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Full text of "Die Kunst, ihr Wesen und ihre Gesetze"

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3 tlDs'oeS 718 ^«7 

ARNO HOLZ 



DIE KUNST 

IHR WESEN UND IHRE GESETZE 

■*- 
NEUE FOLGE 




DIE KUNST 



II. 



ARNO HOLZ 



DIE KUNST 



IHR WESEN UND IHRE GESETZE 



^ 



NEUE FOLGE 



Kirnst ist in dem Buche gar 
nicht enthalten, Wesen wird viel 
gemacht, und Gesetze, welche 
die YerOffentlichnng derartiger 
Bttcher yerbieten, konnten wir 
gebrauchen. 

„DEUTSCHE PRESSE" 
Organ 
des deutschen Schriftsteller- 
Verbandes. 






BERLIN 

Wilhelm Issleib (Gustav Schuhr) 

1892. 



Holzfreies Papier. 



19468 1 



• • 



• • • 









• • 






• •• 









• • • 



• •• 



• « 



Hjoeben ist ein Buch erschienen, wel- 
ches sehr erfreulich dazu geeignet 
, aus dem Weichselzopf deutscher 
Pedantenschädel muffigen Staub herauszu- 
schütteln. 

Mit diesen Worten setzte die erste Kritik 
ein, die mir seiner Zeit über den ersten Theil 
dieser Schritt zuging. Sie war gezeichnet 
Otto Julius Bierbaum und tn^ unter ihrem 
Text in den bekannten, prächtigen Krähen- 
zi^en von der Hand ihres liebenswürdigen 
Absenders die Aufschrift: 

München, 30. 11. 90. 
Eben find ich's! Bravo, Bravo! Hurrah 
von hier bis nach Berlin. 

Ihr Liliencron. 



'•• • 



'•• • 



•••. 



—\- -2. — 

Das wunderfianö Motto, das ich mir er- 
laubt habe, % cßesem zweiten Theile meines 
BüchIein«r.^äVfs Titelblatt zu setzen, mag zur 
Genüge 'darthun, wie muffig jener herausge- 
schüttelte Staub in der That gewesen ist. 
.•."V^öttere Citate erlässt man mir wohl? Sie 
litiinden sonst zu Gebote. Eis war, mit einem 
Wort, als ob man sich zusammengethan hätte, 
die ganze Mittelmässigkeit, Ein Mann, enthu- 
siastisch verbrüdert, um mir eine Katzenmusik 
zu bringen. Ich hörte sie mir an, aus dem 
Fenster gelehnt und die Cigarre nicht aus den 
Zähnen, und amüsirte mich. Denn so fin-de- 
sidclehaft das freiUch auch sein mag: aber 
ich bin nicht naiv genug, um nicht zu wissen, 
zu welch spätem Aequivalenten dergleichen 
Ovationen in dieser schlecht gezimmerten 
Welt nun einmal die ersten, unvermeidlichen 
Etappen zu sein pflegen. . . . 

Nur Eins hätte mich, offen gestanden, ab 
und zu beinahe shockirt. Nämlich, dass die 
meisten dieser musikalischen Herren es in 
ihrem Geschmack gefunden hatten, anonym 
auf ihren Instrumenten zu spielen. Ich fand 
das, brüsk herausgesagt, etwas plebejisch. 



— 3 — 

Aber schliesslich, nach längerem Nachdenken, 
allmählig, kam ich doch dahinter. Und ich 
sehe mich nim genöthigt, die Betreffenden 
um Verzeihung zu bitten. Es ist in der That 
entschieden ein Vorurtheil, unter die Gottes- 
gaben, die man ehren muss, nur die Dumm- 
heit allein zu zählen. Auch die Feigheit und 
die Perfidie existiren. 

»,Nach diesem ahnungsvollen Vermerke, 
Fahren wir fort im löblichen Werke/' 

Nämlich, ich gebe mich der angenehmen 
Hoffnung hin, dass man mir in Anbetracht 
des ledernen Themas, das ich tractire, ein 
gewisses, kleines Lächeln hie und da nicht 
allzusehr verübeln wird. 

Der Zweck dieses zweiten Theils ist fol- 
gender: 

Den zwei oder drei Lesern des ersten und 
zwar, wie ich hier gleich ausdrücklich be- 
merken möchte, von diesen wieder nur den- 
jenigen, die nachsichtig genug waren, seine 
traurigen Verirrungen nicht gleich und ganz 
ad acta zu legen, die betrübende Mittheilung 
zu machen, dass ich nicht allein lächerlich 
hartnäckig genug bin, auf meiner bedauer- 

1* 



— 4 — 

liehen Ueberzeugungzu verharren, sondern oben- 
drein auch noch den Glauben hege, dass alle Be- 
mühungen, diese Ueberzeugung als aus einer 
nichtigen Einbildung resultirend hinzustellen, un- 
gefähr von demselben Erfolge begleitet gewesen 
sind, wie die bekannten Versuche im Märchen, 
mit gläsernen Aexten Granitblöcke zu zer- 
trümmern. 

Indessen begreife ich vollkommen, dass 
diese Versicherung allein noch nicht genügt. 
Dass man vielmehr das Ansinnen an mich 
stellen darf, auch die Fundamente dieses 
Glaubens bioszulegen. Und in der That ist 
dieses im Folgenden meine Absicht. 



„Die Ochsen zittern schon lange nicht 
mehr, so neue Wahrheiten gefunden werden. 
Wissen sie doch, dass nicht sie, sondern nur 
die Finder geopfert werden." 

So zu lesen, säuberlich aufnotirt, im Tage- 
buche des weiland Jeremiä Sauerampfer. 

Freilich gehören zu einem derartigen Ex- 
periment immer zwei Parteien» Die eine, 
die opfert, und die andere, die sich opfern 



— 5 — 

lässt. Und es fügt das Missgeschick, dass 
namentlich diese zweite mitunter ganz unpar- 
lamentarisch widerborstig ist. Und dann ge- 
lingt die heilige Handlung für gewöhnlich 
vorbei. Nichtsdestoweniger aber bleibt es 
doch Thatsache, dass der liebenswürdige Ver- 
such bei jeder neuen Gelegenheit immer 
wieder von Neuem unternommen wird. Die 
Methoden, die dabei in Anwendimg kommen, 
sind naturgemäss fast so alt wie die Wissen- 
schaft selbst; und es ist sicher ein Verdienst 
gewesen, dass Paul v. Gizycki sie kürzlich 
unter dem Titel „Der Kampf gegen neue 
Ideen" übersichtlich gruppirt hat Ich kann 
mir das Vergnügen, den prächtigen, kleinen 
Eingang hier zu citiren, nicht versagen: 

„Zahlreich wie die Ursachen der Anti- 
pathie gegen neue Ideen, sind auch die Arten 
der Verfolgung, die Waffen und Kriegslisten, 
mit deren Hülfe man sie zu allen Zeiten be- 
kämpft hat. Die Gegner haben sich in diesem 
Kampfe nur selten auf die Anwendung 
der im regulären Kriege, der wissenschaft- 
lichen Diskussion unter anständigen Leuten 
üblichen Argumente beschränkt und den Geg- 



— 6 — 

ner nur zu oft mit den vergifteten Pfeilen der 
Entstellung seiner Gedanken, der Verdächti- 
gung seiner Absichten, der Verleumdung seines 
Charakters beschossen.** 

Und um gutmüthigen Menschen sich vollends 
die Haare zu Berge sträuben zu lassen, hat 
der Verfasser Eile, sofort noch hinzuzusetzen, 
dass der Stoff zu mannigfaltig sei^ seine Reich- 
haltigkeit zu ungeheuer, als dass er hoffen 
dürfte, ihn auch nur annähernd zu bewältigen. 

Sodann fährt er fort: 

„Neue Ideen in der Wissenschaft haben 
(lir den Fortschritt des Menschengeschlechts 
denselben, ja zuweilen sicherlich höheren Werth, 
als praktische, industrielle Erfindungen; aber 
während diese letzteren durch die öffentliche 
Meinung und das materielle Interesse Einzelner 
gewöhnlich die wirksamste Unterstützung und 
Ermuthigung finden, müssen neue wissen- 
schaftliche Theorien, falls sie sich nicht etwa 
sofort, durch ihren praktischen Nutzen, vor 
dem Publikum legitimiren können, meistens 
lange Zeit vergebens nach Anerkennung und 
oft selbst nach Duldung ringen. Eine äussere 
Ursache dieser Erscheinung dürfte schon in 



^ 
^ 



dem UmStande zu sucheri sein, dass sich neue 
Wissens chattliche Ideen gewöhnlich nicht un- 
mittelbar an einen breiteren, unbefangenen 
Kreis von Beuriheilem wenden können, son- 
dern, ehe sie dieses gerechtere Forum ge- 
winnen, zuerst die Schranke einer fachwissen- 
schaftlichen Kritik durchbrechen müssen. Der 
Fachmann aber, d. h. in der Mehrzahl der 
Fälle der gelehrte Arbeiter, der durch die 
Ausübung und die Verwerthung der erlernten 
Wissenschalt sein Brot verdient, ist gerade 
auf seinem Gebiet selten unbefangen genug, 
um neuen, sein Fach revolutionirenden Ideen 
schnell und bereitwillig eine Gasse zu bahnen. 
I Neue Wahrheiten haben für ihn mindestens 

die eine absehbare Folge, dass sie die alten 
Wahrheiten, die er sich angeeignet hat, die 
ihm seinen Unterhalt und einen gewissen 
Grad von Anerkennung unter den Menschen 
sicherten, in Frage stellen, seinen Besitz zu 

ientwerthen drohen. Er ist zu sehr Partei, 
um gerechter Richter sein zu können. Die 
neue Wahrheit stellt ihn vor die, seinem 
Charakter äusserst gefährliche Altemafive: 
auf seine alten Tage noch umzulernen, zu 



— 8 — 

bekennen, dass er und seine Kollegen geirrt 
haben, oder dem unliebsamen Konkurrenten 
mit allen Mitteln einer erbitterten Polemik 
den Krieg zu. erklären." 

Doch kann der betreffende unliebsame 
Eindringling jedes Mal noch von Glück sagen, 
falls es ihm gelingt, diese Polemik überhaupt 
zu entfesseln. Für gewöhnlich genirt sich 
der angesessene Gegner nicht, vorher noch 
eine ganz andere Taktik gegen ihn auszu- 
spielen: die Taktik des Todtschweigens 
Die gefährlichste und gehässigste, die es über- 
haupt giebt gegen neue Ideen. 

„Alle übrigen Arten der literarischen 
Kriegführung," sagt Paul v. Gizycki, „bieten 
dem Angegriffenen Gelegenheit, dem Gegner 
in mehr oder minder gleichem Kampfe 
offen gegenüber zu treten; das System des 
Ignorirens gleicht der Einschliessimg des Fein- 
des durch Belagerung, bis ihn der Hunger zur 
Uebergabe des Postens und schmählicher Un- 
terwerfung zwingt '^ 

„Diese Taktik," fahrt er dann weiter fort, 
„ist fast nur dort in weiterem Umfange mög- 
lich und wirksam, wo sich das gelehrte Cli- 



— 9 — 

quenwesen einigermassen entwickelt hat. 
Die gelehrte Clique ist eine auf Gegenseitig- 
keit beruhende Gesellschaft von wissenschaft- 
lichen Handwerkern, welche den Zweck ver- 
folgen, neben äusseren Emolumenten und 
Stellungen einander auch ein gewisses Maass von 
literarischem und wissenschaftlichem Ruhme zu 
garantiren, ein Kartell mit der Tendenz, die 
intellectuellen Anlagen aller Mitglieder in mög- 
lichst vortheilhafter Weise auszubeuten und 
der schädlichen Konkurrenz und „ungesunden 
Preisdrückerei**, welche ihren Producten auf 
dem wissenschaftlichen Markte durch aussen- 
stehende, selbständige Denker droht, in wirk- 
samer Weise zu begegnen. Die Mittel, um 
dieses Ziel zu erreichen, sind überschwäng- 
liches Lob und Anerkennung selbst für die 
mittelmässigsten Leistungen der Zunftgenossen- 
schaft, Schweigen oder Verurtheilung tür Alles, 
was die gemeinsamen Interessen beeinträch- 
tigen könnte." 

Wenn ich die Zeitungsausschnitte, die mir 
über den ersten Theil dieses Buches zugegangen 
sind, einer Durchsicht unterziehe, so habe ich 
das Vergnügen, konstatiren zu dürfen, dass 



— 8 — 

bekennen, dass er und seine Kollegen geirrt 
haben, oder dem unliebsamen Konkurrenten 
mit allen Mitteln einer erbitterten Polemik 
den Krieg zu. erklären." 

Doch kann der betreffende unliebsame 
Eindringling jedes Mal noch von Glück sagen, 
falls es ihm gelingt, diese Polemik überhaupt 
zu entfesseln. Für gewöhnlich genirt sich 
der angesessene Gegner nicht, vorher noch 
eine ganz andere Taktik gegen ihn auszu- 
spielen: die Taktik des Todtschweigens 
Die gefährlichste und gehässigste, die es über- 
haupt giebt gegen neue Ideen. 

„Alle übrigen Arten der literarischen 
Kriegführung," sagt Paul v. Gizycki, „bieten 
dem Angegriffenen Gelegenheit, dem Gegner 
in mehr oder minder gleichem Kampfe 
offen gegenüber zu treten; das System des 
Ignorirens gleicht der Einschliessung des Fein- 
des durch Belagerung, bis ihn der Hunger zur 
Uebergabe des Postens und schmählicher Un- 
terwerfung zwingt. '^ 

„Diese Taktik," fährt er dann weiter fort, 
„ist fast nur dort in weiterem Umfange mög- 
lich und wirksam, wo sich das gelehrte Cli- 



— 11 — 

„Halb blind, halb taub, aber in Gott zufneden!" 
Wie es scheint, seitdem der Wahrspruch unserer 
„Wissenschaft vom Schönen" .... 

Vergeblich suche ich das mir zur Ver- 
fügung stehende Material in zwei grosse Grup- 
pen zu sondern. Es gelingt mir nicht. Lobend 
oder tadelnd — alles ist über denselben 
Kamm geschoren! Für seine Behauptungen 
Beweise beizubringen, scheint keinem der 
vielen Herren auch nur entfernt in den Sinn 
gekommen zu sein. Ich wähle als Beispiel 
die „VoBSische Zeitung". Sie citirt den Satz, 
„um dessenwillen ich mein Buch geschrieben," 
und fährt dann fort; „Das Gegentheil ist richtig. 
Die Kunst hat die Tendenz, nicht die Natur zu 
sein; sie beansprucht hier, über sie hinauszu- 
gehen, sie bescheidet sich dort, hinter ihr 
zurückzubleiben, aber nie will sie mit ihr 
zusammenfallen." Und damit basta! Das ist 
Alles! Es liegt auf der Hand, dass sich gegen 

Ieine derartige Methode, seinen Gegner zu 
überführen, nicht recht ankämpfen lässt. Auch 
wird, meine ich, die Sachlage nicht wesent- 
lich gebessert, wenn der betreffende Kritiker 
versucht, seine mangelnden Qründe durch 



— 12 ^ 

Grobheit zu ersetzen. Ich wähle als Beispiel 
die „Deutsche Romanzeitung''. „Wenn das 
Huch ein Witz sein soll, dann ist es ein 
schlechter; wenn Ernst, dann giebt es in der 
Sprache der Höflichkeit keine Worte, die 
genügend scharf dieses Machwerk kenn- 
zeichnen. In beiden Fällen ist es schade um 
das schöne Papier." Das ist die ganze »Kri- 
tik". Mehr überzeugt, als überzeugend! Oder 
sollte ich mich irren? Sollte wieder Herr 
Paul V. Gizycki Recht haben? „Wenn auch 
der ganze Ton dieses Erlasses nichts als Ge- 
ringschätzung alhmet, so zeigt uns die Ueber- 
stürzung in dem Vorgehen gegen die Person 
des rebellischen Repetenten nur allzu deutlich 
die Beängstigung der gelehrten Herren"? Ich 
vermuthe, Herr Otto von Leixner — die be- 
treffende „Kritik" beliebte nämlich wieder 
anonym zu sein! — ist in der angenehmen 
Lage, mir hierüber hinreichend Auskunft geben 
zu können. Wenigstens schliesse ich das 
aus dem letzten Passus mit dem „schönen 
Papier". Herr Otto von Leixner scheint es 
nämlich prinzipiell verwerflich zu finden, dass 
dergleichen kostspielige Sachen für uns auf- 



— 13 — 

gewandt werden. Seine Kritik über den armen 
„Papa Hamlet" schloss seiner Zeit fast genau 
so: „Ausgestattet ist das Buch glänzend. — 
Man weiss nicht wozu". Schlimm genug! 

