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Full text of "Die Kunst : Monatsheft für freie und angewandte Kunst"

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DIE  KUNST 


DREISSIGSTER   BAND 


DIE   KUNST 

MONATSHEFTE  FÜR  FREIE 
UND  ANGEWANDTE  KUNST 


<©    DREISSIGSTER    BAND    -ss 

ANGEWANDTE   KUNST 

DER    „DEKORATIVEN    KUNST« 
«  >s  «  «  XVII.  JAHRGANG'®'®"®'® 


MÜNCHEN  1914 
F.  BRUCKMANN   A.  G. 


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ALLE  RECHTE  VORBEHALTEN 


Druck  von   F.  Bruckmann   A.  G.,  München 


Inhalts-Verzeichnis 


Seite 

Textbeiträge. 

Ammann,  Gustav.  Über  neue  Gärten  225 

Ausstellung  derDcbschitz-Schule  im  Ber- 
liner Kunstgewerbe-Museuih      ....     89 

Ausstellung  des  Deutschen  Werkbundes 
in  Köln 175.  303.  465 

Ausstellung  für  Friedhofskunst  des  Ver- 
bandes deutscher  Granitwerke  in  Leip- 
zig  101 

Ausstellung  „Gut  und  Böse"  in  Offen- 
bach a.  M 344 

Ausstellung  ,, Raumkunst"  in  München  325 

Ausstellung  von  Ideen-Entwürfen  für 
farbiRe  Flächenverzierung    in  Krefeld  386 

Ausstellung  von  Bühnenbildern  zum 
„Parsifal"  in   Frankfurt  a.  M 457 

Baur,  Albert.    Die  Zürcher   Theatcr- 

kunst-Aiisstellung 393 

Berichtigungen 288 

Bernhart,    Max.      Plaketten    von   Jan 

Wysocki 13 

Braungart,    Richard.      Alfred    Soders 

Exlibris 355 

Guido  B.  Stella 401 

Walter  Klemm 513 

Deubner,  Ludwig.  Die  Farbe  ioiBlumen- 
garten 45 

Dreytus,  Albert.  Kind  und  Kunst  in 
Frankreich 145 

Eisler  Max.  Das  Österreichische  Haus 
auf  der  Deutschen  Wcrkbund-Aus- 
stellung  in  Köln 465 

—  —  Das  Werkbund-Theater  Henry  van 

de  Veldes 558 

Fischel,  Hartwig.  Nordböhmijche  Glas- 
arbeiten     377 

Foitzick,W.  Arbeiten  von  Else  Löwenthal  385 

—  —  Eisenarbeiten  vonW.Haggenmacher325 
Fritz  Schmoll  von  Eisenwerth    .    .  279 

—  — ■  Venezianische  Gläser 431 

Fuchs,    Ludwig    F.       Ausstellung    für 

Friedhofskunst    des    Verbandes   deut- 
scher  Granitwerke  in  Leipzig    ....  101 

Oleichen-Rußwurra,    Alexander  von. 

Ein  deutsches  Bürgerhaus 297 

Grolman,  W.  von.    Grabdenkmale  von 

Ernst  Haiger 242 

Haenel,  Erich.  Das  Dresdner  Haus 
auf  der  Internationalen  Baufach-Aus- 
stellung Leipzig  1913 29 

—  —  Ein  städtischer  Wohnsitz  der  Ge- 
genwart      105 

—  —  Metallarbetten  von  Adolf  Sonnen- 
schein   435 

HeuC,  Theodor.  IMeue  Arbeiten  aus 
den  Werkstätten  P.  Bruckmann  & 
Söhne,   Heilbronn 50 

•  Eine  Geschichte  der  Gartenkunst  348 

JatM,  Ernst.  Nymphenburgcr  Porzellan  521 

Kaiser,  Hans.  Das  neue  Rathaus  in 
Hannover 201 

—  —  Ludwig  Vicrthaler 409 

Kalkschmidt,    Eugen.      Arbeiten    von 

Hans  Schmithals 265 

^  —  Haus  Bassermann-Jordan  in  Mün- 
chen   417 

Kleinhempel,  E.  Haus  Blumeneck  in 
Bremen 361 

Lesefrüchie  43.  56.  64.  268.  302.  411.  429 
Lichtenberg,  Josef.     .Ausstellung   von 
Ideen-Entwiirfen  für  farbige  Flächen- 
Verzierung  in  Krefeld 386 

Maaß,  Harry.  Der  Deutsche  Volkspark 
der  Zukunft 292 


Seite 
Muthesius,  Hermann.    Haus  Hußmann 
in  Cottbus 505 

Pazaurek,  Gustav  E.   Stilisierung  und 

Naturalismus 16 

Pelka,  Otto.  Moderne  Bernstein- Arbeiten  286 

—  —  Schmucksachen  von  Paul  Pfeiffer     42 
Popp,  Josef.  Haus  Schwaltcn  bei  Füssen        1 

Riß.     Urheberrecht  und  Eigentum     .    .     66 

Schinnerer,  Johannes.  Moderne  Illu- 
strationskunst   117 

Schmid,  Max.  Wohnhausbauten  von 
Felix   Krüger-Köln 249 

Schmidt,  Paul  Ferdinand.  Die  III.  Aus- 
stellung der  Darmstädtcr  Künstler- 
Kolonie     489 

Steigerer,  H.  Zu  den  Arbeiten  Hermann 
Obrists 84 

Stilisierung  und  Naturalismus 16 

Storck,  W.  F.  Die  künstlerische  In- 
szenierung des  ,, Parsifal" 457 

Ubell, Hermann.  Die, .Vereinigte Wiener 

und  Gmundncr  Keramik" 53 

Urheberrecht  und  Eigentum 66 

TVallsee,  H.  E.  Figurinen  zu  Ernst 
Hardts  «Schirin  und  Gertraude«  .    .    .  289 

Westheim,  Paul.  August  Gaul  und 
seine  Plastiken  am  Klöppeihatis  in 
Hamburg 441 

—  —  Ausstellung  der  Debschitz-Schule     89 

—  —  Der  Märchenbrunnen 17 

Der  Strauß 345 

—  —  Die  Stickerin  Florencejessie  Hösel  373 

—  —  Franziska  Brück  und  ihre  Schule  233 

—  —  Haus  Kuppel  in  Frankfurt     .    .    .  153 
Holzplastik 313 

—  —  Keramische  Werkstätte  Debschitz  273 

—  —  Neue  Tapetenmuster 246 

Plastiken  von  Paul  Wynand     .    .  193 

Woher  und  Wohin  > 303 

Widmer,    Karl.    Das   Haus   Albert    in 

Wiesbaden 57 

—  —  Fresken  von  Walther  Gcorgi  in  der 
Abteikirche  zu  Sankt  Btasien    ....  169 

—  —  Töpfereien  von  Max  Länger     .    .  240 
Wolf,  Georg  Jacob.  Angclojanks  stili- 
stische Rciterbiider      87 

—  —  Ausstellung  ,, Raumkunst"      .    ,    .  329 

—  —  Die  Deutsche  Wcrkbund  -  Aus- 
stellung      175 

—  —  Der  Deutsche  Werkbund  und  die 
Deutsche  Werkbund- Ausstellung  in 
Köln 529 

—  —  Majoliken     von    Goossens-Biehler  425 

—  —  Vom  Münchner  Kunstgewerbe  .    .  332 


Abbildungen. 

Adler,  Friedrich.  Synagoge  .  .  573—575 
Albiker,  Karl.     Brunnen-Figur    ....  547 

Relief 69 

Schnitzereien 80.  81.  323 

—  —  Steinzeuggruppen 546 

Ammann,  Gustav.  Gärten  ....  225—232 

Barlach,  Ernst.  Holzfiguren  .  .  314.  315 
Bartenstein,  M.  Bemalte  Holzdose .  .  92 
Baumbach,  E.  von.     Halskette    ....  335 

—  —  Silbernes  Körbchen  .......  334 

Bayer,  K.     Metall-Arbeiten  ....    92—94 

Bayros,  Franz  von.     Zeichnungen   .   .  136 

Bechtler,  E.     Messingteller 97 

Beck,   M.     Kinderhäubchen 98 

Behmer,  Marcus.  Radierung  ....  139 
Behrens,  Peter.     Plakat 415 

—  —  Festhalle      der      Werkbund -Aus- 
stellune 532.  533 

Bergk,  H.  Bemalte  Holzdosen  ....  92 
Bertina,  Walter.     Figurinen     .   .       .   .  393 


Seite 

Beyda,  K.    Vase 100 

Biehler,  Johanna.  Majoliken.  .  425—430 
Billing,  Hermann.  Grabsteine  .  102.  103 
Blazek,  Franz.  Porzell.-in-Figur  .  .  .  525 
Böres,  Franz.  Silbergerät  ....  50.  52 
Bredow,  G.  A.  Reliefs  .  .  216.  217.  219 
Brück, Franziska.  Blumenschmuck  233—239 
Butters-Krieger,  E.  Steinzeug  .   .  275.  276 

Caran  d'Ache,  E.  Pierre.  Spielzeug  145 
Christophe,  Franz.  Zeichnungen  .  .  137 
Czeschka,  C.  O.    Zeichnungen  .    122.  123 

Dammann,  Hans.    Grabstein 103 

Daubner,  G.    Bühnenbild 457 

Dell  'Antonio,  C.   Holzplastik  .   .    313.  322 

Diez,  Julius.    Mosaikbilder 208 

Weihnachts-Teller 116 

Diviky,  Josef  von.    Zeichnungen  124  —  126 

Dodt,  G.     Gestickte  Decken 342 

Doli  &.  Stellmacher.  Ornamentale  Pla- 
stik     35-37 

Bberhardt,  Hugo.  Haus  Ruppel  in 
Frankfurt 153—168 

Ebert,   L.     Majolika-Vasen 91 

Ecg,  Carl,und  Ed.  Runge.  HausBlumen- 
eck  in  Bremen 361—372 

Eggert,  Hermann.  Sitzungssäle  im 
Rathaus  Hannover 221—223 

Einstein,  M.     Kinderhäubchen   ....    98 

Eisenhofer,  Fr.  Majolika  Figuren  89.  91. 

273.  274.  278 

Engels,  Robert.     Bühnenbild 463 

—  —  Zeichnung 141 

Erler,  Fritz.  Wandbilder  im  groUen  Fest- 
saal des  Rathauses  in  Hannover  209—212 

Erlwein,    Hans.      Repräsentationsraum 

der  Stadt  Dresden 542.  543 

Evers,  H.     Gestickte  Decke 99 

Fachschule  Haida.  Geschliffene  Gläser  377 

381-384 

Fachschule  Steinschönau.  Ziervase  .   .  383 

Feldmann,  Julius.     Keramik 56 

Feueihahn,   Hermann.     Plastik.   .   .   .205 
Fiechter,     Ernst.        Haus    Bassermann- 
Jordan  in  München 417 — 424 

Fiscal,  H.     Batik-Arbeit 96 

Fischer,  Alfred.     Wohnhau 556 

Fischer,  Theodor.  Haupthalle  der  Werk- 
bund-Ausstellung     .  531 

Franke,  W.     Grabstein 104 

Forestier,  H.  C.     Figurinen 400 

Frohberg,  S.     Spitzentuch 100 

Fuchs,  Ludwig  F.  Grabstein  ....  104 
Fucker,  O.     Grabstein 103 

Camper,  Gustav.    Bühnenbilder    458.  464 

Garvens,  Oskar.     Relief 218 

Gaul,  August .   .   .  Brunnen  449.  451.  452 

Plastische  Arbeiten    ....  441—448 

Schale 450 

Georgi,    Walther.      Fresken    in    Sankt 

Blasien   und  Studien 169—182 

Gildemeister,  Fr.      Garten   .   .   .  185-192 

Gliesc,  Rochus.     Figurinen 399 

Goossens,  M.  Majoliken  ....  425—430 
Groß,  Karl.     Ornamentale  Plastik  .  33.  34 

—  —  Schnitzereien 41 

Großmann,  J.  P.     Garten  G.  in  Dresden  108 

Guelliot,  Martin.     Puppen 152 

Guldbrandsen,  Jul.  v.  Oster-Teller  .  .  3.54 
Weihnachls-Teller 116 

Haas,  Hermann.  Haupt.Caf*  der  Werk- 
bund Ausstellung     .    •  .   ,   .  .     544.  545 
Habich,  Ludwig.     Grabmalfigur     .   .   .  243 

Medaihon 283 

Haggenmacher,  Walter.  Briefbeschwerer  325 

Eisenatbeiten 326—328 

Haiger,  Ernst.     Grabdenkmale  .   242—245 

Haus  Dr.  Prentzel      ....    297—312 

Halmhuber,  Gustav.  Rathaus  Hanno- 
ver      201-224 


ABBILDUNGEN  —  SONDERBEILAGEN 


Seite 
Hanak,  Anton.    Monumentale  Figuren  46ß 

Hausmann,  G.     Dose 100 

Haxthausen,  Irmgard  von.  Papiermesser  S.SS 

—  —  Schachfiguren 332 

Heidrich,  Max.   Sommerhaus  .   .  565—569 

Teppiche 439.  440 

Heine,  Th.  Th.    Zeichnungen 140 

Heit,  Fritz.  Holzplastilc  ....  321.  324 
Hempel,  Oswin.    Ausstellungsgebäude : 

Das  Dresdner  Haus 29—38 

—  —  Speisezimmer 40.  41 

Hengeler,  Adolf.    Dekoratives  Gemälde  213 

Herting,  Georg.    Reliefs 218 

Hodler,     Ferdinand.        Wandgemälde 

.Der  Eid. 215 

Hoffmann,  Josef.  Das  Oesterreichische 
Haus  auf  der  Deutschen  Werkbiind- 
Ausstellung  in  Köln 465.  467 

—  —  Empfangszimmer 470.  471 

Gläser 378 

—  —  Schmuckarbeiten 480 

Silbergerät 481.  482 

Hoffmann,  Ludwig.  Der  Märchen- 
brunnen     17 — 21 

Hofmann,  Ludwig  V.Wandgemälde  558.  559 
Höger,  Fr.  Klöpoerhaus  in  Hamburg  442.444 
Hösel,  Florence  Jessie.  Stickereien  373—376 
Hoetger,  Bernhard.  Krugtr.ägerinnen  .  495 
Plakat 415 

—  —  Portalfiguren ...  489 

Reliefs  .   ■■   .  57.  80.  490.  494.  495 

—  —  Schnitzerei 66 

Jank,  Angelo.  Reiterbilder  ....    87.  88 

Janke,  Urban.    Blumenschale 378 

Jelinek,  J.    Deckelvasen 380 

Jobst,  Heinrich.    Brunnen 504 

Kärner,  Th.  Porzellan-Figuren  .  521—527 
Katrein,    Heinrich.    Ausstellungsraum  475 

Kaulitz,  Marion.    Puppen 147 

Klaus,  Carl.  Serapis-Fayencen  ....  483 
Klemm,  Walter.        Holzschnitte      und 

Lithographien 513 — 520 

Kleukens,  F.  W.  Damenzimmer  .  .  .  502 
Klingelfuß,  Ernst.    Gärten    .   .    .   486.  487 

Kolb,   Alois.    Zeichnung 120 

Kolisch,  E.     Arbeitskörbchen 90 

Kopecky.  E.  J.    Keramik    .  91.  97.  100.  275 
Körner,  Edmund.     Ausstellungs- Pavil- 
lons     493.  504 

Ehrensaal 499 

Kraut,  G.  Gestickte  Decke 97 

—  —  Hoizdose 93 

Majolika-Teller 276 

Kreidolf,  Ernst.    Buchschmuck  ....  117 
Kreis,  Wilhelm.  Teehaus  der  Werkbund- 
Ausstellung  536 

Krüger,  Felix.      Haus    Dr.  Wilden    in 

Hauset 249-257 

Haus  Paß  in  Remscheid  .    .  258-264 

Krüger,  F.  A.  O.  Möbel     ....  254.  255 

Kruse,  Käthe.    Puppen 150 

Kubin,  Alfred.    Zeichnungen  .   .    128.  129 
Kurreck-Hagn,  A.  liatik-Arbeit ....  343 
Kyander,   Elenius  E.     M-'jolika-Arbei- 
teu 274—276 

Langer,  Richard.  Holzplastik  .   .  316.  317 
Länger,  Max.     Haus   Albert    in    Wies- 
baden   57—82 

—  —  Teppiche 83 

Töpfereien 240.  241 

Lauschke,  R.  Grabsteine  .  .  .  102.  103 
Lefler,  Heinrich.    Bühnenbilder    459.  460 

—  —  Figurinen 461 

Levin,  W.     Kissen 97 

Majolika-Arbeiten  .   .  274.  275.  278 

Lloyd,  C.  Kinderzimmer-Möbel  .  .  .  148 
Lossow  &.  Kühne.  Das  S.^chsische  Haus 

der  Werkbund-Ausstellung  .    .    .  540.  541 

Löwenstein,  O.    Kissen 96 

Löwenthal,  Else.     Einbände  .    .    .  388.  389 

Holzkästchen 388 

Leder-Arbeiten 386.  387 

Möbel 390.  391 

—  —  Schreibtischgerät 389 

Stickereien 385.  388 

Täschchen 386.  392 

Maaß,  Harry.  Garten-Entwürfe  292—296 
Margold,  E.  J.  Ausstellungs-Rcstaurant  496 

—  —  Restaurationssaal 498 

—  —  Silbergerät 50.  51 

Massanetz,  Karl.  Gläser  .  .  .  379.  380 
Matthes,  A.     Schmuckkästchen  ....    94 


Seite 
Mayenburg,  Georg  H.  von.  Bibliothek  39 
Meier-Michel,  Joh.  Majolika -Figuren  354 
Metzendorf,  Georg.     Niederrheinisches 

Dorf 557 

Moser,  Koloman.  Bühnenbild  ....  395 
Müller,  Albin.  Brunnen-Anlage  ....  491 

—  —  Miethausgruppe 500.  501 

Pavillon 492 

Portal 489 

—  —  Sommerhaus 497 

—  —  Speisezimmer 503 

Müller,  F.    Holzdose 93 

Muthesius,  Hermann.    Haus  Huffmann 

in  Cottbus 505—512 

—  —  Gebäude  der  Farbenschau  ....  539 

Nechansky,  Arnold.     Anhänger    .    .    .  481 

—  —  Empfangsraum 479 

Neuhäuser,  Wilhelm.     Porzellan -Figur  524 

Neumann,  A.    Tapeten 200 

Nicolai,  M.  A.  Korbmöbel  .  .  .  183.  184 
Niemeier,  Max.  Porzellan-Figur  526.  527 
Niemeyer,  Adelbert.    Haupt- Cafe  der 

Werkbund-Ausstcllung 544.  545 

—  —  Kinderzimmer 149 

Tapete 248 

Nitsche,  Franz.    Figurinen 396 

Obrist,  Hermann.  Grabmal  ...  84.  85 
Orlik,  Emil.  Bühnenbilder  .  .  395.  397 
Tapeten 246.  247 

Pascin,  Julius.  Zeichnungen  ....  133 
Paul,  Bruno.    Lüster 453 

—  —  Speisezimmer      ....  347.  454.  455 

—  —  Speisezimmer-Mübel 456 

Pavillon 416 

Veranda-Möbel 350 

—  —  Restaurätions-Gebäude    .    .    549 — 555 

—  —  Wandarm 453 

Peche,  Dagobert.    Möbel 476 

Penin,  N.  Bemalte  Holzdosen  .  .  92.  95 
Perks,  Paul.  Dekoratives  Gemälde  .  .  38 
Pfeiffer,  Paul.  Schmucksachen  42—44.  288 
Poppovits,  Cesar.  Ausstellungsraum  .  472 
Powolny,  Michael.  Keramik  .  .  .  53.  55 
Preetorius,EmiI.  Zeichnungen  118. 119.  434 
Prutscher,  Otto.  Ausstellungsraum  .  .  473 
Puchegger,  Anton.  Holzplastik  ....  324 
Pützer,  Friedrich.    Altarwand  ....  576 

«Juandest,  R.    Dose 100 

Rasmussen-BonnS,  E.    Krug 275 

Rauch,  Josef.    Plastiken 17.  20 

Rausch  &.  Reinhard.    Teehaus   ....  416 

—  —  Ausstellungsgarten 537 

Renner,  Paul.    Zeichnungen 131 

Riemerschmid,  Richard.   Haus  Schwal- 

ten  bei   Füssen 1 — 12 

Tapete 248 

Rieth,  Paul.  Weihnachts-Teller  .  .  .116 
Röhnick,  W.  Garten  am  Dresdner  Haus     30 

Roselius,  Chr.    Garten 367 

Rößler,  Paul.     Dekorative  M.tlerei    35-38 

576 
Ruckteschell-Trueb,  C.  von.  Keramik 

275-277 

Körbchen 90 

Runge  &■  Scotland.  Empfangsraum  570.  571 

—  —  Vorraum 572 

Rupp,  August.  Urne 104 

Sandig,    Hans  und  Erna.   Haus  G.  in 

Dresden 105—115 

Schäfer,  J.  V.  Dekorative  Silhouetten  488 
Seheurich,  Paul.  Zeichnungen  ....  142 
Schlaepfer,  Ch.  Stickereien  336.  337.  342 
Schleiß,  Franz  u.  Emilie.  Keramik  .   .    54 

Schlier,  E.    Spitzenhäubchen 98 

Schlopsnies,  Albert.  Puppen  147.  151.  152 

Schmidt,  E.    Arbeilskörbchen 96 

Schmidt-Kestner,  E.  Brunnenfigur  .  .  572 
Schmithals,  Hans.  Herrenzimmer  .  266.  267 

Teppiche 265.  268-272 

Schmoll  von  Eisenwerth,  Fritz.  Möbel  281 

Plastische  Arbeiten    ....    279.  280 

Rektoratskette 282.  283 

Silbernes  Service 284.  285 

—  —  Steinzeug-Reliefs 529 

Schneidler,  F.  H.  Ernst.  Zeichnungen  .  144 
Schnellenbühel,  Gertrud  von.  Dosen    .  330 

Leuchter 331 

Schale 336 

—  —  Schmuck 335 

Silbergerät 329.  330 


Seite 
Schnellenbühel,  Gertrud  von.  Spiegel  .  334 

Schott,  P.    Keramik 100.  278 

Schröder,   Rudolf  Alexander.    Kinder- 
zimmer   149 

Schulz,  Wilhelm.  Faibige  Zeichnung  .  127 
Schwedeier,  A.    Arbeitskörbchen  ...    90 

Holzdose 93 

Seyfried,  Emmy.  Tapeten 248 

Sievert,  Ludwig.  Bühnenbild 462 

Slevogt,  Max.  Zeichnung 132 

Soder,  Alfred.  Exlibris 355—360 

Sonnenschein,   Adolf.   Metallaibeiten 

435-438 
Staeger,  Ferdinand.  Zeichnungen  .  .  .  121 
Staudigl,  Franz.  Serapis-Fayencen  .  ,  483 
Steiner-Prag,  Hugo.  Zeichnungen  .  .  121 
Stella,  Guido  B.    Radierungen    .  401—408 

Stern,  Ernst.  Zeichnung 140 

Stock,  Carl.  Plastische  Arbeiten    .  158.  160 

StoU,  H.    Majolika-Vase 274 

Strnad,   Oskar.    Hof  des    Oesterreichi- 
schen  Hauses  auf  der  Werkbund- Aus- 

stelhmg  in  Köln 468.  469 

Stumpf,  Moritz.  Bernstein- Arbeilen  286.  287 

Taschner,  Ignatius.  Märchenfiguren  22—27 

Täuber,  S.     Kästchen      90 

Tessenow,  Heinrich.  Ausstell ungsiaum  477 
Teutsch,  Walter.  Batik- Arbeit     ....  344 

Themel,  B.    Holzdose 93 

Tiemann,  Walter.  Plakat 415 

Troost,  Paul  Ludwig.  Wandleuchler  .  86 
Tuch,  Kurt.  Tapeten 246.  247 

Ungerer,  Alfons.  Tafelleuchter     ...  199 

Unold,  Max.  Holzschnitte 130 

Uzarski,  Adolf.  Zeichnungen     ....  143 

Velde,  Henry  van  de.     Werkbund- 
Theater    560—563 

Vierthaler,  Ludwig,  Bronzefigiiren  409. 

411.  413.  414 

Dosen 412 

Keramik 410 

—  —  Steinfiguren 414 

Vogeler,  Heinrich.  Weihnachts-Teller  .  116 
Voelcker,  H.  Arbeitskörbchen  ,  ,  .  ,  96 
Voltmer,  Ralph.  Figurinen    289—291.  398 

"Wachsmann,  Lena  von.  Nadelspitzen 

338.  341 
Wackerle,  Joseph.  Holzplastik    .    318.  319 

—  ■ —  Majolika-Arbeiten      522 

Porzellanfigur 528 

Wagner,  E.    Keramik 275.  276 

Waldburg,  J.   von.   Majolika-Arbeiten 

91.  97.  276 
Walser,  Karl.  Buchillustrationen    134.  135 

Warlam,  H.    Majolika-Vase 91 

Weddig,  Heinz.  Holzplastik     320 

Weiß,  E.  R.    Tapeten 246.  247 

Weiß,  H.    Holzdose 93 

Werndorff,  Fritz.  Bühnenbild  ....  459 
Werner,  Selmar.  Marmorfiguren  ...  31 
Wersin,  Wolfgang  von.  Gläser  .  431—434 
Wildermann,  Hans.  Bühnenbilder  463.  464 
Wimmer,  E.  J.    Ausstellungsraum  .    .    .  476 

—  —  Schniuckarbeiten 480.  481 

Witzmann,  Karl.  Ausstellungsraum  .  .  474 
Woelfle,  Alphons.  Zeichnungen  .  .  .  138 
Wrba,  Georg.  Kindergruppen  ...  .28 
Wynand,  Paul.  Plastische  Arbeiten  193—198 
Wysocki,  Jan.  Plaketten 13—16 

Zebisch,  A.  Serapis-Fayence 483 

Zezschwitz,  H.  von.  Holzdose   ....    93 

—  —  Schmiedeeisernes  Kreuz 95 

Zügel,  Willy.   Porzellan-Figur 523 

Zweybrück,  Emmy.  Stickereien     .   .   .  478 


Sonderbeilagen. 

vor  Seite 
Arbeiten    aus    den  Lehr-  und  Versuch- 
Ateliers     Wilhelm     von      Debschitz, 
München 89 

Bertina,  Walter.     Bühnenbild  ;    Hölle  393 

£berhardt,  Hugo.  Haus  Ruppel  in 
Frankfurt 153.  160 

Eeg  und  Runge.  Haus  Blumeneck  in 
Bremen 361.  369 


SONDERBEILAGEN  —  SACH-REGEISTR 


vor  Seite 
Eggert,  Hermann.  Rathaus  in  Hannover  201 

-  Fischer,Theodor.  Haupthalle  derWerk- 

bund-Ausstellung 5-9 

Gaul,  August.  Wisent-Brunnen  in 
Königsberg 453 

Gildemeister,  Fr.   Rosengarten      .  .   .  185 

Haiger,  Ernst.     Haus   Dr.  Prentzel  .    .  297 

Haus  Dr.  Prentzel;  Wohnzimmer  309 

Halmhuber,  Gustav.  Festsaal  im  Rat- 
haus Hannover 209 

Hauschild,  Walter.  Goldfasan  ....  377 
Hempel,  Oswin.  Das  Dresdner  Haus  33 
HofFmann,  Ludwig.  Märchenbrunnen  17.  29 
Höger,  Fr.  Das  Klöpperhausin  Hamburg  441 

Kärner,  Theodor.  Porzellanfignr  Arara  525 

Kolb,  Alois.     Radierung 121 

Kreis,  Wilhelm.     Teehaus    der    Werk- 

bund-Aiisstellung 537 

Krüger,  Felix.     Landhaus  Dr.  Wilden 

in   Hauset 249 

Läuger,  Max.  Haus  Albert  in  Wies- 
baden   57.  69 

Mayenburg,  Georg  H.  von.  Wohn- 
iind  Empfangszimmer 41 

Müller,  Albin.  Mielhausgruppe  inDarm- 
stadt • 489 

Muthesius,  Hermann.  Herrenzimmer 
im  Haus  Huffmann 513 

Niemeyer,  Adelbert.  Haupt-Cafe  der 
Werkbund-Aussteüung 545 

Obrist,  Hermann.     Brunnen 85 

Paul,  Bruno.    Speisezimmer 345 

Rausch  &.  Reinhard.  Badehaus  ...  417 
Riemerschmid, Richard.  HausSchwalten  1.  9 
Runge    &.  Scotland.      Empfangszimmer  573 

Sandig,  Hans.  HausG.  in  Dresden  105.  109 

—  —  Damenzimmer 113 

Schmithals,    Hans.       Handgeknüpfter 

Teppich 269 

Schmoll  von  Eisenwertb,  Fritz.  Majo- 
lika-Figur     281 

Taschner,  Ignatius.    Der  Strauchdieb  313 

IVildermann,  Hans.  Bühnenbild : 
Blumenaue 461 

Wunderwald,  Gustav.  Bühnenbild: 
Bliimenaue 461 


Sach-Register. 

Seile 

Altargerät 435—437 

Altarwand      ...  ...  576 

Anhänger    .    .       .     42-44.  288.  480.  481 

Arbeitstischchen 281 

Armbänder  ....       .  481 

Ausstellungsgebäude  29—32.  465-469.  493 

496.    531—533.   535.  539.  540.  541.  544 

549.  551.  556.  557 

Ausstellunsräume   35—38.  472  —  477    499 

542.  543 

Bad 424 

Balkone 156.  260.  302.  419 

Bänke 74.  281 

Batik-Arbeiten 96.  343.  344 

Becher 287.  330.  378 

Beleuchtungskörper    .    .  86.  202.  453 

Bernstein-Arbeiten 286—288 

Bildnis-Büsten 198.  322 

Blumenschmuck    .   .    .  233—239.  345—353 

Bowle 92 

Briefbeschwerer  ....         3S;5 

Bronze-Arbeiten  13—16.86.105.  115.  194 

198.  412.  435—438.  490.  504 

Bronzeflguren  409.411—414.  445—452.  468 

469.  504 

Broschen   .    .   .  43.  44.  287.  288.  335.  480 

Brunnen  35.  37.  70.  71.  108.  158.  159.  226 

232.    261.   365.  417.  449.  451.  452.  491 

504.  547.  572 

Buch-Illustrationen 117—144 

Büfette 81.  113.  456 


Seite 
Bühnenbilder  .   .    395.  457-460.  462-464 

Bureauhäuser 441 

Butterdose 484 

Decken 96—99.  337.  342.  385 

Dekorative  Gemälde  87,  88.  171—175.  181 

182.  208  —  213.  215.  542.  543.  558.  559 
Dielen  und  Flure  10.  75.  82.  110.  161.  162 

204.   307.   312.   368.   372.  510.  566.  567 

Dosen    92.  93.  95.  97.  100.  275.  330.  377 

380—382.  412.  432.  433.  481 

Ehrenkette 282 

Einbände 387.  389 

Eisen-Arbeiten  ...    95.  326—328.  543 

Erker       442.  512 

Exlibris 355-360.  406-408 

Festsäle 206—209 

Figurinen    .  289-291.  393.  396-400.  461 

Garderoben 256.  264 

Gärten    30.   45—49.   65.   68.    70.    71.  108 

185-192.  225—232.   292.   296.  363.  367 

417.  486.  487    505.  537 

Gartenhäuser   und   -Lauben    49.  226.  227 

230.  249.  487.  505 

Gartenplan 506 

Gitter 115 

Glasarbeiten 377—384.  431—434 

Grabkreuze 95 

Grabsteine    84.    85.    100—104.    242—245 

Grundrisse    2.   6.   58.   106.  154.  250.  251 

259.   293.    298.  362.   418.  419.  506 

Hallen 109-111.  254.  263 

Halsbänder 480 

Halsketten 335 

Haus  Albert  in  Wiesbaden  ....    57 — 82 

Haus    Bassermann  -  Jordan    in    München 

417-422 

Haus  Blumeneck  in  Bremen    .   ,  361—372 

Haus  G.  in  Dresden 105—115 

Haus  Huffmann  in  Cottbus  .  .  .  505—512 
Haus  Pass  in  Remscheid  .  258—264 

Haus  Prentzel  in  Oberwerth  .  .  297—312 
Haus  Ruppel  in  Frankfurt  .  .  .  153—168 
Haus  Schwallen  bei  Füssen  ....  1—12 
Haus  Wilden  in  Hauset  bei  Aachen  249—257 

Hof-Anlage 468.  469 

Holzplastik 280.  313-324 

Holzschnitte  ....    130.  513-517.  520 

Jardiniere 50.  438 

Kamine 109    114    168 

Kamin-Ecken         79 

Kästchen 90.  94.  326.  388 

Kegelbahn      424 

Keramik   35—37.  53—56.  89.  91.  97.  100 

240.     241.     273—278.     280.     354     410 

425-430.  546.  547 

Kinderhäubchen  98 

Kissen      96.  97.  388 

Klöpperhaus  in  Hamburg 441 

Körbchen 90.  96.  334.  484.  485 

Korbmöbel       183.  184.  255.  281 

Kredenzen 41.  281.  390.  456 

Krüge 275 

Küche 372 

Lampen 438 

Landhäuser  1—8.  249—253.  298-305.  556 
Leuchter  199.  276.  330.  331.  431—434.  436 

437 
Lithographien 518.  519 

Majolika-Figuren  53—56.  89.  91.  273.  278 
280.  354.  430.  528 

Majolika-Reliefs 425—429.  528 

Märchenbrunnen  in  Berlin    .   .    .      17—28 

Messing-Arbeiten 93.  97.  435 

Miethäuser 500.  501 

Nischen  111.  163.  164.  262.  264.  553.  554 

Obstschalen 94.  435 

Öfen 12 

Oesterreichisches  Haus  auf  der  Werkbund- 
Ausstellung  in  Köln 465 

Oster-Teller 354 

Papiermesser 286.  327.  333 

Pavillons 416.  492.  504 

Pergolas     30.  505 

Perlen-Arbeiten 392 


Seite 

Petschaft        286 

Plakate 415 

Plaketten 13—16.  193 

Pokale     379.  482 

Portale 444.  489 

Porzellan-Arbeiten  116.  354.  412.  521—527 
Puppen 145—147.  1^0-152 

Radierungen     ....  134.  139.  401—408 
Rathaus  zu  Hannover    .   .       .   .  201—224 

Reklame-Zeichnung 434 

Reliefs  57.  69.  80.  205.  216-219.  425.  429 

441-443.  490.  494.  495.  528.  529 

Restaurationsräume  ....  498.  552—555 

Schachfiguren 332 

Schalen  240.  274-277.  328—330.  336.  378 

380.  383.  431—434.  438.  450.  482 

Schmucksachen  42—44.  287.  288.  335.  480 

481 
Schnitzereien  .   .  41.  66.  80.  81.  325.  333 

Schränke,  Kleider- 12 

„         Zier- 41.  502 

Schreibtischgerät     389 

Schüssel  485 

Serapis-Fayencen 483 

Service 51.  52.  285.  329    330 

Sessel  und  Stühle  112.  183.   184.  281.  350 

390    473 

Silber-Arbeiten  43—44.  50-52.  92.  94   199 

279.   280.  284.  285.  286-288.  329-331 

334.   335.  437.  481.  482.  484.  485 

Silhouetten .  488 

Sitzungssäle 220—224 

Sommerhäuser 497.  565 

Sonnenuhr  160 

Spiegel 334 

Spielzeug 144 

Spitzen 98.  100    338-341 

Städtische  Wohnhäuser    57-82     105—115 

153—168.  258—260.  361—364.  505-512 

Steinplastik  17—28.   34.   57.  80.    195—197 

414    427.  441-443.  448    466 

Stickereien  90.  96-99.  277.  336.  337.  342 

372-376.  478 

Studien      169.  170.  176-180 

Synagoge         574.  575 

Tablette      50    51.  93 

Tafelaufsatz 435.  485 

Tapeten 200   246-248 

Täschchen 386.  392 

Taufkanne 435 

Teebüchse 94 

Teehaus ...       .         416 

Teppiche  .  .   .83.  265—272.  439.  440 

Terrassen  4.  8  32  47.  62-64.  69  71.  156 

157.  201—203.  509.  536.  544 

Tierflguren  24-28.   89    91.  158.  273    274 

278.  320. 324  442. 443. 446-452. 521—527 

Tintenfässer 389.  484 

Tischglocken  482 

Tischlampen 438 

Treppenhäuser  72.   73.   82.  110.  162.  261 

420    511 

Türen  und  Tore  17.  33.  67.  300.  305.  364 

444    509,  543 


Urnen  . 


....    101.  102.  104.  438 


Vasen  91.  97.  100  240.  241.  274-277.  377 

380  -  384    482.  483 

Vorhallen    .   .    9.  252    256.  311.  572.  573 

■Wand-Behänge 342.  343 

,,      -Brunnen 71 

„     -Leuchter 86.  453 

„      -Schränke 306 

Wasserkessel 284    435 

Weihnachts-Teller 116 

Werkbund-Theater 558—563 

Zimmer,  Bibliothek- 39 

„        Billard- 114 

„         Damen- 310    476    502 

„         Empfangs-370  371.422.  423.470 

471.  479.  570    571 

„         Herren-   78.  112.   165.   254.   262 

266.  267.  421.  512 

Kinder- 148.  149.  167 

„         Schlaf- 255.  257 

Speise-  40.  76    77.113.  263.349 

369.  391.  454.  455.  503.  512 

„         Wohn-  11.  79.  166.  254.  263.  308 

309.  568.  569 

Zinn-Arbeiten 93.  94 


NAMEN-VERZEICHNIS  -  ORTS-REGISTER:-  BÜCHER-BESPRECHUNGEN 


Seite 

Namen- Verzeichnis. 

Adler,  Friedrich 573 

Appia,  Adolphe 393.  458 

Barlach,  Ernst 322 

Bäuml,  Albert 521 

Bayros,  Franz  von 137 

Behmer,  Marcus 141 

Bender,  Paul -'S 

Bertina,  Walter 397 

Biehler,  Johanna 425 

Blonder,  Leo 4^0 

Böres,  Franz 50 

Bradbury,  Frederick 484 

Brück,  Franziska 233 

Cristophe,  Franz 137 

Craig,  Edward  Gordon 393 

Debschitz,  Wilhelm  von 89.  274 

Diez,  Julius 211 

Diviky,  Josef  von 126 

Eberhardt,  Hugo 158 

Eeg,  Carl 361 

Eggert,  Hermann 201 

Engels,  Robert 120 

Erler,  Fritz 210 

Feuerhahn,  Hermann 206 

Fiechter,  Ernst 417 

Gaul,  August 441 

Georgi,  Walther 170 

Goossens,  Minnie 425 

Haggenmacher,  Walter 325 

Haillr,  Ernst 242.  297 

Halmhuber,  Gustav 202 

Hanak,  Anton 466.  470 

Heidrich,  Max 566 

Heine,  Th.  Th 141 

Hempel,  Oswin .    29.  33 

Herting,  Georg 211 

Kodier,  Ferdinand      214 

HofFmann,  Josef 465 

Hoffmann,  Ludwig 18.  447 

Höger,  Fr 441 

Hösel,  Florence  Jessie 373 

Hoetger,  Bernhard 490.  497 

Jank,  Angelo 87 

Jobst,  Heinrich 492 

Kärner,  Theodor 524 

Klemm,  Walter 132.  513 

Kolb,  Alois 120 

Krüger,  Felix 249 

Kubin,  Alfred 131 

Langer,  Richard 321 

Larisch,  Rudolf  von 483 

Läuger,  Max 57.  240 

Lefler,  Heinrich 458.  462 

Lloyd,  C 147 

LöfFler,  Berthold 53.  480 

Löffler,  Melitta 480 

Löwenthal,  Else 385 


Seite 
Margold,  Emanuel  Josef  ....  50.  490 
Mayenburg,  Georg  Heinsius  von     .    .    34 

Müller,  Albin 489.  494 

Muthesius,  Hermann     531 

Nechansky,  Arnold 480 

Obrist,  Hermann 84 

ODwald,  Fritz 490 

Pascin,  Julius 136 

Paul,  Bruno «54 

Peche,  Dagobert ;,    ,aä 

Pfeiffer,  Paul *^-  ^1% 

Powolny,  Michael 53 

Preetorius,  Emil 141 

Rauch,  Josef 25 

Renner,  Paul ,    lÜ 

Riemerschmid,  Richard 1-  538 

Riezler,  Walther 538 

Runge,  Eduard 361 

Sandig,  Hans 109 

Sattler,  Josef 118 

Scheurich,  Paul 143 

Schiestl,  Rudolf 120 

Schleiß,  Franz  und  Emilie 54 

Schmidhammer,  Arpad 132 

Schmithals,  Hans .  265 

Schmoll  von  Eisenwerth,  Fritz         .   .  279 

Schnellenbühel,  Gertrud  von 329 

Schulz,  Wilhelm 131 

Sievert,  Ludwig 397 

Slevogt,  Max .  134 

Soder,  Alfred 355 

Soiinenschein,  Adolf 435 

Stassen,  Franz 119 

Steiner-Prag,  Hugo 124 

Stella,  Guido  Balsamo 401 

Strnad,  Oskar 466.  470 

Stumpf,  Erich 287 

Taschner,  Ignatius    ....    18.  130.  320 
Taut,  Bruno 538 

Unold,  Max      132 

Uzarski,  Adolf 131 

Velde,  Henry  van  de 534.  558 

Vetter,  Adolf 481 

Vierthaler,  Ludwig 409 

Vogeler,  Heinrich 126 

Voltmer,  Ralph 289 

Vl^ackerle,  Josef 524.  526 

Walser,  Karl 136.  441 

von  Wersin,  Wolfgang 431 

Wildermann,  Hans     459 

Witzmann,  Carl 481 

Wölfle,  Alfons 137 

Wrba,  Georg 23 

Wynand,  Paul 193 

Wysocki,  Jan 13 

Orts-Register. 

Aachen,       Landhaus     Dr.    Wilden     in 
Hauset        249—257 


Seite 
Berlin,  Ausstellung  der  Debschitz- 

Schule  imKunstgewerbe-Museum    89 — 100 
Berlin,  Ausstellung  »Der  Strauß«  345—353 

—  Der  Märchenbrunnen 17 — 28 

Bremen,  Gärten 185—191 

—  Haus  Blumeneck 361—372 

Cottbus,  Haus  HufTmann  ....  505—512 

Darmstadt,   Die  III.  Ausstellung 

der  Künstler-Kolonie 489—504 

Dresden,  Haus  G 105—115 

Frankfurt  a.  M.,  Ausstellung  von 

Entwürfen  zum  ,,Parsifal"  .    ,    .  457 — 464 

—  Haus  Kuppel 153—168 

Füssen,  Haus  Schwalten 1 — 12 

Hamburg,  D.ts  Klöpperhaus  .   .   .  441 — 448 
Hannover,  Das  neue  Rathaus  .   .  201 — 224 

Köln,  Die  Deutsche  Werkbund- 
Ausstellung  175.  303.  465—483.  529— 57G 

Königsberg,   Wisentbrunnen 452 

Krefeld,  Ausstellung  von  Ideen- 
Entwürfen  für  farbige  Flächen- 
verzierung    386 

Kreuznach,  Silhouetten  im  Kurhaus  .   .  488 

Leipzig,  Das  Dresdner  Haus   auf 

der  Baufach-Ausstellung  1913    .       29 — 41 

—  Ausstellung  für  Friedhofskunst  101 — 104 

München,  Keramische  Werkstätte 
von  Debschitz 273-278 

—  Ausstellung  , .Raumkunst"     .    .  329—344 

—  Haus  Uassermann-Jordan    .    .    .  417 — 424 

—  Nymphenburger  Porzellan    .    .  521—528 

Oberwerth,  Haus  Dr.  Prentzel     .  297—312 
Offenbach,  Ausstellung  ,,Gut  und 
Böse" 344 

Paris,     Ausstellung    »L'art    pour 

l'enfance.      145-152 

Remscheid,  Haus  PaO 258—264 

Sankt  Blasien,  Fresken  von  Wal- 
ther Georgi 169—182 

Schöneberg,      Hirschbrunnen     im 

Stadtpark 449 

■Wädenswil,     Garten     am    Haus 

Blattmann 486.   487 

Wiesbaden,  Haus  Albert 57—83 

Zürich,  Gärten 225—232 

—  Thcaterkunst-Ausstellung    .    .    .  393—400 


Bücherbesprechungen. 

Bradbury,  Frederick.  »History  of  Old 
Sheffield  Plate- 484 

Gothein,  Marie  Louise-  »Geschichte 
der  Gaitenkimst« 348 

Maaß,  Harry.  Der  deutsche  Volkspark 
der  Zukunft 292 


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HAUS  SCHWALTEN  VON  RICHARD  RIEMERSCHMID 


RICHARD  RIEMERSCHMID  ist  ein  SO  konse- 
quenter Vertreter  der  modernen  ange- 
wandten Kunst,  daß  jedes  seiner  größeren 
Werke  immer  wieder  auf  die  allgemeinen  Ziele 
der  heutigen  Kunst  hindrängt  und  daraus  den 
Kommentar  für  die  persönliche  Leistung  ge- 
winnt. 

Eine  notwendige  Einwirkung  unserer  tech- 
nisch exakten  und  geistig  individualistischen 
Zeit  auf  die  Kunst  ist  die,  daß  sich  die  so- 
genannten freien  Künste  freier  denn  je  geben, 
während  die  mehr  gebundenen  des  Kunstge- 
werbes und  der  Architektur  entschieden  zur 
sachgemäßen  Form  neigen.  Es  ist  dies  für  sie 
zugleich  der  einzige  Weg,  um  zu  einer  eigenen 
Formen  spräche,  zu  einem  Stil  zu  gelangen. 
Nicht  die  anfängliche  Auffassung,  als  schaffe 
die  zweckmäßige  Gestaltung  an  sich  schon 
den  ästhetischen  Wert,  wohl  aber  die  Erkennt- 
nis, daß  wir  in  allen  zweckverbundenen  Kunst- 
formen das  Zweckgemäße  als  inhaltliche  Grund- 
lage instinktiv  in  unser  ästhetisches  Urteil 
einbeziehen,  ergibt  eine  neue  Möglichkeit  inter- 
essanter Gestaltung.  Wesentlich  auf  die  Reize 
der  reinen  Form  bedacht,  entdeckt  diese  Kunst- 
auffassung wieder  die  klare  und  starke  Schönheit 
des  Einfachen,  das  unserem  übermüdeten  Auge 
und  unruhvollen  Sinn  wohltut.  Daraus  erstehen 
für  gleiche  oder  verwandte  Aufgaben  typische 
Gebilde,  die  aus  ihrer  Sonderart  den  indivi- 
duellen Einschlag  gewinnen.  Endlich  ergibt 
sich  aus  solcher  Kunstlogik  ein  organischer 
Wechsel  zwischen  dem  Notwendigen  und  Freien, 
eine  harmonische  Verbindung  der  Grundform 
mit   dem    Schmuck.     Daß    der    letztere   noch 


allzu  bescheiden  auftritt,  mag  man  vom  Stand- 
punkt künstlerischer  Lebensfülle  aus  bedauern, 
muß  es  aber  im  Interesse  einer  selbständigen 
und  gesunden  Entwicklung  begrüßen.  Deshalb  S 
dürfen  die  mehr  dekorativ  gesinnten  und  mit  H 
den  historischen  Stilen  verwachsenen  Künstler  ~ 
und  Laien  aus  ihrer  begreiflichen  Zurück- 
haltung gegen  die  heutige  Art  keine  prinzi- 
piellen Bedenken  ableiten.  Höchst  bedauerlich 
ist  es,  wenn  dies  auch  von  jenen  nicht  er- 
kannt wird,  die  kunsterziehlich  wirken  wollen. 
Sie  verleiten  dadurch  den  wohlhabenden  Be- 
steller, an  den  Künstler  Forderungen  zu  richten, 
die  dieser  auf  Grund  der  allgemeinen  Ent- 
wicklung noch  nicht  erfüllen  kann  ;  sie  drängen 
ihn  so  zur  Nachahmung  des  Historischen. 
Dadurch  kommt  die  angewandte  Kunst,  ob- 
wohl sie  mit  der  modernen  Malerei,  Plastik 
und  Schwarzweißkunst  eingesetzt  hat,  lang- 
samer zu  sich  selbst  —  namentlich  in  der 
Architektur. 

Unter  solchen  Schwierigkeiten  ist  das  zu  sich 
und  zu  den  Prinzipien-Stehen  Riemerschmids 
doppelt  wertvoll.  Es  zeigt  aber  auch,  wie 
solche  Treue  in  persönlicher  und  sachlicher 
Reife  sich  lohnt.  Allgemein  interessant  ist 
vor  allem,  wie  sich  der  moderne  Zweckge- 
danke immer  mehr  erweitert  und  vertieft  hat. 
Heute  gehört  zu  seiner  künstlerischen  Ver- 
körperung neben  der  Erfüllung  des  Gebrauchs- 
mäßigen die  lebensvolle  Versenkung  in  alles, 
was  seinen  Sinn  und  seine  Stimmungskraft 
in  schöner  und  charakteristischer  Form  aus- 
sprechen läßt.  Damit  ist  ebenso  die  Rück- 
sichtnahme   auf    Material     und    Konstruktion 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    i.    Oktober  1913 


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ARCH.RICHARDRIEMERSCHMID 

HAUS  SCHWALTEN  BEI  FÜSSEN     "w   i  I  f  l"  T  |   I  |  |   f 


LAGEPLAN  MIT  GRUNDRISZ 
VON  ERDGESCHOSZ  UND 
HAUSMEISTERWOHNUNG    Q 


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ARCH.  RICHARD  RIEMERSCHMID,  PASING  BEI  MÜNCHEN 


gegeben,  wie  auf  eine  eigenartige  Form  und 
Proportionen,  die  dem  Geist  des  Ganzen  an- 
gemessen sein  müssen.  Es  ersteht  ein  Arbeiten 
aus  der  Seele  der  Dinge,  das  jedes  einzelne 
Werk  gemäß  seiner  Bedeutung  in  der  Hier- 
archie der  allgemeinen  Werte  formt  und  or- 
ganisch mit  der  gesamten  Kunstwelt  verbindet. 

Das  Haus  Schwalten  scheint  mir  gerade 
hiefür  ein  schöner  Beweis.  Es  ist  das  Land- 
haus eines  begüterten  Städters,  der  es  nicht 
nur  für  die  paar  Monate  der  Ferien  benützt, 
sondern  aus  stark  entwickeltem  Natursinn  auch 
in  der  übrigen  Zeit  des  Jahres  hier  gern  der 
Ruhe  pflegt.  Also  ein  zweites  Heim  in  der 
freien  Natur,  auch  bei  schlechtester  Witterung 
noch  behaglich.  So  ergab  sich  ein  fester  Bau, 
der  aus  dem  Wunsche  des  Besitzers,  auch  dem 
weiteren  Familienkreis  mitsamt  den  Enkelkin- 
dern an  dieser  Herrlichkeit  teilnehmen  zu 
lassen,  eine  gewisse  Stattlichkeit  gewann.  Trotz- 
dem sollte  er  sich  in  den  Grenzen  eines  groß- 
bürgerlichen Landsitzes  halten. 

Jahrelang  hat  Herr  Kommerzienrat  Dr.  C.  Rie- 
merschmid  nach  einem  Stück  Land  gesucht, 
das  seinem  Ideal  entsprach:  eine  stille,  weite 
Gegend,  fernab  der  Bahn  und  lebhaftem  Stra- 
ßenverkehr, doch  nicht  allzu  fern  bequemer 
Verbindung  mit  ihnen;  dazu  ein  See  für  Bade- 
und  Fischgelegenheit  und  als  belebendes  Ele- 
ment der  nächsten  Umgebung,  So  fand  er 
endlich  Schwalten  bei  Füssen. 


Das  Haus  sollte  in  seiner  Lage  und  Anlage 
ganz  auf  den  Genuß  der  herrlichen  Gegend 
eingestellt  sein.  Es  lehnt  sich  an  die  nicht 
übersehbare  Nordseite  und  erschließt  sich  nach 
Süden  und  Osten  der  weitesten,  wechselvoll- 
sten Aussicht  auf  das  Vorland,  die  Berge  und 
den  See.  Die  wenig  ergiebige  Westseite  wurde 
als  Wetterseite  nicht  weiter  ausgebildet.  Aus 
der  erhöhten  Lage,  deren  allmähliche  Steigung 
aus  dem  Situationsplan  (Seite  2)  ersichtlich  ist, 
ergaben  sich  Terrassen.  Ihre  weiten  Linien 
leiten  den  Bau  in  die  Landschaft  über  und 
verankern  ihn  darin.  Vor  das  Haus  schiebt 
sich  eine  Halle,  als  der  von  selbst  gegebene 
Platz  für  die  ausgiebige  Betrachtung  der  Ge- 
gend. Ein  Band  reich  blühender  Geranien 
umzieht  die  Mauerkrönung  und  verleiht  ihrer 
wetterfesten  Rauheit  einen  freundlichen  Zug, 
bis  Schlingpflanzen  sie  später  mehr  über- 
wuchern. Von  Westen  gesehen  strebt  der  Bau 
energisch  auf  und  bereitet  uns  so  auf  seine 
stattliche  Entfaltung  beim  Näherkommen  vor. 
Das  höher  gelegene  Häuschen  des  Hausmeisters 
läßt  die  Architektur  in  die  Landschaft  fein 
ausklingen. 

Die  Art  und  Weise,  wie  der  ganze  Bau  in 
die  umgebende  Natur  gesetzt  ist  und  sie  stei- 
gert, ohne  ihr  etwas  von  ihrer  Unberührtheit 
zu  nehmen,  ist  wohl  das  Beste  an  dieser  wohl- 
durchdachten Schöpfung,  ein  charakteristisches 
Element  aus  dem  Wesen  eines  richtig  empfun- 


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HAUS  SCHWALTEN:  TERRASSE  UND  WEIHER 


denen  Landhauses.  Mit  Recht  wird  gerade 
diese  Seite  der  künstlerischen  Leistung  durch 
unsere  Abbildungen  zur  wirksamen  Anschau- 
ung gebracht.  Zunächst  sehen  wir  auf  Seite  1 
den  Bau  in  seinem  Gesamtverhältnis  zur 
näheren  und  weiteren  Umgebung  und  erkennen 
sofort  die  glückliche  Auswahl  des  Platzes,  in- 
mitten des  hügeligen  Geländes.  In  wohliger 
Gliederung  entfaltet  sich  breit  das  Anwesen 
mit  seinen  Terrassen.  Dennoch  energisch  zu- 
sammengehalten hebt  es  sich  als  Ganzes  von 
der  Natur  ab  und  steigert  sie.  Die  äußere 
Umgrenzung  ist  deshalb  auf  die  unmittelbarste 
Nähe  des  Hauses  beschränkt,  als  dessen  selbst- 
verständlicher Rahmen.  Aus  solcher  Beschrän- 
kung spricht  ein  gutes  Stück  sozialen  Gefühls, 
das  für  den  eigenen  Genuß  nicht  mehr  nimmt 
als  notwendig  ist.  Der  Künstler  hat  dies  durch 
einen  Naturzaun,  der  als  gewachsener  Gebüsch- 
bestand wirkt,  in  eine  feine  Form  gebracht; 
ähnlich  bei  dem  Platz  am  See.  Ein  breiter 
Pfad  verbindet  ihn  mit  dem  Haus  und  kenn- 
zeichnet so  seine  Zugehörigkeit,  wie  er  die 
Umhegung  rechtfertigt.  Wie  das  Haus  in  den 
Höhenzug  einschneidet  und  in  der  Hausmei- 
sterwohnung allmählich  in  diesen  hinübergleitet, 
zeigt  die  Abbildung  auf  Seite  2.  Die  Lücke 
zwischen  den  beiden  Bauten  werden  später 
ein  paar  Bäume  füllen.  Die  seitlichen  Terrassen 
sind  für  den  Nutzgarten  ausgebildet.  Hänge- 
pflanzen sollen  die  Futtermauern  lose  bedecken. 


Wie  Herren-  und  Dienerhaus  in  die  ab- 
wärtsgleitenden Geländelinien  eingreifen  und 
sich  von  dem  welligen  Land  wie  auf  breiter 
Woge  fragen  lassen,  sehen  wir  auf  Seite  3. 
Hier  tritt  auch  das  herrschaftliche  Haus  in 
seinem  Kontraste  zur  ländlichen  Bauweise  cha- 
rakteristisch hervor.  Von  der  anderen  Höhe 
schaut  ein  Hof  herüber,  der  bis  in  die  Zeit  des 
Kaisers  Max  L  zurückgehen  soll;  jedenfalls  ein 
Beweis,  wie  schon  in  alten  Zeiten  die  liebliche 
Gegend  und  die  reichen  Seebestände  zu  be- 
sonderem Aufenthalte  lockten.  Die  von  hier 
aus  sich  erschließende  Ostseite  (Abb.  S.  8)  ver- 
dient in  ihrer  reizvollen  Durchbildung  besondere 
Beachtung.  Das  vergitterte  Bogenfenster  läßt 
schon  von  außen  die  Gemütlichkeit  des  dahinter- 
liegenden  Raumes  ahnen,  wie  die  kleineren 
Fenster  mit  ihren  lustigen  Läden  die  behagliche 
Nische  des  im  größeren  Fenster  ausgesprochenen 
Raumes  erhellen  und  beleben.  Sie  lassen  auch 
erkennen,  wie  ihre  ähnliche  Durchbildung  im 
oberen  Geschoß  keineswegs  Türme  vortäuschen 
will,  aber  doch  in  natürlicher  Weise  dieses 
wirkungsvolle  Motiv  ermöglicht.  Der  luftige 
Balkon  ladet  zur  frohen  Weitsicht  ein.  Der 
Unterbau  zeigt  sich  als  deutliche  Unterkellerung, 
die  als  Autoschuppen  und  Einsteigehalle,  als 
Vorratsraum  und  Eisbehälter  dient.  Der  davor- 
liegende  Platz  wird  durch  die  teilweise  Um- 
mauerung  zum  kleinen  Hof,  über  dem  sich  die 
Wohnräume  gelassen  freundlich  erheben. 


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Nach  der  StraDe  hin  (Abb.  S.  6)  kommt  die 
symmetrische  Anlage  des  Hauses  zum  vollen 
Ausdruck,  den  das  ruhige  Dach  noch  verstärkt. 
So  ersteht  eine  maßvolle  Repräsentation,  der  das 
anmutige  Hausmeisterhäuschen  einen  asym- 
metrisch idyllischen  Einschlag  gibt.  Von  hier 
aus  verstehen  wir  auch  den  Sinn  des  Ganzen 
am  besten.  Nicht  ein  Haus  sollte  es  sein,  das 
sich  irgendwie  an  ländliche  Formen  anbiedert, 


sondern  der  geräumige  Besitz  des  Städters  mit 
seinen  verwöhnten  Wohnungsansprüchen  auch 
auf  dem  Land,  ja  gerade  auf  dem  Land :  Licht, 
Luft,  Bewegungsfreiheit,  wohliges  Sichaus- 
breitenkönnen  im  Inneren  und  Aeußeren  soll- 
ten in  reichlichem  Maße  geboten  sein.  Dennoch 
durfte  es  kein  Schloß  werden,  dessen  Herr  sich 
als  mächtiger  Großgrundbesitzer  der  Gegend 
fühlt;  auch  deshalb  nicht,  weil  das  Schloß  ganz 


ARCH.  RICHARD  RIEMERSCHMID  Q  HAUS  SCHWALTEN: 
BLICK  VON  SÜDEN   UND  GRUNDRISSE 


ERDGESCHOSZ 


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ARCH.  RICHARD  RIEMERSCHMID 


anderen  Lebensbedürfnissen  zu  genügen  hat. 
Es  umschließt  meist  bedeutsame  Traditions- 
werte und  soll  ein  möglichst  vollkommener  Er- 
satz für  die  städtische  Kultur  sein.  Haus  Schwal- 
ten  aber  will  der  Landsitz  eines  naturfreudigen 
Bürgers  sein,  dessen  ideelle  Werte  sein  Stadt- 
haus birgt.  So  erstand  ein  wohlgefügtes,  zweck- 
bewußtes Sondergebilde,  dem  der  geistige  Ein- 
schlag keineswegs  mangelt,  der  sich  nur  diskret 
zurückhält. 

Der  klaren  Außenansicht  entspricht  die 
übersichtliche  Disposition  des  Inneren.  Schon 
beim  Eintritt  gewinnt  man  einen  lichten,  ge- 
räumigen Eindruck.  Rechts  steigt  die  Treppe 
ins  Obergeschoß,  links  liegt  eine  kleine  Gar- 
derobe mit  Waschgelegenheit.  Geradeaus  führt 
der  Blick  und  Weg  in  die  Diele  (Abb.  S.  10).  Ein 
leichtes  Gitterwerk  schließt  sie  nach  der  Vor- 
halle ab,  läßt  aber  doch  von  dort  die  ganze 
Fülle  des  Lichts  ihr  zukommen.  Man  erkennt 
sofort,  wie  die  beiden  zu  einem  Raum  sich 
ausweiten  können,  wenn  darnach  Bedarf  ist. 
Der  an  sich  schon  behagliche  Raum  wird  durch 
die  gedrungene  Säule  warm  und  schmiegsam. 
Der  Eckplatz  gewinnt  daraus  eine  besondere 
Wohligkeit.  Die  Vorhalle  ist  die  für  eine  mög- 
lichst allseitige  Aussicht  zubereitete  Stätte, 
deren  Fenster  durch  einfache  Mechanik   ver- 


HAUS  SCH WALTEN:  OSTSEITE 


senkbar  sind.  So  ist  an  schönen  Tagen  die  un- 
mittelbare und  doch  geschützte  Verbindung  mit 
der  Natur  gegeben,  aber  auch  bei  kühler  Wit- 
terung der  Aufenthalt  noch  möglich.  An  die 
Diele  schließt  sich  links  ein  großes  Wohn- 
zimmer, rechts  das  Eßzimmer.  Beide  berüh- 
ren überaus  wohltuend  durch  das  Gefühl  der 
Weite  und  Luftigkeit,  ohne  daß  der  räumliche 
Zusammenhang  darunter  leiden  würde.  Be- 
sonders hat  es  Riemerschmid  wieder  verstan- 
den, das  Wohnzimmer  so  durchzuformen,  daß 
für  die  verschiedensten  Bedürfnisse  auch  einer 
größeren  Hausgenossenschaft  liebevoll  gesorgt 
ist.  Am  Fenster  steht  ein  behaglicher  Stuhl 
und  Schreibtisch  für  den  Vater,  im  Erker  wei- 
tet sich  ein  Arbeits-  und  Plauderstübchen  für 
die  Mutter,  dem  Fenster  entlang  zieht  eine 
Bank  um  einen  großen  Tisch,  gegenüber  sind 
eingebaute  Stellagen  und  Untersätze  für  Bücher 
und  manchen  Hausrat.  Ein  behäbiger  Ofen  in 
dunkelfarbigen  Fliesen  erhöht  den  Eindruck 
geborgener  Wohnlichkeit.  Das  Eßzimmer,  mit 
schöner,  dunkler  Rüsterneinrichtung,  hat  eine 
bequeme  Verbindung  mit  der  Küche.  An  diese 
schließt  sich  das  geräumige  Dienstbotenzimmer. 
Man  denkt  unwillkürlich  an  die  Leutestube 
großer  Gehöfte.  Am  entgegengesetzten  Ende, 
der   Küche    gegenüber,   liegt    das   sogenannte 


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ARCH.  RICHARD  RIEMERSCHMID,  PASING 


HAUS  SCHWALTEN:  VERGLASTER  VORBAU 


Winterstübl   (Abb.  Seite  11).     Es   ist  wie   ein     Junggesellenzimmer    mit    alkovenartig    einge- 


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trauliches  Nest  um  den  mächtigen  Kachelofen 
herumgebaut.  Die  gebürstete  Fichte  bringt  die 
Struktur  des  Holzes  zu  kraftvollem  Ausdruck 
und  paßt  auf  ihre  Weise  zum  Ofen,  dessen 
lustige  Haube  aus  bemaltem  Putz  besteht  — 
ein  origineller  Ausweg,  um  die  teueren  Be- 
krönungskacheln  zu  sparen  und  doch  einen 
wirksamen  Abschluß  zu  geben.  Dies  Zimmer 
ist  so  recht  ein  Familienwinkel,  in  dem  man 
sich  auch  bei  Sturm  und  Wetter  als  wohlge- 
schützter Beobachter  und  Genießer  fühlt. 

Das  Obergeschoß  enthält  die  Schlafzimmer 
und  einen  Putzraum  für  häusliche  Verrich- 
tungen, nebst  einer  Terrasse,  lieber  dem 
Winterzimmer  liegt  ein  Ankleideraum  mit  ein- 
gebauten Schränken  (Abb.  S.  12).  Er  wirkt  in 
den  grün  bemalten  Füllungen  wie  ein  schmucker 
Vorplatz  zur  Altane  mit  ihrem  prächtigen  Weit- 
blick. Nach  rechts  ist  der  Eingang  in  das 
Schlafzimmer  der  Eltern,  daran  schließt  sich 
eine  Flucht  gleicher  Räume  für  die  Gäste  und 
ihre  Familien.  Allen  gemeinsam  ist  helle,  luf- 
tige Geräumigkeit  und  der  Blick  in  die  pracht- 
volle Gegend.  Nach  Westen  liegt  ein  köstliches 


bautem  Bett;  zwischen  eingesetzten  Schränken 
steht  wie  in  einer  Nische  der  Waschtisch,  vor 
dem  Fenster  ein  Tischchen  —  eine  ideale 
Träumerbude  von  stiller  Abgeschiedenheit.  Im 
Dachgeschoß  finden  sich  wohlausreichende 
Dienstbotenzimmer  mit  ähnlichen  Vorteilen, 
wie  sie  die  Herrschaft  genießt;  außerdem  ist 
noch  genügend  Platz  für  Trockenräume  vor- 
gesehen. Das  Haus  ist  zur  Hälfte  unterkellert 
und  in  der  schon  angedeuteten  Weise  ver- 
wendet. Das  Nebenhaus  enthält  eine  Wasch- 
küche und  kleine  Werkstatt,  ein  Stübchen  für 
den  Chauffeur  und  genügend  Räume  für  die 
Familie  des  Hausmeisters. 

Trotz  der  fast  puritanischen  Einfachheit,  die 
Tapeten,  Teppiche,  Bemalung  und  anderes  als 
nicht  zum  Stil  des  Ganzen  passend  vermeidet, 
entbehrt  das  Innere  des  Hauses  keineswegs 
der  künstlerischen  Durchbildung  und  Stimmung. 
Die  Tünchung  und  Anstriche  sind  in  einem 
Ton  und  zwar  meist  in  grün  und  weiß  ge- 
halten. Das  verleiht  dem  Ganzen  eine  wohl- 
tuende Sauberkeit,  die  durch  teilweise  Täfelung, 
durchgehendes  Balkenwerk,  eingebaute  Schränke 


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Dekorative  Kunst.    XVII,     i.    Oktober  1913 


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ARCH.  RICHARD  RIEMERSCHMID  HAUS  SCHWALTEN:  DIELE 

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10 


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ARCH.  RICHARD  RIEMERSCHMID 


und  Sitzgelegenheiten  eine  patriarchalische  Wär- 
me und  Gediegenheit  gewinnt.  Mit  besonderer 
Liebe  sind  die  Kachelöfen  geformt  und  mit 
blanken  Messingtüren  versehen.  Alle  Möbel 
zeigen  präzise,  kraftvolle  Profile,  ohne  jemals 
ins  Bäuerliche  zu  verfallen.  Entschiedene  Vor- 
nehmheit kennzeichnet  die  Einrichtung  des  gast- 
lichen Speisezimmers.  Die  Leuchtkörper  für 
Gas  bewähren  wieder  aufs  neue  Riemerschmids 
Fähigkeit,  aus  Zweck  und  Konstruktion  eine 
eigenartige  Erscheinung  zu  gewinnen.  Bis  in 
die  Normalstücke  hinein  ist  darauf  gesehen, 
sorgfältige,  exakte  Formen  zu  schaffen.  Wahr- 
heit und  Klarheit  sind  die  Atmosphäre  dieses 
Hauses;  sie  bilden  auch  den  geheimen  Form- 
trieb alles  dessen,  was  an  ihm  und  in  ihm  ge- 
staltet wurde. 

Ein  besonderes  Wort  gebührt  noch  dem  See 
(Abb.  S.  4  und  5).  Seine  Umgebung  ist  durch- 
aus in  ihrer  Naturhaftigkeit  erhalten  und  nur 
im  Landungsplatz  architektonisch  ausgestaltet. 


HAUS  SCHWALTEN:  WINTERSTOBL 


Da  er  von  außen  gesehen  wird,  rechtfertigt  er 
eine  besondere  Durchbildung.  Dem  entspricht 
auch  eine  reiche  Blumenanlage  und  die  Ab- 
sicht, hier  die  eine  oder  andere  wertvolle  Plastik 
aufzustellen.  Was  an  Baulichkeiten  notwendig 
war,  wie  eine  Schiffshütte,  ein  Badehaus  und 
eine  Brücke  zur  Insel,  ist  aus  Brettern  und 
Stämmen  gleichsam  improvisiert  gezimmert. 
Auch  der  Ausbau  des  Wasserablasses  fügt  sich 
in  ähnlicher  Weise,  wenn  auch  als  massiveres 
Gebilde,  in  die  natürliche  Umgebung  ein. 

So  ist  das  Haus  Schwalten  der  Zeuge  einer 
gesunden,  kultivierten  Lebensführung,  die  es 
verstand,  sich  ein  komfortables  Heim  zu  bauen, 
ohne  Großmannsucht  und  falschen  Prunk.  Da- 
durch erfreut  es  auch  andere.  Es  wirkt  gütig 
und  anheimelnd,  indem  es  weise  das  Seine  ge- 
braucht. Die  adäquate  Form  und  die  künst- 
lerische Verklärung  gibt  diesem  Landhaus  seinen 
typischen  Wert  und  macht  es  zu  einem  neuen 
reifen  Werk  seines  Schöpfers.        Dr.  J.  Popp 


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11 


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ARCH.    RICHARD 
RIEMERSCHMID    □ 
HAUSSCHWALTEN 


1 


WANDSCHRÄNKE 
1.  ANKLEIDERAUM 
U.  FLIESENOFEN 


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JAN  WYSOCKI-PASING 


PLAKETTE:  DER  TANZ 


PLAKETTEN  VON  JAN  WYSOCKI 


Vor  wenigen  Dezennien  noch  warf  sich  der 
deutsche  Medaillenkünstler  auf  alles  Neue, 
was  insbesondere  von  Frankreich  an  Produkten 
dieser  Kunstrichtung  importiert  wurde.  Und 
Lichtwark  hat  damals  unsern  Medailleuren  in 
seiner  Schrift  „Die  Wiedererweckung  der  Me- 
daille" mit  zu  großem  Nachdruck  die  Franzosen 
als  Vorbilder  empfohlen  und  mit  bedenklicher 
Uneingeschränktheit  Vorzüge  über  Vorzüge 
jener  Kleinreliefs  als  erstrebenswert  bezeichnet. 
Kritiklos  wurde  von  den  gierigen  Künstlern  jede 
Ware  als  vollkommenes  Vorbild  angesprochen, 
aber  im  tieferen  Grund  nur,  weil  sie  neu  war. 
Das  Geschmackloseste  an  Komposition,  das 
Widersinnigste  an  Technik  wurde  lobhudelnd 
begrüßt  und  nachgeahmt.  Mittlerweile  vergingen 
einige  Jahre.  Der  Andrang  der  ausländischen 
Kunst  wurde  vorsichtiger  aufgenommen,  man 
fing  an,  ruhig  ans  Werk  zu 
gehen  und  den  neu  erstehen- 
den Arbeiten  ein  persönli- 
ches Merkmal  aufzuprägen. 
So  mancher  wollte  sich  nicht 
zum  Haufen  gesellen,  es  ar- 
beiteten sich  nun  feste  Per- 
sönlichkeiten heraus,  deren 
Werke  man  als  Offenbarun- 
gen eigenen  Geistes  ansehen 
konnte.  Wenige  waren  es 
wohl,  aber  man  konnte  schon 
Namen  nennen.  Daß  sich  ins- 
besondere München  bedeu- 
tende Verdienste  um  die  Ent- 
wicklung der  modernen  Me- 
daille, vorzüglich  der  Guß-     jan  wysocki 


medaille  —  im  Gegensatz  zur  Prägemedaille  der 
Franzosen,  welche  durch  das  Reduktionsver- 
fahren nur  eine  indirekte  Wiedergabe  des  von 
der  Künstlerhand  geschaffenen  Werkes  ist  — , 
das  wird  jeder,  der  mit  einigem  Interesse  die 
Entwicklung  der  Medaillenkunst  verfolgt  hat, 
zugestehen  müssen. 

Die  diesjährige  XI.  Internationale  Kunstaus- 
stellung im  Münchener  Glaspalast  liefert  den 
Beweis.  Unter  den  Arbeiten  der  bekannten 
Münchener  Bildhauer  und  Medailleure  wie  Max 
Dasio,  Hans  Schwegerle,  Richard  Förster,  Alfons 
Feuerle,  Hans  Lindl,  Karl  Goetz  interessieren 
besonders  die  Medaillen  Jan  Wysockis. 

Wer  den  Künstler  in  seinem  Atelier  in  Pasing 
besucht,  wird  überrascht  sein,  statt  Marmor 
und  Meißel  und  Lehm  und  Gips,  Farben  und 
Bilder  zu  finden.  Wysocki,  ein  gebürtiger  Ober- 
schlesier,  ist  von  Haus  aus 
Maler.  Erst  vor  etwa  fünf 
Jahren  hat  er  sich  ganz  auf 
das  Gebiet  der  Plastik  ge- 
worfen und  als  Autodidakt 
sich  herangebildet.  Seinem 
eingehenden  Studium  der  Re 
naissance  verdankt  er  seine 
Technik,  welche  wie  bei  sei- 
nen vorbildlichen  Meistern 
die  denkbar  einfachste  ist, 
frei  von  jedem  gesuchten  und 
gewollten  Raffinement.  Ne- 
ben den  gewissermaßen  äu- 
ßerlichen Vorzügen  tragen 
Wysockis  Arbeiten  den  Cha- 
PLAKETTE      rakter   persönlicher   Kunst. 


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13 


Er  steht  nicht  als 
Bettler  vor  der  Natur, 
um  ihr  ein  Almosen 
abzuringen,  sondern 
er  steht  als  selbstän- 
diger Schöpfer  und 
freiwaltender  Gebie- 
ter, der  nach  eigenen, 
seine  Persönlichkeit 
ausmachenden  Ge- 
setzen schafft,  über 
dem  Stoff;  er  bildet, 
scheidet  und  richtet 
eben  als  Künstler. 
Wie  in  der  Malerei 
so  hat  er  sich  auch  in 
der  Plastik  zur  Haupt- 
aufgabe gestellt,  die 
Frau,  deren  Reiz  und 
Schönheit  zu  besin- 
gen. Für  sie  hat  er 
die  mannigfachsten 
Variationen  erson- 
nen. Mit  seltener 
Kraft  und  Innigkeit 
ist  in  der  Plakette 
„Eros  und  Psyche" 
das  Wort  Liebe  in  die 
sinnliche     Anschau- 


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ung  plastischer  Formen  übertragen.  Keiner  Ein- 
tönigkeit, keiner  Leblosigkeit  verfällt  er,  wenn 
er  in  die  Lage  kommt,  mehrere  Glieder  zu  einer 
Kette  zu  fügen.  Harmonie  und  Rhythmus  krei- 
sen in  dem  Bilde  „Die  Tanzenden"  trotz  der 
symmetrischen  Komposition.  Idealität  und  Sen- 
timent,  die  ihm  seine  Arbeiten  diktieren,  nützen 
ihm  viel.    Er  will,  daß  seine  Werke  lebendig, 
ja  leidenschaftlich  sind,  wie  er  selbst   es  ist, 
und  das  schlägt  sicherlich 
nicht  zu  ihrem   Nachteil 
aus.    Er  liebt  seine  Stoffe 
und   liebt  seine   Werke, 
denn  sie  verkörpern  seine 
zur  Tat  gewordenen  Träu- 
me, ein  gut  Stück  seines 
Ich.  Es  wäre  überflüssig, 
hier  auf  die  Vorzüge  der 
einzelnen  Arbeiten  einzu- 
gehen,  es   mögen  deren 
Abbildungen    selbst     zu 
Worte  kommen. 

In  seinen  Porträtme- 
daillen und  -Plaketten 
weiß  Wysocki  durch  eine 
flache  Technik  medaillen- 
mäßig zu  wirken.  Seine 
Schulung  an  klassischen 
Vorbildern  sprichtausder  jan  wysocki  q  gegossene  Plaketten 


Anlage  und  Durchführung  der  drei  Medaillen  auf 
den  kürzlich  dahingegangenen  bekannten  Paläo- 
graphen  Henry  Simonsfeld,  den  polnischen  Bild- 
hauer Anton  Madeyski   und    auf  Julius  Lach, 
den   Schwiegervater  Wysockis.     Der  Künstler 
ist  hier  Psychologe.    Mit  strenger  Sachlichkeit, 
durch  die  jedoch  der  große  Zug  nicht  Schaden 
nimmt,  ist  das  Charakteristische   der  Persön- 
lichkeiten zum  Ausdruck  gebracht.   Mit  zu  den 
reifsten  Arbeiten  gehören 
die    Plaketten   auf   Max 
Bernhart  und  auf  die  Ge- 
mahlin des  Künstlers,  bei- 
de interessant  durch  die 
vorzügliche  Einfügung  in 
das  gegebene  Feld.     Im 
Interesse    des  Künstlers 
sei  noch  auf  eines  hinge- 
wiesen :  Wenn  es  Wysocki 
noch  glückt,  den  richtigen 
Schriftductuszu  finden  — 
die  Schrift  in  das  richtige 
Verhältnis  zum  Bilde  zu 
bringen, verstehter  ja  mei- 
sterhaft—  so  istihm  damit 
die  letzte  Weihe  zum  ech- 
tenKünstler  der  modernen 
deutschen  Medaille  erteilt. 
Dr.  M.Bern  HART-München 


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I 


JAN  WYSOCKI-PASING  GEGOSSENE  PLAKETTEN 

15 


JAN  WYSOCKI-PASING 


Der  Gegensatz  zwi- 
schen Stilisie- 
rung und  Naturalis- 
mus ist  nicht  so  kraß, 
wie  dies  gemeinhin  dar- 
gestellt wird.  Die  Extreme 
liegen  allerdings  weit  aus- 
einander; es  gibt  aber 
auch  ein  Zwischengebiet, 
wo  es  schwer  ist,  die  Gren- 
zen, die  eigentlich  flie- 
ßende Uebergänge  sind, 
zu  erkennen ;  selbst  Fach- 
leute sind  nicht  immer 
miteinander  einig,  ob  ein 
Gegenstand  noch  als 
naturalistisch  oder  schon 
als  stilisiert  bezeichnet 
werden  soll.  Eine  unge- 
fähre Scheidewand  zwi- 
schen den  beiden  feind- 
lichen Gebieten  bildet 
das  Erinnerungsbild. 
Geht  eine  der  Natur  ent- 
nommene Schmuckform 
an  Naturireue  wesentlich 
über  das  Erinnerungsbild 
hinaus,  gibt  sie  auch  jede 
zufällige  Einzelheit,  die 
sich  in  der  allgemeinen 
Erinnerung  abgestreift 
hat,  peinlich  genau  in  der 
Linienführung  oder  gar 
noch  dazu  in  der  Farbe 
wieder,  dann  sprechen 
wir  von  naturalistischem 


PORTRÄT-PLAKETTEN 


Schmuck.  Das  Erinne- 
rungsbild schon  kennt 
keine  restlose  Ueberein- 
stimmung  eines  künst- 
lerischen Gebildes  mit 
dem  Naturvorbild,  an 
Stelle  des  Individuellen 
tritt  das  Typische,  Die 
stilisierende  Tätigkeit  ar- 
beitet dieses  durch  stär- 
kere Betonung  der  Haupt- 
linien oder  Farben  immer 
klarer  heraus,  führt  es 
auf  eine  geläufige,  kon- 
ventionelle Formel  zu- 
rück, ja  schafft  mitunter 
auch  selbst  ähnliche,  für 
die  Popularität  bestimmte 
Formeln.  Das  ursprüng- 
liche Naturmotiv  wird  bei 
Flächendarstellungen  so- 
gar dem  physischen  Schat- 
ten entrückt  und  durch 
übernatürliche  Konturen 
von  der  Außenwelt  abge- 
schlossen; immer  mehr 
nähert  es  sich  bei  dieser 
Kondensierung  einer  geo- 
metrischen Form,  bis  wir 
schließlich  als  Endergeb- 
nis des  Stilisierens  ein 
Schmuckelement  von  her- 
aldischer Strenge  vor  uns 
haben.  Gustave. pazaurek 

Aus:    „Guter    und    schlechter    Ge- 
schmack im  Kunstgewerbe*. 
(Deutsche  Verlags-  Anstalt,  Stuttgart) 


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ARCH.  LUDWIG  HOFFMANN-BERLIN 


TEILANSICHT  DES  MÄRCHENBRUNNENS 


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DER  MÄRCHENBRUNNEN 


Berlin  hat  in  diesem  Sommer  zwei  gärtneri- 
sche Anlagen  von  ganz  verschiedener 
Physiognomie  erhalten:  den  Schillerpark  im 
hohen  Norden  und  den  Märchenbrunnen 
am  Eingang  des  Friedrichshains.  Zwei  Anlagen, 
die  aus  so  verschiedenen  Welten  und  so  ver- 
schiedenartigen Weltgefühlen  heraus  stammen, 
daß  an  eine  Vergleichsmöglichkeit  gar  nicht  zu 
zu  denken  ist. 

Der  Schillerpark  ist  ein  Volkspark  im 
neuen,  demokratischen  Sinne  des  zwanzigsten 
Jahrhunderts.  Er  ist  mit  seinen  Sportplätzen, 
seinen  Plansch-  und  Spielwiesen  als  eine  hy- 
gienische und  sportliche  Anlage  für  die  prole- 
tarischen Massen,  die  seine  Ränder  bevölkern, 
gedacht.  Als  eine  Frucht  jener  Bestrebungen, 
die  uns  mit  so  dankenswertem  agitatorischen 
Eifer  die  „wohnlichen"  Parkanlagen  der  neuen 
Welt  vorgeführt  haben,  will  er  ein  großer, 
freier  Aufenthaltsraum  für  Menschen  sein,  die 
an  Raum  und  Tummelfreiheit  bekanntlich  kei- 
nen Ueberfluß  haben.  Der  Entwurf  dieser  An- 
lage, mit  der  ein  neuer  und  sehr  wünschens- 


werter Geist  in  die  Berliner  Parkdeputation 
einzuziehen  beginnt,  stammt  von  dem  Magde- 
burger Friedrich  Bauer,  der  in  einem  für 
diese  reformatorischen  Volksparkideen  sympto- 
matischen Wettbewerb  den  Preis  davongetra- 
gen hat.  Nach  der  Ausführung,  die  leider  nicht 
in  allen  Einzelheiten  diesem  ersten  Preisent- 
wurf entspricht,  ist  zu  sagen,  daß  die  Bevöl- 
kerung des  Berliner  Nordens  mit  diesem  Schiller- 
park eine  Anlage  erhalten  hat,  in  der  sie  sich 
schon  nach  wenigen  Wochen  wohnlich  einzu- 
richten wußte.  Die  Kinder,  die  in  den  meisten 
Fällen  nicht  einmal  Schuhe  und  Strümpfe  aus- 
zuziehen brauchen,  haben  mit  Begeisterung  von 
dem  Planschbecken  Besitz  ergriffen;  die  klei- 
nen und  großen  Spielplätze,  die  geschickt  als 
Raumkompartimente  zwischen  den  Bäumen  und 
die  Hauptalleen  entlang  verteilt  worden  sind, 
wimmeln  von  einem  buddelndem  Nachwuchs, 
über  die  Sportplätze  fliegt  der  Fußball,  die 
großen  Wiesen  sind  bevölkert  und  belagert  mit 
allem,  was  so  eine  nördliche  Berliner  Miet- 
kaserne an  Menschen  umfaßt,  und  der  Einzige, 


ARCH.  LUDWIG  HOFFMANN   D  EINGANGSTOR  ZUM  MÄRCHENBRUNNEN   El  PLASTIKEN  VON  JOSEF  RAUCH-BERLIN 


Dekorative  Kunst.   XVII,     i,    Oktober   1913 


17 


ARCH.  LUDWIG  HOFFMANN-BERLIN 


der  dieses  große  Vergnügen  nicht  teilt,  ist  viel- 
leicht der  Parkwächter,  für  den  es  hier  nichts 
zu  verbieten  gibt.  Es  ist  weiter  zu  sagen,  daß 
für  ein  solches  Wohnen  im  Freien  in  diesem 
Schillerpark  eine  annehmbare  Form  gefunden 
worden  ist,  daß  über  diese  ehemalige  Sand- 
wüste ein  architektonischer  Geist  gekommen 
ist,  der,  abgesehen  von  einer  martialischen  Be- 
festigung der  wandernden  Rehberge,  klug  und 
vernünftig  zu  disponieren  wußte. 

Der  Märchenbrunnen  im  Friedrichshain, 
wohl  die  schönste  und  ausgereifteste  Schöp- 
fung des  Berliner  Stadtbaumeisters  Ludwig 
Hoffmann,  will  anders  angesehen  werden. 
Er  ist  nicht  in  diesem  Sinne  20.  Jahrhundert. 
Er  wird,  wenn  er  die  Tage  der  Aktualität  ein- 
mal hinter  sich  haben  wird,  wahrscheinlich  in 
nicht  geringerem  Grade  populär  sein.  Auch 
er  ist  von  einer  arbeitenden  Bevölkerung  mit 
einem  beispiellosen  Enthusiasmus  aufgenom- 
men worden,  und  doch  ist  kein  Zweifel,  daß 
hier  ein  höchst  kultivierter,  aristokratischer 
Instinkt  sich  ausgewirkt  hat,  der  mit  seiner 
großen  romantischen  Schönheit  die  Sinne  der 
Massen  umfangen  hat.  Man  denkt  bei  dem 
ersten  Schritt  in  diese  Hoffmannsche  Schöp- 
fung an  die  bezaubernde  Geste  italischer  Re- 
naissance-Anlagen, denkt  an  den  Wohllaut  süd- 


DER  MÄRCHENBRUNNEN;  BLICK  VOM  EINGANG 


deutscher  Barocke,  und  zwischen  dem  Putten- 
werk in  den  Laubgängen  des  Würzburger  Schloß- 
gartens ist  das  Lebensgefühl,  das  angeregt 
wird,  kaum  ein  anderes  als  vor  den  Märchen- 
allegorien lONATius  Taschners.  Es  ist  ein 
Traum  von  ferner,  ehemals  wirklicher  Schöne, 
ist  selbst  fast  ein  unbegreiflicher  Märchenspuk, 
der  Groß  wie  Klein  verzückt  und  begeistert.  Mag 
sein,  daß  dieses  phantastisch  Erregende  auch 
auf  einem  anderen  Wege  hätte  erreicht  wer- 
den können ;  aber  es  ist  nicht  zu  bestreiten, 
daß  dieser  Märchenbrunnen,  so  wie  er  ist, 
auch  in  dem  ganz  modernen  Großstädter  und 
dem  höchst  fortgeschrittenen  Großstadtkind 
alle  die  Empfindungen  strömen  macht,  die  die 
deutschen  Hausmärchen  der  Brüder  Grimm 
selbst  wecken. 

Die  Anlage  arbeitet  mit  all  den  Mitteln,  die 
die  große  Gartenkunst  des  Barocks  aufs  Raffi- 
nierteste entwickelt  hat.  Es  war  ein  spitz- 
winkelig zulaufender  Zipfel,  in  den  eine  große 
Grünanlage  ausläuft,  aufzumachen.  Vorn  in 
den  Winkel  legte  Hoffmann  ein  niedrig  gehal- 
tenes Tor,  das  rechts  und  links  von  Baum- 
und Buschwerk  umpflanzt  ist  (Abb.  S.  17).  Ein 
Weg,  der  sich  noch  verjüngt  und  mit  niedri- 
gen Stufen  (wie  für  trippelnde  Kinderfüß- 
chen  gebaut)  leicht  ansteigt  (Abb.  siehe  oben). 


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MÄRCHENGRUPPEN  VON  IGNATIUS  TASCHNER  B  TIERFIGUREN  AUF  DER  BRÜSTUNG  VON  JOSEF  RAUCH       R 

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IGNATIUS  TASCHNER-BERLIN 


SCHNEEWITTCHEN  MIT  DEN  SIEBEN  ZWERGEN 


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DER  GESTIEFELTE  KATER 


IGNATIUS  TASCHNER-BERLIN 


HANS  IM  GLOCK 


ergießt  sich  plötzlich  in  einen  weiträumigen 
Platz,  auf  dem  wie  eine  Ueberraschung  einem 
das  Brunnenbecken  mit  seinen  mannigfaltigen 
Wasserkünsten,  mit  seinen  sprudelnden  Quel- 
len, seinen  speienden  Fröschen,  seinen  plät- 
schernden Urnen  entgegenrauscht  (Abb.  S.  20 
U.21).  Den  Abschluß  macht  eine  durchbrochene 
Säulenarchitektur,  durch  die  sich  ein  Blick  in 
ein  neues  Spektakulum  öffnet,  in  ein  umhegtes 
Rondell  mit  einer  hoch  aufschäumenden  Fontäne. 
Ueberall  ist,  wie  man  sieht,  mit  den  Illusions- 
künsten des  Barock  gearbeitet.  Das  Gelände 
um  das  große  Brunnenbecken  weitet  sich  in 
der  Richtung  der  Tore.  Die  Architekturmasse 
scheint  die  Hecken  auseinanderbiegen  zu  wollen, 
sie  wächst  für  das  Empfinden,  wird  größer 
und  gewaltiger  und  wird  zu  einer  mächtigen 
Kulisse  für  das  leichte  Spiel  der  Wasser  in 
dem  Becken,  dem  sie  Halt  und  Abschluß  bie- 
tet. Die  Wasserfläche  ist  durch  ein  Kaskaden- 
system und  durch  einen  Einzug  an  der  Mittel- 
achse ins  Heitere,  Tändelnde  aufgelöst.  Seine 
Breitflächigkeit,  die  im  Effekt  wiederum  auf 
die  Architektur  gedrückt  hätte,  ist  mit  den 
Mitteln  gemildert  worden,  die  dem  Wasser  das 


für  die  Kinder  anziehende  Element:  die  mannig- 
faltige Bewegung  geben.  Am  Rand  nun,  auch 
den  Patschhändchen  greifbar  nahe,  stehen  die 
Märchengruppen:  das  Schneewittchen  mit  den 
sieben  Zwergen,  das  Rotkäppchen  mit  dem  Wolf, 
der  gestiefelte  Kater,  Dornröschen,  Aschen- 
brödel und  wie  sie  alle  heißen. 

Jenseits  der  Säulenarchitekfur,  die  reizvolle 
Durchblicke  mancherlei  Art  bietet,  öffnet  sich 
ein  großes  Rondell  mit  einem  Rundbecken, 
dessen  flach  gehaltener  Rand  von  vier  Putten- 
gruppen besetzt  ist.  Die  doppelte  Anzahl  Stein- 
gruppen von  Georg  Wrba,  ergötzliche  und 
verdrießliche  Szenen  aus  dem  Kinderleben 
(Abb.  S.  28),  sind  hineingedrückt  in  den  von 
der  geschorenen  Hecke  gezogenen  Kreis.  Ein 
paar  Kästen  mit  roten  Blüten  auf  gleich  hohen 
Postamenten  geben  noch  einen  farbigen  Akzent 
in  diese  bei  aller  Liebenswürdigkeit  gestrenge 
Gestaltung.  Ein  zweites  Tor,  flankiert  von  ein 
paar  Rauchschen  Tiergruppen,  öffnet  sich  von 
hier  in  den  eigentlichen  Friedrichshain,  in  dem 
gleich  vor  dem  Brunnen  und  als  eine  Art 
selbstverständlicher  Ergänzung  noch  ein  Sand- 
spielplatz angelegt  werden  mußte. 


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23 


IGNATIUS  TASCHNER 

Seitlich  von  den  großen  Straßenzügen,  die 
sich  am  Eingang  der  Anlage  schneiden,  sind 
noch  Zugänge  geschaffen  worden,  die  dem  Ar- 
chitekten die  Möglichkeit  gaben,  das  alte  Irr- 
gang-Motiv auf  eine  hübsche  Art  aufzugreifen. 
Es  gäbe  für  dieses  Aufgreifen  für  diejenigen, 
die  danach  fragen,  auch  eine  sachliche  Begrün- 
dung. Es  waren  nämlich  erhebliche  Terrain- 
unterschiede zu  überwinden;  die  eine  der  bei- 
den Straßen  liegt  über,  die  andere  unter  dem 
Niveau  der  Brunnenanlage.  So  wurden  ein- 
mal treppauf,  einmal  treppab  gekreuzte  Hecken- 
wege angelegt,  die  beherrscht  werden  von  je 
einer  Riesenherme,  die  die  martialischen  Per- 
sonen der  Märchenwelt,  den  Menschenfresser, 
den  grimmigen  Rübezahl,  die  Frau  Holle  dar- 
zustellen haben.  Zu  den  mannigfachen  Reizen 
dieses  Brunnens  kommt  so  noch  eine  Erinne- 
rung an  die  intimen  Heckenräumlichkeiten  des 
Rokoko  —  eine  delikate  und  höchst  anspre- 
chende Erinnerung. 

Das  ist  hier  allenthalben  zu  fühlen,  wie  die 
Künstler,  die  diese  herzliche  Schönheit  schufen, 
in  ihr  Werk  und  ihre  Sache  verliebt  waren. 
Man  spürt  geradezu,  welche  Wonnen  sie  bei 
dieser  Aufgabe  gekostet,  welche  Freude  es  je- 
dem von  ihnen,  dem  Architekten,  dem  Gärtner 
wie   den   Bildhauern   machte,    immer   Neues, 


HANSEL 

immer  Köstlicheres  für  Kinderaugen  hervorzu- 
zaubern. Es  zeigt  sich  jene  echte  Herzens- 
freude des  Schaffenden,  die  die  Phantasie  eines 
Richter,  eines  Slevogt  oder  des  Bilderbuch- 
zeichners Menzel  befeuerte,  und  ohne  die  es 
weder  eine  große  Kunst,  noch  eine  Kinderkunst 
zu  geben  vermag.  Es  hat  etwas  Rührendes, 
ergraute  Menschen  —  Hoffmann  ist  doch  schon 
ein  Sechziger!  —  so  ganz  an  das  Begehren  der 
Kinder  hingegeben  zu  sehen,  und  diese  wun- 
dersame Menschlichkeit,  die  sich  hier  an  all 
und  jedem  enthüllt,  ist  vielleicht  das  Ergreifend- 
ste, das  am  meisten  Bestechende  an  dieser  so 
wohlgeratenen  Schöpfung. 

Diese  Liebe  zu  dem  Werk  zeigt  sich  in  einer 
allseitigen  Hingebung  an  die  Aufgabe,  die 
heute,  wo  alles  schnellfertig  abgehaspelt  zu  wer- 
den pflegt,  etwas  Beispielloses  hat.  Nicht  nur 
Hoffmann ,  der  ja  mit  einem  sublimen  Ge- 
schmack und  feinfühligen  Händen  so  viel  Har- 
monie zu  erreichen  versteht,  sondern  auch  die 
drei  Bildhauer,  die  von  ihm  zugezogen  worden 
sind,  waren  so  von  ihrer  Sache  erfüllt.  Es 
hätte,  wie  zu  bedenken  gilt,  hier  eine  Sieges- 
allee für  Kinder  entstehen  können  —  vielleicht 
mag  solch  Gelüst  sogar  die  Triebfeder  für  ein 
Eingreifen  gewesen  sein,  das  in  den  Werde- 
tagen dieses  Märchenbrunnens  zu  einem  heftigen 


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IGNATIUS  TASCHNER 

Konflikt  geführt  hatte  —  und  es  entstand 
dieses  delikate  Werk,  das  an  Noblesse  nicht 
seinesgleichen  hat  unter  all  dem,  was  von 
deutschen  Kommunen  in  dem  letzten  Jahrzehnt 
angeregt  worden  ist. 

Es  ist  zu  beachten,  mit  welch  einem  bei- 
spiellosen Instinkt  der  Bildhauer  Josef  Rauch 
sich  einzufijhlen  wußte  in  die  HofFmannsche 
Architektur,  als  ihm  der  Auftrag  wurde,  die 
Säulenanlage  mit  Tierfiguren  abzuschließen. 
Diese  Hirsche,  die  über  den  Toren  gelagert 
sind,  diese  Löwen,  diese  Fische  und  Krebse 
in  den  Gesimsfriesen,  diese  Muscheln,  die  die 
Kapitale  erfüllen,  scheinen  aus  der  Architektur 
herauszuwachsen,  als  ob  beides  von  ein  und 
derselben  Hand  geformt  wäre,  als  ob  nicht 
ein  Bildhauer  und  ein  Baumeister  der  Jetztzeit, 
sondern  ein  Geist  der  Renaissance  Architek- 
tonisches und  Plastisches  auf  einmal  bewältigt 
habe.  Selten  sind  zwei  Temperamente  so  har- 
monisch aufgegangen,  und  selten  ist  eine  Archi- 
tekturplastik entstanden,  die  so  durch  und  für 
die  ihr  zugehörige  Architektur  lebt.  Es  ist  des 
weiteren  zu  beachten,  mit  welcher  Ueberlegen- 
heit  Wrba  bei  der  Gestaltung  seiner  Riesen- 
hermen den  Gedanken  des  jardino  secreto 
aufgriff,  wie  er  schon  in  der  etwas  robusten, 
aphoristischen   Modellierung   der  Figuren   das 


GRETEL 

riesenhaft  Uebermenschliche  sinnfällig  gemacht 
hat,  und  wie  leicht  und  frei  er  wieder  bei  den 
ergötzlichen  Kindergruppen  sich  zu  geben  wußte. 
Und  nur  mit  Begeisterung  ist  zu  reden  von 
den  vielen,  entzückenden  Märchenfiguren,  die 
Taschner  den  Kindern  zur  Freude  geschaffen 
hat.  Da  sind  sie  alle,  die  vertrauten  Gestalten, 
das  Rotkäppchen,  das  Schneewittchen,  die  sieben 
Raben  und  der  gestiefelte  Kater,  alle  durch- 
gebildet mit  jenem  Sinn  für  Wirklichkeit,  nach 
der  das  Kind  verlangt,  und  doch  alle  auch 
Untertan  einer  höheren  Stilidee,  die  sie  feineren 
Sinnen  sympathisch  macht.  Wer  süddeutsche 
Barockgruppen  kennt,  weiß,  welch  Formideal 
dem  Bildhauer  vorschwebte,  der  sich  als  kluger 
Former  und  launiger  Erfinder  trefflich  bewährt 
hat.  Taschner  hat  sich  scheinbar  gar  nicht  ge- 
nug tun  können  in  der  Charakterisierung  der 
einzelnen  Gestalten.  Immer  fällt  ihm  noch  ein 
kleiner  Zug  ein,  der  das  Entzücken  der  Kinder 
ausmachen  könnte,  immer  gibt  er  wie  ein  wirk- 
licher Märchenerfinder  der  Phantasie,  die  hier 
erregt  werden  soll,  noch  neue  Nahrung.  Mit 
dem  verwunschenen  Dornröschen  (Abb.  S.  26) 
läßt  er  ein  Kätzchen  den  langen  Schlaf  tun 
oder  gibt  ihm  auf  den  Schoß  noch  ein  zotte- 
liges Pudelhündchen,  das  entdeckt  zu  haben 
die    kleinen  Herrschaften  stolz  und  begeistert 


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Dekorative  Kunst.  XVII. 


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BRÜDERCHEN  UND  SCHWESTERCHEN 


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DIE  SIEBEN  RABEN 


DORNRÖSCHEN 


J  IGNATIUS  TASCHNER  El  GRUPPEN  VOM  MARCHENBRUNNEN  IN  BERLIN 

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IGNATIUS  TASCHNER 


ROTKAPPCHEN 


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GEORG  WRBA-DRESDEN 

machen  wird.  Die  sieben  Zwerge  des  Schnee- 
wittchen (Abb.  S.  22)  sind  unter  seinen  Händen 
zu  einer  gar  ausgelassenen  Gesellschaft  ge- 
worden. Das  tummelt  sich  um  das  Prinzeß- 
chen herum,  klettert  ihm  auf  den  Schoß,  ver- 
kriecht sich  in  seine  Rockfalten,  und  ein  ganz 
schlimmer  Bursche,  der  hinten  unter  der  Stuhl- 
lehne seinen  Platz  gefunden  hat,  wagt  es  so- 
gar, ganz  frech  die  Zunge  'rauszustrecken 

Kein  Wunder,  wenn  das 
alles  bei  den  Kindern, 
für  die  es  gedacht  ist,  be- 
geisterte Aufnahme  ge- 
funden hat,  wenn  die  win- 
zigen Patschhändchen 
trotz  eines  grimmigen 
Wächters  den  bärtigen 
Gnomen,  das  niedliche 
Kätzchen,  die  Raben  und 
die  Täubchen  zu  strei- 
cheln begehren,  wie  ja 
auch  die  Kinder  aus  dem 
Gauischen  Entenbrun- 
nen in  Charlottenburg 
schon  den  „Streichel- 
brunnen" gemacht  ha- 
ben. Schon  jetzt  zeugt 
so  mancher  schwarze 
Fingerabdruck  auf  dem 
Weiß  des  Euviller  Kalk- 
steins von  dieser  Be- 
geisterung und  setzt 
eine  Patina  an,  die  bes- 


ser  als   alles   zeigt,   daß  hier  der  rechte  Ton 
getroffen  wurde. 

Und  nun  im  Hinblick  auf  den  Schillerpark, 
auf  die  moderne,  hygienische  und  brauchbare 
Anlage,  die  soziale  Seite.  Ist  es  nichts,  wenn 
vielen  Kindern  das  Herz  aufgeht  und  das 
Märchenhafte,  das  Verwunschene  ihr  Gemüt  zu 
erfassen  beginnt?  Ist  es  wirklich  nichts,  wenn 
diesen  armen  Geschöpfen,  die  nie  ein  Bilder- 
buch in  die  Finger  be- 
kommen, denen  eine  in 
der  Tagesfron  abgehetz- 
te Mutter  vielleicht  nie 
ein  Märchen  erzählen 
mag,  nahe  ihrem  Spiel- 
platz durch  den  Gemein- 
sinn der  Bürgerschaft  ein 
unerschöpfliches,  ihnen 
gehöriges  steinernes  Bil- 
derbuch erhalten  haben, 
das  sie  mit  Begeisterung 
lesen  werden?  Und  viel- 
leicht ist  auch  das  nicht 
unwichtig,  daß  in  den 
Berliner  Mietkasernen, 
die  riesengroß  und  dräu- 
end auch  diesen  Fried- 
richshain umklammern, 
wieder  geträumt  wird 
von  jenen  liebenswerten 
Gestalten, dieunseraller 
Jugend  hold  umgaukel- 
ten.        Paul  Westheim 


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ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN     Q    Q    Q     DAS  DRESDNER    HAUS   AUF   DER  BAUFACH-AUSSTELLUNG  IN  LEIPZIG 

DAS  DRESDNER  HAUS  AUF  DER  INTERNATIONALEN 
BAUFACH-AUSSTELLUNG  LEIPZIG  1913 


Dem  kosmopolitischen  Ehrgeiz,  der  die  Leip- 
ziger dazu  trieb,  ihre  Architekturschau 
unter  der  Flagge  einer  Weltausstellung  des  ge- 
samten Bauwesens  hinaussegeln  zu  lassen,  muß 
es  angesichts  des  fertigen  Werkes  etwas  unbe- 
haglich zumute  werden.  Zwar  Programme 
sind  heutzutage  allgemein  dazu  da,  auf  dem 
Papier  zu  leben  und  zu  sterben.  Aber  das 
sächsische  Klein-Paris  hätte  besser  daran  ge- 
tan, die  Grenzen  seines  Unternehmens  von 
vornherein  etwas  enger  zu  ziehen,  und  der  Ver- 
gleich mit  internationalen  Veranstaltungen  wirk- 
lich großen  Stiles,  wie  die  in  vielen  Punkten 
als  Ideal  voranschwebende  Dresdner  Hygiene- 
ausstellung, war  nicht  herauszufordern.  So  muß 
man  es  erleben,  daß  die  geschlossene  Reprä- 
sentation der  fremden  Staaten,  die  dort  so 
monumental  in  Szene  trat,  völlig  ausbleibt,  und 
neben  Sachsen,  dem  Gastgeber,  und  Oesterreich 
nur  eine  einzige  Stadt  ihr  Schaffen  in  selbst- 
sländigem  Rahmen  vorführt:  Dresden. 

Zur  Linken  der  breiten  Straße,  die  als  Quer- 
achse des  Ausstellungsgebietes  doch  infolge 
ihrer  Verbindung  mit  dem  Hauptzufahrtsweg 
den  stärksten  Verkehr  aufweist,  dicht  nach 
ihrer  Kreuzung  mit  der  Straße  des  18.  Oktober 


haben  die  Dresdner  ihr  Haus  erbaut.  Wie 
schon  vor  sieben  Jahren  auf  der  denkwürdigen 
Kunstgewerbe-Ausstellung  in  Sachsens  Haupt- 
stadt selbst,  trägt  auch  dies  Heim  der  Dresdner 
Kunst  um  seine  feinen  Glieder  den  unsicht- 
baren Mantel  einer  Tradition,  die  ihre  künst- 
lerischen Wirkungen  von  der  sachlichen  Strenge 
wie  von  dem  schnellwirkenden  Scheinprunk 
der  neuzeitlichen  Ausstellungsarchitektur  gleich 
deutlich  fernhält.  Hatte  damals  Wilhelm  Kreis 
sein  Chalet  über  einer  halbkreisförmig  vertief- 
ten Gartenanlage  in  Hufeisenform  als  Gruppen- 
bau gegliedert,  so  strebt  Oswin  Hempel  mit 
Geschick  der  aristokratischen  und  heiter-gesel- 
ligen Grazie  nach,  die  ein  pavillonartig  geschlos- 
senes Lustschlößchen  in  einem  Garten  des 
18.  Jahrhunderts  atmet.  Der  rechteckige  Bau 
mit  seinem  Mansardendach  öffnet  sich  mit  fünf 
stattlichen  Türen  in  einem  Halbrund  nach  dem 
gradlinig  eingeteilten  Gartenparterre.  Straff  kan- 
nelierte Pfeiler  tragen  das  Gesims;  über  ihm 
erhebt  sich  im  Mittelbau  eine  Attika,  deren  fünf 
Rundfenster  den  klassizistischen  Grundton  ver- 
nehmlich umstimmen.  Ein  offenes  Rundtempel- 
chen, von  gleichfalls  kannelierten  Pfeilern  ge- 
tragen,  krönt   das   Dach.    Und   es   fällt  nicht 


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ARCH.  OSWIN  HEMPEL  UND  GARTENINGENIEUR  W.  ROHNICK  B  GARTEN  MIT  PERGOLA 


schwer,  sein  Inneres  im  Geiste  mit  einer  Schar 
verbindlich  und  lustig  konversierender  Damen 
und  Kavaliere  zu  bevölkern,  deren  farbige  Röcke 
und  Roben  auf  die  Gesellschaft  in  den  Gängen 
des  Gartens  herniederglänzen.  Feinster  Eib- 
sandstein in  zwei  Tönen,  von  denen  der  an 
den  struktiv  betonten  Teilen  ein  goldiges  Gelb 
zeigt,  ist  auch  das  Material  der  in  leiser  Run- 
dung an  die  Front  geschobenen  Seitenmauern, 
die  den  gepflasterten  Vorplatz  abgrenzen.  Zwei 
schlanke  Säulen  mit  Kompositkapitellen  tragen 
leicht  die  Last  umenartiger  Steingebilde,  von 
denen  das  Wappen  der  Stadt  herabschaut.  Die 
elegante  Verneigung  vor  den  Schatten  des  ancien 
regime,  die  auch  in  der  Dekorierung  des  Gartens 
mit  steinernen  Vasen  zu  empfinden  ist,  erscheint 
in  dem  Werk  des  Dresdner  Architekten  nicht 
wie  eine  angelernte  Geste,  sondern  als  der 
natürliche  Ausdruck  eines  kultivierten  formalen 
Verstandes,  der  auch  das  scheinbar  Konven- 
tionelle neu  und  bedeutsam  zu  begreifen  weiß. 
Das  Sonnenlicht  zwingt  uns,  die  Pergola 
und  den  Garten  zu  verlassen,  und  gar  ver- 
lockend rauscht  ein  Brunnen  aus  dem  Innern 
des  Schlößchens.  Der  runde,  in  einem  weißen 
Kuppelgewölbe   geschlossene    Raum,  den  wir 


betreten,  ist  vollständig  mit  Kacheln  in  grauen, 
blauen,  grünen  und  mattweißen  Tönen  ver- 
kleidet. Das  Pilastermotiv  der  äußeren  Run- 
dung kehrt  hier  in  bereicherter  Gestalt  wieder; 
den  Seitentüren  der  Außenseite  aber  ent- 
sprechen halbrunde  Nischen,  den  Kreisfen- 
stern reliefierte  Platten  mit  den  bewegten 
Linien  von  Tanzgruppen  nackter  Kinder.  Das 
schöne  und  edle  Material  ist  auch  in  dem  kräftig 
profilierten  Brunnen  gut  zur  Geltung  gebracht, 
aber  es  ist  ein  wenig  zu  viel  des  Guten  da- 
bei getan.  Die  Wände  der  Rotunde  würden 
bei  sparsamerer  Verwendung  des  Steinzeugs 
noch  einheitlicher  wirken;  auch  stimmt  der 
Kronleuchter  in  der  funkelnden  Pracht  seines 
Kristallgehänges  nicht  zu  der  glatten  Decke, 
wie  überhaupt  zu  dem  Charakter  der  Durch- 
gangs- und  Eintrittshalle.  Paul  Rössler,  der 
mit  OswiN  Hempel  gemeinsam  diesen  Raum 
entworfen,  für  dessen  technische  Herstellung 
Villeroy  &  Boch,  Dresden,  die  ehrenvolle 
Verantwortung  tragen,  hat  auch  die  farbige 
Dekoration  der  Mittelhalle  geschaffen.  Hier 
prägt  sich  das  Provisorische  des  Ausstellungs- 
wesens in  der  offenliegenden  Holzkonstruk- 
tion    des     Daches     unbefangen     aus.      Zwei 


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ARCH.  OSWIN  HEMPEL    G    B    DAS   DRESDNER  HAUS    Q    Q    MARMORFIGUREN  VON   BILDHAUER  SELMAR  WERNER 


Internationale  Baufach-Ausstellung  Leipzig  1913 


31 


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ARCH.  OSWIN  HEMPEL  e  DAS  DRESDNER  HAUS:  TEILANSICHT  DER  GARTENSEITE  (vgl.  Seite  33) 


Monumentalgemälde,  von  Paul  Perks  und 
RössLER  selbst,  schmücken  die  Stirnwände.  In 
zahlreichen  Rissen,  Plänen  und  Zeichnungen 
legen  die  Bauämter  der  Stadt  Dresden  hier 
von  ihrem  Wirken  Rechenschaft  ab.  Geschaf- 
fenes und  Werdendes  beweist  im  Bilde,  wie 
kühn  und  kraftvoll  der  Aufschwung  in  dem 
von  der  Kommune  abhängigen  Sichformen  des 
neuen  Gesamtbildes  der  Stadt  ist.  —  In  der 
Mittelaxe  sich  anschließend,  zeigt  ein  weiterer 


Saal  die  Tätigkeit  der  Dresdner  Baukünstler: 
man  begegnet  da  manchem  Entwurf,  der  bei 
aller  individuellen  Bedeutung  nicht  Wirklich- 
keit werden  durfte,  mancher  Arbeit,  die  außer- 
halb der  Stadt  selbst  die  Tüchtigkeit  der  ein- 
heimischen Meister  verkündet.  Ein  Raum  für 
kirchliche  Kunst  bringt  Glasfenster,  Entwürfe 
von  farbig  neu  durchgebildeten  Innenräumen 
und  zahlreiche  Perspektiven  und  Pläne,  Neben 
dieser  hohen  und  höchsten  Kunstübung   aber 


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braucht  sich  auch 
das  Handwerk 
nicht  zu  verstek- 
ken. Farbenfri- 
sche Stickereien 
von  Emmy  Hot- 
TENROTH,dieschö- 
nen  männlichen 
Messing -Treibar- 
beiten von  Georg 

Mendelssohn, 
lustige  Töpfereien 
von  Feuerriegel, 
silberne  Krüge 
und  Schalen  von 
Grosz,  Leuchter 
von  A.  Sonnen- 
schein, zierliche 
Möbel  in  goldig 
flimmerndem  Bir- 
kenholz von  Din- 
ger, auch  Frauen- 
schmuck, holzge- 
schnitzte Volks- 
typen, Bronzen 
alter  und  neuerer 
Zeit,  Porzellane 
und  Spitzen,  sind 
geschickt  zu  ei- 
nem Bilde  ver- 
einigt, das  auch 
dem  flüchtigen  Be- 
trachter die  Viel- 
seitigkeit   der 

kunsthandwerk- 
lichen Produktion 
deutlich  vor   Au- 
gen führt. 

Die  Reihe  der 
Zimmer  eröffnet 
ein  Speisesaal  von 
OswiN  Hempel, 
einheilerund  fest- 
lich gestimmter 
Raum,  dessen  drei 
bis  zur  Decke  rei- 
chende Fenster 
das  alte  feine  Mo- 
tiv des  ebenerdi- 
gen Eßzimmers 
mit  direktem  An- 
schlußanden Gar- 
ten anschlagen. 
Schwere,  mit  rei- 
cher Schnitzerei 
geschmückte  Mö- 
bel ausgeräucher- 
ter   Eiche    heben 


1 


ORNAMENTALE    PLASTIK   AM   EINGANG   DES    DRESDNER   HAUSES 
VON  BILDHAUER  KARL  GROSZ  UND  SEINEN  SCHÜLERN 


sich  kräftig  von  der 
weißgestrichenen 
Boisserie  ab,  die 
Wand  darüber 
ist  mit  einem 
schwarz-weiß  ge- 
musterten Damast 
bespannt,  wäh- 
rend die  grünen 
Vorhänge  und  der 
in  stumpfen,  vio- 
letten und  grünen 
Tönen  gehaltene 
Teppich  gleich- 
sam die  Stimmung 
der  freien  Natur 
im  Innenraum  far- 
big wiederaufneh- 
men. Ein  kleines 
Arbeits  -  Zimmer 
von  Willy  Meyer 
enthält  Schreib- 
tisch und  Schrank 
aus  dunklem  Ma- 
hagoni; der  Ton 
der  samtbraunen 
Wandbespannung 
ist  etwas  zu  leblos 
ausgefallen.  Einen 
Mangel  an  farbi- 
ger Ruhe  verrät 
das  Wohnzimmer 
von  Paul  Ben- 
der: das  flacke- 
rige Muster  der 
Nußbaum-Mase- 
rung, das  uner- 
trägliche    Barock 

der  wuchtigen 
Stuckdecke,  das 
leuchtende  Gelb 
des  Pavonazzo- 
Kamins,  die  der- 
ben figuralen  Ka- 
chelmuster seines 
Aufsatzes ,  die 
überüppige,  ver- 
silberte Leuchter- 
krone —  ein  Ra- 
gout artistisch  er- 
klügelter Einzel- 
effekte ohne  klare 
Raum-  und  Ton- 
disposition. Ein 
Beispiel  der  Raum- 
kunst, die  mit  Ell- 
bogen    um     sich 

stößt   und     Purzel- 


Dekorative  Kunst.    XVII.    I.    Oktober  1913 


33 


I 


bäume  schlägt,  um  aufzufallen.  Ueberall  drängt 
sich  das  Ausstellungsmäßige,  Ueberhitzte  vor, 
und  das  Publikum  kehrt  sich  mit  scheuem 
Staunen  von  diesem  vielstimmigen  Konzert  von 
Blech-  und  Schlaginstrumenten  ab,  um  die  An- 
spruchslosigkeit des  eigenen  Heims  mit  reuigen 
Empfindungen  neu  zu    schätzen. 

Ein  Herrenzimmer  in  Mahagoni  von  dem 
Dresdner  Martin  Pietzsch  leitet  über  zu  einer 
Gruppe  von  Räumen,  die  man  in  ihrer  Ge- 
samtheit etwa  als  Wohnung  eines  kunstlie- 
benden Aestheten  bezeichnen  könnte,  wobei 
nur  das  Schlafzimmer  vermißt  wird.  Georg 
VON  Mayenburg  ist  ihr  Schöpfer.  Toiletten- 
raum und  Bad  sind  von  bestechender  Eleganz, 
ein  runder  Bibliothekraum  in  Eiche  mit  Kuppel- 
gewölbe ernsthaft  und  zurückhaltend.  Aber  in 
dem  Salon  stürzt  wieder  eine  volle  Kaskade  g 
von  farbigen  Keckheiten  über  uns  her:  rokoko- 
zierlich geschweifte  Möbel  aus  Kirschholz  prah- 
len in  Bezügen  von  schwarzblau  gestreifter  und 
hellgeblümter  Seide,  gemalte  Leisten  in  Schwarz 
und  Gold  teilen  die  scharf  grüne  Wand,  gol- 
dene Akzente  funkeln  von  derstuckierten  Voute, 
rot  fällt  das  Licht  durch  den  Seidenschirm 
der  steifen  Krone.  Der  in  Violett  und  nuß- 
braunen Tönen  gehaltene  Nebenraum  dürfte, 
bei  richtiger  Belichtung,  den  Reiz  echter  Be- 
haglichkeit weit  müheloser  ausströmen. 

Wenn  das  Dresdner  Haus  sowohl  durch  die 
edle  Einfachheit  seines  Umrisses,  wie  auch  durch 
die  organische  Schönheit  seines  Baustoffes  sich 
einen  bevorzugten  Platz  in  dem  Beton-  und 
Verputzreich  der  Ausstellungssiadt  im  Schatten 
des  Völkerschlachtdenkmals  hat  erobern  kön- 
nen, so  ist  das  neben  der  schöpferischen 
Tüchtigkeit  seines  Baumeisters  der  opferbe- 
reiten Energie  zu  danken,  mit  der  die  säch- 
sische Eibsandsteinindustrie,  besonders  die  der 
Cottaer  Steinbrüche,  sich  in  den  Dienst  der 
repräsentativen  Forderungen  gestellt  hat.  Die 
atmosphärische  Chemie  der  modernen  Groß- 
stadt hat  über  dieses  Material  den  Stab  ge- 
brochen; der  Muschelkalk  tritt  seine  Erbschaft  ^ 
bei  den  monumentalen  Aufgaben  der  Gegen-  P 
wart  an,  soweit  nicht  der  Beton  seine  Giganten-  t 
faust  nach  ihnen  ausgestreckt  hat.  Wenn  je  C 
vor  architektonischen  Leistungen,  die  der  For-  « 
derung  des  Tages  zu  genügen  haben,  der  V 
Wunsch  berechtigt  war,  ihnen  nach  dem  Ab-  > 
bruch  ihres  derzeitigen  Schauplatzes  eine  Auf-  V 
erstehung  als  bleibendes  Denkmal  künstleri-  q 
scher  Gemeinschaftsarbeit  zu  gewähren,  so  ist  Q 
er  es  vor  diesem  Bau.  Ihm  Worte  zu  verleihen  P 
betrachtet  der  Chronist  am  Schluß  als  eine  G 
Pflicht,  die  nicht  schnellem  Lokalpatriotismus,  y 
ARCH.oswiNHEMPELUND  BILDHAUER  KARL  GROsz       «oudem  ruhigem  Ucbedegen   und  Urteil  ent-    0 

WAPPENSAULE  AUF  D.TERRASSE  D.DRESDNER  HAUSES  Springt.  ERICH    HAENEL      } 

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ARCH.OSWIN  HEMPEL  UND  MALER  PAUL  RÖSZLER  o   REPRÄSENTATIONSRAUM  IM   DRESDNER  HAUS  (vgl.  s.  37)  « 

ORNAMENTALE  PLASTIK  VON  DÖLL  UND  STELLMACHER,  DRESDEN  C 

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ARCH.  OSWIN  HEMPEL  UND  PAUL  RÖSZLER  Q  REPRÄSENTATIONSRAUM  DES  DRESDNER  HAUSES 

ORNAMENTALE  PLASTIK  VON  DÖLL  UND  STELLMACHER,  DRESDEN 

Ausführung  der  keramischen  Wandverkleidung  und  des  Mosaikfußbodens:  Villeroy  &  Boch,  Mettlach 


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ARCH.  OSWIN  HEMPEL  UND  MALER  PAUL  RÖSZLER    B    REPRASENTATIONSRAUM  DES  DRESDNER  HAUSES 

ORNAMENTALE  PLASTIK  VON  DÖLL  UND  STELLMACHER,  DRESDEN 

Ausführung  der  keramischen  Windverkleidung  und  des  Brunnens:   Villeroy  &  Boch,  Meiilach 


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ARCH.  OSWIN  HEMPEL  UND  MALER  PAUL  RÖSZLER  DIE  AUSSTELLUNGSHALLE  DER  STADT  DRESDEN         fi 

DEKORATIVES  GEMÄLDE  VON  PAUL  PERKS,  DRESDEN  } 

Entwurf  und  Ausführung  der  Binderkonstruktion:  Hofzimmermeistcr  Ernst  Noack,  Dresden  r 


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ARCH.  GEORG  H.  VON  MAYENBURG-DRESDEN  ECKEN  DES  BIBLIOTHEKZIMMERS  IM  DRESDNER  HAUS 

Ausführung  der  Möbel  und  Schnitzereien:  Heinrich  Ficlcler,  Kunsttischlerei,  Hainsberg-Dresden 
des  Beleuchtungskörpers;  Kronieuchterfabrilc  Julius  Schädlich,   Dresden 


39 


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)       ARCH.  OSWIN  HEMPEL-DRESDEN  SPEISEZIMMER  IM  DRESDNER  HAUS  (vgl.  s.  41) 

)  Ausführung  der  Möbel  mit  Schnitzereien  nach  Modellen  von  Karl  Groß:   Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst  G.  m.  b.  H., 

\  Dresden-Hellerau 

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Dekoratire  Kunst.    XVII.  i.    Oktober  1913 


41 


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PAUL  PFEIFFER-PFORZHEIM  Q  SILBERNE  ANHÄNGER  MIT  AMETHYSTQUARZ,  CALCEDON  UND  CHRYSOPRAS^" 


SCHMUCKSACHEN  VON  PAUL  PFEIFFER 


Ueber  die  Entartung  der  modernen  Schmuck- 
kunst  ist  viel  geredet  und  noch  mehr  ge- 
schrieben worden,  und  das  mit  Recht.  Die  Schuld 
an  dem  Zurückbleiben  des  Schmuckkünstlers 
hinter  dem  Fortschreiten  des  übrigen  Kunstge- 
werbes wurde  zu  allermeist  dem  Anwachsen  der 
Industrie  und  ihrem  Neuheitshunger  zugeschrie- 
ben sowie  der  damit  verbundenen  Ausnützung 
der  Musterzeichner,  deren  Erfindungsarmut  mit 
ihrer  quantitativen  Fruchtbarkeit  gleichen  Schritt 
hielt.  Noch  ein  anderes  Moment  wurde  der  mo- 
dernen künstlerischen  Entwicklung  des  Schmuk- 
kes  gefährlich,  das  war  das  Vordringen  der  reinen 
Juwelierarbeit,  die  das  Edelmetall  nur  zu 
würdigen  verstand,  so  weit  es 

bei   der   Fassung   der   Edel-         

steine  Handlangerdienst  lei- 
stete, und  dieses  Ueberschät- 
zen  des  Schmucksteines  wie- 
derum war  eine  Folge  des 
neudeutschen,  aller  künst- 
lerischen Gesinnung  baren 
Protzengeschmacks.  Letzten 
Endes  aber  ging  der  Mangel 
an  Nachfrage  nach  guter 
Schmuckkunst  zurück  auf 
das  Fehlen  von  guten  An- 
geboten. Die  entwerfenden 
Zeichner  hatten  alle  Hände 
voll  zu  tun,  um  nur  ja  nicht 
ihre  Firma  gegenüber  der 
nouveaute- strotzenden  Kon- 
kurrenz     ins     Hintertreffen 


kommen  zu  lassen.  Auch  geht  dem,  der  nicht 
in  ständiger  Fühlung  mit  dem  Material  steht, 
über  der  dauernden  Reißbrettarbeit  der  Reiz 
des  intimen  Zusammenlebens  mit  dem  Material 
völlig  verloren.  Das  Resultat  sind  Künsteleien 
und  —  im  kaufmännischen  Sinne  —  gangbare 
Mittelware. 

Wenn  wir  in  Deutschland  auf  dem  besten 
Wege  sind,  uns  aus  dieser  Misere  herauszu- 
arbeiten, so  haben  wir  das  nicht  nur  auf  eine 
al  Igemeine  Hebung  desGeschmacksdurchschnit- 
tes  zurückzuführen.  In  erster  Linie  verdanken 
wir  es  der  verbesserten  Ausbildung  des  gewerb- 
lichen Nachwuchses  und  der  vertieften  Durch- 
bildung des  kunstgewerb- 
lichen Zeichnerberufes,  von 
der  vor  allen  Dingen  eine 
Hebung  der  industriellen  Pro- 
duktion nach  der  künstle- 
rischen Seite  hin  erwartet  wird. 
Wie  die  Kräfte  beschaffen 
sein  müssen,  die  uns  zu  einer 
dauernden  Wiederbelebung 
unseres  Goldschmiedehand- 
werkes verhelfen  können,  zei- 
gen die  hier  abgebildeten 
Arbeiten  von  Paul  Pfeif- 
fer. Für  einen  Lehrer  an 
einer  Goldschmiedeschule, 
der  nachhaltigen  Einfluß  aus- 
üben will,  ist  ein  Haupter- 
fordernis ruhige  Sachlichkeit 


ANHÄNGER  MIT  AQUAMARIN  Und  abgeklärtes  Formgefühl. 


42 


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GOLDENER  ANHANGER  MIT 
MONDSTEIN  UND  16  RUBINEN 

Phantasievolle  Laune  und  ka- 
priziöses Aesthetentum  wer- 
den der  Disziplinierung  des 
Geschmacks  niemals  förder- 
lich sein.  Sie  werden,  da 
sie  es  wollen,  stets  isoliert 
dastehen;  erzieherische  Wir- 
kungen werden  einem  extre- 
men Subjektivismus  stets  ver- 
sagt bleiben. 

Die  eben  angedeuteten  Vor- 
züge besitzt  Paul  Pfeiffers 
Kunst  ganz  offensichtlich,  und 
das  macht  sie  sympathisch; 
dazu  tritt  ein  liebevolles 
Nachgeben  gegen  das  Eigen- 
wollen des  Metalles  und  daher 
die  ungezwungene  Natürlich- 
keit, die  zu  einem  wesent- 
lichen Merkmal  dieser  An- 
hänger und  Broschen  gewor- 
den ist. 

Obwohl  fast  sämtliche 
Stücke  für  die  Werkbund- 
Abteilung  der  Internationalen 
Baufach -Ausstellung  eigens 
gearbeitet  wurden,  sind  es 
doch  keine  Bravourstücke, 
wie  man  sie  leider  so  oft 
bei  gleichen  Gelegenheiten 
zu  sehen  bekommt,  die  mehr 
blenden  als  überzeugen.  Eine 
innere  Einheitlichkeit  zeich- 
net alle  diese  Kompositionen 
aus;  der  Stein  ist  der  natür- 
liche    Mittelpunkt,     dessen 


ANHANGER  IN  WEISZGOLD  MIT  ROSA 
TURMALIN  UND  2  SMARAGDEN 


GOLDENE  BROSCHE  MIT  AMETHYST 


GOLDENER  ANHÄNGER  M.  AQUAMARIN 
PAUL  PFEIFFER-PFORZHEIM 


GOLDENER  ANHANGER  MIT 
AMETHYST 

Schönheit  durch  die  handge- 
triebenen Flächen  der  Um- 
rahmungeine unaufdringliche, 
feinabgestimmte  Folie  erhält. 
Mit  feinempfundener  Kolo- 
ristik  legen  sich  um  den 
Stein  nach  seiner  Leuchtkraft 
und  Farbe  die  schimmernden 
Flächen  der  goldenen  oder 
silbernen  Blätter  und  Ranken, 
um  mit  ihm  sich  zu  einem 
harmonischen  Zusammen- 
klingen zu  vereinigen.  Ganz 
besondere  Effekte  versteht 
der  Künstler  durch  das  Weiß- 
gold, eine  Legierung  von 
1 8-karätigem  Gold  und  platin- 
haltigen  Metallen,  zu  erzielen, 
das  in  seinem  Aussehen  fast 
dem  Platin  gleicht,  aber 
wärmer  wirkt  und  die  Steine 
besser  zur  Geltung  bringt. 
Wir  wünschen  der  Edel- 
schmiedekunst  noch  viele 
Künstler  und  Lehrer  von  der 
Art  Pfeiffers.      Otto  Pelka 


SCHMUCK  —  Unter 
Schmuck  verstehen  wir 
vorläufig  alles  das  an  einem 
Zweckgebilde,  was  praktisch 
zwecklos  ist.  Jedermann  ist 
in  der  Lage,  aus  seiner  je- 
weiligen Umgebung  tausend 
Beispiele  heranzuziehen,    in 


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ANHÄNGER  IN  WEISZGOLD 
MIT  AQUAMARIN 

denen  Schmuck  als  praktisch 
zwecklose  Zutat  an  Gegen- 
ständen des  täglichen  Ge- 
brauches auftritt.  Die  meisten 
würden  im  Gegenteil  in  große 
Verlegenheit  geraten,  wenn 
sie  auf  den  ersten  Griff  ein 
völlig  schmuckloses  Zweck- 
gebilde beibringen  sollten. 
Unter  allen  jenen  irgendwie 
geschmückten  Gegenständen 
wird  aber  schließlich  jeder 
Beurteiler  einige  namhaft  ma- 
chen können,  deren  Schmuck 
ihm  nicht  gefällt.  Dies  Miß- 
fallen kann  so  groß  sein,  daß 
man  wünscht,  der  Schmuck 
möchte  im  Interesse  des  be- 
treffenden Gegenstandes  be- 
seitigt werden,  weil  er  ihn  in 
seiner  anschaulichen  Wirkung 
schädigt,  seine  Wirkungsmög- 
lichkeiten zerstört.  Schmuck 
vermag  also  nach  zwei  grund- 
verschiedenen Richtungen  hin 
zu  wirken,  je  nachdem  er 
glücklich  oder  verfehlt  an- 
gewendet ist:  er  kann  die  in 
Material,  Farbe  und  Form  be- 
gründete Wirkung  des  Ge- 
genstandes entweder  steigern 
oder  zerstören.  Eine  dritte 
und  letzte  Möglichkeit  bestän- 
de darin,  daß  ein  Schmuck 
gleichgültig  wäre  für  die  Er- 
scheinung des  geschmückten 


GOLDENER  ANHÄNGER  MIT  AMETHYST 
UND  FÜNF  GELBEN  TURMALINEN 


SILBERNE  HUTNADEL  MIT  CALCEDON 


AN  HANGER  IN  WEISZGOLD  M.  TÜRKIS 
PAUL  PFEIFFER,  PFORZHEIM 


ANHANGER  IN  WEISZGOLD  MIT 
OLIVEN  UND  ACHT  SAPHIREN 

Dinges,  daß  er  also  dessen 
Wirkung  weder  steigerte  noch 
zerstörte.  Solcher  Schmuck, 
welcher  den  Charakter  des 
geschmückten  Dinges  in  Ma- 
terial, Farbe  und  Form  nicht 
beeinflussen  sollte,  ist  aber 
undenkbar.  Schmuck,  welcher 
nicht  steigert,  muß  notwen- 
dig zerstören.  Natürlich  ist  es 
Absicht  bei  jedem  Schmücken, 
den  Gegenstand  im  künstle- 
rischen Wert  zu  erhöhen, 
seine  Wirkung  zu  steigern; 
das  ist  der  ideelle  Zweck 
alles  Schmückens.  Ganz  all- 
gemein ist  also  Schmuck  jede 
praktisch  zwecklose  Zutat  an 
einemGegenstand,mit  welcher 
beabsichtigt  wird,  seine  wohl- 
tätige Wirkung  zu  erhöhen. 
Daß  dieses  Ziel  trotzdem  so 
oft  nicht  erreicht  wird,  und 
daß  der  Schmuck  vielmehr 
als  Zerstörer  auftritt,  liegt 
in  dem  allgemein  spürbaren 
Mangel  an  Klarheit  über 
Schmuckmöglichkeiten  und 
Schmuckgrenzen  begründet. 
Wirwissennicht,was  Schmuck 
leisten  soll,  und  was  er  leisten 
kann;  darum  vergreifen  wir 
uns  in  den  Mitteln. 


(Aus :  Carl  KnoU  und  Dr.  Fritz  Reutfaer, 
□  «Die  Kunst  des  Schmücicens".  □ 
Verlag :  Gerhard  Kühtmann  in  Dresden.) 


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44 


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STAUDENRABATTE  EINES  KLEINEN  GARTENS,  DER  ZEIGT,  DASZ  SICH  MIT  PERENNIERENDEN  PFLANZEN  AUCH  AUF 
BESCHRANKTEM  RAUM  OPPIGE  BLUMENPRACHT  SCHAFFEN  LÄSZT. 

DIE  FARBE  IM  BLUMENGARTEN 


Farbgärten  im  Sinne  einheitlich  gefärbter  Blu- 
mengärten, wie  sie  Olbrich  auf  der  Darm- 
städter Gartenbau -Ausstellung  im  Jahre  1905 
mit  seinem  roten,  gelben  und  blauen  Garten 
geschaffen  hatte,  sind  bei  uns  noch  selten  zu 
finden.  Und  doch  bieten  Gärten,  die  aus 
verschiedenen  Teilen  bestehen,  oder  in  denen 
Hecken,  Buschwerk  oder  Laubgänge  kleine 
Gärtchen  abtrennen,  eine  prächtige  Gelegen- 
heit, solche  in  ihrer  Wirkung  bezaubernde 
Anlagen  zu  schaffen,  zumal  dafür  eine  weit 
reichere  Auswahl  an  Blumenarten  zur  Ver- 
fügung steht,  als  man  denkt.  Wer  also  eine 
ausgesprochene  Vorliebe  für  eine  bestimmte 
Farbe  hat  und  sich  die  Mühe  nimmt,  aus 
den  Katalogen  der  Blumenzüchtereien  z.  B. 
ein  Verzeichnis  alier  blau  blühenden  Blumen 
zusammenzustellen,  wird  sehr  bald  erkennen, 
daß  deren  Zahl  weit  größer  ist,  als  er  glaubte, 
und  weit  mehr  Arten  als  die  bekannten  Glocken- 
blumen, Rittersporn,  Eisenhut,  Iris,  Lobelien, 
Vergißmeinnicht,  Heliotrop,  Petunien,  Levkojen, 
Veilchen,  Hyazinthen,  Clematis  umfaßt,  daß  es 
also  ein  Leichtes  ist,  solche  Neigung  zu  be- 
friedigen. 


Im  allgemeinen  wird  man  jedoch  dem  bunt 
blühenden  Garten  den  Vorzug  geben,  und  es 
sind  hier  besonders  die  englischen  und  ameri- 
kanischen Staudengärten,  denen  man  nicht  nur 
üppige  Blütenpracht,  sondern  vor  allem  harmo- 
nische und  wirkungsvolle  Farbenzusammen- 
stellungen nachrühmt.  Der  fromme  Glaube, 
daß  Blumen,  noch  so  willkürlich  zusammen- 
gestellt, nie  ihren  Reiz  verlieren,  ist  ein 
schlechter  Trost  für  jene,  die  sich  ihrer  Ge- 
schmacksunsicherheit bewußt  sind.  Man  braucht 
nur  daran  zu  denken,  wie  viele  unharmonische 
Farben  von  Blumen  es  gibt,  daß  Rot  neben 
Gelb  recht  gut  aussehen  kann.  Orange  neben 
Scharlachrot  aber  immer  eine  Dissonanz  gibt, 
und  man  wird  den  Wert  sorgfältiger  Farben- 
wahl im  Garten  erkennen. 

Wenn  man  keinen  bestimmten  Wunsch  und 
keine  leitende  Idee  für  die  Auswahl  und  An- 
ordnung der  Farben  hat,  auch  nicht  sicher  ist, 
welche  Farbe  gut  zu  einer  anderen  paßt,  ist 
es  ratsam,  mit  zwei  Farben,  etwa  blau  und  weiß, 
zu  beginnen.  Wenn  sich  im  nächsten  Jahre 
der  eigene  Geschmack  durch  Beobachtungen 
und  Versuche  mit  Schnittblumen  geläutert  und 


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45 


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STAUDEN-RABATTEN   AM  WEGE    EINES 
AMERIKANISCHEN    LANDHAUSGARTENS 


gefestigt  hat,  wird  man  eine  dritte:  gelb  oder 
rosa,  hinzunehmen  und  so  nach  und  nach  selbst 
Farbenzusammenstellungen  von  guter,  harmo- 
nischer Wirkung  finden.  Dieses  Selbstfinden 
erhöht  nicht  nur  das  Interesse  am  Garten  und 
seiner  Entwicklung,  man  lernt  dabei  auch  die 
mancherlei  Arten  der  einzelnen  Familien  kennen 
und  wird  nur  selten  auf  eine  Lieblingsblume 
verzichten  müssen,  da  fast  alle  Blumen  in  so  ver- 
schiedenen Farbtönen  vorhanden  sind,  daß  es 
ein  leichtes  ist,  darunter  die  geeignetsten  aus- 
zuwählen. Wünscht  man  eine  große  Mannig- 
faltigkeit wechselnder  Farben,  so  muß  man 
Weiß,  das  alle  Kontraste  mildert  und  ausgleicht, 
freigebig  darunter  mischen.  Dabei  lassen  sich 
für  jede  Jahreszeit  besondere  Farbenharmonien 
komponieren,  von  roten  und  weißen  Tulpen, 
blauen    Hyazinthen    und   weißem    Krokus    im 


Frühjahr,  durch  die  überreiche  Auswahl  der 
Sommerblüher  bis  zu  dem  gelben  und  weißen 
Chrysanthemum,  goldigen  Dahlien  und  Geor- 
ginen im  herbstlichen  Garten. 

Reizende  Wirkungen  lassen  sich  auch  durch 
die  Abstufungen  bestimmter  Farben  von  den 
zartesten  Nuancen  bis  zu  den  kräftigsten  Tönen 
erreichen,  und  unbegrenzte  Möglichkeiten  far- 
biger Abschattierungen  bieten  Rosengärten,  sei 
es,  daß  man  um  ein  Mittelbeet  weißer  Rosen 
konzentrisch  Beete  legt,  die  vom  zartesten 
Rosa  bis  zum  dunkelsten  Rot  am  äußeren 
Rand  alle  Skalen  durchlaufen,  oder  daß  man 
ein  Zentrum  hochgezogener  tiefroter  Crimson 
mit  immer  heller  werdenden  Farben  umgibt  und 
mit  einem  Kranz  von  weißen,  niedrigen  Busch- 
rosen einfaßt,  unter  die  man  auch  andere,  weiß 
blühende  Blumen  mischen  kann.    L.  Deubner 


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46 


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48 


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Dekorative  Kunst.     XVII.    i.    Oktober  191^ 


49 


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EMANUEL  JOSEF  MARGOLD  SILBERNE  JARDINIERE 

Ausführung  in  getriebenem  Silber  mit  Lapis-Lazuli:  Peter  Brucltmann  &  Söhne,  Heilbronn 

NEUE  ARBEITEN  AUS  DEN 
WERKSTÄTTEN  P.  BRUCKMANN  &  SÖHNE,  HEILBRONN  A.  N. 


Die  Darbietung  der  gewerblichen  Kleinkunst 
auf  der  Internationalen  Baufach-Ausstel- 
lung in  Leipzig  hinterläßt  etwas  zu  sehr  den 
Eindruck  des  Improvisierten.  Es  ist  nicht  sehr 
viel,  was  im  Gedächtnis  haften  bleibt:  Glas- 
gemälde von  Pechstein,  Metzendorfs  Repräsen- 
tationsraum für  das  Magdeburger  Museum;  zu 
ihnen  kommen  noch  aus  der  Mittelhalle  die 
Silberarbeiten  der  Bruckmannschen  Fabrik  in 
Heilbronn.  In  Brüssel  konnte  1910  der  reich- 
besetzte Raum  der  Firma  als  eine  der  gelungen- 
sten und  interessantesten  Ecken  der  ganzen 
Ausstellung  gelten.  Künstler  sehr  verschiedenen 
Charakters  wie  Haustein  und  Behrens,  wie 
Adler  und  Amberg  waren  vor  große  Aufgaben 
repräsentativer  Art  geführt  worden,  und  es 
war  in  einer  außerordentlichen  Anstrengung 
gezeigt,  was  in  prunkvoller  Pracht  und  in  zier- 
licher Intimität  aus  diesem  köstlichen,  weichen 
Material  gebildet  werden  kann.  Die  Leipziger 
Ausstellung  ist  im  Umfang  wie  im  Zweck  be- 
grenzter, bescheidener:  ihre  Stücke  zielen  nicht 
so  sehr  auf  Dekoration  allgemeiner  Art,  son- 


dern gehen  auf  eine  reiche  und  vornehme 
Typik  für  Zweckgefäße. 

Franz  Böres  erreicht  seine  knapper  be- 
messene Absicht  vollkommener  als  Margold. 
Er  ist  in  dem  Ornamentalen  nicht  so  kühn  er- 
finderisch, die  Grundform  seines  Services  ruht 
durchaus  auf  einer  überlieferten  und  gewohn- 
ten Silhouette,  aber  was  er  fertig  brachte,  be- 
sitzt auch  Wert  und  Charakter  des  einheitlich 
Gelungenen,  des  Selbstverständlichen.  Die  bau- 
chige Rundung  seiner  Gefäße,  Kannen  und 
Dose  ist  in  quadratische  Flächen  aufgelöst,  die 
in  ganz  stumpfen  Winkeln  zusammenstoßen ; 
sie  erhält  dadurch  etwas  Schuppiges.  Eine 
Mittelreihe  von  Quadraten  ist  wie  eine  Binde 
in  sorgfältiger  Arbeit  ornamentiert.  Der  Reiz 
des  Metalls  wird  durch  den  höchst  wechsel- 
vollen Auffall  des  Lichtes  (man  denke  vor  allem 
auch  an  künstliche  Beleuchtung)  in  starkem 
Maße  betont.  Sehr  geglückt  ist  die  simple 
Handlichkeit  des  Henkels. 

