb aus, als sie sich der Zeit nach hätte einstellen sollen. Dr. Brown,
der Beobachter dieses Falles, richtete nun seine Behandlung auf Wiederherstellung des
Monatflusses ; nach 6 Monaten kam derselbe wieder zum Vorschein, und bald darauf war
das Sehvermögen vollkommen wieder hergestellt.
Eine Dame von 30 Jahren war während der Menstruation Strapazen und der Kälte
ausgesetzt , so dass dieselbe zu zeitig aufhörte. Nachher befand sie sich einige Tage
ausserordentlich matt, schwerfällig und niedergeschlagen. Der Puls war natürlich ; sie
klagte über schwaches Kopfweh; ihr Aussehen Hess mehr eine Seelenstörung als ein
körperliches Leiden befürchten. Dr. Abercrombie sah die Frau den 15. Tag; sie war in
ihrem Benehmen wunderlich, schroff und geistesabwesend, aber immer noch dafür em-
pfänglich, wenn sie angeredet wurde; sie klagte über schwaches Kopfweh; der Puls
war etwas häufig. Den 16. war sie sehr rrerabgestimmt , den 17. und 18. in einem Zu-
stande von fast vollständigem Coma. Nachdem sie den 19. reichlich mit Crotonöl pur-
girt worden war, war sie für Alles empfänglich, und es blieb kein beunruhigendes
Symptom zurück, als dass sie zuweilen die Gegenstände verdreht und doppelt sah; ein
andermal war ihr Sehvermögen ganz natürlich ; der Puls häufig, die Zunge belegt. Nach
einigen Tagen klagte sie wieder über Kopfweh, sprach bisweilen unzusammenhängend,
und sah undeutlicher bei erweiterter Pupille; endlich wurde der Puls immer frequenter,
die Kräfte nahmen ab, und sie starb ohne Coma. Man fand die Ventrikel durch Flüssig-
keit ausgedehnt, Septum und Fornix erweicht, sonst keine krankhafte Veränderung.
(Makenzie 1. c. S. 785 und 786.)
Beer (Lehre der Augenkrankheiten, Wien 1792, B. II. S. 57) erzählt, dass ein 18-
jähriges Mädchen, welche eines Morgens im Winter während ihrer Periode mit blossen
Füssen in die Küche geeilt war, die einen marmornen Fussboden hatte, in 10 Minuten
so blind wurde, dass sie nicht die mindeste Empfindung von der hellbrennenden Flamme
auf dem Herde hatte, jedoch durch Wiederherstellung der Menstruation wieder vollkommen
geheilt wurde.
Oslander (Nachrichten von Wien, Tübingen 1S17 S. 76) erzählt folgende Beob-
achtung von Beer. Ein Fuhrmann von 45 Jahren machte bei nasser und kalter Witte-
rung eine Heise. Der Ausfluss aus Fussgeschwüren, die seit vielen Jahren offen gewesen
waren, wurde unterdrückt, und der Mann in Folge dessen blind. Nach 14 Tagen
wurde er in's Spital gebracht. Er sah nicht einmal ein helles Fenster; die Pupille
war länglich und ausserordentlich erweitert. Beer stellte eine günstige Prognose , be-
sonders da der Patient inwendig im Auge Lichtempfindungen hatte (?) und zwar ohne
Varicosität und ohne Veränderung in den Feuchtigkeiten. Er hatte mehr als 20 solcher
Amaurotischer dadurch geheilt, dass er den purulenten Ausfluss wieder herstellte, und
verordnete demgemäss Senfpflaster von der Grösse einer Hand auf die Geschwüre an
beiden Unterschenkeln, Fussbäder mit Senf geschärft, und innerlich Pulver aus: Sulfur.
aurati antim. gr. unuin, Camphorae gr. duo, Flor, sulfuris gr. sex, Sacchari gr. decem,
Cerebralamaurose. 161
täglich 3 Stück. Die Senfpflaster wurden täglich erneuert, und den 10. Tag begann das
Sehvermögen zurückzukehren. Nach 30 Tagen war das Sehvermögen fast vollständig
•wieder hergestellt. (Makenzie 1. c. S. 786.)
5. Amaurosis in Folge von Geschwülsten in der Schädel-
höhle, Tuberkeln, Sareomeii, Fibroiden, Cysten.
Verschiedene Geschwülste und Neubildungen in der Schädelhöhle,
bald aus dyskrasiscken Leiden hervorgehend (Tuberkel, Medullarsar-
com, Lues), bald spontan, bald nach den verschiedensten äussern Ver-
anlassungen (Trauma, Verkältung), bald endlich so zu sagen proprio
motu sich entwickelnd, wirken störend auf die Fortleitung und Per-
ception des Retinaleindruckes entweder dadurch, dass sie einen perma-
nenten Druck ausüben, oder dadurch, dass sie zu activer oder mecha-
nischer Hyperämie mit Re- und Intermissionen, oder aber zu Exsudation
an der Basis des Gehirnes, am Chiasma, in den Ventrikeln u. s. w. die
nächste Veranlassung abgeben. Schon dieser allgemeine Gesichtspunkt,
von welchem man bei den Geschwülsten in der Schädelhöhle als Ur-
sache von Amaurosis auszugehen hat, mag genügen, die Schwierigkei-
ten anzudeuten, mit welchen hier die Diagnostik im Allgemeinen zu
kämpfen hat.
H. Anna, 26 Jahre alt, von zarter Constitution, litt in ihren Kinderjahren an einem
Ausflüsse aus dem rechten Ohre, welcher allmälig verschwand, in den letzten 3 Jahren
jedoch wieder auftrat und noch fortbesteht. Von 3 verschiedenen Wechselfieberanfällen
im 16., 17. und 18. Jahre blieben keine Folgen zurück. Die Periode stellte sich vom
15. Jahre bis zur ersten Schwangerschaft im 25. Jahre immer regelmässig ein. Die
Entbindung war leicht, die Lochien flössen durch 3 Wochen gehörig, die Milchsecretion
war spärlich. Am 3- Tage nach der Entbindung verliess sie das Bett, um wieder zu
arbeiten. Noch denselben Tag stellte sich heftiges Erbrechen ein, ohne Schmerzen im
T'nterleibe, und kehrte durch 14 Tage mehrmals wieder. Dazu gesellten sich reissend-
stechende, remittirende Schmerzen, bald in der Stirn, bald im Scheitel, bald in der
Schläfe, sich bisweilen bis zum Unterkiefer erstreckend; ähnliche Schmerzen zeigten
sich auch in den obern Extremitäten. Als endlich das Erbrechen aufhörte, bemerkte die
Kranke Abnahme des Gesichtes auf dem rechten , und nach fünf .Wochen auch auf
dem linken Auge; drei Wochen später erblindete sie auf beiden Augen gänzlich, ohne
Störung der Beweglichkeit der Augen oder der Lider. In der 11. Woche nach der
Entbindung wurde auf der Klinik von Prof. Fischer folgender Zustand aufgenommen:
Gänzlicher Verlust des Sehvermögens, die Pupillen gleichmässig und stark erweitert, die
Iris völlig unbeweglich, der Blick eigenthümlich stupid, sonst an den Augen nichts Ab-
normes; Fortdauer der Schmerzen mit nächtlicher Verschlimmerung, serös-puriformer
Ausfluss aus dem rechten Ohre. Im übrigen Körper keine merklichen Gesundheitsstö-
rungen, doch wurde die physikalische Untersuchung der Brustorgange damals (1837)
nicht vorgenommen. — Man glaubte Verkältung als Ursache des Leidens annehmen zu
dürfen, und leitete eine dieser Voraussetzung entsprechende Behandlung ein. (Anfangs
Tart. stibiatus, dann Vesicantien, Dzondische Schwitzbäder, u. dgl.) Der Zustand änderte
Arlt Augenheilkunde, in. 11
162 Netzhaut.
sich nicht wesentlich, bis zu Ende der 4. Woche der Behandlung1 in einer Nacht nach
enormer Steigerung der Kopfschmerzen Bewusstlosigkeit , Convulsionen , beständiges
Schreien , dann aber ein Zustand allgemeiner Lähmung eintrat, und nach mehrmaliger
Wiederholung solcher Anfälle der Tod in der 8. Woche erfolgte. — Die Schädelknochen
dünn ; im hintern Theil der Dura mater über der linken Hemisphäre an einer handteller-
grossen Stelle, und in .einer kleinern Strecke auch an der rechten Hemisphäre zahl-
reiche, kleine, ziemlich feste Erhabenheiten , denen kleine Grübchen an der GlastafeL
entsprachen. Die linke Hemisphäre sah schon von aussen grösser aus, als die rechte,,
die Dura mater daselbst straff gespannt, ihre Gefässe von Blut strotzend. In den Seiten-
ventrikeln eine massige Menge trüben Serums, Septum und Fornix erweicht. Im hintern
Lappen der linken Hemisphäre eine mehr als hühnereigrosse Geschwulst (Tuberkel) , ein-
gesenkt in die Hirnsubstanz, an der Oberfläche uneben, innen fest, gelblich, homogen,,
ohne Spur von Gefässen, mit dem Messer in Form schmieriger Körner abkratzbar. Beim.
Einschneiden der kleinen an der Oberfläche befindlichen Höcker fand man ihre Substanz.
in der Mitte erweicht und in eine grünliche dicke Flüssigkeit verwandelt. In der Mitte-
dieser Geschwulst befand sich eine fast thalergrosse Stelle, wo die etwas verdickten
Hirnhäute bloss und deutlich unterscheidbar da lagen. Die angrenzende Hirnsubstanz
war im Zustande der weissen Erweichung. Diese Ablagerung hatte bereits die äussere
Grenze des linken Sehhügels erreicht. In der Umgebung des Trichters und des Chiasma
fand sich plastisches Exsudat in solcher Menge, dass die Hypophyse stark niedergedrückt
und atrophisch erschien; eine geringere Exsudatmenge befand sich in der Sylvischen
Grube und nach hinten an den Schenkeln des grossen Gehirns und am Pons Varoli. —
In beiden Lungenspitzen mehrere haselnussgrosse Cavernen , in der übrigen Lunge-
gruppenweise zerstreute frische Tuberkelinfiltrate. Auch in der Leber und im untern
Theile des Ileum Tuberkel, theils erweicht, theils roh. Geringe Abmagerung des-
Körpers.
Ein Knabe von 7 Jahren, von einem phthisischen Vater gezeugt und deutliche Merk-
male der Serofulosis darbietend, litt nach einem Falle auf den Kopf seit längerer Zeit
an Schmerz im Nacken und an zeitweiliger Steifheit der Extremitäten ; dazu gesellten
sich allmälig langsame Sprache, Schielen, Gesichtsschwäche und Lähmung der linken
Körperhälfte, dann leichter Husten, später Diarrhöe, reichliche Schweisse und Abmage-
rung. Am 10. Juni 1839 fanden wir nebst dem Erwähnten die Pupille des nach innen
abgelenkten rechten Auges sehr erweitert und unbeweglich, das Gesicht völlig erloschen ;
mit dem linken Auge wurden noch grössere Gegenstände wahrgenommen ; das Gehör
ungestört ; der rechte Mundwinkel nach abwärts gezogen , die Zunge beim Vorstrecken
links abweichend, häufiges Ächzen, Stirnkopfschmerz, der Kopf nach links gezogen;
die linken Extremitäten gelähmt, in der rechten Contracturen ; Lungen tuberkel durch
Percussion und Auscultation nachweisbar; leichter Husten, häufige Diarrhöe. Bis zum
Tode am 10. August keine wesentlichen neuen Erscheinungen. Die Pia mater stark serös-
infiltrirt, die Wandungen der mit Serum reichlich angefüllten Ventrikel fast breiartig er-
weicht. Im vordem Lappen der linken Heinisphäre nahe an der Sichel ein haselnuss-
grosser, in der Mitte erweichter Tuberkel; im hintern Lappen drei solche Tuberkel; im
rechten Lappen des kleinen Gehirnes ein hühnereigrosser , im Schenkel des Gehirnes zur
Varolsbrücke ein ivallnussgrosser Tuberkel. Die Lungen von unzähligen theils aggregir-
ten, theils solitären frischen Tuberkeln durchsetzt ; in Leber, Milz und Nieren gleichfalls
Tuberkel u. s. w. Die Sehnerven in der Schädelhöhle ohne merkliche Veränderung;,
die Augen durften nicht untersucht werden.
Cerebralaniaiirose. 163
„Juvencula 20 annorüm gutta sercna laboverat a fine anni 1759 post vomitum
spontaneum 14 dienira postque trimestrem defectum catameniorum. Datis purgantibus
vomitus eessaverat, redierant menses visusque. Toto anno optime valuit. Sub finem anni
1760. menses deficiunt, vomitus redit, perit visus. Eo in statu in nosocomium infertur.
Video amaurosin, quae cum immobili utraque pupilla inter diem noctemque, imo posthac
de die album inter nigrumque distingueret. Cum anno elapso purgantibus sanitatem et
visionein recuperasset, eadem ipsi, sed jam incassum, praescripsi. Cumque demum pur-
gantibus opio interposito vomitum superassem, menses et visus deficere pergebant. Amau-
rosis jam bis vomitum diuturnum atque violentum, vomitus jam bis retardatos inseque-
batur menses; unde in mensium defectum, si non omnis, saltem aliqua causa vomitus
viderctur refundenda. Qnare postquam appetitus bonus rediisset, methodica ad menses
revocandos cura, eaque non juvante, quaevis empirica prudenter adhibita fuit. Cum demum
nibil juvaret, nisi quod semel iterumque leve quoddam initium mensium videretur con-
spici, tandem post aloeticum purgans balneaque vaporis macbinae tortilis ad arterias
durales admotae auxilium ad tres usque varias vices adhibui circa id tempus, quo men-
ses redire dcbuissent. Sed frustra. Diu demum post menses rediere, sed irregulariter
semper, vomitus nonnisi rai-o rediit, passim adbuc bonus appetitus, bona digestio, egestio
conimoda, virium torositatisque incrementum. Ast vero omnia haec cum perseverante
amaurosi et continuo repetentibus capitis atque oculorum doloribus. Videbatur ex bisce
concludi oportere, quod visus olim rediisset ad catameniorum restitutionem, quia necdum
quid notabiliter aut laesi aut impacti obstructique in encephalo erat, jam vero ex vomi-
tuum tum repetitione, tum diuturnitate vitium topicum in cranio foret, propter quod gutta
serena ad restitutos menses perennasset : quodque proinde occasio opportuna adesset ejus
curam cauterio actuali tentandi, id quod tutum, quod securum, quod nunquam noxium,
saepe vero efficacissimum bucusque credideramus. Die 4. ergo Junii banc operationem
fecimus. Prima nocte vix dormivit et dolorem in utroque cervicis latere conquesta est;
altera die melius, tertia bene se babuit excepta febricula, quarta pejus. Sanguinem misimus.
Jamque vox deficere incepit et caput hebes fieri. Medio die 5. periit Praeter sequelas
ustionis reperta est peculiaris infundibuli mutatio. Infundibulum maximum fuit, 8 — 9
linearum diametrum habens; repletum fuit materia grisea, quae partim pultacea, partim
calcaria fuit; concretum erat cum pia matre opticos involvente ; insidebat premebatque ipsurn
opticorum coalitum, non quidem ita, ut n. optici post coalitum marcescerent, sed saltem
sie, ut videretur illorum actio interturbata fuisse, puellaque caeca fuisse mansura, etiamsi
male baud successisset operatio. Pulmones ubique, ne minima quidem plaga excepta, in-
dissolubiliter cum omnibus in tborace partibus mutuisque inter se lobis connati erant."
(De Haen, ratio medendi. Edit. II. Vindob. 1763. P. VI. pag. 264.)
Im Juni 1629 kam eine 35 Jahre alte Bauersfrau von robuster Constitution wegen
einer schnell entstandenen Amaurose des rechten Auges, begleitet von starken Kopf-
schmerzen auf der rechten Seite, zu Dr Hedeland. Ihre Periode, seit mehreren Jahren
allmälig immer spärlicher, war seit einigen "Wochen ausgeblieben. Nach Aderlässen,
Blutegeln und Yesicatoren daselbst und Verabreichung drastischer Purgirmittel schien sie
fast völlig hergestellt zu sein. Im October kam sie ins Hospital zurück, mit massig ge-
schwächtem Sehvermögen , aber heftigen Kopfschmerzen. Blutegel um das rechte Auge,
nach und nach spanische Fliegen, Einreibungen von Belladonnasalbe, ein Haarseil am
Xacken, Eisumschläge auf den Kopf, innerlich Eisen- und Aloepräparate, zuletzt Mer-
curialeinreibungen bis zur Salivation — dessen ungeachtet Abnahme der Sehkraft, Stei-
gerung der Kopfschmerzen, nach einigen Monaten totale Erblindung, erst auf dem linken,
il*
1§4 Netzhaut.
dann auf dem rechten Auge. Als sie im Juni 1830 zum 3. Male in's Spital kam, klagte
sie nebst wüthenden Kopfschmerzen noch über heftige Schlingbeschwerden, die sie einer
vermeintlichen Geschwulst am Halse zuschrieb; überdiess waren die Augen und Augen-
lider völlig gelähmt. In Kurzem trat der Tod ein. — Unter der Dura mater am hinter-
sten Theile des Seitenwandbeines und dem vordersten des Hinterhauptbeines längs des
Sichelblutleiters viele weisse Drüsen, welche mit der Gehirnsubstanz unzertrennlich fest
zusammenhingen; auf der linken Seite in der Mitte einer ähnlichen Adhärenz sass ein
Knochensplitter von l/i Zoll Länge, welcher das Gehirn mit seinen entblössten Enden
berührte. In den Ventrikeln die gewöhnliche Menge Feuchtigkeit. Der rechte Sehnerv
ziemlich rund, der linke dagegen ganz flach, klein, leer, die Thalam. nerv, optic. dünn
und klein. Die Glandula pituitaria bis zur Grösse eines Eies angeschivollen ; bei ihrer
Durchschneidung wurden grössere und kleinere Knochenstucke, welche durch ihre ganze
Textur hindurch incrustirt waren, und sehr viel Eiter mit Blutwasser gemischt, in und
unter derselben gefunden. Die Sella turcica war an ihrer Basis vom Knochenbrand er-
griffen. Der Eiter, welcher den linken Augennerven umgab, hatte seinen Ursprung von
dem letztgenannten Eiterherde. — Ausserdem fand man die rechte Lunge überall durch
eine Pseudomembran mit der Pleura costalis vereinigt. (Nevennann bei Ammon 1. c. B.
V. S. 366.)
Andral (Krankh. der Nervenh., übersetzt von Behrend p. 274) bemerkt, dass unter
zwanzig von ihm beobachteten Fällen von Tuberhein im Meinen Gehirne das Gesicht
sieben Mal geschwächt oder aufgehoben, der Sitz der Tuberkel jedoch ein sehr ver-
schiedener war. — Bei einem Manne von neunundzwanzig Jahren trat zuerst heftiger
Kopfschmerz auf, dann allmälige Beinträchtigung des Gesichtes und der Bewegung in
den linken Extremitäten, ein Jahr später Anästhesie in der linken Gesichtshälfte, welche
jedoch nur durch zwei Monate anhielt, im dritten Jahre fast vollständige Amaurosis mit
ziemlich engen Pupillen, Schmerz im Hinterhaupte, Lähmung der linken Körperhälfte,
häufiger Husten und anhaltende Dyspnoe, Blässe der Haut, Abmagerung, zeitweilig
Diarrhöe, zuletzt plötzlich Peritonitis mit tödtlichem Ausgange. — Im grossen Gehirne
nichts Krankhaftes; im rechten Lappen des kleinen Gehirnes eine harte, weissgelbliche
nirgends erweichte Masse, welche alle Charaktere eines Tuberkels darbot. In den Lun-
gen Miliartuberkeln; im Ileum Tuberkelgeschwüre und Perforation. [Andral, Clin, me'dic.
T. V. p. 506.)
Ein Mädchen von l3/* Jahren, welche an Crusta lactea gelitten und davon in
kurzer Zeit durch "Waschungen befreit worden war, fing bald darauf an mit dem rech-
ten Auge nach aussen zu schielen; einige Tage später trat vollkommene Lähmung des
obern Lides dazu, so dass man wohl auf Lähmung des Nervus oculomotorius zu schliessen
berechtigt war. Auf die Anwendung -wurmtreibender Mittel waren vier Spulwürmer
abgegangen, die Ptosis jedoch nicht gehoben. Professor von Ammon, dem die Kranke
jetzt vorgestellt wurde, fand ausser der Ptosis und der Ablenkung des Bulbus nach
aussen nichts Krankhaftes am Auge. (Erweiterung der Pupille dürfte wohl übersehen
worden sein.) Das Kind, welches früher laufen konnte, war jetzt nicht mehr dazu zu
bringen, war verdriesslich, wollte immer getragen sein , und Hess dabei den Kopf auf
die Seite hängen. Sie schlief mit an den Leib angezogeneu Beinen, bohrte sich mit
dem Kopfe in die Kissen, und erschrak oft im Schlafe; dabei das Aussehen munter, die
Wangen geröthet, der Appetit gering, die Verdauung in Ordnung. Man schloss auf
Hydrocephalus chronicus mit Druck auf den N. oculomotorius, und verabreichte unter
Cerebralamaurose. 1 65
andern Calomel, Magnesia, Aethiops antimonialis, Rheum, Fibrillae' artemisiae, Zug-
pflästerchen hinter die Ohren. Nach 3—4 Wochen hatten sich die Zeichen des Turgors
zum Kopfe gemindert, das Kind fing an zu laufen und zu spielen, und abermals vier
Wochen später öffnete sie auch das Auge beinahe vollkommen, ohne indess den geraden
Blick wieder erlangt zu haben. Verlässliche Sehproben waren bei dem Kinde unmögliche
Als man sich der Hoffnung völliger Genesung hingab, traten auf einmal heftige Convul-
sionen ein, und das Kind erlag in wenig Stunden. — Die Gefässe der Hirnhäute und
der Hirnsubstanz von Blut strotzend, die Seitenventrikel mit Wasser gefüllt, der Plexus
chorioideus erweicht, auch an der Basis cerebri viel wässrige Flüssigkeit. Daselbst
ein wallnussgrosser Tuberkel, hinter dem Chiasma zwischen den beiden Sehnerven,
mehr auf der rechten Seite; diese Geschwulst hatte den rechten Sehnerven, welcher
dicker war, als der linke, ganz auf die Seite gedrängt. Weder bei der Section des
Auges noch des übrigen Körpers fand sich etwas Krankhaftes. „Der der Geschwulst
nach zu urtheilen gewiss sehr bedeutende Druck, welchen der rechte Sehnerv erlitt,
fand hinter dem Chiasma statt ; dass aber die kleine Patientin mit dem linken Auge
sehr gut sehen konnte , unterlag keinem Zweifel. Ob neben der Muskellähmung am
rechten Auge auch Amaurosis bestand , konnte nicht bestimmt ermittelt werden , war
jedoch schon nach einigen Andeutungen der Pflegerin des Kindes sehr wahrscheinlich."
[Zeis bei Ammon 1. c. B. IV. S. 169.)
t
Ein Mädchen von 24 Jahre«, von gesundem Aussehen, seit dem 17. Jahre im-
mer regelmässig menstruirt , war ohne bekannte Veranlassung in ihrem 19. Jahre von
Kopfschmerzen befallen worden, welche sie von Zeit zu Zeit zwangen, durch einige
Tage liegen zu bleiben. Zu Anfang ihres 23. Jahres stellte sich bei gesteigerten Kopf-
schmerzen Abnahme, endlich völliger Verlust der Sehkraft ein. Seitdem verloren sich
die Kopfschmerzen. An den Augen Hess sich ausser starker Erweiterung der unbeweg-
lichen Pupillen nichts Abnormes wahrnehmen. Einige Monate vor dem Tode traten von
Zeit zu Zeit epileptische Anfälle ein , welche Anästhesie der linken Gesichtshälfte bei
ungestörter Motilität, dagegen Schwäche der rechten Oberextremität bei ungestörter
Sensibilität daselbst, endlich Unvermögen, den Harn und bisweilen den Stuhl zurück-
zuhalten, hinterli essen. Ausser Schwäche des Gedächtnisses waren die geistigen Func-
tionen ungestört. In den übrigen Organen und Functionen keine Abnormität zu eruiren,
der Puls jedoch immer klein, schwach, beschleunigt. Der Tod erfolgte plötzlich nach
einem Anfalle mit Lähmung sämmtlicher Extremitäten, Turgor des Gesichtes, weit ge-
öffneten Augen, Schaum vor dem Munde, äusserst schwachem, frequentem und unregel-
mässigem Pulse u. s. w. — Der Körper nicht abgemagert, die Haut weder rauh noch
schuppig, die Jugularvenen strotzend, die Lippen blau, der linke Mundwinkel nach
unten gezogen. Die Schädelhöhle geräumig, die Knochen dünn, besonders linkerseits;
zahlreiche Pacchionische Drüsen. Mitten in der linken Hemisphäre eine ganseigrosse
Geschwulst, beim Einschneiden resistent und fast knirschend, in der Mitte weissgrau,
knorpelartig hart, an der Peripherie weich, theils gelblich, theils weissgrau, von Ge-
fässchen durchzogen, an der Oberfläche mit einer dünnen gefässreichen Membran um-
hüllt {Medullär - Sarcom). Die angrenzende Hirnmasse im Zustande der gelben und
weissen Erweichung. Die linke Hemisphäre erschien durch diese Geschwulst vergrös-
sert, die Meningen darüber straff angespannt, die Hirnmündungen verstrichen, die Sichel
rechts gedrängt. Die Wandungen der Seitenventrikel zäh, von klarem Serum stark
ausgedehnt, rechts weit mehr als links. Der linke Thalamus ganz nach vorn gedrängt
und das Corpus geniculatum stark eingedrückt. Im Tractus opticus ausser leichter Atro-
166 I\e<zhaiit.
phic keine Veränderung. In den Eingeweiden der Brust- und Bauchhöhle keine bemer-
kenswerte Abnormität.
Dupau (Revue med. Juin 1S35) beobachtete einen Fall, in -welchem Erblindung
zuerst eintrat, dann Verlust des Geruches und unvollständige Lähmung der empfinden-
den und bewegenden Thätigkeit in den obern Extremitäten. Äusserlich auf der rechten
Seite, dem Seitcnwandbein entsprechend, war eine Geschwulst wahrzunehmen. Die
intellectuellen Functionen niedergedrückt, nicht aufgehoben. Apoplektischer Tod. Das
rechte Seitenwandbein emporgehoben , von innen verdünnt und theilweise zerstört. An
der innern Fläche der Dura mater daselbst eine seirrhöse Geschwulst, welche theils nach
aussen , theils nach innen auf das Gehirn gedrückt hatte. Sie hing fest an der Innen-
fläche der Dura mater, und war unten von der Arachnoidea und Pia mater bedeckt.
{Amnion 1. c. B. V. S. 198.)
D. Spinalainaurose.
Amblyopie und Amaurose, abhängig von Tabes dorsualis, bietet so
eigentümliche Erscheinungen am Auge dar, dass man in Fällen, wo
das Augenleiden zeitig auftritt, schon durch dasselbe allein zur Ver-
muthung, wo nicht zur Gewissheit des Grundleidens geführt wird. Im-
mer sind beide Augen zugleich und in völlig oder beinahe gleichem
Grade ergriffen; immer entwickelt sich die Abnahme der Sehkraft all-
mälig, und steigert sich nach Verlauf von vielen Monaten oder Jahren
stetig und unaufhaltsam zur completen Amaurosis. Die weit geöffneten
Augen bieten schon frühzeitig das Eigentümliche- des amaurotischen
Blickes, des nicht gehörigen Fixirens der Objecte dar, und immer be-
trifft die Abnahme der Sehkraft die ganze Netzhaut, wird das Seh-
feld in seiner ganzen Ausdehnung gleichmässig dunkler. Je weniger
der Kranke sieht, desto enger sind die Pupillen; ich sah sie in einigen
Fällen von nur etwa *\i'" Durchmesser. Immer ist die vordere Kam-
mer auffallend klein, die Linse und die Iris sind nahe an die Cornea
gerückt, letztere demnach stark nach vorn gewölbt. Mydriatica, selbst
in starker Dosis, sind nicht im Stande, die Pupille zu dem gewöhn-
lichen Grade zu erweitern. Alle Erscheinungen von Reizung, Congestion
und Entzündung am Auge fehlen; die Anwendung der Loupe und des
Augenspiegels sichert vor Verwechslung mit chronischer Regenbogen-
oder Netzhautentzündung. Sorgfältige Untersuchung und Beobachtung
des Verhaltens der Unterextremitäten beim Stehen, Gehen u. s. w., der
Function der Harnblase, des Darmcanals u. s. w. geben bald Aufschluss,
von wo das Augenleiden eigentlich ausgeht.
Nach Romberg*), dem wir eine ausgezeichnet treue Schilderung
*) Lehrbuch der Nervenkrankheiten des Menschen, Berlin 1840. I. S. 799.
Spinal- A. — Sympathische Amaurose. 167
der Tabes dorsualis verdanken, fand sich in den Fällen, wo Amaurose
vorhanden war, fast immer Atrophie des Sehnerven, des Chiasma und
der Sehstreifen; auch die Thalami, einer oder beide, waren entweder
geschwunden oder zeigten Veränderungen ihres Gefüges oder ihrer
Farbe. „Bei einem Arzte, welcher nach heftigen Gemüthsaffecten und
starken Erkältungen auf seinen Berufsreisen im 40. Jahre von Paresis
der untern Extremitäten und von Amblyopie befallen, und unter zuneh-
menden Erscheinungen von Tabes dorsualis endlich ganz amaurotisch
geworden war, fand Froriep in Gegenwart Romberg's das Rückenmark
auf 2/3 vom Volumen eines damit verglichenen Kückenmarkes von einem
gleich alten Manne (52 Jahre) geschwunden. Die Atrophie war auf den
untern Theil der hintern Stränge und Nervenwurzeln beschränkt. Die
Marksubstanz der ersteren war fast ganz geschwunden, so dass sie wie
durchsichtig von graugelber Farbe erschienen; die hintern Wurzeln
waren des Nervenmarkes verlustig und hatten ein wässriges Aussehen."
Speciell siud von diesem Falle die Veränderungen des Sehorganes nicht
angegeben.
Ätiologie, Prognosis und Therapie dieses Augenleidens sind leider
die des Rückenmarkleidens. Der Augenspiegelbefund ist zur Zeit noch
unbekannt. Meine Beobachtungen dieses Leidens fallen in die früheren
Jahre.
E. Sympathische Amaurose.
Es liegen verlässliche Beobachtungen von Amblyopie und Amau
rose vor, wo man nicht im Stande war, anatomische Veränderungen in
der Netzhaut, im Sehnerven, in den Centralorganen nachzuweisen, und
wo man eine solche Veränderung auch während des Lebens schon aus
dem Grunde nicht supponiren kann, weil die Sehstörung nur transi-
torisch auftritt, oder weil die Beseitigung der Ursache in zu kurzer
-Zeit auch Beseitigung der Augenaffection zur Folge hat. Man denke
nur an die Störung der Sehkraft bei gewissen Affectionen sensitiver
Zweige des Trigeminus, an Amblyopie und Amaurosis bei Vergiftungen,
in gewissen Zeitabschnitten der Schwangerschaft u. s. w. , und man
wird den Gebrauch des Ausdruckes sympathische Amaurosis vorläufig
wohl unentbehrlich finden. Wir müssen es spätem Forschungen über-
lassen, den Zusammenhang nachzuweisen. In vielen Fällen, die man
hisher als zu dieser Gruppe gehörig bezeichnen konnte, wird wohl die
163 Netzhaut.
Ophthalmoskopie noch Aufschluss tiher den Sitz und die Natur des Lei-
dens geben; ob in allen, bleibt dahingestellt. So gut als die Amaurose
bestehen auch andere Neurosen, ohne dass man auf eine anatomisch
nachweisbare centrale oder peripherische Veränderung der betroffenen
Nerven hinweisen kann. Wir müssen uns in den einzelnen Fällen vor-
läufig begnügen, wenn es gelingt, die entfernteren Ursachen zu erkennen,
weil dann öfters wenigstens auf empirische Weise Anhaltspunkte für
das ärztlicke Handeln gewonnen werden können. Zur Erläuterung einige
hieher gehörige Arten.
1. Amaurosis in Folge von Irritation im Bereiche des 1. oder
2. Astes des Trigeminus. „Es sind zahlreiche Fälle bekannt, in
welchen die Exstirpation von Geschwülsten, welche mit den Zweigen
des 5. Nervenpaares in Berührung standen, und das Ausziehen cariöser
Zähne die Mittel gewesen sind, das Sehvermögen plötzlich herzustel-
len." Makeiizie 1. c. S. 818.
Ein gesunder Mann von mittleren Jahren consultirte Herrn Howship wegen einer
kleinen Geschwulst auf dem Scheitel. Es war wenigstens 10 Jahre her, dass er die-
selbe bemerkt hatte, und er hielt sie für die Folge eines Schlages. Sie war nie schmerz-
haft gewesen, aber seit einigen Jahren wurde er von Kopfweh geplagt, welches allmälig
häufiger wurde ; überdiess war er seit 2 Jahren nicht im Stande , selbst die grösste und
deutlichste Schrift zu lesen. Drückte man auf die Geschwulst in der Kopfhaut, so ver-
ursachte diess weder Schmerz noch irgend eine Empfindung. H. rieth zur Exstirpation,
welche mittelst zweier elliptischer Schnitte durch die Bedeckungen und jenseits der
Basis der Geschwulst ausgeführt wurde. Die eingeschlossene Portion Kopfhaut nebst
der Geschwulst selbst wurde sodann vom Pericranium, mit welchem sie in Berührung
stand, lospräparirt. Zwei kleine Gefässe wurden unterbunden, und die Bedeckungen
mit Heftpflastern ziemlich aneinander gebracht. Nach 3 Wochen lösten sich die Liga-
turen, und die Wunde heilte vollständig. Die Geschwulst war ein starker knorpeliger
Balg gewesen, welcher in der Zellhaut unter der Cutis gesessen hatte; innen war sie
mit einer gelben purulenten Flüssigkeit gefüllt, deren dicke Theile einen käseartigen
Niederschlag an den Wandungen gebildet hatten. — Der Patient hatte bei der Operation
nicht über 1 Unze Blut verloren, fühlte aber ganz unerwartet am folgenden Abende
seinen Kopf mehr erleichtert, als viele Monate vorher. Er fand, dass sein Unwohlsein
und sein Kopfschmerz von Tag zu Tag abnahmen und behauptete auch, worüber man
sich einigermassen wunderte, dass sein Sehvermögen weit heller und deutlicher werde.
Als die Wunde geheilt war, hatte er alle Beste des Kopfschmerzes verloren, und sein
Sehvermögen hatte sich in solchem Grade gebessert, dass er jetzt abermals im Stande
war, so kleine Schrift wie vor 10 Jahren zu lesen; auch ist weder der Kopfschmerz
noch die Affection des Sehvermögens nach dieser Zeit wieder zurückgekehrt.
Ein Mann von 30 Jahren wurde plötzlich von heftigem Schmerze ergriffen, welcher
von der linken Schläfe nach dem Aujre und nach dem Antlitze auf derselben Seite
Sympathische Amaurose. 16ff
schoss, und einer Erkältung zugeschrieben wurde. Dieser Schmerz dauerte mehrere
Tage, gab sich dann, kehrte aber periodisch zurück. Nach Verlauf von 2 Monaten
hatten die Anfälle eine solche Heftigkeit erreicht, dass der Patient glaubte, das Auge
werde aus der Hohle herausgedrängt. Da der Patient zugleich bemerkte , dass er auf
diesem Auge sein Sehvermögen verloren habe, suchte er ärztliche Hilfe. Nach 6monat-
licher fruchtloser Behandlung begann die linke "Wange zu schwellen, und in der Nacht
flössen mehrere Löffel voll blutigen Eiters zwischen der Conjunctiva und dem untern
Augenlide aus. Hierauf gab sich die Geschwulst, und der Schmerz nahm ab, aber die
Blindheit blieb so vollständig wie zuvor. Nach 3 "Wochen fand ein ähnlicher Ausfluss
statt, und während der nächsten 6 Monate kehrte er zuweilen zurück. Zu Anfang des
3. Jahres war die Affection so arg geworden , dass der Patient sich das Auge exstir-
piren lassen wollte. Dr. Galenzowshi fand die Pupille des gänzlich erblindeten Auges-
erweitert. Er glaubte, dass sich in der Kiefeihöhle Eiter gebildet habe und sich längs
des Augenhöhlenantheiles des Oberkieferknochens fortpflanzte. Diese Annahme bestimmte
ihn zu genauer Untersuchung der Zähne, und diese erwies einen der Kieferhöhle ent-
sprechenden cariösen Zahn. Dieser wurde sofort ausgezogen und man fand an seiner
"Wurzel einen Holzsplitter von 3'" Länge, der wahrscheinlich von einem Zahnstocher
zurückgeblieben war. Nachdem nun eine Sonde in die Kieferhöhle eingeführt und
wieder herausgenommen worden war, ergossen sich einige Tropfen einer serös-puru-
lenten Flüssigkeit, und 9 Tage nachher hatte der Patient sein Sehvermögen vollständig
wieder erlangt.
Es finden sich hie und da in der Literatur verschiedene ähnliche
Beobachtungen, wie die beiden vorstehenden, aus Makenzie 1. c. S. 818
entlehnten, nur lassen viele derselben auch eine andere Deutung zu,
wie namentlich die, wo Sehstörung nach Verletzungen sensitiver Zweige
des Trigeininus beobachtet wurde, wovon wir schon oben gesprochen
haben. In diesen beiden Fällen, wenigstens in dem Howship 'sehen
kann aber kaum bezweifelt werden, dass die Amaurosis rein sympathisch
war. Die Empirie wendet seit undenklichen Zeiten eine Menge Mittel
im Bereiche der Ausstrahlungen der sensitiven Zweige des Trigeminus
an, um Amblyopie und Amaurose zu beheben, und gewiss nicht jeder-
zeit ohne Erfolg. Die meisten dieser gegen Amaurosis empfohlenen
und zum Theil auch wirksamen örtlichen Reizmittel (an die Stirn,
Schläfe, Bindehaut u. s. w.) können wohl nur dadurch ihre Wirksamkeit
auf den Sehnerven und die Netzhaut entfalten, dass sie den Trigeminus
peripherisch erregen. Es wird hier eine Sinnesnerv erregt, gleich wie
in motorischen Nerven Reflexaction auf peripherische Reizung sensi-
tiver Nerven auftritt.
Auf ähnliche Weise sind meines Erachtens wohl auch manche Fälle
von Ajnaurosis nach unterdrücktem Schnupfen, von Entzündung der
Schleimhaut in der Highmors-, Stirn- oder Keilbeinshöhle zu erklären,
jene Fälle natürlich abgerechnet, wo gleichzeitig entzündliche Processe
170 Netzhaut.
im Auge, iu der Orbita oder in der Schädelhöhle bestehen. Es verdient
der Zustand der Schleimhaut in diesen Höhlen die volle Aufmerksam-
keit des Arztes bei Amaurosen unbekannten Ursprunges gewiss in eben
so hohem Grade, als der Zustand der Cutis und der übrigen Gebilde,
in welchen die sensitiven Zweige des Trigeminus ausstrahlen. Der
günstige Erfolg bezüglich der Sehstörung, welcher durch die Behand-
lung der in Rede stehenden Schleimhautpartien erzielt wurde, dürfte
zugleich als Beweis für ein bloss sympathisches Mitleiden des Seh-
nerven zu betrachten sein.
Wahrscheinlich gehört hieher auch jene Form von Amaurosis, welche
sich auf dem einen Auge entwickelt, wenn das andere durch heftige
Entzündung und Eiterung verloren gegangen ist. (Vgl. Iritis und Cho-
rioiditis.) Die starke Erweiterung der Pupille und der Mangel aller ent-
zündlichen Erscheinungen am Auge schon zu Anfang der allmälig und
unaufhaltsam erfolgenden Erblindung macht diess wahrscheinlich; doch
fehlen einerseits noch Untersuchungen mit dem Augenspiegel, anderer-
seits noch genaue mikroskopische Zergliederungen des Seh- und der
Ciliarnerven in solchen Fällen.
2. Amaurosis in Folge abnormer Zustände der Verdauungs-
organe (Würmer, Gastricismen, Fäcalmassenanhäufung u. dgl.). Was
bei 1. der Trigeminus, ist bei 2. vielleicht der Sympäthicus, während
in andern Fällen die Unterleibsaffection wahrscheinlich dadurch Seh-
störung bewirkt, dass sie Hyperämie oder Entzündung in den Central-
organen oder im Bulbus veranlasst. Amaurosis in Folge von Würmern
dürfte bei weitem nicht so häufig vorkommen, als man in früheren
Zeiten anzunehmen pflegte; doch liegen keine hinreichenden Gründe
vor, dieses Moment als Ursache von Amaurosis in vornhinein in Abrede
zu stellen, spricht im Gegentheile die Analogie mit andern nervösen
Zufällen als Symptomen von Helminthen, besonders bei Taenia, nebst
mehr weniger verlässlichen Beobachtungen dafür. Auf eine gewisse
Eigenthümlichkeit der Symptome am Auge, welche man sonst wohl der
Amaurosis ex helminthiasi zuschrieb, dürfte indess kein Gewicht zu
legen sein, da derselbe Symptomencomplex auch anderweitig bedingt
sein kann; ja es darf selbst der Abgang von Würmern (Theilen davon)
noch nicht als sicheres Moment zu der Annahme leiten, dass in einem
gegebenen Falle die Sehstörung durch Würmer im Darmcanale bedingt
sei, weil immer noch der Fall denkbar ist, dass trotz jener Anwesen-
heit von Entozoen die Amaurosis durch Hirntuberkel , Hydrocephalus
Sympathische Amaurose. 171
u. s. w., oder durch krankhafte Proeesse im Bulbus (z. B. Cysticer-
cus, Retinitis u. dergl.) bedingt werde. Es wird daher, ehe man eine
rigorose anthelminthische Behandlung gegen Amaurosis einleitet, jeder-
zeit nothwendig sein, nicht nur dass der Abgang von Würmern wirk-
lieh beobachtet wurde, sondern auch, dass man mindestens gute Gründe
hat, anderweitige Ursachen der Sehstörung als nicht vorhanden anzu-
nehmen. — Auch für die sogenannte gastrische Amaurosis gibt es
keine pathognomonischen Erscheinungen am Auge selbst, und kann
die Diagnosis gleichfalls nur unter Berücksichtigung aller Momente mit
mehr weniger Wahrscheinlichkeit gestellt werden. — Dasselbe gilt von
der Sehstöruug in Folge angehäufter Fäcalmassen im Dickdarme (amau-
rosis e viscerum obstructione), bei welcher übrigens, so wie bei der
vorhergehenden Art, alle Sorgfalt anzuwenden ist, dass man nicht die
Wirkung oder das Coexistens (die Indigestion und Obstipation in Folge
von Erkrankung der Centralorgane) für die Ursache annehme.
Eine besondere Erwähnung verdient hier wohl die Hemiopie, welche
beinahe in allen Fällen, die ich bei verschiedenen Autoren notirt fand
oder selbst beobachtete, mit Störungen in den Unterleibsorganen, nicht
aber mit nachweisbaren Veränderungen in den Centralorganen oder im
Auge selbst, zusammenvorkam. Vergl. das in den physiologischen Be-
merkungen S. 54 f. hierüber Gesagte. Schon das momentane Auftreten
und Wiederverschwinden der Anfälle von Hemiopie lässt kaum eine
andere Deutung zu, als dass hier eine rein sympathische Einwirkung
zu Grunde liege und das Auftreten nach Diätfehlern, nach Gemüthsaffec-
ten bei hysterischen, hypochondrischen, übermässig reizbaren Individuen
ist gewiss geeignet, dieser Deutung vor allen andern Wahrscheinlich-
keit zu verschaffen.
3. Amaurosis in Folge von Affectäonen des Uterus, nament-
lich in den ersten Monaten der Schwangerschaft, scheint bisweilen bloss
auf einem sympathischen (durch die Nerven vermittelten) Leiden des
Sehnerven zu beruhen. Nach Beobachtungen von Se?inert, Beer u. A.
tritt Amaurosis bisweilen gleich zu Anfang der Schwangerschaft auf,
und verschwindet dann wieder von selbst. In einem von Beer beob-
achteten Falle stellte sich Amaurosis in drei nach einander folgenden
Schwangerschaften bald nach der Conception ein, verschwand nach der
Entbindung das 1. und 2., nicht aber das 3. Mal. Dieser letztere Um-
stand erregt Verdacht, ob hier der Amaurosis nicht ein directes Leiden
im Sehnerven oder im Gehirne zu Grunde gelegen sei, welches durch
172 Netzhaut.
die Gravidität jedesmal gesteigert wurde, bis es endlich bleibende Er-
blindung zur Folge hatte. Beer bemerkt übrigens ausdrücklich, dass man
jene Amaurose, welche bei Schwangern oft nach und nach und meisten»
erst gegen das Ende der Schwangerschaft und bei der Entbindung ent-
steht, nicht hieher rechnen dürfe, indem diese, wie schon Morgagni
bemerkt, offenbar durch Anhäufung des Blutes im Kopfe und in den
Augen veranlasst werde. Er betrachtet die Amaurosis von Schwanger-
schaft in der ersten Zeit als eine Art Idiosynkrasie, und erwähnt in
einer Anmerkung, dass „er eine Frau gesehen habe, welche, so oft sie
Chocolade trank, sich heftig erbrechen musste, und auf einige Stunden
stockblind war; das Gesicht kam sogleich wieder, sobald die Neigung
zum Erbrechen verschwand. Ich hielt diesen Zufall für eine Folge der
Anstrengung beim Brechen; da ich aber bei andern Gelegenheiten die
Kranke erbrechen sah, ohne dass sich dieser Zufall ereignete, so unter-
sagte ich die Chocolade, und seither blieb der Anfall auch ganz aus."
(1. c. 1792 S. 44.)
4. Amaurosis in Folge von Giften. Ob der von Beer ange-
schuldigte Missbrauch bitterer Mittel (Quassia, Centaureum, Cichoreum
und dergl.) Amaurosis bedinge, möchte wohl noch weiterer Bestätigung
bedürfen, da trotz des Fortbestandes solchen Missbrauches in späteren
Zeiten weiter keine derartigen Beobachtungen gemacht worden zu sein
scheinen.*) Dasselbe gilt meines Erachtens auch vom Tabak, welchem
Makenzie eine direct nachtheilige Einwirkung auf die Sehkraft zuzu-
schreiben geneigt ist, während Beer das Vorkommen von Amaurosis bei
Tabakrauchern von dem Speichelverluste ableiten will. Letzterer ge-
denkt u. A. eines Falles bei Amaurosis von einer alten Frau, welche
täglich 4 Loth Tabak zu schnupfen pflegte. Exacte Beobachtungen
liegen keine vor. Belladonna, Hyoscyamus und Datura stramonium wir-
ken specifisch auf die Ciliar-, nicht aber auf die Sehnerven; sie bewir-
ken nur Mydriasis, nicht aber Amaurosis, es sei denn nach innerlichem
Gebrauche, durch Hyperämie der Centralorgane. Ebenso dürften wohl
auch andere Narcotica nur durch active oder passive Hirnhyperämie
und durch Depression der Hirnthätigkeit überhaupt wirken. Beer er-
zählt, dass er selbst im Jahre 1804 in Folge einer zufälligen Vergif-
tung mit Opium durch mehrere Stunden ausser Stand gesetzt blieb,
die ihn umgebenden Objecte zu erkennen. Sicher gestellt und höchst
*) Die Erscheinungen nach übermässigen Gaben von Chinin, als : Ohrensausen, Schwindel, Schwerhörig-
keit, Verminderung der Sehkraft u. s. w. sind wohl durch Hyperämie in der Schädelhöhle bedingt.
Sympathische Amaurose. 173
^wahrscheinlich specifisch ist die lähmende Einwirkung des Bleies auf
die Sehkraft. Die Amaurosis durch Bleivergiftung tritt nach Guepin*)
bald allein, i. e. noch vor Entwicklung der übrigen Erscheinungen der
Bleivergiftung, und zwar allmälig auf, bald rasch mit den gewöhnlichen
Zufallen der Bleikolik und auch mit Hirnzufällen. Man findet nebst
mehr weniger hochgradiger und completer Sehstörung die Pupillen sehr
stark erweitert, die durchsichtigen Medien normal, weder Schmerzen
noch abnorme Injection an den Augen. Bei Anwendung der gegen die
Intoxication angezeigten Behandlung verschwindet diese Amaurosis
(nach Guepin und Deval) leicht und in wenig Tagen, bisweilen selbst
in einigen Stunden.
5. Amaurosis als Symptom allgemeiner Erschöpfung und
Entkräftung lässt sich gleichfalls rücksichtlich ihrer nächsten Ursache
vorläufig noch nicht genauer bestimmen. Es liegen verlässliche Beob-
achtungen vor, wo man starken Blutverlust, erschöpfende Diarrhöe,
Speickelfluss, widernatürlichen Samenfluss, zu langes Säugen, anhalten-
des Fasten, Kummer und Nahrungssorgen, Typhus u. dergl. als die ent-
fernteren Ursachen von Amblyopie oder Amaurosis annehmen musste.
Der Beweis dafür wurde dadurch geliefert, dass die Sehstörung unmit-
telbar nach einem der genannten Momente auftrat, durch Beseitigung
desselben allein oder doch unter Beihilfe roborirender Behandlung be-
hoben wurde, und wohl auch nach Wiederkehr solcher Momente neuer-
dings auftrat. Fälle, wo während oder unmittelbar nach starken Ader-
lässen Amaurosis eintrat, scheinen in früheren Zeiten oft vorgekommen
zu sein, und finden sich zahlreich in Trnka de Krsowitz historia amau-
roseos aufgeführt. Unter den spontanen Blutverlusten sind es besonders
die Metrorrhagien, nach welchen Amaurosis temporär oder bleibend be-
obachtet wurde. Carron du VUlards erzählt von einer Frau mit Ge-
bärmutterkrebs, welche nach jeder Blutung durch 8 — 10 Tage blind
wurde, und zuletzt, einige Wochen vor dem Tode, blind blieb. In
einem von mir beobachteten Falle erfolgte die Erblindung successiv
nach mehrmals wiederholter Metrorrhagie in Zeit von 6 Tagen und blieb
die der Anämie entgegen gestellte Behandlung fruchtlos, obwohl ich
weder an der Netzhaut (bei sehr oft und zu verschiedenen Zeiten
— im Verlaufe eines Jahres — wiederholter Ophthalmoskopie) noch in
den Centralorganen ein Leiden objectiv nachzuweisen vermochte. Die
Pupillen waren gleich von Anfang an starr und auffallend erweitert.
*) Annales d'oculist. par Fl. Cunier 1S47. T. XV.
174 Netzhaut.
Es muss jedoch noch hervorgehoben werden, dass nach den obenge-
nannten und ähnlichen schädlichen Einflüssen weit häufiger bloss
Schwächung der Accommodationsthätigkeit als wirkliche Amblyopie
und Amaurosis beobachtet wird, ein Zustand, der in früheren Zeiten
gewöhnlich als Amblyopie oder Hebetudo visus aufgefasst wurde. (Siehe
später: Krankheiten der Muskeln.) Ebenso muss noch ausdrücklich be-
merkt werden, dass jene Fälle nicht hieher gehören, wo sich bei Indi-
viduen, die durch deprimirende Einflüsse in der Ernährung sehr herab-
gekommen sind, allmälig schleichende Entzündung in der Netz-, Ader-
oder Eegenbogenhaut entwickelt, wie z. B. in den von Makenzie nach
dem Hungertyphus beobachteten Fällen von Erblindung. (Vergl. Iritis-
chronica im 2. Bande.)
IX. Buch.
Die Organe der Bewegung und der Accom-
modation.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Der Bulbus eines Erwachsenen misst vom vordem bis zum hintern
Pole 10,5y" — W" (äussere Augen- oder Sehachse), vom Centrum der
Descemetschen Haut bis zur Macula lutea 9,5'" — W" (innere Augen-
achse), im Äquator von aussen nach innen meistens eben so viel wie
in der äussern Augenachse (horizontaler Querdurchmesser), von oben
nach unten dagegen selten eben so viel, meistens x\iut, selbst \'" we-
niger (verticaler Querdurchmesser.) Doch gibt es auch Bulbi, an denen
der verticale Äquatorialdurchmesser grösser ist, als der horizontale,
ohne dass man dieses Verhältniss zu irgend einem Momente in Beziehung
bringen kann. Er stellt demnach nicht sowohl eine Kugel, als viel-
mehr ein Ellipsoid dar, und erscheint überdiess da, wo sich die M.
recti anlegen und inseriren, mehr weniger abgeplattet oder flach ge-
drückt, so dass eigentlich die schrägen Querdurchmesser (von oben-
aussen nach innen-unten, besonders aber der von oben-innen nach unten-
aussen) die grössten sind.
Er liegt oder schwebt als ein ohngefähr 120 — 130 Gran schwerer
Körper frei im Eingange der Orbita, nirgends fest an's Knochengerüst
geheftet, ringsum von weichen, nachgiebigen, elastisch-dehn- und drück-
baren und von muskulösen Gebilden umgeben, und dennoch seine Lage
mit einer gewissen Beharrlichkeit behauptend. Von Natur aus bald
tiefer, bald flacher liegend, tritt er momentan bei erhöhtem Gefässtur-
gor stärker hervor, bei reichlichem Säfteverluste (Hämorrhagie, Diarrhöe
u. dgl.) merklich zurück, wogegen mechanische Hyperämie in dem re-
176 Augenmuskel n.
trobulbären Fettpolster mehr eine habituelle stärkere Vorlagerung (Glotz-
auge), starke Abmagerung aber ein mehr weniger auffallendes Zurück-,
sinken in die Orbita (Hohlauge) bewirkt. Durch die Muskeln scheint
eine Veränderung der Lage des Bulbus in toto nicht bewerkstelligt,
vielmehr gerade das Balancement in loco vermittelt zu werden (Anta-
gonismus zwischen den geraden und schiefen); nur heftige Contraction
des M. orbicul. palp. vermag den Bulbus etwas rückwärts zu drängen.
Von der Veränderung der Lage des Bulbus bei Strabismus, Luscitas
u. dgl. wird weiter unten die Eede sein. — Als mittlere Lage in Be-
zug auf die Tiefe kann jene bezeichnet werden, wo eine gerade Linie,
vom obern zum untern Augenhöhlenrande gezogen, gleich einer Tan-
gente das an den Bulbus angeschmiegte obere Lid berührt, während
eine gerade Linie, von der Insertion des äussern Augenlidbandes zur
Insertion des innern Augenlidbandes gezogen, den gerade nach vorn
gerichteten Bulbus etwas hinter der Anheftungslinie des M. rect. exter-
nus und internus durchbohren und knapp hinter der Linse vorbeistrei-
chen würde. — Der Abstand des hintern Poles vom vordem Umfange
des Foramen opticum beträgt im Mittel 1". Der Abstand vom obern
Orbitalrande beträgt circa 3"', vom untern etwa 2 — 272'"; ebenso ist
der Abstand vom äussern Orbitalrande jederzeit merklich (um 2'") grös-
ser, als der vom innern. (Der Eingang der Orbita misst von oben nach
unten circa 15'", von aussen nach innen circa 18'".)
Unter ihm liegen, abgesehen vom Orbitalfette, der untere gerade
und schiefe Augenmuskel, welche ihn, bei einem gewissen Grade von
Spannung sämmtlicher Muskeln, gleichsam tragen oder stützen; über
ihm liegt zunächst die Sehne des Muse, obliquus superior, dann der
M. rectus superior und der M. levator palp. superioris, überdiess gegen
die Schläfe hin die untere und obere Thränendrüse , gegen die Nase
hin die Rolle des M. obliquus superior, von welcher eine Art Sehnen-
scheide oder zellig fibröses Gewebe zur Tunica vaginalis bulbi herab-
steigt, in dieselbe pinselförmig ausstrahlt, und gewissermassen als
lockeres Aufhängeband des Bulbus betrachtet werden kann. Dieses
ziemlich feste, jedoch elastisch-dehnbare Gewebe verschmilzt nicht nur
mit der Tunica vaginalis bulbi, sondern auch mit der Scheide des Muse,
rectus superior, und erschwert dessen Durchschneidung, wenn man den
Schnitt nicht knapp durch dessen Insertion am Bulbus führt. Will
man die Sehne des Obl. sup. von der Rolle bis zum Bulbus präpariren,
so muss man dieses Gewebe, welches nächst der Rolle eine förmliche
Schneide bildet, aufschlitzen; nächst dem Bulbus tritt dann die dünne
Sehne aus demselben heraus, um zwischen dem Rectus super, und dem
Anatomie — Physiologie. 177
Bulbus durch die Tunica vaginalis bulbi an die Sclera zu gelangen. —
An der Schläfeseite bedeckt ihn der Muse, rectus externus und gleich
darüber ein Theil der Thränendrüse , an der Nasenseite dagegen der
M. rectus internus. Auch hier findet man eine Art lockerer Befestigung
des Bulbus an den Orbitalrand, indem sowohl am äussern als am in-
nern Augenwinkel noch eine Strecke rückwärts vom Augenlidbande
ein zellig-fibröses Gewebe von der Periorbita zum Bulbus hinüber-
streicht, und sich mit der Tunica vaginalis bulbi und deren Fortsätzen
(zu den Muskeln und zu den Augenlidern) verbindet, während sonst
riDgsum der Baum zwischen den Augenmuskeln und der Periorbita
einfach mit Fettgewebe ausgepolstert erscheint. Durch diese zellig-
fibrösen Fortsätze zur Beinhaut ist eigentlich das Gehäuse des Bulbus,
die Timica vaginalis, und somit auch der Bulbus selbst bis zu einem
gewissen Grade in seiner Lage gesichert, ohne dass der Bulbus hef-
tigen Erschütterungen (z. B. beim Springen, Keiten u. dgl.) ausgesetzt
wird. — Die Spalte, welche die innig an ihn angeschmiegten und ge-
wölbt über ihn verlaufenden, weil innen und aussen an den tiefer ge-
legenen Orbitalrand gehefteten Lider zwischen sich lassen, und welche
bald enger bald weiter geschlitzt erscheint, ist jederzeit noch etwas
enger, als dass der Bulbus frei durchschlüpfen könnte ; es bedarf selbst
nach Durchschneidung des Opticus und der Muskeln einer gewissen
Gewalt, ihn durch diesen Isthmus heraus zu zwängen und ebenso, ihn
durch denselben wieder zu reponiren. — In seinem hintern Umfang
inseriren sich nebst dem Opticus die Enden der Muse, obliqui (in dem
Zwischenräume zwischen dem Rectus super, und externus), im übrigen
umgibt ihn daselbst das Orbitalfett, auf dessen eminente Zusammen-
drückbarkeit und Elasticität wir schon bei den anatom. Bemerkungen
über den Sehnerven aufmerksam gemacht haben.
Die vier geraden Augenmuskeln entspringen sämmtlich am Umfange
des Sehnervenloches, welches nächst der Spitze der Orbita schief durch
die innere Wandung derselben heraustritt, und zwar in dem Winkel,
wo die obere Wand der Orbita an die innere stösst. Denkt man sich
den Kopf in aufrechter Haltung, so würde eine Nadel, 2 — 3'" über dem
innern Augenlidbande eingestossen, und einerseits horizontal, anderer-
seits parallel zur verticalen Medianebene des Kopfes (also längs der
innern Wandung der Orbita) fortgeführt, über l1/»'- (meistens l3/0 tief
eingedrungen sein müssen, ehe sie den Opticus bei seinem Austritte
aus dem Foramen opticum träfe. Die Entfernung der äussern Lidcom-
p missur vom Sehnervenloche ist nahezu dieselbe, weil der äussere Orbi-
talrand weiter rückwärts liegt, als der innere. Kennt man nun die
Arlt Augenheilkunde. III. 12
178 Augenmuskeln.
Lage des Bulbus am Eingänge in die Orbita und die Insertionslinien
der geraden Augenmuskeln am Bulbus selbst, so kennt man auch ihre
Länge, da sie bis zum grössten Umfange des Bulbus geradlinig verlau-
fen, und es ergibt sich von selbst, da der Bulbus der innern Wandung
etwas näher liegt und die Pupille nach vorn gerichtet ist, dass, wenn
der R. internus \xji" lang ist, ihm der ziemlich horizontal nach vorn
verlaufende R. superior an Länge ohngefähr gleich kommt, der ziem-
lich stark abwärts abweichende inferior 1 — 1"', und der am weitesten
hinten entspringende und am stärksten nach aussen abweichende R*
externus mindestens 3'" länger ist. Rücksichtlich der Dicke steht der
R. internus oben an, dann folgt der externus, dann der inferior, zuletzt
der superior, ein Verhältniss, welches wohl mit dem Überwiegen der
Function im Einklänge steht, da der superior relativ am wenigsten in
Anspruch genommen wird.
Die Recti inseriren sich in die Sclera mit kurzen, aber breiten und
dünnen Sehnen rings um die Cornea in einer Entfernung vom Rande
derselben , welche im Mittel auf 2>'" angeschlagen werden kann. Die
Sehnen sind im Allgemeinen 3 xji'" — 4'" breit, die des externus um x\iiU
schmäler, dagegen aber auch die längste. Die Insertionslinien sind
flach bogenförmig geschweift, in der Mitte weiter nach vorn reichend,
als zu beiden Seiten. Der Scheitel oder Mittelpunkt dieser Insertions-
linie liegt beim internus höchstens 1x\itu, beim externus mindestens 3'y/
vom Rande der Cornea entfernt. Beim superior und inferior steht die-
ser Mittelpunkt fast constant 3"' vom Hornhautrande ab (in der Rich-
tung eines Meridianes, den man sich vom Centrum der Cornea durch
diesen Mittelpunkt zum hintern Pole gezogen denkt), während das in-
nere Ende der Insertionslinie der Cornea fast um V" näher liegt als
das äussere. Die Mittelpunkte der Insertionslinien des in- und exter-
nus liegen im horizontalen Meridiane, ebenso der des superior im ver-
ticalen, der des inferior weicht jedoch um beiläufig x\iin nach der Nase
zu von letzterem ab. Ein Reifen, durch diese Mittelpunkte um den
vordem Umfang des Bulbus gelegt, würde im verticalen Durchmesser
etwa 8'", im horizontalen etwa 9'" messen, wenn ein Reifen um den
grössten Umfang des Bulbus (Äquator) gelegt, vertical 10 — lO1^'", ho-
rizontal IO72 — lly/; messen würde. Dieser Reifen, durch die Inser-
tionslinien gezeichnet, fällt nahezu mit dem hintern Ende des Corpus-
ciliare (an der Innenfläche) zusammen, und verläuft ohngefähr in der
Mitte zwischen dem Aequator bulbi und dem Hornhautrande.
Diese Verhältnisse suchte ich so gut sich's bei einer einfachen schematischen Plan-
zeichnung thun liess, durch die beistehende Figur anschaulich zu machen. Sie müssen.
Anatomie — Physiologie.
179
nicht nur bei den Betrachtungen über die Function
der Augenmuskeln wohl erwogen werden, sie sind
auch von grossem praktischen Werthe bei der zu
therapeutischen Zwecken nbthigen Muskeldurch-
schneidung. Die geraden Linien ab und cd stehen
senkrecht auf einander und schneiden sich in o, dem
Mittelpunkte der Hornhaut fghi; der punktirte
Kreis ab cd ist um den Punkt e, '/*'" auswärts von
o beschrieben. Die Mittelpunkte der geschweiften
Insertionslinien des in- und externus liegen im ho-
rizontalen Durchmesser ab, der Mittelpunkt derln-
sertionslinie vom superior c fällt in den verticalen Durchmesser, der vom inferior dagegen
etwa ',2'" einwärts davon, d. h. der internus und der inferior liegen einander näher, als die
übrigen Muskeln. Wenn ich an gefrorenen Köpfen mit einer feinen Säge einen Durch-
schnitt durch die Mittelpunkte der Insertionslinien des superior und inferior bis zu ihrem
Trsprunge am Sehnervenloche führen, also diese Muskeln ihrer ganzen Länge nach
halbiren wollte . so dürfte derselbe an der Gesichtsfläche nicht vertical herablaufen, son-
dern es müsste der untere Orbitalrand näher an der Nase durchschnitten werden, als der
obere (etwa um T"). "Während in obiger Figur die Breite der Sehnen, ihre Entfernung
vom Hornhautrande und ihre relative Lage zu diesem durch die dicken Linien bezeichnet
wurden, mussten ihre gegenseitigen Abstände von einander oder ihre Zwischenräume
wegen der horizontalen Projection beinahe um das Doppelte zu gross ausfallen.
Indem die geraden Augenmuskeln von der Spitze der Orbita diver-
girend vorwärts treten, verlaufen sie ausserhalb der Tunica vaginalis
bulbi und sind, so wie hinten vom Opticus, so vorn vom Bulbus durch
das Orbitalfett geschieden. Erst vom Aequator bulbi an schmiegen sie
sich an denselben an, liegen jedoch noch immer ausserhalb der Schei-
denhaut, welche sie erst knapp vor ihrer Insertion so schräg durchboh-
ren, dass sie eine kurze Strecke in (nicht innerhalb) derselben verlau-
fen, daher einen Überzug von ihr erhalten, welcher mit dem Perimy-
sium musc. ein Continuum bildet. Nur die bald mehr bald weniger
kurzen sehnigen Enden der Recti liegen bereits innerhalb der Schei-
denhaut, welche sich über denselben nach vorn fortsetzt, um sich im
Verein mit der darüber befindlichen Tunica conjunetiva am Rande der
Hornhaut anzuheften. Wenn Einige meinten, dass die sehnigen Enden
der Recti mit ihren Seitenrändern bogenförmig unter einander zusam-
menhängen, so hatten sie wohl die Tunica vaginalis bulbi vor Augen,
welche allerdings eine gewisse Verbindung der Muskelsehnen unter
einander vermittelt (seitliche Invagination). Wird die Sehne eines Rec-
tus durchschnitten, dann ist es eben diese Invagination, dieser nament-
lich an den Seitenrändem noch unverändert fortbestehende Zusammen-
hang mit der Scheidenhaut, welcher den Muskel noch bis zu einem ge-
wissen Grade an den Bulbus bindet. Die Angabe, dass die Recti noch
12*
ISO Augenmuskeln.
hinter der Einpflanzung- ihrer Sehnenfasern in die Sclera, welche aller-
dings nicht in einer mathematischen Linie stattfindet, sondern oft noch
Nebenausläufer zeigt, durch kurzen Zellstoff straff angeheftet sei, und
zwar bis zum Aequator bulbi, ist ebenso unrichtig, als wenn man eine
solche Anheftung von der Tunica vaginalis behaupten wollte. Hat man
die Binde- und Scheidenhaut in einer den Muskelinsertionslinien ent-
sprechenden Kreislinie, und hierauf auch die Muskelsehnen selbst mit
möglichster Schonung aller übrigen Verbindungen durchschnitten —
wie bei der Exstirpatio bulbi nach Bonnet — so kann man mit einem
dünnen Scalpellhefte den Bulbus aus einer innen ganz glatten Schale
lösen, welche nur im hintern Umfange noch durch die M. obliqui und
den N. opticus mit demselben zusammenhängt ('rings um den Opticus
noch durch die Ciliarnerven und hintern Ciliargefässej. Nichts ist
leichter, als sich davon zu überzeugen, dass der Muskelbauch selbst bis
gegen den Äquator hin — an seiner Innenfläche von einer ganz glat-
ten Membran — der Scheidenhaut — überzogen ist.
Die Conjunctiva bulbi erstreckt sich am obern und untern Um-
fange des Bulbus noch circa 1 vjiitl, am innern und äussern noch min-
destens 2'" über die Muskelenden rückwärts, und man kann besonders
bei etwas flacher liegenden Augen sehr leicht die Muskelfasern des in-
und externus durch die Binde- und Scheidenhaut durchscheinen sehen;
dass man den silberartigen Glanz der Sehnen nicht sieht, kann als Be-
weis dienen dafür, dass sie nicht bloss durch die durchsichtige Binde-,
sondern auch durch die bloss durchscheinende Scheidenhaut gedeckt
sind. Die Lage der Muskeln lässt sich übrigens leicht nach den gleich-
falls von der Scheidenhaut gedeckten vordem Ciliargefässen erkennen,
welche aus den Muskelbäuchen heraus unter die Scheiden- und Binde-
haut treten, ein Merkmal, welches sich bei der Myotomie besonders
dann als sehr schätzbar erweist, wenn der Patient das Auge stark
verdreht.
Die fixen Punkte der beiden schiefen Augenmuskeln liegen an der
Basis orbitae, also den fixen Punkten der Reeti entgegengesetzt. Über
die Lage der Rolle, durch welche der vom Sehnervenloche herkommende
Obliquus superior mit seiner dünnen und glatten Sehne verläuft, kann
man sich leicht unterrichten, wenn man einen Finger knapp hinter dem
Eingange der Orbita gegen den innersten Theil der obern Orbitalwand
drückt. Von hier steigt die runde Sehne in der oben beschriebenen
Scheide nach hinten und aussen herab, wird vor ihrem Eintritte zwi-
schen den Rectus superior und den Bulbus flach und fächerartig, dringt
dann durch die Scheidenhaut, und verschmilzt mit der Sclerotica in
Physiologie. 181
einer gegen 3;;; langen Bogenlinie, deren Convexität nach hinten und
aussen sieht, deren inneres Ende etwas weiter hinten liegt und vom
N. opticus 3V2— 4/;/ absteht, während der Abstand des äussern (mehr
nach vorn gelegenen) Endes vom Opticus 6— 1'" beträgt. — Der >Obli-
quus inferior entspringt vom Orbitalrande des Oberkiefers Unmittelbar
nach aussen vom Thränensacke, läuft von da zwischen dem Orbitalfett
über dem Boden der Augenhöhle aus- und ein wenig ab- und rück-
wärts, bis er unter den Kectus inferior zu liegen kommt, wo er sich
ohngefähr 3"; hinter dem Orbitalrande befindet. An der Kreuzungs-
stelle mit dem R. inferior hängt er mit der Scheide desselben durch
ein zellig-fibröses Gewebe zusammen, jenseits dessen er seine Bichtung
ändert, indem er sich nicht nur stark aufwärts, sondern auch merklich
rückwärts krümmt, um dann an der Schläfeseite des Bulbus, unmittel-
bar an dessen Scheidenhaut anliegend, zwischen dieser und dem Rectus
exteruus zum hintern und obern Umfange des Bulbus zu gelangen.
Sein an Dicke beinahe den Rectis gleichkommender Muskelbauch wird
zwischen dem R. externus und Bulbus auffallend breit und dünn, durch-
dringt die Scheidenhaut in der Gegend des obern Randes des R. ex-
ternus, und inserirt sich mit unmerklich kurzen Sehnenfasern in die
Sclera in einer mindestens 5"' langen Bogenlinie, deren Convexität nach
oben und vorn gerichtet ist, und deren vorderes Ende etwa 1'" vom
Opticus absteht, während das hintere etwa 2 — 2>'" davon entfernt ist.
Während sich durch die Mittelpunkte der Insertions- und Ursprungsstellen des R.
superior und inferior einerseits, und durch die gleichen Punkte des R. internus und
externus andererseits bequem eine Ebene legen lässt, wovon die letztere so ziemlich
durch die Mitte der Pupille, die erstere aber daneben (an der Nasenseite) vorbeistreicht,
lässt sich für die Sehne des Obliquus superic: und für den Muskelbauch des Obliquus
inferior durchaus keine solche Ebene finden. Es war diess wenigstens an Chromsäure-
präparaten sowohl als an festgefrornen Köpfen durchaus unmöglich, und eine aufmerk-
same Vergleichung des Verlaufes liess auch weiter keine Hoffnung auf eine solche Mög-
lichkeit aufkommen.*) Gibt es aber keine gemeinschaftliche Ebene für die Obliqui,
*) Euete, Lehrbuch der Ophth. 2. Aufl. S. 34 sagt: „Geht man in der Richtung, welche die Sehne des
Obl. superior von der Trochlea bis zur Insertion am Bulbus verfolgt, weiter nach unten und hinten,
so trifft man etwas über dem obern Rande des R. externus auf die Insertion des Obl. inferior. Von
der Insertion setzt sich die Sehne dieses Muskels schräg nach unten und vorn in derselben Rich-
tung, wie die Sehne des Obl. superior, aber in umgekehrter Ordnung nach unten und vorn in den
Muskel fort, der, unter den R. inferior liegend, vom Boden der Orbita, nahe dem Ausgange zwischen
dem Canalis infraorbitalis und dem Thränenbein entspringt. Zieht man vom Ursprünge des Obl.
inferior eine Linie aufwärts bis zur Trochlea, von !dieser bis zur Insertion der Sehne des Obl.
superior, und von da zur Insertion des Obl. inferior bis zu seinem Ursprünge, so beschreibt man
eine ziemlich regelmässige Ellipse. Der Durchmesser des Auges, welcher normal zu der Ebene die-
ser Ellipse steht, ist die Drehungsachse für die M. obliqui." Ich bin nach meinen Untersuchungen
durchaus nicht im Stande, für die beiden Obliqui eine gemeinschaftliche Ebene zu finden, welche
zugleich, wie Euete will, durch den Drehpunkt des Auges ginge."
182 Augenmuskeln.
dann gibt es meines Eraehtens auch keine gemeinschaftliche Achse, um welche die
Obliqui den Bulbus drehen könnten, sondern es nauss, nachdem die Unverrückbarkeit
des Drehpunktes des Bulbus anderweitig constatirt ist, für jeden Obliquus für sich erst
die Achse gesucht werden, um welche er den Bulbus zu drehen vermag. So wie der
Obl. superior in der Rolle unter einem spitzigen Winkel umbiegt, nimmt auch der Obl.
inferior nach dem Durchgänge durch die zellig-fibröse Masse, welche ihn an den R.
inferior heftet, eine andere Richtung an, wenn gleich unter einem sehr stumpfen Winkel.
Wird die erste Portion des Obl. inferior (vom Ursprünge bis zum R. inferior) durch
eine Durchschnittsebene in eine vordere und hintere Hälfte getrennt, so liegt die zweite
Hälfte jederzeit hinter dieser üurchschnittsebene, und wird der Schnitt so geführt, dass
er diese halbirt , so trifft dieser Durchschnitt auch niemals mit dem Verlaufe der Sehne
des Obl. superior zusammen. Der Obl. inferior bietet demnach eine doppelte Krümmung
dar, einmal nach der Fläche (die Concavität zum Bulbus gerichtet) , und das andere Mal
nach den Rändern (die Concavität rückwärts gerichtet). — Denkt man sich den Bulbus
durch den Äquator in eine vordere und hintere Hälfte getrennt, so liegen die Insertions-
linien beider Obliqui in der hintern Hälfte, doch so, dass die vordem Enden der Inser-
tionslinien nur wenig vom Äquator abstehen. Denkt man sich den Bulbus in eine äus-
sere und innere Hälfte geschieden (mittelst eines Meridians durch den vordem und hin-
tern Pol), so liegen die Insertionslinien in der äussern Hälfte, doch so, dass die des
Obl. superior nahe an den Meridian fällt. Denkt man sich endlich den Bulbus in eine
obere und untere Hälfte getheilt, so fallen die beiden Insertionslinien in die obere Hälfte,
doch so, dass die des Obl. inferior nur mit ihrer grössern hintern Hälfte in die obere
Hemisphäre fällt. Die Mittelpunkte der Insertionslinien der beiden Obliqui liegen dem-
nach in dem hintern, äussern u. obern Yirtel des Bulbus, und sind von einander nur un-
gefähr 4'" weit entfernt. Ihre hintern Enden liegen einander etwas näher, ihre vordem
beträchtlich weiter voneinander.
Die Ne?^ven, welche für die Bewegungsorgane des Bulbus bestimmt
sind, sind bekanntlich der 3., 4. und 6. HirnneiT. Der N. oculomoto-
rius versieht den B, internus, superior, inferior und den Obl. inferior
(nebstdem den levator palpebrae superioris und mittelst der radix brevis
des Ganglion ciliare die Iris und den Ciliarmuskel) ; der N. trochlearis
ist für den Obl. superior, der N. abducens für den B. externus allein
bestimmt. — Die Arterien der Muskeln des Augapfels kommen durch-
aus von der Art. ophthalmica, und geben nach vorn die bereits be-
schriebenen vordem Ciliararterien ab. Sie sind sammt und sonders
viel zu dünn, als dass von ihrer Durchschneidung eine stärkere Blutung
zu besorgen wäre.
Der Oculomotorius , welcher an der Basis encephali zwischen den Hirnschenkeln zu
Togo tritt, und dann an der- Seite des Türkensattcls in einer Falte der harten Hirnhaut
über dem Sinus cavernosus, wo er 1 — 2 Fädchcn vom Carotidengcflecht aufnimmt, zur
Fissura orbit. superior verläuft, kann mit seinen Wurzeln im Gehirne weit rückwärts
verfolgt werden, nach Sömmerring bis fast auf die Wand der Hirnhöhlen, nach Gatt bis
unter den Tons Varoli, nach Malacarne kommt er vom obern Schenkel des kleinen Gehirnes
und von der Seite der Valvula cerebclli, wo auch der N. trochlearis entspringt. — Der
Physiologie. 183
Trochlearis s. patheticus entspringt hinter den Yierhügeln aus der markigen Querstreifung
■der Hirnklappe, steigt an den Sehenkeln des grossen Gehirnes zur Basis cerebri hinab,
und läuft in einer Falte der harten Hirnhaut über dem Sinus cavernosus zur obern Au-
genhöhlenspalte. — Der N. abducens kommt zwischen der Pyramide, Olive und dem Pons
Yaroli zum Vorschein, dringt hinter dem processus clinoideus posterior durch die harte
Hirnhaut in den Sinus cavernosus, wo er mit Zweigen vom Sympathicus in Verbindung
steht , und tritt an der äussern Seite des Oculomotorius und des Eamus I. seu ophthal-
micus trigemini in die obere Augenhöhlenspalte. — Nach Faesebeck soll der N. oculomo-
torius auch zum M. obliq. superior und zum M. rectus externus feine Zweigchen senden. —
Alle diese Nerven und nebstdem noch der Ram. ophth. trigemini treten durch die obere
Augenhöhlenspalte in die Orbita, während die Vena ophthalmica durch die Spalte rück-
wärts zum Sinus cavernosus verläuft.
Die Function der Augenmuskeln ist eine mehrfache. Sie erhalten
den Bulbus in einem gewissen Grade von Spannung, sie verlängern ihn
behufs der Einrichtung fürs Erkennen naher Objecte in der Richtung
der Sehachse durch seitliche Compression, und sie verändern die Stel-
lung der Sehachsen derart, dass sie, bald mehr bald weniger zu ein-
ander geneigt, jedem beliebigen Punkte im Horopter zugewendet wer-
den können. Dass die Netzhaut als eigentlicher Regulator ihrer Func-
tion betrachtet werden müsse, haben wir bereits S. 48 angegeben.
Jeder Muskel wird im Momente der erhöhten Contraction kürzer,
dicker, und falls er gekrümmt verläuft, der geraden Richtung mehr
weniger genähert. Da nun sämmtliche Recti und Obliqui (der Obl.
superior von der Rolle an) bogenförmig über eine mehr weniger grosse
Strecke des Bulbus verlaufen, so ist an die Spannung jedes einzelnen
sowohl als aller zusammen zugleich ein gegen den Bulbus gerichteter
Druck gebunden, entsprechend der Kraft, mit welcher die Spannung
geschieht, und der Krümmung, welche zwischen den Anhaltspunkten
stattfindet. Dieser Druck geht offenbar, da die Muskelkrümmung über
den Aequator bulbi streicht, von diesem aus gegen das Centrum (Dreh-
punkt), so dass also bei erhöhter Muskelcontraction die Durchmesser
des Bulbus im Äquator verkürzt werden müssen, wenn eine Formver-
änderung des Bulbus überhaupt möglich ist.
Der Bulbus enthält im normalen Zustande nicht so viel Flüssig-
keit, als er seinem Lumen nach enthalten könnte. Er erhält jenen
Grad von Spannung, den er darbietet, nicht durch sein Contentum
allein, sondern erst unter Beihilfe der muskulösen Gebilde, welche theils
in, theils ausser ihm liegen. Sein Lumen wird durch den Ciliarkörper,
die Zonula Zinnii und die vordere Kapsel sammt der Krystalllinse wie
durch ein Diaphragma in einen vordem und hintern Raum geschieden,
wovon der erstere das Kammerwasser, der letztere den elastisch bieg-
184 Augenmuskeln.
samen Glaskörper enthält. Beide Contenta sind gleich andern Flüssig-
keiten incompressibel. Das genannte Diaphragma steht nur durch die
sehnige Anheftung des Ciliarmuskels an den vordersten Rand der Sclera
und an den hintersten Rand der Cornea mit der Wandung des Bulbus
in fester Verbindung, und diese Wandimg zeigt daselbst an ihrer Aus-
senseite eine kreisförmige Einschnürung, indem die Cornea gleich einem
Kugelsegmente von kleinerem Radius aus dem Ellipsoide, welches die
Sclera darstellt, sich emporwölbt. Diese Scheidewand kann durch den
an ihrer Peripherie zwischen sie und die Bulbuswandung eingeschobe-
nen Ciliarmuskel in eine der jeweiligen äussern Muskelspannung adä-
quate Spannung versetzt werden, und sichert eben durch den Zug
nach innen den Fortbestand jener kreisförmigen Einschnürung, mithin
auch die Wölbung der Cornea, trotzdem dass, wie wir weiterhin sehen
werden, der Bulbus durch die Recti und Obliqui seitlich comprimirt
werden kann. Ohne eine solche Stütze von innen müsste die besondere
Wölbung der Cornea gleichsam in der allgemeinen des Bulbus auf-
gehen.
Dass aber der Bulbus seine gewöhnliche Spannung erst durch die
Beihilfe der genannten Muskel erhält, ergibt sich aus mehreren That-
sachen. Schon unmittelbar nach dem Tode, wo höchstens von vermin-
dertem Blutgehalte, durchaus aber noch nicht von erheblichem Flüssig-
keitsverlust durch Verdunstung die Rede sein kann, erscheint der Bul-
bus weniger gespannt, das Auge gebrochen. Lässt man einen frischen
Bulbus einige Zeit in Wasser liegen, so imbibirt er in den hintern
Augenraum so viel Flüssigkeit, als er überhaupt in sein Lumen auf-
nehmen kann, und erscheint dann hart, wie eine aufs Höchste gefüllte
Blase. — Wird das genannte Diaphragma zerstört, wie bei der Recli-
nation, so erscheint der Bulbus unmittelbar darnach, auch wenn kein
Tröpfchen Contentuni ausgeflossen ist, minder gespannt und bleibt
(auch nach andern Staaroperationen) so lange etwas weicher, bis ein
neues Diaphragma zwischen Humor aqueus und vitreus hergestellt ist
und dem Ciliarmuskel von innen her die gehörige Stütze gibt. Coccius
überzeugte sich (nach mündlicher Mittheilung) von der Verminderung
der Spannung des Bulbus bei Kaninchen nach Erschlaffung der Muskeln
durch Chloroformnarkose. Aus diesen Thatsachen ergibt sich auch,
dass die natürliche Spannung des Bulbus nicht etwa ein Ergebniss der
Elasticität der Sclera und Cornea ist, welche überhaupt, was Ausdehn-
barkeit betrifft, nach vollendetem Wachsthum nicht hoch angeschlagen
werden kann. Übrigens ist es eine bekannte Sache, dass der Bulbus
beim Betasten im normalen Zustande bei weitem nicht hart oder prall
Physiologie. 185
erscheint, wie eine vollständig gefüllte Blase, und der praktische Arzt
hat so zu sagen täglich Gelegenheit, aus erhöhter Eesistenz oder einer
gewissen Prallheit des Bulbus auf Exsudation im hintern Augenraume
(Chorioiditis, Hydrops corporis vitrei) zu schliessen.
Thatsachen, welche beweisen, dass die geraden Augenmuskeln im
Verein mit den schiefen im Stande sind, bei durchbrochener oder nach-
giebiger Wandung des Bulbus oder bei Verminderung seines Inhaltes
(Phthisis et atrophia bulbi) einen bedeutenden Druck auf den Bulbus
auszuüben, haben wir bereits im 1. Bande S. 225, 238 und 245, zum
Theil auch im 2. Bande an verschiedenen Stellen angeführt. Dass aber
die Recti im Verein mit den Obliquis auch im normalen Zustande einen
mehr weniger starken Druck auf den Bulbus auszuüben vermögen, er-
gibt sich schon aus der einfachen Betrachtung der fixen und der In-
sertionspunkte dieser Muskeln. Diese verhalten sich zum Bulbus nicht
wie Tangenten, wie noch immer behauptet wird, sondern verlaufen,
noch ehe sie sich fest mit ihm verbinden, eine mehr weniger lange
Strecke gekrümmt über seine grösste Wölbung am Äquator, wo die
Sclera zugleich auffallend dünn ist. Wer nicht Gelegenheit hat, an hart
gefrorenen Köpfen die geeigneten Durchschnitte mit einer dünnen Säge
zu machen, sehe sich getreue Abbildungen an, namentlich die auf der
S. Tafel von Sömmei-nng (Abbildungen des menschl. Auges, Frankfurt a. M.
1S01), und die Ziehung gerader Linien vom Ursprünge der Recti bis
zu ihren Insertionsstellen beantwortet diese Frage so zu sagen von
selbst. Eine seitliche Compression des Bulbus durch die Recti würde
jedoch nicht möglich sein, wenn nicht die Obliqui, mit ihren fixen
Punkten am Eingange der Orbita gelegen, sich am hintern und äussern
Umfange des Bulbus inserirten, und dem Zuge der Recti nach hinten
widerstrebend, gleichzeitig auch vermöge ihres bogenförmigen Verlaufes
über die grösste Wölbung des Bulbus die comprimirende Wirkung unter-
stützen müssten. Die Obliqui sind ohne Zweifel Antagonisten der Recti,
so fern sie die Zurückziehung des Bulbus durch letztere verhindern.
Dieser Gegensatz und somit auch der daran gebundene seitliche Druck
auf den Bulbus ist (mindestens im wachen Zustande) ein permanenter.
Er steigt, wie wir später zeigen werden, bei der Einrichtung des
Auges für nahe Objecte, und lässt sich dann, wie Gräfe zuerst beob-
achtet hat, direct an der Steigerung des Centralvenenpulses mit dem
Augenspiegel nachweisen.
Die Spannung des Bulbus im normalen Zustande ist jederzeit viel
zu gross, als dass eine Abplattung desselben durch das ihn hinten um-
fangende Fettgewebe bewirkt werden könnte , wenn es auch wirklich
186 Augenmuskeln.
möglich wäre, dass der Bulbus gegen dasselbe angedrückt werden
könnte. Ein harter Körper kann durch Andrücken an einen weichen
nicht abgeplattet werden. Die merkwürdig hohe Zusammendrückbarkeit
und Elasticität des retrobulbären Fettgewebes ist uns ein Postulat aus
der freien Beweglichkeit des Sehnerven in demselben. Vermöge dieser
Eigenschaft gestattet dieses Fettgewebe ganz gewiss ein eben so leich-
tes und freies Rück- und Vorwärtstreten der hintern Bulbuswand, ohne
welches — da ein Ausweichen der Cornea nach vorn laut Beobachtung
nicht stattfindet , und die Contenta bulbi so gut als gar nicht compres-
sibel sind — eine seitliche Compression des Bulbus durch die Recti
und Obliqui nicht gedacht werden könnte. Um so viel als der Bulbus
von den Seiten her comprinairt wird, um so viel oder doch nicht um
viel weniger muss derselbe in der Achse verlängert werden, durch Rück-
wärtsweichen seiner hintern Wandung. Mehr hierüber bei der Be-
sprechung der Accommodation, Kurz- und Weitsichtigkeit.
Das Studium der Function der einzelnen Augenmuskeln wird we-
sentlich erleichtert, wenn man eine alte irrige Vorstellung aufgibt, die
nämlich, dass bei erhöhter Wirkung (Verkürzung) des einen die übrigen
oder doch seine Antagonisten erschlafft seien, statt dass man sagen
sollte, sie werden bei gleicher Spannung nur um so viel länger, als die
Verkürzung des die Ablenkung vermittelnden- es nach der jeweiligen
Lage des Bulbus erheischt. Das Irrige dieser Vorstellung tritt scharf
hervor in dem daraus consequent gefolgerten Schlüsse, dass, wenn man
den Muskeln überhaupt eine comprimirende Wirkung auf den Bulbus
einräume, dann bei Contraction des einen und Erschlaffung der übrigen
Muskeln dieselbe Erscheinung eintreten müsse, Avie beim Drucke des
Fingers auf eine hinter der Ora serrata gelegene Partie, nämlich sub-
jective Lichtempfindung. Wenn aber ein Muskel, z. B. der R. externus,
durch den Nerveneinfiuss verkürzt wird, um das Hornhautcentrum nach
seiner Seite hin zu rollen, so darf man sich nicht vorstellen , dass sein
Antagonist (der R. internus) erschlafft, minder gespannt werde. Er wird
diess in diesem Momente eben so wenig als alle übrigen; alle beharren
in dem gleichen Grade der Spannung, nur dass, wenn wir bei obigem
Beispiele bleiben, der R. internus in demselben, und der R. superior
und inferior in etwas geringerem Masse länger werden, während der
externus und mit ihm zugleich, nur in geringerem Masse, die beiden
Obliqui kürzer werden. Der Bulbus dreht sich um den in seinem
Centrum gelegenen Drehpunkt (um eine durch denselben laufende Achse)
wie eine Rolle um die Spindel. Die Spannung des verkürzten Muskels
und folglich auch sein Druck gegen den Bulbus ist nicht grösser als
Physiologie. 187
die des langer "werdenden Antagonisten, sonst könnte der Bulbus nicht
in jedem Momente des Überganges von einer Stellung zur andern (vom
innern zum äussern Augenwinkel) als ruhend betrachtet werden, wie er
es doch offenbar ist, wenn ich z. B. diese Zeile von Anfang bis zu
Ende lese. Es ist ein stetes Fortschreiten von einem Punkte zum andern,
etwa so, wie wenn an einem über eine Rolle verlaufenden Seile jeder-
seits ein gleich schweres Gewicht hängt, die Gewichte auf- und ab-
steigen können, ohne dass die Spannung des Seiles auf der einen Seite
ab-, auf der andern zunimmt, und ohne dass der Druck, den das Seil
gegen den fixen Punkt der Rolle hin ausübt, auf der einen Seite grösser
wäre, als auf der andern.
Jeder Bulbus für sich kann mit einem Fernrohre verglichen wer-
den, welches für verschiedene Entfernungen eingestellt (eingeschoben
oder ausgezogen), überdiess aber, in seinem Schwerpunkte befestigt,
bei jeder beliebigen Einstellung oder Länge mit dem Objectivglase
nach verschiedenen Richtungen (innerhalb eines gewissen Kreises) ge-
lenkt werden kann, jedoch so, dass dabei sein Schwerpunkt immer
nahezu an derselben Stelle im Räume bleibt. Man denke sich nun zwei
solche für beliebige Distanzen einstellbare (accommodirbare) und um je
einen fixen Punkt bewegliche Fernröhre nebeneinander auf einen z. B.
100 Fuss entfernten Punkt eingestellt und gerichtet, und in dieser Ein-
stellung und Neigung zu einander verharrend, nach und nach auf andere,
in der Horizontalen links und rechts gelegene Punkte gelenkt, so wer-
den diese Punkte, offenbar in einer krummen Linie liegen, welche man
erhält, wenn man durch die beiden fixen Punkte der Fernröhre und
durch den Punkt, auf den sie ursprünglich gerichtet wurden, einen Kreis
beschreibt. Die Distanz der beiden fixen Punkte der Fernrohre bildet
dann eine Sehne dieses Kreises. Es können aber die beiden Fernröhre
unbeschadet ihrer Einstellung und gegenseitigen Neigung zu einander
nicht bloss in der Horizontalen bis zu einer gewissen Grenze links und
rechts herumbewegt werden, sondern auch in der Verticalen auf- und
abwärts, und der Kreuzungspunkt ihrer verlängert gedachten Achsen
wird jetzt ebenfalls eine Kreislinie beschreiben. Den Radius dieses
Kreises bildet aber eine gerade Linie, welche man erhält, wenn man
jenen Kreuzungspunkt verbindet mit dem Mittelpunkte der Distanz
zwischen den fixen Punkten der Fernröhre. Würde man nun noch unter
Beobachtung derselben Bedingungen die Fernröhre so lenken, dass der
Kreuzimgspunkt ihrer verlängerten Achsen nach und nach auf verschie-
dene Punkte in den dazwischen liegenden Quadranten, z. B. links und
oben oder rechts und unten u. s. w. zu liegen käme, so würden sämmt-
1S8 Augenmuskeln.
liehe Punkte, welche jener Kreuzungspunkt nach und nach (sowohl
in den horizontalen, als in den verticalen und in den schiefen oder
Zwischenrichtungen) durchlaufen hat, die Oberfläche eines Sphäroides
darstellen, oder gleichsam eine hohle Schale, deren Gestalt sich mathe-
matisch bestimmen lassen würde. Diese sphäroidale Fläche oder Schale
mag dem Leser einen ungefähren Begriff geben von dem, was man
Horopter nennt. Stellen wir die Fernröhre ceteris paribus für 500 statt
für 100 ein, so werden bloss die beschriebenen Kreise grösser, wir
erhalten statt des engeren einen weiteren Horopter. Da die Augen gleich
den supponirten Fernröhren für verschiedene Distanzen eingestellt und
dann unter einer sich stets gleich bleibenden Neigung der Sehachsen zu
einander herum bewegt werden können, so gibt es für jedes Individuum
(mit gleichen Augen) so viele Horopter, als Distanzen der Sehweite.
Die Sehweite ist aber bei allen Individuen auf einen gewissen Spiel-
raum angewiesen; sie reicht z. B. beim normalen Auge nicht unter 5",
bei Kurzsichtigen wohl näher, z. B. bis auf 3", dann aber auch nicht
so weit, z. B. nur auf 9". Die mittlere Sehweite bezeichnet man dann
der Kürze halber wohl auch mit dem Ausdrucke Mesoropter. Näheres
hierüber bei der Kurz- und Weitsichtigkeit. Wir wollen hier vorläufig
nur so viel erörtern, als zum Verständniss der Bewegungen der Augen
und ihrer Beziehung zur Accommodation erspriesslich und nothwendig
erschien.
Durch die Augenmuskeln kann die Stellung der Bulbi mit der gröss-
ten Leichtigkeit und Behendigkeit so verändert werden, dass jederzeit
nicht nur das Centrum einer jeden Netzhaut der Reihe nach irgend
einem und demselben Punkte des Gesichtsfeldes zugewendet wird,
sondern auch zugleich die übrigen Partien der Netzhaut eines jeden
Auges dieselbe relative Lage zu je einem Objecte des Gesichtsfeldes
einnehmen. Das Erstere wird vorzugsweise durch die Recti, das Letz-
tere vorzugsweise durch die Obliqui bewirkt. Die Bewegungen, welche
zum Zwecke haben, das Centrum der Netzhäute je einem beliebigen
Punkte des Gesichtsfeldes gegenüber zu stellen, sind Gegenstand des
Bewusstwerdens, sie mögen nun direct vom Willen oder als Reflexbe-
wegungen von der Netzhaut aus angeregt werden; sie treten theils als
assoeiirte, theils als aecommodative Bewegungen in die Erscheinung
(Bewegungen in demselben Horopter, Richtbewegungen, und Abände-
rung des Horopters). Die dabei nothwendig und unabhängig vom Be-
wusstsein stattfindende Thätigkeit der Obliqui, sofern sie nicht etwa die
Wirkung der Recti unterstützt, erscheint gleichsam als coordinirte Cor-
rection; sie verhindert, dass bei den assoeiirten oder aecommodativen
Physiologie. 1 89
Bewegungen nicht etwa relativ verschiedene peripherische Partien der
einen und der andern Netzhaut einem und demselben seitlichen Objecte
des Sehfeldes zugewendet werden ; sie erhält so zu sagen die correspon-
dirende Lage der correspondirenden Meridiane der Netzhaut aufrecht.
Die Recti können nämlich vermöge ihres Ursprunges und vermöge ihrer
Insertion am Bulbus, wenn wir uns diesen als nur in seinem Mittel-
punkte unverrückbar, übrigens aber in jeder Richtung um denselben
drehbar denken, wie er es in der That auch ist, höchstens so viel be-
wirken, dass sie jederzeit die Macula lutea jedes Auges einem und
demselben beliebigen Objecte gegenüber stellen, d. h. dass sich beide
Sehachsen bald in einem nahen, bald in einem fernen, bald in einem
gradaus, bald in einem links, rechts, oben u. s. w. gelegenen Objecte
treffen ; sie können aber nicht verhüten, dass sich der Bulbus bei diesen
Übergängen zugleich um die Drehachse drehe, was bei dem raschen
Wechsel der Objecte in ihrer Distanz unvermeidlich sein würde, wenn
nicht gleichzeitig die Obliqui in Thätigkeit träten, um einer jeden Netz-
haut dieselbe relative Stellung zum Sehfelde zu sichern. Man wird die
Notwendigkeit einer solchen Correction leicht einsehen, wenn man be-
denkt, dass die Lage der Recti um den Bulbus keine symmetrische ist,
und dass die Sehachse nicht mit der Achse des pyramidalen Raumes
zusammenfällt, an dessen Spitze die Ursprünge, an dessen Basis die
Insertionen der Recti liegen.
Denjenigen, welche sich aus eigener Anschauung eine klare Ansicht über die hier
in Betracht kommenden mechanischen Verhältnisse machen wollen, empfehle ich, sich
Bulbi in Chromsäure zu erhärten (allmälig, damit sie nicht einschrumpfen), an denen
die Eecti etwa bis zum Äquator, die Obliqui bis zur Kreuzung mit den Eectis gelassen
sind, jedoch so , dass sie bis genau zu ihren Insertionslinien von der übrigens ganz rein
präparirten Sclera nach Bedarf abgehoben werden können. Durch jeden der so zubereite-
ten Bulbi steche man eine etwa 1 V2" lange Nadel vom Hornhautcentrum zum hintern
Pole durch, um sich die Sehachse genau vorstellen zu können. Ebenso führe man eine
zweite Nadel im Äquator horizontal mitten durch den Bulbus. Eine dritte, vertical im
Äquator durchgeführt, dürfte schon überflüssig sein, um sich die nöthigen Durchschnitts-
ebenen durch den Bulbus richtig vorstellen zu können. Mittelst Wachskugeln an der in-
nern und äussern Wandung der Orbita eines Schädels befestige man nun die von der
Schläfe- nach der Nasenseite durchgeführte Nadel im Eingange der Augenhöhle, und
schütze den Bulbus gegen Drehung allenfalls noch durch eine Wachsunterlage am untern
Orbitalrande. Kann man sich die Insertionslinien der Obliqui bei dieser nun möglichst
naturgetreuen Lage des Bulbus nicht klar vorstellen, so nehme man einen aufgesägten
Schädel und entferne die obere Wandung der Orbita. Damit die Nadel, welche die Sehachse
vorstellt, parallel zur verticalen Medianebene des Kopfes gehe, demnach bei horizontalem
Verlaufe von vorne nach hinten senkrecht auf der verticalen Antlitzfläche stehe, muss die
Wachskugel zur Aufnahme der zweiten Nadel an der Schläfeseite vor dem Orbitalrande
angebracht werden.
190 Augenmuskeln.
Die Bestimmung- des Antheiles, welchen jeder einzelne Muskel an
den verschiedenen Bewegungen und Haltungen des Augapfels nimmt,
ist unerlässlich zur Beurtheilung von Krankheitsfällen, z. B. bei Läh-
mung eines oder mehrerer Augenmuskeln; sie ist aber äusserst schwierig
und bis jetzt nur bis zu einem gewissen Grade möglich, weil kein
Muskel für sich allein wirkt, sondern immer alle zugleich thätig sind,
weil die Abänderung in der Stellung des Bulbus, wenn auch vorzüglich
durch Verkürzung eines oder zweier Muskeln bewirkt, dennoch immer
durch Mitwirkung eines oder mehrerer Muskeln unterstützt, und durch
entsprechende Verlängerung nicht bloss eines, sondern zweier oder
dreier zugleich antagonistisch moderirt wird, weil dabei immer die
frühere Stellung von mehr weniger bedeutendem Einflüsse ist, und
endlich weil Uberdiess die Gruppirung der verkürzten Muskeln und der
Grad ihrer Verkürzung verschieden ausfallen muss, je nachdem die-
selbe Bewegung in einem engen oder in einem weiten Horopter aus-
geführt wird. — Die wichtigsten Momente zur Beurtheilung der Be-
theiligung eines Muskels sind: die Stelle des Ursprunges (eigentlich
des fixen Punktes) und der Insertion, die Richtung der Insertionslinie
und die Lage ihres Mittelpunktes, die Krümmung des Muskels oder
der Sehne zwischen dem fixen Punkte und der Insertion, die Dicke,
Breite und Länge der Muskelbäuche und Muskelsehnen, und die rela-
tive Lage longitudinaler und transversaler Durchschnittsebenen der
Muskeln und ihrer Endsehnen zum Drehpunkte und zu gewissen, durch
denselben geführten Durchschnittsebenen des Bulbus. Mit Rücksicht
auf diese Momente lässt sich über die Wirkung jedes einzelnen Mus-
kels, jedoch ganz im Allgemeinen, ohngefähr Folgendes mit Bestimmt-
heit angeben:
Der R. internus rollt das vordere Ende der Sehachse (Hornhaut-
centrum) horizontal ein-, der E. externus dagegen auswärts, voraus-
gesetzt, dass die Obliqui und die andern beiden Recti dabei einander
das Gleichgewicht halten. Denn würde in demselben Momente, wo der
R. internus kürzer wird, z. B. der R. superior kürzer, als der R. in-
feribr, so müsste die Pupille nach innen und oben gerollt werden. —
Ebenso würde, da bei Verkürzung des R. internus, mit welchem immer
auch eine mehr weniger geringe Verkürzung des R. superior und in-
ferior zugleich erfolgt, das Gegengewicht durch den R. externus im
Verein mit den beiden Obliquis hergestellt wird, der Ausfall eines
Obliquus, z. B. des Obl. superior, das bewirken, dass der Bulbus nicht
bloss ein wenig um die Sehachse gedreht würde, wobei der R. superior
etwas gegen die Schläfe hin verrückt werden müsste, sondern auch,
Physiologie. 191
dass die Pupille stärker nach innen und zugleich ein wenig nach oben
abgelenkt werden würde, als wenn der Rectus externus in seinem An-
tagonismus gegen den R. internus durch beide Obliqui zugleich unter-
stützt wird. — Eine Ebene, mitten durch die Insertionslinien dieser
beiden Recti und durch den Bulbus bis zum Sehnervenloche geführt,
geht durch den Drehpunkt des Auges, trennt den Bulbus in eine untere
und eine obere Hälfte, und die durch den Drehpunkt verlaufende ver-
ticale Äquatorialachse steht senkrecht auf dieser Ebene; wenn sich dem-
nach die Pupille in dieser Ebene links oder rechts wendet, so ist jene
verticale Äquatorialachse seine Drehungsachse, d. h. die Drehungsachse
für den R. internus und externus.
Der i?. superior rollt das Hornhautcentrum nach oben, jedoch nicht
vertical, sondern ein wenig zur verticalen Medianebene des Kopfes
zuneigend; bei der Abwärtsrollung des Bulbus durch den R. inferior
tritt die Zuneigung zur verticalen Medianebene noch etwas stärker her-
vor. Eine Ebene, mitten durch die Insertionslinien und weiterhin
mitten durch die Muskelbäuche des R. superior und inferior bis zum
Sehnervenloche gelegt, geht nicht durch den Drehpunkt, sondern
streicht an der Nasenseite neben ihm vorbei; sie steht überdiess nicht
vertical auf der Horizontalen, sondern neigt sich unten etwas zur Nase-
herüber. Hienach lässt sich die gemeinschaftliche Drehungsachse für
diese beiden Recti an und für sich so wie bei den andern beiden be-
stimmen. Soll der Bulbus um eine von der Nasen- zur Schläfeseite
parallel zur Antlitzfläche durch den Drehpunkt verlaufende Achse ge-
rollt werden (vertical auf- und abwärts), so kann diess durch die in
Rede stehenden Recti allein nicht bewirkt werden; es ist diess nur dann
möglich, wenn zugleich die beiden Obliqui und der R. externus ver-
kürzt werden, was — relativ zum R. internus — natürlich in verschie-
denem Grade stattfinden wird, je nachdem die Pupille dabei in der
Mitte der Lidspalte oder in der Nähe des innern oder äussern Augen-
winkels auf- und abwärts steigen soll.
Der Obl. superior rollt das Hornhautcentrum nach unten und aussen,
dreht aber zugleich den Bulbus ein wenig oben herüber, so dass das
obere Ende der verticalen Äquatorialachse etwas zur Nase zugeneigt,
der Bulbus in dieser Richtung ein wenig um die Sehachse gedreht
werden kann; der Obl. inferior rollt das Hornhautcentrum nach oben
und aussen, und kann zugleich eine Drehung des Bulbus um die Seh-
achse in entgegengesetzter Richtung bewirken, wenn ihm nämlich der
Obl. superior hierin nicht als Antagonist entgegentritt. Diese Wirkungs-
weise ist constatirt durch die unmittelbare Beobachtung, für den Obl.
192 Augenmuskeln.
superior bei Lähmung des Nerv, oculomotorius , für den Obl. inferior
bei Lähmung des N. trochlearis. Ist der Rectus externus vollständig
gelähmt, oder so durchschnitten, class er auch nicht mittelst der seit-
lichen Invagination in der Tunica vaginalis auf den Bulbus wirken
kann, dann kann der Bulbus niemals über die Mitte der Lidspalte
hinaus nach aussen gerollt werden. Rücksichtlich der Drehungsachsen
für die Obliqui wage ich keine bestimmte Ansicht auszusprechen; es
finden in ihren Insertionslinien, welche ziemlich bogenförmig und über-
diess schräg verlaufen (nicht quer auf die Richtung der Muskel- und
Sehnenfasern), sowohl in Bezug auf die durchschnittliche (mittlere)
Richtung als in Bezug auf die relative Lage und Distanz vom hintern
Pole bei verschiedenen Individuen sehr erhebliche Variationen statt.
Macht man keinen Anspruch auf grosse Genauigkeit, so kann man sich
eine gerade Linie, vom äussern Rande der Cornea zum innern Rande des
Sehnerveneintrittes durch den Drehpunkt gezogen, als gemeinschaftliche
Drehungsachse der Obliqui denken.
Bei der Betrachtung des Antheiles, welchen die verschiedenen Mus-
keln zusammen an der Hervorrufung und Erhaltung einer bestimmten
Stellung des Blickes nehmen, muss jederzeit zugleich auf den jewei-
ligen Horopter Rücksicht genommen werden. Bei den bisherigen An-
gaben über die Wirkungsweise der einzelnen Muskeln haben wir auf
den Horopter keine Rücksicht genommen, oder vielmehr wir haben von
der accommodativen Thätigkeit des Sehorganes vorläufig Umgang ge-
nommen. Unser Blick wechselt aber beständig nicht nur in Bezug auf
rechts, links, oben, unten, und die Zwischenrichtungen, sondern auch
in Bezug auf die Distanz in jeder möglichen Richtung. — Der Blick
gradaus und in weitem Horopter, wie etwa in einer Ebene nach den
Grenzen des Horizontes, dürfte wohl als Mittelstellung, als jener Stand
des Auges betrachtet werden können, bei welchem sämmtliche Recti
und Obliqui in gleicher Weise in Anspruch genommen werden, d. h.
das Mittel zwischen äusserster Verkürzung und Verlängerung darbieten.
Er wird kurzweg auch als Zustand der Ruhe bezeichnet, was nur in
Bezug auf die Accommodationsthätigkeit als richtig zugegeben werden
kann. — Je enger der Horopter wird, desto kürzer werden die beiden
Recti interni, zugleich auch, nur in minderem Grade, der R. superior
und inferior, während der R. externus in gleichem, die Obliqui dagegen
in viel geringerem Masse länger werden, überdiess aber sämmtliche
Recti und Obliqui in erhöhte Spannung gerathen. Das Gesammter-
gebniss ist nicht nur Näherung der Pupillen zu einander, sondern
auch — wovon wir später noch sprechen werden — Erhöhung der
Physiologie. 193
seitlichen Compression des Bulbus und entsprechende Verlängerung- der
Sehachse. In diesem Zustande nun kann der Blick in demselben Ho-
ropter herumgeführt werden, und geschieht diess in der Horizontalen,
d. h. gerade von links nach rechts oder umgekehrt, so wird in dem
relativen Verhältniss der oben als Antagonisten bezeichneten Muskel-
gruppen nichts verändert, als dass die einen kürzer, die andern länger
werden. Wird der Horopter noch enger, so steigt die Zuneigung der
Pupillen zu einander und die Spannung sämmtlicher Muskel noch mehr,
ohne Behinderung der Beweglichkeit der Bulbi nach der einen oder
der andern Seite hin. — Beim Blicke des einen Auges nach innen und
oben ist der Blick des andern entweder gleichfalls nach innen und
oben gerichtet (enger Horopter), oder aber nach aussen und oben. Das
eine wird zunächst durch den R. internus und superior, das andere
durch den R. externus und superior bewirkt; die Wirkung der Obliqui
dabei ist theils eine die Richtung unterstützende, theils eine die relativ
gleiche Stellung der Netzhäute vermittelnde. Da die Verkürzung des
R. internus und superior eine solche Drehung des Bulbus zur Folge
haben müsste, dass das obere Ende der verticalen Aquatorialachse
(oder des verticalen Meridianes) sich der verticalen Medianebene des
Kopfes nähern müsste, so muss die gleichzeitig eintretende Verkürzung
des Obl. inferior diese Drehung verhindern oder doch so moderiren,
dass jene Annäherung der obern Achsenenden auf beiden Augen in
gleichem Masse stattfindet. Die Verkürzung des Obl. inferior muss
um so stärker sein, je mehr der R. internus und superior contrahirt
sind, d. h. je näher das oberhalb der Horizontalen befindliche Object
an das Auge herangerückt wird. Geht aber der Blick des einen Auges
nach innen und oben, der des andern nach aussen und oben, so wird
diese Correctur auf dem zweiten Auge (die Verhinderung der zu starken
Ablenkung des obern Endes der verticalen Achse) durch den Obl. su-
perior vermittelt. — Beim Blicke des einen Auges nach innen und
unten nimmt das zweite Auge dieselbe Stellung an, oder die nach unten
und aussen. Die gleichzeitige Verkürzung des R. internus und inferior
bei entsprechender Verlängerung des R. extemus und superior müsste
aber das untere Ende der verticalen Augenachse näher an die verticale
Medianebene bringen; es wird daher die Aufgabe des Obl. superior
die Rollung nach unten zu unterstützen, zugleich aber auch, unter ent-
sprechender Gegenwirkung des Obl. inferior, die genannte Drehung der
verticalen Achse zu moderiren, indem er das obere Ende derselben zur
Medianebene herüber hält. Geht aber der Blick des zweiten Auges
nach unten und aussen, so übernimmt auf diesem Auge der Obl. in-
Arlt Augenheilkunde. III. 13
194 Augenmuskeln.
ferior in entsprechender Gegenwirkung gegen den Obl. superior die
Correctur der verticalen Achse (der Meridiane).
Nach meiner Überzeugung bleiben die verticalen Äquatorialachsen, oder was auf
Eins hinauskommt, die verticalen Meridiane der beiden Netzhäute einander nicht bei
allen Stellungen der Bulbi parallel. Sie verlaufen beide zu einander parallel, mithin beide
vertical, wenn wir auf entfernte Objecte gerade vor uns blicken: sie treten oben etwas-
auseinander, wenn wir in die Ferne aufwärts blicken; sie neigen sich unten zu einan-
der beim Blicke nach unten, und zwar um so mehr, je näher an die Augen das fixirte-
Object gerichtet wird. Da die Durchführung dieses Thema, welches mit der Lehre von
der Identität der einzelnen Netzhautpunkte als etwas Angeborenem innigst zusammenhängt,
hier zu weit führen würde, so genüge es, bloss darauf hingewiesen zu haben, und noch
einige darauf Bezug habende Thatsachen in Kürze anzuführen. Beim Blicke nach unten
waltet eine entschiedene Tendenz zu . stärkerer Convergenz der Sehachsen ob. Wollen
wir in die Ferne blicken, so neigen wir, falls das Object nicht über der Horizontalen
liegt, den Kopf ein wenig vorwärts, wodurch die Stellung der Sehachsen relativ zur
Orbita eine aufwärts gerichtete, also der geringeren Convergenz der Sehachsen günsti-
ger wird. Hingegen halten wir alle feinen, nur in grosser Nähe deutlich erkennbaren
Objecte unterhalb der Horizontalen vor die Augen , weil bei vorwaltender Thätigkeit
(Verkürzung) der untern geraden Augenmuskeln ein gewisser Grad von Convergenz der
Sehachsen eo ipso gegeben ist. "Wird von den Augen gefordert, nach unten in grosse
Ferne zu schauen, z. B. von einem Thurme, also die Sehachsen bei abwärts gerichtetem
Blicke mehr auseinander zu halten, so müssen nicht nur beide Obliqui superiores, son-
dern auch wahrscheinlich beide Recti externi in viel mehr erhöhte Thätigkeit treten,
als wenn dasselbe Object in gleicher Entfernung gerade vor den Augen läge. Es ist
wahrscheinlich, dass hierin der Grund des Schwindels liegt, wenn beim Herabblicken
von einer steilen Höhe diese ungewohnte Stellung und Haltung von den Augen verlangt
wird. Die betreffenden Muskeln gerathen bei dieser ungewöhnlichen Combination un&
Kraftanstrengung in zitternde Bewegungen, was den Eindruck macht, als bewegten sich
die Objecte des Sehfeldes.
Diese kurzen und mehr allgemein gehaltenen Andeutungen über die Function
der Augenmuskeln überhaupt und im Besondern mögen vorläufig genügen. Die nach-
folgenden Erörterungen über die Accommodation, über Kurz- und Weitsichtigkeit , über
Muskellähmungen u. s. w. werden ohnehin noch erheischen, hie und da genauer darauf
einzugehen.
Über die Accoiiimodatioii, das Einrichtungsverniögen der Augen.
Unser Auge stellt eine Camera obseura vor. Die Hornhaut mit dem
Krystallkörper und dem zwischen beiden eingeschlossenen Kammer-
wasser bildet das Objectiv oder Sammelglas, die Netzhaut den Schirm
und der Glaskörper das Zwischenmedium zwischen beiden. Unter die
wesentlichen Bedingungen des deutlichen Sehens gehört die, dass die
auf der Netzhaut entworfenen Bilder der Objecte bis zu einem gewissen
Grade scharf begrenzt sind, dass die Netzhaut jederzeit in der der je-
weiligen Objectdistanz entsprechenden Vereinigungs weite liegt. Sollen
Physiologie — Aceomniodation. 195
Objecte von sehr differenter Entfernung auf dem Schirme einer Camera
obscura scharf abgebildet werden, so kann diess nur nach und nach
und nur mittelst Veränderung in der Camera selbst geschehen; denn
die Bilder naher Objecte werden weiter hinter der Sammellinse ent-
worfen, als die von entfernteren Objecten. Dieser Anforderung kann
auf mehrfache Weise Genüge geleistet werden: a) indem, wenn nahe
Objecte abgebildet werden sollen, der Schirm zurückgestellt oder das
Objectiv vorgerückt, überhaupt die Distanz zwischen Objectiv und
Schirm vergrössert wird; b) indem zu demselben Zwecke eine Linse
von kleinerem Radius gewählt, die Wölbung der Sammellinse erhöht
wird; oder c) indem in den Brechungsverhältnissen zwischen der
Sammellinse und den Medien vor oder hinter derselben entsprechende
Veränderungen angebracht, z. B. behufs der Abbildung naher Objecte
eine Linse von einem grössern Brechungsindex (grösserer Dichtigkeit)
eingesetzt oder die Brechungskraft (Dichtigkeit) des vor oder hinter
der Linse gelegenen Mediums nach Erforderniss vermindert wird. Bei
gleichzeitiger Anwendung zweier dieser Mittel würde natürlich von
jedem derselben viel weniger gefordert werden, um dasselbe Resultat
zu erzielen.
Seit Kepler nachgewiesen hat, dass im Auge dieselben dioptrischen
Verhältnisse obwalten, wie in einer Camera obscura, wurde ziemlich
allgemein angenommen, dass im Auge behufs des Deutlichsehens naher
und ferner Objecte auch Veränderungen der einen oder der andern
Art vor sich gehen, dass das Auge ein Accommodationsvermögen be-
sitze. Nur wenig Forscher meinten, das Auge sei schon an und für
sich so beschaffen, dass eine Änderung seines Refractionszustandes zu
diesem Behufe nicht nothwendig sei. So meinte Treviranus in dem
geschichteten Baue der Krystalllinse, in ihrer gegen den Kern hin
schichtenweise zunehmenden Dichtigkeit das Mittel gefunden zu haben,
dass sowohl nahe als ferne Objecte auf der Netzhaut deutlich abgebildet
werden könnten. Diese Ansicht ist theils theoretisch — von Kohl-
rausch — theils factisch durch Beobachtungen (wovon später) widerlegt
worden. Ebenso ist die Annahme, dass die Netzhaut im hintern Pole
eine nach innen hervorspringende Falte darbiete, und die Bilder ent-
fernter Objecte auf, die Bilder naher Objecte neben dieser Falte (also
weiter hinten) entworfen würden, schon dadurch widerlegt worden,
dass man die Nichtexistenz einer solchen Falte während des Lebens
nachgewiesen hat (durch Untersuchung von Hingerichteten unmittelbar
nach dem Tode, durch den Augenspiegel). Die Abänderung des Re-
fractionszustandes behufs des Deutlichsehens von Objecten sehr diffe-
13*
196 Augenmuskeln.
renter Entfernung, schon früher aus den Versuchen von Scheine®, Mile,
Volkmann u. A. bestimmt gefolgert, ist seit der Erfindung des Augen-
spiegels Thatsache der unmittelbaren Beobachtung, und es kann von
nun an nur noch die Frage sein, auf welche Weise die Accommodation
des Auges für verschiedene Sehweiten vermittelt werde, für welche
Distanzen der Objecte und bis zu welchem Grade solche Veränderungen
gefordert werden.
„Man lasse, indem man ein normales Auge mit dem Augenspiegel untersucht, das-
selbe einen Gegenstand fixiren, der von ihm eben so weit entfernt ist, als ein Faden,
den man quer vor dem Glase der Beleuchtungslampe aufgespannt hat. Der Beobachter
sieht alsdann die Elemente der Netzhaut und das Bild des Fadens gleich deutlich. Rückt
man nun, während der Beobachtete fortwährend jenen Gegenstand fixirt, den Faden seinem
Auge näher oder ferner, so wird er im Netzhautbilde undeutlich, oder verschwindet
gänzlich , während die Retinatheile deutlich bleiben. Man ersieht daraus, dass Netzhaut-
bilder von verschieden entfernten Gegenständen in der That nicht gleich deutlich sind.
Alsdann stelle man den Faden wieder so, dass man ihn im Netzhautbilde gleichzeitig
mit den Gefässen deutlich erscheinen sieht, und lasse das beobachtete Auge einen Punkt
fixiren, welcher (in derselhen Richtung) entweder viel weiter oder viel näher ist, als der,
auf den es vorher gerichtet war; sogleich sieht man Netzhaut und Flammenbild ver-
schwimmen und undeutlich werden." (Heimholte, Augenspiegel, 1851 S. 37.)