Ich würde mich gezwungen sehn, das 
ganze niedliche Päckchen achselzuckend in 
den Papierkorb zu werfen und so den Prozess 
als einstweilen erledigt zu betrachten, weil 
der Angeklcigte es vorgezogen, sich zu drücken, 
wenn nicht zum Glück eine dieser vielen 
„Kritiken** eine rühmliche Ausnahme bildete. 
Sie findet sich in der „Beilage zur Allgemeinen 
Zeitung" und ihr Herr Verfasser nennt sich 
Carl Erdmann. 

Ich bin seinem Namen unter unsem Aesthe- 
tikern noch nicht begegnet. Aber ich freue 
mich, in ihm einen Gegner zu finden, der 
wenigstens gewisse Formen respectirt. Er ist 
ein Mann von Welt und behauptet nicht, um 
sich bei seinen Lesern beliebt zu machen, 
dass ich nach Fusel rieche. Auch scheint er 
es nicht für besonders geschmackvoll zu halten, 
mich zwischen seinen Zeilen missbilligend 
fühlen zu lassen, wie bedauerlich wenig meine 
Haarfarbe zur Zeit noch der eines Esels gleicht. 



— 14 — 

Im Gegentheil: Er hält für diese Schwäche 
unverkennbar etwas wie Nachsicht bereit und 
behandelt mich hie und da sogar mit einem 
gewissen Wohlwollen. Freilich! Er sieht mich 
nicht ganz für voll an. Er kann ein kleines 
Mitleid mit mir ab und zu nicht unterdrücken. 
Aber das macht seinem Herzen am Ende nur 
Ehre,imd es wäre mehr als verfehlt von mir, wenn 
ich ihm deswegen zürnen wollte. Kein Mensch 
kann über seine Nasenspitze weg. Indessen, 
um so mehr ist es vielleicht mir gestattet, 
dass ich ihn für voll ansehe? Das erleichtert 
mir nämlich meine Position ungemein. Das 
lässt auf Augenblicke die Illusion in mir auf- 
kommen, als stünde mir in ihm die ganze 
alte Aesthetik gegenüber. Und — warum, 
frage ich, schliesslich, in aller Welt auch 
nicht? Ist es nöthig, dass ich Newton heisse, 
um das Einmaleins zu können? 

Man wird mir also schon, wohl oder übel, 
gestatten müssen, dass ich mir einbilde, ich hätte 
die ganze alte Aesthetik widerlegt, wenn es 
mir gelingt, Herrn Carl Erdmann zu wider- 
legen. Wer mehr über das Thema weiss, kann 
ja dann immer noch die Hand hochheben . . . 



— 15 — 

Ich wiederhole: Es handelt sich nicht für 
mich darum, dass ich meinen Kopf durch- 
setze, sondern, dass eine Wahrheit ermittelt 
wird. Nichts weiter. 



Herr Carl Erdmann hat seinem Aufsatze 
den Titel gegeben: „Der consequenteste Rea- 
lismus und seine Absurditäten**. Wie ich ver- 
muthe, wohl in Anlehnung an die bekannte 
Widmung Gerhart Hauptmanns*) „Bjame P. 
Holmsen, dem consequentesten Realisten, Ver- 
fasser von Papa Hamlet** u. s. w» u. s. w. Nun, 
mir kann's recht sein. So, oder so. Jedes Ding 
muss seinen Namen haben. Und es wäre wirk- 
lich zu wunderbar, wenn jene Richtung, die, 
wie die Thatsachen nun einmal ergeben haben, 
durch das fragliche Buch hervorgerufen wurde, 
diesem Schicksale bisher entgangen wäre. 
Man nenne sie daher, wie man Lust hat. Uns, 
d. h. meinem Freunde Johannes Schlaf und mir, 
die wir jenes Buch geschrieben haben, ist das 
ziemlich gleichgültig. Uns war die Geburt 
damals wichtiger, als uns heute die Taufe ist. 

*) „Vor Sonnenaufgang**. 



— 16 — 

Jedenfalls, die betreffende Richtung existirt 
und das genügt 1 — 

Ich hoffe, Herr Carl Erdmann wird mir 
Dank wissen, wenn ich seine Arbeit nicht 
zerpflücke und nur diejenigen Theile unter 
meine Lupe nehme, von denen ich mir für 
meine Zwecke besondere Vortheile verspreche. 
Das Publikum, meine ich, hätte dann keine 
rechte Controlle und wir würden mit ungleichen 
Waffen kämpfen. Ich werde daher seinen 
Aufsatz nach und nach hier vollständig zxmi 
Abdruck bringen. Stück für Stück, jedes seiner 
Reihe nach und ohne jede Eskamotage. Ich 
beabsichtige nicht, meinen Gegner zu über- 
schreien. Lungen sind keine Beweise. Ich 
wünsche vielmehr, dass man seine Stimme 
nicht minder deutlich hört, als meine eigne. 

Herr Carl Erdmann beginnt: 

„Arno Holz, der Mitverfasser des „Papa 
Hamlet" und der „Familie Selicke", hat ein 
theoretisches Werk herausgegeben, welches 
keinen geringeren Titel führt, als: „Die Kunst. 
Ihr Wesen und ihre Gesetze." (Berlin 1891. 
Wilhelm Issleib.) Das Buch verdient Be- 
achtung, weil die darin ausgesprochenen Ideen 



— 17 — 

nicht nur für die ästhetischen Theorien, sondern 
vor allem auch für die poetische Production 
jener angeblich consequentesten Realisten 
massgebend gewesen sind, denen es — man 
mag von ihren Leistungen denken, was man 
will — auf alle Fälle gelungen ist, ein nicht 
unbeträchtliches, literarisches Aufsehen zu er- 
regen." 

Dagegen lässt sich nichts einwenden. Die 
Thatsachen scheinen mir zu stimmen. Wenig- 
stens soweit ich sie kontroUiren kann. Bitte, 
weiter! 

„Von wissenschaftlichem Standpunkte aus 
freilich kann das Werk einer ernsthaften Be- 
sprechung nicht unterzogen werden. Die darin 
befolgte Methode der Untersuchimg — eine 
ganz eigenartige Induction — ist von einer 
geradezu rührenden Kindlichkeit." 

Ich hoffe, der Verfasser wird billig genug 
sein, mir in dem weitem Verlaufe seiner 
Arbeit den Beweis für seinen letzten Passus 
nicht schuldig zu bleiben. Vor der Hand vermag 
ich nichts weiter in ihm zu sehn, als eine 
völlig werthlose Behauptung. Ueber den ersten 
Passus sprechen wir dann noch. 

2 



— 18 — 

„Die positivistischen Grundsätze und Schlag- 
worte, deren sich der Verfasser bedient, sind 
von ihm — milde gesagt — nur halb ver- 
standen/' 

Ich sehe mich gezwungen, sofort wieder 
derselben Hoffnung Raum zu geben. Und ich 
bin in der That neugierig, ob und wie Herr 
Carl Erdmann ihr nachkommen wird. Auf 
jeden Fall aber werde ich mir erlauben, bei 
Gelegenheit den Spiess umzudrehen und Herrn 
Carl Erdmann nachweisen, dass er freilich es 
vorgezogen, mit meinen Grundsätzen und 
Schlcigworten gleich gründlicher zu verfahren. 
Er hat sie nicht etwa blos halb, bewahre, er 
hat sie sogar ganz miss verstanden! 

„Und die „ridiculus mus", welche als wissen- 
schaftfiches Endergebniss zu Tage gefördert 
wird, erregt um so grössere Heiterkeit, als 
der Verfasser allen Ernstes mit der Prätension 
auftritt, die wissenschaftliche Aesthetik reformirt, 
beziehungsweise überhaupt erst begründet zu 
haben." 

Ganz recht! Mit dieser Prätension tritt 
er auf. Das mag freilich unerhört sein, seinet- 
wegen sogar roh, brutal, oder wie man sonst 



— 19 — 

will, aber er thut es! Und das sich so nen- 
nende „Zwanzigste Jahrhundert" hat sich 
darauf hin sofort bemüssigt gefühlt, zu er- 
klären; „Da es leider kein gesetzliches Mittel 
giebt, das Schreiben derartiger „Werke" zu 
verbieten, so erscheint es fast als unerlässlich, 
einen Befähigungsnachweis für Verleger und 
solche, die es werden wollen, einzuführen; es 
wäre dies ein Weg der Nothwehr, um die 
Menschheit vor ähnlichen unerlaubten Attentaten 
zu schützen, wie ein solches von dem Schrift- 
steller Arno Holz mit Unterstützung seines 
Verl^ers durch die Veröffentlichung des Buches 
über die Kunst auf den gesunden Menschen- 
verstand verübt worden ist". Das ist doch 
noch wenigstens ein Vorschlag! Ich halte es 
für meine Pflicht, ihn für interessirte Gemüther 
hier tiefer zu hängen. Herr Carl Erdmann 
kann mir angesichts dieser wilden, durch nichts 
gezügelten Energie ordentlich leid thun. Er 
huldigt augenscheinlich noch der altvaterischen 
Gewohnheit, nur seine Feder und nicht zu- 
gleich auch seine Finger ins Tintfass zu 
stippen, und schreibt: 
„Trotzdem " 




— 20 — 

lesenswerth, weil eine bestimmte Anschauungs- 
weise ihren naiv unzweideutigen und conse- 
quentesten Ausdruck gehinden hat." 

Ein Riechfläschchen neben einem Ballon 
Schwefelwasserstoff. 

„Auch rein als „document humain** auf- 
gefasst, ist das Werkchen recht anziehend zu 
lesen. Nicht sowohl das, was gesagt wird, als 
vielmehr, wie es gesagt wird, und der Ver- 
fasser selbst erregt unsere Theilnahme. Und 
selbst da, wo er gar zu unbedachtsam in s 
Blaue hinein mit wissenschaftlichen Worten 
um sich wirft, oder wo seine unbegründete 
Selbstschätzung und hochgradige Ueberhebuhg 
allzu deutlichen Ausdruck findet, kaim man 
ihm eine gewisse Liebenswürdigkeit nicht ab- 
sprechen." 

Ich err()thel Denn auf einen Augenblick 
ganz nebenbei und imter uns gesagt: dass 
man sich gedrungen gefühlt hat, mich mög- 
lichst als eine Art Kretin hinzustellen und 
seinem Publikum weiss zu machen, ich „wälze 
einen Wust unverdauter Leetüre dort, wo 
bei einem normalen Menschen das Gehirn 
sitzt**, begreife ich. Ich kann das den armen 



— 21 — 

Leuten vollständig nachfühlen. Aber dass 
man es zugleich auch für nothwendig befunden, 
mir schulmeisterlich auf die Finger zu klopfen 
und mich einen „Menschen" zu nennen, „der den 
Stil eines mittelmässigen Tertianers schreibt", 
während man von anderer Seite grossherzig 
genug war, mir wenigstens den eines Primaners 
zuzugestehn, fand und finde ich denn doch 
ein ganz kleinwenig — haarsträubend! Man 
sieht, ich bin nicht unverwundbar gewesen . . . 

„Wer freilich durch den stolzen Titel ver- 
führt, eine systematische Aesthetik erwartet, 
könnte arg enttäuscht werden." 

Eine systematische Aesthetik! Mich über- 
läuft's! Ich begreife nicht, wie man es über 
sich gewinnen kann, eine derartige Reihen- 
folge von Buchstaben auch nur aufs Papier zu 
bringen! Und einem derartigen Monstrum zur 
Welt verholfen zu haben, ernsthaft und recht- 
schaffen, wie man Kuchen backt, soll ich durch 
sträflichen Leichtsinn thatsächlich den gegrün- 
deten Verdacht gegeben haben? Ich fange 
wirklich nachgerade an, mich selbst zu be- 
dauern. Und, wie mir scheint, was das 
Schlimmste ist, sogar mit Recht! Der Titel 



— 22 — 

ist in der That so. Wie ich ihn mir jetzt an- 
sehe, kommt er mir ordentlich vor wie aus 
Rindsleder geschnitten. Er ist einfach scheuss- 
lieh! Die erste Zeile hätte vollauf genügt; 
die zweite ist mehr als überflüssig. Ich be- 
reue sie. 

„Das Buch enthält überhaupt nichts Syste- 
matisches.*^ 

Nein! Und soll's ja auch gamicht! Ich 
wiederhole: ich kann es nur bedauern, 
wenn dergleichen Teufeleien an die Wand ge- 
malt schienen. Und ich füge hinzu: Herrn 
Carl Erdmann dies Zugeständniss zu machen, 
fällt mir um so leichter, als ich in seinem In- 
teresse fürchte, es wird ziemlich isolirt bleiben. 

„Wir erhalten eigentlich nur eine einzige 
Formel, allerdings — wie der Verfasser meint — 
ein funkelnagelneues ästhetisches Grundgesetz." 

Und ein solches würde, wie Herr Carl 
Erdmann mir wahrscheinlich ohne Weiteres 
zugeben wird, denn auch vollauf genügen, um 
nicht etwa blos einen, sondern zehn solcher 
Bände zu füllen. Fragt sich also nur noch, 
ob es in der That so funkelnagelneu und 
grundgesetzlich ist, wie es sein ehrlicher Finder 



^^^ gestreut 



— 23 — 

arroganter Weise ausposaunt. Und ich denke, 
diese Frage soll noch erst entschieden werden? 
Warten wir also einstweilen hübsch abl Wer 
von uns beiden zuletzt lacht, wird sich ja dann 
schon ergeben. 

„Und da eine neue Auffassung nur diu-ch 
ihre geschichtliche Entwicklung gehörig ver- 
standen werden kann, so giebt uns Holz einen 
AbrisB seines ästhetischen Entwicklungsganges. 
Statt einer abstracten Gelehrsamkeit eine an- 
schauliche biographische Skizze, noch dazu 
eine Skizze, welche uns in der denkbar ge- 
müthlichsten Weise entgegentritt. Der Ver- 
fasser liebt es, sich „im Schlafrock und mit 
langer Pfeife zu präsent iren", und diesem 
Kostüm entspricht denn auch das überaus 
saloppe Studentendeutsch, das er wahrschein- 
lich für besonders „realistisch" hält. „Ex sein", 
„mit nassem Lehm beschmeissen", „nach Chic 
riechen", „in fünf Bierminuten", und von 
solchen anmuthigen, burschikosen Redewen- 
dungen „wimmelt es nur so". Dazwischen 
sind als Documente recht nette Gedichte ein- 
gestreut und alierhand kleine, zum Theil schon 
veröffentlichte Abhandlungen." 