Hier  sitzt  der  unverkennbare  Mangel  der 
Arbeiten  von  Em.  Jos.  Margold.    Diese  auf- 


FRANZ  BÖRES 


SILBERNE   PLATTE 


■i  Ausführung:  Peter  Bruckmann  &  Söhne,  Heilbronn 


50 


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g       EMANUEL  JOSEF  MARGOLD  SERVICE  UND  PLATTE 

H  Ausführung  in  getriebenem  Silber  mit  Elfenbeingriffen ;  Peter  Bruckmann  &  Söhne,  Heilbronn 

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51 


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montierten  Elfenbeinzylinder  wirken  als  eckige 
Fremdkörper,  so  reizvoll  auch  die  farbige  und 
stoffliche  Differenzierung  der  beiden  benach- 
barten Materialien  ist.  Sie  sind  für  jede,  von 
oben  zugreifende  Hand  unpraktisch,  weil  sie 
dem  Griff  keine  sichere  Rundung  anbieten, 
sondern  die  schwer  balanzierende  Rechtwinklig- 
keit eines  Reißbrettentwurfs;  sie  sind  aber 
darum  auch,  vorab  im  scharfen  Profil,  eine 
nicht  befriedigende  Lösung.  Denn  man  spürt 
den  artistischen  Einfall  statt  des  organischen 
Werdens.  Das  ist  sehr  schade;  denn  man 
braucht  nur  einen  Augenblick  die  Henkel  für  die 
Vorstellung  zu  entfernen,  so  besitzt  man  eine 
elegante  und  in  ihrer  Grazie  doch  feste,  ent- 
zückend frische  Grundform.  Der  lockere  Fuß 
ist  fast  kokett;  die  Wandung  des  Gefäßes  hat 
eine  schöne  und  reife  Linie,  und  nicht  weniger 
geglückt  ist  der  flache  und  einfache  Schmuck 
des  Deckels.  Man  möchte  wünschen,  daß  diese 


Henkellösung  nicht  die  bleibende  Notwendig- 
keit dieses  sonst  so  anziehenden  Services  sei. 

Zu  den  Gefäßen  gehören  die  breiten  hellen 
Silberplatten,  die  die  Schmuckmotive  der  Haupt- 
stücke weitertragen ;  bei  Franz  Böres  in  einem 
gebuckelten  Oval,  bei  Margold  in  einer  etwas 
spröden  Eckigkeit.  Von  diesem  findet  man  dort 
auch  noch  eine  getriebene  Jardiniere;  das  Mo- 
tiv von  Blatt  und  Ranke  der  Rebe,  mit  dem  er 
die  Felder  füllt,  ist  recht  lebendig  gezeichnet. 

Die  Arbeiten  zeichnen  sich  aus  durch  jene 
ruhige  Sicherheit  der  Ausführung,  die  heute  der 
Ruhm  unserer  besten  Werkstätten  ist.  Der  ent- 
werfende, erfindende  Künstler  hat  durch  die 
Spannung  seines  Formwillens  den  Ausführen- 
den über  seine  frühere  Läßlichkeit  emporge- 
zwungen ;  dafür  kann  er  aber  heute  auch  freier, 
unbefangener  und  unabhängiger  die  sorgsam- 
sten Erfindungen  Auge  und  Hand  eines  solchen 
Mannes  anvertrauen.  Theodor  Heuss 


FRANZ  BÖRES 


Ausführung  in  getriebenem  Silber:  Peter  Bruckmann  &  Söhne,  Heilbronn 


SERVICE 


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52 


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MICHAEL  POWOLNY 


TÄNZERIN 


Ausführung:  Vereinigte  Wiener  und  Gmundner  Keramik  G.  m.  b.  H.,  Gmunden  (Ober-Oesterreich) 


DIE  „VEREINIGTE  WIENER  UND  GMUNDNER  KERAMIK" 


» 


UND  IHRE  NEUESTEN  ARBEITEN 


Unter  den  österreichischen  keramischen 
Werkstätten  rein  künstlerischen  Charak- 
ters waren  es  vornehmlich  zwei,  welche  in 
den  letzten  Jahren  nicht  nur  die  Aufmerksam- 
keit der  Kenner   erregten,    sondern    auch    im 

'  breiten  Publikum  Erfolge  zu  verzeichnen  hatten. 
Die   eine    stand   unter   der   Leitung  Michael 

I    PowoLNYS,  eines  geborenen  Keramikers  (und 

I    seit  kurzem  Professors  am  K.  K.  Oesterreichi- 

I    sehen  Museum  in  Wien),    hatte  ihren  Sitz  in 

I    Wien  und  war  kaufmännisch  der ,, Wiener  Werk- 

I    Stätte"  angegliedert;  an  Powolnys  Seite  stand 

I    als  unermüdlicher  Anreger  und  tätigster  Mit- 

'  arbeiter  Professor  Berthold  Löffler.  Die 
aparten  Modelle  der  beiden  setzten  sich  rasch 
durch    und   fanden  weite  Verbreitung  und  — 

I    Nachahmung.    Etwas  von  der  Anmut  des  Alt- 

I    wiener  Porzellans  schien  in  diesen  buntglasier- 

I    ten  Majolikafiguren  und  -Gefäßen  wiedererstan- 

1    den,  nur  daß  die  geschlossenere,  rundere,  „pla- 

I    stischere"  Form  sowohl  dem  Wesen  des  ver- 

)    änderten    Materials   als   auch    dem    modernen      

Geschmack  angepaßt  war.  Sehr  populär  wurden  *)  Vgl.  Maiheft  1910,  Seite  264. 

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bald  die  verschiedenen  „Krinolinen",  die  ja  tat- 
sächlich eine  hervorragend  dekorative  „Grund- 
form" haben,  mit  ihren  farbensatten  Glasuren: 
Frühling,  Sommer,  Herbst  und  Winter,  alle 
durch  Reifrockdamen  mit  Schäfer- oder  „Gugu"- 
Hüten  repräsentiert,  der  Winter  durch  eine  schar- 
mant bewegte  Schlittschuhläuferin.  Powolnys 
„Goethe"  ist  die  beste  kleinplastische  Dar- 
stellung des  Dichters,  die  wir  besitzen ;  sie 
zeigt  ihn  als  alten  Herrn,  barhaupt,  mit  den 
Händen  im  Rücken  und  in  langem  Gehrock 
gemütlich  durch  die  Gassen  Weimars  gehend, 
den  beobachtenden  Kopf  seitwärts  gewandt: 
so  wie  ihn  Carlyle  in  der  berühmten,  leise 
karikaturistischen  Zeichnung  festgehalten  hat*). 
Auf  Powolny  geht  auch  der  graziös  in  der 
Silhouette  komponierte  „Schneckenreiter", 
gehen  die  liebenswürdig-täppischen  Putten 
zurück,  die  sich  mit  Früchten,  farbigen  Kränzen 
und  überfließenden  Füllhörnern  abschleppen, 
so  daß  an  den  elfenbeinweißen  nackten  Kinder- 


53 


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körpern  mitden  spielen- 
den Glanzlichtern  ein 
wahrer  Regen  bunter 
Glasuren  niedertropft: 
ein  echt  keramisch 
empfundenes  Motiv, 
das  sich  ganz  hervor- 
ragend zum  Schmucke 
architektonischer  Gär- 
ten eignet. 

Von  feinem  dekora 
tiven  Empfinden  zeu- 
gen auch  die  Aufsätze 
Powolnys  (nackte  Put- 
ten tragen  eine  runde, 
flache  Schale),  seine 
reizenden  Kombinatio- 
nen von  Kinder-  und 
Tierkörpern(„Schaferl- 
putto",  »Vogerlputto"), 
seine  runden  Dosen  mit 
figuralem  Deckelknauf 
usw.  Seine  jüngsten 
Arbeiten  (wie  z.  B.  die 
„Traubenträger")  las- 
sen stellenweise  (an  den 
Fleischteilen)  den  roten 
Scherben  durch  die 
Glasur  hindurchschei- 


ALT-MERANERIN 


FRANZ  SCHLEISZ 


EMILIE  SCHLEISZ    □    GMü.\  u.N  cniiN  Mii   GOLDHAUBE 
Vereinigte  Wiener  undGmundner  Keramik  G.m.b.  H.,  Gmunden 


BAUERNMÄDCHEN 

nen,  leuchten  in  pracht- 
voll intensiven  Glasur- 
farben, die  direkt  an 
alte  Hafnerglasuren  ge- 
mahnen, und  haben  so 
jede  Erinnerung  an  das 
Porzellanmäßig  -  Glatte 
abgestreift. 

Von  Löffler  rühren 
die  Entwürfe  zu  den  be- 
reits erwähnten  belieb- 
ten „Krinolinen",  zu  den 
Rokokofiguren  des  Wie- 
ner Festzugs  („Ernte- 
knabe"  und  »Emtemäd- 
chen*)  und  zu  den  ver- 
schiedenen kapriziösen 
Dosen  und  Blumenge- 
fäßen her. 

Neben  der  »Wie- 
ner Keramik"  hat  die 
„Gmundner  Keramik" 
—  Franz  und  Emilie 
SCHLEisz  —  von  jeher 
eine  volkstümliche  Note 
betont,  und  sie  konnte 
hierbei  auf  eine  mehr 
als  zweihundertjährige 
Tradition     zurückgrei- 


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54 


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SOMMER 


FRÜHLING 


HERBST 


MICHAEL  POWOLNY-WIEN 
Ausführung:  Vereinigle  Wiener  und  Gmundner  Keramili  G.  m.  b.  H.,  Gmunden  (Ober-Oesterreich) 


WINTER 


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55 


fen.     Die  Schleiß    sind   eine  alte  Gmundner     und   ideellen   Gründen,    die   Vereinigung  der    ^ 
Hafnerfamilie,  und  die  Produkte  der  Altgmund       <--:-■—  wr._i.„.;i*.„_   ..„n  j:„   .-i c:._    - 


ner  Hafnerindustrie,  Mostkrüge  und  „Goden- 
schalen"  (Wöchnerinnenschalen),  Schüsseln  und 
allerlei  Figurales,  die  ein  weites  Absatzgebiet 
bis  nach  Südungarn  hinab  hatten,  ihre  Blüte 
um  die  Mitte  des  18.  Jahrhunderts  erreichten 
und  heute  ein  gesuchtes  Objekt  des  Sammel- 
sports  sind,  haben  in  Zweck,  Form,  bild- 
licher und  —  dichterischer  Ausstattung  immer 
auf  Volkstümlichkeit  abgezielt.  Es  waren 
Fayencen  mit  Zinnglasuren  in  den  vier 
Scharffeuerfarben:  Gelb,  Grün,  Blau  und 
Manganviolett  derb  und  lustig  bemalt,  soge- 
nannte „Bauernmajoliken".  An  sie  knüpfte 
die  Schleißische  Produktion  an,  sie  hielt  aber 
an  der  volkstümlichen  Note  auch  in  den  bunt- 
glasierten und  in  den  elfenbeinfarbigen  Kera- 
miken fest,  die  sie  im  Wettstreit  mit  den 
Wienern  schuf,  und  zu  denen  die  Bildhauerin 
Emilie   Schleiß   die   besten  Modelle   kreierte. 

Frisch  aus  dem  Leben  gegriffen  ist  z.  B. 
die  leicht  gebückte  Gestalt  des  alten  Mütter- 
chens, das  im  Sonntagshütchen  und  um  die 
Schultern  das  gefranste  Umhängetuch,  Gebet- 
buch und  Rosenkranz  in  den  gefalteten  Händen, 
zur  Kirche  geht;  sie  ist  denn  auch  rasch  be- 
liebt geworden.  Ein  jugendliches  Seitenstück 
dazu  ist  das  aufs  Ge- 
betbuch gebückt  knie- 
endeMädcheninalpen- 
ländischer  Volkstracht. 
Ein  spreizbeinig  da- 
stehender Bauer,  ein 
Bauernbursche,  eine 
Sennerin,  ein  Eben- 
seer  Dirndl  lassen  die 
schönen  alten  Trachten 
des  Salzkammerguts 
wieder  aufleben.  Ja 
sogar  in  den  form- 
sicheren Tiergestal- 
tungen macht  sich  eine 
Art  volkstümlichen 
Humors  geltend :  wie 
drollig  sind  diese  „häß- 
lichen kleinen  Ent- 
lein",  wie  lustig  dieser 
„Eisvogel" !  Daneben 
giebt  es  auch  allerlei 
Mondänes :  „Damemit 
Hund",  Ueberbrettl- 
figuren,  Altwiener  Kri- 
nolinen  und  beson- 
ders schöne  weibliche 
Akte. 

Nun  hat  sich  vor  kur- 
zem, aus  praktischen 


beiden  Werkstätten  vollzogen,  die  ihren  Sitz 
in  Gmunden  hat;  die  künstlerischen  Mit- 
arbeiter sind  dieselben  geblieben.  Von  den 
künstlerischen  Fortschritten  der  neuen  Gesell- 
schaft geben  die  Abbildungen  der  jüngsten 
Modelle  erfreuliche  Kunde.  Die  schreitende 
Tänzerin  mit  den  Blumengewinden  nimmt  ein 
herrliches  Motiv  der  griechischen  Plastik  vari- 
ierend auf.  Die  neuen  Krinolinen  Powolnys 
(„Vier  Jahreszeiten")  sind  noch  ruhiger,  noch 
inniger  als  die  alten ;  ein  wahrhaft  entzücken- 
der Einfall  ist  die  Dame  im  Hermelinmantel 
und  Pelzmuff,  mit  der  überquellenden  Fülle 
ihrer  bunten  Weihnachtseinkäufe  („Winter"). 
Sie  dürfte  im  nächsten  Winter  unter  manchem 
brennenden  Christbaum  prangen!  Und  wie 
„lebfrisch"  (um  ein  Wort  des  jubilierenden 
Rosegger  zu  gebrauchen)  ist  dieses  fröhliche 
Salzkammergut -Dirndl  mit  dem  charakteristi- 
schen großmächtigen  roten  Baumwollschirm, 
dem  „Bschoad"-Tüchl  und  dem  runden  Filz- 
hut! Und  daneben  das  Bauernmädel  mit  dem 
Korb  und  die  Altgmundner  junge  Bürgersfrau 
in  Feiertagstracht,  mitdergoMstrotzenden  helm- 
artigen „Goldhaube"  und  dem  langfransigen, 
buntgemusterten  seidenen  Umhängtuch  !  Das 
sind  „Fremden-Industrieartikel"   edelster  Art, 

schöne  Erinnerungen 
an  das  schöne  Land, 
dem  sieihrenUrsprung 
verdanken.  Geradeauf 
diesen  Wegen  dürfte 
den  „Vereinigten"  noch 
mancher  dauernde  Er- 
folg blühen. 
Dr.  Hermann  Ubell 


D' 


JULIUS  FELDMANN 


PIERROT  UND  PIERRETTE 


Vereinigte  Wiener  und  Gmundner  Keramik  G.m.  b.H.,  Gmunden 


,ie  bewußte  Freude 
an  der  ästheti- 
schen Schönheit  der 
Blume  bildet  einen  der 
wichtigsten  Ausgangs- 
punkte der  künstleri- 
schen Erziehung  des 
Individuums.  Wer  sich 
gewöhnt  hat,  die  Er- 
scheinung der  Blume 
jedesmal  mit  dem  fri- 
schen Auge  des  Ent- 
deckers in  sich  auf- 
zunehmen, der  wird 
empfinden,  wie  die 
Kraft  des  Urteils  über 
alles,  was  in  Kunst  und 
Kunstgewerbe  Farbe 
heißt,  in  ihm  erstarkt. 
Alfred  Lichtwark 


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56 


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BERNHARD  HOETGER-DARMSTADT 


RELIEF  Ober  der  haustOr 


DAS  HAUS  ALBERT  IN  WIESBADEN 


Das  Wohnhaus,  das  Max  Läuger  für  Frau 
Kommerzienrat  Albert  in  Wiesbaden  ge- 
baut hat,  liegt  in  dem  gartenreichen  Villen- 
viertel der  Stadt  hinter  dem  Kurpark.  Es  steht 
auf  dem  Baugrund  eines  ehemaligen  Empire- 
hauses, und  der  Künstler  hat  mit  glücklichem 
Griff  wieder  an  die  Tradition  dieser  Formen 
angeknüpft,  die  einstmals  den  architektonischen 
Stil  des  alten  Wiesbadens  bestimmt  hatten  und 
deren  Reste  noch  heute  so  vorteilhaft  gegen 
die  Fassadenarchitektur  des  modernen  StraGen- 
bildes  abstechen.  Ein  ziemlich  ausgiebiges 
Gartengelände  umgibt  das  Wohngebäude,  und 
die  Zimmer  sind  so  orientiert,  daß  der  Blick 
aus  den  Wohnräumen  nach  den  drei  Sonnen- 
seiten stets  ins  Grüne  fällt;  die  Haustüre  liegt 
nicht  an  der  Straßenseite,  sondern  wird  durch 
einen  Zufahrtsweg  an  der  Nordseite  des  Hauses 
vermittelt. 

Das  Bauprogramm  enthielt  die  für  die  Ge- 
samtanlage wichtige  Bestimmung,  daß  für  die 
große  und  wertvolle  Sammlung  moderner  Ge- 
mälde eine  Galerie  mit  Oberlicht  angelegt 
werden  mußte.  Das  gab  folgende  Grundriß- 
bildung. Vom  Haupteingang  an  der  Nordseite 
führt  eine  gerade  Flucht  durch  das  Vestibül, 
das  sich  aus  dem  Vorraum  in  eine  dielen- 
artige Rotunde  fortsetzt,  in  die  Galerie,  die 
mit  ihrer  Breitseite  angeschlossen,  das  Erd- 
geschoß nach  Süden  abschließt.  An  diese 
Mittelflucht  gliedern  sich  zu  beiden  Seiten  die  ei- 
gentlichen Wohnräume  und  d  ie  Wirtschaftsräume 
an:  rechts  in  engerem  Zusammenhang  mitein- 
ander das  große  Wohnzimmer  und  das  Arbeits- 
zimmer  mit  dem  Hauptblick  nach  Westen  in 


den  Garten  an  der  Straße;  links  das  Speise- 
zimmer mit  dem  Blick  nach  Osten  in  den  Rosen- 
garten, durch  einen  Gang  von  der  in  sich  ab- 
geschlossenen, an  die  Nordseite  gelegten  Flucht 
der  Küchenabteiiung  getrennt  und  so  gegen 
Lärm  und  Geruch  aus  der  Küche  genügend 
geschützt.  Die  gleiche  Achse,  die  parallel  zur 
Straßenfront  durch  das  Parterre  geht,  teilt  durch 
das  Treppenhaus  auch  das  erste  Stockwerk 
mit   den  Schlafräumen  und  Fremdenzimmern. 

So  ergab  sich  eine  Grundrißlösung  von 
überzeugender  Klarheit  und  Zweckmäßigkeit. 
Der  gegebene  Platz  ist  bis  ins  kleinste  aus- 
genützt; nirgends  zeigt  sich  ein  ungenützter 
Raum,  nirgends  eine  unvorteilhafte  Raum- 
knappheit. Besonders  sorgfältig  erscheint  die 
Einteilung  des  Hauses  auf  den  Zusammenhang 
der  Räume  unter  sich  studiert.  Die  einzelnen 
Zimmer  ordnen  sich  zweckentsprechend  zu 
Gruppen  zusammen,  die,  jede  für  sich  vom 
Vestibül  zugänglich,  sich  je  nach  dem  Bedürfnis 
von  Tag  und  Stunde  in  größere  oder  kleinere 
Kreise  erweitern  lassen.  So  kann  z.  B.  bei 
Gesellschaften  das  Vestibül  mit  der  Galerie 
zu  einer  einheitlichen  Flucht  verbunden  werden. 
Zugleich  sind  die  Räume  so  gelegt,  daß  sich 
auch  eine  bequeme  Zirkulation  durch  das 
ganze  Erdgeschoß  ergibt.  Bemerkenswert  ist 
auch  die  Fremdenzimmerwohnung  mit  beson- 
derem Treppenhaus  und  geschlossenen  Gruppen 
von  Schlafzimmern,  Wohnzimmer  und  Bad. 
Selbstverständlich  ist  auch  für  eine  intime 
Verbindung  von  Wohnhaus  und  Garten  durch 
Terrassen  in  jedem  Stockwerk  gesorgt. 

Auch  die  innere  Ausgestaltung  der  Räume 


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Deköntive  Kunst    XVll.    3.    November  1913 


57 


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ist  bis  in  die  Einzelheiten  der  Einrichtung 
und  des  praktischen  Ausbaues  das  Werk  einer 
und  derselben  Hand.  Damit  ist  in  dem  frucht- 
baren und  harmonischen  Zusammenwirken  von 
Künstler  und  Bauherrin  eine  Schöpfung  von 
vollendeter  Einheitlichkeit  entstanden.  Als 
Raumkünstler  im  eigentlichen  Sinne  zeigt  sich 
Länger  hier  auf  der  Höhe  seiner  Entwicklung. 
Namentlich  ist  er  aus  jener  entsagenden  Re- 
serve, die  vielen  seiner  früheren  Raumschöp- 
fungen etwas  Sprödes  gegeben  hat,  heraus- 
gegangen. Er  hat  in  Form  und  Farbe  aus 
dem  Vollen  geschöpft.  Dabei  macht  sich  nir- 
gends eine  aufdringliche  Note  des  gewollt 
Künstlerischen  fühlbar.  Die  künstlerischen 
Werte  in  Material  und  Form  geben  sich  nicht 
als  Selbstzweck  sondern  als  sachliche  Lösungen 
der  praktischen  Aufgaben.  Damit  ist  die 
Hauptgefahr  der  modernen,  von  Künstlern  ge- 
schaffenen Wohnraumkunst  glücklich  vermie- 
den: der  Eindruck  des  Komponierten.  Das  Haus 
atmet  jene  Stimmung  des  Bewohnten,  die  weder 
durch  eine  künstliche  Nachahmung  alter  Stile, 
noch  durch  eine  gesuchte  Modernität  erreicht 
werden  kann,  sondern  lediglich  Sache  des 
künstlerischen  Taktes  ist. 

Wenn    auch    in    der   Verteilung    und   Aus- 


ERDGESCHOSZ 


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stattung  der  Räume  die  Bedürfnisse  der  intimen 
und  festlichen  Geselligkeit  in  reichem  Maße 
bedacht  worden  sind,  so  enthält  das  Haus  doch 
keinen  Raum  von  ausgesprochen  repräsenta- 
tivem Charakter.  Jeder  Raum  ist  wohnlich 
eingerichtet.  Besonders  schön  ist  auf  diese 
Weise  das  Problem  der  Privatgalerie  gelöst 
worden:  der  für  die  Aufnahme  einer  auser- 
wählten Sammlung  moderner  Impressionisten 
bestimmte  Raum  ist  zu  einem  reicheren 
Wohn-  und  Gesellschaftszimmer  gestaltet  wor- 
den, in  welchem  die  Wand  färbe  (Rot  mit 
leichter  Goldmusterung)  mit  dem  Grün  des 
Teppichs  und  der  Möbelstoffe  einen  ebenso 
festlichen  wie  für  die  Wirkung  der  Bilder 
günstigen  Grund  bildet.  Eine  der  interes- 
santesten Raumgestaltungen  des  Hauses  ist 
das  Vestibül:  in  Form,  Farbe  und  Material 
(Blau,  Gelb  und  Weiß)  mit  der  erhöhten  Ro- 
tunde zu  einem  einheitlichen  Raum  zusammen- 
gehalten, gibt  sie  dem  Eintretenden  wie  dem 
Verweilenden  eine  Fülle  reizvoller  Raumbilder. 
Sehr  schön  entwickelt  sich  aus  ihr  auch  das 
Treppenhaus,  das  in  seiner  breiten,  gediegenen 
Ausbildung  und  seiner  feinen  Materialstimmung 
(grauer  Marmor  und  weißes,  mit  einem  schwar- 
zen Rahmen  abgeschlossenes   Geländer)  dem 


OBERGESCHOSZ 


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ARCH.  MAX  LAUGER-KARLSRUHE 

Haus  eine  besondere  Note  patrizisch behaglicher 
Vornehmheit  gibt. 

Bei  den  eigentlichen  Wohnräumen  ist  auf 
eine  harmonisch  abgestufte,  dem  Zweck  des 
Raumes  angepaßte  Mannigfaltigkeit  der  Raum- 
stimmung besondere  Sorgfalt  verwandt  worden. 
Hier  zeigt  sich  namentlich  in  der  Farbe  die 
schöpferische  Phantasie  des  Künstlers  in  ihrem 
glänzendsten  Lichte.  Besonders  apart  ist  die 
farbige  Wirkung  des  großen  Wohnzimmers, 
das  auf  ein  Kaminbild  von  Vuillard  gestimmt 
ist  und  damit  auch  eine  interessante  Lösung 
des  Zusammenhangs  von  Bild  und  Wohnraum 
gibt.  In  seinen  Möbelformen  zeigt  Läuger 
übrigens  wieder  eine  stärkere  Anlehnung  an 
ältere  Stilformen,  wie  überhaupt  gewisse  An- 
klänge an  die  vertraute  Sprache  des  Alten  der 
Stimmung  des  Hauses  eine  besondere  Wärme 
verleihen.  Hier  hat  sich  auch  die  Gelegenheit 
gegeben,  die  Kostbarkeit  des  Gegenstands  durch 
die  künstlerische  Ausführung  zu  erhöhen.  Die 
Schnitzereien  der  reicheren  Möbel  in  der 
Galerie,  die  Bildhauerarbeit  am  Kamin  u.  s.  w. 
sind    von  Hoetger  und  Albiker  entworfen. 


HAUS  ALBERT:  BLICK  VOM  HOF  ZUR  STRASZE 

Und  mit  der  gleichen  Liebe  wie  die  künst- 
lerischen Aufgaben  des  Details  sind  auch  alle 
praktischen  Fragen  der  Einrichtung  durch- 
studiert: die  technischen  Feinheiten  des  mo- 
dernen Wohnungskomforts  in  den  Keller-  und 
Küchenanlagen,  Badeeinrichtungen,  dem  Hei- 
zungs-  und  Beleuchtungsapparat  u.  s.  w.  So 
bildet  das  Haus  vom  Keller  bis  zum  Dach 
einen  bis  ins  kleinste  ausgerechneten  Orga- 
nismus materieller  und  künstlerischer  Lebens- 
verfeinerung. 

Das  Bild  der  Außenarchitekfur,  wie  es  sich 
aus  dem  Innern  Kern  entwickelt,  ist  verhältnis- 
mäßig schlicht.  Die  Gliederung  der  Massen, 
die  Belebung  der  Flächen  ergibt  sich  durch- 
weg aus  den  zweckbedingten  Elementen  des 
baulichen  Organismus :  als  Erweiterungen  des 
Raumes  durch  Terrassen,  als  Eingangsmotiv 
u.  s.  w.  So  wirkt  das  Haus  in  seiner  äußeren 
Erscheinung  vornehm  und  ruhig. 

Seinen  höchsten  Reiz  aber  empfängt  das 
architektonische  Bild  durch  den  Zusammenhang 
von  Haus  und  Garten.  Die  Gartenanlagen  sind 
unter  geschickter  Benützung  des  ansteigenden 


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ARCH.  MAX  LAUGER-KARLSRUHE 


HAUS  ALBERT:  TERRASSE  (vgl.  s.  63  u.  64) 


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ARCH.  MAX  LÄUGER-KARLSRUHE 


HAUS  ALBERT:  BLICK  AUF  DIE  TERRASSE 


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Geländes  in  drei  in  sich  abgeschlossene  Stufen 
aufgebaut.  Der  Garten  vor  dem  Haus  ist  ein 
einfaches  Rasenparterre,  dem  die  hohen  Kegel 
der  Taxus-  und  Thujabäume  eine  charak- 
teristische Raumwirkung  geben.  Eine  die  Vor- 
derseite des  Hauses  entlanglaufende  Terrasse, 
deren  Perspektive  durch  ein  Relief  von  Al- 
biker  abgeschlossen  wird,  verbindet  die  Haus- 
architektur mit  dem  Garten.  Hinter  diesem 
Gartenparterre  schließt  sich  seitlich  zum  Haus- 
ein kühler  Schattengarten  an.  Ein  dem  Eingangs- 
motiv korrespondierender  Wandbrunnen  mit 
einer  Statue  von  Haller,  zu  dem  eine  unter 
Benützung  alter  Säulen  erbaute  Nische  den 
Rahmen  bildet,  gibt  die  Grundlage  für  die  Ent- 
wicklung dieses  Gartens:  ein  Bau  aus  Stein 
und  grünem  Pflanzenwuchs.  Er  ist  von  den 
drei  Gärten  in  seiner  charaktervollen  Monu- 
mentalität wohl  der  stimmungsvollste.  In  dem 
Rosengarten,  der  mit  einer  terrassenartigen 
Laube  die  gesamte  Haus-  und  Gartenanlage 
abschließt,  kommt  sodann  die  Farbe  zu  ihrem 
vollen  Recht.  Der  üppige,  in  einen  architek- 
tonischen Rahmen  von  Terrassen  und  Brunnen- 
becken gefaßte  Blumenschmuck  verleiht  diesem 
Garten  eine  Stimmung  von  südlich  sommer- 
licher Heiterkeit  und  Farbenfreude.  So  wird 
auch  hier  das  Auge  durch  eine  wohlberechnete 
Steigerung  der  Eindrücke  in  Spannung  gehalten. 
Die  Schönheit  dieser  Gartenanlagen,  die  sich 
den  Innenräumen  als  künstlerische  Leistungen 
ebenbürtig  an  die  Seite  stellen,  beruht  nicht 
zum  wenigsten  auf  der  frischen  Ausnützung 
eines  wundervollen,  vorzüglich  gepflegten 
Pflanzenmaterials.  Das  ist  für  den  Erfolg  der 
modernen  Gartenkunst  natürlich  ein  Punkt  von 
wesentlicher  Bedeutung.  Hier,  wo  der  Gärtner 
den  Künstler  so  wirksam  unterstützt,  um  dem 
architektonischen  Gedanken  des  Stilgartens 
Blut  und  Lebensfarbe  zu  verleihen,  erreicht 
diese  Erneuerung  alter  Kultur  erst  wieder  die 
Kraft,  um  auch  das  widerstrebende  Vorurteil 
des  Laien  von  ihrer  Lebensfähigkeit  zu  über- 
zeugen. Karl  Widmer 
• 

Das  beste  Verhältnis  zwischen  dem  Architek- 
ten und  dem  Bauherrn  ergibt  sich,  wenn 
sich  die  Auffassungen  über  Geschmack,  Kom- 
fort, Hygiene  und  was  alles  beim  Bauen  zu  be- 
achten ist,  begegnen,  so  daß  eine  Verständigung 
auf  natürliche  Weise  erfolgt,  und  wenn  der  Bau- 
herr einsichtig  genug  ist,  die  Sachkenntnis  des 
Architekten  anzuerkennen  und  sich  dessen  Kön- 
nen zunutze  zu  machen.  Es  ist  eine  Art  geisti- 
ger Gemeinschaft  zwischen  Architekt  und  Bau- 
herrn notwendig,  um  ein  wirklich  gutes  Haus 
zustande  zu  bringen.  Hermann  Muthesius 


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ARCH.MAX  LÄUGER-KARLSRUHE  HAUS  ALBERT:  AUS  DEM  GARTEN 


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Dekorative  Kunst,    XV'II.    a.     November  1913 


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BERNHARD  HOETGER-DARMSTADT  B  SCHNITZEREI  AN  DER  HAUSTÜR 

URHEBERRECHT  UND  EIGENTUM 

Von  Amfsgerichtsrat  Riss,  München 


An  der  Treppenwand  eines  Hauses  in  Berlin 
befand  sich  ein  Wandgemälde,  das  ein  Ei- 
land mit  Sirenen  zum  Gegenstande  hatte;  es 
stammte  von  einem  bekannten  Künstler  und 
war  mit  dessen  Namen  gezeichnet.  Die  Eigen- 
tümerin des  Hauses  nahm  an  der  Nacktheit 
der  Figuren  Anstoß  und  ließ  sie  so  übermalen, 
daß  sie  bekleidet  erschienen.  Hiegegen  ver- 
wahrte sich  der  Künstler  und  klagte  auf  Be- 
seitigung der  Uebermalung.  Das  Reichsgericht 
erkannte  die  Klage  als  begründet  an.  Festge- 
stellt war,  daß  das  Bild  nicht  unzüchtig  wirkte, 
daß  also  ein  höheres  Interesse  an  der  Ueber- 
malung nicht  bestand.  Im  Widerstreit  befanden 
sich  nur  das  Urheberrecht  und  das  Eigentum 
an  dem  Bilde.  Daß  das  Reichsgericht  das  Ur- 
heberrecht über  das  Eigentum  stellte,  gibt  sei- 
ner Entscheidung  eine  über  den  Fall  selbst 
ganz  bedeutend  hinausreichende  Tragweite. 

Nach  dem  Bürgerlichen  Gesetzbuche  hat  der 
Eigentümer  einer  Sache  das  Recht,  mit  ihr  nach 


Belieben  zu  verfahren,  so  weit  nicht  das  Ge- 
setz oder  die  Rechte  Dritter  entgegenstehen. 
Gesetzliche  Vorschriften  über  das  Verhältnis 
zwischen  dem  Urheber  eines  Kunstwerkes  und 
dem  Eigentümer  dieses  Werkes  bestehen  nicht. 
Bei  der  Beratung  des  Kunstschutzgesetzes  vom 
V.Januar  1907  nahm  man  an,  daß  die  Vor- 
schriften des  allgemeinen  Rechts  dem  Künstler 
ausreichenden  Schutz  gewährten,  namentlich 
dann,  wenn  mit  der  Bekanntgabe  des  verän- 
derten Werkes  eine  Verletzung  seiner  künst- 
lerischen Ehre  oder  die  Gefahr  einer  Täu- 
schung des  Publikums  verbunden  sei.  Das 
Reichsgericht  erklärte,  daß  diese  Annahme  nicht 
zutreffe,  daß  sich  aber  hieraus  keineswegs  die 
Notwendigkeit  ergebe,  dem  Künstler  den  vom 
Gesetzgeber  vorausgesetzten  Rechtsschutz  zu 
versagen;  dieser  könne  und  müsse  vielmehr 
aus  den  der  Ergänzung  durch  den  Richter  be- 
dürftigen Vorschriften  des  Kunstschutzgesetzes 
selbst  hergeleitet  werden.  Es  führt  dann  weiter 


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66 


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ARCH.  MAX  LAUGER-KARLSRUHE 


HAUS  ALBERT:  HAUPTEINGANG  (vgl.  S.  57) 


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ARCH.  MAX  LAUGER-KARLSRUHE 


HAUS  ALBERT:  DER  SCHATTENGARTEN 


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ARCH.  MAX  LAUGER-KARLSRUHE 

aus:  Wenn  ein  Künstler  auf  vorausgegangene 
Bestellung  hin  ein  Kunstwerk  geliefert  hat, 
entstehen  an  dem  vollendeten  Werke  von  vorn- 
herein zwei  geschützte  Rechte:  das  Ur- 
heberrecht des  Künstlers  und  das  Eigentum  des 
Bestellers.  Das  gleiche  gilt,  wenn  ein  fertiges 
Kunstwerk  veräußert  wird.  In  der  Regel  über- 
trägt der  Künstler  sein  Urheberrecht  nicht  auf 
den  Besteller  oder  Erwerber.  Ein  Zwiespalt 
der  nebeneinander  bestehenden  Rechte  tritt  sel- 
ten hervor;  wo  das  aber  der  Fall  ist,  kann 
grundsätzlich  das  Eigentum  nur  unbeschadet 
des  Urheberrechts,  das  Urheberrecht  nur  un- 
beschadet des  Eigentums  ausgeübt  werden.  So 
wird  der  Urheber  sein  Recht  zur  Vervielfälti- 
gung des  Werkes  nur  dann  ausnützen  können, 
wenn  ihm  der  Eigentümer  das  Werk  zu  diesem 
Zwecke  zugänglich  macht;  anderseits  darf  der 
Eigentümer  das  Werk  weder  selbst  vervielfäl- 


ROSENGARTEN  MIT  VOGELBRUNNEN 

tigen  noch  durch  einen  anderen  vervielföltigen 
lassen,  wenn  nicht  der  Künstler  seine  Einwilli- 
gung dazu  gibt.  Frei  steht  es  dem  Eige^ümer, 
das  Kunstwerk  zu  veräußern,  zu  verbergen,  in 
der  Regel  auch,  es  zu  vernichten.  Durch  diese 
Handlungen  greift  er  in  die  künstlerische 
Eigenart  des  Werkes  und  damit  in  das  Ur- 
heberrecht des  Künstlers  nicht  ein.  Nicht  aber 
ist  es  dem  Eigentümer  gestattet,  an  dem  Werk 
ohne  Zustimmung  des  Künstlers  Aenderungen 
vorzunehmen.  Das  ergibt  sich  daraus,  daß  selbst 
bei  der  Uebertragung  des  Urheberrechts  auf 
einen  Verleger  dieser  nicht  befugt  ist,  an  dem 
Kunstwerk,  an  seiner  Bezeichnung  oder  an  der 
Bezeichnung  des  Urhebers  Aenderungen  vorzu- 
nehmen; nur  solche  Aenderungen  sind  zulässig, 
für  die  der  Urheber  seine  Zustimmung  nach 
Treu  und  Glauben  nicht  versagen  kann. 
Hieraus  ist  zu  folgern,  daß  auch  der  Eigen- 


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tümer  an  einem  Kunstwerk  keine  Aenderung 
vornehmen  darf,  durch  die  er  den  berechtigten 
Interessen  des  Künstlers  Abbruch  tun  würde. 
Jedes  Kunstwerk  ist  der  ganz  bestimmte  und 
höchst  persönliche  Ausdruck  einer  Vorstellung 
des  Künstlers;  es  verkörpert  gerade  in  der  Form, 
wie  er  es  als  fertig  anerkennt,  einen  Teil  seines 
Wesens.  Aus  diesem  Grunde  kann  er  verlangen, 
daß  seine  Eigenart  nicht  durch  eine  andere  er- 
setzt, daß  nicht  ein  von  ihm  geschaffenes  Werk 
in  einer  anderen  Form,  als  es  von  ihm  fertig 
gestellt  worden  ist,  als  von  ihm  herrührend  be- 
zeichnet wird.  Darin  läge  ein  Mißbrauch 
seines  Namens,  eine  Fälschung.  Das  müßte 
selbst  dann  gelten,  wenn  durch  die  Aenderung 
Fehler  des  Werkes  beseitigt  werden  sollten; 
gerade  solche  Fehler  können  unter  Umständen 
kennzeichnend  für  das  Schaffen  des  Künstlers 
sein*).  Zu  welchen  Aenderungen  kann  aber  der 
Künstler  seine  Zustimmung  nach  Treu  und 
Glauben  nicht  versagen?  Diese  Frage  läßt  sich 

*)  Man  braucht  hier  nur  an  die  Verzeichnungen 
zu  denken,  die  manches  Bild  von  Böcklin  aufweist. 


nicht  allgemein  beantworten;  es  kommt  alles 
auf  die  Umstände  des  einzelnen  Falles  an.  Wo 
verschiedene  Rechte  an  einem  Kunstwerk  be- 
stehen, muß  eben  eines  auf  das  andere  Rück- 
sicht nehmen.  So  kann  die  Verkleinerung  eines 
Gemäldes  zulässig  sein,  wenn  es  in  der  ge- 
lieferten Größe  an  den  dafür  bestimmten  Platz 
nicht  paßt  und  der  künstlerische  Wert  dadurch 
nicht  erheblich  beeinträchtigt  wird,  ebenso  die 
Abtönung  einer  Skulptur,  deren  Farbe  sich  mit 
Rücksicht  auf  ein  Gegenstück  oder  aus  anderen 
Gründen  nicht  als  richtig  gewählt  erweist*.) 
Bei  Kunstwerken  im  eigentlichen  Sinne,  die 
unverändert  zu  erhalten  der  Eigentümer  in  der 
Regel  selbst  wünschen  wird,  hat  die  Frage  kaum 
eine  große  Bedeutung;  um  so  öfter  kann  sie 
sich  aber  bei  Gegenständen  des  Kunstgewer- 
bes ergeben.  Diese  sind  durch  das  Kunstschutz- 
gesetz den  Kunstwerken  völlig  gleichgestellt. 
Gegenüber  dem  früheren  Rechte  bedeutet  das 
eine  kühne  Neuerung,  die  ihren  Grund  jeden- 
falls in  der  Schwierigkeit  hat,  zwischen  Kunst 
und  Kunstgewerbe  eine  feste  Grenze  zu  ziehen. 
Ob  es  allerdings  leichter  ist,  die 
jetzt  maßgebende  Grenze  zwi- 
schen Kunstgewerbe  und  Hand- 
werk mit  Sicherheit  zu  finden, 
ist  eine  andere  Frage.  Jeden- 
falls muß  bei  Gegenständen  des 
Kunstgewerbes  ein  viel  weiter- 
gehendes Recht  des  Eigentü- 
mersauf die  Vornahme  von  Ab- 
änderungen anerkannt  werden 
als  bei  Kunstwerken ;  das  ergibt 
sich  schon  daraus,  daß  in  sol- 
chen Gegenständen  die  Persön- 
lichkeit des  Urhebers  viel  we- 
niger bestimmt  ihren  Ausdruck 
findet,  so  daß  auch  Aenderun- 
gen, die  Verschlechterungen 
bedeuten,  sein  künstlerisches 
Interesse    nicht    im    gleichen 


ARCH.  MAX  LAUGER 


HAUS  ALBERT:  TREPPENHAUS 


*)  Alle  Beispiele  dieser  Art  sind 
vorsichtig  zu  verstehen  und  dür- 
fen nicht  ohne  weiteres  verallge- 
meinert werden.  Seinerzeit  hat 
die  Ueberstreichung  der  Figuren 
auf  dem  Witteisbacher  Brunnen 
in  München  viel  Aufsehen  ge- 
macht. Sie  war  vom  Künstler  an- 
geordnet worden,  weil  ihm  die 
weiße  Farbe  des  Marmors  zu  grell 
erschien.  Er  hatte  dabei  aber  nicht 
beachtet,  daß  ihm  nach  der  Ueber- 
gabe  des  Werkes  an  die  Stadt  kein 
Recht  zustand,  ohne  deren  Zu- 
stimmung eine  solche  Aenderung 
vorzunehmen.  Ebensowenig  hätte 
aber  auch  die  Stadt  die  Ueber- 
streichung ohne  die  Zustimmung 
des  Künstlers  anordnen   dürfen. 


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ARCH.  MAX  LAUGER-KARLSRUHEi 

Maße  gefährden.  Ganz  besonders  wird  das  für 
Gebrauchsgegenstände  gelten  müssen,  bei  denen 
die  Abnützung  Aenderungen  notwendig  macht. 
Zu  den  Werken  der  bildenden  Kunst  gehören 
auch  Bauwerke,  soweit  sie  künstlerische 
Zwecke  verfolgen.  Auch  bei  solchen  Bau- 
werken, die  an  sich  rein  nach  Gebrauchsrück- 
sichten angelegt  sind,  können  einzelne  Teile 
künstlerisch  ausgestaltet  sein,  und  diese  Teile 
stehen  dann  unter  Schutz.  Insoweit  darf  auch 
der  Eigentümer  nur  solche  Aenderungen  an  dem 
Bauwerk  vornehmen,  zu  denen  der  Künstler 
nach  Treu  und  Glauben  seine  Zustimmung  nicht 
versagen  kann.  Hierbei  wird  der  Umstand  ge- 
wichtig mitsprechen,  daß  Bauwerke  in  der 
Regel  mehr  als  andere  Kunstwerke  in  die 
Oeffentlichkeit  treten;  das  Interesse  des  Künst- 
lers an  der  unveränderten  Erhaltung  wird  hier 
stärker  sein  als  bei  einem  Kunstwerke,  das  nur 
wenigen  Personen  zu  Gesichte  kommt.  Ander- 
seits werden  gerade  bei  Bauwerken,  die  ja  doch 
meist  bestimmten  Zwecken  dienen  und  bei  denen 
insbesondere  auf  die  Bedürfnisse  und  Einwir- 


HAUS  ALBERT:  TREPPENHAUS  (vgl.  s.  72) 

kungen  des  Verkehrs  Rücksicht  genommen 
werden  muß,  Aenderungen  oftmals  durch  so 
beachtenswerte  Erwägungen  geboten  sein,  daß 
ihnen  der  Künstler  nach  den  Grundsätzen  von 
Treu  und  Glauben  nicht  widersprechen  darf. 
Man  braucht  nur  an  den  Fall  zu  denken,  daß 
ein  ursprünglich  als  Wohnhaus  angelegtes  Ge- 
bäude in  ein  Geschäftshaus  oder  in  eine  Fabrik 
umgewandelt  wird,  weil  die  Aenderungen  der 
Verkehrsverhältnisse  das  nahelegen.  Hier  wird 
das  Urheberrecht  des  Künstlers  nicht  so  weit 
reichen,  daß  er  gegen  die  Umgestaltung  Ein- 
spruch einlegen  kann.  Wenn  je,  so  handelt 
es  sich  hier  um  richtige  Abwägung  der  beider- 
seitigen Interessen.  Kein  Urheberschutz  besteht, 
soweit  nur  Gebrauchszwecke  in  Frage  kom- 
men; das  gilt  insbesondere  für  die  innere  Ein- 
teilung eines  Gebäudes  in  verschiedene  Räume, 
selbst  wenn  diese  in  besonders  zweckmäßiger 
Weise  erfolgte  und  sich  als  das  Ergebnis  einer 
angestrengten  Arbeit  darstellt.  Die  Innenarchi- 
tektur in  diesem  Sinne  ist  keine  Kunst  —  wenig- 
stens vom  Gesetze  nicht  als  solche  anerkannt. 


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Dekorative  Kunst.     XVII.    3.    NoTeniber  1913 


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ARCH.MAX  LAUGER-KARLSRUHE 


HAUS  ALBERT:  BANK  IN  DER  GALERIE 


[  Schnitzereien  der  Bank  von  Karl  Albiker-Ettlingen  \ 

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STEINRELIEFS  AM 
KAMIN  DES  WOHN- 
ZIMMERS (VGL.  s. 79) 


KARL  ALBIKERETTLINGEN  □  GESCHNITZTE  TÜREN  EINER  TRUHE  IN  DER  GALERIE  DES  HAUSES  ALBERT  (vgl.  s.  75) 
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Dekorative  Kunst.    XVII.    r.    November  1913 


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K.  LAUGER  □  HAUS  ALBERT:  OBERER  FLUR  U.  TREPPE  ZUM  DACHGESCHOSZ 


82 


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Ausführung:  VerelDigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Berlin 


83 


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zu  DEN  ARBEITEN  HERMANN  OBRISTS 


Der  Bildhauer  Hermann  Obrist  nimmt  in 
der  gegenwärtigen  Bewegung  in  der  Archi- 
tektur und  der  angewandten  Kunst  Deutsch- 
lands noch  immer  eine  gesonderte  Stellung  ein. 
Ohne  irgend  einer  Richtung  oder  Gruppe  an- 
zugehören, geht  er  nach  wie  vor  seinen  eigenen 
Weg.  Auch  hat  er  nie  verkündet  oder  emp- 
fohlen, daß  andere  genau  denselben  Weg 
gehen  sollten:  geht  doch  seine  stete  Auffor- 
derung immer  nur  dahin:  jeder  einzelne  wirk- 
liche Künstler  solle  in  der  Architektur  und 
in  der  angewandten  Kunst,  da,  wo  es  sich  um 
außerzweckmäßige  Dinge  handelt,  genau  so 
wie  in  der  freien  Kunst  den  Mut  finden,  seinen 
eignen  Weg  zu  wandeln. 

Und  daß  dieser  Mut  oft  fehle,  ist  sein  ein- 
ziges   Bedauern   und   sein   einziger   Vorwurf. 

Er  weist  mit  Recht  darauf  hin,  daß  gerade 
wie  z.  B.  in  der  Literatur  oder  in  jeder  rein 
geistigen  und  nicht  auf  Utilität  abzielenden 
Bewegung  der  Jetztzeit  und  der  Zukunft  die 
Entwicklung  auf  immer  größere  Differenzierung 
statt  auf  immer  größere  Uniformierung  ausgeht 


und  ausgehen  muß,  wenn  eine  wahre  Kunst- 
blüte entstehen  soll,  so  auch  in  der  Architektur 
und  in  der  angewandten  Kunst  der  Reichtum 
an  individuellen  schöpferischen  Veranlagungen, 
die  latent  in  den  Völkern  schlummern,  geweckt 
werden  müsse.  Es  ist  ohne  weiteres  klar,  daß 
er  sich  damit  in  den  größten  Gegensatz  zu 
den  Bestrebungen  stellt,  die  gegenwärtig  bei 
uns  um  sich  greifen,  bei  denen  entweder  blos 
die  alten  Stile  oder  die  Heimatkunst  nur  um- 
frisiert werden,  oder  die  nach  einem  allgemeinem 
Stile  zielen  auf  Grund  der  Zweckmäßigkeits- 
form, die  höchstens  in  der  Architektur  noch 
der  Monumentalität  der  Horizontalen  und  Verti- 
kalen ein  gewisses  künstlerisches  Element  ein- 
räumen. Daraus  ergibt  sich  auch  ohne  weiteres, 
daß  nur  ein  ganz  kleiner  Kreis  von  Bewun- 
derern und  von  Auftraggebern  sich  für  seine 
spezifische,  individuelle  Art  interessieren  wird. 
Diese  aber  schätzen  ihn  richtig  und  sehr  hoch  ein. 
Seine  Arbeiten  verraten  auch  deutlich  genug, 
daß  er  auf  keine  Richtung,  keine  Doktrin,  kein 
Schema,  keine  Manier,   auch   nicht  auf  seine 


i       HERMANN  OBRIST-MÜNCHEN  GRABMAL  EINES  MUSIKERS  IN  WEIMAR 


84 


HERMANN  OBRIST-MÜNCHEN 


BRUNNEN  (IM  BESITZE  DES  KÜNSTLERS) 


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HERMANN  OBRIST-MÜNCHEN 


GRABMAL  TOPORSKI  IN  FREIBURG  I.  BR. 


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85 


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eigene,  eingeschworen  ist.  Man  trifft  in  seinen 
Arbeiten  ganz  starre,  rein  mathematische  Formen 
neben  den  bewegtesten  phantasiereichsten,  rein 
kubisch  -  stereometrisch  -  kristallinische  Gebilde 
neben  musikalisch  ornamentalen  Linien,  man 
wird  an  strenge  gotische  Ingenieurtechnik  wie 
an  krauses,  launenhaftes  Rokoko  erinnert.  Je 
nach  der  Art  der  Auftrages,  des  Ortes  der 
Aufstellung,  des  gegebenen  Materials  oder  des 
persönlichen  Einfalles  sind  seine  Arbeiten  un- 
endlich verschieden.  Daß  auch  das  ihm  in 
Deutschland,  wo  man  von  jedem  geradezu  ver- 
langt, daß  er  ein  Schema,  eine  sogenannte 
theoretische  Ueberzeugung  habe,  übel  ge- 
nommen wird,  versteht  sich  ebenfalls  von  selbst. 

Als  Entwerfer  verfährt  Obrist  stets  rein 
künstlerisch;  d.  h.  er  nimmt  seine  Inspiration 
aus  jeder  Formenquelle,  die  sich  ihm  anbietet, 
und  aus  jeder  Notwendigkeit,  die  ihm  von 
außen  technisch  oder  durch  das  Wesen  des 
Auftrages  aufgedrungen  wird.  In  der  Steinbe- 
arbeitung regen  ihn  z.  B.  ebensosehr  die  rein 
handwerksmäßigen  Reize  der  Materialbehand- 
lung wie  die  köstlichen  Zufallswirkungen  der 
natürlichen  Felsenbildungen  im  Gebirge  an. 
Läßt  er  das  Wasser  springen  und  wieder  in 
die  Becken  herunterrieseln,  so  benutzt  er  eben- 
sogut die  reinen  Zweckformen  der  Technik 
wie  die  rein  poetischen  Motive  des  Wasser- 
spieles draußen  in  der  Natur,  in  Grotten  oder 
in  Felsenklammen. 

Er  imitiert  nicht  die  Naturgebilde,  er  stilisiert 
sie  auch  nicht  bloß,  wie  das  in  doktrinärer 
Weise  auf  unseren  Schulen  gelehrt  wird,  son- 
dern er  läßt  stets  nur  die  Phantasie  durch  sie 
anregen,  so  daß  nie  eine  Form  als  solche  er- 
kannt wird,  sondern  stets  nur  deren  Stimmungs- 
wert suggeriert  wird.    Bei  aller  Beherrschung 


der  Zweckform,  der  Technik,  der  Konstruktion, 
bleibt  er  stets  Künstler  und  nur  Künstler,  und 
seine  Gebilde  bleiben  persönlich  und  unnach- 
ahmlich. Auf  seiner  Art  läßt  sich  keine  Lehre, 
keine  Schule,  kein  allgemeiner  Stil  aufbauen, 
und  es  könnte  kein  größeres  Mißverständnis 
geben  als  dasjenige,  dem  er  oft  ausgesetzt  ge- 
wesen ist:  er  verkünde  einen  neuen  Stil,  und 
dieser  Stil  solle  der  seinige  sein. 

Hermann  Obrist  ist  von  Geburt  Schweizer, 
studierte  zuerst  Medizin  und  Naturwissen- 
schaften und  wandte  sich  erst  spät  als  erwach- 
sener Mann  seiner  frühesten  Neigung,  der  Kunst, 
wieder  zu. 

Neben  seinen  künstlerischen  Arbeiten  hat  er 
jedoch  seine  naturwissenschaftlichen  Interessen 
nicht  aufgegeben,  die  ihn  andauernd  beschäf- 
tigen. Ebenso  war  er  organisatorisch  durch 
Gründung  der  „Vereinigten  Werkstätten"  in 
München  und  einer  großen  Schule  intensiv 
tätig,  bis  diese  organisatorische  Tätigkeit  seine 
ganze  intime  künstlerische  Tätigkeit  zu  über- 
wuchern drohte,  was  ihn  veranlaßte,  sich  dauernd 
von  jeder  öffentlichen,  organisatorischen  und 
agitatorischen  Tätigkeit  zurückzuziehen  in  die 
Stille  seiner  Werkstatt. 

In  dieser  reifen  zurzeit  große  Phantasie- 
arbeiten heran,  die  wieder  eine  völlig  neue 
Gattung  monumentaler  Plastik  darstellen  wer- 
den, abweichend  sogar  von  dem,  was  er  bis 
jetzt  geschaffen  hat. 

So  sehen  wir  auch  hier  sein  innerstes  Wesen 
am  Werke,  das  sich  mit  seinem  eigenen  Worte 
am  besten  charakterisieren  läßt:  Jung  bleiben 
heißt:  noch  etwas  nicht  Geschaffenes  vor  sich 
haben.  Alt  wird  nur  der,  der  sich  seinen  eigenen 
Sarg  mit  Prinzipien  und  Theorien  schon  bei  Leb- 
zeiten zimmert.  Dr.  H.  Steigerer 


ARCH.  PAUL  L.  TROOST- 
MÜNCHEN  D  WAND- 
LEUCHTER    IN    BRONZE 


AUSF.:WILHELM&CO., 
KUNSTWERKSTÄTTEN, 
B  MÜNCHEN  13 


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ANGELD  JANK-MONCHEN 


BAYERISCHER  DRAGONER  (1807) 


ANGELD  JANKS  STILISTISCHE  REITERBILDER 


Roß  und  Reiter  zu  malen  ist  Angelo  Janks 
Sache.  Er  vollbringt  das  mit  einer  Genia- 
lität, die  an  Gericault  mahnt,  mit  dem  er  auch 
das  himmelstürmendeTemperament  gemeinsam 
hat.  In  allen  Situationen,  die  Sport  und  Mili- 
tär denkbar  machen,  weiß  er  sie  zu  malen: 
die  anstürmende  Schar  der  attackierenden  Ula- 
nen in  der  Schlacht,  weiße  Kürassiere  bei  der 
Parade,  Herrenreiter  im  Finish,  elegante  Rei- 
terpaare an  schönen  Maimorgen  im  Hydepark, 
im  Grunewald  oder  im  Münchner  Englischen 

Garten Diese  Themata  behandelt  Jank 

in  aufrechter  Naturabschrift.  Er  hat  wohl  acht 
der  Natur  und  der  Wirklichkeit  der  Atmo- 
sphäre und  der  modellierenden  Einflüsse  der 
Sonne  und  der  Luft.  Selbst  wenn  sich  Jank 
einmal  an  eine  so  gewaltige  Aufgabe  begibt, 
wie  sie  ihm  seine  Reichstagsbilder  stellten, 
mag  er  sich  seines  Verismus  nicht  entschla- 
gen. Das  Mittelbild  dieses  Riesentriptychons, 
den  Umritt  Wilhelms  I.  am  Abend  der  Schlacht 
von  Sedan  darstellend,  ist  ganz  naturalistisch 
behandelt,  nur  bei  den  beiden  Flügelbildern, 
die  historische  Motive  aus  dem  alten  Kaiser- 
reich zum    Vorwurf  haben,    ist   eine    leichte 


Stilisierung  in  Komposition  und  Farbgebung 
wahrnehmbar.  Es  wird  hier  Anschluß  genom- 
men an  Janks  berühmte  Steinzeichnung  „Ei- 
serne Wehr",  die  einen  festen  Landsknecht 
auf  mächtigem  Roß  wie  eine  symbolische  Ge- 
stalt deutscher  Wehrhaftigkeit  vor  den  ge- 
schlossenen Hintergrund  stellt. 

Neuerdings  hat  Jank  einen  Zyklus  histori- 
scher Reiterbilder  aus  der  Zeit  der  Befreiungs- 
kriege vollendet,  Gemälde,  bei  denen  das  stili- 
stische Moment  stärker,  ja  bestimmend  in  die 
Erscheinung  tritt,  und  die  somit  im  Werk  des 
Künstlers  etwas  Besonderes  darstellen.  Es  sind 
bayerische  Kavalleristen  in  ihren  schmucken, 
altehrwürdigen  Uniformen.  Je  einer,  dekorativ 
in  das  aparte  Bildformat  komponiert,  mit  einem 
an  der  Horizontlinie  hingezogenen  Schlacht- 
gewimmel als  Hintergrund,  mit  Wappen  und 
Aufschriften  als  bewußten  Schmuckattributen. 
Die  mächtigen  Rosse,  die  Gestalten  der  Reiter, 
die  Gesten  und  Gebärden  gemahnen  an  jene 
repräsentativen  Barockreiterbilder,  wie  wir  sie 
aus  den  Porträten  der  Heerführer  des  Dreißig- 
jährigen Krieges  kennen.  Die  Farbstimmung 
der  Gemälde  ist   indessen  ganz  anders.     Sie 


■  SX©SX3SX9(5X9(57raSX9SX9S7r3(SXSSX3SXS(5X9{3XS(5XS67rreSX3SX^ 


87 


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i 


ANGELD  JANK 


BAYERISCHER  ULAN  (1814—22) 


unechteste  „Kunst"  gefallen 
und  freuten  sich  ihrer  wohl 
gar  noch.  Da  ist  es  denn 
recht  erfreulich,  einen  star- 
ken Künstler  am  Werk  zu 
sehen,  der  diesem  Kitsch 
den  Krieg  erklärt,  der  nicht 
nur  in  theoretischen  Sätzen 
dagegen  protestiert,  sondern 
zugleich  auch  tatsächliche 
Arbeit  im  Bessermachen 
leistet.  Und  nicht  minder 
erfreulich  ist  der  Umstand, 
daß  ein  kunstfreundlicher 
Mann  sich  diesen  Zyklus 
gesichert  hat  in  der  schönen 
Absicht,  ihn  einem  militäri- 
schen Genesungsheim  als 
Schmuck  für  den  Speisesaal 
zu  spenden.  Von  den  Wän- 
den dieses  Raumes  wird  dann 
durch  die  Mittlerschaft  von 
Janks  Bildern  nicht  nur  die 
Vergangenheit  der  bayeri- 
schen Armee  sprechen,  son- 
dern hoheKunst  wird  zugleich 
Freude  und  Schönheit  über 
den  Saal  ausgießen,    g.j.w. 


weicht  aber  auch  von  Janks 
sonstigem  Kolorit  ab.  Sie 
ist  heller,  blasser,  aparter, 
unwirklich-dekorativ. 

Daß  von  diesen  Bildern 
hier  ausführlicher  die  Rede 
ist,  hat  seinen  Grund  darin, 
daß  diese  Werke,  die  man 
gegenwärtigin  Brakls  Kunst- 
haus in  München  zur  Schau 
gestellt  sieht,  einen  Wende- 
punkt in  der  herkömmli- 
chen dekorativen  Militär- 
malerei bedeuten.  Auf  die- 
sem Gebiet  schien  den  Be- 
stellern bis  auf  unsere  Zei- 
ten das  Unzulängliche  im- 
mer noch  gut  genug.  Die 
meisten  Offizierskasinos  be- 
dienten sich  zur  Dekoration 
ihrer  Säle  des  ärmlichsten 
Kitsches:  Männer,  die  es 
entrüstet  zurückweisen  wür- 
den, ein  Alpaka-Besteck  in 
die  Hand  zu  nehmen,  ließen 
sich  an  den  Wänden  ihrer 
repräsentativen  Kasernen- 
räume    die    verfälschteste. 


^8l5-^^.  -^ 


ANGELD  JANK 


BAYERISCHER   HUSAR  (1815-22) 


■  SXS  (5X9  (5X3  (5XS<5X3ö.t:c;  (5X3  (5X®SX9SX5)SXS(5tTraSX3<37fra<57Tra  (5X3  6X36.^^ 


88 


H.  Goes  ;  Messingtablett;  Fritz  Sclinioll  von  Eisenwerth:  Majoliltafigur;  C.  B.  Schmitz:  Vasen;  H.  Weiß:   Bemalte  Holzdose 


C.B.Schmitz:  Vase;  A.Mathes:  Silberne  Dose;  N. Penin:  Holzdose;  E.  v.  Ruckteschell :  Tasche;  H.  v.  Zezschwitz:  Häubchen 
AUS   DEN    LEHRWERKSTÄTTEN    DER   LEHR-   UND   VERSUCH-ATELIERS   WILHELM  VON    DEBSCHITZ,  MÖNCHEN 


DIE  AUSSTELLUNG  DER  DEBSCHITZ-SCHULE 
j  IM  BERLINER  KUNSTGEWERBE-MUSEUM 

I.  SCHÜLER-ARBEITEN 


Die  Ausstellung  der  Debschitz-Schule 
im  Berliner  Kunstgewerbemuseum  war 
eine  Ueberraschung.  Seit  mehreren  Jahren 
hatte  man  in  der  Oeffentlichkeit  nichts  Authen- 
tisches mehr  von  dieser  ersten  der  neuen 
kunstgewerblichen  Lehranstalten  gehört.  Ge- 
legentliche Beteiligungen  an  größeren  Aus- 
stellungsveranstaltungen konnten  ein  rechtes 
Bild  nicht  geben.  In  der  Erinnerung  haftete 
noch  eine  vage  Vorstellung  von  den  frühen 
Anfängen  dieses  Institus,  das  vor  nunmehr 
zehn  Jahren  von  Wilhelm  von  Debschitz 
und  Hermann  Obrist  begründet  worden  war. 
Man  dachte  an  das  berühmt  gewordene  Beispiel 
von  der  Haferrispe,  an  jenes  organische  Sezieren 
der  Natur,  das,  wie  W.  von  Debschitz  im  März- 
heft 1904  dieser  Zeitschrift  auseinandergesetzt 
hatte,  durchaus  kein  Naturalismus,  kein  bloßes 
Abschreiben  der  Natur  sein  wollte.  Erinne- 
rungen, die  noch  mannigfach  getrübt  wurden 
durch  Arbeiten  von  Leuten,  die  behaupteten, 
kurz  oder  lang  in  der  Debschitz-Schule  gesessen 
zu  haben.  Die  Münchner  Lehr-  und  Versuch- 
Ateliers  waren  so  für  die  Allgemeinheit  um- 
nebelt von  der  Sphäre  eines  sensiblen  Artismus, 
der  gewiß  seine  Reize 
hat, wenngleich  es  auch 
klar  ist,  daß  man  eine 
große  Schulorganisa- 
tion nicht  auf  ein  paar 
delikate  Reize  aufzu- 
bauen vermag. 

Bleibt  esauch  immer 
gewagt,  eine  Lehrtätig- 
keit nach  einer  noch  so 
umsichtig  organisier- 
ten Schulausstellung 
zu  beurteilen,  so  reich- 
ten doch  die  tausend 
von  Debschitz- Schü- 
lern entworfenen  und 
ausgeführten  Objekte 
aus,  um  jenehöchliche 
Ueberraschung  her- 
vorzurufen. Es  zeigte 
sich,  daß  dieser  ganze 
Vorstellungskomplex, 
den  man  von  dieser 
Münchner  Lehranstalt 
mit  sich  herumschlepp- 
te, gar  nicht  mehr  zu- 
trifft. Sie  war  in  ihrer 
zehnjährigen  Lehrpra-       fr.  eisenhofer 


xis  aus  ihrer  eigenen  Entwicklung,  über  ihre  ei- 
genen Grenzen  hinausgewachsen.  Nicht  als  ob 
das  auf  eine  hohe  künstlerische  Ertüchtigung 
gerichtete  System  geändert  worden  wäre;  jener 
Artismus,  den  der  Liebhaber  eines  edlen  Kunst- 
handwerks selbstverständlich  nicht  missen 
möchte,  ist  im  Sinne  einer  praktischen  Gewerbe- 
betätigung organisiert  worden.  Damit  scheint 
sich  in  dieser  privaten  Anstalt,  die  trotz  der 
neuerlichen  Subventionierung  durch  die  baye- 
rische Regierung  und  die  Stadt  München  sich 
die  Vorzüge  eines  privaten  Instituts  erhalten 
hat,  ein  möglicher  Ausgleich  einzustellen  zwi- 
schen den  divergierenden  Tendenzen,  an  denen 
in  heutiger  Zeit  die  Kunstgewerbeschule  not- 
wendigerweise leidet.  Sie  soll  in  dem  Lernenden 
künstlerische  Kräfte  entfesseln  und  soll  nicht 
weniger  der  Alltagspraxis  dienen.  Was,  wie 
wir  sehen,  gelegentlich  dahin  aufgefaßt  wird, 
daß  die  Praxis  mit  ihren  Anforderungen  als 
programmwidrig  sehr  außer  acht  gelassen  wird, 
oder  daß  andererseits  aus  dem  zukünftigen 
Diener  ein  Sklave  der  Praxis  gemacht  wird. 
Was  von  dem  besten  Material,  das  heute  die 
Kunstgewerbeschulen  durchlaufen  hat,  verlangt 

wird,  ist  ja  nicht  wenig. 
Der  in  die  Praxis  ent- 
lassene Schüler  soll 
den  Gewerben  frische- 
ste Impulse  geben  und 
soll  sich  doch  im  weite- 
sten Sinne  einschmie- 
gen in  Traditionen  und 
Bedürfnisse,  die  sei- 
nem künstlerischen 
Ideal  in  den  seltensten 
Fällen  entsprechen.  Er 
soll  zu  der  allerhöch- 
sten Kunst  des  selbst- 
losen Dienensgebracht 
werden  und  überdies 
bei  dem  Kampf  um  den 
großen  Markt  nicht  der 
Ideale  verlustig  gehen, 
die  uns  den  neudeut- 
schen Gewerbler  wert 
machen.  Die  Organi- 
sation der  Debschitz- 
schen  Schule,  wie  sie 
sich  heute  darbietet, 
geht  nun  von  einer 
künstlerischen  Allge- 
MAjOLiKA-FiGUR       meinbildung  aus.  Das 


9. 


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b 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    3.    Norember  1913 


89 


12 


ARBEITSKORBCHEN  VON  E.  KOLISCH  UND  A.  SCHWEDELER   Q    KÄSTCHEN  MIT  HANDSTICKEREI  VON  S.  TAEUBER 

Hergestellt  in  der  Letar-Werksiältc  der  Debschltz-Schule 


Schülermaterial,  mit  dem  eine  solche  Anstalt 
zu  rechnen  hat,  das  sich  vorwiegend  aus  „un- 
gelernten" jungen  Leuten  zusammensetzt,  die 
weder  Praxis  noch  die  Disziplin  der  Praxis 
hinter  sich  haben,  soll  in  der  Zeit,  da  es  noch 
in  weitestem  Maße  aufnahmefähig  ist,  nicht 
von  vornherein  auf  eine  enge  und  letzten  Endes 
beengende  Fachausbildung  festgelegt  werden. 
„Anfänger  und  Vorgeschrittene",  so  heißt  es 
in  den  Leitsätzen  der 
Lehr-  und  Versuch- 
Ateliers,  „sollen  Gele- 
genheit haben,  sich 
durch  Anschauung  und 
Betätigung  im  Gesamt- 
gebiet der  bildenden 
Kunst  unter  Aneig- 
nung der  allgemeinen 
Gesichtspunkte,  wel- 
che für  alle  künstleri- 
sche und  kunstgewerb- 
liche Arbeit  Geltung 
haben,  zu  orientieren, 
um  mitgereifterem  Ur- 
teil spezielle  Neigung 
und  Begabung  zu  er- 
kennen und  ein  Fach  zu 
wählen".  Auf  diesem 
allgemeinen  Unterricht 
erst  baut  sich  die  Un- 
terweisungin den  Fach- 
gebieten au  f,  für  die  der 
Schüler  eine  besondere 
Begabung  bekundet. 
Erst  der,    der  wenig- 


stens eine  Ahnung  erhalten  hat,  um  was  es  sich 
eigentlich  bei  allen  künstlerischen  Problemen 
handelt,  soll  seine  Kraft  auf  ein  Spezialgebiet, 
sei  es  Flächenkunst,  sei  es  Raumkunst,  Plastik 
oder  Kleingewerbe  konzentrieren.  In  techno- 
logischen Kursen  (über  die  Möbelbaukonstruk- 
tionslehre,  die  Feinbearbeitung  des  Holzes,  die 
Technologie  der  Metalle  etwa)  und  Fachwerk- 
stätten, von  denen  es  bis  jetzt  eine  Metallwerk- 

siätte,  eine  keramische 
Werkstätte  und  Werk- 
stätten für  Handtextil- 
techniken  bei  Deb- 
schitz  gibt,  soll  er  dann 
aus  der  Sphäre  des 
Zeichnerateliers  her- 
ausgeführt werden  in 
die  Welt  der  Tatsachen, 
die  außer  einem  Form- 
empfinden von  ihm  die 
Bewältigung  von  Ma- 
terialien, von  Techni- 
ken, von  Kalkulationen 
US  w.  verlangt. Der  A  u  s 
gangspunkt  ist,  wie 
man  sieht,  eine  Ent- 
fesselung schöpfe- 
rischer Fähigkei- 
ten und  das  Ziel 
ein  Hinlenken  zur 
hochwertigen  Qua- 
litätsproduktion, 
der  Weg  dazu  eine 
Werk  Stattpraxis, 
die  der  schöpferischen 


R 


E.  V.  RUCKTESCHELL  B  KORB  IN  MACRAME  MIT  PERLEN 


90 


^Q;tiQQ;jCS>QXSQXBQXSQXSQXS>QX£>QX£)QXSQXS><2XS><S^JiS(3X3QXS)QX3QXSQXSQ^ 


?) 


& 


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MAJOLIKA-VASEN  VON  L.  EBERT  (1.  3),  H.  WARLAM  (2),  J.  VON  WALDBURG  (4)  UND  E.  J.  KOPECKY  (5) 
Hergestellt  in  der  Lehr-Werkstätie  der  Debscbitz-Scbule 


Veranlagung  den  Halt  gewährt,  der  sie  vor 
einem  vagen  Taumeln  und  Irrlichterieren  schützt. 
Fragt  man  nach  den  Resultaten  einer  solchen 
Schulerziehung  — über 
die  ein  vollgültiges  Ur- 
teil zu  fällen,  eine  noch 
so  umfangreiche  Publi- 
kation kaumgestattet—, 
so  darf  keinen  Augen- 
blick außer  acht  ge- 
lassen werden,  daß  alle 
die  vorgewiesenen  Lei- 
stungen einzuschätzen 
sind  als  eine  Summe, 
bestehend  aus  den  Un- 
terrichtsmaximen, die 
die  Anstalt  zu  geben 
hatjund  dem  Stückchen 
Einzel -Persönlichkeit, 
mit  dem  der  Schüler 
jene  Maximen  durch- 
dringt. Es  ist  sehr  sorg- 
sam abzuschätzen,  wie 
viel  die  Schule  dem 
Einzelnen  gibt  und  wie 
viel  sie  aus  ihm  heraus 
zur  Entwicklung  bringt. 
Das  erfordert  eine  weit- 
gehendeUntersuchung 
mannigfacher  Schüler- 
Individualitäten,dieauf       fr.  eisenhofer 


dem  in  einer  Zeitschrift  verfügbaren  Raum  nicht 
durchzuführen  ist.  Es  läßt  sich  nur  die  Bilanz 
solcher  Forschung  geben,  nur  sagen,  daß  die 

gezeigten  1000  Arbei- 
ten eine  solche  unge- 
zwungene Mannigfal- 
tigkeit weisen, daß  man 
von  selbstaufdieSchü- 
1er  -  Individualität  zu 
achten,  daß  man  sie 
als  gewichtigen  Faktor 
einzuschätzen  beginnt. 
Das  ansprechende  Ni- 
veau dieser  Schulaus- 
stellung basiert  also 
nicht  auf  einer  Ge- 
schmackskonven- 
tion, die,  wie  man 
weiß,  sehr  leicht  zu 
übermitteln  und  sehr 
schnell  anzunehmen 
ist,  die  aber  jugend- 
lichen Arbeiten  eine 
greisenhafte  Sterilität 
gibt,  eine  Fertigkeit, 
hinter  der  es  eine 
weitere  Fruchtbarkeit 
nicht  mehr  geben  kann. 
Geschmackskunst  im 
feinsten  Sinne  kann 
MAJOLIKA-FIGUR       logischerwcise  nur  der 


I  SXSSXQS^TraS?rJ9S^'raSX9(o.y.öö.Y.ü<s.T;ö(3^TraG7Tr3(a.y.öSX3(5X5»S^Tr5(5X3SX9S^ 


91 


12» 


l(3XS)SXSQX9(3XS)6:i:£)SXS6XSQX96XSQX9QX9<3X£>SX9<3X96XS)SX9QXS>(3X96^ 


GEDRECHSELTE  UND  BEMALTE  HOLZDOSEN  VON  H.  BERGK  (1.  3),  N.  PENIN  (2.  5)  UND  M.  BARTENSTEIN  (4) 


erfahrene,  der  nach  dem  Kampf  zur  höchsten 
Reife  abgeklärte  Künstler  bieten.  Daß  die  jungen 
Leute,  um  die  es  sich  hier  handelt,  nicht  mit 
solcher  Abgeklärtheit  kokettieren,  daß  sie  Ge- 
schmacksäußerlichkeiten nicht  wie  eine  erborgte 
Hülle  mit  sich  herumschleppen,  spricht  durch- 
aus für  die  Art  des  Unterrichts,  der  ihnen 
zuteil  wird.  Man  braucht  angesichts  solcher 
Schülerleistungen  keineswegs  das  Verlangen 
zu  haben,  jedes  ein- 
zelne Stück  besitzen  zu 
wollen.  Es  kann  sehr 
oft  sogar  der  Fall  ein- 
treten, daß  einem  die 
Sache,  so  wie  sie  ist, 
nichtin  höchstemMaße 
gefällt,  und  sie  behält 
trotzdem  ihren  Wert 
als  Schulexempel,  als 
pädagogisches  Exerzi- 
tium. Es  mag,  um  nur 
ein  Beispiel  zunennen, 
Menschen  genug  ge- 
ben, die  das  große 
Messingtablett  mit 
Zinn  -  Einschmelzung 
(Abb.  S.  93)  nicht  im 
Gebrauch  haben  möch- 
ten, und  dennoch  ist 
gerade  dieses  Tablett 
ein  höchst  bemerkens- 
wertes Schulstück,  das 
den  Absichten  und  Ein- 
sichten, dem  Wollen 
und  den  Fähigkeiten 
eines  in  der  Entwick- 
lung begriffenen  Gei- 
stes ein  außerordentli- 
ches Zeugnis  ausstellt. 


K.  BAYER  Gl  IN  SILBER  GETRIEB.  BOWLE,  GRIFFE  BRONZE 
Ausführung  der  Rohform ;  Karl  Weishaupt,  Silberschmied,  München 


Ein  Mensch,  der  das  macht,  der,  begeistert 
von  einer  neuartigen  Technik  darauf  aus  ist, 
dieser  Technik  einen  neuartigen  Wirkungseffekt 
zu  entlocken,  ist  wie  die  Mehrzahl  dieser 
Debschitz- Leute  Experimentator.  Experi- 
mentator, wiederum  nicht  im  Sinne  des  großen, 
selbständigen  Künstlergeistes,  der  alle  Brücken 
hinter  sich  abreißt,  um  aus  seiner  Eigenart 
heraus  zum  überraschenden  Neuland  zu  ge- 
langen, sondern  Ex- 
perimentator in  dem 
Sinne,  daß  einer  sich 
jung,  frisch  und  inter- 
essiert an  eine  Arbeit 
macht,  die  er  unbe- 
kümmert um  die  Er- 
fahrungsresultate der 
anderen  zu  bewältigen 
trachtet,  in  der  er  auf 
eigene  Faust  zu  geben 
versucht,  was  er  aus 
seinem  unverbrauch- 
ten Instinkt  heraus  zu 
formen  vermag.  Ex- 
perimentator im  Sinne 
eines  eigenen  Duktus, 
im  Sinne  eines  frappan- 
ten Material-  und  Tech- 
nikenreizes; Experi- 
mentatordurch  das  Be- 
streben, zu  zeigen,  daß 
einer  auch  etwas  ist, 
auch  etwas  von  Eigen- 
wert zustande  zu  brin- 
genvermag. Unter  die- 
sem Gesichtspunktbe- 
trachte man  einmal  die 
beigegebenen  Abbil- 
dungen, achte  darauf. 


■S?raSX9(3tTreSX3SXSSX9SX9(5X9(5?rra(5?TO(5?rraSXSSX5>(5X9S^ 


92 


mSXS>QXS>(3X3QXS>(3XSQXS>QXS<3XS>QXS>(5XS<5XSQHiS>QXSQ:KS)QXS>QXS  (3X96X£)6X£>QXS>6XS)QXd(2X£)l 


GEDRECHSELTE   HOLZDOSEN   VON  A.  SCHWEDELER   (1),    F.  MOLLER  (2),   H.  WEISZ  (3),   B.  THEMEL  (4),   G.  KRAUT  (5), 

H.  VON  ZEZSCHttITZ  (6) 


K.  BAYER  TABLETT  6 

Ausführung;  Messing  mit  Zinn-Einschmelzung  B  Hergestellt  in  der  Lehr-Werkstätte  der  Debscbitz-Scbule  ■ 


93 


I  Q:i:QQ;i:SQ2iiS>QUi3QJi9QXSQXSQXSQX3QXSQXBQX3QX3QXSQXSQ^JiSiSUi3<SX^  I 


K.  BAYER 

wie  einer  sich  um  eine  interessante  Glasur, 
um  eine  Möglichkeit  der  Drehbank,  um  die 
Ornamentierung  eines  Flechtwerkes ,  einer 
Stickerei,  einer  Treibarbeit  bemüht  hat.  Das 
eigentlich  Fesselnde  an  all  diesen  Dingen  ist, 
daß  sie  weitere  Möglichkeiten   ankün- 


TEEBOCHSE  und  OBSTSCHALE  IN  ZINN 

digen.  Sie  machen  nicht  den  Eindruck,  als  ob  sie 
zufällig  wohl  geratene  Experimente  wären,  son- 
dern daß  hier  das  Experimentieren  zum  eigenen 
Ausdruck  hin  im  System  gelegen  hat,  daß  das, 
was  hier  im  einzelnen  gut  ist,  nicht  der  gegebe- 
nen Anleitung,  sondern  der  Organisierung 


>  A.  MATHES  □  SILBERNES  SCHMUCKKÄSTCHEN  MIT  FILIGRAN-DECKEL  UND  BERNSTEIN 

I  Hergestellt  in  der  Lehr-Werkstätte  der  Debschitz-Schule 


94 


■SXS)  SX£>  SX2  QXS  SXS  QXSQXSSXS)  2X9(2X3(2X30X96X9  0X9  QXSSXS  2X9  S>3  0X9  SX9  (2^^ 


9 


9 


?) 


N.  PENIN 

der    Kräfte    zu 
verdanken  ist. 

Mehr  aber  kann 
die  Schule  im  gan- 
zen nicht  gut  bie- 
ten. Sie  wirkt 
fruchtbar,  wenn 
sie  ihre  Schüler 
hinführt  zu  rech- 
ten, zu  gangbaren 
Wegen,  wenn  sie 
in  ihnen  mit  dem 
Instinkt  für  die 
natürlichste  der 
Möglichkeiten  die 
Fähigkeiten  ent- 
wickelt, ein  vor- 
gefaßtes Ziel  mit 

künstlerischem 
Elan  und  sachli- 
cher Gediegenheit 
zu  erreichen,  wenn 
sie  in  denen,  die 
sich  ihr  anvertrau- 
en,alles  entfesselt, 
was  an  eigener 
Art  in  ihnen  un- 
geweckt schlum- 
mert, und  jedem 
einzelnen  doch 
wiederum  so  viel 
Selbstzucht  auf- 
nötigt, daß  dieser 


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H.  VONZEZSCHWITZ 


SCHMIEDEEISERNES  KREUZ 


BEMALTE  HOLZDOSEN 

Individualismus 
nicht  ein  Feind 
werde  jenes  künst- 
lerischen Sozialis- 
mus, den  wir  Zeit- 
stil nennen.  Ueber 
den  Wert  einer 
solchen  Schulung 
für  Gewerbe  und 

Kunsthandwerk 
entscheidet  letzten 
Endes  die  Praxis 
und  das  Geschick, 
das  ihren  Zöglin- 
gen draußen  in  den 
Ateliers, den  Werk- 
stätten,den  Fabrik- 
kontoren usw.  be- 
schieden ist.  Eine 
Schule  wie  die 
Lehr-  und  Ver- 
such-Ateliers, die 
bald  ein  Dutzend 
Jahrgänge  hinter 
sich  haben,  muß 
auch  auf  eine  sol- 
che Frage  befrie- 
digende Antwort 
zu  geben  vermö- 
gen. Das  soll  in  ei- 
nem zweiten  Auf- 
satz versucht  wer- 
den,  p.  Westheim 


95 


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ARBEITSKORBCHEN  VON  E.SCHMIDT  UND  H.  VOELCKER,  SHAWL  IN  BATIK-TECHNIK  VON  H.  FISCAL 


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O.  LÖWENSTEIN   □  SEIDENES  KISSEN  MIT  KURBELSTICKEREI 


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GETRIEBENER  TELLER  VON  E.  BECHTLER,  DECKE  VON  G.  KRAUT,  MAJOLIKA-ARBEITEN  VON  J.  VON  WALDBURG, 

E.J-  KOPECKY  UND  E.WAGNER 


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W.  LEVIN   Q  SEIDENES  KISSEN  MIT  KURBELSTICKEREI 


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DekondTe  Kunst.  XVII,    2.    Norember  1913 


97 


13 


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KINDERHAUBCHEN  VON  M.  BECK  U.  M.EINSTEIN,  HERGESTELLT  IN  DER  LEHR-WERKSTATTE  DER  DEBSCHITZ-SCHULE 


E.  SCHLIERE! KINDERHÄUBCHEN,  IN  NADELSPITZE  AUSGEFÜHRT  IN  DER  SPITZEN- 
SCHULE DER  FÜRSTIN  VON  PLESS  IN  HIRSCHBERG 


98 


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<  H.  EVERSd  ARBEITSKORB  MIT  DECKE  Q  HERGESTELLT  IN  DER  LEHR-WERKSTÄTTE  DER  DEBSCHITZ-SCHULE  I 

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VASEN  UND  DOSEN  VON  K.  BEYDA  (1),  P.SCHOTT  (2.3.7.8),  G.  HALSMANN  (4),    R.  gUANDEST  (5),  E.J.  KOPECKY  (6) 

Hergestellt  in  der  Lehr-Wcrkstätte  der  Debschitz-Schule 


9  S.  FROHBERG  o  TASCHENTUCH  MIT  KLOPPELSPITZE  I 

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100 


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URNENWEG  DER  SONDERAUSSTELLUNG  FÜR  FRIEDHOFSKUNST  DES  VERBANDES  DEUTSCHER  GRANITWERKE 

DIE  AUSSTELLUNG  FÜR  FRIEDHOFSKUNST 
DES  VERBANDES  DEUTSCHER  GRANITWERKE  IN  LEIPZIG 


Das  Völkerschlachtdenkmal  beherrscht  mit 
seinen  enormen  Massen  das  gesamte 
Riesengelände  der  Internationalen  Baufach- 
Ausstellung  zu  Leipzig.  12  000  cbm  Granit 
in  Quadern  bis  zu  360  Zentnern  schwer  sind 
in  diesem  Erinnerungsmal  an  das  gewaltige 
Ringen  unseres  Volkes  vor  100  Jahren  auf- 
einandergetürmt. Schwer  läßt  es  sich  vor- 
stellen, daß  ein  anderes  Gestein  die  Wucht 
der  riesigen  Abmessungen,  die  an  keinem  deut- 
schen Denkmal  auch  nur  annähernd  erreicht 
werden,  hätte  so  zur  Geltung  bringen  können 
als  gerade  der  Granit,  der  für  uns  ja  geradezu 
zum  Symbol  des  Festen  und  Unverwüstlichen 
geworden  ist.  „Den  ältesten,  festesten,  tiefsten, 
unerschütterlichsten  Sohn  der  Erde"  nennt  ihn 
Goethe  und  erzählt,  daß  er  sich  seiner  Betrach- 
tung mit  „recht  leidenschaftlicher  Neigung"  zu- 
gewandt hatte. 

Aber  nicht  nur  zu  gewaltigen  Werken  wie 
das  Völkerschlachtdenkmal  und  das  Hamburger 
Bismarckdenkmal  eignet  sich  der  Granit.  Haben 
doch  schon  die  klassischen  Völker  des  Alter- 
tums, besonders  die  Ägypter,  neben  ihren  gigan- 
tischen granitenen  Kolossen  und  Obelisken 
auch  kleinere  Werke  wie  Sarkophage,  Porträt- 


statuen u.  dgl.  aus  diesem  farbenprächtigen 
Gestein  geschaffen  und  zwar  in  einer  Feinheit 
der  Ausführung,  die  heute  nicht  weniger  in 
Erstaunen  setzt  als  jene  gigantischen  Werke. 

Auch  auf  der  Leipziger  Ausstellung  sind 
solche  kleinere  Granitarbeiten  vertreten,  und 
sie  tragen  nicht  weniger  dazu  bei,  unser  Inter- 
esse an  diesem  Hartgestein  wachzurufen  als 
das    Riesenwerk   des  Völkerschlachtdenkmals. 

Wer  das  Granitgrabmal  nur  von  den  schwar- 
zen, hochglanzpolierten  Obelisken  und  Kreuzen 
her  kennt,  die  sich  überall  in  übergroßer  Zahl 
auf  unseren  Friedhöfen  drängen,  wird  erstaunt 
sein,  auf  dem  Musterfriedhof  des  Verbandes 
Deutscher  Granitwerke  zu  sehen,  welche  hohe 
künstlerische  Ausdrucksmöglichkeiten  dieses 
Gestein  enthält.  Die  neue  Zeit  hat  eben  auch 
vor  den  Granitwerken  nicht  stillgestanden,  und 
an  Stelle  der  rein  industriellen  Herstellung  von 
Grabmälem  ist  die  Kunstindustrie  getreten,  die 
im  Verein  mit  der  Künstlerschaft  emsig  bei 
der  Arbeit  ist,  den  Granit  hinsichtlich  Form 
und  Farbe  zu  gestalten. 

Gerade  die  letzte  überrascht  uns  durch  ihre 
Mannigfaltigkeit  ganz  besonders.  Es  war  eben 
eine  Laune,  den  tiefschwarzen  Grabstein  allen 


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101 


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GRABSTEINE  AUS  DUNKLEM,  MATT  GESCHLIFFENEM  GRANIT  VON  R.  LAUSCHKE  &  CO.,  EINBECK  D  URNENGRABMAL, 
ENTWORFEN  VON  HERMANN  BILLING-KARLSRUHE,  AUSGEFÜHRT  VON  HERM.  JAHN,  BERNECK 


anderen  vorzuziehen,  so  daß  man  sich  unter 
Granit  fast  gar  nichts  anderes  mehr  vorstellen 
konnte.  Nun  sehen  wir  mit  einem  Male,  in 
welch  zahlreichen,  oft  wundervollen  Varianten 
dieses  Material  vorkommt.  Wir  sehen  ferner, 
daß  es  gerade  auch  die  deutschen  Granite 
sind,  die  in  ihren  freundlicheren,  diskreteren 
Tönungen  im  Interesse  des  Friedhofsbildes 
vielfach  den  Vorzug  verdienen  vor  den  skan- 
dinavischen, hinter  deren  finsterer  Pracht  sie 
seither  zurückstehen  mußten. 

Die  grünen  Sorten  des  Harzes,  Odenwaldes, 
Fichtelgebirges  und  der  Lausitz,  die  mannig- 
fachen graublauen,  dunkel-  und  schwarzgrauen, 
wie  sie  in  allen  Granitgebirgen  Deutschlands 
vorkommen,  die  ebenfalls  weitverbreiteten  röt- 
lichen, sie  alle  werden  viel  mehr  zu  einer  ver- 
söhnlichen Friedhofsstimmung  beitragen,  als 
die  meist  ziemlich  anspruchsvollen  Farben  der 
schwedischen  Granite. 

Letztere  deshalb  verbannen  zu  wollen,  hieße 
trotzdem  zu  weit  gehen;  nur  sollen  sie  nicht 
allein  das  Feld  beherrschen.  Auch  gibt  es 
einzelne  Arten,  wie  den  hellblauen  und  dunklen 
Labradorgranit  und  ein  dunkelolivgrüner  Stein, 
die  sich  ganz  wundervoll  zur  plastischen  Be- 
arbeitung eignen  und  —  besonders  in  matt- 
geschliffenem   Zustand    —    vorzüglich    jedem 


Friedhof  einfügen.  Unsere  Grabmalschau  ent- 
hält davon  viele  Beispiele. 

Wir  haben  bereits  verschiedene  Male  von 
der  Bearbeitungsweise  gesprochen.  Hierzu  ist 
in  erster  Linie  die  Oberflächenbehandlung  zu 
rechnen.  Wenn  schon  bei  dem  weichen  Mar- 
mor ein  sinngemäß  angeordneter  Wechsel 
zwischen  rauhen  und  geschliffenen  Flächen 
ansprechend  und  belebend  wirkt,  so  ist  dies 
bei  dem  harten  Granit  um  so  mehr  der  Fall, 
als  sich  hier  der  Bearbeitungsgrad  in  weit 
höherem  Maße  steigern  läßt.  Von  gestockt 
über  gespitzt,  matt-  und  feingeschliffen  bis  zur 
Politur  geht  die  Stufenleiter  und  damit  der 
Grad  der  Intensität,  in  der  sich  die  dem  Ma- 
teriale  innewohnende  Farbe  kundgibt.  Dabei 
sind  alle  Bearbeitungsformen  unbedingt  haltbar 
und  gehen  nicht  ineinander  über,  wie  dies  bei 
anderen  Gesteinen  der  Fall  ist. 

Ganz  besonders  ist  die  Anwendung  verschie- 
dener Behandlungsarten  da  geboten,  wo  es  sich 
um  die  Hervorhebung  markanter  Details  han- 
delt, indem  man  z.  B.  eine  polierte  Schrifttafel 
auf  einen  geschliffenen  Grund  legt  oder  eine 
geschliffene  Urne  auf  einen  rauhen  Sockel  stellt. 
Bei  dem  schönen  Denkmal  von  W.  Franke  auf 
unserem  Bilde  ist  z.  B.  das  aus  dem  gestockten 
Denkmalskörper  entwickelte  Kreuz  durch  die 


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102 


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O.FUCKERq GRABSTEIN  AUS  GRÜNEM  FICHTELGEBIRGS- 
GRANIT  □  AUSFÜHRUNG:  GRASYMA  A.-G.,  WUNSIEDEL 


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HtkM.BILLlNG  Q  GRABSTEIN  AUS  SCHWARZEM  GRANIT 
AUSFÜHRUNG:  M.  KOPPEL  &  SÖHNE,  NÖRDLINGEN 


HANS  DAMMANN  b  GRABSTEIN  AUS  GRAFENREUTHER 
GRANIT  □  AUSF.:   WILHELM  NETZSCH,  SELB  (BAYERN) 


GRABSTEIN  AUS  HELLEM, MATT  GESCHLIFF.  LABRADOR- 
GRANIT Q  ENTW.U.  AUSF.:  R.  LAUSCHKE  &CO  .,  EINBECK 


I        vji\ni-,ii    uMvjor.:    w  iLncLin   i'tc  1  ^.oi^n,  otLQ  (  Ort  I  CKi>  f  OKArN  l  l  B  ni^  1  w.u.  Auar.:  K.  LAUO^^HNt  Kt-U  .,  CltNött^l^ 


103 


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LUDWIG  F.  FUCHS    B    GRABSTEIN  AUS  SCHWARZEM, 
SCHWEDISCHEN  GRANIT  QAUSF.:  H.  A.  KLASZ,  LÖBAU 


W.  FRANKE    D    GRABSTEIN   AUS   LAUSITZER  GRANIT 
AUSFÜHR.  :G.  LIEBSCHER,  BEIERSDORF (OB.  LAUSITZ) 


tiefere  Tönung  des  Matt- 
schlifFes  nochmals  beson- 
ders markiert.  Bei  anderen 
Grabmälern  ist  man  sogar 
noch  weiter  gegangen  und 
hat  ein  poliertes  Ornament 
durch  einen  gespitzten 
Grund  von  dem  mattge- 
schliffenen Stein  abgeho- 
ben, so  daß  ein  Dreiklang 
von  Farben  entsteht. 

Die  geschliffene  Granit- 
skulptur erinnert  in  ihrem 
sammetweichen ,  matten 
Glanz  lebhaft  an  die  dunk- 
len japanischen  Bronzen. 
Gute  Beispiele  dafür  sind 
die  drei  Denkmäler,  welche 
die  Firma  R.  Lauschke  &  Co. 
ausgestellt  hat.  Daherkommt 
auch  der  schöne  Zusammen- 
klang von  Granit  und  Bron- 
ze. Auf  unserem  großen 
Bilde  des  Urnenweges  zeigt 
die  nach  einem  antiken  Vor- 
bild gearbeitete  Urne  im 
Vordergrund  links  eine  sol- 
che    Kombination,    indem 


AUG.  RUPP  B  URNE  AUS  DUNKLEM  GRANIT 
AUSFUHR.:  RUPP  &  MÖLLER,  KARLSRUHE 


bronzene  Henkel  an  den 
Urnenkörper  befestigt  sind. 
Bei  dem  hier  gewählten 
schönen  dunkellauchgrünen 
Harzgranit  wirkt  dies  beson- 
ders gut,  was  später,  wenn 
die  Henkel  einmal  Patina 
angesetzt  haben,  vielleicht 
noch  mehr  der  Fall  sein  wird. 
Die  künstlerische  Ge- 
samtleitung der  Ausstellung 
lag  in  den  Händen  des  Karls- 
ruher Oberbaurats  Dr.  H  er- 
mann BiLLiNG.  Mit  ihm 
haben  sich  Karlsruher,  Ber- 
liner und  vor  allem  Münch- 
ner Architekten  und  Bild- 
hauer daran  beteiligt  und 
eine  große  Zahl  ebenso  schö- 
ner wie  materialgerechter 
Grabsteine  und  Urnen  ge- 
schaffen, die  dem  Verständ- 
nis der  Künstler  für  das 
immerhin  etwas  spröde  Ge- 
stein wie  der  Leistungsfähig- 
keit der  beteiligten  Granit- 
werke das  beste  Zeugnis 
ausstellen.  L.  F.  Fuchs 


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104 


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ERNA  SANDIG 


EIN  STÄDTISCHER  WOHNSITZ  DER  GEGENWART 


Von  einem  höheren  Standpunkt  aus  gesehen, 
ist  es  aber  doch  im  Grunde  eine  Schein- 
kunst, und  jedenfalls  können  wir  uns  auf  die 
Dauer  mit  solchen  Lösungen  nicht  zufrieden 
geben,  meinte  der  Philosoph.  Es  war  kein 
Philosoph  im  gewöhnlichen  Sinne  des  Wortes, 
sondern  ein  richtiger,  staatlich  beglaubigter  Pro- 
fessor der  Weltweisheit  und  ein  kluger  und 
feinempfindender  Mensch  dazu.  Und  wir  spra- 
chen nicht  etwa  von  dem  neuesten  Manifest 
der  Futuristen  oder  von  dem  voraussichtlichen 
Ergebnis  des  Wettbewerbes  um  die  deutsche 
Botschaft  in  Washington,  sondern  von  dem 
Leipziger  Völkerschlacht-Denkmal.  Ich  hatte 
ihm  erzählt,  der  Kern  des  riesigen  Baues  sei 
Beton,  gegossen  und  gestampft,  und  das  drohende 
Eisengrau  des  Granits  sei  nur  wie  ein  Mantel 
um  dieses  massive  Gerüst  gelegt.  Es  sei  also 
im  Grunde  kein  Mal,  aus  gewachsenen  Steinen 
geschichtet,  sondern  ein  GuDwerk,  dem  man 
nur  um  des  äußeren  Eindrucks  willen  den 
Charakter  eines  Steinbaus  gegeben  habe.  Ver- 
gebens redete  ich  von  den  Pyramiden,  die  ja 
auch  über  einem  Kern  aus  Ziegeln  eine  Haut 
aus  geschliffenem  Kalkstein  oder  Basalt  trugen, 
vergebens  von  der  Konstantinsbasilika  und  ihrem 
opus  incertum,  und  daß  zu  allen  Zeiten  der 
Menschheitsgeschichte  die  Baukunst  sich  nicht 
gescheut  habe,  zweierlei  Arten  Material  in  ver- 
schiedener Bestimmung  an  einem  einzelnen 
ihrer  Werke  zu  verwenden.  Mein  Opponent 
bestand  darauf,  daß  die  Doktrin  von  der  Echt- 
heit des  Werkstoffes  nach  innen  und  nach  außer, 
die  er  für  gut  und  logisch  halte,  ihn  theore- 
tisch zur  Ablehnung  eines  Bauwerkes  zwingen 
müsse,  das  in  seinem  stofflichen  Charakter  mit 
zweierlei  Maß  gemessen  werden  wolle.    Beton 


sei  eben  Beton,  vielleicht  nichts  Unedleres  als 
echter,  erdgeborener  Stein,  aber  jedenfalls  be- 
rechtigt, auf  die  Wahrung  seiner  physiogno- 
mischen  Individualität  in  jeder  Art  seines  Auf- 
tretens zu  halten.  Wenn  man  ein  ewiges  Er- 
innerungsmal schaffen  wolle,  müsse  man  eben 
ruhig  Stein  auf  Stein  setzen,  und  nicht  ein 
trügerisches  Granitkleid  um  ein  eilfertig  zu- 
sammengerütteltes Maß  von  Zement,  Kieseln 
und  Sand  häufen.   Dixit  et  animam  salvavit. 

Daß  Dispute  wie  dieser  heute  nichts  Unge- 
wöhnliches mehr  sind,  muß  denen  fast  wunder- 
bar scheinen,  die  dem  Verhältnis  auch  des 
Gebildeten  zur  Architektur  etwa  im  Laufe  der 
letzten  zehn  Jahre  ein  wenig  nachgelauscht 
haben.  Mag  ruhig  einmal  ein  allzu  konse- 
quenter Kopf  sich  in  eine  Theorie  verstricken, 
die  historisch  geschulter  Einsicht  nicht  stand- 
hält. Das  Gesamtresultat  der  zahllosen,  ge- 
schriebenen und  geredeten  Erörterungen,  die 
sich  über  das  breite  Feld  der  Architektur  ge- 
rade in  den  jüngstvergangenen  zwei  bis  drei 
Lustren  ergossen  haben,  ist  doch  derart,  daß 
sich  der  Kulturbeobachter  der  Gegenwart  dar- 
über von  Herzen  freuen  kann.  Zu  den  prak- 
tisch fühlbarsten  Ergebnissen  dieser  erzieheri- 
schen Bewegung  rechne  ich  auch  das  wachsende 
Vertrauen  des  Bauherrn  in  seinen  Architekten. 
Wer  jemals  mit  Stein  und  Mörtel  zu  tun  gehabt 
hat,  weiß,  daß  die  Form  des  Zusammenarbei- 
tens.  die  auf  reinem  gegenseitigen  Vertrauen 
beruht,  durchaus  noch  nicht  zu  dem  schlecht- 
hin Natürlichen  im  Wirkungskreis  der  Bau- 
tätigkeit gehört.  Und  die  Frucht  einer,  so  unter 
den  liebevollsten  Empfindungen  geschlossenen, 
aber  unter  dauernden  und  wachsenden  Konflik- 
ten   vollzogenen    Ehe  zwischen    Bauherr   und 


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Dekorative  Kunst.  XVII.    3.    Dezember  1913 


105 


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§ 


9 


ARCH.  HANS  SANDiC   l>;,^  l_,Ak  .  i..\  AliCÜ.  i  LKT  j.  P.  GROSSMANN     Q     AUS  DEM  GAKILN   DES  HAUSLS  ü.  « 

RELIEF  VON  BILDHAUER  HENDRIK  VAN  OPHEMERT  f 

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108 


ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN 


HAUS  G.:  LAUBENGANG  ZUM  HAUPTEINGANG 


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ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN 


HAUS  G.:  HALLE  MIT  KAMIN 


Baumeister  ist  selten  der  Eitern  Freude.  Ein 
Menschenwerlc  aber,  das  nicht  in  Heiterkeit 
und  unter  freundlichen  Sternen  geschaffen  ist, 
ist  auch  nicht  imstande,  bei  denen  Freude 
und  Teilnahme  zu  erwecken,  die  es  brauchen 
und  die  es  schauen. 

Als  der  Dresdner  Architekt  Hans  Sandig 
den  Auftrag  erhielt,  das  Wohnhaus  zu  bauen, 
dessen  innere  und  äußere  Gestalt  diese  Ab- 
bildungen zeigen,  war  er  in  der  glücklichen 
Lage,  keine  programmatischen  Sonderwünsche 
ästhetischer  Art  bei  dem  Entwurf  berücksich- 
tigen zu  müssen.  Der  persönlichen  Gesinnung 
des  Bauherrn  gemäß  war  die  Forderung,  schönes 
und  echtes  Material  in  reichem  Maße  und  in 
sinnvoller  Verwendung  bei  der  Ausstattung  des 
Hauses  im  Innern  heranzuziehen.  Als  prak- 
tische Richtlinien  für  die  Raumverteilung  konnte 
folgendes  gelten:  die  für  den  Verkehr  mit 
Außenstehenden  und  für  die  gesellschaftliche 
Repräsentation  bestimmten  Räume  sollten  von 
denen  deutlich  getrennt  bleiben,  die  dem  per- 
sönlichen Gebrauch  der  sechsköpfigen  Familie 
zu  dienen  hatten.  So  blieb  das  Erdgeschoß 
völlig   den    Empfangszimmern    und    dem    Eß- 


zimmer, sowie  dem  Salon  der  Dame  vorbe- 
halten. Von  einem  Zentralraum,  der  den  Zu- 
gang zu  den  einzelnen  Zimmern  direkt  ver- 
mittelt, wurde  auf  ausdrücklichen  Wunsch  des 
Bauherrn  abgesehen,  der  auch  sein  eignes  Ar- 
beitszimmer scheinbar  nur  durch  das  Damen- 
zimmer betreten  kann,  wohl  aber  durch  eine 
besondere  Tür,  die  von  außen  nicht  zu  sehen 
ist,  zu  dem  Musiksaal  gelangt,  dessen  ungestörte 
Benutzung  seinen  musikalischen  Neigungen 
entspricht.  Erst  im  Obergeschoß  öffnet  sich, 
überraschend  für  den  über  eine  relativ  eng- 
gewundene Treppe  von  dem  schmalen  Eingangs- 
flur Aufsteigenden,  eine  große  Wohndiele.  In 
breiter,  stattlicher  Entfaltung  steigt  hier  die 
Treppe  zu  dem  zweiten,  schon  in  den  Dachraum 
eingefügten  Stockwerk  empor.  Das  Innere  des 
steilen  Daches  mit  seiner  breiten,  in  Mansar- 
den vorgeschobenen  Fensterreihe  wird  durch 
einen  großen  Turnsaal  eingenommen,  an  den 
sich  noch  kleinere,  sehr  behaglich  der  Schräge 
eingepaßte  Zimmergruppen  anschließen. 

Die  Situation  war  durch  die  Flucht  der  Tier- 
gartenstraße von  vornherein  in  bestimmterWeise 
bedingt.  Das  Grundstück  liegt  an  der  breiten 


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ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN  HAUS  G.:  DIELE  IM  OBERGESCHOSZ       ff 

Möbel  in  Palisanderholz  mit  grünen  Lederbezügen,  Holzverkleidung  und  Treppe  In  Padukholz  ausgeführt  von  den  «Deutschen  Werk-       f 

Stätten  für  Handwerkskunst'*,  Dresden-Hellerau  ^ 


110 


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ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN 


HAUS  G.:  SITZPLATZ  IN  DER  DIELE 


Ausführung:  .Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst*,  Dresden-Hellerau 


6 


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111 


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ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN    D    HERRENZIMMER  IM  HAUS  G.   El    VORHANGE  UND  TEPPICH  VON  ERNA  SANDIG       > 
Ausführung  der  Möbel   in  Wassereiche:    .Deutsche  Werlistäiten   für  Handwerltsliunst'',  Dresden-Hellerau;   des  Teppichs:    Wurzener       ; 

Teppich-  und  Veloursfabril^en,  Würzen  i.  S.  \ 


112 


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\  ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN  H  SPEISEZIMMER  IM  HAUS  G.  Q  ENTWURF  DES  BODENBELAGS  VON  ERNA  SANDIG  n 
l  Ausführung  der  Möbel  in  Zitronenholz,  der  Vertäfelung  in  weißem  Ahornholz:  „Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst",  f 
{  Dresdcn-Hellerau;  des  Bodenbelags  in  Grau,  Schwarz  und  Grün:  Wurzener  Teppich-  und  Veloursfabriken,  Würzen  ä 


Dekorative  Kunst.    XVII.    3.    Dezember  1913 


113 


15 


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9) 


Allee,  die  von  der  Stadt  aus,  der  Bürgerwiese 
und  der  Grenze  des  herrlichen  Kgl.  Großen 
Gartens  folgend,  dem  Zoologischen  Garten 
nachgeht  und  in  die  Vorstadt  Strehlen  mündet. 
Unter  den  mannigfachen  vorteilhaften  Wohn- 
lagen der  schönen  sächsischen  Residenz  ist  die 
am  Großen  Garten  wohl  die  vornehmste  und 
begehrteste.  Ein  besonderer  Reiz  der  Straße 
liegt  darin,  daß  die  Südseite  nicht  bebaut  ist, 
der  Blick  der  Anwohner  also  ungehindert  in  das 
saftige  Grün  des  ehrwürdigen  Baumbestandes 
des  alten  fürstlichen  Parkes  hinüberschweift. 
Das  Grundstück  liegt  in  dem  spitzen  Winkel, 
den  hier  die  Mozartstraße  mit  der  breiten  Tier- 
gartenstraße bildet;  die  Hauptachse  des  Hauses, 
senkrecht  zur  Straße,  geht  von  Nordosten  nach 
Südwesten.  An  den  rechteckigen  Baukörper 
schließt  sich  hinten,  durch  einen  niedrigen 
Saalbau  verbunden,  der  tiefer  liegende  und 
sehr   hohe  Wintergarten   an,  während  seitlich 


ARCH.  HANS  SANDIG-DRESDEN 

Ausführung  der  Möbel  und  Holzverkleidung; 


der  Automobilstall  anstößt.   Die  dreiteilige,  von 
glatten  Lisenen  gestraffte  Front  öffnet  sich  im 
Erdgeschoß   zu   einer  breiten  Veranda:   zwei 
Säulen    von    schlichtester  Bildung   tragen  das 
Obergeschoß;    in  weicher  Rundung,  von  fünf 
Lichtöffnungen    durchbrochen,   wölbt   sich  die 
Wand  des  in  der  Mitte  liegenden  Eßzimmers 
vor.    Die  Fronten  sind  in  kräftigem  Rauhputz 
aus  Terrasit  gehalten ;  das  kupferne  Walmdach 
gipfelt   in   einem  Dachreiter;   die  Essenköpfe 
nehmen   die   steile  Dachlinie   auf  und  stellen 
sich  symmetrisch  neben  die  deutliche  Vertikale 
des  Türmchens.    Die    äußere  Gliederung  der 
Baumasse  ist  mit  einem  Mindestmaß  von  Pro- 
filen und  Ziergliedern,  allein  durch  eine  fein- 
fühlige Durcharbeitung   der  Verhältnisse   und 
mit  schöner  Schattenwirkung  zu  stattlicher  und 
großzügiger  Erscheinung  gesteigert.    Während 
der  eigentliche  Vorgarten  niedrig  gelegt  wurde, 
und  hier,  gegenüber  der  Veranda,  an  der  Garten- 
mauer hinter  einem  quadra- 
tischen Teich  noch  ein  Bild- 
werk als  Blickabschluß  Platz 
finden  konnte,  ist  das  Niveau 
des  rhombischen  Gartenteils 
an  der  Ecke  erhöht  worden, 
um    hier    einen,    von    den 
Blicken   der  Passanten  un- 
behelligten Platz  zu  behag- 
lichem Verweilen  zu  schaf- 
fen.     Eine    ovale    Pergola 
nimmt  die  äußerste  Ecke  ein, 
ein  Laubengang   zieht   sich 
nach  Süden   hin  bis  zu  ei- 
nem Rosengarten,  der  in  der 
Flucht  des  Damenzimmers 
eine    anmutige   Fortsetzung 
der  heitern,  liebenswürdigen 
Raumstimmung  hier  bildet. 
Hat  der  Architekt  die  pla- 
stische Masse  des  Hauses, 
wie  sie  aus  dem  Grün  der  Um- 
gebung  herauswächst,    fest 
zusammengehalten  und  mit 
guter  Beherrschung  der  Mit- 
tel zum  Charakter  eines  herr- 
schaftlichen Wohnsitzes  ge- 
steigert, so  konnte  er  in  der 
Durchbildung    des     Innern 
dem  Wunsche  seines  Bau- 
herrn nach  prächtiger  stoff- 
licher Gediegenheit  in  reich- 
stem Maße  nachkommen.  Es 
kann    zu   seinem,   nicht  zu 
unterschätzenden  Lobe  ge- 
sagt werden,  daß  er  sich  hier 
von  dem  Reichtum  der  ihm 
zu  Gebote  stehenden  Mittel 


BILLARDZIMMER  IM  HAUS  G. 
Udlufi  &  Hartmann,  Dresden 


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114 


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ERNA  SANDIG-DRESDEN  Q  HAUS  G.:  BRONZEGITTER  DER  FENSTER  IM  MUSIKZIMMER 
Ausführung:  Kunstschlosser  Max  GroDmann,  Dresden 


niemals  hat  verleiten  lassen,  des  Guten  zuviel 
zu  tun.  Mit  ruhigem  Geschmack  haben  er  und 
seine  Gattin,  die  sich  an  der  farbigen  Durchbil- 
dung der  Räume  mit  Erfolg  beteiligt  hat,  und  der 
eine  Anzahl  Elemente  der  Innenausstattung, 
Ziergitter,  Teppiche,  Vorhänge,Tischdecken  und 
Malereien  ihre  Entstehung  verdanken,  aus  den 
Materialien  das  für  den  jeweiligen  Raumcharak- 
ter Passende  ausgewählt  und  so  eine  Anzahl  von 
Wohnräumen  geschaffen,  die  in  ihrer  Einheitlich- 
keit von  Möbeln,  Beleuchtungskörpern  u.  dgl. 
schöne  Proben  moderner  Innenkunst  darstellen. 
Die  Halle  zeigt  bei  einer  Wandbespannung  von 
lebhaft  farbigem  Stoff  alle  Holzteile  in  Maha- 
goni; der  mächtige  Kamin  ist  aus  dunkelgrünen 
Kacheln  mit  handmodellierten  Zierstücken,  die 
Möbel  sind  mit  einem  zartgrauen  Seidenstoff 
bezogen.  Das  Eßzimmer  ist  durch  den  hellen 
Ton  von  Zitronenholz  und  Ahorn  graziös  und 
freundlich  gestimmt,  in  Vorhängen  und  Teppich 
spielt  daneben  ein  kräftiges  Grün  eine  Rolle. 
Im  Damenzimmer  wurde  der  kecke  Akkord 
Rosa-Blau,  rotes  Amarantholz  und  blauer  Wand- 
und  Möbelstoff, angeschlagen; im  Herrenzimmer 
hebt  sich  das  derbe  Saffianrot  der  Lederbezüge 
von  dem  ruhigen  Grau  der  Wassereiche  ab. 
Ein  kunstvoll  vergrautes  Mahagoni  im  Verein 
mit  dem  aus  Blau  und  Grau  gewebten  Muster 
der  Möbelbezüge,  nach  einem  von  Josef  Hoff- 
mann gezeichneten  Entwurf,  vereinigt  sich  in 
dem  Musiksaal  mit  dem  schimmernden  Gelb 
des  Marmors. 


Die  Räume  des  Hauses  sind  aber  nicht  nur 
als  künstlerische  Einzelwerte  angemessen 
durchgebildet,  sondern  auch  in  ihrem  Zu- 
sammenwachsen zu  dem  Organismus  eines 
vornehmen  bürgerlichen  Haushaltes  als  Funk- 
tionstypen mit  klarem,  sachlichem  Empfinden 
aufgefaßt.  Als  ein  kleiner  Triumph  der  Raum- 
ökonomie kann  es  gelten,  wenn  der  Architekt 
im  Kellergeschoß  außer  einem  Billardzimmer 
ein  leibhaftiges  Schwimmbad  einbauen  konnte, 
das  durch  einen  neben  den  Schlafzimmern 
liegenden  Personenaufzug  leicht  erreicht  wer- 
den kann,  ohne  daß  der  Benutzer  mit  dem 
Betrieb  des  Hauses  sonst  irgendwie  in  Be- 
rührung kommt. 

Man  ist  heute  vielfach  noch  geneigt,  Dres- 
den für  eine  Art  Phäakenstadt  zu  halten,  in 
der  Leute  mit  solidem  finanziellem  Hinter- 
grund in  Ruhe  sich  ihres  Daseins  freuen,  wo  das 
Jagen  des  modernen  Wirtschaftslebens  nur  von 
weitem  vernommen  wird.  Diese  Auffassung 
Lügen  zu  strafen,  braucht  man  nur  auf  den 
Mangel  an  großangelegten,  wirklich  modernen 
Einzel  wohnhäusern  hinzuweisen, der  die  jüngere 
bauliche  Entwicklung  der  Stadt  mit  charakteri- 
siert. Der  Dresdner  wohnt  wohl  gern  behag- 
lich und  ruhig,  aber  er  ist  in  seinen  An- 
sprüchen im  allgemeinen  bescheiden  und  sogar 
altmodisch.  Das  Haus  Hans  Sandigs  darf  unter 
den  Bauten,  die  diese  Lücke  auszufüllen  im- 
stande sind,  von  nun  an  nicht  mehr  übersehen 
werden.  E.  Haenel 


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115 


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JUL.  V.  GULDBRANDSEN 


WINTERFRIEDE 


Die  Erkenntnis,  daß  für  die  Veredelung 
unserer  kunstgewerblichen  Erzeugnisse 
die  gemeinsame  Arbeit  von  Künstler  und  Fa- 
brikant unerläßlich  ist,  hat  trotz  aller  Vorur- 
teile, Enttäuschungen  und  Hemmungen  in  den 
letzten  Jahren  sehr  an  Boden  gewonnen,  so 
daß  wir  selbst  aus  kleinen,  abseits  gelegenen 
Industrieorten  heute  schon  manches  Gute  er- 
halten. So  hat  auch  die  Porzellan fabrik  Ph. 
Rosenthal  &  Co.  in  Selb  ihrem  für  die 
Massenerzeugung  guter  Gebrauchsware  einge- 
richteten Betrieb  eine  Kunstabteilung  ange- 
gliedert und  eine  stattliche  Zahl  vortrefflicher 
plastischer  Arbeiten  auf  den  Markt  gebracht, 
die    auf  den  Ausstellungen    der  letzten  Jahre 


HEINRICH  VOGELER 


DIE  HEIL.  DREI  KÖNIGE 


die  wohlverdiente  Anerkennung  fanden.  Köst- 
liche Früchte  ihres  Zusammenarbeitens  mit 
Künstlern  sind  auch  die  Weihnachtsteller,  mit 
denen  sie  einen,  besonders  in  den  nordischen 
Ländern  heimischen  Brauch  wieder  aufgenom- 
men und  für  Freunde  guten  Porzellans  liebens- 
würdige kleine  Kunstwerke  geschaffen  hat. 
Daß  sie  dafür  die  Unterstützung  so  verschie- 
denartiger Künstler  fand,  wie  die  vier,  welche 
die  hier  abgebildeten  Teller  entworfen  ha- 
ben —  für  die  der  nächsten  Jahre  wurden 
Leo  Putz  und  Ludwig  von  Zumbusch  gewon- 
nen — ,  verleiht  diesem  „Sammelobjekt"  einen 
besonderen  Reiz  und  erhöhtes  Interesse.  Die 
Teller   haben  einen  Durchmesser  von  21  cm. 


PAUL  RIETH  STERNSCHNUPPEN  JULIUS  DIEZ  FESTLICHTER       > 

WEIHNACHTSTELLER  DER  PORZELLANFABRIK  PH.  ROSENTHAL  &  CO.  A.-G.,  SELB  (BAYERN)  f 

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116 


MODERNE  ILLUSTRATIONSKUNST 

Mit  dem  Beginn  der  modernen  kunstgewerblichen  Bewegung 
ist  die  Kunst,  Bücher  zu  illustrieren,  in  ein  neues  Stadium 
getreten.  Das  19.  Jahrhundert  war  gewiß  nicht  arm  an  künst- 
lerischen Kräften  auf  dem  Gebiet,  aber  die  Verteilung  war 
etwas  ungleich  und  das  allgemeine  Niveau  nicht  hoch  genug,  als 
daß  man  an  allen  Hervorbringungen  reine  Freude  hätte  empfinden 
können.  Es  gibt  einige  Höhepunkte,  hervorragende  Erscheinun- 
gen von  bedeutenden  Fähigkeiten  und  daneben  die  große  Menge 
der  mehr  oder  weniger  geschickten  Talente,  die  die  Buchillustra- 
tion als  nichts  weiter  denn  als  einen  lohnenden  Erwerbszweig 
betrachten.  Ein  Künstler  wie  Menzel  hatte  allerdings  ganz  be- 
sondere Verdienste,  aber  der  Stil  seiner  Zeit,  das  Wollen  seiner 
Umgebung  entspricht  nur  wenig  unseren  Ideen.  Die  offizielle 
Buchillustration  in  der  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts,  wie 
sie  etwa  Paul  Thumann  vertritt,  bedeutet  direkt  den  größten 
Tiefstand,  den  unsere  angewandte  Graphik  bisher  erlebt  hat. 
Noch  die  Romantik  hatte  eine  Kunst  hervorgebracht,  die 
bedeutende  Werte  in  sich  schließt,  vor  allem  wenn  man  die  aus- 
ländischen Produkte,  Frankreich  und  England,  in  Betracht  zieht. 
Männer  wie  Pocci,  Richter,  Schwind  und  andere  mehr  hatten 
auch  bei  uns  einen  Stil  gefunden,  der  dem  Zweck  der  Illustration 
sehr  gut  angepaßt  war.  Die  mehr  auf  das  Realistische  gerich- 
tete Kunst  vom  Ende  des  Jahrhunderts  hat  dagegen  einen  sehr 
unheilvollen  Einfluß  ausgeübt.  Der  Illustrator  verlor  in  dem  Be- 
streben, nichts  als  eine  möglichst  getreue  Abschrift  der  Wirk- 
lichkeit zu  geben,  jede  Fähigkeit  zu  eigener  phantasievoller 
Gestaltung,  und  gleichzeitig  kam  ihm  auch  das  Gefühl  für  das 
rein  Buchgewerbliche  der  Aufgabe  abhanden,  wonach  eine  Illu- 
stration auch  als  ein  materieller  Bestandteil  des  Buches  zu  be- 
trachten ist.  Die  Illustration  ist  ein  Teil  einer  buchkünstleri- 
schen Idee,  die  rein  äußerlich  mit  dem  Buche  zusammenhängt, 
die  aber  auch  in  inneren  Beziehungen  zu  ihm  steht  und  den 
Text  in  gewisser  Weise  selbständig  begleitet.  Nicht  jeder  be- 
liebige Roman  eignet  sich  dazu,  in  die  Welt  des  Zeichners  über- 
setzt zu  werden,  ebenso  wie  nicht  jeder  Künstler  für  jeden 
Stoff  geschaffen  ist.  Die  Illustration  als  bildlicher  Bericht  von 
einem  mit  Worten  geschilderten  Tatbestand  ist  heute  keine  Kunst 
mehr,  das  besorgt  die  Photographie  und  die  mechanische  Re- 
produktion, die  vor  der  alten  graphischen  Illustration  noch  das 


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117 


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EMIL  PREETORIUS-MONCHEN  B  LITHOGRAPHIEN  ZU:  NIEBERGALL  .DATTERICH" 

INSEL-VERLAG,  LEIPZIG 


voraus  hat,  daß  sie  zuverlässiger  ist.  Die  Illu- 
stration als  Kunst,  wie  sie  unsere  modernen 
Graphiker  geschaffen  haben,  mußte  nach  einer 
ganz  anderen  Richtung  gehen,  wenn  sie  eigene 
Werte  hervorbringen  wollte.  So  wurden  vor 
allem  zwei  Fragen  für  die  neue  Generation  be- 
stimmend. Die  erste  betraf  mehr  das  Aeußere 
und  war  beeinflußt  von  der  kunstgewerblichen 
Bewegung.  Das  Wichtigste  war  dabei,  wie  die 
Illustration  den  rein  buchkünstlerischen  Elemen- 
ten des  Buches  angepaßt  werden  kann,  inwieweit 
die  Schrift  und  der  Satzspiegel  das  Bild  modi- 
fizieren und  wie  das  Ornament  mit  ihm  in  Ver- 
bindung zu  bringen  ist.  Die  zweite  Frage  war 
rein  künstlerischer  Art  und  ging  vor  allem 
darauf  aus,  festzustellen,  inwieweit  der  Künst- 
ler befähigt  ist,  in  seinen  Bildern  etwas  dem 
Text  Gleichwertiges  zu  schaffen,  das  nicht  bloß 
die  Handlung  schildert,  sondern  das  auch  den 
Geist  und  Stimmungsgehalt  des  Dichtwerkes 
ausdrückt. 

Einer  der  Führer  auf  dem  Gebiete  der  neu- 
zeitlichen Buchillustration  war  unzweifelhaft 
Josef  Sattler,  der  von  einem  weittragenden 
Einfluß  auf  unsere  Kunst  geworden  ist.  Man 
könnte  ihn  in  mancher  Beziehung  mit  William 
Morris,  dem  Erneuerer  der  englischen  Buch- 
kunst, vergleichen,  wenn  seine  ganze  Art  nicht 
sehr  wesentlich  von  der  des  Engländers  ver- 


•)  Die  diesem  Aufsatz  beigefügten  Abbildungen  wurden  fast  aus- 
nalimslos  wesentlich  verkleinert. 


schieden  wäre.  Doch  ist  gerade  dieser  Gegen- 
satz charakteristisch.  Die  Morris-Schule  wurde 
viel  mehr  für  das  rein  Gewerbliche  als  für  das 
Illustrative  vorbildlich.  Wenn  auch  Künstler 
wie  Walter  Grane  und  Burne  Jones  bildliche 
Beigaben  zu  Büchern  gezeichnet  haben,  so  ist 
ihr  Stil  doch  nicht  eigentlich  illustrativ.  Sie 
erfinden  Kompositionen,  die  mit  dem  Text  in- 
haltlich nur  lose  in  Beziehung  stehen  und  in 
ihrer  strengen  Stilisierung  fast  ebensogut  auch 
als  Wandgemälde  zu  denken  wären.  Die  schlan- 
ken Idealfiguren  der  englischen  Illustratoren  ha- 
ben unsere  Künstler  nicht  allzuviel  beeinflußt. 
Die  Neigung  zum  Altertümlich-Retrospektiven 
wandte  sich  bei  uns  naturgemäß  mehr  den  ein- 
heimischen Vorbildern  zu,  und  an  Stelle  des 
Präraffaelitismus  finden  wir  bei  uns  Bilder,  die 
den  kräftigen  Holzschnitten  der  Dürerzeit  am 
meisten  ähnlich  sehen.  Die  Illustrationen  Satt- 
lers zur  „Geschichte  der  rheinischen  Städte- 
kultur"  von  Boos  sind  wohl  die  hervor- 
ragendsten Erzeugnisse  dieser  Illustrations- 
kunst, markant  und  kraftvoll  im  Strich  und  von 
einer  vorzüglichen  Schwarz  Weiß-Wirkung,  die 
sie  in  einen  ganz  auffälligen  Gegensatz  zu  der 
malerisch  aufgefaßten  Illustration  der  vorange- 
gangenen Generation  setzt.  Sie  stellen  sich 
auch  als  ganz  freie  Interpretationen  des  Textes 
dar,  wie  es  dann  besonders  bei  dem  Haupt- 
werk Sattlers  der  Fall  ist,  den  „Nibelungen"  der 
Reichsdruckerei,  das  noch  mehr  nach  Seite  des 


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118 


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Monumentalen  und  Buchgewerblichen  neigt.*) 
Was  wir  hier  sehen,  das  sind  große  farbige 
Bilder,  mit  sehr  einfachen  Mitteln  unter  Be- 
schränkung auf  wenige  Figuren  gemacht,  und 
daneben  Schriftseifen  in  einer  altertümlichen 
Type  —  ein  buchkünstlerisches  Prachtwerk, 
ein  richtiges  Gegenstück  zu  dem  „Chaucer"  von 
Morris,  das  ohne  jede  Wirkung  auf  die  breite 
Masse  sein  wird. 

Der  monumentale  Stil  in  der  Buchillustration 
hat  bei  uns  sehr  viel  Anhänger  gefunden.  Die 
Richard  Wagner- Begeisterung  gab  ihm  Nahrung, 
man  schwelgte  in  Parsifal-Stimmung  oder  be- 
rauschte sich  an  dem  romantischen  Meister- 
singer-Milieu, das  von  der  Neu-Renaissance- 
bewegung  her  noch  so  gut  bekannt  war.  Die 
Unternehmungen,  die  der  Verlag  Fischer  & 
Franke  mit  mehr  Begeisterung  als  materiellem 
Erfolg  ins  Leben  rief,  bewegen  sich  fast  aus- 
nahmslos in  diesem  Kreise.  Als  ein  robuster 
und  sehr  produktiver,  aber  bei  weitem  künst- 
lerisch nicht  so  ernst  zu  nehmender  Gefolgs- 


•)  Vgl. „Dekorative  Kunst"  Juniheft  1905.  S. 337-344. 


mann  Sattlers  hat  sich  vor  allem  Franz  Stas- 
SEN  erwiesen,  der  zum  „Parsifal",  zu  »Tristan 
und  Isolde",  „Walther  von  der  Vogelweide"  u.a. 
große  Kompositionen  entworfen  hat,  die  vor 
allem  in  den  erstgenannten  Werken  als  groß- 
zügig monumentale  Schöpfungen  genommen 
sein  wollen.  Der  Künstler  pflegt  sich  nicht 
damit  zu  begnügen,  Bilder  zu  zeichnen,  die 
in  den  Text  hineingestellt  werden,  er  umgibt 
sie  gewöhnlich  noch  mit  reichen  Umrahmun- 
gen, die  teilweise  auch  bildmäßig  ausgestaltet 
und  mit  einer  archaisierenden  Linienornamentik 
versehen  sind,  die  oft  in  etwas  fataler  Weise 
an  den  Jugendstil  erinnert  und  die  Illustra- 
tion selbst  nicht  immer  günstig  beeinflußt.  Er 
liebt  reckenhafte  Helden  und  edle  Frauen, 
schroffe  Felsen  und  große  ziehende  Wolken. 
Barlösius  bevorzugte  an  Stelle  des  pathe- 
tischen den  volkstümlichen  Ton  und  hat  in 
ganz  engem  Anschluß  an  Josef  Sattler  eine 
Anzahl  von  Buchillustrationen  geschaffen,  die 
durch  die  kraftvolle  Zeichnung  und  die  Sicher- 
heit der  Komposition  für  sich  gewinnen  und 
die  außerdem  das  Gute  haben,   daß  sie  auch 


eJ       EMIL  PREETORIUS-MÜNCHEN  D  ILLUSTRATIONEN   AUS:  JEAN  PAUL  „DES   LUFTSCHIFFERS   GIANOZZO  SEEBUCH" 
9  INSEL-VERLAG,  LEIPZIG 


119 


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ALOIS  KOLB-LEIPZIG  G  LAGERSZENE 

VERLAG: 


ZEICHNUNG  ZU:  KLEIST,  MICHAEL  KOHLHAAS 
FRITZ  HEYDER,  BERLIN-ZEHLENDORF 


vorzüglich  mit  der  Schrift  zusammenkomponiert 
sind.  Als  Material  ist  meist  in  diesen  Büchern 
ein  kräftiges  Büttenpapier  verwendet,  von  dem 
sich  sehr  wirkungsvoll  die  kräftige,  alten 
Charakteren  nachgezeichnete  Schrift  abhebt. 
Der  Umstand,  daß  diese  Bilder  ganz  und  gar 
den  alten  Meistern  nachgebildet  sind  und  in 
ihrer  etwas  krampfhaften  Stilisierung  im  In- 
nersten unwahr  und  konventionell  wirken, 
macht  sie  für  uns  kaum  mehr  recht  genieß- 
bar. Ungleich  ernsthafter  erscheinen  daneben 
die  ganz  bildmäßig  ohne  Verwendung  von 
Buchschmuck  behandelten  Illustrationen,  die 
Robert  Engels  zu  Bediers  Roman  von  Tristan 
und  Isolde  1901  gezeichnet  hat.  Sie  sind  wohl 
romantisch  empfunden,  aber  doch  mit  den  Augen 
eines  modernen  Malers  gesehen  und  nicht  kon- 
ventioneller in  der  Form  als  eben  der  Vorwurf 
es  erfordert.  Die  zweite  größere  Arbeit  von 
Engels,  die  Bilder  zu  den  Balladen  von  Börries 
Freiherrn  von  Münchhausen  (Verlag  Egon  Flei- 
schel&Co.,  Berlin),  sind  weniger  auf  die  Farbe 
als  auf  die  Linie  hin  komponiert  und  machen 
fast  den  Eindruck  von  kolorierten  Holzschnitten, 
die  von  alten  Holzschnittbüchern  aus  der  Blüte- 
zeit der  deutschen  Buchillustration  in  der  ersten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  Anregung  empfan- 
gen haben.  Das  Werk  wäre  vielleicht  noch  mehr 
zu  rühmen,  wenn  die  ornamentalen  Leisten,  die 
Titel  und  Textseiten  umrahmen,  weggeblieben 
wären.  Von  dem  Manierismus  des  archaischen 
Stils  hat  sich  auch  Alois  Kolb  frei  gemacht. 


der  noch  in  den  letzten  Jahren  ein  paar  kost- 
bare Werke  mit  monumentalen  Illustrationen 
ausgestattet  hat.  Die  Bilder  zu  Ibsens  „Kron- 
prätendenten", die  in  der  Leipziger  Akademie 
für  graphische  Künste  und  Buchgewerbe  für 
die  Gesellschaft  der  Bibliophilen  1911  gedruckt 
wurden,  ebenso  wie  die  zu  Kleists  „Michael 
Kohlhaas"  (Verlag:  Fritz  Heyder,  Berlin)  sind 
Radierungen  rein  figürlich-romantischen  Cha- 
rakters, die  über  dem  Durchschnitt  solcher  oft 
etwas  sentimental  aufgefaßten  Illustrationen 
stehen,  wenn  man  vielleicht  auch  in  der  Durch- 
bildung von  Einzelheiten  manches  an  ihnen 
auszusetzen  haben  wird. 

Die  Bestrebungen,  die  in  diesen  Pracht- 
werken sich  äußern,  wurden  in  sehr  verdienst- 
voller Weise  popularisiert  durch  die  Serien  von 
billigen,  aber  gut  ausgestatteten  Büchern,  wie 
der  „Jungbrunnen",  „Der  deutsche  Spielmann", 
„Teuerdanck",  die  ebenfalls  der  Verlag  Fischer 
&  Franke  veranlaßt  hat.  In  der  Zeit  der  Kunst- 
wart-Bestrebungen,  die  sich  an  Schlagworten, 
wie:  die  Kunst  für  das  Volk,  die  Jugend  und 
die  Kunst  begeisterte,  taten  diese  Bücher  eine 
bedeutende  Wirkung.  Vor  allem  sind  sie  auch 
sehr  wichtig  für  die  Entwicklung  unserer  Illustra- 
tionskunst geworden.  Ein  Künstler  wie  Rudolf 
ScHiESTL  übersetzte  den  mittelalterlichen  Stil 
von  Sattler  und  Barlösius  noch  weiter  ins 
Volkstümliche,  indem  er  den  scharfen  Kontur 
des  Holzschnittstils  und  die  archaisierende 
Auffassung    beibehielt  und  sie  nur  etwas  ins 


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120 


ALOIS  KOLB-LEIPZIG  El  RADIERUNG  ZU:  KLEIST  .MICHAEL  KOHLHAAS" 
VerUg:  Fritz  Heyder,  BcrUn-Zchlendorr 


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FERDINAND  STAEGER-MONCHEN 


ZEICHNUNGEN  ZU  UHLANDS  GEDICHTEN 
VERLAG:  GERLACH  &  WIEDLING,  WIEN 


Malerische  transponierte ;  ein  anderer  bekann- 
ter Illustrator,  Julius  Diez,  durchsetzte  ihn 
mehr  mit  grotesken  und  komischen  Elementen, 
versah  ihn  mit  kunstgewerblichen  Beigaben 
und  wurde  so  das  Haupt  einer  Schule,  die 
auf  die  Münchner  Kunst  nachhaltig  eingewirkt 
hat.  Andere  verzichteten  auf  den  kräftigen 
Holzschnitt-Charakter  und  auf  seine  markante 


lineare  Wirkung,  brachten  mehr  lyrische  Stim- 
mungen zum  Ausdruck  und  ergriffen  auch  von 
dem  modernen  Leben  Besitz,  indem  sie  die 
Landschaft  mit  in  den  Darstellungskreis  ein- 
bezogen. So  finden  wir  in  der  Zahl  dieser 
Illustratoren  Ernst  Liebermann,  J.V.CissARZ, 
Edmund  Steppes,  Hans  von  Volkmann, 
Franz  Hoch,  Horst  Schultze  u.  a.  m.,  die 


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a       HUGO  STEINER-PRAG,  LEIPZIG  ZEICHNUNGEN  ZU  LENAUS  GEDICHTEN      , 

■<  VERLAG:  GERLACH  &  WIEDLING,  WIEN 

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Dekorative  Kunst.     XVII.    3     Dezember  1913 


121 


16 


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ZU  unseren  bekannten  Landschaftern  gehören. 
Trotz  der  feinen  malerischen  Stimmung,  die 
auszudrücken  sie  sich  bemühen,  —  sie  verwen- 
den gerne  die  Lithographie  zur  Darstellung,  — 
sind  sie  doch  weit  entfernt  davon,  die  rein 
naturalistische  Art,  Bücher  zu  illustrieren,  an- 
zuwenden. Sie  stilisieren  das  Naturvorbild, 
indem  sie  es  kompositioneil  zu  gliedern  ver- 
suchen, in  Form  und  Farbe  sich  auf  wenige 
Kontraste  beschränken  und  durch  interessante 
Perspektiven  und  Ueberschneidungen  eine  nu- 


anciertere  Kunst   pflegen,    die  von   einer  be- 
deutenden Anregungskraft  ist. 

Der  etwas  sentimentale  Ton,  der  in  vielen 
dieser  Bilder  als  Grundakkord  mitklingt,  ent- 
spricht einer  Stimmung  der  Zeit.  Hohe  Berg- 
höhen mit  ziehenden  Wolken,  versteckte  Bänke 
mit  träumenden  Jünglingen,  Mädchen  in  länd- 
lichen Kostümen,  in  solchen  Bildern  erging 
sich  unsere  Kunst  vor  zehn  Jahren  besonders 
gern.  Ein  zweites,  für  die  Entwicklung  der 
modernen    Buchillustration    wichtiges    Unter- 


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C.  O.  CZESCHKA-HAMBURG 


VERLAG:  GERLACH  &  WIEDLING,  WIEN 


BILDER  ZU  .DIE  NIBELUNGEN' 


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122 


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nehmen  war  ebenfalls  in  der  Hauptsache  auf 
diesen  Ton  gestimmt.  Wir  meinen  die  Jugend- 
bücher, die  der  Verlag  Gerlach  &  Wiedling  in 
Wien  herausgegeben  hat.  Diejugendschriften- 
und  Bilderbücher-Illustration  stellt  ein  relativ 
abgeschlossenes  Gebiet  dar,  für  das  ein  anderer 
Maßstab  anzulegen  ist,  und  das  auch  in  der 
Hauptsache  von  Künstlern  gepflegt  wird,  die 
Spezialisten  sind.  Doch  sind  naturgemäß  die 
Beziehungen  zur  Buchillustration  sehr  enge. 
In  neuerer  Zeit  kann  man  sogar  die  Beobach- 


tung machen,  daß  Künstler,  die  durchaus  nicht 
die  Absicht  haben,  Zeichnungen  für  die  Jugend 
zu  schaffen,  in  Werken,  die  durchaus  lite- 
rarisch gedacht  sind,  gerne  solche  Stoffe  be- 
handeln, die  in  das  Gebiet  der  Märchenpoesie 
fallen.  Auf  der  anderen  Seite  ist  zu  sagen, 
daß  viele  Jugendbücher  viel  zu  ernsthaft  be- 
handelt sind,  um  ausschließlich  als  Jugend- 
lektüre zu  dienen.  So  unterscheiden  sich  durch 
ihren  beinahe  artistischen  Charakter  die  illu- 
strierten   Bücher    der    Gerlachschen   Jugend- 


im 

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C.  O.  CZESCHKA-HAMBURG 


VERLAG:  GERLACH  &  WIEDLING,  WIEN 


BILDER  ZU  .DIE  NIBELUNGEN« 


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JOSEF  VON  DIVfiKY-BROSSEL  □    MONATSBILDER  MAI  UND  OKTOBER  FÜR  EINEN  ALMANACH  DER  .GESELLSCHAFT 

FÜR  GRAPHISCHE  INDUSTRIE',  WIEN 


bücherei  sehr  wesentlich  von  den  eben  be- 
schriebenen Unternehmungen.  An  Stelle  der 
Linie  und  des  einfachen  Schwarz- Weiß-Bildes 
finden  wir  hier  farbige,  mit  sehr  viel  Aufwand 
von  darstellerischen  Mitteln  gezeichnete  Bilder, 
die  zum  großen  Teil  auch  den  Sattlerschen 
Archaismus  überwunden  haben.  An  seine 
Stelle  ist  eine  sehr  stark  lyrisch  angehauchte 
Stimmungskunst  getreten,  die  oft  mit  fast 
raffinierten  Mitteln  arbeitet.  Ferdinand 
Staeger,  dessen  Namen  man  in  den  letzten 
Jahren  sehr  häufig  in  illustrierten  Zeitschriften 
begegnet  ist,*)  hat  zu  Uhlands  Gedichten  sehr 
merkwürdige  Federzeichnungen  geliefert,  die 
mit  einer  etwas  wirren  Linienkunst  doch  sehr 
interessante  Wirkungen  erzielen.  Hugo  Steiner- 
Prag  hat  auch  seine  ersten  Illustrationen  für  die 
Jugendbücherei  gefertigt  und  bereits  hier  den 
Stil  gefunden,  dem  er  bis  jetzt  treu  geblieben 
ist.  Seine  Bilder  zu  Lenaus  Gedichten  und 
zu  Andersens  Märchen  haben  vor  allem  in  den 
mehr  ornamentalen  Teilen  außerordentlich  viel 
Reiz.    Manche  dieser  Bildchen  sind  zu  kleinen 


Kabinettstückchen  graphischer  Kunst  ausge- 
staltet, wie  wir  sie  in  den  späteren  Werken 
des  Künstlers  eigentlich  nicht  wieder  finden. 
Die  Illustrationen  zu  Hoffmanns  „Elexiere  des 
Teufels",  die  Steiner  1907  für  den  Veriag  Grote 
gefertigt  hat,  sind  äußerlich  bedeutender,  vor 
allem  durch  die  ganzseitigen  Bilder,  die  rein 
malerisch  behandelt  sind.*)  Der  romantische 
Einschlag  seiner  Kunst  kommt  aber  mehr  noch 
in  den  kleineren  Bildbeigaben  in  Federzeich- 
nungs-Manier zur  Geltung,  ebenso  wie  er  auch 
in  seinen  Bildern  zu  „Till  Eulenspiegel "  domi- 
niert. Hier  haben  wir  in  der  Auffassung  man- 
ches von  der  Art  der  Sattler-Schüler,  aber  im 
einzelnen  wie  ganz  anders  ist  das  alles  ge- 
zeichnet !  Wie  viel  tiefer  und  beweglicher  ist 
diese  Kunst,  und  wie  plump  nimmt  sich  daneben 
ein  Entwurf  von  Barlösius  aus!  —  Interessant 
sind  vor  allem  die  aus  der  Wiener  Schule 
hervorgegangenen  Schöpfungen,  die  naturgemäß 
der  Verlag  bevorzugen  mußte.  Berthold 
LöFFLER,  Dellavilla,  C.  O.  Czeschka  sind  die 
hauptsächlichsten  Vertreter   der  Wienerischen 


3    *)Vgl.„DekorativeKunst"Märzheft  1913 S.  285— 290.      *)Vgl.„DekorativeKunst"Oktoberheft  1911  S. 33-40. 