Hält man eine undurchsichtige Platte (Kartenblatt) mit zwei feinen Offnungen (Na-
delstichen), welche nicht ganz so weit von einander abstehen , als der Durchmesser der
Pupille beträgt (also etwa 1"'), nahe vor das Auge (weniger als ö'/a'")) und visirt nun
durch diese Öffnungen in einer Linie gerade vor sich hin auf einen feinen Gegenstand,
etwa eine Nadel vor einem lichten Hintergrunde, welche in dieser Linie fortbewegt wer-
den kann, so erscheint die Nadel, nahe hinter der Platte gehalten, doppelt; dann, bis zu
einer gewissen Entfernung fortgerückt, einfach; endlich, über eine gewisse Grenze ent-
fernt, wieder doppelt. Der Raum, in welchem die Nadel einfach erscheint, heisst die
deutliche Sehioeite; sein Grenzpunkt gegen das Auge her: der Nahepunkt, der entgegen-
gesetzte : der Fernpunkt. Die Lage des Nahepunktes ist in der Regel 5 (4 — 6) Zoll vor
dem Hornhautcentrum, ausnahmsweise (bei sehr Kurzsichtigen) jedoch bis auf 2 und
selbst l3/* Zoll herangerückt. Der Ort des Fernpunktes lässt sich nur an solchen Augen
genau bestimmen, an welchen er abnorm nahe gerückt ist (bei Kurzsichtigen), indem bei
beträchtlicher Entfernung eines so kleinen Objectes, wie bei diesem Versuche, nicht nur
der Sehwinkel (Netzhautbild), sondern auch die Lichtmenge (scheinbarer Glanz des Netz-
hautbildes) und die Energie der Netzhaut (Feinheit des Gesichtes) von bedeutendem
Einflüsse auf die Wahrnehmung des Doppelbildes sind.
„Betrachtet man nach Scheiner s Angabe durch eine solche Platte mit 2 Öffnungen
zwei Nadeln, deren eine näher, die andere ferner aufgesteckt ist, so nämlich, dass beide
in die Sehachse und innerhalb der Grenze des deutlichen Sehens zu stehen kommen , so
erscheinen zunächst zwei lichte Kreise, welche sich zum Theil decken, und in diesem
mittlem (lichteren) Theile die Nadeln. Fixirt man nun beliebig die eine oder die an-
dere Nadel, so erscheint jedesmal die nicht fixirte doppelt und nur die fixirte einfach.
Der Grund ist folgender. Es sei in Fig. 1.
Physiologie — Acconiniodation.
197
a die entferntere Stecknadel und das Auge auf diese gerichtet. Es sei ferner b die
zu nahe gelegene Nadel, und Im das doppelte Kartenloch. Die von a ausgehenden
Strahlen al und am werden auf der Netzhaut bei a' vereinigt, die von b einfallenden
Strahlen bl und bin vereinigen sich dagegen erst hinter derselben bei b'. Daher treffen
die Strahlen von b, welche durch l ins Auge dringen, die Netzhaut bei s, während die
durch in auffallenden dieselbe bei r treffen. So entstehen zwei blasse Bilder bei s und r,
statt eines einzigen und intensiv beleuchteten bei «'. — Fixirt man dagegen 6, so er-
scheint dieses einfach und a wird doppelt. Der Grund hievon ergibt sich aus Fig. 2.
Da das Auge für ö passend eingerichtet ist, so vereinigen sich die Lichtbündel bl
und bm auf der Netzhaut und formiren ihr Bild im Achsenpunkte des Auges bei b'. Unter
diesen Umständen liegt a zu fern, die Strahlen dm und al haben ihren Focus bei x und
der ausfahrende Strahl Ix geht weiter nach s, desgleichen geht mx weiter nach r, so dass
sich zwei blasse Bilder bei r und s statt eines einzigen bei b gestalten. — Die Richtig-
keit dieser Deutungen ergibt sich aus Folgendem. Yerschliesst man während der Beob-
achtung das eine der Kartenlöcher, so verschwindet im ersten Experimente, bei unge-
höriger Nähe der Nadel, das Bild der entgegengesetzten Seite, im 2. Versuche dagegen,
wo die Nadel zu fern steht, das Bild der entsprechenden Seite. Man erinnere sich zu-
nächst an die Erfahrung, dass die Lage, in welcher uns Gegenstände erscheinen, die um-
gekehrte von der ist, in welcher ihr Bild auf der Netzhaut sich wirklich darstellt. Ver-
schwindet bei unpassender Nähe der Nadel das gegenüber liegende Bild, so musste das
Netzhautbildchen auf der Seite des verschlossenen Loches liegen, eine Anordnung, welche
nur möglich ist, wenn die gebrochenen Lichtstrahlen erst hinter der Netzhaut vereinigt
werden, wie Fig. 1 angibt. Wenn dagegen bei ungeeigneter Entfernung des Objectes
Verschluss eines Kartenloches das Bild der entsprechenden Seite verschwinden macht,
so müssen diessmal Kartenloch und Netzhautbildchen auf entgegengesetzten Seiten ge-
legen sein. Fig. 2 zeigt, dass dieser Fall durch eine Kreuzung der Lichtstrahlen vor der
Netzhaut bedingt ist. Beide Fälle beweisen also, dass das Licht zu naher und zu ferner
Objecte nicht auf der Netzhaut, sondern respective hinter und vor ihr vereinigt wird,
und zwar nach Gesetzen, welche durch die Theorie der Linsengläser gegeben sind."
(YolJrmann in Wagners Handwörterbuch B. III. S. 207.)
198
Augenmuskeln.
Durch Anwendung des Scheiner'sch.en Versuches auf das exstirpirte Auge eines weis-
sen Kaninchens hat Volkmann (Neue Beitr. zurPhysiol. des Gesichtssinnes, 1S36 S. 109)
nachgewiesen, dass Magendie, Ritter, Haldat u. A. Unrecht hatten, wenn sie behaupteten,
dass selbst im todten Auge die Bilder von Objecten der differentesten Distanzen gleich
deutlich entwarfen werden. Er liess Licht aus verschiedenen Entfernungen durch zwei
solche Öffnungen, wie heim Scheiner' sehen Versuche, in die Pupille fallen und beobachtete
die Lichtbilder am hintern Umfange des Bulbus. Bei einer bestimmten Entfernung
des Lichtes vom Auge gaben die beiden Offnungen nur Ein Lichtbild; bei Annäherung
des Lichtes bis auf nur einige Zoll, so wie bei beträchtlicher Entfernung desselben
entstanden zwei Lichtbilder. — Im Jahre 1850 habe ich mit meinem Assistenten Dr.
Seydl ähnliche Versuche, jedoch mit Menschenaugen vorgenommen. Der Bulbus — nach
Abstreifung des Epithels der Cornea — wurde auf einen Bing gelegt, dann in der Ge-
gend des hintern Poles ein Stück Sclera und Chorioidea entfernt. Zum Objecte wurde
grosse, von der Sonne beschienene Druckschrift gewählt; nur bei bestimmter Distanz
derselben von der Cornea, zwischen 5 und 9 Zoll, konnte der Beobachter die Buchstaben
von der Netzhaut ablesen.
„Es sei in Fig. 3 hlc eine Karte, in welche man ein feines Loch bei b gestochen,
und l und m zwei Stecknadeln, welche man, in einiger Entfernung hinter einander, in
der Visirlinie aufgerichtet hat. (MiWs Versuch.) Befindet sich nun m in passender Seh-
weite, und folglich l in zu grosser Ferne, so bemerkt man bei seitlicher Verschiebung
der Karte, dass die sich anfänglich deckenden Nadeln aus einander treten. Die in
passender Sehweite aufgesteckte Nadel m behauptet bewegungslos ihren Stand, die zu
fern liegende Nadel l dagegen bewegt sich mit dem Diopter in entsprechender Rich-
tung. — Befindet sich aber die entferntere Nadel in passender Sehweite und steht »i
dem Auge zu nahe, so dreht die Erscheinung sich um, die entfernte Nadel bleibt, wenn
der Diopter verschoben wird, ruhig, lind bloss das Bild der zu nahe gelegenen Nadel be-
wegt sich, diessmal in der entgegengesetzten Richtung des Kartenloches. — Die Erklä-
rung des Phänomens liegt offenbar in Folgendem. Abstrahirt man vom Einflüsse der
Karte, welche einen Theil des Lichtes auffängt, so sendet jede Nadel einen divergirenden
Lichtkegel ins Auge, dessen Basis die Weite der Pupille rs ist. Gesetzt, / befinde sich
in passender Sehweite, so würde das divergirende Strahlensystem rls bei e vereinigt.
Hier kann Verschiebung der Karte keine Verrückung des Netzhautbildes und folglich
auch keine Bewegung der durch dasselbe bedingten Gesichtserscheinung veranlassen.
Denn wenn die Diopteröffnung in der Weise verrückt würde, dass nur der Strahl lr ins
Auge fallen könnte, so müsste, weil e der Focus aller Strahlen ist, auch lr nach e kom-
men, wie die Figur angibt. Anders verhält es sich mit dem zu nahe liegenden Licht-
punkte m. Indem das von ihm ausgehende Licht erst hinter der Netzhaut bei x ver-
einigt wird, bildet sich auf dieser ein Zerstreuungskreis vom Durchmesser tu. Befindet
sich nun das Kartcnloch in der Verlängerung der Sehachse, so gelangt der Lichtstrahl
7nb nach e und die Bilder der Nadeln decken sich; verschiebt man nun die Karte so,
Physiologie — Accoiiiniodation. 199
dass nur der Strahl mr von m aus ins Auge gelangt, so schneidet der ausfahrende Strahl
7-x die Netzhaut bei t und die Nadelbilder trennen sich. Der Grund, warum in dem
einen Falle die Bewegung des Bildes der des Diopters folgt, in dem andern entgegenge-
setzt, ergibt sich aus dem, was bei Erörterung des Scheiner'scher) Versuches angegeben
wurde." (Volkma/in ibid. S. 299.*)
Jedes Auge hat vermöge seines Baues einen bestimmten Refrac-
tionszustand , gegeben durch die Krümmungs- und Brechungsverhält-
nisse seiner durchsichtigen Medien und durch die Distanz der Netzhaut
von dem Objective (Hornhaut, Kammervvasser und Linse). Verschieden-
heiten hierin bezeichnen wir mit den Ausdrücken: kurzsichtiger, nor-
maler und fernsichtiger Bau des Auges, ohne vorläufig anzugeben,
worin speciell diese Verschiedenheiten gegründet sind. Ehe wir dem-
nach in Betrachtung ziehen können, worin die jeweilige temporäre Ab-
änderung des Refractionszustandes behufs des Deutlichsehens für ver-
schiedene Distanzen — die Accommodation — bestehe, müssen wir erst
untersuchen, für welche Distanz das normale Auge an und für sich,
d. h. vermöge seines Baues eingerichtet sei. Man könnte sich nämlich
denken, der Refractionszustand des normalen Auges entspreche einer
gewissen mittlem Distanz, und es müsse derselbe verändert werden,
nicht nur wenn nähere, sondern auch wenn entferntere Objecte deut-
lich gesehen werden sollen; oder es könnte sich ergeben, dass das
Auge im ruhenden Zustande — ohne Zuthun der accommodativen
Thätigkeit — für parallele Strahlen, mithin für unendlich oder doch
sehr ferne Objecte eingerichtet sei, und eine Accommodation nur für
näher gelegene Objecte gefordert werde. Wir werden aber nachzu-
weisen versuchen, dass der Refractionszustand normaler Augen für
mittlere Distanzen eingerichtet ist, dass für grössere Distanzen eine
Abänderung nicht stattfindet, sehr entfernte Objecte demnach nicht auf,
sondern ein wenig vor der Netzhaut abgebildet werden, und dass eine
Abänderung im Refractionszustande nur behufs des Deutlichsehens
näher gelegener Objecte erfolgt, so dass demnach der Ausdruck: „das
Auge accommodirt sich" nichts Anderes bedeutet, als : das Auge ändert
seine dioptrischen Verhältnisse behufs des Deutlichsehens naher Objecte.
Die Brennweite der Hornhaut sammt dem Kammerwasser und der
Linse beträgt im normalen Auge kaum jemals weniger als 6'", niemals
mehr als 1'". (Achse des Glaskörpers.) Das Objectiv des normalen
Menschenauges ist demnach eine Sammellinse von kurzer Brennweite.
*) Sehr ausführlich, klar und genau hat mein, der Wissenschaft leider zu früh entrissener Freund Dr.
Herrn. Mayer in Komotau die Erscheinungen beim Schei?ier'schen und Ift'Z^'schen Versuche als Be-
weismittel für das Bestehen einer willkürlichen Accommodation in der Prager medic. Vierteljahr-
schrift Bd. 25 (1S50) und Bd. 32 (1S51) erörtert.
200 Augenmuskeln.
Bei Linsen von kurzer Brennweite tritt aber eine merkliche Zunahme
der Vereinigungsweite oder Bilddistanz nur bei kürzeren Object-
distanzen hervor, werden demnach auch erhebliche Veränderaugen in
dem Refractionszustande, z. B. erhebliche Rückstellung des Schirmes,
nur behufs der Abbildung naher und sehr naher Objecte nothwendig.
Hätte das Objectiv des menschlichen Auges eine noch kürzere Brenn-
weite, etwa nur von 3"', dann würde die Vereinigungsweite für Objecte
sehr verschiedener Distanzen einen noch viel geringeren Spielraum
darbieten, es würden, wie H. Mayer durch Versuche ermittelt hat, die
Bilder von Objecten aus 7" Distanz nur etwa V10"' weiter rückwärts
entworfen werden, als die Bilder von unendlich entfernten Objecten.
Bei einer Linse von 6,72"' Brennweite ist aber eine Veränderung der
Vereinigungsweite (Verschiebung des Schirmes, der Netzhaut) von nicht
viel über iJ2ut hinreichend, wenn sowohl von solchen Objecten, deren
Strahlen als nahezu parallel betrachtet werden können, als auch von
solchen, die nur 5" entfernt sind, deutliche Bilder entworfen werden
111
sollen. Nennen wir in der bekannten Formel — = -r- die Bild-
a b a
distanz a, die Objectdistanz a, und b = 6V2"' die Brennweite der
Sammellinse unseres Auges, und substituiren wir in der Gleichung
a = . x = j- nach und nach verschiedene Werthe von a, sa
a — 0
erhalten wir beispielsweise folgendes Schema:
Ist « =
'5
a =
a =
cc =
a =
a =
a =
00
so
ist
a = 6,5000"'
Ist
a = 40" so
ist
a
= 6,5881"'
1000'
jj
jj
a = 6,5003'"
j>
a = 20" „
jj
a
== 6,6809'"
500'
?>
jj
a = 6,5005'"
jj
a=15" „
jj
a
= 6,7435'"
100'
jj
jj
a = 6,5029'"
jj
a=10" „
jj
a
= 6,8722'"
20'
jj
jj
a = 6,5146'"
jj
«= W' „_
jj
a
= 7,0059'"
10'
jj
jj
a = 6,5294'"
jj
a= 5" „
jj
a
= 7,2897'"
5'
jj
jj
a = 6,5592'"
ist a = 4" so i
st a
= 7,5180'"
.
, et O „ ,
j a
= 7,9322"'
, a
= S,942S'"*)
Für alle über 5 Fuss betragenden Objectdistanzen ist der Durch-
messer der Pupille relativ so klein, dass die Strahlen, welche von
*) 0,45ö5 Wiener Linien = 1 Millimeter; 12'" = 1", 12" = 1'. Dieses Schema kann allerdings nicht
streng auf das Auge angewendet werden , da dessen Sammellinse eine zusammengesetzte ist , es
handelt sich hier aber auch nur um eine annäherungsweise Angabe oder um eine Hinweisung auf
ein Analogon.
Physiologie — Acconimodatiou. 201
irgend einem Punkte aus solchen Entfernungen auf das entsprechende
Hornhautareal fallen, als zu einander (zum Achsen- oder Richtungs-
strahle) nahezu parallel betrachtet werden können. Dass dem wirklich
so sei, zeigt schon die Möglichkeit, ein Auge, welches auf mindestens
5 Fuss Distanz accommodirt ist, mit dem Augenspiegel im aufrechten
Bilde ohne Concavglas zu untersuchen. (Vergl. oben S. 83 und die
zugehörige Figur auf S. 78.)
Richten wir den Blick auf ein nahes kleines Object, z. B. auf
einen Buchstaben, so liegt es in unserer Willkür, bei unveränderter
Distanz ihn deutlich oder undeutlich zu sehen, sobald die Distanz nicht
weniger als 5 und nicht mehr als 12—15 Zoll beträgt. Es wird diess
dadurch ermöglicht, dass man bei unverrücktem Blicke auf das Object
sein Auge in jenen Zustand versetzt, in welchem es sich beim ge-
dankenlosen Vor-sich-hin-starren befindet; hiebei wird das Object un-
deutlich, auch wenn es in der gehörigen Distanz, z. B. 8 Zoll, und
gegenüber der Macula lutea liegt, es bekommt prismatische Farben-
saume, erscheint wohl auch 2 — 3fach.
Auf eine sehr einfache Weise lassen sich die dabei vorkommenden Phänomene an
einem einfachen verticalen oder horizontalen feinen Striche (mit Tinte aiif weissem Pa-
piere) beobachten ( \ \- ). Zuerst betrachte man eine jede dieser Figuren in zu grosser
Nähe, etwa bei 4 Zoll Distanz. An der Stelle des verticalen Striches sieht man jetzt
5 Streifen, in der Mitte einen ziemlich schwarzen, dann zwei orangengelbe , zu äusserst
2 blaue, alle ohne scharfe Begrenzung. Mit dem rechten Auge sehe ich nur den einen
blauen Streifen (links), und glaubte, ehe ich auf die blaue Färbung gehörig aufmerkte,
zwei dunkle Streifen zu sehen , besonders wenn ich mein Auge nur auf etwa 5 Zoll
näherte. Je näher man dem Objecte rückt, desto breiter und undeutlicher werden die
Streifen, je weiter man sich entfernt, desto schmäler und markirter, bis man endlich
zu einer Distanz (5 Zoll für das normale Auge) kommt, wo man im Stande ist, den
schwarzen Strich einfach und deutlich zu sehen. Nun kommt ein gewisser Spielraum
(bei meinem Auge zwischen 6 und 12 Zoll), wo man nach Willkür die eine oder die
andere Erscheinung hervorrufen kann , nämlich den Strich deutlich oder mit Farben-
säumen (scheinbar doppelt oder 3fach) zu sehen, je nachdem man scharf fixirt oder den
Blick gleichsam vor sich hinstarren lässt. Bei 8 Zoll Distanz kann ich die Streifen viel
weiter aus einander treten machen, als bei 10 Zoll, und bei mehr als L2 Zoll bin ich,
ohne die Sehachse zu verrücken, auf keine Weise mehr im Stande, das Phänomen des
Undeutlich-, Farbig- und Mehrfachsehens hervorzubringen. Ich kann von da ab bis zu
20 Zoll und darüber den Strich immer nur einfach und schwarz sehen , bis er endlich
bei circa 30 Zoll trotz aller Anstrengung constant undeutlich zu werden anfängt. — •
Befindet sich das fixirte Object, z. B. ein Punkt (.), näher als 5 Zoll vor dem Auge, so
fällt die Yereinigungsweite der von ihm ins Auge gelangenden Strahlen hinter die Netz-
haut, diese wird mithin nicht von der Kegelspitze, sondern von dem Kegelquerschnitter
also von einem Zerstreuungskreise getroffen, welcher farbig erscheint, weil eben die ver-
schieden brechbaren blauen, gelben und rothen Strahlen noch nicht wieder vereinigt sind.
Wenn aber der fixirte Punkt sich in einer Distanz befindet, in welcher unter Zuthun.der
202 Augenmuskeln.
accommodativen Thätigkeit Deutlichsehen stattfinden kann, z. B. bei 7 Zoll, der Expe-
rimentator aber absichtlich die Accommodationsorgane nicht in Wirksamkeit treten lässt,
so fällt die Yereinigungsweite gerade so wie im vorigen Falle hinter die Netzhaut (das
Object liegt relativ zu dem jetzigen Refractionszustande des Auges zu nahe), und es
tritt dieselbe Erscheinung auf, die am meisten brechbaren blauen Strahlen erscheinen
an der Peripherie des Kegelquerschnittes. Das Auge hat sich dabei freiwillig der Adap-
tation begeben. Wird nun das Object so weit gerückt, dass die von ihm ausgehenden
Strahlen schon vermöge des Baues des Auges ihre Yereinigungsweite in der Netzhaut
finden, so hört der Einfluss der Willkür auf, das Auge müsste denn im Stande sein, sich
für eine geringere Distanz einzurichten, was ich nicht kann, ohne ein anderes Object,
etwa eine Nadelspitze, zwischen jenes Object und das Auge einzuschieben. Die Strahlen
des in Bede stehenden Punktes würden sich dann vor der Netzhaut vereinigen, und die
Begenbogenfarben müssten in umgekehrter Ordnung auftreten, die blauen nach innen,
die rothin nach aussen.
Ich halte diesen Versuch, bei welchem sich ein nebenstehender Beobachter leicht
überzeugen kann, dass die Sehachse des experimentirenden Auges nicht verrückt wird,
und bei welchem die Pupille während des Deutlichsehens etwas enger, während des
Undeutlichsehens etwas weiter wird, für mindestens eben so beweisend, dass wir eine
Accommodation und zwar eine willkürliche besitzen , als die Versuche von Scheiner und
Mil€, bei welchen noch manche andere Verhältnisse in Betracht kommen. Er zeigt uns
unter ganz natürlichen Verhältnissen an, bis zu welcher Grenze ein Object, so fern es
nicht an und für sich zu gross ist, dem Auge genähert werden kann, bevor es anfängt
(wegen fehlerhafter Vereinigungsweite) undeutlich zu werden ; er zeigt uns die durch die
dioptrischen Verhältnisse gezogene diessseitige Grenze oder den Nahepunkt des deutlichen
Sehens. Nach einer andern Richtung hin lehrreich finde ich Versuche mit einer ein-
fachen Kerzenflamme. Diese sehe ich nicht nur bei 5, sondern auch noch, bei 3 Zoll
Distanz einfach und scharf begrenzt. Diess enthält einen Widerspruch mit dem Vorher-
gehenden, jedoch nur scheinbar. Die Pupille wird nämlich bei dieser ^Annäherung des
(starken) Lichtes so eng, dass die Spitze des inneren Lichtkegels hinter die Netzhaut
fällt, doch sein Querschnitt auf der Netzhaut sehr klein ausfällt, auf dieselbe Weise, wie
wir durch Vorhalten einer kleinen Kartenblattöffnung vor die Hornhaut sogleich bewirken
tonnen, dass ein zu nahe, z. B. 3 Zoll vorgehaltener Buchstabe vollkommen deutlich
wird (Einschränkung der Zerstreuungskreise). Wahrscheinlich kommt hier auch der Um-
stand in Anschlag, dass das Bild einer Kerzenflamme bei so grosser Nähe bereits einen
so grossen Theil der Netzhaut einnimmt, dass seine Peripherie bereits auf Netzhautpar-
tien fällt, welche schon weit von der Macula lutea entfernt sind, für welche mithin die
Erregung durch den Zerstreuungskreis schon viel zu schwach ist, als dass sie sich im
Bewusstsein gegenüber der ungleich stärkern Erregung des Centrums der Netzhaut gel-
tend machen könnte. Trete ich nun allmälig von der Flamme zurück, so bleibt sie
deutlich (scharf begrenzt) bis zur Distanz von 5 Fuss. Will ich während dieses Zurück-
weichens das Phänomen des Undeutlichsehens hervorrufen, so bringe ich es bei 7 — 10
Zoll wohl zu Stande, jedoch nur so, dass ein schwacher Hof erscheint, offenbar desshalb,
weil bei so naher Lichtquelle die Netzhaut vor der intensiv beleuchteten Mitte des Kegel-
querschnittes zu stark erregt ist, als dass die schwächer beleuchtete Peripherie eine hin-
reichend starke Empfindung bewirken könnte, wobei wohl auch noch in Betracht kommt,
dass beim künstlichen Lichte die Zahl der brechbarsten blauen Strahlen eine relativ sehr
geringe ist. Bin ich über 5 Fuss Distanz weg gerückt, so werden die Contouren der
Physiologie — Aeconimodatioii. 203
Flamme verwischt und die schmale Spitze erscheint zwieselig, dann (weiter) wird die
Flamme von zwei matten seitlichen Nebenflammen, später aber ringsum von einem immer
breiteren Hofe umgeben, bis endlich ein förmlicher Strahlenkranz (wie bei den Sternen)
erscheint, der die nun kleiner erscheinende Flamme speichenartig umgibt. Dass diese
Erscheinungen um die Flamme Zerstreuungskreise wegen nicht entsprechender Vereini-
gungsweite sind, scheint mir dadurch bewiesen zu werden, dass sie nicht auftreten , so-
bald man vor das Auge die enge Öffnung eines Kartenblattes oder ein entsprechendes
(schwaches) Concavglas vorhält.
Der Versuch mit einer Kerzenflauime ist meines Erachtens geeig-
net zu zeigen, dass unser Auge an und für sich nicht für völlig paral-
lele Strahlen oder für unendlich weite Distanzen eingerichtet ist^ son-
dern für Strahlen, die noch ein wenig divergiren, für Strahlen aus
ungefähr 5—6 Fuss Entfernung, und dass alle weiter entfernten Ob-
jeete streng genommen schon mit mehr weniger beträchtlichen Zer-
streuungskreisen gesehen werden, d. h. dass Strahlen, welche von
einem über diese Distanz entfernten Punkte in unser Auge gelangen,
schon mehr weniger weit vor der Netzhaut vereinigt werden. Bei sehr
grossen Distanzen fallen die Zerstreuungskreise schon so beträcht-
lich aus, dass sie stark in einander greifen und das Deutlichsehen
verhindern; bei geringeren Distanzen, z. B. 20, 15 Fuss, ist die licht-
ärmere Peripherie relativ zum helleren Mittelpunkte des Kegelquer-
schnittes nicht nur viel zu schmal, sondern auch viel zu lichtarm, als
dass die durch diese Peripherie gesetzte Erregung der Netzhaut sich
neben der durch das Centrum gesetzten in der Wahrnehmung geltend
machen könnte.
Wir dürfen übrigens bei unseren Betrachtungen über die Accommo-
dation und das deutliche Sehen einen Umstand nicht ausser Acht las-
sen, der bei allen Sammellinsen stattfindet. Die Vereinigungsweite der
Lichtstrahlen kann nämlich streng genommen nicht als ein Punkt, son-
dern muss als eine Linie (die Brennliniej aufgefasst werden, als eine
Pieihe hinter einander gelegener Punkte, welche bei ein und derselben
Linse um so länger ausfällt, je grösser die Öffnung der Linse (Pupille)
ist, und je mehr sich die einfallenden Lichtstrahlen dem Parallelismus
nähern, d. h. je grösser die Objectdistanz ist. Anschaulich machen
kann man sich die hier obwaltenden Verhältnisse, welche sich übrigens
streng mathematisch nachweisen lassen, in dem von Czennak ange-
gebenen Experimente mit einem horizontal vor dem Auge aufgespann-
ten weissen Faden. Fixirt man an diesem z. B. einen 10" eutf ernten
Punkt, so erscheint der Faden eine kurze Strecke vor und eine merk-
lich längere Strecke hinter diesem Punkte noch einfach; weiter von
jenem Punkte entfernt, und zwar sowohl diess- als jenseits erscheint
204 Augenmuskeln.
dann der Faden doppelt (in Zerstreuungskreisen), und weichen die
Doppelbilder diessseits sehr rasch, jenseits sehr allniälig auseinander.
Wird ein nur 6" entfernter Punkt fixirt, so erscheint der Faden nicht
nur diess-, sondern auch jenseits viel früher doppelt, als im vorigen
Falle. Auf demselben Gesetze beruht auch die bekannte Erscheinung,
dass man in einem Zimmer die Brennweite eines starken Convexglases
viel leichter bestimmen kann, als die von schwachen Nummern, wenn
man das Bild der Fensterrahmen auf der gegenüberstehenden Zimmer-
wand benützt.
Es ist somit dem normalen Auge ohne alles Zuthun der accommo-
dativen Thätigkeit schon durch die angegebenen physikalischen Ver-
hältnisse ein grosser Spielraum in der Weite des deutlichen Sehens
dargeboten, indem 1. sein Objectiv von kurzer Brennweite für die
Distanzen von 5' bis <x> nicht einmal 6 Hundertstel einer Linie Ab-
änderung in der Vereinigungsweite verlangen würde, 2. Strahlen von
einem über 5' entfernten Punkte auf ein relativ so kleines Hornhaut-
areal fallen, dass sie bereits als zum Achsenstrahle nahezu oder völlig
parallel betrachtet werden müssen, 3. die Vereinigung der Lichtstrahlen
streng genommen nicht in einem Punkte, sondern in einer Keine hinter-
einander gelegener Punkte stattfindet, welche um so länger ausfällt,
je grösser die Objectdistanz ist, und 4. die Zerstreuungskreise, welche
bei grösseren Distanzen der leuchtenden Punkte auf der Netzhaut ent-
stehen, für massige Entfernungen verschwindend klein und matt aus-
fallen, daher nicht empfunden werden.
In diesem letzteren Momente ist nun auch die Fähigkeit gegeben,
im Fernsehen eine Schärfe zu erlangen, welche das normale, jedoch im
Fernsehen nicht geübte Auge nicht besitzt. Diese Schärfe im Fernsehen
setzt nicht nur die grösste Feinheit des Gesichtssinnes voraus, d. h. die
Fähigkeit, zwei nahe an einander abgebildete Punkte noch als getrennt
aufzufassen, welche wir auch für's Nahesehen bei verschiedenen Indi-
viduen verschieden ausgebildet finden (theils durch die Organisation
der Netzhaut, theils durch Übung), sondern auch die Fertigkeit, von
Zerstreuungskreisen zu ubstrahireti , die Wahrnehmung derselben zu
ignoriren (unterdrücken), nur die relativ am intensivsten beleuchteten
Centra der Kegelquerschnitte allein zur Wahrnehmung gelangen zu
lassen. Die oben angegebene Distanz von beiläufig 5 — 6' ist demnach
nicht der Fernpunkt des ruhenden (nicht in accommodative Thätigkeit
versetzten) Auges, sondern gewissermassen der Mittelpunkt des deut-
lichen Sehens der durch den Bau des Auges gegebenen Sehweite. Die
Lage des Fernpunktes der deutlichen Sehweite hängt nicht bloss von
Physiologie — Accoiiiniodation. 205
der Yereinigungs weite der Lichtstrahlen ab, sondern auch von der Grösse
und Beleuchtung der Objecte und von der Fähigkeit der Netzhaut,
Objecte unter einem möglichst kleinen Sehwinkel noch zu unterschei-
den und von Zerstreuungskreisen zu abstrahiren. Ein Auge, welches
in allen Distanzen zwischen 5 und 45 Zollen Druckschrift von l/;yHöhe
deutlich und sicher lesen kann, hat gewiss eine ganz gute Sehweite,
aber vielleicht nur für's Erkennen kleiner und naher Objecte; denn es
kann trotzdem seine Sehweite für grössere Entfernung eine mittelmässige
sein, und es vermag vielleicht die Zeiger einer Thurmuhr auf 2000
Schritte nicht zu erkennen, während ein anderes, das beim Lesen auch
nicht mehr leistet, dieselbe Uhr unter denselben Verhältnissen auf
3000 Schritte bestimmt erkennt.
Die Accommodation oder Einstellung des Auges für nahe Objecte
geschieht durch Verlängerung des Bulbus in der Sehachse, durch Zu-
rückdräugung der hintern Wand des Bulbus, durch Rückstellung der
Macula lutea und ihrer Umgebung. Die vermittelnden Organe hiezu sind
einerseits die geraden und schiefen Augenmuskeln, andererseits der Ci-
liarmuskel , indem sie gleichzeitig in erhöhte Spannung verset&t werden.
In dem Momente, wo der Impuls zum Nahesehen vom Sensorium com-
mune ausgeht, gerathen sämmtliche Recti und Obliqui in erhöhte Span-
nung und comprimiren den Bulbus so, dass seine Äquatorialdurchmesser
entsprechend kürzer werden. Der zum Ausweichen bestimmte, weil
incompressible Glaskörper drängt rück- und vorwärts. Sein Andrang
nach vorn wird aber verhindert oder ausparirt, indem das vor ihm be-
findliche Diaphragma durch den gleichzeitig in erhöhte Contraction ver-
setzten Ciliarmuskel in adäquate Spannung gebracht wird. Also muss
der gesammte Druck nach hinten gehen, die Retina sammt der Cho-
rioidea und Sclera zurückweichen. Die Hornhaut bleibt dabei ge-
wiss, die Linse höchst wahrscheinlich in ihrer Form und Lage un-
verändert. Ist letzteres richtig, dann bleibt der optische Mittelpunkt
oder Kreuzungspunkt der Richtungslinien dabei unverrückt. Die gleich-
zeitig erfolgende Verengung der Pupillle ist eine einfach concomi-
tirende Erscheinung, welche die Accommodation nicht vermittelt, nur
begünstigt.
Diese Ansicht über die Accommodation ist der Hauptsache nach nicht neu. Schon
Kepler scheint sich für Verlängerung der Sehachse behufs des Nahesehens entschieden
zu haben. Hätte man die Anwesenheit und Function des Ciliarmuskels früher gekannt,
und hätte man sich über Lage und Thätigkeit der geraden und schiefen Augenmuskeln
nicht irrige Vorstellungen gemacht, so würde man sich wohl die mannigfachen Einwen-
dungen dagegen erspart haben. — Wenn man meinte, die Recti müssten bei vereinter
"Wirkung den Bulbus zurückziehen, so übersah man die antagonistische Wirkung der
206 Augenmuskeln.
Obliqui. Von einer Abplattung des Bulbus durch das retrobulbäre Fettpolster könnte,
auch wenn man eine Zurückziehung zugäbe, dennoch nicht die Rede sein, da jenes
elastische Gewebe jedenfalls viel weniger resistent ist, als der Bulbus. — Dass der Bul-
bus durch die vereinte "Wirkung der Obliqui der verticalen Medianebene genähert wer-
den könne, ist unmöglich, weil die Obliqui sich unweit vom hintern Ende der Sehachse
inseriren, also nur dieses, nicht aber die ganze Achse und mit ihr den Mittelpunkt des
Auges einwärts rücken können. — Die Veränderlichkeit der Form des Bulbus konnten
nur jene in Abrede stellen, welche sich denselben als bis aufs Höchste gefüllt dachten
und selbst die bekannte Thatsache nicht beachteten, dass man die Hornhaut schon durch
einen leichten Druck mit dem Finger abplatten, und auf diese Weise den Refractions-
zustand ändern kann, wie diess Kurzsichtige in Ermanglung einer Brille zu thun
pflegen. — Die Möglichkeit einer Compression des Bulbus durch die Recti und Obliqui
konnte man nur dann bezweifeln, wenn man die Ursprungs- und Anheftungsstellen dieser
Muskeln und ihren gekrümmten Verlauf zum Bulbus nicht genau kannte, und demge-
mäss von tangentialer Richtung derselben zum Bulbus sprach, oder wenn man sich,
wie z. B. Stellwag gethan *), eine ganz unrichtige Zeichnung vom Bulbus und den Mus-
keln machte, in dieser das Parallelogramm der Kräfte verzeichnete, und daraus mittelst
Rechnung folgerte : die hier geforderte Formveränderung des Bulbus sei unmöglich. —
Einseitiger Druck auf die Bulbuswand und Retina, und sofort Entstehen subjectiver
Lichterscheinungen war bei zugestandener Einwirkung der Muskeln auf den Bulbus nur
für jene zu besorgen , welche meinten , es könne ein Muskel allein oder überwiegend
auf den Bulbus drücken, es könne z. B. während der Verkürzung des R. internus der
R. externus erschlafft sein und somit der R. internus allein auf den Bulbus drücken. —
An Form- und Lageveränderung der Cornea und selbst der Linse war allerdings zu
denken, so lange man nicht wusste, dass der Ciliarmuskel durch adäquate Spannung der
Scheidewand zwischen Humor aqueus und H. vitreus den Einfluss der Recti und Obliqui
auf dieselben aufwiegt, oder doch auf ein Minimum reducirt. A priori musste man
dann aber, wenn eine solche adäquat gespannte Scheidewand nicht angenommen wurde,
wohl eher an Abplattung als an erhöhte Wölbung der Cornea denken; denn nach Weg-
fall jener Scheidewand müsste die besondere Wölbung der Cornea in die allgemeine des
Bulbus, der Sclera übergehen. — Ein von Ruete vorgebrachter Einwurf, dass nämlich
nach Aufhebung der Accommodation in Folge von Belladonna oder trotz plötzlich ein-
getretener Kurzsichtigkeit dennoch die Bewegungen des Bulbus vollkommen frei von
Statten gehen, würde auch dann, wenn man annähme, dass die das Auge bewegenden
Muskeln ganz allein die Accommodation vermitteln, durchaus nichts beweisen, weil Herab-
setzung oder Steigerung des Tonus der Muskeln ihre Verkürzungs- und Verlängerungs-
fähigkeit nicht aufhebt. Um bei einem schon einmal gebrauchten Vergleiche zu bleiben :
wenn zwei Gewichte an einer über eine Rolle verlaufenden Schnur befestigt sind, so
können sie in jeder beliebigen Stellung stehen bleiben, gleich hoch, eines tiefer, eines
höher, sofern sie gleich schwer sind ; ob jetzt jedes Gewicht = 1 Loth oder = 1 Pfund,
das ändert in der Beweglichkeit nichts, wenn wir von der Reibung zwischen Spindel
und Rolle absehen; im erstem Falle ist die Spannung der Schnur und somit auch der
Druck auf die Rolle geringer; die Drehung der Rolle erheischt in dem einen Falle nicht
mehr Kraft als in dem andern. — Auch das angebliche unveränderte Fortbestehen der
accommodativen Thätigkeit nach Durchschneidung eines oder des andern Augenmuskels
*) Denkschriften der kaiserl. Akademie der Wissenschaften. Wien, 1S53. Juli, Bd. V.
Physiologie — Accoiiiiuodation. 207
kann nicht als Beweis gegen den Einfluss der Augenmuskeln auf die Accommodation
dienen, denn niemals ist es ein Muskel allein, der in erhöhte Spannung geräth , und
■wird der Ausfall des einen noch immer mehr weniger genügend durch andere gedeckt,
■wie aus dem früher Gesagten hinreichend erhellt, und zweitens wird der Bulbus dem
. Einflüsse des durchschnittenen Muskels nicht so leicht ganz entzogen , wie wir bei der
Betrachtung der Schieloperation sehen werden. Übrigens hat A. von Gräfe, an dessen
ssactei Beobachtung wohl niemand zweifeln wird, im Archiv für Ophthalmologie B. I.
Abth. I. sich über den Einfluss der Becti und Obliqui auf die Spannung des Bulbus so
klar und bestimmt ausgesprochen , dass ich hier kaum etwas Besseres thun , als einige
Stellen wörtlich citiren kann. ,,Bei den aecommodativen Bewegungen treten alle Augen-
muskeln mehr in "Wirksamkeit und wenn der eine oder der andere für die Stellung der
Hornhaut den Ausschlag gibt, so ist diess die Folge der überwundenen, aber dennoch
fortexistirenden Besistenz seitens der andern Muskeln. Hiefür geben namentlich Fälle
von Muskellähmungen schöne Belege. Während in solchen Fällen die Einrichtung des
Auges bei der assoeiirten Bewegung nach einer gewissen Bichtung vollkommen normal
sein kann, weicht nicht selten das Auge ab, wenn wir ganz dieselbe Bichtung behufs
der Accommodation für einen nahe liegenden Gegenstand in Anspruch nehmen, weil sich
bei höherer Spannung sämmtlicher Augenmuskeln der ausbleibende Zug des gelähmten
Muskels störend für die Stellung des Auges herausstellt, während derselbe Muskel bei
den seitlichen Bewegungen im Zustande physiologischer Erschlaffung ist, und desshalb
die aufgehobene Innervation desselben keine Störungen macht. Ebenso habe ich neuer-
dings durch Beobachtungen des Yenenpulses auf der Netzhaut Gelegenheit gehabt, mich
davon zu überzeugen, dass dieser Puls bei Accommodation in die Nähe zunimmt, was
entschieden für die Vermehrung des seitlichen Muskeldruckes spricht." (S. 36). — „Han-
delt es sich einfach um die Richtung der Sehachse, so ist hiezu keine besondere Energie
seitens der Augenmuskeln nöthig, denn das Auge ist eine leicht bewegliche, um ihr
Centrum drehbare Kugel. Handelt es sich dagegen um die Accommodation für die Nähe,
so gerathen alle Muskeln, wenn auch in verschiedenem Grade, in Spannung und üben
einen seitlichen Druck auf den Bulbus aus. Hiebei zeigt sich nicht selten die Insuffi-
cienz des paretischen Muskels; so kommt es zuweilen bei pathologischer Schwäche des
Abducens vor, dass beim gleichzeitigen Gebrauch beider Augen ein geradeaus vor dem
Kranken liegender entfernter Gegenstand richtig fixirt wird, während bei Annäherung
desselben auf dem erkrankten Auge pathologische Convergenz sich einstellt. Noch be-
weisender sind Experimente mit Brillengläsern, weil hiebei auch die Sehachse des ge-
sunden Auges nicht verrückt, demnach auch jede synergische Muskelcontraction an
dem erkrankten Auge vermieden wird; setzt man z. B. dem erwähnten Kranken eine
Concavbrille auf und zwingt hiedurch die Augen , bei gleichbleibender Stellung des
Objectes einen höheren Brechzustand anzunehmen, so sieht man die pathologische Ab-
lenkung eintreten, oder eine vorhandene sich vermehren. Dasselbe sah ich einige
Male bei Lähmung des R. superior oder inferior, wo für ein entferntes geradaus lie-
gendes Object ebenfalls die Sehachse eingerichtet werden konnte, während sie bei An-
näherung desselben an das kranke Auge dem paralysirten Muskel entgegengesetzt ab-
wich." (S. 53).
Eine merkliche Einschränkung oder selbst Aufhebung der Accommodation ist dem-
gemäss bisher bloss bei Lähmung mehrerer Muskeln beobachtet worden. Dass bei Läh-
mung sämmtlicher vom N. oculomotorius versorgten Muskeln die Accommodation aufgehoben
oder doch sehr geschwächt sei, darin stimmen alle bisher bekannt gewordenen Beobach-
208 Augenmuskeln.
tungen überein ; rar Ruete will in einem Falle das Gegentheil beobachtet haben, und be-
ruft sich in der 2. Auflage seines Lehrbuches S. 179 auf eine gleiche, noch nicht ver-
öffentlichte Beobachtung von H. Müller. Wenn ich recht verstehe, so ist der Fall, au
den sich Ruete bezieht, derselbe, welchen R. Ulrich in seiner Prof. Ruete gewidmeten
Schrift: „De catoptrices et dioptrices in oculorum morbis cognoscendis usu atque utili-
tate" als Beweis anführt, dass die Accommodation nicht von den Augenmuskeln abhänge.
Ein 22 Jahre alter Schuster bot angeblich seit seinem 3. Lebensjahre nach überstandenen
Masern eine vollständige Lähmung sämmtlicher Augenmuskeln mit Ausnahme des Obl. su-
perior dar. „Praeter musculos levatores palpebrarum ceteri quoque musculi, qui nervi
oculomotorii ramis gaudent et musc. recti externi in ambobus oculis paralysi erant
affecti. Axes optici in parallelismum atque etiam in divergentiam erant directi, ne-
que recta introrsum aut extrorsum aut sursum aut denique deorsum, neque deorsum
et introrsum aut sursum et introrsum aut denique sursum et extrorsum pupilla volvi
poterat. Baibus oculi, id quod ex experimentis saepissime institutis patefactum est
atque aperte poterat distingui, circa eum solum axin, qui oblique ab exteriore cor-
neae parte ad interiora et posteriora horizontaliter tendit , musculi obliqui superioris
actione deorsum et extrorsum circumgyrabatur , qua in rotatione semper segmentum
eirculi, qui ex centro pupillae oblique extrorsum actus potest cogitari , sequi vide-
batur. Papula non solum propriis motibus normalibus gaudebat atque extracto bella-
donuae instillato justo modo poterat dilatari, sed vel potius tarn vivaces prae se ferebat
oscillationes , ut hippum fere aequarent. Neque vero oculorum sensibilitas optica, neque
facultas illa peculiaris variis rerum distantiis sese accommodandi ullo modo perturbata ac
diminuta erat; imo vero tanta aderat, ut aciculam Hlmm tantum ab oculis remotam
probe posse discerni, experimenta Myopometri ope instituta palam facereut. Objecta, quae
propius oculis admovebantur , geminata apparebant; omnia vero et cominus et eminus
collocata, eo situ, quo revera utebantur, in conspectum veniebant, ita ut erecta erecto
quoque situ, inversa inverso pei-ciperentur. — Quae omnia quum ita se haberent, paraly-
seos causam in cerebro esse sitam , nemo est, qui neget. Hac autem ex morbi historia
multa eaque gravissima, quae physiologiam informent, possunt repeti et concludi: I. Ee-
pugnat haec observatio eorum opinioni, qui mutationes illas oculorum internas in bulbi
musculorum actione positas esse volunt. II. Neque minus eorum conjecturam refutat, qui
eorundem musculorum opem requiri opinantur, ut res eo situ, quo revera gaudent, per-
cipiantur. III. Maxime probabile reddit, iridem ad motum incitari haud fibris crassio-
ribus, sed potius fibrillis tenuioribus nervi oculomotorii, quae radice brevi ganglii ciliaris
intercedente, a nervo sympathico in ipsum immittuntur."
Diese Beobachtung scheint mir bei weitem nicht so exact zu sein, um für das in Rede
stehende Thema überhaupt benützt werden zu können. Zunächst ist es durchaus uner-
wiesen , dass die Ursache der Lähmung im Gehirne lag, müsste sogar, wenn man diess
annähme, ein anderweitig erwiesener Satz aufgegeben werden, der nämlich, dass die
Kreisfasern der Iris unter dem Einflüsse des N. oculomotorius stehen. Denn, wie war
es möglich, dass die Bewegungen der Iris sich in jeder Beziehung normal verhielten,
wenn eine centrale Lähmung des N. oculomotorius stattfand? Lag aber, und das ist ge-
wiss, kein Centralleiden zu Grunde, dann fragt sich's, ob die Bulbi fix standen wegen
Muskellähmung oder wegen eines andern, vielleicht mechanischen Hindernisses in der
nächsten Nähe des Bulbus. Wir wollen hier noch nachholen, dass der Kranke angeb-
lich während der Masern an einer Entzündung der Augen gelitten hatte. Ich wüsste
nicht, wo und was für ein Leiden in der Schädelhöhle im Stande wäre, eine beidersei-
Physiologie — Accommodation. 209
tige Lähmung gerade nur des 3. und 6. Hiinnerven bei Integrität aller übrigen sensitiven
und motorischen Nerven und der Geistesfunctionen etc. hervorzurufen. — Der Kranke
konnte accommodiren; -wir haben keine Ursache, diess zu bezweifeln. Die Accommoda-
tion ist ein Act der Willkür. Wenn nun der N. oculomotorius central gelähmt war, wo-
durch sollte noch eine, die Accommodation vermittelnde Veränderung im Innern des Bul-
bus bewirkt werden können, da nun in den Ciliarnerven keine dem Willenseinflusse ge-
horcbenden Fasern mehr thätig sein konnten? Schliesslich wollen wir nur noch hervor-
heben, dass auch das unter II. aufgestellte Corollarium von Ulrich unrichtig ist; denn
wenn im normalen Zustande die Augen nach links bewegt werden, und hieraus die Vor-
stellung entsteht, dass das Object, dem die Macula lutea jetzt zugelenkt wird, links von
der senkrechten Medianebene gelegen war, so musste hier zu demselben Behufe der ganze
Kopf links bewegt werden , blieb somit das Verhältniss zur Vorstellung im Wesentlichen
dasselbe. (Yergl. B. III. S. 49.)
Übrigens ist aus Ruete's Angaben, wenn er behauptet, eine Schwächung des Accom-
modationsvermögens nach vollkommener Lähmung aller Äste des N. oculomotorius sei
kaum wahrzunehmen , und beziehe sich auf die Accommodation für nahe Objecte, nicht
recht zu entnehmen, was er eigentlich von der Accommodationsthätigkeit verlangt, um so
mehr, als er selbst in der 2. Auflage S. 207 noch anführt: „Hält man ein kleines Löchel-
chen eines Kartenblattes unmittelbar vor das Auge , so ist man doch noch im Stande
Objecte in verschiedener Entfernung deutlich zu erkennen." Ein solches Diaphragma
leistet dieselben Dienste ja auch an einer Glaslinse, also ganz gewiss ohne Muskelthätigkeit.
Durch eine solche Öffnung kann nicht nur ein normales , sondern auch ein fernsichtiges,
der Accommodation mehr weniger verlustiges Auge bei 2 — 1 '/2 Zoll Distanz noch lesen
— wegen Beduction der Zerstreuungskreise auf Punkte.
Eine andere Beobachtung von Lähmung sämmtlicher vom N. oculomotorius versehe-
nen Muskeln hat Ruete selbst in seinen 1843 erschienenen klinischen Beiträgen veröffent-
licht, und darauf die Behauptung aufgestellt, „dass das Accommodationsvermögen durch
vollständige Lähmung aller Äste des IST. oculomot. nur so wenig geschwächt werde, dass
diess kaum wahrnehmbar sei." Gramer (über das Accommodationsvermögen, übersetzt von
Doden, S. 166) hat gegen diese Beobachtung Bedenken erhoben, welche gewiss alle
Beachtung verdienen. „Dass eine Frau aus dei Arbeiterclasse im Alter von 44 Jahren
noch ein solches Accommodationsvermögen besessen haben sollte , wie Ruete angibt,
gxenzt fast an's Unglaubliche. Sie war nicht kurzsichtig — denn sie sah eine Nadel
deutlich in der Entfernung von 4 Meter vom Auge — und ihr kürzester Gesichtsabstand
sollte 100 Millimeter, nicht ganz 4 Zoll, betragen haben." — „Bei Menschen von gerin-
ger Bildung wird man in der Regel nicht im Stande sein, allein durch das Beschauen
einer Nadel — wie bei Ruete — mit völliger Sicherheit den kürzesten Gesichtsabstand
zu ermitteln." (Vergl. Prag. Vierteljahrschr. B. I. Quartal 2., S. 285). — „Bei den
Prüfungen der Sehweite, sei es durch die gewöhnlichen Leseproben, oder durch die Be-
stimmung des Minimuni im Netzhautwinkel oder durch optometrische Instrumente, gelingt
es uns freilich für Paralysen einzelner Augenmuskel im Allgemeinen nicht, erhebliche
Veränderungen im Nah- und Fernpunkte nachzuweisen; dennoch finden Störungen in
der Accommodation statt. Wird das Auge nach der Seite des geschwächten Muskels
gerichtet, so finden wir die Accommodation allemal etwas beschränkter und unstät,
mühsam." (Gräfe, Archiv. B. I. Abth. 1. 7—16.)
Positiv beweisend für unsere Ansicht ist die durch Sectionen von
mir nachgewiesene Verlängerung des Bulbus in der Richtung der Seh-
Arlt Augenheilkunde. III. 14
210 Augenmuskeln.
achse bei reiner oder mit centralen Hornhantflecken cornplicirter Kurz-
sichtigkeit.
Vielfältige und aufmerksame Beobachtung und Vergleichung kurz-
sichtiger und fernsichtiger Augen mit normalen führte mich zunächst
zur Überzeugung, dass die Hornhaut bei jenen nicht stärker, bei diesen
nicht schwächer gewölbt sei. Den vorzüglichsten Anhaltspunkt hiefür
lieferte die Betrachtung und Vergleichung der Cornealspiegelbilderr
welche ich auch bei eclatanter Kurzsichtigkeit nicht kleiner fand, als
bei Fernsichtigkeit.
Die vorläufige Andeutung dieses Sachverhaltes, welche ich im I. Bande auf S. 175-
kurz hingeworfen hatte, hat Herrn Stellwag von Carion zu einer Bemerkung veranlasst,.
zu der er in Bezug auf Form sowohl als Inhalt gewiss nicht berechtigt war. Nach der
Formel — = — ( — + — I berechnet St., dass ein 1000"' entfernter Fensterbai-
a \p a /
ken von 576'" Länge ein Spiegelbild von 1,005'" geben würde, wenn man den Radius
der Cornealvorderfläche auf 3,495'" annimmt, dagegen nur 1,149'", wenn man „was
sicherlich eine relativ ungeheuere Differenz ist" — den Radius der Cornealvorderfläche
auf 4'" steigen lässt. „Das Spiegelbild der Cornea von 4'" Radius erscheint um 0,144'"
länger, als bei gleichen Umständen das Spiegelbild einer Cornea von 3,495'" Radius. —
Wer mit freiem Auge, oder doch ohne zusammengesetzte Apparate und Berechnungen Grös-
senunterschiede von 0,144'" schätzen kann, muss jedenfalls ein mehr als gewöhnliches
Beurtheilungsvermögen haben, ich traue diese Schärfe weder mir, nach H. Prof. Arlt zut
und muss daher das Spiegelbild der Cornea bezüglich seiner Grösse jedenfalls als ein
ganz unbrauchbares diagnostisches Hilfsmittel erklären.11 Bonders erzählt in seiner
Abhandlung über die Nahrungsstoffe (übersetzt von Bergrath) S. 28, „er sei einmal zu-
gegen gewesen, als ein Mathematiker wissenschaftlich bewies, dass ein Tisch auf einer
Treppe unmöglich nach oben getragen werden könne, während ein anderer, wenig hier-
durch abgeschreckt, es inzwischen einmal versuchte und — ihn hinauf brachte. TJbi re-
rum testimonia adsunt, muss sogar die Mathematik nachgeben." Ich that ungefähr das-
selbe, liess mir Metallconvexspiegel von 3 '/a'" und 4'" Radius schleifen , und dann,
als sogar Kinder die Differenz in der Grösse der Spiegelbilder wiederholt und bestimmt
unterschieden, zum Überfluss noch einen von 33/4'" Radius, und auch da lässt sich mit
völliger Bestimmtheit angeben, welches Bild kleiner, welches grösser sei. Das kann
Jeder nachmachen ; darüber giebt's keine weitere Polemik. Hat Stellwag vielleicht schlecht
gerechnet ? oder sind seine Suppositionen unpassend gewählt ?
Einen weitern Anhaltspunkt gab die Lage der Iris relativ zur Cor-
nea, und daraus liess sich auch leicht erklären, wie sich die Ansicht,
Kurzsichtigkeit beruhe auf stärkerer Wölbung, Fernsichtigkeit auf Ver-
flachung derselben, hatte entwickeln und so lange erhalten können. Um
die Lage der Iris richtig zu beurtheilen, muss man das Auge gerade
von vorn, nicht von der Seite her betrachten. Man lege ein Plancon-
vexglas mit der ebenen Fläche auf ein Blatt Papier, allenfalls auf einige
Zeilen eines Buches, und man wird aus Experimenten hiemit leicht
entnehmen, was obiger Rath bedeuten will. In der angegebenen Stel-
Physiologie — Acconmiocintioii. 211
hing nun denke man sich Ebenen gelegt: 1. durch die Basis der Cor-
nea oder den vordersten Rand der Sclera, etwa wie wenn man ein
Staarmesser durchführen wollte; 2. durch den grössten Kreis oder den
Ciliarrand, und 3. durch den kleinsten Kreis oder den Pupillarrand der
Iris. Diess thue man nun a) bei eclatanter reiner Kurzsichtigkeit, b) bei
einem in höherem Grade ferusichtigen, und c) bei einem normalen
Auge. Mau wird nun leicht bemerken, dass bei einem exquisit kurz-
sichtigen Auge die 1. und 2. Ebene weit, die 2. und 3. dagegen wenig
oder gar nicht von einander abstehen, cl. h. dass die Iris (der grosse
und kleine Kreis) auch bei ziemlich enger Pupille nahezu in Einer
Ebene, aber tief hinter der Hornhaut liegt, dass hingegen bei einem
exquisit weitsichtigen Auge die 1. und 2. Ebene einander sehr nahe
liegen, die 3. dagegen merklich vor der 2., d. h. die Iris des weitsich-
tigen Auges in toto, besonders aber mit ihrem Pupillarrande weit nach
vorn liegt, und stark nach vorn ausgebaucht ist. — Richtig ist, dass bei
Kurzsichtigkeit die vordere Kammer grösser, bei Weitsichtigkeit dagegen
kleiner ist; nur liegt der Grund davon nicht in veränderter Wölbung
oder Lage der Cornea, sondern in veränderter Lage und Wölbung der
Iris, und die Altern haben etwas, das der Schärfe ihrer Beobachtung
nicht entgangen war, bloss irrig gedeutet.
Die Lage des Ciliarrandes der Iris ist gegeben durch die Dicke
oder Mächtigkeit des Ciliarmuskels (des Ligamentum ciliare früherer
Autoren), denn es ist gewiss, dass die Iris mitten aus demselben her-
auskommt, dass die Iris mit der Cornea nicht unmittelbar zusammen-
hängt, dass mithin, je stärker entwickelt der Ciliarmuskel ist, desto
weiter, hinten auch der Ciliarrand der Iris liegt. Wo der Ciliarmuskel
wenig entwickelt ist, da legt sich auch der grösste Kreis der Iris mehr
weniger nahe an die Peripherie der Descemetschen Haut an.
Die Lage des Pupillarrandes der Iris zeigt uns jederzeit auch die
Lage der vordem Kapsel, sobald die Linse nicht aus ihrer Befestigung-
gelöst oder in ihrem Yolumeu geschrumpft ist. Tiefe Lage des Pupillar-
randes deutet demnach, falls die Pupille nicht über 2 — 2il/2JU erweitert
ist, jederzeit auf tiefe Lage der Linse, und umgekehrt, so dass wir
also — mit Bezug auf das Frühere — sagen dürfen : Bei Kurzsichtigkeit
liegt die Linse (vordere Kapsel) tiefer, bei Weitsichtigkeit näher hinter
dem Hornhautcentrum.
Es ist eine allgemein bekannte und anerkannte Thatsache, dass
durch anhaltendes Betrachten naher kleiner Gegenstände (insbesondere
beim Gebrauche des Mikroskopes; normale Augen Erwachsener vor-
übergehend — auf Minuten oder Stunden, jugendliche Augen (bis zu
14*
2 1 2 Augenmuskeln.
den Pubertätsjahren) bleibend kurzsichtig werden. Man kann nicht an-
ders, als annehmen, dass die Behufs des Nahesehens eingeleitete Ver-
änderung' in den dioptrischen Verhältnissen des Auges so lange fort-
bestehe, als die Kurzsichtigkeit anhält, also bei permanenter Kurzsichtigkeit
stationär geworden sei. Sind diese Sätze richtig, dann müsste, wenn
die Accommodation durch stärkere Wölbung der Cornea vermittelt würde,
an Augen, welche auf diese Weise kurzsichtig geworden sind, auch die
Cornea stärker gewölbt gefunden werden. Dasselbe gilt auch in Bezug
auf die Form- und Lageveränderung der Linse. Ist aber unsere An-
sicht über die Accommodation richtig, dann muss in solchen Augen der
Durchmesser des Auges in der Sehachse verlängert, die hintere Wan-
dung des Bulbus zurückgedrängt gefunden werden. Und so ist es in
der That. Bei allen rein Kurzsichtigen, welche nur bei höchstens 6 Zoll
Distanz noch lesen können, besonders aber bei jenen, welche bereits
Gläser unter 6 Zoll Brennweite nöthig haben, lässt sich die Verlänge-
rung des Bulbus nach hinten schon während des Lebens bestimmt nach-
weisen, indem man das Auge möglichst stark nach innen und oben
wenden lässt, und nun das untere Lid nächst der äussern Commissur
mittelst des Zeige- oder kleinen Fingers so weit als möglich hinter den
Bulbus drängt. Auf diese Weise ist bloss eine beiläufige Schätzung
möglich, welche nur durch Vergleich mit normalen Augen Werth er-
hält. An den Augen verstorbener kurzsichtiger Personen lässt sich aber
eine genaue Messung anstellen, wenn man die Augen möglichst bald
herausnimmt. Ich werde weiter unten den Befund solcher Augen, von
deren Kurzsichtigkeit im Leben ich mich überzeugt hatte, ausführlich
mittheilen, und will nur noch hervorheben, dass eben dieser Befund
auch das letzte Bedenken beseitigt, welches sich allenfalls noch gegen
das Rückwärtsweichen der hintern Bulbuswand bei der Accommodation
erheben Hesse. Es ist diess das Bedenken, ob nicht etwa die bei dieser
Rückwärtsdrängung nothwendig stattfindende Compression und Ver-
schiebung der Netzhautelemente der Function derselben nachtheilig wer-
den möchte. Dass die Contenta des Bulbus bei der Accommodation
unter erhöhten Druck versetzt werden, ist durch den Augenspiegel
nachgewiesen. Dieser Umstand ist weit entfernt, die Sensibilität der
Netzhaut zu vermindern, scheint sie im Gegentheil sogar zu erhöhen,
eine Ansicht, die, wenn ich mich recht erinnere, schon Brewster in den
dreissiger Jahren ausgesprochen hat, und welche mit Stromeier 's Be-
hauptung, dass die optische Sensibilität mit der Muskelaction steige
und falle *), völlig im Einklänge steht. Dass aber eine Verschiebung
; De combinatione actionis uervorum et motorioraiu et seusoriorum etc. Erlangae 1S39.
Physiologie — Accoinniodation. 213
der Netzhauteleuiente, ATeiche, wenn auch in Loch so geringem, den-
noch in einigem Grade stattfinden zu müssen scheint, ohne Störung
der optischen Sensibilität der Netzhaut stattfinden könne, ist eben
factisch nachgewiesen durch den wirklichen Bestand einer solchen Aus-
buchtung oder Verlängerung an Augen, welche in jeder Beziehung nor-
mal sind — bis auf den Refractionszustand — welche sogar ein noch
feineres (schärferes) Gesicht darzubieten pflegen, als Augen ohne solche
Ausbuchtung. Kann nun diese nicht als Vitium primae formationis an-
genommen werden, so musste eine solche Verschiebung auch ohne
Nachtheil für die optische Sensibilität erfolgen können.
In -welcher Beziehung stehen nun die angeführten Thatsachen der Beohachtung an
kurz- und weitsichtigen Augen zu einander und zur Accommodation? — Ein Knabe
beschäftigt sich wiederholt und anhaltend mit der Betrachtung kleiner Gegenstände, und
hält, entweder weil es der Sehwinkel oder die Beleuchtung erheischt, oder auch nur aus
übler Gewohnheit dieselben so nahe, dass die Accoinmodationsorgane in erhöhten An-
spruch genommen werden. Erhöhte Spannung der Kecti und Obliqui sowohl als des
Ciliavrauskels dauern länger an und kehren öfter wieder. Die hintere Wandung des
Bulbus in einem Umkreise, dessen Centrum die Macula lutea, dessen Peripherie ohnge-
fähr die Gegend der Insertion der beiden Obliqui bezeichnet, muss dabei rückwärts ge-
drängt werden, im Centrum am meisten, gegen die Peripherie hin weniger und weniger.
Die Locomotion, welche die Macula lutea zu machen hat, wenn sie aus der Lage, die
der Ruhe der Accommodationsorgane entspricht, in jene übergeht, die dem höchsten
Grade ihrer Spannung entspricht , wird, aufs Höchste angeschlagen, nicht viel über eine
halbe Linie betragen. Besitzt die Sclera bereits ihren gehörigen Grad von Festigkeit,
so weicht die hintere Wandung eben nur um soviel zurück, als der seitliche Druck er-
heischt ; sie tritt sodann in ihre frühere Lage zurück, in demselben Masse, als die seit-
liche Compression nachlässt. Diese Wiederherstellung der normalen Form ist theils in
der Dicke und Elasticität der Sclera selbst, theils in der Elasticität des incompressiblen
Glaskörpers und des compressiblen retrobulbären Fettgewebes gegeben ; wenn aber die
Sclera noch weich und nachgiebig ist, wie vor der völligen Entwicklung der Bulbi (zur
Zeit der Pubertät) , so kann die häufige Wiederkehr und stundenlange Andauer höherer
Spannung leicht eine Ausdehnung derselben zur Folge haben, welche nach dem Aufhören
des erhöhten Druckes nicht mehr zurückgeht. Da aber die Gefässe im Innern des Auges
unter einem permanenten Drucke stehen, entsprechend der Spannung der Wandungen des
Bulbus, so ist mit obigem Momente der Anstoss zum Ausscheiden von Serum aus den
Gefässen gegeben, und es wird einerseits in den Glaskörper, andererseits in die Augen-
kammer so viel Flüssigkeit mehr ausgeschieden , als die Raumerweiterung eben gestattet.
So entsteht Vermehrung der Glasfeuchtigkeit und bei höheren Graden von Ektasie der hin-
tern Bulbuswand (Staphyloma posticum Scarpae) auch Verflüssigung des Glaskörpers, zu-
nächst in der Gegend des hintern Poles, allmälig weiter und weiter nach vorn vorschrei-
tend , endlich , wohl auch den ganzen Glaskörper bis auf eine wenig mächtige Lage an
der vordem Peripherie nächst dem Corpus ciliare betreffend. — Hält die Scheidewand
zwischen Kammerwasser und Glaskörper gehörig Stand, wenn nämlich der Ciliarmuskel
gehörig entwickelt ist, dann steht während der erhöhten Spannung der Accommodations-
organe der hintere Augenraum unter etwas grösserem Drucke, als der vordere, der Rück-
2 1 4 Augenmuskeln.
fluss durch die hintern C'iliarvenen wird etwas beeinträchtigt, die vordem Ciliarvenen
erscheinen etwas stärker injicirt — eine Erscheinung, die man während der Entwicklung
und des Fortschreitens der Kurzsichtigkeit häufig sehen kann — und die Menge des
Kammerwassers steigt, die vordere Kammer wird grösser, die Cornea uud Linse rücken
allmälig weiter von einander. Die Yergrösserung der vordem Kammer wird überdiess
noch dadurch befördert, dass sich der Ciliarmuskel in Folge der häufigeren Übung mehr
entwickelt. Die Yergrösserung der vordem Kammer ist somit etwas Consecutives oder
Sccundäres, daher auch nicht absolut Nothwendiges , weil nur von einem der Momente,
nämlich von der kräftigen Gegenwirkung des Ciliarmuskels abhängig. Dennoch wird sie
bei hinterer Ektasie des Bulbus selten vermisst. Wo sie aber — bei unveränderter
Wölbung der Cornea und unabhängig von entzündlichen Leiden der Iris oder Chorioi-
dea, so wie von Krankheiten der Linse und des Glaskörpers mit Schrumpfung vorhan-
den ist, gestattet sie mit grosser Wahrscheinlichkeit den Rückschluss auf hintere Aus-
dehnung der Sclera. Ich hin auf diese Weise in der Leichenkammer in den Besitz
einiger Bulbi mit hinterer Ektasie gekommen , von denen sich auch bei zweien nach-
her eruiren liess, dass Kurzsichtigkeit vorhanden gewesen war.
Man könnte gegen die Beweiskraft der hintern Ektasie für unsere Ansicht vielleicht
noch einwenden , dass Augen, an denen man dieselbe beobachtet, allerdings kurzsichtig
sein müssten, dass aber der Ektasie wohl andere Ursachen, als die von uns supponirte,
zu Grunde liegen. Es könnte vielleicht diese Ektasie schon ein Vitium primae forma-
tionis sein, oder es könnte dieselbe in einer angeborenen mangelhaften Besistenz der
Sclera gleichsam vorbereitet sein, wofür sich das oft beobachtete gleichzeitige Vorkom-
men von Kurzsichtigkeit in Familien geltend machen liesse, oder endlich es könnte,
wie A. von Gräfe anzunehmen scheint, dieselbe die Folge eines entzündlichen Leidens
der Sclera und Chorioidea — (Sclerotico-chorioiditis posterior) sein. — Folgendes ist's,
v as ich diesen Annahmen entgegen zu setzen habe. Zunächst kann durchaus nicht zuge-
geben werden, dass der hintern Ektasie des Bulbus immer ein entzündlicher Process der
Sclera und Chorioidea als Ursache oder auch nur als voi hergehendes und disponirendes
Moment zu Grunde liege, kann vielmehr mit Bestimmtheit belmiptet werden, dass die
entzündlichen Erscheinungen im Grunde des Auges , welche in manchen solcher Fälle
entweder mit dem Augenspiegel oder am Leichentischc nachgewiesen werden können,
etwas Accessorisches oder Consecutives sind. Der Augenspiegel kann natürlich nur
nachweisen , dass ein Auge kurzsichtig ist, nicht aber, wodurch die Kursichtigkeit be-
dingt sei. Ich habe an zahlreichen Individuen mit Kurzsichtigkeit höheren Grades die
Verlängerung des Bulbus in der Sehachse auf die obeu angcgelJene Weise constatirt,
darunter aber viele gefunden, bei denen die optische Sensibilität vollkommen intact war,
welche sich in der ihrem Refractionszustande angemessenen Sehweite des besten Ge-
sichtes erfreuten, bei denen durch die Probe mit einer Kartenblattöifnung jeder Verdacht
auf Amblyopie ausgeschlossen werden konnte. Und das bei Individuen, die seit 20 — 30
Jahren ohngefähr in gleichem Grade kurz- und dabei scharfsichtig geblieben waren.
Da kann ich unmöglich annehmen, dass ein entzündliches Leiden der Sclera und Chorioi-
dea in der Gegend der Macula lutea stattgefunden habe. Die Ophthalmoskopie ergab in
den von mir untersuchten Fällen dieser Kategorie gar nichts oder die Zeichen von Bare-
fieirung der Choricidealgewebes. Wahr ist es, man trifft an Augen mit eclatanter hinterer
Ektasie und Kurzsichtigkeit nicht 6elten die Erscheinungen von Amblyopie, unter dem
Augenspiegel von Apoplexie oder Entzündung im Grunde des Auges ; diese Bind aber
später aufgetreten, als die Kurzsichtigkeit ; sie siud consecutiv, in so fern die Disposition
Physiologie — Aceoiuniodatioii. 215
zur Blutaustretung in der Ektasie gegeben ist. Diese Disposition liegt nicht nur in der
bei solchen Augen zum Sehen nöthigen erhöhten Ausdehnung und unzureichenden Re-
sistenz der Pulbuswandung, welche um so geringer sein muss, je weiter die Ektasie bereits
gediehen ist ; sie liegt auch in der Verödung zahlreicher Gefässstämmchen von den hin-
tern Ciliargefässen, welche bei hochgradiger Rareiicirung der Retina, Chorioidea und Sclera
(Ausdehnung auf einen grösseren Flächenrauni) unter Mithilfe der Senescenz des Indi-
viduums dazutritt. — Ein angeborener Zustand kann die in Rede stehende Ektasie dess-
halb nicht sein, weil sie ohne Kurzsichtigkeit nicht gedacht werden kann, und bei In-
dividuen beobachtet wird , die erst mit der Zeit kurzsichtig geworden sind. Eben so
wenig ist man berechtigt, eine besondere Disposition dazu anzunehmen, ausser der
"Weichheit und Nachgiebigkeit der Sclera im jugendlichen Alter, man müsste denn aus
Torliebe für diese Idee die Thatsachen ignoriren , welche statistische Beobachtungen
über das Vorkommen der Kurzsichtigkeit bei den verschiedenen Völkern und Ständen
geliefert haben. — Ein umstand ist es noch, welcher gegen alle die genannten drei
Annahmen spricht, nämlich das durch Sectionen sowohl als durch Beobachtung an Le-
benden constatirte Vorkommen der in Rede stehenden Ektasie an Augen , welche um-
schriebene centrale Trübungen in den durchsichtigen Medien darbieten. Ich besitze
mehrere solche Präparate, welche mir völlig unverständlich sein würden, wenn ich nicht
wüsste, dass Individuen mit solchen Trübungen genöthigt sind, alle kleineren Objecte,
welche sie deutlich sehen wollen, relativ näher an das Auge zu bringen, als ceteris
paribus andere, dass sich mithin zu der Trübung des Gesichtes noch Kurzsichtigkeit
gesellt. (Vergl. B. I. S. 260.)
Eine Thatsache müssen wir endlich noch hervorheben , welche zwar nicht direct
als Beweis für unsere Theorie angeführt werden kann, welche aber, da sie mit der-
selben in vollem Einklänge steht, dazu beiträgt, selbe plausibel zu machen. Das anhal-
tende und oft wiederholte Betrachten naher Objecte führt in späteren Jahren nicht nur
nicht zu stationärer Kurzsichtigkeit, sondern sogar entweder einfach zu Ermüdung und
Augenmattigkeit oder selbst zu Fernsichtigkeit, zu insufficienter oder gänzlich mangeln-
der Accommodation. So lange die Sclera noch nachgiebig ist, kann übermässige und
anhaltende Spannung bleibende Aiisdehnung derselben zur Folge haben ; ist aber die
Sclera einmal gehörig resistent geworden, dann wird , wenn anhaltend erhöhte Span-
nung der Muskeln eintritt, eher ErmüduDg und Nachlass der Muskelspannung eintreten,
als Ausdehnung der Sclera, und dieses Nachlassen erfolgt zunächst in jenem Accommo-
dationsorgane, welches nicht direct vom "Willen abhängig ist, in dem Ciliarmuskel. So
wie dieses erfolgt, leistet die Scheidewand zwischen Humor aqueus und vitreus nicht mehr
den gehörigen Widerstand, und es kommt consecutiv zur Abnahme des Humor aqueus,
2ur Verkleinerung der vordem Augenkammer, ein Zustand, der, wenn er nur einiger-
massen bestimmt ausgesprochen ist, ohne Weiteres und sicher zu schliessen gestattet, dass
die Accommodation entweder geschwächt oder aufgehoben sei. Die senile Presbyopie
ist nicht Folge mangelhafter Ernährung und dadurch bedingter Abnahme der Augen-
fluida, sondern Folge der zunehmenden Rigididät der Sclera einer- und der abnehmenden.
Muskelenergie andererseits.
Indirect wird die Kichtigkeit unserer Theorie dadurch bewiesen,
dass keine andere Theorie der Accommodation weiter möglich ist. Die
Momente, an die man äppelliren könnte, sind: VereDgerung der Pu-
pille, erhöhte Wölbung der Hornhaut oder der Linse, Vorwärtsrückung
216 Augenmuskeln.
der Linse und allenfalls eine Combination von zweien dieser Momente.
Von Veränderung der Brechungsverhältnisse kann nicht die Rede sein,
da wir kein Organ kennen, welches den hiezu nöthigen Druck zu
liefern im Stande wäre. Welchen Antheil die Iris etwa an der Accom-
modation haben könne, werden wir weiter unten erörtern; dass die
blosse Verengerung der Pupille beim Nahesehen nicht den nöthigen
dioptrischen Anforderungen genügen kann, bedarf keines weitern Nach-
weises. Auch an erhöhte Krümmung der Cornea denkt heut zu Tage
wohl Niemand mehr, nachdem das Nichteintreten derselben wiederholt
durch verschiedene Methoden, und von den tüchtigsten Beobachtern,
Senff, Gramer, Heimholt*, constatirt ist. Die auf Lage- oder Formver-
änderung der Linse basirten Theorien scheitern vor Allem an der con-
statirten Beobachtung, dass manche Augen, bei denen die Linse fehlte
und durch ein entsprechendes Convexglas ersetzt wurde, Accommoda-
tion zeigten. Diese Fälle beweisen wenigstens so viel mit Bestimmtheit,
dass, wenn ja Veränderungen der Linse (in Form oder Lage) einen
Antheil an der Accommodation haben, dieser ein relativ sehr geringer
sei, dass man somit vollkommen zu der Behauptung berechtigt ist, die
geraden und schiefen Augenmuskeln im Verein mit dem Ciliarmuskel
seien wahrscheinlich die einzigen , sicher jedoch die bei weitem überwie-
genden Organe der Accommodation.
Sollte die Vorrückung der Linse allein den optischen Anforderungen genügen, so*
müsste die Excursion nach den Berechnungen von Olbers, Moser und Senff l/z"' oder
noch etwas mehr betragen. Mit der Linse müsste dann natürlich auch die Iris, wenig-
stens der Pupillarrand derselben, beim Nahesehen vorwärts rücken. Wenn aber bei der
Accommodation Form und Lage der Hornhaut unverändert bleiben, so ist auch ein sol-
ches Vorrücken der Linse in toto unmöglich, weil der Humor aqueus incompressibel ist,
und ein leerer Eaum, wohin das Kammerwasser etwa entweichen könnte, nirgends exi-
stirt. Weder der Petit' sehe noch der vermeintliche Fohtana'sche Canal (Hueh's) können
dieser Ansicht den gewünschten Dienst erweisen. Übrigens führt diese Ansicht zu einer
Consequenz, welche deren Absurdität handgreiflich macht. Gibt man nämlich zu, dass
anhaltendes und öfter wiederkehrendes Nahesehen kurzsichtig macht, drfnn muss in jedem
auf diese Weise kurzsichtig gewordenen Auge die Linse weiter vorn liegen, die vordere
Kammer kleiner sein. Ulrich hat keinen Anstand genommen, offen auszusprechen, was
bei Andern eben nur zwischen den Zeilen zu lesen ist. „Myopiae causae variae possunt
afferri. Subita musculi tensoris chorioidcac contr actione spastica, et nervi symphatici
irritatione et ad nervorum ciliarium systema irradiatione orta, lens crystallina nonnunquam
nimis antrorsum agitur, ita ut radiorum ex rebus longinquis emanantium focus ante reti-
jiam cadat." — „Occurrunt praeterea saepe, teste experientia quotidiana, qui longa conti -
nua consuetudine propiora et sublitiora fere sola inspiciendi, remotiora distinete visendi
facultatem sensim amittant, itaque myopiam acquirant." — „Si haec myo'pia jam diu in-
veteravit, nulla oculi exercitatione distantia visus potest prolongari. Namque tensoris
chorioidcae fibrae musculares hoc in myopiae genere in continua contractione perdurantes
Physiologie — Accommodatioii. 217
magis magisque abbreviantur et intumcscunt, quo fit, ut lens crystallina in perpetuum ni-
niis antrorsum protrudatiir." (1. c. p. 5S et 59.) Wenn nun auch Volkmann, auf Sütrm's
theoretische Deductionen sich stützend, und nach ihm Ruete eine viel geringere Excur-
sion der Linse nach vorn genügend finden (etwa nur l/\o'", wie Valentin angegeben hat),
so macht diess den Widerspruch mit der Beobachtung an kurzsichtigen Augen nur ge-
ringer, ohne ihn aufzuheben. Dasselbe Argument müssen wir auch der Theorie Stellwags
(Ophthalmologie, S. 431) entgegenstellen, welcher berechnet, dass eine Vorwärtsrückung
der Linse um 3 io'" allen Anforderungen genügen würde, und den Schwierigkeiten rück-
sichtlich des Kammerwassers dadurch zu entgehen meint, dass er annimmt, die vordere
Kammer werde, indem die Linse in der Mitte vorgedrängt werde, an der Peripherie da-
durch grösser, dass die Iris seitlich auf die Linse drücke. Letztere Annahme werden
wir bei Besprechung der Theorie von Gramer in Bezug auf ihre Haltbarkeit untersuchen»
und begnügen uns hier nur nachzuweisen, dass Stellwag consequenter Weise, und mit
noch bestimmteren Ausdrücken, dieselbe absurde Behauptung wie Ulrich aufstellt, indem
er S. 439 sagt: „Die dioptrischen Verhältnisse des Auges machen es für den ersten Au-
genblick wahrscheinlich, dass die Weitsichtigkeit in einer normwidrigen Vorrückung der
Linse begründet sei. Eine nähere Betrachtung der Dinge lehrt jedoch, dass die der
Presbyopie entsprechende Stellung nicht als eine abnorme gelten könne, dass die Weit-
sichtigkeit nur auf dem Unvermögen des Accommodationsmuskels beruhe, den Kry Stallkörper
in die für geringere Sehweiten erforderliche vorgerückte (!) Lage zu versetzen. Wohl
aber steht es fest, dass hohe Grade von Kurzsichtigkeit in normwidrigen Stellungen der
Linse begründet seien, auf Fixation des Krystallkörpers in einer abnorm vorgerückten Lage
beruhen, und sofort bedingt werden durch widernatürliche Länge der Glaskörperachse bei
normwidrig kleinem Abstände der Linse von der Hornhaut (!). Es können
diese Missverhältnisse zwischen den Achsen des Kammermeniscus und des Glaskörpers
acquirirt werden, sind mitunter jedoch auch angeboren.1,1.
In neuester Zeit haben Gramer in Groningen*) und Hehnholtz**) unabhängig von
einander die auch schon in früheren Zeiten, namentlich von Huek, ausgesprochene Ansicht
wieder aufgenommen, dass die Linse behufs des Xahesehens convexer werde. Sie stützen
dieselbe auf die Messung der Purkinje-Sanson'schen Spiegelbilder. Diese erhält man be-
kanntlich, wenn man in einem dunkeln Baume ein Licht, z. B. eine Kerzenflamme, in.
der Entfernung von 1 — 2 Fuss seitlich vor ein Auge hält, und von der andern Seite in
die Pupille blickt. Um jedoch nicht durch andere Spiegelbilder gestört zu werden, muss
der Beobachter an der seinem Gesichte zugewendeten Seite der Flamme einen schwarzen
und matten Schirm so anbringen, dass sein Gesicht dabei völlig beschattet erscheint, und
der Schirm kein Licht auf das Auge reflectirt. Lässt man jetzt das zu beobachtende Aug&
(in gleicher Höhe mit dem des Beobachters und mit der links oder rechts zur Seite befindli-
chen Flamme) eine solche Stellung annehmen, dass das Spiegelbild der Cornea, welches nicht
bloss die Flamme, sondern auch den obersten Theil der Kerze deutlich wiedergibt (verkleinert
und aufrecht), noch im Bereiche der Pupille und zwar nächst dem Rande derselben (z. B. nächst
dem äussern) zu stehen kommt, so wird man diametral entgegengesetzt (also nächst dem innern
Pupillarrande) einen zwar relativ sehr kleinen, doch ziemlich hellen und scharf begrenzten Re-
flex bemerken, welcher sich als das der Kapsel angehörige Flammenbild erweist (daher verkehrt
*) Tydschrift der Maatschappy vor Geneeskunde, und Physiolog. Abhandlung über das Accommodations-
vermögen der Augen, deutsch von lioden. Leer 1855.
**) Monatsberichte der Berliner Akademie, 1853, Februar, und ; Über die Accommodation des Auges, im
Archiv für Ophthalmologie Bd. I. Abth. II. 1S55. S. 1—74.
218 Augenmuskeln.
erscheint). Minder leicht ist es, das der vordem Kapsel angehörende Reflexbild zu erkennen,
es tritt nur als ein matter lichtarmer) länglicher Lichtschein ohne deutliche Begrenzung auf,
■welcher seine relative Stellung zu den beiden andern bei der leisesten Bewegung des
Bulbus in entgegengesetzter Richtung ändert, und sich demnach bald hinter dem Cor-
neal- bald hinter dem Hinterkapselreflexe verbirgt. Streicht die Sehachse des beobach-
teten Auges nicht um viele, sondern nur um wenige Grade neben der Flamme vorbei,
so erscheinen die genannten 3 Bilder nicht so sehr neben-, als vielmehr hinter einander,
und man sieht dann deutlich, dass das Cornealbild am weitesten vorn, das Vordeikapsel-
bild am weitesten hinten, das Hinterkapselbild dazwischen (näher dem Cornealbilde) liegt.
— Kennt man diese Erscheinungen aus vielfältiger Betrachtung mit freiem Auge, dann
wird es auch nicht schwer halten, sie mit einer i?rwc£e'schen Loupe oder mit einem
Fernrohre unter 10 — 20facher Vergrösserung zu beobachten. Cramer und Heimholte, jeder
in einer andern Weise, haben nun eigene Apparate construirt, um diese Bilder bei sol-
cher Vergrösserung und bei möglichster Ruhe des beobachteten sowohl als des beobach-
tenden Auges wahrnehmen und in Bezug auf relative und absolute Lage tmd Grösse
während verschiedener Refraction des beobachteten Auges messen und vergleichen zu
können. Rucksichtlich der Beschreibung derselben müssen wir auf die oben citirten
Schriften verweisen, und uns hier auf auszugsweise Mittheilung der Beobachtungsresul-
tate beschränken. Nach dem, was ich gesehen, freilich nur mit Hilfe einer Brücke' sehen
Loupe, möchten die Schlüsse in Bezug auf Lage- und Grösseveränderung des Vorder-
kapselbildes wohl nicht mit so viel Bestimmtheit und Präcision zulässig sein, als Cramer
und Helmholtz sie aufgestellt haben.
Das Hornhautbild erleidet bei der Accommodation durchaus keine Veränderung. Hierin
stimmen beide Autoren überein, i;nd Cramer konnte auf diese Weise auch im Radius
der vordem Cornealfliiche keinen Unterschied zwischen kurz- uud weitsichtigen Augen
finden. Hiedurch erhielt der bereits anderweitig gefundene Satz, dass die Accommodation
nicht durch Veränderung der Cornealwölbung vermittelt werde, eine neue Stütze. — Bei
der Einrichtung des Auges für die Nähe rückt, nach Cramer, das Vorderkapselbild in die
Mitte zwischen das Corneal- und das Hinterkapselbild, wenn es beim Fernsehen nahe
an dem letzteren lag; zugleich wird es heller und kleiner, woraus sich ergibt, dass beim
Nahesehen die vordere Kapsel gewölbter wird. Nach Helmholtz rücken zwei Spiegel-
bildchen, welche der vordem Kapsel angehören (durch eine eigene Vorrichtung des Ap-
parates erzeugt), näher aneinander und werden kleiner, was auf dieselbe Ursache, stär-
kere Wölbung der Vorderkapsel, und zwar mit viel mehr Sicherheit deutet. — Rück-
siclitlich des Bildes an der hintern Kapsel ist Cramer geneigt, anzunehmen, dass dasselbe
bei der Accommodation weder in Bezug auf die Lage, noch in Bezug auf die Grösse eine
Änderung erleidet, ohne das Gegeutheil bestimmt auszuschliessen ; Helmholtz dagegen
nahm in beiden Beziehungen eine Veränderung Avahr und erklärt nach Berücksichtigung
aller hier in Rechnung kommenden Momente, dass durch die Accommodation der wahre
Ort des mittlem Theiles der hintern Kapsel nicht merklich verrückt werde, die bestimmt
wahrgenommene Grösseveränderung des betreffenden Bildchens jedoch wenigstens zum
Theil auf Verkleinerung des Krümmungsradius der hintern Linsenfläche bezogen werden
müsse. Stelhvag (in einem an Cramer gerichteten und von diesem mitgetheilten Schrei-
ben) folgert aus physikalischen Gesetzen, dass eine vermehrte Wölbung der vordem Kap-
sel allein, ohne gleichzeitige stärkere Wölbung der hintern Kapsel nicht vorkommen
könne, was also für Helmholtzens Beobachtung spricht. Helmholtz fand mit Hilfe der
Spiegelbilder den Radius der Vorderfläche d.r Linse in Millimetern: bei 0. H. = 11,9,
Physiologie — Accoiiiiiioclation. 219
bei B. P. = S,S bei I. II. = 10,4, bei zwei todten Linsen = 10,2 und 8,9, den Radius
der Hinterfläche bei 0. IL = 5,83, bei B. P. = 5,13, bei I. H. = 5, 37, bei den todten =
5, SO und 5.89. Die Dicke der Linse in der Acbse berechnete er bei 0. H. auf 3,148,
bei B. T. auf 3,635, bei I. IL auf 3,402 Millimeter. Addirt man hiezu die Hübe, wel-
obe die Wölbung der Linse in der Pupille beim Nabeseben beträgt, so erbält man für
0. IL 3,414, furB. P. 3,801, für I. IL 3,555 Millimeter Dicke der Linse, welche bei den
Todten = 4,2 und 4,3 Millim. gefunden wurde. — Stellwag (in obigem Schreiben) gebt
ron folgenden Prämissen aus. Die innere optische Achse = 9,534"', Tiefe der Augen-
kammer in der Sehachse = 0,S'", Brennweite der Cornea = 13,35'", Brechungsexponent
des Kammerwassers = 1,337, des Glaskörpers = 1,339, und des Krystallkörpers = 1,418
(Totalindex, durch Rechnung bestimmt), ferner Radius der vordem Linsenfläche = 3,071"',
der hintern Linsenfiäche = 2,2"', Achsenlänge oder Dicke der Linse = 2,0'", und die
Vereinigungsweite des Auges für parallele Strahlen = 6,734'" hinter dem hintern Schei-
telpunkte der Linse. Damit nun Krümmungsänderungen der beiden Convexitäten des
Krystallkörpers die Accommodation des Auges für ein Object von 100'" (8'/s") bewerk-
stelligen können, muss der Radius der vordem Linsenfiäche sich auf 2,517'", der Radius
der hintern auf 1,762'" verkürzen, die Achse des Krystallkörpers mithin sich auf 2,48'"
verlängern, vorausgesetzt, dass mit dem Wechsel der Krümmungen der einzelnen Krystall-
sebichten der imaginäre Totalindex der Linse derselbe bleibt.
Als Organ, welches diese nicht unbeträchtliche Veränderung der Form der Linse
(Abnahme der Durchmesser im Äquator, Zunahme des Durchmessers in der Achse) zunächst
vermitteln soll, wird die Iris im Verein mit dem Ciliarmuskel (Brücke's tensor chorioideae)
bezeichnet. Diese Ansicht wird theils auf anatomische Verhältnisse, theils auf Thatsachen
der Beobachtung bei obigen Untersuchungen und bei Experimenten an Thieraugen ge-
stützt. Cramer behauptet zunächst, es liege die Iris nicht nur im kleinen Kreise, sondern
durchaus — vom Papillär- bis zum Ciliarrande an der vordem Kapsel, Zonula Zinnii und
den Ciliaifortsätzen an, so dass eine hintere Augenkammer nicht existire, und es liege
in normalen Augen der Puppillarrand (eine Ebeue durch denselben gelegt) um 0,44 Par.
Linien weitei vom, als der Ciliarrand (Ebene durch denselben gelegt), sei demnach die
Iris kuppelartig vorwärts gewölbt, so dass ihre Radialfasem bogenförmig gekrümmt über
die Linse verlaufen, daher bei gleichzeitiger Gontraction der Circulärfasern, in denen sie
den zweiten Stützpunkt fänden, auf den peripherischen Theil der Vorderfiäche der Linse
drücken können. Übrigens sei die Lage der Fasern des Ciliarmuskels so, wie Brücke sie
angegeben, daher Verkürzung derselben im Stande sei, den Ciliarrand der Iris rückwärts
zu ziehen, wodurch zugleich die Ciliarfortsätze einwärts gedrängt, und mittelst des im
Petil' sehen Canale enthaltenen Wassers ein Druck auf den Rand der Linse ausgeübt
■werden könne. — Nach Helmholtz kann man sich durch Versuche mit seinem Ophthal-
mometer überzeugen, dass der peripherische Theil der Iris beim Nahesehen sich nach hin-
ten bewege, während der Pupillarrand deutlich nach vom weiche. Dagegen soll ein
Vorwärtsrüeken des Pupillarrandes bei einfacher Verengerung der Pupille durch Licht-
Teiz (ohne Accommodationsveränderung) in normalen Augen gar nicht eintreten, bei Augen
mit etwas weiterer Pupille, wie bei Kurzsichtigen, nur in geringem Grade. — Um nachzu-
weisen, dass im Auge selbst gelegene Muskelfasern es seien, welche die Accommodation
vermitteln, nahm Cramer das Auge eines so eben durch Hängen getödteten, etwa 5 Wo-
chen alten Seehundes (phoca litorea), entfernte von demselben alle Muskeln, legte hinten
einen Theil Glaskörper durch vorsichtige Beseitigung einer Partie Sclera, Chorioidea
und Retina bloss, und brachte das so präparirte Auge, mit der Cornea auf einem hölzer-
220 Augenmuskeln.
nen Hinge ruhend, über die Öffnung der Objectiv-Platte eines Mikroskopes. Mittelst ei-
ner genau richtigen Stellung des Mikroskopes und des Spiegels konnte er nun die Flamme
eines ungefähr 35 Centimeter entfernten Lichtes auf der hintern Fläche des Glaskörpers
sehr deutlich vergrössert wahrnehmen. Liess er nun auf beide Seiten der Cornea den
Strom eines elektio-magnetischen Rotationsapparates einwirken, und beobachtete während
dessen die Flamme auf der hintern Fläche des Glaskörpers bei 1 Ofacher Vergrösserung,
so wurde jedesmal bei der Durchströmung die Flamme breiter, undeutlicher und weniger
begrenzt, was man übrigens auch mit freiem Auge bemerken konnte. Wenn ein so be-
handeltes Auge nach sehr lange fortgesetzten Versuchen untersucht wurde, so zeigte die
Linse eine Krümmungsvermehrung in solchem Grade, dass die Form der Pupille, wie sie
selbe während des Contractionszustandes erhielt, als eine Erhöhung auf der Linsenvor-
derfläche vollkommen sich ausdrückte. Wenn er an frischen und noch nicht viel zu die-
sem Experimente verwendeten Augen durch die Cornea eine Staarnadel bis zur Pupille
in's Auge geführt, sodann unter die Iris durch bis zu ihrem Ursprungscirkel gedrungen,
und im Zurückziehen den ganzen von der Staarnadel getroffenen Irisbogen durchschnitten
(ein Coloboma totale gebildet) hatte, so bewirkte der elektr. Strom nicht mehr wie früher
eine Verengerung der Pupille noch Veränderung des Refractionszustandes. — Bei einem
fernem Versuche bewirkte der elektr. Strom nach Entfernung der Cornea und Iris so
gut wie gar keine Veränderung in der Refraction, doch war selbst dem blossen Auge
während der Dauer des elektr. Stromes jedesmal eine Anspannung der Ciliarfortsätze be-
merklich, wodurch nach Cramer's Dafürhalten der Antheil des M. tensor chorioideae an
der Accommodation nachgewiesen erscheint.
Ich habe die Versuche weder mit dem CVamer'schen noch mit dem Helmholtz sehen
Apparate nachgemacht. Was sie also über die Veränderung der Lage und Form der Spie-
gelbilder bei der Accommodation angeben, muss ich gelten lassen, obgleich die beidersei-
tigen Angaben einige wesentliche Widersprüche enthalten. Dass durch die aus jenen
Beobachtungen gefolgerte Veränderung der vordem und hintern Linsenoberfläche allein
oder auch nur vorzüglich die Accommodation vermittelt werde, halte ich für unmöglich.
Es spricht dagegen Alles, was ich bisher über die Accommodation und ihre Abnormitäten
erfahren und beobachtet habe.
Nach Stellway's Berechnung, wenn wir deren oben mitgetheilte Prämissen als rich-
tig annehmen, müsste die Linsenachse schon behufs der Accommodation für 8" um ll%">
verlängert werden, vorausgesetzt, dass mit dem Wechsel der Krümmung der einzelnen
Krystallschichten der imaginäre Totalindex der Linse derselbe bleibe. Da aber die er-
höhte Wölbung der Linse offenbar nur durch die weiche, halbflüssige, im Brechungsindex
vom Humor aqueus und vitreus gewiss nur wenig abweichende Rindensubstanz vermittelt
werden kann, so ist eben diese Voraussetzung noch sehr in Frage gestellt. Stellwag hat
bereits in seiner 1853 erschienenen Ophthalmologie S. 431 die unseres Erachtens ganz
richtige Behauptung aufgestellt, „dass wegen der grossen Übereinstimmung der Brechungs-
verhältnisse in den äussern Krystalllagcn und den umgebenden Medien ungeheuere Ver-
kürzungen und Verlängerungen der Radien erforderlich wären, um merkbare Differenzen
in der Brennweite des dioptrischen Apparates zu bedingen."
Aber angenommen, es genügten die aus der Veränderung der Reflexbilder gefolger-
ten Veränderungen in der Wölbung der Linse dem dioptrischen Bedürfnisse, dann muss
consequenter Weise auch angenommen werden, dass bei Myopia acquisita die Linse we-
gen übermässig langer seitlicher Compression ihre Elasticität zum Theil eingebüsst habe,
dass dieselbe nicht mehr zu ihrer normalen Form zurückkehre, mithin in den Äquatorial-
Physiologie — Accommodation. 221
durcbmessern verkürzt, im Achsendurchmesser verlängert bleibe. Diess will Cr am er (S.
ISOi aueb wirklich so gefunden haben. „In Betreff der Länge der Linsenacbse, so wie
der Entfernung ihrer vordem Fläche von der Cornea, habe ich ebenfalls bei Kurzsichti-
gen vielfach experimentirt. Hier ergab der Apparat auf's Deutlichste, dass : a) die Ent-
fernung des Cornealbildchens von dem von der hintern Linsenfläche erzeugten, wiewohl
darin das Lebensalter u. s. w. einigen Unterschied begründet, bei Kurzsichtigen, bei nor-
malem Gesichte und bei Femsichtigen sich ganz gleich verhält; dass b) die Entfernung
des Cornealbildchens von dem von der Vorderfläche der Linse erzeugten bei Kurzsichti-
gen sehr klein sich darstellt, im Vergleich zu Personen mit normalem Auge, oder, wo
der Unterschied noch etwas beträchtlicher sich zeigt, zu Fernsichtigen, und endlich c)
dass die Entfernung des von der Vorderfläcbe der Linse herrührenden Spiegelbildchens
bis zti dem von deren hintern Fläche erzeugten, in den auf diese Weise angestellten Ver-
suchen bei Kurzsichtigen im Verbältnisse zu Personen mit normalem Gesicht, und noch
etwas mehr bei Fernsichtigkeit, als sehr gross sich darstellt." Das heisst mit wenig
Worten : bei Kurzsichtigen liegt die vordere Fläche der Linse näher an der Cornea, weil
die Achse der Linse viel länger ist. — Diese Angaben stehen in directem Widerspruche
mit der Beobachtung an Lebenden, mit den Sectionsergebnissen, mit den Angaben von
Heimholte. Ich will kein Gewicht auf den Umstand legen, dass ich in keinem der von
mir anatomisch untersuchten kurzsichtigen Augen den Achsendurchmesser der Linse =
2'", sondern mehr weniger darunter gefunden habe; die Beobachtung an Lebenden reicht
hin, das zu widerlegen, und ich brauche desshalb hier wohl einfach auf das über die
Lage der Iris Gesagte zurückzuweisen. Heimholte selbst fand bei der etwas kurzsichtigen
O. H. den Abstand der Pupillarebene vom Scheitel der Hornhaut = 4,02-lmm, während
die andern beiden, ziemlich gleich alten Individuen (B. P. und I. H.) nur 2,507 und
3,T39mm. zeigten. Ausserdem aber ergibt sich, völlig im Widerspruche mit Cramers
Angaben, aus den oben mittgetbeilten Ziffern von Helmholte, dass gerade bei der etwas
kurzsichtigen 0. H. die Linse die kürzeste Achse zeigte, und sowohl die vordere als die
hintere Linsenfläche die relativ geringste Wölbung erwiesen. Wenn aber Cramers und
Helmholteens Angaben sich widersprechen, so muss die Beobachtung des einen oder des
andern falsch sein, und es scheint auch ihre Untersuchungsmethode noch beträchtliche
Fehler zuzulassen.
Was nun die Organe betrifft, welche die Linse seitlich comprimiren sollen, so steht
die Cramer sehe, von Heimholte gebilligte Theorie in directem Widerspruche mit erwiese-
nen Thatsachen. — Die Lage der Iris , wie sie uns durch das Kammerwasser und die
Hornhaut gerade von vorn angesehen erscheint, weicht von der wirklichen nicht viel ab.
Dass das Weitervorwärtsliegen des Pupillarrandes relativ zum Ciliarrande bei der Betrachtung
gerade von vorn nicht ein bloss scheinbares (vom Austritte der Lichtstrahlen aus der Cor-
nea in die Luft abhängiges) ist, ergibt sich schon aus dem Umstände, dass man die Iris
bei Mangel oder Verschrumpfung der Linse vollkommen in Einer Ebene liegen sieht. Eine
deutliche Wölbung der Iris zwischen Ciliar- und Pupillarrand sieht man aber an norma-
len Augen nicht. Sie streicht vielmehr auch bei enger Pupille geradlinig vom Ciliarrande
bis zu dem Wulste, der den Annulus minor und die äussere Grenze des Schliessmuskels
bezeichnet, oder sie zeigt sogar nicht weit vom Ciliarrande, ungefähr da, wo hinter ihr
die Firsten der Ciliarfortsätze liegen , eine ringförmige Vertiefung oder Furche , welche
sich bei seitlich einfallendem Lichte auf der einen Seite durch Schattenbildung, auf der
andern durch hellere Beleuchtung kund gibt. Dieses Verhalten zeigt die Iris, sobald die
Pupille nicht sehr weit ist, gleichviel, ob das Auge für die Xähe oder für die Ferne ein-
222 Augenmuskeln.
gerichtet ist. Zur Beurthcilung der Lage der Iris, namentlich ihres mittleren Theiles, ist
die Betrachtung des Auges von der Seite her eben so schlecht, als zur Entscheidung der
Frage, ob Exsudatpunkte in der Substanz der Hornhaut oder an der Descemetschen Haut
sitzen. "Wenn man ein Planconvexglas auf eine gerade Linie legt (einen etwa 1" langen
Strich mit Tinte auf weissem Papier), und nun von der Seite her darauf sieht, so er-
scheint der Strich bogenförmig gewölbt, sein mittlerer Theil scheint sich gegen den
Scheitel der convexen Fläche zu erheben. Dieser Umstand muss bei der Beobachtung des
Yorwärtstretens des Pupillarrandes wohl erwogen werden , wenn man das Auge von der
Seite her betrachtet. Ich finde, wenn ich einen jungen nicht kurzsichtigen Mann unvei--
rückt auf einen etwa 1 2 Fuss entfernten Punkt blicken lasse, wobei die Pupille bei seit-
lich gestelltem Lichte etwa V" im Durchmesser hat, dass Verengerung der Pupille durch
blosses Annähern des Lichtes auf das zweite Auge bis auf etwa 1 '/a'" Durchmesser ein
sehr deutliches Vorrücken der Iris wahrnehmen lässt, was mit der Angabe von Helmlwltz
nicht übereinstimmt. Dieses Vorrücken ist zum Theil reell, weil der an der flach ge-
wölbten Kapsel anliegende Pupillarrand offenbar aufsteigen muss, theils ein scheinbares,
durch die Strahlenbrechung wie in dem Versuche mit dem Glase bedingtes.
Gegen die Angabe, dass bei der Einrichtung des Auges für die Nähe der grosse
Kreis ein wenig rückwärts gezogen wird, habe ich nichts einzuwenden , ich glaube die-
ses Zurückweichen bei forcirter Accommodation selbst mit freiem Auge wahrgenommen
zu haben, und finde in der mit der Pupillenverengerung beim Accommodiren gleichzeitig
erfolgenden Contraction des Ciliarmuskels, aus dessen Mitte die Iris heraustritt, die hin-
reichende Erklärung dafür.
Die Behauptung Cramer s, dass es keine hintere Kammer gebe, ist irrig. Die Iris
liegt weder auf der Zonula Zinnii an, noch auf den Firsten der Ciliarfortsätze ; erst gegen
den Pupillarrand hin nähert sie sich der Kapsel mehr und mehr, bis sie völlig an ihr
anliegt. Ich zweifle, dass irgend Jemand zahlreichere Achsen durchschnitte des Auges in
möglichst frischem und im gefrornen Zustande gemacht hat, als ich. Cramer will zwischen
Iris und Zonula Zinnii kein Eis gefunden haben ; ich habe es gefunden. Bei der Durch-
schneidungsmethode, die ich im I. Bande angeführt habe, fand ich nicht nur die vordere,
sondern auch die hintere Kammer in dem Masse geräumig, als der Ciliarmuskel mehr
entwickelt war. Auch an Chromsäurepräparaten fand ich die Iris nicht an der Zonula
anliegen, obwohl man auf diese Präparate in Bezug auf die Lage der Iris wenig Gewicht
legen darf, da die Linse immer stark aufgequollen oder aber bereits so hart geworden
ist, dass sie beim Versuche der Durchschneidung meistens in den Glaskörper hineinge-
drängt wird. Cramer hätte offenbar besser gethan, statt eines schematischen, seiner
Theorie zu Liebe nur zu sehr idealisirten Durchschnittes lieber einen möglichst getreuen,
nach der Natur gezeichneten abzubilden. Leider ist auch die von Helmlwltz gelieferte
Abbildung rücksichtlich des Corpus ciliaro von der Art, dass ich bis jetzt noch nicht im
Stande war, einen solchen oder auch nur einen ähnlichen Durchschnitt des Bulbus zu
erhalten. — Ausserdem gibt es noch eine Erscheinung während des Lebens, die ich mir
nicht ei-klären kann, wenn zwischen Iris und Zonula Zinnii nicht eine gewisse Menge
wässriger Flüssigkeit vorhanden ist. Wir haben ihrer bereits im 2. Bande bei der Pupil-
lcnbildung erwähnt. Wenn man in einem Falle, wo die Pupille durch eine centrale Horn-
hautnarbe verdeckt, und der Pupillarrand ganz oder doch theilweise frei ist, behufs der
Pupillenbildung einen etwa 2'" langen Einstich in die Cornea macht, und das Messer
beim Zurückziehen etwas dreht, so dass die Wunde momental klafft und der Humor aqueus
ausströmt, so wird in der Regel die näcbstc Partie Ii-is mit kerausgestülpt, und zwar bla-
Physiologie — Aeeoiuiiiodaiioii. 223
senartig, wenn nicht auch der Pupillarrand mit in die "Wunde vorfällt. "Woher diese längst
gekannte Erscheinung, wenn die Iris überall an der gespannten ZonnlaZinnii und Kapsel
anliegt? Musste die Iris nicht nach dem Gesetze der Attraction zwischen zwei feuchten
Platten an der Zonula haften bleiben? Wenn aber Wasser dahinter ist, dann ist's be-
greiflich, warum sie überhaupt und in specie blasenartig vorgedrängt wird. Etwas Ähn-
liches findet statt, wenn man den Durchbruch eines nahe am Rande der Cornea sitzenden
kleinen Geschwüres beobachtet, wozu namentlich bei Conjunctivitis scrofulosa sich oft
Gelegenheit darbietet. Das Geschwür durchbohrt die Descemetsche Haut ; kaum entleert
sich ein Theil des Kannnerwassers, wird auch schon die Öffnung durch die blasenartig
hineingeschobene Iris verstopft, die sich sofort bis zur Grösse einer Erbse erhebt u. s.w.
— Beim normalen Auge ist gewiss eine hintere Augenkammer vorhanden, liegt nur der
kleine Kreis der Iris an der Kapsel an. Bei Augen, deren Accommodation verloren oder
doch nicht ausdauernd ist (Fernsichtigkeit und Augenmattigkeit) und deren Pupille immer
relativ sehr eng erscheint, scheint die Iris bis gegen den Rand der Linse hin (Insertion
der Zonula in die Kapsel) an derselben anzuliegen, da man in dem Grade der "Wölbung,
den die Iris dann darbietet , so ziemlich den Grad der Wölbung und die Grösse der
Linse erkennt.
Die Annahme, dass die Iris durch seitlichen Druck auf die Linse zur Accommoda-
tion beitrage , steht mit Thatsachen der Beobachtung in directem Widerspruche. Nicht
bloss bei vollstäudigem Coloboma iridis , sondern auch bei Synechia anterior und nach
künstlicher Pupillenbildung besteht entschieden noch die Fähigkeit, sich für nahe Ob-
jecte einzurichten. Wenn die Iris seitlich auf die Linse drückt, welche Gestalt nimmt
denn die Linse an, sobald die Iris wie beim Coloboma totale an einer Stelle fehlt? Wie
können Augen, an denen ein Theil des Pupillarrandes in eine seitliche Hornhautnarbe
eingewachsen ist, noch ein ganz gutes Gesicht für nah und fern besitzen? In diesen
Fällen mangelt ja der Druck der Iris auf der einen Seite ; muss da die Wölbung der
Linse nicht unregelmässig werden? Ich habe bereits früher (S. 136, B. IL) eines Beamten
erwähnt, dem ich auf beiden Augen eine künstliche Pupille nach innen und unten ange-
legt habe, welcher aber trotzdem selbst bei 6 Zoll Distanz ganz kleinen Druck mit
Ausdauer lesen kann, und wenn er auf die Jagd geht, bloss Nr. 20 concav braucht, wess-
halb ihn wohl Niemand für kurzsichtig erklären oder ihm" die Accommodationsfähigkeit
absprechen wird.
Cramer's Versuche an Seehundsaugen beweisen eben nichts weiter, als dass Iris
und Ciliarmuskel durch den elektrischen Strom noch eine Zeit lang nach dem Tode in
Contraction versetzt werden können. "Wurde durch diese Contraction bloss die Linse
verändert? behielt dabei die hinten (respective oben) blossgelegte Glaskörperflüssigkeit
dasselbe Niveau und dieselbe Wölbung? Gewiss liegt die Annahme viel näher, dass
durch Contraction der Iris und des^üliarnmskels eher der Humor vitreus verdrängt als
die Linse in ihrer Form verändert wurde. Wenn nachträglich in einer Anmerkung ge-
sagt wird, er habe an Augen, mit denen er durch lange Zeit experimentirt hatte, einen
förmlichen Abdruck des Pupillarringes bemerkt, so weiss man wieder nicht, ob nicht
an einem hinten geöffneten Auge schon der blosse Druck des Glaskörpers und der
Linse, welcher jetzt von der durch den elektrischen Strom gespannten Iris durch längere
Zeit allein getragen werden musste, Schuld jenes Abdruckes war. Mir ist Letzteres
allein das Wahrscheinliche, denn wenn die Linse allmälig ihre Elasticität verloren hatte,
warum fand man denn dann bloss jenen Abdruck, warum denn nicht die Äquatorial-
durchmesser kleiner und den Achsendurchmesser grösser, wie es doch erwartet werden
224 Augenmuskeln.
musste, wenn die Accommodation seitliche Compressiou der Linse erfordert ? — Wie aber
das Experiment nach Durchschneidung der Iris vom Ciliar- bis zum Pupillarrande in
der von C ramer angegebenen Weise zu Gunsten dieser Theorie sprechen soll , ist noch
weniger zu begreifen, da die Angabe fehlt, ob der Humor aqueus erhalten oder abge-
flossen war. Aber auch zugegeben, das Kammerwasser war da, und blieb auch beim
Elektrisiren ganz erhalten: war auch die Zonula Z. unverletzt geblieben? Man hat alle
Ursache zu vermuthen , dass bei dieser Operation auch die vordere Wand des Petit-
schen Canales verletzt wurde, somit auch die Function des Ciliarmuskels nicht mehr ein-
treten konnte.
Am wenigsten Vertrauen erregend für seine Theorie ist das, was Gramer über die
Anatomie der Chorioidea und des Ciliarmuskels und über die Erscheinungen nach der
Anwendung von Belladonna angegeben hat. Er behauptet S. 97 : „das Stroma der Cho-
rioidea sei hinten im Auge bis an die Ora serrata innig mit der Sclerotica verwachsen,
von der Ora serrata an aber sei die Verbindung der Chorioidea, folglich auch des M.
tensor chorioideae mit der Sclerotica viel lockerer, bis zu der Stelle, wo sich der M.
tensor chor-ioideae an die Hinterwand des Canalis Schlemmii inserirt." Diese Angabe
ist grundfalsch ; man braucht eben nur Augen zu seciren , sich davon zu überzeugen.
Was den Verlauf der Muskelfasern in dem sogenannten Ciliarbande (vergl. B. II. S. 149)
betrifft, so ist nach dem, was ich gesehen, die von Kölliker fast unverändert wieder-
gegebene Bowmari sehe Abbildung am meisten der Natur getreu, und sehe ich nicht ein,
was Cramer bestimmen konnte, dieselbe zu tadeln. Der Ciliarmuskel entspringt mit
einer doppelten Wurzel, die man wohl als seine Sehne und seinen einzigen fixen Punkt
betrachten darf, theils von der Sclera (nach hinten und aussen vom Schlemm' sehen. Ca-
nale) , theils von elastischen Fasern , welche zwischen der Cornea und der Descemet-
schen Haut (an der Innenseite des Schlemm'schen Canales) herkommen, und strahlt von
da theils nach innen (gegen die Iris), theils nach hinten (gegen die Ciliarfortsätze), theils
endlich nach aussen und hinten (gegen die Ora serrata hin) gleichsam fächerförmig aus
(auf einer von vorn nach hinten geführten Durchschnittsfläche). Ist die Boivman-Köl-
Uker sehe Abbildung richtig, dann lässt der- Faserzug nur die Deutung zu, dass Verkür-
zung der Fasern die Ciliarfortsätze etwas nach aussen zieht, mithin die fest damit ver-
wachsene Zonula Z. in eben dieser Richtung anspannt, und da diese unelastisch und un-
nachgiebig ist, die Linse , während des Andranges des Glaskörpers von hinten, in ihrer
Lage zum Corpus ciliare und zur Cornea sichert.
Über die Wirkung der Belladonna auf das Accommodationsvermögen bemerkt Cra-
mer, „dass nach Application derselben an dem mittelsten Bilde, bei dem Sehen in mög-
lichste Nähe oder in die Ferne, eine unbeträchtlichere Verrückung als unter andern Um-
ständen wahrgenommen werde;" er findet darin eüjgn Beweis, dass das Accommodations-
vermögen auf Anwendung eines Mydriaticum sich um ein Weniges verringert. So viel ich
gehört und selbst erfahren habe , nimmt aber die volle Einwirkung der Belladonna (bis
weiter keine Ausdehnung der Pupille mehr erfolgen kann) dem Auge die Fähigkeit, sich
für nahe Gegenstände einzurichten, fast ganz. Wenn nun dennoch eine solche Verrük-
kung des der Vorderfläche der Linse angehörenden Pteflexbildes beobachtet wurde, dass
man sie nur als eine minder beträchtliche bezeichnen musste, so erregt diess gegründeten
Verdacht, ob nicht diese Verrückung durch irgend einen anderen Umstand bewirkt wurde.
Cramer schliesst aus Versuchen mit seinem Apparate, dass der Befractionszustand des
Auges im Zustande der Ruhe (d. h. ohne dass die Accommodationsorgane in Anspruch
genommen wurden) für etwa 43 Centimeter eingerichtet sei. Bei einem Militärarzte nun,
Physiologie — Accommodation. 225
dessen Nahepunkt 2ü Centimeter vor dem Auge lag, bewirkte Einträuflung eines Tropfens
Solut. extr. beilad. die Hinausrückung bis auf 40 Centim. Somit war offenbar, wenigstens
in diesem Falle, die Accommodation so gut als aufgehoben. — Für sehr beachtenswerth
halte ich eine Angabe von A. v. Graefe (Archiv B. I. Abth. 1. S. 315) über das Ver-
hältniss zwischen Mydriasis und Accommodation. „Zuweilen sehen wir die Accommo-
dationslähmung theils spontan, theils durch therapeut. Agentia verschwinden, während
doch die Mydriasis gar nicht oder nur unvollkommen zurückgeht, und umgekehrt habe
ich einen Kranken beobachtet, bei welchem die Mydriasis verschwand, aber die Accommo-
datiouslähmung nur eine geringe Besserung erfuhr." — Wenn Leute, deren Pupille durch
^Belladonna stark erweitert ist , auch nicht mehr in so weite Ferne sehen , wie vordem,
so ist diess nicht ein Zeichen, dass eine Beschränkung der Accommodationsthätigkeit nach
dieser Bichtung eingetreten sei, denn eine solche existirt nicht, sondern es ist das schlech-
tere Sehen in grösseren Distanzen lediglich dadurch zu erklären, dass bei relativ zu wei-
ter Pupille die Zerstreuungskreise zu gross ausfallen, als dass sie noch in der Empfin-
dung unterdrückt werden könnten.
Iudirect dient auch die Untersuchung mit dem Augenspiegel zum
Beweise für unsere Theorie. Wird der untersuchte Bulbus mit dem
Finger eomprimirt, so tritt dieselbe Erscheinung auf, wie bei forcirter
Accommodation, nämlich Pulsation der Centralvene, wie bereits oben
erwähnt wurde. Dieses Phänomen zeigt, dass in dem zweiten Falle
so gut wie in dem ersten erhöhter Druck stattfindet. Nun meint
Stellwag und Helmholtz, es könne der Glaskörper durch erhöhte Span-
nung der Iris und des Ciliarmuskels unter grössern Druck versetzt
werden (Greife's Archiv S. 68); diess ist jedoch nicht möglich, ohne
dass die Form des Bulbus verändert, d. h. ohne dass der Bulbus seit-
lich durch die Becti eomprimirt, mithin in der Bichtung der Sehachse
verlängert wird; denn der Glaskörper müsste, falls ihn der Ciliarmus-
kel seitlich comprimirte , um eben so viel in der tellerförmigen Grube
oder nach hinten ausweichen, und die Sclerotica müsste dem Ciliarmus-
kel folgen, also durch die Luft einwärts gedrückt werden.
Einen schlagenden Beweis gegen alle auf Lage- oder Formverän-
derimg des Krystallkörpers basirten Accomniodationshypothesen liefert
die Thatsache, dass mitunter Staaroperirte vorkommen, welche mit
einer und derselben Brille sowohl in der Nähe als in der Ferne deut-
lich sehen, bei denen sieh durch Versuche nachweisen lässt, dass sie
einen mehr weniger hohen Grad von Accommodationsvermögen besitzen.
Man hat die Beweiskraft dieser seit geraumer Zeit zur Sprache ge-
brachten Thatsache auf mehrfache Weise zu beseitigen gesucht, indem
man die Thatsache selbst läugnete, sie auf Täuschung zurückführen
wollte, oder für Fälle, wo diess nicht wohl möglich war, annahm, dass
entweder die Linse regenerirt worden sei, oder dass der nach vorn ge-
wölbte Glaskörper die Rolle der Linse übernommen habe.
Arlt Augenheilkunde. III. 15
226 Augenmuskeln.
Beobachtungen, wo ein mehr weniger gutes Acconrniodationsver-
mögen nach Staaroperationen bestand, finden sich nach Cramer bei
Halter, Janin, Pellier, Gleize, Richter und Andern. Home stellte an
einem durch die Extraction vom Staare befreiten 21jährigen Matrosen
zahlreiche Beobachtungen (mit Englefield und Ramsden) an, bei denen
sich unter andern auch herausstellte, dass derselbe im Scheiner'schQii
Versuche einen aufgespannten Faden zwischen 83/io und 1 3 3/i o Zoll
Entfernung einfach sehen konnte, folglich ein ziemlich bedeutendes Ein-
richtungsvermögen entschieden nachwies. — Mavnoir*) hatte einen
Jüngling von 17 Jahren 1834 auf dem linken, 1835 auf dem rechten
Auge durch Discission operirt; dieser erhielt ein so gutes Sehvermögen,
dass er mit einem und demselben convexen Glase in den verschieden-
sten Entfernungen deutlich sah. „Er Hess sich sogar in ein Wett-
schiessen ein; das Ziel war 200 Schritte entfernt; er machte 4 Schüsse,
welche alle die Scheibe trafen, und er gewann einen Preis. Das Glas,
dessen er sich beim Schiessen bediente, und das er auch auf der Jagd
trägt, war dasselbe, mit dem er bei Maunoir einen sehr kleinen Druck
mit der grössten Leichtigkeit sah." Auch Slellwag von Carion **) macht
eine hierauf bezügliche Mittheilung. „Besonders auffallend war mir
das Accommodationsvermögen eines vor der Trübung seiner Krystall-
körper sehr kurzsichtigen jüdischen Beligionslehrers. Nach der Opera-
tion las er klein gedruckte Schrift prompt, unterschied aber auch weit
entfernte Gegenstände, z. B. das Fensterkreuz eines gewiss 300 Schritte
entfernten Flügels des hiesigen Krankenhauses ganz deutlich und rein."