— 24 — 

Ich will mich nicht alle Augenblicke unnütz 
aufhalten. Ich gehe daher, was ich von jetzt 
ab auch in der Folge zu thun beabsichtige, 
über verschiedene nebensächliche Kleinigkeiten 
hinweg. Ob z. B. das Wörtchen „realistisch** 
intimer von Herrn Carl Erdmann, oder von 
mir verstanden wird, ist am Ende ziemlich 
gleichgültig. Ueber gewisse Dinge halte ich 
es für überflüssig zu streiten. Nur möchte ich 
es denn doch nicht verabsäumen, hier meiner 
entschiedensten Genugthuung Ausdruck zu 
geben, dass Herr Carl Erdmann so liebens- 
würdig war, die Gedichte, die ich meinem 
Büchlein „alsDocumente einstreute", wenigstens 
„recht nett'* zu finden. Gott sei Dank! Eine 
lOVa Seiten lange Bescheidenheit in den 
^Grenzboten**, die offenbar angenommen, dass 
ihr Name nichts zur Sache thut, hatte mir 
schon ganz Angst und bange gemacht. Sie 
hatte ihre Druckerschwärze auf das Papier tapfer 
wie folgt vertheilen lassen: „Herr Holz be- 
ginnt damit festzustellen, dass ihm jede dich- 
terische Begabung mangele: seine Verse sind, 
wie die Proben ergeben, nicht gehauen und 
nicht gestochen". Alle Hagel! Das mag 



— 25 — 

freilich so salopp und studentendeutsch sein, 
wie nur irgend möglich, aber ich bedaure, ich 
kann mir nicht anders helfen: Alle Hagel! 

„Arno Holz war in seiner ersten Jugend 
lyrischer Dichter, er schwelgte in Rythmus 
und Reim. „Die Sonne schien ihm Lieder 
ins Herz und der Regen tropfte ihm Melodien 
ins Ohr". Mit leichter Ironie und ein wenig 
Wehmuth, aber von der hohen Warte einer 
nunmehr völlig ausgereiften Weisheit erzählt 
er uns heute von seiner lyrischen Periode und 
seinen ersten Werken. Er schildert uns seine 
Erwartungen, seine Enttäuschimgen, seine Zer- 
rissenheit, seine Skepsis. Dann, wie er eines 
Tages dazu gekommen, nach dem „Warum" 
seines ästhetischen Empfindens zu fragen, und 
wie er dcmn nicht mehr davon losgekommen, 
zu theoretisiren imd nach den Gesetzen der 
Kirnst zu forschen. Wir erfahren, dass er sich 
erst vergeblich bei den „alten Herren" Ari- 
stoteles, Winkelmann und Lessing Rath er- 
holt, dass er auch von Taine enttäuscht worden, 
selbst bei Zola das alte methaphysische Stroh 
gefunden habe und nur von Mill, Comte, Spencer 
und den modernen Naturwissenschaftlern einiger- 



— 26 — 

massen befriedigt worden sei. Endlich habe 
er sich zur Klarheit durchgerungen; das schon 
früher geahnte und dunkel gefühlte Gesetz 
der Kunst, welches gleichzeitig aller Kunst- 
entwicklung und jedem einzelnen Kunstwerke 
zu Grunde liegen soll, krystallisirte sich 
immer deutlicher in seinem Bewusstsein, bis 
es ihm endlich gelang, dasselbe durch eine 
Art Induction abzuleiten und zu begründen 
und eine zwar noch nicht endgültige, aber 
vorläufig doch ausreichende Formulirung zu 
finden." 

Das Alles hier ist zwar ebenfalls von der 
hohen Warte einer, wenn freilich auch andern, 
so doch, wie es scheint, nicht minder aus- 
gereiften Weisheit erzählt, aber ich denke, 
ich lasse es mir gefallen. Spass muss sein. 
Im Nothfall, wenn es nicht anders geht, sogar 
auf meine Kosten. Genirt mich nicht. Bei 
Gelegenheit revanchire ich mich. 

„Von einer primitiven Knabenzeichniu^ 
ausgehend, war Holz zu dem Satz gelangt: 
„Kunstwerk gleich Stück Natur minus x". 
Das war freilich nichts Neues. Schon Zola 
hatte gesagt: Une oeuvre d*art est un coin de 



— 27 — 

la nature vu ä travers un temp^rament. Er 
war — wie Holz sagt — „so draufzutäppisch, 
das verschmitzte Löchelchen x gleich ganz 
mit seinem dummen, klobigen „Temperament** 
zustopfen zu wollen, wodurch sich dann 
natürlich Alles sofort wieder in den schönsten 
Unsinn verkringelte und der alte Blödsinn 
wieder in vollster Blüthe blühte.'' Nein! Auch 
Zola hat das Grundproblem aller Aesthetik 
nicht gelöst. Jenes x, durch welches sich 
Kunst und Natur unterscheidet, blieb nach wie 
vor unbekannt, bis Arno Holz als Retter in 
der Noth erschien." 

Bitte! Und nun: aufgepasst! 

^Wie alle bahnbrechenden Philosophen, 
erkannte er den Fehler schon in der Frage- 
stellung." 

Sehr richtig! Ausserordentlich richtig, 
Herr Carl Erdmann! Sie haben damit meiner 
innersten Üeberzeugung nur Worte geliehen! 

^Nicht jenen Unterschied x wissen- 
schaftlich festzustellen, wie man bisher irrig 
versucht, sei Aufgabe der Aesthetik, das 
involvire eine unmögliche Forderung, wei! 
dieser Unterschied eine im Verlaufe der Cii1*t^- 



— 28 — 

ent Wicklung veränderliche, stetig abnehmende 
Grösse sei.'' 

Wieder wunderschön! Ich bin wirklich ver- 
blüfft, wie vollkommen Herr Carl Erdmann 
mich verstanden hat! Ich selber würde, vor- 
ausgesetzt, ich suchte für meine Ideen nach 
Umschreibungen, in Verlegenheit gerathen, 
etwas Verständigeres aufs Papier zu bringen. 
Es sei denn, dass ich es schliesslich doch 
vorzöge, die betreffende Grösse nicht, wie 
Herr Carl Erdmann es thut, gleich fest und 
plump draufzu eine „stetig abnehmende* zu 
nennen. Eine „veränderliche'' genügt fürs Erste 
und Roheste vollkommen. „Abnehmend" und 
nun gar ^stetig" abnehmend ist sie nur auf ver- 
hältnissmässig ganz ausserordentliche Zeiträume. 
Indessen, trotzdem: er hat den Nagel doch 
ziemlich auf den Kopf getroffen. Meine Freude! 

^Dass überhaupt noch eine Lücke zwischen 
Kunst und Natur klaffe, dass ein Kunstwerk 
nicht aus einer völlig exakten Reproduk- 
tion der Natur bestände, hätte seinen Grund 
lediglich in den Produktionsbedingungen und 
ihrer vorläufig noch unvollkommenen Hand- 
habung." 



— 29 — 

Um Gottes Willen! Halten Sie ein, Herr 
Cari Erdmann! Sie machen mich unglücklich! 
Was Sie eben mit dem letzten Satz vor- 
züglich gemacht, machen Sie ja mit diesem 
wieder miserabel! Sieschreiben: „Dass über- 
haupt noch eine Lücke zwischen Kunst und 
Natur IdaflFt," . . . Ueberhaupt noch? Ich bin 
ganz erschrocken! Wird sie denn nicht immer 
klaffen? Wenigstens so lange zwei mal zwei 
vier ist? 1 bewahre, antworten Sie, nicht im 
mindesten! Wie sollte sie!? Dass diese Lücke 
heute, in unserer unfertigen Welt noch klafft, 
hat seinen Grund lediglich in den Repro- 
duktionsbedingungen und ihrer vorläufig 
noch unvollkommenen Handhabung! Mit 
andern Worten: Nachläufig wird eine voll- 
kommenere möglich sein, ja» ziehen wir sofort 
die letzte Consequenz und sagen wir, eine 
total voUkommne und damit die betreffende 
Lücke, und zwar bis auf ihr letztes Ritzchen, 
glücklich zugestopft. Herrgott, wie kann man 
nur! Ich flehe Sie an bei Allem, was Ihnen 
Aristoteles ist: wo und wann habe ich mich 
unterstanden, derartiges Blech zu walzen? 
Nirgends, Herr Carl Erdmann, nirgends! Ich 



— 30 — 

versichere Sie! Das unerhört Kühne dieser 
Hypothese entblüht einzig und allein Ihrer 
Phantasie. Und so peinlich mir das auch ist, 
aber ich bin Ihnen diese Ehrenerklärung 
schuldig: Sie haben mich überschätzt! Nicht 
allein, dass ich in meinem Büchlein Ihres 
idealen Hochfluges total ermangelte, ich war 
Ihrer, in meiner staubtrocknen Erbärmlich- 
keit sogar bis zu dem Grade unwürdig, 
dass ich ausdrücklich erklärte, so herzlich 
überflüssig ich freilich damals, im Stillen, 
diese Erklärung auch hielt: die betreffende 
Lücke wird sich niemals schliessen! Niemals! 
Das strittige x wird sich niemals auf Null 
reduziren! Niemals! Und wenn die Entwick- 
lung auch noch Jabrbillionen fortgeht und wir 
alle Erzengel werden! Sie, Herr Carl Erdmann, 
und ich inclusive! Bitte, schlagen Sie nach, damit 
Sie sich überführen! Seite 116! Da steht's, 
gross und in schönen, deutlich lesbaren Lettern: 
„Ich kann unmöglich aus einem Wassertropfen 
eine Billardkugel formen". Das ist die ganze 
Weisheit! Mir scheint's, sie ist einfach genug. 
„Aus einem Stückchen Thon'^, heisst's dann 
weiter, „wird mir das schon eher gelingen . 



— Bl- 
aus einem Block Elfenbein vermag ich's 
vollends." Nur steht dieser Block Elfenbein 
uns Künstlern leider nie zu Gebote. Wir 
müssen froh sein, schon wenn es uns gelingt, 
ein Stückchen Thon aufzugreifen. Meist ist*s, 
womit wir operiren, noch nicht einmal ein 
erbärmlicher Wassertropfen. Ich darf vielleicht 
überzeugt sein, dass Sie dieses Gleichniss nicht 
ganz unverständlich finden? Damit Sie dieses 
aber eventuell nicht doch vorziehen, ich darf 
wohl sagen zum zweiten Mal, will ich mir 
lieber gleich die Mühe machen und es Ihnen 
hier übersetzen. Es sagt: Eine völlig exacte 
Reproduction der Natur durch die Kunst ist 
ein Ding der absolutesten Unmöglichkeit und 
zwar — von allem Andern abgesehn — schon 
aus dem ganz einfachen und, wie man wirk- 
lich meinen sollte, bereits für jedes Kind 
plausiblen Grunde, weil das betreffende Re- 
productiojismaterial, das uns Menschen zur 
Verfügung steht, stets unzulänglich war, stets 
unzulänglich ist imd stets unzulänglich bleiben 
wird. Das und nichts Andres I Und nun 
kommen Sie, werfen mir Mangel an „Wissen- 
schaftlichkeit'' vor und behaupten, ich faselte 



— 32 - 

von einer Zeit, in der es ebenso wenig möglich 
sein wird, einen künstlichen Baum von einem 
natürlichen zu unterscheiden, wie heute etwa 
zwei Stearinkerzen von einander, oder zwei 
polnische Juden! Entschuldigen Sie, Herr 
Carl Erdmann, aber das ist bodenlos! 

„Also nicht in der nähern Bestimmung, 
sondern in der nothwendigen Abnahme, in 
dem allmähligen Verschwinden jenes x 
müsse das Grundgesetz der Aesthetik gehmden 
werden/*' 

Wieder dieselbe Geschichte! dasselbe Miss- 
verständniss 1 Aber ich leugne ganz ent- 
schieden, dass ein Missverständniss aufhört, 
ein solches zu sein, indem es wiederholt wird. 
Im Gegen theill Es beschleunigt damit nur 
seinen natürlichen Auflösungsprozess. Herr 
Carl Erdmann beweist mit diesem, seinem 
zweiten Satze bereits, dass es ihm nicht nur 
unmöglich ist, meine Worte auf ihren wahren 
Gehalt zu prüfen, sondern sogar seine eigenen. 
Und ich muss gestehn, das ist mehr, als ich 
erwartet hatte. Er sagt und glaubt damit 
meine Meinung auszudrücken: „Nicht in der 
nähern Bestimmung jenes x muss das Grund 



— 33 — 

gesetz der Aesthetik gefunden werden, sondern 
in seinem nothwendigen Abnehmen." Und 
er beeilt sich hinzuzusetzen, um dieses letzte 
Wort noch zu verdeutlichen, in seinem »all- 
mähligen Verschwinden." Nun bitte ich! 
Wie in aller Welt ist es möglich, dass ein 
Mensch, der behauptet, auf dem „Standpunkt 
der Wissenschaft* zu stehn, diese beiden Vor- 
stellungen in einem Athem nennt, ja, sie 
offenbar geradezu identifizirt? Mir ist das 
einfach räthselhaft! 

„Und mit dieser Erkenntniss" . . . 

Halt! Und mit dieser Erkenntniss?! 
Herr Carl Erdmann wirft wirklich manchmal 
mit seinen Worten umher, als ob es Dukaten 
wären. Und bückt man sich, dann sind's 
lauter alte Knöpfe. Mit dieser Erkenntniss! 
Ich schüttle mich, wenn ich an sie denke. 

.... „war eigentlich das Problem schon 
gelöst und das Gesetz selbst gefunden: Die 
Kunst hat die Tendenz, wieder die Natur zu 
sein. Sie wird sie nach Massgabe ihrer jed- 
weiligen Reproductionsbedingungen und deren 
Handhabung." 

Nun frage ich Jeden, der derartige Dinge 

3 



— 34 — 

überhaupt zu lesen versteht: wo steht in diesem 
Satze das, was Herr Carl Erdmann beliebt 
hat, vom „Standpunkt der Wissenschaft" aus 
ihm herauszutüfteln? Nirgends! Er hat ein- 
fach mein x genommen, es an die Tafel als 
u gemalt und ist dann in Thränen darüber 
ausgebrochen, dass ich so entsetzlich einfältig 
sein konnte, einen so offenbaren Unsinn hin- 
zuschmieren! Anzunehmen, dass Herr Carl 
Erdmann anders gehandelt als bona fide, dazu 
habe ich offenbar auch nicht die geringste 
Veranlassung. Mithin, es bleibt mir nichts 
anderes übrig, als meinen Vorwurf, dessen 
man sich vielleicht noch entsinnen wird, auf- 
recht zu erhalten. Herr Carl Erdmann hat 
mich in dem eigentlichsten Kern meiner Ueber- 
zeugung nicht etwa blos halb, bewahre, er hat 
mich sogar ganz missverstanden. Punktum! 
„Das ist die grosse Arno Holz sehe Formel.'' 
Ganz recht! Und, wie ich mir gestatte 
wieder hinzuzufügen, die Sie nicht begriffen 
haben, Herr Carl Erdmann! 

„Ich fürchte, dass nur wenige Leser 
ihre Tragweite und tiefe Bedeutung erfassen 
werden." 



— So- 
lch furchte das ebenfalls. Und daher finde 
ich auch, was Sie bemerken, ganz treffend: 

„Es ist gut, sich hierüber von Holz selbst 
Aufklärung geben zu lassen.^' 
Sicher! 