124 


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Illustrationskunst,  die  mehr  als  jede  andere  auf  net  hat,  sind  ohne  den  Einfluß  des  Wiener 
den  ersten  Blick  zu  erkennen  ist.  Die  Ni-  Kunstgewerbes  und  seiner  slavisch-byzantini- 
belungen-Illustrationen,  die  Czeschka  gezeich-      sehen  Ornamentkunst  unmöglich.    Hier  ist  die 


1 


JOSEF  VON  DIV£KY-BR0SSEL  q  ZEICHNUNGEN  ZU:  E.  T.  A.  HOFFMANN  , KLEIN  ZACHES*  Ä 

VERLAG  DER  .GESELLSCHAFT  FÜR  GRAPHISCHE  INDUSTRIE«,  WIEN  i 

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JOSEF  VON  DIVfiKY-BROSSEL  Q  ZEICHNUNGEN  ZU  .DES  FREIHERRN  VON  MÜNCHHAUSEN  REISEN  U.  ABENTEUER« 

VERLAG:  MORAWE  &  SCHEFFELT,  BERLIN 


Illustration  rein  kunstgewerblich  aufgefaßt. 
Der  Künstler  macht  nicht  einmal  den  Versuch, 
den  Text  durch  darstellerische  Mittel  weiter 
auszugestalten,  er  nimmt  ihn  nur  als  Vorwand 
zu  rein  flächenhaften  Dekorationen  von  stark 
farbiger  Wirkung,  die  zunächst  verblüffen, 
aber  dadurch,  daß  sie  mit  dem  rein  buchge- 
werblichen Teil  sehr  gut  zusammenpassen,  doch 
ihren  großen  Wert  als  sehr  kultivierte  Erzeug- 
nisse einer  spezifisch  modernen  Art,  Bücher 
zu  illustrieren,  beweisen.  Die  starke  Wirkung 
durch  die  Farbe,  die  sich  oft  bis  zum  Plakat- 
mäßigen steigert,  ist  allen  Buchillustrationen 
der  Wiener  Schule  eigen.  Selbst  Bilderbücher 
sind  in  dieser  Weise  behandelt,  wie  die  Arbeiten 
von  Hans  Pellar,  unter  denen  „Der  kleine 
König"  von  Ostini  (Verlag  Georg  W.  Dietrich- 
München)  mit  an  erster  Stelle  zu  nennen  ist.  In 
neuester  Zeit  hat  vor  allem  Josef  von  Diveky 
eine  sehr  fruchtbare  Tätigkeit  auf  dem  Gebiete 
der  Buchillustration  entfaltet.  Er  hat  für  die 
„Gesellschaft  für  graphische  Industrie"  in  Wien 
einen  Kalender  mit  originellen,  etwas  grotesken 
Monatsbildem  und  einen  Almanach  mit  Zeich- 
nungen versehen,  die  die  Abenteuer  schildern, 
die  ein  fahrender  Ritter  mit  den  Zeichen  des 
Tierkreises  zu   bestehen  hat.     Münchhausens 


Abenteuer  haben  ihm  gleich  zweimal  den  Stoff  zu 
Illustrationen  geliefert,  von  denen  eine  kleinere 
Serie  bei  Schaffstein  in  Köln,  eine  umfang- 
reichere im  Verlag  Morawe  &  Scheffelt  in  Berlin 
erschienen  ist.  Es  versteht  sich  von  selbst, 
daß  auch  hier  vor  allem  die  komischen  Züge 
des  Vorwurfs  unterstrichen  sind,  was  ja  ganz 
gut  am  Platze  ist.  Nicht  ganz  so  verständ- 
lich ist  es,  daß  auch  seine  Arbeiten  für  Bren- 
tanos „Gockel,  Hinckel  und  Gackeleia",  die 
1913  im  Verlag  der  „Gesellschaft  für  graphi- 
sche Industrie"  erschienen,  genau  auf  den- 
selben Ton  gestimmt  sind.  Von  seinen  übrigen 
Arbeiten  ist  eine  Ausgabe  von  E.  T.  A.  Hoff- 
manns „Klein  Zaches"  und  Heines  „Dr.  Faust" 
(1913  Morawe  &  Scheffelt)  zu  nennen.  Man 
kann  konstatieren,  daß  alle  diese  Bilder  nur 
sehr  frei  den  Text  übersetzen  und  mit  Will- 
kürlichkeiten in  Form  und  Auffassung  reich- 
lich versehen  sind,  aber  man  muß  trotzdem  die 
großen  dekorativen  Vorzüge  und  die  darstelle- 
rische Gewandtheit  des  Künstlers  rühmen. 

Es  ist  bedauerlich,  daß  ein  Künstler,  wie 
Heinrich  Vogeler-Worpswede,  der  so  vielen 
jüngeren  Künstlern  die  Anregung  zu  buch- 
künstlerischer Betätigung  gegeben  hat,  relativ 
wenig  Buchillustrationen  herausbrachte.    Seine 


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126 


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feine  lyrische  Art,  der  weiche,  liebenswürtiige 
Strich  seiner  Zeichnungen  wäre  wie  geschaffen 
gewesen,  der  neuromantischen  Schule  unserer 
Literatur  zu  künstlerischer  Interpretation  zu 
dienen.  Seine  Illustrationen  zu  Gerhart  Haupt- 
manns „Die  versunkene  Glocke"  sind  mit  zu 
den  interessantesten  Arbeiten  der  modernen 
Illustrationskunst  zu  zählen.  Auch  sie  schlie- 
ßen sich  nicht  eigentlich  an  den  Text  an  und 
sind  in  der  Hauptsache  freie  Schöpfungen,  doch 
kann  man  gerade  hier,  was  nicht  oft  zu  sagen  ist, 
von  einer  kongenialen  Leistung  sprechen.  Der 
Text  und  die  Illustrationen  sind  vollkommen 
gleichwerti- 
ge Erzeug- 
nisse einer 
künstleri- 
schen Stim- 
mung, die 
nur  verschie- 
dener Dar- 
stellungs- 
mittel  sich 
bedient.  Ein 
junger  Däne 

GUDMUD 

HENTZE,der 
für  den  Ver- 
lag Eug.Die- 
derichs  die 
Werke  von 
Andersen  il- 
lustriert hat, 
hat  wohl  ei- 
niges mit 
Vogeler  ge- 
mein, doch 
fehlt  seinen 
Bildern  die 
Nuance  und 
die  Stim- 
mung, die 
man  gerade 
bei  einer  sol- 
chen Aufga- 
be nur  sehr 
ungern  ver- 
mißt. Sei- 
ne Arbeiten 
sindimübri- 
genabersehr 
hübsch  aus- 
geführt und 
auch  von  gu- 
terSchwarz- 
Weiß  -  Wir- 
kung. —  Mit 
mehr  künst- 


WILHELM  SCHULZ-MONCHEN  ei  DIE  STADT  AUF  DEM  MEERESGRUND 

AUS  SELMA  LAGERLOFS  .WUNDERBARE  REISE  MIT  DEN  WILDGÄNSEN« 

VERLAG:   ALBERT  LANGEN,  MÜNCHEN 


lerischem  Esprit  hat  ein  Vogeler-Schüler,  Ernst 
Weidemeyer,  Grimms  Märchen  für  den  Verlag 
Schaffstein  mit  wenigen  hübschen  Illustrationen 
ausgestattet,  die  der  Aufgabe  in  sehr  dezenter, 
feiner  Weise  gerecht  werden.    An  Andersens 
„Bilderbuch  ohne  Bilder"  (Verlag  Eugen  Diede- 
richs)hat  auch  Ernst  Kreidolf,  der  als  Bilder-    ^ 
bücher-lUustrator  zu  den  hervorragendsten  Er-     f. 
scheinungen  unserer  Epoche  gehört,  sich  ver- 
sucht, auch  von   diesen  Arbeiten  ist  zu  kon- 
statieren,  daß    sie  dem  Text  als  ebenbürtige 
Leistungen  gegenüberzustellen  sind. 
Die  Traditionen  des  deutschen  Spielmann  haben 

sich  viel- 
leicht am  le- 
bendigsten 
in  Mün- 
chen erhal- 
ten, das  in 
Kunstdin- 
gen ja  auch 
sonst  am 
meisten  Tra- 
dition hat 
und  so  viel 
Sinn  für  das 

Altherge- 
brachte und 
Volkstümli- 
che besitzt. 
Das  neue 
Münchener 
Barock  und 
die  ober- 
bayerische 
Volkskunst 
haben  auch 
in  der  Buch- 
illustration 
Spuren  hin- 
terlassen. 
Der  derbe 
Holzschnitt- 
Stil  der  alt- 
deutschen 
Illustratoren 
brauchte  nur 
etwas  far- 
big modifi- 
ziert und  ins 
Bäuerische 
vereinfacht 
zu  werden, 
um  als  ty- 
pischMünch- 
ner  Erzeug- 
nis gelten 
zu   können. 


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\  ALFRED  KUBIN-MONCHEN    EI    ZEICHNUNGEN  ZU  EDGAR  ALLAN  POES  NOVELLEN 

I)  VERLAG:  GEORG  MOLLER,  MÖNCHEN 

i<sxs(5X5)<97rras7Tras7rs<3X96X9ö.v.ö67raö>rree.Tios?rrabxos.Tss?rasxas^ 


128 


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DekontiTe  Kunst.    XVII,    3.    Dezember  1913 


129 


17 


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Ignatius  Taschner  mit  seinen  amüsanten 
Illustrationen  zu  Ludwig  Thomas  urwüchsigen, 
aller  Phrase  abholden  Büchern,  ist  in  mancher 
Beziehung  tonangebend  geworden.  Die  Figu- 
ren, wie  wir  sie  z.  B.  in  „Der  heilige  Hies" 
finden,  sehen  wirklich  wie  aus  Holz  geschnitzt 
aus,  scharf  in  die  mit  harten  Konturen  um- 
rissene   Landschaft  gesetzt;   die   ungebroche- 


1 


b 


nen  Farbtöne  verstärken  noch  das  Bilderbogen- 
mäßige dieser  Illustrationen,  deren  künstle- 
rische Kraft  man  auf  jeden  Fall  anerkennen 
muß.  Wie  Ludwig  Thoma  im  Volkstümlich- 
derben von  Georg  Queri  noch  überboten  wurde, 
so  hat  auch  Taschner  in  Paul  Neu  jüngst 
einen  Nachahmer  gefunden,  der  für  den  Ver- 
lag R.  Piper  in  München  einige  Bücher  Queris 


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MAX  UNOLD-MONCHEN  □  HOLZSCHNITTE  ZU  VOLTAIRES  .CANDIDE'  D    INSEL-VERLAG,  LEIPZIG  g 


130 


■  Qj^Q;jiC)Q;jiSQ;jie)Q;jiSQ;jiS<3UtSQXS)QXS(5XSQXSQ:iiS<SXBQXSQXSQX3(SX^  ■ 


mit  Illustrationen  ver- 
sehen hat,  die  an  linea- 
rer Vereinfachung  und 
greller  Buntheit  kaum 
zu  übertreffen  sein 
werden. 

DerSimplicissimus- 
kreis  ist  nicht  allzu  pro- 
duktiv. Bruno  Paul 
hat  Thomas  „Agrico- 
la"  vor  geraumer  Zeit 
schon  mit  seinen  be- 
kannten und  geschätz- 
ten Simplicissimus- 
Bauern  illustriert.  Am 
tätigsten  ist  ohne  Zwei- 
fel Wilhelm  Schulz, 
der  das  Verdienst  hat, 
die  übliche  Märchen- 
illustration auf  ein  rein 
künstlerisches  Niveau 
gehoben  zu  haben, in- 
dem er  von  allen  senti- 
mentalen Floskeln  ab- 
sieht und  in  ganz  freier  zeichnerischer  Behand- 
lung zu  allerlei  Märchenbüchern,  sowie  zu  Lager- 
löfs  „Wunderbare  Reise  mit  den  Wildgänsen" 
(Verlag  Albert  Langen)  sehr  stimmungsvolle  und 
durchaus  modern  wirkende  Bilder  geschaffen  hat. 

Eine  Erscheinung  für  sich  ist  dann  Al- 
fred Kubin,  in  dem  Edgar  Allan  Poe  einen 
Illustrator  gefunden  hat,  der  mit  einer  unge- 


wöhnlich reichenPhan- 
tasie  begabt,  wie  kein 
anderer  geeignet  ist, 
dem  unheimlich  Gru- 
seligen des  Textes  ei- 
nen bildlichen  Aus- 
druck zu  verleihen.  Es 
ist  das  Verdienst  des 
Münchner  Verlags  Ge- 
org Müller,  die  in  ihrer 
Art  geniale  Kunst  Ku- 
bins  zu  intensiverem 
fruchtbarem  Leben  er- 
weckt zu  haben.  Sie 
wird  von  jetzt  ab  mit 
dem  Namen  des  ameri- 
kanischen Autors  eben- 
so eng  verknüpft  sein, 
wie  die  Kunst  Menzels 
mit  der  Person  Fried- 
richs des  Großen.  Der- 
selbe Verlag  hat  auch 
in  jüngster  Zeit  einen 
Kubin  nahestehenden 
Künstler  an  die  Oeffentlichkeit  gebracht,  Adolf 
UzARSKi,  der  zu  Rolf  Bongs  „Buch  der  Aben- 
teuer", dem  Gegenstück  zu  Schloemps  „Ge- 
spensterbuch", Zeichnungen  geliefert  hat.  Sie 
sind  Kubins  Arbeiten  wesensverwandt  und  be- 
dienen sich  auch  ähnlicher  Ausdrucksmittel ;  nur 
erscheinen  sie  formal  bestimmter  und  weniger 
kompliziert  in  der  Auffassung.  Ein  geschickter. 


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PAUL  RENNER-MONCHEN  q  ZEICHNUNGEN  ZU  „DIE  75  ITALIENISCHEN  KÜNSTLER-NOVELLEN  DER  RENAISSANCE" 

VERLAG:  GEORG  MÜLLER,  MÜNCHEN 


131 


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aber  im  übrigen  wenig  feinfühlender  Künstler, 
wie  A.  ScHMiDHAMMER,  kommt  ebenso  wie  an- 
dere bekannte  Münchner  Illustratoren  daneben 
nur  wenig  in  Frage.  Jedenfalls  sind  ihnen  einige 
junge  Kräfte  vorzuziehen,  die  es  verstanden  ha- 
ben, dem  auf  das  Sachliche  und  Kraftvoll-Derbe 
gerichteten  Münchner  Stil  eine  neue  Seite  ab- 
zugewinnen. Für  den  Verlag  Georg  Müller  ist 
Paul  Renner  tätig  gewesen,  indem  er  alt- 
italienische Novellenbücher  mit  Holzschnitten 
oder  Zeichnungen  in  Holzschnittmanier  illu- 
striert hat,  die  sich  in  erquicklicher  Weise  ganz 
von  dem  rührseligen  oder  archaisierenden  Ton 
fernhalten,  den  man  sonst  bei  derlei  Aufgaben  zu 
finden  gewohnt  ist.  Mit  großem  Geschick  hat  auch 


Walter  Klemm  zum  „Till  Eulenspiegel"  und 
zum  „Faust"  Serien  von  Holzschnitten  geschaf- 
fen, die  leise  an  den  alten  Stil  anklingen,  aber 
doch  mit  durchaus  neuen  Mitteln  ganz  aus  der 
Anschauung  eines  modern  empfindenden  Künst- 
lers heraus  bewältigt  sind.  Ein  zweiter  Künst- 
ler, Max  Unold,  ist  als  Illustrator  noch  frucht- 
barer gewesen,  er  hat  den  „Gargantua",  ferner: 
Epinel,  „Leben  und  Abenteuer  des  Escuderovon 
Obregon",  und  Nicolaus  de  Troyes,  „DergroDe 
Prüfstein  der  Novellen',  endlich  für  den  Insel- 
Verlag  Voltaires  „Candide"  mit  Originalholz- 
schnitten versehen,  die,  wie  es  gerade  der  Stoff 
ergibt,  entweder  derb  realistisch  aufgefaßt  oder 
mehr  historisch  stilisiert  sind,  aber  immer  dem 


MAX  SLEVOGT-BERLIN  El  ZEICHNUNG  ZU:  W,  CLAIRE  „CORANNA«  Q  VERLAG:  PAUL  CASSIRER,  BERLIN  \ 


132 


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JULIUS  PASCIN-BERLIN    O    ZEICHNUNGEN  ZU  HEINES   .MEMOIREN   DES  HERRN  VON  SCHNABELEWOPSKY" 

VERLAG  PAUL  CASSIRER,  BERLIN 

133 


KARL  WALSER-BERLIN  □  RADIERUNGEN  ZU:  LOUVET  DE  COUVRAY  .ABENTEUER  DES  CHEVALIER  FAUBLAS« 

VERLAG:  GEORG  MÜLLER,  MÜNCHEN 


Geiste  der  Dichtung  entsprechen  und  sehr  viel 
Empfindung  für  das  Wesentliche  und  Cha- 
rakteristische verraten.  In  all  diesen  Arbeiten 
ist  wirklich  etwas  gelöst,  was  die  Jungbrunnen- 
Illustratoren  nur  ahnten:  eine  Verbindung 
von  modernem  Realismus  und  altem  Stil,  eine 
lebendige  Anschauung,  die  jedoch  auch  dem 
Literarischen  der  Aufgabe  gerecht  wird.  An 
Stelle  der  langweiligen,  immer  in  demselben 
Schema  stilisierten  Bildchen  finden  wir  hier 
kräftige,  inhaltsreiche  Illustrationen  und  eine 
Behandlungsweise,  die  auch  im  Material  echt 
und  keine  bloße  Nachahmung  von  Holzschnitt- 
manier ist. 

Die  jüngste  Entwicklung  der  Berliner  Illu- 
strationskunst ist  auf  ganz  anderen  Wegen  weiter 
gegangen.  Die  sentimentale  Richtung  hat  hier 
nie  so  viel  Boden  gewonnen  wie  in  Süddeutsch- 
land ;  die  Berliner  Kunst  war  dazu  von  jeher 
zu  nüchtern  und  materiell  gesinnt.  Außerdem 
hat  der  Einfluß  Menzels  nachhaltiger  gewirkt,  als 
man  zunächst  vermutet  hätte.  So  sehen  wir  in 
Berlin  den  naturalistischen  Stil  der  Buchillustra- 
tion länger  vorhalten  als  anderswo.  Die  starke 
Auffrischung,  welche  die  moderne  Bewegung 


gebracht  hat,  äußert  sich  daher  hauptsächlich  in 
der  Vertiefung  dieser  realistischen  Kunst  nach 
der  Seite  einer  impressionistischen  Ausdrucks- 
weise. Alle  die  umfangreichen  Arbeiten  illustra- 
tiver Art,  die  Max  Slevogt  in  den  letzten  Jahren 
geschaffen  hat,  sind  durchaus  malerisch-impres- 
sionistisch empfunden  und  haben  eine  deut- 
liche Verwandtschaft  mit  der  Art,  wie  Menzel 
seine  Bücher  illustrierte.  Ganz  frei  und  skizzen- 
haft sind  diese  Bilder  komponiert,  das  Wollen 
des  Künstlers  geht  darauf  aus,  direkt  den  Vor- 
gang, den  der  Text  gibt,  darzustellen.  Aber 
er  tut  das  ganz  so,  wie  wenn  er  eine  Szene 
aus  dem  Leben  schildern  sollte;  die  Illustra- 
tionen zu  den  Lederstrumpf-Geschichten,  zum 
Rübezahl,  Sindbad  der  Seefahrer,  Ali  Baba  usw. 
sind  solch  außerordentlich  lebhaft  empfundene 
und  lebendig  geschilderte  Szenen,  die  ohne 
irgendwelche  Rücksicht  auf  Text  und  Schrift 
hingesetzt  sind.  Selbst  die  buchkünstlerischen 
Elemente,  Titel,  Initialen  und  dergleichen,  die  der 
Künstler  nolens  volens  anbringen  mußte,  stehen 
jeder  gewerblichen  Absicht  fern,  auch  sie  schlie- 
ßen fast  ausschließlich  darstellerische  Werte 
in  sich.    Die  Mappenwerke,  die  die  Pan-Presse 


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FRANZ  VON  BAYROS-BUDAPEST  El  ZEICHNUNGEN  ZU  HENRI  MURGER  .DIE  BOHEME" 

INSEL-VERLAG,  LEIPZIG 


von  Paul  Cassirer  herausbringt,  gehen  fast  alle 
nach  dieser  Richtung.  Sie  sind  in  der  Haupt- 
sache graphisch  gedacht  und  gewöhnlich  auch 
mit  den  technischen  Mitteln  der  Originalgraphik 
hergestellt:  die  Radierung  und  vor  allem  die 
Lithographie  ist  bevorzugt,  der  exklusive  Cha- 
rakter einer  rein  artistischen,  unliterarischen 
Kunst  ist  durchaus  festgehalten.  Emil  Pottner 
hat  für  die  Pan- Presse  eine  Reihe  von  Werken 
fertig  gestellt,  die  in  sehr  dezenter  Weise  das 
Leben  der  Tiere  so  schildern,  daß  der  Text 
mehr  zu  den  Bildern  erfunden  scheint  als  um- 
gekehrt. Dann  hat  Max  Beckmann  das  Werk : 
„Euridykes  Wiederkehr"  zum  Anlaß  genommen, 
eine  Reihe  von  Steinzeichnungen  auf  textlicher 
Grundlage  zu  schaffen,  und  in  jüngster  Zeit 
hat  Erich  Klossowski  ein  allerliebstes  Puppen- 
spiel, zu  dem  Meier-Gräfe  den  Text  geschrie- 
ben hat,  mit  duftigen  Steinzeichnungen  farbig 
illustriert.  Eines  der  besten  Bücher  der  Pan- 
Presse sind  Heines  „Memoiren  des  Herrn  von 
Schnabelewopski",   deren  linear   äußerst  fein 


empfundene,  naiv-ironische  BildbeigabenJuLius 
Pascin  zum  Verfasser  haben.  Eine  der  amüsan- 
testen Erscheinungen  der  Berliner  Gruppe  ist 
dann  Karl  Walser,  der  überhaupt  einer  der 
sympathischsten  Illustratoren  unserer  Zeit  ge- 
nannt zu  werden  verdient.  Seine  Bücher  wirken 
wie  Rokoko-Illustrationen,  die  ins  Moderne  und 
Impressionistische  übersetzt  sind.  Wie  aus 
den  illustrierten  Stoffen  —  „Ninon  de  Lenclos", 
„Die  Abenteuer  des  Chevalier  Faublas",  Büch- 
ners „Leonce  und  Lena",  „Mademoiselle  de 
Maupin",  sind  die  Titel  einiger  Hauptwerke  — 
spricht  auch  aus  der  Form  ganz  der  Stil  des 
18.  Jahrhunderts.  Ganz  ähnlich  wie  in  den 
Büchern  dieser  Epoche  erregen  in  den  Walser- 
schen  Werken  unsere  Bewunderung  präziöse 
Kupfer  oder  feine  Lithographien,  die  über  die 
frechsten  Dinge  mit  einer  Naivität  berichten, 
daß  man  ihnen  mit  dem  besten  Willen  nicht 
böse  werden  kann. 

Solche  Werke   sind  recht  dazu  geeignet,  die 
Begierde    der    Büchersammler    wachzurufen. 


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FRANZ  CHRISTOPHE-BERLIN  □  ZEICHNUNGEN  ZU:  HERMANN  BANG  .EXZENTRISCHE  NOVELLEN" 

VERLAG:  S.FISCHER,  BERLIN 


Sehr  viele  von  unseren 
neuen,  kostbar  ausgestat- 
teten Büchern,  die  der 
Bibliophile  bedächtig  aus 
seiner  Sammlung  holt,  um 
sich  einige  freie  Stunden 
an  ihnen  zu  erfreuen,  su- 
chen die  Erinnerung  an 
das  Rokoko,  der  Blütezeit 
derBibliophilie  heraufzu- 
beschwören.Der  bekannte 
Franz  von  Bayros  hat 
in  seinem  besten  Werk, 
den  Illustrationen  zu  Mur- 
gers Bohfeme  (Insel- Ver- 
lag) manche  hübsche  ro- 
kokomäßig aufgeputzte 
Szene  entworfen,  aber  er 
scheint  rettungslos  in  den 
Manierismus  einer  Art 
literarischer  Schundpro- 
duktion verfallen  zu  sein. 
Ganz  amüsant,  aber  bei 
weitem  einfacher  erschei- 
nen die  sehr  korrekt  mit 
Linien  umrissenen  Illu- 
strationen, die  Andre 
Lambert  für  einen  galan- 
ten französischen  Roman 
entworfen  hat,    aber  sie 


FRANZCHRISTOPHEqZEICHNUNGZU  „DIE  PUDER- 
QUASTE'   B    VERLAG:  GEORG  MÜLLER,  MÜNCHEN 


werden  übertrofFen  von 
den  hübschen,  auch  stark 
an  das  1  S.Jahrhundert  an- 
klingenden Bildern,  die 
Alfons  Wölfle  zeich- 
net. Schon  seine  Illustra- 
tionen für  das  Bellmann- 
Brevier  (Verlag  A.  Lan- 
gen) waren  sehr  fertig  im 
Stil;  die  charakteristische 
Note  hat  seine  Kunst  dann 
endgültig  in  den  Blättern 
zu  Sallet,  „Kontraste  und 
Paradoxe"  (Verlag  Hans 
von  Weber)  erlangt,  die 
sehr  klar  und  graziös  ge- 
zeichnete, in  den  Kostü- 
men an  das  Rokoko  anklin- 
gende, mit  fröhlich  barok- 
ken  Elementen  durchsetz- 
te Bilder  zeigen.  Ein  äu- 
ßerst interessanter  Künst- 
ler ist  dann  Franz  Chri- 
stophe, von  dessen  Buch- 
illustrationen die  für 
Bangs  „Exzentrische  No- 
vellen "(Verlag  S.  Fischer) 
und  Bleis  „Puderquaste" 
(Verlag  Georg  Müller) 
hervorzuheben  sind.    Er 


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Dekorative  Kunst.    XVII. 


Dezember  1913 


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ALFONS  WOELFLE-MÜNCHEN  El  ZEICHNUNGEN  ZU:  FRIEDRICH  VON  SALLET  „KONTRASTE  U.  PARADOXEN« 

VERLAG:  HANS  VON  WEBER,  MÜNCHEN 

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MARCUS  BEHMER-BERLIN 


RADIERUNG  ZU  VOLTAIRES  ,ZADIG" 


XI.  WERK  DER  PAN-PRESSE;  VERLAG:  PAUL  CASSIRER,  BERLIN 


139 


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ERNST  STERN-BERLIN  Q  AQUARELLIERTE  ZEICHNUNG  ZU  :  E.TH.  A.  HOFFMANN  .MEISTER  FLOH" 

VERLAG:  JULIUS  BARD,  BERLIN 


THOMAS  THEODOR  HEINE-MÜNCHEN 


ZEICHNUNGEN  ZU  HEBBELS  JUDITH« 


VERLAG:  HANS  VON  WEBER,  MÜNCHEN 


140 


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ROBERT  ENGELS  Q  ZEICHNUNG  ZU  »BALLADEN  VON  BORRIES  FRHR.  VON  MONCHHAUSEN« 
VERLAG:  EGON  FLEISCHEL  &  CO.,  BERLIN 


ist  vor  allem  ein  Meister  der  graziösen  Linie, 
die  etwas  zum  Schnörkelhaft -Barocken  neigt 
und  selbst  in  großen  figürlichen  Darstellungen 
auf  die  Beihilfe  von  Schattengebung  verzichtet. 
Eine  gewisse  Neigung  zu  Willkürlichkeiten 
und  zu  karikaturistischen  Seitensprüngen  ist 
bei  dieser  Gruppe  von  modernen  Illustratoren 
ohne  viele  Mühe  als  charakteristisch  festzu- 
stellen. Bei  einigen  ihnen  nahestehenden 
Künstlernkommt  dies  konsequenter  und  weniger 
naiv  zum  Ausdruck,  besonders  bei  allen  denen, 
die  in  dem  Bannkreis  von  Aubert  Beardsley, 
dem  genialen  englischen  Illustrator  stehen. 
Der  Einfluß,  den  dieser  Künstler  auf  unsere 
Graphik  ausgeübt  hat,  ist  sehr  beträchtlich. 
Selbst  ernste  Künstler  sind  ihm  eine  Zeit- 
lang unterlegen,  wie  Marcus  Behmer,  dessen 
Illustrationen  zu  Wildes  „Salome"  ohne  Beards- 
ley undenkbar  sind.  Auch  seine  Bilder  zu 
Balzacs  „Mädchen  mit  den  Goldaugen"  kokettie- 
ren etwas  mit  dem  abgezirkelten  Schwarz- Weiß- 
Stil  des  Engländers  und  seiner  merkwürdigen 


Art,  Linien  in  Punkte  aufzulösen.  Erst  in 
seinem  neuesten  Werk,  Voltaires  „Zadig"  (Pan- 
Presse) hat  sich  Behmer  von  seinem  Vorbild 
mehr  entfernt,  um  sehr  phantastische  Bilder 
zu  geben,  die  trotz  eines  fast  perversen  Ein- 
schlages doch  eine  bedeutende  künstlerische 
Persönlichkeit  verraten.  Das  einzige  große 
Werk  illustrativer  Art,  das  Th.  Th.  Heine  zum 
Verfasser  hat:  Hebbels  „Judith"  (Verlag  Hans 
von  Weber),  besitzt  einige  Verwandtschaft  mit 
Beardsleys  Kunst,  besonders  in  der  rein  linearen 
Konzeption,  doch  ist  es  unendlich  viel  kräf- 
tiger und  zugleich  mit  Biedermeier-Elementen 
durchsetzt,  die  nur  wenig  zum  Text  passen. 
Es  erweist  sich  gerade  hier,  daß  der  moderne 
Künstler  ungleich  freier  mit  dem  Stoff  schal- 
tet, als  wir  das  bisher  gewohnt  waren,  und  in 
erster  Linie  seine  Ideen  zum  Ausdruck  bringen 
will,  ohne  daran  zu  denken,  die  im  Text  ge- 
schilderten Vorgänge  realistisch  darzustellen. 
Auch  bei  Emil  Preetorius,  einem  der  frucht- 
barsten Münchner  Illustratoren,  überwiegtdieser 


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Der  HarJa  ' 


(TA  Hoffmann 


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\  PAUL  SCHEURICH-MONCHEN  g  ZEICHNUNGEN  ZU:  FELIX  SCHLOEMP  „DAS  GESPENSTERBUCH- 

/  VERLAG;  GEORG  MÜLLER,  MÜNCHEN 


142 


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ADOLF  UZARSKI-MÜNCHEN  Q  ZEICHNUNGEN  ZU:  ROLF  BONGS  „DAS  BUCH  DER  ABENTEUER' 
VERLAG:  GEORG  MÜLLER,  MÜNCHEN 


Zug  zu  ganz  freier  Interpretation  des  Textes, 
dabei  ist  ganz  offensichtlich  das  Bestreben,  auch 
einer  gewerblichen  Idee  im  Buche  zum  Aus- 
druck zu  verhelfen.*)  In  Freksas  „Phosphor" 
geht  er  so  weit,  gleich  mehrere  Szenen  auf  einem 
Blatt,  also  richtig  futuristisch,  zur  Darstellung 
zu  bringen,  aber  weder  hier,  noch  sonst  ver- 
gißt er  seine  Bildchen  gut  abzuwägen,  die 
Schwarz- Weiß-Flächen  richtig  zu  verteilen  und 
sich  einer  streng  flächenhaften  Durchführung 
zu  befleißigen.  Gelegentlich  entspricht  die  rein 
silhouettenhafte  Darstellung  am  besten  seinen 
Absichten.  —  Als  ein  sehr  kapriziöser  Buch- 
illustrator hat  sich  auch  Paul  Scheurich  be- 
wiesen, von  dem  nach  Sternes  „  Yoricks  empfind- 
same Reise"  (Verlag  Julius  Bard)  Illustrationen 
zu  einem  Gespensterbuch  herausgekommen  sind 
(Verlag  Georg  Müller),  die  dem  ironischen  und 
zugleich  gruseligen  Charakter  des  Textes  gut 
gerecht  werden.  Endlich  sei  noch  Ernst  Stern 
erwähnt,  der  zu  Hoffmanns  „Meister  Floh"  (Ver- 
lagjulius Bard)  farbig  sehr  wirksame,  aber  wie- 
derum ganz  und  gar  frei  aufgefaßte  humori- 
stische Zeichnungen  geliefert  hat,  die  nicht 
zu  den  schlechtesten  Arbeiten  dieses  dekora- 


•)  Vgl.  „Dek.  Kunst"  Aprilheft  1910  und  Juniheft  1913. 


tiv  hervorragend  begabten  Künstlers  gehören. 
Daß  selbst  die  allerneuesten  Errungenschaf- 
ten unserer  Malerei  die  Prinzipien  des  „Blauen 
Reiters"  und  des  Expressionismus  in  die  Buch- 
illustration Eingang  gefunden  haben,  sei  zum 
Schluß  nur  kurz  erwähnt.  Die  in  einer  klassi- 
zistisch primitiven  Manier  gefertigten  Radie- 
rungen zu  Tiecks  „Phantasus"  (Verlag  Morawe 
&  Scheffelt)  von  Moriz  Melzer  bewegen  sich 
in  diesem  Kreis  und  dann  die  Bilder  von 
F.  H.  Ernst  Schneidler  zu  Heines  „Atta  Troll" 
(Verlag  Morawe  &  Scheffelt),  die  konsequent  dem 
Expressionismus  huldigen.  Hier  findet  sich  alles, 
was  man  von  dieser  Kunst  gewohnt  ist,  Figu- 
ren, die  nur  mit  Mühe  als  solche  zu  erkennen 
sind,  sowie  Punkte,  Striche  und  Kreise  als  ab- 
strakte Ausdrucksmittel  einer  rein  formal  emp- 
findenden künstlerischen  Richtung. 

So  ist  in  diesen  jüngsten  oder  fortschritt- 
lichst gesinnten  Künstlern  die  moderne  Illu- 
strationskunst an  dasselbe  Ende  gelangt,  das 
auch  andere  Zweige  der  modernen  Bildkunst 
erreicht  haben.  Das  neue  Programm,  das  letzten 
Endes  darin  beruhte,  die  Buchillustration  dem 
rein  Gewerblichen  im  Buche  wieder  dienstbar 
zu  machen  und  gleichzeitig  ihre  subjektiv  künst- 
lerischen Werte  zu  steigern,  wurde  in  der  einen 


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F.  H.  ERNST  SCHNEIDLER-BERLIN 


VERLAG 


ZEICHNUNGEN  ZU  HEINES  .ATTA  TROLL« 
MORAWE  &  SCHEFFELT,  BERLIN 


oder  anderen  Weise  strikt  befolgt,  doch  sind 
die  eingeschlagenen  Wege  verschieden  genug. 
Die  archaistische  Buchillustration  zu  Beginn 
des  neuen  Jahrhunderts  brachte  als  starke  Reak- 
tion gegen  den  naturalistischen  Stil  die  verein- 
fachende stilisierende  Richtung,  die  sich  nur 
etwas  zu  absichtlich,  zu  schematisch  und  monu- 
mental gab.  Eine  so  bewegliche  Kunst  wie  die 
Buchillustration  schließt  noch  andere  Möglich- 
keiten in  sich.  Nachdem  daher  das  Anfangssta- 
dium überwunden  war,  machte  sich  ein  beweg- 
teres Leben  fühlbar,  das  mit  frischer  Kraft  die 
verschiedensten  Aufgaben  bewältigte.  Die  Wei- 
terführung der  archaisierenden  Tradition  führte 
zu  der  kraftvoll  bestimmten  und  farbenfrohen 
Illustrationskunst  der  jungen  Münchner  Schule. 
Man  gewinnt  ferner  mehr  Geschmack  an  den 
früher  weniger  bemerkten  Qualitäten  älterer 
Epochen,  wie  sie  im  Rokoko  und  Biedermeier 
schlummern,  die  Farbe  spielt  eine  immer  grö- 
ßere Rolle,  man  erkennt  die  ins  Unendliche 
zu  steigernde  Ausdrucksfähigkeit  der  Linie  und 
macht  sie  darstellerischen  Ideen  dienstbar, 
ebenso  erföhrt  die  rein  auf  der  textlichen  Grund- 
lage aufbauende  Darstellungskunst  eine  unge- 
ahnte Vertiefung  durch  das  Eindringen  impres- 
sionistischer Tendenzen.  Die  stark  karika- 
turistischen Neigungen  unserer  angewandten 
Graphik,  wie  sie  sich  etwa  im  Plakat  ausdrücken, 
werden  auf  die  Buchillustration  übertragen,  und 


besondere  Feinschmecker  bedienen  sich  eigen- 
artiger Darstellungsmittel  wie  der  Silhouette. 
Die  Wiener  Schule  folgt  einem  dekorativ  gewerb- 
lichen Stile.  Auf  der  anderen  Seite  nimmt  die 
Vorliebe  für  die  vornehme  Originalgraphik  als 
Illustrationstechnik  zu.  So  ist  bei  der  allerletzten 
Phase  zu  beobachten,  daß  die  rein  gewerb- 
lichen Ideen,  die  bisher  so  wichtig  waren,  als 
selbstverständlich  etwas  in  den  Hintergrund 
rücken,  während  der  künstlerische  Charakter 
der  Illustrationskunst  wesentlich  gesteigert  wird. 
Der  Künstler  beachtet  häufig  den  Text  sehr 
wenig  und  gibt  nur  seiner  bestimmten  Vor- 
stellung auf  der  literarischen  Basis  Ausdruck. 
Gleichzeitig  wächst  das  Gefühl  für  die  Nuance, 
jedes  neue  Werk  bietet  dem  Künstler  eine  Ge- 
legenheit zur  Verwendung  neuartiger  künst- 
lerischer Ideen.  Das  ergibt  sich  schon  daraus, 
daß  unsere  Illustratoren  altbekannte  Stoffe  be- 
vorzugen, und  daß  sie  ihre  Kunst  gerade  dann 
in  Anwendung  bringen,  wenn  es  sich  um  Gegen- 
stände handelt,  die  geringe  gegenständliche, 
aber  umsomehr  illusionistische  Werte  in  sich 
schließen.  So  ist  unsere  moderne  Illustrations- 
kunst ein  höchst  interessanter  Zweig  künst- 
lerischer Betätigung  geworden.  Die  literarische 
Grundlage,  die  jede  Illustrationskunst  haben 
muß,  wird  sie  davor  bewahren,  den  abstrakten 
und  rein  formalen  Problemen  allzuviel  Raum 
zu  gewähren.  Dr.  Johannes  Schinnerer 


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144 


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CARAN  D'ACHE-PARIS 


BEMALTES  SPIELZEUG 


Aus  der  Ausstellung:    „L'art  pour  l'enfance"  im  Musee  Galliera,  Paris 


KIND  UND  KUNST  IN  FRANKREICH 


Das  Musee  Galliera  in  Paris  veranstaltet 
alljährlich  Ausstellungen  für  angewandte 
Kunst.  Ihr  Publikum  ist  die  bessere  Bour- 
geoisie des  Westendviertels.  Nirgendwo  besser 
als  hier  erhellt  die  Rückständigkeit  des  fran- 
zösischen Kunstgewerbes,  mag  es  sich  nun 
um  Bucheinbände,  Stickereien,  Frauenschmuck, 
oder  wie  heuer  um  die  Kunst  für  das  Kind 
handeln. 

Es  war  vor  allem  auffällig,  wie  wenig  von 
dem  Dargebotenen  eine  Kenntnis  der  Kinder- 
seele bezeugte.  Gibt  es  in  Frankreich  keine 
Kunst  des  Kindes,  weil  es  keine  Kinder  gibt? 
In  Paris  jedenfalls  sind  sie  es  nur  kurze  Zeit. 


In  zu  frühen  Jahren  werden  sie  darauf  hin- 
gelenkt, im  Kleinen  ein  Abbild  des  Großen  zu 
sein.  Besonders  die  jungen  Mädchen.  Wenn 
sie  acht,  neun  Jahre  alt  sind,  wirken  sie  schon 
damenhaft.  Ihre  Körperbewegungen  haben  die 
Grazie,  die  Abrundung  der  Erwachsenen ;  ihre 
Kleidung  geht  auf  die  Eleganz  der  Reifen  aus, 
und  ihr  Bewußtsein  ist  so  entwickelt,  daß  Ant- 
worten wie :  „  Das  paßt  sich  doch  nicht  für  mich" 
typisch  für  sie  sind.  Sie  sind  charmant,  aber 
keine  Kinder.  Andererseits  entstehen  nur  in 
Paris  künstlerische  Bewegungen ;  nur  in  Paris 
haben  sie  Aussicht  auf  Erfolg.  So  wirken  schon 
hier  zwei  wesentliche  Faktoren  nicht  zusammen. 


b 


/         VITRINE   MIT  PARISER  PUPPEN  AUS  DER  AUSSTELLUNG  ,L'ART  POUR  L'ENFANCE"  IM  MUSfiE  GALLIERA,  PARIS         ^' 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    3.    Dezember  1913 


145 


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Mme  lafitte-d£sirat 


Aus  der  Ausstellung  „L'art  pour  Penfance"  im  Mus6e  Galliera,  Paris 


PARISER  PUPPEN 


Ach,  wenn  man  doch  eine  bodenständige 
Kunst  hätte!  Man  ist  im  Schlepptau  des  Aus- 
landes. „Los  vom  deutschen  Spielzeug"  könnte 
die  Ueberschrift  eines  der  in  den  Ausstellungs- 
katalog gestreuten  Artikel  heißen.  So  lautet 
die  Begründung:  Seht  eine  deutsche  Puppe 
an.  Die  Emailaugen  sind  ohne  Ausdruck,  die 
Wangen  aufgequollen,  das  stark  gekräuselte 
Kopfhaar  ist  flachsgelb  wie  das  einer  Koketten, 
die  zu  scharfes  Haar- 
wasser zum  Waschen 
verwendet  ...  Es  ist 
die  Pariserin,  so  wie 
sie  die  Deutschen  von 
ihren  Bekanntschaften 
her  auf  den  Boulevards 
oder  in  den  Tingeltan- 
geln kennen.  Die  fran- 
zösischen Mütter  soll- 
ten besser  über  den 
Umgang  ihrer  jungen 
Töchter  wachen."  Die 
französischen  Kinder 
müßten  statt  ihrer  Epi- 
nal  -  Bilderbücher  die 
Libre  Parole  oder  an- 
dere nationalistische 
Hetzblätter  lesen,  um 
so  zu  empfinden. 


Was  möchte  nun  ein 
solcher  Vaterland sret- 
9  ter  und  Sittenpolizist 
J    an  die  Stelle  einer  ker- 


Mme  LAFITTE-DESIRAT 

Aus   der  Ausstellung   »L'art  pour  l'enfance" 


nigen,  herzerfreuenden  Münchner  Puppe,  eines 
Nürnberger  Plüschtieres  setzen?  Etwa  die 
Puppe,  die  ausgestellt  war,  im  Ballkleid  mit 
geschnürter  Taille,  mit  Schmuck  behängt,  eine 
Reiherfeder  auf  der  ondulierten  Perücke?  In 
welchem  Irrwahn  sind  solche  Leute  befangen! 
Niemand  reagiert  heftiger,  ehrlicher,  unnach- 
sichtiger auf  Künstelei,  als  ein  Kind.  Diese 
Eigenschaft  lockt  es,  ein  Spielzeug,  das  es  in 

die  Hand  bekommt,  auf 
seine  Natur  hin  zu 
prüfen,  in  der  Kinder- 
sprache :  hinein  zu 
gucken.  Raffinement, 
Mangel  an  Einfachheit 
steigert  seinen  Zerstö- 
rungstrieb ins  Unge- 
heuere. Kommt  jene 
Puppe  in  die  Kinder- 
stube, so  hat  sie  nur  e  i  n 
Schicksal  zu  erwarten : 
sie  wird  entzwei  ge- 
macht. So  viel  Natur 
steckt  auch  in  dem 
französischen  Kind. 

Die  Ausstellung  hat 
sich  über  die  Kargheit 
an  praktischen  Neu- 
heiten durch  eine  weit- 
läufige Retrospektive 
hinweggeholfen.  Sie 
gibt  keine  Fingerzeige 
für  heute.  Man  wundert 


5  UHR-TEE 
Musee   Galliera 


146 


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MÜNCHNER  KÜNSTLER-PUPPEN  □  ENTWURF  UND  AUSFÜHRUNG:  MARION  KAULITZ-MÜNCHEN 


sich,  daß  auch  in  früheren  Jahrhunderten  kind- 
liche Eigenheit  nicht  mehr  in  seinem  Spielzeug 
zum  Ausdruck  kam.  Die  ganze  geistige  An- 
strengung bestand  darin,  Gebrauchsgegenstände 
der  Erwachsenen  für  Kinder  zu  reduzieren, 
also  in  Puppenstuben.  Louis  XVI-Möbelchen 
waren  zu  sehen,  so  fein  und  rein  im  Stil,  als 
seien  sie  von  Riesener  gezeichnet.  Und  die 
Dinger  in  ihren  Glaskästen  schienen  so  gut 
erhalten,  als  seien  sie  damals,  ähnlich  wie 
jetzt  manches,  auch  nur 
Ausstellungsobjekte  ge- 
wesen. 

Im  übrigen  ist  das,  was 
kräftig  und  ansprechend 
an  neuerem  Spielzeug 
war,  gewiß  nicht  ohne 
Anlehnung  an  Deutsch- 
land entstanden:  so  der 
Soldatenaufmarsch  von 
Andre  Helle  mit  seinen 
vereinfachten  Formen. 

Außer  Spielzeug  wur- 
den kleine  Gartenhäuser, 
Bilderbücher  und  ein 
paar  Kinderzimmer  ge- 
zeigt, nichts,  was  Hy- 
giene, geistige  Entwick- 
lung, Kleidung  des  Kin- 
des hätte  beleuchten  kön- 
nen. Nur  ein  Schelm  gibt 
mehr  als  er  hat. 

DieZimmereinrichtun- 


ALBERT  SCHLOPSNIES  STOFFPUPPEN 

Ausführung:  Margarete  Steiff,  G.  m.b.  H.,  Giengen 


volle.  Gallerey  zwar  arbeitet  immer  noch  mit 
geschweiften  Linien  und  Verzierungen,  in  dem 
aus  dem  Art  nouveau  von  1900  bastardierten 
Stil,  dessen  Vorkämpfer  Majorelle  ist.  Jessie 
King  kommt  ihre  englische  Abstammung  zu- 
statten; die  Kissen,  die  weißgestrichenen  Stühle 
zeugen  von  solidem  Können.  Helles  Spielzeug 
gefällt  mir  besser  als  seine  gradlinigen,  recht- 
winkligen Möbel;  auch  das  Kind  bedarf  einer 
gewissen  Bequemlichkeit  für  Rücken  und  Beine, 
um  sich  wohl  zu  fühlen. 
Dieser  Anforderung 
wurde  Miß  Lloyd  mit 
ihren  zwei  Zimmern  ge- 
recht. Auch  diese  Dame 
ist  englischer  Abstam- 
mung, gehört  aber  mit 
ihren  koloristischen  Be- 
strebungen, ihrem  Sinn 
für  das  Konstruktive,  der 
jungfranzösischen  Grup- 
pe an,  die,  mit  Groult 
und  Mare  an  der  Spitze, 
sich  mit  wachsendem  Er- 
folg im  Herbstsalon  be- 
kundet. Miß  Lloyd  weiß 
um  die  Seele  des  Kin- 
des, und  sie  versteht 
dessen  Regungen  mit 
ihrer  Kunst  nachzugehen. 
Ihre  Ornamente  in  amü- 
santer Perlenstickerei,  in 
das  SirohgeflechtderBett- 
statt  oder  der  Stuhllehne 


gen  boten  einiges  Reiz 
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eingelassen,  sind  ein   glücklicher  Fund.     Ihre  ich    sehe    darauf  junge   Mädchen    mit  langen 

Möbel    sind    bequem,    praktisch,    einfach   und  blonden  Zöpfen  sitzen  und  miteinander  spielen, 

gefällig,   ihre   Farbenzusammenstellungen    dis-  Nicht  ohne  Grund  nahmen  in  der  Ausstel- 

kret  und  apart.   Das  eine  der  Zimmer  hat  blau-  lung    künstlerische    Aeußerungen    über    das 

gestrichene,  niedrige  Stühle  mit  hohen  Lehnen;  Kind    einen   so   großen    Raum    ein,    obgleich 


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MISS  C.LLOYD-PARIS 


KINDERZIMMER-MOBEL 


Aus  der  Ausstellung  „L'art  pour  l'enfance"  im  Mus6e  Galliera,  Paris 


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ADELBERT  NIEMEYER-MONCHEN  KINDER-SPIELZIMMER 

Ausführung:  Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst,  G.m.b.H.,  Dresden-Hellerau 


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RUDOLF  ALEXANDER  SCHRÖDER     a    Q     AUS  EINEM  KINDER-SCHLAFZIMMER  ff 

Ausführung:  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im    Handweric  A.-G.,  Bremen  ^ 

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hiervon  auch  nur  die  Erwachsenen  etwas  ha- 
ben. In  der  Tat,  ein  Kinderköpfchen  von  Bour- 
DELLE,  von  Dalou,  von  Carri^re  gibt,  jedes 
auf  seine  Weise,  einer  Kinderseele  vollendeten 
Ausdruck.  Besser  verstehen  die  Franzosen, 
eine  Erscheinung  darzustellen,  als  sich  über 
eine  Entwicklung  Rechenschaft  zu  geben.  Daher 
das  Konvulsivische   aller  Umgestaltungen   bei 


ihnen.  Das  Werden  kümmert  sie  weniger  als 
das  Gewordene.  Für  das  Werden  haben  sie 
ihren  Stern,  für  das  Gewordene  ihre  Kunst  — 
der  Erwachsenen. 

Man  darf  indessen  dem  Problem  „Kind  und 
Kunst"  (mit  besonderer  Betonung  von  Kind) 
nicht  übertriebene  Bedeutung  beimessen.  Gewiß 
trägt  es  zum  Wohlbehagen  des  Kindes  bei,  Dinge 


KÄTHE  KRUSE-BAD  KOSEN 


WASCHBARE,  UNZERBRECHLICHE  STOFF-PUPPEN 


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ALBERT  SCHLOPSNIES-MONCHEN 

Ausführung:  Margarete  Steiff,  G.  m. 


WEICHGESTOPFTE  STOFF-PUPPEN 
.U.y  Giengen  a.d.  Brenz 


um  sich  zu  haben,  die  in  abgewogenen  Formen 
zu  seinem  Körper  und  zu  seiner  Seele  stim- 
men. Aber  zuweilen  wird  das  Kind  zu  schöp- 
ferischen Anwandlungen  nach  eigenen  dunk- 
len Gesetzen  getrieben.  Sie  setzen  den  wohl- 
gemeinten Bestrebungen  der  Erwachsenen  einen 
Widerstand  entgegen,  über  den  zuviele  noch 
sich  wundern.  Mag  es  sich  um  ein  deutsches 
oder  französisches  Kind  handeln,  man  gebe 
ihm  das  künstlerisch  einwandfreieste  Spiel- 
zeug —  oft  genug  kann  man  beobachten:  es 
wird  zwar,  wenn  es 
wohlerzogen  ist,  sich 
sehr  höflich  bedan- 
ken ;  kaum  allein  ge- 
lassen aber  stellt  es 
das  Geschenk  bei- 
seite. Selbst  aber 
macht  es  sich  aus  ei- 
nem Stück  Pappdek- 
kel,  einem  Fetzen 
Stoff,  ein  wenig  Leim 
und  ein  paar  Nä- 
geln dann  ein  Spiel- 
zeug, über  das  es  sich 
„himmlisch"  amü- 
siert, und  schlägt 
so  allen  tiefsinnigen 
Kind-  und  Kunst- 
pädagogen respekt- 
los ein  Schnippchen.        martin  guelliot 

Albert  DrEYFUS  Aus   der  Ausstellung    „L'art  pour 


Warum  wir  über  diese  Ausstellung  so  aus- 
führlich berichten  und  die  Pariser  Puppen 
publizieren,  die  dem,  was  wir  unter  „Kunst  für 
das  Kind"  verstehen,  doch  so  gar  nicht  entspre- 
chen? Weil  nichts  lehrreicher  ist  als  der  Ver- 
gleich. Sieht  man  die  Modepüppchen  von  M""'  La- 
fitte-Desirat,  die  nicht  etwa  für  die  Vitrine  be- 
stimmtsind, sondern  allen  Ernstes  Spielzeug  für 
Kinderhände  sein  sollen,  neben  den  köstlich  fri- 
schen Kaulitzpuppen,  den  herzigen  pausbackigen 
Babys  von  Frau  Käthe  Kruse  oder  der  lustigen, 

bunten  Gesellschaft 
der  Steiffschen  Stoff- 
puppen, so  kann  sich 
jeder  leicht  selbst 
sagen,  wo  mit  mehr 
Liebe  und  besserem 
Verständnis  Kindern 
gegeben  wird, wonach 
ihr  Herz  verlangt. Und 
weildieLeitungdieser 
Ausstellung  vor  dem 
deutschen  Spielzeug 
warnen  zu  müssen 
glaubte,  schien  es  uns 
nicht  überflüssig,  in 
diesem  Zusammen- 
hang einiges  von  den 
deutschen  Arbeiten 
zu  zeigen,  die  sie  so 
PARISER  PUPPEN        ängstlich  davon  fern- 

l'enfance"    im    Musie   Galliera  gehalten  hat.  L.  D. 


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§ 


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HAUS  RUPPEL 

FRANKFURTA'AXAIM        > 


ARCHlTEKiyPROE  HUGO  EBERHARET 


Wir  sind  gewohnt,  die  Bauten,  die  um 
uns  herum  entstehen,  immer  vom 
Architekten  aus  zu  betrachten.  Gewiß,  er  ist 
der  eigentliche  Hersteller  des  Hauses,  der 
Baumeister,  der  —  im  alten  Sinne  desWortes  — 
Meister  der  Bauleute.  Er  erdenkt  die  Räume, 
entwirft  die  Grundrisse  und  die  Fassaden, 
wählt  Materialien,  bestimmt  Handwerksleute, 
ist  kurz  und  gut  der  verantwortliche  Gestalter 
des  Hauses,  auf  dessen  Veranlassung  alles 
geschieht,  der  schön  oder  häßlich,  groß  oder 
banal  bauen  kann.  Aber  die  Sprache  redet 
nicht  nur  vom  Baumeister,  sie  hat  außerdem 
noch  das  Wort  Bauherr,  ein  stolzes,  herrisches 
Wort  geprägt.  Wie  der  fiedelnde  Tod  in  dem 
Böckiinschen  Selbstbildnis,  so  taucht  hinter 
dem  Baumeister  immer  der  Bauherr  auf. 
Manchmal  fiedelt  er;  manchmal  ist  er  ver- 
gnügt über  das,  was  von  dem  Baumeister  für 
ihn  geplant  worden  ist,  was  er  unter  Maurers 
Händen  vor  sich  aufwachsen  sieht.  Manch- 
mal aber  ist  er  auch  grausam,  grausam  wie  der 
Sensenmann,  wenn  er  mit  harter  Hand  große 
Pläne  und  kühne  Ideen  des  künstlerisch 
wollenden  Architekten  im  Keime  schon  er- 
stickt. Er  hat  ja  die  Macht,  aus  Bauideen 
Architektur  werden  zu  lassen,  und  mehr  noch 
übt  er  vielleicht  die  Macht,  durch  soviel  Ein- 
wände, soviel  Kompromißforderungen  ideale 
Anlagen  um  ihren  eigentlichen  Kern,  um  die 
ideale  Einheit  zu  bringen.  So  ist  Architektur 
immer  zu  verstehen  als  Diagonale  zwischen 
der  Kraft  eines  Baumeisters  und  den  Ab- 
sichten des  Bauherrn.  Es  ist,  wo  Richtiges 
entstehen  sollte,  nie  so  gewesen,  daß  der 
Eine  nur  der  Mann  war,  der  einen  Kontrakt 
unterzeichnete  und  Gelder  hergab,  damit  der 
andere,  der  Baumeister,  in  die  Lage  käme, 
seine  Kunst  zu  üben.  Auch  der  Bauherr 
hat  bei  der  Anlage  eines  Hauses,  das  ja  für 
ihn  vorgedacht  werden  soll,  eine  wichtige 
Funktion    zu    erfüllen.     Er    muß,    wenn    der 


Architekt  sich  ans  Planen  macht,  mitraten, 
muß  in  gewissem  Sinne  dem  ihm  zugedachten 
Grundriß  gegenüber  mitschöpferisch  werden. 
Mitschöpferisch  in  der  Weise,  daß  er  von 
dem  Architekten  die  Räume  und  die  Anlagen 
fordert,  die  ihm  wie  der  Rock  auf  den  Leib 
passen  werden.  Er  muß  eine  Vorstellung 
haben  von  dem  Leben,  das  sich  seinen  Ab- 
sichten nach  dereinst  in  dem  werdenden  Haus 
entfalten  wird,  und  muß  diese  Vorstellung 
seinem  Baumeister  aufzuzwingen  verstehen, 
auf  daß  er  aus  solchem  Abstraktum  ein  Sinn- 
liches, ein  Räumliches  bilde.  Wo  immer  man 
sich  umtut  in  den  Architekturen  der  Ver- 
gangenheit, spürt  man  hinter  der  Form  diesen 
Willen  des  Bauherrn,  der  einmal  das  monu- 
mental Mystische,  ein  ander  Mal  das  elegant 
Mondäne,  wieder  einmal  das  bürgerlich  Be- 
häbige erstrebte.  Nicht  daß  nachzuweisen 
wäre,  daß  er  sich  um  das  Detail  der  Form- 
gebung, um  die  Schnörkel  und  Schnörkelchen 
des  Stilwesens  bekümmert  hätte.  Das  war 
einem  Bauherrn  vorbehalten,  der  im  Instinkt 
unklar  gemacht  worden  war,  der,  wenn  er 
sich  ein  Haus  herrichten  ließ,  einer  fixen 
Stilidee  und  nicht  einem  natürlichen  Lebens- 
bedürfnis zu  genügen  trachtete.  Das  aller- 
dings konnte  man  von  dem  Bauherrn  nicht 
verlangen,  daß  er  auch  noch  in  verwendbaren 
Stilvorlagenwerken  Bescheid  wüßte,  daß  er 
seinem  Baumeister  auch  noch  hülfe,  Motive, 
die  übernommen  werden  könnten,  ausfindig 
zu  machen.  Eine  Zusammenarbeit  in  solchem 
Sinne  konnte  natürlich  nicht  gemeint  sein,  und 
wo  sie  vorgekommen  ist,  war  von  vornherein 
nichts  zu  erwarten,  was  man  Architektur 
heißen  könnte.  Aber  das  Organische  am 
Haus,  das,  woraus  der  Form  das  Leben  quillt, 
das  geht  bis  zu  einem  gewissen  Grade  immer 
zurück  auf  den  Bauherrn,  der  dem  von  ihm 
berufenen  Architekten  stets  ein  Stück  seines 
intimsten  Seins  zu  enthüllen  hat. 


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Dekorative  Kunst.    XVII.     4.    Januar  1914 


153 


20 


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In  jeder  Veröffent- 
lichung eines  in  die- 
sem Sinne  organisch 
entwickelten  Privat- 
hauses liegt  daher  eine 
gewiße  Indiskretion. 
Durch  Grundrißzeich- 
nungen und  Abbildun- 
gen schaut  man  hinein 
in  einen  Bezirk,  der 
eigentlich  dem  neugie- 
rigen Blick  der  Oeffent- 
lichkeit  verschlossen 
bleiben  möchte,  in  das 
Privatleben  von  Men- 
schen, die  sich  mit  ei- 
nem    Aufgebot     von 


(3RUN0RI3S    UM   I.0e€RG€SCH0S5  . 


höchstem  Scharfsinn 
in  ihrem  Hause  einen 
Apparat  zur  bequem- 
sten Führung  ihres  Le- 
bens konstruieren  lie- 
ßen. Wird  einem  die 
Aufgabe  gestellt,  einen 
solchen  Bau  und  seine 
Einrichtung  dem  Leser 
vorzuführen,  so  spürt 
man  den  Zwang,  alles 
was  man  gesehen  hat, 
wiederum  zurückzu- 
führen auf  die  Person 
des  Bauherrn.  Man 
gelangt  von  selbst,  da 
seine  Intentionen   die 


?) 


eBDoeacHoss-  GouNoaii, 


BAUCRNBLUMCN 


ARCH.  HUGO  EBERHARDT, 
OFFENBACH 


HAUS  RUPPEL  IN 
FRANKFl  RT  a.  M. 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH 


HAUS  RUPPEL:  TERRASSEN  AN  DER  SÜDSEITE 


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ARCH.  H.  EBERHARDT-OFFENBACH  U.  BILDHAUER  CARL  STOCK-FRANKFURT  A.  M.  Q  IIIRSCHBRUNNEN  (vgl.  S.  159) 


Vorbedingung  waren  für  das,  was  der  Bau- 
meister gebildet  hat,  zu  einer,  wenn  auch 
nur  flüchtigen  Psychologie  dieses  Miturhebers. 
In  dem  Haus  des  Frankfurter  Ingenieurs  Rup- 
PEL,  das  Hugo  EßERHARDT-Offenbach  baute, 
spürt  man  mehr  als  sonst  die  bestimmten 
Wünsche  und  bewußt  gestellten  Forderungen 
des  Bauherrn.  Im  Innern  wie  am  Aeußern, 
überall  in  diesem  Bau  stößt  man  auf  diesen 
Willen,  der  in  dem  ausführenden  Architekten 
formbildend  geworden  ist.  So  sehr  drängt  er 
sich  einem  auf,  daß  man  getrost  behaupten 
kann,  Eberhardt  hätte  für  einen  anderen  Bau- 


herrn ein  solches  Haus  niemals  bauen  können, 
immer  wäre  etwas  ganz  anderes  daraus  ge- 
worden, wie  ja  auch  frühere  Bauten  von  Eber- 
hardt wesentlich  anders  disponiert  sind. 

Es  handelt  sich  um  einen  Ingenieur,  einen 
Elektriker,  der,  wie  man  hört,  auf  dem  Gebiet 
der  Blitzableiteranlagen  umwälzende  Erfin- 
dungen gemacht  hat,  und  der  nun  nicht  nur 
mit  äußerlicher  Symbolik,  wie  etwa  in  dem 
blitzeschleudernden,  von  Bildhauer  Karl  Stock 
modellierten  Thor  an  dem  Schlußstein  des 
Portalbogens  zu  sehen  ist,  an  und  in  seinem 
Hause   auf  seine  Berufstätigkeit   hinzuweisen 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH     Q     HAUS  RUPPEL:   SONNENUHR  AUF  DER  UNTEREN  GARTENTERRASSE 
PLASTISCHER  SCHMUCK   VON  BILDHAUER  CARL  STOCK-FRANKFURT  A.  M. 


Lust  hatte.  Es  gibt  da,  um  eines  vorweg  zu 
nennen,  oben  auf  dem  Dach  eine  ovale  Platt- 
form, wie  sie  ähnlich  als  dekoratives  Zierstück 
zum  Motivenschatz  „vornehm"  bauender  Ar- 
chitekten gehört.  Hier  hat  sie  ihren  besonderen 


Sinn  in  dem  Bedürfnis  des  Bauherrn,  luft- 
elektrische Messungen  vornehmen  zu  können. 
Solch  Detail  ist  charakteristisch  für  die  ganze 
Anlage,  die  aus  der  Tätigkeit  und  den  Passionen 
des    Hausherrn   heraus   verstanden    sein   will. 


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160 


ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH 


HAUS  RUPPEL:  HAUPTEINGANG  MIT  FREITREPPE 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    4.    Januar  1914 


161 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH 


Dieser  Ingenieur  ist  passionierter  Jäger,  ist 
Sammler  von  altem  Ingenieurgerät  und  tech- 
nischen Werkzeugen,  ist  in  beinah  gleichem 
Maße  Sammler  von  delikatem  alten  Hausrat, 
von  entzückenden  Biedermeiermöbelchen,  Sil- 
houetten, Porzellanen  usw.,  und  er  fühlt  sich 
als  ein  Frankfurter,  der  an  seinem  Haus  noch 
etwas  von  der  Tradition  spüren  möchte,  die 
dem  Alt-Frankfurter  Bürgerhaus  Würde  und 
Vornehmheit  gegeben  hat.  Aus  diesen  viel- 
artigen Voraussetzungen  heraus  ist  das  Haus 
Ruppel  entstanden,  das  sich  in  einem  sehr 
erfreulichen  Gegensatz  zu  den  parvenühaft 
eklektischen  Stilbauereien  des  neuen  Frank- 
furt präsentiert.  Die  Fassade  mit  den  nach 
der  Horizontale  disponierten  Fenstern,  mit 
ihren  lustig  blinkenden  Läden,  mit  den  zwi- 
schen den  Putzflächen  lisenenartig  aufgemau- 
erten Wandflächen,  mit  dem  weit  herunter- 
gezogenen Schieferdach,  dessen  Platten  der 
dekorativeren  Wirkung  wegen  nach  dem  alt- 
deutschen, dem  sogenannten  „scharfen"  Hieb 
geschlagen  sind,  gibt  es  eine  ferne  Erinnerung 
noch  an  jene,  das  Maintal  einst  beherrschende 
Bautradition,  die  aus  den  Stichen  der  Goethe- 


HAUS  RUPPEL:  TREPPE  ZUM  OBERGESCHOSZ 


zeit  bekannt  genug  geworden  ist.  Eberhardt 
erweist  sich  hier  in  gewissem  Sinne  als  ein 
Heimatskünstler,  der  ihm  ja,  wie  man  von 
seinen  Bauten  aus  dem  Neckar-  und  dem 
Lahntal  weiß,  im  Blute  steckt.  Aber  doch 
als  einer,  der  mit  Prinzipien  vernünftig  und 
modern  umzugehen  weiß,  der  nicht  zu  einem 
Sklaven  des  Prinzips  wird.  Das  zeigt  auch 
schon  deutlich  genug  die  Gartenseite  des 
Hauses  Ruppel  (vgl.  Beilage  vor  Seite  153), 
die  mit  ihren  vorgezogenen  Seitentrakten  und 
mit  dem  von  Säulen  getragenen  Mittelbalkon 
ein  weltmännisch  modernes  Gepräge  bekommen 
hat,  wie  es  sich  bei  Wahrung  eines  von  dem 
Bauherrn  erwünschten  Formgedankens  aus 
der  Grundrißanlage  ungezwungen  ergab.  Das 
Schmuckstück,  das  hier  die  Terrasse  ziert, 
ist  eine  Sonnenuhr  (Abb.  S.  160),  die  wieder- 
um an  den  Mann  der  Naturwissenschaften 
erinnert.  Diese  Terrasse  bildet  den  Uebergang 
zum  Garten,  der,  wie  der  Grundriß  auf  S.  154 
erkennen  läßt,  architektonisch  straff  organisiert 
ist.  Eine  Unebenheit  des  Terrains  und  ein 
vorhandener  alter  Baum  brachten  auf  den 
Gedanken,  seitlich  von  der  Hauptachse,    dem 


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Speisezimmer  vorgelagert,  eine  schattige  Laube 
anzulegen,  die  sich  dann  schließlich  bei  der 
weiteren  Ausgestaltung  zu  einem  vertieften, 
von  vielerlei  Moosen  übersponnenen  Brunnen- 
hof auswuchs,  dessen  Zierde  ein  Hirsch- 
brunnen (Abb.  Seite  158/159)  wurde.  Dieser 
Hirschbrunnen  wie  auch    die    Sonnenuhr    ist 


von  dem  Bildhauer  Carl  Stock  modelliert 
worden.  Er  hat  dem  Tier,  zu  dem,  wie  man 
hört,  ein  Hirsch  aus  den  Jagdgründen  des 
Hausherrn  das  Modell  abgegeben  haben 
soll,  jene  geruhigen  Qualitäten  gegeben,  wie  sie 
der  Münchner  Hildebrand-Schule  eigen  sind. 
Noch  mehr  zeigt  sich  das  Eingehen  auf  das 


ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH  HAUS  RUPPEL:  NISCHE  IN  DER  UNTEREN  HALLE 


163 


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Balkon,   einen   Austritt   mit 
einem  Blick  über  die  Straße 
hat.    An  diese  Halle,  in  der 
es    aus    hübschen    Bieder- 
meiermöbelchen einen  trau- 
lichen  Sitz  gibt,    schließen 
sich  nach  Süden  zu  in  einer 
nun    fast    schon    selbstver- 
ständlich gewordenen  Folge 
Schlaf-,    Bade-    und    Früh- 
stückszimmer an.     In  dem 
Erdgeschoß   ist   durch   eine 
Mittelhalle,  ein  Gartenzim- 
mer,   die  Terrasse  und  die 
aufgestellte   Sonnenuhr   die 
Achse  herausgearbeitet  wor- 
den.    Durch  ein  Pfeilerge- 
viert,  das   den  Eingang   zu 
der    Gartenhalle    umrahmt 
und  das  Treppenhaus  gewis- 
sermaßen   optisch    abtrennt 
(Abb.  S.  1 6 1 ),  durch  die  Pfei- 
ler, die  nach  der  andern  Seite 
die    versenkbare    Glaswand 
der    Gartenhalle    flankieren 
und  endlich  durch  die  Dop- 
pelsäulen, die  die  Veranda 
an    der  Südwand  zu  tragen 
haben,  ist  diese  Achsenlage 
aufs   kräftigste  betont  wor- 
den. Von  hieraus  geschieht 
die  Orientierung  im  Hause; 
von   hier  aus  sind  die  ein- 
zelnen    Räume     orientiert: 
nach  Osten  über  der  Küche 
die   Anrichte  und  anschlie- 
ßend an  sie  mit  dem  Aus- 
blick  auf   den    Brunnenhof 
das    langgestreckte    Speise- 
zimmer, Büfett  und  Anrichte 
in  einer  durch  einen  Deckenbalken  vertieften 
Nische  eingebaut.    Im  Anschluß  daran  als  ein 
ebenso  mit  der  Halle  in  Verbindung  stehender 
Gesellschaftsraum  das  mehrfach  schon  erw  ähnle 
Gartenzimmer,    in  dem  es  aus   wirklich  alten 
Möbeln,  Stichen  und  Miniaturen  ein  so  delikates 
Stilleben  gibt,  wie  es  die  Abbildung  Seite  166 
sehen    läßt.     Die    schmale    Tür,   zu    der,    wie 
auf  diesem  Bilde   gerade   noch  zu    sehen  ist, 
drei  Stufen   emporführen,    schließt  diese  Ge- 
sellschaftsräume ab  von  dem  Wohnbezirk  des 
Hausherrn,    dessen    Bereich    der   eine    Flügel 
von  hier  aus  einnimmt.  Hier  gibt  es  Bibliothek 
und   Arbeitszimmer   mit    manchem    ehrwürdig 
schweinsledernen  Folianten,  hier  in  dem  Herren-    ö 
zimmer  die  prachtvolle  Sammlung  alter  tech- 
nischer Apparate  und  Werkzeuge,  ein  kultur- 
historisches Arsenal   von  einer  verblüffenden 


ARCH. HUGO  EBERHARDT-OFFEN  BACH  H  FENSTERNISCHE  IM  BOUDOIR  DER  DAME 


Naturell  und  die  Intentionen  des  Bauherrn  im 
Innern.  Die  Grundrißaufteilung  Eberhardts  ist 
wie  die  Architektur  des  Aeußeren  übersichtlich, 
zweckvoll  und  im  Sinne  der  hier  zu  erfüllenden 
Lebensansprüche  vernünftig.  Das  Grundstück 
hatte  den  Vorzug,  mit  der  Nordseite  an  die 
Straße  zu  stoßen.  Da  die  Küche  ins  Unter- 
geschoß eingebaut  wurde,  legte  Eberhardt  an 
diese  Nordseite  das  Vestibül,  die  Garderobe, 
eine  Nebentreppe  und  schließlich  eine  aus- 
gerundete Kneipnische,  für  die  ja  eine  direkte 
Sonnenbeleuchtung  selbst  von  dem  enragier- 
testen  Hygieniker  nicht  gefordert  werden  dürfte. 
Im  Obergeschoß  gibt  es  an  der  Seite  wiederum 
die  beiden  Treppenaufgänge,  eine  Toilette,  in 
der  westlichen  Ecke  ein  Boudoir  und  schließ- 


^    lieh  eine  große  Dielenhalle,  von  der  aus  man 
H    auf    einem    kleinen,    das    Portal    betonenden 


164 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH 


HAUS  RUPPEL:  HERRENZIMMER 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH     B    Q      HAUS  RUPPEL:  GARTENZIMMER  MIT  VERSENKBARER  GLASWAND 


Reichhaltigkeit.  Da  gibt  es  Globen  und  Qua- 
dranten, Wagen,  Spinnräder,  Sägen,  Elektrisier- 
maschinen usw.  aus  etlichen  Jahrhunderten, 
seltsame  und  sinnreiche  Apparate  aus  allen 
Zeiten,  an  denen  man  die  intelligente  Erfindung, 
die  treffliche  Arbeit,  mitunter  auch  den  über- 
reichen Schmuck,  mit  dem  frühere  Zeiten  auch 
das  einfachste  Handwerkszeug  auffallend  schön 
zu  zieren  liebten,  bewundert.  Auf  Tischen, 
an  den  Decken,  den  Wänden  und  in  Schränken 
genießt  man  ein  höchst  unterhaltsames  Kolleg 
über  die  technische  Kultur  unserer  Vergangen- 
heit. Allzu  begreiflich,  daß  der  Besitzer  und 
glückliche  Sammler  solcher  Schätze,  die  zum 
großen  Teil  selbst  nicht  wenig  dekorativ  wirken, 
vor  allem  den  Wunsch  hatte,  ihnen  einen  be- 
sonders angemessenen  Rahmen  zu  schaffen. 
Es  mag  ihm  dabei,  als  er  über  diesen  Teil 
des  Hauses  mit  dem  Architekten  konferierte, 
gelegentlich  so  etwas  wie  alte  Kupfer-  oder 
Holzschnitte  vorgeschwebt  haben,  auf  denen 
im  stimmungsvollen  Halbdunkel  verborgener 
Gewölbe  Chiromanten,  Alchimisten  und  derlei 
Leute  zu  sehen  sind,  die  halb  als  Wissenschaftler, 
halb  als  Glücksjäger  der  Natur  auf  ihre  Schliche 
und  geheimen  Kräfte  zu  kommen  suchten.  Es 
dürfte  in  ihm  auch  der  Wunsch  gewesen  sein, 
Werkzeugen   und    Apparaten,    die    in    solcher 


Sphäre  entstanden  und  gebraucht  waren,  eine 
ähnlich  geartete  Kulisse  zu  geben.  Bei  solchem 
Begehren,  das  man  gewiß  nicht  ganz  von  der 
Hand  weisen  wird,  liegt  die  Gefahr  der  Ueber- 
steigerung  sehr  nahe,  die  Gefahr,  daß  einer 
sich  sentimentalisch  in  eine  Romantik  hinein- 
hitzt,  die  bei  der  Theaterei  endigt  und  schließ- 
lich um  Dinge,  die,  wie  diese  technischen 
Apparate,  doch  auch  eine  so  eminente  Sach- 
lichkeit verkörpern,  eine  Atrappenbanaliiät 
zaubert.  Es  spricht  sehr  für  die  Fähigkeiten 
Eberhardts,  daß  er  hier  das  rechte  Maß  ge- 
troffen hat,  daß  es  ihm  gelungen  ist,  Stimmung 
ohne  Theaterei,  eine  Dekoration  ohne  Kulissen- 
romantik zu  schaffen.  Diese  Räume  (Abb.  S.  1 65) 
sehen  tatsächlich  anders  aus,  als  man  sonst 
Herrenzimmer  und  Arbeitsräume  im  modernen 
Eigenhaus  anzulegen  pflegt.  Mit  Balkendecken, 
schweren  Pfeilern,  stark  ausgebürsteten  Holz- 
verkleidungen, mächtigen  schmiedeeisernen 
Beschlägen,  verbleiten  Glasfenstern,  einer 
halbhohen  Kaminnische  usw.  ist  eine  Stimmung 
erzielt  worden,  die  Besonderes  erwarten  läßt, 
und  die  Erfüllung  dieser  durch  die  Raumauf- 
machung spontan  ausgelösten  Erwartung  sind 
eben  die  Schätze,  die  in  Schränken  und  Schub- 
laden und  Kästen  hier  vereinigt  sind.  Aufs 
höchste  ist  diese  Stimmungsmalerei  getrieben 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH 


HAUS  RUPPEL:  KINDERSPIELHALLE  IM  DACHGESCHOSZ 


in  einem  einsamen  Studio,  das  der  Hausherr 
sich  im  Anschluß  an  die  Studienzwecken 
dienende  Plattform  des  Dachaufsatzes  im  Giebel 
eingerichtet  hat.  Da  hängt  an  schweren  Holz- 
balken der  Totenkopf,  da  liegen  auf  einer 
alten  Truhe  mächtige  Folianten,  Wandschränk- 
chen gibt's,  hinter  deren  schweren  Holztüren 
man  geheimnisvolle  Mixturen  vermutet.  Aber, 
was  da  zusammengestimmt  wurde,  paßt  doch 
zu  dem  Menschen,  der,  trotzdem  er  von  dem 
Schlag  der  ganz  modern  gestimmten  Ingenieure 
ist,  mit  einer  kaum  zu  übertreffenden  Ehr- 
erbietung an  seiner  Berufstradition  hängt.  Ein 
Empfinden,  das  sich  auch  schon  aussprach  in 
dem  Wunsch,  in  Frankfurt  ein  Haus  zu  haben, 
das  aus  der  charaktervollen  Alt- Frankfurter 
9  Tradition  heraus  entwickelt  ist.  Ein  Empfinden 
S  auch,  das  ihn  alte  Möbel  von  vollendeter 
3  Qualität  sammeln  ließ,  mit  denen  der  Archi- 
g  tekt  so  delikate  Stilleben  stellen  konnte,  wie 
sie  in  der  Fensternische  des  Boudoirs  (Abb. 
S.  164)  und  in  der  Ecke  des  Gartenzimmers 
(Abb.  S.  166)  zu  sehen  sind,  das  den  Jäger 
antrieb,  sich  von  seinem  Architekten  eine 
Nische  in  die  Halle  (Abb.  S.  163)  einbauen 
zu  lassen,  deren  Wände  und  Decke  von  einem 
flotten  Pinsel  mit  einem  lustig  rankenden 
Ornamentwerk  dekoriert  worden  sind. 


Man  sieht,  wie  der  Architekt  hier  allent- 
halben ganz  bestimmten  Wünschen  gegenüber 
stand,  und  wie  es  seine  Aufgabe  war,  diesen 
ebensowohl  begründeten  wie  gebieterisch  auf- 
tretenden Anforderungen  die  kultivierte  Form 
zu  geben.  Seine  Bestimmung  war  es,  diesem 
Organismus  Struktur  und  eine  modernen  Ge- 
schmacksanforderungen entsprechende  Schön- 
heit zu  geben.  Wenn  es  heute  keine  Kunst 
mehr  ist,  ein  Stadt-  oder  Landhaus  kultiviert 
zu  bauen,  so  war  hier  die  größere  Kunst  zu 
bewältigen,  einen  Bau  zu  schaffen  für  einen 
Mann,  der  in  den  landläufigen  Typ  in  keiner 
Weise  hineingepaßt  hätte,  der  sogar  manches 
Gelüst  erfüllt  haben  wollte,  das  diesem  Typ 
innerlich  zu  widerstreben  scheint.  Daß  Eber- 
hardt  hier  nicht  versagt  hat,  daß  er  aus  schwie- 
rigen Voraussetzungen  eine  sympathische  Archi- 
tekturleistung zu  machen  gewußt  hat,  beweist, 
daß  er  als  Baumeisterauch  über  jenem  Durch- 
schnittstyp steht,  der  heute  derlei  Häuser 
brauchbar  genug  zu  errichten  pflegt.  Die  Diago- 
nale, die  in  seiner  Architektur  erkennbar  ist, 
tendiert  nach  der  Seite  der  modernen  Kultiviert- 
heit, die,  ganz  gleich,  welche  Aufgabe  ihr  ge- 
stellt wird,  immer  bestrebt  ist,  etwas  hervor- 
ragend Brauchbares  und  ebenso  hervorragend 
Geschmackvolles  zu  schaffen.    Paul  Westheim 


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ARCH.  HUGO  EBERHARDT-OFFENBACH  HAUS  RUPPEL:  KAMIN  IM  HERRENZIMMER 

PLASTISCHER  SCHMUCK  VON  BILDHAUER  KARL  KILLER,  MÜNCHEN 

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DIE  FRESKEN  VON  WALTHER  GEORGI 
IN  DER  ABTEIKIRCHE  ZU  SANKT  BLASIEN 


Die  Kirche  der  ehemaligen  Benediktiner- 
Abtei  zu  Sankt  Blasien  im  badischen 
Schwarzwald  ist  nach  den  Plänen  des  Archi- 
tekten Michel  d'Ixnard  im  Jahre  1768  begonnen 
und  1783  vollendet  worden.  Es  ist  eine  im 
klassizistischen  Barock  ausgeführte  Zentral- 
kirche, deren  Anlage  den  besonderen  Bedürf- 
nissen einer  Klosterkirche  angepaßt  ist.  Den 
Hauptraum  bildet  eine  kreisrunde  Kuppelhalle, 
die  sich  aber  nach  der  Altarseite  hin  in  ein 
Langschiff,  den  für  die  Mönche  bestimmten 
Chor  öffnet.  Die  Kuppel  gehört  mit  einem 
inneren  Durchmesser  von  35  Metern  zu  den 
größten  Kuppelbauten  der  Welt  und  kommt  als 
vierte  nach  den  drei  berühmten  italienischen 
Kuppeln :  der  des  Pantheon  (43  m),  der  Peters- 
kirche (42  m)  und  des  Doms  zu  Florenz  (40  m). 

Die  Schale  der  inneren  Kuppel  hat  keinen 
Tambur,  sondern  lagert  als  eine  weitgespannte 
Halbkugel  über  dem  ganzen  Raum.  Gleichwohl 
ruht  der  Rand  der  Kuppel  nicht  auf  der  Außen- 
mauer, sondern  der  reicheren  Raumperspektive 
wegen  auf  einem  wagrechten  Gebälk,  das  von 
20  freistehenden  korinthischen  Säulen  getra- 
gen wird;  dazwischen  fällt  das  Licht  in  einer 
doppelten  Reihe  von  Fenstern  herein.  Außer- 
dem wird  der  Kuppelraum  durch  eine  dritte 
Fensterreihe  beleuchtet,  die  im  untern  Teil  der 
Kuppel  selbst  eingelassen  ist. 

Als  das  Kloster  Sankt  Blasien  im  Jahre  1806 
säkularisiert  wurde,  blieb  die  ehemalige  Abtei- 
kirche als  Pfarrkirche  ihrem  religiösen  Zweck 
erhalten.  In  dem  anstoßenden  Teil  des  Kloster- 
gebäudes aber  wurde  später  eine  Baumwoll- 


spinnereieingerichtet. In  dieser  brach  im  Jahre 
9     1874  ein  Brand  aus,  der  auch  auf  die  Kirche 


übergriff.  Dadurch  wurde  die  Kuppel  und  die 
ganze  innere  Ausstattung  der  Kirche  zerstört. 
Der  Gottesdienst  wurde  auf  den  notdürftig  aus- 
gebesserten Chor  beschränkt,  der  durch  eine 
Mauer  von  der  Rotunde  abgeschlossen  wurde. 
Diese  selbst  blieb  einstweilen  Ruine,  bis  auf 
eine  Anregung  Großherzog  Friedrichs  I.  die 
vollkommene  Wiederherstellung  dieses  bedeu- 
tenden Denkmals  der  Barockbaukunst  durch 
den  Staat  beschlossen  wurde.  Rotunde  und 
Chor  wurden  wieder  als  ein  einheitlicher  Raum 
ausgebildet  und  —  zuletzt  unter  der  Leitung 
von  Architekt  Friedrich  Ostendorf  in  Karls- 
ruhe —  wieder  für  die  Bedürfnisse  des  katho- 
lischen Gottesdienstes  eingerichtet.  Im  Laufe 
dieses  Jahres  konnte  die  Kuppelhalle  nach  Ab- 
schluß der  wichtigsten  Arbeiten  im  Innern  ihrer 
religiösen  Bestimmung  zurückgegeben  werden. 
Die  eigentlich  dekorative  Ausstattung  des 
Raumes  ist  ziemlich  schlicht  gehalten.  Die 
Wand  wird  durch  eine  Reihe  flacher  Pilaster 
gegliedert,  und  maßvoll  verwandte  Stuckorna- 
mentik schmückt  die  Fensterumrahmung.  So 
beschränkt  sich  die  imposante  Wirkung  des 
Raumes  im  wesentlichen  auf  die  konstruktiven 
Elemente.  Ebenso  schlicht  ist  die  farbige  Be- 
handlung. Die  Grundfarbe  der  Wand  ist  ein 
helles  Gelb,  die  Kuppel  —  die  in  ihrem  an- 
steigenden Teile  bis  zur  oberen  Fensterhöhe 
kassettiert  wurde  —  ist  weiß;  diese  Farbe 
setzt  sich  auch  in  den  Säulen,  Pilastern,  dem 
Rahmenwerk  usw.  fort.  Der  Spiegel  der 
Kuppelschale  istbeimUmbau  flachgelegt  worden. 
Hierfür  war  das  Bedürfnis  maßgebend,  die  far- 
bige Raumstimmung  im  Sinne  der  Barockkunst 
durch    eine  Deckenmalerei  zu   steigern.     Die 


Dekorative  Kunst.    XVII.     4      Januar  1914 


169 


22 


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Ausführung  dieses  Werks  erfolgte  als  Abschluß 
der  eigentlichen  Wiederherstellungsarbeiten  im 
Staatsauftrag.  Als  Gegenstand  der  Darstellung 
wurde  die  Himmelfahrt  Maria  bestimmt.  Vier 
Karlsruher  Künstler  wurden  zu  einem  engeren 
Wettbewerb  aufgefordert.  Auf  Grund  des  von 
ihm  eingereichten  Entwurfes  übertrugen  die 
Preisrichter  Walther  Georgi  die  Ausführung. 
Die  Basis  für  die  formale  Gestaltung  des 
Deckenbildes  war  natürlich  die  architektonisch 
gegebene  Fläche:  der  Kreis.  Darnach  hat 
Georgi  seine  Komposition  aus  zwei  Bewegungen 
heraus  entwickelt:  eine  vom  Mittelpunkt  des 
Kreises  nach  außen  und  eine  von  außen  nach 
dem  Mittelpunkt.  Der  Hauptträger  der  ersten 
Bewegung  ist  Christus,  der  von  der  Mitte  (dem 
Himmel)  seiner  Mutter  entgegeneilt;  der  der 
zweiten  Maria,  die  von  der  Erde  zum  Himmel 


aufsteigt.  In  dem  Zusammentreffen  dieser  bei- 
den Gestalten  erhält  das  Bild  gegenständlich 
und  künstlerisch  seinen  Hauptteil.  Die  Gestalt 
des  Christus,  dem  ein  durch  die  Bewegung  aus- 
gebreiteter Mantel  eine  wuchtige  Masse  gibt, 
wird  von  einem  kranzartigen  Reigen  von  kind- 
lichen Engeln  umgeben,  in  den  die  Figur  der 
Maria  einschneidet.  So  wird  der  Kreis  als 
Grundlage  der  Komposition  nochmals  betont. 
Zwei  Reihen  begleitender  Gruppen  füllen 
den  äußern  Kreis  der  Kuppelfläche:  Apostel 
und  Engel.  In  ihrer  räumlichen  Verteilung, 
deren  Gleichgewicht  auch  durch  den  Gegensatz 
der  Farbe  markiert  ist,  fassen  sie  das  In- 
einandergreifen der  beiden  Hauptbewegungen 
und  ihren  Ausgleich  zum  Kreis  nochmals  zu- 
sammen. Für  die  Verteilung  der  Farben  im 
Bilde  war  auch  das  vorherrschende  Gelb  der 


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WALTHER  GEORGI, 
KARLSRUHE 


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II 


STUDIE  ZU  DEN 
APOSTELN 


170 


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WALTHER  GEORGI- 
KARLSRUHE 


Kirchenwand  mitbestimmend.  Gelb  ist  im 
Bild  viel  enthalten  und  gibt  im  Brokatgewand 
der  Maria  den  Hauptklang  in  der  farbigen 
Komposition  des  Ganzen  an. 

Für  die  Beurteilung  von  Georgis  künstle- 
rischer Leistung  fällt  besonders  ins  Gewicht, 
daß  er  zum  erstenmal  vor  eine  derartige  Auf- 
gabe gestellt  war,  und  daß  der  modernen  Kunst 
auf  diesem  Gebiet  überhaupt  die  eigene  Tra- 
dition fehlt.  Um  so  mehr  ist  zu  betonen,  daß 
der  Künstler  die  naheliegende  Anlehnung  an 
historische  Vorbilder  vermieden  und  ein  durch- 
aus originelles,  in  der  Komposition,  wie  in  der 
Charakteristik  der  auf  Grund  reicher  Nafur- 
studien  entworfenen  Einzelgestalten  selbstän- 
diges Kunstwerk  geschaflFen  hat.  Auch  im  Stil 
der  Darstellung  hält  er  sich  von  der  Barock- 


DECKENGEMALDE 

DER   ABTEIKIRCHE  ZU 

SANKT   BLASIEN 

maierei  unabhängig.  Namentlich  vermeidet  er 
das  bei  den  alten  Kuppelmalern  beliebte  Kunst- 
stück der  perspektivischen  Täuschung,  den  Blick 
in  den  scheinbar  wirklichen  Raum.  Der  ge- 
schlossene Flächencharakter  der  Wand  ist  ge- 
wahrt. Damit  hat  er  unzweifelhaft  das  dem 
modernen  Empfinden  näher  Liegende  getroffen. 
Dagegen  wäre  es  für  die  Lösung  des  technisch- 
stilistischen Problems  wohl  günstiger  gewesen, 
wenn  das  Bild  für  den  Standpunkt  des  Be- 
schauers im  Sinne  der  wagrechten  Kreisfläche 
allseitig  und  nicht  auf  eine  Achse  gerichtet 
wäre,  die  dem  Blick  eine  einseitig  bestimmte 
Richtung  vorschreibt.  Das  sind  Einwände,  die 
nicht  die  Grundfrage  der  künstlerischen  Auf- 
fassung, sondern  Einzelfragen  der  technischen 
Erfahrung    betreffen.      Die    Berechnung    der 


9. 


171 


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W.  GEORGI-KARLSRUHEb  AUSSCHNITT  AUS  DEM  DECKENGEMÄLDE  IN  DER  ABTEIKIRCHE  ZU  ST.  BLASIEN  (vgl.  S.  173) 
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172 


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173 


g  ^^^^^      Farbenwirkung   wurde   dem  Künstler  dadurch 

besonders  erschwert,  daß  das  Licht  von  unten 
in  die  Kuppel  kommt,  er  also  zwischen  Ge- 
rüst und  Decke  im  Halbdunkeln  arbeiten  mußte. 
Dem  Künstler  wurde  für  sein  Werk  eine 
besonders  erfreuliche  Anerkennung  dadurch 
zuteil,  daß  er  gleich  nach  der  Vollendung  des 
Kuppelgemäldes  von  der  Gemeinde  Sankt  Bla- 
sien  den  Auftrag  zu  einem  zweiten  Monumen- 
talbild für  die  Kirche  erhalten  hat.  Auch  für 
dieses  Bild  war  der  Raum  schon  im  voraus 
bestimmt:  eine  Nische  über  dem  Altar,  die 
zwischen  die  Fensterreihen  der  Kuppel  ein- 
gelassen ist.  Gegenstand  der  Darstellung  ist 
diesmal  ein  Stoff  aus  der  Klostergeschichte. 
Der  eigentliche  Begründer  der  späteren  Reichs- 
abtei Sankt  Blasien  ist  der  Ritter  Reginhard 
von  Seldenbüren  geworden,  der  um  die  Mitte 
des  zehnten  Jahrhunderts  dem  bis  dahin  un- 
bedeutenden Kloster  einen  großen  Teil  seiner 
Güter  geschenkt  und  so  den  Grund  zu  seiner 
Blüte  gelegt  hat.  Die  feierliche  Ueberreichung 
der  Schenkungsurkunde  schildert  das  Bild. 

Der  Künstler  hat  den  Vorgang  nach  reif- 
licher Ueberlegung  in  das  Innere  der  Kirche 
verlegt.  Damit  gewann  er  den  doppelten  Vor- 
teil, daß  er  in  den  altertümlichen  Motiven 
des  Altars  und  der  Mosaikwand  für  die  fresko- 
mäßige Wirkung  von  Haus  aus  stilisierte  Form- 
motive gefunden  hat,  und  daß  ihm  ferner  das 
Gold  als  ein  Hauptkomponent  der  Farbe  zur 
Verfügung  stand.  Denn  wiederum  ist  die  Farbe 
des  Bildes  durch  die  reiche  Verwendung  von 
Gelb  dem  Grundton  des  Raumes  angepaßt. 
Gelb  tritt  im  Ornat  des  Abtes,  dem  Waffen- 
rock Reginhards  und  in  der  Malerei  des  Altars 
als  Masse  auf  und  faßt  mit  dem  Grün  und 
Weiß  der  Meßgewänder  den  Hauptteil  des 
Bildes  zu  einem  Dreiklang  starkwertiger  Lokal- 
farben zusammen,  zu  dem  das  kühle  graue 
Violett  der  Mönchskutten,  Rüstungen  und  des 
Hintergrunds  die  neutrale  Begleitung  bildet. 
So  erhält  das  Bild  in  Form  und  Farbe  einen 
festen  Mittelpunkt,  einen  breiten  und  wuchtigen 
Aufbau.  Die  klare  Komposition,  die  starke 
Wirkung  der  Massen  und  die  reiche  und  leuch- 
tende Farbenstimmung,  bei  der  namentlich 
das  Gold  eine  wichtige  Rolle  spielt,  bewirken 
eine  dekorative  Kraft,  die  der  weiten  Ent- 
fernung von  25  Meter  Höhe  über  dem  Fuß- 
boden glänzend  standhält.  War  diesmal  die 
künstlerische  Gestaltung  durch  keine  so  schwie- 
rigen technischen  Probleme  gebunden  wie 
beim  Kuppelbild,  so  sind  der  Ausführung  die 
Erfahrungen,  die  der  Künstler  bei  der  ersten 
Arbeit  gemacht  hat,  auch  rein  künstlerisch 
reichlich  zu  gut  gekommen.  Als  Vorzug  der 
reif  durchdachten  Arbeit  sei  nicht  zuletzt  auch 


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1 


WALTHER  GEORGI 


ENGELREIGEN  (vol.  S.  171) 


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174 


I 


der  klare  und  ungesuchte  Ausdruck  der  Hand- 
lunghervorgehoben. Fürden  Wert  eines  Kirchen- 
bildes, das  nicht  nur  ein  Schmuck,  sondern 
auch  die  Versinnlichung  eines  bedeutungs- 
vollen Inhalts  sein  soll,  ist  es  doppelt  wesent- 
lich, daß  auch  der  Gegenstand  anschaulich  und 
überzeugend  geschildert  ist. 

Aber  auch  als  Schmuck  sind  die  Georgischen 
Bilder  durch  den  Zusammenhang  mit  dem 
Charakter  und  der  Bestimmung  des  Raums 
wohl  begründet.  Die  Wiederherstellung  der 
St.  Blasier  Abteikirche  zeigt,  was  das  eigent- 
lich Architektonische  betrifft,  eine  sehr  glück- 
liche Hand.  Dagegen  ist  die  Raumstimmung 
in  der  Farbe  für  eine  katholische  Kirche  etwas 
nüchtern  ausgefallen.  Um  so  notwendiger  war 
es,  dem  Raum  durch  die  farbige  Kunst  der 
Malerei  noch  eine  Weihe  zu  geben,  wie  es 
im  Geiste  des  katholischen  Kultus  liegt.  Uebri- 
gens  könnte  die  Wirkung  der  Georgischen 
Bilder,  wie  überhaupt  des  ganzen  Raums  wohl 
noch  gewinnen,  wenn  das  Licht  etwas  abge- 
dämpft würde.  Eigentliche  Glasmalerei  ist  zwar 
schon  durch  die  strenge  Einhaltung  des  Barock- 
stils ausgeschlossen;  aber  eine  Abtönung  der 
wasserhellen  Fensterscheiben  wäre  doch  mög- 
lich. Vielleicht  läßt  sich  das  mit  der  Zeit 
noch  ändern.  Karl  Widmer 

DIE  DEUTSCHE  WERKBUND- 
AUSSTELLUNG IN  KÖLN  1914 

Auf  die  Ausstellung,  die  in  Köln,  am  rechten 
Ufer  des  Rheinsiromesauf  dem  ehemaligen 
Deutzer  Festungsgelände,  im  Werden  ist  und 
die  im  Mai  1914  eröffnet  werden  soll,  blickt 
mit  lebhaftem  Interesse  jeder,  dem  die  deutsche 
Qualitätsarbeit,derGedanke  der  Durchgeistigung 
der  Arbeit,  die  Werkbund-Idee  und  die  Weiter- 
entwicklung des  deutschen  Kunstgewerbes  etwas 
angeht.  Und  man  möchte  fragen:  Gibt  es  über- 
haupt irgendwen,  den  das  nicht  angeht?  Aesthe- 
tisch,  ethisch,  wirtschaftlich  —  irgendwie  steht 
jeder  mit  den  Dingen  in  Verbindung,  die  auf  der 
ersten  Ausstellung  des  Deutschen  Werkbundes  in 
geschlossener  Einheit  als  ein  Kulturweltbild  im 
kleinen,  vorgezeigt  werden  sollen.  Infolgedessen 
handelt  es  sich  bei  dem  Kölner  Unternehmen 
nicht  um  eine  beliebige  Ausstellung,  wie  wir 
ihrer  jedes  Jahr  etliche  zu  sehen  bekommen, 
sondern  es  ist  geradezu  ein  Rechenschafts- 
bericht über  die  Leistungsfähigkeit  der  zeitge- 
nössischen angewandten  Kunst  in  Deutschland, 
und  es  ist  daher  eine  Anspannung  aller  Kräfte 
nötig,  um  diese  Ausstellung  so  vollkommen  als 
nur  irgend  möglich  zu  gestalten.  Denn  sollte 
die  Ausstellung  nicht  das  halten,  was  wir  von 


I 


WALTHER  GEORGI 


ENGELREIGEN  (vgl.  S.  171) 


175 


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WALTHER  GEORGl-KARLSRUHE   B   STUDIEN  ZU  DEM  DECKENGEMÄLDE  IN  DER  ABTEIKIRCHE  ZU  SANKT  BLASIEN      P 
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176 


<  ihr  im  Interesse  der  deutschen  Qualitätsarbeit 
n  erwarten,  so  wäre  das  für  weite  Gebiete  der 
3  angewandten  Kunst  ein  schwerer  Schlag,  der 
J  uns  namentlich  dem  Auslande  gegenüber  auch 
y  wirtschaftlich  außerordentlich  zu  schädigen  ver- 
3  möchte.  —  In  Köln  indessen  geschieht  unter 
?    der  temperamentvollen  Oberleitung  des  Bürger- 

<  meisters  Carl  Rehorst,  der  den  geschäfts- 
i  führenden  Vorsitz  der  Veranstaltung  inne  hat, 
3  alles,  um  den  Erfolg  der  Ausstellung  sicher  zu 
5  stellen.  Ein  Heer  tüchtiger  künstlerischer  und 
J  organisatorischer  Mitarbeiter  ist  an  dem  Zentral- 
J  punkt  vereinigt,  Ausschüsse,  Kommissionen  und 
y  Vertrauensleute  arbeiten  an  allen  wichtigen 
||  Punkten  des  Reichs,  Oesterreich-Ungarns  und 
K    der  Schweiz.  Aus  den  Kreisen  des  Werkbunds 

<  kommt  in  reichem  Maße  materielle  und  ideelle 
j\  Unterstützung.  Die  Stadt  Köln  leiht  der  Aus- 
stellung ihre  wirkungsvolle  wirtschaftliche  Hilfe. 
Staatszuschüsse  und  Zuschüsse  einzelner  Städte 
und  Korporationen  an  die  Aussteller  bewirkten 
schon  eine  außerordentlich  lebhafte  Anmelde- 
tätigkeit,so  daß  die  Ausstellung  jetzt,  fünf  Monate 
vor  der  Eröffnung,  schon  nahezu  alle  verfügbaren 
Plätze  vergeben  hat.  Auch  für  den  Besuch  und 
das  Studium  der  Ausstellung  werden  jetzt  schon 
von  maßgebenden  Stellen  namhafte  Beträge  aus- 
gesetzt. Die  Jury  ist  am  Werk,  nur  dem  Besten 
den  Eintritt  in  die  Ausstellung  zu  gewähren  und 
tatsächlich  ausschließlich  Qualitätsarbeiten 
zu  zeigen.  Die  Bauten  der  Ausstellung  sind 
weit  fortgeschritten.  Die  Haupthalle,  ein  Werk 
Theodor  Fischers-München,  ist  im  Außenbau 
vollendet;  mächtig  streben  die  Bauten  von  Paul, 
Niemeyer,  Muthesius,  Moritz,  Paffendorf,  Hem- 
pel,  Kreis,  Behrens  u.a.  empor.  Auch  das  Nieder- 
rheinische  Dorf,  eine  Schöpfung  Georg  Metzen- 
dorfs,  geht  nunmehr  rüstig  voran,  und  der  Bau 
des  Künstlertheaters  mit  den  Reformbühnen 
nach  Henry  van  de  Veldes  Entwürfen  ist  jetzt 
gesichert.  Zahlreiche  kleinere  Bauten  für  be- 
sondere Zwecke  und  für  lokale  Verbände,  so 
das  „  Haus  der  Frau " ,  das  österreichische,  sächsi- 
sche, Bremer  Haus,  das  Kolonialhaus  usw., 
werden  mit  dem  Frühjahr  in  Angriff  genommen, 
ebenso  die  Bauten  des  Vergnügungsparks.  Der 
Dispositionsplan  der  Ausstellung  ist  vorzüglich 
und  kündet  von  einer  erfreulichen  Mannigfaltig- 
keit der  Darbietungen.  Einem  Vorschlag  ent- 
sprechend, der  zuerst  in  dieser  Zeitschrift  ge- 
macht wurde,  soll  das  Interessanteste  und  Cha- 
rakteristischeste der  Deutschen  Werkbund- Aus- 
stellung für  die  deutsche  Abteilung  der  Weh- 
ausstellung in  San  Francisco  191  ö  ausgewählt 
werden,  um  jenseits  des  Oceans  für  deutsche 
Qualitätsarbeit  zu  zeugen.  Dieser  Umstand  er- 
höht die  Bedeutsamkeit  aber  auch  die  Verant- 
wortlichkeit der  Kölner  Ausstellung.      g.  j.  w. 


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WALTHER  GEORGI 


STUDIENBLATT 


Dekorative  Kunst.  XVII. 


J<iiiuar  1914 


177 


23 


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WALTHER  GEORGI-KARLSRUHE  El  STUDIEN  ZU  DEM  DECKENGEMÄLDE  IN  SANKT  BLASIEN 

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6)         WALTHER  GEORGI-KARLSRUHE      □     STUDIEN  ZU  DEN  GRUPPEN  DER  MÖNCHE  IM  VOTIVGEMÄLDE  (vgl.  S.  181) 

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WALTHER  GEORGI 
KARLSRUHE 


VOTIVGEMÄLDE    IN 

DER    ABTEIKIRCHE 

ZU  SANKT  BLASIEN 

(VOL.  S.  182) 


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WALTHER  GEORGI-KARLSRUHE 


AUSSCHNITT  AUS  DEM  VOTIVGEMALDE  (vol.  S.  181) 


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M.  A.  NICOLAI-NIEDERSEDLITZ  B.  DRESDEN  KORBMÖBEL  FÜR  DAMEN-  UND  HERRENZIMMER       « 

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FR.  GILDEMEISTER-BREMEN 


AUS  DEM  VILLENGARTEN  K.  IN  BREMEN 


NEUE  GARTENANLAGEN 


Die  Regelmäßigkeit  als  Grundlage  der  Gar- 
tengestaltung ist  so  alt,  wie  die  Garten- 
kunst selbst.  Erst  durch  seine  nach  festen 
Regeln  und  Gesetzen  entstandene  Form  hat 
sich  der  Garten  zum  Kunstwerk  erhoben,  und 
er  hörte  darum  auf,  ein  solches  zu  sein,  als 
im  18.  Jahrhundert  mit  der  sogenannten  natür- 
lichen oder  landschaftlichen  Gartenrichtung  an 
Stelle  der  Gesetzmäßigkeit  die  künstliche  Nach- 
ahmung der  Natur  trat.  Weil  nämlich  Nach- 
ahmung, wenn  sie  auch  mit  noch  so  großer 
Liebe  und  Begeisterung  für  das  Original  ge- 
schieht, nicht  Kunst  ist,  sondern  nur  Kunst- 
fertigkeit sein  kann,  hat  diese  Gartenrichtung 
im  Prinzip  etwas  Kunstfeindliches,  was  Goethe 
mit  den  Klageworten  ablehnte:  „Die  Garten- 
liebhaberei verkleinert  das  Erhabene  in  der 
Natur  und  hebt  es  auf,  indem  sie  es  nachahmt." 
In  seinem  grundlegenden  Werk  „Der  Gar- 
ten" hat  Grisebach  den  Nachweis  geführt,  daß 
zu  allen  Blütezeiten  der  Architektur  der  Grund- 
satz des  formalen  Gartens  etwas  Selbstver- 
ständliches gewesen  ist.  Als  ein  Hauptgrund 
der  Entstehung  der  landschaftlichen  Richtung 
wird  darin  das  Erlahmen  der  architektonischen 
Gestaltungskraft  angeführt,  das  eine  Weiter- 
entwicklung  der  auf  das   18.  Jahrhundert  ge- 


kommenen Formen  im  Sinne  der  veränderten 
Zeitbedürfnisse  verhinderte.  Weil  die  damals 
notwendige  Reform  der  Gartenkunst  nicht  zur 
Durchführung  kam,  entledigte  man  sich  der 
erstarrten  und  die  neuen  Lebenskräfte  ein- 
zwängenden Kunstformen  des  architektonischen 
Gartens,  indem  man  in  revolutionärem  Frei- 
heitsdrang und  mit  radikaler  Gründlichkeit  alle 
Ergebnisse  einer  durch  viele  Jahrhunderte  plan- 
mäßig entwickelten  Kultur  über  Bord  warf. 

Diesem  künstlerischen  Verfall  des  Gartens  hat 
in  Deutschland  Olbrich  zuerst  weitwirkendeTaten 
entgegengesetzt.  Indem  er  und  seine  Gesinnungs- 
genossen vor  etwa  zehn  Jahren  die  Rückkehr  zur 
regelmäßigen  Gartenform  einleiteten,  vollzogen 
sie  den  Anschluß  an  die  alte  echte  Gartenkunst 
des  1  T.Jahrhunderts.  Und  daß  durch  diese  Wie- 
derherstellung des  inneren  Zusammenhanges 
mit  der  wertvollen  Tradition  des  Barock  etwas 
Folgerichtiges  und  Naturnotwendiges  geschehen 
ist,  zeigt  der  seitdem  eingetretene  völlige  Um- 
schwung in  den  Anschauungen  über  die  Auf- 
gaben der  Gartenkunst.  Heute  hält  man  nicht 
mehr,  wie  zur  Zeit  der  Romantik  die  sentimentale 
Hingabe  an  die  Natur  für  den  Inbegriff  allen  Na- 
turverständnisses. Diese  in  der  noch  jetzt  viel- 
fach angewandten  Landschaftsgärtnerei  weiter 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    4.    Januar  1914 


185 


24 


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FR.  GILDEMEISTER-BREMEN 


AUS  DEM  STAUDENGARTEN  K.  (vgl.  S.  187) 


65 


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vegetierende  Naturschwärmerei  macht  immer 
mehr  einem  klareren  und  echteren  Kunstemp- 
finden Platz  und  einer  sicher  nicht  weniger 
tiefen  und  aufrichtigen,  wenn  auch  weniger 
willkürlichen  Liebe  zur  Natur.  Es  ist  das  vor 
zwei  Jahrhunderten  verloren  gegangene  künst- 
lerische Selbstgefühl  gegenüber  der  Natur, 
was  wir  heute  wiedergewonnen  haben,  und  nur 
diese  künstlerische  Selbständigkeit,  welche  die 
freie  Natur  beherrscht  und  sie  nach  den  eigenen 
Gesetzen  der  Phantasie  und  Empfindung  ihren 
Zwecken  dienstbar  macht,  ist  zu  künstlerischer 
Gartenkultur  fähig. 

Daß  der  nach  sachlich  bedingten  Grundzügen 
regelmäßig  angelegte  Garten  normalerweise 
schöner  sein  muß,  als  der  nach  anerkannter- 
maßen falschen  Prinzipien  angelegte  Land- 
schaftsgarten, ist  noch  immer  nicht  genügend 
in  das  Bewußtsein  unserer  Zeit  eingedrungen, 
da  diese  Gärten  in  genügender  Entwicklung 
noch  immer  selten  sind,  während  die  überall 
in  großer  Zahl  vorhandenen  alten  Landschafts- 
gärten durch  die  Wirkung  ihres  vollentwickelten 
Pflanzenmaterials  über  die  verfehlte  Gesamt- 
anlage täuschen.  Man  ist  sich  noch  nicht  ge- 
nügend klar  darüber,  daß  der  Reiz  eines  Land- 
schaftsgartens sich  auf  die  einzelne  Pflanze 
und  ihre  Schönheit  beschränkt,  während  diese 
Materialschönheit  erst  im  regelmäßigen  Garten 
zu    künstlerischer   Gesamtwirkung    gesteigert 


werden  kann.  Es  ist  darum  von  besonderer 
Wichtigkeit  für  die  neue  Gartenbewegung  ge- 
wesen, daß  von  ihrem  Beginn  an  in  diesen 
Blättern  Beispiele  ihrer  Resultate  weiten  Krei- 
sen zugänglich  gemacht  sind,  und  daß  damit 
allen,  die  sich  für  die  Gartenfrage  interessieren 
wollten,  Gelegenheit  zu  eigenem  Urteil  über 
den  neuen,  regelmäßigen  Garten  gegeben  wor- 
den ist.  Ob  dieses  Urteil  im  einzelnen  für 
oder  gegen  das  eine  oder  andere  der  gebrachten 
Beispiele  ausfiel,  war  insoweit  unwesentlich, 
als  die  Arbeiten  geeignet  waren,  dem  in  ihnen 
verkörperten  Prinzip  neue  Anhänger  zu  gewin- 
nen und  die  Ueberzeugung  von  der  Notwendig- 
keit seiner  Umsetzung  in  die  Tat  zu  verbreiten. 
Auch  die  vorliegenden  Abbildungen  sollen 
diesem  Zwecke  dienen.  Sofern  sie  ästhetische 
Reize  ihrer  Originale  zuvermittelnimstandesind, 
werden  sie  für  sich  selbst  sprechen.  Es  wird 
daher  wohl  genügen,  die  Erläuterungen  auf  we- 
nige Hinweise  über  die  Eigenart  der  gestellten 
Aufgaben  zu  beschränken.  Die  beiden  Villen- 
gärten sind  als  Beispiele  verschiedenster 
Gliederungsmöglichkeiten  gewählt  worden. 
Der  als  Gartenerweiterung  entstandene  Rosen- 
garten K.  wird  vom  Hause  wegen  der  seitlichen 
Lage  in  seiner  Aufteilung  nur  wenig  beeinflußt 
und  konnte  als  geschlossenes  Ganzes  mit  eige- 
nem Mittelpunkt  angelegt  werden.  Die  durch 
Beschränkung  höherer  Sträucher-  und  Baum- 


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FR.  GILDEMEISTER-BREMEN 


VILLENGARTEN  B.  IN  BREMEN 


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188 


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FR.  GILDEMEISTER-BREMEN 


Pflanzungen  auf  den  Abschluß  der  Grenzen 
erzielte  große  freie  Gartenfläche  ist  durch 
Vertiefung  des  Rasens,  durch  Wege  und  Beet- 
streifen vielfach  unterbrochen.  Der  Garten  B. 
ist  ganz  von  dem  hoch  und  frei  liegenden  und 
darum  stark  wirkenden  Villenbau  beherrscht. 
Zur  Herstellung  des  Gleichgewichts  zwischen 
Gartenfläche  und  Baumasse  des  Hauses  wurde 
daher  eine  große  ungeteilte  Rasenanlage  ge- 
wählt, die  auch  vom  Hause  aus  gesehen  die- 
selbe Aufgabe  des  Ausgleichs  und  zwar  dies- 
mal gegenüber  dem  Schwergewicht  der  hohen 
Parkbäume  des  Hindergrundes  erfüllt.  Nach 
Ueberwindung  des  großen  Höhenunterschiedes 
zwischen  Vor-  und  Hausgarten  durch  die  Rasen- 
böschungen mit  eingebauten  Treppen  bleibt  die 
Gartenfläche  bis  zur  hinteren  Grenze  des  Haus- 
gartens eben  und  fällt  dort,  um  einen  an- 
schließenden Nutzgarten  vom  Hause  aus  un- 
sichtbar zu  machen.  Der  hinter  das  Stallge- 
bäude gelegte  Staudengarten  (Abb.  siehe  oben) 
ist  hier  dem  Hausgarten  ohne  Abtrennung  an- 
gegliedert; im  Garten  K.  ist  er  durch  Hecken 
räumlich  abgeschlossen. 

In  der  Einfahrtsanlage  für  Herrn  Baron  v.  B. 
(Abb.  S.  1P2)  gewähren  die  niedrigen  Garten- 
mauern unter  den  Baumkronen  hindurch  Ein- 


AUS  DEM  STAUDENGARTEN  B.  IN  BREMEN  (vgl.  S.  189) 


blicke  in  die  angrenzenden  Parkteile.  Dem 
zurückhaltenden  Reiz  des  alten  Herrenhauses 
entsprechend  sind  die  Gartenanlagen  großzügig 
und  ruhig  gehalten.  Von  dem  in  den  Rosen- 
beetanlagen  des  Mittel  rasen  s  und  in  den  Coni- 
feren  zum  Ausdruck  kommenden  repräsenta- 
tiven Charakter  der  Anlage  leiten  die  seitlichen 
Staudenrabatten  ins  Ländliche  über.  Der  Auf- 
gang zum  Hause  auf  Gut  Mönchhof  (Abb.  S.  192) 
ist  unter  Benutzung  einer  vom  alten  Gutshaus 
erhalten  gebliebenen  Treppenanlage  entstanden. 
Die  einzelnen  Mauern  sind  durch  Hecken  ver- 
bunden, und  die  zwischen  ihnen  gewonnenen 
Gartenflächen  sind  durch  Blumenbeete  belebt. 
Die  breit  und  flach  vor  dem  Haus  lagernde 
Gartenterrasse  hebt  dieses  sockelartig  aus 
seiner  Umgebung  und  steigert  gleichzeitig 
seine  Breitenwirkung.  Dieses  günstige  Ver- 
hältnis zwischen  Haus-  und  Gartenniveau  ist 
durch  vorherige  Uebereinkunft  zwischen  Haus- 
architekten und  Gartenarchitekten  erzielt 
worden:  ein  seltenes  Beispiel  dafür,  daß  die 
Hinzuziehung  einer  architektonisch  arbeitenden 
Gartenleitung  noch  vor  Beginn  der  Bauten 
gewünscht  wurde.  Die  Gebäudestellung  im 
Garten  trägt  nun  wesentlich  dazu  bei,  die  be- 
herrschende Wirkung  des  Hauses  zu  erhöhen. 


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FR.  GILDEMEISTER-BREMEN 


AUS  DEM  GARTEN  DES  LANDGUTS  SCH.  IN  ST.  MAGNUS 


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PAUL  WYNANDBERLIN 


Geprägt  von  Chr.  Lauer,  Nürnberg 


PLAKETTEN  FÜR  ATHLETIK 


PLASTIKEN  VON  PAUL  WYNAND 


Auch  dem  Künstler,  der  nicht  als  ein  Fer- 
tiger vor  die  Welt  tritt,  muß  die  Oeffent- 
lichkeit  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen.  Sie 
muß  eingedenk  bleiben,  daß  sie  stets  das 
Letzte  und  Endgültige  zu  fordern  hat;  ihr  darf 
aber  auch  nicht  das  Organ  fehlen  für  das 
Werden  und  Wachsen  der  Kräfte,  für  das  Reifen 
und  Ringen  des  ehrlich  bestrebten  Willens. 
Wenn  der  Schaffende  seine  Werkstatt  öffnet, 
wenn  er  denen,  die  ihm  vielleicht  ein  Pu- 
blikum werden  könnten,  einen  Einblick  gewährt 
in  alle  die  Versuche  und  Ansätze,  die  er 
machen  mußte,  um  zu  sich  zu  kommen,  wenn 
er  Wege  und  Irrwege  aufdeckt,  die  ihn  sein 
Künstlertum  geführt  hat,  dann  verlangt  er 
nach  Verständnis. 

Verständnis,  nicht  Lob,  nicht  Verdammung. 
Er  will  ja  nicht  eigentlich  seine  Vergangenheit 
zur  Schau  stellen,  sondern  er  appelliert  an 
den  Betrachter,  der  das  Auge  hat,  in  dem 
Ringen  von  gestern  und  vorgestern  die  Zukunfis- 
möglichkeiten  zu  sehen.  Er  will  die  Kräfte, 
die  in  ihm  triebhaft  wirken,  bestätigt  haben; 
er  will  erlöst  werden  von  den  Zweifeln,  die, 
weil  sie  ihn  noch  unsicher  machen,  ihm  ein 
immer  neuer  Ansporn  sind. 

Es  sind  nicht  die  Schlechtesten,  die  sich 
langsam  und  unsicher  auf  dem  Weg  zur  Form 
weiter  tasten  müssen,  die  nicht  von  Anfang 
an  jene  schlafwandlerische  Sicherheit  haben, 
die  allzu  schnell  nur  zur  flachen  Routine  ent- 
arten kann.  Sie,  die  den  reinen  und  lauteren 
Willen  haben,  werden  häufig,  allzu  häufig  über- 
sehen von  einer  Zeit,  die  es  liebt,  sich  auf 
das  Geschickte  und  Augenfällige  zu  stürzen. 
Ihr  Wille  aber,  der  sie  in  allen  Dingen  der 
Aufmachung  so  ungeschickt  erscheinen  läßt, 
kann  sie  nicht  anders  denn  demütig  machen. 
Sie  wissen,    daß   man  des  Willens  nicht  ent- 


raten  kann,  daß  man  aber  auch  die  Kraft  und 
das  Können  haben  muß,  wissen,  daß  man 
Meister  sein  muß,  und  daß  es  doch  nicht  geht, 
ohne  Lehrling  gewesen  zu  sein. 

Es  ist  begreiflich,  wenn  die  im  Urteilen 
schnell  fertige  Welt  keine  Neigung  zeigt,  sich 
bei  diesem  Willen  lange  aufzuhalten.  Wie  oft 
ist  er  befleckt  worden!  Wie  oft  hat  der  Mann, 
dem  ein  großes  Vertrauen  geschenkt  worden 
ist,  sich  als  ein  Schwächling  und  ein  Verräter 
am  eigenen  Ideal  erwiesen!  Man  hat  der  Fälle 
genug,  daß  einer,  der  unentwegt  das  Große 
und  Erhabene  zu  wollen  schien,  am  zwitter- 
haft Kleinlichen  hängen  geblieben  ist,  daß  er 
alle  enttäuscht  hat,  die  an  ihn  und  seine 
Sendung  einmal  glaubten.  Das  Talent  ist  ja 
ungleich  häufiger  als  der  Charakter.  Das 
Talent  ist  da  wie  eine  gute  Gabe  Gottes,  wird 
von  vielen,  fast  möchte  man  sagen  von  allzu 
vielen  mitgebracht,  aber  der  Charakter,  der 
will  bewährt  sein  in  Kämpfen  und  Stürmen, 
der  muß  einmal  Stand  gehalten  haben  —  und 
wie  oft  hält  er  nicht  Stand. 

Vor  dem  fertigen  Werk  treten  diese  Fragen 
zurück.  Man  hat  es  mehr  mit  der  Leistung 
als  mit  dem  Mann  zu  tun.  Man  stellt  fest, 
was  geworden  ist.  Nicht  so  bei  dem  Wer- 
denden, bei  dem,  der  sich  noch  auf  dem  Wege 
befindet,  und  bei  dem  es  sich  darum  handelt, 
ob  er  auf  seinem  Wege  zu  einem  Ziel  ge- 
langen dürfte,  das  seine  Künstlerschaft  zu 
einem  schätzbaren  Wert  machen  wird.  Er  ist 
ein  Versprechen  auf  die  Zukunft.  Wie  weit 
weckt  er  Hoffnungen?  Wie  weit  ist  er  künst- 
lerischer Charakter,  um  die  Erfüllung  solcher 
Hoffnungen  denkbar  zu  machen? 

Fragen,  die  auch  Paul  Wynand  anregt 
in  den  Arbeiten,  die  einen  knappen  Ueber- 
blick  über  sein  bisheriges  Schaffen  geben.    Er 


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Dekorative  Kun^t.     XVII.    4,    ]-\nuar  tjn 


193 


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PAUL  WYNAND-BERLIN 


SCHREITENDE  (BRONZE)       n 


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PAUL  WYNAND-BERLIN 


MANNLICHER  TORSO 


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PAUL  WYNAND-BERLIN 


BRUNNENFIGUR 


erscheint  als  einer  von  den  Geistern,  die  sich 
im  künstlerischen  Sinne  zäh  durchkämpfen 
müssen,  denen  kein  Problem  und  keine  Mühe 
geschenkt  wird,  denen  die  Materie  Widerstand 
um  Widersland  entgegenstemmt.  Er  hat  nicht 
die  leichte  Hand,  der  alles,  was  sie  anpackt, 
gelingt;  aber  er  hat  den  leichten  Mut,  der 
nicht  vor  der  Schwierigkeit  zurückschreckt. 
Sie  ist  für  ihn  ein  Gegebenes,  dem  er  nicht 
aus  dem  Weg  geht.  Er  weiß,  daß  er  die 
Natur  braucht  um  des  Gehaltes  willen,  und 
weiß  ebenso,  daß  man  sie  um  der  Form  willen 
überwinden  muß.  Vor  dem  Erlebnis  des  Auges 
setzt  er  seine  Individualität  bescheiden  zurück 
und  versteht  es,  sie  doch  im  Entscheidenden 
zur  Geltung  zu  bringen.  Er  wird  vielleicht, 
wenn  er  weiter  ist,  wenn  er  seine  Kräfte  besser 
zu  organisieren  gelernt,  wenn  er  noch  mancher- 
lei Irrtümer  überwunden  hat,  eindrucksvoller 
wirken,  aber  er  wird  im  Wesen  nicht  anders 
sein,  weil  er  mit  seinen  Mitteln  das  Künst- 
lerische will. 

Wynand,  ein  geborener  Elberfelder,  kommt 
vom  Kunstgewerbe.  Er  hat  gezeichnet,  hat  in 
Höhr  Tongefäße  modelliert,  hat  unterrichtet  und 
hat  alles  aufgegeben,  um  nach  seinem  Sinn 
zu  formen  und  zu  bilden.  An  Ermunterungen 
hat  es  ihm  auch  nicht  gefehlt.  Er  konnte  nach 
Italien  gehen,  wurde  in  Rom  mit  einem  bron- 


zenen Stier  für  die  National-Galerie  angekauft 
und  mit  einem  Preis  ausgezeichnet.  Das  alles 
hat  ihn  nicht  übermütig  machen  können.  Er 
arbeitet,  wohl  im  Bewußtsein,  daß  mit  dem 
Fleiß,  mit  der  selbstlosen  Arbeit  das  Genie 
fast  sich  zwingen  läßt.  Seine  Porträtköpfe 
sind  lockere  Impressionen  des  Menschen,  wie 
er  ihn  während  der  kurzen  Dauer  einer  Sitzung 
vor  sich  hatte.  Der  Eindruck  eines  Augen- 
blickes, das  Gesicht,  wie  es  sich  gerade  bietet, 
das  Gelegentliche  und  Individuelle  sieht  man 
mit  einer  gewissen  Absichtlichkeit  gewahrt. 
Das  Profil  ist  scharf,  die  Masse  einheitlich, 
die  Technik  improvisiert,  vielleicht  sogar  et- 
was nervös;  aber  das  Ganze  ein  porträtgerech- 
tes Augenblicksbild  der  Persönlichkeit.  Es  er- 
scheint als  ein  Prinzip  des  Künstlers,  hier 
zuerst  der  Natur  oder,  wie  man  sagen  könnte : 
der  Bildnistreue  gerecht  zu  bleiben. 

In  seinen  Figuren  gibt  er  sich  anders.  Das 
Modell  wird  ihm  zum  Mittel.  Er  will  einen 
Ausdruck,  der  mehr  durch  sich  selbst  als  durch 
das  Erlebnis  spricht.  Er  kann  wie  bei  dem 
männlichen  Torso  erregt  und  gewaltsam  sein ; 
aber  noch  stärker  scheint  in  ihm  der  Wunsch 
rege,  zu  einer  größeren  Ruhe  und  Klarheit 
der  Formen  zu  gelangen.  Mag  sein,  daß 
italienische  Eindrücke  sich  da  mit  Ideen  ver- 
mischen,   die    wir   heute  des   öfteren    zu    be- 


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PAUL  WYNAND-BERLIN 


BRUNNENFIGUR 


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PAUL  WYNANDBERLIN 


obachten  Gelegenheit  haben.  Aber  diese 
Mischung  dürfte  bei  Wynand  alles  andere 
denn  ein  Spiel  sein.  Man  sieht,  daß  es  nicht 
eine  Geschicklichkeit  ist,  die  da  am  Werk  ist. 
Im  Gegenteil,  man  glaubt,  wenn  man  z.  B. 
den  liegenden  Akt  ansieht,  etwas  von  einer 
—  schließlich  doch  gemeisterten  —  Mühselig- 
keit zu  ahnen,  glaubt  gelegentlich  sogar  eine 
ans  Akademische  grenzende  Glätte  feststellen 
zu  können. 

Doch  das  sind  Etappen,  über  die  man  hin- 
wegkommt, wenn  man  eine  so  abgerundete 
Leistung,  wie  die  „Schreitende"  vorgestellt 
bekommt.  Es  spricht  sehr  für  das  Talent  und 
'das  Vermögen  des  Bildhauers,  daß  diese  weib- 
liche Figur  —  die  in  der  Mannheimer  Künstler- 
bund-Ausstellung sich  gut  zu  behaupten  ver- 
mochte —  die  neueste  der  hier  abgebildeten 
Arbeiten  ist.  Sie  ist  reifer,  in  sich  geschlossener 


BILDNIS-BÜSTEN 


und  gehaltvoller,  als  das,  was  früher  in  diesem 
Atelier  entstanden  ist,  und  sie  spricht  dadurch 
für  die  Entwicklungsmöglichkeiten,  die  in  die- 
sem Wynand  stecken.  Wie  der  Kopf,  das 
Haarbüschel  und  der  emporgehobene  Arm  zu 
einer  Masse  verarbeitet  sind,  wie  eine  Linie 
in  einem  merkbaren  Zug  den  Rücken  herab 
bis  in  den  emporgehobenen  Fuß  fließt,  wie 
sie  sich  kreuzt  mit  jener  anderen  des  vorge- 
setzten Beines,  wie  sich  eine  leichte,  wohlige 
Balance  ergibt,  die  das  Schreiten  dem  Gefühl 
glaubhaft  macht,  das  zeugt  von  einem  Reifen 
und  Organisieren  der  Kräfte,  das  Hoffnungen 
weckt.  Es  ist  die  Frage,  wie  weit  einem 
solchen  redlich  bestrebten  Arbeiter  Vertrauen 
entgegen  zu  bringen  ist;  vor  dieser  „Schrei- 
tenden" wäre  die  Antwort  zu  formulieren.  Sie 
ist  ohne  Zweifel  ein  Wechsel  auf  die  Zukunft. 

Paul  Westheim 


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<)      TAPlUN,  nach  t.NIWÜKFEN  VON  A.  .NEUMANN  IN  LIGHTECHTEN  FARBEN  AUSGEFÜHRT  VON  DER  TAPETENFABRIK 
)  COSWIG,  G.M.B.H.,  COSWIG  BEI  DRESDEN 

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ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER 


RATHAUS  HANNOVER:  TEILANSICHT  DER  SUDTERRASSE 


DAS  NEUE  RATHAUS  IN  HANNOVER 


Der  Neunmillionenbau  des  neuen  Rathauses 
zu  Hannover  weist  eine  unglückliche 
Baugeschichte  auf.  Mehr  noch  als  das  Reichs- 
tagsgebäude in  Berlin.  Keiner  von  allen,  die 
an  diesem  kommunalen  Werk  ausübend  und 
beratend  mitgewirkt  haben,  konnte  ungehemmt 
seine  Gedanken  verwirklichen,  und  dader  durch- 
greifenden Hand  des  Baumeisters  letzten  En- 
des nicht  Raum  gegeben  war,  so  stand  auch, 
wer  von  den  Künstlern  sich  unterordnen  wollte, 
vor  nicht  immer  einheitlichen  und  gleichlauten- 
den Wünschen.  Eine  Wertung  der  entstande- 
nen Einzelleistungen  wird  darum  notwendig 
relativ  sein  müssen.  Jedes  absolute  Urteil,  das 
sich  über  die  Baugeschichte  des  Hauses  hinweg- 
setzt, ist  ungerecht  gegen  das  ganze  Werk  und 
gegen  die  einzelnen  Künstler,  denn  sein  Spruch 
ist  unvollkommen. 

Die  große  Baumasse  des  neuen  Rathauses 
ist  ein  Dokument  der  stürmischen  Wandlung 
unserer  künstlerischen  Anschauungen  inner- 
halb der  verhältnismäßig  kurzen  Zeit  von  15 
Jahren.  Es  ist  ein  hervorragend  charakteristi- 
sches Zeugnis  der  Zeit  und  der  Menschen,  die 
in  den  Jahren  1896  bis  1913  gewirkt  haben. 
Am  13.  August  1895  schrieb  die  Stadt  Hanno- 
ver zur  Gewinnung  eines  neuen  Rathauses  einen 


Preis-  und  Wettbewerb  aus  für  deutsche  und 
österreichische  Architekten.  Im  April  1896 
wurden  die  eingeschickten  Entwürfe  juriert 
und  die  Arbeiten  von  Professor  Stier-Hanno- 
ver, Architekt  Kösser- Leipzig,  Architekt  Seling- 
Berlin,  Architekt  Schmidt- Chemnitz,  Geheimer 
Oberbaurat  Eggert- Berlin  und  Architekt  Klin- 
genberg-Oldenburg preisgekrönt.  Die  Ausfüh- 
rung wurde  auf  Grund  eines  neuen  Baupro- 
gramms in  einem  engeren  Wettbewerb  unter 
diesen  sechs  Siegern  vergeben.  Dieses  neue 
Bauprogramm  umschrieb  schon  ziemlich  fest 
Baumasse  und  äußere  Gestalt  des  Werkes. 
Die  Stadt  verlangte,  daß  die  Baumasse  der 
Arbeitsräume  sich  um  einen  durch  eine  hohe 
Kuppel  äußerlich  ausgezeichneten  Mittelraum 
gruppieren  sollte,  der  zu  den  Festräumen  und 
Sitzungssälen  hinaufleitete.  Renaissance  also 
verlangte  die  Stadt,  und  sie  erhielt,  was  da- 
mals herrschte:  Pseudo- Renaissance. 

Aus  dem  engeren  Wettbewerb  ging  Ober- 
baurat Hermann  ECGERT-Weimar  als  Sieger 
hervor.  Sein  Bauplan  wurde  1898  genehmigt. 
Von  diesem  Architekten  einer  Zeit,  die  wir 
nach  unserer  heutigen  Ueberzeugung  über- 
winden mußten,  stammen  die  Grundlagen  der 
Rathausgestaltung,  die  ganze  äußere  Bauanlage, 


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Dekorative  Kunst.     XVII. 


Febntar  1914 


201 


26 


obskuren  Architekturbildhauer  ausgeführt,  ver-    g 
mögen  eine  kritische  Wertung  so  wenig  aus- 
zuhalten, wie  diese  Einzelheiten  irgendwie  und 


6) 


g) 


ja  noch  einige  Einrichtungen  und  Raumaus- 
schmückungen  im  Inneren.  Er  und  sein  Rat- 
hausbau sind  typisch  für  die  Anschauungen 
und  die  Arbeiten  der  neunziger  Jahre,  die  wir 
heute  als  nicht  mehr  stichhaltig  anerkennen. 
Eggert  war  noch  einer  der  Besten.  Die  rie- 
sige Schloßanlage  mit  der  94  m  hohen  Mittel- 
kuppel ist  in  den  horizontalen  und  vertikalen 
Baumassen  und  Gliederungen  in  den  Verhält- 
nissen mit  richtigem  Gefühl  abgewogen,  und 
die  großen  Grundformen  entbehren  nicht  des 
Rhythmus.  Die  Aufnahme  von  der  Masch- 
parkseite läßt  das  in  der  hier  wiedergegebenen 
Abbildung  erkennen.  Das  am  Zeichentisch  er- 
dachte Detail  aber,  das  Akademische  und  Ge- 
fühllose, wütet  gegen  jene  Grundwerte,  und 
die  jeder  werkgerechten  und  künstlerischen 
Ausführung  baren  Ornamente,  die  in  sinnloser 
Häufung  verwendeten  Reliefmassen,  von  einem 


G.  HALMHUBER  G  LICHTTRÄGER  A.  D.  NORDTERRASSE 


irgendwem  erträglich  sind.  Das  materialistisch 
und  naturalistisch  Rohe  und  Unruhige  in  der 
äußeren  Formensprache  mehrte  der  Architekt 
noch  durch  einen  ununterbrochenen  Wechsel 
im  Stein-  und  Putzmaterial.  Ebenso  wurde 
die  Ausgestaltung  des  Inneren  vorbereitet.  Der 
Grundriß  des  ausgedehnten  Bauwerkes  ist  nur 
technisch  bewältigt  und  nach  dieser  Seite  den 
Forderungen  geschickt  angepaßt.  Die  Raum- 
verhältnisse aber  sind  in  den  Maßen  und  An- 
lagen empfindungsleer.  Oberbaurat  Eggert,  auf 
den  neben  den  Kommissionsbeschlüssen  dies 
alles  zurückgeht,  gehört  einer  Generation  an, 
deren  Ausdrucksweise  den  mit  den  Jahren  ge- 
wandelten Empfindungen  allmählich  nicht  mehr 
entsprach.  Er  hatte  keinen  Teil  an  der  neuen 
Entwicklung  der  Kunst  und  vermochte  das 
im  Stürmen  und  Drängen  des  letzten  Jahrzehnts 
Gewonnene  nicht  in  seinem  Empfinden  leben-  ß 
dig  werden  zu  lassen.  Die  künstlerischen  Gegen-  ß 
Sätze,  die  mit  den  neunziger  Jahren  und  dem 
ersten  Jahrzehnt  des  neuen  Jahrhunderts  er- 
scheinen, lassen  sich  schwer  in  einer  Person 
vereinigt  denken,  und  so  geschah  es,  daß  der 
Mann,  der  unter  53  Künstlern  seiner  Zeit  aus- 
gewählt war  als  Bester,  nach  zehn  Jahren  ent- 
lassen wurde.  Im  Herbste  1909  wurde  das 
Vertragsverhältnis  der  Stadt  Hannover  mit 
Oberbaurat  Eggert  gelöst.  Es  wurde  ihm  eine 
hohe  Abfindungssumme  für  den  Rücktritt  ge- 
zahlt. Er  ging  nach  harten  Kämpfen,  mußte 
gehen,  mitten  aus  der  Arbeit  heraus.  Die 
Zentralhalle  im  Innern  war  fertig  bis  auf  die 
Haupttreppe  und  Umgänge;  im  Bürgervorsteher- 
saal fehlten  nur  noch  die  Beleuchtungskörper. 
Ein  neuer  Mann  wurde  an  seine  Stelle  be- 
rufen: Oberbaurat  Professor  Gustav  Halm- 
huber.  Er  gehört  zu  den  Wallotschülern,  den 
Theodor  Fischer  in  München,  Hoffmann  und 
Möhring- Berlin  und  anderen,  die  als  fast  ein- 
zige Gruppe  der  Architektenschaft  der  Renais- 
sance-Epoche der  achtziger  und  neunziger  Jahre 
durch  ihr  Maßhalten,  durch  ihren  akademiefernen 
künstlerischen  Sinn,  durch  ihre  lebendige  Emp- 
findung für  materialgerechte  Werkarbeit,  im 
Sturm  und  Drang  der  Entwicklung  und  Moden 
ihres  Weges  vorwärts  gezogen  sind  und  heute 
mit  den  revolutionären  Freiheitsmännern  als 
die  traditionsbewußten  Tüchtigen  hochgeachtet 
sind.  Wie  vorher  rief  Hannover  den  Professor 
Halmhuber  nach  einem  Wettbewerb  mit  dem 
Auftrag,  die  Hinterlassenschaft  zu  reinigen,  zu 
vereinfachen  und  nach  dem  neuen  Empfinden 
einer  gewandelten  Zeit  an  dem  Riesenbau  zu 
bessern,   was  und  wie  noch  zu  bessern  war. 


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ARCH.  HERM.  EGGERT  U.  G.  HALMHUBER  E)  RATHAUS  HANNOVER:  WESTLICHER  VORSAAL  ZU  DEN  FESTRAUMEN 


Das  Geschick  Eggerts  ist  bitter,  fast  tragisch 
zu  nennen.  Halmhubers  Auftrag  war  keine 
reine  Freude.  Schwierig  und  nicht  allzu  dank- 
bar war  für  ihn  die  Arbeit,  zu  deren  künst- 
lerischer Bewältigung  Geschaffenes  vernichtet, 
verwischt,  umgemodelt  werden  mußte.  Unter 
solchen  unfreien  Bedingungen  war  sein  künst- 
lerisches Schaffen  oftmals  gehemmt  durch  die 
nicht  mehr  zu  ändernden,  vorhandenen  Form- 
gebungen des  Rohbaus.  Manches  mußte  trotz 
besserer  Einsicht  des  neuen  Architekten  bleiben, 
weil  eine  Aenderung  zu  große  Summen  ver- 
schlungen hätte.  Er  milderte  die  Unruhe  in 
den  Fenstereinteilungen  und  Lichtführungen 
und  vereinfachte  überall  die  Wandgliederungen. 
Mit  flächigen,  geometrischen  Dekorationen, 
mit  sparsamer  und  zarter  Verwendung  har- 
monisch gestimmter  Profile,  mit  kontrastieren- 
den Klängen  der  Raumfarben  bearbeitete  er  die 
Verfehlungen  der  Eggertschen  Hinterlassen- 
schaft und  erreichte  durch  den  Rhythmus 
verwandter  Motive  das  einheitliche  Zusam- 
menhalten und  eine  ruhigere  Fülle.  Will  man 
seiner  sorgfältig  überlegenden  Tätigkeit  gerecht 


werden,  so  muß  man  auch  wissen  und  sehen 
können,  was  nicht  mehr  zu  sehen  ist,  was  er 
bei  seiner  neuen  Planung  im  Innern  beseitigt, 
verwischt  und  korrigiert  hat.  Die  Außen- 
architektur des  Rathauses  zu  Hannover,  an 
der  Halmhuber  direkt  nichts  mehr  ändern 
konnte,  steht  im  scharfen  Gegensatz  zu  dem 
Künstlerischen  im  Innern.  Außen  keine  emp- 
fundene Linie,  kein  Werk  eines  bedeutenden 
Bildhauers  oder  Kunstgewerblers;  innen  aber 
hat  Halmhuber  die  Bildhauer  Professor  Her- 
ting,  Bredow,  Brütt,  Feuerhahn  und  Garvens, 
die  Maler  Hodler,  Diez,  Erler,  Hengeler  und 
Schlösser  zugezogen  und  in  Verbindung  mit 
ihnen  in  den  Hauptsälen  sein  Werk  vollendet. 
Vom  Mittelportal  der  Nordfront  kann  man 
bei  überall  geöffneten  Türen  mitten  durchs 
ganze  Haus,  durch  Vorhalle,  Zentralhalle, 
Freitreppe  hinauf  durch  den  großen  Haupt- 
saal in  der  Südfront  gegen  die  Maschpark- 
seite blicken.  Um  diese  Linie,  die  Mittelachse 
des  Bauwerks,  gruppieren  sich  im  Hauptstock- 
werk die  Festsäle,  die  großen  Sitzungssäle 
und  die  Amtszimmer  der  Repräsentanten  der 


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205 


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ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER 


Stadt.  Jedem  der  Säle  hat  Halmhuber  einheit- 
lichen Charakter  und  geschlossene  Raumwir- 
kung gegeben  und  die  Kunstwerke  der  Architek- 
tur und  die  Architektur  den  Kunstwerken  dienen 
lassen.  Er  hat  jedem  einzelnen  Raum  Stim- 
mung und  Rhythmus  gegeben  und  das  ganze 
Orchester  der  Räume  und  Werke  zur  har- 
monischen Symphonie  dirigiert,  in  der  jeder 
Abschnitt  seine  künstlerisch-geistige  Beziehung 
zum  andern  besitzt. 

Drei  hohe  vergoldete  Tore  aus  Schmiedeisen, 
nach  den  Entwürfen  Halmhubers  von  Pro- 
fessor Gschwend  ausgeführt,  bilden  mit  einer 
ungemein  lebendig  rieselnden,  spinnwebigen 
Ornamentik  den  festlichen  und  klaren  Eingang 
zur  Symphonie  des  Innern.  Sie  beginnt  in 
einer  langgestreckten  Vorhalle  edel  und  schlicht 
mit  einem  schwarzen  Marmorfußboden  und 
blaugrauen  Wänden.  Den  Schmalwänden  sind 
erhöhte  dreilaubige  Estraden  vorgelagert,  die 
zu  seitlichen  Treppen  und  Eingängen  führen. 

Vier  Atlanten,  ursprünglich  unruhig  natura- 
listisch in  voller  Figur,  hat  Halmhuber  hermen- 
artig vereinfacht  und  in  langen  Auslauf  durch 
schöne  Kannelierung  zu  rhythmischen  Werten 
geholfen.  Sie  tragen  je  zwei  und  zwei  die 
Seitenhallen.      Zwei    versilberte     Kandelaber 


RATHAUS  HANNOVER:  DER  TRISTAN-SAAL 


schmücken  als  sparsame  Zier  der  Längswand 
den  einen  großtürigen  Zutritt,  der  zur  Zentral- 
halle einläßt.  Sie  ist  aus  dem  Mittelhof  der 
ganzen  Bauanlage  zum  überkuppelten  Raum 
ausgebaut.  Die  renaissanceartige  Architektur 
der  Kalksteinwände,  die  unruhig  und  akade- 
misch kalt  erscheinen,  hat  der  zweite  Bau- 
meister nach  der  Uebernahme  der  Leitung 
gemildert  und  manche  Ueberladung  des  bild- 
hauerischen Schmuckes  beseitigt.  Auf  der 
großgefügten  Quadratornamentik  des  dunklen 
Marmor-  und  Muschelkalkfußbodens  zog  Halm- 
huber aus  dem  Hauptgeschoß  das  Majestoso 
einer  Freitreppe  vom  Hauptgeschoß  in  drei 
Sätzen  weit  in  die  Halle  hinein  und  herab. 
Ihr  kräftiges  massives  Geländer  aus  blau- 
grauem Marmor  wird  in  den  unteren  Aus- 
läufen durch  Reliefs  mit  musischen  und 
bacchischen  Szenen  geschmückt,  in  den  oberen 
durch  Kindergruppen  in  runder  Plastik  ge- 
krönt. Der  hannoversche  Bildhauer  Hermann 
Feuerhahn  hat  die  Arbeiten  in  einer  strengen 
Stilisierung  geschaffen,  die  manche  Züge  mit 
Erlerschen  Formungen  gemein  hat.  Die  Do- 
minante dieser  schönen  Freitreppe  flankieren 
im  Hauptabsatz  rechts  und  links  zwei  durch 
Kommissionsbeschlüsse    ungünstig  weit    nach 


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206 


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ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER  TEILANSICHT  DES  HANDWERKER-SAALES  (vgl.  S.  207) 

MOSAIKBILDER  VON  JULIUS  DIEZ;  BILDHAUERARBEITEN  VON  OSKAR  GARVENS  UND  PAUL  BRASACK 


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208 


ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER 


RATHAUS-NEUBAU  ZU  HANNOVER:  GROSZER  FESTSAAL 


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Dekorative  Kunst.    XV'II.    5.     Februar  I9r4 


209 


27 


vorn  gestellte  Bronzestatuen  Kaiser  Wilhelms  I. 
und  des  IL,  denen  Bildhauer  Professor  Adolf 
BRÜTT-Berlin  eine  vorzüglich  ruhige  Haltung 
gegeben  hat. 