Zwei von mir gemachte Beobachtungen habe ich bereits im 2. Bande
S. 348 angedeutet. Der Mann, welcher mit einer Brille von 3" Brenn-
weite nach der Natur zeichnete (ich besitze noch eine solche Zeich-
nung), war früher kurzsichtig gewesen; diese Beobachtung schliesst
sich somit an die Stellwag'sche an. Der andere, ein Jüngling von
19 Jahren, einer Familie angehörend, von der noch 2 Mitglieder ohn-
gefäbr in demselben Alter Cataracta bekommen hatten, konnte Druck-
schrift von nicht ganz \"' Höhe (wie ohngefähr Jäger 's Nr. 8 — 9) mit
einem Glase von 3*/2 Zoll Brennweite in den Distanzen von 6" bis 24"
bequem, mit Anstrengung, und wie es schien mehr errathend, auch
noch bei 30 Zoll lesen, und gab die Zeiger einer mindestens 500 Schritte
entfernten Thurmuhr richtig an. Er war früher nicht kurzsichtig ge-
wesen und hatte bis in sein 1 6. Jahr überhaupt nichts von einem Augen-
übel gewusst. Die Probe mit dem Scheinerschen Versuche habe ich
*) Annales d'oculist. par Fl. Cunier T. IX. p. 14.
«*) Zeitschrift der Wiener Ärzte 1850, H. 3. S. 195.
Physiologie — Accommodation. 227
nicht gemacht. Ich halte sie nicht für untrüglich, wie ich später noch
nachweisen werde. Dagegen habe ich die Sehproben nicht nur auf
der Klinik, sondern auch in Gegenwart des Herrn Prof. Ryba öfters
wiederholt. Zur Zeit dieser Proben war das eine Auge 1 ^2, das an-
dere gegen 3/i Jahre operirt. Der junge Mann befindet sich jetzt in
Amerika. Dieser Fall reiht sich an den von Mauwoir und von Home
an. — Volkmann (SV. Handw. S. 305), der wenigstens in dem i7o?fle'schen
Falle Accommodation zugeben niuss, sucht die auf Linsenveränderung
hasirte Hypothese nun dadurch zu retten, dass er sagt, da die Sehpro-
ben erst 4 Jahre nach der Operation angestellt wurden, so sei hier
wohl an Regeneration der Linse zu denken. Dasselbe Bedenken treffe
auch zwei von ihm selbst gemachte Beobachtungen, wo nach der Staar-
operation Accommodation bestand. Ich glaube im 2. Bande S. 246—249
hinreichende Gründe dafür angeführt zu haben, dass man durchaus
nicht berechtigt ist, an eine Regeneration der Linse nach Staaropera-
tionen zu glauben. Man verlangt nicht weniger, als dass die einge-
rollte und eingeschrumpfte Kapsel wieder normal werde. Man vergisst,
dass bei solchen Operationen ein Zeitpunkt hätte eintreten müssen, wo
sie, ob der vom Rande her vorrückenden frischen Linsensubstanz, die
doch wohl nicht gleich regelmässig begrenzt sein konnte, Alles undeut-
lich und verworren sahen. Die Untersuchung mit dem Augenspiegel
wird dem Streite bald ein Ende machen. — Für den Fall, als man
dennoch zugeben müsste, dass Accommodation trotz nicht regenerirter
Linse bestehe, hat man endlich noch in vorhinein an eine Erklärung
gedacht, die nicht nur der Beobachtung, sondern auch den einfachsten
physikalischen Gesetzen widerspricht, nämlich dass der Glaskörper
nach Verlust der Linse sich in der tellerförmigen Grube vorwärts
wölbe, und unter dem Drucke des Ciliarkörpers eine bald mehr bald
weniger starke Convexität annehmen könne. Stellwag (Ophthalmologie)
hält sich nach Untersuchungen am Cadaver zu der Annahme einer sol-
chen Convexität der tellerförmigen Grube für berechtigt. Allerdings,
wenn man die Hornhaut und Iris beseitigt hat, und nun den hinten
aufliegenden Bulbus betrachtet, wird man die tellerförmige Grube vor-
wärts gewölbt finden. So verhält sick's aber nicht während des Lebens.
Die Untersuchung mit freiem Auge und mit dem Augenspiegel kann
das nachweisen. Wenn nach einer Staaroperation Heilung eingetreten
ist, so streicht eine Scheidewand, gebildet von der hintern Kapselwand
und gegen die Peripherie hin von Zipfeln der vordem Kapsel (mit
mehr weniger Linsenresten, zwischen Vorder- und Hinterkapsel einge-
schlossen in einer Ebene zwischen Glaskörper und Kammerwasser quer
15*
228 Augenmuskeln.
durch das Auge, mit ihrer Peripherie mittelst der Zonula Zinnii an den
Firsten der Ciliarfortsätze haftend. Diese ebene Scheidewand bietet
dem Ciliarmuskel den Angriffspunkt nach innen, und bildet so das
Mittel, der Cornea ihre specielle Wölbung zu sichern, wenn accommo-
dative Bewegungen eintreten. Erst wenn diese Scheidewand einen ge-
wissen Grad von Festigkeit erlangt hat, sind die Accommodationsor-
gane im Stande, den Glaskörper , somit die hintere Bulbus wand , zum
Ausweichen nach hinten zu bringen. Hierin, nicht in der restituirten
Linse, liegt der Grund des allmäligen Besserwerdens des Gesichtes,
respective des Wiedereintretens des Accommodationsvermögens bei
Staaroperirten. Hierin findet die alte Regel, Staargläser erst nach Ver-
lauf von einigen Monaten zu erlauben, ihre rationelle Begründung; denn
Accommodationsbestrebungen in zu früher Zeit würden nachtheilig ein-
wirken, die Cornea verflachen. Übrigens, wenn auch der Glaskörper
nach vorn eine convexe Oberfläche annähme, das könnte in der Ver-
einigungsweite der Lichtstrahlen keinen Unterschied von irgend einer
Bedeutung bewirken. Denn der Brechungsindex des Kammerwassers
ist = 1,337, der des Glaskörpers = 1,339, mithin wird es ziemlich
gleichgiltig sein, ob die Trennungsfläche zwischen beiden plan oder
mehr weniger convex ist. Jeder Versuch, einen noch nachweisbaren
Grad von Accommodation auf diese Weise zu erklären, verstösst dem-
nach gegen die Gesetze der Physik.
Die Ergebnisse an Staaroperirten sind von hohem Werthe für die Lehre von der
Accommodation. In der Regel findet man, dass auch nach vollkommen gelungener Staar-
operation wenig oder kein Accommodationsvermögen besteht. Es besitzen aber auch die
meisten Staarkranken, weil über das 40. Jahr mehr weniger weit hinaus, schon vor der
Staarbildung bereits sehr wenig oder gar keine Accommodation. Datirt die Staarbildung
von den Kinderjahren, so ist die Prüfung des Sehvermögens schon in Bezug auf die
Schärfe, wie denn erst in Bezug auf die Accommodation eine missliche Sache ; sie müs-
sen das genauere Sehen erst lernen. Demnach resultiren nur jene wenigen Individuen,
welche im Kindes- und Knabenalter gut sahen und noch vor Eintritt des 40. Jahres von
Cataracta befallen wurden. Deren Zahl, an sich schon gering, wird noch vermindert
dadurch, dass nicht bei allen die Pupille ganz frei und rein wird, und dass auch von
diesen nicht alle die zu verlässlichen Sehproben gehörige Bildung besitzen. — Ganz ent-
gangen scheint den Vertheidigern der Linsenveränderungstheorie der allbekannte Aus-
spruch der Augenärzte, dass Individuen, welche vor der Cataractabildung kurzsichtig
waren, im Allgemeinen nach der Operation ein besseres Sehvermögen darbieten. Beer
1. c. B. II. S. 338 spricht diese Thatsache in Folgendem aus: „Staarblinde , welche vor
der Entstehung der Cataracta schon sehr fernsichtig waren, werden es nach der Opera-
tion noch mehr sein. Desto mehr erfreuen sich diejenigen ihres wiedererhaltenen Ge-
sichtes, welche vor der Entfernung des Staares sehr kurzsichtig waren." Will man etwa
Beer nicht glauben, weil er alt ist, so überzeuge man sich doch selbst; auch Stelhoag's
auf Ziffern gestutzte Beobachtung an dem jüdischen Keligionslehrer besagt ja dasselbe.
Physiologie — Accoiumodation. 229
"Warum sehen aber Kurzsichtige nachher besser als solche, die nicht kurzsichtig waren?
"Weil sich bei ihnen die Linse regen erirt, oder die tellerförmige Grube vorwölbt? oder
— weil der Bulbus in der Sehachse verlängert ist? — Ich halte es vorläufig nicht für
einen blossen Zufall, dass die Beobachtung von Home, Maunoir und die zweite von mir
gerade junge Leute zwischen dem 17. und 21. Jahre betreffen; ob auch die Operations-
methode einen Einfluss habe, ist zweifelhaft; Maunoir will der Discission in dieser
Beziehung einen Vorzug einräumen; Home hatte aber extrahirt.
Nachträglich muss ich noch bemerken, dass Volkmann's Behauptung, „nur Versuche
nach dem Principe des Scheinerschen gäben über die Gegenwart des Accommodations-
vermögens sichere Auskunft," keineswegs als massgebend betrachtet werden kann. Hat
doch Volhnann selbst in seinen neuen Beiträgen zur Physiologie des Gesichtssinnes
(Leipzig 1S36 S. 161) angeführt, „er kenne kein besseres Mittel, um die Weit- oder
Kurzsiehtigkeit zu schätzen, als das Auge an einer wohlgedruckten Schrift unter verschie-
denen Entfernungen zu erproben. Die verschiedenen Optometer haben sich auch in dem
optischen Institute von Tauber als unpraktisch erwiesen. Ein sehr auffallendes Beispiel
lieferte mir ein Mann von vortrefflichem Gesicht, der in Porlerfields Versuch (Optometer)
die aufgesteckte Nadel durchaus nur zwischen 5 und 7 Zoll einfach sehen konnte. Da-
gegen vermochte ich mit meinem sehr kurzen Gesicht die Nadel in einer Distanz von
3V2 — 15 Zoll einfach zu sehen. Offenbar hindert das Optometer gewisse Augen in der
freien Ausübung der Accommodationskraft." Gewiss ist, dass, wenn durch ein doppeltes
Kartenloch eine Nadel in verschiedenen Entfernungen einfach gesehen werden kann, an
dem Vorhandensein des Accommodationsvermögens nicht gezweifelt werden kann; gewiss
aber auch, dass wenn ein zu diesem Experimente Verwendeter die Nadel nicht in ver-
schiedenen Distanzen einfach sehen kann, derselbe dennoch ein gutes oder doch ziem-
lich gutes Accommodationsvermögen besitzen kann. Ich bediene mich daher zur Beur-
theilung des Befractionszustandes und der Accommodationskraft seit mehreren Jahren nur
noch ausnahmsweise eines Optometers , und zwar eines nach Volkmanns Angabe höchst
zweckmässig in Halle angefertigten.
Schliesslich sei noch erwähnt, dass die Thatsachen, welche uns die vergleichende
Anatomie in Bezug auf das Accommodationsvermögen bietet, ganz geeignet sind, die hier
entwickelte Theorie vor allen andern plausibel erscheinen zu machen. Indem wir in die-
ser Beziehung auf die vergleichende Anatomie und Physiologie von Bergmann und Leuckart
(Stuttgart 1855) verweisen, können wir nicht umhin, wenigstens eine Stelle (S. 478)
wörtlich hier anzuführen. „Für die Ansicht, dass Formveränderung des Auges im Allge-
meinen als Mittel der Anpassung bei den Wirbelthieren vorkommt, sprechen besonders
einige Beobachtungen an Säugethieren. Thiere, welche abwechselnd in der Luft and im
"Wasser leben, wie die Seehunde, müssen entweder in der Luft sehr kurzsichtig und im
"Wasser sehr weitsichtig sein , oder die Anpassungsfähigkeit in sehr hohem Grade haben.
"Wenn wir bei diesen also eine ganz eigenthümliche Einrichtung finden, welche auf Form-
veränderung des Auges deutet, so dürfen wir wohl darin einen Fingerzeig sehen. Es
ist aber bekannt, dass bei Seehunden der vorderste Theil der Sclera, an welchen sich
die Hornhaut setzt, einen breiten festen Gürtel bildet, welcher durch eine weit schmälere
Portion (ebenfalls einen Gürtel um das Auge bildend) mit der derben Sclerotica des Au-
gengrundes verbanden ist. An den festen vordem Gürtel setzen^sich die geraden Augen-
muskeln an. Durch deren Mitwirkung kann sowohl eine Formveränderung des Bulbus
bewirkt werden, bei welcher die nachgiebige Zone der Sclera entweder mehr hervor-
gepresst wird, so dass das Auge sich verkürzt, oder es wird vielleicht durch die auf-
230 Augenmuskeln.
liegenden Muskeln diese nachgiebigere Stelle nach innen gedrückt und dadurch das Auge
verlängert. Ganz besonders geeignet zur Formänderung dürften aber die beiden Obliqui
sein. — Zu Gunsten der Formveränderung des Auges durch die Muskeln spricht auch,
dass man bemerkt hat, wie die Muskeln des kleinen Elcphantenauges bedeutend ausge-
bildet sind, so dass ihre Stärke mehr im Yerhältniss zur Dicke der Sclera als zur Grösse
des Auges abgemessen zu sein scheint."
B. Abnormitäten und Krankheiten.
Kurzsichtigkeit (Myopia).
Die Myopie lässt sich füglich als jener bleibende Refraclionszu-
stand des Auges bezeichnen, bei welchem der optische Mittelpunkt seines
Objectives ( Kreuzungsjnmkt der Richtungslinien) und der Schirm (Ma-
cula lutea und Umgebung) abnorm weit von einander abstehen. Der
Grund hievon liegt nach unserer Überzeugung in stationärer Verlänge-
rung des Bulbus in der Sehachse auf Kosten der hintern Wand, nicht
aber in stärkerer Wölbung der Hornhaut, wie man früher meinte, noch
in Vorwärtslagerung oder vermehrter Convexität des Krystallkörpers,
wie man nach den Accommodationstheorien von Huek, Stellwag, Cra-
mer und Helmholtz annehmen müsste. Diesen Fehler von Erhöhung
des Brechungsindex der Hornhaut oder Linse abzuleiten, dazu fehlen
die Prämissen der Beobachtung; ob Verflüssigung des Glaskörpers (Her-
absetzung seines Brechungsindex) an und für sich Kurzsichtigkeit er-
zeuge, ist gleichfalls noch nicht direct nachgewiesen; sie scheint aber
an der frühern Vereinigung der Lichtstrahlen (durch Vorwärtsrückung
des optischen Mittelpunktes] einigen Antheil zu nehmen, und demnach
da, wo sie vorkommt (bei höheren Graden von Kurzsichtigkeit), in An-
schlag gebracht werden zu müssen.
Abnorm grosser Abstand des optischen Mittelpunktes von der Ma-
cula lutea lässt sich an jedem normalen Auge erzielen, wenn man ihm
ein Convexglas vorhält. Der optische Mittelpunkt fällt bei der Com-
bination der Sammellinse des Auges mit einer Glaslinse nicht mehr in
die Nähe des hintern Poles des Krystallkörpers, sondern weiter vor-
wärts, und zwar je nach der Stärke des Convexglases, in die Mitte des
Krystallkörpers oder selbst mitten in die Pupille. Der optische Mittel-
punkt des so bewaffneten Auges steht demnach abnorm weit von der
Netzhaut ab. Auf diese Weise kann ein Jeder durch Vorhalten eines
Convexglases die Erscheinungen der Kurzsichtigkeit an sich selbst
Kurzsichtigkeit — Kennzeichen. 231
studiren, und zwar in allen Abstufungen, wenn er von den schwächsten
Nummern, etwa 80" oder 60" Brennweite, zu immer stärkeren aufsteigt.
Das nothwendige und unmittelbare Ergebniss dieses abnorm gros-
sen Abstandes zwischen dem optischen Mittelpunkte und der Netzhaut
ist, dass die Distanz der Objecte, welche auf de?' Netzhaut abgebildet
werden sollen, eine kürzere sei?i mnss, als beim normalen Auge, und
zwar unter übrigens gleichen Umständen um so kürzer, je länger jener
Abstand, je kurzsichtiger das Auge ist. Ein Kurzsichtiger sieht daher
Objecte von einer gewissen Entfernung, in welcher sie einem normalen
Auge noch deutlich oder doch ohne merklich störende Zerstreuungs-
kreise erscheinen, bereits undeutlich oder gar nicht, weil die je einem
leuchtenden Punkte des Objectes entsprechenden Strahlen schon mehr
weniger weit vor der Netzhaut vereinigt werden und die Netzhaut erst
als Kegelquerschnitte treffen, welche mehr weniger in einander über-
greifen oder auch schon je auf ein so grosses Netzhautareal vertheilt
werden, dass jedes empfindende Netzhautelement viel zu wenig Licht
von dem betreffenden Strahlenkegel erhält, als dass es noch zur Empfin-
dung angeregt werden könnte. Die Kurzsichtigkeit schliesst demnach
die Wahrnehmung unendlich weit entfernter Objecte nicht aus, wenn die-
selben nur ein hinreichend intensives Licht liefern, und der Sehwinkel
nicht zu klein ist. (Sterne.)
Bei Myopie müssen die Objecte relativ näher an das Auge gebracht
werden, als im normalen Zustande, wenn die ihnen entsprechenden
Bilder nicht vor, sondern auf der Netzhaut entworfen werden sollen.
Es gibt aber noch andere Zustände, welche eine abnorme Annäherung
der Objecte behufs des Deutlichsehens erheischen. Die vorzüglichsten
sind: vermehrte Wölbung der Cornea, centrale Trübungen der durch-
sichtigen Medien, geringere Energie der Netzhaut. Diese Zustände
können vorhanden sein, ohne dass der Eefractionszustand des Auges
eine bleibende Umwandlung in den der Myopie erlitten hat: sie kön-
nen aber auch bereits zu dieser geführt haben, oder sie können später
zu dieser hinzugetreten sein. Dann hat man es aber nicht mit ein-
facher oder reiner, sondern mit complicirter Kurzsichtigkeit zu thun,
und niuss das gegenseitige Yerhältniss erst durch ein genaues Examen,
emiitteit werden. Die Nichtbeachtung dieses Verhältnisses ist Schuld,
dass noch immer nicht nur Laien, sondern selbst Arzte und Schriftstel-
ler keinen klaren Begriff von der Kurzsichtigkeit haben, und Augen
für kurzsichtig halten, welche nichts weniger als kurzsichtig sind. Wir
werden zunächst nur von der einfachen oder reinen Kurzsichtigkeit
handeln.
232 Augenmuskeln.
Die Kurzsichtigkeit kommt in sehr verschiedenen Graden vor.
Von den extremsten Fällen, wo z. B. Buchstaben mittlerer Grösse nur
bei 2" Distanz gelesen werden können, gibt es allmälige Übergänge
bis zu solchen Fällen, wo man in Zweifel kommt, ob man ein normales
oder ein kurzsichtiges Auge vor sich habe. Niedrige Grade werden
bei dem gewöhnlichen Sehbedürfnisse gar nicht bemerkt, während
höhere Grade unter allen Verhältnissen — mit Ausnahme weniger Ver-
richtungen — das Mangelhafte des Gesichtes fühlbar machen. Druck-
schriften von bestimmter Grösse können als das einfachste Mittel zur
Beurtheilung der Sehweite benützt werden. Doch ist zu bemerken,
dass es Leute gibt, welche bei den Proben mit dem Lesen mittelgrossen
Druckes sowohl als mit Optometern eine geringe Sehweite ausweisen,
und dennoch in mittlem und grössern Entfernungen nicht so schlecht
sehen, als andere, welche bei diesen Proben in einer viel grössern Ent-
fernung deutlich sehen.*) — Augen, welche bis zu 24 Zoll Distanz,
noch mittelgrosse (circa 3/<t//; hohe) Druckschrift lesen können, reichen
für die gewöhnlichen Anforderungen an das Gesicht bequem aus, und
lassen ihre Mangelhaftigkeit im Vergleich zu völlig normalen Augen
nur dann bemerken, wenn es sich um das Erkennen und Unterscheiden
sehr entfernter Objecte handelt, wie etwa beim Schiessen, beim Erken-
nen einer Thurmuhr u. dgl. (Niedrige Grade von Kurzsichtigkeit.)
Leute, welche höchstens bis zur Distanz von circa 14 Zoll lesen kön-
nen, fühlen das Bedürfniss, ihr Gesicht durch Gläser zu unterstützen,
bereits beim Herumgehen auf der Gasse, beim Erkennen von Personen
auf 15 — 20 Schritte, beim Blicke auf die Tafel in Hörsälen u. s. w.
(Mittlere Grade.) Doch kann der Gebrauch von Augengläsern noch
immer ohne Gefahr der persönlichen Sicherheit im Freien umgangen
werden, sobald der Kurzsichtige noch auf mehr als 8 Zoll Distanz
Mitteldruck lesen kann. (Hohe Grade.) Solche endlich, die nur bis
auf höchstens 4 Zoll noch lesen können, sehen selbst grössere Gegen-
stände undeutlich, sobald sie über 2 — 3 Schritte entfernt sind, und eine
grosse Zahl solcher Augen ist bereits zugleich amblyopisch. (Höchster
Grad.)
Je bestimmter die Kurzsichtigkeit ausgesprochen ist, desto sicherer
lassen sich auch die Grenzpunkte des deutlichen Sehens angeben, und
*) Man hat den Zustand, wo ein Auge relativ zu seinem Verhalten gegen kleine Objecte in naher und
massiger Entfernung selbst grössere Gegenstände auffallend schlecht oder gar nicht sieht, sobald
diese über eine gewisse Grenze hinausgerückt sind, Myopia in Distans genannt, und A. von Gräfe
(Archiv f. Ophth. Bd. II. Abth. I. S. 159) hat denselben durch den Nachweis erklärt, dass ein sol-
ches Auge, sobald ihm eine scharfe Accommodation unmöglich ist, nicht mehr den relativ günstig-
sten, sondern gerade den conträren Kefractionszustand annimmt, also bei der Bemühung, zu weit
entfernte Objecte zu erkennen, unwillkürlich für die Nähe eingerichtet wird.
Kurzsiehtigkeit — Kennzeichen. 233
zwar nicht bloss der Nahe-, sondern auch der Fernpunkt. In Bezug
auf die Objecte, welche in Distanzen zwischen diesen Grenz f mnkten
liegen, verhält sich das kurzsichtige Auge im Allgemeinen genau so wie
das normale; es sieht dieselben unter den allgemeinen Bedingungen
deutlich, ja es zeigt im Allgemeinen sogar eine grössere Schärfe (Fein-
heit) des Gesichtes, indem dasselbe Object bei der gleichen Distanz
auf seiner Netzhaut ein grösseres Bild entwirft, als im normalen Auge,
weil eben die Netzhaut weiter vom optischen Mittelpunkte absteht.
(Bd. III. S. 40.) Zu diesem auf der Strahlenbrechung beruhenden Mo-
mente kommt noch, dass in solchen Augen häufig die Energie der
Netzhaut (durch Übung) beträchtlich gesteigert ist. Daher sehen Kurz-
sichtige winzige Objecte in gehöriger Nahe oft schärfer, als Normal-
sichtige selbst mit Hilfe einer Loupe. — Gleichwie der Fernpunkt des
deutlichen Sehens beim kurzsichtigen Auge in einer bestimmten, dem
Auge näher gerückten Entfernung liegt, ist in der Regel auch der Nahe-
punkt demselben genähert bis auf 4, 3, selbst 2 Zoll. Da aber der
Nahepunkt schon im normalen Auge nur etwa 5" vor dem Hornhaut-
centrum liegt, und da derselbe auch beim höchsten Grade von Kurz-
sichtigkeit bis auf höchstens 13/Vy Nähe herangerückt erscheint, so er-
gibt sich, dass Augen, deren Fernpunkt nur 2 — 3" weit absteht, der
aecommodativen Thätigkeit keinen Spielraum mehr gestatten, Augen da-
gegen, deren Fernpunkt z. B. 14", Nahepunkt 4" oder 3" absteht,
noch ein beträchtliches Accommodationsvermögen besitzen. Im kurz-
sichtigen Auge sind demnach der aecommodativen Thätigkeit im Allge-
meinen um so engere Schranken gesetzt, je näher der Fernpunkt heran-
gerückt, d. h. je kurzsichtiger es ist. Doch kommen Fälle vor, wo der
Nahepunkt nicht so nahe liegt, als man nach der Heranrückung des
Fernpunktes erwarten sollte, wo das Auge z. B. nur zwischen 6 und 5
Zoll mittleren Druck lesen kann, während andere zwischen 6 und 3
Zoll lesen.
Durch Vorhalten eines entsprechenden Concavglases vor das kurz-
sichtige Auge kann der Abstand des optischen Mittelpunktes von der
Netzhaut verkleinert, mithin dem des normalen Auges gleich (gemacht
werden. Ist nun der aecommodativen Thätigkeit noch ein grosser Spiel-
raum gelassen, wie in der Begel in Augen, deren Fernpunkt nicht
unter S Zoll absteht, so kann ein so bewaffnetes Auge fast für alle
Distanzen mit einem normalen in Concurrenz treten, und es kommt
mit dieser Correction seines Eefractionszustandes dem normalen Auge
um so näher, je weniger kurzsichtig es ist, und je grössere Exemtio-
nen seiner Netzhaut (hintern Wand) noch gestattet sind.
234 Augenmuskeln.
Beim Vorkalten einer dunkeln Metallplatte oder eines Kartenblattes
mit einer engen Öffnung nahe vor der Cornea kann das rein kurzsich-
tige Auge die zu Leseproben verwendete Schrift eben so weit wie ein
normales Auge lesen, oder doch in viel grösserer Distanz, als ohne dieses
Hilfsmittel. Der Grund hievon liegt darin, dass die Zerstreuungskreise
auf Minima reducirt werden. Dasselbe suchen Kurzsichtige, wenn sie
in Entfernungen noch deutlich sehen wollen, wo die Zerstreuungskreise
bereits zu gross ausfallen, durch Verengerung der Lidspalte (Blinzeln,
ftveiv) zu bewerkstelligen. Der Nutzen des Blinzeins sowohl als der
engen Diopteröffnungen ist jedoch ein sehr beschränkter, da mit der
Enge der Öffnung auch die Abnahme der Lichtmenge steigt, welche
yon je einem Punkte des lichtsendenden Objectes zur Netzhaut gelan-
gen kann, mithin bei grösseren Entfernungen das Netzhautbild um so
lichtärmer wird, je enger die Diopteröffnung ist.
Mit Hilfe der eben besprochenen Merkmale lässt sich die reine
Kurzsichtigkeit leicht von den obgenannten Zuständen unterscheiden,
welche mit derselben eben nichts gemeinschaftlich haben, als dass die
betreffende Person dieObjecte, die sie noch relativ gut sehen will, ab-
norm nahe an das Auge bringen muss. Das rein kurzsichtige Auge
sieht die Objecte, die ihm hinreichend genähert sind, eben so deutlich
und im Allgemeinen noch schärfer, als das normale Auge; sein Gesicht
kann durch entsprechende Concavgläser für dieselben Distanzen wie
das normale adaptirt werden, und enge Öffnungen, nahe vor das Auge
gehalten, erweitern die Sehweite für massige Distanzen um ein Be-
trächtliches. Ich habe noch nie eine Person mit anderweitig nach-
weisbarer vermehrter Wölbung der Cornea gefunden, welche ein auch nur
dem normalen Auge an Schärfe gleichkommendes Gesicht gehabt hätte,
auch nicht bei beliebig grosser Annäherung der Objecte. Dass Leute
mit centralen Hornhaut- oder Linsentrübungen keine Gläser finden,
welche der Mangelhaftigkeit ihres Gesichtes abzuhelfen vermöchten,
weiss jeder Optiker. Selbst wenn zugleich Kurzsichtigkeit neben einer
solchen Trübung vorhanden ist, leisten Concavgläser nicht den gleichen
Dienst, wie bei reiner Kurzsichtigkeit. Die geringere Energie der
Netzhaut verräth sich besonders bei der Probe mit einer engen Öffnung.
(Vergl. Bd. HI. S. 98.)
Der Kurzsichtige (mittlem und höhern Grades) blickt im Allgemei-
nen mit etwas mehr convergenten Sehachsen herum. Gibt man ihm
ein Buch zum Lesen, so hält er es im Gegensatze zum Weitsichtigen
nicht unter, sondern mehr gerade vor oder selbst etwas über den
Augen, zumal wenn er angewiesen wird, in grösstmöglicher Entfernung
Kurzsiehtigkeit — Kennzeichen. 235
zu lesen. Er neigt daher auch den Kopf eher etwas vor- als rück-
wärts. Seine Bulbi fühlen sich (bei höheren Graden) härter an, zeigen
besonders zur Zeit, wo das Übel noch im Entstehen und Zunehmen
begriffen ist, stärkere Injection der Ciliargefässe, selbst der Conjunctiva
bulbi et palpebrarum, und relativ (zum Lichteinflusse und zur Distanz
der fixirten Objecte) grössere Pupillen; ihre Verlängerung in der Seh-
achse, welche sich oft schon aus dem Hervorragen aus der Orbita
(Glotzen) vermuthen lässt, kann bei den höhern und höchsten Graden
auf die oben angegebene Weise bestimmt nachgewiesen werden.
Ist ein Auge in höherem Grade kurzsichtig als das andere, so
kann man diess bei nur einigermassen erheblicher Differenz schon vor
Anstellung der Sehproben an der Verlängerung in der Sehachse und
an der dadurch bedingten Prominenz dieses Bulbus erkennen. Über
die Lage der Iris in kurzsichtigen Augen haben wir das Notlüge be-
reits auf S. 210 angegeben.
Da nur mittlere und höhere Grade von Kurzsichtigkeit Untauglich-
keit zu gewissen Beschäftigungen und Dienstleistungen (ohne Unter-
stützung durch Concavgläser) mit sich bringen, so sind dem Arzte
schon in dem bisher geschilderten Verhalten kurzsichtiger Augen wohl
hinreichende und verlässliche Mittel gegeben, um mit Bestimmtheit ein
Gutachten abgeben zu können. Es bietet aber auch noch die Unter-
suchung mit dem Augenspiegel einen Anhaltspunkt von objectiver Gil-
tigkeit dar, zumal wenn man demjenigen, der ein normales Auge be-
sitzt und während der Untersuchung mit möglichster Anstrengung für
die Nähe accommodirt, diess letztere durch ein Mydriaticum unmöglich
macht. Ausserdem liefern auch Augengläser ein Mittel, Simulanten zu
entlarven. Hält man demjenigen, welcher sich anstellt, als könne er
z. B. nur bis 8 Zoll Distanz lesen, ein Concavglas vor, etwa von 8—10
Zoll Brennweite, so wird er, falls er wirklich kurzsichtig ist, mit dieser
Unterstützung nahezu eben so gut sehen, wie ein Normalsiehtiger, falls
er aber normalsichtig ist, das Vorhalten eines solchen, und selbst eines
schwächeren (etwa bis zu Nr. 12) nicht lange aushalten. Es kann aber
ein normales Auge durch methodische Übung mit Concavgläsern sich
in kurzer Zeit einüben, auch mit Concavgläsern ziemlich gut zu sehen,
ohne desshalb bleibend kurzsichtig zu werden. Daher ist die* Probe
mit Concavgläsern nicht allgemein verlässlich. Setzt man aber einem
wirklich kurzsichtigen Auge eine massig convexe Brille vor, und zwar
von solcher Convexität, dass ein normales Auge damit noch in einer
bestimmten Distanz lesen kann, wie etwa mit den Nummern zwischen
1 5 und 20", so wird es damit nicht lesen können, ausser in sehr grosser
236
Augenmuskeln.
Nähe, und es wird gewiss nie einen Betrüger geben, der die Probe
mit concaven und die Gegenprobe mit convexen Gläsern zu bestehen
vermöchte.
Sectionsbefunde kurzsichtiger Augen haben bisher ganz gefehlt. Bloss Prof. Ritte-
rich*) führte in der medicinischen Gesellschaft zu Leipzig (Sitzung vom 26. Februar
1839) den Sectionsbefund der Augen eines stets kurzsichtig gewesenen Buchdruckers
an, der sein Leben durch Selbstmord geendet hatte. Die Augapfel waren birnförmig,
vorn breit, hinten schmäler gestaltet, und die hintere Hälfte der Sclerotica verdünnt.
Ob der gelehrte Beobachter, welcher diesen Zustand für einen angeborenen zu halten
geneigt ist, den Befund irgendwo anders ausführlicher notirt habe, ist mir unbekannt.
Ich besitze jetzt die Augen von vier Kurzsichtigen. Zwei davon kannte ich wäh-
rend des Lebens sehr gut, den Kreisarzt Seh., der im 72., und die Wittwe meines Leh-
rers F., die im 53. Jahre starb. Die beiden andern waren Männer von 30 und 38 Jah-
ren; auf ihre Augen wurde ich bei meinen Operationscursen durch die auffallende Tiefe
der vordem Augenkammer aufmerksam, was mich zur Herausnahme der Bulbi bestimmte ;
beide hatten, wie ich nachher erfuhr, Concavglässer getragen, welche ich mir verschaffte,
um ihre Brennweite zu erfahren; diese betrug bei dem einen 7, bei dem andern 10 Zoll.
Die Section fand bei allen zwischen 30 — 40 Stunden nach dem Tode statt.
Namen und
Alter
I.
F. Seh., 72 J.
II.
F.Macha, 38 J.
III.
Jos. Fabian, 36 J.
IV.
Anna F. 53 J.
Stand
Medic. Doctor
Kattundrucker
Zimmerwichser
Professorsgattin
Nummer der
letzt benutzten
Gläser
14"
10"
7",
37a"
Äussere Augen-
achse (Sehachse)
R und L = 12'"
R = 12?/«"'
L = 13'"
Ru.L= 127a'"
R=14 L=1372;"
Aquatorial-
Durchmesser
Hör. und vertic.
beiders. = 1 1 lk"'
Hör. und Vert.
R = 11 v«'"
L = ll3/*"'
R hör. = 1173"'
vert. = 1 2'",
L hör. = 1 1 Wk"l
vert. == 12'"
Hör. und vert.
R = II74"'
L = 117»'«
Tiefe der
Augenkammer
R u. L = 1"'
R = l'A'"
L nicht gemessen
R = PA'"
L nicht gemessen
R = t.'74"'
L nicht gemessen
Achse der Linse
nicht gemessen
R = 13A'"
R = P/s'"
R = 17s"'
Bei keinem dieser Augen bot die Hornhaut eine Abnormität in Bezug auf Dicke,
Durchsichtigkeit oder Wölbung (nach den Spiegelbildern geschätzt) dar. Die Lage der
Bulbi konnte nur bei IV. als glotzend bezeichnet werden, und hier hatte ich die Ver-
längerung der Bulbi schon während des Lebens mit Sicherheit erkannt. Auffallend war
mir die Dicke der Augenmuskeln, besonders des Rect. internus und des Obl. inferior bei
III. , welcher an Tuberculosis pulm. gestorben, und bei IV., welche nach mehrjährigem
Leiden zum Skelett abgemagert war. Der Ciliarmuskel war bei IV. circa 2/s'", bei III.
aber nahezu 1/z"t (an der dicksten Stelle, von aussen nach innen). Bei III. betrug der
*) Schmidt's Jahrb. 1842. Bd. 36. S. 138. 9
Kiirzsichtigkeit — Anatom. Befund. 237
Abstand einer dui-ch den Ciliarrand der Iris gelegten Ebene vom Centrum der Descemet-
schen Haut U/3'", so dass demnacb Ciliar- und Pupillarrand der Iris in einer und der-
selben Ebene lagen.
"Was nun die Sclera betrifft, so erschien dieselbe bei I. auch im hintern Umfange
normal, und konnte die Achsenverlängerung nur durch die Messung erkannt werden,
"während bei den übrigen die Bulbi nicht nur durch ihre birnförmige Gestalt, sondern
auch durch bläuliche Färbung in der Umgebung des hintern Poles auffielen. Die Zer-
legung der Bulbi in eine obere und untere Hälfte, welche bei den letzten 3 Indiv. nur
an dem rechten Auge vorgenommen wurde, erwies alsbald, dass diese Verfärbung nur
vom Durchscheinen der verdünnten und ausgedehnten Sclera herrührte. Mit der Sclera
waren auch die Chorioidea und Retina ausgedehnt, indem sie ihr einfach anlagen, ohne
mit ihr verwachsen zu sein. Die Macula lutea fehlte in keinem Falle, stand aber etwas
weiter vom Eintritte der Centralarterie ab ; bei IV. betrug der Abstand des Foramen
coecum vom Centrum der Sehnervenpapille 2l/i'". Mikroskopisch habe ich diese Par-
tien nicht untersucht. Bloss bei IY. bot die Netzhaut ein etwas abnormes, punkt- oder
fleckweise etwas trüberes Aussehen dar, und erschien die Mitte der Macula lutea braun-
schwarz, beim Abheben von der Chorioidea durchlöchert.
Bei A. F. (IV.) bot die bedeutend verdünnte und ausgedehnte Chorioidea in der Ge-
gend des hintern Poles ein marmorirtes Aussehen dar, bedingt durch beinahe gänz-
lichen Mangel des Pigmentes an einer rundlichen Stelle von etwas über 2'" Durchmes-
ser, welche sich unmittelbar an die Schläfeseite der Sehnervenpapille anschloss, und
nur hie und da Punkte, Streifen und Fleckchen braunen Pigments zeigte. Der grösste
• Pigmentfleck haftete in der Chorioidea gerade an der Stelle der Macula lutea. In der
nächsten Umgebung dieses Fleckes erscheint die in dieser ganzen Gegend halbdurch-
sichtige Chorioidea unter der Loupe leicht getrübt, bläulich weiss, wahrscheinlich von Exsu-
dat durchsetzt , doch mit der Sclera nicht verwachsen , bloss durch die ein- und austre-
tenden Nerven und Gefässe (wie gewöhnlich) verbunden. Ich hatte, um diese Verhält-
nisse im Zusammenhange gehörig überblicken zu können, das linke Auge so geöffnet,
dass ein senkrecht auf die Sehachse durch den Bulbus durchgeführter Schnitt nur die
staphylomatös vorgetriebene Partie des Bulbus abtrennte, und somit das Präparat noch
heute bequem von vorn angesehen werden kann. Ich muss zum Verständniss dieses Befun-
des noch anführen , dass A. F. durch viele Jahre Nr. 4 concav getragen , in den letz-
ten 6 — 7 Jahren aber zu Nr. 3 ',2 gegriffen hatte. Sie war von früher Jugend an, wo
sie die Blattern überstanden hatte , in hohem Grade kurzsichtig gewesen , und hatte na-
mentlich nach zurückgelegtem 30. Jahre wegen congestiv-entzündlicher Erscheinungen,
welche Amaurosis befürchten Hessen, oft ärztliche Hilfe in Anspruch genommen. Auf
dem linken Auge hatte sie in den letzten 4 — 5 Jahren die Zeichen centraler Netzhaut-
amaurosis dargeboten, indem sie auch bei grösster Annäherung der Objecte nur mit
den seitlichen Partien der Netzhaut sah, und weder Concavgläser noch feine Kartenblatt-
öffnungen das diiecte Sehen mit der Macula lutea ermöglichten. Ich hatte ihr desshalb
auch in den letzten 3 Jahren das Tragen von Augengläsern gänzlich untersagt, obwohl
sie dadurch in einen Zustand von Unthätigkeit versetzt war, der ihrem regen Geiste
grosse Opfer kostete. Während der Krankheit, der sie nach anderthalbjährigem Leiden
unterlag, hatte sich der Zustand ihrer Augen — mit Ausnahme der centralen Lähmung
am linken Auge — merklich gebessert, indem sie namentlich nicht mehr so sehr von
feurigen und farbigen Erscheinungen und von zeitweiligem Halbsehen geplagt wurde,
eine Besserung, die ich dem Umstände zuzuschreiben geneigt bin, dass die Patientin
238 Augenmuskeln.
sich jetzt auch des Schreibens, Strickens u. dgl. beinahe gänzlich enthalten rnusste.
Ich will noch hinzufügen, dass A. F. in ihren Kinderjahren gleich ihren 3 Geschwistern
sich eines normalen Gesichtes erfreut hatte, und dass von diesen nur ein Bruder (Med.
Doctor) kurzsichtig ist. Soll ich nun meine Ansicht über diesen Fall abgeben, so lautet
sie dahin, dass A. F. nicht desshalb kurzsichtig wurde, weil Chorioiditis in der Gegend
des hintern Poles stattgefunden hatte, sondern dass in ihren Augen, nachdem sie in
höherem und höchstem Grade kurzsichtig geworden waren, partielle Chorioiditis, an der
Macula lutea zuletzt auch Retinitis aufgetreten ist, höchst wahrscheinlich bedingt durch
zeitweilig auftretende kleine Apoplexien, welche ihren Grund entweder darin fanden,
dass bei der starken Rückwärtsdrängung der hintern Wandung der Rückfluss durch die
hintern Ciliarvenen behindert war, oder darin, dass nach Momenten stärkerer Ausdeh-
nung der aller Elasticität verlustigen hintern Wandung ein Moment eintrat, wo die
Gefässe der Chorioidea und Retina unter geringerem Drucke standen. Nachzutragen habe
ich noch, dass der Glaskörper ohngefähr in seiner hintern Hälfte verflüssigt war, und
zwar in beiden Augen, und dass die Kranke sich häufig nicht bloss über fliegende
Mücken, die sie nie verliessen, sondern auch — wenigstens in den letzten Jahren — über
dunkle und feurige Scotome beklagt hatte.
Ich sehe demnach in den genannten 4 Fällen ein und dasselbe Grundleiden, nur
in sehr verschiedenem Grade ausgesprochen, und diess ist ein Grund mehr, der mich
bestimmt, das Vorhandensein von Veränderungen in der Chorioidea und Retina nicht als
das primäre, sondern nur als etwas zu den höchsten Graden von Kurzsichtigkeit zufällig,
nicht noth wendig Hinzutretendes zu betrachten. Ich habe in der Zeit von 10 Jahren
an vielen Augen zufällig (in der Leichenkammer) Ausbuchtungen der hintern Wandung
gefunden, ihre Bedeutung aber viele Jahre nicht gekannt. Unter den Präparaten, wel-
che ich als Staphyloma posticum Scarpae aufbewahre , finden sich mehrere mit centra-
len Hornhautnarben , eines auch mit Centralkapselstaar grösserer Ausdehnung (Pyrami-
denstaar). Bei einem der ersten dieser Präparate *) war ich geneigt, den nächsten Grund
dieser Ausbuchtung in sensilem Schwunde der Sclera zu suchen , weil der Zufall mich
diesen Befund gerade bei sehr alten Individuen hatte finden lassen. Später aber, als ich
ihn mehrmals mit centralen Trübungen der durchsichtigen Medien und auch bei jüngeren
Individuen gefunden hatte , musste an einen Zusammenhang dieser Momente gedacht
werden, und jetzt, wo ich das Staphyloma posticum in verschiedenem Grade bei erwie-
senermassen Kurzsichtigen gesehen habe , bleibt nichts übrig, als anzunehmen, dass jene
centralen Trübungen zu Kurzsichtigkeit führten , und somit dasselbe bewirkten , was an
andern Augen einfach durch unzweckmässige Anwendung der Augen in der Jugend zu
Stande gebracht worden war.
Wir können nun noch ein objeetives Merkmal der Kurzsichtigkeit aufstellen, doch
nur für die höhern und höchsten Grade. Es ist diess die Rareficirung der Chorioidea
und ihres Pigmentes in der Gegend des hintern Poles, welche sich mit dem Augenspie-
gel nachweisen lässt. Solche Augen lassen sich bequem im umgekehrten Bilde ohne
Hilfe eines Convexglases in der Distanz von 12 — 8 Zoll untersuchen. Man kann diese
Veränderungen des Augengrundes auch an Augen finden , welche — abgesehen von der
Kurzsichtigkeit — ein ganz gutes Gesicht besitzen.
Ätiologie. Die Kurzsichtigkeit ist bekanntlich in civilisirten Län-
dern eine sehr häufige Erscheinung, und auch da unter gewissen Stän-
*) Prager medic. Vierteljahrschrift 1847. Bd. II. S. 58.
Kiirzsichtigkeit — Ätiologie. 239
den ungleich häufiger, als unter andern. *) Sie kommt unstreitig am
häutigsten bei jenen Individuen vor, welche im Knaben- oder selbst
schon im Kindesalter anhaltend oder vorwaltend mit der Betrachtung
feiner Objecte (Lesen, Schreiben, Zeichnen, Sticken, Nähen u. dgl.)
beschäftigt wurden, und tritt meistens erst um das 12. — 16. Jahr herum
so deutlich in die Erscheinung, dass sie bemerkt wird. Vor dem 7. Jahre
habe ich noch keinen Fall reiner Kurzsichtigkeit zu beobachten Ge-
legenheit gehabt, gleich wie mir nur selten ein Fall von Kurzsichtig-
keit höheren Grades vorgekommen ist, welche sich in Augen entwickelt
hatte, wo sie nicht schon vor dem Eintritte der Pubertät in einem ge-
wissen Grade bestanden hatte. Manche betrachten ihre Kurzsichtigkeit
als erblich, weil Eltern oder Geschwister gleichfalls kurzsichtig waren,
oder weil sie ihr Übel schon zur Zeit des ersten Schulbesuches bemerkt
haben wollen. Mir fehlen hierüber verlässliche Beobachtungen. Wenn
übrigens bei Kindern kurz- oder schwachsichtiger Eltern Kurzsichtig-
keit auftritt, so ist wohl auch au unwillkürliches Nachahmen der Ma-
nieren der Eltern zu denken, und wenn Kurzsichtigkeit bei mehreren
Geschwistern vorkommt, so wird noch untersucht werden müssen, ob
nicht alle eben solchen Verhältnissen bei der Erziehung ausgesetzt
waren, von denen es erwiesen ist, dass sie Kurzsichtigkeit herbeizu-
führen vermögen. Wir wollen demnach Erblichkeit der Kurzsichtigkeit
oder doch eine gewisse Disposition hiezu nicht gerade in Abrede stel-
len, glauben jedoch, dass Fälle, wo es den Anschein dazu hat, mit
grosser Vorsicht aufzunehmen sein werden. Das jugendliche Alter bietet
in der Weichheit und Dehnbarkeit der Sclerotica an sich schon die
hinreichende Disposition zu diesem Zustande, der sich im Mannesalter,
wenn das Auge bis dahin völlig frei geblieben, nur nach ganz beson-
deren Veranlassungen entwickeln kann. Ich habe von einigen Collegen
die Klage gehört, dass sie, obwohl sie sich noch in den zwanziger
Jahren des besten Gesichtes für nah und fern erfreut hatten, später
durch anhaltende Studien, besonders aber durch Arbeiten mit der Loupe
oder mit dem Mikroskope kurzsichtig geworden seien, indem sie bei
weitem nicht mehr in so grosse Ferne deutlich sähen, wie vordem.
Wenn ich aber den Eefractionszustand untersuchte , so zeigte sick's,
dass keine Kurzsichtigkeit eingetreten war, sondern nur Abnahme der
Schärfe des Gesichtes für grössere Distanzen, dass sogar der Nahe-
*) Furnari (Ann. d'Oculist. T. X. p. 145) fand bei den Kabylen fast durchaus grosse, hervorragende
Augen, doch keine Kurzsichtigen. Er fand die Pupille bei diesen Völkerschaften relativ enge und
die Iris vorwärts gewölbt, daher die vordere Kammer kleiner, Iris und Cornea haben einen kleinern
Umfang als bei den Europäern.
240 Augenmuskeln.
punkt nicht mehr 5, sondern 6 Zoll und darüber vor der Hornhaut lag.
Bei vernachlässigter Übung im Fernsehen kann die Schärfe des Ge-
sichtes in dieser Richtung sehr bedeutend abgenommen haben, obwohl
das Auge fernsichtig geworden ist. — Die grössere Zahl der Kurz-
sichtigen gehört dem männlichen Geschlechte an, was sich aus den
(später angeführten) äussern Veranlassungen erklärt. Oft ist nur das eine
Auge kurz-, das andere normal- oder weitsichtig; sind beide Augen
kurzsichtig, so sind sie es selten in ganz gleichem Grade.
Anhaltende, oder oft, lange und in kurzen Zwischenräumen wieder-
kehrende Accommodation (Anstrengung zum Erkennen naher kleiner
Objecte) und jugendliches Alter sind die Factoren der Kurzsichtigkeit.
Die Veranlassungen hiezu sind mannigfaltig und theils in, theils ausser
dem Auge gelegen. Zu den ersteren gehören: centrale Trübungen der
durchsichtigen Medien und angeborene oder erworbene geringere Ener-
gie der Netzhaut , zu den letzteren : übermässiges Beschäftigen mit
kleinen Objecten, unzeitiger und unzweckmässiger Gebrauch von Bril-
len, Loupen, Mikroskopen, unzureichende Beleuchtung, zu grosse An-
näherung der Objecte u. dgl. — Centrale Hornhaut- oder Linsentrübun-
gen geben Veranlassung zur Kurzsichtigkeit, wenn sie — ohne Rücksicht
auf Ausdehnung und Begrenzung — halbdurchsichtig oder stark durch-
scheinend sind, oder aber wenn sie völlig oder nahezu undurchsichtig,
dabei jedoch kleiner als die Pupille sind. Im letztern Falle benehmen
sie nicht nur eine Quantität Licht, sondern verkürzen auch durch Aus-
schluss der Achsen und nächst gelegenen Strahlen die Brennweite des
Auges, und machen aus diesen Gründen ein stärkeres Annähern aller
Gesichtsobjecte, mithin Forcirung der Accommodationsorgane notwen-
dig; im ersteren Falle wirken sie theils durch Abhaltung von Licht-
strahlen auf die Helligkeit des Netzhautbildes, theils durch Zerstreuung
eines Theiles der durchgelassenen Strahlen (Diffusion) auf die scharfe
Begrenzung desselben beeinträchtigend, und laden hiedurch zu stärkerer
Annäherung der feinern Gesichtsobjecte ein. Sind beide Hornhäute ge-
trübt, so können beide Augen den Refractionszustand und die Merkmale
kurzsichtiger Augen acquiriren, sobald das betreffende Individuum noch
jung ist und einem oder dem andern der äussern Veranlassungsmomente
ausgesetzt wird; ist nur das eine Auge getrübt, oder das eine wenig,
das andere mehr, so wird, wenn überhaupt Kurzsichtigkeit eintritt, ge-
wöhnlich das reine oder weniger getrübte kurzsichtig, und das andere,
falls nicht etwa Schielen oder einfache Vernachlässigung desselben
(Abstrahiren von seiner Erregung) erfolgt, wird nur für mittlere und
grössere Distanzen benützt. Doch können in Fällen monolateraler Trü-
Kurzsiehtigkeit — Verlauf — Folgen. 241
bung auch beide Augen kurzsichtig- werden. Man mag sich diess er-
klären, wie man will, das Factum ist richtig: ich habe es — Anfangs
zu meiner Verwunderung — oft genug beobachtet. Ich will jedoch
nicht behaupten, dass, wenn ich das maculöse Auge presbyopisch, das
kurzsichtige dagegen rein fand, dieses letztere auch zur Zeit der Ent-
wicklung der Kurzsichtigkeit von jeder Trübung frei gewesen sei, da
bekanntlich nicht gar tief greifende Hornhautnarben bei jugendlichen
Individuen bisweilen von selbst spurlos verschwinden. — Unter den
äussern Veranlassungen ist wohl übermässige Beschäftigung mit Lesen,
Schreiben u. dgl. in früher Jugend die häufigste, zumal wenn die Kin-
der dazwischen wenig ins Freie kommen. Viele bringen die Gesichts-
objecte, z. B. das Papier, näher, als zum Deutlichsehen nothwendig ist,
entweder einfach, weil sie es bei Andern so sahen, weil sie gleich beim
ersten Unterrichte nicht an die zweckmässigste Distanz (10 — 12") ge-
wöhnt wurden, weil sie schon von der Beschäftigung mit feinen Spiel-
sachen in den Kinderjahren an zu starke Annäherung der Objecte ge-
wohnt sind, oder desshalb, weil sie dazu genöthigt sind: durch die
relativ zu grosse Höhe des Tisches, durch zu geringe Beleuchtung der
Objecte (in dunklen Lehrsälen, bei unzulänglichem künstlichen Lichte),
blasse Tinte, schlechte Druckerschwärze, zu kleine oder zu eng an ein-
ander gedrängte Buchstaben, zu fein geschnittene Federn, zu wenig
lichtes Papier, oder durch bereits eingetretene Ermüdung des Auges und
momentane Schwächung der Sehkraft wegen bereits zu lange fortge-
setzter monotoner Beschäftigung (ohne Abwechslung, ohne gehörige
Pausen). Gesunkene Energie der Netzhaut scheint auch die Ursache zu
sein, dass sich die Kurzsichtigkeit — auch ohne vorausgegangene Ent-
zündung an den Augen — nach Scharlach, Masern, Blattern, Typhus
u. dgl. leicht entwickelt, wenn die Kinder noch vor völliger Erholung
zu angestrengtem Betrachten naher Objecte zugelassen oder angehalten
werden. Hier tritt indess, wie wir später sehen werden, häufiger Augen-
mattigkeit ein.
Dass wiederholte und anhaltende Beschäftigung mit dem Mikroskope
oder mit Loupen temporär oder bleibend zu Kurzsichtigkeit führt oder die
schon vorhandene mehr weniger steigert, ist Thatsache der Beobachtung.
Dasselbe gilt vom unzeitigen oder unzweckmässigen Gebrauche concaver
Brillen. Auf welche Weise diess geschehe, werden wir weiter unten bei
Besprechung des Brillengebrauches erörtern.
Verlauf, Folgen. Die Kurzsichtigkeit entwickelt sich wahrschein-
lich immer nur allmälig und stufenweise bis zu einem gewissen Grade,
wie er eben durch die genannten ätiologischen Momente bedingt wird.
Arlt Augenheilkunde. III. 16
242 Augenmuskeln.
Dass Congestionen zum Kopfe und zu den Augen die Entwicklung be-
günstigen oder gar herbeiführen sollten, halte ich für eben so wenig"
erwiesen, als Ruete's Annahme, dass ein Krampf im Ciliarnervensysteine
plötzlich oder periodisch Kurzsichtigkeit bewirken könne. Die Hyperämie,
die sich namentlich während der Entwicklung und des Fortschrittes
der Kurzsichtigkeit in den Conjunctivae und Subconjunctivalgefässen
zeigt, ist das Consecutive und Begleitende, nicht aber Theilerscheinung:
einer als Ursache supponirten Congestion. — Wo die genannten ur-
sächlichen Momente vermieden werden können, macht das Übel weiter
keine Fortschritte, und die Kurzsichtigkeit gehört unter dieser Be-
dingung durchaus nicht zu den Übeln, welche schlimme Folgen für das
Sehvermögen in sich einschliessen. Eine Ausnahme machen vielleicht
nur die höhern und höchsten Grade, und das in der Eegel nur im
höhern Alter oder bei irrationellem Gebahren. Was man den kurzsich-
tigen Augen allgemein nachrühmt, dass sie bei angestrengten feinen
Arbeiten ungewöhnlich lange ausdauern und Erstaunliches leisten, ist
für niedere, mittlere und selbst höhere Grade nach meinen Beobach-
tungen vollkommen richtig. Sie verfallen in spätem Jahren weder der
Weitsichtigkeit noch — bei gleicher Anstrengung — der Augenmattig-
keit (Kopiopie). — Niedere und selbst mittlere Grade verlieren oder
vermindern sich bisweilen bei vernünftigem Gebrauche der Augen in
den Jahren, wo das normale Auge für sehr nahe, Distanzen mehr we-
niger zu verlieren pflegt (nach dem 40. Jahre). Höhere Grade bleiben
stationär oder nehmen um diese Zeit selbst etwas zu. Bei den höchsten
Graden tritt bisweilen centrale Netzhautaniblyopie hinzu, leidet über-
haupt das Sehvermögen leicht durch Glaskörper- Verflüssigung und Opa-
citäten, durch Pigmentabnahme in der Gegend des hintern Poles (Blen-
dung, Lichtscheu) und selbst durch mehr weniger ausgedehnte Netz-
haut- und Chorioidealapoplexien.
Behandlung. Von Heilung der Kurzsichtigkeit kann mit Berücksich-
tigung aller Umstände, der Veränderungen im Auge und der Verhältnisse
der betreffenden Individuen, nur in sehr beschränktem Masse die Rede
sein. Bei minderen und selbst vielleicht auch noch bei mittlem nicht
inveterirten Graden Hesse sich wohl vom theoretischen Standpunkte aus
eine Retablirung der normalen Form erwarten, an welche bei höhern
Graden gar nicht zu denken ist; allein man wird in der Wirklichkeit
wohl selten ein Individuum finden, welches die nöthige Zeit, Geduld
und Ausdauer hätte, das hiezu Nöthige zu unternehmen. Zur Durch-
schneidung eines oder mehrerer Muskeln, welche übrigens schon a priori
manches Bedenken gegen sich hat, wird sich wohl kaum Jemand ent-
Kurzsichtigkeit — Behandlung — Concavbrillen. 243
schliessen, der nicht in sehr hohem Grade kurzsichtig ist, und in letz-
terem Falle kann sie offenbar wenig oder nichts leisten. Das länger
fortgesetzte Aufbinden eines mit Eisenfeilspänen gefüllten Säckchens
auf das Auge bei Rückenlage des Kranken hat mir in einem Falle von
Keratokonus, trotzdem ich die Cur durch oft und in kurzen Zwischen-
räumen wiederholte Entleerung des Kammerwassers zu unterstützen
bemüht war, nicht den geringsten Dienst geleistet, daher ich schon
vermöge der Analogie von einem ähnlichen Verfahren bei Kurzsichtig-
keit nichts erwarte. Das von Berthold in Göttingen vorgeschlagene
Myopodiorthoticon — berechnet auf successive Weiterrückung des Buches
beim Lesen — scheint Andern eben so wenig genützt zu haben, wie
mir bei einigen mit hinreichender Beharrlichkeit fortgesetzten Ver-
suchen , denn man hat seit der Bekanntgebung desselben weiter nichts
davon gehört. Kurzsichtige entsprechende Convexgläser tragen zu las-
sen, was ebenfalls empfohlen worden ist, habe ich noch nicht versucht.
Von länger fortgesetzter, jedoch massiger Anwendung des Atropinum
sulfnrieum (etwa 1 Gran auf 1 Drachme Fett, täglich 2 — 3mal erbsen-
gross an die Stirn eingerieben) stünde allerdings ein Erfolg wenigstens
gegen das Fortschreiten des Übels bei sonst zweckmässigem Verhalten
zu erwarten, falls sich die Angabe A. v. Gräfe 's weiter bestätigen sollte,
dass dieses Mittel nicht bloss auf die in, sondern auch auf die ausser
dem Bulbus gelegenen Muskeln erschlaffend einwirkt. Ein Nachtheil
steht davon nicht zu besorgen, da ich dieses Mittel in der angegebenen
Art wegen beginnender Cataracta bei einigen Individuen ohne allen
Xachtbeil durch 2—3 Jahre angewendet habe. Ich gedenke die Ver-
suche bei Kurzsichtigkeit vorzunehmen, sobald mir dazu geeignete In-
dividuen vorkommen.
Können wir auch die Kurzsichtigkeit nicht heilen, so können wir
doch — wie wir bereits gethan — auf jene Umstände aufmerksam
machen, durch deren Vermeidung sich das Entstehen und Fortschreiten
dieses Übels verhindern lässt, und es erübrigt nur noch, jenes Mittel,
welches gewissermassen zur Unschädlichmachung dieses Übels ange-
wendet wird, die Concavbrillen und ihr Verhältniss zum Auge einer
nähern Betrachtung zu unterwerfen.
Die Erfindung der Brillen ist unstreitig eine der folgenreichsten und wohlthätigsten,
die je gemacht worden sind. Der gelehrte Franziskanermönch Roger Bdcon (geb. 1214),
der die Verwendung convexer Linsen als Yergrösserungsgläser zuerst einführte, scheint
auch die Wirkung der concaven und convesen Gläser als Brillen bereits gekannt zu
haben, obwohl man ihre Erfindung gewöhnlich dem Mönche Alex, de Spina zu Pisa zu-
schreibt, welcher 1313 starb, und auf einer Grabschrift in Florenz der Edelmann Sal-
viano degli Armati Igest. 1317) als Erfinder der Brillen genannt wird. Um dieselbe Zeit
16*
244 Augenmuskeln.
sollen jedoch die Berylle (Brillen) in Flandern schon längst im Gebrauche gewesen sein.*)
Sie blieben aber mehrere Jahrhunderte lang der Gegenstand der Bewunderung, bis
Kepler (1604) ihre Wirkungsweise untersuchte, und darüber Aufschluss gab. „Kepler'n
war von seinem Patron Dietrichstein die Frage vorgelegt worden, auf welche Weise
Brillen das Sehen unterstützen. Die erste Antwort, welche er gab, lief darauf hinaus,
der Nutzen der convexen Gläser bestehe darin, dass sie die Gegenstände grösser er-
scheinen Hessen. Aber sein Patron bemerkte ihm dagegen, wenn die Gegenstände mit
Hilfe dieser Gläser deutlicher gesehen werden in Folge der Vergrösserung, so könnten
concave Gläser keinen Nutzen bringen , indem sie die Gegenstände verkleinerten. Die
aulfallende Ähnlichkeit zwischen Versuchen mit der Camera obscura und der Art, wie
das Sehen im Auge vermittelt wird, ist von Baptista Porta hervorgehoben worden, wel-
cher die Pupille dem Loch im Fensterladen verglich, aber in den Irrthum verfiel, anzu-
nehmen, dass die Krystalllinse der Wand entspreche, auf welche die Bilder fallen. In
den Paralipomena ad Vitellionem zeigte nun Kepler, dass diese Function von der Eetina
ausgeübt wird, und gab zuerst eine deutliche Erklärung von der Wirkung der Linsen,
sowohl innerhalb als ausserhalb des Auges, dass sie nämlich die Strahlen von einem
Lichtbüschel convergirend oder divergirend machen. Er erklärte jetzt, dass convexe Gläser
dem Sehvermögen fernsichtiger Personen zu Hilfe kommen, indem sie die Richtungen
divergirender Strahlen von einem nahen Gegenstande so verändern, dass sie nachher auf
das Auge so fallen müssen , als ob sie von einem entfernten Gegenstande ausgegangen
seien, und dass concave Gläser den Kurzsichtigen unterstützen, indem sie eine entgegen-
gesetzte Wirkung auf Strahlen hervorbringen, welche von einem entfernten Gegenstande
kommen." (Makenzie 1. c. S. 700.)
Ein Concavglas, 5—6"' vor der Hornhaut angebracht, bildet mit
der Sammellinse des Auges eine Combination, deren optischer Mittel-
punkt weiter hinter der Cornea, also näher gegen die Eetina hin liegt.
Wenn also die von einem Objectp unkte ausgehenden Strahlen vermöge
relativ zu grosser Objectdistanz sich schon vor der Netzhaut vereinigen
müssten, so vereinigen sie sich, falls das Concavglas entsprechend ge-
wählt ist, bei dieser Combination auf (in) der Netzhaut. Die Concav-
gläser nutzen also, indem sie die zu wenig1 divergent zum Auge ge-
langenden Strahlen jedes Lichtkegels so stark divergent machen
(zerstreuen) , dass dieselben dann durch die Medien des Auges in der
zum Deutlichsehen nöthigen Concentration" gerade auf oder in der Netz-
haut vereinigt werden. Je näher demnach das zu sehende Object liegt,
d. h. je mehr divergent die von ihm ausfahrenden Strahlenkegel auf
die Hornhaut gelangen, desto schwächer muss das Concavglas, desto
länger seine (negative) Brennweite sein, und denken wir uns ein kurz-
sichtiges Auge aller accommodativen Thätigkeit verlustig, so muss das-
selbe successiv mit Gläsern verschiedener Brennweite bewaffnet werden,
*) Nach Ceesemaeker (C'unier annal. d'ooulist. T. XVII. Sptbr. 1S46) war Bdcon in der belgischen Land-
schaft Wallonien zu Amin geboren, und kannte die in seinem Vaterlande gemachte Erfindung der
Brillen wahrscheinlich schon vor seiner Versetzung an die Universität zu Oxford; gewiss ist, dass
er das Glas zu seinen optischen Instrumenten aus Belgien nach England bezog.
Kurzsichtigkeit — Concavbrillen. 245
wenn die Bilder verschieden entfernter Objecte auf seiner Netzhaut
scharf abgebildet werden sollen. Indem aber diese Combination ge-
stattet, die Vereinigungsweite durch verschieden starke Gläser beliebig
— bis zu gewissen Grenzen — abzuändern, kann auch die Thätigkeit
der hiezu bestimmten Accommodationsorgane leicht mehr weniger be-
schränkt werden, und rnuss es um so mehr, je stärker die Concav-
gläser sind, je weiter rückwärts die Vereinigungsweite durch dieselben
bereits verrückt ist. — Nach dem eben Gesagten wird es nicht schwer
sein, einzusehen, auf welche Weise Concavbrillen leicht ein normales
Auge, das sich ihrer häufig bedient, kurzsichtig, und ein kurzsichtiges,
das dieselben für relativ zu nahe Distanzen benützt (relativ zu scharfe
Gläser trägt), noch mehr kurzsichtig machen müssen, mindestens können.
Jede solche Brille rückt nothwendig nicht nur den Fern-, sondern auch
den Nahepunkt weiter vom Auge. Soll nun dieses mit der Brille noch
in eben solcher Nähe deutlich sehen, wie ohne dieselbe, so müssen die
Accommodationsorgane in erhöhte Thätigkeit gesetzt werden, mithin
eben so wie bei angestrengtem Sehen in die Nähe überhaupt wirken. —
Ein anderer, noth wendiger, jedoch minder erheblicher Nachtheil ist der,
dass jede Concavbrille in dem Masse, als sie zerstreut, auch weniger
Lichtstrahlen von jedem leuchtenden Punkte in's Auge gelangen lässt,
und überdiess noch eine gewisse Menge davon durch Reflexion an ihrer
Oberfläche versplittert. Daher sind diejenigen, welche längere Zeit Con-
cavbrillen getragen haben, nach Ablegung derselben eine Zeit lang
etwas empfindlicher gegen denselben Grad von Beleuchtung, den sie
mit den Brillen gut vertrugen. — Ein dritter Übelstand, dass die Ob-
jecte verkleinert gesehen werden, tritt nur dann hervor, wenn die
Brillen zu scharf sind oder für relativ zu geringe Distanzen gebraucht
werden.
Brillen dürfen im Allgemeinen nur bei einfacher (nicht complicir-
ter) Kurzsichtigkeit getragen werden. Bei Trübungen in den durchsich-
tigen Medien ist die Lichtmenge ohnehin schon beschränkt, und wird,
wenn noch das Tragen von Brillen dazu kommt, die Anstrengung der
Netzhaut leicht zu einer gefährlichen Höhe hinaufgeschraubt. Ebenso
ist bei sehr hohen Graden von Kurzsichtigkeit (Fernpunkt für Lesen
mittlem Druckes 4" oder darunter) das Tragen einigermassen scharfer
Gläser um so gewagter, je mehr bereits die Zeichen von Glaskörper-
verfltissigung, Netzhauthyperästhesie, intraoculärer Apoplexie u. dgl.
ausgesprochen sind, und kann im Allgemeinen bloss das Tragen einer
relativ zu schwachen Brille gestattet werden. Bei der Frage, ob über-
haupt eine Brille gebraucht werden soll, wird übrigens noch zu erwägen
246 Augenmuskeln.
sein, ob die Kurzsichtigkeit nickt erst im Entstehen begriffen ist, ob
eine Retablirung zum normalen Zustande nicht durch Ruhe des Auges
(Abänderung der Verhältnisse, unter denen das Übel entstand) noch
erwartet werden könne, ob nicht wenigstens auf Abnahme des durch
übermässige Anstrengung in jüngster Zeit gesteigerten Übels gerechnet
werden dürfe. Denn bei geringen Graden ist entweder gar keine Brille
oder nur zu besondern Zwecken und bloss auf die Zeit solcher Zwecke
zu gestatten.
Wie stark (von welcher Brennweite) soll die Brille sein?*) Diess
hängt ab von dem Grade der Kurzsichtigkeit und von dem Zwecke
(der Distanz, in welche sie tragen soll). Dass hiebei zugleich auf die
Grösse der Objecte und auf die Beleuchtung Rücksicht zu nehmen sei,
versteht sich gewissermassen von selbst. In einem zu dunkeln Locale
wird man eben so leicht einen Missgriff begehen, als in einem zu lich-
ten, oder unzweckmässig (durch Doppel- oder stark reflectirtes u. dgl.
Licht) erhellten. — Der Fernpunkt des deutlichen Sehens ist der Ruhe-
punkt des kurzsichtigen Auges; er bezeichnet den in dem Baue be-
gründeten Refractionszustand desselben, der eben durch die Brille cor-
rigirt werden soll. Man kann ihn auf verschiedene Weise ermitteln, am
einfachsten und im Allgemeinen mit hinreichender Schärfe und Ver-
lässlichkeit durch Leseproben mit 3/4 — 1'" hoher Druckschrift. Man gibt
dem Brillencandidaten das Buch in die Hand, lässt ihn dasselbe so weit
von den Augen halten, als es ohne merkliche Beeinträchtigung der
*) Die Optiker bezeichnen heutzutage die Brillen ziemlich allgemein nach der Brennweite in Zollen (in
Österreich nach dem Wiener Masse), und halten von Concavgläsern die Nummern von 2" bis 36"
vorräthig. Zwischen 2 und 7 findet man Abstufungen zu >/2> selbst zu '/4 Zoll, von 7 — 18 zu 1 Zoll,
dann 20, 22, 24, 27, 30, 33, 36. Die letzteren 6 kommen indessen selten in Anwendung (oder doch
nur als sogenannte Conservationsbrillen mehr als Luxus- und Modeartikel), und die unter 4" könn-
ten füglich gestrichen werden. Handelt es sich um die Bestimmung der Brennweite irgend eines
vorliegenden Concavglases, so kann man dieselbe annähernd schätzen nach dem Grade, in welchem
es Gegenstände von bestimmter Entfernung verkleinert zeigt ; man kann durch Vergleichnng mit
concaven Gläsern von bekannter Brennweite der Wahrheit sehr nahe kommen ; die nothwendige Ge-
nauigkeit lässt sich jedoch nur dadurch erhalten, wenn man das Concavglas an ein stärkeres Convex-
glas von bekannter Brennweite anlegt und nun die Brennweite dieser Combination nach der bei
Convexgläsern üblichen Methode ermittelt, was jedoch ziemlich schwierig und umständlich ist. Am
besten ist, man hält das fragliche Concavglas, dessen Brennweite man nach dem Grade der Ver-
kleinerung beiläufig ermittelt hat, an ein Convexglas von nahezu derselben Brennweite, visirt durch
diese Combination nach einer fernen Thurmspitze, und gibt Acht, ob die Thurmspitze fest an demselben
Orte gesehen wird, wenn man die Combination leicht vor dem Auge hin- und herschiebt. Gesetzt,
man hätte aus dem Grade der Verkleinerung ermessen , dass die Brennweite nicht stärker als 7,
nicht schwächer als 9 sei; man lege nun S konvex an das fragliche Concavglas; hat diess die Brenn-
weite von 8", so wird die visirte Thurmspitze sich bei raschem Hin- und Herschieben der Combi-
nation vor dem Auge eben so wenig bewegen, als wenn man ein Planglas zu diesem Experimente
benützte. Von der Richtigkeit dieser Angabe kann man sich überzeugen , wenn man ein ganz
schwach coneaves Glas, das gar keine Verkleinerung mehr wahrnehmen lässt, etwa 36 oder 48, vor
dem Auge hin und her bewegt.
Kurzsichtigkeit — Concavbrilleu. 247
Deutlichkeit und ohne Blinzeln geschehen kann, und misst während dem
mit einem Zollstabe die Distanz zwischen Auge und Druck (in der Rich-
tung der Sehachse). — Die Distanz des Fernpunktes multiplicirt mit
der Distanz, in welcher deutlich gesehen werden soll, und dividirt durch
die Differenz derselben, gibt im Allgemeinen die Brennweite des ge-
suchten Glases. Wenn nun ein Kurzsichtiger bis auf höchstens 5"
Distanz lesen kann, aber bei ungefähr 1 0" Distanz lesen oder eine ähn-
liche Beschäftigung vornehmen will, so braucht er hiezu Nro. 1 0 , weil
5.10
-.. — =10. Soll er Noten lesen, also etwa bei 15", so braucht
10—5
5 15
er hiezu Nro. TVa, weil — ^ — = 7V2. Für die Distanz von 12 Fuss,
10 '
1 2. 12. 5 720
etwa um in einem Hörsäle auf die Tafel zu sehen, ist ' ' = — —
= 5, IS". Für alle grösseren Distanzen kann dieser Factor = 00 an-
gesehen werden, gibt mithin die Distanz des Fernpunktes der deut-
lichen Sehweite auch die Brennweite des zu wählenden Glases
(5. co
X) — 5.
Es ist jederzeit gerathen, die Brille um einen halben
oder ganzen, und wenn überhaupt nur schwächere Gläser gefordert
werden, selbst um einige Zoll schwächer zu geben, als die Rechnung
ausweist, weil dann der Brillenträger weniger Gefahr läuft, sein Auge
kurzsichtiger zu machen, wenn er das Glas auch für etwas nähere
Distanzen benützt. Gleichwie ein normales Auge durch Übung im Fern-
sehen eine grössere Schärfe hierin erlangen kann durch die Fertigkeit,
von Zerstreuungskreisen zu abstrahiren, kann auch ein kurzsichtiges
Auge, welches diese Fertigkeit durch NichtÜbung eingebüsst hat, die-
selbe wieder allmälig erlangen, nachdem ihm die Möglichkeit hiezu
durch die Coirection seines Refractionszustandes wieder gegeben ist.
Man wird demnach auch finden, dass bei zweckmässigem Gebrauche
concaver Brillen die Fähigkeit entferntere Objecte zu erkennen, all-
mälig erstarkt, ohne dass die Kurzsichtigkeit abgenommen hat, und
es ist somit dem Kurzsichtigen überhaupt und dem Brillenträger ins-
besondere zu empfehlen, sein Auge so viel als möglich im Fernsehen.
zu üben.
Sollen die Gläser, welche doch eigentlich nur zur Unterstützung
-des Auges für die Ferne bestimmt sind, beständig getragen oder beim
Nahesehen abgelegt werden? Es scheint ganz von selbst verständlich,
dass letzteres der Fall sein müsse. Diess ist jedoch nicht allgemein der
Fall. Ich habe über -diesen Punkt die Äusserungen von sehr vielen
24S Augenmuskeln.
Kurzsichtigen, namentlich auch von Ärzten, denen ich eine genaue
Selbstbeobachtung zutrauen durfte, eingeholt, aber durchaus wider-
sprechende Angaben erhalten. Die Einen behaupten, dass sie das be-
ständige Tragen der Brillen nicht aushalten, dass sie die Brille, auch
wenn sie damit lesen können, dennoch ablegen müssen, um einem ge-
wissen Gefühle von Angegriffensein der Augen zu entgehen, und dass
sie desshalb dieselbe nur gerade da tragen, wo sie ihnen unentbehrlich
oder doch bequem ist. Andere nicht minder achtbare Gewährsmänner
versicherten mich, dass sie mit ihrem Gesichte weit besser daran seien,
seit sie die Brille von Früh bis Abends continuirlich tragen, indem sie
nicht nur das früher beim Wechseln gefühlte Missbehagen verloren,
sondern auch an Ausdauer, ja selbst an Sehweite gewonnen haben. Ich
könnte hier Männer von bekannten Namen nennen. Eine Zeit lang
meinte ich, diess könnte nur bei schwachen Gläsern (über Nro. 10 auf-
wärts) der Fall sein, doch fand ich mehrere darunter, welche stärkere
Gläser, selbst bis zu Nro. 6 trugen. Da ich keinen Grund kenne, warum
in dem einen Falle das continuirliche, in dem andern das unterbrochene
Brillentragen besser ist, so kann ich auch keinen andern Rath geben,
als durch Selbstbeobachtung den Modus ausfindig zu machen, der in
jedem speciellen Falle dem Auge zuträglicher ist. Häufiger Wechsel
ist jedenfalls nicht nur unbequem und für die Accommodationsorgane,
denen immer ein anderer Grad von Spannung aufgedrungen wird, er-
müdend, sondern auch für die Netzhaut, die bald mehr bald weniger
Licht erhält, nicht ohne allen Nachtheil. Wer seine Brillen beständig-
trägen will, nehme die Gläser etwas schwächer, als er sie für die Ferne
eigentlich braucht, und halte dann die nahen Objecte (das Buch beim
Lesen) so weit als möglich entfernt. Die Fm?ik[m,seken Brillen, in der
obern Hälfte des Rahmens ein stärkeres, in der untern ein schwächeres
Glas enthaltend, dürften auch nur wenigen Augen zusagen, daher es
wohl kommt, dass sie heutzutage gar nicht mehr gebräuchlich sind.
Häufiger findet man, dass Kurzsichtige ziemlich schmale ovale Brillen
tragen, und behufs des Lesens oder Schreibens über oder unter dem
Rahmen wegsehen , wenn sie dazwischen wieder in die Ferne zu
blicken haben. Andere halten, wenn sie in ungewöhnliche Entfernun-
gen sehen wollen, vor die Brille noch eine Lorgnette mit minder star-
ken Gläsern.
Eine ebenso schwierig zu entscheidende Frage ist die, ob bei ver-
schiedenem Refractionszustande beider Augen verschiedene Gläser ge-
tragen werden sollen. Geringe Differenzen in der Lage des Fernpuuktes
kommen bei den meisten Kurzsichtigen vor. Dass diese keine differen-
Kurzsichtigkeit — Concavbrillen. 249
ten Gläser erfordern, leuchtet von selbst ein. Dann gibt es bekanntlich
Leute, die sich für die Nähe des einen, für die Ferne des andern, und
für mittlere Distanzen beider Augen bedienen. Diese brauchen keine
Gläser. Wenn aber die Differenz in der Kurzsichtigkeit mehrere Zoll
beträgt (bei hohen Graden von Kurzsichtigkeit kann eine Differenz von
1, selbst */a Zoll relativ eben so beträchtlich sein), so ist es der Theorie
angemessen, Gläser von verschiedener Brennweite zu geben. Es sind
mir aber in frühem Jahren, wo ich streng nach der allgemein gegebenen
Kegel verfuhr, viele Individuen vorgekommen, die sich mit so gewähl-
ten Gläsern durchaus nicht zurecht finden konnten, und ich bin daher
bald zu dem Verfahren übergegangen, dass ich für beide Augen in der
Regel gleiche Nummern gebe, und zwar ohngefähr dem Mittel ent-
sprechend, wenn die Sehkraft der in der Sehweite beträchtlich differi-
renden Augen ziemlich gleich ist, bei ungleicher Sehkraft dagegen mich
nach dem Refractionszustande des bessern Auges richte.
Nicht ohne Einfluss, wenn gleich minder wichtig, ist die Stellung-
der Gläser vor den Augen, ihre Centrirung, Grösse, Form, Reinheit
u. s. w. Ob die Gläser biconcav oder convex-concav (periskopiseh) seien
macht bei Kurzsichtigen wenig Unterschied, wenn sie nur aus krystall-
heller, durchaus homogener Glasmasse, nach regelrechten Kugelflächen
und so geschliffen sind, dass die grösste Wölbung der einen Fläche
der grössten Wölbung der andern entspricht, und wenn überdiess die
auf diese Weise entstandene dünnste Stelle des Glases relativ zum
Rande gerade in der Mitte liegt (Centrirung). Letztere Eigenschaft kann
auch bei ganz guten Gläsern leicht verloren gehen, wenn beim Ein-
schleifen (Anpassen für den Rahmen) an einer Seite mehr abgenommen
wird, als an der andern. Ist auf diesen Umstand, gegen welchen beim
Einschleifen in ovale Rahmen viel leichter Verstössen wird, die gehörige
Rücksicht genommen wordeu, dann stehen — für Kurzsichtige — die
ovalen Gläser den kreisrunden an Güte nicht nach, nur dürfen sie nicht
gar zu klein seinv Nur wenn der Kurzsichtige die Gläser auch zum
Lesen, Schreiben u. dgl. benutzen will, sind runde, oder doch hübsch
gross ovale und zugleich periskopische Gläser vorzuziehen. Auch das
beste und passendste Glas verstösst gegen seinen Zweck, das Auge so
viel als möglich ohne nachtheilige Nebenwirkungen zu unterstützen,
wenn es vor dem Auge zu nahe oder zu fern oder schräg steht, oder
wenn die Centra der beiden Gläser erheblich weniger oder mehr von
einander abstehen, als die Centra der Pupillen beim Blicke in mittlere
Entfernungen (etwa 5 — 10 Fuss), oder endlich wenn das eine Glas
hoch (nächst dem Augenbrauenbogenj , das andere tiefer (nächst der
250 Augenmuskeln.
Wange) vor dein Auge steht, wie man diess leider so häufig sieht. Ein
gut gewähltes Glas wirkt zu scharf, wenn es dem Auge näher gebracht
wird, als bei der Probe, daher auch Kurzsichtige, wenn sie etwas wei-
ter sehen wollen, ihre Brille gewissennassen unwillkürlich gegen die
Augen drücken. Bei schiefer Stellung des Gestelles wird immer ein
Glas mehr, das andere weniger vom Auge abstehen. Je weiter vom
Centrum des Glases ab die verlängert gedachte Sehachse durch das
Glas streicht, desto mehr wirkt das Glas wie ein Prisma, also das ein-
fallende Licht von dem brechenden Winkel (Centrum des Glases) ab-
lenkend, so dass das Auge, um dem Doppeltsehen zu entgehen, durch
excessive Contraction des betreffenden Muskels nach seiner Seite hin
gedreht, in widernatürliche Spannung versetzt werden muss. (Siehe
prismatische Gläser bei Muskellähmung.) Am leichtesten werfen sich
die Gestelle von Hörn, so dass die Anfangs richtige Stellung der Gläser
bald eine fehlerhafte wird. Oft genug aber nehmen sich die Optiker
nicht die Mühe, Gestelle auszusuchen, welche der Gesichtsbilduug des
Brillenbedürftigen entsprechen. Der Arzt wird daher im Interesse
des Consulenten in der Regel nichts Überflüssiges thun, wenn er ihn
auf die genannten Umstände aufmerksam macht, oder wenn er die
nöthigen Masse selbst vornimmt, als: Abstand zwischen den Pupillen,
Lage der Augen (flach oder tief), Höhe des Nasenrückens, Breite des
Gesichtes (Abstand der einen Schläfe von der andern), und wenn er
überdiess denselben nach geschehener Wahl noch zur Prüfung aller
Verhältnisse zu sich bestellt. Die Brille, fortan ein integrirender Be-
standtheil des Gesichtsorganes, steht wohl dafür, dass Arzt und Optiker
nicht mit ein paar Minuten, die Candidaten nicht mit ein paar Groschen
kargen.
Werden die besprochenen Bücksichten eingehalten, dann sind Con-
cavbrillen nicht nur nicht schädlich, sondern eine wahre Wohlthat für
den Kurzsichtigen. Ein passendes Glas zeigt die Objecte in der
Distanz, für welche es gewählt ist, deutlich, scharf begrenzt, ohne Far-
bensäume, und erst dann kleiner, wenn die Objecte näher gebracht
werden, als der Refractionszustand und die Accommodationsthätigkeit
es gestatten. Sind die Gläser zu scharf, schlecht geschliffen oder
schlecht gestellt, so machen sie beim Tragen ein Gefühl von Unbe-
hagen, Schwindel, Schmerzen in der Supraorbitalgegend und werden
desshalb nicht vertragen, ausser das Auge bringt es dahin — womit
man gewöhnlich über den Fehler hinwegzugleiten sucht — sich daran
zu gewöhnen, d. h. durch mannigfache relative Thätigkeit, welche nicht
immer ohne erheblichen Nachtheil bleibt, die Fehler gewissermassen
Weitsichtigkeit — Kennzeichen. 251
auszupariren. An passende Brillen braucht sich das Auge nicht erst zu
gewöhnen.
Weitsichtigkeit (Presbyopia) .
Die Weitsichtigkeit beruht auf dem Unvermögen, das Auge, welches
entferntere Objecte deutlich zu sehen vermag, für das Sehen näherer
Objeete einzustellen, und gibt sich demnach durch abnorm iveiten Ab-
stand des Naheptmktes der deutlichen Sehweite von dem Auge kund.
Der Grund hievon liegt nicht in einer Formveränderung des Auges,
sondern in Rigidität der Sclera und verminderter Energie der Accom-
modationsorgane , besonders des Ciliarmuskels. Hält man vor ein nor-
males Auge ein Concavgias, durch welches der Nahepunkt mehr weniger
weit vom Auge weggerückt wird, so kann man sich vom Verhalten des
fernsichtigen Auges in optischer Beziehung leicht eine richtige Vorstel-
lung machen. Nur parallel oder wenig divergent, mithin aus grösserer
Entfernung kommende Strahlen werden auf der Netzhaut, stärker di-
vergirende, von nahen Objeeten ausgehende dagegen werden hinter der
Netshaut vereinigt, treffen diese mithin als Kegelquerschnitte, weil die
Netzhaut nicht der optischen Anforderung entsprechend rückwärts ge-
drängt werden kann.
Die Weitsichtigkeit wird gewöhnlich erst dann Gegenstand der
Wahrnehmung, wenn der Nahepunkt des deutlichen Sehens bereits
weiter vom Auge absteht, als es die gewöhnlichen Beschäftigungen er-
heischen, also wenn z. B. das Buch beim Lesen bereits weiter als
10 — 12 Zoll entfernt gehalten werden muss, oder wenn Gegenstände,
welche selbst ein normales Auge vermöge ihrer Feinheit näher bringen
muss, undeutlich oder gar nicht erkannt werden können, z. B. beim
Nadeleinfädeln, Federschneiden. Es sind aber auch jene Augen bereits
weitsichtig, welche z. B. mittlem Druck nicht mehr bei 5", sondern
erst bei 6", 1" u. s. w. deutlich und ohne Farbensäume sehen. Andrer-
seits gehört es keineswegs zum Begriffe der Fern- und Weitsichtigkeit,
dass das Gesicht auch für sehr grosse Distanzen ein scharfes sei; es
ist sogar nicht selten der Fall, dass Personen, deren Nahepunkt 6, 7,
10" u. s. w. vom Auge absteht, auch in grossen, selbst in mittelgrossen
Distanzen weit schlechter sehen, als früher, wo der Abstand des Nahe-
punktes noch normal war, und es findet sich diess auch bei Leuten,
welche z. B. bei 7 — 10 Zoll vollkommen deutlich und scharf sehen, wo
also weder an eine 'Trübung der durchsichtigen Medien noch an eine
Affection der Netzhaut gedacht werden kann.
252 Augenmuskeln.
Da die Menge der von einem leuchtenden Punkte in das Auge ge-
langenden Lichtstrahlen (bei gleich grosser Pupillenöffnung) abnimmt,
wie die Quadrate der Entfernung desselben zunehmen, so ist dem Weit-
sichtigen starke Beleuchtung der Objecte, eben weil er sie abnorm weit
vom Auge halten muss, ein wesentliches Bedürfniss zum Erkennen
derselben. Desshalb verräth sich das Übel gewöhnlich zuerst während
des Arbeitens bei künstlicher Beleuchtung. Das Arbeiten strengt mehr
an, feinere Arbeiten können wohl noch bei Tages- aber nicht mehr bei
Kerzenlicht verrichtet werden. Der Weitsichtige stellt sich beim Lesen
gern mit dem Kücken an's Fenster, um das Buch in stärkere Beleuch-
tung, die Augen dagegen in Schatten zu bringen und die ohnehin ge-
wöhnlich engeren Pupillen zu erweitern ; aus demselben Grunde pflegen
Weitsichtige bei künstlicher Beleuchtung das Buch hinter das Kerzen-
licht zu halten, und die Augen von oben mit der Hand zu beschatten.
Gibt man dem Weitsichtigen, der nur noch etwa bei 14—16 Zoll und
darüber lesen kann, und sich noch keiner Brillen bedient hat, ein Buch
zum Lesen frei in die Hand, so wird man, wenn er seine gewohnte
Haltung annimmt, hierin das Gegentheil von der des Kurzsichtigen
finden; er hält das Buch nicht nur weit entfernt, sondern auch mehr
nach unten, der Brust genähert; heisst man ihn das Buch so weit als
möglich nähern, oder ist er bereits so weitsichtig, dass er nur noch mit
Brillen lesen kann, so wird man bemerken, dass dieses Abwärtshalten
des Buches nicht zufällig geschieht, sondern zur Weitsichtigkeit in Be-
ziehung steht, dass die Person nämlich die Lider fest zusammenkneift,
und dieselben an den Bulbus andrückt und daher runzelt, wohl dess-
halb, weil es bei dieser Position dem Orbicularis möglich wird, den
Bulbus mittelst des obern Lides von oben her zu comprimiren und hie-
durch zur Verlängerung der Sehachse behilflich zu sein. Der Beweis
für diese Deutung lässt sich in einzelnen Fällen dadurch herstellen,
dass der Kranke, der bei 14 Zoll liest, wenn er das Buch vor die Brust
hält, bei derselben Distanz nicht zu lesen vermag, sondern erst bei
einer merklich grössern, sobald man das Buch gerade dem Gesichte
gegenüber oder etwas höher vorhält. Das Blinzeln der Kurzsichtigen
behufs des Fernsehens erfolgt ohne gewaltsame Contraction des M. orbi-
cularis; das Zukneipen der Weitsichtigen verräth die gewaltsame In-
tention deutlich durch die Kunzelung der Lider und durch die baldige
Ermüdung. Diese gibt sich in manchen Fällen auch durch ein rasches
Zucken oder Vibriren (Muskelspiel) an den Lidern kund. Ich habe
übrigens auch Weitsichtige beobachtet, welche mittlem Druck ohne An-
strengung bei 16—20 Zoll Distanz, denselben oder feineren Druck aber
Weitsichtigkeit — Kennzeichen. 253
auch bei 6 — 7 Zoll, doch nur auf kurze Zeit und unter sichtlich gewalt-
samem Zukneipen der Lider lesen können. Ob sie hiedurch die rigide
liintere "Wandung temporär zum Zurückweichen oder die Cornea zu
stärkerer Krümmung zwingen, weiss ich nicht. Auf Beschränkung der
Zerstreuungskreise kann es dabei nicht abgesehen sein, denn die Ver-
engerung der Lidspalte bleibt noch immer weit hinter der in solchen
Fällen stets auffallend engen Pupille zurück, was beim Blinzeln der
Kurzsichtigen nicht der Fall ist. — Durch entsprechende Convexgläser
kann das weitsichtige Auge behufs des Erkennens naher und ferner
Objecte dem normalen um so mehr nahe gebracht werden, je geringer
die Weitsichtigkeit und je grösser somit der Spielraum ist, welcher der
accommodativen Thätigkeit übrig blieb. Je schärfere Gläser bereits
nothwendig sind, desto näher liegen der Nah- und Fernpunkt des deut-
lichen Sehens für das bewaffnete Auge an einander.
Nach den oben genannten Merkmalen wird es nicht schwer sein,
die Weitsichtigkeit von jenen Zuständen zu unterscheiden, welche in
functioneller Eücksicht einige Ähnlichkeit damit haben, nämlich Schwäche
des Gesichtes wegen Trübungen in den durchsichtigen Medien oder
wegen Eetinalleiden, und einfache Augenmattigkeit oder Kopiopie.
(Vergl. die betreffenden Abschnitte.)
Die am Auge sichtbaren Merkmale der Weitsichtigkeit sind so
charakteristisch, dass man beim Anblicke solcher Augen, ohne über die
Sehweite auch nur ein Wort gehört zu haben, nur an Weitsichtigkeit,
Kopiopie oder angeborene Retinalamblyopie denken kann. Im weit-
sichtigen Auge liegt die Linse der Cornea näher, als im normalen, um
so mehr, je höher der Grad der Fernsichtigkeit ist {sji"' — V3'")- Auch
die Iris liegt weiter vorn (relativ zur Basis corneae), und zwar in toto,
nicht bloss mit dem Pupillarrande , sondern auch mit dem Ciliarrande.
Ein Staarmesser, an der Grenze zwischen Cornea und Sclera durch das
Auge geführt (senkrecht auf die Sehachse), würde knapp vor dem
Ciliarrande vorbeistreichen, und je nach dem Grade der Wölbung der
Iris mehr weniger von dieser wegnehmen. Man sieht, dass sich die
Iris schon bald innerhalb des Ciliarrandes an die Linse anschmiegt,
viel früher als in normalen oder kurzsichtigen Augen, indem der kup-
pelartig gewölbte Theil derselben die Krümmung der Linse gleichsam
im Abdrucke wieder gibt, wie ein feuchtes Tuch, das sich an einen
festen Köi-per anlegt und dessen Form erkennen lässt. Die Iris zeigt
daher bald ferner, bald näher dem Ciliarrande einen zu diesem con-
centrischen Ring, welcher namentlich bei dunkelbraunen Regenbogen-
häuten hellgelb und gewissermassen glänzend aussieht, und sich durch
254 Augenmuskeln.
die Contouren bei seitlich einfallendem Lichte als seichte Furche er-
weist, dadurch entstanden, dass die früher (nach aussen) an den Ciliar-
körper geheftete Iris plötzlich durch die Linse vorwärts gedrängt,
gleichsam geknickt wird. (Vergl. Band II. Seite 23, Anmerk.) Ein
solcher Ring, nur gewöhnlich von kleinerem Diameter, kommt übrigens
auch an vielen nicht weitsichtigen Augen vor. — Die Pupille zeigt
einen auffallenden Grad habitueller Verengerung (l'/z — 1'") trotz freier
und lebhafter Beweglichkeit und bei prompter und hinreichender Er-
weiterbarkeit durch Belladonna. Dass das presbyopische Auge mit dem
Augenspiegel leichter im aufrechten Bilde untersucht werden könne,
wurde bereits erwähnt.
Ätiologie. Die Beschränkung und Aufhebung der Accommoda-
tionsthätigkeit behufs des Sehens naher Objecte tritt im höhern Alter
so gewöhnlich ein, dass in dieser Beziehung der Name Presbyopie
(rtQsgßvg, Greis) gerechtfertigt ist. Mit Ausnahme der Kurzsichtigen
gibt es nur wenig Augen, welche nach dem 40., längstens 50. Jahre
noch feine Objecte bis zu 5 Zoll nahe bringen können. Durch dieses
Verhalten schliesst sich die Presbyopie an andere senile Erscheinungen
an, Rigidität der Arterien, Greisbogen der Hornhaut, Abnahme der
Muskelkräfte u. s. w., und sie zeigt in Bezug des früheren oder spätem
Eintrittes und der raschern oder langsamem Entwicklung ganz diesel-
ben Schwankungen, wie die genannten und andere Zufälle der Sene-
scenz. Sie kommt aber auch, weil von der Muskelthätigkeit abhängig,
in früheren Jahren vor, wenngleich selten in hohem Grade und selten
stationär. Die Ursachen vorzeitiger Entwicklung sind: vorwaltende
Verwendung des Gesichtes für die Ferne, wie bei Jägern, Seeleuten,
unzweckmässiger oder übermässiger Gebrauch von Convexgläsern
(Loupen), anhaltendes Weinen, Kummer, Sorgen und deprimirende all-
gemeine Einflüsse überhaupt, so wie andererseits forcirte Muskelan-
strengungen im Allgemeinen, und übermässige Anstrengung der Accom-
modationsorgane insbesondere, letztere beiden jedoch nur dann, wenn
die Sclera bereits zu resistent ist, als dass ein entsprechendes Nach-
geben derselben stattfinden könnte. Die frühere Entwicklung der Weit-
sichtigkeit bei Leuten, welche sich von Jugend auf wenig mit der Be-
trachtung naher feiner Gegenstände befassten, beruht wohl darauf, dass
die Fertigkeit, das Auge für solche Objecte einzustellen, nie recht zur
Ausbildung kam. Auf ähnliche Weise wirkt der anhaltende Gebrauch
von Loupen oder Convexbrillen beim Arbeiten, wenn dabei die Accom-
modationsorgane gleichsam überflüssig gemacht werden. Denn indem
das Convexglas Strahlen, die sich ausserdem erst hinter der Netzhaut
Weitsichtigkeit — Ätiologie. 255
vereinigen würden, so bricht, dass sie sich eben auf der Netzhaut ver-
einigen, wird die accommodative Thätigkeit der Anstrengung überhoben,
welche sie bei unbewaffnetem Auge machen müsste, um die Netzhaut
gerade in die Yereinigungsweite zu stellen. Ist aber ein Convexglas
nicht zu stark, leistet es eben nur das, was das Auge durch seine
accommodative Thätigkeit nicht bewirken kann, enthebt es somit das
Auge nicht jeder Anstrengung, dann wirkt das Convexglas auch nicht
nachtheilig auf die Accommodationsfähigkeit. Nehmen wir an, es müsse,
damit ein Object von bestimmter Grösse, Beleuchtung und Distanz
deutlich gesehen werden könne, die Netzhaut um x\i,it zurückgestellt
werden. Besässe nun das hiezu verwendete Auge die Fähigkeit, durch
die accommodative Thätigkeit die Netzhaut um x\iiH zurückzustellen,
so würde jedes Convexglas bei anhaltendem Gebrauche die accommo-
dative Thätigkeit ausschlössen ; vermöchte das Auge aber die Netz-
haut um */*"' zurückzudrängen, so wird ein Glas, welches die Ver-
einigungsweite um x i'" verkürzt, diesem Auge das Deutlichsehen er-
möglichen, aber auch der accommodativen Thätigkeit noch zu thun
überlassen, was sie leisten kann, nämlich die Netzhaut um xjn'" zurück-
zustellen, und das Auge läuft auch bei fortwährendem Gebrauche eines
solchen Glases zu obigem Zwecke nicht Gefahr, seine Accommodations-
kraft durch Uuthätigkeit einzubüssen. In der Behauptung, dass der
Gebrauch von Loupen Veranlassung gebe einmal zu Weit-, ein andermal
zu Kurzsichtigkeit, liegt kein Widerspruch. Ist eine Loupe zu dem
Zwecke, für welchen sie angewendet wird, hinreichend stark, so wird
sie nie Veranlassung zu Kurzsichtigkeit geben; ist sie aber relativ zu
schwach, so dass der accommodativen Thätigkeit noch immer viel übrig-
bleibt, um das Auge richtig einzustellen, so kann anhaltende Arbeit
trotz der Loupe zur Kurzsichtigkeit führen, sobald die Sclera noch die zu
bleibender Formveränderung nöthige Biegsamkeit und Dehnbarkeit besitzt.
Ist jedoch unter denselben äussern Verhältnissen die hintere Bulbus-
wand bereits so resistent, dass die zum Deutlichsehen erforderliche
Bückwärtsdrängung derselben nur mit grossem Kraftaufwande bewirkt
und unterhalten werden kann, so werden die Accommodationsorgane,
besonders der Ciliarmuskel zunächst ermüdet, allmälig geschwächt, so
dass die Accommodation für grössere Nähe nur immer auf eine kurze,
nach und nach immer kürzere Zeit, endlich gar nicht mehr ausgehalten
wird. Ist nun die Kraft des Ciliarmuskels vermindert, so vermag er
das Diaphragma zwischen Glaskörper und Kammerwasser nicht mehr
in der gehörigen Spannung zu erhalten, steht somit bei forcirtem Ac-
commodationsbestreben das Kammerwasser unter höherem Drucke, und
256 Augenmuskeln.
nimmt allmälig ab, Linse und Iris bekommen eine weiter nach vorn
gerückte Lage, und die Accommodation für grosse Nähe wird in dem-
selben Grade weniger lange ausgehalten. Die Abnahme des Kammer-
wassers ist demnach nicht Ursache der Weitsichtigkeit, sie ist nur
Folge der verminderten Energie des Ciliarmuskels. Daher kann Weit-
sichtigkeit, wenigstens temporär, und in geringerem Grade auch eine
Zeit lang anhaltend ohne Verengerung der vordem Augenkammer be-
stehen. — Hiemit haben wir auch die merkwürdige Thatsache begreifen
gelernt, auf welche Sichel zuerst aufmerksam gemacht hat, dass näm-
lich Knaben, welche bereits im 14. oder 15. Lebensjahre stehen, und
früher sich wenig mit anhaltendem Nahesehen beschäftigten, wie
namentlich Knaben vom Lande, selten kurz-, sondern meistens weit-
sichtig werden, und an den Erscheinungen der Amblyopie presbytique
(Kopiopie) zu leiden anfangen, wenn sie plötzlich zu anhaltendem Be-
trachten naher und feiner Objecte als Lehrlinge, z. B. bei Uhrmachern,
Goldarbeitern, Graveuren u. dgl. angehalten werden, während Knaben
aus der Stadt und überhaupt solche, die schon früher sich vorwaltend
mit Nahesehen beschäftigten, eher der Kurzsichtigkeit verfallen. Be-
trachten wir die Sclera jugendlicher Individuen, so finden wir, dass sie
nahezu bis zum Eintritte der Pubertät ein mehr bläuliches Aussehen
hat, weil sie noch dünn und daher durchscheinend ist; später wird sie
im Allgemeinen mehr weiss, also wohl auch dichter und resistenter. —
Wie es kommt, dass anhaltendes, durch längere Zeit häufig wieder-
kehrendes Weinen die Accommodationskraft temporär oder bleibend
schwächt, weiss ich nicht. Thatsache ist, dass man nach dieser Ur-
sache oft bei noch sehr jugendlichen Individuen die Augenkammer auf-
fallend eng findet. Wahrscheinlich ist es die schwächende Kraft, welche
die gedrückte Gemüthsstimmung auf die muskulösen Gebilde, insbe-
sondere auf den Ciliarmuskel ausübt. Ist diess richtig, dann reiht sich
diese Ursache in ihrer Wirkungsweise an andere ähnliche Momente an,
schwere Krankheiten (Typhus, Scharlach etc.), erschöpfende Diarrhöen
reichlichen Blutverlust, Ausschweifungen, Onanie, anhaltendes Nacht-
wachen (auch ohne Austrengung der Sehkraft).
Die Entwicklung der Weitsichtigkeit ist meistens eine langsame,
stufenweise fortschreitende, es müssten denn besondere Ursachen heftig
einwirken, und in solchen Fällen kann man wohl meistens — nach
Beseitigung dieser Ursachen — wieder allmälige Erstarkung der Accom-
modationskraft bis zu einem gewissen Grade erwarten, es müsste denn
das Individuum schon sehr gealtert sein. Eine merkwürdige, bisher
noch nicht erklärte, vielleicht weil zu selten vorkommende Erscheinung
Weitsichtigkeit — Ätiologie. 257
ist die, dass bisweilen Personen im hohen Greisenalter die Convex-
gläser zum Lesen, Schreiben u. dgl. nicht mehr bedürfen, die ihnen
durch viele Jahre hindurch dazu unentbehrlich gewesen waren. Sollte
etwa Verflüssigung des Glaskörpers oder vermehrte Dichtigkeit der
Linse bei ungestörter Durchsichtigkeit hievon die Ursache sein? Ich
kenne diese Thatsache bloss aus einigen verlässlichen Erzählungen ; sie
ist übrigens auch schon von Makenzie 1. c. S. 707 bemerkt worden. —
An und für sich bereitet die Weitsichtigkeit dem Sehvermögen keine
Gefahr; sie kann aber bei unzweckmässigem Gebahren, namentlich
durch unzweckmässig gewählte und gebrauchte Convexgläser zur Hy-
perpresbyopie (Übersichtigkeit) gesteigert werden, welche nur bei be-
ständigem Gebrauche solcher Gläser noch ein leidliches Sehen gestat-
tet, gleichwie sie andrerseits bei forcirter Accommodation ohne gehörige
Unterstützung indirect zu Hyperästhesie , Hyperämie, Apoplexie und
Entzündung der Netzhaut Veranlassung gibt. Mehr hierüber bei der
Ivopiopie.
Hyperpresbyopie ist jener Kefractionszustand des Auges , bei welchem weder diver-
gent, noch parallel, sondern bloss convergent zum Auge gelangende Strahlen eines licht-
sendenden Punktes auf der Netzhaut in einem Punkte derselben vereinigt werden können,
.daher das Sehen nur durch Vorhalten convexer Gläser vermittelt werden kann, welche so
stark sind, dass sie auch die divergent auffallenden Strahlen in convergente verwandeln.
In diesem Zustande befinden sich bekanntlich alle Augen, denen die Krystalllinse fehlt,
und zwar, falls nicht früher bedeutende Kurzsichtigkeit bestanden hatte, in sehr hohem
Grade. Niedrigere Grade, wo z. B. für gewöhnliche Verrichtungen, auf der Gasse u. dgl.
massig starke (10 — 30"), zum Lesen dieselben oder stärkere Gläser (bis zu 6") getragen
werden müssen, trifft man mitunter bei älteren Personen, welche sich nach und nach an
stärkere Gläser gewöhnt haben. Seltener kommen Hyperpresbyopische jugendlichen Alters
vor; hier ist der Fehler wohl meistens als angeboren zu betrachten; er zeigt sich wenig-
stens schon zur Zeit, wo die Kinder zu lernen anfangen sollen. Er kann leicht mit
Stumpfheit der Netzhaut verwechselt werden. Versuche mit engen Diopteröffnungen kön-
nen Aufschluss geben. Mit dem Augenspiegel ist die Untersuchung im aufrechten Bilde
schon bei 5 — 6" Distanz möglich. Zu empfehlen ist das Tragen convexer Brillen, deren
Stärke durch Versuche ermittelt werden muss.
Hyperpresbyopische halten gleich jenen, die an Amblyopie oder Stumpfheit der Netz-
haut leiden, die Objecte, die sie besser sehen wollen, nicht wie man nach dem Eefractions-
zustande erwarten sollte, weiter, sondern näber, gleich sehr Kurzsichtigen, und kneifen
die Lider dabei stark zusammen. Für sie gibt es überhaupt keine Distanz, in der sie
deutlich sehen könnten; immer sehen sie nur mittelst Zerstreuungskreisen. Demnach
gibt nebst der Lichtmenge, welche das jeweilige Sehobject ins Auge senden kann, mithin
dessen Annäherung und die relativ geringste Grösse der Zerstreuungskreise, den Ausschlag
für die Haltung der Objecte, zumal die Accommodation nicht fehlt. Ihre Netzhaut liegt
vor der Brennweite des dioptr. Apparates.
Nach A. von Gräfe (Archiv B. IL Abth. 1. S. 181) kann man durch Vorhalten eines
starken Concavglases (5 — 6"j vor ein gesundes Auge den Zustand der Hyperpresbyopie
Arlt Augenheilkunde. III. 17
258 Augenmuskeln.
studiren. „Nimmt man eine grössere Druckschrift recht nahe an das so bewaffnete AugeT
so kann man dieselbe entziffern, freilich der mangelnden Übung wegen nicht so gut als-
Hyperpresbyopische ; entfernt man sie aber über 8, 12, 16 Zoll, so breiten sich die Zer-
streuungskreise der einzelnen Buchstaben über die Intervalle aus, und die Schrift läuft
undeutlich durch einander. "Wir überzeugen uns hiebei, dass die relative Grösse der Zer-
streuungskreise zu dem Bilde wächst, wenn das Object über die genannte Grenze ent-
fernt wird, ein Resultat, das auch a priori voraus zu sehen war. Jeder Punkt der Aussen-
weit gibt offenbar, je näher er bei einem Hyperpresbyopischen ans Auge gebracht wird,,
auch einen desto grösseren Zerstreuungskreis. Aber diese Vergrösserung der Kreise ge-
schieht nicht in dem umgekehrten Verhältnisse der Quadrate der Entfernungen, d. h.
in dem Verhältnisse, in welchem die Flächenausdehnung der Bilder auf der Netzhaut
steigt, sondern in einem langsameren Verhältnisse." Bei sehr grosser Annäherung (4 — 5")
des Sehobjectes (Druckschrift) sind also die Zerstreuungskreise relativ zu den stark er-
leuchteten Centris der Netzhautbilder nicht so gross, wie bei geringer Annäherung (z,
B. 8— 10").
Von Heilung der Weitsichtigkeit kann keine Rede sein, sobald sie
ausschliesslich oder vorwaltend Folge der Senesceuz ist. Von der Be-
handlung der anderweitig bedingten, welche meistens noch als Kopiopie
zur Beobachtung kommt, wollen wir weiter unten sprechen. Nebst
rationellem Gebrauche der Augen sind Convexgläser Alles, was wir dem
Presbyopischen empfehlen können. Convexgläser sollen das Auge beim
Lesen, Schreiben u. dgl. unterstützen, ohne es aller accommodativen
Thätigkeit zu überheben, wenn solche noch vorhanden ist. Sie wirken
dadurch, dass sie die von relativ zu nahen Objectpunkten ausfahrenden,
mithin relativ zu divergent zum Auge gelangenden Lichtstrahlen minder
divergent machen, oder, was die Sache allgemeiner bezeichnet, in Com-
bination mit der Sammellinse des Auges dessen Brennweite verkürzen,
dabei mehr Licht von jedem einzelnen leuchtenden Punkte ins Auge
gelangen und die Objecte vergrössert erscheinen lassen, sobald diese
etwas weiter entfernt liegen, als die Focaldistanz dieser Combination
eigentlich gestattet. Sie schränken demnach die accommodative
Thätigkeit des Auges um so mehr ein, je weniger sie dieselbe nöthig
machen, d. h. je mehr sie die Focaldistanz verkürzen (den Nahepunkt
an das Auge heranrücken), und können der Sehkraft einerseits durch
Zuführung von relativ zu viel Licht und Überreizung der Netzhaut,
andererseits aber auch dadurch nachtheilig werden, dass das Auge die
Fähigkeit verlernt, in weite Ferne deutlich zu sehen (Objecte unter
kleinem Sehwinkel und relativ matter Beleuchtung zu erkennen, und
von Zerstreuungskreisen zu abstrahiren). Alle diese nachtheiligen
Nebenwirkungen werden durch gehörig gewählte Brillen bei rationellem
Gebrauche der Augen vermieden.
Um dem Fernsichtigen eine angemessene Brille zu wählen, muss
«> Weitsichtigkeit — Übersichtigkeit — Convexbrillen. 259
man die Grenze keimen, bis zu welcher heran er noch deutlich sieht,
und die Distanz, in welcher er seine Arbeiten verrichten will oder niuss.
Bei 12 Zoll Abstand des Nahepunktes vom Auge ist eine schwächere
Brille ausreichend, als bei 1(3 oder 20 Zoll. Wer schreiben oder lesen
will, was recht gut bei 10 — 12 Zoll geschehen kann, braucht eine
schwächere Brille, als wer mit Objecten arbeitet, die wegen grosser
Feinheit oder wegen mechanischer Verhältnisse mindestens auf 8 Zoll
genähert werden müssen. Den Nahepunkt bestimmt man am bequem-
sten und im Allgemeinen auch mit hinreichender Sicherheit durch Lese-
proben mit mittlerem oder etwas grösserem Drucke. Die Brennweite
(Nummer) des zu wählenden Glases wird auf dieselbe Weise wie bei
Kurzsichtigen berechnet. Ein Weitsichtiger, der nur bei 14", nicht
aber bei 13" lesen kann, braucht demnach, um 10" lesen zu können,
Nr. 36, weil . = — — = 35.*) Bei Weitsichtigen ist die
Kücksiclit auf die Beleuchtung und Grösse der Objecte bei den Seh-
proben noch viel wichtiger, als bei Kurzsichtigen. Bei matter Beleuch-
tung und bei zu feinem oder blassem Drucke wird der Nahepunkt
leicht zu fern angenommen, ebenso wenn der Brillencandidat sich
einige Stunden oder Tage vorher sehr angestrengt hat, durch deprimi-
rende Einflüsse herabgestimmt oder geschwächt ist. Die Folge der
Nichtbeachtung dieser Umstände ist die Wahl eines mehr als nothwen-
*) Für Weitsichtige führt Flössl in Wien folgende Nummern : 80, 60, 48, 40, 36, 33, 30, 27, 24, 22, 20,
IS, 17, 16, u. s.w. bis 7, von da immer zu V2 Zoll bis 4'/2i dann zu 1/i Zoll bis 2, welche letzteren
Reihen jedoch nur bei Hyperpresbyopischen, namentlich bei Staaroperirten in Anwendung kommen.
Die Brennweite eines convexen Glases lässt sich bis zu der hier erforderlichen Genauigkeit
leicht ermitteln', wenn man in einem Zimmer mit einem einzigen Fenster , welchem einerseits der
freie Himmel, andrerseits eine weisse glatte (Fläche) mindestens 20 Fuss gegenübersteht, das frag-
liche Glas in allmälig steigender Entfernung senkrecht vor diese Wand hält, und die Distanz mit
dem Zollstabe misst, bei welcher das auf der Wand entworfene Fensterbild in den schärfsten Um-
rissen erscheint. Richtig geschliffene, aus reinem Glas bestehende und gut polirte Gläser geben,
wenn sie nicht zu klein sind, auch in den niedrigeren Nummern (von 36 — 60) noch hinreichend deut-
liche Bilder, wenigstens an hellen Tagen ; doch lassen sich bei diesen Nummern einige Zoll Abweichun-
gen von der Brennweite nicht erkennen, und man muss sieh begnügen, zu bestimmen, ob die Brenn-
weite z. B. näher an 60 oder näher an 4S liegt. Da das Fenster nicht paralleles , sondern noch
divergirendes Licht zum Glase sendet, so gibt der Abstand von der Wand natürlich auch dann nicht
genau die Brennweite, wenn das Bild in den schärfsten Umrissen erscheint. Will man diesen Fehler
vermeiden, so nehme man sich die verschiedenen Nummern von einem verlässlichen Optiker und
einen Stab von 60 Zoll Länge, den man wagrecht (also senkrecht auf die Wand) gerade der Mitte
des Fensters gegenüber hält, nehme nun ein Glas nach dem andern und notire an dem Stabe die
Distanz, bei welcher Nr. 10, 12, 15, 20 u. s. w. das schärfste Bild zeigt. Durch wiederholte Ver-
suche kann man sich einen ziemlich genauen Massstab verfertigen. — Die Prüfung der Convexgläser
mittelst direct auffallenden Sonnenlichtes (Strahlen) ist nicht leichter, dagegen nothwendig, wenn
sich's um die Ermittelung der Centrirung handelt : nur bei regelmässig geschliffenen und gut centrir-
ten Gläsern erscheint die lichte Scheibe (in der Focaldistanz) vollkommen rund (auf einem normal
stehenden Schirme), scharf begrenzt und in der Mitte des dunklen Hofes.
i7*
260 Augenmuskeln.
dig starken Glases. Andrerseits kann aber auch eine Brille, welche
zur Arbeit bei Tageslicht eben hinreicht, zur Arbeit bei künstlichem
Lichte zu schwach sein. Man hat daher Tag- und Nachtbrillen, jene
schwächer, diese stärker gegeben. Ich bin von diesem theoretisch ge-
rechtfertigt scheinenden Usus seit langem abgegangen, ausser in jenen
seltenen Fällen, wo so zu sagen gar kein Accommodationsvermögen
mehr besteht. Wenn der Brillenträger für eine helle Flamme sorgt
und sich den Objecten weniger nähert, kann er auch bei künstlicher
Beleuchtung mit demselben Glase auskommen, wie bei Tage. Leute,
welche Nachts mit einer stärkern Brille arbeiten, müssen sich derselben
in kurzer Zeit auch bei Tage bedienen, während sie — nach Beobach-
tungen an andern zu schliessen, — mit der schwachem Tagesbrille
jahrelang ausgekommen sein würden, wenn sie sich immer nur einer
und derselben Brille bedient hätten. Ein anderer Umstand, welcher in
kurzer Zeit den Gebrauch stärkerer Brillen nothwendig machen kann,
ohne dass eine oder die andere der obgenannten Veranlassungen zur
Weitsichtigkeit eingewirkt hat, liegt darin, dass diejenigen, welche
ihrem Auge die Unterstützung durch eine Brille zu lange versagt
haben, die Gewohnheit, die Objecte in grösserer Entfernung zu halten,
nachher beim Brillengebrauche nicht wieder ablegen, somit die accom-
modative Thätigkeit gar nicht oder viel zu wenig in Anspruch nehmen,
Wir haben aber bereits früher auf das allgemeine Gesetz hingedeutet,
dass muskulöse Organe durch Unthätigkeit oder zu geringe Übung
ebenso geschwächt werden, wie übermässige Anstrengung ihre Kräfte
erschöpft, hingegen massige, adäquate Thätigkeit, unterstützt durch
Abwechslung und Ruhe, dieselben stärkt oder doch in ihrer Kraft
erhält. —
Rücksichtlich der Form, Fassung, Stellung etc. gelten für die Con-
vexgläser im Ganzen dieselben Vorschriften, wie bei den Concavbrillen.
Die concav-convexen (periskopischen) verdienen hier unbedingt den
Vorzug vor den plan- oder doppelt-convexen. Ebenso sollten diese
Gläser stets kreisrund, oder, wenn ja oval, mindestens so gross sein,
dass sie unten völlig oder nahezu an die Wange anliegen, damit bei
abwärts gewendetem Blicke die Sehachse durch das Centrum gehen
könne. Desshalb muss auch der Steg über die Nase stark gebogen
sein, und zwar bei sehr hoher Nasenwurzel nicht bloss mit aufwärts,
sondern zugleich auch mit vorwärts gerichteter Convexität, weil sonst
die Gläser zu weit von den Augen entfernt sein würden. Der Abstand
der Pupillen von einander, nach welchem sich der Abstand der Mittel-
punkte der Gläser richtet, ist nicht beim Blick in die Ferne, sondern
Augenmattigkeit — Ätiologie. 261
beim Blicke auf 10 — 12 Zoll Distanz zu messen. Die Bügel müssen so
schliessen, dass die Gläser immer in gleichem Abstände vor den Augen
erhalten werden; je weiter sich das Glas vom Auge entfernt, desto
stärker wirkt es. Für Weitsichtige sind Lorgnetten und die leider
wieder in Aufnahme gekommenen Nasenzwicker durchaus verwerflich,
denn beim Lesen, Schreiben u. dergl. ist eine regelrechte und stets
gleichmässige Stellung der Gläser vor den Augen von ungleich wirk-
samerem Einflüsse, als beim Betrachten entfernter Objecte durch Con-
cavgläser.
Augenmattigkeit, Kopiopic, Lauguor octili.*)
Dieser Zustand äussert sich zunächst durch Mangel an Ausdauer
oder vorzeitige Ermüdimg der Augen beim Betrachten naher Gegen-
stände. Das Auge, welches übrigens vollkommen gesund sein kann, in
die Feme gut oder doch leidlich gut sieht, und die Accommodations-
fähigkeit noch in mehr weniger hohem Grade besitzt, hält bloss die
Accommodation für nahe und feine Objecte nicht lange genug aus, und
zwar wegen verminderter, unzureichender Energie der Accommodations-
organe; diese können die zum Nahesehen nöthige Spannung nicht
hinreichend lange auf der gehörigen Höhe erhalten; das Auge muss
einige Zeit ausruhen, um wieder zu Kräften zu kommen, oder es muss
durch Convexgläser der Mühe überhoben werden, sich für die relativ
zu grosse Nähe zu accommodiren.