„Er sagt: „Ist dieser Satz wahr, d. h. ist 
das Gesetz, das er aussagt, ein wirkliches, ein 
in der Realität vorhandenes und nicht blos 
eins, das ich mir thöricht einbilde, eins in 
meinem Schädel, dann stösst er die ganze 
bisherige „Aesthetik" über den Haufen. Und 
zwar rettungslos. Von Aristoteles bis herab 
auf Taine. Denn Zola ist kaum zu rechnen. 
Der war nur dessen Papagei. Das klang 
freilich den Mund etwas voll, aber ich konnte 
mir wirklich, beim besten Willen, nicht anders 
helfen. Denn ich war mir darüber schon da- 
mals so klar, wie ich es mir noch heute bin. 
Nämlich, dass Alles, was diese „Disciplin"' bis- 
her orakdt hat, genau auf seinem aui^e- 
sprochenen Gegentheil fiisst Also, wohl- 
verstanden, dass die Kunst nicht die Tendenz 
hat, wieder die Natur zu sein! Eine Naivität, 
deren bidienge, länger als zweitauiendjähri^e 
unumsdvänkte Alleinherrschaft leider nur allzu 

3» 



— 36 — 

begreiflich ist. Denn sie ist die Naivität des 
sogenannten gesunden Menschenverstandes, 
jenes grobknotigen, vierschrötigen Burschen, 
dessen Captus gerade so weit reicht, wie seine 
Nase." 

Herr Carl Erdmann hält es für gut, das 
Citat hier abzubrechen. Vielleicht darf ich 
mir gestatten, es fortzusetzen? Ich finde näm- 
lich, es schliesst hier ziemlich unverständlich. 
Es lautet zu Ende: „Aber auch bei Leibe 
nicht weiter! Engels hat uns in seiner, schon 
einmal hier citirten „Umwälzung** aufs Köst- 
lichste nachgewiesen, wie dieses Knäblein so 
recht der geborene Metaphysiker ist. ,.Er 
denkt in lauter unvermittelten Gegensätzen : 
seine Rede ist ja, ja, nein, nein, und was 
darüber ist, ist vom Uebel. Für ihn existirt 
ein Ding entweder, oder es existirt nicht: ein 
Ding kann ebenso wenig zugleich es selbst 
und ein anderes sein. Positiv und negativ 
schliessen einander absolut aus; Ursache und 
Wirkung stehen ebenso in starrem Gegensatz 
zu einander.** Allein so plausibel uns dies 
Alles auf den ersten Blick auch scheinen mag, 
„dieser gesunde Menschenverstand", fährt 



— 37 — 

Engels fort, »ein so respektabler Geselle er 
auch in dem hausbackenen Gebiet seiner vier 
Winde ist, eriebt ganz wunderbare Abenteuer, 
sobald er sich in die weite Welt der Forschung 
wagt; und die metaphysische Anschauungs- 
weise, auf so weiten, je nach der Natur des 
Gegenstandes ausgedehnten Gebieten sie auch 
berechtigt und sogar nothwendig ist, stösst doch 
jedes Mal früher oder später auf eine Schranke, 
jenseits welcher sie einseitig, boniirt, abstract 
wird und sich in imlösliche Widersprüche ver- 
irrt, weil sie über den einzelnen Dingen deren 
Zusammenhang, über ihrem Sein ihr Werden 
und Vergehen, über ihrer Ruhe die Bewegung 
vergisst, weil sie vor lauter Bäumen den Wald 
nicht sieht" Nun, und eben gerade diesen 
Wald, sagte ich mir, der ihr dicht vor der 
Nase gestanden, fortwährend, den sie hätte 
fühlen können mit ihrem Krückstock, hat 
bisher auch die alte metaphysische Aesthc;tiL 
nicht gesehn. Sie wird daran sterben uixl 

Ueber ihrem Grab erhebt sich ein Baum. 
Drin singt die junge Nachtigall, 
Sie singt von lauter Liebe, 
Ich hör* es sogar im Traum !** 



— 38 — 

„Und an einer andern Stelle: ^Die ganze 
bisherige (also vor-Holz'sche) Aesthetik war 
nicht, wie sie schon damit prunkte, eine 
Wissenschaft von der Kunst, sondern vorerst 
nur eine Pseudowissenschaft von ihr. Sie wird 
sich zu der wahren zukünftigen, die eine S o cio- 
log ie (sie!) der Kunst sein wird und nicht, 
wie bisher — selbst noch bei Taine — eine 
Philosophie der Kunst, verhalten wie ehedem 
die Alchemie zur Chemie, oder die Astrologie 
zur Astronomie ..." 

Herr Carl Erdmann hält es abermals 
für gut, sich den Schluss dieses Citats zu 
schenken. Darf ich aushelfen? Er lautet: 
„Und wenn uns der alte, biedere Pierre Bayle 
in seinem prächtigen „ersten Conversalions- 
lexikon*' von dem alten Knaben Herlicius 
überliefert hat, dass er „die Astrologie als 
eine ehrwürdige Wissenschaft angesehen, deren 
Ehre man erhalten müsse, es koste auch was 
es wolle", so zweifle ich natürlich schon heute 
nicht, dass auch die Pierre Bayle's der Zukunft 
wieder von solchen seltsamen Käuzen werden 
zu berichten haben. Es ist eben eine alte 
Geschichte: Die Herliciusse werden nie alle!" 



— 39 — 

Oder sollten Herrn Carl Erdmann die Herli- 
ciusse genirt haben? Dann bedaure ich. Kann 
aber nicht helfen. 

„Diese hohen Ansprüche des Verfassers 
auf den Ruhm eines Reformators ernsthaft zu 
nehmen, wird wohl kaum Jemandem beifallen." 

Es genügt, dass er sie selber ernsthaft 
nimmt. Alles Uebrige, Herr Carl Erdmann, 
ergiebt sich dann ganz von selbst. 

„Aber, so wenig ich auch glaube, dass ein 
nur einigermassen philosophisch Geschulter . .** 

. . sich derartige Verdrehungen zu Schulden 
kommen lassen darf, wie Sie, Herr Carl Erd 
mann, und die Ihnen nachzuweisen ich mi 
soeben erst das Vergnügen gemacht . .? Abei 
nein! Pardon! Sie fahren ja anders fort: 

. . . „das Werk in Ansehung der befolgten 
Methode für ein wissenschaftliches hält,** . . . 

Aha! Der berühmte „Vorwurf des Dilettan- 
tismus**, wie Paul von Gizycki ihn nennt! Ich 
habe schon ordentlich, mit Schmerzen auf ihn 
gewartet. Er blieb ziemlich lange aus. Hören 
wir also, wie es insgemein mit ihm bestellt 
ist: „Der Träger der neuen Idee ist ein 
Dilettant, seine Ausführungen sind dilettan- 



— 40 — 

tisches Gerede. Mit diesem Angrifle sucht 
man dem Gegner alle jene Wirksamkeit auf 
das Publikum abzuschneiden, welche ehrfurcht- 
gebietende, wissenschaftliche Leistungen auch 
auf diejenigen ausüben, welche sie nicht ver- 
stehen und beurtheilen können. Ueber einen 
Dilettanten rümpft sogar der Gebildete, d. h. 
in vielen Fällen der gründlich Unwissende, 
die Nase. Und der Vorwurf des Dilettantis- 
mus trifft originelle Denker zuweilen schein- 
bar mit vollem Recht. Nicht allein, dass sie 
der Sache, die sie erforschen, ein tiefes, selbst- 
standiges Interesse (diletto) entgegenbringen, 
sie weichen auch wirklich, sowohl in der Art, 
wie sie ihre Ideen gewinnen, als auch in der 
Form, wie sie dieselben verbreiten, häufig 
genug von der althergebrachten „wissenschaft- 
lichen** Methode ab. Revolutionirende Ideen 
werden selten mit Hülfe altei Methoden und 
alter Voraussetzungen gefunden und ebenso 
wenig sind sie an die . althergebrachte Form 
der Darstellung gebunden. Der Dilettant in 
diesem Sinne, der Träger neuer Ideen, fühlt, 
dass die Foiischritte der Wissenschaft nicht 
ein Specialinteresse einiger Professoren be- 



- 41 — 

deuten^ sondern die eigenste Sache der ge- 
sammten Menschheit sind; daher versucht er 
auch so zu sprechen, dass er womöglich von 
allen denkenden Menschen verstanden wird, 
selbst, wenn sie keine Fachgelehrsamkeit be- 
sitzen." Mit andern Worten, Herr Carl Erd- 
mann: einem Werke den wissenschaftlichen 
Charakter abzusprechen und zwar einzig „in 
Ansehung der befolgten Methode" und aus 
absolut keinem andern Grunde und noch 
obendrein, nachdem man eben erst den Be- 
weis geliefert, dass man nicht einmal im Stande 
gewesen, auch nur die Resultate dieser Me- 
thode zu verstehn, sollte einem Manne wie 
Ihnen, der von der Wissenschaftlichkeit seines 
eigenen Charakters, ich darf wohl sagen, so 
durchdrungen ist, grade am allerwenigsten 
einfallen! Indessen, ich lasse Ihnen weiter das 
Wort: 

„ ... so werden doch bei der grossen 
Unklarheit in grundsätzlich ästhetischen Fragen 
gar viele geneigt sein, wenigstens die Möglich- 
keit einer Richtigkeit der Holzaschen Formel 
offen zu lassen, sie für den Ausdruck einer 
zwar subjectiven, aber doch vernünftigen und 



- 42 — 

berechtigten Kunstaufiiassung zu halten. Und 
doch ist es leicht, das prindpiell Verfehlte 
dieser ganzen Anschauungsweise einzusehen.'^ 

Also endlich! Endlich rückt das grosse 
Geschütz auf. Ich bin neugierig. 

,,Dic Kunst hat die Tendenz, wieder die 
Natur zu sein. Sie wird sie nach Massgabe 
ihrer jedweiligen Reproductionsbedingungen 
und deren Handhabung/' Man mache gleich 
anfangs dem Verfasser die grössten Con- 
cessionen. Man räume ihm für den Augen- 
blick das Recht ein, alle Werke, bei denen 
von einer Reproduction der Natur gar nicht 
die Rede sein kann, wie die Werke der 
Archileclur und der Musik, als nicht zur Kunst 
gehörig zu betrachten." 

Dazu bemerke ich: Diese, wenigstens für 
mein Gefühl etwas sonderbare Parallele 
zwischen Architectur und Musik stammt einzig 
von Herrn Carl Erdmann. Sie findet sich in 
meinem Huche nirgends. Und zwar aus einem 
sehr einfachen Grunde. Nämlich, weil ich sie 
für total verfehlt halte. Ich begreife garnicht: 
Inwiefern reproducirt die Musik weniger die 
Natur, als etwa — meinetwegen — schön, 



— 43 - 

nehmen wir sogar als Beispiel die Malerei? 
Etwa weil sie keine Sonnenuntergänge giebt? 
Nein! Sicher! Die giebt sie nicht! Denn sie 
verfugt nicht über Farben. Aber ist denn, 
frage ich, die Empfindung, die ein Sonnen- 
untergang in mir wachruft, kein Naturvor- 
gang? Nun also! Bitte! Und die giebt sie mir. 
Vollkommen und mit allen ihren Finessen! 
Ich verstehe also nicht recht, aus welcher 
„Wissenschaftlichkeit" heraus Herr Carl Erd- 
mann mit seiner Parallele so schnell zur Hand 
ist. Etwa weil tausend Leute vor ihm schon 
diesen Schwupper gemacht? Sogar Taine? 
Der inkontestabel Grosse? Aber, ich meine, 
man schwatzt doch am Ende nicht kritiklos 
Alles nach, was einem vorgeschwatzt wird! 
Man prüft zuerst! Oder sollte wirklich mein 
geheimer Verdacht begründet und es mit der 
„Wissenschafilichkeit** des Herrn Carl Erd- 
mann nicht gar so weit her sein, wie er selber 
freilich es ganz naiv anzunehmen scheint? 
Man täuscht sich so oft im Leben! Also bitte, 
räumen Sie mir lieber keine Concessionen ein, 
Herr Carl Erdmann! Sie kommen dabei besser 
weg und ich verth eidige meinen Posten auch so! 



- 44 — 

„Man stelle sich von vornherein auf 
den Standpunkt eines denkbar weit vor- 
geschrittenen Realismus, Naturalismus, oder 
wie man diese Kunstrichtung bezeichnen will, 
und man trage von diesem Standpunkt aus: 
Kann die Holz sehe Formel auch niu* für eine 
ausgeprägt realistische Kunst Sinn und Geltung 
beanspruchen?*' 

Dazu bemerke ich: Diese Zuvorkommen- 
heit ist ganz überflüssig. Als Theoretiker stehe 
ich weder auf dem Boden des „Realismus", 
noch des „Naturalismus", noch sonst eines 
iHinus. Nur als Praktiker bin ich Parteimann. 
AIh Theoretiker existirt für mich einzig der 
(legcnstand meiner Untersuchung. Und ich 
werde mich hüten, einzelne Theile aus ihm 
willkürlich zu entfernen; denn ich weiss nur 
zu gut und von vornherein, dass Manipulationen 
dieser Art nothwendigerweise von verderb- 
lichen Folgen für mein Resultat sein müssen. 
Indessen, wie es scheint, Herr Carl Erdmann 
ist der Meinung, ich bin so zu Werke ge- 
gangen. Geschmackssache! 

„Jede Kunst isf vorläufig und thatsächlich 
eine Abstraction von der Wirklichkeit; sie 



— 46 — 

giebt, wenn auch nichts Anderes, so doch 
keinesfalls die ganze Wirklichkeit. Ein Ge- 
mälde kann eben nicht Bewegung, Geräusch, 
Gerüche zur Darstellung bringen. Arno Holz 
muss dies zugeben; . . ." 

Selbstverständlich! Wie sollte er nicht? 
Mit Vergnügen! Behauptet er es doch sogar! 
Und zwar nachdrücklichst und aus eigenster 
Initiative! 

,. . . . aber er schiebt es auf die UnvoU- 
kommenheit der Reproductionsbedingungen, 
deren ungeachtet die ,,Tendenz'* nach absoluter 
Naturtreue bestehen bleibt." 

Schiebt? Schiebt es auf die Unvoll- 
kommenheit der Reproductionsbedingungen ? 
Inwiefern? Ich glaube, das ist nicht, ganz 
correkt ausgedrückt, Herr Carl Erdmann! Er 
schiebt es nicht auf die UnvoUkommenheit 
der Reproductionsbedingungen, sondern er 
erklärt es durch sie. Das ist präciser. Das 
trifft besser! 

„Also gerade in der ..." 

Lese ich recht? 

„Alsogerade inder Beurtheilung der eben 
angeführten Thatsache scheiden sich die Wege/ 



— 46 — 

In der Beurtheilung? Wer? Wie? Wo? 
Ich?! Wann?!! 

„Um den Gegensatz in der Auffassung 
scharf zu marldren, könnte man sagen: Arno 
Holz behauptet : Die Thatsache, dass die Kunst 
nicht in jeder Hin sieht eine treue Wieder- 
gabe der Natur ist, ist eine (mehr und mehr 
zu beseitigende) Unvollkommenheit, also 
ein Mangel. Wir behaupten: Diese Thatsache 
ist nicht nur eine nicht zu beseitigende Noth- 
wendigkeit, sondern ihr eigenster Vorzug. 
Und zwar wiederholen wir: ein Vorzug auch 
dann, wenn man als die höchste und einzige 
Aufgabe der Kunst eine Wiedergabe der 
Wirklichkeit, eine Darstellung dessen, was ist, 
erachten wollte.** 

Verzeihen Sie! Dergleichen Unsinn habe 
ich nie behauptet. Ich habe mich einfach 
begnügt, den Satz aufzustellen: so und so ist 
es! Mit andern Worten, ein Naturgesetz 
zu constatiren. Und nun nachträglich zu 
kommen und sich Mühe zu geben, den Leuten 
einzureden, ich hätte damit ein Lob oder 
einen Tadel aussprechen wollen, als ob ich 
ein Schulmeister wäre und die Weltgeschichte 



— 47 — 

eine Fibel, ist ein derartiges Vorgehen, dass 
ich wirklich gern davon Abstand nehme, es 
hier zu Charakter isiren. Es thut mir leid, dass 
Sie das noch nicht gewusst haben, Herr Carl 
Erdmann! Aber lassen Sie es sich wenigstens 
gesagt sein: indem ich ein Naturgesetz con- 
statire, lobe ich die Dinge weder, noch tadle 
ich sie, sondern erkläre sie nur. Nichts 
weiter. 