Die  nach  der  Vorhalle  farbig  schon  etwas 
gesteigerte  Grandezza  der  Freitreppe  führt  im 
Obergeschoß  rechts  und  links  zum  leichten 
vornehmen  Präludium  der  Festsaalgruppe. 
Es  sind  zweischiffige  Korridore,  die  wie  schöne 
Vorräume  wirken,  und  deren  klingender  und 
straffer  Rhythmus  den  farbenreichen  Haupt- 
festsaal einleitet. 

Hier  wo  die  großen  nächtlichen  Festbankette 
der  Stadt  Hannover  abgehalten  werden,  hat  der 
Architekt  Fanfaren  von  Farben  und  alle  Pracht 
bildnerischen     und     malerischen     Schmuckes 


angewendet.  Fritz  Erlers  Wandbilder  —  grün, 
gelb  und  rosa  —  illustrieren  farbig  und  zeich- 
nerisch das  Leben  in  einer  altgermanischen 
Niederlassung,  die  Zerstörung  einer  mittel- 
alterlichen Zwingburg,  Bautätigkeit  und  Ver- 
kehr einer  modernen  Stadt.  Die  Motive 
nehmen  Bezug  auf  die  hannoversche  Ver- 
gangenheit. Erlers  Malerei  zeigt  auch  hier  das 
für  ihn  charakteristische  Nebeneinander  strenger 
Stilistik  und  absolut  naturalistischer  Züge  mit 
barocken  Uebertreibungen,  Die  farbige  Freude 
des  Malers  und  die  illustrative  Fröhlichkeit  in 
mancher  Gestalt,  die  Frische  des  ganzen  Auf- 
tretens verraten  jedoch  ein  Talent,  das  von 
bejahender  Freude  spricht. 

Mit    aller    möglichen  Rücksicht    auf  Erlers 


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210 


große  Dekorationen  hat  Professor  Georg 
Herting,  Hannovers  bester  Bildhauer,  seine 
Reliefs  neben  den  Bildern  geschaffen.  Sie 
zeigen  eine  gebundene  Form,  deren  spröde 
Herbheit  gehaltvoll  und  empfindsam  beseelt 
ist  und  trotz  der  starken  Uebersefzungen 
überzeugt.  Denn  in  seinen  Werken  herrscht 
Gesetz,  und  eine  weise  Ordnung  gibt  den 
Linien  ihren  Wohllaut.  Vor  allem  die  Frauen- 
gestalt auf  dem  hier  abgebildeten  Relief  „Ord- 
nung" mag  dafür  Beleg  sein.  Die  von  Eggert 
herrührende  Unruhe  in  einzelnen  Architektur- 
gliedern hat  Halmhuber  durch  eine  profilierte 
und  flächige  Ornamentik  gebunden.  Noch 
unter  der  Arbeit  ist  er  zu  immer  größerer 
Einfachheit  in  den  Mitteln,  zu  immer  reinerer 


Betonung  rhythmischer  Wiederholungen  vor- 
geschritten. (Vergleiche  die  Abbildung  des  Ent- 
wurfs und  die  des  vollendeten  Saales.) 

An  den  großen  Festsaal  schließt  sich  ein 
nicht  minder  farbiger  Raum  in  grünem  Marmor 
an,  der  durch  versilberte  Zierleisten  und  Stuck- 
reliefs belebt  ist.  Die  drei  Lünetten  gegenüber 
den  drei  Fenstern  des  Saales  schmücken  farbig 
ausgezeichnete  Glasmosaiken,  die  einen  Hand- 
werkerfestzug darstellen.  Die  Kartons  stammen 
von  Julius  Diez.  Ihm  gebührt  der  höchste 
Ruhm  eines  dekorativen  Malers :  Er  hat  sich 
dem  Zweck,  dem  Raum  und  der  Architektur 
zu  dienen,  rückhaltlos  eingeordnet  und  dadurch 
dem  Architekten  und  sich  selbst  den  größten 
Dienst  erwiesen.    Der  grüne  Handwerkersaal, 


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den  das  leuchtende  Blau  seines  tüchtigen  Mo- 
saikbildes in  drei  Teilen  so  selbstverständlich 
schmückt,  ist  der  geschlossenste  und  vollkom- 
menste von  allen  Festsälen  des  Rathauses. 
Nicht  nur  für  die  Mosaikbilder  gegenüber  den 
Bogenfenstern,  auch  für  die  Glasmalereien  hat 
Diez  die  Kartons  in  lichten  Tönen  entworfen 
und  dadurch  von  den  beiden  Hauptseiten  mit 
dem  gleichen  Stil  die  Geschlossenheit  des  ganzen 
Saales  gefestigt.  Auch  die  Plastik  des  gleichen 
Festraumes,  versilberte  Stuckreliefs  von  Pro- 
fessor Bredow,  Garvens  und  Brasack  klingen 
wohllautend  zusammen  mit  dem  schwarzgrünen 
Marmor  der  Wände  und  seinen  feinprofilierten 
Silberleisten. 

Einer  der  ungetrübtesten  Belege  für  Halm- 


hubers  Tätigkeit  ist  das  Damenzimmer.  Der 
vornehme  und  warme  Ton  des  mahagonigetäfel- 
ten Raumes,  sein  mausgraues,  mahagonifarbenes 
und  gelbes  Kolorit,  die  reifen  Formen  der  eben- 
falls von  Halmhuber  entworfenen  Möbel  und 
der  Stuckdecke  geben  zusammen  ein  stimmungs- 
volles Interieur.  Auch  Adolf  Hengelers  Ge- 
mälde (Abb.  S.  213)  entspricht  dem  Charakter 
dieses  geschmackvollen  Damenzimmers. 

Dem  großen  Festsaal  mit  den  Erlerschen 
Malereien  folgt  ein  Saal  in  Blau  und  Weiß,  in 
dem  Halmhuber  durch  gute  Abtönungen  des 
Holzes  und  des  Stucks  und  durch  schöne  Profi- 
lierungen eine  hervorragende  Wirkung  erzielt 
hat.  Leider  fehlen  gegen  den  Willen  des 
Baumeisters  in  diesem  Raum    die  blaugrauen 


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ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER  B  RATHAUS  HANNOVER:  SITZUNGSSAAL  BEIDER  KOLLEGIEN  (vgl.  S.  215) 


Vorhänge,  welche  sowohl  zur  Genesis  der 
Stimmung  wie  zur  Zusammenfassung  der  un- 
ruhigen Fenstergliederung  notwendig  sind.  Die 
hier  wiedergegebene  Abbildung  dieses  Musik- 
oder Tristan-Saales  (siehe  S.  206)  läßt  die  grazile 
Führung  des  Musikpavillonaufbaues  erkennen. 
Der  anmutige  Reiz  des  ganzen  Raumes  er- 
wächst aus  der  meisterhaften  Beherrschung 
leichter,  rhythmisierender  Linien  und  Profilie- 
rungen und  einer  in  den  Verhältnissen  wohl 
abgestimmten  Ornamentbetonung,  die  auch  hier, 
wie  in  allen  Sälen,  die  Gestaltung  der  Decke 
mit  einbezieht. 

Der  Höhepunkt  in  der  Symphonie  der  Rat- 
haus-Kunstwerke ist  zweifellos  das  große  Ge- 
mälde von  Ferdinand  Hodler,  das  sich  im 
gemeinschaftlichen  Sitzungssaal  der  städtischen 
Kollegien  befindet  und  den  „Treuschwur  der 
stadthannoverschen  Bürger  zur  Sache  der  Re- 
formation" darstellt.  In  der  Mitte  des  Ge- 
mäldes steht  ein  Mann  auf  einem  Podium  und 
schwört  in  feierlicher  Haltung  den  Treuschwur, 
zu  beiden  Seiten  auf  ebener  Erde  und  hinter 
ihm  haben  sich  die  Bürger  aufgestellt.  Der 
Wirkung  des  Gemäldes,  das  viel  farbiger  ist, 
als  Hodler  sonst  zu  sein  pflegt,  kann  man  sich 
kaum  entziehen:  Ein  feierliches  Gelübde  steigt 
gen  Himmel,  eine  ernste,  schwere  Verpflichtung 


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wird  übernommen.  Wie  ein  Wall  von  Speeren 
ragen  die  Arme  und  Hände  senkrecht  empor, 
ein  gutes  halbes  Hundert.  Das  Bild  verzichtet 
auf  alles  Unsichere  und  Unbekannte  des  histo- 
rischen Vorgangs  auf  dem  Marktplatz  zu  Han- 
nover und  gibt  nach  Abstreifung  alles  Zu- 
fälligen das  Charakteristische  und  Typische, 
sowie  es  auf  der  ungünstigen  Wand  am  über- 
zeugendsten und  eindruckvollsten  dargestellt 
werden  konnte.  Durch  die  straffe  Rhythmi- 
sierung, wie  sie  z.  B.  die  Schenkellinie  der 
gleichmäßig  vorgestellten  Beine  bei  zehn  Män- 
nern betont,  kommt  das  Hindrängen  und  die 
Erregung  der  Menge  und  zugleich  die  Ergriffen- 
heit der  Einzelpersönlichkeiten  ungemein  stark 
zum  Ausdruck.  Das  Blau,  Gelb  und  Rot  der 
starken  Farben  posaunen  das  einheitliche  Fest- 
liche und  Feierliche  der  erschütternden  Stunde 
wie  einen  Choral  in  den  Saal  hinab.  —  Freilich 
über  dessen  Maße  ist  das  Bild  dem  begeisterten 
Künstler  hinausgewachsen.  Doch  was  will 
das  gegen  die  Bedeutung  dieses  Kunstwerkes 
sagen?  Ein  Saal,  der  groß  genug  ist,  wird 
leichter  und  eher  zu  beschaffen  sein,  als  ein 
solches  Werk,  das  heilig  genug  ist,  daß  ein 
Saal  eigens  darum  gebaut  werde. 

Die    hier   gezeigte   Abbildung    des   Hodler- 
schen  Gemäldes  stellt  noch  einen  Zustand  dar, 


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G.  A.  BREDOW-STUTTGART  □  RELIEFS  ÜBER  DEN  TÜREN  ZUM  GROSZEN  FESTSAAL  DES  RATHAUSES  ß 

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G.  A.  BREDOW-STUTTGART  Q  DECKENFELDER  UND  RELIEF  ÜBER  EINER  TÜR  ZUM  GROSZEN  FESTSAAL 


Dekoratire  Kunst.    XVII.     5.     I'flirii.ir  1914 


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GEORG  HERTING-HANNOVER  Q  BRONZERELIEFS  IM  GROSZEN  FESTSAAL  DES  RATHAUSES  HANNOVER 


OSKAR  GARVENS-BERLIN     B     Q     RELIEF  IM  HANDWERKER-SAAL  (vgl.  S.  207) 
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ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER 

der  nachher  vom  Architekten  und  vom  Künstler 
abgeändert  wurde.  DieVerdachung  über  der  Türe 
ist  bedeutend  erniedrigt  worden,  so  daß  der  Maler 
Raum  gewann,  um  unter  dem  Vorschwörer  ein 
Podium  zu  malen,  worauf  er  stehen  kann. 

Nach  dem  Hodlersaale  beginnt  die  Sym- 
phonie der  farbigen  Akkorde,  die  zart  anhob 
im  Vorräume  zur  Zentralhalle,  mächtig  an- 
schwoll über  die  Freitreppe  hinauf  und  mit 
allen  Stimmen  in  den  Festräumen  musizierte, 
wieder  abzuschwellen  durch  die  schönen 
Klänge  in  den  Zimmern  des  Hauptgeschosses 
an  der  Nordfront,  wo  der  Besucher  das  Haus 
betreten  hat.  Auch  dieser  Abgesang  noch  ist 
reich,  denn  jedes  Zimmer  birgt  die  zu  dem 
Nachbarn  abgetönte  farbige  Variation.  Diese 
kleinen  Konferenz-  und  Beratungsräume,  Amts- 
zimmer des  Stadtdirektors  und  Stadtsyndikus 
werfen  nochmals  ein  helles  Licht  auf  die 
große  Raumkunst  Professor  Halmhubers,  auf 
die  Schönheit  und  sorgfältige  Durcharbeitung 
jedes    einzelnen    Stückes,    auf   die    Material- 


RATHAUS  HANNOVER:  DIE  RATSSTUBE 


gerechtigkeit  und  die  sinnvolle  Verwendung 
feiner  Ornamentik  und  schöner  Profile,  die 
überall  nach  seinen  Werkzeichnungen  ausge- 
führt wurden.  Bis  in  die  kleinsten  Büros, 
Kassen-  und  Diensträume  hat  jedes  Möbel, 
jeder  Raum  seiner  Lage,  seinem  Zweck  und 
seiner  Größe  entsprechend,  eigene  Gestaltung 
in  Ton  und  Farbe  und  eigene  Möbel  erhalten. 
Auch  in  der  nächsten  Umgebung  des  Rat- 
hauses bemerkt  man  überall  die  sachkundige 
und  charakteristische  Hand  Halmhubers.  Die 
große  Terrasse  gegen  den  Maschparkteich 
mit  den  Vasen  auf  hohen  Sockeln  mit  den 
eleganten  Profilen  und  Verhältnissen  ist  sein 
Werk.  Sinnvoll  sind  die  Vasen  so  hochge- 
stellt; schön  ist  das  tiefe  Landschaftsbild,  das 
durch  sie  von  weit  her  mit  der  Ueberschnei- 
dung  herangeholt  wird.  Das  neue  Rathaus 
Hannovers  hat  eine  herrliche  Lage.  Wo  noch 
heute  die  Altstadt  fast  an  Wiesen  grenzt,  an 
der  aus  der  Wende  des  18.  Jahrhunderts 
stammenden  Promenade  des  Friedrichs-Walles 


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ARCH.  H.  EGGERT  U.  G.  HALMHUBER  (INNENAUSBAU)  O  RATHAUS  HANNOVER:  AMFSZIVIMEK  DES  äTADTSYNDlKUS 


Strahlt  die  goldene  Spitzlaterne  des  fast  100  m 
hohen  Kuppelturmes  gegen  Westen  in  die  An- 
lagen des  nahen  städtischen  Kestnermuseums, 
gegen  Osten  in  das  Promenadegrün  vor  dem 
benachbarten  Preußischen  Provinzialmuseum, 
gegen  Norden  hoch  über  die  alte,  jetzt  industrie- 
reiche Stadt  an  der  Leine  hin  und  gegen  Süden 


über  See  und  Park  der  neuen  Rathausanlagen 
bis  weit  ins  grüne  Meer  der  herrlichen  Masch- 
wiesen. Nicht  leicht  mag  solch  ein  grüner 
Kranz  lichter  Anlagen  um  ein  Rathaus  ge- 
funden werden,  das  mit  den  benachbarten 
Kunst-  und  Staatsgebäuden  ein  hannoversches 
Forum  im  Grünen  bildet.  Hans  Kaiser 


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ARCH.  GUSTAV  HALMHUBER-HANNOVER  RATHAUS  HANNOVER:  BERATUNGSZIMMER  ( 


224 


GUSTAV  AMMANN-ZÜRICH  □  EINGANG  ZUM  GARTEN  SCHUBIGER  IN  UZNACH 
Ausführung:  Otto  Froebcls  Erben,  Gartenarchitekten,  Zürich 


ÜBER  NEUE  GARTEN 


Rein  äußerlich  hat  der  neue  Garten  nun 
wieder  ehrliche  Formen  angenommen. 
Aber  es  fehlt  ihm  noch  Verschiedenes.  Wir 
suchen  nach  seiner  Seele,  nach  tieferen  Werten, 
die  verborgen  in  ihm  schlummern,  und  wün- 
schen, ihm  mehr  Inhalt  und  neues  Leben  zu 
geben. 

Es  ist  ja  noch  so  viel  Hartes,  Ungelenkes 
an  dem,  was  sich  heute  Garten  nennt.  Denn 
ich  glaube  kaum,  daß  wir  schon  ein  Recht 
haben,  ohne  weiteres  zu  behaupten,  daß  wir 
nun  wieder  den  Garten  gefunden  haben.  Die 
Richtung  vermögen  wir  zu  erkennen,  nach 
welcher  seine  Entwicklung  strebt,  und  zwar 
durch  den  Abstand,  der  uns  von  den  Arbeiten 
der  letzten  Jahre  trennt. 

Damals  kam  mit  der  neuen  Auffassung  der 
Wille  des  Menschen  wieder  in  den  Garten. 
Der  Gegensatz  gegenüber  dem  Naturgarten 
wurde  dadurch  möglichst  ausgeprägt,  schon 
um  einer  weiteren  planlosen  Entwicklung  Ein- 
halt zu  tun.  Wir  werden  heute  schon  zugeben 
müssen,  daß  durch  dieses  gewaltsame  Ein- 
greifen, durch  Anwendung  von  steifen,  unbe- 
holfenen Formen   viele  Gartenwerte  mit  zer- 


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trümmert  wurden.  Es  war  die  Reaktion,  die 
eben  allzugründlich  aufräumte,  die  die  Tradi- 
tion sogar  verleugnete.  Das  Künstlertum,  das 
die  neuen  Anregungen  vereint  mit  Gartenleuten 
brachte,  sah  vor  allen  Dingen  streng  architek- 
tonisch und  wählte  rein  instinktiv  auffällige 
Vertreter  in  der  Pflanzenwelt,  die  sich  für 
kubische  und  lineare  Gestaltung  eigneten. 
Nachläufer  und  Interpretanten  erfaßten  dieses 
wieder  rein  schematisch  als  viereckig,  gerade, 
geometrisch.  Weiße  Lattengestelle,  viereckige 
Pflanzenkasten,  quadratische  Wasserbecken 
verkörpern  diesen  Typus  zum  Teil  heute  noch. 
Diese  Härten  und  Uebergangsformen  haben 
wir  abzustreifen  begonnen  und  arbeiten  nun 
ruhig  und  mit  Ueberlegung  an  der  weiteren 
Entwicklung.  Es  wäre  nun  zu  wünschen,  daß 
unsere  Gartenarbeit  noch  mehr  Verständnis 
und  Helfer  fände,  Menschen,  die  erkennen,  was 
wir  ihnen  mit  unseren  neuen  Gärten  geben 
möchten.  Es  sind  ja  viele,  die  dem  neuen 
Garten  wohl  gesinnt  sind  und  begeistert 
aufgreifen,  was  irgend  Neues  auf  diesem  Ge- 
biete vor  sich  geht.  Doch  es  fehlt  meistens 
ein  kritisch  sicheres  Urteil,  und  sie    werden 


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DekoradTC  Kunst.    XVII.    5.    l'ebruar  1914 


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GUSTAV  AMMANN-ZORICH  GARTENHAUS  SCHUBIGER  IN  UZNACH  « 

Ausführung:  Otio  Froebels  Erben,  Ganenarchiiekten,  Zürich  I 


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GUSTAV  AMMANN-ZÜRICH  El  RABATTE  IM  GARTEN  SCHUBIGER:  BLAUE  HERBSTASTERN  VOR  GELBEN  GOLDRUTEN 

Ausführung:  Otto  Froebels  Erben,  Gartenarchitekten,  Zürich 


verwirrt  durch  die  revolutionären  Gebärden 
neuer  und  neuester  „Schöpfungen"  verschie- 
denster Kreise. 

Die  heutige  Auffassung  vom  Garten  wird 
von  vielen  noch  ausgelegt  als  eine  Mode, 
die  bereits  nach  einem  halben  Jahrzehnt  wieder 
völlig  verwandelt  sein  würde.  Es  wäre  be- 
dauerlich, wenn  all  die  analysierenden  und 
auf  den  Grund  gehenden  Untersuchungen,  der 
unglaubliche  Kampf  um  die  künstlerische  Ge- 
staltung, der  auf  dem  Gebiete  des  Gartens 
stattgefunden  hat,  nur  den  Erfolg  hätte,  ein  so 
kurzes  Dasein  zu  führen,  wie  das  heutige 
Kleid  der  Frauen.  Daß  sich  das,  was  wir  im 
Garten  wieder  gefunden,  weiter  entwickeln 
und  ausbauen  wird,  ist  selbstverständlich  und 
notwendig;  daß  es  sich  aber  im  Prinzip  so 
bald  wieder  ändern  wird,  ist  wohl  ausgeschlossen. 

Gewiß,  Stillstand  bedeutet  Tod,  aber  dadurch, 
daß  sich  jeder  gestaltende  Künstler  heute  be- 
rufen fühlt,  in  „Gärten"  zu  machen,  ist  die 
Zahl  der  ohnedies  recht  häufigen  mittelmäßigen 
und  schematischen  Gegenbeispiele  nur  ver- 
mehrt worden. 

Dieser  Garten  ist  unendlich  empfindlich, 
beeinflußt  von  den  Verhältnissen  in  seinem 
Räume,  von  seiner  Umgebung,  von  atmosphä- 


rischen und  optischen  Dingen,  daß  nur  ganz 
Vertraute  und  Erfahrene  das  komplizierte  Ge- 
bilde ohne  Mißklang  zu  lösen  vermögen,  und 
auch  diese  werden  nicht  alles  erreichen  können. 
Denn  im  Grunde  genommen  empfindet  der 
Gartengestalter  eine  tiefe  Machtlosigkeit  gegen- 
über all  diesen  den  Garten  beeinflussenden 
Elementen.  Der  Maler  hat  seine  Farben  in 
allen  Abstufungen  vom  grellsten  Feuerrot  bis 
zum  blassesten  Rosenrot  voll  und  ganz  in 
seiner  Gewalt.  Bildhauer  und  Architekt  ver- 
mögen den  letzten  Millimeter  an  ihrem  harten 
Material  genau  zu  bestimmen  und  diese  Ge- 
stalt in  fast  unveränderter  Form  für  Jahrzehnte 
und  für  Jahrhunderte  zu  fesseln.  Unser  Werk 
aber  ist  stets  im  Wechsel  begriffen,  im 
Wachsen  und  Verderben,  in  Maßen,  die  nie 
stille  stehen,  die  breiter,  höher  werden,  im 
Anfange  verborgen  ruhen  in  der  Erde  Schoß, 
im  Frühjahr  prangen  in  dem  hellsten  Grün, 
im  Sommer  feuerrot  mit  Blüten  überzogen, 
gelb  im  Herbst  und  dürr  und  hohl  im  Winter 
sind.  Wechsel  heißt  also  der  Faktor,  mit  dem 
wir  rechnen  müssen,  und  nur  Hoffnung,  Ver- 
trauen und  Liebe  zu  all  den  verborgenen 
Herrlichkeiten  geben  uns  den  Mut,  diese  Un- 
zulänglichkeiten zu  ertragen  und  nicht  zu  ver- 


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1 


GUSTAV  AMMANN-ZÜKICH  m  AUS  DEM  GARTEN  BEIM  SCHLOSZLI   ZOLLIKON   IN  ZÜRICH 
Ausführung;  Otto  Froebcis  Erben,  Gartenarchitekten,  Zürich 


zweifeln.  Und  daher  müssen  wir  mit  viel 
mehr  Bedenken  und  Aufwendung  von  Arbeit 
an  den  Garten  gehen,  als  die  meisten  glauben, 
um  trotz  all  dieser  scheinbar  unbezwingbaren 
Faktoren  den  reinen  Menschenwillen,  die  Ab- 
sicht des  Gestaltens  im  Garten  durchfühlen 
zu  lassen.  Wo  das  auch  nach  einem  Wachstum 
von  Jahrzehnten  noch  zum  Ausdruck  kommt, 
sorgfältige  Pflege  unter  der  Hand  des  Gestalters 
vorausgesetzt,  da  dürfte  das  Ziel  erreicht  sein, 
dem  wir  heute  tastend  zustreben. 

Drum  suchen  wir  daneben  fast  notgedrungen 
einen  festen  Kern  zu  schaffen.  Die  Erde, 
Holz  und  Stein  vermögen  wir  zu  ketten  und 
festzulegen,  wie  wir  sie  gebrauchen,  und  ihre 
Form  und  Farbe  zu  bestimmen.  Die  Pflanze 
fügen  wir  nach  ihren  Werten  ein,  für  jetzt, 
für  zehn  und  hundert  Jahre.  So  können  wir 
Entwicklungsstadien  voraussehen,  die  oft  erst 
die  nächste  Generation  erlebt. 

Im  Garten  von  Uznach  waren  zuerst  prak- 
tische Bedürfnisse  zu  erfüllen.  Für  Obst  und 
Gemüse  sollten  Gärten  geschaffen  werden. 
Nun  war  aber  der  übrige  Gartenraum  nicht 
so  groß,  daß  er  ohne  Verlust  um  diese  Teile 
verkleinert  werden  konnte.  Darum  wurden 
die    reinen  Nutzgärten   von  Wegen    umgeben, 


welche  dadurch,  daß  sie  teils  unter  Lauben- 
gänge geführt  wurden,  teils  von  Blumenrabatten 
begleitet  waren,  den  bloßen  Zweckgedanken 
durchbrachen,  den  Nutzgärten  in  der  Regel 
zu  erfüllen  haben.  Sie  wurden  dadurch  aber 
fester  an  den  übrigen  Garten  gefesselt.  Dann 
wurde  versucht,  das  feine  Geäst  der  Spargel- 
pflanze, die  üppigen  Blätter  von  Kohl  und 
Rhabarber,  die  roten  Früchte  von  Pfirsich  und 
Apfel  in  das  Gesamtbild  einzufügen.  Der  Rha- 
barber mit  seinen  dekorativen  Blättern  erhielt 
seinen  Platz  beim  Brunnen  am  Gartenhaus. 
Die  großen  roten  Steinplatten  hatten  etwas 
Verwandtes  mit  seinen  massiven,  wuchtigen 
Blättern,  und  seine  riesigen  Blütenrispen  gaben 
dem  Brunnen  und  dem  Wasser  einen  ganz 
besonderen  Reiz.  Von  der  Bank  unter  dem 
Flieder  schweift  der  Blick  über  den  Gemüse- 
garten. Auf  zwei  Seiten  ist  er  umrahmt  von 
Laubengängen,  vor  denen  Blütenstauden  stehen. 
Im  Sommer,  wenn  die  Blätter  des  Kohls,  über 
den  Regen-  und  Tautropfen  kollern,  metallisch 
glänzen,  blüht  ringsum  der  rote,  schwarzge- 
fleckte Mohn.  Wer  Mohn  und  Kohl  im  Feld 
sah,  wird  sich  das  Bild  vorstellen  können. 
Im  Herbst  glüht  ein  brennend  Zinnober  über 
dem    Laubengang,    wenn    die  wilde  Rebe    im 


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GUSTAV  AMMANN-ZORICH    El   DER  AUFGANG  ZU  DEN  OBEREN  TERRASSEN  BEIM  SCHLOSZLI  ZOLLIKON 
Ausführung:  Otto  Froebels  Erben,  Gartenarchitekten,  Zürich 


Herbstkleide  prangt.  Dann  schweben  Wolken 
blauer,  rosenroter  und  lilafarbener  Blütensterne 
der  Astern  über  den  Rabatten,  während  blau- 
grüne und  purpurfarbige  Blätter  von  Rüben- 
und  Kohlarten  die  Flächen  bilden. 

Unterhalb  der  grauen  Mauer,  vor  welcher 
Nelken  stehen,  rings  um  die  Büsche  der  Obst- 
bäume blüht  es  das  ganze  Jahr.  Im  Frühling 
sind  es  Primeln,  gelbe  und  braune  und  Schwert- 
lilien mit  ihren  zarten  und  satten  Farbentönen, 
im  Sommer  leuchtende  Phloxe  und  im  Spät- 
jahr, die  schönste  Pracht  des  ganzen  Jahres, 
Goldruten  und  Herbstastern.  Hinter  ihnen 
reift  das  Obst;  rotbackige  Aepfel  und  goldige 
Birnen  schimmern  durch  bis  an  den  Umgangs- 
weg, ein  Beispiel  von  Schönheitswerten  in 
Nutzgärten. 

Im  Schlößli  ZoUikon  bedingte  das  stark  ab- 
fallende Gelände  eine  andere  Behandlung.  Es 
wurden  geräumige  Terrassen  und  lange  Pro- 
menaden eingebaut,  die  den  Garten  ohne 
Anstrengung  benutzbar  machten. 

Gedanken  an  alte  Mauern  und  Erinnerungen 
an  Schloßbauten  mögen  mit  bewirkt  haben,  diese 
Anlage  repräsentativer  zu  gestalten.    Noch  ist 


ja  alles  neu  und  jung.  Im  Blumenwege  wird 
der  dunkle  Körper  des  Buchsbaumes  umringt 
von  gelben  und  blauen  Stiefmütterchen.  Drüben 
vor  der  gegliederten  Hecke  blühen  helle  und 
dunkle  Rosen,  die  ein  breiter,  rosafarbener 
Rosenstreifen  zusammenhält.  Zur  blaugetönten 
Bank  im  Hintergrunde  passen  diese  Farben 
gut.  Das  Gartenhaus  beherrscht  den  Blumen- 
weg und  die  Terrasse.  Von  hier  blickt  man 
hinab  zum  See  und  in  den  Kranz  der  Berge. 

Auch  hier  liegt  alles  Neue  im  Rahmen  alter 
Bäume  eingebettet.  Ihre  Massen  brechen 
alle  jene  Härten,  die  jeder  junge  Garten  tragen 
muß.  Ueber  den  Steinbogen  huschen  die 
Lichter  und  die  Schatten  dieser  Pflanzen,  die 
bereits  Ausdrucksformen  haben,  welche  wir 
so  gerne  allen  unsern  jungen  Bäumen  geben 
möchten.     Es  bleibt  uns  dies  versagt. 

Vom  Blütenmeer  am  Fuße  der  Terrassen 
und  anderm  zu  berichten  muß  ich  mir  für 
später  vorbehalten.  Was  Farben  sind  im  Garten, 
zeigen  leider  diese  Bilder  nicht,  und  doch 
vermögen  sie  noch  vieles  zu  ergänzen,  was 
selbst  eingehende  Beschreibung  nicht  ersetzen 
kann.  Gustav  Ammann 


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GUSTAV  AMMANN    n    SCHLOSZLI   ZOLLIKON:   ZUFAHRTSWEG   ZUM   GEMÜSEGARTEN  UND  BRUNNEN 
AN  DER  TERRASSENMAUER  □  AUSFÜHRUNG:  OTTO  FROEBELS  ERBEN,  ZÜRICH 


232 


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AUS  DER  SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK,  FRANZISKA  BRÜCK,   BERLIN 

FRANZISKA  BRÜCK 
UND  IHRE  SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK 


FRANZISKA  Brück,  sie  braucht  den  Lesern 
dieser  Zeitschrift  ja  nicht  mehr  vorgestellt 
zu  werden,  hat  ihren  Plan,  Damen  auszubilden, 
die  in  ihrem  Sinn  die  Schönheiten  der  Blumen 
zu  entfalten  verstehen,  ausgeführt.  Im  Oktober 
9  1912  hat  sie  mit  mehr  als  einem  Dutzend 
3  Schülerinnen  ihre  „Schule  für  Blumen- 
schmuck" eröffnet.  Den  Leser  dürfte  es  ver- 
mutlich ebenso  sehr  wie  den  Autor  dieser 
Zeilen  interessieren,  was  aus  diesem  eigen- 
artigen Versuch  geworden  ist,  wie  die  so  durch- 
aus persönlichen  Fähigkeiten  dieser  Franziska 
Brück  lehr-  und  auf  andere  übertragbar  waren. 
Denn  was  diese  Blumenbinderin  —  die  Sprache 
hat  für  die  Sache  nur  dieses  unzutreffende  Wort 
—  uns  in  so  hohem  Maße  wert  gemacht  hat, 
sind  ja  alles  Dinge,  die  mit  Theorien  so  gar 
^  nicht  faßbar  erscheinen.  Alles,  wodurch  diese 
Blumenstücke  schön  sind,  scheint  aus  einem 
subtilen  Empfinden  herauszuquellen.  Man  ver- 
spürt, wie  eine  Natur  die  Natur  erlebt,  und 
wie  sie  aus  dem  vergänglichsten  und  wohl 
auch  entzückendsten  der  Materiale  Gebilde 
schafft,  die  sich  voll  dieses  Empfindungs- 
gehaltes den  Sinnen  darbieten.  Es  muß  im 
ersten  Augenblick  frappieren,  wenn  man  von 


einem  so  starken  Persönlichkeitswert  redet, 
gegenüber  solch  schlichten  Blumenstücken,  an 
denen  doch  wahrlich  nichts  Außerordentliches 
geschehen  ist,  die  so  doch  nur  dadurch  zu- 
stande gekommen  sind,  daß  ein  paar  Pflanzen 
ihrer  Art  oder  Form  gemäß  zusammengebracht 
worden  sind.  Und  doch  muß  jeder  Versuch 
zu  einer  anderweitigen  Erklärung  versagen; 
ohne  daß  mit  dem  von  der  Natur  gelieferten 
Material  eine  Veränderung,  eine  künstliche 
Verarbeitung  vorgenommen  wäre,  genießt  man 
Feinheiten,  die  in  höherem  Maße,  als  es  sonst 
der  Fall  sein  dürfte,  auf  die  Persönlichkeit 
zurückgehen.  Ich  habe  hier  einmal  geschildert, 
wie  es  dieser  Brück  in  den  Sinn  kommen 
mag,  einen  ganzen  Pack  Anemonen,  Margue- 
riten  oder  Feldblumen  der  teppichartigen  Farb- 
fläche halber  in  einen  großen  Bauernkorb  zu 
stellen,  um  damit  eine  Stimmung  zu  erzielen, 
in  der  das  ganze  Land  draußen  mit  seinen 
Aeckern  und  Wiesen  und  Bauernhäusern  und 
Bauerngärten  steckt.  Und  was  anderes  spricht 
zu  einem  aus  dem  braunen  Korb  mit  den  Sal- 
vien  und  Kamillen  (Abb.  S.  234),  diesen  gar 
nicht  „vornehmen",  diesen  über  die  Achseln  an- 
gesehenen Pflanzen  unserer  deutschen  Heimat? 


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Ddcontire  Kunst.  XVII. 


Februar  1914 


233 


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SALVIEN  UND  KAMILLEN  IN  BRAUNEM  KORB      13     AUS   DER   SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK, 

FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 


Wie  aber,  das  ist  die  Frage,  ist  solche  Fähig- 
keit, solch  allerzarteste  Stimmungskunst  lehr- 
und  lernbar,  wie  kann  man  in  einer  Schule 
so  etwas  anderen  beibringen,  ohne  daß  es  we- 
senloser Abklatsch  würde. 

Es  ist  wohl  klar,  daß  in  einer  solchen  Schule 
nicht  nach  einem  bureaukratisch  engen  Lehrplan 
verfahren  werden  kann,  daß  es  vor  allem  dar- 
auf ankommt,  in  den  Mädchen,  die  sich  hier 
einfinden,  das  Gefühl  zu  wecken  und  in  der 
gleichen  Weise  selbständig  zu  machen.  Das 
geschieht,  indem  vom  ersten  Tag  an  prak- 
tisch gearbeitet  wird  und  indem  eine 
Praxis  gepflegt  wird,  die  aufs  sorgsamste 
bedacht  ist,  der  Natur  jeder  einzelnen 
Pflanze  aufs  weiteste  entgegenzu- 
kommen. Das  klingt  ein  bißchen  geheimnis- 
voll, ist  es  bei  näherem  Zusehen  aber  ganz 
und  gar  nicht.  Der  landesübliche  Binder 
sieht,  wenn  er  ein  Bukett,  einen  Kranz  oder 
sonst  etwas  zu  machen  hat,  seine  Aufgabe 
darin,  Blüten  und  Zweige  in  eine  vorge- 
dachte Form  hineinzupressen.  Es  braucht 
das  nicht  einmal  eine  der  beliebten  Atrappen 
zu  sein.  Ein  Vergewaltigen  der  Pflanzen  be- 
deutet es  schon,  wenn  man  Blüten,  die  einzeln 
für  sich  betrachtet  und  genossen  werden  wollen 


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wie  die  Veilchen,  Margueriten  oder  Korn- 
blumen zu  einer  Masse  zusammenbündelt,  in 
der  das  einzelne  Gewächs  nicht  mehr  zur 
Geltung  kommt;  wenn  man  langstengeliges 
Gezweig,  wie  etwa  den  Flieder,  des  Stengels 
beraubt  und  womöglich  dann  auch  noch  mit 
kurzstieligen  Gewächsen  zusammentut;  wenn 
man  eine  Pflanze,  die  in  die  Höhe  strebt  und 
die  durch  dieses  Emporsprießen  die  charak- 
teristische Form  erhalten  hat,  in  eine  flache 
Schale  legt  oder  gar  aus  einem  „Arrangement" 
herabhängen  läßt.  Nicht  als  ob  es  vor  allem 
darauf  ankäme,  Botanik  zu  studieren;  aber 
die  Erwägung  dürfte  wohl  richtig  sein,  daß 
es  nur  für  den  möglich  ist,  aus  einem  Material 
die  letzte  Feinheit  herauszuholen,  der  mit 
dessen  Wesenseigentümlichkeiten  aufsgenaueste 
vertraut  ist,  der  immer  danach  strebt,  sie  als 
Ausgangspunkt  zu  nehmen.  Gegen  die  Maxime, 
daß  man  eine  Blume,  die  man  zu  verarbeiten 
hat  („verarbeiten",  welch  fürchterliches  Wort 
für  eine  so  zarte  Sache!),  vor  allem  wirklich 
kennen  muß,  wird  sich  wohl  kaum  etwas 
sagen  lassen.  Aber  es  wird  dabei  zu  bedenken 
sein,  daß  es  hier  weniger  auf  das  Abzählen 
von  Staubfäden  und  derlei  höchst  bedeutsame 
Schulweisheiten    ankommt,    sondern    daß   der 


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GIRLANDE  AUS   BUNTEN   STROHBLUMEN;    KORB  MIT  CHRYSANTHEMUM  UND  SCHALE  MIT    HELLEN    FROCHTEN       Js 
AUS  DER  SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK,  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN  \ 


235 


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AUS  DER  SCHULE  FÜR  BLUMENSCHMUCK,  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 


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Mensch,  der  mit  einer  Blume  umgehen  lernen 
soll,  dahin  kommt  das,  was  der  Gärtner  ihm 
auf  den  Arbeitstisch  liefert,  sich  als  etwas 
lebendig  Gewachsenes  vorzustellen. 
Er  muß  in  den  Formen,  die  ihm  die  Natur 
darbietet,  jenen  Werdeprozeß  wiederzuerkennen 
vermögen,  durch  den  jedes  Blatt  und  jede 
Blüte  gerade  so  und  nicht  anders  entstanden 
ist.  Solche  Wissenschaft  wird  es  sein,  durch 
die  er,  wenn  er  ein  paar  Blumen  zusammen- 
tun soll,  von  selbst  dahin  gelangt,  alle  Un- 
natur zu  hassen,    in   das  Glas  oder  die  Vase 


etwas  natürlich  Organisches  zu  stellen.  Ich 
kann  mir  nicht  vorstellen,  daß  die  Franziska 
Brück  ihren  Schülerinnen  darüber  gelehrte 
Vorträge  hält;  aber  ich  sehe  sie  vor  mir, 
wie  sie  ein  paar  Blumen  hernimmt,  um  dar- 
aus höchst  Anmutiges  zu  formen,  und  dabei 
ihren  jungen  Damen  erklärt,  warum  diese  Pflanze 
so  und  jene  anders  behandelt  werden  müsse, 
warum,  wenn  das  oder  jenes  noch  hinzukäme, 
es  greulich  werden  müsse,  wie  sie  aus  einer 
wahrlich  glühenden  Begeisterung  heraus  ihnen 
die  Phantasie  erregt,  indem  sie  sie  zur  Natur 


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SPATSOMMERBLUMEN:    SKABIOSEN,   DAHLIEN,   MARGUERITEN  U.A.   IN   SCHWARZEM    KRUG 
AUS  DER  SCHULE  FOR  BLUMENSCHMUCK,  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 


hinführt.  Ich  denke  mir,  daß  das  alles  so 
nebenbei  geschieht.  Es  soll  irgend  etwas  ge- 
macht werden,  und  bei  der  Arbeit  taucht  die 
Unzahl  von  Problemen  auf,  die  instinktiv 
erfaßt  werden  wollen.  So  werden  auch  alle 
die  Dinge,  die  in  einer  derartigen  Schule  bei- 
gebracht werden  müssen,  die  technischen 
Vorkenntnisse,  die  manuelle  Geschicklichkeit, 
Wirtschaftlichkeit,  Kalkulation  usw.  bewältigt. 
Vom  ersten  Tag  an  wird  von  jeder  Schülerin 
etwas  Praktisches  und  zweifellos  auch  etwas 
Geschmackvolles  verlangt.  Die  eigentliche 
Steigerung  liegt  darin,  daß  sie  gegen  Ende 
des  Lehrganges   in   der   Lage  sind,    auch    die 


schwierigsten  Aufgaben  zu  bewältigen,  und 
daß  sie  vor  allem  jeder  Möglichkeit  selbständig 
gegenüberstehen.  Darin  beruht  ja  eben  der 
Reiz  der  Blumenstücke,  wie  Franziska  Brück 
sie  fertigt,  daß  ganz  spontan  aus  einer  Ge- 
legenheit, einem  Einfall,  einer  Stimmung  heraus 
etwas  Apartes  entsteht,  etwas,  was  in  dieser 
Art  noch  nicht  da  war,  etwas,  was  wieder 
ganz  anders  wird,  wenn  ihr  ein  paar  andere 
Blumen  gerade  zur  Hand  liegen.  Es  käme 
also  darauf  an,  Schülerinnen  heranzubilden, 
die  ebenso  eigen  wie  ihre  Lehrmeisterin 
wären,  die  in  gewissem  Sinne  auch  mit  ihr 
nichts  mehr  gemein  hätten. 


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Für  die  Frage,  wie  dieser  Unterricht  sich 
denn  in  der  Wirklichkeit  bewährt  habe,  ist  die 
Zeit  seit  Bestehen  der  Schule  selbstverständ- 
lich noch  zu  kurz.  Zweifellos  ist  es  wichtig,  daß 
diejenigen,  die  das  Blumenbinden  als  Erwerb 
betreiben  und  sich  diesem  eminent  weiblichen 
Frauenberuf  widmen  wollen,  sich  in  eine  so 
kultivierte  Atmosphäre  begeben  und  unter  der 
Anleitung  einer  so  geschmackvollen  Praktikerin 
ausgebildet  werden.  Viel  Schönheit  wird  so, 
wenn  das  Publikum  auch  über  den  Kundenkreis 
der  Franziska  Brück  hinaus  keinen  banausi- 
schen Widerstand  leistet,  unter  die  Menschen 
kommen.  Gleichzeitig  aber  haben  sich  in  dieser 
Schule  auch  einige  Damen  der  Gesellschaft  ein- 
gefunden, die  in  dem  Blumenbinden  wiederum 
eine  schöne  Liebhaberei  gefunden  haben  und 
die  bei  sich  zu  Hause,  sei  es,  um  eine  Vase  für 
den  Frühstückstisch  zu  füllen  oder  eine  fest- 
liche Tafeldekoration  zu  entfalten,  diese  fröh- 
liche Wissenschaft  zu  betreiben  gedenken.  Die 
Freuden,  die  es  für  sie  bei  einer  so  noblen 
Betätigung  zu  erleben  gibt,  und  die  sie  ihren 
Hausgenossen  bereiten  werden,  sind  wahr- 
lich nicht  gering.  Dem  Dilettantismus  er- 
schließt sich  da  wiederum  ein  Arbeits- 


feld, das  ihm  eigentlich  nie  hätte  verloren 
gehen  dürfen.  Auf  diesem  einen  Gebiet  wenig- 
stens wird  etwas  zur  Wirklichkeit,  was  das  neue 
Kunstgewerbe  in  seiner  großen  Zeit  ersehnte. 

Derart  sind  die  Hoffnungen,  die  auf  diese 
Schule  zu  setzen  sind,  lieber  das  Ziel,  das 
einem  bei  solchen  Betrachtungen  immer  vor 
Augen  schwebt,  unterrichten  die  beigefügten  Ab- 
bildungen, die  die  Kunst  der  Franziska  Brück 
so  schön  und  so  vollendet  zeigen,  wie  sie  nun 
seit  Jahren   schon   in  Berlin  zu  genießen  ist. 

Man  gerät,  wenn  man  einmal  von  ihnen  zu 
sprechen  Gelegenheit  hat,  allzu  leicht  ins 
Schwärmen.  Die  Berechtigung  dazu  geben 
einem  die  barbarischen  Mißhandlungen  der 
Blumen,  die  heute  fast  überall  noch  die  Regel 
sind,  wo  Blumen- „Arrangements"  gemacht 
werden.  Für  einen  Liebhaber  der  Blumen,  für 
einen  Menschen,  der  der  Ueberzeugung  ist, 
daß  der  Schöpfer  des  Weltalls  nicht  der  Nach- 
hilfe eines  armseligen  Binderhirns  bedarf,  ist 
es  zum  Herzerweichen,  und  darum  wird  man 
in  Superlativen  reden  müssen,  bis  die  Rück- 
kehr zu  der  von  der  Natur  gebotenen  Schön- 
heit nicht  mehr  der  Ausnahmefall  ist. 

Paul  Westheim 


STILLEBEN  AUS  DER  SCHULE  FOR  BLUMENSCHMUCK,  FRANZISKA  BRÜCK,  BERLIN 


239 


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NEUERE  TÖPFEREIEN  VON  MAX  LAUGER 


Die  Keramik  Max  LXugers  weist  drei  zeit- 
lich aufeinanderfolgende  Stile  auf.  Seine 
ersten  Töpfereien  lehnen  sich  noch  enger  an 
die  heimische  Bauernkunst  an:  derbe  Formen, 
die  entweder  die  volkstümlichen  Krug-  und 
Kannenformen  des  Gebrauchsgeschirrs  auf- 
nehmen oder  klassische  Vasenformen  umdeuten; 
satte  Farben  mit  Hochglanzglasur.  Das  Orna- 
ment zeigt  die  Stilisierung  heimischer  Pflanzen- 


motive (Blumen,  Blätter,  Zweige  usw.)  im  Sinn 
der  japanischen  Dekorationsweise. 

Dann  folgt  ein  großer  Umschwung:  die 
Farbe  nimmt  den  gebrochenen  Ton  der  Grfes- 
farben  an;  die  Glasur  wird  matt.  Das  Orna- 
ment wird  noch  stärker  stilisiert;  es  nähert 
sich  dem  abstrakten  Ornament;  die  Anord- 
nung wird  streng  architektonisch.  In  dieser 
Zeit  treten  auch  die  architektonisch  empfun- 


MAX  LAUGER-KARLSRUHE 


TONVASEN   UND  SCHALEN 


Ausführung:  Tonwerke  Kandern  (Baden) 


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5  denen  Gefäßformen  auf:  brunnenschalenartige                                                                                         g 

5  Tafelaufsätze  mit  Füßen  usw. 

3  In  neuerer  Zeit  ist  nun  Läuger  wieder  zu 

J  den  frischeren  Farben  mit  Hochglanz  zurück- 

y  gekehrt.    Es  ist  ohne  Zweifel    der  Farbenstil, 

3  der  am  meisten   den  Charakter   der  Majolika 

y  wahrt   und    die    ihr   eigentümlichen   Reize    in 

<  Farbe  und  Material  am  natürlichsten  zum  Aus- 
R  druck  bringt:  das  Weiche,  Satte,  Fleischige 
3  des  Tons  und  Materialcharakters.  Gleichwohl 
5  unterscheiden  sich  diese  neueren  Arbeiten 
3  im  Geschmack  wesentlich  von  denen  der  Früh- 
Ö  zeit.  Das  Derbe,  Urwüchsige  der  früheren 
y  Farbenbuntheit  hat  sich  zur  höchsten  Kultur 
i  des  raffiniert  Einfachen  verfeinert.  Bezeich- 
'i  nend    ist    das  Zusammenstellen    von  Schwarz 

<  und  Weiß,  Weiß  und  Blau  usw.  Auch  mit 
i)  Dreifarbenklängen:  Schwarz  und  Rot  mit  Weiß 
3  oder  Schwarz  und  Blau  mit  Weiß  erreicht  er 
5  feine  und  neuartige  Wirkungen.  Ebenso  hat 
5  sich  das  Prinzip  der  Verteilung  gegen  früher 
3  verändert.  Das  Ornament  wird  nicht  mehr  als 
3  Farbenfleck  gegen  den  ungemusterten  Grund 
'i  gesetzt,  sondern  gleichmäßig  über  die  ganze 
'i  Fläche  verteilt.    Es  überzieht   die  Gefäßwand 

<  wie  ein  farbiges  Netzwerk  oder  ein  Geflecht, 
n  Es  ist  gleichsam  das  Teppichprinzip,  ins  Ke- 
3  ramische  übersetzt.  Für  die  künstlerische  Wir- 
3  kung  der  Farbe  aber  ist  dieses  Durcheinander- 
3  spielen  von  Grundfarbe  und  Ornamentfarbe 
3  von  wesentlicher  Bedeutung, 
y  In  den  Formen  ist  er  wieder  zu  seinen 
i  dickbauchigen,  enghalsigen  Vasen  zurückge- 
j!  kehrt.  Auch  säulenförmige  Vasen  mit  elegan- 
J  teren  Linien  kommen  vor,  und  die  Gefäße,  die 
n  auch  als  Tafelaufsätze  und  dergleichen  gedacht 
5  sind,  zeigen  wieder  die  einfachen  Teller-  und 
J  Schüsselformen.  Die  etwas  gesuchten  architek- 
5  tonischen  Formen  hat  er  aufgegeben.  Im  übrigen 
i  liegt  ja  auch  die  Bedeutung  der  Läugerschen 
'i  Kunsttöpferei    durchaus    nicht    in    der    Form, 

<  sondern  in  der  Farbe.  Die  Form  ist  bei  ihm 
Ä  nur  die  Trägerin  der  Farbe;  in  dieser  äußert  sich 
3  das  Persönliche  seiner  keramischen  Kunst. 
5  Dagegen  hat  er  das  Gebiet  der  praktischen 
3  Verwendung  seiner  Keramik  für  moderne 
5  Leuchtkörper  zu  erweitern  versucht.  Die  Auf- 
D  gäbe  des  Leuchters  liegt  für  sein  Material  ja 
'i  ohne  weiteres  nahe.  Er  hat  seine  Vasen  form 
|r  aber  auch  als  Sockel  für  elektrische  Steh- 
I  lampen  verwendet.  Farbig  erreicht  er  damit 
ij  aparte  Wirkungen.  Aber  formal  ist  diese  Auf- 
J  gäbe  noch  nicht  ganz  gelöst.  Die  Lampen  er- 
J  scheinen  etwas  plump  und  schwer;  man  sieht 
5  es  ihnen  an,  daß  dieser  massive  Unterbau  für 
1  den    Zweck  —  die    Aufnahme    des    leichten, 

dünnen,  technischen  Apparats  —  konstruktiv 

nicht  nötig  ist.  K.  Widmer  t 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    5.    Februar  1914 


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NEUE  GRABDENKMALE  VON  ERNST  HAIGER 

Ausgeführt  im  Auftrag  der  „Wiesbadener  Gesellschaft  für  Grabmalkunst" 


Gern  entspreche  ich  dem  Wunsche  der  Re- 
daktion, den  in  diesem  Hefte  veröffent- 
lichten Abbildungen  von  neuen  Grabdenkmalen 
Ernst  Haigers  einige  Begleitworte  beizugeben. 
Wenn  ich  auch  als  Leiter  der  „Wiesbadener 
Gesellschaft  für  Grabmalkunst»  mir  einige  Re- 
serve bei  deren  Beurteilung  auflegen  muß,  so 
glaube  ich  doch  kaum  auf  Widerspruch  zu 
stoßen,  wenn  ich  sage,  daß  die  Haigersche 
Kunst  schon  allein  durch  ihre  zierliche  An- 
mut und  heitere  Grazie  in  besonderem  Maße 
zum  Schmuck  unserer  Friedhöfe  sich  eignet, 
deren  düsterer  Ernst  durch  solche  Denkmale 
eine  so  wohltätige  Milderung  erfährt.  Aber 
auch  die  reiche  Erfindungsgabe,  das  feine  Ge- 
fühl für  Proportionen,  die  sich  wiederum  in 
der  neuen  Serie  Haigerscher  Arbeiten  offen- 
baren, werden  angesichts  dieser  Abbildungen 
kaum  zu  bestreiten  sein. 
Ihre  volle  Wirkung  erzielen 
die  Denkmale  Ernst  Hai- 
gers freilich  in  den  meisten 
Fällen  nur  bei  der  Ausfüh- 
rung in  edlem  Material. 
Gleich  ihren  antiken  Vor- 
bildern sind  sie  fast  aus- 
nahmslos in  Marmor  ge- 
dacht, in  dem  allein  der 
reine  und  vornehme  Fluß 
ihrer  Linien  sich  ungestört 
zu  entfalten  vermag.  Auch 
der  geschliffene  Granit  ist 
ein  dieser  Kunst  adäquates 
Material,  im  porigen  Mu- 
schelkalk aber  sind  die  Hai- 
gerschen  Denkmale  gerade- 
zu unmöglich.  Glücklicher- 
weise liefern  uns  die  Tiroler 
Marmorbrüche  bei  Laas  ein 
unvergleichliches  Material, 
dessen  sich  die  „Wiesbade- 
ner Gesellschaft  für  Grab- 
malkunst"  schon  seit  Be- 
ginn ihrer  Tätigkeit  aus- 
schließlich für  alle  ihre  Mar- 
morausführungen bedient. 
Weit  widerstandsfähiger, weil 
erheblich  härter  wie  der  von 
Carrara  und  von  grobem 
kristallinischem  Korn  be- 
kommt der  Laaser  Marmor 
nicht  leicht  jenes  stumpf- 
kreidige Aussehen,  das  als      ernst  haiger 


Folge  leichter  Verwitterung  sich  beim  Carrarer 
meist  schon  nach  dem  ersten  Winter  einstellt. 
Dazu  kommt  eine  leichte  Aderung,  die  nament- 
lich den  sogenannten  Laaser  II  auszeichnet, 
und  die  im  Verein  mit  dem  leicht  gelblichen 
Ton  mancher  Brüche  die  Oberfläche  angenehm 
belebt.  Man  erkennt  diese  feinen  Adern  auch 
auf  unseren  Abbildungen  z.  B.  bei  dem  kleinen 
Kindergrabmal  (Seite  245)  und  dem  großen  Fa- 
miliengrabmal Lankhorst,  dessen  figürlicher 
Teil  von  Prof.  Ludwig  HABicH-Stuttgart  her- 
rührt. Ueber  dieses  Denkmal  seien  einige  prin- 
zipielle Bemerkungen  erlaubt.  In  der  Art,  wie 
hier  unter  Vermeidung  aller  schweren  und 
drückenden  Steinmassen,  die  durchbrochene 
pergolaartige  Architektur  sich  mit  der  Plastik 
zu  feierlichem  Akkord  vereinigt,  kann  meines 
Erachtens  dies  Denkmal  als  vorbildlich  für  die 
Ausschmückung  größerer, 
frei  im  Friedhofsgelände  lie- 
gender Grabstätten  gelten. 
Ganz  besonders  da,  wo  rei- 
chere Mittel  zur  Verfügung 
stehen,  sollte  sich  der  Künst- 
ler zum  Grundsatz  machen 
durch  Heranziehung  der  Pla- 
stik und  Verwendung  edlen 
Materials  dem  Denkmal  die 
gewünschte  Preislage  zu  ge- 
ben, ohne  seine  Dimensio- 
nen ins  Ungebührliche  zu 
steigern.  Ich  darf  hinzufü- 
gen, daß  die  „Wiesbadener 
Gesellschaft  für  Grabmal- 
kunst" es  sich  von  Anfang 
an  zum  Prinzip  gemacht  hat, 
mit  aller  Energie  für  die  hier 
gewahrten  Grundsätze  ein- 
zutreten. Leider  steht  sie 
in  diesem  Bestreben  noch 
ziemlich  isoliert  da,  und  die 
meisten  Architekten  tragen 
anscheinend  auch  heute  noch 
kein  Bedenken,  hochragen- 
de, massige,  oft  wie  Wand- 
grabmale konstruierte  Ku- 
lissen mitten  in  den  Fried- 
hof zu  stellen. 

Nicht   selten   wird  durch 
ein   einziges  derartiges  mit 
seinen      Dimensionen     aus 
dem  Ganzen  herausfallendes 
URNEN-GRABSTEIN       Denkmal  die  Harmonie  eines 


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Friedhofs  zerstört  um  so  mehr,  wenn  noch  ein 
wandartiger  Charakter  des  Denkmals  hinzu- 
kommt. Das  Schlimmste,  was  in  dieser  Art 
denkbar  ist,  kann  man  auf  dem  Friedhof  in 
Weißensee  bei  Berlin  sehen.  Dort  haben  sämt- 
liche in  der  ersten  Reihe  gelegenen  Familien- 
gräber wandartige,  die  Breite  der  ganzen  Grab- 
stätte ausfüllende  Denkmale,  die  sich  unmittel- 
bar aneinanderschließen  und  das  ganze  dahinter- 
liegende  Gräberfeld  wie  mit  einer  Art  Ge- 
fängnismauer umgeben.  Ueberhaupt  zeichnen 
sich  die  jüdischen  Friedhöfe  vielfach  dadurch 
aus,  daß  sie  wohl  die  meisten  von  Künstlerhand 
entworfenen  Grabdenkmale  besitzen,  andrer- 
seits aber  deren  Wirkung  durch  die  denkbarste 
Rückständigkeit  der  Aufstellung  vollständig  zu 
nichte  machen.  Wo  plastischer  Schmuck  wie  auf 
diesen  Friedhöfen  nicht  erlaubt  ist  oder  nicht  ge- 
wünscht wird,  stellen  die  Sarkophag-  oder  altar- 
artigen Formen  die  weitaus  brauchbarsten  Denk- 
male für  freiliegende  Familiengrabstätten  dar. 
Sie  verbinden  mit  relativer  Breite  und  beträcht- 
licher Masse  geringe  Höhenabmessungen  und 
geben  von  allen  Seiten  gesehen  ein  gleich  gutes 
Schaubild.  Leider  steht  ihrer  Aufstellung  noch 
vielfach  das  Vorurteil  des  Publikums  entge- 
gen, das  nicht  weiß,  daß  man  solche  Denkmale 
durch  Niederbringung  zweier  seitlicher  Fun- 
damentpfeiler aufstel- 
len kann  ohne  eine 
Wegnahme  bei  noch- 
maliger Benutzung  der 
Grabstätte  nötig  zu  ma- 
chen, und  das  in  diesem 
Irrtum,  so  merkwürdig 
es  klingt,  noch  öfters 
von  Grabmalgeschäf- 
ten unterstützt  wird. 
Das  altar-  und  sar- 
kophagartige Denkmal 
kann  auch  zu  sehr 
mäßigem  Preise  er- 
stellt werden  und  eig- 
net sich  daher  eben- 
sogut da,  wo  nur  rela- 
tiv bescheidene  Mittel 
zur  Verfügung  stehen, 
wie  da,  wo  es  auf  den 
Preis  nicht  ankommt. 
W.  VON  Grolman 


Die  „Wiesbadener  Ge- 
sellschaft für  Grabmal- 
kunst" versendet  gegen 
Uebermittlung  von  20  Pf. 
in  Marken  an  Inter- 
essenten das  reich  illu- 
strierte Flugblatt  J.Win- 
ke für  die  Beschaffung 
eines  Grabmals." 


ERNST  HAIGER  n   URNENGRAB  AUS  MUSCHELKALK 


AUSSTELLUNGEN 

MANNHEIM  —  Seitdem  die  Künstlerbund- 
Ausstellung  die  Räume  der  Kunsthalle  ver- 
lassen hat,  hat  die  interne  Tätigkeit  mit  neuer  In- 
tensität eingesetzt.  Das  Vortragswesen  des  „Freien 
Bundes"  hat  einen  erstaunlichen  Umfang  ange- 
nommen, der  es  nötig  machte,  jeden  der  gehaltenen 
Vorträge  —  40  an  der  Zahl  —  dreimal  halten  zu 
lassen  für  je  600  Zuhörer.  Das  Programm  umfaßt 
systematische  Einführungsvorträge,  Einzeldarstel- 
lungen bedeutender  Künstler  und  Themata  von  all- 
gemeinem Interesse.  Als  Hauptsprecher  der  Aka- 
demie für  Jedermann  hat  sich  Dr.  G.  F.  HARTLAUB 
mit  großem  Erfolge  eingeführt.  Er  wird  im  Laufe 
des  Winters  damit  beginnen,  kunstwissenschaftliche 
Uebungen  für  einen  kleinen  Kreis  einzurichten.  Die 
Reihe  der  didaktischen  Ausstellungen  wurde  weiter- 
geführt zuerst  durch  eine  sehr  übersichtlich  geord- 
nete und  eindringlich  gestaltete  Ausstellung  „Gut 
und  Böse",  in  der  jeweils  neben  abschreckend 
schlechten  Beispielen  kunstgewerblicher  Art,  solche 
von  zweckmäßiger  und  schöner  Gestaltung  gezeigt 
wurden;  dann  aber  durch  die  soeben  eröffnete  Aus- 
stellung „Moderner  Keramik".  Diese  Schau 
gibt  einen  Ueberblick  über  die  Leistungen  der  ver- 
schiedenen Manufakturen  von  Karlsruhe,  Gmunden 
Frohburg,  Festersen,  Naestved,  Kopenhagen  etc. 
Ein  besonders  schöner  Raum  ist  den  keramischen 
Arbeiten  BERNHARD  HöTGERS  gewidmet,  den  „Licht- 
und  Schattenseiten  des  Lebens".  Von  MAX  LAUGER 
sieht  man  eine  gut  gewählte  Kollektion  seiner  neue- 
sten Erzeugnisse.  Von  den  Arbeiten  der  Karls- 
ruher Manufaktur  fallen  die  großen  Gartenplastiken 
von  ViEGELMANN,  BiLLiNG  und  Naager  auf.    Als 

besonders  wertvolle  Ab= 
teilung  sieht  man  die 
holländischen  (Amstel- 
hoek)  und  englischen 
(Ruskin  und  Doulton 
Pottery)  Töpfereien  an. 
Als  nächste  Ausstellung 
in  größerem  Stil  ist  eine 
Vorführung  moderner 
Industriebauten  ge- 
plant, die  einen  ziemlich 
umfassenden  Ueberblick 
über  die  Leistungen  der 
modernen  Architektur  in 
Handel  und  Industrie 
geben  wird,  w.f.storck 
* 

T    EIPZIG-EineAus- 


Bernsteinschmuck 
und  anderen  Bernstein- 
arbeiten älterer  u.  neue- 
rer Zeit  wird  vom  Kunst- 
gewerbe-Museum für  Fe- 
bruar vorbereitet.  Die 
Vorarbeiten  lassen  eine 
reiche  Beteiligung  von 
Museen,  Privatsamm- 
lern und  Kunstgewerbe- 
treibenden erwarten. Der 
Hauptzweck  der  Aus- 
stellung besteht  in  der 
Vorführung  künstlerisch 
wertvoller  moderner 
Arbeiten,  die  dieses 
Schmuckmittel  wieder 
zu  Ehren  bringen. 


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KINDERGRABMAL  AUS  EUVILLE-KALKSTEIN 


GRABMAL  AUS  LOBENHAUSENER  MUSCHELKALK 


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GRABMAL  AUS  LAASER  MARMOR  GRABMAL  AUS  EUVILLE-KALKSTEIN 

ENTWÜRFE:  ARCH.  ERNST  HAIGER-MONCHEN  q  VERTRIEB:  WIESBADENER  GESELLSCHAFT  FOR  GRABMALKUNST 

245 


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EMIL  ORLIK  E.  R.  WEISZ  KURT  TUCH  KURT  TUCH 

TAPETENSTREIFEN  B  FOR  DIE  .VEREINIGTEN  WERKSTATTEN'  AUSGEF.  VON  ADOLPH  BURCHARDT  SOHNE,  BERLIN 


NEUE  TAPETENMUSTER 


In  der  Berliner  Kunstgewerbe-Bibliothek 
gab  es  kürzlich  eine  kleine  Ausstellung  von 
Künstlertapeten.  Eine  Kollektion  neuer  Muster, 
wie  sie  von  Bruno  Paul,  Emil  Orlik,  E.  R. 
Weiss,  Kurt  Tuch,  Alexander  von  Salz- 
mann, Ina  von  Kardorff  u.  a.  für  Adolph 
BurchardtSöhne  entworfen  waren.  Wir  repro- 
duzieren einige  dieser  Entwürfe  zusammen  mit 
ein  paar  neuen  Tapeten  von  Erismann  &  Co., 
um  wieder  mit  ein  paar  Proben  darzulegen, 
wie  das  neue  Kunstgewerbe  auch  den  Anfor- 
derungen der  letzten  Strömung  nach  einem 
großformatigen  Blumendekor  künstlerisch  ge- 
recht zu  werden  vermag.  Der  Musterzeichner, 
der  haltlos  und  allzu  oft  auch  gefühllos  vor  diese 
Aufgabe  und  vor  den  Reichtum,  den  eine 
frühere  Zeit  nach  der  Richtung  hin  entfaltet 
hat,  gestellt  ist,  wird  notwendigerweise  zu 
einem  nachahmenden  Eklektiker,  wenn  ihm 
die  Künstlerschaft  nicht  den  Halt  bietet,  der 
allmählich  auch  im  Ornamentalen  zu  einer 
Stilkonvention  zu  führen  vermag.  Offensichtlich 
ist  es  das  Bestreben  der  Künstler,  die  Geste 
des  geschmackvoll  Delikaten  hervorzukehren 
und  auf  alle  Art  zu  verfeinern.  Man  spürt 
das  Bemühen,   jeden  theoretischen  Ballast  — 


der  manchmal  auch  ganz  gute  Dienste  zu 
leisten  vermag  —  völlig  abzustreifen,  muntere, 
heiter  bewegte  Flächenspiele  aus  einem  ge- 
wählten Geschmacksempfinden  heraus  zu  ent- 
falten. Sie  sind  deshalb  nicht  wie  etwa  die 
Flächenstücke  eines  Morris  Dokumente  eines 
in  seinen  Zielen  weitaus  greifenden  Artismus, 
sondern  haben  keinen  andern  Ehrgeiz  als  eine 
aparte  Flächendekoraiion  abzugeben,  als  den 
passenden  Hintergrund  zu  bilden  für  zierlich 
nette  Möbelchen.  Sie  sind  daher  zu  verstehen 
als  Widerpart  gegen  die  neue  Handwerkskunst, 
die  jetzt  von  den  upper  ten  mit  einem  nicht 
zu  verkennenden  Eifer  begehrt  wird,  sind 
folgerichtige  Ergänzungen  zu  dem,  was  augen- 
blicklich in  den  Tischlerwerkstätten  gemacht 
wird.  Wenn  man  es  recht  bedenkt,  kann  aber 
solch  Flächendekor,  solch  Tapetenmuster  gar 
nichts  anderes  sein  wollen.  Es  würde  sonst 
ja,  wenn  es  auf  eigene  Weise  sich  an  das  noch 
immer  ungelöste  Problem  dermodernen  Flächen- 
dekoration heranwagen  wollte,  die  Idee  der 
einheitlichen  Raumkunst  sprengen.  Darin,  daß 
diese  Tapetenmuster  sich  über  alles  bemühen  mit 
dem  augenblicklich  „gängigen"  Mobiliar  über- 
einzustimmen, ist  ihr  Wert  zu  suchen.        p.  w. 


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KURT  TUCH 


EMIL  ORLIK 


EMIL  ORLIK  E.  R.  WEISZ 

TAPETEN     B     FÜR   DIE  „VEREINIGTEN  WERKSTATTEN'  AUSGEFÜHRT  VON  ADOLPH  BURCHARDT  SOHNE,   BERLIN 

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EMMY  SEYFRIED 


EMMY  SEYFRIED 


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RICHARD  RIEMERSCHMID 


ADELBERT  NIEMEYER 


LICHTECHTE  TAPETEN  AUS  DER  TAPETENFABRIK  ERISMANN  &  CIE.,  BREISACH  (BADEN) 

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ARCH.  FELIX  KRÜGER-KÖLN 


HAUS  WILDEN: TEEHAUSCHEN 


WOHNHAUSBAUTEN  VON  FELIX  KRÜGER-KÖLN 


Die  Kunst,  wohnliche  Wohnungen  zu  bauen, 
ist  in  Deutschland  noch  nicht  sehr  alt. 
Die  pompösen  Dekorationen  der  deutschen 
Renaissance  und  die  unkünstlerischen  Künste- 
leien des  Jugendstils  hatten  unsere  Innenraum- 
meister  vom  Ziele  abgedrängt.  Erst  im  letzten 
Jahrzehnt  ist  man  ruhiger  und  sachlicher  ge- 
worden. Fern  von  aller  Verstiegenheit  will  man 
aus  dem  Bedürfnis  heraus  einfach,  zweckmäßig 
und  materialecht  schaffen.  Statt  einer  maleri- 
schen Gruppierung  der  Räume  sucht  man  stren- 
gere geometrische  Gliederung.  Die  Schönheit 
wird  nicht  mehr  in  buntem  und  kostspieligem 
Aufputz  gesucht,  vielmehr  soll  der  Architekt  die 
notwendigen  Räume  mit  Geschmack  gut  ordnen, 
in  den  Verhältnissen  glücklich  abstimmen  und 
in  den  Farben  richtig  steigern.  Darum  wird  der 
gute  moderne  Architekt  nicht  teuerer  bauen, 
als  irgendein  Bauunternehmer.  Was  etwa  an 
erhöhten  AnschafFungskosten  sich  ergibt,  wird 
auf  die  Dauer  ausgeglichen  durch  geringere 
Unterhaltungs-  und  Erneuerungskosten  infolge 
besserer  Qualität  des  Materials.  Voraussetzung 
ist  freilich,  daß  der  bauleitende  Künstler  mit 
peinlicher  Sorgfalt  die  Durchbildung  bis  ins 
einzelne  überwacht  und  überall  die  Wirtschaft- 
lichkeit und   die  Schönheit  gleichermaßen  im 


Auge  behält.  Zu  den  Baukünstlern  dieser  Klasse 
gehört  Felix  Krüger. 

Das  Haus,  das  er  für  Rechtsanwalt  Dr.  Wil- 
den in  Hauset  bei  Aachen  errichtet  hat,  liegt 
jenseits  des  Aachener  Waldes,  auf  einem  vor- 
gelagerten Höhenzuge,  mit  dem  Blick  in  die 
Eupener  Ebene  und  darüber  hinaus  auf  die 
Nordabhänge  der  Eifel.  Hier  hatte  der  Be- 
sitzer mit  sicherem  Griffe  sich  einen  Platz  an 
der  Sonne  gesichert  und  damit  den  Grund 
zu  einer  Waldkolonie  gelegt,  die  sich,  fern 
von  Stadt  und  Dorf,  in  völliger  Freiheit  ent- 
wickeln wird.  Es  war  zweifellos  eine  dankbare 
Aufgabe,  die  Vorzüge  dieser  Lage  auszunutzen 
und  hier  ein  geräumiges,  wenn  auch  nur  für 
den  Sommeraufenthalt  bestimmtes  Gebäude  zu 
schaffen.  Das  etwa  sieben  Morgen  große  Terrain 
zieht  sich  auf  der  Höhe  des  Rückens  an  der 
Landstraße  hin  und  fällt  von  da  allmählich  zum 
Tale  ab.  Durch  Anschüttungen  ließ  sich  auf  der 
Höhe  eine  langgestreckte  Terrasse  herstellen, 
an  deren  Westende  das  Herrenhaus  steht.  Es 
hätte  nahe  gelegen,  die  Fassade  parallel  der 
Hauseter  Landstraße  zu  entwickeln.  Aus  kli- 
matischen Gründen  aber  zog  man  es  vor,  sie 
nach  Osten  zu  richten,  damit  die  geschlossene 
Rückseite  den  herrschenden  Weststürmen  Trotz 


M(Sy^&i''^<öiT''fi{öy-Q)öi<aiöy.ä<Di^O!f''i><äy'i><ö':f^<öit!öioy^ 


Uekorative  Kunst.    XVII. 


M.1rz  1914 


249 


32 


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ARCH.  FELIX  KRÜGER-KOLN 


HAUS  WILDEN:  EINFAHRT 


LÄeEPLAN    DES  L/ÄNbSITZES  VON 
HERRN    D2  WILDEN  IN  MflUS£T  ^ARCHEN 


^ 


MAusexeTR-  L^tNDSTRÄSse. 


u<a^.oiöit,o&iT:&<5i<c>S7r^&ij^&i<i><äif'(i<öitX)&X&SXQ<SytQ(Sy^<S7^ 


250 


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ARCH.  FELIX  KROGER-KOLN 


bieten  kann.  Damit  ergab  sich  vor  dem  Hause 
in  seiner  Hauptachse  ein  schöner  langgestreckter 
Vorplatz,  der  in  Zukunft  wohl  einmal  als  grüner 
Rasen  ausgebildet  werden  muß.  Das  Pförtner- 
haus rückte  in  die  dem  Haupthause  entgegen- 
gesetzte Ecke  des  Grundstücks,  unmittelbar  an 
der  Landstraße,  von  wo  sich  eine  bequeme  Ein- 
fahrt zur  damit  verbundenen  Garage  ergibt. 
An  der  südwestlichen  Sonnenseite  des  Haupt- 
hauses   breitet    sich    ein    kleiner    Terrassen- 


HAUS  WILDEN:  GARAGE 


blumengarten  wie  ein  leuchtender  Teppich  vor 
dem  Hause  aus.  Noch  etwas  tiefer  steht  ein 
Teehäuschen  mit  geschützter  Veranda,  an  war- 
men Tagen  ein  von  Winden  gekühlter  schatti- 
ger Aufenthalt  mit  köstlichem  Fernblick. 

Auf  der  Höhe  thront  das  Wohnhaus,  nach 
allen  Seiten  frei  in  die  Landschaft  ausschauend. 
Annähernd  quadratisch  in  der  Grundform,  mit 
mächtigem,  von  der  Schornsteingruppe  bekrön- 
ten,  gebrochenen  Mansarddach,   fügt   es  sich 


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in  seiner  Geschlossenheit  gut  in  das  Terrain 
ein.  Nach  Norden  hin  ist  durch  einen  Vorbau 
mit  Veranda  der  schöne  Blick  auf  den  Aachener 
Wald  gesichert.  Nach  Süden  ist  es  reicher 
gegliedert,  um  Sonne  und  Aussicht  auszunutzen. 
Die  Hauptfassade  ist  ganz  symmetrisch  und  in 
wohlabgewogenen  Verhältnissen  gehalten.  Be- 
sonders günstig  wirkt  auch  der  feine  Rhythmus 
in  der  Verteilung  der  Dachgeschoßfenster. 

Für  den  Bau  wurde  möglichst  das  ortsübliche 
Material  verwertet.  Die  aufgehenden  Mauern 
sind  in  einem  außerordentlich  farbigen,  am  Orte 
selbst  gebrochenen  Kohlensandstein  als  unregel- 
mäßig geschichtetes  Bruchsteinmauerwerk  auf- 
geführt. Für  Türen-  und  Fensterrahmungen, 
Treppen  und  Balustraden  wurde  der  in  Aachen 
und  Umgegend  gebräuchliche  Raerener  Blau- 
stein benutzt.  Die  Dachgesimse  und  die  Fenster- 


einfassungen sind  wie  üblich  in  Holz  gehalten; 
das  Dach  ist  in  Schiefer  gedeckt. 

Im  Innern  mußte  von  vorneherein  die  strenge 
Symmetrie  des  Grundrisses  gemildert  werden, 
um  vor  allem  die  Räume  nach  den  Himmels- 
richtungen zu  gruppieren,  Sonne  und  Wetter, 
Aussicht  und  Schutzlage  genügend  zu  berück- 
sichtigen. In  dem  nach  Südwest  stark  ab- 
fallenden Untergeschoß  ließen  sich  gute  Wirt- 
schaftsräume einbauen,  die  freien  Austritt  zur 
Gartenterrasse  und  somit  viel  Luft  und  Licht 
haben.  So  hat  auch  das  Dienstpersonal  an  dem 
gesunden  ländlichen  Aufenthalt  erwünschten 
Anteil.  Der  Zutritt  zum  Hauptgeschoß  erfolgt 
von  der  Südostseite.  Zwei  Stufen,  deren  Wan- 
gen ein  paar  antike  Aachener  Konsolen  bilden, 
führen  zu  einer  offenen,  wettergeschützten  Vor- 
halle, die  sich  mit  zwei  Blausteinpfeilern  zur 
Anfahrt  öffnet.  Gegen 
die  mit  holländischen 
roten  Klinkern  belegten 
Wände  sticht  der  feine 
graublaue  Ton  dieser 
Pfeiler  um  so  hübscher 
ab,  als  die  Halle  meist  in 
weichem  Halbschatten 
liegt,  und  die  Farbe  ge- 
dämpft wird.  Von  hier 
gelangt  man  in  ein  klei- 
nes ovales  Vestibül,  das 
als  einzigen  Schmuck 
eine  ganz  flache  Relief- 
figur von  Minnie  Goos- 
sens  erhielt. 

Daneben  führt  die 
Tür  zur  Rechten  in  das 
Treppenhaus,  die  zur 
Linken  in  das  außer- 
ordentlich geräumige 
Hauptzimmer  des  Erd- 
geschosses. Mit  Recht 
haben  die  Erbauer  von 
der  Teilung  in  mehrere 
kleinere  Räume  abge- 
sehen, vielmehr  Wohn- 
zimmer, Empfangszim- 
mer, Speisezimmer  und 
Glasveranda  zu  einer 
einzigen,  großen,  hellen 
und  eindrucksvollen 
Halle  oder  Diele  zu- 
sammengefaßt, die  im 
Notfalle  auch  einmal, 
etwa  bei  einem  verreg-  ß 
neten  Gartenfest  die  Ge-  g 
samtheit  der  Gäste  auf- 
nehmen kann.  Beim 
Eintritt  haben  wir  den 


HAUS  WILDEN:  VORHALLE 


ARCH.  FELIX  KROGERKÖLN 


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252 


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ARCH.  FELIX  KRÜGER-KOLN 

Kaminplatz  vor  uns  mit  wärmendem  Feuer 
und  bequemen  Sesseln.  An  der  Rückseite  des 
Raumes  sind  Anrichte  und  Kredenzschränke 
eingebaut,  davor  der  runde  Eßtisch  mit  Stühlen, 
seitwärts  der  Anrichteraum  und  Speiseaufzug 
vom  Kellergeschoß.  Nach  Süden  hin  ist  eine 
geräumige,  verglaste  Veranda  ausgebaut,  die 
vom  frühen  Morgen  bis  zum  späten  Abend 
von  der  Sonne  erreicht  wird.  Hier  sind  Fuß- 
boden und  der  untere  Teil  der  Wand  mit  far- 
bigen Glasfliesen  verkleidet,  die  Fenster  durch 
blumige  Vorhänge  vor  allzuviel  Sonne  geschützt. 
Unmittelbar  daran  schließt  sich  eine  langge- 
streckte, offene  Veranda,  die  durch  das  Haus 
vor  allen  üblen  Winden  geschützt  ist.  Stets 
von  der  Sonne  bestrahlt,  bietet  sie  auch  an 
kühleren  Tagen  einen  idealen  Aufenthalt. 

Da  die  Wirtschaftsräume  unmittelbar  vom 
Garten  aus  zugänglich  sind,  und  das  Ober- 
geschoß nur  Schlaf-  und  Fremdenzimmer  ent- 
hält, konnte  die  nach  Norden  hin  gelegene 
Treppe  einfach  gehalten  werden.  Vom  Treppen- 
haus führt  ein  Stichgang  unmittelbar  zum  Bade- 
zimmer, das  zugleich  direkt  vom  Schlafzimmer 
der  Eltern  aus  betreten  werden  kann.  Neben 
dem  Schlafzimmer  der  Eltern  und  wie  dieses 
nach  Südost  blickend,  liegen  die  der  Töchter 
und  des  Sohnes,  von  diesen  durch  Treppen- 


HAUS  WILDEN:  SUDOSTSEITE 

haus  und  Gang  getrennt  Fremdenzimmer  und 
Mägdezimmer.  Letztere  haben  auch  in  dem 
sehr  geräumigen  Speicher  über  der  Kehlbalken- 
lage noch  Unterkunft.  Für  die  liebevolle  Art, 
mit  der  Krüger  alle  Räume  durchbildet,  sind 
gerade  diese  Mansardenzimmer  charakteristisch . 
Auch  für  diese  Räume  waren  Ausstattung  und 
Einrichtung  von  vornherein  in  die  Hände  des 
Künstlers  gelegt.  So  konnte  er  zahlreiche  Wand- 
schränke und  Nischen  vorsehen,  die  Fenster  mit 
Rücksicht  auf  die  Stellung  der  Betten  anbringen, 
die  Waschgelegenheiten  gut  anordnen,  kurz, 
diese,  sonst  bei  uns  in  Deutschland  oft  vernach- 
lässigten Räume  besonders  hübsch  und  zu- 
gleich hygienisch  einwandfrei  ausbilden.  Alles 
Mobiliar  ist  in  möglichst  einfachen  Flächen 
und  weiß  lackiert  gehalten,  gut  im  Räume  ver- 
teilt und  seinen  Größenverhältnissen  angepaßt. 
Vorhänge  und  Tapeten  aber  wechseln  nach 
Farbe  und  Muster  von  Raum  zu  Raum  und 
nehmen  doch  auf  die  Durchblicke  Rücksicht. 
Im  Erdgeschoß  hat  Krüger  vor  allem  das 
große  Wohnzimmer,  die  Halle,  mit  einer  über 
ländliche  Bedürfnisse  hinausgehenden  Eleganz 
ausstatten  dürfen,  da  die  Besitzer  sich  gerne 
mit  guten  Schöpfungen  moderner  Kunst  um- 
geben und  auch  in  diesem  Sommerhaus  sich 
nicht  ganz  von  ihren  Schätzen  trennen  mögen. 


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ARCH.  FELIX  KRÜGER-KOLN 


HAUS  WILDEN:  HALLE 


ARCH.  FELIXKROGERq  HAUS  WILDEN:  SCHREIBZIMMER;  MÖBEL  NACH  ENTWURF  VON  F.A.O.KROGER-BERLIN 
Ausführung:  Werkstätten  für  angewandte  Kunst,  G.  m.  b.  H.,  Köln 


254 


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ARCH.  FELIX  KROGER-KOLN 


HAUS  WILDEN:  VERANDA 


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ARCH.  FELIX  KRÜGER  Q  HAUS  WILDEN:  SCHLAFZIMMER;  MÖBEL  NACH  ENTWURF  VON  P.A.  O.  KRÜGER-BERLIN  ( 

Ausführung:  Werkstätten  für  angewandte  Kunst,  G.m.b.H.,  Köln  t 

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Dekorative  Kunst.  XVII.    6.    M.lrz  1914 


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ARCH.  FELIX  KROGER-KOLN 

Das  Wohnhaus  des  Fabrikanten  Walter 
Pass  in  der  Brüderstraße  zu  Remscheid  darf 
ein  Muster  kluger  Grundrißgestaltung  und  guter 
Raumausnutzung  genannt  werden.  Da  das 
Terrain  stark  ansteigt,  konnten  die  Wirtschafts- 
räume nach  der  Straßenseite  hin,  gut  belichtet 
und  bequem  zugänglich,  im  Sockelgeschoß  unter- 
gebracht werden.  Das  darüber  liegende  Haupt- 
geschoß enthält  die  Wohnräume.  Es  öffnet 
sich  nach  der  Straße  hin  stattlich  und  reprä- 
sentativ mit  einer  dreiachsigen  offenen  Halle, 
während  es  nach  der  Rückseite  behaglich  un- 
mittelbar zum  Garten  den  Austritt  gewährt. 
Das  vollständig  ausgebaute  Dachgeschoß  umfaßt 
die  Schlafräume.  Es  wurde  nach  der  Straßenseite 
hin  wieder  mit  einer  Veranda  geöffnet,  die  von 
zwei  giebelgekrönten  Risaliten  flankiert  wird. 
Nach  der  Gartenseite  hin  ist  dieses  Geschoß 
als  Dachgeschoß  mit  hohem  Giebel  und  Dach- 
gauben ausgebildet.  So  hat  man  von  der 
Straßenseite  her  einen  dreigeschossigen,  statt- 
lichen Bau  vor  sich,  während  die  Rückseite 
als  anmutiges,  bürgerliches  Gartenhaus  mit 
Anklängen  an  Biedermeierstil  erscheint.  Das 
hohe,  gebrochene  Dach,  der  klassizierende 
Giebel,  der  im  Halbrund  vorspringende  Garten- 


HAUS  PASS  IN  REMSCHEID 

saal  und  die  darüber  liegende  große  Veranda 
erinnern  an  die  behaglichen,  etwas  ländlichen 
Gebäude  aus  der  guten  alten  bergischen  Zeit. 

Für  die  Grundrißanordnung  ist  wesentlich, 
daß  in  der  Mittelachse  des  östlichen  Anbaues 
ein  stimmungsvolles  Treppenvestibül  dem  ei- 
gentlichen Baukörper  vorgelagert  wurde.  Da- 
neben und  von  der  Ostseite  aus  gesondert  zu- 
gänglich, läuft  die  Wirtschaftsstiege  bis  zu  den 
Dachräumen  hinauf.  Zu  dem  erwähnten  Vesti- 
bül gelangt  man  unmittelbar  von  der  Straße  her 
durch  einen  kleinen,  in  Muschelkalk  ausge- 
führten schützenden  Vorbau.  Das  eigentliche 
Treppenhaus  mit  seiner  hübsch  geführten 
Stiege  springt  im  Halbrund  vor  und  ist  durch 
die  großen,  weitherabreichenden  hellen  Fenster 
vorzüglich  beleuchtet.  Die  Wände  zeigen  eine 
Stuckfeldereinteilung  in  zartgelber  Tönung  und 
Glasmosaik-Einlagen.  Da  diese  Treppe  hier 
vor  den  Wohnräumen  endigt,  so  konnte  der  fest- 
liche Raum  nach  oben  durch  eine  zierliche 
flache  Decke  abgeschlossen  werden. 

Von  diesem  oberen  Vestibülraum  gelangt 
man  nach  links  durch  eine  Tür  zur  Wirtschafts- 
treppe mit  anschließender  Anrichte,  geradeaus 
aber  in  die  Haupträume  des  Hauses. 


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258 


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ARCH.  FELIX  KROGER-KOLN 

Etwas  abgesondert, 
vom  Vestibül  direkt 
zugänglich,  liegt  das 
Herrenzimmer,  das 
seinen  Charakter 
durch  in  die  Wände 
eingebaute  Biblio- 
thekschränke erhält. 
Auf  verhältnismäßig 
engem  Räume  erge- 
ben sich  hier  eine 
Reihe  behaglicher 
Sonderplätze  und  Ar- 
beitssitze,die  dasZim- 
mer  besonders  intim 
und  wohnlich  machen. 
In  der  Hauptachse 
gelangt  man  in  ei- 
nen großen  als  Diele 
zu  bezeichnenden 
Raum.  Er  ist  bis  fast 
zur  Decke  mit  rötli- 
chem Mahagoniholz 
vertäfelt  und  durch 
schwarze  Leisten  auf- 
geteilt, was  dem  Räu- 
me einen  ungemein 
warmen ,  und  doch 
vornehmen  Charak- 
ter verleiht.    Der  ei- 


HAUS  PASS:  GARTENSEITE 

gentlichen  Eingangs- 
tür gegenüber,  in  der 
langen  Achse,  steht 
ein  schlichter  Kamin 
aus  dunkelgrünem 
Marmor,  neben  dem 
links  und  rechts  sym- 
metrisch die  Zugänge 
zu  Wohnzimmer  und 
Salon  angeordnet 
sind,  beide  von  glei- 
cher Größe,  beide 
nach  dem  noch  nicht 
ausgeführten  Winter- 
garten mit  breitem 
Fenster  sich  öffnend 
und  unter  sich  durch 
eine  Tür  verbunden. 
Das  Wohnzimmer  ist 
noch  mit  einem  tie- 
fen, im  Winter  heiz- 
baren Blumenfenster 
ausgestattet.  Der  da- 
nebenliegende Salon 
zeigt  unaufdringli- 
chen Luxus.  In  der 
Mitte  der  Langwand 
ist  der  Heizkörper,  ( 
durch  Holzumrah-  ( 
mung    und    Perlen-    y 


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259 


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ARCH.  FELIX  KROGER-KOLN 

gehänge  etwas  reicher  ausgebildet.  Die  gegen- 
überliegende Seite  öffnet  sich  mit  einem  breiten 
Fenster  auf  den  zukünftigen  Wintergarten.  Die 
dunklen  Palisandermöbel  von  R.  A.  Schröder 


HAUS  PASS:  MITTELTEIL  DER  GARTENFRONT 

haben  leise  Anklänge  an  Biedermeier  und  sind  mit 

breitgestreiftem,  gelbem  Seidenstoff  bespannt. 

In  der  kurzen  Achse  öffnet  sich  die  Diele  zum 

Eßzimmer  hin,   das  mit  flachem,  halbrundem 


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ARCH.  FELIX  KRÜGER-KÖLN  HAUS  PASS:  VESTIBÜL 

Brunnen  und  Wandsocicel  in  Glasmosaik  ausgeführt  von  der  Glasmalerei  C.  Ule,  G.  m.  b.  H.,  in  München 

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ARCH.  FELIX  KRÜGER-KOLN 


HAUS  PASS:  HERRENZIMMER 


Ausführung:  Werkstätten  für  angewandte  Kunst,  G.m.b.H.,  Köln 


Ausbau  in  den  Garten  vorspringt.  Um  der  Sym- 
metrie willen  sind  auch  die  Ecken  der  Ein- 
gangswand abgerundet  und  zugleich  zum  Ein- 
bau von  Speiseaufzug  und  Heizung  benutzt. 
Barock  und  Rokoko  wußten  sehr  wohl,  wie 
reizvoll  für  den  Genuß  der  Tafelfreuden  ein 
solcher  Ovalraum  ist,  wo  alle  gleichsam  einander 
näherrücken   und    zugleich  durch   die   weiten 


Fenster  mit  ihrem  Ausblick  ins  Grüne  die 
Daseinsfreude  erhöht  wird.  Dazu  leuchten  die 
durch  Nischen  und  eingebaute  Kredenzen  ge- 
gliederten Wandflächen  in  weißem  Stuck,  die 
großen  Fenster  sind  von  leuchtend  roten  Stoffen 
umrahmt,  ein  roter  Teppich,  rot  bespannte 
Lederstühle  mit  dunkelbraunen  Holzrahmen,  ein 
glitzernder  Glaslüster  steigern  die  Stimmung. 


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262 


ARCH.  FELIX  KRÜGER-KÖLN 


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HAUS  PASS:  DIELE 


ARCH.  FELIX  KRÜGERKOLN  HAUS  PASS:  SPEISEZIMMER 

Ausführung:  Werkstätten  für  angewandte  Kunst,  Köln  El  Lose  Möbel  nach  Entwurf  von  Bruno  Paul-Berlin 


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So  bietet  der  Grundriß  zunächst  eine  zweck- 
mäßige Anordnung  der  Räume.  Herrenzimmer 
und  Wohnzimmer  liegen  gesondert,  das  Eß- 
zimmer wird  durch  zwei  Gesellschaftsräume 
und  die  Anrichte  umschlossen  und  mit  Winter- 
garten und  Salon  unmittelbar  verbunden.  Dabei 
sind  alle  Zimmer  streng  auf  zwei  Hauptachsen 
gebracht  und  jedes  Zimmer  in  sich  ganz  symme- 
trisch durchgebildet. 

Auch  im  Obergeschoß  ist  die  Verteilung  der 
Räume  auf  das  sorgfältigste  überlegt.  Das 
Schlafzimmer  der  Eltern  bildet  mit  Ankleide- 
und  Badezimmer  eine  Einheit.  Jedes  dieser 
Zimmer  hat  auch  gesonderten  Ausgang  auf 
einen  Slichkorridor,  kann  also  auch  von  an- 
deren Hausbewohnern  betreten  werden. 

Auch  bei  der  Gartengestaltung  durfte  der 
Architekt  glücklicherweise  mitwirken.  Aus  dem 
ovalen  Speisezimmer  tritt  man  zunächst  auf 
eine  Terrasse  hinaus,  die  gegen  den  höher 
gelegenen  Hauptgarten  durch  eine  niedrige 
Brüstungsmauer  abgeschlossen  ist.  In  ihrer 
Mittelachse  liegt  ein  elegantes  Steinbassin,  an 
dem  seitwärts  Treppen  zum  oberen  Garten 
hinaufführen.  In  der  vollen  Breite  des  Hauses 
zieht  dieser  sich  als  eine  von  Rosen  gesäumte 
rechteckige  grüne  Fläche  in  die  Tiefe,  in  der 
man  wieder  eine  kleinere  Terrasse  mit  Turn- 


platz aufsteigen  sieht.  Blumenbeete  und  Nutz- 
garten sind  seitwärts  untergebracht.  Der  Gar- 
ten ist  bescheiden  ausgestattet  und  ordnet  sich 
durchaus  dem  Hause  unter. 

Offensichtlich  strebte  Krüger  in  diesen  Bauten 
weniger  nach  dem  Ruhme  der  Originalität  und 
der  Modernität  ä  tout  prix.  Sie  sollten  ihm 
nicht  als  Tummelplatz  künstlerischer  Launen 
dienen.  Er  wollte  in  ihnen  die  schwierige  und 
viel  wichtigere  Aufgabe  lösen,  den  Wünschen 
des  Bauherrn  so  weit  wie  irgend  möglich  ge- 
recht zu  werden,  die  verfügbaren  Mittel  auf 
keinen  Fall  zu  überschreiten  und  doch  eine 
architektonisch  unantastbare  Lösung  zu  geben. 
Er  will  nicht  nur  Künstler,  er  will  vor  allem 
auch  Berater  des  Bauherrn  sein.  Krüger  hat 
auch  als  Leiter  der  Kölner  Werkstätten  für 
angewandte  Kunst  vor  allem  die  gute  und 
zweckmäßige  Ausstattung  der  Innenräume  im 
Auge.  Aber  er  bleibt  nicht  bei  einem 
lockeren  Zusammenreihen  hübscher  Innen- 
räume stehen.  Als  Architekt  hält  er  auf  einen 
gutgeformten  Grundriß,  auf  gute  Fassaden- 
bildung und  Silhouettierung.  Er  richtet  nicht 
nur  ein,  sondern  er  baut,  vernünftigerweise 
von  innen  nach  außen.  In  diesem  Sinne  dürften 
die  beiden  oben  beschriebenen  Häuser  eine  ein- 
gehende Würdigung  verdienen.      Max  Schmid 


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I 


ARCH.  FELIX  KROGER-KOLN  HAUS  PASS:  GARDEROBE  q 

Ausführung:  Werkstätten  für  angewandte  Kunst,  G.  m.  b.  H.,  Köln  W 

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264 


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HANS  SCHMITHALS-MÜNCHEN 


HANDGEKNOPFTER  TEPPICH  (1908) 

ARBEITEN  VON  HANS  SCHMITHALS 


I 


n  einer  aparten  kleinen  Ausstellung  des 
„Verbandes  für  Raumkunst"  hat  dieser 
Münchner  Künstler,  der  bereits  in  der  Aus- 
stellung „München  1908"  glücklich  hervortrat, 
neuerdings  der  Oeffentlichkeit  Proben  eines 
vielseitigen  Wollens  und  einer  originalen  Be- 
gabung gewiesen.  Die  ganze  Gruppe,  deren 
weitere  Arbeiten  an  dieser  Stelle  noch  gezeigt 
werden  sollen,  möchte  nicht  eigentlich  das, 
was  man  heute  vielfach  unter  modernem  Münch- 
ner Kunstgewerbe  versteht :  eine  nette,  markt- 
gängige Ware,  die  eine  gewisse  Ermüdung  der 
formalen  Erfindungskraft  durch  geschmackvolle 
Einfälle  von  dekorativen  Einzelheiten  mehr 
oder  minder  glücklich  verbirgt.  Man  möchte 
in  jener  Gruppe  die  freudige  Reformbewegung 
der  neunziger  Jahre  mit  Hilfe  der  inzwischen 
gewonnenen  besseren  technischen  Schulung 
fortführen.  Man  erstrebt  das  persönlich  ge- 
staltete Einzelstück  für  sehr  differenzierte  Kul- 
turbedürfnisse. 

Die  kleine  Ausstellung  vom  Herbst  1913 
erhielt  ihre  räumliche  Gesamtstimmung  durch 
die  großen  Knüpfteppiche  von  Schmithals,  von 
denen  wir  heute  eine  Anzahl  im  Bilde  zeigen. 
Die  vornehme  Pracht  ihrer  gedämpften  Farben, 
ihre  eigentümliche  und  reiche  Ornamentik 
wirken  vortrefflich.  Sie  weichen  dabei  beträcht- 
lich ab  von  dem,  was  uns  im  Lauf  der  letzten 


Jahre  an  deutschen  Teppichen  gezeigt  wurde. 
Gibt  es  denn  überhaupt  so  etwas  wie  einen 
„deutschen  Teppich"? 

In  der  Vergangenheit  kaum.  Die  Geschichte 
meldet  von  der  Einfuhr  orientalischer  Teppiche 
über  die  alten  Handelsplätze  des  Mittelalters. 
Venedig  vor  allem  schmückt  sich  verschwen- 
derisch auch  mit  diesen  Gaben  des  Morgenlandes. 
In  Brüssel  gedeiht  um  1500  eine  bodenständige 
Teppichweberei,  die  dann  später  von  Lud- 
wig XIV.  nach  Paris  gezogen  wird.  Von  hier 
aus  erobert  sich  der  französische  Wandteppich 
die  vornehme  Welt  Europas.  In  Holland  ent- 
wickelt sich  gleichzeitig  mit  der  Blüte  der 
Malerei  ein  ausgebildeter  Sinn  für  die  delikaten 
Farbenwirkungen  des  Teppichs,  entsteht  gleich- 
falls eine  blühende  Manufaktur.  Ja,  man  hat 
gesagt,  daß  diese  Teppichliebhaberei  hier  wie 
in  Venedig  eine  Kultur  des  Auges  nach  sich 
gezogen  habe,  die  für  das  Gedeihen  der  Malerei 
teils  von  guten,  teils  aber  auch  von  schlechten 
Folgen  gewesen  sei. 

Und  Deutschland?  Es  handelte,  solange  es 
Geld  hatte,  schöne  Stücke  ein  aus  Morgen- 
und  Abendland,  aber  eine  eigene  Manufaktur, 
abgesehen  von  der  bescheidenen  Handarbeit 
fürs  Haus,  entwickelte  sich  in  der  älteren  Zeit 
nur  sehr  spärlich.  Erst  im  letzten  Jahrhundert 
bekamen  wir  eine  Teppich-Industrie,   die  bis 


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Dekorative  Kunst.    XVII. 


265 


34 


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HANS  SCHMITHALS-MONCHEN      □      □      SEKRETÄR  UND  GLASSCHRANK  AUS  DEM  HERRENZIMMER  AUF  SEITE  267 


in  die  jüngste  Vergangenheit,  ja  eigentlich  bis 
in  die  Gegenwart  hinein,  entweder  direkte  oder 
indirekte  Anleihen  beim  Orient  gemacht  hat; 
beim  Orient,  dessen  klimatische  Vorausset- 
zungen für  die  stilistisch  höchst  vollendete 
und  unübertreffliche  Entwicklung  seiner  Tep- 
pichweberei eigentlich  gar  nicht  so  ins  Gewicht 
fallen  wie  die  unsrigen. 

Dann  hat  uns  das  neue  Kunstgewerbe  auch 
den  neuen  deutschen  Teppich  gebracht.  Er 
war  nicht  bunt  wie  die  Perser  und  Türken, 
sondern  mehr  auf  große  eintönige  Flächen- 
wirkung hin  stilisiert,  mit  ornamental  ausge- 
bildetem Mittelfeld  und  entsprechender  Rand- 
dekoration, mit  geometrischen  Feldern  oder 
mit  üppigen  Blumenranken  wie  zur  seligen 
Biedermeierzeit.  Manche  dieser  Teppiche  hatten 
etwas  Gewalthaberisches  an  sich  durch  die 
gestrenge  Flächenteilung,  manche  wirkten  so 
ehrfurchtgebietend  künstlerisch,  daß  der  profane 
Fuß  sich  scheute,  sie  zu  betreten.  Sobald 
man  aber  den  Teppich  im  Räume  als  ein  Ding 
für  sich  empfindet,  stimmt  entweder  der  Raum 
oder  der  Teppich  nicht. 

Die  Ausstellung,  die  vor  einigen  Jahren  den 
deutschen  Teppich  in  Berlin  in  allen  seinen 
Arten  zeigte,  wurde  für  Schmithals  der  Anlaß 
zur  eingehenden  Beschäftigung  mit  den  Mög- 
lichkeiten   seiner    Gestaltung.     In  verhältnis- 


mäßig kurzer  Zeit  und  durch  bereitwillige 
Versuche  der  Smyrna- Teppichfabriken  in  Cott- 
bus unterstützt,  gelang  es  ihm,  zu  den  schönen 
und  vornehmen  Resultaten  zu  gelangen,  wie 
sie  die  Abbildungen  zeigen,  wobei  freilich 
das  Fehlen  der  Farbe  durch  keinerlei  Be- 
schreibung ersetzt  werden  kann.  Denn  von 
der  Farbe  als  dem  eigentlichen  Lebenselement 
dieser  Gewebekunst  geht  Schmithals  aus.  Er 
legt  jedem  Entwurf  eine  bestimmende  Farbe 
zugrunde,  unterstützt  und  kontrastiert  sie 
durch  zahlreiche  Komplementärfarben  und 
entwickelt  gleichzeitig  aus  diesem  farbigen 
Kontrastspiel  das  Ornament.  Das  ist  das 
Wesentliche  an  diesen  Teppichen:  das 
farbengeborene  Ornament,  im  Gegensatze  zu 
jenen  Entwürfen,  bei  denen  das  Ornament 
dem  Teppich  sozusagen  aufgesetzt  erscheint. 
Ein  zweites  Merkmal  ist  die  Abwesenheit 
jedes  naturalistischen  Anklanges  an  bestimmte 
Tier-  oder  Pflanzen  formen.  Man  schreitet 
nicht  über  Blüten  und  Blätter,  üppige  Blumen- 
ranken und  Sträuße  oder  gar  singende  Vögel 
dahin,  sondern  in  ganz  freien  phantastischen 
Formen  finden  sich  Linien  und  Flächen  zu 
rhythmischen  Wirkungen  zusammen,  ist  die 
Gesamtfläche  des  Teppichs  symmetrisch  ge- 
gliedert, ist  sie  ein  einziges  großes,  organisch 
abgestuftes  Ornament  geworden,  in  dem  jede 


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266 


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HANS  SCHMITHALS-mONCHEN 


TEIL  EINES  HANDGEKNÜPFTEN  TEPPICHS 


Ausführung:  Vereinigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Cottbus 


Einzelheit  nebensächlich  und  doch  keine  ein- 
zige entbehrlich  scheint.  Ein  vollendeter 
Farbensinn  beherrscht  jede  Komposition.  Man 
kann  da  und  dort,  wenn  man  will,  Anklänge 
an  orientalische  Motive  feststellen,  so  z.  B.  bei 
dem  großen  Teppich  auf  Seite  271  die  Band- 
umrahmungen; oder  man  denkt  an  gewisse 
skandinavische  Gewebe  bei  dem  kleinen 
Teppich  auf  Seite  265.  Steht  man  vor  dem  Ori- 
ginal, so  tritt  dergleichen  als  ganz  unwesent- 
lich hinter  dem  überraschend  neuen  farbigen 
Gesamteindruck  zurück. 

Schmithals  geht  auch  in  seinen  Möbel- 
entwürfen  die  Wege  eines  eigenen  geläu- 
terten Geschmackes.  Er  vermeidet  in  seinem 
Herrenzimmer  jede  kokette  Spielerei,  stellt 
die  Stücke  in  schweren  soliden  Formen,  mit 
sparsamer  Schnitzarbeit  und  kräftig  ausla- 
denden Beschlägen  hin.  Dabei  fehlt  es  etwa 
dem  Schreibtisch  oder  dem  Bücherschrank 
keineswegs  an  Eleganz,  der  Mittelteil  des 
letzteren  weist  sehr  reizvolle  Intarsien  aus  Zinn 
mit  Edelhölzern    auf;   anstatt  des  stereotypen 


Klubsessels  sieht  man  einen  tiefen  Lederstuhl, 
der  die  Schönheit  des  dunklen  kaukasischen 
Nußbaumes  zeigen  will  und  dadurch  an  Be- 
haglichkeit sicher  nichts  eingebüßt  hat.  Auch 
sonst  merkt  man  das  Bestreben,  das  Holz  in 
seiner  ruhigen  Schönheit  zu  zeigen,  dunkle 
Holzflächen  durch  reiche  Beschläge  (Messing 
mit  Altnickel)  zu  beleben  und  zu  steigern.  Die 
Ausführung  dieser  Möbel  durch  die  Firma  Frick 
in  Pappenheim  ist  ganz  vorzüglich.  e.  k. 

# 

Zwei  Ursachen  sind  in  der  Regel  für  die  Zu- 
rücksetzung einzelner  Materialgruppen  ver- 
antwortlich zu  machen:  EntwederistesderDilet- 
tantismus,  der  sich  eines  Materials  bemächtigtund 
es  zu  Todehetzt,oderes  ist  eine  eingerissene  Sur- 
rogatwirtschaft, die  ein  ganzes  Gebiet  auf  lange 
hinaus  diskreditieren  kann.  In  beiden  Fällen  han- 
delt es  sich  somit  um  eine  Hypertrophie,  eine 
Ueberfütterung,  eine  Uebersättigung,  worauf 
eine  Brachzeit  als  unbedingt  nötige  Reaktion 
folgen  muß.  Gustav  E.  Pazaurek 

Aus:  „Guter  und  schlechter  Geschmack  im  Kunstgewerbe." 


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268 


HANS  SCHMITHALS-MONCHEN 


HANDGEKNOPFTER  TEPPICH 


Ausführung:  Vereinigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Cottbus 


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HANS  SCHMITHALS-MONCHEN 


GROSZER  HANDGEKNOPFTER  TEPPICH 


Ausführung:  Vereinigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Cottbus 


269 


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HANS  SCHMITHALS-MUNCHEN 


HANbGEKNUPFTER  TEPPICH 


Ausführung;  Vereinigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Cottbus 


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HANS  SCHMITHALS-MONCHEN 


HANDGEKNOPFTER  TEPPICH 


Ausführung;    Vereinigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Cottbus 


271 


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HANS  SCHMJTHALS-MÜNCHEN 


HANDGEKNÜPFTER  TEPPICH 


Ausführung;  Vereinigte  Smyrna-Teppich-Fabriken  A.-G.,  Cottbus  ßi 

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272 


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F.  EISENHOFER-MONCHEN 


Ausführung:  Keramische  Werkstätte  von  Debschitz, 


SCHNECKEN  (FAJENCE  CRAQUELfi) 
München 


KERAMISCHE  WERKSTÄTTE  VON  DEBSCHITZ 


Aus  der  Debschitz-Schule  in  München  ist 
eine  keramische  Werkstätte  erwachsen,  die 
durch  die  starke  Nachfrage,  welche  die  hier  von 
Debschitz-Schülern  gefertigten  Erzeugnisse  her- 
vorgerufen  haben,  sich  zu  einem  selbständigen 
Fabrikationsunternehmen  entwickeln  mußte. 
Nach  einem  Ueberblick  über  die  Leistungen 
dieser  Lehranstalt,  wie  er  im  November-Heft 
dieser  Zeitschrift  versucht  war,  reizt  es,  dieses 
Institut  zu  betrachten,  das  den  doppelten  Cha- 
rakter einer  Schul-Lehrwerkstätte  und  eines 
selbstverständlich  auf  Absatzmöglichkeiten  be- 
dachten Fabrikationsunternehmens  trägt. 

Nachdem  an  der  Debschitz-Schule  aus  pä- 
dagogischen Gründen,  die  hier  nicht  noch  ein- 
mal erörtert  zu  werden  brauchen,  im  Herbst 
1902  eine  Metallwerkstätte,  im  Jahre  1906  eine 
Werkstätte  für  Handtextiltechniken  eingerichtet 
waren,  stellte  sich  im  Jahre  1907  die  Notwen- 
digkeit heraus,  der  Schule  auch  eine  Werk- 
stätte für  Keramik  anzugliedern.  Eine  Not- 
wendigkeit, die  ohne  weiteres  verständlich 
scheint,  wenn  man  sich  aus  den  technischen 
Bedingungen  heraus  das  Schaffen  des  Kera- 
mikers vorzustellen  versucht.  Er  ist  noch  we- 
niger als  andere  Gewerbler  am  Zeichenbrett 
und  im  theoretischen  Unterricht  allein  denkbar. 
Ihm  mag  da  vieles  mit  auf  den  Weg  gegeben 
werden,  aber  das  Wesentliche  kann  er  nur  er- 
langen, wenn  er  die  Erden,  die  ihm  zur  Ver- 
fügung stehen,  selbst  mischt,  wenn  er  aus  ihnen 


Geräte  und  Figuren  aufformt,  sie  bemalt  oder 
mit  Glasuren  übergießt,  das  alles  dem  Feuer 
aussetzt  und  dabei  alle  die  Veränderungspro- 
zesse kennen  lernt,  denen  Form,  Farbe  und 
Glasuren  beim  Brand  ausgesetzt  sind.  Jene 
pseudo-künstlerische  Sippschaft,  die  in  den  Ate- 
liers der  Manufakturen  und  keramischen  Fa- 
briken nicht  allzuselten  auch  heute  noch  herum- 
sitztund  schöne  Bildchen:  Landschaften,  Szenen 
ä  la  Watteau,  Malereien  nach  Rembrandt,  Alle- 
gorien wie  den  Schmied  von  Kochel  und  der- 
artiges aufs  Papier  bringt,  damit  technisch  ge- 
schulte Hilfskräfte  diese  „künstlerischen"  Ent- 
würfe zum  Entsetzen  aller  geschmackvollen 
Menschen  auf  das  Porzellan  oder  das  Stein- 
gut übertragen,  ist  vieux  jeu.  Wir  sind  der 
Ueberzeugung,  daß  diese  Nur-Maler,  diese  Vor- 
lagen-Maschinen, in  welchem  Gewerbe  es  auch 
sei,  ein  Uebel  sind,  das  durch  eine  vernünf- 
tigere Ausbildung  des  Nachwuchses  ausgerottet 
werden  muß  und  dank  der  höheren  Wertschätzung 
des  Technischen  und  Handwerklichen  in  Bälde 
auch  ausgerottet  sein  dürfte.  Wir  können  uns 
innerhalb  eines  Gebietes  wie  der  Keramik  keine 
künstlerische  Wirksamkeit  vorstellen,  die  nicht 
herausgewachsenwäre  aus  dergenauestenKennt- 
nis  der  technischen  Prozesse,  aus  den  Erfah- 
rungen, die  durch  ein  praktisches  Arbeiten  ge- 
sammelt worden  sind.  Soll  also  in  einer  Schule 
ein  Nachwuchs  für  das  weite  Gebiet  der  kera- 
mischen Produktion  herangebildet  werden,  so 


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Dekorative  Kunst.    XVII,    6.    März  1914 


273 


35 


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MAJOLIKA-ARBEITEN  NACH  ENTWÜRFEN  VON  H.  STOLL,  F.  EISENHOFER,  W.  LEVIN  UND  E.  KYANDER-ELENIUS  AUS- 
GEFÜHRT IN  DER  KERAMISCHEN  WERKSTATTE  VON  DEBSCHITZ,  MÜNCHEN 


ergibt  sich  wie  hier  bei  Debschitz  von  selbst 
die  Notwendigkeit  der  Einrichtung  einer  Lehr- 
werkstätte, in  der  dem  Schüler  die  Möglich- 
keit geboten  ist,  seine  Arbeit  vom  ersten  Sta- 
dium der  Entstehung  bis  zum  fertigen  Brand 
zu  bringen. 

Der  Vertrieb  solcher  Schulwerkstätten-Pro- 
dukte am  offenen  Markt  wird  bekanntlich  von 
Industriellen  und  Handwerkern  mit  einem  Eifer, 
der  sicherlich  vorteilhafter  der  Verbesserung 
der  eigenen  Betriebe  zukäme,  bekämpft  und 
ist  den  staatlichen  Lehranstalten  denn  auch 
zur  Genüge  erschwert,  wenn  nicht  ganz  un- 
möglich gemacht.  Daß  eine  Schule  ihren  Zög- 
lingen weit  mehr  zu  bieten  hat,  sie,  was  doch 
auch  im  Interesse  eines  auf  gute  Ausbildung 
bedachten  Handwerks  liegt,  weiter  bringen 
kann,  wenn  sie  durch  das  Abstoßen  solcher 
Arbeiten  weitere  Mittel  für  die  Fortbildung 
ihrer  Schüler  zu  beschaffen  vermag,  wird  von 
dieser  Opposition  ä  tout  prix  nicht  bedacht. 
Ganz  zu  schweigen  davon,  daß  die  Kenntnis 
der  praktischen  Marktverhältnisse  den  Schüler 
notwendigerweise  zu  einem  geeigneteren  Ge- 
hilfen des  Praktikers  machen  muß.  Die  Deb- 
schitz-Schule  brauchte  sich,  da  sie  ja  eine 
private  Unternehmung  war,  derlei  Beschrän- 
kungen nicht  aufzuerlegen.  Sie  konnte  eine 
Werkstatt  angliedern,  konnte  in  dieser  Werk- 
statt ihren  Schülern  ein  praktisches  Arbeiten 


ermöglichen  und  konnte  durch  den  Verkauf 
der  absatzfähigen  Stücke  den  Schüler  auch 
über  die  Marktfähigkeit  seiner  Arbeiten  unter- 
richten. Mehr  noch,  viele  die  längst  der  Schule 
entwachsen  und  schon  in  irgend  einer  Praxis 
gelandet  waren,  wie  etwa  der  hier  besonders 
zu  nennende  Fritz  Schmoll  von  Eisenwerth 
oder  Frau  von  Ruckteschell,  hatten  hier 
eine  künstlerisch  geleitete  Werkstätte,  die  ihre 
Arbeiten  ihren  Intentionen  entsprechend  heraus- 
bringen konnte. 

Es  ist  festzustellen,  daß  dieser  Werkstätte 
ein  außerordentlicher  materieller  Erfolg  be- 
schieden war.  Die  Arbeiten  —  und  das  dürfte 
gleichzeitig  auch  als  Kriterium  dieses  Unter- 
richts anzusehen  sein  —  fanden  so  beifällige 
Aufnahme,  daß  die  Schulwerkstätte  sich  in 
kurzer  Zeit  zu  einem  regelrechten  Fabrikations- 
betrieb auswuchs.  Das  verlangte  nach  einer 
neuen,  einer  geschäftlich  freieren  Organisation, 
die  geschaffen  wurde,  indem  die  Werkstätte 
von  der  Schule  losgelöst  und  als  selbständiges 
Unternehmen  eingerichtet  wurde.  Sie  diente 
und  dient  selbstverständlich  den  Lehrabsichten 
Wilhelm  von  Debschitz'  weiter.  Seine  Schüler 
eignen  sich  in  ihr  die  notwendige  Praxis  an. 
Sie  führt  in  der  Hauptsache  Arbeiten  von 
Schülern  und  ehemaligen  Schülern  der  Deb- 
schitzschen  Anstalt  aus.  Aber  sie  steht,  nach- 
dem  sie   so   neu   organisiert   worden    ist,    so 


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MAJOLIKA-ARBEITEN   NACH  ENTWÜRFEN  VON  F.  J.  KOPECKY  (1.2.4),  W.  LEVIN  (?)  UND  E.  RASMUSSEN-BONNfi  (5) 
AUSGEFÜHRT  IN  DER  KERAMISCHEN  WERKSTATTE  VON  DEBSCHITZ,  MÖNCHEN 


FEINSTE!  NZEUGN  ACH  ENTDPÜRFEN  VON  E.  KYANDER-ELENIUS,  C.  v.  RUCKTESCHELL-TRUEB,  E.WAGNFRUND 
E.BUTTERS-KKIEGER,AUSGEF.V.D. KERAMISCHEN  WERKSTÄTTEN  HERRSCHING  U.  V.  DEBbCHlTZ-MONCHEN 


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G.  KRAUT 


MAJOLIKA-TELLER 
Ausgeführt  in  der  Keramischen  Werkstätte  von  Debschitz,  München 


J.  VON  WALDBURG 


selbständig  da,  daß  sie  jedenfalls  mit  Wilhelm 
von  Debschitz  nach  Hannover  übersiedeln  wird, 
wohin  er  bekanntlich  am  I.Juli  als  Leiter  der 
Kunstgewerbeschule  geht. 

Erinnert  man  sich  an  die  einige  hundert 
Nummern  umfassende  Abteilung  keramischer 
Arbeiten  auf  der  von  der  Debschitz-Schule  im 
Berliner  Kunstgewerbe-Museum  vorigen  Som- 


mer veranstalteten  Ausstellung,  so  kann  man 
diesen  Markterfolg  sehr  wohl  begreifen.  Es 
gab  da  ganz  einfache,  ganz  logisch  und  sach- 
lich durchgeformte  Geräte  wie  die  prachtvollen 
Steinzeugdosen  Friedrich  AoLERS-Hamburg, 
Dinge,  die  unter  dem  Begriff  Qualitätsarbeit 
heute  ihren  Weg  zu  machen  pflegen,  und  die 
diesem  oft  mißbräuchlich  angewandten  Begriff 


FEINSTEINZEUG  NACH  ENTWORFEN  VON  C.  VON  RUCKTESCHELL-TRUEB,  E.WAGNER,  E.  KYANDER-ELENIUS  UND       > 
E.  BUTTERS-KRIEGER,  AUSGEF.  IN  DEN  KERAMISCHEN  WERKSTATTEN  HERRSCHING  U.  VON  DEBSCHITZ,  MÖNCHEN       I 


276 


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277 


F.  EISENHOFEK  Q  SCHNECKE  (FAJENCE  CRAQUELfi)  B  BEMALUNG:  W.  LEVIN 
Ausführung:  Keramische  Werkstätte  von  Debscbitz,  München; 


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alle  Ehre  ma- 
chen.  Es  gab 
in  allen  mög- 
lichen  Tech- 
niken, so  vor 
allem    in  der 
Art  der  alten 
italienischen 
Majoliken 
höchst   inter- 
essante Ver- 
suche,  dabei 
Bemühungen 
um  einen  rei- 
cheren  orna- 
mentalen De- 
kor, wie  das 
unsere  Abbil- 
dungen zeigen,  Arbeiten,  die  natürlich  nicht  in 
jedem  einzelnen  Falle  als  ganz  gelungen  ange- 
sehen werden  können,  die  aber  so,  wie  sie  sind, 
recht  stark  einer  Zeitströmungentgegenkommen, 
ohne,  wie  es  anderwärts  zu  beobachten  ist,  als 
windige  Modemache  einzuschätzen  wären.Undes 
gab  figürliche  Arbeiten,  vor  allem  von  Schmoll 
VON  EiSENWERTH,  die  als  selbständige  Schöp- 
fungen eines  in  sich  gefestigten  Gestalters  sehr 
aufmerken  ließen  und  recht  geeignet  erschei- 
nen,   minder  Gutes    auf  den  Messen  zu  ver- 
drängen. 

Welchen  Standpunkt  man  diesen  Keramiken 
gegenüber  auch  einzunehmen  vermag,  jeden- 
falls läßt  sich  nicht  leugnen,   daß  Leute,   die 
gegenwärtig   oder    früher   schon    durch    diese 
Debschitz-Schule  gegangen   sind,   auf  diesem 
Gebiet  —   teilweise    durch    die   empfangenen 
Unterweisungen,    zum    nicht   geringeren   Teil 
sicherlich  durch  ihr  eigenes  Talent  —  empor- 
gelangt sind  zu  Leistungen,  die  nicht  allzu  häufig 
festzustellen  sind.     Ich 
spreche  nicht  von   der 
formalen  Gestaltung  al- 
lein.    Sie   an  sich   be- 
trachtet    ist     vielleicht 
nicht  einmal  von  großer 
Bedeutung.    Aber  man 
sieht   die   Leute   dieser 
Werkstatt  eine  Technik 
beherrschen,    mit    der 
im  ganzen   bei   uns   in 
Deutschland    doch    nur 
wenige    vertraut    sind. 
Und  unter  ihnen  wiede- 
rum  nur  ganz  wenige, 
die   in   der  Lage    sind, 
solch     technische     Er- 
kenntnisse schöpferisch 
zu  nutzen.     Man   stößt 


ENTW.:  P.  SCHOTT  G  AUSF.  IN  FAJENCE  CRAQUELfi 
Keramische  Werltstäite  von  Debscbitz 


bei  eingehen- 
der Betrach- 
tung dieser 
Arbeiten  im- 
mer wieder 
auf  interes- 
sante Experi- 
mente forma- 
ler und  tech- 
nischer Art, 
auf  den  Wil- 
len neue  Wir- 
kungsmög- 
lichkeiten 
aufzuspüren 
und  dadurch 
dem  Ganzen 
des  Gewerbes 
neue  Anreize  zu  bieten,  die  fortgeführt,  sich  als 
eine  Befruchtung  erweisen  müssen.  Was  im  gan- 
zen von  der  Debschitz-Schule  hier  bereits  ge- 
sagt worden  ist,  wäre  gegenüber  diesen  Einzel- 
erscheinungen verstärkt  zu  wiederholen.  Diese 
Werkstätte  nimmt  im  Bereich  unserer  Produk- 
tion eine  eigene  Stelle  ein.  Sie  ruht  kraft  ihrer 
Entstehung  auf  der  eigenartigen  Basis  einer 
umsichtig  ausgebauten  Schulorganisation  und 
hat  ihren  Rückhalt  auch  in  dem  Geist  und 
dem  Können,  wie  sie  ihren  Hauptmitarbeitern 
in  dem  Unterricht  eingeimpft  worden  sind. 
Was  sie  an  Proben  auf  ihrer  Berliner  Parade 
zeigte,  ließ  erkennen,  daß  sie  sich  dieses  Ur- 
sprungs auch  bewußt  geblieben  ist,  nachdem 
aus  vorwiegend  praktischen  Gründen  eine 
äußere  Trennung  vorgenommen  worden  ist. 
Sie  hat  noch  immer  etwas  an  sich  von  der 
Versuchs-Anstalt,  die  der  Möglichkeit,  einem 
neu  auftauchenden  Problem  nachzugehen  und  ß 
es  auf  seine  Bewährung  und  Durchführbar-  G 
keithin  auszuprobieren, 
nicht  aus  dem  Wege 
geht.  Anderseits  ist  sie 
für  diejenigen,  die  Schul- 
arbeiten nur  auf  ihre 
praktische  Gewähr  hin 
anzusehen  geneigt  sind, 
ein  vorzügliches  Beweis- 
stück für  die  in  den 
Münchner  „Lehr-  und 
Versuch -Ateliers"  von 
Wilhelm  von  Debscbitz 
betriebene  Lehrtätigkeit. 
Darum  mußte  von  ihr 
einmal  an  der  Hand  von 
Stichproben,  wie  sie  die 
Abbildungen  zeigen,  ge- 
sprochen werden. 

Paul  Westheim 


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278 


1  FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH  % 


Unser  heutiges  Kunstgewerbe  macht  eine 
entscheidende  Schwenkung  zum  Deko- 
rativen und  Malerischen  hin.  Wir  stehen  im 
Begriff,  den  Purismus  abzulegen,  eine  Frucht 
und  eine  Ueberwindung  des  Stiles,  der  um  die 
Wende  des  19.  zum  20.  Jahrhundert  herrschte. 
Die  reinen  und  schmucklosen  Formen  dieser 
Periode  waren  ein  Labsal  für  unsere  Augen 
nach  den  überladenen  Formhäufungen  der 
zweiten  Hälfte  des  verflossenen  Jahrhunderts 
und  dem  phantastischen  Liniengeflimmer  des 
Jugendstiles.  Allmählich  aber  fühlen  wir  doch, 
daß  die  reine  Zweckform  uns  auf  die  Dauer 
nicht  befriedigen  kann.  Sie  ist  eben  nur  das 
Instrument,  auf  dem  der  Künstler  spielen  soll. 
Erst  wenn  die  Formen  ihre  höchste  Zweck- 
mäßigkeit erreicht  haben,  wird  bei  Gebrauchs- 
gegenständen die  eigentliche  künstlerische  Tä- 
tigkeit beginnen.  Die  Sache  des  Künstlers  wird 
es  sein,  den  Gegenstand  über  seine  praktische 
Verwendung  hinaus  im  Sinne  einer  zweck- 
losen  künstlerischen    Schönheit   zu   veredeln. 

In  diesem  Sinne  sind  auch 
die  Arbeiten  für  angewandte 
Kunst  von  Fritz  Schmoll 
vonEisenwerth  aufzufassen. 
Die  Anfänge  des  Künstlers 
lagen  noch  ganz  in  den  Zeiten, 
da  die  reine  Zweckmäßigkeit 
das  allein  seligmachende  Ziel 
allesKunstgewerbes  war.Seine 
hauptsächlichsten  künstleri- 
schen Anregungen  verdankt 
er  der  Kunstgewerbeschule 
W.v.Debschitzs.  Seine  Arbei- 
ten zeigen  eine  phantasievolle 
Erfindungsgabe,  für  die  das 
schöne  Material  nicht  das  Ende 
ist,  sondern  das  Mittel  für 
künstlerische  Formgestaltung. 
Die  Rektoratskette  für  die 
Technische  Hochschule  in 
Stuttgart  bildet  dafür  ein  gutes 
Beispiel.  Weit  entfernt  davon, 
im  Dekor  eine  Nachahmung 
alter  Stücke  zu  sein,  kann  sie 
sich  im  Reichtum  derSchmuck- 
formen  als  ein  Gegenstand 
luxuriöser  Repräsentation  den 
besten  Arbeiten  alter  Meister 
an  die  Seite  stellen.  Gerade 
dieser  Luxus  in  Formen  und 
Schmuck  war  uns  abhanden 
gekommen.  Wie  ärmlich  fritz  schmoll 
nahmen    sich    oft    besonders      q        silbernes 


die  modernen  Schmuckstücke  gegen  die  Schöp- 
fungen früherer  phantasievollerer  Zeiten  aus; 
sie  trugen  alle  den  Stempel  des  Kleinbürger- 
lichen und  waren  einzig  und  allein  Produkte 
des  Intellekts.  Es  fehlte  ihnen  der  Geist,  der 
sie  aus  dem  Alltagsleben  heraushob  und  sie  zu 
Kunstwerken  machte.  Luxus  ist  eben  etwas, 
was  jenseits  von  aller  Zweckmäßigkeit  steht. 
Dieser  vornehme  Geist  spricht  auch  aus 
den  Arbeiten,  die  Schmoll  für  die  Silberwaren- 
fabrik von  P.  Bruckmann  &  Söhne  in  Heil- 
bronn anfertigte.  Das  Teeservice  kann  sich 
neben  dem  besten  Tafelsilber  aus  alter  Zeit 
sehen  lassen,  und  doch  ist  es  Geist  von  unserem 
Geist  und  das  Schönheitsempfinden  unserer  Zeit. 
Wenn  sich  namentlich  die  Kreise  unserer  Aristo- 
kratie und  des  ererbten,  angestammten  Besitzes 
unserem  neuen  Kunstgewerbe  gegenüber  bis- 
her immer  noch  sehr  ablehnend  verhalten  ha- 
ben und  mehr  den  überkommenen  Formen  hul- 
digen, wie  wir  sie  heute  als  den  französischen 
Geschmack  ansprechen  können,  so  ist  das  ver- 
ständlich, denn  sie  suchen  in 
den  Dingen,  die  zum  Schmuck 
ihres  Lebens  dienen,  etwas 
Reizvolles,  Spielerisches  oder 
Festliches.  Und  das  sind  die 
Bahnen,  in  die  auch  die  Arbei- 
ten Schmoll  von  Eisenwerths 
überleiten.  Hier  wird  aus  den 
Kulturbedürfnissen  unserer 
Zeit  heraus  geschaffen,  denn 
wie  in  allen  Lebensformen,  so 
wird  auch  in  denen,  die  das 
Kunstgewerbe  zu  befriedigen 
hat,  das  höchste  Raffinement 
der  höchste  Trumpf  sein. 

Ueber  das  Technische  der 
besprochenen  Arbeiten  ist  zu 
bemerken,  daß  Schmoll  nicht 
nur  die  Entwürfe  liefert,  son- 
dern die  Ausführung  oder  ei- 
nen Teil  derselben  auch  selbst 
übernimmt.  Die  Rektorats- 
kette ist  aus  Gelb-  und  Grün- 
gold handgetrieben.  Die  ein- 
zelnen Glieder  sind  mit  je 
vier  Aquamarinen  besetzt,  den 
unteren  Abschluß  über  dem 
Porträtmedaillon  ziert  ein 
langgestreckter  Topas.  Die 
Schmuckplatten  des  Silberge- 
schirrs wurden  vom  Künst- 
voN  EISENWERTH  Icr  erst  in  Gips  geschnit- 
figOrchen        □      ten;    die  ausführende  Firma, 


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IN  HOLZ  GESCHNITZTES  FIGÜRCHEN     a     FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH      Q     SILBERNES  FIOORCHEN 


Bruckmann  &  Söhne, 
übertrug  sie  in  Stahl- 
stempel,und  diese  wur- 
den vom  Künstler  noch- 
mals einer  eingehen- 
den Ueberarbeitung  un- 
terzogen, so  daß  die  fer- 
tigen Gegenstände  die 
Abdrücke  der  Original- 
stempel erhalten,  eine 
Methode,  die  jener  der 
Originalgraphik  nahe 
kommt. 

Wenn  Schmoll  bisher 
seine  Kraft  hauptsäch- 
lich dem  Kunstgewerbe 
gewidmet  hat,  so  führen 
ihn  neuere  Arbeiten 
mehr  von  der  ange- 
wandten Kunst  hinweg 
und  zum  plastischen 
Schaffen  hin.  Hier  sind 
es    namentlich    einige 


Kleinplastiken,  die  ich 
als  äußerstgelungen  be- 
zeichnen möchte.  Ob- 
wohl er  sich  dieser  Tä- 
tigkeit beinahe  zufällig 
u    hingab,  glaube  ich  doch, 


FR.  SCHMOLL  VON   EISENWERTH   □  MAJOLIKA-FIGUR 

Ausführung:    Keramische   Werkstätte   von  Debschitz,  München 


daß  gerade  hierin  ein 
großer  Teil  seiner  Be- 
gabung liegt,  und  daß 
sein  Schaffen  immer 
mehr  sich  in  dieser 
Richtung  entwickeln 
wird.  Die  kleinen  Ar- 
beiten sind  alle  von  ei- 
ner gewissen  Strenge, 
die  ihnen  Größe  ver- 
leiht und  die  von  einem 
disziplinierten  Tempe- 
rament und  einer  gro- 
ßen Auffassung  zeugt. 
Zuerst  glaubt  er  noch, 
wie  bei  der  kleinen 
Majolikafigur  und  der 
kleinen  versilberten 
Bronze,  sein  etwas  un- 
sicheres Tasten  durch 
geometrisch  -  kubische 
Formgebung  zu  stützen, 
in  der  großen  Majolika- 
figur aber  spürt  man  ein 
freieres  Sichausbreiten 
der  Kräfte,  indem  er  mit 
den  Mitteln  des  plasti- 
schen Bildens  sicherer 
hantiert.  Was  aber  alle 


280 


FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH 


Ausführung:  Keramische  Werkstätte  von  Debschitz,  München 


MAJOLIKA-FIGUR:  BADENDE 


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diese  Kleinplastiken  so  angenehm  macht,  ist 
ihre  technische  Vollkommenheit  und  ihre  Ober- 
flächengestaltung. Nicht  allein  auf  das  Auge, 
auch  auf  das  Tastgefühl  üben  sie  einen  Reiz 
aus,  wie  etwa  die  Oberfläche  japanischer  Lack- 
arbeiten oder  antike  Bronzen. 

Fritz  Schmoll  von  Eisenwerth  gehört  im  heu- 
tigen Kunstgewerbe  zu  jener  Gruppe  von 
Künstlern,  die  sich  die  Errungenschaften  des 
letzten  Jahrzehnts  zunutze  gemacht  haben,  die 
die  technischen  Möglichkeiten  beherrschen  und 


auch  der  Industrie  ihren  Tribut  zollen,  die  aber 
auf  diesem  Unterbau  weiterarbeiten  wollen  und 
im  Kunstgewerbe  nicht  bloß  einen  Handlanger 
des  Gewerbes  sehen.  Auch  das  Kunstgewerbe 
muß  wie  die  große  Kunst  wieder  feierlicher 
und  aristokratischer  werden.  Daß  die  Ge- 
brauchsform unser  Auge  nicht  beleidige,  ist 
eine  Forderung,  deren  Erfüllung  dem  Hand- 
werk und  der  Industrie  obliegt.  Der  Künstler 
aber  schafft  nicht  für  den  Alltag,  sondern  für 
des  Lebens  Feierstunden.  w.  Foitzick 


PEDDIGROHRMOBEL 


FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH 

Ausführung:  Rüping  &  Fritz,  G.  m.  b.  H.,  Möbelfabrik,  Coburg 


g 


:iekorative  Kunst.    XVII.    6.     Mflrz  1914 


281 


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FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH  n  REKTORATSKETTE    DER  TECHN.  HOCHSCHULE  IN  STUTTGART 


282 


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FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH  □  TEILANSICHT   DER   REKTORATSKETTE  G   MEDAILLON  VON  LUDWIG  HABICH      l 


283 


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FRITZ  SCHMOLL  VON   EISENWERTH 


SILBERNER  WASSERKESSEL 


Ausführung:  P.  Bruckmann  &  Söhne,  Heilbronn  a.  N.  i 


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PAPIERMESSER  AUS  EBENHOLZ,  WOLKIGER  BERNSTEINGRIFF  M.  VERGOLDETER  SILBERFASSUNG  ü.  CHRYSOPRASEN 
ENTWURF  UND  AUSFÜHRUNG:  MORITZ  STUMPF  &  SOHN,  DANZIG 


MODERNE  BERNSTEIN-ARBEITEN 


Schmuckmaterialien  sind  wie  die  Schmuck- 
formen dem  Wechsel  des  Zeitgeschmacks 
unterworfen.     Eine   einzige  Ausnahme    macht 
wohl  der  Bernstein,  dessen  Beliebtheit  bis  in 
vorgeschichtliche    Zeiten  zurückreicht.     Zwar 
hatte  auch  er  unter  den  Wechselfällen  der  Mode 
zu  leiden ;  ganz  unterbrochen  indes  war  seine 
Verwendung  niemals.     In   den  Anfängen  des 
Kunstgewerbes,  als  der  Mensch  noch  mit  primi- 
tiven Werkzeugen   sich  behelfen   mußte,  war 
selbstverständlich  an  eine  Bearbeitung,  die  alle 
seine  künstlerischen  Reize  hätte  zur  Geltung 
bringen  können,  nicht  zu  denken.    Man  schätzte 
wohl  nur  das  Material  als  solches,  auch  mögen 
ihm    mystische  Kräfte    zugeschrieben   worden 
sein.   Den  Höhepunkt  erreicht  seine  Geschichte 
im  17.  und  18.  Jahrhundert.    Die  Arbeiten  der 
Danzigerund  Dresdener  Künstler  dieser  Epoche 
haben  an  Feinheit  der  Tech- 
nik und  an  künstlerischem 
Geschmack   in    Form  und 
Farbenwahl   weder   vorher 
noch  nachher  ihresgleichen 
gefun  den.  Noch  heute  stehen 
wir  mit  Bewunderung   vor 
jenen    Erzeugnissen    eines 
unübertroffenen  Verständ- 
nisses für  die  Eigenart  und 
Schönheit  dieses  Materials. 
In   der  erfindungsarmen 
und  stilnachbildenden  Epo- 
che, die  etwa  um  die  Mitte 
des    19.  Jahrhunderts  ein- 
setzt und  erst  kurz  vor  der 
Wende    des   Jahrhunderts 
Ansätze  zu  einer  hoffnungs- 
reichen,  neuen  Blüte   des 
Kunstgewerbes  zeitigte,  war 
der  Sinn    für  nach  künst- 
lerischen Grundsätzen  ge- 
staltete Schmucksachen  ver- 
loren  gegangen.      Es    war 
eine  Zeit  der  Materialver- 


geudung, deren  größter  Stolz  das  Prunken  mit 
gehäuften  Massen  war.  Wenn  die  Unkultur  die- 
ser schnell  reich  gewordenen  Jahrzehnte  ihrem 
Ende  entgegenzugehen  bestimmt  scheint,  so 
hängt  diese  Veränderung  des  Geschmacks 
nicht  zuletzt  mit  der  Neubildung  und  Ver- 
feinerung des  Formen-  und  Farbenempfindens 
zusammen.  Die  Halbedelsteine,  die  von  der 
mit  rohen  Effekten  arbeitenden  Industrie  in 
unverschuldeten  Mißkredit  gebracht  waren,  ver- 
einigen sich  unter  der  Hand  des  Künstlers 
mit  dem  tiefen  und  lichten  Glanz  edler  Metalle 
zu  Farbensymphonien,  die  dem  Auge  ein  Er- 
lebnis werden. 

Noch  vor  wenigen  Jahren  hatte  die  deutsche 
Goldschmiedekunst  seltsamerweise  den  deut- 
schesten aller  Schmucksteine,  den  Bernstein, 
so  gut  wie  ganz  vergessen.    Erst  als  die  däni- 
schen Kunsthandwerker  auf 
das, Gold  des  Nordens"  auf 
merksam    gemacht  hatten, 
gingen  auch  unseren  Künst- 
lern die  Augen  wieder  auf 
für   seine    farbigen    Reize, 
und   was  noch  gestern  mit 
einem  Achselzucken  als  alt- 
väterisch    abgetan    wurde, 
war  über  Nacht  „modern" 
geworden  und  wurde  fieber- 
haft   begehrt.      Selbstver- 
ständlich  war   auch  sofort 
eine  skrupellose   Industrie 
auf  dem  Plan  mit  Fälschun- 
gen und  Surrogaten,  um  die 
„Konjunktur"  auszunutzen. 
Doch  vermögen  alle  diese 
Simili-Fabrikate  ihrem  ed- 
len Vorbild  nicht  in  seiner 
Schönheit  nahezukommen. 
So  verbreitet  die  Bern- 
steinmode ist,   es   ist  auf- 
BERNSTEiNPETSCHAFT  MIT  CHRYSOPRA-       fallend,  wic   wenig   künst- 
SEN  El  MORITZ  STUMPF  &  SOHN,  DANZIG       Icrischc   Arbeiten   es  gibt. 


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Man  sollte  meinen,  ein 
Material,  das  seiner  Ver- 
arbeitung so  gar  keine 
Schwierigkeiten  entge- 
gensetzt, und  dessen 
Farbenskala  die  Natur 
so  reich  ausgestattet  hat, 
müßte  ganz  von  selbst 
der  Künstlerphantasie 
die  mannigfachsten  An- 
regungen geben.  Man 
sollte  auch  glauben,  daß 
die  Feinheiten  der  tech- 
nischen Behandlung,wie 
sie  die  ältere  Bernstein- 
kunst gekannt  und  geübt  hat, 
in  der  Gegenwart  zu  Er- 
neuerungsversuchen hätten 
Anlaß  geben  müssen.  Allein 
die  Stunde  scheint  für  Er- 
wartungen und  Hoffnungen 
dieser  Art  noch  nicht  ge- 
kommen zu  sein,  und  es 
wäre  undankbar  gegen  das 
bisher  schon  Erreichte,  sich 
durch  derlei  kritische  Er- 
wägungen die  Freude  an 
einer  aussichtsvollen  Ent- 
wicklung trüben  zu  lassen, 
die   unzweifelhaft   weiteren 


GÜRTELSCHLIESZE,  BERNSTEIN  MIT  VERGOLDETER 
FASSUNG     H     MORITZ  STUMPF  &  SOHN,   DANZIG 


GOLDENE    BROSCHE  MIT   BERNSTEIN, 
AMETHYSTEN    UND    PERLSCHALEN 
MORITZ  STUMPF  &  SOHN,  DANZIG 


Erfolgen  entgegengeht. 
Von  den  wenigen  Künst- 
lern, die  sich  bis  jetzt 
des  Bernsteins  ange- 
nommen haben  und 
ihm  seine  frühere  Be- 
liebtheit wiederzugewin- 
nen bemüht  sind,  ver- 
dient Erich  Stumpf, 
der  Inhaber  der  Firma 
Moritz  Stumpf  &  Sohn 
in  Danzig,  an  erster 
Stelle  genannt  zu  wer- 
den. Seine  Arbeiten,  von 
denen  die  Abbildungen 
charakteristische  Proben  ge- 
ben, erfreuen  sich  einer  be- 
merkenswerten Vielseitig- 
keit, obgleich  bei  allen  der 
Bernstein  im  Mittelpunkt 
seines  Interesses  steht.  Nicht 
alles  freilich,  was  aus  seiner 
vielbeschäftigten  Werkstatt 
hervorgeht,  zeigt  die  Höhe 
seiner  Gestaltungskraft,  aber 
allen  seinen  Erzeugnissen 
eignet  ein  reifes  Verständnis 
für  die  koloristischen  Eigen- 
heiten des  Materiales.  Bern- 
stein ist  an  und  für  sich  ein 


j       SILBERNE  BECHER,  VERGOLDET,  MIT  BERNSTEINDROSEN,  DER  MITTLERE  MIT  BERNSTEINSCHAFT  U.  AMETHYSTEN 
l  BESETZT  G  ENTWURF   UND  AUSFÜHRUNG:  MORITZ  STUMPF  &  SOHN,  DANZIG 

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BERNSTEINSCHMUCK  MIT  SILBERNER  FASSUNG    □    ENTWURF   UND  AUSFUHRUNG:   PAUL  PFEIFFER,  PFORZHEIM 


sehr  williger  Schmuckstein; 
seine     komplizierte     Natur 
zeigt  sich  so  erst  in  Verbin- 
dung mit  anderen  Schmuck- 
elementen.   Seine  vornehm- 
ste Wirkung  erreicht  er  un- 
bestreitbar in  matter  golde- 
ner Fassung  mit  Chrysopra- 
sen, Karneolen  und  Amethy- 
sten,   allenfalls    noch    mit 
Mondsteinen.    Während  die 
erstgenannten  Steine  mit  al- 
len seinen  Farben-  und  Hel- 
ligkeitsnuancen,   vom   hell- 
sten Weißgelb  bis  zum  satte- 
sten Rotbraun,  mag  er  durch- 
sichtig oder  opak  sein,  har- 
monische Abstimmungen  er- 
geben können,  verlangt  der 
Mondstein    und   das  Silber, 
mag   es  poliert   oder   matt 
verwendet  werden,  größere 
Vorsicht  in  der  Farbenwahl. 
Doch  was    nützt  das  sen- 
sibelste Farbengefühl,  tritt 
nicht  zu  ihm  ein  sicheres 
Bewußtsein  seiner  Abhän- 
gigkeit von  der  Zweck-  oder 
Zierform.     Erst  eine  Ver- 
einigung  beider   Momente 
erhebt    die  Werkarbeit  zu 
kunstgewerblicher    Bedeu- 
tung.   Das  wird  besonders 
einleuchtend    bei    Stumpfs 
Gebrauchsgegenständen,  die 
so  selbstverständlich  sind, 
daß  man   sie   sich  anders 
nicht    wünschen     möchte. 


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Ebenso  überzeugend  sind 
die  Arbeiten  von  Paul  Pfeif- 
fer in  Pforzheim,  der  sich  bis- 
hernurgelegentlich  demBern- 
stein  zugewandt,  aber  er- 
staunlich schnell  in  das  ihm 
neue  Material  eingelebt  hat. 