Die Kopiopie gibt sich dem Kranken gewöhnlich durch das Gefühl
von Spannung oder Druck in oder über den Augen kund, Anfangs nur
nach tagelanger Anstrengung, bei Professionisten, Schustern, Schnei-
dern u. dergl. die letzten Tage der Woche, später schon jeden Abend,
wenn viel bei künstlichem Lichte gearbeitet werden muss, endlich auch
selbst schon unter Tags, nach einigen Stunden, und beim höchsten
Grade des Übels ist das Auge zu jeder Arbeit unfähig. Seltener und
nur nach den bei der Ätiologie der Weitsichtigkeit angeführten depri-
mirenden Einflüssen, wird der Verlust der Accommodationsenergie
gleichsam plötzlich in mehr weniger hohem Grade entwickelt bemerkt.
Besteht die Kopiopie ohne eigentliche Stumpfheit der Sehkraft und in
*) Von früheren Autoren Amblyopia es. abusu visus (Beer) , von späteren Hebetudo visus (Jüngken,
Böhm) genannt, nach Sichel Amblyopie presbytique, nach Petrequin Kopiopie (von xoTtiao), ich er-
müde, lasse nach), nach Makenzie Asthenopie. Das Übel ist zunächst nicht ein Leiden der Netz-
haut, sollte daher auch nicht Amblyopie genannt werden. Das Gesicht kann dabei vollkommen
scharf sein, daher auch nicht stumpf (hebesj genannt werden, was doch visus vel auditus hebes bei
den Classikern bedeutet.
262 Augenmuskeln.
sonst gesunden Augen, so erkennt das Auge die Gegenstände im Anfange
der Arbeit recht gut, und wenn nicht bereits ein höherer Grad von
Presbyopie eingetreten ist, auch in der gewohnten Entfernung. Zunächst
sucht sich der Kranke durch stärkere Beleuchtung und durch Weg-
rücken der Objecte über die gewohnte Distanz zu helfen; allein über
kurz oder lang stellt sich das Gefühl von Ermüdung, Abspannung,
Druck in den Augenhöhlen ein, der Blick wird unsicher, allmälig ge-
trübt. Man meint, man müsse etwas vom Auge wegwischen, und in
der That, die hiezu nöthige Pause reicht Anfangs hin, das Auge wieder
für einige Zeit zur Arbeit tauglich zu machen. Bei fortgesetzter An-
strengung, besonders bei reizbarem Nervensysteme, gesellt sich alsbald
ein bedeutender, zusammenziehender Schmerz über den Augenbrauen
dazu, die Augen fangen an, öfter überzugehen, zu thränen und zu
zittern, gleich dem ausgestreckten Arme, der eine relativ zu schwere
Last halten soll. Das Zittern nimmt der Kranke nicht als solches wahr,
sondern als Hin- und Herschwanken oder Durcheinanderschwirren der
Buchstaben, Noten u. dergl. Endlich erscheinen die Gegenstände
farbig eingesäumt, doppelt, th eilweise verwischt oder wie in Nebel ge-
hüllt. Bei fortgesetzter Anstrengung können auch Schwindel, Brech-
neigung, Erbrechen auftreten. Mückensehen in verschiedener Form be-
gleitet sehr häutig auch diesen Zustand, wie überhaupt alle Abnormi-
täten des Refraetionszustandes und ungenügende Accommoclation. In
die Ferne sehen solche Kranke nach wie vor, und im Freien fühlen
sie überhaupt von ihrem Leiden nichts. (Ist Ungleichheit der Sehkraft,
z. B. wegen leichter Hornhauttrübung des einen Auges, die Ursache der
Kopiopie, so treten die genannten Zufälle nur in dem bessern, zum
Nahesehen benützten Auge auf).
Der Blick solcher Augen ist matt (languidus), des gewöhnlichen
Grades von Glanz und Feuer mehr weniger verlustig. Sind die Augen
durch Arbeit überreizt, so erscheinen die Lider an den Rändern leicht
geröthet, wohl auch etwas angelaufen, die Episcleralgefässe stärker
injicirt; sie sind gegen grelles, namentlich reflectirtes Licht, gegen
raschen Wechsel zwischen Licht und Schatten, gegen kalte Luft, Tabak-
rauch u. dergl. abnorm empfindlich, und thränen leicht, wogegen sie
des Morgens beim Erwachen wie ausgetrocknet erscheinen, so dass die
Lider, obwohl nicht verklebt, nur mühsam und unter Schmerz geöffnet
werden können. Diese Zufälle deuten mehr weniger schon auf Hinzu-
treten von Reizung und Hyperämie der Netzhaut. — Rücksichtlich der
Lage der Iris und Linse verhalten sich solche Augen meistens so wie
weitsichtige, auch in jenen Fällen, wo sie noch im Stande sind, selbst
Augeimiattigkeit — Prognosis — Therapie. 263
bei 5 Zoll Distanz feine Objecte deutlich zu erkennen. Die Pupille ist
im Allgemeinen enger, auch wenn noch keine Zeichen von Netzhaut-
reizung vorhanden sind.
Häufig kommt dieser Zustand bei Leuten vor, bei denen sich Pres-
byopie wegen Senescenz entwickelt; er erreicht indess hier nicht so
oft einen hohen Grad, weil solche Leute bald darauf kommen, dass sie
ihre Augen zur Arbeit durch Brillen unterstützen müssen, und w«il bei
höheren Graden von Weitsichtigkeit sich das Lesen, Schreiben u. dergl.
ohne Brillen von selbst verbietet. Wenn jedoch die Senescenz etwas
früher eintritt, wenn man den Gebrauch der Brillen aus Eitelkeit ver-
schmäht oder aus dem sonderbaren Grunde, weil man dieselben dann
nie wieder werde ablegen können, oder wenn relativ zu schwache
Brillen gewählt wurden, so geschieht wohl auch hier dasselbe, was
sonst nur dann der Fall ist, wenn jüngere Leute davon befallen wer-
den. Die Ursachen sind dieselben, welche wir bei der Presbyopia
praematura angegeben haben, übermässige Anstrengung, deprimirende
Einflüsse, Weinen, Nachtwachen u. s. w. Nebstdem aber gibt Ungleich-
heit der Sehkraft beider Augen häufig die Veranlassung zu diesem Zu-
stande. Vergl. Hornhauttrübung B. I. S. 261 und Amblyopie B. III.
S. 102. — Bei Kurzsichtigen können wohl in Folge übermässiger An-
strengung die Zufälle von Überreizung und Hyperämie (selbst Apoplexie
und Entzündung) der Netzhaut auftreten; von einem Nachlassen der
Accommodationskraft, von einem Zurückgehen auf grössere Entfernung
beim Arbeiten habe ich nie etwas gehört, noch beobachtet. Bei Schie-
lenden wird die Accommodation für feinere Objecte sehr häufig nicht
lange ausgehalten; doch waltet hier nicht einfache Schwäche der Ac-
commodationsorgane ob, sondern müssen noch andere (später erörterte)
Momente mit in Anschlag gebracht werden.
Die Prognosis ist im Allgemeinen günstig zu stellen, was die Er-
haltung der Sehkraft betrifft, unter Umständen auch günstig rücksicht-
lich der völligen Wiederherstellung des normalen Zustandes. Die Hei-
lung- ist mühsam, erfordert von Seite des Kranken viel Ausdauer.
Gefährlich wird der Zustand nur durch das secundäre Netzhautleiden.
Bei Weitsichtigkeit wegen Senescenz lassen sich die Zufälle durch
passende Convexgläser und eine vernünftige Augendiätetik beseitigen.
Bei einfacher Kopiopie jugendlicher Individuen in Folge übermässiger
Anstrengung der Augen oder deprimirender Einflüsse lässt sich aa
völlige Behebung denken, sobald — was freilich oft unmöglich — den
Augen und dem Körper die nöthige Ruhe und Erholung verschafft
werden kann. Bei Kopiopie wegen Ungleichheit der Sehkraft fragt
264 Augenmuskeln.
sich's nebstdem, ob diese beseitigt werden kann; wo nicht, so kann
meistens nur von Besserung oder temporärer Beseitigung der Zufälle
die Rede sein.
Die Behandlung erfordert zunächst Eruirung und gehörige Wür-
digung der ätiologischen Momente. Bald ist die übermässige An-
strengung, bald die Senescenz, Depression der Körperkräfte, oder Un-
gleichheit der Sehkraft der vorwaltende Factor. In allen Fällen besteht
demnach die erste Indication darin , dass dem Auge durch Wochen —
Monate Ruhe und Erholung gestattet werde. Dieser Indication wird bald
schon durch Einschränkung, bald auch nur durch gänzliche Enthaltung
vom Lesen, Schreiben u. dgl. genügt werden können. Ein vortreffliches
Mittel, solche Augen trotz Beschäftigung nicht anzustrengen, bieten
Convexgläser, nur müssen sie, wenn sich das Auge noch accommodiren
kann, schwach sein. Zu diesem Behufe ist es wünschenswerth, Gläser
von 100, 90, 80, 75, 70, 65 u. s. w. bis 40 zu besitzen, um auch den
geringsten Abstufungen der Accommodationskraft gebührend Rechnung
tragen zu können. Wird das Auge eben hinreichend, aber auch nicht
mehr, unterstützt, dann kann massige, lieber öfter als länger vorge-
nommene Übung sogar wohlthätig auf die geschwächten Accommoda-
tionsorgane einwirken, gleichwie der Reconvalescent von einer schweren
Krankheit seine Muskelkräfte durch massige, nicht zu einförmige und
nie bis zur Ermüdung fortgesetzte Übung stärkt, durch Unthätigkeit
hingegen ebenso wie durch forcirte Anstrengung schwächt. Besonders
wohlthätig sind die meines Wissens zuerst von Böhm empfohlenen blass-
blauen schwachen Convexgläser, besonders in jenen Fällen, wo sich
bereits ein mehr weniger hoher Grad von Erethismus der Netzhaut
dazu gesellt hat. In dem Masse, als die Accommodationsorgane erstar-
ken, geht man von stärkeren zu schwächeren Nummern über. Am fühl-
barsten macht sich der Nutzen entsprechender Convexgläser bei jenen,
welche durch Verhältnisse gezwungen sind, zu arbeiten. Man inuss
aber diejenigen, welche über die Wirkung dieser Unterstützung ent-
zückt sind, ausdrücklich ermahnen, sich nicht zu vergessen, und bei
der Arbeit es nie bis zur Ermüdung kommen zu lassen, sondern gleich
jenen, die keine Brillen brauchen, öfter kleine Pausen und Abwechs-
lung im Arbeiten eintreten zu lassen. Auch sollen sie allmälig wieder
anfangen, zeitweise ohne Brillen zu arbeiten, falls sie dieselben nicht
etwa wegen Presbyopie bleibend bedürfen. Fleissige Bewegung im
Freien, wo möglich Aufenthalt auf dem Lande, in Gebirgsgegenden.
Öfteres Waschen oder Anspritzen der Augen mit frischem Wasseiv
Augendouche mittelst besonderer Apparate. Ein sehr einfacher Apparat
Atigeiiniattigkeit — Therapie — Beispiele. 265
ist eine Bohre von Glas oder Blech, an beiden Enden umgebogen, im
geraden Mittelstück etwa 30 — 36 Zoll lang, das eine Ende in eine auf-
wärts gerichtete Spitze zulaufend, und mit einer Öffnung versehen,
welche etwa eine Stricknadel aufnehmen könnte, das andere Ende
schräg abgestutzt und dem Mittelstücke parallel abwärts gerichtet, so
dass es etwa 6 Zoll tief in ein Gefäss voll Wasser eingetaucht, das
Ganze somit als Heber benützt werden kann, den man durch Ansaugen
der Luft am spitzigen Ende in Thätigkeit setzen kann. Will man statt
eines etwa strohhalmdicken Strahles mehrere feine haben (Begendouche)r
so verbindet man einen an einer Wand aufgehängten Wasserbehälter
mit einem etwa 4 — 5 Fuss langen Bohre, welches durchaus oder doch
unten biegsam (von Kautschuck, Guttapercha) ist, und unten mit einem
Hahne (zum Absperren) und einer Brause versehen ist. Der Wasser-
strahl wird an die geschlossenen Lider durch 2 — 5 Minuten, mehrmals
des Tages geleitet. Wird die Douche nicht vertragen, oder liegen sonst
Gründe dagegen vor, so wähle man Waschungen mit Wasser und Brannt-
wein (Franzbranntwein oder Cognac mit 4 — 2 Theilen Wasser) oder mit
Spir. roris marini, mit Oleum foeniculi aethereum in Weingeist gelöst*)
und mit Wasser verdünnt, oder bestreiche die Umgebung der Augen
mit Himly's Balsamum ophthalmicum**), mit Cölner Wasser oder ähn-
lichen Mitteln. — Die allgemeine Behandlung erfordert unter Berück-
sichtigung des ätiologischen Momentes fleissige Bewegung im Freien,
Aufheiterung des Gemüthes (wozu die Prognosis wesentlich beitragen
wird), gute Kost, nach Zulass des allgemeinen Befindens und der sons-
tigen Verhältnisse Fluss- oder Seebäder, Mineralsäuren, Eisen- oder
Chinapräparate, u. dgl.
..Ein verdienstvoller Mann wurde am Ende eines heftigen und langwierigen Nerven-
fiebers von einer solchen Augenschwäche befallen, dass er einige Zeit hindurch in der
schrecklichsten Besorgniss lebte, sein Gesicht völlig zu verlieren; diese Angst wurde
noch überdiess durch das Achselzucken der Ärzte und durch die tägliche Abnahme der
Sehkraft mächtig unterstützt, so dass ich den Leidenden in der traurigsten, mitleidswür-
digsten Stimmung antraf, als ich gerufen Avurde. Man rieth ihm Dunkelheit des Zim-
mers, den Dunst des Cölner "Wassers, und ein Augenwasser aus gleichen Theilen Brun-
nenwasser und "Weingeist, wobei er sich aber sehr übel befand. Ich empfahl leicht
zu verdauende Nahrungsmittel in massigen, vertheilten Mahlzeiten, ein Gläschen guten
"Wein, Bewegung des Körpers in freier, reiner Luft, Übung der Augen in einem ganz
gleichmässig vertheilten hellen Lichte, und endlich besonders öf.ers flüchtiges Anschauen
feiner Kupferstich- und Mineraliensammlungen, welchen Bath der Leidende auch sehr gern
*) Der wesentliche Bestandtheil des Romer shauseri 'sehen Atigenwassers.
**) Rpe. : Bals. peruviani gutt. sex, Olei lavendulae, olei caryophyllorum, olei succini rectlfic. ana gutt-
qnatnor, Spir. vini rectifie. unc. dimidiam. M. et post suffic. macerat. filtra per gossyp. D. 5.
Augenbalsam.
266 Augenmuskeln.
befolgte, weil er mit seinen Neigungen, vor welchen man ihn doch ernstlich warnte,
übereinstimmte. Der gute Mann unterhielt sich nun mit seinen Freunden täglich über
verschiedene Stücke seiner trefflichen Sammlungen und vergass bald seinen Kummer;
denn die Gesichtsschwäche, von welcher man schon einen schwarzen Staar prophezeihen
wollte, verschwand in weniger als 3 "Wochen so vollkommen, dass der Wiedergenesene
seine Augen wie vor der Krankheit gebrauchen und anhaltend anstrengen konnte." (Beer,
Pflege gesunder und geschwächter Augen. S. 143.)
Im November 1842 kam ein Fräulein von beiläufig 20 Jahren zu mir, mit der Klage,
dass sie seit einigen AVochen nicht mehr im Stande sei, längere Zeit zu nähen oder zu
lesen, was sie doch bis tief in die Nacht hinein zu thun gewohnt gewesen sei; es fange
ihr das rechte Auge an weh zu thun und zu thränen, und bei fortgesetzter Anstrengung
verwirren sich ihr die Gegenstände so durch einander, dass sie die Arbeit längere Zeit
bei Seite zu legen genöthigt sei ; sie bat um so dringender um Hilfe, da sie mit dem lin-
ken Auge ohnehin wenig sehe, selbst einen 1/t Zoll hohen Druck nur mit Mühe lesen
könne. Wie lange sich das linke Auge in diesem Zustande befinde, wisse sie nicht ; sie
habe es vor einigen Wochen beim Schliessen des rechten bemerkt, da ihr die Augen matt
zu werden anfingen. Nachdem der erethische Zustand des rechten Auges durch ent-
sprechende Diät und Behandlung beseitigt war, begann ich die Behandlung des linken
Auges nach Cunier's Vorschlage mit einem concav-convexen Glase von 3 Zoll Brenn-
weite, durch welches sie den Titel der Prager Zeitung gut zu lesen vermochte. Da
selbst durch vierstundenlange Übung keine Reizungssymptome herbeigeführt wurden, ver-
minderte ich die Brennweite täglich um '/a Zoll bis zu Nro. 7, dann in grössern Zwi-
schenräumen um einen ganzen Zoll bis zu Nro. 17, endlich um 3 — 4 Zoll bis zu Nro. 27.
Den 20. December las sie bereits einen Druck von nicht ganz 1 Linie Höhe, und zwar
ohne Glas und bei 9 — 10 Zoll Distanz. Die Heilung ist dauerhaft; sie verträgt jetzt
imehrere Jahre später) wieder stundenlang Anstrengung der Augen.
Ein Mädchen von ungefähr 26 Jahren consultirte mich wegen Schwäche des rech-
ten Auges; mit dem linken, sagte sie, habe sie von Jugend auf nicht gut gesehen. Sie
klagte über Erscheinungen, die ich damals (im Jahre 1840) auf Amblyopia eretisthico-
congestiva hohen Grades bezog, welche aber, wie mir erst im spätem Jahre klar wurde,
zunächst von Asthenopie ausgingen. Sie hatte im 16. Jahre an Bleichsucht gelitten und bot
den sogenannten Habitus leucophlegmaticus dar ; die Menstruation war sparsam, die Leibes-
öffnung habituell sehr träge. Sie war in der grössten Angst zu erblinden, da die Mittel,
die ihr ein berühmter Augenarzt gerathen (zeitweilig Schröpfköpfe an die Wirbelsäule,
Pillen mit Aloe und Castoreum), nicht .die geringste Besserung, erstere sogar vorüber-
gehende Verschlimmerung herbeigeführt, und ein zweiter Arzt ihren Verwandten erklärt
hatte, es sei schwarzer Staar zu befürchten. Ich fand die linke Hornhaut (in Folge einer
in früher Jugend überstandenen Entzündung) nur ganz wenig getrübt, ungefähr so , wie
wenn sie mit einer ganz dünnen Lage Milch überzogen wäre. Sie hatte vor dem Ent-
stehen dieser Gesichtsschwäche (des rechten Auges) viele Nächte hindurch gewacht und
vorgelesen — bei einer schwer kranken Mutter — und anhaltend feine weibliche Arbei-
ten verfertigt. Ich liess mich bei der Behandlung besonders durch diesen letztern Um-
stand bestimmen, ohne genauere Einsicht in die Natur des Übels am rechten Auge ge-
winnen zu können, schlug mehrere Curmethoden ein, darunter auch die zu Marien- und
das Jahr darauf zu Carlsbad, und nachdem Pillen mit Sulfas ferri und Aloe einige Besse-
rung bewirkt zu haben schienen, Franzensbrunnen beim Aufenthalte in einer anmuthigen
Gebirgsgegend. Ich hatte aber der Kranken wohl am meisten dadurch genützt, dass ich
Augeiimattigkeit — Beispiele. — Lähmung. 267
ihr die Furcht vor Erblindung benommen, die sie Tag und Nacht gequält, und durch
eine zweckmässige Augendiätetik. Erst im Verlaufe der Zeit sah ich ein, dass Enthaltung
der Augen von Anstrengung die Hauptsache war. Es sind nun 15 Jahre verflossen, und
die Kranke, mittlerweile auch in bessere Verhältnisse gesetzt, muss wohl auf jede längere
Anstrengung der Augen verzichten, erfreut sich aber fortwährend eines ungetrübten Ge-
sichtes. — Die vorstehenden beiden Beobachtungen habe ich 1S44 in der Prager Viertel-
jahrschrift auf S. 6ü und 61 des 4. Bandes mitgetheilt. Einige andere, zum Theil hie-
her gehörende Beobachtungen folgen in dem Abschnitte über Strabismus.
Als Beispiel plötzlich entstandener Accommodationsparesis mag folgender Fall dienen.
Kolm M., 37 Jahre alt, Buchhalter in einem Handlungshause, consultirte mich am 2. Mai
1S54, weil er seit einigen Tagen nicht mehr lesen oder schreiben konnte, obwohl er bis
in die jüngste Zeit den ganzen Tag zu schreiben und bis spät in die Nacht zu lesen
pflegte, und diess auch ohne alle Beschwerde und Anstrengung konnte. — Er hatte vor
5 Tagen seiner Gewohnheit gemäss nach dem Mittagessen sich eine Cigarre angezündet ;
kaum hatte er ' '3 davon geraucht, als ihm unwohl wurde, so dass er beinahe vom Stuhle
gefallen wäre. Da er ganz blass und kalt geworden war, hatte man ihn mit kaltem
Wasser bespritzt, und ihm dann Brausepulver verabreicht. Er versichert einige Minuten
lang gar nichts gesehen und irre geredet zu haben. Nachdem er sich in Zeit von 3
Stunden wieder völlig erholt hatte, ging er auf die Schreibstube, fand aber zu seinem
Schrecken, dass er die eingelaufenen Briefe nicht lesen konnte. Er ging also nach Hause
und legte sich nieder. Es erfolgten einige diarrhoische Entleerungen bei anhaltender
Neigung zum Erbrechen und Eingenommenheit des Kopfes, und der Schlaf war unruhig.
Bis zum 4. Tage hatten sich diese Zufälle allmälig verloren, mit Ausnahme von Appetit-
losigkeit : er konnte auch wieder etwas lesen, aber nur wenige Minuten und mit Anstren-
gung. Experimente bestätigten, dass er in die Ferne, so wie früher, ganz gut sah, und dass
sich die Störung des Gesichtes bloss auf das Erkennen und Betrachten naher Objecte be-
zog. Er las Druck von 1'" Höhe bei 12 — 15 Zoll, doch nur ganz kurze Zeit, und je
näher, desto schlechter; convex 60 und noch mehr 48 erleichterten das Lesen und ge-
statteten Annäherung bis auf 8 Zoll. Objectiv boten die Augen nichts Abnormes dar
als matten Blick, starke "Wölbung der im Ganzen weit vorn liegenden Iris und Engheit
der Pupillen. "Wurde ein Finger bis auf 3" genähert, so stellten sich beide Bulbi ge-
hörig einwärts und konnten auch eine geraume Zeit lang in dieser Stellung erhalten
werden. Wurde ihm convex 9 vorgehalten, so musste er die Schrift bis auf mindestens
7" nähern, um sie noch lesen zu können. Durch eine etwa l/e'" grosse Kartenblatt-
öffnung las er mit jedem Auge zwischen 5 und 12" auch den feinsten Druck. — Ich
liess den Mann bloss viel in's Freie gehen, diät leben und nichts arbeiten. Nach 8 Ta-
gen konnte er wieder wie früher lesen und schreiben. Sein Nahepunkt lag jetzt 6"
Tor den Augen.
Augenmuskellähnmiig, Paresis et Paralysis niuscul. bulbi.
Die hieher gehörenden Zustände wurden in früherer Zeit, je nach-
dem man die eine oder die andere hervorstechende Erscheinung vor-
züglich in's Auge fasste, bald als Luscitas (Schiefstehen des Auges)
oder Strabismus lusciosus (unbewegliches Schielen), bald als Diplopia
(binoculäres Doppeltsehen), wohl auch einfach als Strabismus (beweg-
268 Augenmuskeln.
liches oder concomitirendes Schielen, z. B. Trochlearislährnimg) aufge-
fasst und beschrieben. Wir können hier diese generellen, auf viele
unter sich ganz verschiedene Zustände anwendbaren Namen nur in so
fern zulassen, als sie sich bloss auf verminderte oder aufgehobene Con-
tractionsfähigkeit (Innervation) der Muskeln des Bulbus beziehen. Von
jener Diplopie oder Unbeweglichkeit des Bulbus, welche z. B. auf An-
wachsung desselben an ein Augenlid u. dgl. beruht, kann demnach hier
eben so wenig die Hede sein, als von der durch Verdrängung des
Bulbus aus seiner Lage (z. B. durch Geschwülste in der Orbita) be-
dingten.
Die Lähmung tritt in sehr verschiedenen Graden auf, für welche
die Ausdrücke Paresis und Paralysis nur annäherungsweise genügen.
Die Abstufungen von der leichtesten noch wahrnehmbaren Insufficienz
bis zur completen Aufhebung der Function eines Muskels sind so zu
sagen unendlich. Auch rücksichtlich der Zahl der ergriffenen Muskeln
kommen mannigfaltige Combinationen vor. Die einfachsten Fälle sind
die, wo bloss einer der Recti gelähmt ist, doch kommt diess gewöhnlich
nur beim R. externus vor ; complicirter sind schon die Fälle, wo die vom
N. oculomotorius versehenen Recti sammt dem Obl. inferior gelähmt
erscheinen; grosse diagnostische Schwierigkeiten bietet die Lähmung
des Obl. superior dar, zumal wenn sie noch mit Lähmung irgend eines
andern Muskels, z. B. des R. externus zugleich vorkommt, und am
schwierigsten sind jene Fälle, wo an beiden Augen zugleich Lähmung*
einzelner, ungleichnamiger Muskeln vorkommt. Die richtige Auffassung
solcher Fälle, sie mögen nun einfach oder combinirt sein, wird übrigens
häufig, zumal nach längerem Bestände, noch dadurch erschwert, dass
mannigfache Reflexwirkungen und secundäre Contracturen in andern
Muskeln auftreten. So leicht es demnach in einzelnen Fällen ist, die
Lähmung eines oder mehrerer Muskeln zu erkennen, so schwierig ist
in andern schon die Bestimmung, ob Muskellähmung überhaupt, an
welchem Auge, in welchen Muskeln und in wie hohem Grade vorhanden
sei, an welche sich dann erst die im Allgemeinen noch viel schwierigere
Eruirung des ursächlichen Momentes anreihen kann.
Die eminenten Erscheinungen der Muskellähmung sind im Allge-
meinen: gehinderte Beweglichkeit des Bulbus nach einer oder der andern
Richtung, bald mit bald ohne Abnormität in der Stellung desselben, und
Doppeltsehen beim Gebrauche beider Augen, woran sich noch Schwin-
del, unsichere Orientirung, ungenügende Accommodation und Sensibili-
tätsstörungen anreihen.
Abnormitäten in der Stellung und Beweglichkeit des Bulbus, an
Lähmung im Allgemeinen — Diplopie. 269
Trelcheni ein oder mehrere Muskeln insufficient sind, geben sich über-
haupt nur bei Affection der Eecti und auch da nur bei höheren Graden
und bei gewissen Richtungen der Sehachse kund, da nämlich, wo die
einfache oder die erhöhte Mitwirkung des betreffenden Muskels in An-
spruch genommen wird. „Um die ausbleibende Wirkung eines Augen-
muskels kenntlich zu machen, müssen wir das Auge derjenigen Stel-
lung zuführen, in welcher die Zusammenziehung des afficirten Muskels
beansprucht wird." Dieser Ausspruch A. von Greife's enthält den lei-
tenden Grundsatz , von dem man bei Beurtheilung sowohl der Stellung
der Cornea als des Auftretens der Doppelbilder auszugehen hat.
Das Gefühl von Schwindel fehlt bei frischen Fällen von Muskel-
lähmung selten, und zwar nicht nur beim monoculären Sehen (mit dem
afficirten Auge), sondern auch beim binoculären. Der Kranke hat auf
dem betroffenen Auge die feste Haltung und die richtige Orientirung
im Sehfelde mehr weniger verloren; er irrt sich im Urtheile in Bezug
auf die Lage (rechts, links, oben, unten) oder Richtung (grad oder schräg),
mitunter auch in Bezug auf die Entfernung und auf die Grösse der Ob-
jeete. Man kann das eine durch Vorhalten eines Prisma, das andere
durch Vorhalten eines coneaven oder convexen Glases leicht an sich
nachmachen. — In manchen Fällen von Muskellähmung findet man die
Sensibilität der Haut in der Umgebung des Auges oder auch an der
Hornhaut vermindert, jedoch, wie es scheint, nicht als Effect oder Sym-
ptom, sondern vielmehr als Coexistenz. In andern leidet consecutiv die
Sensibilität der Netzhaut, und es muss, da diese auch aus andern Ur-
sachen gesunken sein kann, jederzeit das gegenseitige Verhalten erst
eruirt und constatirt werden.
Unter den Zufällen, durch welche sich die Verminderung oder Auf-
hebung der Function eines Augenmuskels kundgibt, nimmt das Dop-
j)pltsehen beim binoculären Sehacte die erste Stelle ein. Der von Paresis
oder Paralysis eines (mehrerer) Augenmuskels Befallene bemerkt zu
seinem Schrecken, dass er beim Gebrauche beider Augen doppelt, beim
Verschluss des einen oder des andern Auges einfach sieht. Er bemerkt
diess bald unter allen Umständen, bald nur beim Anblick entfernter und
heller, bald nur beim Betrachten naher Objecte, ein andermal nur,
wenn die Objecte des directen Sehens sich rechts oder links von der
verticalen Meridianebene des Kopfes, oder aber nur wenn sie sich unter
oder über der Horizontalen befinden (z. B. beim Stiegensteigen, beim
Blick auf die Zimmerdecke, eine Thurmspitze). In Fällen geringer Af-
fection tritt die Diplopie beim gewöhnlichen Sehen bisweilen nicht als
solche deutlieh auf, indem sich die Doppelbilder noch mehr weniger
270 Augenmuskeln.
decken, dalier der scheinbar noch einfach gesehene Gegenstand nur auf
der einen Seite wie von einem Schatten oder Farbenstreifen einge-
säumt oder wie verunstaltet (in die Breite oder Länge gezogen) er-
scheint. Wo immer ein Kranker über solche Zufälle klagt, hat man Ur-
sache, an insufticiente Wirkung eines oder mehrerer Muskeln behufs
der richtigen (correspondirenden) Stellung des Bulbus zu denken, vor-
ausgesetzt, dass keine Diplopia monocularis oder eine Krankheit in dem
einen Bulbus selbst (Keratokonus, Luxation der Linse, beginnende Netz-
hautablösung) obwaltet.
Obwohl unsere frühem Erörterungen über das Sehen bei nicht adaptirtem Kefra-
ctionszustande genügen dürften, begreiflich zu machen, dass Zerstreuungskreise unter ge-
wissen Umständen Doppeltsehen (mit einem Auge) veranlassen können , so halte ich es
doch nicht für überflüssig, hier noch einige Bemerkungen über die Diplopia und Polyopia
monocularis einzuschalten, zumal der Gegenstand in früherer und späterer Zeit zu man-
nigfachen irrigen Deutungen und Hypothesen Veranlassung gegeben hat. — Das Dop-
peltsehen mit Einem Auge kommt vor bei rein Kurz- oder Weitsichtigen, bei Hyperpres-
byopischen, bei leichten Trübungen in den durchsichtigen Medien, mithin immer nur
unter Umständen, wo die Bedingungen zu Zerstreuungskreisen in nicht entsprechender
Vereinigungsweite oder in Diffusion der von den Objecten kommenden Lichstrahlen
vorhanden sind. Demgemäss kann auch jeder Normalsichtige die Phänomene des mon-
oculären Doppelt- und Mehrfachsehens leicht an sich beobachten, wenn er sein Auge
durch Vorhalten eines entsprechend starken Concav- oder Convexglases weit- oder kurz-
sichtig macht. Mir gelingt insbesondere das Doppeltsehen entfernter Thurmspitzen, Blitz-
ableiter u. dgl. sehr leicht durch Convexgläser von 30 — 36 Zoll. Das Doppeltsehen macht
sich, wenn nicht Diffusion des Lichtes obAvaltet, nur bei nicht adaptirtem Eefractions-
zustande geltend, also bei Kurzsichtigen nur an Objecten, welche jenseit des Fernpunktes
der deutlichen Sehweite liegen, bei Fernsichtigen an zu stark genäherten Objecten (und
somit kann auch ein Normalauge bei zu grosser Annäherung feiner Objecte dieselben
doppelt sehen), bei Hyperpresbyopischen in allen beliebigen Distanzen, vorausgesetzt, dass
noch die anderweitigen Bedingungen vorhanden sind. Die letzteren beziehen sich nebst
der leichten Erregbarkeit der Netzhaut als Grundbedingung auf die Helligkeit, den Seh-
winkel, die Dimensionen und die Richtung der Objecte. Was die Helligkeit betrifft , so
kommt es nicht sowohl auf die Menge des Lichtes an , welches ein Object zum Auge
sendet, als vielmehr auf den Contrast zur Umgebung oder Unterlage. Daher eignen sich
verticale und horizontale Tintenstriche auf weissem Papier, Blitzableiter oder Thurmspitzen
vor dem Firmamente so gut zu diesen Experimenten , wie eine schmale Goldleiste oder
eine Millykerze auf mattem Hintergrunde. Sind die Netzhautbilder zu gross, so treten
die Doppelbilder nicht genug aus einander. Lange und schmale Objecte werden leichter
doppelt gesehen, runde dagegen vielfach oder bloss einfach und von einem Hofe oder
Farbenkranze umgeben. Die Verdopplung eines langen Objectes gelingt leichter, wenn
dasselbe senkrecht steht, und die Doppelbilder treten caeteris paribus weiter aus einander,
als wenn dasselbe Object eine horizontale Lage hat. Die Erklärung hievon liegt in dem
von Moser, Meyer, Fiele u. A. nachgewiesenen Umstände, dass die Hornhaut von oben
nach unten stärker als von einer Seite zur andern gewölbt ist. — Kurzsichtige sehen den
Mond doppelt, aber nur den Halb- nicht den Vollmond, nicht den Abend- oder einen
Lähmung im Allgemeinen — Doppeltsehen. 271
andern hellen Stern. Leute ohne Krystalllinse beschweren sich gewöhnlich, dass sie glän-
zende Objeete, z. B. Metallknöpfe, Goldleisten, entfernte Kerzenlichter, doppelt oder mehr-
fach sehen. Ebenso fällt Leuten mit beginnender Cataracta häufig zuerst auf, dass sie
die Kerzen am Altar vervielfältigt sehen. Exsudatstreifen oder Membranen in der Pupille
bewirken Doppelt- 'oder Mehrfachsehen nicht durch Zerfällen der Lichtkegel in mehrere,
ausser unter Verhältnissen, die wir bei den entoptischen Erscheinungen angegeben haben,
sondern analog den durchscheinenden oder halbdurchsichtigen Hornhaut- und Linsen-
trübungen durch Diffusion des Lichtes und Zerstreuungskreise.
Die aus der insufücienten Wirkung eines oder mehrerer Muskeln
hervorgehenden Zufälle werden mannigfaltig modificirt und mehr weni-
ger verwischt dadurch, dass die Affection bald plötzlich in hohem Grade,
bald unvermerkt und allmälig mehr und mehr auftritt, dass sie auf
einem gewissen Grade stehen bleibt oder ganz von selbst wieder ab-
nimmt, hauptsächlich aber dadurch, dass nach längerem Bestände bald
Reflexwirkung in andern Muskelgruppen, bald Sinken der Energie der
Netzhaut oder beides zugleich eintritt. Vermöge des unwiderstehlichen
Dranges, der vor Allem durch das Doppeltsehen lästigen Functionsstö-
rung abzuhelfen, das Doppeltsehen zu elidiren oder unschädlich zu
machen, entstehen alsbald Reflexbewegungen, bald in dem Antagonisten
desselben Auges, damit das Doppelbild auf eine mehr peripherische
Stelle der Netzhaut falle und somit leichter unterdrückt werden könne,
bald in dem gleichnamigen oder gleichseitigen Muskel des andern Auges,
gleichsam als ginge der vom Sensorium ausfahrende, bald für die gleich-
namigen (bei den Accommodativbewegungen), bald für die gleichseitigen
(bei den Richtbewegungen) bestimmte Gesammtimpuls jetzt, wo der eine
davon gelähmt ist, auf den andern allein über. Hier wirkt meines Wis-
sens vorzüglich der Umstand entscheidend, ob beide Augen in der Seh-
kraft und Refraction beträchtlich differiren oder mehr weniger gleich
sind. So fand ich bei einigen Kranken mit Lähmung des Rect. externus
an dem Auge, dessen sie sich zum schärferen Sehen bedienten, dass sie
nach einiger Zeit anfingen, mit dem schwächern Auge einwärts zu
schielen, also das Bild des nicht afficirten Auges unterdrücken lernten.
Ausserdem aber wird das Doppeltsehen gewöhnlich durch erhöhte Con-
traction des Antagonisten auf dem afficirten Auge elidirt, das Horn-
hautcentrum z. B. bei Lähmung des R. externus endlich über die Mitte
der Lidspalte gegen den innern Winkel abgelenkt, ein Effect, der nur
durch Hinzutreten excessiver Contraction des R. internus, nicht aber
durch Lähmung des R. externus allein bedingt werden kann. — Andere
Kranke beseitigen das Doppeltsehen und den Schwindel durch Zuknei-
pen der Lider. Fast ohne Ausnahme wird man aber bemerken, dass
solche Kranke durch schiefe Haltung des Kopfes dem Doppeltsehen so
272 Augenmuskeln.
viel als möglich zu entgehen suchen, indem sie ihn bald um die verti-
cale, bald um die horizontale quere Achse oder um beide zugleich
drehen. (Am besten beurtheilt man diess nach dem Stande des Kinnes
zum Brustbeine.) So hält z. R. ein Kranker, dem der R. externus des
linken Auges gelähmt ist, und der desshalb alle Objecte doppelt sieht,
welche gerade vor ihm (in der verticalen Medianebene) und von da im
Sehfelde links liegen, sein Gesicht links gedreht, damit beide Augen
mehr weniger rechts gerichtet seien, um die gerade vor dem Körper
befindlichen Objecte einfach sehen zu können. Ist aber bereits exces-
sive Contraction des Antagonisten, im obigen Falle Einwärtsschielen
des linken Auges eingetreten, dann hält der Kranke den Kopf entgegen-
gesetzt, im obigen Falle etwas rechts gedreht, weil so die Elidirung
des dem linken Auge angehörenden Bildes leichter gelingt. — Das
Doppelbild kann aber auch aus andern Gründen der Wahrnehmung ent-
gehen, und zwar entweder weil es mit dem des gesunden Auges noch
theilweise zusammenfällt (bei gewissen Distanzen und Richtungen, bei
geringer Muskelinsufficienz) , oder weil es bereits einer sehr periphe-
rischen Netzhautstelle angehört (bei completer Lähmung und in Folge
von Reflexwirkungen), oder weil die Energie der Netzhaut des afficir-
ten Auges zu gering ist, als dass sich die schwache Erregung des
Sensorium von hier und im Gegensatze zu der vom normalen Auge
ausgehenden. Erregung geltend machen könnte. Im Allgemeinen wird
man jedoch finden, dass bleibende und unter allen Umständen herr-
schende Unterdrückung des Doppelbildes bei passiver Ablenkung der *
Sehachse (Luscitas, Muskellähmung) weit seltener und erst nach sehr
langer Dauer zu Stande kommt, während bei der (später zu be-
sprechenden) activen Ablenkung (Strabismus, excessive Muskelcontrac-
tion) Doppeltsehen gar nicht oder nur unter besondern Verhältnissen
vorkommt. Das binoculäre Doppeltsehen bildet somit das constanteste
Symptom und empfindlichste Reagens für Muskelinsufficienz, respective
Lähmung.
Unter Berücksichtigung des eben Gesagten wird es in jedem spe-
ciellen Falle möglich sein, auch solche Muskellähmungen zu erkennen,
die sich nicht sogleich durch abnorme Stellung der Hornhaut und ge-
hinderte Beweglichkeit des Bulbus verrathen, wenn man ohngefähr fol-
gendermassen vorgeht. Zunächst lasse man den Kranken den Kopf ganz
gerade halten (am besten durch einen Gehilfen fixiren), so dass sowohl
die verticale Median- als die Gesichts- oder Antlitzebene senkrecht auf
der Horizontalen stehen; sodann halte man die Objecte, mit denen man
auf Doppeltsehen reagiren will, vorerst dem Gesichte gerade gegenüber,
Lähmung im Allgemeinen — Doppeltsehen. 273
und zwai in einer Entfernung-, in welcher solche Objecte vermöge ihrer
Grösse und Beleuchtung- und vermöge des Refractionszustandes der
Augen ohne besondere Anstrengung der Accommodationsorgane noch
deutlich gesehen werden können (ohngefähr im Mesoropter). Zu den
Proben wähle man Objecte, welche lang und schmal, scharf begrenzt
und hell oder glänzend sind, und sorge dafür, dass sie zur Unterlage
(dem Hintergründe) gehörig contrastiren. Das Gesichtsfeld des Kranken
für die angegebene Entfernung (also die Horopterfläche oder vielmehr
Schale) denke man sich in 4 Quadranten getheilt, durch Verlängerung
der verticalen Medianebene und einer auf der Antlitzfläche senkrecht
stehenden horizontalen Ebene in der Höhe der Augenlidspalte. Den
Punkt im Gesichtsfelde, wo diese beiden Ebenen sich schneiden, welcher
mithin gerade mitten vor dem Kranken und in gleicher Höhe mit
seinen Augen liegt, wählen wir als Mittel- oder Ausgangspunkt, und
führen das Probeobject von da zuerst in der Horizontalen (wo die Ho-
ropterschale von der Horizontalebene getroffen wird) links und rechts
so weit, als es ohne Ausschluss des einen oder andern Auges durch
den Nasenrücken geschehen kann, dann in der Verticalen (Durchschnitt
des Horopters und der verticalen Medianebene) auf- und abwärts, end-
lich in den Zwischenrichtungen (Quadranten) nach rechts und oben,
links und oben u. s. w. Sind die Erscheinungen, welche sich hiebei
in Bezug auf die Stellung des vordem Poles der Hornhaut und auf
die Lage der Doppelbilder ergeben, für die gewählte mittlere Sehweite
erhoben, dann prüfe man das Verhalten der Augen nach denselben
Merkmalen in grösserer Nähe und Ferne, je nach Zulass des Refrac-
tionszustandes.
"Wo man Grund hat, theilweise Deckung der Doppelbilder anzu-
nehmen, kann man ein Auseinandertreten derselben dadurch bewirken,
dass man mit dem Objecte weiter oder näher rückt, dass man es aus
dem Centrum des Gesichtsfeldes rechts, links u. s. w. bringt, die hori-
zontale Richtung desselben in die verticale verwandelt, und wo diess
Alles nicht ausreicht, vor das eine Auge ein violettes Planglas hält.
Wo das Doppelbild wegen relativ zu schwacher Erregung der Netzhaut
nicht wahrgenommen wird, kann man dasselbe in der Wahrnehmung
dadurch auftauchen machen, dass man vor das sehkräftigere Auge ein
hinreichend dunkelfarbiges (blaues) Planglas hält. {Böhm, Gräfe.)
Wenn sich die Doppelbilder in Bezug auf Helligkeit und Deutlich-
keit nahezu oder völlig gleichen, wie bei geringer Insufficienz eines
Rectus oder bei Lähmung eines Obliquus, so lässt sich durch Vorhal-
ten irgend eines farbigen Glases vor das eine Auge leicht bemerkbar
Arlt Augenheilkunde. III. 18
274 Augenmuskeln.
machen, welches Bild dem rechten, welches dem linken Auge ange-
höre. Ausserdem aber lässt sich das Bild des afficirten Auges leicht
daran erkennen, dass es minder hell und scharf erscheint, weil es einer
mehr gegen die Peripherie gelegenen Netzhautstelle angehört, oder
schief gestellt ist, wenn die Thätigkeit eines Obliquus gestört ist (wegen
Insuffizienz eines der Obliqui oder eines Antagonisten derselben bei
einer bestimmten Stellung). Doch kann schon durch abwechselndes
Verdecken bald des einen bald des andern Auges und Angabe des Kran-
ken, welches der Bilder verschwindet, in den meisten Fällen, falls nicht
schon die falsche Stellung der Hornhaut und die gehinderte Beweg-
lichkeit des Bulbus nach irgend einer Richtung hin ausreicht, ermittelt
werden, ob die Muskelinsufficienz am linken oder rechten Auge hafte.
Man wird bei Verdeckung des gesunden Auges die Bemerkung machen,
dass dasselbe hinter der Hand eine abnorme Stellung annimmt und be-
hält, so lange das afficirte zum Fixiren verwendet wird. Es stellt sich
auswärts: wenn an dem afficirten Auge der R. externus, einwärts:
wenn der R. internus, nach innen und unten: wenn der Trochlearis,
aufwärts: wenn der R. superior des andern Auges gelähmt ist. Ist auf
diese Weise sichergestellt, welches Auge leidet, so ergibt sich aus dem
Verhalten des Doppelbildes, welcher Muskel leidet und bis zu welchem
Grade. Man braucht sich dann nämlich nur gegenwärtig zu halten, dass
jede Erregung der Netzhaut so empfunden wird, als ginge sie von
einem Punkte des Gesichtsfeldes aus, welcher in der Richtung einer
Linie liegt, die man sich von der getroffenen Netzhautstelle durch den
Kreuzungspunkt der Richtungslinien gezogen und bis zum Gesichtsfelde
verlängert zu denken hat (Projection der Empfindung). Wenn daher
z. B. das linke Auge nach innen abgelenkt ist, während das rechte seine
Sehachse auf das zur Probe dienende Object richtet, so wird, weil jetzt
im linken Auge das Bild dieses Objeetes auf eine von der Macula lutea
einwärts gelegene Stelle fällt, das Object von dem linken Auge weiter
links gesehen, als von dem rechten. Mithin lässt sich schliessen, dass,
wenn das Doppelbild als dem linken Auge angehörig und als gegen
die linke Seite des Kranken gerückt erkannt wird, das linke Auge ein-
wärts abgelenkt sein müsse, und zwar um so viele Grade, als die Mes-
sung und Berechnung nach der Verrückung des Doppelbildes ergibt.
(Doppeltsehen mit gleichnamigen Bildern.) Wenn dagegen dasselbe
Auge nach aussen abgelenkt ist, demnach das Bild des von dem rech-
ten Auge fixirten Objeetes in dem linken Auge auf eine von der Ma-
cula lutea auswärts gelegene Stelle fällt, so wird dieses Auge die Em-
pfindung weiter rechts versetzen, als das direct sehende rechte Auge,
Lähmung im Allgemeinen — Doppeltsehen. 275
das dem linken Auge angehörende Bild erscheint somit rechts gelegen.
(Doppeltsehen mit gekreuzten Bildern.) Erscheint der vordere Pol des
einen Auges tiefer gestellt, als an dem andern Auge, so wird das die-
sem Auge angehörende Bild, weil auf einem unter dem hintern Pole
gelegenen Punkte entworfen, im Gesichtsfelde höher als das des andern
Auges erscheinen. Gräfe (Archiv f. Ophth. B. I. Abth. I. S. 85) hat
zuerst angegeben, wie man sich mittelst Prismen (mit brechenden
"Winkeln von 3, 4 — 12 Grad) die Verhältnisse des Doppeltsehens auf
exacte Weise versinnlichen kann. „Da ein Prisma das Licht nach
seiner Basis hin ablenkt, so wird es, vor ein Auge gehalten, den Licht-
einfall gerade in derselben Weise verändern, als wenn das Auge mit
seinem vordem Pole gegen die Basis des Prisma abgelenkt wäre, wo-
bei das Doppelbild nach der entgegengesetzten Seite projicirt wird."
„Die Berechnung der pathologischen Stellung des Auges und der Lage des Doppel-
bildes, welche oft von hohem physiologischen und diagnostischen Interesse ist, pflege ich
auf folgende Weise vorzunehmen. Eine grosse Tafel , welche in sehr viele numerirte
Quadrate getheilt ist, wird in einer möglichst weiten Entfernung vom Kranken aufge-
stellt. Vor derselben ist auf einer entsprechenden Vorrichtung ein scharf begrenzter,
leuchtender Körper , am besten ein kleines Licht, verschiebbar. Der Kopf des Kranken
wird nun genau so fixirt, dass die Angesichtsfläche der Tafel parallel bleibt und hierauf
das Licht vom Centrum der Tafel allmälig nach oben, unten und beiden Seiten bewegt;
für eine jede Stellung des Lichtes wird das Quadrat markirt, in welches das Doppelbild
fällt. Da nun die Entfernung der Tafel vom Kopfe angegeben ist, so lässt sich die Ex-
centricität des Netzhautbildes (Entfernung desselben vom Netzhautcentrum) im kranken
Auge leicht bestimmen, denn es verhält sich die scheinbare Distanz der beiden Bilder zu
dieser Excentrieität, wie sich die Entfernung der Tafel vom Auge verhält zur Entfernung
des Kreuzungspunktes der Richtstrahlen von der Netzhaut. Die gefundene Excentricität
des Netzhautbildes gibt uns, auf den Drehpunkt bezogen, den Bogen der Drehung; über
die Richtung derselben kann kein Zweifel existiren, da sie den Gesetzen der Projection
gemäss immer der scheinbaren Verrückung des Doppelbildes entgegengesetzt sein muss,
und zwar diametral entgegengesetzt, weil Object und Netzhautbild genau in eine Meri-
dianebene fallen. — Ist die Abweichung der Sehachse im paralysirten Auge von der
Sehachsenstellung des gesunden bestimmt, diese letztere aber durch die Verhältnisse der
Fixation gegeben, so kennen wir auch die absolute Lage der Sehachse im paralysirten
Auge, d. h. deren Abweichung von- der ursprünglichen Gleichgewichtsstellung, als welche
die auf der Angesichtsfläche senkrechte Richtung angesehen wird. Die Neigung des Dop-
pelbildes eines verticalen Gegenstandes muss in entgegengesetzter Richtung auf den ver-
ticalen Meridian des paralysirten Auges übertragen werden, so dass auch für jede Stel-
lung der Sehachse die Richtung der Meridiane ermittelt werden kann, vorausgesetzt, dass
der verticale Meridian des gesunden Auges in verticaler Pachtung verharrt, das gesunde
Auge also ein in der Mittellinie (verticalen Meridianebene) liegendes Object, gleichviel,
ob nach oben oder unten, nur nicht seitlich nach oben oder unten liegendes fixirt.*) —
*) Meines Eraehtens darf das vom gesunden Auge fixirte Object auch nicht bedeutend über oder unter
der Horizontalen (höher oder tiefer als die Augen) liegen, wenn der verticale Meridian streng senk-
recht bleiben soll.
18*
376 Augenmuskeln.
Ein anderes Mittel, die Excentricität der Bilder direct zu bestimmen, besteht in der An-
wendung prismatischer Gläser. Die Stärke des Prisma , welches die Doppelbilder an
einander bringt , wird direct zu dieser Bestimmung benutzt ; doch ändert jede Verschie-
bung des Prisma gegen die Achse der einfallenden Strahlen dessen Brechkraft, und wer-
den die nahe aneinander gebrachten Bilder durch willkürliche Muskelcontraction in kran-
ken oder gesunden Auge leicht verschmolzen, daher dieses Mittel nur zur approximativen
Schätzung geeignet ist. "Wegen Vermeidung des letztgenannten Übelstandes verdient da-
her eine andere Anwendungsweise der prismatischen Gläser den Vorzug. Nachdem die
Distanz der Doppelbilder an der Tafel für eine bestimmte Stellung markirt ist, wird das
kranke Auge geschlossen und die Ermittelung der Excentricität auf das gesunde Auge
übertragen , welches in der früheren Fixation verharrte. Ein Prisma wird nun so vor
das Auge geschoben, dass es mit seiner Basis die Hälfte der Pupille deckt, während die
andere Hälfte frei ist; hierdurch entsteht Diplopia monoeularis; das eine Bild rührt von
dem frei durch die Pupille einfallenden Lichte, das andere von dem im Prisma gebroche-
nen Lichte her. Es ist leicht, dem Prisma durch Drehung eine solche Stellung zu
geben, dass das excentrische Bild nach Richtung des früher gesehenen, auf der Tafel
markirten Doppelbildes projicirt wird; dass es vollends mit diesem zusammenfalle, hängt
nur von der Stärke des gewählten Prisma ab, und diese bestimmt den Grad der Excen-
tricität." (Ä. v. Gräfe Archiv für Opth. B. I. Abth. 1. S. 13—16.)
Die Muskelläkmungen sind keine häufige, wenn gleich auch nicht
gar seltene Erscheinung. Ihr Vorkommen ist weder an ein Geschlecht,
noch an ein bestimmtes Alter oder an eine Körperhälfte besonders ge-
bunden. Ihre Ursachen, noch lange nicht hinreichend bekannt, und in
speciellen Fällen bald sehr leicht, bald sehr schwer oder gar nicht be-
stimmbar, machen desshalb zunächst die Eintheilung in Lähmungen
centralen (von den Nerven innerhalb der Schädelhöhle aasgehenden)
und peripherischen (in der Orbita oder im Muskelbauche selbst ge-
legenen) Ursprunges praktisch brauchbar. Genaue Kenntniss der Ana-
tomie überhaupt, so wie des Ursprungs, Verlaufes und der Verzweigung
der Nerven insbesondere thut hier ebenso noth, wie richtige und voll-
ständige Erhebung aller krankhaften Zufälle nicht nur am Auge, son-
dern auch im übrigen Körper. Vergl. über Cerebralamaurosen S. 144 —
149. Was die peripherischen Augenmuskellähmungen betrifft, so gilt
von ihnen besonders obige Behauptung, dass wir ihre nächsten Ur-
sachen im Allgemeinen noch wenig kennen. Viele Fälle sind rheuma-
tischen Ursprunges, namentlich durch Zugluft auf die Augengegend be-
dingt; es sprechen dafür Beobachtungen, wo die bestimmte Angabe des
Patienten, die unmittelbare Aufeinanderfolge und der Erfolg der auf
diese Voraussetzung gestützten Therapie vorliegen. Dasselbe gilt auch
in Bezug auf Syphilis, welche, wenn gleich selten, Lähmung eines oder
des andern Augenmuskels zur Folge hat, ohne dass der Sitz des Pro-
cesses allemal in die Schädelhöhle verlegt werden kann. Die Sympto-
matologie der Entzündung ei?ies Muskels oder seiner Zellscheide ist noch
Lähmung im Allgemeinen — Ätiologie — Therapie. 277
nicht bekannt, wenigstens nicht hinreichend sichergestellt. Unerwiesen,
wenn gleich nicht unwahrscheinlich, ist die Lähmung eines und des
andern Augenmuskels in Folge übermässiger Anstrengung, nach forcir-
ter Haltung des Bulbus in einer ungewöhnlichen Richtung. Ich kenne
einige Fälle, wo Kranke diess als Ursache bezeichneten. Zu erwähnen
ist endlich noch der progressiven Muskelinsufficienz , welche den Anta-
gonisten eines habituell excessiv contrahirten Muskels vermöge mangel-
hafter Übung und Ernährung trifft, besonders den Rectus externus bei
inveterirtem Strabismus convergens continuus. Unter den Weingeistprä-
paraten der Prager Augenklinik befindet sich auch ein Auge mit einer
erbsengrossen melanotischen Ablagerung im Muskelbauche des Rectus
externus; doch ist mir über den Fall nichts bekannt, da das Präparat
aus früheren Zeiten stammt.
Viele Muskellähmungen verlieren sich allmälig von selbst oder unter
entsprechender Behandlung; andere sind schon vermöge der sie bedin-
genden Ursache unheilbar. Aber auch an und für sich heilbare Muskel-
lähmungen können unheilbar werden, wenn der Muskel in Folge länger
aufgehobener oder beträchtlich verminderter Thätigkeit bereits atrophisch
geworden oder fettig entartet ist. Hiezu gibt nicht nur der (Monate,
Jahre) lange Fortbestand der Lähmung selbst, sondern auch erhöhte
Contraction des Antagonisten, Veranlassung, wie wir weiter unten bei
Besprechung des Strabismus sehen werden.
Bei der Behandlung wird man sich zunächst an die Behebung der
Ursachen zu halten haben, wenn solche noch fortwirken und sich über-
haupt beseitigen lassen, wie z. B. Syphilis, Blutergüsse u. dgl. Sodann
ist auf Anregung der Function des Muskels hinzuwirken. Diess können
wir auf doppeltem Wege: a) indem man das gesunde Auge schliessen
und mit dem erkrankten Bewegungen nach der Seite des afficirten
Muskels intendiren lässt; b) indem man die Cutis der Umgebung des
Auges durch verschiedene Mittel reizt. Das erstere Mittel wird beson-
ders dann zu versuchen sein, wenn der afticirte Muskel einige Thätig-
keit noch besitzt oder bereits wieder erlangt hat. Massige, der Kraft
des Muskels entsprechende und methodisch fortgesetzte Übung vermag
dieselbe zu stärken, und andererseits wird auf diese Weise zugleich
dem Eintreten bleibender Contractur des Antagonisten vorgebeugt. Wo
bereits Contractur des Antagonisten eingetreten und noch einigermassen
Hoffnung auf Wiederherstellung der Function des gelähmten Muskels
vorhanden ist, wird durch die Durchschneidung des ersteren wenigstens
ein unüberwindliches Hinderniss der letzteren beseitigt. Dr. A. von Gräfe
hat, so viel ich mich auf mündliche Mittheilungen hierüber erinnere,
278 Augenmuskeln.
auf diese Weise sehr befriedigende Resultate erhalten. Die Anwendung
äusserer Reizmittel ist von altersber in Gebrauch, und namentlich gegen
rheumatische Lähmungen empfohlen worden. Die vorzüglichsten sind:
trockene warme Tücher oder Säckchen mit aromatischen Kräutern, Ein-
reibungen von Veratrin- oder Mercurdeuterojoduretsalbe, an die Stirn
und Schläfe, fliegende Vesicantien (täglich ein Stück von der Grösse
des Nagelgliedes des Daumens an eine andere Stelle der Stirn und
Schläfe angelegt), Einstreuen von Strychnin (1/i6 — Vi 2 Gran) an eine der
Epidermis entblösste Stelle, Anwendung des magneto-elektrischen Stro-
mes an verschiedenen Stellen des obern Augenhöhlenrandes und an den
Augenwinkeln, Ammoniakdämpfe an die Bindehaut bei offen gehaltenem
Auge u. dgl. Ich habe Lähmungen verschiedenen Grades, besonders
die am häufigsten vorkommenden des R. externus unter Anwendung
eines und des andern der genannten Mittel in Zeit von einigen (2 bis 10)
Wochen zurückgehen sehen, weiss indess auch, dass mitunter solche
Fälle ohne alle Behandlung mit der Zeit von selbst zurück gehen, bin
somit nicht im Stande, für die Wirksamkeit derselben direct einzu-
stehen, obwohl mir ihre Anwendung durchaus rationell erscheint, indem
wir durch Erregung sensitiver Nerven (des Trigeminus) auf motorische
einzuwirken suchen. Mit Ausnahme des Strychnin und der Elektricität,
bei deren Anwendung jederzeit grosse Vorsicht nöthig ist, kann man
mit den genannten Mitteln wohl nie schaden. Von der Acupunctur,
welche bisweilen zu Neuralgien Veranlassung geben soll, habe ich seit
vielen Jahren keinen Gebrauch mehr gemacht, da ich dabei in einigen
Fällen keine Besserung hatte eintreten sehen.
Bei Lähmung des M. rectus externus s. abducens steht, wenn
sie vollständig und noch nicht mit Contractur oder excessiver Contrac-
tion des R. internus complicirt ist, der vordere Pol des Auges nahezu
in der Mitte der Lidspalte, sobald das gesunde Auge ein Object im
Mittelpunkte des seiner Antlitzfläche gerade gegenüber liegenden Ge-
sichtsfeldes fixirt. Bei engem Horopter werden also gelegene Objecte
einfach , bei weitem dagegen doppelt gesehen. Hat man das Object
unter der angegebenen Bedingung so weit vom Antlitz entfernt, dass
es bereits anfängt doppelt oder breiter (durch theilweise Deckung) zu
erscheinen, und führt man es in der Verticalen aufwärts, so nähern
oder decken sich die Doppelbilder, wogegen sie beim Abwärtsführen
des Objectes (in der verticalen Medianebene und in gleicher Distanz
vor den Augen) weiter auseinander weichen. Geht man, sich in der
Horizontalen (d. h. stets in gleicher Höhe mit den Augen über dem
Fussboden) haltend, mit dem Objecte von der Medianebene nach der
Lähmung des M. r. externus. 279
entgegengesetzten Hemisphäre des Gesichtsfeldes (z. B. bei Lähmung
des R. externus der linken Seite rechts von der verticalen Medianebene),
so wird das Object einlach gesehen, hingegen doppelt mit immer wei-
ter auseinander tretenden Bildern, sobald man in der gleichnamigen
(linken) Hemisphäre sich mehr und mehr von der Medianebene ent-
fernt. *) Hat man einen langen geradlinig begrenzten Gegenstand ge-
wählt, z. B. eine Stricknadel, und wird derselbe immer senkrecht auf
der Horizontalen gehalten, so nimmt der Kranke leicht wahr, dass
das Doppelbild dem wahren parallel und zur gleichnamigen (linken)
Seite steht. Dabei sieht man, dass das betroffene Auge dem Objecte
bei der Bewegung nach der gleichnamigen Seite um so weniger folgt,
je ärger die Aflection des R. externus ist. Bei sehr geringem Grade
der Aifection kann das Auge noch so weit auswärts gerollt werden,
dass der Hornhautrand an die äussere Commissur zu stehen kommt,
somit die Muskeliusufficienz sich nur durch das Doppeltsehen kund
gibt. Wählt man (bei richtig gehaltenem Kopfe des Kranken) in der
gleichseitigen (linken) Hemisphäre einen Punkt, etwa 20 oder 30 Grad
von dem Mittelpunkte des Gesichtsfeldes abstehend und in gleicher
Höhe mit demselben, d. h. in der Horizontalen, so erscheinen die Bil-
der vertical neben einander und um ein Bestimmtes, z. B. 6 Zoll von
einander abstehend; geht man aber in unverändertem Abstände von
der Antlitzfläche sowohl als von der Medianebene der Horizontalen auf-
wärts, so rückt das Doppelbild dem wahren näher (als 6 Zoll) und
neigt sich überdiess mit seinem obern Ende zu demselben; bringt man
dagegen das vertical gehaltene Object unter denselben Bedingungen
tiefer und tiefer unter die Horizontale, so treten die Bilder weiter aus-
einander, und die untern Enden der Bilder stehen weiter von einander
ab, als die obern.
Nehmen wir an . der E. externus des linken Auges wäre gelähmt. Beim seitlichen
Blick nach oben soll der vordere Pol dieses Auges nach aussen und oben also die Ma-
cula lutea nach innen und unten gewendet werden. Dieser Effect wird im normalen
Zustande erzielt durch erhöhte Contraction des B. externus, B. superior und Obl. inferior
unter entsprechender Gegenwirkung des B. internus, B. inferior und Obl. superior. Fällt
nun der Zug des B. externus ganz (oder theilweise) weg, so ist die Wirkung des B. in-
ternus relativ prävalirend, die Einwärtsrollung der M. lutea ungenügend, das Lichtbild
trifft also eine von der M. lutea einwärts gelegene Stelle, erregt somit die Empfindung,
als befände sich das Object weiter links von der Medianebene. Dasselbe wird der Fall
*) Tritt hiebei die frappante Erscheinung ein , dass , wenn man sich dem Extrem der seitlichen Ver-
schiebung nähert, die Doppelbilder nicht mehr proportionirt auseinander weichen, so ist diess wahr-
scheinlich dadurch bedingt, dass der B. internus des gesunden Auges, indem er sich dem Summum
der Contraction nähert, so wie alle anderen Muskeln, sich relativ weniger verkürzt, daher das wahre
Bild dem falschen näher rückt, trotzdem man weiter nach aussen geht.
280 Augenmuskeln.
sein beim seitlichen Blick nach unten, wo der R. extermis, R. inferior und Obl. superior
die Ablenkung bewirken, und zwar wegen Ausfall des R. externus ungenügend. Das Un-
genügende der Ablenkung, mithin auch die Excentricität des Lichtbildes wird aber ia
letzterem Falle beträchtlicher sein, als in ersterem, weil der R. internus als Antagonist
des R. externus und Obl. superior in Bezug auf die Einwärtsrollung der Mac. lutea
durch den ihm näher liegenden R. inferior weit mehr unterstützt wird, als beim Blick
nach oben und aussen durch den R. superior. Zugleich muss aber in dem einen wie in
dem andern Falle eine Drehung um die Sehachse erfolgen. Denn eine Ebene, durch die
Ursprünge des R. [superior und inferior am Sehnervenloche und durch die Mittelpunkte
ihrer Insertionslinien in der vordem Hemisphäre des Bulbus gelegt, streicht an der Innen-
seite des Drehpunktes vorbei, und muss, wenn die Obliqui den hintern Pol einwärts zu
rollen streben, die verstärkte Wirkung des R. inferior den untersten Tunkt des Bulbus (das
untere Ende der verticalen Achse) weiter nach innen ablenken, als der R. superior beim
Blick nach oben, weil die Insertion des R. inferior näher am R. internus liegt, als die
des R. superior.
Über den Einfluss der Abducenslähmung auf die acconimodative
Thätigkeit des Auges, welcher bisher unbeachtet geblieben war, be-
merkt A. v. Gräfe (Archiv Bd. I. Abthl. I. S. 53): „Da bei der Accom-
modation (für die Nähe) alle Muskeln in (erhöhte) Spannung gerathen,
so zeigt sich hiebei nicht selten die Insufficienz des paretischen Mus-
kels. So kommt es zuweilen bei pathologischer Schwäche des Abdu-
cens vor, dass beim gleichzeitigen Gebrauche beider Augen ein grad-
aus vor dem Erkrankten liegender entfernter Gegenstand richtig fixirt
wird, wählend bei Annäherung desselben auf dem erkrankten Auge pa-
thologische Convergenz sich einstellt. Noch beweisender sind Experi-
mente mit Brillengläsern, weil hiebei auch die Sehachse des gesunden
Auges nicht verrückt, demnach auch jede synergische Muskelcontrac-
tion an dem erkrankten Auge vermieden wird; setzt man z. B. dem
erwähnten Kranken eine Concavbrille auf und zwingt hiedurch die
Augen, bei gleich bleibender Stellung des Objectes einen höhern Brech-
zustand anzunehmen, so sieht man oft die pathologische Ablenkung-
eintreten oder eine vorhandene sich vermehren."
Anfang März 1850 consultirte mich eine circa 28 Jahre alte Frau vom Lande we-
gen Doppeltsehen, welches seit Weihnachten bestand. Sie war von kräftigem Körper-
bau und gesundem Aussehen. Als sonderbar hob sie hervor, dass sie mit jedem Auge
für sich einfach, mit beiden Augen zugleich doppelt sehe. An der Stellung ihrer Augen
war keine Abnormität wahrzunehmen. Hielt ich ihr einen Finger vertical gerade dem
Gesichte gegenüber, etwa 20 Zoll entfernt, so bemerkte sie einen zweiten, etwa 2 Zoll
rechts davon abstehend , ziemlich gleich deiitlich. Erst vor einigen Tagen war sie an
einen Wagen angerannt, das Doppelbild für das wahre haltend. Ging ich mit dem Fin-
ger weiter zurück, so traten die Bilder weiter aus einander, und das rechte wurde un-
deutlicher. Bei der Prüfung der Beweglichkeit der Bulbi zeigte sich, dass das linke
vollkommen frei war, das rechte dagegen nicht gehörig gegen den äussern Winkel hin
gestellt werden konnte. Rückte ich nun mit dem Finger bei 20 Zoll Entfernung von.
Lähmung des AI. r. externus. 281
der Medianebene in die linke Hälfte des Sehfeldes der Kranken, so näherten sich die Bilder
mehr und mehr bis zur völligen Deckung; rückte ich dagegen in die rechte Hemisphäre des
Sehfeldes, so traten die Bilder auf 3 — 4 Zoll auseinander. Sie konnte mit jedem Auge
allein lesen, doch mit dem rechten Auge nicht lange. Die Sehweite dieses Auges schien
nicht verändert zu sein , doch gab die Kranke an, dass sie mit demselben die Lettern
etwas kleiner und minder schwarz sehe, als mit dem linken. In der Hornhaut, Iris,
Pupille u. s. w. konnte ich keine Abnormität wahrnehmen. Es war nun gewiss, dass
ich es mit Paresis des E. externus am rechten Auge zu thun hatte. Damit stimmten
nun auch die anderweitigen Angaben der Kranken zusammen. Die Frau war zuerst von
heftigen Kopfschmerzen in der rechten Seite, dann von Schwindel, Übligkeiten und Er-
brechen, endlich von Doppeltsehen befallen worden. Da sie habituell an Stuhlverstopfung
litt und sehr spärlich menstruirte, so waren ihr Blutegel und Abführmittel verabreicht
worden. Die Kopfschmerzen verminderten sich jedoch erst dann merklich, als die Frau
eine Änderung in ihrer Wohnung hatte vojaehmen lassen. Sie, die schon früher ein-
mal an acutem Rheumatismus gelitten hatte und endlich durch die Moorbäder in Marien-
bad gänzlich davon befreit worden war, hatte im Herbst ein neugebautes Zimmer be-
zogen, welches mit einem daranstossenden durch einen gemeinschaftlichen Ofen beheizt
wurde, und daher ausserordentlich feucht war. Nach Beseitigung dieses Übelstandes
waren, wie gesagt, die Kopfschmerzen viel gelinder und seltener geworden, aber das Dop-
peltsehen bestand fort, obwohl das rechte Auge, welches eine Zeitlang (im Jäner) ganz-
gegen den innern "Winkel verdreht gewesen war, sich allmälig wieder besser stellte.
Von einem allgemeinen oder centralen Leiden Hess sich nichts nachweisen. Die auf die
Annahme, dass hier einfach Paresis rheumat. vorhanden sei, gestützte Therapie hatte bald
complete Heilung zur Folge.
Mitte October 1849 consultirte mich ein Student, 17 Jahre alt, gut gewachsen, von
gesundem Aussehen , bisher stets gesund und unter günstigen Yerhältnissen lebend, we-
gen Doppeltsehen, welches sich zu Ende der Ferienzeit ohne bekannte Veranlassung ein-
gestellt hatte, sowohl an nahen als fernen Objecten bemerkt wurde, und durch complete
Lähmung des R. externus am rechten Auge bedingt war. Da sich durchaus keine an-
derweitigen krankhaften Erscheinungen , als das Doppeltsehen , die Unbeweglichkeit des
Bulbus nach aussen und zeitweilig etwas dumpfe Kopfschmerzen nachweisen Hessen, sup-
ponirte ich Verkältung als die wahrscheinlichste Ursache, und wandte durch einige Zeit
erst Elektricität, dann Strychnin endermatisch an. Wegen Nichterfolg von Besserung
blieb der Kranke aus,', und ich sah ihn erst wieder, als er am 4. Jäner unter der Dia-
gnosis vitium organ. cerebri auf eine Unterabtheilung des Spitales aufgenommen worden
war. Es war nämlich im Spätherbste unter anhaltenden dumpfen Schmerzen im Hinter-
haupte Stottern und bald darauf Schwäche der linken obern und untern Extremitäten
eingetreten, welche um Weihnachten in förmliche Paresis übergegangen war. Mitte Jäner
stellte sich Fieber ein, der Kopfschmerz wurde viel heftiger, das Sprechen sehr erschwert,
in der rechten Gesichtshälfte traten bisweilen Zuckungen ein und die Zunge wich beim
Hervorstrecken merklich nach rechts ab. Nach Anlegung von Blutegeln hinter den Ohren
am 20. Jäner und spontaner Blutentleerung aus der Nase am 22., traten die Kopfschmer-
zen bloss bei Bewegung ein, und lobte der Kranke seinen Zustand. Ende Jäner jedoch
kehrten sowohl der Kopfschmerz als häufige Convulsionen zurück, der Kranke verlor am
4. Februar das Bewusstsein, und starb am 5. Die Pupille des stark einwärts gewendeten
rechten Auges war stets enger, als die des linken, das Sehvermögen bestand, wurde
jedoch in der letzten Zeit nicht näher geprüft. Die von Prof. Engel vorgenommene
282 Augenmuskeln.
Section ergab eine fibröse Geschwulst an der Basis cerebri mit Meningitis und Apoplexie
als Ursache der Erscheinungen. Diese Geschwulst bestand aus einem weichfasrigen,
dichten, blutgefässreichen Stroma mit peripherisch eingelagerten rundlichen und geschwänz-
ten Zellen. Sie war wallnussgross , an der Oberfläche gelappt, hart, fest, dem Anscheine
nach fasrig, weiss, hlutleer, und lag rechterseits an der Medulla oblongata längs dersel-
hen. Sie ging von der Medulla oblongata und zwar von der Gegend des Corpus rhom-
boid. und olivare dextrum aus, so dass die Pyramiden und Oliven sammt den Hülsen-
strängen und dem obersten Theile des Corpus restiforme, und ein grosser Theil der
Brückenarme und der brücken förmigen Rindenschicht in dieselbe entartet erschienen.
Die Dura mater der Schädelbasis daselbst verdünnt. Die innern Hirnhäute an der Schädel-
basis, besonders rechterseits vom Pons Varoli und zwar vom vordem Ende desselben
bis zum hintern Ende des Olivenkernes und von da 1 Zoll auswärts gegen das kleine
Gehirn sehr verdickt , hart, theils gelb, theils weiss gefärbt, mit einer festen gelben Ge-
rinnung und Serum infiltrirt. Unter und zwischen denselben an der rechten Seite des
Pons ein scharf abgegrenztes dunkles Blutgerinnsel.
Lähmung der vom N. oculomotorius versorgten Muskeln.
Bei peripherischen Anlässen kann ein und der andere Rectus für sich
ergriffen sein, der R. internus, superior oder inferior, doch auch zwei
drei zugleich. Öfters geschieht es, dass der Levator palpebrae superio-
ris allein ergriffen wird. Von isolirter Lähmung des Obliquus inferior
ist mir kein Fall bekannt. Lähmung centralen Ursprunges erstreckt
sich immer auf alle vom Oculomotorius versehenen Muskeln, demnach
auch mittelst der Radix brevis ganglii ciliaris auf die Iris und den Ci-
liarmuskel, nur ist sie nicht immer complet und dann nicht in allen
Zweigen (Muskeln) gleich stark ausgesprochen (nicht gleich stark in
die Erscheinung tretend). Wenn noch einige Contractionsfähigkeit be-
steht, so kann es leicht den Anschein haben, als sei der R. superior,
besonders aber der R. inferior nicht so sehr afficirt, wie der R. inter-
nus, weil jener durch den Obl. inferior, dieser durch den ganz unver-
sehrten Obl. superior theilweise unterstützt wird. Ich halte es für hin-
reichend, hier nur die Erscheinungen bei completer Lähmung der vom
N. oculomotorius versehenen Muskeln zu besprechen, weil, wer diese
kennt, auch im Stande sein wird, die Lähmung einzelner Muskeln zu
erkennen und richtig zu beurtheilen.
Zunächst hängt das obere Lid schlaff vor dem Auge herab, und
die Lidspalte erscheint geschlossen. Bemüht sich der Kranke, sie zu
öffnen, so klafft dieselbe noch etwa auf 2 — 3 Linien, doch nicht wegen
Contraction des Levator, sondern wegen Nachlass in der Wirkung des
Orbicularis palpebrarum. In der Regel werden hiebei auch die Augen-
brauen etwas emporgehalten. Hebt man das Lid empor — am besten
bei Verdeckung des nicht afficirten Auges — so steht die Pupille in
der Mitte der Lidspalte oder weiter nach aussen, und kann nur wenig
Lähmung der vom N. oeuloiuot. versehenen Muskeln. 283
oder gar nicht einwärts, dagegen vollständig auswärts gestellt werden.
Ist noch keine exeessive Contraction, Contractur des R. externus, ein-
getreten, so ist der Pupille noch ein ziemlicher Spielraum zu Exemtio-
nen zwischen der Mitte der Lidspalte und dem äussern Winkel gestattet,
indem sie bei Nachlass der erhöhten Contraction des R. externus, wenn
man den Blick nach innen anstreben lässt, vermöge der Elasticität der
Umhüllungen des Bulbus und des Sehnerven gegen die Mitte der Lid-
spalte zurückkehrt. Die Beweglichkeit nach oben und gerade nach
unten erscheint beschränkt oder aufgehoben. Beim Versuche, gerade
abwärts zu blicken, wird die Pupille etwas nach unten und aussen be-
wegt, doch mehr ruck- oder stossweise, als gleichmässig fortschreitend.
An den Episcleralgefässen in der Gegend des R. internus lässt sich
leicht bemerken, nach der Veränderung ihrer relativen Richtung und
Stellung zu den Lidern, dass dabei der Bulbus um eine von vorn nach
hinten laufende Achse gedreht wird, so dass der oberste Punkt der
Cornea etwas zu, der unterste etwas von der verticalen Medianebene
abgelenkt wird, Erscheinungen, welche durch die Wirkung des Obl.
superior zu Stande gebracht werden, welcher durch den Impuls, das
Auge abwärts zu stellen, allein in Thätigkeit versetzt werden kann,
ohne dass ihm der Obl. inferior das Gleichgewicht zu halten vermag.
Eine andere und zwar continuirliche Folge der alleinigen Wirkung des
Trochlearis, der tiefere Stand der Hornhaut relativ zu der des gesun-
den Auges lässt sich selten unmittelbar wahrnehmen, weil die Horn-
haut hiezu meistens zu weit über die Mitte der Lidspalte hinüber ab-
gelenkt ist. Sie lässt sich aber, gleich der continuirlichen Drehung des
Bulbus um die Sehachse, an dem Stande des Doppelbildes nachweisen.
— Die Lage des Bulbus erscheint etwas flacher, indem von der rück-
haltenden Kraft (den Rectis) drei Viertel, von der entgegenwirkenden
(den Obliquisj die Hälfte ausfällt.
Das Doppelbild erscheint auf der dem afficirten Auge entgegenge-
setzten Seite (wegen Divergenz der Sehachsen) etwas höher als das
wahre und schräg. Dies ergibt sich im Allgemeinen aus der dreifachen
Drehung, welche der afficirte Bulbus erfahren hat. Am meisten ist er
um die verticale Achse gedreht, der vordere Pol aus-, der hintere ein-
wärts; sodann um die horizontale gerade oder die Sehachse, und zwar
mit Herüberneigung des obern Endes der verticalen Achse (oder des
verticalen Xetzhautmeridianes) zur Medianebene; endlich um die hori-
zontale Transversalachse, so dass das Hornhautcentrum etwas tiefer
steht als die Mac. lutea. Die Lage des Doppelbildes lässt sich am
besten mit einem dünnen lichten Stabe wahrnehmbar machen. Zunächst
284 Augenmuskeln.
halte man ihn vertical und in gleicher Höhe mit den Augen in der mit
dem afficirten Auge gleichnamigen Hälfte des Sehfeldes. Sobald die
Pupille nicht über die Mittellinie einwärts gestellt werden kann, wird
auf der entgegeugesetzten Seite des wahren ein Doppelbild erscheinen,
um so weiter von demselben abstehend, je weiter man ihn nach dem
entgegengesetzten Ende des Sehfeldes hin bewegt, oder je weiter man
sich mit demselben von dem Antlitze entfernt. Überdiess steht das
Doppelbild schief, oben zu dem wahren zugeneigt, weil der Obl. supe-
rior, seines Antagonisten (des Obl. inferior) verlustig, das obere Ende
des verticalen Netzhautmeridianes zur verticalen Ebene zuneigt, das
Lichtbild des obern Stabendes mithin auf eine relativ weniger auswärts
gelegene Netzhautstelle fällt, mithin auch auf eine dem wahren Bilde
nähere Stelle des Sehfeldes bezogen wird. Fixirt der Kranke statt
des Stabes eine lange Stange, so bemerkt er auch, dass das obere
Ende des Doppelbildes seinem Antlitze näher gelegen erscheint, als
das untere. Diese Erscheinung hängt meines Erachtens damit zusam-
men, dass der Bulbus beim Ausfall des Obl. inferior durch den Obl.
superior zugleich um die transversale horizontale Achse gedreht steht,
so dass, während beim Blick nach dem Centrum des Sehfeldes an dem
gesunden Auge Hornhautcentrum und Macula lutea in der Horizontalen
liegen, an dem afficirten Auge ersteres etwas unter, letztere etwas über
derselben liegt, was für die Empfindung bei dem Abgange des leiten-
den Massstabes (des Muskelgefühles im R. inferior, der sonst diese
Lage bewirkt) dasselbe ist, als ob der Stab der Netzhaut schräg gegen-
über gestellt wäre, mit dem einen Ende näher, mit dem andern weiter.
Ganz dasselbe bewirken wir an einem gesunden Auge durch Vorhalten
eines Prisma; auch hier wird das Auge gewissermassen dem Objecte
schief gegenüber gestellt, und wer es nicht wüsste, dass ein vorgehal-
tenes Glas prismatisch geschliffen sei, würde ein hierauf betrachtetes
Object für schief oder anderswo stehend halten, weil die Veränderung
der Stellung seines Auges zum Objecte nicht durch Muskelaction zum
Bewusstsein gebracht wurde. — Dass das Doppelbild etwas höher er-
scheint, bemerkt der Kranke leichter, wenn man ihm den Stab horizon-
tal vorhält, und nicht weit von der Horizontalen abweicht; geht man
tiefer herab, so kommt man auf einen Punkt, wo das Doppelbild mit
dem wahren gleich hoch steht, dann aber, beim weitern Herabgehen
auf Punkte, wo es relativ tiefer steht, indem die Pupille des afficirten
Auges durch den Obl. superior allein nicht so tief herabgerollt werden
kann, wie die des gesunden Auges durch den R. inferior und superior,
mithin das Object in demselben auf einer höhern Netzhautstelle abge-
Lähmung der vom N. oculomot. versehenen Muskeln. 285
bildet wird. Kranke mit Oculomotoriuslähmung kommen daher, falls
das afficirte Auge nicht geschlossen gehalten wird, besonders beim
Stiegensteigen in Verlegenheit; doch machen auch im Zimmer die Wan-
dungen, auf der Strasse die Gebäude auf sie den Eindruck, als hingen
sie oben herüber und drohten mit Einsturz.
Die Sinnestäuschung ist hier so unerträglich, dass, wenn man das
afficirte Auge behufs der Aufnahme der Erscheinungen offen halten
lässt, der Kranke bald das afficirte, bald das gesunde Auge, so gut es
eben geht, verdreht, sich dem Doppeltsehen unwillkürlich entzieht, und
die Untersuchung überhaupt nicht lange aushält. Er bekommt Schwindel,
wird blass, hinfällig, zur Ohnmacht geneigt. Meistens wird das befal-
lene Auge über den Mittelpunkt der Lidspalte auswärts gelenkt, so
dass das Bild von Objecten in der Medianebene schon auf eine sehr
peripherische Stelle der Netzhaut fällt, zumal bei engem Horopter.
Überdiess kann das Auge nur ungenügend oder gar nicht für die Nähe
eingerichtet werden, erscheinen die Bilder naher Objecte auch aus die-
sem Grunde undeutlich. Wenn aber auch der Kranke seine Aufmerk-
samkeit auf die AYahrnehmung des afficirten Auges lenkt, so hält er
die gleichzeitige Fixirung des Objectes mit dem gesunden Auge mei-
stens nicht lange aus und verdreht dasselbe verschiedenartig, meist
nach dem äussern Winkel hin.
Die Pupille des afficirten Auges erscheint bei vollständiger Oculo-
motoriuslähmung massig erweitert, gewöhnlich 2 Vi'" im Durchmesser *),
rund oder ein wenig oval (von oben nach unten länger), durchaus starr
und unbeweglich. Sie verengert sich nicht, wenn man auf dasselbe
oder auf das andere Auge nach längerer Beschattung volles Licht ein-
wirken lässt, wogegen die des andern Auges normal reagirt, wenn das
kranke Auge abwechselnd Licht und Schatten ausgesetzt wird. Sie
verengert sich nicht, wenn man den Kranken ein nahes, und erweitert
sich nicht, wenn man ihn ein entferntes Object fixiren heisst. Aber sie
erweitert sich in der gewöhnlichen Stärke (auf 4/y/ und darüber) nach
Einträuflung von Atropin. **)
*) Ohngefähr eben so gross, wie ceteris paribus auf dem andern (gesunden) Auge beim Blick in die Ferne.
**) Diese Erscheinung ist zu Gunsten der Ansicht aufgeführt worden, dass die Belladonna reizend auf
die vom N. sympathicus versehenen Radialfasern der Iris wirke; sie beweist jedoch nichts weiter,
als dass die Kreisfasern der Iris nach Lähmung des Nerven, der ihre Contraction bis zum höchsten
Grade vermittelt, nicht auch schon alle ihre Spannkraft verloren haben. Nimmt man Aufhebung der
Spannkraft in den Ciliarfasern der Iris als die eigentliche Wirkung der Belladonna an, so wird nicht
nur die Erscheinung erklärt, dass erst nach dem Eintreten dieser Erschlaffung die Radialfasern sich
frei und ohne Gegenzug contrahiren können, sondern auch die Wirkung der Belladonna auf die Iris
in Einklang gebracht mit der Wirkung derselben auf andere Sphinkteren. Donders hat bekanntlich
nachgewiesen, dass die in den Bindehautsack eingeträufelte Atropinlösung in das Kammerwasser auf-
genommen und demnach mit der Iris in unmittelbaren Contact gebracht werde.
286 Augenmuskeln.
Das von completer Oculomotoriuslähmung- befallene Auge ist der
Accommodation mehr weniger verlustig, es ist eine Abänderung seines
Refractionszustandes, wie sie das Erkennen feiner Gegenstände bis zur
Annäherung auf 5 Zoll erfordert, nicht mehr möglich; der Nahepunkt
ist auf 8", 10" u. s. w. hinausgerückt. Ich zweifle, dass man jemals
Fälle von Oculomotoriuslähmung mit unversehrter oder auch nur re-
lativ guter Accommodation finden werde; nur muss man nicht Fälle
als Gegenbeweis benutzen, wo die Muskeln durch mechanische Hinder-
nisse, Krankheiten in der Orbita, in der Rollung des Bulbus gehindert
sind. Gerade wenn ein Bulbus völlig starr steht und nach keiner Rich-
tung hin bewegt werden kann, liegt die Annahme viel näher, dass sie
nur mechanisch gehindert sind , ohne desshalb auch ihren Tonus und
ihre Contractionsfähigkeit verloren zu haben, als die Annahme, dass
eine wirkliche Lähmung sämmtlicher Muskeln obwalte, welche nicht
nur jede Ablenkung der Sehachse, sondern allerdings auch jede er-
höhte Spannung, mithin auch die Accommodation unmöglich machen
muss.
Hiemit im Einklänge steht die Thatsache der Beobachtung, dass
in solchen Fällen die optische Sensibilität, die Energie der Netzhaut
eine Zeit lang etwas vermindert erscheint. Zwei Facta sind es, welche
diess direct anzeigen: Der Kranke sieht Objecte in der deutlichen Seh-
weite etwas kleiner, und er sieht ferne Objecte, minder deutlich, als
mit dem gesunden Auge. Ich weiss bestimmt, dass einige Kranke ein
Zweigroschenstück (Kupfer) für ein Groschenstück hielten, welches sie
bei derselben Distanz (1.5 — 25") nachher mit dem gesunden richtig er-
kannten. Entweder es verhält sich mit der Sensibilität der Netzhaut
so wie mit der Empfindlichkeit der Cutis oder Cornea, welche biswei-
len bei Muskellähmungen vermindert ist, oder es hängt dieses Phäno-
men von der geringern Spannung der Netzhaut ab, wenn unsere oben
ausgesprochene Vermuthung richtig ist. dass durch Erhöhung der Span-
nung der Netzhaut bis zu einem gewissen Grade die Schärfe des Ge-
sichtes gesteigert wird.
Folgende Bemerkung, obwohl in mehrfacher Beziehung unvollständig (aus dem
Jahre 1844), dürfte trotzdem in andern Beziehungen bemerkenswerth sein, wenigstens
zur Anreihnng analoger Fälle. Eine 35 Jahr alte Wittwe , übrigens ganz gesund , litt
seit einigen Wochen, als sie zu mir kam, an Doppeltsehen, dessen Entstehen sie anhal-
tender Anstrengung mit Handschuhnähen, da sie drei Kinder ernähren musste, zuschrieb.
Ich notirte folgenden Zustand. Die Lidspalte beiderseits gleich; steht die linke Pupille
in der Mitte der Lidspalte, so steht die rechte auswärts, und der innere Rand der Cornea
in der Mitte der Lidspalte. Die Bulbi von normaler Grösse und Lage.. Wird beim
Blicke gradaus das linke Auge mit der Hand verdeckt, so stellt sich das rechte Auge
Lähmung der vom W. oculomot. versehenen Muskeln. 2S7
grade , kann aber bei der grössten Anstrengung nicht gehörig einwärts gestellt werden,
immer bleibt der innere Cornealrand noch mindestens 2'" von der halbmondförmigen
Falte entfernt. Nach aussen kann das rechte so vollkommen bewegt werden , wie das
linke, in allen Bewegungen ganz freie; nach oben kann dasselbe so weit bewegt werden,
wie das linke, nur weicht es dabei etwas nach aussen ab; nach unten kann es nicht ge-
stellt werden , es bleibt beim stärksten Abwärtswenden des linken Auges um mindestens
l'" zurück und weicht dabei etwas nach aussen ah. Ist die Pupille des linken gradaus
gerichtet, so steht die Pupille des rechten nicht bloss auswärts, sondern auch zugleich
ein wenig höher, was sich nach dem Stande des untern Lides leicht erkennen lässt. —
Die Pupille des rechten Auges ist immer etwas grösser, als die des linken, etwa l3/*'" —
2'", wenn diese \lW" — IV2'" misst, übrigens vollkommen rund und schwarz, die Iris
beiderseits etwas trag beweglich. Hält die Kranke das linke Auge zu, so drehen sich
alle Gegenstände , so dass sie nicht gehen kann ; mit beiden Augen zugleich sieht sie
doppelt , mit gekreuzten Bildern, doch nur in der Ferne und bei gewissen Stellungen
naher Gegenstände. (Dieses Verhalten bedaure ich nicht näher ermittelt zu haben.) Sie
kann sich auch des rechten Auges allein bedienen, wenn sie das linke auswärts ablenkt,
hält diess jedoch nicht lange aus. Bei zugehaltenem linken Auge sieht sie übrigens alle
Objecte so rein, wie mit dem linken, liest auch mit dem rechten, aber die Buchstaben
erscheinen ihr etwas kleiner, sie liest efnen '/*'" hohen Diuck mit dem rechten, wie
mit dem linken Auge allein, doch nicht anhaltend und zwar bei b" so gut wie bei 12".
(Weiter wurde die Sehweite nicht geprüft.) — Ich wandte einige Zeit Reizmittel in
der Umgebung des Auges an, und schritt endlich (im October 1844) zur Durchschnei-
dung des R. externus am rechten Auge. Dieses stellte sich nun gerade, aber nun schielte
das linke auswärts, ohne Doppeltsehen. Nach einigen Wochen, als in den gelähmten
Muskeln des rechten Auges (R. internus und inferior) einige Beweglichkeit eingetreten
war. durchschnitt ich den B. externus am linken Auge. Die Sehachsen konnten sich nun
im Objecte kreuzen, ohngefähr zwischen 8 — 10 Zoll. Aber die Kranke kam schon wenige
Tage nach der Operation nicht mehr zu mir, bis Ende Mai 1846, um sich neuerdings
operiren zu lassen. Ich erfuhr nun , dass sie nach der Operation des linken Auges die-
ses fortwährend verbunden getragen hatte, um mit dem rechten, allmälig ganz gut ge-
wordenen , so wie vordem arbeiten zu können. Sie wollte jetzt wieder mit beiden ar-
beiten , um das rechte nicht für immer allein zu gebrauchen und anzustrengen. — Ich
fand das rechte Auge etwas mehr vorstehend , als das linke, scheinbar grösser, seine Be-
weglichkeit nach allen Richtungen frei, nur nach innen und aussen ein wenig beschränkt,
beim stärksten Einwärtswenden mit dem Cornealrande noch gegen V" von der halb-
mondförmigen Falte abstehend , die Sehkraft und alle Gebilde desselben normal. Das
linke Auge, durch das herabgesunkene obere Lid verdeckt!, stand zu meinem Erstaunen
ganz nnbeweglich mit der Pupille in der Mitte der Lidspalte, konnte weder ein- noch
aus-, weder auf- noch abwärts bewegt werden. Wenn die Kranke gradaus blickt, so
schielt sie nicht und sieht einfach; wenn sie nach irgend einer andern Richtung blickt,
sieht sie doppelt. Bemüht sie sich, mit dem linken Auge gerade auswärts zu blicken, so
wendet sich die Pupille ein wenig nach unten und aussen, ohne jedoch in dieser Lage
fixirt zu werden ; sie kehrt bald wieder in ihre frühere Stellung zurück. Bei dieser
Wendung nach unten und aussen dreht sich der Bulbus um die Sehachse. Die Iris hat
nämlich unter der Pupille einen dunkelbraunen Punkt. Bei ruhiger Stellung steht die-
ser Punkt ohngefähr ' %'" einwärts von dem verticalen Durchmesser der Irisebene. Bei
der genannten Bewegung steht dieser Punkt einige Augenblicke senkrecht unter dem
288 Augenmuskeln.
Centrum der Pupille. Diese Achsendrehung ist offenbar Folge des Obl. isuperior. Heisst
man die Kranke aufwärts blicken, so rollt sieb der Bulbus ein wenig (kaum merklieb)
in entgegengesetzter Richtung (wobl in Folge der Erschlaffung des Obl. superior). Über
den Stand des Doppelbildes habe icb leider nichts notirt, als dass das dem linken Auge
angehörige etwas höher stand, als das des rechten. Die Iris war trag beweglich, die
Pupille etwas grösser, als auf dem rechten Auge, überdiess oval, im senkrechten Durch-
messer 2lj-i'", im queren 2"'. Mit diesem Auge allein konnte Druckschrift von 1'" Höhe
mühsam bei circa 7", ziemlich gut bei 9 — 15 Zoll gelesen werden, während das rechte
Auge denselben Druck schon von 5, mit Anstrengung selbst von 4 Zoll an lesen konnte.
Verschiedene Heilversuche mit Veratrin, Strychnin, Acupunctur und Elektricität blieben
ohne Erfolg und die Kranke wurde am 20. März 1847 aus der Behandlung entlassen.
Elisab. V., 37 Jahre alt, consultirte mich wegen Doppeltsehen. Ich fand das linke
Auge in jeder Beziehung normal. Kechts wird die Lidspalte bis auf etwa 3"' geöffnet,
die Falte des obern Lides ist verstrichen. Die Pupille weicht, wenn das linke Auge
gradaus sieht, etwa V" nach aussen ab. Doppeltsehen mit gekreuzten Bildern. Bei Ver-
schluss des linken Auges kann die rechte Pupille noch etwas über die Mittellinie ein-
wärts gerollt werden. Lässt man die Kranke mit beiden Augen aufwärts blicken , so
bleibt das rechte Auge etwas zurück, und die Divergenz tritt deutlicher hervor; ebenso
bleibt das rechte Auge beim Blicke nach unten etwas zurück, und die Divergenz ist
ebenfalls deutlicher. Die Pupille des rechten Auges misst etwa l'/s — l'/a, wenn die des
linken l'" Durchmesser zeigt. Bei Verschluss des linken Auges kann sie mit dem
rechten lesen, am besten zwischen 15 — 20", weniger gut bei 10 — 12", gar nicht mehr
unter 7". Durch eine Kartenblattöffnung von V" Durchmesser liest sie bei 5", durch
engere Öffnungen noch näher. Beim Blick auf Gegenstände im Zimmer befällt sie Schwin-
del , und sie kann , wenn das rechte Auge geschlossen wird, nicht über's Zimmer gehen,
wird selbst beim Sitzen schwindlig. Hält sie beide Augen offen, so vermischen sich
ihr alle Gegenstände, und das rechte Auge schliesst sich unwillkürlich. Sie meint —
wenn beide Augen geöffnet sind — der Fussboden erhebe sich je weiter je mehr, glaubt
auf ebener Strasse die Füsse mehr heben zu müssen, wie beim Bergsteigen. — Sie ist
von schwächlicher Constitution , blass , doch sonst angeblich gesund. Sie führt eine
sitzende Lebensweise, indem sie sieh durch Handscbuhnähen ernähi-t. Sie gibt an, dass
sie an demselben Zustande schon vor 5 Monaten gelitten habe, nur in geringerem Grade,
und dass sie von selbst nach etwa 6 Wochen davon genesen sei. Der jetzige Anfall
besteht seit 8 Tagen, ohne dass man im Stande ist, ein bestimmtes Moment als Ur-
sache bezeichnen zu können. Das erste Symptom war Schwindel. — Ich ordinirte vor-
läufig nichts, indem ich die Kranke erst beobachten wollte; sie kam jedoch nicht mehr
zu mir.
Lähmung des Trochlearis kommt relativ am seltensten vor,
und ist am schwierigsten zu erkennen. Die wichtigsten Vorarbeiten
zur Diagnosis dieses Leidens verdanken wir Szokahky, Ruete und
Donders, die förmliche Diagnostik aber A. von Gräfe im Archiv für
Ophth. Bd. I. Abthl. I. S. 1 bis 81. Die hier folgende Darstellung ist
der eben genannten Abhandlung entlehnt.
Die Stellung der Hornhaut scheint beim Blick geradeaus ziemlich
normal zu sein, erweist sich jedoch bei genauer Prüfung, während ein
Lähmung des Trochlearis. 289
bestimmter Punkt scharf angesehen wird, als etwas höher und um eine
Spur nach innen gelenkt. Wird während des Fixirens vor das gesunde
Auge die Hand vorgeschoben, so bemerkt man, dass die Hornhaut des
.afficirten Auges aus ihrer frühem Lage ein wenig nach unten und
aussen rückt, also früher unrichtig stand. (Beobachten wir, was wäh-
rend dieses Vorganges die Hornhaut des gesunden Auges unter der
deckenden Hand thut, so sehen wir, dass dieselbe etwas nach innen
nnd unten steht, so lange das kranke Auge fixirt, nach dem bekannten
Gesetze, dass, wenn auf dem einen Auge der afficirte Muskel in er-
höhten Anspruch genommen wird, auf dem andern Ablenkung nach der
Seite der associirten Muskeln eintritt.) Wird das Object in der Median-
ebene nach unten geführt, so bleibt das afficirte Auge mehr und mehr
zurück und weicht mehr und mehr nach innen ab. Gehen wir dagegen
mit dem Objecte in der Medianebene nach oben, so verschwindet ent-
weder hart an der Horizontalebene oder ein Weniges über derselben
jede Spur von fehlerhafter Stellung. Dasselbe findet statt, wenn wir
in dem obern Theile des Sehfeldes nach rechts oder links herüber
gehen. Verrücken wir ihn aber in der untern Hälfte des Gesichtsfeldes
seitlich, so treten verschiedene Stellungen auf. Rückt der Gegenstand
nach der dem betroffenen Auge entgegengesetzten Hälfte des Gesichts-
feldes, so bleibt das Auge in Bezug auf die Senkung der Cornea immer
mehr zurück, in Bezug auf die Einwärtsrollung immer weniger; wird
hingegen das Object nach unten und aussen von dem afficirten Auge
gebracht, so weicht die Stellung des afficirten Auges von der des ge-
sunden sowohl in der einen als in der andern Beziehung allmälig immer
weniger ab.
Beim Blick nach oben findet Einfachsehen statt; so wie aber der
Gegenstand in der Medianebene sich der Horizontalen nähert, tritt Diplo-
pie ein, mit gleichnamigem, also durch Convergenz der Sehachsen
bedingtem Doppelbilde. Zugleich steht das Bild des kranken Auges
beträchtlich tiefer, als das des gesunden, und überdiess schief gestellt.
Ein vertical vorgehaltenes schmales und langes Object erscheint näm-
lich mit dem obern Ende zur Medianebene (einwärts) geneigt, überdiess
aber auch weiter von der Antlitzebene entfernt, als mit dem untern
Ende (umgekehrt wie bei Lähmung des Oculomotorius, respective des
Pv. inferior. Geht man mit dem Objecte in der Medianebene unter die
Horizontale hinab, so treten die Doppelbilder sowohl in ihrem seitlichen
Intervall als im Höhenunterschied immer mehr auseinander, und auch
die Schiefheit nimmt um Einiges zu. Geht man ferner mit dem stark
unter der Horizontalen befindlichen Gegenstande nach der Seite des
Arlt Augenheilkunde. III. 19
290 Augenmuskeln.
gesunden Auges über die Medianebene hinüber, so nimmt sowohl die
Schiefheit als der seitliche Abstand mehr und mehr ab, der Höhenun-
terschied wird aber immer beträchtlicher, so dass für die äusserste
Stellung des Objectes, in welcher gemeinschaftlich gesehen werden
kann, die Doppelbilder beinahe gerade über einander liegen. Geht
man dagegen mit dem unter der Horizontalebene befindlichen Objecte
auf der Seite des kranken Auges weiter und weiter von der Median-
ebene seitlich herüber, so nimmt der Höhenunterschied rasch, der seit-
liche Abstand langsamer ab, und die Schiefheit wird immer beträcht-
licher, doch nur in der Zuneigung zur Medianebene, nicht in der Ab-
neigung von der Antlitzebene. Bei den Versuchen über der Horizon-
talen lässt sich das Doppeltsehen in der dem gesunden Auge entspre-
chenden Hälfte des Gesichtsfeldes noch um einen geringen Winkel hin-
auf verfolgen, dann verschwindet es; auf der dem kranken Auge ent-
sprechenden Hälfte schneidet es, je weiter man seitlich vorrückt, desto
genauer mit der Horizontalen ab.
Die spontane Kopfhaltung der Kranken ist ziemlich charakteristisch.
Anfangs tragen sie den Kopf gerade nach vorn (um die transversale
Achse gedreht), um alle Objecte möglichst in den obern Theil des Ge-
sichtsfeldes zu bringen und so das Doppeltsehen zu umgehen. Sehr
bald jedoch drehen sie den Kopf gleichzeitig auch um die verticale
Achse nach der entgegengesetzten Seite , damit ' sie die Gegenstände
nicht bloss nach oben, sondern auch in der mit dem afficirten Auge
gleichnamigen Hälfte des Gesichtsfeldes sehen, denn für diese Stellung
fühlen sie sich im Einfachsehen am sichersten, und zwar um so mehr,
wenn durch beginnende Secundärcontractur des Obl. inferior die Grenze
des Doppeltsehens sich auf der gesunden Seite über die Horizontal-
ebene erhebt. Je entschiedener die Vermehrung in der Spannung des
Obl. inferior wird, desto ausgeprägter wird auch die Kopfdrehung um
die verticale Achse. Später wenn die schielende Stellung durch das
ganze Gesichtsfeld geht, pflegt auch die angenommene Kopfhaltung in
gewissem Grade aus Gewohnheit fortzubestehen, wird aber doch weni-
ger forcirt, da ihre Zweckmässigkeit für den Sehact mehr und mehr
erlischt. Der Kranke kann nun die Doppelbilder nicht mehr in eins
zusammenschmelzen, und muss sich dadurch helfen, dass er entweder
ein Auge schliesst, oder dass er ein Doppelbild physiologisch unter-
drückt, oder dadurch , dass er es durch die Contraction eines andern
Augenmuskels so weit ablenkt, bis es der grossen Excentricität wegen
an störendem Einfluss auf das Sehvermögen verliert.
„Das Sehvermögen war in keinem unserer Fälle erheblich gestört,
Lähmung der Trochlearis. 291
so dass die Tragweite selbst für die kleinsten Objecte von der des ge-
sunden nicht wesentlich abwich. Die Accommodation zeigte sich ziem-
lich normal; nur in der Richtung nach unten und innen schien sie we-
niger andauernd und weniger excursiv, offenbar wegen der mühsamen
Einstellung der Sehachsen/' (Gräfe.)
Zur bcispielweisen Erläuterung will ich, obwohl mir zwei eigene Beobachtungen
zu Gebote stehen, einen von A. v. Gräfe (Archiv B. I. Abth. 2. S. 313) beschriebenen
Fall wählen, da derselbe nicht nur wegen exacter Beobachtung, sondern auch wegen
Complication der Trochlearislähmung mit Abducenslähmung ein ganz besonderes In-
teresse hat.
„Ein Kleidermacher von 49 Jahren hatte vor geraumer Zeit einen Chanker gehabt,
der schnell und ohne Spuren zu hinterlassen heilte. In seinem 30. Lebensjahre hatte er
abermals einen Chanker, welcher längere Zeit bestand, und dem, wie er angibt, nach
Jahresfrist andauernde Hautausschläge folgten. Diese haben sich in den letzten Jahren
wiederholt, auch sind mehrere Abscesse am Halse vorhanden gewesen, die eröffnet wer-
den mussten. Der letzte derselben bestand vor einem Jahre, mit ihm zugleich ein an-
derer über der Articulatio sternoclavicularis. Vor 4 Jahren hatte Pat. zuerst Taubheit
des Gefühls in der rechten Schulter bemerkt, so wie Schmerzen im rechten Arm mit
bedeutender Schwäche bei der Arbeit. Vor 3 Jahren fing das jetzige Augenleiden mit
Blendung und mangelhafter Ausdauer bei der Arbeit an ; Doppeltsehen will der Kranke
zuerst vor 5 Monaten beobachtet haben.
Bei der Untersuchung fand ich den rechten Arm nur um Weniges schwächer, als
den linken, dagegen ausgeprägte paralytische Erscheinungen in den Augenmuskeln. Am
auffallendsten war zunächst die Lähmung im linksseitigen M. abducens ; die Cornea konnte
nur um einen geringen Winkel (etwa 10 Grad) über die Mittellinie nach aussen gerich-
tet werden und auch diess geschah unter zuckenden , zum Theil auch unter rollenden
Stössen. Mit den objeetiven Zeichen übereinstimmend war die Diplopie; je mehr das
Object auf die linke Seite des Gesichtes herüber bewegt wurde, desto mehr wuchs die
Entfernung des gleichnamigen Doppelbildes. Höhenunterschied und Schiefheit wurden
in der horizontalen Visirebene nicht angegeben. Bewegte ich das Object nach unten,
so zeigten die Doppelbilder die Eigenschaften , welche auf die linksseitige Paralyse des
M. abducens nicht zu beziehen waren , es trat nämlich ein namhafter Höhenunterschied
zwischen den beiden Bildern auf, so dass das linke Bild höher, das rechte tiefer stand;
da vollends die Diplopie im ganzen untern Theil des Gesichtsfeldes, selbst wenn man
ziemlich stark nach rechts hinüberging, vorhanden war, so musste noch eine andere
Affection, als die linksseitige Abducenslähmung, aufgesucht werden. Ich hielt das Object
nach unten und etwas rechts herüber, um dem linken Auge die Fixation zu ermöglichen,
und glaubte mich schon bei aufmerksamer Inspection der Sehachsenrichtung zu über-
zeugen , dass nun das rechte Auge nach innen und oben vom Object vorbeischoss. In
der That ergab sich, dass beim Schluss des linken Auges die Cornea des rechten sich
nach aussen und unten verrückte. Im obern Theile des Gesichtsfeldes standen , wenn
das Object rechts gehalten wurde, die beiden Sehachsen richtig und es fand Einfach
sehen statt. So konnte kein Zweifel bestehen , dass eine Parese in den nach unten
ziehenden Muskeln des rechten Auges vorhanden sei , und es fragte sich nur noch , ob
der B. inferior oder der Obl. superior betheiligt war. Die pathologische Convergenz,
welche beim Blick nach unten stattfand, sprach schon von Anfang an für eine Affe-
19*
292 Augenmuskeln.
ction des Trochlearis , und doch hätte dieses Symptom hier wegen der linksseitigen Ab-
ducenslähmung täuschen können, da bekanntlich auch bei Abducenslähmung mehr Nei-
gung zur Convergenz der nach unten als der nach oben gerichteten Sehachsen vorhan-
den ist. Freilich war bei dem Kranken die Zunahme der Convergenz, wenn man in
der Medianebene das Object herabsenkte, zu auffallend, als dass man dieselbe hätte auf
Abducenslähmung gründen können, sofern nämlich bei letztgenannten Lähmungen wohl
oberhalb der horizontalen Visirebene ein erhebliches Schwanken der Convergenz (je
nach der Höhe), unterhalb der horizontalen Visirebene aber nur eine geringfügige und
zuweilen gar keine Zunahme der Convergenz (nach unten hin) nachweisbar ist. Auch
hätte sich fuglich die Convergenz nicht bis gegen den aussersten Theil des Gesichtsfel-
des nach rechts, wenn auch in abnehmender Weise wie hier, erhalten können. Trotzdem
lag die Idee einer secundären Contractur im E,. internus des rechten Auges, wie solche
eo häufig bei Paralyse des Antagonisten im andern Auge vorkommt, immer noch nahe
genug, um positivere Beweisgründe wünschenswerth zu machen. Zum Glück für die
Diagnose gab der Kranke eine deutliche Schiefheit des rechten Bildes an ; dasselbe war
mit seiner obern Extremität nach links geneigt, also ganz conform einer Trochlearis-
parese, entgegengesetzt einer Parese des E. inferior. Um nun die weitern controlliren-
den Merkmale zu gewinnen, ging ich mit dem Objecte im untern Theil des Gesichts-
feldes von rechts nach links herüber, erwartend, dass die Schiefheit in dieser Richtung
continuirlich abnehmen würde. Dem war nicht so; freilich gab Pat. zuweilen auf der
ersten Hälfte der Bahn (von rechts bis zur Medianebene) einige Verringerung der Schief-
heit an, aber von der Mittellinie bis zur aussersten Haltung nach links wurde gar keine
Abnahme, zuweilen sogar eine Zunahme der Schiefheit bemerkt. Diese Störung der Sym-
ptomengruppe hätte ich auf Grund der linksseitigen Abducenslähmung voraussehen sollen,
denn auch Paralysen des R. internus und des B. externus bedingen bei diagonaler Stel-
lung des Objectes Schiefheiten, welche mit der physiologischen Neigung der Meridiane
in Zusammenhang gebracht werden müssen. Demzufolge hätte bei beschränkter Beweg-
lichkeit nach aussen und unten eine scheinbare Schiefheit des linken Bildes nach rechts
herüber stattfinden müssen, welche die scheinbare, durch Trochlearislähmung bedingte
entgegengesetzte Schiefheit des rechten Bildes nothwendig steigern müsste. Diess, glaube
ich, erklärt genügend die ausbleibende Abnahme der Schiefheit nach links und hat diese
Ansicht im weitern Verlaufe der Krankheit ihre Bestätigung gefunden. — Vollständig
charakteristisch war das "Wachsen des Höhenunterschiedes der Bilder, wenn man mit
dem Objecte von rechts nach links herüberging, und konnte schon durch Inspection an
der Sehachsenrichtung erkannt werden. Ebenso fehlte das Näherliegen des rechten Bil-
des nicht. Die Beweglichkeit der Sehachse nach innen — unten war beim Verschluss
des linken Auges bedeutend verringert. Die Kopfhaltung zeigte sich etwas anders, als
bei einfacher Trüchlearislähmung. Während sonst die Kranken den Kopf nach der affi-
cirten Seite und gleichzeitig nach vorn drehen , war bei diesem Pat. der obere gleich-
namige Theil des Gesichtsfeldes dem Einfachsehen erhalten, und er trug den Kopf etwas
nach vorn geneigt, aber gleichzeitig nach links um die Verticalachse gedreht. — Das
Sehvermögen zeigte sich auf beiden Augen gleich; ein gewisser Grad von Accommo-
dationsparese mit Erweiterung des Mesoropter schien schon von früher her vorhanden
zu sein. — Das Allgemeinbefinden war sehr gestört; Pat. klagte über fortwährendes
Brausen im Kopfe, grosse Schwäche und Abnahme des Körpervolums.
Als Grund der beiderseitigen Lähmung wurde die inveterirte Lues aufgefasst; ob
eine materielle Veränderung an der Basis cranii zugegen war, und welche, blieb unent-
Schielen — Kennzeichen. 293
schieden , weil die nöthigen Auhaltpunkte für die Bestimmung fehlten. Ich verordnete
Kali jodatum, und schon nach einigen Wochen zeigte sich eine Besserung beider Muskel-
liihmungen, so jedoch, dass die Lähmung des Abducens schneller rückgängig wurde, als
die des Trochlearis. Als mich kürzlich der sich vollständig geheilt ansehende Kranke
besuchte, war die Abducenslähmung verschwunden, das Doppeltsehen nach unten jedoch
noch künstlich (durch violette Gläser) nachweisbar. Jetzt zeigte sich zu meiner grossen
Freude eine volle Übereinstimmung der Svnrptonie mit den für Trochlearis-Paralyse als
charakteristisch angegebenen, denn trotz des geringen gegenseitigen Abstandes der Dop-
pelbilder, der noch übrig war, konnte nun die früher durch Abducenslähmung gestörte
continuirliche Zunahme der Schiefheit von links nach rechts deutlich genug nachgewie-
sen werden. — In therapeutischer Beziehung war es erfreulich, dass alle übrigen Krank-
heitserscheinungen, die Schwäche im Arm, das Brausen im Kopf mit der Augenmuskel-
lähmung vollständig rückgängig wurden , dass das Aussehen und Befinden des Kranken,
sich bedeutend besserte und das Körpergewicht erheblich zunahm. Das Kali jodatum
(gegen 2 Unzen) wurde mit kurzen Unterbrechungen circa 8 Wochen gebraucht."
Schielen (Strabismus).
Schielen heisst ein Auge {dessen Sehachse) von dem Gegenstande
ablenken, welchen das andere fiacirt. Die Ablenkung ist activ , beruht
auf ea-cessiver Contraction (später auf Contractur) eines oder mehrerer
Muskeln, und erfolgt im Allgemeinen unwillkürlich und trotz alles An-
kl'unpfens des Willens dagegen. Mit dieser activen Ablenkung zugleich
erfolgt Unterdrückung der Wahrnehmung des Gegenstandes, den das an-
dere Auge fiarirt.
Willkürlich zu schielen vermögen nur wenige, und das meist jugend-
liche Individuen. Wenn Jemand, wie diess gewöhnlich zu physiolo-
gischen Zwecken geschieht, seine Aufmerksamkeit auf einen entfernte-
ren Gegenstand richtet, aber die Sehachsen in einem näher gelegenen
Punkte sich schneiden lässt, indem er sich einen solchen imaginirt, so
kann man nicht sagen, er schiele, sofern er nämlich jenen Gegenstand
weder mit dem einen noch mit dem andern Auge fixirt, sondern den-
selben beiderseits auf excentrischen Netzhautstellen zur Abbildung
bringt, daher mit keinem Auge direct sieht. Auch das kann man nicht
Schielen nennen, wenn Jemand die Sehachse des einen oder des an-
dern Auges nicht auf das Object richtet, welches gesehen werden soll,
sondern neben demselben aus dem Grunde vorbeischiessen lässt, weil
das directe Sehen unmöglich ist, z. B. wregen centraler Undurchsichtig-
keit der Medien oder wegen centraler Untauglichkeit der Netzhaut. Es
ist diess nur dann möglich, wenn das andere Auge nicht zum Sehen
verwendet wird oder ganz erblindet ist. Einigen wir uns endlich da-
hin, dass wir das Zurückbleiben des einen Auges hinter den Bewegun-
294 Augenmuskeln.
gen des andern wegen mechanischer Hindernisse (Verwachsung, Mus-
kellähniung), mithin die passive i^blenkung des einen Auges von dem
Gegenstande, den das andere frei bewegliche Auge verfolgt, nicht unter
einem gemeinschaftlichen Namen mit der activen Ablenkung zusammen-
fassen, so haben wir für den Ausdruck Schielen oder Strabismus einen
ganz bestimmten Begriff festgestellt, einen Begriff, welcher im Wesent-
lichen das enthält, was seit J. Müller*) als Strabismus concomitans be-
schrieben wurde, in welchen dagegen das, was man über Strabismus
lusciosus gesagt hat, nicht gehört.
Das Schielen tritt entweder nur zeitweilig auf, und zwar nicht
bloss das will- sondern auch das unwillkürliche , oder — wie in den
meisten Fällen — continuirlich. Auf das zeitweilige Auftreten des un-
willkürlichen ScLielens übt bald die Accommodation, bald der Wille,
bald auch das Allgemeinbefinden bestimmend ein. Manche schielen nur
beim Betrachten naher, andere nur beim Betrachten entfernter Objecte.
Manche können (namentlich dann, wenn sie auf schärferes Sehen ver-
zichten) das Schielen durch erhöhten Willenseinfluss auf mehr weniger
lange Zeit vermeiden ; andere verfallen in diesen Zustand gerade, wenn
sie ihn zu vermeiden bemüht sind, und noch andere dann, wenn
sie sich unwohl, verlegen u. dgl. fühlen. — Das continuirliche Schielen
tritt entweder immer an demselben Auge in die Erscheinung (Str. non-
alternans), oder bald an dem einen, bald an dem andern, jedoch in
letzterem Falle immer in derselben Bichtung (niemals z. B. auf dem
einen Auge ein-, dann auf dem andern auswärts) und in demselben
Grade (Str. alternans). Die häufigste Richtung ist die nach innen,
Str. convergens (als alternans oder non-alternans), bedingt durch exces-
sive Contraction oder Contractur des E. internus allein, oder des R.
superior oder R. inferior zugleich, wodurch das Schielen nach innen-
oben oder nach innen-unten zu Stande kommt; seltener ist das Aus-
wärtsschielen, Str. divergens (gleichfalls als alternans oder non-alter-
nansj, bedingt durch excessive Contraction des R. externus, am selten-
sten die Ablenkung nach oben, Str. sursum vergens, und die nach
unten, Str. deorsum vergens. In Folge von Lähmung des Obl. superior
oder des Obl. inferior kann durch secundäre Contractur des Antago-
nisten (Obl. inferior, respective superior) das von Einigen beobachtete
Radschielen (mit Drehung des Bulbus um die Sehachse) zustande kommen.
Jedes Schielen höheren Grades verräth sich durch die abweichende
Stellung der Cornea zu dem fiorirten Objecte. Wo die fehlerhafte Stel-
lung wegen geringer Abweichung nicht sogleich augenfällig wird, braucht
*J Zur vergleichenden Physiologie des Gesichtssinnes, Leipzig, 1S2Ü.