„Eine Analogie aus der Wissenschaft!** 

Bitte! 

„Wenn ein Physiker die Fallgesetze stu- 
diren will, so lässt er bekanntlich einen 
Körper im luftleeren Räume fallen. Nun ist 
aber der luftleere Raum ein Ding, welches 
in Wirklichkeit nicht vorkommt; nur durch 
künstliche und complicirte Vorrichtungen lässt 
er sich annähernd herbeifuhren. Also gerade 
um die Wirklichkeit in ihrer Gesetzmässigkeit 
zu erfassen, muss die Wissenschaft gewisse 
Factoren, welche „in Wirklichkeit** immer 
auftreten, unterdrücken und bei ihren Unter- 
suchungen gänzlich ausser Acht la*ssen." 

Ganz richtig! Und ich, Herr Carl Erdmann, 
bin sicher der Letzte, der dagegen, dass sein 



— 48 ~ 

College, der Physiker, so vorgeht, etwas ein- 
zuwenden hat. 

„Ganz Aehnliches thut aber auch die 
Kunst: sie erfasst die Wirklichkeit nur da- 
durch, dass sie einen Theil derselben zur 
Anschauung bringt, dass sie sich also auch 
abstrahirend verhält. Und gerade ihre hohe 
und specifische Wirkungsweise beruht darin, 
dass sie sich auf das für ihre Zwecke We- 
sentliche und Werthvolle beschränkt, 
während die Wirklichkeit m ihrer unendlichen 
Fülle des gleichzeitigen Seins und Geschehens 
verwirrt." 

Bestreite ich weder, noch habe ich jemals 
bestritten! Nur bin ich wirklich gespannt, 
welche Folgerungen Herr Carl Erdmann 
hieraus beabsichtigt? 

„Kommt es — um bei der angezogenen 
Anologie zu bleiben — darauf an, rein die 
Gesetzmässigkeit in der gegenseitigen An- 
ziehung eines Körpers und der Erde zu er- 
kennen, so erscheint die Einwirkung der 
Luft nicht nur als ein ganz unwesent- 
licher, sondern als ein störender Factor." 

Wieder nicht zu bestreiten! Absolut nicht 



— 49 — 

zu bestreiten! Und der Physiker, der sein 
abstractes Gesetz gefunden hat und es uns 
nun dahin erläutert, dass es in Wirklichkeit 
durch diesen Factor stets „gestört'^ wird, 
phantasirt der damit von einer „(mehr und 
mehr zu beseitigenden) Un Vollkommenheit" 
in den Dingen, „also" einen „Mangel"? Ich 
solhe doch meinen, keineswegs! Er weiss nur 
zu sehr, wie vollendet kindisch das wäre! 
Und ich, der ich auf einem andern Gebiete, 
das freilich unendlich complizirter ist, aber 
doch wohl a priori derselben Gesetzmässig- 
keit unterliegt, genau dasselbe Verhältniss 
constatirt habe, ich soll mich damit dieser un- 
säglichen Lächerlichkeit schuldig gemacht 
haben? Ich muss gestehn, ich begreife nicht 
recht, wie das zugehn soll. Ich würde 
mich aufrichtig freuen, wenn Herr Carl Erd- 
mann so liebenswürdig sein wollte, mir das 
zu erklären. Hören wir weiter! 

„Und soll ein Kunstwerk rein durch 
körperliche Formen wirken , so kann — 
in ganz analoger Weise — alle Farbenge- 
bung nicht allein zwecklos, sondern störend 
sein". 



— 60 — 

Selbstverständlich! Wenn es das „soll*', 
wer wird das in Abrede stellen? 

„Und lediglich, wenn die Formen der Natur 
nicht entsprechen, könnte man bei dem fraglichen 
plastischen Werke von Unwahrheit reden." 

Freilich! Eine Folgerung von förmlich 
unglaublicher Richtigkeit! 

,,Aber zu sagen, die heutige Plastik als 
solche sei unwahr, weil sie von Farbe, Bewe- 
gung etc. abstrahirt, ist ebenso geistreich, wie 
zu sagen, das von der theoretischen Physik 
formulirte Fallgesetz sei falsch, weil es nicht 
den Einfluss der Luft in Betracht zieht." 

Allerdings! Ja! Tausendmal ja! Aber 
das sagt ja Niemand! Ich am wenigsten! 
So »geistreich* bin ich ja gamicht, Herr Carl 
Erdmann! Merken Sie denn nicht, immer 
noch nicht, dass Sie gegen Windmühlen 
kämpfen? Dass es nur Ihre eigenen phan^ 
tastischen Einbildungen sind, denen Sie so 
wüthend die Köpfe absäbeln? 

„Wie bei den meisten Denkfehlem, so 
haben wir es auch bei den Holz sehen De- 
ductionen mit unberechtigten Verallgemeine- 
rungen zu thun." 



— 51 — 

Nun ja, also! Da haben wir's ja! Nur 
bitt ich Sie: warum erst jetzt? Warum nicht 
schon längst? Wenn Sie mir das nachweiset!, 
bin ich geliefert!! Alles Uebrige bisher war, 
offen gestanden , ziemlich überflüssig ; und 
Sie hätten es sich ruhig sparen können! 

„Hätte Arno Holz sein Gesetz bedingt 
formulirt, hätte er behauptet: Die Kunst hat 
die Tendenz, in gewisser Hinsicht die 
Natur zu scheinen — von dem unglücklich 
gewählten „sein" sehe ich ganz ab, — so 
würde er nicht nur etwas Richtiges, sondern 
auch etwas sehr Bekanntes und Selbstver- 
ständliches ausgesagt haben." 

Eben! Aber er war Narr genug, etwas 
bis dato sehr Unbekanntes auszusagen. Etwas, 
wie es merkwürdiger Weise thatsächlich den 
Anschein hat, für die meisten Menschen sehr 
wenig Selbstverständliches. Und daher füge 
ich denn auch sofort hinzu: Geschieht ihm 
ganz Recht, dass jetzt Herr Carl Erdmann 
kommt und ihm seine „Absurditäten* vorhält 
Jeder erntet, was er gesät hat! 

„Kein vernünftiger Mensch wird bestreiten, 
dass die absolute Naturtreue eines Gemäldes 

4* 



— 62 — 

etwa in Rücksicht auf Perspective oder geisti- 
gen Ausdruck der dargestellten Personen ein 
allgemein erstrebtes Ziel ist; kein Mensch be- 
hauptet, das Kunstwerk habe in dieserHin- 
sicht nicht die Tendenz, die Natur zu sein. 
Aber Arno Holz sagt nicht, in „gewisser 
Hinsicht**, er meint „in jeder Hinsicht", 
und in diesem schematischen, nicht genügend 
diflferentiirenden Denken liegt die Quelle aller 
seiner Irrthümer.** 

Nicht wahr, Herr Carl Erdmann? Und 
solche Irrthümer beabsichtigen Sie mir jetzt 
nachzuweisen? Bitte! Das soll mir ausser- 
ordentlich angenehm sein. Es wird sich ja 
dann offenbaren, wer von uns Beiden „diffe- 
rentiirender" denkt! Sie oder ich? Oder 
„schematischer". Je nachdem. Sie werden 
wählen können. 

„Und doch drängen sich gewisse Unter- 
scheidungen ganz von selbst auf. Schreibende 
und sprechende Automaten, athmende Wachs- 
figuren oder Schlachtenbilder mit wirklichem 
Pulverdampf und Gewehrfeuer entzücken zwar 
den Pöbel auf den Jahrmärkten, aber niemals 
hat man dergleichen Machwerke für eine 



— 53 — 

Fortentwicklung der bildenden Künste gehalten 
trotzdem bei ihnen die „Tendenz" hervortritt, 
die Natur in noch höherem Grade zu „sein", 
als dies bei den echten Kunstwerken der 
Fall ist." 

Halt! In diesem Absatz stecken Ihre Be- 
weise. Prüfen wir sie, ob sie wirklich welche 
sind. Sind sie's, dann bin ich geschlagen und 
es wird mir nichts andres übrig bleiben, als 
meine Waffen zu strecken. Sind sie*s indessen 
nicht, dann müssen sie sich nothwendiger 
Weise in ihr Gegentheil verkehren und, statt 
meine Position zu untergraben, werden sie 
vielmehr dazu beitragen, sie noch uneinnehm- 
barer zu machen. 

Sie führen an „schreibende und sprechende 
Automaten, athmende Wachsfiguren" und die 
bekannten „Schlachtenbilder mit wirklichem 
Pulverdampf und Gewehrfeuer" auf den Jahr- 
märkten. Offenbar, wie ich wohl annehmen 
darf, als beliebige Beispiele ein und derselben 
Gruppe, wie sie Ihnen grade einfielen? Mithin, 
ich brauche nur Eins dieser Beispiele zu wider- 
legen, um zugleich damit auch die Hinfällig- 
keit aller übrigen dargethan zu haben. Ja, 



— 54 — 

noch weiter. Ich brauche mich sogar zu 
diejsem Zwecke nicht einmal an eins der Bei- 
spiele zu halten, die Sie ausdrücklich genannt 
haben. Die unumgängliche Voraussetzung ist 
nur, dass es unbestreitbar ebenfalls in jene 
Kategorie gehört. 

Stimmt das? Geben Sie mir das bis 
hierher zu? 

Ich bitte Sie darum, nicht weil ich hinter- 
rücks ein Taschenspielerkunststückchen vor- 
habe, sondern weil ich meine Erläuterungen 
gerne an ein Beispiel knüpfen möchte, das 
mir möglichst „liegt". Verstehn Sie mich 
wohl: es ist absolut nicht, was man so nennen 
könnte, etwa leichter, es ist nur interessanter! 
Und das muss Sie ja am Ende ebenfalls 
reizen. Es findet sich in Taine, „Philosophie 
de Tart**, premiere partie, pag. 38. 

Taine vergleicht hier eine griechische 
Statue mit einem jener bekannten geschnitzten 
Heiligenbilder, wie man sie häufig in katho- 
lischen Kirchen sehn kann: „vdtus dun froc 
v6ritable, la peau jaunätre et terreuse comme 
il convient ä des ascetes, les mains sanglantes 
et le flanc perce comme il convient. ä des 



— 55* — 

stigmatisäs; ä c6t6 d'eux, des madonnes en 
habillements royaux, en toilettes de föte, v^tues 
de soie liistr6e, par6es de diadömes, de Colliers 
pr6cieux, de frais rubans, de dentelles magni- 
fiques, la chair ros6e, les yeux brillants, les 
prunelles formees d*une escarboucle." Und 
der Eindruck dieser beiden Werke auf ihn 
ist, wie man sich leicht vorstellen kann, ein 
sehr verschiedner. Taine findet den heid- 
nischen Marmor ebenso vollendet schön, wie 
er das christliche Schnitzwerk vollendet 
hässlich findet. Während der erste ihn leb- 
haft anzieht, stösst ihn das zweite lebhaft ab; 
ja, erfüllt ihn mit Widerwillen, Ekel und 
theilweise sogar Abscheu. Gefühle, die ich 
bei dieser Gelegenheit alle vollkommen be- 
greife. Ich möchte in der That den unter 
den Gebildeten unseres Jahrhunderts sehn, 
der, in die gleiche Lage versetzt, nicht genau 
ebenso fühlte! Aber ist, frage ich, derSchluss 
berechtigt, den Taine hieraus zieht? Nämlich 
der Schluss, dass also in der exakten Repro- 
duction der Natur das Wesen der Kunst un 
möglich bestehn könne, da doch offenbar in 
der zweiten Skulptur, mit ihren grellen Farben, 



— 56 — 

wirklichen Gewändern und echten Edelsteinen, 
die Idee der Nachahmung bis an ihre äusserste 
und letzte Grenze realisirt sei („rimitation 
pouss6e jusqu'au bout"), während die erste, in 
ihrer einen, gleichfarbigen Tönung und mit 
ihren Augen, denen sogar die Augäpfel fehlen, 
doch ebenso offenbar weit hinter dieser Grenze 
zurückgeblieben sei? 

Darauf erwidre ich: Nein! Dieser Schluss 
ist nichts weniger als berechtigt! Und zwar 
glaube ich für seine Hinfälligkeit einen Beweis 
beibringen zu können, so durchsichtig in seiner 
Klarheit, so zwingend in seiner Folgerichtig- 
keit, dass es mich wirklich reizt, ihn für 
liebenswürdige Liebhaber von solchen Nipp- 
sächelchen hier in eine ebenso hübsche wie 
handliche Formel zu bringen. Und zwar 
dieses, wie ich hinzufüge, umsomehr, als ich 
thatsächlich davon überzeugt bin, diese würde, 
den Fall gesetzt, dass ich mich geirrt hätte 
und Bock über Bock geschossen, meinen 
Gegnern, um mich zu widerlegen, eine nur 
um so bequemere und leichtere Handhabe 
bieten. Und ich betone, es läge mir nichts 
daran, ihnen eine solche unter derartigen 



— 57 — 

Umständen nicht bieten zu wollen. Denn 
ich wiederhole auch hier, und zwar nach- 
drücklich, was ich schon einmal wiederholt 
habe: y,¥js handelt sich nicht für mich darum, 
dass ich meinen Kopf durchsetze, sondern 
dass eine Wahrheit ermittelt wird; nichts 
weiter!** Freilich! Habe ich mich nicht 
geirrt, habe ich nicht Bock über Bock ge- 
schossen, ist dieses Pech vielmehr meinen 
armen Gegnern passirt, dann werden sie sich 
ihre Zähne an ihr nur um so zeitiger zer- 
brechen und um so gründlicher. In beiden 
Fällen mein Vortheil. Sehen wir also zu, ob 
es mir gelingt. 

Taine hatte, um uns seinen Beweis zu 
führen, sagen wir einen Faun neben einen 
Nepomuck gestellt und war dabei, alstertiiun 
comparationis an die Natur denkend, zu der 
Ueberzeugung gelangt, dass die Idee ihrer 
Nachahmung in der zweiten Skulptur ungleich 
stärker realisirt vorläge, als in der ersten. 
Sodann hatte er, von der Voraussetzung aus- 
gehend, dass ein Kunstwerk unser Gefühl um 
so restloser befriedigen müsse, je vollendeter 
es wäre, d. h. also, mit andern Worten aus- 



— 58 — 

gedrückt, je deutlicher in ihm das innere 
abstracte Wesen der Kunst auch in die äussere 
concrete Erscheinung getreten wäre, constatirt, 
dass der arme Nepomuck, und zwar ganz im 
Gegensatz zu seinem Collegen, dem Faun, 
sein Gefühl nichts weniger als befriedigte. 
Woraus sich dann, als Schluss, die Folgerung, 
dass also in der exacten Reproduction der 
Natur das Wesen der Kunst unmöglich be- 
stehn könne, ganz von selbst ergab. 

Dieses lässt sich, da wir uns nun einmal 
in den Kopf gesetzt haben, so zu verfahren, 
ausdrücken, wie folgt: Nepomuck =: Natur 
— X, Faun = Natur — x — u. Voraussetzung 
aber: Kunstwerk resp. Kunst stets = Gefühl. 
Dieses, im vorliegenden Falle, = Faim, 
folglich, da Faun = N — x — u, auch das 
Gefühl selbst = N — x — u, und weiter, da 
es immer = Kunstwerk, resp. Kunst sein 
muss, auch dieses, resp. diese = N — x — u. 
Oder noch kürzer, wenn man fiir Nepomuck Np, 
für Faun Fn, für Natur N, für Kunstwerk resp. 
Kunst K und fiir Gefühl G gelten lassen will: 
Np = N — X, Fn = N - X - u, K = G, G 
= Fn = N — X — u, folglich K = N — x — u. 