Beiden  Künstlern  ist  zu 
wünschen,  daß  ihnen  der  Er- 
folg die  Freude  am  Bernstein 
und  seiner  Schönheit  vertieft, 
und  daß  ihre  Kunst  Werte 
schaffen  hilft,  die  über  die 
Mode  des  Tages  hinaus  fort- 
dauern. Otto  Pelka 

BERICHTIGUNG 

Kürzungen,  die  bei  dem 
Aufsatz  „Neue  Garten- 
anlagen"  im  Januarheft 
aus  Platzmangel  notwendig 
wurden,  haben  dessen  letz- 
ten Sätzen  leider  einen  fal- 
schen Sinn  gegeben.  Die 
letzten  13  Zeilen  auf  Seite 
1 90  beziehen  sich  auf  die 
Abbildung  des  Landhauses 
Seh.  in  St.  Magnus  (S.  191), 
nicht  auf  den  Entwurf 
für  eine  Treppenanlage 
zum  Herrenhaus  J.  C. 
SchwengeraufGutMönch- 
hof  (S.  192).  Diese  wurde 
auch  in  anderer  Form  aus- 
geführt und  wird  mit  dem 
Haus  in  einem  späteren 
Heft  veröffentlicht  werden. 


288 


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RALPH  VOLTMER-HAMBURG  □  FIGURINEN  ZU  HARDTS  SCHERZSPIEL  .SCHIRIN  UND  GERTRAUDE« 


FIGURINEN  ZU  ERNST  HARDTS  „SCHIRIN  UND  GERTRAUDE« 


Alfred  Freiherr  von  Berger,  der  erste  Leiter 
des  Deutschen  Schauspielhauses  in  Ham- 
burg, war  außer  sich,  als  eines  Tages  beim 
bloßen  Anblick  der  dekorativen  Ausstattung 
der  Bühne  und  noch  bevor  ein  Wort  der  Dich- 
tung gesprochen  worden  war,  das  Publikum  in 
lebhafte  Beifallsbezeugungen  ausbrach.  „Schnei- 
derscheer  und  Farbenhäferl  reichen  schon  für 
die  Leut',  wozu  ein  Dichter  auch  noch?"  So 
äußerte  Berger  in  seiner  drastischen  Ausdrucks- 
weise gereizt.  Doch  schon  einige  Jahre  später 
waren  „Schneiderscheer  und  Farbenhäferl"  dem 
guten  Baron  selbst  so  sehr  ans  Herz  gewach- 
sen, daß  er  sie  auch  bei  minderwertigen  Stücken 
nicht  mehr  hat  missen  wollen. 

Das  Deutsche  Schauspielhaus  ist  aus  Innern 
Gründen  auf  diesem  Wege  des  Paktierens  mit 
allen  für  die  Erhöhung  der  Sinnfälligkeit  der 
Bühnenwirkung  in  Betracht  kommenden  Kräf- 
ten zwar  nicht  weiter  gegangen,  aber  das  Schau- 
spielhaus, sowie  die  anderen  Hamburger  Theater 
haben  diesen  Weg  seither  auch  nicht  wieder  ver- 
lassen. Sie  haben  vielmehr  die  Gesetzmäßigkeit 
der  einschlägigen  Forderung  anerkannt  und  ihr  in 
dem  Heranziehen  von  Beiräten  aus  den  Kreisen 


der  bildenden  Künstler  Ausdruck  verliehen. 
Von  den  für  diesen  Beratungsdienst  hier  ver- 
pflichteten Künstlern  hat  Ralph  Voltmer  als 
„künstlerischer  Berater  des  Deutschen  Schau- 
spielhauses' insbesondere  durch  den  hervor- 
ragenden Anteil  an  der  farbigen  Belebung 
des  Gozzischen  Märchenspiels  „Turandot"  und 
des  Ernst  Hardtschen  Scherzspiels  „Schirin 
und  Gertraude"  den  Beweis  für  die  hohe  Nütz- 
lichkeit dieser  Neueinführung  erbracht. 

Ralph  Voltmer  gehört  als  Besucher  der  staat- 
lichen Kunstgewerbeschule  in  Hamburg  zu  jener 
noch  kleinen  Gruppe  von  Schülern,  die  die  Le- 
bensfähigkeit der  von  dieser  Schule  ausgehen- 
den Lehrwirkungen  in  der  niedersächsischen 
Tiefebene  praktisch  zu  erweisen  haben.  Um  die 
Art  dieser  Verpflichtung  richtig  einzuschätzen, 
muß  man  wissen,  daß  die  staatliche  Kunstge- 
werbeschule in  Hamburg  in  ihrer  im  Jahre  1905 
eingeführten  Neuordnung  mit  einem  starken 
Einschuß  von  hier  fremden,  dem  wienerischen 
künstlerischen  Modernismus  entnommenen  An- 
schauungs-  und  Gefühlswerten  eingesetzt  hat, 
was  nicht  ohne  Widerspruch  geblieben  ist.  Bei 
der   historisch    führenden  Stellung,   die  Wien 


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Dekorative  Kunst.     XVII. 


.M.lrz  1914 


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RALPH  VOLTMER-HAMBURG  Gl  FIGURINEN  ZU  HARDTS  SCHERZSPIEL  ,SCHIRIN  UND  GERTRAUDE" 


gerade  auf  dem  Gebiete  der  dekorativen  Theater- 
kunst bekleidet,  konnte  diese  Berührung  mit 
wienerischer  SchafFensart  dem  von  Ralph  Volt- 
mer  gepflegten  Genre  indes  nur  zu  statten 
kommen.  Nachdem  er  sichzunächst  durch  Plakat- 
entwürfe  erfolgreich  eingeführt  hatte,  wurde 
er  von  dem  Nachfolger  Bergers  in  der  Leitung 
des  Deutschen  Schauspielhauses,  Dr.  Karl  Hage- 
mann, für  dieses  Theater  bleibend  verpflichtet. 
Es  wäre  müßig,  abzuwägen,  wieviel  in  der  Ent- 
wicklung Voltmers  auf  die  Kunstgewerbeschule 
und  wieviel  auf  die  von  Reinhardt,  Georg  Fuchs, 
Karl  Martersteig  u.  A.  gestreuten  Saatkörner  als 
Anreger  entfällt.  Die  Summe  ist  jedenfalls 
eine,  aus  der  Verschmelzung  aller  übernom- 
menen Einwirkungen  hervorgegangene  Eigen- 
persönlichkeit, deren  Weiterbildung  man  mit 
berechtigtem  Interesse  entgegensehen  darf. 

In  seinen  Entwürfen  hat  Voltmer  von  der 
Schaffung  des  Eindrucks  einer  realen  Wirklich- 
keit abgesehen  und  sein  Streben  auf  die  Be- 
förderung des  Eindrucks  einer  Wirklichkeit 
im  Sinne  der  jeweiligen  Dichtung  konzentriert. 
Wichtigstes  Hilfsmittel  hierbei  war  ihm  die 
Farbe,  die  in  seiner  Behandlung  nicht  nur  zu 
einem  lebendigen  Teil  der  äußeren  Erschei- 
nung, sondern  auch  zu  einem  Verkündiger  des 
Temperaments  und  Charakters  geworden  ist. 


Daß  Voltmer  dabei  den  mannigfachen  Verlei- 
tungen zum  Grotesken,  die  sich  besonders  in 
dem  im  Reiche  der  Mitte  spielenden  Märchen 
„Turandot"  ergaben,  aus  dem  Wege  gegangen 
ist,  ist  ein  weiterer  Beweis  für  den  künstleri- 
schen Ernst,  der  seine  Arbeiten  charakterisiert. 
Das  Hardtsche  Scherzspiel  spielt  im  Mittel- 
alter. Der  aus  zehnjähriger  Haft  zurückkeh- 
rende „Graf,  in  dem  wir  das  parodistische 
Ebenbild  des  historischen  Grafen  von  Gleichen, 
des  Gatten  zweier  legitimen  Ehefrauen  zu  er- 
kennen haben,  ist  bei  seiner  Heimkehr  von 
seiner  als  Jüngling  verkleideten  türkischen 
Gattin  Schiri n,  die  ihm  zur  Freiheit  ver- 
holfen  hat,  und  einem  türkischen  Diener  Hus- 
sein begleitet.  Nachdem  er  sich  in  den  Besitz 
seines  Schlosses  gesetzt,  gibt  er  sich  einigen 
Getreuen  zu  erkennen,  bei  denen  er  Auskunft 
über  die  zurzeit  bestehenden  Verhältnisse  ein- 
holt. Er  darf  mit  dem  Vernommenen  wohl  zu- 
frieden sein.  Doch  hat  das  lange  Hinleben  in 
der  Einsamkeit  in  seinem  christlichen  Ehege- 
mahl Gertraude  einen  starken  kindlichen 
Spieltrieb  entwickelt.  Aus  diesem  Trieb  heraus 
erwächst  rasch  ein  inniges  Freundschaftsver- 
hältnis zwischen  den  beiden  Ehefrauen,  das 
sich  in  seinen  Wirkungen  schließlich  gegen 
den    gemeinsamen    Gatten    wendet,    so    daß 


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dieser  allmählich  in  einen  Zustand  völliger 
Vereinsamung  hineingerät.  Schon  diese  dürftige 
Skizze  zeigt,  um  wieviel  schwieriger  die  Auf- 
gabe des  bildnerischen  Beirats  in  dem  Hardt- 
schen  Scherzspiel  ist.  Für  Gozzis  Märchen- 
spiel stand  ihm  die  ganze  Farbenfülle  des 
Orients  zu  Gebote,  während  in  das  Scherzspiel 
Hardts,  das  sich  im  Rahmen  einer  nicht  rei- 
chen altdeutschen  Ritterburg  einfach  und  be- 
schaulich abspielt,  gerade  nur  einiger  schwa- 
cher Widerschein  jenes  Glanzes  hineinfällt.  Da 
ist  es  nun  wieder  für  die,  von  geistigen  Ge- 
sichtspunkten beherrschte  Art  unseres  jungen 
Künstlers  bezeichnend,  daß  er  die  Lösung  sei- 
ner Aufgabe  in  der  Herstellung  einer  erhöht 
psychologischen  Uebereinstimmung  zwischen 
Maske  und  Darsteller  zu  erreichen  gesucht  hat. 
Wie  der  durch  seine  Haft  zum  schmerbäuchi- 
gen  Philister  gewordene  Graf  schon  in  dem 
Rundlichen  seiner  Erscheinung,  die  durch  ein 
mattgelbes  Wams  und  darum  gehängtes  dunk- 
les Mäntelchen  in  ein  wenig  verführerisches 
Licht  gerückt  ist,  auf  das  seiner  harrende, 
spätere  Schicksal  hinweist,  so  birgt  das  grün 
leuchtende  Kleid  der  Türkin  Schirin  alle  Ge- 
währ in  sich,  daß  es  seiner  lustatmenden  Trä- 
gerin nicht  schwer  fallen  wird,  ihre  spielerische 
Rivalin,  deren  Stimmung  auch  schon  in  einem 


reizlosen  Mattviolett  der  Kleidung  passend  an- 
gedeutet ist,  zu  sich  herüberzuziehen  und  in 
ihre  Gewalt  zu  bekommen.  Und  ein  gleiches 
gilt  auch  von  den  architektonischen  Innenraum- 
bildungen  Voltmers,  die  sich  sämtlich  an  Auge 
und  Geist  des  Zuschauers  wenden.  Der  junge 
Künstler  folgt  hierin  zwarnurderselbenzwingen- 
den  Gesetzmäßigkeit,  die  von  Meistern  des 
Faches  vorentwickelt  ist,  und  die  sich  jedem 
mitteilt,  der  seine  Kraft  in  den  Dienst  unserer 
neueren  Bühnenkunst  gestellt  hat.  Aber  er 
zeigt  sich  hierbei  von  dem  Bewußtsein  erfüllt, 
daß  der  wichtigste  Teil  der  Aufgabe  für  den 
dekorativen  Bühnenkünstler  im  selbständigen 
Durchdenken  und  Ausnutzen  des  Vorhandenen 
und  bereits  Gewonnenen  und  in  dessen  Weiter- 
führung gelegen  ist.  Und  so  ist  es  nur  logisch, 
daß  er  zuweilen  sein  eigentliches,  das  bildneri- 
sche Gebiet  verläßt,  um  in  gern  gelesenen  sach- 
lich-kritischen Aufsätzen  seine  Ideen  mit  der 
Feder  zu  entwickeln.  Die  neuere  Theaterkunst, 
der  das  bereits  beim  Sprechfilm  angelangte  Kino 
immer  mehr  den  Boden  bestreitet,  hat  aber 
alle  Ursache,  sich  der  Mitarbeit  gerade  solcher 
Künstler  zu  versichern,  die  für  die  Betonung 
der  kulturellen  Ueberlegenheit  der  Schaubühne 
mit  dem  Einsatz  ihrer  ganzen  Kraft  einzutre- 
ten willens  sind.  H.  E.  Wallsee 


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HARRY  MAASZ-LOBECK  Q  SKIZZE  EINES  HAUPTWEGES  IN  DER  LAUBENKOLONIE 


DER  DEUTSCHE  VOLKSPARK  DER  ZUKUNFT*) 


Laubengärten  und  Spielplatzflächen  sind  unse- 
^  res  Volkes  ureigenster  Besitz.  Die  Stadt 
des  Mittelalters  zeigt  uns  das  heute  noch  deut- 
lich. In  ihrem  Innern  barg  sie  keine  eigent- 
lichen Grünanlagen,  wohl  Gärten,  die  aber  der 
engen  festungsartigen  Bebauung  wegen  nicht 
groß  waren.  Eigentlich  nur  Gartenhöfe  mit 
mehr  oder  weniger  großen  Bäumen,  mit  Blumen 
und  wenigen  Ziersträuchern.  Erst  draußen  vor 
den  Toren  lagen  die  eigentlichen  Nutzgärten 
mit  ihren  Gartenlauben.   Wer  wohlhabend  war, 


*)  Unter  diesem  Titel  hat  HARRY  Maasz,  den 
die  Stadt  Lübeck  vor  kurzem  zur  Leitung  ihres 
Gartenwesens  berief,  in  einer  mit  Planskizzen  und 
perspektivischen  Zeichnungen  versehenen  Broschüre 
außerordentlich  interessante  Anregungen  für  die 
Erweiterung  und  rhythmische  Gestaltung  städtischer 
Laubenkolonien  gegeben.  Bei  der  großen  sozialen 
Bedeutung,  welche  die  Kleingärten  für  alle  Gemein- 
den, vor  allem  auch  für  die  neu  entstehenden  Gar- 
tenstädte haben,  in  denen  die  gärtnerischen  Anlagen 
meist  recht  vernachlässigt  sind,  weisen  wir  auf 
seine  von  Weitblick  und  praktischer  Erkenntnis  zeu- 
genden Vorschläge  nachdrücklich  hin.  Um  von  der 
Idee  und  den  Zielen  des  Verfassers  einen  Begriff 
zu  geben,  drucken  wir  ein  paar  kurze  Abschnitte 
aus  der  Broschüre  und  einzelne  Skizzen  zu  ihrer 
Erläuterung  ab  und  empfehlen  das  kleine  Büchlein 
allen,  die  an  solch  kulturellen  Fragen  Interesse 
haben.  Daß  der  Verfasser  durch  die  Gegenüber- 
stellung der  Anlagekosten  und  der  zu  erwartenden 
Einnahmen  auch  ausführliche  Rentabilitätsberech- 
nungen beigefügt  hat,  erhöht  den  Wert  seiner  Vor- 
schläge. (Trowitzsch&,  Sohn, Frankfurt a.O.  1.80M.) 


baute  sich  auch  wohl  ein  großes  Gartenhaus 
dahinein,  um  darin  den  Sommer  zu  verleben 
und  zu  Beginn  der  kalten  Jahreszeit  wieder 
in  die  Stadtmauern  zu  ziehen.  Der  minder- 
begüterte Bürger  hatte  sein  kleines  Gärtchen 
mit  Obst  und  Gemüsen,  mit  Gartenhäuschen 
und  Laube.  Hier  draußen  vor  den  Toren  lag 
auch  die  Volkswiese,  die  Freiweide  für  des 
Bürgers  Vieh.  Viele  Städte,  die  ihre  altherge- 
brachten Festlichkeiten  bewahrten,  bewahrten 
unbewußt  auch  diese  Grünflächen  vor  den  Toren 
vor  der  Bebauung.  Ein  Teil  dieser  Städte  kann 
sich  rühmen,  heute  noch  in  deren  Besitz  zu 
sein,  denn  die  in  späteren  Tagen  einsetzende 
Bebauung  begann  erst  an  deren  Peripherie. 
Wer  Hamburgs  Dammtorwiesen  betrachtet,  ist 
entzückt,  Lübecks  Burgfeld  und  Mühlentorbrink 
sind  ohne  gleichen  und  waren  schon  lange  Zeit 
vor  der  Erkenntnis  des  Wertes  der  amerikani- 
schen Parksysteme  rechte  und  echte  Volks- 
parks, Volkstummelplätze  schon  zu  mittelalter- 
licher Zeit. 

Schon  der  flüchtige  Rückblick  auf  das  mit- 
telalterlich-deutsche Gartenleben  läßt  leise  er- 
kennen, welche  Richtung  wir  einzuschlagen 
haben,  den  Wünschen  des  gartenhungernden 
Volkes  gerecht  zu  werden.  Scharf  und  un- 
verkennbar aber  vernehmen  wir's  aus  den 
Laubenkolonien,  die  heute  die  Stadt  und  Groß- 
stadt umsäumen,  deren  sich  in  nicht  hoch  ge- 
nug  einzuschätzender  Volksfreundlichkeit  die 


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HARRY  MAASZ-LOBECK 


IOLK.SPARKDER  'ZUKUMPT. 
HUBeHKOOHEUND  6RÜKF1ÄCHE. 


h  Behörden  einzelner  Städte  angenommen  haben,  und  ihn,  wenn  der  Verkaufswert  des  Geländes 

V  Schärfer  aber  und  schreiender  noch  tönts  uns  gewinnbringend    zu    werden    verspricht,    ohne 

3  entgegen  aus  den  halbzerfallenen  Laubengärten  ihn  schadlos  zu  halten,  hinausbefördern. 

I  jener   Städte,    deren    Behörden    nicht    einmal  Das  Endziel,  welches  wir  bei  der  Schaffung 

<  wenigstens  auf  längere  Zeit  den  Laubenkolo-  des  Volksparkes  des  20.  Jahrhunderts  ins  Auge 

a  nisten  Sicherheit  boten  für  das  Bestehen  ihrer  fassen  müssen,   liegt  in  der  Vereinigung   von 

i  Gärten,    in    denen    Privatunternehmer    diese  Grünfläche  und  Laubengärten.     Diese  beiden 

5)  Gärten  entstehen  lassen,  den  Pächter  ausbeuten  Typen  des  öffentlichen  Gartengrüns  zu  einem 


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293 


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formen  der  Park  für  das  Volk  zu  bilden  sein.    ) 
Ich  gehe  noch  weiter   und   fordere   für  die     ' 


einheitlichen  Organismus  vereinigt,  werden 
den  Volkspark  der  Zukunft  bilden,  in  dem  das 
Volk  sich  tummeln  und  Feste  feiern  kann,  in 
dem  es  körperliche  und  geistige  Nahrung  sam- 
melt, graben,  säen  und  ernten  kann. 


Zweiflern  und  Kleingeistern  erscheint  mangels 
genauer  Kenntnis  des  heutigen  Laubenkolonie- 
wesens die  Aufnahme  der  Laubengärten  in  den 
Bebauungsplan  für  dauernde  Zeit  nicht  durch- 
führbar. Wenigstens  können  sie  sich  nicht  an 
den  Gedanken  gewöhnen,  daß  solch  ein  vom 
Volk  benutzter  Park  überhaupt  mit  der  Be- 
bauung in  Einklang  zu  bringen  ist,  mit  ihr  eine 
Einheit  bildet.  Mit  besonderem  Nachdruck  ver- 
weisen sie  auf  das  heutige  mangelhafte  Aus- 
sehen der  Einzelgärten  und  ihrer  Bretterbuden, 
die  keinen  Anspruch  machen  können  auf  eine 
dauernde  Aufnahme  in  das  Stadtbild.  Sie  ver- 
weisen auf  die  in  solchen  Laubengärten  ihrer 
Meinung  nach  unausbleiblichen  Dünste  und 
unsauberen  Lüfte,  auf  Dunggerüche  und  Ab- 
fallhaufen. Sie  vergessen  aber,  daß  mit  der 
dauernden  Aufnahme  der  Laubengärten  jeg- 
liches Provisorium  aufhört,  daß  durch  die  Bil- 
dung einer  dauernden  Laubenparkform  auch 
eine  andere  Organisationsform  geschaffen  wird, 
daß  die  Behörde  ihren  gartenkundigen  Beam- 
ten oder  Berater  mit  der  Verwaltung  des  Parkes 
zu  betrauen  hat,  wie  das  ja  heute  in  unserem 
Parkwesen  allgemein  zu  geschehen  pflegt. 

Hierin  liegen  also  keinesfalls  die  Bedenken 
gegen  die  Schaffung  von  Volkslaubenparks, 
sondern  darin,  ob  der  Staat,  die  Behörden  der 
Stadt  oder  die  Gemeinden  überhaupt  weitsich- 
tig genug  sein  werden,  zur  rechten  Zeit  Land 
für  die  Schaffung  von  Grünanlagen  zu  reser- 
vieren, aber  genügend  Land  und  an  allen  Orten 
der  Stadt,  nach  allen  Richtungen.  Reservate 
müssen  geschaffen  werden,  ähnlich  denen,  die 
früher  vor  den  Toren  der  Städte  lagen,  die 
Freiweiden,  die  Gänseanger,  Vogelwiesen  und 
Brinks,  die  wie  jene  von  der  Bebauung  ver- 
schont, umgangen  werden,  und  die  nun  je  nach 
der  Lage  im  Stadtbild  und  nach  den  Bedürf- 
nissen der  jeweiligen  Bevölkerungsmasse  zu 
Grünanlagen  mit  ästhetischer,  sportlicher,  wis- 
senschaftlicher oder  sozialer  Tendenz  heran- 
gebildet werden,  wenn  sie  nicht  überhaupt 
liegen  bleiben  als  Wiesenflächen,  als  einfache 
Tummelplätze  für  die  Jugend  und  Volksfeste. 

Dort,  wo  die  Stadtbevölkerung  vorwiegend 
aus  arbeitenden  Klassen,  kleinen  Beamten  und 
Arbeitern  zusammengesetzt  ist,  werden  diese 
Freiflächen,  diese  Reservate  zu  besetzen  sein 
mit  Grünanlagen  und  einem  Kranz  von  Lauben- 
gärten.     Es   wird   aus   diesen    beiden    Grün- 


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Bemittelteren  der  Bewohner  der  Städte  Garten-  l 
land,  so  daß  auch  in  „besseren"  Stadtteilen 
der  Laubenpark  seine  Existenzberechtigung  hat. 
Daß  heute  diesem  Volksparkgedanken  weite 
Kreise  äußerst  skeptisch  gegenüberstehen,  mag 
noch  daran  liegen,  daß  bisher  die  Form  für 
die  Gliederung  und  den  Ausbau  weder  in  Wirk- 
lichkeit, noch  in  der  Idee,  also  vielleicht  zeich- 
nerisch noch  nicht  vorhanden  war  und  ein- 
fach und  kurzerhand  abgetan  wird,  ohne  daß 
man  die  Idee  auf  ihre  Vorzüge  und  Nachteile 
näher  prüfte.  Die  amerikanische  Parkpolitik,  die 
Sport-  und  Spielparkform  ist  Trumpf.  Gegen 
alles,  was  auf  deutschem  Boden  gewachsen 
und  aus  deutscher  Seele  geboren  ist,  verhal- 
ten wir  uns   bis   über  die  Ohren    zugeknöpft. 

Aber  der  neudeutsche  Volksparktyp  wird 
seine  Forderung  auf  Daseinsberechtigung  immer 
stärker  geltend  machen,  das  ist  nach  alledem, 
was  heute  in  der  Laubenkoloniebewegung  vor 
sich  geht,  mit  aller  Bestimmtheit  festzustellen. 
Für  mich  ist  seine  Erstehung  aus  den  Ver- 
hältnissen heraus  nur  noch  eine  Frage  der 
Zeit.  Wir  stehen  unmittelbar  vor  diesem  sozial 
ungemein  wichtigen  Ereignis.  Das  einzusehen, 
kann  uns  nicht  schwer  fallen  angesichts  der 
Tatsache,  daß  keine  Zeit  diesem  „Kraftspender 
sozialen  Grüns"  so  viel  und  so  weitgehendes 
Interesse  entgegengebracht  hat  wie  die  unsrige. 

Notwendig  aber  ist  wie  gesagt,  daß  wir  die 
Blicke  der  Mehrheit  von  den  heute  noch  offen- 
bar zutage  tretenden  unrhythmischen  Begleit- 
erscheinungen ablenken,  welche  den  mehr  oder 
weniger  unwillkürlich  und  ohne  eigentliche 
Direktive  entstandenen  Lauben-  und  Parzellen- 
gärten und  ihren  Gemeinschaften  anhaften. 


Stärker  als  in  jedem  anderen  Falle  leitet 
uns  bei  der  Kombination  von  Grünfläche  und 
Laubenkolonie  das  räumliche  Gesetz.  So  sind 
die  Laubengärten  mit  ihrer  Großvegetation  die 
raumbildenden  Baumaterialien,  welche  die  Grün- 
flächen mit  ihren  Spielplatzteilungen,  mit  ihren 
sportmäßigen  Anlagen  ringförmig  im  weitesten 
Sinne  des  Wortes  umgeben. 

Je  nach  der  Ausdehnung  des  für  den  Volks- 
park bestimmten  Geländes  werden  die  die 
grüne  Fläche  umgebenden  Laubengärten  in 
zwei-,  drei-  oder  auch  vierreihiger  Anordnung 
anzubringen  sein. 

Berücksichtigt  werden  muß  dabei  natürlich, 
daß  Laubengärten  und  Grünflächen  im  guten 
Verhältnis  nebeneinander  herlaufen,  daß  zu 
der  Anzahl  der  Gärten  auch  die  Größe  der 
Fläche  in  gutem  Verhältnis  steht.    Wichtig  ist 


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hierbei  natürlich  auch,  zu  bedenken,  ob  die 
Grünfläche  nur  den  Kolonisten  oder  ob  sie  auch 
der  innerhalb  gewisser  Zonen  des  Stadtteiles 
wohnenden  Bevölkerung,  ohne  daß  diese  Pacht- 
anteil an  der  Laubenkolonie  genießt,  dienen  soll. 

Das  ganze,  freudige  Schaffen,  die  liebevollste 
Hingabe  verlangt  die  Gartenkolonie  bis  in  ihre 
kleinsten  Einzelheiten.  Von  ihrer  Durchbil- 
dung hängt  alles  ab.  Auf  die  Durchsetzung 
und  Rhythmisierung  mit  Großvegetation,  auf 
die  Einordnung  der  Lauben,  auf  die  pflanzliche 
Ausbildung  besonders  hervorzuhebender  Plätze, 
der  Haupt-  und  Nebenwege  wird  unser  Haupt- 
augenmerk gerichtet  sein  müssen.  Nicht  un- 
wichtig erscheint  mir  ferner  die  Verteilung  von 
größeren  Frucht-  und  Zierbäumen  in  den  ein- 
zelnen Gärten,  eine  nach  einheitlichen  Ge- 
sichtspunkten ausgeführte  Gruppierung  von  be- 
stimmten Baumformationen  in  bezug  auf  Wuchs, 
Blüten-  und  Laubwirkung. 

So  umsäumt  die  ganze  Grünfläche  resp.  Lau- 
benkolonie nach  der  Grünflächenseite  zu,  nach 
meinem  in  der  Planskizze  veranschaulichten 
Vorschlag,  eine  Apfelbaumallee(  Abb.  S.  292).  Ich 
wählte  diese  Alleeform  aus  mehrerlei  Gründen. 
Zum  ersten,  weil  der  kulturgartenmäßige  Typ 
so  am  besten  in  die  Innenumgebung  ausklingt, 
zum  zweiten  schon  deswegen,  weil  durch  diese 
Obstallee  den  Pächtern  gegen  entsprechendes 
Entgelt,  vielleicht  auf  dem  Wege  des  Meist- 
gebots, ein  Nutzen  entsteht,  der  nicht  hoch 
genug  einzuschätzen  ist,  zuletzt  aber  auch  der 
prächtigen  Wirkung  wegen,  die  eine  solche 
Baumreihe  während  der  Blüte,  am  Rande  einer 
frühjährlich  grünen  Wiese  zaubert.  Das  sind 
auch  die  Gründe,  weshalb  ich  es  für  geboten  er- 
achte, die  dem  allgemeinen  Spaziergängerver- 
kehr zugänglichen  Hauptwege  in  der  Kolonie 
selbst  mit  Obstbaumreihen  zu  besetzen. 

Die  breiten  Hauptwege,  sowie  der  Ring  zwi- 
schen Grünfläche  und  Laubenkolonie  erhalten 
Steinobstbäume,  Aepfel  und  Birnen,  die  schmä- 
leren Verkehrswege  vorteilhaft  Kernobst,  Kir- 
schen, Zwetschen  und  Pflaumen.  Nach  der 
klimatischen  Beschaffenheit  und  den  Boden- 
verhältnissen der  jeweiligen  Gegend  wird  sich 
die  Sortenwahl  selbstverständlich  zu  richten 
haben.  Diese  wird  auch  in  der  Verschieden- 
heit ihrer  Blüte  reichste  Nuanzierung  in  die 
Gesamtwirkung  der  Anpflanzung  hineintragen. 

Laubbäume  merkte  ich  vor  an  der  Straßen- 
seite, an  der  Außenseite  des  Volksparkes  also. 
Diese  sind  unter  der  Schere  zu  halten,  so  daß 
Baumreihen  mit  bestimmt  bewußter  Form  ent- 
stehen, welche  einerseits  dem  Spaziergänger 
Schatten  geben,  ohne  aber  den  angrenzenden 
Einzelgärten  Licht  und  Luft  zu  nehmen,  also 
ihren  Blumen   und  Kulturen   keinen  Schaden 


zufügen,  andererseits  aber  Fühlung  erhallen 
mit  den  Häuserreihen  der  den  Volkspark  um- 
schließenden Bebauung. 

Prächtig  denke  ich  mir  die  Ausgestaltung 
der  Wege  innerhalb  der  Kolonie.  Blühende 
Syringenhecken  wechseln  mit  Schneeballstrauch- 
einfriedigungen. Dazwischen  zaubertGoldregen- 
gesträuch  herrlich  goldgelbe  Farbtöne.  Hier 
Rotdornblüten  an  den  Toreingängen,  dort  blühen- 
der Zierapfel  hinter  dem  Zaun.  Wildrosen- 
hecken wechseln  mit  dem  Schlehenhaag,  frei- 
wachsende Hecken  mit  geschorenen,  streng 
und  scharf  markierten  Heckenhorizontalen,  die 
sich  über  den  Gartenzugängen  torbogenartig 
wölben,  in  Rundbogenform,  spitzbögig  und  der- 
gleichen mehr.  Oder  es  sind  hölzerne  Tor- 
überwölbungen mit  mancherlei  blühendem  Rank- 
werk überzogen,  mit  Rankrosen,  Clematis,  mit 
Cobaea,  Feuerbohne  oder  Trichterwinde.  Zwi- 
schen all  dieser  Pracht,  zwischen  Blüte  und 
Grün,  in  Busch  und  Hecke  liegen  die  Ein- 
gangstore so  lustig  und  lieblich  und  gestatten 
dem  Vorüberwandelnden  einen  Einblick  in  das 
kleine  Gartenparadies.  Wir  blicken  über  das 
Tor  hinweg  und  über  den  blumenumsäumten 
Weg  zum  Gartenhäuschen,  das  mit  dichtem 
Rankwerk  übersponnen  ist.  Clematis  mit  tief- 
blauen Blütenaugen  kriechen  an  der  Wand 
hinauf  zum  Dach  empor,  und  den  Fuß  des 
Gartenhäuschens  umkränzt  in  buntem  Gemisch, 
in  leuchtendem  Blütenfeuer  die  Staude.  Rosige 
Federnelken,  Pechnelken  und  Honigblumen  be- 
gleiten Weg  und  Rabatten.  Der  Rosenfreund 
schafft  sich  den  prächtigsten  Rosengarten  aus 
niederen  Buschrosen,  aus  Hochstamm  und 
Kletterform.  Aber  auch  am  Gemüsegärtchen 
finden  wir  Freude  und  Erbauung.  Auch  in 
seiner  Sauberkeit  und  streng  gegliederten  Beet- 
einteilung, mit  den  an  Stangen  rankenden 
Bohnen,  mit  den  ängstlich  an  dürren  Erbs- 
busch sich  klammernden  und  zum  Licht  em- 
porkriechenden Erbsen  liegt  tiefsinnige  Poesie. 

Wenn  Erdbeeren  reifen  und  Himbeeren  sich 
röten,  wenn  der  Apfel  am  Hochstamm  und 
am  Formbaum  sich  mit  roten  Wangen  schmückt 
und  die  Birnen  sich  goldig  färben,  —  liegt 
darin  nicht  das  Herrlichste,  das  Genußreichste, 
was  einem  Gartenbesitzer  nach  der  Mühe  der 
Vorarbeit,  nach  liebevoller  Pflege  widerfahren 
kann? 

Wer  jemals  die  tiefen  Freuden  eines  er- 
wachenden Frühlingstages  mit  seinem  Blüten- 
rausch und  Blütenduft  in  einer  Kleingarten- 
kolonie erlebt  hat,  wer  an  Sommerabenden  die 
Kühle  der  nahenden  Nacht  zwischen  den  Hecken 
und  Wegen  genoß,  wer  die  jauchzenden  Melo- 
dien einer  scheidenden  Natur  hier  zwischen 
den  Laubengärten  auf  sich  einwirken  ließ,  dem 


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kann  es  keinen  Augenblick  zweifelhaft  er- 
scheinen, daß  wir  imstande  sind,  mit  bewuß- 
tem Hinweis  auf  die  rhythmische  Gliederung 
und  Einbringung  aller  Momente  diese  neue 
Parkform  würdig  dem  Stadtbild  einzuverleiben. 


Die  praktische  Ausführung  und  künstlerische 
Ausgestaltung  des  Volksparkes  liegt  in  Hän- 
den der  städtischen  Behörde  und  ihres  Garten- 
beamten. Letzterem  untersteht  für  die  weitere 
Zukunft  die  Unterhaltung  und  Pflege  des  Ge- 
samtorganismus. Alles,  was  außerhalb  der 
Pachtgärten  sich  befindet  an  Wegen,  Sport- 
flächen, Plätzen  und  Pflanzungen,  wird  von 
ihm  dauernd  gepflegt,  ergänzt  und  bewirt- 
schaftet. Innerhalb  der  Gartengrenzen  dagegen 
waltet  der  Pächter  und  sorgt  für  die  Pflege 
und  Gesunderhaltung  der  Großvegetation,  der 
Zier-  und  Fruchtbäume,  Sträucher  und  Hecken. 

Von  größter  Wichtigkeit  für  die  spätere  Aus- 
bildung des  gesamten  Volksparkes  ist,  daß  die 
Pflanzung  der  äußeren,  an  der  Straße  und  den 
Wegen  der  Laubenkolonie  liegenden  Hecken 
und  Gehölze  von  selten  der  Behörde  durch 
ihren  Parkbeamten  ausgeführt  wird,  weil  von  der 
bewußt  rhythmischen  Pflanzung  sehr  viel  für  den 
späteren  Eindruck  der  Gesamtanlage  abhängig 
ist.  Der  Pächter  steht  zumeist  dem  späteren 
Habitus  jung  gepflanzter  Bäume  und  Gehölze 


fremd  gegenüber,  so  daß  eine  Ausführung  dieser 
wichtigen,  stimmungsbildenden  Faktoren  durch 
ihn  zu  den  schlimmsten  Befürchtungen  für  die 
spätere  Entwicklung  des  Parkes  Anlaß   gäbe. 

Selbst  über  die  Einbringung  der  hauptsäch- 
lichsten, der  markierenden  Großvegetation  in 
den  Gärten,  der  Obstbäume,  der  Zier-  und 
Schattenbäume  müßte  der  Parkarchitekt  zu  be- 
stimmen haben,  wenigstens  dem  Pächter  in  sei- 
nem ersten  freudigen  Eifer  zur  Seite  stehen. 

Mit  der  Uebernahme  eines  Gartens  setzt  die 
Arbeit  des  Pächters  am  Gesamtorganismus  der 
Laubenkolonie  und  somit  des  Volksparkes  ein. 
Er  wird  dazu  erzogen,  in  bewußter  Hingabe 
für  die  eine  große  Sache  zu  wirken. 

Bei  den  seither  üblichen  Formen  des  Groß- 
stadtgrüns arbeitet  der  einzelne,  zumeist  be- 
amtete Fachmann  an  dem  Ausbau  der  Grün- 
anlage, hier  dagegen  arbeitet  eine  große  Anzahl 
von  Köpfen  und  Sinnen  daran,  die  aber  gemein- 
schaftlich in  Kursen  theoretisch  und  praktisch 
geschult  und  vorbereitet  sind  zur  Pflege  und 
zum  Ausbau  des  großen  Organismus.  Diese 
Pächter  alle  sind  gewissermaßen  auf  eine  Linie 
gebracht,  von  der  aus  sie  nun  den  Organismus 
beseelen,  ihn  je  nach  der  Eigenart  des  ein- 
zelnen und  dessen  Empfindungsäußerungen  mit 
feinen  und  feinsten  ästhetischen  Nuancen  durch- 
setzen, die  dem  Parkorganismus  äußeres  An- 
sehen, Ausdruck  verleihen.         Harry  Maasz 


HARRY  MAASZ-LOBECK  SKIZZE  FÜR  EINEN  BRUNNENPLATZ 

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296 


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EIN  DEUTSCHES  BÜRGERHAUS 


Auf  der  Halbinsel  Oberwerth  in  Koblenz  er- 
hebt sich  ein  schmuckes  Bürgerhaus,  das 
Herr  A.  Prentzel  von  dem  Münchner  Archi- 
tekten Ernst  Haiger  erbauen  ließ.  Weit  hin- 
aus grüßt  das  blaugraue  Schieferdach  zwischen 
den  Kronen  hoher  Bäume  gegen  Land  und 
Strom.  Reizvoll  schmiegt  sich  der  Bau  in  die 
üppig  frohe  Gegend,  eingestimmt  in  den  Cha- 
rakter der  Stadt  und  ihrer  Anlagen,  wie  in 
die  heiter  behagliche  Art  des  Rheinländertums. 

Ein  schöner  Punkt  war  zum  Bauplatz  ge- 
wählt. Vom  Hause  aus  sieht  man  südlich 
nach  Lahnstein  hinüber,  nördlich  auf  die  Feste 
Ehrenbreitstein.  Spielplätze  und  Villen  nehmen 
die  Halbinsel  ein;  keine  Zinshäuser,  keine 
engen  Straßen  stören  den  Blick.  Die  farbige 
Abbildung  zeigt  das  Haus  von  der  Rheinwiese 
aus,  dort  führt  ein  Reitweg  vorbei,  jeder 
lärmende  Stadtverkehr  liegt  weit  ab.  Auch  die 
Straße,  die  von  der  anderen  Seite  den  Ver- 
kehr vermittelt,  ist  still  und  überdies  teils 
durch  eine  hohe  Gartenmauer  abgeschlossen. 
Der  Besitz  verbindet  also  die  Annehmlich- 
keiten von  Stadt  und  Land,  eine  Eigenschaft, 
die  um  so  höher  einzuschätzen  ist,  als  viele 
Villen  nur  die  Unannehmlichkeiten  beider  zu 
vereinen  wissen.  Pappeln  streben  vor  dem 
Haus  und  im  Garten  mit  schlanker  Anmut 
empor,  Blumen  ranken  sich  um  die  Terrassen- 
pfeiler, und  weiße  Gartenbänke  locken  zum 
Verweilen.  Alles  spricht  von  Behaglichkeit, 
von  friedvollem  Ausruhen  nach  getaner  Arbeit. 

Besonders  gefällt  mir  auch  das  Hauben- 
türmchen  an  der  Einfahrt  und  die  Silhouette 
der  Hausmeisterwohnung.  Nichts  ist  gesucht, 
alles  einfach  gegliedert,  und  die  Linien  erge- 
ben sich  wie  von  selbst.  Darin  scheint  nach 
meiner  Ansicht  ein  großer  Vorzug  von  Hai- 
gers Kunst  zu  liegen,  daß  er  den  Bedürf- 
nissen seines  Bauherrn  und  den  Geboten  der 
Landschaft  mit  gleichem  Verständnis  entgegen- 
kommt. Er  denkt,  ehe  er  seine  Pläne  macht, 
und  wägt  die  einzelnen  Forderungen  gegen- 
einander ab,  bis  ein  Bau  zustande  kommt, 
der  ästhetisch  wie  praktisch  befriedigen  kann. 
Es  ist  nicht  immer  leicht,  Behaglichkeit  und 
Fassadenwirkung  ohne  Kompromisse  so  zu- 
einander zu  stimmen,  daß  sich  die  Wünsche 
der  Stadt   und  des  Besitzers   restlos  erfüllen. 

Reizvoll  weitet  sich  eine  gedeckte  Veranda 
in  den  Garten,  Gitterwerk  für  Schlingpflanzen 
umkleidet  ihre  Pfeiler,  und  ein  sonniger  Bal- 
kon, dessen  Balustrade  große,  schön  geformte 


Blumentöpfe  krönen,  schließt  diesen  Vorbau  6 
sehr  entsprechend  nach  oben  ab.  Die  Garten-  g 
front  mit  ihren  Fenstertüren  im  Parterre,  dem 
niedrigeren  ersten  Geschoß  und  den  spitzigen 
Mansarden,  sowie  den  sogenannten  „ Augen- 
fenstern"  im  obersten  Boden  macht  einen 
überaus  anheimelnden  Eindruck  und  zeigt, 
daß  der  gute,  künstlerisch  durchgebildete  Ge- 
schmack die  besten  Wirkungen  erzielen  kann, 
auch  wenn  er  sich  von  den  Traditionen  ver- 
gangener Stilarten  befreit  und  nur  da  oder 
dort  ein  Motiv  von  früher  (wie  hier  die  Au- 
genfenster) geschickt  verwendet. 

Die  Gartenmauer  —  teils  durchbrochen 
mit  Rokokomotiven  gearbeitet,  teils  geschlossen, 
um  den  Eindruck  des  Ungestörten,  von  der 
Außenwelt  Abgetrennten  zu  geben  —  ist  aus 
graublauem  Kunststein  gefügt  und  stimmt 
prächtig  zu  dem  dunkel  ockerfarbenen  Rauh- 
putz des  Hauses.  Fensterumrahmungen  und 
Sockel  wiederholen  den  graublauen  Stein,  des- 
sen Töne  das  glänzende  Schieferdach  gut  zu 
steigern  vermag.  Lustig  nehmen  sich  die 
grünen  Läden  aus  und  stellen  eine  organische 
Verbindung  her  mit  dem  Grün  des  Gartens, 
der  Rheinau  und  der  umliegenden,  das  ganze 
Bild  einrahmenden  Hügel. 

An  der  Straßenfront  befindet  sich  der  Haupt- 
eingang. Seine  stillen  Linien  mahnen  an  jene 
ruhig  gehaltene  Feierlichkeit  der  Zeiten  Scha- 
dows,  ohne  gerade  das  Klassizistische  zu  sehr 
zu  unterstreichen.  Man  tritt  zunächst  unter 
ein  Vordach,  von  da  in  eine  kleine  Garderobe, 
wo  man  ablegt  und  alles  dem  heutigen  Kom- 
fort Entsprechende  findet.  Von  hier  aus  öffnet 
sich  eine  Tür  in  das  eigentliche  Vorzimmer, 
das  einerseits  zum  Salon,  andererseits  zur 
Diele  führt.  Auf  Wunsch  des  Hausherrn  ist 
die  Diele,  weil  sie  den  eigentlichen  Wohnraum 
der  Familie  bilden  soll,  nicht  unvermittelt  zu- 
gänglich, sondern  als  ein  intimer  Raum  mehr 
in  das  Innere  des  Hauses  verlegt.  Besucher, 
die  offiziellen  Charakter  tragen  und  nicht  — 
wenn  ich  mich  so  ausdrücken  darf  —  weiter 
vordringen  als  über  die  Schwelle,  können  im 
Salon  empfangen  werden,  ohne  die  Diele  mit 
dem  Treppenhaus  zu  berühren.  So  ist  hier 
eine  praktische  Lösung  dieser  gesellschaftlich 
wichtigen  Frage  gefunden. 

Einfach  und  gediegen  —  wie  es  der  Ge- 
samtcharakter dieses  gut  bürgerlichen  Hauses 
erfordert  —  ist  auch  die  Diele  selbst.  Jagd- 
trophäen schmücken  die  weißen  Wände  über 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    7.    A[.ril  1914 


297 


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ARCH.  ERNST  HAIGER-MONCHEN  e 
HAUS  Dr.  PRENTZEL  IN  OBERWERTH 
STRASZENSEITE     UND    GRUNDRISSE 


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der  Holzverklei- 
dung, Schränke  sind 
eingebaut,  und  ein 
kleiner,  sehr  prak- 
tisch eingesparter 
Raum  unter  der 
Treppe  dient  zur 
Aufnahme  der  Bü- 
cherei. An  die  Diele 
schließen  sich  au- 
ßer dem  Salon  ein 
Wohnzimmer,  ein 
Boudoir  für  die  Da- 
me des  Hauses  und 
das  Speisezimmer. 
Der  Salon  wurde 
mit  vorhandenen 
Gegenständen  ein- 
gerichtet, schaltet 
also  aus  bei  der  Be- 
trachtung moderner 
Kunst.  Im  Wohn- 
zimmer ist  jener 
gesunde,  behaglich 
freundliche  Stil 
durchgeführt ,  den 
wir  englischer  An- 
regung verdanken, 
der  sich  aber  bei  uns 
zu  durchaus  boden- 
ständiger Eigenart 
entwickelt  hat.  Die 
großen  Blumen  und 
das  saftige  Grün 
der  Wandbespan- 
nung, die  dunkle 
Täfelung  in  den  Ni- 
schen ,  das  glatte 
Weiß  der  oberen 
Wandflächen  und 
der  Decke  stimmen 
vorzüglich  zueinan- 
der. Ein  großer  run- 
der Tisch  mit  stämmigem  Säulenfuß  bildet  den 
Mittelpunkt  des  Raums.  Am  weißen  Kamin 
stehen  zwei  Klubsessel,  an  den  Wänden  vertei- 
len sich  einige  Gebrauchsmöbel.  Der  Eindruck 
des  Allzuvollen  ist  ebenso  glücklich  vermieden 
wie  der  des  Kahlen,  Allzuleeren.  Der  moderne 
Stil  läuft,  indem  er  besonders  das  Sachgemäße 
und  Notwendige  betont,  leicht  Gefahr,  die 
Räume  leer  und  nüchtern  erscheinen  zu  lassen. 
Hier  setzt  nun  der  Geschmack  eines  liebevoll 
einrichtenden  Architekten  ein.  Wenn  die  Pro- 
portionen klug  gegeneinander  abgewogen  sind 
und  die  Flächen  da  und  dort  architektonisch 
abgeteilt  werden,  wird  dieser  Eindruck,  wie  in 
Haigers  Koblenzer  Haus,  glücklich  vermieden. 


ARCH.  ERNST  HAIGERq  HAUS  Dr.  PRENTZEL:  HAUPTEINGANG 


An  das  Speisezim- 
mer schließt  sich 
eine  Anrichte  mit 
Dienerschaftstrep- 
pe. Ein  dreifacher 
Abschluß  trennt  es 
von  der  Küche,  so 
daß  keinerlei  Eßge- 
ruch  ins  Haus  drin- 
gen kann.  Um  die 
Tätigkeit  der  Haus- 
frau zu  erleichtern 
und  bessere  Auf- 
sicht über  das  Per- 
sonal zu  ermögli- 
chen, sollte  sich  die 
Küche  im  Erdge- 
schoß befinden,statt 
—  wie  es  sonst  in 
Herrschaftshäusern 
beliebt  ist  —  im 
Souterrain  oder  ei- 
nem eigenen  Die- 
nerschaftsflügel un- 
tergebracht zusein. 
Wenn  zwei  Forde- 
rungen miteinander 
in  Widerspruch  ge- 
raten,muß  man  sich 
für  die  stärkere  ent- 
scheiden. Hier  war 
es  jedenfalls  ange- 
bracht, den  prak- 
tischen Gesichts- 
punkten des  Haus- 
halts nachzugeben, 
wenn  auch  der 
Grundriß  dadurch 
etwas  Unruhigeres 
bekam,  als  es  sonst 
den  Entwürfen  Hai- 
gers eigen  ist. 
In  den  ersten 
Stock  führt  eine  bequeme,  wenn  auch  etwas 
schmale  Treppe.  Ein  hellgehaltener,  sehr  an- 
mutig wirkender  Flur  öffnet  sich  in  die  ver- 
schiedenen Räume,  wie  Schlafzimmer  der  El- 
tern und  Kinder  mit  sehr  komfortablen  Bä- 
dern, Spiel-  und  Lern-Zimmer.  Nach  dem  offe- 
nen Balkon  ist  ein  kleines  Frühstückszimmer 
gerichtet,  das  im  Sommer  eine  Loggia  bildet, 
denn  die  ganze  Außenwand  ist  von  hohen 
Glastüren  eingenommen,  die  man  in  ihrer 
vollen  Breite  öffnen  kann. 

Zentralheizung  und  Wassserleitung  ziehen 
sich  durch  das  ganze  Gebäude,  die  Heizkörper 
sind  in  der  gebräuchlichen  Art  verdeckt  mit  Aus- 
nahme jenes  im  Damenzimmer,  der  den  Künstler 


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ZU  eigenartigem  Versuch  veranlaßt  hat.  Er  steht 
in  Form  eines  Ofens  aus  der  Zopfzeit  in  einer 
kleinen  Nische  und  erinnert  so  an  die  gemütli- 
chen Zeiten,  in  denen  noch  das  Holzfeuer  traut 
im  Zimmer  knisterte.  Die  Heizrohre  liegen 
offen  in  Messinggehäusen,  der  Grund  der  durch- 
brochenen Kannelüren  ist  Lapislazuli-Blau  und 
stimmt  gut  zu  der  grauen  Wand  des  Zimmers. 
Ein  gemütliches  Haus!  So  müssen  wir  sa- 
gen, wenn  wir  die  Räume  durchschritten  haben 
und  uns  wieder  auf  der  stillen  Straße  befinden, 
die  in  kurzer  Zeit  die  schönen  Rheinanlagen 
entlang  dem  Herzen  der  Stadt  zuführt.  Ein  ge- 
mütliches Haus!  Ich  glaube,  mit  diesem  Urteil 
können  beide,  Bauherr  und  Architekt,  zufrieden 
sein.  Alexander  von  Gleichen-Russwurm 


GEDECKTE  VERANDA  VOR  DER  HALLE 

Was  bisher  vielleicht  hier  uniida  unbewußt 
getan  worden  ist,  muß  in  Zukunft  unbe- 
dingt bewußt  und  konsequent  geschehen.  Es 
gibt  nur  ein  menschliches  Gestalten.  Genau 
dieselben  Gestaltungstendenzen  kehren  wieder 
beim  Kunsthandwerker,  beim  Architekten,  beim 
Ingenieur,  beim  Werkzeugverfertiger,  beim 
Schneider,  bei  der  Putzmacherin,  beim  simplen 
Handwerker.  Es  handelt  sich  immer  um  die  glei- 
chen Dinge:  gute  Proportionierung,  Abstimmung 
der  Farben,  wirkungsvollen  Aufbau,  Rhythmus, 
ausdrucksvolle  Form.  Die  Tendenzen,  die  bei 
allen  diesen  Gestaltern  wirken,  sind  allgemei- 
ner, sozusagen  kosmischer  Art;  sie  sind  unserer 
Gehirntätigkeit  immanent.  Hermann  Muthesius 

(Aus:  Jahrbuch  des  Deutschen  Werkbundes  1913) 


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302 


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ARCH.  ERNST  HAIGER-MONCHEN 


PAPPELPROMENADE  AN  DER  RHEINSEITE 


WOHER  UND  WOHIN? 

EINE  BETRACHTUNG 


In  Köln  ist  eben  alles  dabei,  wieder  eine  Aus- 
stellung deutschen  Kunstgewerbes  zu  orga- 
nisieren. Der  Werkbund  bietet  seine  ganze 
Mannschaft  auf,  um  mit  den  beträchtlichen 
Mitteln,  die  für  eine  solche  Gelegenheit  über- 
haupt mobil  zu  machen  sind,  Hallen  zu  bauen 
und  Hallen  zu  füllen.  Man  wird  nach  den 
Ankündigungen,  die  durch  die  Blätter  laufen 
oder  die  einem  sonst  zu  Ohren  kommen,  den 
Sommer  über  in  Köln  alles  an  Namen  und 
Dingen  finden,  was  den  Stolz  des  gegenwärtigen 
Kunstgewerbes  ausmacht.  Keiner  der  Leute, 
die   von  Belang   erscheinen,   wird  —  das  ist 


mit  ziemlicher  Sicherheit  anzunehmen  —  fehlen ; 
zweifellos  wird  der  Werkbund  von  seinen  Mit- 
gliedern, denen  ja  die  besten,  wenn  auch  nicht 
mehr  nur  diese  allerbesten  unserer  Architekten 
und  Kunsthandwerker  angehören,  alle  aufmar- 
schieren lassen,  die  im  Sinne  seiner  Bestre- 
bungen etwas  Sehenswertes  zu  bieten  haben. 
Es  wird  also  an  den  Ufern  des  Rheins  eine 
Art  Generalschau  über  die  besten 
im  heutigen  Kunstgewerbe  tätigen 
Kräfte  geben.  Es  wird  dokumentiert,  was 
wir  unter  jenem  Begriffskomplex,  den  wir  die 
neudeutsche  Kunstgewerbebewegung  zu  nennen 


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ARCH.  ERNST  HAIGER-MÜNCHEN  El  HAUS  Dr.  PRENTZEL:  WOHNUNG  DES  HAUSMEISTERS 


gewohnt  sind,  augenblicklich  zu  verstehen 
haben.  Wie  die  Ausstellungen  in  München, 
Darmstadt  und  Dresden  Bilanzen  dieser 
Bewegung  waren,  wie  sie  im  Verlauf  der  Ent- 
wicklung zu  einem  Gradmesser  der  jeweiligen 
Situation  geworden  sind,  so  wird  Köln  in  die- 
ser Folge  den  Jahresring  1914  abgeben. 

Wodurch  wird  Köln  sich  von  jenen  vorher- 
gehenden Ausstellungen  unterscheiden?  Was 
wird  es  zu  bieten  haben?  Mit  anderen  Worten, 
was  für  eine  Ausstellung  entspricht 
dem  augenblicklichen  Stand  unseres 
Kunstgewerbes,  was  für  eine  Schau 
können  die  besten  der  augenblicklich 
tätigen  Kräfte  zusammenstellen? 

Vor  allem  wird  man  sich  darüber  klar  sein 
müssen,  daß  bei  Gelegenheit  der  früheren  Aus- 
stellungen: 1896,  1901  und  1906  mit  genau 
denselben  Begriffen,  mit  denen  wir  zu  operieren 
pflegen,  ganz  andere  Vorstellungen  ver- 
knüpft waren,  als  es  jetzt  der  Fall  ist. 
Unter  „modern",  unter  „künstlerisch",  unter 
„Zeitstil"  und  was  es  an  dergleichen  Vokabeln 
noch  gibt,  verstanden  ein  van  de  Velde, 
ein    O  brist,   ein    Ol  brich    etwas   durchaus 


anderes,  als  es  etwa  ein  Troost  augenblicklich 
versteht.  Das  junge  Kunstgewerbe  wollte  in 
jenen  Sturmjahren,  deren  Zeugen  eben  die 
Ausstellungen  bis  Dresden  1906  waren,  auch 
etwas  ganz  anderes,  als  es  heute  will,  heute 
vielleicht  muß. 

Jenes  Kunstgewerbe  war  herausgeboren  aus 
einer  wahrhaft  künstlerischen  Leiden- 
schaft, einer  Ekstase,  die  keine  Hindernisse 
zu  sehen,  keinen  Widerstand  zu  achten,  keine 
Grenzen  anzuerkennen  schien.  Die  Menschen, 
die  sich  daran  machten,  Wohnräume,  Möbel  und 
Hausgeräte  zu  reformieren,  glaubten  sich  vom 
Schicksal  ausersehen  für  eine  der  gewaltigsten 
Aufgaben,  die  dem  Künstler  überhaupt  gestellt 
werden  können,  und  sie  hatten  den  Ehrgeiz 
der  großen  Schöpfernaturen,  die  ihnen  von 
der  Zeit  aufgedrungene  Mission  aufs  vollkom- 
menste zu  erfüllen.  Der  Rausch,  etwas  ganz 
Großes,  etwas  Ureigenes  zu  leisten,  hatte  sie 
erfaßt;  besessen  von  einer  Idee,  jugendselig, 
tollkühn  sprangen  sie  hinein  in  die  Gewerbe,  wo 
es  nicht  um  ein  anderes  Formenschema,  nicht 
um  ein  bißchen  Geschmäcklertum,  sondern 
um  den  Ausdruck  einer  neuen  Weltanschauung 


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ging.  Was  sie,  was  die  Bedeutendsten  unter 
ihnen  zu  einem  so  gewagten  Schritt  antrieb, 
war  keineswegs  bloß  jenes  Kalkül,  daß  das 
Bildermalen  zu  einem  so  unrentablen  Ge- 
schäft geworden  war;  sie  empfanden  sich 
als  Träger  einer  Geistesströmung,  die  vom 
Kunstgewerbe  lediglich  ihren  Ausgangspunkt 
nahm,  um  die  Formlosigkeit  auf  allen  Kultur- 
gebieten zu  beseitigen.  Die  Barbarei  und  die 
Phrasenhaftigkeit  in  der  Architektur  und  den 


dekorativen    Künsten    niederzukämpfen,    war 
nur  eine,  nur  die  erste  ihrer  Sorgen. 

£tre  de  son  temps,  wie  es  die  Gier 
eines  Man  et  war,  Modernität,  auf  die  der 
revoltierende  Courbet  versessen  war,  das 
war  auch  der  Antrieb  jener  kunstgewerblichen 
Reformer,  die  in  der  bürgerlichen  Wohnung 
nichts  mehr  dulden  wollten,  was  sich  nicht 
vor  dem  Geist  und  der  Vernunft  der  Zeit  ein- 
wandfrei  legitimieren   konnte.     Nichts  in  der 


<  ARCH.  ERNST  HAIGER-MÜNCHEN  HAUS  Dr.  PRENTZEL:  NEBENEINGANG 


Dekotatlre  Kunst.  XVII. 


April  1914 


305 


39 


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muster  auswirkt;  aber  nie- 
mand wird  zu  bestreiten  wa- 
gen, daß  diese  ersten  Mani- 
festationen des  neuen  deut- 
schen Kunstgewerbes  durch- 
glutet  waren  von  der  künst- 
lerischen Leidenschaft.  Man 
durchblättere  noch  einmal 
die  Publikationen,  die  uns 
die  Erinnerung  an  jene  er- 
sten Ausstellungen  bewahrt 
haben,  und  schalte  auf  einen 
Augenblick  nur  alle  rationa- 
listisch kleinlichen  Erwä- 
gungen aus.  Man  wird  dann 
verblüfft  sein  über  die  Sum- 
me von  urwüchsiger  Schöp- 
ferkraft, die  da  an  simplen 
Hausgeräten  verausgabt  wor- 
den ist.  Wenn  es  nicht  tö- 
richt wäre,  mit  Vokabeln  zu 
spielen,  dann  könnte  man  an- 
gesichts dieser  Dokumenta- 
tionen von  einem  „expres- 
sionistischen" Kunstgewerbe 
reden.  Vielleicht  gibt  es  nicht 
einmal  in  unserer  jüngsten 
Malerei,  die  als  Ausdruck 
eines  Seelischen  genommen 
werden  will,  so  viel  Inner- 
lichkeit, so  gewaltig  persön- 
liches Erleben. 

Kein  Zweifel,  daß  mit  die- 
sen ungemein  künstlerischen 
Auswirkungen  nur  ein  Teil 
des  von  Ruskin  aufgestellten 
Programmes  erfüllt  war.  Was  da  geboten  wurde, 
war  ja  bis  in  die  kleinste  Kurve  hinein  indivi- 
duell. Jeder  dieser  Kunstgewerbler  hatte  —  zu- 
nächst wenigstens  —  den  Fanatismus  des  echten 
Künstlers,  nichts  aus  seinem  Atelier  hinauszu- 
geben, was  nicht  ganz  seine  Handschrift  trug, 
was  nicht  Ausdruck  seines  innersten  Empfin- 
dens war.  Das  aber  war  schließlich  nicht  der 
Sinn  dieser  Gewerberevolution,  daß  es  für  den 
Großherzog  von  Hessen,  für  den  Dichter  Heymel, 
für  den  Künstler  Olbrich  ein  modernes  Milieu 
gab.  „Was  nur  einem  Einzigen  zugute  kommt, 
ist  schon  fast  unnütz,  und  in  der  künftigen 
Gesellschaft  wird  nur  das  geachtet  sein,  was 
für  alle  von  Nutzen  ist.'  Das  war  eine  der 
Thesen  des  van  de  Velde.  Eine  so  reale  Tat- 
sache wie  die  Industrie  zu  verpönen,  die 
Maschinen,  wie  Ruskin  und  Morris  es  wollten, 
zu  zerstören  oder  still  zu  legen,  diese  ganze 
Romantik  einfältiger  Handwerkerherzen,  mußte 
abgetan  werden.  Das  neue  Kunstgewerbe  mußte 
die  Maschine   benutzen  als   das,   was    sie  ist. 


EINGEB.  BÜCHER-  U.  MAPPENSCHRANKE  UNT.  D.  TREPPE  D.  DIELE  (vgl.  S.  307) 


Umgebung  des  modernen  Menschen:  wedereine 
Stuhllehne,  noch  eine  Blumenvase,  noch  ein 
Tintenfaß  sollte  es  geben,  das  nicht  aufs  neue 
durchgeformt  worden  wäre.  Keine  Form,  auch 
nicht  ein  Ornamentenzipfelchen,  das  irgend 
einer  früheren  Epoche  angemessen  war,  wurde 
geduldet.  Man  träumte  von  einer  art  nouveau, 
man  war  erfüllt  von  der  Sehnsucht,  dem  mo- 
dernen Menschen  in  seinen  Gebrauchsgeräten 
einen  Ausdruck  seiner  Wesenheit  zu  bieten, 
wie  es  der  Mensch  der  Antike,  der  Mensch 
der  Gotik  oder  des  Rokoko  in  allem,  was  ihm 
zugehörig  war,  hatte.  Was  von  den  van  de 
Velde,  Obrist,  Pankok,  Endell,  Olbrich, 
Behrens,  Hoffmann,  Riemerschmid,  Paul 
usw.  auf  die  ersten  Ausstellungen  des  neuen 
Kunstgewerbes  gebracht  worden  war,  war  des- 
halb auch  so  faszinierend,  weil  alles  aus  dem 
Erlebnis  des  schöpferischen  Künstlergeistes 
herausgeboren  war.  Gewiß,  es  ist  lächerlich 
von  der  Seele  zu  reden,  die  sich  an  einem 
Tischbein,  einem  Sofakissen,  einem  Tapeten- 


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ARCH.  ERNST  HAIGERMÜN'CHEN 


HAUS  Dr.  PRENTZEL:  DIELE 


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ARCH.  ERNST  HAIGER-MÜNCHEN 


HAUS  Dr.  PRENTZEL:  WOHNZIMMER 


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ARCH.  ERNST  HAIGER-MONCHEN 

als  ein  gegebenes,  nicht  weg  zu  disputierendes 
Werkzeug,  das  vom  Menschengeist  geschaffen 
und  durch  den  Menschengeist  gut  oder  schlimm 
zu  dirigieren  war.  Das  Streben  der  Künstler 
mußte  es  sein,  sich  zum  Herrn  dieser  rastlos 
produzierenden  Maschinen  zu  machen,  durch 
sie  Gutes  und  Schönes  tausendfältig  verbreiten 
zu  lassen.  Die  Maschinenmöbel  Riemer- 
scHMiDS,  die  Bogenlampen  des  Peter  Beh- 
rens, die  Plakate  von  Lucian  Bernhard, 
die  neuen  Drucktypen  und  alle  die  anderen 
Dinge,  die  so  für  Hunderte  und  Tausende  ge- 
schaffen werden  konnten,  stellen  jenen  an- 
deren Zweig  der  gewerblichen  Entwicklung 
dar,  der  mit  dem  Begriff  der  Qualitäts- 
arbeit zusammenzufassen  ist.  Waren  die 
ersten  Ausstellungen  bis  Dresden  1906  unter 
Vernachlässigung  dieser  sozialen  Mission  des 
neuen  Kunstgewerbes  Dokumente  eines  kühn 
schaffenden  Künstlertums,  so  waren  die  wei- 
teren Ausstellungen,  namentlich  die  von  Mün- 
chen 1908  und  die  „Bayerische  Gewerbe- 
schau"  Schrittmacher  für  diese  Massenkunst, 
für  die  Qualitätsverbesserung  der  Massen- 
waren. Die  Arbeiterhäuser  auf  der  Darmstädter 


FENSTERWAND  DES  WOHNZIMMERS 

Künstlerkolonie  1908  verglichen  mit  dem  Haus 
Olbrich,  mit  dem  Musikzimmer  des  Groß- 
herzogs von  Hessen  von  1901,  das  etwa  ist 
der  Gang  dieser  Entwicklung.  Köln  wird 
nichts  anderes  sein  als  eine  Fortsetzung  dieser 
auf  die  Massenproduktion  eingestellten  Be- 
strebungen. Es  wird  wahrscheinlich  in  noch 
größerem  Umfange  zeigen  wie  die  Industrie 
diese  neue  Art  Gewerbekünstler  zu  nutzen 
versteht  und  wie  immer  neue  Industrien  sich 
anschließen.  Diese  eine  Seite  der  Bewegung 
wird  vielleicht  in  einem  bis  jetzt  noch  nicht 
erreichten  Umfang  gezeigt  werden.  Qualitäts- 
arbeit im  Sinne  unserer  optischen  und  chemi- 
schen Industrie,  Qualitätsarbeit,  wie  sie  von 
Krupp  geleistet  wird,  wird  das  vielleicht  noch 
immer  nur  in  Ausnahmefällen  sein,  aber  es 
wird  doch  von  Künstlerhänden  beeinflußte  In- 
dustriearbeit sein. 

Ob  in  Köln  etwas  gezeigt  werden  kann  von 
jener  andern  Seite  des  ursprünglichen  Kunst- 
gewerbeprogramms, von  jenen  erregenden 
Dokumenten  wahrhaft  künstlerischer  Schöpfer- 
persönlichkeiten, die  die  ersten  Ausstellungen 
so    aufreizend   und    hinreißend    machten,    ist 


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ARCH.  ERNST  HAIGER-MÜNCHEN 


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dagegen  zweifelhaft.  Je  mehr  das  neue  Kunst- 
gewerbe sich  in  die  Industrie  hineingearbeitet 
hat,  um  so  mehr  hat  es  auf  diese  rein  künst- 
lerischen Antriebe  verzichtet.  Aus  dem  Künstler, 
der  beim  Schaffen,  beim  Auswirken  seiner 
Persönlichkeit  Ekstasen  erlebte,  ist  ein  sehr 
brauchbarer  und  ein  sehr  gefälliger  Industrie- 
zeichner geworden.  Das  Heroische  des  großen 
Künstlertums  ist  bei  ihm  aufgegangen  in  einen 
gewählten  Geschmack.  Was  heute  von  Kunstge- 
werbekünstlern gezeigt  werden  kann,  wird  eine 
ziemlich  ausgereifte  Geschmackskunst 
sein.  Eine  Geschmackskunst,  die  sich  nicht 
scheut,  alte  Formelemente  aufzunehmen,  die 
es  zu  einem  Allgemeinstil  bereits  gebracht  hat, 
obgleich  da,  wieMuthesiuses  neulich  einmal 
wenn  auch  mit  anderen  Worten  ausgesprochen 
hat,  von  einem  neuen  Stil,  von  einer  art  nouveau 
nicht  eigentlich  die  Rede  sein  kann.  Das  neue 
Kunstgewerbe  ist  eben  bei  dem  Bestreben  dem 
großen  Publikum  zu  dienen,  etwas  in  die  Bot- 
mäßigkeit dieses  Publikums  und  seines  Publi- 
kumgeschmackes geraten;  der  Innenarchitekt 
ist  in  vielen  Fällen  aus  dem  Führenden  ein 
Geführter  geworden.  Von  der  Kölner  Ausstel- 
lung etwas  anderes  verlangen  als  die  Feststellung 


dieser  Situation,  hieße  sie  mit  Ansprüchen  be- 
lasten, die  sie  zu  erfüllen  gar  nicht  imstande  ist. 
Man  wird  sich,  wenn  man  nach  Köln  geht,  über 
diese  Entwicklung  —  mag  man  zu  ihr  stehen 
wie  man  will  —  klar  sein  müssen,  wird  die 
Mission  dieser  ersten  Werkbund- Ausstellung  zu 
suchen  haben  in  der  Vielseitigkeit  dieser  Indu- 
strie-und  Geschmackskünste.  Nach  der  Rich- 
tung hin  wird  sie  vermutlich  eine  groß- 
aufgemachte Bilanz  sein;  es  wäre  vielleicht 
auch  denkbar,  daß  Köln  wiederum  zu  einem  Aus- 
gangspunkt werden  könnte,  dann  nämlich,  wenn 
wiederum  Künstler  aufträten,  die  den  Trieb 
hätten,  ihr  Künstlertum  als  erstes  und  einziges 
voranzustellen.  Jene  Mission  nach  der  Richtung 
der  Geschmacksindustrie,  das  dürfte  diese  Bi- 
lanz ausweisen,  erscheint  erfüllt.  Es  fehlt  nicht 
an  Talenten  und  Begabungen,  die  den  angebahn- 
ten Weg  Schritt  für  Schritt  fortzuführen  vermö- 
gen. Es  gibt  da  nur  noch  Lösungen  im  einzelnen, 
abernicht  mehr  Aufgaben,  nicht  mehr  Probleme 
für  den  Künstler,  der,  das  könnte  die  Erkennt- 
nis von  Köln  1914  sein,  sich  selbst  wieder  zu 
entdecken,  wieder  aus  seinem  Innersten  heraus 
Schöpfer,  Schöpfer  einer  nun  wirklichen  art 
nouveau  zu  werden  hätte.         Paul  Westheim 


J  ARCH.  ERNST  HAIGER-mONCHEN  b  HAUS  Dr.  PRENTZEL:  FLUR  IM  OBERGESCHOSZ 

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312 


IGNATIUS  TASCHNER  f 


DER  STRAUCHDIEK 


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C.  DELL'ANTONIO- 
WARMBRUNN 


IN  HOLZ  GE- 
SCHNITZTES RELIEF 


HOLZPLASTIK 


I 


m  Frankfurter  Liebig- Haus  gibt  es  unter 
den  Erwerbungen,  die  Swarzenski  in  einer 
seiner  besten  Stunden  geglückt  sind,  eine 
kleine  Holzgruppe,  die,  je  zu  vergessen,  un- 
möglich ist.  Es  ist  eine  Maria,  ein  deutsches 
Mädchen,  wie  sie  fein,  säuberlich  und  gut- 
herzig im  Rheintal  aufzuwachsen  pflegten.  Eine 
Unschuld  mit  liebreizenden  Bäckchen,  mit 
einem  knospenzarten  Körperchen,  die  auf  dem 
jungfräulichen  Schoß  den  Leib  des  Gekreuzig- 
ten hält.  Dieser  Christus  ist  von  der  Rasse 
der  Grünewalds;  der  morbide  Leib  ist,  ehe 
er  vom  Kreuz  herabgenommen  werden  konnte, 
schon  in  Verwesung  übergegangen.  Fleischteile 
hängen  zerfallen  und  zerfetzt  von  den  Knochen 
herunter.  Rostende  Nägel  haben  tiefe,  eitrige 
Löcher  gerissen.  Blutstropfen  sind  zu  klebrigen 
Massen  geronnen.  Der  irdisch-sterbliche  Teil 
des  Gottmenschen  ein  Bild  schaurigster  Ver- 
wesung. Und  dieses  Häufchen  jammerbarer 
Menschlichkeit  zärtlich  gehalten  von  dem 
schwachen  Arm  einer  himmlischen  Jungfrau. 
Nie  ist  Mutterliebe  kühner,  großartiger  gezeigt 
worden.  Ein  so  niedliches,  ein  mit  goldenen 
Gewändern  so  hübsch  umkleidetes  Körperchen, 
eine  so  ekle  Leichenmasse,  und  doch  diese 
innig  tiefe  Liebe  zu  dem  grauenvollen  Leichnam, 


der  alles  ist,  was  von  dem  teuren  Sohn  auf 
Erden  zurückgeblieben  . . . 

Ein  namenloser  Holzschnitzer,  der  irgendwo 
im  deutschen  Wald  sein  karges  Dasein  fristete, 
hat  dieses  Epos  der  Mutterliebe  gedichtet. 
Seine  Gottergriffenheit  hat  er  ausgesungen  an 
dem  harten  Block  des  Lindenstammes.  Das 
Herz  voll  des  Grimmes,  der  Männer  zu  Taten 
antreibt,  voll  des  Leids,  das  den  Stummen 
zum  Dichter  macht.  Es  war  mehr  die  Seele, 
als  die  Hand,  die  da  das  Schnitzmesser  führte. 

Wie  denn  der  Deutsche  von  je  besessen  zu 
sein  scheint  von  dem  Drang  zu  bosseln  und 
zu  schnitzeln  und  in  das  harte  Holz  seiner 
Wälder  zu  furchen,  was  ihn  zutiefst  im  Innersten 
erregt.  Träumer  und  Bildner  zugleich,  schweig- 
sam und  verschlossen  sitzt  er  am  strahlenden 
Herdfeuer,  ein  Grübler,  ein  Sinnierer,  dem 
das  Wort  sich  nicht  von  der  Zunge  lösen  will, 
dem  der  Ton  in  der  Kehle  stecken  bleibt  und 
der,  um  sich,  sein  Denken  und  Fühlen  aus- 
zugeben, Figuren  formt,  die  wie  ein  Abbild 
seiner  unergründ baren  Verschlossenheit  da- 
stehen.    Er  bosselt  nicht  in  leicht,  allzu  leicht 


knetbarem  Ton;  die  schwielige  Faust,  die  den  | 

Morgenstern  wie  die  Pflugschar  zu  führen  weiß,  I 

verlangte  nach  härterem  Gerät,  nach  Hammer  j 

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Dekorative  Kunst.    XVII. 


April  1914 


313 


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ERNST  BARLACH-BERLIN  HOLZFIGUR:   DER  EINSAME 

Mit  Genehmigung  von  Paul  Cassirers  Verlag,   Berlin 


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ERNST  BARLACH-BERLIN 


RUHENDER  WANDERER 


ERNST  BARLACH-BERLIN 


SINGENDE  FRAUEN 


Mit  Genehmigung  von  Paul  Cassirers  Verlag,  Berlin 


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315  «>• 


und  Meißel,  um  auf  schwankendem  Gerüst  in 
die  aufgetürmten  Mauern  der  Dome  Sinnbilder 
und  Fratzen  zu  klopfen,  nach  dem  geschliffenen 
Stahl,  um  zur  Ehre  Gottes  oder  zum  Wohl- 
gefallen der  Menschen,  den  ungefügen  Holz- 
pflock lebendig,  sprechend  zu  machen. 

Das  Bildschnitzen  ist  immer  als  eine  Volks- 
kunst angesehen  worden.  Vielleicht  deshalb, 
weil  Material  und  Werkzeug  jedem  zur  Hand 
waren.  Jeder  Bursch  hatte  in  seiner  Tasche  das 
Messer,  einen  Holzpflock  gab  es  überall  und 
überall  auch  müßige  Stunden,  in  denen  der 
Spieltrieb  nach  Betätigung  lechzte.  Was  so 
wurde,  stand  den  Leuten  menschlich  nah.  Es 
wurde  nicht  als  große  Kunst  angesehen  wie 
die,  die  man  in  Meisterwerkstätten  lernte,  und 
die  zum  Ergötzen  der  Edelleute  geübt  wurde. 
Es  gab  da  kein  System  des  Schönen,  keine 
kniffliche  Aesthetik  mit  Regeln,  die  zu  be- 
achten und  zu  befolgen  waren.  Man  gestaltete 
aus  ursprünglichen  Antrieben  heraus,  formte, 
wie  es  einem  zu  Sinn  war,  hörte  in  den  Hölzern 
geheimnisvolle  Rhapsodien  rauschen  und  wollte 
sie  wie  die  eigne  Seele  erlösen. 

Aus  solchem  Drang  entstehen  in  der  germa- 
nischen Welt  die  erschütternden  Kunstwerke. 
Wo  bei  uns  das  Schöne  und  das  formale  Ge- 
bundene angestrebt  wurde,  war  Ohnmacht  das 
Ergebnis.  Um  wie  die  großen  Kunstnationen 
dekorativ  zu  tändeln,  mußten  wir  unseres  Besten, 
unserer  Innerlichkeit,  unserer  Lust  am  Knorrig-  ^ 
Individuellen,  am  Charakteristischen  entraten.  ^ 
Der  deutschen  Holzplastik  —  wie  aktenmäßig 
schwer,  wie  gelahrt  klingt  solche  Vokabel 
gegenüber  so  naiven  Auswirkungen  eines  Volks- 
geistes! —  ist  diese  Gefahr  fast  ganz  erspart 
geblieben.  Die  feinen  Leute,  die  in  einem 
Gebild  der  menschlichen  Hand  nie  die  Mensch- 
lichkeit sondern  die  „Strömung",  die  „Ent- 
wicklungslinie" sehen,  haben  dem,  was  da  im 
Holz  von  der  bäuerischen  Derbheit  entstand, 
zuzeiten  einfach  keine  Beachtung  geschenkt. 
Gewiß,  manch  einer  von  diesen  Bildschnitzern, 
der  Tillmann  Riemenschneider,  um  den  be- 
kanntesten der  Namen  zu  nennen,  ist  in  die 
Glorie  ihrer  Kunstgeschichtsbetrachtung  ein- 
gegangen; aber  im  großen  blieb  das  ein  Strom, 
der  unter  der  Oberfläche  feudal-aristokratischer 
Schönbildnerei  dahinfloß,  um  zu  versiegen, 
als  das  Volk  künstlerisch  verstummte. 

Wir,  die  wir  mit  so  viel  Intellekt  an  derlei 
Erscheinungen  herangehen,  sind  voll  wehlei- 
diger Klagen  über  den  Gang  dieser  Entwicklung, 
die  gerade  vor  uns  so  jäh  abbricht.  Mit  dem 
Stolz,  der  uns  auf  einmal  überkam,  als  wir 
die  grandiose  Charakteristik  vom  Wurm  ange- 
fressener Holzfiguren  zu  begreifen  begannen, 
hat  uns  auch  die  Scham  angewandelt,  in  den 


R.LANGER-STEGLITZqHIRTENJUNGE(BIRNBAUMHOLZ) 


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RICHARD  LANGER-STEGLITZ 


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JOSEPH  WACKERLE- BERLIN    □    TREPPENPFOSTEN    FÜR  EIN  BUREAU  DES  NORDDEUTSCHEN  LLOYD 


318 


Abkömmlingen  dieser  deutschen  Holzschnitzer- 
leute armselige  Fabrikanten  trivialer  Reise- 
andenken zu  sehen,  und  ist  uns  die  Lust 
angekommen,  wieder  derartiges  zu  machen. 
Wir  haben  damit  angefangen,  die  Holzplastik 
zu  »reformieren"  oder  „wiederzubeleben",  wie 
man  so  hübsch  anmaßlich  ja  wohl  zu  sagen 
pflegt. 

Also  ist  ein  Komitee  mit  großartigen  Namen 
zusammengebettelt  worden.  Die  Berliner  Hand- 
werkskammer wurde  „interessiert";  sie  ließ 
sich  verleiten,  einen  Kurs,  zu  Deutsch  einen 
Ruheposten  für  einen  ebenso  mäßigen  Bild- 
hauer wie  unmöglichen  Holzschnitzer  zu  schaf- 
fen. Das  offizielle  Akademikertum  wurde  eben- 
falls interessiert.  Nicht  etwa  der  Art,  daß  die 
hohen  Herren  Professoren  auf  einmal  zum  Holz- 
block gegriffen  und  ihre  Figuren  Schnitt  um 
Schnitt  mühselig  aus  dem  Holz  geschnitzt 
hätten.  Sie  gaben  bedauernswerten  Gesellen  — 
Handwerker-,  Handlangernaturen!  —  etliche 
ihrer  Bronze-,  Marmor-  oder  Gipsarbeiten  und 
hatten  acht,  daß  diese  Dinge  von  denen  recht 
säuberlich  in  Holz  reproduziert  wurden.  Mit 
Hilfe  von  mehr  oder  minder  raffinierten  Ueber- 
malungen  wurde  dann  auch  wirklich  das  Vexier- 
spiel erreicht,  daß  man  nur  durch  Beklopfen 
feststellen  kann,  ob  solch  feister  Bischof  von 
Walter  Schott  aus  polychromem  Marmor  oder 
angemaltem  Holz  besteht.  So  verschnittene 
Hölzer,  auf  Postamente  gestellt,  ergaben  dann 
eine  Ausstellung,  die  in  Berlin  und  anderen 
Orten  zu  sehen  war,  und  über  die  —  wenn 
auch  nur  mit  heftigstem  Widerwillen  —  mit  ein 
paar  Worten  geredet  werden  muß,  war  sie 
doch  der  härteste  Schlag,  der  gegen  eine  neue 
Holzbildhauerkunst  überhaupt  geführt  werden 
konnte.  Ich  spreche  nicht  von  der  barbarischen 
Geschmacklosigkeit,  an  der  die  Leute  kran- 
ken müssen,  die  sich  hier  als  Führer  aufzu- 
drängen versuchten  in  einer  Sache,  die  sie 
nur  zu  diskreditieren  vermögen.  Aber  was 
unerhört  empfunden  werden  mußte  an  dieser 
Ueberschau  über  den  Stand  unserer  heutigen 
Holzplastik,  die  unter  der  Flagge  jenes  wirk- 
lich großartigen  Komitees  segelte,  war  die  — 
zufällige  oder  absichtliche? —  Fernhaltung  aller 
unserer  wahren  Holzplastiker,  die  seit  Jahren 
schon  auch  ohne  Aussicht  auf  Ausstellungs- 
ehrungen oder  ein  Fachlehrerpöstchen  ihrer 
Lust,  in  Holz  zu  schnitzen,  gefröhnt  hatten. 
Keiner  der  Künstler,  deren  Arbeiten  hier  ver- 
einigt sind  —  mit  der  einen  Ausnahme  des 
Anton  Puchegger  —  weder  der  amüsier- 
liche  Ignatius  Taschner,  weder  ein  Geist  wie 

I  Wackerle,  noch  so  gewichtige,  so  zwingende 
Talente  wie  Albiker  oder  Langer,  von  einem 
genialen  Ekstatiker  wie  Barlach  ganz  abge- 


JOSEPH  WACKERLE 


DIE  SCHONE  GALATHEE 


sehen,  waren  da  vertreten,  wo  man  vorgab 
zu  zeigen,  wie  und  von  wem  in  unseren  Tagen 
die  Holzschnitzerkunst  „wieder  belebt"  werden 
könnte.  Doch  genug  von  solcher  anmaßlichen 
Unfähigkeit,  die  nur  in  ihre  Schranken  ge- 
wiesen werden  muß,  damit  eine  aus  der  Zeit 
aufquellende  Sehnsucht  nicht  weiter  mißbraucht 


319 


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werde   von  Managern,   die,    um    beachtet    zu 
werden,  eine  Krücke  brauchen. 

Mühen  wir  uns  nicht  ab,  diese  Bildschnitzerei 
mit  Tendenzen  zu  belasten,  um  sie  wie  die 
Plakatkunst,  die  Kinderkunst  oder  Volkskunst 
zu  einer  jener  Modebewegungen  zu  machen, 
die  sich  nach  den  Gesetzen  einer  höheren 
Gerechtigkeit  in  kurzer  Zeit  immer  wieder 
selbst  aufzehren  müssen.  Genießen  wir  ganz 
ohne  Nebenabsichten  hier  wieder  einmal  das 
Handwerk.  Das  Handwerk,  von  dem  so  gern 
und  so  viel  gesprochen  und  das  doch  so  ge- 
ring geschätzt  wird.  Sonst  hätte  es  nicht  ge- 
schehen können,  daß  man  wie  hier  die  eigent- 
lichen Schnitzer  als  Handlanger  der  „Künstler" 
ansah,  die  ohne  Rücksicht  auf  Material  und 
Technik  ihre  Gipse  kneteten  und  sie  dann  wie 
eine  Fabrikware  ausführen  ließen.  Die  Phan- 
tasie, die  wir  an  derlei  Arbeiten  zu  schätzen 
haben,  ist  doch  die,  die  aus  den  knorrigen 
Holzstämmen  erblühte.  Mag  sie  auch  nicht 
so  weit  ausladend  sein,  sie  wird  in  ihrer  Karg- 
heit doch  Echtheit  und  Natürlichkeit  haben. 
Darum  ist  ein  Unterricht,  wie  er  in  Flens- 
burg  in   der   Handwerkerschule   des  Anton 


Huber    den   jungen   Schnitzern   erteilt   wird, 
schätzbar.     Die  „Flucht  nach  Aegypten"  oder 
der  „Gang  nach  Emmaus",  die  wir  als  Proben 
einer  vielseitigen  Unterrichtstätigkeit  beifügen, 
zeugen    von    einer  Handwerkergesinnung,    die 
sich  nicht  bei  der  Erlernung  von  Handgriffen 
beruhigt,  sondern  auf  der  sicheren  Grundlage 
des  Handwerklichen    nun  auch  zu  bilden  an- 
fängt.   Bei  dem,  was  diese  Lehrer  bieten,  hat 
man  das  Gefühl,  daß  irgendwann  aus  diesem 
vielleicht  noch  nicht  immer  ganz  klaren  Stre- 
ben etwas  Gediegenes  herauskommen  könnte. 
Wie  ja  auch  in  der  Vergangenheit  die  schön- 
sten der  Holzplastiken  so  geworden  sind.    Und 
es  ist,  wenn  wir  an  die  Pflege  solchen  Hand- 
werks denken,  eine  erfreuliche  Tatsache,  einen 
Mann   wie   Wackerle   ebenfalls   als  Jugend- 
bildner zu  wissen.    Wandschnitzereien,  wie  er 
sie    im    Rauchsalon    des    Dampfers    „George 
Washington"  hat  oder  die  liegende  Figur,  die 
er   jetzt    für   ein  Treppenhaus  schnitzte,   sind 
als  angewandte  Plastik  höchst  schätzbare  Do- 
kumente   für  jene  dekorativen  Triebe,    denen 
wir  meist  sehr  viel  weniger  glücklich  nachjagen 
zu  müssen  glauben.    Taschner,  der  bekannt- 
lich  aus  einer   fränkischen 
Handwerkerfamilie  stammte 
und,  wie  auch  seine  Ofen- 
kacheln beweisen,  zu  seinen 
schönsten  Resultaten  immer 
gelangte,    wenn    er   diesem 
eingeborenen    Trieb    folgen 
konnte,  wenn  er  nicht  über 
sich  hinaus  zu  einer  seinem 
Wesen  fremden  Monumen- 
talität auszugreifen  gezwun- 
gen war,  war  gewiß  diesem 
Wackerle  im  Naturell  ver- 
wandt. Er  war  in  seinen  Ein- 
fällen —  man  erinnere  sich 
neben    dem    „Strauchdieb" 
auch  an  den  vergnüglichen 
„Wandersburschen",  der  in 
hartem  Holz  die  Schelmerei 
eines  schnurrigen  Volkslie- 
des verkörpert —  schweifen- 
der, spielerischer,  wohinge- 
gen bei  Wackerle  die  Tek- 
tonik zu  schätzen  wäre,  die 
alle   seine   Figuren    in   den 
Raum  eingeboren  erscheinen 
läßt.     Diese  Tendenz   zum 
Architektonisch  -  Monumen- 
talen, der  Wille  zur  großen 
Form,  dem  unsere  ganze  Pla- 
stik wieder  zustrebt  und  der 
am  stärksten  wohl  in  einem 

H       HEINZ  WEDDIG-FLENSBURG     El     FLUCHT  NACH  ÄGYPTEN  (BIRNBAUMHOLZ)  SynthCtiker     wie     BARLACH 

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320 


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FRITZ  HEIT-FLENSBURG 


zur  Wirklichkeit  geworden,  zeigt  sich  mächtig 
auch  in  den  Schnitzereien  eines  Albiker  und 
eines  Langer.  In  solchen  Künstlern  wächst 
sich  das  Handwerk  aus  zur  großen,  ausdrucks- 
vollen Form.  Es  ist  sehr  charakteristisch,  sie, 
während  die  meisten  ihrer  Kollegen  im  Irr- 
garten der  Theorien  herumtaumeln,  auf  diesem 
Handwerkswege  zu  so  sicheren  Resultaten  ge- 
langen zu  sehen.  Die  Relieffiguren  von  Al- 
biker müssen  als  frappante  Bestätigungen  für 
das  synthetische  Wollen  erscheinen,  das  diesen 
Geist  schon  immer  in  die  Nähe  von  Haller 
und  Lehmbruck  rückte.     Richard  Langers 


GANG  NACH  EMMAUS  (EICHENHOLZGRUPPE) 


Talent  scheint  recht  eigentlich  beim  Schnitzen 
zu  einer  entschiedenen  Konzentration  gelangt 
zu  sein.  Man  spürt,  wie  dieser  Bildhauer  auf 
einmal  einem  prägnanten  Ausdruck  zustrebt, 
wie  ein  edler  Rhythmus  alles  in  ihm  eint  und 
festigt.  So  voll  sehr  echter  Lyrik  der  „Hirten- 
junge" noch  ist,  so  dramatisch  geladen  sind 
die  Energien  in  der  „Klagenden",  so  sehr  Geist 
geworden  ist  hier  simpler  Stoff.  Was  an  einer 
solchen  Figur  zu  schätzen  ist,  hat  gewiß  nichts 
mehr  mit  den  Sentiments  zu  tun,  die  sich  um 
Material-  und  Technikreize  an  das  Holz  wie 
an  das  Porzellan  oder  an  das  Schmiedeeisen 


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D<konitiTe  Kunst.     XVII. 


April  1914 


321 


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ranken  und  die  —  so  sehr  sie  auch  in  der 
Wirkung  mitsprechen  ■ —  doch  untergeordnet 
sind  dem  Geist,  der  aus  ihnen  und  über  sie 
hinaus  bildet. 

Einem  mit  Materialästhetiken  überfütterten 
Geschlecht  wie  dem  unsrigen,  braucht  wohl 
nicht  mehr  gesagt  zu  werden,  daß  Holz  eben 
Holz  und  nicht  zu  gießende  Bronze  oder  zu 
behauender  Marmor  ist.  Daß  man  —  im 
Gegensatz  zu  jenen  Darbietungen  —  eine  Tech- 
nik nicht  vergewaltige,  sondern  mit  künstle- 
rischem Sinn  aus  ihr  Reize  entwickele,  schämt 
man  sich  beinahe  ebenfalls  niederzuschreiben. 
Aber  auch  wenn  wir  das  alles  wieder  erreicht 
hätten,  wenn  wir  sozusagen  wieder  zu  einem 
Stil  der  Holzplastik  gekommen  wären,  fehlte 
immer  noch  jenes  Höchste,  was  die  Bild- 
schnitzerei der  deutschen  Gotik  bewunderungs- 
würdig macht,  jener  tiefe  Empfindungsgehalt, 
von  dem  als  einem  dämonischen  Zauber  jene 
Frankfurter  Pieta  voll  und  übervoll  ist,  jene 
Beseeltheit,  die  aus  dem  ergriffenen  Menschen 
heraus  in  die  Figuren  gekommen  ist.  Die 
Frage  nach  solch  wesentlichen  Menschen  aber 
ist  heute  leicht  zu  beantworten.  Denn  unter 
uns  haben  wir  einen  solchen  Menschen,  einen 
Barlach,  einen  von  der  Gewalt  der  Gesichte 
Besessenen,  der,  der  höchsten  Leidenschaften 
voll,  sich  ekstatisch  befreit  am  Holz,  dessen 
Widerstand  ihm  die  bildnerischen  Kräfte  an- 
treibt,   dessen   grobe   Materie   er,  ein   großer 


PORTRÄTBÜSTEN  (EICHENHOLZ) 


Vergeistiger,  überwindet.  Alle  Glut  scheint 
bei  ihm  nach  innen  geschlagen  und  entlädt 
sich  in  machtvollen  Visionen,  so  rustikal,  so 
anschaulich,  so  gott-voll,  wie  die  Bilder,  die 
der  Visionär  der  Apokalypse  erschaut.  Es 
ist  Einfalt  und  Tiefe,  Schauer  und  Hingabe 
in  diesen  wahrhaften  Schöpfungen  eines  eige- 
nen Künstlergeistes,  es  ist  in  ihnen  Verwandt- 
schaft mit  den  großen  Gottsuchern,  mit  Sweden- 
borg, mit  Tolstoi,  dessen  Atmosphäre  man 
aufs  neue  um  sich  gebreitet  fühlt.  Man  hört 
vor  dem  „Einsamen",  vor  solch  ruhendem 
Wanderer  oder  den  singenden  Frauen  das 
Messer  des  Holzschnitzers  schnarren  und  etwas 
von  der  alttestamentarischen  Wucht  dröhnt 
aus  diesen  Gestaltungen.  Es  ist  Barlach,  der 
Visionär,  der  Mystiker,  der  (in  seinem  Drama: 
„Der  tote  Tag")  sich  selbst  entschleiert:  „Alle 
haben  ihr  bestes  Gut  von  einem  unsichtbaren 
Vater.  Sonderbar  ist  nur,  daß  der  Mensch 
nicht  lernen  will,  daß  sein  Vater  Gott  ist." 

Diese  Geschichte  einer  heiligen  Einfalt, 
dieses  Drama,  in  dem  eine  Mutter  um  den 
Fortbesitz  ihres  erwachenden  Kindes  mit  über- 
natürlichen Anstrengungen  ringt,  läßt  das  alles 
nicht  zurückdenken  an  das  Werk  jenes  Frank- 
furter Meisters,  der  eine  Mutter  in  übernatür- 
licher Liebe  alle  Natur  und  alle  natürliche 
Scheu  überwinden  läßt?  Schließt  sich  da  nicht 
ein  Kreis,  noch  ehe  wir  meinten,  überhaupt 
zurückschauen  zu  dürfen?       Paul  Westheim 


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ANTON  PUCHEGGER 


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FRITZ  HEIT-FLENSBURG 


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W.  HAGGENMACHER  B   BRIEFBESCHWERER,   IN    SPECKSTEIN    GESCHNITTEN 


EISENARBEITEN  VON  WALTER  HAGGENMACHER 


Das  Eisen  ist  ein  Stiefkind  des  heutigen 
Kunstgewerbes.  Vielleicht  verbinden  wir 
es  in  unserer  Vorstellung  zu  sehr  mit  Ma- 
schinen und  den  Werken  der  Industrie,  als 
daß  wir  ihm  intimere  Reize  zutrauen  können. 
Einige  schmiedeiserne  Grabkreuze  sind  wohl 
das  einzige  Erzeugnis,  dem  unsere  Zeit  ihren 
Stempel  aufgedrückt  hat.  Frühere  Zeiten  boten 
viel  mehr  Gelegenheit,  das  Eisen  künstlerisch 
zu  verwenden.  Die  Waffenschmiede  und  Platt- 
ner haben  in  geschnittenen  Degen-  und  Dolch- 
klingen, in  geätzten  und  gravierten  Rüstungen 
ein  weites  Feld  besessen,  dem  scheinbar  so 
unnahbaren  Material  des  Eisens  einen  zier- 
lichen Charakter  zu  geben.  Auch  die  Tech- 
nik des  Tauschierens  hat  viele  Werke  der 
Kleinkunst  hervorgebracht.  Das  moderne 
Kunstgewerbe  aber  ist  bisher  an  ihr  vorüber- 
gegangen, und  fast  nur  im  Orient  findet  sie 
noch  eine  liebevolle  Pflege. 

Auf  einer  kleinen  aber  qualitativ  ausge- 
zeichneten Ausstellung  sah  man  im  vergange- 
nen Jahr  in  München  zum  ersten  Male  mehrere 
Eisenarbeiten  von  Walter  Haggenmacher. 
Der  Künstler  stammt  aus  der  Schweiz  und  war 
Schüler  von  W.  v.  Debschitz  in  München.  Erst 
seit  verhältnismäßig  kurzer  Zeit  hat  er  sich  dem 
Eisen  zugewandt.  Früher  hat  er  namentlich  viel 
geschnitzt.  Ein  Zeuge  dieser  Tätigkeit  ist  die 
kleine  Specksteinschnitzerei,  die  ein  echt  ger- 
manisches Formentalent  zeigt,  mit  ihrem  an 
Wurzelwerk  erinnernden  Gerank,  das  es  dem 
Auge  schwer  macht,  seinen  Windungen  zu  folgen. 


Die  Form,  die  er  seinen  Eisenarbeiten  gibt, 
ist  von  einer  einfachen  Selbstverständlichkeit. 
Auch  die  Rohform  der  Schalen  und  Kästen 
arbeitet  er  selbst  mit  Hammer  und  Ambos 
aus  dem  Eisen  heraus.  Alle  Gegenstände 
sind  von  Anfang  bis  zur  Vollendung  sein 
eigenes  Werk.  Er  ist  hierin  ein  Kunsthand- 
werker im  guten  alten  Sinne.  Was  den  Haupt- 
reiz der  Arbeiten  ausmacht,  ist  die  Sicher- 
heit, iflit  der  ihr  Schmuck  aus  der  Form 
herauswächst,  so  daß  beide  zu  einer  festen 
Einheit  verbunden  sind  und  jener  nicht  als 
etwas  Akzessorisches  zu  dieser  hinzukommt. 
So  scheinen  die  Schmuckformen  auf  dem 
Eisenkästchen  von  dem  Material  als  form- 
bildendes Element  selbst  geschaffen  zu  sein, 
so  sicher  kommt  das  Ornament  aus  dem  Kör- 
per heraus.  Es  fehlt  hier  vollkommen  der 
peinliche  Eindruck,  daß  die  fertige  Grund- 
form mit  einer  Schmuckform  verziert  werde; 
man  hat  vielmehr  die  Ueberzeugung,  daß  beide 
aus  dem  gleichen  Willensakte  des  Künstlers 
hervorgegangen  sind.  Besonders  schön  wirkt 
die  Oberfläche  des  Eisens,  die  Haggenmacher 
nach  einem  bestimmten  Verfahren,  durch  einen 
Glühprozeß,  springen  läßt,  was  ihr  den  Reiz 
der  Zufälligkeit  verleiht,  der  dem  Craquele 
der  Keramik  nahe  kommt. 

Auf  das  Technische  ist  überhaupt  großer 
Wert  gelegt,  und  die  Schönheiten,  die  in  jeder 
Technik  liegen,  sind  mit  besonderer  Liebe 
und  besonderem  Verständnis  hervorgeholt.  So 
ist  es  nicht  zu  verwundern,  wenn  Haggenmacher 


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325 


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WALTER  HAGGENMACHER.PASING 


EISERNES  KASTCHEN 


die  alte  Technik  des  Damaszierens  für  sich 
neu  erobert  hat.  Die  Klingen  der  beiden 
ersten  Messer  auf  Seite  327  sind  in  Damas- 
zener Art  geschmiedet  und  zeigen  die  ent- 
zückenden Zufälligkeiten  der  Oberflächenge- 
staltung dieser  alten  Technik.  Auch  hier  zeigt 
sich  wieder  bei  den  Griffen  das  etwas  phan- 
tastische Wogen  und  Spielen  des  Ornaments, 
das  aus  der  Masse  selbst  geboren  ist.  Es  ist 
dies  dieselbe  Gestaltungskraft,  die  aus  der 
oben  erwähnten  Specksteinschnitzerei  spricht. 


Bei  all  diesen  Arbeiten  spielt  die  Zweck- 
form keine  große  Rolle;  sie  sind  Luxusgerät. 
Der  Künstler  wollte  mit  ihnen  nicht  einem 
Gebrauchsgegenstand  die  endgültige  Form 
geben,  sondern  die  Stücke  sind  um  ihrer  selbst 
willen  gearbeitet  und  wollen  auch  um  ihrer 
selbst  willen  geschätzt  werden.  Solche  Dinge 
sind  keine  Massenartikel;  sie  rechnen  viel- 
mehr auf  das  Interesse  des  kultivierten  Men- 
schen, der  mit  Verständnis  ihre  besondere 
Schönheit  erfaßt.  w.  Foitzick 


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WALTER  HAGGENMACHER-PASING  EISERNES  KÄSTCHEN 


326 


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WALTER  HAGGENMACHER-PASING 


PAPIERMESSER  MIT  DAMASZIERTEN  STAHLKLINGEN 


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WALTER  HAGGENMACHER-PASING 


IN  EISEN  GETRIEBENE  SCHALEN 


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GERTRUD  VON  SCHNELLENBÜHEL-MÜNCHEN  Q  SILBERGERAT;  TABLETT  AUS  MACASSAKHOLZ  MIT  SILBERGRIFFEN 

ZU  DEN  ARBEITEN  AUS  DER  AUSSTELLUNG  „RAUMKUNST" 


In  der  kleinen  Ausstellung  „Raumkunst",  die 
im  vergangenen  Herbst  im  Hause  der  Ge- 
sellschaft „Museum"  stattfand,  sprachen  be- 
sonders eindringlich  und  einprägsam  die  Kollek- 
tionen von  Schmithals  und  Wersin.  Zu  den 
feinen,  stillen  Arbeiten  der  anderen  Mitglieder 
dieser  Gruppe  konnte  man,  da  sie  weniger 
sinnfällig  in  die  Erscheinung  traten,  erst  all- 
mählich ein  näheres  Verhältnis  gewinnen: 
namentlich  dann,  wenn  man  Einzelstücke  aus 
dem  Ensemble  der  Ausstellung  loslöste,  und 
das  „Ding  an  sich"  wirken  ließ  .  .  .  Dieses 
Verfahren  ist  zugleich 
ein  zuverlässiger  Wert- 
messer, denn  Ausstel- 
lungen haben  leicht  et- 
was Verwirrendes  in 
ihrer  Fülle.  Oft  genug 
ist  die  Dekoration,  die 
„Aufmachung",  das 
Beste  an  einer  Ausstel- 
lung, und  die  Qualität 
sinkt  im  Maße  der  Spe- 
zialisierung. Es  spricht 
für  den  Gehalt  der 
kleinen  „Raumkunst"- 
Ausstellung,  daß  siege- 
wann, je  mehr  man  sie 
spezialisierte,  daß  sich 
der  vornehm-kühle  Ge- 
samteindruck, den  sie 
erweckte,  auflöste  in 
eine  Fülle  von  Einzel- 
eindrücken,    die    bei 


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G.v.SCHNELLENBUHELqSILB. SCHALE  M.PATINIERTEM 
UND  TAUSCHIERTEM  MITTELFELD;  SEGELSPORTPREIS 


außergewöhnlicher  Zartheit  und  Sensibilität  doch 
von  Starker  Originalität  waren,  und  daß  jedes 
einzelne  Stück  Persönlichkeitswert  offenbarte. 
Gertrud  von  Schnellenbühel,  eine  Schü- 
lerin von  Obrist  und  Debschitz,  hat  eine  Reihe 
formschöner,  aparter  Gegenstände  in  Metall 
und  Holz  gezeigt,  Arbeiten,  die  feinen  Sinn 
für  Materialwirkung  und  Materialmöglichkeiten 
bekunden  und  vorbildlich  dafür  sind,  wie  Kon- 
struktion und  Schmuckmotive  organisch  ver- 
bunden werden  können.  Ein  besonders  schö- 
nes Stück  ist  ein  Handspiegel,  dessen  Deckel 

silbergetrieben  ist,  und 
dessen  vornehme  Wir- 
kung durch  matte  Tür- 
kise noch  wesentlich 
gehoben  wird.  Ein  gro- 
ßer Kerzenleuchter  in 
versilberter  Bronze  er- 
scheint auf  den  ersten 
Blick  in  dem  Gerank 
seiner  eigenartig  ge- 
führten Linien  willkür- 
lich, oder  man  mag  et- 
wa glauben,  daß  er  ein 
der  Natur  entrissenes 
Motiv  aufnehme.  Es 
zeigt  sich  aber  bei  ern- 
stem Betrachten,  daß 
diese  Formen  voll  Maß 
und  Rhythmus  und  von 
derSchöpferinausdem 
inneren  Schatz  der  ihr 
dienstlichen     Formen 


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Dekor«Hve  Kunst.    XVII. 


Apiit  1914 


329 


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G.  v.SCHNELLENBOHEL  bSILB.  schalen  ;  DOSE  A.VEILCHENHOLZM.  EINLAGEN  ;  HOLZKAPSELN  F.PARFOMFLASCHEN 


herausgeholt  sind.  Gertrud  von  Schnellenbühel 
ist  auch  eine  Meisterin  des  Schmucks:  filigran- 
zarte  Kettchen  aus  Platin,  in  die  Perlen  und 
Aquamarine  verstrickt  sind,  vereinigt  sie  zu 
einem  duftigen  Collier  von  apartem  Reiz.  Elfen- 
beinschnitzereien von  Irmgard  von  Haxthau- 
SEN  nehmen  Motive  wieder  auf,  die  einst  in 
den   Zeiten  der  Münchner  Neu  -  Renaissance 


beliebt  waren,  und  die  der  Darmstädter  Chri- 
stiansen auch  für  die  „Moderne*  zu  erobern 
suchte:  figürliche  Darstellungen  in  Reliefform 
dekorativ  anzuwenden.  Das  hat  sein  Bedenk- 
liches —  und  ganz  hat  auch  I.  v.  Haxthausen 
diese  Fährlichkeiten  nicht  zu  überwinden  ver- 
mocht, doch  ist  die  von  ihr  gebotene  Lösung  des 
Problemseine  durchauserfreuliche  Leistung.  Die 


G.V.SCHNELLENBOHELqSILBERGERAT;  LEUCHTER  GRAUES  AHORNHOLZ  M.  MESSING  ;TINTENFASZ  AUS  EBENHOLZ 


330 


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G.v. 


SCHNELLENBOHEL  G  GROSZER  KERZENLEUCHTER  AUS  VERSILBERTER  BRONZE 
Ausführung;  Stelnicken  &  Lohr,  München 


Stickereien  von  Ch.  SchlXpfer  empfehlen 
sich  besonders  durch  ihre  vornehme  farbige 
Wirkung.  Dabei  läßt  sich  ein  starker  Ein- 
druck, den  wir  ihrer  eigentümlich  selbstischen 
Linienwelt  danken,  nicht  leugnen.  Batiken 
mit  leicht  stilisierten  figürlichen  Darstellungen 
stammen  von  W.  Teutsch  und  A.  Kurreck- 
Hagn.  Meisterin  in  der  Kurbelstickerei  mit 
kräftigen  koloristischen  Akzenten,  wie  sie 
dieser  Technik  angemessen  sind,  ist  E.  Dodt. 
Wunderwerke  der  Nadel  haben  nach  dem 
minutiösen,  alle  Möglichkeiten  des  diffizilen 
Materials  erschöpfenden  Entwürfen  von  Lena 
VON  Wachsmann,  die  fest  in  der  Tradition 
der  Spitzenkunst  steht,  aber  zugleich  über  ein 
hohes  Maß  von  Erfindungskraft  verfügt,  die 
Schlesischen  Spitzenschulen  ausgeführt. 


Was  uns  die  Gruppe  „Raumkunst"  zeigte 
und  wovon,  abgesehen  von  den  Arbeiten 
Schmithals'  und  Wersins,  die  besonders  ge- 
würdigt wurden,  auch  diese  Abbildungen  nur 
einen  kleinen  Bruchteil  zu  geben  vermögen, 
das  ist  sozusagen  inoffizielles  Münchner  Kunst- 
gewerbe. Schätzt  man  unsere  Münchner  „  Werte" 
der  angewandten  Kunst  ein,  so  pflegt  man  die 
hier  zusammengeschlossenen  Künstler  gewöhn- 
lich zu  übersehen.  Das  ist  nicht  recht,  denn 
in  den  Arbeiten  dieser  Künstlergruppe  stecken 
hohe  Entwicklungsmöglichkeiten.  Wie  man 
hört,  wird  die  Gruppe  geschlossen  auf  der 
Deutschen  Werkbund-Ausstellung  in  Köln  vor 
eine  größere  Oeffentlichkeit  treten:  hoffentlich 
vermag  sie  es,  sich  bei  dieser  illustren  Ge- 
legenheit endgültig  durchzusetzen.        G.  J.  w. 


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VOM  MÜNCHNER  KUNSTGEWERBE 


Als  vor  mehr  als  einem  Jahrzehnt  das  Schlag- 
wort „Münchens  Niedergang  als  Kunst- 
stadt" geprägt  wurde,  da  kam  es  von  außen, 
da  waren  es  Rivalen,  die  gegen  München 
Sturm  liefen,  während  „das  ganze  München" 
sich  zusammenschloß,  mit  glänzender  Parade 
dem  Hieb  zu  begegnen.  Diesmal  aber,  wo  von 
einer  „Krisis  im  Münchner  Kunstgewerbe" 
viel  geschrieben  und  gesprochen  wird,  handelt 


es  sich  um  einen  internen  Widerspruch  der 
Anschauungen  und  Interessen.  Die  Unken- 
rufe sind  nicht  von  auswärtigen  Widersachern 
ausgegangen,  sondern  aus  der  Mitte  der  kul- 
turell interessierten  Münchner  gekommen,  und 
die  Tagespresse  hat  sie  fast  zu  bereitwillig  der 
Allgemeinheit  vermittelt.  Die  Angriffe,  die  mit 
dieser  Aussprache  verknüpft  waren,  nahmen 
dann    auffallender    Weise    alle    die    gleiche 


i       IRMGARD  V.  HAXTHAUSEN-MUNCHENqSCHACHBRETTM.  GESCHNITZTEN  FIGUREN  AUS  EBENHOLZ  U.  PERNAMBUK 


332 


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Richtung:  sie  blieben  an  einigen  füh- 
renden Persönlichkeiten  der  kunst- 
gewerblichen Bewegung  in  Mün- 
chen hängen,  trafen  eine  bestimmte 
Künstlergruppe:  den  „Münchner 
Bund",  und  auch  auf  den  Lehrbe- 
trieb der  Kunstgewerbeschule  wurde 
noch  einiges  Gift  geträufelt.  Ein 
besonderer  Anlaß,  der  die  Angriffe 
gerade  in  diesem  Augenblick  hätte 
berechtigt  oder  auch  nur  verständ- 
lich erscheinen  lassen,  lag  nicht 
vor;  denn  wer  möchte  annehmen, 
daß  die  im  Finanz-Ausschuß  des 
bayerischen  Landtags  geforderten 
5000  Mark  für  Unterstützung  der 
Arbeit  des  „Münchner  Bundes"  die 
erregte  Debatte  hervorzurufen  im- 
stande waren,  oder  daß  eine  kleine 
Ausstellung  von  Messingarbeiten  im 
Lichthof  der  Kunstgewerbeschule, 
eine  Veranstaltung,  die  im  Verlauf 
der  „Affäre"  immer  wieder  als 
programmatische  Entgleisung  be- 
zeichnet wurde,  soviel  Aufregung 
verursachen  konnte?  Hätte  man  mit 
einigem  Recht  seiner  Bedenklich- 
keit über  den  Stand  des  Münchner 
Kunstgewerbes  Ausdruck  geben 
wollen,  so  wäre  der  Sommer  1912, 
da  viele  Begeisterte  ein  wenig  ent- 
mutigt vor  dem  Ergebnis  der  „Baye- 
rischen Gewerbeschau"  standen, 
dazu  viel  geeigneter  gewesen.  Denn 
das  ist  gewiß :  alle  Erwartungen 
hatte  die  „Gewerbeschau"  nicht  er- 
füllt, sie  ließ  Manchen  bedenklich 
werden,  obschon  man  sich  sagen 
mußte,  daß  es  sich  hier  ja  eigent- 
lich um  keine  kunstgewerbliche  Aus- 
stellung handelte  und  viele  Mitar- 
beiter und  Aussteller  für  den  Ge- 
danken der  Qualitätsarbeit  über- 
haupt erst  aus  Anlaß  dieser  Aus- 
stellunggewonnen werden  mußten, 
man  von  ihnen  also  noch  keine 
Offenbarungen  erwarten  konnte. 

Indessen  damals  geschahen  sol- 
che Angriffe  nicht  oder  doch  nur  in 
der  konziliantesten  Form,  nebenbei, 
in  vieles  Lob  eingehüllt.  Jetzt  ist 
man  desto  deutlicher  geworden,  hat 
natürlich  auch  auf  die  „Gewerbe- 
schau" zurückgegriffen,  und  na- 
mentlich an  den  Erzeugnissen  der 
Kunstindustrie,  die  auf  dieser  Aus- 
stellung hauptsächlich  vertreten  war, 
hat    man    Kritik    geübt.     Man  hat 


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I.  VON  HAXTHAUSEN 
D      PAPIERMESSER      B 


dem  „Münchner  Bund"  vorgewor- 
fen, er  bevorzuge  die  Kunstindustrie 
auf  Kosten  des  darniederliegenden 
Kunsihandwerks,  in  dem  so  schöne 
und  starke  Kräfte  schlummerten. 
Da  man  nun  einmal  die  wirtschaft- 
liche Frage  aufrollte,  hätte  man  auch 
den  Nachweis  führen  sollen,  daß 
es  in  München  heute  noch  hun- 
derte „reiner  Kunsthandwerker" 
gibt,  die  ausgezeichnete  Arbeiten 
zu  schaffen  vermögen.  Ein  Besuch 
der  Verkaufshalle  des  Münchner 
Kunstgewerbevereins  beweist  leider 
das  Gegenteil.  Wo  der  Handwerker 
allein  an  seine  Arbeit  ging,  ist  we- 
nig Erfreuliches  zustande  gekom- 
men, und  bei  den  wirklich  guten 
Arbeiten  kann  man  sich  leicht  über- 
zeugen, daß  er  vom  Künstler  be- 
raten war,  mit  ihm  zusammen  ge- 
arbeitet hat.  Schließlich  hat  man 
die  Sache  ins  Sozialpolitische  hin- 
übergespielt und  aus  der  angebli- 
chen wirtschaftlichen  Schädigung 
des  Kunsthandwerks  eine  „Mittel- 
standsfrage" gemacht. 

Gewiß  wäre  es  ein  idealer  Zu- 
stand, wenn  heute  noch  jeder  Hand- 
werker ein  Künstler  wäre,  wie  in 
den  Zeiten  der  Renaissance,  wo  der 
Geist  der  Universalität  herrschte, 
und  wo  —  was  wieder  eine  Sache 
für  sich  ist,  aber  auch  eine  recht 
bedeutungsvolle  —  gleichfalls  jeder 
Künstler  ein  froher  und  frommer 
„Meister"  im  handwerklichen  Sinn 
war.  Indessen  geben  wir  uns  kei- 
nem Zweifel  hin:  diese  Zeiten  und 
ihre  Erscheinungen  sind  jetzt  vor- 
bei, und  wenn  man  dieser  Behaup- 
tung Beispiele  entgegenstellen  will 
mit  Namen  wie  Taschner,  Hupp 
oder  denen  einiger  jüngerer  Münch- 
ner Goldschmiede,  so  sind  das  nur 
einzelne  isolierte  Erscheinungen  . . . 
Daß  diese  Zeiten  vorübergehen 
mußten,  gegenwärtig  wenigstens 
nicht  mehr  gelten,  entsprang  einer 
wirtschaftlichen  Notwendigkeit.  Wir 
haben  das  Gesetz  der  Arbeitstei- 
lung erkannt  und  spezialisieren 
immer  mehr.  Das  führt  vielleicht 
in  seiner  äußersten  Konsequenz  zum 
geistlosen  Schema  der  zusammen- 
hanglosen Detailarbeit,  aber  es  ver- 
bürgt zugleich  quantitativ,  d.h.  wirt- 
schaftlich,   eine    „Höchstleistung". 


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Nun  ist  es  ja  bei  den 
Werken  der  angewandten 
Kunst  noch  nicht  so  weit, 
daß  das  Detail  alles  re- 
giert, aber  man  steckt 
doch  mitten  in  verwandten 
Zuständen.  Auf  alle  Fälle 
werden  die  künstlerische 
und  die  technische  Arbeit 
am  gleichen  Objekt  noch 
auf  Jahre  und  Jahrzehnte 
hinaus  getrennte  Gebiete 
bleiben:  wenigstens  bei 
dem  Stück,  das  in  jeder 
Hinsicht  als  Qualitätsar- 
beit gelten  will.  Ist  das 
denn  aber  so  schlimm? 
Darf  sich  der,  der  mit  er- 
lesener technischer  Tüch- 
tigkeit das  verwirklicht, 
was  in  des  Künstlers 
Geist  sich  zur  Form  fügte, 
was  aber  nie  in  die  Er- 
scheinung treten  könnte, 
wenn  der  tüchtige  Hand- 
werker nicht  wäre,  als 
ein  subalterner  Handlan- 
ger fühlen?  Doch  gewiß 
nicht,  und  gerade  ich,  der 


G.v.  SCHNELLENBOHEL  0  SILB.  HANDSPIEGEL 


gerne  möchte,  daß  der 
„Kunstgewerbler"  älterer 
Observanz  sich  als  Hand- 
werksmeister schlechthin 
bekennt,  halte  es  mit 
dem  Wagnerischen :  „  Ehrt 
Eure  deutschen  Meister", 
und  meine  damit  wie 
Wagners  Hans  Sachs  die 
ehrenfesten,  sich  nicht 
überhebenden,  recht- 
schaffen-tüchtigen Hand- 
werker. 

Hätte  sich  die  Debatte 
etwa  in  dieser  Richtung 
bewegt  und  diese  Rich- 
tung eingehalten,  so  hätte 
in  der  Tagespresse  man- 
cher gesunde  Vorschlag, 
manche  Klarstellung  er- 
folgen und  anregend  und 
fördernd  wirken  können. 
Gewiß,  im  Münchner 
Kunstgewerbe  ist  man- 
che wunde  Stelle.  Wer 
schlechthin  behauptet, 
daß  bei  uns  alles  gut  sei, 
macht  sich  einer  Unter- 
lassungssünde   schuldig. 


i  E.  VON  BAUMBACH-MONCHEN    g     silbernes    KÖRBCHEN    IN   FILIGRANARBEIT  k 


334 


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CH.  SCHLAEPFER-MONCHENq  KANNENWARMER  IN  GRAU  U.WEISZER  WOLLSTICKEREI 


oder  er  weiß  nicht  zu  sehen,  zu  werten.  Da 
ist  z.  B.  der  dekorative  Zug,  der  durch  die 
ganze  künstlerische  Produktion  Münchens  geht 
und  einen  zuweilen  recht  bedenklich  machen 


könnte.  Es  ist  zwar  nicht  so  schlimm,  wie 
die  Gegner  Münchens  behaupten,  daß  näm- 
lich bei  uns  alles  „auf  das  Oktoberfest  ein- 
gestellt" sei,    aber  es  klingt  mir  doch  immer 


GERTRUD  VON  SCHNELLENBÜHEL-MÜNCHEN  KUPFERNE  SCHALE  MIT  GESCHNITZTEN  HOLZGRIFFEN 


336 


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UekOf»ti»e  Kunst.    XVII.    7.    April  1914 


337 


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LENA  VON  WACHSMANN-MÜNCHEN  SPITZENSHAWL  IN  NADELARBEIT 

Ausgeführt  in  den  Spitzenschulen  der  Fürstin  von  PIeß,  Hirschberg  (Schlesien) 

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338 


noch  beängstigend  gegenwärtig  im  Ohr,  was 
einmal  ein  bekannter  Buchgraphiker  sagte : 
^Wenn  ich  in  München  geblieben  wäre,  dann 
wäre  meine  ganze  Kunst  ein  einziger  riesiger 
Schnörkel  geworden."  In  solchen  Uebertrei- 
bungen  steckt  doch  auch  ein  Körnchen  Wahr- 
heit. Man  muß  zwar  die  glänzende  dekorative 
Begabung  Münchens  anerkennen,  aber  es  ist 
sicher,  daß  sie  sich  in  den  Kreisen  der  ernst- 
hafiesten  Kulturbeurteiler  unserer  Zeit  keiner 
besonderen  Wertschätzung  erfreut,  weil  man 
in    ihr   den  Ausdruck  der    Strenge    und   des 

i§     Ernstes  unseres  Jahrhunderts  völlig    vermißt. 

ö     Von  dieser  heiteren  Dekorationskunst,  einem 

j     Ausläufer    der    Gedon-Zeit,    der    Münchner 

I     Neu-Renaissance  und  der    üppigen    Künstler- 

5<     feste,  ist  aber  ein  großer  Teil  unseres  Kunst- 

g    gewerbes,  besonders  drastisch  die  ältere  Gold- 

^  schmiedekunst  und  auch  die  Möbeltischlerei 
der  kleineren  Meister,  noch  so  völlig  durch- 
drungen und  so  unrettbar  überzeugt,  daß  sich 
eine  Belehrung  und  Warnung  auf  diesem  Ge- 
biete als  dringend  notwendig  erweist.  Der 
Bayerische  Kunstgewerbeverein,  der  ja  selbst 
von  der  Münchner  Neu-Renaissance  herkommt, 
hat  zwar  durch  manches  schöne  Vorbild,  bei 
dessen  Konzeption  ihm  Künstler  zur  Seite 
standen,  gezeigt,  daß  es  auch  noch  andere 
Wege  gibt,  aber  eigentlich  hat  doch  erst  der 
„Münchner  Bund"  den  Kampf  gegen  den 
Münchner  Schnörkel  aufgenommen,  hauptsäch- 
lich dadurch,  daß  er  mit  schlichten,  ganz  auf 
Materialwirkung  eingestellten  Entwürfen  vor 
allem  der  Massenproduktion,  der  Kunstindu- 
strie, wo  die  schlimmsten  Zustände  herrsch- 
ten,  zu  helfen  suchte. 

y  Daraus  hat  man  nun  leider  dieser  Gruppe 
den  Vorwurf  gemacht,  sie  sei  die  Vertreterin 
einer  bestimmten  Stilrichtung,  sie  sei  intole- 
rant gegen  alles,  was  nicht  „Uiilitätsstil"  heißt. 
Dagegen  ist  aber  zu  sagen,  daß  sowohl  die 
Arbeiten,  die  durch  die  Vermittlungsstelle  des 
„Bundes"  gingen,   als  auch  viele  der  Gegen- 

^    stände,  die  sich  in  der  Muster-  und  Vorbilder- 

9    Sammlung  des  „Münchner  Bundes'  befinden, 

ö    weit  entfernt  sind  von  kaltem  Zweckstil,  und 

9    daß  sich  in  den  Reihen  seiner  Mitglieder  viele 

9    hervorragende  Führer  eines  reichen,  mit  Orna- 

■i    menten  und  Dekor  arbeitenden  Stils  befinden. 

a    Freilich  haben  diese  Künstler  erkannt,  daß  die 

g    Dekoration   nicht  Selbstzweck    sein  darf,  daß 

Gj    sie    die  Konstruktion   nicht  überwuchern  und 

3    nicht   verschleiern    darf,    und    daß    sie    nicht 

9    immer  und  überall  am  Platze  ist,  namentlich 

e)    nicht   bei  den  Erzeugnissen    der  sogenannten 

J    „Kunstindustrie",    die  ja  gerade  ein  gern  ge- 

S    pflegtes,  weil  quantitativ  besonders  bedeutungs- 

H    volles  Arbeitsgebiet  des  „Bundes"  ist. 

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SPITZENKRAGEN,   NACH    EINEM    ENTWURF    DER   GRAFIN    WALDBURG    IN    NADELARBEIT   AUSGEFÜHRT    IN    DEN 
SPITZENSCHULEN  DER  FÜRSTIN  VON  PLESZ,  HIRSCHBERG  (SCHLESIEN) 


Im  übrigen  verwirft  der  „Münchner  Bund" 
geradezu  die  äußerliche  Betrachtungsweise, 
die  vor  jeder  künstlerischen  Leistung  zuerst 
fragt,  welchem  Stil  sie  angehöre.  Er  vertritt 
demgegenüber  die  Auffassung,  daß  es  nur 
darauf  ankommt,  ob  eine  Arbeit  in  technischer 
und  künstlerischer  Hinsicht  gut  ist,  ob  sie 
gebrauchsfähig  ist ,  ob  Material ,  Form  und 
Schmuck  verständnisvoll  und  selbständig,  aber 


und  für  die  gesamte  kunstgewerbliche  Industrie  C 

der  Leitstern  sein.    Damit,  daß  man  vielleicht  s 

einmal  in  fernen,  fernen  Zeiten  dazu  kommen  K 

kann,    das    Wort   „Kunstgewerbe"    ganz    aus-  g 

zuschalten     und    an    seine    Stelle    das    Wort  g 

„Qualitätsgewerbe"    zu    setzen,    eröffnet   sich  g 

eine  Perspektive    von   ungeahnter  Weite.     Es  Q 

wird  dann  möglich  sein,  alle  gewerbliche  Pro-  6 


j,, duktion  als  künstlerisch  anzusprechen,  und  es  k 

ohne   Originalitätssucht   behandelt   sind.     Der  ist    wenigstens    in    der  Theorie    möglich,    daß  y 

Grundsatz   ist  also  nicht  der  einer  Stilforde-  die  Zeiten  der  Antike  mit  ihrer  Vollkommen-  % 

rung,  sondern  der  ausgesprochener  Qualitäts-  heit   und  Schönheit   in   der    Ausdruckskultur,  ^ 

forderung.    Und  das  ist  der  springende  Punkt,  mit  ihrer  Qualität   und  Selbstverständlichkeit  ß 

so  banal,  möchte  man  sagen,  und  doch  so  in-  in  jedem  kleinsten  Stück  wiederkehren.  g 

haltsschwer:  die  Qualität  mit  all  ihren  Tugen-  Vorläufig  haben  wir  freilich  noch  keine  Zeit  g 

den  und  ihren  selbstverständlichen  Begleiter-  zu    solchen    arkadischen    Träumereien.      Die  te 

scheinungen  muß  für  das  Münchner  Handwerk  Zeiten   sind   ernst   und   voll  Kampf   und  voll  C 


340 


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LENA  VON  WACHSMANN-MONCHEN  TASCHENTUCH  IN  NADELARBEIT 

Ausgefühn  in  den  Spitzenschulen  der  Fürstin  von  Pleß,  Hirschberg  (Schlesien) 


Bedenklichkeiten.  Es  sind  München,  obwohl 
es  heute  noch  die  Führerschaft  in  der  deut- 
schen kunstgewerblichen  Arbeit  besitzt,  Kon- 
kurrenten von  ernsthaftester  Rivalität  erwach- 
sen. Berlin  ist  München  in  seiner  Kapitals- 
kraft unendlich  überlegen,  Köln  wird  Gewinn 
und  Anregung  haben  aus  der  „Deutschen 
Werkbund- Ausstellung  1914",  die  sich  Mün- 
chen, die  Stadt,  die  in  ihren  Mauern  die  Grün- 
dung des  Werkbunds  sah,  leider  entgehen  ließ, 
und  kleinere  Kunstmetropolen  am  Rhein  und 
im  deutschen  Süden  arbeiten  mit  Ernst  und 
Zielbewußtheit  auf  dem  Gebiete  der  Gewerbe- 
förderung und  Kunsterziehung.  Diese  Städte 
berufen  immer  wieder  tüchtige  Münchner  als 
Lehrer  und  Professoren,  und  selbst  an  kleinen 
mitteldeutschen  Fürstenhöfen  gibt  es  für  diese 


Ex -Münchner  Aufträge,  die  München  selbst 
ihnen  bei  der  Ueberfülle  seiner  künstlerischen 
Persönlichkeiten  nie  zu  bieten  vermöchte.  Diese 
Kräfte  uns  zu  erhalten  und  zu  sammeln,  gilt 
es,  damit  auch  die  Früchte  Münchner  An- 
regungen und  Münchner  Arbeit  München  er- 
halten bleiben.  Den  Ausstellungsplänen  an- 
derer großer  Städte  muß  man  begegnen  und 
die  Münchner  Ausstellungs-Müdigkeit  mit  der 
Größe  der  Projekte,  mit  der  Ueberzeugungs- 
kraft  der  Ideen  besiegen,  wie  es  der  Gedanke 
einer  alljährlichen,  als  Gegenstück  zur  Leip- 
ziger Messe  gedachten  Münchner  Messe  der 
deutschen  Qualitätsproduktion  ist.  Dieses  Pro- 
jekt ist  neuerdings  wieder  aufgenommen  und 
mit  dem  Münchner  Sorgenkind,  dem  Ausstel- 
lungspark   in    Verbindung    gebracht    worden. 


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CH.  SCHLAEPFER-MÜN'CHEN 


BUNTE  WOLLSTICKEREI  AUF  EINEM  W'ANDBEHANG 


G.  DODT-DARMSTADT  DECKE  IN  KURBELSTICKEREI 

342 


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343 


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Das  wäre  zu  überlegen,  doch  dürfte  sich  dar- 
aus keine  Abhängigkeit  der  Münchner  Quali- 
tätsmesse von  den  jeweiligen  Ausstellungsplä- 
nen ergeben.  Man  sieht:  ernste  Aussprachen 
sind  nötig,  mit  der  Verzettelung  der  Kräfte 
in  der  Tagespresse,  die  sich  damit  Verdienste 


zu  erwerben  glaubt,  ist  nichts  getan.  Alle 
schöpferischen  und  kritischen,  künstlerischen 
und  wirtschaftlichen,  gewerblichen  und  indu- 
striellen Kräfte  müssen  zusammenwirken,  da- 
mit man  uns  nicht  von  unserem  Platz  ver- 
drängt. Georg  Jacob  Wolf 


AUSSTELLUNG  „GUT  UND  BÖSE"  IN  OFFENBACH  A.  M. 


Mit  der  Gegenüberstellung  von  Beispiel  und  Ge- 
genbeispiel in  Abbildungen  hat  schon  vor  län- 
gerer Zeit  Paul  Schultze-Naumburg  begonnen.  Prof. 
Gustav  Pazaurek  hat  dann  die  „Geschmacksver- 
irrungen" systematisch  in  einer  Abteilung  seines 
Museums  in  Stuttgart  zusammengestellt.  Zu  didak- 
tischen Zwecken  aber  eine  Gegenüberstellung  guter 
und  schlechter  Gebrauchsgegenstände  in  einer 
Ausstellung  durchzuführen,  ist  unseres  Wissens  zu- 
erst in  der  Mannheimer  Kunsthalle  vor  einigen  Mona- 
ten unternommen  worden,  und  ihr  folgend  dann  in  er- 
weitertem Umfange  in  der  Offenbacher  Aus- 
stellung „Gut  und  Böse".  Der  Zweck  ist  ein 
lehrhafter,  und  darum  war  auch  größte  Deutlichkeit 
am  Platze.  So  sind  denn  in  langen  Reihen  die 
guten  und  die  bösen  Geister  unserer  Geräte  ein- 
ander gegenübergestellt,  nach  Gebrauchskategorien 
geordnet  und  so,  daß  jeweils  genau  über  dem  min- 
derwertigen das  geschmackvolle  Beispiel  dessel- 
ben Gegenstandes  zu  sehen  ist.  Beischriften  zu 
jedem  einzelnen  Stück  sorgen  für  rasche  und  un- 
bedingte Aufklärung,  und  den  Schlüssel  zur  Grund- 
idee des  Ganzen  gibt  eine  kleine  Einführung,  in 
der  es  etwa  heißt,  daß  Surrogat  und  Nachahmung 
alter  Stile  und  anderer  Materialien,  zweckwidrige 


Dekorierung  und  Verkitschung  in  dumme  Scherze 
die  Hauptsünden  der  minderwertigen  Gerätschaf- 
ten, Luxusgegenstände  und  Möbel  seien,  und  daß 
die  Grundlage  schöner  Gebrauchsgegenstände  vor 
allem  in  diesen  dreien  liege:  zuverlässige  Zweck- 
dienlichkeit, Qualität  der  Arbeit  und  Schönheit  des 
Materials.  Erst  auf  diesem  Unterbau  von  Solidi- 
tät haben  dann  unsere  Künstler  die  schöne  Form 
und  das  edle  Ornament  schaffen  können.  Beides 
ist  in  gleicher  Weise  betont,  die  materialgerechte 
Schlichtheit  und  die  Künstlerform.  Und  zu  rüh- 
men ist,  daß  erst  durch  die  nie  rastende  Tätigkeit 
unserer  Kunstgewerbler,  Werkstätten  und  Fabriken 
der  Gedanke  einer  derartigen  Ausstellung  ent- 
stehen und  siegreich  durchgeführt  werden  konnte. 
Zu  der  Ausstellung  „Gut  und  Böse"  hat  an  Leder- 
und  Metallwaren  die  Offenbacher  Industrie  Vor- 
treffliches beigesteuert,  und  zwei  Klassen  der  Tech- 
nischen Lehranstalten  gaben  ein  Beispiel  glänzen- 
der Dekorationskunst.  Die  eine  ist  die  Malerklasse 
des  Münchners  Throll,  die  prächtige  Wandma- 
lereien in  verschiedenartigen  reizvollen  Techni- 
ken, Figürliches  und  Ornamentales  geschaffen  hat, 
die  andere  die  der  Wienerin  M.  VOGL,  die  farbige, 
lustige  Stickereien  und  Spitzen  ausstellte.       p.f.s. 


WALTER  TEUTSCH-MONCHEN  BATIKARBEIT  AUF  SEIDE 


344 


SPEISEZIMMER  VON  BRUNO  PAUL  MIT  BLUMENSCHMUCK  VON  I.  K.  U.  K.  H.  DER  FRAU  KRONPRINZESSIN  CECILIE 
Aus  der  Blumen-Ausstellung  .Der  Strauß',  Vereinigte  Werkstätten  A.  G.,  Berlin 


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STILLEBEN,  ARRANGIERT  VON  I.  K.  H.  FRAU  PRINZESSIN  AUGUST  WILHELM  VON  PREUSZEN 

DER  „STRAUSZ" 

zu  DER   AUSSTELLUNG  DER    „VEREINIGTEN  WERKSTÄTTEN",  BERLIN 


Der  Zufall  will  es,  daß  ich  in  Paris,  der 
Stadt  des  grand  chic,  des  weltstädtischen 
Geschmacks,  über  meine  Eindrücke  von  dieser 
in  dem  Berliner  Haus  der  „Vereinigten 
Werkstätten"  arrangierten  Strauß- Aus  Stel- 
lung zu  schreiben  habe.  Eine  diffizile  Auf- 
gabe, wenn  man  vom  Louvre  kommt  und  vor 
sich  eine  jener  Revuen  hat,  in  denen,  wie  die 
Boulevard-Blätter  versichern,  einen  300  neue 
Kostüme  von  Paquin,  von  Jenny,  Hüte  von 
Lewis  usw.  erwarten!  Man  spricht  nicht  von 
dem  Esprit  der  Autoren,  nicht  von  dem  Talent 
des  Schauspielers,  man  ist  entzückt  von  dem 
Chic,  den  Frauen  zur  Schau  tragen.  Süperb 
das  alles,  was  die  Frau  an  sich  und  um  sich 
hat.  Aber  über  das  hinaus  ist  man  mehr  als 
gleichgültig.  Eine  Ausstattungskunst,  um  die 
wir  uns  mit  so  viel  Eifer  bemühen,  kennt  der 
Boulevard  nicht.  Ich  sitze  in  einem  der  großen 
Cafes  in  der  Nähe  der  Oper,  das  als  elegant, 
als  chic  berühmt  ist.  Für  unsere  Begriffe  ist 
es  mit  seinen  Spiegelwänden,  seinen  bronzierten 
Stucksäulen,  seinen  farblosen  Rokokomalereien 
vieux  jeu.    Unsere  Cafes  aus  den  80er  Jahren : 


Bauer  in  Berlin,  das  Luitpold  in  München  sind 
künstlerisch  weiter.  An  Blumen  gibt  es  hier 
über  den  Lehnen  der  roten  Plüschsofas  Pal- 
men, wie  wir  sie  längst  aus  unseren  Räumen 
hinausgetan  haben,  Palmen  in  Steinguttöpfen, 
wie  sie  bei  uns  in  den  Vorstadtbasars  schon 
nicht  mehr  verkauft  werden. 

Man  fragt  sich  unwillkürlich,  wie  würde  die 
Pariserin  eine  Ausstellung  arrangieren,  wie 
sie  in  Berlin  gezeigt  worden  ist.  Vermutlich 
wird  sie  für  ein  solches  Exerzitium  des  guten 
Geschmacks  weder  Sinn  noch  Verständnis 
haben.  Aber  wenn  es  ihr  einmal  einfallen 
könnte,  Blumen  zu  nehmen  und  sie  nach  ihrem 
Sinn  zu  arrangieren,  es  würde  vermutlich  et- 
was überraschend  Schönes  zustande  kommen. 
Sie  hat  keine  Ahnung  von  Problemen,  die  für 
uns  in  derlei  Angelegenheiten  stecken;  aber 
sie  hat  so  viel  selbstverständlichen  Chic,  daß 
ihr  wahrscheinlich  auch  für  unsere  Begriffe 
Erstaunliches  gelingen  würde. 

Wohingegen  es  unser  Schicksal  ist,  immer 
noch  recht,  recht  weit  von  dieser  Selbstver- 
ständlichkeit  entfernt    zu   sein.     Bei   uns   ist 


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Dekondre  Kunst.    XVII.    8.    Mai  1914 


345 


44 


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I.  K.  H.  FRAU  PRINZESSIN  AUGUST  WILHELM  VON  PREUSZEN  El   BLUMENSCHMUCK  EINES  TEERAUMS 
Aus  der  Ausstellung  .Der  Strauß'  in  den  Vereinigten  Werkstätten  A.-G.,  Berlin 


346 


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MITTAGSTISCH  MIT  BLUMENSCHMUCK  VON  SCHÜLERINNEN  DES  PESTALOZZI- FRÖBELHAUSES  IN  BERLIN 
SPEISEZIMMER  VON  BRUNO  PAUL  IN  DEN  VEREINIGTEN  WERKSTATTEN  A.-G.,  BERLIN 


eine  solche  Ausstellungsveranstaltung,  trotz- 
dem sie  von  den  führenden  Damen  der  reichs- 
hauptstädtischen Gesellschaft  unternommen 
war,  ein  Problem.  Wir  haben  uns,  ehe  wir 
derlei  Ausstellungsräume  betreten,  immer  et- 
was bange  zu  fragen,  wie  weit  sind  wir  nun? 
wie  mag  es  gelungen  sein? 

Nun  es  war  diesmal  im  ganzen  wirklich 
nicht  übel  gelungen.  Die  meisten  der  Damen, 
die  hier  mitgewirkt  haben,  werden  wohl  nie- 
mals Lichtwarks  entzückendes  Büchlein  vom 
„Makartbouquet  und  Blumenstrauß"  gelesen 
haben, aber  sie  nannten  ihre  Schau  „DerStrauß". 
Sie  steckten  ein  paar  Tulpen,  Hyazinthen,  Au- 
rikeln,  Montbretien,  Calla  oder  anderes  in  ent- 
sprechende Gefäße,  füllten  einen  mächtigen 
Kupferkessel  mit  den  Blättern  der  roten  Rübe, 
die  in  allen  Farbennuancen  irisieren,  oder  streu- 
ten zwischen  weißes  Porzellan  und  alte  Gläser 
als  aparten  Tafelschmuck  ein  paar  Mispel- 
zweige. Fürwahr,  in  diesem  Theater  der  Blu- 
men gab  es  Impressionen,  die  durchaus  auf 
der  Linie  lagen,  die  die  Besseren  unter  uns 
seit  Jahren  suchen. 

Es  war  nicht   alles   gut,   was   uns  in    dem 


wurde.  Gewiß  nicht.  Es  gab  auch  nichts  über- 
wältigend Neues.  Aber  man  darf  bei  der  Dis- 
kussion einer  solchen  Angelegenheit  nicht  ver- 
gessen, daß  hier  nicht  Künstler,  sondern  Ama- 
teure, Damen,  die  tausenderlei  andere  Inter- 
essen noch  haben  mögen,  am  Werk  gewesen 
sind.  Und  sie  haben  bewiesen,  daß  sie  der 
Welt,  wie  sie  unseren  modernen  Kunstgewerb- 
lern  als  Ideal  vorschwebt,  doch  nicht  mehr 
so  ganz  fern  stehen  —  wenigstens  auf  diesem 
einem  Gebiet  der  Blumenbinderei  nicht. 

Man  sieht  den  Teeraum  der  Prinzessin 
August  Wilhelm,  die  weihnachtliche  Jagd- 
hütte der  Prinzessin  Eitel  Friedrich,  und 
man  wird  unmerklich  an  die  modernste  unserer 
Blumenbinderinnen,  die  Franziska  Brück 
erinnert.  Man  hat  sie  verstanden.  Man  hat 
sich  Ideen,  die  von  ihr  propagiert  sind,  an- 
geeignet und  ist  damit  zu  aparten  Dekorationen 
gelangt,  die  uns  hoffen  lassen,  daß  das  übrige 
moderne  Kunstgewerbe,  dieses  spezifisch  deut- 
sche Kunstgewerbe  (wie  man  von  Paris  aus 
schon  sagen  muß),  das  doch  auf  denselben 
Ideen  basiert,  in  naher  Zukunft  schon  auch 
so  verstanden  und  gefördert  wird. 

Paul  Westheim 


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Haus  der  „Vereinigten  Werkstätten"  geboten 

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FRAU  ADMIRAL  DICK 


GEBURTSTAGSTISCH  DES  JÜNGSTEN  ENKELS 


Aus  der  Ausstellung  „Der  Strauß"  in  den  Vereinigten  Werkstätten  A.-G.,  Berlin 


EINE  GESCHICHTE  DER  GARTENKUNST*) 


Bei  der  großen  Inventur  überlieferter  und 
oft  mißgestalteter  Lebensformen,  die  vom 
letzten  Vierteljahrhundert  besorgt  wurde,  ist 
der  Garten  als  letztes  Stück  an  die  Reihe  ge- 
kommen. Ein  ganz  logischer  Weg:  vom  kleinen 
Gebrauchsstück  und  Zierat  zum  Möbel,  vom 
Möbel  zum  Raum,  vom  Raum  zum  Haus  und 
nun  zu  dessen  Umgebung.  Muthesius  gab  die 
ersten  theoretischen  Anregungen;  Max  Läuger 
und  Migge  boten  überzeugende  Leistungen.  Man 
kümmert  sich  wieder  um  den  Garten,  und  eine 
neue  Propagandaliteratur  sammelt  sich  um  ihn. 
Das  Buch  der  Frau  Marie  Luise  Gothein, 
das  kürzlich  erschien,  ist  nun  freilich  anderer 
Art  und  nicht  aus  der  Stimmung  der  letzten 
Jahre  entstanden;  aber  es  darf  durch  diese 
Stimmung  auf  eine  günstige  Aufnahme  warten. 
Hier  handelt  es  sich  um  eine  von  der  Tages- 
strömung, von  Aktualität  unabhängige  Arbeit, 


*)  Marie  Luise  Gothein:  „Geschichte  der  Garten- 
kunst." 2  Bände  mit  vielen  Tafeln  und  Illustrationen. 
Verlegt  bei  Eugen  Diederichs,  Jena.  Preis  42  M. ; 
Gebunden  48  M. 


in  der  die  Forschung  und  der  Fleiß  von  an- 
derthalb Jahrzehnten  stecken.  Das  Werk  ent- 
springt durchaus  wissenschaftlichen  Absichten, 
eine  Lücke  in  der  Kunst-  und  Kulturgeschichte 
auszufüllen;  der  Zeitpunkt  seines  Erscheinens 
hebt  aber  seine  Bedeutung  über  die  gelehrten 
Kreise  hinaus  und  sichert  ihm  die  Teilnahme 
aller,  denen  die  Formentwicklung  der  „ange- 
wandten Kunst"  eine  wichtige  Angelegenheit 
ist.  Ohne  geschichtliche  Kenntnis  bleiben  die 
isolierten  und  die  vermengten  Stücke  der  Ueber- 
lieferung  ein  wüstes  Chaos.  Die  Einsicht  in  das 
Werden  und  in  die  Bedingtheit  der  verschie- 
denen Tradition  erzeugt  eigene  Unbefangenheit 
und  Sicherheit.  Das  Werk  heißt:  „Geschichte 
der  Gartenkunst."  Es  umfaßt  an  tausend 
Seiten  Lexikonformat  und  ist  mit  zahlreichen, 
oft  ganz  köstlichen  Bildern  geschmückt. 