Schielen — Kennzeichen. 295
man nur, während der Kranke zur Fixirung eines Objectes angewiesen
wird, vor das eine Auge die flache Hand vorzuschieben; das gesunde
Auge bleibt dabei ganz ruhig, das schielende verlässt aber seine fehler-
hafte Stellung zu dem Objecte augenblicklich, und stellt sich mit der
Sehachse auf dasselbe ein, falls es überhaupt noch zum directen Sehen
und zum Wahrnehmen jenes Objectes geeignet ist. Hiebei ist jedoch
nöthig, dass der Kopf des Schielenden früher in die normale Stellung
gebracht und während der Proben darin erhalten werde. Auf die im
Ganzen genommen seltenen Fälle, wo sich das schielende Auge nach
Verdickung des gesunden nicht mit der Sehachse zum Objecte ein-
stellt, sondern mit derselben gleichsam daneben vorbeischiesst, werden
wir später zu sprechen kommen. — Ein anderes Merkmal des schielen-
den Auges besteht darin, dass es nach allen Richtungen hin frei be-
wegt werden kann, besonders wenn das gesunde Auge mit den Fingern
zugedrückt wird. Auch hievon giebt es Ausnahmen, theils bei frischen,
tlieils bei inveterirten Fällen des alternirenden und nicht-alternirenden
Scliielens. "Wenn sich nämlich Schielen (z. B. einwärts) in Folge von
Lähmung eines Muskels (des R. externus) entwickelt, so kann zur Zeit,
wo die Lähmung noch nicht völlig verschwunden ist, die Beweglich-
keit des Bulbus nach dieser Seite noch beschränkt oder aufgehoben
sein. Eben so wird, wenn die excessive Contraction des ablenkenden
Muskels lange bestanden und zu förmlicher Contractur (mit bleibender
Verkürzung und Rigidität) geführt hat, die Beweglichkeit nach der ent-
gegengesetzten Seite theils hiedurch, tlieils aber auch und zwar in
noch höherem Grade dadurch beschränkt, dass der Antagonist in Folge
geringerer Übung atrophisch geworden ist. Nur wo diese Momente
wegen hochgradiger und viele Jahre lang andauernder Ablenkung stark
entwickelt sind, kann das schielende Auge nicht über die Mitte der
Lidspalte nach der entgegengesetzten Richtung hinübergestellt, oder
auch selbst nicht in der Mitte erhalten werden. — Hieran reiht sich
ein drittes Merkmal, nämlich dass das schielende Auge dem gesunden
bei allen Bewegungen folgt, und zwar unter gleicher oder doch nahezu
gleicher Neigung seiner Sehachse zu der des gesunden Auges, so lange
dieses sich in demselben Horopter bewegt (seinen Refractionszustand
nicht ändert). Im gesunden Zustande schneiden sich die Sehachsen in
dem fixirten Objectpunkte unter einem bestimmten Winkel, welcher für
denselben Horopter derselbe bleibt, für jeden weitern Horopter spitziger,
für jeden engern minder spitzig wird. Beim Einwärtsschielen schneidet
die Sehachse des schielenden Auges die des fixirenden vor dem Ob-
jecte, und zwar unter einem um so weniger spitzigen Winkel, je höher
296 Augenmuskeln.
der Grad der Ablenkung ist; wird das Object in demselben Horopter
hin und her bewegt, so folgt ihm auch das schielende Auge unter dem-
selben Winkel. (Beim Übergange des Sehobjectes in" die obere oder in
die untere Hälfte des Gesichtsfeldes ändert sich der Neigungs- oder
Schielwinkel trotz dem, dass der Horopter nicht geändert wird.) Wird
das Object weiter entfernt, so bleiben die Verhältnisse dieselben, nur
ist der Winkel, unter dem sich die Sehachsen schneiden, ein mehr
spitziger. Ausnahmen hievon kommen nur dann vor, wenn Rigidität
des ablenkenden Muskels oder Paresis des Antagonisten besteht. Bei
Str. divergens liegt der Winkel, unter dem sich die Sehachsen schnei-
den, hinter den Augen. Die Sehachsen sind also bei einem und dem-
selben Kranken für eine bestimmte Sehweite des fixirenden Auges an
eine bestimmte Neigung zu einander gebunden, welche sich — mit Aus-
nahme der angedeuteten Complicationen — nur mit der Zu- oder Ab-
nahme des Übels selbst ändert ( Schiel winkelj. — Hieraus ergibt sich
ein viertes Merkmal des Strabismus. Wenn man einem Schielenden,
icahrend er angewiesen wird, ein bestimmtes Object zu fixiren, die Hand
vor das fixirende Auge schiebt, und nun, während das schielende Auge
fixirt, den Stand des hinter der Hand befindlichen Auges beobachtet, sa
findet man, dass dieses aus der normalen in eine fehlerhafte Stellung
übergegangen ist. Es steht einwärts: wenn das nun fixirende Auge
früher einwärts stand, auswärts: wenn dieses auswärts stand, dagegen
abwärts: wenn das andere Auge früher aufwärts schielte, und aufwärts:
wenn das andere abwärts schielte. Wird nämlich das gesunde Auge
verdeckt, so muss, um dem für gewöhnlich excessiV contrahirten Mus-
kel entgegenzuwirken, der Antagonist des schielenden Auges in erhöhte
Thätigkeit versetzt werden; der hiezu nöthige verstärkte Impuls trifft
aber immer zugleich auch den associirten Muskel des andern Auges,
springt gleichsam auf denselben über, da wir nicht im Stande sind,
diesen Impuls willkürlich auf ein Auge allein wirken zu lassen. Schielt
demnach z. B. das linke Auge auswärts, so muss der R. internus des-
selben in erhöhte Thätigkeit versetzt werden, um das Auge dem Ob-
jecte gerade gegenüber zu stellen (und zu erhalten), und der Impuls
hiezu geht gleichzeitig und unwillkürlich auf den R. externus des rech-
ten Auges über. Schielt das linke Auge aufwärts, so sind die beiden
R. inferiores in derselben Lage, wie früher der linke R. internus und
der rechte R. externus. Zu bemerken ist noch, dass das Auge hinter
der Hand genau oder doch nahezu um eben so viele Grade abgelenkt
erscheint, als früher das schielende. — Ein Kranker, der mit dem lin-
ken Auge einwärts schielt, erhält aber auch schon bei beiderseits offe-
Schielen — Kennzeichen. 297
ner Lidspalte nicht bloss an dem linken, sondern auch an dem rechten
Auge den K. internus in excessiver Contraction, und hei einem Kran-
ken, der auswärts schielt, findet dasselbe Verhältniss in Bezug auf die
beiden ß. externi statt. Beim Aus- oder Einwärtsschielen leiden immer
beide gleichnamige Muskeln, nicht bloss der des abgelenkten Auges.
Beim wechselnden Schielen gibt sich diess kund, eben weil die Seh-
kraft einen solchen Wechsel gestattet, entweder rein nach Willkür oder
nach Zulass der Sehweite des einen und des andern Auges. Auch
beim nicht- wechselnden Schielen ist es möglich, das für gewöhn-
lich schielende Auge eine Zeit lang gerade zu halten, doch nur unter
der Bedingung-, dass das andere jetzt in derselben Eichtung und in
demselben Grade abgelenkt wird. Ist jedoch die Sehkraft des bestän-
dig- schielenden Auges sehr gesunken, so vermag sich dasselbe nur auf
kurze Zeit oder gar nicht mehr in der Einstellung zum Objecte zu be-
haupten. Aber g-erade in solchen Fällen zeigt sich das Mitleiden des
gleichnamigen Muskels an dem andern Auge besonders eclatant an der
Kopfhaltung des Schielende?i. Ein Kranker, der mit dem linken Auge
einwärts schielt, hält, um Objecte in der Medianebene seines Gesichts-
feldes zu fixiren, den Kopf um die verticale Achse rechts gedreht. Gibt
man ihm ein Buch in die Hand, so hält er es nicht gerade dem Ge-
sichte gegenüber, sondern etwas schräg, mit der linken Seite zur Ant-
litzfläche geneigt. Umgekehrt ist dieses Verhalten bei einem mit dem
linken Auge auswärts Schielenden. Hiedurch wird erreicht, dass der
ablenkende Muskel des schielenden Auges nicht so stark contrahirt zu
werden braucht, wie wenn die Antlitzfläche dem Objecte gerade gegen-
über gehalten werden muss. Führt man diese letztere Lage durch Cor-
rection der Haltung des Kopfes oder des Objectes herbei, so findet
man, dass beim Einwärtsschielen z. B. des linken Auges die Cornea
desselben weiter einwärts gerollt wird, weil jetzt die Cornea des rech-
ten Auges ganz oder nahezu in der Mitte der Lidspalte sehen muss,
um das Object zu fixiren. Bei der spontanen Kechtsdrehung des Kopfes
oder bei Herüberrückung des Objectes in die linke Hälfte des Gesichts-
feldes ist demnach der E. internus des linken (schielenden) Auges nur
wenig oder gar nicht mehr contrahirt, als der E. internus des rechten
Auges, während bei gezwungener Haltung des Kopfes oder des Objec-
tes die erhöhte Contraction des E. internus am linken Auge allein die
Ablenkung der »Sehachse (Erhaltung des Schielwinkels) vermitteln muss.
Der Kranke überlässt sich aber der spontanen Kopfdrehung oder Ob-
jectsverschiebung um so lieber, als er dadurch nicht nur grössere Frei-
heit in den associirten und besonders in den accommodativen Bewegun-
298 Augenmuskeln.
gen erhält, sondern auch das Entstellende seines Fehlers bis zu einem
gewissen Grade niaskirt, i. e. die relativ stärkere Ablenkung der lin-
ken Hornhaut gegen den innern Winkel verhindert oder doch vermin-
dert. Laien lassen sich auf diese Weise täuschen, und meinen, das
Schielen sei manchmal gar nicht oder nur in geringem Grade vorhan-
den, auch in Fällen, wo dasselbe ganz gewiss continuirlich besteht.
Wenn wir einen Schielenden (bleiben wir bei dem gewählten Beispiele :
mit dem linken Auge einwärts) längere Zeit bei seinem Thun und Las-
sen (unvermerkt) beobachten, so werden wir auch rinden, dass er den
Kopf noch nach einer andern Richtung dreht, nämlich etwas zur Schul-
ter der betreffenden (linken) Seite neigt, ein Beweis mehr dafür, dass
auch an dem andern (rechten) Auge der gleichnamige (innere) Muskel
excessiv contrahirt ist. Es tritt hier dasselbe Verhalten ein, wie wenn
der Antagonist (R. externus) des nicht schielenden (rechten) Auges in-
sufficient ist. Die Haltung eines continuirlich Schielenden ist eine
ganz andere als die eines Einäugigen, selbst dann, wenn das schielende
Auge sich gar nicht mehr zu deutlichen Wahrnehmungen eignet. —
Aus diesem Verhalten resultirt aber auch, dass nach längerem Bestände
des continuirlichen Schielefis nicht nur an dem schielenden, sondern auch
im dem fixirenden Auge excessive Contraction, endlich Contractur des
betreffenden {gleichnamigen) Muskels und Atrophie des Antagonisten ein-
tritt, wenn gleich auf dem fixirenden Auge in geringerem Grade, als
auf dem schielenden. Leute, welche durch viele Jahre mit dem einen
Auge stark einwärts geschielt haben, können daher auch das fixirende
nicht gehörig auswärts stellen. Dieser für die Operationslehre wich-
tige Satz erhält eben durch die unmittelbaren Ergebnisse der Muskel-
durchschneidung selbst weitere Bestätigung. Es liegt .demnach kein
Widerspruch in der Behauptung, das Schielen könne immer nur an
einem Auge auftreten, aber die nächste Ursache davon, die Muskelcon-
traction, bestehe immer an beiden Augen zugleich.
Das schielende Auge wird nicht zum directen, sondern nur zu in-
(Jirectem Sehen verwendet. Der Schielende gebraucht zum Betrachten
der Objecte jederzeit nur das eine Auge, und nimmt dieselben nur mit
dem fixirenden Auge wahr ; er sieht daher auch niemals doppelt, selbst
nicht in der ersten Zeit der Affection, wenn man jene Fälle richtig
auffasst, wo Doppeltsehen die Veranlassung zum Schielen gibt. In diesem
letzten Falle befinden sich nicht nur jene, welche von Lähmung irgend
eines Augenmuskels befallen wurden, sondern gewiss errnassen auch
jene, bei denen die Wahrnehmung des jeweiligen Gesichtsobjectes mit
dem einen Auge durch undeutliche Wahrnehmung desselben mit dem
Schielen — Kennzeichen. 299
andern Aug-e g-estört wird, wegen Trübung- in den durchsichtigen Me-
dien, wegen Differenz im Kefractionszustande oder wegen Netzhaut-
affection. Beim Doppeltsehen wegen Muskellähmung treten die Bilder
in der Wahrnehmung räumlich getrennt, im Gesichtsfelde auseinander
gehalten auf, beim Doppeltsehen aus den letztgenannten Ursachen
deckeu sich dieselben, werden nicht als neben, sondern gleichsam als
auf oder in einander liegend wahrgenommen. "In dem einen Avie in
dem andern Falle kann Schielen eintreten, damit das Doppelbild unter-
drückt werde. Das Doppeltsehen ist nicht ein Symptom, welches das
Schielen begleitet, sondern ein Act, welcher leicht zum Schielen Ver-
anlassung gibt, wie wir bei der Ätiologie unten zeigen werden. —
Dass das schielende Auge nicht zum directen Sehen verwendet werde,
sieht man schon aus der Stellung desselben zu dem Objecte, welches
eben betrachtet wird. Dass es aber auch nicht durch indirectes Sehen
Ivenntniss von den Gegenständen bringt, welche das andere Auge sieht,
ergibt sich leicht aus dem momentanen Verschwinden der Wahrneh-
mung des fixirten Objectes, sobald man vor das fixirende Auge die
Hand vorschiebt. Erst wenn das schielende Auge sich zum Objecte
eingestellt hat, wird dieses wieder wahrgenommen. Wie es komme,
dass das von dem gesunden Auge fixirte Object von dem schielenden
nicht wahrgenommen werde, trotzdem es auch auf diesem ein Netz-
hautbild entwirft, wissen wir nicht. Wenn wir sagen, die Wahrneh-
mung werde unterdrückt, so ist diess nur ein figürlicher Ausdruck,
welcher insofern gut gewählt erscheint, als er gewissermassen das
Active dabei anzeigt. Denn auch bei Lähmung eines und des andern
Muskels wird auf dem Auge, dessen Achse nicht auf das Object ge-
richtet ist, irgendwo seitlich von der Macula lutea ein Bild des Objectes
entworfen, aber dennoch wahrgenommen, und zwar trotz oft sehr be-
deutender Excentricität, merklich gesunkener Netzhautenergie und
langem Bestände des Leidens. Man muss demnach annehmen, dass
die active Ablenkung des Auges zugleich eine Bedingung für die Unter-
drückung der Wahrnehmung der von dem andern Auge gesehenen Ob-
jecte in sich einschliesst. So lange ein von Muskellähmung oder mecha-
nischer Ablenkung eines Auges Befallener es nicht zur activen Ablen-
kung des betroffenen (oder des andern) Auges gebracht hat, gelingt es
ihm nicht, der Wahrnehmung des Doppelbildes zu entgehen, ausser
durch Zukneipen oder erst nach sehr langer Zeit, wenn die Netzhaut-
energie sehr gesunken ist. Beim Schielen hingegen findet selbst bei
einer sehr geringen Ablenkung, also bei sehr geringer Excentricität des
Netzhautbildes, schon keine Wahrnehmung des Objectes (kein Doppelt-
300 Augenmuskeln.
sehen) statt, auch in Fällen, wo die Energie der Netzhaut des abge-
lenkten Auges der des fixirenden völlig gleich geschätzt werden muss,
und wo überhaupt kein Grund vorliegt, eine merkliche Differenz in
dem Netzhautbilde des einen und des andern Auges (in Bezug auf Be-
grenzung und Helligkeit) anzunehmen. Schielende können es bisweilen
dahin bringen, dass sie doppelt sehen, d. h. auch mit dem abgelenkten
Auge das von dem andern fixirte Object wahrnehmen, aber nur dann,
wenn sie mit der Schärfe der Fixation nachlassen, auf dieselbe Weise,
wie Gesunde doppelt sehen können, sobald sie ihre Aufmerksamkeit
auf Objecte lenken, welche diess- oder jenseits ihres Horopters liegen,
oder wenn sie, wie Böhm*) zuerst gezeigt hat, vor das bessere Auge
ein dunkelfarbiges Glas halten, oder endlich, wenn sie ihre Aufmerk-
samkeit auf ein in der Richtung der Sehachse des schielenden Auges
gelegenes Object zu lenken im Stande sind. Auch nach der Muskel-
durchschneidung sieht man bisweilen bei Fortbestand von wirklichem
Schielen Doppeltsehen auftreten, wenn nämlich die Durchschneidung
insufficient ist, das Auge wohl noch in der frühern Richtung, aber nicht
mehr so stark wie früher abgelenkt erscheint. Dem nach excessiver
Rücklagerung des Muskels entstehenden Doppeltsehen liegt nicht
Schielen zu Grunde, sondern Luscitas (gleichbedeutend mit Muskelinsuf-
ficienz). — Das schielende Auge ist nie völlig unthätig, sobald es über-
haupt noch sehfähig ist. Es vermittelt durch indirectes Sehen die Er-
weiterung des Sehfeldes nach der gleichnamigen Seite hin. Ein Schie-
lender hat ein weiteres Gesichtsfeld als ein Einäugiger. Zur Erweite-
rung des Sehfeldes kann natürlich nur die innere Netzhauthälfte des
schielenden Auges dienen, gleichviel ob dasselbe ein- oder auswärts
abgelenkt wird. Man lasse ein Object, z. B. einen Finger auf der
Seite des schielenden Auges allmälig von rückwärts vorrücken; er wird
wahrgenommen noch bevor er in jenen Theil des Gesichtsfeldes vorge-
rückt ist, wo ihn das gesunde Auge sehen kann. — Aus dem Gesagten
erklären sich nun einige interessante Thatsachen der Beobachtung beim
anhaltenden und nicht-alternirenden Schielen. So wie in andern Sinnes-
organen sinkt auch die Energie der Netzhaut durch Mangel an Übung,
und das schielende Auge wird nach lange bestehendem häufigen oder
continuirlichen Ausschluss vom directcn Sehen ambhjopisch. Die Am-
blyopie kann durch methodische und länger fortgesetzte Übung wieder
behoben werden, falls sie nicht schon so lange besteht, dass in der
Netzhaut bereits bleibende Veränderungen (Gewebsumwandlungen) ein-
*) Das Schielen und der Sehnenschnitt in seinen Wirkungen auf Stellung und Sehkraft der Augen,
Berlin, 1S55.
Schielen — Kennzeichen. 301
getreten sind. Für die Netzhaut ist aber nicht bloss das directe, son-
dern auch das indirecte Sehen eine, wenn gleich ungenügende Übung.
Daher versinkt jdne Partie der innern Netzhauthälfte, welche zu indi-
rectem Sehen verwendet wird, nicht in so bedeutenden Torpor; daher
kommt es bei inveterirten und aus früher Jugend datirenden Fällen,
dass ein solches Auge — nach Yerdeckung de,s gesunden — nicht mit
der Mac. lutea, sondern mit einer einwärts von derselben liegenden
Stelle dem Objecte, das gesehen werden soll, zugewendet wird. —
Diese Thatsache gibt uns auch Aufschluss über das Verhalten des
schielenden Auges beim gemeinschaftlichen Sehacte. Wenn man näm-
lich bei inveterirtem Einwärtsschielen findet, dass eine von der Macula
lutea einwärts gelegene Netzhautstelle noch die relativ grösste Empfind-
lichkeit bewahrt hat, und desshalb dem zu sehenden Objecte gegenüber
gestellt werden nmss, so könnte man meinen, das Einfallen des Lichtes
von den Objecten des directen Sehens, die Formation von Bildern der
Objecte des directen Sehens auf dieser Stelle sei es, welche derselben
diese überwiegende Empfänglichkeit bewahrt habe, weil eben diese
Partie beim Einwärtsschielen am meisten angeregt, in Thätigkeit er-
halten werde. Dem kann aber nicht so sein, weil auch bei inveterir-
tem Auswärtsschielen, wo eine von der Mac. lutea auswärts gelegene
Stelle in derselben Lage zu den direct gesehenen Objecten sein musste,
dennoch die relativ grösste Empfänglichkeit der Netzhaut gleichfalls
an einer einwärts von der Mac. lutea gelegenen Stelle erscheint, und
ein solches Auge, wie Böhm zuerst hervorgehoben hat, wenn es bei
Verschluss des andern ein Object fixiren soll, jene einwärts gelegene Stelle
dem Objecte zuwendet. Es ist einleuchtend, dass der Grund hievon
nur darin liegen kann, dass auch beim Auswärtsschielen eine von der
Mac. lutea einwärts gelegene Stelle es ist, ivelche fungirt, d. h. welche
das indirecte Sehen nach der betreffenden Seite hin, i. e. die Erweite-
rung des Sehfeldes vermittelt. Das schielende Auge, in Bezug auf die
Objecte des directen Sehens völlig unthätig, fungirt also nur mit einer
kleinen Partie der innern Netzhauthälfte , mit jener nämlich, welche
jenem Theile des gesammten Gesichtsfeldes gegenüberliegen, der von
dem schielenden Auge allein beherrscht werden kann. Dieser Theil
des Sehfeldes liegt natürlich in der gleichnamigen Hälfte des Gesichts-
feldes, beginnt von der Medianebene bald mehr bald weniger entfernt,
je nach der Höhe des Nasenrückens (der Grenze für das Sehfeld des
gesunden Augesj und erstreckt sich von da auswärts. Demnach hat
der Einwärtsschielende ein kleineres, der Auswärtsschielende ein grösseres
Gesichtsfeld als der Nichtschielende. Beim Nichtschielenden zerfällt das
302 Augenmuskeln.
Gesichtsfeld in drei Regionen, eine mittlere grösste, die von beiden
Augen zugleich beherrscht wird (gemeinschaftliches Sehfeld), und zwei
kleinere seitliche, deren jede nur dem betreffenden Auge allein ange-
hört. Beim Schielenden fungirt das abgelenkte Auge bloss in der ihm
allein angehörenden Region. Merkwürdig bleibt hiebei, dass beim
Schielenden für diese Region eine andere Netzhautpartie fungirt, als
beim Nichtschielenden, und zwar beim Einwärtsschielen eine relativ zum
Gesunden weiter vorn, beim Ausswärtsschielen eine relativ weiter hinten
(gegen die Mac. lutea hin) gelegene, dass aber trotzdem eine Beirrung
der Orientirung im Gesichtsfelde nicht beobachtet wird. Hält man
einem mit dem linken Auge continuirlich einwärts Schielenden ein
Object in der Mitte des Gesichtsfeldes gegenüber, so sieht er es ein-
fach, und zwar mit dem rechten Auge; geht man nun mit dem Object
in der linken Hälfte des Gesichtsfeldes weiter und weiter von der
Medianebene seitlich ab, bis endlich das rechte Auge durch den Nasen-
rücken vom Sehen ausgeschlossen wird, so wird das Wahrnehmen des
Objectes nicht unterbrochen, sondern durch indirectes Sehen des schie-
lenden Augen vermittelt. Wo das eine Auge aufhört, fängt das andere
an, und bei stetigem Fortschreiten des Objectes erfolgt auch die Wahr-
nehmung stetig ohne Absatz oder Sprung, ohne Beirrung in der Orien-
tirung im Gesichtsfelde. Ist die Sehkraft des schielenden Auges nicht
sehr gesunken, so tritt in dem Momente, wo das gesunde wegen des
Nasenrückens nicht mehr fisiren kann, plötzlich eine Veränderung in
der Stellung beider Augen ein; das gesunde flieht in den innern Winkel,
das früher schielende stellt sich, so lange es noch möglich ist, in die
Visio directa, bis endlich, bei noch weiter gehender seitlicher Ablenkung
des Objectes, auch mit diesem Auge nur noch eine immer schwächer
werdende Wahrnehmung des Objectes möglich wird. .
Das Sinken der Sehkraft des schielenden Auges erfolgt in sehr
vielen Fällen, die man als nicht-alternirende bezeichnen muss, lange
nicht in so hohem Grade, als es nach dem Gesagten geschehen sollte.
Der Grund davon liegt darin, dass das Auge, welches jedesmal abge-
lenkt wird, so oft es sich um genaues Erkennen handelt, beim gewöhn-
lichen Sehen noch mehr weniger oft zum directen Sehen benützt wird,
d. h. dass der Kranke unter Umständen sich des in Rede stehenden
Auges bedient, während er das bessere ablenkt. Wenn Objecte, welche
in der betreffenden Hälfte des Gesichtsfeldes so weit seitlich liegen,
dass sie nur von dem schielenden Auge wahrgenommen werden können,
die Aufmerksamkeit des Kranken erregen, so muss vermöge des Dran-
ges, dieselben hinreichend deutlich zu sehen, entweder der Kopf so ge-
Schielen — Kennzeichen. 303
dreht werden, dass der Nasenrücken dem andern Auge nicht entgegen-
tritt, oder es muss das betreffende Auge auswärts gerollt, mit der
relativ empfindlichen Stelle dem Objecte zugewendet werden. Da aber
jetzt ein sehr starker Impuls auf den R. externus ausgesendet werden
muss, um den excessiv contrahirten R. internus zu überwinden, und da
ein solcher Impuls nie auf den R. externus allein gehen kann, sondern
immer auch auf den R. internus des andern Auges, so erfährt dieses
gleichfalls einen stärkern Impuls, und das früher gerad stehende Auge
muss jetzt einwärts schielen, so lange, als sich das schielende Auge
in der Visio directa zu behaupten vermag.
Dass diess sich so verhalte, sieht man bei Paresis des R. externus, z. B. des lin-
ken Auges. Hält man den Augen ein Object in der rechten Hälfte des gemeinschaftli-
chen Sehfeldes vor, so verhält sich der Kranke in jeder Beziehung wie ein Gesunder.
Geht man aber in die Medianebene, oder bei sehr geringer Insuffizienz des B. externus
oc. sin. in die linke Hälfte des gemeinschaftlichen Sehfeldes, so entsteht Doppeltsehen,
indem die Cornea des linken Auges nicht genügend auswärts rückt. Verdeckt man nun
das rechte Auge durch Vorschieben der Hand, so wird das afficirte Auge augenblick-
lich so weit auswärts gerollt, dass directes Sehen möglich ist. Der R. externus, bei
Öffnung beider Augen insufficient, erhält jetzt gleichsam Kraft genug, das Auge mit der
Sehachse einzustellen; wenn man aber das rechte Auge hinter der Hand beobachtet, so
findet man, dass es nicht in der Visio directa, sondern nach innen abgelenkt steht, ein-
wärts schielt, und ist der Kranke im Stande, das linke Auge eine Zeit lang in der Visio
directa zu erhalten, so bleibt das rechte in der fehlerhaften Stellung und gibt (bei glei-
cher Sehkraft beider Augen) das schwächere (rechts gelegene) Doppelbild. Das Sen-
sorium commune, um das Object mit dem linken Auge direct zu sehen, sendet auf den
geschwächten äussern Muskel des linken, unwillkürlich aber auch auf den R. internus
des rechten Auges einen stärkern Impuls. Machen Avir dasselbe Experiment in der rech-
ten Gesichtshälfte des Kranken, wo von dem B. externus des linken Auges keine erhöhte
Thätigkeit in Anspruch genommen wird, so tritt in dem verdeckten rechten Auge keine
solche Ablenkung ein.
In den eben erörterten Verhältnissen liegt bei sehr vielen Schielen-
den der Grund , dass sie sich mehr weniger häufig und auf eine mehr
weniger lange Zeit nicht des gesunden, sondern des schielenden Auges
zum directen Sehen bedienen, sobald die Sehkraft dieses letzteren es
gestattet. Ein anderer Grund liegt darin , dass das gesunde Auge bei
vielen Schielenden ob der excessiven Contraction des gleichnamigen
Muskels nur mit Anstrengung in der zum directen Sehen nöthigen Stel-
lung erhalten werden kann, daher das directe Sehen wegen Ermüdung
des Antagonisten zeitweilig aufgeben, und seine Rolle auf einige Zeit
dem andern Auge, falls diess hiezu tauglich ist, überlassen muss. Al-
lerdings wird, wenn der Kranke eine beliebige Stellung zum Objecte
annehmen kann, der Antagonist des excessiv contrahirten Muskels
304 Augenmuskeln.
unterstützt durch die Drehung des Kopfes; doch ist auch diese Aus-
hilfe nicht unbeschränkt, namentlich da, wo das Object nicht beliebig
gestellt werden kann. Von der Kichtigkeit des Gesagten kann man
sich leicht überzeugen, wenn man einen Schielenden zwingt, bei streng
normal gehaltenem Kopfe einem Objecte gerade in der Median ebene
oder in der dem gesunden Auge entsprechenden Hälfte des Gesichts-
feldes durch längere Zeit seine Aufmerksamkeit zu widmen. Ein
drittes, im Ganzen seltenes Moment zum Vertauschen der Rolle des
directen Sehens liegt in der Ungleichheit des Refractionszustandes der
beiden Augen, welche, wie wir weiterhin sehen werden, entweder
schon vor dem Schielen bestand, und als Ursache desselben zu betrach-
ten sein kann, aber auch oft genug erst in Folge des Schielens ent-
steht oder doch durch dasselbe vermehrt wird. Hier wirkt dann die
Distanz des Gegenstandes der Aufmerksamkeit, nicht seine Lage in der
rechten oder linken Hälfte des Gesichtsfeldes, massgebend.
Über das Accommodationsvermögen des schielenden Auges kann ich nicht viel Po-
sitives angeben, da ich auf diesen Punkt in früherer Zeit nicht genug aufmerksam war.
Aus dem über das Verhalten beim gemeinschaftlichen Sehacte Gesagten ergibt sich, dass
sich das Accommodationsvermögen bei verschiedenen Individuen verschieden verhalten
werde. Im Allgemeinen lässt sich wohl sagen, dass mit der Abnahme der Sehkraft des
schielenden Auges wegen mangelhafter Übung auch die Accommodationskraft allmälig
erlahme. Wenn man behauptet, in Folge von Strabismus convergens entwickle sich My-
opie, in Folge von Strab. divergens Presbyopie, so habe ich dagegen nur zu erinnern,
dass ich bestimmte Beobachtungen habe, wo auswärts Schielende auf beiden Augen kurz-
sichtig waren (ohne Trübung der durchsichtigen Medien). Böhm, welcher dem Verhalten
des schielenden Auges in Bezug auf den Refractionszustand zuerst besondere Aufmerksam-
keit gewidmet hat, hat sich durch das Verhalten solcher Augen zu Convexgläsern zu der
unhaltbaren Ansicht verleiten lassen, dass das schielende Auge presbyopisch sei, nicht be-
denkend, wie A. v. Gräfe bemerkt, dass solche Augen schon wegen der gesunkenen Ener-
gie der Netzhaut durch Convexgläser im Erkennen naher Gegenstände unterstützt werden
können. Nicht die Stellung des Auges ist es, welche den Refractionszustand des abge-
lenkten Auges ändern kann, sondern nur die Art und Weise, wie dasselbe noch von Zeit
zu Zeit gebraucht wird. Dass Differenz in der Sehweite beider Augen auch ohne Strabis-
mus und bloss in Folge fehlerhafter Verwendung des einen und des andern vorkommt,
ist ein eben nicht seltener Fall. — Auch über den Einfluss des Schielens auf die Accom-
modationsthätigkeit des andern, für gewöhnlich nicht schielenden Auges, erlaube ich mir
kein bestimmtes Urtheil, obwohl einige Beobachtungen dafür sprechen, dass ein solcher
Einfluss — wenigstens in manchen Fällen — bestehe.
Ätiologie. Die Entstehung des Schielens fällt meistens in das Kin-
des- und Knabenalter. Angeboren kann man höchstens die Ursache,
z. B. Sehschwache, nicht aber das Schielen selbst nennen; es kann erst
während oder nach der Regelung der assoeiirten und aecommodativen
Bewegungen, also wohl nicht leicht vor der zweiten Hälfte des ersten
Schielen — Ursachen. 305
Lebensjahres in Erscheinung treten. Seltener entwickelt sich Schielen
im Jünglings-, Mannes- oder Greisenalter. — Die Veranlassungen zum
Schielen sind mannigfaltig. Wir theilen sie (mit Guerifi)*) in solche,
welche zunächst die Muskeln treffen, und in solche, welche vom Auge,
von Hindernissen in der Function desselben ausgehen, und unterschei-
den in diesem Sinne Str. muscularis und Str. opticus. Der Umstand,
dass das durch längere Zeit constant oder vorwaltend häufig abgelenkte
Auge an Sehkraft einbüsst, macht in vielen Fällen die Entscheidung der
Frage schwierig, in einzelnen selbst unmöglich, ob das abgelenkte Auge
schon vorher functionsuntüchtig war, zumal von den Kranken als Ent-
stehungsursache oft rein zufällige oder unwesentliche Momente bezeich-
net zu werden pflegen.
Strabismus opticus. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt die Ablen-
kung des einen Auges desshalb, weil dasselbe dem andern in der Seh-
kraft oder Sehweite beträchtlich nachsteht, und das bessere Auge in
seiner Function beirrt. Dieser Fall kann eintreten bei massigen Trü-
bungen der durchsichtigen Medien, bei Amblyopie, bei relativer Kurz-
oder Weitsichtigkeit des einen Auges. Wenn unter solchen Umständen
das eine Auge einen deutlichen, das andere einen undeutlichen Ein-
druck auf das Sensorium commune liefert, fällt der Gesammteindruck
geringer aus, als der des bessern Auges allein. Vergl. Hornhauttrü-
bungen, B. I. S. 259 — 265. Das schwächere Auge wird im Dienste
des gemeinschaftlichen Sehactes abgelenkt, um dem bessern allein das
Sehen zu überlassen. Man muss annehmen, dass die active Ablenkung
zur Erleichterung der Unterdrückung des schwächeren Eindruckes diene.
Offenbar wird der Eindruck, den das von dem bessern Auge fixirte
Object in dem schwächern Auge hervorrufen kann, vermöge der Ab-
lenkung des Bildes auf eine excentrische, mithin stumpfere Netzhaut-
partie mehr weniger abgeschwächt, so dass es schon aus diesem Grunde
leichter wird, von ihm zu abstrahiren. Es muss aber dem Acte der
Ablenkung noch ein anderer directer Einfluss auf die Unterdrückung
der Wahrnehmung zugeschrieben werden. Denn wir sehen, dass bei
passiver Ablenkung fluscitasj das Doppelbild sich dennoch dem Kran-
ken aufdrängt, trotzdem das betreffende Netzhautbild auf eine sehr weit
gegen die Peripherie hin gelegene Stelle fällt, und dass selbst bei Mo-
nate langer Dauer dieses Zustandes das Abstrahiren von dem Doppel-
bilde nicht gelingt; hingegen finden wir Fälle von Schielen, wo der
Eindruck in dem schielenden Auge vermöge der Beschaffenheit der
durchsichtigen Medien, der allgemeinen Energie der Netzhaut und ver-
*) Gaz. me"d. de Paris, 1841, Nr. 6.
Arlt Augenheilkunde. III. 20
306 Augenmuskeln.
möge relativ sehr geringer Excentricität des Netzhautbildes ein sehr
lebhafter, und von dem des andern Auges bezüglich der Intensität nur
wenig verschiedener sein müsste, aber trotzdem — ohne besondere
Hilfsmittel — nicht wahrgenommen wird. Bei den nach oben oder unten
Schielenden beträgt die Ablenkung äusserst wenig, nach dem relativen
Stande der Pupille höchstens V" , mehr schon (1 — 3"') bei den aus-
wärts Schielenden; die höchsten Grade von Ablenkung kommen beim
Einwärtsschielen vor. Auch dieser Umstand zeigt, dass der Grad der
Ablenkung allein nicht das Massgebende für die Unterdrückung der
Wahrnehmung sei. Die Annahme, dass der Sehnerv geknickt oder
gedrückt und hiedurch die Unterdrückung des Doppelbildes vermittelt
werde, ist durch gar nichts erwiesen, hat sogar von Seite der Ana-
tomie und Physiologie entschiedene Gründe gegen sich. Wenn wir
auch nicht angeben können, auf welche Weise es geschehe, dass mit
der activen Ablenkung die Unterdrückung des Doppelbildes ipso actu
zu Stande kommt, so darf uns das doch nicht bestimmen, die That-
sache selbst in Zweifel zu ziehen, oder sogar uns vorzuspiegeln, die
Schielenden sähen, wenigstens Anfangs, doppelt. Es ist wahr, der Arzt
ist im Stande, den Schielenden unter Verhältnisse zu bringen, wo es
sich durch die Wahrnehmung des Kranken bestätigt, dass beide Netz-
häute ein Bild von je einem Objecte erhalten, i. e. wo Schielende dop-
pelt sehen, gleichwie eines und das andere dieser Verhältnisse und hie-
mit auch Doppeltsehen dem Schielenden bisweilen vom Zufalle dargeboten
werden. Aber man verdrehe doch die Thatsachen nicht, indem man
behauptet, der Schielende sehe unter allen Umständen doppelt, müsse
doppelt sehen, falls er darauf achte, und es könne demnach auch ein
Auge nie zu dem Behufe der Förderung des gemeinschaftlichen Seh-
actes abgelenkt werden, weil sonst Doppeltsehen, mithin noch ärgere
Sehstörung eintreten müsste. Eine solche Argumentation kann man
höchstens jenen vorhalten, welche noch nicht Gelegenheit hatten, Schie-
len so zu sagen unter ihren Augen entstehen zu sehen. — Wenn man
eine grössere Zahl von Schielenden genau untersucht, so fällt schon
das auf, dass relativ viele noch Hornhauttrübungen darbieten, und dass
auch unter den übrigen noch einige sind, bei denen es, wo nicht ge-
wiss, so doch höchst wahrscheinlich ist, dass sie früher an leichten
Hornhauttrübungen litten. Diesem Ergebnisse lässt sich allerdings ent-
gegenhalten, dass viele Individuen mit ein- oder beiderseitigen Horn-
hauttrübungen nicht schielen. Hier kommen aber mehrere Umstände
in Erwägung zu ziehen. Erstens finden wir oft ein erstaunlich gutes
Gesicht bei Hornhautflecken, welche andern, ganz gewiss störenden,
Schielen — Ursachen. 307
ganz ähnlich sehen. Zweitens kann eine Trübung so stark sein, dass
sie aufhört, eine Störung für die Function des andern Auges zu setzen.
Je stärker die Trübung, desto schwächer die Wahrnehmung, desto ge-
ringer also auch die Störung für die Function des andern Auges. Viele
Trübungen sind Anfangs so in- und extensiv, dass sie gar keine oder
nur sehr schwache Wahrnehmungen zu Stande kommen lassen; werden
sie auch mit der Zeit kleiner und dünner, so geschieht diess so all-
mälig, dass das Auge längst vom gemeinschaftlichen Gebrauche aus-
geschlossen und amblyopisck geworden sein kann, wenn endlich die
Cornea die Theilnahme am Sehen wieder gestatten würde. Andrerseits
ist nicht zu übersehen, dass bei Schielenden mit bedeutender, selbst un-
durchsichtiger und ausgedehnter Hornhauttrübung das Schielen trotz-
dem von der Hornhaut aus veranlasst worden sein kann, indem Anfangs
nur leichte Trübung oder Facettirung durch längere Zeit bestand. Drit-
tens muss die Beschäftigung, die Gebrauchsweise der Augen während
der ersten Zeit des Bestandes solcher halbdurchsichtiger Trübungen be-
rücksichtigt werden. Es ist klar, dass sie nur dann störend auf die
Function des andern Auges einwirken, wenn sich's um deutliches Er-
kennen feiner oder aber entfernter Objecte handelt. Desshalb kommt
auch Schielen im 1. Lebensjahre so selten vor, und auch da nur in der
2. Hälfte. Desshalb schielen auch Viele nur dann, wenn sie etwas ge-
nauer sehen wollen, besonders in der ersten Zeit. Desshalb kann man
auch in solchen Fällen die Entwicklung oder doch das Bleibendwerden
des Schielens verhindern, wenn man die Kinder fleissig in's Freie
bringen, nicht mit winzigen Sachen spielen, nicht lesen lernen u. s. w.
lässt, bis solche Trübungen behoben oder bis die Sehachsen zu einan-
der in ein festeres Verhältniss getreten sind. Denn es ist viertens nicht
zu verkennen, dass dieselbe Veranlassung bei Erwachsenen nicht so
leicht zum Schielen führt, als bei Kindern. Es ist bekannt, dass Kinder
leichter willkürlich schielen können, als Erwachsene. Gleichwie dem
Willen, ist später auch der von der Netzhaut und dem Sensorium com-
mune angeregten Beflexthätigkeit ein geringerer Einfluss auf die Ab-
änderung in der Stellung der Augen zu einander gestattet. An diese
Thatsache schliesst sich auch die analoge an, dass bei Kindern leicht
Schielen durch unwillkürliches Nachahmen zu Stande kommt, was bei
Erwachsenen nicht der Fall ist. Der fünfte Punkt endlich, der hier in
Erwägung zu zielien kommt, ist der, dass die Ablenkung des stören-
den Auges nicht das einzige Hilfsmittel ist, welches dem Organismus
zu Gebote steht, um den störenden Einfluss zu beseitigen, sondern dass
wir auch ganz einfach, von demselben abstrahiren lernen können. Das
20*
308 Augenmuskeln.
schwächere Auge folgt dann dem bessern in allen seinen Bewegungen
entsprechend, nimmt aber doch keine Notiz von dem fixirten Objecte.
Demgemäss gibt es viele Individuen mit ungleicher Sehkraft der Augen,
denen man nicht das Geringste ihres Zustandes anmerkt, welche wohl
selbst auch sich desselben gar nicht bewusst sind, welche aber ganz
gewiss zu feinern Arbeiten, zum genauen und scharfen Sehen, sich nur
des einen Auges bedienen. Hievon kann man sich leicht überzeugen,
wenn man findet, dass sie, während sie z. B. lesen, durch plötzliches
Vorschieben der flachen Hand vor das bessere Auge einen Augenblick
unterbrochen werden, bis sich das schwächere Auge etwas genauer mit
der Sehachse einstellt. Es ist nämlich bei vielen solchen Individuen
das schwächere Auge zwar nicht merklich abgelenkt, aber doch auch
■ — wie die momentane, wenn auch äusserst geringe Änderung seiner
Stellung zeigt, nicht ganz genau mit seiner Sehachse eingestellt, oder,
wie die momentane Unterbrechung im Sehacte zeigt, nicht für dieselbe
Distanz eingerichtet, also wohl am genauem Sehen nicht direct bethei-
ligt gewesen. Wenn man dasselbe Experiment bei Individuen mit völ-
lig oder nahezu gleicher Seh- und Accommodationskraft beider Augen
vornimmt, so bemerkt man nichts von einer solchen momentanen Un-
terbrechung des Sehactes oder von Abänderung in der Stellung des
frei bleibenden Auges. — Dass es unter den Individuen mit ungleicher
Sehkraft und Sehweite beider Augen einige gibt, welche mit dem bes-
sern Auge besser sehen, wenn auch das schwächere geöffnet ist, kann
nicht als Einwurf gegen obige Behauptung dienen. Es ist gewiss, dass
das Sensorium stärker angeregt wird, wenn Licht durch zwei, als wenn
es bloss durch ein Auge einwirkt. Bei sehr grellem Lichte, z. B. Sehen
gegen die untergehende Sonne oder in einen Hochofen, temperiren wir
die Erregung sogar unwillkürlich durch Verschluss des einen Auges.
Wenn wir also finden, dass das Offnen des schwächern Auges das
Sehen des bessern unterstützt, so muss jedenfalls dabei auf den Grad
der Beleuchtung Bücksicht genommen werden, und ist schon a priori
wahrscheinlich, dass es Verhältnisse gibt, wo der Function des bessern
Auges die stärkere Erregung des Sens. commune durch das Einfallen
des Lichtes von dem schwächern Auge her zu Gute kommt. — Bei
all dem bleibt es Thatsache, dass bei weitem die meisten Individuen
mit frischen (noch nicht seit langer Zeit bestehenden) leichten Trü-
bungen der Hornhaut oder der Linse sich über Blendung des gesunden
Auges durch das kranke beklagen; auch bei älteren Trübungen gilt
diess von einer relativ grossen, wenn auch vielleicht nicht von der
Mehrzahl. Blendung durch das diffuse Licht solcher Trübungen kann
Schielen — Ursachen. 309
es nicht sein , denn ganz in derselben Weise beklagen sich auch jene,
deren Sehkraft auf dem einen Auge in Folge von Netzhautleiden ge-
schwächt ist, auch wenn die Amblyopie ohne gesteigerte Empfind-
lichkeit des kranken Auges besteht. — Sind die voranstehenden Sätze
richtig, so ist Schielen sehr häufig die Folge von Trübung der durch-
sichtigen Medien, von Amblyopie oder relativer Kurz- oder Weitsich-
tigkeit des Auges; es ist eine Reflexbewegung , im Dienste des Sehactes
hervorgerufen; das schwächere Auge ivird abgelenkt und hiemil von
der unmittelbaren Beiheiligung am directen Sehen ausgeschlossen, damit
das Sehen mit dem gesunden Auge besser von Stattefi gehen könne.
Die eben aufgestellte Ansicht über die Entstehung des Schielens ist nicht neu. Sie
•wurde der Hauptsache nach bereits von Buffon vertreten. „Nach Buffon*) erzeugt die
Ungleichheit der Augen in 8 Fällen im Durchschnitte dreimal Strabismus. Da alsdann
der Eindruck auf das eine Auge beträchtlich schwächer ist, als auf dem andern, so kann
er leicht gänzlich vernachlässigt werden, und statt dass das schwächere Auge auf die
Gegenstände, welche sich ihm darbieten, fixirt sein sollte, schweift es umher und weicht
von der richtigen Sehachse ab. In manchen Fällen scheint sogar ein instinctmässiges Be-
streben vorhanden zu sein, das schwache Auye noch viel weiter zu verdrehen, und es so
weit nach einwärts unter das obere Augenlid zu wenden, dass es keinen Eindruck mehr
empfangen kann, und dass desshalb das gesunde Auge allein noch Bindrücke aufnimmt."
(Makenzie 1. c. S. 244.) Enthält auch diese Anschauung noch manches Irrthümliche, so
hat sie doch nach unserer Ansicht die Hauptsache angedeutet, nur nicht richtig formulirt.
Was von Makenzie als instinctmässiges Bestreben bezeichnet wird, ist die Zweckmässig-
keit der reflectirten Bewegungen, welche nach uns unbekannten Gesetzen erfolgen, sobald
es sich darum handelt, Hindernisse einer Function zu beseitigen oder möglichst unschäd-
lich zu machen, und welche uns am Auge nicht minder in Staunen zu versetzen im
Stande sind, wie in andern Organen. Ich sah einen Kranken, dem linkerseits das obere
Lid fehlte, jedesmal beim Lidschluss den linken Bulbus abwärts rollen und die Hornhaut
unter dem untern Lide bergen, während das rechte Auge mit normalen Lidern sich ganz
normal verhielt, i. e. beim Lidschluss sich mit der Pupille nach oben — innen stellte.
Diese gegen alle Gewohnheit vorkommende Rollung, noch dazu der des andern Bulbus
entgegengesetzt, die kein Mensch sonst zu Stande bringen würde : sie war unwillkürlich
erfolgt, sei es, um dem Lichte den Zutritt während des Schlafes zu wehren, oder um
beim Lidschlage die Cornea rein zu fegen und zu. benetzen, und somit vor Trübung und
Zerstörung zu sichern. Es ist diess derselbe Kranke, den ich zur Auffangung des Se-
cretes der Thränendrüse — ohne Beimischung von Bindehautsecret — benützt habe, und
dessen ich bei den Krankheiten der Thränenorgane noch gedenken werde. Einen ähnli-
chen Fall erzählt A. v. Gräfe (im Archive für Ophthalmologie I. II. Abth. B. S. 290).
— Ich bekam diese Tage zufällig Gelegenheit, einen Mann zu untersuchen, welcher mich
durch die Zweckmässigkeit reflectirter Bewegungen der untem Lider in Staunen versetzte.
Er hatte in früher Jugend an Augenentzündungen gelitten, und bot in Folge derselben
auf beiden Augen leichte Hornhauttrübungen dar, welche meine Aufmerksamkeit erregten,
*)_ Dissertation sur la cause du strabisme. Memoires de l'academie des sciences pour 1743. Amster-
dam 1743.
310 Augenmuskeln.
als er mir einen Kranken vorführte. Die Trübungen waren halb durchsichtig und be-
deckten beiderseits ohngefähr die untere Hälfte der 1 '/u — 2'" grossen Pupillen. Meine
Frage, wie er sehe, beantwortete er damit, dass er, bereits 45 Jahre alt, noch
immer gut zeichnen und graviren könne, und auch so ziemlich in die Ferne sehe. Als
ich nun Sehproben mit den Jag er 'sehen Schriftnmstern Tornahm, und ihn zu immer
feineren Drucksorten übergehen Hess, erhob er die untern Lider so weit in die Höhe,
dass sie die Trübung fast ganz verdeckten, was besonders dann auffiel, wenn er das Buch
über der Horizontalen halten musste. "Was sonst kein Mensch bei allem Aufwände von
Fleiss und Anstrengung zu bewirken im Stande sein würde, war hier im Dienste des
Sehactes, um die Blendung durch die Hornhauttrübungen zu beseitigen, von selbst ein-
getreten. — In neuerer Zeit hat besonders Böhm auf eine sehr einleuchtende Weise nach-
gewiesen, dass die Ungleichheit des Eindruckes, i. e. die Störung der Function des bes-
sern Auges durch das schwächere es ist, welche die Ablenkung des schwächeren Auges
bedingt, indem er zeigte, dass durch Vorhalten eines entsprechend getrübten (blauen)
Planglases vor das gesunde Auge, also gleichsam durch Ausgleichung der Sehkraft beider
Augen das Schielen behoben werden kann, wenn die consecutive Muskelerkrankung noch
nicht weit gediehen ist. Bekanntlich hatte Buffon zu demselben Zwecke ein Convex-
oder Concavglas vor dem gesunden Auge tragen zu lassen empfohlen.
Die Ablenkung des schwächern Auges von dem Gegenstande, welchen das stärkere
flxirt, ist zunächst nur eine gegen die gewöhnlichen Gesetze der Muskelthätigkeit auf-
tretende Reflexaction. Sie erfolgt vorerst nur dann, wenn es sich um Erreichung des
Zweckes handelt, tritt aber späterhin meistens permanent auf, d. h. auch dann, wenn sie
nicht nothwendig wäre. Sie erfolgt nach jener Richtung, wo der Zweck am leichtesten
erreicht wird. Fast alle Fälle von Str. opticus, welche aus früher Jugend datiren, zeigen
Convergenz, die später entstandenen (namentlich bei Erwachsenen) dagegen Divergenz,
ausser die von Sehstörung des einen Auges Befallenen sind kurzsichtig oder beschäftigen
sich vorwaltend mit der Betrachtung naher Objecte. Dass das divergirende Schielen eines
cataraetös oder amblyopisch werdenden Auges aus einer Art Vernachlässigung, aus einem
gewissen Gehenlassen des schwächern Auges hervorgehen könne, halte ich für unwahr-
scheinlich. Die Kranken müssten eine Zeit lang doppelt sehen, wovon selbst Aufmerk-
same und Verständige nichts bemerken. Zwischen dem Blick eines Schielenden und eines
Cataractösen oder Amaurotischen ist ein grosser Unterschied. "Wenn letztere nicht fixi-
ren können, in's Unbestimmte hinausstarren, und daher die Sehachsen in keinem Punkte
zur Kreuzung bringen, so ist diess noch kein Schielen. Leute, welche beiderseits Cata-
racta oder Amaurosis darbieten, können trotzdem noch die Sehachsen in dem eigenen
Finger, in verschiedenen Entfernungen vorgehalten, sich kreuzen lassen, was Schielende
nicht vermögen. Man kann nur dann sagen, ein unilateral Cataractöser oder Amblyopi-
scher schiele, wenn das gesunde Auge abgelenkt wird, sobald dasselbe durch die vorge-
schobene Hand verdeckt und somit das an Amblyopie oder unvollständiger Cataracta lei-
dende Auge gezwungen wird, sich dem Sehobjecte gerade gegenüber zu stellen. — Dass
nur gewisse Grade von Schwäche des einen Auges zu Strabismus führen, hat schon Ma-
kenzie (1. c. S. 243) bemerkt. „Die häufigste Ursache von Strabismus scheint unvollkom-
menes Gesicht (wegen Kurzsichtigkeit oder wegen eines angeborenen Fehlers der Retina)
zu sein. Das verdrehte Auge steht fast in jedem Fall an Reizempfänglichkeit dem andern
beträchtlich nach. Ich bediene mich des Wortes beträchtlich, weil man viele Individuen
trifft, deren Augen nur etwas ungleich sind, und die nicht schielen, dagegen auch wieder
andere, welche von Geburt an eine vollständige, oder fast vollständige Amaurosis des
Schielen — Ursachen — Beispiele. 311
einen Auges gehabt haben, und doch ganz frei ron Strabismus sind." In dem einen Falle
ist die Differenz in der Erregung zu gering, in dem andern zu bedeutend, als dass sich
die schwächere neben der stärkern geltend machen könnte. Man sieht aber leicht ein,
dass es hiebei auch auf die Verwendung der Augen ankommt. So lange nicht scharfe
Bilder gefordert werden, gibt die schwächere Erregung keinen Grund zur Ablenkung, ja
es kann das Schielen sogar auf Kosten der Deutlichkeit noch vermieden werden, wenn
nicht bereits habituelle Contraction oder förmliche Contractur des ablenkenden Muskels
eingetreten ist. — Sehr geeignet, dieses Verhältniss klar darzustellen, sind Fälle von
Schielen, wo das eine Auge merklich kurz-, das andere weitsichtig ist. Solche Individuen
lenken beim Betrachten naher Gegenstände, z. B. beim Lesen das weit-, beim Blick in
die Ferne dagegen das kurzsichtige Auge ab. Die Ablenkung erfolgt bei der Mehrzahl
nach innen, seltener nach aussen, vielleicht desshalb, weil der Zustand meistens aus früher
Jugend datirt. Es giebt aber darunter einige, welche bei mittleren Distanzen nicht schie-
len, sondern beide Augen richtig einstellen und zugleich zum Fixiren verwenden. Sehr
bestimmt konnte ich mich von diesem Vorkommen bei einem Mitschüler überzeugen, den
ich vom Gymnasium her als einwärts schielend kannte. Ich traf ihn zu einer Zeit, wo
ich mich ganz besonders für die Schieloperation interessirte, auf der Gasse, und meinte
während der Unterredung mit ihm, er habe sich operiren lassen, denn er bot keine Spur
von Schielen dar. Er war aber über meine Frage verwundert, und erklärte mir, dass er
noch immer schiele, aber nur manchmal. Sehproben an nahen und fernen Objecten stell-
ten nun klar heraus, dass er nur beim Sehen auf Objecte von mittlerer Entfernung nicht
schielte, dagegen schielen musste, wenn er den Stand der Zeiger auf meiner Taschen-
oder auf der gerade in der Nähe befindlichen Thurmuhr angeben sollte, u. dgl. Weitere
Versuche ergaben, dass das eine Auge massig kurz-, das andere weitsichtig war. — Zur
weitem Erörterung und Nachweisung der vorstehenden Behauptungen mögen noch fol-
gende Beobachtungen dienen.
Ein Mädchen, das ich zufällig traf, klagte, dass ihr beim Nähen oder Lesen die
Augen leicht ermüden, so dass sie niemals lange arbeiten könne ; wolle sie aber einen
feineren Druck lesen, oder z. B. eine Nadel einfädeln, so müsse sie schielen, das rechte
Auge nach innen ablenken, obwohl sie ausserdem einen ganz geraden Blick hat. Sie
konnte in meiner Gegenwart auch mit richtig gestellten Augen mittlem Druck (['" hoch)
lesen : dabei verwirrten sich ihr aber die Buchstaben bald durch einander, so dass sie
entweder aufhören oder das rechte Auge ablenken musste. "Während sie auf dem linken
Auge sich einer sehr guten Sehkraft erfreut, vermag sie mit dem rechten allein nur
einen 2'" hohen Druck zu lesen. Sie ist weder kurz- noch weitsichtig ; man bemerkt sonst
nichts Abnormes an ihren Augen; über die Entstehung weiss sie nichts Verlässliches an-
zugeben, da das Übel seit früher Jugend besteht.
Th. R. wurde 1842 von mir an Strab. converg. oc. sin. operirt, und durch die
Durchschneidung beider Recti interni so geheilt, dass die Augen ihre normale Beweglich-
keit behielten und bei allen Richtungen gehörig standen. Aber sie vermochte Monate
lang nicht anhaltend zu nähen oder zu lesen, die Augen fingen an zu thränen, die Buch-
staben verwirrten sich, und in der Supraorbitalgegend traten drückende Schmerzen ein.
Später verlor sich diess, aber die Kranke sah manchmal entfernte Gegenstände doppelt,
und die Mutter bemerkte, dass das Mädchen beim Arbeiten wieder etwas schielte. Die
"Untersuchung ergab, dass sie bald ein- bald auswärts schielte, und zwar mit dem linken
Auge, an dessen Cornea ich jetzt eine leichte Trübung vor der Pupille (die Folge einer
scrofulösen Augenentzündung) bemerkte. "Wenn sie einen entfernten Gegenstand genauer
312 Augenmuskeln.
sehen wollte, erschien das mattere Bild links, beim Betrachten eines nahen Objectes da-
gegen rechts; für gewöhnlich aber, wenn man mit ihr sprach, schielte sie nicht.
Ein Candidat der Medicin, auf dem rechten Auge kurz-, auf dem linken weitsichtig,
und dem gemäss alternirend auswärts schielend, war desswegen von einem Arzte operirt
worden, doch ohne Erfolg. Ich rieth ihm die Sehweite durch entsprechende Gläser für
mittlere Distanzen auszugleichen und dann sich zu bemühen, mit beiden Augen die Ob-
ecte zu fixiren (nach Jurins Methode — s. weiter unten). Durch Beharrlichkeit hierin
hatte er es nach mehreren Monaten so weit gebracht, dass er mit beiden Augen zugleich
lesen konnte, aber er sah dann nicht so gut, als wenn er eines der Augen allein be-
nutzte und das andere ein wenig (kaum merklich) abweichen Hess. Am 26. März 1843,
anderthalb Jahre nach der Operation, notirte ich folgenden Zustand. Die Differenz in
der Sehweite scheint geringer zu sein, als früher. (Ich habe leider weder die Nahe- und
Fern punkte, noch die Brennweiten der Gläser verzeichnet.) „Lasse ich ihn die Augen-
gläser ablegen, die er seit Ertheilung meines Rathes auf der Gasse zu tragen pflegt, so
kann er in der Entfernung von 8" Druck von nicht ganz \'" Höhe nicht lesen, so lange
er (wie ich sehe und er selbst angibt) die Sehachsen im Objecte sich kreuzen lässt; er
kann aber sogleich lesen, wenn er entweder die linke Pupille etwas über IV2'" aus-
wärts ablenkt oder aber die rechte beiläufig tfc'". Liest er mit dem linken Auge, so
sieht er viel deutlicher, wenn er das rechte Auge circa \ljz'", als wenn er es nur et-
wa 1li'" ablenkt ; bei dieser Ablenkung geht die rechte Pupille nach aussen — oben. Zur
Fixirung ferner Gegenstände kann nur das linke Auge verwendet werden, indem dabej
das rechte jederzeit noch um beiläufig lk'" auswärts gelenkt wird. Wird aber vor das
rechte Auge ein Concavglas (von 16 — 20") vorgehalten, so kann er mit diesem Auge auch
ferne Objecte fixiren, muss aber, um sie deutlich zu sehen, das linke noch gegen '/a'"
ablenken; mit beiden Augen zugleich kann er ferne Gegenstände auch bei Armirung
des rechten mit dem Concavglase nicht deutlich sehen." Bei einer spätem Untersuchung
machte derselbe die Bemerkung, dass, wenn er eine Zeit lang mit beiden Augen zugleich
gelesen, was er nur mit Anstrengung und auf Kosten der Deutlichkeit konnte, zunächst
neben dem wahren Bilde ein Schattenbild auftrete, welches erst langsam, dann aber mit
beschleunigter Geschwindigkeit wegrückt, um endlich plötzlich zu verschwinden ; nun
wusste er, dass er wieder schiele, indem er wieder ganz deutlich — mit dem linken Auge
allein sah. Die Geschwindigkeit des Auseinanderweichens der Doppelbilder verglich er
mit der Geschwindigkeit der Annäherang einer Luftblase auf einer Flüssigkeit nahe am
Rande des Gefässes, die sich erst ganz allmälig, dann aber in raschem Fluge demselben
nähert und verschwindet. Sobald er die dem Schielen entgegenstrebende Anstrengung
aufgeben musste, verschwand die Undeutlichkeit imd ein Moment darauf das Doppelbild.
Am 8. Juni 1841 operirte ich einen Candidaten der Rechtswissenschaften*) wegen
Strab. converg. des linken Auges, mit welchem er kleineren Druck nicht lesen konnte
Die Ablenkung betrug gegen 3'"; er war etwas kurzsichtig und schielte, 'gleich einer
Schwester, ohne bekannte Veranlassung von Jugend auf. Die Muskeldurchschneidung
wurde beiderseits vorgenommen, am linken Auge mit etwas stärkerer Lösung. Unmittel-
bar darauf entstand leichte Divergenz; der Kranke sah rechts vor dem vorgehaltenen
Objecte ein zweites minder deutliches, dem linken Auge angehörend. Nach Vernarbung
der Wunden wich das linke Auge sogar wieder ein wenig einwärts ab. Fleissige Übung
*■) Beiträge zur Lehre vorn Schielen und dessen Heilung durch den Muskelschnitt von Dr. Arlt, med^
Jahrb. des österr. Staates, 1842. 1., 2., 3. Heft.
Schielen — Ursachen — Beispiele. 313
im Fernsehen behob diesen Übelstand in Kurzem. Ende Juni waren die Wunden ganz
vernarbt, die Beweglichkeit und Stellung beider Augen ganz normal ; nur zu lesen ver-
mochte der Pat. noch nicht mit beiden Augen, weil ihm immer über der wahren eine
Schattenzeile schwebte, welche jene zum Theil verdeckte. Ich rieth dem Kranken aufs
Land zu gehen, viel in die Ferne zu schauen, und vorzugsweise das linke Auge zu üben.
Anfang August fand ich eine geringe Abweichung des rechten Auges nach aussen, aber
nur dann, wenn der Pat. mit dem linken deutlich sehen wollte; hingegen stellte sich das
linke etwas einwärts, wenn das rechte einen feinern Gegenstand fixirte ; geschah das Fi-
xiren mit beiden Augen — was dem Pat. bei einiger Bemühung möglich — so war der
Gesammteindruck weniger deutlich wegen eines über und neben, und zum Theil auch auf
dem deutlichen Bilde schwebenden Schattenbildes. Die linke Pupille stand ein wenig
höher, als die rechte (das Schielen hatte eigentlich nach innen — oben stattgefunden);
die Augen waren nach allen Seiten frei beweglich und die Sehkraft des linken um Vieles
verbessert. Anfang März 1843 notirte ich folgenden Befund.*) Im gewöhnlichen Zu-
stande erkennt man jetzt an der relativen Stellung der Augen kein Schielen, aber man
muss wenigstens einen geringen Grad supponiren, weil er doppelt sieht, und zwar er-
scheint das mattere, dem linken Auge angehörende Bild rechts von dem deutlichen (also
Divergenz des linken Auges). Der Kranke wird aber von demselben jetzt nicht mehr
belästigt, wenigstens im Arbeiten nicht mehr behindert, da er das Schattenbild nur dann
wahrnimmt, wenn er seine Aufmerksamkeit darauf lenkt. Je ferner der fixirte Gegen-
stand liegt, und je weniger der Kranke sich bemüht, denselben genau zu sehen, desto
weiter treten die beiden Bilder auseinander. Bemüht, er sich, einen nahen Gegenstand,
z. B. ein "Wort, eine Ziffer, genau zu sehen, so sieht er auch doppelt, aber dann liegt
das dem linken Auge angehörende Bild links von dem deutlichen (des rechten Auges).
Er zeichnete mir bei diesen Versuchen Folgendes auf: 909090. Liest er die Zahl 90 so,
wie er gewöhnlich zu lesen pflegt, so erscheint noch ein undeutliches 90, ein Schatten-
bild rechts — oben von dem wirklichen ; beim genauem Betrachten aber erscheint es
links — oben, und bei einem mittlem Grade von Anstrengung fällt es auf das deutliche,
doch so, dass es dieses nur zum Theile deckt, indem es bloss etwas höher steht. Beim
Übergänge vom gewöhnlichen zum aufmerksamen Betrachten, wo also das Schattenbild von
rechts nach links rückt, sehe ich — bei unveränderter Lage des Buches — die linke
Pupille deutlich von aussen nach innen rücken. Das Höherstehen des matteren Bildes,
seine Distanz von dem deutlichen in verticaler Pachtung, ist bedeutender, wenn er auf-
wärts gelegene Gegenstände betrachtet, geringer, wenn er nach unten befindliche Objecte
ansieht, wird also durch übermässige Contraction des M. rectus superior bewirkt. Wäre
diese Complication mit Strab. sursum vergens nicht vorhanden, so müsste bei mittlerer
Intention das matte Bild mit dem deutlichen congruiren, mithin die Perception mit bei-
den Augen minder klar und deutlich als mit dem bessern Auge allein sein. Wir sahen
diess in dem vorhergehenden Falle ; wenn sich die Bilder ganz decken, kann sie der
Kranke nicht mehr als zwei, sondern nur als eins wahrnehmen."
Ein Mädchen, bei welchem in Folge acuter Bindehautblennorrhöe ein durchbohren-
des , jedoch ohne Synechie wieder vernarbendes Hornhautgeschwür am rechten Auge
entstanden war, fing an, mit diesem Auge auswärts zu schielen während der Zeit, als
das grösstentheils vor der Pupille sitzende, flacher und rein gewordene, mithin das Ge-
sicht nur wenig störende Geschwür allmälig vernarbte. Wer die Kranke nach vollende-
*) Vergl. Prager Vierteljahrschrift, Band IV. S. 65.
314 Augenmuskeln.
ter Vernarbung sieht, findet die Pupille bis auf einen nacb innen und oben befindlichen
kleinen Theil verdeckt durch eine beinahe ganz undurchsichtige Narbe, zu welcher ein
Flügelfell vom innern Winkel her verläuft. Es gab demnach eine Zeit für diese Kranke,
wo das Sehvermögen des rechten Auges noch nicht so zu sagen aufgehoben war, sondern
noch in einem hohen Grade bestand, mithin störend auf das Gesicht des linken Auges
einwirkte, und desshalb die Ablenkung desselben eine gleichsam instinctmässig herbeige-
führte Abhilfe war; nachdem diese Ablenkung einige Zeit behufs des Deutlichsehens
mit dem andern Auge nothwendig gewesen war , blieb sie stationär auch dann , als die
Trübung intensiv geworden , mithin das Schielen nicht mehr nothwendig war. So wie
in diesem , verhält es sich auch in vielen andern analogen Fällen , namentlich bei all-
mälig entwickelter Cataracta. Andrerseits ist es gewiss, dass Hornhauttrübungen, nament-
lich in früher Jugend entstanden, allmälig geringer werden und selbst verschwinden ; das
Schielen aber, durch dieselben eingeleitet, besteht fort, weil die Muskelcontraction ein-
mal habituell geworden ist.
Ein Schuhmacher wurde von einem Epithelialkrebs nächst dem äussern "Winkel des
linken Auges durch Pasta muriatis zinci geheilt. Die äussere Hälfte des untern Lides
war nun durch die Vernarbung aus- und abwärts gestülpt, die äussere Commissur nach
unten — aussen abgezogen. Der früher ganz gesunde Bulbus wurde in der Folge öfters
von Entzündungen befallen und die Hornhaut in ihrer ganzen Ausdehnung leicht getrübt.
Nach Beseitigung der entzündlichen Zufälle wurde der Kranke aus der Anstalt entlassen,
kam aber bald wieder, weil die Augen bei der Arbeit bald mit Thränen überliefen und
ermüdeten. Es wurde desshalb die Tarsoraphie nach Walther gemacht, das Ectropium
gehoben, und die Commissur schloss wieder an den Bulbus an, nur stand das obere
Lid ein wenig tiefer, als das des rechten Auges. Der Mann kehrte abermals zu seiner
Arbeit zurück , bemerkte aber bald , dass er , wenn er etwas genauer sehen wollte , das
linke Auge zukneipen oder verbinden musste. Eine Zeit läng — wo er viel arbeiten
musste, hatte er das linke Auge bei der Arbeit immer verbunden gehalten; dann aber
fand er, dass diess nicht mehr nöthig sei. Als ich ihm zufällig einmal begegnete, etwa
1/t Jahr nach der Operation, fand ich Strabismus sursum vergens oc. sin. Er hatte also
unwillkürlich das Auge allmälig ein wenig aufwärts unter das obere Lid stellen gelernt,
um mit dem rechten Auge allein zu sehen, und diese, zunächst nur für's Arbeiten er-
forderliche und erspriessliche Stellung blieb nun auch beim gewöhnlichen Sehen. Der
Mann hatte niemals die Erscheinung von Doppeltsehen bemerkt und wusste nicht, dass
er schiele. Ich habe ihn noch durch einige Jahre in diesem Zustande beobachtet.
Ein Candidat der Chirurgie, dem ich wegen Str. divergens oc. dextri amblyopiei
beiderseits den E. externus durchschnitten hatte, wurde längere Zeit als geheilt betrach-
tet, da er nicht schielte. Nach etwa V« Jahre, wo ich ihm mehrmal auf der Gasse be-
gegnete, fiel mir auf, dass er das rechte Auge zuzudrücken pflegte. Er sagte, er thue
es, um die ihm Entgegenkommenden schon aus der Ferne zu erkennen. Genaue Unter-
suchung stellte heraus, dass er nicht kurzsichtig war, und dass ihn das rechte Auge
auch im Erkennen naher Gegenstände , wenn sie etwas feiner waren , hinderte. Ich
munterte ihn auf, sich trotzdem zu bemühen, beide Augen zu gebrauchen, und damit sich
das rechte Auge durch Übung stärke, das linke bisweilen zu verschliessen. Doch fand
ich , etwa V2 Jahr später, Strab. converg. des rechten, noch immer merklich schwächern
Auges. Die Ablenkung nach aussen war wegen starker Rückwärtslagerung des R. ex-
ternus nicht leicht möglich ; des Zukneipens suchte sich der junge Mann zu enthalten :
Schielen — Ursachen. 315
also wurde — zur Beseitigung des störenden Eindruckes — das Auge unbewusst und
unwillkürlich abgelenkt.
Strabismus muscularis. Wir wählen diesen Ausdruck nur, um da-
mit anzudeuten, dass die Veranlassung- zum Schielen nicht von fehler-
hafter Beschaffenheit des Auges selbst ausgeht. Die entfernteren Ur-
sachen sind mannigfaltig, a) Zunächst gehört hieher das willkürliche
oder absichtliche Schielen. Kinder bringen diess bisweilen zu Stande
zur Unterhaltung ihrer Gespielen oder aus Muthwillen, um Schielende
zu verspotten. Leider werden manche davon nach öfterer Wiederholung
mit unwillkürlichem Schielen gestraft. Ich kenne wenigstens zwei Fälle,
wo diess ganz bestimmt der Fall war; bei beiden war das rechte Auge
das continuirlich oder doch für gewöhnlich abgelenkte, in dem einen
Falle ein-, in dem andern auswärts, b) Hieran reiht sich zunächst das
Schielen aus Nachahmung, ohne Absicht, ohne Willenseinfluss, als eine
Art Chorea minor. Ob die Einwirkung der Phantasie das Mittelglied
sei, wie Ritterich*) in seiner an positiven Thatsachen reichen Schrift
über das Schielen meint, wagen wir nicht zu entscheiden. Wer die
Geschichte der Chorea kennt, wird wenigstens die Zulässigkeit der An-
nahme dieses Momentes als Ursache des Schielens nicht in vorhinein
bestreiten, c) Desshalb nahm ich auch keinen Anstand, der Angabe
einiger Kranken, dass sie in Folge von Schrecken oder Furcht schielend
geworden seien, Glauben zu schenken, weil auch andere Muskeln und
Muskelgruppen durch solche Affecte zu regelwidrigen Actionen ge-
bracht werden, d) Nicht minder schwierig zu erklären und zu constatiren
ist das Entstehen des Schiele?is von fehlerhafter Verwendung der Augen,
vom Sehen nach der Quaste einer Mütze, der Masche eines Häubchens,
dem Perpendikel einer Wanduhr u. dgl., oder vom Zunahehalten kleiner
Objecte, Spielsachen u. s. w., welche Momente namentlich von altern
Beobachtern angeführt werden. Es bleibt dabei immer zu bedenken,
was Böhm dagegen einwendet, nämlich ob nicht zur Zeit, wo das eine
oder das andere stattfand, bereits eine andere Ursache, namentlich
Schwäche der Sehkraft des einen Auges bestand, und das Fixiren von
Objecten nur die entfernte, die Ungleichheit der Sehkraft aber die
nächste Veranlassung zur Ablenkung des Auges abgab. Was mir aber
trotzdem die ältere Ansicht als haltbar erscheinen lässt, ist der Um-
stand, dass ich in solchen Fällen, wo diese oder ähnliche Momente be-
schuldigt wurden, beinahe immer das rechte Auge schielend fand, und
dass sogar die Richtung der Ablenkung mit der Angabe der Kranken
übereinstimmte. (Vergl. meinen Aufsatz über das Schielen in den österr.
*) Das Schielen und seine Heilung, Leipzig 1843.
3 1 6 Augenmuskeln.
Jahrbüchern, S. 98.) Besonders auffallend war mir, dass ein junger
Mann, welcher angab, er sei in seinem 6. Jahre in Folge dessen
schielend geworden, weil er immer nach der Bandage seines linken ge-
brochenen Unterschenkels hinabgesehen habe, mit dem rechten Auge
nach innen — unten schielte, also gerade in einer Richtung, die der
Angabe entsprach, obwohl der Kranke nichts davon wissen konnte,
dass sein Auge nicht wie gewöhnlich nach innen, sondern zugleich nach
einer äusserst seltenen Nebenrichtung abwich. Ich konnte es nun wohl
auch nicht mehr als zufällig betrachten, wenn Leute nach innen und
oben schielten, welche das Schielen vom Schauen nach der Quaste einer
Mütze ableiteten. Es sind verschiedene Erklärungen versucht worden,
um den Zusammenhang zwischen der Ablenkung des Auges und den
Angaben der Kranken oder ihrer Eltern begreiflich zu machen {Beer,
Joh. Müller, Ritterich). Wenn sich auch keine derselben als haltbar
erwies, so war man doch desshalb noch nicht berechtigt, den Knoten
zu zerhauen, um sich aller Unbequemlichkeit dadurch zu entheben, dass
man die Möglichkeit der Entstehungsweise in vorhinein negirte. Die
Angaben denkender Männer ohne Weiteres unter die Ammenmärchen
verweisen, heisst wohl sich selbst den Weg der weitern Beobachtung
und Forschung versperren, möglicherweise auch den praktischen Arzt
verleiten, dass er, beim Entstehen des Übels consultirt, Umständen kein
Gewicht mehr beilegt, welche am Ende doch Einfluss auf das Übel
haben können. Nach meiner Meinung lässt sich die Entstehung des
Schielens in Folge der obengenannten Veranlassungen mit unsern bis-
herigen physiologischen Kenntnissen leicht in Einklang bringen. Die
Kreuzung der Sehachsen in beträchtlich seitlich von der Medianebene
gelegenen Objecten kann nur mit grosser Anstrengung längere Zeit er-,
halten werden. Wird aber die Aufmerksamkeit lange oder oft und in
kurzen Zwischenräumen auf so gelegene Objecte gerichtet, und können
die Sehachsen, respective Bulbi wegen Ermüdung der Muskeln nicht
mehr in der zur Kreuzung im Objecte nöthigen Richtung erhalten wer-
den, so tritt die Kreuzung vor oder hinter dem Objecte ein, je nach
dem Verhalten des Refractionszustandes und der Accommodationsorgane
(für die betreffende Entfernung des Objectes), und es tritt Undeutlich-
sehen durch theilweises Auseinanderweichen, später selbst Doppeltsehen
mit völlig getrennten Doppelbildern ein. Diese, aus ungenauer oder
gar nicht erfolgender Kreuzung der Sehachsen im Objecte entstehende
Functionsstörung zu beseitigen, wird das eine Auge abgelenkt, damit
das andere ungestört die Betrachtung des Objectes fortsetzen könne.*)
*) Wenn ein nahes Object stark seitlich abliegt, so wird zur Fixirung desselben auch von jedem Auge=
Schielen — Ursachen. 317
Es tritt hier etwas Ahnliches ein, wie — nach A. v. Gräfe's stricter
Nachweisung — bei Myopia in distans*), wo der Kurzsichtige beim
Blick auf Objecte, die weit jenseits seines Fernpunktes liegen, wenn
also eine scharfe Accommodation unmöglich ist, sein Auge nicht mehr
für die grösste, ihm noch mögliche Ferne einrichtet, sondern für grössere
Nähe, demnach bei Richtung des Blickes auf zu ferne Objecte densel-
ben Refractionszustand annimmt, wie bei Accommodation für grosse
Nähe. Ist aber diese Erklärung für stark excentrisch vom Mittelpunkte
des Gesichtsfeldes gelegene Objecte richtig, dann begreifen wir auch,
warum bei Kurzsichiigkeit leicht Schielen entstehen kann, dann nämlich,
wenn die Objecte so nahe gehalten werden, dass die Kreuzung der
Sehachsen im Objecte nicht so lange ausgehalten werden kann, als das
Individuum es von seinen Augen fordert, mithin die Netzhautbilder
nicht auf völlig correspondirenden Stellen erhalten werden können.
Hierin fände denn auch die Beobachtung ihre Erklärung, f) dass Kin-
der besonders nach schweren Krankheiten durch Anstrengung der Augen
mit Lesen, Schreiben, feinen Spielsachen u. dgl. leicht schielend werden.
Wir wiederholen, dass in solchen Fällen auch Ungleichheit der Seh-
kraft oder der Sehweite zu Grunde liegen kann, damit man nicht meine,
wir wollen die eben genannte Erklärungsweise auf alle solche Fälle
angewendet wissen. Es ist eben Sache des praktischen Arztes, in jedem
speciellen Falle so sicher als möglich die Ursache der Krankheit zu
ermitteln, weil diess ein reeller Gewinn für die Behandlung ist, zu
welcher ja auch die Prophylaxis gehört, g) Über die Entstehung des
Schielens in Folge von Muskellähmung haben wir uns bereits ausge-
sprochen, h) Minder sicher gestellt ist die Entstehung desselben aus
Convulsionen, aus tonischen oder klonischen Krämpfen eines oder meh-
rerer Muskeln des Augapfels, weil es in solchen Fällen immer schwer
zu entscheiden sein wird, ob nicht vielmehr Paresis des (der) Anta-
gonisten schiüd sei. A priori ist wohl nichts gegen den Übergang
temporärer Ablenkung in bleibende einzuwenden, zumal wenn jene
länger angedauert hat oder häufig und in kurzen Zwischenräumen wie-
dergekehrt ist.
Ausser den genannten sind noch, mehrere andere Momente als Ursachen des Schie-
lens angenommen worden, meines Erachtens jedoch theils mit Unrecht, theils ohne ge-
nügende Gründe. Mangel. Zerreissung , normwidrige Anheftung oder Degeneration eines
Muskels durch Entzündung, melanotische Ablagerung u. dgl. vermag niemals direct zu
ein anderer Grad von Spannung der Accommodationsorgane gefordert; es wäre wohl möglich, dass
dieser Umstand an sich schon hinreicht, Undeutlichsehen zu bewirken, und somit auch Schielen als
Abhilfe gegen die Fnnctionsstörung einzuleiten.
*) Archiv für Ophthalmologie, Bd. II. Abth. 1. S. 15S (1Ö3-16S).
3 IS Augenmuskeln.
Strabismus zu führen , bloss zu gehemmter Beweglichkeit des Bulbus (luscitas), welche
allerdings unter besonderen Umständen (wegen Doppeltsehens) zu activer Ablenkung nach
der entgegengesetzten Seite Anlass geben kann. Eben so ist Schiefstellung der Linse,
wenn auch an schielenden Augen nachgewiesen, gewiss nicht als Ursache des Strabis-
mus zu betrachten. Eher möchte sie als Folge zu betrachten sein, da es nicht unwahr-
scheinlich ist, dass der Bulbus durch einseitig prävalirenden Zug und Druck der Mus-
keln in seiner Form auf ähnliche Weise verändert wird, wie das Knochengerüst in Folge
ungehöriger Muskelthätigkeit, und dann wohl auch die Linse, relativ zur Hornhaut sowohl
als zum hintern Pole (der Mac. lutea), anders gelagert sein könnte. Die Schiefstellung
der Linse kann übrigens aus anderen Ursachen, z. B. in Folge eines seitlichen Corneal-
durchbruches , an schielenden Augen so gut vorkommen , wie an nicht schielenden, mit-
hin als zufällige Complication. Schiefstellung der Linse kann den Kranken nicht bestim-
men , eine andere Stelle , als die Macula lutea dem Objecte , das gesehen werden soll,
gegenüber zu stellen. Man vergesse nicht, dass das Auge abgelenkt wird, nicht um mit
demselben zu sehen, sondern um dasselbe von der Theilnahme am Sehacte des andern
Auges auszuschliessen. — Gründe, welche gegen J. Müller' s Annahme von angeborner
Incongruenz der Netzhäute als Ursache des Schielens sprechen, haben wir bereits im
2. Bande S. 2S2 angeführt. In neuester Zeit hat A. v. Gräfe (Archiv B. I. Abtheil. I.
S. 105) einen exact beobachteten Fall von Strabismus beschrieben, welcher allerdings
geeignet erscheint, dafür zu sprechen, dass die Macula lutea vermöge primärer Bildung
nicht im hintern Pole, sondern excentrisch, in specie nach innen von der Sehnervenein-
trittsstelle gelegen sein könne. Wenn man aber diesen Fall mit jenen vergleicht, in
welchen der Umstand, dass die relativ empfindlichste Stelle der Netzhaut einwärts vom
hintern Pole liegt, offenbar als Folge des seit früher Jugend bestehenden Schielens er-
klärt werden muss , wie diess Greife in mehreren genau beobachteten Fällen auch selbst
erklärt, so findet — meines Erachtens — doch nur ein Gradunterschied statt. Mir ist
es nicht wahrscheinlieh, dass ein so wichtiger Bildungsfehler, wie Ektopie der Mac.
lutea, ohne alle anderweitigen Bildungsfehler vorkommen könne. Bedenken erregt es
auch, dass ein solcher Fehler bloss an Einem Auge auftreten soll. Und zugegeben, die
Macula lutea, mithin gewissermassen die ganze Netzhaut, habe von Geburt aus eine
andere Lage, so begreifen wir die Ablenkung der geraden Augenachse, welche jetzt nicht
mehr zugleich Sehachse ist, nur dann, wenn man dasselbe Gesetz für die Augenbewegun-
gen annimmt, wie im normalen Zustande, nämlich dass das Auge mit der relativ em-
pfindlichsten Stelle dem Objecte der Aufmerksamkeit zugelenkt werden muss. Oder soll
man annehmen, die zweckmässige Bewegung der Bulbi, die bald als assoeiirte, bald als
aecommodative auftritt, beruhe nicht auf der Sensibilitätsvertheilung in der Netzhaut,
sondern sei schon in der Innervation der Muskeln präformirt ? Wird aber das mit
Ektopie der Netzhaut behaftete Auge abgelenkt, um die empfindlichste Stelle dem Ob-
jecte gegenüberzustellen, also um mit beiden Augen zu sehen, so könnte man nicht von
Schielen sprechen. Und doch fand in allen den Fällen, die man auf Incongruenz der
Netzhaut beziehen wollte, weder gleichzeitiges Fixiren mit beiden Augen, noch eine solche
Stellung des betreffenden Auges statt, dass die empfindlichste Stelle dem Objcct gegen-
über zu liegen kam, sondern das Auge wurde so gestellt, dass seine empfindlichste Stelle
nicht am Sehacte des andern Auges partieipiren konnte. Es bleibt also immer noch am
wahrscheinlichsten, dass eine vom hintern Pole einwärts gelegene Stelle der Netzhaut
die grösste Empfindlichkeit nicht wegen primärer Bildung besass, sondern vermöge
Übung durch indirectes Sehen in der oben angegebenen Weise acquirirte. Dass aber,
Schielen — Ursachen. 319
•wenn die Mac. lutea aus was immer für einem Grunde am Sehen verhindert wird, irgend
eine seitliche, namentlich eine einwärts von ihr oder selbst von der Sehnervenpapille
gelegene Netzhautstelle einen staunenswerthen Grad von Empfänglichkeit acquiriren
könne, sobald das Hinderniss von der ersten Jugend auf besteht, dafür kann ich be-
sonders mit einer bereits vor 10 Jahren gemachten Beobachtung einstehen. G. E. v.
W., 12 Jahre alt, auf beiden Augen an Cat. nucl. Station, leidend, deren Gegenwart erst
zur Zeit des Zahnens nach Convulsionen bemerkt worden war, hatte unter ganz beson-
derer Bemühung eines Arztes lesen und schreiben gelernt (Anfangs mit fast zollhohen
Charakteren), und konnte, bevor ich die Cat. des linken Auges durch Discission operirte,
selbst Buchstaben von 2'" Höhe und entsprechender Dicke lesen, besonders mit dem rech-
ten, mehr geübten Auge. Sie musste aber jedesmal, wenn sie etwas genau sehen wollte,
das betreuende Auge stark einwärts rollen, um neben der Linsentrübung vorbei zu sehen.
Desshalb konnte man eigentlich nicht sagen, sie schiele, und wenn sie eben nichts fixirte,.
so boten ihre Augen einen leichten Grad von Nystagmus, wenigstens nicht jene Buhe
und symmetrische Stellung dar, die wir an normalen Augen zu finden gewohnt sind.
Um zu lesen musste sie die Schrift auf beinahe zwei Zoll nähern und das betreffende
Auge so stark in den innern "Winkel stellen, dass man annehmen musste, das Netzhaut-
bild falle auf eine 1 — l'/a'" einwärts von der Sehnervenpapille gelegene Stelle. Dieses
Verhältniss blieb dasselbe, als die Pupille vollkommen schwarz geworden war, und durch
mehrere Jahre schien es, dass durch die Operation nichts gewonnen worden sei, indem
zum genauem Sehen naher Objecte das operirte Auge immer wie früher einwärts gestellt
wurde (bei Verschluss des rechten). Erst im Verlaufe mehrerer Jahre gewann die Seh-
kraft in der Richtung der Sehachse, und somit für das Erkennen entfernter Objecte.
Convexgläser von allen möglichen Brennweiten vermochten nicht, die Sehkraft zu heben,
auch nicht nach methodischer Übung. Der Erfolg der Operation des linken Auges war
eben nicht hinreichend, die ängstliche Mutter des Mädchens zur Operation des rechten
Auges aufzumuntern. Vergl. B. IL S. 282. — Halten wir die für und wider die Mül-
ler sehe Hypothese zur Zeit vorliegenden Gründe einander gegenüber, so erscheint es bei
aller Achtung vor den von Gräfe dafür aufgeführten Gründen vorläufig nicht gerecht-
fertigt, sie als feststehend anzunehmen, bis nicht die Autopsie (am Cadaver oder mittelst
des Augenspiegels) ihr entscheidendes Wort abgegeben haben wird.
Die nächste Ursache des Schielens besteht in der excessiven Con-
traction eines oder zweier Muskeln. Ein gewisser Grad von Bigidität,
von bleibender Verkürzung und Mangel an Ausdehnungsfähigkeit tritt
erst nach langem Bestände anhaltenden Schielens ein. Die nachtheilige
Wirkung dieses Zustandes wird bei inveterirten Fällen noch unterstützt
und gesteigert durch das gegentheilige Verhalten der Antagonisten.
Desshalb sind Fälle mit freier Beweglichkeit des Bulbus nach der ent-
gegengesetzten Pachtung ceteris paribus leichter zu heilen. — Zu be-
rücksichtigen ist ferner der Zustand der Sehkraft und Sehweite des
schielenden Auges (relativ zum andern). Wo man erwarten darf, die
Sehkraft und Sehweite des schielenden Auges der des andern völlig
oder doch nahezu gleich zu bringen, lässt sich viel sicherer auf Bes-
serung oder Behebung der fehlerhaften Stellung, wo nicht auf ganz-
320 Augenmuskeln.
liehe Heilung rechnen. Wo hingegen die Sehkraft bedeutend gesunken
ist, und besonders da, wo nur eine einwärts vom hintern Pole gelegene
Netzhautstelle noch ein leidliches Sehen vermittelt, ist höchstens auf
Verbesserung der Stellung zu rechnen. — Viel kommt auch auf Ver-
ständigkeit und festen Willen des Schielenden an, wenigstens da, wo
der Einfluss des Willens nicht durch optische Hindernisse oder durch
Erkrankung der Muskeln paralysirt wird. Mit Recht bemerkt Bälerich,
dass Mädchen, welche das Interesse für ihr Äusseres weit mehr spornt
{und wohl auch ihre Erzieher), das Schielen häufiger wieder ablegen,
als Knaben.
Seit Dieffenbach's genialer Anwendung der Myotomie auf das Auge *)
ist die Heilung des Schielens durch die Durchschneidung des verkürz-
ten Muskels eine Thatsache, glänzend gegenüber den schwierigen und
so oft erfolglosen Methoden, welche die frühere Zeit diesem so arg
entstellenden Übel entgegen zu setzen vermochte. Sie ist im Stande,
dem Unglücklichen die richtige Stellung des Auges so zu sagen augen-
blicklich wiederzugeben, und meistens auch ohne weitere Bemühung
zu sichern. Einen directen Einfluss auf die Sehkraft, wie man Anfangs
hoffte, hat sie jedoch nicht, und ebenso wenig kann und darf sie auch
heutzutage für das einzige Mittel gegen das Schielen erklärt werden,
wozu es eine Zeit lang den Anschein hatte, denn nicht jeder Fall von
Strabismus erheischt die Myotomie, und nicht alle Fälle, welche nicht
ohne Myotomie geheilt werden können, lassen Heilung durch dieselbe
zu. Dass durch ungehörige Anwendung derselben der Zustand schlim-
mer, statt besser gemacht werden kann, wird ihr als solcher Niemand
zur Last legen.
Wo das Schielen eben im Entstehen begriffen ist, und noch nicht
als continuirlich bezeichnet werden kann, lässt sich seine Etablirung
bisweilen dadurch verhüten, dass man die entfernteren Ursachen besei-
tigt oder unschädlich macht, und auf die Willenskraft des Kranken
einzuwirken sucht. Zunächst untersuche man, ob nicht etwa optische
Hindernisse vorhanden seien und sich beseitigen lassen. Kann man
hierüber nicht in's Klare kommen, wie so häufig bei kleinen Kindern,
wenn sie keine sichtbaren Abnormitäten darbieten, und liegen nicht
etwa ganz bestimmte und glaubwürdige Anschuldigungen von entfern-
baren Momenten (Willkür, Nachahmung, fehlerhafter Verwendung) vor,
so lasse man fleissig Acht geben, unter welchen Verhältnissen die Ab-
lenkung auftritt oder gesteigert wird, und empfehle die Fernhaltung
solcher Verhältnisse nach Möglichkeit. Je öfter das Auge in die fehler-
*) Im December 1839. Medicin. Zeitung vom Vereine für Heilkunde in Preussen. Nr. 51.
Schielen — Behandlung — orthopädische. 321
liafte Stellung geräth, und je länger es jedesmal in derselben verharrt,
desto mehr droht Gefahr, dass es endlich beständig in derselben ver-
bleibe. So oft das Kind in der fehlerhaften Stellung des Auges betre-
ten wird, suche man es derselben zu entreissen. In manchen Fällen
genügt es, das Kind einfach anzureden und zum richtigen Blick auf-
zumuntern, in andern muss man das Fixiren von Objecten dadurch
unterbrechen, dass man mit der Hand vor dem Gesichte vorbeistreicht
oder die Augen einigemal nach einander schliessen und öffnen, und
dann den Blick auf andere Objecte lenken und für einen andern Horop-
ter einrichten lässt, bei Convergenz für einen weitern, bei Divergenz
für einen engern. In manchen Fällen, namentlich bei optischen Hinder-
nissen, müssen gewisse Beschäftigungen (mit feinen Spielsachen, Lesen,
Stricken u. dgl.) für eine Zeit lang ganz untersagt werden; in andern,
namentlich bei Neigung zur Kurzsichtigkeit oder bei angeborener
Stumpfheit der Netzhaut oder bei allgemeiner Muskelschwäche (nach
schweren Krankheiten) erweist es sich nützlich, die Kinder häufig in's
Freie zu bringen und überhaupt Einförmigkeit in der Beschäftigung (im
Gebrauche der Augen) nach Möglichkeit zu verhüten. — Der Einfluss
des Willens kann bisweilen, wie Jurin empfohlen hat, dadurch angeregt
und zweckmässig geleitet werden, dass man das gesunde Auge durch
die vorgehaltene Hand verdeckt, und den Schielenden, der nun das
kranke Auge gerad stellt, anweist, dieses Auge auch nach Entfernung
der Hand auf das Object zu richten. Hat er hierin einige Fertigkeit
erlangt, so steht zwar das gesunde Auge fehlerhaft; manche bringen
es aber doch dahin, dass sie, indem sie mit der Schärfe der Fixa-
tion nachlassen, das rasche Fliehen des einen Auges in den Winkel
temperiren und dann — zunächst eine kurze Zeit — beide Augen
richtig einstellen. Besonders gelingt diess, wenn nach der Muskel-
durchschneidung noch ein geringer Grad von Schielen fortbesteht. Ver-
ständige Patienten nehmen diese Übungen selbst vor, mit Hilfe eines
Spiegels.
Wo Ungleichheit der Sehkraft zu Grunde liegt, erweist sich der
eben besprochene Vorgang häufig als ungenügend, auch wenn er gehörig
durchgeführt wird, dann nämlich, wenn der schwächere Eindruck schon
heim gewöhnlichen Sehen und nicht bloss beim Fixiren und genauem
Betrachten von Objecten sich geltend macht. In solchen Fällen sind
Versuche mit Schielbrillen zu empfehlen. Es sind deren 3 verschiedene
Arten bekannt.
Die ältesten sind ein Paar dunkle Kapseln, nussschalenähnlich, jede in der Mitte mit
-einer kleinen Öffnung oder mit einer horizontalen Spalte versehen, welche an normalen
Arlt Augenheilkunde. III. 21
322 Augenmuskeln.
Augen gerade vor die Pupillen zu stehen kommen -würden. Diese Brillen sind verwor-
fen worden, indem man, und zwar mit Recht, behauptete, das einmal schielende Auge
könne dadurch nicht gezwungen werden, seine fehlerhafte Stellung zu verlassen und
durch die Öffnung durchzusehen. Vielleicht wirken sie aber auch nicht auf diese, ihnen
zugemuthete "Weise. Es fordert immerhin zur Vorsicht auf, wenn genaue Beobachter,
wie Ritterich , sich für deren Wirksamkeit aus Erfahrungsgründen erklären. Seit der
Einführung der stenopäischen Brillen von Donders möchte wohl die Wirkungsweise der
alten Schielbrillen anders zu interpretiren sein. Es liegt wenigstens sehr nahe, anzu-
nehmen, dass die Schielbrillen, die wesentlich doch nichts Anderes sind, als stenopäische,
geeignet seien, das schielende Auge zum Mitsehen geeignet zu machen, indem sie die
Differenz der Sehkraft beider Augen mehr weniger ausgleichen. Es ist wenigstens auf-
fallend, dass Ritterich ausdrücklich bemerkt, er habe bei Hornhauttrübungen Nutzen von
Schielbrillen beobachtet. Es Hesse sich aber auch denken , dass Kinder durch Schiel-
brillen gezwungen werden, das Schielen aufzugeben, weil sie durch dieselben gezwun-
gen sind, das nicht schielende Auge immer in der Mitte der Lidspalte zu halten, somit
alle Objecte geradeaus anzusehen , und die Schiefhaltung des Kopfes zu vermeiden.
Dann würden sich diese Schielbrillen in ihrem Wirkungskreise an einige andere mecha-
nische Vorrichtungen anschliessen, deren wir weiter unten gedenken werden, und zu denen
besonders das bekannte Volksmittel gehört, die gerade Haltung des Kopfes durch eine
steife Cravatte zu erzwingen. Wie dem auch sei, das steht fest, dass es verschie-
dene Mittel giebt, welche ganz gewiss nützlich sind, trotzdem wir nicht wissen , wie sie
nützen. — Die zweite Art von Schielbrillen ist von Böhm angegeben und wenigstens in
einigen Fällen mit Erfolg angewendet worden. Es wird in einem gewöhnlichen Bril-
lengestelle vor dem schielenden schwächern Auge ein farbloses , vor dem gesunden ein
mehr weniger intensiv blaues Glas getragen , um den Eindruck des gesunden Auges
abzuschwächen und hiedurch Gleichheit der Eindrücke zu erzielen. „Da es sich nicht
ausführen lässt," — wie Böhm meint — „die gesunkene Sehkraft des erkrankten Auges
zur Zeit in ein gleiches Verhältniss mit der des andern Auges zu erheben, so steht
es uns doch frei , in umgekehrter Weise die Sehkraft des gesunden Auges auf unschäd-
liche Weise vorläufig in so weit herabzustimmen, dass beide Netzhäute von einem licht-
gebenden Punkte wieder in gleicher Weise gereizt, mithin beide Bulbi einem gleichen
Reflexeinflusse auf die Muskelgruppen ausgesetzt werden. Die blaue Farbe des einen
Glases muss um so intensiver sein, je bedeutender der Unterschied in der Sehkraft der
Augen ist, und die Objecte müssen in einem gemilderten blauen Lichte erscheinen.
„Erscheinen die Gegenstände noch in demselben Grade blauer Färbung, den man dem
Glase des gesunden Auges gegeben hat, so ist der Reflexeinfluss auf diesem Auge noch
nicht genügend herabgestimmt, und muss eine intensivere Färbung gewählt werden, bis
durch die möglich werdende Mitthätigkeit des schwächern Auges eine ungefähre Aus-
gleichung zur mittlem Helligkeit beider Gläser erfolgt." Erscheinen dagegen die Ob-
jecte in ihrer natürlichen Farbe, so ist das Glas zu intensiv blau, fungirt bloss das
schwächere Auge, und wird das gesunde vom Sehact ausgeschlossen." — Eine dritte
Art von Brillen , welche ich bei A. v. Gräfe nach verrichteter Schieloperation behufs
der völligen Geradestellung des Bulbus mit Nutzen anwenden sah, besteht in gewöhn-
lichen Brillen mit Plangläsern, welche zum vierten oder dritten Theil, zur Hälfte oder
zu 2 Dritteln (von der Schläfen- oder Nasenseite her) undurchsichtig gemacht werden
können. Wenn Jemand mit dem linken Auge einwärts schielt, und das rechte Auge an
der Nasenseite zum Theil verdeckt wird, so kann dieses die betreffende Region des Ge-
Schielen — Behandlung — orthopädische. 323
Sichtsfeldes nicht mehr beherrschen, und das linke Auge wird häufiger veranlasst, für
die linke Hälfte des Gesichtsfeldes zu fungiren. Zugleich wird der Kranke zur gera-
den Kopfhaltung gezwungen. Dieses Mittel ist meines Erachtens nicht nur bequemer,
sondern auch zweckmässiger, als die von Darwin empfohlene künstliche Papiernase, ein
senkrechter Steg auf dem Nasenrücken, welcher jedes Auge so ziemlich auf die gleich-
namige Hälfte des Gesichtsfeldes anweist und das Vorherrschen des einen in dem Ge-
biete des andern verhindert."*) Darwin 's Patient war ein fünfjähriges, äusserst füg-
sames und gescheidtes Kind. Es schielte einwärts, bald mit dem einen , bald mit dem
andern Auge. Wenn der Gegenstand ihm auf der rechten Seite vorgehalten wurde, so
sah es denselben mit dem linken Auge, und umgekehrt. Wurde ihm ein Gegenstand in
gerader Pachtung vorgehalten, so drehte es den Kopf ein wenig auf die eine (rechte)
Seite, betrachtete ihn nur mit dein entfernteren (rechten) Auge , und schielte mit dem
andern. War es endlich müde, den Gegenstand mit diesem Auge zu betrachten, so
drehte es den Kopf auf die entgegengesetzte Seite (links) , und betrachtete nun den Ge-
genstand eben so leicht mit dem andern (linken) allein. Das Kind erkannte und nannte
Buchstaben in gleichen Entfernungen mit dem einen Auge so leicht , wie mit dem an-
dern , lind es liess sich überhaupt kein Unterschied zwischen beiden Augen wahrneh-
men. Man betrachtete das Übel als Folge übler Gewohnheit. Darwin gab den Eath,
eine künstliche Papiernase, einen Zoll über der natürlichen emporragend, tragen zu las-
sen. Das Kind fing an, statt den Kopf zu drehen, um nach seitlichen Gegenständen zu
schauen , dieselben mit dem betreffenden , nicht wie früher mit dem entfernteren Auge
zu fixiren. Der Heilplan wurde jedoch nicht beharrlich ausgeführt, und nach 6 Jahren
fand Darwin den Zustand wie früher. Nun wurde eine Scheidewand von Messingblech,
mit schwarzer Seide überzogen , auf der Nase befestigt , mittelst Spangen , welche von
der Nasenwurzel um den Kopf liefen. Sie erhob sich gegen 2[/'i" hoch über der Nase.
Beim Tragen derselben fand es die Patientin bald weniger unbequem, seitlich gelegene
Gegenstände mit dem Auge zu betrachten, welches denselben am nächsten lag, statt dass
sie früher das entferntere dazu verwendet hatte. Nachdem diese Gewohnheit durch
wochenlangen Gebrauch des Instrumentes geschwächt worden war, wurden der Patientin
zwei Stückchen Holz, von der Dicke eines Federkieles, ganz geschwärzt bis auf 1/t" von
der Spitze aus, häufig vorgehalten, um darnach zu sehen. Das eine wurde auf die eine
Seite der Extremität des Instrumentes, das andere auf die andere Seite desselben gehal-
ten. Auf diese Weise gelang es, dass die Patientin in der nächsten Woche eine halbe
Minute lang beide Sehachsen auf denselben Gegenstand richten konnte. Indem sie diese
Übung vor einem Spiegel fast jede Stunde des Tages wiederholte, war sie in der 3. Woche
im Stande, eine ganze Minute lang mit beiden Augen zugleich zu lesen. Nach länger
fortgesetzter Übung erlangte sie die Fähigkeit, auch entferntere Objecte (bis zu 4 oder 5')
mit beiden Augen zugleich zu fixiren, weshalb Darwin vollständige Heilung vorhersagte.
Über die Anwendung prismatischer Gläser, von denen sich in vielen Fällen Nutzen
erwarten lässt, besitze ich noch keine eigenen Erfahrungen. Vielleicht dass Gräfe una
bald mehr hierüber mittheilt.
Wo die Sehkraft des Auges in Folge von Unthätigkeit gesunken
ist, versuche man dieselbe erst durch methodische Übung so weit als
möglich zu heben, ehe man irgend ein Heilverfahren gegen das Schie-
len selbst einschlägt. Das gesunde Auge werde mehrmal des Tages auf
*) Matenzie L c. S. 247.
21*
324 Augenmuskeln.
einige Zeit wohl verschlossen, mittelst der Finger oder eines gut an-
liegenden Verbandes, Anfangs nur 3 — 4mal des Tages und auf einige
Minuten, später gradatim öfter und länger. Bei hochgradiger Amblyo-
pie gelingt es meistens nur mittelst convexer Gläser, das Auge noch
zur Thätigkeit anzuregen oder doch in relativ kürzerer Zeit. Ist es ge-
lungen, die Sehkraft völlig oder doch nahezu wieder herzustellen, dann
darf man erwarten, das Schielen auf orthopädischem Wege zu beheben.
Die Angabe glaubwürdiger Autoren, wie Beer, dass Schielen auf diese
Weise geheilt worden sei, lässt sich durch Gründe a priori nicht wi-
derlegen, und diejenigen, welche dagegen eifern, dürften bei Empfeh-
lung orthopädischer Kegeln nach verrichteter Muskeldurchschneidung
wohl etwas inconsequent werden. Wenn aber auch die Beseitigung des
Schielens auf diesem Wege allein nicht gelingt, so hat man durch diese
Übungen gleichsam der Operation schon vorgearbeitet. Denn je mehr
das Auge zum directen Sehen geeignet wurde, desto leichter kann es,
der Fessel des verkürzten Muskels durch die Operation entledigt, zu
den Objecten richtig eingestellt werden, weil eben die Netzhautfunction
der Eegulator der Muskelthätigkeit ist} und je mehr es gelungen ist,
die freie Beweglichkeit des schielenden Auges vor der Operation wie-
der herzustellen, durch Übung und Kräftigung des Antagonisten, desto
sicherer wird man bemessen können, bis zu welchem Grade man bei
der Operation von den — später anzugebenden , — Mitteln Gebrauch
machen darf, das Auge nach der entgegengesetzten Seite beweglich zu
machen. Die Complication des continuirlichen Schielens mit Insuffizienz
des Antagonisten wegen Mangel an hinreichender Übung desselben muss
vor der Operation so viel als möglich beseitigt werden. Denn, wenn
derselbe erst nach der Operation wieder zu voller Thätigkeit gelangt,
kann seine Wirkung leicht zu beträchtlich ausfallen; das Auge steht
dann nach der Operation eine Zeit lang richtig, wird aber allmälig
nach der entgegengesetzten Seite abgelenkt, vielleicht nur desshalb, weil
die Durchschneidung und Rücklagerung des Muskels nach der zur Zeit
der Operation vorhandenen Contractionskraft des Antagonisten berech-
net wurde.
Je mehr das Auge von jeder anderweitigen Abnormität als der der
Ablenkung frei ist, mit desto mehr Aussicht auf günstigen Erfolg kann
die Operation unternommen werden. Als völlige Heilung kann, streng-
genommen, nur jener Zustand bezeichnet werden, wo sowohl die asso-
ciirten als die accommodativen Bewegungen wieder zur Norm zurück-
geführt wurden. Diess ist im Allgemeiuen nur dann möglich, wenn
das früher schielende Auge unter allen Verhältnissen am Sehacte Theil
Schielen — Behandlung — Operation. 325
nehmen kann, und wenn es die Function des andern Auges nicht durch
Lieferung eines schwächern Eindruckes stört. Wo demnach beträcht-
liche Differenz in der Sehkraft oder Sehweite beider Augen besteht,
wird man sich häufig bloss mit Verbesserung der Stellung des Auges
begnügen müssen ; das Auge weicht dann unter allen Umständen in der
frühern Richtung, nur in geringerem Grade ab, oder es stellt sich bei
gewissen Richtungen des Blickes und Distanzen der Objecte gehörig
ein, bei andern nicht. Man kann aber auch, und das bei ganz ge-
hörig ausgeführter Operation, in solchen Fällen beträchtlich differenter
Sehkraft oder Sehweite eine mehr weniger penible Verschlimmerung
herbeiführen, wenn nämlich nach erfolgter richtiger Einstellung der
durch das gesunde Auge zu Stande kommende Eindruck durch den des
kranken geschwächt, mithin der gemeinschaftliche Sehact unerträglich
wird. Unter solchen Umständen ist es als ein Glück zu betrachten,
wenn der Operirte allmälig von dem Eindrucke des schwächern Auges
abstrahiren lernt, ohne das Auge neuerdings zu verdrehen; aber nicht
selten erfolgt letzteres, nach der frühern oder nach der entgegengesetz-
ten Richtung, bald mit, bald ohne Doppeltsehen. Letzteres kann die
Operirten Monate, Jahre lang belästigen. — Bei ungehörig verrichteter
Operation bleibt die Ablenkung in der frühern Richtung zurück (Schie-
len), oder erfolgt gehinderte Beweglichkeit nach dieser Richtung mit
beständiger oder mit temporärer, nur bei gewissen Richtungen und
Distanzen hervortretender Ablenkung nach der entgegengesetzten Seite
(Luscitas). — Dem Auge selbst bereitet die Operation keine Gefahr;
wenn hie und da ein Fall mit Gefährdung oder Verlust des Sehver-
mögens oder Augapfels vorgekommen ist, so müssen ganz absonderliche
Fehler von Seite des Arztes oder des Kranken vorgefallen sein. Am
Ende kann selbst eine leichte Schnittwunde eines Fingers gefährlich
weiden, die in tausend und abermals tausend Fällen ohne alle Gefahr
verläuft. Der operative Eingriff, den die Muskeldurchschneidung setzt,
soll und kann jederzeit so geringfügig sein, dass die Heilung in 8—14
Tagen ohne weiteres Zuthuu erfolgt.
Vor der Operation muss nebst der Sehkraft, Sehweite, Beweglich-
keit der Bulbi u. s. w. auch noch der Grad der Ablenkung bei mittleren
Distanzen ermittelt werden, um zu bestimmen, ob man die Durchschnei-
dung auf beiden oder nur auf dem einen Auge, und in welcher Aus-
dehnung man dieselbe werde vorzunehmen haben. Den Grad der Ab-
lenkung zu bestimmen, kann man sich füglich an den Stand des
Hornhautrandes relativ zum innern oder äussern Augenwinkel halten,
wenn die Hornhaut des andern Auges in der Mitte der Lidspalte steht
32G Augenmuskeln.
(bei gerade gehaltenem Kopfe). Im normalen Zustande kann der Horn-
liautrand einwärts bis zur halbmondförmigen Falte, auswärts bis zur
Commissur gestellt werden. Beim Schielen, besonders beim convergi-
renden, kann der Rand, selbst die Hälfte der Hornhaut verborgen wer-
den. Diese excessive Bewegbarkeit soll bis auf die Norm (nie viel dar-
über) beschränkt werden. Als leichte Grade kann man bei Strab.
convergens jene Fälle bezeichnen, wo bei oben bezeichnetem Stande
des andern Auges der Hornhautrand des schielenden höchstens T"
weiter einwärts steht; als mittlere Grade, wo derselbe an die halb-
mondförmige Falte zu stehen kommt; als höchste Grade, wo von der
Hornhaut schon ein Theil verborgen ist. Zwei Linien Ablenkung nach
aussen sind ohngefähr so hoch anzuschlagen wie eine Linie nach innen,
wenn sich's um den Einfluss der Ablenkung auf das Operationsverfah-
ren handelt. Bei geringerer Ablenkung ist nämlich meistens schon die
unilaterale Operation hinreichend, und muss der Schnitt auf die Sehne
des Muskels beschränkt werden; bei mittlem Graden ist es in der
Kegel besser, beide Augen zu operiren, und auch hier zunächst nur die
Sehnenfasern zu durchschneiden; man kann zwar durch ausgiebige Er-
weiterung der Wunde (Schlitzung der T. vaginalis bulbi nach oben und
unten) Geradstellung des Bulbus erzielen, doch nur für gewisse Rich-
tungen und Distanzen, und riskirt unvollständige Beweglichkeit nach
Seite des durchschnittenen Muskels oder Abweichung nach der ent-
gegengesetzten Seite mit Doppeltsehen. Bei höhern Graden lässt sich
auch diese Geradstellung durch unilaterale Operation nicht mehr er-
zielen, geschweige denn das Schielen beheben. Betrüge z. B., wenn
bei gerader Kopfhaltung die Pupille des im Mesoropter und in der
Medianebene fixirenden Auges nahezu in der Mitte der Lidspalte steht,
die Abweichung des schielenden Auges, nach dem Stande des Horn-
hautrandes vergleichungsweise gemessen, drei Linien, so kann die Cor-
rection nur durch bilaterale Durchschneidung exact und ohne Nachtheil
für die normale Beweglichkeit erzielt werden, und es darf die Stellung
des erstoperirten nur um 1,72, höchstens I"1 verbessert werden, damit
für das andere noch mindestens V" zur Correction übrig bleibt. Es
ist aber viel schwieriger, hierin zu wenig, als zu viel zu thun. Zu be-
wirken, dass das Auge nur um V" nach der entgegengesetzten Seite
gelenkt werde, erfordert vom Operateur weit grössere Dexterität, als
grössere Ablenkungen herbeizuführen. Ich zweifle, dass es möglich ist,
das Auge weniger als *\\4" abzulenken. Das einzige Mittel, geringere
Effecte zu erzielen, wäre vielleicht, nur einen Theil, etwa 3/i der Sehne,
und nach einigen Tagen den Rest zu durchschneiden. Doch fehlen
Schielen — Behandlung — Operation. 327
mir hierüber Versuche. (Vom horizontalen Einschneiden der Bindehaut
oder von der sogenannten subconjunctivalen Muskeldurchschneidung-
habe ich a priori wegen der Dehnbarkeit der Bindehaut nichts er-
wartet.)
Dieffenbach operirte ohngefähr auf folgende Weise. Ein hinter
dem Kranken stehender Gehilfe fixirte die Lider, und zog sie beson-
ders in dem betreifenden Winkel aus einander. Ein zur Seite stehen-
der Gehilfe übernahm die Haltung eines spitzen Häkchens, welches der
Operateur nächst dem betreffenden Hornhautrande in die Bindehaut
eingesenkt hatte, um den Bulbus nach der entgegengesetzten Richtung
zu iixiren. Der Operateur setzte ein zweites solches Häkchen über
dem betreffenden Muskel, etwas rückwärts von dessen Insertion, in die
Bindehaut ein, und durchschnitt nun mit einer nach der Schneide
(rabenschnabelähnlich) gekrümmten Scheere die durch die Spannung
zwischen den Häkchen entstandene, horizontal verlaufende Bindehaut-
falte etwas hinter der Insertionslinie des Muskels. Nach Stillung der
Blutung (oder Abtupfung mittels eines Schwämmchens) umging er den
Muskel mit einem bogenförmig gekrümmten stumpfen Haken (Krüm-
mungsradius circa 21;2I"), zog den Muskel hervor, und durchschnitt
ihn nun quer (von unten nach oben) mit der neben dem Haken einge-
führten Scheere. — Dieser Vorgang erlitt mannigfaltige Modifikationen,
welche aufzuzählen höchstens historisches Interesse haben würde. Als
Nachtheile kann man bezeichnen: dass zwei geübte Gehilfen notwen-
dig sind, dass sie leicht Ekchymosen veranlasst, dass sie beim Hervor-
ziehen des Muskels mit dem Haken starke Schmerzen erregt, und dass
der Muskel leicht zu weit von seiner Insertionsstelle durchschnitten
wird. Ich beschränke mich auf die Angabe des Verfahrens, welches
ich seit dem Jahre 1840 anwende, und für ebenso zweckmässig als
einfach halte.
Ich lasse das (zunächst) nicht zu operirende Auge mit der Hand
zuhalten oder fest verbinden, damit der Kranke das andere besser in
seine Gewalt bekomme und nach der entgegengesetzten Seite richten
könne. (Der leichtern Verständlichkeit wegen nehmen wir an, es sei
der R. internus des linken Auges zu durchschneiden. j Während nun
der Kranke ein links gelegenes Object fixirt, und der Assistent mit der
linken Hand das obere, mit der rechten das untere Lid fixirt, besonders
den innern Winkel bloss legend, fasse ich mit einer mittelgrossen
Blomer^sehen Pincette in der linken Hand, mit auf- und abwärts
federnden Armen; die Bindehaut höchstens 3"' vom Hornhautrande ent-
328 Augenmuskeln.
fernt*), hebe die Bindehaut etwas vom Bulbus ab, dass sie eine Falte
bildet, schneide diese knapp an der Pincette (an der der Cornea zuge-
wandten Seite) mit einer Dieffe?ibach,$c}ien Scheere, die Convexität
nach unten gerichtet, vertical ein, und erweitere die Wunde auf- und
abwärts bis auf etwa A'" Länge. Sofort setze ich die Pincette in der-
selben Haltung senkrecht oder unter einem wenig spitzigen Winkel
zwischen den Wundrändern vor dem bloss noch von der T. vagin. um-
hüllten Muskel auf die Sclera auf, gehe mit der Pincette, sie allmälig
bis auf 4"' öffnend und dabei an den Bulbus andrückend, ein wenig
rückwärts, gleichsam um den Muskel aus der Wunde hervorzuholen,
und fasse ihn nun wie ein Flügelfell durch Schliessen der Pincette.
Unmittelbar darauf schiebe ich das untere Blatt der Scheere, welches
nicht scharf spitzig ist, gleich einem Haken von unten zwischen der
Sclera und dem Muskel bis zu dessen oberem Ende hinauf, drehe die
Scheere nun so, dass beide Blätter (das eine vor, das andere hinter
dem Muskel) flach am Bulbus liegen, und durchschneide somit in 1 — 2
Zügen den Muskel in seiner Sehne und so knapp als möglich an der
Sclera. Hiemit kann die Operation — in Zeit von 1 Minute — be-
endet sein. Wenn man jedoch die Arme der Pincette nicht genug
öffnete, oder wenn man die Scheere nicht hinter der Muskelsehne hin-
auf, sondern unten oder oben durch dieselbe durchführte, so sind
Fasern ungetrennt geblieben, und machen noch die Einführung eines
stumpfen Häkchens (halb so gross als das Diejfeiibach'sche) nothwendig.
Wo man Ursache hat, unvollständige Trennung anzunehmen, vertausche
man sofort die Pincette mit diesem in Bereitschaft liegenden Häkchen,
und sondire, von der Mitte der Wunde, wo die Sclera bloss liegt,
knapp an dieser auf- und abwärts streifend, wo die noch zu durch-
schneidende Partie sitze, was man leicht an dem Widerstände erkennt,
auf den das Häkchen beim Anziehen nach vorn stösst. Wo dieses der
Fall ist, führe man die Scheere neben dem Häkchen wie an einer
Leitungssonde ein, und durchschneide jedoch nur die Sehnenfasern,
die man mit dem Häkchen hervorholt, ohne die Wunde bis in die seit-
liche Invagination des Muskels zu erweitern. — Ob man am rechten
oder am linken Auge, im innern oder im äussern Winkel zu operiren
hat, das ändert weder die Bolle der Hände, noch die Haltung der
Instrumente, nur dass. beim K. externus des linken und beim K. in-
ternus des rechten Auges Scheere und Pincette beim Muskelschnitte
*) Nach manchen, selbst noch in neuester Zeit erschienenen bildlichen Darstellungen der Operation:
möchte man glauben, der E. internus müsse nicht 2x/2, höchstens 3, sondern mindestens 4'" weit
vom Hornhautrande durchschnitten werden.
Schielen — Behandlung — Operation. 329
sich kreuzen müssen, damit der Muskel zwischen der gefassten Stelle
und der Sclera, nicht aber auf der andern Seite der Pincette (im Mus-
kelfleische) durchschnitten werde.