— 59 - 

Dieser Beweis krankt vor Allem an einem 
Fehler, den man grade bei einem Manne wie 
Taine am wenigsten hätte vermuthen sollen. 
Nämlich, Taine setzt sein Gefühl für das Ge- 
fühl überhaupt. Er sagt, weil mein Gefühl 
durch den weissen Faim dort befriedigt wird, 
wird das Gefühl überhaupt durch ihn befrie- 
digt; xmd weil mein Gefühl durch den bunten 
Nepomuck dort beleidigt wird, wird das Ge- 
fühl überhaupt durch ihn beleidigt. Nur ver- 
gisst er dabei leider ganz, dass es vor ihm 
und neben ihm auch noch Menschen giebt, 
resp. gegeben hat. Menschen aus Sphären so 
unendlich fem der, in der er momentan lebt 
und athmet, dass ihr Gefühl ganz im Gegen- 
theil diu*ch den bunten Nepomuck befriedigt 
und durch den weissen Faun beleidigt wird, 
resp. befriedigt und beleidigt wurde. 

Wie also, wenn diese Menschen aus ihrem 
genau entgegengesezten Gefühl heraus den ge- 
nau entgegengesetzten Schluss folgern woll- 
ten? Respective hätten folgern wollten? Denn 
sicher stünde ihnen das doch wohl mit genau 
demselben Rechte frei, respective hätte ihnen 
frei gestanden, wie es Taine frei gestanden 



— 60 — 

hat! Also des Inhalts, den Faun finde ich 
scheusslich, der Nepomuck füllt mir das Herz 
mit Entzücken, in ihm tritt das Bestreben, 
möglichst der wirkliche Nepomuck zu sein, 
schärfer hervor, als das gleiche Bestreben mit 
der selbsverständlichen Abänderung im Faun, 
folglich besteht das Wesen der Kunst in einer 
möglich exacten Reproduction der Natur; oder 
kürzer in unsrer Buchstabensprache: Np = N 
— X, Fn = N — X — u, K = G, G = Np = 
N — X, folglich K = N — X. Würde er 
auch nur um ein Tausendstel Gran weni- 
ger plausibel erscheinen als der Taine'sche? 
Trotzdem er doch, wie man mir zugeben 
wird, genau das Gegentheil besagt? Gewiss 
nicht! Denn er ist genau wie dieser nur das 
durchaus logische Resultat aus genau den- 
selben Voraussetzungen, Woraus sich denn 
freillich sofort und ganz von selbst ergiebt, 
dass es mit diesen irgendwie „hapern" muss. 
Und in der That! So wenig ich auch Taine 
das Recht bestreite, K = G zu setzen, oder 
gar das ihm zweifellos noch weit besser ver- 
briefte, dieses G wieder = Fn, so energisch 
muss ich dagegen Einspruch erheben, dass er 



— 61 — 

zugleich auch Np = N — x setzt und Fn 
= N — X — u. Wieso?! Wie kommt er 
dazu?! Ich behaupte, es ist einfach nicht 
wahr, dass die Tendenz, möglichst wieder 
die Natur zu sein, in den katholischen Heiligen 
in höherem Maasse realisirt erscheint, als in 
den griechischen Göttern. Nie und nimmer! 
Wenigstens nicht von uns aus gerechnet. 
Von Taine und von mir! 

Einen recht grellen, schrillen, schreienden 
Beweis ! Mir zur Verfügung steht die Laokoon - 
gruppe. Ich rasire dem Sohn des Antenor 
mit einem Meissel geschickt den schön ge- 
kräuselten Schnurrbart aus und klebe ihm da- 
für, statt des steinernen, einen aus wirklichen 
Haaren an, kunstvoll von einem Friseur ver- 
fertigt. Bin ich nun damit der Natur näher 
gekommen? Nicht im Geringsten! Sondern 
im Gegen theil! Ich habe mich mit dieser 
Manipulation- nur um zehntausend Ellen weiter 
von ihr entfernt. Denn ich habe mit ihr in 
meinem Werke Proportionen geschaffen und 
Missverhältnisse, wie sie in der Natur aber 
auch nicht einmal annähernd vorkommen! 
Und der sofortige Effect auf mich, ein Gemisch 



— 62 — 

aus Lachen und Ekel, ist mir daher aus 
meinem ersten grossen Grundgesetz heraus 
nur allzu begreiflich. Denn dieses sagt mir: 
Alles, was in der Kunst gegen die Natur 
verstössty muss mir missfallen, ganz gleich, 
ob ich will oder nicht, xmd zwar um so 
heftiger, je deutlicher mir die betreffenden 
Verstösse auch als solche zum Bewusstsein 
kommen. Und natürlich, ebenso umgekehrt! 
Genau dieselbe aber und absolut keine andere 
Methode, als die eben von mir angewandte, 
nur bis in ihre letzten, äussersten Consequenzen 
hinein, haben ihrer Zeit die frommen, christ- 
lichen Bildschnitzer befolgt, wenn sie z. B. 
ihrer himmlischen Magd, zu all dem übrigen 
Brimborium, auch noch ein paar Edelsteine 
in das bepinselte Gesicht setzten. Oder etwa 
nicht? Ich sollte doch sehr energisch meinen! 
Nur freilich merkten das damals die Biedern 
nicht. Sie waren von ihrer Idee,- die Himm- 
lische auch so himmlisch als nur irgend 
möglich zu geben, so erfüllt, dass sie sich 
gamicht bewusst wurden, wie sehr sie, trotz 
all ihrer Mühen, doch immer und immer 
wieder hinter der Realisirung dieser Idee 



— 63 — 

zurückblieben. Ja^ dass sie sogar die Lücke x 
immer nur grösser und klaffender machten, 
je eifriger sie sich instinktiv bemühten, sie 
zuzustopfen. Die Aermsten waren eben zu mise- 
rable Künstler! Nein, nein und noch einmal 
nein! Nicht weil ihm diese, so schändlich 
ausstaffirte katholische Himmelskönigin zu na- 
türlich erscheint, prallt Taine unwillkürlich 
vor ihr zurück, sondern ganz im Gegentheil, 
weil sie ihm zu unnatürlich vorkommt! Sein 
Gefühl vor ihr würde sich sonst unmöglich 
bis zum Ekel steigern! Und umgekehrt! Eine 
Venus von Milo! Was wäre an ihr nicht 
wunderbar, d. h. nicht „Natur**? Etwa, dass 
sie nicht nickt, wenn man sie anstösst? Dass 
sie nicht angepinselt ist? Das Haar tief 
beinschwarz und die Backen „gesund** mit 
Zinnober? Grässlich! Und doch giebt es 
Menschen, die „naiv** genug sind, zu behaupten, 
das gute Kind würde dann „natürlicher** aus- 
sehn! Grauenhaft! Unnatürlicher!! Ein Scheusal 
aus der neunundneunzigsten Dimension, von 
dem ich wirklich ehrlich wünschte, es würde 
den Betreffenden alle Nacht in ihren Träumen 
erscheinen, bis sie kurirt sind! 



— 64 — 

Nein! Kein Tüpfelchen dürfte an diesem 
Wunderwerk anders sein, als es ist. „Die 
Kunst hat die Tendenz, wieder die Natur 
zu sein; sie wird sie nach Massgabe ihrer 
jedweiligen Reproductionsbedingungen und 
deren Handhabung." Die Reproductions- 
bedingung war in diesem Falle der und der 
grosse Block Marmor und die und die, so und 
so beschaffenen Instrumente: Meissel, Hämmer, 
Bohrer, was weiss ich! Und nun möchte ich 
den sehn, der mir kommen will und behaupten, 
mit diesem Material hätte etwas geleistet 
werden können, was der „Natur** thatsächlich 
hätte noch „näher" kommen können! Und 
eben, weil dieses „Noch -näher" nicht ge- 
leistet worden wäre, trotzdem es — ich 
wiederhole das! — hätte geleistet \yerden 
können, deswegen wäre das Werk ein so 
ausserordentliches! Blasphemie!!! Und Taine 
behauptet es! Behauptet es steif und fest und 
mit ihm die ganze alte Aesthetik! Sie be- 
hauptet, die heilige Mutter Gottes in Czen- 
stochan wäre eine getreuere Copie der „Natur", 
als die Göttin, die sie ausgegraben haben in 
Milo! Blasphemie! Blasphemie!! Blasphemie!!! 



— 65 — 

Ich rekapitulire: Ich hatte Taine das Recht 
bestritten, in seiner Formel Np = N — x zu 
setzen und Fn=N — x — u; indem ich vielmehr 
behauptete, dass dieWerthe von Np und Fn 
sich in ihr grade umgekehrt verhielten. We- 
nigstens, ich wiederhole das, von ihm und 
von mir aus gerechnet Ist es mir gelungen, 
dieses auch zugleich zu beweisen? Ich hoffe 
es! Mithin, ich halte mich für berechtigt, 
die Taine*sche Formel jetzt zu fassen, wie 
folgt: Np = N — X — u, Fn = N — X, K = G, 
G = Fn = N — X, folglich K = N — x. 
Die Voraussetzungen kann Taine mir un- 
möglich bestreiten, die Folgerung noch weniger, 
mit andern Worten: Ich habe ihm genau 
das Gegentheil bewiesen von dem, was er 
mir hatte beweisen wollen. Genügt das? Ich 
würde, offen gestanden, einigermaassen ver- 
blüfft sein, wenn man mir darauf mit Nein 
antworten wollte. 

Und nun, Herr Carl Erdmann, Ihre 
„schreibenden und sprechenden Automaten**, 
Ihre ^athmenden Wachsfiguren" und Ihre 
„Schlachtenbilder mit wirklichem Pulverdampf 
und Gewehrfeuer** ! Soll ich wirklich mit ihnen 

5 



— 66 — 

auf mein Exempel noch die Probe machen? 
Ich denke, ich erlasse es mir. Diese Arbeit 
erfordert, nachdem die Basis zu ihr einmal 
geschaffen, eine zu massige Intelligenz, als 
dass ich mir herausnehmen dürfte, sie Ihnen 
hier abzunehmen. Etwa, wie man einem 
Kinde eine Vase nicht anvertraut, aus Angst, 
es könnte mit ihr fallen und sich die Nase 
kaput schlagen. Das wäre für Sie nur be- 
leidigend und für mich nicht grade schmeichel- 
haft. Halten wir also damit die Geschichte 
für erledigt und gestatten Sie mir höchstens, 
dass ich hier zum Schluss auf die ersten Worte, 
mit denen ich diese meine Entgegnung auf Ihren 
letzten Einwurf einleitete, wieder zurückkomme: 
Halt! In diesem Absatz stecken Ihre Be- 
weise. Prüfen wir sie, ob sie wirklich welche 
sind. Sind sie*s, dann bin ich geschlagen 
und es wird mir nichts andres übrig bleiben, 
als meine Waflen zu strecken. Sind sie's in- 
dessen nicht, dann müssen sie sich noth- 
wendigerweise in ihr Gegentheil verkehren 
und, statt meine Position zu untergraben, 
werden sie vielmehr dazu beitragen, sie noch 
unneinnehmbarer zu machen. 



— 67 — 

Hat meine Prophezeiung sich erfüllt? Ich 
bilde es mir wenigstens ein. Wollen Sie jetit 
fortfahren ? 

^Erstreckt sich aber bei der Nachbildung 
menschlicher Figuren die fragliche „Tendenz 
Natur zu sein'', lediglich auf Körperformen, 
Ausdruck und Geberde, so kann gerade in 
Hinsicht auf die künstlerische Wirkung die 
Annäherung an die Wirklickheit überhaupt 
nicht weit genug getrieben werden.** 

Ganz meine Meinung, Herr Carl Erdmann! 

„Eine menschliche Gestalt mit weissem 
Gesicht und grünen Haaren lehnen wir ohne 
weiteres ab, und zwar lediglich wegen ihrer 
Unwahrheit. Aber eine weisse Marmorfigur, 
oder eine ganz mit grüner Patina überzogene 
Bronzestatue finden wir ebenso wenig unrea- 
listisch, wie eine gleichmässig in allen Dimen- 
sionen ausgeführte Verkleinerung oder Ver- 
grösserung.** 

Wie gesagt, noch einmal: ganz meine 
Meinung, Herr Carl Erdmann 1 Nur sehe ich 
wirklich nicht ein, wozu Sie hier alle diese 
Selbstverständlichkeiten überhaupt noch erst 
zu Papier bringen? 

5* 



\ 



— 68 — 

„Und wir wiederholen: ein einfarbiges 
Werk der Plastik kann weit besser geeignet 
sein, eine bestimmte Seite der Wirklichkeit 
die Form, unserm Verständniss zu erschliessen, 
als ein solches, welches mit einer realistischen 
Bemalung versehen ist." 

Zum dritten Mal, Herr Carl Erdraann: 
ganz meine Meinung! Mit andern Worten: 
Sie kämpfen wieder einmal gegen die be- 
rühmten Windmühlenflügel 1 Mein Beileid! 

„Statt also wichtige Unterschiede zu ver- 
wischen ..." 

Verzeihen Sie! Aber ich möchte Sie diesen 
Satz denn doch nicht zu Ende schreiben lassen, 
ohne mich gleich gegen seine ersten Worte 
zu verwahren. Wer „verwischt" denn „wich- 
tige Unterschiede?" Sie, oder- ich, Herr 
Carl Erdmann? Oder, noch besser: wer hat 
denn solche verwischt? Ich meine, nach all 
dem Vorhergegangenen kann Ihnen das jetzt 
keinen Augenblick lang mehr zweifelhaft sein. 
Statt also so sinnloses Zeug hier — aber nein ! 
Ich wiU doch lieber noch ein ganz klein 
wenig damit warten! Statt also wichtige 
Unterschiede zu verwischen 



. • • « 



— 69 — 

„wie Holz dies thut, lediglich zum Zwecke, 
recht allgemeine Sätze zu erhalten, ist es 
gerade Aufgabe der Aesthetik, diese Unter- 
schiede scharf zu präcisiren.** 

So! Jetzt habe ich Sie also audi aus- 
reden lassen, Herr Carl Erdmann! Es hat 
mir zwar einige Ueberwindung gekostet, denn 
was Sie da gesagt haben, ist wieder gradezu 
ein ganzer Rattenkönig von Verdrehungen, 
Irrthümem und Missverständnissen gewesen, 
aber ich hatte Ihnen mein Wort gegeben und 
war also auch nur verpflichtet, es Ihnen zu 
halten. Also! Erstens! Wo und wann habe 
ich mir erlaubt, „wichtige Unterschiede** zu 
„verwischen"? Ich stelle Ihnen hier diese 
Frage noch ein Mal, Herr Carl Erdmann, und 
bitte Sie dringend, mir darauf zu antworten. 
Zweitens! „Lediglich zum Zwecke, recht all- 
gemeine Sätze zu erhalten." Auch dafür er- 
bitte bescheiden den Nachweis. Er würde, 
falls thatsächlich im Anschluss an den ersten 
erbracht, mich einer Unehrlichkeit überführen, 
die natürlich jede weitere Diskussion mit mir 
vollständig überflüssig erscheinen lassen müsste. 
Mit Charlatanen diskutirt man nicht. Man ver- 



— 70 — 

setzt ihnen nur einfach den Betreffenden und 
lässt sie dann laufen. Also^ nicht wahr? Wenn 
ich bitten darf! Drittens! Denselben Passus 
noch ein Mal: „Lediglich zum Zwecke, recht 
allgemeine Sätze zu erhalten.*' Mit andern 
Worten, wenn ich Sie recht verstehe! Sie 
scheinen sich über den Werth von solchen 
„recht allgemeinen Sätzen ** noch nicht ganz 
klar zu sein? Vielleicht gestatten Sie daher^ 
dass ich mir die Mühe mache, Sie darüber 
aufzuklären? Derartige „recht allgemeine Sätze *^ 
repräsentiren, vorausgesetzt natürlich, dass sie 
wahr sind, Gesetze. Und es ist eine alte 
Geschichte, dass solche um so werthvoUer 
sind, grade je allgemeiner sie sind. Nur hätte 
ich wirklich nie geglaubt, dass ich Ihnen der- 
artiges A-b-c-Zeug noch erst vorbeten müsste! 
Viertens! „Ist es gerade Aufgabe derAesthe- 
tik, diese Unterschiede schart zu präcisiren.* 
Diese? Welche, Herr Carl Erdmann? Ich 
verstehe Sie nicht! Die ich verwischt habe? 
Aber ich wiederhole, ich habe keine ver- 
wischt! Ist mir ja gamicht eingefallen. Mit- 
hin, Ihre „Aufgabe*' scheint mir eine ziemlich 
dunkle . . . 