Nun  kann  hier  auf  knappem  Raum  von  den 
inhaltlichen  Feststellungen  des  Werkes  kaum 
Wesentliches  gesagt  werden.  Eine  Abfolge  von 
Jahrtausenden  ist  umschlossen.  Von  den  ägyp- 
tischen Anlagen,  die  sehr  frühe  schon,  aus  der 


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I.  K.  H.  FRAU  PRINZESSIN  EITEL  FRIEDRICH  VON  PREUSZEN       □      WEIHNACHTSSCHMUCK  EINES  JAGDZIMMERS 
Aus  der  Ausstellung  ,Der  Strauß'  in  den  Vereinigten  Werkstätten  A.-G.,  Berlin 


349 


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PROF.  BRUNO  PAUL:  VERANDA-MOBEL  BLUMENSCHMUCK  VON  DER  GEMAHLIN  DES  KÜNSTLERS 

Aus  der  Ausstellung  „Der  Strauß"  in  den   Vereinigten  Werlistätten  A.-C,  Berlin 


Notwendigkeit  der  Bodengestaltung  heraus,  das 
Bassin  als  sehr  bedeutenden  (auch  ästhetischen) 
Bestandteil  des  Gartens  durchgebildet  haben, 
von  den  assyrischen,  die  den  Berggarten  mit 
Terrassen  als  sehr  wirksamen  Typus  den  spä- 
teren übermittelten,  geht  der  Weg  der  Ge- 
schichte über  Hellas,  Rom,  Byzanz  und  das 
westeuropäische  Mittelalter  zur  italienischen 
Renaissance,  der  wir  die  für  unsere  Empfindung 
eindrucksvollsten  und  nachhaltigsten  Schöpfun- 
gen verdanken.  Das  ist  ungemein  reizvoll,  zu 


verfolgen,  wie  in  den  einzelnen  zeitlich  und 
geographisch  einheitlichen  Gruppen  die  Le- 
bensgewohnheit, Sitte,  der  wissenschaftliche 
Sinn  ihre  besonderen  Eigentümlichkeiten  er- 
zeugen und  was  nun  alles,  bei  allgemeinen 
Verschiebungen  des  geschichtlichen  Schwer- 
gewichts als  fruchtbare  Anregung  von  den 
Nachbarkulturen  angenommen  wird.  Denn  es 
erweist  sich  sehr  bald,  daß  auch  die  Garien- 
geschichte  in  gewissem  Sinn  ein  Spiegel  der 
politischen  Geschichte  ist  und  in  ihren  großen 


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ABENDTISCH  FOR  ZWEI 


GELBE  TULPEN  VOR  SCHWARZER  WAND 


Aus  der  Ausstellung  „Der  Strauß'  in  den  Vereinigren  Werkstätten  A.-G.,  Berlin 


Leistungen  den  Spuren  des  politischen  Glanzes 
folgt:  die  hohe  Blüte  des  päpstlichen  Roms, 
Spaniens  bedeutender  Beitrag,  die  Epoche  des 
vierzehnten  Ludwig  und  schließlich  der  Ein- 
fluß, den  das  englische  Denken  auf  das  ganze 
18.  Jahrhundert  ausübte. 

Man  wird  nun,  abgesehen  von  den  nicht  un- 
wesentlichen botanischen  Problemen,  die  sich 
um  wissenschaftliche  Gärten,  um  die  Akklima- 
tisation fremder  Pflanzen  u.  a.  kümmern,  vor 
allem   meist   vor  die   Frage   geführt  sein:  ist 


der  Garten  ein  Stück  „Kunst",  in  die  Nachbar- 
schaft der  „Natur"  gerückt,  ist  er  „Natur",  den 
menschlichen  Kunstvorstellungen  und  Lebens- 
gewohnheiten angenähert?  Diese  dialektische 
Antithese,  besitzt,  wie  sich  leicht  begreift,  un- 
geheure praktische  Bedeutung.  Denn  nicht  nur 
richtet  sich  darnach  die  ganze  Grundrißgestal- 
tung eines  Gartens  in  seiner  Beziehung  zum 
Haus,  im  Verhältnis  zu  den  architektonischen 
Motiven,  Treppen,  Grotten,  Ballustraden,  Per- 
golen, Mauern  u.  s.  f.  überhaupt,  sondern  die 


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351 


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FRAU  SZCESNY-HEYL    El    CALLA  UND  ROHRKOLBEN 

ganze  Gesinnung  der  Gartenverwendung  ist  an- 
ders. Das  sinnenfälligste  Beispiel  ist  die  Frage 
des  Verschnitts.  Einer  architektonisch  gesonne- 
nen Zeit  sind  Baum  und  Hecke  eben  auch  nur 
Mittel  und  Gelegenheiten  zu  bestimmten, gewoll- 
ten perspektivischen  und  kubischen  Wirkungen, 
einer,  die  für  Natur  schwärmt  und  in  den  Gar- 
ten   „erhöhte    Natur",    idealisierte,    gereinigte 


FRL.  v.BOTTICHERq  JAPANISCHER  BLUMENSCHMUCK 

Landschaft  genießen  will,  muß  die  Vergewal- 
tigung des  unverdorbenen  Wachstums  als  bo- 
tanische wie  als  ästhetische  Barbarei  erschei- 
nen. Jener  erste  Garten  ist  in  gewissem  Sinn  j 
erweitertes  Haus,  gesellschaftlicher  Aufenthalts-  j 
räum  mit  eindrucksvoller,  geordneter  Ueber-  j 
sichtlichkeit,  der  andere  dient  der  Wanderung,  ' 
der    Vereinsamung,    der    Illusion    der    freien 


FRAU  VON  DER  LOCHAU 

Aus  der  Ausstellung 


JUNGGESELLEN-ECKE 
in  den  Vereinigten  Wericstätten  A.-G.,  Berlin 


„Der  Strauß" 


352 


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y       FRAU  KOBERSTEIN  UND  FRL.  DIETLEIN-WILLE  BLUMENSCHMUCK  EINER  NISCHE 

9  Aus  der  Ausstellung  »Der  Strauß'  in  den  Vereinigten  Werkstätten  A.-G.,  Berlin 


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nekorative  Kunst.    XVII.    8.     Mai  1914 


353 


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JOHANNA  MEIER-MICHEl,  WIEN  MAJOLIKA-FIGUREN  HERBST  UND  WINTER 

Ausführung:  Wiener  Kunstkeramische  Werkstätten  Busch  &  Ludesche,  Wien 


Natur  und  Natürlichkeit,  so  raffiniert  Schlan- 
genweg, künstlicher  Hügel  und  malerische 
Baumgruppe  ausgedacht  werden  mögen. 

Das  Buch  der  Frau  Gothein  nun,  indem  es 
solche  Gedankengänge  mannigfaltigster  Art 
aufweckt,  versieht  uns  mit  einem  außerordent- 
lichen Vorrat  an  ein- 
fachem Tatsachenbe- 
stand. Wenn  auch  jene 
Partien  literarisch  reiz- 
voller sind,  wo  vom 
Einzelbeispiel  unab- 
hängig die  Wendungen 
in  der  Gesinnung  be- 
schrieben werden,  die 
Charakterisierung  der 
eigentlichen  und  oft 
sehr  durchgeklügelten 
Gartentheorien,  so  fin- 
det das  Auge,  sofern  es 
mit  Phantasie  zu  be- 
trachten vermag,  seine 
wahre  Genugtuung  vor 
dem  Bildermaterial. 
Allebedeutenden  Gar- 
tenschöpfungen des 
Abendlandes   sind    in       ^  ^  guldbrandson 

ihrer     Genesis     aufge-  Ausführung:  Porzellanfabrlk 


nommen,  festgestellt:  zahlreiche  Reisen  und  un- 
mittelbare Messungen  ermöglichten  es  der  For- 
scherin, aus  dem  durch  Jahrhunderte  gewandel- 
ten Bild  unserer  Tage  die  Absicht  des  Erbauers 
herauszuspüren.  Das  ist  nun  ein  rechtes  Ver- 
gnügen, die  Großartigkeit  mancher  alten  Anlagen 

aus  den  Bilddokumen- 
ten zu  genießen.  Dader 
Garten  in  seinem  ei- 
gentlichen Sinn  immer 
ein  Stück  stolzer  Re- 
präsentation war,  lie- 
ßen die  Besitzer  oft 
genug  Bildwerke  ihrer 
Schöpfungen  anlegen, 
und  diese  Blätter  sind 
nun  unentbehrlichege- 
schichtliche  Zeugnisse 
geworden.  In  ihrer 
schönen  Auswahl  und 
vortrefflichen  Wieder- 
gabe bilden  sie  den 
ganz  besonders  star- 
ken Anziehungspunkt 
der  in  ihrem  Inhalt 
ebenso  gelehrten  wie 
fesselnden  Arbeit. 

Theodor  Heuss 


ERINNERUNGS-TELLER 
Ph.  Rosenthal  &  Co.,  Selb 


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354 


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ALFRED  SODERS  EXLIBRIS 


Wenn  heute  irgendwo  von  Schweizer  Kunst 
die  Rede  ist,  dann  ist  zehn  gegen  eins 
zu  wetten,  daß  damit  Hodier,  Amiet,  Buri  und 
noch  einige  Führer  der  äußersten  Linken  ge- 
meint sind,  und  natürlich  auch  das  sehr  starke 
Fähnlein,  das  sich  um  sie  geschart  hat.  Sogar 
die  großen  Namen  der  jüngsten  Vergangenheit 
—  Böcklin,  Wehi,  Stauffer-Bern  —  kommen 
heute  kaum  mehr  in  Frage,  wenn  es  sich  um 
Schweizer  Kunst  handelt.  Sie  sind  ja  bereits 
erledigt,  registriert  und  rubriziert.  Um  Hodier 
und  die  Andern  aber  wird  noch  immer  mit 
Leidenschaft  gestritten,  in  der  Schweiz  selbst 
und  auch  bei  uns;  und  so  ist  es  eigentlich 
gar  nicht  so  verwunderlich,  daß  man  zuerst 
und  immer  nur  an  diese  Gruppe  denkt,  wenn 
der  Begriff  „Schweizer  Kunst"  in  unseren 
Gesichtskreis  tritt. 

Nun  soll  gerne  zugegeben  werden,  daß  diese 
Führer  des    kühnsten    Fortschritts   tatsächlich 
einen  überwältigenden  Einfluß,  besonders  auf 
die  Jugend,  ausgeübt  haben  und  noch  immer 
ausüben,  ob  zum  Guten  oder  zum  Schlimmen, 
das  muß   sich   allerdings   erst   erweisen.    Sie 
haben    der    Kunst    der    Schweiz,    d.    h.   jener 
Kunst,  die  auch  im  Ausland  zumeist  gezeigt  und 
über  die  andauernd  ge- 
sprochen und  geschrie- 
ben   wird,    ihr    Signum 
aufgedrückt.    Und  man 
muß   sogar  sagen,   daß 
das  Derbe,  Urtümliche, 
Unbehauene  eines  Tei- 

j  les    dieser    Kunst    uns 
sehr  gut  zum  Wesen  des 

I  Schweizers    zu    passen 

I  scheint.      Es    ist    aber 

I  selbstverständlich     und 

I  brauchte    in    ruhigeren 
und  objektiveren  Zeiten 

I  als    den    unsrigen    gar 

I  nicht  erst  betont  zu  wer- 

j  den,    daß    es  in  einem 

j  Lande  wie  der  Schweiz, 

(  in   dem  mehrere  Spra- 

j  chen,  Volksstämme  und 

J  Kulturen  sich  gegenein- 

i  ander  behaupten  und  das 

\  so  reich  an  produktiven 

j  Kräften    aller    Art    ist, 

I  auch  für  die  Kunst  tau- 

!  send  Möglichkeiten  des 

i  Ausdrucks  gibt.  Und  so 

'f  findet  man  denn  in  der       alfred  soder 


Schweiz  auch  heute  noch  ungezählte  Eigen- 
brödler,  die  entgegen  und  abseits  der  „offi- 
ziellen" Hauptrichtung  nach  ihrer  Fasson  selig 
zu  werden  suchen.  Man  triftt  neben  den  Kraft- 
meiern, denen  keine  Farbe  grell  und  keine 
Wand  groß  genug  ist,  auch  stille  Träumer, 
die  bescheiden  in  einer  Ecke  sitzen  und  der 
Leinwand  oder  der  Kupferplatte  allerlei  zarte 
Dinge  anvertrauen.  Und  viele  werden  sich 
darüber  wundern,  daß  das  auch  moderne 
Schweizer  Kunst  sein  soll.  Aber  der  Kundige 
lächelt  nur  über  solche  Zweifel;  denn  er  weiß, 
daß  es  im  Lande  der  Kunst,  also  auch  in  einem 
Kunstlande  wie  der  Schweiz,  gar  viele  Woh- 
nungen gibt. 

So  ein  Winkel  nun,  in  dem,  neben  sehr 
temperamentvollen  Angehörigen  des  Fähnleins 
des  radikalen  Fortschritts,  auch  mancher  Künst- 
ler mit  mehr  konservativen  Idealen  an  seinem 
Werke  schafft,  ist  das  von  altersher  kunst- 
berühmte Basel.  Und  so  ein  Künstler,  der 
unbekümmert  um  die  herrschende  Mode  arbei- 
tet, wie  er  es  versteht  und  wie  er  muß,  ist 
der  Radierer  Alfred  Soder.  Es  ist  sehr  leicht 
möglich,  daß  viele  diesen  Namen  hier  zum 
ersten  Male  hören.  Und  das  ist  ganz  natürlich; 
denn  es  gibt  nur  wenige 
Künstler,  deren  Schaffen 
sich,  gleich  dem  Soders, 
bis  jetzt  nahezu  aus- 
schließlich auf  einem 
Spezialgebiet  betätigt 
hat,  das  nur  Sammlern 
und  Interessenten  die- 
ser Spezialität  bekannt 
und  vertraut  ist:  auf  dem 
Gebiete  des  Exlibris. 
Fast  das  gesamte  gra- 
phische Werk  Soders, 
das  sich  auf  eine  Schaf- 
fenszeit von  knapp  zehn 
Jahren  verteilt,  besteht 
aus  Exlibris,  die  aus- 
nahmslos radiert  sind 
und  deren  Zahl  sich 
heute  auf  ungefähr  sech- 
zig Blatt  belaufen  mag. 
In  den  Kreisen  der  Ex- 
librissammler erfreut 
sich  Soder  schon  seit  ei- 
nigen Jahren  einer  fort- 
während steigenden  Be- 
liebtheit. Aber  außer- 
EXLiBRis       halb  dieser  Gemeinde, 


355 


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die      allerdings 
Mitglieder  in  fast 
allen     Ländern 
Europas       und 
auchjenseitsder        ;, 
Meere  zählt,  ist        ' 
Soders      Kunst       "^  • 
noch  ein  ziem-        f^ 
lieh  unentdeck-       ,' 
tes  Land.  'f. 

Soder  ist  am 
19.  Juli  1880  in        #\ 
Basel    geboren. 
Das      Radieren       XT" 
hat  er  in  Mün-        f. 
chen  erlernt,  bei        j^ 
Meister  Peter      '^J- 
Halm,  der  u.  a. 
auch  Soders  gro- 
ßemLandsmann        ■'  . 
Stauffer-Bern 
dieGeheimnisse 
der  Radiernadel 
und  des  Stichels 
gelehrt  hat.  Seit 
seiner  Münche- 
ner   Akademie- 
zeit    lebt     und 
schafft  Soder  in 
seiner    Heimat- 
stadt.   Ein  blei- 
bendes       Ver- 
dienst um  sein 
Bekanntwerden 
hat  sich  dereinst 
sehr  eifrige  Ex-      alfred  soder 
libris  -  Sammler 
und-PublizistC. 

Fr.  Schulz-Euler  in  Frankfurt  a.  M.  er- 
worben, der  vor  etwa  sieben  Jahren  eine  Mappe 
mit  15  Exlibris-Radierungen  Soders  herausgab. 
In  diesen  Blättern  findet  man  schon  alles  verei- 
nigt, was  für  diesen  Idylliker,  Lyriker  und  ro- 
manfischen Phantasten  bezeichnend  ist:  seine 
Freude  an  allem  Schönen,  am  Erhabenen  wie  am 
Kleinsten,  an  jedem  Grashalm  auf  sommerli- 
chen Wiesen  wie  an  jedem  Fältchen  im  Men- 
schenantlitz, sein  stark  entwickeltes  Gefühl  für 
die  Form,  besonders  auch  für  die  des  menschli- 
chen Körpers,  den  er  aber  —  wie  auch  alles  an- 
dere —  damals  noch  deutlich  stilisiert  hat,  und 
zwar  in  einer  sehr  eigenartig-herben,  kantigen, 
zuweilen  bizarren  Form,  die  sich  später  fast 
ganz  in  Weichheit  und  gefällige  Anmut  aufge- 
löst hat.  Und  auch  der  Kinderakt  spielt  da- 
mals schon  eine  Rolle  in  seinen  Arbeiten,  teils 
„passiv"  in  Darstellungen  des  jungen  Mutter- 
glücks, die  wohl  auch  zugleich  Dokumente  jun- 


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genVaterstolzes 
sind,  der  sich  in 
der  Schilderung 
der  Kleinen  bis 
zum  heutigen 
Tage  nicht  ge- 
nug tun  konnte, 
teils  „aktiv"  als 
Putten,  die  z.B. 
in  einer  Wolke 
schweben  und 
das  Haupt  Goe- 
thes bekränzen. 
Dieser  Map- 
pe, die  in  Samm- 
lerkreisen Auf- 
sehen erregt  hat, 
folgte,  erst  nur 
zögernd,  dann 
allmählich  ra- 
scher, Blatt  um 
Blatt.  Und  man 
könnte  vielleicht 
behaupten,  daß 
der  Ideenkreis 
Soders  sich  auch 
späternichtsehr 
viel  weiter  ge- 
spannt habe,  als 
erin  dieser  Map- 
pe bereits  gezo- 
gen war.  Aber 
das  beruht  doch 
auf  Täuschung; 
denn  tatsächlich 
wächst  die  Welt 
Soders  mit  jeder 
Arbeit;  nur  ist 
eben  dieser  Künstler  einer  von  jenen,  die,  wie 
die  Bäume,  sozusagen  jedes  Jahr  nur  einen  Ring 
ansetzen.  Soders  Exlibris  gehören  sämtlich  zur 
Kategorie  des  Luxusexlibris;  d.  h.  es  sind  mit 
allem  technischen  und  künstlerischen  Raffine- 
ment ausgeführte  originalgraphische  Kunstblät- 
ter, deren  Bestimmung  es  nicht  in  erster  Linie 
ist,  als  Besitzerzeichen  verwendet  zu  werden, 
sondern  die  ihre  ganz  selbständige  Existenz 
hauptsächlich  dem  Sammelsport  danken.  Sie 
werden  getauscht;  in  die  Bücher  geklebt  wer- 
den dagegen  an  ihrer  Stelle  zumeist  Autotypien 
oder  Gravüren  nach  den  Originalradierungen. 
In  neuerer  Zeit  ist  Soder  auch  zur  farbigen 
Zweiplattenradierung  übergegangen,  mit  der, 
infolge  der  Möglichkeit  des  Uebereinander- 
druckens  zweier  Töne,  sehr  originelle  und  feine 
Wirkungen  erzielt  werden  können. 

Die    Ideen    der    Exlibris    Soders    sind  stets 
einfach,    ungesucht  und    klar,   wenigstens   für 


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ALFRED  SODER-BASEL 


EXLIBRIS 


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ALFRED  SODER 


solche,  die  im  Betrachten  von  Exlibris  einige 
Uebung  haben.  Zu  bemängeln  wäre  vielleicht 
nur,  daß  die  Ausführung,  entgegen  dem  deko- 
rativ-flächenhaften  Markencharakter  des  echten 
Gebrauchsexlibris,  fast  immer  zu  realistisch- 
detailliert und  zu  bildmäßig  ist.  Aber  diesen 
Fehler  teilen  die  Exlibris  Soders  mit  den  mei- 
sten modernen  Luxusexlibris;  und  sie  gleichen 
dieses  Manko  reichlich  wieder  aus  durch  tech- 
nische und  künstlerische  Qualitäten,  die  aus 
diesen  Arbeiten  Kleinodien  einer  intimen,  be- 
haglich ins  Detail  gehenden  Radierkunst  machen. 
Nur   selten    fehlen   auf  den   Exlibris    Soders 


seine  geliebten  und  auch  in  der  Tat  höchst 
liebenswerten  Kinderakte.  Alle  möglichen  Funk- 
tionen haben  diese  putzigen,  molligen,  nackten 
Bübchen  und  Mägdlein  zu  verrichten.  Sie  reiten, 
als  Amoretten,  auf  Pferden  oder  Rindern,  re- 
präsentieren sich  selbst,  das  Kindesalter,  das 
erwachende,  junge,  unberührte  Leben,  spielen 
einzeln  und  in  Gruppen,  mit  sich,  mit  Blumen, 
Schmetterlingen  usw.  oder  tanzen,  wie  Mücken, 
um  Brunnen,  in  den  Wolken  oder  auf  dem 
Fond  eines  Blumenkranzes.  Blumen  scheinen 
Soder,  nächst  den  Putten,  am  meisten  ans 
Herz  gewachsen  zu  sein.  Und  er  versteht  sie 


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ALFRED  SODER 
EXLIBRIS 


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auch  immer  zu  individualisieren,  gleichviel,  ob 
er  sie  auf  der  Wiese  darstellt  oder  im  Kranz, 
als  einzelne  Blüten  oder  zum  Strauß  gebunden, 
in  biedermeierlichem  Arrangement  und  Rah- 
men. Und  nicht  anders  wie  Blumen  sind  auch 
seine  Frauenakte:   keusch  und  zart;  in  ihren 


staunenden  Augen  aber  wohnt  das  Märchen. 
Alles,  was  Soder  schafft,  hat  ja  ein  wenig 
diesen  Märchencharakter:  es  war  einmal,  oder: 
es  wird  einmal  sein.  Getreu  der  wirklichen 
ist  seine  Welt  und  doch  nirgends  existierend, 
voll   klingender   Reime   und    edler    Symbole, 


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heiter,  sinnenfroh  und  gedankenvoll,  ein  Reich 
des  Schönen  und  der  Ideale,  jenseits  der  gräm- 
lichen, groben  und  realen  Gegenwart.  Daß 
es  ein  Schweizer  ist,  der  uns  diese  Welt  ge- 
schenkt hat,  ist  wohl  kein  Zufall.  Denn  kein 
Boden  ist  reicher  im  Hervorbringen  von  reiz- 
vollen Gebilden  freigestaltender,  spielerischer 


Phantasie,  wie  der  alemannisch-schweizerische. 
Und  daß  auch  Soder,  in  diesen  Zeiten  des 
wilden  Kampfes  um  Problematisch-Neues,  uns 
diese  Tatsache  durch  seine  Schöpfungen  wie- 
der zum  Bewußtsein  bringt,  ist  vielleicht  nicht 
sein  geringstes  Verdienst. 

Richard  Braungart 


ALFRED  SODER  EXLIBRIS 


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HAUS  BLUMENECK  IN  BREMEN 


Bremen,  die  alte  Hansestadt,  von  der  so 
vieles  gesagt  und  gesungen  ist,  was  das  Ver- 
langen erregt,  sie  kennen  zu  lernen,  hält  seine 
Reize  an  Architektur  und  Landschaft  dem 
fluchtigen  Touristen  gegenüber  etwas  verborgen. 
Gewiß,  er  findet  sehr  bald  „Roland  den 
Ries'  am  Rathaus  zu  Bremen",  den  be- 
rühmten Keller  Hauffschen  Angedenkens,  das 
Essighaus.  Aber  damit  erschöpft  sich  bald 
das  Interessante  für  den  wißbegierigen  Fremden, 
dem  die  Führung  fehlt.  Und  Bremen  weiß 
doch  noch  viel  zu  zeigen  an  baulichen  Eigen- 
tümlichkeiten und  landschaftlichen  Schön- 
heiten, die  es  aber  eben  nur  zögernd  offenbart. 
Der  Zug  führt  den  Zureisenden,  schon  weit 
vor  Bremen  noch,  immer  durch  flaches  ein- 
förmiges Land:  einzelne  niedre  Gehöfte,  Sand- 
dünen, Rinderweiden,  Torfstich,  Heide.  Still 
rückt  die  Stadt  und  unmerklich  näher,  Par- 
zellenland, Laubengärten,  dann  niedre  Häuser- 
reihen, dicht  mit  Grün  umschlossen,  Land- 
häusern vergleichbar.  Immer  dichter  folgt  dann 
Haus  und  Garten,  und  nun  erkennt  er  wohl 
darin  den  Typ  der  Stadt,  den  diese  sich  allein 
unter  ihren  Schwestern  in  so  ausgeprägter 
Form  erhielt,  den  Typ  des  Einzelwohnhaues. 
Im  Genuß  dieser  Selbständigkeit  des  Wohnens, 
finden  wir  hier  den  Handwerker,  den  kleinen 


Bürger  wie  den  Rentner,  den  Seefahrer  wie 
den  Großkaufmann.  Und  in  gleicher  Weise 
finden  wir  den  schlichten  Wirtschaftsgarten 
im  Gürtel  des  Parzellenlandes,  das  sich  mit 
üppigen  Obstlauben,  Blumen-  und  Gemüse- 
beeten naiv  dicht  an  die  Stadt  herandrängt, 
den  sauber  gepflegten,  blumenduftenden  Haus- 
garten, bis  zum  vornehmen  Park. 

Die  ganze  östliche  Vorstadt  Bremens  bildet 
so  das  Bindeglied  zwischen  städtischer  Wohn- 
weise und  ländlichem  Gutsbesitz,  und  in  ihr 
finden  wir  Wohnsitze,  welche  mit  der  größeren 
Nähe  der  Stadt  das  Angenehme  der  Landschaft 
verbinden.  Unsere  Bilder  zeigen  ein  typisches 
Beispiel  eines  solchen  vornehmen  städtischen 
Wohnsitzes  in  landschaftlichem  Rahmen  bremi- 
scher Konvenienz. 

Der  Bauherr  hat  in  der  Wahl  der  Künstler, 
EEG  und  Runge  für  die  Gesamtaufgabe  und 
Christ.  Roselius  für  die  technisch-künstleri- 
sche Anlage  des  Gartens,  Faktoren  aufgestellt, 
welche  von  vornherein  bei  der  Wertschätzung,  die 
sie  in  Bremen  und  in  allen  Fachkreisen  Deutsch- 
lands genießen,  eine  sichere  Gewähr  fürs  beste 
Gelingen  des  Werks  boten.  Sich  dessen  wohl 
bewußt,  hat  der  Bauherr  den  Künstlern  eine 
Freiheit  gewährt,  die  seinem  Künstlersinn  Ehre 
macht  und  dem  Werk  Vollkommenheit  sicherte. 


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DeJcarativc  Kunst.    XVII.    8.    Mai  1914 


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Einer  der  Stra- 
Denarme,  die 
aus  dem  Stadt- 
innernüberden 
Wall  und  Wall- 
graben hinaus- 
leichen  in  die 
Landschaft,  die 
Schwachhau- 
ser  Chaussee, 
streckt  sich 
breit  unter  den 
Aesten  mächti- 
ger Lindenbäu- 
me zwischen 
den  Villengär- 
tenentlang.Un- 
ser  Bild  (Seite 
361)  zeigt  den 
Charakter  der 
Anlagen  an  die- 
ser prächtigen 
Allee  in  gestei- 
gerter Form. 
Ein  schlichtes 
geschmiedetes 
Gitter  auf  Do- 
lomit-Sockel 
schließt  den 
Garten  an  der 
Straßeab.Hohe 
Pfeiler  mit 
Bronzelaternen 
betonen  Ein- 
gang und  Ein- 
fahrt. Eine  Dop- 
pelreihe noch 
junger  Pappeln 


vertieftdiePer- 
spektive  von 
der  Straßensei- 
te aus  über  et- 
wa 50  m  Länge 
nach  dem  Hau- 
se zu.  An  den 
Seiten  der  Pap- 
pelallee liegen  t 
breite  Rasenflä-  | 
chen,  die  durch 
zwei  Baumrie-  ( 
sen  nur  je  zu  ( 
einem  kleinen  ( 
Teile  beschat-  | 
tet  werden  kön-  ; 
nen.  Besonders  ) 
die  Blutbuche  r 
bildet  einen  tie-  ( 
fen  Akkord  in  l 
der  Farbenmu-  ( 
sik  des  gan-  ( 
zen Bildes:  das  ^ 
helle  Haus  mit  \ 
seiner  vor-  l 
nehm  strengen,  ) 
schlichten  Tei-  6 
lung;  seitlich  { 
davor  die  mäch-  j 
tigen  Flächen  ' 
der  grünen  Ra-  \ 
sen,  dicht  abge-  i 
schlössen  nach  ) 
den  Nachbar-  n 
gärten  durch  { 
alte,  schattige  } 
Grenzpflanzun  { 
gen,    die   sich  C 


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HAUS  BLUMENECK:  HAUPTEINGANG 


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ARCH.  EEG  U.  RUNGE    B  B    BRUNNEN  VOR  DEM  HAUSE    B  B    FIGUR  VON  ANNA  MAGNUSSEN 


nach  den  Rasenflächen  zu  terrassenartig,  in 
dichten  Staudengruppen  abstufen,  von  der  er- 
sten Blüteperiode  bis  in  den  späten  Herbst 
hinein  fortwährend  durch  die  besondere  Wahl 
und  Pflege  der  Arten  im  Blumenschmuck 
stehend.  Das  Haus  flankierend,  schließen  Rosen- 
terrassen mit  ihrem  Farbenflor  rückwärts  das 
Bild  ab.  Unter  größter  Schonung  des  alten 
Baumbestandes  ist  die  ganze  Anlage  geschaf- 
fen. Den  Niveauunterschied  zwischen  Vorder- 
und  Hintergarten  haben  die  Künstler  durch  in 
Rasen-Böschungen  liegende  Terrassen,  die  zu 
einem  Rosengarten  ausgebildet  sind,  ausge- 
glichen. Ueber  diese  Terrassen  hinweg  ge- 
langt man  auf  Klinkertreppen  in  den  eigent- 
lichen Garten,  der,  von  der  Straße  ganz  ab- 
gewandt und  von  der  Nachbarschaft  durch  hohe 
Laubwände  abgeschlossen,  wiederum  große, 
wenig  unterbrochene  Rasenflächen  architek- 
tonisch aneinander  reiht.  In  der  Achse,  von 
der  hinteren  Haus-Terrasse  aus,  blickt  man 
über  die  Rasenfläche  hinweg  gegen  einen  in 
weißem  Lattenwerk  ausgeführten  Laubengang, 
den  Rosen  üppig  durchflechten.  Diese  Anlage 
schließt  wieder  den  architektonischen  Teil  des 
Gartens  gegen  einen  mehr  landschaftlich  ge- 
haltenen alten  Teil  ab. 

Wenden  wir  uns  zurück,  um  von  der  Straßen- 


seite her  das  Haus  zu  betreten,  so  gelangen 
wir  zunächst  durch  die  Pappelallee  auf  einen 
runden  Platz  für  die  Wagenauffahrt,  in  dessen 
Mitte  ein  steinerner  Brunnen  steht,  von  Anna 
Magnussen-Bremen  mit  einer  reizenden  Kinder- 
figur geschmückt.  Er  steht  gleichsam  im  Brenn- 
punkt der  Architektur,  die  Achse  betonend, 
und  trägt  mit  zur  effektvollen  Steigerung  der 
Motive  in  der  Mitte  der  Fassade  bei.  Die 
Fassaden  sind  in  Oberkirchener  Sandstein,  fi 
dem  seit  vielen  Jahrhunderten  in  diesem  Klima  6 
bewährten  Material,  auf  einem  grauen  Dolo- 
mit-Sockel hergestellt.  Darüber  ein  Walm- 
Dach,  in  Ludwigsburger  Biberschwänzen  ein- 
gedeckt; Abfallrohre,  Dachrinnen,  Dach,  Erker- 
wände und  Giebeldach  in  Kupfer  ausgeführt; 
weißes  Fenstersprossenwerk,  grüne  Rolläden. 
Eine  schmiedeeiserne  Tür  führt  in  das  Haus. 
Der  Eingangsraum  ist  mit  einem  grauen  Mar- 
morsockel auf  schwarzen  und  grauen  polierten 
Marmorfußboden  gestellt;  die  Wände  und  die 
Decke  sind  weiß,  einfach  in  Felder  geteilt. 
Die  kurze  schwarze  Marmortreppe  führt  in 
einen  hallenartigen  Vorraum.  Alles  Holzwerk 
ist  graubraune,  matte  Eiche  mit  schwarzen, 
blanken  Profilen.  Die  weiße  Kassettendecke 
ruht  auf  gelblich  getönten,  durch  grüne  Strei- 
fen  und  Felder  geteilten  Wänden.     Grün   ist 


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ARCH.  CARL  EEG  U.  ED.  RUNGE-BREMEN 

der  Grundakkord,  grün  sind  die  Läufer,  der 
geknüpfte  Teppich,  die  Gardinen  in  dieser  Vor- 
halle; wirkungsvoll  gehoben  durch  das  Schwarz 
der  Sitzmöbel  und  in  den  Verzierungen  von 
Holz  und  Stoffen  wie  durch  den  braunen  Glanz 
der  feierlichen,  dunkel  patinierten  Bronze-Ker- 
zenleuchter an  den  beiden  Treppenanläufen. 
Diesen  gegenüber  öffnet  sich  die  Tür  zum 
Empfangszimmer,  einem  ovalen  Raum  mit  tief 
herunterreichenden  Fenstern.  Eine  weiße  Decke 
mit  feiner  Stuckarbeit  wölbt  sich  in  flacher 
Kuppel  darüber,  rotlila  stoffbespannte  Wände, 
deren  Moireflächen  durch  reiche,  farbige,  ge- 
webte Borten  eingerahmt  werden,  umschließen 
ihn.  Der  Boden  ist  ein  Nußbaumparkett  mit  Eiche 
und  Birnbaum  eingelegt,  dessen  Teilungen 
sich  strahlenförmig  zwischen  ovalen  Kurven 
anordnen,  die  der  Form  des  Raums  folgen. 
Rechts  und  links  vom  Eingang  vertiefen  zwei 
Sofa -Nischen  die  Raumwirkung  und  unter- 
brechen angenehm  die  große  geschwungene 
Wandfläche.  Möbel  und  Flügel  sind  aus  hel- 
lem, poliertem  Ahornholz  hergestellt,  mit  Perl- 


HAUS  BLUMENECK:  GARTENSEITE 

mutter-  und  Schildpattintarsien  verziert,  die 
Sitzmöbel  mit  rotlila  Sammetbezügen  be- 
spannt. Dieselbe  Stimmung  halten  die  dunk- 
len Uebergardinen.  Ein  prächtiger  Bronze- 
leuchter mit  Baccaratkristall  schwebt  über  der 
Mitte;  Bronze  blitzt  auch  von  den  grünbe- 
schirmten Wandleuchtern  und  von  den  Gittern 
der  leuchtenden  Pavonazzo- Marmor- Umrah- 
mung der  Heizkörper. 

Rechts  führt  die  Tür  nach  dem  Boudoir, 
dessen  Stimmung  goldgelbgemasertes  poliertes 
Birkenholz  beherrscht,  mit  Palisandef-  und 
Perlmutteinlagen,  im  Verein  mit  grünen  Bezü- 
gen, dem  Grün  des  Teppichs  und  Gasteiner  Mar- 
mors. An  das  Boudoir  schließt  sich  das  Speise- 
zimmer, ein  Raum  von  etwa  6  m  Breite  und  1 2  m 
Länge,  mit  vieleckigem  Abschluß  der  Fenster- 
seite und  einer  gewölbten  weißen  Decke  mit  gro- 
ßer, kannelierter  Kehle,  in  die  mit  Stichkappen 
die  schlanken  Fenster  einschneiden.  Grünes  ge- 
narbtes Leder  durch  Goldpressung  geometrisch 
geteilt,  überspannt  die  Wände  bis  zur  Decke 
zwischen  dunklen,  gemaserten,  polierten  Nuß- 


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ARCH.  CARL  EEG  U.  ED.  RUNGE-BREMEN 


baum-Pilastern  und-Friesen.  Im  gleichen  tiefen 
warmen  Ton  sind  Möbel  und  Türen  gehalten; 
feine  schwarze  Linien  heben  diesen  Effekt,  Mes- 
singintarsien blitzen  daraus  hervor.  Auf  dem 
schwarzgeränderten  Eichenparkett  liegt  ein  grü- 
ner Smyrnateppich  mit  schwarzen  und  farbigen 
Teilungen.  Messing  und  Baccaratkristall  der 
Beleuchtung  durchblitzt  den  Raum,  und  in 
die  gedämpfte  Stimmung  bringt  das  Rot  der 
Saffiansstuhlbezüge  und  der  leuchtenden  Seiden- 
ripsgardinen einen  starken  festlichen  Klang. 
Unser  Bildermaterial  enthält  noch  zwei  An- 
sichten aus  den  unteren  und  oberen  Geschossen : 
die  Küche,  die  unter  dem  Speisezimmer  liegt 
und  sich  seinen  Formen  und  Maßen  anpaßt, 
und  die  obere  Treppen-Halle,  die  der  unteren 
Halle  in  Einteilung  und  Farbgebung  ähnlich, 
nur  daß  durch  weißlackierte  Türen  und  Paneele 
die  Helligkeit  sich  noch  steigert.  Leider  läßt 
Platzmangel  nicht  zu,  einen  Blick  in  die  hier  oben 


HAUS  BLUMENECK:  HALLE 


sich  anschließenden  Wohn-  und  Schlafräume, 
Bäder,  Arbeitszimmer  und  in  weitere  Räume 
des  Erdgeschosses,  wie  Wohnzimmer,  Win- 
tergarten, Herrenzimmer  zu  tun,  in  denen 
wir  auch  Georg  K.  Rohde,  unserm  Bremer  Künst- 
ler auf  dem  Gebiete  des  Glasfensters,  begegnen 
würden  und  die  Vertreter  des  Bremischen 
Handwerks  immer  wieder  in  der  Gediegenheit 
ihres  Schaffens  bewundern  müßten.  Das  gute 
Zusammenarbeiten  des  Bauherrn  mit  den  Künst- 
lern, die  weitgehende  künstlerische  Freiheit,  die 
diese  genossen,  und  die  sichere  Wahl,  welche 
sie  unter  den  mitbeteiligten  Handwerkern  tra- 
fen, hat  denn  auch  ein  Werk  geschaffen,  in 
dem  künstlerisches  Wollen  bis  ins  einzelne, 
Güte  und  Schönheit  des  Materials,  Vollkom- 
menheit der  Technik,  Vornehmheit  und  Ele- 
ganz der  Gesamterscheinung  sich  harmonisch 
offenbaren,  ein  treues  Spiegelbild  gediegenen 
Bremischen  Sinns.  E.  Kleinhempel 


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ARCH.  CARL  EEG  U.  ED.  RUNGE-BREMEN 


HAUS  BLUMENECK:  AUFGANG  ZUR  HALLE 


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Mai  1914 


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HAUS  BLUMENECK:  FENSTERPLATZ  IM  EMPFANGSZIMMER 


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ARCH.  CARL  EEG  U.  ED.  RUNGE-BREMEN  HAUS  BLUMENECK:  DIE  OBERE  HALLE  UND  DIE  KÜCHE       f' 

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FL.  JESSIE  HÖSEL 


NADELMALEKEI 


DIE  STICKERIN  FLORENCE  JESSIE  HÖSEL 


Offen  gesagt,  wir  sind  jetzt  wieder  so  weit, 
das  Talent,  das  sich  an  wohl  ornamen- 
tierten Stickereien  bekundet,  ins  Haus,  ins 
Bereich  des  geschmackvoll  dilettierenden  Ama- 
teurtums  zu  verweisen.  Die  Tage  eines  Obrist, 
da  in  einer  Stickerei  sich  eine  kühne  Gestal- 
tungsenergie, ein  Stück  eigener  Weltanschauung 
offenbarte,  sind  vorüber.  Erbe  war  der  gute 
Geschmack,  der  wie  unzählige  Stickerinnen 
beweisen,  sich  wieder  durchgesetzt  hat  und 
von  dem,  wenn  er  nicht  mehr  Ausnahme- 
erscheinung ist,  nicht  viel  Aufhebens  zu  machen 
ist.  Es  soll  gewiß  nicht  bestritten  werden, 
daß  sich  innerhalb  dieser  Frauenkunst  sehr 
viel  individuelles  Geschick  darbietet.  Bestickte 
Kissen,  Kleider,  Tischdecken,  Vorhänge,  Wand- 
bilder, Pompadours  werden  von  gut  erzogenen 
Händen,  die  nicht  wenig  Sinn  für  Techniken, 
für  Materiale  und  Farbreize  haben,  gefertigt. 
Es  gibt  fast  an  jedem  dieser  Dinge  ein  paar 
eigene  Reize  zu  bewundern;  aber  diese  Be- 
wunderung ist  Sache  des  Alltags,  ist  eine  private 
Angelegenheit  der  Amateure,  die  sich  so  apart 
betätigen,  oder  der  Leute,  die  heutzutage  aus 
Mangel  an  Zeit  oder  Fertigkeit  derlei  Hand- 
arbeiten zu  kaufen  pflegen. 


Für  uns  kann  es  bei  der  erfreulichen  Fest- 
stellung des  erreichten  Niveaus  bleiben.  Unser 
mehr  künstlerisches  Interesse  mag  sich  wie- 
derum mehr  den  ganz  Wenigen  zuwenden,  die 
auf  so  friedsamem  Gebiet  Intuition  und  eigen- 
willige Persönlichkeit  auswirken.  Und  es  giebt 
hier  ein  paar  wirkliche  Künstlerinnen,  die 
leider  mehr  als  recht  verschwinden  zwischen 
der  Fülle  der  betriebsamen  Niveaulaiente.  Eine 
so  schätzbare  Natur  ist  die  Florence  Jessie 
HÖSEL,  an  deren  guten  Gaben  unsere  Zeit 
mit  sträflicher  Achtlosigkeit  vorbeiläuft.  Für 
kunstfreudige  Menschen,  die  in  sich  mehr  als 
einen  platonischen  Eifer  verspüren,  wäre  da 
eine  Gelegenheit,  mancherlei  gut  zu  machen. . . . 

Was  ist  es  um  diese  Kunst?  Die  Hösel 
stickt  Landschaftsstimmungen,  wie  sie  sie 
in  Schottland,  ihrer  Heimat,  oder  dem  Grune- 
wald erlebt:  Bildchen  mit  Mondenschein,  mit 
Sonnenaufgang,  mit  Bäumchen  im  Regen  und 
Wind.  Also  ein  abgewirtschaftetes  Genre, 
Butzenscheibenmotive,  mit  denen  wir  glück- 
licherweise kraft  unserer  modernen  Bewegung 
aufgeräumt  haben.  Es  läßt  sich  nicht  leugnen, 
dem  Motiv  nach  gehören  diese  Höselschen 
Stickereien   zu   jener  Bildchenkunst,   vor  der    ß 


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FL.  JESSIE  HOSEL 


NADELMALEREI 


ein  gütiges  Geschick  uns  dauernd  bewahren 
möge.  Aber  auch  nur  dem  Motiv,  nur  dem 
Ausgangspunkt  nach.  Was  sie  macht,  hat  mit 
jenen  ehemaligen  Haustöchtergreueln  so  wenig 
zu  tun  wie  deren  Kerbschnittarbeiten  mit  den 
Schnitzereien  eines  Wackerle.  Sie  hat  überhaupt 
mit  nichts  zu  tun  als  ihrer  kleinen  Dichter- 
seele, die  durch  Feld  und  Wald,  Wiese  und 
Hag  so  ruhelos  schweift. 

Eine  heimliche  Dichterin,  eine,  die  des 
Wortes  nicht  mächtig  ist,  spricht  sich  da  mit 
Nadel  und  Faden  aus.  Die  bunten  Seitensträhne 
reihen  sich  unter  ihren  Fingern  zu  Versfüßen ; 
von  seltsamen  Erlebnissen  einer  ganz  eigen- 
artigen Natur  leuchtet's  aus  ihnen.  In  diesen 
Farbflächen  klingt  etwas.  Musik,  Poesie,  wer 
kann  es  sagen?! 

Kleine  Landschaftsstimmungen,  kaum  eine 
Hand  breit,  sind  da  mit  einer  Sensibilität  ohne 
gleichen  erfüllt.  Was  man  von  diesen  Dingen 
in  Worten  schildern  kann,  klingt  banal.  Ebenso 


banal  wie  die  Inhaltsangabe  einer  zart  empfun- 
denen Stimmungslyrik.  Wie  Wald  und  Feld 
schön  sind,  wie  junge  Birken  sich  im  Früh- 
lingswind wiegen,  wie  der  Mond  über  den 
schweigsamen  Kiefern  der  märkischen  Land- 
schaft emporsteigt,  wie  der  Sturm  das  kahle 
Geäst  durchpeitscht,  das  sind  so  die  Erleb- 
nisse dieser  Frau,  die  sie  mit  bunt  glitzernden 
Fäden  in  Form  umzusetzen  versteht.  Es  scheint 
ein  ewiges  Aufnehmen  von  Bildern,  ein  unauf- 
hörliches Erleben  von  Wirklichkeiten.  Draußen 
vor  der  freien  Gotteswelt  lauscht  sie  in  sich 
hinein,  ganz  hingegeben,  ganz  ergriffen,  ganz 
bezaubert  von  dieser  unfaßbaren  Schönheit. 
Da  wird  in  ihr  etwas  wach,  was  den  Nadel- 
arbeiten den  phantastischen  Reiz  gibt,  etwas, 
was  in  dem  fertigen  Werk  ergreift,  eben  weil 
es  aus  tiefster  Ergriffenheit  kommt. 

Ohne  die  Nadel  und  den  Faden  ist  die  Hösel 
nicht  denkbar.  Ich  habe  Verse  von  ihr  noch 
nie  gehört;    aber  ich  bin  überzeugt,  wenn  es 


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FL.  JESSIE  HOSEL 

derartiges  gäbe,  es  wäre  hilfloses  Gestammel. 
Vor  einigen  Jahren  waren  einmal  ein  paar 
Zeichnungen  von  ihr  ausgestellt,  die  durch 
Wesenlosigkeit  verblüfften.  Es  ist  seltsam,  so 
sehr  diese  Hösel  über  aller  Technik,  vielleicht 
sogar  außerhalb  der  landläufigen  Stickerei- 
technik steht,  so  sehr  scheint  sie  doch  an  sie 
gebunden.  Sie  ist  wirklich  ganz  sie  selbst  erst, 
wenn  sie  die  glitzernden  Seidensträhnen  in  den 
Fingern  hat,  wenn  sie  ihre  Sticknadel  führen 
kann,  nach  der  sie  greift  wie  der  geborene 
Graphiker  zu  seiner  Radiernadel  langt.  Es 
überrascht  denn  auch  nicht  zu  hören,  daß  viele 
und  vielleicht  die  besten  dieser  Grunewald- 
stimmungen direkt  vor  der  Natur  unter  dem 
Eindruck  des  ersten,  frischen  Erlebens  gestickt 
worden  sind.  Vor  der  Natur,  aber  niemals 
naturalistisch,  ganz  so  wie  Liebermann  ein- 
mal erklärt  hat,  daß  er  seine  Bilder  immer 
vor,  aber  niemals  nach  der  Natur  gemalt  habe. 


NADELMALEREI 

So  mußten  diese  Stickereien  denn  auch  ganz 
Dokumente  ihrer  Persönlichkeit  werden.  So- 
gar in  der  Handschrift  prägt  sich  ihr  Wesen 
deutlich  genug  aus.  Es  klingt  etwas  fremdartig 
im  Ohr,  wenn  bei  einer  Stickerin  von  Hand- 
schrift gesprochen  wird.  Aber  man  sehe  sich 
nur  einmal  genauer  die  Lichtung  (Abb.  S.  376) 
an.  Sogar  die  Reproduktion  läßt  noch  deutlich 
genug  diesen  eigenen  und  entschiedenen  Duk- 
tus erkennen,  um  den  ein  Kalligraph  oder  ein 
Radlerer  diese  Frau  beneiden  könnte.  Und 
in  diesem  Handschriftlichen  beruht  die  künstle- 
rische Delikatesse  dieser  Nadelgraphiken, 
die  in  Europa  einzigartig  dastehen,  die  höch- 
stens in  Japan  Geistesverwandte  haben.  Was 
man  heutigen  Tages  so  selten  anzutreffen  pflegt: 
einen  Persönlichkeitsstil,  was  man  so 
gierig  erstrebt:  Ausdruckskunst,  Aus- 
druck eines  Seelischen,  findet  man  da 
in  diesen  feinen  Bildchen.         Paul  Westheim 


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aller  Arbeitsgebiete  unseres  Kunstgewerbes  mit 
den  neuzeitlichen  Grundsätzen  zweckgemäßer 
Formgebung,  vollkommener  technischer  Beherr- 
schung der  Materialsprache  und  sinngemäßer 
Durchbildung  des  Schmuckes  hat  auch  das  alte 
Gebiet  der  Veredelung  der  Glasarbeiten  erreicht. 

Hier  fanden  sich  besondere  Entwicklungs- 
bedingungen vor.  Noch  immer  besteht  die 
Glaserzeugung  und  die  Herstellung  der  Ver- 
edelung durch  Schliff,  Gravur,  Aetzung,  Far- 
benauftrag, Ueberfang,  Email,  Metallüberzug 
an  den  alten  Produktionsstätten  Nordböhmens. 

Wenn  auch  Glashütten  zur  Herstellung  des 
Rohglases  über  mehrere  Gebiete  Böhmens  ver- 
streut sind,  so  ist  doch  die  Hohlglasraffinerie 
vorwiegend  im  Haida-Steinschönauer  Bezirk 
lokalisiert. 

Die  sogenannten  „Verleger"  hatten  seit  alten 
Zeiten  den  Handel,  den  Vertrieb  in  der  Hand. 
Von  ihnen  abhängig  blieben  in  den  zahlreichen, 
um  die  Städtchen  Haida  und  Steinschönau 
gruppierten  Ortschaften  die  Schleifer,  Kugler, 
Einbohrer,  Graveure,  Aetzer,  Maler,  Vergolder, 
Versilberer  usw.,  die  größtenteils  Heimarbeit 
leisteten  und  einst  in  getrennten  Zünften  ver- 
einigt waren. 

Je  mehr  der  Massenbetrieb  einflußreich  und 


verhängnisvoll  wurde,  desto  geringer  blieb  die 
Selbständigkeit  der  kleinen  Meister  und  ihrer 
Gehilfen.  Die  letzte  Blüte  handwerklicher  Frei- 
heit in  der  ersten  Hälfte  und  um  die  Mitte  des 
IQ.Jahrhunderts  hat  ihr  Werk  durch  große  Man- 
nigfaltigkeit der  Formen  und  Techniken  aus- 
gezeichnet. Sie  stand  im  Zusammenhang  mit 
der  Ausbildung  des  bürgerlichen  Heims.  Der 
Glasschrank  im  Wohnraum,  die  Kredenz  im 
Speisezimmer  eines  wohlhabenden  Bürgers 
mußten  eine  Auswahl  schöner  Glasarbeiten  ber- 
gen, die  als  Geschenk-  und  Erbstücke  wert 
gehalten  wurden.  Heute  sind  diese  Stücke 
Gegenstand  des  Sammeleifers  geworden,  der 
an  der  Farben-  und  Formenfreude  und  an  dem 
oft  intimen  und  fast  persönlichen  Reiz  der 
geschmackvollen  handwerklichen  Leistung  Ge- 
fallen findet. 

Unsere  moderne  Wohnungsausbildung  sucht 
dem  bürgerlichen  Milieu  etwas  von  der  Inti- 
mität und  der  beziehungsreichen  Handwerks- 
freude  zurückzuerobern,  welche  einst  zum 
Besitzstande  der  Wohlhabenden  gehörte  und 
in  das  einfachste  Heim  eine  künstlerische  Note 
brachte. 

Die  nordböhmischen  Gläser  beginnen  seitganz 
kurzer  Zeit  wieder  eine  Rolle  zu  spielen,  seit  man 
die  Anknüpfung  an  die  alten  Techniken  auf- 
genommen hat,  und  seitdem  in  den  staatlichen 
Lehranstalten    von    Haida    und    Steinschönau 


■  5X3(5X3  SXSCsXS  (5X96X9(5X9  5X9(5X9(5X9(5X9(5X9(5X9(5X96X9(5X9(5X96X96X9(5X96X9(5X96X31 


Dekorative  Kunst.    XVII.    8.    Mai  1914 


377 


48 


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JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


GLÄSER  MIT  BRONZIT-DEKOR 


Ausführung:  J.  &  L.  l  obmeyr,  Wien 


geistige  Zentralstellen  geschaffen  wurden,  von 
welchen  die  Anregungen,  die  Einflüsse  ausgehen. 

Jene  zielbewußte  Energie,  die  unbeirrt  von 
rein  merkantilen  Forderungen,  die  künstlerische 
und  technische  Vervollkommnung  anstrebt, 
hat  bewiesen,  daß  die  in  letzter  Zeit  ganz  von 
der  Massenproduktion  verdorbene  Glasver- 
edelung auf  neuen  Wegen  zu  schöner  Blüte 
geführt  werden  kann. 

Allerdings  ist  der  alte  Weg  der  Herstellung 
verlassen  worden.  Die  Wünsche  einzelner 
Verleger  sind  nicht  mehr  maßgebend,  und  es 
bleibt  dem  Handwerker  nicht  mehr  der  große 
Spielraum,  aus  der  rohen  Form  zu  schaffen, 
was  ihn  freut. 
Die  künstleri- 
sche Einfluß- 
nahme ist  der 
leitendeGeist. 
In  den  Labo- 
ratorien und 
Werkstätten 
werden  neue 
Verfahren  und 
neue  Wirkun- 
genersonnen. 
Man  baut  auf 
den  alten  Er- 
fahrungen auf 
und  weiter  und 
läßt  sich  von 
neuzeitlichen 
Arbeitsprin- 
zipien leiten. 


URBAN  JANKE-WIEN  El  BLUMENSCHALE  MIT  BRONZIT-DEKOR 
Ausführung:  J.  &  L.  Lobmeyr,  Wien 


Schon  seit  längerer  Zeit  ist  der  schwere 
Kristallschliff  neu  belebt  worden.  Früher  wurde 
der  scharfkantige  Schnitt,  das  Zerlegen  der 
Flächen  durch  geflechtartige  Muster,  „das  Stein- 
deln"  zum  hauptsächlichen  Schmuck  verwen- 
det, endlos  variiert  und  endlich  durch  Pressen 
und  Gießen  der  Formen  vorbereitet  oder  auch 
imitiert.  Jetzt  hat  man  von  künstlerischer 
Seite  ganz  andere  Absichten  verwirklicht.  Die 
edle  Reinheit  und  der  hohe  Glanz  des  heute 
so  vollkommen  herstellbaren  Kristallglases  wur- 
den mit  Hilfe  schöner  Formgebung  zu  voller 
Wirkung  gebracht.  An  weichgeschwungenen,  fein 
profilierten  Gefäßformen  von  oft  ansehnlicher 

Größe,  an  Be- 
chern, Poka- 
len, Schüs- 
seln wurde 
der  Schliff  da- 
zu benutzt, 
den  Glanz  der 
Oberfläche, 
die  Präzision 
des  Umrisses 
vollkommen 
zu  machen. 
Die  Qualität 
des  Materials 
ermöglichte 
ganz  schwere 
Formen,  die 
eines  monu- 
mentalen Zu- 
ges nicht  ent- 


■SX5)SXSSX3(SX9(5XSSX9SX9(sX9STTre(5X3G?rre(5X3SX9eX9S7r^ 


378 


behren  und  die  ähnlich  den  alten  ' 

Bergkristallgefäßen  gerade  in  der 
Dickwandigkeit  und  massiven  Ba- 
sis einen  besonderen  Reiz  er-  I 
hielten,  der  das  Farbenspiel  der  I 
Oberfläche  steigerte.  Auch  voll-  | 
kommen  geradlinige,prismatische 
Formen  mit  einer  plattenartigen 
Gliederung  erzielten  durch  die  ge- 
schliffene Stufenteilung  vielfälti- 
gen Reiz.  Solche  Arbeiten,  welche 
die  FirmaJ.  u.  L.  Lobmeyr  beson- 
ders schön  ausführte,  sind  bei  be- 
sonderen Gelegenheiten  und  an 
Prunkstücken  in  den  letzten  Aus- 
stellungen der  Wiener  Kunstge- 
werbemehrfach zu  sehen  gewesen. 
Durch  Wiedereinführung  des 
Hyalith-  und  Nigritglases  wurde 
auch  die  achatartige  oder  mar- 
morartige Wirkung  in  der  Masse 
gefärbten  Glases  an  monumen- 
talen Gefäßformen  verwertet. 
Die  Wiedereinführung  des  alten 
Rubinglases,  das  massiv  verwen- 
det wurde,  verbunden  mit  dem 
prismatischen  Schliff  hat  bei 
schweren  Ziergläsern  von  glat- 
ten, einfachen  Grundformen  edle 
Bildungen  ermöglicht. 

Hier  haben  die  Firmen  J.  Mühl- 
haus &  Co.  und  J.  Lötz  Wwe. 
Verdienstvolles  geleistet.  Immer 
ist  es  die  Schönheit  und  der 
Glanz  der  weißen  oder  farbigen 
Oberfläche,  die  in  Verbindung  mit 
einfacher  kräftiger  Gefäßbildung 
jene  Eigenschaften  des  Glases 
hervortreten  lassen,  die  es  den 
Halbedelsteinen  nahe  bringt. 

Aus  der  Vorliebe  für  das  far- 
bige Glas  ist  dann  die  Ausbil- 
dung der  Ueberfangtechnik  ent- 
standen, welche  die  neueste  Ent- 
wicklungsstufe kennzeichnet. 

Auch  da  bevorzugt  man  heute 
die  einfache  Gefäßform:  den  Zy- 
linder, die  Kugelform,  die  weich 
geschwungene  Vasenlinie,  die 
sich  dem  Zylinder  nähert,  wäh- 
rend die  Biedermeierzeit  recht 
bewegte  und  lebendig  profilierte 
Umrißlinien  liebte.  Für  die  Far- 
benwahl ist  heute  die  energische 
Betonung     von    Kontrastfarben 

charakteristisch,    die    bis    zum  1 

scharfen  Gegensatz  von  Schwarz       pokal  aus  Kristallglas  mit  transparent-email-malerei  von 
und  Weiß  gesteigert  wird.  karl  massanetz,  steinschonau  (bohmen) 


379 


48« 


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9 


GLASER  MIT  FEDERZEICHNUNGEN  VON  KARL  MASSANETZ,  STEINSCHONAU  (BÖHMEN) 


9i 


Der  Technik  des  Kugeins  entspricht  das 
Herausschleifen  oft  wiederholter  Kreise,  Ellip- 
sen oder  langer  schmaler  Linsen  formen,  die 
zusammenfließen 
oder  versetzt  zur 
Anwendung  ge- 
langen. Freieres 
Blattornamentge- 
langt  nur  äußerst 
selten  in  den  mo- 
dernen Formen- 
schatz.DieBieder- 
meierzeit  liebte 
recht  gewagte  und 
raffinierteSchleif- 
kunststücke, wäh- 
rend heute  die 
klare  Betonung 
und  häufige  Wie- 
derholunggeome- 
trischer Grund- 
linien der  einfa- 
chen Form  der 
Gefäße  besser  an- 
gepaßt ist.  Die 
weiße  Konturie- 
rung  der  farbi- 
gen opaken  Glas- 
schichten ist  eine 
alte  Gepflogen- 
heit, die  dem  mo- 
dernen Empfin- 
den besonders  gut 
entspricht,  indem 
sie  die  Präzision 
verstärkt  und  die 
Wiederholungder 
Grundform      be- 


j.jelinek  q  deckelvasen  in  kristallglas  mit  zweifachem 
Oberfang  hausf.  :  gräfl.  harrachsche  Glasfabrik,  neuwelt 


günstigt.  Man  hat  diesen  Arbeiten  den  Namen 
„Ziersaumgläser"  gegeben  (vgl.  S.  381  u.  382). 
Diese    Technik    ist    ganz  dazu   angetan,  eine 

große  Verbreitung 
neuer  Bildungen 
zu  ermöglichen. 
In  Haida  ist  ihre 
Pflegestätte. 

Der  durchsich- 
tige Ueberfang 
ist  weniger  ent- 
wicklungsfähig. 
Hübsch  ist  das 
Durchschleifen 
einer  einfachen 
Rubinglasschicht 
oder  eines  trans- 
parenten kobalt- 
blauen Überfangs 
mit  charakteristi- 
schem, mehr  er- 
zählendem Orna- 
ment angewendet 
worden.  Hier  sind 
ja  auch  figurale 
Motive  am  Platz, 
wie  sie  einst  an 
den  Jagdhumpen 
üblich  waren  (vgl. 
Abbild.  S.  383). 
Das  Bestreben, 
ein  bewegteres 
Ornament  zu  er- 
möglichen,hatzur 
Zeichnung  auf 
mattiertem  Glas 
geführt,  im  Zu- 
sammenhang mit 


l&7rr3<s?rreSX3SX9S7rraSX3(5?rraSX3SX3(5X3öiT;ö('.>;c)ö.Tiüö^Xc)<3Xö 


380 


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FACHSCHULE  HAIDA  a  VASEN  UND  DOSE  IN  KRISTALLGLAS  MIT  ZWEIFACHEM  ÜBERFANG  UND  ZIERSAUMGLÄSER 

Vertrieb:  Job.  Oertel  &  Co.,  Haida  (Böhmen) 

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381 


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& 


FACHSCHULE  HAIDA  13  VASEN,  DOSE  UND  ZIERSAUMGLASER  MIT  ZWEI-  UND  DREIFACHEM  OBERFANG 

Vertrieb:  Joh.  Oertel  &  Co.,  Haida  (Böhmen) 

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382 


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J'^'l»xi>c#.>:/x«vv.vy.>y.v/.N>^>^^ 


FACHSCHULEJHAIDAta  GESCHLIFFENE  SCHALE  M.  RUBIN-ÜBERFANG 
Vertrieb :  Joh.  Oertel  &  Co.,  Haida 


einer  leichteren 
Formgebung  und 
dünnen  Wänden. 

Einerseits  ist 
das  farbige  Gias- 
email  durch  Auf- 
tragen von  Li- 
nien und  Punk- 
ten in  Verbin- 
dung mit  Ver- 
goldung einer 
reichen,  klein- 
formigenTeilung 
der  Oberflächen 
günstig. 

Anderseits  ist 
der  flächenhaft 
verteilte  oder  in 
Linien  mit  dem 

Pinsel  aufgetragene  Bronzitdekor  sehr  geeignet, 
einen  reizvollen  Flächenschmuck  zu  bewirken. 

Der  Fachschule  in  Steinschönau  sind  be- 
sonders in  der  Email-  und  Bronzit- Technik 
künstlerische  wie  technische  Anregungen  zu 
verdanken.  Professor  Hoffmann- Wien,  Jung- 
nickel, Janke  u.  A.  haben  höchst  reizvolle 
ornamentale  Ideen  an  matten  Gläsern  und 
Schalen  entwickelt,  die  mitunter  der  Wirkung 
von  Schattenrissen 
nahe  kamen.  In 
jüngster  Zeit  sind 
von  Karl  Massanetz 
in  Steinschönau 
reiche  Federmoti- 
ve erfolgreich  ver- 
wendet worden, 
um  Glasflächen  zu 
schmücken  (Abb. 
Seite  379  und  380). 

Immer  ist  es 
aber  reiner  Flä- 
chenschmuck, der 
angewendet  wird 
fern  von  jedem  Na- 
turalismus,fern  von 
plastischer  Wir- 
kung. Der  Gefäß- 
umriß ist  mög- 
lichst ruhig,  die  zu 
schmückende  Flä- 
che bleibt  mög- 
lichst geschlossen 
und  ungeteilt,  der 
Schmuck  ist  wie 
aus  der  Form  und 
dem  Umriß  heraus- 
geholt. Alte  und  be-  " 
währte   Techniken 


FACHSCHULE  STEINSCHÖNAU    D    ZIERVASE  IN  KRISTALLGLAS 
MIT    SCHWARZWEISZEM    OBERFANG,    MALEREI    UND    SCHLIFF 


wurden  wohl  be- 
nutzt, aber  auch 
ergänzt  und  er- 
weitert, um  dem 
so  veränderten 
Formgefühl,  den 
Strengeren  Stil- 
grundsätzen an- 
gepaßt zu  wer- 
den. Die  Naivität 
der  Biedermeier- 
zeit, die  eine  inti- 
me Detaildurch- 
bildung liebte 
und  noch  hand- 
werkliche Ein- 
fälle und  Varia- 
tionen kannte, 
die  dem  Zufall 
und  der  Hand  des  kleinen  Meisters  ihre  Ent- 
stehung verdankten,  ist  einer  mehr  planmäßi- 
gen, von  einer  Zentralstelle  ausgehenden,  un- 
ter künstlerischer  Leitung  stehenden  Gestal- 
tungsweise gewichen.  Aber  die  geistige  Durch- 
dringung der  Aufgaben  ist  schon  weit  fortge- 
schritten. Material  und  Technik  werden  voll- 
kommen beherrscht,  und  eine  erfreuliche  Man- 
nigfaltigkeit ist  erreicht;  Farben-  und  Formen- 
freude sind  neu  ge- 
weckt. Allerdings 
gehören  die  neuen 
Erzeugnisse  nicht 
zur  billigen  Markt- 
ware. Der  schwere 
Kristallschliff  wird 
wohl  immer  nur 
prunkvollen  Stük- 
ken  vorbehalten 
bleiben,  doch  kann 
der  Ueberfang  und 
das  Email  leichter 
weiteren  Kreisen 
zugänglich  gemacht 
werden.  Der  Ver- 
trieb ruht  heute  be- 
reits in  rührigen 
Händen.  Die  Firma 
Joh.  Oertel  &  Co. 
tritt  besonders  für 
die  Haidaer  Er- 
zeugnisse lebhaft 
ein  und  hat  dieser 
Gruppe  von  Arbei- 
ten an  vielen  Stel- 
len Zutritt  erwirkt, 
dem  ein  verdienter 
Beifall  folgte. 

HARTWIG  FISCHEL 


(9 


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383 


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9 


FACHSCHULE  HAIDA  EJ   KRISTALLVASEN  MIT  EMAILMALEREI  IN  BUNTEN  FARBEN  AUF  GOLDGRUND  >, 

Vertrieb:  Job.  Oertel  &  Co.,  Haida  (Böbmen)  V 


384 


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ELSE  LOWENTHAL-MONCHEN    □     DECKE  AUS  WEISZEM  LEINEN  MIT  KURBELSTICKEREI  IN  GELB  UND  SCHWARZ 


ZU  DEN  ARBEITEN  VON  ELSE  LÖWENTHAL 


Die  Stellung  der  Frau  in  der  bildenden 
Kunst  ist  nie  eine  revolutionäre  gewesen, 
sie  hat  nie  auf  verlorenem  Posten  für  ein 
fernes  Ideal  gekämpft.  Sie  ist  nie  die  Schöpferin 
allgemein  gültiger  Formen  gewesen,  sondern 
sie  hat  den  vorhandenen  Stoff  auf  einem  be- 
stimmten Gebiete  mit  Hingabe  weitergebildet 
und  da  häufig  Vorzügliches  geleistet.  Ob  es 
der  Frau  jemals  möglich  sein  wird,  ganz  große 
Kunstwerke,  die  für  eine  Welt  gültig  wären, 
hervorzubringen,  ist  sehr  zweifelhaft.  In 
unserer  modernen  Kunst  aber  hat  die  Frau 
durchaus  mitzureden,  und  namentlich  im  Kunst- 
gewerbe spielt  ihre  Tätigkeit  heute  eine  sehr 
große  Rolle. 

Die  Fähigkeiten  Else  Löwenthals  wären  noch 
vor  einigen  Jahrzehnten  in  einer  öden  Blumen- 
malerei wahrscheinlich  untergegangen,  heute 
aber  kann  sie  sie  dem  Kunstgewerbe  nutzbar 
machen,  und  ihre  Leistungen  müssen  Achtung 
erfordern.  Sagen  wir  es  offen :  sie  gehört 
nicht  zu  denen,  die  neue  Werte  geschaffen 
haben,  aber  in  der  Summe  des  modernen 
Kunstgewerbes  behaupten  sich  ihre  Arbeiten. 
Es  ist  das,  was  man  als  brauchbares,  gutes 
Kunstgewerbe  bezeichnen  kann,  das  sich  nicht 


vordrängt,  aber  auf  einem  tüchtigen  Niveau 
steht.  Else  Löwenthal  hat  persönliches  Talent 
und  einen  kultivierten  Geschmack. 

Das  Gebiet,  für  das  die  Frau  von  jeher 
eine  höhere  Begabung  gezeigt  hat,  ist  die 
Kleinkunst  und  namentlich  die  Textilkunst. 
Else  Löwenthals  eigentlichstes  Gebiet  sind 
wohl  ihre  Lederarbeiten  und  ihre  Perlen- 
stickereien. Daß  ihre  Möbel  nicht  nach  einer 
besonderen  Note  streben,  kann  man  ihnen 
als  Vorzug  anrechnen.  Sie  sind  gefällig  in  der 
Form  und  von  zweckmäßiger  Einfachheit,  die 
durch  das  sparsam  und  gut  verwendete  Or- 
nament nicht  aufgehoben  wird.  Die  Selbst- 
verständlichkeit und  Natürlichkeit  der  Formen 
ist  bei  jedem  Möbel  als  ein  Vorzug  zu  be- 
trachten und  wird  als  erstes  Erfordernis  für 
jeden  Stil  zu  gelten  haben.  Diese  Bedingungen 
hat  Else  Löwenthal  alle  gut  erfüllt.  Ihre 
Lederarbeiten  zeichnen  sich  durch  solide 
Technik  aus.  Am  besten  erscheinen  mir  ihre 
Perlenarbeiten  gelungen  zu  sein.  Hier  zeigt 
sie  wirklich  große  Originalität.  Namentlich  in 
der  Wahl  der  Farben  ist  sie  sehr  geschmack- 
voll. Es  entsteht  da  eine  Wirkung,  die  man 
als  tonig  bezeichnen  möchte.  w.  f. 


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Dekoratii'e  Kunst.  XVII. 


Mai  1914 


385 


49 


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ELSE  LOWENTHAL-MÜNCHEN 


LEDERTASCHCHEN  MIT  GOLDPRÄGUNG 


ZUR  AUSSTELLUNG  VON  IDEEN-ENTWÜRFEN 
FÜR  FARBIGE  FLÄCHENVERZIERUNG  IN  KREFELD 


Wer  das  frühlingsfrohe  Werden  der  letzten 
Jahrzehnte  in  den  am  meisten  davon  be- 
rührten Städten  durch  die  größeren  Ausstel- 
lungen oder  durch  die  Vorführungen  eines 
Museums  miterleben  konnte,  der  hätte  bei 
einiger  Kenntnis  des  Verlaufes  früherer  Ent- 
wicklungen glauben  sollen, 
daß  all  das  Uebermaß  drän- 
gender Bewegung  und  Un- 
ruhe im  Tektonischen  der 
kleineren  und  größeren  Ge- 
bilde wenigstens  von  den 
einfachsten  und  ruhigsten 
Schmuckelementen  beglei- 
tet worden  wäre,  doch  das 
geschah  bei  wenigen  Wer- 
denden nur  ganz  allmäh- 
lich. Vieles  wurde,  ohne 
daß  das  urgesetzlich  und 
jeweils  auch  landschaftlich 
bedingte  Gefühl  für  Voll- 
kommenheit und  Harmonie 
mit  einem  größeren  Ar- 
chitektur-Ganzen in  den 
Schöpferwillen  aufgenom- 
men werden  konnte,  ledig- 
lich aus  der  Sucht  nach 
Neuem,  noch  nie  Dagewe- 
senem, wie  im  Treibhaus 
großgezogen.  Wie  früher 
das  ausgereifte  Alte,  so 
fand  damals  auch  das  von 


schöpferischen  Kräften  ausgehende  unreife  Neue 
seine  Nachahmer  in  den  Schulen  und  Ateliers 
jener  Geschäfte,  deren  Leiter  nur  in  ganz  selte- 
nen Fällen  fähig  waren,  das  neue  Keimen  und 
Werden  nach  seinem  Wesen  zu  beurteilen. 
Gleich  lebensgefährlich  blieb  dieses  verständ- 
nislose Wiederholen  des 
Alten  und  des  Neuen  für 
die  natürliche  Entwicklung 
und  für  deren  Auswellen 
in  weitere  Kreise.  Es 
dauerte  einige  Jahre  bis  aus 
der  mechanischen  Wieder- 
holung dereinfachsten  Wir- 
kungen heraus  das  gesetz- 
mäßig Lineare  resp.  Flä- 
chenhafte zu  freieren,  aus 
optischen  und  handwerk- 
lich-technischen Gründen 
gebundenen  Melodien  und 
Kompositionen  heranreifte. 
Allmählich  wurden  dann 
auch  wieder  die  für  alle 
Zierkunst  so  bedeutsamen 
gesetzgebenden  Hauptmo- 
mente der  Architektur  wie- 
der lebendig  erkannt,  und 
so  sehr  diese  heute  im  Be-  1 
wirk-    il' 


wußtsein  sind, 
liehen  Dichter 
Zierkünstlern, 


die 
unter   den 
bei    denen 


ELSE  lowenthalqnotizblock  IN  LEDER        Rhythmusund  Auschauung 


386 


( 6X£>QX£)SX9(2;A^(3X£>Q:i:£)(3JA:£)(: 


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sich  zu  höherer  Einheit  vollenden, 
sind  noch  ebenso  selten,  wie  jene 
Baukünstler,  die  auf  ihre  Weise  die 
Vollendung  und  Geistigkeit  der  alten 
Kunst  wieder  erreichten.  Heute  ist  die 
Ornamentik  zwar  in  einem  gewissen 
Sinne  der  Ausdruck  unserer  Zeit  — 
doch  muß  man  hinzufügen  —  einer 
Zeit,  die  sich  nur  in  wenigen  geklärt  hat 
und  die  nichts  heiligeres  tun  könnte, 
als  durch  Erneuerung  und  Stärkung 
in  allem,  auch  in  den  schmückenden 
Künsten  wieder  das  eigenste  geistige 
Wesen  der  Völker  zum  Ausgangs- 
punkte neuen  Erdenglückes  zu  ma- 
chen. Doch  so  weit  ist  man  noch 
lange  nicht.  Von  irgend  woher  braucht 
nur  ein  Modesignal  zu  kommen,  und 
jede  natürliche  Entwicklung  ist  wieder 
für  einige  Zeit  gehemmt,  weil  unschöp- 
ferische „Autoritäten"  den  Zustrom 
befruchtender  Ideen  hemmen  und  trotz 
besserer  Einsicht  nicht  den  Mut  ha- 
ben, den  wahren  Prinzipien  der  Flä- 
chenkunst ihr  Recht  mitzuerkämpfen. 
So  steht  dann  dem  Dichter  der  klug 
berechnende  Vernichf  er  gegenüber,  der 
aus  den  unzähligen  internationalen  Ein- 
flüssen unserer  Zeit  stets  nur  seelen- 
lose Aeußerlichkeiten,  m.  a.  W.  Stil- 
losigkeiten  zu  schnell  vergänglicher 
Mode  emporschnellen  läßt. 

Die  Volkskräfte  befinden  sich  da- 
her noch  viel  zu  sehr  im  Dienste  der 
Spekulation,  und  nur  wenige  sind 
stark  und  selbstlos  genug,  der  Mode 
aus  dem  Wege  zu  gehen.  Dazu 
kommt,  daß  die  Urbedeutung  orna- 
mentaler Elemente,  wie  z.  B.  auch  in 
den  Schriftzeichen,  in  der  Heraldik, 
in  den  Symbolen  usw.  zum  Ausdruck 
kommt,  dem  Gefühl  fast  ganz  ver- 
loren gegangen  ist.  Gewiß  handelt 
es  sich  da  um  die  allerelementarsten 
Dinge  linearer  Abstraktion.  Doch 
darüber  hinaus  liegen,  vom  Werden 
des  primitivsten  Schmuckes,  wie  ihn 
vor  der  Weberei  die  älteste  Keramik 
aufweist,  bis  zu  der  durch  die  Natur- 
betrachtung angeregten,  als  Offen- 
barung der  Wesensart  eines  Volkes, 
einer  Rasse  auftretenden  reicheren 
Flächenkunst,  eine  unendliche  Zahl 
von  Möglichkeiten.  In  den  unbeein- 
flußten, eigenartigen  Arbeiten  von 
Kindern,  schlichten  alten  Töpfern, 
bei  denen  die  Naturanschauung  den 
inneren  Vorstellungskräften  nur  sehr 


ELSE  LOWENTHAL-MÜNCHEN  B  LEDERBANDE  MtT  GOLDPRESSUNG       W 


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387 


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ELSE  LÖWENTHAL-MONCHEN 


WEISZ  LACKIERTE  HOLZKASTCHEN  MIT  BUNTER  BEMALUNG 


zögernd  entgegenkommt,  liegt  der  beste  Be- 
weis für  die  besonderen  Befähigungen  der  je- 
weils landschaftlich  bedingten  Volksgruppen- 
seele. Es  entstehen  auf  diesen  ersten  Stufen 
unverdorbener  Entwicklung  weder  allzu  ab- 
strakte Dinge, noch  schwächliche  Nachahmungs- 
versuche der  Natur  oder  alter  Kunst,  sondern 
höchst  kraftvolle  Wirkungen,  in  denen  bei  alier 
Gesetzmäßigkeit  in  der  Anordnung,  die  durch 
Einflüsse  mannigfacher  Art  bedingten  Zustände 
der  Volksseele  zum  Ausdruck  kommen.  Für 
alle  Gebiete  der  Flächenkunst  ist  aber  gerade 
von  diesen  Erscheinungen,  die  unsere  ganz  be- 
sondere Liebe  verdienen,  zu  lernen. 

Was  nun  diese  erste  Ausstellung  von  Ideen- 
Entwürfen  für  farbige  Flächenverzierung  be- 
trifft, die,  stets  nach  einem  neuen  Programm, 
von  Jahr  zu  Jahr  erneuert  werden  soll,  so 
weiß  ich  nicht,  ob 
bereits  ein  anderes 
Museum  in  ähnli- 
cher Weise  einen 
Eingriff  in  die  Ent- 
wicklung versuch- 
te. Ein  Vorspiel 
gab  es  zu  dieser 
Ausstellung  je- 
denfalls schon  vor 
Jahren  im  Krefel- 
der Museum  in 
verschiedenen  an- 
deren Veranstal- 
tungen. Auf  Ein- 
ladung des  Direk- 
tors Dr.  Friedrich 
Deneken  wurde  die 
jetzige  Ausstel- 
lung  von   folgen- 


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ELSE  LOWENTHAL 


LEINEN 


denKünstlern  beschickt:  Harold  Bengen-Berlin, 
Professor  Paul  Bernadelli-Köln,  Professor  J.V. 
Cissarz-Stuttgart,  Johannes  Cladders- Krefeld, 
Professor  F.  H.  Ehmcke-München,  August 
EndelI-Berlin,ReinoldGruszka-Krefeld,  Gustav 
Jourdan-Stuttgart,  Bruno  Krauskopf-Charlotten- 
burg, Josef  Lichtenberg-Hüls,MaxLiebert- Frank- 
furt a.  M.,  Hans  Penner- München,  Thilo  Scho- 
der- Weimar,  Carl  Strathmann-München,  Frau 
Lilli  Terstegen-München,  Alfred  Graf  Wicken- 
berg-Stuttgart, Richard  Zimmermann-Krefeld. 
Ein  Teil  dieser  Arbeiten,  unter  denen  sich 
neben  allerlei  allzu  schulmäßig  wirkenden  und 
nur  nach  Effekt  haschenden  Sachen,  sich  recht 
eigenartige  und  feinfarbige,  hie  und  da  auch 
noch  einige  nicht  im  strengsten  Sinne  als 
Flächenkunst  anzusprechende  Ideen  befanden, 
soll  in  die  Farbenschau  der  Kölner  Werkbund- 
Ausstellung  auf- 
genommen wer- 
den. Wie  es  für 
Krefeld,  als  dem 
Vorort  der  deut- 
schen Seidenindu- 
strie zu  erwarten 
war,  wurden  man- 
cherlei Anregun- 
gen für  Textil- 
musterung  ein- 
geschickt, dazu 
buchgewerblicher 
Flächenschmuck, 
Tapeten-Entwürfe 
und  andere  Dinge. 
Schon  diese  er- 
ste Ausstellung,  so 
wenig  vollbefrie- 
KissEN  MIT  KURBELSTICKEREI       digeud    sie    War, 


388 


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ELSE  LÖWENTHAL-MÜNCHEN 


SCHREIBTISCHGERAT  IN  BRONZE 


macht  die  Hoffnung  wieder  rege,  daß  sie  trotz 
alles  Wirrwars  als  eine  über  Krefeld  hinaus- 
reichende Anregung  und  Schärfung  des  Ge- 
wissens mit  zum  allmählichen  Wiederauffinden 
unserer  eigenen  Melodie  helfen  wird.  Die  aus 
der  Quellkraft  des  eigenen  Wesens  geschaffene 
Zierkunst  der  Alten  trägt  all  die  Gesetze  des 
Wohllautes  und  der  Harmonie  als  abstrahierende 
Regungen  in  sich,  und  in  jenen  kostbaren  Werken 
der  Flächenkunst  ist  schon  unendlich  viel,  wenn 
nicht  alles  vorbereitet.  Wir  aber  hätten  ohne  die 


obengenannten  Hemmungen  längst  den  ganzen 
Reichtum  der  früheren  Zeiten  auf  unsere 
Weise  wieder  erarbeiten  können.  Man  sollte 
wünschen,  daß  einmal  für  bestimmte  Gebiete 
der  Flächenverzierung  z.  B.  für  Möbelstoffe 
gezeigt  würde,  was  seit  1900  bis  heute  an 
wirklichen  Leistungen  aufgetaucht  ist.  Aus- 
gereifte und  ewig  gute  Originalideen  als  eine 
Bereicherung  des  Formenschatzes,  würden 
nicht  allzu  zahlreich  sein,  besonders  in  unserer 
Zeit,   in  der  alles  zu  schnell  erledigt  werden 


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ELSE  LOWENTHAL-MONCHEN 


MÖBEL  FÜR  EIN  DAMENZIMMER 


soll,  und  in  der  die  Forderung  naturalistisch 
plastischer  französischer  Ornamentik  sehr  oft 
parallel  läuft  mit  dem  Zurückbleiben  der  Er- 
neuerung wahrhaftiger  bodenwüchsiger  Bau- 
kunst.    Aus  diesen  Gründen   mag  es  einmal 


eine  wichtige  Forderung  werden,  fundamentale 
rhythmische  Elemente  der  verschiedenen  Rassen 
und  Völker  gegenüberzustellen,  zumal  der  Wille 
zur  Rettung  und  Vollendung  des  eigenen  We- 
sens   auf    Grund    einer    seelisch    bedingten, 


ELSE  LÖWENTHAL 


KREDENZ 


Ausführung:  Schreinermeister  Georg  Schöttle,  München 

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ELSE  LOTENTHAL-MÜNCHEN 

organischen  Entwicklung  alles  Schaffens  noch 
sehr  schwach  ist,  und  da  doch  in  dem  Hauptele- 
ment aller  Zierkunst,  in  der  Linie,  in  der  Bewe- 
gung, in  der  Gebärde,  im  Tanz  der  klare  Spiegel 
des  inneren  Lebens  der  Völker  gefunden  wird. 
Die  Ausbildungsart  der  einzelnen  wirklich 
schöpferischen  Kräfte  wird  entweder  das  Wer- 
den einer  toten  oder  einer  lebendigen  Zier  kunst 
bedingen  —  und  unsere 
Kunstgewerbeschulen 
sind  noch  kaum  über 
eine  mechanische,  rein 
äußerliche  Förderung 
der  ihr  anvertrauten 
Kräfte  hinausgekom- 
men. Das  genügende 
Quantum  handwerk- 
lich-technischer Vor- 
bildung in  Verbindung 
mit  wahrhaft  schöpfe- 
rischen Fähigkeiten  ist 
gerade  auf  jenen  Ge- 
bieten, auf  denen  die 
Flächenkunst  Haupt- 
bedeutung hat,  immer 
noch  recht  selten.  Da- 
her deroft  so  jähe  Prin- 
zipienwechsel bei  Leu- 
ten, die  nicht  alle  Mo- 
mente der  Stilvollen- 
dung als  Selbstver- 
ständlichkeiten in  ihr 
Schaffen  einbeziehen 
können.  Es  muß  dahin 
kommen,  daß  die  Fabri- 
kanten    Deutschlands 


ELSE  LOWENTHALq SEIDENES  TÄSCHCHEN  M.  PERLEN 


TÄSCHCHEN  MIT  VENETIANER  PERLEN, 

einmütig  die  rechten  Prinzipien  der  Flächen- 
verzierung gelten  lassen,  die  Auswahl  an  inter- 
essanten Dingen  würde  dadurch  nicht  geringer, 
und  das  Geschäft  würde  ebensogut  gemacht  wer- 
den. Man  kann  hoffen,  daß  für  jede  schöpferi- 
sche Kraft  der  berechtigte  Wunsch,  durch  eine 
einzige  gute  Firma  ihre  Ideen  für  Flächenver- 
zierung auf  den  verschiedenen  Gebieten  ver- 
wirklicht zu  sehen, 
sich  immer  mehr  er- 
füllt —  denn  dadurch 
sind  die  Uebel  vor  allem 
mit  heraufbeschworen 
worden,  daß  jede  Fir- 
ma ein  Ragout  von 
allen  möglichen  Stil- 
meiereien bieten  zu 
müssen  glaubte. 

Die  so  edel  verkün- 
dete Sehnsucht  eines 
RuskinundMorriswird 
erst  dann  eine  Erfül- 
lung finden,  wenn  die 
aufdringlichen  theore- 
tischen Erörterungen 
verwegener  Russen 
diejenigen  nicht  mehr 
hemmen  werden,  die 
da  berufen  sind,  auf 
immer  neulebendige 
Art  eine  Vergegenwär- 
tigung unseres  eigenen 
Wesens  —  auch  in  der 
Flächenverzierung  — 
zu  bewirken. 

Josef  Lichtenberg 


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392 


WALTER  BERTINA-FRANKFURT  A.  M. 


FIGURINEN  ZU  .ORPHEUS  IN  DER  UNTERWELT' 


DIE  ZÜRCHER  THEATERKUNST-AUSSTELLUNG 


Daß  auch  in  einem  Lande,  welches  erst  auf 
eine  ganz  kurze  Entwicklungszeit  dra- 
matischer Kunst  zurückblicken  kann,  mit  der 
größten  Aufmerksamkeit  alle  Fragen  verfolgt 
werden,  die  auf  die  Befruchtung  des  Theaters 
durch  die  bildende  Kunst  abzielen,  bewies  die 
Theaterkunst-Ausstellung,  die  von  Februar  bis 
April  1914  im  Zürcher  Kunstgewerbemuseum 
abgehalten  wurde. 

Vieles  war  von  jener  Ausstellung  über- 
nommen worden,  die  vor  zwei  Jahren  der 
„Freie  Bund"  in  Mannheim  veranstaltet  hatte; 
dazu  kam  aber  manches  Neue,  das  in  dieser 
Frist  geschaffen  worden  ist,  und  ferner  eine 
reichere  Vertretung  schweizerischer  Bühnen- 
künstler. Ganz  besonders  zeichnete  sich  aber 
die  Zürcher  Theaterkunst-Ausstellung  dadurch 
aus,  daß  auf  ihr  die  beiden  radikalen  Büh- 
nenreformer, Edward  Gordon  Craig  und 
Adolphe  Appia,  große  Räume  zur  Vorführung 
ihrer  Werke  zugewiesen  bekommen  haften. 

Es  ist  merkwürdig,  daß  diese  beiden  ge- 
schworenen Feinde  aller  Wirklichkeitsvor- 
täuschung auf  der  Bühne  aus  Ländern  kommen, 
deren  Theater  in  unserem  Jahrhundert  gewiß 
keine  führende  Rolle  spielt.  Gordon  Craig 
stammt  aus  England,  das  durch  drei  Jahr- 
hunderte puritanischer  Entwicklung  nach  und 


nach  die  geistigen  Fäden  zerschnitten  hat,  die 
es  mit  seinem  größten  nationalen  Dichter  ver- 
banden, mit  William  Shakespeare,  der  seinem 
Wirkungsgebiet  nach  recht  eigentlich  ein 
deutscher  Dramatiker  geworden  ist.  Und 
Adolphe  Appia  stammt  aus  dem  kalvinistischen 
Genf,  wo  noch  zu  Ende  des  achtzehnten  Jahr- 
hunderts Jean-Jacques  Rousseau  sich  dadurch 
seinen  giftigen  Feind  und  Antipoden  Voltaire 
schuf,  daß  er  seine  sittenstolze  Vaterstadt  gegen 
den  Versuch,  französisches  Theater  in  ihr 
einzuführen,  mit  glühenden  Worten  verteidigte. 

In  der  radikalen  Art  beider  Künstler  liegt 
denn  auch  ein  gewisser  protestantischer  Zug, 
eine  Abkehrung  von  flatterhafter  Sinnen- 
freudigkeit und  Weltlust  und  der  Hunger  nach 
einer  Kunst,  deren  Größe  in  einem  heiligen 
Ernst,  in  Weltentrückung,  in  feierlichen 
Rhythmen,  in  Beschränkung  und  Abstraktion 
liegt.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  sich  solche 
Einflüsse  jahrhundertealter  religiöser  Erziehung 
eines  Stammes  noch  geltend  machen,  auch  wo 
der  einzelne  den  äußeren  Zusammenhang  mit 
jeglicher  Religionsübung  längst  aufgegeben  hat. 

Die  Szenenbilder  von  Gordon  Craig  und 
Appia  sind  dermaßen  aus  zahlreichen  Ver- 
öffentlichungen bekannt,  daß  es  hier  über- 
flüssig wäre,    Abbildungen  davon  beizufügen. 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    9.    Juni  1914 


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Sie  sehen  sich  auch  auf  den  ersten  Blick 
merkwürdig  ähnlich,  wie  es  sich  fast  von 
selbst  versteht,  da  beide  auf  die  bemalten 
Kulissen  und  Hintergründe,  auf  die  realistische 
Darstellung  von  Architektur  und  Landschaft 
verzichten.  Die  große  Wirkung  wird  von 
beiden  angestrebt  durch  räumliche  Eindrücke, 
durch  große  kubische  Massen,  von  denen  man 
durch  den  Bühnenrahmen  nur  einen  Ausschnitt 
erblickt,  so  daß  die  Phantasie  die  Räume  und 
ihren  Rhythmus  ins  Unendliche  erweitert.  Wie 
viele  andere  Bühnenkünstler  von  den  beiden 
gelernt  haben,  ersieht  man  etwa  aus  der 
Wintermärchen- Szene  von  Emil  Orlik  (Ab- 
bildung S.  395). 

Die  Schmucklosigkeit  solcher  Bühnenein- 
richtungen erinnert  etwas  an  den  Ernst  kal- 
vinistischer  Gotteshäuser,  besonders  bei  Craig, 
der  es  liebt,  das  Auge  durch  eine  Allee  ge- 
waltiger Pilonen  ins  Unendliche  zu  führen. 
Diesen  fast  abstrakten  räumlichen  Eindrücken 
könnte  auch  der  Vorwurf  der  Nüchternheit 
nicht  erspart  werden,  wenn  der  Raum  nicht 
durch  ein  anderes  Element  gesteigert  und  be- 
lebt würde:  durch  Licht  und  Schatten.  Statt 
des  Raffinements  des  Geschmacks  in  realisti- 
schen Bühnenbildern,  in  dem  immer  noch  fast 
ganz  die  Praxis  der  Theaterkünstler  aufgeht, 
das  Raffinement  der  modernen  Beleuchtungs- 
technik, die  im  schmucklosen  Raum  viel  stärker 
stimmungbildend  sein  muß,  als  wo  das  Auge 
durch  die  Menge  der  Einzelheiten  vom  Ein- 
druck des  Lichts  abgelenkt  wird.  Die  Farbe 
wird  bei  Craig  und  bei  Appia  nicht  durch  den 
Pinsel  des  Malers,  sondern  lediglich  durch 
das  Licht  vermittelt;  das  ist  wiederum  ein 
Zwang  zur  Einfachheit,  zur  Größe  und  Kraft, 
bietet  aber  den  Vorteil,  daß  die  Stimmung 
rasch  oder  ganz  allmählich,  in  jedem  Augen- 
blick, dem  Stimmungswechsel  des  dargestellten 
Werkes  angepaßt  werden  kann. 

So  ähnlich  die  Arbeiten  dieser  Reformatoren 
sind,  so  verschieden  ist  der  Weg,  auf  dem  sie 
zu  ihren  Ideen  gelangten.  Vor  der  Zürcher 
Ausstellung  kannten  sich  die  beiden  weder 
persönlich  noch  in  ihren  Werken. 

Craig  war  zuerst  Schauspieler  und  Maler. 
Von  der  bildenden  Kunst  aus,  haupsächlich 
durch  ein  eingehendes  Studium  der  alten  und 
exotischen  Kunst,  ist  er  zur  Ueberzeugung  ge- 
kommen, daß  der  Realismus  auf  dem  Theater 
jede  große  Wirkung  und  jede  edle  Inter- 
pretation höchster  dramatischer  Werke  aus- 
schließe. Ein  kleines  Stück  nachgeahmter 
Welt  sei  stets  dem  Wachsfigurenkabinett,  nicht 
aber  stilvoller  Kunst  verwandt  und  vermöge 
keine  Ewigkeitswerte  zu  vermitteln.  Craig 
stilisiert  daher  selbst  den  Darsteller  und   er- 


setzt dessen  Mimik,  die  ja  auch  einer  rea- 
listischen Kunstübung  gleichzusetzen  ist, 
durch  die  Maske  wie  auf  dem  antiken  Theater. 
Nur  so  kann  eine  ewig  gleiche  Interpretation 
nach  dem  Sinne  des  Dichters  gewahrt  bleiben, 
während  die  Mimik  den  Schauspieler  statt  des 
dargestellten  Werkes  in  den  Mittelpunkt  des 
Interesses  stellt.  Daß  die  Mimik  überflüssig 
ist,  beweisen  übrigens  auch  die  starken 
Wirkungen  der  Marionettentheater,  für  die 
Craig  dermaßen  eingenommen  ist,  daß  es  oft 
scheint,  als  liege  ihm  nicht  allzuviel  am  le- 
bendigen Schauspieler. 

Und  für  Adolphe  Appia  ist  gerade  der  Dar- 
steller die  Hauptsache.  Weil  der  Darsteller  von 
plastischer  Form  ist,  darf  er  nur  in  eine  natür- 
liche, nicht  in  eine  aufgemalte  Perspektive  ge- 
stelltwerden; weil  seine  rhythmische  Bewegtheit 
ein  Hauptausdrucksmittel  des  dramatischen 
Kunstwerks  ist,  muß  sie  sich  im  einfachen, 
rhythmisch  leicht  zu  beherrschenden  Räume 
abspielen.  Und  weil  der  Körper  und  das  Ge- 
wand des  Darstellers  als  ein  plastisches  Gebilde 
Licht  empfängt  und  Schatten  gibt,  muß  sich  im 
ganzen  Bühnenraum  alles  auf  dieselbe  Art  dem- 
selben Gesetze  unterwerfen. 

Während  Craig  sich  bestimmt  dahin  äußert, 
daß  ein  dramatisches  Werk  immer  so  inszeniert 
werden  soll,  wie  es  sein  Verfasser  bestimmte,  ist 
das  grundlegende  Werk  Appias  „Die  Musik  und 
die  Inszenierung"  dem  Hauptzweck  gewidmet, 
den  Opern  Richard  Wagners  eine  angemesse- 
nere Ausstattung  zu  geben,  als  dieser  selbst 
es  planen  konnte,  dessen  Auge  nach  der  Kunst 
seiner  Zeit,  also  nach  einer  stillosen  Kunst 
geschult  war.  Alles  was  ein  Werk  Wagners 
zu  seiner  Inszenierung  verlangt,  so  führt  Appia 
aus,  steht  in  der  Partitur;  man  braucht  diese 
Elemente  nur  zu  ordnen  und  zu  einer  räum- 
lichen Bühnenschöpfung  zu  vereinigen,  muß 
sich  aber  hüten,  störendes  Neues  hinzuzufügen. 
Auch  an  Farbe,  die,  wie  gesagt,  der  Bühne  nur 
durch  farbiges  Licht  vermittelt  wird,  soll  nicht 
mehr  geboten  werden,  als  aus  der  Umdeutung 
der  Musik  einer  jeden  Szene  dem  Künstler 
eingegeben  wird.  Die  Beschränkung  und  Be- 
grenzung, die  bei  Appia  als  oberstes  stilbilden- 
des Prinzip  erscheint,  geht  also  nicht  aus  dem 
Wunsch  nach  bildmäßiger  Wirkung  hervor, 
sondern  rein  aus  dem  Bestreben,  das  Werk 
und  seine  Darsteller  ohne  Einmischung  durch 
den  Theatermaler,  ohne  die  Störungen  eines 
äußeren  Aufwandes  wirken  zu  lassen. 

Appia  hat  in  den  letzten  Jahren  durch  sein 
Zusammenarbeiten  mit  Jaques-Dalcroze  einen 
bedeutenden  Schritt  nach  vorwärts  getan.  Durch 
die  rhythmische  Gymnastik  lernte  er  den  Raum 
mit  Rücksicht  auf  bewegte  Massen  gestalten. 


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KOLOMAN  MOSER-WIEN 


SZENENBILD  ZU  HERMANN  BAHR  .DAS  PHANTOM" 


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FRANZ  NITSCHE-LEIPZIG   Q    KÖNIG  UND  PRINZESSIN  IN   DEM  WEIHNACHTSMÄRCHEN  -DER  GESTIEFELTE  KATER' 


Hindernisse  für  ihr  Vorschreiten,  Möglichkeifen 
zu  Bewegungen  nach  oben  und  unten,  zu  seit- 
licher Entwicklung  schaffen.  Das  Ergebnis 
war  die  Inszenierung  von  Glucks  „Orpheus" 
für  die  Hellerauer  Festspiele  des  Jahres  1912, 
eine  vorbildliche  Schöpfung,  deren  Wirkung 
auf  das  Theater  sich  erst  später  zeigen  wird. 
Die  Grundsätze,  wie  sie  in  Gordon  Craig 
und  Appia  heranreiften,  eignen  sich  gewiß  nicht 
für  alle  Theaterstücke.  Denn  diese  strenge,  bis 
ins  äußerste  folgerichtige  Inszenierung  ertragen 
nur  Werke,  deren  Stil  selbst  groß  und  stark 
ist.  Opern  mit  episch  plauderndem  Libretto, 
lebenschildernde  Dramen,  wie  sie  die  tägliche 
Kost  des  Theaterpublikums  bilden,  gar  nicht 
zu  reden  vom  Amüsiertheater,  das  schließlich 
auch  eine  Notwendigkeit  ist,  können  nicht  ohne 
realistischen  Stil  auskommen.  Und  nicht  weni- 
ger ist  das  Kostümstück,  das  Bilder  einer 
vergangenen  Zeitepoche  mit  bestimmten,  viel- 
leicht allgemein  bekannten  Oertlichkeiten  wie- 
dergeben soll,  auf  Realistik  angewiesen.  Wenn 
man  heute  hier  eingesehen  hat,  daß  das  ohne 
Trivialität   geschehen    kann,    so   ist  das  wohl 


weniger  dem  Einflüsse  von  Gordon  Craig  und 
Appia,  sondern  dem  gewaltigen  Aufschwung 
der  angewandten  Kunst  zu  Beginn  dieses  Jahr- 
hunderts zuzuschreiben.  Die  grundändernden 
Theorien  von  Craig  und  Appia  sich  zu  eigen 
zu  machen,  haben  sich  die  Theaterdirekforen 
bisher  alle  gesträubt  und  haben  damit  insofern 
recht,  als  der  größte  Teil  der  Hörerschaft  nicht 
vom  Bedürfnis  nach  großer  Kunst,  sondern 
von  bloßer  Schaulust  ins  Theater  getrieben  wird. 
Und  doch  ist  der  Ruf  nach  Einfachheit  und 
Beschränkung  nicht  ungehört  verhallt,  vielleicht 
nicht  zum  wenigsten  darum,  weil  der  Aus- 
stattungsaufwand, für  kleinere  Theater  beson- 
ders, unerschwinglich  geworden  ist.  Man  führte 
an  vielen  Orten  die  Reliefbühne  ein,  die  auf 
die  Theaterpraxis  Shakespeares  zurückgeht: 
eine  Teilung  in  eine  Vorderbühne,  die  von 
einem  Torbogen  architektonisch  gefaßt  ist  und 
für  die  ganze  Dauer  des  Stückes  unverändert 
bleibt,  und  eine  erhöhte  Hinterbühne,  die  durch 
Vorhänge  abgeschlossen  werden  kann  —  die 
Vorderbühne  erscheint  dann  als  Innenraum  — ■ 
und  bei  der  sich  der  Szenenwechsel  nur  durch 


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396 


iexs)eac9ex9Qxs(2X9(2>:sex9ex9<2x9(2>:9exsex9ex9ex9(2x3 

J    einen   Wechsel    des 

!    Prospektes  vollzieht. 
Wie    durch   Vor- 


vre  KONiaiM 


hänge  wirkungsvoll 
dekoriert  werden 
kann,  zeigten  in  Zü- 
rich namentlich  die 
Bühnenbilder  von 
Ludwig  Sievert 
und  Frau  Ilse  Sie- 
vert-Hahn  für  das 
Stadttheater  in  Frei- 
burg im  Breisgau : 
die  Vorhänge,  die  in 
verschiedenster  Raf- 
fung und  Faltung 
verwendet  werden, 
sind  alle  mit  über- 
aus großen,  farbig 
starken  Ornamenten 
geschmückt,  und  da- 
durch entstehen  ge- 
steigerte Verhältnis- 
se, die  die  Gestalten 
der  Darsteller  größer 
erscheinen      lassen. 

Daß  übrigens  auch 
die  Travestie  starke 
Stilisierung  sehr 
wohl  verträgt,  ja  daß 
Ueberstilisierungein 
komisches  Element 
nicht  im  alltäglichen 

Sinne  sein  kann,  beweist  die  Inszenierung  von 
OfFenbachs  „Orpheus  in  der  Unterwelt"  durch 
Walter  Bertina  in  Frankfurt  a.  M.,  einen 
vielversprechenden  Schüler  Ottomar  Starkes. 
Da  sind  zum  Beispiel  die  höllischen  Flammen 
an  einem  sichtbaren  Gestell  ganz  als  Orna- 
ment entwickelt  und  wirken  nicht  etwa  durch 
Illusion,  sondern  rein  durch  Linie  und  Farbe; 
und  bei  den  Wolken  des  Olympos  ist  auf 
gleiche  Art  durch  Sichtbarmachung  des  Ma- 
schinellen und  durch  Stilisierung  des  Naiven 
ein  großer  komischer  Stil  der  Inszenierung  zu- 
stande gekommen. 

Es  ist  ja  heute  entschieden  zu  einer  beson- 
deren Kunst  geworden,  geistreiche,  duftig  ge- 
zeichnete Figurinen  zu  entwerfen,  die  als 
Kunstwerke  an  sich  und  nicht  für  die  Hände 
des  Kostümiers  geschaffen  zu  sein  scheinen. 
Man  fragt  sich  vor  diesen  zierlichen  Blättern, 
vor  Karl  Walser  und  Emil  Orlik  zum  Bei- 
spiel, ob  überhaupt  auf  der  Welt  Kostüm- 
schneider von  so  feinem  Verständnis  und 
Schauspieler  von  solcher  Hingabe  zu  finden 
sind,  daß  auch  nur  ein  kleiner  Teil  der  Li- 
nienwirkung und  des  Ausdrucks,  der  in  die- 


SPiTIEtf- 


EMIL  ORLIK-BERLINqSZENEAUS:  TH.  WOLFF;  DIE  KONIGIN 


sen  Figurinen  steckt, 
auf  der  Bühne  auch 
zur  Geltung  komme. 
Gerade  bei  den 
Märchenbildern  von 
Franz  Nitsche  in 
Leipzig  möchte  man 
aus  einer  ehrlichen, 
nüchternen  Photo- 
graphie ersehen,  was 
bei  der  Ausführung 
auch  wirklich  her- 
auskam. Oder  was 
aus  der  seltsamen 
Biedermeier-Gesell- 
schaft zu  machen 
war,  die  Rochus 
Gliese  für  Nestroys 
„Jux"  am  Deutschen 
Künstler  -  Theater 
schuf.  Daß  ein  Zeich- 
ner nach  der  Art  von 
Emil  Preetorius  sich 
bei  seinem  Bestre- 
ben nach  komischem 
Ausdruck  über  die 
anatomischen  Mög- 
lichkeiten hinweg- 
setzt, ist  sein  gutes 
Recht;  sind  aber  sei- 
ne Gestalten  für  die 
Bühne  bestimmt,  so 
bleibt  immer  die 
um    wieviel    wir    im 


bange    Frage    bestehen, 

Theater  an  den  Hoffnungen  verkürzt  werden, 

die  wir  uns  nach  den  Figurinen  machten. 

Jene  Zusammenstellung  zwischen  künstleri- 
schem Entwurf  mit  der  Photographie  der  Ge- 

o _.-    stalt,   wie    sie   sich  auf  der  Bühne  darstellte, 

3    ment  entwickelt  und  wirken  nicht  etwa  durch      zeigte  Ernst  Stern  vom  Deutschen  Theater 
2'    iiiiicJnTi    snnHprn  r^m  Hi.rf-Vi  I  jtii»  iinH  Poi-Ko  •      jn  Berlin  nach  Seiner  Inszenierung  von  Kleists 

„Penthesilea".  Man  konnte  hier  sehen,  daß  die 
starke  Stilisierung  von  Körper  und  Gewand 
kein  Ding  der  Unmöglichkeit  ist,  wenn  einzelne 
Teile  wie  Helme  und  Panzer  von  eindrucks- 
voller und  charakteristischer  Form  sind  und 
daneben  nichts  als  kleinlich,  unbedacht  oder 
überflüssig  erscheint.  Und  ein  glücklicher  Zu- 
fall wollte  es,  daß  während  der  Dauer  der 
Theaterkunst-Ausstellung  das  Russische  Ballett 
in  Zürich  ein  Gastspiel  gab;  dabei  sah  man 
dann,  daß  die  Figurinen  von  Leon  Bakst,  die 
mehr  zur  Befriedigung  der  ausschweifenden 
Phantasie  des  Künstlers  als  zu  einem  prak- 
tischen Zwecke  bestimmt  scheinen,  fast  ohne 
jede  Ausdrucksverminderung  an  Form  und 
Farbe  verwirklicht  worden  waren.  Dazu  gehört 
allerdings  nicht  nur  ein  Stab  geschickter  aus- 


397 


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Gl 


äußerlich  erfolgreiche  Inszenierung,  diejenige 
von  Glucks  „Orpheus",  übernahm  das  Zürcher 
Theater  vom  Theätre  du  Jorat,  das  mehr  als 
eine  Stunde  Straßenbahnfahrt  von  Lausanne 
auf  freier  Bergeshöhe  beim  Dorfe  Meziöres 
liegt.  Dieses  kleine  Bayreuth  der  französischen 
Schweiz,  das  von  den  Brüdern  Morax,  Rene, 
dem  Dichter  und  Jean,  dem  Maler,  geleitet 
wird,  bringt  jedes  Jahr  ein  sorgfältig  vor- 
bereitetes Werk  zur  Darstellung.  Dabei  kann 
man  in  der  Regel  beobachten,  daß  die  Stil- 
bestrebungen eines  Adolphe  Appia  und  Jaques 
Dalcroze  in  der  französischen  Schweiz  nicht 
vereinzelt  dastehen;  sind  sie  auch  in  Meziäres 
nicht  ganz  folgerichtig  durchgeführt,  so  sind 
sie  doch  ganz  bestimmt  vorhanden.  Das  zeigte 
sich  bei  der  Aufführung  des  „Orpheus"  schon 
darin,  daß  die  Bühne  mit  ihrem  architektonischen 
Rahmen  nur  die  Solisten  und  die  Tänze  auf- 
nahm; der  sehr  starke  Chor  wurde  außerhalb 
des  Rahmens,  aber  in  Farbe  und  Bewegung 
mit  dem  Bühnenbild  zusammenklingend,  auf 
einem  System  von  monumentalen  Treppen 
untergebracht. 

Es  ist  kein  Zweifel,  daß  dem  Theätre  du 
Jorat  der  höchste  Ruhm  unter  jenen  festspiel- 
artigen Aufführungen  gebührt,  die  vielleicht 
nirgends  wie  in  der  Schweiz  gepflegt  worden 
sind,  und  denen  die  Zürcher  Theaterkunst-Aus- 
stellung einen  ganzen  Saal  eingeräumt  hatte. 
Wie  die  Brüder  Morax  in  der  französischen 
wirkt  in  der  deutschen  Schweiz  der  Maler 
August  Schmid  in  Diessenhofen,  der  unter 
anderm  in  seiner  kleinen  Vaterstadt  vor  einigen 
Jahren  den  „Götz  von  Berlichingen"  nicht 
nach  der  Bühnenausgabe,  sondern  nach  Goethes 
Urtext  zur  Aufführung  brachte,  auf  einer  merk- 
würdigen Kombination  von  einer  Naturorchestra 
auf  dem  grünen  Rasen  und  drei  nebeneinan- 
der gestellten  Innendekorationen,  die  bei  ge- 
schlossenen Toren  und  Vorhängen  sich  als 
Burggemäuer  ins  Landschaftsbild  fügten. 

Das  laufende  Jahr  wird  wiederum  eine  Reihe 
dieser  für  die  Schweiz  so  kennzeichnenden 
Festspiele  bringen,  besonders  auf  der  im  Mai 
ihre  Tore  öffnenden  Landesausstellung  in  Bern. 
Künstlerisch  fruchtbarer  wird  aber  wohl  das 
Festspiel  der  Zentenarfeier  von  Genf  werden, 
das  in  seinem  musikalischen  und  rhythmischen 
Teil  von  Jaques- Dalcroze  geleitet  wird  und  zu 
dem  der  Genfer  Maler  H.  C.  Forestier  die 
Figurinen  gezeichnet  hat.  Es  wird  sich  hier 
um  das  Problem  handeln,  gewaltige  Menschen- 
massen auf  einer  Bühne  zu  entwickeln  und 
doch  wieder  durch  einen  architektonischen 
Rahmen  und  Hintergrund  zusammenzuhalten. 

Es  kann  kein  Zweifel  darüber  herrschen, 
daß  diese  Schweizer  Festspiele  an  verfeinerter 


RALF  VOLTMER    □    MONASTATOS  AUS  .ZAUBERFLÖTE' 

führender  Kräfte,  sondern  eine  ganz  eingehende 
Kenntnis  von  Geweben  und  Stoffen,  wie  sie 
sich  in  Falten  legen,  wie  sie  sich  beim  Tanze 
blähen,  wie  ein  Mittelweg  zwischen  hartecki- 
gen neuen  Stoffen  und  verzogenen,  schmutzig 
wirkenden  alten  gefunden  werden  kann. 

Von  den  ständigen  schweizerischen  Theatern 
kommt  für  die  Entwicklung  moderner  Bühnen- 
kunst lediglich  das  Zürcher  Stadttheater  in 
Betracht.  Es  hat  in  den  letzten  Jahren  nicht 
nur  einige  Inszenierungen  des  Deutschen 
Theaters  wie  auch  die  Ausstattungen  des 
„  Rosenkavaliers"  durch  Roller  und  der  „  Ariadne 
auf  Naxos"  durch  Stern  übernommen,  sondern 
sich  selbst  an  eigene  Schöpfungen  gewagt. 
Vor  allem  wäre  hier  der  „Parsifal"  zu  nennen, 
bei  dem  es  dem  Maler  Gustav  Gamper  und 
dem  Theaterkünstler  Albert  Isler  gelang, 
die  Darstellung  dem  Bereiche  des  üblichen 
Opernkitsches  zu  entreißen,  worin  nach  den 
illustrierten  Wochenschriften  zu  urteilen  fast 
alle  Inszenierungen  des  „Parsifal"  stecken 
geblieben  sind.  Die  landschaftlichen  Hinter- 
gründe waren  namentlich  von  besonderer 
Schönheit;  selbst  in  Klingsors  Zaubergarten 
gelang  eine  gewisse  Stilisierung  und  farbige 
Haltung  bei  aller  Ueppigkeit. 

Eine    nicht    minder    gelungene    und    sogar 


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FIGURINEN  ZU  NESTROYS  .JUX« 


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Geschmacksbildung 
nicht  mit  großstädti- 
schenTheatern  in  Wett- 
streit treten  können. 
Das  wäre  unmöglich, 
weil  die  meisten  oder 
alle  Darsteller  Dilet- 
tanten sind;  es  wäre 
aber  auch  überflüssig, 
weil  die  zum  großen 
Teil  ländliche  Hörer- 
schaft gar  keinen  Sinn 
dafüraufbringen  könn- 
te. Darum  wird  das 
Festspieltheater  im- 
mer mehr  auf  starke 
Stilisierung  seinerMit- 
tel  ausgehen  müssen ; 
nur  so  kann  es  fes- 
selnd auf  dieBeschauer 
wirken,  namentlich 
dort,  wo  gewaltige  Ein- 
drücke der  umgeben- 
den Natur  mit  dem 
Bühnenbild  in  Wett- 
streit treten.  Und  dar- 
um halte  ich  es  nicht 
für  ausgeschlossen, 
daß  künftig  vonSchwei- 


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H.  C.  FORESTIER-GENF    Q     KOSTÜM-MODELLE   FÜR  DIE 
GENFER  ZENTENARFEIER  1814-1914 


zer  Festspielen  man- 
nigfache Anregungen 
auf  die  Entwicklung 
der  modernen  Thea- 
terkunstausgehen kön- 
nen; sei  es  nun  im 
Sinne  Craigs  oder 
Appias  oder  auf  andere 
Weise.  Ich  denke  dabei 
allerdings  mehr  an  zu- 
künftige als  an  vorhan- 
deneWerkeund  gründe 
meine  Hoffnung  dar- 
auf, daß  Schweizer 
Künstler,  die  sich  an 
der  starken  Stilkunst 
Ferdinand  Hodlersher- 
angebildet  haben,  der 
volkstümlichen  Dra- 
matik ihresLandes  wei- 
ter Aufmerksamkeit 
und  Arbeit  schenken 
werden.  Albert  Baur 
* 

Der  lesenswerte  Kata- 
log derZürcherXhea- 
terkunstausstellung 
kann  von  der  Direktion 
des  Kunstgewerbe- Mu- 
seums bezogen  werden. 


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400 


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G.  B. STELLA 


AMAZONE 


GUIDO  B.  STELLA 


Es  gibt  nicht  wenige,  die  das  Ideal  der  Kunst 
der  Zukunft  in  ihrer  allmählichen,  syste- 
matischen Europäisierung  oder  Internationali- 
sierung sehen,  also  genau  genommen  in  einer 
Gleichmachung,  die  jedes  durch  die  Nationalität 
oder  die  Persönlichkeit  bedingte  individuelle 
Schaffen  ausschaltet  und  an  seine  Stelle  ein 
Schema  setzt,  eine  Art  Kunst-Esperanto  etwa, 
das  in  Petersburg  so  gut  wie  in  London  oder 
Paris  verstanden  wird.  Nun :  wir  dürfen  an- 
nehmen, daß  die  Verwirklichung  dieses  „Ideals" 
sich  auf  gewisse  Kunstmoden  beschränken 
wird,  die,  wie  die  Kleidermoden,  nicht  an 
Landesgrenzen  gebunden  sind.  Aber  gerade  in 
unseren  Tagen,  in  denen  ja  die  Extreme  sich 
mehr  wie  je  berühren,  sind  auch  die  nationalen 
Bestrebungen  mit  soviel  Energie  und  Zielbe- 
wußtsein am  Werke,  daß  wir  das  Ende  der 
individuellen,  national-persönlichen  Kunst  noch 
lange  nicht  zu  fürchten  brauchen. 

In  einem  bestimmten  Sinne  aber  ist  der 
internationale  Zug,  der  durch  unsere  ganze 
Zeit  und  also  auch  durch  die  moderne  Kunst 
geht,  dieser  letzteren  doch  förderlich  gewesen : 
Er  hat  nämlich  einen  weit  regeren  und  rasche- 
ren Gedanken-  und  Ideenaustausch  ermöglicht. 


als  dies  früher  jemals  denkbar  gewesen  wäre. 
Techniken  und  Stile,  die  sich  sonst  strenge 
abgesondert  hielten,  vermischen  sich  jetzt,  und 
daraus  entsteht  etwas  Neues,  das  nicht  mehr 
national  beschränkt  und  bedingt,  aber  doch  auch 
nicht  unpersönlich,  das  international  und  doch 
weit  von  jener  oben  erwähnten  schematischen 
Kunst  entfernt  ist,  die  gewissermaßen  mit 
fertigen  Formeln  arbeitet. 

Ein  Künstler,  der  dieses  Wort  wahr  macht, 
und  zwar  auf  dem  Gebiete  einer  Kunst  —  der 
Graphik  — ,  die  ihrer  verhältnismäßig  leichten 
Beweglichkeit  wegen  dem  internationalen  „Aus- 
gleich" zugänglicher  ist  wie  viele  andere  Kunst- 
gattungen, ist  der  Italiener  Guido  Balsamo 
Stella.  Er  ist  im  Jahre  1882  in  Turin  geboren, 
lebt  aber  schon  seit  einer  Reihe  von  Jahren 
in  München,  beziehungsweise  dessen  Umge- 
bung und  ist,  was  seine  International ität  in 
interessanter  Weise  noch  weiter  kompliziert, 
mit  einer  Schwedin  verheiratet.  Stella  ist  auch 
Maler,  und  das  bis  jetzt  umfangreichste  Werk 
seines  Pinsels  sind  zwölf  große  Oelbilder  mit 
Motiven  aus  der  Orpheussage,  die  er  für  den 
Wintergarten  der  Villa  des  holländischen  Ver- 
legers Sythoff  in  Feldafing  am  Starnberger  See 


5>rasxssx3(3?rresx5>s?fras:Tres:Tra(sxa(9XssxE)S?rasxssxö)S?^ 


Dekorative  Kunst.    XVII.    9.   Juni  1914 


401 


51 


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GUIDO  B.  STELLA 


gemalt  hat.  (Die  Familie  und  besonders  Frau 
Sythoff  haben  sich  des  Künstlers  in  schwierigen 
Zeiten  fürsorglich  angenommen  und  sich  da- 
durch ein  bleibendes  Verdienst  um  seine  künst- 
lerische Entwicklung  erworben.)  Aber  Stellas 
eigentliches  Arbeitsgebiet  ist  die  Radierung, 
in  der  er  vollständiger  Autodidakt  ist.  Und 
wenn  er,  trotz  der  großen  Zahl  von  Blättern, 
die  er  bereits  geschaffen  hat,  bis  jetzt  doch 
nur  wenig  und  eigentlich  nur  in  beschränktem 
Kreise  bekannt  geworden  ist,  so  liegt  das,  zum 
Teil  wenigstens,  an  einem  Umstand,  der  auch 
bei  so  manchem  andern  modernen  Graphiker 
eine  Rolle  spielt:  ein  sehr  beträchtlicher  Teil 
der  Arbeiten  Stellas  besteht  nämlich  aus  Ex- 
libris, und  es  ist  eine  eigentümliche  Erschei- 
nung, daß  diese  Blätter  außerhalb  der  soge- 
nannten Exlibris-Gemeinde  mehr  oder  weniger 
unbekannt  zu  bleiben  pflegen.  Aber  auch  von 
allen  übrigen  Radierungen  Stellas  —  und  sie 
sind,  wenn  auch  vielleicht  nicht  an  Zahl,  so 
doch  an  Bedeutung  seinen  Exlibris  zum  min- 
desten ebenbürtig  —  dürften  selbst  die  Samm- 
ler und  speziellen  Interessenten  nur  zum  ge- 
ringen Teil  Kenntnis  haben.   Daran  ist  Stella 


FISCHERBOOTE 


wohl  auch  selbst  ein  wenig  schuld;  denn  er 
stellt  nur  selten  aus  und  verschmäht  es  über- 
haupt, die  Aufmerksamkeit  in  irgend  einer 
Weise  auf  sich  zu  lenken.  So  ist  es  also  tat- 
sächlich möglich,  daß  man  das  graphische 
Werk  eines  Künstlers,  das  sicherlich  früher 
oder  später  einmal  sehr  begehrt  sein  wird, 
heute  noch  für  weite  Kreise  „entdecken"  kann! 
Es  dürfte  nicht  leicht  sein,  an  Stellas  Kunst 
ihre  italienische  Abstammung  zu  demonstrieren. 
Wie  es  denn  auch  unzweifelhaft  ist,  daß  wir 
sie  heute  nicht  so  besäßen,  wie  sie  ist,  wenn 
Stella  in  Italien  geblieben  und  fremden  Ein- 
flüssen unzugänglich  gewesen  wäre.  Er  hat  es 
wohl  stets  mit  Moliöres  weltklugem  Wort  ge- 
halten: Je  prends  mon  bien,  oü  je  le  trouve, 
und  hat  überall  genommen,  was  ihm  für  seine 
Zwecke  brauchbar  erschien.  Aber  er  hat  es  — 
und  das  ist  das  Entscheidende  —  immer  auch 
so  zu  wandeln  und  umzuformen  gewußt,  daß 
es  sein  unumschränktes  Eigentum  geworden 
ist.  Und  wir  erleben  also,  wie  schon  angedeutet, 
an  Stella  das  fesselnde  Schauspiel  eines  Künst- 
lers, der  die  mannigfaltigsten,  von  den  ver- 
schiedensten  Gegenden   Europas    hergeholten 


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402 


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GUIDO  B.  STELLA 


FABRIK-GEBAUDE 


'  Anregungen  in  sich  aufnimmt,  verarbeitet  und 
in  der  Gestalt  eigener  Werke  wieder  von  sich 
gibt,  der  nicht  ein  feststehendes  Stilschema 
für  alles  hat,   sondern  Technik   und   Stil   aus 

I  dem  Charakter  eines  Motivs  ableitet  und  dann 
konsequent  durchführt.  So  ergibt  sich  das  Bild 
einer  die  Vielheit  zur  Einheit  bindenden,  in 
einem  persönlichen  Stil  wurzelnden  Kunst. 

Stellas  Exlibris  nehmen  in  jeder  Hinsicht 
eine  besondere  Stellung  innerhalb  des  modernen 
Exlibris  ein.  Und  für  die  italienische  Exlibris- 
kunst bedeuten  sie  sogar  den  höchsten  Gipfel, 
den  diese  bis  jetzt  erreicht  hat.  Denn  während 
das  Exlibris  in  Deutschland    in  unserer   Zeit 


eine  Blüte  ohne  gleichen  erlebt  hat,  und  wäh- 
rend Länder  wie  England,  Frankreich,  ja  selbst 
Ungarn  und  Spanien  sich  einer  reichen  und 
teilweise  sehr  hoch  stehenden  Exlibrisproduk- 
tion erfreuen,  hat  es  in  Italien  von  jeher  immer 
nur  wenige  künstlerische  Exlibris  gegeben ; 
und  daran  hat  sich  auch  in  der  Gegenwart 
nichts  Wesentliches  geändert.  Man  wird  also 
schon  aus  diesem  Grunde  zögern,  Stella  den 
italienischen  Exlibris- Künstlern  zuzuzählen. 
Außerdem  gibt  es,  wie  wir  bereits  gesehen 
haben,  auch  noch  andere  Gründe,  die  Stellas 
Exlibriswerk  (wie  seine  übrigen  Graphika)  iso- 
lieren.    Und    wenn   wir   es    schon    irgendwo 


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403 


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GUIDO  B.  STELLA 


attachieren  wollen,  so  wird  es  wohl  am  ehesten 
dem  deutschen  Exlibris  angegliedert  werden 
können.  Ist  es  doch  auch  ein  eminent  deutscher 
Künstler,  an  den  man  unwillkürlich  denkt,  wenn 
man  Stellas  Exlibris,  besonders  seine  älteren, 
betrachtet:  Albert  Welti.  Es  ist  unmöglich, 
diesen  Namen  unausgesprochen  zu  lassen,  wenn 
man  von  Stella,  und  vor  allem,  wenn  man  von 
seinen  Remarques  redet,  die  mit  ihrem  barocken 
Wesen,  ihrer  Gestaltenfülle  und  ihrem  Humor 
wie  eine  Fortsetzung  und  Erfüllung  dessen  an- 
muten, was  Welti  in  seinen  Remarques  ange- 
deutet hat.  Aber  einen  Weltischüler  oder  Welti- 
nachahmer  darf  man  Stella  deshalb  ganz  und 
gar  nicht  nennen.  Das  hieße  das  Wesen  der 
Kunst  gründlich  verkennen.  Hier  sind  eben 
zwei  verwandte  Naturen  eine  Strecke  weit 
ähnliche  Wege  gegangen,  und  das  Merkwürdige 
ist  nur,  daß  es  gerade  ein  Romane  ist,  der  das 
Erbe  dieser  spezifisch  germanischen,  romanti- 
schen Fabulierkunst  angetreten  hat.  Aber  viel- 
leicht erklärt  sich  aus  der  Abstammung  Stellas 
auch  wieder  der  erstaunliche  Reichtum  an  Ein- 
fällen, dem  wir  auf  seinen  Exlibris  begegnen 


PIGRITIA 


und  für  den  es  kaum  irgendwo  in  der  graphi- 
schen Kunst  anderer  Länder  eine  Vergleichs- 
möglichkeit gibt.  Sehr  beachtenswert  ist  übrigens 
auch,  daß  Stella  in  seinen  Exlibris  selbst,  von 
gelegentlichen  freieren  und  mehr  bildmäßigen 
Kompositionen  abgesehen,  sich  meist  dekorativ- 
flächenhaft  und  ganz  einfach  gibt;  er  nähert 
sich  hier  der  in  Italien  auch  sonst  gebräuch- 
lichen Marke  oft  mehr  als  mancher  deutsche 
Exlibriskünstler;  auch  sind  seine  Ideen  in  der 
Regel,  für  Geübtere  wenigstens,  gut  verständ- 
lich, wenn  auch  manches  Blatt  mit  geistvollen 
Symbolen  aller  Art  beschwert  ist. 

Während  Stella  bei  seinen  Exlibris,  also  bei 
Arbeiten,  die  für  die  Betrachtung  aus  der  Nähe 
bestimmt  sind,  fast  immer  sehr  detailliert,  mit 
spitzer  Nadel,  in  zarten  Strichen  und  feinen 
Punkten  arbeitet  und  Nadeltechnik  und  Aqua- 
tinta  nach  Bedarf  allein  oder  kombiniert  an- 
wendet, geht  er  bei  seinen  nicht  gebrauchs- 
graphischen Arbeiten,  zu  denen  in  erster  Linie 
Schilderungen  von  Fabriken,  von  außen  und 
von  innen,  Hafenmotive  und  Aehnliches  gehö- 
ren, auf  breite,  derbe,  großzügige  Fernwirkung 


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404 


UDO  B.STELLA 


DER  TANZ  UM  DAS  GOLDENE  KALB 


405 


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GUIDO  B.  STELLA 


EXLIBRIS 


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LIBRIS  • 

Ammann- 

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GUIDO  B.STELLA 


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EXLIBRIS 


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407 


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aus.  (Und  auch  nur  ver- 
gleichsweise, mit  dernäm- 
lichen  Einschränkung  wie 
oben  bei  Welti,  könnte 
man  hier  den  Namen 
Brangwyn  zitieren.)  Man 
hält  es  oft  kaum  für  mög- 
lich, daß  dieselben  Hände, 
die  so  manches  miniatu- 
renhaft  feine,  sorgfältigst 
durchgearbeitete  Exlibris 
geschaffen  haben,  diese 
wuchtigen,  schmissigen, 
furiosen  Riesenblätter  ra- 
diert haben,  deren  tech- 
nische Bravour  ungefähr 
ebenso  in  Erstaunen  setzt 
wie  die  Unerschöpflich- 
keit an  Ideen  bei  den  Ex- 
librisremarques. 

Neben    diesen    Doku- 
menten    der     modernen 
Industrie,  der  Arbeit  im 
Dunklen ,    im    Bereiche 
des  nüchternsten  Alltags 
stehen   dann  wieder  Ra- 
dierungen, wie  der  „Tanz 
ums   goldene   Kalb",   in 
dem  abermals  Weltische 
Töne,    aber    bis    zum 
Fortissimo  und  zu  ihrer 
höchsten     Ausdrucks- 
möglichkeit  gesteigert, 
anklingen.    Es  geht  et- 
was  seltsam  Suggesti- 
ves von   diesem    figu- 
renreichen   Blatt    aus, 
auf  dem  die  schroffsten 
Gegensätze:   gotischer 
Dom     und     Fabriken, 
Reichtum    und    Elend, 
Glück  und  Tod,  Gemei- 
nes und  Edles  sich  ein- 
trächtig   zusammenge- 
funden haben  zu  einer 
betäubenden,    sinnver- 
wirrenden   Symphonie 
des  Lebens.  Durch  ruhi- 
ge,   geschlossene    Ge- 
samtwirkung und  star- 
ken    Stimmungsgehalt 
zeichnet   sich   die   Ra- 
dierung „Pigritia"  aus. 
An    dieser   Arbeit    ist 
besonders    interessant, 
wie  trotz  der  Feinheit, 
mit  der  jedes  Detail  vom 
Schimmel,  dem  Wagen 


•EX  L15RIÖ 
BE.LLAGODf-lVT 

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G.  B.  STELLA 


EXLIBRIS 


G.  B.STELLA 


EXLIBRIS 


und   dem   Fuhrmann  bis 
zu  den  Felsen  und  Wur- 
zeln    durchgebildet     ist, 
doch  die  großen  Formen 
und    Flächen    den    Ein- 
druck bestimmen.    Auch 
läßt  sich   an  ihr  wie  an 
einem  Schulbeispiel    die 
innere  Architektonik  der 
Radierungen  Stellas    be- 
obachten und  feststellen. 
Und  als  ob  Stella  zeigen 
wollte,  daß  er  auch  in  der 
einfachsten  Linie  Stil  und 
rassige  Anmut,  Kraft  und 
Charakter  geben  und  be- 
währen könne,   schuf  er 
den  Mädchenakt  mit  dem 
Kieferknochen,  der  beim 
ersten     Betrachten     den 
Eindruck    erweckt ,     als 
solle    er    wieder    einen 
neuen  Stil    im  Schaffen 
Stellas  inaugurieren.  Aber 
gewisse     Spezifika     des 
Technischen  und  der  Li- 
nienführung sagen  doch 
dem  aufmerksamen  Be- 
obachter bald,  daß  auch 
diese  Arbeit  unverkenn- 
bar die  originale  Hand- 
schrift Stellas  trägt,  die- 
ses stets  Wandelbaren 
und   Unruhvollen,    der 
in    Venedigs    Lagunen 
genau  so  zu  Hause  ist 
wie  in  deutschen  Fabri- 
ken,   in    der   eisernen 
Wirklichkeit  nicht  min- 
der wie  im  rosigen  Reich 
der  Phantasie  und  der 
Träume,  und  für  dessen 
Stift  kein  Ding,  das  sich 
über,  auf  und  unter  der 
Erde  finden  oder  ahnen 
läßt,  unerreichbar   ist. 
Und  wer  sich  erst  mit 
den      unvermeidlichen 
Besonderheiten      ver- 
traut gemacht  hat,  die 
dem  Werk  Stellas  eben- 
so   eigentümlich    sind 
wie  dem  jedes  Künst- 
lers,  der   seltener  be- 
gangene Wege  wandelt, 
der  wird  ihn  bald  zum 
Freunde  gewinnen. 
Richard  Braungart 


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408 


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LUDWIG  VIERTHALER 


1 


^      BRONZE-FIGUR 


LUDWIG  VIERTHALER 


Was  München  und  mit  ihm  Süddeutschland 
und  ganz  Deutschland  der  Münchner 
Bauschule  verdanken,  wissen  wir  alle.  Die 
Malerei  ist  am  wenigsten  von  ihr  berührt 
worden;  sie  steht  von  den  bildenden  Künsten 
der  Architektur  heute  am  fernsten.  Um  so 
größeren  Nutzen  hat  das  Kunsthandwerk  aus 
ihr  gezogen,  und  auch  die  Plastik  hat  sich  bei 
ihren  nahen  Beziehungen  zur  Baukunst  anzu- 
passen gewußt.  So  wird  denn  heute  wie  von 
der  hochgeachteten  Münchner  Bauschule  auch 
von  einer  Münchner  Plastik  gesprochen,  und 
ihre  allgemeinen  Werfe  und  Charakteristika 
entsprechen  einander. 

Es  ist  bezeichnend  für  diese  Münchner  Kunst, 
daß  sie  in  enger  Berührung  und  in  lebendigem 
Austausch  mit  dem  Handwerk  erwuchs.  Auch  die 
ersten  Arbeiten  Ludwig  Vierthalers,  dessen 
künstlerische  Heimat  München  ist,  liegen  auf 
kunstgewerblichem  Gebiet,  besonders  auf  dem 
der  Metallarbeiten.  Aus  seinen  Kenntnissen  im 
Handwerklichen  und  Konstruktiven  sprossenund 
blühen  seine  schön  empfundenen  und  phanta- 
sievollen Ornamente  und  Formen.  In  Bronzen 
und  Beleuchtungskörpern,  in  kristallverzierten 
Lüstern  und  an  sinnlich- frohem  Frauenschmuck 
hat  er  manch  schönes  Stück  geschaffen.  In 
den  Formen  seines  Ornaments  knüpft  er  gern 
in  sinnvoller  Arbeit  an  ältere  Stile,  besonders 
an  die  wunderbaren  Barock-Arbeiten  an  und 
erreicht  sein  Eigenes,  Neues  und  Besonderes 
durch   die  Verarbeitung  des  Ueberkommenen, 


indem  er  die  Tradition  verfeinert  und  werk- 
gerecht nach  den  modernen  Bedürfnissen  und 
nach  dem  Fühlen  und  Empfinden  des  moder- 
nen Menschen  entwickelt.  Die  Reize  des  Ma- 
terials läßt  er  der  Schönheit  des  Zwecks  und 
der  Gestaltung  dienen,  und  seine  Schalen, 
Bowlen  und  Kassetten,  die  er  gern  mit  figür- 
licher Kleinplastik  ziert,  zeigen  ein  handwerks- 
sicheres und  handwerksfrohes  Gefühl  für  den 
Wohllaut  zärtlicher,  weicher  Linien,  denen  sich 
im  Kern  ein  Ausdruck  männlicher  Kraft  paart. 
Es  steckt  stets  eine  Art  Verliebtheit  in  Vier- 
thalers Arbeiten,  und  eine  Eleganz,  die  aus 
Schwere  und  Grazie  erwächst.  Nicht  nur  seine 
kunsthandwerklichen  Arbeiten  sind  daran  zu 
erkennen,  auch  seine  Architekturplastik  atmet 
diese  phantasiebegabte  Sinnlichkeit. 

Die  Architektur  hat  ja  von  aller  Kunst  die 
größten  Schwierigkeiten  zu  überwinden.  Nir- 
gendwo sonst  hat  der  Geist  ein  solches  Gegen- 
gewicht von  Materie  und  Zweck  zu  tragen. 
Nirgendwo  sonst,  auch  in  der  Musik  nicht, 
äußert  sich  die  Schönheit  bei  aller  Greifbar- 
keit so  in  Abstraktionen,  wie  gerade  in  der 
Baukunst.  Den  Kothurngang  des  Architektur- 
stils kann  die  Plastik  sinnfälliger  machen,  ihn 
vermenschlichen,  und  der  Bildhauer  übernimmt, 
wenn  ich  dies  dramaturgische  Bild  beibehalten 
darf,  mit  seiner  Arbeit  für  den  Architekten 
eine  ähnlich  dienende  und  umgestaltende  Rolle 
wie  der  Schauspieler  dem  Dichter  gegenüber. 
So  gehört  denn  zur  Architekturplastik  ein  be- 


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Dekorative  Kunst.     XVII.    9.    Juni  1914 


409 


52 


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LUDWIG  VIERTHALER 


sonders  dienendes  Ausdrucksvermögen  und  die 
Fähigkeit,  durch  bestimmten  Schmuck  zu  be- 
tonen. Das  Kunsthandwerk  ist  solchem  Tun 
verwandt,  und  da  hat  sich  Vierthaler  ja  schon 
früh  bewährt.  So  leiht  er  gern  und  mit  Ver- 
ständnis seine  Kunst  dem  Architekten,  zumal 
die  Art  seiner  Formgebung,  das  Schmiegsame, 
das  malerisch  Weiche  und  leicht  Graziöse  dahin 
tendiert.  Die  Tradition,  an  die  dieses  junge 
und  begabte  Talent  wahlverwandt  anknüpft, 
stand  schon  in  enger  Beziehung  zur  Baukunst. 
Die  Leichtigkeit  und  energische  Sicherheit  im 
plastischen  Bilden  lassen  ihn  auch  eine  heikle 
Aufgabe,  wie  die  Figur  des  modernen  Gent 
(Abb.  S.  414)  mit  frischem  Griff  geschmackvoll 
und  stilistisch  gestalten,  und  die  beiden  Fenster- 
figuren auf  der  oberen  Abbildung  derselben 
Seite  fügen  sich  mit  der   malerischen   Auflö- 


KERAMIK 


sung  in  Licht  und  Schatten  voll  reizender 
Lebendigkeit  dem  Charakter  der  Architektur. 
Die  schönsten  und  reichsten  Stücke  Vier- 
thalers  sind  heute  seine  Kleinplastiken,  seine 
Arbeiten  für  die  Porzellanmanufaktur  Rosen- 
thal in  Selb,  seine  kleinen  Bronzen  und  einige 
keramische  Figuren.  Der  Piqueur  im  roten 
Rock  mit  dem  Hund,  das  Mädchen  mit  dem 
Früchtekorb,  die  Dame  mit  dem  Muff  und  jene 
Schöne  mit  dem  Schoßhündchen  geben  davon 
einige  Proben.  Die  beiden  letzten  Figuren 
sind  ursprünglich  in  Porzellan  gearbeitet  und 
kommen  in  diesem  Material  erst  voll  zur 
Geltung.  Das  verführerisch  Pikante  der  Dame 
mit  dem  Hündchen,  das  schon  in  der  plastischen 
Gestaltung,  in  dem  Reiz  der  Röckchen  und 
Rüschchen  spielt,  wird  im  Porzellan  noch  un- 
gleich reizvoller,    wo  die  Füßchen,    zwischen 


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16) 


LUDWIG  VIERTHALER 


denen  der  weiße  Seidenpinscher  durchschlüpft, 
in  farbigen  Strümpfen  und  Schuhen  stecken 
und  das  Gewirr  des  gerafften,  vielfaltigen 
Rockes  sich  von  der  Farbe  des  Oberkleides 
noch  delikater  abhebt.  Auch  im  Hut  und  im 
Gesicht  erhält  dieses,  scheinbar  durch  Hunderte 
von  Fältchen,  durch  wechselnde  Linien  und  Über- 
schneidungen überaus  lebendige  Figürchen 
seine  pikantere  Betonung  durch  die  farbigen 
Reize.  Es  ist  ein  kleines  Meisterstück  und 
eine  richtige  Kleinplastik.  Man  muß  es  in  die 
Hand  nehmen  und  in  der  Hand  wenden  und 
drehen,  denn  alle  seine  Reize  wollen  intim  und 
für  sich  genossen  sein.  Die  Haltung  aller  vier 
Figuren,  namentlich  auch  des  Mädchens  mit 
dem  Früchtekorb  und  den  Rosen,  und  die  Be- 
tonung der  Werte  in  den  Größenverhältnissen 
bestätigen  das  Können  des  Plastikers. 