Möge man aber auf diese oder eine andere Weise operiren:
wesentlich ist nur das, dass der Muskel so knapp als möglich am
Bulbus, also in seiner Sehne durchschnitten werde, und dass man die
T. vagin. weder nach oben noch nach unten hin zu weit schlitze. Das
vordere Ende des Muskels steckt in der von ihm äusserst schräg
durchbohrten T. vagin. wie in einer Scheide, und hängt mit derselben
so fest zusammen, dass sich der Muskel nicht aus dieser Invagination
herausziehen kann. Die eben gegebene Vorschrift gründet sich auf
dieses anatomische Verhalten und auf den Vorgang der Heilung der
Wunde, wie man ihn theils während des Lebens, theils bei der Section
von Operirten beobachtet hat. (Zu letzterer hatte ich 2mal Gelegen-
heit.) Die Muskelwundränder, man möge nun in dem sehnigen oder
im fleischigen Theile durchschnitten haben, treten nicht mehr mit ein-
ander selbst in Verbindung, weder unmittelbar, noch durch eine Zwi-
schenmasse, wie man in früherer Zeit meinte, sondern das hintere
Stück zieht sich, so weit es eben die Verhältnisse gestatten, zurück
und verwächst mit den nächst angrenzenden Gebilden , während das
vordere Stück, falls ein solches sitzen geblieben, allmälig schrumpft,
oder aber wuchert und nachträglich abgetragen werden muss. Den
Muskel nicht knapp an der Sclera abschneiden heisst also eigentlich so
viel, als vorn ein Stück von ihm excidiren, mithin den ohnehin kürzern
i contrahirten) Muskel noch kürzer machen. Wird aber der Muskel knapp
an der Sclera abgeschnitten, so hängt er durch die ihn hier fest um-
hüllende T. vagin. beiderseits (oben und unten) mit dem Bulbus zu-
sammen, und kann sich an diesem nur so weit zurückziehen, als es
eben die Dehnbarkeit der T. vagin. und die Grösse der Eröffnung der-
selben gestattet. Wurde die T. vagin. so weit geschlitzt, dass der
darin haftende Muskel sich bis zum Aequator bulbi zurückziehen kann,
und dort anheilt, so sinkt der Einfluss, den dieser Muskel fernerhin
noch auf den Bulbus üben kann, ziemlich auf Null herab, trotzdem der
nächste Zweck, Wiedervereinigung des vordem Muskelendes unmittel-
bar mit dem Bulbus, erreicht ist. — Wird aber der Muskel dort durch-
schnitten, wo er bereits aus der T. vagin. herausgetreten ist, so hängt
er mit derselben höchstens noch durch das in die T. vagin. übergehende
Perimysium zusammen, und kann nur mit diesem und dem benachbar-
ten fettreichen Bindegewebe verwachsen. Die Folge davon ist zunächst
eine mehr weniger starke Beeinträchtigung der Beweglichkeit des
330 Augenmuskeln.
Bulbus nach dieser Seite, und gibt sieb, bald unmittelbar nach der
Operation, bald erst nach erfolgter Veranlassung kund. Ein geringerer,
wenn gleich noch immer beachtenswerther Übelstand ist — nach
solcher Durchschneidung des R. internus — Rückwärtsziehung der
Caruncula und der halbmondförmigen Falte.
Die nächste Aufgabe der Operation, zu bewirken, dass der Muskel
um ein Gewisses (%<k'" bis 1 ili'") weiter rückwärts an die Sclera an-
heile, wird nicht erreicht, wenn auch nur einige Fasern (oben oder
unten) ungetrennt blieben. Dass der Muskel vollständig getrennt sei,
erkennt man häufig noch vor Anwendung der Hakensonde an dem
Klaffen der Wunde bei Wendung des Auges nach der entgegengesetzten
Seite. Wo die Sclera — nach Beseitigung des Blutes — mitten in der
Wund rein weiss zu Tage liegt, kann man überzeugt sein, dass der
Muskel völlig durchschnitten ist. Wo hingegen die Beweglichkeit nach
der betreffenden Seite zu sehr beschränkt erscheint, hat man gewiss
die T. vagin. zu reichlich geschlitzt.
Nach vollendeter Durchschneidung lasse man das andere Auge
öffnen, um die Stellung beider Bulbi zu prüfen. Nach Durchschneidung
eines R. internus wird man zunächst finden, dass der Bulbus etwas aus
der Orbita vorgetreten ist. War die Ablenkung gering, so stehen viel-
leicht schon jetzt die Bulbi für alle Richtungen und Distanzen richtig
oder doch zu Objecten, welche in Distanz von 2 — 3 Fuss in der Me-
dianebene vorgehalten werden. Tritt für grössere Entfernungen noch
etwas Conyergenz ein, so darf man bei entsprechender Nachbehandlung
völlige Heilung erwarten; tritt hingegen sichtliche Divergenz oder doch
Doppeltsehen mit gekreuzten Bildern auf, so hat man zu viel gelöst,
und muss von den — weiter unten angegebenen — Mitteln gegen das
weitere Zurückweichen des Muskels bei der Anheilung Gebrauch
machen. War die Ablenkung hochgradig, so wird, falls man mit der
Trennung nicht zu freigebig war, das operirte Auge noch schielen, oder
aber, falls dieses sich in der Visio direeta zu behaupten vermag, das
andere, nur das eine sowohl als das andere in geringerem Grade, als
vordem. Diess ist's, was man in solchen Fällen eben zunächst anzu-
streben hatte. Denn wird nun an dem zweiten Auge die Durchschnei-
dung dem Reste der Ablenkung (dem jetzigen Schielwinkel) entspre-
chend vorgenommen, so ergänzt dieser Act den ersten. Wem dieses
etwa nicht glaubwürdig erscheint, der versuche es einmal, die Teno-
tomie bloss an dem nicht schielenden Auge vorzunehmen ; bei geringen
Graden von Schielen kann hiedurch allein schon Heilung bewirkt wer-
den. — Allerdings könnte man die richtige Einstellung der Sehachsen
Schielen — Behandlung — Operation. 331
dadurch erzwingen, dass man an dem eben operirten Auge die Tren-
nung der T. vagin. noch in ausgedehnterem Masse vornähme; hiedurch
würde man aber eben nicht eigentliche Heilung, sondern höchstens
Verbesserung des Schielens erzielen; es würde das operirte Auge
höchstens für einige, niemals aber für alle Richtungen und Distanzen
richtig eingestellt werden können. — Wenn man mit der Durchschnei-
dung an dem 2. Auge wartet, bis am 1. feste Vernarbung eingetreten
ist, so wird man meistens finden, dass entweder dieses noch einmal
operirt werden muss (falls sich noch ein hoher Grade von Schielen er-
halten hat), oder dass die Operation des 2. Auges sehr schwierig wird,
weil sie (wenn nur noch ein geringer Rest vom Schielen geblieben) auf
das Minimum der Ablösung beschränkt werden muss. Falls aber auch
durch die unilaterale Operation bei höheren Graden von Schielen der
Zweck lücksichtlich der Stellung der Sehachsen so weit erreicht worden
ist, dass man sich damit begnügen kann, so wird doch dem kosmeti-
schen Zwecke immer mehr weniger Eintrag gethan durch die ungleiche
Lage der Bulbi, die hier immer schon auffallend hervortritt, und
durch die fortbestehende Schief haltung des Kopfes, welche oft nur
mit grosser Mühe abgelegt werden kann, während sie bei der bila-
teralen Operation so zu sagen durch den Operationsact selbst be-
seitigt wird.
Bei der völligen Gefahrlosigkeit der Operation steht der beiderseitigen Durckschnei-
dnng in einer Sitzung (oder wenig Tage nach einander) nichts entgegen, als die Furcht,
das Einwärtsschielen in Auswärtsschielen mit Doppeltsehen zu verwandeln. Dass diesem
üblen Zufalle vorgebeugt werden könne, ergibt sich wohl aus dem bereits Gesagten ; dass
ihm aber auch Avieder abgeholfen werden könne , hat A. v. Gräfe durch eine Reihe
glänzender Erfolge bei inveterirtem Auswärtss'.ehen der Bulbi nach excessiver Internus-
durchschneidung dargethan. So viel ich weiss, war die Mehrzahl in diesen schlimmen
Zustand nicht durch die bilaterale, sondern durch unilaterale Internusdurchschneidung
versetzt worden. Das Umschlagen in lusciöse Auswärtsstellung dürfte demnach minde-
stens eben so oft nach unitaleraler Durchschneidung zu fürchten sein, ja noch öfter, in-
dem man, um die Geradestellung zu erzwingen, den Muskel zu weit zurücklagern , das
Auge dem Einflüsse des Muskels zu viel entziehen und dasselbe somit gleichsam ver-
stümmeln muss. Übrigens liegt der Grund des Umschlagens in Strabismus nach der
entgegengesetzten Pachtung in vielen Fällen gewiss nicht in fehlerhafter Verrichtung der
Operation, oder doch nicht vorzüglich in dieser, sondern vielmehr darin, dass Augen
operirt werden, die überhaupt durch die Operation nicht geheilt werden können, weil
Complicationen (optische Hindernisse, MuskelinsufScienz) vorhanden sind, welche erst
hätten beseitigt werden müssen, wenn die Operation nicht so zu sagen „auf gut Glück"
unternommen werden sollte. Es gibt Leute, welche nach vollkommen richtig verübter
Operation wieder schielen müssen, wenn sie mit dem andern Auge gut sehen wollen ; ist
die Ablenkung nach der frühern Richtung unmöglich, so erfolgt sie nach der entgegen-
gesetzten Seite um so leichter, je weiter der Muskel rückwärts gelagert worden war.
332 Augenmuskeln.
Die Wunde bedarf kaum einer Nachbehandlung. Zur Linderung
des brennenden oder drückenden Schmerzes mag man durch einige
Stunden kalte Überschläge machen lassen. Einschränkung des Kranken
auf's Zimmer wird höchstens aus Rücksicht auf die Stellung der Bulbi
nothvvendig. Bedeutende Ekchymosen habe ich nicht mehr gesehen,
seit ich in der oben beschriebenen Weise und ohne Lidhalter operire.
Wenn man an der Sclera einen Stumpf zurückliess, bei Durchschnei-
dung im Muskelfleische, so heilt die Wunde langsam, und es erheben
sich dann häufig von dem Stumpfe aus Wundgranulationen, welche man
zu ätzen empfohlen hat. Wenn mir dieser Zufall — wie in der ersten
Zeit mehrmal — begegnete, so wartete ich, bis die Wucherung an der
Basis durch die immer näher zusammenrückende Bindehaut bis auf
einen dünnen Stiel eingeschnürt worden war, wo sie sich dann leicht
mit einer flach gebogenen oder geraden Scheere abtragen Hess. —
Wichtiger ist die sogenannte orthopädische Nachbehandlung. Die
Grundsätze derselben sind im Wesentlichen dieselben, wie die, welche
wir der Operation vorauszuschicken empfohlen und oben angegeben
haben. Wer sich die Mühe genommen, Schielende ohne Operation zu
heilen, wird sich im Allgemeinen auch zu helfen wissen, wenn nach
der Operation noch ein geringer Grad von Schielen zurück bleibt. Nur
gegen geringe Reste hilft die Orthopädie in Fällen, wo sie nicht auch
ohne Operation ausreichend gewesen wäre. Wo dem Erfolge der Ope-
ration nicht schon in vorhinein eine zweifelhafte Prognosis zu stellen
war (wegen Complicationen, von denen oben die Rede war), und wo
dieselbe richtig ausgeführt wurde, da stehen die Bulbi meistens schon
unmittelbar nach der Operation richtig, und das Verhalten der Kranken
muss in Bezug auf den Gebrauch der Augen in den ersten Tagen und
Wochen nur so eingerichtet werden, dass die richtige Einstellung nicht
durch fehlerhafte Verwendung wieder verrückt werde. Bei insufficienter
Wirkung der Operation hat man empfohlen, das noch fehlerhaft stehende
Auge fleissig so verwenden zu lassen, dass der Antagonist mehr in An-
spruch genommen werde, die Wunde mehr klaffe, und der Muskel weiter
hinten anheile. Dagegen ist nichts einzuwenden, sobald nicht zu viel
verlangt, andrerseits aber auch die Sache nicht zu weit getrieben wird.
Wie aber bei excessiver Wirkung der Operation das Zu-weit-zurück-
weichen des durchschnittenen Muskels dadurch verhindert werden soll,
dass man den Kranken anweist, nach der Seite des durchschnittenen
Muskels zu schauen (bei Durchschneidung des linken R. internus nach
rechts), ist mir unbegreiflich. Denn hiedurch wird offenbar die Zurück-
ziehung des abgelösten Muskels eher begünstigt (indem ja der R. in-
Augenzittern. 333
ternus jetzt den Bulbus einwärts rollen, mitbin in erhöhte Thätigkeit
geratken ruuss, wie er es denn auch thut, so gut es eben seine Ver-
bindung mit dem Bulbus noch gestattet). Will man das Zu-weit-zu-
riickweichen des abgelösten Muskels durch Orthopädie verhüten, so
muss man überhaupt jede Seitenbewegung und jeden Gebrauch sowohl
für grössere als für nähere Distanzen (accommodative Bewegung) ver-
bieten. Am ehesten, wenn überhaupt etwas, kann noch das helfen,
dass man beide Augen durch einige Tage wohl verschlossen halten
lässt. Bedeutendes darf man aber auch von diesem Verfahren nicht
erwarten, und es wird bei offenbarer Divergenz unmittelbar nach der
Operation besser sein, statt die beste Zeit zu erfolgreichem Handeln
verstreichen zu lassen, lieber sogleich zu einem operativen Verfahren
zu schreiten, indem man entweder das vordere Ende des abgelösten
Muskels mittelst eines oder zweier Hefte an die Binde- und Scheiden-
haut nächst der Cornea befestigt, oder indem man überdiess den R.
externus mit möglichst geringer Wundgrösse durchschneidet. — Bei
veralteter Auswärtsstellung des Bulbus hat A. v. Gräfe das Guerin'sche
Verfahren, zweckmässig modificirt, mit dem besten Erfolge angewendet.
Zunächst wird im innern Winkel die Bindehaut eingeschnitten, und der
zu weit zurückgelagerte oder mit dem Bulbus gar nicht in directe
Verbindung getretene Muskel präparirt, um ihn zur Wiedervereinigung
mit der Sclera geeignet zu machen. Sodann wird der R. externus
durchschnitten und der hiebei absichtlich (in der Sclera) sitzen gelas-
sene Stumpf mit einer Fadenschlinge gefasst, um hiemit den Bulbus
bis zur Wiederanheilung des K. internus genügend einwärts gelenkt zu
erhalten. Nach 2 — 3 Tagen wird der Faden entfernt.
Augenzittern (Nystagmus bulbi).
Mit diesem Terminus pflegt man jenen Zustand der Bulbi zu be-
zeichnen, wo dieselben in# beständiger oscillirender oder rotirender Be-
wegung sind, welche nicht nur unwillkürlich fortbesteht, sondern auch
beim Bestreben, den Blick fest auf irgend ein Object zu heften, noch
stärker in die Erscheinung tritt. Manche Augen bieten nur oscillirende
Bewegungen dar, d. i. eine Eeihe ganz kleiner und rascher Schwan-
kungen oder Drehungen um eine durch den Aequator bulbi gehende
Achse, demnach wohl vermittelt durch kurz auf einander folgende
kleine Contractionen und Extensionen gerader Augenmuskeln, besonders
des R. internus und R. externus (Nystagmus oscillatorius). An andern
334 Augenmuskeln.
bemerkt man beständig, besonders aber beim Bestreben, irgend ein
Object genauer zu sehen, kleine rotirende Bewegungen um eine ohn-
gefähr vom vordem zum hintern Pole verlaufende Achse, also wohl
durch die M. obliqui vermittelt (Nyst. rotatorius), während noch andere
gewissermassen ein Gemisch von beiden darbieten, doch so, dass bald
das eine, bald das andere vorherrschend in die Erscheinung tritt. —
Dieser Zustand ist an und für sich kein Gegenstand der Behandlung^
denn er ist immer nur die Folge anderer Übel ; aber seine Betrachtung*
ist so sehr geeignet, auf den Act des Sehens überhaupt Licht zu
werfen, dass wir nicht umhin können, ihn einer etwas weitläufigeren
Erörterung zu unterwerfen, als bisher geschehen ist.
Man wird diesen Zustand niemals treffen, wenn auch nur eines der
beiden Augen ein vollkommenes Gesicht besitzt. Das Gesicht ist aber
nicht fehlerhaft, weil Nystagmus vorhanden ist, sondern der Nystagmus
ist ganz bestimmt jederzeit die Folge mangelhaften Gesichtes. Der
Nystagmus wird — mit sehr wenigen Ausnahmen — nur an Individuen
beobachtet, welche Fehler des Gesichtes beider Augen seit der Zeit
des 1. Lebensjahres an sich tragen, Trübungen der durchsichigen
Medien oder Amblyopie aus was immer für Ursachen. Wenn sich
solche Zustände in späterer Zeit entwickeln, namentlich wenn beider-
seitige Cataracta oder Amaurosis entsteht, so pflegen die Bulbi wohl
auch häufig in Schwankungen zu gerathen; diese erfolgen jedoch bei
weitem nicht so rasch und sind vielmehr dem stets unbefriedigt blei-
benden Drange zu sehen zuzuschreiben. Wenn das Sehhinderniss, die
Hornhauttrübung, die Cataracta bei Zeiten, ehe noch unheilbare Ab-
stumpfung der centralen Netzhautpartie dazugetreten ist, beseitigt
wurde, so schwindet der Nystagmus, und zwar auch dann, wenn die
Functionsfähigkeit bis zu einem gewissen Grade auch nur auf dem
einen Auge wieder hergestellt wurde.
Obwohl es bei Nystagmus schwer ist zu bestimmen, ob beide
Augen zugleich richtig zu den Objecten eingestellt werden, so gibt es
doch Fälle, wo wenigstens keine merkliche Ablenkung des einen Auges
stattfindet. Wenn aber auch das eine Auge entschieden abgelenkt wird,
so partieipirt es doch an den oscillirenden oder rotirenden Bewegungen
des andern. Auch ein ganz erblindetes, z. B. phthisisches Auge par-
tieipirt am Nystagmus des andern. In den meisten Fällen wird aber,
wenn beide sehfähig sind, auch das zum Betrachten von Objecten ver-
wendete bessere Auge nicht mit dem Netzhautcentrum dem Objecte
zugewendet, sondern mit einer excentrischen Region. Der Nystagmus
hindert übrigens nicht, dass sowohl assoeiirte als aecommodative Be-
Augenzittern. 335
wegungen auftreten, wenn auch Dicht mit jener Ruhe und Stetigkeit im
Fortschreiten, wie im gesunden Zustande. Vergl. B. III. S. 48.
Ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, der Nystagmus er-
folge im Dienste des Sehactes. Dieser kann nicht gehörig erfolgen,
weil entweder ein unvollständiges, zu lichtarmes Bild entworfen wird,
oder weil durch eine ausgedehnte centrale Trübung die Mac. lutea vom
Sehen ausgeschlossen wird, oder wegen Blendung (durch diffuses oder
reflectirtes Licht, bei durchscheinenden Trübungen, bei Chorioideal-
spaltung — Coloboma, bei Pigmentmangel — Albinismus) oder endlich
wegen Netzhaut-, Sehnerven-, Hirnleiden j — Hydrocephalus chronicus.
Ist nun die Netzhaut aus was immer für einer Ursache schon in früher
Jugend in ihrer Function gehindert, und zwar auf beiden Augen, ist
der Eindruck, den sie dem Sensorium bringt, ungenügend, so tritt
Nystagmus auf, als eine Reihe rasch auf einander folgender Reflexbe-
wegungen, um dadurch, dass dieselbe Netzhautstelle rasch nach einan-
der wieder von denselben Lichtstrahlen getroffen wird, ehe noch die
Schwingungen von der nächst vorhergehenden Erregung verschwunden
sind, den Eindruck zu potenziren. Die Schwingungen oder Rotationen er-
folgen meines Erachtens rascher, als man eine Flamme im Kreise herum-
zudrehen im Stande ist. Vergl. B. III. S. 34. So wie ein gesundes Auge ein
Object, das wegen zu geringer Erregung der Netzhaut schon jenseits
der Grenze der Wahrnehmung liegt, noch wahrnehmen kann, sobald
dieses in rasche Bewegung geräth, so, möchte ich sagen, erkennt das
mit unvollständiger Sehkraft ausgerüstete Auge Objecte oder sieht sie
doch besser, sobald dieselben rasch hinter einander demselben vorge-
führt werden. Denn es ist wohl eins, ob das Object sich so bewegt
oder das Auge. Desshalb, wenn ich nicht irre, tritt der Nystagmus
besonders dann auf, wenn sich's darum handelt, irgend ein Object ge-
nauer zu erkennen. Gäbe es also auch ein Mittel, den Nystagmus zu
heben : könnte ich nicht zugleich das Sehhinderniss beseitigen, so würde
ich auch jenes Mittel unbenutzt lassen.
X. Buch.
Die Augenlider, palpebrae.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Die constituirenden Theile der Augenlider sind: die Haut, der
Kreis- oder Schliessmuskel, die beiden Lidknorpel, welche die Mei-
bom'sehen Drüsen in sich einschliessen, innen mit der Bindehaut über-
zogen sind, und durch die obere und untere Augenlidbinde (fascia tarso-
orbitalis sup. et inf.) so wie durch das innere und ausseife Augenlidband
(ligamentum canthi seu palp. intern, et extern.) mit dem Orbitalrande
des Knochengerüstes verbunden werden ; längs ihres freien Bandes sind
die Haarzwiebeln der Cilien zwischen dem Schliessmuskel und dem
Knorpel eingepflanzt, und in den convexen Rand des oberen Knorpels
inserirt sich (mittelbar) der Aufheber des oberen Lides, welcher hinter
der obern Augenlidbinde auf- und rückwärts verläuft (zur Spitze der
Orbita). Im innern Augenwinkel liegen die Thränenröhrchen.
1. Lage. Die Haut, in der Gegend der Augenbrauen ungewöhn-
lich dick, und unterhalb des untern Augenhöhlenrandes besonders fett-
reich, ist im Bereiche der Augenhöhlenöffnung ungemein dünn (gegen
die Lidränder hin wie Papier), fettlos, sehr dehnbar und mit der 2. Lage
(dem Orbicularmuskel) durch ein sehr lockeres Bindegewebe verbun-
den; bloss an den Augenlidbändern, besonders am innern, dem sie un-
mittelbar aufliegt, und an den Lidrändern haftet sie fest; sonst lässt sie
sich überall leicht in Falten erheben und isoliren, ist zu blutigen und
serösen Infiltrationen sehr geneigt, dagegen der Entwicklung von Fu-
runkeln und Balggeschwülsten nur noch in der Nähe des Orbitalran-
des günstig. Durch zahlreiche, nur äusserst feine Schmeerdrüschen
wird die Cutis der Lider nicht nur geschmeidig erhalten, sondern auch
in demselben Masse, wie die Cutis überhaupt, gegen Benetzung ge-
Anatomie. 337
schützt. Dass der Augenlidhaut auch die Sehweisskanälchen nicht ab-
gehen, sieht man beim Schwitzen. Die Haarbildung ist nur durch
äusserst dünne und farblose Härchen vertreten, welche vom Orbital-
rande gegen die Cilien hin allmälig an Zahl und Grösse abnehmen.
2. Lage. Der Augenlidschliessmuskel reicht als ein membranar-
tig dünner Kreismuskel, dessen Fasern grösstenteils zu demselben Ge-
bilde zurückkehren, von dem sie entspringen, mit seinen peripherischen
Fasern oben bis unter die Augenbrauen, unten bis vor die Fossa canina,
aussen etwa * -i" über den Orbitalrand hinaus, während die innersten
(kürzesten) Fasern längs der Lidränder und knapp an denselben ver-
laufen. Die meisten Fasern desselben entspringen vom Ligam. palpebr.
internum, einem dichten, zelligfibrösen Bändchen, welches knapp vor
der Thränensackrinne vom Stirnfortsatze des Oberkieferknochens ent-
springt, mit auf- und abwärts gerichteten Flächen circa 3;" lang hori-
zontal auswärts verläuft, und au eben diesen Flächen den Muskelfasern
zur Anheftungsstelle dient, während der vordere, etwas abwärts gerollte
Eand mit der Cutis, der hintere dagegen mit dem Thränensacke fest
zusammenhängt. Obwohl dieses Bändchen von vorn nach hinten 1 J/2 —
2'" breit ist, reichen seine Flächen doch nicht hin, die zahlreichen Mus-
kelfasern alle aufzunehmen, sondern es inseriren sich viele derselben
noch an der Leiste des Oberkieferknochens vor dem Thränensacke,
während andere vom Thränenbeinkamme (hinter und besonders über
dem Thränensacke) aus der Tiefe kommen, um an dem Verlaufe der
mehr oberflächlich entsprungenen Theil zu nehmen. An seiner Peripherie
hängt er oben mit Fasern des Muse, frontalis und Corrugator superci-
liorum, unten mit dem M. zygomaticus minor und levator alae nasi et
labii superioris zusammen. Die über den Orbitalrand hinausragenden
Fasern liegen nicht dicht aneinander, sondern lassen Lücken zwischen
sich, durch welche dichtere Bindegewebsfasern vom Coriuni und Pan-
niculus adiposus der Cutis zu der Unterlage des Muskels streichen.
Diese Bindegewebsfasern heften den Muskel gewissermassen an die
Cutis, und vermitteln die Hereinziehung der benachbarten Cutis über
den Orbitalrand, sobald die peripherischen Fasern des Kreismuskels
sich stark verkürzen. Besonders zahlreich und viel straffer angezogen
sind die genannten Bindegewebsfasern in der Gegend der äusseren
Commissur der Lider zwischen der Cutis und den unter den Muskel-
fasern liegenden fibrösen Gebilden (Ligamentum palp. externum und
Periosteum) , so dass die zwischen ihnen durchgehenden Muskelfasern
an ihrer Umbiegungsstelle vom obern zum untern Lide sich nie weit
von ihrer Unterlage entfernen, also auch die Cutis, in welche sich übri-
Arlt Augenheilkunde. III. 22
338 Augenlider.
gens manche Fasern zu inseriren scheinen, hier nie so bedeutend ver-
schieben können, wie oben und unten. — Über der obern und untern
Augenlidbinde und über dem Knorpel liegen die Muskelfasern mehr
gedrängt aneinander, aber sehr dünn; erst gegen den Lidrand hin, be-
sonders am untern Lide, liegen sie nicht nur dicht, sondern auch dicker
oder mächtiger, und wurden desshalb von Albinus als eigener Muskel
beschrieben. Diese Lage (portio minor) ist es, welche den Lidschluss
zunächst bewirkt, während die peripherische (portio major) mehr die
Herbeiziehung der Cutis und der Augenbrauen behufs kräftigeren Lid-
schlusses und stärkerer Beschattung des Auges vermittelt. Längs des
Lidrandes von der äusseren Commissur bis zu den Thränenpunkten be-
decken die innersten Fasern zunächst das dunkelfarbige Bindegewebe,
in welchem die Haarzwiebeln der Cilien eingebettet sind, dann streichen
sie quer über das verticale Anfangsstück der Thränenröhrchen, und um-
hüllen dann diese letzteren von drei Seiten, bloss deren Innenseite zur
unmittelbaren Anlagerung der Bindehaut an dieselben frei lassend, bis
diese Kanälchen kurz vor ihrer Einsenkung in den Thränensack end-
lich ringsum von ihnen umfangen werden.
3. Lage. Diese Lage, welche hauptsächlich von der obern und
untern Augenlidbinde, von dem äussern und innern Augenlidbande und
von den Knorpeln gebildet wird, und vermöge ihres unmittelbaren Über-
ganges in die Beinhaut am Orbitalrande gewissermassen als Ergänzung
des Knochengerüstes betrachtet werden kann, lässt sich trotz des sehr
lockeren, durch äusserst dehnbares Bindegewebe vermittelten Zusam-
menhanges der Muskelschicht mit derselben desshalb nicht gar leicht
bloss legen und als Continuum präpariren, weil die Augenlidbinde nicht
straff gespannt ist und stellenweise nicht nur sehr dünn, sondern auch
durchbrochen, oder doch bloss von Bindegewebe gebildet erscheint. In
der Nähe des Orbitalrandes jedoch, besonders vor der Thränendrüse,
und an einzelnen breiteren, sehnenartig glänzenden Streifen ist die fibröse
Natur dieser Fascie nicht zu verkennen. Man kann diese Fascie ge-
wissermassen als Fortsetzung der Beinhaut betrachten, indem man sich
vorstellt, die Beinhaut steige vom Orbitalrande herab, um den Knorpel
an seiner Aussenfläche als Perichondrium zu überziehen, schlage sich
auf dessen Innenfläche um, und streiche dann, mit dem absteigenden
Blatte verschmolzen, wieder aufwärts, jedoch nicht um wieder zum Or-
bitalrande zurückzukehren, sondern um zur Fascia s. tunica vaginalis-
bulbi zu gelangen. Über dem Orbital- oder convexen Rande des Tar-
sus trennt sich nämlich von der in Rede stehenden Augenlidfascie eine
zellig-fibröse Membran als Unterlage der Conjunctiva palp. ab, schlägt
Anatomie. 339
sieh mit derselben auf den Bulbus und verschmilzt hier mit der T. va-
ginalis. Nebstdem aber geht von der Innenfläche der Augenlidfaseie,
vvo hinter ihr die Thränendrüse liegt, ein Ausläufer ab, welcher sich
zwischen die obere und untere Thränendrüse einschiebt, und erstere
stützt, indem er sich hinter ihr in die Periorbita inserirt. In der Mitte
des oberen Lides, wo sich der M. levator palp. super, in die Augen-
lidfascie mit einer gegen v.i" breiten dünnen Sehne inserirt, schickt sie
einen ziemlich starken, zellig-fibrösen Überzug für diesen Muskel ab,
so wie sie endlich weiter einwärts (gegen die Nase) durch eine solche
Fortsetzung mit der Scheide zusammenhängt, welche die Sehne des M.
obl. super, umhüllt. Im Bereiche des untern Lides verhält sie sich zur
Bindehaut und T. vagin. bulbi so, wie oben; unter ihren äussern drei
Yiertheilen birgt sie bloss Orbitalfett, gegen den Thränensack her aber
bedeckt sie unmittelbar den Ursprung des M. obl. inferior, und dann
die äussere (kleinere) Hälfte des Thränensackes , mit dessen fibrösem
Überzuge sie einwärts einer schräg aufsteigenden Linie verschmilzt,
welche vom Ansatzpunkte des Innern Randes des Obl. inf. bis zum
Ligam. palp. internum aufsteigt. — Sowohl hinter dem bereits beschrie-
benen inneren Augenlidbande als auch hinter dem etwas dichteren, zel-
lig-fibrösen Gewebe, welches als Continuum der genannten Fascie zwi-
schen den äussern Enden der Lidknorpel und dem benachbarten Theile
des Orbitalknochenrandes ausgespannt ist, und das äussere Augenlid-
band genannt wird, befindet sich eine ziemlich mächtige Lage dichten
und fettlosen Bindegewebes, welches zur Befestigung des genannten
Fasciengerüstes an das Skelett bestimmt zu sein scheint, ohne die Be-
weglichkeit des von demselben getragenen Bulbus zu beeinträchtigen.
Die Knorpel können füglich als elastisch-biegsame Träger der Mei-
bomschen Drüsen betrachtet werden, indem gerade nur so viel Band-
faserknorpelmasse vorhanden zu sein scheint, als zum Binden dieser
Drüsen erforderlich ist. In der Mitte ist der obere 4'" (31/ar-4l/<)» der
untere T" breit. Ihre Länge beträgt mehr als \". Gegen die Schläfe
hin enden sie mehr zugespitzt: unmittelbar an ihr inneres, quer abge-
stutztes Ende legt sich das Anfangsstück eines jeden Thränenröhrchens.
Die Acini der J/e^ow'schen Drüsen, mitten in der Knorpelsubstanz ein-
gebettet, daher an der Aussenfläche (nach Beseitigung der Cutis und
des Muskels) so gut wie an der Innenfläche durch die (beinahe durch-
sichtige) Bindehaut als gelbliche Körnchen sichtbar, sind reihenweise
von oben nach unten um je einen Ausführungsgang gruppirt. Die Aus-
führungsgänge münden in einer Reihe neben einander am Lidrande.,
welche der innern scharfen Kante desselben näher liegt, als der äussern
22*
340 Augenlider.
stumpfen, und theils durch die blosse Ansicht, theils durch Ausquetschen
des wasserhellen flüssigen, doch fettigen Secretes leicht erkannt wer-
den kann. Fest oder talgähnlich wird das Secret dieser Drüsen nur
durch Vertrocknen an der Luft oder nach langer (krankhafter) Zurück-
haltung im Ausführungsgange. Die Linie, in welcher die Mündungen
der Meibomschen Drüsen liegen, ist zugleich die Marke zwischen Cutis
und Conjunctiva. Die Follikel sowohl als die Ausführungsgänge sind
mit Pflasterepithelium ausgekleidet.
Der Lidrand zeigt sowohl an dem untern als an dem obern Lide
deutlich eine innere scharfe, vom Knorpel gebildete, und eine äussere
mehr stumpfe von der Cutis gebildete Kante, aus welcher die Wimpern
in einer Reihe längs derselben, doch nicht einzeln, sondern immer zu
mehreren über einander stehend (besonders am obern Lide) hervor-
sprossen. Sind die Lider geschlossen, so berühren sie sich mit ihren
linearen Randflächen (zwischen der äussern und innern Kante) voll-
kommen, ohne zwischen sich und dem Bulbus einen Raum (dreikanti-
gen Kanal, Thränenbach) übrig zu lassen, wie ich nach Durchschnitten
an gefrornen Köpfen mit Bestimmtheit behaupten darf. Die Zwiebeln
der Wimperhaare liegen am obern Lide etwa \'", am untern 3/*"' tief
(von der Randfläche des Lides an gerechnet) in einem etwas dunkel-
farbigen Bindegewebe eingebettet, zwischen dem Knorpel und den
Schliessmuskelfasern, daher das Lid, so weit die Cilien hineinreichen,
auch etwas dicker ist, als höher oben (respect. tiefer unten). An den
Zwiebeln befinden sich zahlreiche Talgdrüschen.
4. Lage. Der Aufheber des obern Augenlides (M. levator palp.
super.) entspringt am obern Umfange des Sehnervenloches, hängt An-
fangs noch mit dem M. r. internus und r. superior zusammen, trennt
sich von letzterem, den er in seinem Laufe nach vorn von obenher be-
deckt, erst in der Gegend des Bulbus, und breitet sich dann, ringsum
von einem ziemlich mächtigen Fettlager eingehüllt, fächerartig aus, und
verliert sich mit einer dünnen breiten Sehne in die oben beschriebene
Augenlidfascie , welche somit seine Verbindung mit dem Lidknorpel
vermittelt. Er steht demnach mittelst dieser Fascie auch mit den ob-
genannten Ausläufern derselben in Verbindung.
Ihre Arterien erhalten die Lider theils von der Carotis interna
(vorzüglich von der Nasenseite her) durch die Art. ophthalmica mittelst
der Art. supraorbitalis , palpebralis (interna), frontalis und lacrynialis,
theils von der Carotis externa (vorzüglich von aussen und unten her)
durch die Art. maxillaris externa s. facialis mittelst der Art. angularis,
durch die Art. temporalis (superficialis) mittelst der Art. transversa faciei
Anatomie. 341
und zygoniatico-orbitalis (s. supraorbitalis externa), endlich durch die
Art. mcLvillar/'s externa mittelst des Kam. temporalis profundus und der
Art. infraorbitalis. So wie au der Iris kann man auch an den Lidern einen
äussern grössern und innern kleinern Gefässkranz unterscheiden, gebil-
det durch directe und anastomosirende Zweige der genannten Arterien.
Der grössere entspricht der Lage nach ohngefähr dem Orbitalrande,
und ist besonders oben (unter den Augenbrauen) deutlich als Kranz
ausgesprochen; der kleinere schlingt sich nahe um die Lidspalte, ver-
läuft dem Lidrande parallel und nur 1 — l1^'" davon entfernt, mithin
nächst dem Haarzwiebelboden zwischen dem Tarsus und M. orbicularis.
Vom innern Winkel her wird er durch zwei Endäste der Art. opkthal-
mica gebildet. Da, wo die Art. ophthalmica unterhalb der Trochlea
aus der Orbita heraustritt, sendet sie die Art. palpebr. interua seu tarsea
superior ab, welche alsbald den genannten Verlauf nimmt, während der
zweite Ast, die Art. palp. interna seu tarsea inferior erst unter dem in-
nern Theile des Ligam. palp. internum abwärts dringen muss, um an
den Lidrand zu gelangen. Diesen beiden Ästen kommen vom äussern
"Winkel her verschiedene Zweige entgegen, vorzüglich aber zwei End-
zweige der Art. lacryrnalis als Art. palp. externa s. tarsea superior und
inferior, und schliessen den ziemlich spitzigen Bogen etwa 2'" jenseits
der äussern Commissur (dem dünnen Hautbändchen zwischen den Lid-
knorpeln). — Die Venen der Augenlider, flacher und grösstentheils un-
mittelbar unter der Haut gelegen, und in ihrem Verlaufe den Muskel-
fasern viel weniger als die Arterien entsprechend, treten erst gegen
den Orbitalrand hin in grössere Äste zusammen, welche bereits unter
der Fascie liegen und daselbst eine Art Kranz bilden, aus welchem ihr
Blut theils in die Tiefe zur Vena ophthalmica fliesst, welche im innern
Augenwinkel beginnt und durch die obere Augenhöhlenspalte zum Sinus
cavernosus führt, theils zur Vena facialis mittelst der Vena supraorbi-
talis (längs des Augenbrauenrunzlersj, der Vena angularis (die mit der
ophthalmica anastomosirt), Vena temporalis superficialis, transversa fa-
ciei und anderer kleineren Zweige. — Die Saugadern folgen dem Ver-
laufe der Venenstämme.
Mit sensitiven Nervenfasern werden die Lider sehr reichlich ver-
sehen vom 1. und 2. Aste des Trigeminus, mit motorischen der Auf-
heber des obern Lides vom Oculomotorius, der Schliessmuskel vom Fa-
cialis ; mit den Gefässen verbreiten sich Fasern vom Sympathicus.
Die Augenlider dienen den Augen nicht bloss zum Schutze gegen
fremde Körper, grelles Licht, grosse Hitze oder Kälte u. dgl., sie stehen
auch zur Secretion, Vertheilung und Fortschaffung der Thränen in naher
342 Augenlider.
Beziehung, und vermögen selbst den Sehact direct zu beeinflussen,
theils durch Teinperirung des Lichtes, theils durch Druck auf den Bul-
bus. So lange der Bulbus nicht so weit in die Orbita zurücksinkt,
dass eine gerade Linie, vom äussern Orbitalrande bis zur Anheftungs-
stelle des innern Augenlidbandes am Oberkieferknochen gezogen, durch
oder gar über die Cornea hinwegstreicht — und ein so starkes Zu-
rücksinken kommt wohl nur bei äusserster Abmagerung vor — so lange
inuss auch der Muse, orbicularis mit seiner innern Portion gewölbt (die
Convexität nach vorn gerichtet) über den Bulbus verlaufen. Demnach
schmiegen sich die Lider stets an den Bulbus an, und kann niemals
Luft zwischen ein Lid und den Bulbus eindringen, ausser bei sehr tief-
liegenden Augen während rascher Lidbewegungen, was dann ein backen-
des oder quatschendes Geräusch (Schotengeräuschj erzeugt. Da nun
der höchste Punkt des Augapfels höher (weiter vorn) liegt, als die fixen
Punkte des Orbicularis, und demnach die Lider beim Schlüsse durch
den Orbicularis am Bulbus aufsteigen müssen, so erhellt, dass, wenn
ein Lid aus was immer für einer Ursache umgestülpt ist, die Umstül-
pung bei jeder stärkern Contraction des Schliessmuskels stärker her-
vortreten müsse. — Zurückdrücken kann der Schliessmuskel den Bul-
bus nur bei geschlossenen Lidern und excessiver Contraction; eine
Compression (Formveränderungj des Bulbus kann hiebei wahrscheinlich
nicht stattfinden, weil das retrobulbäre Fettgewebe compressibel ist.
Wenn aber der Bulbus bei offener Lidspalte abwärts gerichtet ist, kann
der Orbicularis allem Anscheine nach wohl mittelst des obern Lides
auf den Bulbus so drücken, dass derselbe in der Sehachse etwas ver-
längert wird. Vergl. oben über Weitsichtigkeit. — Zu bemerken ist,
dass wir willkürlich und je nach Bedürfniss bald die Portio major,
bald die Port, minor s. interna vorzugsweise in Wirksamkeit treten
lassen können, indem wir bei relativ geringer Contraction des Muse.
Albini die Stirn-, Schläfen- und Wangenhaut stark hereinziehen, oder
aber gewissermassen nur den M. Albini wirken lassen. Wollen wir
ein Auge allein scliliessen, so ist diess wohl immer nur mittelst der
Portio major und minor zugleich möglich. Zu bemerken ist ferner,
dass wir, wenn wir bei Fixirung eines Gegenstandes die Lidspalte ver-
engern wollen, nur das untere Lid hinaufziehen, dass wir diess wenig-
stens thun können, ohne den Stand des obern Lides merklich zu än-
dern. Es ist also bis zu einem gewissen Grade eine selbstständige
und isolirte Bewegung des untern Lides gestattet. — Die Hebung des
obern Lides wird durch den vom N. oculomotorius versehenen Augen-
lidheber vermittelt; zur Senkung des untern Lides ist kein eigener Mus-
Anatomie. 343
kel vorhanden. Die Hebung des obern und die Senkung- des untern
Lides ist aber bis zu einem gewissen Grade auch vom M. rectus supe-
rior und inferior abhängig. Sobald der M. orbicularis nicht entgegen-
wirkt, muss bei Abwärtsrollung der Hornhaut durch den ß. inferior
auch das untere Lid abwärts gezogen werden, weil die Tunica vagi-
nalis bulbi durch die unter der Lidbindehaut fortgehende Fascie mit
der Fascia tarso-orbitalis in Verbindung steht. Auf gleiche Weise, nur
in geringerem Grade, muss auch das obere Lid schon vermöge dieses
Zusammenhanges der Fascien etwas gehoben werden, sobald der E.
superior die Pupille aufwärts rollt, und auch das untere Lid folgt dem
Zuge dieses Muskels. Desshalb kann die Stellung des Bulbus nur bei
gelindem "Wechsel zwischen Öffnung und Schliessung der Lidspalte
ruhig bleiben, hat jeder starke Lidschlag auch momentane Bewegung
des Augapfels zur Folge. — Da ferner die Augenlidbinde auch mit
jener Fascie, welche die Thränendrüse stützt, in continuirlichem Zu-
sammenhange steht, so wirkt der Lidschlag in ähnlicher Weise bethä-
tigend auf die Thränensecretion ein, wie die Thätigkeit der Kaumus-
keln auf die Speichelsecretion. Auf den durch die Thätigkeit des
Schliessmuskels in Gang gesetzten und erhaltenen Mechanismus der
Fortleitung der Thränen können wir erst im nächsten Buche eingehen,
und begnügen uns vorläufig nur mit der Bemerkung, dass insufficiente
oder aufgehobene Action des M. orbicularis jederzeit Thränenträufeln —
von gehinderter Ableitung der Thränen — im Gefolge hat. — Wenn bei
Ectropium von Substanzverlnst der Cutis die Fascia tarso-orbitalis un-
versehrt ist, so ist Heilung viel leichter möglich, als wenn wegen Zer-
störung und Verschrumpfung dieser Fascie der convexe Rand des Knor-
pels gegen den Orbitalrand gezogen oder gar mit demselben verwach-
sen ist. — Wenn excessive Contraction des Orbicularis durch längere
Zeit besteht oder häufig nach einander erfolgt, so wird der Eückfluss
des Blutes aus den Hautvenen behindert; die Folgen davon sind: Aus-
tritt von Serum (Odern) und Erweiterung der Venen (oder beides).
Daher findet man bisweilen schon nach anhaltendem Weinen die Lid-
ränder etwas angelaufen. — Das Überfliessen der Thränen wird bis zu
einem gewissen Grade verhindert durch die Beölung des Lidrandes
mittelst der Meimbomschen Drüsen. Wo deren Mündungen obliterirt
oder durch ein, operatives Verfahren zerstört sind, leiden die Kranken
häufig an Excoriationen der Lidränder. Ob sich die Thränen mit dem
Secrete der Meibomschen Drüseu mischen, ist meines Wissens noch
unerwiesen. — Indem die Fasern des Schliessmuskels bis zur äussern
Kante des Lidrandes reichen, würden sie die unter ihnen liegenden
344 Augenlider.
Wimpern gegen den Bulbus drücken, wenn nicht die innere scharfe;,
vom Knorpel gebildete Kante eine stützende Unterlage gewährte; wo
demnach diese Kante abgeflacht ist, erhalten die Cilien eine einwärts
gekehrte Richtung. — Wenn bei Personen, deren Bulbi von Natur aus
eine mehr flache Lage hatten, Abmagerung, Zurücksinken der Bulbi
und Runzelung der Haut eintritt, so sind die Lider (von einem Winkel
zum andern) relativ zu lang und können sich längs der Ränder nicht
mehr genau an den Bulbus anschmiegen, besonders in der innern Hälfte ;
die Bindehaut der Lider, nicht für den Contact mit der Luft geschaf-
fen, erleidet zunächst vom Lidrande aus dieselben Veränderungen, wie
aus ihren Höhlen vorgefallene Schleimhäute (Vagina, Rectum) und wird
eben desshalb und wegen Verlängerung des Lidrandes auswärts ge-
stülpt, während in andern Fällen unter den gleichen mechanischen Ver-
hältnissen heftigere Contractionen des M. orbicularis, durch Reizung
der Bindehaut oder des Bulbus (fremde Körper, Verwundungen, Ent-
zündungen) angeregt, zu Einwärtsstülpung des verlängerten Lidrande&
führen. Diese Verhältnisse machen sich jedoch nur an dem untern
Lide geltend. — Soll dem Streben des M. orbicularis und corrugator
superciliorum entgegengewirkt, das obere Lid behufs einer Operation am
Bulbus mit den Fingern tixirt werden, so muss, da der Muskelzug nach
unten und einwärts geht, der Gegenzug die Richtung nach oben und
einwärts nehmen. Vergl. Bd. II. S. 305. — Sind in der Gegend der
Augenlider Einschnitte zu machen oder Hautstücke auszuschneiden, so
macht es schon die Kosmetik wünschenswerth , sich wo möglich nach
dem Verlaufe der Muskelfasern zu halten.
B. Krankheiten der Augenlider.*)
I. Entzündliche Zustände.
\. Die phlegmonöse und erysipelatöse Hautentzündung kommt sel-
ten auf die Lider allein beschränkt vor, und bietet, auch wenn dieses
der Fall ist, keine Besonderheiten dar. Man hat eben nur Acht zu
geben, dass man die entzündlichen Erscheinungen nicht auf eine blosse
Hautaffection bezieht, wo dieselben durch anderweitige Affectionen
(Thränensackentzündung, Bindehautblennorrhöe, Gerstenkorn, heftige
*) Dasjenige, was sich bei Kcnntniss der Anatomie schon nach den allgemeinen medicinisch-chirurgi-
sehen Grundsätzen erkennen und behandeln lässt, z. B. Verletzungen, Verbrühungen, Rothlauf der
Lider u. s. w., glaube ich hier füglich übergehen zu dürfen.
Krankheiten — Entzündungen. 345
=>l
Chorioiditis u. dgl.) bedingt sind. Ist Eiterung- eingetreten , so mache
man Incisionen nach dem Verlaufe der Fasern des Schliessmuskels, be-
vor es noch zu Eitersenkung oder ausgebreiteter Zerstörung der Cutis
gekommen ist. — Nach Erysipel bleibt besonders bei scrofulösen Indi-
viduen gern eine blasse, schmerzlose, pastöse Anschwellung der Lider
zurück, bisweilen so bedeutend, dass die Lidspalte kaum geöffnet wer-
den kann. Einreibungen von Jodkaliumsalbe, besonders aber Aufstrei-
chen von Jodtinctur erwiesen sich — bei allgemeiner Behandlung
— als die wirksamsten Mittel gegen dieses lästige und hartnäckige
Übel.
2. Furunkeln entwickeln sich, so viel ich bis jetzt beobachten
konnte, nur in der Gegend des Orbitalrandes, namentlich unterhalb
der Augenbrauen, und bieten nichts Besonderes dar. Man hat sich nur
zu hüten, dass man diese umschriebene Entzündung, die sehr bald zu-
gespitzt erscheint und an der Spitze einen gelben Punkt wahrnehmen
lässt, nicht mit umschriebener Hautentzündung als Folge von Periostitis
und Caries verwechselt, welche besonders in der äussern Hälfte des
Orbitalrandes gern ihren Sitz aufschlägt. Auch hier erfordert die Ge-
fahr der Eitersenkung bei Zeiten eine hinreichend ausgiebige Incision.
Carbunkeln an den Lidern sah Carron du Villards nach der Aufnahme
deletärer Stoffe in die Hautfollikel entstehen.
3. Grosse Ähnlichkeit mit der eben besprochenen Form bieten um-
schriebene Entzündungen des Cnterhautzellgeioebes dar, welche beson-
ders in der Nähe des obern Augenhöhlenrandes vorkommen und be-
deutende Schwellung des ganzen Lides verursachen. Ich sah diese
Form bis jetzt nur bei jungen Leuten. Meistens bildet sich sehr bald
über der zuerst infiltrirten. Stelle ein gelber Fleck, wo der massenhaft
angesammelte Eiter durchscheint. Näher gegen den Lidrand hin oder
in der Gegend der Commissuren führt die Entzündung des subcutanen
Bindegewebes nur zu kleinen oberflächlichen Eiterherden ohne be-
trächtliche Infiltration der Umgebung. Einfache Incision reicht hin,
dem Processe ein Ende zu machen.
4. Als Entzündung der Meibomschen Drüsen fassen wir die unter
dem Namen Gersten- und Hugelkoim (Hordeolum et Chalazion) be-
kannte Affection der Lider auf. — Das Gerstenkorn wird seit Himly
gewöhnlich als Furunkel des Lides betrachtet. Wenn man jedoch Ge-
legenheit hat, diese Affection vom ersten Beginn an zu beobachten, so
überzeugt man sich bald, dass dieselbe nicht von der Cutis ausgeht,
und noch weniger von einem Hautfollikel, wie der Furunkel, sondern
dass die Cutis erst consecutiv ergriffen wird, in Folge von Ablagerung*
346 Augenlider.
eines umschriebenen Exsudates am Knorpel selbst, welches im Allgemei-
nen um so früher schmilzt, je rascher die Setzung desselben erfolgte,
und je näher die Cutis demselben liegt. Das Gerstenkorn sowohl als
das Hagelkorn kommt jederzeit nur im Bereiche oder zunächst des
Knorpels vor. Erfolgt die Exsudatablagerung in der äussern Fläche
des Knorpels nahe am Lidrande oder nächst der äussern oder innern
Commissur, und in kurzer Zeit, so verräth sie sich zunächst durch
leichte Röthe und ödematöse Schwellung der darüber liegenden Cutis,
begleitet von um so heftigeren stechenden oder drückenden Schmerzen,
Thränenfluss und Lichtscheu, je weniger die Cutis wegen Easchheit
der Ablagerung oder wegen Fixirung an den Knorpel und das Augen-
lidband nachgeben kann. Längs des Lidrandes, wo die Cutis am dünn-
sten ist und am wenigsten ausweichen kann, wird demnach die über
dem Exsudate liegende Partie sehr bald hoch- und dunkelroth, dann
in der Mitte gelb, zugespitzt und in 3 — 5 Tagen durchbrochen; in der
Gegend der Augenlidbänder dagegen, wo die Cutis dicker und minder
straff angeheftet ist, kommt es erst nach stärkerem Ödem der Umge-
bimg und unter heftigen Schmerzen zum Durchbruche der Cutis und
Entleerung des Abscesses (ohne Pfropf, und ohne bleibend sichtbare
Narbe wie beim Furunkel). Mitunter erfolgt auch Resorption ohne
Entstehung eines gelben Punktes. Man kann dann eben nur durch
Betasten mit dem Finger an der Empfindlichkeit und Härte einer um-
schriebenen Stelle erkennen, woher die Zufälle stammen. Dasselbe ist
der Fall, wenn die Ablagerung des Exsudates höher oben (respective
unten) oder an der Innenfläche des (obern) Lides stattfand, und entwe-
der Resorption, oder aber Durchbruch durch die Bindehaut erfolgt. Dann
pflegt die Affection scheinbar an Wichtigkeit noch dadurch zu gewinnen,
dass wohl auch Odem der Conj. bulbi dazu kommt, wenn das Exsudat
rasch in Schmelzung geräth. Beim Furunkel ist die Stelle (der Follikel),
von welcher die Affection ausgeht, gleich beim Beginn der Zufälle an
der Haut sichtbar, und bleibt es bis zur Ausstossung durch Eiterung.
Nicht selten kommt es nicht zum Durchbruche, weder nach aussen,
noch nach innen, und auch nicht zu baldiger Resorption. Diess ge-
schieht in einigen Fällen wahrscheinlich desshalb, weil die Setzung des
Exsudates allmälig und ohne beträchtliche Erweichung und seröse Durch-
feuchtung der Umgebung erfolgt und zunimmt ; in andern Fällen scheint
die Nachgiebigkeit der das Infiltrat bedeckenden Gebilde die Ursache
zu sein, dass weder heftige Schmerzen noch bedeutende Schwellung
auftreten, Muskel und Cutis darüber bloss verdrängt, nicht aber durch-
bohrt werden. Diess ist der Fall, wenn die Infiltration etwas weiter
Entzündungen — Gersten-, Hagelkorn. 347
vom Lidrande entfernt oder nächst dem convexen Knorpelrande statt-
findet. Hier werden die Muskelfasern erst dann auseinander gedrängt
und die Cutis darüber gerötbet und gespannt, wenn die Geschwulst die
Grösse einer halben Zuckererbse oder Haselnuss erreicht hat. Nur
wenn das Infiltrat nicht über 2'" weit vom Lidrande sein Centrum hat
und eine beträchtliche Grösse erlangt, geschieht es bisweilen nach lan-
gem Bestände, dass die darüber gespannte und dunkelroth gewordene
Haut an der erhabensten Stelle verschwärt. Dieser Ausgang, der übri-
gens nicht nothwendig völlige Entleerung oder 'Resorption des Infiltra-
tes zur Folge hat, kann auch durch Auflegen von Pflastern oder Kata-
plasmen herbeigeführt werden. Diess sind die sogenannten Hagelkör-
ner. Wir halten sie nach der Ansieht der meisten Beobachter, wenn
auch nicht für verhärtete, so doch für solche Gerstenkörner, welche
weder durch Resorption, noch durch Eiterung und Ausstossung bald
beseitigt wurden. Andere haben sie für Balggeschwülste oder für ein
Product chronischer Entzündung des Lidknorpels erklärt.
Ganz analog ist der Process, wenn die Entzündung von Meibom'-
schen Follikeln ausgeht, welche an der Innenfläche des Knorpels und
uahe an der Bindehaut liegen. Der Ausgangspunkt liegt hier wegen
der Durchsichtigkeit der Bindehaut klar zu Tage. Auch hier tritt der
doppelte Fall ein, dass entweder rasche Ablagerung, Eiterung und Ent-
leerung oder aber allmälige Ausscheidung und Anhäufung von Exsudat
mit Verdrängung und Wucherung der Bindehaut erfolgt. Letzteres fin-
det besonders dann statt, wenn der Sitz der Exsudation an oder unweit
von dem Lidrande ist. Bei Untersuchung des schmerzhaften, licht-
scheuen und häufig thränenden Auges findet man, dass hinter einer
Stelle, wo der Lidrand etwas röther und wohl auch dicker erscheint,
ein Follikel oder ein Ausführungsgang mit Eiter gefüllt ist, falls man
die Affection nicht schon zeitig zu Gesicht bekommt, wo bloss Röthe
und Schwellung der afficirten Stelle zu sehen ist. Später sieht man
wohl auch die Ausmündungsstelle des betroffenen Drüsenstranges als
weissen Punkt an der dunkelrothen und geschwellten Stelle des Lid-
randes. Man kann dann der Affection rasch ein Ende machen, indem
man, scheinbar noch untersuchend, den Lidrand zwischen die Daumen
bringt, und den Eiter aus dem Ausführungsgange ausdrückt. Liegt der
Eiterherd weiter hinter dem Lidrande, so ineidire man die ihn be-
deckende Bindehaut. — In andern Fällen kommt es nicht zur Eiterung
oder doch nicht zur Beendigung des Processes trotz theilweiser eitriger
Schmelzung, sondern es wird die Bindehaut an der betreffenden Stelle
allmälig emporgehoben, wohl auch verdickt, und es bildet sich, wenig-
348 Augenlider.
stens am Lidrande, eine dem äussern Hagelkorn ganz analoge Erschei-
nung. Es erhebt sich nämlich von der innern Lidkante eine dunkel-
rothe Geschwulst oder Excrescenz, welche an der innern (dem Bulbus
zugewendeten Fläche) platt, an der in die Lidspalte hereinragenden
Seite etwas gewölbt, und an dem convexen Rande dazwischen scharf-
kantig ist. Trägt man eine solche Excrescenz mit einer Scheere ab,
was im Allgemeinen das beste Mittel zu ihrer Beseitigung ist, so erhält
man eine ähnliche Masse als Inhalt derselben, wie wenn man die als
Chalazien bekannten Geschwülste untersucht. Hinter solchen Excres-
cenzen findet man dann den entsprechenden Drüsenstrang noch von
gerötheter und geschwellter Bindehaut bedeckt, oder schiefergrau, spä-
ter obliterirt, Überhaupt findet man bei Individuen, welche an äus-
sern oder innern Gersten- oder Hagelkörnern gelitten haben, selten
einmal alle Meibomschen Drüsen normal. Eine häufige Folge solcher
Exsudationen sind die an der Innenfläche des Tarsus sitzenden Kalk-
concremente, welche man wohl auch als Thränensteine beschrieben hat,
oder noch immer für Product eingedickten Drüsenschmeeres hält. Sie
sind an der Innenfläche dasselbe, was die verkalkten Chalazien an der
Aussenfläche.
Balggeschwülste habe ich wohl ziemlich oft über oder nächst dem Orbitalrande,
niemals aber im Bereiche der Lidknorpel gefunden. Die Geschwülste, welche von jeher
Chalazien genannt wurden , kommen aber immer nur im Bereiche des Tarsus vor. Sie
sitzen jederzeit mit breiter Basis (wie eine halbirte Kugel) fest auf dem Knorpel, und
lassen sich nur mit diesem zugleich verschieben. Sie zeigen nie eine besondere , innen
glatte Hülle, nie einen honig- oder breiartigen Inhalt, niemals Haarbildung, die in den
am Orbitalrande sitzenden häufig vorkommt. Öffnet man eine solche Geschwulst, so
findet man, falls sie noch nicht über 3 — 4 Wochen besteht, eine doppelte Masse als In-
halt, nämlich eine eitemrtige Flüssigkeit, und eine halbfeste, sulzartige, lichtgraue Sub-
stanz , welche sich jedoch nur durch Druck aus der Wunde ausquetschen lässt, und
etwas körnig ist, ähnlich dem Barenchym einer weichen Pflaume oder weissen Kirsche.
Diese Masse zeigt unter dem Mikroskope nebst Exsudatkörnern und Fettkugeln zahl-
reiche Epithelialzellen. Offnet man später, etwa bis zur 8. Woche, so findet man neben
dieser Masse mir noch ein wenig Flüssigkeit, und zwar trüb, nur wenig Eiterkugeln
enthaltend, oder auch klar und dünn. Noch später ist auch von dieser nichts mehr
vorhanden, umschliesst das etwas verdichtete umgebende Bindegewebe bloss die ge-
nannte sulzige, jedoch etwas derbere und schwerer ausdrückbare Masse. Oft kann man
sie nicht ganz entfernen. Diess ist indess kein Hinderniss gegen die Heilung. Die auf
den Einschnitt und das Ausdrücken folgende Eeaction reicht in der Eegel hin, völlige
Resorption der zurückgebliebenen Beste in 8 — 14 Tagen einzuleiten. Bei Balggeschwül-
sten genügt bekanntlich die einfache Tncision und Entleerung des Inhaltes nicht. Wenn
aber solche Geschwülste sich viele Monate lang überlassen bleiben, und nicht entweder
spontamer Durchbruch und Entleerung durch die Cutis oder Conjunctiva, oder spontane
gänzliche Resorption eintritt, so pflegt der Best des Infiltrates endlich zu verkalken. Dass
Entzündungen — Gersten-, Hagelkorn. 349
solche Geschwülste jemals den Herd zur Krebsablagerung abgeben, ist unwahrscheinlich;
das Infiltrat ist \ind bleibt structurlos.
Stülpt man ein Lid, welches eine solche Geschwulst darbietet, um, so wird man häufig
finden, dass die Bindehaut an der entsprechender Stelle und in demselben Umfange, wie
aussen die Basis derselben , geröthet und sammtartig aufgelockert erscheint. Hat die
Geschwulst schon lange gedauert, so findet man wohl auch mitunter den Band dieser
gerötheten und gewulsteten Partie etwas über die nächste Umgebung umgeschlagen. In
Tiden Fällen erscheint die Mitte dieser Stelle längs eines Drüsenstranges livid; seltener
geschieht es, dass man daselbst eine kleine Öffnung findet, durch welche man mit einer
Sonde in das Innere der Geschwulst eindringen kann. Auch kommt es vor, dass am
Bande einer solchen Öffnung oder mitten darin eine polypenähnliche Excrescenz sitzt. —
Diese Befunde erklären sich auf folgende Weise. Das in einem der äussern Knorpel-
fläche näher liegenden Follikel abgelagerte Exsudat wird durch die Muskelfasern an den
Knorpel angedrückt, und verursacht, so wie äusserlich an der darüber gespannten Cutis,
so innen an der Bindehaut Hyperämie und Lockerung ; allmälig scheint auch der Tarsus
in der Mitte erweicht zu werden , und es kommt dann endlich zum Durchbruche dessel-
ben und zur Entleerung des flüssigen Antheiles der Exsudatmasse. Mittels solchen
Durchbruches scheint bisweilen völlige Resorption des Exsudates eingeleitet zu werden.
Diesen Vorgang führen wir sicherer und schneller herbei, wenn wir, wie Makenzie 1. c.
S. 139 zuerst empfohlen, das umgestülpte Lid mitten in der afficirten Stelle incidiren,
durch den Knorpel und in der Bichtung des entsprechenden Drüsenstranges, sodann das
Lid zwischen den Fingern von oben nach unten zusammendrücken, und den festen Theil
des Inhaltes auspressen. Man überzeugt, sich dabei leicht, dass der Knorpel in der Mitte
der afficirten Stelle nicht verdickt oder verhärtet, eher verdünnt und (in früherer Zeit)
etwas erweicht ist. Der obenerwähnte reichliche Gehalt an Pflasterepithelien dürfte wohl
von der Innenfläche eines Drüsenfollikels herrühren; ich habe mich versichert, dass sie
nicht von der Bindehaut durch Abstreifung kommen konnten. Wo es gelingt, den ge-
nannten festweichen Theil des Inhaltes ganz oder grösstentheils zu entfernen , ist auch
der Process beendet: die Wunde vernarbt in wenig Tagen, und in Zeit von 2 — 3 Wochen
ist in manchen Fällen keine Spur der Affection mehr vorhanden. Niemals, auch dann
nicht, wenn grosse Chalazien viele Monate lang bestanden hatten, sah ich weder merk-
baren Substanzverlust des Knorpels, narbige Einziehung oder Verschrumpfung, noch
Yergrösserung oder Verdickung des Knorpels zurückbleiben, gleichviel ob bereits Durch-
bruch nach innen erfolgt war oder nicht. Alle diese Umstände sind wohl hinreichend, zu
zeigen, dass hier keine Entzündung der Knorpelsubstanz stattfinde, sondern Ablagerung
von Exsudat an der Oberfläche, oder, was am wahrscheinlichsten ist, in einen Meibom-
schen Follikel selbst.
Ich kann zwischen Gersten- und Hagelkorn untereinander, und zwischen diesen und
den an der Innenfläche des Tarsus vorkommenden Abscesschen und kleinen Geschwül-
sten, die sichtlich von den Drüsenfollikeln ausgehen, keinen wesentlichen Unterschied
flnden. Sie alle lassen sich auf eine umschriebene Ablagerung eines Exsudates zurück-
führen, welches nicht organisationsfähig ist und bald rasch, bald langsam schmilzt, so-
fern es nicht durch Besorption beseitigt wird , oder aber verkalkt. Nicht äussere Um-
stände, wie namentlich die oft beschuldigte Einwirkung von Kälte, sondern die mehr
weniger schnelle Setzung des Exsudates und die anatomischen Verhältnisse bestimmen
die fernere Gestaltung des Processes und dessen Ausgänge.
350 Augenlider.
Die Behauptung, dass die Bildung von Gersten- und Hagelkörnern,
mit Scrofulosis (Tuberculosis) in ursächlichem Zusammenhange stehe,
hat zwar mehrseitigen Widerspruch erfahren, ist aber trotzdem in der
ganzen bisher aufgestellten Ätiologie die einzig haltbare und auf wirk-
liche Beobachtungen gestützte. Die Beschuldigungen von Unreinlich-
keit, Trunksucht u. s. w. beruhen auf Verwechslung des Zufälligen mit
dem Wesentlichen. Die in Bede stehenden, von den Meibomschen
Drüsen ausgehenden Affectionen, und in specie die Gersten- und Hagel-
körner kommen bei Individuen vor, die unter den günstigsten Verhält-
nissen und aufs zweckmäßigste leben, kehren oft, hartnäckig, und
wohl auch zu bestimmten Zeiten wieder, wechseln mit einander und
mit andern offenbar scrofulösen Affectionen, und treten überhaupt von
äussern Einflüssen unabhängig auf. Um diess zu constatiren, genügt es-
natürlich nicht, dass man solche Individuen etwa ein- oder zweimal im
Leben sieht; man muss sie viele Jahre, in ihren häuslichen Verhält-
nissen und als Familienglieder beobachten.
Ob wir im Stande seien, Resorption einzuleiten, etwa durch kalte
Umschläge, ist wohl dadurch noch nicht bewiesen, dass es bisweilen
nach Anwendung derselben nicht zum Aufbruche kommt; denn diess
geschieht — vielleicht eben so oft — auch ohne alles Zuthun, und
noch öfter tritt ungeachtet gehörig angewandter Umschläge Durchbruch
ein. Will der Kranke gerade etwas thun, so mag" er sich warme Brei-
umschläge (Semmel mit Milch) auflegen, sie lindern den Schmerz, und
befördern wohl auch die Eiterung. Bei starkem Odem lasse man das
Auge einfach oder mit erwärmten trockenen Compresschen bedecken.
Sobald der Eiter durchscheint, kann man ihn durch einen Einstich oder
auch durch Druck entleeren. Gegen die öftere Wiederkehr scheint
das Einreiben von rother Präcipitatsalbe (1 — 3 Gran auf l Dr.) an die
Lidränder einigen Nutzen zu gewähren; doch bleibt immer die Allge-
meinbehandlung zu diesem Zwecke das Wirksamste. Bei Chalazien
können sich die Kranken nicht immer sogleich zur Incision entschliessen.
Man versuche Einreibungen von Salben mit rothein Präcipitat, Jod-
kalium, Mercurdeuterojoduret (Va — '/2 Gran auf 1 Dr.). In den meisten
Fällen reicht man damit nicht aus, verlieren die Kranken die Geduld
und entschliessen sich zu der Anfangs proponirten Incision. Das Auf-
legen von Pflastern oder Kataplasmen bei Chalazien führt leicht zu
partieller Schmelzung des Exsudates und zum Durchbruch der Haut,
bevor noch das ganze Infiltrat zur Elimination geeignet ist, und der
Kranke muss lange mit einem geschwürigen Augenlide herumgehen.
Das Eindringen mit einem zugespitzten Lapis infernalis in die Öffnung
Entzündung der Haarzwiebeldriisen. 351
kann dann noch am ehesten die Schmelzung und die Heilung be-
schleunigen.
5. Als Lidrandentzündung (Blepharadenitis ciliaris) bezeichnet man
gewöhnlich eine längs des Augenlidrandes sich zeigende Entzündung,
für dereu Ausgangspunkte oder Herde man die um die Haarzwiebeln
gelegenen Drüschen hält; frühere Autoren beschrieben die hieher ge-
hörigen Formen unter den Namen Psorophthalmia , Lippitudo ulcerosa,
Tinea, Herpes oculi inflamm., Ophthalmia tarsi u. s. w.
Wenn gleich die am Lidrande selbstständig vorkommenden entzündlichen Affectio-
nen. sowohl in Bezug auf den Sitz oder Ausgangspunkt, als auch in Bezug auf ihre
ätiologischen Momente nicht als ein und derselbe Process zu betrachten sind, so getraue
ich mich doch in Ermanglung genügender Unter siichun gen zur Zeit noch nicht, eine
streng nosologische Sonderung derselben zu unternehmen, und will demnach nur beschrei-
ben, was ich beobachtet, und sondern, was schon jetzt behufs der Prognosis und Therapie
gesondert werden kann und muss. Ich wähle den Namen Blepharadenitis , weil es am
wahrscheinlichsten ist, dass die um die Haarzwiebeln der Cilien gelegenen Drüschen (Zeis)
der gemeinschaftliche Krankheitsherd sind, und weil ich die Zahl der Benennungen nicht
ohne gute Gründe vermehren mag. Die verschiedenen Formen von Entzündungen am Lidrande
gehören im Allgemeinen nicht nur unter die häufigsten, sondern auch unter die hart-
näckigsten Augenkrankheiten und verdienen nicht nur wegen ihrer Rückwirkung auf die
Bindehaut, sondern auch wegen mannigfacher Entstellung, zu der sie führen, dass sie fer-
nerhin einer grösseren Aufmerksamkeit und strengeren Forschung gewürdigt werden, als
bisher leider geschehen ist.
Eine Form von Blepharadenitis ciliaris kommt am häufigsten mit
Conjunctivitis scrofulosa, doch auch ohne diese vor. An einer oder an
mehreren isolirten Stellen des obern oder untern Lides oder beider zu-
gleich sieht man eine leichte knotige Schwellung und Röthung des
Lidrandes, und darüber an der Basis der Cilien eine Kruste, welche
fest an der Cutis haftet. Sucht man diese Kruste abzustreifen, was oft
schwierig und nur mittelst der Nägel oder eines zugeschärften Hölzchens
(Zahnstochers) möglich ist, so erscheint die Cutis darunter ganz dünn
und roth, oder der Epidermis verlustig, oder auch mit einem Grübchen
versehen, welches oft noch mit etwas Eiter gefüllt ist. Diese Krusten
hängen gewöhnlich so fest an den sie durchbrechenden Cilien, dass
bei Entfernung derselben ein und das andere Wimperhaar mitgeht; sie
sind keineswegs bloss vertrockneter Schleim oder Drüsensecret, sondern
führen namentlich an der Basis immer eine Menge Epidermiszellen mit
sich. — Ganz dieselbe Form findet man auch häufig bei Leuten, die
an Thränensackblennorrhöe leiden, und zwar hier fast immer nur an den
Lidern derselben Seite.
An diese Form (die solitäre) schliesst sich eine andere, seltener
352 Augenlider.
vorkommende au, die näinlich , wo Schwellung, Röthung, Eiter- und
Krustenbildung längs des ganzen Lidrandes auftreten, und wo beson-
ders die Verdickung des Lidrandes {Tylosis) stark ausgesprochen er-
scheint. Nach dieser oft Monate, Jahre lang und ganz für sich allein
bestehenden Form entsteht leicht Distichiasis und nehmen manchmal
die Wimpern, wenn auch nicht gegen den Bulbus hineinsprossend, doch
eine sehr sparrige Richtung an. Verlust der Cilien erfolgt hier selten,
und zwar desshalb, weil es nicht zur Vereiterung, sondern zur Hyper-
trophirung und Sclerosirung des die Haarzwiebeln umgebenden Binde-
gewebes kommt.
Die gefährlichste, hartnäckigste und leider auch nicht die seltenste
Form ist die zur Vereiterung des Haar zwiebelbo dens führende Form.
Diese Affection findet sich immer an beiden Lidern, längs des ganzen
Randes, und auch immer auf beiden Augen zugleich. Sie besteht in
der Bildung kleiner über die Umgebung gar nicht oder kaum merklich
emporragender Eiterpunkte, meist so gelegen, dass mitten aus je einem
solchen Abscesschen ein Wimperhaar hervorsprosst; seltener sitzen
welche an der linearen Fläche des Lidrandes selbst. Die frisch ent-
standenen liegen , wenn der Lidrand nicht schon mit Krusten bedeckt
war, frei zu Tage; andere sind durch Krusten verdeckt. Beim Ver-
suche, solche Krusten abzuheben und zu beseitigen, folgen oft ganze
Schollen von Epidermis längs eines grossen Theiles des Lidrandes und
bis über den Haarzwiebelboden hinauf (hinab); darunter erscheint dann
die Cutis nur von dünner Epidermis bedeckt und roth, nächst den
Wimpern oft ohne Epidermis, leicht blutend, an der Basis einer und
der andern Cilie selbst (nach Beseitigung des Eiters) mit einem mehr
weniger tiefen und breiten Grübchen versehen. Wird eine aus einem
Abscesschen hervorsprossende Cilie ausgezogen, so entleert sich "der
Eiter; das Ausziehen selbst ist für das Nachwachsen einer Cilie an
derselben Stelle nicht hinderlich, befördert aber auch die Heilung nicht.
Die Cilien gehen erst nach langer Dauer der Krankheit und oft wie-
derholter Eiterbildung an derselben Stelle bleibend verloren (Madarosis),
doch immer nur theilvveise; die durch Nachwuchs ersetzten sind dann
dünner, kürzer, blässer, und meist in einzeln stehende Büschel zusam-
mengedrängt (wohl durch die Narbenbildung). Noch bevor diess ein-
tritt, sieht man schon, dass längs der Linie, in welcher die Abscesschen
nach einander zu wiederholten Malen gesessen, eine Art von Furche
oder seichter Vertiefung entstanden ist. Gleichzeitig bemerkt man auch,
wie die Bindehaut über die innere Kante des Lidrandes gegen jene
Furche hingezogen wird (Ectropium conjunctivae), demnach die Lid-
Entzündung des Augenlidrandes. 353
runder gleichsam rotli eingesäumt erscheinen. Wenn die Krankheit
einmal so weit gediehen ist, wird man auch meistens schon die Mün-
dungen der Meibomschen Drüsen nicht mehr auffinden können, und
hiemit ist bereits ein Zustand eingetreten, welcher keine Restitutio ad
integrum (nach meinen bisherigen Erfahrungen) mehr zulässt. Die Lid-
ränder schliessen nicht mehr genau an den Bulbus an, der Kranke
leidet nebst der abscheulichen Entstellung auch noch fortwährend an
Thränenträufeln, an Excoriationen und an grosser Empfindlichkeit der
Augen. Immer findet man bei dieser Form die Conjunct. palp. über
dem Tarsus sammtartig aufgelockert und gleichmässig geröthet, im
Übergangstheile dagegen und am Bulbus normal. Umschriebene Exsu-
dationen an der Conjunct. bulbi gehören hier zu den Seltenheiten. Nach
sehr langer Dauer wird die Conj. palp. oberflächlich sehnenartig glän-
zend (wie mit Milch übergössen), öfter jedoch punktförmig marmorirt
(durch verkalkte Exsudate in den Meibomschen Follikeln).
Nicht gefährlich, nur äusserst lästig ob Unterhaltung eines gereiz-
ten Zustandes der Bindehaut und hartnäckig ob häufiger Rückfälle sind
jene Formen von Augenlidrandentzündung, welche sich durch die Bildung
feiner Schüppchen und leichte Röthung der Haut längs der äussern Lid-
kante manifestirt. Bläschenbildung oder andere Erscheinungen als die
eben genannten zu beobachten ist mir nie gelungen.
Ein unbedeutendes Leiden ist die Bildung kleiner Bläschen an der
linearen Fläche des Lidrandes, deren ich nur desshalb erwähne, weil sie
Empfindlichkeit der Augen und selbst Schmerzen verursachen, und als
Ursache dieser Zufälle ^icht übersehen werden können. Ich fand sie
bei sonst ganz gesunden Individuen, die mich bloss desshalb consultir-
ten, viel öfter jedoch bei Katarrh, chron. Blennorrhoe und Trachom.
E> sind halbkuglige, höchstens mohnkorngrosse , hyaline oder auch
etwas trübe Erhöhungen mit flüssigem Inhalte auf der innern Kante oder
an den Ausmündungsstellen der Meibom' sehen Drüsen. Ich drücke sie
gewöhnlich dadurch aus, dass ich den Nagel des Daumens anlege und
auswärts streife. Schmerzen, Lichtscheu und Thränenfluss sind nun bald
vorüber. Selten sind mehr als 1 — 2 Bläschen zugleich vorhanden; aber
bei manchen Individuen kehren sie eine Zeit lang öfter und an ver-
schiedenen Stellen wieder.
Die ersten 3 Formen (die solitäre, hypertrophirende und exulceri-
rende) sind nach ihrem Vorkommen, wenn nicht immer, so gewiss in
den meisten Fällen scrofulösen Ursprunges; die 4. Form hängt viel-
leicht mit abnorm zarter Organisation der Haut zusammen, indem sie
oft bei Individuen vorkommt, die sonst gesund sind, besonders wenn sie
Arlt Augenheilkunde. III. 23
354 Augenlider.
blond sind oder mehr flach liegende Augen haben; doch habe ich sie
auch bei offenbar scrofulösen Individuen ohne diese Beschaffenheit der
Haut und ohne Glotzaugen gesehen. Ungeregelte Lebensweise, Nacht-
wachen, Arbeiten beim Feuer, Aufenthalt in staubiger oder sonst ver-
unreinigter Atmosphäre u. dgl. können wohl den Zustand verschlimmern,
schwerlich aber die Krankheit selbst jemals — bei sonst gesunden In-
dividuen — erzeugen.
Bei der Behandlung muss vor Allem für Beseitigung der eben er-
wähnten und ähnlicher Schädlichkeiten gesorgt, und nach Möglichkeit
auf das etwa zu Grunde liegende Allgemeinleiden eingewirkt werden.
Die örtliche Behandlung erfordert zunächst sorgfältige Entfernung des
Eiters und der Krusten, so oft sich solche gebildet haben. Diese halten
den darunter gebildeten Eiter zurück, und verhindern auch die Appli-
cation der nöthigen Arzneistoffe auf die erkrankten Stellen selbst. Die
der Ablösung vorauszuschickende Erweichung durch Kataplasmen oder
durch Anhalten eines feuchtwarmen Schwammes erfolgt leichter, wenn
man den Abend vorher die Lidränder mit Ol oder Fett bestreichen
liess. Bei der solitären und selbst bei der tylotischen oder hyper-
trophirenden Form reicht in der Kegel das Einreiben (nicht blosses Auf-
pinseln) einer Salbe aus 1 — 3 Gran rothen Präcipitates auf 1 Dr. Fett an
die Lidränder (vor dem Einschlafen) zur Heilung hin, bei grosser Em-
pfindlichkeit mit einigen Tropfen Tinct. opii crocata, bei starker Wul-
stung mit 1 Gran Camphora rasa vermischt. Eeaction, des Morgens
durch Röthe und grössere Empfindlichkeit der Augen sich kund gebend,
ist erwünscht, und darf nicht sogleich zur Sc]|jvächung der Dosis, son-
dern zunächst nur zur seltenern Anwendung, jeden 2. oder 3. Tag, be-
stimmen. Sind starke Excoriationen vorhanden, so schicke man den
Gebrauch einer Salbe von 2—3 Gran weissen Präcipitats allein oder
mit eben so viel Zinkblumen voraus, oder bestreiche die wunden Stel-
len mit einer schwachen Lösung von Sublimat oder Salpeters. Silber,
Bei förmlicher Induration des Lidrandes bediene man sich einer Salbe
aus '/3 — V2 Gran Mercurdeuterojoduret, doch vorsichtig, dass nichts da-
von zwischen die Lidspalte eindringe. — Bei der exulcerirenden Form
leistet unter den genannten Mitteln der weisse Präcipitat (allein oder
mit Zinklumen) noch am meisten, wenn überhaupt schon Obliteration
der Meibomschen Drüsenmündungen eingetreten ist; weit wirksamer,
und selten im Stiche lassend, ist seine Verbindung mit Theer (nach
Emery: praecip. albi gr. 4 — 6, picis liq. scr. 1, ung. comm. dr. 1) täg-
lich 2 — 3mal auf die sorgfältig gereinigten Lidränder aufgepinselt. Wo
grössere Abscesse und Excoriationen vorhanden, habe ich Makenzie's
Entzündung des Augenlidrandes — Phthiriasis. 355
Kath, diese Stellen nachdrücklich mit Lapis inf. zu touchiren, mehrfach
bewährt gefunden. Das oben erwähnte Ectropium conjunctivae habe
ich in einigen Fällen vermindert oder beseitigt durch Bestreichen des
sammtartig aufgelockerten Tarsaltheiles der Bindehaut mit reinem oder
durch Kali nitricuni geschwächtem Höllenstein. — Bei der Form, welche
durch die Bildung kleiner Schüppchen an den Cilien und durch fort-
währende Empfindlichkeit gegen kalte Luft, Staub, Kerzenlicht u. s. w.
lästig wird, erzielt man Heilung — wenigstens für einige Zeit oder doch
Linderung durch schwache Präcipitatsalben oder durch Waschungen mit
einer schwachen Sublimatsolution oder einer Mischung von Franzbrannt-
wein und "Wasser.
Ob es eine primäre Entzündung des Knorpels gebe, ist unerwiesen; wenigstens sind
uns die Symptome derselben nocb nicbt bekannt. Wir wissen, dass in Folge von Tra-
chom;! der Knorpel nach merklicher Verdickung oft sehr bedeutend einschrumpft, in
Folge von Blennorrhoe dagegen breiter, länger und dicker wird; ich habe auch einige
Fälle gesehen, wo der Knorpel ohne vorausgegangene Blennorrhoe nach allen Dimen-
sionen fast um die Hälfte vergrössert war; trotzdem war es mir bisher nicht möglich,
genauere Einsicht in den Process zu gewinnen, und lasse ich die Frage lieber offen. Ich.
zweifle, dass heutzutage noch jemand die Ansicht verfechten werde , die Bildung der so-
genannten Hagelkorner gehe aus Entzündung der Knorpelsubstanz bervor. In dem Falle,
den Hasner 1. c. S. 243 als Ausgang von Knorpelentzündung in Hypertrophie und Ver-
knücherung angesehen bat, ist ein diagnostischer Irrthum untergelaufen, wie ich bereits in
der Prager Vierteljahrschrift IS. B. S. 51 nachgewiesen habe. (Vergl. auch Pilz über
Keratitis, Pr. Vtljscbr. 20. B. S. 39.)
6. Eine Entzündung des Augenlidrandes kann leicht vorgetäuscht,
vielleicht auch wirklich hervorgebracht werden durch das Vorkommen
von Läusen an den Cilien, weil dieselben, wie ich gesehen, ausser-
ordentlich klein sind und für Schüppchen imponiren, oder weil sie sich,
wie Clielius angibt, tief in die Haut eingraben. Ich wurde zuerst durch
den sparrigen Stand der Cilien auf diese Thierchen aufmerksam ge-
macht. Mit Hilfe einer Loupe, und bei guter Beleuchtung und aufmerk-
samer Betrachtung auch mit freiem Auge, erkennt man bestimmt, was
man vor sich hat. In einem Falle war bloss der linke obere Augen-
lidrand inficirt; in einem andern beide obere Lider. In diesem wurde
in Zeit von 10 Tagen Heilung erzielt durch Einreiben von Ung. cine-
reum; in jenem erfolgte einige Tage, nachdem ich ihn gesehen, der
Tod in Folge von Medullarsarkom der Leber. Scai^pa entdeckte mittelst
einer Loupe Läuse an der Basis der Cilien als Ursache einer hart-
näckigen Ophthalmie, und Chelius führt an, dass er zwei ähnliche Fälle
beobachtet habe.
23*
356 Augenlider.
II. Pseudoplasmen.
1. Cysten werden am Lidrande als Hirsekorn (inilium) und als
Wasserbläschen (hydatis), gegen den Orbitalrand hin als Breigeschwülste
(atheroma) beobachtet. Erstere sitzen unmittelbar unter oder in der
Cutis, letztere in den meisten Fällen (nach meinen Beobachtungen in
allen) an der Augenlidfascie oder an der Beinhaut. — Das Wasser-
bläschen sitzt immer irgendwo nahe am Lidrande als eine ganz ohne
Zufälle entstandene und fortbestehende helle Cyste von der Grösse eines
Hirse- oder Hanfkorns. Zur bleibenden Beseitiguug genügt vielleicht
die einfache Incision; ich pflege nachher noch ein Stückchen zu exci-
diren. — Das Hirsekorn erreicht gewöhnlich nur am Lidrande die
Grösse der Frucht, der es an Farbe gleicht; kleinere solche Körner
entwickeln sich oft in grosser Anzahl weiter entfernt vom Lidrande bei
Individuen, welche dieselbe Affection der Talgdrüsen auch an andern
Stellen der allgemeinen Bedeckung darbieten; selten kommen linsen-
grosse vor. Nach Einritzung der sie umgebenden dünnen Hülle kann
man ihren Inhalt ausdrücken. — An diese Affection reiht sich eine Art
diffuser, flächenartig ausgebreiteter Schmeeransammlung unter der äus-
serst dünnen Cutis ober- und unterhalb des innern Augenwinkels. Ich
habe diese in hohem Grade entstellende Affection bisher nur bei älteren
fettleibigen Individuen beobachtet, und keinen Anstand genommen, da
die Haut bereits sehr runzlig war, ganze Stücke derselben sammt der
Schmeermasse zu. excidiren, elliptische, nach der Richtung der Orbi-
cularfasern laufende Falten bis zu 2 und ö'" Breite entfernt, und den
kosmetischen Zweck ohne Nachtheil und vollständig erreicht. — Die
Ausschälung der Balggeschwülste geschieht nach den von der Anatomie
und Chirurgie gegebenen Vorschriften. Wenn die Geschwülste grösser
als ein Taubenei waren, gleichviel ob sich die Cutis darüber noch in
Falten fassen liess oder nicht, und ob sie von ausgedehnten Gefässen
mehr oder weniger geröthet war, so glaubte ich immer im Interesse
der Heilung zu handeln, wenn ich vor der Ausschälung ein ellipti-
sches Stück Haut ausschnitt, nach der Richtung der Muskelfasern; die
einsinkenden Wundränder lassen sich dann leichter (ohne Einrollung)
vereinigen , und man erspart sich das nachträgliche Excidiren einer
Hautfalte.
2. Warzen bieten an der Augenlidhaut die gewöhnlichen Merkmale
dar, und sind mit den Knoten bei beginnendem Epithelialkrebs nicht zu
verwechseln. Ganz kleine warzenähnliche Excrescenzen habe ich mehr-
Pseudoplasmen — Warzen — Teleangiektasie — Krebs. 357
mal an der linearen Fläche des Lidrandes als Ursache einer beständi-
gen Reizung des Auges, namentlich der Bindehaut beobachtet. Es sind
kleine, unebene, harte, weiss aussehende Erhöhungen mit scharf abge-
grenzter Basis. Ich trug sie mit einer flach gebogenen dlinnen Scheere
ab; sie bestanden grösstentheils aus Epidermis. Zur Stillung der Blu-
tung und zur sicheren Verhütung der Wiederkehr betupfte ich die
Wunde mit Höllenstein. Die Bildung von Condylomen bei Lues dürfte
unter die Seltenheiten gehören.
3. Teleangiektasien in der Haut kommen an den Lidern nicht gar
selten vor, bald flach (Feuerrnäler), bald erhaben (Blutschwamm, Maul-
beergeschwulst), bald klein in der Fläche der Haut oder am Lidrande,
bald ausgebreitet und über den Lidrand bis zur Innenfläche des Lides
übergreifend. In andern Fällen entwickelt sich die erectile Geschwulst
unter der Haut, und greift erst nach beträchtlicher Vergrösserung in
diese über. Die Grundsätze der Diagnostik und Therapie als aus der
Chirurgie bekannt voraussetzend, will ich bloss bemerken, dass mir die
Heilung flacher Angiektasien durch Aufschlagen von Aqua Goulardi
mittelst Leinwandbäuschchen gelungen ist, wenn dieselbe frühzeitig
(vor Ablauf der dritten Woche nach der Geburt) und fleissig vorge-
nommen wurde, und dass ich mich bei grösseren und tiefer eingreifen-
den Ektasien der Unterbindung mittelst zweier durch die Basis durch-
geführter (stärkerer) Insectennadeln mit dem gewünschten Erfolge be-
dient habe. Die grosse Dehnbarkeit der Haut gestattet die Anwendung
dieses Mittels hier wohl bei grösserem Umfange, als an andern Körper-
steilen. Für erd- und maulbeer artige Ektasien empfiehlt Chelius die
einfache Unterbindung oder auch die Abtragung mit der Scheere. Zur
Einimpfimg der Kuhpocken bei noch nicht geimpften Kindern (nach
Carron du ViUards) hatte ich noch keine Gelegenheit. Es versteht
sich übrigens von selbst, dass man, wo ein Wachsen der Affection be-
merkt wird, imd nicht dringende Gegenanzeigen da sind, die Operation
durchaus nicht verschieben darf. Eine ausgezeichnete Abhandlung über
Xaevus maternus und Aneurysma per anastomosin an den Augenlidern
und in der Orbita, mit trefflichen Beobachtung von Tlodgson, Young,
John Bell, Allan Bums, Travers und Waräröp findet man bei Makenzie
1. c. S. 148—157.
4. Der Krebs ist an den Augenlidern — meines Wissens — nur
als Epithelialkrebs beobachtet worden*), und zwar als flacher, als
drusiger und als warziger. Die Stellen, wo ich ihn (seinen Ausgangs-
*) Ich folge in der Terminologie und Beschreibung der hieher gehörigen Affectionen der Darstellung
von Schuh : Pathologie und Therapie der Pseudoplasmen. Wien, 1S54.
358 Augenlider.
punkt) sah, waren: unterhalb der äussern Comrnissur, in der Mitte
des untern Lides nächst dem 'Rande, tiefer unten gegen den Orbital-
rand hin, unter- und oberhalb des innern Augenlidbandes.
a) Der flache Epithelialkrebs beginnt bekanntlich mit der Bildung
kleiner lichter Knötchen in der Haut, die sich verschieden an einander
reihen (zu kleinen Wülsten), und bisweilen eine inselförmig einge-
schlossene gesunde Partie umfassen, durch zahlreiche venöse Gefäss-
chen ein röthlich-marmorirtes oder gestreiftes Aussehen bekommen,
dann sich bald mit gelben Borken belegen, unter welchen man zunächst
bloss eine excoriirte, weiterhin eine geschwürige Fläche findet, welche
eine dünneitrige Flüssigkeit absondert, harte Ränder zeigt, zeitweilig
wohl scheinbar sich schliesst (durch ein dünnes Häutchen), bald aber
wieder aufbricht, und in diesem Zustande Monate, ja Jahre lang ver-
harren kann, ohne beträchtlich grösser oder tiefer zu werden. Dabei
ist die Affection fast schmerzlos, oder treten bloss flüchtige Stiche ein.
Erst nach jahrelangem Bestände greift die Affection theils tiefer, theils
weiter um sich, und zerstört nicht nur die Haut durch Schmelzung des
immer wieder mit solchen Tuberkeln infiltrirten Randes, sondern auch
alle unterliegenden Gebilde des untern, dann auch des obern Lides,
endlich selbst den blossgelegten Bulbus und die knöcherne Wandung
der Orbita (bis zur Communication mit der Nasen-, Highmors-, selbst
der Schädelhöhlej. Erst wenn die Affection über, die Haut hineinge-
griffen hat, pflegen heftige Schmerzen einzutreten, und erst wenn eine
beträchtliche Geschwürsfläche vorhanden ist, schwellen die Lymphdrü-
sen (um die Parotis) an. Dann entsteht auch Schlafmangel, Abmage-
rung, üble Gesichtsfarbe, Zehrfieber. „Innere Organe werden von
diesem Processe nie ergriffen; auch findet man bei den Leichenunter-
suchungen nie an einem Eingeweide irgend eine andere Krebsform."
(Schuh.)
„Die Ursachen der Entstehung sind selten klar. Meistens lässt
sich keine äussere Veranlassung auffinden; das innere ursächliche
Moment ist in der Regel vorwaltend und liegt in einer eigenthümlichen
Blutmischung, die sich nur bei Menschen über 40 Jahren entwickelt.
Hier kann die geringste mechanische Reizung hinreichen, um in einer
excoriirten oder in Granulation begriffenen Stelle eine solche Unistim-
mung im Bildungsprocesse hervorzurufen, dass es zum Hautkrebse
kommt. Es lässt sich aber nicht leugnen, dass die Krankheit nicht
selten rein örtlich sei, indem sie gegen die Regel bei blühenden
Männern und Weibern in den zwanziger Jahren vorkommt, und aus
zufälligen Wunden durch mechanische oder dynamische Misshandlung
Pseudoplasmeii — Krebs. 359
sich herausbildet." (Schuh.) In einigen von mir beobachteten Fällen
hatte sich das Übel bei Individuen, die sonst für gesund erklärt werden
konnten, und noch nicht über 36 Jahre alt waren, ohne bekannte Ver-
anlassung entwickelt.
„Da der flache Krebs am häufigsten unter allen bösartigen Ge-
schwülsten als örtliche Krankheit auftritt und immer einen sehr lang-
samen Verlauf beobachtet, so leistet die chirurgische Behandlung sehr
oft (?) radicale Hilfe. Hat man alles Krankhafte beseitigt, so sind Re-
cidiven selten, falls noch keine Drüsenanschwellungen bestehen. Die
Beseitigung geschieht durch Atzmittel oder durch Exstirpation." (Schuh.)
Am Auge habe ich auch unter den günstigsten Auspicien nicht so glück-
liche Resultate erhalten, auch nicht von Andern trotz Beobachtung aller
Regeln der Kunst erhalten sehen.
In dein 1. Falle ( l S4 1 , trat nach vollkommener Zerstörung durch Chlorzink (Pasta
aus 7 Gran mit ] Scr. Mehl nach Canquoin) Heilung ein, und hatte auch die Beseiti-
gung des dureh Zerstörung der äussern Commissur entstandenen Ectropium palp. infer.
mittelst der Tarsoraphie nach Walther (etwa '/2 Jahr später) keine Kecidive zur Folge;
diese trat erst 3/i Jahr später ein, konnte aber trotz nochmaliger energischer Zerstörung
durch obige Pasta und trotz allgemeiner Behandlung nicht für die Dauer verhütet werden.
Als ich den Mann in seinem 42. Jahre (9 Jahre nach der Behandlung) das letzte Mal
sah, bot er durch Blosslegung und theilweise Zerstörung der Orbitalwandung (untere
und innere) einen fürchterlichen Anblick dar. — In zwei andern Fällen, wo die Affec-
tion noch auf eine so kleine Partie beschränkt war, dass Prof. Pitha, der die Exstir-
pation vornahm, nicht nur diese, sondern auch die Vereinigung der Wunde so gut, als
man nur wünschen konnte, durchzuführen vermochte (bei einem Manne von etwa 36
und einer Frau von 5U Jahren), trat ebenfalls nach Jahresfrist abermals Infiltration ein.
— Die von mir im August 1544 nicht bloss durch Exstirpation, sondern auch durch
Transplantation eines Hautstückes operirte 36jährige Bäuerin Marek Katharina, deren
Krankengeschichte Hasner 1. c. S. 258 mitgetheilt, um ein neues Verfahren der Blepharo-
plastik zu beschreiben, war im Jahre 1S47 nicht mehr geheilt, denn sie kam am 1.
December 1S46 recidiv auf die Augenklinik und wurde von da an Dr. Hasner gewiesen,
der die Exstirpation und Blepharoplastik am 14. December 1845 vorgenommen hatte.
Wie Hasner diese Kranke, deren Ptecidive auch von Dr. Pilz constatirt wurde, noch im
Jahre 1 S47 „vollkommen hergestellt" finden konnte, ist mir unbegreiflich. — Ob in zwei
andern Fällen die Heilung dauerhaft gewesen , weiss ich nicht ; die Kranken sind mir
nicht mehr zu Gesicht gekommen.
bj Der drüsige oder alveolare Epithelialkrebs , welcher sich nicht
bloss nach der Fläche, sondern auch nach der Tiefe ausdehnt, und
nicht nur in der Haut, sondern auch im Unterhautzellgewebe und in
den Muskelfasern abgelagert wird, kommt bald als umschriebene Ge-
schwulst, bald auch infiltrirt vor. Es bilden sich in oder unter der
Haut ein oder mehrere runde, harte und bei stärkerem Drucke schmerz-
hafte Knötchen, welche an und für sich oder durch Verschmelzimg
360 Augenlider.
mehrerer zur Grösse einer Erbse, höchstens einer Wallnuss anwachsen,
bevor sie aufbrechen, was in Zeit einiger Wochen oder Monate ge-
schieht. Nach dem Wundwerden zeigt sich keine Höhle, da die Haut
sehr alhnälig durch den Krebs verdrängt wurde, welcher früher keine
Verjauchung einging. Die offene Stelle ist dunkel-, bisweilen braun-
roth und ziemlich eben. Wenn das schmutzigweisse , dünne Secret
nicht fleissig abgespült wird, verbreitet es einen üblen Geruch oder
vertrocknet zu Krusten. Bisweilen bilden sich streifenweise Überhäu-
tungen oder wirkliche grubige Narben. Die Ränder sind aufgeworfen,
mehr weniger nach aussen gekehrt, und rundliche Wülste darstellend
oder rundlich eingekerbt. Die benachbarten Lymphdrüsen werden hier
gewöhnlich sehr bald in dieselbe Metamorphose gezogen. Dann ist die
Aussicht auf günstigen Erfolg der Exstirpation sehr gering. „Unter
den Krebsformen am Auge ist der Epithelialkrebs (als flacher und
alveolarer) der einzige, den ich ausser dem Markschwamme beobachtete.
Er entsteht immer an der vordem Gegend der Schleimhaut des Aug-
apfels, der Lider, oder von der Caruncula in Form eines oder mehrerer
Knötchen." (Schuh.) Ich habe in 2 Fällen von solcher Infiltration des
untern Lides die Exstirpation und darauf die Blepbaroplastik nach
Diejjenbach vorgenommen, vor 2 und vor 1 Jahr, bis jetzt jedoch noch
nichts über das fernere Verhalten erfahren.
c) In früheren Jahren glaube ich auch den laarzenähnlichen Epi-
thelialkrebs nach der Schilderung, die Schuh davon entwirft, beobachtet
zu haben, und zwar am obern Lide. Da ich indessen weder eine Ope-
ration noch eine genauere Untersuchung vornahm, so will ich für
dieses Vorkommen nicht einstehen. Nach Schuh erscheint derselbe in
Form von einfachen warzenähnlichen Kolben, welche Epithelialzellen als
Belegmasse und eingeschlossen enthalten, und kommt vorzüglich in der
Haut des Gesichtes, seltener in andern Gegenden vor. Schuh beob-
achtete diese Affection an der Ober- und an der Unterlippe, am Nasen-
flügel und an der Wange, in 4 Fällen nach Verletzungen, im 5. ohne
äussere Veranlassung. Das rasche Wachsen bestimmte ihn bei Zeiten
zur Operation.
m. Motilitätsstörungen.
1. Ich wurde mehrmals wegen unwillkürlichen Zitterns der Augen-
lider um Rath gefragt. Bei genauerer Nachforschung erfuhr ich, dass
dasselbe vorzüglich nach angestrengtem Sehen bemerkt worden war;
doch trat es, einmal entstanden, auch ausser der Zeit der Beschäftigung
Paralystische x4ffectionen. 361
ein, nicht continuirlich, nur weilenweise. Wo ich einen solchen Anfall
zu beobachten Gelegenheit hatte, konnte ich leichte vibrirende Be-
wegungen oder Zuckungen bemerken, doch nur an den untern Lidern,
einer- oder beiderseits. Das häutige Vorkommen dieses Zustandes an
Augen mit ungenügender Accommodationskraft und nach übermässig*
langer Anstrengung der Sehkraft Hess den ursächlichen Zusammenhang
hiemit nicht verkennen und bezeichnete mir dieses Übel als relative
Insufßcienz- des Orbicularmuskels. Nur in einigen wenigen Fällen
schien Verkältung, namentlich Zugluft die Veranlassung dazu gegeben
zu haben. Übergang in förmliche Paresis oder Paralysis habe ich nie
beobachtet. Das Übel schwindet bei einem den ursächlichen Momenten
entsprechenden Verhalten und Heilverfahren. (Viel Bewegung im Freien,
Waschen mit spirituös-aromatischen Flüssigkeiten, kalte Douche —
trockne Wärme, aromat. Kräuterkissen.)
2. Ein gewisser Grad von Insufßcienz des Schliessmuskels wird
nicht selten bei alten Leuten bemerkt, welche früher fettreich waren,
mehr flach liegende Augen hatten, und nun starke Faltung und Runze-
lung der Lidhaut darbieten. Der Arzt wird entweder wegen Thränen-
träufeln oder wegen Zufällen chronischen Bindehautkatarrhes oder
endlich wegen Auswärtsstülpung des Lidrandes, selbst des ganzen untern
Lides consultirt. Diess ist nämlich die Reihenfolge der Zufälle, welche
daraus entstehen, dass die Fasern des Muse, Albini nicht mehr im
Stande sind, beim gewöhnlichen Lidschlage das untere Lid gehörig an
den Bulbus anzudrücken. Spirituös-aromatische Einreibungen in die
Cutis, mit Kampher bestrichene Kräuterkissen, Waschungen mit Sohlt.
Lapid. divini oder Collyr. adstr. luteum wie bei chronischem Katarrh,
und ähnliche Mittel können bloss zu Anfang nützen; wo bereits Ektro-
piuni besteht, vermag nur die Tarsoraphie nach Walther abzuhelfen;
weniger zu empfehlen ist hier das Ausschneiden eines keilförmigen
Stückes aus dem relativ zu langen Lide nach Adams.
3. Die von mangelhafter Innervation abhängige Lähmung des
Schliessmuskels gibt sich in den geringsten Graden bloss durch Thränen-
träufeln, in mittlem Graden überdiess durch insufficiente Wirkung beim
Versuche, das Auge fest zu schliessen, in den höchsten Graden durch
beständiges Offenstehen der Lidspalte (Mangel des Lidschlages) und
Abstehen oder vielmehr Nicht-anschliessen des untern Lides an den
Bulbus kund; später kann auch Umstülpung dieses Lides dazu treten.
Je nach der Stelle, wo der Nerv, facialis ergriffen ist, beschränkt sich
die Lähmung bloss auf den Schliessmuskel (selten), auf mehrere oder
auf alle von diesem Nerven versehene Muskeln, erscheint der Stand der
362 Augenlider.
Augenbraue höher, der Mund nach der andern^ Seite verzogen, der
Nasenflügel eingesunken u. s. w. — Von peripherischen Veranlassungen
kennen wir nur: Verkältung, Verletzungen, Druck durch Geschwülste
oder infiltrirte Drüsen (an der Parotis, zwischen Unterkiefer und
Zitzenfortsatz), Knochenerkrankung im Verlaufe des Fallopischen
Canales. Die centralen Ursachen sind die in der Schädelhöhle ge-
legenen Veränderungen. — Die günstigste Prognosis gestatten die
Fälle von Verkältung oder von Druck, der sich beseitigen lässt. —
Eücksicktlich der Behandlung können wir füglich auf das bei der Läh-
mung der Augenmuskeln Gesagte verweisen.
4. Wenn der Aufhebe?* des ohern Lides insufßcient ist, weil dieses
für ihn zu schwer geworden, so hat man den Zustand Vorfall des
obern Lides, Ptosis palp. genannt, während man die von mangelhafter
Innervation des Aufhebemuskels abhängigen Zustände als Atonie und
als Lähmung desselben bezeichnet. — Um diese Zustände, welche beim
ersten Anblicke bloss ein Herabhängen des Lides über den Bulbus dar-
bieten, nicht zu verwechseln, untersuche man zunächst, ob nicht eine
mechanische Ursache davon aufgefunden werden könne, in Vergrösserung
des Lides (seiner einzelnen Gebilde) oder in abnormen Adhäsionen.
Bei chronischen Bindehautentzündungen (Blennorrhoe, Trachom, um-
schriebenen Bindehautwucherungen, z. B. um fremde Körper) wird das
Lid in der Regel nicht zur normalen Höhe emporgehoben. Bei manchen
Individuen kommt eine so starke Faltung der Haut des obern Lides
vor, dass sich dieselbe förmlich über den Lidrand herablegt, und zwar
nicht bloss nach entzündlichen Affectionen, sondern auch ohne bekannte
Veranlassung oder als Vitium primae formationis. Dieser Übelstand
lässt sich durch Ausschneiden einer entsprechenden Falte (nach der
Pachtung der Muskelfasern) beseitigen. Bei der angeborenen Ptosis,
die ich in hohem Grade nur auf einem, in massigem Grade auch auf
beiden Augen beobachtet habe, kann durch Excision einer solchen
Hautfalte nur Verbesserung des Lidstandes erreicht werden, wenn die
Bewegungen des Lides ganz fehlen (Mangel des Levator?) oder nur
in sehr beschränktem Masse gestattet sind. — Geringere Energie
(Atonie) des Augenlidhebers beobachtet man nach langwierigen Augen-
entzündungen mit anhaltender oder häufiger excessiver Action des
Schliessmuskels und bei alten Leuten. Die Behandlung ist analog der
bei Insuffizienz des Schliessmuskels angegebenen. — Lähmung des
Augenlidhebers kommt meistens mit Lähmung der übrigen vom N.
oculomotorius versehenen Muskeln, doch auch für sich allein vor. Sie
kann rheumatischer Natur sein und lässt sich dann noch am leichtesten
Spastische Affeetionen. 363
heilen, kommt aber auch nach Verletzungen oder bei Druck auf den
Levator in der Orbita vor.
5. Spastische Contractionen des Schliessmuskels sind am häutigsten
bedingt durch Reizung der sensitiven Zweige des Trigeminus , welche
das Auge u?id die Lider versorgen. Sie kommen demnach in ver-
schiedenem Grade und in verschiedener Dauer vor: bei Reizung durch
fremde Körper, durch Entzündung, durch Pseudoplasmen oder Entozoen,
sind immer von Lichtscheu und Thränenfluss, meistens auch von
Schmerzen begleitet, und bieten, wenn nicht einen continuirlichen , so
doch mehr einen re- als intermittirenden Typus dar. Hiedurch unter-
scheiden sie sich zunächst von den Contractionen , welche die Anfälle
von Neuralgien des Trigeminus begleiten, deren Sitz meistens der Ram.
supraorbitalis oder infraorbitalis ist. Fälle von Neuralgia ciliaris, deren
mehrere Autoren erwähnen, habe ich bisher noch keine beobachtet.
Ohne Schmerzen und ohne Lichtscheu bestehen jene Contractionen,
welche die Bedeutung der Chorea minor haben, und selten auf den
Schliessmuskel allein beschränkt sind. Sie treten auch, was ich ge-
sehen, nur auf einer Gesichtshälfte auf. Hievon verschieden ist eine
eigenthümliche Art von Blepharospasmus, welche ich bisher bei vier
Individuen beobachtet habe. Plötzlich und ohne alle Vor- oder Neben-
erscheinungen werden die Augen auf einige Secunden, höchstens auf
2 — 3 Minuten krampfhaft geschlossen, und der Betroffene ist um keinen
Preis im Stande, sie zu öffnen, ausser mit den Fingern, ja bisweilen
auch da nur mit Mühe und Anstrengung. Ist der Anfall vorüber, so
fühlt der Kranke sich auch wieder völlig wohl. Nach häufiger und
intensiver Wiederholung, wobei das Auge etwas mehr thränt, stellt sich
ein hyperämischer Zustand der Bindehaut ein, und die Hautvenen der
Lider erscheinen etwas erweitert. Sonst ist weder an den Lidern noch
an den Bulbis irgend eine Abnormität wahrnehmbar, auch keine Sen-
sibilitätsstörung nachweisbar, weder während, noch ausser der Zeit der
Anfälle. Auf die Häufigkeit und Intensität der Anfälle scheinen auch
äussere Einflüsse nicht bestimmend einzuwirken; sie kommen auf der
Gasse — und der Kranke muss stehen bleiben, beim Essen, beim
Lesen, beim Nichtsthun. Die Individuen waren alle zwischen 55 und
72 Jahre alt, 3 Männer (1 Jude, 2 Beamten), 1 Frau (Jüdin), hager,
gesund aussehend, ohne erhebliche Gesundheitsstörungen.
Bei dem 1. Kranken, einem Handelsmanne von 65 Jahren, versuchte ich nach ein-
ander Flores zinci, Yalerianas zinci, Magist. bismuthi, Cupr. ammoniacale, ohne Erfolg,
bis ich endlich — nach Ad. Schmidt — in der Gegend des Zitzenfortsatzes ein Causti-
cum anwandte, Pasta von Chlorzink. Die Anfälle blieben durch beinahe 3/i Jahre ganz-
364 Augenlider.
lieh aus, kehrten allmälig "wieder, und wurden durch "Wiederholung desselben Mittels
"bleibend — bis zu dem 5 Jahre später erfolgten Tode — beseitigt. Der eine von den
beiden Beamten (aus Graz) consultirte mich auf seiner Durchreise nach Karlsbad; ich
rieth ihm dasselbe Mittel, habe aber weiter nichts erfahren. Der Andere leitete sein Lei-
den von anstrengenden Arbeiten bei grellem Licht und von Blendung durch Schnee-
licht ab ; doch war die Sehkraft gut , und ein Netzhautleiden nicht nachzuweisen. Er
war etwas empfindlich gegen das grelle Licht, trug aber, als ich ihn sah, bereits längere
Zeit blaue Brillen. Merkwürdig war bei diesem Mann , dass er die Anfälle abkürzen,
meistens im Entstehen ersticken konnte , wenn er anfing zu pfeifen ; auch das Violin-
spielen hatte denselben Effect, nicht aber das blosse Anhören von Musik (was ich ver-
suchsweise vornehmen Hess). Er war ohngefähr 6 Wochen nach Entstehung des "Übels
nach "Wien gegangen und dort durch 3 Wochen mit Belladonnasalben, Valeriana, Tinct.
castorei und einigen andern Mitteln behandelt worden, ohne Besserung, und kam im G.
Monate der Krankheitsdauer nach Prag, wo auch wir mehrere Mittel (Veratrinsalbe, Flor,
zinci, Con. maculatum) ohne Erfolg anwandten. Zur energischen Anwendung obiger
Ätzpasta konnte er sich nicht entschliessen , da sein Zustand schon durch das blosse
Auflegen der Cantharidenpflästerchen , wie er angab , bedeutend verschlimmert worden
sei. — Der Frau ordinirte ich Ferrum carbon. sacchar. mit Extr. conii macul. ; dass nach
8 Wochen Besserung eingetreten war, berichtete mir ihr Mann; ob Heilung erfolgte, ist
mir unbekannt geblieben.
Einen eigenthümlichen Fall von Blepharospasmus bei einem jungen Manne, dem
ein Apfel an das linke Auge geworfen worden war, hat A. von Gräfe im Archiv
f. 0. B. I. Abth. 1. S. 440 beschrieben. Ein Theil des Apfelstieles war in den Binde-
hautsack eingedrungen gewesen und daselbst '/« Stunde geblieben. Unmittelbar darauf
war an der betroffenen Seite permanenter Lidkrampf aufgetreten, welcher nur für
eine kurze Periode eine Unterbrechung erlitten hatte. In jener Periode, wo er allein
fähig gewesen war, die Lider zu öffnen, versichert er zwar alle Gegenstände mit
diesem Auge erkannt, aber dabei eine durch das ganze Gesichtsfeld verbreitete rothe
Färbung wahrgenommen zu haben. Als ihn Gräfe einige Monate nach Entste-
hung des Übels sah , waren die Lider des linken Auges fest geschlossen ; das rechte
Auge, für gewöhnlich frei von spastischen Anfällen, zeigte nur während des Heftig-
werdens der Contractionen an dem linken einiges Zucken an den Lidrändern. Suchte
man die Lider des linken Auges zu öffnen, so äusserte Pat. den lebhaftesten Schmerz,
lind fing unwillkürlich an, nicht bloss die Gesichtszüge stark zu verzerren, sondern auch
die Extremitäten convulsivisch zu bewegen. Dagegen konnten die Lider in einer der
Lidspalte zuführenden Richtung (der Wirkung des Orbicularis conform) dislocirt und
an einander geschoben werden, ohne dass Pat. dadurch im mindesten belästigt wurde,
wie auch die einfache Berührung der Hautpartien keineswegs von Hyperästhesie der-
selben zeugte. Während der Chloroformbetäubung hörte der Krampf vollkommen auf,
und Hessen sich die Lider leicht öffnen. Der Bulbus erschien gesund, die Pupille nor-
mal gross und beweglich, nirgends war eine Spur eines fremden Körpers oder einer
Texturveränderung wahrzunehmen. Kurz nach dem Zurückkehren des Bewusstseins
stellte sich der Krampf ganz unverändert wieder ein. Nach Anwendung verschiedener
äusserer und innerer Mittel trat statt Besserung Verschlimmerung des Zustandes ein, in-
dem namentlich auch allgemeine Convulsionen nicht nur auf Versuche, die Lider ausein-
ander zu ziehen, sondern auch von selbst anfallsweise sich einstellten. Anfangs wollte
Gr. die subcutane Durchschneidung der zum Orbicularis gehenden Facialäste vornehmeu,
Entropium. 365
entschloss sieh jedoch, nach einer Consultation mit Romberg, zur subcutanen Durchschnei-
dung des Superorbitalnerven, indem das Übel als ein von pathologischer Erregung der
Gefühlsnerven ausgehender Reflexkrampf aufgefasst wurde. Der Erfolg entsprach der
Erwartung vollständig und bleibend. Gräfe erklärt sich nach Erwägung aller hier denk-
baren Deutungen für die, dass durch Trennung des Superorbitalnerven und Aufhebung
der von diesem abhängigen Empfindlichkeit der Muskelfasern, welche durch jede Deh-
nung des Muskels gesteigert wurde, die Hyperästhesie des M. orbicularis und somit auch
die bievon abhämrie-en Reflexwirkunaren behoben wurden.
IV. Fehlerhafte Lage, Verwachsung', Trennung, Zerstörung.
1. Entropium, die Uinstülpung des Lidrandes nach innen, so dass
die Cutis den Bulbus berührt, kommt häutiger an dem untern als an
dem obern Lide vor. Sie ist nicht zu verwechseln mit der blossen
Eiuwärtswendung der Cilien, welche entweder bloss auf abnormem
Hervorsprossen der Cilien beruht {Distichiasis) , wobei die Lage des
Lidrandes ganz normal sein kann, oder auf Verlust (Abschliff) der
innern Kante (Trzck/asü) , welche allerdings bei weiterer Entwicklung
des Übels zur Einstülpung des Lidrandes selbst führen kann. Auf die
Zufälle und üblen Folgen der Einwärtswendung des Lidrandes haben
wir bereits im I. Bande S. 128 aufmerksam gemacht.
Das wichtigste Moment zur Einwärtsstülpung der Lider bildet
lange anhaltende oder häufig wiederholte, excessive Contraction des
Schliessmuskels, in specie der innern Portion (Muse. Albini). Für sich
allein jedoch scheint dieses Moment, das bei jeder Art von Entropium
eiüe wohl zu berücksichtigende Rolle spielt, Entropium nicht bewirken
zu können. Die mitwirkenden Momente sind: Verschrumpfung der
Bindehaut und des Tarsus mit AbrunduDg der innern Kante, Verenge-
rung der Lidspalte vom äussern Winkel her (Blepharophimosis), öde-
matöse Schwellung der Cutis, oder endlich Zurücksinken des früher
flach gelegenen Bulbus, wobei das Lid relativ zu lang ist und die Cutis
stark gerunzelt erscheint.
Von der Einwärtswendung des Lidrandes, welche in Folge von
Verschrumpfung der Bindehaut und des Tarsus mit Verlust der innern
Lidkante, also nur als höherer Grad von Trichiasis auftritt, und welche
man Entr. organicum genannt hat, war bereits im I. Bande S. 128 die
Eede, und wurde eben daselbst S. 144 — 147 das dagegen anzuwendende
Heilverfahren angegeben.
Ebenso wurde dort S. 129 der Blepharophimosis und S. 143 der
dagegen anzuwendenden Operation gedacht.
366 Augenlider.
Blepharospasmus allein scheint nur dann Entropium bewirken zu
können, wenn er durch Behinderung des Blutrückflusses starke ödema-
töse Schwellung der Cutis bewirkt hat, und auch diese Fälle sind —
nach meinen Beobachtungen — äusserst selten, und betreffen nur das
untere Lid. Man hat diese Form Entr. spasticum genannt. Sollten die
gegen den Blepharospasmus empfohlenen Mittel bei fleissiger Reposi-
tion des Lides nicht ausreichen, so wäre wohl die von Hetdenreick
empfohlene subcutane Durchschneidung des Schliessmuskels gerecht-
fertigt, welche nach Einschiebung einer Hornplatte keine Schwierigkei-
ten macht, auf die über dem Tarsus gelegenen Fasern zu beschränken
ist, und der Sicherheit wegen an zwei Stellen (gegen die Enden des
Knorpels hin) vorgenommen wird.
Die Ursache des sogenannten Entr. senile hat man wohl vorzüglich
desshalb in Erschlaffung der Haut gesucht, weil die Ausschneidung einer
Hautfalte genügt, dasselbe zu beseitigen. Das Missverhältniss zwischen
Cutis und Bindehaut, wie man sich ausgedrückt hat, ist nur ein coexi-
stirendes Moment. Es kommt dieses Entropium immer nur an dem
untern Lide vor, wo man, wenn die Ursache in der Haut läge, eher
ein Herabsinken des Lides und Auswärtsstülpung erwarten sollte. Man
sieht es, wo die oben bezeichneten Momente vorhanden sind, also mei-
stens nur bei alten Leuten, nicht selten entstehen, wenn solche Indivi-
duen durch Einfallen eines fremden Körpers, nach einer am Bulbus vor-
genommenen Operation, durch eine anderweitig entstandene Entzündung
oder Reizung zu öfterem oder vehementerem Lidschlusse veranlasst
wurden. Allerdings kommen auch Leute vor, die von einer solchen
Veranlassung nichts wissen. Nach längerem Verbinden des Auges fin-
det man eine solche Einwärtsstülpung mitunter auch bei jüngeren Indi-
viduen, wenn auch nicht gerade Blepharospasmus vorhanden war. —
Oft genügt die Beseitigung der Veranlassung, das Entfernen eines Staub-
kornes, einer am äussern Winkel eingebogenen Cilie u. dgl., und das
nachträglich eine Zeit lang fleissig vorgenommene Reponiren des fehler-
haft gestellten Lides. Oder man fixire eine Falte der dünnen über-
schüssigen Haut durch Collodium oder ein Englischpflaster. Bei inve-
terirten Fällen hilft nur ein operativer Eingriff radical. — a) Will man
nach dem Vorgange von Callisen, Helling u. A. ein lang- elliptisches
Hautstück durch Bestreichen mit Nordhäuser Schwefelsäure zerstören,
so lasse man einen Gehilfen dafür sorgen (mittelst Anhalten von Lösch-
papier), dass keine Thränen auf die betreffende Stelle fliessen, und
fahre mit dem getränkten Asbestpinsel oder Besenrüthchen 2 — 3 mal
über die Haut, parallel dem Lidrande und so, dass der obere Rand des
Entropium. 367
zu verscliorfenden (2 — o'" breiten) Streifens höchstens 2'", aber auch
nicht weniger als V" von der Cilienreihe entfernt sei. Nur messer-
scheue Individuen dürften dieses Verfahren dem Ausschneiden der Haut-
falte vorziehen. — b) Zum Fassen eines 3— 5y" breiten und 10 — 14'"
langen Hautstreifens haben Hlmli/, Beer, Langenbeck u. A. die soge-
nannten Entropiumzangen angegeben. Jiingken hat gezeigt, dass diese
Instrumente entbehrlich sind. Man fasst je nach der Erschlaffung der
Haut und dem Grade der Einwärtswendung des Lidrandes eine mehr
weniger breite Hautfalte mit Daumen und Zeigefinger jener Hand, mit
der man später die Scheere (eine gerade) führen will, überzeugt sich
durch Rollen zwischen den Fingern, dass man keine Muskelfasern mit-
gefasst habe, legt dann an der Nasenseite der Finger eine Pincette an,
die man dem hinter dem Kranken stehenden Gehilfen übergibt, an der
Schläfenseite eine zweite, die man mit der andern Hand hält, ergreift
nun mit der früher zur Faltenbildung verwendeten Hand die Scheere
und excidirt die jetzt durch die Pincetten gespannte Hautfalte in einem
Zuge, die Scheere beim Schneiden etwas nachschiebend. Die Pincetten
müssen so angelegt und die Scheere muss so geführt werden, dass der
obere Wimdrand zum Lidrande nahezu parallel und von demselben
weder über 1ut noch unter \'" entfernt verläuft. Die Wunde wird dann
durch 4—5 blutige Hefte vereinigt. Kommt die Narbe weiter als 2'"
vom Lidrande zu liegen, so nützt die Excision gewöhnlich nichts, wegen
der grossen Dehnbarkeit der Cutis. Damit man kein zu breites Stück
excidire, überzeuge man sich vor Anlegung der Scheere, ob der Kranke
das Auge noch zu schliessen vermöge. — c) Statt dieser Methode habe
ich in neuester Zeit das von Bau *) empfohlene 6rö///onfsche Verfahren,
etwas modificirt, angewendet, und zwar mit dem besten Erfolge. Man
fasst eine Hautfalte mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand, mit-
ten unter dem Lidrande, sticht an der Nasenseite der Finger eine leicht
gekrümmte Nadel mit einem Faden von unten nach oben (an der Basis
der Falte), und 1 — 2'" davon entfernt wieder von oben nach unten,
nimmt dann dasselbe Manöver mit einer zweiten Nadel an der Schlä-
fenseite der Finger vor, und knüpft nun die Enden des 1. und 2. Fa-
dens, je für sich, fest zusammen, wodurch die Falte an 2 Stellen (4 — 6"'
von einander entfernt) fixirt und abgeschnürt erscheint. Nach 48 — 60
Stunden werden die Ligaturen entfernt. Die Fäden dürfen nicht zu
dünn sein und nicht zu knapp abgeschnitten werden, damit sie nicht
zu bald durchschneiden und damit ihre Entfernung nicht durch das An-
*) Grä/e's Archiv für Ophth. Bd. I. Abth. II. S. 176.