— 71 — 

„Auch für eine rein realistische Kunst — 
denn von allem Idealisiren^ Stilisiren und Dar- 
stellen reiner Phantasievorstellungen sehen wir 
hier ja grundsätzlich ab — sind zu unter- 
scheiden." 

Bitte schön! Aber nur ein ganz kleines 
Augenblick chen und im Vorbeigehn! Dass 
Sie von all diesen schönen Sachen hier grund- 
sätzlich absehn^ ist zwar ausserordentlich ent- 
gegenkommend von Ihnen und liebenswürdig, 
Herr Carl Erdmann, aber zugleich auch, wie 
ich Ihnen nicht verhehlen kann, ebenso ausser- 
ordentlich überflüssig. Denn ich wiederhole; 
das Gesetz, dass ich gefunden, begreift ein 
altes japanisches Götzenbild nicht minder, als 
eine moderne französische Porträtstatue, einen 
Böcklin nicht minder, als einen Menzel Nur 
muss man es freilich vorher sozusagen ver- 
standen haben, Herr Carl Erdmann I Ich er- 
innere Sie an die alte Weisheit: Wenn die 
Fliege nicht weiss, wozu sie ihren Rüssel hat, 
verhungert sie auf einem* Pudding ! Doch ich 
lasse Ihnen wieder das Wort. Also auch für eine 
rein realistische Kunst sind zu unterscheiden: 

„1) Abweichungen von der Natur, welche 



— 72 — 

unter allen Umständen eine UnvoUkommenheit 
darstellen, welche also in dem mangelhaften 
Können des Künstlers, in den „Reproductions- 
bedingungen" und deren Handhabung, be- 
gründet sind.** 

Gestatten Sie, dass ich Sie bereits wieder 
unterbreche! Aber es ist leider durchaus 
nöthig. Sie schreiben, „Abweichungen, welche 
in dem mangelhaften Können des Künstlers 
begründet sind", und glauben damit, wie un- 
weigerlich aus Ihrem Zusatz hervorgeht, meine 
Anschauimg wiedergegeben zu haben: „in den 
Reproductionsbedingungen und deren Hand- 
habung". Und das nennen Sie differenziirend 
denken, Herr Carl Erdmann? Ich bitte Sie! 
Mein Satz, zum Ueberfluss noch einmal ins 
Treffen geführt, lautet: „Die Kunst hat die 
Tendenz, wieder die Natur zu sein; sie wird 
sie nach Maassgabe ihrer jed weiligen Repro- 
ductionsbedingungen und deren Handhabung". 
Und ich meine, es ist doch wohl nur allzu 
selbstverständlich, dass grade diese letzte, 
und zwar absolut ausnahmslos und in allen 
Fällen, von einer geradezu unübersehbaren 
Reihe von Motiven bestimmt wird und nicht 



— 73 — 

blos durch Ihr ein ärmliches „mangelhaftes 
Können" des Künstlers? Grade diese tausend 
und abertausend sich kreuzenden Motive in 
jedem Einzelfalle möglichst zu entwirren und 
so diese „Handhabung** als eine, wenn ich 
mich so ausdrücken darf, aus ihrem „Milieu** 
heraus noth wendige darzustellen und somit 
die jedesmalige Grösse der Lücke x erklärt 
zu haben, stellt mein Satz ja als eine 
der vielen grossen Aufgaben unserer Wissen- 
schaft hin! Begreifen Sie denn das gamicht, 
Herr Carl Erdmann? Ist das wirklich so schwer? 

„2) Abweichungen, die durch Zweck- 
mässigkeitsgründe geboten erscheinen. Hier- 
her sind z. B. viele Verkleinerungen zu zählen: 
es ist nicht möglich nur lebensgrosse Bilder 
an eine Zimmer wand zu hängen." 

Gewiss doch! Und das leugnet ja auch 
Niemand. Meine Formel am allerwenigsten, 
Herr Carl Erdmann! Die Thür, die Sie mit 
dieser Rubrik einrennen wollen, steht offen, 
sperrangelweit offen. Bitte, überzeugen Sie 
sich! Sie können ruhig eintreten. Sich vorher 
so hoch die Hemdsärmel aufzustreifen, ist 
wirklich ganz überflüssig. 



— 74t — 

„3) Abweichungen, welche den ureigensten 
Verzug der Kunst ausmachen. Hier handelt 
es sich meist um ein Abstrahiren^ um eine 
Beschränkung auf einzehie Seiten oder Theile 
der Wirklichkeit — wodurch jene grössere 
Fülle, jene Concentration auf das Wesentliche 
und Werthvolle erzielt wird, auf welcher die 
höhere Wirkung der Kunst der Wirklichkeit 
gegenüber beruht" 

Meinetwegen! Schön! Auch diese dritte 
Rubrik zugegeben. Wenigstens ihrem Kern 
nach; denn die Schaale ist für meinen Ge- 
schmack hie und da denn doch ein wenig zu 
antiquirt und barock. Nur frage ich: sind Sie 
wirklich, Herr Carl Erdmann, der naiven 
Ueberzeugung, wiegen Sie sich wirklich in dem 
Glauben^ dass Sie mit diesen Ihren drei Arm- 
seligkeiten bereits die ganze und wahrhaft er- 
drückende Fülle von Ursachen, die jener Lücke x 
zu genau ihrer jedesmaligen Grösse verhelfen^ 
ausreichend spezialisirt haben? Nun, dann lassen 
Sie es sich gesagt sein, Herr Carl Erdmann: 
es wäre mir ein Kinderspiel, Urnen hier noch 
dreissig solcher Dinge anzuführen und zwar 
ohne jede Mühe und rein aus dem Stegreif^ 



— 75 — 

aber selbst den Fall gesetzt^ es gelänge mir, 
ihre Anzahl bis auf dreihundert und weiter 
fortzuführen^ würde nicht jede dieser kleinen 
Thatsachen nur dazu beitragen, meinem Satze 
noch eine kleine Stütze mehr zu verleihen? 
Ich hoffe, Sie werden ihn nachgerade denn 
doch wenigstens insoweit verstanden haben, 
um mir dieses jetzt glattweg zuzugeben? Mit 
andern Worten, so leid es mir auch thut, 
aber auch diese Ihre drei Rubriken waren 
höchst überflüssig! Und ich muss gestehn, 
fast wäre ich versucht hinzuzufügen: was 
bisher nicht? 

Zum Schluss, schnell, ehe ich zu Ihrem 
Nächsten übergehe, noch Eins. Nämlich Ihre 
Phrase: „ . . . . auf welcher die höhere Wirkung 
der Kunst der Wirklichkeit gegenüber beruht* 
Eine Phrase, glücklich wiedergekäut nun schon 
durch die Jahrhunderte. Aber es ist mir un- 
möglich, an ihr vorüberzugehn, ohne meine 
Ueberzeugung zu äussern, dass die Zeit un- 
möglich mehr fern sein kann, wo man vor 
ihr dastehn wird, kopfschüttelnd, wie vor 
den ausgegrabenen Knochen eines alten vor- 
sündfluthlichen Unthiers. Wie war es nur 



— 76 -- 

möglich, wird man fragen, dass mit einem 
derartigen Blödsinn, den jede Erfahrung doch 
sofort hätte über den Haufen werfen müssen, 
operirt wurde, wie man mit einem Axiom 
operirt? Und doch ist die Lösung eine sehr 
einfache. In dieser Phrase gipfelt die letzte 
Consequenz der alten Aesthetik. Genau wie 
in der gegentheiligen Ueberzeugung meine 
eigene Anschauung mündet. Das sagt Alles! 
„Bei dieser dritten Kategorie haben wir 
übrigens nicht blos jene Abstractionen im 
Auge, welche allen Werken einer ganzen 
Kunstgattung gemeinsam zukommen, wie z. B. 
die Abstraction von Bewegung und Geräusch 
bei der Malerei. Wir meinen, dass auch im 
Einzelnen ein Kunstwerk gewisse Elemente 
der Wirklichkeit unterdrücken bezw. abändern 
kann, wenn diese Elemente für die beabsich- 
tigte Wirkung ohne alle Bedeutung sind. So 
abstrahirt zwar die dramatische Kunst im All- 
gemeinen nicht, wie die Malerei von der 
Zeit, aber es muss ihr in gewissen Fällen 
gestattet sein, die Zeit in einer, der Wirklich- 
keit nicht entsprechenden Weise zu verkürzen, 
falls sie nicht auf alle „Verdichtung" ver- 



— 77 — 

ziehten und ihre Wirkungskraft selbst zer- 
stören will." 

Selbstverständlich! Aber, bitte, vielleicht 
lassen Sie sich die kleine Mühe nicht ver- 
driessen und lesen noch einmal meine letzten 
Bemerkungen durch? Aber, nicht wahr? recht 
aufmerksam! Vielleicht kommen Sie dann 
dahinter. 

„Wie weit nun freilich der Künstler in 
dieser Freiheit gehen darf, ohne dass die von 
einer unzählbaren Menge scheinbarer Kleinig- 
keiten abhängende Glaubhaftigkeit des Werkes 
vernichtet werde und das unbehagliche Ge- 
fühl der Unwahrheit sich störend in's Be- 
wusstsein dränge — diese Frage im Allge- 
meinen zu beantworten ist die Aesthetik 
eben so wenig im Stande, wie die damit im 
Zusammenhang stehende Frage: was ist „we- 
sentlich" oder was ist „werthvoU"? Hier- 
über kann nur im einzelnen concreten Fall 
entschieden werden." 

Natürlich! Und hat ja auch noch Niemand 
verlangt! Also schnell das Nächste! Höchstens, 
dass Sie mir vielleicht vorher noch meinen 
verbindlichsten Dank gestatten für das „unbe- 



— 78 — 

hagliche Gefühl von Unwahrscheinlichkeit", 
das sich „störend in's Bewusstsein drängt**! 
Fühlen Sie denn das nicht? Bereits diese 
einzige kleine Conzession und Ihr ganzes 
System wackelt! Indessen, ich erspare es mir, 
wieder darauf zurückzukommen. Die Ge- 
schichte wird sonst langweilig. 

„Und so müssig gewöhnlich die Frage 
nach dem Zwecke der „Kunst" ist, . . ." 

Gewissl Diese alte^ kindische Frage 
haben wir uns längst abgewöhnt. Wir kennen 
nur noch Ziele. 

„ .... so nothwendig ist hier die Frage 
nach dem Zwecke des einzelnen Kunstwerks, 
nach der Absicht des Künstlers. Nur wenn 
man weiss, was der Künstler im speziellen 
Falle zur Darstellung hat bringen wollen, 
wird man anzugeben im Stande sein, was 
wesentlich und was werthvoU ist, und von 
welchen Faktoren der Wirklichkeit bis zu 
einer gewissen Grenze abstrahirt werden darf, 
von welchen nicht.*' 

Natürlich I Natürlich! Nur, ich wieder- 
hole. Alles so entsetzlich selbstverständlich, 
Herr Carl Erdmann, so nachgerade uns Allen 



— 79 — 

an den Filzpantoffeln abgelaufen^ dass ich wirk- 
lich wieder nicht recht einsehe, warum Sie mir 
das hier überhaupt noch „aufs Butterbrod 
schmieren"? Thut Ihnen denn gar nicht Ihre 
schöne Zeit leid? 

^Auch hier sei es gestattet, an die oben 
angezogene Analogie aus der Wissenschaft zu 
erinnern." 

Gewiss! Wenn es durchaus sein muss, 
wieso nicht? Ich bin kein Spielverderber. 

„Ich hatte betont, dass bei der Formu- 
lirung des Fallgesetzes die Luft eine »stö- 
rende" Rolle spielte und dass sie demgemäss 
beseitigt werden musste. Das hindert natürlich 
nicht, dass in einem anderen Capitel der 
Physik gerade der Einfluss des Luftwider- 
standes auf die fallenden Körper zum Gegen- 
stande der Untersuchung gemacht wird. Was 
also hier als störend und unwesentlich be- 
seitigt wurde, das wird dort als Hauptsache 
in den Vordergrund gerückt. Und so ist's 
auch in der Kunst. Was bei einem Kunst- 
werk als ein nebensächliches bezw. störendes 
Element der Wirklichkeit beseitigt oder ver- 
ändert wurde, das ist bei einem anderen 



— 80 — 

hervorragendes Objekt der künstlerischen Dar- 
bietung." 

Wünschen Sie hierfür meinen Namen als 
Unterschrift? Ich cedire Ihnen seine acht 
Kuchstaben mit Vergnügen. Nur — pardon! 
Aber, dass ich Sie daran erinnere! Ich glaube, 
Sie hatten vor, mir Verschiednes nachweisen 
zu woUen? Erstens, dass die in meinem 
Buche befolgte „Methode der Untersuchung — 
eine ganz eigenartige Induction — von einer 
gradezu rührenden Kindlichkeit** gewesen 
wäre, zweitens, dass die „positivistischen Grund- 
sätze und Schlagworte, deren ich mich bedient 
hatte, von mir — milde gesagt — nur halb 
verstanden** wären, drittens, dass „überhaupt 
meine ganze Anschauungsweise prinzipiell 
verfehlt** wäre, etc. etc.! Kurz, ein ganzes 
Sündenregister! Und, wie ich zu meinem 
Schrecken eben bemerke, nähert sich Ihr 
Aufsatz bereits bedenklich seinem Ende! Sie 
beabsichtigen doch nicht etwa, mir das Alles 
schuldig zu bleiben, Herr Carl Erdmann ? Sie 
Werden mir zugeben: das wäre nur wenig 
nobel von Ihnen! Ich will also noch Geduld 
haben. Vielleicht irre ich mich und Sie sind 



— BI- 
SO liebenswürdig, Ihre versprochenen Dukaten 
doch noch funkeln zu lassen! 

^Auch für die einzelnen Kunstarten lassen 
sich nur innerhalb enger Grenzen Bestimmun- 
gen treffen, auf welche Seiten und Theile sie 
sich zu beschränken haben. Zwar erscheint 
es ohne weiteres als selbstverständlich, dass 
die Plastik von allen Wirkungen auf Ohr und 
Nase abzusehen habe und dass sie sich mit 
der Darstellung eines einzigen Zeitmoments 
begnügen müsse; aber schon bei der Farbe 
erheben sich Zweifel, Ich habe oben aus- 
drücklich die Berechtigung einer einfarbigen 
Plastik anerkannt^ ich habe zugegeben, dass 
es Kimstwerke giebt, deren specifische Wir- 
kung und deren Vorzi^ darin besteht, dass 
sie uns die Form erschliessen, indem sie von 
der Wirklichkeit ausschliesslich sie zur An- 
schauung bringen. Man kann selbst zuge- 
stehen, dass alle bisherigen guten Werke der 
Bildhauerkunst wohl daran thaten, sich ledig- 
lich auf den reinen Formenschein zu beschränken. 
Ob aber nicht auch Kunstwerke möglich 
sind, deren Wesen und Vorzug gerade in 
dem Zusammenwirken von Form und Farbe 

6 



— 82 — 

besteht, das lässt sich a priori weder läugnen 
noch beweisen. Nur durch Erfahrung allein 
kann hier ein Urtheil gewonnen werden.^ 

Weiter! In diesem Absatz funkelt noch 
nichts. Es ist mir höchstens ziemlich räthsel- 
haft, gegen wen alle diese hirchtbaren Hiebe 
ins Blaue gerichtet sein sollen. Gegen mich 
doch hoffentlich auf keinen Fall, Herr Cail 
Erdmann? Bleiben also wieder nur noch die 
armen Windmühlenilügel. Gratuliere! 