BRONZE-FIGUREN 


Ludwig  Vierthaler  lebt  in  Hannover,  das  rege 
Beziehungen  zu  München  unterhält.  Eine  Reihe 
größerer,  vor  allem  keramischer  Plastiken  von 
ihm,  die  durch  ihre  dekorativen  Werte  hervor- 
ragen, erscheinen  in  diesem  Jahre  auf  deut- 
schen und  ausländischen  Ausstellungen,  na- 
mentlich auch  auf  der  Werkbund-Ausstellung 
in  Köln.  Dem  jungen  Bildner  ein  Prognostikon 
zu  stellen,  ist  müßig.  Seine  schon  heute  erreich- 
ten Werte,  die  auf  Traditionsbewußtsein  und  ma- 
terialgerechter Behandlung  fußen, sind  offenkun- 
dig. Seineaus  dem  Handwerklichen  erwachsende 
Entwicklung  ruht  auf  guter  Grundlage  und  geht 
einen  sicheren  und  festen  Schritt.  Hans  Kaiser 
* 

Man  kann  die  Welt  nie  von  genug  Seiten  ergreifen, 
und  es  ist  schlimm,  wenn  der  Mensch  in  dem 
ewigen  Einerlei  versinkt  und  immer  nur  über  dem 
brütet,  was  er  seit  Jahren  getan  hat.     w.v.  Humboldt 


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411 


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LUDWIG  VIERTHALER 


BRONZE-DOSE 


LUDWIG  VIERTHALER 


PORZELLAN-DOSE 


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412 


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LUDWIG  VIERTHALER-HANNOVER 


SPRINGENDES  PFERD,  BRONZE 


Ausführung:   Adalbert  Brandstetter,  Erzgießerei,  Münclien 


413 


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LUDWIG  VIERTHALER 


TRAVERTIN-FIGUREN 


LUDWIG  VIERTHALER  KAVALIERE  VON  1750-1913 

BRONZERELIEF  FÜR  EIN  MODEWARENHAUS  IN  HANNOVER 


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414 


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LEIPZIGI 


ÖEllTSCHE  WERKBUND- 
AUS^LLUNG 


KUN^  IN  HANDWERK, 
pINWiahlE  UND  HANDEL  »ARCHntiailR 

m  cöLN  1914  °^^ 


mtmimgitm 


MAI- 
OKTOBER 

INT  ER  NA  TIONALE 


ENTWURF:  PETER  BEHRENS-NEUBABELSBERG 


AUSSTELLUNG 

rC7R 

BUCHGEWERBE 
UND  GRAPHIK 

ENTWURF:  WALTER  TIEMANN-LEIPZIG 


AUSSTELLUNGEN 
Künstlerkolonie  Mathildenhöhe 
650  Deutsche  Kunst 

R  E  S  I  D  E  N  Z  S  C  M  LO  5  ^^ 


ENTWURF:  BERNHARD  HOETGER-DARMSTADT 
5XSSX3STTraff?r3SX5)S?ra(5XaSXS<5Xö)SXS)SXSSXaSXaS7rreSX3S*SS5^ 


415 


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GARTENARCHITEKTEN  RAUSCH  U.  REINHARD-KÖLN  B  TEEHAUS  IM  PARK  MANNSTAEDT  IN  TROISDORF 


\  ARCH.  BRUNO  PAUL-BERLIN  □  PAVILLON  AM  TENNISPLATZ  DES  HAUSES  HAINERBERG  IM  TAUNUS  ß 

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416 


GARTENARCHITEKTEN  RAUSCH  &  REINHARD,  KÖLN 


BADEHAUS  IM  PARK  MANNSTAEDT  IN  TROISDORF 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


BRUNNEN  IM  GARTEN  DES  HAUSES  BASSERMANN-JORDAN 


DAS  HAUS  BASSERMANN-JORDAN  IN  MÜNCHEN 


Die  heutige  Wohnhausarchitektur  sucht  den 
schwierigen  Mittelweg  zwischen  den  bei- 
den Extremen :  dem  Wunsche  nach  Betonung  des 
Individuellen  und  dem  nach  vornehmer  Ein- 
fachheit. Der  durchschnittliche  Auftraggeber, 
für  den  der  Architekt  ein  ländliches  oder  städti- 
sches Einzelwohnhaus  bauen  soll,  gehört  in 
der  Regel  noch  nicht  zu  jenen,  die  bereits 
den  Ausgleich  zwischen  den  Idealen  des  per- 
sönlichen Auslebens  und  der  sozialaristokrati- 
schen Haltung  gefunden  haben.  Dieser  Klasse 
von  Bauherren,  die  selber  mitzuarbeiten  ver- 
mögen und  dem  Architekten  oft  die  wertvollsten 
Anregungen  vermitteln,  verdanken  wir  manche 
der  reifsten  und  ungezwungen  persönlichsten 
Privatbauten  in  alter  wie  in  neuerer  Zeit. 

In  dem  bürgerlichen  Gewimmel  der  Gegen- 
wart verlieren  sich  dergleichen  Versuche  leicht, 
erst  recht  dann,  wenn  sie  sich  nach  außen  hin 
jeder  vordringlichen  oder  auch  nur  betonten 
Eigenart  enthalten.  Am  Hause  des  Kunst- 
historikers Professor  E.  Bassermann-Jordan, 
das  draußen  im  Münchner  Villenviertel  Bogen- 
hausen  steht,  ein  einfacher  grauer  Putzbau  in 
zwei  Hauptgeschossen,  fehlt  jeder  dekorative 


Fassaden-Ehrgeiz  so  sehr,  daß  man  kaum  auf 
den  Gedanken  verfällt,  hinter  diesen  einfachen 
Fenstern  mit  den  schmalen  Mosaikbändern 
mehr  zu  vermuten  als  eben  das  übliche  Schema 
der  „herrschaftlichen  Villa".  Allenfalls  die  an- 
tikisierende Stimmung  des  kleinen  Gartens  mit 
dem  überwölbten  Wandbrunnen  könnte  die  Vor- 
stellung wecken,  daß  das  Haus  selbst  im  Innern 
dieselbe  Klangfarbe  gesteigert  enthalten  müsse. 
Und  so  ist  es  auch. 

Der  Architekt,  Professor  Ernst  Fi  echter 
in  Stuttgart,  sah  sich  vor  die  schwierige  Auf- 
gabe gestellt,  ein  Privathaus  zu  bauen  für  einen 
kunstverständigen  Sammler,  der  sein  kleines 
Museum  bequem  übersehen,  unauffällig  zeigen 
und  zugleich  komfortabel  wohnen  wollte.  Ja- 
panische Bronzen  und  persische  Teppiche,  kost- 
bare Rokokomöbel,  wertvolle  Gemälde,  Wappen, 
Bücher  und  schweinslederne  Folianten  waren 
auf  eine  gute  Art  unterzubringen.  In  früheren 
Jahren  hätte  man  sich  gewiß  streng  an  die 
historische  Stilmethode  gehalten  und  jeden 
Raum  als  eine  Sache  für  sich  behandelt.  Das 
ist  hier  mit  Geschmack  vermieden  worden, 
indem    der   Architekt,    bei   aller   vorsichtigen 


•sxsex9sx3(5xs(5xssxasxss7ra(5?rres:Tras7rasxs<5xssxs(5X5)S7rasxss^»res^ 


Dekorative  Kunst.     XVII. 


Juni  1914 


417 


53 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN  IN  MONCHEN 


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Anpassung  an  den  Zweck  wie  an  den  Inhalt  der 
Räume,  doch  eine  klassizistische  Gesamtstim- 
mung  anstrebte,  die  das  Einzelne  „zur  allge- 
meinen Weihe"  ungezwungen  aufruft. 

Der  Grundriß  des  Erdgeschosses  zeigt  ein 
sehr  reichliches  Ausmaß   der  Zugangsräume. 


Auch  die  Zimmer  sind  von  einer  imponieren- 
den Größe,  insbesondere  das  Studierzimmer 
mit  dem  breiten  rechteckigen  Erker.  Die  Küche 
ist  nicht  ins  Kellergeschoß  verwiesen,  aber 
durch  ein  gestrecktes  Anrichtezimmer  von  den 
Wohnräumen  getrennt,  so  daß  für  Isolierung  der 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTC ART 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN  IN  MÜNCHEN 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN:  TREPPENHAUS 


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420 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


Küchengerüche  gesorgt  ist.  Die  Grundriß- 
lösung  im  Kellergeschoß  war  durch  den  Einbau 
einer  Kegelbahn  von  vorschriftsmäßiger  Länge 
einigermaßen  erschwert,  durch  die  Verlegung 
der  Waschküche  ins  Dachgeschoß  wurde  hier 
Platz  für  alle  erdenklichen  Nebenräume  ge- 
wonnen, während  die  Kegelbahn  selber  oben- 
drein mit  zwei  Stuben  bedacht  werden  konnte. 
Der  Eintritt  ins  Haus  durch  die  schwere 
Eisenpforte  mit  dem  vergitterten  Fenster  da- 
neben weckt  etwas  beklemmende  Vorstellungen 
von  mysteriöser  Feierlichkeit.  Der  erste  Vor- 
raum mit  seiner  spiegelnden  Verkleidung  des 
Bodens  und  der  Wände  in  rotem  Untersberger 
und  braunem  Napoleon-Marmor  verfehlt  je- 
doch seine  Wirkung  nicht.  Die  gestreckte  Halle 
mit  dem  Treppenhaus,  der  zweite  Vorraum 
(Abb.  S.  420),  wirkt  mit  ihren  leicht  gerundeten 
Seitenabschlüssen,  dem  dunklen  Holzwerk  der 
Türen  in  den  glatten  Marmorrahmen,  dem 
braunen  Marmorsockel  und  der  in  leichter 
Flachornamentik  behandelten  Stuckdecke  um 
vieles  behaglicher.  Die  bequeme  Führung  der 
schwarzen  schweren  Holztreppe  mit  rotem 
Läufer,  die  sowohl  unten  wie  auf  halber  Höhe 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN:  HERRENZIMMER 


kleine  Ruheplätze  zum  Verweilen  darbietet, 
dazu  eine  schmale  Fenstergalerie  geben  diesem 
Durchgangsraum  fast  etwas  Intimes,  wozu  die 
gedämpfte  Lichtwirkung  der  Mattglasfenster 
mit  den  sparsam  eingesetzten  Malereien  astro- 
nomischer Tiere  und  Wappen  von  Aloys  Bal- 
MER  ihr  Teil  beiträgt. 

Das  Empfangszimmer  ist  das  Schmuckstück 
des  Hauses  (Abb.  S.  422/3).  Das  längliche  Zimmer 
hält  sich  fast  genau  in  der  Breite  des  drei- 
fenstrigen  Runderkers  und  enthält  außer  flachen 
Vitrinen  an  Möbeln  nur  zwei  Bänke  und  zwei 
Stühle.  In  der  Mitte  des  weißen  Marmorbodens 
eingelegt  ein  geometrisches  Ornament,  an  den 
Wänden  entlang  ein  schwarzes  Marmorband, 
das  die  Türauschnitte  füllt  und  die  Bodenfläche 
zusammenhält.  Die  Wände  sind  mit  grüner 
Seide  bespannt  und  unten  mit  dunkelgrünem 
Marmor  verkleidet,  soweit  er  nicht  durch  die 
Wändschränke  überflüssig  wird,  die  ihrerseits 
wiederum  auf  hellem  Marmorsockel  aufgebaut 
sind,  in  schwarzgebeizter  Eiche  mit  silbernen 
Beschlägen.  Die  flach  gewölbte  Stuckdecke 
zeigt  eine  zierliche  Anthologie  aus  dem  dekora- 
tiven Motivenschatz  der  Antike. 


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421 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN:  EMPFANGSZIMMER 


Im  Studierzimmer  (Abb.  Seite  421)  ging  der 
Architekt  von  der  gebotenen  Anregung  schwerer 
Empireformen  aus  und  behandelte  den  Raum 
dementsprechend:  Rot  und  Gold  sind  seine 
Farben,  gemildert  durch  die  gesättigte  Pracht 
der   schönen  Perserteppiche   über   dem  roten 


Bodenbelag,  Der  Erker  ist  zur  behaglichen 
Zuflucht  ausgestattet,  das  leuchtende  Rotbraun 
des  polierten  Mahagoni  wird  durch  die  Stoff- 
bespannung der  stumpfroten  Wändeneutralisiert. 
Das  nebenanliegende  Wohnzimmer  ist  durch 
eine  geschickte  Einwölbung  dem  rechteckigen 


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422 


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ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


Schema  ausgewichen.  Zu  den  echten  alten 
Rokokomöbeln  fügt  sich  der  sanfte  Schwung 
dieser  breiten  Türnische  recht  gut,  und  gleich- 
zeitig konnte  als  Gegenstück  zur  Türe  ein 
ausgiebiger  Bücherschrank  gewonnen  werden. 
Das    vollständig   in   glasierten  Fliesen  ausge- 


fs 


(g 


kleidete  Bad  (Abb.  S.  424)  erinnert  ein  wenig  an 
orientalische  Tempelnischen.  Mir  fällt  dabei  das 
Kellergemach  ein,  das  sich  König  Ludwig  auf 
Schloß  Herrenchiemsee  als  Schwimmbad  aus- 
mauern ließ.  Wo  Versailles  kein  Vorbild  bot, 
ließ  ihn  die  königliche  Prunkphantasie  im  Stich. 


(9 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN:  EMPFANGSZIMMER       © 


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423 


V  1 


ARCH.  ERNST  FIECHTER-STUTTGART 


HAUS  BASSERMANN-JORDAN:  KEGELSTUBE  UND  BAD 


i 


Von  besonde- 
rem Reiz  ist  die 
ebenso  prakti- 
sche wiegemüt- 
liche Anlage 
der  Kegelbahn 
mit  der  vorge- 
lagerten Trink- 
stube (Abb.  s. 
oben).  Durch 
Schiebe-Türen 
kann  die  Bahn 
vom  Kegelzim- 
mer abgetrennt 
und  dieses  wie- 
derum von  der 
Trinkstube  ge- 
teilt werden,  so 
daß  je  nach 
der  Anzahl  und 
Stimmung  der 
Gäste  derRaum 
begrenzt     und 

gewechselt 
werden  kann. 
Parkett,  Wand- 
vertäfelung in 
matt  gebeizter 
Fichte,  Wand- 


bretterund Re- 
gale,derbeBän- 
ke  und  Sessel, 
weiße  Träger- 
decke mit  Zwi- 
schenbändern 
—  auch  in  die- 
ser Einfachheit 
waltet  eine  ge- 
wisse Opulenz, 
und  das  reich- 
liche Zinngerät 
und  sonstiges 
altes  Trinkge- 
schirr an  den 
Wänden  verrät 
immer  wieder, 
daß  man  sich 
im  Hause  ei- 
nes vielseiti- 
gen Kunstken- 
ners befindet, 
der  auch  beim 
derben  Kegel- 
spiel oder  beim 
Männertrunk 
das  Auge  an  fei- 
nen Formen  er- 
laben will.  E.K. 


424  1 


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M.  GOOSSENS  U.  JOH.  BIEHLER-MONCHEN  B  MAJOLIKA-RELIEF:  EILIGE  FAHRT 


MAJOLIKEN  VON  GOOSSENS-BIEHLER 


Es  ereignet  sich  in  unseren  Tagen  nur  mehr 
äußerst  selten,  daß  ein  Künstler,  der  seine 
Tätigkeit  der  angewandten  Kunst  zukehrt,  den 
Werdeprozeß  seiner  Schöpfungen  vom  ersten 
Bleistiftstrich  der  Entwurfsskizze  bis  zur  letzten 
Handreichung  des  fertigen  Werkes  selbst  be- 
wirkt, daß  er  Künstler,  Handwerker  und  — 
das  „harte  Wort"  ist  nicht  zu  vermeiden  — 
Kaufmann  in  einer  Person  ist.  Einstmals,  als 
die  Grenze  zwischen  Künstler  und  Handwerker 
noch  flüssiger  war  als  heute,  als  es  ein  Künst- 
ler nicht  übelnahm  und  nicht  unter  seiner 
Würde  hielt,  in  den  Zunftregistern  der  Hand- 
werker zu  stehen,  und  als  es  auch  dem  Hand- 
werker ganz  selbstverständlich  schien,  daß  er 
in  seiner  Art  ein  Künstler  war,  galt  dieser 
Werdegang  des  kunstgewerblichen  Gegenstands, 
des  Schmucks,  des  Möbels,  des  Gefäßes  als 
der  natürliche.  Wir  leben  indessen  im  Zeit- 
alter der  Spezialisten,  der  Differenzierungen 
und  der  Arbeitsteilung  —  einer  Aufteilung 
der  Funktionen,  die  zumal  in  gewerblichen 
Betrieben  geradezu  nach  den  Gesetzen  der 
Maschinen  sich  vollzieht  und  zu  geisttötender 
Einförmigkeit  der  geforderten  Arbeitsleistungen 
führt. 

Da  freut  man  sich,  wenn  einem  einmal  ein 
echter  Künstler  begegnet,  der  seine  Entwürfe 
selbst  ausführt,  der  über  seinem  Werke  wacht, 
bis  es,  in  der  Kiste  verpackt,  in  die  Welt  geht. 


Und  die  Freude  wächst  zum  Erstaunen  und 
zur  Bewunderung,  wenn  es  sich  dabei  nicht 
um  jemand  handelt,  der  etwa  nur  schöne  Kin- 
derhäubchen mit  der  Maschine  nach  eigenen 
Entwürfen  bestickt  oder  seine  Kleinbronzen 
selbst  gießt  und  ziseliert  oder  Elfenbein  schnei- 
det und  ähnliches,  was  sich  mit  genügender  ma- 
nueller Geschicklichkeit  und  ohne  besonders 
schwierigen  technischen  Apparat  bewirken  läßt, 
sondern  wenn  —  wie  es  bei  den  in  inniger, 
in  den  Arbeitsphasen  ineinandergreifender 
Arbeitsgemeinschaft  wirkenden  Künstlerinnen 
MiNNiE  GoossENS  undJOHANNA  BiEHLER  der 
Fall  ist  —  eine  so  schwierige  Herstellungs- 
technik wie  Keramik  in  Frage  kommt,  und 
wenn  aus  den  Ateliers  und  Werkstätten  riesige 
Majoliken,  Prachtstücke  auch  der  technischen 
Vollendung,  hervorgehen.  Die  beiden  Künst- 
lerinnen, die  in  München  wirken,  haben  buch- 
stäblich um  den  Brennofen,  in  dem  Tempera- 
turen bis  über  1000  Grad  erzielt  werden,  ihr 
Heim  und  ihre  Arbeitsstätten  gebaut;  in  tiefen 
Gruben  altert  ausgezeichneter  Ton,  und  ein 
Maurer  ist  zur  Hand,  den  Ofen  zuzubauen, 
wenn  die  neuen  Werke  gebrannt  werden.  Da- 
bei handelt  es  sich  bei  den  Arbeiten  von 
Goossens-Biehler  keineswegs  um  industrielle 
Leistungen.  Die  Künstlerinnen,  mit  reicher 
Bildkraft  ausgestattet  und  mit  quellender  Fülle 
der  Gesichte,  wollen  von  jeder  ihrer  Schöpfungen 


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Dekorative  Kunst.  XVII. 


425 


54 


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M.  COOSSENS  U.  JOH.  BIEHLER 

nur  wenige  Exemplare  vervielfältigt  wissen; 
von  einzelnen  Hauptstücken  großen  Umfangs, 
bei  denen  auch  Brand,  Farbgebung,  Glasur  und 
Glasurbrand  in  die  Sphäre  der  außerordent- 
lichen Leistung  gesteigert  sind,  existiert  über- 
haupt zumeist  nur  ein  Exemplar. 

Im  allgemeinen  rühren  die  Entwürfe  und  wohl 
auch  die  Modelle  von  der  Bildhauerin  Minnie 
Goossens  her,  die  sich  gelegentlich  auch  in 
Steinbildhauerei  versucht,  während  Johanna 
Biehler  die 
Entwürfe  für 
die  besonde- 
ren Möglich- 
keiten ihrer 
Wiedergabe 
in  Majolika 
bearbeitetjdie 
Farbengebung 
reguliert  und 
auch  die  tech- 
nische Aus- 
führungüber- 
nimmt. Wo- 
mit aber  nicht 
gesagt  sein 
soll,  daß  so 
eine  strenge 
Kompetenz- 
ausscheidung 

stattfindet, 
sondern    wie 
ich  erwähnte, 
greift  die  Ar- 
beit der  bei-        m.  goossens  u.  joh.  biehler 


MAJOLIKA-RELIEF:  ERNTETAG 

den  Künstlerinnen  ineinander  über  und  ge- 
schieht in  schöner,  beratender  Gemeinsamkeit 
in  allen  Entwicklungsphasen. 

Die  Arbeiten  von  Goossens-Biehler  waren 
zu  Beginn  der  ausgedehnteren  Tätigkeit  und 
des  stärkeren  Erfolgs  vor  der  Oeffentlichkeit 
fast  ausschließlich  auf  die  dekorative  Wirkung 
eingestellt.  Es  handelte  sich  durchwegs  um 
Reliefs;  bei  einzelnen  von  ihnen  waren  aller- 
dings die  Figuren  bis  zur  Rundplastik  her- 
ausgearbei- 
tet. Thema- 
tischüberwog 
die  Erzäh- 
lung, die  auf 
ein  schönes, 
ruhiges  Sein 
—  etwa  im 
Sinne  des 
Hans  von  Ma- 
rees  —  oder 
zu  maßvoller, 
graziöser  Be- 
weglichkeitzu 
bringen,  die 
Künstlerin- 
nen sich  be- 
mühten. Da 
ist  z.  B.  eine 
Plastik  „Ei- 
lige Fahrt" : 
zwei  mächti- 
ge Ruderer, 
Athleten    mit 

MAJOLIKA-RELIEF:   EIN  LIEBESLIED  SChwellcndcn 


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M.  GOOSSENS  U.  JOH.  BIEHLER 

Muskeln,  die  über  den  wogenden  See  eine  in 
seliger  Nacktheit  ruhende  Frau  dahinführen, 
oder  ein  Erntezug,  der  mit  Makartscher  Fülle 
der  Herbstgaben  prunkt,  ein  Sommertag,  dessen 
Anekdote  an  die  Rahmengeschichte  des  De- 
camerone  erinnert,  ein  „Liebeslied",  das  einen 
jungen  Sänger  in  der  Laube  zu  Füßen  seiner 
Holden  zeigt . . .  Allgemach  kam  aber  in  diese  de- 
korativen Ar- 
beitenmehrStil 
und  eine  stren- 
gere, herbere 
Linie.  Die  na- 
turalistischen 
Absichten  ver- 
loren sich  aus 
den  Werken, 
die  Komposi- 
tion wurde  ein- 
facher und 
mehr  auf  die 
Silhouette  ein- 
gerichtet, die 
Farbe,  die  zu- 
erst in  üppiger 
Pracht,  tief  und 
sattaufgeleuch- 
tet hatte  und 
für  den  Ein- 
druck der  Bild- 
werke maßge- 
bend war,  be- 
schränkte sich 
mehr  und  mehr 
auf  Andeutun-      minnie  goossens 


MAJOLIKA-RELIEF:  SOMMERTAG 

gen;  zwei,  drei  Farben  in  ungebrochenen  Tö- 
nen genügten,  um  eine  unterstreichende  Wir- 
kung herbeizuführen,  um  das  Kunstwerk  zu 
gliedern  und  das  Auge  des  Beschauers  nach 
irgend  einer  Richtung  hin  in  die  Anschauung 
einzuleiten.  Die  Baukünstler  und  Innenarchi- 
tekten, die  die  starke,  schmückende  Potenz 
der  Arbeiten  von  Goossens-Biehler  erkannten, 

bedienten  sich 
gern  der  Mit- 
arbeit der  bei- 
den Künstle- 
rinnen, deren 
Arbeiten  in  Sä- 
le und  Gemä- 
cher, Pavillons 
und  Villen,  die 
heiterer  Fest- 
lichkeit gewid- 
met sind,  eine 
frohe  Stim- 
mung tragen, 
einen  willkom- 
menen sinnli- 
chen Ausdruck 
für  diese  Stim- 
mungen geben. 
Arbeiten,  die 
sich  nach  dieser 
Richtung  hin 
bewegen,  wird 
man  vor  allem 
in  Köln  antref- 
fen, wo  Goos- 
AMAZONE  (STEINGRUPPE)       sens  -  BiehlcT 


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DER  PAPAGEI 


M.  GOOSSENS  U.  JOH.  BIEHLER-MÜNCHEN 


ATALANTA 


bei  der  Deutschen  Werkbund-Ausstellung  be- 
sonders reich  vertreten  sein  werden.  Dort 
haben  sie  auch  einen  rein  dekorativen,  durch 
technisch-ornamentale  Mittel  zu  lösenden  Auf- 
trag zu  erfüllen:  das  Portal  am  „Haus  der 
Frau"  zu  gestalten. 


Neben  diesen  vorwiegend  dekorativen,  einem 
ausgesprochenen  Zweck  dienenden  Werken  sind 
in  jüngster  Zeit  noch  andere  entstanden,  die 
sich  von  der  Schmuckform  des  Reliefs  eman- 
zipiert haben  und  ganz  als  Plastiken  an  sich  ( 
angesprochen    werden    können,    typische   Ge- 


H  M.  GOOSSENS  U.  JOH.  BIEHLER  MAJOLIKA-RELIEF:  KAMPF  ) 

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frOhungssturm 


M.  GOOSSENS  U.JOH.  BIEHLER-MÜNCHEN 


HERBSTSTURM 


Stalten  mit  einem  leichten  Stich  ins  Groteske, 
mit  bewußt  bizarrer  Stimmung,  zu  der  das 
weiche,  bildsame  Majolika-Material,  das  so  ganz 
andere  Möglichkeiten,  als  Stein  und  Erz  bietet, 
geradezu  herausfordert.  Eine  „Kurtisane"  ist 
in  dieserneuen  Serie  der  Goossens-Biehlerschen 


Schöpfungen  die  gelungenste,  künstlerisch  ein- 
drucksvollste Gestaltung.  o.  J.  w. 
* 
Wir  sind  viel  zu  schnell  bei  der  Hand  mit  dem 
Urteil,  daß  uns  dies  oder  das  durch  die  Natur  ver- 
sagt wäre.  Ein  vi^enig  mehr  Fleiß,  und  es  stellt 
sich  das  Gegenteil  heraus.  Carltle 


M.  GOOSSENS  U.  JOH.  BIEHLER 


MAJOLIKA-RELIEF:  LAUFENDE 


429 


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CERES 


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KURTISANE 


M.  GOOSSENS  UND 
JOH.  BIEHLER 


MAJOLIKA-FIGUR: 
HARLEKIN 


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IXOLFGANG  UND  HERTHE  VON  WERSIN 


VENEZIANISCHE  GLASARBEITEN 


Vertrieb;   Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst,  München 


VENEZIANISCHE  GLÄSER 


1    T^as  Wort  „Venezianisches  Glas"   erweckt  gebracht  wurde,    waren  Wiederholungen  alter 

'     I  J  in  uns  die  Erinnerung  an  die  dünnwan-  Stücke,    die   ja  auch  im  vorigen  Jahrhundert, 

digen  Erzeugnisse  der  wohlgeformten  Pracht-  das  sich  an  solchen  Nachahmungen  Genüge  tat, 

:    pokale  des   17.  Jahrhunderts  und  an  die  spie-  geschätzt  wurden  und  reichlich  Absatz  fanden. 


pokale 

lerischen  Glasgebilde,  die  namentlich  im  18. 
Jahrhundert  von  Venedig  ihren  Weg  in  die 
ganze  Welt  hinaus  nahmen,  und  deren  Tradi- 
tion bis  auf  den  heutigen  Tag  dort  noch  ge- 
pflegt wird.  Sie  bilden  für  den  Fremden,  der 
Venedig  als  ein  merkwürdiges  Museum  be- 
trachtet, den  Typus  des  venezianischen  Glases. 
Man  nahm  dieses  als  eine  feststehende  Tat- 
sache hin,  und  niemand  kam  wohl  auf  den  Ge- 
danken, daß  es  auch  anders  sein  könnte  und 
daß  diese  alte  Industrie  noch  neue  Blüten  zu 
treiben  imstande  wäre.  Einigen  Deutschen 
war  es  vorbehalten,  auf  diesen  absterbenden 
Baum  ein  neues  Reis  aufzupfropfen.  Wolf- 
gang und  Herthe  von  Wersin  gehören  zu 
den  ersten,  denen  es  gelungen  ist,  wirklich 
moderne  Erzeugnisse  in  einer  venezianischen 
Glasbläserei  hergestellt  zu  haben,  die  alle 
Vorzüge  und  Eigentümlichkeiten  der  alten 
Technik  zeigen,  jedoch  ganz  aus  dem  Geiste 
unserer  Zeit  heraus  geschaffen  sind.  Hier 
war  der  Punkt,  wo  Wersin  einsetzte.  Seit 
100  Jahren  war  die  Phantasie  des  veneziani- 
schen Glasbläsers  erschöpft,  und  was  hervor- 


Wersin  hat  den  Charakter  des  venezianischen 
Glases  ausgezeichnet  erfaßt.  Seine  Schalen, 
Leuchter,  Becher  und  Vasen  sind  alle  typi- 
sches venezianisches  Glas.  Dieses  hat  seine 
Eigenart  in  der  Dünnwandigkeit  und  Beschrän- 
kung der  Masse,  die  sich  wie  ein  Segel  von 
innen  heraus  bläht,  was  ja  auch  der  Herstel- 
lungsweise entspricht.  Allein  durch  mensch- 
liche Lungenkraft  und  unterstützende  Hand- 
griffe bildet  sich  der  Gegenstand  ohne  An- 
wendung einer  Form  aus  der  flüssigen  Masse 
heraus.  Nur  durch  die  jahrhundertlange  Tra- 
dition ist  es  möglich,  zu  solcher  technischen 
Vollkommenheit  zu  gelangen ,  die  fast  ganz 
auf  mechanische  Hilfsmittel  verzichten  kann. 
Diese  Fertigkeit  hat  sich  in  einzelnen  Familien 
von  Generation  zu  Generation  fortgeerbt.  Auf 
die  Intentionen  Wersins  ging  am  besten  die 
Familie  Barovier  ein,  die  auch  seine  sämt- 
lichen Arbeiten  ausgeführt  hat. 

Der  Künstler  hat  mit  vollem  Verständnis 
sich  den  Eigentümlichkeiten  der  venezianischen 
Glasbläsertechnik  angepaßt.  Die  Gegenstände 
zeigen  alle  den  zierlichen  Stil  des  geblasenen 


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431 


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432 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    9.    Juni   1914 


433 


55 


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WOLFGANG  UND  HERTHE  VON  WERSIN 

Vertrieb:  Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst, 


VENEZIANISCHE  GLASARBEITEN 
München 


Glases,  bei  (3em  seine  Schwellungen  und  Ein- 
schnürungen den  Hauptreiz  der  Form  aus- 
machen, der  eine  Folge  des  nahen  Kontaktes 
des  Gegenstandes  mit  seinem  Hersteller  ist. 
Das  Dekor  ist  sparsam  verwendet,  wo  es  — 
wie  bei  den  Leuchtern  —  auftritt,  ist  es  aus 
der  Glasmasse  selbst  in  traditioneller  Weise 
gebildet,  die  in  einem  offenbaren  Gegensatz 
zum  böhmischen  Glase  steht.  Dieses  ist  mas- 
siger und  erhält  seinen  Schmuck  durch  Schliffe, 
Aetzungen  und  Vergoldungen,  während  das 
venezianische  Glas,  und  so  auch  bei  Wersin, 


aus  sich  heraus  die  schmückenden  Momente 
holt  und  die  Schmuckformen  allein  aus  der 
Masse  selbst  bildet. 

Es  sind  dieses  die  ersten  Versuche,  die  ein 
Künstler  gemacht  hat,  die  alte  venezianische 
Glastechnik  für  unser  modernes  Kunstgewerbe 
nutzbar  zu  machen.  Man  wird  ihnen  volle 
Anerkennung  zollen  müssen.  Jedenfalls  kann 
Wolfgang  von  Wersin  für  sich  den  Ruhm  in 
Anspruch  nehmen,  als  erster  mit  zu  der  Neu- 
belebung der  venezianischen  Glasbläserei  bei- 
getragen zu  haben.  W.  Foitzick 


EMIL  PREETORIUS-MONCHEN  b  REKLAME-ZEICHNUNG 

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434 


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ADOLF  SONNENSCHEIN  TAFELGERÄT 

Ausführung  der  Messingkessel :  Fuhrmann  &  Drößler,  Dresden ;  der  Fruchtschale  in  Bronze:  J.  Kallies,  Dresden 

METALLARBEITEN  VON  ADOLF  SONNENSCHEIN,  DRESDEN 


Die  Kunde  von  fernen  Zeiten,  wo  die  Kunst 
ihre  stärksten  und  frischesten  Triebe  aus 
dem  Boden  der  Kirche  zog,  scheint  uns  Gegen- 
wärtigen, die  wir  aus  Im-  und  Ex-  schon  bald 
beim  Sympressionismus  gelandet  sind,  wie  eine 
von  allen  Geheimnissen  des  Märchens  umwit- 
terte Sage.  Das  Riesenreich  des  mittelalterlichen 
Kunstgewerbes,  nahezu  von  einem  machtvollen 
Zepter  beherrscht,  unter  dem  Krummstab  sich 
unaufhörlich  neu  gestaltend  und  umgrenzend 
—  die  moderne  Bewegung,  aus  der  Sehnsucht 
nach  neuer  Schönheit  im  Kreise  der  bürger- 
lichen Nutzansprüche 
geboren,  durch  Ma- 
schinen und  Ausstel- 
lungen, diese  Klimak- 
teriumssymptome des 
modernen  Wirtschafts- 
lebens, groß  gewor- 
den: erst  unsere  Ur- 
enkel werden  die  un- 
geheure innere  Gegen- 
sätzlichkeit dieser  Pe- 
rioden in  allen  ihren 
Ursprungs-  und  Folge- 
erscheinungen ganz 
klar  begreifen.  Wenn 
heute  ein  Künstler,  der 
völlig  mit  den  Augen 
seiner  Zeit  sieht  und 
mit  den  ihr  allein  ei- 
genen Mitteln  schafft, 
sich  bewußt  in  die  Be- 


ADOLF  SONNENSCHEIN    El 
Ausführung  in  Bronze 


dürfnissphäre  der  kirchlichen  Kunst  wagt,  so 
wird  niemand  das  als  eine  reaktionäre  Wen- 
dung auffassen.  Und  um  so  höher  werden  wir 
ihn  schätzen,  wenn  er  bei  dieser  Umstellung 
von  dem  Schatze  neuer  und  selbständiger  Ge- 
schmacks-Elemente, den  ihm  die  Schule,  die 
Formgesinnung  der  Gegenwart  und  die  verfei- 
nerte Skala  seiner  persönlichen  künstlerischen 
Gestaltungskraft  schenkte,  nichts  preisgibt,  son- 
dern die  alte  Schale  bis  an  den  Rand  mit  dem 
neuen  geistigen  Stoffe  zu  füllen  imstande  ist. 
Unter  den  Schöpfungen  des  Dresdner  Bild- 
hauers Adolf  Son- 
nenschein, die  auf 
diesen  Blättern  gezeigt 
werden,  nehmen  die 
zu  profanem  Gebrau- 
che bestimmten  den 
kleineren  Raum  ein. 
Im  Vordergrunde  der 
Altargeräte  —  denn  um 
solche  kann  es  sich 
beim  protestantischen 
Kultus  ja  fast  allein 
handeln  —  stehen  die 
Leuchter.  Man  weiß, 
bis  zu  welchem  Grade 
monumentalen  Eigen- 
lebens das  Mittelalter, 
noch  mehr  als  Renais- 
sance und  Barock, 
diese  Stücke  gestei- 
gert hat.      Auch  dem 


TAUFKANNE  UND  SCHALE 
von  J.  Kallies,   Dresden 


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435 


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ADOLF  SONNENSCHEIN-DRESDEN 


ALTARLEUCHTER  IN  BRONZE 


großen,in  vergoldetem  Silber  getriebenen  Leuch-  erhabenen  Form  nicht  vorenthalten  werden 
ter  (Abb.  S.  437)  wird  das  Epitheton  einer  mo-  können.  Ausgezeichnet  ist,  nachdem  der  Fuß 
numentalen,  also  bis  zum  Denkmalmäßigen  hin      sich  zu  wuchtiger,  aber  weich  behandelter  zehn- 


ADOLF  SONNENSCHEIN-DRESDEN 


ABENDMAHLGERÄT  IN  BRONZE 


AUSFÜHRUNG:  J.  KALLIES,  DRESDEN 


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436 


j  seitiger  Wölbung  verdickt  hat,  das  Motiv  des 
I  Blüten-  und  Blattkranzes  in  dreifachem  Rhyth- 
I  mus  wiederholt,  bis  es,  wenn  der  Umriß  den 
eigentlichen  Schaft  erreicht  hat,  in  kleinen  Ro- 
setten ausklingt.  Die  ungewöhnliche  Feinheit 
der  Verhältnisse  ist  es,  neben  der  werkmäßig 
gediegenen  und  verständigen  Profilierung,  die 
auch  den  schlichteren  Erzeugnissen  dieser 
Gruppe  den  Stempel  des  echten  Kunstwerkes 
aufdrückt.  In  dem  Abendmahlgerät  (Abb.  S.  436) 
scheint  die  gute  Tradition  des  sechzehnten 
Jahrhunderts  zu  erwachen :  wie  bei  dem 
Kelche  Fuß,  Nodus  und  Cuppa  gegeneinander 
abgewogen  sind,  wie  die  glatte  Fläche  der 
Kanne  in  leiser  Schwellung  alle  zarten  Reize 
des  Materials  leuchten  läßt,  das  wird  auch 
das  ungeschulte  Auge  mit  reinem  Wohlbeha- 
gen nachlesen  können.  Die  in  Bronze  getrie- 
benen Urnen  vermeiden  die  Klippe  der  pro- 
fanen Bowlenform  mit  viel  Geschick.  Aber 
auch  dem  praktischen  Leben  des  Alltags  steht 
die  Erfindungskraft  des  Künstlers  nicht  fern. 
In  den  knapp  und  elegant  gegliederten  Tee- 
maschinen, in  den  graziösen  Lampen,  in  aller- 
hand Schalen  und  Geschirren  zeigt  er,  daß  er 
die  erste  Forderung  der  neuen  angewandten 
Kunst,  jede  Form  aus  den  besonderen  organi- 
schen Eigenschaften  des  Werkstoffes  rein  und 
lebendig  zu  entwickeln,  sich  völlig  zu  eigen 
gemacht  hat.  Kupfer  oder  Messing,  Bronze 
oder  Silber  gehorcht  mit  gleicher  Nachgiebig- 
keit   der    bildenden    Hand    dieses   geborenen 

Metallkünstlers. 

* 

Adolf  Sonnenschein  ist  aus  der  Schule  von 
Karl  Groß  hervorgegangen  und  wirkt  heute  als 
Lehrer  an  der  Kunstgewerbeschule  in  Dresden. 
Seine  Tätigkeit  erschöpft  sich  nicht  in  den 
Arbeiten,  wie  sie  hier  gezeigt  werden,  so  sehr 
man  auch  gerade  diesen  die  innere  Konzentra- 
tion und  die  stets  um  die  vollkommenste 
Lösung  ringende  Arbeitsweise  anmerkt.  In 
zahlreichen  Grabmälern,  dekorativen  Skulptu- 
ren, in  keramischen  Erzeugnissen  und  solchen 
der  Holzschnitzkunst  hat  er  eine  liebenswür- 
dige und  doch  kräftige  Note  persönlichen  Sehens 
und  Fühlens  offenbart.  In  manchen  Gottes- 
häusern seines  engeren  Heimatlandes  findet 
man  heute  seine  Werke,  und  es  kann  ihnen 
kaum  ein  besseres  Lob  gespendet  werden,  als 
es  in  dem  Bekenntnis  liegt,  daß  auch  dort, 
wo  die  Feierlichkeit  des  Kirchenraumes  von 
den  besten  Geistern  verklungener  Meisterschaft 
in  der  Bildung  von  Holz  und  Stein,  Silber  und 
Bronze  getragen  wird,  diese  Schöpfungen  ihren 
Platz  als  Dokumente  einer  in  ihrem  Wollen 
und  in  ihrem  Können  gefestigten  Zeitgesin- 
nung behalten.  e.  h. 


ADOLF  SONNENSCHEIN    El    ALTARLEUCHTER  IN  VER- 
GOLDETEM SILBER  Q  AUSF.:  J.  TH.  HEINZE,  DRESDEN 


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437 


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ADOLF  SONNENSCHEIN-DRESDEN     □    TISCHLAMPEN   IN   BRONZE    Q    AUSFÜHRUNG:  JUL.  SCHADUCH,   DRESDEN 


ADOLF  SONNENSCHEIN  lü  SILBERNE  JARDINIERE  FÜR  DIE  STADT  DRESDEN  Q  AUSFUHR. :  J.  TH.  HEINZE,  DRESDEN 


l  ADOLF  SONNENSCHEIN-DRESDEN  Q  URNEN  □  AUSFÜHRUNG  IN  BRONZE:  K.  A.  SEIFERT,  DRESDEN 

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438 


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MAX   HEIDRICH-PADERBORN 


Ausführung;  Wurzner  Teppich-  und  Velours-Fabriken  A.-G.,  Würzen  i.S. 


GEWEBTE  TEPPICHE 


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439 


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MAX  HEIDRICH-PADERBORN 

Ausführung:  Wurzner  Teppich-  und  Velours-Fabriken  A.-G.,  Würzen  i.S. 


GEWEBTE  TEPPICHE 


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AUGUST  GAUL  BERLIN  D  SCHWEINERELIEF  AM  ERKER  DES  KLOPPERHAUSES  (vgl.  S. 442) 

AUGUST  GAUL 
UND  SEINE  PLASTIKEN  AM  KLÖPPERHAUS  IN  HAMBURG 


In    Hamburg, 
markt,  ist   ein 


am  ehemaligen  Schweine- 
modernes Bureauhaus  er- 
richtet worden,  das  Klöpperhaus,  genannt 
nach  dem  Namen  der  Weltfirma,  die  mit  ihrem 
Betrieb  diesen  Riesenbau  füllt.  Erbauer  war 
Fr.  Höger,  der  Mann,  der  als  erster  in  Deutsch- 
land den  modernen  Bureauhaus-Typ  entwickelt 
und  der  (ohne  Ausnahme)  in  ganz  Europa  bisher 
die  besten  Geschäftshäuser  gebaut  hat.  Höger 
hat  eine  nicht  gerade  günstig  gelegene  Fries- 
fläche von  Karl  Walser  mit  Episoden  aus 
dem  Kaufmannsleben  kapriziös  bemalen  lassen 
und  uns  Kunstfreunden  damit  einmal  ein  Bei- 
spiel geboten,  wie  ein  dekorativ  bestrebter 
Impressionismus  sich  derlei  Aufgaben  gegen- 
über verhält.  Er  hat  auf  Anraten  Lichtwarks 
sich  an  August  Gaul  gewandt,  um  die  wenigen 
Stellen,  die  an  seiner  Architektur  nach  der 
Hand  des  Bildhauers  verlangten,  mit  einer 
Plastik  von  künstlerischem  Feingehalt  zu  be- 
setzen. 

Das  Haus  und  die  Gauische  Plastik  haben 
in  und  über  Hamburg  hinaus  Anlaß  zur  Dis- 
kussion gegeben.  Das  ist  an  sich  nicht  un- 
erfreulich. Sehen  wir  in  diesem  Schwinden 
der  Gleichgültigkeit  doch  ein  Interesse  für 
die  entstehenden  künstlerischen  Werte,  und 
das  Klöpperhaus  ist  ein  sehr  geeignetes  Ob- 
jekt zu  mancherlei  Betrachtungen  über  die 
augenblickliche  künstlerische  Situation. 


Ich  will  mich  nicht  bei  jener  allgemeinen 
Erkenntnis  aufhalten,  daß  dieser  stolze,  bis 
in  die  letzte  Fuge  hinein  gelungene  Backstein- 
bau wieder  ein  Kaufmannshaus,  wieder  ein 
Abbild  dieses  weitstrebenden  Kaufmannsgeistes 
ist,  der  ja  gerade  von  Hamburg  aus  die  halbe 
Welt  in  die  Fäden  seiner  Kombinationen  zu 
verstricken  wußte.  Zu  oft  schon  hat  man 
nach  Messels  kühnen  Vorstößen  deutsche 
Augen  dahin  gelenkt,  zu  erkennen,  daß  hier 
neuer  Wille  und  neue  Macht  zu  neuer  Form 
drängen.  Mit  Bodo  Ebhardtschen  Burgenspie- 
lereien, mit  dem  Berliner  Dom,  mit  dem  Posener 
Schloß,  mit  dem  Wiesbadener  Theater,  mit 
dem  hannoverschen  Rathaus  und  hunderterlei 
anderen  Architektur-Erzeugnissen  hat  man  Ver- 
gleiche gezogen  und  gegenüber  jenen  Groß- 
bauten des  schaffenden  Volkes  festgestellt, 
daß  das  alles  Steingefüge  ohne  Melodie  sind, 
weil  sie  sich  ängstlich  versperrten  gegen  die 
brausende  Melodie  unserer  neuen  Zeit.  So 
wenig  wie  Wertheims  Warenhäuser,  so  wenig 
wie  die  Industriebauten  der  A.E.  G.  oder  die 
Fabriken  von  Poelzig  ist  dieses  Klöpperhaus 
ein  Zufall.  Für  uns,  die  wir  überzeugt  sind, 
historischer  zu  denken,  als  diejenigen,  die  mit 
der  Historie  eine  schillernde  Romantik  be- 
treiben, ist  diese  Verbündung  des  Kaufmanns 
mit  den  besten  künstlerischen  Kräften  der  Zeit 
eine   Bestätigung.     Die    Bestätigung,    daß    in 


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DekoradTe  Kunst.    XVII. 


Juli  1914 


441 


56 


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FR.  HOGER  Q  ERKER  DES  KLOPPERHAUSES  El  PLASTIKEN  VON  AUGUST  GAUL 


Hamburger  Kontoren  wie- 
der etwas  lebendig  ist  von 
dem  alten  Hanseatengeist, 
der  nicht  nur  die  damals 
bekannte  Welt  zu  seinem 
Absatzmarkt  haben  wollte, 
der  überallhin,  wo  er  Fuß 
faßte,  auch  eine  große  Kul- 
tur brachte,  eine  Kultur,  wie 
sie  in  herrlichen  Messe-Pa- 
lästen, in  stolzen  Partrizier- 
häusern,  in  Kaufmannspor- 
träts —  man  denke  an  den 
Gisze  des  Holbein — Aus- 
druck fand. 

Die  Renaissance  diesesal- 
ten  Kaufmannsgeistes  (wer 
gibt  uns  von  ihm  einmal  ein 
plastisches  Bild?  Wer  stellt 
uns  endlich  die  vielen,  noch 
erhaltenen  Dokumente  zu- 
sammen?) begann  mitMes- 
sel.  HÖGER  ist  der  Ham- 
burger Messel.  Der  Satz, 
so  knapp  hingeworfen,  wird 
vielleicht  nicht  ohne  Wider- 
spruch hingenommen  wer- 
den. Aber  wenn  man  über- 
haupt die  Möglichkeit  zu- 
gibt, zwei  schaffende  Per- 
sönlichkeiten zu  verglei- 
chen, wenn  man  vor  allem 
auch  bereit  ist,  die  beide 
Male  andere  Situation  in 
die  Rechnung  einzustellen, 
dann  wird  auf  die  Dauer 
eine  prinzipielle  Abweisung 
dieser  Behauptung  doch 
nicht  möglich  sein.  Messel 
kam,  als  in  der  Reichs- 
hauptstadt der  Boden  durch 
einen  erst,  durch  Wallot 
aufgepflügt  war.  Bis  zum 
Rand  gefüllt  mit  feiner, 
alter  Kultur  trat  er  vor 
seineAufgabe,  die  moderne 
Sachlichkeit  hieß.  Höger 
ist  ein  harter  schleswig- 
scher Kopf,  der  in  Ham- 
burg anfing,  als  man  inner- 
lich schon  bereit  war,  sich 
vom  alten  Ballast  nicht 
mehr  hindern  zu  lassen. 
Und  er  schuf  etwas,  was 
von  Hamburg  aus  entstehen 
mußte:  das  moderne 
Bureauhaus. 


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AUGUST   GAUL- 
BERLIN 


PLASTIKEN  AM 
KLÖPPERHAUS 


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443 


56* 


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ARCH.  FR.  HOGER-HAMBURG 


Als  Höger  diese  Aufgabe  zum  erstenmal  archi- 
tektonisch löste,  d.  h.  dem  sachlich-praktischen 
Bedarf  die  organische  Form  zu  geben  wußte,  da 
war  in  Hamburg  ein  Verblüffen.  Aber  —  und 
das  ist  Hamburg!  —  man  lehnte  den  „Neuerer" 
nicht  ohne  weiteres  ab,  man  diskutierte  die 
Angelegenheit,  man  sprach  für  und  wider,  man 
dachte  nach,  und  nachdem  Högers  Typ  nicht 
zu  widerlegen  war,  gab  man  ihm  nun  wohl 
schon  ein  Dutzend  solcher  Bureauhäuser  zu 
bauen.  Sogar  das  neue  Verwaltungsgebäude 
baut  er  für  die  Hamburg-Amerika-Linie. 

Das,  soweit  meine  Kenntnis  reicht,  bislang 
beste  dieser  Högerschen  Kaufmannshäuser  ist 
das  Klöpperhaus.  Mit  einem  Wort  ist 
seine  Struktur  erklärt:  In  diesem  Bau,  dessen 
gewaltige  Ausdehnung  die  Abbildung  nur  zum 
Teil  erkennen  läßt,  kehrt  etliche  hundert  Male 
ein  und  derselbe  Raumbedarf  gleichmäßig  wie- 
der. Nämlich  ein  schmalgestrecktes  Recht- 
eck zwischen  zwei  Wänden,  an  welche  die 
Regale  mit  den  Warenmustern  gelehnt  sind, 
mit  hufeisenförmig  zusammengeschobenen  Ti- 


HAUPTPORTAL  DES  KLOPPERHAUSES 


sehen  zum  Ausbreiten  der  Waren  in  der  Mitte 
und  endlich  nach  den  Fenstern  zu  ein  Schreib- 
pult für  zwei  oder  drei  Angestellte.  Die  drei 
Fenster,  die  in  der  Fassade  immer  zu  einem 
Trakt  vereinigt  sind,  geben  je  einer  dieser 
Zellen  das  Licht,  die  Ausbuchtung  der  Fenster- 
flächen entspricht  dem  nach  dieser  Richtung 
anwachsenden  Raumbedarf.  Man  sagt  nicht 
zu  viel,  wenn  man  feststellt,  daß  diese  ganze 
Architektur  sich  aus  den  Dimensionen  eines 
Kontorpultes  ergeben  hat.  Sie  ist  ganz  Logik, 
denn  auch  die  Verwendung  und  die  Behand- 
lung des  Backsteinmaterials  geschah  gänzlich  I 
frei  von  jeder  künstlichen  Willkür.  An  die-  I 
sem  Haus  haben  die  Plastiken  von  Gaul  ' 
ihren  Platz  gefunden. 


Es  ist  das  erste  Mal,  daß  wir  Arbeiten 
von  Gaul  an  einem  Bauwerk  zu  sehen  Ge- 
legenheit haben.  Leider  das  erste  Mal.  Denn 
daß  Höger  im  Gegensatz  zu  all  seinen  Kol- 
legen den  Weg  zu  einem  so  feinfühligen  Künstler 


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AUGUST  GAUL-BERLIN 


MERKUR  AM  HAUPTPORTAL 

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AUGUST  GAUL-BERLIN 


BRONZEGRUPPE 


gefunden,  daß  er  sich  von  dem  Vorurteil 
freigemacht  hat,  zu  einem  sogenannten  „Bau- 
plastiker" gehen  zu  müssen,  ist  ein  Verdienst. 
Mit  dem  Begriff  „Bau  plas  tiker"  wird 
bei  uns  nämlich  wieder  einmal  auf  Kosten 
der  Kunst  Rabulistik  getrieben.  Aufs  neue 
pflegt  man  zu  unterscheiden  zwischen  Bild- 
hauern, Künstlern,  Leuten,  die  in  den  Sezes- 
sionen oder  sonstwo  auszustellen  berechtigt 
sind,  die  selbständig  zu  formen  wissen,  und 
einer  Art  besserer  Bauhandwerker.  Spezialisten, 
die,  als  Künstler  nicht  stark,  nicht  selbstän- 
dig genug,  ein  lohnendes  Gewerbe  mit  der 
Lieferung  von  figürlichem  und  ornamentalem 
Fassadenschmuck  betreiben,  so  etwa,  wie  vor 
30  Jahren  die  Stukkateurgeschäfte  für  diesen 
Fassadenbedarf  da  waren.  Kein  Zweifel,  daß 
diese  sogenannte  moderne  Bauplastik  im  Durch- 
schnitt sehr  viel  anständiger,  netter,  hübscher, 
geschmackvoller  ist,  als  was  da  von  der  Gene- 
ration vorher  geliefert  wurde.  Aber  ich  meine, 
prinzipiell  ist  es  doch  nichts  anderes,  wenn 
man  im  Kreise  unserer  Architekten  nur  die 
Plastik  als  für  den  Bau  tauglich  hält,  die  nicht 
ganz  first  class,  die  sozusagen  auch  künst- 
lerisch billiger  ist.  Das  heißt  doch  nichts 
anderes,  als  daß  die  wirklich  gute  Plastik  ohne 
die  Architektur  auszukommen  habe.  In  der 
alten  Zeit  —  erinnern  wir  uns  doch  einmal! 


—  hat  es  Plastik  ohne  architektonischen  Hin- 
tergrund so  gut  wie  nicht  gegeben,  und  wenn 
man  Tempel,  Kirchen,  Schlösser  oder  sonst 
etwas  baute,  war  die  allerbeste  Bildhauerkunst 
gerade  gut  genug!  Dann  aber  kam  jenes  Haus- 
greuel, Salonplastik  genannt,  und  damit  die 
Degradation  aller  Plastik,  die  nicht  auf  ein 
wackeliges  Postament  gestellt  werden  kann, 
damit  das  lächerliche  Vorurteil,  daß  zwischen 
einem  Künstler  und  einem  Bauplastiker  eine 
unüberbrückbare  Kluft  bestehen  müsse. 

Vielleicht  spricht  hier  auch  noch  ein  anderes 
mit:  die  bange  Furcht  des  heutigen  Architekten, 
etwas  an  seinen  Bau  zu  lassen,  was  seine 
Schwächlichkeit  überstrahlen  könnte.  Die  Mehr- 
zahl unserer  Baumeister  macht  heute  ihre  Häu- 
ser doch  mit  einem  wohlerzogenen  Geschmack, 
mit  einer  gewissen  Anständigkeit.  Künstlerisch 
genommen  ist  wohl  nur  alle  Jahre  einmal  eine 
Herkules-Natur  darunter.  Und  da  man  es  be- 
greiflicherweise vermeiden  möchte,  ein  Werk 
an  die  Straße  zu  setzen,  an  dem  schließlich 
ein  paar  plastische  Details  sehr  viel  stärker, 
sehr  viel  künstlerischer  wirken  als  die  eigene 
Architektur,  so  bescheidet  man  sich  in  einem 
wohlverständlichen  Egoismus  mit  dem  Archi- 
tekturbildhauer, der  ungefährlich  ist,  weil  auch 
er  nur  mit  Geschmack  und  Geschicklichkeit 
sein  Gewerbe  bestreitet.    Ist  von  Zweien,  die 


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AUGUST  GAUL-BERLIN 


aufeinander  angewiesen  sind,  keiner  beson- 
ders stark  und  eigenartig,  dann  ergibt  sich  be- 
greiflicherweise ziemlich  leicht  die  Harmonie, 
die  bestechen  soll. 

Als  Hoffmann  seinen  Märchenbrunnen 
enthüllte,  da  ist  gefragt  worden,  warum  für 
die  Tierfiguren,  die  es  da  zu  modellieren  gab, 
der  beste  Berliner,  der  beste  deutsche  Tier- 
plastiker, August  Gaul  nämlich,  nicht  heran- 
gezogen werden  konnte.  Mit  Recht  war  von 
Hoffmann  zu  erwidern,  daß  er  mit  Gaul  ver- 
mutlich nicht  die  verblüffende  Einheitlichkeit 
erreicht  hätte,  wie  mit  seinem  Magistrats-Stein- 
hauer,  wobei,  wie  man  wohl  wissen  dürfte, 
Gaul  natürlich  nicht  die  versagende  Kraft  ge- 
wesen wäre.  Andererseits  wird  man  es  be- 
greifen, daß  VAN  DE  Velde,  als  er  das  Haus 
Osthaus  in  Hagen  baute,  mit  einem  Künst- 
ler wie  Haller  zu  einer  ganz  kostbaren  Ein- 
heit gelangen  konnte.  Es  gibt  wenig  moderne 
Architektur,  die  an  Intensität  dem  Eindruck 
dieses  von  zwei  Figuren  flankierten  Hausein- 
ganges nahekäme.  Und  vielleicht  liegt  auch 
hier  die  Erkenntnis  für  die  Mattigkeit  des  pla- 
stischen Beiwerks  an  einem  Geschäftshaus  wie 
dem  von  Kersten  &  Tuteur  in  Berlin.  Ein 
Mann  wie  Höger  brauchte  sich  mit  derartigen 
Spekulationen  nicht  abzugeben.  Er  darf  sich 
als    eine    Kraft     fühlen    und    konnte    deshalb 


BRONZEGRUPPE 


seinen    Bau    bereichern  um  Werte  von  eige- 
nem, erlesenem  Gehalt. 


Gaul  hat  sich  bei  seinen  Plastiken  für  das 
Klöpperhaus  nicht  bemüht,  dem  für  Bauplastik 
landläufig  gewordenen  Schema  nachzuarten.  Er 
hat  Figuren  und  Gruppen  modelliert  ganz  so, 
wie  er  nun  seit  Jahrzehnten  schon  die  Form  zu 
finden  gewohnt  ist.  Gaul  konnte  aus  seinem 
instinktiven  Fühlen  heraus  gar  nichts  machen 
wollen,  was  nur  Zutat  zu  einem  anderen  Or- 
ganismus gewesen  wäre.  Dem  Werk  des  Ar- 
chitekten setzte  er  sich,  seine  feinfühlige  Kunst 
entgegen.  Die  Bronzen  am  Hauptportal  (Abb. 
S.  444)  sind  gewiß  mit  Bedacht  vorgesetzt  vor 
die  Bauflucht.  Sie  erheben  sich  auf  eigenem 
Sockel,  sind  nur  angelehnt  an  die  Backstein- 
flächen, gleichsam  als  ob  dem  Betrachter  ge- 
sagt werden  sollte,  hier  statuiert  sich  eine 
neue,  eine  ganz  und  gar  selbständige  Kraft, 
hier  kommt  zu  dem  Organismus,  wie  ihn  der 
Kaufmann  brauchte,  etwas  hinzu,  was  aus  der 
puren  Zweckbestimmung  heraus  nicht  notwen- 
dig gewesen  wäre,  etwas,  das  von  sich  aus, 
aus  der  Freude  am  Ueberschwang  und  Ueber- 
fluß  heraus  besteht,  etwas,  was  im  wahren 
Sinne  des  Wortes  Schmuck  sein  will. 

Und  obwohl  diese   Gauischen  Plastiken  so 


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AUGUST  GAUL-BERLIN 


in  sich  beschlossene  Monumente  sind,  sind  sie 
doch  ohne  diesen  architektonischen  Hinter- 
grund nicht  denkbar.  Gipsmodelle  von  ihnen 
waren  in  einer  Berliner  Sezessions-Ausstel- 
lung zu  sehen,  wo  sie,  losgelöst  von  ihrem 
Standpunkt,  keine  rechte  Wirkung  üben  woll- 
ten. Sie  blieben,  nicht  nur  deshalb,  weil  es 
Gipsabgüsse  waren,  zweifelhaft;  verkümmert 
wie  jedes  Gewächs,  das  aus  seinem  Boden 
herausgerissen  ist,  standen  sie  da.  Das  spricht, 
von  einem  höheren  Gesichtspunkt  aus  gesehen, 
sehr  für  sie.  Dieses  Ausstellungsexperiment 
lehrt  nämlich  deutlicher,  als  es  sonst  gewor- 
den wäre,  wie  eng  diese  Plastik  doch  zusam- 
mengehört mit  dem  Bau,  für  den  sie  gedacht 
ist.  Nur  an  ihm  entfaltet  sie  alle  ihre  Fein- 
heiten, an  ihm  ist  sie  aber  auch  eine  Bereiche- 
rung, die  dereinst  von  Bädeker  tragenden 
Reisenden  mit  mehr  Eifer  aufgesucht  werden 
wird  als  Rüdes  Marseillaisen-Gruppe  am  Are 
de  l'etoile  in  Paris. 

Heute  nimmt  man  dieser  ungewöhnlichen 
Leistung  gegenüber  in  Hamburg  noch  ein  biß- 
chen den  Standpunkt  ein,  den,  so  lange  es 
Kunst  und  Geist  gab,  die  Welt  jeder  Gestal- 
tung gegenüber  einnahm,  die  nicht  altherge- 
bracht konventionell  war.  Dieser  Merkur  hat 
natürlich  nicht  die  Klischeezüge,  die  ein  vom 
Stukkateur  gelieferter  Merkur  ohne  weiteres 
gehabt  hätte.  Er  gefällt  nicht  jedermann,  und 
man  stößt  sich  an  ihm,  bewitzelt  ihn.  Aber 
ist  es  jemals  einem  Kunstwerk  geglückt,  aller 
Welt  zu  gefallen?  Hat  man  einen  Böcklin 
nicht  verhöhnt  und  verlacht,  als  er  mit  seinen 


ELEFANTENSCHALE  (BRONZE  UND  SILBER) 


koloristischen  Schwelgereien  zuerst  auftrat? 
Und  was  ist  aus  dem  Zeug  geworden,  das  ein- 
mal dem  Allerweltsgeschmack  unsagbar  ge- 
fiel? Nathan  Sichel,  glaube  ich,  ist  eine  An- 
gelegenheit, deren  man  sich  allgemach  zu  schä- 
men begonnen  hat,  wie  wir  ja  auch  den  Clau- 
ren  als  eine  Schande  empfinden,  der  zu  den 
Zeiten  eines  Hauff  und  eines  Heine  mit  seinen 
gefälligen  Taschenbüchern  alle  deutschen  Her- 
zen bubbern  machte. 

Hinter  diesen  Plastiken  des  Klöpperhauses 
steht  ein  Künstler  wie  Gaul,  will  sagen,  ein 
Leben,  das,  beherrscht  von  den  lautersten 
künstlerischen  Antrieben  immer  nur  Mühe, 
nur  Arbeit  und  Formsuchen  gewesen  ist.  Ein 
Leben  und  Streben,  das  jetzt  schon  legitimiert 
ist  durch  eine  Vielzahl  von  Leistungen,  die 
der  künstlerisch  empfindende  Teil  des  deut- 
schen Volkes  als  Werte  empfindet,  die  er  doch 
nicht  mehr  in  unserer  geistigen  Bilanz  missen 
möchte.  Dieser  Merkur,  um  noch  einmal  von 
ihm  zu  sprechen,  ist  das  Experiment  eines 
Geistes,  der  in  so  vielen  feinen  Tierstücken 
den  Besten  unter  uns  jahrelang  ein  so  kost- 
bares Entzücken  bereitet  hat,  und  als  solches 
sollte  er  schon  ein  Anrecht  auf  Beachtung, 
ja  mehr  noch  auf  Achtung  haben.  Er  ist  von 
Gaul  so  ehrlich  erlebt,  wie  alle  die  anderen  Dinge, 
die  aus  seinem  Atelier  hinausgegangen  sind. 
Nun  hat  man,  da  Gaul  beinah  50  Jahre  werden 
konnte,  ehe  er  solch  menschlichen  Akt  model- 
lierte, gesagt,  Gaul  sei  zu  so  etwas  überhaupt 
nicht  fähig,  er  gehöre  ja  unter  die  Rubrik  der 
Tierbildhauer.    Wahrlich  ein  törichtes  Gerede, 


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AUGUST  GAUL- BERLIN     Q    Q     PINGUIN- BRUNNEN  IM  PARK  DES  HERRN  GEH.  RAT  FR.  OPPENHEIM  IN  WANNSEE 


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AUGUST  GAUL-BERLIN 

denn  einer  kann  überhaupt  bilden,  oder  er 
kann  gar  nichts.  Und  das  menschliche  Tier 
abzubilden  ist  doch  wohl  nur  eine  andere  Seite 
der  Tätigkeit,  die  dieser  Gaul  ein  ganzes  Leben 
lang  mit  Meisterschaft  geübt  hat. 

Fatal  genug,  daß  man  erst  noch  sagen  muß, 
daß  dieser  Merkur  gleichen  Wesens  mit  den 
ansprechenden  Tierstücken,  die  es  an  diesem 
Klöpperhaus  noch  zu  sehen  gibt  und  die  wir, 
um  die  Vergleichswerte  noch  zu  vergrößern, 
um  einige  Abbildungen  von  Brunnen  und  öffent- 
lichen Denkmale  vermehren,  die  Gaul  für 
Königsberg  und  in  Berliner  Vororten  geschaffen 
hat.  An  dem  Backsteinbau  des  Klöpperhauses 
war  für  den  Bildhauer  nicht  sonderlich  viel 
Raum.  Es  gab  ein  paar  Schlußsteine  zu  model- 
lieren, besonders  das  entzückende  Pferdchen 
über  der  Haupttorfahrt  (Abb.  S.  448),  und  es 
gab  an  der  Ecke  des  Platzes  einen  Erker,  der 
im  Hinblick  auf  den  ehemaligen  Schweinemarkt 
von  selbst  das  Thema  bot,  das  in  diesen 
Schweine-Reliefs  ganz  entzückende  Form  be- 
kommen hat.  In  Königsberg  war  es  ein 
ansichunplastischesMotiv:  zwei  gegeneinander 
kämpfende  Wisente,  die  doch  mit  einer  kost- 
baren Meisterschaft  in  den  lebendigen  Rahmen 
eines  Stadtparks  hineingestellt  worden  sind.  Das 
scheint  zu  dieser   Natur  zu  gehören  wie  der 


WISENTBRUNNEN  IN  KÖNIGSBERG 

kleine  Pinguinenbrunnen  in  einem  Berliner 
Privatgarten,  der  mit  dem  blühenden  Strauch- 
werk zu  einem  Idyll  geworden  ist.  Der  Hirsch 
im  Schöneberger  Stadtpark  ist  mehr  auf 
eine  repräsentative  Sicht  gestellt.  Er  ist  das 
Wappentier  der  Kommune,  die  hier  vor  ihrem 
neuen  Rathaus  eine  große  Grünfläche  angelegt 
hat.  Das  lustige  Bild  mit  den  vielen  spielenden 
und  plantschenden  Kindern  (Abb.  S.  449)  zeigt 
ja  schon,  daß  er  auf  seiner  hohen  Säule  eine 
jener  sozialen  Unternehmungen  beschirmt,  in 
denen  heute  der  Bürgersinn  unserer  Stadtge- 
meinden seine  Ehre  zu  erblicken  beginnt,  und  p 
in  die  mit  mehr  Stolz  als  sonstwo  ihr  Wahr-  f 
zeichen  zu  stellen ,  die  Stadtväter  berechtigt  sind. 


Vor  dem  fröhlichen  Kindertreiben,  das  dieses 
Bild  bietet,  denkt  man  zurück  an  den  kleinen 
Entenbrunnen,  den  vor  ein  paar  Jahren  ein 
Bürger  der  Stadt  Charlottenburg  geschenkt 
hat.  Das  Volk  hat  ihn,  kaum  daß  er  aufge- 
stellt war,  den  „Streichelbrunnen"  genannt, 
weil  Kinderhändchen  die  am  Wasserrand  sitzen- 
den Enten  entzückt  zu  streicheln  begannen. 
Ob  wir,  das  ist  die  Lehre  von  dem  Enten- 
brunnen, nicht  wieder  einmal  von  den  Kindern 
zu  lernen  haben?  Paul  Westheim 


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BRUNO  PAUL-BERLIN  WANDARM  UND  LÜSTER 

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ARCH.  BRUNO  PAUL-BERLIN 

Ausführung:  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im  Handweric  A.-G., 


SPEISEZIMMER  (vgl.  S.  456) 
Berlin 


BRUNO  Paul  ist  seiner  ganzen  Veranlagung 
nach  der  typische  Meister  moderner  Ge- 
werbekunst. Nicht  auf  romantischer  Empfindung 
und  lebhafter  Phantasie,  sondern  auf  der  besten 
sachlichen  Lösung  baut  sich  seine  Kunst  auf. 
Sein  sachlicher  Sinn  wendet  sich  gegen  alles 
Ueberflüssige  ;  immer  bedenkt  er  das  Typische, 
das  sich  ihm  beim  allseitigen  Durcharbeiten 
zur  individuellen  Erscheinung  formt.  Logisch 
geht  eins  aus  dem  andern  hervor  und  erwächst 
organisch  zu  einem  notwendigen  Ganzen.  So 
erscheint  auch  der  Schmuck  nur  als  letzte 
Konsequenz  der  Grundform,  als  der  natürliche 
Ausklang  ihrer  feinsten  Verästelungen.  Dies 
Ergebnis  ist  Paul  wichtiger  als  irgend  ein  be- 
stimmtes Motiv.  Dadurch  gewinnen  seine  Werke 
den  Ausdruck  des  Ueberlegten  und  Sicheren, 
Ruhigen  und  Selbstverständlichen,  das  schöne 
Zeichen  menschlicher  und  künstlerischer  Kul- 
tur.   Wollte  man  ihre  freie  Selbstverständlich- 


keit, die  so  anheimelnd  wirkt,  lediglich  als 
Eleganz  bezeichnen,  würde  man  den  Ernst  und 
die  Schwere  dieser  männlichen  Natur  völlig 
verkennen.  Das  bloß  Elegante,  müßig  Spiele- 
rische mit  seiner  Rokokostimmung  ist  auch 
nicht  die  Forderung  der  Gegenwart  und  näch- 
sten Zukunft.  Wir  erstreben  in  unseren  Häu- 
sern und  Wohnungen  Bequemlichkeit  und  Be- 
haglichkeit, dabei  etwas  ruhig  Festliches  für 
die  Stunden  der  Geselligkeit. 

Aus  solcher  Auffassung  heraus  ist  auch  das  hier 
abgebildete  Speisezimmer  entstanden,  das  alle 
Vorzüge  von  Pauls  Arbeiten  erkennen  läßt:  be- 
stes Material,  gute  Proportionen  und  sorgfältige  , 
Durcharbeitung  bis  ins  kleinste.  Besondersinter-  [ 
essant  ist  das  prachtvolle  Büfett.  Durch  den  Wech- 
sel von  konkaven  und  konvexen  Flächen,  deren 
Wellenschlag  gegen  die  Randleisten  bald  auf- 
steigt, bald  abfällt,  verliert  das  große  Möbel  an 
Schwere  und  nützt  seine  Breite  glänzend  aus. 


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'  BRUNO  PAUL-BERLIN  SPEISEZIMMER-MOBEL 

/  Ausführung;  Vereinigte  Werkstätten  für  Kunst  im  Handwerk  A.-G,,  Berlin 

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G.  DAUBNER-STRASZBURG 


BÜHNENBILD:  EINODE 


DIE  KUNSTLERISCHE  INSZENIERUNG  DES  PARSIFAL 

AUSSTELLUNG  VON  BÜHNENBILDERN  UND  FIGURINEN   IM  KUNSTGEWERBE-MUSEUM 

ZU  FRANKFURT  a.  M. 


Die  Anspannung  aller  Kräfte  der  deutschen 
und  ausländischen  Bühnen,  um  dem 
Bühnenweihfestspiel  Richard  Wagners  einen 
würdigen  bildnerischen  Rahmen  zu  geben, 
wurde  zu  einem  Gradmesser  der  zeitgenössi- 
schen Bühnenkunst  überhaupt.  Daher  lag  der 
Gedanke  nahe,  die  Ergebnisse  dieses  bühnen- 
künstlerischen Wettbewerbes  in  einer  öffent- 
lichen Schau  zu  vereinigen,  —  um  so  mehr 
als  die  verschiedenen  umfangreichen  Theater- 
kunst-Ausstellungen der  letzten  Jahre  Gelegen- 
heit geboten  hatten,  den  gegenwärtigen  Stand 
der  Bühnenkunst  im  aligemeinen  klar  zu  über- 
blicken. Die  Isolierung  eines  einzigen  Insze- 
nierungsproblems konnte  nur  fördernd  sein, 
indem  sie  zu  eindringenderen  Vergleichen  Ge- 
legenheitbot. Das  reiche,  im  Frankfurter  JVluseum 
zusammengebrachte  Material  zeigte  eine  über- 
raschende Vielgestaltigkeit,  machte  aber  auch 
den  Mangel  einer  innerlich  begründeten  künst- 
lerischen Einheit  fühlbar.  Noch  gehen  die 
Allzuvielen  ihre  eigenen  Wege,  indem  sie  aus- 
getretenen Pfaden  folgen  oder  auf  neuen,  un- 
begangenen unsicher  umhertasten.  Nur  hie  und 


da  werden  sie  durch  gemeinsame  Züge  verbun- 
den, die  Gutes  verheißend  in  die  Zukunft  weisen. 
Was  die  ausländischen  Bühnen  geschaffen 
haben  —  die  Entwürfe  von  Delescluze  für  die 
Brüsseler  Oper  oder  diejenigen  Byam  Shaws  ^ 
für  das  Londoner  Coliseum  —  folgt  durch- 
aus der  Tradition  eines  in  realistischer  Illusion 
erstarrten  Darstellungsprinzips;  es  ist  von  ? 
einer  edleren  Durchdringung  mit  wahrhaftige-  g 
rem  Künstlergeiste  in  keiner  Weise  berührt. 
An  den  deutschen  Bühnen  hat  man  sich  im- 
merhin zum  großen  Teil  von  einer  bombastisch- 
barocken, Wort  und  Ton  überwuchernden  De- 
korationsweise befreit,  wenngleich  einzelne 
Bühnen  und  ihre  Künstler  auf  der  Linie 
des  illusionistischen  Bayreuther  Stils  —  mit 
bedachter  Vorsicht  —  weitergeschritten  sind. 
Die  Inszenierung  des  Parsifal  bietet  ja  für  den 
heutigen  Künstler  Schwierigkeiten  besonderer 
Art.  Einerseits  steht  er  vor  einem  Festspiel 
von  visionärer  Gestaltungskraft  und  besonders 
betonter  Weihe  und  Strenge;  andererseits  brei- 
ten die  ausführlichen  und  unzweideutigen  An- 
weisungen   ein    Szenenbild    von   realistischer 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    lo.    Juli  1914 


457 


S8 


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Deutlichkeit  und  Detailliertheit  vor  ihm  aus. 
Wagner  stand  eben  durchaus  im  Banne  einer 
romantisch-überladenen  Operndekoration,  wie 
sie  sich  aus  dem  Barock  heraus  entwickelt  und 
gebildet  hatte.  So  gähnt  eine  Kluft  zwischen 
dem  wesenhaften  Gehalt  des  Spieles  und  seiner 
vorgeschriebenen  Bühnengestaltung.  Die  Er- 
habenheit der  Vision  liegt  im  Kampf  mit  einem 
lähmenden  Dekorationsüberschwang.  Diesen 
inneren  Zwiespalt  gilt  es  in  szenischen  Ent- 
würfen und  bildnerischen  Ratschlägen,  wie  sie 
die  heutigen  Bühnenkünstler  schaffen,  zu  über- 
brücken. Nurein  einziger  Künstler —  vonstreng- 
ster Konsequenz  ästhetischer  Gedanken  — 
Adolphe  Appia  hat  ihn  schon  Vorjahren  zu 
überwinden  gesucht,  indem  er  sich  über  die 
Wagnerschen  Bühnenanweisungen  entschlossen 
hinwegsetzte  und  dieVersinnlichung  des  Bühnen- 
weihfestspiels  rein  aus  der  Musik  gewann,  den 
ganzen  bestehenden  Dekorationsapparat  über 
Bord  warf  und  nur  mit  der  dramatisch  beleben- 
den Kraft  des  Lichtes  die  optische  Folie  des 
Dramas  schuf.  Seine  reine  und  hohe  Kunst 
steht  noch  heute  durchaus  vereinzelt  und  hat 


SZENEN-ENTWURF:  GRALSTEMPEL 


auf  der  Bühne  eine  Realisierung  nicht  gefunden ; 
hie  und  da  fanden  seine  —  auch  theoretisch 
festgelegten  —  Gedanken  ihren  Niederschlag 
in  stilvoll-vereinfachenden  Entwürfen,  die  aller- 
dings in  ihrer  kunstgewerblichen  Schwere  weit 
von  der  ätherischen  Leichtigkeit  Appiascher 
Gestaltung  abgerückt  sind. 

Gewisse  Verständigungen  von  allgemeiner 
Geltung  hat  die  neue  künstlerische  Inszenierung 
wohl  ergeben.  Die  meisten  Künstler  stehen 
bei  der  Charakterisierung  der  Bühnenbilder 
von  allzu  detaillierter  Bestimmtheit  vorsichtig 
zurück,  verrennen  sich  dabei  aber  nicht  selten 
in  einen  allzu  abstrakt-geometrischen  Stil,  wie 
er  die  symbolhaften  Entwürfe  Dülbergs  und 
selbst  VAN  OsENS  charakterisiert.  Eine  — 
in  diesem  Falle  durchaus  berechtigte  und  ge- 
lungene —  mittlere  Linie  nehmen  die  Entwürfe 
H.  Leflers  ein,  der  bühnentechnisch  am  ge- 
schicktesten sich  mit  den  äußeren  (von  Wagner 
bestimmten)  und  inneren  (in  dem  Werke 
ruhenden)  Forderungen  abfindet.  Eine  über- 
schauende Betrachtung  verschiedener  Lösun- 
gen folgt  am  besten  dem  Gange  des  Stückes 


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458 


HEINRICH  LEFLER  U.  FRITZ  WERNDORFF  SZENEN-ENTWURF:  GRALSTEMPEL 

AusFiihrung:  Oesterreichiscbes  Kostüm-Atelier  M.  Siriberny,  Wien 


und  erörtert  kurz  die  bildnerische  Bühnen- 
gestaltung der  einzelnen  Szenen  und  Akte. 
Obgleich  Wagner  selbst  die  Oertlichkeit  des 
ersten  Aktes  als  dem  „Charakter  der  nördlichen 
Gebirge  des  gotischen  Spaniens"  entsprechend 
angedeutet  hat,  wird  man  einer  Panoramen- 
malerei der  Gegend  des  Montsalvat,  wie  sie 
die  Opern  von  Brüssel  und  Paris  zeigten,  nur 
mit  wehmütigem  Lächeln  begegnen.  Die  meisten 
Entwürfe  bemühen  sich,  einzig  den  ernsten 
und  feierlichen  Eindruck  des  Waldes  („schattig 
und  ernst,  doch  nicht  düster")  am  heiligen  See 
zum  Ausdruck  zu  bringen,  und  besonders  Wil- 
dermann gibt  in  der  strengeren,  säulenartigen 
Reihung  der  Bäume  einen  geschickten  Hinweis 
auf  das  Folgende,  das  Innere  der  Gralsburg 
(Abb.  S.  463).  Diese  muß  von  „höchster  feier- 
licher Würde"  sein,  die  von  den  Bayreuther 
Entwürfen  nur  beschränkt  erreicht  wird.  Immer- 
hin folgen  zahlreiche  Künstler:  Gamper,  Steiner, 
Daubner  deren  Vorbild,  um  eine  reiche  und 
üppige  Raumwirkung  zu  erzielen.  Andere  be- 
achten mehr  die  Wagnersche  Andeutung  (in  dem 
für  die   Inszenierungsfragen   aufschlußreichen 


Aufsatz  „Das  Bühnenweihfestspiel  in  Bayreuth 
1882"),  das  Vorbild  dürfe  nur  „den  edelsten 
Denkmälern  der  christlichen  Baukunst"  ent- 
nommen werden,  indem  sie  S.  Vitale  in  Ra- 
venna  (Stuttgart),  den  Dom  zu  Siena  (Roller) 
oder  den  Dom  zu  Mainz  (Hannover)  als  künst- 
lerisches Vorbild  nehmen.  Wieder  andere  — 
Wildermann,  van  Ösen  und  Wunderwald  — 
schaffen  ganz  unbestimmte  Formen  von  mysti- 
scher Feierlichkeit. 

Von  besonderer  Schwierigkeit  und  nach  jeder 
Richtung  hin  diskutiert  ist  die  von  Wagner 
nachdrücklichst  geforderte  Wandeldekoration. 
Verschiedene  Bühnen  haben  auf  eine  Realisie- 
rung dieser  Bühnenvorschrift  verzichtet  und  sind 
so  den  szenischen  Schwierigkeiten  aus  dem 
Weg  gegangen.  Andere  haben  sich  mit  ihr  ab- 
gefunden und  die  mannigfaltigsten  Versuche 
zur  Bewältigung  des  Problems  angestellt.  Dreh- 
und  Schiebebühne,  malerische  und  plastische 
Dekorationen  haben  die  Verwirklichung  der 
Wagnerschen  Forderung  zu  ermöglichen  ge- 
sucht; selbst  optisch-technische  Hilfsmittel  — 
Projektion  und  Film  —  wurden  verwertet.  Am 


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HEINRICH  LEFLER-WIEN  Q  SZENEN-ENTWÜRFE  ZU  „PARSIFAL":  BLÜMENAUE  UND  KLINGSORS  ZAUBEKGAKThN 
Ausführung:  Oesterrcichisches  Kostüm-Atelier  M.  Striberny,  Wien 


460 


HANS  WILDERMANN-MONCHEN 


BÜHNENBILD:  BLUMENAUE 


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GUSTAV  WUNDERWALD-BERLIN 


BÜHNENBILD:  BLUMENAUE 


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LUDWIG  SIEVERT-FREIBURG 

ausführlichsten  hat  Lefler  in  seinen  Entwürfen 
die  Wandeldekoration  behandelt,  indem  er  in 
fünf  Bildern  die  Wandernden  von  dem  Walde 
bis  zur  Gralsburg  begleitet. 

Klingsors  Zauberschloß  ist  in  den  Entwürfen 
in  reicher  Phantastik  ausgebildet,  die  sich  von 
der  winkligen,  mit  Requisiten  überladenen 
Bayreuther  Skizze  entfernen  und  zu  einer 
monumentaleren  Gestaltung  hinstreben.  Bei 
ihm,  wie  bei  der  Wunderpracht  des  Zauber- 
gartens bedient  man  sich  der  wertvollen  Bei- 
hilfe des  Lichtes,  eines  ständig  fließenden  und 
gleitenden  Lichtes,  das  seine  flackernden  Strah- 
len über  die  Schar  der  Blumenmädchen  und 
Parsifals  ergießt.  Garten  und  Mädchen  müssen 
von  einer  üppig- wollüstigen  Einheitlichkeit 
sein,  wie  dies  besonders  in  Leflers  phantasie- 
vollen Entwürfen  (Abb.  S.  460/61)  deutlich 
wird.  Gerade  in  diesem  Akte  sind  dem  Künst- 
ler große  Aufgaben  gestellt  in  der  Gestaltung 
des  Bühnenbildes  wie  auch  der  Kostüme,  der 
„flüchtig  übergeworfenen  Kleidung"  der  Mäd- 
chen und  der  wilden-holden  Blumengewänder, 
die  Lefler  in  fast  märchenhafter  Buntheit  ge- 
schaffen hat.  Auch  Kundrys  Gewandung  hat 
er  in  ihrer  symbolhaften  Gegensätzlichkeit  vor- 
trefflich zu  charakterisieren  vermocht. 

Die  Verwandlung  in  die  Einöde  wird  teils 


BÜHNENBILD:  EINODE 

durch  Einstürzen  der  stehenden  Dekoration 
(Wildermann),  teils  durch  Wegziehen  eines 
Vorhangs  (Lefler),  vor  allem  aber  durch  den 
Wechsel  der  Beleuchtung  erreicht.  Aus  der 
sinnlich -bunten  Atmosphäre  wird  ein  Bild 
grauenhafter  Verwüstung  (Daubner  und  Sievert 
Abb.  S.  457  und  462):  der  Garten  verdorrt  zur 
Einöde.  —  Besonders  die  Szenerie  des  dritten 
Aktes,  die  Blumenau,  gibt  dem  Maler  Gelegen- 
heit zu  stimmungfördernder  Farbigkeit.  Kar- 
freitagszauber ist  das  Leitmotiv  auch  für  die 
bildnerische  Ausgestaltung  dieser  Szene,  die 
manche  Künstler  mit  Glück  in  frühlingshaft- 
knospender  Buntheit  charakterisiert  haben  (Wun- 
derwald, Wildermann).  Die  Wandeldekoration 
des  dritten  Aktes  wird  von  den  meisten  Bühnen 
weggelassen,  unter  Berufung  auf  die  Bayreuther 
Aufführung  vom  Jahre  1882,  bei  der  allerdings 
nur  technische  Unzulänglichkeiten  das  Weg- 
lassen erheischten.  —  Das  Innere  des  Grals- 
tempels des  letzten  Aktes  erhält  seinen  unter- 
scheidenden Ausdruck  auf  der  Bühne  ledig- 
lich durch  die  flutende  Lichtführung,  die  aus 
der  Kuppel  beim  Erscheinen  des  Grals  aus- 
strömt. Hier  greift  die  leitende  Hand  des 
Bühnenregisseurs  ein,  der  die  Arbeit  des 
skizzierenden  Künstlers  auf  der  Bühne  weiter- 
führt und  zur  Wirklichkeit  werden  läßt.  w.  f.  st. 


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462 


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HANS  WILDERMANN-MUNCHEN 


BÜHNENBILD:  AM  HEILIGEN  SEE 


ROBERT  ENGELS-MONCHEN  BÜHNENBILD:  AM  HEILIGEN  SEE       C 


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HANS  WILDERMANN-MÜNCHEN 


GUSTAV  GAMPER-BERN 


BÜHNENBILD:  KLINGSORS  ZAUBERGARTEN 


BOHNENBILD:  BLUMENAUE 


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ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


DAS  OSTERREICHISCHE  HAUS 


DAS  ÖSTERREICHISCHE  HAUS  AUF  DER 
DEUTSCHEN  WERKBUND-AUSSTELLUNG  IN  KÖLN 


Die  österreichische  Kunst  ist  diesen  Sommer 
auf  Reisen.  In  Leipzig,  in  Köln  und  in 
Lyon  hat  sie  eigene  Häuser  gebaut  und  bietet 
dort  eine  Auslese  jener  beiden  Leistungen, 
durch  die  sie  führenden  Rang  behauptet:  Ar- 
chitektur und  Kunstgewerbe.  Sie  legt  allem 
Anschein  nach  mehr  Wert  darauf,  draußen  zu 
voller  Geltung  zu  kommen,  als  zu  Hause.  Eine 
derartige  Entfaltung  künstlerischer  Schaffens- 
kraft Oesterreichs,  wie  sie  heuer  jene  drei 
Schaustätten  darstellen,  hat  sich  in  Wien  selber 
wohl  kaum  jemals  geboten  und  erscheint  dort 
auch  schwer  denkbar.  Wir  sind  gern  zu  Gaste, 
fremder  Anerkennung  leicht  zugänglich  und 
tragen  aus  alter  Gewohnheit,  fast  unter  dem 
Zwang  eines  historischen  Gesetzes,  unsere 
vielen,  guten,  neuen  Gedanken  hinaus,  wo  sie 
den  Boden  finden,  um  sich  durchzusetzen.  Und 
wir  kommen  dann  nach  Hause,  dankbar,  be- 
glückt, in  naiver  Siegerlaune  und  haben  uns 
doch    eigentlich   arm   ausgegeben.    Denn  was 


wir  nicht  vermögen,  die  fruchtbaren  Anregun- 
gen, die  unsere  Arbeit  enthält,  durchzuführen 
und  ihre  Werte  auszuschöpfen,  das  geschieht 
draußen.  Wir  sind  Meister  des  Programms, 
aber  nicht  des  nutzbringenden  Werkes. 

Es  ist  nur  selbstverständlich,  daß  man  uns 
bei  solcher  Eigenart  mit  jener  Liebenswürdig- 
keit entgegenkommt,  die  uns  leicht  gewinnt. 
Unsere  Häuser  bekommen  den  besten  Platz, 
und  sie  machen  ihm  Ehre,  auch  in  Köln,  wo 
das  eindrucksvolle  Bauwerk  Josef  Hoffmanns 
auf  dem  Hauptplatz,  der  Festhalle  gegenüber 
hingestellt  ist  und  von  den  bescheiden  zurück- 
tretenden Gebäuden  des  Deutschen  Reiches  in 
die  Mitte  genommen  wird.  Auf  so  vorgescho- 
benem Posten  war  die  erste  Aufgabe  des  Bau- 
meisters: Selbstbehauptung.  Er  ist  ihr  ganz 
gerecht  geworden.  Es  ist  keinerlei  Kompromiß, 
keinerlei  Tradition  wahrzunehmen,  nur  die  Ent- 
wicklung Hoffmanns  auf  der  vollkommeneren 
Stufe  ihrer  Klärung.  Der  geschlossene  Raum- 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    lo.     Juli  1914 


465 


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ANTON  HANAK-WIEN 

Würfel  des  Unterbaus  strebt  zu  gemessener 
Höhe,  die  halbheraustretenden  Pfeiler  mit  den 
breiten,  flachen  Rillen  betonen  diese  Bewegung 
und  erzielen  jene  maßvollen  Rhythmen  der 
Gliederung,  die  nur  dazu  dienen,  die  unge- 
brochene kubische  Vollwirkung  zu  bekräftigen. 
An  der  Frontseite  greift  ein  offener  Hof  bis 
in  die  Mitte  des  Hauses  vor  und  gliedert  zwei 
Seitenflügel  vom  Hintertrakte,  auf  den  jene 
senkrecht  stoßen.  Auf  dreifach  gestuftem, 
schwerem  Gebälke  ruht  das  einfache  Walm- 
dach und  bietet  an  der  Schauseite  zwei  flache 
Giebel,  die  von  Fruchtkränzen  belebt  werden. 
In  den  Füllungen  zwischen  den  Pfeilern  sitzen 
Fruchtkörbe,  jedes  Detail  an  seiner  wohl  er- 
wogenen Stelle,  dem  Verhältnis  zum  Ganzen 
untergeordnet,  aus  dem  grauen  Zementmaterial 
gewonnen,  Werk-  und  Zweckform  zugleich. 
Ernst,  Würde  und  das  Selbstbewußtsein  der 
Arbeit,  die  im  Dienste  der  Kunst  steht,  geben 
diesem  Hause  Ausdruck  und  Gepräge. 

Den  Torgang  flankieren  zwei  monumentale 
Figuren  Anton  Hanaks    „Mann  und  Weib", 


MONUMENTALE  FIGUREN 

deren  ringende,  wie  vom  Stoff  beschwerte  Ge- 
bärde ihrer  architektonischen  Funktion  ent- 
spricht, deren  helle  Farbe  gegen  die  des 
Hauses  als  ein  belebender  Auftakt  wirkt. 
Zwischen  den  zwei  Pfeilerreihen  des  Eingangs 
öffnet  sich  der  Blick  in  den  Vorhof  und  gibt 
der  hölzernen  Säule  mit  dem  schlangentötenden 
Herkules,  in  Schwarz  und  Gold,  den  Rahmen, 
von  Strnad  entworfen  und  von  Barwio  aus- 
geführt. Sie  bestimmt  schon  durch  Erfindung 
und  Farbe  das  südliche  Gepräge  des  langge- 
streckten Hofrechteckes,  das  von  dem  schmalen 
Pluvium,  der  quergestellten  Wasserschale,  den 
seitlichen  Hallengängen  und  dem  mit  allerhand 
Prägungen  versehenen  Ziegelbelag  noch  näher 
definiert  wird.  Er  ist  das  Werk  Strnads. 
Das  Spiel  des  Materials  in  seinen  eigentüm- 
lichen, kräftigen  Farben  bewirkt  hier  eine  be- 
sonders lebhafte  Bewegung,  die  gegen  Abend 
stiller  wird,  bis  der  klare  Nachthimmel  in  der 
Fassung  der  Hoföffnung  den  einfachsten  und 
stärksten  Reiz  der  Anlage  erschließt. 

Der   klaren   und  einfachen  Gliederung  des 


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ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


DAS  ÖSTERREICHISCHE  HAUS 


Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 


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ARCH.  OSKAR  STRNAD-WIEN  HOF  DES  OSTERREICHISCHEN  HAUSES      V. 


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ARCH.  OSKAR  STRNAD-WIEN  HOF  DES  OSTERREICHISCHEN  HAUSES 

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ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


Hauses  entspricht  auch  die  übersichtliche  An- 
lage der  Innenräume.  Vier  von  ihnen  wollen, 
jeder  für  sich,  als  Ganzes  genommen  und  be- 
wertet sein.  Sie  liegen  hintereinander  im  linken 
Flügel.  Sie  sollen  wohl  die  Abfolge  eines  bild- 
nerischen, eines  architektonischen,  eines  male- 
rischen und  endlich  eines  kunstgewerblichen 
Raumes  ergeben.  Diese  Absicht  haben  sie  auch 
mit  vollkommener  Anschaulichkeit,  wenn  auch 
mit  verschiedenwertiger  Kunst  erreicht.  Der 
bildnerisch  bestimmte  Empfangsraum  Professor 
Strnads  lebt  von  einer  strengen,  schlanken 
Linie,  die  er  durch  die  leichte,  zarte  Zweig- 
ornamentik des  Wandbelages  bewegt  und  ent- 
lastet. Die  expressionistischen  Skulpturen  sind 
mißraten,  wir  vermögen  diesen  gequälten  Linien 
keine  tiefer  erregte  Ursache  und  keine  edlere 
Ausdrucksfähigkeit  beizumessen.  Nur  Hanaks 
betende  Frauen  figur  hat  die  Sprache  der  Künstler- 
andacht, die  den  Raum  stützt.  Dagegen  fehlt 
uns  die  Erklärung  für  die  Beweggründe,  die 
die  Veranstalter  veranlaßt  haben,  derart  be- 
langlosen und  ärgerlichen  Bilderschmuck  ge- 
rade diesem  Interieur  zuzuweisen,  dessen 
malerische  Ausstattung  durch  die  Arbeit  des 
Architekten  ohnedies  aufs  engste  umschrieben 


AUS  DEM  EMPFANGSZIMMER  (vgl.  S.  471) 


war.  Hier  hätten  die  stilisierenden  Talente  der 
österreichischenjugendeinrücken  müssen.  Aber 
wie  die  Auswahl  ausfiel,  gefährdet  sie  gerade- 
zu den  schönen  Raum  und  bringt  ihn  aus 
dem   Gleichgewicht. 

Ein  vollkommenes  Meisterwerk  ist  Josef 
Hoffmanns  Empfangsraum.  Das  ist  nahezu 
Darstellung  architektonischer  Gesetzmäßigkeit. 
Die  Gliederung  einfach  und  kräftig  wie  das 
Spiel  der  schwarzen  und  weißen  Wandteile, 
die  Verhältnisse  von  Flächen  und  Körpern  wohl 
erwogen,  das  Ganze  von  besonnener,  eindring- 
licher Sprache.  Der  archaistische  Reliefschmuck 
Leo  Blonders  kommt  den  Absichten  des 
Raumkünstlers  prächtig  entgegen,  das  schön 
geschnitzte  Möbel  aus  schwarz  poliertem  Birn- 
holz  zeigt  die  klare  Körperlichkeit  der  Meister- 
hand, die  Stoffbespannung  der  „Wiener  Werk- 
stätte"  hält  in  Linie  und  Farbe  den  Schritt  mit 
dem  Rhythmus  der  durchaus  übergeordneten 
Raumdarstellung.  Nirgend  fühlt  man  so  stark 
wie  hier  den  bezwingenden  und  regierenden 
Willen  eines  Künstlers,  der  die  Einheit  her- 
beiführt. 

Schlank,  fast  überschlank  ist  die  Linie  Da- 
gobert Peches,  der  im  Damen-Boudoir  das 


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ARCH.  JOSEF  HOFFMANN-WIEN 


EMPFANGSZIMMER  (vgl.  S.  470) 


Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 

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ARCH.  CESAR  POPPOVITS- WIEN    D     ÖSTERREICHISCHES  HAUS:  AUSSTELLUNGSRAUM   FÜR   GLAS    UND  KERAMIK       ß 

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Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914  ? 

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RAUM  DES  ÖSTERREICHISCHEN  MUSEUMS 


I  Deutsche  Werkbund-Aussiellung  Köln  1914 

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>ekürative  Kunst.  XVII.    lo,    Juli  1914 


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ARCH.  E.  J.  WIMMER-WIEN  □  AUS  DEM  RAUM  DER  «WIENER  WERKSTATTE« 

Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 

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Deutsche  XTerkbund-Ausstellung  Köln  1914 

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JOSEF   HOFFMANN     El    TEIL    EINES    IN   SILBER   GETRIEBENEN,    VERGOLDETEN    HALSBANDES    MIT    PERLSCHALEN 


vorderhand  geeignetste 
Objekt  seines  graziösen 
Talentes  findet.  Durch 
schmale,  bis  zur  Decke 
reichende  Fenster,  mit 
weißem  Tüll  verhangen, 
leitet  er  die  reiche  Licht- 
flut in  einen  hohenRaum, 
den  er  mit  blumiger  Ta- 
pete in  zarten  Farben 
bespannt.  Er  fügt  dazu 
einen  Teppich  mit  brei- 
ter, üppiger  Musterung, 
wirft  auf  ein  schwarz 
bespanntes  Sofa  ein  paar 
seiner  phantastischen 
Toilettenstücke,  ein  heiterer, 
sorgloser  Künstler  von  rei- 
chem und  leichtem  Können, 
dessen  echtem  Temperament 
vorläufig  noch  der  Ernst  fehlt. 
Man  bedauert  immer  wieder, 
daß  er  sich  in  anmutigen  Spie- 
len gehen  läßt  und  sich  nicht 
an  größere  Aufgaben  heran- 
macht. Berthold  Löffler 
hat  die  vom  Licht  getroffene 
Hauptwand  mit  einer  ruhen- 
den Diana  und  einer  flotten 
Engeltapete  versehen,  die  ein 
grüner  Vorhang  beschirmt, 
Melitta  Löffler  gab  in  die 
Vitrinen  allerhand  lebhafte 
Einfälle  in  weiblichen  Hand- 
arbeiten. Für  den  Mangel  an 
völliger  Einheit  im  Räume 
entschädigt  das  liebenswür- 
dige Spiel  der  Erfindung;  sol- 
che Heiterkeit  entwaffnet. 

Auf  der  vollen  Höhe  der 
Wiener  Raumkunst  steht  wie- 
der das  Empfangszimmer  Ar- 
nold Nechanskys  aus  gel- 
bem Nußholz,  gebeizt  und  po- 
liert. Eine  Aeußerung  groß- 
städtischer Zeitkultur  in  ihrer 
neuen  Form  organisierter  Ar- 
beit, das  anschaulichste  Zeug- 


JOS.  HOFFMANN  Q  IN  GOLD  GETRIEBENE  BROSCHE 
MIT  FARBIGEN  STEINEN  UND  PERLSCHALEN 


JOS.  HOFFMANN  Q  GOLD.  BROSCHE 
MIT     STEINEN    UND     PERLSCHALE 


E.J.  WIMMER  □  GOLD.  ANHANGER 
AUSFUHR.:    WIENER  WERKSTATTE 


nis  für  die  fruchtbare 
Verbindung  von  Künst- 
ler und  Handwerker. 
Allerdings  Luxuskunst. 
Bedenkt  man,  daß  die 
ausführende  Werkstätte 
in  diesem  Falle  der  Mu- 
sterbetrieb der  Tisch- 
lerei im  K.  K.  Gewerbe- 
förderungsamte ist,  so 
tritt  gerade  hier  die 
Frage  besonders  nahe, 
ob  und  wie  dem  Hand- 
werk die  Möglichkeit 
zur  Uebung  seines  wert- 
gesteigerten  Könnens 
auch  auf  dem  breiteren  Felde 
allgemeiner  sozialer  Bedürf- 
nisse gegeben  ist,  das  uns  ge- 
rade die  Großstadt  nahe  bringt. 
Dafür  bietet  das  Haus  keine 
völlig  beruhigenden  Einblicke. 
Zwar  wird  die  künstlerische 
Erziehung  des  provinziellen 
Handwerkers  im  Gleis  seiner 
bodenständigen,  volkstümli- 
chen Arbeit  von  eben  diesem 
Amte  an  einer  Reihe  von 
Beispielen  aus  verschiedenen 
Kronländern  Oesterreichs  an- 
schaulich vorgeführt.  Aber 
diese  Bestrebungen  bewegen 
sich  doch  mehr  in  der  Rich- 
tung der  Erhaltung  heimat- 
künstlerischer Ueberlieferun- 
gen.  Hier  stehen  wir  noch  in 
Anfängen.  Daß  die  Bewegung 
auch  jenen  weiteren  Boden 
betritt  und  erobert,  das  ver- 
bürgt der  Name  eines  Man- 
nes, den  die  Ausstellung  nicht 
nennt  und  der  doch  die  Wur- 
zel alles  gesunden,  künstleri- 
schen Fortschritts  im  öster- 
reichischen Handwerk  ist.  Wir 
möchten  gerade  diese  Gele- 
genheit, die  sein  Werk  auf 
so    reifer  Stufe  zeigt,    nicht 


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480 


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WIMMER  El  IN  GOLD  GETRIEBENE  ARMBANDER  MIT  PERLSCHALEN  (LINKS),  OPALEN  U.  SMARAGDEN  (RECHTS) 


vorübergehen  lassen,  ohne  Adolf 
Vetter,  den  Direktor  des  Ge- 
werbeförderungsamtes, rühmend 
zu  nennen,  dem  wir  schon  Vieles 
danken  und  von  dem  wir  noch 
Vieles  erhoffen  dürfen. 

Die  übrigen  Zimmer  sind  zu 
Ausstellungsherbarien  bestimmt. 
Aber  auch  hier  ist  der  Raum  le- 
bendig gemacht  durch  die  Erfül- 
lung seiner  Zweckbedingtheit.  Der 
Mittelsaal  des  allgemeinen  Kunst- 
gewerbes von  Professor  Carl 
Witzmann  kann  in  seiner  schwarz- 
weißen  Noblesse  und  Heiterkeit, 
in  der  klaren  Uebersichtlichkeit 
der  Ordnung  und  Gruppierung  ge- 
radezu als  vorbildlich  für  Aus- 
stellungsräume dieserBestimmung 
gelten.  In  den  übrigen  Räumen 
von  Heinrich  Katrein,  Otto 
Prutscher,  Cesar  Poppovits 
und  Eduard  Wimmer  gibt  sich 
durchaus  der  sympathische  Wech- 
sel individueller  Aeußerungen  zu 
erkennen,  der  doch  wieder  durch 
die  stille  Ueberein- 
kunft  einer  gemeinsa- 
men Gesinnung  und 
schon  auch  durch  eine 
Ueberlieferung  inner- 
halb der  Wiener  Mo- 
derne gebunden  er- 
scheint. Daherdieauch 
im  Reiche  immer  wie- 
der verspürte  Wirkung 
einer  geschlossenen, 
reifen  Kulturerschei- 
nung. Nur  der  düstere 
und  beengende  Raum 
der  Kunstgewerbe- 
schule befriedigt  nicht, 
und  die  beiden   Zim- 


^.              J 

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A.  NECHANSKY  □  GOLDEN. 
ANHÄNGER  M.  ELFENBEIN 


JOSEF  HOFFMANN     O     IN   SILBER  GETRIEBENE  DOSE 
AUSFÜHRUNG:    WIENER  WERKSTATTE,  WIEN 


mer  des  böhmischen  Werkbundes 
sind  eine  offenbare  Entgleisung. 
Sie  wirken  wie  eine  unfreiwillige 
Parodie  auf  den  Geometrismus, 
dessen  Gefahren  sie  an  dem  ei- 
genen Beispiel  der  Ausartung  ent- 
hüllen. Man  tut  besser,  diesen 
futuristischen  Neigungen  offen  zu 
begegnen,  als  sie  stillschweigend 
zu  dulden  und  ihr  Aufwuchern 
mit  zu  verschulden. 

Außerhalb  der  Repräsentations- 
räume bietet  sich  nur  wenig  Mö- 
belkunst. Zu  wenig.  Witzmann 
und  Prutscher  beweisen  wieder 
ihren  behaglichen ,  feinbürgerli- 
chen Geschmack,  in  Arthur  Ber- 
ger zeigt  sich  ein  entschiedenes 
Talent  der  Hoffmannschule.  Die 
übrigen  kleingewerblichen  Arbei- 
ten geben  eine  Auslese  vom  Be- 
sten, die  von  der  Wanderaus- 
stellung des  österreichischen  Mu- 
seums besonders  betont  wird.  Es 
sind  Namen  und  Werte,  die  den 
Ruhm  unseres  Kunstgewerbes  be- 
deuten, die  Skulpturen 
in  Holz  und  Bronze 
von  BARWiG,die  Kera- 
miken von  Powolny, 
Schmuck  und  Gefäße 
von  CzESCHKA  und 
Hoffmann,  Toiletten 
von  WiMMER  usw.  Un- 
ter den  Jüngeren  tritt 
namentlich  R.  Obsie- 
ger in  starken  kera- 
mischen Beispielen,  O. 
Sitte  in  solchen  des 
gleichen  Materials  von 
ansprechender  Be- 
handlung und  gefälli- 
ger Erfindung,  N.  Low 


b 


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)ekoratiTe  Kunst.    XVII. 


Juli  1914 


481 


61 


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SILBERNE  TISCHGLOCKE 


SILBERNE  KONFEKTSCHALE 


SILBERNE  TISCHGLOCKE 


in  Damenmoden  von  feinem  Geschmack  und 
H.  Jahn  in  breiten,  apart  gefärbten  Holz- 
schnitten hervor.  Von  geschäftlichen  Unter- 
nehmungen Stehen  Lobmeyer,  die  Wiener 
und  Gmundner  Keramik,  die  Serapis- Fayen- 


cen von  Wahliss,  von  den  Fachschulen  die 
von  Haida  und  Steinschönau  mit  ihren 
böhmischen  Gläsern  in  vorderster  Reihe. 

Man  kann  heute  die  Rivalitäten  noch  nicht 
abwägen.     Denn   aul?er   dem  österreichischen 


§ 


SILBERNE  VASE 


IN  SILBER  GETRIEBENER  POKAL  M.  MALACHIT 


SILBERNE  VASE 


ENTWURF:  ARCH.  JOSEF  HOFFMANN  13  AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTÄTTE,  WIEN 

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482 


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SERAPIS-FAYENCEN   Q   MODELLE  VON  FRANZ  STAUDIGL  B  DEKOR  VON  CARL  KLAUS 
AUSFÜHRUNG:  PORZELLANHAUS  ERNST  WAHLISS,  WIEN 


ist  nur  das  Bremer 
Haus  wirklich  fertig. 
Aber  das  ist  schon  ge- 
wiß, daß  von  unserm 
Haus  die  stärlisten 
prinzipiellen  Wirkun- 
gen ausgehen  werden, 
und  daß  es  solcherart 
an  der  wesentlichsten 
Bedeutungdieser  Aus- 
stellung in  erster  Linie 
teilnehmen  wird.  Um 
das  dreistufige,  dach- 
tragende Gebälke  zieht 
sich  ein  Schriftfries 
von  ornamentaler  Wir- 
kung, in  Erfindung  und 
Anordnungdem  Geiste 
unseres  Larisch  ver- 
wandt oder  gar  ent- 
sprungen. Er  enthält 
Grillparzer  entnom- 
mene Leitsätze  der  Be- 
wegungvon  monumen- 
taler Würde.  Ueber 
dem  Portal:  „Die  Wis- 
senschaft     überzeugt 


durch  Gründe,  —  die 
Kunst  soll  durch  ihr 
Dasein  überzeugen. 
Die  Schönheit  ist  die 
vollkommene  Ueber- 
einstimmung  des  Sinn- 
lichen mit  dem  Gei- 
stigen . . ."  Die  noch 
schwerflüssigen  Sätze 
stehen  hier  am  rech- 
ten Ort.  Ihre  müh- 
same Fügung  wirkt 
fast  wie  ein  Symbol. 
Auch  das  Werk,  dessen 
Stirn  sie  schmücken, 
ringt  noch  um  die 
letzte  Klarheit  der 
Form,  aber  der  Ge- 
danke ist  schon  in  ihm 
wie  in  jenen  Worten, 
und  es  kann  nicht 
mehr  fern  sein,  daß 
Werk  und  Spruch  die 
Prosa  verläßt  und  kla- 
re, schwunghafte  und 
volkstümliche  Poesie 
wird.  Max  Eisler 


CARL  KLAUS  □  SERAPIS-FAYENCE 
DEKOR  VON  A.  ZEBISCH 


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483 


61« 


BUTTERDOSE  (1789) 


TINTENFASZ  (1784) 


DIE  GESCHICHTE  DES  „SHEFFIELD  PLATE" 


Frederick  Bradbury*,  selbst  der  Abkömmling 
eines  Hauses  das  mit  der  Einführung 
dieses  Verfahrens  in  Sheffield  groß  geworden 
war,  hat  es  unternommen,  Entwicklung,  Tech- 
nik und  Verfall  dieser  Industrie  zu  schildern, 
mit  einer  Hingabe  und  Sachkenntnis,  die  sein 
Werk  zu  einer  abschließenden  Arbeit  über 
dieses  Gebiet  machen.  Sie  ist  um  so  wert- 
voller als  Bradbury  in  der  Lage  war,  auf  die 
in  Sheffield  noch  lebendigen  Traditionen  zu- 
rückzugreifen, um  die  Herstellungsweise  bis 
ins  einzelne  zu  verfolgen,  die  maßgebenden 
Persönlichkeiten  und  Häuser,  ihre  Marken  und 
Stempel  und  damit  die  zeitliche  Bestimmung 
ihrer  Erzeugnisse  festzustellen.  So  gibt  er  an 
Hand  eines  reichen  Abbildungsmaterials  alles, 
was  sich  an  festen  Anhaltspunkten  in  der  hand- 
werklichen und  künstlerischen  Formentwick- 
lung bietet. 

Bei  der  auf  die  selbständige  Formgebung 
unserer  Zeit  gerichteten  Tendenz  dieser  Zeit- 
schrift müssen  wir  es  uns  leider  versagen, 
im  einzelnen  der  sehr  reizvollen  geschichtlichen 
Darlegung  des  Verfassers  zu  folgen.  Insofern 

*)  Frederick  Bradbury,  „History  of  Old  Sheffield 
Plate".  Verlag  von  Macmillan&  Co.,  Limited,  London. 


aber  jede  Zeit  rückwärtsschauend  —  von  ihrem 
neu  gewonnenen  Gesichtswinkel  aus  —  neue 
Ausgangspunkte  der  eigenen  Tendenzen  findet, 
sei  es  gestattet  an  Hand  einiger  Abbildungen 
auf  die  großen  Qualitäten  zu  verweisen,  die 
jene  Erzeugnisse  auch  heute  noch  für  uns 
haben.  Denn  der  Uebergang  vom  handwerk- 
lichen zum  fabrikmäßigen  Betrieb  in  der  Her- 
stellung von  Silberwaren,  der  sich  seit  Mitte 
und  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts  vollzog, 
hatte  leider  eine  starke  Einbuße  an  künstle- 
rischer wie  handwerklicher  Vollendung  zur 
Folge,  den  wett  zu  machen  bis  heute  nicht 
ganz  gelungen  ist.  Vergleichen  wir  z.  B.  unser 
sogenanntes  Hotel -Silber  mit  dem  was  in 
Sheffield  vor  100  Jahren  fabriziert  wurde  und 
zum  Teil  heute  noch  seit  jener  Zeit  in  täg- 
lichem Gebrauche  steht,  so  können  wir  kaum 
von  einem  Fortschritt  reden.  Als  eine  Anre- 
gung zu  neuen  Anstrengungen  in  dieser  Hin- 
sicht möge  uns  das  alte  fremde  Vorbild  dienen. 
Wem  aber  daran  liegt,  einen  näheren  Ein- 
blick in  das  Verfahren  und  die  Leistungen  selbst 
zu  gewinnen,  dem  möchten  wir  Bradburys  liebe- 
voll geschriebene  und,  wie  gesagt,  reich  illu- 
strierte Monographie  warm  empfehlen.  b. 


GEBÄCK-KORBCHEN 

(1801) 


AUS   „BRADBURY,  OLD 
SHEFFIELD  PLATE« 


ISX3SX9SXS(5X3SXS(57TreSX3SX9(3X3(5X3(3XS(37rra(5X3(5X3SX3SXS5?'raSX®(^^ 


484 


GEBACK-KORBCHEN  (1778) 


OVALE  DECKELSCHOSSEL  (1782) 


SILBERNER  TAFELAUFSATZ  (1777)    B    AUS  BRADBURY   .HISTORY  OF  OLD  SHEFFIELD  PLATE« 
VERLAG:  MACMILLAN  &  CO.,  LTD.,  LONDON 

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ERNST  KLINGELFUSZ,  ZURICHWOLLISHOFEN 


GARTEN  AM  HAUS  BLATTMANN  IN  WADENSWIL 


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I  FRAU  J.  V.  SCHAFER-MÜNCHEN  □  DEKORATIVE  SILHOUETTEN  IM  KURHAUS  ZU  KREUZNACH 

488 


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ARCH.  ALBIN  MÜLLER  B  HAUPTPORTAL  MIT  LÖWEN  VON  BERNHARD  HOETGER 

DIE  III.  AUSSTELLUNG 
DER  DARMSTÄDTER  KÜNSTLER-KOLONIE 


Eine  Ausstellung  wie  die  auf  der  Darm- 
siädter  Mathildenhöhe  kann  nicht  nur  nach 
dem  beurteilt  werden,  was  sie  Positives  und 
Neues  bringt.  Es  ist  vielmehr  die  ganze  künst- 
lerische Gesinnung,  die  als  Wesentlichstes  in 
Frage  steht.  Hier  bedeuten  ja  die  in  längeren 
Zeiträumen  wiederholten  Ausstellungen  die  Er- 
füllung eines  künstlerischen  Programms,  und 
ihre  Tradition  geht  auf  die  Schaffung  bleiben- 
der Werte,  auf  den  Ausbau  des  Parkhügels 
selber,  der  sich  Mathildenhöhe  nennt.  Das  Ex- 
periment, das  sich  vor  13  Jahren  mit  dem,  viel- 
leicht unbeabsichtigt  anspruchsvollen  Namen 
„Ein  Dokument  deutscher  Kunst"  der  Welt 
darstellte,  wird  mit  abgeklärteren  Ansichten 
und  strengerer  Schulung  fortgesetzt.  Nur  die 
leitenden  Persönlichkeiten  und  ihre  idealen 
Gesinnungen  sind  geblieben:  Der  Groszher- 
zoG  Ernst  Ludwig  von  Hessen,  der  noch 
immer  in  seiner  temperamentvollen  und  groß- 
zügigen Art  den  einzigen  Fürsten  darstellt, 
der  ein  Herz  für  neuzeitliche  Kunst  hat,  und 
der  Organisator  seiner  Ideen,  der  Wirkl.  Geh. 
Rat  RöMHELD,  dessen  Verdienst  um  das  Zu- 
standekommen und  die  Geschlossenheit  auch 
dieser  Ausstellung  nicht  gering  ist.  Sie  sorgen 
für  den  Zusammenhang  im  Geist  des  Ge- 
schaffenen ;  und  man  mache  sich  klar,  daß 
ohne  diesen  Mäzenatensinn  des  Großherzogs 


Darmstadt  als  modernes  Kunstzentrum  nicht 
existierte,  um  den  Wert  einer  solchen  Tra- 
dition wirklich  zu  ermessen.  Bei  alledem  ist 
natürlich  keineswegs  alles,  was  gemacht  wird, 
mustergültig,  und  es  kommen  Entgleisungen 
vor;  man  wird  sie  aber  „um  der  Gebrechlich- 
keit der  weltlichen  Einrichtungen  willen"  nicht 
tragisch  nehmen  und  lieber  auf  das  Geglückte 
den  Nachdruck  legen. 

Mit  Recht  hat  man  die  Mathildenhöhe  mit 
einem  Freiluft-Museum  verglichen.  Die  erste 
Kunstschau  von  1901  brachte  in  den  bis  dahin 
ungestörten  Frieden  der  herrlichen  Parkbäume 
und  der  beglückenden  Rundsicht  auf  Odenwald, 
Darmstadt  und  Rheinebene  das  „Dokument" 
der  Olbrichschen  Häuser  und  Atelierbauten 
und  Peter  Behrens'  noch  heute  bezwingendes 
Eigenhaus.  Auch  1908  dominierte,  kurz  vor 
seinem  Tode,  Olbrich  noch  mit  den  dauern- 
den Bauten  der  städtischen  Ausstellung  und 
des  Hochzeitsturmes  auf  der  höchsten  Stelle. 
Man  könnte  fast  von  architektonischen  Jahres- 
ringen sprechen,  wenn  nicht  die  Bebauung 
fortlaufend  von  Süden  her  sich  über  den  ganzen 
Hügel  nach  Norden  zöge :  der  Zuwachs  dieses 
Jahres,  noch  ausgedehnter,  umfaßt  als  endgül- 
tigen Abschluß  im  Nordosten  die  lange  Miet- 
hausgruppe von  Albin  Müller,  im  Nordwesten 
den    plastischen  Schmuck   des    Platanenhains 


isxs<5:rras>reGxsexssx3(3?ras7rss?fres:Trasxs<5?ras:T:ssxBS?^ 


Dekorative  Kunst.    XVII. 


Aujfust  1914 


489 


63 


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BERNHARD  HOETGER   □   RELIEF  AN  DEN  TOREN  DES  HAUPTPORTALES 


VOnBERNHARD 

HoETGER  und 
daneben      den 
Monumental- 
brunnen beider 
Künstler. 

Der  Rest  des 
Gebotenen  ist 
natürlich  ver- 
gänglicher Art. 
Aber  auch  in 
ihm  überwiegt 
das  Architekto- 
nische so  voll- 
kommen, daß 
dieArbeitender 
Maler,  Plasli- 
ker  und  Kunst- 
gewerbler  auf 
dieAtelier-Aus- 
stellungen  be- 
schränkt sind. 
Der  Hauptan- 
teil am  einzel- 
nen und  die  Ge- 
samtdisposition 
sind  an  Albin 
Müller  gefal- 
len. Von  ihm 
stammt      auch 

das  große  Portal  mit  den  sechs  Säulenpaaren,  die 
Hoetgers  streng  stilisierte  Löwen  tragen;  zwi- 
schen ihnen  verschließen  Tore  mit  Hoetgerschen 
Bronzereliefs,  ansprengenden  Reitern,  die  Zu- 
gänge. Auch  der  unmittelbar  dahinter  liegende 
Monumentalbrunnen  stammt  von  Müller,  die 
beiden  Liegefiguren  sind  Arbeiten  Hoetgers.  Das 
große  Becken  ist  in  den  gegen  die  Russische 
Kapelle  ansteigenden  Boden  eingelassen  und  im 
Hintergrund  mit  schweren  dorischen  Säulen  um- 
stellt, die  aus  dem  Wasser  emporsteigen  und 
nächtlicherweile  eine  geheimnisvolle  Beleuch- 
tung spielen  lassen.  Solchen  Effekten  ist  Albin 
Müller  sehr  zugetan,  er  bringt  sie  in  raffinier- 
tester Weise  in  dem  Musiksaal,  den  er  für  das 
Großherzogliche  Palais  geschaffen  hat.  Hier  ist 
nicht  nur  die  Beleuchtung  in  durchbrochenen 
Schnitzereien  über  der  Kassettendecke  und 
in  goldenen  Schalen  versteckt  angebracht, 
sondern  er  hat  auch  die  Musikinstrumente 
selbst  aus  dem  Saal  verbannt.  Die  Orgel  be- 
findet sich  hinter  der  Nische,  und  ihre  Töne 
dringen  durch  die  Oeffnungen  in  deren  Schnit- 
zereien und  die  Mosaikkuppel;  über  der  Decke 
ist  ein  Orgelfernwerk  angebracht,  so  daß  sein 
Echo  wie  Geisterstimme  von  oben  herabschwebt. 
Das  städtische  Ausstellungsgebäude  birgt 
außer    ihm    noch    eine   Reihe   von  Repräsen- 


tationsräumen, 
wie  die  reich 
und  farbig  be- 
handelteBiblio- 
thek  von  Em.  J. 
Margold,  den 
blauen  Damen- 
salon von  F.W. 
Kleukens  (ei- 
nen Rückfall 
insRokoko)und 
das  elegante 
Herrenzimmer 
von  Müller  in 
poliertem  Nuß- 
baum,vorallem 
Edmund  Kör- 
ners schönen 
ovalen  Ehren- 
saal mit  golde- 
ner Decke,  die 
ein  phantasie- 
voll angeord- 
netes Oberlicht 
herabströmen 
läßt,  und  einen 
Gartensaal  von 
demselben  Ar- 
chitekten in 
Gelb  mit  wei- 
ßen, reizvoll  verteilten  dekorativen  Reliefs, 
Durchgangsraum  und  doch  wohnlich.  Fritz 
Osswald,  das  jüngste  Mitglied  der  Kolonie,  hat 
hier,  wie  in  der  Sektschenke  von  Körner,  de- 
korative Gemälde  geschaffen,  die  sein  glän- 
zendes Anpassungstalent  bekunden.  Klarer 
aber  tritt  doch  der  große  Fortschritt  zum  Auf- 
gelockerten und  Farbigen,  den  er  seit  Jahres- 
frist gemacht  hat,  in  seinen  freien  Gemälden 
hervor,  Landschaften,  Blumenstilleben  und 
Porträts,  die  in  den  Wohnungseinrichtungen 
von  Körner  Platz  gefunden  haben. 

Von  Körner  stammt  noch  der  anmutige  Mode- 
pavillon, der  im  Aeußern  durch  den  pikanten 
Kontrast  schlichter,  hellgrüner  Flächen  und 
graziös  behandelter  Tür-  und  Fensterausbauten, 
im  Innern  durch  die  weltmännische  Eleganz 
wirkt,  mit  der  den  Frauenmoden  schaufenster- 
artige Bühnen  bereitet  werden. 

Restaurant  und  Cafe  sind,  wie  in  Köln,  zu 
besonderen  Anziehungspunkten  durchEMANUEL 
J.  Margold  gemacht  worden,  der  dazu  das 
östliche  Drittel  des  Platanenhains  erhielt  und 
mit  seinem  frisch  zupackenden  Wiener  Ge- 
schmack eine  leichte  offene  Pfeilerhalle  als 
Cafe  und  einen  schön  proportionierten  weißen 
Saal  mit  kecken  Ornamenten  symmetrisch  zu 
Seiten  des  Musikpavillons  anordnete. 


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ARCH.  ALBIN  MÜLLER 


TEMPELCHEN 


Ausführung  in  Keramik:   Gailsche  Dampfziegelei,  Gießen 


Die  freie  Kunst  hat  es  dieser  Fülle  von  tek- 
tonischen  Aufgaben  gegenüber  schwer.  Hanns 
Pellar  und  der  Bildhauer  Heinrich  Jobst 
füllen  noch  gemeinsam  einen  Saal  in  vornehm 
dekorativer  Anordnung;  Jobst  stellte  auch  ein 
paar  Skulpturen  in  den  benachbarten  Rosen- 
hof: ein  zierliches  Brünnlein  voll  dekorativen 
Humors  (beste  Münchner  Schule),  einen  Merkur 
von  einem  für  Offenbach  a.  M.  bestimmten 
Schloßhofbrunnen  und  einen  der  Löwen,  die 
vor  das  Messeische  Landesmuseum  in  Darm- 
stadt kommen  sollen.  In  einem  Raum  des 
Hochzeitsturmes  sind  die  Goldschmiedearbeiten 
von  Riegel  und  dem  neuen  Mitglied  der  Ko- 
lonie Theodor  Wende  untergebracht,  interes- 


sant wegen  des  Vergleiches  ihrer  so  grund- 
verschiedenen Behandlung  derselben  Materia- 
lien :  Riegel  spielerisch  auflösend,  voll  witziger 
kunstgewerblicher  Einfälle,  Wende  gediegen 
und  schwer,  aus  dem  Silberblech  plastische 
Buckeln  und  krause  Schnörkel  bildend,  im  Geist 
eines  modernen  Barock.  Die  Bücher  der  Ernst- 
Ludwigs-Presse  mit  ihrer  köstlichen  hand- 
werklichen Schönheit  und  die  andern  Arbeiten 
und  Entwürfe  von  F.  W.  Kleukens,  die  ge- 
schmackvollen Kleinarbeiten  und  Bahlsenschen 
Packungen  von  E.  J.  Margold,  die  Pläne  und 
Modelieder  Architekten  Körner  (darunter  seine 
gewaltige  Essener  Synagoge)  und  Müller,  und 
endlich  die  neueren  Skulpturen  von  Hoetger 


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BERNHARD  HOETGER-DARMSTADT      n    D      BEMALTES   KALKSTEIN-RELIEF  .AUFERSTEHUNG"  IM  PLATANENHAIN 


—  meist  Monumentalgestalten  von  packender 
Vereinfachung   und    starker     farbiger   Einheit 

—  sind  in  den  Ateliers  untergebracht,  die  sich 
an  die  Rückseite  des  Ernst-Ludwig-Hauses  an- 
schließen und  als  Erweiterung  des  alten  01- 
brichschen    Künstlerheims    errichtet    wurden. 

Dieses  Ernst-Ludwig-Haus  ist  eines  der  acht 
ausgeführten  Miethäuser  von  Albin  Müller 
und  ist  auf  Rechnung  des  Großherzogs  ge- 
baut. Ein  so  umfangreicher  Komplex  von  viel- 
stöckigen  Zinshäusern  mußte  zunächst  einmal 
finanziert  werden,  und  es  bedurfte  mannigfacher 
Bemühungen  und  des  eben  angedeuteten  Ein- 
greifens des  fürstlichen  Mäcens  selbst,  um  die 
Idee  zu  verwirklichen.  Die  Idee  aber  war,  die 
Aufgabe  des  Miethauses,  des  Schmerzenskinds 
unserer  heutigen  Stadtbaukunst,  an  günstig  ge- 
legener Stelle  vorbildlich  zu  lösen.  Albin  Müller 
konnte  hier  souverän  und  einheitlich  das  ganze 
Terrain  bebauen.  Ein  wichtiger  Grund  dafür, 
von  dem  sonst  festgehaltenen  Typ  des  Ein- 
familienhauses auf  der  Mathildenhöhe  abzu- 
weichen, war  die  Notwendigkeit,  gegen  im 
Nordosten  liegende  unschöne  Brauereien  und 
andere  Gebäude  gleichsam  eine  Schutzmauer 


für  die  ganze  Kolonie  zu  errichten.  So  baute 
Müller  die  lückenlose  Folge  von  drei-  und 
viergeschossigen  Etagenhäusern  längs  des  01- 
brichwegs  mit  einheitlichen  Schieferdächern, 
unter  denen  dieBrandmauern  verborgen  blieben. 
Der  Eindruck  einer  einzigen  Baumasse  wird 
noch  wesentlich  dadurch  verstärkt,  daß  die 
Vorgärten  nach  demselben  Grundsatz  behandelt 
wurden,  als  durchlaufende  Erweiterung  der 
Straßenbreite;  denn  die  gegenüber  aufragende 
Masse  des  Ausstellungsbaues  auf  seiner  riesi- 
gen abgeböschten  Terrasse  wies  die  Häuser  ge- 
bieterisch auf  ein  möglichst  weites  Abrücken 
von  der  Straße.  Dergestalt  arbeitet  alles  an 
diesem  Beispiel  Hand  in  Hand,  und  das  Problem 
der  „Fassade"  verwandelt  sich  unversehens  in 
das  des  Baublocks,  der  plastisch  und  als  lang- 
gestreckte Masse  behandelt  werden  kann.  Nicht 
überall  werden  die  Umstände  dem  Miethaus- 
erbauerin Großstädten  so  günstig  sein  wie  hier, 
wo  das  unregelmäßige,  abfallende  Hinterland 
und  die  rechtwinkelig  zweimal  gebrochene 
Straßenflucht  zu  kubischen  Lösungen  geradezu 
herausforderten.  Sind  auch  nicht  alle  Forderun- 
gen künstlerisch  erfüllt  und  ruhigere,  straffere 


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494 


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BERNHARD  HOETGER-DARMSTADT 


RELIEF  .SCHLAF«  UND  KRUGTRAGERINNEN 


495 


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ARCH.  EMANUEL  J.  MARGOLD  AUSSTELLUNGS-RESTAURANT 

496 


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ARCH.  ALBIN  MOLLER-DARMSTADT 

Kompositionen  wohl  denkbar,  so  ist  doch  im  gro- 
ßen und  ganzen  die  Gelegenheit  glücklich  wahr- 
genommen und  die  Einheit  der  Massen  rhyth- 
misch gebändigt:  durch  Vor-  und  Rücksprünge, 
Giebelbetonungen,  Balkone,  Achsenverschie- 
bung, Brechung  und  Abschrägung,  in  Flächen 
und  kubisch,  bei  durchgeführter  Gleichheit  der 
Materialien:  grauer  Verputz  mit  etwas  Kupfer- 
belag, Verblendsteinen,  Schiefer,  schwarzen 
Säulen.  Man  muß  schon  sehr  scharf  zusehen, 
um  die  Trennungslinien  der  einzelnen  Häuser 
herauszufinden,  so  stark  herrscht  ihre  Einheit- 
lichkeit vor,  und  es  gibt  nicht  viele  Miethäuser, 
die  einen  gleich  vornehmen  Eindruck  machen. 
Auch  im  Innern  findet  sich  manche  glück- 
liche Idee  im  Grundriß  und  Einteilung;  un- 
erwartet breite  und  helle  Stiegenhäuser,  Tei- 
lung des  Flures  in  einen  repräsentativeren 
und  einen  familiären  Teil,  günstige  Lagerung 
der  Küchenräumlichkeiten  usf.  Drei  der  Häuser 
sind  durch  je  drei  Wohnungseinrichtungen  in 
die  Ausstellung  einbezogen;  Körner,  Mar- 
GOLD  und  Müller  selbst  kehren  in  jedem 
von  ihnen  mit  einer  ganzen  Ausstattung  wieder, 
und  das  Vorbildliche  sollte  hier  eben  die  An- 
passung guter  Möbel  an  Miethausräume 
sein.    Es  sind  schöne  Dinge  dabei  zu  sehen, 


ZERLEGBARES  SOMMERHAUS 

und  die  Darmstädter  Möbelindustrie  hat  wieder 
einmal  ihren  guten  Ruf  solidester  Arbeit  be- 
währt. Aber  dennoch  will  etwas  nicht  stim- 
men. Das  liegt  vor  allem  an  dem  Wider- 
spruch des  offenbaren  Luxus  mit  dem  Charakter 
der  kleinen,  vier  bis  sechs  Zimmer  enthalten- 
den, allerdings  raffiniert  und  vornehm  aus- 
gestatteten Wohnungen,  bei  denen  z.  B.  auch 
gar  nicht  oder  nur  andeutungsweise  auf  ein 
oder  zwei  Kinder  Rücksicht  genommen  wurde. 
Das  wichtigste  künstlerische  Ereignis  auf 
der  Mathildenhöhe  bildet  aber  der  Skulpturen- 
schmuck  des  Platanenhaines  von  Bernhard 
HoETGER.  Denn  mit  ihm  ist  endlich  wieder 
eine  Anlage  geschaffen  worden,  die  wie  die 
Barockgärten  des  18.  Jahrhunderts  Skulpturen 
in  rhythmischen,  streng  idealistischen  Zusam- 
menhang mit  einem  gegebenen  Raum  bringt. 
Es  muß  das  idealistische  Moment  vor  allem 
betont  werden  und  das  Zurückgreifen  auf  die 
uralten  Gesetze  der  Plastik,  das  in  diesem 
Werke  Hoetgers  liegt,  weil  dies  vor  allem  das 
Grundsätzliche  und  in  unserer  Zeit  Neue  ist 
und  der  Sehnsucht  unserer  Zeit  nach  tektoni- 
scher  Synthese  entspricht.  Denn  darin  hat 
Hoetger  noch  keine  Vorgänger;  bedeutsam 
bleibt   dabei  der  vornehme  Wille  der  Stifter, 


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Dekorative  Kunst.    XVIL     ii.     August   1914 


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ARCH.  EMANUEL  J.  MARGOLD 

gl  dem  Künstler  ganz  freie  Hand  zu  lassen:  die 
endgültige  Formung  des  Platanenhains  hat  jeder- 
mann erst  bei  der  Eröffnung  der  Ausstellung 
kennen  gelernt. 

Der  Platanenhain  stellt  sich  als  ein  läng- 
liches Rechteck  von  schachbrettartig  gepflanz- 
ten, in  den  Kronen  kurz  gestutzten  Platanen 
dar.  Das  lud  schon  von  selbst  zu  regelmäßi- 
ger Behandlung  ein.  Ein  hohes  Efeugitter 
umspannt  ihn  jetzt  ringsum,  in  bestimmten 
Abständen  weicht  es  in  halbrunden  oder  vier- 
eckigen Nischen  zurück,  und  diese  Nischen 
enthalten  die  Skulpturen.  Damit  ist  die  ledig- 
lich raumsymbolische  Beziehung  der  Teile  zu- 
einander und  zu  dem  geschlossenen  Raum  des 
Hains  schon  angedeutet;  sie  treten  gewisser- 
maßen hinter  eine  durchlaufende  Bildebene 
zurück,  in  die  Welt  des  Unwirklichen,  in  ihre 
eigene  Atmosphäre,  die  mit  der  Realität  der 
Lebendigen  nichts  gemein  hat.  Darum  war 
es  auch  nicht  tunlich,  wie  es  gefordert  worden 
ist,  als  Mittelpunkt  etwa  den  Brunnen  in  die 
Mitte  des  Hains  zu  stellen.  Denn  auch  der 
Brunnen,  liegt  er  schon  in  der  Eingangsachse, 
ist  nur  ein  gleichgeordnetes  Glied  in  der  pla- 


9 


RESTAURATIONS-SAAL 


stischen  Kette;  und  genau  wie  er,  orientieren 
sich  alle  übrigen  Skulpturen  in  den  Achsen 
der  Baumreihen:  im  Hintergrunde  der  Längs- 
achse die  Monumentalgruppe  der  „Sterbenden 
Mutter"  („Werden"  und  „Vergehen"),  in  den 
Ecken,  paarweise  gegenübergestellt,  die  vier 
Reliefs  „Leben"  und  „Frühling",  „Schlaf"  und 
„  Auferstehung" ;  und  zu  seiten  des  Brunnens  die 
sieben  Krugträgerinnen.  Diese  alle  nicht  nur 
räumlich  und  plastisch  eine  Einheit,  sondern 
auch  unter  der  Herrschaft  der  Ideen,  die  Werden 
und  Vergehen,  den  Kreislauf  allen  Lebens,  dar- 
stellt unter  dem  Symbol  des  Wassers,  dem  „des 
Menschen  Seele  gleicht".  Der  Brunnen  bringt 
das  befruchtende  Element  selber;  in  der  mitt- 
leren von  drei  bekrönenden  Frauenfiguren  die 
Trägerin,  in  den  beiden  zu  ihr  sich  Neigen- 
den die  Durstigen,  die  um  Labung  flehen.  Die 
anmutsvollen  Krugträgerinnen  spenden  das  köst- 
liche Naß  weiterhin,  und  in  den  vier  großen 
Reliefs  bindet  sich  das  Gemeinsame  im  Auf 
und  Nieder  alles  Lebenden  und  des  Wassers. 
In  gleicher  Komposition  sind  dort  jeweils  sechs 
stehende  und  zwischen  ihnen  fünf  kauernde 
Gestalten  angeordnet;  ihr  fließender  Rhythmus 


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ARCH.  ALBIN  MOLLER-DARMSTAÜT 

und  die  wellige  Bewegung  der  Oberflächen 
deuten  auf  das  Urelement,  der  wechselnde 
Ausdruck  ihrer  Gebärden  auf  das  ruhige  Da- 
sein des  „Lebens",  auf  das  freudige  Empor- 
quellen des  „Frühlings",  das  dumpfe  befangene 
Hinabsinken  des  „Schlafs"  und  das  Empor- 
sehnen zum  Licht  in  der  „Auferstehung".    Die 


MIETHAUS-GKÜPPE  A.\l  OLBRICH-WEG 

Gruppe  der  sterbenden  Mutter  endlich  gibt 
in  rein  menschlichem  Gehalt  das  Ineinander- 
fiechten  von  Tod  und  Leben,  das  alles  Irdische 
beherrscht;  das  ruhig  spielende  Kindchen  auf 
dem  Schoß  der  Mutter,  deren  aufwärts  ge- 
wandter Blick  schon  die  Erde  verläßt. 

Doch  ist  nicht  diese  tiefe  Bedeutung,  nicht 


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ARCH.  ALBIN  MÜLLER-DARMSTADT 


das  Poetische  in  den  Gestalten  ihr  Wesent- 
liches. Wären  sie  nicht  plastisch  so  rein  emp- 
funden, der  philosophische  Gehalt  machte  sie 
nicht  zu  Kunstwerken.  Die  Neigung  Hoetgers 
zu  vereinfachter  Form  ist  bekannt.  Hier  findet 
all  dies  scheinbare  Archaisieren  seine  Recht- 
fertigung. Es  ist  die  Seele,  die  sich  ihren 
Körper  schafft;  die  Innigkeit  und  die  Fülle 
des  Ausdrucks,  der  durchaus  Allgemeingültig- 
keit besitzt  und  fern  ist  jeder  momentan- 
menschlichen Laune,  sie  fordern  die  typische 
und  gereinigte  Form,  die  Ausdruckswerte  der 
Klarheit  und  Vereinfachung.  Neu  aber  und 
überraschend  —  und  doch  so  uralt  im  Grunde! 
—  ist  das  Mittel,  Lebendigkeit  von  hochge- 
steigerter Art  in  sie  zu  gießen:  die  Bemalung. 
Angewendet  in  der  beherrschten  Weise,  die 
bloßer  Dekorierung  gleich  fern  steht  wie  dem 
Anschein  der  Wachsfigur,  verwandelt  sie  erst 
das  Blumenhaft-Typische  in  Lebensfülle  und 
gibt  der  Lieblichkeit  der  fraulichen  Wesen 
einen  Hauch  von  der  Herbheit  des  Lebens. 
Das  aber  bedeutet  uns  Mitlebenden  das 
Wunder  der  Auferstehung,  wie  in  diesem  Werk 
die  Plastik,  gereinigt  von  allen  Schlacken  des 
Naturalismus,  der  uralten  heiligen  Bestimmung 
des  Raumsymbols  wiedergegeben  ist.  Was  das 
19.  Jahrhundert  nie  begriff  in  seiner  materia- 


MIETHAUS-GRUPPE  AM  OLBRICH-WEG 


listischen  Auffassung  aller  Künste,  was  seit 
Schadow  unwiderbringlich  verloren  schien,  er- 
lebt hier  seine  Verjüngung  in  vergeistigter 
Gestalt.  Denn  von  den  Grabreliefs  der  Aegypter 
bis  zu  den  Medicäergräbern  Michelangelos, 
von  den  Aegineten  bis  zu  den  Gartenskulpturen 
des  Rokoko  kannte  die  Plastik  nur  die  Ge- 
bundenheit durch  den  idealen  Raum,  sei  es 
durch  Architektur  oder  inneres  Gesetz.  Der 
Naturalismus  auch  in  der  Plastik  war  dem 
19.  Jahrhundert  vorbehalten;  jener  Naturalis- 
mus, der  sich  in  räumlicher  Haltlosigkeit  und 
in  der  Verquickung  der  idealistischen  Sphäre, 
die  jedes  Werk  der  Plastik  unnahbar  einhüllen 
muß,  mit  dem  realen  Raum  der  Lebendigen 
kundgibt,  für  den  etwa  Werke  wie  Carpeaux' 
„Tanz"  an  der  Pariser  Oper,  Bartholomes  Toten- 
monument oder  Klingers  Beethoven  charak- 
teristisch sind.  Dies  kunstfeindliche  Prinzip 
erledigt  und  durch  die  Rückkehr  zur  Einfach- 
heit früherer  Formen  ersetzt  zu  haben,  ist 
das  unsterbliche  Verdienst  von  Plastikern  wie 
Maillol,  Minne  und  in  gewissem  Sinne  Hilde- 
brand. In  ihrem  Geiste,  in  der  Gesinnung 
idealistischer  Monumentalkunst,  ist  Hoetgers 
Platanenhain  entstanden;  das  erste  umfassende 
Bekenntnis  zur  selbständigen  Tektonisierung 
der  Skulptur.  Paul  F.  Schmidt 


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F.  W.  KLEUKENS-DARMSTADT 


BLAUER  DAMENSALON 


Ausstellung  der  Künstler-Kolonie  Darmstadt  1914  S 

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ARCH.  ALBIN  MOLLER-DARMSTADT  SPEISEZIMMER  EINER  MIETHAUS-WOHNUNG 

\  Ausstellung  der  Künstler-Kolonie  Darmstadt  1914 


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ARCH. EDMUND  KORNER 


VERKAUFS-PAVILLON 


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HEINRICH  JOBSTDARMSTADT 


Ausstellung  der  Künstler-Kolonie  Darmstadt  1914 


BRUNNEN  IM  ROSENHOF 


504 


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ARCH.  HERMANN  MUTHESIUS-NIKOLASSEE 


AUS  DEM  GARTEN  DES  HAUSES  HUFFMANN 


HAUS  HUFFMANN  IN  COTTBUS 


Für  das  Haus  stand  im  Norden  der  Stadt 
Cottbus  ein  Bauplatz  von  34  m  Front  und 
82  m  Tiefe  mit  einer  südlichen  Straßenfront 
zur  Verfügung.  Dem  Bauplatz  gegenüber  er- 
hebt sich  der  große  und  hohe  Gebäudekomplex 
des  Schullehrerseminars.  Schon  dieser  Um- 
stand, noch  mehr  aber  die  Erwägung,  daß  das 
Haus  einen  gut  besonnten  Garten  vor  seiner 
südlichen  Wohnfront  haben  solle,  führten  zu 
dem  Vorschlage,  das  Haus  ganz  zurück,  bis 
nahe  an  die  rückwärtige  Grenze  zu  rücken. 
Als  Kompromiß  zwischen  dem  Rate  des  Archi- 
tekten und  der  widerstrebenden  Ansicht  des 
Bauherrn  ist  dann  eine  Mittellage  gewählt 
worden,  wie  sie  auf  dem  Gartenplan  (Abb.  S.  506) 
ersichtlich  ist.  Sie  gestattet  eben  noch  die  An- 
lage eines  Blumengartens  im  Süden,  der  größere 
Garten  liegt  jedoch  im  Norden.  Dieser  nörd- 
liche Garten  entwickelt  sich  in  der  Hauptachse 
des  Hauses  im  wesentlichen  als  Rasen-  und 
Laubgarten.  Ein  Rasenplatz  nimmt  die  Mitte 
ein,  links  und  rechts  sind  Obst-  und  Beeren- 
pflanzungen angelegt,  nach  der  Hintergrenze 
ist  das  Nachbargelände  durch  Laubbäume  und 
Sträucher  abgedeckt.  In  der  Nordostecke  ist 
noch  ein  Spielplatz  für  die  Kinder  gewonnen. 


Den  Uebergang  des  rückwärtigen  Gartens 
zum  Hause  vermittelt  die  Hausterrasse,  die 
hier  im  Halbkreis  herausgebaut  ist.  Sie  umgibt 
auch  die  Ost-  und  Südseite  des  Hauses  und 
hebt  so  das  ganze  Plateau,  auf  dem  das  Haus 
steht,  um  etwa  60  cm  empor.  Dadurch  erhält 
das  Haus  nicht  nur  eine  freie,  luftige  Lage, 
sondern  es  ist  auch  die  große  Annehmlichkeit 
erreicht,  daß  man,  ohne  Stufen  zu  überwinden, 
aus  den  Zimmern  ins  Freie  treten  kann.  Dies 
kann  vom  Wohnzimmer  und  vom  Eßzimmer 
aus  geschehen. 

Bei  der  verhältnismäßig  schmalen  Front  des 
Bauplatzes  lag  die  Gefahr  nahe,  daß  die  Häuser 
sich  gegenseitig  stören.  Glücklicherweise  wurde 
das  westliche  Nachbargrundstück  mit  dem  Huft- 
mannschen  gleichzeitig  bebaut,  und  das  Haus 
wurde  weit  von  der  Grenze  weggerückt.  Die 
östlich  sich  anschließenden  Häuser  treten  aber 
bis  zur  üblichen  Bauwichbreite  heran.  Um  eine 
Trennung  herbeizuführen,  ist  die  Terrasse  an 
dieser  Seite  durch  eine  Pergola  begrenzt,  die 
auf  einer  bis  zur  Höhe  von  1 ,50  m  geschlossenen 
Pfeilermauer  steht  und  einen  völligen  Abschluß 
gegen  das  Nachbargrundstück  darstellt.  An  der 
vorderen  Ecke  endet  die  Pergola  in  einem  Tee- 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    ii.    August  1914 


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bauschen.  Die  Terrasse  ist  mit  Blumenbeeten 
belebt;  die  Terrassenwege  sind  in  verschieden- 
farbigem Muster  gepflastert;  bequeme  Sitzplätze 
laden  an  passenden  Stellen  zur  Rast  ein.  So 
bildet  sie  recht  eigentlich  die  Fortsetzung  des 
Hauses  ins  Freie,  zumal  die  offene  Veranda 
an  der  Nordseite  des  Hauses  eine  direkte  Ver- 
bindung mit  ihr  herstellt. 