368 Augenlider.
schwellen der Cutis zu sehr erschwert werde. Nach einigen Tagen ver-
liert sich die Schwellung und allmälig auch die Faltung der Cutis, und
die Heilung ist erreicht.
2. Die Umstülpung des Lides nach aussen, Ectropium, findet entwe-
der längs des ganzen Lidrandes statt oder vorzugsweise an einem Win-
kel, gegen den andern hin sich allmälig verlierend. Diess kann sowohl
an dem obern als an dem untern der Fall sein. Dieser Zustand ist
jederzeit entstellend und durch beständige Reizung lästig; in gewissen
Fällen schliesst er auch die Unmöglichkeit in sich, den Bulbus zu be-
decken (Lagophthalmus). — Bei jedem Ectropium, es mag wodurch im-
mer bedingt sein, sind 3 Momente ins Auge zu fassen: 1. dass die Bin-
dehaut der Lider, nicht für den Contact mit der Luft geschaffen, wenn
auch Anfangs gesund, allmälig dieselben Veränderungen erleidet, wie
die Schleimbaut der Vagina, des Uterus, des Rectums bei Vorfall dieser
Organe aus ihren Höhlen, 2. dass der Knorpel (oft auch die äussere
Commissur), sei es durch diesen Vorgang in der Bindehaut, sei es durch
Zerrung, verlängert wird, wenigstens am Lidrande, was man durch ver-
gleichende Messung des andern Lides constatiren kann, und 3. dass die
innere Portion des Schliessmuskels (M. Albini), welche bei jedem voll-
ständigen Ectropium den Lidrand mit jedem Augenlidschlage an die
Cutis andrückt, somit am Bulbus abwärts (rückwärts) anstatt aufwärts
(vorwärts) streift, in permanente Contraction, endlich wohl auch in Con-
tractur und Verkürzung geräth. Wenn gleich der Entwurf des Heilplanes
vorzüglich durch Berücksichtigung der sogenannten entfernteren Ursache
bestimmt wird, so muss doch jedem dieser Momente dabei Rechnung
getragen werden, um so mehr, je stärker dasselbe ausgesprochen ist.
a) Die günstigste Prognose gestattet das Ectropium als Folge chro-
nischer oder chronisch gewordener Bindehautblennorrhöe , gewöhnlich
als Ectr. sarcomatosum beschrieben. Es kommt häutiger an dem untern
als an dem obern Lide, selten an beiden zugleich vor. — Bei frisch
entstandenen Fällen (nach Weinen, ungeschicktem Abziehen der Lider
vom Bulbus u. dgl.) genügt oft die einfache Reposition, indem man
das Lid an den Cilien oder an der Cutis nächst denselben fasst, und
den Kranken nach der entsprechenden Richtung blicken lässt, nöthigen-
falls noch den kleinen Finger der andern Hand bejiufs der Rückdrän-
gung auf die Mitte des convexen Lidrandes aufsetzt. — Auch bei län-
ger dauernden und allmälig entstandenen Ectropien dieser Art genügt
bisweilen die Reposition, doch geschieht es hier leicht, dass nach eini-
gen Augenlidschlägen die Umstülpung wieder da ist. Dann lasse man
nach vorgenommener Reposition beide Augen geschlossen halten, be-
Ectropium. 369
decke das Auge noch vor Entfernung; des Fingers mit Charpie, bis zur
völligen Ausfüllung der Augengrube und führe, um einen permanenten
Druck zu erhalten, eine Binde um den Kopf. Sollte sich zeigen, dass
trotzdem das Lid sich unter dem Verbände wieder umstülpte, so ver-
klebe man vor Anlegung desselben nicht nur das kranke, sondern auch
das gesunde Auge mit Englischpflaster. Wo starke Wucherung der
Bindehaut nicht nur im Tarsal- sondern auch im Übergangstheile be-
steht, kann man die Reposition leichter bewerkstelligen und erhalten,
wenn man vorher zahlreiche seichte Einschnitte macht, stark wuchernde
Papillen mit einer flach gebogenen Scheere abträgt, und das Ganze
recht ausbluten lässt. Mit Excisionen aus dem Übergangstheile sei man
vorsichtig, weil Substanzverluste der unter der Bindehaut liegenden
Fascie später leicht zu Entropium führen können. Dasselbe gilt auch
von der intensiven Atzung mit Lapis infernalis, welche überhaupt so
lange, als Verbinden des Auges noth thut, nicht wohl anwendbar ist
(wegen der Schorf bildung). Diese oder auch andere Mittel anwenden
und dabei die Bindehaut nicht vor dem Contact mit der Luft bewahren,
beisst ohngefähr so viel, als ein aus seiner Höhle vorgefallenes Organ
auf solche Weise zum Zurückweichen bestimmen wollen. — Wo Repo-
sition und Druckverband, unterstützt durch Touchiren mit Cuprum sul-
fur. in der Zwischenzeit, nicht genügen, weil der Knorpel wegen langen
Bestandes bleibend verlängert ist, wo wenigstens eine Recidive zu be-
sorgen steht oder eintritt, weil trotz längerer Behandlung in der eben
angegebenen Weise das Lid sich nicht gehörig an den Bulbus anlegte,
bleibt nichts übrig, als die Excision eines keilförmigen Stückes nach
Adams oder, falls Ausdehnung der äussern Commissur überwiegend
Schuld wäre, die Tarsoraphie nach PL von Walter zu machen. Wie
breit der excidirende Keil am Lidrande sein soll, ergibt sich, wenn man
die Länge des betreffenden Lidrandes vom Thränenpunkte bis zur äus-
sern Commissur mit einem längs der Cilien angelegten Faden misst,
und mit dem andern Lide vergleicht. Dann fasst man mit einer Pin-
cette oder Kornzange, einen Arm an die Cutis, den andern an die Bin-
dehaut gelegt, das Lid unweit der äussern Commissur, führt mit einem
bauchigen Messer zwei Schnitte vom Lidrande gegen die Wange, deren
Anfänge so weit von einander abstehen, als das Lid zu lang ist, deren
Enden etwa 5—6'" vom Lidrande entfernt in der Cutis zusammenstos-
sen, fasst hierauf eine gerade Scheere, und schneidet mit dieser, einen
Arm in die Hautwunde, den andern an die Bindehaut angelegt, diese
und die zwischenliegenden Gebilde auf der einen wie auf der andern
Seite der Kornzange durch. Das ausgeschnittene Stück bildet gewisser-
Arlt Augenheilkunde. III. 24
370 Augenlider.
massen ein Tetraeder. Um die Entstehung eines Coloboms zu verhü-
ten, excidire man kein zu breites Stück (am Lidrande), verrichte den
Schnitt durch die Haut lieber mit dem Messer, obwohl er gleich auch
mit der Scheere gemacht werden könnte, lege stets die umschlungene
Naht an, und führe die oberste Nadel knapp an den Cilien nicht etwa
bloss durch die Cutis, sondern knapp vor dem Knorpel, nicht durch
diesen selbst. Es eignet sich übrigens dieses Verfahren auch für manche
Fälle von Ectropium wegen Verkürzung der Cutis oder der Augenlid-
binde, so wie für Fälle, wo ein Krebs oder eine Teleangiektasie von
geringem Umfange, aber bis auf den Knorpel oder die Conjunct. ein-
greifend, excidirt werden soll. — Die Tarsoraphie nach Walther ist ge-
wissermassen nur eine Übertragung des Adams'schen Verfahrens auf
die äussere Commissur. Die mit dem Messer zu führenden Schnitte
haben den Zweck, sowohl vom obern als vom untern Lide nächst des
äussern Knorpelendes einen Streifen, etwa 1'" lang, \Ui breit, abzutra-
gen und convergiren gegen die Schläfe hin; die auf diese Weise wund
gemachten Lidränder, an denen keine Haarzwiebeln sitzen geblieben
sein dürfen, werden durch die umschlungene Naht vereinigt, um das
früher umgestülpt gewesene Lid an das andere zu heften, dadurch zu
spannen und an den Bulbus zu ziehen. Bei beiden Methoden dürfte
die Durchschneidung des M. orbicularis einen wesentlichen Antheil an
der Heilung haben.
b) An die eben besprochene Form reiht sich das Ectropium von
insufficienter oder fehlender Muskelaction, ectrop. senile et paralyticum,
von welchem bereits oben die Rede war. Es kommt nur am untern
Lide vor. Bei der einen wie bei der andern Art ist das Verfahren nach
Walther oder auch nach Adams anzuwenden, sobald keine Aussicht
mehr vorhanden ist, das Grundleiden zu beheben, oder wenn das Ectro-
pium trotzdem fortbesteht.
c) Das durch Zerstörung der äussern Commissur eingeleitete Ectr.
palp. inferioris wird, falls nicht mit zu bedeutendem Hautverluste ver-
bunden, einfach durch die Tarsoraphie beseitigt werden können, wenn
man die beiden Schnitte durch die Haut so lang und allenfalls geschweift
führt, als es die Excision einer Narbe oder eines Krebsinfiltrates er-
heischt, und nöthigenfalls die Wundränder unterminirt, um sie zur Ver-
einigung nachgiebig zu machen.
d) Die grössten Schwierigkeiten setzen der Heilung die durch Ver-
kürzung der Lidhaut bedingten Ectropien entgegen. (Diese Bezeichnung
ist nicht genau; ich behalte sie bei, weil sie bequem und durch langen
Usus eingebürgert ist.) Bei der ungewöhnlichen Verschieb- und Dehn-
Ectropium — Operation. 371
barkeit der Augenlidhaut können Streifen von 3— 4"; Breite (von oben
nach unten) verloren gehen, durch Verbrühung, Atzung, Verletzungen
u. dgl., ohne dass Ectropium entsteht. Es pflegen aber viel kleinere
Substanzverluste der Haut Ectropium zu erzeugen, wenn die Verletzung,
Eiterung und Narbenbildung tiefer, bis auf die Fascia tarso-orbitalis
eingegriffen hat, wenn diese verkürzt, und somit der convexe Rand des
Knorpels gegen den Orbitalrand hingezogen ist. Darum führt Caries
am Orbitalrande in der Gegend der Thränendrüse oder am Jochbeine,
was von Amnion*) zuerst mit klaren Worten auseinander gesetzt hat,
so leicht zu einer der schlimmsten Formen von Ectropium, wenn auch
gerade nicht viel Cutis verloren ging. Man muss demnach unterschei-
den, ob bloss die Cutis, oder zugleich auch die Augenlidbinde verkürzt
ist, in welchem Falle die Cutis an einer Stelle an den Orbitalrand fixirt
erscheint. — Ectropien von blossem Hautverluste können sich allmälig
von selbst verlieren, wie ich nach ziemlich ausgebreiteten Substanzver-
lusten in Folge von Thränensackentzündung einige Male beobachtet habe.
Ob die von Richter, Beer u. A. empfohlenen Einreibungen der verkürz-
ten Haut mit Ol, so wie das Streichen und Dehnen derselben von di-
rectem Nutzen seien, ist noch nicht entschieden; jedenfalls sind sie gut,
den Kranken zu beschäftigen, bis die letzten Nachklänge der Entzün-
dung vorüber sind, da operative Eingriffe vor vollkommen beendetem
Yernarbungsprocesse leicht zu Eiterung, Ausreissen der Hefte, Absterben
von Hautzipfeln u. dgl. führen. — Ectropien mit Verkürzung der Augen-
lidbinde und Fixirung einer Hautpartie an den Orbitalknochenrand sind
immer schwieriger zu heben, nicht sowohl desshalb, weil die genannte
Fascie und die Cutis in hinreichendem Umfange getrennt werden müs-
sen, um den Knorpel mobil zu machen, sondern vielmehr desshalb,
weil nachträglich der Knorpel leicht wieder gegen den Knochen hinge-
zogen wird. — Die Verhältnisse gestalten sich hier nach Sitz und Um-
fang der Zerstörung und Verwachsung so mannigfaltig, dass wir es
nicht wagen, in Detailschilderungen einzugehen. Wer mit den Grund-
sätzen der Chirurgie überhaupt und den plastischen insbesondere ver-
traut ist, für den dürfte eine Übersicht der vorzüglichsten bisher ver-
suchten Methoden genügen, um in jedem speciellen Falle eine derselben
unverändert, oder den Umständen gemäss mo(Jificirt, anzuwenden.
Der Kürze und leichtern Verständlichkeit wegen wollen wir den Vorgang bei Ectr.
des untern Lides schildern; es wird nicht schwer sein, bei Ectr. des obern Lides die
nöthigen Änderungen zu treffen. Die hier zu besprechenden Methoden datiren aus den
*) Zeitschrift für Ophthalmologie, Bd. I. S. 30—51. (1830.)
24*
372 Augenlider.
letzten 25 Jahren, indem alle frühern Heilversuche, auf die Erzielung breiter Narben be-
rechnet, als illusorisch mit Recht verlassen worden sind.
1. Verfahren nach Sanson. Man führt mit einem bauchigen Scalpell zwei Schnitte
senkrecht durch die Cutis und die Fasern des Schliessmuskels. Der eine beginnt unter-
halb der äussern Commissur; beide vereinigen sich, V-förmig convergirend, etwa ZU — 1"
unter der Mitte des Lidrandes. Der Lappen wird an der Spitze mit einer Pincette ge-
fasst, und bis gegen den Tarsus hin lospräparirt. Könnte jetzt das Lid noch nicht
leicht und vollständig reponirt werden, wegen Verkürzung der Augenlidbinde oder wegen
zu starker Bindehautwucherung, so müsste erstere knapp am Orbitalrande eingeschnitten,
aus letzterer eine Partie excidirt werden. Durch die Reposition wird der V-förmige
aus Cutis und Muskelfasern bestehende Lappen hinaufgezogen; ihn in dieser Lage zu
fixiren, vereinigt man die Wunde unterhalb der Spitze desselben durch die umschlungene
Naht (2 Nadeln), die Seitenränder durch Knopf- oder fortlaufende (Kürschner-) Nähte.
Ist der Tarsus beträchtlich verlängert, und lässt sich wegen langer Dauer dieses Zustan-
des nicht auf baldige Rückbildung dieser Verlängerung rechnen, so beginne man den
Schnitt an der Schläfenseite nicht unterhalb der Commissur, sondern vom Lidrande selbst,
und excidire ein Stück aus dem Lide, wie bei Adams' Verfahren, um das Lid durch
Verkürzung in transversaler Richtung gespannt zu erhalten.
2. Methode von Chelius. *) Mit einem nahe am Lidrande und längs desselben ge-
führten Schnitte trennt man die Haut, und unterminirt diese von hier aus gegen den
Orbitalrand hin, bis der Tarsus frei emporgezogen und in die gehörige Lage gebracht
werden kann. Durch einige senkrechte Schnitte wird die innere Portion des Schliessmus-
kels nachgiebig gemacht; sollte Wucherung der Bindehaut die Resorption erschweren, so
werden longitudinale Stücke excidirt; zuletzt wird noch die äussere Commissur einige
Linien weit in horizontaler Richtung eingeschnitten. Um nun das Lid in der natür-
lichen Lage zu erhalten, soll man zwei Fadenschlingen durch den am Lidrande sitzenden
Hautstreifen ziehen und mittelst Heftpflastern an der Stirne befestigen, und die blossge-
legte Stelle des Lides mit Charpie bedecken. Nach Chelius nützt dieses Verfahren haupt-
sächlich desshalb, weil die Lidhaut mit andern Stellen des unterliegenden Zellgewebes
in Berührung gebracht und durch die Vernarbung der Wunde im äussern Winkel das
Lid transversal gespannt werde. Er bemerkt, dass die durch dieses Verfahren erzielten
Resultate selbst in Fällen höchst bedeutender Hautverkürzung über alle Erwartung glück-
lich waren. Eine zweckmässig erscheinende Modification hat Buete**) angegeben, indem
er, statt die äussere Commissur einfach zu spalten, empfiehlt, ohngefähr wie bei der
Tarsoraphie, vom äussern Ende des Schnittes an bis etwa 2 — 3 Linien in den Tarsal-
rand des obern und untern Lides ein Stückchen mit der Scheere abzutragen, wodurch
das Lid schon eine bessere Stellung erhält. Die Fadeuschiingen, die auch Ruete trotz-
dem noch anwendet, werden nach 3 — 4 Tagen entfernt.
3. Fr. Jäger's Verfahren. ***) Mit einem convexen Scalpell wird ein Schnitt, parallel
dem Lidrande und 2 — 3'" davon enlfernt, von der Cutis aus durch das ganze Lid, nöti-
genfalls auf einer untergeschobenen Hornplatte, geführt, so dass gleichsam eine zweite
Lidspalte entsteht. Von der dem Orbitalrande zugewendeten Wundlcfze aus dringt man
*) Handbuch der Augenheilkunde, 1838. S. 157, und Fischer, dissertatio de ectropio, Heidelberg 1830.
«*) Lehrbuch der Ophthalm. 2. Auflage. Bd. II. S. 58.
***) J. G. Dreyer, nova blcpharoplastices methodus, Vindob. 1S31.
Ectropium — Blepharoplastik. 373
nun mit einem Messer unter die an den Knochen fixirte Haut und löst die Adhäsionen,
wo und so weit solche bestehen, bis die Haut nachgiebig erscheint. Dann excidirt man
aus der Brücke, welche der Lidrand bildet, ein Stück, so lang als die Differenz gegen
die Länge des andern Lides beträgt, wodurch die zwischen der natürlichen und künst-
lichen Lidspalte bestandene Brücke in eine äussere und innere Portion zerfällt wird.
Beide werden nun aufs Sorgfältigste durch die umschlungene Naht vereinigt, somit die
Brücke wieder hergestellt, aber nicht mehr schlaff, sondern über den Bulbus gespannt.
Durch Vereinigung der horizontalen "Wunde mittelst Knopfnähten wird die nachgiebig
gemachte Haut Tom Orbitalrande gegen die Brücke hergezogen. — Dieses Verfahren
schliesst grosse Gefahren in sich, ein Coloboma palpebrae zu erhalten, daher bei der Ex-
cision des Stückes aus der Brücke und bei der Wiedervereinigung wohl die grösste Vor-
sicht nöthig ist. — Die Ablösung der Haut vom Knochen ist übrigens nicht immer mög-
lich, wie von Amnion in dem oben citirten Aufsatze bereits bemerkt hat. Es bleibt
dann nichts übrig, als die in die Knochennarbe hineingezogene Hautpartie mit zwei
Schnitten zu umfassen, welche gegen die Peripherie der Orbita hin convergiren, diese
Partie abzutragen oder doch wund zu machen, und die angrenzende Haut nach gehöriger
Unterminirung über dieser Partie zusammen zu heften.
4. Nach Fricke*) werden stärkere Narben mit zwei Schnitten umgangen, schmale
und feine Narben mit leichten Messerzügen durchschnitten. Der Schnitt muss parallel
mit dem Tarsus über das ganze Augenlid geführt werden, und man muss sich mit dem-
selben möglichst fern vom Lidrande halten, um Haut zur Anheftung des einzupflanzenden.
Stückes zu ersparen. Die Ränder der durchschnittenen Haut werden von einem Gehilfen
sorgfältig von einander gezogen, und man trennt das Zellgewebe und den Orbicularmuskei
bis zur Conjunctiva selbst, ohne diese zu verletzen. (Ich habe in einem Falle auch die
Bindehaut durchschnitten, wie bei Jäger's Methode, ohne Nachtheil.) — Die "Wunde wird
nun genau gemessen, und ihre Dimensionen auf jenen Theil der Stirnhaut, der sich etwas
nach aussen, zwei Linien oberhalb des Orbitalrandes befindet, übertragen, und die Haut
mit genau in einander fallenden Schnitten bis zum Muskel getrennt. Das einzupflanzende
Stück muss mit Berücksichtigung der nachträglichen Schrumpfung der Haut eine Linie
länger und ebensoviel breiter sein. Der Hautlappen wird nun losgelöst und der nach
aussen geführte Schnitt in dem Grade weiter nach unten und aussen geführt, dass beim
Einpassen des Lappens in die Lidwunde keine Zerrung oder Faltung der Haut statt-
findet. Die zwischen dem innern Schnitte, welcher den Lappen bildet, und dem äussern
Winkel der Wunde des Augenlides bestehende Brücke wird nun durchschnitten und ein
so grosses Hautstück herausgenommen, dass nächstdem der Hautlappen genau in den da-
durch entstandenen Zwischenraum passt. Am untern Augenlide wird das Hautstück in
derselben Entfernung und Richtung wie beim obern Lide von der Wange genommen.
Nach Stillung der Blutung wird der Lappen in die Wunde gelegt und die Vereinigung
zuerst am obern durch S — 10, dann am untern Rande durch 6—8 Knopfnähte auf das
Genaueste bewerkstelligt. Das Augenlid wird locker mit Charpie bedeckt, und diese mit
schmalen Heftpflasterstreifen befestigt, die äussere Wunde mit in Öl getauchter Charpie
belegt. Die Nähte werden nach 2mal 2-1 Stunden entfernt, die Vereinigung durch Heft-
pflaster geschützt. (Nach Bedürfniss modificirt, lässt sich dieses Verfahren — das zu
*) Die Beschreibung dieser und der folgenden Methode ist nach Chelius gegeben, nach dessen Angaben
ich mich bei meinen Operationen gehalten habe. Eine treffliche Abhandlung über Blepharoplastik
von Prof. Beck findet man in Ammon's Monatsschrift, Bd. I. S. 24—50. (1S38.)
374 Augenlider.
Grunde liegende Princip — auch zum Ersätze gänzlich oder theilweise verlorener Lider
verwenden. Hasner*) hat auf diese "Weise in einem Falle die innere Partie des obern
und untern Lides zugleich aus der Haut der Nase, in einem andern Falle mehr als die
Hälfte des untern Lides aus der Haut der Stirnglatze ersetzt.)
5. Das von Dieffenbach**) aufgestellte Verfahren ist, wenn eine zu bedeutende Zer-
störung diese Behandlungsweisen nicht zulässt oder ein völliger Verlust eines Augenlides
besteht, offenbar das zweckmässigste, sowohl hinsichtlich des leichtern Gelingens, als auch
der geringen Deformität, welche zurückbleibt. Man beginnt mit der Exstirpation der
Narbe (des Krebses) durch eine dreieckige "Wunde, wobei man den Lidrand oder doch
von der Lidbindehaut so viel als möglich erhält. Die Basis des Dreieckes bildet die
"Wunde längs des Lidrandes (in der Cutis oder bei Zerstörung des Lides in der Binde-
haut) von einem "Winkel zum andern ; die Spitze liegt unter der Mitte des Lidrandes
auf der "Wange, etwa 1 Zoll davon entfernt, und wird durch zwei dahin convergirende
Schnitte gebildet, welche nebst dem Narben- (oder krebsig-infiltrirten) Gewebe auch ge-
sunde Cutis mit fortnehmen werden, da sie gradlinig verlaufen müssen.
Hat man nun eine ganz reine V-förmige Wunde vor sich, so führt man vom äussern
Augenwinkel aus einen Schnitt nach der Schläfe ohngefähr in der Richtung der Lid-
spalte, um etwa 2'" länger als diese. Vom Ende dieses Schnittes wird nun parallel zu
dem äussern, jenes Dreieck begrenzenden Schnitte ein fünfter Schnitt geführt , und eben
so weit oder noch etwas tiefer herab, als die Spitze des Dreiecks herabreicht. Der hie-
durch entstandene viereckige, an seiner untern Seite allein nicht umschriebene Lappen
wird nun mit Zurücklassung der Fettlage durch flach geführte Messerzüge getrennt, und
nach Stillung der Blutung und Reinigung der früher entblössten dreieckigen Stelle auf
diese so herüber gelegt, dass sein oberer Rand jetzt die Stelle' des Augenlidrandes ein-
nimmt, oder, wo dieser noch vorhanden ist, sich an denselben anlegt, sein innerer Rand
aber an den längs der Nase herablaufenden Rand des obgenannten Dreiecks zu liegen
kommt. Man heftet ihn nun zuerst am innern Augenwinkel mit einer Knopfnaht, ver-
einigt hierauf den Wundsaum der Conjunctiva mit dem obern Rande des Hautlappens
(oder, wenn Lidrand erhalten worden war, an die Cutis desselben) durch feine Knopf-
nähte oder eine fortlaufende Naht und dann eben so an dem innern Rande, nachdem
man zuvor den entsprechenden Rand der Dreieckwunde eine Linie breit vom Grunde ge-
löst hat. Der äussere Winkel wird durch keine Naht befestigt, sondern man legt den
äussern Theil des herübergezogenen Lappens hier nur an. Die auswärts vom Lappen
unbedeckt bleibende dreieckige Wunde wird mit Charpie bedeckt, und über das Ganze
legt man mehrere Heftpflasterstreifen, um den Lappen gehörig anzudrücken. — Die Nach-
behandlung wird nach den allgemeinen Grundsätzen der Transplantation geleitet.
Chelius bemerkt, dass er die unbedeckt bleibende Wunde mit Vortheil durch die Naht
vereinigt habe. Ich fand diess bestätigt und verkleinere sie immer nur durch 1 — 2 Insec-
tennadeln von dem "Winkel her, den der obere und äussere Wundrand bilden. Hiedurch
wird die Basis des Lappens dem Auge etwas genähert, die Spannung desselben bis zu
einem gewissen Grade (zum einfachen Anliegen) gemindert. Ich führe den in der Rich-
tung der Lidspalte gegen die Schläfe hin zu machenden Schnitt nicht horizontal, sondern
immer etwas abwärts geneigt, damit der Zipfel, welcher dann gegen den Thränensack
*) Entwurf zu einer anatom. Begründung der Augenkrankheiten, S. 248.
**) Caspar's Wochenschrift 1855, Nr. 1.
Verwachsung — Spaltung — Mangel — Epicanthus. 375
lin zu liegen kommt, weniger stumpfwinklig ausfalle. Auch fand ich, dass es sehr
zweckmässig ist, den in die Gegend des äussern Augenwinkels zu liegen kommenden
Zipfel an das nöthigenfalls etwas aufzufrischende obere Lid oder doch an die Cutis aus-
wärts von demselben sehr genau durch Hefte zu befestigen. Für Unterhaltung des Anliegens
der transplantirten Partie sorgt man wohl besser durch einen leichten Verband mit Charpie
als durch unmittelbar auf die Haut gelegte Heftpflaster.
3. Von der Verwachsung eines oder beider Lider mit dem Bulbus
{Symblepharon) und von der Verwachsung der Lider unter einander
{Anehyloblepharon) haben wir bereits im I. B. S. 125 und 155 das Nö-
ihige mitgetheilt. Da es sich nach der Trennung des Lides vom Bul-
bus darum handelt, die eine Wundfläche zu decken, besonders dort,
wo beide an einander stossen, also dort, wo die Übergangsfalte ver-
laufen sollte, so kann man, wie ich mit bleibendem Erfolge gethan*),
bei nicht gar zu breiter Verwachsung nach vollendeter Trennung die
"Wiederverwachsung leicht dadurch verhüten, dass man die Wunde am
Bulbus heftet, indem man mittelst einer krummen Nadel einen Faden
durch die Bindehaut und die subconjunctivale Fascie von dem einen
Wundrande zu dem andern durchführt. Gegen die Cornea hin kann
die Wunde ungedeckt bleiben, wenn nur in der Tiefe (gegen die Peri-
pherie hin) die Vereinigung durch ein oder zwei Hefte vollständig ist.
4. Spaltung des Lides (coloboma) ist als angeborener Zustand nur
an dem obern Lide beobachtet worden (von mir am linken Auge). Hey-
fehler {Ammon's Zeitschr. I. S. 480) sah bei einem 3monatlichen Kinde
eine Spalte der Oberlippe, des obern Lides und der Iris zugleich (auf
der linken Körperhälfte). Sie kann auch in Folge von Verletzungen
oder Operationen zurückbleiben, wenn die schnelle Vereinigung nicht
zu Stande kam. Das Verfahren dagegen ist analog dem bei der
Hasenscharte.
Die verschiedenen Verletzungen der Lider, mit oder ohne Trennung
des Zusammenhanges, erheischen wohl für denjenigen, der die Ana-
tomie kennt und allgemeine chirurgische Bildung besitzt, keine beson-
dere Besprechung. Nur das sei noch besonders hervorgehoben, dass
auch scheinbar geringfügige Verletzungen dieser Gegend eine sehr ge-
naue Untersuchung erheischen, damit man nicht etwa gleichzeitige Ver-
letzungen des Bulbus oder der Orbitalwandungen übersehe. (Vergl. über
Amaurosis und Krankheiten der Orbita.)
5. Mangel der Lider ist selten als angeborener Zustand beobach-
tet worden: Zerstörung derselben kann auf verschiedene Weise zu
Stande kommen, nach Verletzungen, durch Krebs, durch Lupus, durch
*) Prager Vierteljahrschrift 1S54. Bd. 41. S. 165.
376
Augenlider.
Lues. Nach den letztern beiden Affectionen und nach Verbrühungen
wird auch die Blepharoplastik , das einzige noch übrige Mittel, nicht
selten unausführbar, weil die Haut weit über den Orbitalrand hinaus
zerstört erscheint.
6. Einen angeborenen Fehler an den Lidern hat von Ammon (Zeit-
schrift, I. S. 533) unter dem Namen Epica?ilhus (xav&og der Winkel)
beschrieben. Er kommt — nach meinen Beobachtungen — nur bei
sehr flachem Nasenrücken vor, und besteht darin, dass vor jedem in-
nern Augenwinkel eine Hautfalte vom obern zum untern Lide gespannt
verläuft. Will das Individuum von dieser Entstellung befreit sein, so
excidire man, nach Ammon's Angabe, mitten auf der Nase einen Haut-
streifen, vertical, etwa 1" lang und 3— 5"' breit, und vereinige die Wunde
durch die blutige Naht, wodurch die Hautfalte vor dem innern Augen-
winkel ausgeglättet wird.
XL Buch.
Die Thränenorgane.
A. Anatomisch-physiologische Bemerkungen.
Ausschliesslich zur Bildung- und Fortleitung der Thränen dienen die
Thrünendrüse mit ihren Ausführungsgängen und der Thränenschlauch
mit den Thränenröhrchen ; die zwischen beiden Organen eingeschobenen
Lider betheiligen sich durch das Bindehautsecret an der Bildung, und
durch die Form, Lage und Bewegung der Lider an der Fortleitung der
Thränenflüssigkeit.
I. Die Thränendrüse gehört zu den acinösen Drüsen und stimmt
im Baue mit den Speichel- und Milchdrüsen überein. In der Thränen-
drüsengrube und unmittelbar hinter der Augenlidbinde gelegen, wird
ihr oberer, bei weitem grösserer Theil durch eine von der Augenlid-
binde rückwärts laufende Fascie (Lig. Soemmemngi) an den Stirnknochen
befestigt, während der unter dieser Fascie gelegene kleinere Theil bis
zum convexen Rande des Knorpels herabreicht und von der Bindehaut
nur durch jene dünne Fascie getrennt wird, die als Unterlage der
Bindehaut vom Lide zum Bulbus streicht. Die obere Partie misst von.
vorn nach hinten 9'", in der Breite 5— 6"', in der Dicke l1^'", die
untere ist 4 — o'" lang (von der Schläfe gegen die Nase), 3'" breit (von
vorn nach hinten), \'" dick. Hat man die Lidbinde längs des Orbital-
randes (in der äusseren Hälfte) eingeschnitten, so kann man die obere
Drüse mit dem Scalpellhefte leicht von der Beinhaut ablösen, wenn man
die Vertiefung, die hier der Knochen bildet, gehörig berücksichtigt. —
Die grösstenteils für diese Drüse bestimmte Thränendrüsenarterie
kommt von der Art. ophthalmica, ausnahmsweise durch die obere Au-
genhöhlenspalte von der Art. meningea media, und dringt in die obere
Drüse von deren unteren, etwas concaven Fläche, in die untere vom
378 Thräiienorgane.
hinteren Rande her ein. Die Vena lacrym. führt in die Vena Ophthal-
mia. Der Nerv, lacrym. ist ein Zweig vom 1. Aste des N. trigeminus.
— Die Ausführungsgänge, wegen ihrer Feinheit erst in späteren Zeiten
mit Sicherheit nachgewiesen, 6 — 10 an Zahl, münden in den Bindehaut-
sack nächst dem convexen Rande des oberen Lidknorpels (im äusseren
Drittel desselben).
Die Thränendrüse liefert wahrscheinlich den grössten Theil der
Flüssigkeit, welche den Bulbus befeuchtet. (Vergl. Bd. I. S. 6.)
Ich habe im Sommer 1854 Gelegenheit gehabt, einen jungen Mann zu beobachten,
bei welchem eine wahre Thränendrüsenfistel bestand. Die Bindehaut war in Folge Ton
Xupus grösstenteils zerstört ; in der Gegend des äussern Augenwinkels bestand eine
kleine, von Schleimhaut eingesäumte Öffnung, aus welcher beständig eine wasserklare
Flüssigkeit aussickerte. Diese wurde mittelst kleiner Sauggläschen aufgefangen ; man
konnte in einer halben Stunde, besonders wenn man den Bulbus an der mit trockenen
Borken besetzten Hornhaut rieb , beinahe 1 0 Gran Flüssigkeit gewinnen. Dieselbe re-
agirte schwach alkalisch, schmeckte salzig, und hatte ein specifisches Gewicht von 1,0086
bei 20° Celsius. Das Mikroskop zeigte in derselben ausser einer geringen Menge von
Fpithelien keine andern morphologischen Bestandtheile. Die qualitative Analysis, unter
Leitung des Herrn Dr. Lerch vorgenommen, ergab : Wasser, Chlornatrium, Albuminna-
iron und Spuren von Fett. Der von Chlornatrium befreite Rückstand enthielt nach dem
Verbrennen: kohlensaures Natron, schwefelsauren und phosphorsauren Kalk und Magnesia.
Die quantitative Analyse gab in 100 Theilen: 98,223"/o Wasser, l,257°/o Chlornattium,
„„„, \ Albumin = 0,504n/o, 0
O,520°/o { c , . ' , Spuren von Fett.
' ' [ Salze = 0,016o/o,
II. Der ThräneiiscBilauch , ein häutiger Canal von 3/i — 1 Zoll
Länge, vermittelt im Verein mit den Thränenröhrehen die Communi-
eation des Bindehautsackes mit dem unteren Nasengange. Er verläuft
vom innern Augenwinkel zur Seite der Nasenhöhle zwischen dieser und
dem vordersten Theile der Augen- und Highmorshöhle beinahe gradlinig
herab, jedoch nicht senkrecht, sondern stark nach hinten und ein wenig
nach aussen abweichend. *) Er wird durch eine deutliche Einschnürung,
oft durch eine förmliche Falte, in eine obere weitere und untere engere
Partie, den Thränensack und Thr'anennasengang geschieden.
Der Thränensack liegt in der Thränensackrinne, welche vom Thrä-
nenbein und vom Stirnfortsatze des Oberkieferknochens gebildet wird,
und ist in der vordem Hälfte seines Umfang.es bloss von Weichgebilden
bedeckt. Indem die Beinhaut sich von der vorspringenden Leiste des
genannten Fortsatzes über die vordere äussere Wand desselben bis zum
Thränenbeinkamme fortsetzt, und mit der eigenthümlichen Haut des
*) Der Winkel, den der Thr'änenschlanch durch seine Abweichung nach hinten mit dem Boden der
Nasenhöhle bildet, beträgt im Mittel 05° ; der durch die seitliche Declination gebildete Winkel zur
verticalen Medianebene schwankt zwischen 5 und 10°.
Anatomie. 379
Thränensackes innigst zusammenhängt, umschliesst sie denselben rings-
um, hält ihn am Knochengerüste fest und verstärkt seine Resistenz.
Nur nach unten-aussen entfernt sich die Beinhaut von dem in den Na-
sengang hinabsteigenden Thränenschlauche, indem sie auf die genannte
Leiste übergeht; auf diese Weise entsteht ein mehr weniger grosser,
bloss von lockerem Bindegewebe ausgefüllter Raum zwischen Beinhaut
und Thräuenschlauch , gegen welchen hin der Thränensack bald mehr
bald weniger ausgestülpt erscheint, und eine Art Sinus oder Blindsack
bildet. An der vordem oder Antlitzfläche wird die Wandung des Thrä-
nensackes noch durch Fasern der Augenlidbinde verstärkt, welche sich
in einer von unten-aussen schräg nach oben-innen aufsteigenden Linie
anheftet. Der hinter der Augenlidbinde liegende Theil der bloss häuti-
gen Wandung des Thränensackes sieht gegen das Auge hin. Auf der
Antlitzfläche des Thränensackes liegt der M. orbicularis, dessen Sehne
etwa 1 — \il-i'" unterhalb seines obern Endes (Kuppel) quer über ihn
wegstreicht und mit ihm fest zusammenhängt. Die von der obern und
untern Fläche dieses sehnigen, mit dem vordem Rande etwas abwärts
gekreinpten Bändchens von circa V" Lauge entspringenden Muskelfasern
sind auf dem Thränensacke in der Regel V" mächtig, während die
darüber liegende Cutis fettlos und fast papierdünn ist. Die Augenhöh-
lenfläche des Thränensackes wird von jenen Muskelfasern bedeckt,
welche von der Crista lacrymalis aus vorwärts verlaufen, die Thränen-
röhrchen zwischendurch treten lassen, und mit den weiter vorn ent-
sprungenen Fasern des Orbicularis sich vereinen; sie sind von Homer
als besonderer Muskel (des Thränensackes) beschrieben worden. An
dieser Fläche ist der Thränensack vom Bindehautsacke und von der
Thränenkarunkel durch Orbitalfett geschieden. Die Durchmesser der
länglich-eiförmigen, jedoch von vorn-aussen nach hinten-innen abgeplat-
teten Höhlung des Thränensackes sind: von oben nach unten 5//y, von
vorn nach hinten -aussen 2'", von aussen nach innen -hinten V". Bei
hohem Nasenrücken ist der Thränensack geräumiger und die Antlitz-
fläche desselben schmäler, als bei Plattnasen; bei jenen ist die Ab-
dachung der vordern-äussern Wandung von der Leiste des Oberkiefer-
nasenfortsatzes steil, bei diesen mehr flach. Da wo die Antlitz- und
Augenhöhlenfläche zusammenstossen, und zwar hinter dem Augenlid-
hande, iuseriren sich die Thränenröhrchen. Die hintere und innere
Wandung des Thränensackes geht unmittelbar in den Thränennasen-
gang über, die vordere und äussere erst nach Bildung eines mehr
weniger tiefen Sinus oder Blindsackes, dessen wir schon erwähnten.
Der Durchmesser der Ausmündimg in den Nasengang variirt zwischen
380 Thränenorgane.
3/4 und h\\'" , während der Nasengang unterhalb dieser Stelle allmälig;
weiter wird.
Der Thränennase?igang ist die unmittelbare, zunächst durch die
eben angedeutete Verengerung oder Einschnürung abgegrenzte Fort-
setzung des Thränensackes. Sie ist mehr walzenförmig, wenn gleich
noch immer etwas seitlich abgeplattet, und grösstentheils in dem 3 — 4"'
langen Knochencanale eingeschlossen, welcher im Oberkiefer zwischen
der Nasen- und Kieferhöhle herabsteigt. Unterhalb der Anlagerung der
untern Nasenmuschel, wo der Knochencanal endet, erstreckt sich der
häutige Nasengang, beträchtlich weiter werdend, an der äussern Wan-
dung der Nasenhöhle zwischen Knochen und Schleimhaut noch eine
Strecke von 2 — A'" herab, und durchbohrt letztere unter einem mehr
weniger spitzigen Winkel mit einer relativ engen Öffnung, welche, wenn
sie sehr eng ist, das blindsackige Ende des Thränennasenganges vor
dessen Mitte durchbohrt. Die unterste Portion des Nasenganges ist
demnach an der Innenfläche von einer mehr weniger breiten Schleim-
hautfalte gebildet, während sie an der Aussenseite am Knochen liegt
und ohne Faltung in die Nasenschleimhaut übergeht.
Die Nasenmündung des Thranenschlauch.es liegt 1 — l1^'" rückwärts
vom Eingange in die Nase (unten vom Nasenloche gerechnet), und
3 — W" über dem Boden der Nase. Sie ist jederzeit von oben nach
unten länger, als in die Quere, und variirt zwischen einer Art Ritze
oder Spalte von 3/i"' Länge und 2jb'" Breite bis zu einem Oval von
I1" Länge und 1 bis 1 xli'" Breite. Je kleiner diese Öflhuug, desto tie-
fer liegt sie (und umgekehrt), und desto breiter und dünner ist die
Schleimhautfalte, welche den untersten Theil der innern Wandung bildet.
Diese Duplicatur oder Klappe liegt, wenn die Mündung nicht hoch oben
und von V" Durchmesser oder darüber ist, immer an der äussern Wan-
dung an, weil sie selbst sehr dünn (bisweilen wie feines Papier), und
weil die Schleimhaut hier stets mit einer zähen, eiweiss- oder sulz-
ähnlichen Flüssigkeit überzogen ist. Man ist daher an Cadavern auch
nach Entfernung der unteren Nasenmuschel sehr oft nicht im Stande,
die Mündung zu sehen, wenn man nicht erst jenes Secret sorgfältig
abgewischt hat. In mehreren Fällen fand ich eine Furche oder Rinne
in der Schleimhaut der äussern Nasenwand, welche gleichsam als Fort-
setzung des Thränennasenganges, erst abwärts, dann bogenförmig vor-
wärts gegen das Nasenloch verlief; in einigen Fällen war diese Rinne
gegen V" tief.
Der Thränenschlauch wird von einer eigenthümlichen, weissen, ziem-
lich festen, aus longitudinal, quer und spiralförmig verlaufenden Binde-
Anatomie. 381
gewebsfasern zusammengesetzten Membran gebildet, welche innen mit der
Schleimhaut verschmilzt, aussen mit der Beinhaut verbunden ist. Die
Beinhaut hängt fester am Thränenschlauche , als am Knochen, daher
Sonden sehr leicht zwischen ihr und dem Knochen fortgeschoben wer-
den können. Die innere Wandung der in die Nasenhöhle hinabrei-
chenden Portion besteht bloss aus einer dünnen Schleimhautduplicatur.
Die Schleimhaut zeigt im Wesentlichen dieselben Eigenschaften, wie
die Schneidersche Haut der Nasenhöhle; sie ist überall, mit Ausnahme
der genannten Ehrplicatur, ohngefähr - '/a'" dick, sehr gefässreich und
daher röthlich, weich, gleichsam schwammig und mit kleinen Hügeln
besetzt, mit zahlreichen Schleimdrüschen versehen. Im Thränensacke
zeigt sie hie und da kleine Fältchen und erscheint in den meisten Ca-
davern etwas blässer; im Nasengang sieht man oft grössere Follikel,
deren Mündung, mitunter bis V" lang, meistens ab-, selten aufwärts
gerichtet ist.
Um sich über die anatomischen Verhältnisse am Thränensacke zu unterrichten, ent-
ferne man zuerst ein Stück Haut, etwas grösser, als der Umfang des Thränensackes,
dann die Fasern des M. orbicularis, unterhalb der Sehne desselben. Nun hat man eine
•weisse sehnige Membran vor sich, welche die Antlitzfläche des Thränensackes deckt. Von
der Mitte des Augenlidbandes sieht man eine weisse Linie nach unten-aussen bis zum
scharfen Orbitalrande nächst der Insertion des M. obl. inferior streichen. An dieser
Linie hängt die Fascia tarso - orbitalis mit dem Thränensack zusammen. Hinter ihr
streicht die Orbitalfläche der häutigen Wandung des Thränensackes rückwärts zur Crista
lacrimalis. An der Antlitzfläche ist der sehnige Überzug des Thränensackes, den man
als Fortsetzung der Beinhaut über den Thränensack betrachten kann, stärker als an der
Orbitalfläche. Schneidet man die Sehnenhaut der Antlitzfläche in der Richtung der ge-
nannten Linie ein, so kann es leicht geschehen , dass man mit dem Messer wohl durch
die genannte Sehnen-, nicht aber durch die Schleimhaut des Thränensackes eindringt,
besonders in der untern Hälfte dieser Strecke, denn in dieser ist der Zusammenhang
zwischen der Sehnen- und Schleimhaut oft ein sehr lockerer, weil sich letztere von erste-
rer entfernen muss, um in den weiter hinten gelegenen Eingang zum Thränennasencanale
zu gelangen. Eben dieses Auseinanderweichen der beiden Membranen scheint die buchtige
Erweiterung des Thränensackes nach unten , vom und aussen zu begünstigen, bisweilen
zu einem förmlichen Divertikel, ohne dass man berechtigt ist, diess schon als krankhaft
anzusehen, weil geringere Grade davon fast constant vorhanden sind.
Um den Thränenschlauch in seinem ganzen Umfange ohne Formveränderung über-
sehen zu können , muss man ihn von seiner Innenseite aus biossiegen und öffnen. Nach
Entfernung des Schädelgewölbes sammt dem Gehirne, des Unterkiefers und der hintern
Schädelhälfte durchsäge man den Kopf von vorn nach hinten. Zuerst führe man einen
Schnitt durch die Weichtheile an der Antlitzfläche in einer geraden Linie, welche von
der Stirnglatze am innern Ende des Ligam. palp. intern, und knapp am Nasenflügel
herabstreicht, also oben der Median ebene näher liegt, als unten. Dann führe man die
in diesem Schnitte angelegte Säge so, dass sie beim tiefern Eindringen knapp an der
innern Wandung des Thränens.hlauches vorbeistreicht. Es wird nun nicht schwer sein,
382 Thränenorgaiie.
mit Meissel und Knochenscheere die dünne Knochenplatte zu entfernen, welche den Thrä-
nenschlauch von innen deckt, und den blossgelegten Schlauch dann aufzuschlitzen, zu-
nächst nur von oben bis zur Ansatzlinie der Nasenmuschel. — Ist letztere nicht schont
beim Durchschneiden mit fortgenommen worden, so excidire man ihre vordere Hälfte bis
an die Wurzel, deren Beseitigung man lieber erst später vornimmt.
Ich finde die alte Eintheilung des Thränenschlauches in Thränensack und Nasengang
trotz des Widerspruches von Osborne*) und Hasner**) gerechtfertigt, weil ich mich,
durch eigene Untersuchungen überzeugt habe , dass u. A. Huschke's ***) Angabe gan&
richtig ist : „Die Stelle des Überganges des Thränensackes in den Thränennasengang wird
durch eine schwache Verengerung, zuweilen auch durch eine im Innern hervorspringende
Falte der Schleimhaut, aus welcher beide gebildet sind, bezeichnet." Um ganz sicher
zu gehen, ersuchte ich Herrn Prof. Bochdalek, mir den ganzen Thränenschlauch sammt
den Thränenröhrchen mit Wachs zu injiciren. Mehrfache Injectionen bestätigten genau,,
was ich auch ohne sie oft gesehen hatte. Eben so haben mir auch Durchschnitte von.
gefrornen oder in Chromsäure erhärteten Köpfen sehr instructive Präparate geliefert,
welche den Vergleich des Thränenschlauches mit einem umgestürzten Flaschenkürbis
(Hasner) als völlig unpassend darthun. Der Thränennasengang, deutlich vom Thränen-
sacke durch eine mehr weniger beti-ächtliche Einschnürung abgeschieden, wird abwärts
allmälig weiter und bildet vor seiner relativ engen Ausmündung in die Nase in den.
meisten Fällen eine bedeutende Erweiterung oder Tasche, welche sich besonders nach
hinten weit ausdehnt, und gegen welche die Öffnung in die Nasenhöhle sehr klein er-
scheint. Manchmal ist der Nasengang unten viel weiter, als der Thränensack.
In den Thränensack münden sich die Thränenröhrchen, ein oberes
und unteres, dünne häutige Canälchen von 3 — 4'" Länge und etwa ^V"
im Lichten. Jedes derselben beginnt am Nasenrande des Lidknorpels-
mit einer punktförmigen Öffnung, dem Thranenpunkte , mitten in einer
kleinen warzenähnlichen Erhabenheit, dem Thränenwärzchen , dringt
zuerst senkrecht zwischen der Cutis und Conjunctiva etwa 3/V" tief
ein, genau an das Ende des Lidknorpels angefügt, durch denselben steif
erhalten, und vor Compression geschützt, wendet sich dann, etwas-
weiter werdend, fast rechtwinklig einwärts, den Schenkeln der hufei-
senförmigen Hautfalte folgend, welche die Thränenkarunkel umschliesst,,
und senkt sich sofort hinter der äussern Hälfte des Augenlidbandes in
den Thränensack ein, gemeinschaftlich mit dem andern, meistens jedoch
durch eine Schleimhautduplicatur getrennt. Indem sie die Thränen-
sackwandung schief durchbohren, erscheint ihre Mündung, von innen
her angesehen, durch ein Schleimhautfältchen gedeckt, auf ähnliche
Weise, wie die Harnleiter beim Einmünden in die Harnblase. Ihre Öff-
nung am Thränenwärzchen ist stets dem Bulbus zugewendet, und wird,
bei etwas abgezogenem Lide sichtbar.
*) Darstellung des Apparates der Thränenableitung, Prag 1835.
**) Beiträge zur Physiologie und Pathologie des Thränenableitungsapparates, Prag 1850.
***) Eingeweidelehre, Leipzig 1844.
Physiologie. 383
Die Thränenröhrchen werden von einer ähnlichen, jedoch viel dün-
nern Membran wie der Thränensack gebildet, welche in den Thränen-
wärzchen zu einem derben weissen Ringe anschwillt, wodurch ihre
Mündung stets rund und offen erhalten wird. Ihre schleimhäutige Aus-
kleidung ist analog der Bindehaut äusserst dünn, glatt und blass, ohne
Flimmerepithel. Aussen sind die Thränenröhrchen von Fasern des M..
orbicularis (et Horneri) umgeben, an welche sich die Cutis anschmiegt;
nur hinten-oben scheint die Bindehaut (so weit sie reicht) unmittelbar
an ihnen anzuliegen. Eine schwarze Borste, in dieselben eingeführt,,
scheint besonders durch die Bindehaut deutlich durch.
Durch die Thränenröhrchen und den Thranenschlauch treten fort-
während Thronen in den untern Nasengang. Blut oder andere gefärbte
Flüssigkeiten gelangen in kurzer Zeit aus dem Bindehautsacke in die
Nase.
Das Secret der Thränendrüse und der Bindehaut ist auch im ruhi-
gen Zustande, d. h. wenn die Secretion nicht durch besondere Reize
gesteigert wird, immer in grösserer Menge vorhanden, als durch Ver-
dunstung und Absorption an der Bindehaut verbraucht wird. Immer
ist ein Überschuss zur Aufnahme für die Thränenpunkte vorhanden.
Es unterliegt keinem Zweifel, dass an dem stets feuchten Bulbus beständig eine ge-
wisse Menge von Flüssigkeit verdunstet, um so mehr, je trockener die Luft ist, und je
mehr frische Luftschichten rasch nach einander mit dem Bulbus in Berührung kommen.
Es ist auch nach den lebhaften Resorptionserscheinungen , welche die Bindehaut zeigt,
anzunehmen, dass ein Theil derselben von ihr absorbirt werde. Es lässt sich aber auch
bestimmt nachweisen, dass immer noch ein Überschuss zur Asorption für die Thränen-
punkte übrig bleibt. Bevor wir die beweisenden Thatsachen hiefür anführen, müssen wir
noch erinnern, dass die Secretion der Thränen nicht nur durch gewisse Gemüthsaffecte,
sondern auch durch Beizung der Bindehaut, der Cutis an den Lidern , der Schleimhaut
in der Nase und im Thränenschlauche, durch grellen Lichteinfluss und Reizung des Tri-
geminus gesteigert werde; wir müssen insbesondere noch hervorheben, dass der Augenlid-
schlag selbst in directer Beziehung zur Thränensecretion steht, so dass häufiges Blinzeln
oder anhaltend spastische Contractionen des Orbicularis auf ähnliche Weise vermehrte
Secretion bewirken, wie das Kauen und Saugen bei den Speicheldrüsen. — Das Thränen-
träufeln bei Blennorrhoe des Thränensackes, bei Thränensackfistel u. s. w. kann nicht al
Beweis für die oben aufgestellte Behauptung benutzt werden, weil dasselbe ebensowohl
von Hypersecretion in Folge des gereizten Zustandes als von gehinderter Fortleitung der
Thränen abgeleitet weiden kann. Aber es sind Fälle bekannt , wo die thränenableitenden
Organe ohne alle Spur von Reizung undurchgängig waren und Thränenträufeln bestand.
So habe ich einen Fall beobachtet, wo die Thränenröhrchen von einer Glasscherbe durch-
schnitten worden und sofort verwachsen waren , und wo ohne alle Spur von Reizung-
nach mehreren Monaten noch Thränenträufeln den Verwundeten belästigte. — Eine viel
öfter vorkommende und meines Erachtens völlig competente Thatsache ist das Vorkommen
von Thränenträufeln bei Lähmung des N. facialis. Ich bin von Kranken wegen Thränen-
384 Thränenorgane.
träufeln consultirt worden, bei denen ich durchaus keine Ursache dieses Übels auffinden
konnte, bis ich die Lider fest schliessen liess und fand, dass der Orbicularis zwar noch
nicht seine ganze Function, aber doch bereits an Energie eingebüsst hatte. Noch er-
folgte der Schluss des Auges, noch schlössen die Lider an den Bulbus, und doch war
bereits Thränenträufeln vorhanden, weil — wie wir später zeigen werden — wegen Pare-
sis des Orbicularis dieThränen nicht mehr fortgeleitet werden konnten. Hier kann durch-
aus von keiner Hypersecretion , sondern nur von gehinderter Fortleitung die Rede sein.
— Man kann übrigens bei jedem Menschen, sowohl am obern als am untern Lide eine
Flüssigkeitssäule sehen, welche in der Rinne steht, die durch das Anliegen des Lidrandes
an den Bulbus gebildet wird. Sie reicht vom äussern Winkel bis zur halbmondförmigen
Falte, z. B. bei gradaus gerichtetem Blicke bis zu den Thränenpunkten, welche sich bei
dieser Stellung gerade an die Rinne legen, die durch das Anschmiegen der halbmondför-
migen Falte an den Bulbus gebildet wird. Ebenso sind die halbmondförmige Falte und
die Karunkel immer nieht bloss feucht, sondern deutlich mit Flüssigkeit bedeckt, was
dieser Gegend schon in alten Zeiten den Namen Thränensee verschafft haben mag. —
Ich kann demnach der Annahme von Hyrtl u. A., dass der Thränenableitungsapparat nur
bei erhöhter Thränensecretion, beim Weinen, beim Übergänge in die Kälte u. dgl. in
Anspruch genommen werde, durchaus nicht beistimmen, und bin überzeugt, dass fort-
während nicht nur Secretion, sondern auch Fortleitung überschüssiger Thränen stattfinde.
Es fragt sich nur, wie die Fortleitung erfolge.
In die Flüssigkeitssäulen längs des obern und untern Lides und
im innern Winkel sind die stets offenen Thränenpunkte continuirlich
eingetaucht, daher auch die capillaren Thränenröhrchen stets mit Flüs-
sigkeit gefüllt. Luft mit Gewalt in diese Röhrchen eingepresst, muss
schon nach einigen Contractionen des M. orbicularis et Horneri ausge-
trieben werden, und im normalen Zustande lässt sich niemals Luft in
den Thränenröhrchen auffinden.
Die senkrechten Anfangsstücke der Thränenröhrchen werden vermöge ihrer Fügung
an das quer abgestutzte Knorpelende durch die darüber laufenden Muskelfasern wohl an
den Bulbus angedrückt, niemals jedoch comprimirt. Es ist irrig, wenn man angibt, beim
Lidschlusse werden die Thränenwärzchen vorgeschoben, etwa wie die Fühlhörner eiDer
Schnecke. Ein solches scheinbares Hervortreten bewirkt man nur, wenn das Lid mit
dem Finger abgezogen, und nun der Versuch gemacht wird, die Lider zu schliessen.
Eben so wenig, wie von einem isolirten Hervortreten, konnte ich mich je von einer
spontanen oder durch Reizung bedingten Verengerung oder Erweiterung der Thränen-
punkte überzeugen. Die Thränenwärzchen verhalten sich bei dem Acte der Thränen-
fortleitung rein passiv, wie die Enden von Capillarröhrchen. Wenn auch die Thränen-
röhrchen besonders an der knieförmigen Umbeugung etwas weiter werden, selbst bis zu
-V" im Lumen, so bleiben sie trotzdem immer noch einfache Capillarröhrchen, stets von
Flüssigkeit gefüllt und dieselbe festhaltend, so lange ihnen ihr Contentum nicht von aus-
sen her oder durch Cumpression entzogen wird. Eine solche Compression können die un-
mittelbar auf ihnen liegenden Fasern des Schliess- und Horner'schen Muskels in ihrer
mittleren Portion iiben, indem sie beim Lidschlusse kürzer und dicker werden. Die Aus-
mündung der Thränenröhrchen in den Thränensack, hinter oder etwas unterhalb der in-
nern Hälfte des Augenlidbandes gelegen, kann beim Lidschlusse nicht comprimirt werden.
Es ist wenigstens Thatsache, dass manche Menschen durch heftiges Schneuzen Flüssig-
Physiologie. 385
Tceit und selbst Luft durch die Thränenpunkte austreiben können (bei offenen oder doch
nicht fest verschlossenen Lidern), ohne Zeichen eines Thränenschlauchleidens darzubieten,
und dass bei Blennorrhoe des Thränensackes in der Regel dos trübe Contentum desselben
durch die Thränenröhrcben in den Bindehautsack gedrückt werden kann. Ein ventilähn-
lieher Verschluss des Thränensackes durch die Schleimhautfalte an der Einmündung der
Thränenröhrchen in denselben kann also nicht angenommen werden , und die Thränen-
röhrchen sind somit als beiderseits stets offene, in der Mitte etwas weitere und compri-
mirbare Capillarröbrchen zu betrachten.
Auch der Thränen schlauch, von der Kuppel des Thränensackes
bis hinab zur Nasenniündung , ist gewiss nicht mit Luft, sondern mit
Flüssigkeit gefüllt. Diese besteht nicht bloss aus Thränen, sondern
auch aus einer ziemlich dicken, der Schleimhaut anhaftenden La§e ei-
weissähnlichen Secretes. Es existirt demnach vor der Nasenmündung
des Thränenschlauches bis zu den Thränenpunkten und von da bis zum
äussern Winkel (längs der Lidränder) eine continuirliche Flüssigkeits-
säule, welche, wie wir weiter zeigen werden, durch den Lidschlag zum
allmäligen Weiterrücken gegen die Nase hin bestimmt wird.
Von dem Vorhandensein eines schleim- oder eiweissähnlichen Überzuges im Thrä-
nenschlauche kann man sich an jedem Cadaver überzeugen. Sehr oft fand ich auch
noch Thränenfiüssigkeit in dem Thränensacke , wenn ich ihn so eröffnete, dass er dabei
nicht comprimirt wurde. Man hat bisher bei Aufstellung physikalischer Theorien über
die Fortleitung der Thränen weder das continuirliche Vorhandensein fortzuleitender Flüs-
sigkeit durch Thalsachen nachzuweisen unternommen, noch auch die Frage, ob der
Thränenschlauch Luft oder Wasser enthalte, bestimmt aufgeworfen, geschweige denn zu
beantworten gesucht. Gleichsam als selbstverständlich setzen die Einen Wasser voraus
(Hebertheorie), die Andern Luft (Aspirationstheorie). Schon aus den oben angeführten
Dimensionen des Thränenschlauchlumens ergibt sich als höchst wahrscheinlich, dass der-
selbe mit Flüssigkeit gefüllt sein werde. Das im Cadaver gemessene Lumen muss wohl
während des Lebens, wo die sehr blutreiche, gegen1 2'" dicke Schleimhaut turgescirt, noch
als etwas geringer angenommen werden. Durch die an der Schleimhaut haftende zähe
Schleimschicht wird es noch mehr vermindert, so dass man den ganzen Canal als ein
so enges Bohr zu betrachten berechtigt ist, in welchem sich die Attraction fester auf
flüssiger Theile geltend macht. Die Nasenmündung ist wahrscheinlich immer durch Flüs-
sigkeit geschlossen, was jedoch nicht hindert, dass bei extrem-heftiger Exspiration (Mund
und Nase verschlossen) ein oder das andere Luftbläschen durchgetrieben werden kann.
Diess sind jedoch nur Ausnahmen, vielleicht nur bei etwas weiterer oder krankhaft ver-
änderter Nasenmündung möglich. — Direct beweisend, dass im Thränensacke keine Luft
sei, scheint mir ein Experiment, dessen Hasner im gegentheiligen Sinne erwähnt. Wenn
man bei festem Verschlusse des Mundes und der Nase möglichst stark inspirirt, so sinkt
die Gegend des Thränensackes nicht ein, und sie erhebt sich nicht bei eben solchem
Exspiriren. Ich habe viele Ärzte zu diesem Experimente aufgefordert, wir konnten nie
weder ein Sinken noch Heben wahrnehmen. Auch empfand keiner von uns in dieser
Gegend ein Gefühl von Spannung wie etwa am Trommelfelle. Man muss aber bei die-
sem Experimente die Augen offen halten und auf einen bestimmten Punkt richten lassen,
"weil sonst synergische Contractionen des M. orbicularis oder Bewegungen des Bulbus
Arlt Augenheilkunde. III. 25
386 Thränenorgane.
Täuschungen veranlassen können. Bei einigen trat während forcirter Exspiration ein
oder das andere Luftbläschen (nie ein Luftstrom) mit hörbarem Knistern aus dem Thrä-
nenpunkte , bei dem einen links, bei dem andern rechts, obwohl durchaus kein Unter-
schied zwischen beiden Augen, überhaupt keine Abnormität in der Thränenleitung wahr-
genommen werden konnte.
Der M. orbicularis, der Augenlidschlag ist das Agens und der Re-
gulator für die Fortleitung der Thränen in die Nase. Im Momente des
Augenlidschlusses wird der Thränensack sammt den Thränenröhrchen
etwas comprimirt durch die Anschwellung der contrahirten Muskelfa-
sern des Orbicularis und durch die gleichzeitig erfolgende rückwärts
ziehende Wirkung des iZb/wr'scken Muskels. Sind die Wandungen
des Ihränensackes hinreichend resistent, und ist das Contentum des-
selben incompressibel, so muss eine entsprechende Menge davon ent-
weichen, natürlich dorthin, wo gar kein oder ein relativ geringerer
Widerstand obwaltet. Diess geschieht im normalen Zustande nach dem
Thränennasengange hin, in welchem also die Flüssigkeit fortrücken, und
aus welchem ein Tröpfchen in die Nase treten muss. In dem Mo-
mente, wo mit der Öffnung der Lidspalte die Compression der Thrä-
nenröhrchen und des Thränensackes nachlässt, und der Thränensack
sein eigentliches Lumen wieder gewinnt, muss Flüssigkeit aus dem
Thränensee nachrücken, um den leeren Raum zu füllen. Es ist ein-
leuchtend, dass ein Zurücktreten von der Nase her nicht stattfinden
kann , weil sonst eine lange Flüssigkeitssäule gehoben werden, und die
bereits in die Nasenhöhle gelangte Portion wieder eindringen müsste.
Auf diese Weise werden die Thränen Wärzchen zu Saugwärzchen. Die
in der Rinne zwischen jedem Lidrande und dem Augapfel befindliche
und durch Adhäsion an den festen Theilen festgehaltene Flüssigkeit
kann nur durch die angegebene Assuction der Thränenröhrchen, nie-
mals aber, wie gewöhnlich angenommen wird, durch die Bewegung der
Lider als solche, durch Erfolgen des Abschlusses der Lidspalte vom
äussern zum innern Winkel hin und zum Fortrücken gegen den innern
Winkel gebracht, geschweige denn in die Thränenröhrchen, welche ge-
füllt und capillär sind, hineingepresst werden.
Dass der Thränensack im Momente des Lidschlusses comprimirt werde, folgere ich
nicht bloss aus anatomischen Thatsachen als möglich und wahrscheinlich, sondern auch
aus vielfältigen Beobachtungen von Thränenfisteln als wirklich. Befindet sich in einer
Fistelöffnung Flüssigkeit , so sieht man sie im Momente des Lidschlusses steigen , im
Momente der Lidöffnung fallen. Besonders instructiv sind Fälle, wo die Grösse der
Öffnung gestattet, in die Tiefe, b% an die Öffnung der häutigen Wandung des Thränen-
sackes selbst zu blicken. Man übersehe dabei nicht, dass im Momente des Lidschlusses
auch die Thränenröhrchen comprimirt werden müssen, demnach in diesem Momente keine
Flüssigkeit vom Bindehautsacke nachrücken oder gar hineingepresst werden kann. Dass,
Physiologie. 387
der Lidschluss vom äussern zum innern Winkel erfolge, ist eine blosse Annahme; eben
so wenig lässt sich beweisen , dass die Lidspalte dabei vorn hermetisch abgeschlossen
werde. Das Eintreten von Flüssigkeit in die Thränenröhrohen kann absolut erst nach
vorübergegangenem Lidschlusse erfolgen, nicht während desselben.
Dass aber die Fortleitung der Thränen von der Action des M. orbicularis abhänge,
zeigen Fälle von Lähmungen desselben. Bei Lähmung des Orbicularis ist Thränenträu-
feln eine constante Erscheinung. Sie tritt früher auf, als die Veränderung der Stellung
der Augenlider und Thränenpunkte. Sie war in einigen Fällen das erste Symptom und
machte mich erst aufmerksam auf die übrigen Erscheinungen, welche die unvollständige
Lähmung des N. facialis beurkunden. Erst der Umstand, dass der über Thränenträufeln
klagende Kranke die Lidspalte der betroffenen Seite nicht so kräftig zu schliessen ver-
mochte, wie die andere, bestimmte mich, die Haltung der Gesichtsmuskeln genau zu
controlliren. Gerade diese Fälle sind es, in welchen das Thränenträufeln nicht als Folge
von Hypersecretion betrachtet werden kann, da die Lider noch an den Bulbus anschlies-
sen ; sie sind es , welche sowohl die Heber- als die Aspirationstheorie als unhaltbar er-
weisen. — Der Respiration kann nur insofern ein Einfluss auf diesen Vorgang zu-
geschrieben werden , als sie durch Verdampfung von Flüssigkeit an der Nasenmündung
des Thränenschlauches auf den Stand der Flüssigkeitssäule in diesem engen Canale ein-
zuwirken vermag. "Wird an einem Capillarrohre der unterste Tropfen entfernt, sei es
durch Verdunstung , sei es durch Abwischen o. dgl. , so muss die ganze Flüssigkeits-
säule nachrücken. Während des Schlafes scheint dieser Einfluss allein hinzureichen, das
Hinabrücken der ohnehin geringeren Menge von Secret zu bewirken , wiewohl es noch
nicht ausgemacht ist, ob nicht auch während des Schlafes von Zeit zu Zeit Contractio-
nen des M. orbicularis erfolgen. Bei kleinen Kindern habe ich mich von deren zeitwei-
ligem Eintreten überzeugt.
Gegen die von E. H Weber angedeutete und von Hasner weiter ausgeführte Theorie
der Aspiration hat Hyrtl mit Becht bemerkt, dass die Thränenröhrchen zu wenig steif
seien, um durch Luftdruck nicht comprimirt zu werden. Nach Hasner sollen bei jeder
Einathmung, welche mittelst der Nase zu Stande kommt, zugleich mit der Luft auch die
Thränen in den luftverdünnten Baum des Schlauches eingezogen werden. „Durch Er-
weiterung der Lungenhöhle im Momente der Inspiration wird die Luft in dem gesamm-
ten Schlauche verdünnt , und es drängt die äussere Luft auf die Thränen im See, welche
somit in den Schlauch gelangen. Sowohl durch die aus dem Thränenschlauche in die
Nasenhöhle drängende Luft, als durch die eigene Schwere wird die Klappe (an der
Nasenmündung) bei jeder Inspiration geöffnet." „Die Thränenableitung kann natürlich
nur dann vor sich gehen, wenn der Mund geschlossen ist; jedes Öffnen des Mundes
schliesst die Nasenhöhle ganz von der Kespiration aus." „Das Schliessen der Lider ist
zur Aufsaugung der Thränen nicht nothwendig, schon bei massiger Verengerung der Lid-
spalte tauchen beide Thränenpunkte in den See, und es steht besonders der untere
jederzeit zur Absorption der geringen Menge Flüssigkeit, welche sich an dem Lidrande
angesammelt hat, bereit." „Im Momente der Exspiration wird durch Verschliessung der
am Übergänge des Thränenschlauches in die Nasenhöhle befindlichen Klappe eine voll-
kommene Isolirung beider Cavitäten von einander zu Stande gebracht." — Gegen diese
Sätze sprechen mehrere Thatsachen. Wir können Stunden lang bloss durch den Mund ath-
men, ohne dass Thränenträufeln eintritt, während längere Unterbrechung des Augenlid-
schlages , absichtlich oder bei anhaltendem Betrachten eines Gegenstandes , die Augen
übergehen macht. Ich kenne eine Frau, deren Nasenhöhle vollständig und luftdicht von
25*
388 Thräiienorgane.
der Rachen- und Mundhöhle abgeschlossen ist (in Folge von Narben nach syphilitischen
Geschwüren) , welche aber keine Spur von Thränenträufeln darbietet, obwohl kein Grund
vorhanden ist, bei ihr eine Verminderung der Thränensecretion überhaupt anzunehmen.
Nasenpolypen, welche den Luftstrom hermetisch abschliessen , machen kein Thränen-
träufeln, so lange sie nicht bis zur Compression des Thränennasenganges vorgerückt
sjn(}. — Ich habe mich bei einer Menge Thränensackfisteln durch Einträufeln von
Cochenillen tinctur in den Bindehautsack überzeugt, dass diese Flüssigkeit nach einigen
Auo-enlidschlägen in der Fistelöffnung zum Vorschein kam , obgleich die sorgfältigste
Sondirung sowohl, als gehörig angestellte Injectionen (so wie auch heftige In- und Ex.
spirationen hei Verschluss des Mundes und der Nase) völlige Undurchgängigkeit des
Thränennasenganges erwiesen. Also bei sicher gestelltem Ausschlüsse des Einflusses der
Respiration gelangt das Contentum des Bindehautsackes dennoch nicht nur in den Thrä-
nensack , sondern auch bis vor die äussere Fistelöffnung. Hierin liegt auch zugleich —
nebenbei gesagt — eine "Widerlegung der Petifschen , auf verschieden lange Arme ge-
stützten Hebertheorie und gegen die Annahme, dass der Hornersche Muskel den Thrä-
nensack während des Lidschlusses erweitere. Bei der Thränensackfistel mit hermetischem
Verschlusse des Thränennasenganges sind die Verhältnisse wie im normalen Zustande,
mit dem Unterschiede, dass an die Stelle des Thränennasenganges der Fistelgang ge-
treten ist; wie früher in die Nase, kommen jetzt die Thränen auf die Wange. — Be-
kanntlich gibt es auch Thränensackfisteln, wo sich, bei Abwesenheit jeder Spur von Ent-
zündung, aus einer haarfeinen Öffnung von Zeit zu Zeit ein Tröpfchen klarer und dün-
ner Flüssigkeit entleert, welche sich als Thränenflüssigkeit erweisen lässt. An diese
scheint Hasner nicht gedacht zu haben, als er 1. c. S. 47 behauptete: „Die dauernde
Thränenschlauchfistel sei niemals das Symptom einer Verwachsung oder Undurchgängig-
keit des Schlauches, sondern stets nur jenes der Caries des Thränenbeins." Wenigstens
bei den längst bekannten Haarfisteln kann man mit Bestimmtheit die Anwesenheit von
Caries in Abrede stellen, obwohl auch von einer Menge anderer, lange dauernder Fisteln
dasselbe behauptet werden muss.
HyrtVs Ansicht geht dahin, dass der Hornersche Muskel und der M. orbicularis bei
jedem Augenlidschlage den Thränensack erweitern, und dadurch ein Nachrücken der
Flüssigkeit bedingen , wobei noch Absperrung von der Nasenhöhle durch die Klappe am
untern Ende des Nasenganges vorausgesetzt wird. Wäre diese Ansicht richtig, so müsste
man bei Thränensackfisteln im Momente des Lidschlusses die Flüssigkeit in der Haut-
öffnung sinken sehen. Irrig ist übrigens die von Hyrtl aufgestellte Behauptung, dass bei
Dacryocystoblennostasis in der Regel kein Thränenträufeln vorhanden sei, und dass die
Thränenröhrchen nur während des Weinens beschäftigt werden. Nach dem , was ich
beobachtet habe, kommen die Kranken mit Dacryocystoblennostasis eben nicht wegen
Schmerzen oder wegen der Geschwulst, sondern lediglich oder doch vorzüglich wegen
der Belästigung durch Thränenträufeln beim Arbeiten, Ausgehen u. dgl. zum Arzte. Dem-
nach müssen die Fälle, in welchen kein Thränenträufeln stattfindet, wohl als Ausnahmen
betrachtet werden, vielleicht dadurch bedingt, dass allmälig weniger Thränen ausgeschie-
den werden. — Mit Unrecht zeiht Hasner den Veteranen A. G. Richter eines Irrthums,
wenn dieser behauptet, dass bei Blennorrhoe des Thiänensackes dieser immerfort noch
durch frisch nachrückende Thränen ausgedehnt werde, „indem das Contentum des Thrä-
nenschlauches bei Dacryocystestasis nur aus dem Schleimseeret des Schlauches selbst be-
stehe, welches bei Verschliessung der Nasalöffnung nicht abfliessen könne." Mir scheint,
dass der alte Richter viel genauer beobachtet und untersucht hat. Das Contentum blen-
Physiologie. 389
norrhöischer Thränensacke besteht iu der That aus einem Gemenge von Secret des Thrä-
nensackes und von Thronen. Dass trotz hermetischen Abschlusses des Thränennasen-
ganges auch bei Blennorrhoe des Thränensackes noch Flüssigkeit aus dem Bindehaut-
sacke aufgenommen -werden könne , davon kann man sich überzeugen , wenn man in
solchen Fällen Cochenillentinctur in den Bindehautsack einträufelt, diese nach einiger
Zeit rein ausspült, und nun das Thränensackcontentum durch die Thränenpunkte aus-
drückt. — Nach Boss soll der Lidschluss vom äussern zum innern Winkel erfolgen, die
Flüssigkeit gegen den Thränensee und aus diesem in die Thränenröhrchen u. s. w. ge-
presst werden. Wir haben schon oben bemerkt, dass diess unerwiesene Annahmen sind,
die sich wohl kaum je beweisen lassen werden. Beim gewöhnlichen Lidschlage wird
übrigens die Lidspalte gar nicht völlig geschlossen; das obere Lid nähert sich dem
untern, ohne es völlig zu eireichen.
Schliesslich will ich noch hervorheben , dass die Anwesenheit von etwas Luft im
Thränensacke den oben dargestellten Mechanismus der Thränenfortleitung nicht unmög-
lich mache. Ich hatte, als ich diess niederschrieb, eben eine Patientin vor mir — und
ich erinnere mich, in einigen Fällen Ähnliches beobachtet zu haben — welche nicht
im mindesten von Thränenträufeln belästigt wird, und ihre Augen überhaupt jetzt für
vollkommen gesund erklärt, bei welcher jedoch das Entweichen von Luft aus dem Thrä-
nensacke in die Nase deutlich fühlbar ist, wenn ich den Thränensack mit dem Finger
comprimire. Diese Patientin, vor 14 Jahren von mir von einer beiderseitigen Thränen-
sackfistel nach der gewöhnlichen Methode geheilt — (Dauer der Behandlung durch 2
Jahre, zuletzt Tragen von Bleinägeln durch beinahe 1 '/z Jahre), — wandte sich jetzt
nicht wegen der Augen an mich, sondern wegen Tuberculosis pulmonum. Links war
ausser der Narbe keine Spur von dem früheren Leiden aufzufinden ; rechts bestand an
der Stelle der Fistel eine schon von weitem auffallende trichterförmige Einziehung der
Cutis. Aber auch hier ist kein Thränenträufeln vorhanden und auch der Thränensack
ganz gewiss nicht obliterirt. Das Eintreten von Luft in den Thränensack erfolgt beim
Schneuzen, Husten u. dgl., da aller Wahrscheinlichkeit nach die Nasenöffnung des Thrä-
nenschlauches durch das längere Tragen der Stifte so erweitert worden ist, dass der
Lufteintritt nicht mehr völlig abgehalten werden kann. Die zu dem oben beschriebenen
Mechanismus erforderliche Flüssigkeitssäule existirt demnach, sobald Luftblasen im Thrä-
nensacke sind, noch längs der Wandungen desselben. Es besteht keine solide, sondern
eine im Innern mehr weniger Luftbläschen haltende Flüssigkeitssäule, und diese Luft-
bläschen entweichen bei Compression der Thränensacke unter leichtem Knistern und Ge-
fühl von Prickeln im Finger. Ich selbst bin im Stande, beim starken Schneuzen Luft
durch die Thränenröhrchen auszupressen, wenn ich an heftigem Schnupfen leide, und
doch halte ich meine Thränenorgane für ganz gesund. — Ich würde diesem Gegenstande
nicht so viel Baum gewidmet haben, wenn nicht die Ansichten, die man über die Function
des Thränenschlauches hat, von so bedeutendem Einflüsse auf die Behandlung seiner
Krankheiten wären.
B. Krankheiten.
a. Der Thränendrüse und ihrer Ausführungsgänge.
1. Die Entzündung der Thränendrüse ist mir nicht aus eigener
Beobachtung bekannt. Ausser Joh. Ad. Schmidt*) äussern sich alle
*, Über die Krankheiten des Thränenorgans, Wien 1SU3.
390 Thränenorgane.
Schriftsteller dahin, dass diese Affection eine sehr seltene sei. Die
acute Form soll sich durch Trockenheit des Auges, heftigen, tiefgrei-
fenden Schmerz, entzündliche Geschwulst des obern Lides und Verdrän-
gung des Augapfels nach vorn, innen und unten kundgehen, und mit
Eiterung und Durchbruch des obern Lides enden. Wenn diese oder
ähnliche Erscheinungen auftreten, wird man jedenfalls wohl zu unter-
suchen haben, ob sie nicht bloss von Zellgewebs- oder aber von Bein-
hautentzündung und nachfolgender Caries bedingt seien, welche gerade
in dieser Gegend nicht selten vorkommt. Nach Makenzie (1. c. S. 89)
hat Todd auch chronische Thränendrüsenentzündung beobachtet, mit
allmäliger Vergrösserung der Drüse, welche leicht für krebsige Entar-
tung gehalten werden könne. Bei scrofulösen Individuen soll spontane
chronisch entzündliche Vergrösserung der Thränendrüse vorkommen. In
4 von Makenzie ausführlich mitgetheilten Beobachtungen (von Todd,
O'Beirne, Lawrence und Daniel) wurde die Diagnosis durch Exstirpa-
tion der taubenei- bis wallnussgrossen Geschwulst constatirt. In 3 Fällen
davon waren heftige Schläge auf die Gegend der Thränendrüse voraus-
gegangen. In keinem dieser Fälle hatte weder die Entartung noch
auch die Entfernung der Drüse Trockenheit des Auges zur Folge; in
dem letztern soll das Auge (nach radicaler Heilung durch die Exstir-
pation) fähig gewesen sein, eben so viel Thränen zu vergiessen, wie
das andere.
2. Schwund der Thränendrüse und fettige Entartung habe ich nur
einmal im Cadaver gefunden, und zwar wohl als Folge von Obliteration
ihrer Ausführungsgänge bei Trachoma. S. B. I. S. 128. Dass Trocken-
heit der Conjunctiva Folge von Erkrankung dieser Membran selbst,
nicht aber der Thränendrüse sei, ergibt sich aus dem, was wir S. 126,
B. I. über Xerophthalmus bemerkt haben. Vergl. unten Verödung des
Thränensackes.
3. Als Thränensackgeschwulst , dacryops, haben Ad. Schmidt und
J. G. Beer eine mit wasserklarer und salzig schmeckender Flüssigkeit
gefüllte Geschwulst an der innern Fläche des obern Lides beschrieben,
welche selbst die Grösse einer Wallnuss erreichen können soll, und
beim Weinen grösser wird. Diese Umstände und der Sitz in der Ge-
gend, wo die Ausfuhrungsgänge der Thränendrüse liegen, bestimmten
zu der Annahme, dass die Geschwulst als Ausdehnung eines Ausfüh-
rungsganges in Folge von Obliteration seiner Mündung, oder als Er-
guss von Thränenflüssigkeit in das umgebende Bindegewebe nach Zer-
reissung eines Ausführungsganges zu betrachten sei. „Wenn die Ge-
schwulst von aussen künstlich geöffnet worden ist, und der Kranke
Krankheiten der Thränendrüse. 391
weint, so fliesst eine bedeutende Menge reiner Thränenfeuchtigkeit aus
der Öflnung, und erweist sich als solche durch ihren salzigen Ge-
schmack." {Beer 1. c. B. IL S. 593.) Nach Beer ist die Krankheit
nicht leicht zu heilen, weil leicht — nach absichtlicher oder zufälli-
ger (?) Eröffnung von aussen — eine Haarfistel zurückbleibe, wenn der
Sack nicht vernichtet wird. Beer empfiehlt die Blosslegung von der
Bindehaut aus und das Durchziehen eines dicken Seidenfadens. Beer
führte die Enden desselben durch die Cutis und befestigte sie auf der
Stirn; es dürfte wohl auch zulässig sein, den Faden durch die Binde-
haut ein- und wieder auszustechen, die Enden zum äussern Winkel
herauszuleiten und daselbst zu befestigen, bis die beabsichtigte Reaction
erfolgt ist.
4. Als Ilydatide der Thränendrüse beschreiben dieselben Autoren
eine im Parenchym der Drüse sitzende Cyste, welche durch rasches
"Wachsthum und Druck nicht dem Augapfel Gefahr bringt, sondern
selbst den Tod herbeiführen kann (eine Beobachtung von Schmidt, eine
von Beer). Vergl. Cysten in der Orbita im XII. Buche.
Ein Soldat bekam nach überstandenem Typhus stumpfen , tiefsitzenden Druck im
Auge. In der 3. Woche wurde der Schmerz heftig, erstreckte sich auf die Hälfte des
Kopfes , das Auge wurde roth und vorgetrieben. In der 4. Woche Schlaflosigkeit wegen
unerträglicher Schmerzen, Erblindung des noch stärker vorgetriebenen Auges, Vordrängung
der nicht geschwollenen Lider, in der Gegend der Thränendrüse eine harte Geschwulst,
die man für ein Steatom halten konnte. Nach einigen Tagen , ehe es noch zu der von
Ad. Schmidt beschlossenen Exstirpation kam, verfiel der Patient in einen Zustand von
Schlafsucht , Bewusstlosigkeit , unwillkürlicher Entleerung von Urin und Stuhl ; einige
Stunden später erfolgte der Tod. Bei der Section: die Venen und Sinus des Gehirnes
mit Blut überfüllt; kein Erguss in den Ventrikeln. Als der Augenhöhlenfortsatz des
Stirnbeins ohne Verletzung des Periosteums weggenommen wurde, drang eine schwappende
Geschwulst aus dem Schläfewinkel der Augenhöhle hervor. Man fand die Muskeln, den
Sehnerven und die übrigen Nerven gezerrt und verlängert, die Vena ophth. sehr aus-
gedehnt, die Thränendrüse kleiner als gewöhnlich, die Acini auf der Geschwulst kleiner
und auseinander gedrängt, die vor der Geschwulst liegenden grösser und mehr zusam-
menhängend. Die Geschwulst hatte, von hinten nach vorn gemessen, \" Durchmesser
senkrecht und transversal etwas weniger als 1". Sie drängte sich auf das äussere Seg-
ment des Augapfels und hatte ihn gegen die Nase hin und vorwärts verschoben. Sie
hatte eine äussere und eine innere Hülle. Die äussere bestand aus dicker Zellenmem-
bran. Zwischen ihr und der innern Hülle befand sieh eine Quantität Intersfitialflüssig-
keit. Die innere Hülle war sehr zart, halb durchsichtig und enthielt eine klare Flüs-
sigkeit. Die äussere Membran konnte nicht leicht von den eingestreuten Acinis getrennt
werden. Die innere konnte recht gut von der äussern Hülle weggenommen werden.
(Entlehnt aus Mahenzie 1. c. S. 103.)
b. Der Thränenröhrchen und Thränenpunkte.
Die Zeichen von Entzündung kommen an den Thränenröhrchen
392 Thräiienorgane.
sehr selten zur Beobachtung. Nur in einigen Fällen sah ich die
schleimhäutige Auskleidung derselben an der Mündung geröthet, aufge-
lockert und geschwellt, so dass die Thränenwärzchen merklich vergrös-
sert und die Thränenpunkte verengert erschienen. In allen diesen Fäl-
len war zugleich Blennorrhoe des Thränensackes zugegen, und die
Bindehaut bot die Erscheinungen von Trachoma oder von chronischer
Blennorrhoe dar; nur in einem einzigen Falle schien dieses Leiden auf
die Thränenwärzchen allein beschränkt zu sein.
Vor Wunden sind die Thränenröhrchen vermöge ihrer Lage ziem-
lich geschützt. Ad. Schmidt, J. N. Fische?* u. A. erzählen Fälle, wo
quer verlaufende Schnittwunden wieder so verheilten, dass die Durch-
gängigkeit der Canälchen nicht aufgehoben wurde. Ich habe einen
Fall beobachtet, wo beide Thränenröhrchen von einer Glasscherbe
durchschnitten worden waren, und die Vernarbung zu Undurchgängigkeit
derselben führte, welche sich noch mehrere Monate nachher durch Thrä-
nenträufeln kund gab. — Bei unvorsichtigem Sondiren dieser dünnen
Schläuche soll auch Zerreissnng derselben vorgekommen sein.
Ich habe einen jungen Mann gesehen , bei dem in Folge heftigen Schneuzens bei
zugepressten Augenlidern Luft in das subcutane Bindegewebe ausgetreten war, unmittel-
bar nachdem er sich an einen Nagel gestossen hatte. Eine leichte, gegen i'" lange
Hautaufschürfung , schräg von unten und innen nach oben und aussen über die innere
Hälfte des Ligam. palp. intern, streichend, deutete die Richtung an, in welcher der Nagel
den innern Augenwinkel getroffen hatte. Es war kein Knochenbruch, auch keine Blut-
unterlaufung aufzufinden. Die das untere Lid bedeutend aufblähende Luft, welche sich
unter einem eigenthümlich prickelnden Gefühle (für den betastenden Finger) seitwärts
verdrängen Hess, hatte aller Wahrscheinlichkeit nach nicht den viel resistenteren Thrä-
nensack, sondern das dünne untere Thränenröhrchen irgendwo durchrissen, als der Ver-
letzte bei den reichlich zuströmenden Thränen heftig schneuzte. Einen ähnlichen Fall
hat A. v. Gräfe (Archiv B. I. Abth. I. S. 288) beschrieben. — Bei einem an Trachoma
conjunctivae und Blennorrhoea sacci lacrymalis leidenden alten Weibe, deren Thränen-
wärzchen die obgenannte Schleimhautwulstung darboten, riss, als ich laues Wasser in
das untere Röhrchen einspritzte, dasselbe ein und licss das Wasser unter die Haut des
Lides austreten. Sowohl die Luft in dem ersten, als das Wasser in dem zweiten Falle
sind nach einigen Tagen ohne weitern Nachtheil allmälig verschwunden.
Verstopfung der Thränenröhrchen durch kalkige Concremente, deren
Travers u. A. gedenken, ist mir bisher nicht vorgekommen. Hasner
fand einmal im untern Thränenröhrchen eine Cilie, welche noch so weit
lierausragte , dass er sie mit einer Pincette fassen konnte. Convolute
von verfilzten Fadenfilzen in dem zu einer Höhle erweiterten untern
Thränenröhrchen, ohne anderweitige Erkrankung des Thränenschlauches,
fand A. v. Gräfe (1. c. S. 284) bei einer jungen Frau. Die erbsengrosse
Geschwulst konnte für ein Gerstenkorn oder Atherom gehalten werden ;
Krankheiten der Thränenröhrcheii. 393
die Heilung wurde durch Iucision vom Bindehautsacke aus bewirkt.
Mit einer dicken, grüngelben, schmeerähnlichen Materie ausgefüllt fand
ich das untere Thränenröhrchen bei einem Manne, der seit mehr als
einem Jahre an Thränenträufeln des rechten Auges litt, und fruchtlos
mit verschiedenen Mitteln behandelt worden war.
Als ich nach der Ursache des von einer merklichen Injection der Bindehaut im in-
nern Winkel begleiteten Thränenträufelns forschte, fiel mir zunächst das Weitoffenstehen
des Thränenpunktes und weiter eine abnorme Dicke des Lides an der Stelle auf, wo
das Thränenröhrchen senkrecht in das Lid eindringt. Indem ich nun den Zeigefinger an
die äussere Fläche anlegte, und mit einem Davielschen Löffel an der innern Seite
gegen den Thränenpunkt streifend drückte, entleerte sich ein dünner Cylinder der ge-
nannten Materie. Dieses Manöver wurde immer nach einigen Tagen wiederholt und
darauf jedesmal eine Injection lauen Wassers gemacht, in der Zwischenzeit aber eine
Salbe von rothem Präcipitat, nach einigen Wochen von Deuterojodur. hydrarg. an die
äussere Lidfläche dieser Gegend eingerieben. Nach und nach nahm die Menge dieser
Masse ab , und nach 1 0 Wochen war der Mann vollständig geheilt. Diese Masse war
wohl kein Froduct des Thränenröhrchens selbst; mir ist es am wahrscheinlichsten, dass
sie von einem Follikel einer Meibomschen Drüse ausging, welcher, durch Ansammlung
seines Secretes ausgedehnt und verdünnt, endlich eine Öffnung in das Thränenröhrchen
erhalten hatte.
Verwachsung der Mündung findet man nicht selten nach chemischen
Verletzungen, nach Blattern, besonders aber bei Individuen, welche lange
an jener Form von Blepharadenitis gelitten haben, die sich durch Bil-
dung kleiner Abscesse an der Basis der Cilien, bleibenden Verlust der-
selben, lineare Einschrumpfung der Cutis, Obliteration der Mündungen
der Meibomschen Drüsen und Ectropium conjunctivae charakterisirt.
Am untern Lide ist dieser Zustand häufiger als am obern. Die Func-
tion des obern Thränenröhrchens reicht dann bisweilen hin, das Thrä-
nenträufeln zu vermindern oder zu verhüten. Bei Xerophthalmus in
Folge von Trachoma habe ich auch die Thränenröhrchen in ihrer gan-
zen Ausdehnung obliterirt gefunden. Nach Boivman lässt sich die Fort-
leitimg der Thränen bei Verschluss der Thränenpunkte wieder herstel-
len, wenn man das Thränenröhrchen vom Bindehautsacke aus aufschlitzt;
die Spalte schliesst sich auch ohne Einlegung des von Jüngken hiezu
vorgeschlagenen Bleidrahtes nicht.
Veränderte Stellung der Thränenpunkte (relativ zum Bulbus) kann
bei verschiedenen Abnormitäten der angrenzenden und benachbarten
Gebilde vorkommen, bei En- und Ectropium der Lider, bei stärkerer
Infiltration der Bindehaut, bei Volumenzu- oder Abnahme der Karunkel,
der halbmondförmigen Falte, oder des Bulbus, bei Pterygium und Sym-
blepharon, nach ausgedehnter Verschwärung der Cutis über dem Thrä-
394 Thränenorgaiie.
nensacke u. s. w. — Geschwülste, welche die Stellung der Thränen-
punkte verändern, können eines oder das andere zugleich comprimiren.
e. Des Thränensackes und Thräiieiinaseiiganges.
Ein entzündlicher Zustand der Sehleimhaut des Thränenschlauches
kommt wahrscheinlich sehr oft vor, ohne dass wir ihn erkennen. Es
liegt sehr nahe, anzunehmen, dass bei jedem heftigeren Nasenkatarrh
auch die Schleimhaut des Thränenschlauches mitleidet, sobald Thränen-
träufeln, stärkere Injection der Bindehaut im innern Augenwinkel und
«in Gefühl von Drücken und Spannen in der Gegend des Thränen-
sackes hinzutreten. Doch können alle diese Erscheinungen sowohl ein-
zeln als zusammen auch anders gedeutet, mithin nicht als beweisend
für Katarrh des Thränenschlauches aufgestellt werden. Sicher lässt sich
die katarrhalische Affection des Thränenschlauches wohl erst dann er-
kennen, wenn sie chronisch geworden ist, als sogenannte
I. Blennorrhoe des Thränensackes.
Symptome. In der Regel ist es das Thrcmenträufeln, welches den
Kranken bestimmt, einen Arzt zu consultiren ; sehr oft auch sind die
Beschwerden vorhanden, welche chronischer Bindehautkatarrh dem Kran-
ken zu verursachen pflegt. (Vergl. B. I. S. 11.) Die objectiven Merk-
male dieses letzteren fehlen fast niemals; die Bindehaut bietet durchaus
oder bloss im innern Winkel abnorme Injection, meistens auch Locke-
rung, Schwellung und abnorme Secretion dar. Untersucht man genauer,
so findet man schon nach kurzem Bestände dieser Affection den Thrä-
nensack erweitert, daher die Cutis über ihm mehr weniger deutlich em-
porgehoben, was sich bei unilateraler Affection leicht durch Vergleich
mit der andern Seite erkennen lässt. Bald früher, bald später steigt
die Geschwulst so hoch, dass sie dem Kranken selbst auffällt: sie bildet
dann eine erbsen-, bohnen- bis haselnussgrosse Geschwulst, welche ent-
weder bloss unterhalb des Augenlidbandes oder auch oberhalb des-
selben hervortritt, und nach Massgabe ihrer Grösse und Dauer endlich
wohl auch eine bläulich-rothe Farbe annimmt. Die Geschwulst entspricht
nach Lage und Form im Allgemeinen dem Thränensacke, lässt sich weder
verschieben noch umgreifen, und sitzt mit breiter Basis auf. Drückt man
auf dieselbe, ohne die Thränenröhrchen zu verschliessen, so kann man eine
trübe, schleimig-eitrige, mitunter auch theilweise klare und eiweissähnliche
Flüssigkeit gegen die Bindehaut hin entleeren. Seltener ist es möglich, das
Cententuni in die Nase zu drängen. Nach längerem Bestände und bei
Blennorrhoe des Thränenschlauches — Symptome — Verlauf. 395
grösserer Ausdehnung des Thränensackes gelingt jedoch bisweilen die Ent-
leerung weder nach der einen noch nach der andern Richtung. Um die Ent-
leerung durch das obere oder durch das untere Thränenröhrchen zu be-
wirken, inuss man die anatomischen Verhältnisse genau berücksichtigen.
Verlauf und Ausgänge. Die Schleimhaut des Thränenschlauches
wird bei diesem Zustande dunkelroth, dicker, wulstiger, dabei Anfangs
lockerer und mürber, später aber rostbraun oder schiefergrau, derb,
dichter, bisweilen warzig oder drusig. Ihre Schwellung oder Hyper-
trophlrung kann im Thränennasengange schon an und für sich zur un-
mittelbaren Berührung ihrer Wandungen, somit zur Impermeabilität für
Flüssigkeiten führen, welche nicht mit ungewöhnlicher Kraft hindurch
getrieben werden. Eigentliche Stricturen und Verwachsungen kommen
erst in Folge von Geschwürsbildung zu Stande, wovon wir weiter unten
sprechen werden. Diese Schwellung und Hypertrophirung kann ein-
fach zurückgehen, aber auch namentlich im Thränensacke, wenn dieser
stark ausgedehnt wurde, einer Art von Atrophie weichen; die Mucosa
wird alsdann dünn, glatt und blass, serösen Häuten ähnlich.
Mit der Schleimhaut wird allmälig auch die eigenthümliche Haut des
Thränenschlauches und die damit innig zusammenhängende Beinhaut An-
fangs lockerer und weicher, so dass beide an Resistenz verlieren. In
manchen Fällen participiren diese auch an der entzündlichen Infiltration,
und tragen wesentlich zur Erzeugung der Geschwulst in der Gegend
des Thränensackes bei. Diese pflegt dann minder scharf abgegrenzt
zu sein, als wenn sie bloss durch Ausdehnung des Thränensackes be-
wirkt wird, und verschwindet nur zum Theil, wenn man auch alles
Contentum aus dem Thränensacke entleert. (Vergl. Polypenbildung
weiter unten.)
Aus der entzündlichen Erweichung der die Schleimhaut umschliessen-
den Weichgebilde erklärt sich die allmälige Erweiterung des Thränen-
sackes selbst bei noch nicht völlig aufgehobener Durchgängigkeit des
Thränennasenganges. Wenn nämlich im Momente des Augenlidschlusses
der Muse, orbicularis die Thränenröhrchen und den Thränensack com-
primirt, und das Contentum wegen verminderter oder aufgehobener
Durchgängigkeit des Thränennasenganges schwer oder gar nicht ent-
weichen kann, so gibt zunächst die bloss von Weichtheilen gebildete
{erweichte; Wand des Thränensackes nach, und wird, da sie sich (wegen
Mangel an Elasticitätj nicht auf ihr früheres Lumen zusammenzieht, all-
mälig ausgedehnt. So entsteht nach jedem Augenlidschlage etwas Raum
in dem momentan erschlafften Thränensacke, in welchen ein entspre-
chendes Quantum von Flüssigkeit nachrücken kann, und so sammeln
396 Thräiieuorgane.
sich Schleimsecret und Thränenflüssigkeit im Thränensacke an, und
füllen denselben wieder völlig aus. — Diese Ausdehnung erfolgt vor-
zugsweise nach vorn (unten und aussen). Die anatomischen Verhält-
nisse gestatten zunächst eine Erweiterung des Sinus oder Recessus,
welcher sich nach vorn, unten und aussen von der Einmündung in den
Thränennasengang befindet. Ist diese Erweiterung erfolgt, dann ist auch
die Lage dieser Mündung relativ zum Hohlräume des Thränensacke»
eine andere, eine mehr schräge geworden, und die Entleerung vielleicht
schon hiedurch erschwert. — Der Druck, den diese Erweiterung nach
vorn, unten und aussen ausübt, ist in manchen Fällen so gross, dass
die Knochenleiste des Nasenfortsatzes vom Oberkiefer, welche die
Thränensackgrube bilden hilft, verdrängt und theilweise resorbirt wird;
sie steht dann deutlich weiter vor und fühlt sich scharfkantig und
zackig an. — In andern, selteneren Fällen vergrössert sich der Thrä-
nensack vorzüglich nach hinten und aussen, so dass die Fossa sacci
lacrym. allmälig verstreicht, und man nach Aufschlitzung der vordem
Wandung in eine zwischen dem Bulbus und der innern Orbitalwand
rückwärts reichende, in dieser Richtung bis 9/;/ tiefe Höhle gelangt. —
Nach der Kuppel hin erweitert sich der Thränensack immer relativ
am wenigsten. Auch auf Kosten der Thränenröhrchen wird man kaum
jemals eine erhebliche Erweiterung wahrnehmen können.
Wir müssen, da die gegentheilige Behauptung aufgestellt worden
ist, ausdrücklich wiederholen, dass zur Entwicklung dieser oft enormen
Ausdehnung des Thränensackes keineswegs eine völlige Undurchgängig-
keit des Thränennasenganges, wenigstens keine bleibende, erforderlich
sei. Es kommen, wenn auch seltener, dennoch ganz bestimmt Fälle
vor, wo sich die Kranken von den Beschwerden, welche die Geschwulst
erregt, und wozu selbst mechanische Behinderung des Sehens naher
Objecte kommen kann, von Zeit zu Zeit dadurch befreien, dass sie —
ohne ärztliche Anleitung oder anatomische Kenntnisse — die Geschwulst
mit dem Finger zusammendrücken, und den Kopf vorwärts neigend
einen Strom zäher, eiweiss- oder gallertälmlicher und eitrig untermisch-
ter Flüssigkeit durch die Nase entleeren. Hiezu ist nicht sowobl Ge-
walt, als vielmehr Einhaltung einer gewissen Richtung erforderlich.
Wahrscheinlich ist in solchen Fällen nur in früherer Zeit eine so starke
entzündliche Schwellung der Schleimhaut im Thränennasengange vor-
handen, dass derselbe schwer oder gar nicht durchgängig ist, und tritt
allmälig mit Atrophirung der Schleimhaut' im Thränensacke auch Ab-
schwellung im Thränennasengange ein. Ist dann der Thränensack ein-
mal auf das Drei- und Mehrfache seines Lumens ausgedehnt, so reicht
Blennorrhoe des Tliränenschlaiiches — Folgezustände. 397
die nun relativ viel zu geringe Compression, welche der Muse, orbic.
allenfalls noch auszuüben vermag, durchaus nicht hin, den Thränensack
so weit als nothwendig zu entleeren, wenn gleich der Ausweg jetzt
nicht mehr versperrt ist. Für solche Fälle wählte man in früherer Zeit
den Namen Atonia oder Hernia sacci lacrimalis {Heister 1716), einen
Ausdruck, der heutzutage wohl nur in so fern beibehalten werden
könnte, als man dabei den Verlust der Contractilität und Resistenz der
submueösen Fasern des Thränensackes vor Augen hat, falls nicht etwa
auch wirklicke Muskelatrophie (durch Druck) nachgewiesen werden sollte.
Ist aber das Schleimhautgewebe allmälig durch Atrophirung ganz
verändert, blass, glatt und derb geworden, dann sondert es nicht mehr
eine schleimig-eitrige, sondern eine vorwaltend oder ausschliesslich Sy-
novia- oder gallertähnliche Flüssigkeit ab. Diese Umwandlung des
Thränensackes in eine Art seröser Membran und diese Veränderung der
Secretion ist es, welche dem von Anel (1712) eingeführten Namen Hy-
drops sacci lacrymalis dieselbe Berechtigung gibt, mit welcher man auch
bei der Gallenblase, den Muttertrompeten etc. unter gleichen Verhält-
nissen von Hydrops spricht. Beer reservirte diesen Treminus bloss für
jenen Zustand, wo der stark ausgedehnte Thränensack weder nach dem
Auge noch nach der Nase hin entleert werden kann.
Zu dem Processe der Hypertrophirung der Schleimhaut gesellt sich
in seltenen Fällen die Bildung "von kleinen Wärzchen und Polypen,
welche in den Thränensack hineinwuchern, und denselben sogar be-
trächtlich ausdehnen können. In einem von Walther beobachteten Falle
hatte ein solcher Polyp die Grösse einer Haselnuss, und Blasius exstir-
pirte einen walmussgrossen, welcher nächst dem Eingange in den Thrä-
nennasengang mit einer dünnen Wurzel aufsass, und die häutige Wan-
dung sammt der Cutis bis gegen das Wangenbein hin ausgedehnt hatte.
In neuester Zeit hat A. von Gräfe (Archiv) 2 Fälle von Thränensack-
polypen beobachtet.
Weit häufiger als die eben genannten consecutiven Zustände der
Thränenschlauchblennorrhöe ist die katarrhalische Vereiterung oder
Phthise der Schleimhaut.*) Die chronische katarrhalische Entzündung
geht hier wie in andern Schleimhäuten bisweilen an und für sich und
ohne weitere Veranlassung allmälig, öfters aber nach Einwirkung äusserer
Schädlichkeiten unter den Erscheinungen einer acuten Entzündung in
Vereiterung und Verschwärung über. Das erkrankte Gewebe wird an
einer oder der andern Stelle eitrig infiltrirt und schmilzt. Dieser
*) Vgl. Rokitansky, Handbuch der patholog. Anatomie. Wien, 1844. Bd. I. S. 52—55.
398 Thränenorgane.
Schmelzungsprocess begrenzt sich entweder in dem submucösen Ge-
webe und führt dann zur narbigen Einziehung und Verengerung (Stric-
turen), oder bei grösserer Ausdehnung zur Verwachsung des Canales-
{Obliteralion, Verödung), oder der Process greift bis auf die Beinhaut,
die Muskelschicht und die Cutis über, und veranlasst Blossleyung des
Knochens oder Durchbruch der häutigen Wandung des Thränensackes
unter den Erscheinungen der sogenannten Dacryocystitis, deren Folge
dann gewöhnlich durch mehr weniger lange Zeit eine Thranensackfistel
ist. Da von diesen beiden letzteren Zuständen weiter unten ausführ-
licher gesprochen werden muss, so genüge es indessen, ihren Zusam-
menhang mit der Blennorrhoe vorläufig angedeutet zu haben. — Die
Stricturen des Thränennasenganges kommen an verschiedenen Stellen
vor, am häufigsten an der Einmündung in den Thränensack oder in den
untern Nasengang. Auf die totale Verwachsung des Thränennasen-
ganges und auf die spontane Verödung des Thränensackes kommen wir
gleichfalls später zurück.
Es gibt Individuen, bei denen die Blennorrhoe des Thränenschlau-
ches mit bald geringerer bald stärkerer Erweiterung Jahre lang fortbe-
steht, ohne andere Beschwerden mit sich zu führen, als die der Blen-
norrhoe an und für sich zukommenden, i. e. ohne zeitweilig auftre-
tende Thränensackentzündung. Viele derselben fühlen sich bei trocke-
nem heiterem Wetter minder oder gar nicht belästigt, halten sich wohl
auch eine Zeit lang für geheilt, oder sie helfen sich, so gut es eben
geht, durch Entleerung nach oben oder unten. Bei manchen vermin-
dert sich selbst das Thränenträufeln bis zu einem wenig und sel-
ten incommodirenden Grade, und die Blennorrhoe mit oder ohne sicht-
bare Geschwulst bleibt bei wechselnder Besserung und Verschlimmerung
Jahre lang auf einer gewissen Stufe stehen. — Fälle, wo die Ausdeh-
nung noch nicht so weit gediehen ist, dass sich die Einschnürung
durch das Augenlidband bemerklich macht, wo die Blennorrhoe nicht
aus unbeseitigbareu Hindernissen der Thränenableitung (z. B. Ver-
wachsung der Nasenmündung in Folge von Lues) hervorgegangen ist,
oder bereits selbst zu solchen geführt hat (durch katarrhalische Ver-
schwärung), und wo die (später zu erörternden) entfernteren ätiologi-
schen Momente keine unüberwindlichen Hemmnisse entgegensetzen,
lassen unter entsprechender Behandlung und bei zweckmässigem Ver-
halten des Kranken völlige oder doch temporäre Heilung zu. Ich habe
einige Fälle beobachtet, wo die Individuen nach dem Auftreten einer
verschärften Entzündung unter den Erscheinungen der Dacryocystitis
mit oder ohne Durchbruch der vordem Wandung des Thränensackes
Blennorrhoe des Thrniienschlanches — Ätiologie. 399
wenigstens für lange Zeit- (ob bleibend, weiss ich nicht) von den seit
Monaten — Jahren bestehenden Zufällen einfacher Thränenschlauch-
blennorrhöe befreit wurden. Es scheint hier dasselbe vorzugehen,
wie beim Pannus nach Einimpfung blennorrhoischen Secretes. Die
acute Entzündung bewirkt Verflüssigung und Resorption des erstarrten
Exsudates.
Vorkommen und Ursachen. Vor dem 7. Lebensjahre scheint
die Blennorrhoe des Thränenschlauches sehr selten zu sein, ausser bei
hereditärer Syphilis; später entsteht sie bei beiden Geschlechtern in
verschiedenen Perioden, beim weiblichen etwas häufiger. Ich habe die
schon von Platner gemachte Bemerkung bestätigt gefunden, dass die
Mehrzahl der von Krankheiten des Thränenschlauches Befallenen eine
flache Nasenwurzel darbieten; doch habe ich auch bei normaler und
gerade entgegengesetzter Nasenbildung oft genug solche Leiden beobach-
tet. Die Zahl der linkerseits Erkrankten überwiegt die der andern
nicht beträchtlich. Beiderseitiges Leiden kommt relativ selten vor.
In seltenen Fällen ist die Blennorrhoe des Thränenschlauches nach-
weisbar Folge blennorrhoischer, durch Infection erzeugter Erkrankung
der Bindehaut; das oben geschilderte Bindehautleiden ist meistens als
consecutiv, mitunter auch coexistirend zu betrachten. Ziemlich oft kommt
Thränenschlauchblennorrhöe bei Individuen vor, welche an Trachoma
conjunctivae leiden. Eine auffallend häufige gleichzeitige Affection ist
Blepharadenitis, mit Bildung kleiner Abscesschen oder blosser Knötchen
am Lidrande, und zwar meistens unilateral, wenn das Thränenschlauch-
leiden unilateral ist.
Am häufigsten findet man die Thränenschlauchblennorrhöe (und
ihre Folgezustände) bei Individuen, bei denen die Schleimhaut der Na-
sen- und Piachenhöhle in ähnlicher Weise leidet, wovon man sich leicht
überzeugen kann, wenn man bei jedem Thränensackkranken diese Höh-
len genau untersucht. Es ist eine durchaus irrige Auffassung des Ver-
hältnisses beider Affectionen zu einander, wenn man behauptet, „die
Affection des Thränenschlauches sei durch das Leiden der Nasenhöhle
bedingt"; diess mag wohl in einzelnen Fällen stattfinden, im Allgemei-
nen aber müssen beide Affectionen als neben einander bestehend und
durch eine gemeinschaftliche Ursache bedingt und unterhalten betrach-
tet werden. Gleichwie die meisten und hartnäckigsten Fälle von Schwer-
hörigkeit in Folge von chronischem Katarrh des Mittelohres entstehen,
welcher nur als Theilerscheinung gleicher Affection der Schleimhaut des
Rachens, der Nasen-, Keilbeins- und Highmorshöhle zu betrachten ist,
wird man auch die Blennorrhoe des Thränenschlauches und ihre Folgen
400 Thränenorgane.
selten für sich isolirt antreffen. Bei Gehörleiden ist man geneigt, die
Ursache ihrer Hartnäckigkeit in der wenig zugänglichen Lage der Or-
gane zu suchen; der Thränenschlauch steht örtlichen Mitteln hinrei-
chend offen, und dennoch hat man sich hier nicht weniger über die
Unzulänglichkeit der örtlichen Behandlung zu beklagen. Der gemein-
schaftliche Grund unserer Ohnmacht gegenüber diesen Schleimhautlei-
den der Nasen- und ihrer Nebenhöhlen liegt darin, dass dieselben fast
ohne Ausnahme mit allgemeinen Gesundheitsstörungen und mit un-
zweckmässigen Lebensverhältnissen zusammenhängen, somit vorzugs-
weise eine allgemeine pharmaceutische und diätetische (leider oft nicht
mögliche) Behandlung erfordern. — Man findet solche Schleimhautleiden
dieser Regionen bekanntlich am häufigsten bei Scrofulosis; sie bleiben
auch bei früher Gesunden oft nach acuten Exanthemen (Blattern, Ma-
sern, Scharlach) zurück ; sie entwickeln sich, wenn sonst gesunde Indi-
viduen zur Zeit, wo sie von einfachem Nasenkatarrh befallen sind, den
regelmässigen Verlauf und Ausgang durch unzweckmässiges Verhalten,
namentlich durch wiederholte Verkältung dieses Leiden in einen chro-
nischen Zustand überführen; sie stellen sich allmälig ein beim Bewoh-
nen feuchter, besonders neu gebauter oder frisch ausgeweisster Stuben.
Daher dürfte auch das ganz entschieden häufigere Vorkommen von
Thränensackfisteln bei der ärmeren Volksklasse zu erklären sein.
Blennorrhoe des Tbränenschlauches und ihre Folgezustände kön-
nen endlich bedingt sein durch mechanische Verstopfung der Nasen-
mündung desselben, durch Polypen, durch Narben nach Geschwürsbil-
dung, namentlich in Folge von Syphilis und von Blatterneruption, durch
fremde Körper (z. B. eine Erbse) im untern Nasengange u. dgl. Das-
selbe kann geschehen, wenn der in dünnen Knochen eingeschlossene
Thränennasengang durch Pseudopläsmen im mittlem Nasengange oder
in der Highmorshöhle durch Schleimanhäufung in dieser , durch Kno-
chenauftreibung u. dgl. comprimirt wird. (Ich habe in mehreren Ca-
davern mit Verlust der Nasenknorpel und Blennorrhoe des Tbränen-
schlauches den untern Theil desselben in einen fibroiden Strang ver-
wandelt gefunden.)
LT. Entzündung des Thränensackes, Dacryocystitis.
Symptome. Dieser Ausdruck wurde für jenen Zustand eingeführt,
wo nebst der Schleimhaut und der Tunica propria des Thränensackes
auch die über demselben gelegene Cutis entzündet ist. Sie charakterisirt
Entzündung des Thränensackes — Symptome — Verlauf. 401
sich jederzeit durch eine de?' Lage und der Form des Thränensackes ent-
sprechende, mehr weniger deutlich umschriebene, und mehr weniger em-
porragende rothe, wärmere, gegen Druck empfindliche und Anfangs pralle
Geschwulst. Niemals lässt sich, sobald die entzündlichen Zufälle eini-
g-erinassen heftig- sind, der Thränensack gegen die Nase, meistens auch
nicht gegen das Auge hin entleeren.
Bei acutem Verlaufe wird sie durch starke ödematöse (daher weiche
und unschmerzhafte, weder von merklicher Temperaturerhöhung noch
Ton erheblicher Röthe begleitete) Anschwellung der flachsten Umgebung,
namentlich der Augenlider begleitet. Sehr oft ist auch die Conjunctiva
bulbi besonders in der innern Hälfte geröthet und stark serös infiltrirt.
Da ein solches Ödem auch bei acuten Bindehautentzündungen, bei Pe-
riostitis, bei Hordeolum und bei subcutaner oder in der Orbita sitzender
eitrig schmelzender Bindegewebsinfiltration vorkommt, und da auch das
Erysipel dieser Gegend ähnliche Erscheinungen erregt, so kann eben
nur eine genaue Untersuchung des Thränensackes vor Verwechslung
schützen. Denn die übrigen Zufälle, als: Thränenträufeln, Schmers in
der betreffenden Gegend (gewöhnlich als tiefsitzend, bohrend und äus-
serst heftig bezeichnet), Gefühl von Trockenheit der entsprechenden
Nasenhälfte und Fiebererscheinungen sind nicht constant und auch nicht
ausschliesslich dieser Affection zukommend.
Verlauf und Ausgänge. Je rascher und heftiger sich diese Zu-
fälle entwickeln, desto sicherer und früher kommt es zum Durchbruche.
Die Geschwulst wird an einer unterhalb des Augenlidbandes gelegenen
Stelle erhabener, dann weich und schwappend und lässt allmälig den in
der Tiefe gebildeten Eiter durchscheinen, der sich endlich entleert. —
Bei minder stürmischem Auftreten geschieht es bisweilen, dass die Er-
scheinungen allmälig zurückgehen und entweder völlige Genesung ein-
tritt oder über kurz oder lang die Zeichen einfacher Blennorrhoe (wie-
derj auftauchen. Auch nach erfolgtem Durchbruche kann, selbst wenn
vor der Dacryocystitis Blennorrhoe bestanden hatte, permanente oder
doch temporäre Heilung eintreten, obwohl die Hinterlassung einer Thrä-
nensackfistel der häufigere Ausgang ist.
In andern Fällen entwickelt sich die obgenannte Thränensackent-
zlmdung langsam und ohne heftige Zufälle, namentlich ohne beträcht-
liches Ödem der Umgebung. Diess geschieht nur dann, wenn schon
längere Zeit Thränenschlauchblennorrhöe bestanden hat und die katar-
rhalische Verschwärung an der vordem Wandung spontan auftritt. Die
Haut über dem Thränensacke wird, gleichviel ob dieser schon beträcht-
lich ausgedehnt war oder nicht, unterhalb des Augenlidbandes dunkel-
Arlt Augenheilkunde. III. 26
402 Thränenorgane.
roth, livid, wärmer und schmerzhaft; dabei erhebt sich die Geschwulst
mehr und wird bald weich, teigig anzufühlen ; sofort zeigen sich ein oder
mehrere Eiterherde unter der unterminirten Cutis, durchbrechen jedoch
diese gar nicht, oder erst spät und nicht immer an diesen Stellen, die
dann einsinken, sondern bisweilen weit davon entfernt im Bereiche des
untern Lides oder selbst erst vor dem Oberkiefer- oder Wangenbeine*
einen oder mehrere fistulöse Gänge bildend, welche unter dem Muse,
orbicularis verlaufen.
Solche Fälle sind — meines Erachtens — seit Richter und Beer als Anchylops (ro-
senartige Nasenwinkelgeschwulst, Zellgewebsentzündung über dem Thränensacke) aufge-
fasst und beschrieben worden. Es genügt, die betreffenden Beschreibungen z. B. von
Beer*) genan durchzugehen, um diese Behauptung so zu sagen zwischen den Zeilen
selbst herauszulesen. Ich habe noch nie einen Fall von sogenanntem Anchylops ohne Er-
krankung des Thränenschlauches zu sehen bekommen. Andreae**) und Andern scheint
es ebenso gegangen zu sein.
Der Durchbruch des Thränensackes erfolgt in der Eegel nach vorn unterhalb des
Augenlidbandes; doch sind auch Fälle bekannt, wo die Entleerung durch das Thränen-
bein geschah, und Beer ***) citirt einen Fall von Vogel, wo sich das Contentum des Thrä-
nensackes durch die äussere Wandung unter der Cutis und dem Schliessmuskel entleerte
und bis unter den äussern Augenwinkel hin vordrang.