,,Ich wiederhole: es ist unmöglich^ ganz 
im Allgemeinen Gesetze aufzustellen, in welcher 
Hinsicht und in welchen Elementen die Kunst 
oder auch nur einzelne Künste eine unbe- 
dingte Naturtreue erfordern, und in welcher 
Hinsicht ein Abweichen von der Natur zweck- 
mässig oder nothwendig erscheint*' 

Darf ich das ebenfalls wiederholen? Und 
vielleicht zugleich auch noch die ganz be- 
scheidene Anfrage, ob Herr Carl Erdmann 
mir etwa damit unterschieben will^ ich hätte 
den Versuch gemacht, solche „Gesetze** auf- 
stellen zu wollen? Das wäre mir, und zwar 
in seinem eigensten Interesse, sehr schmerzlich. 

„Dass aber überhaupt ein Kunstwerk — 



— 83 - 

auch wenn es ein rein realistisches Kunstwerk 
ist — nur in gewissen Elementen eine 
Nachbildung der Wirklichkeit bezwecken kann, 
das kann nicht bestritten werden.^ 

Verzeihen Siel Aber Sie drücken sich 
wieder etwas zu wenig deutlich aus, Herr 
Carl Erdmann! Sie schreiben: ,,eine Nach- 
bildung der Wirklichkeit bezwecken kann.** 
Bezwecken kann ein Kunstwerk doch wohl 
Alles, was seinem betreffenden Künstler grade 
einfällt? Also auch eine Nachbildung der 
Wirklichkeit in allen Elementen! Die 
Frage ist doch wohl nur die, ob es zugleich 
auch eine solche sein kann? Und da müssten 
Sie, Herr Carl Erdmann, selbst es doch 
eigentlich am Besten wissen, dass ich grade 
der Allererste bin, der auf diese Frage mit 
einem absoluten und wohlüberlegten Nein 
antwortet. Wozu also, ich wiederhole, dieser 
wirklich wieder einmal höchst überflüssig ge- 
wesene Athem Ihrer Rede? Ich verstehe 
das nicht recht! 

„Völlig sinnlos aber ist die Forderung 
einer „exakten Reproduction" der Wirklich- 
keit, völlig unerfindlich das Begehren, im 

6* 



— 84 — 

Kunstwerk eine höchst überflüssige Doublette 
der Natur herzustellen." 

Also doch? O, wie mir das weh thut! 
Und damit sind Sie bereits im Begriff, Ihren 
Aufsatz zu schliessen? ,, Völlig sinnlos aber 
ist die Forderung einer exakten Re- 
production der Wirklichkeit." Unglaublich! 
Also, mit anderen Worten: ich habe 
diese „Forderung" aufgestellt! Wo, wo, 
wo, Herr Carl Elrdmann!?! Ich erinnere Sie 
an Ihre eigene, wunderbare „Analogie aus 
der Wissenschaft." Hat der Physiker, der 
dort sein Fallgesetz formulirte, zugleich mit 
diesem auch die „Forderung" aufgestellt, die 
Luft aus der Welt zu streichen? Sicher! Sie 
würden den Schuster, der das behaupten 
wollte, wieder schleunigst an seinen Leisten 
zurückschicken. Nun, ich auch, Herr Carl 
Erdmann, ich auch! Wir können eben nicht 
alle Organisten sein, es muss auch Bälge- 
treter geben! 

„Ich habe bisher den Inhalt des von 
Holz formulirten angeblichen Grundgesetzes 
einer Betrachtung unterzogen." 

Jawohl! Das haben Sie, Herr Carl Erd- 



— 86 — 

mann, das haben Sie! Und diese „Betrachtung" 
war auch darnach! Ich erinnere Sie nochmal 
an den Schuster! 

„Ich kann nicht unerwähnt lassen, dass 
schon an sich das Suchen nach einem „Ge- 
setze der Kunst'* prinzipiell verfehlt ist. Warum 
sucht man nicht nach dem „Gesetze der Wissen- 
schaft?" Wer sagt uns denn, dass es über- 
haupt ein allgemeingültiges Gesetz giebt, 
welches jedem Kunstwerke, jeder Kunst und 
gleichzeitig aller Kunstentwicklung ausnahms- 
los zu Grunde liegt?" 

Wer? Wer uns das sagt? Sie meinen 
offenbar was, Herr Carl Erdmann! Was 
uns das sagt! Was ich Ihnen hierauf er- 
widre? Dass ich Ihnen nochmal und zwar 
äusserst dringend die Leetüre meines Buches 
empfehle. Dort steht Ihre Frage längst be- 
antwortet. Und zwar ausserordentlich aus- 
führlich imd auf nicht weniger als vierzehn 
langen Seiten. Sie scheinen sich wirklich das 
Vergnügen gemacht zu haben, sie zu über- 
schlagen. 

„Es ist eine seltsame Ironie, dass Holz, 
der so überaus imkritisch und unwissenschaft- 



— 86 — 

lieh in seiner Methode vorgegangen ist, der Be- 
gründer einerwissenschaftlichen Aesthetik 
zu sein glaubt.** 

Hand aufs Herz, Herr Carl Erdmann! 
Die ,,seltsame Ironie**, von der Sie sprechen, 
mit Vergnügen zugegeben. Aber fühlen Sie 
nicht nächgerade selbst, dass sie vielmehr 
darin besteht, dass gerade Sie kommen und 
mir diesen Vorwurf machen müssen? Sie, der 
dabei so „überaus kritisch** und „wissenschaft- 
lich** in seiner Methode vorgegangen? 

„Sein Verfahren hat vielmehr Aehnlich- 
keit mit dem der selig entschlafenen Natur- 
philosophie: er suchte das Allgemeine, bevor 
das Einzebie genügend erkannt war.** 

Sie scherzen, Herr Carl ErdmanI Ein der- 
artiges Verfahren habe ich nie angewandt. 
Aber, verzeihen Sie! Ich sehe, Sie wollen 
Ihren Vorwurf noch näher begründen. Bitte 
schön ! 

„Wenn heute Vertreter der elementaren 
Aesthetik allerhand Experimente veranstalten, 
wenn z. B. Souriau die Pulsschläge einer Reihe 
von Menschen zählt, wenn er diese Menschen 
Aussagen über den ihnen am meisten zu- 



— 87 — 

sagenden Rythmus machen lässt und dann 
das Gesetz aufstellt: , Jeder Person gefällt 
der Rythmus ihres eigenen Herzschlags am 
meisten*', so haben wir es hier gewiss nur 
mit einer ziemlich subalternen Gelehrtenthätig- 
keit zu thun und die Tragweite des gefundenen 
Gesetzes ist überaus gering. Was aber ge- 
funden wurde, ist wenigstens wahr und die 
Methode ist die einer exakten Wissenschaft." 
Und was ich gefunden, ist also nicht wahr» 
Herr Carl Erdmann? Schön! Ich hätte nichts 
dagegen. Nur frage ich Sie: Weshalb haben 
Sie mir denn das nicht bewiesen? Mehr ver- 
lange ich ja nicht! Weshalb haben Sie es 
denn immer nur behauptet? Behauptungen 
sind doch im Leben keine Beweise! Ich 
muss also schon wirklich recht sehr bitten: 
nicht so naiv!! Und nun gar erst Ihr 
Vorwurf, nicht bloss mein Resultat wäre 
verkehrt, sondern auch bereits meine Me- 
thode. Warum? Weil sie nicht die einer 
exacten Wissenschaft gewesen wärel Haar- 
sträubend! Wahrhaftig haarsträubend! Als 
ob es nicht auch Wissenschaften gäbe, die 
nicht exact sind! Und als ob picht diese 



— 88 — 

grade ihre eigenen Methoden erforderten! 
Lassen Sie es sich daher gesagt sein, Herr 
Carl Erdmann: Hätte ich Ihrem Verlangen 
entsprochen und wäre es mir eingefallen, die 
Methoden der Experimentalforschung ohne 
Weiteres auch auf mein Spezialgebiet der 
Soziologie zu übertragen, so würde dieses 
gradezu das Dümmste gewesen sein, dessen 
ich mich überhaupt hätte schuldig machen 
können. Ist das deutlich? Ich hoffe. 

„Wenn aber Arno Holz, ohne sich um das 
Einzelne zu kümmern. ..." 

Pardon, Herr Carl Erdmann I Aber, ob- 
gleich dieses bereits Ihr letzter Satz ist, kann 
ich doch nicht umhin, Ihnen wieder ins Wort 
zu fallen. Sie schreiben: „ohne sich imi das 
Einzelne zu kümmern," wieder eine Unwahr- 
heit, wie sie totaler gar nicht gedacht werden 
kann. Mein Verdacht, dass Sie mein Buch 
wirklich nur äusserst oberflächlich gelesen 
haben können, befestigt sich in mir immer 
mehr und mehr. Denn Sie hätten sonst nie 
diese Lächerlichkeit zu Papier bringen können. 
Sie hätten sich sonst entsinnen müssen, dass 
es ganz im Gegentheil grade das Einzelne 



*« 



■V 



- 89 - •:.'.:•.. 

gewesen, um das ich mich gekümmert! •• Dass 
ich einzig aus ihm geschlossen auf'dfe'Ge* 
sammtheit und nicht umgekehrt! •'..•*': 

„. . . . gleich das ganze grosse Gebiet der .- 
Kunst im Allgemeinen mit einem einzig^p ^^. 
Gesetz erschliessen will, so macht das vielleicht ."'- 
seinem Wollen und seiner Phantasie Ehre: - 
Wissenschaft ist es jedenfalls nicht." 

Was zu beweisen war, Herr Carl Erdmann, 
was zu beweisen war! 



*•.'« 



# •' 



Darf ich das Resümee ziehn? 

Ich war auf Grund meiner Studien, imd 
zwar meiner practischen sowohl wie meiner 
theoretischen, von Allen, die je über die hier 
verhandelte Materie nachgedacht haben und 
geschrieben, als Erster und, wie ich hinzufüge, 
auch bis heute noch von Niemand darin unter- 
stützt, zu der Ueberzeugung gelangt, dass die 
Kunst, wie jede grosse Bethätigung der Mensch- 
heit, einer bestimmten, deutlich durch die 
Entwicklung nachspürbaren „Tendenz** unter- 
worfen sei, und dass diese „Tendenz" darin 
bestünde, „wieder die Natur zu sein." Ich 



r • 



'• W 



— 90 — 






bemerke,* 3er Ausdruck „Tendenz" stammt 

von/J^fhft Stuart Mill. Und es ist vielleicht 

nidtft ..'überflüssig, für den Fall, dass man die 

•Absicht haben sollte, ihn um keinen Preis hier 

9 

. vefstehn zu wollen, auf Band II, Buch IE, 
^\/;Kapitel X, § V der „Logik" zu verweisen. 
Man kann dort auf fünf klugen Seiten hin- 
reichend über ihn informirt werden. . . Mein 
Satz also, in seiner ersten, rohesten Form 
und noch ohne jede Gliederung, lautete: 
„Die Kunst hat die Tendenz, wieder die 
Natur zu sein". Ein Satz, wie er revolutio- 
närer auf seinem Gebiete gar nicht gedacht 
werden konnte. Denn Alles, was sich bis 
dahin mit diesem Thema beschäftigt hatte, 
war genau von seinem vollendetsten Gegen- 
theil ausgegangen. Also von dem Satz: „Die 
Kunst hat die Tendenz, nicht wieder die 
Natur zu sein." Indessen, so durchaus grund- 
verschieden diese beiden Sätze auch sind, man 
wird mir zugeben, sie treffen sich haarscharf 
in einem Punkte. Nämlich in der Ueberzeugung, 
dass die Kunst in Wirklichkeit thatsächlich 
nie imd unter keinen Umständen mit der 
Natur zusammenfällt. Ihre ganze Gegensatz- 



— 91 — 

lichkeit offenbart sich erst in der Interpretation 
dieser Thatsache. Der Satz, den ich aufge- 
stellt hatte, behauptet, die Kunst fallt des- 
wegen nie mit der Natur zusammen, weil sie 
nie mit ihr zusammenfallen kann; der Satz, 
den die alte Aesthetik vertheidigt, behauptet, 
sie fällt auch noch deswegen nie mit ihr zu- 
sammen, weil sie ausserdem auch gar niclit 
mit ihr zusammenfallen will. Eine dritte 
Interpretation dieses Thatsachen Verhalts, den 
als real vorhanden niemand leugnet, aber ist, 
wie man mir wohl zweifellos abermals zugeben 
wird, nicht mehr möglich, beide schüessen sich 
gegenseitig aus, folglich: welche von ihnen 
ist die richtige? Diese Frage ist eine so 
wenig müssige, dass, nachdem sie überhaupt 
erst einmal aufgeworfen, von ihrer Beant- 
wortung gradezu die ganze einschlägige Wissen- 
schaft abhängt. Und um endlich einmal die 
Diskussion über sie anzuregen, schrieb ich 
mein Buch, dessen vorläufig zweiter Theil 
hier mit diesen Blättern vorliegt; denn ich 
vermuthe, er wird nicht der letzte bleiben. 
Meine Absicht, ich wiederhole es, wäre bei 
den merkwürdigen Zuständen, die heute in 



— 92 — 

litteris bei uns herrschen, nicht erreicht worden, 
ich hätte mich damit zuh-ieden geben müssen, 
dass man mich, anstatt mich zu widerlegen, ein- 
stimmig mit Schmutz bewarf, wenn meine Arbeit 
nicht glücklicher Weise auch in die Hände 
von Herrn Carl Erdmann gefallen wäre. 
Er ist der einzige meiner Gegner, der sich 
bemüht hat, mich nicht wie seine hochzuver- 
ehrenden Herren CoUegen durch Schweigen 
tpdtzuschlagen oder durch Schimpfen, sondern 
durch Gründe. Und so fadenscheinig, wie man 
sich erinnern wird, ich diese zu halten auch 
gezwungen war: ich bin ihm zu Dank ver- 
pflichtet! Und so vermag ich denn auch 
nicht, diese Blätter hier zn schliessen, ohne 
ihm diesen ebenso offen wie ehrlich aus- 
zusprechen. Möge er mir meine eventuellen 
kleinen Heftigkeiten hie und da freundlichst 
nachsehn. Sie war^i nie persönlich gemeint 
Sondern immer nur sachlich. Nur eben, wie 
ich schon ein Mal sagte: Kein Mensch kann 
über seine Nasenspitze wegl Und — leider 
Gottes — aber ich erfreue mich auch einer 
solchen! 

Ich schliesse, indem ich meinen Salz, den 



— 93 — 

ich nicht für widerlegt halte, noch ein Mal auf- 
stelle: ,JDie Kunst hat die Tendenz, wieder 
die Natur zu sein; sie wird sie nach Maassgabe 
ihrer jedweiligen Reproductionsbedingungen 
und deren Handhabung." Ich gebe mit Ver- 
gnügen seine Form preis, aber nie seinen 
Inhalt! 

Berlin, Herbst 1891. 



4i 



«ILNnM IMUnS (OUtTAV tOHUHlO KNUN •«• 



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