Bei  der  inneren  Anlage  des  Hauses  sollte 
darauf  geachtet  werden,  daß  der  Wirtschafts- 
betrieb  nicht  allzusehr  erschwert  werde,  weil 
die  Hausfrau  Schwierigkeiten  befürchtete,  die 
sich  namentlich  aus  der  Dienstbotenfrage  er- 
geben. Möglichste  Bequemlichkeit  in  der  An- 
ordnung und  nicht  zu  große  Ausdehnung  der 
Räume  wurde  daher  zur  Bedingung  gemacht. 


Auf  eine  Diele   ist  aus  diesem  Grunde  ver-    ) 
ziehtet.    An    ihre   Stelle   tritt  ein   erweitertes    [ 
Treppenhaus,  das,  um  es  nicht  allzu  eng  er-    ( 
scheinen   zu   lassen,  ganz   weiß   gehalten  ist.    ( 
Im  Erdgeschoß  liegen  an  der  Südseite  das    ( 
Wohnzimmer  mit  anschließendem  Blumenzim-    ( 
mer  und  das  Herrenzimmer.    Da  nun  einmal    ) 
ein  Nordgarten  vorhanden  war,  erschien  es  er- 
wünscht,   eines    der   Erdgeschoßzimmer   nach 
diesem  Garten  hin  zu  richten.  Das  Eßzimmer 
hat  diese  Rolle  übernehmen   müssen,  jedoch    ( 
ist  durch  einen  Osterker   dafür   gesorgt,   daß    ( 
die  Sonne  wenigstens   den   ganzen  Vormittag   ( 
Zutritt  hat.    Von   diesem  Erker  aus   wie  von    ( 
der  sehr  geräumigen  Veranda  hat  man   einen 
weiten  Blick  in  die  Nordrichtung  des  Gartens. 

Die  Veranda  ist  unver- 
glast,  hat  aber  seitlich    j 
einen    lauschigen   ge-    j 
deckten  Sitzplatz.   An 
das  Eßzimmer  schlie-    I 
ßen    sich     die    Wirt-    ] 
Schaftsräume  an.   Der    ' 
Außenverkehr      nach 
ihnen    erfolgt    durch 
eine  direkt  neben  dem 
Haupteingangliegende    i 
Tür,  die  sich  durch  ihre    j 
Kleinheit  sogleich  als    1 
Nebeneingang     kenn-    I 
zeichnet.    Die  Küche    I 
hat   einen   Erker   mit    ' 
Sitzplatz  für  die  Dienst- 
boten, von  ihm  aus  ist    , 
die    Gartenpforte   be-    | 
quem  zu  überblicken.    | 
Das   Obergeschoß    i 
enthält     nach     Süden    l 
sämtliche    Schlafzim-    i 
mer,  nach  Osten  das    ' 
Fräuleinzimmer     und    ] 
ein     großes     Kinder- 
wohnzimmer,nachWe-    I 
sten  ein  Fremdenzim-    | 
mer  für  ein  Ehepaar,    i 
Ein  weiteres  Fremden-    i 
zimmer  ist  im  Dach-    < 
geschoß    nach    Süden 
hin    gewonnen,     ein 
Fräuleinzimmer     und 
ein  großes  Mädchen- 
zimmerliegen daselbst 
nach  Osten. 

Die  Hauptzimmer 
des  Erdgeschosses  ha- 
ben eine  bessere  Aus- 
bildung erhalten.    Die 
GARTENSEITE       Wände     des     Wohn- 


508 


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509 


ARCH.  HERMANN  MUTHESIUS-NIKOLASSEE 


Zimmers  wurden  mit  Stoff  bespannt,  dessen 
Felder  durch  eine  Leistenteilung  aus  Kirsch- 
baumholz eingerahmt  sind.  Von  ihm  öffnet  sich 
eine  dreiteilige  Bogentür  nach  dem  Blumenzim- 
mer, das  so  den  Blicken  des  im  Wohnzimmer 
Sitzenden  ganz  erschlossen  ist.  Eine  Bogen- 
öffnung  vermittelt  auch  den  Uebergang  nach 
dem  lichtspendenden  Südosterker  hin,  der  mit 
festen  Sitzbänken  versehen  und  ganz  in  Kirsch- 
baumholz durchgebildet  ist.  Das  Blumenzimmer 
hat  hochhinaufreichende  Fliesenverkleidung  aus 
bläulichen  Veltener  Fliesen.  Bei  ihm  kam  es 
darauf  an,  durch  eine  Reihe  eng  aneinander 
liegender  Fenster  möglichst  viel  Licht  einzu- 
führen. Zur  Aufnahme  der  Blumen  dienen  ein 
aus  Schmiedeeisen  gebildetes  Blumengifter  an 
den  Fensterbrettern  und  mehrere  frei  aufge- 
stellte schmiedeeiserne  Ständer.  Trotz  der 
verhältnismäßigen  Kleinheit  des  Raumes  hat 
noch  ein  Wandbrunnen  untergebracht  werden 
können,  auch  hat  sich  ein  netter  Sitzplatz  zur 
Einnahme  des  Tees   ergeben. 

Am  bevorzugtesten  ist  das  Herrenzimmer 
ausgestattet.  Es  hat  Holzverkleidung  an  den 
Wänden  wie  an  der  Decke,  und  zwar  aus  einem 


HAUS  HUFFMANN:  OBERE  HALLE 


besonderen,  fast  feuerroten  Mahagoniholze.  Die 
ganze  Südwand  ist  mit  Bücherschränken  besetzt. 
Der  Hauptschmuck  ist  ein  großer  Feuerkamin 
im  Osterker,  an  den  sich  Sitzplätze  anschließen. 
Dieser  Kaminplatz  ist  durch  hochgelegene  Fen- 
ster hinreichend  beleuchtet,  um  am  Kaminfeuer 
lesen  zu  können.  Das  lose  Mobiliar  dieses 
Zimmers  ist  in  Palisanderholz  nach  Zeichnung 
angefertigt.  Die  Möbelbezüge,  die  Vorhang- 
stofFe  und  der  Teppich  zeigen  ein  grün- blaues 
Muster;  mit  grün-blauen  englischen  Glasfluß- 
stücken ist  auch  der  Feuerkamin  bekleidet. 
Das  Eßzimmer  hat  eine  Stoffbespannung  aus 
grauer  Leinwand,  die  durch  ein  Rahmenwerk 
aus  Wassereiche  gehalten  wird,  auch  der  Fuß- 
boden besteht  aus  hellen  und  dunklen  Riemen 
von  Wassereiche.  Auf  den  so  geschaffenen 
graubräunlichen  Gesamtton  wurde  ein  kräftiger 
Akzent  durch  die  Vorhänge  und  Stoff  bezüge 
gesetzt,  für  die  ein  bedruckter  Kattun  von 
Morris  mit  großblumigem  Muster  verwendet 
wurde.  Auch  die  Decke  wurde  bevorzugt  be- 
handelt, sie  erhielt  ein  kassettiertes  Musler  in 
Stuck.  Die  Kassetten  zeigen  ziemlich  starkes 
Relief  und  sind  achteckig  gestaltet,  wodurch 


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HAUS   HUFFMANN:  UNTERE  HALLE 


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sich  ermöglichen  ließ,  die  durch  den  acht- 
eckigen Erker  unregelmäßig  gewordene  Decken- 
form ungezwungen  zu  füllen.  Die  Kassetten 
haben  eine  Kantenbemalung  mit  einem  Schab- 
lonenornament erhalten.  Die  aus  Perlschnüren 
gebildeten  Beleuchtungskörper  passen  sich  dem 
Gesamtcharakter  des  Zimmers  an. 

Die  untere  Halle  hat  weißes  Paneel  an  Wand 
und  Decke,  die  obere  ist  mit  einer  Tonne  über- 
wölbt und  mit  einem  schablonierten  Kanten- 
fries verziert.  Alle  Räume  des  Obergeschosses 
haben  Linoleumbelag  und  sind  mit  Wachsfarbe 
gestrichen.  Eine  Schablonenbemalung,  die  sich 


dem  gewählten  Stoff  anpaßt,  hilft  über  die  sonst 
zu  fürchtende  Eintönigkeit  hinweg. 

Im  Aeußeren  präsentiert  sich  der  Bau  als 
schlichter  weißer  Putzbau  mit  glattem  roten 
Ziegeldach.  Charakteristisch  in  der  Wirkung 
ist  die  im  Obergeschoß  um  das  ganze  Haus 
herumlaufende  Reihe  gleichmäßiger  Fenster 
und  Fensterläden,  die  die  Form  eines  Frieses 
annimmt.  Die  Fenster  haben  Sprossenteilung, 
bis  auf  die  Erdgeschoßfenster  des  südlichen 
Gebäudevorsprungs.  Der  Sockel,  die  Terrassen- 
mauern und  das  Eingangsporlal  sind  in  säch- 
sischem gelben  Sandstein  gebildet.  h.  m. 


ARCH.  HERMANN  MUTHESIUS  □  HAUS  HUFFMANN:  FRÜHSTÜCKSERKER  IM  SPEISEZIMMER  L 

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WALTER  KLEMM-WEIMAR  G  HOLZSCHNITT  AUS  DEM  ZYKLUS  .DON  QUIXOTE' 


WALTER  KLEMM 


Daß  ein  moderner  deutscher  Graphiker  nur 
mit  Holzschnitten  und  Lithographien,  also 
ohne  auch  nur  einen  Strich  radiert  zu  haben, 
schon  in  jungen  Jahren  weit  bekannt,  ja  fast 
möchte  man  sagen,  berühmt  werden  kann,  ist 
zwar  heute,  in  einer  notorischen  neuen  Blüte- 
zeit der  graphischen  Künste,  nichts  Unmög- 
liches und  Ungewöhnliches  mehr.  Aber  es 
verdient  trotzdem  jedesmal  besonders  beachtet 
zu  werden,  und  es  verlohnt  sich  auch  stets, 
den  Gründen  solcher  Erscheinungen  nachzu- 
forschen und  sich  mit  ihren  näheren  Umstän- 
den vertraut  zu  machen.  Auch  bei  Walter 
Klemm  trifft  das  zu.  Und  es  ist  gewiß  nicht 
einem  besonderen  Glücksumstand  oder  einer 
Modelaune  zu  danken,  daß  wir  diesen  Namen 
heute  bereits  den  besten  im  Bereiche  der 
fortschrittlich-modernen  deutschen  Graphik  zu- 
zählen dürfen.  Ursprüngliche  Begabung,  Ge- 
schmack, Fleiß  und  ein  nie  zufriedenes  Streben 
haben  so  ziemlich  zu  gleichen  Teilen  mitge- 
holfen, das  zu  schaffen,  was  sich  uns  heute 
als  Werk  Klemms  präsentiert.  Und  da  wir 
wissen  oder  wenigstens  annehmen  dürfen,  daß 
dieser  Künstler  nicht  bei  dem  Erreichten  stehen 
bleiben  und  sich  kein  bequemes  Schema  zu- 
rechtlegen wird,  so  bedeutet  für  uns  der  Name 


Klemm  nicht  nur  eine  wertvolle  Vergangen- 
heit und  eine  lebendige  Gegenwart,  sondern 
auch  eine  hoffnungsvolle  Zukunft.  Jedenfalls 
wird  die  Geschichte  des  modernen  deutschen 
Holzschnittes  nicht  geschrieben  werden  können, 
ohne  daß,  besonders  an  entscheidenden  Wende- 
punkten, sein  Name  als  führend  und  weg- 
weisend genannt  werden  muß.  Und  im  übri- 
gen ist  es  kein  Zufall  oder  eine  Folge  ande- 
rer außerkünstlerischer  Ursachen,  daß  alle 
österreichischen  und  deutschen  Staatssamm- 
lungen, außerdem  Rom  und  die  Nationalgale- 
rie in  London,  Klemms  Holzschnitte  erworben 
haben.  Man  scheint  eben  überall  der  gleichen 
Meinung  zu  sein:  daß  nämlich  seine  Arbeiten 
typisch  und  vorbildlich  für  das  Wollen  und 
Können  unserer  Zeit  auf  den  einschlägigen 
Gebieten  seien.  Und  diese  Meinung  gründet 
sich  denn  auch  auf  sehr  reale  Tatsachen. 

Klemm  ist  im  Jahre  1883  in  Karlsbad  in 
Böhmen  geboren.  Er  studierte  in  Wien  und 
sollte  eigentlich  Kunsthistoriker  werden.  Aber 
die  Praxis  der  Kunst  interessierte  ihn  bald 
weit  mehr  als  ihre  Theorie  und  Geschichte, 
und  statt  der  Universität  frequentierte  er  lieber 
die  Akademie  und  die  Kunstgewerbeschule. 
Später  ging  er  nach  Prag  und  für  kurze  Zeit 


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Dekorative  Kunst.  XVII,    ii.    August  1914 


513 


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WALTER  KLEMM-WEIMAR 


PELIKAN,  FARBIGER   HOLZSCHNITT 


nach  Berlin,  lebte  dann  in  Dachau  bei  Mün- 
chen, das  ihm  motivisch,  vor  allem  durch  seine 
originelle  Bevölkerung,  manches  für  seine  Kunst 
gab.  Im  Jahre  1913  wurde  er  als  Lehrer  an 
die  Kunsthochschule  in  Weimar  berufen,  wo 
er  zurzeit  noch  wirkt. 

Wichtiger  als  solche  äußere  Lebensumstände 
und  -Schicksale  jemals  sein  können,  ist  natür- 
9    lieh  die  innere  Entwicklung  eines  Künstlers. 


ö     lieh  die  innere  Entwicklung  eines  Kunstlers.      Studien  Klemms  unmittelbar  zusammen,  daß    ( 
&    Bei  Klemm  begann  sie  zu  einer  Zeit,  da  der      er  zu  jener  Zeit  das  Tier,   dem  ja  auch  der    ( 
Japanismus,   hauptsächlich  unter  dem  Einfluß     Japaner  sehr  zugetan  ist,  ganz  besonders  ins    ( 


waren    am    Ende    doch    nur  Holzschnitte,   in  ( 

japanischer  Manier  von  einem   guten  Abend-  ( 

länder    ausgeführt,   also    etwas,    das   mit  den  ( 

orientalischen  Vorbildern  nur  äußerlich,  tech-  1 
nisch  verwandt  war.   Der  Geist  dieser  Kunst 

aber  war  schon  damals  deutsch  oder,  was  in  ) 

diesem  Falle  vielleicht  richtiger  ist,  europäisch.  { 

Es     hängt    wohl    mit     den     ostasiatischen  | 
Studien  Klemms  unmittelbar  zusammen,  daß 


Orliks,  den  Holzschnitt  fast  ganz  beherrschte. 
Und  es  ist  nicht  zu  verwundern,  daß  auch 
Klemm  in  den  Bann  dieser  unwiderstehlich 
lockenden  Meisterkunst  geriet,  von  der  die 
9  europäische  Kunst  nicht  nur  technisch,  son- 
dern auch  künstlerisch  viel  lernen  konnte. 
Klemm  freilich,  der  immer  aufs  Ganze  ging 
und  nichts  nur  beiläufig  machte,  wandte  sich 
bald  von  dem  Vermittler  (Orlik)  weg  und  den 
Originalen  selbst  zu.  Und  um  den  techni- 
schen Finessen  der  Japaner,  über  die  sie  uns 


Herz    geschlossen    und    zum    fast    alleinigen  v 

Gegenstand    seiner  Darstellung   gemacht   hat.  | 

Wir  finden  auf  seinen  Holzschnitten  Truthähne,  / 

Pelikane,  Schwäne,  Enten,   Hasen    usw.,   alle  ) 

mit  Virtuosität  in  den  Raum  gesetzt  und  von  f 

ganz  zarter,  mehr  andeutender,  kolorierender  als  l 

erschöpfender,   modellierender  Farbengebung.  f 

Dabei    sind    sie  fast  immer   in  ihrer  charak-  { 

teristischen   Bewegung    erfaßt  und   mit  einer  t 

verblüffenden   Treffsicherheit    wiedergegeben.  ^ 

Und    zwar  ebenfalls  auf  japanische  Art,   ge-  11 


schlauerweise  nichts  von  Belang  verraten  haben,      wissermaßen.   Klemm  ist  nämlich,  was  ja  heute    « 
auf  den  Grund  zu  kommen,  kopierte  er  sogar      bekannt  ist,  durch  seine  Studien  zu  der  Ueber-    Y 


Zeugung  gekommen,  daß  die  Japaner  nicht  direkt    f 
nach  der  Natur  gearbeitet  und  sie  Zug  um  Zug 
sklavisch  kopiert  haben,  sondern  daß  sie  durch 
unablässige,  scharfe  Beobachtung  sich  allmäh- 
lich so  vollkommen  zu  Herren  der  Erscheinung    k 


einige  charakteristische  japanische  Holzschnitte 
(z.  B.  von  Hiroshige).  Es  ist  klar,  daß  unter 
diesen  Umständen  alle  seine  Blätter  aus  der 
damaligen  Zeit  mehr  oder  weniger  stark  an 
ihre    Vorbilder    erinnern    mußten.      Aber   es 


514 


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WALTER  KLEMM-WEIMAR  D  TAUCHENDE  ENTEN  (FARBIGER  HOLZSCHNITT) 


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WALTER  KLEMM-WEIMAR 


HOLZSCHNITTE  ZU  GOETHES  .FAUST" 


Einhorn-Verlag,  Dachau 


der  Dinge,  ihrer  Form,  Farbe,  Bewegung  usw., 
gemacht  haben,  daß  sie  das  Charaitteristi- 
sche  und  selbst  die  Details  frei  aus  dem  Ge- 
dächtnis wiederzugeben  vermochten.  Diese 
Methode  wandte  also  auch  Klemm  an.  Er 
beobachtete  die  Tiere,  draußen  in  Feld  und 
Wald  oder  wo  er  sie  sonst  fand,  oft  tagelang; 
dann  ging  er  heim  und  zeichnete  das  Gesehene 
aus  der  Erinnerung  nach.  Und  auf  diese  Weise 
entstanden  seine  Holzschnitte  und  Bilder.  Es 
ist  einleuchtend,  daß  eine  ganz  außergewöhn- 
liche Begabung,  von  einem  absolut  verläßlichen 
Gedächtnis  abgesehen,  dazu  gehört,  um  so  zu 
arbeiten.  Aber  es  ist  unzweifelhaft,  daß  die 
frühen,  bedeutenden  Erfolge  Klemms  zum  nicht 
geringen  Teil  auf  dieses  „Rezept"  zurückzu- 
führen sind,  mit  dessen  Empfehlung  man  aller- 
dings nur  ganz  wenigen  unserer  jungen  Künstler 
einen  Dienst  erwiese. 

Nach  dem  Tier  war  es  besonders  die  Be- 
wegung des  Menschen  im  Raum,  für  die  sich 
Klemm  interessierte  (man  beachte  wohl,  daß 
es  immer  das  Bewegungsmotiv  ist,  das  ihn 
zum  Gestalten  anregt  und  für  dessen  Ausdruck 
sich  der  Holzschnitt,  so  wenig  es  auch  dem 
Laien  im  ersten  Augenblick  einleuchten  mag. 


doch  in  hohem  Maße  eignet).  Blätter  wie  „Eis- 
platz", „Rodelbahn"  u.  a.  sind  Zeugnisse  da- 
für. Auch  der  verschiedenen  Holzschnitte  mit 
Dachauer  Motiven  („Nach  der  Kirche",  „Vieh- 
markt" usw.)  darf  man  wohl  in  diesem  Zusam- 
menhang gedenken.  Japanisches  wird  man  ja 
in  diesen  Blättern,  die  bereits  von  der  Farbe 
wegstreben  zugunsten  der  reinen  Schwarz- 
Weiß- Wirkung,  nicht  mehr  allzuviel  entdecken; 
wenigstens  nicht  in  der  Formgebung  und  in 
der  sonstigen  äußeren  Erscheinung.  Es  ist 
vielmehr  der  derbe,  summarische,  alte,  deutsche 
Holzschnitt,  der  hier  wieder  aufzuleben  beginnt 
und  in  dessen  Geist  denn  auch  alle  folgenden 
Blätter  und  Zyklen  Klemms  geschaffen  sind. 
Es  ist  etwas  Primitives,  das  aber  nicht  forciert, 
sondern  natürlich  wirkt,  in  diesen  Arbeiten, 
und  man  möchte  sagen,  sie  seien  das  gerade 
Gegenteil  der  japanisierenden  Blätter.  Und 
doch  ist  es  klar,  daß  Klemm  nie  zu  dieser 
Beherrschung  der  Schwarz -Weiß -Technik  in 
ihrer  ursprünglichsten,  ganz  unverkünstelten 
Form  gekommen  wäre,  wenn  er  nicht  in  der 
Schule  der  Japaner  alle  Sinne  geschärft  und 
für  das  Wesentliche  des  Holzschnittes  emp- 
fänglich gemacht  hätte. 


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WALTER  KLEMM-WEIMAR 


HOLZSCHNITTE  ZU  GOETHES  .FAUST« 


Einhorn-Verlag,  Dachau 


In  dieser  neuen  Phase  der  Entwicklung,  in 
der  wir  Klemm  eben  jetzt  antreffen,  und  die 
hauptsächlich  durch  die  Holzschnittzyklen  zu 
de  Costers  „Ulenspiegel"  (1910/11,  Bücher- 
wurm-Verlag), zum  Ehmcke-„Faust"  (1912/13, 
Einhorn- Verlag)  und  zum  „Don  Quixote"  (1914) 
markiert  wird,  ist  es  in  erster  Linie  das 
Phantastische  und  Groteske,  das  ihn  an  den 
Stoffen  reizt;  und  er  weiß  das  durch  die  reichen 
Ausdrucksmöglichkeiten  der  Holzschnittechnik, 
die  er  auch  in  der  an  den  alten  deutschen 
Meistern  orientierten  Form  virtuos,  aber  ohne 
äußerliche  Effekthascherei  beherrscht,  so  un- 
mittelbar zum  Ausdruck  zu  bringen,  daß  man 
sich  an  gewisse  verblüffende  Wirkungen  der 
Schattentheater  erinnert  fühlt.  Schon  die  Faust- 
Holzschnitte  machen  den  Eindruck,  als  seien 
sie  Visionen  oder  wirre  Träume,  wie  wir  sie 
zuweilen  geschlossenen  Auges  in  wildem  Wir- 
bel an  uns  vorüberziehen  lassen.  Mit  Illustra- 
tionen im  herkömmlichen  Sinne  haben  diese 
ganz  mittelalterlich  und  doch  auch  wieder 
modern  wirkenden  Textparaphrasen  jedenfalls 
nicht  das  geringste  zu  tun.  Sie  führen,  wenn 
sie  sich  auch  stilistisch  dem  Satz  und  Seiten- 
bild vortrefflich  einordnen,  doch  eine  Sonder- 


existenz, sind  sozusagen  ein  Faust  für  sich 
neben  dem  Goetheschen.  Mehr  noch  trifft  das 
beim  „Don  Quixote"  zu,  der  wohl  den  Gipfel 
dessen  darstellt,  was  mit  den  Mitteln  der 
Schwarz- Weiß-Technik  in  der  Schilderung  des 
Phantastischen  geleistet  werden  kann.  Wie  ein 
nächtlicher,  von  den  blendenden  Lichtstreifen 
der  Satire  immer  wieder  grell  beleuchteter 
Spuk  muten  diese  Blätter  an,  und  es  ist 
höchst  interessant,  zu  sehen,  wie  hier  das 
Technische  (Reliefdruck  der  weißen  Partien, 
Stehenlassen  oder  absichtliches  Hervorbringen 
gewisser  Rauheiten  und  Rissigkeiten,  die  dem 
Holzschnitt  eigentümlich  sind  und  mit  seiner 
Herstellung,  beziehungsweise  mit  dem  dazu 
nötigen  Material  aufs  engste  zusammenhängen) 
in  besonders  hohem  Grade  zur  Erzeugung  des 
visionären  Gesamteindrucks  dieser  Schwarz- 
Weiß-Dichtung  beiträgt.  Die  scheinbare  Primi- 
tivität aller  dieser  Blätter  aber  ist  nicht  mit 
den  Unbeholfenheiten  so  manches  modernen 
Graphikers  zu  verwechseln;  denn  diese  sind 
fast  immer  die  Folgen  des  Mangels  an  gedie- 
genem, zeichnerischem  und  handwerklichem 
Können;  Klemms  Stil  aber  hat  sich  in  geduldi- 
ger, langer,  bewußter  Arbeit  logisch  entwickelt, 


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WALTER  KLEMM-WEIMAR 

und  zwar  auf  dem  natürlichen  Weg,  von  der 
Kompliziertheit  zur  Einfachheit,  der  allmählich 
zur  Verachtung  des  überflüssigen  Details  und 
zur  alleinigen  Wertschätzung  des  Wesentlichen 
und  Spezifischen  führt. 

In  jüngster  Zeit  hat  sich  Klemm,  der  „neben- 
bei" als  Maler  mit  wachsendem  Erfolg  tätig  ist, 
auch  der  Lithographie  zugewandt  und  den  besten 
deutschen  Roman  des  17.  Jahrhunderts,  den 
„Simplicius  Simplicissimus",  mit  skizzenhaft- 
freien, nichts  weniger  als  peinlich-exakten  Stein- 
zeichnungen geschmückt,  die  ebenso  material- 
gerecht sind  wie  die  Holzschnitte  und  den 
Geist  des  Dreißigjährigen  Krieges  mit  kaum 
geringerer  Kraft  wie  das  Dichterwort  zu  bannen 
wissen;  auch  das  phantastische  Element  spielt 
wieder  eine  große  Rolle  in  ihnen.  Im  übrigen 
ist  es  auch  hier  wie  in  den  anderen  Zyklen 
Klemms  meist  ein  Bewegungsmotiv,  das  den 
künstlerischen  Gedanken  geboren  hat.  Und 
daß  Klemm  auf  diesem  Gebiet  keine  Rivalen 
zu  scheuen  braucht,  wird  jedem  aufmerksamen 


LITHOGRAPHIE  ZUM  .SIMPLICIUS  SIMPLICISSIMUS" 

Beurteiler  seiner  Blätter  bald  klar  sein.  Es  ist 
allerdings  möglich,  daß  sich  der  Laie  oder  ein 
nur  mangelhaft  unterrichteter  Betrachter  keine 
genügende  Rechenschaft  darüber  abzulegen  ver- 
mag, weshalb  er  nun  eigentlich  von  Klemms 
Arbeiten  den  bestimmten  Eindruck  hat,  daß 
sie  hoch  über  dem  Durchschnitt  stehen.  Wer 
aber  weiß,  auf  welchen  Wegen  Klemm  in  jahre- 
langer, zielsicherer  Wanderschaft  bis  zu  dem 
Punkte  gelangt  ist,  bei  dem  wir  ihn  heute 
halten  sehen,  der  wird  das  hohe  künstlerische 
Niveau  seiner  Arbeiten  begreiflich,  um  nicht 
zu  sagen  selbstverständlich  finden.  Und  er  f 
wird  es  auch  —  womit  wir  wieder  zum  Aus-  « 
gang  unserer  Betrachtungen  zurückkehren  — 
für  ganz  in  der  Ordnung  halten,  daß  die  öffent- 
lichen und  privaten  Sammlungen  sich  diese 
Arbeiten  beizeiten  sichern.  So  wird  Klemm, 
der  einst  bei  den  Japanern  und  später  dann 
bei  den  alten  Deutschen  in  die  Schule  ging, 
heute  bereits  selbst  wieder  zum  Mittler  und 
Vorbild.  Richard  Braungart 


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3  WALTER  KLEMM  □  LITHOGRAPHIEN  ZUM  .SIMPLICIUS  SIMPLICISSIMUS« 

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I  WALTER  KLEMM-WEIMAR  □  HOLZSCHNITTE  AUS  DER  MAPPE  ZU  DE  COSTERS  .ULENSPIEGEL«  S 

I  Verlag  des  Bücherwurm,  Dacbau  V 

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520 


THEODOR  KARNER 


DACKEL  UND  FUCHS 


NYMPHENBURGER  PORZELLAN 


Wenn  man  die  Nymphenburger  Schloß- 
anlage unbefangen  betrachtet,  die  vor- 
nehme, charaktervolle  Fassade  hinter  den  so 
fein  ersonnenen  Baumreihen  und  Wasserläufen, 
ein  Schulbeispiel  geschmackvoller  Hofkunst, 
da  wird  einem  wohl  nie  der  Gedanke  kommen, 
daß  hinter  den  schön  geschwungenen  grauen 
Mauern  irgendwo  eine  industrielle  Anlage  ver- 
borgen sei.  Und  doch,  kommt  man  durch  ein 
Tor,  das  man  freilich  kennen  muß,  um  es  nicht 
zu  verfehlen,  dann  ist  man  plötzlich  in  einer 
richtigen  Porzellanfa- 
brik, einem  ganz  mo- 
dernen Betrieb,  der 
aber  zum  größten  Teil 
in  alten  Räumen  unter- 
gebracht ist.  Diese  Ver- 
bindung ist  wohl  nur 
beim  Porzellan  mög- 
lich. Auch  in  Meißen 
gibt  es  so  stille  Höfe, 
daß  man  sich  in  einem 
Kloster  wähnen  könnte, 
fehlte  nicht  der  Kreuz- 
gang, und  wenn  man  in 
Berlin  zwischen  Bäu- 
men und  Büschen  zum 
eigentlichen  Fabrikge- 
bäude vorgedrungen 
ist,  dann  braucht  man 
immer  noch  nicht  zu 
merken,  daß  hier  viele 
Hunderte  von  Arbei- 
tern tätig  sind  und 
im  Bunde  mit  Dampf       theodor  karner 

und      Feuer     schaffen.  Ausführung-,  Kgl.  Porzellan 


Mag  aber  auch  manche  Aeußerlichkeit  ähn- 
lich sein,  im  wesentlichen  unterscheidet  sich 
Nymphenburg  deutlich  von  den  beiden  andern 
deutschen  Staatsmanufakturen,  So  eng  ihre 
Lage  die  Manufaktur  mit  dem  Königsschloß 
verbindet,  so  frei  und  unabhängig  ist  ihre  Lei- 
tung. Weder  der  Kunstgeschmack  eines  Herr- 
schers noch  die  Rücksichten  auf  die  Staats- 
finanzen haben  hier  einen  bestimmenden  Ein- 
fluß. Der  wohltemperierte  Geschmack  des  Lei- 
ters der  Nymphenburger  Porzellan-Manufaktur, 

Albert  Bäuml,  weiß 
gute  alte  Tradition  mit 
dem  Kunstwollen  un- 
serer Zeit  so  innig  zu 
verbinden,  daß  man 
keinen  äußerlichen 
Zwang,keinenRißzwi- 
schen  gestern  und  heu- 
te, keine  durch  eine 
Welt  getrennten  Abtei- 
lungen von  Repräsen- 
tationskunst, Verkaufs- 
ware und  neuesten, 
allerneuesten  Ausstel- 
lungsstücken bemer- 
ken kann.  Was  unsere 
Privatfabriken  so  stark 
macht,  ihre  einheit- 
liche, zielbewußte,  von 
Bureaukratie  und  In- 
stanzenweg nicht  ge- 
lähmte Führung,  das 
kommt  auch  dieser 
Staatsmanufaktur  zu- 
gute.     Sie   ist   eines 


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JUNGER  BERNHARDINER 
Manufaktur  Nymphenburg 


iHSXSSXc)SXS<3XSSXSSXS(SXSSXS<5XSSXSSXS(5?r:S<9?reSXSS?raS^ 


Dekorative  Kunst.     XVII.    ii.    August  1914 


521 


66 


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JOSEPH  WACKERLE 


REITER 


Kgl,  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


)  einzigen  Mannes  Werk,  die  Schöpfung  seiner 

J  Lebensarbeit,  und  nur  durch  seine  völlige  Hin- 

)  gebung  an  diese  Aufgabe  ist  Nymphenburg  aus 

J  einem   technischen   und   künstlerischen  Tief- 

}  Stande,   wie   ihn   weder  Meißen  noch    Berlin 

\  oder  Sövres  jemals  gekannt  haben,  emporge- 

I  rissen  und  zu  seiner  heutigen  Bedeutung  ge- 

l  bracht  worden. 

1  Mit   der  Erzeugung  des  Porzellans  ist  von 

)  jeher  der  Begriff  der  „Manufacture"  verknüpft 

j  gewesen.    Viele  Hände  müssen  zusammenar- 

I  beiten,  um  ein  Stück  fertig  zu  machen.  Um  so 

I  stärker  muß   der  leitende  Wille  sein,   um  so 

I  sicherer  der  richtunggebende  Geschmack,  da- 

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mit  kein  Chaos,    aber   auch    keine  seelenlose  « 

Massenware  entstehe.  In  Nymphenburg  hat  es  J 

harter  Arbeit  bedurft,  um  die  verloren  gegan-  P 

gene  Tradition  wieder  aufzufinden  und  zu  be-  J 

leben,   aber  nachdem  das  erreicht  war,    hätte  ß 

die  kleine  Fabrik  leicht  und  bequem  von  den  « 

Schätzen  ihrer  Blütezeit  zehren  können.  Doch  V 

diese  Beschränkung,  so  vorteilhaft  sie  vom  rein  i 

merkantilen  Standpunkt  auch  erscheinen  könnte,  f 

wäre  doch  nicht  wahrhaft  klug  und  weitsichtig  ß 

gewesen.  Eine  wirklich  lebendige  Fortsetzung  g 

der  besten  Ueberlieferungen  war  nur  durch  die  fi 

dauernde  Verbindung  mit  schöpferischen  Kunst-  te 

lern  möglich.  Liegt  auch  diese  Weisheit  gerade  w 


522 


WILLY  ZÜGEL 


EISBAR  SERVAL 

Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


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523 


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THEODOR  KARNER 


BRASILIANISCHE  DROSSEL 


in  München  besonders  nahe,  so  ist  es  doch 
kein  geringes  Verdienst  des  von  jeder  staatli- 
chen Behörde  unabhängigen,  aber  auch  durch 
keine  Staatssubvention  gesicherten  Pächters 
der  Nymphenburger  Manufaktur,  daß  er  immer 
wieder  durch  Versuche  mit  künstlerischen  Mit- 
arbeitern seine  bereits  er- 
rungenen materiellen  Er- 
folge aufs  Spiel  gesetzt  hat. 
Denn  er  versuchte  nicht, 
große  Namen  mit  Nymphen- 
burg zu  verbinden,  sondern 
er  gab  jungen,  noch  wenig 
oder  gar  nicht  bekannten 
jungen  Künstlern  Gelegen- 
heit, sich  mit  dem  ihnen 
fremden  Material  bekannt 
zu  machen,  er  und  seine 
Mitarbeiter  waren  geduldig 
und  unermüdlich  zu  immer 
neuen  Versuchen  bereit,  um 
den  Ideen  der  Künstler  Form 
und  Farbe  zu  geben. 

Da  war  der  blutjunge  Jo- 
seph Wackerle,  dessen  Be- 
gabung wohl  durch  einige 
Arbeiten  erwiesen,  aber  trotz 
Rompreis  und  goldener  Me- 
daille doch  nur  wenigen 
Künstlern  und  Kunstfreun- 
den bekannt  war.  Er  fühlte 
sich  bald  in  Nymphenburg 
wohl,  erkannte  in  praktischer 


WILHELM  NEUHÄUSER     D     KÄUZCHEN 
Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


Arbeit  zwischen  Modelleuren,  Formern  und 
Malern  bester  Schulung  die  Bedingungen  und 
Möglichkeiten  des  anziehenden  aber  auch  recht 
kapriziösen  Werkstoffes  und  schuf  Porzellan- 
plastiken, wie  sie  so  echt  seit  dem  1  S.Jahrhun- 
dert kaum  wieder  entstanden  sind.  Stofflich 
entsprechen  sie  durchaus 
den  Arbeiten  der  klassischen 
Zeit,  in  ihrer  Formensprache 
sind  sie  im  besten  Sinne  mo- 
dern, aber  Wackeries  Harle- 
kin oder  seinen  Chevauleger- 
Reiter  kann  man,  ja  man  muß 
sie  neben  die  Figuren  der 
italienischen  Commedia  oder 
die  Reiterfiguren  Meißens 
setzen,  um  ihre  Lebendig- 
keit und  ihre  Porzellanhaf- 
tigkeit  schätzen  zu  lernen. 
Weit  enger  noch  als 
Wackerle  ist  Theodor  Kär- 
NER  mit  Nymphenburg  ver- 
bunden. Auf  der  letzten  Welt- 
ausstellung in  Brüssel  sah 
man  wohl  die  ersten  Tier- 
modelle von  ihm.  Man  hatte 
vorher  schon  so  viele  Por- 
zellantiere gesehen,  aber  die 
Nymphenburger  waren  an- 
ders. Und  diesen  eigentüm- 
lichen Charakter,  der  hohe 
Naturwahrheit  und  sicher- 
stes   Stilgefühl    im  Gleich- 


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524 


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FRANZ  BLAZEK 


BACHSTELZE 


THEODOR  KARNER 


ROTKEHLCHEN 


gewicht  zeigt,  haben  auch  die  folgenden  Arbei- 
ten Kärners  behalten.  Sie  sind  alle  für  Por- 
zellan erdacht,  aber  für  das  Porzellan  einer 
technisch  außerordentlich  hochstehenden  Fabrik. 
So  gut  die  Flächen  zusammengehalten,  so  ener- 
gisch die  Umrisse  gespannt  sind,  niemals  sieht 
man  aus  Furcht  vor  der  deformierenden  Macht 
des  Feuers  entstandene,  von  Anbeginn  an  auf 
jede  Gliederung  verzichtende  Klumpen.  Dazu 
kommt  eine  geradezu  raffinierte  Farbenpracht, 
die  auf  Hartporzellan  wohl  nicht  ihresgleichen 
findet.  Alles  das  trifft  auch  auf  die  Arbeiten 
M.  Niemeiers  zu,  während  bei  Zügels  Eisbär 
die  charakteristische  Stellung  des  Tiers  in  sehr 


glücklicher  Weise  ohne  jeden  Zwang  den  For- 
derungen des  Materials  entspricht. 

Das  kleine  Nymphenburg  begnügt  sich  aber 
nicht  damit,  moderne  Meisterwerke  der  Por- 
zellankunst zu  schaffen.  Es  versucht  sich  auch 
auf  andern  Gebieten  der  Keramik.  Nach 
Wackeries  Modellen  führte  die  Manufaktur 
Majoliken  aus,  deren  Abmessungen  allein  schon 
dem  Fachmann  Bewunderung  einflößten,  und 
auch  Terrakotten  für  Fassadenverkleidungenent- 
standen  in  Nymphenburg.  Diese  Anregungen 
auf  Gebieten,  die  noch  immer  viel  zu  wenig 
von  unsern  Architekten  und  Bildhauern  be- 
achtet werden,   waren   doch    nicht  ganz  ohne 


EISVOGEL 


THEODOR  KÄRNER-MONCHEN 
Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nyraphenburg 


KREUZSCHNABEL 


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525 


MAX  NIEMEIER 


BIRKHAHN 


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Wirkung.  Nach  dem  Vor- 
gang Nymphenburgs  sieht 
man  jetzt  auch  andere  kera- 
mische Werkstätten  in  die- 
ser Richtung  arbeiten.  Aber 
Nymphenburg  hat  sich  auch 
nicht  von  diesen  Nachbarge- 
bieten des  Porzellans,  die 
freilich  dem  Laien  näher  zu 
liegen  scheinen,  als  es  wirk- 
lich der  Fall  ist,  zurückge- 
zogen. Das  zeigen  die  bei- 
den hier  wiedergegebenen 
Reliefsvon  Wackerle:  Herbst 
und  Winter.  Ueber  des  Künst- 
lersFähigkeit,einen  begrenz- 
ten Raum  mit  schön  gebän- 
digtem Leben  zu  erfüllen, 
brauchen  nicht  viele  Worte 
gemacht  zu  werden.  Deutlich 
sichtbare  Erscheinungen  sind 
dem  Auge  ohne  weiters  so 
klar,  daß  sie  nicht  „erklärt" 
zu  werden  brauchen.  Viel- 
leicht darf  aber  ein  Ver- 
gleich der  Porzellan-Plasti- 
ken Wackeries  mit  seinen 
Majolika  -  Reliefs  angeregt 
werden,  da  er  den  Unter- 
schied zwischen  dem  ästhe- 
tischen Charakter  beider 
Materialien  leicht  erkennen 
läßt.  Die  weiche  Derbheit 
der  Majolika,  die  bei  einem 
solchen  Vergleich  recht  deut- 
lich wird,  weiß  Nymphen- 
burg durch  gedämpfte  Far- 
ben zu  ergänzen  und  zu 
steigern. 

Gerade  vordiesen  schwarz- 
weißen Abbildungen  muß 
überhaupt  darauf  hingewie- 
sen werden,  daß  Nymphen- 
burg, dessen  unbemalte  Fi- 
guren seit  jeher  geschätzt 
wurden  und  auch  jetzt  noch 
mit  Recht  sehr  gern  gekauft 
werden,  heute  im  Reichtum 
seiner  Palette  wie  in  ihrer 
Anwendung  sich  den  andern 
Staatsmanufakturen  getrost 
an  die  Seite  stellen  kann. 
Bei  den  Tierplastiken,  die 
schon  durch  das  Stoffgebiet 
zum  Vergleich  mit  den  Ko-  ö 
penhagener  Porzellanen  her- 
ausfordern, haben  wir  schon 
Xi  Kgi.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg  auf   diesen  Farbenreichtum 


THEODOR  KÄRNER 


STARENGRUPPE 


526 


i 


BIRKHAHN 


hingewiesen.  Er  übertrifft 
den  der  nordischen  Arbei- 
ten, vor  allem  verfügtNym- 
phenburg  auch  über  warme 
Farben  in  den  feinsten  Nu- 
ancen und  diese  Eigen- 
schaft vor  allem  unter- 
scheidet die  Porzellane  der 
Bayerischen  Porzellanma- 
nufaktur sehr  stark  von 
den  bei  aller  Schönheit  und 
Noblesse  kühl  wirkenden 
Erzeugnissen  der  Königli- 
chen Porzellanmanufaktur 
oder  der  Porzellanfabrik 
von  Bing  &  Gröndahl  in 
Kopenhagen. 

Diese  besonderen  Ei- 
genschaften der  Nymphen- 
burger  Erzeugnisse,  ihre 
Wärme  —  auch  die  wei- 
ßen Nymphenburger  Por- 
zellane sind  nicht  so  kalt 
wie  andere  —  und  ihre  Le- 
bendigkeit sprechen  eben- 
so für  ihre  Münchner  Her- 
kunft, wie  ihre  überaus 
sorgfältige,  technisch  so  max  niemeier 
hochstehende  Ausführung. 
Die  Nymphenburger  Por- 
zellanmanufaktur istdurch- 
ausbodenständig,sieknüpft 
an  eine  Blütezeit  alter 
Münchner  Kunst  an  und 
weiß  ihr  Schaffen  mit  dem 
künstlerischen  Geist  Mün- 
chens zu  sättigen,  wie  er 
uns  heute  dort  entgegen- 
tritt. Das  macht  vor  allem 
Nymphenburgs  Stärke  aus, 
verbürgt  seine  Erfolge  bei 
Kennern  und  Liebhabern 
wie  bei  Laien,  erklärt,  daß 
diese  so  deutsche  Kunst 
auch  auf  die  Franzosen 
von  starker  Wirkung  ge- 
wesen ist. 

Mag  man  die  Arbeit 
der  Künstler  so  hoch  ein- 
schätzen, wie  sie  es  ver- 
dient, die  Leistung  der  in 
der  Nymphenburger  Manu- 
faktur tätigen  ausführenden 
Kräfte,  deren  Verdienst  nur 
zu  leicht  vergessen  wird, 
gerecht  bewerten,  immer 
ö    wieder  wird  man  doch  auf        theodor  karner  Feldhase 

'A     den  Leiter  der  Manufaktur  Kgl.  PorzelUn-Manufaktur  Nymphenburg 


B\ 


527 


JOS.  WACKERLE- 
BERLIN 


^ 


MAJOLIKA- 
RELIEFS 


zurückkommen  müssen  und 
seine  Tätigkeit  in  den 
Vordergrund  stellen.  Der 
große  Anteil,  den  unbe- 
dingt Bäuml  an  den  Er- 
folgen Nymphenburgs  im 
letzten  Jahrzehnt  gehabt 
hat,  beweist  auf  das  schla- 
gendste, wie  wichtig  für  die 
angewandte  Kunst  der  füh- 
rende Kopf  und  der  leiten- 
de, zielbewußte  Wille  sind. 
Bäuml  ist  von  Haus  aus 
weder  Künstler  noch  Tech- 
niker, und  doch  darf  man 
wohl  sagen,  daß  weder  ein 
Künstler  noch  ein  Techni- 
ker die  Nymphenburger 
Manufaktur  so  weit  ge- 
bracht haben  würde,  wie 
dieser  kluge,  energische, 
geschmackvolle  und  fein- 
fühlige Kaufmann.  Dieser 
Fall  gibt  denen  recht,  die 
für  die  Leitungsolcher  kom- 
plizierten Betriebe  nicht 
den  auf  einem  Gebiet  tüch- 
tigen Spezialisten  für  ge- 
eignet halten.    Es  ist  viel- 


JOSEPH  WACKERLE    Q     MAJOLIKA- FIGUR 
Kgl.  Porzellan-Manufaktur  Nymphenburg 


leicht  notwendig,  auch  in 
diesemZusammenhangein- 
mal  auf  diese  Frage  hinzu- 
weisen, da  von  ihrer  rich- 
tigen Beantwortung  für  die 
weitere  Entwicklung  un- 
seres deutschen  Kunstge- 
werbes nicht  wenig  ab- 
hängt. Ernst  Jaffe 


Das  späte  Fertigwerden  B 
der  Kölner  Werk-  % 
bund- Ausstellung  machte 
es  uns  unmöglich,  darüber 
schon  in  diesem  Hefte  zu 
berichten.  Wir  werden  nun 
in  der  nächsten  Nummer 
damit  beginnen  und  darin 
auch  auf  die  Verhandlun- 
gen der  Kölner  Tagung 
des  Werkbundes  näher  ein- 
gehen, die  infolge  eines  von 
Geheimrat  Hermann  Mu- 
THESius  gehaltenen  Vor- 
trags „Die  Werkbund- Ar- 
beit der  Zukunft"  zu  er- 
regten   Debatten   führten. 


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528 


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I 


ARCH.  THEODOR  FISCHER-MÜNCHEN 


MITTELBAU  DEk  HAUHTHALLb  (VGL.  Seite  »31) 


Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 


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FRITZ  SCHMOLL  VON  EISENWERTH-MÜNCHEN  STEINZEUG-RBLIEFS  AN  DER  HAUPTHALLE 

Ausführung:  Steinzeugwerke  Höhr-Grenzhausen,  Höhr 

DER  DEUTSCHE  WERKBUND 
UND  DIE  DEUTSCHE  WERKBUND-AUSSTELLUNG  IN  KÖLN 

Von  Georg  Jacob  Wolf 

Für  den   Deutschen  Werkbund   kann  Köln  nicht  Vollendung 
bedeuten,  sondern  nur  Stärkung  zu  neuen  Pflichten. 

Ernst  Jäckh  im  Jahresbericht  des  D.W.B.  1913/U 

Fremdenverkehrs  erzielen;  es  will  Arbeit  unter 
seine  Einwohnerschaft  bringen,  es  will  von  sich 
reden  machen.  Für  Köln  ist  die  Veranstal- 
tung der  Ausstellung  eine  Angelegenheit  der 
Propaganda,  deren  heutzutage  die  in  hitziger 
Konkurrenz  miteinander  um  den  Vorrang  kämp- 
fenden deutschen  Städte  so  wenig  entraten 
können  wie  etwa  die  großen  Automobilfirmen. 
Der  Deutsche  Werkbund  dagegen  dachte  an 
Propaganda  für  seine  Mitglieder  erst  in  zweiter 
oder  dritter  Linie.  Als  man  sich  im  Werk- 
bund —  durchaus  nicht  einmütig  und  erst  nach 
ernsten  Auseinandersetzungen  —  entschloß, 
mit  der  Stadt  Köln  zusammen  die  Ausstellung 
zu  machen,  da  dachten  die  Idealisten,  deren 
der  Werkbund  tatsächlich  sehr  viele  aufzuwei- 
sen hat,  daran,  man  könne  hier  eine  , Quali- 
tätsschau"  veranstalten,  die  beweisen  sollte, 
daß   die   mit  der  Kunst  zusammenarbeitende 


Es  gilt  der  Oeffentlichkeit  gegenüber  einen 
Irrtum  richtig  zu  stellen :  es  ist  falsch, 
den  Deutschen  Werkbund  und  seine  „Idee" 
mit  der  Deutschen  Werkbund-Ausstellung  in 
Köln  ohne  jeden  Vorbehalt  zu  identifizieren. 
Selbstverständlich  haben  die  beiden  etwas 
miteinander  zu  tun,  sehr  viel  sogar,  aber  die 
Ausstellungsleitung  hat  auch  Wege  eingeschla- 
gen, auf  die  ihr  der  Werkbund  nicht  ohne 
Widerspruch  wird  folgen  können.  Ich  beab- 
sichtige nicht,  das  viele  Mißlungene  dieser  Aus- 
stellung der  mitunternehmenden  Stadt  Köln 
allein  zuzuschieben,  sicher  indessen  ist,  daß  es 
ein  unnatürliches  Bündnis  war,  das  der  Deutsche 
Werkbund  und  Köln  schlössen,  als  sie  sich 
zu  dieser  Ausstellung  zusammentaten.  Denn 
die  Interessen  der  beiden  Verbündeten  gehen 
weit,  weit  auseinander.  Köln  will  natürlich 
mit  dieser  Ausstellung  eine  Erhöhung  seines 


13 


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Dekorative  Kunst.   XVII.    ts.    September  1914 


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deutsche  Industrie,  deutsches  Gewerbe  und 
deutsches  Handwerk  weiter  gekommen  seien, 
als  sie  uns  die  letzte  große  gesamtdeutsche 
Kunstgewerbe- Ausstellung  in  Dresden  1906  ge- 
zeigt hatte,  daß  die  damals  selbst  noch  jungen 
Führer  der  gleichfalls  jungen  Bewegung  heran- 
gereift seien  und  ihre  Leistungen  mit  ihnen, 
daß  die  sieben  Jahre  Werkbund-Arbeit  nicht 
vergeblich  gewesen  seien.  Wäre  es  dem  immer 
optimistisch  gesinnten,  den  Tatsachen  allzumal 
vorauseilenden  Friedrich  Naumann  nachgegan- 
gen, dann  hätte  sich  diese  Ausstellung  sogar 
schon  in  dem  heißersehnten  „deutschen  Stil" 
präsentieren  müssen,  der  nichts  anderes  und 
nichts  Geringeres  sein  sollte  als  der  vollkom- 
mene Ausdruck  unseres,  auf  das  Gebiet  der 
ästhetischen  Kultur  projizierten  Wirtschafts- 
lebens, eine  Veredelung  der  Maschinenarbeit 
und  eine  Erhöhung  der  Leistungsfähigkeit  ge- 
schmackvoller Arbeit  durch  die  Maschine,  kurz 
das,  was  der  Werkbund  meint,  wenn  er  sein 
vielgeliebtes,  aber  schon  etwas  müde  gerittenes 
Motto  von  der  „Durchgeistigung  der  deutschen 
Arbeit"  in  die  Debatte  schleudert. 

Man  hatte  viel  und  weit  gedacht,  und  darum 
hatte  man  auch  viel  erwartet.  Diese  Erwar- 
tungen wurden  künstlich  gesteigert  durch  alle 
erdenklichen  Verheißungen  einer  übergeschäf- 
tigen Propaganda  der  Ausstellungsleitung.  Noch 
in  Leipzig  1913,  bei  der  Werkbund-Tagung 
im  Juli,  als  die  Ausstellungsleitung  doch  schon 
mußte  überblicken  können  —  in  den  Konturen 
wenigstens,  wenn  auch  noch  nicht  in  den 
Details  — ,  was  da  werden  und  wachsen  würde, 
machte  man  große  Versprechungen.  Selbst  ein 
so  erfahrener  Ausstellungsmann  wie  der  Ge- 
heime Oberregierungsrat  Dr.  Albert  vom  Reichs- 
amt des  Innern,  deutscher  Reichskommissar 
verschiedener  Ausstellungen,  erweckte  Hoff- 
nungen, die  sich  nicht  erfüllten,  als  er  aus- 
führte: „Es  soll  in  Köln  gezeigt  werden,  wie 
Deutschland  dazu  gekommen  ist,  einen  eigenen 
Stil  zu  entwickeln  und  diese  geschmackliche 
Entwicklung  auf  das  gewerbliche  Leben  zu 
übertragen,  als  Darstellung  eines  rein  deut- 
schen Entwicklungsganges."  Die  Utopie,  der 
sich  Albert  mit  diesen  Worten  hingab,  ist  die 
gleiche,  der  Naumann  mit  seiner  Behauptung 
vom  „deutschen  Stil"  verfiel,  und  in  der  die 
Ausstellungsleitung  ersichtlich  heute  noch  be- 
fangen ist,  wenn  sie  in  ihren  offiziellen  Ver- 
lautbarungen die  Sache  so  hinstellt,  als  gebe 
die  Ausstellung  ein  echtes  Bild  von  der  Werk- 
bund-Arbeit, als  sei  sie  die  Begriff  gewordene 
Werkbund-Idee.  Was  wir  alle  auf  der  Werk- 
bund-Ausstellung suchten,  was  wir  sehnsüchtig 
von  ihr  erwarteten,  warum  wir  für  sie  warben, 
das    war   —   gestehen   wir  es  nur!  —  etwas 


ganz  Aehnliches,  als  was  Albert  und  Naumann 
vorschwebte,  so  etwas  wie  eine  Erfüllung  der 
Bewegung,  eine  Reife,  eine  frühe  Ernte,  ein  un- 
gefähres Ziel.  Aber  gerade  das  Gegenteil  einer 
solchen  Erscheinung  bot  sich  uns  dar.  Ein 
feinsinniger  Künstler  faßte  sein  Urteil  über 
den  Gesamteindruck  der  Ausstellung  in  die 
Worte:  „Wie  beim  Turmbau  von  Babel!  Die 
Ausstellung  ist  fertig,  und  keiner  versteht  mehr 
den  anderen."  In  der  Tat:  es  werden  hier 
Sprachen  der  Kunst  geredet,  die  man  nicht 
mehr  verstehen  kann.  Wenn  neben  den  „Deut- 
schen Werkstätten"  die  „Neue  Berliner  Gruppe" 
mit  ihrem  erbarmungswürdigen  Gestotter  gleich- 
berechtigt im  Deutschen  Werkbund  ausstellt, 
wenn  der  oberflächlich-elegante,  innerlich  hohle 
und  durch  und  durch  undeutsche  Kabarettstil 
in  der  deutschen  Raumkunst  einen  so  breiten 
Raum  einnehmen  kann,  wie  es  hier  geschieht, 
wenn  man  die  Haupthalle  mit  dem  hirnver- 
brannten Geschmier  Stuttgarter  Kunstschüler 
bedecken  läßt  —  dann  kann  man  freilich  dem 
erhofften  „deutschen  Stil"  nachschauen,  wie 
der  Lohgerber  seinen  fortgeschwommenen 
Fellen  .  .  . 


Indessen  kompliziert  sich  der  Fall.  Denn 
diese  Unklarheiten  beschränken  sich  leider 
nicht  auf  die  Ausstellung  —  ich  meine  die 
Unklarheiten  über  den  sogenannten  „deutschen 
Stil"  —  sondern  sie  spielen  in  den  Werkbund 
selbst  herein,  ergreifen  seine  Mitglieder,  dringen 
bis  in  die  Vorstandschaft  hinein  und  verwirren 
die  Auguren  des  Werkbunds.  Und  mehr  als 
das:  es  scheint,  daß  über  die  Unklarheit  hinaus 
ein  ganz  hartnäckiges  Nichtwollen  am  Werke 
ist.  Unsere  Zeit  besitzt  kein  einheitliches  Stil- 
gefühl, keine  stilbildende  Kraft.  Dessen  wird 
man  sich  klar,  wenn  man  die  tausend  verschie- 
dengearteten Lösungsversuche  gewisser  Raum- 
probleme, die  in  der  Werkbund -Ausstellung 
geboten  werden,  in  der  Erinnerung  an  sich 
vorüberziehen  läßt.  Und  unsere  Zeit  besitzt 
gar  nicht  den  Willen  zum  Stil,  besitzt  ihn 
wenigstens  nicht  in  dem  Maß,  als  man  es  als 
kritischer  Zuschauer  wünschen  muß,  —  das 
lehrt  die  außerordentlich  bedeutsame  Debatte 
gelegentlich  der  heurigen  Werkbund -Tagung 
am  4.  Juli  in  Köln,  in  der  Festhalle  der  Aus- 
stellung. Von  ihr  zu  reden,  scheint  mir  in 
diesem  Zusammenhang  wichtig,  denn  es  wird 
zur  Klärung  des  Werkbund-Problems  beitra- 
gen, zu  erkennen,  wie  sich  die  führenden 
Männer  zueinander  und  zu  den  wichtigsten 
Fragen  der  Werkbund-Zukunft  stellen. 

Der  entscheidende  Augenblick  der  Tagung 
war  jener,  als  nach   dem  Vortrag,   den    Her- 


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<    MANN  MuTHESius  über  die  „Werkbundarbeit 
j\    der  Zukunft"  gehalten  hatte,  einem  Vortrag, 
5    dem    er  „Zehn  Leitsätze"    zugrunde    legte, 
J    sich  Henry  van  de  Velde  erhob,  um  mit  einer 
3    peinlichen   Schärfe  Muthesius  in  „Zehn  Ge- 
3    genleitsätzen"  entgegenzutreten.    Muthesius 
^    hatte    hauptsächlich    von    den    Exportmög- 
/    lichkeiten    der   im    Werkbund   geleiste- 
i    ten    Arbeiten   gesprochen,   ein  Thema,    das 
5    später  Friedrich  Naumann  in  einem  Vortrag 
J    über  „Werkbund  und  Weltwirtschaft"  auf 
5    seine  amüsante,   etwas   unpositive    und  allge- 
)    meine  Art  variierte.    Den  Kern  von  Muthesius' 
)    Vortrag  bildeten  folgende  Sätze  : 
I        „Die  von  uns  entwickelte  besondere  Art 
I    des  Kunstgewerbes  ist  es,   die  die  Aufmerk- 
i    samkeit  der  Welt  auf  sich  gezogen  hat.    Hier- 
\    bei  ist   es  zunächst  gleichgültig,  ob  die  Welt 
I    mit  diesem  Stil,  wenn  man  es  so  nennen  darf, 
1    einverstanden  ist  oder  nicht.     Die  Hauptsache 
1    ist,  daß  sie  eine  ausgeprägte  Art  erblickt.  Die 
I    Möglichkeit  für  diese  von  uns  entwickelte  Art, 
sich  durchzusetzen,  hängt  zwar  auch  davon  ab, 
daß    wir    uns    den    Auffassungen    außerhalb 
Deutschlands   bis   zu    einem  gewissen  Grade 
anpassen,  hauptsächlich  aber  ist  sie  darin 
I    begründet,  daß  aus  unseren  Leistungen 
1    ein  geschlossener,  überzeugender  Stil- 
!    ausdruck  spricht.  Je  mehr  dies  der  Fall  ist, 
1    je  deutlicher   dieser  Stilausdruck  sich 
'    offenbart,   um   so   wahrscheinlicher   ist  der 
'    Sieg  der  deutschen  Arbeit, 
I        Nun  kann    es   keinem  Zweifel   unterliegen, 
I    daß  dieser  einheitliche  Stilausdruck,  trotz  aller 
I    individualistischen  Verschiedenheiten  der  Ein- 
I    zelwerke,    heute  im    modernen  Kunstgewerbe 
bereits  erreicht  ist.    Das  ist  von  uns  Näher- 
stehenden vielleicht  nicht  so  klar  zu  erkennen, 
als  von  solchen  Beobachtern,  die  aus  anderer 
Umgebung  kommen.    Ausländern   erschienen 
bereits  die  deutschen  Ausstellungen  in  St.  Louis 
und  in  Brüssel  durchaus  als  ausgeprägte  Ein- 
heiten   innerhalb    der  ganz   anders    gearteten 
Ausstellungen  der  übrigen  Völker.  Auf  diesem 
Wege   einer   heilsamen    Vereinheitlichung   ist 
die  Bewegung  seitdem  noch  vorwärtsgeschritten, 
und  gerade  dieser  Umstand  muß  von  uns  mit 
Befriedigung  festgestellt  werden.    Denn  diese 
Vereinheitlichung  bedeutet  Kraft.    Die  Ueber- 
j.    fuhrung  aus   dem  Individualistischen  ins  Ty- 
jl    pische  ist  der  organisch  richtige  Entwicklungs- 
n    gang,  der  nicht  nur  zu  einer  Ausbreitung  und 
J    Verallgemeinerung,  sondern  vor  allem  auch  zu 
J    einer  Verinnerlichung  und  Verfeinerung  führt. 
3    In  allen  großen  Kulturperioden,  vor  allem  in 
3    den  Blütezeiten  der  Baukunst  sehen  wir  diesen 
^    gleichmäßig    fließenden  Strom    völlig   einheit- 
i    lieber  Leistungen  dahinfließen.     Es  haben  ge- 

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ARCH.  PETER  BEHRENS-NEUBABELSBERG 

wissermaßen  ganze  Generationen  an  ein  und 
derselben  Aufgabe  gearbeitet,  jeder  einzelne 
Künstler  hat,  unter  Verzicht  auf  Heraushebung 
seiner  Individualität,  sein  Teil  zur  Hebung  des 
Gesamtresultats  beigetragen,  ähnlich  wie  es 
heute  in  Fabrik-  und  Konstruktionsbetrieben 
der  Fall  ist,  in  denen  alles  darauf  hinausläuft, 
den  fabrizierten  Gegenstand  (photographischen 
Apparat,  Fernrohr,  Dampfschiff,  Turbine)  stän- 
dig zu  vervollkommnen  und  zu  verbessern. 

Und  mit  dieser  Entwicklung  nach  dem  Ty- 
pischen dürfte  überhaupt  ein  charakteristi- 
sches Merkmal  gerade  der  architektonischen 
Künste  gegeben  sein.  Zwischen  den  soge- 
nannten freien  Künsten,  als  da  sind  Poesie, 
Musik,  Malerei,  Plastik  einerseits,  und  der 
Architektur  anderseits  findet  der  grundlegende 
Unterschied  statt,  daß  diese  freien  Künste  in 
sich  selbst  ihren  Zweck  erfüllen,  die  Archi- 
tektur jedoch  dem  praktischen  Leben  dient. 
Die  freien  Künste  sind  so  gewissermaßen  Aus- 
nahmen des  täglichen  Lebens,  wir  wenden  uns 
zu  ihnen,  wenn  wir  uns  von  dem  Alltagsleben 
losmachen  wollen,  wenn  wir  Befreiung  von 
dem  Täglichen  suchen.  Die  Architektur  da- 
gegen als  die  rhythmische  Fassung  unserer 
täglichen  Lebensbedürfnisse  bildet  den  ruhigen 
Hintergrund,   auf  den   sich   dann  das  Außer- 


FESTHALLE,  EINGANGSSEITE  (vol.  S.  533) 

ordentliche  des  Lebens  erst  aufbauen  mag.  Es 
ist  daher  eine  bekannte  Beobachtung,  daß  sich 
Exzentrizitäten  in  der  Architektur  mehr  rächen, 
als  in  irgend  einer  anderen  Kunst.  Gerade  die 
jeweilig  als  „modern"  ausgegebenen  Werke 
sind  nach  fünf  Jahren  meistens  nicht  mehr 
anzusehen.  Kunstgewerbe-Museen,  die  in  Paris 
1900,  der  Zeit  des  Individualismus,  moderne 
Innenkunst  kauften,  haben  diese  inzwischen 
in  einen  stillen  Winkel  des  Untergeschosses 
gestellt.  Wir  sind  also  auf  dem  Gebiete  des 
Tektonischen  besonders  empfindlich  gegen  alles 
Unnormale,  aus  dem  ruhigen  Bett  der  Ent- 
wicklung Heraustretende.  Es  ist  das  Eigentüm- 
liche der  Architektur,  daß  sie  zum  Typischen 
drängt.  Die  Typisierung  aber  verschmäht 
das  Außerordentliche  und  sucht  das 
Ordentliche.  Das  Kunststück  liegt  darin,  das 
etwa  erstrebenswerte  Aparte  nur  innerhalb  des 
Typischen  zu  suchen.  Jede  Ausschreitung  über 
gewisse  Grenzen  führt  ins  Parvenühafte  und 
Unkultivierte. 

Die  Zurückführung  der  Bewegung 
auf  das  Typische  ist  vor  allem  auch 
nötig,  um  eine  Einheitlichkeit  des  all- 
gemeinenGeschmackes  herbeizuführen. 
Für  das  Publikum  ist  eine  gewisse  Ueberein- 
stimmung    des   Vorhandenen,    eine    sichtbare 


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Gleichmäßigkeit  die  Vorbedingung  dafür,  sich 
ein  Bild  zu  formen  und  sich  an  eine  Aus- 
drucksform zu  gewöhnen.  Individualistische 
Sonderheiten  verwirren,  Konzentrationen  schaf- 
fen Sicherheit  und  Beruhigung." 

Was  hier,  wenn  man  auch  nicht  mit  allem, 
z.  B.  mit  dem  Gedanken  von  der  Vereinheit- 
lichung des  Geschmacks,  völlig  einverstanden 
sein  konnte  und  auch  den  einheitlichen  Stil- 
ausdruck des  deutschen  kunstgewerblichen  und 
architektonischen  Schaffens  bezweifeln  kann, 
doch  recht  maßvoll  und  überzeugend  vorge- 
tragen ist,  dem  lieh  Muthesius  eine  schärfere, 
schneidigere  Fassung  in  seinen  „Leitsätzen", 
von  denen  die  ersten  drei  am  wichtigsten  sind. 
Sie  lauten: 

„1.  Die  Architektur  und  mit  ihr  das  ganze 
Werkbundschaffensgebiet  drängt  nach  Typi- 
sierung und  kann  nur  durch  sie  diejenige 
Bedeutung  wieder  erlangen,  die  ihr  in  Zeiten 
harmonischer  Kultur  eigen  war. 

2.  Nur  in  der  Typisierung,  die  als  das  Er- 
gebnis einer  heilsamen  Konzentration  aufzu- 
fassen ist,  kann  wieder  ein  allgemein  geltender, 
sicherer  Geschmack  Eingang  finden. 

3.  Solange  eine  geschmackvolle  Allgemein- 
höhe nicht  erreicht  ist,  kann  auf  eine  wirk- 
same Ausstrahlung  des  deutschen  Kunstgewer- 
bes auf  das  Ausland  nicht  gerechnet  werden." 

Eine  Gruppe  von  Werkbund- Mitgliedern, 
die  van  de  Velde  als  die  stärkste  künstlerische 
Persönlichkeit  in  ihren  Reihen  zum  Wortführer 
gewann,  nahm  an  dem  Wort  „Typisierung" 
unerhörten  Anstoß.  Sie  faßte  es  in  dem  Sinne 
auf,  als  sollte  ein  „Kanon"  dem  Künstler  ge- 
geben werden,  eine  stilistische  Uniform,  als 
sollte  ein  hemmender  Zwang,  ein  diktatorischer 
Druck  ausgeübt  werden.  Und  man  schrie  nach 
Fessellosigkeit,  nach  Hemmungslosigkeit  und 
berief  sich  auf  die  Freiheit  des  künstleri- 
schen Schaffens  als  eine  Lebensnotwendigkeit 
der  Kunst.  Ganz  recht!  Aber  es  war  Muthe- 
sius gar  nicht  eingefallen,  die  Freiheit  der 
Kunst  beschneiden  zu  wollen.  In  seinem  Vor- 
trag hörte  man  Worte  wie:  „Die  Kunst  ist 
frei  und  muß  frei  bleiben.  Sie  hat  das  Recht, 
Fehltritte  zu  tun,  die  gewissermaßen  nur  ihre 
Freiheit  besiegeln  und  übrigens  sofort  heil- 
same Reaktionen  hervorzurufen  pflegen."  Was 
Muthesius  verlangte,  das  war  eine  Ein- 
schränkung zügellosen  Experimentie- 
ren s  bei  Werken  der  angewandten  Kunst. 
Es  liegt  in  dem  Wörtchen  „angewandt"  ganz 
natürlicherweise  der  Sinn  der  Gebundenheit 
gegenüber  der  Freiheit  der  „freien"  Kunst. 
Wer  ein  Theater  baut,  wer  eine  plastische 
Bewegungsstudie  modelliert,  wer  Reigen  tan- 
zende Negerinnen  malt,  der  kann  beanspruchen, 


mit  dem  Verlangen  nach  Typisierung  seines 
Schaffens  verschont  zu  bleiben.  Aber  wer 
einen  Stuhl  entwirft,  wer  eine  Gaststätte  mö- 
bliert, wer  eine  Automobilkarosserie  aufformt, 
der  ist  zu  einem  gewissen  Typus  verpflichtet,aus 
dem  sich  einmal,  durch  die  Summierung  vieler 
als  gültig  und  gut  anerkannter  Typen,  ein  Stil 
ergeben  mag.  In  den  meisten  Fällen  bestimmt 
diesen  „Typus"  das  Material  und  dessen  natür- 
lichste Formung.  Zum  Beispiel  ist  der  moderne 
Reisekoffer  ganz  gewiß  ein  Typus  —  und  das 
auf  die  allerselbstverständlichste  Weise,  und 
ohne  daß  es  sogar  des  Dazutuns  eines  Künst- 
lers bedurfte.  Wollte  jemand  an  der  Form- 
gebung eines  Reisekoffers  sein  künstlerisch- 
individualistisches Gelüste  auslassen,  so  käme 
zwar  kein  Typus,  aber  sicher  etwas  höchst 
Unpraktisches  und  Komisches  zustande.  Denn 
es  ist  nicht  wahr,  was  jemand  bei  dieser 
Tagung  sagte:  „Der  Künstler  hat  immer  recht." 
Sonst  hätte  wohl  auch  jener  Künstler  recht 
gehabt,  der  allen  Ernstes  dem  Direktor  einer 
großen  Lokomotivenfabrik  im  Rheinland  den 
Vorschlag  machte,  die  Form  einer  Vierzylinder- 
Verbund- Schnellzugslokomotive  dadurch  zu  ver- 
edeln, daß  er  ihr  einen  nach  künstlerischen 
Entwürfen  ausgeführten  —  Aluminiummantel 
umlege. 

Das  Wort  „Typisierung"  führte  also  zu  dem 
Protest,  dem  van  de  Velde  in  folgenden  Ge- 
genleitsätzen (die  ersten  fünf  von  zehn)  Aus- 
druck lieh: 

„1.  So  lange  es  noch  Künstler  im  Werk- 
bunde geben  wird,  und  so  lange  diese  noch 
einen  Einfluß  auf  dessen  Geschicke  haben 
werden,  werden  sie  gegen  jeden  Vorschlag 
eines  Kanons  oder  einer  Typisierung  prote- 
stieren. Der  Künstler  ist  seiner  innersten 
Essenz  nach  glühender  Individualist,  freier  und 
spontaner  Schöpfer;  aus  freien  Stücken  wird 
er  niemals  einer  Disziplin  sich  unterordnen, 
die  ihm  einen  Typ,  einen  Kanon  aufzwingt. 
Instinktiv  mißtraut  er  allem,  was  seine  Hand- 
lungen sterilisieren  könnte,  und  jedem,  der  eine 
Regel  predigt,  die  ihn  verhindern  könnte,  seine 
Gedanken  bis  zu  ihrem  eigenen  freien  Ende 
durchzudenken,  oder  die  ihn  in  eine  allgemein 
gültige  Form  hineintreiben  will,  in  der  er  doch 
nur  eine  Maske  sieht,  die  aus  einer  Unfähig- 
keit eine  Tugend  machen  möchte. 

2.  Gewiß  hat  der  Künstler,  der  eine  „heil- 
same Konzentration"  treibt,  immer  erkannt, 
daß  Strömungen,  die  stärker  sind,  als  sein  ein- 
zelnes Wollen  und  Denken  von  ihm  verlangen, 
daß  er  erkenne,  was  wesentlich  seinem  Zeit- 
geiste entspricht.  Diese  Strömungen  können 
sehr  vielfältige  sein,  er  nimmt  sie  unbewußt 
und  bewußt  als  allgemeine  Einflüsse  auf;  sie 


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ARCH.  WILHELM  KREIS-DOSSELDORF 

haben  materiell  und  moralisch  etwas  für  ihn 
Zwingendes ;  er  ordnet  sich  ihnen  willig  unter 
und  ist  für  die  Idee  eines  neuen  Stiles  an  sich 
begeistert.  Und  seit  20  Jahren  suchen  manche 
unter  uns  die  Formen  und  die  Verzierungen, 
die  restlos  unserer  Epoche  entsprechen. 

3.  Keinem  von  uns  ist  es  jedoch  einge- 
fallen, diese  von  uns  gesuchten  oder  gefunde- 
nen Formen  oder  Verzierungen  anderen  nun- 
mehr als  Typen  aufzwingen  zu  wollen.  Wir 
wissen,  daß  mehrere  Generationen  an  dem  noch 
arbeiten  müssen,  was  wir  angefangen  haben, 
ehe  die  Physiognomie  des  neuen  Stiles  fixiert 
sein  wird,  und  daß  erst  nach  Verlauf  einer 
ganzen  Periode  von  Anstrengungen  die  Rede 
von  Typen  und  Typisierung  sein  kann. 

4.  Wir  wissen  aber  auch,  daß  nur,  so  lange 
dieses  Ziel  nicht  erreicht  ist,  unsere  Anstren- 
gungen noch  den  Reiz  des  schöpferischen 
Schwunges  haben  werden.  Langsam  fangen 
die  Kräfte,  die  Gaben  aller  an,  ineinander 
überzugehen,  die  Gegensätze  werden  neutrali- 
siert, und  in  eben  dem  Augenblicke,  wo  die 
individuellen  Anstrengungen  anfangen  zu  er- 
lahmen, wird  die  Physiognomie  fixiert;  die 
Aera  der  Nachahmung  fängt  an,  und  es  setzt 


TERRASSE  DES  TEEHAUSES 

der  Gebrauch  von  Formen  und  von  Verzie- 
rungen ein,  bei  deren  Herstellung  niemand 
mehr  den  schöpferischen  Impuls  aufbringt:  die 
Zeit  der  Unfruchtbarkeit  ist  dann  eingetreten. 

5.  Das  Verlangen,  einen  Typ  noch  vor  dem 
Werden  eines  Stiles  erstehen  zu  sehen,  ist 
geradezu  dem  Verlangen  gleichzusetzen,  die 
Wirkung  vor  der  Ursache  sehen  zu  wollen. 
Es  heißt,  den  Keim  im  Ei  zerstören.  Sollte 
wirklich  jemand  sich  durch  den  Schein,  damit 
rasche  Resultate  erzielen  zu  können,  blenden 
lassen?  Diese  vorzeitigen  Wirkungen  haben 
um  so  weniger  Aussicht,  eine  wirksame  Aus- 
strahlung des  deutschen  Kunstgewerbes  auf  das 
Ausland  zu  erreichen,  als  eben  dieses  Ausland 
einen  Vorsprung  vor  uns  voraus  hat  in  der 
alten  Tradition  und  der  alten  Kultur  des  Ge- 
schmackes." 

Um  diese  Gegensätze  ging  es  in  der  Aus- 
sprache, die  zwar  zuweilen  ihr  Niveau  verlor 
—  auch  hinsichtlich  der  guten  Gepflogenheiten 
bei  Versammlungen,  denn  man  pfiff  sogar  auf 
Hausschlüsseln  — ,  aber  doch  auch  Richtiges 
und  Wichtiges  zutage  förderte  und  keinen 
Zweifel  darüber  ließ,  daß  im  Werkbund-Turm 
ein  bedenklicher  Riß  klafft. 


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GARTEN  AM  KÖLNER  HAUS 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    12.    September  1914 


537 


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Siebenzehn  Redner  glaubten,  etwas  Wesent- 
liches zu  dem  Problem  beisteuern  zu  können. 
Man  las  sogar  einen  Abschnitt  aus  Schopen- 
hauers „Welt  als  Wille  und  Vorstellung"  vor; 
man  setzte  dabei  mit  kühner  Selbstverständ- 
lichkeit für  „Idee"  —  Individualismus,  für 
„Begriff"  —  Typus  und  donnerte  so  mit  Scho- 
penhauers Autorität  Muthesius  und  seine  Ge- 
treuen in  Grund  und  Boden  .  .  .  Viele  wollten 
vermitteln,  indem  sie  mit  „einerseits"  —  „an- 
dererseits" auszugleichen  und  den  Riß  zu 
verkleistern  suchten.  Sehr  beherzigenswerte 
Worte  sprach  Richard  Riemerschmid,  der 
meinte,  daß  die  Zeit  ein  Tempo  eingeschlagen 
habe,  bei  dem  die  im  Dienste  des  Werkbundes 
stehende  Kunst  nicht  habe  mitkommen  können. 
Und  darum  solle  sich  der  Werkbund  mehr  mit 
organisatorischen  Dingen  befassen  als  mit  Ent- 
scheidungen, wie  man  es  mit  der  Kunst  hal- 
ten wolle.  Künstlerische  Arbeit  werde  nicht 
auf  Ausstellungen  und  Kongressen  geleistet, 
sondern  in  der  Stille,  irgendwo  und  von  irgend- 
wem,  ohne  daß  es  der  Werkbund  und  ohne 
daß  es  eine  Ausstellung  zu  beeinflussen  ver- 
möchte. Auf  Aeußerlichkeiten  komme  es  bei 
künstlerischer  Arbeit  überhaupt  nicht  an  — 
die  subjektive  Wahrhaftigkeit  sei  alles.  Er 
schloß  mit  dem  witzigen  Vergleich:  „Daß  der 
Paradiesvogel  ausstirbt,  ist  gewiß  zu  bedauern, 
und  es  ist  grausam,  brutal,  ja,  es  ist  kein  Wort 
des  Abscheus  scharf  genug  dafür,  daß  er  förm- 
lich ausgerottet  wird.  Sollte  aber  nun  der  Werk- 
bund auf  den  Gedanken  kommen,  eine  Paradies- 
vogel-Brutanstalt einzurichten,  so  müßte  ich 
entschieden  davon  abraten,  denn  es  würde  nichts 
Vernünftiges  dabei  herauskommen." 

Das  rückhaltlose  Gehenlassen  des  Künstlers 
wurde  im  Gegensatz  zu  diesen  Ausführungen 
von  einigen  als  höchste  Blüte  des  individuali- 
stischen, dem  Künstler  eingeborenen  Emp- 
findens gefeiert.  Bruno  Taut,  der  Erbauer 
des  Gläsernen  Hauses  auf  der  Ausstellung 
überspitzte  diese  Lobeshymne  auf  die  künst- 
lerische Fessellosigkeit  ins  Komische.  Er  ver- 
langte allen  Ernstes,  der  Werkbund  solle  einen 
„Diktator"  aufstellen  und  schlug  dazu  —  van 
de  Velde  oder  Pölzig  vor.  Es  sollte  also 
„auf  drei  Jahre",  wie  Taut  meinte,  van  de 
Velde  die  Richtung  des  Deutschen  Werkbun- 
des bestimmen ;  eben  jener  van  de  Velde,  der 
sich  im  nämlichen  Augenblick  in  seinen  „Ge- 
genleitsätzen" mit  aller  Entschiedenheit  gegen 
jede  Typisierung  gewehrt  hatte,  sollte  nun 
seine  eigene  Kunst  zum  Typ  —  soll  ich  sagen: 
erniedrigen  oder  erheben?  —  lassen!  Walther 
RiEZLER  führte  Taut  ad  absurdum  und  pole- 
misierte gegen  die  Auswüchse  des  Individua- 
lismus. Besonders  glücklich  trat  er  Tauts  kon- 


fuser Pyramiden-Theorie  entgegen,  die  in  dem 
Satz  gipfelte:  „Auf  die  Spitze  kommt  es  an!" 
Riezler  aber  bewies,  daß  es  nicht  auf  die 
Spitze,  sondern  auf  die  Basis  ankomme  —  und 
damit  traf  er  zugleich  die  Werkbund-Ausstel- 
lung, denn  wenn  man  statt  Basis  „Niveau" 
sagen  will,  so  ist  auch  der  Ausstellung  das 
Urteil  gesprochen,  bei  der  zwar  einige  „Spitzen" 
glücklich  und  gut  sind,  die  aber  unter  der 
Gesamthöhe,  unter  dem  Niveau  bleibt,  das  man 
unbedingt  von  ihr  erwarten  mußte.  Während 
Riezlers  Ausführungen  schien  es  einen  Augen- 
blick lang,  als  wolle  der  Werkbund  in  die  Brüche 
gehen.  Aber  es  ward  doch  wieder  Friede, 
nicht  zuletzt  durch  Muthesius  selbst  bewirkt, 
der  mit  bewundernswürdiger  Resignation  und, 
obwohl  er  die  Mehrheit  der  Versammlung  auf 
seiner  Seite  wußte,  seine  Leitsätze  zurückzog 
und  nur  seinen  Vortrag,  in  dem  die  Forderung 
der  Typisierung  mit  weniger  Nachdruck  und 
nicht  ohne  Klauseln  aufgestellt  war,  aufrecht 
erhielt.  Von  dem  jedoch  wollte  er  kein  Jota 
preisgeben,  „sonst",  meinte  er,  „müßte  ich 
mich  mit  meinem  Vortrag  zurückziehen"  .  .  . 
In  der  Diskussion  sprachen  ausschließlich 
Künstler,  Kunsthistoriker,  Kunstgewerbeschul- 
direktoren und  Schriftsteller  —  kein  einziger 
Industrieller,  kein  Gewerbetreibender,  kein 
Kaufmann!  Warum  schwieg  der  Leiter  der 
„Deutschen  Werkstätten"?  Warum  meldete 
sich  kein  Fachmann  der  keramischen  oder  der 
Textilindustrie  zu  Worte?  Warum  zog  keiner 
der  großen  Eisen-  und  Maschinen  -  Indu- 
striellen des  Rheinlandes  eine  Parallele  zwi- 
schen den  Ausführungen  von  Muthesius  und 
seinen  eigenen  Erfahrungen?  Warum  hörte 
man  nichts  von  Stadler,  Gericke,  Schmidt, 
Feinhals,  die  doch  dem  Vorstand  des  Deut- 
schen Werkbundes  angehören  und  die  sicher 
mehr  zu  dieser  Sache  hätten  sagen  können  als 
ein  halbes  Dutzend  der  Redner?  Die  Aussprache 
galt  doch  —  oder  sollte  wenigstens  gelten  — 
den  Exportmöglichkeiten  der  Werkbund-Arbeit 
mit  der  Unterfrage,  was  wirtschaftlich  klüger 
und  aussichtsvoller  sei :  Produkte  individuali- 
stischen oder  typischen  Charakters  bereitzu- 
stellen —  also  eine  Frage,  bei  der  die  Inter- 
essen der  Industriellen,  Gewerbetreibenden  und 
Kaufleute  gewiß  heftig  mitschwingen  mußten! 
Und  kein  Wort  darüber  von  denen,  die  nicht 
minder  berufen  sind,  hier  mitzuraten  als  die 
Künstler,  kein  Wort  von  denen,  auf  deren 
Mitgliedschaft  der  „Werkbund"  sich  mit  Recht 
nicht  wenig  zugute  tut !  Waren  sie  verstimmt, 
durch  alle  möglichen,  mit  den  Ausstellungsvorbe- 
reitungen zusammenhängenden  Dinge?  Waren 
sie  flau  und  unfroh  geworden?  Oder  dachten  sie: 
Macht  ihr  Künstler  das  nur  unter  euch  aus  — 


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ARCH.  HANS  ERLWEIN     □     REPRASENTATIONSRAUM  DER  STADT  DRESDEN     D     FRESKEN  VON  OTTO  GUSSMANN 


praktisch  können  euere  Theorien  uns  doch 
nichts  nützen?  Beides  wäre  bedauerlich  und 
bedenklich,  und  einem  ähnlichen  Gedanken 
lieh  auch  Muthesius  in  seinem  Schlußwort  Aus- 
druck. Er  bezeichnete  dieses  Schweigen  als 
eine  der  größten  Merkwürdigkeiten  der  Tagung. 
Was  aber  ist  das  Fazit  der  Aussprache? 
Ist  tatsächlich  immer  aneinander  vorbeigeredet 
worden?  Ist  tatsächlich  nur  der  eine  Eindruck 
geblieben,  daß  im  Werkbund  sehr  heterogene 
Kräfte  vereinigt  sind  und  daß  einmal  eine 
„Secession"  kommen  müsse,  eine  Scheidung  und 
Trennung,  die  nicht  einmal  ein  besonderer 
Schaden  sein  würde?  Ich  glaube,  wir  haben  doch 
noch  eins  mitgenommen  von  diesen  Verhand- 
lungen und  Debatten  und  aus  dieser  Ausstellung 
—  es  ist  der  nicht  gerade  erfreuliche,  aber  wenn 
man  ihn  bis  zu  seinen  äußersten  Konsequen- 
zen durchdenkt,  doch  nicht  hoffnungslose  Ge- 
danke, daß  der  Werkbund  in  seiner  heutigen 
Gestalt,  ebenso  wie  die  Ausstellung,  selbst  so- 
weit sie  das  Werk  des  Bundes,  nicht  die  Ver- 
anstaltung der  Stadt  Köln  ist,  noch  weit  vom 
Ziel  entfernt  sind,  daß  wir  es  noch  nicht  „so 
herrlich  weit"  gebracht  haben,  als  wir  es  gerne 
hinstellen.    Daß  wir  erst  im  Prinzipiellen  Klar- 


heit schaffen,  daß  wir  erst  Organisationsge- 
danken neu  durchdenken  müssen,  und  daß  vor 
allem  der  Werkbund  in  seiner  gegenwärtigen 
Unklarheit  nicht  zu  einer  unbedingten  Führer- 
schaft, gegen  die  kein  Einspruch  möglich  wäre, 
berufen  ist.  Was  hier  festgestellt  werden  mußte, 
heißt  jedoch  nicht,  daß  die  sieben  Jahre  Werk- 
bund-Arbeit vergebens  waren.  Es  bedeutet  aber, 
daß  diese  Arbeit  noch  nicht  genügt,  daß  wir  noch 
an  keinem  Abschluß  sind,  daß  wir  noch  nicht  das 
Wort  „  Werkbund "  als  Wertmarke  benützen  dür- 
fen, daß  wir  uns  noch  sehr  bescheiden,  uns  auf 
unsere  tatsächlichen  Leistungen  besinnen,  sie 
zu  neuen  Ausgangspunkten  machen  müssen. 
Fast  jeder  der  Diskussions- Redner  nahm 
mit  ein  paar  Worten  Stellung  zur  Ausstellung. 
Aber  keiner  bekannte  sich  ohne  Vorbehalt  zu 
ihr.  Die  meisten  ließen  ihr  die  Anerkennung: 
„Es  ist  sehr  viel  gearbeitet  worden.  Die  Aus- 
stellung schließt  einen  ungeheueren  Arbeits- 
komplex ein".  Das  ist  auch  richtig.  Aber  die 
Veranstalter  haben  die  Arbeit  mehr  im  Sinne 
der  Menge  als  der  Güte  aufgefaßt  und  haben 
der  Quantität  den  Vorzug  gegeben.  „2-Kilo- 
meter- Rheinfront!"  Man  bekam  es  markt- 
schreierisch auf  den  Ankündigungen  der  Aus- 


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542 


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g       ARCH.  HANS  ERLWEIN-DRESDEN  REPRASENTATIONSRAUM  DER  STADT  DRESDEN 

^  Wandgemälde  von  Paul  Perks;  schmiedeeiserne  Türe:  Entwurf  A.  Strolirigi;  Ausfülirung  Max  Großmann,  Dresden 


543 


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ARCH.  ADELBERT  NIEMEYER  UND  HERMANN  HAAS  Q  HAUPT-CAFE  DER  WERKBUND-AUSSTELLUNG:  TEILANSICHT 


Stellung  zu  lesen,  und  es  ist  erfüllt,  aber  auch 
verderblich  geworden.  Man  muß  sich  darüber 
klar  sein,  daß  die  Qualitätsarbeit,  die  man  uns 
für  Köln  versprach,  heute  weder  in  Deutsch- 
land noch  bei  einer  anderen  Nation  schon  Ge- 
meingut ist.  Wir  kämpfen  noch  um  sie,  wir 
stecken  noch  mitten  in  der  Werbetätigkeit  für 
sie.  Deshalb  hätte  wohl  auch  eine  sehr  viel 
bessere  und  unter  günstigeren  Sternen  arbei- 
tende Ausstellungsleitung  als  die  Kölner  das 
Wunderbare  nicht  zu  leisten  vermocht,  eine 
2 -Kilometer- Front- Ausstellung  mit  150  Bau- 
objekten nur  mit  Qualitätsarbeiten  anzufüllen. 
Aber  man  hätte  diese  Verhältnisse  erkennen 
und  überblicken  und  darnach  disponieren  müs- 
sen. Die  Ausstellungsleitung  hätte  zur  rechten 
Zeit  mit  dem  Vorschlag  einer  weisen  Mäßigung 
hervortreten  müssen,  und  jedermann  hätte  ihr 
diese  einsichtsvolle  Maßnahme  gedankt.  Wäre 
Carl  Rehorst  in  Leipzig,  im  Juli  1913,  vor  den 
versammelten  Werkbund  getreten  und  hätte  er- 
klärt: „Wir  haben  unsere  Kräfte  überschätzt. 
Wenn  wir  tatsächlich  nur  echte,  höchste  Qua- 
lität zeigen  wollen,  dann  müssen  wir  die  Aus- 
stellung bedeutend  reduzieren". —  so  hätte  diese 
Erklärung  vielleicht  Bestürzung  hervorgerufen, 
aber  diese  mißlungene  Qualitätsschau  verhütet. 
Weniger  wäre  mehr  gewesen  —  das  gilt 
für  Köln.    Eine   unheimliche    Breite   bewirkte 


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endlose  Wiederholungen  und  erweckt  nicht 
den  gewünschten  Eindruck  der  Monumentalität, 
sondern  den  des  unberufenen  Mitläufertums. 
Diese  Breite  hätte  vermieden  werden  können, 
wenn  man  den  ursprünglichen  Gedanken  der 
Aufteilung  des  Materials  in  Materialgruppen 
beibehalten  hätte.  Das  hätte  nicht  nur  der  Jury 
die  Arbeit  erleichtert,  die  ihr,  wenn  sie  es  damit 
nicht  überhaupt  sehr  leicht  und  obenhin  nahm, 
jetzt  nur  sehr  mangelhaft  gelang,  und  hätte 
dem  ernsthaften  Besucher  die  beziehungsreich- 
sten Parallelen  an  die  Hand  gegeben.  Aber 
dieses  Prinzip  des  Nebeneinander  mit  seinen 
kritischen  Möglichkeiten  wurde  durch  die  Auf- 
lösung in  zahlreiche  Lokalgruppen  in  ein  mehr 
repräsentativ  -  dekoratives  Nacheinander  ver- 
wandelt. Ursprünglich  war  als  landsmann- 
schaftliche Sondergruppe  nur  das  Oester- 
reichische  Haus  vorgesehen.  Und  das  mit  gutem 
Recht.  Denn  wir  wissen  und  sehen  es  in  Köln 
aufs  neue,  daß  die  österreichische  Bewegung  ^ 
in  der  angewandten  Kunst  eine  durch  Tradition  ^ 
und  Nationalität  durchaus  begründete  Sonder-  § 
bewegung  ist,  die  mit  der  Deutschen  Werk-  r. 
bund  -  Bewegung  nur  die  Sympathie  mit  den 
allgemeinen  Gedanken,  wie  Qualität,  Durch- 
geistigung  und  Organisation,  verknüpft.  Zu- 
dem ist  ja  der  Oesterreichische  Werkbund  eine 
Gruppe    für   sich   mit   eigener  Gesetzgebung. 


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Dekorative  Kunst.     XVII.    12.    September  1914 


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KARL  ALBIKER-ETTLINGEN 


STEINZEUG-GRUPPEN 


Ausführung:  Villeroy  &  Boch,  Mettlach 


I  Was  also  für  die  Oesterreicher  galt  und  zu  Recht 

9  bestand:  das  Ausstellen  in  einem  eigenen  Haus, 

9  das  war  mit  wenig  Recht   auf  die   einzelnen 

9  Werkbund-Zentren   in  Deutschland  auszudeh- 

9  nen.    Will   man  nicht  annehmen,   daß  es  bei 


die  in  diesen  Städten  ihren  Wirkungskreis 
haben.  Aber  ich  meine,  daß  in  den  aller- 
seltensten  Fällen  ein  so  inniger  Kontakt  zwischen 
den  Künstlern  und  ihren  Wirkungsstätten  be- 
steht, daß  sie  eben  nur  im  Rahmen  eines  be- 


ii    diesen  lokalen  Gruppierungen,   die  heute  ein      sonderen  Stadtraums  auszustellen  vermöchten 


^  so  verzetteltes  Bild  der  Werkbund-Arbeit  auf 
der  Ausstellung  ergeben,  nur  darauf  ankam,  die 
Bundesstaats- Regierungen  und  Verwaltungen 
der  großen  Kommunen  für  einen  möglichst  aus- 
giebigen materiellen  Zuschuß  zu  gewinnen,  so 
bleibt  nur  die  Erklärung  einer  kleinlichen  Son- 
3  derbündelei.  Wozu  mußte  Sachsen,  das  nicht 
I  einmal  viel  Neues  zu  zeigen  hat,  sein  eigenes 
:<  „Sächsisches  Haus"  haben?  Hätte  sich  Bremen- 
"  Oldenburg,  so  liebenswürdig  seine  Leistungen 
auch  sein  mögen,  nicht  in  das  Ensemble  der 
ä  Haupthalle  einfügen  können?  Und  mußten 
Städte  wie  Bielefeld,  Hildesheim,  Hannover, 
Hamburg,  Breslau,  Hagen,  Frankfurt  unbe- 
dingt ihre  eigenen  Räume  haben?  Ich  sage 
j     damit  nichts  gegen  die  Leistungen  der  Künstler, 


Das  wird  schon  durch  die  Tatsache  bewiesen, 
daß  man  oft  vom  gleichen  Künstler  Arbeiten 
bei  zwei  und  mehr  lokalen  Gruppen  antrifft. 
Die  Ueberspannung  des  Ziels  kommt  auch 
in  dem  bunten  Vielerlei  der  Ausstellungsob- 
jekte und  damit  in  einer  gewissen  Verworren- 
heit des  Ausstellungsgrundrisses  zum  Aus- 
druck. Vom  Haupteingang  bis  zum  Verwal- 
tungsgebäude ist  ein  stattlicher  Geländeteil  mit 
Nebensächlichkeiten  verzettelt  worden.  Die 
Achsen  fehlen  dem  Grundriß  durchaus.  Die 
Lage  der  Haupthalle  zum  Haupteingang  ist 
höchst  unpraktisch.  Bis  man  sie  glücklich 
erreicht,  muß  man  l'A  Kilometer  „Rheinfront" 
und  die  mißratene  Ladenstraße  passieren, 
in  der   man   mustergültige   Schaufensterdeko- 


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546 


KARL  ALBIKERETTLINGEN 


BRUNNEN-FIGUR 


Ausführung  in  Steinzeug:  Vllleroy  &  Boch,  Mettlach 


rationen  zeigen  wollte,  aber  sich  häufig  mit 
so  billigen  Arrangements  von  Suppen- Würfel- 
Attrapen  u.  a.  zufrieden  gab,  daß  sich  ein  Laden- 
besitzer an  der  Hohen  Straße  ihrer  schämen 
würde.  Auch  die  Lage  der  verschiedenen 
Restaurants  zu  einander  ist  nicht  günstig. 
Und  die  Auseinanderzerrung  der  Verkehrs- 
halle und  der  Fabrik  scheint  mir  keinesfalls 
sehr  sinngemäß.  Gut  ist  das  Niederrheinische 
Dorf  im  Ausstellungsganzen  und  in  der  Lage 
der  einzelnen  Bauten  zu  einander  angeordnet. 
Es  lobt  seinen  Meister,  den  Essener  Georg 
Metzendorf,  der  in  diese  für  eine  inner- 
deutsche Ansiedelungspolitik  geschmackvoll 
propagierende,  halb  dörfliche,  halb  arbeiter- 
koloniehafte  Anlage  alle  seine  reichen  Er- 
fahrungen, die  er  im  Dienste  Kruppscher 
Arbeiter-Ansiedelungspolitik  sammelte,  glück- 
lich hineinbaute  .  .  . 

Der  etwas  lehrhafte  Zug,  der  sich  im  Deut- 
schen Werkbund  bemerkbar  macht,  kommt  in 
einigen  Veranstaltungen  der  Ausstellung  dra- 
stisch zum  Ausdruck.    Die  .Farbenschau"  ist 


dafür  besonders  charakteristisch.  Der  Vater 
dieses  Gedankens  ist  Professor  Deneken.  Es 
galt,  sagt  er,  die  Farbe,  wie  sie  in  der  Natur 
erscheint,  wie  sie  in  der  Technik  verarbeitet 
wird,  und  wie  sie  in  Kunst  und  Leben  zur 
Geltung  kommt,  in  einer  vielgliedrigen  Vor- 
führung zur  Anschauung  zu  bringen.  Man 
findet  also  Blumen,  Mineralien  und  farben- 
frohe Erscheinungen  des  Tierreichs.  Und  man 
sieht  daneben,  was  die  deutsche  chemische 
Industrie  den  Naturfarben  an  Produkten  gegen- 
überzustellen hat,  wie  die  Textilindustrie  natür- 
liche Farben-Ensembles,  die  der  angeschlif- 
fene Achat,  der  Schmetterlingsflügel,  das  Ge- 
fieder des  Tukan  u.  a.  darbieten,  zu  interessanten 
Seidengeweben  verwendet,  wie  die  Schmuck- 
stein-Industrie die  Naturfarbe  des  edlen  und 
halbedlen  Steins  dem  Schmuck  der  Frau  dienst- 
bar macht.  Das  ist  sehr  interessant  und  er- 
götzlich, und  es  gibt  keinen  Widerspruch  da- 
gegen. Der  kann  indessen  nicht  ausbleiben, 
wenn  uns  das  „Deutsche  Museum  für  Kunst 
in  Handel  und  Gewerbe"  in  Hagen  in  seiner 


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547 


„Ausstellung  auserlesener  Einzelstücke    alter     lieh  der  Werkkunst  widmen,  sondern  daneben 


und  neuer  Zeit"  etwas  zu  gewaltsam  vor- 
schreiben will,  wie  wir  es  mit  Schön  und 
Häßlich,  mit  Gut  und  Schlecht  in  kunstgewerb- 
lichen Dingen  zu  halten  haben.  Gewiß  sind 
in  dieser  Kollektion  vorzügliche  Dinge,  und 
wenn  man  einmal  eingesehen  hat,  daß  es  bei 
Ausstellungen  ohne  Bluffs  nicht  abgehen  kann, 
so  wird  man  sich  sogar  mit  der  snobistischen 
Nebeneinanderstellung  des  Heribertschreins 
und  des  von  Olbrich  entworfenen  „berühmten" 
Schreibtisches  fürGeheimratLewald  befreunden 
können.  Aber  es  ist  kaum  möglich,  all  das,  was 
uns  Herr  Osthaus  in  dem  von  Lauweriks  be- 
denklichchinesisch arrangierten  Raum  als  „aus- 
erlesene Einzelstücke"  anpreist  und  einreden 
will,  auch  dafür  zu  nehmen.  Man  hätte  diesen 
Raum  nicht  zulassen  sollen.  Wir  sehen  es  ja, 
daß  der  Werkbund  selbst  über  Gut  und  Schlecht 
noch  nicht  im  klaren  ist;  die  „Tagung"  ist  uns 
dessen  der  deutlichste  Beweis.  Und  darum 
ist  auch  die  Zeit  der  offiziellen  Wertabstem- 
pelung  noch  nicht  gekommen.  Der  Heribert- 
schrein ist  gut  —  das  dürfen  wir  sagen,  ohne 
uns  zu  überheben,  denn  zu  diesen  Werken 
alter  Kunst  besitzen  wir  die  Distanz,  die  uns 
ein  Urteil  erlaubt.  Aber  es  wird  sich  erst 
erweisen  müssen,  ob  in  Jahrzehnten  das  Ur- 
teil über  die  Arbeiten  von  Schmidt-Rottluff, 
Lauweriks,  Milly  Steger  und  Thorn-Prikker 
nicht  gerechtfertigte  Modifikationen  erfährt. 
Aehnlich  verhält  es  sich  mit  der  von  der 
Ausstellung  beschlossenen  Einsetzung  der 
„Zwölf  Apostel"  der  angewandten  Kunst. 
Man  dachte  daran,  der  zeitgenössischen  Produk- 
tion der  Werkkunst  das  gegenüberzustellen,  was 
vor  etwa  zwanzig  oder  fünfzehn  Jahren,  als 
die  Bewegung  in  Fluß  kam,  an  interessanten 
und  besonders  bezeichnenden  Werken  geschaf- 
fen wurde.  Der  Gedanke  war  gut,  aber  die 
Form,  in  der  man  ihn  verwirklichte,  ist  es  nicht. 
Man  wurde  dabei  zu  persönlich.  Man  bestimmte 
kurzerhand  zwölf  Künstler,  dekretierte  sie  als 
„Apostel"  und  lud  sie  ein,  in  der  „Sonder- 
ausstellung einzelner  Werkbundkünstier"  nach 
ihrem  Geschmack  in  einer,  jedem  einzelnen 
zur  Verfügung  gestellten  Koje  eine  retrospek- 
tive Ausstellung  ihrer  Arbeiten  zu  veranstalten. 
Nun  bat  man  freilich  auch  echte  Führer  und 
wirkliche  Rufer  im  Streit;  man  gewann  van 
de  Velde,  Riemerschmid,  Obrist,  Paul,  Behrens, 
Joseph  Hoffmann  und  gedachte  auch  der  Toten, 
indem  man  für  Joseph  M.  Olbrich  und  Otto 
Eckmann  Sonderausstellungen  bereit  stellte. 
Aber  man  lud  auch  Künstler  ein,  die  nicht 
von  Anbeginn  bei  der  Bewegung  standen, 
sondern  erst  sozusagen  die  zweite  Generation 
bilden,  und  solche,  die  sich  nicht  ausschließ- 


flott den  freien  Künsten  dienen,  und  man  ver- 
gaß auch  manchen,  der  in  diesem  Kreis  ei- 
gentlich nicht  hätte  fehlen  sollen.  Einige 
mochten  auch  selbst  nicht  kommen,  z.  B.  Kolo 
Moser,  für  den  man  dann  in  zwölfter  Stunde 
einen  etwas  unvollkommenen  Ersatz  in  Martin 
Dülfer  fand,  der  ausschließlich  Architekt  ist 
und  in  seinem  Raum  nur  Architekturzeich- 
nungen und  Photographien  der  von  ihm  ausge- 
führten Bauten  zeigt.  Uebrigens  machten  es  sich 
auch  die  anderen  „Apostel"  leicht.  Die  meisten 
behalfen  sich  mit  Photographien,  und  fast  alle 
zogen  es  vor,  nicht  bis  in  ihre  Anfänge  zurück- 
zugreifen, sondern  sich  auf  ihre  Produktion 
in  den  letzten  fünf  Jahren  zu  beschränken, 
gleichsam  als  möchten  sie  sich  zu  ihren  Früh- 
werken nicht  mehr  bekennen.  So  kam  denn 
auch  bei  dieser,  mit  so  viel  Spannung  erwar- 
teten Abteilung  nicht  viel  heraus. 

Ein  quantitativ  sehr  breiter  Raum,  14C0  qm 
der  Haupthalle,  wie  der  Katalog  sagt,  sind  den 
Schulen,  oder  wie  man  sich  interessanter  aus- 
drückte: den  „künstlerischen  Erziehungsmetho- 
den", eingeräumt  worden:  sie  sollen  den  Blick 
vorwärts,  in  die  Werkbund-Zukunft  lenken, 
wie  ihn  jene  Sonderausstellung  der  „Apostel", 
wenn  sie  nach  Wunsch  ausgefallen  wäre,  zurück- 
gewendet hätte.  Zweiundzwanzig  Kunstge- 
werbeschulen und  verwandte  Anstalten  sind  in 
dieser  Gruppe  vertreten,  und  es  kommen  noch 
etliche  im  „Haus der  Frau"  und  bei  denOester- 
reichern  die  Wiener  Kunstgewerbeschule  hinzu. 
Man  hat  uns  dabei  nach  echter  Ausstellungs- 
art natürlich  nur  eine  Schau  geboten,  eine 
Parade,  eine  Auslese.  Einblick  in  die  Er- 
ziehungsmethoden selbst  gewinnt  man  nicht: 
dieses  Moment  herauszuarbeiten,  fiel  nieman- 
dem ein.  So  kommt  auch  nirgends  der  Zug 
der  Gemeinsamkeit,  der  Einheitlichkeit  zum 
Vorschein,  nirgends  ist  ein  gemeinsamer  Nenner 
aufzutreiben  für  die  unzähligen  Zähler.  Gewiß, 
die  von  Paul  geleitete  Berliner  Kunstgewerbe- 
schule breitet  nicht  minder  als  die  von  R. 
Meyer  dirigierte  Hamburger  ein  vorzügliches 
Material  aus  —  aber  wo  ist  das  System,  wo 
die  „allgemeine  gültige  Methode",  wo  kann 
ich  mich  über  den  besten  Lehrgang  unter- 
richten? Der  Katalog  sagt  sehr  weise:  „Einen 
Normallehrgang  für  die  Erziehung  zur  künst- 
lerischen Produktion  gibt  es  nicht."  Sondern, 
meint  der  Katalog,  das  vorbildliche  Schaffen 
des  Lehrers  müsse  überall  den  Schüler  an- 
regen. Ganz  recht,  aber  man  weiß,  was  aus 
dieser  Anregung  durch  „das  vorbildliche  Schaf- 
fen des  Lehrers"  entspringt:  Imitatorenfum. 
Der  „Geist"  endet,  und  die  „Dressur"  trium- 
phiert. 


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Auf  dem  Gebiet  der  Raumkunst  ist  in 
der  Kölner  Ausstellung  eine  außerordentliche 
Mannigfaltigkeit  der  Erscheinungen  festzu- 
stellen, aber  diese  Mannigfaltigkeit  ist  in  vielen 
Fällen  gleichbedeutend  mit  unerhörten  Wert- 
schwankungen im  Künstlerischen.  An  Solidität 
der  technischen  Arbeit  lassen  die  Leistungen  der 
großen  Werkstätten  und  Betriebe,  die  hier  als 
Aussteller  erscheinen  (Deutsche  Werkstätten- 
München,  Vereinigte  Werkstätten  ■  Bremen, 
Bernard  Stadler- Paderborn,  Valentin  Witt-Mün- 
chen, A.  Eick  Söhne-Essen,  Hermann  Gerson- 
Berlin  u.  a.),  nichts  zu  wünschen. 

Ueberraschend  gute  Raumlösungen  gelangen 
zum  Teil  in  den  Gaststätten.  Die  Cafe  Stube, 
die  Runge  und  Scotland  im  Bremen-Olden- 
burger Haus  für  die  Kaffee-Handels-Aktien- 
gesellschaft („Kaffee  Hag")  geschaffen  haben, 
gehört  zu  den  schönsten  Räumen,  die  man 
auf  der  ganzen  Ausstellung  antrifft.  Niemeyer- 
Haas  haben  dem  Hauptraum  ihres  Cafehauses 
durch  die  pikante  farbige  Wirkung  der  Kache- 
lung  einen  aparten  Reiz  gesichert.  Kreis  konnte 
bei  seinem  Teehaus  mit  dem  wertvollsten 
Material  und  seinen  sicheren  Wirkungen  rech- 
nen, und  Paul  hatte  sich  bei  seinen  Interieurs 
im  Weinrestaurant  der  wertvollen  Mitarbeit 
Emil  Orliks  zu  erfreuen :  im  übrigen  hat  ge- 
rade Paul  den  ephemeren  Charakter  dieser 
Interieurs  nicht  verwischt,  sondern  bewußt 
betont  und  ihn  zum  Ausgangspunkt  neuer, 
ungewöhnlicher  Reize  zu  machen  verstanden. 


Zweifellos  ist  die  Industrie  auf  der  Aus- 
stellung gut  vertreten,  und  ihr  Eindruck  würde 
noch  stärker  sein,  wenn  man  die  Gropius- 
Fabrik  mit  dem  hochanstrebenden  Pavillon 
der  Deutzer  Gasmotorenfabrik,  den  Muthesius- 
Bau  für  die  „Hapag"  und  die  Verkehrshalle 
von  Eberhardt  räumlich  zu  einem  geschlos- 
senen Ganzen  vereinigt  hätte.  Aber  es  scheint, 
auch  wenn  man  die  vielen  schönen  Einzel- 
heiten, die  uns  in  diesen  Bauten  dargeboten 
werden,  im  Geiste  aneinanderreiht,  doch  so, 
als  hätten  sich  hinsichtlich  der  Beteiligung 
oder  der  Qualitäts-Leistungsfähigkeit  der  In- 
dustrie im  Sinne  des  Werkbunds  nicht  alle 
Hoffnungen  erfüllt.  Fritz  Cörper  meint  in 
seinem  „Führer",  in  Köln  treffe  der  Deutsche 
Werkbund  mitten  ins  Herz  einer  ganz  neuen 
Welt,  die  jenseits  vom  guten  und  schlechten 
Geschmack  stehe  und  gleichwohl  in  ihrer  Ge- 
samttendenz mit  dem  Wollen  des  Deutschen 
Werkbunds  aufs  engste  verbunden  sei:  auf 
die  große  Industrie  und  die  große  Technik. 
—  Und  darum  könne  der  Werkbund  hier  nicht 
nur    viel    bringen,   sondern    noch   viel    mehr 


holen,  und  wenn  er  dieses  ungeheuer  große 
Gebiet  der  rheinisch-westfälischen  Industrie  für 
sich  gewonnen  habe,  dann  erst  könne  man  mit 
vollem  Rechte  sagen,  daß  die  Versöhnung  von 
Kunst  und  Technik  in  Deutschland  gelungen  sei. 
Einem  ähnlichen  Gedanken  hatte  bei  der  Leip- 
ziger Tagung  des  Deutschen  Werkbunds  Ge- 
heimer Oberregierungsrat  Albert  Ausdruck  ge- 
geben :  er  sah  ganz  vom  Kunstgewerbe  ab  und 
meinte,  die  Kölner  Ausstellung  werde  von 
einem  Erfolg  reden  können,  wenn  es  ihrgelingen 
werde,  zu  veranschaulichen,  wie  Schiffsbauten, 
Automobile,  eine  große  Reihe  deutscher  In- 
dustrien dazu  übergangen  seien,  ihre  gewerb- 
lichen Erzeugnisse  unter  den  Gesichtspunkt 
der  Form  zu  stellen  .  .  .  Zweifellos  ist  das 
geschehen.  Maffei  in  München  und  neuer- 
dings auch  die  Humboldt -Werke  in  Köln- Kalk 
bauen  Lokomotiven,  die  ebenso  gute  und  echte 
Werkbundarbeit  sind  wie  irgend  eine  archi- 
tektonische Raumschöpfung.  Neumann  entwirft 
Automobile,  bei  denen  sich  die  Tätigkeit  des 
Künstlers  diskret  unterordnet,  aber  in  jedem 
Detail  der  Technik,  die  ja  schon  im  Heran- 
ziehen eines  Künstlers  ihren  Willen  zur  Form 
ausdrückt,  gewaltig  mitschwingt.  Die  Schlaf- 
und  Speisewagen  von  Endeil  und  Gropius  sind 
Zeugnisse,  wie  sehr  die  Industrie  auf  die  gute 
Form  bedacht  ist.  Und  es  gelingt  ihr,  und 
nicht  zum  schlechtesten,  auch  ohne  Künstler. 
Eine  Leistung  wie  die  10000  Tonnen-Schmiede- 
presse, die  leider  nur  in  einem  allzu  sehr  auf 
Täuschung  berechneten  Modell  gezeigt  wird, 
eine  Schöpfung  der  Kalker  Firma  Breuer  &  Schu- 
macher, beweist  das.  Und  so  gibt  es  noch 
viel,  und  nicht  nur  eine  Reihe  von  Objekten 
der  Ausstellung  zeugt  dafür,  sondern  dieser 
Eindruck  drängt  sich  auch  auf,  wenn  man  die 
Abbildungen  des  Werkbund-Jahrbuchs  für  1914, 
das  dem  „Verkehr"  gewidmet  ist,  durchblättert. 
Doch  übersehen  wir  nicht,  daß  dies  alles 
nur  Einzelleistungen  sind,  und  daß  es  bisher 
auch  nur  Einzelfirmen  sind,  die  sich  für  die 
Bestrebungen  einsetzen  oder  interessieren,  die 
im  Deutschen  Werkbund  ihr  Zentrum  haben. 
Auch  hier  gilt  es  also  noch  zu  werben  und 
zu  überzeugen,  zu  gewinnen  und  festzuhalten. 
Auch  hier  ist  erst  ein  Anfang  gemacht,  wenn 
auch  ein  vielversprechender.  Aber  bis  es  so- 
weit ist,  daß  „der  Werkbund  die  rheinisch-  west- 
fälische Industrie  für  sich  gewonnen"  hat,  wird 
noch  viel  Wasser  den  Rhein  hinunterfließen 
ins  Meer.  Und  diese  Zeit  werden  wir  nützen 
müssen  und  arbeiten,  arbeiten  mit  dem  Be- 
wußtsein, daß  wir  noch  weit  vom  Ziel  sind. 
Dessen  soll  die  Werkbund- Arbeit  bis  zu  diesem 
Tag  und  die  Werkbund-Ausstellung  in  Köln 
Lehre  und  Ansporn  sein. 


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BRUNO  PAUL-BERLIN   □    NISCHE  IM  WEINRESTAURANT 
Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 

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BRUNO  PAUL-BERLIN  D  AUS  DEN  NEBENSÄLEN  DES  WEINRESTAURANTS 

Deutsche  VTerkbundAusstellung  Köln  1914 


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ARCH.  ALFRED  FISCHER-ESSEN  B  DAS  ESSENER  HAUS:  ZWEIFAMILIEN-WOHNHAUS 
Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 


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AUS  DEM  NIEDERRHEINISCHEN  DORF 
Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 


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LUDWIG  VON  HOFMANN-WEIMAR  D  WANDGEMÄLDE  IM  WANDELGANG  DES  WERKBUND-THEATERS 


DAS  WERKBUND -THEATER  HENRY  VAN  DE  VELDES 


Das  Theater  Henry  van  de  Veldes  leidet  recht 
erheblich  an  dem  Hauptgebrechen  der 
Werkbund- Ausstellungüberhaupt:  an  der  durch- 
aus verfehlten  Situationsgebung.  Das  annähernde 
Platzviereck  vor  dem  Bauwerk  ist  kein  Platz, 
weder  im  gebundenen  architektonischen  Sinne, 
noch  in  dem  lebhafter  malerischer  Bewegung, 
noch  endlich  in  der  aufgeschlossenen  Art  land- 
schaftlich bestimmter  Freiräume.  Von  jeder 
dieser  Typen  entlehnt  er  Elemente,  aber  er 
verbindet  sie  zu  einer  verworrenen  Mischung, 
die  keinen  starken  und  eindeutigen  Eindruck 
aufkommen  läßt,  das  Auge  irritiert  statt  zu 
fesseln  und  zuletzt  eine  unbefriedigte  Stimmung 
ratloser  Unruhe  herbeiführt.  Und  doch  schie- 
nen Struktur  und  Liniensprache  dieses  Theater- 
baues ein  in  sich  geschlossenes,  nah  umgrenz- 
tes Platzgebilde  ganz  deutlich  zu  verlangen, 
in  dem  die  aufs  Intime  gerichtete  äußere  Bau- 
form erst  zu  reicher  und  voller  Geltung  ge- 
kommen wäre.  So  aber  bietet  sich  in  den  bei- 
den Raumlöchern  zu  beiden  Seiten  der  Auf- 
fahrt das  Gerippe  der  Bauteile  dermaßen  nackt, 
ungemildert  und  unvermittelt  dar,  daß  jene  un- 
erquickliche, in  jedes  Detail  gehende  Anschau- 
lichkeit zustande  kommt,  die  dem  von  keiner 
umgebenden  Raumgestaltung  bestimmten  und 
bereicherten  Baumodell  auf  dem  Präsentierbrett 
gefährlich  nahe  gerät.  So  schädigt  der  Mangel 
einer  künstlerischen  Platzanlage  recht  eingrei- 


fend die  Wirkung  des  Theaters,  das  als  Monu- 
mentalbau ohne  jene  nicht  denkbar  ist. 

Dazu  kommt  noch  ein  an  Zweck  und  Form 
widerstrebendes,  durch  keinerlei  künstlerische 
Erwägung  der  Verhältnisse  zusammengehal- 
tenes und  in  keine  Einheit  gebrachtes  Kon- 
glomerat des  umgebenden  Baubildes.  Man 
muß  staunen,  daß  dieses  trübe,  gewalt- 
same Gemisch  im  dritten  Jahrzehnt  einer 
hochgehenden  stadtbaulichen  Bewegung,  deren 
mitführender  Meister  hier  ein  erstes  Wort  zu 
sagen  hatte,  möglich  war,  daß  es  sich  gerade 
im  Rahmen  einer  Unternehmung  des  Werk- 
bundes darstellen  durfte  und  daß  es  van  de  Vel- 
des Haus  nicht  ganz  vernichtet  hat.  Die  Opfer, 
die  eine  solche  Anordnung  gefordert  hat,  sind 
nur  allzu  deutlich.  Zunächst  hat  sie  die  räum- 
liche Wirkung  der  schönen  Brunnenfigur  des 
Vorplatzes  völlig  zerstört.  Aber  auch  den 
Theaterbau  läßt  sie  durchaus  entwurzelt  erschei- 
nen, geradezu  deplaciert,  und  man  wird  deshalb 
im  weiteren  stadtbildlichen  Sinne,  ohne  den 
ein  solches  Bauwerk  nicht  voll  bemessen  wer- 
den kann,  ein  letztes  Urteil  von  vorneherein 
ablehnen  müssen. 

Nirgends  tritt  der  Unterschied  der  Kölner  und 
Leipziger  Ausstellung  so  hart  und  anschaulich 
hervor  wie  gerade  hierin.  Es  läßt  sich  nicht 
verschweigen :  was  der  Darbietung  des  Bau- 
faches   im    Vorjahre    als    selbstverständliche. 


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LUDWIG  VON  HOFMANN-WEIMAR  □  WANDGEMÄLDE  IM  WANDELGANG  DES  WERKBUND-THEATERS 


zeitgemäße  Pflicht  erschien,  mit  der  Kunst  des 
gebundenen  Einzelraumes  die  des  äußeren  Frei- 
raumes zu  verbinden,  das  hat  der  Werkbund 
leichthin  übergangen  und  damit  eine  Gelegen- 
heit vernachlässigt,  die  gerade  er  hätte  wahr- 
nehmen müssen.  Nur  durch  die  Vermeidung 
einer  gleichgültigen  äußeren  Raumgestaltung, 
zu  der  noch  übermäßig  viel  minderwertige 
Architektur  hinzutrat,  hätte  der  übermüdenden 
und  zuletzt  kleinlich  wirkenden  Massenhaftig- 
keit  der  Innenräume  und  gewerblichen  Schau- 
bietungen  ein  künstlerisches  Gegengewicht, 
Rhythmus  und  Zäsur  gegeben  werden  können. 
Immerhin  bietet  wenigstens  die  allernächste 
Umgebung  des  Theaters  einige  fragmentarische 
Ansätze  raumkünstlerischer  Anlage,  die  auf 
das  zielgebende  Bauwerk  Rücksicht  nehmen 
und  versöhnlicher  stimmen.  Wir  beziehen  hier 
die  Brunnenanlage  des  ersten  Planes  mit  ein, 
wiewohl  die  Mädchenfigur  recht  auffälliger- 
weise nicht  frontal,  sondern  quer  zur  Theater- 
achse gestellt  ist.  Ueber  dieser  ins  Breite 
führenden  Grundfläche  erhebt  sich  als  zweite 
Stufe  der  alte  Rheindamm.  Mit  energischem 
Griff  faßt  die  gedrungene  Rampe  der  Auffahrt 
den  ausströmenden  Freiraum  und  zwingt  ihn 
in  das  Bett  der  näheren  Umgebung  des  Schau- 
spielhauses. Damit  ist  schon  ein  architekto- 
nisches Raumprinzip  entschlossen  aufgenom- 
men, und  die  Gartenanlagen  zu  beiden  Seiten 
und  hinter  dem  Theater  führen  es  herzhaft 
und  glücklich  weiter.  Hier  stehen  die  beiden 
architektonischen  Ornamente  Obrists  an  rech- 
ter Stelle.     Sie  bereichern  die  Bewegung  des 


Bauwerks,  ohne  seine  Strenge  zu  mildern. 
Sie  haben  den  Rhythmus  der  Flamme,  Kraft 
und  Erregung  der  Phantasie,  aber  gebunden 
vom  Gesetz  des  Organischen,  —  ein  leiden- 
schaftlicher Auftakt  des  baumeisterlichen  Gei- 
stes, aber  ihm  im  Wesen  durchaus  verwandt. 
Bauform  des  Theaters  ergab 
aus  den  besonderen  Voraus- 
Terrains,  die  Dammhöhe  als 
Plattform   als    erstes    Niveau 


Die   äußere 
sich    zunächst 
Setzungen   des 
Auffahrt,   seine 


des  niedersteigenden  Rauminnem  zu  gebrau- 
chen. Vorbildlich  und  von  prinzipiellem  Be- 
lang ist,  daß  der  Künstler  die  gegebene  Be- 
schaffenheit des  Baubodens  nahm,  wie  sie 
war,  und  sie  nicht  gewaltsam  rasierte.  Ein 
ganz  gleicher  Fall  wird  sich  ja  nicht  häufig 
ergeben.  Aber  mustergültig  und  nutzbar  bleibt 
der  Sinn  des  Vorganges,  dessen  glückliches 
Ergebnis  wieder  einmal  beweist,  zu  welcher 
frischen  Fülle  schöpferischer  Gedanken  das 
natürliche  Terrain  führt,  und  wie  sehr  diese 
seit  geraumer  Zeit  wieder  erschlossene  Quelle 
geeignet  ist,  der  Monotonie  in  der  Architektur 
schon  in  der  Wurzel  zu  steuern. 

Aus  dem  Grundriß  spricht  ein  strenger  Geo- 
metrismus.  An  das  Rechteck  des  Kernbaues 
schließt  der  Halbkreis  der  Bühne,  beide  über- 
ragen den  Gürtel  der  begleitenden  Nebenglie- 
der, der  die  Hauptformen  wiederholt  und  be- 
tont. Selbst  die  Terrasse  vor  dem  Portal  zeigt 
eine  symmetrische  Kurve.  Man  wird  diesen 
durchgängigen  Zug  van  de  Veld  escher  Linien- 
führung in  den  Dachprofilen  wiederfinden,  sie 
erleichtert  den  Weg  in  die  altbekannte  Art  des 


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ARCH.  HENRY  VAN  DE  VELDE-WEIMAR 

Künstlers,  der  ihre  Grundsätze  auch  in  neuen 
Aufgaben  nicht  verleugnet.  Mit  dieser  material- 
gebundenen Formgebung  vereint  sich  das  ar- 
chitektonische Prinzip,  die  Gliederung  der  In- 
nenräume in  der  des  äußeren  kubischen  Bildes 
anschaulich  vors  Auge  zu  führen.  Vorne  heben 
sich  der  Wind  fang,  das  Foyer  mit  den  beiden 
stumpf  gebogenen  Barausläufen,  an  den  beiden 
Flanken  die  Garderoben  und  Seitenfoyers,  aus 
denen  flache  Terrassen  in  den  Garten  führen, 
mit  voller  Klarheit  vom  Mittelkerne  des  Zu- 
schauerraumes ab,  zu  dem  sie  stufenförmig 
ansteigen.  In  gleicher  Weise  stoßen  die  kräf- 
tiger ausladenden  Magazine  an  das  hochge- 
führte Bühnenhalbrund,  das  von  dem  niedri- 
geren Bogen  der  Ankleideräume  wieder  zellen- 
artig begleitet  und  hervorgehoben  wird.  Diese 
Rhythmik  der  stufigen  Parallelbildungen  wirkt 
aber  eher  unruhig  als  geordnet,  die  vielen, 
hart  aufeinander  stoßenden  Ecken  und  die  zahl- 
reichen Ueberschneidungen  verstärken  den  Ein- 
druck des  Verworrenen,  der  bei  der  einfachen 
Klarheit  der  Grundlage  nur  in  den  Verhält- 
nissen der  Glieder  zum  Ganzen  gelegen  sein 
kann.  Es  ist  kaum  fraglich,  daß  auf  solche 
Weise  das  Raumdetail  den  Kernbau  allzuschwer 
belastet  und  derart  etwas  vielfältig  und  zer- 
splittert anmutet,  was  sich  als  geschlossene  Ein- 
heit geben  wollte  und  bei  einer  Verschiebung 


THEATER  DER  WERKBUND-AUSSTELLUNG 

der  Verhältnisse  auch  hätte  geben  müssen. 
Vielleicht  daß  den  Meister  allerhand  nahelie- 
gende Hindernisse  beengten,  aber  gewiß  ist, 
daß  das  gegebene  Formenspiel  gedrückt  und 
bedrückend  wirkt  und  erst  zu  voller,  starker 
Geltung  kommen  könnte,  wenn  zur  entspre- 
chenden Situierung  stattlichere  Maße  hinzu- 
träten, die  das  Auswachsen  von  Kernraum  und 
Gliedern  ermöglichen  und  den  Eindruck  der 
miniaturhaften  Verschachtelung  überwinden 
würden.  Auch  die  Farben  des  Außenbildes 
vermögen  die  Bewegung  nicht  zu  erleichtern 
und  rhythmisch  auszugleichen. 

Die  Erklärung  für  diese  unleugbaren  Un- 
stimmigkeiten in  der  äußeren  Erscheinung  gibt 
zuletzt  der  Innenraum,  in  dem  sich  Zweck- 
mäßigkeit und  architektonische  Schönheit  zu 
einem  vollkommenen,  einheitlichen  und  tiefer 
wirkenden  Eindruck  vereinen.  Diese  Erklä- 
rung liegt  in  der  hier  gebotenen  Darstellung 
des  Grundsatzes,  den  Bau  von  innen  nach 
außen  zu  entwickeln.  Aber  was  draußen  mehr 
als  Handhabung  einer  rücksichtslosen  Konse- 
quenz erschien,  wirkt  hier  durch  seine  künst- 
lerische Haltung  völlig  überzeugend.  Denn 
hier  lebt  sich  jedes  Raumglied  nach  seiner  Be- 
stimmung aus,  und  was  draußen  verworren 
und  zersplittert  erschien,  bietet  sich  hier  klar,  ^ 
einfach  und  eindringlich  an.     Die  Anordnung    >: 


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Dekorative  Kunst.  XVII.    iz.    September  1914 


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der  Vorhalle  und  ihrer  Büfett-Enden,  die  einige 
Treppen  tiefer  liegenden,  durch  ihr  Niveau 
und  ihre  harte  Wendung  selbständig  gemach- 
ten Garderoben  stehen  zu  dem  umschlossenen 
Zuschauerraum  in  jedem  Sinne  in  vortreffli- 
cher Beziehung.  Die  rhythmischen  Friese  Hof- 
manns, die  warmfarbigen  eingebauten  Büfetts, 
die  Türfüllungen  mit  ihrem  bronzegetönten, 
in  Glasfluß  eingesetzten  Ornamentschmuck, 
die  lichtzerstreuenden  Stoffbespannungen  der 
Deckenbeleuchtung,  alles  wirkt  hier  als  schöne, 
zweckbedachte  Einheit,  löst  am  Abend  vor- 
trefflich seine  Aufgabe  und  umgibt  sie  mit 
einem  eindrucksvollen,  künstlerischen  Rahmen. 

Aus  dem  kühleren  Gürtel  dieser  Räume, 
die  der  Lebensfüllung  der  Pausen  vorbehalten 
sind,  tritt  man  in  die  warme  Sphäre  des  Zu- 
schauerraumes. Das  dunkle  Holzbraun  der 
Wände  und  des  Plafonds  mit  den  organisch 
entwickelten  und  gebildeten  Ornamentfüllungen, 
das  meisterhafte,  stoffbespannte  Deckenlicht, 
die  wohltönige  Farbe  des  Vorhanges  vereinen 
sich  in  der  raumfüllenden,  mildströmenden 
Beleuchtung  des  Abends  zu  einem  sonoren, 
festlichen  Bild,  das  eine  kunstfreudige  Menge 
recht  feierabendlich  stimmen  muß,  denn  der 
Raum  hat  noch  genug  vom  Heime,  aus  dem  die 
Menschen  kommen.  Er  beruhigt  und  zwingt 
zur  Sammlung.  Das  ist  im  Rahmen  der  inti- 
men Aufgabe,  die  dem  Künstler  gestellt  war 
oder  die  er  sich  gestellt  hat,  das  Beste,  was 
erreicht  werden  konnte. 

An  den  amphitheatralischen  Treppenabfall  der 
letzten  Ränge  schließt  das  Parkett,  an  dieses  die 
Decke  des  überdeckbaren  Orchesters  und  end- 
lich die  Bühne,  die  die  volle  Breite  des  Zu- 
schauerraumes aufnimmt.  Diese  Abfolge  ist 
derart  vermittelt,  die  Uebergänge  sind  solcher- 
maßen verwischt,  daß  der  beabsichtigten  Illu- 
sion, als  spiele  der  dargestellte  Vorgang  in 
der  Mitte  der  Zuschauer,  räumlich  der  stärkste 
Vorschub  geleistet  wird.  Ob  dieses  Ziel :  die 
Entfernung  des  Rahmens,  der  das  Bühnenspiel 
ins  Unwirkliche  versetzt,  faktisch  das  Ziel  der 
Theaterkunst  ist,  liegt  hier  ganz  außerhalb  der 
Erörterung.  Dem  Künstler  war  es  Axiom. 
Seine  Leistung  kann  nur  im  Lichte  dieser  Vor- 
aussetzung beurteilt  werden  und  bietet,  in  ihr 
gesehen,  eine  meisterliche  Lösung.  Daneben 
erscheint  das  hier  erstmals  dargestellte  Prinzip 
der  dreifach  vertikal,  aber  beweglich  geteilten 
Bühne,  die  aus  den  beiden  anstoßenden  Ma- 
gazinen szenisch  gespeist  wird  und  sich  erst 
in  reichlicheren,  mannigfältigerenAufführungen 
bewähren  muß,  an  sich  mehr  untergeordnet. 
Wichtiger  ist,  daß  sich  zwei  benachbarte  Bühnen- 
teile, aber  auch  alle  drei  und  darüber  hinaus 
noch  das  Proszenium  und  das  überdeckte  Or- 


chester zu  einem  Bühnenraum  vereinigen 
lassen  und  derart  alle  Stufen  dramatischer 
Handlung,  vom  Kammerspiel  bis  zur  impo- 
santesten szenischen  Entfaltung,  hier  einen 
Rahmen  gefunden  zu  haben  scheinen. 

Aber  alles  hängt  davon  ab,  welchem  Bühnen- 
programm dieses  Theater  dienen  soll.  Was 
Köln  davon  erkennen  läßt,  die  klassische  Tra- 
gödie, das  moderne  Drama,  die  intime  Oper, 
das  Kindermärchen,  der  mimische  Tanz,  um- 
spannt so  ziemlich  alles  Bühnenmögliche.  Und 
nach  den  bisherigen  Versuchen  wäre  die 
prinzipielle  Verneinung  etwa  noch  der  großen 
Oper  und  des  Ausstattungsstückes  nicht  recht 
einzusehen,  wenigstens  schwer  zu  begründen. 
Damit  kehrt  nun  ein  Einwand  wieder,  den 
schon  das  äußere  Baubild  aufdrängte,  und 
den  jetzt,  da  wir  nach  der  Hausbestimmung 
fragen,  auch  der  bewundernswerte  Innenraum 
naheführt.  Das,  was  vielleicht  dem  Künstler 
vorschwebte,  ein  All -Theater,  hat  er  in  der 
vorliegenden  Fassung  noch  nicht  gegeben.  So, 
wie  es  vorderhand  in  Köln  zu  sehen  ist,  erfüllt 
das  Haus  nur  intimere  Absichten.  Zweifellos 
würde  es,  in  stattlichere  Maße  übertragen  und 
bei  entsprechend  veränderter  Verhältnisgebung, 
den  Anforderungen  des  höheren  Dramas,  des 
gesprochenen  und  des  musikalischen,  durchaus 
genügen.  Aber  es  bleibt  die  Frage  offen,  ob 
es  dann  auch  noch  jener  intimeren  Wirkungen 
fähig  wäre,  deren  eindringlicher  Schauplatz  es 
jetzt  ist.  Darauf  kann  die  Einrichtung  der 
Bühne  nicht  die  letzte  Antwort  geben.  Hier 
sprechen  weitgehendere  Ueberlegungen  der 
Raumkunst  mit,  die  dieser  Künstler  am  besten 
selber  erwägen  und  lösen  wird. 

Damit  ist  auch  letzten  Endes  der  Wert  um- 
schrieben, den  wir  seinem  Werke  beimessen. 
Er  steht  uns  hoch  genug.  Wir  sehen  ihn  nicht 
so  sehr  in  der  dargebotenen  Leistung  als  in 
ihrem  programmatischen  Gehalt.  Es  bleibt 
nur  zu  wünchen,  daß  dem  Künstler  die  Mittel 
geboten  werden,  die  Grundsätze,  die  er  in 
Köln  anschaulich  machte,  ohne  Hindernis,  in 
größerem  Stil,  in  durchaus  freier  Handhabung 
seiner  Gedanken  darzustellen.  Die  Andeu- 
tungen, die  er  hier  gab,  und  das  ungebrochene 
Temperament  des  Künstlers,  das  sich  hier 
wieder  auf  die  Seite  der  Jungen  schlug,  recht- 
fertigen die  Erwartung,  daß  wir  in  ihm  den 
langerwünschten  Mann  haben,  der  den  Theater- 
bau der  Gegenwart  aus  einer  Sterilität  retten 
kann.  Jedenfalls  hat  er  so  neben  wenigen 
Anteil  genommen  an  dem  Besten,  was  der 
Werkbund  für  diesmal  nur  allzuspärlich  darbot: 
Bewegung  in  den  Stillstand,  Neugestaltung  in 
die  Monotonie  zu  bringen.  Das  dürfen  wir 
ihm  nicht  leicht  vergessen.  Max  Eisler 


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ARCH.  MAX  HEIDRICH-PADERBORN 

Ausführung;   Siebeis  Holzbaus-  und  Barackenbau^ 


ZERLEGBARES  SOMMERHAUS 

Diisseldorf-Ralh 


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MAX  HEIDRICH-PADERBORN 


Ausführung:  Werkstätten  Bernard  Stadler,  Paderborn 


AUS  DER  DIELE  (vgl.  S.  567) 


Dem  afrikanisch  -  maurischen  Kölner  Haus 
benachbart,  in  seiner  schlichten  Stille  in 
angenehmen  Kontrast  zu  ihm  tretend,  erhebt 
sich  inmitten  eines  zierlichen  Gartens  das 
StadlerscheSommerhaus,  das  schmuck  und 
stattlich  zum  Rhein  hinausgrüßt.  Es  ist  ein 
zerlegbares  Holzhaus,  so  daß  man  es  in  weni- 
gen Tagen  abbrechen  und  ebenso  schnell  wie- 
der aufbauen  kann. 

Max  Heidrich,  der  künstlerische  Leiter  von 
Stadlers  Werkstätten,  hat  das  Haus  im  Innern 
und  im  Aeußern  gestaltet.  Seiner  Bestimmung 
gemäß,  die  nicht  die  Einordnung  in  irgend- 
einen bestimmten  Landschaftscharakter  not- 
wendig machte,  ist  es  in  seiner  Erscheinung 
durchaus  neutral  gehalten,  ohne  aber  auch  nur 
im  geringsten  ins  Triviale  oder  Charakterlose 


zu  verfallen.  Im  Innern  birgt  das  Häuschen 
in  Erdgeschoß  und  Oberstock  elf  Räume:  Vor- 
platz, Diele,  Veranda,  Wohnzimmer,  Küche, 
Anrichte,  Bad,  Schlafzimmer,  Gastzimmer, 
Studierzimmer  und  Mädchenkammer.  Diese 
Räume  sind  in  sympathischer  und  sinngemäßer 
Raumanordnung  und  Möblierung  auch  in  den 
farbigen  Ensembles  gut  zueinander  abgestimmt. 
Ein  gewisser  Nachdruck  ist  auf  die  Ausgesfal- 
tung der  Diele,  der  ein  Terrakottakamin  eine  ei- 
gene Note  verleiht,und  des  Wohnzimmers  gelegt, 
das  in  den  hellen,  aparten  Farben  polierten  Bir- 
kenholzes prunkt.  Bei  dem  für  die  Möbel  ver- 
wendeten Holz  ist  eine  große  Mannigfaltigkeit 
festzustellen.  Neben  geräucherter  Eiche  und  ein- 
facher geätzter  Tanne  erscheint  mattiertes  Nuß- 
baum, Birke  und  slawonische  Rüster.       o.j.  w. 


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MAX  HEIDRICH 


AUS  DEM  WOHNZIMMER 


MAX  HEIDRICH  Q  AUS  DEM  GASTZIMMER  DES  SOMMERHAUSES  El  AUSFUHR.:  BERNARD  STADLER,  PADERBORN 


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MAX  HEIDRICH 


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MAX  HEIDRICH 


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Dekorative  Kunst.    XVII.    12.    .September  1914 


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ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND  EI  AUS  DEM  EMPFANGSRAUM  DER  KAFFEE-HANDELS-AKTIEN-GESELLSCHAFT,  BREMEN       p 


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ARCH.  RUNGE  &  SCOTLAND  H  AUS  DEM  EMPFANGSRAUM  DER  KAFFEE-HANDh;.^  ..;.  IIEN-GESELLSCHAFT,  BREMEN 


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BRUNNENFIGUR  VON  E.  SCHMIDT-KESTNER-BERLIN 


RUNGE  &  SCOTLAND, 

ARCHITEKTEN  DWB., 

BREMEN 


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AUS  DEM  VORRAUM      g 
DER  KAFFEE-HAG 
BREMEN 


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FRIEDRICH  ADLER-HAMBURG  KERAMISCHER  VORHOF  DER  SYNAGOGE 

Ausführung:  Keramik-Manufaktur  G.m.b.H.  (Gerstenkorn  &  Meimerstorf),    Hamburg 


Die  kirchliche  Kunst  tritt  in  Köln  streng 
paritätisch  in  die  Erscheinung.  Es  gibt 
einen  evangelischen  und  einen  römisch-katho- 
lischen Kirchenraum,  dazu  eine  kleine  Syna- 
goge, die  am  besten  geraten  ist  und  die  meiste 
Stimmung  vermittelt.  Ihr  Schöpfer  ist  Archi- 
tekt Frihdrich  Adler  in  Hamburg.  Durch 
einen  kleinen  Vorhof,  der  keramisch  ausge- 
bildet wurde,  betritt  man  den  Hauptraum,  der 
seine  entscheidende  Gestaltung  durch  den 
apsisartigen  Ausbau  der  Kultstäite  mit  der 
heiligen  Lade  und  durch  die  in  halber  Raum- 
höhe angeordnete  Frauenempore  erhielt.  Durch 
gemalte  Fenster,  die  nach  Adlers  Entwürfen 
von  Gottfried  Heinersdorff  in  Berlin  ausgeführt 
wurden,  bricht  mystisches  Licht,  das  sich  an 
den  Kronleuchtern,  an  Sabbat-  und  Chanuka- 
leuchter  mannigfach  und  vielfältig  bricht.  Ver- 
schiedene Gerätschaften  für  den  Kultgebrauch 
bezeugen,  daß  auch  in  die  Synagoge  und  in 
den  jüdischen  Kult,  für  den  das  Festhalten 
an  der  Tradition  charakteristisch  ist,  ein  freierer 
Zug,  ein  Funke  von  dem  neuen  Geist  der  an- 
gewandten Kunst,  der  es  sich  nicht  mit  starrem 


genug 


NachschafFen   überkommener    Formen 
sein  lassen  will,  Einzug  gehalten  hat. 

Den  evangelischen  Kirchenraum,  der  in  drei 
Abteilungen  zerfällt,  hat  Professor  Friedrich 
Pützer  in  Darmstadt  angegeben.  Der  Katalog 
sagt  darüber:  „Unsere  Ausstellung  soll  be- 
weisen, daß  es  innerhalb  der  evangelischen 
Kirche  Kräfte  gibt,  die  in  echt  reformatorischem 
Geist  wirken,  die  sich  nicht  scheuen,  modern 
zu  sein."  Was  die  Raumgestaltung  anlangt, 
so  zeigt  sich  diese  Modernisierung  besonders 
in  der  etwas  ungewöhnlichen  Grundrißlösung, 
die  eine  neue  Gruppierung  von  Kanzel,  Altar, 
Orgel  und  Sängertribüne  versucht,  und  durch 
das  Mittel  der  Farbe,  d.  h.  durch  dekorative 
Malerei,  mehr  Stimmung  in  das  meist  sehr 
nüchterne  evangelische  Gotteshaus  zu  tragen 
unternimmt.  Unter  den  religiösen  Tafelmale- 
reien, die  man  hier  anschloß,  finden  sich  einige 
sehr  radikale  Stücke  von  Nauen  und  Nolde, 
Gemälde,  die  nicht  mehr  in  reformatorischem 
Geist  wirken,  sondern  —  weit  entfernt,  An- 
dachtsbilder zu  sein  —  gegen  den  guten  Geist 
des  geläuterten  Geschmacks  sündigen.    G.  J.W. 


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3      FRIEDRICH  ADLER-HAMBURG  SYNAGOGE:  BLICK  ZUR  THORA-NISCHE 

fi  Ausführung  der  Stucco-Arbeiten:  Gebr.  Berger  &  Silber,  Hamburg;  der  Malerarbeiten:  Martin  Conrad,  Hamburg 

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i       FRIEDRICH  ADLER-HAMBURG  SYNAGOGE:  BLICK  VON  DER  KANZEL  ZUR  VORHALLE 

/  Ausführung  der  Stucco-Arbeiten :  Gebr.  Berger  &  Silber,  Hamburg;  der  Malerarbeiten:  Martin  Conrad,  Hamburg 


575 


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ARCH.  FRIEDRICH  POTZER-DARMSTADT  ALTARWAND  IM  EVANGELISCHEN  KIRCHENRAUM 

AUSMALUNG  UND  ALTARBILD  .DER  GUTE  HIRTE«  VON  PAUL  RÖSSLER-DRESDEN 

Deutsche  Werkbund-Ausstellung  Köln  1914 


Verantwortlicher  Herausgeber:  LUDWIG  DEUBNER,  München.     Druck  und  Verlag  F.  BRUCKMANN  A.C.,  München 


Carl  5 

Huobbiii 

Braun  SC 


N 
3 

K7 
Bd.  30 


Die  Kunst 


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