In Folge dieses Vorganges bleiben gern schwer oder gar nicht heil-
bare Thränensackfisleln zurück. Da derselbe ohne Zweifel oft das Re-
sultat spontaner katarrhalischer Verschwärung der Schleimhaut ist, und
diese nicht selten an mehreren isolirten Herden nach einander oder zu-
gleich auftritt, so darf es uns nicht wundern, dass wir bei den betref-
fenden Individuen nach diesem Vorgange theils Stricturirung oder wirk-
liche Verwachsung im Thränennasengange, theils auch Blosslegung des
Knochens (Thränenbeins oder Oberkiefers) finden. Die letztere Compli-
cation hat man insgemein als cariöse Thränensackfistel (mit Caries com-
plicirte) bezeichnet, obgleich Blosslegung des Knochens noch nicht Ca-
ries ist. Die Blosslegung des Knochens ist demnach in der Regel der
consecutive, durch die katarrhalische Phthisis und die corrodirende Jauche
bedingte Zustand. Nur bei Syphilis und bei Tuberculosis ist bisweilen
wahre und vom Knochen selbst, nicht vom Thränensack aus entste-
hende Caries vorhanden, der Thränensack möglicherweise consecutiv
ergriffen.
Ein viel seltnerer Ausgang der Thränensackentzündung ist der in
gegenseitige Verwachsung seiner Wandungen und theilweise oder gänz-
liche Verödung des Thränensackes. Sie erfolgt auf dieselbe Weise, wie;
*) 1. c. Bd. I. S. 331—339.
**) Grundriss der Augenheilkunde, Leipzig, 1846. Th. II. S. 99.
***) Lehre von den Augenkrankheiten, Wien, 1792. Th. I. S. 131.
i
Entzündung des Thriiitensackes — Ausgänge — Ätiologie. 403
die Stricturirung und Verwachsung des Thränennasenganges , in Folge
oft wiederkehrender und ausgebreiteter Gesell würsbildung; daher geht
ihr gewöhnlich der Bestand einer Thränensackfistel oder öfter wieder-
kehrende Thränensackentzündung voraus. Bei der totalen findet man
den Sack einige Zeit von einer harten oder doch prallen Masse ausge-
füllt, allmälig eingezogen, bisweilen trichterförmig (an der frühern Fi-
stelmündung). Einspritzungen in die Thränenröhrchen gehen weder in
die Nase, noch bewirken sie Aufblähung des Thränensackes; ist die
Partie noch frei, so können sie durch das andere Thränenröhrchen re-
gurgitiren. Das Anfangs starke Thränenträufeln vermindert sich mit der
Abnahme der entzündlichen Erscheinungen und Consolidirung des Nar-
bengewebes, tritt jedoch bei gesteigerter Thränenabsonderung immer
mehr weniger belästigend wieder auf. Ob diese Erscheinung von ver-
minderter Absonderung der Thränen oder aber von vermehrter, gleich-
sam vicarirender Aufsaugung durch die Bindehaut herrühre, wissen wir
nicht.
Die Ätiologie der Thränensackentzündung ist im Allgemeinen die
der Thränenschlauchblennorrhöe. Sie entsteht wahrscheinlich niemals,
ohne dass Katarrh oder Blennorrhoe durch einige Zeit vorangegangen
ist und ist dann nur als Steigerung dieser erstem, als Übergreifen der
Entzündung auf die Cutis zu betrachten; sie entwickelt sich, wie ge-
sagt, entweder spontan durch Entstehung kleiner Eiterherde in der blen-
norrhoisch afficirten Schleimhaut, oder als Steigerung durch das Hinzu-
treten äusserer Schädlichkeiten, vielleicht auch in Folge übermässiger
Ausdehnung, wenn diese rascher erfolgt. Auch in Folge von Entzün-
dung der Schleim- und Beinhaut der Highmorshöhle, bedingt durch
Zahncaries, sah ich Entzündung des Thränensackes entstehen.
TTT. Thränensackfistel, Fistula sacci lacrymalis,
minder richtig Thr'anenfistel nennen wir jede Öffnung, welche vom Thrä-
nensacke nach aussen durch die Cutis führt, und entweder ein erst vor
Kurzem nach Dacryoeystitis entstandenes Geschwür darstellt, oder an
der Cutis bereits mehr weniger callöse Ränder oder Wucherungen zeigt.
Symptome. Die Thränensacköffnung befindet sich jederzeit unter-
halb des Augenlidbandes, bald gerade nach vorn, bald mehr zur Seite
nach aussen; die Hautöffnung liegt der Thränensacköffnung gegenüber
oder tiefer unten, bisweilen auch weit nach aussen, gegen das Wangen-
bein hin. Es können übrigens auch mehrere Hautöffnungen und Hohl-
26*
404 Thränenorgane.
gärige zur Thränensacköffnung führen. Die Hautöffnung bildet ein ver-
schieden grosses offenes oder durch Borken verdecktes Geschwür, mit
frisch-infiltrirten oder bereits callösen Rändern unigeben; die sogenann-
ten Haartisteln zeigen bloss eine haarfeine, nur durch das Aussickern
einer wasserklaren Flüssigkeit erkennbare Mündung.
Wenn die Hautöffhung nicht zu weit vom Thränensacke entfernt
liegt, und die Infiltration der Umgebung nicht mehr beträchtlich ist,
wird man immer finden, dass die in derselben stehende Flüssigkeit mit
dem Augenlidschlage steigt und fällt. Wird der Thränensack von oben
her mit dem Finger comprimirt, so entleert sich sein Contentum durch
die Hautöffnung. Träufelt man nach solcher Entleerung in den Binde-
hautsack eine gefärbte Flüssigkeit (Cochenilletinctur, Safranwasser u.
dgl.), so tritt diese nach mehrmals erfolgtem Augenlidschlage zur Haut-
öffnung heraus; dasselbe geschieht mit Injectionen durch die Thränen-
röhrchen. Diese Zeichen setzen die Durchgängigkeit der Thränenröhr-
chen voraus. Ist die Hautöffnung nicht zu weit unten oder seitlich, so
kann man mit einer Sonde nicht nur in den Thränensack eindringen,
sondern auch seine Dimensionen, namentlich über das Augenlidband
hinauf ermitteln, und befindet sich die Hautöffnung nicht zu tief unten,
so gelingt auch die Einführung der Sonde in den Thränennasengang,
falls dieser nicht verwachsen ist. Mit Hilfe eines und des andern die-
ser Kennzeichen wird man jederzeit im Stand sein, zu bestimmen, ob
eine in dieser Gegend befindliche Hautöffnung in den Thränensack führe
oder nicht. Die Angaben des Kranken über das Vorausgegangene kön-
nen wohl in der Regel nützliche Fingerzeige geben, aber auch leicht
irre leiten.
Ätiologie. Eine Thränensackfistel entsteht immer nur in Folge
von Thränensackentzündung. Es ist weder wahrscheinlich, noch durch
sichere Beobachtungen constatirt, dass einfache Verwundungen der vor-
dem Wand des Thränensackes ein solches Leiden bedingen können.
Auch die Entstehung aus Entzündung des benachbarten Bindegewebes
(Anchylops), ja selbst die aus Caries am Thränenbeine ist problematisch,
mindestens viel seltener, als Einige angenommen haben. Wenn bei
Syphilitischen oder Scrofulösen neben Caries am Thränen- oder Ober-
kieferbeine eine Thränensackfistel vorkommt, so ist noch nicht erwie-
sen, dass diese die Folge von jener sei; die Caries hindert nicht, dass
eine Thränensackaffection auch aus einer andern Ursache, z. B. allge-
meiner Schleimhauterkrankung der Nasen- und ihrer Nebenhöhlen ent-
stehe. Die Caries kann auch secundär, Folge länger dauernder Kno-
ehenentblössung durch das Schleimhautgeschwür sein.
Thräneiisackfistel — Ätiologie — Behandlung. 405
Nicht jede Thränensackentzündung hinterlässt, auch wenn es zum
Aufbruche des Thränensackes gekommen ist, desshalb schon eine Fi-
stel. Diess geschieht nur dann, wenn die Durchgängigkeit des Thränen-
nasencanales nicht bald wieder hergestellt wird. In manchen Fällen
von Dacryocystitis schliesst sich die Öffnung wohl auch, bei verminderter
Wegsamkeit des Thränennasenganges, aber es kommt nach kürzern
oder längern Pausen immer wieder zum Aufbruche, bis endlich die
Öffnung bleibend wird, oder der Thränensack verödet. Der eigentliche
Grund des Fortbestandes der Thränensacköffnung ist demnach, falls nicht
etwa überdiess Caries vorhanden ist, in der verminderten oder aufge-
hobenen Durchgängigkeit des Thränennasenganges zu suchen. Auf
welche Weise diese herbeigeführt und unterhalten werden könne, er-
gibt sich aus dem, was wir über die Ätiologie und den Verlauf der
Thränenschlauchblennorrhöe gesagt haben. Zur Eruirung des Zustan-
des des Thränennasencanales ist die Untersuchung desselben mit einer
Sonde nothwendig, wovon wir weiter unten sprechen werden.
Behandlung;. Bei einer grossen Zahl von Thränenschlauchleiden
lässt sich auf Wiederherstellung des normalen Zustandes gar nicht rech-
nen: man muss sich begnügen, schlimmeren Zufällen vorzubeugen, oder
an die Stelle des grösseren Übels ein kleineres zu setzen. So z. B.
können wir viele Fälle von Blennorrhoe nicht heilen, aber wir können
viel Erspriessliches thun und rathen, um den Übergang in Ektasie und
in Fistelbildung zu verhüten; wir können manche Thränensackfistel nicht
heilen, aber durch Verödung des Thränensackes so weit unschädlich
machen, dass dem Kranken bloss das weit weniger lästige Thränenträu-
feln übrig bleibt.
Bei jedem Thränenschlauchleiden muss vor Allem aufs Sorgfältigste
erhoben werden, wodurch dasselbe bedingt und unterhalten werde, um
sich und den Kranken nicht unnöthig zu plagen. Man begnügt sich
nur zu leicht mit der Erkenntniss der am Thränenschlauche vorhande-
nen Abnormitäten und einer dagegen gerichteten örtlichen Behandlung;
es muss aber jedenfalls nicht nur die Nasen- und Rachenhöhle genau
untersucht, sondern es muss auch weiterhin so viel als möglich eruirt
werden, ob und welche Regelwidrigkeiten im Allgemeinbefinden und in
den diätetischen Verhältnissen des Kranken vorkommen, die mit der
örtlichen Affection in ursächlichen Zusammenhang gebracht werden kön-
nen und müssen. Welche Momente hier vorzüglich in Betracht zu ziehen
seien, wurde bereits bei der Ätiologie der Thränenschlauchblennorrhöe
angedeutet. Es ist einleuchtend, dass ohne Beseitigung derselben auch
durch die zweckmäßigste örtliche Behandlung an eine dauerhafte Hei-
406 Tliräiienorgane.
lung nicht zu denken sei. Leider ist eine der Causalindication entspre-
chende allgemeine, diätetische und pharmaceutische Behandlung bei vielen
Individuen unmöglich oder aber fruchtlos, wenn auch keine an und für
sich unbeseitigbaren örtlichen Hindernisse, wie z. B. Stricturirung oder
Obliteration des Thrännennasenganges, vorhanden sind.
a) Bei Blennorrhoe des Thrünenschlauches überzeuge man sich zu-
nächst, ob sie etwa durch rein locale Hindernisse bedingt ist, z. B.
Nasenpolypen, fremde Körper, und entferne dieselben. Sind solche
mechanische Hindernisse von der Art, dass sie nicht beseitigt werden
können, wie z. B. Narben nach Syphilis, so kann die Blennorrhoe nicht
anders als durch Verödung des Thränensackes gehoben werden. Bei
syphilitischer Schleim- oder Beinhautentzündung muss erst der Erfolg
einer entsprechenden allgemeinen Behandlung abgewartet werden. Eben-
so muss bei Scrofulosis und bei andern, durch regelwidrige diätetische
Verhältnisse herbeigeführten Schleimhautleiden vor Allem diesen Momen-
ten nach allgemeinen therapeutischen Grundsätzen Rechnung getragen
werden.
Sodann suche man so viel als möglich zu eruiren, ob nicht etwa
durch die Blennorrhoe selbst schon unheilbare Veränderungen herbei-
geführt worden seien, Stricturen oder Verwachsung des Thränennasen-
ganges, starke Ektasie des Thränensackes mit mehr weniger Atrophi-
rung der Schleimhaut, Obliteration der Thränenröhrchen. Die Möglich-
keit, den Thränensack nach der Nase hin zu entleeren, schliesst Strictu-
ren des Thränennasenganges nicht aus, und die Unmöglichkeit setzt
noch keineswegs nothwendig Verwachsung voraus. Ohne Anwendung
der Sonde nach künstlicher Eröffnung des Thränensackes können wir
oft nur mit Wahrscheinlichkeit auf die Beschaffenheit der Schleimhaut
schliessen. Wenn die Blennorrhoe schon lange bestanden hat, wenn
beim Ausdrücken längere Zeit ein sehr dickes und eiterförmiges oder
ein blutstriemiges, oder gar ein übelriechendes Secret sich zeigt, wenn
der Thränensack bereits eine deutlich umschriebene bohnenförmige oder
noch grössere Geschwulst bildet, wenn seine häutige Wandung und die
nächste Umgebung chronisch infiltrirt und indurirt erscheint, besonders
aber, wenn bereits Dacryocystitis und temporäre Fistelbildung ein oder
mehrere Male intercurrirte : dann kann man mit mehr weniger Wahr-
scheinlichkeit annehmen, dass nicht mehr einfache Aufwulstung der
Schleimhaut, sondern schon katarrhalische Verschwärung, Stricturirung
oder selbst Obliteration des Thränennasenganges eingetreten sei.
Stellt sich die Wahrscheinlichkeit überwiegend für einfache Blen-
norrhoe {mit blosser Schwellung oder Hypertrophirung) heraus, so lasse
Behandlung der Thräiieiischlaiichbleiinorrhöe. 407
man bei der allgemeinen diätetischen und (wo solche nöthig erscheint)
pharmazeutischen Behandlung- das Contentuni ßcissig ausdrücken und
3 — 4mal des Tages unmittelbar nach möglichst vollständiger Entleerung
ein Collyrium wie beim chronischen Bindehautkatarrh in den innern Win-
kel träufeln. Dabei muss der Kranke einige Minuten eine solche Lage
annehmen, dass das Collyrium von den Thränenröhrchen gut aufgenom-
men werden könne. Vor dem Einschlafen lasse man Unguentum cine-
rciun an die Gegend des Thräne?isackes und die nächste Umgebung ein-
reiben; zu läugereni Gebrauche eignet sich besser eine Salbe aus 3 — 6
Gran weissem Präcipität oder Jodkalium auf 1 Drachme Fett. In eini-
gen Fällen hat mir das Aufstreichen von Tinct. jodinae auf die Gegend
des Thräuensackes treffliche Dienste geleistet, wie diejenigen wissen,
welche in den letztverflossenen 2 Jahren meine Klinik besuchten.
Ich ziehe die Einträuflung adstringirender Collyrien nach jedesmaliger Ausdrückung
des Thränensaekes den Einspritzungen durch die Thränenröhrchen vor. Eine hinreichend
feine Spritze, so dass die Thränenröhrchen nicht zu sehr ausgedehnt werden, und die ge-
hörige Fertigkeit, so dass weder Zerrung und Schmerzen, vielweniger denn Zerreissungen
"bewirkt werden, kann und soll sich jeder aneignen, der Augenheilkunde betreiben will;
aber die Einspritzungen müssen, wenn man damit etwas ausrichten will, mindestens des
Tages einmal gemacht werden, und das ist bei einer Cur, die im Allgemeinen auf Mo-
nate, nicht auf Wochen zu berechnen ist, wohl in Anschlag zu bringen. Da die Binde-
haut ohnehin fast ohne Ausnahme die Zeichen chronischen Katarrhes darbietet, so wird
ihr Zustand solche Einträuflungen kaum je contraindiciren. Ich bediene mich meistens
des Lapis divinus oder des Sulfas zinci; die Lösungen von Arg. nitricum zersetzen sich
vor der Aufsaugung und verursachen leicht die bekannte Verfärbung nicht nur der Cutis,
sondern auch der Bindehaut.
Zur Injection nimmt man eine Anel'sche Spritze, am besten mit einem geraden An-
satzrohr, das wenigstens vorn nicht über ' 3 Pariser Linie dick sein darf, daher aus Gold
angefertigt wird. Um dieses Rohr bequem einzubringen, ist es bisweilen nöthig, den
Thränenpunkt durch vorläufige Einfuhrung einer dünnen ungeknöpften Sonde etwas aus-
zudehnen. Die zur Sondirung vorgeschlagenen Schweinsborsten können meines Erach-
tens vorn nie so abgerundet werden, dass sie nicht kratzen. — Man wählt zum Ein-
spritzen gewöhnlich den untern Thränenpunkt, nicht weil er weiter, sondern in der Re-
gel bequemer gelegen ist. Will man das untere Thränenröhrchen der linken Seite son-
diren oder injiciren, so setze man den Kranken so, dass sein 3£opf mit der linken Hand
leicht an eine "Wand oder Sessellehne angedrückt werden kann, ziehe das untere Lid
mit dein Zeigefinger der linken Hand aus-, mit dem Mittelfinger etwas abwärts, und führe
die Sonde (Spritze) etwa eine halbe Linie tief ein, in einer Position, welche gestattet,
die Richtung der Sonde (Spritze) sofort so zu ändern, dass sie dem ferneren Verlaufe des
Thränenröhrchens entspricht. Behufs der Einspritzung soll man nicht bis unter das Au-
genlidband, sondern nur etwa 2 — 3'" weit vordringen.
Hat man nach längerer Fortsetzung dieser Behandlung (einige Mo-
nate) oder gleich Anfangs (aus den oberwähnten Zufällen) die Überzeu-
gung gewonnen, dass dieselbe nicht ausreicht, und wünscht der Patient
40S Thräneiiorgane.
von den lästigen Zufällen der Blennorrhoe befreit zu sein, selbst auf die
Gefahr hin, dass ihm möglicherweise für immer etwas Thränenträufeln
zurückbleibe, so schreite man zur Ei^öffiiung des Tkränetisackes , und
versuche, ob nicht jetzt sich der normale Zustand des Thränenschlauches
wieder herstellen lasse, ehe man zum letzten Mittel, der Verödung
schreitet. Dieser Eingriff wird in den Augen des Patienten besonders
dann gerechtfertigt erscheinen, wenn bereits Dacryocystitis und temporäre
Fistelbildung vorhanden waren, oder wenn der Thränensack sehr stark
ausgedehnt ist.
Die Eröffnung des Thränensackes ist nicht schwer, sobald derselbe von Schleim
mehr weniger ausgedehnt ist. Da man sie aber doch vorher an Cadavern geübt haben
muss, besonders um das Sondiren zu lernen, so will ich hier die von mir schon 1841
angegebene und seitdem geübte Methode der Eröffnung und Sondirung beschreiben.
Das Messer, dessen ich mich bediene, ist ein einfaches Spitzbistomü ; die Sonde
ist nicht geknöpft, sondern stellt einen langgestreckten, an der Spitze und Basis wohl
abgerundeten Kegel dar; sie ist ohngefähr 4" lang, an der Spitze etwa '/3, an der Ba-
sis zli" im Durchmesser, am besten von Silber. Beide Instrumente können immer mit der
rechten Hand geführt werden.
Soll der linke Thränensack eröffnet werden, so greife man, wenn der Kopf hinten
gestützt ist, mit der linken Hand über die Stirn des Kranken so herüber, dass man die
Augenlider mit dem an die äussere Commissur angelegten Daumen stark aus- und etwas
aufwärts ziehen kann, um das Augenlidband zu spannen und vortreten zu machen. Um
die Führung des Messers nicht zu hindern, muss der Vorderarm oberhalb der Stirn zu
liegen kommen. Wer diess nicht gut zu Stande bringt, kann die Hand auch vor der
Wange so anlegen, dass er die äussere Commissur mit dem Mittel- oder Zeigefinger aus-
wärts ziehen kann. (Bei der Operation auf der rechten Seite legt man die Finger der
linken Hand an das Seitenwandbein und spannt die Lider mit dem Daumen nach aussen
und oben.) Hierauf nimmt man das Messer, dessen Klinge nicht über 1 l/-z" lang sein
soll, so in die rechte Hand, dass der Daumen auf die eine, Zeige- und Mittelfinger (mit
der Pulpa) auf die andere Seite zu liegen kommen, die Schneide zur Hohlhand gerichtet,
und führt dasselbe in einer Ebene, die ich die Operationsebene zu nennen pflege. Um
diese zu bestimmen, denke man sich eine Linie (Sonde) von der Spitze der Nase zur
äussern Commissur gezogen, und durch den Punkt, der diese halbirt, so wie durch den
Halbirungspunkt der gespannten Sehne des Orbicularmuskels eine Ebene so gelegt, dass
dieselbe senkrecht auf jener Linie (Sonde) stehen würde. Ist nun das Messer so mit der
Spitze unter dem Mittelpunkte der genannten Sehne angesetzt, dass seine Schneide (ver-
längert gedacht) die gedachte Linie (Sonde) •halbiren würde, so stösst man, die Hand mit
dem kleinen und Ringfinger an" die Wange stützend*), dasselbe senkrecht (d. i. bei ver-
ticaler Haltung des Kopfes mit horizontal verlaufendem Rücken) etwa V" tief ein, hebt
nun, ohne aus der Operationsebene zu weichen, und ohne tiefer einzudringen oder die
Spitze zurückzuziehen, das Heft so weit empor (gegen den obersten Theil der Nasenwur-
zel), bis der Rücken der Klinge beinahe an der Cutis anliegt, und stösst es etwa 2 — 3"'
abwärts (mit nach unten, ein wenig nach hinten, und auswärts gerichteter Spitze), so-
dass die Hautwunde 2—3"' lang wird. Ist das Messer richtig geführt, so bleibt es, falls,
*) Wird dio Hand frei gehalten, so kann man die Kraft, mit der man sticht, nicht so gut bemessen.
Behandlung der Thräiieiischlauchblennorrhöe. 409
es noch tiefer hinabgestossen wird, frei stehen, und seine Schneide sieht gegen die ge-
nannte Halbirungslinie hin. Will man die Hautwunde grösser haben, so bewirke man
diess durch Senkung des Heftes beim Zurückziehen, nicht durch tieferes Hinabstossen.
Man kann sich den Einstichspunkt auch dadurch ermitteln, dass man bei ange-
spannter Orbicularmuskelsehne mit dem Finger die Leiste des Oberkiefernasenfortsatzes
aufsucht, welcher die Thränensackgrube bilden hilft. Jene Sehne und diese Leiste bilden
einen Winkel, in dessen Spitze man das Messer ansetzen, und dessen Raum man durch
die Schnittlinie halbiren soll. Schlemm empfiehlt das Messer nach gehörig angesetzter
Spitze mit ab- und auswärts gewendeter Schneide gleich von oben nach unten so einzu-
senken, als wollte man mit derselben auf den Winkel des Unterkiefers der entgegenge-
setzten Gesichtshälfte vordringen. HyrtVs Rath, den Thränensack unterhalb des Augen-
lidbandes quer, d. i. parallel diesem Bande aufzuschlitzen, scheint keinen Anklang ge-
funden zu haben, die Wunde würde alsdann die Muskelfasern quer vom Augenlidbande
trennen. Bei unserer Methode werden die Muskelfasern nur getrennt, nicht quer durch-
schnitten. Pouteaus Vorschlag, die Eröffnung vom Bindehautsacke aus vorzunehmen, ist
mit Recht verworfen worden. Das Augenlidband mit zu durchschneiden, wie Richter
gethan, ist mindestens überflüssig, wenn auch vielleicht nicht direct nachtheilig; wir
glauben nicht, dass dabei die Thränenröhrchen durchschnitten werden möchten, weil sie
sich nie bis zur Mitte des Augenlidbandes hin erstrecken. — Wir rathen, mit dem Mes-
ser nicht gleich ab- sondern erst rückwärts einzustechen, weil man sonst leicht ausser-
halb des Thränensackes herabgleiten kann. Dass man die vordere Wand des Schlauches
durchbohrt habe, erkennt man bei einiger Übung am Gefühle, so gut jeder Geübte es
fühlt, ob er mit dem Keratom in die Augenkammer oder bloss in die Cornea eingedrun-
gen ist. — Die Abdachung der häutigen Wandung des Thränensackes von der Oberkie-
ferleiste zum Thränenkamm ist steiler, flacher bei niedriger Nasenwurzel ; unsere Methode
berücksichtigt diese anatomische Verschiedenheit, indem sie die Lage der Operationsebene
vom Bau der Nase abhängig macht. Das Messer wird somit immer senkrecht auf die
Wandung des Thränensacks (die tangirende Ebene) aufgesetzt, und gleitet demnach we-
der nach aussen noch nach innen davon ab, was bei der geringen Breite des Thränen-
sackes leicht geschehen könnte, wenn man z. B. gerade von vorn nach hinten (also par-
allel der Medianebene des Kopfes) einstechen würde.
Ist der Thränensack eröffnet, so nimmt man die Sonde so wie früher das Messer
zwischen die Finger, und führt, sich auf dieselbe Weise an die Wange stützend, ihr di-
ckeres Ende in derselben Richtung ein, wie beim Einstiche das Messer. So wie man
fühlt, dass man an die hintere (harte) Wand des Thränensackes anstösst, hebt man ihr
dünneres Ende, die Operationsebene verlassend, so gegen den Orbitalrand empor, dass sie
ohngefähr 2 — 3'" einwärts von der Incisura supraorbitalis knapp an die Cutis anzuliegen
kommt. Hat man bei dieser Bewegung die hintere Wandung nicht mit der Sonde ver-
lassen, so braucht man sie jetzt mir in der gegebenen Richtung an der hintern Wand
ohne allen Druck herabgleiten zu lassen, und ist mit ihr sicher im Thränennasengange.
Die Stelle, wo der Nervus supraorbitalis aus der Orbita heraustritt, lässt sich auch in
jenen Fällen, wo derselbe durch einen förmlichen Canal verläuft, jederzeit an einer Ein-
kerbung des Orbitalrandes erkennen, wenn man diesen von unten her betastet. — Bei
hohem Nasenrücken und stark vorspringendem Augenbrauenbogen muss man die Sonde
ein wenig krümmen und bei rückwärts gewendeter Convexität einführen, weil man sonst
sich leicht an der bisweilen ziemlich stark entwickelten Falte zwischen Thränensack und
Thränennasengang verfangen, die Schleimhaut und selbst den Knochen durchstossen könnte-
410 Thränenorgaiie.
Bei der entgegengesetzten Gesichtsbildung kann man, wenn man die Sonde nicht an der
hintern Wandung anliegen und herabgleiten lässt, leicht in den nach vorn und aussen
gelegenen Sinus des Thränensackes kommen, und dieser unangenehme Zufall ereignet sich
uoch leichter, wenn man der Sonde eine zu starke Tendenz nach aussen gibt, sie oben
weiter als höchstens 3'" von der genannten Einkerbung einwärts anlegt. — Stösst man
auf ein Hinderniss, so wende man ja keine Gewalt an, sondern ziehe die Sonde ein we-
nig zurück und corrigire ihre Richtung; man könnte sonst leicht nach durchstossener
"Wandung des Thränenschlauches zwischen ihm und dem Knochen in die Nasenhöhle
dringen. Geschähe eine solche ForQirung bei zu weit vorwärts gerichtetem oder gar nicht
im Thränensacke befindlichen untern Ende der Sonde, so könnte man — wie es wirklich
geschehen ist — vor dem Thränensacke und selbst vor dem Oberkieferknochen hinab
dringen, gleichwie man bei zu starker Ablenkung nach aussen in die Augenhöhle gelan-
gen würde.
Die Sonde genau und sicher in der Richtung des Thränenschlauches einführen zu
können, ist von grösster Wichtigkeit. Denn käme man bei einem Kranken nicht bis in
die Nase, ohne AVeichtheile zerrissen zu haben, so kann man nur dann auf Verwachsung
schliessen, wenn man sicher ist, dass man die Sonde nicht nur im Thränenschlauche,
sondern auch in der gehörigen Richtung bewegt. Diese Sicherheit lässt sich nur durch
vielfache und wiederholte Übung gewinnen. Mir sind einige Fälle vorgekommen, wo man
TJn durchgängigkeit des Thränennasenganges angenommen hatte, und dennoch die Sonde
ohne Zerreissung von Weichtheilen durchgeführt werden konnte.
Statt der von Stahl (1702) zuerst vorgeschlagenen und von Louis Petit geübten
Eröffnung des Thränensackes empfahl Anel (1712) das obere Thränenröhrchen zur Ein-
führung einer dünnen Sonde in den Thränenschlauch zu benützen, und La Forest (1730)
führte eine ohngefähr S-förmig gekrümmte Sonde durch die Nase ein, welches Verfahren
später von Dubois und von Gensoul (in Lyon) nach zweckmässiger Verbesserung der Sonde
mehr in Aufnahme gebracht wurde. — Anel's Methode lässt sich nicht ohne bedeutende,
und daher leicht nachtheilige Zerrung der Thränenröhrchen, wenn auch ohne Verletzung
der häutigen Wandung des Thränenschlauches, ausführen ; diese Anwendung der Sonde
gibt uns nie einen sichern Aufschluss über die Beschaffenheit des Thränennasencanales
und kann auch dem therapeutischen Zwecke (der mechanischen Dilatation) niemals ent-
sprechen, da ]eine viel zu dünne Sonde genommen werden muss. — Die Einführung der
Gensoal'schen Sonden und Katheter kann an Cadavem leicht so eingeübt werden, dass
man darin nicht nur Fertigkeit, sondern auch eine gewisse Sicherheit erlangt. Wer in-
dess die Nasenmündung des Thränenschlauches aus vielfacher Anschauung kennen gelernt
hat, wird es begreiflich finden, dass diese Methode so unschuldig nicht ist, als Manche
glauben machen wollen. Diese Mündung ist oft so klein und dazu noch durch ein pa-
pierdünnes Schleimhautfältchen gedeckt, dass "man, selbst wenn sie dem Auge zugänglich
wäre, beim Eindringen mit den genannten Instrumenten noch oft genug gewaltsame Zer-
rung, wo nicht Zerreissung bewirken würde. Wenn wir auch dieser Schleimhautfalte
nicht die Bedeutung eines Luftventils zuschreiben können, so halten wir doch schon die
gewaltsame Ausdehnung, geschweige denn Einrisse derselben für nichts weniger als gleich-
giltig. Überdiess kann eine stark nach der betreffenden Seite herüberstehende Nasen-
scheidewand, abnorme Gestalt der Nasenmuschel, vor Allem aber Schwellung und Verdi-
ckung der Schneiderschen Haut bedeutende, selbst unüberwindliche Hindernisse entgegen-
setzen. Und ist man glücklich eingedrungen, so fehlt ein Hauptvortheil der durch die
künstliche Öffnung von oben eingeführten Sonde, man kann nicht wie dort das Gefühl
Behandlung der TliränenschlatichMennorrhöe. 411
des Widerstandes zur Beurtheilung der Beschaffenheit der Schleimhaut benutzen. Die
von oben frei eingeleitete Sonde versetzt so zu sagen unsern Tastsinn mitten in den Thrä-
nenschlauch.
Desshalb hat die Sondirung durch eine von selbst erfolgte oder absichtlich gemachte
Öffnung an der vordem Wand des Thränensackes unläugbare Vortheile. Hasner, 1. c. S. 61
"welcher der Ansicht ist, „dass man die Zerreissung der Klappe an der Nasenmündung
bei vorsichtiger Führung des (?e>!soM/'schen Cylinders stets vermeiden könne," behauptet,
„dass mau durch die Führung der Sonde von oben nach abwärts dieses Organ selbst bei
der vorsichtigsten Führung unter 20 in 19 Fällen perforiren oder spalten müsse. Die
Klappe sei nämlich schräg über den Thränenschlauch gespannt, und jedes Instrument,
welches in dem letztern abwärts geführt werde, müsse dieselbe vor sich her drängen,
spannen und zerreissen." Es ist nicht schwer, an Cadavern den Beweis zu fuhren, dass
diese Angabe ganz irrig ist. Legt man den obern Theil der Sonde 2 — 3'" einwärts von
der Incisura supraorbitalis an den Augenhöhlenrand, so gleitet ihr unteres Ende immer
an der äussern Wandung des untern Nasenganges herab, und man wird bei diesem Vor-
gange die Klappe kaum in 1 von 20 Fällen verletzen. — Wenn Hasner S. 90 sagt, ,,er
sondire nur in solchen Fällen, wo die Dacryocystitis eine Complication anderer Krank-
heiten des Thränenschlauches sei, z. B. bei Verwachsung des Maxillarstückes," so ist
"wohl nur die Einführung der Sonde von oben gemeint, die doch verworfen wird ; wir
begreifen übrigens nicht, wie man z. B. Verwachsung des Maxillarstückes schon vor der
Anwendung der Sonde diagnosticiren könne, um sich erst durch eine solche Complication
zur Anwendung der Sonde bestimmen zu lassen.
Unmittelbar nach der Eröffnung- des Thränensackes schreite man
noch nicht zur Untersuchung mit der Sonde, sondern bloss zu Ein-
spritzungen lauen Wassers, um das in demselben angesammelte Secret
völlig zu beseitigen. Das Engerwerden und Verwachsen der Öffnung
verhindere man durch Einlegen von Charpie, welche jedoch gerade um-
so tief eingeschoben werden darf, als der Zweck erheischt. Ist die Ab-
sonderung der Schleimhaut des Thränensackes sehr reichlich, so dass
sie denselben in 24 Stunden wieder beträchtlich ausdehnen oder gar
den Charpiepfropf herausdrängen würde, so muss die Einspritzung täg-
lich 2mal vorgenommen werden. Nach einigen Tagen gehe man zu ad-
strinejirenden, ullmälig stärkern Ei?isp?'itzu?igen über (mit Zincum aceti-
cum oder sulfuricum, Lapis divinus, Argentum nitricum). — Ist die Se-
cretion minder reichlich und minder dick geworden, so lege man bei
abwärts gerichtetem Spritzenschnabel den Finger so an, dass nichts neben
der Spritze oder durch die Thränenpunkte zurück kann, um die Flüssig-
keit wo möglich in die Nase zu treiben, falls, dieselbe nicht schon auch
ohne diese Beihilfe dahin abgeflossen sein sollte, was in vielen Fällen
gleich bei den ersten Einspritzungen geschieht. Erst jetzt ist es erlaubt
den Thränenschlauch mit der Sonde zu untersuchen. In Fällen, wo die
Injection gleich Anfangs oder doch in kurzer Zeit frei in die Nase ab-
floss, und wo man nicht Ursache hat, Stricturen zu vermuthen, ist es
412 Thränenorgane.
gar nicht nothwendig zu sondiren. Wenn dann der Thränensack zum
normalen Volumen zurückgekehrt ist und seine Wandung nicht mehr
infiltrirt erscheint, wenn sein Secret nicht mehr trüb, sondern eiweiss-
ähnlich ist, und auch der Zustand der Schleimhaut der Nase keine wei-
tem Befürchtungen erregt, so lege man keine Charpie mehr in die Öff-
nung, sondern bedecke diese bloss mit englischem Pflaster, und lasse
sie sich allmälig* schliessen. Sollten die Ränder callös geworden sein,
so werden sie durch Scarification oder einen dünnen Cylinder von Lapis
infernalis wund gemacht. In sehr kleine Öffnungen schiebe man ein
Splitterchen Lapis oder einen in Salpetersäure getauchten Silberdraht.
Zu den Einspritzungen bediene ich mich einer durchaus gläsernen Spritze, welche
ohngefähr einen Esslöffel Flüssigkeit fasst, 3/i" dick -und 4 — 5" lang ist, und in ein etwa
Rabenfeder-dickes, leicht gebogenes, gut abgerundetes Rohr endet. Die Charpiewicken.
schiebe ich, wenigstens später, nicht mit der Sonde ein, um jede Verletzung und Zer-
rung fern zu halten. Ich bilde etwa 7 — 8'" lange und V" dicke, fest zusammengedrehte
Cylinder aus Charpie, welche (durch das Umschlagen) vorn gut abgerundet sind, und
mache sie durch wiederholtes Eintauchen der vordem Hälfte in eine Gummilösung hart
und glatt, so dass sich diese steife Hälfte bequem einlegen, die biegsame mit englischem
Pflaster an die Haut wohl befestigen lässt.
Zeigt sich die Untersuchung mit der Sonde nothwendig, so lasse
man den Kranken so sitzen, dass man seinen Kopf mit der linken Hand,
fixiren kann, und sorge dafür, dass er nicht während des Sondirens,
gegen welches Manche ausserordentlich empfindlich sind (bis zum Ohn-
mächtigwerden), in die Hand greife. Auch in krankhaft erweiterten
Thränensäcken liegt der Eingang in den Nasencanal zu unterst nach
hinten und innen, daher man sich immer an die Rinne des Thränen-
beines zu halten hat. Stösst man auf Hindernisse, so ziehe man die
Sonde ein wenig zurück, und corrigire nöthigenfalls ihre Richtung. Bei
Verengerung durch einfache Hypertrophirung lässt sich die Sonde hinab-
schieben, aber unter dem Gefühle, als würde sie etwa zwischen zwei
Fingern gehalten, Stricturen fühlen sich hart an. Polypöse Excrescenzen
am Eingang in den Nasencanal lassen sich umgehen. Entblösste oder
cariöse Knochenpartien sind rauh, letztere zugleich mürb; bei Caries
pflegt die silberne Sonde schwarz zu werden. Ob eine Verwachsung*
häutig oder cylindrisch sei, dürfte sich durch die Sonde kaum ermitteln
lassen, hat auch, da beide unheilbar sind, nichts zu bedeuten.
Schwankt man zwischen Stricturirung und einfacher Hypertrophie,
so führe man sogleich, oder bei grosser Empfindlichkeit erst nach eini-
gen Tagen eine Darmsaite ein, Violin E oder A. Ein gradgestrecktes
Stück, gegen l1/*" lang, wird an dem einen Ende gut abgerundet, an
dem andern hakenförmig umgeknickt, so dass 4 — b'" zur Befestigung-
Behandlung der Thräiiensackeiitzüiidung. 413
ausserhalb des Thräuensackes abgebogen erscheinen. Dickere Saiten
müssen an der Einknickungsstelle zugleich mit einem Messer etwas
eingekerbt werden, damit sie die Knickung behalten, Aveil sie sonst beim
Erweichen mit in den Tkränenschlauch hineingezogen werden. Die
Saite kann 24 Stunden liegen bleiben; neben ihr muss noch eine Char-
piewieke eingelegt werden, damit sich die Hautöffnung nicht vor der
Zeit verengere. Vor ihrer Entfernung lasse man laues Wasser in die
Nase ziehen, um den au ihrem untersten Ende etwa angetrockneten
Nasenschleim zu erweichen, damit er nicht beim Zurückziehen der Saite
die Schleimhaut aufritze. Sind Stricturen vorhanden, so erscheint die
Saite an den betreffenden Stellen minder aufgequollen oder einge-
schnürt. An stärkeren Saiten (A und D) treten solche Einschnürungen
deutlicher hervor.
Nur bei einfacher Hypertrophie kann man auf Wiederherstellung
des normalen Zustandes rechnen. Blosslegung des Knochens im Thrä-
nennasengange ist der Stricturirung gleich zu achten, im Thränensacke
kann sie ohne erheblichen Nachtheil heilen, obwohl sie die Prognosis
im Allgemeinen trübt. Die Sorge für Entfernung des Secretes durch
die Hautöffnung ist (nebst der etwa nöthigen allgemeinen Behandlung)
das Beste und Einzige, was hier zunächst geschehen kann, und schon
dieser Umstand zeigt die Überlegenheit dieser Methode (der Eröffnung
des Thräuensackes) über alle andern. Bei Verwachsungen, bei deut-
lichen Stricturen, bei Geschwüren im Thränennasencanale verzichte
man auf Wiederherstellung der Durchgängigkeit desselben, wenigstens
auf bleibende, und schlage dem Kranken die Verödung des Thräuen-
sackes vor.
Ist Aussicht vorhanden, die Schleimhaut (wenigstens im Nasengange)
zum normalen Zustande zurückzuführen, uud ist diess bei gehöriger all-
gemeiner diätetischer und pharmaceutischer Behandlung (wo solche nö-
thigi nicht schon unter einfachen Einspritzungen gelungen, so wende
man gegen die Hypertrophie der Schleimhaut noch mechanische (dila-
tirende, comprimirende) Mittel an. — Das zweckmässigste unter den
zahlreichen hiezu vorgeschlagenen Mitteln dürften Bleidrahte sein, wenn
man von dünneren (Vs'" Durchmessen allmälig zu dickeren (1"') über-
geht. Man nimmt ein Stück von beinahe \x\i" Länge, rundet es an
dem einen Ende glatt ab, und biegt es an dem andern hakenförmig um,
so dass der kürzere Schenkel etwa */-" 'an& wird. Das Ende dieses
Schenkels muss bis über den Orbitalrand hinabreichen, damit es an die-
sem eine feste Stütze finde. Dieser Draht kmn mehrere Tage liegen
bleiben. Fände man sein unteres Ende mit vertrockneten Schleimkrusten
414 Thränenorgaiie.
belegt, so müsste es etwas verkürzt werden. Der Übergang zu stärke-
ren Drähten kann in Zeit von 8 — 14 Tagen gemacht werden, bei ge-
ringeren Dickeunterschieden auch früher. Der stärkste Draht muss in
der Regel mehrere Monate lang getragen, jedoch von 8 zu 8 Tagen,
immer untersucht, und falls er rauh (erodirt oder incrustirt) befunden
würde, mit einem frischen vertauscht werden. Wenn dann durch die
Hautöffnung kein schleimig-eitriges Secret mehr zum Vorchein kommt,
lasse man, bevor man zur Verschliessung der Hautöffnung schreitet, erst
noch einige Zeit wieder einen dünnern Stift tragen, um zu sehen, ob
dann auch der dickere wieder ohne Hinderniss durch den Nasencanal
geführt werden kann. Immer wird man aber jetzt die Hautöffnung zu
eng finden, daher durch ein Stückchen Pressschwamm erweitern müssen.
Noch besser ist es, einige Tage vor Verschliessung der Öffnung gar
nichts in den Thränennasengang einzulegen, dabei aber die Hautöffnung
mit englischem Pflaster und Collodium luftdicht verschlossen zu halten.
Zeigt sich dann der Thränennasengang nicht nur offen, sondern auch
noch hinreichend weit, so schreite man zur bleibenden Verschliessung-
der küustlichen Öffnung. — Der andern Mittel werden wir weiter unten,
(beim geschichtlichen Überblicke) gedenken.
Ist endlich auf bleibende Wiederherstellung der Durchgängigkeit de?
Thränennasencanales nicht zu rechnen, so schlage man dem Kranken die
Verödung des Thränensackes vor. Behufs dieser muss zunächst für eine
grössere Öffnung gesorgt werden, durch Einlegen von Pressschwamm
oder durch Schlitzung, selbst bis über das innere Augenlidband hinauf.
Will man sich zur Verödung des Lapis bedienen, so wird eine wieder-
holte nachdrückliche Touchirung der ganzen Schleimhautfläche nöthig
und auch da ist der Erfolg noch nicht ganz sicher. Verlässlicher wir-
ken Mineralsäuren, deren Einführung (mit einem Asbestpinsel oder
Tropfgläschen) jedoch grosse Vorsicht erheischt. Das gebräuchlichste
Mittel ist das Glüheisen, das beste der Middeldorpfsche galvanokau-
stische Apparat, welcher in neuester Zeit von Gräfe zu diesem Zwecke
angewendet wurde.
b) Bei der Tkränensackentzündung kann man auf Zertheilung nur
dann hoffen, wenn sie noch nicht bis zur Eiterbildung vorgeschritten
ist. Örtliche Blutentziehungen und kalte Umschläge habe ich zu diesem
Zwecke fruchtlos angewandt: hingegen sah ich mehrmals beim Gebrauche
trockener warmer Tücher die Erscheinungen in wenig Tagen zurück-
gehen und den frühern Zustand wiederkehren. Ob das Einziehen von
warmem Wasser oder von Wasserdämpfen in die Nase von Nutzen sei,
Behandlung der Thräuensaekfistel. 415
blieb mir unentschieden. Andreae*) empfiehlt bei minder stürmischem
Auftreten Fomentationen mit in Bleiessig getränkten Bäuschchen. —
Ist die Entzündung so weit vorgeschritten, dass der in der Tiefe gebil-
dete Eiter durchzuscheinen beginnt, so ist es das Beste, den Thränen-
sack an der erhabensten Stelle, doch nicht zu tief unten, mit einer Lan-
zette zu eröffnen. Man erspart dem Kranken die an den spontanen
Durchbruch der Haut gebundenen Schmerzen und man erhält statt einer
mehr weniger grossen, unregelmässigen und wohl auch noch unbequem
gelegenen Öffnung eine lineare, 3 — 4"' lange Wunde, welche man nach-
träglich, falls es nöthig werden sollte, zu Einspritzungen und zum Son-
diren benützen kann. — Hat man geöffnet, oder war bereits spontaner
Durchbruch erfolgt, so entleere man den Thränensack durch allmälig
verstärkten Druck von oben und von der Seite her und durch Einspritzen
lauen Wassers, und bedecke die Öffnung mit etwas Charpie und einem
Heftpflaster. Sind die Wund- oder Geschwürsränder noch stark infil-
trirt, rotk und empfindlich, so lasse man noch durch einige Tage Cata-
plasmata emollientia anwenden oder doch das Auge trocken verbunden
tragen. — Nach einigen Tagen wird sich dann nach der Beschaffenheit
des Thränensackinhaltes, nach dem freien oder gehinderten Abflüsse der
Injectionen nach der Nase, vorzüglich aber aus genauer Würdigung der
anatomischen und ätiologischen Momente bestimmen lassen, ob man die
Wunde sich schliessen lassen oder aber durch Einlegen von Charpie-
wieken offen erhalten soll, um weiterhin ganz so zu verfahren, wie bei
Blennorrhoe nach geschehener Eröffnung des Thränensackes.
c) Bei der Thränensachfistel entstellt zunächst die Frage, wodurch
dieselbe erhalten werde, ob bloss durch verminderte oder aufgehobene
Durchgängigkeit des Thränennasencanales , oder zugleich durch Bloss-
legung oder wirkliche Caries des Knochens. Zur Beantwortung dieser
Frage wird die Anwendung der Sonde nöthig, auch dann, wenn ein
manifestes Hinderniss der Durchgängigkeit, z. B. ein Nasenpolyp vor-
liegt. Wäre demnach die Hautöffnung nicht bequem gelegen, so müsste
entweder dieselbe entsprechend erweitert werden (am besten durch
Schlitzung gegen das Augenlidband hin), oder man müsste einen frischen
Einstich so wie bei Blennorrhoe machen (bei zu entfernt gelegenen Fistel-
öffnungen). Weiterhin kommt in Bezug auf Diagnosis, Prognosis und
Therapie derselbe Vorgang, wie wir ihn bei der Blennorrhoe nach Er-
öffnung des Thränensackes angegeben haben, in Anwendung.
d) Die Complication mit Caries erfordert rücksichtlich der örtlichen
*) Grun&riss der Augenheilkunde, Leipzig 1846. Bd. II. S. 106.
416 Tliräuenorgaiie.
Behandlung vorzüglich Sorge für möglichst freien Abfluss des Secretes
und fleissige Beseitigung desselben durch Einspritzungen mit lauem Was-
ser. Die allgemeine, diätetische und pharmaceutische Behandlung des
zu Grunde liegenden Allgemeinleidens ist wenigstens nicht minder wichtig.
C, Geschichtliche Bemerkungen.
Bis zu Ende des vorigen Jahrhunderts gebrauchte man für die verschiedenen krank-
haften Zustände des Thränenschlauches im Allgemeinen den Namen Thränenfistel, die
man in mehrere Grade eintheilte. Als 1. Grad bezeichnete man ohngefähr das, was wir
als Blennorrhoe besprochen haben ; der 2. Grad kam mit dem überein, was wir als Thrä.
nensackentzündung geschildert haben. Diese beiden Grade mit Einschluss der Hernia
nach Heister, und des Hydrops nach Anel) wurden auch unechte oder verborgene Fistel
genannt. Den 3. Grad bildete die wirkliche Fistel als echte und einfache, und den 4.
Grad (nach Einigen) die mit Caries verbundene, als complicirte Fistel. — Diese allge-
meine Benennung scheint sich theils wegen mangelhafter Kenntniss der Anatomie — ob-
wohl schon Vesale und Fallopius den Thränenschlauch genau kennen gelernt hatten —
theils aber und vorzüglich desshalb so lange erhalten zu haben, weil man das aus den
Thvänenpunkten oder der Fistel entleerte Secret für das Product eines im Thränensacke
sitzenden Geschwüres hielt. Erst die Arbeiten von Ad. Schmidt und J. G. Beer zu An-
fang des jetzigen Jahrhundertes brachten mehr Einsicht in die Nosologie des Thränen-
schlauches, obgleich auch sie noch manches zu wünschen übrig Hessen.
Bücksichtlich der Therapie sah man, wie Himly bemerkt, diese Krankheiten nament-
lich im vorigen Jahrhunderte noch zu viel von einem mechanischen Gesichtspunkte an,
indem man nur Eröffnung oder Erweiterung des Thränennasencanales durch mechanische
Mittel zu erreichen suchte ; in späterer Zeit verfielen Manche in den entgegengesetzten
Fehler, sahen bloss auf kranke Erregung, gar nicht auf mechanische Verengerung; in
der neuesten Zeit ist man wieder zur bloss mechanischen Auffassung einseitig zurück-
gekehrt. „Die allgemeine Behandlung der Grundkrankheiten ist sehr häufig die Haupt-
sache ; doch können wir durch örtliche Mittel allerdings bedeutend mitwirken, und in
manchen Fällen durch sie allein helfen." *)
Das älteste Verfahren , das man der Thränensackfistel (den Thränenschlauchleiden
überhaupt) entgegensetzte, ist die von Celsus beschriebene Ausrottung oder Verödung
des Tlll'äliensackes mit dem Messer oder dem Glüheisen.
Sodann (zur Zeit des Archigenes, Paul von Aegina, Rhazes) verfiel man auf den
Versuch, mittelst Durchbohrung des Thrälienbeiues einen neuen Weg für die Thrä-
nen zu gewinnen. Doch unterschied Rhazes bereits zwischen verschiedenen Zuständen,
und empfahl nebst der Cauterisation und der Thränenbeindurcbbohrung für besondere
Fälle die Compression des ausgedehnten Thränensackes , für andere dagegen Injectionen
in denselben. — Neben diesem Verfahren, welches bis zu Anfang des vorigen Jahrhunder-
tes am meisten geübt wurde , wandte man bei Ausdehnung des Thränensackes continuir-
liche Compression an (Verduc 1665), wozu von Stahl, Sharp, Hennemann u. A. eigene
Instrumente erfunden wurden.
*) Himly, die Krankheiten und Missbildungen des menschlichen Auges, Opus posthumum, Berlin, 1843.
T. I. S. 323.
Geschichtliche Bemerkungen über Thränensackkrankheiten. 417
Die 3. Hauptmethode hat die Wiederherstellung der Durchgängigkcit des
Tliräiiensclllailflies zum Ziele; wir finden sie bereits in Avicenna's Verfahren, Einziehen
eines Fadens in den Canal, vertreten, doch erst seit Aneli 1712) weiter ausgebildet. Durch
beinahe anderthalb Jahrhunderte ging das Streben der tüchtigsten Chirurgen dahin, zu
diesem Zwecke geeignete Mittel und Methoden aufzufinden. — Allel führte täglich eine
silberne oder goldene Sonde durch das obere Thränenröhrclien bis in die Nase hinab, und
machte durch das untere Einspritzungen mit der nach ihm benannten Spritze. Mejcail
führte auf demselben Wege mittelst einer geöhrten Sonde, die er mit einer Sondenplatte
in der Nase auffing und hervorzog, einen Faden durch den ganzen Canal, mittelst des-
sen er eine Charpiemesche in den Thränennasengang hinauficitete, die er dann mittelst
eines zweiten, an dieselbe angeknüpften Fadens wieder herausbeförderte, um sie täglich
durch eiue neue, allmälig dickere zu ersetzen. Cabailis benutzte einen auf gleiche
"Weise eingeführten Faden zur Einziehung einer biegsamen Röhre in die Nasenmündung,
xim durch diese die Einspritzungen zu machen. — Me'jeans Verfahren führte zur Erfin-
dung der sogenannten Sondenfänger, um die Sonde aus der Nase hervorzuziehen, und
•wurde mit wenig Abänderungen, wovon die wesentlichste die, dass man statt des Thrä-
nenpuuktes die künstliche Öffnung an der vordem Wand des Thränensackes benützte,
bis in die neuere Zeit geübt. Cabanis Vorgang wurde bald dm-ch die folgende (La Fo-
rest'sehe) Methode überflüssig. — Diese Methoden trifft mindestens der Vorwurf, dass
sie die Thränenröhrclien mehr als zulässig aasdehnen und leicht zerreissen.
La Forest (1739) und fast 100 Jahre später Dubois und Gensoul schoben eine
eigenthümlich gekrümmte Sonde durch die Nase bis in den Thränensack hinauf, um den
Nasengang zu erweitern: zu Injectionen bedienten sie sich ähnlich geformter Röhrchen.
Gensoul gab der Sonde die doppelte Krümmung, welche die jetzt üblichen Instrumente
besitzen und verband sie auch, wenn bedeutende Verengerungen gehoben werden soll-
ten, mit einem Ätzmittelträger. Über den diagnostischen und therapeutischen Werth die-
ser Methode haben wir uns oben ausgesprochen.
J. Louis Petit (1734) brachte die von Stahl (1702) vorgeschlagene Eröffnung des
Thränensackes unter dem Augenlidbande in Aufnahme. Er drang mit einem einerseits
gefurchten Bistouri unterhalb des Augenlidbandes in den Thränensack, stiess an der
Furche eine Hohlsonde nach, und 6chob nach Entfernung des Messers in der Souden-
rinne eine Bougie in den Nasengang hinab. Die Modifikationen dieses Verfahrens bezie-
hen sich hauptsächlich auf die sogenannten Dilatationsmittel und auf die Art ihrer Ein-
führung. Sein Schüler Desault (1770) leitete über einer in den Canal eingeführten Sonde
ein silbernes Röhrchen in denselben , in welchem er dann mit der Sonde einen Faden
hinabschob, den der Kranke hervorschneuzen musste; diesen Faden benützte er so wie
Mejean zur Einführung allmälig verstärkter Meschen. Giraud bediente sich zur Einfüh-
rung des Fadens durch jenes Röhrchen einer dünnen, unten mit einem Knöpfchen, oben
mit einem Öhre versehenen Stahlfeder (Bellocq' sehe Röhre). Dieses Verfahren fand trotz
seiner Schmerzhaft igkeit viel Aufnahme, wurde namentlich auch von Walther und Chelius
zu dem Zwecke adoptirt, um mittelst des Fadens nach und nach stärkere Fadenbüschel
von der Nase aus in den Nasengang hinaufzuziehen. Himly wählte zur Einführung des
leitenden Fadens eine etwa spannenlange Darmsaite, oder, wo diese nicht durchdrang,
die Jiejean'sehe Sonde, was denn auch Walther und Chelius annahmen, und J. N. Fischer
leitete eine etwas dickere , jedoch locker gedrehte Seidenschnur mittelst einer E-Darm-
saite durch den Thränenschiauch, welche (an dem täglich einzuziehenden Stücke) mit
Arlt Augenheilkunde. III. 27
418 Tliranenorgaiie.
Flüssigkeiten oder Salben imprägnirt wurde. — Diese Methoden müssen -wohl alle die
an der Nasenmündung befindliche Falte mehr -weniger verletzen.
Die Benützung von Darmsaiten zur Dilatation des Nasenganges , schon von Stahl
eingeführt, kam erst durch Richter (1770), noch mehr aber durGh Beer (1790) in Ge-
brauch. Ihre Anwendungsweise haben wir bereits oben angegeben. Man verband,
damit Einspritzungen oder bestrich die Saite mit Salben. Beer bediente sich bloss langer
Saiten; Andere Hessen nachträglich noch durch längere Zeit Bleinägel tragen. — Das
täglich nothwendige Zurückziehen und Einlegen frischer Saitenstücke ist unbequem und
leicht verletzend ; zum Tragen langer Saiten, welche über die Stirn herablaufen müssen,,
wie die Fische/sehe Seidenschnur, entschliessen sich die wenigsten Kranken.
Die schon seit früheren Zeiten üblichen Blei drahte versah Scarpa (1801) oben mit
einer Platte, welche nicht nur das Hinabsinken des Stiftes bis auf den Nasenboden ver-
hindern, sondern auch aaf den ausgedehnten Thränensack comprimirend wirken soll.
Der ziemlich schwere und bloss durch die Platte gestützte Stift macht durch anhalten-
den Druck die Muskelfasern allmälig atrophisch , und bewirk t leicht die Bildung einer
trichterförmigen Grube.
Endlich wurden silberne, goldene oder bleierne Röhrchen, wie solche schon in frü-
hern Zeiten, namentlich von Plattner (1724) nach Durchbohrung des Thränenbeins ein-
geheilt worden waren, später von Faubert (1750), Wallher, Ware, besonders aber von.
Dupuytren (1812) in den Thränennasencanal eingelegt (allenfalls auch mit Gewalt ein-
getrieben) und eingeheilt.
Wie früher das eben beschriebene, der Kunst und Wissenschaft wahrlich nicht zur
Ehre gereichende Verfahren schien in neuester Zeit die Verödung des Thränensackes zur
allgemeinen Methode erhoben werden zu wollen , nachdem P. Biagini den noch weiter
durch Beobachtungen zu bestätigenden Satz aufgestellt hat, dass nach Verödung des Thrä-
nensackes sich auch die Absonderung der ThränenflUssigkeit vermindere, und die Thrä-
nendrüse atrophisch werde. Biagini fand bei einem von Camici durch Verödung des
Thränensackes von einer Thränensackfistel geheilteu Individuum bei der Section den
Saccus und Ductus laeryni. obliterirt, in zellig fibröses Gewebe verwandelt, und die
Thränendrüse an dieser Seite viel kleiner, atrophisch. Zur Untersuchung der Thränen-
drüse hatte ihn der Umstand bewogen, dass der von der Thränensackfistel Geheilte nur
höchstens an einem geringen und nicht lästigen Thränenfiusse gelitten hatte.
XII. Buch.
Die Augenhöhle, 0 r b i t a.
A. A?iatomisch-physiologische Bemerkungen.
Das Knochengerüst der Augenhöhle kann als eine Pyramide be-
trachtet werden, deren Basis von oben nach unten circa 15//;, von innen
nach aussen circa 18'" misst, und deren Spitze ohngefähr 21;" hinter
der Basis liegt. Im Kindesalter ist die Achse der Orbita relativ zu den
Durchmessern der Basis unverhältnissmässig kurz. Die Basis bildet der
Orbitalrand, welcher an der Schläfenseite weiter hinten liegt, als an
der Nasenseite. Die obere Wand wird vom horizontalen Theile des
Stirnbeines, nächst der Spitze jedoch vom kleinen Flügel des Keilbeines
gebildet,- sie ist stark ausgehöhlt, besonders gegen die Schläfenseite
hin, wo sie die Thränendrüsengrube bildet, und trennt die Augenhöhle
von der vordem Schädelgrube. Der Stirnbeinknochen ist hier meistens
sehr dünn, häutig stark durchscheinend, bisweilen selbst durchlöchert.
Die Anheftungsstelle der Trochlea am Übergange der oberen in
die innere Orbitalwand bezeichnet ohngefähr die Mitte der Stirn-
höhle, welche sich von da aus-, ab-, rück- und vorwärts erstreckt.
Die äussere ziemlich senkrecht stehende Wandung wird grösstenteils
durch den grossen Flügel des Keilbeines, vorn jedoch vom Jochfort-
satze des Stirnbeines (oben; und vom Jochbeine funten) gebildet. Der
grosse Flügel des Keilbeines trennt die Augenhöhle durch eine meist
bis zum Durchscheinen dünne Platte von der mittleren Schädelgrube,
vorn aber gemeinschaftlich mit dem Joch- und Stirnbeine von der
Schläfengrube. Die innere Wand, grösstentheils von der Papierplatte des
Siebbeines gebildet, vorn aber vom Augengrubentheile des Thränenbeins,
hinten vom kleinen Flügel des Keilbeines (bisweilen auch von einem
Theile des Gaumenbeines) ergänzt, dacht sich vom Stirnbeine ange-
27*
420 Augenhöhle.
fangen, allmälig nach aussen ab, so dass sie ohne Bildung eines beson-
dern Winkels in die untere Wand übergebt. Sie trennt die Augen- von
der Nasenhöhle und ist unter allen die dünnste. Die untere, von vorn
nach hinten allmälig aufsteigende Wand wird grösstentheils vom Ober-
kieferknochen gebildet, hinten von einem kleinen Theile des Gaumen-
beines, vorn und aussen vom Jochbeine ergänzt, und trennt die Augen-
von der Highmorshöhle. An ihr verläuft der Canal, der den Nervus
und die Arteria infraorbitalis von der untern Augenhöhlenspalte zur
Antlitzfläche leitet, und in seinem hintern Theile bisweilen nicht gedeckt,
sondern als Furche erscheint.
An der Spitze der Orbita, und zwar in dem Winkel, wo die obere
und innere Wand zusammenstossen, tritt das Sehnervenloch durch den
kleinen Flügel des Keilbeines zur Orbita herab. Auswärts davon, wo
die obere und äussere Wandung an einander stossen sollten, befindet
sich zwischen den Keilbeinflügeln die gegen z\i" lange und 1—2"' breite
obere Augenhöhlenspalte, durch welche die bereits früher erwähnten Ner-
ven aus der mittleren Schädelgrube in die Orbita treten, die Vena oph-
thalmica dagegen zurück läuft. 'Die äussere und untere Wand sind
in ihren hinteren zwei Dritteln durch die zwischen dem grossen Flügel
des Keilbeines und dein Oberkieferknochen verlaufende untere Augen-
höhlenspalte von einander geschieden. Die Orbita communicirt durch diese
Spalte mit der Flügelgaumengrube, und erhält durch sie von dem aus
dem Foramen rotundum der mittleren Schädelgrube austretenden 2. Aste
des Trigeminus den Hautwangen- und den Unteraugenhöhlen -Nerven,
so wie von der Carotis externa (mittelst der inneren Kieferarterie) die
Art. infraorbitalis, an welcher die gleichnamige Vene zurückläuft. Sie
ist länger und breiter als die obere.
An der Bildung des Augenhöhlenrandes betheiligen sich drei Kno-
chen. Der dem Stirnbein angehörende Theil beginnt nahe über der
Kuppel des Thränensackes ziemlich abgerundet, bietet dann eine mehr
weniger tiefe Einkerbung dar, welche die Austrittsstelle des Nervus und
der Art. supraorbitalis bezeichnet, wird von da auswärts immer schärfer,
und ragt vor der Thränendrüsengrube am weitesten herab. Der Joch-
beintheil beginnt ohngefähr t[z" oberhalb der äusseren Commissur, geht
erst ziemlich flach' (ohne einen Vorsprung zu bilden) in die äussere
Orbitalwand über, springt dann, an den unteren Umfang der Orbita ge-
langt, stark vor, so dass hinter ihm eine seichte Grube entsteht, und
endet ohngefähr in der Mitte des unteren Augenhöhlenumfanges oder
noch etwas weiter nach innen. Der Orbitalrand des Oberkieferknochens
ist nur im Bereiche des unteren Orbitalmnfanires und vor der unteren
Anatomie — Physiologie. 421
Hälfte der Thränensackrinue einigefinassen scharf, au der Iuueuseite
der Orbita durch eiue bisweilen sehr stumpfe Leiste angedeutet, uud
I
verdacht sich iu die innere Wand.
Die Bemhaut der Augenhöhle (Periorbita) bildet nicht nur eiue un-
mittelbare Fortsetzung- der Beinhaut des Gesichtes, sondern erhält ge-
wissermassen noch einen verstärkenden Überzug von der harten Hirn-
haut durch das Sehnervenloch und die obere Augenhöhlenspalte. Sie
ist beträchtlich dick und fest, an der freien Fläche platt, an der an-
dern Fläche mit den Knochen, wo diese platt sind, nur locker verbun-
den; nur an den Rändern; Nähten und Spalten der Knochen, und an
den Insertionsstellen der Muskeln, der Rolle und über der Thränen-
drüse lässt sie sich nicht leicht vom Knochen abschaben. Der Thrä-
nensack ist gleichsam zwischen zwei Platten derselben eingeschoben.
In der hintern Hälfte liegen die Muskeln (der Levator palpebrae oben,
der Obl. super, und R. internus innen, u. s. w.) unmittelbar an der
Periorbita ; erst in ihrem weitern Verlaufe nach vorn ist eine mehr we-
niger mächtige Lage fettreichen Bindegewebes (Orbitalfett) dazwischen
eingeschoben.
Das Fettgewebe der Orbita, welches gleichsam zur Ausfüllung der
Zwischenräume zwischen den Wandungen und den einzelnen Gebilden
der Orbita dient, ungemein weich, in grossen Zellen eingeschlossen und
elastisch ist, kann füglich iu eiue centrale und peripherische Lage ge-
schieden werden, welche in den Zwischenräumen der R. recti mit ein-
ander zusammenhängen. Die centrale Lage wird seitlich von den go-
radeu Augenmuskeln, vorn vom Bulbus begrenzt, in der Mitte vom Seh-
nerven durchbohrt. Die peripherische Lage, vorn durch die Augen-
lidbinde und Augenlidbänder begrenzt, schiebt sich zwischen die Orbi-
talwand uud die vou dieser an den Bulbus tretenden Muskeln ein, und
hat ihre grösste Mächtigkeit unmittelbar hinter dem Orbitalrande und
hinter der Augenlidbinde, oben besonders zwischen dem Levator palp.
und dem Knochen von der Thränendrüse bis zur Trochlea, unten vom
Ursprünge des M. obliquus inf. bis zu dem zelligfibrösen Gewebe, wel-
chem hinter dem Ligam. palp. extern, zur Periorbita streicht. — Wo es
gilt, ohue Verletzung wichtiger Gebilde in das Bereich des Orbitälfettes
einzudringen, führe man oben zwischen der Thränendrüse uud Trochlea
Buten zwischen dem Ursprünge des M. obl. inf. und der äussern Com-
missur einen Schnitt nahe am Orbitalrande und längs desselben durch
die Cutis, den M. orbicularis und die Augenlidbinde. Es wird dann in
der Regel möglich sein, mittelst dünner Platten oder stumpfer Haken
oben die Thränendrüse, den Levator palp. oder die Sehne des Obl. su-
422 Augenhöhle.
perior, unten den Obl. inferior und den Bulbus zur Seite zu schieben
und vor Verletzung zu schützen. Auch dann, wenn z. B. eine Geschwulst
•zwischen R. sup. und Levator palp. zu beseitigen wäre, halte ich die-
sen Weg für besser, als-dass man nach Schlitzung der äussern Coni-
missar vom Bindehautsacke aus eindringt, es müsste denn das Augen-
lid durch die orbitale Geschwulst umgestülpt und dieser Weg gleichsam
durch die Hervortreibung der Bindehaut selbst als der leichtere ange-
deutet sein.
Diese Andeutungen dürften hinreichen zur Orientirung bei Ver-
letzungen und Krankheiten der Orbita und der Organe in den angren-
zenden Höhlen. Dem Anatomen sind auch die undurchsichtigen
Theile durchsichtig. Die Anatomie ist die Fackel der Chirurgie.
B. Krankheiten der Orbita.
Die Affectionen, welche hier zu besprechen sind, gehen aus: a) von
den knöchernen Wandungen, ihrem fibrösen Überzuge, oder den an-
grenzenden Höhlen; b) von dem Fett- und Bindegewebe, c) von den
Gefässen, welche durch diese Gebilde zum Bulbus verlaufen. Sie ge-
fährden je nach ihrer Beschaffenheit und Ausbreitung bald nur die
Lage und Function des Auges oder seiner Hilfsorgane, bald auch die
Existenz des Bulbus, ja des Individuums. Ihre Diagnosis ist, im All-
gemeinen, um so schwieriger, je tiefer die Affection sitzt, und je weni-
ger sie noch an Ausbreitung gewonnen hat. Die Erscheinungen, welche
die Aufmerksamkeit des Arztes auf eine Affection in der Tiefe der Or-
bita zu lenken vermögen, sind im Allgemeinen: Schmerzen daselbst
oder im Verlaufe von Zweigen des 1. und 2. Astes des Trigeminus,
welche die Orbita passiren oder zum Bulbus treten; Doppeltsehen mit
verminderter oder aufgehobener Action eines, mehrerer, aller Muskeln;
Verdrängung des Bulbus aus seiner Lage, nach vorn, nach der der
Affection entgegengesetzten Seite, oder beides zugleich; Zeichen von
Druck auf den Sehnerven oder die Netzhaut, durch Abnahme der Seh-
kraft oder durch Lichterscheinungen. So lange nicht einer und der
andere dieser Zufälle vorhanden ist, wird man kaum eine Ahnung von
einer tiefern Orbitalafifection haben können. Es kann aber auch jeder
derselben mit Ausnahme der wirklichen Verdrängung des Bulbus, an-
derweitig bedingt sein, und es wird bei der Diagnosis nur das Vorkan-
sein von mehreren und zugleich der Umstand entscheiden können, dass
dieselben nicht auf eine Affection des Bulbus oder der Organe in den
Nachbarhöhlen der Orbita bezogen werden können.
Krankheiten — Aneurysma — Teleangiektasie. 423
Da die Verdrängung des Bulbus ans seiner "Lage ein Symptom der meisten Orbital-
aifeetionen ist, so erscheint es schon desshalb notkwendig, zu untersuchen, ob dasselbe
oder ahnliches nicht auch anderweitig bedingt werden könne. Flachere Lage des Bul-
bus kann den minder Geübten leicht zur Annahme von Vergrüsserung desselben ver-
leiten, und umgekehrt kann Verlängerung des Bulbus in der Richtung der Sehachse für
einen leichten Grad von Exophthalmus imponiren. Flachere Lage beider Bulbi kann ohne
alle anderweitigen Abnormitäten als einfaches Glotzauge bestehen , aber auch Symptom
sein von Herabdrängung der obern Orbitalwand durch Hydrocephalus (connatus, chroni-
Düs), von Hypertrophie und Sclerosis der Orbitalknochen, oder von Hyperämie und Hy-
pertrophie des Orbitalfettgewebes bei Struma und Herzkrankheiten. In welcher Weise
die Miiskeln die Lage des Bulbus beeinflussen, haben wir bereits im 9. Buche angege-
ben. Zu erwähnen ist hier noch der sogenannte Prolapsus bulbi (Ptosis), welcher nur
auf gewaltsame "Weise zu Stande kommt. „Ein auf einem kleinen Handschlitten sitzen-
der Knabe rannte im Herabfahren über eine Anhöhe seinen aufwärts kriechenden Kame-
raden mit der Deichsel des Schlittens über den Haufen. Man trug den bewusstlosen
Knaben mit blutendem Gesichte nach Hause. Die dünne Deichsel hatte, durch das obere
Lid in die Augenhöhle gedrungen, den rechten Bulbus luxirt. Der gerufene Wundarzt
war eben im Begriffe , den auf der Wange liegenden Augapfel wegzuschneiden , als er
durch einen Laien daran gehindert wurde, welcher meinte, dazu wäre noch immer Zeit.
Das getrennte Lid wurde geheftet und der Bulbus durch eine Art Suspensorium mit
Heftpflasterstreifen gehoben. Diesen Vorgang erzählten uns mehrere verlässliche Augen-
zeugen. Nach etwa 12 Jahren sahen wir den Verletzten selbst. Ausser einer bedeu-
tenden, wagrechten Narbe am oberen Lide fanden wir am Auge nichts Abnormes; er
konnte es frei nach allen Richtungen bewegen , und las damit den kleinsten Druck."
{J. X. Fischer, Lehrbuch, 18-16, S. 35.) Mahenzie erzählt in der London med. Gaz. 183S
•einen Fall von Ophthalmoptosis bei einem Manne, welcher vor 5 Jahren entstanden war,
als derselbe eine schwere Last auf dem Rücken trug. Er wurde Gegenstand der Beob-
achtung, als er sich wegen einer katarrhalisch-rheumatischen Augenentzündung im Spi-
tale befand. Man bemerkte, dass der Augapfel auf der Wange vorgefallen war, als der
Jiranke einmal abwärts blickte, und dass derselbe wieder zurückgebracht wurde, indem
der Kranke den Kopf in die Höhe hob und das Auge rieb. Das Merkwürdigste war,
dass bei diesem Vorfalle die Retina fortwährend ihre Function erfüllte. (Chelius Hand-
buch, 1839, B. IL S. 185.) Der Wiederholung solcher Vorfälle Hesse sich wohl durch
Verengerung der Lidspalte (Tarsoraphie) vorbeugen. (Vergl. B. III. Buch 8. S. 28.) Dass
.endlich der Bulbus auch durch Ödem seiner Umgebung hervorgedrängt werden könne,
•wenn acute Ablagerung, namentlich von eitrigem Exsudate, in denselben stattfindet,
wurde bei den Krankenheiten der Chorioidea bemerkt.
I. Krankheiten der Ciefösse.
a) Aneurysma der Art. ophthalmica wurde durch Section constatirt
tou Guthrie und Carron du Villards. In Guthrie's Fall bestand das-
Übel auf beiden Seiten, hatte Vordrängung- der Bulbi, doch keine Blind-
heit bewirkt, und ein zischendes 'Geräusch (wohl auch Pulsation?)
wahrnehmen lassen. Die nussgrossen Geschwülste hatten auch den
Eückfluss des Blutes durch die Vena ophthalmica behindert. Wodurch
der Tod veranlasst wurde, und wie die übrigen Kreislauforgane beschaf-
424 Augenhöhle.
fen waren, findet sich bei Makenzie (1. c. S. 291, von wo diese Notiz
entlehnt ist) nicht angegeben. Burk (the lancet, Manch. 136) unter-
band bei einem Aneurysma, welches nach einein Schlage auf den Kopf
entstanden war, die Carotis mit glücklichem Erfolge. (Chelius 1. c^
S. 459.)
b) Von Teleangiektusia oder Aneur. per anastomosin in der Tiefe
der Orbita findet man bei Makenzie (1. c. S. 283) zwei vollständige und
genaue Beobachtungen von Truvers und Dalrymple. Die Krankheit
entwickelte sich plötzlich und ohne bekannte Veranlassung bei Frauen
von 34 und 44 Jahren, bei der einen in den ersten, bei der andern in
den letzten Monaten der (sechsten) Schwangerschaft, bei beiden auf der
linken Seite. Den Beginn der Krankheit bezeichneten plötzlicher Ein-
tritt heftiger Schmerzen im Auge und in der entsprechenden Kopfhälfte
und eine eigenthümliche Empfindung von Knallen, Krachen oder Kau-
schen in der Orbita; dazu traten bald Ödem der Lider, Hervortreibung
derselben und des Bulbus, starke Injection an letzterem, Abnahme der
Sehkraft und gehinderte Function einzelner Muskeln. Entscheidend für
die Diagnosis war das Auftreten pulsirender Geschwülste zwischen dem
vor- und seitwärts gedrängten Bulbus und dem Orbitalrande (in T. Falle
unterhalb des Bulbus und über dem innern Augenlidbande, in D. Falle
im Bereiche des untern Lides), deren Grösse und Pulsation durch jede
Aufregung gesteigert wurde. Diese Geschwülste, allmälig an Grösse
zunehmend, und von verdickter Haut überzogen, waren theils weich wie
lockere Wolle, theils derb und elastisch anzufühlen, Hessen sich durch
Kückwärtsdrücken comprimiren, und gaben dann deutlich das Gefühl
der Pulsation. Druck auf den Stamm der gemeinschaftlichen Carotis
machte die Pulsation gänzlich verschwinden; Compression der Art. tem-
poralis, angularis und maxillaris hatte keinen Einfluss auf die Ge-
schwulst. Die Venen des obern Lides und an den Seiten der Nase
waren varicös. — Da rasches Wachsen und Gefahr für das Leben zu
besorgen stand, wurde die Unterbindung der Carotis — in beiden Fäl-
len mit glücklichem Erfolge — unternommen. — Wegen einer erec-
tilen Geschwulst in der rechten Orbita eines 5 Monate alten Kindes
unternahm Walton (Med. Tim. Juli 1852) die Unterbindung der Car.
comm. d. ohne nachtheiligen Einfluss (?) auf die Gesundheit des Kindes.
Pulsation war nicht deutlich, aber mit dem Stethoskope hörte man ein
Blasen in den Arterien (?) der Augenhöhle. — Carron du Villards er-
wähnt einer vorwaltend durch Venener Weiterung bedingten, daher nicht
pulsirenden Geschwulst in der Orbita eines 8 Monate alten Kindes, die
Entzündung des Orbitalfettgewebes. 425
er durch Exstirpation und Unterbindung von 3 ziemlich grossen Arterien-
zweigen glücklich beseitigte (1. c. S. 319).
II. Krankheiten des Fettgewebes.
a) Entzündung des Fett- und Bindegewebes kommt meistens mit
Periostitis, doch auch für sich allein vor, und zwar sowohl in acuter
als in chronischer Form. So lange die Affection noch auf einen klei-
nen Herd beschränkt ist, können die Erscheinungen auch durch den
Sitz (im retrobulbären oder im peripherischen Fettgewebe) modificirt
werden. — Die selbstständige acute Form ist entweder traumatischen
Ursprunges, besonders wenn fremde Körper eingedrungen sind, oder
metastatisch, bei Pyämie nach Typhus. Das letztere Vorkommen ver-
sichert Carron iL Y. bei der österreichisch-sardinischen Armee 1818
beobachtet zu haben. Heftiger Schmerz und Gefühl von Druck in der
Tiefe der Orbita, Vordrängung des Bulbus, Abnahme und Erlöschen
des Sehvermögens unter Lichterscheinungen ödematöse Schwellung der
Conj. bulbi und der Lider, dabei heftige Fieberzufälle, wohl auch De-
lirien, entwickeln sich rasch nach einander und verkündigen den Aus-
gang in Eiterung, der vielleicht nur bei zeitig und engerisch angewand-
ter Antiphlogose verhütet werden kann. Entwickelt sich die Entzün-
dung in dem peripherischen Fettgewebe, unweit von der Lidbinde, so
tritt die Schwellung zunächst an einem Lide und viel früher auf, wird
der Bulbus mehr nach der Seite als nach vorn verdrängt, und gestal-
tet sich die Prognosis für die Erhaltung des Sehvermögens und des
Bulbus günstiger. In beiden Fällen muss man dem Eiter so bald als
möglich Abfluss zu verschaffen suchen. — In einem von Deval*) nach
Scharlach beobachteten Falle von schnell aufgetretenem Exophthalmus
scheint acutes Ödem des Orbitalfettgewebes stattgefunden zu haben. —
Bei scrofulösen Kindern bildet sich bisweilen Eiteranmmmlüng hinter*
dem Bulbus unter minder stürmischen Zufällen, namentlich ohne heftige
Schmerzen und ohne Fieber; da man, wenn der Eiter sich selbst einen
Ausweg durch die Cutis nächst dem Orbitalrande gebahnt hat, oder
wenn die Eröffnung vorgenommen wurde, in solchen Fällen fast immer
mit der Sonde auf entblössten, nekrotischen, cariösen Knochen stösst, so
bleibt es unentschieden, ob diese Affection nicht gleich vom Knochen
ausgegangen sei. Doch versichert Carron d. V., solche kalte Abscesse,
wie er sie nennt, auch ohne Knochenleiden beobachtet zu haben. Viel-
leicht, dass die Ablagerung und Schmelzung von Tuberkeln im Orbital-
fette die Ursache solcher Abscesse ist. — Je tiefer die Affection sitzt
*j Cunier, annales d'oeulist. T. 21.
426 Augenhöhle.
und je acuter sie auftritt, desto mehr droht Gefahr der Erblindung und
Zerstörung des Bulbus, der consecutiven Erkrankung des Knochens,
des Ergriffenwerdens der Hirnhäute.
Auf eine Hervordrängung des Bulbus durch chronische Entzündung
und Hypertrophirung des Fett- und Bindegewebes der Orbita hat Sichel*)
aufmerksam gemacht. Wir theilen, statt der allgemeinen Schilderung,
lieber zwei seiner Beobachtungen mit.
Ein Frauenzimmer von 22 Jahren hatte Hervortreten des linken Auges seit etwa
1 Jahre bemerkt; in den letzten 6 Wochen hatte das Übel rascher zugenommen. Das
Auge war gerade nach vorn vorgetrieben, etwa 2—3'", weniger frei, doch nach allen
Eichtungen beweglich, beim Anfühlen etwas resistenter. Die Augenhöhle Hess ihren In-
halt rings um das Auge wulstig vorragen, die Falte des obern Lides war zum Theil ver-
strichen, doch konnte man nirgends eine härtere oder erhabenere Stelle entdecken; das
Sehen war nur wenig gestört (wie ?). Die Kranke war von lymphatischer Constitu-
tion, zu Kopfcongestionen geneigt, sonst gesund. Sichel diagnosticirte Hypertrophie des
Zeil-Fettgewebes mit leichter chronischer Entzündung und seröser Infiltration. Blutegel
ans Perinäum , ein Purgans mit Scammonium , Fussbäder mit Salz und Asche, reichliche
Einreibungen von Ung. neapol. an die Stirn und Schläfe, dann Calomel bis zur Salivation.
Anfangs nahm der Exophthalmus noch beträchtlich zu, die Lider wurden roth und etwas
ödematös, ebenso die Conj. bulbi, und die Kranke hatte heftige Schmerzen in der Or-
bita. Nach einem Aderlasse und 20 Blutegeln vor dem linken Ohre beim Fortgebrauche
der Quecksilbersalbe und des Calomels nahmen alle Erscheinungen allmälig ab, und die
Kranke wurde nach längerem innerlichen und äusserlichen Gebrauche von Jodkalium
ganz gesund, und war es noch ein Jahr später. — Bei einer 38jährigen Frau ragte der
linke Augapfel bedeutend mehr hervor als der rechte, war hart anzufühlen, und schein-
bar grösser. Die starke Erweiterung der Pupille erwies sich beim Versuche mit einer
engen Kartenblattöffnung bloss als Mydriasis, indem die Kranke durch dieselbe fast ganz
deutlich sah. Man konnte keine umschriebene- Geschwulst zwischen Bulbus und Orbi-
talwand, noch in der Tiefe entdecken ; der nach keiner Bichtung hin abgelenkte Bulbus
Hess sich weniger leicht rückwärts drängen, als im normalen Zustande, doch leichter,
als in Fällen, wo umschriebene und harte Geschwülste in der Orbita sitzen. Die Falte
•des obern Lides war fast ganz verstrichen. Zugleich war Hypertrophie des Herzens zu-
gegen, die Schläge heftig, aussetzend, der Herzstoss fühl- und sichtbar. Aderlass, Ca-
lomel mit Digitalis, Mercurialeimeibungen. Mit dem Eintritte der Salivation auffallende
Besserung. Schon nach S Tagen war die Mydriasis verschwunden, der Bulbus fast in
die normale Lage zurückgekehrt. Sichel sah sie nach 5 Jahren noch vollkommen geheilt.
b) Das mehr weniger starke Hervortreten der Bulbi bei Individuen,
welche an Struma und excentrischer Hypertrophie des linken Herzven-
trikels leiden, dürfte zunächst auf Blutüberfullung und Hypertrophie
des Orbitalfettgewebes beruhen. Dafür spricht wenigstens ein Sections-
be rieht von Heussinger**), welcher die hinter den sonst normalen Bulbis
befindliche Fettmasse um mehr als das Doppelte vermehrt, compacter,
*1 Bullet, gen. de th(?r. Mai 1S46.
■**) Casper's Wochenschrift 1851, Nr. 4.
Apoplexie und Gesehwülste in der Orbita. 427
mehr dem Eindertalge ähnlich und von gesättigter gelber Farbe, dabei
die Thräuendrüsen fast um die Hälfte kleiner fand, als im Normalzu-
stande. Dr. Helffit*), der die bisher bekannten Beobachtungen zusam-
menstellte, bemerkt, dass Autiphlogosis , namentlich Blutentziehungen,
zu denen man sich durch die Gehirnerscheinungen und Athmungsbe-
schwerden eingeladen sehen könnte, durchaus verderblich wirken, da-
gegen der lange fortgesetzte Gebrauch von Eisenpräparaten (bei Men-
struationsanomalien mit Aloe und Myrrha) bei Fleischkost und Aufent-
halt im Freien entschieden nützten. Heussinger sah Heilung (?) nach
der Cur in D?>iburg, in einem andern Falle nach Ferrum carbon. sac-
charatum.
c) Bluterguss in das retrobulbäre Fettgewebe kommt meistens nur
in Folge tief eindringender Verletzungen, doch auch spontan vor. Letz-
teres ist constatirt durch eine Beobachtung von J. N. Fische?* (Lehr-
buch S. 359). Bei einer sonst ganz gesunden Frau war seit dem Auf-
hören der Menstruation allmälig Hervortreibung des linken Bulbus, ohne
Aufhebung des Sehvermögens eingetreten. Nach mehrjähriger Dauer
dieses Zustaudes bildete der des Sehvermögens allmälig beraubte Bul-
bus sammt den blaurothen Lidern hervorgetrieben, eine hühnereigrosse,
aus einzelnen Knollen zusammengesetzt erscheinende Geschwulst. Wegen
heftiger Schmerzen schritt man zur Ausleerung der Orbita. Die eine
Zeit lang für melanotisch gehaltene Geschwulst wurde später von Ro-
kitansky als aus einzelnen (zu verschiedenen Zeiten erfolgten) apoplek-
tischen Herden des Orbitalzellgewebes bestehend erklärt. — A. von
Gräfe (Archiv B. I. Abth. 1. S. 424) diagnosticirte Bluterguss in der
jS^ähe der Spitze der Orbita bei einem 19jährigen Handwerksburschen,
welcher nach anhaltender Feuerarbeit plötzlich von Doppeltsehen be-
fallen worden war (4 Tage vor der Consultation). Ein sehr genau an-
gestelltes Examen ergab: vollkommene Lähmung des M. rect. inferior,
superior und obl. superior, unvollkommene des M. rect. internus und
externus, Integrität des Obl. inferior; dabei Verminderung der Sehkraft,
und leichte Vorwärtslagerung des linken Bulbus. Gänzlicher Mangel
von Gehirnerscheinungen; Gefühl von Druck in der Tiefe der Orbita;
Schmerz nur beim Versuche, den Bulbus zurückzudrücken, wobei die
Resistenz ergab, dass die Vorlagerung nur durch Verdrängung, nicht
durch Muskellähmung bedingt sein konnte. Alle diese Umstände, zu-
sammengehalten mit einander und mit dem plötzlichen Auftreten und
dem Mangel aller entzündlichen Zufälle berechtigten zur Diagnosis auf
- Ibid. 1S49, Nr. 30.
428 Augenhöhle.
Bluterguss , welche überdiess in der raschen Rückbildung aller Zufälle
(binnen 14 Tagen) weitere Bestätigung fand. Verordnet wurden: Ruhe
des Auges und des Körpers, Blutegel, kühlende Abführmittel. — Bei
reichlichen Orbitalblutergiessungen nach dem Eindringen fremder Kör-
per in die Orbita oder nach Fissuren der Orbitalwandung in Folge
von heftigen Stössen oder Schlägen an den Kopf, empfiehlt Carron du
Villards bei Zeiten durch tiefe und gehörig breite Einstiche zwischen
Bulbus und Orbitalwand und durch Einspritzungen das Blut zu ent-
leeren, bevor es noch durch Zersetzung und Erregung von Entzündung,.
Eiterung u. s. w. schlimmere Folgen herbeiführt. Carron d. V. fand,
in einem Falle, wo er nach einer Schädelfractur Bluterguss " in die
Orbita cliagnosticirt hatte, nahe am Sehnervenloche eine Fractur und
die Art. und Vena ophth. zerrissen. — Wenn die Blutung noch fortbe-
steht, soll man sie durch Kälte und Druckverband zu beschränken suchen.
Wo starke Reaction droht oder schon da ist: rigorose Antiphlogose.
d) Balggeschwiäste , Lipome, Sarcome, verschiedene Formen von
Krebs (Gallert-, Faser- und melanotischer) und Ilydatiden (Echinococcus,
Acephalocystis) im Orbitalfette sind durch Beobachtungen constatirt.
Die Erscheinungen sind die der Verdrängung des Bulbus und der Lider,
und werden zunächst durch den Sitz (im retrobulbären oder im peri-
pherischen Fettgewebe), weiterhin durch die Grösse, die Consistenz
(Inhalt) und das mehr weniger langsame Wachsen mannigfach ifiodi-
ficirt. Eine exacte differentielle allgemeine Diagnostik ist wohl zur
Zeit noch nicht möglich. Wer das Verhalten dieser Geschwülste in
andern Körperregionen kennt, wird bei genauer Untersuchung in
einzelnen Fällen die Diagnosis mit mehr weniger Wahrscheinlichkeit,
in andern höchstens bis zur Ausschliessung einer und der andern Form
steilen können. — Von welcher Natur die Geschwulst auch sei: immer
kann nur das Messer noch Hilfe leisten. Je länger die Operation auf-
geschoben wird, desto schwieriger wird dieselbe. Auch ist zu bemer-
ken, dass durch Vergrösserung dieser Geschwülste vorzugsweise die
obere Wand der Orbita der Gefahr der Verdünnung und Durchbohrung
ausgesetzt wird. Ob der Bulbus werde erhalten werden können, lässt
sich oft erst während der Operation bestimmen, je nachdem die Ge-
schwulst in die Tiefe greift, und von welcher Beschaffenheit sie ist.
Bei Hydatiden genügt die einfache Incision und Entleerung. Nicht
immer gehen die einzelnen Cysten gleich nach der Eröffnung der ge-
meinschaftlichen Hülle ab. Bei Balggeschwülsten kann, falls sich die
Hülle nicht ganz beseitigen lässt, die Verödung durch Einlegen von
Charpie, Atzen mit Lapis u. dgl. noch erzielt werden; doch hüte man
Knochen- und BeinhautnRectioneii. 429
sicli, zu heftige Reaction herbeizuführen, nicht nur wegen des Bulbus,
sondern auch wegen Meningitis. Das durch Zerrung des Sehnerven
aufgehobene Sehvermögen kann allmälig wiederkehren; doch sind auch
Fälle bekannt, wo das noch vorhandene Sehvermögen durch die nach-
folgende Entzündung zu Grunde ging. Auch ist die Exstirpation nicht
immer ohne Gefahr für das Leben (durch Meningitis). Eine Samm-
lung instruetiver Beobachtungen findet man bei MakenzieX. c. S.260 — 283.
III. Krankheiten der Periorbita und der Knochen.
a) Die Entzündung des Knochens und der Beinhaut, sowohl die acute
als die chronische, lässt sich bei nur einigermassen tieferem Sitze bloss
nach den Erscheinungen kaum jemals von der Fettgewebsentzündung
unterscheiden. Glücklicherweise kommt sie meistens am Orbitalrande
oder doch nicht weit hinter demselben vor. Sie entsteht bald primär,
nach Verwundungen und Stössen, nach Verhüttung , bei Syphilis, bei
Scrofulosis (Tuberculosis), bald seeundär in Folge von Krankheiten der
in der Orbita liegenden Organe oder bei Krankheiten der Nachbar-
höhlen. (Einen Fall von Periostitis an der untern Wand der Orbita
in Folge von Entzündungen in der Highmorshöhle hat J. N. Fischer —
Lehrb. S. 70 — beschrieben; ich habe zwei solche Fälle beobachtet.
Fälle von Periostitis und Caries der Orbita nach Entzündung der
Schleimhaut der Stirnhöhlen sind von Richter, Beer u. A. veröffentlicht
worden.) — Die Ausgänge sind die der Knochen- und Beinhautent-
zündung überhaupt, Zertheilung, meistens Eiterung mit Blosslegung,
Caries und Xecrosis der betroffenen Partie, selten Hijperostosis oder
E.vostosis. In einem von A. v. Gräfe beobachteten Falle von Caries an
der obern Wand erfolgte Tod durch Zerstörung derselben und Vorfall
von Hirnsubstanz in die Orbita. Rücksichtlich der Prognosis und Be-
handlung können wir auch hier füglich auf die allgemeinen medicini-
schen und chirurgischen Grundsätze verweisen. Amnion 's liath, bei
Abscessen von Caries am Orbitalrande die Hautöffnung nicht gerade
über der cariösen Partie, sondern etwas entfernt vorzunehmen, hat den
Zweck, zu verhüten, dass späterhin Haut und Knochennarbe nicht auf
einander fallen, und die Haut nicht so tief in die Knochengrube hinein-
gezogen werden könne. (Gute Beobachtungen hieher gehöriger Affec-
tion findet man bei Makenzie 1. c., und zwar einen Fall von Perio-
stitis, Hyperostosis und Verlust beider Augen, beobachtet von Howship
und Ware, mehrere Fälle von Exostosis von Lukas, Anderson, Jour-
dain, Acrel u. A., von Osteosarcoma von Astley Cooper und Crampton.)
b) Verletzungen der Knochen der Orbita sind nicht selten bei un-
scheinbaren Verletzungen der Lider beobachtet worden.
430 Augenhöhle.
Contusionen, bewirkt durch einen Fall, Stoss, Schlag u. dgl. auf
den Orbitalrand, oder auch selbst auf eine andere Gegend, namentlich
auf das Hinterhaupt, können zu einer Reihe krankhafter Veränderungen
in der Orbita Veranlassung geben, welche von Verletzung des Kno-
chens direct (Quetschung, Fractur) oder indirect (Fractur durch Con-
trecoup) ausgehen. Diese Veränderungen bestehen in der Entwicklung
von Balggeschwülsten mächst der gequetschten Stelle), von Periostitis
und Ostitis mit dem Ausgange in Genesung, Hyperostosis , Exostosis,
Caries und Necrosis (letzteres besonders bei scrofulösen Kindern), Aneu-
rysma oder von Bluterguss in die Orbita (bei Fracturen). Zu bemer-
ken ist überdiess, dass nach heftigen Contusionen, nicht nur des obern,
sondern auch des untern Orbitalrandes Fracturen des Augenhöhlen-
theiles des Stirnbeines mit Bluterguss in die Schädelhöhle, die Ent-
stehung von Meningitis oder von Abscessen im Gehirne beobachtet
worden sind. Vergl. Retinalamblyopie S. 103 — 106. Das Vorliegen
solcher Thatsachen ist wohl hinreichend, den Arzt bei derlei Ver-
letzungen zur genauesten Untersuchung und zur grössten Vorsicht bei
der Prognosis, so wie zur sorgfältigsten Überwachung und Behandlung
des Verletzten aufzufordern. Da die genannten Veränderungen nicht
immer der Verletzung auf dem Fusse folgen, die Verletzten sich mit-
unter längere Zeit wohl fühlen können, kann der .Nachweis des Zu-
sammenhanges für den Gerichtsarzt grossen Schwierigkeiten unterliegen.
Rücksichtlich der Behandlung verweisen wir auf das S. 106 Gesagte
und auf die allgemeinen Regeln der Therapie.
Bei Wunden der Augenhöhlen- oder Schläfengegend (in der Rich-
tung gegen die Orbita) wird zunächst untersucht werden müssen, ob
der verletzende Körper in die Orbita oder noch tiefer eingedrungen,
und ob derselbe ganz, oder theilweise (abgebrochen) oder gar nicht
entfernt worden sei. Hiebei ist zu erinnern, dass der gespannte Bul-
bus in dem weichen Fettpolster leicht ausweichen konnte, dass mithin
Unversehrtheit desselben noch nicht zu dem Schlüsse berechtigt, der
fremde Körper könne nicht tiefer, selbst bis zur entgegengesetzten
Wand vorgedrungen sein, weil etwa nach der Richtung, den der fremde
Körper von aussen her nahm, der Bulbus hätte durchbohrt werden
müssen. Obwohl Fälle bekannt sind, wo fremde Körper (selbst spitzige)
jahrelang oder zeitlebens in verschiedenen Gebilden, selbst im Gehirne
getragen- wurden, erscheint es doch gerathen, dieselben, sobald sie. nur
zugängig sind, selbst mit Gewalt auszuziehen, nöthigenfalls mit Auf-
opferung des Augapfels, weil die Fälle der Einkapslung doch ungleich
selten sind gegenüber jenen, wo durch die nachfolgende Entzündung
Druck auf die Orbitalwandiingeii. 43 1
nicht nur das Auge zerstört, sondern auch der Tod herbeigeführt wurde.
(Gern würde ich eine Reihe von Beobachtungen, durch die man sich,
am besten instruiren kann, hier anführen, wenn mich nicht der Raum
drängte. Auch über dieses Capitel findet man bei Makenzie 1. c. S.
6 — 30 eine Sammlung lehrreicher Beispiele.
c) Formveränderungen betreffen die ganze Orbita als Verengerung-
oder Erweiterung, oder nur die eine und die andere Wand durch Ver-
drängung des Knochens von innen oder von aussen her. — Vergröße-
rung der Orbita und Zurücksinken des Bulbus, analog der Vergrösse-
rung der Schädelhöhle, kann wahrscheinlich auch durch senilen Knochen-
schwund bedingt werden; durch Druck von Seite ihres Inhaltes wird
sie herbeigeführt bei beträchtlicher Vergrösserung des Bulbus, Hyper-
trophirung des Fettgewebes, Entwicklung von Geschwülsten in der Or-
bita. "Wir haben schon früher bemerkt, dass es vorzüglich die obere
(concave) Wandung ist, welche verdrängt wird, und fügen nur noch hin-
zu, dass nicht die Usur des Knochens und der Druck auf das Gehirn
allein es ist, was Gefahr bringt, sondern dass oft schon früher Perio-
stitis, Eiterung oder Meningitis auftritt. — Verkleinerung entwickelt sich,
wenigstens bei jugendlichen Individuen, nach Verlust oder Schwund des
Bulbus, bei Hypertrophie und Sclerosis des Knochens, welche indess
wohl nur selten auf die Orbitalwandungen beschränkt auftritt, am häu-
figsten bei chronischem und angeborenem Hydrocephalus (Verkürzung
und Compression von oben nach unten). Am häufigsten erfolgt Verdrän-
gung und Usur der einen und der andern Orbitalwand (mit oder ohne
Caries) in Folge von Ausdehnung der Nachbarhöhlen , besonders aber
in Folge von Geschwülsten, die sich daselbst entwickeln. Diese sind
an der innern Wand: die Nasen- und Stirnhöhle, welche letztere sich
zugleich an der obern Wand aus- und rückwärts ausbreitet; an der
untern Wand: die Oberkiefer- und gegen die Spitze hin die Keilbeins-
höhle ; an der äussern Wand : die Schläfen-, die Flügelgaumen- und die
mittlere Schädelgrube, welche gerade hinter der Orbita liegt; an der
obern Wand die Schädelhöhle mit der vordem Grube. Die Erschei-
nungen im Bereiche der Orbita sind in der Regel die des Druckes auf
die Muskeln oder ihre Nerven (Luscitas, Ptosis), auf den Opticus, Bulbus,
die Ciliarnerven (Abnahme des Sehvermögens, Exophthalmus, Mydriasis),
auf Zweige des Trigeminus (Neuralgie, neuroparalytische Erscheinungen
an der Binde-, Hornhaut u. s. w.); es können aber auch die Zufälle
von Entzündung der Periorbita und des Orbitalfettgewebes auf- und in
den Vordergrund treten. In dem einen wie in dem andern Fall wer-
den daher die Nachbarhöhlen und Organe einer genauen Durchmuste-
432 Augenhöhle.
rung zu unterwerfen sein. (Lehrreiche Beispiele hieher gehörender Affec-
tionen findet man bei Makenzie 1. c. S. 59 — 84.)
C. Operationen in der Orbita.
Die manuellen Eingriffe bei Abscessen in der Augenhöhle, bei durch
Caries und Necrosis bedingten Fisteln, behufs der Abstemmung von Exo-
stosen, der Ausrottung von Geschwülsten u. s. w. gestalten sich nach
den individuellen Verhältnissen so verschieden, dass sich ausser den be-
reits gegebenen Andeutungen keine allgemeinen Vorschriften oder Nor-
men aufstellen lassen. Wir beschränken uns daher bloss auf die Be-
schreibung des Verfahrens bei der Ausrottung des Bulbus und bei der
Ausrottung des gesummten Inhaltes der Orbita. Beide, obwohl wesent-
lich verschieden, wurden bisher unter dem gemeinschaftlichen Namen
Exstirpatio bulbi zusammengefasst.
Die Ausrottung des Bulbus allein genügt und ist nothwendig, wenn die Ablage-
rung medullärer oder melanotiscber Krebsmasse bloss auf die Gebilde des Bulbus be-
schrankt oder nach Durchbruch der Sclera doch nicht weit rückwärts gedrungen ist.
Die Lage und Beschaffenheit des Bulbus und die Anamnesis kann hierüber wohl mei-
stens Aufschluss geben. Zeigt sich während der Operation, dass die Krebsmasse weiter
rückwärts greife , als man angenommen hatte , so lässt sich das Entartete noch iinmer
nachträglich entfernen. Die Beschränkung der Ausrottung auf den Bulbus hat aber nicht
bloss den Vortheil der leichtern Ausführbarkeit, sie bringt auch das Leben des Kranken
nicht so leicht in Gefahr, wie die Ausrottung des gesammten Orbitalinhaltes. Wo es
sich bloss um Volumensverminderung des übermässig ausgedehnten (staphylomatösen)
Bulbus handelt, wird man besser thun, bloss die Punction, oder die partielle Abtragung
(vergl. Hornhautstaphylom) oder, wie ich in neuester Zeit mit dem besten Erfolge ge-
than, die Einziehung eines Fadens und Belassung bis zu hinreichender Reaction vorzu-
nehmen (nach Flarer).
Behufs der Ausschälung des Bulbus aus der Timica vaginalis (nach
Bonnet) wird der Kranke narkotisirt und bequem gelagert. Der Ope-
rateur stellt sich an die rechte Seite des Kranken, ein Gehilfe, der das
obere und untere Lid mit hakenförmig gekrümmten, an die innere Fläche
der Lider einzusetzenden Platten (Elevateurs nach Desnuwres) auseinan-
der zu ziehen hat, zur Kopfseite, und ein zweiter Gehilfe, der das Ab-
tupfen des Blutes besorgt, zur linken Seite des Bettes. Der Operateur
fasst den Bulbus mittelst eines spitzigen (einfachen oder doppelten) Ha-
kens, so dass er nicht leicht ausreissen kann, und führt mittelst eines
bauchigen Messers einen Bogenschnitt von einem Winkel zum andern
erst am untern, dann am obern Umfange des Bulbus, um die Binde-
und Scheidenhaut in der Gegend hinter der Insertion der M. recti zu
Operationen in der Orbita. 433
trennen, ergreift sodann eine flach gebogene Scheere, durchschneidet
die Recti nahe an ihrer Insertion, löst nun mit der Scheere (geschlossen)
oder mit dem Scalpellhefte die Sclerotica ringsum von der T. vaginalis
bis zum hintern Umfange des Bulbus, wo er nun bloss die beiden M.
obliqui und den N. opticus mit der Scheere (vom äussern oder innern
Winkel aus) zu durchschneiden hat. Die Blutung ist in der Regel un-
bedeutend und wird leicht durch Einspritzen kalten Wassers gestillt.
So wie diess geschehen, wird es leicht sein, mit dem Auge oder doch
mit dem Finger zu erkennen, ob man alles krankhaft Entartete mit
weggenommen, worüber in der Regel auch die Besichtigung des Exstir-
pirten Aufschluss gibt. Sollte die Blutung stärker sein, so fülle man
die Grube mit Charpie aus, einfach oder mit einer Lösung von Hessel-
back'schem. Pulver getränkt, und führe dann eine Binde über die Lider
um den Kopf. Die Charpie wird nach 24 Stunden entfernt, und die
Wunde dann einfach gereinigt und verbunden.
Die Entfernung sämmtlicher Weichtheile aus der Orbita (mit Ein-
schluss der Thränendrüse) wird nothwendig, wenn bösartige Pseudo-
plasmen sich über den Bulbus hinaus oder bis zum Sehnervenloche
erstrecken. Vorbereitung, Gehilfen und Instrumente wie bei der Aus-
schälung. Das erste Operationsmoment besteht hier in der Spaltung
der äusseren Commissur durch einen horizontalen Schnitt bis über den
Orbitalrand hinaus. Sind die Lider dicht über den stark hervorgetriebe-
nen, von harten Geschwülsten umgebenen Bulbus gespannt, so löse man
sie von diesem Schnitte aus gegen den inneren Winkel hin los, mit
möglichster Schonung ihrer Bindehaut, oder trage am äusseren Winkel
ein Stück ab, wie bei der Tarsoraphie, um die Lider dann freier aus-
einander drängen lassen zu können. Der Bulbus muss hier meistens
mit den Fingern nach der andern Seite gedrängt werden, wenn man
mit dem Messer zwischen der harten, hühnerei- bis faustgrossen Ge-
schwulst und dem Orbitalrande in die Tiefe dringen will. Der Blutung
wegen beginne man am untern Rande. Ob man nun zum weitern Ein-
dringen das Messer oder die Scheere gebrauchen soll, wird sich im Mo-
mente des Operirens selbst ergeben; nur halte man sich die Lage und
Richtung der Orbitalwandungen gegenwärtig und verletze nicht unnö-
thiger Weise die Bindehaut. Wo und sobald es nur thunlich ist, führe
man den Finger als Leitungssonde und an diesem das schneidende In-
strument ein. Ist es möglich, das Pseudoplasma sammt seiner Umhül-
lungsmembran (von verdichtetem Bindegewebe) ohne Zerstücklung aus-
zuschälen, oder unmittelbar längs der glatten Beinhaut vorzudringen, so
erleichtert man sich das Beseitigen des gleichsam den Stiel des Pseu-
Arlt Augenheilkunde, in. 28
434 Augenhöhle.
doplasma bildenden tiefsten Theiies, welcher oft mürb und brüchig ist,
und sich nicht gut mit Pincetten fassen lässt. Für den Fall, dass die
Entartung irgendwo fest am Knochen sässe, soll man Meissel und Schab-
eisen in Bereitschaft haben. Ganz in der Tiefe kann man wohl nur
mit der Scheere an dem als Leitungssonde eingeführten Finger operiren.
Man erinnere sich der Entfernung des Sehnervenloches von der Orbi-
talöffnung und der Lage der obern Augenhöhlenspalte. — Die Blutung
sucht man zunächst durch Einspritzen von Eiswasser zu stillen; sollte
die Art. ophth. (die weit hinten noch an der Schläfeseite des Opticus
liegt) stark spritzen, so würde man sie torquiren müssen, was indess
wohl nicht leicht vorkommen wird. Die Blutung ist meistens venös, oft
sehr reichlich. Ich bin ihrer immer, wenn nicht einfach durch Eiswasser
und Tamponade, so mit Hesselbach'schem Pulver Herr geworden. Sollte
das Glüheisen nothwendig werden, so sei es von kleinem Umfange und
werde weder der obern Wand noch der obern Augenhöhlenspalte nahe
gebracht, weil sonst leicht Meningitis entstehen kann. — Die Thränen-
drüse zurückzulassen ist nur dann zulässig, wenn man nicht wegen
Krebs exstirpirt. — Schliesslich wird die Wunde am äussern Winkel
durch die Naht vereinigt und die Orbita schichtenweise mit kleinen
Charpieballen ausgefüllt. Wegen der Gefahr nachträglicher Blutung
muss der Kranke durch 24 — 48 Stunden unter steter Obsorge bleiben.
Systematische Übersicht
Band. Seite
I. Bindehaut.
I. Anatomie und Physiologie I. 1
Entzündung: Catarrhus (Ophthalmia catarrhalis) .... — 8
(ophth. cat. pustularis) — 9
(ophth. erysipelatosa) — 10
(ophth. senilis) — 11
Blennorrhoea (acuta, ophthalmoblennorrhoea) — 18
(chron., blepharoblennorrhoea) . — 23
(gonorrhoica) ■ — 43
(neonatorum) — 51
(sporadica) — 46
(atmosphaerica) — 47
(militaris, aegyptiaca, contag.) — 63
Conjunctivitis membranacea — 85
Conjunctivitis scrofulosa — 88
Trachoma (Conjunctivitis trachomatosa) . . — 106
Symblepharon posterius .... — 125
Xerophthalmus — 126
(87)
Distichiasis 1 — 128
Trichiasis j (143)
Entropium — 128
(143)
Blepharophimosis — 129
(143)
Pannus — 130
(33, 89)
Keratektasia (hydrops camerae,
staphyloma pelluc. spbaer.) . — 130
Conjunct. bei Exanthemen, Blattern, Masern,
Scharlach, chronisch. Hautaus-
schlägen — 148
28*
436 Systematische Übersicht.
_-. . . . Band. Seite
Bindehaut.
fremde Körper, ( .
m Laesiones traumatieae I. 151
Trennung, <
,T — cheinicae — 155
Verwachsung : [
Symblepharon anterius — 156
Anchyloblepharon — 157
Pterygium — 158
Erguss: von Blut, ecehymoma conj — 168
Luft, emphysenia conj — 168
Serum, oedema conj — 168
Eiter, abscessus conj — 169
Pseudoplasmen : Partielle Wucherung — 166
Cysten und Entozoen — 169
Warzen, (Verrucae conj.) — 170
Krebs, (Carcinoma conj.) — 167
Thrünenkarunkel , Krankheiten derselben — 172
II. Hornhaut.
Anatomie und Physiologie — 174
Entzündung: Keratitis scrofulosa — 183
K. rheumatica — 192
K. traumatica — 203
,r , ( mechanische Verletzungen — 203
VerletZUDg' Fremde Körper - 203
fremde Körper, I , _ ,
[ chemische Verletzungen — 207
Erweichung: Malada corneae — 211
(Neuroparalyt. Affectionen) ... — 180
Geschwüre: Ulcera corneae — 213
(Regeneration der Hornhaut) . . — 215
(Narbenbildung) — 221
Unguis (onyx) — 222
Hypopyum (Vergl. Iritis) ... — 222
Keratokele — 224
Perforatio corneae — 225
Fistula corneae — 227
Prolapsus iridis (clavus) .... — 229
Synechia anterior (atresia pup.) — 230
Catar. caps. centr. anterior . . — 232
Staphyloma corneae (opacum.) — 236
Phthisis et applanatio corneae — 244
Phthisis bulbi — 245
(Sectionsbefund) — 245
(II. 171)
Trübungen: Defectus pelluciditatis congen — 252
Arcus senilis (Gerontoxon) — 253
Entzüudlingsresiduen an der Wasserhaut ... — 254
am Epithelium — 255
in der Hornhautsubstanz .... — 256
Systematische Übersicht. 437
Hornhaut. Band' Seite
Formfehler: Abnorme Wölbung; (Staphyloma pellucidum).
Keratoconus I. 278
Keratoectasia ex panno .... — 130
Keratoectasia ex ulcere corneae — 224
Abnorme Grösse — 284
III. Leder- und Scheidehaut. (Sclera et Tunica vaginalis bulbi.)
Anatomie und Physiologie IL l
Entzündung: Scleritis simplex et substant — 4
complic. et consecut — 11
Verletzung: Vulnera — 15
Rupturae — 16
Ausdehnung: Staphyloma sei. posticum — 19
(III. 213 u. 235)
anticum — 20
(II. 46, 75)
laterale — 21
(II. 160, 175)
Pseudoplasmen : Krebs (sarcom. medull. et melan.) . . (II. 237)
IV. Regenbogenhaut.
Anatomie und Physiologie — 22
Entzündung: Iritis im Allgemeinen — 35
(Synechia posterior) — 41
(Atresia pupillae) ! — 42
(Catar. aecreta) — 43
(Hypopyum) — 43
(209, 229)
(Hydromeningitis) — 45
I. traumatica — 55
I. rheumatica — 62
I. syphilitica — 66
I. scrofulosa — 71
I. innominata (chronica) .... — 79
Lagen- und Farben Veränderung (Schlottern, Vorfall etc.) . — 104
(I. 229)
Atrophie: Atrophia iridis (atroph, bulbi) — 105
(47)
Pseudoplasmen: Krebs sarcoma medull. et melan. ... — 106
Cysticercus (iridis, camerae ant.) — 108
(110)
Motilitätsstörung: Mydriasis (paralytica et spastica) — 112
Myosis (paralytica et spastica) — 118
Mangel, Spalte: Irideremia (congenita, acquisita) — 120
Coloboma (congenitum, acquisitum) ... — 122
Pupillenbildung — 131
V. Aderhaut (Ciliarkörper).
Anatomie und Physiologie — 1^7
438
Systematische Übersicht.
_ , . , Band. Seit©
Aderhaat.
Entzündung: Chorioiditis im Allgemeinen II. 158
(Sectionsergebnisse) — 159
Ch. simplex (ex congest.) ... — 184
Ch. arthritica, Glaucoma .... — 190
Ch. pyaemica (metast.) — 209
Ch. syphilitica — 219
Ch. scrofulosa (tubercul.) ... — 212
Ch. rheumatica — 218
"Verletzung: Ch. traumatica — 224
(panophthalmitis) — 228»
Bluterguss: Apoplexia externa et interna — 231
(III. 10}
Serumerguss: Hydrops inter scler. et chor — 234
Pseudoplasmen: Cysticercus echinococcus (?) — 235
Krebs sarc. medull. et melan — 236
Spaltung: Coloboma (siehe Col. iridis) — 238
(122)
Pigmentmangel: Leucosis congenita — 238
acquisita (atrophia chorioideae) (III. 238}
Tl. Krystallkorper.
Anatomie und Physiologie II. 239
Entzündung der Linsenkapsel (?) — 26$
Trübung: Cataracta lenticularis . . . .' — 250
capsularis — 260
spuria (Auflagerung) — 264
Schrumpfung: Catar. vieta membranacea (secundaria) ... — 267
arida siliquata — 269
cystica (tremula, natatilis) ... — 270
Dislocirung: Prolapsus lentis per scleram — 271
in cameram — 271
Luxatio caps. et lentis. (Senkung der Linse) . — 27&
(HI. 5}
Verletzung: Verwundung der Kapsel, Erschütterung (s. cat. vieta) . — 245
(267)
Staaroperationen : Extractio (totalis, partial.) — 298
Dislocatio (reclinatio, depressio) — 327
Discissio (Keratonyxis, Scleronyxis) ... — 336
(Anzeigen, Folgen) — 339
VII. Glaskörper.
Anatomie, Physiologie III. 1
Entzündung (?) Exsudate im Glaskörper — 19
Bluterguss — 10
Verflüssigung — 14
Cysticercus — 22
Systematisehe Übersicht. 439
VIII. Netzhaut und Sehnerv. Band' Seite
Anatomie III. 24
Physiologie (Theorie des Sehens) — 31
(Entoptische Erscheinungen) . . — 56
(Augenspiegel) — 62
Amblyopie und Amaurosis im Allgemeinen . — 89
Retinalleiden angeborne Schwäche — 98-
mangelhafter Farbensinn .... — 100
angeborner Nachtnebel — 101
Mangel an Übung — 10 t
(320)
Erschütterung — 103
Blendung — 106
Hemeralopie — 109
Nyktalopie — 112
Entzündung der Netzhaut ... — 116
(Ablösung der Netzhaut) .... — 119
Bluterguss — 133
Verkältung (Serumerguss) ... — 135
Cystenbildung — 136
Markschwamm — 137
Orbitalamaurose im Allgemeinen — 142
(Krankheiten der Orbita) .... — 422
Cerebralamaurose im Allgemeinen — 144
Verletzungen am Kopfe .... — 148
Circulationsstörungen — 151
Syphilis — 155
Unterdrückte Ausscheidungen . — 157
Geschwülste in der Schädel-
höhle — 16 t
Spinalamaurose — 166
Sympathische Amaurose im Allgemeinen ... — 167
vom Trigeminus — 168
von Unterleibsleiden ...... — 170
von Uterusleiden — 171
in Folge von Giften — 172
von Erschöpfung — 173
IX. Augenmuskeln (Acconimodation).
Anatomie — 175
Physiologie — 183
(Accommodationstheorie) — 194
Accommoda- Kurzsichtigkeit (Myopia) — 230
tionsfehler: Weitsichtigkeit (Presbyopia) — 251
Übersichtigkeit (Hyperpresbyopia) — 257
Augenmattigkeit (Kopiopia, Asthenopia) — 261
Brillen, concave — 243
— convexe — 258
440 Systematische Übersicht.
Augenmuskeln. Band Seite
Motilitätsstörung: Paralysis Lähmung der Augenmuskeln . III. 267
(Doppeltsehen, binoculäres ... — 269
— monoculäres) . . — 270
Lähmung des musc. r. externus — 278
Oculomotoriuslähmung — 282
Trochlearislähmung — 288
Strabismus Schielen (Operation) — 293
Nystagmus Augenzittern — 333
X. Augenlider.
Anatomie, Physiologie — 336
Entzündung : Hautentzündung Phlegmone — 344
Erysipel — 344
Chron. Ödem — 345
Furunkel — 345
Zellgewebsentzündung, Abscess , . . — 345
Drüsenentzündung Hordeolum — 345
Chalazion — 346
Blepharitis marginalis — 351
(Phthiriasis) — 355
Pseudoplasmen : Milium . . 1
Hydatis I — 356
Atheroma J
Warzen ( Verruca) — 356
Teleangiektasia : — 357
Krebs (epithelioma) — 357
Motilitätsstör. : Lähmung Zittern der Lider — 360
Insuffizienz des Schliessmuskels — 361
Lähmung des Schliessmuskels . — 361
Krampf blepharoptosis paralyt 1
mechan. (ptosis) /
Spastische Contraction — 363
(blepharospasmus) (I. 94)
Fehlern. Lage : Entropium von Bindehautschrumpfung ... — ' 365
(I. 118, 143)
von Blepharospasmus — 366
senile — 366
Ectropium sarcomatosum — 368
senile et paralyticum — 370
von Hautverlust — 370
(Blepharoplastik) — (373)
Verwachsung: Symblepharon posterius — 375
(1. 125)
anterius — 375
(I. 155)
Anchyloblepharon — 375
(1. 157)
Systematische Übersicht.
441
.. .. , Band. Seite
Augenlider.
Spaltung: Coloboma congenitum III. 375
Mangel: DefeetliS et destructio palp — 375
(Epicanthus) — 376
Hl. Tkränenorgane.
Anatomie : der Thränendrüse — 377
des Tlnünenschlauches — 378
der Thränem ührchen — 382
Physiologie (Theor. d. Fortleitung d.Thränen) — 383
Krankheiten: der Thranendriise — 389
der Thränenröhrcheii — 391
des Thränenschlauches — 394
Blennorrhoea sacci lacrym. ... — 394
(Atonia sacci 1.) )
* ' l 397
(Hydrops sacci 1.) {
Dacryocystitis — 400
(Anchylops) — 402
Fistula sacci lacrym — 403
(Geschichtliche Notizen) .... — 416
XII. Orbita.
Anatomie, Physiologie — 419
Krankheiten der Orhita im Allgemeinen — 422
(Exophthalmus) — 423
(Prolapsus s. ptosis bulbi) ... — 423
der Gefässe aneurysma arter. ophth — 423
teleangiektasia orb — 424
des Fettgewebes Entzündung — 425
(acutes Ödem)
(Eiteransammlung)
(Tuberkelablagerung)
(Hypertrophie) — 426
Hyperämie
Apoplexie — 427
Geschwülste — 428
der Knochen und Beinhaut — 429
Entzündung — 429
(Caries, Necrosis)
(Hyperostosis, Exostosis)
(Osteosarcoma)
Verletzungen — 429
Formveränderung (Usur) .... — r 431
Operation in der Orbita (exstirpatio bulbi) — 432
Druck von J. B. Hirschfeld in Leipzig.
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